PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Gedichte
[II][III]
Gedichte
[figure]
StuttgartundTübingen. J. G. Cotta'ſcher Verlag. 1844.
[IV][V]

Inhaltsverzeichniß.

Zeitbilder.
  • Seite
  • Ungaſtlich oder nicht? 3
  • Die Stadt und der Dom6
  • Die Verbannten11
  • Der Prediger16
  • An die Schriftſtellerinnen in Deutſchland und Frankreich19
  • Die Gaben22
  • Vor vierzig Jahren24
  • An die Weltverbeſſerer27
  • Alte und neue Kinderzucht29
  • Die Schulen33
Haidebilder.
  • Die Lerche37
  • Die Jagd41
  • Die Vogelhütte45
  • Der Weiher51
  • Der Hünenſtein55
  • Die Steppe58
  • Die Mergelgrube59
  • Die Krähen64
  • Das Hirtenfeuer71
  • Der Haidemann74
  • Das Haus in der Haide77
  • Der Knabe im Moor79
  • VI
  • Seite
Fels, Wald und See.
  • Die Elemente.
    • Luft83
    • Waſſer84
    • Erde85
    • Feuer87
  • Die Schenke am See89
  • Am Thurme92
  • Das öde Haus94
  • Im Mooſe97
  • Am Bodenſee99
  • Das alte Schloß102
  • Der Säntis.
    • Frühling104
    • Sommer105
    • Herbſt106
    • Winter107
  • Am Weiher.
    • Ein milder Wintertag108
    • Ein harter Wintertag109
  • Fragment111
Gedichte vermiſchten Inhalts.
  • Mein Beruf115
  • Meine Todten118
  • Katharine Schücking120
  • Nach dem Angelus Sileſius123
  • Gruß an Wilhelm Junkmann126
  • Junge Liebe128
  • Das vierzehnjährige Herz130
  • Brennende Liebe132
  • Der Brief aus der Heimath134
  • Ein braver Mann136
  • Stammbuchblätter.
    • 1. Mit Laura's Bilde140
    • 2. An Henriette von Hohenhauſen141
  • Nachruf an Henriette von Hohenhauſen142
  • Vanitas Vanitatum! 144
  • VII
  • Seite
  • Inſtinkt146
  • Die rechte Stunde148
  • Der zu früh geborene Dichter149
  • Noth152
  • Die Bank153
  • Clemens von Droſte156
  • Guten Willens Ungeſchick158
  • Der Traum160
  • Locke und Lied163
  • An ***165
  • Poeſie166
  • An ***168
  • An Eliſe169
  • Ein Sommertagstraum171
  • Die junge Mutter182
  • Meine Sträuße184
  • Das Liebhabertheater187
  • Die Taxuswand189
  • Nach fünfzehn Jahren191
  • Der kranke Aar194
  • Sit illi terra levis! 195
  • Die Unbeſungenen198
  • Das Spiegelbild199
  • Neujahrsnacht201
  • Der Todesengel205
  • Abſchied von der Jugend207
  • Was bleibt209
Scherz und Ernſt.
  • Dichters Naturgefühl213
  • Der Theetiſch217
  • Die Nadel im Baume221
  • Die beſchränkte Frau224
  • Die Stubenburſchen228
  • Die Schmiede232
  • Des alten Pfarrers Woche.
    • Sonntag234
    • Montag235
    • VIII
    • Seite
    • Dienſtag238
    • Mittwoch240
    • Donnerſtag243
    • Freitag245
    • Samſtag248
  • Der Strandwächter am deutſchen Meere251
  • Das Eſelein255
  • Die beſte Politik259
Balladen.
  • Der Graf von Thal263
  • Der Tod des Erzbiſchofs Engelbert von Cöln274
  • Das Fegefeuer des weſtphäliſchen Adels280
  • Die Stiftung Cappenbergs285
  • Der Fundator289
  • Vorgeſchichte (Second sight) 294
  • Der Graue299
  • Die Vendetta307
  • Das Fräulein von Rodenſchild314
  • Der Geyerpfiff318
  • Die Schweſtern325
  • Meiſter Gerhard von Cöln334
  • Die Vergeltung339
  • Der Mutter Wiederkehr343
  • Der Barmekiden Untergang352
  • Vajazet355
  • Der Schloßelf357
  • Kurt von Spiegel361
  • Der spiritus familiaris des Roßtäuſchers365
  • Das Hoſpiz auf dem großen St. Bernhard397
  • Des Arztes Vermächtniß457
  • Die Schlacht im Loener Bruch489
[1]

Zeitbilder.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 1[2][3]

Ungaſtlich oder nicht?

(In Weſtphalen.)

Ungaſtlich hat man dich genannt,
Will deinen grünſten Kranz dir rauben,
Volk mit der immer offnen Hand,
Mit deinem argwohnloſen Glauben;
O rege dich, daß nicht die Schmach
Auf deinem frommen Haupte laſte,
Und redlich, wie das Herz es ſprach,
So ſprich es nach zu deinem Gaſte:
Fremdling an meiner Marken Stein,
Mann mit der Stirne trüben Falten,
O, greif in deines Buſens Schrein,
Und laſſ 'die eigne Stimme walten.
Nicht ſoll beſtochner Zeugen Schaar
Uns am beſtochnen Worte rächen,
Nein, Zeug' und Richter ſollſt du klar
Dir ſelbſt das freie Urtheil ſprechen.
Fühlſt du das Herz in dir, nicht heiß
Doch ehrlich, uns entgegen ſchlagen,
Dein Wort kein falſch und trügend Gleis,
Beſteckend was die Lippen tragen,
4
Fühlſt du ein Gaſt dich wie er lieb
Dir an dem eignen Hausaltare,
Dann friſch heran nicht wie ein Dieb,
Nein, friſch, mit fröhlicher Fanfare!
Wer unſres Landes Sitte ehrt,
Und auch dem ſeinen hält die Treue
Hier iſt der Sitz an unſerm Heerd!
Hier unſres Bruderkuſſes Weihe!
Wer fremden Volkes Herzen ſtellt
Gleich ſeinem in gerechter Wage
Hier unſre Hand, daß er das Zelt
Sich auf bei unſern Zelten ſchlage!
Doch ſagt ein glüh 'Erröthen dir,
Du gönnteſt lieber einer andern
Als deiner Schwelle gleiche Zier
Brich auf, und mögeſt eilends wandern!
Wir ſind ein friedlich ſtill Geſchlecht
Mit lichtem Blick und blonden Haaren,
Doch unſres Heerdes heilig Recht
Das wiſſen kräftig wir zu wahren.
Die Luft die unſern Odem regt,
Der Grund wo unſre Gräber blühen,
Die Scholle die uns Nahrung trägt,
Der Tempel wo wir gläubig knieen,
Die ſoll kein frevler Spott entweihn,
Dem Feigen Schmach und Schamerröthen,
Der an des Heiligthumes Schrein
Läßt eine falſche Sohle treten!
5
Doch einem Gruß aus treuem Muth
Dem nicken ehrlich wir entgegen.
Hat jeder doch ſein eignes Blut,
Und ſeiner eignen Heimath Segen.
Wenn deine Ader kälter rinnt,
So müſſen billig wir ermeſſen:
Wer könnte wohl das fremde Kind
Gleich eignem an den Buſen preſſen?
Drum, jede Treue ſey geehrt,
Der Eichenkranz von jedem Stamme;
Heilig die Glut auf jedem Heerd,
Ob hier ſie oder drüben flamme;
Dreimal geſegnet jedes Band
Von der Natur zum Lehn getragen,
Und einzig nur verflucht die Hand,
Die nach der Mutter Haupt geſchlagen!
6

Die Stadt und der Dom.

Eine Carricatur des Heiligſten.

Der Dom! der Dom! der deutſche Dom!
Wer hilft den Cölner Dom uns baun!
So fern und nah der Zeitenſtrom
Erdonnert durch die deutſchen Gaun.
Es iſt ein Zug, es iſt ein Schall
Wie ein gewaltger Wogenſchwall.
Wer zählt der Hände Legion
In denen Opferheller glänzt?
Die Liederklänge wer, die ſchon
Das Echo dieſes Rufs ergänzt?
Und wieder ſchallt's vom Elbeſtrand:
Die Stadt! die Stadt! der deutſche Port!
Und wieder zieht von Land zu Land
Ein Gabeſpendend Klingeln fort;
Die Schiffe kommen Maſt an Maſt,
Goldregen ſchüttet der Pallaſt,
Wem nie ein eignes Dach beſcheert,
Der wölbt es über fremde Noth,
Wem nie geraucht der eigne Heerd,
Der theilt ſein ſchweißbenetztes Brod.
Wenn eines ganzen Volkes Kraft
Für ſeines Gottes Heiligthum
Die Lanze hebt ſo Schaft an Schaft,
Wer glühte nicht dem ſchönſten Ruhm?
7
Und wem, wem rollte nicht wie Brand
Das Blut an ſeiner Adern Wand,
Wenn eines ganzen Volkes Schweiß
Gleich edlem Regen niederträuft,
Bis in der Aſchenſteppe heiß
Viel Tauſenden die Garbe reift?
Man meint, ein Volk von Heil'gen ſey
Herabgeſtiegen über Nacht,
In ihrem Eichenſarg aufs neu
Die alte deutſche Treu 'erwacht.
O werthe Einheit, biſt du Eins
Wer ſtände dann des Heilgenſcheins,
Des Kranzes würdiger als du,
Geſegnete, auf deutſchem Grund!
Du trugſt den goldnen Schlüſſel zu
Des Himmels Hort in deinem Bund.
Wohlan ihr Kämpen denn, wohlan
Du werthe Kreuzesmaſſoney,
So gebt mir eure Zeichen dann
Und euer edles Feldgeſchrei!
Da, horch! da ſtieß vom nächſten Schiff
Die Bootmannspfeife grellen Pfiff,
Da ſtiegen Flaggen ungezählt,
Cantate ſummte und Gedicht,
Der Demuth Braun nur hat gefehlt,
Jehova's Namen hört ich nicht.
8
Wo deine Legion, o Herr,
Die knieend am Altare baut?
Wo, wo dein Samariter, der
In Wunden ſeine Thräne thaut?
Ach, was ich fragte und gelauſcht,
Der deutſche Strom hat mir gerauſcht,
Die deutſche Stadt, der deutſche Dom,
Ein Monument, ein Handelsſtift,
Und drüber ſah wie ein Phantom
Verlöſchen ich Jehovas Schrift.
Und wer den Himmel angebellt,
Vor keiner Hölle je gebebt,
Der hat ſich an den Krahn geſtellt
Der ſeines Babels Zinne hebt.
Wer nie ein menſchlich Band geehrt,
Mit keinem Leid ſich je beſchwert,
Der fluthet aus des Buſens Schrein
Unſäglicher Gefühle Strom,
Am Elbeſtrand, am grünen Rhein,
Da holt ſein Herz ſich das Diplom.
Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott
Gehöhnt an ſeiner Schwelle Rand,
Meineid'gen gleich in frevlem Spott
Hobt am Altare eure Hand!
Er iſt der Herr, und was er will
Das ſchaffen Leu und Krokodill!
9
So baut denn, baut den Tempel fort,
Mit ird'ſchem Sinn den heilgen Haag,
Daß euer beſſrer Enkel dort
Für eure Seele beten mag!
Kennt ihr den Dom der unſichtbar
Mit tauſend Säulen aufwärts ſtrebt?
Er ſteigt wo eine gläubge Schaar
In Demuth ihre Arme hebt.
Kennt ihr die unſichtbare Stadt
Die tauſend offne Häfen hat
Wo euer werthes Silber klingt?
Es iſt der Samariter Bund,
Wenn Rechte ſich in Rechte ſchlingt,
Und nichts davon der Linken kund.
O, er der Alles weiß, er kennt
Auch eurer Seele ödes Haus;
Baut Magazin und Monument,
Doch ſeinen Namen laßt daraus!
Er iſt kein Sand der glitzernd ſtäubt,
Kein Dampfrad das die Schiffe treibt,
Iſt keine falſche Flagge die
Sich ſtahl der See verlorner Sohn,
Parol 'nicht die zur Felonie
Ins Lager ſchmuggelt den Spion!
Baut, baut, um euer Denkmal ziehn
Doch Seufzer fromm und ungeſchmückt,
10
Baut, neben eurem Magazin
Wird doch der Darbende erquickt.
Ob eures Babels Zinnenhang
Zum Weltenvolk euch ſtempeln mag?
Schaut auf Palmyrens Steppenbrand,
Wo ſcheu die Antilope ſchwebt,
Die Stadt ſchaut an wo, ein Gigant,
Das Colloſſeum ſich erhebt.
Den Wurm der im Geheimen ſchafft,
Den kalten nackten Grabeswurm,
Ihn tödtet nicht des Armes Kraft,
Noch euer toller Liederſturm.
Ein frommes, keuſches Volk iſt ſtark,
Doch Sünde zehrt des Landes Mark;
Sie hat in deiner Glorie Bahn,
O Roma, langſam dich entleibt,
Noch ſteht die Säule des Trajan,
Und ſeine Kronen ſind zerſtäubt!
11

Die Verbannten.

Ich lag an Bergeshang,
Der Tag war ſchon geſunken,
In meine Wimper drang
Des Weſten letzter Funken.
Ich ſchlief und träumte auch vielleicht,
Doch hört ich noch der Amſel Pfeifen,
Wie Echo's letzte Hauche, feucht
Und halb verlöſcht, am Schilfe ſtreifen.
Mein äußres Auge ſank,
Mein innres ward erſchloſſen:
Wie wild die Klippenbank!
Wie grau die Mooſe ſproſſen!
Der Oede Odem zog ſo ſchwer
Als ob er ſiecher Bruſt entgleite,
Wohin ich blickte, Rohres Speer,
Und Dorngeſtrüpp und Waldesweite.
Im Graſe kniſtert 'es,
Als ob die Grille hüpfte,
Im Strauche flüſtert' es,
Als ob das Mäuslein ſchlüpfte;
Ein morſcher halbverdorrter Stamm
Senkte die bräunliche Gardine,
Zu Füßen mir der feuchte Schwamm,
Und über'm Haupt die wilde Biene.
12
Da raſchelt 'es im Laub,
Und rieſelte vom Hange,
Zertretnen Pilzes Staub
Flog über meine Wange.
Und neben mir ein Knabe ſtand,
Ein blondes Kind mit Taubenblicken,
Das eines blinden Greiſes Hand
Schien brünſtig an den Mund zu drücken.
Von linder Thränen Lauf
Sein Auge glänzte trübe,
Steh auf , ſprach es, ſteh auf!
Ich bin die Kindesliebe,
Verbannt, zum wüſten Wald verbannt,
In's öde Dickicht ausgeſetzet,
Wo an des ſumpfgen Weihers Rand
Der Storch die kranken Eltern ätzet!
Dann faltete es hoch
Die hagern Händchen beide,
Und ſachte abwärts bog
Es des Geröhres Schneide.
Ich ſah wie blutge Striemen leis
An ſeinen Aermchen niederfloſſen,
Wie tappend ihm gefolgt der Greis,
Bis ſich des Rohres Wand geſchloſſen.
Ich ballte meine Hand,
Verſuchte mich zu ſchwingen,
Doch feſter, feſter wand
Der Taumel ſeine Schlingen.
13
Und wieder hörte ich den Schlag
Der Amſel und der Grille Hüpfen,
Und wieder durch den wilden Haag
Der Biene ſterbend Sumſen ſchlüpfen.
Da ſchleift 'es, ſchwer wie Blei,
Da flüſtert' es aufs neue:
O wache! ſteh mir bei!
Ich bin die Gattentreue.
Das Auge hob ich, und ein Weib
Sah ich wie halbgebrochen bücken,
Das eines Mannes wunden Leib
Mühſelig trug auf ſeinem Rücken.
Ein feuchter Schleyer hing
Ihr Haar am Antlitz nieder,
Des Schweißes Perle fing
Sich in der Wimper wieder.
Verbannt! verbannt zum wilden Wald,
Wo Nacht und Oede mich umſchauern!
Verbannt wo in der Felſen Spalt
Die Tauben um den Tauber trauern!
Sie ſah mich lange an,
Im Auge Sterbeklagen,
Und langſam hat ſie dann
Den Wunden fortgetragen.
Sie klomm den Klippenſteig entlang,
Ihr Aechzen ſcholl vom Steine nieder,
Wo grade unterm Schieferhang
Sich regte bläuliches Gefieder.
14
Ich dehnte mich mit Macht
Und langte nach dem Wunden,
Doch als ich halb erwacht,
Da war auch er verſchwunden,
Zerronnen wie ein Wellenſchaum,
Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,
Und unter mir, an Weihers Saum,
Der Unken zart Geläute tönen.
Die Glöckchen ſchliefen ein,
Es ſchwoll der Kronen Rauſchen,
Ein Licht wie Mondenſchein
Begann am Aſt zu lauſchen,
Und lauter raſchelte der Wald,
Die Zweige ſchienen ſich zu breiten,
Und eine dämmernde Geſtalt
Sah ich durch ſeine Hallen gleiten.
Das Kreuz in ihrer Hand,
Um ihre Stirn die Binde,
Ihr langer Schleyer wand
Und rollte ſich im Winde.
Sie trat ſo ſacht behutſam vor,
Als ob ſie jedes Kräutlein ſchone,
O Gott, da ſah ich unter'm Flor,
Sah eine blutge Dornenkrone!
Die Fraue weinte nicht
Und hat auch nicht geſprochen,
Allein ihr Angeſicht
Hat mir das Herz gebrochen,
15
Es war wie einer Königin
Pilgernd für ihres Volkes Sünden,
Wo find ich Worte, wo den Sinn,
Um dieſen Dulderblick zu künden!
Als ſie vorüber ſchwand
Mit ihren blutgen Haaren,
Da riß des Schlummers Band,
Ich bin empor gefahren.
Der Amſel Stimme war verſtummt,
Die Mondenſcheibe ſtand am Hügel,
Und über mir im Aſte ſummt '
Und raſchelte des Windes Flügel.
Ob es ein Traumgeſicht
Das meinen Geiſt umfloſſen?
Vielleicht ein Seherlicht
Das ihn geheim erſchloſſen?
O wer, dem eine Thrän 'im Aug',
Den fromme Liebe je getragen,
Wer wird nicht, mit dem letzten Hauch,
Die heiligen Verbannten klagen!
16

Der Prediger.

Langſam und ſchwer vom Thurme ſtieg die Klage,
Ein dumpf Gewimmer zwiſchen jedem Schlage,
Wie Memnons Säule weint im Morgenflor.
Am Glockenſtuhle zitterte der Balke,
Die Dohlen flatterten vom Neſt, ein Falke
Stieg pfeifend an der Fahne Schaft empor.
Wem dröhnt die Glocke? Einem der entkettet,
Deß müden Leib ein Fackelzug gebettet
In letzter Nacht bei ſeinem einzgen Kind.
Wer war der Mann? Ein Geiſt im ächten Gleiſe,
Kein Wucherer, kein Ehrendieb, und weiſe
Wie reiche Leute ſelten weiſe ſind.
Darum ſo mancher Greis mit Stock und Brille,
So manches Regentuch und Handpoſtille,
Sich mühſam ſchiebend durch der Menge Drang.
Er war ein heitrer Wirth in ſeinem Schloſſe,
Darum am Thor ſo manche Staatskaroſſe,
So mancher Flor das Kirchenſchiff entlang.
Die Glocken ſchwiegen, alle Kniee ſanken,
Poſaunenſtoß! Die Wölbung ſchien zu wanken.
O Dies iræ, dies illa! Glut
Auf Sünderſchwielen, Thau in Büßermalen!
Mir war als ſäh ich des Gerichtes Schalen,
Als hört ich tröpfeln meines Heilands Blut.
17
Das Amen war verhallt. Ein zitternd Schweigen
Lag auf der Menge, nur des Odems Steigen
Durchſäuſelte den weiten Hallenbau.
Nur an der Tumba ſchwarzer Flämmchen Kniſtern
Schien leiſe mit dem Grabe noch zu flüſtern,
Der Weihrauchwirbel ſtreute Aſchengrau.
Geliebte! ſcholl es von der Wölbung nieder,
Die Wolke ſank, und mählich ſtiegen Glieder,
Am Kanzelbord ein junger Prieſter ſtand.
Kein Schattenbild dem alle Luſt verronnen,
Ein friſcher ſaftger Stamm am Lebensbronnen,
Ein Adler ruhend auf Jehovah's Hand!
Geliebte , ſprach er, ſelig ſind die Todten
So in dem Herrn entſchliefen, treue Boten,
Von ihrer Sendung raſtend. Dann entſtieg
Das Wort, gewaltig wie des Jordans Wallen,
Mild wie die Luft in Horebs Cederhallen,
Als er bezeugte des Gerechten Sieg.
Die Stimme ſank, des Stromes Wellen ſchwollen,
Mir war als hört ich ferne Donner rollen:
Weh über euch, die weder warm noch kalt!
O, wäret kalt ihr oder warm! die Werke
Von eurer Hand ſind todt, und eure Stärke
Iſt gleich dem Hornſtoß der am Fels verhallt.
Und tiefer griff er in der Zeiten Wunde,
Die Heller ließ er klingen, und vom Grunde
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 218
Hob er den ſeidnen Mottenfraß an's Licht.
Erröthen ließ er die beſcheidne Schande
In ihrem ehrbar ſchonenden Gewande,
Und zog der Luſt den Schleier vom Geſicht.
Die Kerzen ſind gelöſcht, die Pforte dröhnte.
Ich hörte ſchluchzen, am Gemäuer lehnte
Ein Weib im abgetragnen Regentuch.
Ich hörte ſäuſeln neben mir, im Chore,
Ein Fräulein gähnte leiſe hinterm Flore,
Ein Fahnenjunker blätterte im Buch.
Und alle die beſcheidnen Menſchenkinder,
Wie ſich's geziemt für wohlerzogne Sünder,
Sie nahmen ruhig was der Text beſcheert.
Und Abends im Theater ſprach der Knabe,
Der achtzehnjährge Fähndrich: Heute habe
Ich einen guten Redner doch gehört!
19

An die Schriftſtellerinnen

in Deutſchland und Frankreich.

Ihr ſteht ſo nüchtern da gleich Kräuterbeeten
Und ihr gleich Fichten die zerſpellt von Wettern
Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten
Laßt wie Dragoner die Trompeten ſchmettern;
Der kann ein Schattenbild die Wange röthen
Die wirft den Handſchuh Zeus und allen Göttern;
Ward denn der Führer euch nicht angeboren
In eigner Bruſt, daß ihr den Pfad verloren?
Schaut auf! zur Rechten nicht durch Thränengründe,
Mondſcheinalleen und blaſſe Nebeldecken,
Wo einſam die veraltete Selinde
Zur Luna mag die Lilienarme ſtrecken;
Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,
Längſt überfloß der Sehnſucht Thränenbecken;
An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,
Und ſeufzend drauf ein Gänſeblümchen tragen.
Doch auch zur Linken nicht durch Winkelgaſſen,
Wo tückiſch nur die Diebslaternen blinken,
Mit wildem Druck euch rohe Hände faſſen,
Und Smollis Wüſtling euch und Schwelger trinken,
Der Sinne Bachanale, wo die blaſſen
Betäubten Opfer in die Roſen ſinken,
Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,
Man drüber legt die Kränze der Hetäre.
20
O dunkles Loos! o Preis mit Schmach gewonnen,
Wenn Ruhmes Staffel wird der Ehre Bahre!
Grad ', grade geht der Pfad, wie Stral der Sonnen!
Grad', wie die Flamme lodert vom Altare!
Grad ', wie Natur das Berberroß zum Bronnen
Treibt mitten durch die Wirbel der Sahare!
Ihr könnt nicht fehlen, er, ſo mild umlichtet,
Der Führer ward in euch nicht hingerichtet.
Treu ſchützte ihn der Länder fromme Sitte,
Die euch umgeben wie mit Heilgenſcheine,
Sie hielt euch fern die freche Liebesbitte,
Und legte Anathem auf das Gemeine.
Euch nahte die Natur mit reinem Schritte,
Kein trunkner Schwelger über Stock und Steine,
Ihr mögt ihr willig jedes Opfer ſpenden,
Denn Alles nimmt ſie, doch aus reinen Händen.
Die Zeit hat jede Schranke aufgeſchloſſen,
An allen Wegen hauchen Naphtablüthen,
Ein reizend ſcharfer Duft hat ſich ergoſſen,
Und Jeder mag die eignen Sinne hüten.
Das Leben ſtürmt auf abgehetzten Roſſen,
Die noch zuſammenbrechend haun und wüthen.
Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben,
Singt, aber zitternd, wie vor'm Weih 'die Tauben.
Ja, treibt der Geiſt euch, laßt Standarten ragen!
Ihr ward die Zeugen wild bewegter Zeiten,
Was ihr erlebt, das läßt ſich nicht erſchlagen,
Feldbind 'und Helmzier mag ein Weib bereiten;
21
Doch ſeht euch vor wie hoch die Schwingen tragen,
Stellt nicht das Ziel in ungemeſſne Weiten,
Der kecke Falk iſt überall zu finden,
Doch einſam ſteigt der Aar aus Alpengründen.
Vor Allem aber pflegt das anvertraute,
Das heilge Gut, gelegt in eure Hände,
Weckt der Natur geheimnißreichſte Laute,
Kniet vor des Blutes gnadenvoller Spende;
Des Tempels pflegt, den Menſchenhand nicht baute,
Und ſchmückt mit Sprüchen die entweihten Wände,
Daß dort, aus dieſer Wirren Staub und Mühen,
Die Gattin mag, das Kind, die Mutter knieen.
Ihr hörtet ſie die unterdrückten Klagen
Der heiligen Natur, geprägt zur Dirne.
Wer hat ſie nicht gehört in dieſen Tagen,
Wo nur ein Gott, der Gott im eignen Hirne?
Friſchauf! und will den Lorbeer man verſagen,
O Glückliche mit unbekränzter Stirne!
O arm Gefühl, das ſich nicht ſelbſt kann lohnen!
Mehr iſt ein Segen als zehntauſend Kronen!
22

Die Gaben.

Nie fand, ſo oft auch ſcherzend ward gefragt,
Ich einen Mann, vom Grafen bis zum Schneider,
Der ſo beſcheiden oder ſo betagt,
So hülflos, keinen ſo Geſcheiten leider,
Der nicht gemeint, des Herrſcherthumes Bürde
Sey ſeinen Schultern grad das rechte Maaß.
War Einer zweifelnd je an ſeiner Würde,
So ſchätzt er ſeine Kräfte deſto baß,
Der hoffte auf der Rede Zauberbann;
Schlau aus dem Winkel wollte Jener zielen,
Kurz, daß er wiſſe wie und auch den Mann,
Ließ Jeder deutlich durch die Blume ſpielen.
Ihr Thoren! glaubt ihr denn daß Gott im Zorne
Die Großen ſchuf, ungleich der Menſchenſchaar,
Pecus inane, das ſein Haupt zum Borne
Hinſtreckt wie weiland Nebukadnezar?
Daß, weil zuweilen unter Zotten ſchlägt
Ein Herz wo große Elemente ſchlafen,
Deßhalb wer eine feine Wolle trägt
Unfehlbar zählt zu den Merinoſchafen?
23
Daß langes Schauen zweifellos erblinde,
Und wer den Fäden raſtlos nachgeſpürt,
Daß dieſer, gleich dem überreizten Kinde,
So dümmer wird je länger er ſtudirt?
Wer zweifelt, daß ein Herz wie's Throne ſchmückt
Gar oft am Acker fröhnt und Forſtgehege,
Daß manche Scheitel ſich zur Furche bückt,
Hochwerth daß eine Krone drauf man lege?
Doch ihr des Lebens abgehetzte Alten,
Ihr innerliche Greiſe, ſeyd es nicht.
Bewahr 'der Himmel uns vor eurem Walten,
Vor dem im Sumpfe angebrannten Licht!
Ihr würdet mahnen an des Fröhners Sohn,
Der, woll 'ihm Gott ein Königreich verſchreiben,
Für's Leben wüſte keinen beſſern Lohn,
Als ſeine Schweine dann zu Roß zu treiben.
24

Vor vierzig Jahren.

Da gab es doch ein Sehnen,
Ein Hoffen und ein Glühn,
Als noch der Mond durch Thränen
In Fliederlauben ſchien,
Als man dem milden Sterne
Geſellte was da lieb,
Und Lieder in die Ferne
Auf ſieben Meilen ſchrieb!
Ob dürftig das Erkennen,
Der Dichtung Flamme ſchwach,
Nur tief und tiefer brennen
Verdeckte Gluten nach.
Da lachte nicht der leere,
Der überſatte Spott,
Man baute die Altäre
Dem unbekannten Gott.
Und drüber man den Brodem
Des liebſten Weihrauchs trug,
Lebend'gen Herzens Odem,
Das friſch und kräftig ſchlug,
Das ſchamhaft, wie im Tode,
In Traumes Wunderſarg
Noch der Begeiſtrung Ode
Der Lieb 'Ekloge barg.
25
Wir höhnen oft und lachen
Der kaum vergangnen Zeit,
Und in der Wüſte machen
Wie Strauße wir uns breit.
Iſt Wiſſen denn Beſitzen?
Iſt denn Genießen Glück?
Auch Eiſes Gletſcher blitzen
Und Baſiliskenblick.
Ihr Greiſe, die geſunken
Wie Kinder in die Gruft,
Im letzten Hauche trunken
Von Lieb 'und Aetherduft,
Ihr habt am Lebensbaume
Die reinſte Frucht gepflegt,
In karger Spannen Raume
Ein Eden euch gehegt.
Nun aber ſind die Zeiten,
Die überwerthen, da,
Wo offen alle Weiten,
Und jede Ferne nah.
Wir wühlen in den Schätzen,
Wir ſchmettern in den Kampf,
Windsbräuten gleich verſetzen
Uns Geiſtesflug und Dampf.
Mit unſres Spottes Gerten
Zerhaun wir was nicht Stahl,
Und wie Morgana's Gärten
Zerrinnt das Ideal;
26
Was wir daheim gelaſſen
Das wird uns arm und klein,
Was Fremdes wir erfaſſen
Wird in der Hand zu Stein.
Es wogt von End 'zu Ende,
Es grüßt im Fluge her,
Wir reichen unſre Hände,
Sie bleiben kalt und leer.
Nichts liebend, achtend Wen'ge
Wird Herz und Wange bleich,
Und bettelhafte Kön'ge
Stehn wir im Steppenreich.
27

An die Weltverbeſſerer.

Pocheſt du an poch 'nicht zu laut,
Eh du geprüft des Nachhalls Dauer.
Drückſt du die Hand drück nicht zu traut,
Eh du gefragt des Herzens Schauer.
Wirfſt du den Stein bedenke wohl,
Wie weit ihn deine Hand wird treiben.
Oft ſchreckt ein Echo, dumpf und hohl,
Reicht goldne Hand dir den Obol,
Oft trifft ein Wurf des Nachbars Scheiben.
Höhlen giebt es am Meeresſtrand,
Gewalt'ge Stalaktitendome,
Wo bläulich zuckt der Fackeln Brand,
Und Kähne gleiten wie Phantome.
Das Ruder ſchläft, der Schiffer legt
Die Hand dir angſtvoll auf die Lippe,
Ein Räuſpern nur, ein Fuß geregt,
Und donnernd überm Haupte ſchlägt
Zuſammen dir die Rieſenklippe.
Und Hände giebts im Orient,
Wie Schwäne weiß, mit blauen Malen,
In denen zwiefach Feuer brennt,
Als gelt 'es Liebesglut zu zahlen;
Ein leichter Thau hat ſie genäßt,
28
Ein leiſes Zittern ſie umflogen,
Sie faſſen krampfhaft, drücken feſt
Hinweg, hinweg! du haſt die Peſt
In deine Poren eingeſogen!
Auch hat ein Dämon einſt geſandt
Den gift'gen Pfeil zum Himmelsbogen;
Dort rührt ihn eines Gottes Hand,
Nun ſtarrt er in den Aetherwogen.
Und läßt der Zauber nach, dann wird
Er niederprallen mit Geſchmetter,
Daß das Gebirg 'in Scherben klirrt,
Und durch der Erde Adern irrt
Fortan das Gift der Höllengötter.
Drum poche ſacht, du weißt es nicht
Was dir mag überm Haupte ſchwanken;
Drum drücke ſacht, der Augen Licht
Wohl ſiehſt du, doch nicht der Gedanken,
Wirf nicht den Stein zu jener Höh '
Wo dir geſtaltlos Form und Wege,
Und ſchnellteſt du ihn einmal je,
So fall auf deine Knie und fleh',
Daß ihn ein Gott berühren möge.
29

Alte und neue Kinderzucht.

1.

In ſeiner Buchenhalle ſaß ein Greis auf grüner Bank,
Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;
Zur Seite ſeiner Jugend Sproß, ſich lehnend an den Zweigen,
Ein ernſter Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.
Sohn , ſprach der Patriarch, es klang die Stimme ſchier
bewegt:
Das Kiſſen für mein Sterbebett du haſt es weich gelegt;
Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen,
In meinen Seſſel wird dereinſt ein Ehrenmann ſich ſetzen.
Zu Gottes Ehr 'und deiner Pflicht, und nach der Vordern
Art,
Zog ich in aller Treue dich, als ſchon dein Kinn behaart.
Nicht will die neue Weiſe mir zum alten Haupte gehen,
Ein Sohn hat ſeinen Herrn, ſo lang zwei Augen offen ſtehen.
Mein Vater, tröſt ihn Gott, er fiel in einem guten
Straus!
War Diener ſeinem Fürſten und ein König ſeinem Haus,
Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren
Den letzten Schlag von ſeiner Hand fühlt ich mit zwanzig
Jahren.
30
So macht 'er mich zum Mann, wie du, mein Sohn, zum
frohen Greis,
Zum Mann der tragen kann und ſich im Glück zu faſſen weiß,
Wie mag, wer ſeiner Launen Knecht, ein Herrenamt be¬
zwingen?
Wer ſeiner Knoſpe Kraft verpraßt, wie möcht er Früchte
bringen?
Nur von der Pike dient ſich's recht zum braven General.
Geſegnet ſey die Hand die mir erſpart der Thorheit Wahl!
Mit tauſend Thränen hab 'ich ſie in unſre Gruft getragen,
Denn eines Vaters heilge Hand hat nie zu hart geſchlagen.
Mein Haar iſt grau, mein blödes Aug 'hat deinen Sproß
geſehn,
Bald füllſt du meinen Sitz, und er wird horchend vor dir
ſtehn.
Gedenk der Rechenſchaft, mein Sohn, lehr deinen Blick ihn
leſen,
Gehorſam ſey er dir, wie du gehorſam mir geweſen!
So ſprach der Patriarch, und ſchritt entlang die Buchenhall ',
Ehrfürchtig folgte ihm der Sohn, wie Fürſten der Vaſall,
Und ſeinen Knaben winkt er ſacht herbei vom Blüthenhagen,
Ließ küſſen ihn des Alten Hand, und ſeinen Stab ihn tragen.
31

2.

An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann,
Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder ſpielen dran,
So ſchreibt er ſtehend, immer Ball und Peitſchenhieb ge¬
wärt'gend,
Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend.
In Oſten ſteigt das junge Licht, es rauſcht im Eichenhain,
Schon ſchlang der alte Erebus die alten Schatten ein,
Des Geiſtes Siegel ſind gelöst, der Aether aufgeſchloſſen,
Und aus vermorſchter Dogmen Staub lebend'ge Cedern ſproſſen.
O Geiſtesfeſſel, härter du als jemals ein Tyrann,
Geſchlagen um des Sclaven Leib, du tauſendjähr'ger Bann!
Geheim doch ſicher hat der Roſt genagt an deinem Ringe,
Nun wackelt er und fürchtet ſich vor jedes Knaben Klinge!
Hin iſt die Zeit wo ein Geſpenſt im Büßermantel ſchlich,
In ſeinen Bettelſack des Deutſchen Gold und Ehre ſtrich,
Wo Greiſe, Schulmonarchen gleich, die ſtumpfe Geißel
ſchwenkten,
Des Sonnenroſſes Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.
Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erſtickt,
Frei ſchießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;
Was mehr als Wiſſen, wirkender als Gaben, die zerſtückelt
Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬
wickelt.
32
Wir wuchſen unter Peitſchenhieb an der Galeere auf,
Und dennoch riß das Document vom ſchnöden Seelenkauf
Durch deutſche Hand, durch unſre Hand, die, nach Egyptens Plagen,
Noch immer ſtark genug den Brand an's Bagnothor zu tragen!
Doch ihr, die ihr den ganzen Saft der Muttererde trinkt,
An deren Zweig das erſte Blatt ſchon wie Smaragde blinkt,
Ihr! unſer Dichter ſtutzt er hört an den Hollunder¬ ſträuchen
Sein Erſtlingsreis, den Göttinger, wie eine Walze keuchen.
Und auf der Bank ſein Manuſcript o Peſt! ſein Dichter¬ kranz
Dort fliegt er, droben in der Luft, als langer Drachen¬ ſchwanz!
Und was? ein Guß? bei Gott, da hängt der Bub ', die wilde Katze,
Am Aſt, und leert den Waſſerkrug auf ſeines Vaters Glatze!
33

Die Schulen.

Kennſt du den Saal? ich ſchleiche ſacht vorbei,
Der alte Teufel todt, die Götter neu
Und was man Großes ſonſt darin mag hören.
Wie üppig wogend drängt der Jugend Schwarm!
Wie reich und glänzend! aber ich bin arm,
Da will ich lieber eure Luſt nicht ſtören.
Dann das Gewölb ' mir wird darin nicht wohl,
Wo man der Gruft den modernden Obol
Entſchaufelt, und ſich drüber legt zum Streite;
Ergraute Häupter nicken rings herum,
Wie weiſ' und gründlich! aber ich bin dumm,
Da ſchleich 'ich lieber ungeſehn bei Seite.
Doch die Katheder im Gebirge nah,
Der Meiſter unſichtbar, doch laut Hurrah
Ihm Wälder, Strom und Sturmesflügel rauſchen,
Matrikel iſt des Herzens friſcher Schlag,
Da will zeitlebens ich, bei Nacht und Tag,
Demüth'ger Schüler, ſeinen Worten lauſchen.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 3
[34][35]

Haidebilder.

[36][37]

Die Lerche.

Hörſt du der Nacht geſpornten Wächter nicht?
Sein Schrei verzittert mit dem Dämmerlicht,
Und ſchlummertrunken hebt aus Purpurdecken
Ihr Haupt die Sonne; in das Aetherbecken
Taucht ſie die Stirn, man ſieht es nicht genau,
Ob Licht ſie zünde, oder trink 'im Blau.
Glührothe Pfeile zucken auf und nieder,
Und wecken Thaues Blitze, wenn im Flug
Sie ſtreifen durch der Haide braunen Zug.
Da ſchüttelt auch die Lerche ihr Gefieder,
Des Tages Herold ſeine Liverei;
Ihr Köpfchen ſtreckt ſie aus dem Ginſter ſcheu,
Blinzt nun mit dieſem, nun mit jenem Aug';
Dann leiſe ſchwankt, es ſpaltet ſich der Strauch,
Und wirbelnd des Mandates erſte Note
Schießt in das feuchte Blau des Tages Bote.
Auf! auf! die junge Fürſtin iſt erwacht!
Schlaftrunkne Kämm'rer, habt des Amtes Acht;
Du mit dem Saphirbecken Genziane,
Zwergweide du mit deiner Seidenfahne,
Das Amt, das Amt, ihr Blumen allzumal,
Die Fürſtin wacht, bald tritt ſie in den Saal!
38
Da regen tauſend Wimpern ſich zugleich,
Masliebchen hält das klare Auge offen,
Die Waſſerlilie ſieht ein wenig bleich,
Erſchrocken, daß im Bade ſie betroffen;
Wie ſteht der Zitterhalm verſchämt und zage!
Die kleine Weide pudert ſich geſchwind
Und reicht dem Weſt ihr Seidentüchlein lind,
Daß zu der Hoheit Händen er es trage.
Ehrfürchtig beut den thauigen Pokal
Das Genzian, und nieder langt der Stral;
Prinz von Geblüte hat die erſte Stätte
Er immer dienend an der Fürſtin Bette.
Der Purpur liſcht gemach im Roſenlicht,
Am Horizont ein zuckend Leuchten bricht
Des Vorhangs Falten, und aufs neue ſingt
Die Lerche, daß es durch den Aether klingt:
Die Fürſtin kömmt, die Fürſtin ſteht am Thor!
Friſchauf ihr Muſikanten in den Hallen,
Laßt euer zartes Saitenſpiel erſchallen,
Und, florbeflügelt Volk, heb 'an den Chor,
Die Fürſtin kommt, die Fürſtin ſteht am Thor!
Da krimmelt, wimmelt es im Haidgezweige,
Die Grille dreht geſchwind das Beinchen um,
Streicht an des Thaues Kolophonium,
Und ſpielt ſo ſchäferlich die Liebesgeige.
Ein tüchtiger Horniſt, der Käfer, ſchnurrt,
Die Mücke ſchleift behend die Silberſchwingen,
39
Daß heller der Triangel möge klingen;
Diskant und auch Tenor die Fliege ſurrt;
Und, immer mehrend ihren werthen Gurt,
Die reiche Katze um des Leibes Mitten,
Iſt als Baſſiſt die Biene eingeſchritten:
Schwerfällig hockend in der Blüte rummeln
Das Contraviolon die trägen Hummeln.
So tauſendarmig ward noch nie gebaut
Des Münſters Halle, wie im Haidekraut
Gewölbe an Gewölben ſich erſchließen,
Gleich Labyrinthen in einander ſchießen;
So tauſendſtimmig ſtieg noch nie ein Chor,
Wie's muſizirt aus grünem Haid hervor.
Jetzt ſitzt die Königin auf ihrem Throne,
Die Silberwolke Teppich ihrem Fuß,
Am Haupte flammt und quillt die Stralenkrone,
Und lauter, lauter ſchallt des Herolds Gruß:
Bergleute auf, herauf aus eurem Schacht,
Bringt eure Schätze, und du Fabrikant,
Breit 'vor der Fürſtin des Gewandes Pracht,
Kaufherrn, enthüllt den Saphir, den Demant.
Schau, wie es wimmelt aus der Erde Schooß,
Wie ſich die ſchwarzen Knappen drängen, ſtreifen,
Und mühſam ſtemmend aus den Stollen ſchleifen
Gewalt'ge Stufen, wie der Träger groß;
Ameiſenvolk, du machſt es dir zu ſchwer!
Dein roh Geſtein lockt keiner Fürſtin Gnaden.
40
Doch ſieh die Spinne rutſchend hin und her,
Schon zieht ſie des Gewebes letzten Faden,
Wie Perlen klar, ein duftig Elfenkleid;
Viel edle Funken ſind darin entglommen;
Da kommt der Wind und häkelt es vom Haid,
Es ſteigt, es flattert, und es iſt verſchwommen.
Die Wolke dehnte ſich, ſcharf ſtrich der Hauch,
Die Lerche ſchwieg, und ſank zum Ginſterſtrauch.
41

Die Jagd.

Die Luft hat ſchlafen ſich gelegt,
Behaglich in das Moos geſtreckt,
Kein Riſpeln, das die Kräuter regt,
Kein Seufzer, der die Halme weckt.
Nur eine Wolke träumt mitunter
Am blaſſen Horizont hinunter,
Dort, wo das Tannicht über'm Wall
Die dunkeln Candelabern ſtreckt.
Da horch, ein Ruf, ein ferner Schall:
Halloh! hoho! ſo lang gezogen,
Man meint, die Klänge ſchlagen Wogen
Im Ginſterfeld, und wieder dort:
Halloh! hoho! am Dickicht fort
Ein zögernd Echo, alles ſtill!
Man hört der Fliege Angſtgeſchrill
Im Mettennetz, den Fall der Beere,
Man hört im Kraut des Käfers Gang,
Und dann wie zieh'nder Kranichheere
Kling klang! von ihrer luft'gen Fähre,
Wie ferner Unkenruf: Kling! klang!
Ein Läuten das Gewäld entlang,
Hui ſchlüpft der Fuchs den Wall hinab
Er gleitet durch die Binſenſpeere,
Und zuckelt fürder ſeinen Trab:
Und aus dem Dickicht, weiß wie Flocken,
Nach ſtäuben die lebend'gen Glocken,
42
Radſchlagend an des Dammes Hang;
Wie Aale ſchnellen ſie vom Grund,
Und weiter, weiter, Fuchs und Hund.
Der ſchwankende Wachholder flüſtert,
Die Binſe rauſcht, die Haide kniſtert,
Und ſtäubt Phalänen um die Meute.
Sie jappen, klaffen nach der Beute,
Schaumflocken ſprühn aus Naſ 'und Mund;
Noch hat der Fuchs die rechte Weite,
Gelaſſen trabt er, ſchleppt den Schweif,
Zieht in dem Thaue dunklen Streif,
Und zeigt verächtlich ſeine Socken.
Doch bald hebt er die Lunte friſch,
Und, wie im Weiher ſchnellt der Fiſch,
Fort ſetzt er über Kraut und Schmehlen,
Wirft mit den Läufen Kies und Staub;
Die Meute mit geſchwoll'nen Kehlen
Ihm nach wie raſſelnd Winterlaub.
Man höret ihre Kiefern knacken,
Wenn fletſchend in die Luft ſie hacken;
In weitem Kreiſe ſo zum Tann,
Und wieder aus dem Dickicht dann
Ertönt das Glockenſpiel der Bracken.
Was bricht dort im Geſtrippe am Revier?
Im holprichten Galopp ſtampft es den Grund;
Ha! brüllend Heerdenvieh! voran der Stier,
Und ihnen nach klafft ein verſprengter Hund.
Schwerfällig poltern ſie das Feld entlang,
Das Horn geſenkt, wagrecht des Schweifes Strang,
43
Und taumeln noch ein paarmal in die Runde,
Eh Poſto wird gefaßt im Haidegrunde.
Nun endlich ſtehn ſie, murren noch zurück,
Das Dickicht meſſend mit verglaſ'tem Blick,
Dann ſinkt das Haupt und unter ihrem Zahne
Ein leiſes Rupfen knirrt im Thimiane;
Unwillig ſchnauben ſie den gelben Rauch,
Das Euter ſtreifend am Wachholderſtrauch,
Und peitſchen mit dem Schweife in die Wolke
Von ſummendem Gewürm und Fliegenvolke.
So langſam ſchüttelnd den gefüllten Bauch
Fort graſen ſie bis zu dem Haidekolke.
Ein Schuß: Halloh! ein zweiter Schuß: Hoho!
Die Heerde ſtutzt, des Kolkes Spiegel kraußt
Ihr Blaſen, dann die Hälſe ſtreckend, ſo
Wie in des Dammes Mönch der Strudel ſauſt,
Ziehn ſie das Waſſer in den Schlund, ſie puſten,
Die kranke Stärke ſchaukelt träg herbei,
Sie ſchaudert, ſchüttelt ſich in hohlem Huſten,
Und dann ein Schuß, und dann ein Jubelſchrei!
Das grüne Käppchen auf dem Ohr,
Den halben Mond am Lederband,
Trabt aus der Lichtung raſch hervor
Bis mitten in das Haideland
Ein Waidmann ohne Taſch und Büchſe;
Er ſchwenkt das Horn, er ballt die Hand,
Dann ſetzt er an, und tauſend Füchſe
Sind nicht ſo kräftig todtgeblaſen,
Als heut es ſchmettert über'n Raſen.
44
Der Schelm iſt todt, der Schelm iſt todt!
Laßt uns den Schelm begraben!
Kriegen ihn die Hunde nicht,
Dann freſſen ihn die Raben,
Hoho halloh!
Da ſtürmt von allen Seiten es heran,
Die Bracken brechen aus Geniſt und Tann;
Durch das Gelände ſieht in wüſten Reifen
Man johlend ſie um den Horniſten ſchweifen.
Sie ziehen ihr Geheul ſo hohl und lang,
Daß es verdunkelt der Fanfare Klang,
Doch lauter, lauter ſchallt die Gloria,
Braust durch den Ginſter die Victoria:
Hängt den Schelm, hängt den Schelm!
Hängt ihn an die Weide,
Mir den Balg und dir den Talg,
Dann lachen wir alle Beide;
Hängt ihn! Hängt ihn
Den Schelm, den Schelm!
45

Die Vogelhütte.

Regen, Regen, immer Regen! will nicht das Geplätſcher
enden,
Daß ich aus dem Sarge brechen kann, aus dieſen Bretter¬
wänden?
Sieben Schuhe ins Gevierte, das iſt doch ein ärmlich
Räumchen
Für ein Menſchenkind, und wär 'es ſchlank auch wie ein
Roſenbäumchen!
O was ließ ich mich gelüſten, in den Vogelheerd zu flüchten,
Als nur ſchwach die Wolke tropfte, als noch flüſterten die
Fichten:
Und muß nun beſtehn das Ganze, wie wenn zögernd man
dem Schwätzer
Raum gegeben, dem langweilig Seile drehnden Phraſen¬
ſetzer;
Und am Knopfe nun gehalten, oder ſchlimmer an den Händen,
Zappelnd wie der Halbgehängte langet nach des Strickes
Enden!
Meine Unglücksſtrick 'ſind dieſer Waſſerſtriemen Läng' und
Breite,
Die verkörperten Hyperbeln, denn Bindfäden regnet's heute.
46
Denk ich an die heitre Stube, an das weiche Kanapée,
Und wie mein Gedicht, das meine, dort zerleſen wird beim
Thee:
Denk ich an die ſchwere Zunge, die ſtatt meiner es zerdriſcht,
Bohrend wie ein Schwertfiſch möcht ich ſchießen in den
Waſſergiſcht.
Pah! was kümmern mich die Tropfen, ob ich naß ob
ſäuberlich!
Aber beſſer ſtramm und trocken, als durchnäßt und lächerlich.
Da ein Fleck, ein Loch am Himmel; biſt du endlich doch
gebrochen,
Alte Waſſertonne, hab ich endlich dich entzwei geſprochen?
Aber wehe! wie's vom Faſſe brodelt, wenn geſprengt der
Zapfen,
Hör ich's auf dem Dache raſſeln, förmlich wie mit Füßen
ſtapfen.
Regen! unbarmherz'ger Regen! mögſt du braten oder ſieden!
Wehe, dieſe alte Kufe iſt das Faß der Danaiden!
Ich habe mich geſetzt in Gottes Namen;
Es hilft doch alles nicht, und mein Gedicht
Iſt längſt geleſen und im Schloß die Damen,
Sie ſaßen lange zu Gericht.
47
Statt einen neuen Lorbeerkranz zu drücken
In meine Phöboslocken, hat man ſacht
Den alten losgezupft und hinter'm Rücken
Wohl Eſelsohren mir gemacht.
Verkannte Seele, faſſe dich im Leiden,
Sey ſtark, ſey nobel, denk, der Ruhm iſt leer,
Das Leben kurz, es wechſeln Schmerz und Freuden,
Und was dergleichen Neugedachtes mehr!
Ich ſchau mich um in meiner kleinen Zelle:
Für einen Klausner wär's ein hübſcher Ort;
Die Bank, der Tiſch, das hölzerne Geſtelle,
Und an der Wand die Taſche dort;
Ein Netz im Winkelchen, ein Rechen, Spaten
Und Betten? nun, das macht ſich einfach hier;
Der Thimian iſt heuer gut gerathen,
Und blüht mir grade vor der Thür.
Die Waldung drüben und das Quellgewäſſer
Hier möcht ich Haidebilder ſchreiben, zum Exempel:
Die Vogelhütte , nein der Heerd , nein beſſer:
Der Knieende in Gottes weitem Tempel.
'S iſt doch romantiſch, wenn ein zart Gerieſel
Durch Immortellen und Wachholderſtrauch
Umzieht und gleitet, wie ein ſchlüpfend Wieſel,
Und drüber flirrt der Stöberrauch;
48
Wenn Schimmer wechſeln, weiß und ſeladonen;
Die weite Eb'ne ſchaukelt wie ein Schiff,
Hindurch der Kibitz ſchrillt, wie Halcyonen
Wehklagend ziehen um das Riff.
Am Horizont die koloſſalen Brücken
Sind's Wolken oder iſt's ein ferner Wald?
Ich will den Schemel an die Luke rücken,
Da liegt mein Hut, mein Hammer, halt:
Ein Teller am Geſtell! was mag er bieten?
Fundus! bei Gott, ein Fund das Backwerk drin!
Für einen armen Hund von Eremiten,
Wie ich es leider heute bin!
Ein ſeid'ner Beutel noch am Bort zerriſſen;
Ich greife, greife Rundes mit der Hand;
Weh! in die dürre Erbs 'hab ich gebiſſen
Ich dacht', es ſeye Zuckerkand.
Und nun die Taſche! he, wir müſſen klopfen
Vielleicht liegt ein Gefang'ner hier in Haft;
Da eine Flaſche! ſchnell herab den Pfropfen
Iſt's Waſſer? Waſſer? edler Rebenſaft!
Und Edlerer, der ihn dem Sack vertraute,
Splendid barmherziger Wildhüter du,
Für einen armen Schelm, der Erbſen kaute,
Den frommen Bruder Tuck im Ivanhoe!
49
Mit dem Gekörn will ich den Kibitz letzen,
Es aus der Lücke ſtreun, wenn er im Flug
Herſchwirrt, mir auf die Schulter ſich zu ſetzen,
Wie man es lieſ't in manchem Buch.
Mir iſt ganz wohl in meiner armen Zelle;
Wie mir das Klausnerleben ſo gefällt!
Ich bleibe hier, ich geh nicht von der Stelle,
Bevor der letzte Tropfen fällt.
Es verrieſelt, es verraucht,
Mählig aus der Wolke taucht
Neu hervor der Sonnenadel.
In den feinen Dunſt die Fichte
Ihre grünen Dornen ſtreckt,
Wie ein ſchönes Weib die Nadel
In den Spitzenſchleier ſteckt;
Und die Haide ſteht im Lichte
Zahllos blanker Tropfen, die
Am Wachholder zittern, wie
Glasgehänge an dem Lüſter.
Ueberm Grund geht ein Geflüſter,
Jedes Kräutchen reckt ſich auf,
Und in langgeſtrecktem Lauf,
Durch den Sand des Pfades eilend,
Blitzt das gold'ne Panzerhemd
Des Kurier's;
*Buprestis, ein in allen Farben ſchimmernder Prachtkäfer, der ſich im Haidekraut aufhält.
* am Halme weilend
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 450
Streicht die Grille ſich das Naß
Von der Flügel grünem Glas.
Grashalm glänzt wie eine Klinge,
Und die kleinen Schmetterlinge,
Blau, orange, gelb und weiß,
Jagen tummelnd ſich im Kreis.
Alles Schimmer, alles Licht,
Bergwald mag und Welle nicht
Solche Farbentöne hegen,
Wie die Haide nach dem Regen.
Ein Schall und wieder wieder was iſt das?
Bei Gott, das Schloß! Da ſchlägt es Acht im Thurme
Weh mein Gedicht! o weh mir armem Wurme,
Nun fällt mir alles ein, was ich vergaß!
Mein Hut, mein Hammer, hurtig fortgetrabt
Vielleicht, vielleicht iſt man discret geweſen,
Und harrte meiner, der ſein Federleſen
Indeß mit Kraut und Würmern hat gehabt.
Nun kommt der Steeg und nun des Teiches Ried,
Nun ſteigen der Alleen ſchlanke Streifen;
Ich weiß es nicht, ich kann es nicht begreifen,
Wie ich ſo gänzlich mich vom Leben ſchied
Doch freilich damals war ich Eremit!
51

Der Weiher.

Er liegt ſo ſtill im Morgenlicht,
So friedlich, wie ein fromm Gewiſſen;
Wenn Weſte ſeinen Spiegel küſſen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und auf des Sonnenbildes Glanz
Die Waſſerſpinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer ſteht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede;
Ein lindes Säuſeln kommt und geht,
Als flüſtr 'es: Friede! Friede! Friede!

Das Schilf.

Stille, er ſchläft, ſtille! ſtille!
Libelle, reg 'die Schwingen ſacht,
Daß nicht das Goldgewebe ſchrille,
Und, Ufergrün, hab' gute Wacht,
Kein Kieſelchen laſſ 'niederfallen.
Er ſchläft auf ſeinem Wolkenflaum,
Und über ihn läßt ſäuſelnd wallen
Das Laubgewölb der alte Baum;
Hoch oben, wo die Sonne glüht,
Wieget der Vogel ſeine Flügel,
Und wie ein ſchlüpfend Fiſchlein zieht
Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
52
Stille, ſtille! er hat ſich geregt,
Ein fallend Reis hat ihn bewegt,
Das grad zum Neſt der Hänfling trug;
Su, Su! breit', Aſt, dein grünes Tuch
Su, Su! nun ſchläft er feſt genug.

Die Linde.

Ich breite über ihn mein Blätterdach
So weit ich es vom Ufer ſtrecken mag.
Schau her, wie langaus meine Arme reichen,
Ihm mit den Fächern das Gewürm zu ſcheuchen,
Das hundertfarbig zittert in der Luft.
Ich hauch 'ihm meines Odems beſten Duft,
Und auf ſein Lager laſſ' ich niederfallen
Die Lieblichſte von meinen Blüten allen;
Und eine Bank lehnt ſich an meinen Stamm,
Da ſchaut ein Dichter von dem Uferdamm,
Den hör 'ich flüſtern wunderliche Weiſe,
Von mir und dir und der Libell' ſo leiſe,
Daß er den frommen Schläfer nicht geweckt;
Sonſt wahrlich hätt 'die Raupe ihn erſchreckt,
Die ich geſchleudert aus dem Blätterhag.
Wie grell die Sonne blitzt; ſchwül wird der Tag.
O könnt' ich! könnt 'ich meine Wurzeln ſtrecken
Recht mitten in das tief kriſtall'ne Becken,
Den Fäden gleich, die, grünlicher Asbeſt,
Schaun ſo behaglich aus dem Waſſerneſt,
Wie mir zum Hohne, der im Sonnenbrande
Hier einſam niederlechzt vom Uferrande.
53

Die Waſſerfäden.

Neid 'uns! neid' uns! laſſ 'die Zweige hangen,
Nicht weil flüſſigen Kriſtall wir trinken,
Neben uns des Himmels Sterne blinken,
Sonne ſich in unſerm Netz gefangen
Nein, des Teiches Blutsverwandte, feſt
Hält er all uns an die Bruſt gepreßt,
Und wir bohren unſ're feinen Ranken
In das Herz ihm, wie ein liebend Weib,
Dringen Adern gleich durch ſeinen Leib,
Dämmern auf wie ſeines Traums Gedanken;
Wer uns kennt, der nennt uns lieb und treu,
Und die Schmerle birgt in unſ'rer Hut
Und die Karpfenmutter ihre Brut;
Welle mag in unſerm Schleier koſen;
Uns nur traut die holde Waſſerfey,
Sie, die Schöne, lieblicher als Roſen.
Schleuß, Trifolium,
*Trifolium, Dreiblatt, Menianthes trifoliata. L. Biberklee. Eine Waſſerpflanze, die nur in ſehr tiefem Waſſer wächst, mit ſchöner aber ſehr vergänglicher Blüthe.
* die Glocken auf,
Kurz dein Tag, doch königlich ſein Lauf!

Kinder am Ufer.

O ſieh doch! ſiehſt du nicht die Blumenwolke
Da drüben in dem tiefſten Weiherkolke?
O! das iſt ſchön! hätt 'ich nur einen Stecken,
Schmalzweiße Kelch' mit dunkelrothen Flecken,
54
Und jede Glocke iſt friſirt ſo fein
Wie unſer wächſern Engelchen im Schrein.
Was meinſt du, ſchneid 'ich einen Haſelſtab,
Und wat' ein wenig in die Furth hinab?
Pah! Fröſch 'und Hechte können mich nicht ſchrecken
Allein, ob nicht vielleicht der Waſſermann
Dort in den langen Kräutern hocken kann?
Ich geh, ich gehe ſchon ich gehe nicht
Mich dünkt, ich ſah am Grunde ein Geſicht
Komm laſſ' uns lieber heim, die Sonne ſticht!
55

Der Hünenſtein.

Zur Zeit der Scheide zwiſchen Nacht und Tag,
Als wie ein ſiecher Greis die Haide lag
Und ihr Geſtöhn des Mooſes Teppich regte,
Krankhafte Funken im verwirrten Haar
Elektriſch blitzten, und, ein dunkler Mahr,
Sich über ſie die Wolkenſchichte legte;
Zu dieſer Dämmerſtunde war's, als ich
Einſam hinaus mit meinen Sorgen ſchlich,
Und wenig dachte, was es draußen treibe.
Nachdenklich ſchritt ich, und bemerkte nicht
Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,
Ich ſah auch nicht, als ſtieg die Mondesſcheibe.
Grad war der Weg, ganz ſonder Steg und Bruch;
So träumt ich fort und, wie ein ſchlechtes Buch,
Ein Pfennigs-Magazin uns auf der Reiſe
Von Station zu Stationen plagt,
Hab 'zehnmal Weggeworf'nes ich benagt,
Und fortgeleiert überdrüß'ge Weiſe.
Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,
Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,
Fand ich mich immer auf derſelben Stelle;
Da plötzlich fuhr ein plumper Schröter jach
An's Auge mir, ich ſchreckte auf und lag
Am Grund, um mich des Haidekrautes Welle.
56
Seltſames Lager, das ich mir erkor!
Zur Rechten, Linken ſchwoll Geſtein empor,
Gewalt'ge Blöcke, rohe Porphirbrode;
Mir überm Haupte reckte ſich der Bau,
Langhaar'ge Flechten rührten meine Brau,
Und mir zu Füßen ſchwankt 'die Ginſterlode.
Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,
Und feſter drückt 'ich meine Stirn hinab,
Wollüſtig ſaugend an des Grauens Süße,
Bis es mit eiſ'gen Krallen mich gepackt,
Bis wie ein Gletſcher-Bronn des Blutes Takt
Aufquoll und hämmert' unterm Mantelvließe.
Die Decke über mir, geſunken, ſchief,
An der ſo blaß gehärmt das Mondlicht ſchlief,
Wie eine Wittwe an des Gatten Grabe;
Vom Hirtenfeuer Kohlenſcheite ſahn
So leichenbrandig durch den Thimian,
Daß ich ſie abwärts ſchnellte mit dem Stabe.
Huſch fuhr ein Kibitz ſchreiend aus dem Moos;
Ich lachte auf; doch trug wie bügellos
Mich Phantaſie weit über Spalt und Barren.
Dem Wind hab 'ich gelauſcht ſo ſcharf geſpannt,
Als bring er Kunde aus dem Geiſterland,
Und immer mußt ich an die Decke ſtarren.
Ha! welche Sehnen wälzten dieſen Stein?
Wer ſenkte dieſe wüſten Blöcke ein,
57
Als durch das Haid die Todtenklage ſchallte?
Wer war die Drude, die im Abendſtral
Mit Run 'und Spruch umwandelte das Thal,
Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte?
Dort iſt der Oſten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort ſteht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerſtäubt zu Aſchenflocken;
Hier lagert ſich der Traum vom Opferhain,
Und finſter ſchütteln über dieſen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, ſprach ich Zauberformel? Dort am Damm
Es ſteigt, es breitet ſich wie Wellenkamm,
Ein Rieſenleib, gewalt'ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch ſeine Glieder zittern Mondenſchimmer.
Komm her, komm nieder um iſt deine Zeit!
Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;
Noch iſt der Kirchenduft in meinem Kleide!
Da fährt es auf, da ballt es ſich ergrimmt,
Und langſam, eine dunkle Wolke, ſchwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Haide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht es ſchwankt herbei
Und Herr, es regnet ſagte mein Lakai,
Der ruhig über's Haupt den Schirm mir ſtreckte.
Noch einmal ſah ich zum Geſtein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte!
58

Die Steppe.

