Die Sonne hat den Lauf vollbracht,
Schon ſpannt ſie aus ihr Wolkenzelt;
So manche Thrän 'hat ſie bewacht,
So manchem Lächeln ſich geſellt;
Um Sel'ge hat ihr Strahl gekräuſelt,
Wo ſüß verſteckt die Laube ſäuſelt,
Und hat die Todtenbahre auch
Geſegnet mit dem frommen Hauch;
Nun einmal ihres Schleiers Saum
Noch gleitet um der Alpen Schaum,
Und in des Schneegeſtäubes Flaum,
Das an Sankt Bernhards Klippe hängt,
Der matte Hauch ſich flimmernd fängt.
Dort, wo es, aus des Paſſes Schlunde,
Um's Pain de Sucre macht die Runde,*Pain de Sucre, eins der Alpenhörner des großen St. Bernhard, beträchtlich vom Wege abwärts.
* 400 Berührt ein menſchlich Angeſicht,
Fürwahr zum letzten Mal, das Licht.
Wie hat der Greis die dürre Hand
So feſt um ſeinen Stab geſpannt!
Und wie er ſo verkümmert ſteht,
So ganz verlaſſen um ſich ſpäht,
Da iſt's als ob, erſtaunt zumal,
Noch zögern will der letzte Strahl.
Schon zog der Aar dem Horſte zu,
Und nur die Gems vom Tour des foux*Eine mächtige freiſtehende Felszacke auf dem Gipfel des St. Bernhard.
* Noch einmal pfeift, und ſchwindet dann.
Am Riffe lehnt der alte Mann,
Wie auf dem Meere, jüngſt ergrimmt,
Einſam noch eine Planke ſchwimmt.
O, du biſt immer ſchön, Natur!
Doch dem, der Hertha's Bild gegrüßt,
Die Woge bald die Lippe ſchließt.
Biſt Königin vernichtend nur!
Der Blitz, der Seeſturm, der Vulkan,
Sie ſtehn als Zeugen oben an.
Und jener Greis am Felſenrand?
Dem Strahl, der widerprallt im Schnee,
Will ſchützend die beſennte Hand
Sich vorbaun, an der Braue Höh '.
Zum Montblanc hat er lang geſehn,
Und wendet abendwärts den Fuß,
Da ihm die Augen übergehn,
Daß er vor Kälte weinen muß.
401Ihm iſt wie taub, ihm iſt wie blind,
Er ſpricht gepreßt, und thut's nicht gern:
„ Mein Knabe! Henry! liebes Kind!
Schau mal hervor, ſind wir noch fern? “
Dann aus des Mantels Falten dicht
Ein Bübchen windet ſein Geſicht;
Die kleinen Züge ſchwillt der Hauch,
Die rothen Händchen birgt es auch
Sogleich, und zieht des Vließes Saum
Sorgfältig um der Stirne Raum,
Daß nur der Augen röthlich Licht
Durch des Gewandes Spalten bricht.
Nun mit den Wimpern zuckt er ſchnell;
„ Großvater, ſchau! wie blitzt es hell! “
Der Alte ſeufzt: „ es blitzt, mein Sohn,
Am Himmel nicht um dieſe Zeit;
Es iſt die Sonne wohl, die ſchon
Sich um die letzten Zacken reiht. “
Doch wiederum der Knabe ſpricht:
„ Großvater! 's iſt die Alpe nicht,
Es ſpringt und zittert in die Höh ',
Wie wenn die Sonne tanzt im See
Und ſpielt in unſerm Fenſterglas. “
„ Wo, Henry? Kind, wo ſiehſt du das? “
Ein Aermchen aus der Wolle ſteigt.
Der Alte ſenkt das Haupt und ſchweigt.
Nein, nein, das iſt kein Hoſpital!
In tauſend Funken ſprengt den Strahl,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 26402Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,
Nur Roche polie*Eine von der Natur aufs glänzendſte polirte Felſenwand. Man ſchreibt dieſe Erſcheinung der gewaltſamen Reibung mit andern Felſenmaſſen bei einer früheren Erdumwälzung zu.
* von jenem Hange. Und zögernd ſchiebt des Greiſes Hand
Den kleinen kalten Arm zurück,
Zieht feſter um ihn das Gewand.
Er wirft den kummervollen Blick
Noch einmal durch die dünne Luft,
Auf jeden Fels, in jede Kluft;
Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,
So ſchwer wie je aus Mannes Bruſt,
Und langſam abwärts, mit Gefahr,
Beginnt er Pfade unwirthbar.
— Schmal iſt der Raum, die Klippe jäh; —
Zuweilen bietet das Geſtein,
Ein altergrauer Felſenſpalt,
Für Augenblicke ſchwachen Halt.
Die Ferſe drückt er in den Schnee,
Und ſtößt des Stabes Stachel ein;
Denn eine Zeit gab's, wo im Gau
Von Saint Pierre kein Schütz ſich fand,
Der auf der Jagd, am Alphorn blau,
Dem Benoit gegenüber ſtand.
Kein Aug 'ſo ſcharf, kein Ohr ſo fein,
So ſicher keine Kugel ging.
Von all den Kühen er allein
So ſorglos an der Klippe hing!
