PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Deutſches Leben.
Eine Sammlung abgeſchloſſener Schilderungen aus der deutſchen Geſchichte mit beſonderer Berückſichtigung der Culturgeſchichte und der Beziehungen zur Gegenwart.
Erſter Band. Die deutſche Trachten - und Modenwelt.
Leipzig,Verlag von Guſtav Mayer.1858.
[III]
Die deutſche Trachten - und Modenwelt.
Ein Beitrag zur deutſchen Culturgeſchichte.
Erſter Theil. Die alte Zeit und das Mittelalter.
Leipzig,Verlag von Guſtav Mayer.1858.
[IV][V]

Vorwort.

Gegenüber dem Reichthum der Bilderwerke, welche das Coſtüm behandeln ich ſelbſt habe die Summe derſelben um eines vermehren helfen , ſchien es mir an der Zeit zu ſein, dem Worte wieder zu ſeinem Rechte zu verhelfen und, den anti - quariſchen Standpunkt verlaſſend, dieſen Gegenſtand in ſeiner Entwicklung als ein Glied der deutſchen Culturgeſchichte darzu - ſtellen. Der Grundgedanke, der mich dabei leitete, iſt, den Zu - ſammenhang zwiſchen den Wandlungen der äußeren menſchlichen Erſcheinung und des innern Culturlebens in der Geſchichte der Deutſchen nachzuweiſen. Denn wie eine jede Nation einen Na - tionalcharakter mit Recht für ſich in Anſpruch nimmt, der ſie als ein einheitliches, einziges Ganze gleichſam mit einer Seele em - pfinden und handeln läßt, ſo iſt auch in der Geſchichte der Civi - liſation oder des Bildungsganges des einzelnen Volks wie der ganzen Menſchheit, ſoweit ſie im Strom der Cultur vorwärts ſchreitet, einer jeden Stufe ein ſolcher Geſammtcharakter, ein zur Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zu - zuſchreiben. Dieſe Seele der Zeiten kryſtalliſirt alle ihre Lebens - äußerungen in ihr eigenthümliche und darum nothwendige For - men, an denen ein geübtes Auge alſobald erkennen muß, weß Geiſtes Kinder ſie ſind. In dieſem Sinn iſt auch das CoſtümVIVorwort.allemal ein Kind ſeiner Zeit, eine Form, welche die Züge des herrſchenden Geſammtcharakters erkennbar an ſich trägt. Wie der einzelne Menſch in Kleidung, Haltung und Gang ſein inne - res Weſen äußerlich offenbart, ſodaß wir aus jenem auf dieſes nicht bloß ſchließen können, ſondern auch dürfen, ſo iſt es auch bei der Nation und ſo auch bei einer jeden Geſchichtsperiode in der ganzen äußeren Erſcheinung. Nicht alſo das Kleid macht den Mann, ſondern der Mann das Kleid. Und ebenſo müſſen wir das Wort des Satirikers Logau umkehren; wenn er ſagt:

Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen,
Wie ſich’s wandelt außen, wandelt ſich’s auch innen,

ſo liegt das Richtige im Gegentheil:

So ſich’s wandelt außen, wie ſich’s wandelt innen.

Wenn ich nun die deutſchen Trachten und Moden, anſtatt ſie als bloße Geſchöpfe des Zufalls und der Laune zu betrachten, vielmehr als mit gewiſſer Nothwendigkeit gebildete Formen des jedesmaligen Geſammtcharakters darzuſtellen verſuchte, ſo glaubte ich damit einen Bauſtein zu dem großen Gebäude der deutſchen Culturgeſchichte zu liefern, von deſſen Vollendung wir wohl noch eine gute Strecke entfernt ſind. Es iſt bis jetzt weder das Ma - terial herbeigeſchafft, noch der Plan fertig.

Der Doppelausdruck der Trachten - und Modenwelt, wie er auf dem Titel ſteht, ſchließt zwar ebenſowohl die allgemeinen und bleibenden Formen wie das ſcheinbar regellos Wechſelnde ein, doch erſchöpft er nur im weiteren Sinn genommen das, was ich darſtellen wollte. Denn es iſt dieſes nicht bloß die Kleidung, ſondern überhaupt die ganze äußere menſchliche Erſcheinung, wo - zu die geſammte Toilette, der Schmuck und auch die Begriffe von Schönheit im Geſchmack des Volkes gehören.

VIIVorwort.

Dem Zweck der ganzen Sammlung gemäß, der ſich dieſe Trachtengeſchichte als Theil einfügt, ſowie in Uebereinſtimmung mit meinen Abſichten, waren es beſonders Leſer, die ich bei der Darſtellung vor Augen haben mußte, und nicht, oder doch erſt in zweiter Linie, ſolche, die das Buch etwa brauchen könnten. Ich mußte daher zweien Dingen entſagen: einmal der Mitthei - lung des gelehrten Apparates, der ohnehin in ſeinem ſchriftlichen Theil unſchwer zugänglich ſein wird, und zweitens der Beigabe entſprechender Abbildungen. Ich verhehle mir das Mißliche des letzteren Punktes nicht, indeß dürfte für den, der weiteres In - tereſſe an der Sache nimmt, das eine oder das andere der größe - ren Coſtümwerke leicht zur Hand ſein Zur Erleichterung habe ich in der Darſtellung und in den wenigen Anmerkungen zuwei - len des Näheren auf die beiden folgenden Werke (mit verkürztem Titel) hingewieſen:

  • J. H. von Hefner-Alteneck, Trachten des chriſtlichen Mittelalters, und
  • A. von Eye und Jacob Falke, Kunſt und Leben der Vorzeit.

Das erſtere durch Fleiß, Gediegenheit und Zuverläſſigkeit gleich ausgezeichnete Werk, welches im Studium der deutſchen Privat - alterthümer eine Epoche bildet, geht nur bis zum Ende des ſechs - zehnten Jahrhunderts. Das Fehlende wird durch das zweite Werk ergänzt, welches, ſo tief als möglich ins Mittelalter zurück - reichend, erſt mit dem Jahr 1800 abſchließt. Obwohl es ſeinem Plane gemäß ſich nicht bloß auf Coſtüme, zumal deutſche, be - ſchränkt, ſo bilden ſie doch den hauptſächlichſten Gegenſtand, und die Auswahl iſt bereits mit Rückſicht auf die charakteriſtiſchen Zeitunterſchiede getroffen.

VIIIVorwort.

Die ſtete Vergleichung, ich möchte ſagen, die Confrontirung mannigfacher bildlicher Quellen, wie ſie ſich wohl in ſeltnem Reichthum im germaniſchen Muſeum finden, mit den ſchriftlichen wurde mir durch meine hieſige Stellung im Weſentlichen erleich - tert. Was ich hier und da aus den Quellen mitgetheilt und der Darſtellung eingefügt habe, mußte ich ihr in Ueberſetzung und Ausdruck accommodiren. Ich ſchloß mich, wenn ſie vorhan - den waren, guten Uebertragungen an, wie z. B. denen von Simrock und für die ältere Zeit die lateiniſchen Dichter aus - genommen der Pertziſchen Sammlung, indem ich nur da än - derte, wo Unkunde des Coſtüms ein leicht verzeihliches Mißver - ſtändniß hatte entſtehen laſſen.

Der zweite und letzte Theil wird die Geſchichte der Trachten bis in dieſes Jahrhundert herabführen.

Nürnberg, im April 1858.

Jacob Falke.

Ueberſicht.

  • Seite.
  • Erſtes Buch. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. Erſtes Kapitel. Urzeit und Urzuſtände1
  • Zweites Kapitel. Schwankungen zwiſchen den nationalen und an - tiken Elementen in der Zeit der Merovinger und Karolinger21
  • Drittes Kapitel. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente in der Zeit von der Mitte des neunten Jahrhunderts bis gegen den Beginn der Kreuzzüge53
  • Zweites Buch. Das Mittelalter, bis zum Jahr 1500. Erſtes Kapitel. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur Höhe plaſtiſcher Schönheit. 1100 135074
  • Zweites Kapitel. Die Zeit des Luxus und der moraliſchen und äſthetiſchen Entartung. 1350 1500. a. Der Umſchwung in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts; der Realismus, die Mode und die Kleiderordnungen171
  • b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen, Schna - belſchuhe und Farbenallegorie222
  • c. Die burgundiſche Hoftracht und der Luxus der Niederlande260
  • d. Die Regelloſigkeit und Willkür in Deutſchland in der zwei - ten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Die niedern Stände283

Die deutſche Trachten - und Modenwelt.

[1]

Erſtes Buch. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.

Erſtes Kapitel. Urzeit und Urzuſtände.

Das ſtolze Rom, das ſo oft mit Zittern und Zagen der Ankunft der Germanen vor ſeinen Thoren entgegenſah, hatte allerdings ein Intereſſe dabei, wenn es ihr Land ſo entſetzlich und die Bewohner ſo außergewöhnlich wie möglich ſchilderte, denn die Gefährlichkeit und Größe der Gegner entſchuldigte die Furcht und verringerte die Schmach der Niederlagen. Indeſſen können wir doch bei der Einſtimmigkeit der Nachrichten nicht umhin, uns den Anblick Deutſchlands, nicht bloß im Verhältniß zum Garten Italien, ſondern überhaupt im hohen Grade uncultivirt und wild vorzuſtellen, hier mit Wäldern bedeckt, ſumpfreich und reg - neriſch, dort rauh, öde und ſtürmiſch. Bei aller möglichen Ueber - treibung leuchtet ſelbſt aus Senecas rhetoriſcher Abſichtlichkeit der Kern der Wahrheit uns entgegen, wenn wir die folgende Stelle leſen: Betrachte dir, ſagt er in ſeinem Buch von der Vor - ſehung, alle die Völker, bei denen der Friede Roms ſeine Gränze findet, ich meine die Germanen und was ſonſt für Völkerſchaften jenſeits der Donau wandernd umherſchweifen. Ein beſtändiger Winter, ein trüber Himmel laſtet auf ihnen, kärglich gewährt ihnen die Nahrung der unfruchtbare Boden, gegen den Regen ſchützen ſie ſich durch Schilf und Laub, über die Eisdecken derFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 12I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Gewäſſer eilen ſie dahin, wilde Thiere erjagen ſie ſich zur Nah - rung. Keine Wohnungen haben ſie, keine Stätte, außer der, welche ihnen die Müdigkeit Tag für Tag anbefiehlt; dürftig iſt ihre Nahrung, und mit eigener Hand müſſen ſie ſich dieſelbe be - ſchaffen; ſchrecklich iſt die Unfreundlichkeit des Klimas; unbedeckt ſind ihre Leiber: ſo iſt das tägliche Leben der Völker. Der ganze Charakter der deutſchen Geſchichte in den erſten Jahrhunderten beſtätigt dieſen Anblick des Landes. In allen Feldzügen waren Boden und Himmel die gefährlichſten Feinde der Römer. Und die Germanen wußten dieſe Vortheile zu ſchätzen und trefflich zu nutzen: ſie zogen ſich unſichtbar in die undurchdringlichen Wäl - der zurück und ließen die Feinde allein in der unheimlichen, men - ſchenleeren, ſchweigenden Oede. Da warteten ſie ruhig, bis die - ſelben in die Sümpfe oder die Schluchten des Gebirgs geriethen, oder bis der Himmel ſeine Ströme herniederließ und den Boden erweichte und die Wege verdarb, oder der Sturm die Flotte an das ſeichte und unwirthliche Geſtade warf.

Wir glauben den Nachrichten der Alten nur zu gern, und gewiß nicht mit Unrecht, wenn ſie uns verſichern, daß unſre Vor - fahren all dieſen Widerwärtigkeiten, der Unfreundlichkeit des Klimas, der Rauheit des Bodens, der Näſſe und der Kälte gleich freudig getrotzt haben. Galt es die Wanderung, die Jagd, den Kampf, ſo gab es nichts, was auf ihren abgehärteten Körper Eindruck gemacht hätte. Auf ihren Schilden wie auf Schlitten ſitzend mag immerhin der Römer Furcht die Fabel erſonnen oder vergrößert haben, ſie deutet die Wahrheit an ſollen ſie die Schneeabhänge der Alpen herabgefahren ſein. Nackt oder nur mit einem leichten Mantel bedeckt, zogen ſie in die Schlacht, ent - weder um leichter zu ſtreiten oder um zu zeigen, daß ſie die vom Feinde kommenden Wunden verachteten, jedenfalls aus trotzigem Uebermuth. Unbekleidet, ſagt der Geograph Pomponius Mela, leben ſie bis zur Zeit der Reife; die Männer hüllen ſich in kurze Gewänder oder in Baumbaſt, mag der Winter auch noch ſo ſtreng ſein. Cäſar ſcheint eigentliche Kleidung kaum bei ihnen bemerkt zu haben. Sie haben ſich, ſagt er, der Gewohnheit er -31. Urzeit und Urzuſtände.geben, in dem kalten Lande gar keine Kleider zu tragen, außer Felle, deren Kleinheit einen großen Theil des Körpers bloß läßt, und in den Flüſſen ſich zu baden.

Obwohl ſo voll trotziger Abhärtung, waren die Germanen dennoch ſchon in der Urzeit keineswegs Feinde eines bequemen, ſelbſt weichlichen Lebens, wenn ſie es haben konnten. Nicht um - ſonſt lockte ſie das herrliche, reizvolle Italien mit ſeinen Genüſſen und ſeinem ſüßen Nichtsthun zu immer neuen und neuen Zügen, obgleich der Untergang ſo vieler ihrer Stammesgenoſſen ſie wie - derholt hätte belehren können, daß, ſobald ſie die Höhe der Alpen überſchritten, ſie nur hinabſtiegen in ein offenes, wenn auch la - chendes Grab. Auch am heimiſchen Herd verſagten ſie ſich den Genuß nicht, wie ihn derſelbe bot: am Feuer lagen ſie ausge - ſtreckt, den nackten Körper der Gluth ausſetzend, nichts thuend, träumend und trinkend. Mit beſonderer Vorliebe waren ſie dem warmen Bad ergeben. Im Sommer zwar ſuchten ſie auch die kühlen Ströme auf, und die Römer hatten oft Gelegenheit, ihre Schwimmergewandtheit zu bewundern, im Winter aber, wenn ſie es anders im Stande waren, ließen ſie ſich täglich zu Hauſe ein warmes Bad bereiten, nach welchem ſie ſodann zum Frühſtück gingen. Wie ſtaunten die Soldaten des Marius, als ſie am Vortage der großen Vernichtungsſchlacht bei Aquä Sextiä einen Theil der Germanen überraſchten, wie er ſich in den warmen Quellen, die dort aus dem Boden ſprudeln, badete und im Ge - fühl des Wohlſeins laut jubelte vor Freude und Verwunderung über den herrlichen Ort.

Ueber die Beſchaffenheit und die Form der Kleidung ſelbſt erhalten wir nur höchſt ungenügende Nachrichten. Auch Tacitus beſtätigt noch die verhältnißmäßige Dürftigkeit und Nacktheit. Nach ſeinem Bericht tragen alle einen Mantel, der durch eine Spange oder in Ermangelung derſelben durch einen Dorn (spina, d. h. wohl eine aus Holz geſchnitzte Nadel), auf der Schulter nämlich, feſtgehalten wird. Aber den meiſten iſt dieſes Kleidungs - ſtück Ein und Alles, und nur die Reichſten tragen unter dem Mantel noch ein anderes, welches ſich dem Körper eng anſchließt1*4I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.und die einzelnen Glieder in ihren Formen hervortreten läßt und nicht, wie bei den Sarmaten und Parthern, weit und faltig den Körper umfließt. Sagum nennt Tacitus dieſen Mantel und läßt uns dadurch auf Schnitt und Größe ſchließen, denn dieſer Ausdruck bezeichnet den kurzen römiſchen Soldatenmantel, der, ein einziges Stück Tuch, von der linken Schulter her mit beiden Seiten zur rechten Schulter hinübergelegt, dort mit einer Agraffe befeſtigt wurde, den rechten Arm und die rechte Seite frei ließ und bis zum Knie herabfiel. Wir dürfen den germaniſchen Man - tel ähnlich annehmen, umſomehr als Sagum ſelbſt, Name wie Sache, dem Gallier entlehnt ſein ſoll. Ueber die Beſchaffenheit des Unterkleides, über ſeine Länge, ob es Aermel gehabt oder nicht, würden wir völlig im Unklaren bleiben, wenn es nicht erlaubt wäre, aus ſpäteren Angaben auf Früheres zurückzu - ſchließen. Bis ins 10. Jahrhundert hinein geſchieht des engan - liegenden deutſchen Rockes Erwähnung, und er wird in dieſer Eigenſchaft öfter der weiten und längeren römiſchen Tunica ent - gegengeſetzt. Mit Hülfe dieſer Nachrichten vermögen wir ihn auch auf Bildwerken des 9. und 10. Jahrhunderts zu erkennen, wenn auch nicht ohne eingetretene Modificationen. Darnach hatte er enge Aermel bis zum Handgelenk, was übrigens noch aus dem Umſtande zu ſchließen wäre, daß Tacitus ihm das ärmelloſe Frauenkleid entgegenſtellt; doch geſchieht auch daneben der Halb - ärmel ausdrücklich Erwähnung. Am obern Theil des Körpers ſchmiegte er ſich eng den Formen an, wurde dann auf den Hüften ein wenig weiter, wo er vielleicht durch einen Gürtel, der öfter vorkommt, aufgebunden war, ſo daß ein kleiner Bauſch herüber - fiel. So iſt es wenigſtens ſpäter. Der untere Theil reichte nicht völlig bis zu den Knieen herab. Da er weder vorn noch auf dem Rücken eine Längenöffnung hatte, ſo mußte er über den Kopf an - gezogen werden. Als Stoff diente für ihn wie für den Mantel wohl urſprünglich eine mehr oder weniger grobe Wolle, doch ſcheint ſpäter die Leinwand bei ihm herrſchend zu werden. Dieſer Rock war, wie Tacitus verſichert, urſprünglich die auszeichnende Tracht des reichen und vornehmen Mannes, dann aber ging er51. Urzeit und Urzuſtände.mit ſteigender Civiliſation und mit dem Hereinbrechen römi - ſcher Formen auf das niedere Volk über, bei dem er noch lange blieb, wenn auch nicht, ohne ſich ſeinerſeits ein wenig ro - maniſiren zu laſſen. Indeſſen ſtoßen wir noch in der Zeit der Völkerwanderung, noch in der Mitte des 6. Jahrhunderts, auf Völkerſchaften, welche Bruſt und Rücken unbedeckt hatten, alſo der großen Mehrzahl nach den engen Rock nicht kannten.

Von einer Beinbekleidung oder beſtimmt von Hoſen, wie ſie Gallier und Dacier trugen und wie ſie von jenen auf die Römer übergingen, findet ſich in den erſten Jahrhunderten in Bezug auf die Germanen keine Spur, und es iſt umſomehr an - zunehmen, daß dieſelben ihnen im Allgemeinen unbekannt wa - ren, als Tacitus, der am genaueſten von der Kleidung berichtet, ihrer durchaus nicht gedenkt, und ſpäter noch die Nacktheit ger - maniſcher Beine aufs beſtimmteſte verſichert wird. Von den Lan - gobarden ſagt Paulus Diaconus geradezu, daß ſie Hoſen er bedient ſich ſchon dieſes Wortes von den Römern angenom - men hätten. Doch giebt es auch Ausnahmen, wie z. B. die Go - then im 4. Jahrhundert in Hoſen und einer eigenen Art von Stiefeln erſcheinen, aber das war im fernen Oſten an der Mün - dung der Donau, und als ſie ſich hier zeigten, hatten ſie bereits an der Nordſeite des ſchwarzen Meeres in langem Verkehr mit ſarmatiſchen und ſcythiſchen Völkerſchaften geſtanden.

Die dürftige Kleidung germaniſcher Männer erhält eine be - deutende Ergänzung durch Pelze. Ihr Gebrauch iſt nicht bloß durch die Nothwendigkeit hervorgerufen, um ſich gegen die Kälte zu ſchützen, denn ſchon in älteſter Zeit pflegten ſie nur einen klei - nen Theil des Körpers zu bedecken, und von Anfang an waren ſie bereits vielfach ein Luxusartikel, wie ſich denn die Vorliebe für ſie in gleicher Weiſe durch das ganze Mittelalter erhalten hat. Unbewußt mochte ſich mit dieſer Tracht, wenn die rauhe Seite nach außen gekehrt war, der Gedanke einſtellen, daß ſie dem Mann ein kriegeriſches und wilderes Anſehen gäbe, gleich dem freien Thier des Waldes. Die Völkerſchaften am Rhein legten6I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.weniger Werth auf dieſen Gegenſtand, obwohl ſie ſich ebenfalls der Felle bedienten, die aber weiter nach Oſten hin und im Nor - den wohnten, verfuhren ſchon wähleriſcher. Sie ſuchten ſich die Thiere aus und beſetzten die abgezogenen Felle hermelinartig mit Stücken von andern buntgefleckten, die über die Oſtſee herüber, aus Schweden, Finnland, vor allem aber ſchon früh aus Ruß - land auf dem Wege des Binnenhandels zu ihnen kamen. Das ſogenannte Buntwerk oder Veh war alſo ſchon früh den alten Germanen bekannt. Bepelzte Männer hießen die Germanen noch lange im Munde der Römer.

Das Wenige, was wir von der Tracht altgermaniſcher Frauen erfahren, verdanken wir wieder Tacitus allein. Die Frauen, ſagt er, kleiden ſich nicht anders wie die Männer, nur hüllen ſie ſich öfter in leinene Gewänder, die ſie bunt mit Pur - pur beſetzen, tragen keine Aermel, ſondern laſſen Arme und Schultern nackt, und auch der nächſte Theil der Bruſt bleibt noch ſichtbar. Demnach ſind zwei Kleidungsſtücke anzunehmen, ein unteres, ärmelloſes, welches der römiſchen Frauentunica ähnlich, doch enger ſein mochte und die Körperformen hervorhob, und ein Mantel, der von hinten übergelegt und auf der Bruſt mit einer Spange gehalten wurde. Daß beide länger waren als die ent - ſprechenden männlichen Kleider, iſt ſelbſtverſtändlich. Leinewand wurde, wie auch ſpäter noch, weit höher geſchätzt als die Wolle, und ſie wurde von den germaniſchen Frauen ſelber gewoben. In ganz Gallien webt man Leinenzeug, ſagt der ältere Plinius, jetzt thun es auch ſchon die Feinde jenſeits des Rheins, und kein ſchöneres Gewand kennen ihre Frauen. Die hohe Bedeutung, welche dieſer Stoff in heidniſchen Zeiten hatte, giebt auch die Mythologie kund. Frau Bertha, die Göttin, iſt ſehr achtſam auf den Flachsbau und das Spinnen. Sie ſchaut ſelber nach in den Spinnſtuben und theilt Spulen aus, die abgeſponnen werden müſſen; und die Fleißigen, welche zur rechten Zeit fertig werden, beſchenkt ſie mit ſchönem Flachs, wehe aber den faulen Mäg - den! Schon den Cimbern war leinene Kleidung nicht unbekannt. Man erzählt von ihnen, daß unter den Weibern, welche ſie auf71. Urzeit und Urzuſtände.ihrer Heerfahrt begleiteten, weiſſagende Prieſterinnen geweſen ſeien, grau vor Alter, in weißen Kleidern, darüber Mäntel von feinſtem Flachs, mit einem ehernen Gürtel, unbeſchuht. Das ſind die heiligen und reinen Frauen, die gewöhnlich einſam leb - ten und in dringenden Fällen ihren Rath wie Orakelſprüche er - theilten, dafür aber die höchſte Verehrung von Seiten des Volks genoſſen. Die weiße Farbe iſt bei ihren Kleidern nicht ohne tie - fern Sinn, wie in der Götterlehre die weißen und lichten Gott - heiten als die ſegenſpendenden, guten den ſchwarzen, dunklen, böſen entgegengeſetzt werden. Schwarz war auch ſchon damals die Farbe der Trauer. Als die Teutonen, in der großen Schlacht auf der raudiſchen Ebene geſchlagen, zurückflohen zur Wagenburg, da ſtanden ihre Frauen in ſchwarzen Trauergewändern auf den Wagen und bereiteten den Flüchtigen mit Hohn und Gewalt einen unwillkommenen Empfang. Ob ſie ſonſt farbige Kleider getragen, wird zwar nicht ausdrücklich berichtet, es läßt ſich aber immerhin annehmen, da nicht viel ſpäter ihrer hinlänglich Er - wähnung geſchieht und Luſt an Putz und heller Farbenpracht ihnen ſo wenig fehlte, wie andern Völkern, die dem urſprüngli - chen Zuſtande nahe ſtehen. Die Frauen, wie wir wiſſen, beſetzten die leinenen Kleider mit Streifen von Purpur, mochte er auch ſchwerlich ächt ſein, und die Männer bemalten ihre Schilde in den lebhafteſten Farben.

Auch die Pflege des Körpers aus Rückſichten der Schönheit war keineswegs etwas Unbekanntes. Die Frauen nahmen die Bäder vorzugsweiſe aus Sorge für die Hautfarbe und ſcheinen zu dieſem Zweck auch den Schaum des Bieres benutzt zu haben. Die verſchiedenen Nachbaren der Germanen, die ſich keineswegs auf höherer Stufe der Kultur befanden, die Kelten, Sarmaten, Dacier kannten ſchon die Schminke; ſie wird auch den Germanen damals ſchwerlich unbekannt geweſen ſein. Die Ausgrabungen haben uns noch mit einer Menge zur Toilette dienenden Gegen - ſtände bekannt gemacht; da fand man Kämme von Bein und Bronce, Ohrlöffel, kleine Zängelchen und andere kleine Inſtru - mente, oft an einem Ringe ähnlich einem Schlüſſelbund aufgezo -8I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.gen. Das alles läßt auf eine ſorgfältige und ins Kleinliche gehende Pflege der Schönheit ſchließen.

Insbeſondere hatte ſich das berühmte blonde Haar der höchſten Pflege und Sorgfalt zu erfreuen und wurde einer aus - geſuchten, ans Raffinement grenzenden Behandlung unterzogen. Zwar iſt zu allen Zeiten und bei allen Völkern, die ſich über die erſte Stufe eines blos vegetirenden Daſeins erhoben haben, das Haar ſtets der Favorit der Toilette geweſen, und iſt es ebenſo noch heut zu Tage, dennoch iſt die faſt ſtutzerhafte Eitelkeit der rauhen, halbnackten oder pelzbekleideten Waldesſöhne in dieſer Beziehung nicht wenig zu verwundern. Und die Männer, ſo wird ausdrücklich verſichert, zeigen dieſe Leidenſchaft noch mehr als die Frauen. Die blonde Farbe des Haars ſchätzten nicht bloß die Römer, ſondern die Germanen ſelbſt liebten ſie ſo ſehr, daß ſie mit künſtlichen Mitteln einem etwaigen Mangel der Na - tur zu Hülfe kamen. Dadurch wird uns zugleich dieſe Eigenſchaft als ein durchgängiges und charakteriſtiſches Stammeszeichen er - klärlich. Doch dürfen wir annehmen, daß alle Nüancen vom hellen, weißlichen Blond bis zum röthlichbraunen vorkamen; die verſchiedenen Ausdrücke, mit denen die Griechen und Römer das germaniſche Haar bezeichnen, dürften das beweiſen. Es gab eine Salbe oder Seife, aus Ziegenfett und Buchenaſche gemacht, flüſſig oder in feſter Geſtalt, welche das Haar gelb zu färben ver - mochte, wie Martial ſagt, ein kauſtiſcher Schaum, der das teu - toniſche Haar in Flammen ſetzt. Auch bataviſchen Schaum nennt ſie derſelbe Dichter. Die Germanen bedienten ſich fleißig dieſes Mittels, und von ihnen erſt lernten es die Römer kennen, bei denen im erſten Jahrhundert unſrer Zeitrechnung, ſeitdem ſie die ſchönen Germaninnen geſehen und bewundern gelernt hatten, das blonde Haar völlig Modeſache geworden war. Diodor von Sicilien erwähnt einer Lauge von Kalk, welcher ſich die Germa - nen zu dem gleichen Zweck bedient hätten, und Sidonius Apolli - naris weiß gar von geronnener Milch (? infundens acido co - mam butyro) zu ſprechen, welche die Burgunder ins Haar goſ - ſen. Die römiſchen Damen aber begnügten ſich nicht mit der91. Urzeit und Urzuſtände.Salbe oder den germaniſchen Kräutern, welche Ovid erwähnt, weil ihr brünettes Haar derſelben vielleicht mehr Widerſtand lei - ſten mochte, oder auch weil die damalige Mode großer Coiffüren nicht mit dem zufrieden war, was die Natur in einzelnen Fällen gewährt hatte; ſie ließen ſich aus dem fremden Haar Perücken machen, die ſie in vielfachen, oft grotesken Geſtalten trugen. Manche deutſche Gefangene mußte aus dieſem Grunde ihren ſchönſten und natürlichſten Schmuck, das blonde Haar, einer - miſchen Dame abtreten, ja vielleicht nur durch den Beſitz dieſes Schatzes hatte ſie ihr unglückliches Loos ſich zugezogen. Denn an den Gränzen Germaniens jagten die römiſchen Kaufleute eifrigſt dieſem Artikel nach; das deutſche Frauenhaar war ein ſtehender und guten Gewinn tragender Handelsgegenſtand geworden. Einigen Kaiſern, wie Commodus, Verus, Gallienus, wird auch nachgeſagt, daß ſie aus Liebe zum germaniſchen Blond ihr Haar mit Goldſtaub gepudert hätten. Caracalla trug gar, den Damen gleich, eine gelbe Perücke nach deutſcher Friſur, ſeiner deutſchen Leibwache zu Gefallen.

Die deutſchen Männer blieben in ihrer Eitelkeit nicht bei der Farbe ſtehen, ſie behandelten das Haar ſchon damals in ſo künſt - licher Weiſe, daß Juvenal ihrer Haarhörner aus geſalbten Locken ſpotten konnte. Am auffallendſten unter den verſchiedenen Völ - kerſchaften trugen ſich die Sueven. Sie kämmten ihr Haar aus Stirn, Schläfen und Nacken nach dem Scheitel zu, banden es oben in einen Knoten zuſammen und ließen es dann wie eine Art Zopf nach hinten in den Nacken herunter fallen. Dieſe Sitte beobachteten ſie bis ins Alter, ſelbſt wenn das Haar grau und dünn wurde. Und nicht der Liebe zu Gefallen ſchmücken ſie ſich ſo, ſagt Tacitus, ſondern um dem Feinde ein Schrecken erregen - des Aeußere zu zeigen. Die Sueven, die ſich für die vorzüglich - ſten aller Germanen hielten, ſahen dieſe eigenthümliche Tracht als eine Auszeichnung ihres Stammes an. Als ein Paar Jahr - hunderte ſpäter die Franken in der Geſchichte auftreten, wird von ihnen dieſelbe Sitte berichtet; und daneben ſchoren ſie die Wan - gen und das Kinn, ließen aber den Schnurrbart zu beiden Seiten10I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.des Mundes in möglichſter Länge herabfallen. Dieſen behielten ſie noch längere Zeit, während ſie den Schopf bald aufgegeben zu haben ſcheinen, da ſie nicht lange nach dem Auftreten Chlod - wigs kurz gehaltnes Haupthaar tragen.

Wir verzeihen aber dieſe Eitelkeit und lernen ſie verſtehen aus der höhern Bedeutung, welche der Germane mit dem Haupt - haar verknüpfte. Daſſelbe war unter den germaniſchen Stämmen, zuſammt dem Bart, durchweg das Zeichen des freien Mannes; dieſer ließ es überall wenigſtens bis zu gewiſſer Länge und unter gewiſſen Bedingungen wachſen, während es der Sklave kurz ge - ſchoren trug. Zugleich war es ein Unterſcheidungszeichen von den Römern wie von andern umwohnenden Völkerſchaften. Auch die Gallier, die ſonſt am meiſten ihren öſtlichen Nachbarn glichen, trugen es kurz, denn als der ruhmeseitle Kaiſer Caligula einſt über die unbeſiegten Germanen einen Triumph halten wollte, und er dazu der Gefangenen bedurfte, die er nicht hatte, ſo ſuchte er ſich aus den Galliern die größten Leute heraus, über die zu triumphiren es ſich der Mühe zu lohnen ſchien, und zwang ſie das Haar wachſen zu laſſen; bis dahin mußte freilich das ſchau - luſtige Rom des Triumphes warten. Ein freier Mann, der als Kriegsgefangener oder durch gerichtliches Urtheil oder als Einſatz des Spiels, denn bis ſoweit herrſchte dieſe Leidenſchaft im alten Germanien, ſeine Freiheit verlor, büßte zunächſt Haar und Bart durch das Scheermeſſer ein. Die Handlung ſelbſt hatte ſymboli - ſche und rechtskräftige Bedeutung. Wer ſich Haar und Bart ab - ſchneiden ließ, gab ſich damit in die Gewalt desjenigen, der es abſchnitt.

Nur ſcheinbar macht der freie Franke eine Ausnahme. Er trug ſpäter namentlich im Nacken das Haar weit kürzer als die übrigen Germanen, wenn auch nicht dem Sklaven gleich, und den Bart bis auf den langen Schnurrbart geſchoren, nicht aber, weil bei ihm dieſer Schmuck weniger Ehre genoß, ſondern weil ſich ſeine Bedeutung auf die höchſten Freien, den König und ſein Geſchlecht, concentrirte. Darum führen ſchon früh die Merovin - ger den Namen der gelockten Könige. In der Schlacht waren ſie111. Urzeit und Urzuſtände.weither ſchon den Feinden ſichtbar und leuchteten den Ihrigen leicht kenntlich voran. Später noch, als ihnen durch die wach - ſende Macht der Hausmeier nichts geblieben war, als die Würde und der Name, da ſaßen ſie noch auf dem Thron mit langem, die Schultern umfließendem Haupthaar und ungeſchorenem Bart, um den Herrſcher zu ſpielen. Setzten die Hausmeier oder ein Kronprätendent den ſchwachen König ab, ſo ſchnitt man ihm al - ſobald Haar und Bart, um ihn einſtweilen für den Thron un - fähig zu machen. Als aber die Karolinger zur Herrſchaft auch den königlichen Titel ſich beilegten, nahmen ſie doch das Vorrecht der Merovinger nicht an; ſie behielten ihr kurzes Haar und den Schnurrbart, wie die andern Freien und Fürſten ihres Stam - mes. Fortan hörten die Franken auf gelockte Könige zu haben.

Auch bei den Langobarden nimmt in älteren Zeiten ihr Ge - ſchichtſchreiber Paulus Diaconus den langen Haarwuchs an Haupt und Bart an; von dem letzteren, an den kein Scheermeſſer gekommen ſei, leitet er ihren Namen ab, da ſie urſprünglich Wi - niler hießen. Auch die alte Erzählung, die ſich hieran knüpft, von den Frauen, die, das lange Haar um Geſicht und Kinn ge - bunden, Langbärten gleich, vor das Antlitz Wodans treten, kann zur Beſtätigung dienen. Später, da die Langobarden ſchon in Italien ſaßen, trat eine Aenderung ein, denn zur Zeit der Köni - gin Theudelinde, alſo gleich nach dem Jahre 600, hatten ſie Nacken und Hinterkopf glatt geſchoren, und die übrigen Haare, in der Mitte der Stirn geſcheitelt, hingen zu beiden Seiten über die Wange bis zur Tiefe des Mundes herab. Ein mäßig langes Haupthaar bis zur angegebenen Tiefe herabreichend, mit einem Bart, der Kinn und Wangen ziemlich kurz umzieht, die Lippen aber frei läßt, tragen ſie noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahr - hunderts am Hofe des Arichis, Herzogs von Benevent, während dieſer ſelbſt, vom griechiſchen Kaiſer der Ehre des römiſchen Pa - tricius gewürdigt, mit dem Purpurmantel auch Kamm und Scheere überſchickt erhalten hat, das Haar nach griechiſch-römi - ſcher Sitte zu verſchneiden.

Die Sachſen ſind noch lange bekannt wegen ihres durch -12I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.gängig längeren Haarwuchſes; denſelben aber gänzlich an Haupt und Bart ungeſchoren zu laſſen, dazu konnten ſie nur beſondere Gründe bewegen. So geſchah es einſt jenen Sachſen, welche die Langobarden nach Italien begleitet hatten, und als ſie von die - ſem Zuge zurückkehrten, ihre alten Wohnſitze von Schwaben ein - genommen fanden. In einer Schlacht von dieſen geſchlagen, ge - loben ſie nicht eher Haupthaar noch Bart zu ſcheeren, bis ſie an ihren Feinden Rache genommen. Sie kamen nicht dazu, denn in der zweiten Schlacht erlagen ſie gänzlich.

Solche Gelübde finden wir ſchon in den frühſten Zeiten mit dem Haar verbunden. Von den Chatten erzählt Tacitus, daß, ſobald ſie herangewachſen ſind, ſie Haar und Bart lang wachſen laſſen, und dieſe Tracht, die ſie zum Gelübde gemacht und mit welcher ſie ſich der Tapferkeit geweiht haben, nur dann ablegen, wenn ſie einen Feind getödtet haben. Ueber der blutigen Beute des erſchlagenen Feindes enthüllen ſie wieder ihre Stirn und glauben, daß ſie dann erſt den Preis für ihre Geburt zurückge - zahlt und ſich des Vaterlandes und der Aeltern würdig gezeigt haben. So legt auch Claudius Civilis, der kühne und kluge Führer der Bataver, einem Gelübde zufolge, welches er beim Be - ginn des Aufſtandes gethan, ſein langes röthliches Haar erſt dann ab, als die römiſchen Legionen vernichtet ſind. Trauerfälle konnten Aehnliches veranlaſſen. Beim Tode des Germanicus legten einige Germanenfürſten zu Ehren des Verſtorbenen den Bart ab und ſchoren ihren Frauen den Kopf zum Zeichen der tiefſten Trauer.

Ueber den Schmuck unſerer heidniſchen Vorfahren ſchwei - gen die Mitlebenden; ſie wiſſen nur zu erzählen, daß die Deut - ſchen ihn nicht verſchmäht, ja daß ſolche Geſchenke mehr als alles andre auf ſie Eindruck gemacht hätten. Die Thatſachen aber, die uns aus der Eröffnung ihrer alten Grabſtätten entgegen treten, erſetzen uns reichlich, was die Römer verſäumt haben. So müſ - ſen nun nach faſt zweitauſend Jahren die Todten reden, der ſtumme Mund der Gräber wird beredt und erzählt uns von man - cherlei vergangener Herrlichkeit, deren Kunde uns ſonſt ewig ver -131. Urzeit und Urzuſtände.ſchloſſen wäre. Freilich iſt dieſe Herrlichkeit bei allem Reichthum wieder eine ſehr beſcheidene, denn einmal war Gold und Silber als Erzeugniß des heimiſchen Bodens damals eine unbekannte Sache, und das Erz, das ärmliche, mußte den Stoff bilden zu den Waffen wie zum Schmuck. Es war noch die Zeit, wo ſelbſt die Götter, wie es im Voluspalied der Edda heißt,

die Aſen Erbauten Eſſen und ſchmiedeten Erz, Schufen Zangen und ſchön Gezäh. Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln Und kannten die Gier des Goldes noch nicht. ((Simrock.) )

Aber es glänzte damals in ſeiner Neuheit das Erz wie Gold, und war nicht wie heut zu Tage nach der langen Ruhe in den Grä - bern von dem edlen Roſt der Alterthümler grünlich und glanz - los angelaufen. Andrerſeits ſtand die Kunſt der Ornamentik zu jener Zeit auf einer ſehr niedrigen Stufe, ja faſt auf der unter - ſten, welche nur der jedem Volke angeborne Verſchönerungstrieb einnehmen kann. Die einfachſten Elemente, mit denen die Kunſt beginnt, die grade und die krumme Linie, da angebracht, wo ſie zur Zweckmäßigkeit nicht in Betracht kommen, finden ſich hier vor. Denn nichts kann dem ſich in ſeiner Urſprünglichkeit zum erſten Mal regenden Triebe zur Verzierung näher liegen, als die Gränzlinien, welche irgend einem Gegenſtand durch ſeine Zweck - mäßigkeit geſetzt ſind, durch einen Strich zu begleiten. So fängt in der That die deutſche Kunſt in der heidniſchen Zeit an, wie uns der Inhalt der Gräber lehrt, und ebenſo auch die Kunſt jedes andern auf einer niedern Stufe der Civiliſation ſtehenden Volkes. Die grade Linie alſo, welche eine natürliche Gränze begleitet, iſt das erſte Ornament; ſie verdoppelt ſich zu parallelen Streifen, zu Bändern; ſie bricht ſich in regelmäßigen Abſtänden und es ent - ſteht das Zickzack; in gleicher Weiſe brechen ſich die parallelen Streifen, verbinden ſich wieder zu Reihen und laufen im Zickzack neben einander her. Aus der Durchſchneidung der Linien und der Bänder entſteht netzförmiges Ornament; verbindet ſich mit einem Band die Zickzacklinie, ſo entſtehen Zacken.

14I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.

Auf dieſe einfachen und urſprünglichen Motive beſchränkt ſich die Anwendung der graden Linie auf die Schmuckſachen der Deutſchen in der Zeit vor allen chriſtlichen und römiſchen Ein - flüſſen. Ein völlig entſprechender Gebrauch iſt von der krummen Linie gemacht. Statt des Zickzacks wird ſie zur Wellenlinie, in ſich zurückkehrend bildet ſie den Kreis, vervielfacht ſich zu concen - triſchen Kreiſen, windet ſich um einen Cylinder in die Spirale. Dieſe findet auch auf der Fläche ihre Anwendung. Wenn die beiden Enden der krummen Linie nach derſelben oder nach entge - gengeſetzten Seiten gewunden werden, entſteht die ſehr beliebte Doppelſpirale. Die meiſte Willkür liegt ſchon in der mäandern - den Bewegung.

Indem man ſich mit dieſer Linienverzierung begnügt, ſei es, daß man ſie auf ebene oder krumme Flächen einritzt, oder, worin ſchon ein weiterer Schritt liegt, durch Windungen von Draht herzuſtellen ſucht, bleibt man doch auf einer untern Stufe der Verſchönerungskunſt ſtehen, indem man nirgends zum Relief, zum plaſtiſchen Ornament gelangt. Die Gegenſtände aber, bei welchen ſie Anwendung finden, ſind ſehr mannigfach, und wir erkennen daraus, wie weit die Liebhaberei zu Schmuckſachen bei unſern heidniſchen Vorfahren ging. Der Mantel bedurfte zum Zuſammenhalten auf der Schulter oder der Bruſt einer Nadel, die ſich mit Anwendung der Spirale in mannigfacher Weiſe zur Spange oder Agraffe entwickelte. So z. B. iſt eine gewöhnliche Form die der entgegengeſetzten, flachen Doppelſpirale, bei welcher die beiden Enden des Drahtes aus der Mitte der Spiralen her - ausgehen, die eine ſich zum Haken umbiegt, während die andere längere als Nadel mit federnder Kraft in jene eingreift. Bei einer andern Form bildet der Draht einen Bügel, von welchem das eine Ende einen Haken oder eine kleine Mulde bildet, in welche das zweite, nachdem es eine kleine Spirale gemacht, als Nadel elaſtiſch ſich einlegt. Oft ſcheinen ſolche Spangen der Bruſt vor - geſteckt geweſen zu ſein, wie unſre Brochen blos zum Schmuck, ohne den Zweck, irgend etwas zu halten. Haarnadeln wurden in großer Menge getragen; als Knopf dient häufig eine Spirale,151. Urzeit und Urzuſtände.aus der Fortſetzung der Nadel gewunden, oder eine mit Linienor - nament verzierte Scheibe. Auch Reife umſchloſſen das Haar in Form einfacher Ringe, oder zu Diademen ausgebreitet und mit derſelben Verzierung reichlich verſehen. Mannigfach finden ſich Diademe, welche nicht groß genug ſind, den ganzen Kopf zu um - ſpannen, und daher ſehr künſtlich über der Stirn befeſtigt werden mußten; vorne pflegen ſie in der Breite bis zu zwei Zoll empor - zuragen, während ſie nach den Seiten ſchmäler werden und hin - ten nicht geſchloſſen ſind. Vielleicht deuten ſie auf eine ſehr künſt - liche Haartracht hin. Die Hals - und Armringe finden ſich beſon - ders zahlreich, beide ſind nicht geſchloſſen, ſodaß ſie, ſehr elaſtiſch gearbeitet, ſich ausweiten nach der Stärke des Armes oder des Halſes. Ihre Formen wachſen an vom einfachſten Drahtring bis zum breiten Band. Während der Halsring vorn auf der Bruſt breiter ſein konnte, winden ſich die Armringe in ſchlangenartigen Spiralen; welche Formen alle wieder von eingeritzten Linien um - zogen ſind. Die Ohrringe pflegen aus einem einfachen dünnen Reife, unten mit einem Knopf, zu beſtehen. Aehnlich ſind die Fingerringe. Auch Gürtelſchnallen werden gefunden.

Von dieſem Schmuck machten die Männer theilweiſe faſt noch ausgedehnteren Gebrauch, als die Frauen. Von ihnen vor - züglich wurden die Armringe getragen, und zwar in ſolcher Menge, daß ſie ſich ſchon zu Dutzenden an einem Arm gefunden haben. Der Gebrauch, der von denſelben gemacht wurde, und die Art der Erwähnung in ſpäterer Zeit beweiſen, daß man ſich ihrer nicht zum Schutze wie einer Rüſtung bediente, ſondern daß ſie lediglich ein Schmuck waren. Es wurde aber von den Män - nern ein außerordentlicher Werth auf ſie gelegt, und ſie waren das wirkſamſte Mittel für den Fürſten und den Geleitsführer, ſeine Freunde an ſich zu feſſeln. Darum lagen ſie auch in den königlichen und fürſtlichen Schatzkammern in großer Menge auf - gehäuft, ſodaß die rothen Ringe oft für den Hort ſelbſt gebraucht werden. Die Freigebigkeit mit dieſen Ringen oder Baugen (von biegen) erſtreckte ſich auch auf die Sänger und die Dichter, von welchen ſolche Tugend hochgeprieſen wird, wie es von Alboin dem16I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Langobarden heißt, daß keines andern Hand ſo leicht, keines an - dern Herz ſo freigebig an Ringen und leuchtenden Baugen ſei. Im Gegentheil wird es auch als ſchlechte Eigenſchaft eines Herr - ſchers getadelt, daß er niemals verdienten Helden Ringe geſchenkt habe. Freunde oder auch Feinde, die ſich im Kampf tapfer be - ſtanden, tauſchten zur Erinnerung ihre Armringe mit einander aus. In dieſen Bedeutungen ſind die Baugen in die Sage über - gegangen, wenn auch mit Umwandlung des dunklen und bald feilen Erzes in das ſo hoch geſchätzte leuchtende Gold, und noch ſpät in chriſtlicher Zeit findet ſich in Lied und Sage die altheid - niſche Sitte wieder, als ſie längſt aus dem Leben verſchwunden. Als Walter von Aquitanien dem Hofe des Hunnenkönigs Etzel entflieht, nimmt er aus deſſen Schatze an Baugen mit, ſo viel er kann, und ihre Zahl war ſo beträchtlich, daß er dem Burgunden - könig Gunther ihrer hundert als Geſchenk zu bieten vermochte. Hildebrand, des Dietrich von Bern Genoſſe und Dienſtmann, nach langer Abweſenheit wieder heimkehrend, führt Baugen, aus byzantiniſchen Goldmünzen geſchlagen, mit ſich. Auch im Ni - belungenliede lebt noch die alte heidniſche Sitte. Als Siegfried nach Worms zurückkehrt, um die glückliche Gewinnung der Brun - hilde als Braut Günthers der Chriemhilde zu verkünden, da reicht ihm die Königstochter als Botenlohn 24 Armringe; und beim Abſchied der Burgundenhelden von Pechlarn legt die Mark - gräfin Gotelinde dem trefflichen Spielmann Volker 12 Ringe um die Hand.

Da gebot die Markgräfin eine Lade herzutragen,
Daraus nahm ſie zwölf Baugen und ſpannte ſie an ſeine Hand:
Die ſollt ihr mit euch führen von hinnen in Etzels Land,
Und ſollt um meinetwillen ſie zu Hofe tragen,
Wenn ihr wiederkehret, daß man mir möge ſagen,
Wie ihr mir habt gedienet da bei dem hohen Feſt.

Im Beowulflied erſcheint die Königin ebenfalls als Ringſpen - derin, indem ſie mit dem Becher noch zwei Armringe von gewun - denem Golde und einen herrlichen Halsring dem Beowulf unter holden Worten überreicht. Als Karl der Große, ſo erzählt die171. Urzeit und Urzuſtände.Chronik von Novaleſe, den Deſiderius bezwungen und unſchäd - lich gemacht, hatte er noch lange an deſſen Sohn, dem ſtarken Algis, einen gefährlichen Feind. Einſtmals ſaß König Karl in Pavia zu Tiſch, da hatte ſich an das untere Ende der Tafel ein Fremder geſetzt, der ließ ſich alle Knochen geben, zerbrach ſie, ſog wie ein hungriger Löwe das Mark aus und warf ſie dann unter den Tiſch. Das machte einen tüchtigen Haufen aus, und als nach Aufhebung der Tafel der König denſelben erblickte, fragte er ſtaunend nach dem Urheber[.]Es ſaß hier ein ſtarker Degen, hieß es, der zerbrach alle Hirſch -, Bären - und Ochſenknochen, als - ren es Hanfſtengel. Der König erkannte bald, daß es der ſtarke Algis geweſen, und es war ihm höchſt ärgerlich, daß er ihn ſo ungeſtraft davon gelaſſen hatte. Da machte einer den Vorſchlag, dem Algis, der zu Schiff entkommen, nachzuſetzen und zu tödten. Gieb mir deine goldenen Armſpangen, und ich will ihn damit berücken. Der König gab ſie ihm alsbald und jener eilte ſchnell dem Algis zu Lande nach, bis er ihn einholte. Als er ihn von ferne ſah, rief er ihn bei ſeinem Namen, und meldete ihm dann, daß Karl ihm ſeine goldenen Armſpangen zum Geſchenk ſende, er ſolle nur mit ſeinem Schiff ans Land fahren. Algis that ſo: wie er aber näher kam und die Gabe auf der Spitze des Speers ſich darreichen ſah, ahnete er Verrath, warf ſeinen Panzer über die Schulter, nahm ſeinen Speer zur Hand und rief: Was du mir mit dem Speer reichſt, will ich auch mit dem Speer empfangen. Sendet mir übrigens dein Herr betrüglich dieſe Gabe, damit du mich tödten mögeſt, ſo will ich ihm doch nicht nachſtehen und ſchicke ihm dafür meine Armſpangen. Er reichte ſie jenem hin - über, der, in ſeiner Erwartung getäuſcht, heimkehrte und dem - nig Karl des Algis Armſpangen brachte. Wie aber Karl ſie an - legte, ſo fielen ſie ihm bis auf die Schultern. Da rief Karl aus: Es iſt kein Wunder, daß dieſer Mann Rieſenſtärke hat. Geſchichtlich begegnen uns noch die Armſpangen am Ende des 9. Jahrhunderts. Liutprand nämlich erzählt in ſeinem Buche der Vergeltung, daß Arnulf den Grafen von Bergamo, mit Schwert, Wehrgehenk, Armſpangen und ſeinen koſtbarſten Kleidern ange -Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 218I. Aelteſte Zeit bis zu den Krenzzügen.than, vor dem Thore der Stadt habe aufknüpfen laſſen. Doch iſt es bemerkenswerth, daß dieſer Schmuck auf Abbildungen nicht zu entdecken iſt, es ſei denn, daß die ringartigen Wülſte dafür zu halten wären, welche uns auf den Bildern der Angelſachſen und anderer vor dem Jahre 1000 und noch ſelbſt bei den Soldaten der Egſterſteine (1115) am Unterarm der Männer ſehr häufig be - gegnen. Die Unzulänglichkeit der Zeichnung läßt uns nicht zur Gewißheit kommen.

Wenn wir einen Blick auf das bisher Mitgetheilte zurück - werfen, und dem Reſultate nach alle die Aufſchlüſſe überſchlagen, welche die Schriftſtellen der Alten und die Gräberfunde uns ge - währt haben, ſo reicht das noch nicht hin, ein vollſtändiges Bild in uns entſtehen zu laſſen. Es bleiben noch manche Lücken aus - zufüllen. So iſt über Fußbekleidung und Kopfbedeckung durch - aus nichts mitgetheilt worden, und daß Schuhe im Gebrauch waren, vermögen wir, wenn es ſich nicht von ſelbſt verſtände, nur aus der beſondern Erwähnung unbeſchuhter Frauen zu ſchlie - ßen. So viel auch das blonde Haar erwähnt und beſprochen wird, nirgend wird geſagt, in welcher Form es die germaniſchen Frauen getragen haben. Auch über Form und Länge der Kleider iſt das Nähere unbekannt. Doch ſtehen die allgemeinen Grund - züge feſt, und die Hauptunterſchiede von dem römiſchen Coſtüm, welche für die Folgezeit wichtig werden, ſind leicht anzugeben. Wenn wir die Tracht der Vornehmen, bei denen ſich die Kleidung allein in völliger Ausbildung zeigt, als maßgebend annehmen, ſo beſtand ſie bei Männern wie bei Frauen aus zwei ſich entſpre - chenden Stücken, einem, welches über den Kopf angezogen, und einem, welches um die Schultern gehängt wurde; jenes, das Kleid und bei Männern der Rock, ſchloß ſich dem Oberkörper eng an, während dieſes, der Mantel, frei und loſe herumſchlug und auf der rechten Schulter, oder bei Frauen vielleicht auch auf der Bruſt, mit einer Nadel befeſtigt war. Dazu geſellt ſich noch Pelzwerk und ein reichlicher Schmuck.

In der Zeit, die hier in Frage kommt, als nämlich die cul - turhiſtoriſchen Einwirkungen der antiken Welt auf das Germa -191. Urzeit und Urzuſtände.nenthum begannen, beſtand die römiſche Kleidung aus denſelben Grundſtücken, für Männer wie für Frauen, aus einem Kleide, welches über den Kopf angezogen, und einem Mantel, welcher um die Schulter gelegt wurde. Damals in der Kaiſerzeit war mit dem Untergang des ächten Römerthums, mit dem Verfall der alten Sitten und der alten Bürgertugend auch die Toga, dieſes bezeichnende Kleidungsſtück des römiſchen Bürgers, welches aller - dings von jedem fremden nach Schnitt und Umwurf grundver - ſchieden war, ebenfalls aus dem gewöhnlichen Leben verſchwun - den und wurde nur bei feierlichen Gelegenheiten angethan. End - lich blieb es nur die Amtstracht der höchſten Beamten, und iſt ſo als Kleidung der himmliſchen und irdiſchen Götter in die chriſt - liche Kunſt des Mittelalters bei Chriſtus und den Apoſteln über - gegangen, und hat auch hier im mächtigen Faltenwurf den Cha - rakter der ruhigen und ſtrengen Größe bewahrt. An die Stelle der Toga trat der eigentlich griechiſche Mantel, welcher, von der linken Schulter her leicht umgeſchwungen, auf der rechten mit einer Agraffe befeſtigt und von allen Seiten, die rechte offen laſ - ſend, leicht und ungezwungen, aber faltenlos und unſchön, faſt bis auf die Füße herabfiel. Den urſprünglicheren römiſchen Na - men Lacerna vertauſchte er ſpäter mit dem allgemeineren Pal - lium, mit welchem er nach Deutſchland herüberwanderte. Im Kriege trug der Römer dieſen Mantel kürzer, aber von derſelben Form, und nannte ihn dann Sagum. Unter dem Mantel wurde als allgemeines und nothwendiges Stück die Tunica ge - tragen, ein weiter, nicht aufgeſchlitzter, gewöhnlich gegürteter und urſprünglich ärmelloſer Rock, welcher über den Kopf angezogen wurde; er pflegte bis weit unter das Knie herabzufallen. Die Kleidung der Römerin entſprach völlig der männlichen. Auch ſie hatte das charakteriſtiſche Stück, die Stola, welches die römi - ſche Matrone unterſchied und der Toga entſprach, allmählig ab - gelegt und mit einem Mantel, Pallium, vertauſcht, der auf der Bruſt mit einer Agraffe befeſtigt wurde. Ihre Tunica glich der männlichen, nur war ſie länger und fiel in reichen Falten auf die Füße herab. Außer dieſen beiden Hauptkleidungsſtücken2*20I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.konnten der Mann wie die Frau noch Unterkleider tragen, welche für uns nicht weiter in Frage kommen.

Der Parallelismus zwiſchen der deutſchen und dieſer ſpät - römiſchen Kleidung zeigt ſich klar. Der deutſche Männerrock und das Frauenkleid entſprechen der Tunica, nur mochte jener kürzer ſein, und beide legten ſich zum Unterſchied von dem faltigen - miſchen Stück dem Körper eng an. Noch näher ſtimmen die Mäntel zuſammen, ſo ſehr, daß, während die römiſchen Schrift - ſteller für das enge Unterkleid ſich noch nicht alſobald des Aus - drucks tunica zu bedienen wagen, ſondern bei Männern wie bei Frauen den allgemeineren vestis, Kleid, gebrauchen, ſie für den Mantel unbedenklich pallium und ebenſo, wenn er kürzer iſt, sagum oder sagellum ſetzen. In dieſer Bezeichnungsweiſe blei - ben ſie ſich völlig gleich und die lateiniſch ſchreibenden Chroniſten der Deutſchen weichen durchaus nicht ab, nur daß, ſowie das Unterkleid ſich weitet, auch der Ausdruck tunica häufiger wird. Zuweilen, zumal bei Dichtern, findet ſich auch der Mantel mit dem griechiſchen Worte Chlamys bezeichnet, deren Form am meiſten dem Sagum entſpricht.

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Zweites Kapitel. Schwankungen zwiſchen den nationalen und anti - ken Elementen in der Zeit der Merovinger und Karolinger.