Standeſt du je am Strande,
Wenn Tag und Nacht ſich gleichen,
Und ſah'ſt aus Lehm und Sande
Die Regenrinnen ſchleichen
Zahlloſe Schmugglerquellen,
Und dann, ſo weit das Auge
Nur reicht, des Meeres Wellen
Gefärbt mit gelber Lauge?
Hier iſt die Dün 'und drunten
Das Meer; Kanonen gleichend
Stehn Schäferkarrn, die Lunten
Verlöſcht am Boden ſtreichend.
Gilt's etwa dem Korſaren
Im flatternden Kaftane,
Den dort ich kann gewahren
Im gelben Oceane?
Er ſcheint das Tau zu ſchlagen,
Sein Schiff verdeckt die Düne,
Doch ſieht den Maſt man ragen,
Ein dürrer Fichtenhüne;
Von ſeines Toppes Kunkel
Die Seile ſtramm wie Aeſte,
Der Maſtkorb, rauh und dunkel,
Gleicht einem Weihenneſte!
59

Die Mergelgrube.

Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
Geſteine ſiehſt du aus dem Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant
Natur die Trödelbude aufgeſchlagen.
Kein Pardelfell war je ſo bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel ſo geſcheckt,
Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
Wie zürnend ſturt dich an der ſchwarze Gneus,
Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
Geſprenkelte Porphire, groß und klein,
Die Okerdruſe und der Feuerſtein
Nur wenige hat dieſer Grund gezeugt,
Der ſah den Strand, und der des Berges Kuppe;
Die zorn'ge Welle hat ſie hergeſcheucht,
Leviathan mit ſeiner Rieſenſchuppe,
Als ſchäumend übern Sinai er fuhr,
Des Himmels Schleuſen dreißig Tage offen,
Gebirge ſchmolzen ein wie Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche ſtand,
Und, eine fremde, üppige Natur,
Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen.
Findlinge nennt man ſie, weil von der Bruſt,
Der mütterlichen ſie geriſſen ſind,
60
In fremde Wiege ſchlummernd unbewußt,
Die fremde Hand ſie legt wie's Findelkind.
O welch 'ein Waiſenhaus iſt dieſe Haide,
Die Mohren, Blaßgeſicht, und rothe Haut
Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!
Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!
Tief in's Gebröckel, in die Mergelgrube
War ich geſtiegen, denn der Wind zog ſcharf;
Dort ſaß ich ſeitwärts in der Höhlenſtube,
Und horchte träumend auf der Luft Geharf.
Es waren Klänge, wie wenn Geiſterhall
Melodiſch ſchwinde im zerſtörten All;
Und dann ein Ziſchen, wie von Moores Klaffen,
Wenn brodelnd es in ſich zuſamm'geſunken;
Mir über'm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,
Als ſcharre in der Aſche man den Funken.
Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor,
Und lauſchte, lauſchte mit berauſchtem Ohr.
Vor mir, um mich der graue Mergel nur,
Was drüber ſah ich nicht; doch die Natur
Schien mir verödet, und ein Bild erſtand
Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;
Ich ſelber ſchien ein Funken mir, der doch
Erzittert in der todten Aſche noch,
Ein Findling im zerfall'nen Weltenbau.
Die Wolke theilte ſich, der Wind ward lau;
Mein Haupt nicht wagt 'ich aus dem Hohl zu ſtrecken,
Um nicht zu ſchauen der Verödung Schrecken,
61
Wie Neues quoll und Altes ſich zerſetzte
War ich der erſte Menſch oder der letzte?
Ha, auf der Schieferplatte hier Meduſen
Noch ſchienen ihre Stralen ſie zu zücken,
Als ſie geſchleudert von des Meeres Buſen,
Und das Gebirge ſank, ſie zu zerdrücken.
Es iſt gewiß, die alte Welt iſt hin,
Ich Petrefakt, ein Mammuthsknochen drinn!
Und müde, müde ſank ich an den Rand
Der ſtaub'gen Gruft; da rieſelte der Grand
Auf Haar und Kleider mir, ich ward ſo grau
Wie eine Leich 'im Katakomben-Bau,
Und mir zu Füßen hört ich leiſes Knirren,
Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.
Es war der Todtenkäfer, der im Sarg
So eben eine friſche Leiche barg;
Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor geſtellt
Zeigt eine Wespe mir von dieſer Welt.
Und anders ward mein Träumen nun gewandet,
Zu einer Mumie ward ich verſandet,
Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angeſicht,
Und auch der Scarabäus fehlte nicht.
Wie, Leichen über mir? ſo eben gar
Rollt mir ein Biſſusknäuel in den Schooß;
Nein, das iſt Wolle, ehrlich Lämmerhaar
Und plötzlich ließen mich die Träume los.
Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,
Am Himmel ſtand der rothe Sonnenball
62
Getrübt von Dunſt, ein glüher Karniol,
Und Schafe weideten am Haidewall.
Dicht über mir ſah ich den Hirten ſitzen,
Er ſchlingt den Faden und die Nadeln blitzen,
Wie er bedächtig ſeinen Socken ſtrickt.
Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.
Ave Maria hebt er an zu pfeifen,
So ſacht und ſchläfrig, wie die Lüfte ſtreifen.
Er ſchaut ſo ſeelengleich die Heerde an,
Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.
Ein Räuspern dann, und langſam aus der Kehle
Schiebt den Geſang er in das Garngeſtrehle:
Es ſtehet ein Fiſchlein in einem tiefen See,
Danach thu ich wohl ſchauen, ob es kommt in die Höh;
Wandl 'ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,
Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen ſein.
Gleich wie der Mond ins Waſſer ſchaut hinein,
Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,
Alſo ſich verborgen bei mir die Liebe findt,
Alle meine Gedanken, ſie ſind bei dir, mein Kind.
Wer da hat geſagt, ich wollte wandern fort,
Der hat ſein Feinsliebchen an einem andern Ort;
Trau nicht den falſchen Zungen, was ſie dir blaſen ein,
Alle meine Gedanken, ſie ſind bei dir allein.
Ich war hinaufgeklommen, ſtand am Bord,
Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;
63
Er ſteckt 'ihn an den Hut, und ſtrickte fort,
Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.
Im Mooſe lag ein Buch; ich hob es auf
Bertuchs Naturgeſchichte ; leſ't ihr das?
Da zog ein Lächeln ſeine Lippen auf:
Der lügt mal, Herr! doch das iſt juſt der Spaß!
Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,
Als, wie Geneſis ſagt, die Schleuſen offen;
Wär's nicht zur Kurzweil, wär es ſchlecht gehandelt:
Man weiß ja doch, daß alles Vieh verſoffen.
Ich reichte ihm die Schieferplatte: ſchau,
Das war ein Thier. Da zwinkert er die Brau,
Und hat mir lange pfiffig nachgelacht
Daß ich verrückt ſey, hätt' er nicht gedacht!
64

Die Krähen.

Heiß, heiß der Sonnenbrand
Drückt vom Zenith herunter,
Weit, weit der gelbe Sand
Zieht ſein Geſtäube drunter;
Nur wie ein grüner Strich
Am Horizont die Föhren;
Mich dünkt, man müßt 'es hören,
Wenn nur ein Kranker ſchlich.
Der blaſſe Aether ſiecht,
Ein Ruhen rings, ein Schweigen,
Dem matt das Ohr erliegt;
Nur an der Düne ſteigen
Zwei Fichten, dürr, ergraut
Wie Trauernde am Grabe
Wo einſam ſich ein Rabe
Die rupp'gen Federn kraut.
Da zieht's in Weſten ſchwer
Wie eine Wetterwolke,
Kreiſ't um die Föhren her
Und fällt am Haidekolke;
Und wieder ſteigt es dann,
Es flattert und es ächzet,
Und immer näher krächzet
Das Galgenvolk heran.
65
Recht, wo der Sand ſich dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet ſich und ſchwemmt,
Stäubt Aſche durch die Flügel
Bis jede Feder grau;
Dann raſten ſie im Bade,
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,
Die ſich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeſchoſſen,
Ihr eines Aug 'gefleckt,
Das andre iſt geſchloſſen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt ſie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:
Ja, ritterlich und kühn all ſein Gebahr!
Wenn er ſo herſtolzirte vor der Schaar,
Und ließ ſein bäumend Roß ſo drehn und ſchwenken,
Da mußt ich immer an Sanct Görgen denken,
Den Wettermann, der als am Schlot ich ſaß,
Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen
Vom Wind getrillt mich ſchlug ſo hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte gönnen,
Der dort von ſeiner Hopfenſtange ſchaut,
Als ſey ein Baum er und wir andern Kraut!
Kühn war der Halberſtadt, das iſt gewiß!
Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 566
Dann ſtanden ſeine Landsknecht 'auf den Füßen
Wie Speere, ſolche Blicke konnt er ſchießen.
Einſt brach ſein Schwert; er riß die Kuppel los,
Stieß mit der Scheide einen Mann vom Pferde.
Ich war nur immer froh, daß flügellos,
Ganz ſonder Witz der Menſch geboren werde:
Denn nie hab' ich geſehn, daß aus der Schlacht
Er eine Leber nur bei Seit 'gebracht.
An einem Sommertag, heut ſind es grad
Zweihundert fünfzehn Jahr, es lief die Schnat
Am Damme drüben damals bei den Föhren
Da konnte man ein friſch Drometen hören,
Ein Schwerterklirren und ein Feldgeſchrei,
Radſchlagen ſah man Reuter von den Roſſen,
Und die Kanone fuhr ihr Hirn zu Brei;
Entlang die Gleiſe iſt das Blut gefloſſen,
Granat 'und Wachtel liefen kunterbunt
Wie junge Kibitze am ſand'gen Grund.
Ich ſaß auf einem Galgen, wo das Bruch
Man überſchauen konnte recht mit Fug;
Dort an der Schnat hat Halberſtadt geſtanden,
Mit ſeinem Sehrohr ſtreifend durch die Banden,
Hat ſeinen Stab geſchwungen ſo und ſo;
Und wie er ſchwenkte, zogen die Soldaten
Da plötzlich aus den Mörſern fuhr die Loh ',
Es knallte, daß ich bin zu Fall gerathen,
Und als Kopfüber ich vom Galgen ſchoß,
Da pfiff der Halberſtadt davon zu Roß.
67
Mir ſtieg der Rauch in Ohr und Kehl ', ich ſchwang
Mich auf, und nach der Qualm in Strömen drang;
Entlang die Haide fuhr ich mit Gekrächze.
Am Grunde, welch' Geſchrei, Geſchnaub ', Geächze!
Die Roſſe wälzten ſich und zappelten,
Todtwunde zuckten auf, Landsknecht' und Reuter
Knirſchten den Sand, da näher trappelten
Schwadronen, manche krochen winſelnd weiter,
Und mancher hat noch einen Stich verſucht,
Als über ihn der Baier weggeflucht.
Noch lange haben ſie getobt, geknallt,
Ich hatte mich geflüchtet in den Wald;
Doch als die Sonne färbt 'der Föhren Spalten,
Ha welch ein köſtlich Mahl ward da gehalten!
Kein Geier ſchmaußt, kein Weihe je ſo reich!
In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter,
Das gab ein Hacken, Picken, Leich' auf Leich
Allein der Halberſtadt war nicht darunter:
Nicht kam er heut ', noch ſonſt mir zu Geſicht,
Wer ihn gefreſſen hat, ich weiß es nicht.
Sie zuckt die Klaue, krau't den Schopf,
Und ſtreckt behaglich ſich im Bade;
Da ſtreckt ein grauer Herr den Kopf,
Weit älter, als die Scheh'razade.
Ha, krächzt er, das war wüſte Zeit,
Da gab's nicht Frauen, wie vor Jahren,
Als Ritter mit dem Kreuz gefahren,
Und man die Münſter hat geweiht!
68
Er huſtet, ſpeit ein wenig Sand und Thon,
Dann hebt er an, ein grauer Seladon:
Und wenn er kühn, ſo war ſie ſchön,
Die heil'ge Frau im Ordenskleide!
Ihr möcht 'der Weihel ſüßer ſtehn,
Als andern Güldenſtück und Seide.
Kaum war ſie holder an dem Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man fällte,
Als ich an's Kirchenfenſter ſchnellte,
Und ſchier Tobias Hündlein brach.
Da ſtand die alte Gräfin, ſtand
Der alte Graf, geduldig harrend;
Er auf's Baretlein in der Hand,
Sie feſt aufs Paternoſter ſtarrend;
Ehrbar, wie bronzen ſein Geſicht
Und aus der Mutter Wimpern glitten
Zwei Thränen auf der Schaube Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.
Und ſie in ihrem Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel 'umfunkelt,
Bleich war ſie, aber nicht von Leid,
Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.
So mild hat ſie das Haupt gebeugt,
Als woll' auf den Altar ſie legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein ſüß Geleucht.
Doch als nun, wie am Blutgerüſt,
Ein Mann die Seidenſtränge packte,
69
Da faßte mich ein wild Gelüſt,
Ich ſchlug die Scheiben, daß es knackte,
Und flattert 'fort, als ob der Stahl
Nach meinem Nacken wolle zücken.
Ja wahrlich, über Kopf und Rücken
Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl!
Und ſpäter ſah ich manche Stund
Sie betend durch den Kreuzgang ſchreiten,
Ihr ſüßes Auge über'n Grund
Entlang die Todtenlager gleiten;
In's Quadrum flog ich dann hinab,
Spazierte auf dem Leichenſteine,
Sang, oder ſuchte auch zum Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.
Wie ſie geſtorben, weiß ich nicht;
Die Fenſter hatte man verhangen,
Ich ſah am Vorhang nur das Licht
Und hörte, wie die Schweſtern ſangen;
Auch hat man keinen Stein geſchafft
In's Quadrum, doch ich hörte ſagen,
Daß manchem Kranken Heil getragen
Der ſel'gen Frauen Wunderkraft.
Ein Loch gibt es am Kirchenend ',
Da kann man in's Gewölbe ſchauen,
Wo matt die ew'ge Lampe brennt,
Steinſärge ragen, fein gehauen;
70
Da ſtreck ich oft im Dämmergrau
Den Kopf durch's Gitter, klage, klage
Die Schlafende im Sarkophage,
So hold, wie keine Krähenfrau!
Er ſchließt die Augen, ſtößt ein lang Krahah!
Geſtreckt die Zunge und den Schnabel offen;
Matt, flügelhängend, ein zertrümmert Hoffen,
Ein Bild gebroch'nen Herzens ſitzt er da.
Da ſchnarrt es über ihm: ihren Narren all!
Und nieder von der Fichte plumpt der Rabe:
Iſt einer hier, der hörte von Walhall,
Von Teut und Thor, und von dem Hünengrabe?
Saht 'ihr den Opferſtein da mit Gekrächz
Hebt ſich die Schaar und klatſcht entlang den Hügel.
Der Rabe blinzt, er ſtößt ein kurz Geächz,
Die Federn ſträubend wie ein zorn'ger Igel;
Dann duckt er nieder, kraut das kahle Ohr,
Noch immer ſchnarrend fort von Teut und Thor.
71

Das Hirtenfeuer.

Dunkel, dunkel im Moor,
Ueber der Haide Nacht,
Nur das rieſelnde Rohr
Neben der Mühle wacht,
Und an des Rades Speichen
Schwellende Tropfen ſchleichen.
Unke kauert im Sumpf,
Igel im Graſe duckt,
In dem modernden Stumpf
Schlafend die Kröte zuckt,
Und am ſandigen Hange
Rollt ſich feſter die Schlange.
Was glimmt dort hinterm Ginſter,
Und bildet lichte Scheiben?
Nun wirft es Funkenflinſter,
Die löſchend niederſtäuben;
Nun wieder alles dunkel
Ich hör des Stahles Picken,
Ein Kniſtern, ein Gefunkel
Und auf die Flammen zücken.
Und Hirtenbuben hocken
Im Kreiſ 'umher, ſie ſtrecken
Die Hände, Torfes Brocken
Seh ich die Lohe lecken;
72
Da bricht ein ſtarker Knabe
Aus des Geſtrippes Windel,
Und ſchleifet nach im Trabe
Ein wüſt Wacholderbündel.
Er läßt's am Feuer kippen
Hei, wie die Buben johlen,
Und mit den Fingern ſchnippen
Die Funken-Girandolen!
Wie ihre Zipfelmützen
Am Ohre luſtig flattern,
Und wie die Nadeln ſpritzen,
Und wie die Aeſte knattern!
Die Flamme ſinkt, ſie hocken
Auf's Neu 'umher im Kreiſe,
Und wieder fliegen Brocken,
Und wieder ſchwehlt es leiſe;
Glührothe Lichter ſtreichen
An Haarbuſch und Geſichte,
Und ſchier Dämonen gleichen
Die kleinen Haidewichte.
Der da, der Unbeſchuh'te,
Was ſtreckt er in das Dunkel
Den Arm wie eine Ruthe,
Im Kreiſe welch 'Gemunkel?
Sie ſpähn wie junge Geier
Von ihrer Ginſterſchütte:
Hah, noch ein Hirtenfeuer,
Recht an des Dammes Mitte!
73
Man ſieht es eben ſteigen
Und ſeine Schimmer breiten,
Den wirren Funkenreigen
Ueber'n Wacholder gleiten;
Die Buben flüſtern leiſe,
Sie räuspern ihre Kehlen,
Und alte Haideweiſen
Verzittern durch die Schmehlen.
Helo, heloe!
Heloe, loe!
Komm du auf unſ're Haide,
Wo ich meine Schäflein weide,
Komm, o komm in unſer Bruch,
Da gibt's der Blümelein genug,
Helo, heloe!
Die Knaben ſchweigen, lauſchen nach dem Tann,
Und leiſe durch den Ginſter zieht's heran:

Gegenſtrophe.

Helo, heloe!
Ich ſitze auf dem Walle,
Meine Schäflein ſchlafen alle,
Komm, o komm in unſern Kamp,
Da wächſt das Gras wie Brahm ſo lang!
Helo, heloe '
Heloe, loe!
74

Der Haidemann. *Hier nicht das bekannte Geſpenſt, ſondern die Nebelſchicht, die ſich zur Herbſt - und Frühlingszeit Abends über den Haidegrund legt.

Geht, Kinder, nicht zu weit in's Bruch,
Die Sonne ſinkt, ſchon ſurrt den Flug
Die Biene matter, ſchlafgehemmt,
Am Grunde ſchwimmt ein blaſſes Tuch,
Der Haidemann kömmt!
Die Knaben ſpielen fort am Raine,
Sie rupfen Gräſer, ſchnellen Steine,
Sie plätſchern in des Teiches Rinne,
Erhaſchen die Phalän 'am Ried,
Und freu'n ſich, wenn die Waſſerſpinne
Langbeinig in die Binſen flieht.
Ihr Kinder, legt euch nicht in's Gras,
Seht, wo noch grad 'die Biene ſaß,
Wie weißer Rauch die Glocken füllt.
Scheu aus dem Buſche glotzt der Haas,
Der Haidemann ſchwillt!
Kaum hebt ihr ſchweres Haupt die Schmehle
Noch aus dem Dunſt, in ſeine Höhle
Schiebt ſich der Käfer und am Halme
Die träge Motte höher kreucht,
Sich flüchtend vor dem feuchten Qualme,
Der unter ihre Flügel ſteigt.
75
Ihr Kinder, haltet euch bei Haus,
Lauft ja nicht in das Bruch hinaus;
Seht, wie bereits der Dorn ergraut,
Die Droſſel ächzt zum Neſt hinaus,
Der Haidemann braut!
Man ſieht des Hirten Pfeife glimmen,
Und vor ihm her die Heerde ſchwimmen,
Wie Proteus ſeine Robbenſchaaren
Heimſchwemmt im grauen Ocean.
Am Dach die Schwalben zwitſchernd fahren
Und melancholiſch kräht der Hahn.
Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht,
Seht, wie die feuchte Nebelſchicht
Schon an des Pförtchens Klinke reicht;
Am Grunde ſchwimmt ein falſches Licht,
Der Haidemann ſteigt!
Nun ſtrecken nur der Föhren Wipfel
Noch aus dem Dunſte grüne Gipfel,
Wie über'n Schnee Wacholderbüſche;
Ein leiſes Brodeln quillt im Moor,
Ein ſchwaches Schrillen, ein Geziſche
Dringt aus der Niederung hervor.
Ihr Kinder, kommt, kommt ſchnell herein,
Das Irrlicht zündet ſeinen Schein,
Die Kröte ſchwillt, die Schlang im Ried;
Jetzt iſt's unheimlich draußen ſeyn,
Der Haidemann zieht!
76
Nun ſinkt die letzte Nadel, rauchend
Zergeht die Fichte, langſam tauchend
Steigt Nebelſchemen aus dem Moore,
Mit Hünenſchritten gleitet's fort;
Ein irres Leuchten zuckt im Rohre,
Der Krötenchor beginnt am Bord.
Und plötzlich ſcheint ein ſchwaches Glühen
Des Hünen Glieder zu durchziehen;
Es ſiedet auf, es färbt die Wellen,
Der Nord, der Nord entzündet ſich
Glutpfeile, Feuerſpeere ſchnellen,
Der Horizont ein Lavaſtrich!
Gott gnad 'uns! wie es zuckt und dräut,
Wie's ſchwehlet an der Dünenſcheid'!
Ihr Kinder, faltet eure Händ ',
Das bringt uns Peſt und theure Zeit
Der Haidemann brennt!
77

Das Haus in der Haide.

Wie lauſcht, vom Abendſchein umzuckt,
Die ſtrohgedeckte Hütte,
Recht wie im Neſt der Vogel duckt,
Aus dunkler Föhren Mitte.
Am Fenſterloche ſtreckt das Haupt
Die weißgeſtirnte Stärke,
Bläßt in den Abendduft und ſchnaubt
Und ſtößt an's Holzgewerke.
Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,
Mit reinlichem Gelände,
Wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,
Aufrecht die Sonnenwende.
Und drinnen kniet ein ſtilles Kind,
Das ſcheint den Grund zu jäten,
Nun pflückt ſie eine Lilie lind
Und wandelt längs den Beeten.
Am Horizonte Hirten, die
Im Haidekraut ſich ſtrecken,
Und mit des Aves Melodie
Träumende Lüfte wecken.
78
Und von der Tenne ab und an
Schallt es wie Hammerſchläge,
Der Hobel rauſcht, es fällt der Span,
Und langſam knarrt die Säge.
Da hebt der Abendſtern gemach
Sich aus den Föhrenzweigen,
Und grade ob der Hütte Dach
Scheint er ſich mild zu neigen.
Es iſt ein Bild, wie ſtill und heiß
Es alte Meiſter hegten,
Kunſtvolle Mönche, und mit Fleiß
Es auf den Goldgrund legten.
Der Zimmermann die Hirten gleich
Mit ihrem frommen Liede
Die Jungfrau mit dem Lilienzweig
Und rings der Gottesfriede.
Des Sternes wunderlich Geleucht
Aus zarten Wolkenfloren
Iſt etwa hier im Stall vielleicht
Chriſtkindlein heut geboren?
79

Der Knabe im Moor.

O ſchaurig iſt's über's Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
Sich wie Phantome die Dünſte drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen ſpringt,
Wenn aus der Spalte es ziſcht und ſingt,
O ſchaurig iſt's über's Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht kniſtert im Hauche!
Feſt hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche ſauſet der Wind
Was raſchelt drüben am Haage?
Das iſt der geſpenſtige Gräberknecht,
Der dem Meiſter die beſten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer ſtarret Geſtumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, geſpannt das Ohr,
Durch Rieſenhalme wie Speere;
Und wie es rieſelt und knittert darin!
Das iſt die unſelige Spinnerin,
Das iſt die gebannte Spinnlenor ',
Die den Haſpel dreht im Geröhre!
80
Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll 'es ihn hohlen;
Vor ſeinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine geſpenſtige Melodey;
Das iſt der Geigemann ungetreu,
Das iſt der diebiſche Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller geſtohlen!
Da birſt das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth:
Ho, ho, meine arme Seele!
Der Knabe ſpringt wie ein wundes Reh,
Wär 'nicht Schutzengel in ſeiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände ſpät
Ein Gräber im Moorgeſchwehle.
Da mählig gründet der Boden ſich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert ſo heimathlich,
Der Knabe ſteht an der Scheide.
Tief athmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den ſcheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O ſchaurig wars in der Haide!
[81]

Fels, Wald und See.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 6[82][83]

Die Elemente.

Luft.

Der Morgen, der Jäger.

Wo die Felſenlager ſtehen,
Sich des Schnees Daunen blähen,
Auf des Chimboraſſo Höhen
Iſt der junge Stral erwacht;
Regt und dehnt die roſ'gen Glieder,
Schüttelt dann ſein Goldgefieder,
Mit dem Flimmerauge nieder
Blinzt er in des Thales Schacht.
Hörſt du wie es fällt und ſteigt?
Fühlſt du wie es um dich ſtreicht?
Dringt zu dir im weichen Duft
Nicht der Himmelsodem Luft?
In's friſche Land der Jäger tritt:
Gegrüßt du fröhlicher Morgen!
Gegrüßt du Sonn ', mit dem leichten Schritt
Wir Beiden ziehn ohne Sorgen.
Und drei Mal gegrüßt mein Geſelle Wind,
Der ſtets mir wandelt zur Seite,
84
Im Walde flüſtert durch Blätter lind,
Zur Höh' gibt ſpringend Geleite.
Und hat die Gems, das liſtige Thier,
Mich verlockt in ihr zackiges Felsrevier,
Wie ſind wir Drei dann ſo ganz allein,
Du, Luft, und ich, und der uralte Stein!

Waſſer.

Der Mittag, der Fiſcher.

Alles ſtill ringsum
Die Zweige ruhen, die Vögel ſind ſtumm.
Wie ein Schiff, das im vollen Gewäſſer brennt,
Und das die Windsbraut jagt,
So durch den Azur die Sonne rennt,
Und immer flammender tagt.
Natur ſchläft ihr Odem ſteht,
Ihre grünen Locken hangen ſchwer,
Nur auf und nieder ihr Pulsſchlag geht
Ungehemmt im heiligen Meer.
Jedes Räupchen ſucht des Blattes Hülle,
Jeden Käfer nimmt ſein Grübchen auf;
Nur das Meer liegt frei in ſeiner Fülle,
Und blickt zum Firmament hinauf.
In der Bucht wiegt ein Kahn,
Ausgeſtreckt der Fiſcher drin,
Und die lange Waſſerbahn
Schaut er träumend überhin.
85
Neben ihm die Zweige hängen,
Unter ihm die Wellchen drängen,
Plätſchernd in der blauen Fluth
Schaukelt ſeine heiße Hand:
Waſſer , ſpricht er, Welle gut,
Hauchſt ſo kühlig an den Strand.
Du, der Erde köſtlich Blut,
Meinem Blute nah verwandt,
Sendeſt deine blanken Wellen,
Die jetzt koſend um mich ſchwellen,
Durch der Mutter weites Reich,
Börnlein, Strom und glatter Teich,
Und an meiner Hütte gleich
Schlürf 'ich dein geläutert Gut,
Und du wirſt mein eignes Blut,
Liebe Welle! heil'ge Fluth!
Leiſer plätſchernd ſchläft er ein,
Und das Meer wirft ſeinen Schein
Um Gebirg und Feld und Hain;
Und das Meer zieht ſeine Bahn
Um die Welt und um den Kahn.

Erde.

Der Abend, der Gärtner.

Röthliche Flöckchen ziehen
Ueber die Berge fort,
Und wie Purpurgewänder,
Und wie farbige Bänder
86
Flattert es hier und dort
In der ſteigenden Dämmrung Hort.
Gleich einem Königsgarten,
Den verlaſſen die Fürſtin hoch
Nur in der Kühle ergehen
Und um die Beete ſich drehen
Flüſternd ein Paar Hoffräulein noch.
Da des Himmels Vorhang ſinkt,
Oeffnet ſich der Erde Bruſt,
Leiſe, leiſe Kräutlein trinkt,
Und entſchlummert unbewußt;
Und ſein furchtſam Wächterlein,
Würmchen mit dem grünen Schein,
Zündet an dem Glühholz ſein
Leuchtchen klein.
Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,
Spürt an der Sohle den Thau,
Gleich vom nächſten Halme er ſtreicht
Lächelnd die Tropfen lau;
Geht noch einmal entlang den Wall,
Prüft jede Knoſpe genau und gut:
Schlaft denn , ſpricht er, ihr Kindlein all,
Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;
Liebe Erde! mir ſind die Wimpern ſchwer,
Hab 'die letzte Nacht durchwacht,
Breit wohl deinen Thaumantel um ſie her,
Nimm wohl mir die Kleinen in Acht.
87

Feuer.

Die Nacht, der Hammerſchmied.

Dunkel! All Dunkel ſchwer!
Wie Rieſen ſchreiten Wolken her
Ueber Gras und Laub
Wirbelt's wie ſchwarzer Staub;
Hier und dort ein grauer Stamm;
Am Horizont des Berges Kamm
Hält die geſpenſtige Wacht,
Sonſt Alles Nacht Nacht nur Nacht.
Was blitzt dort auf? ein rother Stern
Nun ſcheint es nah, nun wieder fern;
Schau! wie es zuckt und zuckt und ſchweift,
Wie's ringelnd gleich der Schlange pfeift.
Nun am Gemäuer glimmt es auf,
Unwillig wirft's die Aſch hinauf,
Und wirbelnd über'm Dach hervor
Die Funkenſäule ſteigt empor.
Und dort der Mann im ruß'gen Kleid,
Sein Angeſicht iſt bleich und kalt,
Ein Bild der liſtigen Gewalt
Wie er die Flamme dämpft und facht,
Und hält den Eiſenblock bereit!
Den ſoll ihm die gefang'ne Macht,
Die wilde hartbezähmte Glut
Zermalmen gleich in ihrer Wuth.
88
Schau, wie das Feuer ſich zerſplittert!
Wie's tückiſch an der Kohle knittert!
Lang aus die rothe Kralle ſtreckt
Und nach dem Kerkermeiſter reckt!
Wie's vor verhaltnem Grimme zittert:
O, hätt 'ich dich, o könnte ich
Mit meinen Klauen faſſen dich!
Ich lehrte dich den Unterſchied
Von dir zu Elementes Zier,
An deinem morſchen, ſtaub'gen Glied,
Du ruchlos Menſchenthier!
89

Die Schenke am See.

An Levin S.

Iſt's nicht ein heit'rer Ort, mein junger Freund,
Das kleine Haus, das ſchier vom Hange gleitet,
Wo ſo poſſierlich uns der Wirth erſcheint,
So übermächtig ſich die Landſchaft breitet;
Wo uns ergötzt im neckiſchen Contraſt
Das Wurzelmännchen mit verſchmitzter Miene,
Das wie ein Aal ſich ſchlingt und kugelt faſt,
Im Angeſicht der ſtolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. Traube! und behend erſcheint
Zopfwedelnd der geſchäftige Pigmäe;
O ſieh, wie die verletzte Beere weint
Blutige Thränen um des Reifes Nähe;
Friſch greif in die kriſtallne Schale, friſch,
Die ſaftigen Rubine glühn und locken;
Schon fühl 'ich an des Herbſtes reichem Tiſch
Den kargen Winter nahn auf leiſen Socken.
Das ſind dir Hieroglyphen, junges Blut,
Und ich, ich will an deiner lieben Seite
Froh ſchlürfen meiner Neige letztes Gut.
Schau her, ſchau drüben in die Näh 'und Weite;
Wie uns zur Seite ſich der Felſen bäumt,
Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen,
Wie uns zu Füßen das Gewäſſer ſchäumt,
Als könnten wir im Schwunge drüber ſtreifen!
90
Hörſt du das Alphorn über'm blauen See?
So klar die Luft, mich dünkt ich ſeh 'den Hirten
Heimzügeln von der duftbeſäumten Höh'
War's nicht als ob die Rinderglocken ſchwirrten?
Dort, wo die Schlucht in das Geſtein ſich drängt
Mich dünkt ich ſeh den kecken Jäger ſchleichen;
Wenn eine Gemſe an der Klippe hängt,
Gewiß, mein Auge müßte ſie erreichen.
Trink aus! die Alpen liegen Stundenweit,
Nur nah die Burg, uns heimiſches Gemäuer,
Wo Träume lagern langverſchollner Zeit,
Seltſame Mähr und zorn'ge Abentheuer.
Wohl ziemt es mir, in Räumen ſchwer und grau
Zu grübeln über dunkler Thaten Reſte;
Doch du, Levin, ſchauſt aus dem grimmen Bau
Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneſte.
Sieh 'drunten auf dem See im Abendroth
Die Taucherente hin und wieder ſchlüpfend;
Nun ſinkt ſie nieder wie des Netzes Loth,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;
Seltſames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide ſchaun geſpannten Blickes nieder;
Du flüſterſt lächelnd: immer kömmt ſie auf
Und ich, ich denke, immer ſinkt ſie wieder!
Noch einen Blick dem ſegensreichen Land,
Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauſchen,
Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand
Freundliche Augen unſerm Pfade lauſchen;
91
Brich auf! da haſpelt in behendem Lauf
Das Wirthlein Abſchied wedelnd uns entgegen:
Geruh'ge Nacht ſtehn's nit zu zeitig auf!
Das iſt der luſt'gen Schwaben Abendſegen.
92

Am Thurme.

Ich ſteh 'auf hohem Balkone am Thurm,
Umſtrichen vom ſchreienden Staare,
Und laß' gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geſelle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umſchlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!
Und drunten ſeh 'ich am Strand, ſo friſch
Wie ſpielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Geziſch,
Und glänzende Flocken ſchnellen.
O, ſpringen möcht' ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Wallroß, die luſtige Beute!
Und drüben ſeh 'ich ein Wimpel wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh auf und nieder den Kiel ſich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, ſitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und ziſchend über das brandende Riff
Wie eine Seemöve ſtreifen.
93
War ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär ich ein Mann doch mindeſtens nur,
So würde der Himmel mir rathen;
Nun muß ich ſitzen ſo fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich löſen mein Haar,
Und laſſen es flattern im Winde!
94

Das öde Haus.

Tiefab im Tobel liegt ein Haus,
Zerfallen nach des Förſters Tode,
Dort ruh 'ich manche Stunde aus,
Vergraben unter Rank' und Lode;
'S iſt eine Wildniß, wo der Tag
Nur halb die ſchweren Wimpern lichtet;
Der Felſen tiefe Kluft verdichtet
Ergrauter Aeſte Schattenhaag.
Ich horche träumend, wie im Spalt
Die ſchwarzen Fliegen taumelnd ſummen,
Wie Seufzer ſtreifen durch den Wald,
Am Strauche irre Käfer brummen;
Wenn ſich die Abendröthe drängt
An ſickernden Geſchiefers Lauge,
Dann iſt's als ob ein trübes Auge,
Ein rothgeweintes drüber hängt.
Wo an zerrißner Laube Joch
Die langen magern Schoßen ſtreichen,
An wildverwachſ'ner Hecke noch
Im Mooſe Nelkenſproſſen ſchleichen,
Dort hat vom tröpfelnden Geſtein
Das dunkle Naß ſich durchgeſogen,
Kreucht um den Buchs in trägen Bogen,
Und ſinkt am Fenchelſtrauche ein.
95
Das Dach, von Mooſe überſchwellt,
Läßt wirre Schober niederragen,
Und eine Spinne hat ihr Zelt
Im Fenſterloche aufgeſchlagen;
Da hängt, ein Blatt von zartem Flor,
Der ſchillernden Libelle Flügel,
Und ihres Panzers goldner Spiegel
Ragt kopflos am Geſims hervor.
Zuweilen hat ein Schmetterling
Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen,
Und bleibt ſekundenlang am Ring
Der kränkelnden Narziſſe hangen;
Streicht eine Taube durch den Hain,
So ſchweigt am Tobelrand ihr Girren,
Man höret nur die Flügel ſchwirren
Und ſieht den Schatten am Geſtein.
Und auf dem Heerde, wo der Schnee
Seit Jahren durch den Schlot geflogen,
Liegt Aſchenmoder feucht und zäh,
Von Pilzes Glocken überzogen;
Noch hängt am Mauerpflock ein Reſt
Verwirrten Wergs, das Seil zu ſpinnen,
Wie halbvermorſchtes Haar und drinnen
Der Schwalbe überjährig Neſt.
Und von des Balkens Haken nikt
Ein Schellenband an Schnall 'und Riemen,
Mit grober Wolle iſt geſtickt
Diana auf dem Lederſtriemen;
96
Ein Pfeifchen auch vergaß man hier,
Als man den Tannenſarg geſchloſſen;
Den Mann begrub man, todt geſchoſſen
Hat man das alte treue Thier.
Sitz ich ſo einſam am Geſträuch
Und hör 'die Maus im Laube ſchrillen,
Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig,
Am Sumpfe läuten Unk' und Grillen
Wie Schauer überläufts mich dann,
Als hör 'ich klingeln noch die Schellen,
Im Walde die Diana bellen
Und pfeifen noch den todten Mann.
97

Im Mooſe.

Als jüngſt die Nacht dem ſonnenmüden Land
Der Dämmrung leiſe Boten hat geſandt,
Da lag ich einſam noch in Waldes Mooſe.
Die dunklen Zweige nickten ſo vertraut,
An meiner Wange flüſterte das Kraut,
Unſichtbar duftete die Haideroſe.
Und flimmern ſah ich, durch der Linde Raum,
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt'gen Glühwurm ſchien zu tragen.
Es ſah ſo dämmernd wie ein Traumgeſicht,
Doch wuſte ich, es war der Heimath Licht,
In meiner eignen Kammer angeſchlagen.
Ringsum ſo ſtill, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leiſe wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach ſo Manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Faſt war es mir als ſey ich ſchon entſchlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderſpiel, der friſchen Jahre Lauf,
Geſichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne ſummten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da ſtand die Welle, wie an Ufers Borden.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 798
Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,
Und drüben wieder ſprudelt aus dem Grund,
So ſtand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich ſah mich ſelber, gar gebückt und klein,
Geſchwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen ſtaub'ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben ſah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich ſorgſam löſen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorſcht, zu Staub zerfallen ſchier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langſam herab die karge Thräne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen ſtanden die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und horch, die Wachtel ſchlug! Kühl ſtrich der Hauch
Und noch zuletzt ſah ich, gleich einem Rauch,
Mich leiſe in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und ſchüttelte mich dann,
Wie Einer, der dem Scheintod erſt entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Haage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.
99

Am Bodenſee.

Ueber Gelände, matt gedehnt,
Hat Nebelhauch ſich wimmelnd gelegt,
Müde, müde die Luft am Strande ſtöhnt,
Wie ein Roß, das den ſchlafenden Reiter trägt;
Im Fiſcherhauſe kein Lämpchen brennt,
Im öden Thurme kein Heimchen ſchrillt,
Nur langſam rollend der Pulsſchlag ſchwillt
In dem zitternden Element.
Ich hör 'es wühlen am feuchten Strand,
Mir unter'm Fuße es wühlen fort,
Die Kieſel kniſtern, es rauſcht der Sand,
Und Stein an Stein entbröckelt dem Bord.
An meiner Sohle zerfährt der Schaum,
Eine Stimme klaget im hohlen Grund,
Gedämpft, mit halbgeſchloſſenem Mund,
Wie des grollenden Wetters Traum.
Ich beuge mich lauſchend am Thurme her,
Sprühregenflitter fährt in die Höh ',
Ha, meine Locke iſt feucht und ſchwer!
Was treibſt du denn, unruhiger See?
Kann dir der heilige Schlaf nicht nahn?
Doch nein, du ſchläfſt, ich ſeh' es genau,
Dein Auge decket die Wimper grau,
Am Ufer ſchlummert der Kahn.
100
Haſt du ſo Vieles, ſo Vieles erlebt,
Daß dir im Traume es kehren muß,
Daß deine gleißende Nerv 'erbebt,
Naht ihr am Strand eines Menſchen Fuß?
Dahin, dahin! die einſt ſo geſund,
So reich und mächtig, ſo arm und klein,
Und nur ihr flüchtiger Spiegelſchein
Liegt zerfloſſen auf deinem Grund.
Der Ritter, ſo aus der Burg hervor
Vom Hange trabte in aller Früh;
Jetzt nickt die Eſche vom grauen Thor,
Am Zwinger zeichnet die Mylady.
Das arme Mütterlein, das gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand entlang,
Der Kranke, der ſeinen letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;
Das ſpielende Kind, das neckend hier
Sein Schneckenhäuschen geſchleudert hat,
Die glühende Braut, die lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem Aug '
Das Metrum geplätſchert in deiner Flut,
Der Pilger, ſo am Geſteine geruht,
Sie Alle dahin wie Rauch!
Biſt du ſo fromm, alte Waſſerfey,
Hältſt nur umſchlungen, läßt nimmer los?
Hat ſich aus dem Gebirge die Treu '
Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?
101
O, ſchau mich an! ich zergeh' wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Diſtel quillt,
Dann zuckt mein längſt zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen Traum!
102

Das alte Schloß.

Auf der Burg hauſ 'ich am Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh',
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh 'und Eiſenſchilder
Sopha mir und Kleiderladen.
Schreit 'ich über die Terraſſe
Wie ein Geiſt am Runenſtein,
Sehe unter mir die blaſſe
Alte Stadt im Mondenſchein,
Und am Walle pfeift es weidlich,
Sind es Käuze oder Knaben?
Iſt mir ſelber oft nicht deutlich,
Ob ich lebend, ob begraben!
Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Thores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
Langſam dröhnt ein ſchwerer Gang;
Mir zur Seite Riegelzüge,
Ha, ich öffne, laß die Lampe
Scheinen auf der Wendelſtiege
Loſe modergrüne Rampe,
103
Die mich lockt wie ein Verhängniß,
Zu dem unbekannten Grund;
Ob ein Brunnen? ob Gefängniß?
Keinem Lebenden iſt's kund;
Denn zerfallen ſind die Stufen,
Und der Steinwurf hat nicht Bahn,
Doch als ich hinab gerufen,
Donnert's fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigſt fade
Dieſes Schloſſes Romantik,
In den Trümmern, ohne Gnade,
Brech 'ich Glieder und Genick;
Denn, wie trotzig ſich die Düne
Mag am flachen Strande heben,
Fühl' ich ſtark mich wie ein Hüne,
Von Zerfallendem umgeben.
104

Der Säntis. *Die Kuppe des Alpſteins, der ſich durch die Kantone St. Gallen und Appenzell ſtreckt.

Frühling.

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch
Durchzieht das thauige Revier,
Und nah 'und ferne wiegt die Luft
Vielfarb'ger Blumen bunte Zier.
Wie's um mich gaukelt, wie es ſummt
Von Vogel, Bien 'und Schmetterling,
Wie ſeine ſeidnen Wimpel regt
Der Zweig, ſo jüngſt voll Reifen hing.
Noch ſucht man gern den Sonnenſchein
Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;
Denn Nachts ſchleicht an die Gränze doch
Der landesflücht'ge Winter noch.
O du mein ernſt gewalt'ger Greis,
Mein Säntis mit der Locke weiß!
In Felſenblöcke eingemauert,
Von Schneegeſtöber überſchauert,
In Eiſespanzer eingeſchnürt:
Hu! wie dich ſchaudert, wie dich friert!
105

Sommer.

Du gute Linde, ſchüttle dich!
Ein wenig Luft, ein ſchwacher Weſt!
Wo nicht, dann ſchließe dein Gezweig
So recht, daß Blatt an Blatt ſich preßt.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder über'n Rain
Und läßt ſich röſten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles Laub
Erſcheint verdickt und athmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und ſcheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg 'ich doch
Dort, grad' an deinem Felſenjoch,
Wo ſich die kalten, weißen Decken
So friſch und ſaftig drüben ſtrecken,
Viel tauſend blanker Tropfen Spiel;
Glückſel'ger Säntis, dir iſt kühl!
106

Herbſt.

Wenn ich an einem ſchönen Tag
Der Mittagsſtunde habe Acht,
Und lehne unter meinem Baum
So mitten in der Trauben Pracht:
Wenn die Zeitloſe über's Thal
Den amethyſtnen Teppich webt,
Auf dem der letzte Schmetterling
So ſchillernd wie der frühſte bebt:
Dann denk 'ich wenig drüber nach,
Wie's nun verkümmert Tag für Tag,
Und kann mit halbverſchloſſnem Blick
Vom Lenze träumen und von Glück.
Du mit dem friſchgefall'nen Schnee,
Du thuſt mir in den Augen weh!
Willſt uns den Winter ſchon bereiten:
Von Schlucht zu Schlucht ſieht man ihn gleiten,
Und bald, bald wälzt er ſich herab
Von dir, o Säntis! ödes Grab!
107

Winter.

Aus Schneegeſtäub 'und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenſter auf,
Ein Jeder ſpäht, was er vermag.
Ob jene Blöcke Häuſer ſind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieſer Uniform
Den Glockenthurm erkennt man kaum;
Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erſtickt.
Doch ſchau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend'ges Land.
Du ſtarrer Wächter, laſſ 'ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schooß!
Wo ſchwärzlich jene Riffe ſpalten,
Da muß er Quarantaine halten,
Der Fremdling aus der Lombardei;
O Säntis, gib den Thauwind frei!
108

Am Weiher.

Ein milder Wintertag.

An jenes Waldes Enden,
Wo ſtill der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt:
Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt ſie iſt,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:
Da weiß ich, ſchön zum Malen,
Noch eine ſchmale Schlucht,
Wo all' die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;
Ein trocken, windſtill Eckchen,
Und ſo an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.
Will ich den Mantel dichte
Nun legen über's Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
Und dann auf meinen Schooß
109
Gezweig 'und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel' ich den Sommertag?
Will nicht die Grille hallen,
So ſäuſelt doch das Ried;
Sind ſtumm die Nachtigallen,
So ſing 'ich ſelbſt ein Lied.
Und hat Natur zum Feſte
Nur wenig dargebracht:
Die Luſt iſt ſtets die beſte,
Die man ſich ſelber macht.

Ein harter Wintertag.

Daß ich dich ſo verkümmert ſeh ',
Mein lieb' lebend'ges Waſſerreich,
Daß ganz verſteckt in Eis und Schnee
Du ſiehſt der plumpen Erde gleich;
Auch daß voll Reif und Schollen hängt
Dein überglaſ'ter Fichtengang:
Das iſt es nicht, was mich beengt,
Geh 'ich an deinem Bord entlang.
110
Zwar in der immer grünen Zier
Erſchienſt, o freundlich Element,
Du ähnlich den Oaſen mir,
Die des Arabers Sehnſucht kennt;
Wenn neben der verdorrten Flur
Erblühten deine Mooſe noch,
Wenn durch die ſchweigende Natur
Erklangen deine Wellen doch.
Allein auch heute wollt 'ich gern
Mich des kryſtallnen Flimmers freun,
Belauſchen jeden Farbenſtern
Und keinen Sommertag bereun:
Wär 'nicht dem Ufer längs, ſo breit,
Die glatte Schlittenbahn gefegt,
Worauf ſich wohl zur Mittagszeit
Gar manche rüſt'ge Ferſe regt.
Bedenk 'ich nun, wie manches Jahr
Ich nimmer eine Eisbahn ſah:
Wohl wird mir's trüb' und wunderbar,
Und tauſend Bilder treten nah.
Was blieb an Wünſchen unerfüllt,
Das nähm 'ich noch gelaſſen mit:
Doch ach, der Froſt ſo manchen hüllt,
Der einſt ſo fröhlich drüber glitt!
111

Fragment.

Savoyen, Land beſchnei'ter Höh'n,
Wer hat dein kräftig Bild geſeh'n,
Wer trat in deiner Wälder Nacht,
Sah auf zu deiner Wipfel Pracht,
Wer ſtand an deinem Waſſerfall,
Wer lauſchte deiner Ströme Hall,
Und nannte dich nicht ſchön?
Du Land des Volks, dem Reiche weihen
Ruhmvoll den Namen des getreuen,
Biſt herrlich, wenn der Frühlingsſturm
Die Berggewäſſer ſchäumend führt,
Und deiner Fichte ſchlanker Thurm
Sich mit der jungen Nadel ziert;
Biſt reizend, wenn die Sommerglut
Erzittert um den Mandelbaum;
Doch in des Herbſtes goldner Flut
Du ruhſt gleich dunkeln Auges Traum.
Dann treibt der Wind kein raſſelnd Laub
Durch brauner Haiden Wirbelſtaub;
Wie halb bezwungne Seufzer wallen,
Nur leiſ 'die zarten Nadeln fallen,
Als wagten ſie zu flüſtern kaum.
Der Tag bricht an; noch einſam ſteht
Das Sonnenrund am Firmament;
Am Strahl, der auf und nieder ſtreicht,
112
Gemach der Erdbeerbaum entbrennt;
Noch will das Genzian nicht wagen
Die dunkeln Wimpern aufzuſchlagen;
Noch ſchläft die Luft im Nebeldicht.
Welch 'greller Schrei die Stille bricht?
Der Auerhahn begrüßt das Licht;
Er ſchaukelt, wiegt ſich, macht ſich breit,
Er putzt ſein ſtattlich Federkleid,
Und langſam ſtreckt ihr ſtumpf Geſicht
Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:
Das Leben, Leben iſt erwacht;
Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,
Schneehühner flattern aus der Kluft;
Die Fichten ſelbſt, daß keiner ſäume,
Erzählen flüſternd ſich die Träume.
Und durch Remi geht überall
Ein dumpf Gemurr von Stall zu Stall.
[113]

Gedichte vermiſchten Inhalts.

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 8[114][115]

Mein Beruf.

Was meinem Kreiſe mich enttrieb,
Der Kammer friedlichem Gelaſſe?
Das fragt ihr mich als ſey, ein Dieb,
Ich eingebrochen am Parnaſſe.
So hört denn, hört, weil ihr gefragt:
Bei der Geburt bin ich geladen,
Mein Recht ſoweit der Himmel tagt,
Und meine Macht von Gottes Gnaden.
Jetzt wo hervor der todte Schein
Sich drängt am modervollen Stumpfe,
Wo ſich der ſchönſte Blumenrain
Wiegt über dem erſtorbnen Sumpfe,
Der Geiſt, ein blutlos Meteor,
Entflammt und liſcht im Moorgeſchwehle,
Jetzt ruft die Stunde: tritt hervor,
Mann oder Weib, lebend'ge Seele!
Tritt zu dem Träumer, den am Rand
Entſchläfert der Datura Odem,
Der, langſam gleitend von der Wand,
Noch zucket gen den Zauberbrodem.
116
Und wo ein Mund zu lächeln weiß
Im Traum, ein Auge noch zu weinen,
Da ſchmettre laut, da flüſtre leis,
Trompetenſtoß und Weſt in Hainen!
Tritt näher, wo die Sinnenluſt
Als Liebe giebt ihr wüſtes Ringen,
Und durch der eignen Mutter Bruſt
Den Pfeil zum Ziele möchte bringen,
Wo ſelbſt die Schande flattert auf,
Ein luſtiges Panier zum Siege,
Da rüttle hart: wach auf, wach auf,
Unſel'ger, denk an deine Wiege!
Denk an das Aug ', das überwacht
Noch eine Freude dir bereitet,
Denk an die Hand, die manche Nacht
Dein Schmerzenslager dir gebreitet,
Des Herzens denk, das einzig wund
Und einzig ſelig deinetwegen,
Und dann knie nieder auf den Grund
Und fleh' um deiner Mutter Segen!
Und wo ſich träumen wie in Haft
Zwei einſt ſo glüh erſehnte Weſen,
Als hab 'ein Prieſterwort die Kraft
Der Banne ſeligſten zu löſen,
Da flüſtre leiſe: wacht, o wacht!
Schaut in das Auge euch, das trübe,
Wo dämmernd ſich Erinnrung facht,
Und dann: wach auf, o heil'ge Liebe!
117
Und wo im Schlafe zitternd noch
Vom Opiat die Pulſe klopfen,
Das Auge dürr, und gäbe doch
Sein Sonnenlicht um einen Tropfen,
O, rüttle ſanft! Verarmter, ſenk '
Die Blicke in des Aethers Schöne,
Koſ' einem blonden Kind und denk '
An der Begeiſtrung erſte Thräne.
So rief die Zeit, ſo ward mein Amt
Von Gottes Gnaden mir gegeben,
So mein Beruf mir angeſtammt,
Im friſchen Muth, im warmen Leben;
Ich frage nicht ob ihr mich nennt,
Nicht fröhnen mag ich kurzem Ruhme,
Doch wißt: wo die Sahara brennt,
Im Wüſtenſand, ſteht eine Blume,
Farblos und Duftes baar, nichts weiß
Sie als den frommen Thau zu hüten,
Und dem Verſchmachtenden ihn leis
In ihrem Kelche anzubieten.
Vorüber ſchlüpft die Schlange ſcheu
Und Pfeile ihre Blicke regnen,
Vorüber rauſcht der ſtolze Leu,
Allein der Pilger wird ſie ſegnen.
118

Meine Todten.

Wer eine ernſte Fahrt beginnt,
Die Muth bedarf und friſchen Wind,
Er ſchaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.
Ein ernſtes Wagen heb 'ich an,
So tret' ich denn zu euch hinan,
Ihr meine ſtillen ſtrengen Todten;
Ich bin erwacht an eurer Gruft,
Aus Waſſer, Feuer, Erde, Luft,
Hat eure Stimme mir geboten.
Wenn die Natur in Hader lag,
Und durch die Wolkenwirbel brach
Ein Funke jener tauſend Sonnen,
Sprecht aus der Elemente Streit
Ihr nicht von einer Ewigkeit
Und unerſchöpften Lichtes Bronnen?
Am Hange ſchlich ich, krank und matt,
Da habt ihr mir das welke Blatt
Mit Warnungsflüſtern zugetragen,
Gelächelt aus der Welle Kreis,
Habt aus des Angers ſtarrem Eis
Die Blumenaugen aufgeſchlagen.
119
Was meine Adern muß durchziehn,
Sah ich's nicht flammen und verglühn,
An eurem Schreine nicht erkalten?
Vom Auge hauchtet ihr den Schein,
Ihr meine Richter, die allein
In treuer Hand die Wage halten.
Kalt iſt der Druck von eurer Hand,
Erloſchen eures Blickes Brand,
Und euer Laut der Oede Odem,
Doch keine andre Rechte drückt
So traut, ſo hat kein Aug 'geblickt,
So ſpricht kein Wort, wie Grabesbrodem!
Ich faſſe eures Kreuzes Stab,
Und beuge meine Stirn hinab
Zu eurem Gräſerhauch, dem ſtillen,
Zumeiſt geliebt, zuerſt gegrüßt,
Laßt, lauter wie der Aether fließt,
Mir Wahrheit in die Seele quillen.
120

Katharine Schücking.

Du haſt es nie geahndet, nie gewußt,
Wie groß mein Lieben iſt zu dir geweſen,
Nie hat dein klares Aug 'in meiner Bruſt
Die ſcheu verhüllte Runenſchrift geleſen,
Wenn du mir freundlich reichteſt deine Hand,
Und wir zuſammen durch die Grüne wallten,
Nicht wußteſt du, daß wie ein Götterpfand
Ich, wie ein köſtlich Kleinod ſie gehalten.
Du ſahſt mich nicht als ich, ein heftig Kind,
Vom erſten Kuß der jungen Muſe trunken,
Im Garten kniete, wo die Quelle rinnt,
Und weinend in die Gräſer bin geſunken;
Als zitternd ich gedreht der Thüre Schloß,
Da ich zum erſten Mal dich ſollte ſchauen,
Weſtphalens Dichterin, und wie da floß
Durch mein bewegtes Herz ein ſelig Grauen.
Sehr jung war ich und ſehr an Liebe reich,
Begeiſterung der Hauch von dem ich lebte;
Ach! Manches iſt zerſtäubt, der Aſche gleich,
Was einſt als Flamme durch die Adern bebte!
Mein Blick war klar und mein Erkennen ſtark,
Von ſeinem Throne mußte Manches ſteigen,
Und was ich einſt genannt des Lebens Mark,
Das fühlt 'ich jetzt mit friſchem Stolz mein eigen.
121
So ſcheut 'ich es, als fromme Schülerin,
Dir wieder in das dunkle Aug' zu ſehen,
Ich wollte nicht vor meiner Meiſterin
Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, ſtehen.
Auch war ich krank, mein Sinnen ſehr verwirrt,
Und keinen Namen mocht 'ich ſehnend nennen;
Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,
Du drangſt zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich trateſt, feſt und klar,
Und blickteſt tief mir in der Seele Gründe,
Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,
Was ich gedacht, das ſchien mir ſchwere Sünde.
Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,
Stieg wie ein Phönix aus der Aſche wieder,
Und tief im Herzen hab 'ich es erkannt,
Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du ſahſt, Beſcheid'ne, nicht, daß damals hier
Aus deinem Blick Geneſung ich getrunken,
Daß deines Mundes Laute damals mir
Wie Naphtha in die Seele ſind geſunken.
Ein jedes Wort, durchſichtig wie Kryſtall
Und kräftig gleich dem edelſten der Weine,
Schien mir zu rufen: Auf! der Launen Ball,
Steh auf! erhebe dich, du Schwach 'und Kleine!
Nun biſt du hin! von Gottes reinſtem Bild
Iſt nur ein grüner Hügel uns geblieben,
Den heut 'umziehn die Winterſtürme wild
Und die Gedanken derer, die dich lieben.
122
Auch hör' ich, daß man einen Kranz gelegt
Von Lorbeer in des Grabes dunkle Mooſe,
Doch ich, Cathinka, widme dir bewegt
Den Epheu und die dornenvollſte Roſe.
123

Nach dem Angelus Sileſius.

Des Menſchen Seele du, vor Allem wunderbar,
Du Alles und auch Nichts, Gott, Prieſter und Altar,
Kein Pünktchen durch dich ſelbſt, doch über alles Maaß
Reich in geſchenktem Gut, und als die Engel baß;
Denn höher ſteht dein Ziel, Gott ähnlich ſollſt du werden;
So, Seele, biſt du's ſchon; denn was zu Glück und Ruhm
In dir verborgen liegt, es iſt dein Eigenthum,
Ob unentwickelt auch, wie's Keimlein in der Erden
Nicht minder als der Baum, und wie als Million
Nichts Andres iſt die Eins, biſt du ihm gleich, ſein Sohn,
So wie dem Tropfen Blut, der aus der Wunde quillt
Ganz ähnlich iſt das Roth, das noch die Adern füllt;
Nicht Kletten trägt die Roſ ', der Dornſtrauch keine Reben,
Drum, Seele, ſtürbeſt du, Gott müßt den Geiſt aufgeben.
Ja, Alles iſt in dir was nur das Weltall beut,
Der Himmel und die Höll ', Gericht und Ewigkeit,
Gott iſt dein Richter nicht, du mußt dir ſelbſt verzeihn,
Sonſt an des Höchſten Thron ſtehſt du in ew'ger Pein;
Er, der dem Suchenden noch nie verlöſcht die Spur,
Er hat ſelbſt Satan nicht verdammt nach Zeit und Ort;
Deß unergründlich Grab iſt ſeine Ichheit nur:
Wär er des Himmels Herr, er brennte ewig fort,
Wie Gott im Höllenpfuhl wär ſelig für und für,
Und, Seele, biſt du treu, ſo ſteht dies auch bei dir.
124
Alſo iſt deine Macht auch heute ſchon dein eigen,
Du kannſt, ſo oft du willſt, die Himmelsleiter ſteigen;
Ort, Raum, ſind Worte nur von Trägheit ausgedacht,
Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht.
Dein Aug 'iſt Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,
Und im Moment ergreifſt du Gott und Ewigkeit;
Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,
Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;
Nur Geiſt'ges faßt der Geiſt, ihm iſt der Leib zu ſchwer,
Du ſchmeckſt, du fühlſt, du riechſt, und weißt um gar nichts
mehr;
Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigenſchaft zu meſſen
Jahrtauſende der Menſch vergebens ſich vermeſſen?
Drum, plagt dich Irdiſches, du haſt es ſelbſt beſtellt,
Viel näher als dein Kleid iſt dir die Geiſterwelt!
Faßt's nicht zuweilen dich, als müßteſt in der That
Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,
Wie jener Philoſoph um einen Punkt nur bat,
Um dann der Erde Ball aus ſeiner Bahn zu ſchwingen?
Fühlſt du in Demuth ſo, in Liebesflammen rein,
Dann iſt's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide ſeyn!
Dann fühlſt du dich von Gott als Weſenheit begründet,
Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean ſich ründet.
So ſey denn freudig, Geiſt, da Nichts mag größer ſeyn,
So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du ſo klein!
Du Würmchen in dir ſelbſt, doch reich durch Gottes Hort,
So ſchlummre, ſchlummre nur, mein Seelchen, ſchlummre
fort!
125
Was rennſt, was mühſt du dich zu mehren deine That?
Halt nur den Acker rein, dann ſprießt von ſelbſt die Saat;
In Ruhe wohnt die Kraft, du mußt nur ruhig ſeyn,
Durch offne Thür und Thor die Gnade laſſen ein;
Dann wird aus lockerm, Grund dir Myrth 'und Balſam ſteigen,
Er kömmt, er kömmt, dein Lieb, giebt ſich der Braut zu eigen,
Mit ſich der Krone Glanz, mit ſich der Schlöſſer Pracht,
Um die ſie nicht gefreit, an die ſie nicht gedacht!
126

Gruß an Wilhelm Junkmann.

Mein Lämpchen zuckt, ſein Docht verglimmt,
Die Funken kniſtern im Kamine,
Wie eine Nebeldecke ſchwimmt
Es an des Saales hoher Bühne;
Im Schneegeſtöber ſchläft die Luft,
Am Scheite iſt das Harz entglommen,
Mich dünkt, als ſpür 'ich einen Duft
Wie Weihrauch an der Gruft des Frommen.
Dies iſt die Stunde, das Gemach,
Wo ſich Gedanken mögen wiegen,
Verklungne Laute hallen nach,
Es dämmert in verloſchnen Zügen;
Im Hirne ſummt es, wie ein Lied
Das mit den Flocken möchte ſteigen,
Und, flüſternd wie der Hauch im Ried,
An eines Freundes Locke neigen.
Schon ſeh ich ihn, im gelben Licht,
Das ſeines Ofens Flamme ſpielet,
Er ſelbſt ein wunderlich Gedicht,
Begriffen ſchwer, doch leicht gefühlet.
Ich ſeh ihn, wie, die Stirn geſtützt,
Er leiſe lächelt in Gedanken;
Wo weilen ſie? wo blühen itzt
Und treiben dieſe zarten Ranken?
127
Baun ſie im ſchlichten Haidekraut
Ihr Neſtchen ſich aus Immortellen?
Sind mit der Flocke ſie gethaut
Als Thräne, wo die Gräber ſchwellen?
Vielleicht in fernes fernes Land
Wie Nachtigallen fortgezogen,
Oder am heiligen Meeresſtrand,
Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeiſtrung, ein Orkan,
Des Lebens Cedern nicht gebeuget,
Nicht ſah er ſie als Flamme nahn,
Die lodernd durch den Urwald ſteiget;
Nein, als entſchlief der Morgenwind,
Am Strauche ſummten fromme Bienen,
Da iſt der Herr im Säuſeln lind
Gleich dem Elias ihm erſchienen.
Und wie er ſitzt, ſo vorgebeugt,
Die hohe Stirn vom Schein umfloſſen,
Das Ohr wie fremden Tönen neigt,
Und lächelt geiſtigen Genoſſen,
Ein lichter Blitz in ſeinem Aug ',
Wie ein verirrter Stral aus Eden,
Da möcht' ich leiſe, leiſe auch
Als Aeolsharfe zu ihm reden.
128

Junge Liebe.