403Zum letzten Mal dem Meiſter alt
Sich dankbar ſeine Kunſt erzeigt.
Gottlob! nun iſt die Schlucht erreicht.
Er blickt empor, durch's graue Haupt,
Faſt von der Kälte ſinnberaubt,
Noch einmal durch die öde Bruſt
Zieht ſich das Bild vergangner Luſt,
An der ſein ganzes Herz gehangen,
Und doppelt fühlt er ſich gefangen.
In Quarzes Schichten eingezwängt,
Durch die der ſchmale Pfad ſich drängt,
Streckt, überbaut von Felſenwucht,
Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.
Kein Laut die todte Luft durchirrt,
Kein Lebenshauch iſt zu entdecken;
Und, wenn es unverſehens ſchwirrt,
Das Schneehuhn kann den Wandrer ſchrecken.
Wo droben ſchwimmt das Felſendach,
An dem der Winterſturm ſich brach
Jahrtauſende; — doch die Gedanken
Verlaſſen ihn, — er ſieht es wanken —
Er fördert keuchend ſeinen Schritt —
Und immerfort, in tollem Schwanken,
Ziehn rechts und links die Klippen mit;
Daß jener harrt, — ſogleich — ſogleich —
Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,
Die ungeheure Maſſe klirrt,
Und er ſich ſchon zerſchmettert glaubt,
So ſehr ihm Furcht die Sinne raubt.
404In dieſe wüſte Bahn hat jetzt
Der müde Mann den Fuß geſetzt,
So ſchnell es gehn will, fort und fort.
Noch immer glühn die Firſten dort,
Und abwärts gleiten ſieht den Strahl
Mit Luſt er und mit Graun zumal.
Sobald der Abendſonne Schein
Nicht mehr die letzte Zacke badet,
In's Hoſpital ein Glöckchen rein
Den Wandrer aus der Steppe ladet.
Und ſchon am Pointe de Drone das Licht
Kaum merklich noch den Schatten bricht.
„ O Sonne, “ſeufzt der müde Greis,
„ Bald biſt du hin! der Himmel weiß,
Vielleicht hör 'ich die Glocke nicht! — “
Blickt zweifelnd nach den Felſenwällen,
An denen mag der Klang zerſchellen.
Das Kind, das Kind iſt ſeine Noth!
Schon fühlt er, wie, vom Froſte laß,
Der ſteife Arm zu gleiten droht;
Und ohne Ende ſcheint der Paß!
Ein Thurm ragt an dem andern her,
Es iſt, als würden's immer mehr.
Dem Himmel Dank, die letzte Klippe!
Und als, mit angeſtrengtem Fleiß,
Sich immer näher treibt der Greis,
Was kniſtert über'm Steingerippe?
Am Rande ſchiebt ſich's, zittert, blinkt,
Langſam ein weißer Klumpen ſinkt;
Dann ſchneller, dann mit jähem Fall,
405 Entlang die Klüfte toſ't der Schall.
Und zu des Alten Füßen rollen
Schneetrümmer und geſprengte Schollen.
Und dieſer einen Augenblick
Steht regungslos, mit Schwindel ringt; —
So ſcharf vorüber zog der Tod!
Gefaßt er dann zuſammenrafft,
Was ihm von Wollen bleibt und Kraft.
Und vorwärts nun, mit harter Noth,
Er in den Trümmerhaufen dringt.
Doch neben, vor und um ihn ſtemmt
Die Maſſe ſich, zum Wall gedämmt.
Mitunter eine Scholle auch
In ſchwachem Gleichgewichte ſteht,
Nur wartend auf den nächſten Hauch,
Und aufwärts ihre Kante dreht.
Wenn das Geſchiebe ſich belebt,
Ein Sarkophag, der ihn begräbt!
Horch! wie er durch die Zacken irrt,
Zuweilen eine Scheibe klirrt;
Ein feines Schwirren — ſchwaches Rucken —
Vor ſeinen Augen Blitze zucken;
Doch immer wieder fügt ſich's ein,
Und ſtarr die Mauer ſteht wie Stein.
So muß er, faſt in Todesbanden,
Wie durch ein Labyrinth ſich ſchmiegen.
Es iſt vorüber, iſt beſtanden,
Und hinter ihm die Trümmer liegen.
406Indeß des Tages matte Zeichen
Allmählig von den Kuppen bleichen,
Und, nach und nach, am Firmament
Des Mondes Lampe ſtill entbrennt;
Verſchwimmend, ſcheu, ihr zartes Licht
Malt noch der Dinge Formen nicht.
Doch allgemach aus Wolkenſchleier
Erſteht die klare Scheibe freier.
Die Felſen ſcheinen ſich zu regen,
Geflimmer zittert über'n Schnee,
Und langſam ſteigend aus der Höh '
Die Schatten auf den Grund ſich legen.
Gebeugt, mit angeſtrengtem Schritt,
Aus ſeiner Schlucht der Wandrer tritt
In eine öde Fläche vor.
Er ſteht — er lauſcht — er trägt das Ohr
Zur Erde bald und bald empor,
Und alle Sinne lauſchen mit.