Erſt ſeit der Zeit der Völkerwanderung machen ſich die Ein - flüſſe der römiſchen oder überhaupt der antiken Cultur auf die Lebenszuſtände der Deutſchen dauernd bemerklich. Das Rhein - land freilich und einige andere Stätten an der Donau, wo das Römerthum ſeinen bleibenden Sitz aufgeſchlagen und neben dem Handel auch die Induſtrie und eine gewiſſe Kunſtthätigkeit in Flor gebracht hatte, machen eine Ausnahme. Wieweit aber das antike Leben hier ſchon früher Wurzel gefaßt, ob es und wie es ſich mit deutſchnationalen Sitten, Einrichtungen und Lebensbe - dingungen verbunden hat, iſt noch eine unaufgehellte Sache. Die Völkerwanderung, welche dieſe Gegenden aufs Neue mit deutſchen Elementen überflutete, zerreißt den Faden, an welchem wir uns rückwärts hätten in dieſe Verhältniſſe hineinfinden kön - nen. Keineswegs hat ſie jedoch die hier ſchon ſo lange blühende Cultur, den Handel und die Induſtrie völlig zertrümmert, und ſie hat namentlich in der Gewerbstechnik die Brücke zur Zukunft unabgebrochen gelaſſen. Die Nachrichten aber ſind zu zerſtreut, um dem Gange nachgehen zu können, auf welchem ſich Antikes und Barbariſches mit einander verbinden. Wir ſehen nur, daß es überall geſchieht.

So iſt es auch in der Kleidung. Schon früh ſtoßen wir auf undeutſche Elemente neben ächten und nationalen, aber die Nach -22I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.richten ſind zunächſt ſo vereinzelt und zerſtreut, wie die Völ - ker ſelbſt, über die ſie lauten, nach allen Weltgegenden verſchla - gen ſind. Daß der Deutſche dort, wo er, völlig vom vaterländi - ſchen Boden abgeſchnitten, der Uebermacht fremder Einflüſſe aus - geſetzt war, dieſen nicht abſichtlichen Widerſtand aus patriotiſchem Stolz entgegengeſetzt hat, iſt aus ſeiner ganzen Geſchichte erklär - lich; von den Vandalen in Africa wird dieſe Nachgiebigkeit aus - drücklich verſichert. Feſter hielt er natürlich in der Heimath, wo das Klima daſſelbe blieb und die Lebensbedingungen nur all - mählig ſich änderten.

In der Zeit der Völkerwanderung, in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, macht uns die intereſſanteſte Mitthei - lung der Biſchof Sidonius Apollinaris, welcher zu Clairmont unter den Burgundern lebte. In einem Briefe an einen krieglie - benden Freund ſchildert er als Augenzeuge den Aufzug eines - niglichen Jünglings, wahrſcheinlich von burgundiſchem Stamm, welcher als Verlobter oder als Bewerber nach heidni - ſcher Weiſe mit großem Gefolge nach dem Hauſe ſeines künfti - gen Schwiegervaters zieht. Ihm vorauf werden ſeine Roſſe ge - führt, mit prächtigem Kopfſchmuck, mit funkelnden Edelſteinen geziert; dann folgt eine Schaar ſeiner Begleiter in kriegeriſchem Pomp, eine andere ſchließt den Zug, während er ſelbſt, blond - haarig und mit friſchrothen Wangen, in der Mitte geht, zu Fuß wie jene, funkelnd von rothem Golde und leuchtend in milchwei - ßer Seide und in feurigem Gelb. Seine Begleiter erſcheinen an den Füßen mit Lederſchuhen bekleidet, welche bis an die Knöchel reichen und deren Außenſeite noch das volle, rauhe Haar trägt. Schenkel, Kniee und Waden ſind ohne Bedeckung. Den Körper umſchließt ein enger, buntfarbiger Rock, der kaum zu den bloßen Knieen herabreicht und deſſen Aermel nur den Anfang der Arme verhüllen. Ihre Mäntel ſind grün, mit Purpurrändern um - ſäumt. Um die Schulter liegt das buckelbeſchlagene Wehrge - henk, von welchem das Schwert herabhängt. Bewaffnet ſind ſie mit Lanzen, die Rechte führt die Axt und die Linke wird bedeckt vom buntfarbigen Schild. Nach dieſer Beſchreibung erſcheinen232. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.die Burgunder noch völlig in altnationaler Tracht, nur der - nigsſohn kann mit ſeinem weißſeidenen Mantel den fremden Ein - fluß nicht verleugnen.

Derſelbe Biſchof Sidonius beſchreibt an einer andern Stelle die Weſtgothen, wie ſie in ihrer gewöhnlichen Kleidung zur Volksverſammlung kommen, in ſchmutzigen leinenen Kleidern, über welche Pelze bis zur Wade herabfallen, mit nackten Beinen und Schuhen von Pferdeleder, die ein ärmlicher Knoten feſtbin - det. Ihre Kleidung hat alſo noch nichts Fremdes, doch iſt der leinene Rock, den Tacitus als die beſondere Tracht des Reichen kennt, allgemein geworden.

Ungefähr ein Jahrhundert ſpäter unterſcheidet ſich die Tracht der Langobarden von den urſprünglichen Grundzügen in mehrfach auffallender Weiſe. In der Zeit, als ſie nach Italien kamen, trugen ſie weiße Strümpfe, die bis zum Knie reichten. Denn als der junge Alboin, des Königs Sohn, nach der großen Schlacht auf der Asfeldheide, wo er den älteſten Sohn des Ge - pidenkönigs getödtet hatte, zu dieſem ſeinem Feinde gekommen war, um ſich von ihm, wie es der langobardiſche Brauch for - derte, als von einem fremden Fürſten die Waffen anlegen zu laſ - ſen, da ſpottete, während ſie beim Mahle ſaßen, des Erſchlagenen Bruder der Langobarden und rief: das ſind die fruchtbarſten Stuten, denen ihr gleicht. Er meinte aber diejenigen Stuten, die bis zum Beine weiße Füße haben, weil die Langobarden von den Waden abwärts weiße Strümpfe trugen. Ein wenig ſpä - ter, als jedoch die Langobarden bereits eine Zeit in Italien an - ſeſſig waren, giebt Paulus Diaconus der Unterſchiede noch meh - rere. Die Königin Theudelinde baute als Gemahlin Agilulfs im Beginn des 7. Jahrhunderts einen Palaſt zu Monza und ließ ihn mit Gegenſtänden aus der langobardiſchen Geſchichte aus - malen. Leider ſind dieſelben nicht mehr im alten Zuſtand vor - handen. Auf dieſen Gemälden ſieht man deutlich, ſagt Pau - lus, wie ſich die Langobarden zu der Zeit das Haupthaar ſcho - ren und wie ihre Tracht und ihr Ausſehen war. Nachdem er das Haar beſchrieben, welche Stelle wir bereits oben haben kennen24I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.lernen, fährt er fort: Ihre Kleidung war weit und meiſt leinen, wie ſie die Angelſachſen tragen, zum Schmuck mit breiten Strei - fen von anderer Farbe beſetzt. Ihre Schuhe waren oben faſt bis zur großen Zehe offen und mit herübergezogenen ledernen Neſteln zuſammengehalten. Nachher aber fingen ſie an Hoſen zu tragen, über die ſie beim Reiten wollene Gamaſchen zogen; dieſe Tracht haben ſie indeß erſt von den Römern angenommen. Das muß aber nicht lange darnach geſchehen ſein, denn es wird von König Adelwald, dem Sohne Agilulfs und der Theudelinde (616[]626), verſichert, daß er es geweſen ſei, der zuerſt Hoſen getragen. Fer - ner geſchieht noch im 7. Jahrhundert der Hoſe bei den Lango - barden ausdrückliche Erwähnung, indem erzählt wird, daß ein Geiſtlicher, der Diaconus Thomas, einſt zum Tyrannen Alahis, welcher keineswegs der Geiſtlichkeit freundlich geſinnt war, ge - kommen ſei und um eine Audienz gebeten; dieſer aber habe ihn nur dann vorlaſſen wollen, wenn er ſaubere Hoſen anhabe, und erſt auf die Verſicherung, am Morgen friſchgewaſchene angezogen zu haben, ſei er wirklich vorgelaſſen worden. Aus dieſer Erzäh - lung können wir zugleich ſchließen, daß der Stoff Leinwand war.

In der obigen Beſchreibung des Paulus tritt der langobar - diſche Rock als ein weiter in Gegenſatz zu dem engen altgermani - ſchen; er erſcheint dadurch völlig der römiſchen Tunica ähnlich, und nicht ohne Grund wird man auf italiſche Einflüſſe, die das Klima begünſtigte, ſchließen können. Freilich wird auch daſſelbe von den Angelſachſen ausgeſagt, und anderswo werden die alten Sachſen aus demſelben Grunde den Franken gegenüber geſtellt. So ſcheint es in der That, als ob bei dieſem Stamme eine grö - ßere Weite der Kleidung eine nationale Eigenthümlichkeit gewe - ſen ſei. In den illuſtrirten Handſchriften der Angelſachſen, die faſt gleichzeitigen oder doch nicht viel ſpäteren Urſprungs ſind, trägt das gewöhnliche Volk eine kurze, mäßig weite Aermeltunica mit kurzem Mantel, der Vornehme aber bei feierlichen Gelegen - heiten Unter - und Oberkleid lang, weit und wallend. Als die Sachſen in der Geſchichte auftreten, ſollen ſie, ſpäteren Nach - richten zufolge, eine weite, doch kurze Tunica getragen haben,252. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.hingegen einen langen Mantel. Wenn uns auf ſpäteren Minia - turen noch Langobarden in engen und kurzen Röcken begegnen, ſo ſind ſie in ihrer Kriegstracht, welche aus der römiſchen hervor - gegangen iſt.

Der Aufenthalt der Langobarden in Italien, ihr beſtändiger freundlicher oder feindlicher Verkehr mit den Griechen und den damals durch Handel blühenden Städten Unteritaliens hatte bei ihnen eine große Prachtliebe entwickelt, die ſich auch in reicher Verzierung der Kleider ausſprach, ohne die Form zu ändern. Als Karl der Große ſich der Schätze des Deſiderius bemächtigte, fand er viele mit Gold und Silber durchwobene Gewänder. Noch nach dem Untergang des eigentlichen Langobardenreichs zeichnete ſich der Fürſt Arichis[,]obwohl er ſich nicht ohne Mühe im ſüdli - chen Italien behauptete, durch Pracht und Reichthum aus, die uns der Mönch von Salerno ausführlich ſchildert. Als der Ge - ſandte Karls des Großen zu ihm kam, ſammelte er ein großes Heer, um denſelben mit Pracht und Ehren zu empfangen, und ſtellte ſeine Mannen in verſchiedener Kleidung und Bewaffnung auf. Auf der Treppe des Palaſtes ſtellte er zwei Reihen Knaben auf, die Sperber oder ähnliche Vögel auf der Hand trugen; als - dann Jünglinge in der Blüthe des Alters, und dieſe trugen Ha - bichte oder andere Vögel der Art; einige von ihnen aber ſaßen am Brettſpiel. Gleich nach ihnen ordnete er Männer, denen das Haar grau zu werden anfing; zuletzt kamen Greiſe, die im Kreiſe herum ſtanden und einen Stab in der Hand hielten, und in deren Mitte ſaß der Fürſt ſelber auf goldenem Stuhle. Der Geſandte, von aller Herrlichkeit in Staunen verſetzt, äußerte: Nicht, was wir hörten, haben wir geſehen, ſondern weit mehr haben wir geſehen, als wir zuvor hörten. Am Hofe des Arichis wurde er bewirthet, und als er am andern Tage die ganze Weis - heit des Arichis ſah, den Palaſt, den er ſich erbaut hatte, die Speiſen ſeiner Tafel, die Wohnung ſeiner Sklaven und der gan - zen Dienerſchaft, und ihre Kleidung und die Mundſchenken, da ſprach er voll Bewunderung weiter: Es iſt wahr, was ich bei mir zu Lande von deiner Weisheit und Herrlichkeit habe ſagen26I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.hören: ich wollte denen, die es mir erzählten, nicht glauben, bis ich nun ſelbſt gekommen bin und es mit eigenen Augen geſehen habe und finde, daß mir nicht die Hälfte kund gethan worden iſt. Die ganze Erzählung iſt für das Hofleben und die Hofeti - kette höchſt intereſſant.

Die Franken bewahrten am treuſten den nationalen engen Rock, daß er ſpäter ſelbſt den Beinamen des fränkiſchen erhielt; nur ihren Haarzopf hatten ſie nach Annahme des Chriſtenthums aufgegeben. Ueber den Hüften lag ein verzierter Schwertgurt. Der Rock war von Leinwand und wohl nicht ungefärbt. Auch an den Mänteln liebten ſie das Farbige, und es wird erzählt, daß ein Hausmeier den Gegner herausgefordert habe, mit ihm vor der Schlachtreihe in rothen Mänteln einen Zweikampf auszufech - ten. Die Könige trugen urſprünglich dieſelbe Tracht wie der freie Franke, und haben ſie auch für gewöhnlich beibehalten. Allein ſchon Chlodwig erhielt vom griechiſchen Kaiſer mit dem Conſul - titel auch die Purpurkleider, die Tunica und den Mantel. Dieſe legte er in der Kirche des heiligen Martinus an, wie Gregor von Tours erzählt, und ſchmückte ſein Haupt mit einem Diadem. Dann beſtieg er ein Pferd und ſtreute unter das gegenwärtige Volk mit eigener Hand Gold und Silber mit der größten Freige - bigkeit aus. Von dieſem Tage an wurde er Conſul oder Auguſtus angeredet. Dieſe lange, bis auf die Füße herabwallende Tunica und der weite, faſt ebenſo lange Mantel ſcheinen noch ſpäter den königlichen Ornat der Merovinger gebildet zu haben, wenn an - ders jene Statuen am Portal der Frauenkirche zu Corbeil und einige andere ihnen ähnliche, die ſich an Kirchen des 12. Jahr - hunderts befinden, wirklich noch aus jener Zeit ſtammen. Die gewöhnliche Anſicht ſetzt ſie den Kirchen gleichzeitig, doch wollen ſie nach Coſtüm und Stil nur wenig zum 12. Jahrhundert ſtim - men. Die Tradition belegt völlig unbeglaubigter Weiſe die beiden Statuen zu Corbeil mit den Namen Chlodwigs und der Chlo - tilde, indeß weiſen uns nicht wenig Merkmale wirklich noch auf die den Karolingern vorausgehende Periode. Der König trägt noch zu einem nicht grade lang gehaltenen Vollbart ein in reichen272. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.Locken weit über die Schultern wallendes Haupthaar und auf demſelben einen einfachen mit Perlen und Steinen beſetzten Kro - nenreif. Eine doppelte Tunica, die obere mit weiten Aermeln, umhüllt den über das Maß langgeſtreckten Körper und fällt auf die Füße in Falten, aus denen die Spitzen reichgeſchmückter Schuhe hervorſehen; um die Tunica herum zieht ſich von der lin - ken Hüfte ſchräg herab ein breiter, mit Edelſteinen beſetzter, wahr - ſcheinlich goldener Streif. Von den Schultern herab, auf der rechten befeſtigt, fällt der Mantel, mit einem Saum umzogen. Die Verzierung tritt überall breit und mächtig auf, iſt aber in einer völlig dem Stil dieſer Zeit entſprechenden einfachen Weiſe gehalten. Die Königin Chlotilde, wie die andere Statue benannt wird, hat das Haar über der Mitte der Stirn geſcheitelt und dann zu beiden Seiten in je zwei Zöpfe zuſammengefaßt, welche mit einem Band verflochten über die Schultern nach vorn bis über die Kniee herabfallen. Auf dem Haar liegt ein leichter Schleier, der das Geſicht frei läßt, und darauf ſitzt ebenfalls ein mit Per - len und Edelſteinen beſetzter einfacher Kronenreif. Das Kleid ſchließt ſich in deutſcher Weiſe, der römiſchen Tunica völlig un - gleich, am Körper den Formen eng an, die es markirt hervortre - ten läßt, nur von den Hüften abwärts fällt es faltig herunter; die Aermel, reich umſäumt und am Saum mit leichtem krauſem Stoff eingefaßt, ſind außerordentlich weit und offen. Enge, an - ſchließende Aermel hat übrigens das nur hier ſichtbare Unterkleid. Die Hüften umſpannt ein breiter Gürtel, der doppelt umwunden iſt und deſſen lange Enden, durch einen Knoten zuſammengebun - den, vorne tief herabfallen. Der Hals iſt mit Schmuck und Zickzackſtickerei am Saum des Kleides außerordentlich reich ver - ziert. Die Schuhe ſind von derſelben Art wie die Chlodwigs. Der Stoff des Kleides iſt, nach dem Faltenwurf zu ſchließen, die feinſte Leinwand.

Der Reichthum und die ſtolze Pracht dieſer Kleidung neben ſo viel Barbarismus bringt uns ganz die Zeit in Erinnerung, als die Franken, bisher arm und dürftig gekleidet, mit unedlem Bronceſchmuck behängt, Herren des großen und reichen Galliens28I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.wurden, nun ihre Schatzkammern mit Gold füllten, goldene Ge - fäße in Maſſen auf die Tiſche ſetzten, während ſie, den üppigen Römer nachahmend, mit Roſen Tafel und Gemach beſtreuten und mit Epheu die Wände bedeckten. Und unter all dieſen Zeichen eines weichlichen, ſchwelgeriſchen, erſchlafften Lebens ließen ſie in ungebändigter Kraft ihre barbariſchen Leidenſchaften toben. Dieſe gewaltigen Frauen, die mit ihrer unbezähmbaren Rachſucht, mit ihrem Haß, ihrer Sinnlichkeit und ihrer unmenſchlichen Grau - ſamkeit ſo mächtig in die Geſchichte eingreifen, ſie tragen in ihrem Aeußern das Bewußtſein ihrer glanzvollen Stellung; ſie prahlen mit ihrem Stolz; ſie prunken mit ihrem Reichthum; ſie ſchmücken ſich und überladen ſich mit ihren Schätzen; ſie ſind eitel, aber nie in kleinlicher Weiſe. So zieht die Gemahlin eines fränkiſchen Großen über die Straße, wenn ſie geht in der Kirche die Meſſe zu hören: hoch zu Roß, mit prächtigem Geſchmeide und koſtba - ren Edelſteinen geziert und bedeckt mit ſchimmerndem Golde, und vor ihr her gehen etliche ihrer Diener und andere folgen ihr. Als Rigunthe, die Tochter König Chilperichs und Fredegundens, zu ihrem Verlobten, dem Weſtgothenkönig, geſchickt wurde, gab ihr die Mutter allein aus ihren eigenen Schätzen eine ungeheure Menge Gold, Silber und Kleider mit; auch die übrigen Franken brachten Geſchenke dar, einige Gold, andere Silber, manche Pferde, ſehr viele auch Kleider; jeder gab nach ſeinem Vermögen eine Gabe. Die Menge der Sachen war ſo groß, daß es funfzig Laſtwagen bedurfte, um alles fortzuſchaffen. Als ſie ſich nun mit ihrem Gefolge der gothiſchen Gränze näherte, wurde Halt ge - macht, nicht bloß um von der Reiſe auszuruhen, ſondern es ſtell - ten ihr auch die Ihrigen vor, daß die Kleider ſchmutzig ſeien, die Schuhe abgeriſſen, der Schmuck für die Pferde und die Wagen noch auf den Packwagen und nicht zur Stelle; man müſſe erſt das alles in Ordnung bringen, um die Reiſe fortſetzen und mit geziemender Eleganz vor ihrem künftigen Gemahl erſcheinen zu können, denn wenn ſie in ſo abgeriſſenem Zuſtande bei den Go - then ankämen, würden ſie von denſelben verhöhnt werden. Aber dieſe Mühe war umſonſt. Wie es in jenen habſüchtigen Zeiten292. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.zu gehen pflegte, bei dieſem Halt wurde Rigunthe von ihren eige - nen Verwandten überfallen und aller Schätze beraubt. Selbſt in das ſtille Kloſter der heiligen Radegunde zu Poitiers war zu allerlei weltlichem Lärm und Streit, der bis zum Blutbade führte, auch die Putzſucht eingeriſſen, und es hatte großes Aergerniß ge - geben, daß die Aebtiſſin ihrer Nichte einen purpurbeſetzten Man - tel von ſchwerſeidenem Stoff, wie man ihn ſonſt zur Altardecke braucht, hatte machen laſſen, und ein Diadem oder eine Stirn - binde mit goldenen Blättchen verziert.

Noch einige weitere ergänzende Mittheilungen gewährt uns aus den Sagen der Frankenkönige die ſchöne Erzählung von der Brautwerbung Chlodwigs um die burgundiſche Chlotilde, welche uns mitten in das Leben und die Häuslichkeit einer Königstoch - ter unter den Gräueln der damaligen Herrſcherfamilien einführt. König Gundobad, der Oheim der Chlotilde, hatte alle ihre Ge - ſchwiſter und Verwandte ſeiner Herrſchſucht zum Opfer fallen laſſen und mußte darum in einem ſo mächtigen Schwager wie Chlodwig den künftigen Rächer fürchten. Dieſer nahm daher ſeine Zuflucht zur Liſt und ſchickte im Geheimen ſeinen Getreuen, den Aurelianus, mit ſeiner Bewerbung an die Prinzeſſin ſelbſt. Und als ſie nun an einem Sonntag zur Meſſe ging, legte Aure - lianus ärmliche Kleider an und ſetzte ſich vor dem Armenhaus bei der Kirche mitten unter den Bettlern nieder. Als die Meſſe been - det war, fing Clothilde nach gewohnter Weiſe an unter die Ar - men Almoſen zu vertheilen und legte auch Aurelian, der ſich wie ein Bettler ſtellte, als ſie an ihn kam, ein Geldſtück in die Hand. Er aber küßte die Hand der Jungfrau und zog vorſichtig ihr den Mantel zurück. Darnach ging ſie in ihr Gemach und ſandte eine Magd aus, ihr den Fremdling zu rufen. Da nahm er den Ring und die andern Brautgaben König Chlodwigs und ſteckte ſie heimlich in einen Sack. Chlotilde ſprach zu ihm: Sage mir, junger Mann, warum ſtellſt du dich wie ein Bettler und zogſt mir doch den Mantel zurück? Er antwortete: Laß, ich bitte dich, deinen Knecht unter vier Augen mit dir reden. Sie ſagte: Sprich nur. Da hub er an: Mein Herr, der Frankenkönig30I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Chlodwig, ſchickt mich zu dir, er wünſcht ſich dir zu vermählen und dich zu ſeiner Königin zu machen. Sie empfing dann den geſammten Brautſchmuck. Sie nahm auch den Ring, den Chlod - wig ihr durch Aurelian geſchickt hatte, und verwahrte ihn in der Schatzkammer ihres Oheims. Sie hieß ihn alsdann König Chlod - wig ſeinen Gruß erwiedern und ihm ſagen: Eine Chriſtin darf ſich nicht einem Heiden vermählen, ſei daher auf der Hut, daß Niemand von dieſer Sache erfahre. Aber wie mein Gott und Herr, den ich vor aller Welt bekenne, es will, ſo ergehe es. Gehe nun hin in Frieden. Da kehrte Aurelian zurück und meldete dies dem Könige.

In der Zeit der Karolinger begleitete die großen Erfolge des fränkiſchen Reichs ein ſtets wachſender und allgemeiner wer - dender Luxus und zunehmender Glanz des Aeußeren. Zwar Karl der Große ſelbſt ſcheint für ſeine Perſon kaiſerlichen Prunk verſchmäht zu haben, denn er ging für gewöhnlich in der Landestracht ſeiner Franken einher. Nach den Mittheilungen ſei - nes Biographen Einhard trug er, wie ſie, den ſeinem Volke eigen - thümlichen Schnurrbart bei glatt geſchornen Wangen und Kinn, und das kurz gehaltene, auf der Stirn meiſt in grader Linie abge - ſchnittene Haar: mit dem Untergange der Merovinger waren die einzigen Locken aus der fränkiſchen Nation verſchwunden. Am Leibe trug er den uns ſchon als fränkiſch bekannten engen, anſchließenden Rock, doch unter demſelben noch ein leinenes Hemd; der Rock war ebenfalls von Leinwand, aber am obern und untern Saum und desgleichen vorn von oben nach unten herunter mit ſeidenen Streifen beſetzt. Die Beine waren mehrfach geſchützt, erſt durch leinene Unterkleider, dann durch eine Hoſe, welche von unten her bis zum Knie mit Binden reichlich umwunden war. Schuhe be - deckten die Füße. Ueber dem Rock trug er einen meergrünen, wollenen Mantel von ziemlicher Länge und an der Seite ſtets ein Schwert mit ſilbernem und goldenem Griff und Gehenk.

In dieſer Weiſe hatte ſich bis dahin die männliche Tracht der Franken und, einige Abweichungen bei den Sachſen ausge - nommen, auch des übrigen Deutſchlands entwickelt und wurde312. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.in ſolcher Geſtalt von den Zeitgenoſſen gegenüber der römiſch - italiſchen und beſonders der griechiſchen als eine nationale in Anſpruch genommen. Sie war es aber nicht mehr völlig, denn in dem kurzen Haupthaar, in der Beinbekleidung, vielleicht auch im Schnitt des Mantels ſind römiſche Einflüſſe nicht mehr zu verkennen, ſodaß der Hauptunterſchied wohl nur noch in der Enge und Weite, Länge und Kürze der Tunica beſtand. Es hatte ſich bis ins vorige Jahrhundert in Rom ein Moſaikbild Karls des Großen erhalten, welches für gleichzeitig gilt und das Ge - ſagte beſtätigen dürfte. Hier trägt er einen Rock, der ſich wenig von der römiſchen Tunica unterſcheidet: nur an den Aermeln iſt er eng, am Körper weit und faltig und über den Hüften in der Art gegürtet, daß ein kleiner Bauſch über den Gürtel herabfällt; er reicht nicht völlig bis zum Knie. Der Mantel iſt weit und fließend, auf der rechten Schulter durch eine Agraffe befeſtigt, daß die goldbeſäumten Seiten ſenkrecht vorn und hinten herab - fallen würden, wenn er nicht nach gewöhnlicher Sitte über dem linken Arm in die Höhe genommen wäre. Um die Schultern legt ſich eine breite Kette, beſtehend aus quadratiſchen, mit Edelſtei - nen beſetzten Goldplatten, die wie Glieder an einander geſetzt ſind; gleiche, doch feinere Ketten umſpannen die Beine unter dem Knie; die Waden ſind mit Binden umwunden. Der Charakter der Beinbekleidung und der Schuhe iſt nicht zu beſtimmen. Auf dem kurzgeſchnittenen Haar trägt er eine breite, etwas ſpitz in die Höhe gehende Mütze, ungefähr in der Form der älteſten Mitra. Wangen und Kinn ſind glatt, der Schnurrbart aber ſtark. An der Seite trägt er ein breites Schwert. Nur zwei Mal ſoll er nach Einhards Verſicherung, und zwar in Rom auf Bitten der Päpſte, die fremdländiſche Kleidung, d. h. wohl den griechiſchen Kaiſerornat, angelegt haben.

Im Winter legte der Kaiſer über den Rock noch einen an - dern kürzeren an, der aus Seehunds - und Marderfell zuſammen - genäht war und Schultern und Bruſt vor Kälte ſchützte. Des Morgens pflegte er in einem langen und ſchleppenden Gewande, noch im Negligé, zur Meſſe zu gehen, deren Feier alles zum Hofe32I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.gehörige Perſonal von Geiſtlichen und Weltlichen beiwohnen mußte; und es verlangte die Hofordnung, daß die erſteren in vollem Ornate in der Vorhalle ſtehend den Kaiſer erwarteten, wie er in feierlichem Zuge erſchien. Nachdem die Morgenhymnen ge - ſungen waren, kehrte er in ſeine Zimmer zurück, und während er ſich dann für den Tag ankleidete, ließ er nicht allein ſeine Freunde vor, ſondern machte Rechtshändel ab und beſorgte ſonſt in dieſer Stunde die Aufträge an ſeine Beamten für die Tagesgeſchäfte. Man ſieht, ſeine Toilette konnte nicht mehr ganz einfach ſein, die Umſtände erinnern ſogar an das berühmte Lever Ludwigs XIV.

Staat und Prunk und Etikette waren übrigens keineswegs vom fränkiſchen Hofe verbannt. Wie die kaiſerlichen Pfalzen zu Aachen, zu Ingelheim, zu Nimwegen wahre Prunkgebäude wa - ren, barbariſch auferbaut aus zuſammengerafften Denkmälern al - ter Kunſt, die man mit großer Mühe aus Italien herbeigeſchafft hatte, von innen und außen mit Marmorſäulen und reich orna - mentirten Capitälen geſchmückt, mit ſteinernen und ehernen Sta - tuen und Reliefs geziert, groß und geräumig, mit Höfen und Hallen: ſo bildeten auch die prächtig gekleideten Diener, die Höf - linge und die Großen des Reichs die paſſendſte Staffage, in pur - purnen, goldbordirten, mit feinſtem Pelz verbrämten Kleidern von den koſtbarſten Stoffen, mit edlen Steinen bedeckt. Und ſo war der große Kaiſer, wie er an Länge und Hoheit alle überragte, in ſeiner äußern Erſcheinung der einfachſte am Hofe. Wenn es aber galt des Reiches Herrlichkeit zu zeigen, wenn fremde Ge - ſandten Audienz erhielten, oder der Kaiſer an hohen Feſttagen ſeine Getreuen empfing, da trug er ein mit Gold durchwirktes Kleid, mit Edelſteinen beſetzte Schuhe, den Mantel mit goldener Spange und auf dem Haupt eine goldene, mit Edelſteinen be - ſetzte Krone. Da prunkte er auch gern mit den Großen ſeines Hofes und ſeines Reiches und vorzüglich mit der Schaar ſeiner ſchönen und blühenden Kinder. Als einſt die griechiſchen Geſand - ten zum Kaiſer kamen, ſo berichtet der Mönch von St. Gallen, da empfing er ſie ſtrahlend wie die Sonne beim Aufgang, mit Gold und edlen Steinen geſchmückt. Von allen Seiten umgab332. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.es ihn wie die himmliſchen Heerſchaaren, nämlich ſeine drei jun - gen Söhne, die ſchon am Reiche Theil erhalten hatten, und die Töchter mit ihrer Mutter, nicht weniger mit Weisheit und Schön - heit als mit Geſchmeide geziert.

So ſcheint es, verſtanden auch die Damen des fränkiſchen Hofes die Kunſt der Repräſentation und wußten den nöthigen Glanz zu entfalten, wenn auch gewöhnlich der ſtrenge und bür - gerlich haushälteriſche Vater die königlichen Töchter, die im Reich der Liebe keineswegs unerfahren waren, nöthigte, ſich mit Woll - arbeiten abzugeben und mit dem Spinnrocken zu beſchäftigen, da - mit ſie ſich nicht an Müßiggang gewöhnten. Darum aber waren ſie keineswegs von den Freuden und Vergnügungen der großen Welt ausgeſchloſſen, wie denſelben in jener Zeit Prinzeſſinnen und überhaupt die Damen des Mittelalters oblagen. Es herrſchte am Hofe Karls ein leichter, ſpäter ſelbſt ein leichtfertiger Ton. Zwar wurden die Töchter mit ihren Brüdern in den Wiſſenſchaf - ten unterrichtet, aber ſie lernten auch reiten, waren ſtets bei Tafel und wie wir geſehen haben, bei den Audienzen fremder Geſand - ten zugegen; ſie nahmen auch Theil an den großen Hofjagden und erſchienen dabei zu Pferde, in vollem Staat mit einem Ge - folge von Damen und Cavalieren, würdig kaiſerlicher Prinzeſſin - nen. Einen ſolchen Jagdauszug ſchildert Angilbert in ſeinem Lobgedicht auf Karl den Großen in längeren Verſen, welche für uns des Intereſſanten ſo viel bieten, daß wir uns nicht verſagen können, die ganze Stelle hier wieder zu geben, indem wir uns den pompös geſpreizten Verſen des Originals möglichſt treu an - ſchmiegen:

Drauf die Königin tritt hervor aus dem hohen Gemache
Endlich nach langem Verzug, umgeben von großem Gefolge,
Lutgard, ſie des erhabenen Karls reizvolle Gemahlin.
Blendend leuchtet der Nacken im Streit mit der Farbe der Roſen,
Und das umwundene Haar weicht nimmer dem Glanze des Purpurs;
Binden, in Purpur gefärbt, umſchlingen die ſchneeigen Schläfen;
Goldene Fäden befeſt’gen den Mantel; vom Haupte erglänzet
Edelgeſtein, und es funkelt mit goldenen Strahlen die Krone,
Und von Linnen das Kleid, in Purpur doppelt getauchet,
Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 334I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Auch der blendende Hals hell funkelt von mancherlei Steinen.
Mitten im Kranze der Damen, der reizenden, trennt ſie die Schaaren,
Steigt auf das prächtige Roß, und unter dem Adel, dem ſtolzen,
Und der Jünglinge Schaar vorleuchtet der Königin Hoheit.
Draußen den Sprößling des Königs erwartet die übrige Jugend
Männlicher Schönheit voll. Von ſtattlichen Reitern begleitet,
Eilt Karl endlich hervor, der vom Vater den Namen erhalten,
Auch an Antlitz und Geiſt ihm völlig ähnlich geboren,
Steigt auf das muthige Pferd, in gewohnter Weiſe es lenkend.
Dieſem nun folget des Königs Pipin gleichnamiger Enkel,
Der mit Glück und Geſchick für den Vater die Kriege geführet,
Mächtig im Kampf, ein muthiger Held und tapfer in Waffen;
Unter der Schaar der Seinen erglänzt er als ſtattlicher Führer.
Rings von unzähliger Meng umgeben, ſo macht er ſich ſichtbar,
Hoch auf ſtattlichem Roß, mit leuchtendem Auge und Antlitz,
Und mit dem röthlichen Golde die glänzende Stirne umwunden.
Schwärmend ergießt ſich die Schaar der Begleiter in wirbelndem Kreiſe
Durch die geöffneten Thore; es müht ſich das hohe Gefolge
Eifernd hinauszugehn mit lautem und wirrem Getöſe.
Dumpf erſchallen die Hörner, das Bellen der gierigen Hunde
Füllet die Luft, und der Lärm ſchlägt ſelbſt an die funkelnden Sterne.
Darauf folget ſogleich nun die blitzende Reihe der Damen.
Hoch auf flüchtigem Pferd vor den andern reitet Rhodrudis
Stolz einher, in der Reihe zuerſt, in ruhigem Schritte;
Herrlich auf blondem Haar glänzt purpurn die Binde der Stirne,
Welche von edlem Geſtein hell funkelt in mancherlei Reihen,
Wie auch die goldene Krone, des Hauptes ſtrahlende Zierde,
Und die Spange der Bruſt, die befeſtigt den herrlichen Mantel.
Unter den Reihen der Damen und unter dem Schwarm des Gefolges
Glänzet Bertha ſodann, zahlreich von Mädchen begleitet,
Völlig an männlichem Geiſt, an Haltung und leuchtendem Antlitz
Wie an Stimme und Aug und Charakter vom Vater ein Abbild.
Golden umwindet ein Reif das Haupt von leuchtender Schönheit,
Goldene Schnüre durchſchlingen die blonden, die glänzenden Haare,
Und der ſchneeige Hals trägt ſtolz den köſtlichen Marder.
Auch das Kleid iſt geſchmückt koſtbar mit edlem Geſteine,
Ringsum leuchtend in Reihn, zahllos, mit funkelndem Lichte,
Auch Topaſen darunter, hell blitzend auf goldener Faſſung.
Giſala folget ſodann nach dieſer in blendender Weiße,
Mit jungfräulicher Schaar, goldglänzend, die Tochter des Königs.
Purpurfäden durchziehn des Schleiers zartes Gewebe,
Und das Geſicht und das Haar ſie ſchimmern in ſtrahlendem Lichte,
352. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Blendend leuchtet der Hals, erglühend in roſiger Farbe,
Wie von Silber gemacht die Hand, goldglänzend die Stirne,
Selber das Licht der Sonne beſiegen die feurigen Augen.
Fröhlich das hurtige Roß beſteiget die herrliche Jungfrau,
Ob es auch knirſcht in die ſchäumenden Zügel, ſie eilet
Flüchtig dahin, umdränget vom dichten, unzähligen Schwarme,
Hier der Ritter und dort der Damen auf ſtampfenden Roſſen.
So im wackren Gefolge verlaſſend den glänzenden Söller,
Folgt ſie, das züchtige Mädchen, den Spuren des frommen Beherrſchers.
Dann erſcheint Rhodaide, geſchmückt mit edlem Metalle,
Eilend der jubelnden Schaar voraus in flüchtigem Ritte;
Fuß und Nacken und Haar, ſie ſtrahlen von farbigen Steinen,
Und die Schultern umgiebt, die ſchönen, der ſeidene Mantel,
Reich mit Gemmen geziert, geheftet mit goldener Nadel,
Auf dem blühenden Haupte die Krone mit köſtlichen Steinen:
So wird reiten dahin Rhodaide die herrliche Jungfrau,
Wo Schlupfwinkel ſich ſuchen vor Angſt rauhhaarige Hirſche.
Darauf reitet einher Theodrade mit blühendem Antlitz,
Leuchtender Stirn, und es weichet das Gold dem Glanze der Haare;
Auch der blendende Hals, er ſchimmert von ächten Smaragden,
Fuß und Hände, Geſicht und Wangen und Nacken erglänzen,
Gleich dem Gefunkel der Sterne ſo blitzen die feurigen Augen,
Weithin ſcheinet der Mantel, verbrämt mit dunkelem Rauchwerk,
Sophokles ſchöner Kothurn umfängt ihr die zierlichen Füße.
Dicht umrauſcht ſie gedränget die Schaar hochglänzender Damen,
Langhin ſchimmert im Zuge des Adels geſchmückte Cohorte.
Schneeweiß leuchtet das Pferd und feurig trägt es von dannen
Karls des Gebietenden Tochter, die fromme und herrliche Jungfrau,
Fort vom geweihten Palaſt hinaus zu den ſchattigen Wäldern.
Hildrud reitet zuletzt am äußerſten Ende des Zuges,
Wie es das Loos ihr beſtimmt; und unter den Rittern, den letzten,
Glänzet ſie herrlich hervor, die Jungfrau, mitten im Zuge,
Mäßigt den hurtigen Schritt, und lenkt nach der Richtung des Weges.

Das Bild, welches uns der Dichter in dieſen Verſen aus eigner Anſchauung entworfen hat, iſt gewiß ein glänzendes und würdig eines kaiſerlichen Hofes; von der altgermaniſchen Ein - fachheit iſt, trotz Spinnen und Weben, bei den ſchönen Prinzeſ - ſinnen keine Spur mehr zu erblicken. Auch die Schönheitsbedin - gungen haben ſich bereits feſtgeſtellt: der blendende, roſig ange - hauchte Nacken, die leuchtende Stirn, das goldblonde, glänzende3*36I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Haar, die weiße, blanke Hand, die mit dem Silber verglichen wird, das blühende Incarnat der Wangen, die feurigen, wie Sterne funkelnden Augen, alle dieſe Reize möchten in der begei - ſterten Schilderung des Dichters wenig mehr an die altdeutſchen Wälder erinnern; übrigens dürfen ſie uns auch an einem Hofe nicht Wunder nehmen, der bereits in mehr als einer Beziehung ſeinen Horaz und ſeinen Ovid gefunden hat. Die größte Rolle in der Toilette ſpielt der Schmuck, der, aus edlen Metallen be - ſtehend, an Körper und Kleidung überall hin vertheilt iſt. Gold und Steine blitzen an den Schuhen, goldne Ketten oder Ringe mit Smaragden oder anderem Geſtein umfaſſen Hände, Arme und Hals, eine gleiche Spange hält den Mantel auf der Bruſt, goldene Borten, mit Steinen beſetzt, umſäumen Kleid und Mantel oder überziehen ſie von oben nach unten, goldne Schnüre ſchlin - gen ſich durch die Haare, in denen Edelſteine blitzen, goldene Binden, goldgeſtickte Schleier, goldene Kronen oder Diademe alles mit Edelſteinen beſetzt glänzen darauf, und ſelbſt des Jünglings Stirne umzieht die goldene Königsbinde. Auch die Stoffe ſind koſtbar geworden, die Kleider ſind von der feinſten Leinwand, als welche die byzantiniſche galt, doppelt in Purpur getaucht, der Mantel von heller Seide, unterfüttert oder verbrämt mit ſchwarzem Rauchwerk, der Schleier oder das Kopftuch vom zarteſten Gewebe, mit Purpur oder Goldfäden durchzogen. Als Bedeckung am Halſe dient das koſtbare Marder - oder Zobelfell. Wie das alles aber in Form und Schnitt dem Leibe angeſeſſen, davon iſt ſchwer Rechenſchaft zu geben, da Abbildungen von Frauen erſt mehr als funfzig Jahr ſpäter unſrer Anſchauung zu Hülfe kommen. So können wir nicht beſtimmen, ob die Haare wie ſpäter frei in Locken herunterfielen, oder wie bei der Statue der Königin Chlotilde durch die goldenen Schnüre zu Zöpfen zu - ſammengebunden waren. Das Zweite erſcheint nicht wahrſchein - lich und das Erſte war wenigſtens nicht immer der Fall, da das Haar der Königin aufgebunden genannt wird; und da der Dich - ter den Glanz und die Farbe der Haare immer als beſondere Schönheit hervorhebt, ſo konnten ſie auch von den Binden und372. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.Schleiern nicht völlig verdeckt werden. In den Kleidern erkennen wir die Grundformen wieder, das lange, angezogene Kleid, und den um die Schultern gelegten Mantel, welcher auf der Bruſt durch die goldene Spange, einen breiten, brocheähnlichen Schmuck, mit einer Nadel zuſammengehalten wird. Dadurch daß noch ein feineres Unterkleid, gleich dem Hemd des Mannes, an - gezogen werden konnte, tritt keine Aenderung ein, ſo lange das obere allein ſichtbar blieb. Ob ſchon damals, wie ſpäter, Länge und Kürze, Weite und Enge, namentlich an den Aermeln, beide unterſcheiden ließ, iſt aus Mangel bildlicher Quellen nicht zu be - ſtimmen.

Die Tracht der übrigen Franken war formell keine andere wie die des königlichen Hauſes, nur die größere oder geringere Koſtbarkeit der Stoffe, das Mehr oder Weniger des angewandten Reichthums begründete Unterſchiede unter den Ständen. Karl der Große ſelbſt trug mit Abſicht die Kleidung ſeines Volks, und dieſe wird vom St. Galler Mönch in einer den Mittheilungen Einhards völlig entſprechenden Weiſe geſchildert. Die Tracht der alten Franken er meint die zur Zeit Karls des Großen leben - den beſtand in Schuhen, die außen mit Gold verziert und mit drei Ellen langen Riemen verſehen waren, mit ſcharlachnen Binden um die Beine und darunter leinenen Hoſen, obwohl von derſelben Farbe, doch in kunſtreicher Weiſe bunt gemacht (gemu - ſtert). Ueber dieſe und die Binden verbreiteten ſich kreuzweiſe, innen und außen, vorn und hinten, jene langen Schuhriemen. Dann ein Rock von Glanzleinwand und darüber das Wehrge - henk mit dem Schwerte. Das letzte Stück des Anzugs war ein grauer oder blauer Mantel, viereckig, doppelt und ſo geformt, daß, wenn er auf die Schultern gelegt wurde, er vorn und hin - ten die Füße berührte, an den Seiten aber kaum die Kniee be - deckte. Dann trugen ſie in der Rechten einen Stab von einem graden Baumſtamm, mit gleichmäßigen Knoten, ſchön, ſtark und ſchrecklich, mit einem Handgriff von Gold oder Silber, mit ſchö - ner, erhabener Arbeit verſehen. Dieſe ziemlich langen Mäntel von dickem Wollſtoff lieferten unter dem Namen frieſiſche die38I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.ganzen nördlichen Niederlande. Ihr Ruf, der ſich durch das Mit - telalter erhielt, war ſo bedeutend, daß ſie ſich unter den Geſchen - ken befanden, welche Karl der Große an Harun al Raſchid ſchickte als Vergeltung für die ſchönen und feinen ſarazeniſchen Stoffe. Auch ſonſt kommen ſie in der Geſchichte vor, und der Name hat ſich beim dicken, langhaarigen Wollſtoff noch bis auf den heutigen Tag erhalten. Man hatte ſie von allen Farben. Im Verkehr mit den Galliern aber, die mit den Franken im Heere gemiſcht waren, ſo erzählt der Mönch weiter, ließen ſie aus Freude am Neuen von der alten Sitte ab und fingen an jene nachzuahmen, die mit purpurnen Kriegsmänteln glänzten. Der ſtrenge Kaiſer ließ das einſtweilen geſchehen, weil ihm jene Klei - dung für den Krieg zweckmäßiger erſchien. Als er aber bemerkte, daß die Frieſen, dieſe Nachſicht mißbrauchend, jene kurzen Män - tel zu demſelben Preiſe verkauften wie früher die ganz großen, da befahl er, daß niemand von ihnen etwas anderes kaufen ſolle als jene ganz großen, überaus langen und weiten Mäntel und fügte noch hinzu: Wozu ſind dieſe Lappen gut? Im Bett kann ich mich nicht mit ihnen zudecken, zu Pferde kann ich mich nicht ge - gen Wind und Regen ſchützen, und wenn mich ein Bedürfniß der Natur ankommt, verfrieren mir die Beine.

Das kurze galliſche Mäntelchen war nicht das Einzige, worin die tapfern Krieger Karls ihre Nachahmungsſucht und ihre Eitel - keit zeigten. In Italien hatten ſie ganz andere Dinge kennen lernen und nicht ermangelt, ſich damit zu ſchmücken, während der einfache Kaiſer ſich immer treu blieb. Unſer geſchwätzige Mönch weiß davon eine gar hübſche Geſchichte zu erzählen: Als einſt Karl, der rüſtigſte unter den rüſtigen Franken, in einer Gegend des nördlichen Italiens wegen der Einſetzung eines Biſchofs län - gere Zeit verweilte, da ſagte er an einem Feſttage nach der Feier der Meſſe zu den Kriegern: Um nicht in Müſſiggang hinlebend der Trägheit zu verfallen, laßt uns auf die Jagd gehen, bis wir etwas erbeuten, und laßt uns alle in der Kleidung ausziehen, die wir jetzt anhaben. Es war aber ein kalter Regentag, und392. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.Karl ſelbſt hatte einen Schafspelz an von nicht viel größerem Werth, als jener Mantel des heiligen Martin, mit welchem an - gethan dieſer mit bloßen Armen Gott das Opfer unter göttlichem Beifall dargebracht haben ſoll. Die Uebrigen aber gingen, da Feſttage waren und ſie grade von Padua kamen, wohin eben Venetianer von jenſeit des Meeres alle Reichthümer des Oſtens gebracht hatten, gekleidet in Häute phöniziſcher Vögel, welche weichen Flaum hatten mit Seide eingefaßt, dann geziert mit der Hals - und Rückenhaut und den Schwanzfedern der Pfauen, und mit tyriſchem Purpur oder orangefarbenen Streifen beſetzt, andre in Marder - oder Hermelinfelle gehüllt: ſo durchſtreiften ſie den Wald, und zerfetzt von Baumzweigen und Dornen, vom Regen durchnäßt, auch durch das Blut der Thiere und die friſch abgezogenen Häute beſchmutzt, kehrten ſie zurück. Da ſprach der liſtige Karl: Keiner von uns ziehe ſeinen Pelz aus, bis wir zum Schlafen gehen, damit er auf unſerm Leibe beſſer trocknen könne. Nach dieſem Befehl ſorgte jeder mehr für ſeinen Leib als ſein Kleid und ſuchte ſich überall ein Feuer, um ſich zu erwär - men. Bald aber zurückkehrend und im Dienſt des Herrn bis tief in die Nacht verweilend, wurden ſie endlich nach Haus entlaſſen. Und da ſie nun anfingen die feinen Felle oder die noch dünneren Seidenſtoffe auszuziehen, machten ſich die Brüche der Falten und Nähte weithin hörbar, wie wenn man dürres Holz zerbricht, und und ſie ſeufzten und jammerten und klagten, daß ſie ſoviel Geld an einem einzigen Tage verloren hätten. Vom Kaiſer aber erhiel - ten ſie den Befehl, ſich ihm am nächſten Tage wieder in demſel - ben Pelze vorzuſtellen. Das geſchah, und da nun alle nicht in ſchönen Gewändern glänzten, ſondern von Lumpen und farbloſer Häßlichkeit ſtarrten, ſo ſprach der verſtändige Karl zu ſeinem Käm - merer: Nimm jetzt meinen Pelz und bring ihn uns vor Augen. Unverſehrt und glänzend wurde er hereingebracht, und er nahm ihn in die Hand, zeigte ihn allen Anweſenden und ſprach: O ihr thörichtſten aller Menſchen, welches Pelzwerk iſt nun koſtbarer und nützlicher, meines hier, das ich für einen Schil - ling gekauft habe, oder eure da, welche nicht nur Pfunde, ſondern40I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.viele Talente gekoſtet haben? Da ſchlugen ſie die Augen nieder und mochten nicht ſeinen ſchrecklichen Blick ertragen.

Solcher Luxus, den ſeine Großen trieben, hat denn auch den Kaiſer wohl zu dem erſten Aufwandgeſetz (vom Jahr 808) veranlaßt, welches in Deutſchland gegeben worden iſt. Dieſes ſetzte als höchſten Preis für den feineren doppelten, d. h. wohl gefütterten Mantel 20 Solidus feſt, 10 aber für den einfachen; ein mit Marder - und Fiſchotterfellen beſter Qualität gefütterter Rock durfte nicht mehr als 30 Solidus koſten, wenn aber mit feinerem Zieſelmaus (sismusinus-spermophilus citullus. Leu - nis. ) gefüttert, nur 10. Für das Uebertreten dieſer Beſtimmun - gen waren Geldſtrafen feſtgeſetzt: 40 Solidus, welche dem Ge - richt erlegt werden mußten, und 20, welche der Angeber erhielt.

Als der große Kaiſer ſeinen letzten Gang, den ins Grab, antrat, folgte ihm dahin ein großer Theil des ſchweren Luxus, den er im Leben zu meiden geſucht hatte. In all der Pracht und Herrlichkeit, wie er in die Geſchichte und in die Sage übergegan - gen iſt, wurde er beſtattet. Und Karl ward begraben zu Aachen, ſo erzählt der Chroniſt, in der Kirche der heiligen Mutter Got - tes, die er ſelbſt erbaut hatte. Sein Leib aber wurde einbalſa - mirt und auf goldenem Stuhle ſitzend im Grabgewölbe beſtattet, umgürtet mit goldenem Schwerte, ein goldenes Evangelienbuch auf den Knieen in den Händen haltend, die Schultern rückwärts in den Stuhl gelehnt, das Haupt ſtattlich erhoben, und mit gol - dener Kette das Diadem darauf befeſtigt. Und im Diadem war ein Stück Holz vom heiligen Kreuz eingelegt. Und ſie erfüllten ſein Grab mit Wohlgerüchen, Spezereien, Balſam, Moſchus und vielen Schätzen in Gold. Sein Leib ward mit kaiſerlichen Ge - wändern bekleidet und mit einem Schweißtuch unter dem Diadem ſein Antlitz bedeckt. Ein härenes Kleid, wie er es heimlich immer getragen hatte, wurde ihm um den Leib gelegt und über den kai - ſerlichen Gewändern ihm die goldene Pilgertaſche umgehängt, die er auf dem Weg nach Rom zu tragen pflegte. Das goldene Scep - ter und den goldenen Schild, den Papſt Leo geweiht hatte, ſtellte man ihm zu Füßen; hierauf ward ſein Grab geſchloſſen und ver -412. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.ſiegelt. Er ward aber von den Biſchöfen mit dem heiligen Oel geſalbt, mit dem heiligen Abendmahl verſehen, und nachdem alles beſorgt war, empfahl er ſeinen Geiſt dem Herrn und ſtarb in Frieden im Jahr 814 ſeit der Menſchwerdung unſers Herrn Jeſu Chriſti. Und für ihn regiert ſein Sohn, der glorreiche Ludwig, unter der Leitung unſeres Herrn Jeſu Chriſti, dem ſei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Dieſer glorreiche Kaiſer Ludwig, genannt der Fromme, wie wenig er auch ſonſt ſeinem Vater glich, folgte ihm doch in ſeinen Grundſätzen in Bezug auf Kleidung und äußern Schmuck. Es ſcheint, als ob ſich hierin am fränkiſchen Hofe zu ſeiner Zeit nichts geändert habe. Auch er trug ſich einfach in der Weiſe des Volks, feſtliche Tage und feierliche Gelegenheiten ausgenommen. Dann aber trug er außer dem Hemd und der goldgeſtickten Hoſe noch eine goldgeſchmückte Tunica, einen goldenen Gürtel und an der Seite ein mit Gold reich verziertes Schwert, und hatte um die Schultern den golddurchwirkten Mantel hängen; auf dem Haupt trug er die goldene Krone und in der Hand hielt er einen goldenen Stab: alles mit Edelſteinen beſetzt. Bei ſolchen Gele - genheiten, namentlich am Oſtertage, theilte der Kaiſer an die Hofleute und die Dienerſchaft, die ihn für gewöhnlich an Glanz übertrafen, wie es ſchon am Hofe ſeines großen Vaters geweſen war, als Geſchenke mancherlei Kleidungsſtücke aus. So erhielten die Vornehmen Schwertgehenke oder Gürtel oder koſtbare Kleider fränkiſcher Art; Leute von niederer Stellung frieſiſche Mäntel von jeder Farbe, die Stallknechte, die Bäcker, die Köche leinene und wollene Kleider und Meſſer. Auch die Armen wurden dann bedacht, und ſie zogen in weißen Kleidern durch den weiten Hof des Aachener Palaſtes. Als Ludwig im Jahr 816 mit dem Papſt zuſammen kam, ſchenkte er ihm rothe Mäntel und weiße, leinene Kleider; die Diener deſſelben aber erhielten gefärbte Män - tel und enge, an den Körper anſchließende Röcke, nach fränkiſchem Schnitt gemacht.

Eine beſondre Veranlaſſung zu Geſchenken dieſer Art bot die Taufe heidniſcher Fürſten und Männer, ein Ereigniß, welches42I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.am Hofe des frommen Ludwig nichts Seltnes war. Seine Güte wurde aber arg mißbraucht, denn die Dänen, durch die reichen Geſchenke und koſtbaren Gewänder gelockt, kamen in gan - zen Schaaren und unterzogen ſich, dieſelben Perſonen, alljährlich einmal der Ceremonie. Einer von ihnen hatte das ſchon zwanzig Jahre getrieben, da ereignete es ſich einmal, daß die Zahl der Täuflinge zu ſtark war, und der Vorrath der Gewänder nicht mehr zureichte; man zerſchnitt nun beliebigen Stoff und fügte daraus in aller Eile die Kleider grob zuſammen. Da ein ſolches auch jenem Dänen umgelegt wurde, betrachtete er es lange und ſprach dann zum Kaiſer: Schon zwanzig Mal bin ich hier geba - det und jedes Mal mit den beſten weißen Gewändern angethan, und da erhalte ich jetzt einen ſolchen Sack, der ſich nicht für Rit - ter, ſondern für Sauhirten paßt, und ſchämte ich mich nicht mei - ner Blöße, wenn ich, meiner Kleider beraubt, mich mit den von dir gegebenen nicht bedecken wollte, ſo würde ich dein Gewand dir und deinem Chriſtus überlaſſen. Zur Taufkleidung ge - hörte ſtets ein weißes leinenes Kleid, für Männer wie für Frauen, welches der Pathe oder die Pathin dem Täufling nicht bloß ſchenkte, ſondern auch ſelbſt anlegte. Nach der Taufe aber erfolgte im Palaſte die eigentliche Beſcherung, welche Hermoldus Nigellus in ſeinem Lobgedicht auf Ludwig den Frommen bei Ge - legenheit der Taufe des Dänenfürſten Herold und ſeiner Ge - mahlin in einer für uns ſehr intereſſanten Weiſe beſchreibt. Wir theilen darum die Stelle mit:

Herold, in weißem Gewand und im Inneren wiedergeboren,
Geht in das ſtattliche Haus, ſeines Gevatters Palaſt;
Und der erhabene Kaiſer beſchenkt ihn mit herrlichen Gaben,
Wie ſie das fränkiſche Land nur zu erzeugen vermag,
Schenkt ihm den Mantel, geſchmückt mit Edelgeſtein und mit Purpur,
Welchen im Kreiſe herum golden die Borten umziehn,
Hänget das leuchtende Schwert, das er ſelber, der Kaiſer, getragen,
Ihm an die Seite, geſchmückt fürſtlich mit goldnem Gehenk.
Goldene Spangen darauf umſtricken beide die Arme,
Um die Hüften der Gurt leuchtet von edlem Geſtein.
Setzt auf das Haupt ihm auch, wie ſich ziemt, die goldene Krone,
Und an die Füße ſodann legt er den goldenen Sporn.
432. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Ueber den Rücken hinab fällt leuchtend der goldene Mantel,
Handſchuh, weiß und ſchön, hüllen die Hände ihm ein.
Andere Gaben verlieh der Fürſtin die Königin Judith,
Aehnliche, freundlichen Sinns gab ſie das ſchöne Geſchenk,
Nämlich ein Kleid ſo ſtarrend von Gold und edelen Steinen,
Wie Minerva es kaum fertigt mit kundiger Hand.
Golden, mit Steinen beſetzt, umkränzet das Haupt ihr die Binde,
Und ein mächtiger Schmuck decket die chriſtliche Bruſt.
Biegſam legt um den Hals ſich der Ring, von Golde gewunden,
Und die Arme umziehn Spangen, für Frauen gemacht;
Golden, mit Steinen geſchmückt, umſchlinget die Hüften der Gürtel,
Golden, den Rücken hinab fließet der Schleier vom Haupt.
Ebenſo ſchmücket indeß Lothar voll freundlicher Liebe
Herolds Sohn mit Gewand, funkelnd mit Golde verziert.
Auch das Gefolge ſodann legt an nach fränkiſcher Weiſe
Herrliche Kleider, wie ſie gnädig der Kaiſer verliehn.