Ueber dem Brünnlein nicket der Zweig,
Waldvögel zwitſchern und flöten,
Wild Anemon 'und Schlehdorn bleich
Im Abendſtrale ſich röthen,
Und ein Mädchen mit blondem Haar
Beugt über der glitzernden Welle,
Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr,
Mit dem Auge der ſcheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert ſie ab:
Liebt er, liebt er mich nimmer?
Und wenn liebt das Orakel gab,
Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer:
Liebt er nicht o Grimm und Graus!
Daß der Himmel den Blüten gnade!
Gras und Blumen, den ganzen Strauß,
Wirft ſie zürnend in die Cascade.
Gleitet dann in die Kräuter lind,
Ihr Auge wird ernſt und ſinnend;
Frommer Eltern heftiges Kind,
Nur Minne nehmend und minnend,
Kannte ſie nie ein anderes Band
Als des Blutes, die ſchüchterne Hinde;
Und nun Einer, der nicht verwandt
Iſt das nicht eine ſchwere Sünde?
129
Muthlos ſeufzet ſie niederwärts,
In argem Schämen und Grämen,
Will zuletzt ihr verſtocktes Herz
Recht ernſtlich in Frage nehmen.
Abentheuer ſinnet ſie aus:
Wenn das Haus nun ſtände in Flammen,
Und um Hülfe riefen heraus
Der Carl und die Mutter zuſammen?
Plötzlich ein Perlenregen dicht
Stürzt ihr glänzend aus beiden Augen,
In die Kräuter gedrückt ihr Geſicht,
Wie das Blut der Erde zu ſaugen,
Ruft ſie ſchluchzend: ja, ja, ja!
Ihre kleinen Hände ſich ringen,
Retten, retten würd 'ich Mama,
Und zum Carl in die Flamme ſpringen!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 9130

Das vierzehnjährige Herz.

Er iſt ſo ſchön! ſein lichtes Haar
Das möcht 'ich mit Keinem vertauſchen,
Wie ſeidene Fäden ſo weich und klar,
Wenn zarte Löckchen ſich bauſchen;
Oft ſtreichl' ich es, dann lacht er traun,
Nennt mich ſeine alberne Barbe ;
Es iſt nicht ſchwarz, nicht blond, nicht braun,
Nun rathet, wie nennt ſich die Farbe?
Und ſeine Geberde iſt königlich,
Geht majeſtätiſch zu Herzen,
Zuckt er die Braue, dann fürcht 'ich mich,
Und möchte auch weinen vor Schmerzen;
Und wieder ſeh' ich ſein Lächeln blühn,
So klar wie das reine Gewiſſen,
Da möchte ich gleich auf den Schemel knien,
Und die guten Hände ihm küſſen.
Heut 'bin ich in aller Frühe erwacht,
Beim erſten Glitzern der Sonnen,
Und habe mich gleich auf die Sohlen gemacht,
Zum Hügel drüben am Bronnen;
Erdbeeren fand ich, glüh wie Rubin,
Schau, wie im Korbe ſie lachen!
Die ſtell ich ihm nun an das Lager hin,
Da ſieht er ſie gleich beim Erwachen.
131
Ich weiß, er denkt mit dem erſten Blick,
Das that meine alberne Barbe!
Und freundlich ſtreicht er das Haar zurück
Von ſeiner rühmlichen Narbe,
Ruft mich bei Namen, und zieht mich nah,
Daß Thränen die Augen mir trüben;
Ach, er iſt mein herrlicher Vater ja,
Soll ich ihn denn nicht lieben, nicht lieben!
132

Brennende Liebe. *Crategus pyracantha, auch ſonſt der brennende Buſch genannt.

Und willſt du wiſſen, warum
So ſinnend ich manche Zeit,
Mitunter ſo thöricht und dumm,
So unverzeihlich zerſtreut,
Willſt wiſſen auch ohne Gnade,
Was denn ſo Liebes enthält
Die heimlich verſchloſſene Lade,
An die ich mich öfters geſtellt?
Zwei Augen hab 'ich geſehn,
Wie der Strahl im Gewäſſer ſich bricht,
Und wo zwei Augen nur ſtehn,
Da denke ich an ihr Licht.
Ja, als du neulich entwandteſt
Die Blume vom blühenden Rain,
Und » Oculus Christi « ſie nannteſt,
Da fielen die Augen mir ein.
Auch giebt's einer Stimme Ton,
Tief, zitternd, wie Hornes Hall,
Die thut's mir völlig zum Hohn,
Sie folget mir überall.
Als jüngſt im flimmernden Saale
Mich quälte der Geigen Gegell,
Da hört ich mit einem Male
Die Stimme im Violoncell.
133
Auch weiß ich eine Geſtalt,
So leicht und kräftig zugleich,
Die ſchreitet vor mir im Wald,
Und gleitet über den Teich;
Ja, als ich eben in Sinnen
Sah über des Mondes Aug '
Einen Wolkenſtreifen zerrinnen,
Das war ihre Form, wie ein Rauch.
Und höre, höre zuletzt,
Dort liegt, da drinnen im Schrein,
Ein Tuch mit Blute genetzt,
Das legte ich heimlich hinein.
Er ritzte ſich nur an der Schneide,
Als Beeren vom Strauch er mir hieb,
Nun hab 'ich ſie alle Beide,
Sein Blut und meine brennende Lieb'.
134

Der Brief aus der Heimath.

Sie ſaß am Fenſterrand im Morgenlicht,
Und ſtarrte in das aufgeſchlagne Buch,
Die Zeilen zählte ſie und wußt es nicht,
Ach weithin, weithin der Gedanken Flug!
Was ſind ſo ängſtlich ihre nächt'gen Träume?
Was ſcheint die Sonne durch ſo öde Räume?
Auch heute kam kein Brief, auch heute nicht.
Seit Wochen weckte ſie der Lampe Schein,
Hat bebend an der Stiege ſie gelauſcht;
Wenn plötzlich am Gemäuer knackt der Schrein,
Ein Fenſterladen auf im Winde rauſcht,
Es kömmt, es naht, die Sorgen ſind geendet:
Sie hat gefragt, ſie hat ſich abgewendet,
Und ſchloß ſich dann in ihre Kammer ein.
Kein Lebenszeichen von der liebſten Hand,
Von jener, die ſie ſorglich hat gelenkt,
Als ſie zum erſten Mal zu feſtem Stand
Die zarten Kinderfüßchen hat geſenkt;
Verſprengter Tropfen von der Quelle Rande,
Harrt ſie vergebens in dem fremden Lande;
Die Tage ſchleichen hin, die Woche ſchwand.
Was ihre rege Phantaſie geweckt?
Ach, Eine Leiche ſah die Heimath ſchon,
135
Seit ſie den unbedachten Fuß geſtreckt
Auf fremden Grund und hörte fremden Ton;
Sie küßte ſcheidend jung 'und friſche Wangen,
Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;
Iſt's Wunder, daß ſie tödtlich aufgeſchreckt?
In Träumen ſteigt das Krankenbett empor,
Und Züge dämmern, wie in halber Nacht;
Wer iſt's? ſie weiß es nicht und ſpannt das Ohr,
Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;
Dann fährt ſie plötzlich auf beim Windesrauſchen,
Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauſchen,
Und kann erſt ſpät begreifen daß ſie wacht.
Doch ſieh, dort fliegt ſie über'n glatten Flur,
Ihr aufgelöstes Haar umfließt ſie rund,
Und zitternd ruft ſie, mit des Weinens Spur:
Ein Brief, ein Brief, die Mutter iſt geſund!
Und ihre Thränen ſtürzen wie zwei Quellen,
Die übervoll aus ihren Ufern ſchwellen;
Ach, eine Mutter hat man einmal nur!
136

Ein braver Mann.

Noch lag, ein Wetterbrodem, ſchwer
Die Tyrannei auf Deutſchlands Gauen,
Die Wachen ſchlichen ſcheu umher,
Die Menge ſchlief in dumpfem Grauen;
Ein Seufzer ſchien der Morgenwind
Aus angſtgepreßter Bruſt zu brechen;
Nur die Kanone durfte ſprechen
Und lächeln durfte nur das Kind.
Da lebt 'im Frankenland ein Mann,
Der bittre Stunden ſchon getragen,
In drängenden Geſchickes Bann
Gar manche Täuſchung ſonder Klagen;
Ihm war von ſeiner Ahnen Flur
Der edle Name nur geblieben,
Von allen, allen Jugendtrieben
Des Herzens warm Gedenken nur.
Durch frühes Siechthum ſchwer gebeugt
Und jeglichem Beruf verdorben,
Hätt 'oft er gern das Haupt geneigt
Und wär' in Frieden nur geſtorben;
An ſeinen Schläfen lagen ſchon
Mit vierzig Jahren weiße Garben,
Und ſeiner Züge tiefe Narben
Verriethen ſteter Sorge Frohn.
137
Doch freundlich trug er jeden Dorn,
Der auf dem Pfade ihm begegnet,
Geſchlagen von des Schickſals Zorn,
Doch von der Götter Hand geſegnet.
Und eine Kunſt war ihm beſcheert,
So mild wie ſeiner Seele Hauchen,
Sein Pinſel ließ die Wieſen rauchen
Und flammen des Vulkanes Heerd.
Es waren Bilder die mit Luſt
Ein unverdorbnes Herz erfüllen,
Wie ſie entſteigen warmer Bruſt
Und reiner Phantaſie entquillen;
Doch Mäcklern ſchienen ſie zu zart,
Den Stempel hoher Kunſt zu tragen:
So hat er ſchwer ſich durchgeſchlagen
Und täglich am Bedarf geſpart.
Da ward in Winterabends Lauf
Ein Brief ihm von der Poſt geſendet;
Er riß beſtürzt das Siegel auf:
O Gott, die Sorgen ſind beendet!
Des fernen Vetters Todtenſchein
Hat als Agnaten ihn berufen,
Er darf nur treten an die Stufen,
Die reichen Lehne harren ſein!
Wer denkt es nicht, daß ihm gepreßt
Aus heißer Wimper Thränen floſſen!
Dann plötzlich ſteht ſein Auge feſt,
Der Zähren Quelle iſt geſchloſſen.
138
Er liest, er tunkt die Feder ein,
Hat nur Sekunden ſich berathen,
Und an den nächſten Lehnsagnaten
Schreibt muthig er beim Lampenſchein:
Wohl ſagt man, daß Tyrannenmacht
Nicht Eides
*Der Huldigungseid, den er als Grundbeſitzer hätte leiſten müſſen.
* Band vermag zu ſchlingen,
Doch wo in uns ein Zweifel wacht,
Da müſſen wir zum Beſten ringen.
Nimm hin der Väter liebes Schloß,
O würd 'ich einſtens dort begraben!
Ich bin gewöhnt nicht viel zu haben,
Und mein Bedürfniß iſt nicht groß.
Wer unter Euch von Opfern ſpricht,
Von edleren, und Märtrerzeichen,
Der ſah gewiß noch Jahre nicht,
Nicht vierzig Jahr in Sorg 'entſchleichen!
Ihr die mit Stärke prunkt und gleich
Euch drängt zu ſtolzer Thaten Weihe:
Er war ein Mann wie Wachs ſo weich,
Nur ſtark in Gott und ſeiner Treue.
Und wie es ferner ihm erging?
Er hat gemalt bis er geſtorben,
Zuletzt, in langer Jahre Ring,
Ein ſchmal Vermögen ſich erworben;
139
Nie hat auf der Begeiſtrung Höh '
Sein ſchamhaft Schweigen er gebrochen,
Und keine Seele hat geſprochen
Von ſeinem ſchweren Opfer je.
Zweimal im Leben gab das Glück
Vor ſeinem Antlitz mir zu ſtehen,
In ſeinem mild beſcheidnen Blick
Des Geiſtes reinen Blitz zu ſehen.
Und im December hat man dann
Des Sarges Deckel zugeſchlagen
Und ſtill ihn in die Gruft getragen.
Das iſt das Lied vom braven Mann.
140

Stammbuchblätter.

1. Mit Laura's Bilde.

Im Namen eines Freundes.

Um einen Myrthenzweig ſich zu erſingen
Schickt ſeinen Schwan Petrarka Laure'n nach,
Mit Lorbeerreiſern füllt er das Gemach,
Doch kann er in den Myrthenhain nicht dringen.
Da zieht er durch die Welt mit hellem Klingen,
Schlägt mit den Flügeln an das theure Haus,
Man reicht ihm den Cypreſſenkranz hinaus,
Allein die Myrthe kann er nicht erringen.
Mein Freund, wohl iſt der Lorbeer uns verſagt,
Doch laß uns um den ſchnöden Preis nicht klagen,
Von Dornen und Cypreſſen rings umragt.
Will es in einer Laura Blick mir tagen,
Dann hab 'ich gern dem ſchweren Kranz entſagt,
Die kleine Myrthe läßt ſich leichter tragen.
141

2. An Henriette von Hohenhauſen.

Wie lieb, o Nähe; Ferne, ach wie leid;
Wie bald wird Gegenwart Vergangenheit!
Warum hat Trauer denn ſo matten Schritt,
Da doch ſo leicht die frohe Stunde glitt?
Ach, wer mir liebe Stunden könnte bannen,
Viel werther ſollt 'er ſeyn, als der vermöchte
Der trüben ſchlaffe Sehnen anzuſpannen,
Denn Leid im Herzen wirbt ſich theure Rechte,
Und wer es nimmt, der nimmt ein Kleinod mit.
Reich 'mir die Hand! du haſt mich froh gemacht.
In öder Fremde hab' ich dein gedacht,
Werd 'oft noch ſinnen deinem Blicke nach,
So mildes Auge hellt den trübſten Tag.
Laß Ferne denn zur Nähe ſich geſtalten
Durch Wechſelwort und inniges Gedenken.
Reich' mir die Hand! ich will ſie treulich halten,
Und drüber her mag immergrün ſich ſenken
Der Tannenzweig, ein ſchirmend Wetterdach.
142

Nachruf an Henriette von Hohenhauſen. *Henriette von Hohenhauſen, in Herford geboren, ſtarb im April des Jahres 1843 zu Münſter, Sie iſt Verfaſſerin verſchiedener Erzählungen, Gedichte und Jugendſchriften, die ſich durch ſittlich religiöſe Richtung und große Gemüthlichkeit auszeichnen.

An deinem Sarge ſtanden wir,
Du fromme milde Leidenſpalme,
Wir legten in die Hände dir
Des Lenzes linde Blütenhalme;
An deiner Bruſt, wie eingenickt,
Die blauen Seidenſchleifen lagen;
So, mit der Treue Bild geſchmückt,
Hat man dich in die Gruft getragen.
Die Sonne ſticht, der Regen rauſcht
Wir ſitzen ſchweigend und beklommen;
Es knirrt im Flur, und Jeder lauſcht,
Als dächten wir du könnteſt kommen;
In jedem Winkel ſuchen wir
Nach deinem Lächeln, deinem Blicke,
Wer lehnte je am Buſen dir,
Und fühlt im Herzen keine Lücke?
Daß dein Erkennen ſtark und klar,
Auch Andre mögens mit dir theilen,
Doch daß du ſo gerecht und wahr,
Daß Segen jede deiner Zeilen,
143
Der Odem den dein Leben ſog,
Der letzte noch, ein Liebeszeichen,
Das, Henriette, ſtellt dich hoch
Ob Andre, die an Geiſt dir gleichen!
Du warſt die Seltne, die gehorcht
Des Ruhmes lockender Sirene,
Und keine Tünche je geborgt,
Und keine ſüßen Taumeltöne;
Die jede Perl 'aus ihrem Hort
Vor Gottes Auge erſt getragen,
Um ernſtes wie um heitres Wort,
Um keines durft' im Tode zagen.
Am Sarge fällt die Blüthe ab,
Zerrinnt der Glorie Zauberſchemen,
Dein Lorbeerreis, es bleibt am Grab,
Du kannſt es nicht hinüber nehmen;
Doch vor dem Richter kannſt du knien,
Die reinen Hände hoch gefaltet:
Sieh, Herr, die Pfunde, mir verliehn,
Ich habe redlich ſie verwaltet.
Nicht möcht ich einen kalten Stein
Ob deinem warmen Herzen ſehen,
Auch keiner glühen Roſen Schein,
Die üppig unter Dornen wehen;
Des Sinnlaubs immergrünen Stern
Möcht ich um deinen Hügel ranken,
Und über'm Grüne ſäh ich gern
Die ſegensreiche Aehre ſchwanken.
144

Vanitas Vanitatum!

R. i. p.

Ihr ſaht ihn nicht im Glücke,
Als Schaaren ihm gefolgt,
Mit Einem ſeiner Blicke
Er jeden Haß erdolcht,
Das Blut an ſeinen Händen
Wie Königspurpur faſt,
Und flammenden Geländen
Entſtieg des Nimbus Glaſt;
Saht nicht, wie ſtolz getragen
Schulfreund und Kamerad
Die Stirn, mit welchem Zagen
Der Fremdling ihm genaht,
Wenn mit Koloſſes Schreiten
Das Klippenthor er ſtieß,
Die kleinen Segel gleiten
An ſeiner Sohle ließ.
Ihr habt ihn nicht geſehen,
Ihr Augen jugendklar,
Du Haupt wo Ringel wehen
Von ſüßem Lockenhaar;
Jünglinge, blühnde Frauen,
Ihr ſaht ihn nicht im Glanz,
Ihn, ſeines Landes Grauen
Und allergrünſten Kranz.
145
Vielleicht doch ſaht ihr ſtreifen
Den alten kranken Leun,
Saht ſeine Mähne ſchleifen
Und zittern ſein Gebein,
Saht wie die breiten Pranken
Er matt und ſtöhnend hob,
Wie taumelnd ſeine Flanken
Er längs der Mauer ſchob.
Und Scheitel ſaht ihr, weiße,
Am Fenſterglaſe ſpähn,
Die dann mit ſcheuem Fleiße
Sich hinter'n Vorhang drehn;
Vernahmt der Knaben Lachen,
Der Greiſe ſchmerzlich Ach,
Wenn er im freien flachen
Geländ 'zuſammen brach.
Allein ihr horcht als rede
Ich von dem Tartarchan,
Mit Augen weit und öde
Starrt ihr euch lange an,
Und Einer ruft: O ſchauet,
Wie man ein Ehrenmal
Obſcurem Burſchen bauet!
Wer war der General?
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 10146

Inſtinkt.

Bin ich allein, verhallt des Tages Rauſchen
Im friſchen Wald, im braunen Haideland,
Um mein Geſicht die Gräſer nickend bauſchen,
Ein Vogel flattert an des Neſtes Rand,
Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,
Gleich Feuerwürmern ſeine Augen glimmen,
Dann kommen mir Gedanken, ob geſund,
Ob krank, das mag ich ſelber nicht beſtimmen.
Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne,
Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,
Ob Dionæa
*Dionæa muscipula, auch die Fliegenfalle genannt.
* um die kühne Biene
Bewußtlos ihre rauhen Netze ſchlägt,
Was in dem weißen Sterne
**Sparrmannia.
** zuckt und greift,
Wenn er, die Fäden ſtreckend, leiſe ſchauert,
Und ob, vom Duft der Menſchenhand geſtreift,
Gefühllos ganz die Senſitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel ſehen,
Der dort ſo zürnend ſeine Federn ſträubt,
Mit kriegeriſchem Schrei mich aus den Nähen
Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.
Was iſt Inſtinkt? tiefſten Gefühles Heerd;
Inſtinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,
Als jene Fürſtin, von der Glut verzehrt,
Als Heilge ward poſaunt in alle Winde.
147
Und du, mein zottger Tremm, der ſchlafestrunken
Noch ob der Herrin wacht, und durch das Grün
Läßt blinzelnd ſtreifen ſeiner Blicke Funken,
Sag an, was deine klugen Augen glühn?
Ich bin es nicht, die deine Schale füllt,
Nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen,
Und mit der Sklavenpeitſche kann mein Bild
Noch minder dir im dumpfen Hirne ſteigen.
Wer kann mir ſagen, ob des Hundes Seele
Hinaufwärts, oder ob nach unten ſteigt?
Und müde, müde drück 'ich in die Schmehle
Mein Haupt, wo ſiedend der Gedanke ſteigt.
Was iſt es, das ein hungermattes Thier,
Mit dem geſtohlnen Brode für das bleiche
Blutrünſt'ge Antlitz, in das Waldrevier
Läßt flüchten und verſchmachten bei der Leiche?
Das ſind Gedanken, die uns könnten tödten,
Den Geiſt betäuben, rauben jedes Glück,
Mit tauſendfachem Mord die Hände röthen,
Und leiſe ſchaudernd wend 'ich meinen Blick.
O ſchlimme Zeit, die ſolche Gäſte rief
In meines Sinnens harmlos lichte Bläue!
O ſchlechte Welt, die mich ſo lang' und tief
Ließ grübeln über eines Pudels Treue!
148

Die rechte Stunde.

Im heitren Saal beim Kerzenlicht,
Wenn alle Lippen ſprühen Funken,
Und gar vom Sonnenſcheine trunken,
Wenn jeder Finger Blumen bricht,
Und vollends an geliebtem Munde,
Wenn die Natur in Flammen ſchwimmt,
Das iſt ſie nicht die rechte Stunde,
Die dir der Genius beſtimmt.
Doch wenn ſo Tag als Luſt verſank,
Dann wirſt du ſchon ein Plätzchen wiſſen,
Vielleicht in deines Sopha's Kiſſen,
Vielleicht auf einer Gartenbank:
Dann klingt's wie halb verſtandne Weiſe,
Wie halb verwiſchter Farben Guß
Verrinnt's um dich, und leiſe, leiſe
Berührt dich dann dein Genius.
149

Der zu früh geborene Dichter.

Acht Tage zählt 'er ſchon, eh ihn
Die Amme konnte ſtillen,
Ein Würmchen, ſaugend kümmerlich
An Zucker und Kamillen,
Statt Nagel nur ein Häutchen lind,
Däumlein wie Vogelſporen,
Und Jeder ſagte: armes Kind!
Es iſt zu früh geboren!
Doch wuchs er auf, und mit der Zeit
Hat Leben ſich entwickelt,
Mehr als der Doktor prophezeit,
Und hätt 'er ihn zerſtückelt;
Im zähen Körper zeigte ſich
Zäh wilder Seele Streben;
Einmal erfaßt dann ſicherlich
Hielt er, auf Tod und Leben.
In Büchern hat er ſich ſtudirt
Hohläugig und zu Schanden,
Und durch ſein glühes Hirn geführt
Zahlloſe Liederbanden.
Ein ſteter Drang hinauf! hinauf!
Und ringsum keine Palme;
So klomm er an der Weide auf
Und jauchzte in die Alme.
150
Zwar dünkt ihn oft, bei trübem Muth,
Sein Baldachin von Laube
So köſtlich wie ein alter Hut,
Wie 'ne zerriſſne Haube;
Allein dies ſchalt man eitlen Drang,
Mit Würde abzutrumpfen!
Und Alles was er ſah, das ſang
Herab vom Weidenſtumpfen.
So ward denn eine werthe Zeit
Vertrödelt und verſtammelt,
Lichtblonde Liederlein juchheit,
Und Weidenduft geſammelt;
Wohl fielen Thränen in den Flaum
Und ſchimmerten am Raine,
Erfaßte ihn der glühe Traum
Von einem Palmenhaine.
Und als das Leben ausgebrannt
Und fühlte ſich vergehen,
Da ſollt 'wie Moſes er das Land
Der Gottverheißung ſehen;
Er ſah, er ſah ſie Schaft an Schaft
Die heil'gen Kronen tragen,
Und drunter all die friſche Kraft
Der edlen Sproſſen ragen.
Und Lieder hört 'er, Melodien,
Wie ihm im Traum geklungen,
Wenn ein Kriſtall der Gletſcher ſchien,
Und Adler ſich geſchwungen;
151
Durch das ſmaragdne Rieſenlaub
Sah er die Lyra blinken,
Und über ſie gleich goldnem Staub
Levante's Aether ſinken.
O, wie zuſammen da im Fall
Die alten Töne ſchwirrten,
Im Buſen die Gefangnen all
Mit ihren Ketten klirrten!
Ha, Leben, Jahre! und mein Sitz
Iſt in den Säulenwänden,
Auch meine Lyra ſoll den Blitz
Durch die Smaragden ſenden!
Ach, arme Friſt, an ſolchem Schaft
Mit mattem Fuß zu klimmen,
Die Sehne ſeiner Jugendkraft,
Vermag er ſie zu ſtimmen?
Und bald erſeufzt er: hin iſt hin!
Vertrödelt iſt verloren!
Die Scholle winkt, weh mir, ich bin
Zu früh, zu früh geboren!
152

Noth.

Was redet ihr ſo viel von Angſt und Noth,
In eurem tadelloſen Treiben?
Ihr frommen Leute, ſchlagt die Sorge todt,
Sie will ja doch nicht bei euch bleiben!
Doch wo die Noth, um die das Mitleid weint,
Nur wie der Tropfen an des Trinkers Hand,
Indeß die dunkle Fluth, die Keiner meint,
Verborgen ſteht bis an der Seele Rand
Ihr frommen Leute wollt 'die Sorge kennen,
Und habt doch nie die Schuld geſehn!
Doch ſie, ſie dürfen ſchon das Leben nennen
Und ſeine grauenvollen Höhn;
Hinauf ſchallt's wie Geſang und Loben,
Und um die Blumen ſpielt der Strahl,
Die Menſchen wohnen ſtill im Thal,
Die dunklen Geyer horſten droben.
153

Die Bank.

Im Parke weiß ich eine Bank,
Die ſchattenreichſte nicht von allen,
Nur Erlen laſſen, dünn und ſchlank,
Darüber karge Streifen wallen;
Da ſitz 'ich manchen Sommertag
Und laß mich röſten von der Sonnen,
Rings keiner Quelle Plätſchern wach,
Doch mir im Herzen ſpringt der Bronnen.
Dieß iſt der Fleck, wo man den Weg
Nach allen Seiten kann beſtreichen,
Das ſtaub'ge Gleis, den grünen Steg,
Und dort die Lichtung in den Eichen:
Ach manche, manche liebe Spur
Iſt unterm Rade aufgeflogen!
Was mich erfreut, bekümmert, nur
Von drüben kam es hergezogen.
Du frommer Greis im ſchlichten Kleid,
Getreuer Freund ſeit zwanzig Jahren,
Dem keine Wege ſchlimm und weit,
Galt es den heil'gen Dienſt zu wahren,
Wie oft ſah ich den ſchweren Schlag
Dich drehn mit ungeſchickten Händen,
Und langſam ſteigend nach und nach
Dein Käppchen an des Dammes Wänden.
154
Und du in meines Herzens Grund,
Mein lieber ſchlanker blonder Junge,
Mit deiner Büchs und braunem Hund,
Du klares Aug 'und muntre Zunge,
Wie oft hört' ich dein Pfeifen nah,
Wenn zu der Dogge du geſprochen;
Mein lieber Bruder warſt du ja,
Wie ſollte mir das Herz nicht pochen?
Und Manches was die Zeit verweht,
Und Manches was ſie ließ erkalten,
Wie Banquo's Königsreihe geht
Und trabt es aus des Waldes Spalten.
Auch was mir noch geblieben und
Was neu erblüht im Lebensgarten,
Der werthen Freunde heitrer Bund,
Von drüben muß ich ihn erwarten.
So ſitz 'ich Stunden wie gebannt,
Im Geſtern halb und halb im Heute,
Mein gutes Fernrohr in der Hand
Und laſſ' es ſtreifen durch die Weite.
Am Damme ſteht ein wilder Strauch,
O, ſchmählich hat mich der betrogen!
Rührt ihn der Wind, ſo mein 'ich auch
Was Liebes komme hergezogen!
Mit jedem Schritt weiß er zu gehn,
Sich anzuformen alle Züge;
So mag er denn am Hange ſtehn,
Ein werth Phantom, geliebte Lüge;
155
Ich aber hoffe für und für,
So fern ich mich des Lebens freue,
Zu röſten an der Sonne hier,
Geduld'ger Märtyrer der Treue.
156

Clemens von Droſte. *Clemens Auguſt Freiherr von Droſte, Profeſſor an der juriſtiſchen Fakultät zu Bonn, wurde im Jahre 1832, während eines Aufenthalts zu Wiesbaden, ſeinen Freunden durch einen plötzlichen Tod entriſſen. Seine Hülle ruht auf dem dortigen Gottesacker.

An ſeinem Denkmal ſaß ich, das Getreibe
Des Lebens ſchwoll und wogt 'in den Alleen,
Ich aber mochte nur zum Himmel ſehn,
Von dem ihr Silber goß die Mondenſcheibe.
Und alle Schmerzenskeime fühlt' ich ſprießen,
Im Herzen ſich entfalten, Blatt um Blatt,
Und allen Segen fühlt 'ich niederfließen
Um eines Chriſten heil'ge Schlummerſtatt.
Da nahte durch die Gräſer ſich ein Rauſchen,
Geflüſter hallte an der Marmorwand,
Der mir ſo theure Name ward genannt,
Und leiſe Wechſelrede hört 'ich tauſchen.
Es waren tiefe achtungsvolle Worte,
Und dennoch war es mir, als dürfe hier
Kein anderer an dem geweihten Orte,
Kein Weſen ihn betrauern neben mir.
Wer könnte unter dieſen Gräbern wandeln,
Der ihn gekannt wie ich, ſo manches Jahr,
Der ſeine Kindheit ſah, ſo friſch und klar,
Des Jünglings Glut, des Mannes kräftig Handeln?
157
Welch fremdes Aug 'hat in den ernſten Lettern,
Dem ſtrengen Wort des Herzens Schlag erkannt?
Die Blitze ſaht ihr, aber aus den Wettern
Saht ihr auch ſegnen eines Engels Hand?
Sie ſtanden da wie vor Pantheons Hallen,
Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub;
Ich ſaß an einem Hügel, wo zu Staub
Der Menſchenherzen freundlichſtes zerfallen.
Sie redeten von den zerſprengten Kreiſen,
Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint;
Ich dachte an die Wittwen und die Waiſen,
Die ſeinem dunklen Sarge nachgeweint.
Sie redeten von ſeines Geiſtes Walten,
Von ſeinem ſtarken ungebeugten Sinn,
Und wie er nun der Wiſſenſchaft dahin,
Der Mann an dem ſich mancher Arm gehalten;
Ich hörte ihres Lobes Wogen ſchießen,
Es waren Worte wohlgemeint und wahr,
Doch meine Thränen fühlt 'ich heißer fließen,
Als ob man ihn verkenne ganz und gar.
Und endlich hört 'ich ihre Stimmen ſchwinden,
Ihr letztes Wort war eine Klage noch:
Daß nicht ſo leicht ein gleiches Wiſſen doch,
Daß ſelten nur ein gleicher Geiſt zu finden.
Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten,
Hab' ſeines Grabes feuchten Halm geküßt:
Wo giebt es einen Vater, einen Gatten,
Und einen Freund wie du geweſen biſt!
158

Guten Willens Ungeſchick.

Du ſcheuchſt den frommen Freund von mir,
Weil krank ich ſey und ſehr bewegt,
Mein hell und blühend Luſtrevier
Haſt du mit Dornen mir umhegt;
Wohl weiß ich, daß der Wille rein,
Daß eure Sorge immer wach,
Doch was ihn labt, was hindert, ach,
Ein Jeder weiß es nur allein.
Ich denke, wie ich einſtens ſaß
An eines Hügels ſchroffem Rain,
Und ſah ein ſchönes Kind, das las
Sich Schneckenhäuschen im Geſtein;
Dann glitt es aus, ich ſprang hinzu,
Es hatte ſich am Strauch gedrückt;
Ich griff es an gar ungeſchickt,
Und abwärts rollte es im Nu;
Auf hob ich es, das weinend lag,
Und grimmig weinend um ſich fuhr,
Und freilich, was es ſtieß vom Haag,
Mein ſchlimmes Helfen war es nur.
Und an der Klippe ſtand ich auch,
Bei Vogelbrut mit Flaumenhaar,
Und drüber pfiff wie ein Corſar
Ein Weihe hoch im Nebelrauch.
159
Nun blitzte wie ein Stral heran
Und immer näher ſchoß der Weih,
Ich ſchwang das Tuch, den Mantel dann,
Die jungen Vögel duckten ſcheu;
Und aufwärts funkelnd, angſtgepreßt,
Wie Marder pfiffen ſie ſo klar;
Da ward mir endlich offenbar,
Dies ſey des Weihen eignes Neſt.
So hab 'ich hundertmal gefühlt,
Und tauſendmal hab' ich geſehn,
Daß Nichts ſo hart am Herzen wühlt
Wo ſeine tiefſten Adern gehn,
Als zürne nicht, die Lippen drück '
Ich ſühnend auf der Lippen Rand
Als eine liebe raſche Hand
In guten Willens Ungeſchick.
160

Der Traum.

An Amalie H.

Jüngſt hab 'ich dich geſehn im Traum,
So lieblich ſaßeſt du behütet,
In einer Laube grünem Raum,
Von duftendem Jasmin umblüthet,
Durch Zweige fiel das goldne Licht,
Aus Vogelkehlen ward geſungen,
Du ſaßeſt da, wie ein Gedicht
Von einem Blumenkranz umſchlungen.
Und deine liebe Rechte trug
Das Antlitz mit ſo edlen Sitten,
Im Sand das aufgeſchlagne Buch
Schien von dem Schooße dir geglitten;
Dich lehnend an den friſchen Haag
Hauchteſt du flüſternd leiſe Küſſe,
Im Auge eine Thräne lag
Wie Thau im Kelche der Narziſſe.
Dich anzuſchaun war meine Luſt,
Zu lauſchen deiner Züge Regen,
Und dennoch hätt 'ich gern gewußt,
Was dich ſo innig mocht' bewegen?
Da bogſt du ſacht hinab den Zweig,
Strichſt lächelnd an der Spitzenhaube,
An deine Schulter huſcht 'ich gleich,
Sah einen Baum in ſchlichtem Laube:
161
Und auf dem Baume ſaß ein Fink,
Der ſchleppte dürres Moos und Reiſig,
Schau her, ſchau wieder! zirpt 'er flink
Und förderte am Neſtchen fleißig;
Er ſah ſo keck und fröhlich aus,
Als trüg er des Flamingo Kleider,
So ſorglich hüpft er um ſein Haus,
Als fürcht' er böſen Blick und Neider.
Und wenn ein Reiſchen er gelegt,
Dann rief er alle Welt zu Zeugen,
Als müſſe was der Garten hegt,
Blum 'und Geſträuch ſich vor ihm neigen;
Um deine Lippe flog ein Zug,
Wie ich ihn oft an ihr geſehen,
Und meinen Namen ließ im Flug
Sie über ihre Spalte gehen.
Schon hob ich meine Hand hinauf
Mit leiſem Schlage dich zu ſtrafen,
Allein da wacht ich plötzlich auf
Und bin nicht wieder eingeſchlafen;
Nur deiner hab 'ich fortgedacht,
Säh dich ſo gern am grünen Haage,
Mich dünkt, ſo lieb wie in der Nacht
Sah ich dich noch an keinem Tage.
Im Eiſe ſchlummern Blum 'und Zweig,
Dezemberwinde ſchneidend wehen,
Der Garten ſteht im Wolkenreich,
Wo tauſend ſchönre Gärten ſtehen;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 11162
So golden iſt kein Sonnenſchein,
Daß er wie der erträumte blinke;
Doch du, biſt du nicht wirklich mein?
Und bin ich nicht dein dummer Finke?
163

Locke und Lied.

Meine Lieder ſandte ich dir,
Meines Herzens ſtrömende Quellen,
Deine Locke ſandteſt du mir,
Deines Hauptes ringelnde Wellen;
Hauptes Welle und Herzens Fluth
Sie zogen einander vorüber,
Haben ſie nicht im Kuſſe geruht?
Schoß nicht ein Leuchten darüber?
Und du klageſt: verblichen ſey
Die Farbe der wandernden Zeichen;
Scheiden thut weh, mein Liebchen, ey,
Die Scheidenden dürfen erbleichen;
Warſt du blaß nicht, zitternd und kalt,
Als ich von dir mich geriſſen?
Blicke ſie an, du Milde, und bald,
Bald werden den Herrn ſie nicht miſſen.
Auch deine Locke hat ſich geſtreckt,
Verdroſſen, gleich ſchlafendem Kinde,
Doch ich hab 'ſie mit Küſſen geweckt,
Hab' ſie geſtreichelt ſo linde,
Ihr geflüſtert von unſerer Treu ',
Sie geſchlungen um deine Kränze,
Und nun ringelt ſie ſich aufs neu,
Wie eine Rebe im Lenze.
164
Wenig Wochen, dann grünet der Stamm,
Hat Sonnenſchein ſich ergoſſen,
Und wir ſitzen am rieſelnden Damm,
Die Händ 'in einander geſchloſſen,
Schaun in die Welle, und ſchaun in das Aug'
Uns wieder und wieder und lachen,
Und Bekanntſchaft mögen dann auch
Die Lock 'und der Liederſtrom machen.
165

An ***

Kein Wort, und wär 'es ſcharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tauſend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben iſt ſo kurz, das Glück ſo ſelten,
So großes Kleinod, einmal ſein ſtatt gelten!
Hat das Geſchick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich ſtarre Pole gleich erhöht,
So wiſſe, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrſcht, König über Alle, der Magnet,
Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick 'in mein Auge iſt es nicht das deine,
Iſt nicht mein Zürnen ſelber deinem gleich?
Du lächelſt und dein Lächeln iſt das meine,
An gleicher Luſt und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich ſcherzen,
Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen.
Pollux und Caſtor, wechſelnd Glühn und Bleichen,
Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
Und doch der allerfrömmſten Treue Zeichen.
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern ſich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.
166

Poeſie.

Frägſt du mich im Räthſelſpiele,
Wer die zarte lichte Fey,
Die ſich drei Kleinoden gleiche
Und ein Stral doch ſelber ſey?
Ob ichs rathe? ob ich fehle?
Liebchen, pfiffig war ich nie,
Doch in meiner tiefſten Seele
Hallt es: das iſt Poeſie!
Jener Stral der, Licht und Flamme,
Keiner Farbe zugethan,
Und doch, über Alles gleitend
Tauſend Farben zündet an,
Jedes Recht und Keines Eigen.
Die Kleinode nenn 'ich dir:
Den Türkis, den Amethiſten,
Und der Perle edle Zier.
Poeſie gleicht dem Türkiſe,
Deſſen frommes Auge bricht,
Wenn verborgner Säure Brodem
Nahte ſeinem reinen Licht;
Deſſen Urſprung Keiner kündet,
Der wie Himmelsgabe kam,
Und des Himmels milde Bläue
Sich zum milden Zeichen nahm.
167
Und ſie gleicht dem Amethiſten,
Der ſein veilchenblau Gewand
Läßt zu ſchnödem Grau erblaſſen
An des Ungetreuen Hand;
Der, gemeinen Götzen fröhnend,
Sinkt zu niedren Steines Art,
Und nur Einer Flamme dienend
Seinen edlen Glanz bewahrt;
Gleicht der Perle auch, der zarten,
Am Geſunden thauig klar,
Aber ſaugend, was da Krankes
In geheimſten Adern war;
Sahſt du niemals ihre Schimmer
Grünlich, wie ein modernd Tuch?
Eine Perle bleibt es immer,
Aber die ein Siecher trug.
Und du lächelſt meiner Löſung,
Flüſterſt wie ein Widerhall:
Poeſie gleicht dem Pokale
Aus venediſchem Kriſtall;
Gift hinein und ſchwirrend ſingt er
Schwanenliedes Melodie,
Dann in tauſend Trümmer klirrend,
Und hin iſt die Poeſie!
168

An ***

O frage nicht was mich ſo tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind,
Sich emſig mühend an des Tiſches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln ſind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint 'ich heiß,
Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe,
Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ',
So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild,
Wo tauſend friſche Lebenskeime walten,
Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen,
Was noch entſchwinden wird und was entſchwand,
Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
169

An Eliſe.

Am 19. November 1843.

Du weißt es lange wohl wie werth du mir,
Was ſollt 'ich es nicht froh und offen tragen
Ein Lieben, das ſo friſcher Ranken Zier
Um meinen kranken Lebensbaum geſchlagen?
Und manchen Abend hab' ich nachgedacht,
In leiſer Stunde träumeriſchem Sinnen,
Wie deinen Morgen, meine nahnde Nacht
Das Schickſal ließ aus Einer Urne rinnen.
Zu alt zur Zwillingsſchweſter, möchte ich
Mein Töchterchen dich nennen, meinen Sproſſen,
Mir iſt, als ob mein fliehend Leben ſich,
Mein rinnend Blut in deine Bruſt ergoſſen.
Wo ſtammt im Herzen mir ein Opferheerd,
Daß nicht der deine loderte daneben,
Von gleichen Landes lieber Luft genährt,
Von gleicher Freunde frommem Kreis umgeben?
Und heut ', am Sankt Eliſabethentag,
Vereinend uns mit gleichen Namens Banden,
Schlug ich bedächtig im Kalender nach,
Welch' Heilige am Taufborn uns geſtanden;
Da fand ich eine königliche Frau,
Die ihre milde Segenshand gebreitet,
Und eine Patriarchin, ernſt und grau,
Nur werth um Den, deß Wege ſie bereitet.
170
Faſt war es mir, als ob dies Doppelbild
Mit ſtrengem Mahnen ſtrebe uns zu trennen,
Als woll 'es dir die Fürſtin zart und mild,
Mir nur die ernſte Hüterin vergönnen;
Doch lächle nicht ich hab' mich abgekehrt,
Bin faſt verſchämt zur Seite dir getreten;
Nun wähle, Lieb, und die du dir beſcheert,
Zu der will ich als meiner Heilgen beten.
171

Ein Sommertagstraum.

Im tiefen Weſt der Schwaden grollte,
Es ſtand die Luft, ein ſiedend Meer,
An meines Fenſters Vorhang rollte
Die Sonnenkugel, glüh und ſchwer,
Und wie ein Kranker, lang geſtreckt,
Lag ich auf grünen Sophakiſſen,
Das Haupt von wüſtem Schmerz zerriſſen,
Die Stirne fieberhaft gefleckt.
Um mich Geſchenke, die man heute
Zu meinem Wiegenfeſt geſandt,
Denare, Schriften, Meeres Beute,
Ich hab 'mich ſchnöde abgewandt;
Zum Tode matt und ſchlafberaubt
Studirt ich der Gardine Bauſchen,
Und horchte auf des Blutes Rauſchen
Und Klingeln im betäubten Haupt.
Zuweilen dehnte ſich ein Murren
Den Horizont entlang, es ſchlich
Am Haag 'ein Rieſeln und ein Surren,
Wie flatternder Libelle Strich;
Betäubend zog Reſedaduft
Durch des Balkones offne Thüren,
In jeder Nerve war zu ſpüren
Die ſchwefelnde Gewitterluft.
172
Da plötzlich ſchien ſich aufzurichten
Am Fenſterrahm ein Schattenwall,
Und mählig ſchob die dunklen Schichten
Er näher an den glühen Ball.
Durch der Gardine Spalten zog
Ein friſcher Hauch, ich ſchloß die Augen,
Um tiefer, tiefer einzuſaugen,
Was leiſe ſpielend mich umflog.
Genau vernahm ich noch das Rucken
Des flatternden Papiers, das Licht
Der Stufe ſah ich ſchmerzend zucken;
Ob ich entſchlief? mich dünkt es nicht.
Doch ſchneller ſchien am Autograph
Das dürre Jüngelchen zu wehen,
Ein glitzernd Aug 'der Stein zu drehen,
Die Muſchel dehnte ſich im Schlaf.
Und, nächt'ger Mücke zu vergleichen,
Umſäuſelte mich halber Klang,
Am Teppich ſchien es ſacht zu ſtreichen,
Und lief des Polſters Saum entlang,
Wie wenn im zitternden Papier
Der Fliege zarte Füßchen irren;
Und heller feiner aus dem Schwirren
Drang es wie Wortes Hauch zu mir:

Das Autograph.

Pſt! St! ja, ja,
Das mocht 'eine Pracht noch heißen,
173
Als ich am Ermel ſah
Die goldenen Treſſen gleißen!
Wie waren die Hände weiß und weich,
Wie funkelten die Demanten!
Wie ſchwammen drüber, ſo duftig, reich,
Die breiten Brüſſeler Kanten!
Das waren Bilder und Lockenpracht,
Wie mähnige Leu'n in Rahmen!
Das Vaſen! wo in der Gallatracht
Spazierten ſchäfernde Damen!
Und, o, das war eine Blumenſee,
Ein farbiges Blütengewimmel!
Das eine berauſchende Aethernäh '
Von heißem ſüdlichen Himmel!
Pſt ' St! ich duckt' in meinem Fach,
Pſt! ſtill wie Vögel im Neſt ',
Und ward am Gitter die Briſe wach,
Dann ruſchelt' ich mit dem Weſt '.
O, o! der war auch ein Vagabund:
Von Bogen flog er zu Bogen,
Hat aus der Siegel Granatenmund
Säuſelnde Küſſe geſogen.
Pſt! drunten, hart an meiner Klauſ '
Ein Tiſch auf güldenen Krallen;
Und wiſpelte ich zu weit hinaus,
Ich wär auf den Amor gefallen;
174
Der ſtand, einen Köcher in jeder Hand,
Wie ſinnend auf luſtige Finte,
Das Haupt gewendet vom ſtäubenden Sand,
Und ſpiegelte ſich in der Dinte.
Sieh! drüben der Thüren Paneele, breit,
Geſchmückt mit ſchimmernden Leiſten!
Wie hab 'ich geflattert und mich gefreut,
Wenn leiſe knarrend ſie gleißten!
Dann kam das Ding ein Mann ein Greis?
Nie konnte ich ſatt mich ſchauen,
Daß ſeine Lockenkaskaden ſo weiß,
So glänzend ſchwarz ſeine Brauen!
Schrieb, ſchrieb, daß die Feder knirrt 'und bog,
Lang lange ſchlängelnde Kette,
Und ſachte über den Marmor zog
Und ſchleifte ſich die Manſchette.
Das ſummt und ſäuſelte mir wie Traum,
Wie ſurrender Bienen Leſen,
Als ſey ich einſt ein ſeidener Schaum,
Eine Spitzenmanſchette geweſen.
Pſt! ſtille, ſieh, ein Andrer! ſieh!
Wie ſchütteln des Schreibers Locken!
Er beugt und ſchlenkert ſich bis an's Knie,
Schlürft und ſchleicht wie auf Socken.
Ha! es zupft mich, ich falle, ich falle!
Da liege ich hülflos gebreitet,
Und über mich die dintige Galle
Wie Würmer krimmelt und gleitet.
175
Licht! Leben! durch die Faſern gießt
Gleich Ichor ſich der Menſchengeiſt;
Wie's droben tönt, die Spalte fließt,
Gedankenwelle ſchwillt und kreißt.
» Viva! « ein König wird gegrüßt,
Es fault im Mark, die Rinde gleißt.
Und Schiffe, ſchwer von Proviant,
Ziehn übers Meer vom Nordenſtrand.
Ich zittre, zittre, jenes Fremden Auge,
Lichtblau und klar, iſt über mich gebeugt;
Ob es den Geiſt mir aus den Faſern ſauge?
Ich weiß es nicht, ſein Blinzen ſinkt und ſteigt,
Ein Auge ſcharf wie Scheidewaſſers Lauge!
Er ſtreicht die Brauen, faßt die Feder leicht,
Nun ſchlängelt er, nun drunten ſteht es da:
» Theodor 'il primo, re di Corsica. «
Pſt! ſtill! der König ſpricht, Denar, halt Ruh!
Was ſchaukelſt dich, was klimperſt du?

Der Denar.

O! über deinen König! ganz dir gleich,
Du glattgeſchlagner Lumpen, o, ſein Reich
Das Inſelchen, deß kärglichen Tribut
Lucull in eine Silberſchüſſel lud,
Gebannt in eine Perle Cäſars Hand
In der Egypterfürſtin Locken wand.
Du, zitternd vor Satrapenblicke, fahl
Wärſt du zerſtäubt vor ſeiner Augen Strahl,
176
Wenn langſam über's Forum, im Triumpf
Das Viergeſpann ihn rollte; hörſt du dumpf,
Wie halberwachten Donner oder Spülen
Der Brandung, Pöbelwoge ziehn und wühlen,
Um die Quadriga ſummend, wie im Nahn
Prüft ſeine Stimme murrend der Orkan?
Heil, Cäſar, Heil! um ſeine kahle Stirn
Ragt Lorbeer, wie die Ficht 'um Klippenfirn;
Er lächelt, und aus ſeinem Lächeln fließet
Ein leiſe ſchläfernd Gift, o Roma, dir,
Sein halbgeſchloſſnes Auge Fäden ſchießet,
Ein unzerreißbar Netz. Gebückt und ſtier,
Zerzausten Haares, vor den Roſſen klirrt
Endloſer Gallierzug, die Feſſeln ſchleifen,
Und aus der Pöbelwelle gellt und ſchwirrt
Geziſch, Gejubel, Cymbelklang und Pfeifen.
Denare fliegen aus des Siegers Hand,
Ha, wie es krabbelt im Arenaſand!
Der Imperator nickt und klingelt fort.
Noch lieg' ich unberührt im Byſſusbeutel,
Was ſteigt ſo ſchwarz am Kapitole dort?
Es dunkelt, dunkelt; über Cäſars Scheitel
Ein Rieſenaar mit Flügelrauſchen ſteigt,
Die Sonne ſchwindet, doch ein Leuchten ſtreicht
Um der Liktoren Beile, wieder itzt
Sie zucken, ſchwenken ſich es blitzt! es blitzt!

Die Erzſtufe.

Ja, Blitze, Blitze! der Schwaden drängt
Giftiges Gas am Riſſe hinaus,
177
Auf einem Blitze bin ich geſprengt
Aus meinem funkelnden Kellerhaus.
O, wie war ich zerbrochen und krank,
Wie rieſelt's mir über die blanke Haut,
Wenn langſam ſchwellend der Tropfen ſank,
Des Zuges Schneide mich angegraut!
Kennſt du den Bergmönch, den braunen Schelm,
Dem auf der Schulter das Antlitz kreißt?
Schwarz und rauh wie ein roſtiger Helm,
Wie die Grubenlampe ſein Auge gleißt.
O, er iſt böſe, tückiſch und ſchlimm!
Mit dem Gezähn
* Gezähn das Handwerkszeug der Bergknappen.
* hackt er am Spalt,
Bis das ſchwefelnde Wetter im Grimm
Gegen die weichende Rinde ſchwallt.
Steiger bete! du armer Knapp ',
Dem in der Hütte das Kindlein zart,
Betet! betet! eh ihr hinab,
Eh zum letzten Male vor Ort ihr fahrt.
Sieben Nächte hab' ich geſehn
Wie eine Walze rollen den Nacken,
Und die Augen funkeln und drehn,
Und das Gezähn ſchürfen und hacken.
Dort, dort hinter dem reichen Gang
Lauert der giftige Brodem; da
Wo der Kobold den Hammer ſchwang,
Wo ich am Bruche ihn ſchnuppern ſah.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 12178
Gleich dem Molche von Dunſte trunken
Schwoll und wackelt 'der Gnom am Grund,
Und des Gaſes kniſternde Funken
Zogen in ſeinen ſaugenden Schlund.
Bete, Steiger, den Morgenpſalm
Einmal noch, und dein walt's Gott ,
Deinen Segen gen Wetters Qualm,
Gäh 'Verſcheiden und Teufelsrott'.
Schau noch einmal in's Angeſicht
Deinem Töchterchen, deinem Weib,
Und dann zünde das Grubenlicht.
Gott die Seele, dem Schacht der Leib!
Sie ſind vor Ort, die Lämpchen rund
Wie Irrwiſchflämmchen aufgeſtellt.
Die Winde keucht, es rollt der Hund,
* Der Hund der kleine kaſtenähnliche Karren, auf dem die Erzſtufen aus dem Stollen zu Tage gefördert werden.
*
Der Hammer pickt, die Stufe fällt,
An Bleigewürfel, Glimmerſpath
Zerrinnend, malt der kleine Stral
In ſeiner Glorie ſchwimmend Rad
Sich Regenbogen und Opal.
Die Winde keucht, es rollt der Hund.
Hörſt du des Schwadens Sauſen nicht?
Wie Hagel bröckelt es zum Grund
Der Hammer pickt, die Stufe bricht;
Weh, weh! es zündet, flammt hinein!
Hinweg! es ſchmettert aus der Höh '!
179
Felsblöcke, zuckendes Gebein!
Wo bin ich? bin ich? auf der See?
Und welch Gerieſel immer immerzu,
Wie Regentropfen, regnet's?

Die Muſchel.

Su, ſuſu,
O, ſchlaf im ſchimmernden Bade,
Hörſt du ſie plätſchern und rauſchen,
Meine hüpfende blanke Najade?
Ihres Haares ſeidenen Tang
Ueber der Schultern Perlenſchaum;
Horch! ſie ſingt den Wellengeſang,
Süß wie Vögelein, zart wie Traum:
Webe, woge, Welle, wie
Weſtes Säuſelmelodie,
Wie die Schwalbe über's Meer
Zwitſchernd ſtreicht von Süden her,
Wie des Himmels Wolken thauen
Segen auf des Eilands Auen,
Wie die Muſchel knirrt am Strand,
Von der Düne rieſelt Sand.
Woge, Welle, ſachte, ſacht,
Daß der Triton nicht erwacht.
In der Hand das plumpe Horn
Schlummert er, am Strudelborn.
180
In der Muſchelhalle liegt er,
Seine grünen Zöpfe wiegt er;
Rieſ'le, Woge, Sand und Kies,
In des Bartes zottig 'Vließ.
Leiſe, leiſe, Wellenkreis,
Wie des Liebſten Ruder leiſ '
Streift dein leuchtend Glas entlang
Zu dem nächtlich ſüßen Gang;
Wenn das Boot, im Strauch geborgen,
Tändelt, ſchaukelt, bis zum Morgen.
In der Kammer flimmert Licht;
Ruhig, Kieſel, kniſtert nicht!
Das Lied verhaucht, wie Echo am Geſtade,
Und leiſer, leiſer wiegt ſich die Najade,
Beginnt ihr ſtrömend Flockenhaar zu breiten,
Läßt vom Korallenkamm die Tropfen gleiten,
Und ſachte ſtrehlend ſchwimmt ſie, wie ein Hauch,
Im Stral der dämmert durch den Nebelrauch;
Wie glänzt ihr Regenbogenſchleyer! o,
Die Sonne ſteigt, das Meer beginnt zu zittern,
Ein Silbernetz von Myriaden Flittern!
Mein Auge zündet ſich wo bin ich? wo?
Tief athmend ſaß ich auf, aus Weſten
Bohrte der ſchräge Sonnenſtral,
Es tropft 'und rieſelt von den Aeſten,
Die Lerche ſtieg im Aetherſaal;
181
Vom blanken Erzgewürfel traf
Mein Aug' ein Leuchten, ſchmerzlich flirrend,
Und in des Zuges Hauche ſchwirrend
Am Boden lag das Autograph.
So hab 'ich Donner, Blitz und Regenſchauer
Verträumt, in einer Sommerſtunde Dauer.
182

Die junge Mutter.

Im grün verhangnen duftigen Gemach,
Auf weißen Kiſſen liegt die junge Mutter;
Wie brennt die Stirn! ſie hebt das Auge ſchwach
Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
Den nackten Jungen reicht: mein armes Thier,
So flüſtert ſie, und biſt du auch gefangen
Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne pragen,
So haſt du deine Kleinen doch bei dir.
Den Vorhang hebt die graue Wärterin,
Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
Die Kranke dreht das ſchwere Auge hin,
Gefällig will ſie von dem Tranke nippen;
Er mundet ſchon, und ihre bleiche Hand
Faßt feſter den Kriſtall, o milde Labe!
Eliſabet, was macht mein kleiner Knabe?
Er ſchläft, verſetzt die Alte abgewandt.
Wie mag er zierlich liegen! Kleines Ding!
Und ſelig lächelnd ſinkt ſie in die Kiſſen;
Ob man den Schleyer um die Wiege hing,
Den Schleyer der am Erndtefeſt zerriſſen?
Man ſieht es kaum, ſie flickte ihn ſo nett,
Daß alle Frauen höchlich es geprieſen,
Und eine Ranke ließ ſie drüber ſprießen.
Was läutet man im Dom, Eliſabet?
183
Madame, wir haben heut Mariatag.
So hoch im Mond? ſie kann ſich nicht beſinnen.
Wie war es nur? doch ihr Gehirn iſt ſchwach,
Und leiſe ſuchend zieht ſie aus den Linnen
Ein Häubchen, in dem Strale kümmerlich
Läßt ſie den Faden in die Nadel gleiten;
So ganz verborgen will ſie es bereiten,
Und leiſe, leiſe zieht ſie Stich um Stich.
Da öffnet knarrend ſich die Kammerthür,
Vorſicht'ge Schritte über'n Teppich ſchleichen.
Ich ſchlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?
Der Gatte blickt verſtohlen himmelwärts,
Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände:
Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du biſt noch gar zu leidend, gutes Herz.
Du dufteſt Weihrauch, Mann. Ich war im Dom;
Schlaf, Kind ; und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
Spielt um ihr Aug 'von Auen, Blumen, Tannen.
Ach, wenn du wieder ſiehſt die grüne Au,
Siehſt über einem kleinen Hügel ſchwanken
Den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
Dann tröſte Gott dich, arme junge Frau!
184

Meine Sträuße.

So oft mir ward eine liebe Stund '
Unterm blauen Himmel im Freien,
Da habe ich, zu des Gedenkens Bund,
Mir Zeichen geflochten mit Treuen,
Einen ſchlichten Kranz, einen wilden Strauß,
Ließ drüber die Seele wallen;
Nun ſtehe ich einſam im ſtillen Haus,
Und ſehe die Blätter zerfallen.
Vergißmeinnicht mit dem Roſaband
Das waren dämmrige Tage,
Als euch entwandte der Freundin Hand
Dem Weiher drüben am Haage;
Wir ſchwärmten in wirrer Gefühle Flut,
In ſechzehnjährigen Schmerzen;
Nun ſchläft ſie lange. Sie war doch gut,
Ich liebte ſie recht von Herzen!
Gar weite Wege haſt du gemacht,
Camelia, ſtaubige Schöne,
In deinem Kelche die Flöte wacht,
Trompeten und Cymbelgetöne;
Wie zitterten durch das grüne Revier
Buntfarbige Lampen und Schleyer!
Da brach der zierliche Gärtner mir
Den Strauß beim bengaliſchen Feuer.
185
Dies Alpenröschen nährte mit Schnee
Ein eisgrau ſtarrender Rieſe;
Und dieſe Tange entfiſcht 'ich der See
Aus Muſchelgeſcherbe und Kieſe;
Es war ein volles, geſegnetes Jahr,
Die Trauben hiengen gleich Pfunden,
Als aus der Rebe flatterndem Haar
Ich dieſen Kranz mir gewunden.
Und ihr, meine Sträuße von wildem Haid ',
Mit lockerm Halme geſchlungen,
O ſüße Sonne, o Einſamkeit,
Die uns redet mit heimiſchen Zungen!
Ich hab' ſie gepflückt an Tagen ſo lind,
Wenn die goldenen Käferchen ſpielen,
Dann fühlte ich mich meines Landes Kind,
Und die fremden Schlacken zerfielen.
Und wenn ich grüble an meinem Teich,
Im duftigen Mooſe geſtrecket,
Wenn aus dem Spiegel mein Antlitz bleich
Mit rieſelndem Schauer mich necket,
Dann lang 'ich ſachte, ſachte hinab,
Und fiſche die träufelnden Schmehlen;
Dort hängen ſie, drüben am Fenſterſtab,
Wie arme vertrocknete Seelen.
So mochte ich ſtill und heimlich mir
Eine Zauberhalle bereiten,
Wenn es dämmert dort, und drüben, und hier,
Von den Wänden ſeh ich es gleiten;
186
Eine Fey entſchleicht der Camelia ſich,
Liebesſeufzer ſtöhnet die Roſe,
Und wie Blutes Adern umſchlingen mich
Meine Waſſerfäden und Mooſe.
187

Das Liebhabertheater.

Meinſt du, wir hätten jetzt Decemberſchnee?
Noch eben ſtand ich vor dem ſchönſten Hain,
So grün und kräftig ſah ich keinen je.
Die Windsbraut fuhr, der Donner knallte drein,
Und ſeine Zweige trotzten wie gegoſſen,
Gleich an des Parkes Thor ein Häuschen ſtand,
Mit Kränzen war geſchmückt die ſchlichte Wand,
Die haben nicht gezittert vor den Schloſſen,
Das nenn 'ich Kränze doch und einen Hain:
Und denkſt du wohl, wir hätten finſtre Nacht?
Des Morgens Gluten wallten eben noch,
Nothglühend, wie des Lavaſtromes Macht
Hernieder kniſtert von Veſuves Joch;
Nie ſah ſo prächtig man Auroren ziehen!
An unſre Augen ſchlugen wir die Hand,
Und dachten ſchier, der Felſen ſteh 'in Brand,
Die Hirten ſahn wir wie Dämone glühen;
Das nenn' ich einen Sonnenaufgang doch!
Und ſprichſt du unſres Landes Nymphen Hohn?
Noch eben ſchlüpfte durch des Forſtes Hau
Ein Mädchen, voll und ſinnig wie der Mohn,
Gewiß, ſie war die allerſchönſte Frau!
Ihr weißes Händchen hielt den blanken Spaten,
188
Der kleine Fuß, in Zwickelſtrumpf und Schuh,
Hob ſich ſo ſchwebend, trat ſo zierlich zu,
Und hör ', ich will es dir nur gleich verrathen,
Der ſchönen Clara glich ſie ganz genau.
Und ſagſt du, dieſe habe mein gelacht?
O hätteſt du ſie heute nur geſehn,
Wie ſchlau ſie meine Blicke hat bewacht,
Wie zärtlich konnte ihre Augen drehn,
Und welche ſüße Worte ihr entquollen!
Recht wo ich ſtand, dorthin hat ſie geweint:
Mein theures Herz, mein Leben, einz'ger Freund!
Das ſchien ihr von den Lippen nur zu rollen.
War das nicht richtig angebracht, und ſchön?
Doch Eins nur, Eines noch verhehlt 'ich dir,
Und fürchte ſehr, es trage wenig ein;
Der Wald war brettern und der Kranz Papier,
Das Morgenroth Bengalens Feuerſchein,
Und als ſie ließ ſo ſüße Worte wandern,
Ach, ob ſie gleich dabei mich angeblickt,
Der dicht an das Orcheſter war gerückt,
Doch fürcht' ich faſt, ſie galten einem Andern!
Was meinſt du, ſollte das wohl möglich ſeyn?
189

Die Taxuswand.