Er wendet ſich, ob nichts vom Schalle
Aus einer andern Richtung falle. —
Nur hohl und ziſchend ſich die Luft
In des Geſteines Spalten fängt,
Und, mit Gekniſter, durch den Duft
Zu Nacht gefall'ner Flocken drängt.
Der Kälte, die den Stamm zerſchellt,
Kein Schirm ſich hier entgegenſtellt.
Ach Gott, wohin! ringsum kein Steg,
Sich überall die Ebne gleicht.
Doch vorwärts, vorwärts, immer reg ',
407 Eh dich im Schlummer Tod beſchleicht,
Nur immer in die Nacht hinein.
Da, durch die Steppe fällt ein Schein,
Wie wenn ſich Kerzenſchimmer brechen
In angehauchten Spiegels Flächen.
Und über dieſes Meteor
Ragt eine Maſſe dunkel vor.
Gegrüßt, o Stern im Mißgeſchicke!
Es iſt die Drance, es iſt die Brücke.
Kaum die bekannten Pfade ſchaut
Der Greis, ihm iſt wie aufgethaut;
Halb kehrt der Jugend Muth zurück,
Er wähnt ſich einen Augenblick
Für dies und Schlimmres noch genug.
Die Brücke naht ſich wie im Flug.
Schon hat er rüſtig ſie beſchritten,
Schon ſteht er in der Ebne Mitten,
Schon keucht er um des Stromes Bogen:
Und vor ihm her die glaſ'gen Wogen
Durchrollt des Mondes Silbertuch.
Vergebens! dieſe Kraft iſt Schein;
Mit jedem Hauche ſinkt ſie ein,
Mit jedem Schritte weicht das Blut.
Ach keine Wunder wirkt der Muth!
Schon matter wird des Greiſes Tritt.
Das Licht im Strome fliegt nicht mehr,
Es wandert zögernd vor ihm her.
Aus den gelähmten Fingern glitt
Der Stab und eine weite Strecke
408 In Sätzen prallend von der Decke,
Dann lagert er an Stromes Rand.
Hin ſchleppt der müde Mann den Schritt;
Er bückt ſich mühſam, welche Qual!
Ergreift ihn, der zum dritten Mal
Ihm immer gleitet aus der Hand.
Und ſchwindelnd, bei dem ſauren Beugen,
Fühlt er das Blut zum Haupte ſteigen,
Sein Aug ', von kalten Thränen ſchwer,
Sieht kaum das Allernächſte mehr.
Noch tappt er, wo aus dunklem Schaft
Die glatte Eiſenſpitze blinkt.
Da weicht des Armes letzte Kraft,
Und auf den Schnee das Knäbchen ſinkt;
Es rafft ſich auf, ergreift den Stab,
Gehorſam, leichtem Dienſt gewöhnt.
„ Mein Kind! mein Kind! “der Alte ſtöhnt,
Und nimmt die kleine Laſt ihm ab,
„ Was willſt du noch zuletzt dich plagen! “
Späht mit der Augen trübem Stern
Beklommen durch den nächt'gen Schein; —
„ Du kannſt nicht gehn, ich dich nicht tragen,
Und ach! das Hoſpital iſt fern.
So müſſen wir das Letzte wagen,
Und kehren bei den Todten ein. “
Er lenkt die Schritte von dem Strand,
Sein Knäbchen hält er an der Hand.
Das Mondlicht, das mit kaltem Kuſſe
Liebkoſet dem verſteinten Fluſſe,
409 Gleich links, auf ein Gewölbe klein,
Streut alle ſeine Schimmer rein,
Die, wie ſie Wolkenflor umwebt,
Bald auf dem Dache, wie belebt,
Sich kräuſeln, in den Fenſtern drehn,
Und bald wie eine Lampe ſtehn,
Die halb der Grüfte Dunkel bricht.
So leiſten ſie die fromme Pflicht
Dem, ſo der Fremde ward zum Raube,
Und bei dem unbeweinten Staube
Entzünden ſie das Trauerlicht.
Ja, dieſe Mauern, wohl erbaut
Mit Chriſtenſinn, ſie bergen doch,
Wovor des Menſchen Seele graut,
Wem Blut rollt in den Adern noch.
Sie alle, die zum Todesſchlaf
Sankt Bernhards leiſer Odem traf,
Wenn ſie nicht Freundes Wort genannt,
Nicht Eidgenoſſen Blick erkannt,
An dieſen Ort ſind ſie gebannt.
Der Bettler, dem kein Heimathland,
Der Jude, ſo auf Geld bedacht
Gefahrenvollen Weg betrat,
Der arme wandernde Soldat,
Der Flüchtling vor Geſetzes Macht:
Sie alle liegen hier, wie Tod
Aus dieſer Wildniß ſie entbot.
Im Pelze der, im Mantel weit,
Und jener im Studentenkleid.
Das tiefe Auge, trüb und offen,
410 Auf liebe Züge ſcheint zu hoffen;
So Zeit auf Zeiten, keine Thräne
Rann auf die bleiche Wange noch;
Und ließen treue Kinder doch,
Und ſind geliebter Eltern Söhne.