Dieſe Stelle zeigt uns wieder die übertriebene Anwendung des Goldes und der edlen Steine, die kein Kleidungsſtück, ja keinen ſichtbaren Theil des Körpers verſchonen. Beim Fürſten ſtrahlt davon die Krone, der Purpurmantel, das Schwert, das Wehrgehenk und der Gürtel, die goldenen Sporen glänzen an den Füßen und goldene Ringe umziehen die Arme. Der Fürſtin Schleier und Kopfbinde iſt golddurchwirkt, desgleichen ihr Kleid; den Mantel hält auf der Bruſt der breite Nadelſchmuck, Ringe legen ſich um Hals und Arme und die Hüften umgiebt der mit Gold und Edelſteinen geſchmückte Gürtel.

Auch ſonſt im Leben wurde das Gold bei den fränkiſchen Großen und namentlich bei der hohen Geiſtlichkeit im ausgedehn - teſten Luxus angewendet, in Verbindung mit edlen Steinen. Während herrliche Teppiche und Vorhänge aller Art von mauri - ſcher Weberei die Zimmer ſchmückten, ſaß man auf vergoldeten Seſſeln mit weichen Federkiſſen, vom koſtbarſten Seidenſtoff über - zogen, an Marmortiſchen, auf denen goldene und ſilberne, mit Edelſtein gezierte Gefäße ſtanden. Desgleichen wurden an Pracht - geräthen in den Kirchen große Schätze aufgeſpeichert, an Kelchen, Schalen, Sacramentbehältern, Lampen, Leuchtern u. ſ. w. Aber damit nicht zufrieden, bekleidete man die heiligen Räume ſelbſt44I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.mit edlen Metallen, vergoldete die Altäre, die Eingänge, belegte ſie mit Goldblech; überdeckte ſelbſt die Thürflügel mit Silberplat - ten und die Geſimſe und die Fußböden mit Goldplatten von un - geheurem Werthe. Dieſe mächtige Bedeutung des rothen Goldes , die Luſt an dem blanken Metall iſt auch in die altdeut - ſche Sagenwelt eingedrungen, die ja grade in dieſer Periode der Merovinger und Karolinger ihre Wurzeln treibt. Die Gedanken aber, die ſich hier damit verknüpfen, haben ſich mythiſch vertieft. Nicht die Habſucht iſt es, welche wirkt, nicht der Beſitz allein reizt und treibt zu Kampf und ſchwerem Mord, ein dämoniſcher, tod - bringender Zauber iſt mit ihm verbunden. So heißt es im Vo - luspalied:

Da wurde Mord in der Welt zuerſt,
Da ſie mit Gabeln die Goldkraft ſtießen.

Von den unheimlichen, unterirdiſchen Mächten iſt es heraufge - ſandt an das Licht der Sonne, ein unheilvolles Geſchenk, und wieder nieder muß es, woher es gekommen; in weſſen Beſitz es aber gelangt, der iſt umſtrickt und mit ihm den Geiſtern der Un - terwelt, dem Tode geweiht. Dieſe Rolle ſpielt auch der Nibelun - genhort.

Das gellende Gold, der glutrothe Schatz,
Dieſe Ringe verderben dich.

Drei verſchiedenen Beſitzern, erſt Schilbung und Nibelung und dann Siegfried, bringt der Schatz den Tod, und als ihn Hagen und die Burgundenkönige, die dritten Beſitzer, hinunter ſchleu - dern in die Fluten des Rheins zurück, woher er gekommen, da zieht er auch dieſe nach ſich ins Verderben.

Bei dieſer Luſt an dem puren Glanze des Metalls iſt es na - türlich, daß die Art der Anwendung nach Form und Verzierung von roher, barbariſcher Art war. Reichthum erſetzt den feinen Geſchmack und der blendende Glanz des Stoffes die gefällige Form. Es war die Zeit, als nach Beruhigung der tobenden Wellen der Völkerwanderung die entſetzlichen Leidenſchaften in den Bruder - und Bürgerkriegen der Merovinger ſich ausgetobt hatten, und nun die ungefüge Natur der Franken von der Civi -452. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.liſation, vom Schmuck des Lebens eine Ahnung bekam. Dieſe Nation ſollte jetzt die Erbſchaft des klaſſiſchen Alterthums antre - ten. Reichthum aller Art war vorhanden; in Italien hatten die Römer Jahrhunderte lang die unermeßlichſte Fülle von edlem Metall aufgeſpeichert, und nicht weniges davon war wieder nord - wärts gefloſſen in die Schatzkammern ihrer Beſieger; Maſſen von Kunſtſchätzen fanden ſich zerſtreut über die romaniſirten Länder; ein Reichthum von Ideen, Muſter des Stils und der Rede wa - ren in den Schriften der Alten niedergelegt. All das war noch vorhanden, aber der Deutſche wußte nicht was damit anfangen; er hatte nur die Ahnung, daß darin ein Höheres verborgen läge; das feine Verſtändniß wahrer Kunſt entging dem ungebildeten Geiſte, ihm imponirte nur der Glanz, die Koſtbarkeit des Stof - fes und die Maſſe. Wenn er lateiniſch verſtand und ſchrieb, blieb ihm doch die Schönheit verſchloſſen, welche in der claſſiſchen Ein - fachheit liegt, die Rhetorik ſagte ihm mehr zu mit ihrem Rede - ſchwall, ihrer Uebertreibung, ihren Floskeln und ihrer Armuth an tiefen Gedanken. Da in der That damals eine ungekünſtelte Redeweiſe nicht geſchätzt, ſondern vielmehr für langweilig und nicht leſenswerth geachtet wurde, ſo glaubte er, wenn er ſich nicht im Stande fühlte, in ſchwungvoller Weiſe zu ſchreiben, daß ſein Stil, überhaupt ſeine Kühnheit etwas ſchreiben zu wollen, der Entſchuldigung bedürfe. Darum war man bemüht, die Rede mit ſchönen, wenn auch inhaltsleeren Worten aufzuſtutzen. Beſonders leidet die Poeſie in der Zeit der Karolinger bei innerer Armuth an der Ueberladung mit tönenden Phraſen und geſuchten Ver - gleichen, die nicht ſelten zum Unſinn führen, wie wenn in den oben angeführten Verſen Angilbert das blonde Haar mit dem Purpur vergleicht, welche Farbe in jener Zeit gewöhnlich ein dunkles Violett war, oder wenn er die ſchönen Füße der Rho - daide mit ſophokleiſchem Cothurn bekleidet. Gewiß wirkte auch zum Vorherrſchen der Moſaik vor der gewöhnlichen Tafel - und Wandmalerei derſelbe Geſchmack mit, denn dieſe Kunſtart war theils in Arbeit und Stoff viel koſtbarer, theils hatten die farbi - gen, durchſichtigen Glasflüſſe, welche in den Gründen durch un -46I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.terlegte Folie meiſt vergoldet waren, einen viel wirkungsvolleren Glanz. Auf Formenbildung kam es dabei nicht an, man hatte kein Gefühl dafür, und ſie artete daher, mit der feinen Technik zugleich, alsbald in außerordentliche Roheit aus. Das Erträg - lichſte in dieſer Zeit ſind der Antike entlehnte Motive. Wo es möglich war, wie in der bürgerlichen und kirchlichen Baukunſt, da raffte man die Werkſtücke ſelbſt aus allen Gegenden zuſam - men, wo nur die antike Kunſt ihre Spuren gelaſſen hatte, und ſetzte ſie aufs willkürlichſte wieder zuſammen. So finden ſich an einem und demſelben Gebäude alle Stile vertreten, und die ein - zelnen Theile, Säulenſchäfte, Capitäle, Baſen, Friesſtücke u. ſ. w. aus wer weiß wie vielen Stätten alter Kunſt bunt vereinigt und nothdürftig zuſammengefügt. Gar mancher alter Tempel mag niedergeriſſen, manche Halle und mancher Marktplatz von ſeinen Statuen und Reliefs geplündert ſein, bis die Prachtbauten von Ingelheim, Aachen und Nimwegen vollendet waren. Aber auf Großartigkeit und äußeren Glanz war es in eminenteſter Weiſe abgeſehen, die Koſten nicht geſcheut, und Marmor und Erz und Silber und Gold in Maſſen verſchwendet und alles mit äußerm Schmuck bedeckt. Die Willkür in der Zuſammenſetzung und die Schätzung des bloß äußeren Werthes zeigen ſich am klar - ſten an Kirchengeräthen, von denen manche noch heute erhalten ſind. So wurden Bruchſtücke antiker Vaſen zu Kelchen benutzt. Mit antiken Gemmen, auf denen Venus, die Grazien, ſelbſt in - decente Gegenſtände, Priapen und dergleichen eingeſchnitten wa - ren, verzierte man, ohne im Geringſten an den Gegenſtänden Anſtoß zu nehmen, Reliquienkaſten, Hoſtienbehälter, Abendmahls - kelche und anderes kirchliches Geräth. Den hohen Werth der ge - ſchnittenen Steine hatte man traditionell übernommen; worin er beſtand, dafür hatte man kein Gefühl. Crucifixe, Madonnen und andere Heiligenbilder waren trotz der ſchönſten, überall noch vorhandenen antiken Muſter, die man nur nachzuahmen brauchte, dennoch von der unbeholfenſten Arbeit, ſteif und ungelenk in Hal - tung und Bewegung, von der abſcheulichſten Häßlichkeit, aber in Elfenbein geſchnitten oder in edlem Metall gegoſſen, mit Edel -472. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.ſteinen überdeckt, genügten ſie völlig dem Bedürfniß des Cultus und des gläubigen Gemüthes.

Ein entſprechender Geſchmack herrſcht in der Kleidung. Wie in die Litteratur und in die Kunſt waren auch in dieſe römiſch - griechiſche Elemente eingedrungen, wie wir ſchon oben geſehen haben, und hatten civiliſirend die ererbte Tracht modificirt, ohne jedoch die volle Herrſchaft erlangt zu haben. Aber von altdeutſcher Nacktheit und Einfachheit, die ſelbſt dem Bedürfniß den Trotz der Abhärtung entgegenſetzte, iſt keine Spur vorhanden, ſie iſt viel - mehr bei den Claſſen der Geſellſchaft, wohin die Noth nicht dringt, in ihr Gegentheil umgeſchlagen. Der Körper iſt doppelt und drei - fach von oben bis unten bedeckt und das in einer Weiſe, die, ſoviel wir ſehen können, weder Gefälliges und Reizendes noch Großartiges, weder Maleriſches noch Plaſtiſches hat. Die Ge - wandung läßt weder die Form der Glieder günſtig hervortreten, noch hat ſie etwas Leichtes, Luftiges, Heiteres, noch bietet ſie Gelegenheit zum ſchönen Faltenwurf. Die Binden umziehen un - ſchön die Beine, der enge Leinwandrock iſt größten Theils verbor - gen, und der Mantel liegt platt und flach um den Leib, wenn er nicht auf der einen Seite mit dem Arm in die Höhe genommen iſt, und dann bricht er trockne, faſt parallele, unter ſehr ſpitzen Winkeln in einen Punkt zuſammenlaufende Falten. Nur bei der Tracht der Geiſtlichkeit, welche directer die römiſch-griechiſche Ge - wandung fortſetzt, iſt größerer Fluß der Draperie, aber der vor - herrſchende Gebrauch der Leinwand, welcher ſie nicht zu groß - artiger Entfaltung kommen läßt, geſtattet nur die vielen langen, magern Falten, die parallel eng neben einander herlaufen. Dieſen Stil im Faltenwurf zeigt auch durchweg die gleichzeitige Kunſt. Noch mehr ſpricht ſich die Roheit des Geſchmacks im Orna - ment der Kleidung aus. Wir kennen ſchon zur Genüge die Ueber - ladung mit Gold und Edelſteinen: ſie überziehen die ganze Klei - dung vom Scheitel bis zur Sohle. Die an ſich ſchon wirkungs - vollen Kleider, die in den hellſten oder kräftigſten Farben prun - ken, in Purpur, Scharlach, Hellgrün, Gelb, Blau, werden am Hals und unten, von oben ſenkrecht herab, mehrfach um die48I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Aermel mit breiten Goldſtreifen beſetzt, und dieſen folgen nach der Schnur die Edelſteine einer hinter dem andern in wohlgeſetzter Reihe, höchſtens ſtehen ſie im Viereck oder in ſonſt einer einfachen, regelmäßigen Figur. Von gefälliger Muſterung, vom Wechſel der Linien iſt keine Rede; es offenbart ſich die ärmlichſte Phan - taſie, ein roher Geſchmack, der im bloßen Glanz und in der Koſt - barkeit des Stoffes ſeine Befriedigung findet.

Darüber hinaus iſt auch in dieſer Periode der Schmuck nach der Form und der Weiſe der Verzierung nicht gekommen. In beiden Fällen zeigt ſich nur der gute Wille zu geſtalten und zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas Ganzes zu machen. Es iſt die Zeit, wo römiſch-griechiſche Ein - flüſſe innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzuſtan - des ſich geltend machen, aber nur unverſtanden aufgenommen und unorganiſch verbunden werden. Dieſe Weiſe der Verbindung begann ſchon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und vierten Jahrhundert, ging dann in die chriſtliche Zeit über und hielt ſich, bis ſich in der romaniſchen Kunſt ein wirklicher, künſt - leriſche Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla - dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phantaſie, und Ro - heit der Formen ſind die Eigenſchaften der Schmuckverzierung in der merovingiſch-karolingiſchen Zeit. Die einfache, aber doch zier - liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur ſoweit, daß das Ornament immer noch als flach erſcheint, während das antike im Relief von allen Seiten Profile bot. Die durch römiſchen Einfluß vervoll - kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte dieſen Fortſchritt; das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder geſchnitten, ſon - dern es entſtand ſogleich durch den Guß über das geſchnittene Holzmodell. Ein weiterer Fortſchritt lag darin, daß der Schmuck, der im Ganzen breitere Formen, alſo größeren Flächenraum bot, nicht mehr einfach von der Linie in ihren verſchiedenen Richtun - gen und Windungen bedeckt oder umzogen, ſondern nach ſeiner Fläche erſt in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel - mäßigen oder unregelmäßigen, geometriſchen Figuren in meiſt492. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.völlig willkürlicher Weiſe ohne Ordnung und ohne Schönheit ausfüllte. Antike Elemente des Ornaments, wie elegante Profi - lirungen, zierliche Palmetten, ſtiliſirtes Laubwerk, Perlſtäbe, zei - gen ſich im Ganzen mehr an Gefäßen und Geräthen als am Schmuck. Mäandriſche Motive, Verneſtelungen und Verſchlin - gungen ſtellen ſich namentlich gegen den Ausgang dieſer Periode ein; und indem dann Geſetz und Ordnung in ſie einkehrt, bilden ſie die erſte und anfängliche Grundlage für das Ornament roma - niſchen Stils. Auch Thier - und Menſchengeſtalten dringen bele - bend in das Einerlei der Lineamente ein, in meiſt phantaſtiſcher Weiſe, als die erſten Andeutungen des ſpäter ſo allgemein ver - breiteten Geſchmacks; Habicht und Drache herrſchen noch vor als dem Norden beſonders eigenthümlich. Chriſtliches dagegen, wie das Kreuz, der Fiſch, die Taube, zeigt ſich im Schmuck ſehr ver - einzelt und erſt ſpät. In Bezug auf den Stoff verliert das Erz nicht bloß ſeine Alleinherrſchaft, ſondern es wird auch im Lauf dieſer Jahrhunderte vor dem alles beſiegenden Einfluß des Geldes auf ſeinen wahren Werth herabgedrückt, und dient als Schmuck nur noch der Dürftigkeit. Wie wir in den ſchriftlichen Denkmälern nur edle Metalle erwähnt finden und daneben den Beſatz von Edelſteinen, ſo zeigen auch die Gräber im Vergleich zur vorigen Periode weit reicheren Goldſchmuck entweder in gediege - ner Geſtalt oder von vergoldetem unedleren Metall, verziert mit Edelſteinen oder mit farbigen Glasflüſſen. Das Gold herrſcht in der Weiſe vor, daß man um der Gier willen zu dem rothglühen - den Golde, die das graue, bleiche Silber verſchmäht, das ganze Zeitalter das goldene nennen könnte, im Gegenſatz zu der Zeit des Heidenthums, der ehernen, da noch das Erz, die Bronce, die Stelle der edlen Metalle ſowohl wie des Eiſens vertrat.

Auch in der äußern Form der Schmuckſachen verſchwindet die Spirale, oder erſcheint nur noch in veränderter Behandlung als Ring für Arm und Finger. Statt deſſen werden die Nadeln, die Bruſtſpangen, die Armringe, der Hals - und Haarſchmuck mit dicken, plumpen Knöpfen beſetzt. Für die Bruſtſpangen dieſer Zeit bildet die alte Bogenform die Grundlage, doch ſtatt des zier -Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 450I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.lichen Bügels gewinnt ſie breite Flächen, erſt oben ein viereckiges oder halbkreisförmiges, mit dicken Knäufen umſetztes Feld, dann ein breiter Bügel, an den ſich wieder eine noch breitere, nach unten zu nicht ſelten in einen Schlangenkopf auslaufende Fläche anſetzt. In der Karolingerzeit weicht dieſe Geſtalt mehr der runden, ſchei - benförmigen, die ſich ſtern - oder roſettenartig verziert zeigt.

Die Menge und Mannigfaltigkeit des Schmuckes deutet uns die Stelle aus dem Rudlieb an, wo er, Abſchied nehmend, vom Könige und der Königin reich beſchenkt wird:

Das andre der Gefäße ſchied eine Mittelwand:
Die Hälfte mit Beſanten erfüllt er bis zum Rand;
Mit theuern Kleinoden die andre ward beſchwert,
Perlen, Ringen, Spangen und Geſtein vom höchſten Werth.
Ihre Bruſtſpange legte die Königin hinein
Und dreißig Fingerringe mit blitzendem Geſtein
Und ſchöner Ohrringe mit edlen Perlen acht,
Daß bei des Helden Hochzeit ihrer dankbar würde gedacht.

In dieſe Periode fällt ein ſehr intereſſantes Lied der Edda, das Rigsmal, welches zwar rein nordiſchen Urſprungs iſt, doch inſoweit auch auf die ſüdlichen Stammesgenoſſen Anwendung findet, als es die allgemeinen Anſichten jener Zeit von der äußern Erſcheinung der verſchiedenen Stände, des unfreien Knechts, des freien Bauern und des Edelings, zu erkennen giebt. Eines jeden Beſchäftigung und Stellung thut ſich auch in ſeinem Aeußern kund, in der Kleidung ſowohl wie in der Häßlichkeit oder Schön - heit des Körpers. Das Heidenthum liegt dem Lied noch zu Grunde, aber in chriſtlicher Zeit iſt es wenigſtens umgedichtet und nieder - geſchrieben.

Heimdall, der Aſe, genannt Rigr, macht ſich auf die Reiſe und findet zuerſt am Meeresſtrand ein altes Ehepaar am Feuer ſitzen in üblem Gewand, Ai und Edda. Nach neun Monaten genas Edda eines Knaben, ſchwarz von Haut und Haaren; der wuchs heran und gedieh.

Rauh war das Fell an den Händen dem Rangen,
Die Gelenke knotig (von Knorpelgeſchwulſt),
Die Finger feiſt, das Antlitz fratzig,
Der Rücken krumm, vorragend die Hacken.
512. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.

Da er nun die Kräfte brauchen lernte, Baſt band und Bür - den ſchnürte und Reiſer ſchleppte, da kam zu ihm die Dirne, die Gängelbeinige, mit Schwären am Hohlfuß, die Arme ſonnver - brannt, mit gedrückter, eingebogener Naſe. Von dieſen beiden ent - ſprang das Geſchlecht der Knechte, das die Namen ihrer Kinder, wie z. B. Klump, Klotz, Dickwanſt, Schlappfuß, Krummbuckel, Langbein oder Klötzin, Klumpwade, Schiefbein, Herdnaſe u. ſ. w. hinlänglich charakteriſiren.

Rigr ging weiter und fand ein anderes Ehepaar im eigenen Haus, geſchäftig am Werk, Afi und Amma. Der Mann, mit enganliegendem Rock, mit freier Stirne und geſträltem Bart, ſchälte die Weberſtange.

Das Weib daneben bewand den Rocken,
Und führte den Faden zu feinem Geſpinnſt,
Auf dem Haupte die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Neſteln an der Achſel.

Rigr blieb drei Nächte bei ihnen, und nach neun Monaten genas Amma eines Knaben, rothbackig und rothhaarig, mit hellen, funkelnden Augen. Der wuchs und gedieh, zähmte Stiere, zimmerte Pflüge, ſchlug Häuſer und Scheunen auf, fertigte Wagen und beſtellte das Feld. Da kam zu ihm in den Hof die Verlobte, gekleidet in Ziegenwolle und Linnen, behängt mit Schlüſſeln. Von dieſen entſprang das Geſchlecht der Bauern.

Rigr ging weiter. Da traf er in einem hohen Saal ein an - deres Ehepaar, Vater und Mutter. Der Hausherr war beſchäftigt Bogen und Pfeile herzurichten, die Hausfrau aber ſaß müßig da, beſah die feinen, arbeitsſcheuen Hände, ebnete die Falten ihres Kleides und zupfte den Aermel zurecht.

Im Schleier ſaß ſie, ein Geſchmeid an der Bruſt,
Die Schleppe wallend am blauen Gewand,
Die Braue glänzender, weißer die Bruſt,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.

Als nun die Mutter nach neun Monaten eines Knaben ge - nas, barg ſie ihn in Seide; ſeine Locken waren licht, die Wangen leuchteten und die Augen waren ſo ſcharf, wie die lauernder4*52I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Schlangen. Heranwachſend übte er ſich in den Waffen, im Reiten und Schwimmen, und Rigr lehrte ihn die Runen und hieß ihn Erb und Eigen und Ahnenſchlöſſer beſitzen. Darauf gewann er im ſiegreichen Krieg Ruhm und Herrſchaft. In achtzehn Hallen herrſchte er nun.

Vertheilte die Güter, alle begabend
Mit Schmuck und Geſchmeide und ſchlanken Pferden,
Er ſpendete Ringe, hieb Spangen entzwei.

Dann führten ihm die Edlen die Braut zu, in feines Lin - nen gekleidet, die Gürtelſchlanke, die Adlige, Artige. Von dieſen beiden ſtammen die Fürſtenſöhne, gewandt in ritterlichen Uebun - gen, ergeben dem Würfelſpiel, aber auch kundig der Runen.

[53]

Drittes Kapitel. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente in der Zeit von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis gegen den Beginn der Kreuzzüge.

Die nun folgende Periode der letzten Karolinger und der ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiſer iſt in allen Zweigen der Cultur die Zeit der letzten Klärung und Läuterung, wo die verſchieden - artigen Elemente, welche die Völkerwanderung an einander und durch einander geworfen hatte, ſich ſetzten und zuſammenfloſſen in ein neues, einheitliches Ganze, auf deſſen Grunde erſt ein reiches und vor allem originales Leben, das eigentliche Mittel - alter, erblühen konnte. Bis dahin hatten dieſelben, nämlich das heidniſch-germaniſche, das chriſtliche und das claſſiſch-antike Ele - ment, roh und unorganiſch verbunden und unverſchmolzen neben einander exiſtirt, indem bald dieſes, bald jenes vorherrſchte. So war man in der kirchlichen Baukunſt, in der Anlage und in der ganzen Geſtaltung des Aeußern und Innern bei dem ſtehen geblieben, was die ſpätere Antike überliefert hatte, und nur das Bedürfniß hatte einige auf die Architektur wenig influirende Aenderungen nothwendig gemacht. In allen Einzelheiten galten durchweg ebenfalls die antiken Motive: noch hatte man keinen Verſuch gemacht, nur ein neues Capitäl oder irgend ein architek - toniſches Ornament oder ein neues Profil zu erfinden; indem man aber die Bedeutungen der einzelnen Glieder vielfach ver - kannte, hatte man häufig Unzuſammengehöriges mit einander ver - bunden und die verſchiedenen Stile mit einander vermiſcht. Ar - chitektoniſches, welches heidniſch-germaniſchen Urſprung und Ge -54I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.ſchmack verrieth, zeigte ſich höchſtens an den Holzkirchen des Nor - dens. Auch ſonſt in kirchlichen Dingen, ſoweit ſie von irgend einer Kunſt abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz - werken herrſchte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meiſt unverſtanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher - ter Weiſe angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge - genſtand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuſer oder wie Schmuckſachen, Hausgeräthe, da hatte ſich die Kunſt zwar die antike Technik zu nutze gemacht, aber die germaniſche Weiſe, wie wir ſie beim Schmuck haben kennen lernen, herrſchte vor und hat ſich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For - men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge - nommen.

So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgeſänge der Deutſchen, die unter den letzten Karolingern und ihren mit Ita - lien ſo mannigfach verbundenen Nachfolgern, den ſächſiſchen Kai - ſern, in größerem Maßſtabe auf einige Jahrhunderte in ihrer Mutterſprache faſt ganz verſtummten, waren urſprünglich nicht bloß deutſch nach Sprache und Inhalt, man kann ſie mit ihrer Grund - anſchauung ſelbſt noch als heidniſch bezeichnen. Der Dichter, der ſeine Zeit poetiſch beſchrieb, that es in lateiniſcher Sprache und in lateiniſchen Verſen, als ob es ſich von ſelbſt verſtände. Und derſelben Sprache bediente ſich der Proſaiker unter allen Umſtän - den, obwohl er weit davon entfernt war, claſſiſch zu reden und claſſiſch zu denken. Karl der Große, der ſich ſo ſehr bemühte, die mannigfach vor dem fremden Element erliegende Nationalität zu heben, mußte doch alle ſeine Bemühungen für Bildung und Volks - erziehung lediglich auf die antike Welt und ihre Ueberlieferung gründen, und die chriſtliche Geiſtlichkeit ſpielte dabei den Ver - mittler, der das claſſiſche Heidenthum den Germanen überlieferte. Das Volksleben war durchweg deutſch, ſoweit nicht am Hofe, wo es zu repräſentiren galt, Conſtantinopel und ſein Hofceremoniell zum Vorbild diente, und ſoweit nicht das Chriſtenthum altheid - niſche Bräuche verdrängt hatte. Hier aber ſpielen Heidenthum und Chriſtenthum noch in wunderlicher Miſchung durch einander. Das553. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.letztere war im neunten Jahrhundert ſo ziemlich durch das ganze Deutſchland eingeführt, Kirchen erhoben ſich überall, Mönche drangen in die Wildniſſe vor, ein feſtes, chriſtliches Culturleben zu gründen durch bleibende Anſiedlungen; fleißig und mit Eifer lagen die Deutſchen den Andachtsübungen ob. Wenn aber der Neumond gekommen war, oder ſonſt Tage, die durch der Väter uralten, heidniſchen Brauch geheiligt waren, da ſtiegen ſie, die vielleicht noch am Morgen den Gekreuzigten knieend und mit auf - richtiger Andacht verehrt hatten, beim Dunkel der Nacht auf die Berge, oder gingen ein in das Schweigen des Waldes, zündeten ein Feuer an unter der heiligen Eiche, ſchlachteten ein Roß, goſ - ſen das Blut auf den Boden und tranken und ſchmauſeten unter ſonderbaren Gebräuchen, wie es ihre Vorfahren ſchon vor Jahr - hunderten gethan hatten, lange bevor der erſte Miſſionar die Axt an einen heiligen Baum gelegt hatte.

So ſehen wir, wie im neunten Jahrhundert in allen Dingen das Leben des deutſchen Volkes, ſein ganzer Culturzuſtand, einen bunt zuſammengeſetzten, widerſpruchsvollen Anblick gewährt. Es iſt nicht anders mit der Kleidung. Bis dahin hatten die im Kampf begriffenen germaniſchen und römiſchen Trachten ſich nicht zu einem Ganzen vereinigen können, ſondern ſich meiſt getrennt gehalten, wie ſie denn auch von den Schriftſtellern mit Bewußtſein geſchie - den werden, und nur in Nebendingen hatte die eine die andere modificiren können. Während im Volk, Einzelheiten ausgenom - men, die althergebrachten Formen durchweg vorherrſchten, hatten die römiſchen, wenn auch nur ſtückweiſe, in den höhern Schich - ten mannigfach Boden gefaßt und waren insbeſondere als cere - monielle Tracht die vorzugsweiſe gebräuchliche. Wie nun aber auch in andern Zweigen der Cultur im Verlauf dieſer Periode das Verſchiedenartige mit einander verſchmolz, und daraus ſich im elften Jahrhundert ein ſelbſtſtändiges und eigenthümliches Leben herausbildete, ſo erging es auch dem geſammten Trachtenweſen. Allmählig gehen die charakteriſtiſchen Eigenſchaften beider Ele - mente, unter dem Vorwiegen des römiſchen, zu einem neuen Ganzen zuſammen, und nach allen Schwankungen gewahren wir56I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.im elften Jahrhundert ein feſtes Coſtüm, welches die Grundlage für die reiche Entfaltung der mittelalterlichen Trachten bildet.

Die Hauptkleidungsſtücke bleiben wie bisher der Rock (oder das Kleid) und der Mantel, oder mit lateiniſcher Bezeichnung die Tunica und das Pallium, denn ſowie die germaniſchen Formen ſich dieſen nähern, gehen auch die Namen mehr und mehr auf ſie über. Wenn ſchon Karl der Große und ſeine Hofleute ſich nicht mit einer Tunica begnügten, ſondern wenigſtens ein leinenes Hemd, alſo eine zweite unter der obern trugen, ſo thut das den Hauptunterſchieden keinen Eintrag. Dieſe beſtehen noch immer in der größeren Weite und Länge der römiſchen Tracht. In den nächſten Jahrhunderten aber giebt die deutſche ihre Enge und Kürze auf, und damit iſt in den Kreiſen, die der Noth des Lebens entrückt ſind, die Verſchmelzung vollendet.

Schon Karl der Kahle (geſtorben 877), der jüngſte Sohn Ludwigs des Frommen, verließ die Sitte ſeines Großvaters und ſeines Vaters, welche auch in der Tracht die Nationalität aufrecht zu erhalten bemüht geweſen waren. Von ſeinem Kaiſerzug nach Ita - lien, ſo erzählen die Jahrbücher aus dem Kloſter Fulda, ein Jahr vor ſeinem Tode, hatte er neue und ungewöhnliche Tracht mitge - bracht, denn mit einem dalmatiſchen Talar bekleidet, der bis zu den Füßen herabging, und mit einem Gürtel darüber, auch den Kopf in eine ſeidene Hülle gehüllt und darüber das Diadem ge - ſetzt, pflegte er an Sonn - und Feſttagen zur Kirche zu ſchreiten. Das war die Kleidung, wie ſie die Griechen in Byzanz trugen, welche von der Tracht der römiſchen Kaiſerzeit völlig in der Richtung des orientaliſchen Geſchmacks abgewichen waren. Auf einem Minia - turbild einer in Rom befindlichen Bibelhandſchrift ſitzt er auf dem Thron in königlichem Ornat, auf dem Haupt die goldene, mit Edelſteinen beſetzte Krone, in der Hand den Reichsapfel; zu den Seiten ſtehen ſeine Gemahlin und die Waffenträger. Nach frän - kiſcher Weiſe trägt er kurzes Haar und einen Schnurrbart, Kinn und Wangen aber glatt geſchoren. Eine blaue, in vierblattartigen Muſtern höchſt einfach goldgeſtickte, an den Armen enganliegende Tunica, deren breite, goldene Säume unten und am Handgelenk573. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.mit Edelſteinen beſetzt ſind, reicht ziemlich tief über die Kniee herab. Auch der lange rothe Mantel, nach alter Weiſe auf der rechten Schulter mit einer goldenen Agraffe befeſtigt, hat rings - herum und am Hals, wo der Rand ein wenig umgelegt iſt, gol - dene, mit Edelſteinen beſetzte Borten. Die Schuhe, welche faſt den ganzen Fuß bedecken, ſind vergoldet oder von Goldſtoff. Die eng - anliegende rothe Beinbekleidung iſt mit feinen goldenen Schnü - ren im Kreuz umwunden. Nicht vieles iſt in dieſer Tracht, was ſie noch von der römiſch-italiſchen unterſcheiden dürfte. Uebrigens iſt zu berückſichtigen, daß es der königliche Ornat iſt, den er trägt; und darum geben ſeine Begleiter, ſein Schild - und Schwertträ - ger, die jedenfalls vornehme Franken ſind, noch mehr Nationales zu erkennen. Das kurzgehaltne Haar iſt unbedeckt, das Geſicht völlig frei von Bart. Ihr kurzer, hellfarbiger Rock hat jedoch nicht mehr ganz die alte Enge; er iſt ziemlich weit am Körper und bil - det auf den Hüften über einen nicht ſichtbaren Gürtel einen klei - nen Bauſch. Dieſe Form des Rockes findet ſich von jetzt an über - all, wo wir noch auf altnationale deutſche Tracht ſtoßen, nament - lich noch in den beiden nächſten Jahrhunderten bei dem niedern Volk. Auch die Mäntel der Waffenträger von hellleuchtenden Far - ben, welche mit runder, goldener Agraffe auf der rechten Schulter gehalten werden, ſind kurz und erreichen hinten kaum die Wade, während der Mantel des Königs auf die Füße fällt. Die weißen Beinkleider, welche bei dem Schwertträger unter dem Knie mit dünner Schnur umbunden ſind, liegen eng und genau an; an - ſchließende rothe Stiefel, oben umgekrämpt, reichen hinauf bis zur halben Wade.

Mehr als ein halbes Jahrhundert ſpäter, etwa aus der Zeit Kaiſer Ottos des Großen giebt uns ein reich mit Miniaturen verziertes Pſalterium auf der Bibliothek zu Stuttgart mannigfache Aufſchlüſſe. Wir erkennen daraus, daß damals die lange Tunica noch keineswegs völlig ein Eigenthum der vornehmen Welt gewor - den war. Es iſt aber wohl möglich, daß dieſe beſonders kriegeriſche und ſchwere Zeit, in welcher Deutſchland von Bürgerkriegen man - nigfach zerriſſen war, während zugleich von der einen Seite die58I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Normannen ihre räuberiſchen Einfälle machten, und von der an - dern die Ungarn bis zu den jenſeitigen Gränzen, bis über den Rhein hinüber, alle Gaue verheerend durchzogen, daß dieſe Zeit der längeren und mehr auf friedliche Verhältniſſe deutenden Tracht nicht hold war. Wir ſehen daher alle Männer hohen und niedern Standes, ſelbſt den Fürſten mit Krone und langem Scepterſtabe nicht ausgenommen, mit der kurzen, ſchon oberhalb des Knies endigenden Tunica bekleidet, während der Mantel, in gewöhn - licher Weiſe auf der rechten Schulter befeſtigt, vorne kurz erſcheint, hinten aber über die Wade herabfällt. Auch der Geſchmack in der Verzierung ſcheint nicht gewonnen, noch ſich überhaupt geändert zu haben. Noch umgeben breitere oder ſchmälere goldene Streifen, denen die Edelſteine nicht fehlen, den untern Rand des Rockes und ziehen ſich vom Halſe herab nach unten; goldene Faſſung haben auch die Aermel am Handgelenk und gleiche Streifen und Zacken umwinden ſie am Oberarm. Die Mantelagraffe gleicht bei Männern und Frauen einer großen Roſette; die Krone iſt ein einfacher, breiter, auf der Fläche und am obern Rand mit Edel - ſteinen beſetzter Goldreif. Eine eigenthümliche Verzierung von roher Form zeigt mehrfach der Mantel auf der Bruſt in Geſtalt eines breiten, faſt quadratiſchen Stückes Borte, an welches ſich ein ſchmales, in ein rundes auslaufendes Stück anſchließt. Im Uebrigen iſt der Mantel einfach. Aehnliche Art der Verzierung trägt ſchon das Pallium römiſcher Conſuln im vierten Jahrhundert, und ſie finden ſich dann wieder als beſondre Auszeichnung der byzantiniſchen Kaiſer.

Von der alten Enge zeigt der Rock auf dieſen Bildern nichts mehr. Zwar iſt er wie ſonſt über den Hüften durch einen Gürtel aufgebunden, aber, die Aermel ausgenommen, ſchließt er nirgends dem Körper an, ſondern hat zu weiten Falten ſoviel Freiheit, daß er der Tunica nahe genug kommt. Doch konnte das Hauptſtück der fränkiſch-deutſchen Nationaltracht in dieſer Periode ſeine Be - deutung noch nicht verloren haben. Widukind, der ſächſiſche Ge - ſchichtſchreiber, hält es für wichtig genug, ausdrücklich zu erwäh - nen, daß Otto der Große zur Krönungsfeierlichkeit den eng anlie -593. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.genden fränkiſchen Rock getragen habe, wahrſcheinlich als Hul - digung gegen den Stamm, bei welchem bis jetzt die Herrſchaft ge - weſen war, und von dem ſie nun auf die Sachſen überging. Die Sachſen aber, wie ſchon oben erwähnt, unterſchieden ſich in ihrer nationalen Tracht dadurch von den Franken und andern deutſchen Völkerſchaften, daß ihr Rock, wenn auch ebenſo kurz, doch weiter war, ihr Mantel aber länger als der fränkiſche.

In einem andern Sinne ſtellt Liutprand, welcher zur Zeit Ottos des Großen Biſchof von Cremona war und für denſelben eine Geſandtſchaftsreiſe nach Conſtantinopel machte, die weite und weibiſche Kleidung der Griechen, die er aus eigener Anſchau - ung hatte kennen lernen, der fränkiſchen gegenüber. Dieſer Ge - genſatz paßt völlig zu der Tracht, wie ſie uns in dem Stuttgarter Pſalterium entgegen tritt. Während vor der Trennung des gro - ßen römiſchen Reichs Griechen und Römer gleich gekleidet gingen, waren jene ſeitdem von der gemeinſamen Tracht völlig im Ge - ſchmack der Orientalen abgewichen. Und ſo konnte Liutprand in ſeinem Geſandtſchaftsbericht ſagen: Der Beherrſcher der Griechen trägt langes Haar, Schleppkleider, weite Aermel und eine Wei - berhaube wir haben ſie ſchon bei Karl dem Kahlen kennen lernen dagegen trägt der König der Franken ſchön gekürztes Haar, eine Kleidung, die von der Weibertracht ganz verſchieden iſt, und einen Hut. Wir bemerken hier die Veränderung im Ge - ſchmack, wonach dem langen Lockenhaar der Urzeit gegenüber jetzt römiſcher Sitte gemäß das kurze Haar für ſchön gilt. Den Ein - druck, den die höchſt fremdartige Erſcheinung des griechiſchen Kaiſers machte, vergegenwärtigt uns Liutprand durch eine Anek - dote. Er hatte zwei große Hunde aus Deutſchland mitgenommen als Geſchenk für den Kaiſer; als ſie nun bei der Audienz deſſel - ben anſichtig wurden, fuhren ſie wüthend auf ihn los. Denn ich glaube, ſetzt Liutprand hinzu, daß ſie ihn nicht für einen Menſchen, ſondern für irgend ein Ungeheuer hielten, als ſie ihn erblickten, wie er nach Art der Griechen mit einem Weibermantel und ganz ſeltſamer Kleidung angethan war.

Die Beinbekleidung auf den Bildern des Stuttgarter Pſal -60I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.teriums bildet die enge, anſchließende Hoſe, welche entweder auch die Füße bedeckt, oder, was gewöhnlicher iſt, in Stiefeln ſteckt, die bis zur halben Wade hinaufgehen, wo der Rand ein wenig umgelegt oder zur Zierde ausgezackt iſt. Nur der König und die Frauen tragen Schuhe, jener goldene. Die Stiefeln ſind von ſehr mannigfacher und lebhafter Farbe, z. B. roth, grün, blau, ohne im Uebrigen geſchmückt zu ſein, ja was noch merkwürdiger iſt, es zeigt ſich hier ſchon an den Stiefeln wie überhaupt an der Bein - bekleidung die ſpäter ſo beliebte getheilte Anwendung zweier Far - ben, das ſ. g. mi-parti, wonach die vordere oder die hintere, die rechte oder die linke Seite eine verſchiedene Farbe tragen. So ſind die Stiefel eines Kriegers vorn roth und hinten violett; König David, der auf dieſen Bildern die Harfe ſpielend in der Tracht der Zeit erſcheint, trägt die Bekleidung des rechten Beines vorne roth und hinten blau, und die des linken umgekehrt, eine Theilung, welche ſich, da der König keine Stiefeln trägt, bis auf die Fußſpitzen fortſetzt. Auch ein anderer König trägt ſich alſo; ſein rechtes Bein iſt vorne roth und hinten grün, das linke um - gekehrt.

Das Haar iſt auf denſelben Bildern bei Männern hohen und niedern Standes auf gleiche Weiſe in mäßiger Kürze gehal - ten, daß es nie auf die Schultern oder über den Nacken fällt. Der Kopf iſt übrigens, die gekrönten Häupter ausgenommen, unbedeckt. Wir wiſſen aber aus Liutprand, daß Kaiſer Otto I. einen Hut trägt, und er wird auch beim Volke keine Seltenheit geweſen ſein, wenn es auch immerhin bemerkenswerth bleibt, daß auf allen Bildern ſich keine andere männliche Kopfbedeckung fin - det als Kronen und Helme. Auch die ſchriftlichen Quellen geben keine Anhaltspunkte, nur Widukind weiß von den Strohhüten ſeiner Sachſen eine wunderliche Geſchichte zu erzählen. Als - nig Otto I. es war im Jahr 946 gegen Frankreich zog, verhöhnte der Herzog Hugo ihn und die Sachſen, daß ſie un - kriegeriſch ſeien, und daß er leicht mit einem einzigen Zuge ſieben Speere der Sachſen verſchlucken könne. Darob gab der König, ſo erzählt Widukind weiter, die berühmte Antwort: er habe eine613. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.ſolche Menge von Strohhüten, welche er ihm darbieten könne, wie weder er noch ſein Vater je geſehen. Und wirklich fand ſich, obgleich das Heer ſehr ſtark war, nämlich 32 Legionen, niemand, der nicht eine ſolche Kopfbedeckung trug, einige wenige ausge - nommen. Es ſoll dieſe Ausnahme der Abt von Corvey mit dreien ſeiner Begleiter gemacht haben. Wir wollen uns nicht die Mühe geben, das Räthſelhafte dieſer Geſchichte aufzulöſen; wir werden den ſächſiſchen Strohhüten ſpäter wieder begegnen. Im elften Jahrhundert geben einzelne Bilder Beiſpiele von Kopf - bedeckungen. Krieger ſowohl wie Leute des Friedens tragen zu - weilen eine Mütze, welche dem Kopfe eng anliegt und mit einer umgebogenen Spitze völlig der bekannten phrygiſchen gleicht, doch von feſterem Stoffe zu ſein ſcheint und auch, mit Eiſen beſchla - gen, in dieſer Zeit wirklich als Helm dient,

Es ſcheint nicht, als ob unter den ſpäteren Ottonen die mannigfachen Beziehungen, in welchen ſie mit dem griechiſchen Reiche ſtanden, und durch deren Einfluß man in andern Zwei - gen der Cultur mancherlei Erſcheinungen zu erklären verſucht, auf die höfiſchen oder vornehmen Trachten in Deutſchland von erheblicher Wirkung geweſen ſeien. Denn wie wir dieſelben aus dem Stuttgarter Pſalterium haben kennen lernen, ſo finden wir ſie funfzig Jahr ſpäter in einem Evangelienbuche, welches Otto III. etwa ums Jahr 1000 dem Domſchatz zu Aachen ſchenkte, faſt un - verändert wieder. Nur den Edelſteinbeſatz vermiſſen wir, der übrigens noch keineswegs aus der Zeit verſchwunden war. Auf einem Miniaturbilde dieſer Handſchrift ſitzt Otto III., der Sohn der griechiſchen Theophanie, auf dem Thron, mit kurzem Haar und jugendlich bartloſem Geſicht, einen goldenen, mit Perlen be - ſetzten Kronenreif auf dem Haupt, angethan mit einer bis auf die Füße herabfallenden Tunica, die nicht enger und nicht weiter iſt, als wir ſie bisher haben kennen lernen; ſie iſt von blauer Farbe, einfach und ungegürtet; ein rother Mantel iſt auf der rechten Schulter befeſtigt, und nach hinten zurückgeſchlagen; die engen braunen Beinkleider ſtecken in blaßrothen, nicht hoch hinaufrei - chenden Stiefeln, an welchen eine Reihe weißer Punkte, vielleicht62I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.Perlen oder Schmelz, von oben über den Fuß herunterläuft. Zu den Seiten des Thrones ſtehen zwei deutſche Fürſten, wie ihre kronenartige Kopfbedeckung erkennen läßt, welche mit Fähnlein geſchmückte Lanzen in den Händen halten; weiter unten befinden ſich noch zwei Krieger mit Lanze und Schild. In der Tracht glei - chen alle vier den oben beſchriebenen Waffenträgern Karls des Kahlen ohne irgend einen erheblichen Unterſchied. Nur ihre blauen Stiefel ſind kürzer und zeigen dicke Sohlen.

Die längere Tunica, welche wir bisher vorzugsweiſe bei Königen, wie Karl dem Kahlen und Otto III., angetroffen ha - ben, geht im 11. Jahrhundert vom Herrſcher auf den ganzen Adel über, während bei der Menge des niedern Volks der alte Rock, weiter und faltiger geworden und über den Hüften aufge - bunden, völlig erſtarrt und hier und da beim Landvolk oder über - haupt beim Arbeiter in der Form der Blouſe oder des Polhemdes ſich durch alle Jahrhunderte erhalten hat, um im neunzehnten ſelbſt noch eine Rolle zu ſpielen. Schon zu den Zeiten Kaiſer Heinrichs II. (1002 1024) iſt in der Friedenstracht die längere Tunica vorherrſchend. Er ſelbſt trägt ſie durchgängig. Es exiſti - ren mehrere Miniaturbilder von ihm, von denen zwei, in einem Miſſale befindlich, welches er ſelbſt dem Domſchatz zu Aachen ge - ſchenkt hat, wie nach der Natur gemacht ſind. Beide Darſtellun - gen zeigen zwar manche Verſchiedenheiten, aber in leicht erklärli - cher Weiſe. Die eine, welche ihn auf dem Throne ſitzend in höch - ſtem Ornat darſtellt, ahmt in der Verzierung die Auszeichnung der griechiſchen Kaiſerfamilie nach, deren Kleidung mit großen, farbig verzierten goldenen Scheiben geſchmückt war, ein Vorrecht, deſſen ſchon oben gedacht wurde. Dieſe Scheiben ſehen wir auch beim Kaiſer Heinrich auf den Schultern und beiden Knieen. Sonſt ſind Tunica und Purpurmantel von breiten, mit Edelſteinen be - ſetzten Streifen umſäumt, und gleiche Vorſtöße haben auch die Aermel an den Händen. Die Schuhe ſind ebenfalls golden, mit Edelſteinen beſetzt und mit einem goldenen Riemen gehalten. Die enge rothe Beinbekleidung iſt mit dunkelrothen Linien carrirt. Auf dem Haupt ruht eine breite, reich verzierte Krone mit vierfa -633. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.chem Lilienſchmuck auf dem obern Rande, die Linke hält den Reichsapfel mit dem Kreuz, die Rechte das Scepter. Das Haar iſt kurz wie bisher, aber neben dem Schnurrbart erblicken wir zum erſten Mal wieder ſeit der Merovinger Zeit einen Bart auf Wangen und Kinn. Darin weicht auch das zweite Bild nicht ab, welches ihn ſtehend darſtellt, das Schwert und die heilige Lanze, welche den Leib Chriſti berührte, in den Händen. Aber der Man - tel und die faſt zu den Füßen herabreichende, von einem goldenen Gürtel faltig zuſammengefaßte Tunica ermangeln ſowohl jener eigenthümlich byzantiniſchen Verzierung wie des Edelſteinbeſatzes. Die goldenen Schuhe bedecken den ganzen Fuß. Eine andere Darſtellung deſſelben Kaiſers aus einem etwas ſpäteren, doch noch der Zeit vor den Kreuzzügen angehörenden Manuſcript, wel - ches die Legende von der Anklage und dem Gottesgericht der hei - ligen Kunigunde, ſeiner Gemahlin, erzählt und mit Miniaturen begleitet, zeigt, daß das elfte Jahrhundert die gewonnene Grund - form der langen und weiten Tunica feſthält, obwohl der einfa - chere und geringere Schmuck, ſowie das Umhängen des Mantels über die Schultern ohne Agraffe, welche jedoch keineswegs außer Gebrauch gekommen war, auf neue Aenderungen hindeuten. Auch das Gefolge trägt die Tunica von derſelben Form und über den Hüften faltig gegürtet. Der kurze Vollbart, den der Kaiſer hier wie auf den andern Bildern trägt, iſt ſeit dieſer Zeit wieder als fürſtliche Auszeichnung zu betrachten; ſein Gefolge oder was uns ſonſt von nicht fürſtlichen Perſonen in dieſer Zeit begegnet, iſt völlig bartlos. Die Art, in welcher das Haupthaar getragen wird, iſt überall gleich: es fällt ein wenig über das Ohr herun - ter, wo es ſich dann in leichten Locken krümmt. Auch hier iſt außer der Krone des Kaiſers keine Kopfbedeckung vorhanden.

Wenn wir das im Vorſtehenden über die Männerkleidung Berichtete in ein kurzes Reſultat zuſammenfaſſen, ſo gehörten zur vollſtändigen Toilette eines nobeln Mannes im elften Jahrhun - dert, mit welchem wir die alte Zeit abſchließen, die folgenden Gegenſtände: ein umgehängter und für gewöhnlich auf der rech - ten Schulter mit einer Agraffe befeſtigter Mantel, ein langer und64I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.weiter, bis gegen die Füße herabreichender Rock von der Form der römiſchen Tunica, aber mit langen und engen Aermeln, wel - cher unbehülflicher Weiſe, unſerm Hemd gleich, über den Kopf angezogen und mit einem Gürtel über den Hüften faltig zuſam - mengefaßt wurde; ferner eine enge Beinbekleidung und Stiefel von gewöhnlicher Form, welche bis zur halben Wade über die Hoſe hinaufreichten, oder Schuhe, welche den ganzen Fuß bedeck - ten. Eine Kopfbedeckung iſt eine ſeltne Erſcheinung; ſie wird aber in ſchriftlichen Nachrichten erwähnt als Hut beim Fürſten, als Strohhut bei den Sachſen, und wo wir derſelben auf bildli - chen Darſtellungen in der Kriegs - wie in der Friedenstracht be - gegnen, gleicht ſie einer geſteiften phrygiſchen Mütze; ſie iſt farbig und unten noch mit einem beſondern Rand verſehen. Auch Hüte von Pelz und mit Gold verziert kommen vor; und im Rudlieb wird eine ſchwarze Reiſemütze erwähnt. Ein nicht ſichtbares Un - terkleid war das Hemd, welches wie die Hoſe vom Anſtand durch - aus geboten war. Wir ſehen das aus der Erzählung von einem Biſchof, Eid von Meiſſen, welcher aus ascetiſchen Gründen nie - mals Hoſe und Hemd getragen hatte, außer wenn er Meſſe gele - ſen. Auch das niedere Volk trug nur den einfachen kurzen Rock ohne Hemd, und eine Beinbekleidung findet ſich bei demſelben ebenſo häufig, wie ſie völlig fehlt; auch kommen Strümpfe vor, die bis zum Knie heraufreichen. Nackte Beine finden ſich beim Bauer und Arbeiter noch viel ſpäter.

In dieſer Zeit beſtand, ſoviel ſich ſchließen läßt, die Bein - bekleidung aus zwei Strümpfen, welche die Füße und die Beine völlig und in tricotartiger Enge bedeckten, ſodaß ſie wie ange - boren erſchienen; doch werden auch Hoſen ohne Füßlinge er - wähnt, und wirklich ſehen wir wohl auf Bildern, wenn auch et - was ſpäter, die Zehen und einen Theil des Fußes frei. Mit den Füßen ſteckte die Strumpfhoſe gewöhnlich in Stiefeln oder in Schuhen, doch fehlen dieſe auch ſo häufig, daß wohl anzunehmen iſt, es ſeien Sohlen unter den Füßen an den Strümpfen befeſtigt geweſen. Wann nun aus dieſen langen Strümpfen, für welche wenn anders ſie gemeint ſind das Wort Hoſe ſchon beim653. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.Paulus Diaconus vorkommt, die völlig geſchloſſene Hoſe wurde, welche den Unterleib mit bedeckte und nur ein einziges Stück bil - dete, iſt ſchwer zu beſtimmen, da die lange Oberkleidung uns aller Anhaltspunkte für die Beobachtung beraubt. Uebrigens war das Beinkleid in der Grundgeſtalt des unſrigen der alten Zeit keines - wegs unbekannt; die Dacier wie die Gallier trugen ſie alſo, weit und faltig und über den Füßen gebunden. Einem Abkömmling von ihr begegnen wir bei den Normannen wie bei den Angelſachſen auf der Stickerei der Königin Mathilde in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts; bei beiden Völkerſchaften werden neben den engen und langen Strümpfen Hoſen getragen, welche in luftiger Weite nur bis zu den Knieen heruntergehen; von unter her ſind die Beine durch Schuhe und Strümpfe geſchützt. Dieſe Form geht auch in die Ring - und Schuppenrüſtung über. Die Binden, welche noch unter Karl dem Großen und im neunten Jahrhun - dert die Beinbekleidung umwickelten, verſchwinden im Lauf des zehnten mehr und mehr und hören im Beginn des elften ganz auf. Daß die weite und faltige Hoſe dieſer Zeit nicht unbekannt war, davon werden wir weiter unten Beweiſe bei der Geiſtlichkeit haben.

In Bezug auf die Frauenkleidung fehlen in der Zeit Karls des Großen, ſoviel auch von ihrem glänzenden Putze er - zählt wird, doch für eine nähere Beſtimmung des Schnittes und des Charakters alle Anhaltspunkte, da uns keine bildlichen Quel - len zu Gebote ſtehen. Nur von den Angelſachſen gilt nicht das Gleiche. Auf den Bildern ihrer Handſchriften aus der erſten karo - lingiſchen Zeit tragen die Frauen bereits die lange, weite und faltige Tunica unter einem weiten und langen Mantel, und den Kopf mit einem Schleier oder Tuch dicht umwunden. Locale Ein - flüſſe ſcheinen in dem romaniſirten England raſcher den altdeut - ſchen Charakter überwunden zu haben. Für Deutſchland geben uns die erſten Frauenbilder eine Evangelienhandſchrift auf der Heidelberger Bibliothek aus dem neunten Jahrhundert und die Bibel in Rom, welche wir ſchon bei Karl dem Kahlen erwähnten. Es ſind vornehme elegante Damen, unter welchen ſich auch die Kaiſerin ſelber befindet. Ihre Erſcheinung entſpricht dem glän -Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 566I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.zenden Bilde, welches die begeiſterten Lobſinger des karolingiſchen Hauſes in uns haben entſtehen laſſen. Die Kleider, welche in vollen und lebhaften Farben, in Roth, Blau, Purpur und Weiß leuchten, ſind überſäet mit Goldſtickerei in freilich einfachen Mu - ſtern; breite goldene Säume umgeben den Hals und den unteren Rand, Goldborten ziehen ſich in Streifen von oben nach unten, golden oder auch farbig ſind die Schuhe, golden die Faſſung am Handgelenk, ein langer goldener Schmuck, aus ineinander gefüg - ten Ringen oder Rauten beſtehend und mit Edelſteinen beſetzt, hängt in den Ohren. Auch umgiebt den Hals ein breites golde - nes, mit Edelſteinen beſetztes Band, von welchem andere Steine herabhängen. Eine Agraffe faßt die Tunica unter der Bruſt fal - tig zuſammen; doch ſcheint dieſelbe gewöhnlicher noch zu fehlen. Eine Kaiſerin trägt das Haar in der Mitte der Stirn geſcheitelt und darüber einen reichen, mit Juwelen beſetzten Kronenreif. Dem Schnitte nach iſt das Hauptkleid ein der römiſchen Frauentunica ähnlicher Rock, doch weniger weit und faltig, welcher, Hals und Nacken frei laſſend, mit ſeinem goldnen Saum um Schultern und Bruſt anſchließend ſich herumlegt, dann abwärts ein wenig wei - ter wird, ſodaß die Körperformen nicht hervortreten, und endlich ungegürtet und mit wenigen Falten ohne Schönheit in der Form bis tief auf die Füße herabfällt, daß nur die Spitzen hervorſehen. Die Aermel ſind doppelt und andersfarbig als das Kleid, z. B. weiß zu roth; doch iſt wahrſcheinlich, daß die untern Aermel, welche eng den ganzen Arm bedecken und an der Hand mit gol - dener Faſſung endigen, einer untern Tunica angehören, die bei einigen dieſer Frauen ſichtbar iſt. Die oberen Aermel, weiß wie die unteren und mit goldenen gemuſterten Streifen verſehen, ſind kürzer, aber weit und offen. Die Haare bedeckt ſchleierartig ein weißes oder farbiges, in einfachen Muſtern goldgeſticktes Tuch, welches faltig und luftig über Schultern und Rücken herabfällt und mit der Linken aufgenommen iſt, oder wie ein Mantel den Körper umhüllt. Die Muſterung beſteht in Drei - oder Vierblät - tern, in kleinen Kreiſen, Kreuzen oder in Netzwerk aus Goldfä - den. Die Schuhe laufen in eine nicht bedeutende Spitze aus.

673. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.

Ganz dieſelbe Frauentunica, am Halſe anliegend, dann weit, ungegürtet, ohne Taille und ohne Falten, mit ähnlicher goldenen Bortenverzierung und Muſterung, mit weißen Ober - und Unterärmeln, von denen jene kurz und weit, dieſe lang und eng ſind, finden wir gegen die Mitte des zehnten Jahrhunderts auf den Blättern des Stuttgarter Pſalteriums wieder. Auch zei - gen die den ganzen Fuß bedeckenden Schuhe, golden, farbig oder ſchwarz, dieſelbe ſich zuſpitzende Form. Das Haar aber, wenn es von der Krone bedeckt iſt, fällt lang und frei, gelockt oder ſchlicht über den Nacken herunter, oder es iſt mit weißen Bändern um - wunden und durch Nadeln mit Knöpfen von Steinen aufgeſteckt. Der Mantel, wo er vorhanden iſt, einfarbig und ungemuſtert, iſt über beide Schultern herübergeſchlagen und vorn auf der Bruſt mit einer Agraffe in Geſtalt einer großen Roſette befeſtigt. Es muß aber auch Ausnahmen von der weiten Tracht im zehnten Jahrhundert gegeben haben, denn Dietmar von Merſeburg be - richtet von modiſchen Damen, die ihrer Kleidung ſolche Enge ge - geben hätten, daß die Formen ſcharf herausgetreten ſeien und ſie ſomit ihren Liebhabern alle Reize dargelegt hätten offen, ohne Scham und ein Schauſpiel für das ganze Volk. Er ſetzt aber hinzu, daß es eine neue und unerhörte Mode geweſen ſei.