Ich ſtehe gern vor dir,
Du Fläche ſchwarz und rauh,
Du ſchartiges Viſier
Vor meines Liebſten Brau ',
Gern mag ich vor dir ſtehen,
Wie vor grundirtem Tuch,
Und drüber gleiten ſehen
Den bleichen Krönungszug;
Als mein die Krone hier,
Von Händen die nun kalt;
Als man geſungen mir
In Weiſen die nun alt;
Vorhang am Heiligthume,
Mein Paradieſesthor,
Dahinter Alles Blume,
Und Alles Dorn davor.
Denn jenſeits weiß ich ſie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
Mit glühen Lippen trank,
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Stral,
Als noch mein Ruf erſchallte,
Ein Hornſtoß, durch das Thal.
190
Das zarte Epheureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte, und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer ſchleichen
Nur an dein dunkles Tuch,
Und achtzehn Jahre ſtreichen
Aus meinem Lebensbuch.
Du ſtarrteſt damals ſchon
So düſter treu wie heut ',
Du, unſrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man ſagt daß Schlaf, ein ſchlimmer,
Dir aus den Nadeln raucht,
Ach, wacher war ich nimmer,
Als rings von dir umhaucht!
Nun aber bin ich matt,
Und möcht an deinem Saum
Vergleiten, wie ein Blatt
Geweht vom nächſten Baum;
Du lockſt mich wie ein Hafen,
Wo alle Stürme ſtumm,
O, ſchlafen möcht ich, ſchlafen,
Bis meine Zeit herum!
191

Nach fünfzehn Jahren.

Wie hab 'ich doch ſo manche Sommernacht,
Du düſtrer Saal, in deinem Raum verwacht!
Und du, Balkon, auf dich bin ich getreten,
Um leiſe für ein theures Haupt zu beten,
Wenn hinter mir aus des Gemaches Tiefen
Wie Hülfewimmern bange Seufzer riefen,
Die Odemzüge aus geliebtem Mund;
Ja, bitter weint' ich o Erinnerung!
Doch trug ich muthig es, denn ich war jung,
War jung noch und geſund.
Du Bett mit ſeidnem Franzenhang geziert,
Wie hab 'ich deine Falten oft berührt,
Mit leiſer leiſer Hand gehemmt ihr Rauſchen,
Wenn ich mich beugte durch den Spalt zu lauſchen,
Mein Haupt ſo müde daß es ſchwamm wie trunken,
So matt mein Knie daß es zum Grund geſunken!
Mechaniſch löſte ich der Zöpfe Bund
Und ſucht im friſchen Trunk Erleichterung;
Ach, Alles trägt man leicht, iſt man nur jung,
Nur jung noch und geſund!
Und als die Roſe, die am Stock erblich,
Sich wieder auf die kranke Wange ſchlich,
Wie hab 'ich an dem Pfeilertiſche drüben
Dem Töchterchen geringelt ſeine lieben
192
Goldbraunen Löckchen! wie ich mich befliſſen,
Eh ich es führte an der Mutter Kiſſen!
Und gute Sitte flüſtert' ich ihm ein,
Gelobte ihm die Fabel von dem Schaf
Und ſieben Zicklein, wenn es wolle brav,
Recht brav und ſittig ſeyn.
Und dort die Hütte in der Tannenſchlucht,
Da naſchten ſie und ich der Rebe Frucht,
Da fühlten wir das Blut ſo keimend treiben,
Als müſſ 'es immer friſch und ſchäumend bleiben;
Des Ueberſtandnen lachten wir im Hafen:
Wie ich geſchwankt, wie ſtehend ich geſchlafen;
Und wandelten am Raſenſtreifen fort,
Und muſterten der Stämmchen ſchlanke Reihn,
Und ſchwärmten, wie es müſſe reizend ſeyn
Nach fünfzehn Jahren dort!
O fünfzehn Jahre, lange öde Zeit!
Wie ſind die Bäume jetzt ſo ſtarr und breit!
Der Hütte Thür vermocht ich kaum zu regen,
Da ſchoß mir Staub und wüſt Gerüll entgegen,
Und an dem blanken Gartenſaale drüben
Da ſteht 'ne ſchlanke Maid mit ihrem Lieben,
Die ſchaun ſich lächelnd in der Seele Grund,
In ihren braunen Locken rollt der Wind;
Gott ſegne dich, du biſt geliebt, mein Kind,
Biſt fröhlich und geſund!
Sie aber die vor Luſtern dich gebar,
Wie du ſo ſchön, ſo friſch und jugendklar,
193
Sie ſteht mit Einer an des Parkes Ende
Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,
Mit Einer, wie du nimmer möchteſt denken,
So könne deiner Jugend Fluth ſich ſenken;
Sie ſchaun ſich an, du nennſt vielleicht es kalt,
Zwei ſtarre Stämme, aber ſonder Wank
Und ſonder Thränenquell, denn ſie ſind krank,
Ach, Beide krank und alt!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 13194

Der kranke Aar.

Am dürren Baum, im fetten Wieſengras
Ein Stier behaglich wiederkäut 'den Fraß;
Auf niederm Aſt ein wunder Adler ſaß,
Ein kranker Aar mit gebrochnen Schwingen.
Steig 'auf, mein Vogel, in die blaue Luft,
Ich ſchau dir nach aus meinem Kräuterduft.
Weh, weh, umſonſt die Sonne ruft
Den kranken Aar mit gebrochnen Schwingen!
O Vogel, warſt ſo ſtolz und freventlich
Und wollteſt keine Feſſel ewiglich!
Weh, weh, zu Viele über mich,
Und Adler all, brachen mir die Schwingen!
So flattre in dein Neſt, vom Aſte fort,
Dein Aechzen ſchier die Kräuter mir verdorrt.
Weh, weh, kein Neſt hab 'ich hinfort,
Verbannter Aar mit gebrochnen Schwingen!
O Vogel, wärſt du eine Henne doch,
Dein Neſtchen hätteſt du, im Ofenloch.
Weh, weh, viel lieber ein Adler noch,
Viel lieber ein Aar mit gebrochnen Schwingen!
195

Sit illi terra levis!

So ſonder Arg haſt du in dieſem Leben
Mich deinen allerbeſten Freund genannt,
Haſt mir ſo oft gereicht die hagre Hand,
Hab 'ich gelächelt, mag mir Gott vergeben.
Die Schlange wacht in jedes Menſchen Bruſt,
Was ich dir bot, es war doch treue Gabe,
Und hier bekenn' ich es, an deinem Grabe,
Du warſt mir lieber als ich es gewußt.
Ob ich auch nie zu jenen mich geſellte,
Die lachend deine Einfalt angeſchaut;
Des Hauptes, das in Ehren war ergraut,
Verhöhnung immer mir die Adern ſchwellte;
Doch erſt wo aller Menſchen Witz verſiegt,
Ein armer Tropfen in Egyptens Sande,
Hier erſt erkenn 'ich, an der Seelen Brande,
Wie ſchwer des Auges warme Thräne wiegt.
Sah ich ſie nicht an deine Wimper ſteigen,
Wenn du dem fremden Leide dich geeint?
Haſt du nicht meinen Todten nachgeweint,
So heiß wie deines eignen Blutes Zweigen?
O! wenn ich in der Freude deß vergaß,
Mit bitterm Herzen muß ich es beklagen,
Denn von des Schickſals harter Hand geſchlagen,
Wie gern ich dann in deinem Auge las!
196
Noch ſeh ich dich im Hauch des Winterbrodems
Herſtapfen, wie den irren Haidegeiſt,
Wenn Tropf 'an Tropfen deiner Stirn entfleußt,
Hör noch das Keuchen deines armen Odems.
Es waren ſchlimme Wege, rauh und weit,
Die du gewandelt manche Winterwende,
Um des Altares heil'ge Gnadenſpende
Zu tragen mir in meine Einſamkeit.
O manchem Spötter gabſt du ernſt Gedenken,
Wenn höhnend deine kleine Hab 'er prieß,
Für ſchlechtes Ding dir Tauſende verhieß,
Und du nur glücklich warſt ihn zu beſchenken!
So werth war dir kein Gut, ſo ehrenreich,
Daß du es nicht mit Freuden hingegeben,
Dann ſah man deine Lippen freundlich beben,
Und zucken wie das Dämmerlicht im Teich.
An deinem Kleide, ſchwarz und Fadenſcheinend,
War jeder Fleck ein heimlich Ehrenmaal,
Du frommer Dieb am Eignen! ohne Wahl
Das Schlechteſte dir noch genugſam meinend.
Mann ohne Falſch und mit der offnen Hand,
Drin wie Demant der Wittwe Heller blinken,
Sanft ſoll der Thau auf deinen Hügel ſinken,
Und leicht, leicht ſey dir das geweihte Land!
Schlaf ſanft, ſchlaf ſtill in deinem grünen Bette,
Dir überm Haupt des Glaubens fromm Simbol,
Die Welt vergißt, der Himmel kennt dich wohl,
Ein Engel wacht an dieſer ſchlichten Stätte.
197
Auch eine Thräne wird dir nachgeweint,
Und wahrlich keine falſche: ach ſie haben,
Sie haben einen guten Mann begraben,
Und mir, mir war er mehr mein wärmſter Freund.
198

Die Unbeſungenen.

'S giebt Gräber wo die Klage ſchweigt,
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimper ſteigt,
Und doch die Lava drinnen fluthet;
'S giebt Gräber, die wie Wetternacht
An unſerm Horizonte ſtehn
Und alles Leben niederhalten,
Und doch, wenn Abendroth erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn
Wie milde Seraphimgeſtalten.
Zu heilig ſind ſie für das Lied,
Und mächtge Redner doch vor Allen,
Sie nennen dir was nimmer ſchied,
Was nie und nimmer kann zerfallen;
O, wenn dich Zweifel drückt herab,
Und möchteſt athmen Aetherluft,
Und möchteſt ſchauen Seraphsflügel,
Dann tritt an deines Vaters Grab!
Dann tritt an deines Bruders Gruft!
Dann tritt an deines Kindes Hügel!
199

Das Spiegelbild.

Schauſt du mich an aus dem Kriſtall,
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich die im Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
Zwei Seelen wie Spione ſich
Umſchleichen, ja, dann flüſtre ich:
Phantom, du biſt nicht meines Gleichen!
Biſt nur entſchlüpft der Träume Hut,
Zu eiſen mir das warme Blut,
Die dunkle Locke mir zu blaſſen;
Und dennoch, dämmerndes Geſicht,
Drin ſeltſam ſpielt ein Doppellicht,
Träteſt du vor, ich weiß es nicht,
Würd 'ich dich lieben oder haſſen?
Zu deiner Stirne Herrſcherthron,
Wo die Gedanken leiſten Frohn
Wie Knechte, würd ich ſchüchtern blicken;
Doch von des Auges kaltem Glaſt,
Voll todten Lichts, gebrochen faſt,
Geſpenſtig, würd, ein ſcheuer Gaſt,
Weit, weit ich meinen Schemel rücken.
Und was den Mund umſpielt ſo lind,
So weich und hülflos wie ein Kind,
200
Das möcht in treue Hut ich bergen;
Und wieder, wenn er höhnend ſpielt,
Wie von geſpanntem Bogen zielt,
Wenn leiſ 'es durch die Züge wühlt,
Dann möcht ich fliehen wie vor Schergen.
Es iſt gewiß, du biſt nicht Ich,
Ein fremdes Daſeyn, dem ich mich
Wie Moſes nahe, unbeſchuhet,
Voll Kräfte die mir nicht bewuſt,
Voll fremden Leides, fremder Luſt;
Gnade mir Gott, wenn in der Bruſt
Mir ſchlummernd deine Seele ruhet!
Und dennoch fühl ich, wie verwandt,
Zu deinen Schauern mich gebannt,
Und Liebe muß der Furcht ſich einen.
Ja, träteſt aus Kriſtalles Rund,
Phantom, du lebend auf den Grund,
Nur leiſe zittern würd ich, und
Mich dünkt ich würde um dich weinen!
201

Neujahrsnacht.

Im grauen Schneegeſtöber blaſſen
Die Formen, es zerfließt der Raum,
Laternen ſchwimmen durch die Gaſſen,
Und leiſe kniſtert es im Flaum;
Schon naht des Jahres letzte Stunde,
Und drüben, wo der matte Schein
Haucht aus den Fenſtern der Rotunde,
Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte,
Ob deſſen Haupt die Wage neigt,
Noch einmal ſchleicht eh der verhängte,
Der ſchwere Tag im Oſten ſteigt,
Noch einmal faltet ſeine Hände
Um milden Spruch, ſo knien ſie dort,
Still gläubig, daß ihr Flehen wende
Des Jahres ernſtes Loſungswort.
Ich ſehe unter meinem Fenſter
Sie gleiten durch den Nebelrauch,
Verhüllt und lautlos wie Geſpenſter,
Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch;
Ein blaſſer Kreis zu ihren Füßen
Zieht über den verſchneiten Grund,
Lichtfunken blitzen auf und ſchießen
Um der Laterne dunſtig Rund.
202
Was mögen ſie im Herzen tragen,
Wie manche Hoffnung, ſtill bewacht!
Wie mag es unterm Vließe ſchlagen
So heiß in dieſer kalten Nacht!
Fort keuchen ſie, als möge fallen
Der Hammer, eh ſie ſich gebeugt,
Bevor ſie an des Thrones Hallen
Die letzte Bittſchrift eingereicht.
Dort hör ich eine Angel rauſchen,
Vernehmlich wird des Kindes Schreyn,
Und die Geſtalt ſie ſcheint zu lauſchen,
Dann fürder ſchwimmt der Lampe Schein;
Noch einmal ſteigt ſie, läßt die Schimmer
Verzittern an des Fenſters Rand,
Gewiß, ſie trägt ein Frauenzimmer,
Und einer Mutter fromme Hand!
Nun ſtampft es rüſtig durch die Gaſſe,
Die Decke kracht vom ſchweren Tritt,
Der Krämer ſchleppt die Sündenmaſſe
Der böſen Zahler keuchend mit;
Und hinter ihm wie eine Docke
Ein armes Kind im Flitterſtaat,
Mit ſeidnem Fähnchen, ſeidner Locke,
Huſcht frierend durch den engen Pfad.
Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!
Glutaugen richtend in die Höh ',
' Ne koloſſale Feuerfliege,
Rauſcht die Karoſſe durch den Schnee;
203
Und Dämpfe qualmen auf und ſchlagen
Zurück vom Wirbel des Geſpanns;
Ja, ſchwere Bürde trägt der Wagen,
Die Wünſche eines reichen Manns!
Und hinter ihm ein Licht ſo ſchwankend,
Der Träger tritt ſo ſachte auf,
Nun lehnt er an der Mauer, wankend,
Sein hohler Huſten ſchallt hinauf;
Er öffnet der Laterne Reifen,
Es zupfen Finger lang und fahl
Am Dochte, Odemzüge pfeifen,
Du, Armer, knieſt zum letztenmal.
Dann Licht an Lichtern längs der Mauer,
Wie Meteore irr geſchaart,
Ein krankes Weib, in tiefer Trauer,
Huſaren mit bereiftem Bart,
In Filz und Kittel ſtämmge Bauern,
Den Roſenkranz in ſtarrer Fauſt,
Und Mädchen die wie Falken lauern,
Von Mantels Fittigen umſauſt.
Wie oft hab 'ich als Kind im Spiele
Gelauſcht den Funken im Papier,
Der Sternchen zitterndem Gewühle,
Und: Kirchengänger! ſagten wir;
So ſeh' ichs wimmeln um die Wette
Und löſchen, wo der Pfad ſich eint,
Nachzügler noch, dann grau die Stätte,
Nur einſam die Rotunde ſcheint.
204
Und mählig ſchwellen Orgelklänge
Wie Heroldsrufe an mein Ohr:
Knie nieder, Läſſiger, und dränge
Auch deines Herzens Wunſch hervor!
Du, dem Jahrtauſende verrollen
Secundengleich, erhalte mir
Ein muthig Herz, ein redlich Wollen,
Und Faſſung an des Grabes Thür.
Da, horch! es ſummt durch Wind und Schloſſen,
Gott gnade uns, hin iſt das Jahr!
Im Schneegeſtäub 'wie Schnee zerfloſſen,
Zukünftiges wird offenbar;
Von allen Thürmen um die Wette
Der Hämmer Schläge, daß es ſchallt,
Und mit dem letzten iſt die Stätte
Gelichtet für den neuen Wald.
205

Der Todesengel.

'S giebt eine Sage, daß wenn plötzlich matt '
Unheimlich Schaudern Einen übergleite,
Daß dann ob ſeiner künft'gen Grabesſtatt
Der Todesengel ſchreite.
Ich hörte ſie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So ſchaurig ſchön, wie's wohl zuweilen quillt
Im ſchwimmenden Gehirne.
In ſeiner Hand ſah ich den Ebenſtab
Mit leiſem Strich des Bettes Lage meſſen,
So weit das Haupt ſo weit der Fuß hinab!
Verſchüttet und vergeſſen!
Mich graute, doch ich ſprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt 'ich aus der Todtenkron'
Ein Lorbeerblatt zu langen.
O, manche Stunde denk ich jetzt daran,
Fühl 'ich mein Blut ſo matt und ſtockend ſchleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an
Ich mag es nicht vergleichen;
206
Als ich zuerſt dich auf dem Friedhof fand,
Tiefſinnig um die Monumente ſtreifend,
Den ſchwarzen Ebenſtab in deiner Hand
Entlang die Hügel ſchleifend;
Als du das Auge hobſt, ſo ſcharf und nah,
Ein leiſes Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl iſt der Todesengel da
Ueber mein Grab gegangen!
207

Abſchied von der Jugend.

Wie der zitternde Verbannte
Steht an ſeiner Heimath Gränzen,
Rückwärts er das Antlitz wendet,
Rückwärts ſeine Augen glänzen,
Winde die hinüber ſtreichen,
Vögel in der Luft beneidet,
Schaudernd vor der kleinen Scholle,
Die das Land vom Lande ſcheidet;
Wie die Gräber ſeiner Todten,
Seine Lebenden, die ſüßen,
Alle ſtehn am Horizonte,
Und er muß ſie weinend grüßen;
Alle kleinen Liebesſchätze,
Unerkannt und unempfunden,
Alle ihn wie Sünden brennen
Und wie ewig offne Wunden;
So an ſeiner Jugend Scheide
Steht ein Herz voll ſtolzer Träume,
Blickt in ihre Paradieſe
Und der Zukunft öde Räume,
Seine Neigungen, verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle ſtehn am Horizonte,
Wollen ihre Thräne haben.
208
Und die Jahre die ſich langſam,
Tückiſch reihten aus Minuten,
Alle brechen auf im Herzen,
Alle nun wie Wunden bluten;
Mit der armen kargen Habe,
Aus ſo reichem Schacht erbeutet,
Muthlos, ein gebrochner Wandrer,
In das fremde Land er ſchreitet.
Und doch iſt des Sommers Garbe
Nicht geringer als die Blüthen,
Und nur in der feuchten Scholle
Kann der friſche Keim ſich hüten;
Ueber Fels und öde Flächen
Muß der Strom, daß er ſich breite,
Und es ſegnet Gottes Rechte
Uebermorgen ſo wie heute.
209

Was bleibt.

Seh 'ich ein Kind zur Weihnachtsfriſt,
Ein roſig Kind mit Taubenaugen,
Die Kunde von dem kleinen Chriſt
Begierig aus den Lippen ſaugen,
Aufhorchen, wenn es rauſcht im Tann,
Ob draußen ſchon ſein Pferdchen ſchnaube:
O Unſchuld, Unſchuld, denk ich dann,
Du zarte, ſcheue, flüchtge Taube!
Und als die Wolke kaum verzog,
Studenten klirrten durch die Straßen,
Und: » Vivat Bona! « donnert's hoch,
So keck und fröhlich ſonder Maßen;
Sie ſchaarten ſich wie eine Macht,
Die gegen den Koloß ſich bäume:
O Hoffnung , hab 'ich da gedacht,
Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!
Und ihnen nach ein Reiter ſtampft,
Geſchmückt mit Kreuz und Epaulette,
Den Tzacko lüftet er, es dampft
Wie Oefen ſeines Scheitels Glätte;
Kühn war der Blick, der Arm noch ſtramm,
Doch droben ſchwebt 'der Zeitenrabe:
Da ſchien mir Kraft ein Meeresdamm,
Den jeder Pulsſchlag untergrabe.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 14210
Und wieder durch die Gaſſe zog
Studentenhauf, und vor dem Hauſe
Des Rektors dreimal hurrah hoch!
Und wieder hoch! aus ſeiner Klauſe,
In Zipfelmütze und Flanell,
Ein Schemen nickt am Fenſterbogen.
Ha , dacht ich, Ruhm, du Mordgeſell,
Kömmſt nur als Leichenhuhn geflogen!
An meine Wange haucht 'es dicht,
Und wie das Haupt ich ſeitwärts regte,
Da ſah ich in das Angeſicht
Der Frau, die meine Kindheit pflegte,
Dies Antlitz wo Erinnerung
Und werthe Gegenwart ſich paaren:
O Liebe , dacht ich, ewig jung,
Und ewig friſch bei grauen Haaren!
[211]

Scherz und Ernſt.

[212][213]

Dichters Naturgefühl.

Es war an einem jener Tage,
Wo Lenz und Winter ſind im Streit,
Wo naß das Veilchen klebt am Haage,
Kurz, um die erſte Maienzeit;
Ich ſuchte keuchend mir den Weg
Durch ſumpfge Wieſen, dürre Raine,
Wo matt die Kröte hockt 'am Steine,
Die Eidechs ſchlüpfte über'n Steg.
Durch hundert kleine Waſſertruhen,
Die wie verkühlter Spüligt ſtehn,
Zu ſtelzen mit den Gummiſchuhen,
Bei Gott, heißt das Spazierengehn?
Natur, wer auf dem Haberrohr
In Jamben, Stanzen, ſüßen Phraſen
So manches Loblied dir geblaſen,
Dem ſtell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück den Schleier wehen
Die eitle vielbeſungne Frau,
Als fürchte ſie des Dichters Schmähen;
Im Sonnenlichte ſtand die Au,
214
Und bei dem erſten linden Stral
Stieg eine Lerche aus den Schollen,
Und ließ ihr Tirilirum rollen
Recht wacker durch den Aetherſaal.
Die Quellchen, glitzernd wie Kriſtallen,
Die Zweige, glänzend emaillirt
Das kann dem Kenner ſchon gefallen,
Ich nickte lächelnd: es paſſirt!
Und ſtapfte fort in eine Schluft,
Es war ein ſtill und ſonnig Fleckchen,
Wo tauſend Anemonenglöckchen
Umgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp'ge Moos der Lerchen Lieder
Der Blumen Flor des Krautes Keim
Auf meinen Mantel ſaß ich nieder
Und ſann auf einen Frühlingsreim.
Da alle Muſen, welch ein Ton!
Da kam den Rain entlang geſungen
So eine Art von dummen Jungen,
Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Epheukranz im flächsnen Haare,
In ſeiner Hand den Veilchenſtrauß,
So trug er ſeine achtzehn Jahre
Romantiſch in den Lenz hinaus.
Nun ſchlüpft er durch des Hagens Loch,
Nun hing er an den Dornenzwecken
Wie Abrams Widder in den Hecken,
Und in den Dornen pfiff er noch.
215
Bald hatt 'er beugend, gleitend, ſpringend,
Den Blumenanger abgegrast,
Und rief nun, ſeine Mähnen ſchwingend:
Viktoria, Trompeten blast!
Dann flüſtert er mit ſüßem Hall:
O, wären es die ſchwed'ſchen Hörner!
Und dann begann ein Lied von Körner;
Fürwahr du biſt' ne Nachtigall!
Ich ſah ihn, wie er an dem Walle
Im feuchten Mooſe niederſaß,
Und nun die Veilchen, Glöckchen alle
Mit ſel'gem Blick zu Sträußen las,
Auf ſeiner Stirn den Sonnenſtral;
Mich faßt 'ein heimlich Unbehagen,
Warum? ich weiß es nicht zu ſagen,
Der fade Burſch war mir fatal.
Noch war ich von dem blinden Heſſen
Auf meinem Mantel nicht geſehn,
Und ſo begann ich zu ermeſſen,
Wie übel ihm von Gott geſchehn;
O Himmel, welch 'ein traurig Loos,
Das Schickſal eines dummen Jungen,
Der zum Copiſten ſich geſchwungen
Und auf den Schreiber ſteuert los!
Der in den kargen Feierſtunden
Romane von der Zofe borgt,
Beklagt des Löwenritters Wunden
Und ſeufzend um den Poſa ſorgt,
216
Der ſeine Zelle, kalt und klein,
Schmückt mit Aladdins Zaubergabe,
Und an dem Quell, wie Schillers Knabe,
Violen ſchlingt in Kränzelein!
In deſſen wirbelndem Gehirne
Das Leben ſpuckt gleich einer Fey,
Der haſtig fuhr ich an die Stirne:
Wie, eine Mücke ſchon im Mai?
Und trabte zu der Schlucht hinaus,
Hohl huſtend, mit beklemmter Lunge,
Und drinnen blieb der dumme Junge,
Und pfiff zu ſeinem Veilchenſtrauß!
217

Der Theetiſch.

Läugnen willſt du Zaubertränke,
Lachſt mir höhniſch in die Zähne,
Wenn Iſoldens ich gedenke,
Wenn Gudrunens ich erwähne?
Und was deine kluge Amme
In der Dämmrung dir vertraute,
Von Schneewittchen und der Flamme,
Die den Hexenſchwaden braute;
Alles will dir nicht genügen,
Ueberweiſer Mückenſieber?
Nun, ſo laß die Feder liegen,
Schieb dich in den Cirkel, Lieber,
Wo des zopfigen Chineſen
Trank im Silberkeſſel ziſchet,
Sein Aroma auserleſen
Mit des Patſchul's Düften miſchet;
Wo ein ſchöner Geiſt, den Bogen
Feingefältelt in der Taſche,
Lauſcht wie in den Redewogen
Er das Steuer ſich erhaſche;
218
Wo in zarten Händen hörbar
Blanke Nadelſtäbe knittern,
Und die Herren ſtramm und ehrbar
Breiten ihrer Weisheit Flittern.
Alles ſcheint dir noch gewöhnlich,
Von der Sohle bis zum Scheitel,
Und du rufſt, dem Weiſen ähnlich:
Alles unter'm Mond iſt eitel!
Dir genüber und zur Seite
Hier Chriſtinos, dort Carliſten,
Lauter ordinäre Leute,
Deutſche Michel, gute Chriſten!
Aber ſieh die weißen ſchmalen
Finger ſich zum Griff bereiten,
Und die dampfumhüllten Schalen
Zierlich an die Lippen gleiten:
Noch Minuten und die Stube
Iſt zum Kiosk umgeſtaltet,
Wo der thränenreiche Bube,
Der Chineſe zaubernd waltet;
Von der roſenfarbnen Rolle
Lieſt er ſeine Zauberreime,
Verſe, zart wie Seidenwolle,
Süß wie Jungfernhonigſeime;
219
Ting, tang, tong das ſteigt und ſinket,
Welch Geſäuſel, welches Ziſchen!
Wie ein irres Hündlein hinket
Noch ein deutſches Wort dazwiſchen.
Und die ſüßen Damen lächeln,
Leiſe ſchaukelnde Pagoden;
Wie ſie nicken, wie ſie fächeln,
Wie der Knäuel hüpft am Boden!
Aber, weh, nun wird's gefährlich,
Tſchi, tſi, tſung. Die Töne ſchneiden,
Schnell hinweg die Meſſer! ſchwerlich
Ueberſteht er ſolche Leiden;
Denn er ſchaukelt und er dehnet
Ob der Zauberſchale Rauche;
Weh, ich fürcht 'am Boden ſtöhnet
Bald er mit geſchlitztem Bauche!
Und die eingeſchreckten Frauen
Sitzen ſtumm und abgetakelt,
Nur das ſchwanke Haupt vor Grauen
Noch im Pendelſchwunge wackelt;
Tiefe Stille im Gemache
Thrän 'im Auge Kummermiene,
Und wie Glöckchen an dem Dache
Spielt die ſiedende Maſchine;
220
Alle die geſenkten Köpfe
Blinzelnd nach des Tiſches Mitten,
Wo die Brezel ſtehn, wie Zöpfe
In Verzweiflung abgeſchnitten;
Suche ſacht nach deinem Hute,
Freund, entſchleiche unterm Leſen,
Sonſt, ich ſchwör's bei meinem Blute,
Zaubern ſie dich zum Chineſen,
Löſt ſich deines Frackes Wedel,
Unwillkührlich mußt du ziſchen,
Und von deinem weißen Schädel
Fühlſt du Haar um Haar entwiſchen,
Bis dir blieb nur Eine Locke
Von des dunklen Wulſtes Drängen,
Dich damit, lebend'ge Glocke,
An dem Kiosk aufzuhängen.
221

Die Nadel im Baume.

Vor Zeiten, ich war ſchon groß genug,
Hatt 'die Kinderſchuhe vertreten,
Nicht alt war ich, doch eben im Zug'
Zu Sankt Andreas zu beten,
Da bin ich gewandelt, Tag für Tag,
Das Feld entlang mit der Kathi;
Ob etwas Liebes im Wege lag?
Tempi passati passati!
Und in dem Haideland ſtand ein Baum,
Eine ſchlanke ſchmächtige Erle,
Da ſaßen wir oft in wachendem Traum,
[Und] horchten dem Schlage der Merle;
Die hatte ihr ſtruppiges Neſt gebaut,
Grad in der ſchwankenden Krone,
Und hat ſo keck hernieder geſchaut
Wie ein Gräflein vom winzigen Throne.
Wir kosten ſo viel und gingen ſo lang ',
Daß drüber der Sommer verfloſſen;
Dann hieß es: Scheiden, o weh wie bang!
Viel Thränen wurden vergoſſen;
Die Hände hielten wir ſtumm gepreßt,
Da zog ich aus flatternder Binde
Eine blanke Nadel, und drückte feſt
Sie, feſt in die ſaftige Rinde;
222
Und drunter merkte ich Tag und Stund ',
Dann ſind wir fürder gezogen,
So kläglich ſchluchzend aus Herzensgrund,
Daß ſchreiend die Merle entflogen;
O junge Seelen ſind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit ſchleichendem Gang,
Verrannen gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem luſtigen Volke;
Die ſchleuderten Stäbe, und ſchrieen Halloh!
Die ſprudelten Witze wie Schloſſen,
Mir ward's im Herzen gar keck und froh,
Muthwillig wie unter Genoſſen.
Da plötzlich rauſcht 'es im dichten Gezweig,
Eine Merle , rief's, eine Merle!
Ich fuhr empor ward ich etwa bleich?
Ich ſtand an der alternden Erle;
Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,
Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,
Als ich ſah, daß die alte Nadel es war,
Meine roſtige Nadel im Stamme!
Drauf hab 'ich genommen ganz ſtill in Schau
Die Inſchrift, zu eigenem Frommen,
Und fühlte dann plötzlich, es ſteige der Thau,
Und werde mir ſchwerlich bekommen.
223
Ich will nicht klagen, mir blieb ein Hort,
Den roſten nicht Wetter und Wogen,
Allein für immer, für immer iſt fort
Der Schleier vom Auge gezogen!
224

Die beſchränkte Frau.

Ein Krämer hatte eine Frau,
Die war ihm ſchier zu ſanft und milde,
Ihr Haar zu licht, ihr Aug 'zu blau,
Zu gleich ihr Blick dem Mondenſchilde;
Wenn er ſie ſah ſo ſtill und ſacht
Im Hauſe gleiten wie ein Schemen,
Dann faßt es ihn wie böſe Macht,
Er mußte ſich zuſammen nehmen.
Vor Allem macht ihm Ueberdruß
Ein Wort, das ſie an Alles knüpfte,
Das freilich in der Rede Fluß
Gedankenlos dem Mund entſchlüpfte:
In Gottes Namen , ſprach ſie dann,
Wenn ſchwere Prüfungsſtunden kamen,
Und wenn zu Weine ging ihr Mann,
Dann ſprach ſie auch: in Gottes Namen.
Das ſchien ihm lächerlich und dumm,
Mitunter frevelhaft vermeſſen;
Oft ſchalt er und ſie weinte drum,
Und hat es immer doch vergeſſen.
Gewöhnung war es früher Zeit
Und klöſterlich verlebter Jugend;
So war es keine Sündlichkeit
Und war auch eben keine Tugend.
225
Ein Sprichwort ſagt: wem gar nichts fehlt,
Den ärgert an der Wand die Fliege;
So hat dies Wort ihn mehr gequält,
Als Andre Hinterliſt und Lüge.
Und ſprach ſie ſanft: es paßte ſchlecht!
Durch Demuth ſeinen Groll zu zähmen,
So ſchwur er, übel oder recht,
Werd 'es ihn ärgern und beſchämen.
Ein Blüthenhaag war ſeine Luſt.
Einſt ſah die Frau ihn ſinnend ſtehen,
Und ganz verſunken, unbewußt,
So Zweig an Zweig vom Strauche drehen;
In Gottes Namen! rief ſie, Mann,
Du ruinirſt den ganzen Hagen!
Der Gatte ſah ſie grimmig an,
Fürwahr, faſt hätt 'er ſie geſchlagen.
Doch wer da Unglück ſucht und Reu,
Dem werden ſie entgegen eilen,
Der Handel iſt ein zart Gebäu,
Und ruht gar ſehr auf fremden Säulen.
Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht,
Ein Gläub'ger will ſich nicht gedulden,
Und eh ein halbes Jahr verzieht
Weiß unſer Krämer ſich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft geſehn
Gedankenvoll im Sande waten,
Am Contobuche ſeufzend ſtehn,
Und hat ihn endlich auch errathen;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte 15226
Sie öffnet heimlich ihren Schrein,
Langt aus verborgner Fächer Grube,
Dann, leiſe wie der Mondenſchein,
Schlüpft ſie in ihres Mannes Stube.
Der ſaß, die ſchwere Stirn geſtützt,
Und rauchte fort am kalten Rohre:
Carl! drang ein ſcheues Flüſtern itzt,
Und wieder Carl! zu ſeinem Ohre;
Sie ſtand vor ihm, wie Blut ſo roth,
Als gält 'es eine Schuld geſtehen.
Carl ſprach ſie, wenn uns Unheil droht,
Iſt's denn unmöglich, ihm entgehen?
Drauf reicht ſie aus der Schürze dar
Ein Säckchen, ſtramm und ſchwer zu tragen,
Drinn Alles was ſie achtzehn Jahr
Erſpart am eigenen Behagen.
Er ſah ſie an mit raſchem Blick,
Und zählte, zählte nun auf's Neue,
Dann ſprach er ſeufzend: mein Geſchick
Iſt zu verwirrt, dies langt wie Spreue!
Sie bot ein Blatt, und wandt 'ſich um,
Erzitternd, glüh gleich der Granate;
Es war ihr kleines Eigenthum,
Das Erbtheil einer frommen Pathe.
Nein ſprach der Mann, das ſoll nicht ſeyn!
Und klopfte freundlich ihre Wangen.
Dann warf er einen Blick hinein
Und ſagte dumpf: ſchier möcht' es langen.
227
Nun nahm ſie, aus der Schürze Grund,
All ihre armen Herrlichkeiten,
Theelöffelchen, Dukaten rund,
Was ihr geſchenkt von Kindeszeiten.
Sie gab es mit ſo freud'gem Zug!
Doch war's als ob ihr Mund ſich regte,
Als ſie zuletzt auf's Contobuch
Der ſel'gen Mutter Trauring legte.
Faſt langt es , ſprach gerührt der Mann,
Und dennoch kann es ſchmählich enden;
Willſt du dein Leben dann fortan,
Geplündert, friſten mit den Händen?
Sie ſah ihn an, nur Liebe weiß
An liebem Blicke ſo zu hangen
In Gottes Namen! ſprach ſie leis,
Und weinend hielt er ſie umfangen.
228

Die Stubenburſchen.

Sie waren Beide froh und gut,
Und mochten ungern ſcheiden;
Die Jahre fliehn, es liſcht der Muth,
Der Tag bringt Freud 'und Leiden,
Geſchäft will Zeit und Zeit iſt ſchnell,
So unterblieb das Schreiben,
Doch öfters ſprach Emanuel:
Was mag der Franzel treiben!
Da trat einſt Wintermorgens früh
Ein Mann in ſeine Stube,
Seltſam verſchabt wie ein Genie,
Und hager wie Coeur Bube,
Sah ihn ſo glau und pfiffig an,
Und blinzelt vor Behagen:
Emanuel, du Hampelmann!
Willſt du mir denn nichts ſagen?
Er iſt es! rief der Doktor aus,
Und reicht ihm beide Hände.
Willkomm, Willkomm! wie ſiehſt du aus?
Ei, munter und behende.
Ha rief der Andre, Sapperment,
Man ſieht, du darfſt nicht ſorgen!
Wie roth du biſt, wie corpulent!
Du haſt dich wohl geborgen.
229
Drauf ſaß man zu Kamin und Wein,
Ließ von der Glut ſich röſten,
Und ätzte ſich mit Schmeichelein,
Den Alternden zu tröſten.
Ein Jeder warf den Hamen hin
Als wohlgeübter Fiſcher,
Und Jeder dachte ſtill: ich bin
Gewiß um zehn Jahr friſcher.
Man ſchüttelte die Hände derb,
Dann gieng es an ein Fragen.
Reich war des Medikus Erwerb,
Und dennoch mocht 'er klagen.
Er ſah den Franz bedenklich an,
Und dacht', er ſteck 'in Schulden,
Doch dieſer prahlt': er ſey ein Mann
Von täglich ſeinem Gulden.
Zwei Jahre hat er nur geſpart,
Und dann, ein kecker Kämpfer,
Geraſſelt mit der Eiſenfahrt,
Geſtrudelt mit dem Dämpfer!
O wie er die Stadt Leyden pries,
Und der Kajüte Gleißen!
Nach ſeiner Meinung dürfte ſie
Viktoria nur heißen.
Das hat den Medikus gerührt,
Ihm den beſcheidnen Schlucker
Lebendig vor das Aug 'geführt,
Der Klöße wie Zucker.
230
Und gar als jener ſprach: denkſt du
Noch an die halbe Flaſche?
Der Doktor kniff die Augen zu,
Und klimpert' in der Taſche.
Dann gieng es weiter: denkſt du dort?
Und denkſt du dies? und Jenes?
Die Bilder wogten luſtig fort,
Viel Herzliches und Schönes.
Wie Abendroth zog in's Gemach
Ein friſcher Jugendodem,
Und überhauchte nach und nach
Der Pillenſchachteln Brodem.
Am nächſten Morgen hat man kaum
Den Doktor mögen kennen,
Man ſah ihn lächeln wie im Traum
Und ſeine Wangen brennen;
Im heiligen Studiercloſet
Hört 'man die Gläſer klingen,
Und ein miſtöniges Duett
Aus Uhukehlen dringen.
Nicht litt am Blute mehr der Mann,
Am Podagra und Grieße;
Sah er den dürren Franzel an,
So ſchien er ſich ein Rieſe;
Hat er den Franzel angeſehn
Mit ſeinem Gulden täglich,
So mußt er ſelber ſich geſtehn,
Es geh 'ihm ganz erträglich.
231
Doch als der dritte Tag entſchwand,
Da ſah man auch die Beiden
Betrübten Auges ſtehn am Strand,
Und wieder hieß es Scheiden.
Leb 'wohl, Emanuel, leb' wohl!
Leb 'wohl, du alte Seele!
Und die Stadt Leyden rauſchte hohl
Durch Dunſt und Wogenſchwehle.
Drei Monde hat das Jahr gebracht,
Seit Franzel iſt geſchieden,
Mit ihm des Hypochonders Macht;
Der Dokter lebt in Frieden.
Und will der Dämon hier und dort
Sich ſchleichend offenbaren,
So geht er an des Rheines Bord
Und ſieht Stadt Leyden fahren.
232

Die Schmiede.

Wie kann der alte Aepfelbaum
So lockre Früchte tragen,
Wo Miſtelbüſch 'und Mooſes Flaum
Aus jeder Ritze ragen?
Halb todt, halb lebend, wie ein Prinz
In einem Ammenmährchen,
Die eine Seite voll Geſpinns,
Wurmfraß und Flockenhäärchen,
Langt mit der andern, üppig roth,
Er in die Funkenreigen,
Die knatternd aus der Schmiede Schlot
Wie Sternraketen ſteigen;
Ein zweiter Scävola hält Jahr
Auf Jahr er ſeine Rechte
Der Glut entgegen, die kein Haar
Zu ſengen ſich erfrechte.
Und drunten geht es Pink und Pank,
Man hört die Flamme pfeifen,
Es keucht der Balg aus hohler Flank '
Und bildet Aſchenſtreifen;
233
Die Kohle knallt und drüber dicht,
Mit Augen wie Pyropen,
Beugt ſich das grimmige Geſicht
Des rußigen Cyklopen.
Er hält das Eiſen in die Glut
Wie eine arme Seele,
Es knackt und ſpritzet Funkenblut
Und dunſtet blaue Schwehle.
Dann auf dem Ambos, Schlag an Schlag,
Läßt es ſein Weh erklingen,
Bis nun gekrümmt in Zorn und Schmach
Es kreucht zu Hufes Ringen.
234

Des alten Pfarrers Woche.

Sonntag.

Das iſt nun ſo ein ſchlimmer Tag,
Wie der April ihn bringen mag
Mit Schlacken, Schnee und Regen.
Zum drittenmal in das Gebraus
Streckt Jungfer Anne vor dem Haus
Ihr kupfern Blendlaternchen aus,
Und ſpäht längs allen Wegen.
Wo nur der Pfarrer bleiben kann?
Ach, ſicher iſt dem guten Mann
Was über'n Weg gefahren!
Ein Pfleger wohl, der Rechnung macht.
Aus war der Gottesdienſt um acht:
Soll man ſo ſtreifen in der Nacht
Bei Gicht und grauen Haaren!
Sie ſchließt die Thüre, ſchüttelt baß
Ihr Haupt und wiſcht am Brillenglas;
So gut dünkt ihr die Stube;
Im Ofen kracht's, der Lampenſchein
Hellt über'm Tiſch den Sonntagswein,
Und lockend lädt der Seſſel ein
Mit ſeiner Kiſſengrube.
235
Pantoffeln, Schlafrock, alles recht!
Sie horcht auf's neu; doch hört ſie ſchlecht,
Es ſchwirrt ihr vor den Ohren.
Wie? hat's geklingelt? ei der Daus,
Zum Zweitenmale! ſchnell hinaus!
Da tritt der Pfarrer ſchon in's Haus,
Ganz blau und ſteif gefroren.
Die Jungfrau blickt ein wenig quer,
Begütigend der Pfarrer her,
Wie's recht in dieſem Orden.
Dann huſtet er. Nicht Mond noch Stern!
Der lahme Friedrich hört doch gern
Ein chriſtlich Wort am Tag des Herrn,
Es iſt mir ſpät geworden!
Nun ſinkt er in die Kiſſen feſt,
Wirft ab die Kleider ganz durchnäßt,
Und ſchlürft der Traube Segen.
Ach Gott! nur wer jahraus, jahrein
In And'rer Dienſte lebt allein,
Weiß was es heißt, bei'm Sonntagswein
Sich auch ein wenig pflegen.

Montag.

Wenn ich Montags früh erwache,
Wird mir's ganz behaglich gleich;
Montag hat ſo eigne Sache
In dem kleinen Wochenreich.
236
Denn die Predigt liegt noch ferne,
Alle Sorgen ſcheinen leicht;
Keiner kömmt am Montag gerne,
Sey's zur Trauung, ſey's zur Beicht.
Und man darf mir's nicht verdenken,
Will ich in des Amtes Friſt
Dem ein freies Stündchen ſchenken,
Was doch auch zu loben iſt.
So erwacht denn, ihr Geſellen
Meiner fleiß'gen Jugendzeit!
Wollt 'in Reih' und Glied euch ſtellen,
Alte Bilder, eingeſchneit!
Ilion will ich bekriegen,
Mit Horaz auf Reiſen geh'n,
Will mit Alexander ſiegen
Und an Memnons Säule ſteh'n.
Oder auch vergnügt ergründen,
Was das Vaterland gebracht,
Mich mit Kant und Wolf verbünden,
Zieh'n mit Laudon in die Schlacht.
Auf der Bücherleiter traben
Sieh den Pfarrer, luſtentbrannt,
Sich verſchanzen, ſich vergraben
Unter Heft und Foliant.
Blättern ſieh ihn nicken ſpüren
Ganz verſunken ſitzen dann,
Daß mit einer Linie rühren
Du das Buch magſt und den Mann.
237
Doch was kann ihn ſo bewegen?
Aufgeregt ſcheint ſein Gehirn!
Und das Käppchen ganz verwegen
Drückt er haſtig in die Stirn.
Nun beginnt er gar zu pfeifen,
Horch! das Lied vom Prinz Eugen;
Seinen weiſen Buſenſtreifen
Seh 'ich auf und niedergehn.
Ha, nun iſt der Türk geſchlagen!
Und der Pfarrer ſpringt empor,
Höher ſeine Brauen ragen,
Senkrecht ſteht ſein Pfeifenrohr.
Im Triumph muß er ſich denken
Mit dem Kaiſer und dem Staat,
Sieht ſich ſelbſt den Säbel ſchwenken,
Fühlt ſich ſelber als Soldat.
Aber draußen klappern Tritte,
Nach dem Pfarrer fragt es hell,
Der, aus des Gefechtes Mitte,
Huſcht in ſeinen Seſſel ſchnell.
Ei! das wären ſaub're Kunden!
Beichtkind und Kommunikant!
Hättet ihr den Pfarr 'gefunden
Mit dem Säbel in der Hand!
238

Dienſtag.

Auf der breiten Tenne drehn
Paar an Paar ſo nett,
Wo die Muſikanten ſtehn,
Geig und Klarinett,
Auch der Brummbaß rumpelt drein,
Sieht man noch den Bräut'gamsſchrein
Und das Hochzeitbett.
Etwas eigen, etwas ſchlau,
Und ein wenig bleich,
Sittſam ſieht die junge Frau,
Würdevoll zugleich;
Denn ſie iſt des Hauſes Sproß,
Denn ſie führt den Eh'genoß
In ihr Erb 'und Reich.
Sippſchaft iſt ein weites Band,
Geht gar viel hinein;
Hundert Kappen goldentbrannt,
Kreuze funkeln drein;
Wie das drängt und wie das ſchiebt!
Was ſich kennt und was ſich liebt
Will beiſammen ſeyn.
Nun ein ſchallend Vivat bricht
In dem Schwarme aus,
Wo ſogar die Thiere nicht
Weigern den Applaus.
239
Ja, wie an der Krippe fein
Brüllen Ochs und Eſelein
Ueber'n Trog hinaus.
Ganz verdutzt der junge Mann
Kaum die Flaſche hält,
Späſſe hageln drauf und dran,
Keiner neben fällt;
Doch er lacht und reicht die Hand.
Nun! er iſt für ſeinen Stand
Schon ein Mann von Welt.
Alte Frauen ſchweißbedeckt,
Junge Mägd 'im Lauf,
Spenden was der Korb verdeckt,
Reihen ab und auf.
Sieben Tiſche kann man ſehn,
Sieben Kaffeekeſſel ſtehn
Breit und glänzend drauf.
Aber freundlich, wie er kam,
Sucht der Pfarrer gut
Drüben unter tauſend Kram
Seinen Stab und Hut;
Dankt noch ſchön der Frau vom Haus;
In die Dämmerung hinaus
Trabt er wohlgemuth;
Wandelt durch die Abendruh '
Sinnend allerlei:
Ei, dort gieng es löblich zu,
Munter, und nicht frei.
240
Aber aber aber doch
Und ein langes Aber noch
Fügt er ſeufzend bei.
Wie das flimmert! wie das lacht!
Kanten Händebreit!
Ach die ſchnöde Kleiderpracht
Macht ihm tauſend Leid.
Und nun gar er war nicht blind
Eines armen Mannes Kind;
Nein, das gieng zu weit.
Kurz, er nimmt ſich's ernſtlich vor,
Heut und hier am Steg,
Ja, an der Gemeinde Ohr,
Wächter treu und reg,
Will er's tragen ungeſcheut;
O er findet ſchon die Zeit
Und den rechten Weg.

Mittwoch.

Begleiteſt du ſie gern
Des Pfarrers Luſt und Plagen:
Sich gleich an allen Tagen
Triffſt du den frommen Herrn.
Der gute Seelenhirt!
Tritt über ſeine Schwelle;
Da iſt er ſchon zur Stelle
Als des Kollegen Wirth.
241
In wohlgemeinten Sorgen,
Wie er geſchäftig thut!
Doch dämmert kaum der Morgen,
Dies eben dünkt ihm gut.
Am Abend kam der Freund
Erſchöpft nach Art der Gäſte;
Nun ſäubre man auf's Beſte,
Daß alles nett erſcheint.
Schon ſtrahlt die große Kanne,
Die Teller blitzen auf;
Noch ſcheuert Jungfer Anne,
Und horcht mitunter auf.
Ach, ſollte ſie der Gaſt
Im alten Jäckchen finden:
Sie müßte ganz verſchwinden
Vor dieſer Schande Laſt.
Und was zur Hand thut ſtehen,
Das reizt den Pfarrer ſehr,
Die Jungfer wird's nicht ſehen,
Er macht ſich drüber her;
Die Schlaguhr greift er an
Mit ungeſchickten Händen,
Und ſucht ſie ſacht zu wenden;
Der übermüth'ge Mann!
Schleppt Foliantenbürde,
Putzt Fenſterglas und Tiſch;
Fürwahr mit vieler Würde
Führt er den Flederwiſch.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 16242
Am Paradieſesbaum
Die Blätter zart aus Knochen,
Eins hat er ſchon zerbrochen,
Jedoch man ſieht es kaum.
Und als er juſt in Schatten
Die alte Klingel ſtellt
Es kömmt ihm wohl zu ſtatten
Da rauſcht es draußen, gelt!
Fidel ſchlägt an in Haſt,
Die Jungfer iſt geflüchtet,
Und ſtattlich aufgerichtet
Begrüßt der Pfarr 'den Gaſt.
Wie dem ſo wohl gefallen
Die Ausſicht und das Haus,
Wie der entzückt von allen,
Nicht Worte drücken's aus!
Ich ſag 'es ungenirt,
Sie kamen aus den Gleiſen,
Sich Ehre zu erweiſen,
Der Gaſt und auch der Wirth.
Und bei dem Mittageſſen,
Das man vortrefflich fand,
Da ward auch nicht vergeſſen
Der Lehr - und Ehrenſtand.
Ich habe viel gehört,
Doch nichts davon getragen,
Nur dieſes mag ich ſagen,
Sie ſprachen ſehr gelehrt.
243
Und ſieh nur! drüben ſchreitet
Der gute Pfarrer juſt,
Er hat den Gaſt geleitet
Und ſpricht aus voller Bruſt:
Es iſt doch wahr! mein Haus,
So nett und blank da droben,
Ich muß es ſelber loben,
Es nimmt ſich einzig aus.

Donnerstag.

Winde rauſchen, Flocken tanzen,
Jede Schwalbe ſucht das Haus,
Nur der Pfarrer unerſchrocken
Segelt in den Sturm hinaus.
Nicht zum beſten ſind die Pfade,
Aber leidlich würd 'es ſeyn,
Trüg er unter ſeinem Mantel
Nicht die Aepfel und den Wein.
Ach, ihm iſt ſo wohl zu Muthe,
Daß dem kranken Zimmermann
Er die längſt gegönnte Gabe
Endlich einmal bieten kann.
Immer muß er heimlich lachen,
Wie die Anne Aepfel las,
Und wie er den Wein ſtipitzte,
Während ſie im Keller ſaß.
244
Längs des Teiches ſieh ihn flattern,
Wie er rudert, wie er ſtreicht,
Kann den Mantel nimmer zwingen
Mit den Fingern ſtarr und feucht.
Oefters aus dem trüben Auge
Eine kalte Zähre bricht,
Wehn ihm ſeine grauen Haare
Spinnenwebig um's Geſicht.
Doch Gottlob! da iſt die Hütte,
Und nun öffnet ſich das Haus,
Und nun keuchend auf der Tenne
Schüttet er die Federn aus.
Ach wie freut der gute Pfarrer
Sich am blanken Feuerſchein!
Wie geſchäftig ſchenkt dem Kranken
Er das erſte Gläschen ein.
Setzt ſich an des Lagers Ende,
Stärkt ihm beſtens die Geduld,
Und von ſeinen frommen Lippen
Einfach fließt das Wort der Huld.
Wenn die abgezehrten Hände
Er ſo feſt in ſeine ſchließt,
Anders fühlt ſich dann der Kranke,
Meint, daß gar nichts ihn verdrießt.
Mit der Einfalt, mit der Liebe
Schmeichelt er die Seele wach,
Kann an jedes Herz ſich legen,
Sey es kraftvoll oder ſchwach.
245
Aber draußen will es dunkeln,
Draußen tröpfelt es vom Dach;
Lange ſehn ihm nach die Kinder,
Und der Kranke ſeufzt ihm nach.

Freitag.

Zu denken in geſtandnen Tagen
Der Sorge, die ſo treulich ſann,
Der Liebe, die ihn einſt getragen,
Wohl ziemt es jedem Ehrenmann.
Am Lehrer alt, am Schüler mild
Magſt du nicht ſelten es gewahren;
Und ſind ſie beide grau von Haaren,
Um deſto werther iſt das Bild.
Zumeiſt dem Prieſter wird beſchieden
Für frühe Treue dieſer Lohn;
Nicht einſam iſt des Alters Frieden,
Der Zögling bleibt ſein lieber Sohn.
Ja was erſtarrt im Lauf der Zeit,
Und wehrt dem Neuen einzudringen,
Des Herzens ſteife Flechſen ſchlingen
Sich feſter um Vergangenheit.
So läßt ein wenig Putz gefallen
Sich heut der gute Pfarrer gern,
Das ſpan'ſche Rohr, die Silberſchnallen,
Denn heute gehts zum jungen Herrn.
246
Der mag in reifen Jahren ſtehn,
Da ihn erwachſne Kinder ehren,
Allein das kann den Pfarr 'nicht ſtören,
Der ihn vor Zeiten klein geſehn.
Still wandelnd durch des Parkes Linden,
In deren Schutz das Veilchen blüht,
Der Alte muß es freundlich finden,
Daß man ſo gern ihn Freitags ſieht;
Er weiß, dem Junker ſind noch friſch
Die lieben längſt entſchwundnen Zeiten,
Und ſeines Lehrers ſchwache Seiten,
Ein Gläschen Wein, ein guter Fiſch.
Schon tritt er in des Thores Halle;
Da, wie aus reifem Erbſenbeet
Der Spatzen Schaar, ſo hinterm Walle
Hervor es flattert, lacht und kräht;
Der kleinen Junker wilde Schaar,
Die ſtill gelauſcht im Mauerbogen,
Und nun den Pfarrer ſo betrogen,
So überrumpelt ganz und gar.
Das ſtürmt auf ihn von allen Seiten,
Das klammert überall ſich an;
Fürwahr mühſelig muß er ſchreiten
Der müde und geduld'ge Mann.
Jedoch er hat ſie allzugern,
Die ihn ſo unbarmherzig plagen,
Und faſt zu viel läßt er ſie wagen,
Die junge Brut des jungen Herrn.
247
Wie dann des Hauſes Wirth ſich freute,
Der Mann mit früh ergrautem Haar,
Nicht wich von ſeines Lehrers Seite,
Und rückwärts ging um dreißig Jahr;
Wie er in alter Zeiten Bann
Nur flüſternd ſprach nach Schüler Weiſe,
Man ſieht es an und lächelt leiſe,
Doch mit Vergnügen ſieht man's an.
Und ſpäter beim Spazierengehen
Die Beiden hemmen oft den Schritt,
Nach jeder Blume muß man ſehen,
Und manche Pflanze wandert mit.
Der Eine iſt des Amtes bar,
Nichts hat der Andre zu regieren;
Sie gehn auf's Neu 'botaniſiren,
Der Theolog und ſein Scholar.
Doch mit dem Abend naht das Scheiden,
Man ſchiebt es auf, doch kömmt's heran,
Die Kinder wollen's gar nicht leiden.
Am Fenſter ſteht der Edelmann
Und ſpinnt noch lange, lange aus
Vielfarb'ger Bilder bunt Gezwirne;
Dann fährt er über ſeine Stirne,
Und athmet auf und iſt zu Haus.
248

Samstag.

Wie funkeln hell die Sterne,
Wie dunkel ſcheint der Grund,
Und aus des Teiches Spiegel
Steigt dort der Mond am Hügel
Grad um die elfte Stund '.
Da hebt vom Predigthefte
Der müde Pfarrer ſich;
Wohl war er unverdroſſen,
Und endlich iſt's geſchloſſen,
Mit langem Federſtrich.
Nun öffnet er das Fenſter,
Er trinkt den milden Duft,
Und ſpricht: Wer ſollt es ſagen,
Noch Schnee vor wenig Tagen,
Und dies iſt Maienluft.
Die ſtrahlende Rotunde
Sein ernſter Blick durchſpäht,
Schon will der Himmelswagen
Die Deichſel abwärts tragen.
Ja, ja es iſt ſchon ſpät!
Und als dies Wort geſprochen,
Es fällt dem Pfarrer auf,
Als müß 'er eben deuten
Auf ſich der ganz zerſtreuten,
Argloſen Rede Lauf.
249
Nie ſchien er ſich ſo hager,
Nie fühlt 'er ſich ſo alt,
Als ſeit er heut begraben
Den langen Moriz Raben,
Den Förſter dort vom Wald.
Am gleichen Tag geboren,
Getauft am gleichen Tag!
Das iſt ein ſeltſam Weſen,
Und läßt uns deutlich leſen,
Was wohl die Zeit vermag!
Der Nacht geheimes Funkeln,
Und daß ſich eben muß,
Wie Mondesſtrahlen ſteigen,
Der friſche Hügel zeigen,
Das Kreuz an ſeinem Fuß:
Das macht ihn ganz beklommen,
Den ſehr betagten Mann,
Er ſieht den Flieder ſchwanken,
Und längs des Hügels wanken
Die Schatten ab und an.
Wie oft ſprach nicht der Todte
Nach ſeiner Weiſe kühn:
Herr Pfarr ', wir alten Knaben,
Wir müſſen ſachte traben,
Die Kirchhofsblumen blühn.
250
So mögen ſie denn blühen!
Spricht ſanft der fromme Mann,
Er hat ſich aufgerichtet,
Sein Auge, mild umlichtet,
Schaut feſt den Aether an.
Haſt Du geſandt ein Zeichen
Durch meinen eignen Mund,
Und willſt mich gnädig mahnen
An unſer Aller Ahnen,
Uralten ew'gen Bund;
Nicht läſſig ſollſt Du finden
Den, der Dein Siegel trägt,
Doch nach dem letzten Sturme
Da eben ſummt's vom Thurme,
Und Zwölf die Glocke ſchlägt.
Ja, wenn ich bin entladen
Der Woche Laſt und Pein,
Dann führe, Gott der Milde,
Das Werk nach Deinem Bilde
In Deinen Sonntag ein.
251

Der Strandwächter am deutſchen Meere und ſein Neffe vom Lande.

Sieben Nächte ſtand ich am Riff
Und hörte die Woge zerſchellen,
Taucht kein Segel, kein irres Schiff?
Schon dunkelt's über den Wellen.
Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land '!
Ich will in die Matte mich ſtrecken,
Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,
Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken.
Schöner Platz, an der Lucke hier,
Für einen unſchuld'gen Privaten!
Drunten die See, das wüſte Gethier,
Das Haye ſpeit und Piraten.
Von der Seeſchlang 'wüthigem Kampf
Auch hat man Neues vernommen,
Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf
In's deutſche Meer ſie gekommen?
Iſt's doch jetzt eine Wunderzeit,
Wo Gletſcher brennen wie Eſſen,
Weiber turnieren im Männerkleid,
Und Knaben die Ruthe vergeſſen.
Jeder Wurm entfaltet ſein Licht,
Und jeder Narr ſeine Kappe,
Alſo, Seele, wundre dich nicht,
Wenn heute du ſtehſt an der Klappe.
252
Vetter! ein Segel, ein Segel fürwahr,
Ein Boot mit flatternden Streifen,
Lichterchen dann, eine ſchwimmende Schaar,
Die unter den Flanken ihm ſchweifen!
Schau, nun ſchleichen ſie alle ſeitab,
Nun wechſeln ſie hüben und drüben
'S iſt eine Fiſcherflotte, mein Knab ',
Sind nur Leute die fiſchen im Trüben.
Wie das Waſſer kräuſelt und rennt,
Und wie die Kämme ihm flittern!
Vetter, ob wohl die Düne brennt?
Ich höre das Seegras knittern.
Dünſte, mein Junge, nur Phosphorlicht,
Vermoderte Quallen und Schnecken,
Laß ſie leuchten, ſie zünden nicht,
Und morgen ſind's grünliche Flecken.
Dort kein Räuber? kein Feuer hier?
Ich hätt 'es für Beides genommen.
Wetter! iſt doch die Welle mir
Schier über den Tubus geſchwommen.
Welch' ein Leben, ſo angerannt
Auf nackter Düne zu wohnen!
Und die ſchnarchenden Robben am Strand,
Man meint es ſeyen Kanonen!
Schläft der Alte in gutem Muth,
Und läßt mich allein mit dem Spucke,
Und mir iſt als ſteige die Fluth,
Und bäume ſich gegen die Lucke.
253
Wahrlich, Vetter, es ſchäumt und ſchwemmt,
Es brüllt um der Klippe Zinken!
Ruhig, mein Junge, die Springfluth kömmt,
Laß ſie ſteigen, ſie wird ſchon ſinken.
Gut dann, gut, ihr wißt es auf's Beſt ',
Ihr müßt die Sache verſtehen.
Hab' ich doch nie ſolch bedenkliches Neſt
Wie dieſe Baracke geſehen.
Und die Wolken ſchleifen ſo ſchwer,
Als ſchleppten ſie Stürme in Säcken,
Jene dort, mit dem fackelnden Speer,
Scheint gar 'ne Poſaune zu ſtrecken.
Was! ſie dröhnt? welch gräulicher Schall!
Die Welle bäumt ſich entgegen,
Toſend und ſchwarz der ringelnde Wall
Will an den Trichter ſich legen;
Ha, es knallt es flattert und ſtreut
Wo war's? wo iſt es geweſen?
Wind und Schaum! was hab 'ich doch heut
Von der Waſſerhoſe geleſen?
Aber dort, ein Segel in See,
Iſt's aus der Welle geſtiegen?
Grad entgegen der ſauſenden
Scheint's über die Brandung zu fliegen.
Vetter, ſchnell von der Matte herab!
Ein Schiff gegen Winde und Wellen!
Gieb das Nachtrohr, Knabe, ſeitab!
Ich will an die Lucke mich ſtellen.
254
Gnad 'uns Gott, am Deck zerſtreut,
Umhuſcht von geſpenſtigen Lichtern,
Welche Augen, ſo hohl und weit,
In den fahlen verlebten Geſichtern!
Hörteſt vom Geiſterſchiffe du nicht,
Von den weſtlichen Todesladern?
Modernde Larve ihr Angeſicht,
Und Schwefel ſtatt Blut in den Adern,
Mag die ehrliche deutſche See
Vom Schleim der Molluske ſich röthen,
Springfluth brauſen, ziſchen die ,
Und die Waſſerhoſe trompeten,
Drunten, drunten iſt's klar und licht,
Wie droben die Wellen gebahren.
Mögen wir nur vor dem fremden Gezücht,
Vor dem Geiſterjanhagel uns wahren!
255

Das Eſelein.