Die Schwelle kennt der Greis genau,
Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,
Sein alter Pfad, wenn von der Jagd
Er heimwärts manchen Gang gemacht,
Ans Fenſter pflegt er dann zu treten,
Nachdenklich in die Gruft zu ſehn,
Und ſinnend auch, im Weitergehn,
Ein Vaterunſer wohl zu beten.
Doch vor dem Tode auf der Flucht
Erfaßt ihn ungeheures Grauen,
Als tret 'er in das eigne Grab
Und ſoll die eigne Leiche ſchauen.
Kaum wehrt er den Gedanken ab.
„ Hinweg! hinweg! ſo weit der Fuß
Dich trägt “; und unwillkührlich muß
Er wenden. Doch da weint das Kind:
„ Großvater! weiter ſollen wir?
Wir ſind ja hier an einer Thür.
Ich kann nicht mehr. “ Verſchwunden ſind
Die Zweifel; mühſam öffnet jetzt
Der Greis das Thor, mit Roſt verſetzt,
Tritt in die Wölbung, kauert ſich
Dann auf den Boden kümmerlich,
Und nimmt an ſeine Bruſt den Kleinen.
411So eine Weile ſitzen ſie,
Der Knabe auf des Mannes Knie
In ſtummen Schauern an ihn biegend,
Der Alte, ſich nach innen ſchmiegend,
Das Haupt am feuchten Mauerſtein,
Und übermüdet, überwacht,
Hat minder der Umgebung Acht;
Minuten noch, ſo ſchläft er ein. —
Schon ſummt es um ihn wie ein Schwarm,
Der Mantel gleitet mit dem Arm;
Und als das Haupt zur Seite ſinkt, —
„ Großvater! iſt das Glas? es blinkt! “
Der Alte fährt empor, er blickt
Verſchüchtert ſeitwärts, unverrückt
Zu Boden dann: „ ſey ſtill, ſey ſtill,
Mein Kind, es ſey auch was es will. “
Und ſeufzend fügt er noch hinzu:
„ Es iſt ſo ſpät! gib dich zur Ruh. “
Doch wie ein Strahl es ihn durchfliegt,
Daß Schlaf den Willen faſt beſiegt.
Schon greift der Krampf die Glieder an:
Zu reiben gleich beginnt der Mann.
Und als das Blut nun ſchneller rinnt,
Er immer heller ſich beſinnt,
Auch der Gedanke Kraft gewinnt.
Was war es, das, vom Schlaf erwacht
So in Verwirrung ihn gebracht?
Es war ein Blitz, es war ein Licht!
Und dennoch war es beides nicht.
412Indeſſen har das Knäbchen leiſ '
Die beiden Aermchen ausgeſtreckt,
Und aus des Mantels Huth mit Fleiß
Den kleinen Kopf hervorgeſteckt.
Das Schlummern will ihm nicht gelingen;
Die Langeweile zu bezwingen
Am Mantel neſtelt's immerfort,
Schaut unverrückt nach einem Ort,
Bald gähnend, bald mit halbem Wort.
„ Ja! “flüſtert's, vor Ermattung roth,
Die Händchen in des Mantels Taſche,
„ Dort ſteht das Glas, und dort die Flaſche,
Und auf dem Tiſche liegt das Brod. “
Dann zieht es ſacht den Mantel los;
Es gleitet von des Alten Schooß,
Es taucht in's Dunkel. Auf ſich rüttelnd
Aus wüſter Träumereien Graus,
„ Henry! mein Kind! “ruft jener aus,
Das graue Haupt verdroſſen ſchüttelnd,
„ Wo biſt du nur? komm wieder, Sohn! “
Dort glänzen ſeine Löckchen ſchon!
Was reicht und ſtreicht es an der Wand?
An's Auge hebt der Greis die Hand:
Fürwahr! nach einem Brode ſucht
Der kleine Arm hinauf zu langen;
Und nebenan ſich Schimmer reihn,
Bald roth, bald grün, wie ſie gefangen
Im Glaſe dort, und dort im Wein.
O unverhoffter Segen! Schon
Vom Boden taumeln ſieh den Alten.
413„ Laß, du vermagſt es nicht zu halten,
Laß ab! “ Es zittert jeder Ton,
Der aus bewegter Bruſt ſich windet,
Und kaum im Odem Nahrung findet.
Die Glieder, ſo in Froſt und Qual
Ihn treulich trugen durch die Steppen,
Kaum vorwärts weiß er ſie zu ſchleppen
Bis hin, wo harrt das karge Mahl.
Er faßt das Brod und kann's nicht theilen,
Und ſtöbert, ſucht mit wirrem Eilen
In allen Taſchen, allen Falten,
Selbſt in der Stiefel engen Spalten.
„ Hab' ich mein Meſſer denn verloren? “
Die Rinde bricht, ſie iſt noch warm.
„ Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm!
O, kam ich eher um zwei Stunden!
Um eine einz'ge Stunde nur! “
Die Mönche hätt 'er noch gefunden;
Dies iſt des Hospitales Spur.
Denn was die kühnſte Flamme bricht,
So wild ſie durch die Adern tobt:
Es löſcht die fromme Liebe nicht,
Die Leib und Leben hat verlobt.
Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt,
Wenn ſich das Schneegeſtöber ſchüttelt,
Wenn durch die öde Winternacht,
Nur wie ein fernes Mordgeſchütz,
Die zitternde Lawine kracht,
Wenn um die Gipfel ſpielt der Blitz:
414 Das ſind die Boten, die er kennt;
Vom Betſtuhl, wo die Lampe brennt,
Der Mönch ſich hebt, den Weg beginnt
Zum Tobel, wo der Sturzbach rinnt,
Zum Paſſe, wo der Schnee am höchſten,
Zum Steg, wo die Gefahr am nächſten,
Hinauf, hinab Sankt Bernhards Rund;
Voran ihm ſpürt ſein kluger Hund.
Dann, kehrend zu des Kloſters Pforte,
Die Nahrung, ſo er bei ſich trägt,
Mit milder Sorgfalt wird gelegt
An ſichre ſturmgeſchützte Orte.
Und oft, im letzten Augenblick,
Trat die gebrochne Kraft zurück
Durch ſie in die verſiegten Adern.
Wer mag mit ſolchen Mönchen hadern!
Welch 'ſeelerſtorbner Atheiſt
So frevler Thorheit ſich vermißt,
Daß er auf ſie die Pfeile richte?
Schau! wie, gleich neuentflammtem Lichte,
Das Kind des Glaſes volle Laſt
Mit beiden rothen Händchen faßt.
Nun ſetzt es an, und trinkt, und trinkt ‚
Durch alle Adern ſtrömt das Heil,
Und läßt nicht ab, und ſtöhnt vor Eil,
Faſt wird der Athem ihm verſetzt.
Des Alten Auge freudig blinkt:
„ Mein Junge, ſprich, wie iſt dir jetzt? “
Doch kaum und unverſtändlich nur
Des Kindes Antwort ihn erreicht,
415 Das auf ſein Stückchen Brod gebeugt,
Natur, nach deinem weiſen Walten,
Das ſchwache Leben zu erhalten,
Gefahr zu fliehn, die es nicht ſieht,
Aus allen Kräften iſt bemüht.
Indeß hat draußen durch die Nacht
Ein Murmeln, Rauſchen ſich verbreitet,
Wie wenn erzürnte Woge ſchreitet;
Des Sturmes Stimme iſt erwacht.
Noch fern und hohl im Klippenſchacht,
Von Fels zu Felſen hört man's klagen.
Der Alte ſinnt: ſoll er es wagen,
Sich und ſein Liebſtes fortzutragen?
Bald iſt das Hospital erreicht! —
Ein Stoß um das Gewölbe ſtreicht,
Und heulend ſingt er über'm Dache
Das Todtenlied dem Grabgemache.
Am Boden leiſes Kniſtern irrt,
Die Thür in ihren Angeln klirrt;
Umſonſt! umſonſt! es iſt zu ſpät,
Der Wirbel durch die Steppe geht.
Und nun? Des Greiſes Blicke fragen,
Ob nirgends hier ein Plätzchen ſey
Noch unbeſetzt, vom Zuge frei.
Durch des Gewölbes Mitte ſtehn
Drei lange Bahren, ſind ſie leer?
Das Dunkel wirbelt drüber her.
Doch rechts und links und gegenüber,
Wohin der ſcheue Blick ſich richtet,
416 Wenn flieht ein Mondenſtrahl vorüber,
Der die zerrißnen Wolken lichtet,
Der bleichen Schläfer Reihn er ſtreift,
Die rings in Niſchen aufgeſchichtet.
Ein Antlitz halb dir zugewandt,
Hier braunes Haar, und dort gebleicht,
Aus jenem Winkel wie verſteckt
Sich eines Fußes Spitze ſtreckt,
Und dort ſich wächſern eine Hand
Wie abgetrennt vom Körper zeigt.
Wer iſt der Mann ſo unverzagt,
Den ſolch ein Anblick nicht erſchüttert?
Wenn über ihm, wie ſchmerzdurchzittert,
Die mitternächt'ge Stimme klagt,
Gleich Geiſtern durch der Nacht Revier.
Ein heimlich Flüſtern ziſcht und kocht,
Und an die ſchlecht verſchloßne Thür
Der Wind mit leiſem Finger pocht.
Dem alten Manne wird's zu viel,
Die Phantaſie beginnt ihr Spiel;
Auf ſeinem Haupt in jedes Haar
Scheint Leben und Gefühl zu kommen.
Mehr iſt der Athem ihm benommen
Als je vor Zeiten in Gefahr.
Den Steinbock hat er oft gehetzt,
Dem Lämmergeier ſich geſellt,
Und fröhlich pfeifend in die Welt
Dann über'n Klippenſpalt geſetzt.
Ein Andres, dem Geſchick ſich ſtellen
In friſcher Luft, auf freien Wellen,
417 Ein Andres iſt's, am Grabe ſtehn
Und ruhig dem verzerrten Ich
In's eingeſunkne Auge ſehn.
Sieh! wie ſchon wieder ſchauerlich
Der Strahl durch das Gewölbe ſtreicht,
Und dem betäubten Manne ſich
Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt
In das Gemäuer eingefugt.
Das iſt ja eben, was er ſucht!