Ziemlich das elfte Jahrhundert hindurch bewahrt die Frauen - kleidung treu den angegebenen Charakter der Formloſigkeit neben glänzendem Reichthum an Metall und edlen Steinen. Es bleiben der umgehängte Mantel und die beiden Tuniken von gleichmäßi - ger, faltenloſer Weite, obwohl am Schnitt im Laufe des Jahr - hunderts einige Veränderungen eintraten. Das Beſtreben, in ver - ſchiedenen Farben zu glänzen, die damals auf einem Stück Zeug nur durch mühſame Stickerei herzuſtellen waren, ließ die untere Tunica zu größerer Geltung kommen, dadurch, daß die obere von unten her und an den Aermeln ſich verkürzte. Die letztere, mit breitem Goldſaum am Hals, an den Aermeln und am untern Rand, ſchmiegt ſich an Hals und Schultern an, fällt dann aber, ohne nur eine Andeutung von Taille zu geben oder zum Falten - wurf die nöthige Entwicklung zu gewähren, in ſenkrechter Linie5*68I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.bis über die Kniee herunter und bedeckt den Oberarm mit gleich - weiten, offenen Halbärmeln. Dies Kleidungsſtück gleicht völlig der prieſterlichen Dalmatica derſelben Zeit. Die untere Tunica, gehemmt und bedeckt von der oberen, iſt nur an den Füßen und mit ihren engen Aermeln am Unterarm ſichtbar. Bei der Frauen - kleidung niedern Standes in der Stadt wie auf dem Lande war die Form die gleiche; den Unterſchied machte nur der weniger koſt - bare Stoff und der Mangel an Beſatz und Schmuck.

Wenn nun auch die Kleidung dieſer Periode, ſowohl der Männer wie der Frauen, aller ſchönen Form, welche erſt die fol - gende Periode des Romanismus bringen ſollte, ermangelte und deßhalb den äſthetiſchen Geſchmack nicht befriedigt, ſo hatten doch ihre Träger durchaus nicht auf Putz und Prunk Verzicht geleiſtet, ſelbſt nicht auf ein gewiſſes Stutzerthum. Sie liebten, wie wir geſehen haben, den Glanz des Goldes und das Funkeln der edlen Steine. Vornehme Damen hielten ihre eigenen Schmuckmädchen. Sie hatten ferner ihre Freude an vollen und leuchtenden Farben, und brauchten ſie auch da, wo wir jede Farbe möglichſt abweiſen, wie bei der Fußbekleidung. Zwar kommen auch ſchwarze Schuhe und Stiefel vor, welche blank gemacht wurden wie bei uns, ge - wöhnlicher aber ſind ſie farbig, roth, grün, blau, gelb, auch gol - den, von Seide oder koſtbarer Leinwand, auf dem Fuß mit Per - len und Steinen beſetzt, umwunden mit feinen Riemen von far - bigem Corduanleder, das ſchon damals ein Erzeugniß der be - rühmten ſpaniſchen Sarazenenhauptſtadt war. Der Form nach ſchloſſen ſie ſich genau dem Fuße an und liefen in eine feine Spitze aus; jeder Fuß trug ſeinen beſonders für ihn gemachten Schuh. In dieſe Zeit einer zwiſchen Barbarismus und Civi - liſation ſchwankenden Eitelkeit fällt auch die Entſtehung des mi - parti, der getheilten Kleidung, wonach beide Hälften des Kör - pers, von oben nach unten getheilt, verſchiedene Farben tragen. Wir haben ſie ſchon bei der Beinbekleidung im zehnten Jahrhun - dert angetroffen; im elften zeigt ſie ſich auch an den Röcken.

Eine ausgezeichnete Pflege erfuhr auch das Haar, der Teint und die Nägel; für die letzten ſowie zum Kräuſeln der Haare gab693. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.es beſondere Inſtrumente. Ein ſolches von Silber gemacht ſchenkte einmal König Alfred einem Prieſter. Alle derartigen zur Toilette gehörenden Verrichtungen ſollten mit beſondern Gebeten angefangen werden, wenigſtens hatte die Geiſtlichkeit ſolche zu dieſem Zwecke abgefaßt und vorgeſchrieben. Auch Handſchuhe kommen bereits vor und nicht bloß zum Schutz gegen des Win - ters Kälte. Kämme von ſchön geſchnittener Arbeit, von Elfen - bein, mit Gold und Silber verziert, gehörten zum Schmuck des Toilettentiſches. Schon in dieſer Zeit führten die Damen kleine Handſpiegel bei ſich, die auf der Rückſeite mit Elfenbeinſchnitze - reien verziert waren. Selbſt Geiſtliche, von deren Eitelkeit wir noch mehr erfahren werden, ſollen ſchon im achten Jahrhundert oben auf den Schuhen kleine Spiegel getragen haben, um die eigene reizende Figur ſtets im Auge zu haben. Die warmen - der beſuchten auch die Männer und zwar aus dem ausdrücklich angeführten Grunde ihre Haut weiß zu erhalten. Der Lebensbe - ſchreiber des Erzbiſchofs Bruno weiß es demſelben hoch anzurech - nen, daß er ſolchen Luxus verſchmähte, was umſomehr zu be - wundern iſt, da er, man kann ſagen von den Windeln her, an größte Sauberkeit und königlichen Glanz gewöhnt war. Er ver - ſchmähte die weichen und feinen Kleider, in denen er erzogen war, unter den purpurbekleideten Dienern und den von Gold ſtrotzen - den Kriegern ging er einher in niedrigem Gewand und bäuerli - chen Schaffellen. Wir ſehen, welche Pracht am Hofe herrſchen mußte, wenn ſelbſt die Diener Purpur trugen, obwohl dieſe Nachricht nicht buchſtäblich genommen zu werden braucht. Der Purpur war außerordentlich beliebt und geſucht, mehr wohl um ſeines großen Rufes und ſeiner Koſtbarkeit willen als wegen der Farbe, da ſein dunkles Violett wenig Wirkung hervorzubringen vermochte; obwohl es daneben noch andere weniger koſtbare Ar - ten gab in verſchiedenen Farbenabſtufungen bis zum Rothen und Röthlichgelben. Ueber dieſen häufigen Gebrauch des Purpurs war der griechiſche Kaiſer ſehr erzürnt, denn er betrachtete ihn als ſein und ſeiner Familie Vorrecht. Darum enthielt er ſich nicht, dem deutſchen Geſandten Liutprand bei ſeiner Heimreiſe das Ge -70I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.päck durchſuchen zu laſſen und ihm fünf Stück des koſtbarſten Purpurs zu nehmen. Welche Schande! ruft der erzürnte Ge - ſandte aus, weichliche, weibiſche Menſchen, die weite Aermel, Weiberhauben und Schleier tragen, Lügner, Menſchen von kei - nerlei Geſchlecht, Faulenzer ſollen ſich in Purpur kleiden, nicht aber Helden!

Als Kleiderſtoff war außer der ſo geſuchten, feinen by - zantiniſchen Leinwand noch zu Kleidern wie zu Mänteln Seide beliebt und gebraucht; ſie kam ebenfalls aus dem Orient. Nicht minder war ſchon Sammet im Gebrauch, denn im Gedicht vom Rudlieb heißt es, daß dieſer Ritter ſeine Hausfrau, da ſie ſeiner gut gepflegt hatte, mit einem Mantel von Sammet beſchenkte, ſich damit beim Kirchenbeſuch zu ſchmücken. In Deutſchland wurde die Seide, wie es auch mit andern Stoffen geſchah, mit Stickereien verziert. Es war das eine Arbeit der Damen, aber nicht immer eine freiwillige, denn im zehnten Jahrhundert waren z. B. die Frauen und Töchter der Dienſtmannen des Erzſtifts Mainz zu ſolchen Stickereien in Seide verpflichtet. Am berühm - teſten waren in dieſer Arbeit die engliſchen Damen, und die noch erhaltene großartige Stickerei der Königin Mathilde und ihrer Damen, welche die Eroberung Englands durch den Normannen Wilhelm darſtellt, legt das rühmendſte Zeugniß ab. Auch mit fremdem und koſtbarem Pelzwerk wurde der Luxus fortgeſetzt, wie er den Germanen ſeit älteſter Zeit eigenthümlich zugeſchrieben wird, und man begnügte ſich nicht mehr mit der natürlichen Fein - heit und mit dem Zuſammennähen verſchiedenfarbiger Felle, ſon - dern man färbte ſie ſelbſt. So trugen die Hofleute des Gegenkö - nigs Rudolf von Schwaben bei ſeiner Krönung in Mainz roth - gefärbte Pelzverbrämung. Die Feinheit und Koſtbarkeit des Pel - zes unterſchied ſchon früh die Stände von einander, und Bürgern und Bauern war der feine ſelbſt rechtlich unterſagt.

Wie ſehr in dieſer Zeit trotz Bürgerkriege und trotz Norman - nen - und Ungarnnoth Luxus und Putzſucht ſich aller Stände, die überhaupt derſelben fähig waren, bemächtigt hatten, zeigt am beſten die Art und die Ausdehnung, in welcher ſie unter die Geiſt -713. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.lichen gekommen waren. Einige Beiſpiele haben wir ſchon oben kennen lernen. In der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts hatte die Eitelkeit unter den Kloſtergeiſtlichen, alſo unter denen, die das Gelübde der Armuth abgelegt hatten, ſo überhand ge - nommen, daß der Erzbiſchof Adalbero von Rheims ſich genöthigt ſah, eine Synode der Aebte ſeines Sprengels zuſammenzurufen, um dem Unweſen geſetzlichen Einhalt zu thun (im Jahre 972). In ſeiner für uns äußerſt intereſſanten Rede, die ein Streiflicht wirft auf das, was die andern Stände thun, zählt er die einzel - nen Gebrechen auf: Es giebt, ſagt er, einige unſeres Standes, welche ſich öffentlich das Haupt mit einem goldgeſchmückten Hut bedecken, welche ausländiſches Pelzwerk der von unſerer Regel vorgeſchriebenen Kopfbedeckung vorziehen und ſtatt der unſchein - baren Mönchskleidung koſtbare Gewänder anlegen. Sie tragen gern um hohen Preis gekaufte Röcke mit weiten Aermeln und großen Falten und ziehen ſie um den Leib ſo feſt zuſammen, daß die eingeſchnürten Hüften den Hintern hervortreten laſſen, und man ſie von hinten eher für unzüchtige Weiber als für Mönche halten könnte. Wir ſehen, daß es den Mönchen dieſer Zeit ſchon um etwas zu thun iſt, was wenigſtens anſtändige Damen noch verſchmähen, um Taille. Was ſoll ich aber, fährt der Erz - biſchof fort, von der Farbe ihrer Kleider ſagen? Ihre Verblen - dung geht ſo weit, daß ſie Verdienſt und Würde nach der Farbe der Stoffe beurtheilen. Wenn ihnen der Rock nicht durch ſeine ſchwarze Farbe gefällt, ſo wollen ſie ihn ſchlechterdings nicht an - legen. Hat der Weber dem ſchwarzen Zeuge weiße Wolle beige - miſcht, ſo wird auch deswegen der Rock verſchmäht. Auch der braune Rock wird verſchmäht. Nicht minder iſt ihnen auch die von Natur ſchwarze Wolle nicht anſtändig genug, ſie muß künſt - lich gefärbt ſein. So viel von ihrer Kleidung. Was ſoll ich aber von ihren abenteuerlichen Schuhen ſagen? denn in dieſer Hinſicht ſind die Mönche ſo unvernünftig, daß ihnen der Nutzen einer Fußbekleidung großentheils entgeht. Sie laſſen ſich nämlich ihre Schuhe ſo eng machen, daß ſie darin faſt wie an den Stock ge -72I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.ſchloſſen am Gehen gehindert ſind. Auch ſetzen ſie denſelben vorne Schnäbel, an beiden Seiten aber Ohren an, und tragen große Sorge, daß ſie ſich genau dem Fuße anſchließen, halten auch ihre Diener dazu an, daß ſie mit beſonderer Kunſt den Schuhen einen ſpiegelhellen Glanz verleihen. Soll ich ſchweigen von ihren koſtbaren Leintüchern und Pelzkleidern? Da unſre Vorgänger aus beſonderer Nachſicht den Gebrauch von gemeinem Pelzwerk er - laubt haben, ſchlich ſich auch hierin das Laſter unnützer Pracht bei uns ein. Nun umziehen ſie ihre ausländiſchen Pelze mit einem Saume, der zwei Spannen breit iſt, und überziehen ſie mit noriſchem Tuche. Sich leinener Betttücher zu bedienen, iſt keines - wegs erlaubt, und doch haben einige pflichtvergeſſene Mönche auch dieſes zu ihrem unnützen Aufwand hinzugethan, und da die Anzahl derſelben in den verſchiedenen Klöſtern ſehr groß war, ſo haben ſich die wenigen Guten von den zahlreichen Böſen verlei - ten laſſen. Was aber ſoll ich von ihren unanſtändigen Beinklei - dern ſagen? Ihre Hoſen haben eine Weite von ſechs Fuß und entziehen doch wegen der Feinheit des Gewebes nicht einmal die Schamtheile den Blicken. Ein einziger iſt nicht zufrieden mit einem Stück Zeug, welches für zwei vollkommen ausreichen könnte.

Es iſt wohl anzunehmen, daß die Mönche in dieſem eitlen Thun nicht der Welt vorangegangen ſind, ſondern von dieſer das Beiſpiel erhalten haben wir erinnern an das, was Dietmar über die Frauen erzählt , wenn ſie auch aus Veranlaſſung ihrer beſondern Tracht in Einzelheiten, wie in der Schnürung der Taille und in der weiten Hoſe, eine mehr originale Erfindungsgabe be - währen. Die Synode ſetzte ihrer Eitelkeit Schranken. Wahr - ſcheinlich iſt es anderswo ebenſo gegangen. Noch im Laufe des zehnten Jahrhunderts ſcheinen ſich dieſe Thorheiten gelegt zu ha - ben, und es mag von Einfluß darauf das Herannahen des neuen Jahrtauſends geweſen ſein, mit deſſen Anbruch nach der allge - meinen Ueberzeugung der Untergang der Welt eintreten ſollte, den man freilich nur mit Bußübungen erwarten und empfangen733. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.durfte. Das elfte Jahrhundert zeigte in denſelben Formen einen weit geſetzteren und einfacheren, aber darum nicht ſchöneren Cha - rakter; es ruhte gleichſam aus von dem langen Kampfe der hei - miſchen mit den fremden Elementen, um nach dieſem Winter - ſchlafe ein neues, reicheres und eigenthümlicheres Leben aus ſich hervorgehen zu laſſen.

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Zweites Buch. Das Mittelalter.

Erſtes Kapitel. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur Höhe plaſtiſcher Schönheit. 1100 1350.

Die wunderbare und glanzvolle, an Schönheit und blenden - den Erſcheinungen ſo reiche Zeit der Hohenſtaufen, die Periode des 12. und 13. Jahrhunderts vom Beginn der Kreuzzüge an, man kann ſagen im ganzen chriſtlichen Abendlande, verhält ſich zur vorhergehenden Periode, als noch Barbarismus und Civili - ſation, Antikes und Germaniſches, Chriſtliches und Heidniſches in leidenſchaftlichem Kampfe lagen, wie das Nibelungenlied und dann beſonders das ritterliche Epos und der Minnegeſang zur Edda; ſie verhalten ſich wie die Freude und die Klage des Lebens, der Liebe Leid und Luſt zu jenem Weltuntergang, in welchem Sonne und Mond von Wölfen verſchlungen und die Götter des Himmels und der Erde von den Ungeheuern der Tiefe zerfleiſcht werden. Die Barbarei iſt vom Throne geſtürzt, die ungefüge, elementariſche Kraft gebrochen, die wilden Leidenſchaften mit ihren gewaltſamen Ausbrüchen und ihrem verzehrenden Feuer haben ausgetobt, und die Liebe und die Schönheit ſtrecken mit ſanfter Zaubergewalt ihr ſittigendes Scepter über das ganze Zeitalter.

Man kann die Veränderungen, welche im Völker - und Men - ſchenleben zur Zeit der Kreuzzüge eintraten, theils durch ſie, theils751. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor. Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im tiefſten Innern erfaßt.

Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten - thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge - müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau - benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge - wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh - nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern. So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken, zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien - taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig unterwarf.

Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den - ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen76II. Das Mittelalter.Liebe trat die irdiſche, zum religiöſen Cultus der Frauendienſt, zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann geweſen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte, er, der Starke, der Kühne, in ſeinem Heldenthum der Stolz der Frau, er war der Geliebte geweſen, der in der Seele des liebend hingegebenen Weibes die Leidenſchaft zur verzehrenden Gluth an - gefacht hatte. Noch im Nibelungenlied ſpielt die Liebe dieſe Rolle: um den geliebten Mann geſchieht hier all das höchſte Leid und Weh, was die Menſchheit treffen und tragen kann; keine Zeit kann die Klage um den Tod des Geliebten löſen, keine Sühnung die Luſt der Rache in der weiblichen Bruſt erſticken; ihr wird mit dem Feinde Volk und Familie zum Opfer gebracht, bis zum eige - nen Untergange. Jetzt kehrt ſich das Verhältniß um: die Frau tritt als das geliebte Weſen nicht nur in den Vordergrund, ſie wird zur Herrin. Sie nimmt Beſitz von allem Sein und Den - ken des Mannes; all ſeine Thaten und ſeine Beſtrebungen, die ſonſt dem Ruhme galten, ſind nun ihr geweiht; der Gedanke an ſie verläßt ihn nicht Tag und Nacht, er begleitet ihn auf ſeinen Zügen, in die Schranken und in die Schlacht, er ſtählt ihn im Kampf und führt ihn zum Sieg. Doch bei dieſem immerwähren - den Denken an die Geliebte wird die Empfindung bald zur Empfindſamkeit, die Liebe wird zur Minne, die ihr Genüge finden kann an dem ſteten, innigen Gedenken, an der ſtillen, ſeligen Sehnſucht, die das holde Bild beſtändig vor Augen hat, ſelbſt wenn ſie von vornherein ſich die Erfüllung der höchſten Wünſche verſagen muß. So wird nun die Frau, die Krone der Schöpfung, auch die Spitze und die unumſchränkte Gebieterin alles ſocialen Lebens und Strebens. Die Liebe verkehrt ſich in Frauen dienſt, der Schönheit wird Verehrung dargebracht. So ſingt Walther von der Vogelweide:

Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen,
Daß man ihnen wohl ſoll ſprechen und dienen zu aller Zeit,
Der Welt Hort mit wonniglichen Freuden liegt in ihnen.

Bei dieſer Stellung der Frau ging die Verehrung, welche bisher dem Erlöſer zu Theil geworden war und womit die Periode771. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.begonnen hatte, nun auf die Jungfrau Maria über. Bis dahin nur gefeiert als die Gottesmutter, wird ihr jetzt als der Jungfrau, als der Frau ein völlig ſelbſtſtändiger Dienſt geweiht. Sie wird zur Himmelskaiſerin, zur Königin der Frauen, zum Ideal aller irdiſchen Schönheit. Wie das Herz des Mannes auch in weiter Ferne der Geliebten in beſtändigem Sehnen ſtill gedenkt und ihr oft ſelbſt erträumtes Bild im Innern unverlöſchlich mit ſich trägt, ſo gedenket die fromme Seele in ſtiller, verzückter Andacht der Jungfrau Maria. Der arme geiſtliche Schüler, da er der irdiſchen Minne entſagen muß, widmet all ſeine Inbrunſt, ſein ſehnendes Verlangen ihrem wunderſchönen Bilde, das ſeine Seele träume - riſch erfüllt. Und die hohe Himmelskönigin läßt ſich herab, wie die frommen Legenden erzählen, gnadenvoll in das Leben des liebenden Schülers perſönlich einzugreifen. In lichter Schönheit, die den Wald durchleuchtet und der Sonne den Schein nimmt, angethan mit koſtbaren, ſtrahlenden Gewändern, erſcheint ſie ihm und mit ihrer ſchneeweißen Hand wie die Legende nie zu ſagen vergißt ſetzt ſie ihm den Roſenkranz auf das Haupt, oder führt den Armen vor den Augen der ſtaunenden Gläubigen als Prieſter an ihren Altar.

In demſelben Sinne wird auch das Ritterthum durch die veränderte Stellung der Frau umgeſchaffen, ja es erhält durch ſie erſt ſeine Eigenthümlichkeit, denn der Frauendienſt iſt des ritter - lichen Lebens edlere, milde und menſchliche Seite, er iſt ſeine Seele. Im unmittelbaren Dienſt ſchöner und edler Frauen wächſt der adlige Knabe heran; zum Manne erſtarkt, widmet er ſich und ſeine Thaten einer auserwählten Geliebten. Beim Ritterſchlag legt ſie ihm die goldenen Sporen an und umgürtet ihn mit dem Schwert; er gelobt ſie zu ſchützen und zu ſchirmen, ihren Ruhm auszubreiten; ihre Farbe trägt er im Kampf, und aus ihrer Hand empfängt er wieder den Preis ſeiner Siege. Unter ihrem beleben - den und verfeinernden Einfluß wird das Ritterthum ein luſtiges, farbenbuntes und poeſiereiches Weſen. Die Schilde, die Helme, die Waffenröcke, die wallenden Pferdedecken überziehen ſich mit hel - len Farben und heitern Wappenbildern, Feſte auf Feſte werden78II. Das Mittelalter.gefeiert, im Grünen leuchten die weißen Zelte, vor denen die Wappenſchilde prangen und die bunten Fähnlein flattern, und immer den ſchönſten und edelſten Schmuck im Ganzen bilden die Frauen. Das nahm wieder ein Ende, da der Frauendienſt ſank; mit ihm verlor das Ritterthum den Reiz der Poeſie und artete in Roheit und wüſtes Treiben aus.

Da die Frauen aus der früheren Zurückgezogenheit, wie ſie noch im Nibelungenlied herrſcht, hervortreten und im geſelligen Leben die Herrſchaft übernehmen, ſo bildet ſich in Folge deſſen eine völlige Anſtandslehre aus. Regeln und Vorſchriften werden gegeben über das Benehmen der Geſchlechter untereinander, Re - geln, wie eine feine Dame ſich gebärden und ſich tragen, wie ſie gehen und ſtehen, wie ſie eſſen und trinken ſoll. Der Umgangs - ton wird durch die Minne zur Galanterie von Seite der Herren, welcher die Damen freie Anmuth und Feinheit gegenüber ſtellen.

Die Minne lehrt die Frauen lieblich grüßen,
Die Minne lehrt der Sprüche viel, der ſüßen,
Die Minne lehret große Milde,
Die Minne lehret große Tugend,
Die Minne lehret, daß die Jugend
Kann ritterlich gebahren unterm Schilde.

Die Anſtandslehre bildet, namentlich beim weiblichen Ge - ſchlecht, einen großen Theil der Jugenderziehung; die Mutter ſelbſt unterrichtet darin, und neben ihr auch beſondere Lehrmeiſter, zu denen die fahrenden Sänger genommen wurden, welche Gelegen - heit hatten, ſich an den Höfen der Fürſten im feinen Ton auszu - bilden. Auch in der Tugend der Milde, der Freigebigkeit, wurden die fürſtlichen Damen unterrichtet, denn es war ihr ſchönes Vorrecht, alle die an ihrem Hof erſchienen und zu ſeiner Verherrlichung beitru - gen, die Ritter, die Sänger, die Spielleute, in fürſtlicher Gnade reich zu beſchenken, mit Kleidern, Waffen, Schmuck und Geld.

Bei ſolcher Erziehung und ſolchem Hofleben ſtellte ſich der Trieb nach größerer und tieferer Bildung ein, denn der Geſprächs - ton an dieſen glänzenden Höfen war ein durchaus geiſtreicher. Die Dichter ſangen ihre Lieder und machten zu Schiedsrichtern die791. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Damen, die alſo vertraut ſein mußten mit der edlen Sangeskunſt. Bei Tiſche oder ſonſt zur Unterhaltung wurden die alten Sagen, Erzählungen und Geſchichten vorgetragen. Die Damen wurden im Geſang und in der Inſtrumentalmuſik unterrichtet, und auch das Leſen und Schreiben war ihnen geläufiger als den Männern. Die Folge war, daß ſie ihrerſeits ſich ſelbſtthätig der Litteratur annahmen und ihren Einfluß auf ſie ausübten.

Durch dieſe directe Einwirkung ſowie durch die veränderte geſellſchaftliche Stellung der Frauen wurde auch die ganze Poeſie umgewandelt; ſie wird nun ihrem weſentlichen Charakter nach eine weibliche. Wie die Lyrik ſelbſt als der vorzugsweiſe weib - liche Zweig überhaupt erſt neu geſchaffen wird und ſich alſo gleich überwiegend vordrängt, ſo breitet ſich der lyriſche Geiſt in den andern Zweigen der Poeſie aus und durchdringt das Epos völlig. Im alten Volksepos und noch in der überlieferten Form des Ni - belungenliedes herrſchen die alten Charakterzüge, das Heldenthum und die Welt der Thaten, die Mannestreue und die Liebe als leidenſchaftliche Hingebung des liebenden Weibes an den Gelieb - ten. Er iſt der Herr. Die Liebe des Mannes zur Frau war gewiß nicht ſchwächer als ſpäter, aber ſie äußerte ſich in anderer Weiſe, der Mann blieb Mann und hielt ſich unberührt von gefühlvoller Zärtlichkeit und überſtrömender Empfindung. Im ritterlichen Epos iſt die Frau bereits die Herrin, welcher die Thaten des Mannes gelten; ihr wird Verehrung geweiht wie einem andern, höheren Weſen, gegenwärtig bringt er ihr ſeine Huldigungen dar in zar - teſter Weiſe nach den Vorſchriften der feinen höfiſchen Sitte, und abweſend zieht ſie all ſein Denken auf ſich, und macht ihn alle Noth und Trübſal vergeſſen und alle Dinge um ihn her. So bleibt Parzival wie bezaubert ſtehen, da er im weißen Schnee drei Bluts - tropfen findet; die Farben führen ihm das Bild ſeiner ſchönen Königin vor die Seele; von Minnezauber gefeſſelt, hält er ſein Pferd an und verſinkt, ſich ſelbſt und alles Andre vergeſſend, in ſtilles Sehnen und Gedenken. Beſinnungslos bleibt er in dieſem Zuſtande, als ihn ein Ritter von der Tafelrunde zum Kampf auf - fordert: er hört ihn nicht und ſieht ihn nicht, bis ſein Pferd ſich80II. Das Mittelalter.plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver - liert. Da der Ritter vom Roſſe geſtochen, feſſelt ihn aufs Neue die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält er wieder, verſunken und verloren, daß ihn der zweite Ritter erſt durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch dieſer im Kampf erlegen, vermag erſt der dritte den Bann zu löſen, mit dem der Minne Allgewalt den Helden verſtrickt hält, indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache und Beſinnung zurück.

Die Lyrik, von der Minne geſchaffen, athmet denſelben Geiſt wie das Epos in noch höherem Grade, ja faſt ausſchließlich. In dem engen, ewig neuen und ſchönen Kreiſe der Liebe und des Frühlings drehen ſich faſt alle Gedanken der lyriſchen Dichter und variiren unermüdlich daſſelbe Thema in unendlicher Weiſe. Sie ſchwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die ganze Zeit leidet, ſie wiſſen aber ſehr wohl, daß von der Liebe nur die Liebe heilt, wie die Worte ſagen:

Süßer, roſenfarbner Mund,
Komm und mache mich geſund.

Dieſe verliebte Stimmung weiß auch die Kunſt mit den ge - ringſten Mitteln aufs ſprechendſte wiederzugeben, ſo vielfach un - beholfen ſie ſonſt noch iſt, namentlich die Malerei, und es ihr unendliche Mühe koſtet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen. Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer ſchwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem leiſen Nei - gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen Druck der Feder hervorgebracht erſcheint.

In dieſe zur geiſtigen Erregung ſo geneigte Zeit brachte der Verkehr mit dem Orient, der ſich bisher auf die Handelsverbin - dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien beſchränkt hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element. Schon ohnehin iſt der deutſche Geiſt zur Phantaſtik geneigt und wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wunderſamen Formen. von ſüdlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des811. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Wunderbaren. Der Orient aber iſt die Heimath der Wundermär - chen. Die Pilgerfahrten und Kreuzzüge ließen das Geahnte mit eigenen Augen ſchauen, und die ſarazeniſchen Länder waren aller - dings dem damals ſo eben aus der Barbarei auftauchenden Abend - lande eine Zauberwelt. Hier herrſchte überall, in Spanien, Sici - lien, Africa, im glückſeligen Orient eine überfeinerte Civiliſation, eine hoch ausgebildete Induſtrie, die das Abendland bisher nur ahnend aus den koſtbaren, reich und wunderſam verzierten, far - benglühenden Stoffen hatte kennen lernen. Hier dufteten die Ro - ſen - und Liliengärten mit den waſſerſpeienden Löwen, den rau - ſchenden Springbrunnen, eingefaßt von kühlen Bogengängen, unter ewig heiterem Himmel. Hier blühte eine großartige, phan - taſtiſche, mit ſeltſamen Verſchlingungen ornamentirte, mit den brillanteſten Farben geſchmückte Architektur von den ſchlankſten, kühnſten Formen und Verhältniſſen und den weiteſten, mit Säu - lenreihen durchzogenen Räumen, in deren fernab verklingendes Spiel von Licht und Schatten Auge und Seele ſich träumeriſch ſinnend verloren. Das ganze geſellige Leben war heiter und geiſt - reich, fein und lebendig und vom zauberiſchen Hauch der Poeſie und der Liebe durchweht.

So ging auch dem Abendländer die Welt der Wunder und Märchen, die Welt der phantaſtiſchen Schönheit auf, für die er eine offene und empfängliche Seele mitbrachte. Heimkehrend wuß - ten die Pilger von all dem Zauber zu erzählen, von der nie geſehe - nen Pracht, von der abenteuerlichen Geſtalt der Thier - und Pflan - zenwelt, und zum Beweiſe davon konnten ſie die koſtbaren Stoffe vorlegen, durchwirkt mit Einhörnern, Greifen, Drachen, Vögeln mit Menſchenköpfen, Menſchen mit Thierköpfen und ſonſtigen willkürlichen Gebilden der orientaliſchen Phantaſie. Wer mochte da noch Zweifel hegen über die Abenteuer, die Herzog Ernſt auf ſeinen wunderbaren Fahrten beſtanden hatte! ſtaunend und gläu - big hing Auge und Ohr des Volks an dem Munde der verzückten Erzähler.

Dieſer Sinn für das Phantaſtiſche und Wunderſame bemäch - tigte ſich auch alſobald der Kunſt, aber hier legte das Geſetz derFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 682II. Das Mittelalter.Ordnung und Schönheit einer überſchwänglichen Laune Maß und Zügel an. Aus dem Kirchenbau ſchwand mit der Schwere und Maſſenhaftigkeit des Mauerwerks die Enge und Finſterniß; die kleinen, weit geſtellten Fenſter in den dicken Wänden weiteten ſich und hoben ſich höher mit dem ganzen Lichtgeſchoß; die Gewölbe legten ſich heiter und frei ſtatt der flachen Decke über die lichtge - füllten Räume; die Krypten, dieſe dumpfen, unterirdiſchen Kir - chen der Todten, widerſtrebten nun dem Gefühl, denn

Man ſoll in lichter Weite
Chriſtenglauben ſehn und Chriſtes Ammet;

und endlich hob die aus dem Orient überkommene Anwendung des Spitzbogens die Maſſen und Flächen immer mehr auf, führte die Gewölbe höher und leichter empor und wies dadurch mit einer Andeutung auf die unendliche Höhe das andächtige Gemüth des Gläubigen nach Oben. Gleichzeitig hatte man die ſtarre Leere der einzelnen architektoniſchen Gliederungen gefühlt. Die Portale, ſich mannigfacher und lebendiger gliedernd, umzogen ſich in ihren Archivolten mit reichem Schmuck; das ſchwere Würfelcapitäl umlegte ſeine ungeſchmückten Flächen mit reizendem und phanta - ſtiſchem Ornament, Bandſtreifen oder Laubgewinde ſchlangen ſich durcheinander herum in künſtlicher, aber muſterhafter Ordnung, und dazwiſchen trieben wieder jene ſeltſamen Thiergeſtalten, bald frei ſich bewegend, bald in Laubwerk übergehend und ſich verlau - fend, ihr Spiel der Laune. Erſt farbiger Schmuck, dann Reliefs und Einzelfiguren belebten die Flächen, die Portale und andere Stellen; Capitäle und Laubwerk blitzten in Vergoldung; die Fenſter füllten ſich mit Maßwerk, und durch die bunten, gemalten Scheiben brach ein magiſches Flimmerlicht, das mit ſeinem unge - wiſſen, farbigen Lüſtre harmoniſch ſtimmte zur verzückten Andacht der in ſchwärmeriſches Sinnen verſunkenen Seele.

Es iſt natürlich, daß die ganze äußere Erſcheinung der Menſchenwelt, aus deren veränderter geiſtigen Richtung alle dieſe Umwandlungen vor ſich gingen, in gleichem Maße den Umſchwung831. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.zu erkennen gab, umſomehr als die nun zur Herrſchaft gekommene Frauenwelt ohnehin auf dieſem Gebiet zu allen Zeiten und bei allen Völkern die größere und bedeutendere Rolle geſpielt hat. Die Frauen treten daher auch in unſrer Darſtellung dieſer Periode durchaus in den Vordergrund. Wie ſich in der Geſellſchaft ein neues, blühendes und farbenglänzendes Leben dem Frühling gleich entwickelt, wie der Schmuck ſich aus dem Rohen, Schweren und Ueberladenen zum geläuterten Kunſtſinn herausarbeitet, wie die Gefühle und Empfindungen, die Sprache und die Weiſe des Um - gangs ſich verfeinern und in zierliche Formen kleiden: ſo ändert ſich auch in demſelben Sinne die äußere Erſcheinung des einzel - nen Menſchen; aus dem Reizloſen und faſt Barbariſchen, wie wir ſie im elften Jahrhundert verlaſſen haben, gelangt ſie zur Grazie, zu gefälliger Eleganz, ja entwickelt ſich zu plaſtiſcher Schönheit.

Zunächſt hat ſich, wovon wir nur Andeutungen im Zeitalter Karls des Großen fanden, eine bis ins Kleinſte gehende Schön - heitslehre in der höfiſchen Dichtung herausgebildet, welcher die Kunſt nach Kräften zu entſprechen ſucht. Das Nibelungenlied, welches, auf älterer Grundlage ruhend, von einzelnen Stellen des ſpäteren Bearbeiters abgeſehen, im Ganzen uns einen Cul - turzuſtand vorführt, den wir ſpäteſtens als den Uebergang zur Periode der Minne und des höfiſchen Ritterweſens bezeichnen dür - fen, begnügt ſich mit allgemeinen Vergleichen und der Angabe des Eindrucks, den die Schönheit auf den Schauenden ausübt. Gelegentlich ſpricht es auch wohl von Brunhildens weißen Armen, und von der roſenrothen Farbe und den weißen Händen der Chriemhilde. Die Hauptſchilderung lautet aber anders. So geht Chriemhilde einher wie das Morgenroth, das aus trüben Wolken bricht; ihr Anblick ſcheidet manchen, der ſie im Herzen trägt und ſie nun in Herrlichkeit ſtehen ſieht, von ſeiner Noth. Oder ſie wird mit dem Mond verglichen, und wie dieſer in lichter Klarheit vor den Sternen ſteht und mit lauterem Schein durch die Wolken bricht, ſo ſteht ſie vor den andern Frauen und erhöhet den Muth manches Helden. Zu Schiedsrichtern im Reich des Schönen macht das Nibelungenlied die Kenner der Frauen und die Weiſen,6*84II. Das Mittelalter.jene, welche der blendenden Erſcheinung Brunhildens den Vorzug geben, und dieſe, welche dem ſtill gewinnenden, aber ewig feſſeln - den Reiz der Chriemhilde den Preis zugeſtehen.

Es ſind wenige unter den höfiſchen Dichtern, welche den Weiſen des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der äußern Formenſchönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel - weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch der Haß könne in ſchöner Bruſt wohnen; Liebreiz gebe Schönheit und dem Herzen Luſt zugleich; Schönheit allein mache nie ein Weib liebenswerth. Andere, wie der ſeltſame Ulrich von Liechten - ſtein, bemühen ſich an ihrem Ideal beides aufzufinden; ſeine Frau, die ſchönſte aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem Leib, deren ſüßer und heißer Mund röther blühet denn die Roſe und ſo keuſchlich lächelt, ſie iſt loſe mit Züchten, ſie iſt gut, keuſch, fröhlich, ſtet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre ſüßen Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an - lachen, da ſieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von Eſchenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen - ſchaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der Repanſe de Schoie, der Trägerin des Grals, die ſo ſchön war, daß ihre Weiße den Schnee zu ſchwärzen ſchien. Die meiſten Dich - ter aber, insbeſondere die Epiker der ſpäteren Zeit, laſſen die äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen ſich in der Schilderung derſelben gern in behaglicher Breite. Sie blei - ben ſich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren ſelbſt ſehr wenig in den Vergleichen ſo daß wir daraus erſehen, wie ſich die conventionellen Anſichten von der Schönheit im Geſchmack voll - kommen feſtgeſtellt haben.

Völlig entſprechend der Veränderung, welche, wie wir ſehen werden, den Fortſchritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich - nete, war für die ganze Figur, um als ſchön zu gelten, Schlank - heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Büſte und der zart gedrollenen Hüften, die ſich innerhalb der Gränzen der maßvoll - ſten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang ſein, der Leib in der Taille zart und fein und ſchmal:

851. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Ihr wißt, wie Ameiſen pflegen
Um die Mitte ſchmal zu ſein,
Noch ſchlanker war das Mägdelein,

ſagt Wolfram von Eſchenbach von der ſchönen Antikonie. Im Ortnit wird die kaiſerliche Prinzeſſin geſchildert: von rechter Größe, ſchmal zu beiden Seiten und von den Schultern bis zu den Füßen gedreht wie eine Kerze. Auf dieſer Schlankheit und Zier - lichkeit der Taille beruhte die Grazie in Gang und Bewegung, daher die Damen um die Mitte ſchwank genannt werden, gleich dem Rohr, das ſich grazios im Waſſer bewegt.

Die Maget war zu Maße lang,
Inmitten ſchmal und rund und ſchwank,

das iſt die Frau Abenteuer bei Peter Suchenwirt. Durch den Schnitt der Kleidung half man der Natur nach. Die Plaſtik, die ſich in dieſer Periode aus der früheren Roheit raſch zur Höhe ent - faltet, führt uns alle Frauengeſtalten in dieſem Geſchmack vor: ſie ſind durchaus ſchlank und in den Hüften leicht und elaſtiſch bewegt. Den Höhepunkt dürften unter andern die lieblichen klu - gen und thörichten Jungfrauen an der Brautthür der Nürnberger Sebalduskirche bezeichnen, deren Entſtehung den Bildern der Maneſſiſchen Liederhandſchrift gleichzeitig in den erſten Anfang des vierzehnten Jahrhunderts fällt.

Für die Hautfarbe wurde in Deutſchland und Frankreich durchaus Roth und Weiß verlangt. Leib, Arme, Hände und Schläfen mußten weiß ſein, ſchwanenweiß, weiß wie Elfenbein, Hermelin, Schnee und Lilien die Dichter ſind nicht arm an dieſen Vergleichen. Auf den vollen Wangen aber ſollten die friſchen Roſen blühen, wie Kondwiramur, Parzivals ſchöne Gemahlin, von Wolfram geſchildert wird:

Alſo ſaß des Landes Frau,
Wie erquickt von ſüßem Thau
Die Roſe aus der zarten Hülle
Hebt des Schimmers friſche Fülle,
Der zumal iſt weiß und roth.
86II. Das Mittelalter.

Die Weiße und Röthe ſollten ſich gegenſeitig durchdringen und in dem Maße gemiſcht ſein, daß die Röthe den beſſern Theil hat. Auf den Miniaturen dieſer Zeit, bei denen die nackten Theile ge - wöhnlich ungefärbt gelaſſen ſind, finden wir doch auf den Wan - gen der Frauen nicht leicht den rothen Fleck vergeſſen. Die engliſchen Damen machten in dieſem Geſchmack eine Ausnahme; ſie liebten ſchon damals wie noch heute mit ariſtokratiſchem Tick die blaſſen Wangen und ſuchten ſie künſtlich herbeizuführen, wenn die Natur ſie allzu - freigebig mit der Farbe der Geſundheit beſchenkt hatte. Mittel gab es mancherlei, ſowohl in Geſtalt von weißen Schminken, als Waſſer und Eſſenzen zum Waſchen und zum Trinken. Auch wur - den Hunger und Aderlaß zu dieſem Zwecke angewandt. Umgekehrt bediente man ſich in Deutſchland, Frankreich und Italien für die Wangen der rothen Schminke, und um ſich dauernd zu färben, fanden es die Franzöſinnen für gut, tüchtig und kräftig zu früh - ſtücken, während die deutſchen Damen, der Leidenſchaft ihres Lan - des getreu, dem Weine zuſprachen. Im alten Volkslied heißt es vom Rheinwein:

Schenk du ein!
Trink, gut Kätterlein,
Machſt rothe Wängelein.

Beſonders waren damals die Florentinerinnen berühmt als Mei - ſter in der Geſichtsmalerei. Die Mittel, wodurch man dem Teint nachzuhelfen ſuchte, waren ſchon im Nibelungenlied ſo bekannt, daß der Dichter von den Frauen am Hofe Rüdigers rühmend ſa - gen konnte, daß man wenig gefälſchte Frauenfarbe dort gefunden habe. Sie wurden ſammt den Salben, mit denen man die Run - zeln ausſchmierte, in dieſer Schönheit bedürftigen Zeit ſo zahlreich es werden dreihundert angegeben , und ihr Gebrauch dehnte ſich in dem Maße aus, daß die Geiſtlichkeit für nöthig hielt, da - gegen zu Felde zu ziehen. Ihr Grund, den ſie anzuführen pflegt, iſt etwas eigenthümlicher Art. Die Frau, ſagen ſie, welche eine fremde Farbe auf ihr Geſicht aufträgt, die will ein Geſicht haben, wie es der Maler macht, aber nicht, wie es ihr Gott erſchaffen hat: ſie verleugnet alſo Gott. So ſagt auch Bruder Berthold, der Pre -871. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.diger: Pfui, ihr Färberinnen und ihr Gilberinnen (die das Haar gelb färben), wie gerne ihr zu dem Himmelreich möchtet kommen! Ihr ſeid aber fremde Gäſte zu dem Himmelreich. Denn ihr habt Gottes verleugnet und davon verleugnet er eurer auch. Ein ander Mal ſagte er: die Gemalten und die Gefärbten, die ſchämen ſich ihres Antlitzes, das Gott nach ſich gebildet hat; ſo wird auch er ſich ihrer ſchämen und ſie werfen in den Grund der Hölle. Scherz - hafter Weiſe wurde dieſe Fehde der Geiſtlichen in einem gleichzei - tigen Gedicht ſo aufgefaßt, als ob die Mönche, bis dahin die ausſchließlichen Beſitzer der Malerei, in ihrem Privilegium durch das Bemalen der lebendigen Geſichter Eintrag erlitten. Sie kla - gen deßhalb vor Gottes Thron, daß die rothangeſtrichenen Frauen ihre rothwangigen Heiligenbilder in der Kirche überſtrahlten, und verlangen, Gott ſolle ihnen das verbieten. Die Frauen meinen, ihr Recht ſei älter als die Heiligenmalerei, und ſie nähmen den Mönchen nichts, wenn ſie die Runzeln verſtrichen, um die Män - ner länger am Narrenſeil führen zu können. Gott iſt gnädig ge - ſinnt und will den Frauen das Recht des Bemalens vom fünf - undzwanzigſten Jahre an gerechnet noch auf fernere zwanzig zu - geſtehen. Dieſem Vorſchlage widerſetzen ſich die Mönche und wol - len nur zehn Jahre gewähren, und auch das nur aus überflüſſiger Gnade. Durch einen Vergleich werden endlich den Frauen funf - zehn Jahre zugeſtanden.

Von der Haut verlangte man neben der blanken Glätte, Rein - heit, Weiße und linden Weichheit noch Feinheit und Durchſich - tigkeit, daß man am Halſe den rothen Wein durchſchimmern ſehen konnte, wenn eine ſchöne Dame trank. Dieſe Vorzüge zu erhalten, brauchte man als Waſchmittel gekochtes und wieder abgekühltes oder von Lilien, Bohnen und anderm abgezogenes Waſſer; es gab auch Mittel gegen Narben und Sommerſproſſen und ſonſtige Flecken und Unreinheiten der Haut. Der Gebrauch der Bäder zu dieſem Zweck pflanzte ſich durch das ganze Mittelalter fort. Jede größere Wohnung hatte ihre im Winter geheizte Badeſtube, wäh - rend die kleineren ſich mit Badewannen begnügen mußten. Wer keinen eigenen Herd hatte, beſuchte die öffentlichen Badeſtuben88II. Das Mittelalter.wenigſtens einmal wöchentlich. Der Tannhäuſer that das zwei - mal, wie er in einem Gedicht erzählt, und das nahm nebſt ſchö - nen Weibern und leckerem Frühſtück ſeinen Geldbeutel ſtark in Anſpruch. Gäſten, die von der Reiſe kamen, wurde von ihren Wirthen zuerſt ein Bad bereitet. Die Bedienung geſchah hier wie in den öffentlichen Badſtuben von Frauenhänden. Der Badende wurde erſt mit lauem Waſſer gewaſchen, dann übergoſſen, gerie - ben und geknetet.

Den Kopf bildeten die geiſtlichen Künſtler, die Bildhauer ſowohl wie die Maler, welche letzteren es mit weniger geſchickter Hand jenen gleichzuthun trachteten, im Ganzen in mehr rundli - chen und weichen Formen, der deutſchen Natur getreu, der ſie ſicherlich nachgearbeitet haben. Die Antike iſt völlig von der neuen, originell auflebenden Kunſt vergeſſen. Das Oval des Geſichts nähert ſich bedeutend dem Runden, die Stirne iſt hoch und rund gewölbt, der Stirnknochen über dem Auge rund gear - beitet, die Naſe, fein und nicht lang, zieht ſich nach einem Anſatz von leiſer, ſanfter Einſenkung in grader Linie herab, die Wan - gen ſind voll und rund, der Mund klein, doch voll, das Kinn fein, gerundet und ſelbſtſtändig, mit gerundeter Vertiefung zwi - ſchen ihm und der Unterlippe. Die Dichter ſtimmen mit dieſer Bildung des Kopfes völlig überein, obwohl ſie von der Farbe gewöhnlich mehr und poetiſcher zu reden wiſſen als von der Form. Sie beſchreiben die Stirn als weiß, offen, klar und gewölbt, die Naſe eher klein als lang und nicht oder ein klein wenig ge - bogen, die Wangen voll, aber zart gedrenget und blühend, und das Kinn wohlgeſtellet zu der Minne , rund und weiß wie Alabaſter, auch wohl mit einem Grübchen, wie mit dem Finger gedrückt. Der kleine, ſchwellende, kußliche Mund, der jeden Kummer vergeſſen macht, ſtand der ſchönen Hero nach dem mittelalterlichen Gedicht wie ein lichter Rubin, als ob er in Feuer entzündet wäre. Ulrichs von Liechtenſtein geliebten Frau iſt er heiß und ſüß, röther denn eine Roſe. Glühend und bren - nend wie ein Rubin, roſenfarben, mit Roſen beſtreut, blutroth, feuerroth als könne man Feuer daraus ſchlagen, glühend und891. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.roth wie keine Blume im Kranz ſo ſind die gewöhnlichen Be - zeichnungen des Mundes. Süßer Athem ſollte aus ihm hervor - gehen. Die Reihe der lichten Zähne ſchildert Wolfram von Eſchenbach bei Jeſchute, der ſchönen Gemahlin des Herzogs Ori - lus de Lalander, als ſchneeweiß, zuſammen dicht gefügt und klein ; ſonſt werden ſie noch eben und geſund genannt und mit dem Elfenbein verglichen. Als Eigenſchaften der Ohren gelten Kleinheit, Weiße und ovale Rundung. Die Brauen und die Wimpern ſollen braun ſein, um ſich durch den Gegenſatz zu der lichten Farbe des Geſichts und dem blonden Haare bemerklich zu machen. Es bekundet das ein feines Gefühl für den geiſtigen Ausdruck der Schönheit, denn wenn die Brauen hell gegen Stirn, Wangen und Haare abſtechen, ſo erſcheint das Geſicht todt oder büßt wenigſtens an lebendigem Ausdruck ein. Die Linie der Brauen, fein, wie mit dem Pinſel geſtrichen , ſteht Anfangs ziemlich grade über dem Auge, dann verliert ſie ſich nach den Schläfen zu in einem ſanften, leiſen Bogen. Auf den Malereien iſt die Linie häufig ein reiner Bogen.

Die Augen ſollen weit geſtellt ſein. Die blaue Farbe hat in dieſer Zeit ihren Werth verloren; man liebt ſie braun, aber hell und klar,

Zwei Augen, braun nach Falkenart,
Darin das Weiße ſich nicht ſpart.

Wenn die Augen der Frauen mit denen ihres Lieblingsvogels, des Falken, oder mit denen des Adlers verglichen werden, ſo ſoll damit außer der Größe und der hellen Farbe, die zu verſchiedenen Zeiten wie bei verſchiedener Seelenſtimmung des Menſchen an - dern Charakter anzunehmen vermag, auch das Seeliſche, faſt Träumeriſche des Blickes angedeutet werden, der aus der Tiefe kommt und in die Tiefe dringet, hinter welchem man eine ganze Welt von Gedanken und Gefühlen zu ahnen glaubt. Die Augen ſollen leuchten wie der Sterne Schein; ihre freundlichen, lachen - den Blicke machen alles Leid vergeſſen. In den Zeichnungen ſind die Augen meiſtens lang gezogen, wie lang geſchlitzt, und die Lieder ein wenig geſenkt was in der altvenetianiſchen90II. Das Mittelalter.Schule dieſer Zeit zum vollen Kunſtſtil ausgebildet iſt , ſodaß ſie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen, der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der Bühne und im Leben geſchieht, liebten und verſtanden es die Engländerinnen ſchon damals dieſen Ausdruck zu verſtärken. Selbſt die großäugigen Madonnen der Kunſt, die früheren hohen Himmelsköniginnen mit dem ſtarren Herrſcherblick der Majeſtät, ſie werden mit geneigtem Haupt und geſenkten Augenliedern menſchlich liebende Mütter und menſchlich ſchmachtende Jung - frauen.

Das blonde Haar war glücklicher als die blauen Augen, es behauptete ſich in unvergänglichem Ruhm, ſodaß es nöthigen - falls, wenn die Natur ungnädig es verſagt hatte, wie in alten Zeiten durch Färben hergeſtellt wurde. Doch war das braune nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans Schweſter Itonje ſehen:

Die den rothen Mund, das braune Haar
Ihr ſeht bei hellen Augen tragen.

Sonſt ſind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und goldfarben, goldglänzend, gleich geſponnenem Gold, ſo und ähn - lich lauten die Beiwörter. Fein wie Geſpinnſt und lockig ſollte es ſein,

Als Gold geſponnen war ihr Haar,
Gedoldet als die Träubel,
Und ſchimmert als die Läubel,
Die reich vor Golde zittern.

So lang wünſchte man es, daß man ſich drein hüllen konnte. Die Eigenſchaften eines ſchönen Scheitels ſind Schmalheit und Weiße. Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar, der damaligen freien Haartracht entſprechend. Rührend iſt die Scene, wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen, in langer Reihe zum Tode bereit daſitzen, und als die Reihe des Sterbens an den jüngſten, den blondgelockten, kommt, dieſer bittet, man möge ſein ſchönes Haar zuvor aufbinden, damit es nicht blutig werde. Die Künſtler dieſer Zeit, die Verfertiger911. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.der Miniaturen, malen ohne Ausnahme das Haar immer gold - blond; es ſei denn, daß ſie mit anderer Farbe einen Mangel des Standes, des Charakters oder die Abkunft von einer fremden, barbariſchen Nation ausdrücken wollen.

Welchem Stande jemand angehörte, ſuchte man ſchon da - mals an den Armen, Händen und Füßen durch unterſchei - dende Merkmale in der Form oder auch durch größere Sorgfalt in der Behandlung zu erkennen. Zur vollen und feinen Schön - heit mußten ſie hovelich , ritterlich, oder nach unſerer Ausdrucks - weiſe ariſtokratiſch ſein. Bei der Hand waren die dazu erforderli - chen Eigenſchaften außer der Weiße und Weichheit die weiße, linde Hand kommt unzählige Male vor grade wie heute noch die Kleinheit, die längliche und ſchmale Form, nebſt langen, gra - den, glatten Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten - geln, in denen ſich das Geſicht ſpiegeln konnte. So werden in einem Gedicht dieſer Zeit mitgetheilt in von der Hagens Ge - ſammtabenteuern die Hände einer ſchönen Meierin geſchildert als weiß, ariſtokratiſch und lang und darum einer Gräfin wür - dig. So ſagt auch Peter Suchenwirt von der ſchönen Frau Abenteuer:

Sie war geboren von reiner Art,
Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang.

Daß die Damen Englands ſich ſchon zu jener Zeit durch dieſen Vorzug vor denen anderer Völker auszeichneten, erfahren wir aus einem Gedicht Kaiſer Friedrichs II., der dieſe Eigenſchaft an ihnen rühmt; er konnte hier aus Erfahrung ſprechen, da ſeine zweite Gemahlin bekanntlich eine Prinzeſſin dieſes Landes war. Auch für die Arme ſtellte man die Forderung des Ritterlichen oder Höfiſchen auf; man verlangte Weiße, Weichheit, Länge, ſchöne Rundung und gemäßigte Fülle. Eine ariſtokratiſche Eigen - ſchaft der Füße war außer der Weiße, Kleinheit und Zierlichkeit die hohe, gebogene Form des Riſtes, ſodaß unter demſelben ſich eine Höhlung bildete, groß genug, um einen Zeiſig zu verbergen. So wird im Wigamur der Fuß der Königin Nyfrogar geſchildert, die ihre hohe Abkunft auch durch weiße Händlein und lange Fin -92II. Das Mittelalter.ger bekundete, und ebenſo heißt es von den Füßen der griechiſchen Prinzeſſin Ute, wie ſie dieſelben dem vor ihr ſitzenden König Ro - ther in den Schooß legt:

Die Füßlein waren zierlich und in der Mitte hohl.

Ein platter, flacher Fuß war Zeichen gemeinen Standes, wie er noch heute in Amerika als eine durchgängige Eigenſchaft des Ne - gers gilt, der mit der Mitte des Fußes ein Loch in den Boden drückt, ſtatt mit Ferſe und Ballen. Hals und Nacken muß - ten weiß ſein und von vollendeter Rundung, die Brüſte hoch - ſtehend, weiß, klein, wie gedrechſelt.

Zwei Brüſtel als zwei Birel
Geſchmieget an ihr Herzel zart.

Die Beine der ſchönen Phyllis, die den weiſen Ariſtoteles zum Liebesnarren macht und Morgens in der Frühe durch das thauige Gras vor das Fenſter Alexanders reitet, werden beſchrieben wei - ßer als Schloſſen, grader als eine Kerze und blank ohn alle Schwärze.

Mit dieſer im Detail völlig ausgebildeten und einer feinen Cultur angehörenden Schönheitslehre ſteht der Eindruck, den die Dichter die Erſcheinung einer ſchönen Frau auf die Herzen der Schauenden machen laſſen, in Einklang; die Zeit hat nicht bloß eine kühle Theorie entwickelt, ſie iſt ſelbſt von der Empfindung wahrer Schönheit im Innerſten mächtig ergriffen. Keiner hat das ſchöner ausgeſprochen als Walther von der Vogelweide in ſeinem Lobgedicht auf die Frauen:

Durchſüßet und geblümet ſind die reinen Frauen,
Es ward nie nichts ſo Wonnigliches anzuſchauen
In Lüften, auf Erden, noch in allen grünen Auen.
Lilien, Roſenblumen, wo die leuchten
Im Maienthau durch das Gras und kleiner Vögelein Sang,
Das iſt gegen ſolche wonnereiche Freude krank.
Wo man eine ſchöne Frau ſieht, das kann trüben Muth erfeuchten
Und löſchet alles Trauren an derſelben Stund.
So lieblich lachet in Liebe ihr ſüßer, rother Mund,
Und Strahlen aus ſpielenden Augen ſchießen in Mannes Herzens Grund.
931. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

Was ſind alle Wonnen des Mais, ſo ruft derſelbe Dichter aus, und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib. Und wenn er zwiſchen beiden wählen ſollte,

Ahi, wie ſchnell ich dann köre!
Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.

In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar - mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller ſchlechten Traurigkeit.

Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der - fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun - gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden - mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft, deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken, männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei - nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob - wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi - kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale. Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender94II. Das Mittelalter.Leib, kleine hohle Füße ſind ihnen die Erforderniſſe männlicher Schönheit. Auch den Mann ſollte ein goldiges, gelocktes Haar ſchmücken, während das rothe, feuerfarbene von der ſymboliſiren - den Zeit, die gern vom Aeußern auf das Innere ſchloß, auf ein falſches Herz gedeutet wurde. Die weißen Hände zeichneten auch den Mann nach ſeinem Stande aus, und es wurde viel Pflege und Sorgfalt an ſie gewendet. Sollte ich vom Pflügen ſchwarze Hände tragen, meint der Meierſohn Helmbrecht, der nach adliger Art leben will, ſo hätte ich große Schande, wenn ich tanzte an Frauen Hand. Die provençaliſche Liebeslehre und Liebeskunſt ſchreibt vor, daß die Hände ſauberer zu halten ſeien, als jeder andere Theil des Körpers, denn ſie ſeien die Diener der ununter - brochenen Dienſtesleiſtungen, welche die Liebe ausdrücken, von der der Liebhaber durchdrungen iſt. Wolfram beſchreibt des Königs Vergulacht Lieblichkeit, als ſähe man den Mai blühen in der Roſenzeit, und ſein Held Parzival bannt mit der Farbe ſeiner Wangen den Wankelmuth der Frauen und weiß mit ſeinem Glanz Augen und Herzen feſtzuhalten. Doch geſteht er der blin - den Liebe Ausnahmen zu und läßt die wunderſchöne Königin des Grals, Repanſe de Schoie, von Liebe zu dem gefleckten Feirefis erglühen, wie einſt deſſen Vater Gahmuret in ſeine Mutter, die ſchwarze Mohrenkönigin von Zazamank, ſich verliebt hatte.

Die reichen und lockenden Bilder der Schönheit, welche uns die Dichter vorführen, werden in charakteriſtiſcher Weiſe durch Bilder der Häßlichkeit ergänzt, wie ein Gegenſatz den andern er - läutert. Doch geſchieht es in ſparſamer Weiſe, da ſchon die bloße Schilderung einer häßlichen Frau als Beleidigung des ganzen ſchönen Geſchlechts angeſehen werden konnte. Wolfram von Eſchenbach ſchildert mit ſichtlichem Wohlgefallen die Hexe Kon - drie im Parzival, obwohl er ſich vorher höflichſt gegen die Da - men entſchuldigt, daß er ſo wider die Zucht von einer Frau ſprechen müſſe. Dieſes Hagelſchauer der Freuden war denen nicht gleich, ſo man beau gens nennt; ihr langer, ſchwarzer und feſter Zopf ſchwang ſich über den Hut bis auf den Rücken des Maulthiers, das ſie ritt; er war nicht allzuklar und lind wie951. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.das Rückenhaar der Schweine. Ihre Naſe glich der eines Hun - des, und aus dem veilchenblauen Munde ragten ihr zwei ſpan - nenlange Eberzähne. Ihre Augen hatten die Gelbe des Topaſes, jede Augenbraue ſchwang ſich nieder in langen Zöpfen. Ohren hatte ſie wie ein Bär, und ihr rauhes Antlitz, deſſen Haut durch die Haare hindurch die Sonne nicht zu ſchwärzen vermochte, ſcheuchte jedes zärtliche Begehren. Die Farbe ihrer Hände glich der Haut des Affen, und die Nägel waren glanzlos und wie - wenklauen. Wir glauben dem Dichter gern, daß es ſelten Kampf und Streit um dieſe ſchöne Braut gegeben. Sie hatte einen Bruder, genannt Malkreatür, in allem ihr ähnlich; auch er trug links und rechts die Hauzähne des Ebers, und ſein Haar glich Igelsborſten, ſcharf wie Glas, welches die Hand Gawans blutig machte, als er ihn dabei ergriff und zu Boden warf. Im Iwein wird der Bauer, welcher die wilden Thiere hütet, als Bild abſchreckender Häßlichkeit geſchildert. Auf dem dicken Kopfe hatte er rußfarbenes, ſtruppiges Haar, welches an Haupt und Bart ganz und gar mit der dicken Schwarte verwachſen war. Sein breites Antlitz war mit tiefen und weiten Runzeln bedeckt. Bart - haar und Brauen waren lang, rauh und greis, ſeine Ohren breit wie eine Wanne, die Naſe groß wie beim Ochſen, kurz und weit, das Antlitz dürr und flachgedrückt, das Auge roth, der Mund weit geſchlitzt und mit langen und weit herausragenden Eberzäh - nen. Das Haupt hing ihm herunter, als ob das rauhe Kinn in die Bruſt wüchſe, dagegen war ſein Rücken hinaufgezogen, und bog ſich mit einem Höcker aus. An Farbe glich er einem Moh - ren.

Körperliche Häßlichkeit repräſentirt in dieſer Zeit zugleich niedrige Geburt und moraliſche Schlechtigkeit. Mit den höfiſchen Dichtern, denen ein edelgeborner und edelgeſinnter Mann nie häßlich und ein gemeiner Bauer oder Böſewicht nie ſchön iſt, ſtimmt die Kunſt überein. Noch in der Malerei und der Sculptur des funfzehnten Jahrhunderts iſt das Laſter, die Schlechtigkeit und die Bosheit immer häßlich dargeſtellt. Auch in der Heidel - berger Handſchrift des Sachſenſpiegels, welche gegen Ende des96II. Das Mittelalter.13. Jahrhunderts angefertigt worden, hilft ſich der Zeichner der Bilder in dieſer Weiſe, wenn er die Stände charakteriſirend un - terſcheiden will. Der Bauer hat kurzes, ſchlichtes oder wollig krau - ſes Haar und ein häßliches Profil mit einer plumpen, einwärts gebogenen Naſe, deren dicke Spitze weit heraustritt; auch der Mund iſt möglichſt unſchön gezeichnet und meiſtens ſteht die Oberlippe weit vor. Ganz ebenſo wird auch der Sohn eines Ad - ligen bildlich dargeſtellt, wenn er von ſeiner Mutter her dem Vater nicht ebenbürtig iſt, um in dieſer ſeiner Eigenſchaft alſo - gleich erkannt werden zu können.

Dem großartigen Umſchwunge gegenüber, der das Leben und die geſammte Anſchauungsweiſe der abendländiſchen Völker in dieſer Periode umſchuf, dürfte die Veränderung gering erſchei - nen, welche das Trachtenweſen, wie es in gleichem Stil und faſt gleichen Formen die weſtliche Chriſtenwelt beherrſchte, in ebenſo gleicher Weiſe traf. Denn wohl kein einziges neues Kleidungs - ſtück wurde erfunden wie das überhaupt ein ſchweres und ſeltnes Ding iſt ; jede Umänderung geſchah nur an dem Al - ten, deſſen Grundform immer erkennbar bleibt. Und dennoch wandelte ſich der ganze Charakter um. Mit dem Anfang dieſer Periode beginnt auch das Werden einer ſpezifiſch mittelalterlichen Tracht, die immer als eine originale zu bezeichnen iſt. Die faſt barbariſche Rohheit und Formloſigkeit wich in allmähligem Wer - den der plaſtiſchen Schönheit; an die Stelle der Ueberladung trat feine Eleganz, an die Stelle gefühlloſen Ungeſchmacks freie Anmuth und natürlicher Reiz.

Das alles geſchah unter dem ſittigenden und verfeinernden Einfluß der Frauenherrſchaft. Wo ihre Hände und ihr feinfüh - lender Sinn regieren, weicht die Rohheit ſcheu zurück. Mit ſich ſelber fingen ſie die Beſſerung an, um in ihrer Erſcheinung auch der ſchmachtenden Männerwelt ein der Verehrung würdiges und die Anſprüche der Schönheit und der Sitte befriedigendes Bild aufzuſtellen. Im elften Jahrhundert hingen, wie wir geſehen haben, die untere und obere Tunica, ſenkrecht in ungebrochener Linie herabfallend, in ſackähnlicher Weite platt und flach um den971. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Leib, ohne daß ſie durch ſchönen Faltenwurf dem ſtrengen Schön - heitsgefühl in claſſiſch-antiker Weiſe Genüge thaten, noch durch anſchmiegende Umziehung der Körperformen die trunkenen Augen des Liebhabers an der ſchönen Geſtalt ſich weiden ließen und die Bewunderung des Kenners zu feſſeln wußten. Dieſe Mängel ſollten noch durch den Glanz der breiten Goldborten und das Blitzen der Edelſteine erſetzt werden. Die Frau des elften Jahr - hunderts war, das Geſicht ausgenommen, in ihrem Aeußern eine des Reizes und der Anmuth entbehrende Erſcheinung. Das än - derte ſich nun in beiden Beziehungen. Einerſeits ſchmiegte ſich nunmehr die Kleidung am Oberkörper den Formen an, daß ſie in voller Schönheit hervortraten. Andrerſeits wurde nach unten hin die Kleidung länger und weiter und bot zu plaſtiſcher Ent - wicklung des Faltenwurfs hinreichende Gelegenheit. Das eine wie das andre geſchah mit freiem Bewußtſein, denn wie man der Schlankheit und dem Streben, die Formen zu zeigen, durch Schnüren zu Hülfe kam, zwar nicht durch eine Schnürbruſt, ſon - dern durch das Einziehen der aufgeſchnittenen Kleider, ſo halfen auch die Frauen mit kunſtreicher und kunſtſinniger Hand den Falten nach. So muß aus dieſem Grunde Ulrich von Liechten - ſtein, da er auf ſeiner Venusfahrt Frauenkleider anlegt, weibliche Hülfe in Anſpruch nehmen.

Ich führt ein Röckel, das war weiß,
Daran die Falten mit großem Fleiß
Von Frauenhänden waren gelegt.

Ein anderes Mal legte er über den Harniſch ein weiß gefalten Röcklein an. Wenn die Dichter die ſchlanken und ſchwanken Frauengeſtalten ſchildern, ſo erwähnen ſie häufig, daß die Ge - wandung eng um den ſchmalen Leib geſchnürt iſt. Im Winter, wo die Kleidung ſchwerer war und die Formen mehr verhüllte, klagen ſie, daß ihnen dadurch der Anblick der Schönheit entzogen werde. Im Sommer ſtand er alſo frei, während bei der Tracht der vorigen Periode von demſelben hatte keine Rede ſein können. Daß die Künſtler, durch den Anblick der Natur in ihrem Ge - ſchmack gereinigt und in ihrem Formenſinn gebildeter geworden,Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 798II. Das Mittelalter.die Frauengeſtalten in Gemäßheit dieſer Kleidung ſchlanker, na - türlicher und ſchöner bilden, iſt bereits erwähnt. Wie hierin, ſo iſt der Einfluß des ſie umgebenden Lebens auch in der Ausbil - dung eines reinen Stils im Faltenwurf zu erkennen, welcher die Plaſtik dieſer Periode vor der frühern und namentlich auch vor der des funfzehnten Jahrhunderts auszeichnet und ſie darin, obwohl in völlig unabhängiger Weiſe, der Antike nahe bringt. Die nächſte Umgebung, das Leben ſelbſt bot dem künſtleriſchen Auge Muſter plaſtiſcher Schönheit in Fülle, Muſter, die ungezwunge - ner Weiſe mit Wahrung aller natürlichen Elaſticität des Körpers die ſchönen Formen zeigten und zugleich in den ſanft geſchwun - genen Linien und dem leichten Fluß des Stoffes das Geheimniß des edlen Faltenwurfs enthüllten. So iſt es kein Wunder, wenn die plaſtiſche Kunſt aus der oft abſchreckenden Roheit der ältern Zeit ſich in unerwarteter Raſchheit zu ſolcher Höhe entwickelte, wie ſie z. B. die Statuen im Naumburger Dom, die Figuren der goldenen Pforte zu Freiberg und die klugen und thörichten Jungfrauen an der Sebalduskirche in Nürnberg bekunden, welche letzteren insbeſondere für den Faltenwurf muſtergültig ſind. Es wirkte zu demſelben Ziele noch der Umſtand mit, daß als herr - ſchender Stoff der Kleidung an die Stelle der früher ſo beliebten und allgemein getragenen Leinwand die Wolle trat. Feine wol - lene Stoffe bildeten auch die gewöhnliche Kleidung der vorneh - men Stände, wenn auch die Dichter ihre Helden und Heldinnen mit allen Koſtbarkeiten von Sammet und Seide zu umhängen wiſſen, Koſtbarkeiten, die weither über das Mittelmeer aus den ſarazeniſchen Ländern herbeigeführt wurden. Die ſchmalen, trock - nen, parallelen Falten ſchwanden mit der Leinwand aus dem Anblick der Menſchen und damit auch aus der Kunſt, während mit der Wolle, die je nach ihrer Dicke oder Feinheit großartigen oder ſanften und fließenden Wurf gewährte, auch in dieſer Be - ziehung ein guter Geſchmack einkehrte.

Nur langſam folgt die männliche Tracht in ihrer Entwick - lung der weiblichen. Sie ändert ſich dahin, daß ſie mehr und mehr die formloſe Weite verliert und ſich den Formen des Kör -991. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.pers nähert. Andrerſeits aber unterwirft ſie ſich gewiſſermaßen der Frauenherrſchaft, indem ſie mit anwachſender Länge, die in der Höhezeit bis zu den Füßen herabreicht, man möchte ſagen, weiblichen Charakter offenbart. Es iſt, wie der Ritter ſelbſt mit ſeiner Hingebung, Schwärmerei und Verſenkung in die Welt der Gefühle nur zu oft aus der männlichen Sphäre herausfällt und in die des Weibes ſich begiebt. Wie aber der Frauencultus nur die höfiſchen und ritterlichen Stände ergriff, und bei ihnen allein die geiſtige Blüthe der Zeit in voller Ueppigkeit prangte, ſo ge - langte auch das Trachtenweſen nur bei ihnen zu der angedeuteten Entwicklung. Erſt am Schluß der Periode wurde das Bürger - thum hineingezogen, während der Bauerſtand in einzelnen ge - ſegneten Gegenden eine Carricatur daraus machte. In den un - tern Schichten der Geſellſchaft blieb die kurze, aufgebundene Tu - nica, der Rock des Mannes, und in der weiblichen Welt eine weitere und weniger lange Kleidung herrſchend. Daneben hält ſich auch bei einzelnen Matronen vornehmen Standes, noch bis in viel ſpätere Zeit, eine weite und lange Kleidung, welche zwar durch größere Maſſe und Faltenwurf die frühere Unſchönheit und Form - loſigkeit vermeidet, die Glieder aber nonnenhaft ehrwürdig ver - hüllt. Ueber den Hüften lag ein Gürtel, Haar und Kinn waren durch Schleier oder Tuch verdeckt. Wir finden ſie häufig auf Grabſteinen.

Die Liebe zum Schmuck, zur Anwendung von Gold und Edelſteinen nimmt eine ähnliche Entwicklung wie die Kleidung. Auch hierin verfeinert ſich der Geſchmack. Die alte Ueberladung, die Luſt am bloßen Glanz und Gefunkel ragt noch ein wenig in dieſe Periode herein. Vereinzelte Bilder von Männern und Frauen zeigen ſie noch in der erſten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Selbſt noch eine bedeutende Rolle ſpielen die Goldborten und der Edelſteinbeſatz im Nibelungenlied, in welchem, wie der häufige Gebrauch der Baugen lehrt, noch hier und da die heidniſche Ur - zeit verklingt, während einzelne Schilderungen der Gewänder und Stoffe und die Angaben ihres Urſprungs den Bearbeiter der - fiſchen Zeit aufs deutlichſte verrathen. So heißt es z. B.:

7*100II. Das Mittelalter.
Viel der edlen Steine die Frauen legten in das Gold,
Die ſie mit Borten wollten nähen auf das Kleid
Den jungen ſtolzen Recken.

Weit ſparſamer ſind die höfiſchen Epiker, und es geſchieht vorzugsweiſe nur in Gedichten mit fremden Stoffen, daß ſie ihre Helden und Heldinnen mit dieſem Schmuck begaben. Von dem Gebrauch der Armſpangen bei Männern wiſſen ſie nichts mehr. In jedem Falle ſind ſie mit dergleichen noch freigebiger als ihre Zeit, denn die gleichzeitigen Miniaturen geben nur ſehr wenig von dieſer Sitte zu erkennen. Schon die Bilder zum Hortus de - liciarum der Herrad von Landsberg aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts zeigen ſie in beſchränkteſter Weiſe: nur ein ſchmaler Goldſaum an Hals und Hand, ohne Edelſteinbeſatz, ziert noch die Frauenkleidung. Etwas reicher iſt die Männerklei - dung auf denſelben Bildern mit Goldborten beſetzt, und auch am Königsornat finden ſich die Edelſteine, wie noch viel ſpäter.

Zu einer vollſtändigen Frauenkleidung gehörten in der vorigen Periode, im elften Jahrhundert, zwei Kleider, ein unte - res und ein oberes, und der Mantel. Das untere war das nothwendige und ſtets gebotene, welches den ganzen Körper vom Hals bis zu den Füßen bedeckte. Das obere Kleid war kürzer und reichte nur etwas über das Knie herunter, ſodaß das untere hier ſichtbar blieb und mit anderer Farbe wirkte. Aehnlich war es an den Armen. Das Oberkleid hatte kurze, offene Aermel, mit de - nen es nur den halben Oberarm in ziemlicher Weite umgab. Mit ſeiner Kürze ging es noch ins zwölfte Jahrhundert hinüber. So z. B. erſcheint es noch an der ſitzenden Relieffigur der Kai - ſerin Beatrix, Gemahlin Friedrichs I., in Freiſing. Auf den be - reits erwähnten Bildern der Herrad von Landsberg, alſo gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts, iſt es ſchon anders. Hier reicht das Oberkleid zu den Füßen herunter, und das untere iſt nur an den Armen ſichtbar, welche es bis zum Handgelenk völlig umſchließt. Dieſes untere Kleid oder, wie wir daſſelbe mit den Dichtern nennen wollen, der Rock, bildet auch jetzt das Hauptkleidungsſtück. Man erkennt das daraus, daß es zuweilen1011. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.auf Bildern allein vorkommt, ohne Oberkleid und ohne Mantel, was freilich wenigſtens in der erſten Zeit dieſer Periode kaum ge - ſchehen durfte, ohne daß ſich der Vorwurf der Leichtfertigkeit da - mit verband. Es iſt daher die Tracht von Tänzerinnen und loſen Dirnen, zu denen auch die Tochter der Königin Herodias gerech - net wird, die auf einer Miniature vom Ende des zwölften Jahr - hunderts vor dem Könige, ihrer Mutter und dem Hofſtaat wie eine Gauklerin auf den Händen tanzt; ſie iſt vom Künſtler in dem anſchmiegenden Rock allein dargeſtellt. Im Wigamur er - ſcheint eine Dame zu Pferde ohne Oberkleid und ohne Mantel. In ſolchen Fällen iſt auf den Bildern die Form des Rockes deut - lich zu erkennen. Wie ſchon oben angedeutet, reicht er bis zum Halſe hinauf und legt ſich an Arm und Oberkörper aufs engſte an; in der Seite wird er ſelbſt geſchnürt und gewinnt von der Hüfte abwärts reiche Faltenmaſſen, mit denen er auf den Boden fällt, ſich wallend um die Füße legt und dieſe völlig verhüllt. In der höfiſchen Zeit gebot der Anſtand den Damen durchaus, die Füße nicht ſehen zu laſſen. Die ganze Periode behält der Rock dieſe Form bei, wenn auch nicht ohne Widerſpruch, und einzelne Moden, die an ihm auftreten, zeigen ſich nur in der Taille und modificiren den Charakter nicht. Es kam darauf an, ob und in welcher Art er geſchnürt wurde, denn einmal konnte die nöthige Enge ſchon durch den Schnitt des Kleides hergeſtellt werden, und zuweilen tritt auch die Schnürung an den andern Kleidungs - ſtücken auf, am Hemd wie am Oberkleid. Auf einem Bilde der Herrad von Landsberg iſt der Rock einer leichtfertigen Dirne in den Seiten von der Achſelhöhle bis herunter auf die Hüften aus - geſchnitten und die Oeffnung durch eine Schnur ſtraff wieder zu - gezogen. Aufgeſchnitten und geſchnürt iſt auch auf einem Bilde ebendort das Kleid der Superbia. Als das Oberkleid mit dem Rocke die gleiche Länge erhielt, wurde jenes, wie wir ſehen wer - den, in einer Art getragen, daß dieſes dennoch ſichtbar blieb, und dadurch wird es erklärlich, wie der Rock immer noch am untern Rand mit breiten Säumen umzogen werden konnte: denn was nicht geſehen wird, ſchmückt man nicht. Eben darum, weil es102II. Das Mittelalter.nicht ſichtbar werden konnte, wird bei dem Rock nie ein beſonde - res farbiges Unterfutter erwähnt, es ſei denn, daß er ohne Ober - kleid getragen wurde.

Im Fall der Rock auf die angegebene Weiſe geſchnürt iſt, muß nothwendig noch ein anderes Kleidungsſtück darunter ſein, und es wird auch aus der ſittenloſeren Zeit des dreizehnten Jahr - hunderts erzählt, daß dieſer Stoff ſo dünn geweſen ſei, daß man die Weiße der Haut habe hindurch ſcheinen ſehen. Dieſes unterſte Kleidungsſtück hieß das Hemd. Wie aber ſchon in den vorigen Jahrhunderten theils ſein Gebrauch in der heutigen Bedeutung ein zweifelhafter und jedenfalls ein nicht nothwendiger war, und theils ſein Verhältniß zur unteren Haupttunica nicht feſtſtand, ſodaß dieſe nicht ſelten mit dem Ausdruck Hemd bezeichnet wer - den konnte, ſo bleiben auch in der gegenwärtigen Periode Ge - brauch und Bedeutung ſchwankend. Es iſt ſicher, daß das Hemd in der Weiſe vorkommt, daß die ganze Frauenkleidung außer ihm noch aus den beiden Kleidern und dem Mantel, alſo aus vier Stücken, beſtand. Wir finden ſie vollſtändig in der Schilderung der Kleidung der heiligen Martina von Hugo von Langenſtein, und wenn ſie hier allegoriſch erklärt wird, ſo ändert das nichts. An ihre Haut wird ihr ein Hemd gelegt und darüber der Rock, dann die Sukenie, mit einem Gürtel umſchloſſen, und der Man - tel mit einem Fürſpann auf der Bruſt. Eben jene ſchon ange - führte Reiterin im Wigamur trug ein Hemd und darüber einen Rock, und es wird dann, als ſie vom Pferde ſpringt, ausdrücklich bemerkt, daß ſie weder Oberkleid noch Mantel angehabt habe. Beides mußte alſo ſonſt der Fall ſein. Ebenfalls im Wigamur iſt eine Königstochter bekleidet mit einem Hemd, weiß wie ein Schwan und eng den Leib umſpannend, und darüber trägt ſie einen ſeidenen Rock und ein anderes Kleid von demſelben Stoff. In dieſem Falle, wenn das Hemd und der bereits beſchriebene Rock auf das engſte geſchieden werden, war jenes kurz, ſeiden und immer von weißer Farbe. Das weißſeidene Hemd iſt auch in die Sage übergegangen. Ein ſolches verſpricht die Elbin dem zur Hochzeit reitenden Oluf; ſie hat es ſelbſt im Mondenſchein ge -1031. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.webt. Doch nicht ausſchließlich war Seide der Stoff, denn als Brunhilde zu Bette geht, trägt ſie ein ſabenweißes Hemde , Sa - ben iſt aber die ſchon in früheren Zeiten berühmte und damals viel mehr gebrauchte feine Leinwand. Vielleicht gehört auch dieſer Ausdruck noch der ältern Form des Nibelungenliedes an. Spä - ter wird die Seide wieder vom Linnen erſetzt. Ums Jahr 1300 wird des Hemdes gedacht aus geſponnenem Flachs, der an der Sonne gebleicht worden. Schwerlich wurde das Hemd irgendwo ſichtbar, wenigſtens haben wir es auf Abbildungen nicht erkennen können. Nur bei den engliſchen Königinnen dieſer Zeit, bei Eleo - nore von Guienne, der Gemahlin Heinrichs II., und Iſabella, Gemahlin des Königs Johann ohne Land, zeigt ſich auf den Bildern ihrer Grabmonumente am Halſe unter dem Kleid ein weißer Stoff, der dem Hemd angehören dürfte. Doch möchte ich dieſe engliſchen Königinnen nicht ohne Weiteres als für Deutſch - land maßgebend betrachten, zumal ſie noch die weite gegürtete Tunica tragen.

So gewiß wie das Hemd als ſelbſtſtändiges Kleidungsſtück vorkommt in ähnlicher Bedeutung, wie wir ſie noch heute mit dieſem Ausdruck verbinden, ebenſo gewiß iſt es auch, daß es die Rolle des Rockes übernimmt und anſtatt ſeiner getragen wird, oder dieſen gradezu bezeichnet. Als Ulrich von Liechtenſtein von ſeiner Frau, der verehrten Dame ſeines Herzens, empfangen wird, da hatte ſie angelegt ein weißes Hemde und darüber die Su - kenie, das iſt das Oberkleid, und über dieſe den Mantel. Es iſt nicht ſelten, daß in dieſer Weiſe in den Beſchreibungen der Dich - ter nur die drei Stücke, Hemd, Kleid in dieſem Falle auch Rock genannt und Mantel erwähnt werden. Nur wenn das Hemd auch als Rock gedacht wird, iſt die Beſchreibung einer edlen Jungfrau im Wigalois erklärlich, wo das feine Hemd von wei - ßer Seide mit goldener Naht geſchildert wird, lichter denn ein Spiegelglas. Darüber trägt ſie den Rock als Oberkleid und über dieſem den Mantel. Auf dieſe Weiſe iſt es auch erklärlich, wie der Waffenrock, welchen die Ritter über dem Kettenpanzer trugen, ein Waffen hemd genannt werden kann. So läßt das Nibelun -104II. Das Mittelalter.genlied Brunhilde ſich rüſten: über das goldene Kettengeflecht, die Brünne, legt ſie ein ſeidenes Waffenhemd aus libyſchem Stoffe, welches noch in keinem Streit Waffen durchſchnitten hat - ten; mit glänzenden Borten iſt es beſetzt. Wenn nun einige Strophen weiter noch eines beſonderen Waffenrocks aus Seide von Azagauk gedacht wird, ſo gehört das der ſpäteren Ueberarbei - tung an, welche die Beſchreibung dieſer Stelle in mehrfacher Weiſe unklar macht. Einen beſondern Beweis, daß das Hemd im dreizehnten Jahrhundert die Stelle des untern Kleides ver - tritt oder vertreten kann und muß, giebt eine Stelle in Ulrich von Liechtenſteins Frauendienſt, wo er erzählt, daß er ſich in Venedig habe Frauenkleider machen laſſen, zwölf Röcke, dreißig Frauen - ärmel für Hemden und drei ſammtne Kappen. Die letzteren ver - treten die Stelle der Mäntel, die Röcke ſind die Oberkleider, wie ſie damals ärmellos getragen wurden, und die Hemden die un - tern Kleider mit den ſichtbaren Aermeln. Da dieſe der Be - ſchmutzung ſehr ausgeſetzt waren, ſo mußte eine öftere Erneuerung ſtatt finden. Sie konnten leicht gelöſet und wieder befeſtigt wer - den. Auch an einer andern Stelle berichtet er, wie er ein weißes Hemde angelegt habe mit zwei Frauenärmeln.

Dieſe Aermel, ſowohl die des Hemdes als des Rockes, falls jenes für dieſen getragen wurde, ſowie das Hemd ſelbſt ſpielen im ritterlichen Frauendienſt eine große Rolle. Die damalige Welt war raffinirt ſinnreich in ihrem idealen Liebesgenuß. So tauſchte man die Hemden mit einander, wenn man ſie ſchon getragen hatte: die Ritter legten die der Damen an, ließen ſie im Streit zerhauen und ſtellten ſie in dieſem Zuſtande ihren urſprünglichen Beſitzerinnen zurück, die ſie aufs Neue trugen. Als Gawan im Liebesdienſt der Obilot ſtand, ſo erzählt Wolfram im Parzival, befeſtigte er den Aermel eines neuen Kleides ſeiner Dame auf den Schild, und als derſelbe in der Schlacht am Rand und in der Mitte durchſtochen und zerſchlagen war und er ihn ſo wieder zu - rückgiebt,

Da ward des Mägdleins Freude groß,
Ihr blanker Arm war noch bloß,
Darüber ſchob ſie ihn zuhand.
1051. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

Gahmuret machte es ſo mit ſeiner Gemahlin Herzeloide. Ein Hemd, lind und fein, von weißer Seide, das ſie auf dem bloßen Leib getragen, das legte er über ſeinen Ringpanzer, und wenn es durchſtochen und zerhauen war, ſo trug es Herzeloide wieder auf bloßer Haut. So hatten ſie es mit achtzehn Hemden gemacht. Ja, als ihr Gemahl im Kampfe gefallen, will ſie ſelbſt ſein bluti - ges und zerfetztes Hemd, in welchem er geſtorben war, an ſich le - gen, doch hindert man ſie daran und nimmt es ihr fort. Bezeich - nend iſt in dieſer Beziehung die Geſchichte des Ritters von Auchenfurt. Eine von ihm verehrte Frau, die ihrem Gemahl treu bleiben will, verheißt ihm endlich den Lohn ſeines langen Wer - bens, wenn er ohne Rüſtung in den Kampf gehe. Er thut es, und obwohl er durchbohrt wird, kommt er dennoch mit dem Le - ben davon und verlangt nun den verſprochenen Minneſold. Auf ihr flehentliches Bitten will er ſie ihres Wortes entbinden, wenn ſie ſich mit demſelben blutigen Hemd, in welchem er verwundet worden, auf dem bloßen Leib öffentlich in der Kirche vor dem Altar zeige. Sie erfüllt wirklich dieſe harte Bedingung. Eine ähnliche Geſchichte hat ein franzöſiſches Gedicht überliefert. Es war eine ſchöne, hochgefeierte Dame, um deren Gunſt ſich drei Ritter bewarben. Um ſie zu prüfen, ſendet ſie ihnen durch einen Knappen eines ihrer Hemden, ſie ſollten es im Turnier des näch - ſten Tages tragen ohne eine andere Rüſtung. Der erſte Ritter fühlt ſich hoch geſchmeichelt und nimmt das Hemd, allein nach kurzem Bedenken ſtellt er die verhängnißvolle Gabe dem Knappen wieder zurück. Der bringt es zum zweiten, welcher es ebenfalls ausſchlägt. Der dritte und jüngſte nimmt es mit großer Dankbar - keit an, und obwohl ihm noch in der Nacht die Furchtſamkeit manche Qual bereitet, ſiegt doch die Liebe, und er reitet, wie es verlangt worden, in die Schranken. Todeswund und mit blutbedecktem Hemde, ſo geht er als Sieger aus dem Kampf hervor. Noch lag er auf dem Krankenlager, da hört er, daß die verehrte Dame, um deretwillen er litt, eine große Geſellſchaft gäbe. Er ſchickt ihr das Hemd und bittet, ſie möge es ſogleich anlegen, ſo blutig und zer - fetzt wie es ſei. Und die Dame thut es und trotz allem ſpäteren106II. Das Mittelalter.harten Tadel trägt ſie es, ſo lange ſie die Speiſen und den Wein an ihre Gäſte austheilt.

Die Veränderung, welche mit der obern Tunica, dem Ober - kleid, vorging, haben wir ſchon oben angedeutet. Wie der Rock erhielt auch ſie Taille und umſchloß anſchmiegend die Formen des Oberkörpers; nach unten erweiterte und verlängerte ſie ſich bis über die Füße, und die kurzen Aermel wuchſen und dehnten ſich zu einer ſolchen Länge und Weite, daß ſie nicht nur über die Hand fielen, ſondern wenn der Arm herabhing, berührten ſie den Boden mit ihrem pelzverbrämten Rande. Anfänglich, in der er - ſten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, begann die Weitung gleich von der Schulter, wo die Naht noch eng die Achſel um - ſchloß, und wuchs dann allmählig bis zu einer Oeffnung von zwei bis drei Fuß Durchmeſſer und darüber. Bald aber bedeckten die Aermel den ganzen Arm anliegend gleich denen des Unter - kleides und erſt am Ellbogen oder in der Nähe der Handwurzel öffneten ſie ſich plötzlich zu der angegebenen immenſen Weite. Die Damen auf den Bildern der Herrad von Landsberg zeigen meiſtens die Uebergangsform, während die wunderbar gehaltene Figur der Superbia, welche mit fliegendem Schleier und ge - ſchwungener Lanze ſtolz zu Roß dahinſprengt, und eine andere Dame, welche von der Tugendleiter herabſtürzt, ſie in der ausge - bildetſten Geſtalt zeigen. Es ſcheinen alſo Eitelkeit und Hoffahrt mit dieſer äußerſten Form ein wenig in Verbindung zu ſtehen. Dieſe Tracht, welche an die ſonſtige Phantaſtik des zwölften Jahrhunderts erinnert, iſt an ſich freilich ſehr unbequem und auch nur vereinbar mit den zu jener Zeit durch den Anſtand gebote - nen, rückhaltsvollen und gemeſſenen Bewegungen der Damen. Es wird uns hierdurch erklärt, warum von Brunhilde geſagt wird, als ſie ſich zum Wettkampf bereitet:

An ihre weißen Arme ſie die Aermel wand.

In der Zeit der höfiſchen Dichtung, alſo etwa auf der Gränze des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, verſchwinden die langen und weiten Aermel, und das Oberkleid überläßt die Be - deckung der Arme dem Unterkleid allein. Es wird ärmellos. 1071. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Das Oberkleid der vorhin erwähnten Superbia und auch anderer Damen, bei denen die Eitelkeit ein wenig mehr ins Spiel zu kom - men ſcheint, iſt, wie wir es früher beim Unterkleid geſehen haben, an den Seiten aufgeſchnitten und wieder ſtraff zuſammengeſchnürt und die ganze Oeffnung zu beiden Seiten mit Pelz gefaßt.

Im Laufe und beſonders in der zweiten Hälfte des dreizehn - ten Jahrhunderts tritt namentlich an dem Oberkleide eine Art Reaction zu Tage, welche ſich gegen die vorherrſchende Neigung erhebt, den Körperformen ihr Recht werden zu laſſen und ſie in voller Schönheit zu zeigen. Es war das gleichzeitig mit dem Sinken des ritterlichen Minnedienſtes. Die Ritter vermieden die Frauen vielmehr, als daß ſie dieſelben aufſuchten; ſie lagen den ganzen Tag auf der Jagd, und wenn ſie Abends nach Hauſe kamen, ergaben ſie ſich Trinkgelagen und Würfelſpiel. Es waren die böſen Zeiten des Interregnums, denen die nüchterne Regierung Ru - dolfs von Habsburg folgte, über deſſen Mangel an Liberalität die fahrenden Sänger und Muſiker viel zu klagen haben. Da die Courtoiſie aus dem Leben verſchwand, fanden auch die Frauen keine Veranlaſſung, noch denſelben Werth auf ihr Aeußeres zu legen. Allein gelaſſen und auf ſich ſelbſt gewieſen, ergaben ſie ſich der Frömmelei, und wie ſie ein nonnenhaftes Leben führten, ſo kleideten ſie ſich ähnlich, verhüllten mehr die Formen durch weitere Kleidung und ſuchten auch mehr als ſonſt das Geſicht zu verdecken. Dieſe Vorwürfe macht ein Ritter in Ulrich von Liech - tenſteins Frauendienſt der Damenwelt: mit dem Gebende und dem Schleier, den ſie jetzt alle trügen, verhüllten ſie Mund, Wangen und Brauen wie die Kloſterſchweſtern, und wenn ſie gar einmal ein koſtbares Zobelkleid anlegten, ſo ſei daſſelbe auf der Bruſt mit einem Paternoſter geziert. Die Dame, der gegen - über dieſe Klagen erhoben werden, vergilt dieſelben mit dem, was wir oben über das Leben der Männer mitgetheilt haben und noch viel Aergerem. Wenn dieſer Hang zur Frömmelei und zu einer die Formen mehr verhüllenden Kleidung die entgegengeſetzte Rich - tung auch nicht unterdrücken konnte, wie dieſelbe auch wirklich im vierzehnten Jahrhundert in viel ſtärkerer Weiſe wieder hervor -108II. Das Mittelalter.brach, ſo vermögen wir doch ihren Einfluß in der Tracht der Zeit, namentlich noch auf den Bildern der Weingarter und Maneſſi - ſchen Liederhandſchrift beide ungefähr um das Jahr 1300 ge - macht nicht zu verkennen. Doch erinnern die Frauengeſtalten in ihrem Charakter nicht durchaus an die des elften Jahrhun - derts, ſondern, wenn wir die größere Weite des Oberkleides und theilweiſe des unteren ausnehmen, mit ihrem ganzen nobeln und plaſtiſchen Weſen und der freien Haltung vielmehr an die Schil - derungen der Dichter aus der höfiſchen Zeit. Das Oberkleid, nur den Hals, aber völlig, freilaſſend, legt ſich mit einem Gold - ſaum anſchließend um die Schultern, und meiſtens ohne Aermel und mit weit geſchnittenem Aermelloch fällt es, nirgends ge - zwungen, in ungehindertem Fluß faltig und wallend über die Füße. Immer jedoch gewahrt man, wenn auch oft nur ſehr leiſe, namentlich auf den Bildern der Weingarter Handſchrift, eine ge - wiſſe Neigung, die Schlankheit des Körpers durch Einziehen über den Hüften zur Anerkennung zu bringen. Der Anſtand ver - langte, daß eine Dame, wenn ſie ging oder ſtand, das obere Kleid, vorausgeſetzt, daß ſie keinen Mantel darüber trug, an der linken Seite ein wenig in die Höhe nahm und in dieſer Lage un - ter dem linken Arm feſthielt. Dadurch wurde zweierlei erreicht: einmal hob ſich der Faltenwurf, auf den ſoviel Werth gelegt wurde, zu weit größerer Schönheit, indem das gleichmäßige Herabfallen aufgehoben wurde, und zweitens wurden der Rock ſo - wohl wie das Unterfutter des Oberkleides unten an der linken Seite ſichtbar, ſodaß hier verſchiedene Farben in Wirkung traten. Dieſe Art, das Oberkleid zu tragen, war ſo allgemein und wurde ſo eingehalten, daß wir in der Maneſſiſchen Liederhandſchrift auf dem Bilde, welches Hartmann von Starkenburg vorſtellt, eine Jungfrau ſehen, die mit dem linken Arm ihr aufgehobenes Kleid am Leibe feſthält, obwohl ſie in der einen Hand einen Becher hält und in der andern eine volle Schüſſel, welche ſie dem Waf - fen ſchmiedenden Dichter bringt. Kokette Frauen benutzten dieſe Sitte, indem ſie das Kleid ein wenig höher hoben, ihre ſonſt ver - borgenen Füße gegen alle Schicklichkeit ſichtbar zu machen. Auch1091. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.auf die Kunſt ſcheint ſie nicht ohne Einfluß geblieben zu ſein. Weil der aufgehobene Theil des Mantels oder des Oberklei - des mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, ſo mochte dieſe unwillkürlich ein wenig vortreten, um beſſeren Stützpunkt zu geben. Das ſah man der Natur ab und übertrug es in die Kunſt, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendſte Manier ausartete, als die erſte Urſache im Leben längſt nicht mehr exi - ſtirte. Es ſind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem Arm, in welchem Falle man hierin den Grund ſuchen könnte, welche ſo dargeſtellt werden, ſondern eine lange Zeit hindurch iſt es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen ſowohl wie überhaupt faſt aller Frauen, wenn die Plaſtik, und auch wohl die Malerei, ſie freiſtehend bildet.

Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders - farbiger gewebter Stoff, wie Sammet, Seide, Wolle, oder, wie bei vornehmen Damen ritterlichen Standes gewöhnlich anzuneh - men iſt, irgend eine Art von edlem Pelzwerk, ſei es Hermelin, Zobel, Marder oder ein anderes koſtbares Rauchwerk. Häufig waren auch verſchiedene Arten mit einander gemiſcht, ſodaß zum Beiſpiel ein weißes Hermelinunterfutter noch mit ſchwarzem Zobel gefaßt war. Am Rand der Aermellöcher und am untern Saum kommt die Pelzverbrämung ſtets zum Vorſchein. Man trug die alſo gefütterten Oberkleider gewöhnlich Winter und Sommer; wenigſtens geben die Dichter keine Andeutung, daß die Jahres - zeit hierin je einen Unterſchied gemacht hätte. Später geſchah es allerdings.

Auf denſelben Bildern ſehen wir zuweilen bei der häuslichen und namentlich jugendlichen Tracht das Oberkleid ganz fehlen; das Unterkleid erſcheint dann etwas weiter, iſt mit ziemlich regel - mäßigen, wie künſtlich gelegten Falten über den Hüften gegürtet und nähert ſich dadurch in etwas der oben angedeuteten matro - nenhaften Kleidung, die neben der herrſchenden Mode hergeht. Die Weite mochte der häuslichen Bequemlichkeit mehr zuſagen. Auch fürſtliche Damen entſagen der Mode, wenn ſie in ihrer110II. Das Mittelalter.Würde neben dem Gemahl den Thron beſteigen. So die Land - gräfin von Thüringen auf dem Bilde der Maneſſiſchen Hand - ſchrift, welches den Sängerkrieg darſtellt: ihr Oberkleid der Rock wird nicht ſichtbar iſt weit, faltig und über den Hüften gegürtet.

Dieſen Hauptformen des Oberkleides ſtehen im dreizehnten Jahrhundert noch einige mehr exceptionelle zur Seite. So iſt in Hefner’s Trachtenbuch (I, 49) eine Dame abgebildet, deren Ober - kleid einem langen viereckigen Stück gleicht, welches in der Mitte ein umſäumtes Loch hat, um den Kopf durchzuſtecken, mit ſeinen beiden Hälften nach vorn und hinten bis auf die Füße herabfällt und im Uebrigen nur die Schultern und einen Theil der Arme bedeckt und die Seiten offen läßt. Eine ähnliche Form des Ober - kleides trägt die Gräfin Beatrix von Botenlauben, welche im Jahr 1250 ſtarb, auf ihrem gleichzeitig gemachten Grabſtein. Es ſind zwei lange, faltige, auf die Füße herabwallende Stücke Zeug, welche nur oben auf den Schultern durch eine goldene, den Hals umgebende Borte an einander befeſtigt ſind und ſo die Arme und die Seiten frei laſſen. Aber dieſe Dame war im Orient geboren, eine Tochter des letzten Grafen von Edeſſa, und ſo dürfte in dieſem Kleidungsſtuck vielleicht eine Erinnerung an ihre Heimath zu ſuchen ſein, worauf auch die fremdartige Anordnung des Schleiers zu deuten ſcheint. *)Hefner I, 60.

Sowie es zuweilen vom Oberkleid heißt, daß es nach fran - zöſiſchem Schnitt gemacht ſei, ohne daß es uns möglich wäre, anzugeben, worin die in jedem Fall nicht bedeutende Eigenthüm - lichkeit deſſelben beſtanden habe, ſo erkennen wir auch in den Benennungen hier und da fremdartige Einflüſſe, und zwar ſelbſt bei den Dichtern, welche rein deutſche Gegenſtände behandeln. Auch hier iſt es ſchwer, die Unterſchiede von der herrſchenden Form anzugeben, wenn ſie überhaupt vorhanden waren, da die Trachtenbilder jener Zeit durchweg gleichen oder wenig abweichen - den Charakter zeigen. Wir erkennen aber daraus den Zuſammen -1111. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.hang, der ſchon damals im Reich der Mode ſtatt fand und eine ziemlich allgemeine, im Weſentlichen gleiche Tracht der vorneh - men Welt herausgebildet hatte. Die meiſten Einflüſſe gingen ſchon damals von Frankreich aus.

In einer bereits oben angeführten Stelle im Frauendienſt des Ulrich von Liechtenſtein trägt die verehrte Dame ſeines Her - zens, als ſie ihn empfängt, über dem weißen Hemde eine Su - keine von Scharlach, mit weißem Hermelin gefüttert, ſowie im Triſtan des Heinrich von Friberg die blonde Iſolde mit Rock, Sukenie und Mantel bekleidet iſt. Auch in dem Gedicht Frauen - treue , welches in von der Hagen’s Geſammtabenteuern mitge - theilt wird, iſt dieſes Kleidungsſtückes in lehrreicher Weiſe ge - dacht. Eine Frau ſteht an der Leiche des Geliebten und opfert ihm ihre Kleider: erſt legt ſie den Mantel ab, dann entkleidet ſie ſich der Sukenie und drittens auch des Rockes, daß ſie vor Leide gar der Scham vergaß. Wir erkennen hier deutlich die Aufein - anderfolge der Stücke und erfahren zugleich aus dieſen Beiſpielen, die wir den verſchiedenartigſten und verſchiedenen Gegenden an - gehörenden Gedichten entnehmen, daß die Sukenie ein überall verbreitetes, gewöhnliches Oberkleid war, ſelbſt wenn die Ablei - tung des Wortes von dem altſlaviſchen sukno, Gewand, die richtige iſt. In jedem Falle war ſie ein, wenn auch am Oberkör - per eng anliegendes, doch langes, auf die Füße fallendes Ober - kleid.

Gewiß ähnlich war auch der Sürkot, dem Worte nach franzöſiſchen Urſprungs und ſchon Oberkleid bedeutend. Später ändert ſich die Form deſſelben mit der Umwandlung der Mode, während der Name bleibt. Wenn das Oberkleid den Namen Corſett wir müſſen dabei von der heutigen Bedeutung des Wortes völlig abſehen oder Kurſit, Kurſat und Kürſen führt, ſo war es ſtets mit Rauchwerk gefüttert; denn obwohl die Ableitung des Wortes Kürſch zweifelhaft iſt, ſo iſt doch ſicher, daß es in dieſer Form von Anfang an Pelz bezeichnet, und von dem Gegenſtand erſt der Name auf das Kleid und auf das Hand - werk, Kürſchner, übergegangen iſt. Als eine beſondere Art von112II. Das Mittelalter.Rauchwerk ſpielt der Kürſch bekanntlich eine wichtige Rolle in der Heraldik. Im Wigamur trägt eine ſchöne Jungfrau ein mit lichtem Veh unterfüttertes Corſett von rothem Scharlach über dem Rock von gleichem Stoff. Helmbrecht, der Bauerſohn, der uns noch öfter gute Dienſte leiſten wird, zieht bei ſeinem Räu - berleben den Frauen vom Leibe Pfeit (d. i. Hemd), den Rock, ihr Kürſen und ihren Mantel.

Die im Mittelalter ſo beliebte Erzählung vom Ritt der ſchö - nen Phyllis, der Geliebten Alexanders, auf dem Rücken des weiſen Ariſtoteles, ebenfalls in den Geſammtabenteuern mitge - theilt, macht uns noch mit einem andern Oberkleid bekannt, wel - ches an dieſer Stelle Schwanz und Schwänzelein genannt wird. Die Schöne hat ihre Gründe, nur dieſes allein anzulegen. Es iſt von Seide und mit weißem Hermelin gefüttert. Sie trägt es ganz wie ſonſt eine edle Dame das Oberkleid, indem ſie es an der linken Seite mit dem Arm in die Höhe nimmt bis über ihre Kniee, welche entblößt wurden, weil ſie wider die Ordnung kein Unterkleid angelegt hatte. In den durch das Aufnehmen entſtan - denen Bauſch warf ſie Blumen, die ſie im Gehen pflückte.

Mit dem untern und dem obern Kleid ſteht zunächſt der Gürtel in Verbindung. Bei der zunehmenden Enge der Klei - dung, die ſich namentlich über den Hüften den Formen an - ſchmiegte, wurde der Gürtel ziemlich überflüſſig. Auf eine über - mäßig enge Taille hatten es die Damen dieſer Periode nicht ab - geſehen; es ſollte nur die Schlankheit der ganzen Figur, die Schönheit des Wuchſes gezeigt und gehoben werden. Es darf daher nicht auffallen, wenn wir auf den keineswegs dürftigen bildlichen Quellen dieſer Periode die Damen nur ſelten mit einem Gürtel angethan finden. Auf den Bildern der Herrad von Lands - berg trägt ihn keine Dame. Die Bilder der Heidelberger Hand - ſchrift des Sachſenſpiegels, welche überhaupt norddeutſche, vom höfiſchen Leben wenig influirte Zuſtände zu erkennen geben, laſ - ſen ihn mehr vermuthen als erkennen. Die Weingarter Bilder - handſchrift der Minneſinger zeigt ihn bei Frauen gar nicht und die Maneſſiſche ſehr ſelten. Und doch mußte er damals getragen1131. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.werden, nach der häufigen Erwähnung bei den Dichtern und nach der großen Bedeutung, die ihm im Leben und Glauben bei - gelegt wurde, zu ſchließen. Es iſt daher wohl anzunehmen, daß er häufig über dem untern Kleide getragen und ſo vom obern verdeckt wurde, ebenſo häufig aber auch als überflüſſig ganz weg - blieb. Auf den Maneſſiſchen Bildern vermögen wir ihn entweder bei der häuslichen Tracht zu erkennen, wenn das Oberkleid nicht angelegt worden, oder bei der weiteren, matronenhaften Kleidung fürſtlicher Damen, deren wir ſchon oben gedachten. Daß der Gürtel ſo über dem untern Kleide getragen wurde, zeigt die - nigin Nyfrogar im Wigamur, welche ihn über dem Hemde, wel - ches hier als Rock zu denken iſt, angelegt hat; darüber liegt das Oberkleid. So muß auch Brunhilde ihren Gürtel getragen ha - ben, mit welchem ſie in der Nacht Gunther band. Aus andern Stellen geht wieder hervor, daß er auch das Oberkleid umſchloß. So heißt es im Parzival von den Jungfrauen, welche im Schloß Monſalvage vor dem Gral die Leuchter tragen:

Das zweite Kleid war affichirt
Mit zweien Gürteln, da wo ſchlank
Die Frauen ſind und ſchmal und ſchwank.

Aber ſchon der doppelte Gürtel weiſet hier auf eine abweichende Mode hin, welche auch der Schnitt des Kleides andeutet, denn es war lang und weit, ſo will’s der Brauch , d. h. der auf Monſalvage geltende. Sonſt wird ausdrücklich bemerkt, daß der Gürtel das Kleid zuſammenzwänge, welches überdies ſchon ſich heimelich eng dem Leibe anlege. So wird die Kleidung der Iſolde in Gottfrieds Triſtan geſchildert. Der Gürtel, weil ohnehin mehr zum Schmuck beſtimmt, war nach den Kräften des Beſitzers von möglichſter Koſtbarkeit. Die Unterlage war von Seide oder goldgewebtem Stoffe, der aus der heidniſchen Fremde kam; oben war er mit Gold beſchlagen und mit Perlen und Edelſteinen beſetzt. Die Dichter wiſſen mancherlei davon zu er - zählen. Die Schnalle iſt ihnen aus einem großen Edelſtein ge - ſchnitten, und die Goldarbeit bilden Thierfiguren oder anderes der Zeit entſprechendes getriebenes Ornament. So trägt im Wi -Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 8114II. Das Mittelalter.galois eine edle Jungfrau einen Gürtel, das war eine Borte mit edlen Steinen geſchmückt, groß und nicht zu klein, die Rinke war aus einem Smaragd, grün wie Gras, gegraben; darauf war von Gold ein Adler in erhabener Arbeit mit ſchönem, hartem Schmelz. Die Spängel waren goldene Thiere, dazwiſchen weiße Perlen. Im Allgemeinen war der Gürtel ſchmäler geworden und es wird dieſe Eigenſchaft öfter bemerkt; auch die Bilder geben das zu er - kennen. Dagegen trägt Ulrich von Liechtenſtein als Frau Venus einen Gürtel, welcher drei Finger breit iſt. An dem einen Ende befand ſich immer ein Ring oder eine Schnalle, durch welche das andere ſo gezogen wurde, daß es vorn noch mit ziemlicher Länge herabhing. So trugen den Gürtel damals auch die Ritter.

Die große Bedeutung des Gürtels tritt uns in Lied und Sage vielfach entgegen. Bekannt iſt der ſymboliſche Sinn, den er für die Frau ſchon damals hatte, wie noch in der Schillerſchen Glocke. Dann verknüpfte ſich mit ihm der Glaube an beſondere Wunderkräfte, die auch im Einzelnen den an ihm befeſtigten Stei - nen zugeſchrieben wurden. So liegt in dem eben aus dem Wiga - lois erwähnten Gürtel ein Rubin, der benahm der Trägerin mit ſüßem Schein ihr Ungemach, wenn ein Leid ihr Gemüth trübte. In demſelben Gedicht erhält die Königin Ginovra von einem fremden unbekannten Ritter einen Wundergürtel: als ſie denſel - ben umlegte, hatte ſie alſobald Weisheit und Stärke, kein Leid trübte ſie, die Sprachen kannte ſie alle wohl, ihr Herz ward der Freuden voll; welches Spiel man anfing, ſie glaubte, daß ſie es könnte; keine Kunſt mangelte ihr. Und wie ſie ihn wieder dem Ritter zurückgiebt, da beſiegt derſelbe durch des Gürtels Kraft alle Ritter der Tafelrunde. Am ausführlichſten wird ein ſolcher Gürtel geſchildert in einem Gedicht des Dietrich von Glatz. Die - ſer goldbeſchlagene Gürtel trägt funfzig oder mehr Edelſteine, davon iſt ein Theil über die See gekommen, ein Theil aus Ma - rokko, einen Theil brachten die Mohren von Indien und das Volk von Syrien über des Meeres Flut, Chryſopraſſen und Onyxe und Chryſolithen; beſondere Kraft aber hatte ein Stein, der theils wolkenfarben, theils dunkelroth war. Wer den Gürtel1151. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.mit dieſem Stein trägt, der wird nimmer der Ehre ledig, er wird nimmer erſchlagen, er ſieget zu aller Zeit, für Feuer und Waſſer iſt er gut. Dieſe Eigenſchaften bewähren ſich in der Erzählung.

Die doppelte und dreifache Kleidung der Frauen und na - mentlich auch wohl die Pelzunterfütterung des Oberkleides machte den Mantel vielfach entbehrlich und überflüſſig. Wenn er darum kein ſo nothwendiges Kleidungsſtück mehr war, wie er früher noch bei jeder Gelegenheit außer dem Hauſe getragen wurde, ſo gehörte er doch noch immer zu einer vollſtändigen no - beln Tracht. Namentlich konnten fürſtliche Perſonen ſeiner nicht entbehren. Wie bei den Dichtern in den Beſchreibungen von Da - mentoiletten häufig keine Erwähnung deſſelben geſchieht, ſo er - ſcheint er auch ſeltner auf den bildlichen Quellen. Auf den Bil - dern der Herrad von Landsberg begnügen ſich alle gewöhnlichen Frauen mit dem Rocke und dem weitärmeligen Oberkleide, nur die Heiligen und die Frauen der Bibel, die Königinnen ſowie eine Braut im Putz und die Perſonificationen der Tugend und der Luxuria im höchſten Staat tragen den Mantel. Auf den Bil - dern der Liederhandſchriften, der Maneſſiſchen wie der Weingar - ter, iſt ſein Gebrauch grade kein ſeltner, doch ſehen wir die Da - men häufiger noch ſich mit Oberkleid und Rock begnügen. Dage - gen dürfte er ſich ausnahmslos auf den Grabſteinen vornehmer Damen finden. In Bezug auf ſeine äußere Erſcheinung änderte er ſich in zweierlei Weiſe. Einmal warf er allmählig[die] breiten Goldborten und den Perlen - und Edelſteinbeſatz ab, von dem die Dichter in vereinzelten Quellen noch mehr zu erzählen wiſſen als die Bilder. Andrerſeits nahm er, der allgemeinen Zeitſtrö - mung folgend, nach heutiger Ausdrucksweiſe, Façon an: er wurde länger, maſſiger, faltiger und erhielt eleganteren Schnitt, während er früher mehr einem viereckigen Stück Zeug geglichen hatte. Damit änderte ſich auch ſeine Befeſtigung auf der Bruſt. Statt der einzigen Nadelagraffe, welche ihn früher von beiden Seiten hier zuſammengefaßt hatte, hielt ihn nun ein Riemen, eine Schnur oder eine Borte. Sie konnte von Gold - oder weniger koſtbarem Stoffe ſein und war entweder auf beiden Seiten befeſtigt, oder8*116II. Das Mittelalter.nur auf der einen in der Art, daß das andere Ende beweglich durch ein Loch lief; dadurch war es möglich, durch Anziehen oder Nachlaſſen den Mantel in beliebiger Enge zuſammenzuziehen oder lockerer und weiter zu machen. Da wo die Enden des Riemens befeſtigt waren, ſaßen wohl als Schmuck zwei goldene Scheiben oder Roſetten, Taſſel oder Teſſel genannt. Die noble Dame pflegte dieſen Mantel ſo zu tragen, daß ſie mit dem einen Arm einen Theil in die Höhe hielt, während ſie mit derſelben Hand die beiden Seiten vorn zuſammenfaßte und ebenfalls etwas in die Höhe hob, die beiden vordern Finger aber oder den Daumen der andern Hand in die Borte legte, welche ſie mit denſelben ein we - nig herabzog. In dieſer Geſtalt ſind die Frauen häufig auf ihren Grabſteinen abgebildet; daß es auch die Sitte des Lebens war, erfahren wir aus einer Schilderung der Iſolde in Gottfrieds Triſtan, auf welche wir weiter unten noch des Näheren zurückkom - men werden. Ihr Mantel, wie er hier geſchildert wird, weder zu kurz noch zu lang und, da er niederſank, weder zur Erde ſchwe - bend noch empor, ſoll nach franzöſiſchem Schnitt gemacht ſein. Der Ausdruck kommt öfter beim Mantel vor; ob aber damit die eben beſchriebene Form gemeint iſt, in welcher nichts Abweichen - des zu liegen ſcheint, vermögen wir nicht zu beſtimmen. Beim Sitzen wurden die beiden Seiten des Mantels auf den Schooß über einander gelegt; die Beine darunter zu kreuzen, war wider den Anſtand. Die Frauengeſtalten unter den berühmten Statuen im Naumburger Dom tragen denſelben Mantel, nur hat er am Hals einen kleinen umgelegten Kragen gleich dem des heutigen Männerrockes. Den Mantel in der mehr alterthümlichen Form, wie er auf der Bruſt mit der einzigen Agraffe, die auch wohl in dieſem Falle Taſſel heißt, geheftet wird, geben die Künſtler wie die Dichter ſtets der Jungfrau Maria und andern Heiligen. Oft auch bleibt bei Perſonen jeden Standes der Schmuck völlig fort, und es fallen die beiden Seiten ſchlicht über die Schultern herab. Dieſe Form allein kennen die Bilder der Weingarter Handſchrift und die in der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpiegels, welche letzteren überhaupt die Kleidung einfacher halten. Der1171. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Stoff des Mantels war Wolle, Seide und Sammet; das Unter - futter ein ähnlicher, andersfarbiger Stoff oder beim ritterlichen Stande gewöhnlich koſtbares Rauchwerk.