Auf einem Wieſengrund gieng einmal
Ein muntres Rößlein weiden,
Ein Schimmelchen war's, doch etwas fahl,
Sein Aeußeres nenn 'ich beſcheiden,
Das ſchlechtſte und auch das beſte nicht,
Wir wollen nicht drüber zanken,
Doch hatt' es ein klares Augenlicht
Und ſtarke geſchmeidige Flanken.
In ſelbem Grunde ſchritt oft und viel
Ein edler Jüngling ſpazieren,
Hinter jedem Ohre ein Federkiel,
Das thät ihn wunderbar zieren!
Am Rücken ein Gänſeflügelpaar,
Die thäten rauſchen und wedeln,
Und wißt, ſeine göttliche Gabe war,
Die ſchlechte Natur zu veredeln.
Den Tropfen der ſeiner Stirne entrann,
Den ſoll wie Perle man faſſen,
Ach, ohne ihn hätte die Sonne man
So ſimpelhin ſcheinen laſſen,
Und ohne ihn wäre der Wieſengrund
Ein nüchterner Anger geblieben,
Ein Quellchen blank, ein Hügelchen rund,
Und eine Handvoll Maslieben!
256
Er aber fing in Spiegel den Stral,
Und ließ ihn zucken wie Flammen,
Die ruppigen Gräſer ſtrich er zumal
Und flocht ſie ſauber zuſammen,
An Steinen ſchleppt er ſich krank und matt,
Für ein Ruinchen am Hügel,
Dem Haſen kämmt 'er die Wolle glatt
Und friſirt' den Mücken die Flügel.
So hat er mit ſaurem Schweiß und Müh '
Das ganz Gemeine verbeſſert,
Und klareres Waſſer fand man nie,
Als wo er ſchaufelt' und wäſſert ',
Und wie's nun aller Edlen Manier,
Sich mild und nobel zu zeigen,
So, ſeys Geſtein, Menſch, oder Thier,
Er gab ihm von ſeinem Eigen.
Einſt ſaß er mit ſeinem Werkgeräth,
Mit Scheere, Pinſel und Flaſche,
In der eine ſchwärzliche Lymphe ſteht,
Mit Spiegel, Feder und Taſche;
Er ſaß und lauſchte wie in der Näh
Mein Schimmelchen galoppiret;
Auf dem Finger pfiff er: Pſt, Pferdchen, he!
Und wacker kam es trottiret.
Dann ſprach der Edle: du wärſt ſchon gut,
'Ne paſſable Rozinante,
Nähm ich dich ernſtlich in meine Hut,
Daß ich den Koller dir bannte;
257
Ein leiſer Traber ein ſchmuckes Thier
Ein unermüdeter Wandrer!
Kurz, wenig wüßt' ich zu rügen an dir,
Wärſt du nur völlig ein Andrer.
Drum ſey verſtändig, trab 'heran,
Und laß mich ruhig gewähren,
Und ſollt's dich kneipen, nicht zuck' mir dann,
Du weißt, oft zwicken die Scheeren.
Mein Schimmelchen ſtutzt, es ſetzt ſeitab,
Ein paarmal rennt es in Kreiſen,
Dann ſachte trabt es den Anger hinab,
Dann ſtand es ſtill vor dem Weiſen.
Der ſprach: dein Ohr ein armer Stumpf!
Armſelig biſt du geboren!
Commandowort und der Siegstriumph,
Das geht dir Alles verloren.
Drauf rüſtig ſetzt er die Zangen an,
Und zerrt 'und dehnte an Beiden;
Mein Schimmelchen ächzt, und dachte dann:
O wehe, Hoffart muß leiden!
Auch deine Farbe erbärmlich ſchlecht!
Nicht blank und dennoch zu lichte,
Nicht für die romantiſche Dämmrung recht
Und nicht für die klare Geſchichte.
Drauf emſig langt 'er den Pinſel her,
Und miſchte Schwarz zu dem Weißen;
Mein Schimmelchen zuckt, es juckt ihn ſehr,
Doch dacht' es: wie werd 'ich gleißen!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 17258
Und gar dein Schweif unſeliges Vieh!
Der flattert und ſchlenkert wie Segel,
Ich wette, du meinſt dich ein Kraftgenie,
Und ſcheinſt doch Andern ein Flegel.
Drauf mit der Scheere, Gang an Gang,
Beginnt er hurtig zu zwicken,
Hinauf, hinunter die Wurzel entlang,
Von der Kuppe bis an den Rücken.
Dann ſpricht er freudig: mein ſchmuckes Thier,
Mein Zelter edel wie Keiner!
Und eilends langt er den Spiegel herfür:
Nun ſieh, und freue dich deiner!
Nun biſt ein Paraderößlein, baß
Wie Eines von Münſter bis Weſel.
Der Schimmel blinzt, und ſchaut in's Glas,
O Himmel, da war er ein Eſel!
259

Die beſte Politik.

Von Allem was zu Leid und Frommen
Bisher das Leben mir gebracht,
Iſt Manches unverhofft gekommen,
Und Manches hatt ich überdacht;
Doch ſeltſam! wo ich ſchlau und fein
Mich abgeſorgt zu grauen Haaren,
Da bin ich meiſtens abgefahren,
Und Unverhofftes ſchlug mir ein.
Ein Jeder kömmt doch gern zu Brode,
Doch blieben mir die Gönner kalt,
That ich gleich klein wie eine Lode
Gen einen macht’gen Eichenwald;
Und nur der ärmliche Student,
Bei dem ich manche Nacht verwachte,
Als Mangel ihn auf’s Lager brachte,
Der dachte mein als Präſident.
Den Frauen will man auch gefallen,
Zumal ſieht man nicht übel aus,
In die Salons ſah man mich wallen,
Verſchmitzt hinein, verdutzt heraus;
Und nur die täglich recht und ſchlicht
Mich wandeln ſah im eignen Hauſe,
Die trug in meine kleine Klauſe
Des Lebens ſüßeſtes Gedicht.
260
Auch Ruhm iſt gar ein ſcharfer Köder,
Ich habe manchen Tag verſchwitzt,
Verſchnitzelt hab 'ich manche Feder,
Und bin doch ſchmählich abgeblitzt;
Und nur als ich, entmuthigt ganz,
Gedanken flattern ließ wie Flocken,
Da plötzlich fiel auf meine Locken
Ein junger friſcher Lorbeerkranz.
So hab 'aus Allem ich gezogen
Das treue Facit mir zuletzt,
Daß dem das Glück zumeiſt gewogen,
Der es am mindeſten gehetzt;
Und daß, wo Wirken ein Geſchick
Nach eigner Willkür kann bereiten,
Nur Offenheit zu allen Zeiten
Die allerbeſte Politik.
[261]

Balladen.

[262][263]

Der Graf von Thal.

I.

Das war der Graf von Thal,
So ritt an der Felſenwand;
Das war ſein ehlich Gemahl,
Die hinter dem Steine ſtand.
Sie ſchaut 'im Sonnenſtral
Hinunter den linden Hang,
Wo bleibt der Graf von Thal?
Ich hört' ihn doch reiten entlang!
Ob das ein Hufſchlag iſt?
Vielleicht ein Hufſchlag fern?
Ich weiß doch wohl ohne Liſt,
Ich hab 'gehört meinen Herrn!
Sie bog zurück den Zweig.
Bin blind ich oder auch taub?
Sie blinzelt 'in das Geſträuch,
Und horcht' auf das rauſchende Laub.
264
Oed 'war's, im Hohlweg leer,
Einſam im riſpelnden Wald;
Doch über'm Weiher, am Wehr,
Da fand ſie den Grafen bald.
In ſeinen Schatten ſie trat.
Er und ſeine Geſellen,
Die flüſtern und halten Rath,
Viel lauter rieſeln die Wellen.
Sie ſtarrten über das Land,
Genau ſie ſpähten, genau,
Sahn jedes Zweiglein am Strand,
Doch nicht am Wehre die Frau.
Zur Erde blickte der Graf,
So ſprach der Graf von Thal:
Seit dreizehn Jahren den Schlaf
Rachloſe Schmach mir ſtahl.
War das ein Seufzer lind?
Geſellen, wer hat's gehört?
Sprach Kurt: Es iſt nur der Wind,
Der über das Schilfblatt fährt.
So ſchwör 'ich bei'm höchſten Gut,
Und wär's mein ehlich Weib,
Und wär's meines Bruders Blut,
Viel minder mein eigner Leib:
265
Nichts ſoll mir wenden den Sinn,
Daß ich die Rache ihm ſpar ';
Der Freche ſoll werden inn',
Zins tragen auch dreizehn Jahr '.
Bei Gott! das war ein Geſtöhn!
Sie ſchoſſen die Blicke in Haſt.
Sprach Kurt: Es iſt der Föhn,
Der macht ſeufzen den Tannenaſt.
Und iſt ſein Aug 'auch blind,
Und iſt ſein Haar auch grau,
Und mein Weib ſeiner Schweſter Kind
Hier that einen Schrei die Frau.
Wie Wetterfahnen ſchnell
Die Dreie wendeten ſich.
Zurück, zurück, mein Geſell!
Dieſes Weibes Richter bin ich.
Haſt du gelauſcht, Allgund?
Du ſchweigſt, du blickſt zur Erd '?
Das bringt dir bittre Stund'!
Allgund, was haſt du gehört?
Ich lauſch 'deines Roſſes Klang,
Ich ſpäh' deiner Augen Schein,
So kam ich hinab den Hang.
Nun thue was Noth mag ſeyn.
266
O Frau! ſprach Jakob Port,
Da habt ihr ſchlimmes Spiel!
Grad 'ſprach der Herr ein Wort,
Das ſich vermaß gar viel.
Sprach Kurt: Ich ſag 'es rund,
Viel lieber den Wolf im Stall,
Als eines Weibes Mund
Zum Hüter in ſolchem Fall.
Da ſah der Graf ſie an,
Zu Einem und zu Zwei'n;
Drauf ſprach zur Fraue der Mann:
Wohl weiß ich, du biſt mein.
Als du gefangen lagſt
Um mich ein ganzes Jahr,
Und keine Sylbe ſprachſt:
Da ward deine Treu 'mir klar.
So ſchwöre mir denn ſogleich:
Sey's wenig oder auch viel,
Was du vernahmſt am Teich,
Dir ſey's wie Rauch und Spiel.
Als ſeye nichts geſcheh'n,
So muß ich völlig meinen;
Darf dich nicht weinen ſeh'n,
Darfſt mir nicht bleich erſcheinen.
267
Denk 'nach, denk' nach, Allgund!
Was du verheißen Noth.
Die Wahrheit ſpricht dein Mund,
Ich weiß, und brächt 'es Tod.
Und konnte ſie ſich beſinnen,
Verheißen hätte ſie's nie;
So war ſie halb von Sinnen,
Sie ſchwur, und wußte nicht wie.

II.

Und als das Morgengrau
In die Kemnate ſich ſtahl:
Da hatte die werthe Frau
Geſeufzt ſchon manches Mal;
Manch Mal gerungen die Hand,
Ganz heimlich wie ein Dieb;
Roth war ihrer Augen Rand,
Todtblaß ihr Antlitz lieb.
Drei Tage kredenzt 'ſie den Wein,
Und ſaß bei'm Mahle drei Tag',
Drei Nächte in ſteter Pein
In der Waldkapelle ſie lag.
Wenn er die Wacht beſorgt,
Der Thorwart ſieht ſie gehn,
Im Walde ſteht und horcht
Der Wilddieb dem Geſtöhn '.
268
Am vierten Abend ſie ſaß
An ihres Herren Seit ',
Sie dreht' die Spindel, er las,
Dann ſahn ſie auf, alle beid '.
Allgund, bleich iſt dein Mund!
Herr, 's macht der Lampe Schein.
Deine Augen ſind roth, Allgund!
'S drang Rauch vom Heerde hinein.
Auch macht mir's ſchlimmen Muth,
Daß heut vor fünfzehn Jahren
Ich ſah meines Vaters Blut;
Gott mag die Seele wahren!
Lang ruht die Mutter im Dom,
Sind Wen'ge mir verwandt,
Ein 'Muhm' noch und ein Ohm:
Sonſt iſt mir keins bekannt.
Starr ſah der Graf ſie an:
Es ſteht dem Weibe feſt,
Daß um den ehlichen Mann
Sie Ohm und Vater läßt.
Ja, Herr! ſo muß es ſeyn.
Ich gäb 'um Euch die zweie,
Und mich noch obendrein,
Wenn's ſeyn müßt', ohne Reue.
269
Doch daß nun dieſer Tag
Nicht gleich den andern ſey,
Leſ't, wenn ich bitten mag,
Ein Sprüchlein oder zwei.
Und als die Fraue klar
Darauf das heil'ge Buch
Bot ihrem Gatten dar,
Es auf von ſelber ſchlug.
Mit Einem Blicke er maß
Der nächſten Sprüche einen;
Mein iſt die Rach ', er las;
Das will ihm ſeltſam ſcheinen.
Doch wie ſo feſt der Mann
Auf Frau und Bibel blickt,
Die ſaß ſo ſtill und ſpann,
Dort war kein Blatt geknickt.
Um ihren ſchönen Leib
Den Arm er düſter ſchlang:
So nimm die Laute, Weib,
Sing 'mir einen luſt'gen Sang!
O Herr! mag's euch behagen,
Ich ſing 'ein Liedlein werth,
Das erſt vor wenig Tagen
Mich ein Minſtrel gelehrt.
270
Der kam ſo matt und bleich,
Wollt 'nur ein wenig ruh'n,
Und ſprach, im oberen Reich
Sing' man nichts Anderes nun.
Drauf, wie ein Schrei verhallt,
Es durch die Kammer klingt,
Als ihre Finger kalt
Sie an die Saiten bringt.
Johann! Johann! was dachteſt du
An jenem Tag,
Als du erſchlugſt deine eigne Ruh '
Mit Einem Schlag?
Verderbteſt auch mit dir zugleich
Deine drei Geſellen;
O, ſieh nun ihre Glieder bleich
Am Monde ſchwellen!
Weh dir, was dachteſt du Johann
Zu jener Stund '?
Nun läuft von dir verlornem Mann
Durch's Reich die Kund'!
Ob dich verbergen mag der Wald,
Dich wird's ereilen;
Horch nur, die Vögel ſingen's bald,
Die Wölf 'es heulen!
O weh! das haſt du nicht gedacht,
Johann! Johann!
Als du die Rache wahr gemacht
Am alten Mann.
271
Und wehe! nimmer wird der Fluch
Mit dir begraben,
Dir, der den Ohm und Herrn erſchlug,
Johann von Schwaben!
Aufrecht die Fraue bleich
Vor ihrem Gatten ſtand,
Der nimmt die Laute gleich,
Er ſchlägt ſie an die Wand.
Und als der Schall verklang,
Da hört man noch zuletzt,
Wie er die Hall 'entlang
Den zorn'gen Fußtritt ſetzt.

III.

Von heut am ſiebenten Tag '
Das war eine ſchwere Stund',
Als am Balkone lag
Auf ihren Knien Allgund.
Laut waren des Herzens Schläge:
O Herr! erbarme dich mein,
Und bracht 'ich Böſes zuwege,
Mein ſey die Buß' allein.
Dann beugt ſie tief hinab,
Sie horcht und horcht und lauſcht:
Vom Wehre toſ't es herab,
Vom Forſte drunten es rauſcht.
272
War das ein Fußtritt? nein!
Der Hirſch ſetzt über die Kluft.
Sollt 'ein Signal das ſeyn?
Doch nein, der Auerhahn ruft.
O mein Erlöſer, mein Hort!
Ich bin mit Sünde beſchwert,
Sey gnädig und nimm mich fort,
Eh 'heim mein Gatte gekehrt.
Ach, wen der Böſe umgarnt,
Dem alle Kraft er bricht!
Doch hab 'ich ja nur gewarnt,
Verrathen, verrathen ja nicht!
Weh! das ſind Roſſestritte.
Sie ſah ſie fliegen durch's Thal
Mit wildem grimmigen Ritte,
Sie ſah auch ihren Gemahl.
Sie ſah ihn dräuen, genau,
Sie ſah ihn ballen die Hand:
Da ſanken die Knie der Frau,
Da rollte ſie über den Rand.
Und als zum Schlimmen entſchloſſen
Der Graf ſprengt 'in das Thor,
Kam Blut entgegen gefloſſen,
Drang unter'm Gitter hervor.
273
Und als er die Hände ſah falten
Sein Weib in letzter Noth,
Da konnt 'er den Zorn nicht halten,
Bleich ward ſein Geſicht ſo roth.
Weib, das den Tod ſich erkor!
'S war nicht mein Wille ſie ſprach,
Noch eben bracht 'ſie's hervor.
Weib, das ſeine Schwüre brach!
Wie Abendlüfte verwehen
Noch einmal haucht ſie ihn an:
Es mußt 'eine Sünde geſchehen
Ich hab' ſie für dich gethan!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 18274

Der Tod des Erzbiſchofs Engelbert von Cöln.

I.

Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,
Im ſcharfen Oſt die Halme pfeifen,
Da trabt es ſachte durch die Flur,
Da taucht es auf wie Nebelſtreifen,
Da nieder rauſcht es in den Fluß,
Und ſtemmend gen der Wellen Guß
Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei
Das Roß ſchwingt ſeine naſſen Flanken,
Und wieder eins, und wieder zwei,
Bis fünf und zwanzig ſtehn wie Schranken:
Voran, voran durch Haid und Wald,
Und wo ſich wüſt das Dickicht ballt,
Da brechen kniſternd ſie die Ranken.
Am Eichenſtamm, im Ueberwind,
Um einen Aſt den Arm geſchlungen,
Der Iſenburger ſteht und ſinnt
Und naget an Erinnerungen.
Ob er vernimmt, was durch's Gezweig
Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,
Raunt leiſe wie mit Vögelzungen?
Graf, flüſtert es, Graf haltet dicht,
Mich dünkt, als woll 'es euch bethören;
275
Bei Chriſti Blute, laßt uns nicht
Heim wie gepeitſchte Hunde kehren!
Wer hat gefeſſelt eure Hand,
Den freien Stegreif euch verrannt?
Der Iſenburg ſcheint nicht zu hören.
Graf, flüſtert es, wer war der Mann,
Dem zu dem Kreuz die Roſe
*Zu (dem Kreuz) Cöln die Roſe (das Wappen von) Berg, deſſen Beſitz Engelbert dem Bruder von Iſenburgs Gemalin vorenthielt.
* paßte?
Wer machte euren Schwätzer dann
In ſeinem eignen Land zum Gaſte?
Und, Graf, wer höhnte euer Recht,
Wer ſtempelt euch zum Pfaffenknecht?
Der Iſenburg biegt an dem Aſte.
Und wer, wer hat euch zuerkannt,
Im härnen Sünderhemd zu ſtehen,
Die Schandekerz 'in eurer Hand,
Und alte Vetteln anzuflehen
Um Kyrie und Litaney!?
Da krachend bricht der Aſt entzwei
Und wirbelt in des Sturmes Weben.
Spricht Iſenburg: mein guter Fant,
Und meinſt du denn ich ſey begraben?
O laß mich nur in meiner Hand
Doch ruhig, ſtill, ich höre traben!
Sie ſtehen lauſchend, vorgebeugt;
Durch das Gezweig der Helmbuſch ſteigt
Und flattert drüber gleich dem Raben.
276

II.

Wie dämmerſchaurig iſt der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildniß hallt
Von Aſtgeſtöhn und Windesklagen!
Horch, Knabe, war das Waffenklang?
Nein, gnäd'ger Herr! ein Vogel ſang,
Von Sturmesflügeln hergetragen.
Fort trabt der mächtige Prälat,
Der kühne Erzbiſchof von Cöllen,
Er, den der Kaiſer ſich zum Rath
Und Reichsverweſer mochte ſtellen,
Die ehrne Hand der Cleriſey,
Zwei Edelknaben, Reiſ'ger zwei,
Und noch drei Aebte als Geſellen.
Gelaſſen trabt er fort, im Traum
Von eines Wunderdomes Schöne,
Auf ſeines Roſſes Hals den Zaum,
Er ſtreicht ihm ſanft die dichte Mähne,
Die Windesodem ſenkt und ſchwellt;
Es ſchaudert, wenn ein Tropfen fällt
Von Aſt und Laub, des Nebels Thräne.
Schon ſchwindelnd ſteigt das Kirchenſchiff,
Schon bilden ſich die krauſen Zacken
Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,
Ein Helmbuſch hier, ein Arm im Nacken!
277
Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,
Die Aebte fliehn wie Spreu, und dann
Mit Reiſigen ſich Reiſ'ge packen.
Ha, ſchnöder Straus! zwei gegen zehn!
Doch hat der Fürſt ſich losgerungen,
Er peitſcht ſein Thier und mit Geſtöhn
Hat's über'n Hohlweg ſich geſchwungen;
Die Gerte pfeift Weh, Rinkerad!
Vom Roſſe gleitet der Prälat
Und iſt in's Dickicht dann gedrungen.
Huſſah, huſſah, erſchlagt den Hund,
Den ſtolzen Hund! und eine Meute
Fährt's in den Wald, es ſchließt ein Rund,
Dann vor und rückwärts und zur Seite;
Die Zweige krachen ha es naht
Am Buchenſtamm ſteht der Prälat
Wie ein geſtellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf ſein Schwert,
Er löſt die kurze breite Klinge,
Dann prüfend unter'n Mantel fährt
Die Linke nach dem Panzerringe;
Und nun wohlan, er iſt bereit,
Ja männlich focht der Prieſter heut,
Sein Streich war eine Flammenſchwinge.
Das ſchwirrt und klingelt durch den Wald,
Die Blätter ſtäuben von den Eichen,
Und über Arm und Schädel bald
Blutrothe Rinnen tröpfeln, ſchleichen;
278
Entwaffnet der Prälat noch ringt,
Der ſtarke Mann, da ziſchend dringt
Ein falſcher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Iſenburg: es iſt genug,
Es iſt zuviel! und greift die Zügel;
Noch ſah er wie ein Knecht ihn ſchlug,
Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.
Es iſt zuviel, hinweg, geſchwind!
Fort ſind ſie, und ein Wirbelwind
Fegt ihnen nach wie Eulenflügel.
Des Sturmes Odem iſt verrauſcht,
Die Tropfen glänzen an dem Laube,
Und über Blutes Lachen lauſcht
Aus hohem Loch des Spechtes Haube;
Was kniſtert nieder von der Höh '
Und ſchleppt ſich wie ein krankes Reh?
Ach armer Knabe, wunde Taube!
Mein gnädiger, mein lieber Herr,
So mußten dich die Mörder packen?
Mein frommer, o mein Heiliger!
Das Tüchlein zerrt er ſich vom Nacken,
Er drückt es auf die Wunde dort,
Und hier und drüben, immerfort,
Ach, Wund 'an Wund' und blut'ge Zacken!
Ho, hollah ho! dann beugt er ſich
Und ſpäht, ob noch der Odem rege;
War's nicht als wenn ein Seufzer ſchlich,
Als wenn ein Finger ſich bewege?
279
Ho, hollah ho! Halloh, hoho!
Schallt's wieder um, deß war er froh:
Sind unſre Reuter allewege!

III.

Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib
Am Rabenſteine unter'm Rade,
Und über'm Rade liegt ein Leib,
An dem ſich weiden Kräh 'und Made;
Zerbrochen iſt ſein Wappenſchild,
Mit Trümmern ſeine Burg gefüllt,
Die Seele ſteht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürſten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchſchwehlen
Um ſeinen qualmt der Moderhauch
Und Hagel peitſcht der Rippen Höhlen;
Im Dome ſteigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum ſtieg empor
Bei ſeiner Qual aus tauſend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger ſieht,
Dann läßt er raſch ſein Rößlein traben,
Doch eine bleiche Frau die kniet,
Und ſcheucht mit ihrem Tuch die Raben:
Um ſie mied er die Schlinge nicht,
Er war ihr Held, er war ihr Licht
Und ach, der Vater ihrer Knaben!
280

Das Fegefeuer des weſtphäliſchen Adels.

Wo der ſelige Himmel, das wiſſen wir nicht,
Und nicht, wo der gräuliche Höllenſchlund,
Ob auch die Wolke zittert im Licht,
Ob ſiedet und qualmet Vulkanes Mund;
Doch wo die weſtphäliſchen Edeln müſſen
Sich ſauber brennen ihr roſtig Gewiſſen,
Das wiſſen wir alle, das ward uns kund.
Grau war die Nacht, nicht öde und ſchwer,
Ein Aſchenſchleier hing in der Luft;
Der Wanderburſche ſchritt flink einher,
Mit Wolluſt ſaugend den Heimatduft;
O bald, bald wird er ſchauen ſein Eigen,
Schon ſieht am Lutterberge er ſteigen
Sich leiſe ſchattend die ſchwarze Kluft.
Er richtet ſich, wie Trompetenſtoß
Ein Hollah ho! ſeiner Bruſt entſteigt
Was ihm im Nacken? ein ſchnaubend Roß,
An ſeiner Schulter es raſſelt, keucht,
Ein Rappe grünliche Funken irren
Ueber die Flanken, die kniſtern und knirren,
Wie wenn man den murrenden Kater ſtreicht.
Jeſus Maria! er ſetzt ſeitab,
Da langt vom Sattel es überzwerg
Ein eherner Griff, und in wüſtem Trab
Wie Wind und Wirbel zum Lutterberg!
281
An ſeinem Ohre hört er es raunen
Dumpf und hohl, wie gedämpfte Poſaunen,
So an ihm raunt der geſpenſtige Scherg ':
Johannes Deweth! ich kenne dich!
Johann! du biſt uns verfallen heut!
Bei deinem Heile, nicht lach 'noch ſprich,
Und rühre nicht an was man dir beut;
Vom Brode nur magſt du brechen in Frieden,
Ewiges Heil ward dem Brode beſchieden,
Als Chriſtus in froner Nacht es geweiht!
Ob mehr geſprochen, man weiß es nicht,
Da ſeine Sinne der Burſche verlor,
Und ſpät erſt hebt er ſein bleiches Geſicht
Vom Eſtrich einer Halle empor;
Um ihn Geſumme, Geſchwirr, Gemunkel,
Von tauſend Flämmchen ein mattes Gefunkel,
Und drüber ſchwimmend ein Nebelflor.
Er reibt die Augen, er ſchwankt voran,
An hundert Tiſchen, die Halle entlang,
All edle Geſchlechter, ſo Mann an Mann;
Es rühren die Gläſer ſich ſonder Klang,
Es regen die Meſſer ſich ſonder Klirren,
Wechſelnde Reden ſummen und ſchwirren,
Wie Glockengeläut, ein wirrer Geſang.
Ob jedem Haupte des Wappens Glaſt,
Das langſam ſchwellende Tropfen ſpeit,
Und wenn ſie fallen, dann zuckt der Gaſt,
Und drängt ſich einen Moment zur Seit ';
282
Und lauter, lauter dann wird das Rauſchen,
Wie Stürme die zornigen Seufzer tauſchen,
Und wirrer ſummet das Glockengeläut.
Strack ſteht Johann wie ein Lanzenknecht,
Nicht möchte der gleißenden Wand er trau'n,
Noch wäre der glimmernde Sitz ihm recht,
Wo rutſchen die Knappen mit zuckenden Brau'n.
Da muß, o Himmel, wer ſollt 'es denken!
Den frommen Herrn, den Friedrich von Brenken,
Den alten ſtattlichen Ritter er ſchaun.
Mein Heiland, mach 'ihn der Sünden baar!
Der Jüngling ſeufzet in ſchwerem Leid;
Er hat ihm gedienet ein ganzes Jahr;
Doch ungern kredenzt er den Becher ihm heut!
Bei jedem Schlucke ſieht er ihn ſchüttern,
Ein blaues Wölkchen dem Schlund entzittern,
Wie wenn auf Kohlen man Weihrauch ſtreut.
O manche Geſtalt noch dämmert ihm auf,
Dort ſitzt ſein Pathe, der Metternich,
Und eben durch den wimmelnden Hauf
Johann von Spiegel, der Schenke, ſtrich;
Prälaten auch, je viere und viere,
Sie blättern und riſpeln im grauen Breviere,
Und zuckend krümmen die Finger ſich.
Und unten im Saale, da knöcheln friſch
Schaumburger Grafen um Leut 'und Land,
Graf Simon ſchüttelt den Becher riſch,
Und reibt mitunter die kniſternde Hand;
283
Ein Knappe nahet, er ſurret leiſe
Ha, welches Geſummſe im weiten Kreiſe,
Wie hundert Schwärme an Klippenrand!
Geſchwind den Seſſel, den Humpen werth,
Den ſchleichenden Wolf* geſchwinde herbei!
Horch, wie es draußen raſſelt und fährt!
Baarhaupt ſtehet die Maſſoney,
Hundert Lanzen drängen nach binnen,
Hundert Lanzen und mitten darinnen
Der Aſſeburger, der blutige Weih!
Und als ihm alles entgegen zieht,
Da ſpricht Johannes ein Stoßgebet:
Dann riſch hinein! ſein Ermel ſprüht,
Ein Funken über die Finger ihm geht.
Voran da ſieben ſchwirren die Lüfte
Sieben, ſieben, ſieben, die Klüfte,
In ſieben Wochen, Johann Deweth!
Der ſinkt auf ſchwellenden Raſen hin,
Und ſchüttelt gegen den Mond die Hand,
Drei Finger die bröckeln und ſtäuben hin,
Zu Aſch 'und Knöchelchen abgebrannt.
Er rafft ſich auf, er rennt, er ſchießet,
Und ach, die Vaterklauſe begrüßet
Ein grauer Mann, von Keinem gekannt
Der nimmer lächelt, nur des Gebets
Mag pflegen drüben im Kloſterchor,
* Der ſchleichende Wolf iſt das Wappen der Familie Aſſeburg. 284
Denn ſieben, ſieben, flüſtert es ſtets,
Und ſieben Wochen ihm in das Ohr.
Und als die ſiebente Woche verronnen,
Da iſt er verſiegt wie ein dürrer Bronnen,
Gott hebe die arme Seele empor!
285

Die Stiftung Cappenbergs.

Der Mond mit ſeinem blaſſen Finger
Langt leiſe durch den Mauerſpalt,
Und koſet, ſtreifend längs dem Zwinger,
Norbertus 'Stirne feucht und kalt.
Der lehnt an bröckelndem Geſtein,
Salpeterflocken ſeine Daunen,
An ſeinem Ohre Heimchen raunen,
Und wimmelnd rennt das Tauſendbein.
Und über'm Haupte fühlt er's beben,
Da geht es hoch, da zecht es friſch,
In Pulſen ſchäumend pocht das Leben,
Die Humpen tanzen auf dem Tiſch.
Der Graf von Arnsberg giebt ein Feſt,
Dem Schwiegerſohn der graue Schwäher;
So mehr er trinkt ſo wird er zäher,
So wirrer ſteht ſein Lockenneſt.
Gern hat ſein Kind er dem Dynaſten,
Dem reichen Cappenberg vertraut,
Nun trägt ſein Anker Doppellaſten!
Und ſeinen Feinden hat's gegraut.
Da kömmt auf ſeinem Eſelein
Norbert, und macht den Sohn zum Pfaffen;
Allein er wußte Rath zu ſchaffen,
Er pferchte den Apoſtel ein.
286
Wie, keine Enkel ſoll er wiegen?
Soll in des Eidams Hora gehn,
Und ſehn ſein Kind am Boden liegen
Und Paternoſterkugeln drehn?
Nein, heute iſt der Tag wo muß,
Wo wird die Sache ſich erled'gen,
Und ſollt 'er mit dem Schwerte pred'gen,
Ein umgekehrter Carolus.
Und Gottfried , ſpricht er, Junge, Ritter,
So ſieh doch einmal in die Höh!
Du ſchauſt ja in den Wein ſo bitter
Wie Requiem und Kyrie.
Was ſpinnſt du an dem alten Werg?
Laß die Kaputze grauen Sündern,
Und deine Burg die laß den Kindern,
Dein ſchönes feſtes Cappenberg!
Und drunten in dem feuchten Thurme
Der Heil'ge flüſtert: Großer Gott,
Allgegenwärt'ger du im Wurme
Als in der Krone blankem Spott,
Wie größer deine Allmacht zeigt
Sein Füßchen, das lebendig zittert,
Als eine Mauer die verwittert,
Und ob ein Babel drüber ſteigt!
Ja ſpricht der Graf, den Humpen ſchwenkend:
Wär Norbert hier, dein Eſelmann,
Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,
Und trinken möcht er was er kann;
287
Doch da ihm Pech und Schwefel glüht,
Was andern Schächern mild und ſüße,
So bleibt er beſſer im Verließe,
Ein wohlkaſteiter Eremit.
Und drunten ſpricht's mit mildem Tone:
Du der, des Himmels höchſte Zier,
Gezogen biſt zur Dornenkrone
Auf einem ſtill demüth'gen Thier,
Du, der des Mondes Lieblichkeit
In meinen Kerker ließeſt rinnen,
Gezähmt mir die vertrauten Spinnen,
Du, Milder, ſeyſt gebenedeit!
Und Gottfried, kämpfend mit den Thränen,
Ergreift den Humpen, noch gefüllt,
Vor ſeinem Ohr ein leiſes Stöhnen,
Vor ſeinem Aug 'ein bleiches Bild.
O, dringen möcht er durch den Stein,
Wo ſeine ſünd'gen Füße ſtehen,
O, einmal, einmal möcht' er ſehen
Durch Lichterglanz den Heil'genſchein!
Ha! zürnt der Graf, was ließ ich ſchenken
Dir meinen allerbeſten Wein!
Eh möcht 'ich einen Schädel tränken,
Ja, oder einen Leichenſtein.
Gottfried, Gottfried, ich ſchwör es dir,
So wahr ich Friedrich ſeht ihn ſtocken,
Vor ſeinem Auge ſchwimmen Flocken,
Er hebt ſich auf, er ſchwankt zur Thür,
288
Und plötzlich auf den Eſtrich nieder
Taumelt er wie ein wundes Roß,
Es zucken, ſtrecken ſich die Glieder.
Welch 'ein Getümmel in dem Schloß!
Krank dieſer, todt ſpricht jener Mund,
Ja wahrlich, das iſt Todes Miene,
Und eine mächtige Ruine
Liegt Friedrich auf dem eignen Grund.
Die Humpen ſind in Haſt zertrümmert,
Burgunderblut fließt über'n Stein,
Die Lampen mählig ſind verkümmert,
Wie Erdenluſt ſie qualmten ein.
Doch drüben, in des Kloſters Hut,
Entflammte man die ew'ge Leuchte,
Und knieend alles Volk ſich beugte
Dem reinen Wein, der Chriſti Blut.
289

Der Fundator.

Im Weſten ſchwimmt ein falber Strich,
Der Abendſtern entzündet ſich
Grad 'über'm Sankt Georg am Thore;
Schwer haucht der Dunſt vom nahen Moore.
Schlaftrunkne Schwäne kreiſen ſacht
Um's Eiland, wo die graue Wacht
Sich hebt aus Waſſerbinſ' und Rohre.
Auf ihrem Dach die Fledermaus,
Sie ſchaukelt ſich, ſie breitet aus
Den Rippenſchirm des Schwingenfloſſes,
Und, mit dem Schwirren des Geſchoſſes,
Entlang den Teich, hinauf, hinab,
Dann klammert ſie am Fenſterſtab,
Und blinzt in das Gemach des Schloſſes.
Ein weit Gelaß, im Sammetſtaat!
Wo einſt der mächtige Prälat
Des Hauſes Chronik hat geſchrieben.
Friſch iſt der Baldachin geblieben,
Der güldne Tiſch, an dem er ſaß,
Und ſeine Seelenmeſſe las
Man heut in der Kapelle drüben.
Heut ſind es grade hundert Jahr,
Seit er gelegen auf der Bahr '
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 19290
Mit ſeinem Kreuz und Silberſtabe.
Die ewge Lamp 'an ſeinem Grabe
Hat heute hundert Jahr gebrannt.
In ſeinem Seſſel an der Wand
Sitzt heut ein ſchlichter alter Knabe.
Des Hauſes Diener, Sigismund,
Harrt hier der Herrſchaft, Stund 'auf Stund:
Schon kam die Nacht mit ihren Flören,
Oft glaubt die Kutſche er zu hören,
Ihr Quitſchern in des Weges Kies,
Er richtet ſich doch nein es blies
Der Abendwind nur durch die Föhren.
'S iſt eine Dämmernacht, genau
Gemacht für Alp und weiße Frau.
Dem Junkerlein ward es zu lange,
Dort ſchläft es hinter'm Damaſthange.
Die Chronik hält der Alte noch,
Und blättert fort im Finſtern, doch
Im Ohre ſummt es gleich Geſange:
So hab 'ich dieſes Schloß erbaut,
Ihm mein Erworbnes anvertraut,
Zu des Geſchlechtes Nutz und Walten;
Ein neuer Stamm ſprießt aus dem alten,
Gott ſegne ihn! Gott mach' ihn groß!
Der Alte horcht, das Buch vom Schooß
Schiebt ſacht er in der Lade Spalten:
291
Nein durch das Fenſter ein und aus
Zog ſchrillend nur die Fledermaus;
Nun ſchießt ſie fort. Der Alte lehnet
Am Simſe. Wie der Teich ſich dehnet
Um's Eiland, wo der Warte Rund
Sich tief ſchattirt im matten Grund.
Das Röhricht knirrt, die Unke ſtöhnet.
Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht
Der alte Kirchenfürſt, wenn Nacht
Sich auf den Weiher hat ergoſſen.
Dort hat den Reiher er geſchoſſen,
Und zugeſchaut des Schloſſes Bau,
Sein weiß Habit, ſein Auge grau,
Lugt 'drüben an den Fenſterſproſſen.
Wie ſcheint der Mond ſo kümmerlich!
Er birgt wohl hinter'm Tanne ſich
Schaut nicht der Thurm wie 'ne Laterne,
Verhauchend, dunſtig, aus der Ferne!
Wie ſteigt der blaue Duft im Rohr,
Und rollt ſich am Geſims empor!
Wie ſeltſam blinken heut' die Sterne!
Doch ha! er blinzt, er ſpannt das Aug ',
Denn dicht und dichter ſchwillt der Rauch,
Als ob ein Docht ſich langſam fache,
Entzündet ſich im Thurmgemache
Wie Mondenſchein ein graues Licht,
Und dennoch dennoch las er nicht,
Nicht Neumond heut im Almanache?
292
Was iſt das? deutlich, nur getrübt
Vom Dunſt der hin und wieder ſchiebt,
Ein Tiſch, ein Licht, in Thurmes Mitten,
Und nun, nun kömmt es hergeſchritten,
Ganz wie ein Schatten an der Wand,
Es hebt den Arm, es regt die Hand,
Nun iſt es an den Tiſch geglitten.
Und nieder ſitzt es, langſam, ſteif,
Was in der Hand? ein weißer Streif!
Nun zieht es Etwas aus der Scheiden
Und fingert mit den Händen beiden,
Ein Ding, ein Stäbchen ungefähr,
Dran fährt es langſam hin und her,
Es ſcheint die Feder anzuſchneiden.
Der Diener blinzt und blinzt hinaus:
Der Schemen ſchwankt und bleichet aus,
Noch ſieht er es die Feder tunken,
Da drüber gleitet es wie Funken,
Und in demſelbigen Moment
Iſt Alles in das Element
Der ſpurlos finſtern Nacht verſunken.
Noch immer ſteht der Sigismund,
Noch ſtarrt er nach der Warte Rund,
Ihn dünkt, des Weihers Flächen rauſchen,
Weit beugt er über'n Sims, zu lauſchen;
Ein Ruder! nein, die Schwäne ziehn!
Grad hört er längs dem Ufergrün
Sie ſacht ihr tiefes Schnarchen tauſchen.
293
Er ſchließt das Fenſter. Licht, o Licht!
Doch mag das Junkerlein er nicht
So plötzlich aus dem Schlafe faſſen,
Noch minder es im Saale laſſen.
Sacht ſchiebt er ſich dem Seſſel ein,
Zieht ſein korallnes Nöſterlein,
Was klingelt drüben an den Taſſen?
Nein eine Fliege ſchnurrt im Glas!
Dem Alten wird die Stirne naß;
Die Möbeln ſtehn wie Todtenmaale,
Es regt und rüttelt ſich im Saale,
Allmählig weicht die Thür zurück,
Und in demſelben Augenblick
Schlägt an die Dogge im Portale.
Der Alte drückt ſich dicht zu Hauf,
Er lauſcht mit Doppelſinnen auf,
Ja! am Parket ein leiſes Streichen,
Wie Wieſel nach der Stiege ſchleichen
Und immer härter, Tapp an Tapp,
Wie mit Sandalen, auf und ab,
Es kömmt es naht er hört es keuchen;
Sein Seſſel knackt! ihm ſchwimmt das Hirn
Ein Odem, dicht an ſeiner Stirn!
Da fährt er auf und wild zurücke,
Errafft das Kind mit blindem Glücke
Und ſtürzt den Corridor entlang.
O, Gott ſey Dank! ein Licht im Gang,
Die Kutſche raſſelt auf die Brücke!
294

Vorgeſchichte (Second sight).

Kennſt du die Blaſſen im Haideland,
Mit blonden flächſenen Haaren?
Mit Augen ſo klar wie an Weihers Rand
Die Blitze der Welle fahren?
O ſprich ein Gebet, inbrünſtig, ächt,
Für die Seher der Nacht, das gequälte Geſchlecht.
So klar die Lüfte, am Aether rein
Träumt nicht die zarteſte Flocke,
Der Vollmond lagert den blauen Schein
Auf des ſchlafenden Freiherrn Locke,
Hernieder bohrend in kalter Kraft
Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer ſtöhnt, ein Traum voll Noth
Scheint ſeine Sinne zu quälen,
Es zuckt die Wimper, ein leiſes Roth
Will über die Wange ſich ſtehlen;
Schau, wie er woget und rudert und fährt,
Wie Einer ſo gegen den Strom ſich wehrt.
Nun zuckt er auf ob ihn geträumt,
Nicht kann er ſich deſſen entſinnen
Ihn fröſtelt, fröſtelt, ob's drinnen ſchäumt
Wie Fluthen zum Strudel rinnen;
Was ihn geängſtet, er weiß es auch:
Es war des Mondes giftiger Hauch.
295
O Fluch der Haide, gleich Ahasver
Unter'm Nachtgeſtirne zu kreiſen!
Wenn ſeiner Strahlen züngelndes Meer
Aufbohret der Seele Schleuſen,
Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild,
Kämpft gegen das mählig ſteigende Bild.
Im Mantel ſchaudernd mißt das Parquet
Der Freiherr die Läng 'und Breite,
Und wo am Boden ein Schimmer ſteht,
Weitaus er beuget zur Seite,
Er hat einen Willen und hat eine Kraft,
Die ſollen nicht liegen in Blutes Haft.
Es will ihn krallen, es ſaugt ihn an,
Wo Glanz die Scheiben umgleitet,
Doch langſam weichend, Spann 'um Spann',
Wie ein wunder Edelhirſch ſchreitet,
In immer engerem Kreis gehetzt,
Des Lagers Pfoſten ergreift er zuletzt.
Da ſteht er keuchend, ſinnt und ſinnt,
Die müde Seele zu laben,
Denkt an ſein liebes einziges Kind,
Seinen zarten, ſchwächlichen Knaben,
Ob deſſen Leben des Vaters Gebet
Wie eine zitternde Flamme ſteht.
Hat er des Kleinen Stammbaum doch
Geſtellt an des Lagers Ende,
296
Nach dem Abendkuſſe und Segen noch
Drüber brünſtig zu falten die Hände;
Im Monde flimmernd das Pergament
Zeigt Schild an Schilder, ſchier ohne End '.
Rechtsab des eigenen Blutes Gezweig,
Die alten freiherrlichen Wappen,
Drei Roſen im Silberfelde bleich,
Zwei Wölfe ſchildhaltende Knappen,
Wo Roſ 'an Roſe ſich breitet und blüht,
Wie über'm Fürſten der Baldachin glüht.
Und links der milden Mutter Geſchlecht,
Der Frommen in Grabeszellen,
Wo Pfeil 'an Pfeile, wie im Gefecht,
Durch blaue Lüfte ſich ſchnellen.
Der Freiherr ſeufzt, die Stirn geſenkt,
Und ſteht am Fenſter, bevor er's denkt.
Gefangen! gefangen im kalten Stral!
In dem Nebelnetze gefangen!
Und feſt gedrückt an der Scheib 'Oval,
Wie Tropfen am Glaſe hangen,
Verfallen ſein klares Nixenaug',
Der Haidequal in des Mondes Hauch.
Welch ein Gewimmel! er muß es ſehn,
Ein Gemurmel! er muß es hören,
Wie eine Säule, ſo muß er ſtehn,
Kann ſich nicht regen noch kehren.
Es ſummt im Hofe ein dunkler Hauf,
Und einzelne Laute dringen hinauf.
297
Hei! eine Fackel! ſie tanzt umher,
Sich neigend, ſteigend in Bogen,
Und nickend, zündend, ein Flammenheer
Hat den weiten Eſtrich umzogen.
All' ſchwarze Geſtalten im Trauerflor
Die Fackeln ſchwingen und halten empor.
Und Alle gereihet am Mauerrand,
Der Freiherr kennet ſie Alle;
Der hat ihm ſo oft die Büchſe geſpannt,
Der pflegte die Roſſ 'im Stalle,
Und der ſo luſtig die Flaſche leert,
Den hat er ſiebenzehn Jahre genährt.
Nun auch der würdige Kaſtellan,
Die breite Pleureuſe am Hute,
Den ſieht er langſam, ſchlurfend nahn,
Wie eine gebrochene Ruthe;
Noch deckt das Pflaſter die dürre Hand,
Verſengt erſt geſtern an Heerdes Brand.
Ha, nun das Roß! aus des Stalles Thür,
In ſchwarzem Behang und Flore;
O, iſt's Achill, das getreue Thier?
Oder iſt's ſeines Knaben Medore?
Er ſtarret, ſtarrt und ſieht nun auch,
Wie es hinkt, vernagelt nach altem Brauch.
Entlang der Mauer das Muſikchor,
In Krepp gehüllt die Poſaunen,
298
Haucht prüfend leiſe Cadenzen hervor,
Wie träumende Winde raunen;
Dann Alles ſtill. O Angſt! o Qual!
Es tritt der Sarg aus des Schloſſes Portal.
Wie prahlen die Wappen, farbig grell
Am ſchwarzen Sammet der Decke.
Ha! Roſ 'an Roſe, der Todesquell
Hat geſpritzet blutige Flecke!
Der Freiherr klammert das Gitter an:
Die andre Seite! ſtöhnet er dann.
Da langſam wenden die Träger, blank
Mit dem Monde die Schilder koſen.
O, ſeufzt der Freiherr Gott ſey Dank!
Kein Pfeil, kein Pfeil, nur Roſen!
Dann hat er die Lampe ſtill entfacht,
Und ſchreibt ſein Teſtament in der Nacht.
299

Der Graue.

Im Walde ſteht die kleine Burg,
Aus rohem Quaderſtein gefugt,
Mit Schart 'und Fenſterlein, wodurch
Der Doppelhaken einſt gelugt;
Am Teiche rauſcht des Rohres Speer,
Die Brücke wiegt und knarrt im Sturm,
Und in des Hofes Mitte, ſchwer,
Plump wie ein Mörſer, ſteht der Thurm.
Da ſiehſt du jetzt umher geſtellt
Manch 'feuerrothes Ziegeldach,
Und wie der Stempel ſteigt und fällt,
So pfeift die Dampfmaſchine nach;
Es knackt die Form, der Bogen ſchrillt,
Es dunſtet Scheidewaſſers Näh',
Und über'm grauen Wappenſchild
Liest man: Moulin à papier.
Doch wie der Keſſel quillt und ſchäumt,
Den Brüß'ler Kaufherrn freut es kaum,
Der hatte einmal ſich geträumt
Von Land und Luft den feinſten Traum;
Das war ſo recht ein Fleckchen, ſich
Zu retten aus der Zahlen Haft!
Nicht groß, und doch ganz adelich,
Und brauchte wenig Dienerſchaft.
300
Doch eine Nacht nur macht er ſich
Bequem es oder unbequem
In ſeinem Schlößchen, und er ſtrich
Nur wie ein Vogel dran ſeitdem.
Sah dann er zu den Fenſtern auf,
Verſchloſſen wie die Sakriſtei'n,
So zog er wohl die Schultern auf,
Mit einem Seufzer, oder zwei'n.
Es war um die Septemberzeit,
Als, ſchürend des Kamines Brand,
Gebückt, in regenfeuchtem Kleid,
Der Hausherr in der Halle ſtand,
Er und die Gäſte, All' im Rauch;
Van Neelen, Redel, Verney, Dahm,
Und dann der blonde Waller auch,
Der eben erſt aus Smyrna kam.
Im Schlote ſchnob der Wind, es goß
Der Regen ſprudelnd ſich vom Dach,
Und wenn am Brand ein Flämmchen ſchoß,
Schien doppelt öde das Gemach.
Die Gäſte waren all' zur Hand,
Erleichternd ihres Wirthes Müh ';
Van Neelen nur am Fenſter ſtand,
Und ſchimpfte auf die Landparthie.
Doch nach und nach mag's beſſer gehn,
Schon hat der Wind die Glut gefacht,
301
Den Regen läßt man draußen ſtehn,
Champagnerflaſchen ſind gebracht.
Die Leuchter hatten wenig Werth,
Es gieng wie beim Studentenfeſt:
Sobald die Flaſche iſt geleert,
Wird eine Kerze drauf gepreßt.
Je mehr es fehlt, ſo mehr man lacht,
Der Wein iſt heiß, die Koſt gewählt,
Manch 'derbes Späßchen wird gemacht,
Und mancher feine Streich erzählt.
Zuletzt von Wein und Reden glüh,
Rückt ſeinen Stuhl der Herr vom Haus:
Ich lud Euch zu' ner Landparthie,
Es ward 'ne Waſſerfahrt daraus.
Doch da die allerſchönſte Fracht
Am Ende nach dem Hafen ſchifft,
So, meine Herren, gute Nacht!
Und nehmt vorlieb, wie es ſich trifft.
Da lachend nach den Flaſchen greift
Ein Jeder. Thüren auf und zu.
Und Waller, noch im Gehen, ſtreift
Aus ſeinem Frack den Ivanhoe.
Er war tief in die Nacht hinein,
Und draußen heulte noch der Sturm,
Schnob ziſchend an dem Fenſterſtein
Und drillt den Glockenſtrang am Thurm.
302
In ſeinem Bette Waller lag,
Und las ſo ſcharf im Ivanhoe,
Daß man gedacht, bevor es Tag
Sey Englands Königreich in Ruh.
Er ſah nicht, daß die Kerze tief
Sich brannte in der Flaſche Rand,
Der Talg in ſchweren Tropfen lief,
Und drunten eine Lache ſtand.
Wie träumend hört 'er das Geknarr
Der Fenſter, vom Rouleau gedämpft,
Und wie die Thüre mit Geſchnarr
In ihren Angeln zuckt und kämpft.
Sehr freut er ſich am Bruder Tuck,
Die Sehne ſchwirrt, es rauſcht der Hain
Da plötzlich ein gewalt'ger Ruck,
Und, hui! die Scheibe klirrt hinein.
Er fuhr empor, weg war der Traum
Und deckte mit der Hand das Licht,
Ha! wie ſo wüſt des Zimmers Raum!
Selbſt ein romantiſches Gedicht!
Der Seſſel feudaliſtiſch Gold
Am Marmortiſch die Greifenklau '
Und über'm Spiegel flatternd rollt,
Ein Banner, der Tapete Blau,
Im Zug der durch die Lücke ſchnaubt;
Die Ahnenbilder leben faſt,
Und ſchütteln ihr behelmtes Haupt
Ergrimmt ob dem plebejen Gaſt.
303
Der blonde Waller machte gern
Sich ſelber einen kleinen Graus,
So nickt er ſpöttiſch gen die Herrn,
Als fordert 'er ſie keck heraus.
Die Glocke ſummt ſchon Eins fürwahr!
Wie eine Boa dehnt' er ſich,
Und ſah nach dem Piſtolenpaar,
Dann rüſtet er zum Schlafe ſich.
Die Flaſche hob er einmal noch
Und leuchtete die Wände an,
Ganz wie 'ne alte Halle doch
Aus einem Scottiſchen Roman!
Und iſt das Nebel oder Rauch,
Was durch der Thüre Spalten quillt,
Und, wirbelnd in des Zuges Hauch,
Die dunſtigen Paneele füllt?
Ein Ding ein Ding wie Grau in Grau,
Die Formen ſchwanken ſonderbar!
Doch, ob der Blick ſich ſchärft? den Bau
Von Gliedern nimmt er mählig wahr.
Wie über'm Eiſenhammer, ſchwer
Und ſchwarz, des Rauches Säule wallt;
Ein Zucken flattert drüben her,
Doch hat es menſchliche Geſtalt!
Er war ein hitziger Kumpan,
Wenn Wein die Lava hat geweckt.
» Qui vive! « und leiſe knackt der Hahn,
Der Waller hat den Arm geſtreckt:
304
» Qui vive! « 'ne Pauſe, » ou je tire! «
Und aus dem Lauf die Kugel knallt;
Er hört ſie ſchlagen an die Thür,
Und abwärts prallen mit Gewalt.
Der Schuß dröhnt am Gewölbe nach,
Und, eine ſchwere Nebelſchicht,
Füllt Pulverbrodem das Gemach;
Er theilt ſich, ſchwindet, das Geſicht
Steht in des Zimmers Mitte jetzt,
Ganz wie ein graues Bild von Stein,
Die Formen ſcharf und unverletzt,
Die Züge edel, ſtreng und rein.
Auf grauer Locke grau Barett,
Mit grauer Hahnenfeder drauf.
Der Waller hat ſo ſacht und nett
Sich hergelangt den zweiten Lauf.
Noch zögert er iſt es ein Bild,
Wär's zu zerſchießen lächerlich;
Und wär's ein Menſch das Blut ihm quillt
Ein Geck, der unterfinge ſich ?!
Ein neuer Ruck, und wieder Knall
Und Pulverrauch war das Geſtöhn?
Er hörte keiner Kugel Prall
Es iſt vorüber! iſt geſchehn!
Der Waller zuckt: verdammtes Hirn!
Mit einmal iſt er kalt wie Eis,
Der Angſtſchweiß tritt ihm auf die Stirn,
Er ſtarret in den Nebelkreis.
305
Ein Aechzen! oder Windeshauch!
Doch nein, der Scheibenſplitter ſchwirrt.
O Gott, es zappelt! nein der Rauch
Gedrängt vom Zuge ſchwankt und irrt;
Es wirbelt aufwärts, woget, wallt,
Und, wie ein graues Bild von Stein,
Steht nun am Bette die Geſtalt,
Da, wo der Vorhang ſinkt hinein.
Und drüber kniſtert's, wie von Sand,
Wie Funke, der elektriſch lebt;
Nun zuckt ein Finger nun die Hand
Allmählig nun ein Fuß ſich hebt,
Hoch immer höher Waller winkt;
Dann macht er ſchnell gehörig Raum,
Und langſam in die Kiſſen ſinkt
Es ſchwer, wie ein gefällter Baum.
» Ah, je te tiens! « er hat's gepackt,
Und ſchlingt die Arme wie 'nen Strick,
Ein Leichnam! todesſteif und nackt!
Mit einem Ruck fährt er zurück;
Da wälzt es langſam, ſchwer wie Blei,
Sich gleich dem Mühlſtein über ihn;
Da that der Waller einen Schrei,
Und ſeine Sinne waren hin.
Am nächſten Morgen fand man kalt
Ihn im Gemache ausgeſtreckt;
'S war eine Ohnmacht nur, und bald
Ward zum Bewußtſeyn er geweckt.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 20306
Nicht irre war er, nur gepreßt,
Und fragt: ob Keiner ward geſtört?
Doch Alle ſchliefen überfeſt,
Nicht einer hat den Schuß gehört.
So ward es denn für Traum ſogleich,
Und Alles für den Alp erkannt;
Doch zog man ſich aus dem Bereich,
Und trollte hurtig über Land.
Sie waren Alle viel zu klug,
Und vollends zu beleſen gar;
Allein der blonde Waller trug
Seit dieſer Nacht eisgraues Haar.
307

Die Vendetta.

I.

Ja, einen Feind hat der Corſ ', den Hund,
Luigi, den hagern Podeſta,
Der den Ohm, ſo ſtark und geſund,
Ließ henken, den kühnen di Veſta.
Er und der rothe Franzoſe Jocliffe,
Die Beiden machten ihn hangen,
Aber der ging zu dem Schmugglerſchiff,
Und liegt ſeit Monden gefangen.
Steht im Walde Geronimo,
Und klirrend zieht aus der Scheide
Er das Meſſer, ſo und ſo
An der Sohle wetzt er die Schneide;
Gleitet dann in die Dämmerung,
Dem Feinde auf Tod und Leben
Mit des Thieres Verſtümmelung
Ein corſiſch Cartel zu geben.
Schau! wie Zweig an Zweige er ſtreicht,
Kaum flüſternd die Blätter ſchwanken,
Gleich der gleißenden Boa leicht
Hinquillt durch Gelaub und Ranken;
Drüber träufelt das Mondenlicht,
Wie heimlicher Thräne Klage
Durch eine dunkele Wimper bricht.
Nun kniet der Corſe am Haage.
308
Dort der Anger, und dort am Hang
Die einſam weidende Stute,
Langſam ſchnaubt ſie den Rain entlang;
Aus andaluſiſchem Blute,
Hoch, ſchneeſchimmernd, zum Grund gebeugt
Den mähnumflutheten Nacken,
Nah ſie, näher dem Hagen ſteigt.
Nun wird der Corſe ſie packen!
Schon erfaßt er der Schneide Griff,
Er reckt ſich über dem Kraute,
Da ein Gekniſter und ſtill! ein Pfiff,
Und wieder ſummende Laute!
Und es ſchreitet dem Hage zu,
Grad wo Geronimo knieet,
Nieder gleitet der Corſ 'im Nu,
Ha, wie er keuchet und glühet!
Dicht an ihm, der Mantel ſtreift,
Die Ferſe könnt 'er ihm faſſen,
Steht der hagre Podeſt' und pfeift;
Sorella! ruft er gelaſſen,
Und Sorella, mein kluges Thier!
Der Lauſcher höret es ſtampfen,
Ueber ihm, mit hellem Gewieh'r,
Zwei ſchnaubende Nüſtern dampfen.
Freundlich klatſcht Luigi den Bug,
Liebkoſend ſtreicht er die Mähnen,
Hat nicht zärtlicher Worte genug,
Er ſpricht wie zu ſeiner Schönen.
309
Einen Blitz aus glühendem Aug ',
Und rückwärts taumelt die Stute.
Ei, Sorella, was fehlt dir auch?
Mein Töchterchen, meine Gute.
Candiszucker langt er hervor;
Ha, wie ihre Nüſtern blaſen!
Wie ſie naſchet, geſpitzt das Ohr,
Und immer glotzet zum Raſen!
Einen Blick der Podeſta ſcheu
Schießt über die glitzernde Aue,
Rückt am Dolche, und dann aufs neu:
Mein Schimmelchen, meine Graue!
Wie er über den Hag ſich biegt,
Am Nacken des Thieres gleitet,
Auf Geronimo's Auge liegt
Des Feindes Mantel gebreitet;
O, nie hat ſo heiß und ſchwer
Geronimo, nie gelegen,
Jede Muskel im Arm fühlt er
Wie eine Viper ſich regen.
Doch er iſt ein gläubiger Chriſt,
Geht jede Woche zur Beichte,
Hat voll Andacht noch heut geküßt
Chriſtofero's heilige Leuchte.
Sünde wär's, das Meſſer im Schlund
Des Ungewarnten zu bergen,
Sonſt alleine, allein der Hund!
Bewaffnet, und ohne Schergen!
310
Eine Minute, die ſchnell vergeht,
Der Corſe gen Himmel ſchaute,
Zum Patrone ein Stoßgebet,
Dann fährt er empor vom Kraute;
Blank die Waffe, den Bug geſchlitzt,
Dann wie ein Vogel zum Walde
Schreiend vom Hange die Stute blitzt,
Der Richter ſtarrt an der Halde.

II.

Mittagsſtunde, der Sonnenpfeil
Prallt an des Weihen Gefieder,
Der vom Geſteine grau und ſteil
Blinzt in die Pinien nieder.
Schwarz der Wald, eine Wetternacht,
Die aus dem Aether geſunken,
Drüber der Stral in Siegespracht
Tanzt auf dem Feinde wie trunken.
Plötzlich zuckt, es flattert der Weih,
Und klatſcht in taumelnden Ringen,
Ueber'm Riffe ſein wilder Schrei,
Dann ſteigt er, wiegend die Schwingen;
Und am Grunde es ſtampft und ſurrt,
Hart unter dem Felſenmaale,
Netz im Haare, Piſtol im Gurt,
Zwölf Schergen reiten zu Thale.
Wo den Schatten verkürzt das Riff
Wirft über die zitternde Aue,
311
Starrt gefeſſelt der rothe Jocliffe
Hinauf zum Vogel in's Blaue.
Dürr ſeine Zunge, kein Tropfen labt
Er lacht in grimmigem Hohne,
Neben ihm der Podeſta trabt
Und pfeift ſich eine Canzone.
Rüſtig ſtampfen die Roſſe fort,
Dann halt! Es lagert die Bande;
Hier ein Scherge, ein anderer dort,
Geſtreckt im kniſternden Sande.
Die Cigarre läßt an den Grund
Ihr bläuliches Wölkchen ſchwehlen,
Und der Schlauch, von Mund zu Mund,
Strömt in die durſtigen Kehlen.
Wie ſo lockend die Taube lacht
Aus grünem duftigem Haine!
Von den Zwölfen heben ſich acht,
Sie ſchlendern entlang das Geſteine,
Läſſig, ſpielend, ſo ſorgenbaar
Wie junge Geier im Neſte,
Dieſer zupfet des Nachbars Haar,
Der ſchnitzelt am Zwiebelreſte.
Einer ſo nach dem andern ſchwankt
In's Grün 'aus der ſengenden Hitze,
Halt! wie elektriſch Feuer rankt
Von Aug' zu Aug 'ein Geblitze.
312
Horch, ſie flüſtern! Zwei und zwei
Die Pinien ſtreifen ſie leiſe,
Wie die Hinde witternd und ſcheu
Schlüpft über befahrene Gleiſe.
Zwei am Hange und zwei hinab
Und vier zur Rechten und Linken,
Sachte beugen den Aſt ſie ab,
Ihre Augen wie Vipern blinken,
Da im Mooſe ein dürrer Baum
Mit wunderlich brauner Schale,
Hui! ein Pfiff auf gekrümmtem Daum,
Und dort und drunten im Thale.
Fährt vom Mooſe Geronimo,
Und eh ihn die Schergen umſchlingen,
Wie im Haid die kniſternde Loh ',
Ha! ſieh ihn flattern und ſpringen!
Knall auf Knall, eine Kugel pfeift
Ihm durch der Retilla Knoten,
Blutend er an dem Geſteine läuft
Bis zum Jocliffe, dem rothen.
Hoch die Rechte will er ſchnell
Sich rächen zu dieſer Stunde?
Nein, am Roſſe ſchreibt das Cartel
Er raſch mit klaffender Wunde.
Hoch die Linke es knallt, es blitzt,
Und taumelnd ſinkt der Podeſta;
Ruft der Corſe: ſo hab 'es itzt,
Du Hund, für den kühnen di Veſta!
313
O Geronimo! hätten dich fort,
Fort, fort deine Sprünge getragen,
Als die Einen am Riffe dort,
Die Andern klommen am Hagen!
Schwerlich heute, ſo mein 'ich klar,
Sie würden die Stadt erſchrecken
Mit der Leiche auf grüner Bahr'
Und mit dir, gebunden am Schecken!
314

Das Fräulein von Rodenſchild.