Und muß nun ſeufzend ſich bereiten,
Die ganze Wölbung zu durchſchreiten.
Wie er die Schritte zögernd lenkt,
Die Augen bleiben ſcharf geſenkt,
Beinah 'geſchloſſen, als er quer
Um eine Bahre wendet her,
Zu eilig; mit dem Fuße ſchwer
Trifft er an des Gerüſtes Stützen,
Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.
Die Bahre ſchwankt, er will ſich ſchützen,
Er gleitet; modriges Gewand,
Verwirrtes Haar ſtreift ſeine Hand.
Der Alte taumelt und erbleicht.
Wie jener Winkel noch erreicht,
Das weiß er nicht, hält immer feſt
An ſeine Bruſt das Kind gepreßt,
Und ſucht vergebens zu bezwingen
Der Phantaſie verſtörtes Ringen.
Die Wölbung dreht, die Mauern ſingen,
Ihm iſt, als hätte ſeine Hand
Des Todten Züge all ergründet;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 27418Er ſieht das große Augenband,
Das ſinkend die Verweſung kündet,
Und drüber her, zu treu! zu treu! —
So tragend eigner Schwäche Joch
Doch bleibt ihm das Bewußtſeyn noch
Und eben noch die Willenskraft,
Zu kämpfen gegen ſchnöde Haft.
Er ſinnt und grübelt allerlei,
Wie wohl zum Hospital der Weg?
Wie zu beſchreiten jener Steg?
Wie fern die Morgenſtunde ſey?
Sucht heitre Bilder aufzuwecken,
Als in der Scheibe Herzen ſtecken
Ein Jeder Benoits Kugel ſah. —
Indeſſen lehnt der Knabe da,
Des ſpäten Wachens ungewöhnt,
Und ſchaukelt ſich und ſeufzt und gähnt,
Ahmt leiſ 'des Sturmes Stimme nach,
Verfolgend mit den ſchweren Blicken
Die Strahlen, ſo durch das Gemach
Zuweilen lichte Streifen ſchicken,
Ergötzlich, im beſchränkten Meinen,
Ihm an der Wand die Bilder ſcheinen;
Der klare Blitz, wenn ſich das Licht
In den metallnen Knöpfen bricht
Die Reih' entlang, ſo Funk 'an Funken
Aufſprühn und ſich in's Dunkel tunken. —
Die Scene wechſelt, langſam ſtreicht
Ein Wolkenvorhang ſich zurück,
419 Und in die ganze Wölbung ſteigt
Der Mond mit ſeinem Geiſterblick.
Was noch verborgen war in Nacht
Wird an ein mattes Licht gebracht;
Aus allen Winkeln ſieht man's rücken,
Was niedrig lag ſcheint aufzuſtehn,
Und was erhaben ſich zu bücken.
Vorüber nun. In ſtarrer Raſt,
Wie Grabmal ſich an Grabmal faſt
In königlichen Grüften zeigt,
Am Boden ſchlummert das Gebein,
Und drüber her der Mann von Stein.
Um manchen Buſen ſpielt der Schein,
Mich dünkt ich ſeh' ihn ſinken, heben,
Und lange Athemzüge ſchweben.
Der arme Kleine wie bethört
An ſeines Vaters Buſen fährt.
„ Großvater, ſchau! die Bilder leben,
Sie athmen All und wollen gehn! “
Den Greis durchzuckt ein leiſes Beben:
„ Sey ſtill, es wird dir nichts geſchehn. “
Wohl denkt er an den nächt'gen Schein,
(Es fällt ihm manches Blendwerk ein,)
Und zögert dennoch aufzuſehn.
Und wieder hebt der Knabe an:
„ Dort auf dem Tiſche ſitzt ein Mann;
Er ſitzt nicht, nein — er liegt ſchon wieder —
Und ſtand doch erſt ſo eben auf. “
Dann hebt die Aermchen er hinauf
420 Und zieht des Greiſes Stirne nieder,
Ihm flüſternd, mit verſtecktem Ton:
„ Es iſt der Pfarr, ich kenn 'ihn ſchon!
Er hat den Mantel umgeſchlagen
Und ſeinen großen weißen Kragen. “
Nun wieder fröſtelnd ſchaut das Kind
Mit offnem Munde, vorgebückt,
Dann an des Vaters Arm gedrückt:
„ Wie weiß ihm ſeine Finger ſind! “
Der Alte ſucht mit allem Fleiß
Sich der Gedanken zu entſchlagen,
Die faſt wie Irrwahn ihn bedräun.
„ Henry! du ſollteſt ruhig ſeyn,
Allein du weißt mich nur zu plagen.
Schlaf ein, ſchlaf ein, mein kleiner Sohn! “
Der Knabe bei dem harten Ton
Verſchüchtert ſich zur Seite ſchiebt,
Die müden Aeuglein reibt betrübt.
Sein Köpfchen ruht ſo loſ' und ſchlecht,
Auch iſt der Sitz ihm gar nicht recht,
Zu dick der Mantel hängt und ſchwer;
So lange rutſcht er hin und her
Bis, von dem harten Schooße gleitend,
Er auf den Grund die Sohlen ſetzt,
Und, wie ein Häschen matt gehetzt,
In's dürre Laub ſein Häuptlein reckt,
So aus die zarten Arme ſtreckt
Das Kind, um Vaters Leib ſie breitend,
Und bricht vor unverſtandnem Graus
In ganz geheime Thränen aus.