An der Stelle des Mantels und als völliger Erſatz für ihn wurde häufig die Kappe getragen, ein Gewand, welches insbe - ſondere noch der Männerwelt als Reiſekleidung diente. Im vier - zehnten Jahrhundert kam ſie in häufigeren Gebrauch, doch be - diente ſich ihrer ſchon Ulrich von Liechtenſtein auf ſeiner Venus - fahrt beim Reiten ſtatt des viel unbequemeren Mantels. Es war ein Gewand mit offenen Halbärmeln, welches angezogen wurde und ſomit in ſeiner Form mehr dem Oberkleide als dem Mantel glich. In der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts auch wohl ſchon einige Jahrzehnte früher war die Kappe mit Kra - gen und Kaputze verſehen, in welcher ſie auf einem Elfenbein - ſchnitzwerk von Damen getragen wird, welche zu Pferde einer Hirſchjagd folgen. *)Kunſt und Leben der Vorzeit. Heft 16. Hirſchjagd.

Zu erwähnen ſind noch ein Paar beſondere Kleidungsſtücke, deren temporärer und localer Gebrauch ein ſehr beſchränkter ge - weſen iſt. Dahin gehört der Kurzabold oder Kurzibald, deſſen ſchon im elften Jahrhundert gedacht wird. Wahrſcheinlich war er ein kurzes, rund geſchnittenes, ärmelloſes Gewand, wel - ches mit der ganzen Entwicklungsgeſchichte des Coſtüms wenig in Verbindung geſtanden zu haben ſcheint. Im dreizehnten Jahr - hundert verſchwindet er wieder völlig. Das zweite iſt ein breiter Zobelpelz, deſſen im Wigalois Erwähnung geſchieht, wo ihn eine Jungfrau um die Schultern legt und dadurch ihren Hals größ - tentheils verdeckt.

Dieſe Periode, welche ſo mannigfach, ohne zu entblößen, die Schönheit aus ihrer formenloſen Verhüllung befreite und zu einer durch Wohlanſtändigkeit gemäßigten Wirkung kommen ließ, löſete auch mehr und mehr das Haar aus Feſſeln und ver - bergender Hülle. Im Lauf des zwölften und dreizehnten Jahr -118II. Das Mittelalter.hunderts wurde es in der höfiſchen Damenwelt faſt durchgängige Sitte, mit Aufgebung aller gebundenen Friſuren, das auf der Mitte über der Stirn geſcheitelte Haar in voller Länge und Schön - heit mit reicher wogender Lockenfülle über Nacken und Schultern den Rücken hinab fließen zu laſſen. Nur in Trauerfällen ſchnitt man, wie bei der Einkleidung einer Nonne, das Haar ab. Schon auf den Bildern der Herrad von Landsberg iſt dies faſt aus - nahmsloſe Tracht, doch liegt zuweilen ein Schleier darauf. Die ſpätere, unterſcheidende Sitte, nach welcher Jungfrauen den Kopf bloß tragen, Verheirathete aber mit Schleier oder Haube be - deckt, iſt im zwölften Jahrhundert noch nicht durchgeführt, wäh - rend in der zweiten Hälfte des folgenden die Bilder des Heidel - berger Sachſenſpiegels dieſen Unterſchied genau feſthalten. Ehr - würdige Matronen und die heiligen Frauen der Bibel, nament - lich Maria, damals noch mehr die ſchmerzbewußte Mutter als die gefeierte und liebend verehrte Jungfrau, tragen bei der Herrad gleich den Nonnen das Haar dicht verhüllt; eine geſchmückte Braut läßt es in voller Pracht herabfließen. Grade ſo trägt es auch die Perſonification der Tugend, während die junge Freun - din eines Soldaten, die von der Tugendleiter herabſtürzt, es mit dem Schleier bedeckt hat. Von den Frauen, welche die ſieben freien Künſte darſtellen, haben vier das Haar frei und aufgelöſet, drei aber den Schleier darüber. Man ſieht, welche Willkür noch damals herrſchte. Die freie, wogende Lockenfülle, wie ſie dann zur allgemeinen Herrſchaft kam, erſcheint im höchſten Grade natürlich und kunſtlos, muß aber doch viel Mühe und Zeit gekoſtet haben, denn Bruder Berthold, der Landprediger, wirft den Frauen vor, daß ſie das halbe Jahr an ihre Locken verwendeten. So großen Geſchmack hierin die Frauen beweiſen, ebenſo große Geſchicklich - keit zeigen auch die Künſtler in der Darſtellung mit ewig wech - ſelndem Schwung der Linien.

Um das Geſicht vor dem Herüberfallen der Locken zu ſchützen und dieſe trotz Wind und Bewegung zuſammen zu halten, trug man mehrfachen Schmuck und verſchiedenartige Hauben. Die Mannigfaltigkeit derſelben war nicht gering und ſcheint häufig1191. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.durch Landesſitte bedingt worden zu ſein, wie aus der Schilderung von Artus Hof im Parzival zu ſchließen iſt:

Man ſah
Hohen, niedern Kopfputz auch,
Wie es in jedem Land Gebrauch;
Sie kamen her aus manchen Reichen,
Die ſich in Sitt und Schnitt nicht gleichen.

Der einfachſte Kopfſchmuck war ein ſchmaler, goldener oder ſilberner Reif, welcher über der Stirn das Haar umſchloß und zuſammenhielt. Derſelbe wurde im Frühling und in der Som - merzeit viel und gern durch einen natürlichen Blumenkranz er - ſetzt, am liebſten von rothen und weißen Roſen, den ſinnvollen Blumen der Verſchwiegenheit in der Liebe, wie z. B. dergleichen die ſchönen Jungfrauen auf Monſalvage, welche dem Gral vor - aufgehen, auf dem Haupte führen. Einen ſolchen Goldreif, doch ſchon mit edlem Beſatz, ſetzt ſich in der poetiſchen Erzählung die ſchöne Phyllis auf ihr Haar, da ſie ſich bereitet, den weiſen Ari - ſtoteles zu verlocken: der war ſchmal, wie er ſein ſollte, gearbeitet mit hoher Kunſt und Gemmen lagen darin zwiſchen dem Ge - ſteine, Smaragden und Jachande, Sapphire und Chalcedone. Der ſchmale Reif war ſehr beliebt, doch gab es daneben auch brei - tere Formen, oder er wurde aufgelöſet in eine Reihe goldener Scheiben oder Roſetten; endlich wuchs er heran zum Diadem, zur reichgeſchmückten Krone, welche die Damen ritterlichen Stan - des trugen, ohne daß ſie Fürſtinnen zu ſein brauchten. Alle dieſe Formen, die den Namen Schapel führten, und die königliche Krone ſelbſt, konnten auch über dem Schleier getragen werden. Die Damen der Weingarter Liederhandſchrift haben das Schapel wie einen weißen oder goldigen, mit kleinen zinnenartigen Zacken verſehenen Reif, über den ein anderer ſich quer von einem Ohr zum andern hinüberlegt.

Eine zweite Art von Kopftracht neben dem Schapel war das Gebende, welches ſchon mehr einer Haube glich. Auf den Bil - dern der Herrad von Landsberg findet ſich weder Schapel noch Gebende, doch kennt beide das Nibelungenlied, und ſo mag ihre120II. Das Mittelalter.Entſtehung oder ihr Uebergang nach Deutſchland am Ende des zwölften Jahrhunderts ſtatt gefunden haben. Die Frauen bei Rüdeger in Pechlaren

Trugen auf den Häuptern von Golde lichtes Band,
Das waren Schapel reiche, daß ihnen ihr ſchönes Haar
Zerzauſeten nicht die Winde.

Und als Chriemhild die Brunhilde und ihr Geſinde empfängt,

Sah man die Schapel rücken mit weißen Händen dann,
Da ſie ſich küßten beide.

Ein ander Mal, da Chriemhild den König Etzel begrüßt und ihn küßt, muß ſie das Gebende hinaufrücken, weil es im Wege ſteht. Wie anderswo beide Ausdrücke mit einander verwechſelt werden, ſo ſcheinen auch in der zweiten und dritten der angeführ - ten Stellen Schapel und Gebende daſſelbe zu bezeichnen. Die urſprüngliche und gewöhnliche Form dieſer letztern Kopftracht war ein ſteifes Band, etwa von der Breite einer Damenhand, welches wie ein Reif oder, wenn oben geſchloſſen, wie ein flaches Barett das Haupt umſchloß; befeſtigt war es durch ein anderes Band, welches, unten ſchmäler werdend, ſich um Wangen und Kinn herum legte. In der Zeit der Maneſſiſchen Handſchrift (um 1300) hat das Gebende oben einen welligen Rand erhalten, den man für feine Pelzverbrämung halten könnte. Die Farbe iſt am häu - figſten weiß, doch erſcheinen daneben Roth, Grün u. a. Auch die Frauenſtatuen im Naumburger Dom tragen dieſes Gebende, aber von einem edelſteinbeſetzten Goldreif umzogen. Im drei - zehnten Jahrhundert und im Anfang des vierzehnten ſtellte ſich das Gebende im ritterlichen Stande im Allgemeinen als die Tracht der verheiratheten Frauen dem Schapel, als den Jung - frauen angehörig, entgegen. Beide tragen ſonſt das ungebundene Lockenhaar. Ein ſeltner Fall dürfte es ſein, wenn eine Frau das Gebende über dem in ein Goldnetz gefaßten Haar trägt, wie ein derartiges Beiſpiel Hefner (I, 49) mittheilt. In der Maneſſiſchen Handſchrift findet ſich nur ein paar Mal das Haar unter einer Netzhaube zuſammengefaßt, welche in ihrer Form einem breiten Hute gleicht. In Heinrichs von Friberg Triſtan trägt die blonde1211. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Iſolde über dem glänzenden Gebende eine Krone von feinem ara - biſchen Golde mit Edelſteinen. Aehnliches kommt auf Bildern vor*)Hefner I, 64.; ſo trägt z. B. Herodias die Krone auf dem Schleier und dem Gebende mit dem um das Kinn gehenden Streifen, und ähnlich iſt ebendaſelbſt die Himmelskönigin Maria dargeſtellt, nur wallt bei ihr der Schleier über die Krone hinweg.

Als drittes Stück der Kopftracht behauptet ſich der Schleier, bald in leichterer, loſer Geſtalt frei aufgelegt, bald haubenartig oder, wie bei der Superbia der Herrad von Landsberg, phanta - ſtiſch als Turban verſchlungen und mit den Enden herabfallend und vom Winde bewegt; bald liegt er auch als ſchwererer Stoff über den Kopf und verhüllt ihn theilweiſe. In dieſer letzten Form zeigt er ſich auch in der Maneſſiſchen Handſchrift, doch athmen dieſe Bilder noch zu viel des heitern Rittergeiſtes, als daß er hier nonnenhaften Eindruck machen könnte. Er iſt nur loſe über den Kopf gelegt und fällt faltig und frei auf die Schultern, nicht einmal das reiche, aufgelöſete Haar, viel weniger das Geſicht verdeckend. Häufig liegt noch über ihm ein reiches, goldenes Schapel, oder er iſt mit buntem Saum verziert.

Schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, zu der Zeit, als ſich zuerſt die Oppoſition gegen den Frauendienſt und die Heiterkeit des höfiſchen Ritterlebens geltend machte, geſellte ſich zu dem haubenartigen Schleier noch die Riſe, ein Tuch, welches Kinn und Mund verhüllte. Beide zuſammen ſpielen frei - lich noch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert als unter - ſcheidende Tracht verheiratheter Frauen eine bei weitem größere Rolle. Ulrich von Liechtenſtein aber, da er ſich als Frau Venus verkleidete und ſomit Urſache hatte, ſein männliches Geſicht zu verdecken, trug zum Schleier ſtets noch die Riſe und verhüllte mit beiden ſein Geſicht bis auf die Augen. In dieſer Geſtalt ging er auch in die Meſſe, wo er ſich aber ebendadurch verrieth. Es war Sitte, daß man bei den Worten des Prieſters: Pax Domini sit vobiscum, ſeinem Nachbar einen Kuß, das Pace, gab. Ganz122II. Das Mittelalter.dieſer Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben ihm ſitzenden ſchönen Gräfin. Aber es war wider die Sitte, daß er es mit verbundenem Geſichte that. Die Gräfin verlangt daher, wofern ſie das Pace von ihm nehmen ſolle, daß er zuvor die Riſe vom Geſicht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte ſie ſein Begehren, um aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe.

Weil Ulrich von Liechtenſtein das volle aufgelöſete Haar der Frauen an ſeinem Haupte nur ſchwer hätte herſtellen können, ſo wählte er eine im Vergleich zu dieſer weit ſeltnere Tracht, die Zöpfe. In ſolcher Länge ließ er ſie machen, daß ſie herab bis auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde ſaß, und umflocht ſie netzartig mit Perlſchnüren. Die Zöpfe in dieſer Geſtalt, mit Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, ſind in jener Zeit in Deutſchland auf bildlichen Quellen eine ſeltne Erſcheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt ſie die ſchon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten, und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder - handſchriften geben kein Beiſpiel mehr. Häufiger iſt ihre Erwäh - nung in den epiſchen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank - reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo ſie, mit Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen zu ſein ſcheinen. Auch Wolfram kennt ſie im Parzival, aber nur an jenem Ungeheuer, der oben geſchilderten Kondrie:

Ueber den Hut ihr Zopf ſich ſchwang
Bis auf das Maulthier; er war lang,
Schwarz und feſt, nicht allzuklar,
Lind wie der Schweine Rückenhaar.

Oefter ſind auch die langen Locken ſelbſt im uneigentlichen Sinne Zöpfe genannt, was um ſo eher geſchehen konnte, als ſich die Spitzen der wallenden Haarmaſſen zuweilen von kleinen Perl - ſchnüren umſchlungen finden.

Hüte für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er - wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit ſeidener Schnur genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen ſolchen aus1231. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Lunders, mit Plialt (Seide) gefüttert und mit neuer Schnur ver - ſehen. Da der Hut aber nur bei beſondern Gelegenheiten getra - gen wurde, z. B. auf Reiſen, ſo iſt er auf Bildern ſelten und ſeine Form ſchwer zu beſtimmen. Auf einem Bilde der Maneſſi - ſchen Handſchrift trägt eine junge Schnitterin bei der Arbeit einen Strohhut mit rundem Deckel und ziemlich breiter, ſchräg herab - ſtehender Krämpe und ſchmalem Bande. Bei Männern kommt er öfter und in vielfacherer Geſtalt vor.

Obwohl der Handſchuhe ſelten gedacht wird, und ſie bei Frauen auf Bildern uns nicht begegnen, es ſei denn auf der Jagd oder auf Reiſen oder wenn der Falke auf der Hand ſaß, ſo dürfen wir doch bei der Pflege, welche die Damen jener Zeit den Händen zu Theil werden ließen, bei dem Werth, den man auf eine zarte, weiße Hand legte, immerhin annehmen, daß ſie außer - halb des Hauſes allgemeine Tracht waren. Nur lebten die Frauen mehr in ihrer Häuslichkeit, als es heut zu Tage geſchieht. Proven - çaliſchen Dichtungen zufolge ſoll Ritter Iwein die Mode der Handſchuhe aufgebracht haben. Ulrich von Liechtenſtein, der uns bereits mehrfach eine gute Quelle geweſen iſt, hält ſeinen Damen - anzug nicht für vollſtändig, wenn ſeine Hände nicht mit guten, ſeidenen und wohlgewirkten Handſchuhen bedeckt ſind. Auch fei - nes und weißes Leder wird als Stoff erwähnt und wurde noch mehr geſchätzt als die Seide. Weiß war die feinſte Farbe, wie heute, doch waren daneben die andern Farben ebenſo in Ge - brauch; auch mit Stickereien verſehene kommen vor. Die engli - ſchen Könige des zwölften Jahrhunderts tragen auf ihren Grab - ſteinen Handſchuhe, auf deren Handfläche ein großer Edelſtein befeſtigt iſt, eine Sitte, welche ſich bekanntlich lange bei der höhern Geiſtlichkeit erhalten hat. Da die Aermel des Rockes ſtets bis zum Handgelenk gingen, ſo waren die Handſchuhe gewöhnlich kurz; auf Reiſen aber und auf der Jagd bedeckten ſie ſtulpenartig den halben Unterarm. Aehnlich ſind die Handſchuhe im Heidel - berger Sachſenſpiegel, wo ſie häufig in rechtlicher Bedeutung ab - gebildet ſind; ihre Farbe iſt auch hier weiß, aber ſie ſind am Handgelenk mit zwei gelben oder rothen Streifen umgeben. Noth -124II. Das Mittelalter.wendig waren dieſe Handſchuhe auf der Falkenjagd für Herren wie für Damen, wenigſtens für die linke Hand, und auch, wenn der Falke bloß als Spielzeug bei Beſuchen, bei Feſten oder ſonſtigem Erſcheinen in der Oeffentlichkeit, ſelbſt, wie es in der Provence Sitte war, beim Kirchgang mitgeführt wurde. Im Hauſe wur - den die Handſchuhe nicht getragen und im fremden ſogleich abge - legt. Im ſkandinaviſchen Norden war es anders. Da zog man in Geſellſchaft die Handſchuhe nicht aus, und nur, wenn man vor einen Vornehmen trat, erforderte es die Höflichkeit, mit un - bedeckten Händen zu erſcheinen.

Die Füße wurden bei der langen verhüllenden Frauenklei - dung ſehr ſelten ſichtbar, um ſo mehr, als die Wohlanſtändigkeit es durchaus verbot. Dennoch wurde auf eine gute Fußbeklei - dung viel Werth gelegt, und grade wie heutiges Tages konnte man daran die Feinheit und Vollendung der Toilette erkennen. Wie die Füße das Beiwort ritterlich oder höfiſch erhalten, ſo wird auch von den Schuhen geſagt, daß ſie ritterlich geſtanden, und von der Königin Nyfrogar heißt es im Wigamur, daß ihre kleinen Füße geſchuht ſeien nach Meiſters Liſten. Der Schuh wurde genau nach dem Fuße gemacht und ſo, daß für jeden Fuß nur einer paßte. Er umſchloß ihn ganz und ſchmiegte ſich aufs engſte und zierlichſte an. Solche ſtiefelettenartigen, äußerſt zier - lichen Schuhe trägt die ſchon öfter erwähnte Figur der Superbia, die wir als das Muſter einer feinen, wenn auch ein wenig hof - färtig gekleideten Dame aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts betrachten können. Sie ſind ſchwarz, aber vom Fußblatt herauf vierfach mit je zwei weißen Riemchen umzogen, welche oben eine weiße Perle tragen; vorn endigen ſie in eine feine, aber nicht weit vortretende Spitze. Eine ähnliche Art von Schuhen iſt wohl im Wigalois gemeint, wo Frau Larie Schuhe von Borten gut anhat. Außer Schwarz und Weiß kommen auch die übrigen Farben vor, z. B. häufig Roth und Gelb, und mit feinen ſchwarzen Linien rautenförmig oder in anderer Muſterung überzogen, womit möglicher Weiſe das gepreßte Muſter des Cor - duanleders angedeutet ſein könnte. Denn von dieſem Stoffe und1251. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.von anderem feinen Leder waren die Schuhe häufig; desgleichen auch von Seide und Gold - und Silbergeweben. Die Feinheit der Stoffe machte es möglich, daß der Schuh, beſtändig nach der Form des Fußes gemacht, ſich ſeiner Geſtalt leicht und bequem anſchmiegen konnte.

Die häusliche Erſcheinung einer Dame wurde vollendet durch eine Taſche von Leder oder gewebtem Stoffe, mit gepreß - ter oder geſtickter Arbeit. Sie hing an einem langen Riemen oder einer Borte vom Gürtel tief herab. Häufig war dieſer nur da, um jene zu tragen, oder er bildete mit ihrem Riemen nur ein Stück. Dieſe Taſche von ſehr mannigfacher Form diente vorzugs - weiſe zur Aufbewahrung der Schlüſſel oder anderer Kleinigkeiten des häuslichen Dienſtes. Außerhalb des Hauſes iſt ihr Gebrauch in dieſer Zeit weit ſeltner, doch nicht ohne Beiſpiele, da ſelbſt Königinnen auf ihren Grabſteinen mit derſelben abgebildet ſind.

Alle die bisher aufgeführten Einzelheiten, welche dazu gehö - ren, um die äußere Erſcheinung einer höfiſchen Dame dieſer Pe - riode zu vollenden, vereinigen wir noch in ein Geſammtbild, in - dem wir die ſchöne Schilderung der blonden Iſolde in Gottfrieds Triſtan zu Grunde legen, wie ſie von ihrer Mutter, gleich der Sonne vom Morgenroth, zu König Marke geführt wird. Ihre ſchlanke und doch volle Geſtalt bewegte ſich in züchtigem Maße. Das Kleid ſchmiegte ſich heimelich an Hüfte und Oberkörper den Formen an und fiel dann, in der Taille noch von einem Gürtel umſchloſſen, in ſchönen und reichen Falten, welche die Füße verhüllten, auf den Boden herab. Um die Schultern lag der Mantel von braunem Sammet, gefüttert mit weißem Herme - lin und bordirt mit ſchwarzem und grauem Zobelrand, der nach höfiſcher Sitte geſchnitten und weder zu ſchmal noch zu breit war. Der Mantel hatte zwiſchen Kürze und Länge das rechte Maß, ſo - daß er das Kleid nicht völlig verdeckte, und war auf der Bruſt befeſtigt durch ein Schnürlein von weißen Perlen, wohinein die Schöne den Daumen ihrer linken Hand geſchlagen hatte. Mit zwei Fingern der rechten Hand hatte ſie zierlich, wie es die Sitte gebot, weiter unten die beiden Seiten des Mantels zuſammenge -126II. Das Mittelalter.faßt und ein wenig in die Höhe gehoben, daß der untre Theil faltig wieder herab fiel. So ſah man den Ueberzug und das Hermelinunterfutter mit dem Zobelbräm, beides mit einander. Ihr blondes Haar umſchlang ein ſchmaler goldener Reif von ſchöner Arbeit und in zierlicher Faſſung mit kleinen leuchtenden Edelſteinen belegt. Ihr Haar war von ſo ſchönem goldigen Blond, daß man den Reif nicht hätte von ihm unterſcheiden können, wenn nicht die lichten Steine darin geweſen wären. So ging Iſolde neben ihrer Mutter her, grade und ſchlank und frei, aber gemeſſen und züchtig bewegt, gleich dem ſchwanken Rohr oder dem leichten, grazioſen Sperber, mit Tritten, die nach höfiſcher Sitte weder zu kurz noch zu lang waren. Mit ruhig gehaltenem Kopfe bewegte ſie nur ein wenig die Augen um ſich ſpähend, wie es der Falke auf dem Aſte thut, und ließ ſie leiſe und ſüß herumweiden, während denen, die in dieſe Augen, in die zwei Spiegelgläſer blickten, ſie ein Wunder und eine Wonne däuchten. Ruhig ant - wortete ſie den Grüßen der Menge. Während die Mutter hierhin und dahin voll Leutſeligkeit auch ein freundliches Wort hatte, ſchwieg die Tochter und grüßte nur durch ſanftes Verneigen und eine leiſe Bewegung der Hand, ohne den Mantel loszulaſſen.

Die Carricatur einer ſolchen ächt weiblichen Erſcheinung, gleich ausgezeichnet durch Anmuth, Adel und züchtiges Weſen, giebt Ulrich von Liechtenſtein, da er als Frau gekleidet, von Frauen begleitet, zur Meſſe ſich begab. Da er den Gang anfing mit ſanftem Auftreten und Schritte machte, die kaum Hände breit waren, da er das ſanfte Neigen und die natürlich zurückhaltenden Bewegungen, wie ſie Anmuth und Schicklichkeit gebieten, in über - triebenem Maße und affectirter Ziererei nachahmte, da erhob ſich um ihn her ein allſeitiges Gelächter.

In welcher Weiſe ſich im Allgemeinen der Charakter der männlichen Kleidung auf Grundlage der vorhandenen For - men änderte, haben wir ſchon oben geſehen. Er geht in ſeinen Wandlungen der weiblichen Tracht parallel und nähert ſich ihr in Einzelheiten in auffallender Weiſe. Die Anzahl und die Bedeu - tung der Kleidungsſtücke, welche zur vollſtändigen und gewöhn -1271. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.lichen Erſcheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir aus der Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen in der Sammlung der Geſammtabenteuer mittheilt. Einſt kehrte bei ſchlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gaſt ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer geſetzt, mitten zwiſchen die beiden Töchter des Wirths. Das Feuer brennt ſtark, und als die Hitze zu arg wird, entkleidet ſich der Wirth ſeines Rockes, ſodaß er im Hemde daſitzt, und bittet den Gaſt völlig ungenirt ſeinem Beiſpiel zu folgen. Dieſer widerſtrebt und entſchuldigt ſich mit der Unſchicklichkeit, ſo etwas im fremden Hauſe unter Damen zu thun. Der Wirth, welcher dieſen Grund für aufrichtig gemeint hält, wird dringender und will endlich, voll guten Willens, es ſeinem Gaſt ſo bequem wie möglich zu machen, dieſen mit Ge - walt von dem in der Hitze läſtigen Kleidungsſtück befreien. Er giebt ſeinen Dienern einen Wink; plötzlich faſſen dieſe den Rock und ziehen ihn über das Haupt des Ritters, der auf einmal völlig nackt zwiſchen den beiden Damen ſitzt.

Da war der Gaſt beraubt durch die viel Minne
Der Ehren und der Sinne;
Er ſaß, da er ward ohne Rock,
Recht als ein beſchälter Stock,
Ohne Hoſe und ohne Hemd,
Die waren ihm beide fremd.

Wir erkennen aus dieſer Erzählung, daß Hemd, Rock und Bein - kleid die Kleidungsſtücke waren, welche beim anſtändigen Mann als durchaus nothwendig vorausgeſetzt wurden, wozu dann noch ergänzend der Mantel kam, und ferner, daß in dieſer Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, der Rock ſo lang war, daß er den gan - zen Mann bedeckte. Dieſelbe Zahl der Kleider findet auch anders - wo, z. B. im Parzival, ihre Beſtätigung. Als Gawan, von Wunden und Kampf erſchöpft, ausgeruht hat und vom Bette ſich erhebt, findet er zum Austauſch für ſeine blutige und von Eiſen - roſt befleckte Kleidung auf ſeinem Stuhl einen vollſtändigen An - zug. Derſelbe beſteht aus Hoſe und Hemd, einem Rock, mit Marderpelz gefüttert, und einem Mantel nebſt Marderhut und128II. Das Mittelalter.Stiefeln. So wird auch Parzival beim alten Gurnemans, ſeinem Lehrer in ritterlichen und höfiſchen Dingen, gekleidet, als er die Narrengewandung abgethan. Mit roth ſcharlachnen Hoſen wur - den ſeine Beine bedeckt, Rock und Mantel legte er an von brau - nem Scharlach, ſchön geſchnitten und mit weißem Hermelin ge - füttert und mit Zobel verbrämt, und gürtete den Rock mit reichem Gürtel und befeſtigte an die Bruſt einen theuren Fürſpann. Hemd und Rock gehören auch im Nibelungenlied zuſammen. Als Günther und Hagen mit Sigfried in die Wette laufen, entklei - den ſie ſich des Rockes

Günther zog und Hagen vom Leibe nun das Kleid,
In zwei weißen Hemden ſtanden ſie alle beid.

Der Rock, oder die alte Tunica, muß als das Hauptſtück des männlichen Anzugs betrachtet werden, welches durchaus von allen getragen wurde, wenn auch nicht in derſelben Form. Das Hemd bezeichnet ſchon eine höhere Stufe der Geſellſchaft; dem Arbeiter, dem Bauer war es nicht nothwendig. Beim Manne war es gewöhnlich von weißer Leinwand, obwohl auch im Ni - belungenlied ſeidene Männerhemden vorkommen. In ſeiner Be - deutung geht das Wort weiter und findet ſich bisweilen für den Männerrock gebraucht, wie wir Aehnliches bei der Frauenkleidung geſehen haben. So in der Erzählung von einem frommen Schü - ler, der einſt ein Bild der Maria dem Wetter ausgeſetzt findet; da zerreißt er mitleidsvoll ſein Hemd, bedeckt das Bild damit und muß ſich dann feſter in ſeinen Mantel hüllen.

Der Rock folgte auch darin der allgemeinen Richtung der Zeit, daß er einerſeits länger wurde und faſt in weiblicher Weiſe die Beine umwallte, andrerſeits ſich mehr den Körperformen fügte und ſie enger umzog, ohne jedoch hierin der Frauenkleidung gleich zu kommen. Wenigſtens ſcheint dieſe Mode bei Männern in Deutſchland damals noch nicht zur allgemeinen Sitte gewor - den zu ſein. Auf den Bildern der Herrad bewahrt der Rock noch ſo ziemlich den Charakter des elften Jahrhunderts, prunkt jedoch nicht mehr in gleicher Weiſe mit Edelſteinen und Gold. Die ausgebildete höfiſche Sitte verlangte durchaus Maßhaltigkeit in1291. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.der Anwendung des Schmuckes auf die Kleider; denn als Triſtan ein Kleid trägt von fremdem, goldgewirktem Stoffe, deſſen ſeidene Streifen kaum erkannt werden, da ſie überall in Gold ertränkt und in Gold verſenket waren, ſo wird ausdrücklich vom Dichter bemerkt, daß es nicht in der Maße des Hofes geweſen ſei. Der Rock legt ſich eng um die Arme und, am Körper weit, iſt er faltig in der Taille gegürtet. Bei vornehmen Leuten reicht er tiefer, bis über die Wade, bei Fürſten und Weiſen ſelbſt bis auf die Füße herunter. Am Handgelenk und um die Mitte des Oberarms um - ziehen die Aermel bunte, oft wohl goldene oder mit goldener Stickerei verſehene Streifen, und ein breiterer von derſelben Art läuft unten am Rande herum. Leute geringeren Standes tragen ihn weit kürzer. Der Rock iſt immer gegürtet, wenn auch der Gürtel oft nicht ſichtbar iſt. Auf der Reiſe wurde er beim Wan - dern durch den Gürtel ſoweit in die Höhe gezogen, daß die Kniee frei waren. So tragen die heiligen drei Könige ihre Röcke, da ſie dem Sterne nachgehen. So macht es auch Triſtan auf der Wan - derung: unter ſeinem Gürtel zog er ſeinen Rock ein wenig höher und wand zugleich den Mantel zuſammen und legte ihn auf ſeine Achſel, um ungehinderter durch den Wald gehen zu können. Ein ander Mal, da er ſich bereitete, den Hirſch jagdgerecht zu zerlegen, legte er den Mantel ab, zog ſeinen Rock höher, ſein ſchönes Haar ſtrich er nieder und legte es hinter das Ohr. Eitle Leute, ſtutzer - hafte Soldaten, phantaſtiſche Gaukler und dergleichen zacken den untern Saum des Rockes mit kürzeren oder tieferen Einſchnitten aus, was der ehrbare Mann damals noch verabſcheute.

Der Schmuck des Rockes, der bis dahin aus aufgenähten Borten beſtanden hatte, erlitt in Folge des geſteigerten Verkehrs mit den Sarazenen eine Aenderung. Dieſe allein verſtanden es, ſtatt der Stickerei im Abendlande Muſter, namentlich mit Gold - fäden, in die Stoffe hineinzuwirken. Von jetzt an erhielten dieſe goldgewebten, fremden Stoffe den Vorzug vor den geſtickten und bordirten, welche mehr und mehr aus dem Gebrauch verſchwan - den und ſich faſt nur bei fürſtlicher Kleidung erhielten. Doch werden wir ihnen ſpäter wieder begegnen. Den Fürſten bliebFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 9130II. Das Mittelalter.auch noch die weite und faltige Tunica mit der größten Länge, als ſich ſchon allgemein dieſelbe verengerte. Triſtan trägt einen Rock, der nach ſeinem Leibe wohl geſchnitten iſt, woraus man ſieht, daß man nunmehr nach der Form des Leibes anmißt. Ein ander Mal ſchmiegt ſich ihm die Seide des Rockes ſo glatt an den Körper, wie ein ſolcher Stoff am beſten ſoll. Im Wigalois trägt ein Knappe ſogar einen Rock, der mit großem Fleiß ge - ſchnürt iſt. Auf deutſchen Bildern begegnet uns dergleichen nicht. Die Bilder der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpie - gels, die für höfiſches Ritter - und Modeweſen freilich nicht auf der Höhe der Zeit ſtehen, zeigen doch den männlichen Rock der herrſchenden Richtung gemäß bedeutend verändert. Faſt erreicht er die Füße und wirft, über den Hüften gegürtet, am Oberkörper nur wenige, leichte Falten. In der Weingarter Liederhandſchrift, deren Bilder ein wenig älteren Charakter tragen als die der Maneſ - ſiſchen, ſind die Figuren am ſchlankſten. Selbſt da, wo ein Ober - rock oder ein Mantel den Körper größtentheils verdeckt, iſt doch aus dem Schnitt deſſelben und der Art, wie er dem Körper an - ſitzt, zu erkennen, daß der Rock ſich dem Oberkörper möglichſt an - ſchmiegen muß. Er fällt völlig auf die Füße herab. Dieſe beiden Eigenſchaften, die Länge der Kleidung und die ſchlank gehobene Figur, nebſt der Bartloſigkeit des Geſichts geben den Männern dieſer Zeit einen ſo weiblichen Charakter, daß, wenn man nicht eine Frau daneben ſieht, und ſelbſt dann noch, dem ungeübten Auge die Unterſcheidung ſchwer wird. So zieht ſich durch die kunſtgeſchichtlichen Werke noch bis auf den heutigen Tag ein der - artiger Irrthum, indem die beiden mittleren Statuen an der lin - ken Seite der goldenen Pforte in Freiberg für zwei Fürſtinnen gehalten werden, während die zweite von ihnen, die dritte in der Reihenfolge, eine männliche Figur iſt; nur die unverhüllten Füße und das Haar geben das zu erkennen.

Die Maneſſiſche Handſchrift weicht wie bei der weiblichen Tracht, ſo auch bei der männlichen in demſelben Geiſte, den wir oben haben kennen lernen, von der herrſchenden Richtung ab; daß es aber nur eine zeitweilige Oppoſition iſt, wird die Folgezeit1311. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.lehren, wo die Enge wieder mit ſolcher Gewalt hervortritt, daß ſie raſch die Gränzen der Schönheit überſchreitet. Auf den zahl - reichen Bildern der genannten Handſchrift iſt der Rock ſelten ſichtbar; wenn aber, ſo iſt er faltig gegürtet und fällt lang und weit bis auf die Füße herab. Gewöhnlich wird über ihm ein zweiter Rock getragen, deſſen auch von den Dichtern ebenſo häufig Er - wähnung geſchieht. So trägt der ſchon erwähnte Knappe im Wi - galois über einem ſeidenen Rock noch einen koſtbaren Oberrock, Schapperun genannt. Als der Bauerſohn Helmbrecht ſeines Vaters Haus verlaſſen will, um als ritterlicher Abenteurer ſein Glück zu machen, bedarf er zu ſeiner Ausrüſtung außer dem fei - nen weißen Linnenhemd noch einen Rock von feinem Wollſtoff, mit weißem Pelz gefüttert, und endlich einen Oberrock, War - kus, wozu die Mutter das feinſte blaue Tuch kauft. In ſolchen Fällen pflegte der Oberrock den Mantel zu erſetzen, doch nicht im - mer. So trägt Graf Otto von Botenlauben (geſtorben 1244) auf ſeinem Grabſtein über dem engärmeligen Rock noch einen weiten, faltig gegürteten, mit kurzen offenen Aermeln, und darü - ber hängt ihm auf den Schultern der offene Mantel. Die Bilder der Weingarter und der Maneſſiſchen Handſchrift weichen davon ab: ſie zeigen nie Mantel und Oberrock beiſammen und auch den letzteren nie gegürtet. Den Hals frei laſſend, aber unter demſel - ben ſich eng herumlegend, fließt der Oberrock luftig und faltig und ohne Taille bis zu den Füßen herab. An den Aermeln zeigt er manche Verſchiedenheiten. Gewöhnlich und ſo immer in der Weingarter Handſchrift hat er nur weit ausgeſchnittene Schul - terlöcher, an denen das Rauchwerk des Unterfutters oder Zobel - bräm hervortritt; zuweilen auch längere oder kürzere, mehr oder weniger offene Aermel; ſeltner legen ſich dieſelben knapp, wenn auch nicht in gleicher Länge, über die unteren.

In dieſer weiten und langen Form führte der Oberrock ge - wöhnlich den Namen Kappe, wenn er die Stelle des Mantels vertrat, entſprechend der Frauenkappe. Namentlich beim Reiten, auf Reiſen, auf der Jagd, auch bei der Arbeit war er bequemer als dieſer, da er eine freiere Bewegung der Arme geſtattete. Auf9*132II. Das Mittelalter.Bildern kommt er in allen dieſen Fällen häufig vor, nicht ſelten noch mit einer Kaputze verbunden, Gugel genannt, welche über den Kopf aufgezogen werden konnte und ſo als Bedeckung deſſel - ben diente. So mit der Gugel verſehen, erhielt auch wohl das ganze Gewand dieſen Namen. Im Laufe des vierzehnten Jahr - hunderts, wie wir ſpäter ſehen werden, gelangte die Gugel noch zu größerer Anwendung und gezierterem Schnitt, während ihr Gebrauch im dreizehnten mehr auf die genannten Fälle und die Tracht der niedern Stände beſchränkt blieb. In der häuslichen Tracht des Ritters iſt die Kappe äußerſt ſelten mit der Kaputze verſehen. Auch bildete die letztere nicht ſelten ein beſonderes Klei - dungsſtück, verbunden mit einer Art Halsberge, einem Stück Zeug, welches ſich um Hals und Schultern herumlegte, ohne weiter auf Arme und Bruſt herabzufallen. Es hieß ebenfalls Gu - gel und wurde gleich einem Helm über den Kopf zu jedem belie - bigen Rock angezogen.

In der Form dieſer mit oder ohne Gugel verſehenen Kappe hat man ſich die Tarnkappe Sigfrieds zu denken, ein Ober - kleid, welches ihn jedem andern unſichtbar machte, ihn bewahrte vor Schlägen und Stichen und ihm zugleich die Kräfte von zwölf Männern verlieh. Wildes Gezwerg hatte das wunderſame Werk in hohlen Bergen gewebt und trug es ſelbſt zum Schirm. Es war ein weites, langes Gewand, das den ganzen Mann von Kopf zu Fuß verhüllte und über den Kopf angezogen wurde. Sigfried kann darum, wie der Ausdruck des Liedes lautet, hin - einſchlüpfen.

Auf der Jagd kommt noch ein anderer Oberrock vor, wel - chen auf einem Bilde der Maneſſiſchen Handſchrift der Markgraf Heinrich von Meiſſen zu Pferde auf der Reiherbeize trägt. Er be - ſteht aus zwei breiten Pelzſtücken, die, Bruſt und Rücken ſchützend, bis auf den Sattelknopf und den Rücken des Pferdes herabfallen, und auf den Schultern durch beſonders eingeſetzte dreieckige Schulterſtücke vereinigt ſind. Uebrigens wurde auch auf der Jagd der gewöhnliche Rock hochgegürtet getragen; am Gürtel hängt das Jagdmeſſer und eine Taſche. Sigfrieds Rock, den er auf der1331. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.letzten Jagd trug, da er ermordet wurde, und der ausdrücklich als Pirſchgewand bezeichnet wird, war von ſchwarzer Seide, aber reich mit Luchsfell beſetzt und noch nach alter Weiſe mit Gold verziert.

Wie an dem Mantel der Frauen, ſo können wir auch an dem männlichen zwei entſprechende Hauptformen bezeichnen: die eine, welche von der bekannten und anfänglichen Art der Be - feſtigung durch eine Agraffe ausgeht, und die zweite, welche eine ſolche Schließung auf Bruſt oder Schulter ganz aufgiebt und ſich in großer faltiger Maſſe von hinten her über beide Schultern legt und vorn unverbunden herabfällt. Es giebt vereinzelte Bei - ſpiele wir begegnen ihnen ſchon im elften Jahrhundert , wo ein Mantel von der zweiten Form ſelbſt togaähnlich mit der einen Seite von rechts her über die linke Schulter geſchlagen iſt. Auf den Bildern der Herrad, alſo in der zweiten Hälfte des zwölf - ten Jahrhunderts, finden wir noch faſt unverändert die Form der vorigen Periode wieder. Der Mantel reicht gewöhnlich nicht weit über das Knie herunter, iſt auf der rechten Schulter mit einer ſcheibenförmigen Agraffe gehalten und mit dem linken Arm in die Höhe genommen. Der Schmuck und der Goldbortenbeſatz, der Edelſteine nicht zu gedenken, iſt aber bei weitem geringer ge - worden. Es gilt in dieſer Beziehung auch vom Mantel, was eben bei Gelegenheit des Rockes geſagt iſt. Dennoch erſcheint auf gleichzeitigen Bildern, wie z. B. auf einem von Hefner (I, 69) mitgetheilten, welches den Grafen Siboto und ſeine Familie dar - ſtellt, auch bereits die zweite Form; ja wir ſehen, daß beide Ar - ten von Mänteln unmittelbar neben einander exiſtirt haben müſ - ſen, denn während der Graf ſelbſt und der eine Sohn die zweite tragen, zeigt der andre die alte Form. Das Steinbild Kaiſer Friedrich Rothbarts im Kloſter Zeno bei Salzburg trägt ebenfalls noch einen verhältnißmäßig kurzen Mantel mit ſchmaler Rand - borte, welcher vor der Bruſt auf eine nicht erkennbare Weiſe be - feſtigt iſt. Dieſer Mantel legt auch einen kleinen Kragen um.

Die Befeſtigung des Mantels auf der rechten Schulter weicht derjenigen auf der Bruſt. Auch dieſe wird im Lauf des134II. Das Mittelalter.dreizehnten Jahrhunderts, wenn auch nicht völlig aufgegeben, doch mehr und mehr zurückgedrängt durch eine dritte Form, bei welcher die Agraffe durch eine Schnur oder einen geſchmückten Riemen befeſtigt wird. Es iſt ganz dieſelbe Veränderung, wie die, welche mit dem Frauenmantel geſchah. Jenachdem die Schnur angezogen oder nachgelaſſen wurde, deckte der Mantel völlig die Bruſt oder lag nur loſe auf den Schultern. In dieſer Geſtalt konnte er mit ſeiner Länge auf die Füße herabfallen, wie ihn Graf Otto von Botenlauben auf ſeinem Grabſtein trägt, oft aber auch reichte er nicht weit über die Kniee herab.

Wie völlig der Mantel der Männer dem der Frauen glich, zeigt der Umſtand aufs deutlichſte, daß nach den Erzählungen der Dichter der eine für den andern zum wirklichen Gebrauch dienen mußte. So erhält Parzival, als er zum erſten Mal auf Monſal - vage, dem Schloß des Grals, iſt, einen tadelloſen Mantel von arabiſcher Seide, den die Königin Repanſe de Schoi ſelber ge - tragen hat, weil noch kein anderer fertig ſei. Aehnliches kommt öfter vor. Auch dem Stoffe nach waren die Mäntel ſich gleich; beide waren von feiner Wolle, Seide oder Sammet, und mit Seide, Wolle oder gewöhnlicher noch mit koſtbarem Rauchwerk gefüttert.

Im dreizehnten Jahrhundert und namentlich in der erſten Hälfte des vierzehnten wurde der Gebrauch des Mantels vor der zunehmenden Bedeutung des Oberrocks ein verhältnißmäßig ge - ringer, wie die Bilder der Liederhandſchriften zu erkennen geben. Doch gilt er hier als vorzugsweiſe noble und namentlich fürſt - liche Tracht: Kaiſer Heinrich VI. und König Wenzel von Böh - men ſelbſt und andre Dichter ſind mit demſelben bekleidet. Seine Form iſt meiſtens von der zweiten Art, die weder Schnur noch Agraffe hat; er zeichnet ſich durch große Länge und Weite aus. So trägt ihn Heinrich VI. auf ſeinem Bilde der Maneſſiſchen Handſchrift; König Wenzel aber, der Landgraf von Thüringen auf dem Bilde des Sängerkrieges, mit ihnen noch andere und Kaiſer Heinrich ſelbſt in der Weingarter Handſchrift tragen eine von den übrigen theilweiſe abweichende Form. Zu Grunde liegt1351. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.der mit der Agraffe entweder auf der Schulter oder auf der Bruſt befeſtigte Mantel, pelzgefüttert und bis auf die Füße herabrei - chend; oben aber iſt er mit einem breiten, die Schultern und den obern Theil der Bruſt ringsum deckenden Kragen von edlem Rauchwerk umgeben. Den weißen Mantel des Kreuzritters mit dem rothen Kreuz auf der rechten Seite der Bruſt trägt der Tannhäuſer. Vorne offen, legt er ſich um die Schultern, iſt auf der Bruſt mit den beiden Seiten an einander befeſtigt oder genäht und reicht bis auf die Füße herunter. Dem König Gramoflanz läßt Wolfram von Eſchenbach beim Reiten den Mantel mit der Zier des Hermelinbeſatzes rechts und links auf den Boden herab - fallen.

Die Nothwendigkeit der Beinbekleidung für den an - ſtändigen Mann trotz der langen Kleidung iſt ſchon oben durch die Erzählung vom bloßen Ritter nachgewieſen worden. Es ſind auch in dieſer Periode zwei Formen des Beinkleides zu unter - ſcheiden, die weite und die enge, obwohl die erſtere im Ver - gleich zu dieſer als die bei weitem ſeltnere bezeichnet werden muß. Sie wurde nur im unterſten Stande getragen. Auf den Bildern der Herrad trägt ſie ein Wahnſinniger, und im Parzival ein als ent - ſetzlich geſchilderter Bauer. Als zuſammenhängendes Kleidungs - ſtück bedeckte ſie Unterleib und Beine, nicht aber die Füße. Von dieſer Art mögen auch die Leinwandhoſen geweſen ſein, welche Wallfahrer in Gottfrieds Triſtan tragen: ſie ließen die Füße frei, welche auf der frommen Büßerfahrt entblößt ſein mußten, und waren über den Knöcheln ſtraff an das Bein gebunden. Von der engen Beinbekleidung ſind wieder mehrere Arten zu unterſchei - den, deren Verhältniß ſich freilich ſchwer beſtimmen läßt. Nach der gewöhnlichen Form, wie ſie im ritterlichen Stand getragen wurde, legte man an jedes Bein ein beſonderes Stück an, wel - ches einem langen, anſchließenden Strumpf zu vergleichen iſt und aus Wollſtoff oder gewebtem Seidenzeuge beſtand denn geſtrickte Beinkleider gab es damals noch nicht. So zieht Wiga - lois, als er die Rüſtung abgelegt hat und ſich umkleidet, zwei Scharlachhoſen mit großer Sorgfalt über die Beine. Der Dom -136II. Das Mittelalter.vogt von Wien, welcher dem auf ſeiner Venusfahrt befindlichen Ulrich von Liechtenſtein entgegenkommt, hat zwei ſchwarze Hoſen an ſeine beiden Beine gelegt. Ob dieſe Strumpfhoſen auch den Unterleib mit bedeckten und hier mit Neſteln oder Bändern an einander befeſtigt waren, läßt ſich nicht entſcheiden, da bei dem langen Rock des Mannes Abbildungen nicht zu Hülfe kommen. Es iſt aber glaublich, da nie mit den ritterlichen Strumpfhoſen der ſogenannten Bruche zugleich Erwähnung geſchieht. Dieſe war die allgemeine Volkstracht, eine kurze, weite Hoſe, welche in die langen, die Beine bedeckenden Strümpfe hineingeſteckt wurde. In dieſem Falle führten ebendieſe Strümpfe den Namen Hoſe, den ſie auch in einzelnen Gegenden Deutſchlands noch behalten haben. Es kommen aber auch ſchon damals Verwechslungen die - ſer Ausdrücke in der Art vor, daß z. B. die ganze Beinbekleidung des Mannes, von aller Form abgeſehen, Bruch genannt wird. Bruch und Hoſe als Volkstracht erſcheinen häufiger auf den Bil - dern der Herrad. Hier ziehen Räuber einem Juden, den ſie plün - dern, die farbigen langen Strümpfe ab, welche mit weißen Bändern über der weiten weißen Bruch befeſtigt waren, wie es ſcheint, am Gürtel; auch die Räuber und andere Leute niedern Volks ſind ſo gekleidet. Nirgends aber läßt ſich Aehnliches bei noblen Ständen erkennen. Vielmehr exiſtirte ſchon am Ende des zwölften Jahrhunderts das Beinkleid als ein einziges zuſammen - hängendes Stück, welches Unterleib, Beine und Füße zugleich be - deckte, eine Form, welche im vierzehnten Jahrhundert mit der zu - nehmenden Kürze des Rockes die alleinherrſchende wurde. Als das Grab Kaiſer Heinrichs VI. geöffnet wurde, fand man ihn mit einer Hoſe dieſer Art bekleidet; über dem Rock von gelbem Stoff lag ein ſeidener, in Knoten geſchlungener Gürtel, von wel - chem mehrere grüne und rothe ſeidene Schnüre ausgingen, die erſt durch den Rock, dann durch die Löcher der Hoſe durchgezogen und zugebunden waren. Aehnlich wird es zu denken ſein, wenn der junge Parzival bei Gurnemans zu ſeiner neuen Kleidung auch einen Hoſengürtel von Gold und edler Seide erhält, den man in das ſchöne Gewand zog. Auch bei gemeinen Kriegern im1371. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Sachſenſpiegel kommt lange und enge Beinbekleidung vor, aber die Füße ſtehen bloß heraus, und nur die Ferſe iſt mit bedeckt. Die Hoſe vornehmer Leute, von welcher Form ſie ſonſt ſein mag, iſt immer eng, ſodaß ſie damals, was ſpäter noch auffälliger wird, zum Zerplatzen mannigfach Gefahr lief. Wolfram läßt daher im Parzival die ſchöne, aber boshafte Orgeluſe ihren Spott über Ga - wan ergießen, als er verliebten und ſchmachtenden Sinnes auf einer elenden Mähre neben ihr ritt und der drohenden Gefahr ent - gegenging, im nah bevorſtehenden Kampf mit ſammt dem Roß niedergeworfen zu werden:

Platzt euch davon das Niederkleid,
Das ſei euch um die Frauen leid,
Die, droben ſitzend, niederſpäh’n:
Wie, wenn die eure Schande ſäh’n?

Der Wollſtoff vertrug ſich für die Beinbekleidung am beſten mit der Enge. In den Farben hatte man die Wahl durch die ganze damals gebräuchliche Scala, doch, wenn nicht die getheilte Tracht ſich auf die Beinbekleidung erſtreckte, trug man ſie immer nur von einer Farbe. In ſeltenen Fällen war die Hoſe durch Strei - fen oder einfache Linienverzierung gemuſtert. Namentlich im drei - zehnten und vierzehnten Jahrhundert fehlen Schuhe oder Stiefel faſt ganz, und die Füße ſind dann nur von der Hoſe allein bedeckt; in dieſem Falle kann man annehmen, daß unter den Füßen lederne Sohlen befeſtigt waren, was die Zeichnungen zuweilen andeuten. Die Bilder der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpiegels zeigen bei allen Leuten nicht gemeinen Standes keine andere Fußbe - deckung als die Hoſe.

Wo eine ſelbſtſtändige Fußbekleidung erſcheint, wie z. B. immer beim gemeinen Volk, ausgenommen den Fall, wenn die Füße ganz entblößt ſind, da iſt der Schuh vor dem Stiefel als gewöhnliche Tracht vorherrſchend. Der Stiefel begegnet uns überhaupt nicht häufig, und bei Perſonen vornehmen Standes ge - ſchieht ſeiner, ſelbſt auf der Reiſe und der Jagd, nur äußerſt ſel - ten Erwähnung. Doch kommt er vor. Wolfram läßt Gahmuret z. B. mit Stiefeln an den Beinen bekleidet ſein. Auf dem Bilde138II. Das Mittelalter.der Maneſſiſchen Handſchrift, welches dem Nithart gewidmet iſt, trägt ein Bauer Stiefel, welche das Bein bis zur Wade hinauf eng umſchließen. Der Schuh bedeckt der Hauptform nach den ganzen Fuß und reicht bis an die Knöchel. Nicht ſelten geht er ſtiefelettenartig noch eine Handbreit höher, entweder mit einem Einſchnitt an der Seite, wie an der oben erwähnten Reliefſtatue Kaiſer Friedrichs I., oder ohne denſelben. Auf den Bildern der Herrad hat er häufig oben auf dem Fuß einen Ausſchnitt oder Einſchnitt, welcher vom obern Rande anfangend mehr oder weni - ger tief und in verſchiedener Form bis gegen die Fußſpitze herab - läuft und farbig eingefaßt iſt. Gewöhnlich iſt dieſer Einſchnitt ungeſchnürt, doch trägt in Wigalois ein Knappe Schnürſchuhe. Bauern und andere Leute niedern Standes haben das Bein zu - nächſt über den Schuhen noch mit Riemen und Binden umwun - den. So immer auf den Bildern zum Sachſenſpiegel. Im drei - zehnten Jahrhundert, namentlich gegen Ende, bedecken die Schuhe wieder mehr in geſchloſſener Form den ganzen Fuß, während im Lauf des vierzehnten der Ausſchnitt aufs Neue eintritt und ein breiter Riemen, von der Ferſe kommend, ſich über den Spann des Fußes legt und auf der Außenſeite geſchnallt wird. Was die Farbe betrifft, ſo wurden am häufigſten ſchwarze Schuhe ge - tragen, einfach oder mit weißer Randverzierung, oder weiße und lederfarbene mit ſchwarzer Faſſung; daneben fehlen auch die übrigen Farben, Roth, Gelb, Blau u. ſ. w. nicht. Zum Stoff brauchte man außer dem gewöhnlichen Leder oder Zeug auch far - bigen Korduan und Goldbrokat. Von dem letzteren Stoff ſind die Schuhe, welche Kaiſer Heinrich VI. im Sarge trug; die Maneſ - ſiſche Handſchrift giebt ihm ſchwarze, dem König Wenzel aber goldfarbene.

An der Haartracht vor allem äußert ſich am klarſten der Bildungstrieb der Zeit, wie er einer maßvollen, äſthetiſch befrie - digenden Schönheit und feiner Eleganz zuſtrebt. Kurzes Haar und ein glattgeſchornes Geſicht waren in der Höhezeit der vorigen Periode das Erkennungszeichen der von römiſcher Cultur über - tünchten Germanen geweſen, und nur die Herrſcher hatten den1391. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.barbariſchen Schnurrbart noch eine Zeitlang bewahrt. Schon bei Heinrich II., dem Freund der Kirche, haben wir den gekürzten Vollbart unter die Rangeszeichen aufnehmen ſehen. Er war ur - ſprünglich das Vorrecht oder Abzeichen der Geiſtlichkeit, aber in der römiſchen Kirche ſeit Papſt Leo II. (816) abgelegt worden. Nun folgte im neuen Jahrtauſend auch die höhere Geiſtlichkeit wieder dem weltlichen Herrn, während die ganze übrige Welt, etwa die Würde des Alters ausgenommen, Laien und Prieſter, Ritter und Bürger und Bauer, das Geſicht glattgeſchoren trugen. Alle Kreuzfahrer, die Helden Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouſe, Boemund und der ſchöne Tankred und ihre Ge - noſſen und Nachfolger, ſie zogen alle völlig bartlos in den heiligen Krieg; auf gleichzeitigen Bildern blickt aus der eng umſchließen - den Kaputze des Panzerhemdes immer ein glattes Geſicht uns entgegen. So iſt’s auch faſt hundert Jahre ſpäter auf den Bildern der Herrad. Nur diejenigen, die wir bezeichnet haben, alſo die höchſten Häupter der Chriſtenheit, tragen den verkürzten Vollbart. Ihnen geſellt ſich aber ſeltſamer Weiſe noch eine ſonderbare Ge - noſſenſchaft zu: es ſind die verachteten Juden und ſolche Leute, deren Lebensweiſe verhinderte, daß ſie ihrem Geſicht irgend eine Sorgfalt zuwenden konnten, wie die Räuber und Mörder von Profeſſion. Auch die Wallfahrer, die ihrem Körper nur die noth - wendigſte Pflege angedeihen laſſen durften und in linnenen Ge - wändern und mit bloßen Füßen gingen, ließen Bart und Haar wachſen. Ein Schnurrbart allein kommt nicht vor und iſt dem Geſchmack dieſer Zeit eine Unmöglichkeit. Friedrich I. trägt ſeinen rothen Bart in gekürzter Fülle ringsherum, wie uns das Stand - bild von St. Zeno lehrt. Grade ſo trug ihn hundert Jahre früher Rudolf von Schwaben, der Gegenkönig, nach der gleichzeitigen Grabplatte zu ſchließen. Wieder hundert Jahre ſpäter zeigen die Bilder der Liederhandſchriften dieſelbe Sitte: das glatte Geſicht iſt die allgemeine Regel; nur bei einzelnen, wie es ſcheint, älteren Sängern umzieht ein leichter Bart Wangen und Kinn; die Königs - bilder von Heinrich VI. und Wenzel von Böhmen haben dazu noch einen leiſen Schnurrbart aufzuweiſen. Auch dieſer verſchwin -140II. Das Mittelalter.det bald; ſchon die etwas früheren, oft genannten Bilder zum Sachſenſpiegel laſſen nicht einmal den Kaiſer bärtig ſein, wohl aber den Papſt und geiſtliche Churfürſten.