Sind denn ſo ſchwül die Nächt 'im April?
Oder iſt ſo ſiedend jungfräulich' Blut?
Sie ſchließt die Wimper, ſie liegt ſo ſtill,
Und horcht des Herzens pochender Fluth.
O will es denn nimmer und nimmer tagen!
O will denn nicht endlich die Stunde ſchlagen!
Ich wache, und ſelbſt der Seiger ruht!
Doch horch! es ſummt, eins, zwei und drei,
Noch immer fort? ſechs, ſieben und acht,
Elf, zwölf, o Himmel, war das ein Schrei?
Doch nein, Geſang ſteigt über der Wacht,
Nun wird mir's klar, mit frommem Munde
Begrüßt das Hausgeſinde die Stunde,
*Es beſtand, und beſteht hier und dort noch in katholiſchen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oſter - und Weihnachtstages den zwölften Glockenſchlag abzuwarten, um den Eintritt des Feſtes mit einem frommen Liede zu begrüßen.
*
Anbrach die hochheilige Oſternacht.
Seitab das Fräulein die Kiſſen ſtößt,
Und wie eine Hinde vom Lager ſetzt,
Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,
In's Häubchen drängt ſie die Locken jetzt,
Dann leiſe das Fenſter öffnend, leiſe,
Horcht ſie der mählig ſchwellenden Weiſe,
Vom wimmernden Schrei der Eule durchſetzt.
315
O dunkel die Nacht! und ſchaurig der Wind!
Die Fahnen wirbeln am knarrenden Thor,
Da tritt aus der Halle das Hausgeſind '
Mit Blendlaternen und einzeln vor.
Der Pförtner dehnet ſich, halb ſchon träumend,
Am Dochte zupfet der Jäger ſäumend,
Und wie ein Oger gähnet der Mohr.
Was iſt? wie das auseinander ſchnellt!
In Reihen ordnen die Männer ſich,
Und eine Wacht vor die Dirnen ſtellt
Die graue Zofe ſich ehrbarlich,
Ward ich geſehn an des Vorhangs Lücke?
Doch nein, zum Balkone ſtarren die Blicke,
Nun langſam wenden die Häupter ſich.
O weh meine Augen! bin ich verrückt?
Was gleitet entlang das Treppengeländ?
Hab 'ich nicht ſo aus dem Spiegel geblickt?
Das ſind meine Glieder, welch ein Geblend'!
Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,
Das iſt mein Strich über Stirn und Locken!
Weh, bin ich toll, oder nahet mein End '!
Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,
Das Fräulein wendet die Blicke nicht,
Und leiſe rührend die Stufen zieht
Am Steingelände das Nebelgeſicht,
In ſeiner Rechten trägt es die Lampe,
Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,
Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.
316
Nun ſchwebt es unter dem Sternendom,
Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit '.
Nun lautlos gleitet's über die Schwelle,
Nun wieder drinnen erſcheint die Helle,
Hinauf ſich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
Sieht nicht die Blicke, ſtier und verſcheucht,
Feſt folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,
Wie dunſtig über die Scheiben es ſtreicht.
Nun iſts im Saale nun im Archive
Nun ſteht es ſtill an der Niſche Tiefe
Nun matter, matter, ha! es erbleicht!
Du ſollſt mir ſtehen! ich will dich fahn!
Und wie ein Aal die beherzte Maid
Durch Nacht und Krümmen ſchlüpft ihre Bahn,
Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
Leis tritt ſie, leiſe, o Geiſterſinne
Sind ſcharf! daß nicht das Geſicht entrinne!
Ja, muthig iſt ſie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Thor;
Ha, Schloß und Riegel! ſie ſteht gebannt,
Sacht, ſacht das Auge und dann das Ohr
Drückt zögernd ſie an der Spalte Rand,
Tiefdunkel drinnen doch einem Rauſchen
Der Pergamente glaubt ſie zu lauſchen,
Und einem Streichen entlang der Wand.
317
So niederkämpfend des Herzens Schlag,
Hält ſie den Odem, ſie lauſcht, ſie neigt
Was dämmert ihr zur Seite gemach?
Ein Glühwurmleuchten es ſchwillt, es ſteigt,
Und Arm an Arme, auf Schrittes Weite,
Lehnt das Geſpenſt an der Pforte Breite,
Gleich ihr zur Nachbarſpalte gebeugt.
Sie fährt zurück, das Gebilde auch
Dann tritt ſie näher ſo die Geſtalt
Nun ſtehen die Beiden, Auge in Aug ',
Und bohren ſich an mit Vampyres Gewalt.
Das gleiche Häubchen decket die Locken,
Das gleiche Linnen, wie Schneees Flocken,
Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.
Langſam das Fräulein die Rechte ſtreckt,
Und langſam, wie aus der Spiegelwand,
Sich Linie um Linie entgegen reckt
Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;
Nun rührt ſich's die Lebendige ſpüret
Als ob ein Luftzug ſchneidend ſie rühret,
Der Schemen dämmert, zerrinnt entſchwand.
Und wo im Saale der Reihen fliegt,
Da ſiehſt ein Mädchen du, ſchön und wild,
Vor Jahren hat's eine Weile geſiecht
Das ſtets in den Handſchuh die Rechte hüllt.
Man ſagt, kalt ſey ſie wie Eiſes Flimmer,
Doch luſtig die Maid, ſie hieß ja immer:
Das tolle Fräulein von Rodenſchild.
318

Der Geyerpfiff.

Nun ſtill! Du an den Dohnenſchlag!
Du links an den geſpaltnen Baum!
Und hier der faule Fetzer mag
Sich lagern an der Klippe Saum:
Da ſeht fein offen über's Land
Die Kutſche ihr heran ſpazieren:
Und Rieder dort der Höllenbrand,
Mag in den Steinbruch ſich poſtiren!
Dann aufgepaßt mit Aug 'und Ohr,
Und bei dem erſten Räderhall
Den Eulenſchrei! und tritt hervor
Die Fracht, dann wiederholt den Schall:
Doch naht Gefahr Patrouillen gehn,
Seht ihr die Landdragoner ſtreifen,
Dann dreimal, wie von Riffeshöhn,
Laßt ihr den Lämmergeyer pfeifen.
Nun, Rieder, noch ein Wort zu dir:
Mit Recht heißt du der Höllenbrand;
Kein Stückchen ich verbitt 'es mir
Wie neulich mit der kalten Hand!
Der Hauptmann ſpricht es; durch den Kreis
Ein Rauſchen geht und feines Schwirren,
Als ſie die Büchſen ſchultern leis,
Und in den Gurt die Meſſer klirren.
319
Seltſamer Troß! hier Rieſenbau
Und hiebgeſpaltnes Angeſicht,
Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,
Ein zierliches Spelunkenlicht;
Der drüben an dem Scheitelhaar
So ſachte ſtreift den blanken Fänger,
Schaut aus den blauen Augen gar
Wie ein verarmter Minneſänger.
'S iſt lichter Tag! die Bande ſcheut
Vor keiner Stunde Alles gleich;
Es iſt die rothe Bande, weit
Verſchrien, gefürchtet in dem Reich;
Das Knäbchen kauert unter'm Stier
Und betet, raſchelt es im Walde,
Und manches Weib verſchließt die Thür,
Schreit nur ein Kukuk an der Halde.
Die Poſten haben ſich zerſtreut,
Und in die Hütte ſchlüpft der Troß
Wildhüters Obdach, zu der Zeit,
Als jene Trümmer war ein Schloß:
Wie Ritter vor der Ahnengruft,
Fühlt ſich der Räuber ſtolz gehoben
Am Schutte, dran ein gleicher Schuft
Vor Jahren einſt den Brand geſchoben.
Und als der letzte Schritt verhallt,
Der letzte Zweig zurück gerauſcht,
Da wird es einſam in dem Wald,
Wo über'm Aſt die Sonne lauſcht;
320
Und als es drinnen noch geklirrt,
Und noch ein Weilchen ſich geſchoben,
Da ſtill es in der Hütte wird,
Vom wilden Weingerank umwoben.
Der ſcheue Vogel ſetzt ſich kühn
Auf's Dach und wiegt ſein glänzend Haupt,
Und ſummend durch der Reben Grün
Die wilde Biene Honig raubt;
Nur leiſe wie der Hauch im Tann,
Wie Weſte durch die Halme ſtreifen,
Hört drinnen leiſe, leiſe man,
Vorſichtig an den Meſſern ſchleifen.
Ja, lieblich iſt des Berges Maid
In ihrer feſten Glieder Pracht,
In ihrer blanken Fröhlichkeit
Und ihrer Zöpfe Rabennacht;
Siehſt du ſie brechen durch's Geniſt
Der Brombeerranken, friſch, gedrungen,
Du denkſt, die Centifolie iſt
Vor Uebermuth vom Stiel geſprungen.
Nun ſteht ſie ſtill und ſchaut ſich um
All überall nur Baum an Baum;
Ja, irre zieht im Walde um
Des Berges Maid und glaubt es kaum;
321
Noch zwei Minuten, wo ſie ſann,
Pulſiren ließ die heißen Glieder,
Behende wie ein Marder dann
Schlüpft keck ſie in den Steinbruch nieder.
Am Eingang ſteht ein Felſenblock,
Wo das Geſchiebe überhängt;
Der Epheu ſchüttelt ſein Gelock,
Zur grünen Laube vorgedrängt:
Da unter'm Dache lagert ſie,
Behaglich lehnend an dem Steine,
Und denkt: ich ſitze wahrlich wie
Ein Heil'genbildchen in dem Schreine!
Ihr iſt ſo warm, der Zöpfe Paar
Sie löſet mit der runden Hand,
Und nieder rauſcht ihr ſchwarzes Haar
Wie Rabenſittiges Gewand.
Ei! denkt ſie, bin ich doch allein!
Auf ſpringt das Spangenpaar am Mieder;
Doch unbeweglich gleich dem Stein
Steht hinter'm Block der wilde Rieder:
Er ſieht ſie nicht, nur ihren Fuß,
Der tändelnd ſchaukelt wie ein Schiff,
Zuweilen treibt des Windes Gruß
Auch eine Locke um das Riff,
Doch ihres heißen Odems Zug,
Samumes Hauch, glaubt er zu fühlen,
Verlorne Laute, wie im Flug
Lockvögel, um das Ohr ihm ſpielen.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 21322
So weich die Luft und badewarm,
Berauſchend Thimianes Duft,
Sie lehnt ſich, dehnt ſich, ihren Arm,
Den vollen, ſtreckt ſie aus der Kluft,
Schließt dann ihr glänzend Augenpaar
Nicht ſchlafen, ruhn nur eine Stunde
So dämmert ſie und die Gefahr
Wächſt von Sekunde zu Sekunde.
Nun Alles ſtill ſie hat gewacht
Doch hinter'm Steine wird's belebt
Und ſeine Büchſe ſachte, ſacht,
Der Rieder von der Schulter hebt,
Lehnt an die Klippe ihren Lauf,
Dann lockert er der Meſſer Klingen,
Hebt nun den Fuß was hält ihn auf?
Ein Schrei ſcheint aus der Luft zu dringen!
Ha, das Signal! er ballt die Fauſt
Und wiederum des Geyers Pfiff
Ihm ſchrillend in die Ohren ſaust
Noch zögert knirſchend er am Riff
Zum dritten Mal und ſein Gewehr
Hat er gefaßt hinan die Klippe!
Daß bröckelnd Kies und Sand umher
Nachkollern von dem Steingerippe.
Und auch das Mädchen fährt empor:
Ei, iſt ſo locker das Geſtein?
Und langſam, gähnend tritt hervor
Sie aus dem falſchen Heil'genſchrein,
323
Hebt ihrer Augen feuchtes Glühn,
Will nach dem Sonnenſtande ſchauen,
Da ſieht ſie einen Geyer ziehn
Mit einem Lamm in ſeinen Klauen.
Und ſchnell gefaßt, der Wildniß Kind,
Tritt ſie entgegen ſeinem Flug:
Der kam daher, wo Menſchen ſind,
Das iſt der Bergesmaid genug.
Doch ſtill! war das nicht Stimmenton
Und Räderknarren? ſtill! ſie lauſcht
Und wirklich, durch die Nadeln ſchon
Die ſchwere Kutſche ächzt und rauſcht.
He, Mädchen! ruft es aus dem Schlag,
Mit feinem Knix tritt ſie heran:
Zeig uns zum Dorf die Wege nach,
Wir fuhren irre in dem Tann!
Herr, ſpricht ſie lachend, nehmt mich auf,
Auch ich bin irr 'und führ' Euch doch.
Nun wohl, du ſchmuckes Kind, ſteig auf,
Nur friſch hinauf, du zögerſt noch?
Herr, was ich weiß, iſt nur gering,
Doch führt es Euch zu Menſchen hin,
Und das iſt ſchon ein köſtlich Ding
Im Wald, mit Räuberhorden drin:
Seht, einen Weih am Bergeskamm
Sah ſteigen ich aus jenen Gründen,
Der in den Fängen trug ein Lamm;
Dort muß ſich eine Heerde finden.
324
Am Abend ſteht des Forſtes Held
Und flucht die Steine warm und kalt:
Der Wechsler freut ſich, daß ſein Geld
Er klug geſteuert durch den Wald:
Und nur die gute, franke Maid
Nicht ahnet in der Träume Walten,
Daß über ſie ſo gnädig heut
Der Himmel ſeinen Schild gehalten.
325

Die Schweſtern.

I.

Sacht pochet der Käfer im morſchen Schrein,
Der Mond ſteht über den Fichten.
Jeſus Maria, wo mag ſie ſeyn!
Hin will meine Angſt mich richten.
Helene, Helene, was ließ ich dich gehn
Allein zur Stadt mit den Hunden,
Du armes Kind, das ſterbend mir
Auf die Seele die Mutter gebunden!
Und wieder rennt Gertrude den Weg
Hinauf bis über die Steige.
Hier iſt ein Tobel ſie lauſcht am Steg,
Ein Strauch ſie rüttelt am Zweige.
Da drunten ſummet es Elf im Thurm,
Gertrude kniet an der Halde:
Du armes Blut, du verlaſſener Wurm!
Wo magſt du irren im Walde!
Und zitternd löſt ſie den Roſenkranz
Von ihres Gürtels Gehänge,
Ihr Auge ſtarret in trübem Glanz,
Ob es die Dämmerung ſprenge.
Ave Maria ein Licht, ein Licht!
Sie kömmt, 's iſt ihre Laterne!
Ach Gott, es iſt nur ein Hirtenfeur,
Jetzt wirft es flatternde Sterne.
326
Vater unſer, der du im Himmel biſt
Geheiliget werde dein Name
Es rauſcht am Hange, heiliger Chriſt!
Es bricht und kniſtert im Brahme,
Und drüber ſtreckt ſich ein ſchlanker Hals,
Zwei glänzende Augen ſtarren.
Ach Gott, es iſt eine Hinde nur,
Jetzt ſetzt ſie über die Farren.
Gertrude klimmt die Halde hinauf,
Sie ſteht an des Raines Mitte.
Da täuſcht ihr Ohr? ein flüchtiger Lauf,
Behend galoppirende Tritte
Und um ſie ſpringt es in wüſtem Kreis,
Und funkelt mit freud'gem Geſtöhne.
Fidel, Fidel! ſo flüſtert ſie leis,
Dann ruft ſie ſchluchzend: Helene!
Helene! ſchallt es am Felſenhang,
Helen '! von des Waldes Kante,
Es war ein einſamer trauriger Klang,
Den heimwärts die Echo ſandte.
Wo drunten im Tobel das Mühlrad wacht,
Die ſtaubigen Knecht' an der Wanne
Die haben gehorcht die ganze Nacht
Auf das irre Geſpenſt im Tanne.
Sie hörten ſein Rufen von Stund 'zu Stund',
Sahn ſeiner Laterne Geflimmer,
Und ſchlugen ein Kreuz auf Bruſt und Mund,
Zog über den Tobel der Schimmer.
327
Und als die Müllerin Reiſig las,
Frühmorgens an Waldes Saume,
Da fand ſie die arme Gertrud im Gras,
Die ängſtlich zuckte im Traume.

II.

Wie rollt in den Gaſſen das Marktgebraus!
Welch ein Getümmel, Geblitze!
Hanswurſt ſchaut über die Bude hinaus,
Und winkt mit der klingelnden Mütze;
Karoſſen raſſeln, der Trinker jucht,
Und Mädchen ſchrein im Gedränge,
Drehorgeln pfeifen, der Kärrner flucht,
O Babels würdige Klänge!
Da tritt ein Weib aus der Ladenthür,
Eine ſchlichte Frau von den Flühen,
Die ſtieß an den klingelnden Harlekin ſchier,
Und hat nicht gelacht noch geſchrien.
Ihr mattes Auge ſucht auf dem Grund,
Als habe ſie Etwas verloren,
Und hinter ihr trabt ein zottiger Hund,
Verdutzt, mit hängenden Ohren.
Zurück, Verwegne! ſiehſt du denn nicht
Den Wagen, die ſchnaubenden Braunen?
Schon dampfen die Nüſtern ihr am Geſicht,
Da fährt ſie zurück mit Staunen,
328
Und iſt noch über die Rinne grad
Mit raſchem Sprunge gewichen,
Als an die Schürze das klirrende Rad
In wirbelndem Schwunge geſtrichen.
Noch ein Moment, ſie taumelt, erbleicht,
Und dann ein plötzlich Erglühen,
O ſchau, wie durch das Gewühl ſie keucht,
Mit Armen und Händen und Knieen!
Sie rudert, ſie windet ſich, Stoß auf Stoß,
Scheltworte und Flüche wie Schloſſen
Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,
Und iſt in die Rinne gefloſſen.
Nun ſteht ſie vor einem ſtattlichen Haus,
Ohne Schuh, beſudelt mit Kothe;
Dort hält die Karoſſe, dort ſchnauben aus
Die Braunen und rauchen wie Schlote.
Der Schlag iſt offen, und eben ſieht
Sie im Portale verſchwinden
Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,
Und den Schleyer, ſegelnd in Winden.
Ach flüſtert Gertrude, was hab ich gemacht,
Ich bin wohl verrückt geworden!
Kein Troſt bei Tag, keine Ruh bei Nacht,
Das kann die Sinne ſchon morden.
Da poltert es ſchreiend die Stiegen hinab,
Ein Fußtritt aus dem Portale,
Und wimmernd rollt von der Rampe herab
Ihr Hund, der zottige, fahle.
329
Ja ſeufzt Gertrude, nun iſt es klar,
Ich bin eine Irre leider!
Erglühend ſtreicht ſie zurück ihr Haar,
Und ordnet die ſtaubigen Kleider.
Wie ſah ich ſo deutlich ihr liebes Geſicht,
So deutlich am Schlage doch ragen!
Allein in Ewigkeit hätte ſie nicht
Den armen Fidel geſchlagen.

III.

Zehn Jahre! und Mancher der keck umher
Die funkelnden Blicke geſchoſſen,
Der ſchlägt ſie heute zu Boden ſchwer,
Und Mancher hat ſie geſchloſſen.
Am Hafendamme geht eine Frau,
Mich dünkt, wir müſſen ſie kennen,
Ihr Haar einſt ſchwarz, nun ſchillerndes Grau,
Und hohl die Wangen ihr brennen.
Im Topfe trägt ſie den Honigwab,
Zergehend in Julius-Hitze;
Die Trägerin trocknet den Schweiß ſich ab,
Und ruft dem hinkenden Spitze.
Der ſie beſtellte, den Schiffspatron,
Sieht über die Planke ſie kommen;
Wird er ihr kümmern den kargen Lohn?
Gertrude denkt es beklommen.
Doch nein, wo ſich die Matroſen geſchaart,
Zum Strande ſieht ſie ihn ſchreiten,
330
Er ſchüttelt das Haupt, er ſtreicht den Bart,
Und ſcheint auf die Welle zu deuten.
Und ſchau den Spitz! er ſchnuppert am Grund
Was ſuchſt du denn in den Gleiſen?
Fidel, Fidel! fort ſtrauchelt der Hund,
Und heulet wie Wölfe im Eiſen.
Barmherziger Himmel! ihr wird ſo bang,
Sie watet im brennenden Sande,
Und wieder erhebt ſich ſo hohl und lang
Des Hundes Geheul vom Strande.
O Gott, eine triefende Leich 'im Kies,
Eine Leich' mit dem Auge des Stieres!
Und drüber kreucht das zottige Vlies
Des lahmen wimmernden Thieres.
Gertrude ſteht, ſie ſtarret herab,
Mit Blicken irrer und irrer,
Dann beugt ſie über die Leiche hinab,
Mit Lächeln wirrer und wirrer,
Sie wiegt das Haupt bald ſo bald ſo,
Sie flüſtert mit zuckendem Munde,
Und eh die zweite Minute entfloh,
Da liegt ſie kniend am Grunde.
Sie faßt der Todten geſchwollene Hand,
Ihr Haar voll Muſcheln und Tange,
Sie faßt ihr triefend zerlumptes Gewand,
Und ſäubert von Kieſe die Wange;
331
Dann ſachte ſchiebt ſie das Tuch zurück,
Recht wo die Schultern ſich runden,
So ſtier und bohrend verweilt ihr Blick,
Als habe ſie Etwas gefunden.
Nun zuckt ſie auf, erhebt ſich jach,
Und ſtößt ein wimmernd Geſtöhne,
Grad eben als der Matroſe ſprach:
Das iſt die blonde Helene!
Noch jüngſt juchheite ſie dort vorbei
Mit trunknen Soldaten am Strande.
Da that Gertrud einen hohlen Schrei,
Und ſank zuſammen im Sande.

IV.

Jüngſt ſtand ich unter den Föhren am See,
Meinen Büchſenſpanner zur Seite.
Vom Hange ſchmählte das brünſtige Reh,
Und ſtrich durch des Aufſchlags Breite;
Ich hörte es kniſtern ſo nah und klar,
Grad 'wo die Lichtung verdämmert,
Daß mich geſtöret der Holzwurm gar,
Der unter'm Fuße mir hämmert.
Dann ſprang es ab, es mochte die Luft
Ihm unſre Witterung tragen;
Herr, ſprach der Burſche: links über die Kluft!
Wir müſſen zur Linken uns ſchlagen!
332
Hier naht kein Wild, wo ſie eingeſcharrt
Die tolle Gertrud vom Geſtade,
Ich höre genau wie der Holzwurm pocht
In ihrer zerfallenden Lade.
Zur Seite ſprang ich, eiſig durchgraut,
Mir war als hab ich geſündigt,
Indeß der Burſch mit flüſterndem Laut
Die ſchaurige Mähre verkündigt:
Wie Jene geſucht, bei Tag und Nacht,
Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,
Das ihr der tückiſche See gebracht,
Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!
Kein Fragen löste das Schweigen.
Doch ſchlief die Welle, dann ſah ihr Geſicht
Man über den Spiegel ſich beugen,
Und zeigte er ihr das eigene Bild,
Dann flüſterte ſie beklommen:
Wie alt ſie ſieht, wie irre und wild,
Und wie entſetzlich verkommen!
Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,
Dann war ſie vom Böſen geſchlagen,
Was ſie für bedenkliche Reden geführt,
Das möge er lieber nicht ſagen.
So war ſie gerannt vor Jahresfriſt,
Man ſah's vom lavirenden Schiffe
Zur Brandung, wo ſie am hohlſten iſt,
Und kopfüber gefahren vom Riffe.
333
Drum ſcharrte man ſie in's Dickicht dort,
Wie eine verlorene Seele.
Ich ſchwieg, und ſandte den Burſchen fort,
Brach mir vom Grab 'eine Schmehle:
Du armes gehetztes Wild der Pein,
Wie mögen die Menſchen dich richten!
Sacht pochte der Käfer im morſchen Schrein,
Der Mond ſtand über den Fichten.
334

Meiſter Gerhard von Cöln.

Ein Notturno.

Wenn in den linden Vollmondnächten
Die Nebel lagern über'm Rhein,
Und graue Silberfäden flechten
Ein Florgewand dem Heilgenſchrein:
Es träumt die Waldung, duftumſäumt,
Es träumt die dunkle Fluthenſchlange,
Wie eine Robbe liegt am Hange
Der Schürg 'und träumt.
Tief zieht die Nacht den feuchten Odem,
Des Walles Gräſer zucken matt,
Und ein zerhauchter Grabesbrodem
Liegt über der entſchlafnen Stadt:
Sie hört das Schlummerlied der Well'n,
Das leiſe murmelnde Geſchäume,
Und tiefer, tiefer ſinkt in Träume
Das alte Cöln.
Dort wo die graue Cathedrale,
Ein rieſenhafter Zeitentraum,
Entſteigt dem düſtern Trümmermale
Der Macht, die auch zerrann wie Schaum
Dort, in der Scheibe Purpurrund
Hat taumelnd ſich der Stral gegoſſen
Und ſinkt, und ſinkt, in Traum zerfloſſen,
Bis auf den Grund.
335
Wie iſt es ſchauerlich im weiten
Verſteinten öden Palmenwald,
Wo die Gedanken niedergleiten
Wie Anakonden ſchwer und kalt;
Und blutig ſich der Schatten hebt
Am blut'gen Märtyrer der Scheibe,
Wie neben dem gebannten Leibe
Die Seele ſchwebt.
*Nach der Zauberſage.
*
Der Ampel Schein verloſch, im Schiffe
Schläft halbgeſchloſſen Blum 'und Kraut;
Wie nackt geſpülte Uferriffe
Die Streben lehnen, tief ergraut;
Anſchwellend zum Altare dort,
Dann aufwärts dehnend, lang gezogen,
Schlingen die Häupter ſie zu Bogen,
Und ſchlummern fort.
Und immer ſchwerer will es rinnen
Von Quader, Säulenknauf und Schaft,
Und in dem Strale will's gewinnen
Ein dunſtig Leben, geiſterhaft:
Da horch! es dröhnt im Thurme ha!
Die Glocke ſummt da leiſe ſäuſelt
Der Dunſt, er zucket, wimmelt, kräuſelt,
Nun ſteht es da!
Ein Nebelmäntlein umgeſchlagen,
Ein graues Käppchen, grau Gewand,
336
Am grauen Halſe grauer Kragen,
Das Richtmaaß in der Aſchenhand.
Durch ſeine Glieder zitternd geht
Der Stral wie in verhaltner Trauer,
Doch an dem Eſtrich, an der Mauer
Kein Schatten ſteht.
Es wiegt das Haupt nach allen Seiten,
Unhörbar ſchwebt es durch den Raum,
Nun ſieh es um die Säulen gleiten,
Nun fährt es an der Orgel Saum;
Und aller Orten legt es an
Sein Richtmaaß, webert auf und nieder,
Und leiſe zuckt das Spiel der Glieder,
Wie Rauch im Tann.
War das der Nacht gewalt'ger Odem?
Ein weit zerfloſſner Seufzerhall,
Ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem
Durchquillt die öden Räume all:
Und an der Pforte, himmelan
Das Männlein ringt die Hand, die fahle,
Dann gleitet's aufwärts am Portale
Es ſteht am Krahn.
Und über die entſchlafnen Wellen
Die Hand es mit dem Richtmaaß ſtreckt;
Ihr Schlangenleib beginnt zu ſchwellen,
Sie brodeln auf, wie halb geweckt;
337
Als drüber nun die Stimme dröhnt,
Ein dumpf, verhallend, fern Getoſe,
Wie träumend ſich im Wolkenſchooße
Der Donner dehnt.
Ich habe dieſen Bau geſtellt,
Ich bin der Geiſt vergangner Jahre!
Weh! dieſes dumpfe Schlummerfeld
Iſt ſchlimmer viel als Todtenbahre!
O wann, wann ſteigt die Stunde auf,
Wo ich ſoll lang Begrabnes ſchauen?
Mein ſtarker Strom, ihr meine Gauen
Wann wacht ihr auf?
Ich bin der Wächter an dem Thurm,
Mein Ruf ſind Felſenhieroglyphen,
Mein Hornesſtoß der Zeitenſturm,
Allein ſie ſchliefen, ſchliefen, ſchliefen!
Und ſchlafen fort, ich höre nicht
Den Meißel klingen am Geſteine,
Wo tauſend Hände ſind wie eine,
Ich hör 'es nicht!
Und kann nicht ruhn, ich ſehe dann
Zuvor den alten Krahn ſich regen,
Daß ich mein treues Richtmaaß kann
In eine treue Rechte legen!
Wenn durch das Land ein Handſchlag ſchallt,
Wie einer alle Pulſe klopfen,
Ein Strom die Millionen Tropfen
Da ſilbern wallt
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 22338
Im Oſten auf des Morgens Fahne,
Und, ein zerfloſſner Nebelſtreif,
Der Meiſter fährt empor am Krahne.
Mit Räderknarren und Gepfeif,
Ein rauchend Ungeheuer, ſchäumt
Das Dampfboot durch den Rhein, den blauen
O deutſche Männer! deutſche Frauen!
Hab 'ich geträumt?
339

Die Vergeltung.

I.

Der Kapitän ſteht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem ſchwarzgelockten Paſſagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
Nach einem Wolkenſtreif in Sinnen
Die Beiden wie zwei Pfeiler ſehn,
Der Fremde ſpricht: was braut da drinnen?
Der Teufel, brummt der Kapitän.
Da hebt von morſchen Balkens Trümmer
Ein Kranker ſeine feuchte Stirn,
Des Aethers Blau, der See Geflimmer,
Ach, Alles quält ſein fiebernd Hirn!
Er läßt die Blicke, ſchwer und düſter,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
Die eingegrabnen Worte liest er:
Batavia. Fünfhundert Zehn.
Die Wolke ſteigt, zur Mittagsſtunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Geziſch, Geheul aus wüſtem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Geſtöhn.
Jeſus, Marie! wir ſind verloren!
Vom Maſt geſchleudert der Matroſ ',
Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,
Und langſam löſt der Bau ſich los.
340
Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um ſeinen Balken feſt geklemmt,
Da kömmt die Fluth, und eine Strecke
Wird er in's wüſte Meer geſchwemmt.
Was nicht geläng 'der Kräfte Sporne,
Das leiſtet ihm der ſtarre Krampf,
Und wie ein Narwall mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf.
Wie lange ſo? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Stral des Auges Ball,
Und langſam ſchwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kriſtall.
Das Schiff! die Mannſchaft! ſie verſanken.
Doch nein, dort auf der Waſſerbahn,
Dort ſieht den Paſſagier er ſchwanken
In einer Kiſte morſchem Kahn.
Armſelge Lade! ſie wird ſinken,
Er ſtrengt die heiſre Stimme an:
Nur grade! Freund, du drückſt zur Linken!
Und immer näher ſchwankt's heran,
Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Mövenneſt;
» Courage! « ruft der kranke Schwimmer,
Mich dünkt ich ſehe Land im Weſt!
Nun rühren ſich der Fähren Ende,
Er ſieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er ſtarke Hände,
Fühlt wüthend ſich gezerrt vom Sitz.
341
Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.
Er klammert dort, er klemmt ſich hier;
Ein heiſrer Schrei, den Wellen dämpfen,
Am Balken ſchwimmt der Paſſagier.
Dann hat er kräftig ſich geſchwungen,
Und ſchaukelt durch das öde Blau,
Er ſieht das Land wie Dämmerungen
Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange iſt er ſo geſchwommen,
Umflattert von der Möve Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun iſt er frei!

II.

Drei kurze Monde ſind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo Mittags ſich die Robben ſonnen,
Und Burſche klettern über'n Rand,
Den Mädchen iſt's ein Abentheuer
Es zu erſchaun vom fernen Riff,
Denn noch zerſtört iſt nicht geheuer
Das gräuliche Corſarenſchiff.
Und vor der Stadt da iſt ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeſchrill,
Da die verrufenen Piraten
Ein Jeder ſterben ſehen will.
342
Aus Strandgebälken, morſch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüſter Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!
Welch ein Getümmel an den Schranken!
Da kömmt der Frei der Heſſel jetzt
Da bringen ſie den ſchwarzen Franken,
Der hat geläugnet bis zuletzt.
Schiffbrüchig ſey er hergeſchwommen,
Höhnt eine Alte: Ei, wie kühn!
Doch Keiner ſprach zu ſeinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn.
Der Paſſagier, am Galgen ſtehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Muth,
Zu jedem Räuber flüſtert flehend:
Was that dir mein unſchuldig Blut!
Barmherzigkeit! ſo muß ich ſterben
Durch des Geſindels Lügenwort,
O mög 'die Seele euch verderben!
Da zieht ihn ſchon der Scherge fort.
Er ſieht die Menge wogend ſpalten
Er hört das Summen im Gewühl
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur ſeiner Pfaffen Gaukelſpiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will ſtarren nach den Aetherhöhn,
Da lieſt er an des Galgens Holze:
Batavia. Fünfhundert Zehn.
343

Der Mutter Wiederkehr.

Du frägſt mich immer von neuem, Marie,
Warum ich mein Heimathland
Die alten lieben Gebilde flieh
Dem Herzen doch eingebrannt?
Nichts ſoll das Weib dem Manne verhehlen,
Und nichts dem treuen Weibe der Mann,
Drum ſetz dich her, ich will erzählen,
Doch abwärts ſitze ſchau mich nicht an.
Bei meinen Eltern ich war, ein Kind,
Ein Kind und deſſen nicht froh,
Im Hauſe wehte ein drückender Wind,
Der ehliche Friede floh,
Nicht Zank noch Scheltwort durfte ich hören,
Doch wie ein Fels auf Allen es lag,
Sahn wir von Reiſen den Vater kehren,
Das war uns Kindern ein trauriger Tag.
Ein Kaufmann, ernſt, ſein ſtrenges Gemüth
Verbittert durch manchen Verluſt,
Und meine Mutter die war ſo müd,
So keuchend ging ihre Bruſt!
Noch ſeh 'ich wie ſie, die Augen geröthet,
Ein Bild der ſtill verhärmten Geduld,
An unſerm Bettchen gekniet und gebetet.
Gewiß, meine Mutter war frei von Schuld!
344
Doch trieb der Vater ſich um vielleicht
In London oder in Wien
Dann lebten wir auf und athmeten leicht,
Und ſchoſſen wie Kreſſen ſo grün.
Durch luſtige Schwänke machte uns lachen
Der gute Meßner, dürr und ergraut,
Der dann uns Alle ſollte bewachen,
Denn meiner Mutter ward Nichts vertraut.
Da ſchickte der Himmel ein ſchweres Leid,
Sie ſchlich ſo lange umher,
Und härmte ſich ſachte in's Sterbekleid,
Wir machten das Scheiden ihr ſchwer!
Wir waren wie irre Vögel im Haine,
Zu früh entflattert dem treuen Neſt,
Bald tobten wir toll über Blöcke und Steine,
Und duckten bald, in den Winkel gepreßt.
Dem alten Manne ward kalt und heiß,
Dem würdigen Sakriſtan,
Sah er beſudelt mit Staub und Schweiß
Und glühend wie Oefen uns nahn;
Doch traten wir in die verödete Kammer,
Und ſahn das Schemelchen am Clavier,
Dann ſtrömte der unbändige Jammer,
Und nach der Mutter wimmerten wir.
Am ſechsten Abend nachdem ſie fort
Wir kauerten am Kamin,
Der Alte lehnte am Simſe dort
Und ſah die Kohlen verglühn,
345
Wir ſprachen nicht, uns war beklommen
Da leiſ 'im Vorſaal dröhnte die Thür,
Und ſchlürfende Schritte hörten wir kommen.
Mein Brüderchen rief: die Mutter iſt hier!
Still, ſtille nur! wir horchten all,
Zuſammen gedrängt und bang,
Wir hörten deutlich der Tritte Hall
Die knarrende Diel 'entlang,
Genau wir hörten rücken die Stühle,
Am Schranke klirren den Schlüſſelbund,
Und dann das ſchwere Krachen der Diele,
Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Mein junges Blut in den Adern ſtand,
Ich ſah den Alten wie Stein
Sich klammern an des Geſimſes Rand,
Da langſam trat es herein.
O Gott, ich ſah meine Mutter, Marie!
Marie, ich ſah meine Mutter gehn,
Im ſchlichten Kleide, wie Morgens frühe
Sie kam nach ihren zwei Knaben zu ſehn!
Feſt war ihr Blick zum Grunde gewandt,
So ſchwankte ſie durch den Saal,
Den Schlüſſelbund in der bleichen Hand,
Die Augen trüb wie Opal;
Sie hob den Arm, wir hörtens pfeifen,
Ganz wie ein Schlüſſel im Schloſſe ſich dreht,
Und in's Cloſet dann ſahn wir ſie ſtreifen,
Drin unſer Geld und Silbergeräth.
346
Du denkſt wohl, daß keines Odems Hauch
Die ſchaurige Oede brach,
Und ſtill war's in dem Cloſete auch,
Noch lange lauſchten wir nach.
Da ſah ich zuſammen den Alten fallen,
Und ſeine Schläfe ſchlug an den Stein,
Da ließen wir unſer Geſchrei erſchallen,
Da ſtürzten unſere Diener herein.
Du ſagſt mir nichts, doch zweifl ich nicht,
Du ſchüttelſt dein Haupt, Marie,
Ein Greis zwei Kinder im Dämmerlicht
Da waltet die Phantaſie!
Was wollte ich nicht um dein Lächeln geben,
Um deine Zweifel, du gute Frau,
Doch wieder ſag ichs: bei meinem Leben!
Marie, wir ſahen und hörten genau!
Am Morgen kehrte der Vater heim,
Verſtimmt und müde gehetzt,
Und war er nimmer ein Honigſeim,
So war er ein Wermuth jetzt.
Auch waren es wohl bedenkliche Worte,
Die er geſprochen zum alten Mann,
Denn laut ſie haderten an der Pforte,
Und ſchieden in tiefer Empörung dann.
Nun ward durchſtöbert das ganze Haus,
Ein Jeder gefragt, gequält,
347
Die Beutel gewogen, geſchüttet aus,
Die Silberbeſtecke gezählt,
Ob Alles richtig, verſperrt die Zimmer,
Nichts konnte dem Manne genügen doch;
Bis Abends zählte und wog er immer,
Und meinte, der Schade finde ſich noch.
Als nun die Dämmerung brach herein,
Ohne Mutter und Sakriſtan,
Wir kauerten auf dem ſtaubigen Stein,
Und gähnten die Flamme an.
Verſtimmt der Vater, am langen Tiſche,
Wühlt 'in Papieren, ſchob und rückt,
Wir duckten an unſerm Kamin, wie Fiſche,
Wenn drauf das Auge des Reihers drückt.
Da horch! die Thüre dröhnte am Gang,
Ein ſchlürfender Schritt darauf
Sich ſchleppte die knarrende Diel 'entlang.
Der Vater horchte ſtand auf
Und wieder hörten wir rücken die Stühle,
Am Schranke klirren den Schlüſſelbund,
Und wieder das ſchwere Krachen der Diele,
Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Er ſtand, den Leib vorüber gebeugt,
Wie Jäger auf Wildes Spur,
Nicht Furcht noch Rührung ſein Auge zeigt ',
Man ſah, er lauerte nur.
348
Und wieder ſah ich die mich geboren,
Verbannt, verſtoßen vom heiligen Grund,
O, nimmer hab' ich das Bild verloren,
Es folgt mir noch in der Todesſtund!
Und Er? hat keine Wimper geregt,
Und keine Muskel gezuckt,
Der Stuhl, auf den ſeine Hand gelegt,
Nur einmal leiſe geruckt.
Ihr folgend mit den ſtechenden Blicken
Wandt 'er ſich langſam wie ſie ſchritt,
Doch als er ſie an's Cloſet ſah drücken,
Da zuckte er auf, als wolle er mit.
Und Arnold! rief's aus dem Geldverließ,
Er beugte vornüber, weit
Und wieder Arnold! ſo klagend ſüß,
Er legte die Feder bei Seit '
Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,
Arnold! den Meerſchaumkopf im Nu
Erfaßt er, ſchleudert' ihn gegen die Mauer,
Schritt in's Cloſet und riegelte zu.
Wir aber ſtürzten in wilder Haſt
Hinaus an das Abendroth,
Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,
Und weinten uns ſchier zu todt.
Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,
Geknattert im Saal des Kamines Roſt,
Und als der dritte Abend gekommen,
Da ſetzte der Vater ſich auf die Poſt.
349
Ich habe ihm nicht Lebewohl geſagt,
Und nicht ſeine Hand geküßt,
Doch heißt es, daß er in dieſer Nacht
Am Bettchen geſtanden iſt.
Und bei des nächſten Morgens Erglühen,
Das Erſte was meine Augen ſahn,
Das war an unſerem Lager knieen
Den tief erſchütterten Sakriſtan.
Dem ward in der Früh 'ein Brief gebracht,
Und dann ein Schlüſſelchen noch;
Ich will nicht leſen, hat er gedacht
Und zögerte, las dann doch
Den Brief, in letzter Stunde geſchrieben
Von meines unglücklichen Vaters Hand,
Der feſt im Herzen mir iſt geblieben,
Obwohl mein Bruder ihn einſt verbrannt.
Was mich betroffen, das ſag 'ich nicht,
Eh dorre die Zunge aus!
Doch iſt es ein bitter, ein ſchwer Gericht,
Und treibt mich von Hof und Haus.
In dem Cloſete da ſind gelegen
Papiere, Wechſel, Briefe dabei.
Dir will ich auf deine Seele legen
Meine zwei Buben, denn du biſt treu.
Sorg 'nicht um mich, was ich bedarf
Deß hab ich genügend noch,
Und forſch auch nimmer, ich warne ſcharf
Nach mir, es tröge dich doch.
350
Sey ruhig, Mann, ich will nicht tödten,
Den Leib, der Vieles noch muß beſtehn,
Doch laß meine armen Kinderchen beten,
Denn ſehr bedarf ich der Unſchuld Flehn.
Und im Cloſete gefunden ward
Ein richtiges Teſtament,
Und alle Papiere nach Kaufmannsart
Geordnet und wohl benennt.
Und wir? in der Fremde ließ man uns pflegen,
Da waren wir eben wie Buben ſind,
Doch mit den Jahren da muß ſich's regen,
Bin ich doch jetzt ſein einziges Kind!
Du weißt es, wie ich auch noch ſo früh,
So hart den Bruder verlor,
Und hätte ich dich nicht, meine Marie,
Dann wär ich ein armer Thor!
Ach Gott, was hab 'ich nicht All geſchrieben,
Aufrufe, Briefe, in meiner Noth!
Umſonſt doch Alles, umſonſt geblieben.
Ob er mag leben? vermuthlich todt!
Nie brachte wieder auf ſein Geſchick
Die gute Marie den Mann,
Der ſeines Lebens einziges Glück
In ihrer Liebe gewann.
351
So mild und ſchonend bot ſie die Hände,
Bracht 'ihm ſo manches blühende Kind,
Daß von der ehrlichen Stirn am Ende
Die düſtern Falten gewichen ſind.
Wohl führt 'nach Jahren einmal ſein Weg
Ihn dicht zur Heimath hinan,
Da ließ er halten am Mühlenſteg,
Und ſchaute die Thürme ſich an.
Die Händ' gefaltet, ſchien er zu beten,
Ein Wink die Kutſche raſſelte fort;
Doch nimmer hat er den Ort betreten,
Und keinen Trunk Waſſer nahm er dort.
352

Der Barmekiden Untergang. *Das Geſchlecht der Barmekiden gehörte, zur Zeit des Kaliphats, zu den edelſten, mächtigſten und zahlreichſten. Zuletzt war Dſchafer der Barmekide Großvezier des Kaliphen Harun-al-Reſchid, und ſein Liebling. Die Schweſter des Kaliphen, Maimuna, faßte eine glühende Leiden¬ ſchaft für den ſchönen und edlen Mann, und da ſie ſich ihm auf keine andre Weiſe zu nähern wußte, betrat ſie ſeinen Pallaſt in den Kleidern einer Tänzerin Die Folge dieſer Zuſammenkunft war ein Verhältniß, das, eine Reihe von Jahren verborgen geblieben, doch endlich zur Kenntniß des Kaliphen gelangte, und den Untergang des ganzen Geſchlechts nach ſich zog. Dſchafer ward hingerichtet, ſein Kopf über eins der Stadtthore Bagdads aufgeſteckt, und ſämmtliche Barmekiden, in die Wüſte getrieben, unterlagen dort dem Hunger und Elende. Siehe Roſenöl.

Reiche mir die Blutorange
Mit dem ſüßen Zauberdufte,
Sie die von den ſchönſten Lippen
Ihre Nahrung hat geraubt.
Sagt 'ich es nicht, o Maimuna,
Flehend, händeringend, knieend,
Sagt' ich es zu ſieben Malen,
Nicht zu tauſend Malen dir?
Laß, o Fürſtin, dieſe Liebe!
Laß von dieſer dunklen Liebe,
Dir die ganze Bruſt verſengend,
Unheil bringend und Gefahr!
Daß nicht merk 'es der Kaliphe,
Er, der zornbereite Bruder,
353
Nicht den Dſchafer dir verderbe,
Deinen hohen Barmekiden,
Nicht den Dſchafer dir verderbe
Und dich ſelber, Fürſtin, auch!
Doch was iſt die weiſe Rede
In dem liebentglühten Herzen?
Wie das Winſeln eines Kindleins
In der wuthentbrannten Schlacht,
Wie ein linder Nebeltropfen
In dem flammenden Gebäude,
Wie ein Licht, vom Borde taumelnd
In den dunklen Ocean!
In der Tänzerin Gewande
Schmiegen ſich der Fürſtin Glieder,
Um die Schultern Seide flattert,
In dem Arm die Zither liegt.
O, wie windet ſie die Arme
Hoch das Tambourin erſchwingend,
O, wie wogen ihre Schritte,
Ihre reizerblühten Glieder,
Daß der Barmekide glühend
Seine dunklen Augen birgt!
Sieben Jahre ſind verſchwunden,
Sieben wonnevolle Jahre,
Zu den ſieben drei und fünfe,
Und in den Gebirgen irrend
Zieht der Barmekiden Schaar.
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 23354
Mütter auf den Dromedaren,
Blind geweint die ſchönen Augen,
In den Armen Kindlein wimmernd
In die lagerloſe Nacht.
Ueber Bagdads Thor ein Geyer,
Kreiſend über Dſchafers Schädel,
Rauſcht hinan und rauſcht vorüber,
Hat zur Nahrung nichts gefunden
Als in ſeiner Augen Höhlen
Nur zwei kleine Spinnlein noch.
355

Bajazet.

Der Löwe und der Leopard
Die ſingen Wettgeſänge,
Glutſäulen heben Wettlauf an,
Und der Samum ihr Herold.
O Sonne, birg die Stralen!
Was ſchleicht dort durch den gelben Sand,
Iſt es ein wunder Schakal?
Iſt es ein großer Vogel wohl,
Ein ſchwergetroffner Ibis?
O Sonne, birg die Stralen!
Ein wunder Schakal iſt es nicht,
Kein ſchwergetroffner Vogel,
Es iſt der mächt'ge Bajazet,
Der Reichſte in Cairo,
Er, der die dreizehn Segel hat,
Die reichbeladnen Schiffe,
Auf ſeiner Achſel liegt der Schlauch,
Der Stab in ſeiner Rechten.
O Sonne, birg die Stralen!
Weh dir, du unglückſel'ges Gold,
Verrätheriſches Silber!
Und weh dir, Haſſan, falſcher Freund,
Du ungetreuer Diener!
356
Nahmſt in der Nacht die Zelte mir
Und nahmſt mir die Kameele.
O Sonne, birg die Stralen!
Wie einen Leichnam ließeſt mich,
Wie Mumien, verdorrte,
Wie ein verſchmachtetes Kameel,
Wie ein Gethier der Wüſte!
Und gab dir doch das reiche Gut,
Die zwanzigtauſend Kori.
O Sonne, birg die Stralen!
So fluch 'ich denn zu ſieben Mal,
Und tauſend Mal verfluch' ich:
Daß dich verſchlingen mag das Meer,
Dein brennend Haus dich tödten!
Daß breche dein Gebein der Leu,
Dein Blut der Tiger lecke!
Der Beduine plündre dich,
Preis gebe dich der Wüſte,
Daß in dem Sande du verſiechſt,
Verſchmachtend hülflos irrend!
O Sonne, birg die Stralen!
357

Der Schloßelf.

In monderhellten Weihers Glanz
Liegt brütend wie ein Waſſerdrach '
Das Schloß mit ſeinem Zackenkranz,
Mit Zinnenmoos und Schuppendach.
Die alten Eichen ſtehn von fern,
Reſpektvoll flüſternd mit den Wellen,
Wie eine graue Garde gern
Sich mag um graue Herrſcher ſtellen.
Am Thore ſchwenkt, ein Steinkoloß,
Der Pannerherr die Kreuzesfahn,
Und courbettirend ſchnaubt ſein Roß
Jahrhunderte ſchon himmelan;
Und neben ihm, ein Tantalus,
Lechzt ſeit Jahrhunderten ſein Docke
Geſenkten Halſes nach dem Fluß,
Im dürren Schlunde Mooſes Flocke.
Ob längſt die Mitternacht verklang,
Im Schloſſe bleibt es immer wach;
Streiflichter gleiten raſch entlang
Den Corridor und das Gemach,
Zuweilen durch des Hofes Raum
Ein hüpfendes Laternchen ziehet;
Dann horcht der Wandrer, der am Saum
Des Weihers in den Binſen knieet.
358
Ave Maria! ſtärke ſie!
Und hilf ihr über dieſe Nacht!
Ein frommer Bauer iſt's, der früh
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
Mag ſeiner gnäd'gen Frau bedeuten;
Und eifrig läßt den Roſenkranz
Er durch die ſchwiel'gen Finger gleiten.
Doch durch ſein chriſtliches Gebet
Manch Heidennebel ſchwankt und raucht;
Ob wirklich, wie die Sage geht,
Der Elf ſich in den Weiher taucht,
So oft dem gräflichen Geſchlecht
Der erſte Sproſſe wird geboren?
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
Noch minder hätt 'er es verſchworen.
Scheu blickt er auf die Nacht iſt klar,
Und gänzlich nicht geſpenſterhaft,
Gleich drüben an dem Pappelpaar
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
Doch ſtille! In dem Eichenrund
Sind das nicht Tritte? Kindestritte?
Er hört wie an dem harten Grund
Sich wiegen, kurz und ſtramm, die Schritte.
Still! ſtill! es raſchelt über'n Rain,
Wie eine Hinde, die im Thau,
Beherzt gemacht vom Mondenſchein,
Vorſichtig äßet längs der Au.
359
Der Bauer ſtutzt die Nacht iſt licht,
Die Blätter glänzen an dem Hagen,
Und dennoch dennoch ſieht er nicht,
Wen auf ihn zu die Schritte tragen.
Da, langſam knarrend, thut ſich auf
Das ſchwere Heck zur rechten Hand,
Und, wieder langſam knarrend, drauf
Verſinkt es in die grüne Wand.
Der Bauer iſt ein frommer Chriſt;
Er ſchlägt behend des Kreuzes Zeichen;
Und wenn du auch der Teufel biſt,
Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!
Da hui! ſtreift's ihn, federweich,
Da hui! raſchelt's in dem Grün,
Da hui! ziſcht es in den Teich,
Daß bläulich Schilf und Binſen glühn,
Und wie ein kniſterndes Geſchoß
Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;
Im Augenblicke wo vom Schloß
Ein Schrei verzittert über'm Weiher.
Der Alte hat ſich vorgebeugt,
Ihm iſt als ſchimmre, wie durch Glas,
Ein Kindesleib, phosphoriſch, feucht,
Und dämmernd wie verlöſchend Gas;
Ein Arm zerrinnt, ein Aug 'verglimmt
Lag denn ein Glühwurm in den Binſen?
Ein langes Fadenhaar verſchwimmt,
Am Ende ſcheinen's Waſſerlinſen!
360
Der Bauer ſtarrt, hinab, hinauf,
Bald in den Teich, bald in die Nacht;
Da klirrt ein Fenſter drüben auf,
Und eine Stimme ruft mit Macht:
Nur ſchnell geſattelt! ſchnell zur Stadt!
Gebt dem Polacken Gert 'und Sporen!
Viktoria! ſo eben hat
Die Gräfin einen Sohn geboren!
361

Kurt von Spiegel.

O frommer Prälat, was ließeſt ſo hoch
Des Marſchalks frevlen Muth du ſteigen!
War's ſeine Geſtalt deren Adel dich trog,
Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?
O frommer Biſchof, wie war dir zu Muth,
Als rauchend am Anger unſchuldiges Blut
Verklagte, verklagte dein zögerndes Schweigen!
Am Wewelsberge ſchallt Wald-Hurrah,
Des Roſſes Flanke ſchäumt über den Bügel,
Es keucht der Hirſch, und dem Edelwild nah,
Ein flüchtiger Dogge, keucht Kurt von Spiegel;
Von Thurmes Fahne begierig horcht
Der arme Tüncher, und unbeſorgt
Hält in der Hand er den bröckelnden Ziegel.
Da horch! Halali! das Treiben iſt aus,
Des Hirſches einzige Thräne vergoſſen,
Ein Hörnerſtoß durch das waldige Haus
Vereint zum Geweide die zott'gen Genoſſen,
Und bald aus der nickenden Zweige Geleit
Die Treiber ſo ſtumm, die Ritter ſo breit,
Ziehn langſam daher mit den ſtöhnenden Roſſen.
Der Spiegel ſpornt ſein rauchendes Thier,
Verfluchte Canaille, du haſt mich beſtohlen!
362
Da ſieht er, hoch an des Thurmes Zimier,
Den armen Tüncher auf ſchwankenden Bohlen.
Ha, murrt er, heute nicht Beute noch Schuß,
Nie kam ich noch wieder mit ſolchem Verdruß,
Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!
Der Tüncher ſieht wie er blinzelt empor,
Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,
Da ſieht er drunten viſieren das Rohr,
Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;
Getroffen, getroffen! er ſchaukelt, er dreht,
Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgeräth
Kollert er nieder zum raſigen Streifen.
Als träf ihn ſelber das Todesgeſchoß
So zuckt der Prälat, ſeine Augen blitzen,
Marſchalk! ſtöhnt er, die Stirne wird naß,
Am ſchwellenden Halſe zittern die Spitzen,
Dann fährt auf die Wange ein glühendes Roth,
Und Marſchalk! ruft er, das bringt dir den Tod!
Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!
Doch lächelnd der Spiegel vom Hengſte ſchaut,
Er lächelt umher auf die bleichen Vaſallen:
Mein gnädigſter Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,
Eu'r Dräuen möchte im Winde verhallen!
Dann wendet er raſch, im ſauſenden Lauf
Durchs Thor und die donnernde Brücke hinauf.
Zu ſpät, zu ſpät ſind die Gitter gefallen!
363
Im Dome zu Paderborn iſt verhallt
Das Sterbegeläute des alten Prälaten,
Und wieder im Dom hat Kapitels Gewalt
Den neuen Beherrſcher gewählt und berathen.
Stumm fährt das Gebirg und die Felder hinein
Der neue Biſchof zur Wewelsburg ein,
Geleitet von ſummenden Volkscomitaten.
Und als nun über die Brücke er rollt,
Und ſieht die maſſigen Thürme ſich ſtrecken,
Wie ihm im Buſen es zittert und grollt!
An ſeiner Inful o brandiger Flecken!
Des Spiegels Blut in dem Ahnenbaum hell!
Leis ſeufzet er auf, dann murmelt er ſchnell:
Herr Truchſes, laßt unſre Tafel nun decken,
Es kreiſen die Becher beim Böllergeknall,
Die ſtattlichen Ritter, die artigen Damen,
Sich ſchleudernd des Witzes anmuthigen Ball,
Faſt von der Stirne die Falten ihm nahmen;
Da horch! im Flure ein Schreiten in Eil;
Es knarren die Thüren, es ſteht eine Säul ',
Der Spiegel, der blutige Marſchalk, im Rahmen!
Der Biſchof ſchaut wie ein Laken ſo bleich,
Im weiten Saal keines Odems Verhallen
An's Auge ſchlägt er die Rechte ſogleich,
Und langſam läßt er zur Seite ſie fallen.
Dann ſeufzt er hohl und düſter und ſchwer:
Kurt! Kurt von Spiegel, wie kömmſt du daher!
Greift ihn, ergreift ihn, ihr meine Vaſallen;
364
Kein Sünderglöckchen geläutet ward,
Kein Schandgerüſt ſah man zimmern und tragen,
Doch ſieben Schüſſe die knatterten hart,
Und eine Meſſe hörte man ſagen.
Der Biſchof ſchaut 'auf den blutigen Stein,
Dann murmelt' er ſacht in's Breve hinein:
Es iſt doch ſchwer eine Inful zu tragen!
[365]

Der spiritus familiaris des Roßtäuſchers.

[366]367

Der spiritus familiaris des Roßtäuſchers.

Deutſche Sagen; herausgegeben von den Gebrüdern Grimm. Berlin. 1816. Nr. 84.

Spiritus familiaris.

Er wird gemeiniglich in einem wohlverſchloſſenen Gläslein auf¬ bewahrt, ſieht aus nicht recht wie eine Spinne, nicht recht wie ein Skorpion, bewegt ſich aber ohne Unterlaß. Wer dieſen kauft, bei dem bleibt er, er mag das Fläſchlein hinlegen wohin er will, immer kehrt er von ſelbſt zu ihm zurück. Er bringt großes Glück, läßt verborgene Schätze ſehen, macht bei Freunden geliebt, bei Feinden gefürchtet, im Kriege feſt wie Stahl und Eiſen, alſo daß ſein Be¬ ſitzer immer den Sieg hat, auch behütet er vor Haft und Gefäng¬ niß. Man braucht ihn nicht zu pflegen, zu baden und kleiden, wie ein Galgenmännlein. Wer ihn aber behält bis er ſtirbt, der muß mit ihm in die Hölle, darum ſucht ihn der Beſitzer wieder los zu werden.

Ein Soldat, der ihn für eine Krone gekauft und den gefähr¬ lichen Geiſt kennen lernte, warf ihn ſeinem vorigen Beſitzer vor die Füße und eilte fort; als er zu Hauſe ankam, fand er ihn wieder in ſeiner Taſche. Nicht beſſer ging es ihm, als er ihn in die Donau warf.

Ein Augsburgiſcher Roßtäuſcher und Fuhrmann zog in eine berühmte deutſche Stadt ein. Der Weg hatte ſeine Thiere ſehr mitgenommen, im Thor fiel ihm ein Pferd, im Gaſthaus das zweite und binnen wenigen Tagen die übrigen ſechs. Er wußte ſich nicht zu helfen, ging in der Stadt umher, und klagte den Leuten mit Thränen ſeine Noth. Nun begab ſich's, daß ein anderer Fuhrmann ihm begegnete, dem er ſein Unglück erzählte. Dieſer ſprach: ſeyd ohne Sorgen, ich will euch ein Mittel vorſchlagen, deſſen ihr mir danken ſollt. Der Roßtäuſcher meinte, dieß wären leere Worte. Nein, nein, Geſell, euch ſoll geholfen werden. Geht in jenes368 Haus und fragt nach der Geſellſchaft, der erzählt euren Unfall, und bittet um Hülfe. Der Roßtäuſcher folgte dem Rathe, ging in das Haus und fragte einen Knaben, der da war, nach der Ge¬ ſellſchaft. Er mußte auf Antwort warten, endlich kam der Knabe wieder und öffnete ihm ein Zimmer, in welchem etliche alte Männer an einer runden Tafel ſaßen. Sie redeten ihn mit Namen an, und ſagten: Dir ſind acht Pferde gefallen, darüber biſt du nieder¬ geſchlagen, und nun kömmſt du, auf Anrathen eines deiner Geſellen, zu uns, um Hülfe zu ſuchen: du ſollſt erlangen, was du begehrſt. Er mußte ſich an einen Nebentiſch ſetzen und nach wenigen Minuten überreichten ſie ihm ein Schächtelein mit den Worten: Dieß trage bei dir, und du wirſt von Stund an reich werden, aber hüte dich, daß du die Schachtel, wo du nicht wieder arm werden willſt, nie¬ mals öffneſt. Der Roßtäuſcher fragte, was er für dieſes Schäch¬ telein zu zahlen habe, aber die Männer wollten nichts dafür; nur mußte er ſeinen Namen in ein großes Buch ſchreiben, wobei ihm die Hand geführt ward. Der Roßtäuſcher ging heim, kaum aber war er aus dem Haus getreten, ſo fand er einen ledernen Beutel mit dreihundert Dukaten, womit er ſich neue Pferde kaufte. Ehe er die Stadt verließ, fand er in dem Stalle, wo die neuen Pferde ſtanden, noch einen großen Topf mit alten Thalern. Kam er ſonſt wohin und ſetzte das Schächtelein auf die Erde, ſo zeigte ſich da, wo Geld verloren oder vorzeiten vergraben war, ein hervordringen¬ des Licht, alſo daß er es leicht heben konnte. Auf dieſe Weiſe er¬ hielt er ohne Diebſtahl und Mord große Schätze zuſammen. Als die Frau des Roßtäuſchers von ihm vernahm, wie es zuging, er¬ ſchrack ſie, und ſprach: Du haſt etwas Böſes empfangen, Gott will nicht, daß der Menſch durch ſolche verbotene Dinge reich werde, ſondern hat geſagt, im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brod eſſen. Ich bitte dich um deiner Seligkeit willen, daß du wieder nach der Stadt zurück reiſeſt und der Geſellſchaft deine Schachtel zuſtellſt. Der Mann von dieſen Worten bewogen, ent¬ ſchloß ſich und ſchickte einen Knecht mit dem Schächtelein hin, um es zurück zu liefern, aber der Knecht brachte es wieder mit der Nachricht zurück, daß die Geſellſchaft nicht mehr zu finden ſey, und niemand wiſſe, wo ſie ſich aufhalte. Hierauf gab die Frau genau369 Acht, wo ihr Mann das Schächtelein hinſetze, und bemerkte, daß er es in einem beſonders von ihm gemachten Täſchchen in dem Bund ſeiner Beinkleider verwahre. In der Nacht ſtand ſie auf, zog es hervor und öffnete es: da flog eine ſchwarze ſauſende Fliege heraus und nahm ihren Weg durch das Fenſter hin. Sie machte den Deckel wieder darauf und legte es an ſeinen Ort, unbeſorgt wie es ab¬ laufen würde. Allein von Stund an verwandelte ſich all das vorige Glück in das empfindlichſte Unglück. Die Pferde fielen oder wurden geſtohlen. Das Korn verdarb auf dem Boden, das Haus brannte zu dreienmalen ab, und der geſammelte Reichthum verſchwand zu¬ ſehends. Der Mann gerieth in Schulden und ward ganz arm, ſo daß er in Verzweiflung erſt ſeine Frau mit einem Meſſer tödtete, dann ſich ſelbſt eine Kugel durch den Kopf ſchoß.

Trutz Simplex Leben der Landſtörzerin Courage. Cap. 18

und 23. Der Leipziger Avanturier. Frkft. u. Lpzg. 1756. Th. 2.