421Doch jener, in ſich ſelbſt gekehrt,
Des Kleinen Stimme nicht beachtet,
Mit angeſtrengter Sorge trachtet
Die innern Feinde abzuwehren,
So pochend durch die Adern gähren.
Er birgt die Augen, ſinnt und ſinnt:
Zu Saint Remi, im Stübchen klein,
Was ſeine Tochter wohl beginnt?
Die Wände hell, die Schemel rein
Sucht er den Sinnen vorzuführen.
Vergebens! wunderlich berühren
Auch hier ſich Wirklichkeit und Schein;
Die todte Schweſter fällt ihm ein.
Gleich Träumen die Gedanken irren,
Im Ohre hallt ein feines Schwirren,
Ein Klingeln, ſeltſam zu belauſchen;
Es iſt des eignen Blutes Rauſchen,
Das, murrend ob der Adern Band,
Zum Haupt die Klagen hat geſandt.
So geht es nicht, ſo darf's nicht bleiben!
Der Greis, in ſeiner Seelenqual,
Beginnt die Glieder allzumal
Mit angeſtrengtem Fleiß zu reiben.
Des Mantels Rauſchen an der Wand,
Das Riſpeln ſeiner eignen Hand,
Des Haares Kniſtern, wenn er ſchwer
Streicht mit den Fingern drüber her:
Ein Laut des Lebens ſcheint dem ſchwachen
Bedrängten Buſen Luft zu machen.
Und dann — ein Schrei! woher und wie?
422Des Alten Blut zu Eis gerinnt.
Er tappt umher: „ Henry! Henry!
Wo biſt du nur? wo biſt du, Kind? “
Da wieder das Geſtöhn beginnt,
Und „ Vater! Vater! “und auf's neu '
„ Mein Vater! “wimmert's im Geſchrei.
Der Alte, nach dem Laut gerichtet,
Hat jenen Winkel bald erreicht,
Wo, ſchwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,
Sich dunkel eine Niſche zeigt,
Drin ſichtbar halb ein Leichnam ruht,
Auf breiter Stirn den Schweizerhut.
Und um des Todten Hand geklemmt
Der Knabe wimmert und ſich ſtemmt
Den lieben Vater aufzuwecken.
„ Was machſt du, Henry? Kind, komm her!
Er iſt's ja nicht, er kehrt nicht mehr,
Du arme Waiſe! “und im Schrecken
Hat er des Knaben Arm geſchüttelt,
Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,
Der Hut ſich in die Kante ſtellt,
Und dicht an ſeine Ferſe fällt.
Mit Einem Ruck des Kindes Hand
Befreiend, ſtürzt in tollem Graus
Der Alte in die Nacht hinaus.
Die Thüre hat er eingerannt,
Und klirrend ſprengt ſich hinter ihm
Die Feder ein mit Ungeſtüm.
423Nur fern erſt an der Drance Rand
Gewinnen die Gedanken Stand.
Der Arm des Sturmes halb geſenkt
Nicht mehr ſo wild die Flagge ſchwenkt;
Doch auch das Mondlicht halb erbleicht
Ihm dämmernd nur die Richtung zeigt.
Getroſt, getroſt! kurz iſt der Weg,
Bekannt, betreten jeder Steg!
Nur immer vorwärts, immer reg ',
Eh' dich im Schlummer Tod beſchleicht.
Ein Weilchen geht's mit hartem Muth,
Wie Noth ihn und Verzweiflung leiht.
Die Schatten dehnen ſich ſo breit,
Die Luft verrauſcht, entſchlummert, ruht;
Ein grauliches Gewölke ſteigt
Allmählig an den Mond hinauf,
Der einmal noch die Scheibe zeigt.
Dann dicht und dichter zieht es auf,
Ein Nebelſee, in hoher Luft;
So wallt und wogt und rollt der Duft,
Bis, durch den Horizont verbreitet,
Sich formlos eine Decke ſpreitet.
Nun fällt ein Flöckchen, unbemerkt,
Nun wieder, auf des Greiſes Hand,
Trifft hier und dort des Hutes Rand.
Nun das Geſtöber ſich verſtärkt,
Bis wimmelnd, in verwirrten Kriegen,
Die Flocken durch einander fliegen.
Dann, einer Staublawine gleich,
Entlaſtet ſich der Lüfte Reich.
424So ganz entſchlafen iſt die Luft,
Daß ſich vernehmlich reibt der Duft
Und durch die eingewiegten Flächen
Der Glocke Stimme hörbar wird,
Die mild und lockend ſcheint zu ſprechen:
Kommt Alle her, die ihr verirrt!
Der Alte ſtutzt und bei dem Klingen
Gewaltſam ſich zuſammen rafft.
„ O! könnteſt du mir junge Kraft
In meine alten Adern ſingen! “
Doch enger ſtets in Froſtes Haft,
Wie kleine ſpitze Dornen wühlen,
Muß er's in allen Muskeln fühlen.