Nur ſcheinbar ſchlug das Haupthaar einen anderen Weg ein. Die römiſche Kürze ſteht keineswegs mit natürlicher Schön - heit in Einklang. Schon im elften Jahrhunderte hatte man An - griffe dagegen gemacht, und nicht ohne Erfolg; im zwölften war die Schranke durchbrochen, das Haar erhielt größere Freiheit zu wachſen, aber, das rechte Maß verfehlend, ſchwankte es noch hin und her. Die männlichen Perſonen auf den Bildern des Herrad tragen durchweg ein nicht mehr in alter Weiſe, doch ziemlich kur - zes Haar, welches die Ohren frei läßt. Man glaubt es den Köpfen anzuſehen, daß es ihren Trägern noch nicht zum rechten Bewußt - ſein gekommen, welch ein ſchönes Ding das menſchliche Haar iſt, und welche Pflege es um der ganzen übrigen Erſcheinung willen verdient. Es macht den Eindruck der Vernachläſſigung. Auch Friedrich Rothbart trägt ſein Haar über Stirn und Ohren ziemlich kurz in grader Linie verſchnitten. Gleichzeitig können wir das völlige Extrem bemerken. Auf einem ſchon oben erwähnten Bilde, welches Hefner (I, 69) mittheilt, tragen ein Graf Siboto und ſeine Söhne das Haar ſo lang, daß es frauenmäßig über Schultern und Nacken tief den Rücken hinabfällt. Auch bei dieſem Uebermaß konnte ein Zeitalter nicht bleiben, welches, unter der Herrſchaft weiblichen Geſchmackes ſtehend, im eigenen Aeußeren nach äſthetiſcher Befriedigung ſchmachtete. Zugleich war dieſe Tracht bei der Art des Kettenhemdes, von dem eine Kaputze unter dem Helm das Haupt eng umſchloß, unmöglich oder doch wenigſtens höchſt unbequem. Schon mit dem Ende des zwölften oder im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, alſo in der höchſten Blüthe - zeit der Dichtkunſt und der Frauenherrſchaft, wird das Maß ge - funden, welches von da an die ganze Periode durch ſich erhielt und mit der ausgebildeten Tracht in vollem Einklang ſtand. Man ließ das Haar im Nacken und auf den Seiten frei wachſen, bis es über die Ohren herunter fiel und ſie verdeckte, und ſchnitt es dann rund umher ab, in einer Höhe, daß es die Schultern nicht1411. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.erreichte. Ueber der Stirn verſchnitt man es Anfangs mehr in grader Linie, dann aber ſtrich man es aus Schläfen und Stirn zurück, daß das ganze Geſicht frei und offen war, oder ſcheitelte es von der Mitte nach beiden Seiten, oder kräuſelte die vordre Partie mitten über der Stirn. Durchweg mußte das Haar gelockt ſein, denn ſchlicht gelaſſen, hätte es bei dieſer Länge wieder ſeines Zweckes verfehlt. Wo die Natur ſolchen Schmuck verſagt hatte, half die Kunſt nach und ſtellte durch Salben und Brennen große, wellige, ſchwunghafte Locken her. Den Stutzern wurde das Haar des Nachts, wie Nithart ſagt, wohl geſchnüret, alſo wohl in eine Art Papillotten eingewickelt. Kleines, wolliges Gekräuſel entſprach nicht der Geſchmacksrichtung.

Dieſe Art das Haar zu tragen ſtimmt völlig zu dem freien, ungehinderten Lockenfluß der Frauenwelt; es iſt derſelbe Schön - heitsſinn und derſelbe Stil der Behandlung, nur dem männlichen Charakter gemäß beſchränkt, denn die Frauen ſind es, welche langes Haar und kurzen Sinn haben, wie ein damaliges Sprich - wort ſagt. Aber nur der freie, der feine und edle Mann trägt ſich ſo; der gemeine, der Bauer wie der Wende und Slave haben das Haar über den Ohren kurz verſchnitten. Nur Helmbrecht, der Bauerſohn, der adlige Art und Sitte affectirt, ſpricht von ſeinem langen, gelben Haar und ſeinen ſchönen Locken, und Nithart, der Dichter, macht ſeinen Feinden, den üppigen Bauern Niederöſter - reichs, denſelben Vorwurf. Auch der Narr muß ſein Haar ver - ſchneiden, und wer als Thor gelten will, ſchwärzt ſich wie ein Mohr und kürzt das Haar. Andre Veranlaſſung dazu boten Trauerfälle den Männern wie den Frauen. Auch der Minnedienſt konnte dies Opfer verlangen. Beim Eintritt in denſelben, wie es beim Eintritt in den Ritterſtand geſchah, ſchnitt man das Haar ab zu Ehren der geliebten oder gefeierten Dame. So legten um die ſchöne Gräfin Guida von Rodes hundert Ritter ihre Locken - fülle ab und machten ſich dadurch gewiſſermaßen zu ihren Sclaven, denn es erinnert an die alte Sitte, wonach dem freien Mann, der in Knechtſchaft kam, das Haupt geſchoren wurde. Endlich wurden auch beim Kampfgericht den Kämpfern die Haare kurz geſchnitten.

142II. Das Mittelalter.

Wie bei den Frauen wurde auch das lockige Haar des Man - nes, damit es nicht in das Geſicht fiel, durch ein Schapel zu - ſammengefaßt. Es konnte das ein einfacher, ſchmaler, runder oder gewundener Reif ſein, oder ein Reif mit goldenen Blumen oder mit erhabener Arbeit von Vögeln und andern Thieren und mit edlen Steinen beſetzt, wie im Wigamur dem Ritter Segramors ein ſolches von der Iſopey geſchenkt wird; es konnte auch ein Perlenreif ſein oder ein aus kleinen, goldenen Scheiben oder Ro - ſetten zuſammengeſetzter oder kronenähnlich mit ſtumpfen Zacken verzierter Ring. Oft war es nur ein Kranz natürlicher, duftender Blumen, Roſen oder Veilchen, die auch wohl um einen goldenen Ring geſchlungen waren. Oft ſetzte denſelben die Dame ſelbſt auf das Haupt ihres Verehrers. Auf den Bildern findet ſich nur höchſt ſelten der unbedeckte Kopf eines Ritters ohne irgend einen der - artigen Schmuck.

Die eigentliche Kopfbedeckung zerfiel in zwei Hauptarten nach der Form der Hüte und der Mützen; von beiden ſind ver - ſchiedene Geſtalten zu bemerken, die öfter Rangunterſchiede zu er - kennen geben. Der wichtigſte von jenen iſt der Herzogshut, welcher ſich nach Form und Bedeutung am längſten im Hut des Dogen von Venedig erhalten hat. Die Bilder der Heidelberger Hand - ſchrift des Sachſenſpiegels, die in ſolchen Dingen juriſtiſch genau ſind, geben ſeine Form zu erkennen; darnach war er zuckerhutför - mig ſpitz, mit breitem, aufrecht ſtehendem, hinten auch wohl nie - dergeſchlagenem Rande, um den ein gezackter Goldreif lief, und von gelber Farbe. Auf dem Bilde der Maneſſiſchen Handſchrift, welches den König Wenzel von Böhmen darſtellt, finden wir den Spitzhut wieder, aber ohne Reif und vielleicht nicht mehr als aus - ſchließliches Eigenthum der Herzöge. Denn es erging ihm, wie es auch ſonſt das Schickſal von Rangeszeichen und Modeſachen iſt: er ſtieg allmählig von der Höhe des Lebens hinunter in die unteren Schichten der Geſellſchaft. Er bedeckt auf dem genannten Bilde das Haupt des königlichen Marſchalls, der jedenfalls ein hoher Würdenträger und ſehr vornehmen Standes war. Sein auf - gekrämpter Rand beſteht aus koſtbarem Rauchwerk, dem ſ. g. 1431. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Veh. Von Zobel iſt Sigfrieds Hut auf ſeiner letzten Jagd. Eine Art Spitzhut von andrer Form tragen im Sachſenſpiegel die Schultheißen als Zeichen ihrer Würde. Aehnlich dem Herzogshut geſtaltet trägt auf der Jagd der Markgraf Heinrich von Meißen den ſ. g. Pfauenhut, deſſen in den epiſchen Gedichten ſehr häufig Erwähnung geſchieht. Rand und Hut ſind ganz überdeckt mit den obern Theilen der Schwanzfedern von Pfauen, den Augen. Im Parzival trägt König Gramoflanz einen Hut aus Pfauenfedern von Sinzeſter und ein Page des Königs Artus einen weißen Pfauenhut. Zur Befeſtigung dienten zwei Schnüre, welche unter dem Kinn zuſammengebunden werden konnten: gewöhnlich aber ſieht man ſie leicht geknotet hinten im Nacken frei und loſe hän - gen. Der Pfauenhut war auch, wie wir geſehen haben, weibliche Tracht. Einen ähnlich geformten Hut, doch von ſchlafferer Form, oben mehr abgerundet und mit einem Rande, der nach vorn ein wenig über die Stirn hereingebogen iſt, und deſſen Schnur im Nacken hängt, trägt ein Ritter auf der Falkenjagd. Noch eine andere Form glich mehr unſerem heutigen ſchlaffen Filzhut mit rundem Deckel, aber mit mehr herabhängendem, breitem Rande, welcher das Ablaufen des Regenwaſſers erleichterte. Aehn - lich, mit niedrigem Deckel und breitem, ſchräg herabhängendem Rande, iſt der Strohhut des ſächſiſchen Bauern, deſſen ſchon in der vorigen Periode gedacht wurde. Der Sachſenſpiegel giebt ſeine Geſtalt zu erkennen; daß ihn auch Frauen tragen, wenn ſie im Freien arbeiten, z. B. Schnitterinnen, iſt ſchon oben bei der Frauentracht bemerkt. Endlich iſt noch des Judenhutes zu geden - ken, welcher im zwölften und dreizehnten Jahrhundert in Deutſch - land dieſem Stamme ſo ſehr allgemeine Vorſchrift war, daß die Künſtler ſelbſt die heiligen Perſonen der Bibel, nicht bloß des alten Teſtaments, ſondern z. B. auch den heiligen Joſeph mit dieſem Hut abbildeten, indem ſie ſich von der Erſcheinung der Gegenwart nicht losmachen konnten. Er war zuckerhutförmig ſpitz, mit mäßig breitem, herabſtehendem Rande; ſeine vorgeſchriebene Farbe war weiß oder orange, letztere entweder für den ganzen Hut oder nur für den Rand.

144II. Das Mittelalter.

Noch mannigfaltigere und verſchiedener geſtaltete Formen weiſet die Mütze auf. In der Maneſſiſchen Handſchrift tritt uns am häufigſten eine Form entgegen, welche auf dem Bilde des Sängerkriegs auch der Landgraf von Thüringen und einige der bedeutenderen Dichter tragen: es iſt eine runde, den Scheitel deckende Kappe, welche mit einem hochaufſtehenden, nach oben ſich erweiternden Rande von acht viereckigen Platten umſchloſſen iſt und darin dem Rand der Kaiſerkrone gleicht. Kappe und Rand ſind von verſchiedenen Farben, z. B. roth und grün, und der letztere zuweilen oben mit feinem Pelz verbrämt. Statt der acht Platten beſteht der Rand oft aus einem breiten Streifen Rauch - werk, Veh, von derſelben Höhe. Hiervon ſehr verſchieden iſt eine andere Form, welche bei Sängern, z. B. beim Tannhäuſer und Reinmar von Zweter in der Maneſſiſchen Handſchrift vorkommt. Es iſt eine barettförmige Mütze, aus deren Mitte oben ein Tuch hervorgeht und ſchleierartig nach hinten bis zur Schulterhöhe her - abfällt; der Rand iſt Pelz, ein breiter Goldſtreif oder auch ein weniger koſtbarer Stoff. Die Bilder zeigen noch manche andere, mehr oder weniger ſelten vorkommende Formen, z. B. eine kleine runde, eng anliegende Kappe, umgeben mit einem Goldſtreif, welcher in älteren Zeiten noch mit Edelſteinen beſetzt war; oder eine weiche, der Frauennachthaube ähnliche Kopfbedeckung, welche das Haar bis auf den Rand am ganzen Kopf völlig einſchließt und mit zwei Bändern unter dem Kinn gebunden iſt; ſie wird von Herren wie von Dienern getragen. Auf welche dieſer For - men die Beſchreibungen der Dichter paſſen, und ob dieſelben noch andere vor Augen gehabt haben, dürfte ſchwer zu entſcheiden ſein. So wenn es im Parzival von König Anfortas, dem Hüter des Grals heißt:

Um das Haupt des Wirthes ſah
Man die geſtreifte Mütze gehn
Von Zobel, theuer zu erſtehn.
Von arabiſchem Golde ſchwer
Lief eine Borte rings umher,
Von deren Mitte niederſchien
Als Knopf ein leuchtender Rubin.
1451. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

Die auffallendſte Beſchreibung wird in der ſchon öfter erwähnten Erzählung vom eitlen Bauerſohn Helmbrecht gemacht. Derſelbe trug ein Haar, gelockt und gelb, das hing über die Achſeln herab. Er fing es in einer Haube, die mit ſchönen Bildern in Seide durchnäht war; darunter waren Papageien, Tauben und anderes Gevögel, als wenn es aus dem Speſſart käme, mitten auf dem Kopfe, hinten und oben. Am rechten Ohr hinab ſah man die Be - lagerung und Zerſtörung Trojas mit der Flucht des Aeneas; an der linken Seite waren König Karl, Roland, Turpin und Olivier im Kampf mit den Heiden in der Provence, Arles und Galizien. Hinten zwiſchen den Ohren ſah man, wie die beiden Söhne der Frau Helke und Diether von Bern durch Wittich vor Ravenna erſchlagen wurden. Vorn war ein Kranz, genäht mit glänzender Seide; zwiſchen zwei Frauen ſtand, wie ſie auch beim Tanze thun, ein Ritter an ihren Händen, und ihnen gegenüber am an - dern Ende zwiſchen zwei Mädchen je ein Knappe, der ihre Hände hielt; dabei ſtanden Fideler. Eine Nonne, die ihrer Zelle ent - nommen war, hatte dieſes Wunderwerk der Stickerei genäht, wo - für ihr Helmbrechts Schweſter ein Rind und die Mutter Käſe und Eier gegeben.

Wenn an dieſer Beſchreibung auch die Phantaſie des Dich - ters den weitaus größten Antheil haben mag, ſo darf doch der Schluß geſtattet ſein, daß ähnliche Stickereien auf Kleidungs - ſtücken öfter vorgekommen ſind. Es iſt zudem nicht das einzige Mal, daß freie figurative Gegenſtände auf Gewändern wirklich erwähnt werden. Doch ſind es auch hier viel ſeltner menſchliche als Thiergeſtalten, zu denen die Phantaſie mehr Nei - gung und die Kunſt mehr Geſchick zeigte. Die bildlichen Quellen zwar laſſen nichts von dieſer Sitte erkennen, mit Ausnahme des Ritters, wenn er in vollſtändigem ritterlichen Schmuck in die Schranken des Turniers ritt. Dann zeigten nicht bloß Schild und Helm ſeine Farben, auch die wehende Pferdedecke und ſein langer Waffenrock, den er über dem Panzerhemd trug, waren mit dem Zeichen ſeines Wappens, mochte es ein Thier oder was ſonſt vorſtellen, in ſeinen Farben mannigfach verziert. Auch ſeine DeviſeFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 10146II. Das Mittelalter.oder ihre Anfangsbuchſtaben ließ er ſchon damals hineinſticken. Solche Arbeit kam den Damen zu. Ulrich von Liechtenſtein belehrt uns, daß eine ähnliche Tracht auch bei den Frauen vorgekommen ſein muß. Als ihn in Treviſo auf ſeiner Venusfahrt die Damen dieſer Stadt beſuchten, kleidete er ſich in die koſtbarſten Frauen - gewänder. Dazu gehörte auch eine Kappe (Oberrock) von weißem Sammet, worin von Gold manch ſchönes Thier hineingearbeitet war. Wie die Ritter ſelbſt konnten auch ihre Diener und Herolde die Wappenfiguren auf den Kleidern tragen, und unter Umſtän - den auch die Frauen als Dienerinnen. So werden die Templeiſen (Templer) im Parzival an ihren mit Tauben beſtickten Kleidern als Hüter des Grals erkannt, und an demſelben Zeichen auch Kondrie als Dienerin dieſes Heiligthums. Dergleichen Stoffe mit hineingewirkten Thierbildern von phantaſtiſcher Geſtalt, wie wir ſie ſchon oben beſprochen haben, kamen aus mohammedaniſchen Ländern und wurden am meiſten zu kirchlichen Zwecken benutzt, zu Rücklaken, Altardecken, Vorhängen oder zu den Prieſterkleidern ſelbſt. Noch mancherlei dieſer Art hat ſich in Kirchenſchätzen bis auf den heutigen Tag erhalten.

Wenn ſolche figurirte Stoffe auch zu weltlicher Kleidung benutzt worden ſind, wie man aus den Worten des Liechtenſteiners ſchließen möchte, ſo iſt das jedenfalls nur in verhältnißmäßig ſeltenen Fällen geſchehen. Als Regel gilt durchaus, daß die Klei - derſtoffe ungemuſtert ſind und jedes Stück nur eine oder mit dem Unterfutter zwei Farben hat. Die Wirkung mehrfacher Far - ben, welche ſehr wohl in der Abſicht der Toilette lag, entſtand nur durch die verſchiedenen Kleidungsſtücke, welche man ſo trug, daß ſie neben einander ſichtbar wurden. Ein Fall iſt aber ausge - nommen, der des ſ. g. mi-parti, deſſen Urſprung im zehnten Jahrhundert wir ſchon kennen lernten.

Die urſprüngliche Form dieſer getheilten Tracht war die Halbirung in ſenkrechter Linie vom Halſe abwärts, ſei es, daß ſie bloß den Rock durchſchnitt, oder auch die geſammte Bein - und Fußbekleidung mit hineinzog. Wir dürfen dieſen Geſchmack, wo - nach die rechte und die linke Seite des Menſchen in genauer Thei -1471. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.lung zwei verſchiedene Farben zeigen, wie grün und roth, gelb und weiß u. ſ. w., als einen barbariſchen bezeichnen. Daß er im feinen Zeitalter des Frauencultus auch mit ſolchen Augen betrach - tet wurde, kann man aus verſchiedenen Urſachen ſchließen. Ein - mal tragen die getheilte Tracht nie die Frauen aus freier Wahl; die in Wolframs Parzival ſo gekleideten Jungfrauen auf Mon - ſalvage vielleicht das einzige Beiſpiel ſind eben Dienerinnen des Grals und tragen deſſen Farben. Und ſo werden auch die Männer mit dieſer Tracht ſtets als Diener oder wenigſtens Va - ſallen bezeichnet, ſelbſt wenn ſie den höhern Claſſen der Geſellſchaft angehören, wie auf den Bildern zum Sachſenſpiegel die Grafen von Wernigerode und Regenſtein vor ihrem Lehnsherrn, dem Fürſten und dem Biſchof, erſcheinen. Die getheilte Tracht iſt Livrée, wenn ſie auch nicht immer die ſpecielle Farbe des Herren führt. Anderes beſagen auch die ſchriftlichen Quellen nicht, es ſei denn, daß ein Ritter im Turnier ſich mit ſeinen eigenen Farben bedeckt hat.

Statt der bloß ſenkrechten Halbirung treten in dieſer Periode noch mannigfache Modificationen ein. Die meiſten und verſchie - denartigſten Beiſpiele geben die Bilder des Sachſenſpiegels. Selten iſt der Fall, wo noch eine zweite Theilung quer über die Hüften gemacht wird, und die beiden Farben ſo über Kreuz aus - getheilt werden, wie es bei der Quadrirung eines Wappenſchildes geſchieht. Häufiger iſt es, daß die eine Hälfte auf den Bildern iſt es durchweg die rechte einfarbig bleibt, während die andere wieder von zwei Farben in regelmäßig wechſelnden, breiteren oder ſchmäleren Streifen, die bis zu funfzig anwachſen, quer getheilt wird. Häufig wird die ſenkrechte auch ganz durch die Quertheilung erſetzt. Der gewöhnliche Fall iſt dann, daß zwei Farben in vier gleich breiten Streifen abwechſeln. Es können aber dieſelben auch wieder durch ſchmale, weiße Streifen, welche als Faſſung erſchei - nen, getrennt werden. Die Theilung überſchneidet ſtets die Arme in grader Linie mit. Auch in dieſer Geſtalt kann die Zahl der Streifen zu der oben angegebenen Höhe anwachſen. Dadurch daß Weiß ſich zwiſchen die andern Streifen ſchiebt, verbinden ſich drei10*148II. Das Mittelalter.Farben, die aber nicht immer gleich ausgetheilt ſind. Eine vierte Hauptmodification, welche auch mit den andern vereinigt auftre - ten kann, iſt die, daß die Streifen nicht horizontal den Körper umſchneiden, ſondern ſchräg herablaufen, ſei es von der Rechten zur Linken oder von der Linken zur Rechten. Noch andere unbe - deutendere Abweichungen giebt es, z. B. wenn bei horizontaler Viertheilung von Grün und Gelb die gelben Streifen durch hori - zontale rothe der Länge nach durchſchnitten ſind, oder wenn die Streifen wellenförmig laufen, wie es in der Maneſſiſchen Hand - ſchrift vorkommt. In dieſer ganzen Farbenvertheilung läßt ſich unſchwer eine Parallele finden mit den Heroldſtücken der Wappen - kunſt, daher auch die Franzoſen dieſe Tracht vêtement blasonné nennen. Bemerkenswerth iſt noch die Kleidung der Wenden im Sachſenſpiegel, deren kurze, bäuriſche Röcke blaßroth ſind, während ihre weiße, vermuthlich linnene Beinbekleidung von ſchrägen, ebenfalls blaßrothen Streifen umzogen iſt.

Dieſe Stücke kunſtvoll zuſammenzuſetzen, daß die Naht mög - lichſt wenig bemerklich war und ſich nur durch den Gegenſatz der Farben ſichtbar machte, war eine Hauptaufgabe der Schneider und Lohnnäherinnen dieſer Zeit. Es wurde auch ſonſt bei der Kleidung viel darauf gegeben, und es wird von einer Jungfrau im Wigalois ausdrücklich bemerkt, daß ihr Hemd meiſterlich ge - näht geweſen ſei.

Ihre eigentliche Blüthezeit erlebte die getheilte Tracht erſt in viel ſpäterer Zeit, in der Periode der Ausartung, und wurde dann vielmehr Zeichen eines verdorbenen als eines ungebildeten Geſchmacks. Die Zeit der höfiſchen Dichtkunſt hielt ſich in den höhern Kreiſen faſt durchgängig von allen Auswüchſen frei, und nur in vereinzelten Fällen laſſen uns ſtutzerhafte Perſönlichkeiten die Keime jener barocken Sonderbarkeiten erkennen, welche die folgende Periode charakteriſiren. So ſtoßen wir bereits auf die Schellentracht. Daß der Gebrauch, die Kleider mit klingen - den Schellen zu behängen, einen fremden, außerdeutſchen Ur - ſprung hat, iſt ſicher. Im zehnten Jahrhundert trugen die An - führer der ungariſchen Reiterſchaaren, welche in der Schlacht bei1491. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Augsburg gefangen genommen wurden, an den Säumen ihrer Kleider goldene Schellen. Wohl ſchon gleichzeitig ſtand der Ge - brauch bei der Geiſtlichkeit feſt. Biſchof und Abt trugen ſie an ihren Meßgewändern, und im Jahr 1103 erhielten die Mönche vom Kloſter des heil. Antonius in Mailand die Erlaubniß, ſie an ihren Kappen (Kutten) zu tragen. Es wird dieſer Gebrauch bei der Geiſtlichkeit auf den jüdiſchen Hohenprieſter zurückgeführt. In der höfiſchritterlichen Zeit beſchränkte ſich ihre gewöhnliche Anwendung auf die Pferde. Klingende Schellen am Sattelbo - gen, wo ſie gewöhnlich angebracht waren, werden namentlich im Parzival ſehr häufig erwähnt. Auch das Nibelungenlied kennt ſie in dieſer Sitte. Als Gunther und ſeine Begleiter in höchſtem Schmuck vor Brunhildens Saal aufreiten, ſind mit Geſtein die Sättel und die Fürbügen ihrer Pferde geſchmückt, und an denſel - ben hingen auch Schellen von lichtem Golde roth. Im Wiga - mur erſcheint eine Schaar reitender Mädchen, deren Pferde ſämmt - lich mit Schellen behängt ſind. In der That aber finden wir die - ſen Schmuck ſchon damals auch an dem Manne ſelbſt, wenn er auch als eine ausnahmsweiſe und ſtutzerhafte Tracht anzuſehen iſt und die Beiſpiele ſehr ſelten ſind. Ein ſolcher Stutzer iſt der junge Ritter Segramors, der jüngſte der Helden von Artus Ta - felrunde. Wie er hinreitet zum Kampf gegen Parzival, läßt er ſein Roß courbettiren und über die Stauden Sprünge machen:

Manche goldne Schelle klang An der Decke und an dem Mann: Man hätt ihn wohl nach dem Faſan Geworfen in ein Dornicht Wer ihn zu ſuchen wär erpicht, Der fänd ihn wieder am hellen Klang der läutenden Schellen. ((Parzival.) )

Desgleichen heißt es in Ulrich von Liechtenſteins Frauendienſt bei Tieck: Da kam auf dem Felde wohl gezimirt gegen mich ein Mann, Herr Ilſung von Scheuflich, der immer nach Ehren und Ritternamen rang. Er führte wohl fünfhundert Schellen an ſich. Sein Roß ſprang in kleinen Sprüngen, laut erklang ſein Zimir. 150II. Das Mittelalter.Gold und Silber war auf roth und grünem Zendal geſchlagen, und glänzte ſo licht, daß um den Rhein kein Mann ſchöner zimi - ret war als mein Landsmann. Er führte in der Hand einen Speer, daran viel kleiner Schellen hingen.

Wie, von ſolchen einzelnen Fällen abgeſehen, die Richtung der Zeit zu allem Excentriſchen in Gegenſatz tritt, iſt auch aus dem Gange zu erkennen, den der Schmuck in Anwendung und Formen nahm. Gleich dem Gold - und Edelſteinbeſatz der Kleider nimmt auch der Gebrauch des Schmuckes am Körper ab, oder verfeinert ſich wenigſtens, während zugleich ſein Ornament zier - licher und geſchmackvoller wird. Die Halsringe verſchwinden ganz und Armſpangen tragen fortan nur noch die Damen und auch dieſe keineswegs in der übermäßigen Zahl wie früher, ſondern nur eine oder zwei derſelben an jedem Arm. Auch die Zahl der Ringe an den Fingern wird beſchränkt. Gewöhnlich tragen die Ritter wie die Damen nur ein kleines goldenes Fingerlein, dem die Liebe noch eines aus den Haaren geliebter Perſonen hin - zufügt. Im niedern Stand werden Ringe von Glas getragen, doch hat auch des Walther von der Vogelweide verehrte Frau mit einem ſolchen ihre Hand geſchmückt. Den meiſten Raum geſtattete man der Schmuckliebe am Gürtel und am Kopfputz, wo goldene, mit Edelſteinen beſetzte Reife, Kränze und Diademe, deren wir bereits oben näher gedachten, angebracht wurden, und an Man - telſpangen und Vorſtecknadeln auf der Bruſt. Der Gebrauch der Mantelſpangen, der bei Männern und Frauen gleich iſt, richtet ſich nach den Formen dieſes Kleidungsſtückes. Wurde der - ſelbe nach alter Weiſe, wie bei den männlichen Figuren auf den Bildern der Herrad von Landsberg, auf der Schulter oder auf der Bruſt mit beiden Enden zuſammengefaßt, ſo bildete die ihn hal - tende Spange eine Platte über einer Nadel. Ihrer Form nach konnte ſie viereckig ſein, mit verzierten Ecken, oder eine runde Scheibe oder eine Roſette in der Geſtalt eines Vier - oder Sechs - paſſes, oder wie in der romaniſchen Zeit ein Quadrat, an deſſen Seiten ſich kleinere Bogen anlegten. Dieſe Form findet die häu - figſte Anwendung bei den biſchöflichen Mantelſpangen. War der1511. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Mantel nur einfach von hinten über die Schultern gehängt, ſo trugen die Damen am Halsſaum des Kleides auf der Bruſt eine Vorſtecknadel oder Fürſpann von ähnlicher Form. Zuweilen war dieſe Fürſpange nur ein großer, verzierter Ring, hinter wel - chem eine Nadel befeſtigt war. Wenn aber der Mantel durch einen Riemen oder eine Borte auf der Bruſt zuſammengezogen und gehalten wurde, ſo pflegte dort, wo der Riemen an jeder Seite am Kleidungsſtücke befeſtigt war, eine roſettenartige Scheibe, die Taſſel, zu ſitzen. Ohrgehänge ſind ebenfalls eine Sel - tenheit geworden; jede edle Dame verſchmäht ſie. Bei der Her - rad von Landsberg werden ſie nur von einer Magd und eitlen Perſonen getragen, welche in ihrer Putzſucht die Gränzen des feinen Geſchmacks überſchreiten. Sie beſtehen ihrer Form nach aus einer roſettenartigen Scheibe, die mit einem dünnen, grauen Schnürchen im Ohr befeſtigt iſt, und von welcher wieder zwei oder drei kleinere herabhängen.

Das Ornament des Schmuckes richtet ſich völlig nach dem herrſchenden Kunſtgeſchmack, dem romaniſchen, der hier ſpäter als bei der Architektur in den gothiſchen überzugehen ſcheint. Darum trägt das Blattwerk noch länger den romaniſchen Charakter und weicht erſt langſam dem mehr naturaliſtiſchen der gothiſchen Pe - riode. Zwiſchen den Ranken und Verſchlingungen finden ſich noch lange die Thiergeſtalten, deren auch bei den Dichtern Er - wähnung geſchieht. Der Fortſchritt gegen früher beſteht vorzugs - weiſe in dem weiteren Eindringen der Plaſtik, indem ſtatt der eingeritzten oder eingeſchnittenen Linien und Figuren das Orna - ment in wirklichem Relief herausgetrieben wird. Edelſteinbeſatz fehlt hier natürlich nicht, um ſo weniger als der abergläubiſche und Wunder und Geheimniß liebende Geiſt der Zeit gewiſſen Steinen heilende, ſtärkende oder abwehrende Kraft zuſchrieb, und ſo der Schmuck häufig die Bedeutung eines Amulets oder Talis - mans erhielt.

Mehr Werth als auf die Einzelheiten des Schmuckes legte man auf den Adel und die Harmonie der ganzen Erſchei - nung von Kopf zu Fuß: ſie mußte ſtets den Anforderungen des152II. Das Mittelalter.Standes und des höchſten Geſchmacks entſprechen. Der Ritter wie die Dame mußten, wo ſie erſchienen, ſtets wohlgekleidet ſein, und überhaupt in ihrer ganzen Erſcheinung die äußerſte Reinlich - keit, Nettigkeit und Wohlanſtändigkeit zur Schau tragen. Es hatten ſich in dieſer Beziehung beſtimmte Meinungen und Vor - ſchriften über das Geziemende feſtgeſtellt. So unterrichtet ein alter provençaliſcher Ritter, ein Kenner des weiblichen Geſchlechts, jüngere Genoſſen, wie ſie ſich nach ihrem Vermögen zu kleiden haben: wenn ſie nicht Kleider von gutem Tuch haben können, ſo möchten ſie ihre Aufmerkſamkeit verdoppeln, daß ſolche wenig - ſtens nach ihrem Wuchſe gut gemacht werden; daß ſie namentlich gut friſirt und mit guter Fußbekleidung verſehen ſeien, auch daß ſie ſich durch die Reinlichkeit ihres Gürtels, ihres Dolchs und ihrer Börſe auszeichnen ſollen; insbeſondere möchten ſie eher durchſchnittene und zerriſſene als aufgetrennte Kleider tragen, denn dieſe zeugen von Nachläſſigkeit, welche ein Fehler iſt, jene beweiſen bloß Armuth, welche das nie geweſen iſt. In Deutſch - land hatte man folgende Verſe über Dinge, die einem Ritter zur Schande gereichen:

Welch Ritter bei einer Meſſe ſteht
Und nicht zu dem Opfer geht,
Und Schüſſeln ſpült und ſpielt mit Schälken,
Und beginnt die Kühe zu melken,
Und geflickte Schuh anträgt,
Und einen Armen verſchmäht,
Und ſeine Kleider ſchickt, daß man ſie ihm wend’t
Der hat ſein Ritterſchaft geſchänd’t.

Schöne Kleider waren überall erſehnte Dinge und daher ein be - liebter Gegenſtand des Schenkens, ſowohl von Seiten der Da - men an die Ritter, welche ſie zu Turnieren und andern Feſtlich - keiten mit neuen und ſchönen, von ihnen ſelbſt gearbeiteten oder geſtickten Gewändern ausrüſteten, als auch von Seiten der Für - ſten an die Gäſte und Angehörigen ihres Hofes und von Seiten der Herren an ihre Diener. Dieſe Freigebigkeit war daher ein ganz beſonderes Lob im Munde der Dichter, wie Peter Suchen - wirt von König Ludwig von Ungarn ſagt:

1531. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Viel manchen Ritter auserkoren,
Und viel der Helden wohlgeboren,
Die liebet er mit gebender Hand;
Gold, Silber, Roß und reich Gewand,
Giebt er mit edelicher Art.

Nach der Hofſitte gingen dieſe Geſchenke gewöhnlich durch die Hand der Fürſtinnen und Prinzeſſinnen. Es veranlaßte die Aus - gabe für dergleichen keine geringe Belaſtung der Hofhaltskaſſe, und Dichter und Sänger mußten ſich daher an kargen Höfen nicht ſelten mit abgetragenen Kleidern begnügen. Wenn Jemand ſelbſt ein ritterliches Feſt geben wollte, oder wenn er ſich an - ſchickte, an fremdem Herrenſitze einen Beſuch zu machen, ſo wurde ſchon Wochen lang vorher eine große Schaar von Mädchen zu - ſammengebracht, um die nöthige Kleidung bis zum Tage der Ab - reiſe herzuſtellen. Chriemhilde bot dreißig Mädchen auf, da ſie ihren Bruder und ſeine Genoſſen ausrüſten will zur Werbung um die ſchöne Brunhilde, an deren Hof man glänzende Kleider trägt. Sieben Wochen arbeitete ſie mit dieſer Schaar, indem ſie ſelber zuſchnitt und die Mädchen nähten. Wie viel es zu thun gab, ſehen wir daraus, daß auf 4 Tage ſo lange ſollte der Aufenthalt dauern dreierlei neue Kleider kommen ſollten

und alſo gut Gewand,
Daß wir ohne Schande heimkehren aus Brunhildens Land.

Dieſes Vergnügen an der äußern Erſcheinung ſpiegelt ſich in der Poeſie wieder ab. Die Dichter legen denſelben Werth auf die Eleganz und Harmonie der Kleidung wie ihre Helden und Hel - dinnen, und ſie ſchildern daher deren Aeußeres mit Behagen und mit eingehender Sachkenntniß und behandeln daſſelbe als eine äußerſt wichtige und der poetiſchen Beſchreibung durchaus wür - dige Sache.

Wenn auch die eigentliche Putzſucht, das Behängen mit nichtigem Tand, die Ueberladung mit Koſtbarkeiten, ein luxuriö - ſer Aufwand, welcher Stand und Vermögen überſtieg, den vor - nehmen und gebildeten Kreiſen fern lag, ſo fehlt doch dergleichen nicht ganz in dieſer Zeit. Im dreizehnten Jahrhundert wenig -154II. Das Mittelalter.ſtens führt der öſterreichiſche Sänger und Ritter Nithart in ſeinen Gedichten immer auf’s Neue Klage über den Uebermuth und Aufwand der Bauern, die es in Sitte und Tracht den Rittern gleich thun wollen. Wenn hier ein ſolches Gelüſte des Bauern - ſtandes auch nicht zu verkennen oder hinwegzuleugnen iſt, ſo iſt doch wohl anzunehmen, daß es zu jener Zeit nur in vereinzelten, vorzugsweiſe geſegneten Gegenden Deutſchlands ſtatt gefunden habe, wie in der glücklichen Donauebene bei Wien, dem Schau - platz der Thaten Nitharts des Bauernfeindes, im Allgemeinen aber dürften ſeine Vorwürfe den deutſchen Bauernſtand nicht treffen.

Der eigentlichen Bauerntracht iſt bereits oben Erwäh - nung geſchehen und namentlich ihre Bein - und Fußbekleidung und Kopfbedeckung näher beſchrieben worden. Die unterſcheidende Eigenthümlichkeit beſtand ihrerſeits in der Form ihres einzigen Rockes, welcher, urſprünglich ein und derſelbe mit dem der höhern Stände, die Wandlungen des letzteren nicht mitgemacht hatte. Ihm war daher ſowohl die größere Weite wie Kürze ge - blieben, und namentlich an der letzteren Eigenthümlichkeit ſind auf den Bildern die Leute niedern Standes alſogleich zu erkennen. Denſelben kurzen, kaum bis ans Knie reichenden Rock, über den Hüften mit einem kleinen überhängenden Bauſch gegürtet, tragen auch die Geſchäfts - und Gewerbsleute in den Städten. Einen Mantel legten ſie nur im Winter oder auf einer Reiſe an; auf dem Lande wurde dieſes Kleidungsſtück für gewöhnlich ſchon durch die Arbeit verboten. Bergleute und wohl noch andere, nament - lich ſolche, deren Geſchäft ſie viel auf Reiſen führte, trugen auch um Schultern und Kopf die bereits oben beſchriebene Gugel in derſelben Weiſe, wie ſie in der Jägertracht häufig vorkommt. So erſcheinen auch die Waffenſchmiede, die Knappen und die ſonſti - gen Diener im Gefolge der Ritter, und ebenfalls die vagirenden Leute, die Schüler, die Spielleute und anderes heimathloſes Volk alle diejenigen, denen das Herkommen gebot, kurzgeſchornes Haar zu tragen. Die Spielleute und ihres Gleichen von dem fahrenden Volk, leicht, eitel und phantaſtiſch wie ſie ſind, ſchnit - ten häufig den untern Saum ihres bunt zuſammengeſetzten Rockes1551. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.in lange Zacken aus, die von natürlichen Fetzen oft wenig zu un - terſcheiden ſein mochten. Der Gürtel war beim Bauer wie bei allen jenen Kurzhaarigen nicht nothwendig und diente höchſtens dazu, um zur bequemeren Arbeit den weiten Rock zuſammenzu - faſſen und noch höher hinaufzuziehen.

Ganz in ähnlicher Weiſe unterſchied ſich die weibliche Tracht bei den Bauern und den niedern Ständen der Städte von der höfiſchen. Das Oberkleid kennen auch ſie ſo wenig wie den Man - tel. Wie es die Arbeit gebot, mußten ſie das Kleid oder den Rock kürzer tragen, ſodaß er nirgends den Boden erreichte, ſon - dern einige Handbreit davon abſtand und die Füße ſichtbar ließ; über den Hüften war er weiter und in der Taille viel höher ge - gürtet, als es die höfiſche Sitte verlangte. Das Haar wurde in Zöpfe geflochten, aufgebunden und mit einem Tuche bedeckt.

Die Stoffe, aus denen die Kleider der Bauern gemacht wurden, waren Linnen und Wolle, von denen das erſtere mehr von den Frauen gebraucht wurde. In Oeſterreich trugen die Männer ſchon damals wie noch heute den dicken, rauhhaarigen Loden.

Ganz andere Dinge aber erzählt von den einfachen Dör - pern der Dichter Rithart, der ſeine öſterreichiſche Bauerſchaft in Zank und Liebe allerdings hatte aus dem Grunde kennen lernen. Er kennt Bauern, die tragen nach der Sitte des Hofes enge Röcke von öſterreichiſchem Tuch; andere beſetzen dieſelben vorn auf der Bruſt herab und um den Kragen mit Knöpfen, verbrämen und füttern ſie mit koſtbarem Rauchwerk, außen ſchwarz und in - nen weiß, und tragen lange Aermel, wie dieſelben ſpäter allge - meine Mode werden. Ihre Hüte verſehen ſie mit ſeidenem, vor dem Geſicht herabhängendem und flatterndem Unterfutter, mit Schnüren wohl durchzogen, an deren Enden ſie duftende Mus - catnüſſe befeſtigen. Wie das auch ſonſt in jener Zeit geſchah, tragen ſie auch noch andere Gewürze in häufig goldgeſtickten Beu - teln als Parfüm bei ſich. Mit Pfauenfedern ſchmücken ſie ſich am Körper,

Pfauenſpiegel, das iſt der Dörper Glanz.
156II. Das Mittelalter.

Von feiner Leinwand laſſen ſie ſich Hemden und Hoſen machen, welche letzteren ſie gleich den Röcken mit Seide wohl durchnähen. Um die Schultern wallen ihnen neue buntverzierte Mäntel. Ihr Haar laſſen ſie lang wachſen und in ſchönen, geringelten Locken breit um die Schultern fließen. Zu alledem tragen ſie an der Seite lange Schwerter, an den Füßen Sporen und an den Händen Handſchuhe, die ſie ritterlich gegen den Ellbogen zu dem Arm hinaufziehen. Die koſtbare Haube des Meierſohns Helm - brecht iſt ſchon oben beſchrieben worden. Die Heimath dieſes Stutzers war dieſelbe Gegend, deren Ueppigkeit Nithart ſchildert. Da er hinauszieht zu ſeinem vermeintlich adeligen Räuberleben, läßt er ſich von Mutter und Schweſter in geckenhaft höfiſcher Weiſe ausrüſten. Seine Leinwand war von der feinſten Art; ſieben Weber waren dem Gewebe entronnen, ehe es fertig war, ſo fein war es. Sein Rock vom beſten Wollſtoff war mit weißem Pelzwerk gefüttert; der Oberrock vom feinſten blauen Tuch war am Rückgrat vom Nacken bis zum Gürtel mit dicht an einander gereihten, roth vergoldeten Knöpfen beſetzt, und ebenſo ſtand eine gleiche Reihe ſilberner vorn auf der Bruſt vom Halſe bis zur Gürtelſchnalle herab. Sein Rock war oben mit drei Kryſtallknö - pfen geſchloſſen und ganz mit Knöpfen aller Farben beſäet, gelb, braun, grün, blau, roth, ſchwarz und weiß, die leuchteten, daß er von Frauen und Mädchen gar minniglich angeſehen wurde, wenn er beim Tanze ging. Die Naht, womit die Aermel an den Schultern befeſtigt waren, war um und um behangen mit Schel - len, die hörte man laut erklingen, wenn er im Reihen ſprang; den Frauen drang es durch die Ohren. Die ſchön geſtickte Haube auf dem langen blonden Lockenhaar, feine Beinkleider und Stie - fel von Korduanleder vollendeten das Bild. Man erkennt we - nigſtens aus dieſer, wie immer auch übertriebenen Schilderung, in welcher Art und in welchem Sinne ein ungebildeter Stutzer jener Zeit den Löwen zu ſpielen ſuchte.

Mit der Anſchuldigung Nitharts ſtimmt das Bild überein, welches in der Maneſſiſchen Handſchrift den Liedern dieſes Dich - ters beigefügt iſt. Der ritterliche Sänger iſt umdrängt von vier1571. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Bauern, deren höhniſche Angriffe er von ſich abzuwehren ſucht. Sie tragen das Haar in langen Locken, am Leibe geſteppte und geſtreifte Wämmſer, wie ſie die Ritter unter dem Harniſch anzu - legen pflegten, und darüber kurze weite Oberröcke, die in verſchie - dener Weiſe quer geſtreift ſind; Ritterſchwerter und Dolche füh - ren ſie an der Seite und eine runde Kopfbedeckung mit anliegend aufgekrämptem Rande, an den Füßen Schuhe oder Stiefeln. Man ſieht, ihre Tracht iſt ritterlich und auch wieder nicht, wie Jemandes, der ſich über ſeinen Stand kleidet, den aber geſchmack - loſe Eitelkeit die rechte und feine Sitte verfehlen läßt.

Auch die Bäuerinnen folgen in ihrer Weiſe dem Beiſpiel der Männer. Sie legen ihre Röcke von koſtbarer Leinwand in eine Menge kleiner Falten und ſchnüren ſie eng um die Hüften. Die Gürtel tragen ſie ſchmal nach höfiſcher Art, aber koſtbar ver - ziert, und das Haar bedecken ſie, anſtatt des ſchleierartigen Tu - ches, mit ſeidenen Hüten und ſeidenen Gebenden. An der Seite führen ſie an einer langen ſeidenen Schnur oder an einer reich verzierten, mit erhabener goldenen Arbeit verſehenen Borte einen kleinen Handſpiegel.

Ein ſolcher Spiegel gehörte damals ziemlich allgemein zur Toilette der Damen, und daß ſie großen Werth darauf leg - ten, zeigt die reiche Verzierung, mit welcher ſie ihn verſahen. Die Rückſeite beſtand oft aus der koſtbarſten Elfenbeinſchnitzerei mit figürlichen Darſtellungen, die dem Reich der Liebe entnommen waren. Es haben ſich noch mehrere dergleichen erhalten. Eines derſelben ſtellt z. B. eine Liebesburg dar, welche von den Damen unter Anführung der Frau Minne ſelbſt vertheidigt wird, wäh - rend die Ritter von allen Seiten heranſtürmen, die Burg zu er - obern. Roſen werden von den Vertheidigerinnen auf die Köpfe der Stürmenden herabgeworfen, Roſen ſchießen dieſe wieder mit Armbrüſten hinauf, Roſenzweige dienen als Lanzen und Schwer - ter; nur allein Frau Minne führt Bogen und ſcharfen Pfeil. Während einige Damen zu Pferde aus dem geöffneten Thor noch einen Ausfall machen, und ihnen Ritter in derſelben Weiſe mit eingelegten Roſenzweigen entgegenreiten, haben andere Ritter158II. Das Mittelalter.ſchon die Zinnen erſtiegen und nehmen, wie es ſcheint, in gern gewährten Küſſen und Liebkoſungen den Preis der Tapferkeit und das Zeichen der Ergebung in Empfang.*)Siehe die Abbildung dieſer Elfenbeinſchnitzerei in Kunſt und Le - ben. 2. Heft. Erſtürmung einer Minneburg.

Bei dem ausgebildeten und feinen Geſchmack, der ſich prü - fend auf alle Gegenſtände der Kleidung oder der ſonſtigen Toi - lette erſtreckte, durfte die Farbe nicht weniger Berückſichtigung erhalten. Schon im Nibelungenlied finden wir die Damen in dieſer Beziehung ſehr wähleriſch.

Sie trugen reiche Stoffe, die beſten, die man fand,
Vor den fremden Recken; auch manches gut Gewand,
Wie’s zu ihrer Farbe ſich grad am beſten nahm.

Sie beſtimmen alſo die Kleider nach der Farbe ihres Haars, ihres Geſichts, ihrer Augen u. ſ. w. und zeigen damit, daß ſie mit der Kenntniß des Hauptgrundgeſetzes bereits tief in das Geheimniß der Toilette eingedrungen ſind. Im Allgemeinen hatte jeder Stoff und alſo auch jedes Kleidungsſtück nur eine Farbe. Mit Thieren oder Laubwerk gemuſterte Stoffe, ſeien ſie geſtickt oder gewirkt, gehören zu den Ausnahmen und werden zu Staatsklei - dern, Ornaten, oder gleich der getheilten Tracht nur in beſtimm - ter Bedeutung getragen. Davon war ſchon oben die Rede. Die Einfarbigkeit wurde dadurch aufgehoben, daß bei Männern wie bei Frauen mehrere Kleider getragen wurden, welche in verſchie - denen Farben wirkten. Mit dieſer Mannigfaltigkeit konnte erſt Harmonie eintreten und war die Möglichkeit zur Entfaltung des Geſchmacks gegeben. Da das Oberkleid und der Mantel noch mit andersfarbigem Stoffe gefüttert und häufig mit dem ſoge - nannten Bunt - oder Schönwerk, dem hermelinartig oder anders gemuſterten, bunt zuſammengeſetzten Pelz unterlegt oder ver - brämt waren, ſo konnten ſich mit Hinzufügung des Goldes we - nigſtens ſechs Farben am Anzug einer Dame ſichtbar vereinigt finden. Die Art und Weiſe, wie man die Kleider trug, indem der Mantel oder das Oberkleid mit Arm und Hand in die Höhe1591. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.genommen wurde, daß es ſich faltig umlegte und ſein eignes Unterfutter ſowie das Unterkleid ſichtbar werden ließ, dieſe Sitte machte es möglich, daß alle Farben zugleich zur Wirkung gelan - gen konnten. Es iſt auch darin gewiß der Grund zu ſuchen, warum die Damen die Oberkleider in der angegebenen Weiſe be - ſtändig trugen. Durch goldene oder farbige Säume am Hand - gelenk, am Hals und am Fußrande, ſowie in der früheren Zeit auch um den Oberarm wurde die Mannigfaltigkeit noch größer, damit freilich auch die Herſtellung der Farbenharmonie in der ganzen Toilette für die Damen eine ſchwierigere Aufgabe. Indeß dürfen wir ihrem Geſchmack wohl mehr Feinheit zutrauen, als den Kloſterkünſtlern, die, in ihrer einſamen Zelle dem Leben der großen Welt und dem Anblick feiner Damen fern bleibend, kei - neswegs einen gebildeten Farbenſinn verrathen und grelle und ſchreiende Mißklänge, wie z. B. Grün und Blau, in den Anzü - gen vornehmer Frauen unvermittelt zuſammenſtellen. Im Allge - meinen wurden die ganzen und lebhaften Farben den gebrochenen vorgezogen. Roth mit ſeinen verſchiedenen Nüancen vom Hoch - roth und Purpur bis zum blaſſen Roſa, Blau, Hellgrün, Gelb finden ſich am häufigſten in Gebrauch; daneben ſcheinen Schwarz und Weiß für beſonders fein gegolten zu haben. So erblickten König Gunther und ſeine Genoſſen die Brunhilde zuerſt am Fen - ſter ſtehen in ſchneeweißem Kleide, und ſie ſelbſt trugen bei ihrer erſten Auffahrt an ihrem Hofe, wo ſie ſich im höchſten Glanz zei - gen wollten, reiche Kleider, die einen von ſchneeblanker, die an - dern von rabenſchwarzer Farbe. Alle mehr in Grau, Braun und Violett gebrochenen Farben blieben noch vorzugsweiſe dem nie - dern Stande, obwohl Braun ſelbſt nicht unelegant war. Dieſe Miſchfarben tragen auch die Bauern auf den Bildern der Heidel - berger Handſchrift des Sachſenſpiegels durchgängig. Für die ſymboliſche Bedeutung, welche man ſpäter in der Liebe mit den Farben verband, und die wir in der nächſten Periode werden kennen lernen, findet ſich in der eigentlich höfiſchen Zeit noch kein Beiſpiel. Man ließ den guten Geſchmack in der Wahl der Farben walten. Nur Grau, für gewöhnlich den niedern Ständen eigen,160II. Das Mittelalter.erhielt noch eine beſondere Anwendung, indem es neben Schwarz die Trauer bezeichnete und zugleich die Farbe der Narrentracht wurde. Eine ſolche legt Triſtan an, da er den Narren ſpielt, hier und da mit Narrenbildern aus rothem Zeug beſetzt.

In Anbetracht der Stoffe, welche zu den Kleidern der Männer wie der Frauen angewendet wurden, haben wir bereits bemerkt, daß die im erſten Jahrtauſend vor allem geſchätzte Lein - wand durch wollene Stoffe in den Hintergrund gedrängt worden; daß Wolle in dieſer Periode die gewöhnliche Tracht jedes Stan - des war, und Sammet und Seide, die Erzeugniſſe der Fremde, wenn auch bei den höheren Ständen in keineswegs ſeltenem Ge - brauche, doch nicht in dem Maße Anwendung fanden, wie die glänzenden Bilder der Dichter vermuthen laſſen.

Die Wollſtoffe waren größtentheils heimiſches Erzeug - niß, von der feinſten Qualität bis zum dicken Fries und zum Lodenſtoff des öſterreichiſchen Aelplers und Bauern. Wie früher die Niederlande das frieſiſche Tuch ausführten, ſo gelangten ſchon in der Zeit der Kreuzzüge die ſüdlichen Provinzen derſelben, na - mentlich die Städte Arras, Brüſſel, Mecheln, Gent, Brügge, Antwerpen, Ypern u. a. in der Verfertigung von Wollſtoffen aller Art, ſowie in ihrer Färbung zu hohem Ruhme. Noch andere deutſche Städte, wie Regensburg im Süden, Lüneburg im ſäch - ſiſchen Norden, zeichneten ſich hierin aus. Die Wolle als Roh - ſtoff kam ihnen größtentheils von England und Ungarn. Eng - land ſelbſt verbeſſerte ſeine Manufacturen zu wiederholten Malen durch niederländiſche Weber.

Der feinſte Wollſtoff war der Scharlach. Seine gewöhn - lichen Farben waren Roth und Braun; doch werden, wenn auch ſeltner, daneben andere, wie Grün, Blau, Weiß erwähnt. Es ſcheint daher faſt, als ob der Name vom Stoff auf die Farbe übergegangen ſei. Der Scharlach war in den höfiſchen und ritter - lichen Kreiſen, ſowie auch wohl beim reicheren Bürgerſtande der vorzugsweiſe gebräuchliche Kleiderſtoff, bei Männern wie bei Frauen. Und nicht etwa diente er bloß zu Hauskleidern, ſondern er mußte im höchſten Anſehen ſtehen, da er zu Oberkleidern ver -1611. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.wandt wurde, die mit dem feinſten Hermelin gefüttert waren. Man würde nicht das edle Rauchwerk mit gemeinem Stoffe ver - bunden haben. Scharlach iſt ein reich Gewand und kleidet wohl die Leute. So wird Parzival bei Gurnemans gekleidet:

Scharlachbraun
*)d. i. von braunem Scharlach.
*) von ſchönem Schnitte
Und wohlgefüttert nach der Sitte,
Waren Rock und Mantel lang,
Von Hermelin inwendig blank,
Schwarz und grauer Zobel ſtand
Als Beſatz vor jedem Rand.

Zu der Beinbekleidung war Scharlach der feinſte und der dama - ligen Mode am meiſten entſprechende Stoff, indem er, fein und elaſtiſch, die Glieder tricotartig zu umſchließen vermochte und nachgiebig der freien Bewegung kein Hemmniß war. Von ihm haben ſich die Künſtler, beſonders die Bildhauer, die reinen Mu - ſter für den Stil des Faltenwurfs geholt; ſie hatten darum nicht nöthig, die Antiken zu ſtudiren. Der Scharlach war einheimi - ſchen Fabrikates.

Neben dem Scharlach gab es eine Menge anderer Wollſtoffe in den verſchiedenartigſten Abſtufungen bis zu den bereits er - wähnten gröbſten Arten, Fries und Loden: ſo die leichte Serge, der Fritſchal, welcher mit dem Scharlach und den koſtbarſten fremdländiſchen Seidenſtoffen zuſammen getragen wurde, der Barragan (Bergan), den man in vorzüglicher Güte zu Regensburg fabricirte, der Buckeram aus Ziegenhaaren, der Schürbrant, die Sei und der Seit (von sagum und sage - tum abzuleiten und daher urſprünglich wohl vorzugsweiſe Man - telſtoff), der Kamelot, aus Kamelhaaren und Wolle, der, ſchon damals viel gebraucht, nach Namen und Stoff ſich bis auf die Gegenwart erhalten hat.

Weit mehr als von den Wollſtoffen wiſſen die Dichter von der Seide zu erzählen und zu fabeln, da ſie in damaliger Zeit noch kein einheimiſches und mit Ausnahme des griechiſchen Ori - ents kaum ein Fabrikat der Chriſtenheit war. Die SarazenenFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 11162II. Das Mittelalter.aber webten ſie in allen ihren Ländern: ſo waren in Spanien die Seidenſtoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide, die Nordküſte Afrikas, die unter muſelmänniſcher Herrſchaft ſtehen - den griechiſchen Inſeln, Kleinaſien und die ferneren Länder, Ara - bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochaſien und Indien als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und urſprüng - liche Heimath. Nur die normänniſchen Könige und ihre hohen - ſtaufiſchen Nachfolger hatten eine große und weitberühmte Mu - ſterfabrik in Palermo, aber die Arbeiter ſelbſt, die zeichnenden Künſtler wie die Weber, waren Sarazenen; die Ornamente, die eingewebten arabiſchen Sprüche und die hiſtoriſchen Zeugniſſe geben das genugſam zu erkennen. Aus dieſer Fabrik ſtammt ein großer Theil der noch erhaltenen, zum Krönungsornat der deut - ſchen Kaiſer gehörenden Gewänder. Die Anſtalt von Palermo wurde die Muſterſchule für Lucca und die Fabriken Oberitaliens, von wo aus dieſe Kunſt nach den Niederlanden kam. Hier ge - langte ſie aber erſt im fünfzehnten Jahrhundert zu der außeror - dentlichen Blüthe und kunſtfertigen Vollendung. Die höfiſchen Dichter, bedacht den Glanz ihrer Helden und Heldinnen durch den Reiz des Fernen, Unbekannten und Wunderbaren zu erhöhen, führen uns eine Menge fremdartig und ſeltſam klingender Namen als Fabrikſtätten vor, die theilweiſe wirklichen Städten und Län - dern angehören, theils aber auch, wenn nicht grade der Willkür der Dichter, doch dem Mißverſtändniß und dem phantaſtiſchen Sinn der Reiſenden und der Aufſchneiderei der Kaufleute ent - ſprungen ſein mögen. Da giebt es neben der Seide aus Ninive und Bagdad und Alexandrien auch Seide aus Adramaut und Aſſagauk im Mohrenland, aus Alamanſura (Manſora), aus Agathyrſiente, Ecidemonis, Ethniſe, Neuriente, Pelpiunte, Seide aus Tabronit im Lande Tribalibot, Seide aus Thasme, erfunden von Sarant, einem Bürger dieſer Stadt und daher Sa - ranthasme genannt, aus Zazamank und vielen andern Städten räthſelhaften Namens. In ähnlicher Weiſe kommen für die ver - ſchiedenen Arten von Seidenſtoffen auch eine Menge ſchwerer oder leichter zu erklärende Namen vor: Achmardi, Baldachin,1631. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Blialt oder Plialt, Cyclat oder Siglat, Palmat, Pfawin, ſo ge - nannt, weil er gleich Pfauenfedern ſchillerte, Pfellel, Pfeller oder Pfelle, Sureiner Seidentuch, Taft, Triblat, Tyras und Tymit, Zendal oder Sendal, auch Sindel und Sendel genannt. Die Stoffe waren von allen Farben, konnten gemuſtert ſein, mit ſtili - ſirtem Laubwerk, Thieren und figürlichen Darſtellungen, über deren Gebrauch wir oben geſprochen haben, und waren auch nicht ſelten mit Gold durchwirkt, was die Sarazenen vor allem ver - ſtanden, während die abendländiſchen Frauen es hineinſtickten.