S. 38 42.

Den hier angegebenen Kennzeichen des Spiritus familiaris fügt der Volksglaube an manchen Orten noch andere hinzu. Seine un¬ unterbrochenen Bewegungen ſollen von einem feinen kniſternden Ge¬ räuſch begleitet ſeyn, was den Träger Andern unheimlich und dem Wiſſenden kenntlich mache. Ueber Tag ſey er ſchwarz, gebe aber im Dunkeln ein ſtarkes phosphoriſches Licht von ſich, und ſo oft der Beſitzer eine Kirche betrete, bete, oder ſich nur einem frommen Gedanken überlaſſe, bekomme einer ſeiner feinen zahlloſen Füße oder Fühlhörner die Macht, das Glas zu durchdringen und demſelben einen Stich zu geben, der jedesmal die Lebenskraft bedeutend ſchwäche. Auch ſollen ſeine Gaben dies mit andern hölliſchen gemein haben, daß ſie zwar nicht wie dieſe zu Kohlen, aber ſchon in der zweiten Hand verderblich werden, das Vieh falle, das Getreide verderbe, oder, bis zur Ausſaat gebracht, nicht keime, ſo daß dem Käufer von dem ſcheinbar vortheilhafteſten Handel nur der ſchlimmſte Schaden bleibe. Als Orte, wo die Fläſchlein zu erhalten ſind, wird bald ein Kreuzweg, bald der Rabenſtein, bald ein leerſtehendes, durch darin begangene Verbrechen dem Böſen anheim gefallenes Haus bezeichnet.

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 24370

I.

So hat er ſich umſonſt gequält, umſonſt verkauft die werthe
Stätte,
Wo ſeiner Kindheit Linde ſteht und ſeiner Eltern Sterbe¬
bette,
Umſonſt hat er ſo manchen Tag den froſtbeklemmten Hauch
geſogen,
In ſeiner ſtarren Hand den Zaum, umkniſtert von des
Schnees Wogen,
Beim Morgenroth, beim Abendroth,
Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!
Der Täuſcher kniet am Pflaſtergrund, er ſtreicht des Roſſes
heiße Flanken,
Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten
wanken;
Bei Gott, es lebt! im Aug 'ein Blitz! es ſchaudert,
zittert, hüben, drüben,
Dann ſtreckt es ſich, die Nüſtern ſtehn, vom wilden Schreie
aufgetrieben,
Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,
Der Lebenswärme letzter Kampf.
Der Täuſcher kniet und ſtreichelt fort, nicht trauen will er
ſeinem Auge,
Und ſchwellend in die Wimper ſteigt der Mannesthräne
bittre Lauge,
371
Sacht langt die Decke er herbei und ſchlägt ſie um des
Thieres Weichen,
Dann läßt er der Laterne Schein ob den geſpannten Sehnen
ſtreichen;
Es iſt vorbei, kein Odemhauch,
Und ſchon verſchwimmt der Flanken Rauch.
Vom Boden hebt er ſich, er ſteht, der ſchwergebeugte Mann
der Sorgen,
Und langſam hat er ſeine Stirn, hat ſie in hohler Hand
geborgen;
Was heute war? was morgen wird? wie könnt 'er deſſen
ſich entſinnen!
Und der Verzweiflung Schlange fühlt er kalt zum Herzen
niederrinnen;
Was war? was iſt? er fährt empor,
Ein Klirren, dicht an ſeinem Ohr!
Und an dem nächſten Ständer lehnt, des todten Rappen
Zaum und Zügel
Gelaſſen wägend in der Hand, ein Mann mit Hafermaaß
und Striegel,
So ſtämmig wie durch Froſt und Staub der Kärrner treibt
die derben Glieder,
In ſeinen breiten Nacken hängt der breite Schlapphut tröpfelnd
nieder,
Und ruhig auf den Täuſcher itzt
Sein graubewimpert Auge blitzt.
372
Herr! hebt er an: ihr dauert mich, ein feines Thier iſt
euch gefallen,
Doch weiß ich eins, ihm gleich wie ſich am Paternoſter zwei
Korallen;
Ich nenne euch den Ort, das Haus, ihr habt es um zwei¬
hundert Gulden,
Dann wüßt 'ich einen Herrn, der drum ſein halbes Erbe
würde ſchulden.
Der Täuſcher horcht, und ſtammelt dann:
Ich bin ein ganz verarmter Mann!
Wie, eure prächt'ge Kuppel hin? wie, die ich in den Oſter¬
tagen
So friſch das Pflaſter ſtampfen ſah? fürwahr, da ſeyd Ihr
zu beklagen!
O, euer Brauner mit dem Stern, der zierlich vor den Damen
kniete!
O, euer Weißgeborner, dem's wie Funken aus den Nüſtern
ſprühte!
Der Täuſcher hat ſich abgewandt,
Er zupft am Zaume, ballt die Hand;
Und ſinnend ſteht der Schlapphut, mißt mit ſteifem Blick
der Kiſte Bohlen,
Herr! flüſtert er: ſchließt eure Fauſt um blankgerändete
Piſtolen!
Die Stunde zehrt, es ſchwillt der Mond, bald iſt des Jahres
Schluß gekommen,
373
Habt ihr auf euren Zügen denn von der Geſellſchaft
nichts vernommen?
Der Täuſcher blickt verwirrt umher,
Und: die Geſellſchaft? murmelt er.
Wie, die ſo manchen braven Mann aus ſeinen Nöthen hat
gezogen
Und keinen Heller Zinſen nimmt, zwei Worte nur auf weißem
Bogen,
Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung
wird beſchämen,
Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß
mich Wunder nehmen!
Der Täuſcher horcht, er ſpricht kein Wort,
Und flüſternd fährt der Andre fort:
Hört an, wenn in Silveſternacht das Mondlicht ſteigt in
volle Bahnen,
Kein Dach, kein Baum es ſchatten mag, wenn ſilbern ſtehn
der Thürme Fahnen,
Zum Schleuſenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten,
links die Föhren,
Wer euch begegnet achtet's nicht; wer euch begrüßt
laßt euch nicht ſtören,
Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,
Ein wenig öde ſieht es aus.
Verſtorbnen Wuchrers Erb 'um das ſich ſieben Lumpe hitzig
ſtreiten,
374
Und drinnen ſtimmt ein ſchwaches Licht, ihr ſeht es freilich
nicht von weiten,
Alljährlich nur in dieſer Nacht, ſonſt ſtehen Thür und Thor
verrammelt,
In einem Hinterbaue brennts, wo die Geſellſchaft ſich
verſammelt;
Ihr trefft ſie bis der Hahn gekräht,
Der Täuſcher wendet ſich und geht.
Wie trunken ſchwankt er durch den Hof, ſchwankt in die
buntgefüllte Halle;
Der Kannen Klappen, das Geſchrei ihm iſt als ob die
Decke falle;
Und ſeufzend löst vom Gürtel er die Lederkatze, und beklommen
Läßt er den ärmlichen Gehalt ſo Stück vor Stück zu Tage kommen;
Dann ſpringt er auf, ſein Sporenklang
Klirrt trotzig das Gehöft entlang.
Doch was er rufen, pfeifen mag, leer iſt der Stall, nur
aus den Raufen
Hängt wirres Heu wie ſträubend Haar, und drunter dam¬
pfen Strohes Haufen,
Nur der Laterne feuchter Docht wirft Flämmchen auf mit
leichtem Knallen,
Und läßt ein ſeltſam zuckend Licht um den geſtreckten Rappen
fallen,
Und in der Fenſterſcheibe ſteht
Des Mondes bleiche Majeſtät.
375

II.

Das nenn 'ich eine Winternacht! das eine Jahresleiche!
Gnade
Der Himmel Jedem den die Noth treibt über dieſe blanken
Pfade!
Sie glitzern auf, der Schlange gleich im weißen Pyramiden¬
ſande,
Und drüber hängt, ein Todtenlicht, der Mond an unſicht¬
barem Bande,
Mit Fünkchen iſt die Luft gefüllt,
Die Sterbeſeufzer zieht und quillt.
Nie hat, ſeit Menſchendenken, ſich Sylveſternacht ſo ſcharf
ergoſſen,
Der Tag hat Flocken ausgeſtreut, der Abend ſie mit Glas
umſchloſſen;
In den Gehöften Taub 'und Huhn auf ihrer Stange ächzend
ducken,
Der Hund in ſeinem Schober heult und fühlt den Wurm
im Hirne zucken;
Zwei Spannen hat in dieſer Nacht
Das Eis dem Strome zugebracht.
Verklommen ſteht am Thor die Wach 'und haucht in die er¬
ſtarrten Hände,
Wer da! ein Freund! und haſtig ſtampft es längs der
Brücke Steingelände;
Betroffen ſieht ihn der Rekrut wie einen Maſt am Strome
ſchwanken:
376
Der iſt betrunken oder irr! er ſteht ein Weilchen in Ge¬
danken,
Bekreuzt ſich, zieht die Uhr heraus,
Und lehnt ſich an ſein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuſcher tritt, er athmet auf und ſchaut
nach oben;
Kein Wölkchen hängt am Rieſenbau der dunklen Saphir¬
kuppel droben,
Er wendet ſich, und ſieht die Stadt wie eine Nebelmaſſe
liegen,
Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz
ſich ſchimmernd wiegen,
Den Mantel zieht er an's Geſicht
Und ſchreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort über'm Weg? ein Menſch, ein Mann in
dünnem Zwillichrocke,
Der Täuſcher zuckt, doch zaudert nicht; wohl ſieht des
Greiſen dünne Locke,
Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er ſieht ſie im Vor¬
überſchreiten,
Und wie mit tauſend Stricken zieht es nieder, nieder ihn,
zur Seiten;
An's Herz hat er die Fauſt geballt,
Und weiter, weiter ſonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht, und ſcheint ihn wimmernd
anzuklagen,
Die Luft mit ihrem leiſern Hauch ihm Sterberöcheln zuzu¬
tragen,
377
In dem verglaſ'ten Föhrenwald ein irres Leben ſurrt und
klingelt,
Und ſeiner eignen Kehle Hauch mit Funkenſtaube ihn umzingelt,
Voran, voran, der Würfel liegt,
Verloren oder keck geſiegt!
Da wie ein Glöckchen tönt's von fern, und dann ein Licht¬
chen kömmt geſchwommen
Den blanken Schlangenpfad entlang, iſt an des Hügels Bug
geklommen,
Das Glöckchen ſchwirrt, das Flämmchen ſchwankt, Geſtalten
dunkel ſich bewegen,
Ein Prieſter mit dem Sakrament zieht dem verſtörten Mann
entgegen,
Und wie's an ihm vorüber ſchwebt
Der Mönch die Hoſtie ſegnend hebt.
Der Täuſcher ſchaudert, und ihn reißt's wie Bleigewichte
an den Knieen,
Doch weiter, weiter! und vorbei läßt er den Gnaden¬
engel ziehen;
Noch einmal ſchaudert er ein Knall des Stromes Flächen
ſpaltend zittern,
Ein Windſtoß durch der Föhren Haar, und die kriſtallnen
Stäbchen klittern
Da tritt zum Friedhof er hinaus
Und vor ihm liegt das öde Haus.
Er ſtarrt es an ein düſt'rer Bau! mit Zackengiebel, Eiſen¬
ſtangen,
Vom offnen Thore Nägelreihn wie roſtige Gebiſſe hangen;
378
Der Täuſcher zaudert, dann umſchleicht behutſam wie ein
Fuchs im Winde
Die Mauern er; iſt's nicht als ob ein Licht im Innern
ſich entzünde?
Er ſchüttelt ſich, er tritt hinein
Und ſteht im finſtern Gang allein;
Tappt am Gemäuer, wendet ſich; dort ſtimmt es durch der
Thüre Spalten,
Sacht beugt er zu der Ritze, lauſcht, den ſchweren Odem
angehalten;
Kein Ton, kein Räuſpern, nur ein Laut wie ſcharfgeführter
Feder Schrillen,
Und ein Gerieſel wie wenn Sand auf Eſtrich ſtäubt durch
ſchmale Rillen;
Sacht greift er an die Klinke, ſacht
Hat er gepocht und aufgemacht.

III.

Wie friedlich in der Erde Schooß die ſtill geringen Leutchen
ſchlafen!
Endlich ein Pfühl nach hartem Stroh, nach ſaurer Fahrt
endlich ein Hafen!
Dem Flockenwulſte, ſichtbar kaum, entheben ſich die niedern
Hügel,
Doch Gottes Engel kennt ſie wohl, und ſchirmend breitet er
die Flügel
Den Kreuzlein zu, die Pflock an Pflock
Sich reihen um den Marmorblock.
379
Am Sockel kreucht der Drachenwurm, und ſcheint zum Grund
hinabzukrallen,
Zum todten Wuchrer unter'm Stein, von eigner Frevelhand
gefallen,
Wohl hat ihm Gold ein ehrlich Grab geworben an der Fried¬
hofsmauer,
Doch drüber zuckt ſein Flammenſchwert Sankt Michael in
Zorn und Trauer,
So ſilbergrau, ein Nachtgeſicht,
Steht das verſteinerte Gericht.
Vom öden Hauſe, ſeinem einſt, wo blutge Thränen ſind
gefloſſen,
Hat ſich ein ſeltſam dämmernd Licht bis an den Marmel¬
ſtein ergoſſen,
Es iſt als ob das Monument bei der Berührung zitternd
ſchwanke,
Im Schnee wühlend eine Hand dem Schuldner ſich entgegen
ranke;
Er kömmt, er naht, die Pforte dröhnt,
Er hat ſich an den Stein gelehnt;
Bleich wie der Marmor über ihm, und finſter wie das Kreuz
zur Seiten,
Von Stirn und Wimper, Zähren gleich, geſchmolznen Reifes
Tropfen gleiten;
Was er in dieſer ſchweren Nacht gelitten oder auch geſündet,
Er hat es Keinem je geklagt und Keinem reuig es verkündet;
In's Dunkel ſtarrt er, wie man wohl
So ſtarrt gedankenlos und hohl.
380
Ihm iſt, als fühl 'er noch die Hand die ſeinen Federzug
geleitet,
Als fühle er den Nadelſtich, der ſeines Blutes Quell be¬
reitet,
Und leiſe zitternd taſtet er zum Gurte, hörſt du nicht
ein Knirren,
Viel ſchrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange
Klirren?
O, ſeine Heimath, ſtill umlaubt!
O, ſeines Vaters graues Haupt!
Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt
er die Hände,
Der todten Gäule Klingeln hört er ſchleichen durch die
Fichtenwände;
Genüber ihm am Horizonte ſchleifen ſchwarze Wolkenſpalten,
Wie läſſig eine träge Hand zum Sarge ſchleift des Bahr¬
tuchs Falten;
Er ſtreicht das Auge, reckt ſich auf,
Und ſchaut zum Aetherdom hinauf.
Noch hängt die Mondesampel klar am goldgeſtickten Kuppel¬
ringe,
Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie
eine Doppelklinge,
Noch iſt die Stunde nicht, wo ſich der Hahn auf ſeiner Stange
ſchüttelt,
O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!
Er wendet ſich, da horch, ein Klang,
Und wieder einer, ſchwer und bang!
381
Und mit dem zwölften Schlage hat der Wolkenmantel ſich
gebreitet,
Der immer höher, rieſig hoch, ſich um die Himmelskuppel
weitet,
Und, horch! ein langgedehnter Schrei, des Hahnes mitter¬
nächt'ge Klage;
Im ſelbigen Moment erbebt und liſcht der Schein am Sar¬
kophage,
Und Engel, Drache, Flammenſchwert,
Sind in die wüſte Nacht gekehrt.

IV.

Ho! Gläſerklang und Jubelſang und Hurrah hoch! fährt's
durch die Scheiben,
Getroffen ſchwankt der goldne Leu, die Buben aus einander
ſtäuben,
Und drängen ſich und balgen ſich das fliegende Confekt zu
fangen;
Ein Glas, 'ne Frucht,' ne Börſe gar, die blieb am Speer
des Schildes hangen,
Und ſchreiend nach der Stange ſticht
Das kleine gierige Gezücht.
Da klirrt aus des Balkones Thür ein Mann mit Gert 'und
Eiſenſporen,
Ihm nach ein Andrer, Flaſch' im Arm, in Rauſches Selig¬
keit verloren,
Geſindel! ruft der Eine: halt! ich will euch lehren Börſen
ſtechen!
382
Friſch, Jungens, friſch! der Andre drauf: die Birn iſt mein,
wer kann ſie brechen?
Ihn ſchlag 'ich heut', ich, Hans von Spaa,
Zum Ritter von Lumpatia.
Beſinnt euch, ſpricht der Erſte; was, beſinnen? hab 'ich
mich beſonnen
Als euer Falber wie'n geſtochner Stier zuſammenbrach am
Bronnen?
Beſann ich mich zu zahlen, Herr? o euer Vieh! dreihundert
Kronen!
Die Stimme bricht in trunknem Weh, er ſchluchzt: mag
euch der Teufel lohnen!
Und ſchraubt den Pfropfenzieher ein;
Der Täuſcher murmelt finſter drein,
Und wendet ſich. He, holla, halt! ſchreit's hinter ihm,
nicht von der Stelle!
Hoch euer Galgenmännlein, hoch der kleine rauchige Geſelle!
Und wieder hoch! und dreimal hoch! Alräunchen, Hütchen
meinetwegen,
Mag's ferner goldne Eier euch, und Andern todte Bälge
legen! '
Der Täuſcher lächelt, aſchenfahl,
Und ſchlendert pfeifend in den Saal.
Noch zwei Minuten, und du ſiehſt den Gaſſenpöbel vor ihm
weichen,
Ihn ſcheu wie ein umſtelltes Wild entlang die Häuſerreihen
ſtreichen:
383
So ſchleicht kein Trinker ſchweren Hirns und freudeſatt ſich
vom Gelage,
So grüßt kein freies Herz, nicht ſteht auf offner Stirn ſo
trübe Frage;
Man meint, das Thor gewinne jetzt
Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erſt als die Fichte ihn umſtarrt, an ſeiner Sohle Nadeln
rauſchen,
Hat er den Schritt gehemmt und ſteht, in ſich gebeugt, zu
lauſchen lauſchen
So lauſcht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur
Minne ladet,
Kein Kranker ſo des Prieſters Schritt, der mit dem Heil¬
thum ihn begnadet:
Ein Delinquent ſo lauſchen mag
Der letzten Stunde Pendelſchlag.
Am Sonnenbrande ſchlummernd liegt der Wald in des Aroma
Wellen,
Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern
Thränen quellen,
Die ſonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von
Geſange,
In ſich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬
hange,
An jeder Nadel weißer Rauch
Verdunſtet Terpentines Hauch.
384
Durch das Gezweig 'ein Sonnenſtrahl bohrt in des Horchers
Scheitellocke,
Die aus dem dunklen Wulſte glimmt wie Seegewürmes
Feuerflocke;
Er ſteht und lauſcht, er lauſcht und ſteht, vernimmſt du
nicht ein feines Schrillen,
Ein Rieſeln, wie wenn Sandgekörn auf Eſtrich ſtäubt durch
ſchmale Rillen?
So ſcharf es geht, ſo bohrend ein,
Wie Senſenwetzen am Geſtein.
Der Täuſcher richtet ſich, er ſeufzt, dann drängend nach des
Forſtes Mitte,
An eklem Pilze klirrt der Sporn und Blaſen ſchwellen unterm
Tritte,
Hier wuchern Kreſſ 'und Binſenwuſt, Gewürme klebt an
jedem Halme,
Inſektenwirbel wimmelt auf und nieder in des Mooſes
Qualme,
Und ziſchend, mit geſchwelltem Kamm,
Die Eidechs ſucht den hohlen Stamm.
Der Wandrer bricht die Rank ', er reißt und wüthet in den
Brombeerhecken,
Da ſeitwärts durch Geröhres Speer erglänzt des Kolkes
Dintenbecken,
Ein wüſter Kübel, wie getränkt mit ſchweflichen Asphaltes
Jauche,
Langbeinig füßelnd Larvenvolk regt ſich in Fadenſchlamm
und Lauche,
385
Und faule Spiegel, blau und grün,
Wie Regenbogen drüber ziehn.
In Mitten ſtarrt ein dunkler Fleck, vom Rieſenauge die
Pupille,
Dort ſteigt die Waſſerlilj 'empor, dem Fußtritt lauſchend
durch die Stille;
Wen ſie verlockt mit ihrem Schein, der hat ſein letztes Lied
geſungen;
Drei Tage ſuchte man das Kind umſonſt in Kraut und
Waſſerbungen,
Wo Egel ſich und Kanker jetzt
An ſeinen bleichen Gliedchen letzt.
Der Täuſcher ſteht, den Arm verſchränkt, und ſtuurt ver¬
düſtert in die Lache,
Sein Haar voll Laub und Kletten bauſcht ſich finſter an der
Krempe Dache,
Gleich einem Senkblei ſcheint der Blick des Kolkes tiefſten
Grund zu meſſen,
Zur Seite ſchaut er, rückwärts dann, kein Strauch, kein
Hälmchen wird vergeſſen,
Greift dann behend zum Gürtelband
Und hält ein Fläſchlein in der Hand.
Kaum hat das Ohr ſich überzeugt, im Glaſe klingle das
Geriſpel,
Ein Wimmeln kaum das Aug 'erhaſcht, wie ſpinnefüßelndes
Gewiſpel,
Da, hui! pfeifts im Schwung' und, hui! fährts an der
Lilie Krone nieder,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 25386
Das Waſſer ziſcht, es brodelt auf, es reckt die modergrünen
Glieder,
Und rückwärts, rückwärts ſonder Halt
Raſchelt der Täuſcher durch den Wald.
Erſt im Verhaue, wo die Luft ſpielt mit der Beere Würzarome,
Und auf den goldnen Schwingen trägt das Feſtgeläut vom
nahen Dome,
Dort ſinkt er ſchluchzend auf die Knie, ſo feſt, ſo feſt die
Händ 'gefaltet,
O ſelten hat ein Seufzer ſo des Herzens tiefſten Grund
geſpaltet!
Was dieſer Seufzer trägt, es muß
Sich nahen wie ein glüher Kuß.
Und Zähren Perl 'an Perle ſich entlang die braunen Wangen
ſchmiegen,
So mochte der verlorne Sohn zu ſeines Vaters Füßen liegen;
Da plötzlich zuckt der Beter greift zum Gurte taſtet
dann auf's Neue
Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein
wunder Leue,
Und in den Fingern angſtgekrampft
Die triefende Phiole dampft!!

V.

Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes
Nagen rüttelt,
Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem ſich Kohlenſtaub
entſchüttelt,
387
Die Träume ziehen, ſchwer wie Blei und leicht wie Dunſt,
um Flaum und Streue,
In Gold der hagere Poet, der dürre Klepper wühlt im
Heue,
Vom Kranze träumt die Braut, vom Helm
Der Krieger, und vom Strick der Schelm.
In jener Kammer, wo ſich matt der Fenſter tiefes Grau
ſchattiret,
Hörſt du ein Rieſeln, wie die Luft der Steppe zarten Staub
entführet?
Und ein Geſäuſel, wie im Glas gefangner Bremſe Flügel
wiſpelt?
Vielleicht 'ne Sanduhr die verrinnt? ein Mäuschen das im
Kalke riſpelt?
So ſcharf es geht, ſo bohrend ein
Wie Senſenwetzen am Geſtein.
Und dort am Hange Phosphorlicht, wie's kranken Gliedern
ſich entwickelt?
Ein grünlich Leuchten, das wie Flaum mit hundert Fäden
wirrt und prickelt,
Geſtaltlos, nur ein glüher Punkt in Mitten wo die Faſern
quellen,
Mit klingelndem Geſäuſel ſich an der Phiole Wände ſchnellen,
Und drüber, wo der Schein zerfleußt,
Ein dunkler Augenſpiegel gleißt.
Und immer krimmelts, wimmelts fort, die grüne Wand des
Glaſes ſtreifend,
Ein glüher gieriger Polyp, vergebens nach der Beute greifend,
388
Und immer ſtarrt das Auge her, als ob kein Augenlied es
ſchatte,
Ein dunkles Haar, ein Nacken hebt ſich langſam an des
Tiſches Platte,
Dann plötzlich ſchließt ſich eine Hand
Und im Moment der Schein verſchwand.
Es tappt die Diel 'entlang, es ſtampft wie Männertritt auf
weichen Sohlen,
Behutſam taſtend an der Wand will Jemand Rathes ſich
erholen,
Dann leiſe klinkt der Thüre Schloß, die losgezognen Riegel
pfeifen,
Durch das Gemach, verzitternd, ſcheu, gießt ſich ein matter
Dämmerſtreifen,
Und in dem Rahmen, duftumweht
Im Nachtgewand der Täuſcher ſteht.
Wie iſt die ſtämmige Geſtalt zum ſehnenharten Knorren
worden!
Wie manches, manches graue Haar ſchattirt ſich an der
Schläfe Borden!
O, dieſe Falten um den Mund, wo leiſe Kummerzüge
lauern
So mocht an Babels Strömen einſt der grollende Prophete
trauern,
So der Verfehmte ſonder Raſt,
Wie ihn Salvator
*Salvator Roſa.
* aufgefaßt.
389
Genüber, feingeſchnitzelt, lehnt die Gnadenmutter mit dem
Kinde,
Das ſein vergoldet Händchen ſtreckt wie ſegnend aus der
Mauerſpinde,
Und drunter, in Kriſtall gehegt, von funkelndem Geſtein
umbunden,
Ein überköſtlich Heiligthum, ein Nagel aus des Heilands
Wunden;
Zu ſeiner Ehre Nacht für Nacht
Das Lämpchen am Geſtelle wacht.
Nie hat, in aller Schuld und Noth, der Täuſcher einen Tag
beſchloſſen.
Daß nicht an dieſer Schwelle ihm ein glüher Seufzer wär '
entfloſſen,
Selbſt auf der Fahrt, auf nächt'gem Ritt, dämmert ſein
Auge in die Weite,
Von des Polacken Rücken hat er mühſam ſich gebeugt zur
Seite,
Und ſein beladnes Haupt geneigt
Woher das Kind die Händlein reicht.
Ein ſcheuer Bettler Tag für Tag ſo ſteht er an des Himmels
Pforte,
Er ſchlägt kein Kreuz, er beugt kein Knie, nicht kennt ſein
Odem Gnadenworte,
Schlaftrunknes Murmeln nur und glüh fühlt er's durch die
Phiole ranken,
Die ſeinem Leibe angetraut wie ragend Krebsgeſchwür dem
Kranken,
390
Und von dem kargen Lebensheerd
Ein Jahresſcheit iſt weggezehrt.
Auch jetzt, in dieſer Stunde, ſteht er lautlos, mit geſtreck¬
ten Knieen,
Nur leiſes Aechzen und voran! ſchau, ſchau, wie ſeine
Muskeln ziehen!
Voran! das Heilthum der Kryſtall er lehnt ſich an
die Wand, er ſchwindelt,
Ein angſtvoll Zupfen ein Geſtöhn er hat den Nagel
losgewindelt,
Und ſtößt ihn dicht am Heil'genſchrein
In der Phiole Siegel ein.
Hui! knallt der Pfropfen, hui, fährt das Glas in Millionen
Splitter!
Gewinſel hier, Gewinſel dort und ſpinnefüßelndes Geflitter;
Es hackt und prickelt nach dem Mann, der unterm Gnaden¬
bilde wimmert,
Bis Faſer ſich an Faſer liſcht, des Centrums letzter Hauch
verſchimmert,
Und an der Gotteslampe ſteigt
Das Haupt des Täuſchers, ſchneegebleicht.

VI.

Weh, Glockenſturm! Trompetenſtoß! und Spritzen raſſeln
durch die Gaſſen,
Der aufgeſchreckte Pöbel drängt und kräuſelt ſich in wüſten
Maſſen,
391
Hoch ſchlägt die Brunſt am Giebel auf, Gewieher kreiſcht
aus Stall und Scheunen,
Der Eimer fliegt hinab, hinauf, umhergeſtoßne Kinder
weinen,
Und zögernd ſteigt das Morgenroth
Dem doppelt Glut entgegen loht.
Es war beim erſten Hahnenſchrei als alle Bürger aufge¬
ſchüttert
Mit Schloſſenpfeifen Knall auf Knall; ſo gräulich hat es nie
gewittert!
Grad ob des reichen Böhmen Dach, des Täuſchers, ballte
ſich das Wetter,
Wo Blitz an Blitze niederzuckt, mit ohrbetäubendem Ge¬
ſchmetter,
Nun überall an Scheun 'und Haus
Praſſelt der Flammenhaag hinaus.
Im Hof die Knechte hin und her mit Axt und Beilen fluchend
rennen,
Wer ſchob die innern Riegel vor? die Thüren weichen nicht
und brennen,
Der Herr! der Herr! ruft's hier und dort: wo iſt der Herr!
daß Gott ihm gnade,
An ſeinem Kammerfenſter leckt die Loh 'aus der geſchloſſnen
Lade!
Und eben krachte in's Portal
Die Stiege zu dem obern Saal!
392
Entſetzt Gemurmel läuft umher und ſchwillt in des Gedränges
Wogen,
Dann Alles todtenſtill, ſie ſtehn, die Brauen finſter einge¬
zogen;
So um den Scheiterhaufen einſt gruppirten ſich des Südens
Söhne:
Da brennt der Schächer, deſſen Vieh das Land verlockt mit
fremder Schöne
Und kaum verkauft, am dritten Tag,
Ein todtes Aas im Stalle lag!
Der Gaukler brennt, aus deſſen Gurt ein wunderlich Ge¬
klingel ſurrte,
Daß man in rabenſchwarzer Nacht ihn kennen mocht 'an
ſeinem Gurte,
Der keine Kirche je betrat, vor keinem Gnadenbild ſich neigte,
Wenn ihm begegnet Chriſti Leib von Schwindel ſtammelt'
und erbleichte,
Im gottgeſandten Element
Der Täuſcher, mit der Kuppel, brennt!

VII.

Am Wieſenhang 'ne Linde ſteht, ſo lieblich winkend mit den
Zweigen,
Auf jedem Aſt ein Vogelneſt, um jede Blüth' ein Bienen¬
reigen,
Sie ſcheint den düſtern Föhrenwald aus ihren Kelchen an¬
zulächeln,
393
Des nahen Städtleins Angelus ein ſäuſelnd Ave zuzufächeln,
Und für den nahen Friedhof auch
Hat ſie verſüßt des Weſtes Hauch.
Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verſtreut ſie auf des
Greiſes Stirne,
Der in dem Wurzelmooſe lehnt ſein Haupt mit ſiedendem
Gehirne;
Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der
Ranzen,
Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenſchritten
drüber tanzen,
Wie ſie der Bruſt geheimſter Hut
Entſchlüpfen in des Fiebers Glut.
Den Anger ſeiner Kindheit ſieht er in den Lindenzweigen
ſpielen,
Die ſüße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbe¬
pfühlen;
Was er verloren und erſtrebt, was er geſündet und getragen,
Wie Eine Nacht ſein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn
geſchlagen.
O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab '
Zerbrach und ihm die Seele gab!
Er ſieht ſein faltiges Geſicht im Waſſerſpiegel widerſcheinen
Wie er ſich ſelber nicht erkannt, und kindiſch dann begann
zu weinen;
Ach, all die Thränen, ſo nachher aus tiefrer Quelle ſind
gefloſſen,
394
Ob ſie ihn Chriſti Blut vereint? des Himmels Pforten auf¬
geſchloſſen?
Wohl Schweres trug er mit Geduld,
Doch willenlos, durch eigne Schuld!
Mit vierzig Jahren ſiecher Greis, iſt er von Land zu Land
geſchlichen,
Hat ſeines Namens Fluch gehört und iſt zur Seite ſcheu
gewichen,
Aus mancher Hand, die ihm gedient, hat er das Bettelbrod
gebrochen,
Und iſt, ein todeskranker Mann, an dieſes Hügels Bug ge¬
krochen,
An dieſen Hügel ew'ge Macht!
Er ſchaudert auf; Sylveſternacht!
Der Föhrenwald das öde Haus dort ſtand der Prieſter,
dort am Hagen
O, in der Sterbeſtunde hat ſein irrer Fuß ihn hergetragen,
Das iſt kein Schemen, dieſes nicht; dort ſtreckt Sankt Michael
die Flügel,
Dort kreucht am Fußgeſtell der Drach 'und ſchlägt die Kralle
in den Hügel;
Des Greiſes Auge dunkelt, wild
Die Agonie zum Haupte quillt.
Das Buch das Buch er ſieht das Buch o Gottes¬
mutter, Gnade! Gnade!
Er liebte dich, er liebte dich in Sünd 'und Schmach!
gleich einem Rade
395
Die Zeichen kreiſen Gott, o Gott, er ſieht ein Händchen
niederreichen,
Mit leiſem goldnen Fingerzug die blutgetränkten Lettern
ſtreichen!
Und auf des Täuſchers bleichen Mund
Ein Lächeln ſteigt in dieſer Stund.'
Um Mittag hat der Mähder ihn am Lindenſtamme aufge¬
hoben,
Und in des Karrens Futtergrün dem Leichenhauſe zuge¬
ſchoben,
Auf der Gemeinde Koſten iſt ein grobes Sterbehemd be¬
reitet,
Ein kurzer träger Glockenſchlag hat zu der Grube ihn ge¬
leitet,
Wo ſich der Engelsflügel neigt
Und nicht des Drachen Kralle reicht.
[396][397]

Das Hospiz auf dem großen St. Bernhard.

[398][399]

Das Hoſpiz auf dem großen St. Bernhard.

Erſter Geſang.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,
Schon ſpannt ſie aus ihr Wolkenzelt;
So manche Thrän 'hat ſie bewacht,
So manchem Lächeln ſich geſellt;
Um Sel'ge hat ihr Strahl gekräuſelt,
Wo ſüß verſteckt die Laube ſäuſelt,
Und hat die Todtenbahre auch
Geſegnet mit dem frommen Hauch;
Nun einmal ihres Schleiers Saum
Noch gleitet um der Alpen Schaum,
Und in des Schneegeſtäubes Flaum,
Das an Sankt Bernhards Klippe hängt,
Der matte Hauch ſich flimmernd fängt.
Dort, wo es, aus des Paſſes Schlunde,
Um's Pain de Sucre macht die Runde,
*Pain de Sucre, eins der Alpenhörner des großen St. Bernhard, beträchtlich vom Wege abwärts.
*
400
Berührt ein menſchlich Angeſicht,
Fürwahr zum letzten Mal, das Licht.
Wie hat der Greis die dürre Hand
So feſt um ſeinen Stab geſpannt!
Und wie er ſo verkümmert ſteht,
So ganz verlaſſen um ſich ſpäht,
Da iſt's als ob, erſtaunt zumal,
Noch zögern will der letzte Strahl.
Schon zog der Aar dem Horſte zu,
Und nur die Gems vom Tour des foux
*Eine mächtige freiſtehende Felszacke auf dem Gipfel des St. Bernhard.
*
Noch einmal pfeift, und ſchwindet dann.
Am Riffe lehnt der alte Mann,
Wie auf dem Meere, jüngſt ergrimmt,
Einſam noch eine Planke ſchwimmt.
O, du biſt immer ſchön, Natur!
Doch dem, der Hertha's Bild gegrüßt,
Die Woge bald die Lippe ſchließt.
Biſt Königin vernichtend nur!
Der Blitz, der Seeſturm, der Vulkan,
Sie ſtehn als Zeugen oben an.
Und jener Greis am Felſenrand?
Dem Strahl, der widerprallt im Schnee,
Will ſchützend die beſennte Hand
Sich vorbaun, an der Braue Höh '.
Zum Montblanc hat er lang geſehn,
Und wendet abendwärts den Fuß,
Da ihm die Augen übergehn,
Daß er vor Kälte weinen muß.
401
Ihm iſt wie taub, ihm iſt wie blind,
Er ſpricht gepreßt, und thut's nicht gern:
Mein Knabe! Henry! liebes Kind!
Schau mal hervor, ſind wir noch fern?
Dann aus des Mantels Falten dicht
Ein Bübchen windet ſein Geſicht;
Die kleinen Züge ſchwillt der Hauch,
Die rothen Händchen birgt es auch
Sogleich, und zieht des Vließes Saum
Sorgfältig um der Stirne Raum,
Daß nur der Augen röthlich Licht
Durch des Gewandes Spalten bricht.
Nun mit den Wimpern zuckt er ſchnell;
Großvater, ſchau! wie blitzt es hell!
Der Alte ſeufzt: es blitzt, mein Sohn,
Am Himmel nicht um dieſe Zeit;
Es iſt die Sonne wohl, die ſchon
Sich um die letzten Zacken reiht.
Doch wiederum der Knabe ſpricht:
Großvater! 's iſt die Alpe nicht,
Es ſpringt und zittert in die Höh ',
Wie wenn die Sonne tanzt im See
Und ſpielt in unſerm Fenſterglas.
Wo, Henry? Kind, wo ſiehſt du das?
Ein Aermchen aus der Wolle ſteigt.
Der Alte ſenkt das Haupt und ſchweigt.
Nein, nein, das iſt kein Hoſpital!
In tauſend Funken ſprengt den Strahl,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 26402
Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,
Nur Roche polie
*Eine von der Natur aufs glänzendſte polirte Felſenwand. Man ſchreibt dieſe Erſcheinung der gewaltſamen Reibung mit andern Felſenmaſſen bei einer früheren Erdumwälzung zu.
* von jenem Hange.
Und zögernd ſchiebt des Greiſes Hand
Den kleinen kalten Arm zurück,
Zieht feſter um ihn das Gewand.
Er wirft den kummervollen Blick
Noch einmal durch die dünne Luft,
Auf jeden Fels, in jede Kluft;
Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,
So ſchwer wie je aus Mannes Bruſt,
Und langſam abwärts, mit Gefahr,
Beginnt er Pfade unwirthbar.
Schmal iſt der Raum, die Klippe jäh;
Zuweilen bietet das Geſtein,
Ein altergrauer Felſenſpalt,
Für Augenblicke ſchwachen Halt.
Die Ferſe drückt er in den Schnee,
Und ſtößt des Stabes Stachel ein;
Denn eine Zeit gab's, wo im Gau
Von Saint Pierre kein Schütz ſich fand,
Der auf der Jagd, am Alphorn blau,
Dem Benoit gegenüber ſtand.
Kein Aug 'ſo ſcharf, kein Ohr ſo fein,
So ſicher keine Kugel ging.
Von all den Kühen er allein
So ſorglos an der Klippe hing!
403
Zum letzten Mal dem Meiſter alt
Sich dankbar ſeine Kunſt erzeigt.
Gottlob! nun iſt die Schlucht erreicht.
Er blickt empor, durch's graue Haupt,
Faſt von der Kälte ſinnberaubt,
Noch einmal durch die öde Bruſt
Zieht ſich das Bild vergangner Luſt,
An der ſein ganzes Herz gehangen,
Und doppelt fühlt er ſich gefangen.
In Quarzes Schichten eingezwängt,
Durch die der ſchmale Pfad ſich drängt,
Streckt, überbaut von Felſenwucht,
Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.
Kein Laut die todte Luft durchirrt,
Kein Lebenshauch iſt zu entdecken;
Und, wenn es unverſehens ſchwirrt,
Das Schneehuhn kann den Wandrer ſchrecken.
Wo droben ſchwimmt das Felſendach,
An dem der Winterſturm ſich brach
Jahrtauſende; doch die Gedanken
Verlaſſen ihn, er ſieht es wanken
Er fördert keuchend ſeinen Schritt
Und immerfort, in tollem Schwanken,
Ziehn rechts und links die Klippen mit;
Daß jener harrt, ſogleich ſogleich
Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,
Die ungeheure Maſſe klirrt,
Und er ſich ſchon zerſchmettert glaubt,
So ſehr ihm Furcht die Sinne raubt.
404
In dieſe wüſte Bahn hat jetzt
Der müde Mann den Fuß geſetzt,
So ſchnell es gehn will, fort und fort.
Noch immer glühn die Firſten dort,
Und abwärts gleiten ſieht den Strahl
Mit Luſt er und mit Graun zumal.
Sobald der Abendſonne Schein
Nicht mehr die letzte Zacke badet,
In's Hoſpital ein Glöckchen rein
Den Wandrer aus der Steppe ladet.
Und ſchon am Pointe de Drone das Licht
Kaum merklich noch den Schatten bricht.
O Sonne, ſeufzt der müde Greis,
Bald biſt du hin! der Himmel weiß,
Vielleicht hör 'ich die Glocke nicht!
Blickt zweifelnd nach den Felſenwällen,
An denen mag der Klang zerſchellen.
Das Kind, das Kind iſt ſeine Noth!
Schon fühlt er, wie, vom Froſte laß,
Der ſteife Arm zu gleiten droht;
Und ohne Ende ſcheint der Paß!
Ein Thurm ragt an dem andern her,
Es iſt, als würden's immer mehr.
Dem Himmel Dank, die letzte Klippe!
Und als, mit angeſtrengtem Fleiß,
Sich immer näher treibt der Greis,
Was kniſtert über'm Steingerippe?
Am Rande ſchiebt ſich's, zittert, blinkt,
Langſam ein weißer Klumpen ſinkt;
Dann ſchneller, dann mit jähem Fall,
405
Entlang die Klüfte toſ't der Schall.
Und zu des Alten Füßen rollen
Schneetrümmer und geſprengte Schollen.
Und dieſer einen Augenblick
Steht regungslos, mit Schwindel ringt;
So ſcharf vorüber zog der Tod!
Gefaßt er dann zuſammenrafft,
Was ihm von Wollen bleibt und Kraft.
Und vorwärts nun, mit harter Noth,
Er in den Trümmerhaufen dringt.
Doch neben, vor und um ihn ſtemmt
Die Maſſe ſich, zum Wall gedämmt.
Mitunter eine Scholle auch
In ſchwachem Gleichgewichte ſteht,
Nur wartend auf den nächſten Hauch,
Und aufwärts ihre Kante dreht.
Wenn das Geſchiebe ſich belebt,
Ein Sarkophag, der ihn begräbt!
Horch! wie er durch die Zacken irrt,
Zuweilen eine Scheibe klirrt;
Ein feines Schwirren ſchwaches Rucken
Vor ſeinen Augen Blitze zucken;
Doch immer wieder fügt ſich's ein,
Und ſtarr die Mauer ſteht wie Stein.
So muß er, faſt in Todesbanden,
Wie durch ein Labyrinth ſich ſchmiegen.
Es iſt vorüber, iſt beſtanden,
Und hinter ihm die Trümmer liegen.
406
Indeß des Tages matte Zeichen
Allmählig von den Kuppen bleichen,
Und, nach und nach, am Firmament
Des Mondes Lampe ſtill entbrennt;
Verſchwimmend, ſcheu, ihr zartes Licht
Malt noch der Dinge Formen nicht.
Doch allgemach aus Wolkenſchleier
Erſteht die klare Scheibe freier.
Die Felſen ſcheinen ſich zu regen,
Geflimmer zittert über'n Schnee,
Und langſam ſteigend aus der Höh '
Die Schatten auf den Grund ſich legen.
Gebeugt, mit angeſtrengtem Schritt,
Aus ſeiner Schlucht der Wandrer tritt
In eine öde Fläche vor.
Er ſteht er lauſcht er trägt das Ohr
Zur Erde bald und bald empor,
Und alle Sinne lauſchen mit.
Er wendet ſich, ob nichts vom Schalle
Aus einer andern Richtung falle.
Nur hohl und ziſchend ſich die Luft
In des Geſteines Spalten fängt,
Und, mit Gekniſter, durch den Duft
Zu Nacht gefall'ner Flocken drängt.
Der Kälte, die den Stamm zerſchellt,
Kein Schirm ſich hier entgegenſtellt.
Ach Gott, wohin! ringsum kein Steg,
Sich überall die Ebne gleicht.
Doch vorwärts, vorwärts, immer reg ',
407
Eh dich im Schlummer Tod beſchleicht,
Nur immer in die Nacht hinein.
Da, durch die Steppe fällt ein Schein,
Wie wenn ſich Kerzenſchimmer brechen
In angehauchten Spiegels Flächen.
Und über dieſes Meteor
Ragt eine Maſſe dunkel vor.
Gegrüßt, o Stern im Mißgeſchicke!
Es iſt die Drance, es iſt die Brücke.
Kaum die bekannten Pfade ſchaut
Der Greis, ihm iſt wie aufgethaut;
Halb kehrt der Jugend Muth zurück,
Er wähnt ſich einen Augenblick
Für dies und Schlimmres noch genug.
Die Brücke naht ſich wie im Flug.
Schon hat er rüſtig ſie beſchritten,
Schon ſteht er in der Ebne Mitten,
Schon keucht er um des Stromes Bogen:
Und vor ihm her die glaſ'gen Wogen
Durchrollt des Mondes Silbertuch.
Vergebens! dieſe Kraft iſt Schein;
Mit jedem Hauche ſinkt ſie ein,
Mit jedem Schritte weicht das Blut.
Ach keine Wunder wirkt der Muth!
Schon matter wird des Greiſes Tritt.
Das Licht im Strome fliegt nicht mehr,
Es wandert zögernd vor ihm her.
Aus den gelähmten Fingern glitt
Der Stab und eine weite Strecke
408
In Sätzen prallend von der Decke,
Dann lagert er an Stromes Rand.
Hin ſchleppt der müde Mann den Schritt;
Er bückt ſich mühſam, welche Qual!
Ergreift ihn, der zum dritten Mal
Ihm immer gleitet aus der Hand.
Und ſchwindelnd, bei dem ſauren Beugen,
Fühlt er das Blut zum Haupte ſteigen,
Sein Aug ', von kalten Thränen ſchwer,
Sieht kaum das Allernächſte mehr.
Noch tappt er, wo aus dunklem Schaft
Die glatte Eiſenſpitze blinkt.
Da weicht des Armes letzte Kraft,
Und auf den Schnee das Knäbchen ſinkt;
Es rafft ſich auf, ergreift den Stab,
Gehorſam, leichtem Dienſt gewöhnt.
Mein Kind! mein Kind! der Alte ſtöhnt,
Und nimmt die kleine Laſt ihm ab,
Was willſt du noch zuletzt dich plagen!
Späht mit der Augen trübem Stern
Beklommen durch den nächt'gen Schein;
Du kannſt nicht gehn, ich dich nicht tragen,
Und ach! das Hoſpital iſt fern.
So müſſen wir das Letzte wagen,
Und kehren bei den Todten ein.
Er lenkt die Schritte von dem Strand,
Sein Knäbchen hält er an der Hand.
Das Mondlicht, das mit kaltem Kuſſe
Liebkoſet dem verſteinten Fluſſe,
409
Gleich links, auf ein Gewölbe klein,
Streut alle ſeine Schimmer rein,
Die, wie ſie Wolkenflor umwebt,
Bald auf dem Dache, wie belebt,
Sich kräuſeln, in den Fenſtern drehn,
Und bald wie eine Lampe ſtehn,
Die halb der Grüfte Dunkel bricht.
So leiſten ſie die fromme Pflicht
Dem, ſo der Fremde ward zum Raube,
Und bei dem unbeweinten Staube
Entzünden ſie das Trauerlicht.
Ja, dieſe Mauern, wohl erbaut
Mit Chriſtenſinn, ſie bergen doch,
Wovor des Menſchen Seele graut,
Wem Blut rollt in den Adern noch.
Sie alle, die zum Todesſchlaf
Sankt Bernhards leiſer Odem traf,
Wenn ſie nicht Freundes Wort genannt,
Nicht Eidgenoſſen Blick erkannt,
An dieſen Ort ſind ſie gebannt.
Der Bettler, dem kein Heimathland,
Der Jude, ſo auf Geld bedacht
Gefahrenvollen Weg betrat,
Der arme wandernde Soldat,
Der Flüchtling vor Geſetzes Macht:
Sie alle liegen hier, wie Tod
Aus dieſer Wildniß ſie entbot.
Im Pelze der, im Mantel weit,
Und jener im Studentenkleid.
Das tiefe Auge, trüb und offen,
410
Auf liebe Züge ſcheint zu hoffen;
So Zeit auf Zeiten, keine Thräne
Rann auf die bleiche Wange noch;
Und ließen treue Kinder doch,
Und ſind geliebter Eltern Söhne.
Die Schwelle kennt der Greis genau,
Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,
Sein alter Pfad, wenn von der Jagd
Er heimwärts manchen Gang gemacht,
Ans Fenſter pflegt er dann zu treten,
Nachdenklich in die Gruft zu ſehn,
Und ſinnend auch, im Weitergehn,
Ein Vaterunſer wohl zu beten.
Doch vor dem Tode auf der Flucht
Erfaßt ihn ungeheures Grauen,
Als tret 'er in das eigne Grab
Und ſoll die eigne Leiche ſchauen.
Kaum wehrt er den Gedanken ab.
Hinweg! hinweg! ſo weit der Fuß
Dich trägt ; und unwillkührlich muß
Er wenden. Doch da weint das Kind:
Großvater! weiter ſollen wir?
Wir ſind ja hier an einer Thür.
Ich kann nicht mehr. Verſchwunden ſind
Die Zweifel; mühſam öffnet jetzt
Der Greis das Thor, mit Roſt verſetzt,
Tritt in die Wölbung, kauert ſich
Dann auf den Boden kümmerlich,
Und nimmt an ſeine Bruſt den Kleinen.
411
So eine Weile ſitzen ſie,
Der Knabe auf des Mannes Knie
In ſtummen Schauern an ihn biegend,
Der Alte, ſich nach innen ſchmiegend,
Das Haupt am feuchten Mauerſtein,
Und übermüdet, überwacht,
Hat minder der Umgebung Acht;
Minuten noch, ſo ſchläft er ein.
Schon ſummt es um ihn wie ein Schwarm,
Der Mantel gleitet mit dem Arm;
Und als das Haupt zur Seite ſinkt,
Großvater! iſt das Glas? es blinkt!
Der Alte fährt empor, er blickt
Verſchüchtert ſeitwärts, unverrückt
Zu Boden dann: ſey ſtill, ſey ſtill,
Mein Kind, es ſey auch was es will.
Und ſeufzend fügt er noch hinzu:
Es iſt ſo ſpät! gib dich zur Ruh.
Doch wie ein Strahl es ihn durchfliegt,
Daß Schlaf den Willen faſt beſiegt.
Schon greift der Krampf die Glieder an:
Zu reiben gleich beginnt der Mann.
Und als das Blut nun ſchneller rinnt,
Er immer heller ſich beſinnt,
Auch der Gedanke Kraft gewinnt.
Was war es, das, vom Schlaf erwacht
So in Verwirrung ihn gebracht?
Es war ein Blitz, es war ein Licht!
Und dennoch war es beides nicht.
412
Indeſſen har das Knäbchen leiſ '
Die beiden Aermchen ausgeſtreckt,
Und aus des Mantels Huth mit Fleiß
Den kleinen Kopf hervorgeſteckt.
Das Schlummern will ihm nicht gelingen;
Die Langeweile zu bezwingen
Am Mantel neſtelt's immerfort,
Schaut unverrückt nach einem Ort,
Bald gähnend, bald mit halbem Wort.
Ja! flüſtert's, vor Ermattung roth,
Die Händchen in des Mantels Taſche,
Dort ſteht das Glas, und dort die Flaſche,
Und auf dem Tiſche liegt das Brod.
Dann zieht es ſacht den Mantel los;
Es gleitet von des Alten Schooß,
Es taucht in's Dunkel. Auf ſich rüttelnd
Aus wüſter Träumereien Graus,
Henry! mein Kind! ruft jener aus,
Das graue Haupt verdroſſen ſchüttelnd,
Wo biſt du nur? komm wieder, Sohn!
Dort glänzen ſeine Löckchen ſchon!
Was reicht und ſtreicht es an der Wand?
An's Auge hebt der Greis die Hand:
Fürwahr! nach einem Brode ſucht
Der kleine Arm hinauf zu langen;
Und nebenan ſich Schimmer reihn,
Bald roth, bald grün, wie ſie gefangen
Im Glaſe dort, und dort im Wein.
O unverhoffter Segen! Schon
Vom Boden taumeln ſieh den Alten.
413
Laß, du vermagſt es nicht zu halten,
Laß ab! Es zittert jeder Ton,
Der aus bewegter Bruſt ſich windet,
Und kaum im Odem Nahrung findet.
Die Glieder, ſo in Froſt und Qual
Ihn treulich trugen durch die Steppen,
Kaum vorwärts weiß er ſie zu ſchleppen
Bis hin, wo harrt das karge Mahl.
Er faßt das Brod und kann's nicht theilen,
Und ſtöbert, ſucht mit wirrem Eilen
In allen Taſchen, allen Falten,
Selbſt in der Stiefel engen Spalten.
Hab' ich mein Meſſer denn verloren?
Die Rinde bricht, ſie iſt noch warm.
Nun , nun trink, mein Würmchen arm!
O, kam ich eher um zwei Stunden!
Um eine einz'ge Stunde nur!
Die Mönche hätt 'er noch gefunden;
Dies iſt des Hospitales Spur.
Denn was die kühnſte Flamme bricht,
So wild ſie durch die Adern tobt:
Es löſcht die fromme Liebe nicht,
Die Leib und Leben hat verlobt.
Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt,
Wenn ſich das Schneegeſtöber ſchüttelt,
Wenn durch die öde Winternacht,
Nur wie ein fernes Mordgeſchütz,
Die zitternde Lawine kracht,
Wenn um die Gipfel ſpielt der Blitz:
414
Das ſind die Boten, die er kennt;
Vom Betſtuhl, wo die Lampe brennt,
Der Mönch ſich hebt, den Weg beginnt
Zum Tobel, wo der Sturzbach rinnt,
Zum Paſſe, wo der Schnee am höchſten,
Zum Steg, wo die Gefahr am nächſten,
Hinauf, hinab Sankt Bernhards Rund;
Voran ihm ſpürt ſein kluger Hund.
Dann, kehrend zu des Kloſters Pforte,
Die Nahrung, ſo er bei ſich trägt,
Mit milder Sorgfalt wird gelegt
An ſichre ſturmgeſchützte Orte.
Und oft, im letzten Augenblick,
Trat die gebrochne Kraft zurück
Durch ſie in die verſiegten Adern.
Wer mag mit ſolchen Mönchen hadern!
Welch 'ſeelerſtorbner Atheiſt
So frevler Thorheit ſich vermißt,
Daß er auf ſie die Pfeile richte?
Schau! wie, gleich neuentflammtem Lichte,
Das Kind des Glaſes volle Laſt
Mit beiden rothen Händchen faßt.
Nun ſetzt es an, und trinkt, und trinkt
Durch alle Adern ſtrömt das Heil,
Und läßt nicht ab, und ſtöhnt vor Eil,
Faſt wird der Athem ihm verſetzt.
Des Alten Auge freudig blinkt:
Mein Junge, ſprich, wie iſt dir jetzt?
Doch kaum und unverſtändlich nur
Des Kindes Antwort ihn erreicht,
415
Das auf ſein Stückchen Brod gebeugt,
Natur, nach deinem weiſen Walten,
Das ſchwache Leben zu erhalten,
Gefahr zu fliehn, die es nicht ſieht,
Aus allen Kräften iſt bemüht.
Indeß hat draußen durch die Nacht
Ein Murmeln, Rauſchen ſich verbreitet,
Wie wenn erzürnte Woge ſchreitet;
Des Sturmes Stimme iſt erwacht.
Noch fern und hohl im Klippenſchacht,
Von Fels zu Felſen hört man's klagen.
Der Alte ſinnt: ſoll er es wagen,
Sich und ſein Liebſtes fortzutragen?
Bald iſt das Hospital erreicht!
Ein Stoß um das Gewölbe ſtreicht,
Und heulend ſingt er über'm Dache
Das Todtenlied dem Grabgemache.
Am Boden leiſes Kniſtern irrt,
Die Thür in ihren Angeln klirrt;
Umſonſt! umſonſt! es iſt zu ſpät,
Der Wirbel durch die Steppe geht.
Und nun? Des Greiſes Blicke fragen,
Ob nirgends hier ein Plätzchen ſey
Noch unbeſetzt, vom Zuge frei.
Durch des Gewölbes Mitte ſtehn
Drei lange Bahren, ſind ſie leer?
Das Dunkel wirbelt drüber her.
Doch rechts und links und gegenüber,
Wohin der ſcheue Blick ſich richtet,
416
Wenn flieht ein Mondenſtrahl vorüber,
Der die zerrißnen Wolken lichtet,
Der bleichen Schläfer Reihn er ſtreift,
Die rings in Niſchen aufgeſchichtet.
Ein Antlitz halb dir zugewandt,
Hier braunes Haar, und dort gebleicht,
Aus jenem Winkel wie verſteckt
Sich eines Fußes Spitze ſtreckt,
Und dort ſich wächſern eine Hand
Wie abgetrennt vom Körper zeigt.
Wer iſt der Mann ſo unverzagt,
Den ſolch ein Anblick nicht erſchüttert?
Wenn über ihm, wie ſchmerzdurchzittert,
Die mitternächt'ge Stimme klagt,
Gleich Geiſtern durch der Nacht Revier.
Ein heimlich Flüſtern ziſcht und kocht,
Und an die ſchlecht verſchloßne Thür
Der Wind mit leiſem Finger pocht.
Dem alten Manne wird's zu viel,
Die Phantaſie beginnt ihr Spiel;
Auf ſeinem Haupt in jedes Haar
Scheint Leben und Gefühl zu kommen.
Mehr iſt der Athem ihm benommen
Als je vor Zeiten in Gefahr.
Den Steinbock hat er oft gehetzt,
Dem Lämmergeier ſich geſellt,
Und fröhlich pfeifend in die Welt
Dann über'n Klippenſpalt geſetzt.
Ein Andres, dem Geſchick ſich ſtellen
In friſcher Luft, auf freien Wellen,
417
Ein Andres iſt's, am Grabe ſtehn
Und ruhig dem verzerrten Ich
In's eingeſunkne Auge ſehn.
Sieh! wie ſchon wieder ſchauerlich
Der Strahl durch das Gewölbe ſtreicht,
Und dem betäubten Manne ſich
Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt
In das Gemäuer eingefugt.
Das iſt ja eben, was er ſucht!
Und muß nun ſeufzend ſich bereiten,
Die ganze Wölbung zu durchſchreiten.
Wie er die Schritte zögernd lenkt,
Die Augen bleiben ſcharf geſenkt,
Beinah 'geſchloſſen, als er quer
Um eine Bahre wendet her,
Zu eilig; mit dem Fuße ſchwer
Trifft er an des Gerüſtes Stützen,
Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.
Die Bahre ſchwankt, er will ſich ſchützen,
Er gleitet; modriges Gewand,
Verwirrtes Haar ſtreift ſeine Hand.
Der Alte taumelt und erbleicht.
Wie jener Winkel noch erreicht,
Das weiß er nicht, hält immer feſt
An ſeine Bruſt das Kind gepreßt,
Und ſucht vergebens zu bezwingen
Der Phantaſie verſtörtes Ringen.
Die Wölbung dreht, die Mauern ſingen,
Ihm iſt, als hätte ſeine Hand
Des Todten Züge all ergründet;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 27418
Er ſieht das große Augenband,
Das ſinkend die Verweſung kündet,
Und drüber her, zu treu! zu treu!
So tragend eigner Schwäche Joch
Doch bleibt ihm das Bewußtſeyn noch
Und eben noch die Willenskraft,
Zu kämpfen gegen ſchnöde Haft.
Er ſinnt und grübelt allerlei,
Wie wohl zum Hospital der Weg?
Wie zu beſchreiten jener Steg?
Wie fern die Morgenſtunde ſey?
Sucht heitre Bilder aufzuwecken,
Als in der Scheibe Herzen ſtecken
Ein Jeder Benoits Kugel ſah.
Indeſſen lehnt der Knabe da,
Des ſpäten Wachens ungewöhnt,
Und ſchaukelt ſich und ſeufzt und gähnt,
Ahmt leiſ 'des Sturmes Stimme nach,
Verfolgend mit den ſchweren Blicken
Die Strahlen, ſo durch das Gemach
Zuweilen lichte Streifen ſchicken,
Ergötzlich, im beſchränkten Meinen,
Ihm an der Wand die Bilder ſcheinen;
Der klare Blitz, wenn ſich das Licht
In den metallnen Knöpfen bricht
Die Reih' entlang, ſo Funk 'an Funken
Aufſprühn und ſich in's Dunkel tunken.
Die Scene wechſelt, langſam ſtreicht
Ein Wolkenvorhang ſich zurück,
419
Und in die ganze Wölbung ſteigt
Der Mond mit ſeinem Geiſterblick.
Was noch verborgen war in Nacht
Wird an ein mattes Licht gebracht;
Aus allen Winkeln ſieht man's rücken,
Was niedrig lag ſcheint aufzuſtehn,
Und was erhaben ſich zu bücken.
Vorüber nun. In ſtarrer Raſt,
Wie Grabmal ſich an Grabmal faſt
In königlichen Grüften zeigt,
Am Boden ſchlummert das Gebein,
Und drüber her der Mann von Stein.
Um manchen Buſen ſpielt der Schein,
Mich dünkt ich ſeh' ihn ſinken, heben,
Und lange Athemzüge ſchweben.
Der arme Kleine wie bethört
An ſeines Vaters Buſen fährt.
Großvater, ſchau! die Bilder leben,
Sie athmen All und wollen gehn!
Den Greis durchzuckt ein leiſes Beben:
Sey ſtill, es wird dir nichts geſchehn.
Wohl denkt er an den nächt'gen Schein,
(Es fällt ihm manches Blendwerk ein,)
Und zögert dennoch aufzuſehn.
Und wieder hebt der Knabe an:
Dort auf dem Tiſche ſitzt ein Mann;
Er ſitzt nicht, nein er liegt ſchon wieder
Und ſtand doch erſt ſo eben auf.
Dann hebt die Aermchen er hinauf
420
Und zieht des Greiſes Stirne nieder,
Ihm flüſternd, mit verſtecktem Ton:
Es iſt der Pfarr, ich kenn 'ihn ſchon!
Er hat den Mantel umgeſchlagen
Und ſeinen großen weißen Kragen.
Nun wieder fröſtelnd ſchaut das Kind
Mit offnem Munde, vorgebückt,
Dann an des Vaters Arm gedrückt:
Wie weiß ihm ſeine Finger ſind!
Der Alte ſucht mit allem Fleiß
Sich der Gedanken zu entſchlagen,
Die faſt wie Irrwahn ihn bedräun.
Henry! du ſollteſt ruhig ſeyn,
Allein du weißt mich nur zu plagen.
Schlaf ein, ſchlaf ein, mein kleiner Sohn!
Der Knabe bei dem harten Ton
Verſchüchtert ſich zur Seite ſchiebt,
Die müden Aeuglein reibt betrübt.
Sein Köpfchen ruht ſo loſ' und ſchlecht,
Auch iſt der Sitz ihm gar nicht recht,
Zu dick der Mantel hängt und ſchwer;
So lange rutſcht er hin und her
Bis, von dem harten Schooße gleitend,
Er auf den Grund die Sohlen ſetzt,
Und, wie ein Häschen matt gehetzt,
In's dürre Laub ſein Häuptlein reckt,
So aus die zarten Arme ſtreckt
Das Kind, um Vaters Leib ſie breitend,
Und bricht vor unverſtandnem Graus
In ganz geheime Thränen aus.
421
Doch jener, in ſich ſelbſt gekehrt,
Des Kleinen Stimme nicht beachtet,
Mit angeſtrengter Sorge trachtet
Die innern Feinde abzuwehren,
So pochend durch die Adern gähren.
Er birgt die Augen, ſinnt und ſinnt:
Zu Saint Remi, im Stübchen klein,
Was ſeine Tochter wohl beginnt?
Die Wände hell, die Schemel rein
Sucht er den Sinnen vorzuführen.
Vergebens! wunderlich berühren
Auch hier ſich Wirklichkeit und Schein;
Die todte Schweſter fällt ihm ein.
Gleich Träumen die Gedanken irren,
Im Ohre hallt ein feines Schwirren,
Ein Klingeln, ſeltſam zu belauſchen;
Es iſt des eignen Blutes Rauſchen,
Das, murrend ob der Adern Band,
Zum Haupt die Klagen hat geſandt.
So geht es nicht, ſo darf's nicht bleiben!
Der Greis, in ſeiner Seelenqual,
Beginnt die Glieder allzumal
Mit angeſtrengtem Fleiß zu reiben.
Des Mantels Rauſchen an der Wand,
Das Riſpeln ſeiner eignen Hand,
Des Haares Kniſtern, wenn er ſchwer
Streicht mit den Fingern drüber her:
Ein Laut des Lebens ſcheint dem ſchwachen
Bedrängten Buſen Luft zu machen.
Und dann ein Schrei! woher und wie?
422
Des Alten Blut zu Eis gerinnt.
Er tappt umher: Henry! Henry!
Wo biſt du nur? wo biſt du, Kind?
Da wieder das Geſtöhn beginnt,
Und Vater! Vater! und auf's neu '
Mein Vater! wimmert's im Geſchrei.
Der Alte, nach dem Laut gerichtet,
Hat jenen Winkel bald erreicht,
Wo, ſchwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,
Sich dunkel eine Niſche zeigt,
Drin ſichtbar halb ein Leichnam ruht,
Auf breiter Stirn den Schweizerhut.
Und um des Todten Hand geklemmt
Der Knabe wimmert und ſich ſtemmt
Den lieben Vater aufzuwecken.
Was machſt du, Henry? Kind, komm her!
Er iſt's ja nicht, er kehrt nicht mehr,
Du arme Waiſe! und im Schrecken
Hat er des Knaben Arm geſchüttelt,
Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,
Der Hut ſich in die Kante ſtellt,
Und dicht an ſeine Ferſe fällt.
Mit Einem Ruck des Kindes Hand
Befreiend, ſtürzt in tollem Graus
Der Alte in die Nacht hinaus.
Die Thüre hat er eingerannt,
Und klirrend ſprengt ſich hinter ihm
Die Feder ein mit Ungeſtüm.
423
Nur fern erſt an der Drance Rand
Gewinnen die Gedanken Stand.
Der Arm des Sturmes halb geſenkt
Nicht mehr ſo wild die Flagge ſchwenkt;
Doch auch das Mondlicht halb erbleicht
Ihm dämmernd nur die Richtung zeigt.
Getroſt, getroſt! kurz iſt der Weg,
Bekannt, betreten jeder Steg!
Nur immer vorwärts, immer reg ',
Eh' dich im Schlummer Tod beſchleicht.
Ein Weilchen geht's mit hartem Muth,
Wie Noth ihn und Verzweiflung leiht.
Die Schatten dehnen ſich ſo breit,
Die Luft verrauſcht, entſchlummert, ruht;
Ein grauliches Gewölke ſteigt
Allmählig an den Mond hinauf,
Der einmal noch die Scheibe zeigt.
Dann dicht und dichter zieht es auf,
Ein Nebelſee, in hoher Luft;
So wallt und wogt und rollt der Duft,
Bis, durch den Horizont verbreitet,
Sich formlos eine Decke ſpreitet.
Nun fällt ein Flöckchen, unbemerkt,
Nun wieder, auf des Greiſes Hand,
Trifft hier und dort des Hutes Rand.
Nun das Geſtöber ſich verſtärkt,
Bis wimmelnd, in verwirrten Kriegen,
Die Flocken durch einander fliegen.
Dann, einer Staublawine gleich,
Entlaſtet ſich der Lüfte Reich.
424
So ganz entſchlafen iſt die Luft,
Daß ſich vernehmlich reibt der Duft
Und durch die eingewiegten Flächen
Der Glocke Stimme hörbar wird,
Die mild und lockend ſcheint zu ſprechen:
Kommt Alle her, die ihr verirrt!
Der Alte ſtutzt und bei dem Klingen
Gewaltſam ſich zuſammen rafft.
O! könnteſt du mir junge Kraft
In meine alten Adern ſingen!
Doch enger ſtets in Froſtes Haft,
Wie kleine ſpitze Dornen wühlen,
Muß er's in allen Muskeln fühlen.
Gleich einer Trümmer, überſchneit,
Er ſchleppt ſich durch die Einſamkeit;
Sein Mantel, ſeine grauen Locken
Sie ſtarren unter Eis und Flocken.
Oft von dem ſchlecht gebahnten Pfad
Der Fuß, getäuſcht durch falſches Licht,
Auf eine lockre Maſſe trat
Und ſtampfend ihre Decke bricht.
O namenloſe Todesqual!
So nah, ſo nah dem Hospital!
Nur noch ein Steg, nur noch ein Paß,
O ſpannt euch an ihr Sehnen laß!
Mein armes Kind! allein um dich,
Nicht um mein Leben kämpfe ich.
So tappt er fort. Die Bahn ſich neigt:
Der Alte hat den Sieg erreicht,
425
Den durch des Wirbels ſtäubend Rennen
Er eben, eben mag erkennen.
Die Drance in ihrem engen Bette
Sich windet um das Felſenriff,
Und drüber her, ein luftig Schiff,
Der Fichte Stamm vereint die Kette.
Am Tag ', bei hellem Sonnenſchein,
Wer ſchaute ohne Schwindel drein!
Zudem der Steg, jüngſt überſchwemmt
Von aufgelöſ'ten Schnees Wogen,
Mit Eiſes Rinde iſt umzogen,
Die ſich zu glatten Hügeln dämmt.
Hier ſteht der Greis in ſeinen Nöthen,
Der nichts mehr kann und nichts mehr weiß
Und ſachte noch verſucht zu beten;
Schiebt dann voran die Sohle leiſ'.
Schau! wie auf dem beglaſ'ten Bogen
Um einen Tritt er vorwärts ſchreitet;
Er ſteht nicht feſt, er ſchwankt, er gleitet,
Er iſt verloren nein er ſteht.
Mit blindem Glück zurück gezogen
Sein Fuß auf feſtem Grund ſich dreht.
Zuerſt der Alte ganz betäubt
Am Rand der Kluft gefeſſelt bleibt:
Dann, wie aus plötzlichem Entſchluſſe,
Den Mantel ſchiebt er von der Bruſt
Und herzt mit langem, langem Kuſſe,
Dem letzten irdiſchen Genuſſe,
Das Kind in Scheidens bittrer Luſt.
426
Und nun: Wohlan! es ſey gewagt!
Uns hier der Morgen nimmer tagt.
Doch horch! ein Klang die Luft durchweht.
Der Alte ſteht und lauſcht und ſteht
Ein Zittern durch die Züge geht.
Auf's neu 'der Ton herüber treibt,
Doch ſchwach nur unter'm Winde bleibt.
Henry! Henry! leih mir dein Ohr!
Mein guter Junge, lauſch hervor!
Das Kind nur zögernd und betrübt
Sein fröſtelnd Häuptlein aufwärts ſchiebt,
Ein Thränchen flirrt um Wang' und Mund:
Großvater! 's iſt ja nur ein Hund!
Iſt's auch gewiß ein Hund, der bellt?
Mein Gott! du ſahſt die bittre Qual!
Dann ſey's in deine Hand geſtellt,
Dann wag 'ich's nicht zum zweiten Mal.
Er ſteht und horcht: und horcht und ſteht,
Auf's neu' der Wind den Klang verweht.
Nun wieder heller ha! ſie nah'n;
Schon räumt der greiſe Mann die Bahn.
Ganz nah ſie drehn um jene Bucht;
Ein Weilchen ſtill dann, wie zum Spott,
Ganz aus der Ferne heil'ger Gott!
Sie ziehn vorüber an der Schlucht.
Des Alten morſcher Körper nicht
Erträgt die Laſt des Schreckens mehr.
Es flirrt, es wirbelt um ihn her,
Noch hält er ſich, noch ſinkt er nicht.
427
Doch höher ſchon die Schauer ſteigen,
Allmählig ſich die Knie neigen,
Noch einmal ſeufzt er auf in Weh
Und fällt dann taumelnd in den Schnee.
Die Luft, ſo auf und niedergeht,
Jetzt friſchen Klang herüber weht,
Nicht klaffend, wie zu Jagd und Luſt,
Nein, gleich dem Ruf aus Menſchenbruſt,
Mit kurzen wiederholten Stößen,
Wie Wächter die Signale löſen,
Verhallend oft in Windes Rauſchen
Der Ton auf Antwort ſcheint zu lauſchen.
Nun wiederum in weiten Reifen
Sie ſpürend durch die Gegend ſchweifen
Bald fern, bald näher; wie im Traum
Der Greis vernimmt die Laute kaum.
Nur einmal zuckend ſeine Hand
Dem Knaben klemmt ſich in's Gewand.
Kein Schmerz mehr durch die Nerven wühlt,
Kein Glied er mehr als eignes fühlt.
Nur wie von tauſend Ketten ſpielt
Im Haupt ein wunderliches Klirren;
Die Töne wechſeln ſich verwirren
Nun wird's zum Klingeln nun zum Schwirren
Nun wie ein linder Hauch vergeht's
Und leiſer leiſer leiſer ſtets,
Er ſchläft
428

Zweiter Geſang.

Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht
Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau,
In ſeiner Trümmer Irrgeflecht
Ein Thal ſich lagert, eng und rauh.
Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen,
Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen,
Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen.
Inmitten ſchwärzlich ruht der See,
Der des verlornen Strahles Weh
Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen,
So dort gleich dem Gefangnen liegt,
Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt,
Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen.
Und nah dem unwirthbaren Strand
Das Hospital ſteigt in die Höh '
So ſchlicht wie eine Klippenwand,
Der Wandrer unterſcheidet's nicht.
Nur wenn ein Klang die Stille bricht,
Vom Hochaltar das ew'ge Licht
Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein
Wirft in das Schneegefild' hinein,
Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt,
Der wahrlich ſonſt vorüber glitt.
Denn in der Dämmrung ungeſtalt
Erſcheint es wie ein Felſengrat
Rings eingekerbt von weitem Spalt.
429
Doch jetzt ein Flockennebel kraus
Löſcht duftig alle Formen aus.
Die Schneenacht dieſer ew'gen Wüſte,
Als ob ſie nimmer enden müßte,
So dicht die Mauern hält umrungen,
In jede Zelle iſt gedrungen.
Auf allen Wimpern liegt der Mohn,
Und nur des Schlafes tiefer Ton,
Wie er bejahrter Bruſt entſteigt,
Geſpenſtig durch die Gänge ſchleicht.
Ein Augenpaar noch offen ſteht.
Nachläſſig, in verklommten Händen,
Der Mönch des Glockenſtranges Enden,
Sich auf und nieder windend, dreht.
Ermüdung kämpft in ſeinen Zügen,
Die Nacht iſt ſtreng, der Dienſt iſt ſchwer.
Wie die Gedanken abwärts fliegen,
Er wirft den düſtern Blick umher,
Zumeiſt ſein Auge iſt gericht't
Doch immer auf den Eſtrichgrund,
Wo ew'ger Lampe ſchlummernd Licht
Geträumet hat ein mattes Rund.
In dieſer todten Einſamkeit
Der Bruder ſich des Schimmers freut.
Er weiß es ſelbſt nicht wie ihm iſt,
So öd ', ſo öd' zu dieſer Friſt.
Das Dunkel, das im Bethaus waltet,
Der leeren Bänke Reih'n, ein Bild,
Das ſcheinbar aus der Niſche quillt,
Und von der Decke hochgeſtaltet,
430
Manch 'grauer Heil'ger zürnend ſchaut.
Zudem das Eis an Wänden hängt,
Vom Glockenſtuhl ein Luftzug drängt,
Wie endlos Bommeln über'm Haupt
Schier die Geduld dem Bruder raubt.
Ob denn die Stunde nimmer endet?
Doch ſtill! die Kloſteruhr ſich wendet:
Eins zwei und drei das Echo dröhnt,
Und auch der Mönch die Glieder dehnt.
Er läßt den Strang, im Spähn verloren,
Ihm ſummt's noch immer vor den Ohren.
Nun knarren Thüren, ſchlurfen Tritte,
Ein Lichtſtrahl durch die Ritze gleitet;
Dann, haltend vor des Auges Mitte
Sein Lämpchen in gebräunter Hand,
Hervor Denis der Alte ſchreitet.
Längſt vom Geſetz dem Dienſt entbunden
Hat er ſich nimmer drein gefunden,
Ein eifervoller Gottesknecht,
Behauptend ſeiner Pflichten Recht.
Grau iſt ſein Haar wie ſein Gewand,
Und da er bleibt am Pförtchen ſtehn
Den Finger mahnend aufgehoben,
Du meinſt den Alpengeiſt zu ſehn.
O Eleuthère! ſoll man dich loben?
Mein junger rüſtiger Geſell,
Ermatteſt du im Dienſt ſo ſchnell?
Der Bruder läßig faßt den Strang
Und läßt ſogleich ihn wieder fallen;
Dem Vater wird die Zeit wohl lang;
431
Ihr ſeyd der Rüſtigſte von Allen.
Dann ſteht er, ſtreicht mit flacher Hand
Die Falten von der Stirne Rand:
Nehmt's, Vater, heut nicht ſo genau,
Die Nacht war gar zu wüſt und rauh,
Mir friert das Hirn am Schädel an.
Schlaf wohl! verſetzt der alte Mann.
Sein Lämpchen zündet Eleuthère,
Zupft an dem Dochte mit Bedacht,
Und nickt und murmelt drüber her:
Hab' ich mich je dem Dienſt entzogen,
Wenn Schnee die Päſſe gleich gemacht,
Und jede alte Spur getrogen?
Allein, was in der Jahre Lauf,
Uns reibt am allermeiſten auf,
Dies Läuten, Läuten durch die Nacht,
Wo nicht das Schneehuhn kommt hervor,
Wo nicht der Uhu ſelber wacht,
Wo auf dem Bernhard klimmt kein Thor;
Und wir! Er hebt die Lamp 'empor.
An dem Gemäuer, überall,
Steigt glitzernd auf der Eiskriſtall,
Daß klar, wie in polirtem Stahl,
Steht geiſterhaft der kleine Strahl.
'S iſt eben eine hieſ'ge Nacht,
Verſetzt Denis, doch kannſt du ſagen,
Dich habe Trug hieher gebracht
Zu Ruhe und bequemen Tagen?
Und, Eleuthère, wie magſt du wiſſen,
Daß Niemand in der Steppe wacht?
432
Ich ſelbſt hab 'in Decembernacht
Vor Zeiten dieſen Weg gemacht.
Ich macht' ihn, hab 'ihn machen müſſen,
Und, rathlos am Montmort gebettet,
Hat unſer Glöckchen mich gerettet.
So treibt die Noth der Alte ſchweigt,
Doch nieder auf den Strang ſich beugt,
Und angeſchlagen mit Gewalt
Das Glöckchen durch die Steppe ſchallt.
Dann ſtill! rief's meinen Namen nicht?
Nein, Vater. Haſt du nichts vernommen?
Ein Schnauben, Scharren? Jener ſpricht:
Iſt's möglich! unſre Hunde kommen.
Still! Bruder, ſtill! Man horcht auf's neu;
Ein leiſes Winſeln ſchleicht herbei
Vom Kloſterthor, ein Stoßen, Kratzen,
Ein Rütteln wie mit ſchweren Tatzen.
Schnell, Eleuthère! ſchnell aufgemacht!
Schau, was der Barry uns gebracht!
Denis, gebannt am Glockenſtrang,
Doch immer ſchaut den Weg entlang.
Nun nahen Tritte, ja gewiß
Die Gänge tappt's hinauf allein
Ein Hund ſcheint's und ein Menſch zu ſeyn.
Das Pförtchen öffnet ſich. Denis!
Ruft Eleuthère, o ſeht doch hier
Das gute kluge treue Thier!
Und nach ihm, ſchwer ermüdet, wankt
Der große Hund in die Kapelle;
433
Er dreht die Augen rings, er ſchwankt,
Ihm hängt das Eis vom zott'gen Felle,
Auf ſeinem Rücken liegt ein Kind,
Ein armes Knäbchen, ſchier erfroren:
Voll Reifen ſeine Löckchen ſind;
Die Hände hat es eingeklemmt
In ſeines Trägers rauhe Ohren,
Mit ſchwachen Beinchen ſich geſtemmt
Um Barry's Leib: in Angſt verloren
Wagt's nicht zu ſchrein, nur allgemach
Ein Thränchen rinnt dem andern nach.
O Barry, brav! der Bruder hebt
Das Kind empor, das ſchaudert, bebt,
Sich immer noch nicht faſſen kann,
Die kalten Händchen nun und dann
An ſein geblendet Auge hebt,
Und von dem wunderlichen Mann,
Der, fort es tragend koſ't und ſchilt,
Sich angſtvoll loszuwinden ſtrebt.
Hart nebenher, das Ebenbild
Des Mönches ſchier, die Dogge trabt,
Mit gleicher Einſicht faſt begabt,
Der auch den Knaben will ergötzen,
Glutäugig, mit gehobnem Haupt
Gar liebreich in die Höhe ſchnaubt,
Und tummelt ſich in wüſten Sätzen;
Peitſcht mit dem Schweif, ſteigt gähnend auf,
Streckt ſeine breite Tatze auf
Bis an das Kind, das vor Entſetzen
Beginnt zu ſchrei'n, der Hund zu bellen:
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 28434
Die Fenſter klirren, alle Zellen
Beleben ſich, und vorgeduckt
Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.
Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n,
Das Kindchen unter ihrem Dache,
Da iſt's, als ob die Sonne, traun!
Auf jedem Angeſicht erwache.
Und alle eilen, wie bethört,
Ihm irgend Gutes zuzufügen;
Auf die Geſchichte keiner hört.
Das iſt das heilige Vergnügen,
Das iſt die unverſtandne Macht,
So über Kindes Leben wacht!
Der Infirmier
*Infirmier, Krankenwärter.
* mit leiſer Hand
Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen,
Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,
Und heimlich, an der Zellenwand,
Ein alterſchwacher Mönch ſich müht
Den kleinen Korb herabzuſtellen,
Darin nach ſeiner thör'gen Art
Er gute Biſſen aufgeſpart.
Dem Pater Koch nicht ſchnell genug
Das Reiſig will die Flamme zollen.
Dort Einer bringt ein warmes Tuch;
Doch horch! die Gitterpforten rollen.
Der Prior! läuft's von Mund zu Mund.
Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund,
435
Die Mönche mit den Brüdern ſchelten
Und laſſen ſie den Lärm entgelten;
Zur Zelle ein Noviz ſich ſchleicht.
Der Prior naht, geſetzt, doch leicht.
Die Schritte, ſchon vor manchen Jahren,
Der ſchlanken Gemſe tödlich waren,
Als auf dem Montblanc dieſe Hand
Vergebens nie den Schuß entſandt.
Und der Gewohnheit zähes Band
Verräth ſich noch bei grauen Haaren;
Ja, dieſer blauen Augen Blitz
Scheint noch zu ſpähn des Geiers Sitz;
Den Stab er in der Mitte faßt,
Wie einſt der Doppelbüchſe Laſt.
Fürwahr! als einſt, gedankenſchwer,
Berathend in der Brüder Kreis
Er zum Brevier griff ungefähr,
Sah man das heil'ge Buch ihn ſchütteln,
Wie's Pulverhorn die Jäger rütteln.
So leiſ 'und feſt die Schritte greifen.
Nun, redend, an des Gurtes Strang
Die Sehne ſcheint er noch zu ſtreifen.
Was, Brüder, zaudert ihr ſo lang?
Der Barry hat das Kind gebracht,
Allein wer nahm das Kind in Acht?
Wo iſt der Mann, wo iſt die Frau,
So auf den Bernhard es getragen?
Seyd Väter ihr umſonſt ſo grau?
Muß euch des Hundes Witz verklagen?
Seht, wie das arme Thier ſich müht,
436
Euch eure Pflichten anzuſagen,
Wie's den Eugene am Kleide zieht!
Ja, Barry, ſolche Läſſigkeit
Erfährſt zum erſten Mal du heut!
Hier wirft er einen Blick umher,
Der trifft nur wen'ge, aber ſchwer;
Zwei Brüder nur, von Schüchternheit
An ihren Plätzen feſtgehalten.
Schon in den Zellen ſind die Alten,
Schon zur gefahrumgebnen Fahrt
An dieſes Schneemeers falſchen Küſten
In Eile ſich die Jungen rüſten.
Bereit nun alles. Aus dem Thor
Sechs Brüder treten haſtig vor
Im Schneelicht wie ein Geiſterchor.
Die grauen Mäntel, Kappen rauh,
An ihrem Fuß der Filzſchuh grau,
Gewirkte Gürtel um die Lenden,
Der Eiſenſtachel in den Händen.
Und ihrer zwei an Stangen auch,
Die arme Leiche einzuſchlagen,
Ein feſtgerolltes Leilach tragen.
Voran, in der Laterne Schein,
Die Funken ſendend über'n See,
Tritt feſten Schritts der Marronier;
*Marronier, derjenige Bruder, deſſen eigentliches Amt es iſt, täglich ohne Ausnahme nach Verunglückten zu ſuchen.
*
Den Alpſtock trägt er in die Höh ',
So kühn wie den Kommandoſtab
437
Der Feldherr über Schlachtfelds Grab.
Er kennt die Stege, jeden Stein:
Ein Felsgeäder ſichtbar kaum,
Des Schneehuhns überjährig Neſt,
Geborgen in der Spalte Raum,
Das Strombett ſich nur wenig dehnend,
Ein Block ſich an den andern lehnend
Stellt ihm ſogleich die Richtung feſt.
Denn täglich in des Hunds Geleite
Grüßt er die todtdurchhauchte Weite
Ja, jeden Tag und ganz allein!
Drum man zu dieſem Amte ſchafft
Den Beſten ſtets an Muth und Kraft.
Doch ſeht, wer miſcht ſich in den Zug?
Gebeugt, mit angeſtrengtem Schritte
Denis iſt in der Brüder Mitte.
Du Alter, haſt du nicht genug
Durch dreißig ſaure Jahr' getragen?
Nein, heute muß er es ſchon wagen.
Ihm Eleuthère, des Trägen, Wort
Bohrt wie ein Dorn im Herzen fort.
Da hilft kein Mahnen, kein Verſagen:
Sie ſollen ſehn, die Leute jung,
Der Alte thut auch noch genung.
Schau, wie voran in weiten Sprüngen
Den ſtarken Leib die Hunde ſchwingen,
Dickmaulig, ſcheckig, lang von Haar,
Feſt in den Gliedern ganz und gar,
Nicht Wachtelhund, nicht Dogge ganz,
Halb Spaniens, halb Englands Race
438
Iſt's eine eigne edle Klaſſe.
Die Augen drehn in klugem Glanz,
Bei jedem Sprunge Schellchen klingen
An ihrer Nacken Lederringen.
Barry voran, obgleich in Scheiben
Und Schollen ſich die Zotten reiben,
Der Barry mag zu Haus nicht bleiben.
Bald geht es abwärts; näher ſchon
Die ungeheuren Maſſen drohn.
Den Todtenſchädel reckt Montmort
Und ſcheint den Wanderern zu nicken.
Der Weg, beengt von Felſenſtücken,
Die längs der Mutterklippe Rand
Entrafft des Winterſturmes Hand,
Muß oft an das Geſtein ſich drücken;
Dann ſchlingt er mühſam ſich heran,
Springt über eingeſchneite Zacken;
Die Brüder wandeln Mann für Mann,
Und ziehn die Kappen in den Nacken.
Zuerſt manch abgebrochnes Wort
Fliegt durch die Reihe hier und dort,
Vom letzten Zuge, jener Frau,
Die halb erſtarrt man heimgetragen;
Was in den jüngſten zwanzig Jahren
Das Hospital an Leid erfahren,
Gezählt an Kranken und an Bahren:
Der Marronier weiß ganz genau
Dir jeden Umſtand herzuſagen.
Doch ſteiler ſinkt der Pfad; vom Schaft
439
Geſtützt, eindrängend mit Gewalt
Den Stachel in des Eiſes Spalt,
Die Brüder nur mit ganzer Kraft
Der ſtrammen Sohle Gleiten hemmen.
Und immer, immer näher ſich
Die glimmerblanken Riffe klemmen:
Steil, zackenreich, ein Rieſenſchloß,
Wo aus geſpaltner Scharten Hort
Sich niederdrängt des Winters Zeichen,
Als wollten Rieſenjungfrau'n dort
Im Nebelthau die Schleier bleichen.
Und oben drauf an Zinnenwand
Die wunderlichſten Steingeſtalten,
Und einen Zoll breit nur vom Rand
Im Gleichgewichte ſcharf gehalten,
Noch aufrecht, zu getreuer Wacht.
Doch weiter und in Schlummers Macht
Die Häupter immer ſchwerer neigen,
So ſchwindelnd an einander beugen,
Daß kaum in ſeinem höchſten Stand
Läßt einen Strahl der Sonnenbrand
Auf Augenblicke niederſteigen.
Oft Einer an des Andern Hand
Die frommen Brüder, keuchend nur,
Ein Jeder in des Vormanns Spur,
Verſtummt auf ihre Tritte achten,
Als noch des Himmels karger Schein
Verliſcht, und nur die Leuchte klein
Flammt heller auf bei tiefrem Nachten.
Sieh an des Glimmers reinen Scheiben
440
Den Strahl ſich mit Geflatter reiben,
Ein Silbernetz auf Felſen webend,
Und an der Brüder Kutte bebend,
Die reiferglänzend ganz und gar
Nachziehn wie des Kometen Haar.
Wie lang die Schlucht, die Nacht wie kalt!
Des Nordes ſchneidende Gewalt
Strömt langſam durch die ſchmale Gaſſe,
Sich öffnend nur nach Mitternacht.
Die Brüder mit der Sohle Rand,
Und wechſelnd dieſer, jener Hand
Den Schaft der Eiſenſtange ſchlagen,
Daß nicht der Froſt die Glieder faſſe.
Nur kaum vermögen ſie's zu tragen;
Und Einen hört man heimlich klagen,
Der noch in keiner ſolchen Nacht
Den Kloſterzug hat mitgemacht.
Frei wird die Bahn, doch milder nicht;
Der Wind ſich an den Klippen bricht,
Und wirft ihm Flocken in's Geſicht.
Hätt 'er's gewußt, hätt' er's gedacht!
Es iſt zu arg! und horch! ſie lauſchen,
Nicht fern ſeitab Gewäſſer rauſchen,
Doch kollernd, dumpf, wie überdacht
Von einer Röhre hohlen Gängen.
Die Hunde ſchnaubend näher drängen,
Und Barry plötzlich wie gehetzt
Zur Seite in den Flugſchnee ſetzt;
Steht ſtill dann, winſelt, ſchaut ſich um
441
Dann fort er watet, mühvoll ſtöhnend,
Verſinkend oft, nun auf ſich dehnend,
In kurzen Sprüngen weiter jetzt:
Und immer mit geſtoßnem Laut
Er rückwärts nach[den] Brüdern ſchaut.
Voran der Marronier, geſchürzt,
Sein Mantel unter'm Arm ſich kürzt;
Die Brüder nach mit weiten Schritten,
Verſenkt bis an des Leibes Mitten;
Und rechts und links die Hunde klimmen,
Im aufgerührten Schneemeer ſchwimmen.
So vorwärts; halt! der Führer ruft:
Hier ſteh'n wir an der Drance Kluft!
Nicht weiter! Aber Barry leicht
Mit Einem Satz den Stamm erreicht,
Der zweier Felſen Rücken bindet;
Tief drunter ſich die Drance windet,
Wo aus geſprengten Eiſes Spalt
Das Waſſer brodelt mit Gewalt.
Nur einmal ſich der Barry ſchüttelt,
Die Flocken aus dem Pelze rüttelt,
Im Hui ſchwindet: längs der Kluft
Hört man ihn rauſchen über'n Duft.
Der Marronier die Leuchte jetzt
Dicht an den Rand der Tiefe ſetzt.
Auf ſteigt die alte Fichte weiß,
Ein ungeheurer Zapfen Eis,
Wo überall gleich Bergkryſtallen
Die blanken Stengel abwärts fallen,
442
Wie ſich der Tropfſtein bildet leiſ '
In feuchter Grottenwölbung Hallen.
Und drunten das Gewäſſer ſchäumt,
Sich ſprühend an der Scholle bäumt,
Wirft Perlen auf, in Bogen ſpringt
Und tiefe heiſ're Weiſen ſingt,
Bis, nicht zu fern, des Winters Macht
Auf's neu' in Feſſeln es gebracht,
Wo pfeilgeſchwinder Wellen Zug
Des Strudels Macht verräth genug.
Die Brüder ſtehn und ſehn ſich an.
Der Marronier der feſte Mann
Streicht mit den Fingern bald die Sohlen,
Bald prüfend auf den Steg ſie reibt
Und in die Tiefe blickt verſtohlen.
Kopfſchüttelnd ſpricht er: Brüder, bleibt!
Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen;
Der Wildbach hat den Steg beſchwemmt,
Seht, wie das blanke Eis ſich dämmt:
So ſey die Leiche Gott befohlen!
Was für den Lebenden uns Pflicht,
Das bleibt es für den Todten nicht.
He, Barry! Barry! Aber dicht
Von drüben Wind und Stromes Rauſchen
Ein wohlbekannter Ruf durchbricht,
Erſt kurz, geſtoßen Alles ſtill
Dann folgt ein ungeduldig Heulen,
Man hört ihn hin und wieder eilen;
Nun ſcheint er an der Kluft zu lauſchen,
443
Wo über'm Rande, weiß umhegt,
Ein matter dunkler Fleck ſich regt.
Und plötzlich in des Steges Mitte
Erſcheint die zottige Geſtalt:
Ein Sprung ſich vor den Brüdern ſchmiegt
Das fromme Thier; es winſelt, keucht,
Am Marronier ſich angſtvoll ſtreicht,
Zupft an den Kleidern mit Gewalt.
Ich fürcht ' ich hoffe ja, ich glaube
Haucht ein Noviz, der Angſt zum Raube,
Was trüben liegt, todt iſt es nicht.
Und Barry! alter Barry! ſpricht
Der Führer, ſtreichelt ſanft das Thier,
Vielleicht zum erſten Mal verlegen
In ſeines Amtes ſchwerem Segen.
Da ſtöhnend durch den Schnee ſich bricht
Denis, die morſchen Kniee ſchüttern,
Vor Zorn mehr als Erſchöpfung zittern.
Zurück! ruft er, ich will voran!
Trifft mit dem Arm und grimmen Blicken,
Was ſchnell nicht aus dem Pfad kann rücken,
Und vorwärts bricht der rauhe Mann.
Betäubt, faſt willenlos die Brüder
Geſtalten einer Kette Glieder;
Nun vorwärts, mit verſchränkten Händen;
Der Himmel mag ein Unglück wenden!
Er hat's gewandt: tief athmend ſetzt
Jenſeits den Fuß der Letzte jetzt.
Nur einen Blick, der war nicht ſüß,
Schenkt den Genoſſen noch Denis,
444
Brummt etwas noch von trägen Hunden;
Dann hat er ſchon den Ort gefunden,
Wo an die Felſenwand geſchmiegt
Benoit der alte Senne liegt,
Und neben ihm der Barry gut,
Der Wanderſtab, der breite Hut,
Sein Mantel, oben feſtgehalten
Durch der erſtorbnen Finger Band,
Scheint, unten offen, aus den Falten
Gezerrt von ungeſchickter Hand,
Wo in dem Schnee ſteckt tief genug
Die Flaſche, ſo der Barry trug.
Zu Nacht gefallne Flocken haben
Den Körper mehr als halb begraben.
Wenn nicht ein Knie ſich aufwärts ſtreckt,
Man hätt 'ihn nicht ſo bald entdeckt.
Herbei, Elias' fromme Raben!
Stemmt euch, hebt, hebt, das Leilach breitet!
Die ſteifen Glieder, drein geſchlagen,
Ein Bruderpaar ſich ſtumm bereitet
Auf ſeinen Schultern heimzutragen.
Derſelbe Paß, erhöhte Noth!
Bräch 'jetzt hervor des Mondes Licht!
Auf allen Zügen ſteht der Tod,
Doch keine Lippe widerſpricht.
Zuerſt der Marronier gebeugt
Dicht an den Steg die Leuchte ſtreicht,
Daß jeder ſieht zu jeder Seite
Der überglaſ'ten Wölbung Breite.
Schwieg jetzt des Strudels Rauſchen auch,
445
Man hörte keines Athems Hauch,
Und Mancher ſchlöſſ' die Augen gar,
Doch reißt ſie offen die Gefahr.
Nur langſam flach den Fuß geſetzt
Des Vormanns Stange Jeder faſſe
Und ſeyd auf einen Ruck bereitet,
Wenn Einer ſchwankt, wenn Einer gleitet;
Nur immer langſam Schritt vor Schritt.
Ha! auf den Grund der Erſte tritt
Und zieht mit ſeiner feſten Hand
Die ganze Kette an den Strand.
Und Jeder, wie er fühlt das Land,
Den Athem ſtößt mit voller Kraft
Aus der befreiten Kehle Haft.
Dem Himmel Dank! das war ein Wagen!
Hat Niemand es zu künden Luſt?
Doch war ſich Keiner in der Bruſt
Nur Eines ſichern Schritts bewußt,
Und Keinem blieb, ſo kühn er ſey,
Das Auge klar, Bewußtſeyn frei,
Als ſie, wo drunten Wogen ſpühlten,
Der Sohle leiſes Gleiten fühlten,
Und in der Hand verklommen, zitternd
Die Stange hin und her ſich ſchütternd.
Ja, Gottes Huld hat ſie getragen,
Des Herrn, ſo ſprach: Ich bin dein Reich,
Und: Meinen Engel ſend 'ich euch.
Erſt ſpäterhin und fern vom Stege
Löst mählig ſich der Zungen Band,
446
Und wenn auch auf demſelben Wege,
Den früher man ſo übel fand,
Scheint doch, nach dem was man befuhr,
Ein Kinderſpiel die Heimfahrt nur.
Entſchloſſen wird der Fuß geſetzt,
Was ſchlüpfrig ſonſt, ſcheint ſicher jetzt;
Auch klimmt ſich's leichter wohl hinan
Als abwärts auf beeister Bahn.
Nah iſt der Tag, der Froſt gewaltſam;
Allein die Luft, da man gekehrt,
Den Wandernden ſo unaufhaltſam
Nicht ferner in die Augen fährt.
Und wer ſie hört, nicht ſollt er ſagen,
Daß dieſe einen Leichnam tragen;
So überſtandne Fährlichkeit
Die Herzen ſtimmt zur Heiterkeit.
Man lockt die Hunde, lobt und ſtreichelt,
Geplauder wechſelt durch die Reihe,
Zumeiſt bei der Gefahr es bleibt;
Und, wie's der Phantaſie nun ſchmeichelt,
Wenn Dieſer ſpricht mit Heldenweihe,
Die Schrecken Jener übertreibt.
Der Marronier auch redet drein,
Die Träger ſelber ſtimmen ein;
Sogar das Lachen überraſcht
Den Jüngſten, als ein Bruder gleitet,
Nach der entfallnen Kappe haſcht
Und ſtolpernd auf dem Alpſtock reitet.
Doch wen dort, als von ungefähr
Der Lampe Schimmer ſich verbreiten,
447
Sieht hinter'm Zuge man von weiten?
Denis! Wird ihm der Weg ſo ſchwer?
Man ruft und harrt, er ſchreitet an.
Reicht mir die Hand! Ein Bruder ſpricht:
Stützt euch auf mich! Der alte Mann
Erwiedert: Müde bin ich nicht.
Dann ſetzt er an mit feſtem Schritt
Und rüſtig in die Reihe tritt.
Was wohl den Mann betroffen hat?
Nicht kraftlos ſcheint er, in der That!
Und doch ihm in ſo kurzer Friſt
Die Stimme klein geworden iſt.
Wie das Geſpräch ſich wieder rege,
Er wandelt ſtumm und träumend fort,
Und fällt auch wohl ein ſchlimmes Wort,
Daß allzuviel in dieſer Nacht
Um eine Leiche ſey gewagt,
Nur tiefer ſich der Alte bückt,
Nur in den Schnee die Ferſe drückt,
Und der, ſo geht zunächſt im Wege,
Meint, täuſch 'ihn nicht des Froſtes Kniſtern,
Er höre ſchwere Seufzer flüſtern.
Was wohl das gute Mönchlein quält?
Dem alten treuen Männchen fehlt?
Indeſſen, nun zum zweiten Mal,
Hat man die Klippenſchlucht betreten;
Hier ſind die Sinne all vonnöthen.
Hu, wie der Wirbel ſtreicht durch's Thal!
Die Luft gleich Aether ſcharf und fein!
448
Sogar die Worte frieren ein.
Und wieder hört man durch die Stille
Der Mäntel Reiben an den Kappen,
Des Tritt's Geknarr, des Alpſtocks Klappen;
Ein Jeder ſchmiegt ſich in die Hülle,
Und treibt den Fuß, ſo ſehr er kann,
Voran, und immer nur voran.
Das Lampenlicht, was hier zuvor
Um Vließe duftbeſtreut geflogen,
Trifft ſie mit Eiſe jetzt umzogen,
Und ganz von Glas erſcheint der Chor.
Voran, voran! zieht ſacht den Hauch,
Und ſtreicht die Kappe dicht an's Aug '!
Voran! Schaut nicht die Klippe hier
Faſt wie ein formlos wüſtes Thier?
Hier ein verſtümmelt Rieſenhaupt,
Das rechte Aug' iſt ihm geraubt.
Voran, voran! Was flattert dort?
Ein Lämmergeier, aufgeweckt
Aus ſeinem Lager, flieht erſchreckt,
Gefangen in des Paſſes Enge.
Seht, wie er angſtvoll krallt die Fänge!
Zurück! zurück! er naht dem Licht.
Und nun er über'm Leilach ſchwebt,
Mit ausgeſpanntem Fittig bebt.
Die Lampe bergt! Da ſteigt er auf,
Um's Rieſenhaupt noch einmal kreiſend
Und pfeifend, daß die Gaſſe ſchallt;
Und nun verſchwimmt er in die Nacht.
Noch einmal, ſein Gekreiſch verhallt.
449
Gottlob! jetzt hebt die Leuchte auf!
Leicht wird des Weges Reſt vollbracht,
Ein Schimmer, nach dem Ausgang weiſend,
Des Tages erſter Bote ſcheint.
Ganz recht! hier öffnet ſich das Thal!
Die Brüder ſchau'n empor zumal:
Montmort ſteht ſchwarz, die Jungfrau grau:
Doch ſüdlich im verſenkten Blau
Die mächt'ge Roſenkuppel ſchwebt,
Bewegungslos am Aether hängt,
Und unter ihr Gewölke webt.
Es iſt die Stirn, ſo ſtets empfängt
Den erſten Strahl der niederſank,
Es iſt der Alpenfürſt Montblanc.
Allein des Dunkels Ueberreſt
Verdoppelt auf die Fläche preßt;
Formloſe Maſſen noch, die Höh'n
Im Horizont verſchwimmend ſtehn.
Nur links am breiten Felſenthurm
Erſcheint, ein mächt'ger Feuerwurm,
Die ew'ge Lampe, deren Strahl
So milde winkt in's Hospital.
Noch tauſend Schritt die Wandrer keuchen,
Noch hundert Schritt ſie ſtehn am Thor.
Und eben bricht, ein glühend Zeichen,
Verſchämt der Jungfrau Stirn hervor.
Was zaudert Bruder Pförtner noch?
Vielleicht vom Schlummer aufgeſtört!
Du alter Benoit, hat dich doch
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 29450
Dein Wunſch in's Hospital gebracht!
Ach, anders gar wie du gedacht.
Da klinkt das Schloß, und eben hört,
Als grade ſie ins Thor ihn tragen,
Man ſechs die Kloſterglocke ſchlagen.
Der Infirmier indeß zu Nacht
Durch Schmeicheln und geduld'ges Fragen
Vom Knäbchen hat herausgebracht:
Wie Mutter ſchon vor vielen Tagen
Geſchlafen, Vater auch nachher,
Der wenig Stunden krank geweſen,
Und beide gar nicht wachten mehr.
Wie anders dann Großvaters Weſen,
Wie ſein Geſicht geworden ſchmal;
Und wie er geſtern erſt vom Thal
Bei argem Froſt und harter Müh '
Getragen ihn auf üblen Wegen
Und viel verzählt von St. Remi,
Wo Tante Roſe ganz genau
Ihn wie die Mutter werde pflegen,
Etienne la Borte des Sennen Frau.
O wohl mein armer Henry dir,
Daß du entſchlummert unter Klagen,
Da ſie vorbei an deiner Thür
Jetzt deinen guten Aetti tragen!
Sähſt du ſo blau das Antlitz treu,
Zu ſtillen nicht wär' dein Geſchrei.
Im Krankenzimmer ſchon die Glieder
Man hüllt in Schnee, man bürſtet, reibt,
451
Sucht den entfloh'nen Athem wieder
Ihm einzuhauchen; alle Brüder
Verſtummt und lauſchend ſtehn dabei.
Kein Regen und der Kerze Licht
Kein Zucken zeigt im Angeſicht;
Am vorgehaltnen Flaume nicht
Ein ſchwaches Fäſerchen ſich beugt,
Und mächtig ſchon das Morgenroth
Bis an den Rand des Thales ſteigt.
Ihr Brüder! nun der Prior ſpricht,
Es ſcheint, der arme Greis ſey todt.
Doch thut noch ferner eure Pflicht;
Ihr ſeyd zur eignen Seele Frommen
Bis jetzt ihr treulich nachgekommen:
Allein zumeiſt, das iſt gewiß,
Am allermeiſten that Denis.
Wo iſt er? nun er ruht wohl aus!
Und ſicher war's ein harter Strauß
Für ſeine Jahre. Ach Denis
An keinen Schlummer denkt gewiß,
Vor dem Altare, wo im Bild
Die Gottesmutter rauchgeſchwärzt
Ihr eingeräuchert Kindlein herzt,
Verzeichnet, bunt, doch gut genug,
Da es dem Manne ſonder Trug
Mit Andacht ſo die Seele füllt,
Denn ganz beſonders hat er ſich
Geweiht der Jungfrau minniglich.
Was mag ihm ſo zu Herzen gehn?
Die Falte um den Mund, dies Stöhnen
452
So hat man ſonſt ihn nicht geſehn.
Wie, ſchmolz der Mauerduft? Sind's Thränen,
Die niederfallen auf den Stein?
Dies feſte Auge ſcheint mir nicht
Gewöhnt zu ſolcher Tropfen Pflicht.
Der Alte iſt ja ganz allein!
Stets weiß die Jungfrau was er denkt:
Wär 'zehnfach herber auch ſein Grämen,
Vor ihr braucht er ſich nicht zu ſchämen.
Indeß das Dämmergrau zergeht;
Nur einzeln in die Mauerlücken
Sich kleine ſchwarze Schatten drücken.
Schon in der Fenſter Mittelſcheiben
Die rothe Sonnenkugel ſchwebt;
Viel goldbeſtreute Wölkchen treiben,
Die ganze Luft iſt glanzdurchbebt.
Im Morgenlichte doppelt mild
Dem Beter ſcheint das Mutterbild;
Selbſt Märtyrer aus Gitterſchrein
Nicht all ſo kläglich ſchauen drein.
Und nun das Diadem, das klare,
Am Haupt der Tagesfürſtin ragt,
Da aus dem Winkel am Altare
Den letzten Schatten ſie verjagt.
Sich von den Knieen hebt Denis,
Ein andrer Mann; die Finger leiſ '
Streicht er durch ſeine Löckchen weiß,
Er ordnet ſorglich ſein Gewand,
Dem eingedrückt des Eſtrichs Sand,
Und zu den Brüdern, die noch immer
453
Verſammelt ſind im Krankenzimmer,
Vegibt entſchloſſen ſich der Greis.
Doch als er nun die Thüre lichtet,
Auf ihn ſich jedes Auge richtet;
Da, deut' ich recht der Finger Zucken,
Am Gurt 'das unbewußte Rucken,
So ſinkt ein wenig ihm der Muth,
Auch in die Wange tritt das Blut.
Wie, alter Vater! ſchlaft ihr nicht?
Ruft ihm der Prior ſchon entgegen,
Nein, Maaß muß ſeyn in allen Wegen,
Auch ihre Schranken hat die Pflicht.
Ihr ſcheint's Euch heute vorzunehmen
Uns alle gründlich zu beſchämen,
Und Ihr ſeyd matt, man ſieht's Euch an.
Zu Bett, zu Bett! Der alte Mann
Steht lautlos, und in ſeiner Noth
Auf's neu beginnt das Kleid zu reiben,
Als ſollte nicht ein Stäubchen bleiben:
Bis an die Stirne ſteigt das Roth.
Dann holt er tief und tiefer aus,
Und zitternd bricht die Stimm' heraus:
Nein, lobt mich nicht, ich bin's nicht werth!
Ich will den ſchlimmſten Vorwurf dulden
Und daß ihr mir den Rücken kehrt;
Allein vergebt mir meine Schulden,
Der alte Feind hat mich bethört.
Der alte eingefreßne Zorn,
Im Herzen mir ein ſteter Dorn,
Seit ich in meinen jungen Tagen
454
Den Sennen blutig einſt geſchlagen.
Hier ſtockt er, ſeufzt ſo tief betrübt,
Daß jede Bruſt ihm Antwort gibt.
Als ich nach einem Ausweg ſah
Am Drance-Rand die Brüder ſuchen,
Da fühlt 'ich ſeine Kralle nah,
Und innerlich begann zu fluchen.
Und als nun ſprach der Marronier:
Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen,
Und: ſey die Leiche Gott befohlen!
Es kribbelt mir durch alle Glieder:
Den Alpſtock hob ich in die Höh',
Dem Himmel Dank, ich ſenkt 'ihn wieder.
Und als nun endlich, als am Strand
Barry, das unerſchrockne Thier,
Ich treu auf ſeinem Poſten fand:
Da hab' ich, hab 'in Zornes Brand
Den Bruder einen Hund genannt.
Er athmet auf: Es iſt heraus!
Ihr Brüder, ach vergebt dem alten
Verſtockten Mann, was ich verbrach;
Kein böſes Beiſpiel bleibe nach.
Vergib mir Bruder! Ganz gebeugt
Zum Marronier er langſam ſchleicht
Und küßt voll Demuth ihm die Hand.
Dann, eh noch Einer ſpricht ein Wort
Vor Rührung, Staunen, tiefer Scham,
Schon ſtapft er durch das Zimmer fort,
Nicht ganz ſo trübe als er kam,
Um ſich in ſeine Zelle klein
455
Drei Tage, frierend und allein
Bei Brod und Waſſer einzuſchließen.
Noch immer ſtehn die Brüder ſtumm
Und Jeder heimlich ſchilt ſich dumm,
Daß ſie den Alten ziehen ließen.
Die Stirn ſoldatiſch in die Höh'
Am ſteifſten ſteht der Marronier.
Zuerſt das lange Schweigen bricht
Der Prior: Was wir alle denken,
Ihr Brüder, brauch 'ich nicht zu ſagen.
Denis will uns in dieſen Tagen
Nicht nur von wandelloſer Pflicht,
Von Reue auch ein Vorbild ſchenken,
So demuthsvoll ein Chriſt nur handelt:
Deshalb Er ſtockt und wendet ſich,
Denn eine Regung wunderlich
In Zittern ihm die Rede wandelt.
Der Prior ſich zur Seite kehrt,
Und, dem Erſtarrten zugewandt,
Die ſteifen Glieder abwärts fährt.
Den Flaum noch einmal mit der Hand
Bringt langſam an des Mundes Rand,
Erſt quer, dann ſenkrecht aus der Höh '.
Nun hebt er ſich, vom Bücken roth:
Eugene und Louis! nehmt ihn fort!
Jetzt gleich! Und, Bruder Clavendier,
*Clavendier, der Bruder, dem die Beſorgung der Hausgeschäfte obliegt.
*
Zum Sennen Etienne la Borte
Schickt nach Remi! Der Mann iſt todt.
[456][457]

Des Arztes Vermächtniß.

[458]459

Des Arztes Vermächtniß.

So mild die Landſchaft und ſo kühn,
Aus Felſenritzen Ranken blühn;
So wild das Waſſer ſtürmt und rauſcht,
Und drüber Soldanella
*Soldanella alpina, Alpendrottelblume.
* lauſcht!
Nichts was ein wundes Herz ſo kühlt
Als Bergesluft die einſam ſpielt,
Wenn Maienmorgens friſche Roſen
Mit Fichtendunkel flüſternd koſen.
Wo über'm Wipfelmeer das Riff
Im Aether ſteht, ein flaggend Schiff,
Um ſeinen Maſt der Geier ſchweift:
Tief im Gebüſch das Berghuhn läuft,
Es ſtutzt es kauert ſich es pfeift
Und flattert auf; ein Blättchen ſtreift
Die Rolle in des Jünglings Hand.
Der ſchaut, verſunken, über Land,
Wie Einer, ſo in Stromes Rauſchen
Will längſt verklungner Stimme lauſchen.
Er ruht am feuchten Uferrand.
In ſeinem Auge Einklang liegt
Mit dem, was über ihm ſich wiegt,
Mit Windgeſtöhn 'und linden Zweigen:
Was iſt ihm fremd, und was ſein eigen?
Gedankenvoll dem Boden ein
460
Gräbt Zeichen er mit ſpitzem Stein,
Und löſt gedankenvoll das Band
Am Blatt, wo, regelloſer Spur,
Ach! eine Hand, zu theuer nur,
Vertraut geſtörter Seele Leiden,
Die Wahr und Falſch nicht konnte ſcheiden.
Und will er ſoll er dringen ein
In ein Geheimniß das nicht ſein?
Es ſey! es ſey! die Hand iſt Staub,
Und ein Vermächtniß ja kein Raub!
Dann Waſſer, Felſen, Alles ſchwand.
Ich war noch jung; o Zeit, entfloh'ne Zeit!
Wohl vierzig Jahre hin, mir iſt's wie heut.
Ein friſches Waſſerreis war ich, im Traume
Von Blüthe, Frucht und tauſendjähr'gem Baume.
Ein Flämmchen war ich, luſtig angebrannt,
Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt.
Ach! damals hatte fremde Sünde nicht
Gelegt auf meinen Nacken ihr Gewicht.
Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn:
So war's, ſo war's, und anders iſt es nun.
Der dunkle Mann das Bild das mich umkreist
Ich ſage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt.
Zu Nacht mein Auge fand das deine offen,
Dein ſorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen,
Wenn Mißgeſchick in Sünde mir zerfleußt,
Zur Gegenwart wird die Erinnerung.
Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein Geiſt,
Das kennſt du nicht, du biſt geſund und jung.
461
Am zwölften Mai, bei einſam tiefer Nacht,
Nach einem Tag, ich hatt 'ihn froh verbracht
Auf Waldeshöh'n, die wimmelnd von Geſindel
Zum Aether ſtrecken ihrer Fichten Spindel,
An Böhmens Gränze eine ſtarre Wacht:
Dort nahm, der Wiſſenſchaft und Armuth Sohn,
Ein kleines Haus mich auf ſeit Wochen ſchon,
Wo Kräuter ſuchend zwiſchen Fels und Gründen
Die Einſamkeit ich traulich konnte finden.
Am zwölften Mai, wo das Geſchick mich traf
Auf meinen Wimpern lag der Jugend Schlaf,
Doch ruhig nicht, mein Traum war wie ein Fieber
Auf Felſen ſtand ich, Adler kreisten drüber;
Mir näher, näher aus dem tiefen Grau,
Der Flügel Schlag ich hört' ihn ganz genau,
Und hört 'es immer, als der Traum zerrann.
Vernahm ich's wirklich? Und was war es dann?
Den Athem haltend lauſch' ich vorgebeugt,
Und wahrlich zweimal dreimal nah der Wand
Pocht es vernehmlich an des Fenſters Rand.
Dann Schatten ſeh 'ich vor der Scheibe ſchwanken,
Ein langer Arm, ein dunkler Finger ſteigt;
Ich war noch jung, wie Pulver die Gedanken,
Wenn aufgeregt, erkannten keine Schranken.
Man weckt den Arzt um Mitternacht ſo leicht:
Gewöhnlich fänd' ich's jetzt, dort wunderbar;
Doch Jugend ſchäumt entgegen der Gefahr
Und ohne Sprudel iſt kein Trank ihr klar.
So war's nur Neugier und verwegne Glut,
Was durch die Adern trieb das üpp'ge Blut,
462
Als ich verlaſſen jener Hütte Frieden
Um einen Wunden, wie man mich beſchieden,
In jener Nacht ſo ſchwarz und ſchauerlich,
Daß nicht ein Glühwurm durch die Kräuter ſchlich;
Des Graſes Kniſtern nur, der ſchwache Hauch
Des eignen Athems brach die Stille auch.
Vor ging ein Mann, und Einer nach mir ſchritt.
Ich ſah nur Grau in Grau und tappte mit,
Als wir dem Bergwald zogen ſtumm entgegen
Gleich Kohlenſtämmen unter Aſchenregen.
Zuerſt ein Weiher kam, und dann ein Steg,
Dann ging es aufwärts halb verwachsnen Weg;
Im tiefern Grau verſchwammen die Geſtalten;
Nur ſelten zeigten mir des Waldes Spalten
Noch meines Vormanns unterſetzten Bau.
An einer Klippe meine Führer halten,
Und ich mich wende zu verſtohlner Schau.
Nur dunkle Maſſen rings wo mag ich ſeyn?
Da über mir hört 'ich die Eule ſchrei'n
Und dachte noch, ihr Neſt liegt im Geſtein.
Doch dort und dort und dorten überall,
Entlang die Waldung, gellt's im Wiederhall,
Ringsum die Zweige kniſtern wie im Brand,
Vor mir ein Mantel, drüben eine Hand,
Dann über meine Schulter es ſich ſtemmt,
Und eine Binde hat den Blick gehemmt.
Der Boden ſchwindet; eh ich mich gefaßt
Ein Roß trägt ſchnaubend fürder ſeine Laſt.
Mir war doch ſchwül, als ich zum Zügel griff;
Seekranken war mir's gleich auf leckem Schiff.
463
Verwirrung hatte mich betäubt, zum Heil,
Sonſt hätt 'ich mich gefürchtet, als ſo ſteil
Pfadloſen Weg betrat des Thieres Fuß,
Wo ich nur klammernd mich erhalten muß
An ſeine Mähne mein Geſicht gelegt,
Daß mir des Thieres Schweiß vom Kinne rann.
Ich hörte wie, von ſeinem Huf geregt,
Des Weges Steine langſam rollten, dann
Von Klipp' zu Klippe ſprangen, bis zuletzt
Der Schall im Nachhall ſchwand. Ich hörte jetzt
Ob meinem Haupt die Waſſer niederrauſchen,
Daß zarter Regen mein Geſicht benetzt.
Oft warnte eine Stimme mich in Haſt:
Dich vorgebückt! und über meinem Nacken
Strich ſich ein breiter Aſt mit trägem Knacken.
Entferntem Knalle glaubt 'ich oft zu lauſchen,
Der Boden einmal klang wie Eſtrich faſt;
Was weiß ich, meine Phantaſie war reg';
Doch immer ſeltſam blieb und ſchlimm der Weg.
So öde war mein Hirn, gedankenleer,
Die Zügel ließ ich, oft dem Falle nah,
Dann wieder kehrte das Bewußtſeyn ſchwer.
Mit angeklemmten Gliedern ſaß ich da
Und log, von Sorge überſchlau gemacht,
Ein heitres Angeſicht der finſtern Nacht.
Wie lange ſo, vermag ich nicht zu ſagen.
Mir iſt wie dem der aus dem Schlaf erwacht:
Ihm ſcheint's vom Abend ein Moment zum Tagen,
Doch blieb ihm das Gefühl entſchwundner Zeit,
Und öfters über's Ziel ihn führend weit,
464
Daß er die Sonne ſucht um Mitternacht.
Ja! ſinn 'ich was noch all ſich zugetragen
Bevor es tagte, hat die Fahrt wohl kaum
Gefüllt auf's längſte einer Stunde Raum.
Dann ſtand das Thier, und Arme fühlt' ich wieder;
Nun ſchwebt 'ich in der Luft, nun ließ mich's nieder;
Und tiefer in die Bruſt der Athem glitt,
Als Grund, als feſten Grund mein Fuß beſchritt.
Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch,
So griff ich nach der Binde; haſtig doch
Mich faßte eine Hand, die war ſo ſtark,
Der leichte Druck mir rieſelte in's Mark.
Und weiter, weiter durch bethautes Kraut;
Man wandle rechts und links und ſucht 'zu meiden,
Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterſcheiden
Im Gras verſtreuten Schutt, hier ward gebaut.
Dann Stufen ging's hinunter, ſeltſam hallend,
Und immer tiefer, eine lange Reih '.
Ich ſtütze mich auf Mauern, morſch, zerfallend,
Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei;
Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen
Ich räuſpre und es ſchmettert mir entgegen
Des Kleides Reibung flüſtert am Geſtein
Dies mußt 'ein lang und tief Gewölbe ſeyn.
Vor Allem ſeltſam war's, als, unterm Grund
Auftauchend, Schritte rechts ſich gaben kund.
Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben;
Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht,
Ich fühlte um Geſicht und Bruſt ſie beben.
465
Doch ferner, ſchwächer ſchon der Schall ſich bricht.
Nur immer weiter, wie die Wege drehn,
Und bald verſchwimmt das Klirren, Rufen, Gehn
In ein Geſchwirr, dem Hall des Waſſers gleich,
Wenn's niederrauſcht in einer Grotte Reich.
Oft ſinn 'ich wie mir alles noch ſo klar;
Ich war betäubt, drum ſcheint mir's ſonderbar.
Ja, Angſt iſt fein, und ſchier bewußtlos doch,
Mechaniſch ſammeln ein die Sinne noch.
Nun ſtand mein Führer: ſchwere Riegel klirrten,
Schnell ſchwand das Tuch, und ſchneller vor's Geſicht
Schlug ich die Hand, mich blendete das Licht,
Man ſprach zu mir, ich ſah und hörte nicht;
Von allen Seiten bunte Flügel flirrten:
Es that der Binde Druck, denn da's zerging,
Ein einſam Lämpchen nur im Winkel hing,
Wo einer Scheibe vieldurchlöchert Ziel
Das Erſte war was mir in's Auge fiel.
Und, als ich noch dem Schwindel kaum entrann,
Zu einer Wölbung zieht man mich hinan,
Bis dicht vor meinen Füßen liegt ein Mann.
Und Dieſer iſt's? vom groben Pelz bedeckt?
So ausgeſpannt wie ſich die Leiche ſtreckt?
Und Dieſem ſoll ich helfen? Wenn ich kann.
Ich ſah den halbentblößten Fuß, die Hand,
Kalt, todtenfahl, erſchlafft der Muskeln Band;
Ich ſah recht um der Lunge Sitz das Tuch,
Wodurch ein Streif ſich naß und dunkel wand;
Ich ſah das ſchwarze Blut am Boden hier,
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 30466
Und weiß nicht wo ich die Gedanken trug.
Gleich einer fremden Stimme ſprach's aus mir:
Bei Gott! bei Gott! bei Gott! der hat genug.
Ob man's vernommen hat? ich glaub 'es kaum;
Mich dünkt, gemurmelt hab' ich wie im Traum.
Ein Schimmer jetzt auf den Enthüllten fällt,
Auf Züge, edel doch gefällig nicht.
Dies Auge kalt und unbezwungen bricht
Da ſich dem Tod 'zum Kampf die Seele ſtellt.
Vor Grimm dies Antlitz ſchien mir zu erbleichen
Um einen Gegner dem es jetzt muß weichen.
Kraftſammlung, tiefes Brüten, ſollt' man glauben,
Bewegung ihm und Sprache müſſe rauben;
Und drüber, wahrlich, noch ein Hauch ſich rührt
Von dem was Herzen anlockt und verführt.
Ich ſah wohl wie es mit uns zweien ſtand,
Mit mir und ihm, wir beid 'an Grabes Rand,
Da hab' ich auch gefühlt zu dieſem Mal,
Wie Todesangſt in vollem Laube thut.
Man meint, am beſten ſey's ſo kurz und gut,
Bevor uns Krankheit Zoll um Zoll verzehrt;
Glaub mir, es iſt 'ne wunderliche Wahl,
So um ſich, neben ſich kein Fußbreit Raum,
Und über'm Haupt an Einem Haar das Schwert,
Fürwahr die Zunge klebte mir am Gaum!
Vielleicht dem Fiſcher mag ich mich vergleichen,
Der ſonder Nahrung im verſchlag'nen Boot
Die Möve ſtreifen ſieht und an dem bleichen
Gewölk aufzucken ferner Blitze Roth,
Gleich nah dem Abgrund und dem Hungertod.
467
Doch die Beſinnung kehrte mir zum Heil,
Auch etwas Muth und eben Liſt genug;
Ich konnte fragen in geſchäft'ger Eil '
Nach jener Waffe ſo die Wunde ſchlug.
Der Führer ſprach fürwahr, ich weiß nicht was.
Mein Blick hing an des Kranken Muskelſpiel:
Die Lippe bebt, das Auge hat kein Ziel.
Auf ſeinen Buſen legt' ich meine Hand,
Und fühlte wie der Herzſchlag kam und ſchwand,
In Stößen bald, dann wieder träg und laß;
Da grade ward das Eiſen mir gereicht,
Ein Meſſer aus dem Küchenſchrank vielleicht,
Mit einer Schling ', es an die Wand zu hängen;
Das Anſehn einer Waffe hat's zumal,
Die man ergreift in Angſt und Todesqual.
Ich fühlte wohl wie mein Geſicht erblich.
Und als der Klinge blutgefärbte Längen
Am Ermel auf und ab der Führer ſtrich,
Und recht als ob ihn wilde Luſt beſchlich,
Nun ſpielend zuckt und ausholt gegen mich:
Es war mir doch als dringe ein der Stich.
Verbergen wollt' ich meiner Kniee Schwanken,
Und ſuchte nach des nächſten Schemels Halt,
Man ſollte wähnen, ſorglos, in Gedanken:
Da traf ich eine Hand, ſo feucht und kalt;
Doch jene nicht der kämpfenden Geſtalt,
Nein, neben mir, daß Arm an Arm ſich drücken,
Sitzt eine Frau, das Auge wie von Stein,
Auf Den gewendet, der dem öden Seyn,
Es ſcheint, mit ſich zugleich ſie wird entrücken.
468
Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf
Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;
Die Stirn ein Gletſcher klar im Alpenthal,
Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;
Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch,
Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch.
Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah;
Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.
Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,
Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt.
Dies Antlitz iſt und doch ein Andres ganz,
Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz.
Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!
Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.
Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf,
Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!
Was wär 'ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann
Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.
Und du mein Sohn? Was die Atome ſind;
Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind.
Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft!
Und doch hat jede Stunde ihre Pein.
Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;
Wo biſt du, Eduard? ich bin allein
Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,
Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,
Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,
Gepreßter Finger Zucken offenbaren.
Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.
469
Hier ſteht's: Mir war nicht wohl, nun bin ich matt,
Fürwahr, fürwahr, und auch des Lebens ſatt.
Doch weiter da du's wiſſen mußt, mein Sohn
Naphta bekam der Kranke, ſagt 'ich ſchon;
Was ſoll man ſonſt in ſolcher Noth verſchreiben?
Noch einmal wollt' ich künſtlich Feuer treiben
Durch ſeine Adern, ob ſich mir vielleicht
Indeß der Himmel weiß welch 'Ausweg zeigt:
So jung noch