Gleich einer Trümmer, überſchneit,
Er ſchleppt ſich durch die Einſamkeit;
Sein Mantel, ſeine grauen Locken
Sie ſtarren unter Eis und Flocken.
Oft von dem ſchlecht gebahnten Pfad
Der Fuß, getäuſcht durch falſches Licht,
Auf eine lockre Maſſe trat
Und ſtampfend ihre Decke bricht.
„ O namenloſe Todesqual!
So nah, ſo nah dem Hospital!
Nur noch ein Steg, nur noch ein Paß,
O ſpannt euch an ihr Sehnen laß!
Mein armes Kind! allein um dich,
Nicht um mein Leben kämpfe ich. “
So tappt er fort. Die Bahn ſich neigt:
Der Alte hat den Sieg erreicht,
425 Den durch des Wirbels ſtäubend Rennen
Er eben, eben mag erkennen.
Die Drance in ihrem engen Bette
Sich windet um das Felſenriff,
Und drüber her, ein luftig Schiff,
Der Fichte Stamm vereint die Kette.
Am Tag ', bei hellem Sonnenſchein,
Wer ſchaute ohne Schwindel drein!
Zudem der Steg, jüngſt überſchwemmt
Von aufgelöſ'ten Schnees Wogen,
Mit Eiſes Rinde iſt umzogen,
Die ſich zu glatten Hügeln dämmt.
Hier ſteht der Greis in ſeinen Nöthen,
Der nichts mehr kann und nichts mehr weiß
Und ſachte noch verſucht zu beten;
Schiebt dann voran die Sohle leiſ'.
Schau! wie auf dem beglaſ'ten Bogen
Um einen Tritt er vorwärts ſchreitet;
Er ſteht nicht feſt, er ſchwankt, er gleitet,
Er iſt verloren — nein — er ſteht.
Mit blindem Glück zurück gezogen
Sein Fuß auf feſtem Grund ſich dreht.
Zuerſt der Alte ganz betäubt
Am Rand der Kluft gefeſſelt bleibt:
Dann, wie aus plötzlichem Entſchluſſe,
Den Mantel ſchiebt er von der Bruſt
Und herzt mit langem, langem Kuſſe,
Dem letzten irdiſchen Genuſſe,
Das Kind in Scheidens bittrer Luſt.
426Und nun: „ Wohlan! es ſey gewagt!
Uns hier der Morgen nimmer tagt. “
Doch horch! ein Klang die Luft durchweht.
Der Alte ſteht und lauſcht und ſteht —
Ein Zittern durch die Züge geht.
Auf's neu 'der Ton herüber treibt,
Doch ſchwach nur unter'm Winde bleibt.
„ Henry! Henry! leih mir dein Ohr!
Mein guter Junge, lauſch hervor! “
Das Kind nur zögernd und betrübt
Sein fröſtelnd Häuptlein aufwärts ſchiebt,
Ein Thränchen flirrt um Wang' und Mund:
„ Großvater! 's iſt ja nur ein Hund! “
„ Iſt's auch gewiß ein Hund, der bellt?
Mein Gott! du ſahſt die bittre Qual!
Dann ſey's in deine Hand geſtellt,
Dann wag 'ich's nicht zum zweiten Mal. “
Er ſteht und horcht: und horcht und ſteht,
Auf's neu' der Wind den Klang verweht.
Nun wieder heller — ha! ſie nah'n;
Schon räumt der greiſe Mann die Bahn.
Ganz nah — ſie drehn um jene Bucht; —
Ein Weilchen ſtill — dann, wie zum Spott,
Ganz aus der Ferne — heil'ger Gott!
Sie ziehn vorüber an der Schlucht.
Des Alten morſcher Körper nicht
Erträgt die Laſt des Schreckens mehr.
Es flirrt, es wirbelt um ihn her,
Noch hält er ſich, noch ſinkt er nicht.
427Doch höher ſchon die Schauer ſteigen,
Allmählig ſich die Knie neigen,
Noch einmal ſeufzt er auf in Weh
Und fällt dann taumelnd in den Schnee.
Die Luft, ſo auf und niedergeht,
Jetzt friſchen Klang herüber weht,
Nicht klaffend, wie zu Jagd und Luſt,
Nein, gleich dem Ruf aus Menſchenbruſt,
Mit kurzen wiederholten Stößen,
Wie Wächter die Signale löſen,
Verhallend oft in Windes Rauſchen
Der Ton auf Antwort ſcheint zu lauſchen.
Nun wiederum in weiten Reifen
Sie ſpürend durch die Gegend ſchweifen
Bald fern, bald näher; wie im Traum
Der Greis vernimmt die Laute kaum.
Nur einmal zuckend ſeine Hand
Dem Knaben klemmt ſich in's Gewand.
Kein Schmerz mehr durch die Nerven wühlt,
Kein Glied er mehr als eignes fühlt.
Nur wie von tauſend Ketten ſpielt
Im Haupt ein wunderliches Klirren;
Die Töne wechſeln — ſich verwirren —
Nun wird's zum Klingeln — nun zum Schwirren —
Nun wie ein linder Hauch vergeht's —
Und leiſer — leiſer — leiſer ſtets,
Er ſchläft — —