Das Gold vom Kaukaſus iſt roth, Daraus die Heiden ſchön Gewand Wirken; mit Kunſtverſtand Legen ſie das Gold in Seiden. ((Parzival.) )

Zu den koſtbarſten und den am meiſten genannten dieſer Stoffe gehört der Pfellel. Der Name iſt von pallium Mantel abzuleiten, wohl weil er urſprünglich zu dieſem Ge - wand, dem weltlichen wie dem geiſtlichen Pallium, beſonders ge - braucht wurde; ſeine Heimath aber iſt die wunderbare Fremde, das ferne Morgenland, Libyen, Arabien, Babylon u. ſ. w. Dort wird er, wie auch von anderm Seidenſtoff erzählt wird, in einem fabelhaften Berge zu Agremontein von Salamandern im heißen Brand des Feuers unvergänglich gewirkt. Eine andere Sage läßt im weiten Indien einen Baum wachſen bei der Burg Grarimort, der trägt die feinſte Seide von einem Glanze, ge - ſponnenem Golde gleich, und wer dieſen koſtbaren Pfellel trägt, der gewinnt durch ihn unendliche Pracht.

Neben dem Pfellel war der Baldachin beſonders ange - ſehen. Das alte Bagdad Baldek hat ihm Namen und Urſprung gegeben. Er war ſo koſtbar und ſtand in ſo hohen Ehren, daß ſelbſt Maria, die Himmelskönigin, von ihm ein Kleid tragen konnte, durchwirkt mit lauterm Golde. Auch der Cyclat oder Siglat kommt in reichſter Weiſe mit Gold durch - wirkt vor. Triſtan trägt daraus ein Kleid, das Gold war darin gewoben nicht in der Maße des Hofes; die ſeidenen Streifen ſah man kaum, ſie waren alle mit Gold ertränket und in Gold ver -11*164II. Das Mittelalter.ſenket. Der Sendal war ein leichterer und mehr gewöhnlicher Seidenſtoff, der noch ſpäter viel getragen und zu Helmdecken, wie zu Kopfbedeckungen, die daher Sendelbinden hießen, gebraucht wurde.

In gleicher und faſt noch größerer Ehre als die Seide ſtand der Sammet, wie jener nur ein fremdes Erzeugniß aus be - kannten wie fabelhaften Fabrikſtätten und nur die Tracht der Bevorzugten auf Erden. Angewendet wurden beide, Sammet wie Seide, zum Rock, zum Mantel und zum Oberkleid und zwar ſowohl als Ueberzug wie als Futter, die Seide auch zum Hemd, zu den Schuhen, zu den Hüten der Frauen und den Mützen der Männer und ſonſt zu all der mannigfachen Kopfbedeckung in Geſtalt von Hauben, Schleiern und Tüchern. Auch die Hand - ſchuhe waren häufig von Seide.

Die Leinwand blieb in dieſer Periode größtentheils den niedern Ständen überlaſſen; und wenn ihr Gebrauch auch von den vornehmeren nicht ausgeſchloſſen war, ſo diente ſie doch nur zur Unterkleidung wie heut zu Tage; man redete nicht viel von ihr und trieb noch wenig Luxus damit. Im Wigalois kleidet ſich nach einem Bade Herr Gawein zuerſt mit weißer Leinwand, dann legt ihm eine Jungfrau einen Rock darüber von Pfellel, gefüttert mit Hermelin, und von demſelben Pfellel noch einen Mantel. Natürlich war die Feinheit der Leinwand nach den Ständen ver - ſchieden, ſodaß man dieſe daran zu erkennen vermochte, wie es einmal dem Ulrich von Liechtenſtein geſchah, da er ſich unter die Kranken gemiſcht hatte, um ſeine verehrte Frau ſehen zu können. Für den Bürger und den Bauer war es ein Zeichen der Wohlha - benheit, Laden und Schränke mit guter Leinwand angefüllt zu haben. Männer wie Frauen dieſes Standes trugen auch wohl die ganze Kleidung von Leinwand.

Die reiche Pelzverbrämung und das Unterfutter des Man - tels und des Oberrocks, welches im Winter wie im Sommer ge - tragen wurde, haben uns ſchon bei gelegentlicher Erwähnung er - kennen laſſen, daß das Rauchwerk in dieſer Periode nicht ge - ringerer Liebe ſich erfreute wie in den vorhergehenden Zeiten, als1651. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.man der koſtbaren gewirkten Stoffe noch mehr entbehren mußte. Helmold, der Slavengeſchichtſchreiber, klagt ſehr über ſolche, nach ſeiner Meinung ſo eitle Thorheit. Ueberfluß haben die Preußen an Fellen, die bei uns nicht vorkommen, und deren Duft unſrer Welt das todtbringende Gift der Hoffahrt eingeflößt hat. Jene freilich achten dieſes nicht höher denn Miſt, und damit, glaube ich, iſt zugleich auch über uns, die wir nach einem Marderfelle wie nach der höchſten Glückſeligkeit jagen, das Urtheil geſprochen. Darum bieten ſie für linnene Gewänder, die wir Faldonen nen - nen, die ſo koſtbaren Marderfelle aus. Das edle Rauchwerk war im Mittelalter durchaus Vorrecht des ritterlichen Standes, an welchem auch die höhere Geiſtlichkeit Theil nahm. Bürgern und Bauern war es gradezu verboten, und es konnte ihnen nur durch ein beſonderes Privilegium geſtattet werden. Ein ſolches ertheilte Kaiſer Heinrich V. im Jahr 1111 den Rathsherren von Bremen, nach einer Urkunde, deren Aechtheit freilich bezweifelt wird. Die Verkehrsſtraßen, auf denen es aus Rußland, Polen, Preußen und Ungarn herbeigeführt wurde, waren theils zu Lande und zu Waſſer nach den nördlichen Hanſeſtädten, theils die Do - nau herauf nach Regensburg, dem Hauptſtapelplatz des ſüdlichen Pelzhandels. Von dieſen Städten aus ging es weſtwärts und ſüdlich nach Spanien und Italien, wo aber nur die feinſten und koſtbarſten Arten getragen wurden. Zu dieſen gehörten Hermelin und Zobel, auch Marder und ſchwarzer Fuchs, denen ſich wohl noch Fiſchotter, Biber und Zieſelmäuſe in geringerem Werthe anſchloſſen. Dann folgten die Eichhörnchen, der gewöhnliche Fuchs, die Katze, der Luchs, Dachs, Wolf, Bär und der See - hund.

Die Bearbeitung und Anwendung des Rauchwerks war eine doppelte, indem man entweder nur Pelz von derſelben Art nahm oder Felle verſchiedener Thiere und von verſchiedener Farbe mit einander verband. Mit Rückſicht darauf unterſchied man zwiſchen Schönwerk, Buntwerk, Grauwerk und Buntgrau. Zu Schönwerk wurden die koſtbarſten Felle benutzt, doch ſank ſpäter ſeine Bedeutung, und es wurde von Hermelin und Veh166II. Das Mittelalter.unterſchieden und beiden nachgeſetzt. Vom Hermelin hatte man zwei Arten, die gewöhnliche des weißen Grundes mit eingelegten ſchwarzen Schwänzchen oder umgekehrt mit dunklem Grund von ſchwarzem Zobel oder ſchwarzem Fuchs und ausgeſchnittenen weißen Schwänzchen. An den Kleidern umfaßte oder verbrämte man häufig das aus weißem Hermelin beſtehende Unterfutter mit einem Rand von ſchwarzem Zobel oder machte es auch hier um - gekehrt. Buntwerk, Grauwerk und Buntgrau (varium ital. varo, vajo und daher Veh , griseum und varium griseum) wurden vorzugsweiſe aus den verſchiedenfarbigen Fellen der Eich - hörnchen, der braunen, grauen und ſchwarzen, zuſammengeſetzt, die wieder mit Fellen anderer Thiere in mehrfacher Zeichnung verbunden werden konnten. Eine beſonders koſtbare Art des bunten Rauchwerks war auch der Kleinſpalt. Die Bilder der Handſchriften laſſen uns öfter dieſe verſchiedenen Arten erken - nen, und wir finden ihren Gebrauch fortgepflanzt in der Heraldik, wo ſie mit verſchiedenen Namen und verſchiedener Zeichnung Wappenzeichen bilden. Ihre Anwendung geſchah hier in der Weiſe, daß urſprünglich die Schilde ſelbſt mit den Pelzſtoffen überzogen, ſpäter aber ihre Muſter darauf gemalt wurden. Im Allgemeinen beſchränkte ſich die Anwendung des Pelzwerkes bei der Kleidung auf Unterfutter und Verbrämung. Man trug ſie, wie wir geſehen haben, im Winter wie im Sommer. Mantel und Oberkleid wurden in gleicher Weiſe mit Pelz verſehen, doch wenn beide zuſammen getragen wurden, ſo hatte immer nur eines den Schmuck des Rauchwerks. Ausnahme iſt es, wenn im Par - zival Anfortas, der König des Grals, einen Mantel trägt, wel - cher innen und außen Pelz iſt; ſein Krankheitszuſtand bedurfte ſo außerordentlicher, warmer Kleidung. Auch ein pelzgefütterter Rock, als Unterkleid, iſt Ausnahme. Verbrämt ſind auch häufig die Kopfbedeckungen der Männer, und die Bilder der Handſchrif - ten lehren uns noch einen beſondern breiten Pelzkragen von ver - ſchieden gezeichnetem Buntwerk kennen, der ſich um die Schultern über den Mantel legt.

Wir haben bis hierher die Kleidung in ihren einzelnen1671. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.Theilen und überhaupt die ganze äußere Erſcheinung der deutſchen Menſchenwelt bis in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hinein verfolgt, bis auf einen Punkt, wo ſie, wenn auch dem kundigen Auge römiſchen Urſprung oder Einfluß nicht verleug - nend, doch als eine ſelbſtſtändig ausgebildete und mittelalterlich originale daſteht, und zugleich in ruhiger Schönheit und einfacher Eleganz dem fein gebildeten Geſchmack hohe Befriedigung ge - währt. Genau um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ge - ſchieht der Umſchwung zu anderen Formen in der Trachtenwelt, wenn auch nicht plötzlich und mit einem Male, doch in ſo aus - geſprochener Weiſe, daß er den Mitlebenden ſelbſt ins Bewußt - ſein tritt. Der Schönheitſinn fühlt ſich nicht mehr befriedigt an plaſtiſch würdevollen Erſcheinungen; die durch Ueberfeinerung irre geleitete Phantaſie will erfinderiſch ſein und gefällt ſich bald in Bizarrerieen und Ausgeburten; der Menſch mit ſeiner äußeren Erſcheinung wird in Formen und Farben ein unruhig buntes Weſen, das oft nur ein Zerrbild iſt. Er iſt nur ein Abglanz einer Zeit, welcher die großen, leitenden Ideen abgehen, ſtatt de - ren Zerſplitterung und endlich die Auflöſung der Grundlagen des mittelalterlichen Lebens eintritt. Die drei oder vier letzten Jahr - zehnte vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bildeten die Vorbereitungszeit, in welcher die neue Richtung in Einzelheiten andeutend zu Tage tritt, und ebenſo in gleichem Maße die Tracht der höfiſchen Zeit ſtufenweiſe von ihrem Charakter einbüßt. Die - ſes allmählige Hinübergehen des Einen in das Andere wollen wir am Schluß dieſer Periode noch in den einzelnen Hauptmo - menten nachweiſen. Da hier ein weſentlich Neues nicht mit einem Male auftritt, ſondern nur eine Wandlung an uns nunmehr bekannten Dingen vor ſich geht, ſo läßt ſich das Nöthige auf we - nige Worte beſchränken. Das Neugewordene, Fertige findet im nächſten Kapitel ſeine Beſprechung.

Die Neigung zur Enge und Einſchnürung des Körpers, welche eine Zeitlang Oppoſition erhalten hatte, tritt wieder mit voller Gewalt auf und ſteigert ſich ſodann in der folgenden Pe - riode bei der Männerwelt auf das höchſt mögliche Maß. Der168II. Das Mittelalter.Rock des Mannes, wie er ſich dem Leibe anzuſchmiegen ſucht, zieht ſich auch in ſeiner Länge zuſammen und erreicht, von den Füßen zurücktretend, gegen das Jahr 1350 kaum noch das Knie. An ſeinen Säumen, ſowohl unten wie an dem Kaputzenkragen oder Goller (Gugel), der in dieſen Jahrzehnten ſehr häufig ge - tragen wird ſeine Eigenthümlichkeit iſt ſchon oben beſchrieben worden wird er in Zacken ausgeſchnitten, eine Mode, die bis dahin nur von dem vagabundirenden Volk der Spielleute und Jongleurs gepflegt worden. Wenn im dreizehnten Jahrhundert unſer wohlbekannte reiche Meierſohn Helmbrecht ſeinen Rock aufs reichſte mit metallenen, vergoldeten oder farbigen Glasknöpfen beſetzt hatte, ſowohl hinten am Rückgrat herab wie vorne vom Hals bis zum Gürtel, ſo war das eine bäuriſche Uebertreibung einer an ſich ſchon ſtutzeriſchen und damals aus dem Kreiſe der Vornehmen vom guten Ton verbannten Sitte; jetzt aber wird dieſer Knopfbeſatz, wenn auch noch in beſcheidener Weiſe, zur feinen Mode. Die zunehmende Enge machte das Anziehen des Rockes unbequem, welches nach wie vor über den Kopf geſchah; man ſuchte dadurch nachzuhelfen, daß man den Rock auf der Bruſt vom Halſe herab und desgleichen die Aermel am Handge - lenk eine Strecke aufſchnitt und den Schlitz mit Knöpfen beſetzte, wodurch man größere Enge und Bequemlichkeit zugleich erhielt. Ganz in derſelben Weiſe wandelte ſich gleichzeitig in der Kriegs - tracht der Waffenrock um, der mit dem Kettenhemd ſeine Länge und Weite einſchränkte und ſo allmählig mit Umänderung des Stoffes aus Wollenzeug in Leder zum Lendner wurde, als welcher er der ausgebildeten Form des Rockes in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts genau entſprach. Der Zipfel der Kaputze wuchs und fiel noch vor dem Jahr 1350 weit auf den Rücken herunter, ungefähr wie, um an ein bekanntes, wenn auch als italieniſch etwas früheres Beiſpiel zu erinnern, bei dem vielverbreiteten Reliefkopf Dantes. Der Gürtel hat mit der Kleidung nichts mehr zu thun; er beſchränkt ſich daher entweder auf den Kriegsgebrauch, obwohl auch hier eine andere Art, Schwert und Dolch zu tragen, eingeführt wurde, oder er wird1691. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.ein bloßer Schmuck, und hängt als ſolcher bei Männern wie bei Frauen loſe auf den Hüften. Wir beſprechen ihn näher in der folgenden Periode, welcher er in dieſer Form vorzugsweiſe ange - hört. Der Mantel des Mannes tritt mit einer neuen Form auf. Dieſe iſt nicht mehr völlig offen, ſondern oben vor der rech - ten Schulter ſind die beiden Seiten, die hier ſonſt mit einer Agraffe befeſtigt wurden, eine kleine Strecke zuſammengenäht. An dieſer Stelle erſcheinen dann als Schmuck kleine Wappen - ſchildchen gleich Agraffen, oder eine Reihe Knöpfe von geſchliffe - nen Steinen oder anderer Schmuck. Im Uebrigen iſt der Mantel offen von oben bis unten, ſodaß der rechte Arm zum Gebrauch völlig frei iſt. In dieſer Form, die übrigens keineswegs zur aus - ſchließlichen Herrſchaft kam, wurde er über den Kopf angezogen, und hing dadurch ungleich feſter als früher am Körper. Die Schuhe geben ſchon aufs deutlichſte die Neigung zur verlängerten Spitze zu erkennen, während ſie im dreizehnten Jahrhundert zwar nicht abgeſtumpft ſind, ſich aber doch nach der Länge des Fußes richten.

In der Frauenwelt iſt es vorzüglich das Haar, welches die Aenderung der Zeit andeutet. Die langen, wallenden Locken, die frei gelöſet über die Schultern herabfloſſen, werden in Flech - ten geſammelt und um die Ohren oder ſonſt am Kopf aufgebun - den, daß Hals und Nacken frei ſind. Nur ſelten ſieht man gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts noch Jungfrauen mit aufgelöſetem Haar. Das Frauengebende verliert ſeine einfach ſchöne Form und macht bereits leiſe Andeutungen auf den ſpäte - ren bizarren Kopfputz. An Nacken, Schultern und Bruſt ſtellt ſich zum erſten Mal durch Ausſchneiden des Kleides eine bald zu - nehmende Entblößung ein, während Matronen, die Luſt der Welt fliehend, ſich um ſo mehr nonnenhaft durch Schleier, Hau - ben und Riſe (Kinntuch) verhüllen. Ober - und Unter - kleid ſchließen ſich am Oberkörper überall in gleichmäßiger Enge an und laſſen die Körperformen aufs deutlichſte hervortre - ten; erſt abwärts werden ſie weit und faltig und legen ſich lang und wallend um die Füße. Die Aermel des Oberkleides ſind170II. Das Mittelalter.entweder völlig weggeſchnitten, ſo ſehr, daß ein großer Ausſchnitt die vom Unterkleid bedeckten Schultern und die Seiten bis auf die Hüften zeigt, oder ſie umfaſſen Schulter und Oberarm ganz kurz und hängen dann mit einem ſchlichten, ſchmalen Stück, wie aufgeſchnitten, lappenähnlich herunter in einer Länge, welche die des ganzen Armes noch kaum übertrifft. Das iſt der Anfang der Hängeärmel, mit welchen 50 Jahre ſpäter ein ſo großer Luxus getrieben wurde. Auch bei der männlichen Kleidung finden ſich bereits vereinzelte Beiſpiele dieſer Aermel. Ebenfalls tritt bei den Frauen der Beſatz mit Knöpfen ein, doch in noch beſcheidnerer Anwendung. Wie der Rock des Mannes wird auch das Kleid der Frau auf der Bruſt herab und desgleichen vom Handgelenk zum Ellbogen aufgeſchnitten und mit Knöpfen verſehen. Dadurch wird das Anziehen erleichtert und möglichſte Enge erreicht. Die Taſſeln des Mantels erhalten oft Schildform und werden mit den Familienwappen geſchmückt, wie Aehnliches ſchon bei den Männern erwähnt wurde.

Wir ſehen ſo mannigfach in den Einzelheiten die Neigung zur Uebertreibung, zur Sonderbarkeit und auch zur Sittenloſig - keit andeutungsweiſe hervortreten, Eigenſchaften, welche im funf - zehnten Jahrhundert ſich über alles Maß ſteigern ſollten. Einige verdeutlichende Beiſpiele für die genannte Vorbereitungszeit ge - währen die im 16. Heft von Kunſt und Leben abgebildete Hirſchjagd und die Miniaturen bei Hefner II, 28.

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Zweites Kapitel. Die Zeit des Luxus und der moraliſchen und äſthetiſchen Entartung. 1350 1500.

a. Der Umſchwung in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts; der Realismus und die Kleiderordnungen; die Mode.

Es war genau in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, als die ſociale Ordnung der damaligen civiliſirten Welt in Frage ſtand, ja faſt der Auflöſung nahe ſchien. Die furchtbare Peſt des ſchwarzen Todes, das große Sterben , durchzog die Länder und jagte die Gemüther in Angſt und Verzweiflung. Vernunft und Menſchlichkeit wurden zugleich mit Füßen getreten. Die einen klagten die Juden des Unheils an, und ſuchten Rache in der ſchrecklichſten Verfolgung derſelben; die andern, tolle Schwär - mer, erkannten ein Strafgericht Gottes und vermeinten abzubü - ßen, indem ſie ſingend, betend und den eigenen Körper geiſſelnd von einem Ort zum andern wanderten. Ruhigere Gemüther zo - gen ſich ſcheu von der Welt zurück und verſenkten die Seele in myſtiſche Betrachtungen. Darnach aber, ſo erzählt der Schreiber der Limburger Chronik, da das Sterben, die Geiſſelfahrt, - merfahrt, Judenſchlacht ein End hatten, da hub die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu ſein. Die Bedeutung dieſer Worte iſt eine viel größere als ſie der Chroniſt im Sinne hat, und wenn er hinzufügt: und machten die Leute neue Kleidung , ſo iſt das nur eine Seite dieſes neuen Geiſtes, der ſich nach allen Seiten hin in einem fröhlichen, aber auch üppigen Leben offenbarte.

172II. Das Mittelalter.

In der That ſtehen wir mit der Mitte des vierzehnten Jahr - hunderts an einem der großen Wendepunkte der Culturgeſchichte. Die Blüthe des eigentlichen Mittelalters iſt vorüber: die Poeſie iſt verklungen, die Fackel der Schwärmerei iſt erloſchen, die Gluth des Glaubens und der Feuereifer verglommen; mit dem Herab - ſteigen der Frau von ihrem heiligen Thron und dem Aufhören ihres Cultus iſt die Minne in Wort und Begriff zum gemeinen Genuß geworden; die feinen und natürlichen Formen höfiſch ritterlicher Geſelligkeit haben ſich in romantiſche, an Aberwitz ſtreifende Galanterie und Etiquette verwandelt, und das Sehnen in die unbeſtimmte Ferne, das Aufgehen in Gefühle und die Entſagung ſind dem realen Vollgenuß des unmittelbaren Lebens gewichen. Es iſt der Schritt aus dem Ueberſinnlichen in die Sinnlichkeit, vom Himmel auf die Erde, aus der Phantaſie zur Natur. In alle Sphären des Lebens und der Kunſt dringt ein gewiſſer Realismus ein, der in der ſocialen Welt zwar vielfach zur Auflöſung der ſittlichen Ordnung führt, in der Kunſt jedoch, noch in Verbindung mit der früheren Ueberſinnlichkeit oder der tiefen Auffaſſung alles Geiſtigen, grade die reichſten und üppig - ſten Blüthen treibt. Die derbe Lebensluſt, die ſich mit allen Or - ganen an das materielle Daſein, an dieſe Welt, klammert, läßt kaum ahnen, daß darüber eine andere Welt ins Grab ſinkt ſo luſtig, ſo bunt und reich bewegt ſich die Menſchheit im Behagen an ſich ſelbſt, im Vollgenuß des Daſeins.

Dieſe Luſt des Lebens führt, wie eben angedeutet, zu einem denkwürdigen Reſultat in der Kunſt, das zwar alle Zweige er - greift, allein vorzugsweiſe in der Malerei ſich glänzend und glück - lich bethätigt. Die Architektur und die Plaſtik haben beide ſchon in der vorigen Periode ihre Blüthezeit gefeiert; das bewegte, bunte, leidenſchaftliche Drängen und Treiben, welches nun der mehr dramatiſchen Kunſt, der Malerei, zu Gute kommt, ſtört jene in dem Gleichgewicht ihrer Geſetze, in ihrer ſteinernen Ruhe. Die Architektur, unantaſtbaren Geſetzen unterworfen und auf große Formen angewieſen, ſoll ſich in die Fülle des Kleinen zer - gliedern und ſich bedecken mit einer unendlichen Maſſe krauſer,1732. Die Zeit des Luxus und der Entartung.bunter Ornamentik, die nicht organiſch aus ihr hervorwächſt. Die Plaſtik, wenn ſie auch an Kraft des Ausdrucks, an Reichthum des Dargeſtellten gewinnt, verliert durch Anſprüche, die außer - halb ihrer Gränzen liegen; mit den Farben in Verbindung ge - ſetzt, ſoll ſie eine Malerei im Relief werden, eine Malerei in Stein und Holz, alſo die treuſte Nachahmerin der Natur. Ganz anders die Kunſt der Malerei. Im Gegenſatz zur maleriſchen Plaſtik des funfzehnten Jahrhunderts war ſie im vierzehnten noch eine ſta - tuariſche Malerei geweſen. Wie man am liebſten Einzelfiguren, durch architektoniſche Einfaſſungen getrennt, darſtellte, ſo hatte man auch figurenreichen Gegenſtänden durch den Mangel alles natürlichen Hintergrundes einen reliefartigen Charakter aufge - drückt. Der goldene Grund, in welchen die Figuren hineinge - ſtellt waren, hatte den Schein des wirklichen Lebens vollends ge - nommen; es war bereits gleichſam der Himmel geweſen, in den dieſe Heiligen als der Erde entrückte Weſen getaucht waren.

Die Gebrüder van Eyck waren es nun, welche ſo die Kunſt gewiſſermaßen vom Himmel auf die Erde herabzogen. Groß ge - worden in dem üppigen Leben der reichen Niederlande, Zeugen der Koſtbarkeiten, wie ſie dort der Gewerbfleiß in aller Farben - pracht zu Tage förderte, in engſter Verbindung mit dem glänzend - ſten aller damaligen Höfe, dem burgundiſchen, zeigen ſie in ihren Werken zum erſten Mal in voller energiſcher Weiſe dieſe realiſti - ſche Richtung der Zeit, die irdiſche Lebensfreudigkeit. Statt des goldenen Hintergrundes verſetzen ſie den Schauplatz ihrer Gegen - ſtände auf dieſe Erde, mitten hinein in die ſchöne Welt, der ſie mit fröhlicher Liebe zugethan erſcheinen. Saftig grüne Wälder, friſche, blumige Wieſen, Berge und Städte, mit hingebender Vorliebe behandelt, bilden die Localität. Alles Nebenſächliche, das Haar, der Boden, die Gräſer, werden mit geduldigſtem Fleiße ausgeführt, das menſchliche Incarnat mit beſonderer Rückſicht auf Geſchlecht, Alter und Charakter behandelt. Prachtgewänder, Purpurmäntel, die großgemuſterten Sammet - und Seidenſtoffe und der ſchimmernde Goldbrokat, Kronen, Ketten und blanke Rüſtungen glänzen uns aus ihren Werken entgegen. Hohen Sinn174II. Das Mittelalter.offenbaren ſie für die Schönheit und die Leuchtkraft der Farben, welchen ſie nur mit ihrer neu ins Leben gerufenen Oelmalerei be - friedigen konnten. Statt der herkömmlichen typiſchen Bildung der Köpfe führten ſie das Individuelle, das Charakteriſtiſche in die Darſtellung des Menſchen und auch der Heiligen ein, und ſchufen damit erſt als einen neuen und ſelbſtſtändigen Zweig der Malerei das Portrait. Sie zuerſt ſtellten auch Gegenſtände der profanen Geſchichte und des Lebens in größerem Maßſtabe dar. Dieſe Richtung war ſo die allgemeine der Zeit, daß ſelbſt Fieſole, der Zeitgenoſſe der van Eycks, in welchem die ganze Ueberſinn - lichkeit des Mittelalters mit der vollen, kindlichnaiven Hingebung und der unergründlichen Glaubensinnigkeit noch einmal im höch - ſten Maße aufflammt, ſich ihr nicht entziehen kann. Fieſole gilt als derjenige, der zuerſt das Individuelle, Portraitartige in die italieniſche Kunſt eingeführt hat. Doch fehlte auch den van Eycks und ihren Nachfolgern in den Niederlanden und in Deutſchland und überhaupt dem funfzehnten Jahrhundert noch keineswegs die Fähigkeit, dieſe Seelenzuſtände mit aller Energie und aus der Unmittelbarkeit des künſtleriſchen Schaffens darzuſtellen. In merkwürdiger Weiſe finden ſich dieſe beiden Richtungen mit ein - ander vereinigt.

Wir finden denſelben Gegenſatz in der ſittlichen Welt. Der wachſende Reichthum der Städte, das bewegtere Leben der Bür - ger, ihre Unabhängigkeit und oft ihr Uebermuth hatten dem Rea - lismus oder dem Materialismus Thür und Thor geöffnet; mit ihm aber war die alte ſittliche Ordnung über den Haufen geſto - ßen, Ehrbarkeit, Scham und Zucht verſchwanden aus dem Leben, und eine Sittenloſigkeit trat ein in ſo abſchreckender, ſchamloſer Geſtalt, daß man ſich entſetzt von den Schilderungen abwendet. Nach der einen Seite betrachtet, haben wir es durchaus mit einer Zeit der Entartung zu thun. Die Dichter, die Chroniſten, die Prediger ſind gleich voll der Klagen über das allgemeine Ver - derbniß, und die Geſetze, die ihm hemmend entgegen treten ſoll - ten, ſind mit ihren ſchaudererregenden Strafen ein gleicher Be - weis, daß das menſchliche Gefühl erſtickt iſt. Das iſt die eine1752. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Seite. Die Kehrſeite iſt leicht begreiflich: der Pietismus, die Neigung zur Bußfertigkeit, welche die Klöſter der Büßerinnen, der Reuerinnen und Magdalenenſchweſtern hervorrief. Andere fromme Seelen, welche ſich der Weltluſt abwandten, fanden ſich zu ſtillem, beſchaulichem Leben in den Beghinenhäuſern zuſam - men; andere, welche die erbarmende Liebe trieb, ſtifteten Anſtal - ten zur Aufnahme und Unterhaltung gebeſſerter Frauen, andere auch ſetzten ihnen Heirathsgut aus, damit ſie auf immer zu einem beſſeren Leben zurückkehren konnten.

Die Oppoſition fand noch poſitiveren Halt und Ausdruck als an dieſen paſſiven Tugenden. In keiner Zeit hatte die Di - daktik wärmere und tüchtigere Vertreter; aus ihr wuchs die Sa - tire hervor, als alle Schranken und natürlichen Formen maßlos überſchritten waren und die Lebenszuſtände als Carricatur er - ſchienen. Mit gleichem Eifer rührten ſich die Geiſtlichen gegen den Luxus und das Verderben. Ihr Erfolg war aber nirgends ein bleibender, und es iſt gewiß manchem ähnlich gegangen wie dem Johann de Capiſtrano, da er in Ulm gegen die ſchlechten Sitten der Frauen und ihre Kleidermoden predigte. Drei Frauen, welche ſeiner Predigt ſpotteten, wurden ſogleich vom Volke be - ſtraft, aber der Rath warf ihn ins Gefängniß und verwies ihn der Stadt. Das größte Hinderniß war ihren Bemühungen der eigene Stand, der durch ſeine Theilnahme an der allgemeinen Sittenloſigkeit in Verachtung gefallen war. Sie verleugneten auch in ihrem Aeußern die geiſtliche Würde und trugen nur zu gern die Kleidung der Laien. In Ulm gingen ſie auf den Straßen im Silberſchmuck einher, und liefen mit Sporen und Meſſern herum. Von Rathswegen wurde den Gaſſenknechten aufgegeben, alle Prieſter einzufangen und zum Bürgermeiſter zu führen, die ſie auf der Gaſſe in unprieſterlichem Gewand und mit langer Wehre antreffen würden.

Indeß hörte der beſſere Theil der Geiſtlichkeit nicht auf, in mannigfacher Weiſe, von der Kanzel wie im Beichtſtuhl, ſowie durch angedrohte Strafen, ſelbſt der Hölle, namentlich gegen die ausgelaſſenen und ſchamloſen Kleidertrachten Oppoſition zu ma -176II. Das Mittelalter.chen. In Frankreich bedrohte ſie ſelbſt die Schneider und Putz - macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zuſtände waren überall gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War - nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu ſchützen. So ſah ſich etwa um das Jahr 1400 ein alter franzöſiſcher Ritter de la Tour-Landry veranlaßt, durch beſondere Aufzeichnungen ſeine Töchter mit dem Verderben der Welt bekannt zu machen; er fügt ſeinen Lehren Beiſpiele hinzu, die er ſelbſt erlebt haben will. Wir theilen ein ſolches mit, welches uns wieder die Geiſtlichkeit in Oppoſition zeigt. Ein Ritter, ſo erzählt er, habe nach einander drei Frauen gehabt. Als ihm die erſte geſtorben, beſuchte er wei - nend einen Onkel, der Einſiedler war, und bat ihn, ſich im Ge - bet an Gott zu wenden, damit er erfahre, welches Loos der Ge - ſtorbenen zu Theil geworden ſei. Nach einem langen Gebet fiel der Einſiedler in tiefen Schlaf. Dann ſah er im Traum St. Mi - chael auf der einen und den Teufel auf der andern Seite, welche ſich um den Beſitz der armen Seele ſtritten. Die ſchönen, herme - linverbrämten Kleider laſteten ſchwer in der Wage zu Gunſten des Teufels: He, St. Michael, ſagte der letztere, dieſe Frau hatte zehn Paar Kleider, ebenſoviel lange wie kurze, und ebenſo - viele Oberröcke. Ihr wißt, daß ſchon die Hälfte davon ihr hätte genügen können. Ein langes Kleid, zwei kurze und ebenſoviele Oberröcke ſind genug für eine einfache Dame; und wenn ſie ſich gottgefällig mit weniger begnügt hätte, ſo hätten noch funfzig Arme mit dem Preis einer einzigen ihrer Roben gekleidet werden können. Und der Teufel brachte dieſe Kleider herbei und warf ſie in die Wagſchale mit Schmuckſachen aller Art, was ein ſo großes Gewicht machte, daß der Teufel gewann; und dann bedeckte er die arme Seele mit dieſen Kleidern, die in Feuer gerathen waren und ſie unaufhörlich brannten. Solches ſah der Einſiedler im Traum und beeilte ſich, es ſeinem Neffen zu erzählen. Als nun dem Ritter nach fünf Jahren auch die zweite Frau geſtorben war, kam er noch einmal zum Einſiedler, der wieder betete, entſchlief und die Verſtorbene wegen eines einzigen Fehltritts auf hundert Jahre zum Fegefeuer verurtheilt ſah. Nach dem Tode der dritten1772. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Frau aufs neue befragt, ſah der Einſiedler nach ſeinem Gebet auch dieſe im Traum. Ein Teufel hatte ſie bei den Haaren in ſeinen Krallen, wie ein Löwe ſeine Beute hält, und dann brachte er glühende Nadeln an ihre Schläfen, ihre Augenbrauen und ihre Wangen. Die arme Seele ſchrie. Der Einſiedler fragte den Teu - fel, warum er ſie ſo leiden laſſe. Weil ſie ihre Schläfen raſirte, war die Antwort, ihre Augbrauen bemalte und die Haare von der Stirne riß, um ſchöner zu ſein und mehr Bewunderung zu erwecken. Ein anderer Teufel kam nun und verbrannte ihr das Geſicht dermaßen, daß der Eremit darüber zitterte: Sie hat dieſe Strafe verdient, ſagte der Teufel, weil ſie ſich geſchminkt und das Geſicht bemalt hat, um ſchöner zu ſein; keine Sünde mißfällt Gott ſo ſehr. So lautet die Erzählung des Ritters de la Tour.

Den beſten und wirkſamſten Widerſtand fanden die Aus - ſchweifungen in Sitten und Moden an dem geſunden Sinn des Volkes ſelbſt. In den Städten ſowohl wie beim Adel auf den Schlöſſern hielt ein guter Theil an edler Einfachheit, an Ehrbar - keit und Anſtand feſt, wie auch die Maſſe der niedern Stände und des Landvolks unverdorben blieb. Was die Kleidung be - trifft, ſo läßt ſich an vielfachen Abbildungen nachweiſen, wie ne - ben den tollſten und ſchamloſeſten Ausgeburten der Mode ſich eine edle einfache Tracht beſtändig erhielt.

Aus eben dieſem altehrbaren Sinn, der auf Anſtand in allen Dingen hält, ſind auch die ſchon erwähnten Ermahnungen des Ritters de la Tour hervorgegangen, denen die Franzoſen noch andere an die Seite zu ſtellen haben. Ihre Sorge läßt ſie ganz in ſpecielle Vorſchriften gegen die Modeſitten eingehen. So ſagt der alte Ritter zu ſeinen Töchtern: Wenn ihr in der Meſſe eure Gebete ſprecht, ſo gleicht nicht dem Kranich, der den Kopf bald nach der einen, bald nach der andern Seite dreht; ſondern ſeht grade vor euch hin und mit Würde. Denn man hält ſich nicht mit Unrecht über Frauen auf, welche unbeſcheiden das Geſicht hierhin und dorthin wenden. Etwas ſpäter macht ein reicher Bürger von Paris ſeiner jungen Frau ähnliche Vorſchriften:Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 12178II. Das Mittelalter. Wiſſet, daß Ihr in der Wahl Eurer Kleider immer die Lage Eurer Aeltern und die meinige, ſowie den Stand meines Vermö - gens vor Augen haben müßt. Seid anſtändig gekleidet, nicht affectirt noch modeſüchtig. Bevor Ihr Euer Zimmer verlaſſet, habt Acht, daß der Saum Eures Hemdes und Eures Kleides wohl in Ordnung ſei und nicht ſchief ſitze. Laßt Eure Haare, Eure Haube, Euren Hut immer einfach und reinlich ſein. Wenn Ihr geht, haltet den Kopf grade, die Augenlieder geſenkt, und den Blick in beſtimmter Entfernung (die Vorſchrift lautet auf 4 Toiſen) zur Erde gerichtet. Betrachtet nicht zur Rechten und zur Linken die Männer und die Frauen, dreht nicht den Kopf bei jeder Veranlaſſung, lacht nicht, noch bleibt auf der Straße ſtehen, um zu plaudern. Einmal in der Kirche, wählt Euch einen verborgenen, einſamen Platz vor einem Altar, behaltet ihn und verändert ihn nicht mehrere Male. Haltet den Kopf grade, ſprecht ohne Unterlaß Eure Gebete, indem Ihr den Blick auf das Buch oder das Bild, das vor Euch ſteht, gerichtet habt, indeß ohne Ziererei und Mienenſpiel; laßt Euer Herz am Him - mel hängen und verehrt Gott aus allen Euren Kräften. Das ſind Vorſchriften eines Bürgers und Ehemannes aus dem funf - zehnten Jahrhundert, heute ſo gültig wie damals. Leider können wir ihm nichts ähnliches in Deutſchland aus derſelben Zeit zur Seite ſtellen; wir haben hier nur die bittern Worte des Satiri - kers, wie Sebaſtian Brant, die klagenden der Chroniſten, die ſtrafenden der Dichter. Die ſchlimmſten Schilderungen der Mode - ſitten finden ſich wohl im Gedicht Kittel, in welchem der Dichter der Königin Venus Bericht erſtattet über die ſchändliche Liebe ſeiner Zeit, über die ſchamloſe Tracht, und das Benehmen der Männer und Frauen gegen einander. Die Stelle iſt als Ganzes nicht mitzutheilen, auf Einzelnes werden wir zurückkommen.

Ebenfalls als Ausflüſſe dieſes in der Sitte conſervativen Bürgerſinns, welcher den Ausſchweifungen, den Zuchtloſigkeiten im Leben, dem Aufwand und den barocken und übertreiben - den Lauuəu der Mode entgegentrat, ſind die vielen Luxus - und Kleiderordnungen zu betrachten, wenn auch an vielen1792. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Stellen ariſtokratiſche Eiferſucht mitwirken mochte, welche die Stände fortwährend auch im Aeußern erkennbar von einander geſchieden wiſſen wollte. Von der Mitte des vierzehnten Jahr - hunderts an bilden ſie eine unvermeidliche Rubrik in der Geſetz - gebung jedes einzelnen größeren oder kleineren Gemeinweſens, wovon nur die Niederlande eine Ausnahme machen dürften, da ſie als die Fabrikſtätten der Luxusgegenſtände mit ſolcher Geſetz - gebung zu ſehr wider ihr eigenes Fleiſch gehandelt hätten, auch wohl einen zu hohen weltpolitiſchen Geſichtskreis beſaßen, um ſich auf ſo kleinbürgerliche Beſtimmungen einzulaſſen. Faſt alle Städtechroniken enthalten die eine oder die andere dieſer Ordnungen, und noch immer neue werden aus den Archiven her - vorgezogen. Wir haben ſomit an ihnen von der genannten Zeit an bis in den Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts eine beſtän - dige Controlle der übrigen Quellen für die Trachtengeſchichte. Ihr Inhalt iſt aber, mit geringen Modificationen, die oft nur in dem Mehr oder Weniger der Strafbeſtimmungen beſtehen, in einer Periode immer derſelbe, ſodaß eine vollſtändige Zuſammen - ſtellung für die Wiederholung nicht entſchädigt. Wir begnügen uns mit einer geringen Reihenfolge vom Beginn unſerer Periode, die in Deutſchland auch ihr Anfang iſt, bis zum Schluß derſelben.

Wenn man von einer ſo iſolirten Verordnung abſieht, wie ſie Karl der Große in Bezug auf den Pelz erließ oder von einzel - nen Verfügungen der Geiſtlichkeit, ſo war es Frankreich, welches wie in der Mode ſelbſt, ſo auch in der darauf bezüglichen Geſetz - gebung voranging. Schon Ludwig der Heilige hatte geglaubt, dieſem Gegenſtand beſondre Aufmerkſamkeit widmen zu müſſen, das erſte allgemeine Geſetz ging aber von Philipp dem Schönen aus und wurde im Jahr 1294 erlaſſen, lange bevor wir ein ähn - liches in Deutſchland finden. Obwohl es vorzugsweiſe gegen den wachſenden Stolz der Bürger gerichtet war und den Unterſchied der Stände feſtſtellen ſollte, ſo ging es doch weiter und beſtimmte für alle, den höchſten Adel und die höchſte Geiſtlichkeit bis auf ihre Diener herab, die Zahl und den Werth der Kleider je nach der Größe des Einkommens. Daß es nichts half mitſammt den12*180II. Das Mittelalter.öftern Erneuerungen und Verbeſſerungen, iſt bei dem ſchon da - mals ausgeprägten Charakter der Franzoſen nicht zu verwundern. Schon Karl VII. konnte eine Verordnung, die ſich auf denſelben Gegenſtand bezog, mit den folgenden Worten beginnen: Es iſt dem Könige vorgeſtellt worden, daß von allen Nationen der Erde keine ſo entartet iſt, keine ſo veränderlich, ſo anmaßend, ſo maß - los und unbeſtändig in der Kleidung wie die franzöſiſche, und daß man vermittelſt der Kleider nicht mehr den Stand und Beruf der Leute erkennt, ob ſie Prinzen ſind oder Edelleute oder Bürger oder Handwerker, weil man es duldet, daß jeder nach ſeinem Vergnügen ſich kleidet, Mann wie Frau, in Gold - oder Silber - ſtoff, in Seide oder Wolle, ohne Rückſicht auf ſeinen Stand zu nehmen.

Schon gleichzeitig mit Frankreich drängte ſich auch in Ita - lien die Nothwendigkeit auf, gegen den Luxus und Putz der Frauen geſetzlich einzuſchreiten. Bereits im Jahre 1299 erließ die Regirung von Florenz eine Verordnung, welche das Tragen von Gold, Silber und Edelſteinen dadurch zu beſchränken ſuchte, daß die Erlaubniß dazu mit jährlich 50 Lire bezahlt werden ſollte. Das bewirkte weiter nichts, als daß die Florentinerinnen für ihren Putz noch jährlich 50 Lire mehr ausgaben. Als die Regi - rung zur Einſicht ihres Fehlers gekommen war, wozu ſie 7 Jahre gebraucht hatte, glaubte ſie darin ein Heilmittel zu finden, wenn ſie die Ehemänner oder die ſonſtigen verantwortlichen Verwand - ten der Frauen, welche verbotenen Schmuck trugen, mit einer Geldſtrafe belegte. Es wird aber erzählt, daß die Florentinerin - nen in Sachen des Putzes alle hochgelehrten Doctoren des Rechts und die ſtrengen Gerichtsherren überliſtet hätten. Das ſcheint durch die Thatſache bewieſen zu werden, daß dieſe Ordnung im Lauf des vierzehnten Jahrhunderts ſechsmal erneuert und ver - mehrt wurde. Das funfzehnte Jahrhundert iſt in Italien reich an eingehenden Kleiderordnungen, von denen die Mailänder ſelbſt den Aufwand in der Kleidung des Todten und der Trau - ernden beſchränken mußten.

In Deutſchland beginnt dieſe Geſetzgebung faſt ein halbes1812. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Jahrhundert ſpäter als in Frankreich und Italien, um die Zeit und namentlich gleich nach dem ſchwarzen Tode. Freilich hatte das üppige Leben, das mit dem Aufhören der Peſt ſofort in auf - fälliger Weiſe ſich bemerkbar macht, nicht von ihm erſt ſeinen Ausgang genommen; es knüpft aufs beſtimmteſte an die vorher herrſchende Richtung an. Wir finden daher auch bereits im Jahr 1343 eine Nürnberger Verordnung gegen den Schmuck der Frauen gerichtet. In den Niederlanden wurde ſchon länger von den Bür - gern und Bürgerinnen ein luxuriöſer Gebrauch ihrer Reichthümer gemacht. Es wird erzählt, daß, als die Königin Johanna von Frankreich mit ihrem Gemahl Philipp dem Schönen auf einer Reiſe in die Städte Gent und Brügge kam, ſie beim Anblick der reich gekleideten Bürgerinnen geſagt habe: Ich glaubte die ein - zige Königin hier zu ſein, aber ich ſehe mehr als ſechshundert. Dennoch gewahren wir, wenn wir die zahlreichen bildlichen Quel - len aus der erſten und zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhun - derts vergleichend zuſammen ſtellen, ſeit der Mitte des Jahrhun - derts einen bedeutenden Unterſchied, welcher ſowohl in Bezug auf Sittlichkeit und Schicklichkeit, wie in Rückſicht auffälliger, barocker Moden die zweite Hälfte von der erſten ſcheidet. Wir er - innern zugleich an die oben mitgetheilten Worte des Limburger Chroniſten, daß nach dem ſchwarzen Tode die Welt zu neuem Leben erwacht ſei. Dazu mochte kommen, daß die jüngſt überſtan - dene Noth den ängſtlichen Gemüthern ins Gewiſſen gepredigt hatte und ihnen Dinge, die früher für erlaubt gegolten, auf einmal im Licht der Sündhaftigkeit zeigte. So ſpricht es auch der Rath von Speier aus, der im Jahr 1356, nachdem ihm der Frankfurter bereits vorausgegangen war, eine ausführliche Klei - derordnung erließ, welche dieſe Zuſtände allſeitig erfaßte und zu heilen meinte. In der Einleitung derſelben heißt es: Wir, der Rath zu Speier, bekennen an dieſem Briefe, daß wir großen Breſten gemerket haben, der jetzt iſt, in Städten und auf dem Lande, an Uebermuth und Hoffart, die auch die Todſünde gewe - ſen iſt, die je beſchah, und aus welcher alle Sünden gewurzelt ſind, wie dieſe Sünde auch wider Gott und den Leuten ſchädlich182II. Das Mittelalter.iſt, was nun auch landſichtig und augenſcheinlich geworden iſt an Erdbeben und großen Plagen, damit Städte und Leute geplaget und an Leib und Gut verdorben ſind. Darum, da wir unſerer Städte und unſerer Bürger Ehre, Nutz und Frommen und Se - ligkeit gar theuer geſchworen haben und unſere Bürger billig vor Schaden und Ungemach behüten ſollen, ſo ſehr wir können oder vermögen, ſo haben wir mit Gottes Hülfe und mit guter Berath - niß darüber geſeſſen und haben ſolche Stücke als hiernach benannt und beſchrieben ſind, die Hoffart und Uebermuth verurſachen, verboten, Gott zu Lob und zu Ehren und den Leuten zu Nutz und Frommen. Nun folgen die eingehendſten Beſtimmungen, den Kleiderluxus beider Geſchlechter betreffend. Da heißt es: die Hauben der Frauen ſollen nicht mehr als vier Reihen von Krau - ſen haben; keine ſoll ihre gewundenen Haarzöpfe oder Haar - ſchnüre hinten herabhängen laſſen oder vorne Locken, ſondern ihr Haar ſoll aufgebunden ſein; aber den Unverheiratheten iſt das ge - ſtattet. Eine Jungfrau, die nicht Mannes hat, die mag wohl ein Schapel tragen und ihre Zöpfe und Haarſchnüre laſſen hän - gen, bis daß ſie berathen wird und einen Mann nimmt. Kein Kleid, unteres oder oberes, ſoll vorne zugeknöpft, an den Seiten geſchnürt oder durch Engniſſe eingezwungen werden. Keine ſoll die Lappen an den Aermeln länger tragen, denn eine Elle lang, von dem Ellbogen an gerechnet. Die Verbrämung des Rockes und des Mantels, ſei ſie einfach Pelzwerk oder Buntwerk, von Seide oder Sendel, ſoll nicht breiter ſein denn zweier Zwerch - finger, und zwar nur oben, denn unten ſollen ſie gar nicht ver - brämet ſein. Die Mäntel ſollen oben zugemacht ſein, ohne Gold, Silber und Perlen und ſollen nur mäßige, nicht zu weite Haupt - löcher haben, wie es von Alters gewöhnlich war. Letztere Be - ſtimmung richtet ſich gegen die wachſende Entblößung an Schul - tern und Bruſt. So heißt es auch im Folgenden: Keine ſoll ein Hauptloch an den Röcken tragen, da die Achſeln ausgehen, ſon - dern ihre Achſeln ſollen bedeckt ſein mit den Hauptlöchern, alſo daß ſie auf den Achſeln liegen ſollen. Verboten werden auch ge - ſtreifte oder geſtückte Röcke, auch Verzierung an Hüten oder Röcken1832. Die Zeit des Luxus und der Entartung.von Buchſtaben, Vögeln oder andern Dingen, die mit Seide auf - genäht ſind. Keine Frau ſoll Gold, Silber, Edelſtein, Perlen tragen an ihren Mänteln, Röcken oder Hüten, noch an Bändern, Fürſpangen oder an Gürteln in keiner Weiſe. So wird auch der Schmuck der Männer beſchränkt. Kein Mann ſoll Federn oder Metallröhrchen (ein damals beliebter Schmuck) oder Geſchmelz (Email) auf den Gugelhüten tragen; keiner, der nicht Ritter iſt, goldene oder ſilberne Borten oder Bänder, noch Gold, Silber, Perlen, weder an den Gugelhüten, Röcken, Mänteln, noch an Gürteln, Taſchen, Scheiden oder Spitzmeſſern. Dann wird die Länge des Rockes beſtimmt: kein Mann ſoll ihn kürzer tragen denn bis zu den Knieen herab, es ſei denn bei der Rüſtung oder als Reitrock. Kein Mann ſoll einen Bart noch Scheitel tragen man ſieht, die Sorgfalt der Väter nimmt es ſehr genau mit der Eitelkeit und der Zipfel ſeiner Gugel (Kaputze) ſoll weder ge - wunden noch zerſchnitten ſein, noch ſoll er eine größere Länge ha - ben denn anderthalb Ellen, und dieſe Gugel ſoll vor dem Ge - ſicht in keiner Weiſe gezackt oder ausgeſchnitten ſein. Endlich wird noch beſonders eingehend die Fußbekleidung geordnet. Nie - mand ſoll einen ſpitzen Schnabel an ſeinen Schuhen oder Leder - hoſen tragen, und kein Schuhmacher ſoll dieſe Schuhe oder Leder - hoſen machen, für niemanden, es ſeien Männer oder Frauen, die zu Speier wohnen, ſie ſeien Bürger oder nicht. Und kein Mann, der nicht Ritter iſt, ſoll einen Schuh tragen, zerhauen oder zerſchnitten, wie die Schnitte ſind, die aus Hoffart und nicht der Geſundheit wegen gemacht ſind. Für jede Uebertre - tung dieſer detaillirten Beſtimmungen wird eine Geldſtrafe von 2 Pfund Heller feſtgeſetzt von einem beſtimmten Termin an, wo - nach die Männer ſich richten ſollen, daß bis dahin ihre Röcke lang genug werden, oder ſollen darnach die Pön geben, wie vor - geſchrieben ſteht.

Weniger ausführlich iſt die Kleiderordnung, welche Bürger - meiſter und Rath von Zürich im Jahr 1371 erließen. Sie richtet ſich gegen dieſelben Gebrechen, iſt aber ein wenig nachſich - tiger gegen die Jungfrauen. Keine Frau heißt es zunächſt, ſoll184II. Das Mittelalter.weder Tuch noch Schleier mit Enden d. h. mit beſondern Borten oder Säumen beſetzen ſondern ſoll beide laſſen, wie ſie zuerſt gewoben werden; auch ſoll keine Frau an ihrer Kappe oder ihren Gewändern Seide, Gold oder Edelſtein tragen. Aber Töchter mögen wohl auf ihrem Gewand tragen Gold, Silber, Perlen und Seide, wie ſie bisher gethan haben. Auch die Ent - blößung an Schultern und Bruſt und die enge Einſchnürung wird als anſtößig befunden, und es ſoll darum das Hauptloch zweier Finger breit auf der Achſel liegen und kein Gewand mehr, weder vorn noch an den Seiten zugeknöpft oder geſchnürt ſein. Keine Frau ſoll den Zipfel der Gugelhaube länger denn eine Elle machen, noch einen Rock tragen, der aus mehreren Farben zu - ſammengeſetzt iſt; keine auch, ſei ſie Frau oder Wittwe oder Jungfrau, ſoll einen Gürtel tragen, der mehr koſtet denn 5 Pfund Denare. Auch den Männern von Zürich wird die Länge des Rockes und des Zipfels der Gugelhaube beſtimmt: jener muß wenigſtens bis an die Kniee herabreichen, und dieſer darf nicht länger ſein, denn der Rock lang iſt. Niemand ſoll geſtreifte oder getheilte Hoſen tragen, ſondern nur von einer Farbe. Für beide Geſchlechter werden die ſpitzen Schuhe verboten und den Frauen ſelbſt die geſchnürten.

Der Züricher ungefähr gleichzeitig oder doch nur ein paar Jahre ſpäter, iſt die erſte Kleiderordnung, welche zu Straß - burg gegeben wurde. Sie iſt milder in ihren Beſtimmungen, aber ſtrenger in den Strafen. Den männlichen Rock erlaubt ſie ſchon ein wenig kürzer zu tragen: er darf ſchon eine Viertelelle über der Knieſcheibe enden, und beim Reiten mag man ihn ſo kurz tragen, wie man will. Der Reiter konnte auch die Schuhe und Stiefel tragen wie er wollte, ſonſt durften ſie nur eine Spitze haben von der Länge eines Querfingers. Schuhe mit längeren Spitzen zu machen, ſei es für Bürger oder auf das Land hinaus, war den Schuſtern bei einer Strafe von 30 Schilling verboten. Keine Frau, wer ſie auch ſei, ſoll ſich hinfort mehr ſchürzen mit ihren Brüſten, ſei es durch das Hemd oder durch geſchnürte Röcke oder durch irgend ein anderes Gefängniß ; keine ſoll ſich färben1852. Die Zeit des Luxus und der Entartung.oder Locken von todtem Haar anhängen. Und insbeſondere ſoll das Hauptloch ſoweit auf die Achſeln gehen, daß man die Brüſte nicht ſehen könne. Keine Frau ſoll einen Rock tragen, der mehr koſtet als 30 Gulden das iſt ein ſehr hoher Preis, wenn wir den damaligen Werth des Geldes in Anſchlag bringen und die Zahl etwa verfünffachen , auch keine Landfrau in dieſer Stadt, zu dem Tanze oder ſonſt, einen der theurer iſt. Nur die freien Frauen ſoll dies Geſetz nicht angehen. Keine Frau endlich ſoll einen kurzen Mantel tragen noch einen Knabenmantel , er ſei denn ſo lang, bis ein viertel Elle über den Knieen, länger - gen ſie ſie wohl tragen.

Die älteſte Kleiderordnung von Ulm iſt ebenfalls noch aus dem vierzehnten Jahrhundert. Darnach durfte keine Frau, ſei ſie von den Geſchlechtern oder den Handwerkern, an ihren Kleidern Perlen, Gold, Borten, vielfarbige oder ſeidene Bänder oder Schnüre tragen; verboten waren ſammtene und ſeidene Mäntel. In Hinſicht der Schleier erhielten die Damen aus den Geſchlech - tern einen Vorzug vor den Handwerksfrauen: ſie durften ſie brei - ter tragen, doch waren beiden, gleich den Zürcherinnen, die lan - gen und zarten Enden verboten.

Auf der Scheide des vierzehnten und funfzehnten Jahrhun - derts machte das Kleiderweſen den Geſetzgebern von Ulm ſehr viel zu ſchaffen. Vom Jahr 1406 iſt eine Ordnung, welche die Kleidung der Männer von den anhängenden Lappen (Zatteln) zu befreien ſucht. An Mänteln, Röcken und Trapperten, heißt es, ſollen keine Lappen mehr getragen werden, noch an jedem Ge - wand mehr als acht Einſchnitte ſein. Nur Reitröcke dürfen mit Lappen getragen werden, aber auch nur außerhalb der Stadt. Wenn aber Mäntel, Röcke und Trapperte nicht mit Veh gefüttert ſeien, dann dürfe man unten ein Gefränz von Lappen anbringen, doch nur ¼ Elle lang. Zu den Kappen oder Gugeln ſollen nicht mehr als 4 Ellen Tuch genommen werden, die aber könne man zerſchneiden, wie man wolle. Federkränze, Glocken und Schellen, ſo heißt es am Schluß, ſollen nie mehr in der Kirche getragen werden, wohl aber möge man ſie außerhalb derſelben haben.

186II. Das Mittelalter.

Eine andere Ordnung der genannten Stadt vom Jahr 1411 trifft die Frauen. Darnach ſollen auch ſie, Frauen wie Jung - frauen, zu einer Kappe oder Gugel nicht mehr Tuch brauchen und verſchneiden als 4 Ellen, und nur einen Perlenkranz ſollen ſie tragen. Verſilberte und vergoldete Gürtel mögen ſie haben, aber Glocken und Schellen daran werden ihnen verboten. Wer aber vor der Abfaſſung dieſer Verordnung theurere Kränze und Gürtel gehabt habe, denen ſei das Tragen derſelben auch fortan geſtattet gewiß eine gern und vielfach benutzte Hinterthür. Die Röcke und Trapperte, heißt es weiter, ſoll man mit Flügeln oder offe - nen Aermeln tragen, doch unzerhauen und ohne Schlitz; und dieſe Aermel dürfen getragen werden mit Veh, mit Ruggen oder Schinſchen (den Rücken - und Bauchſtücken, vermuthlich der Eich - hörnchen), aber Hermelin und Marder bleiben daran verboten. Die genannten Kleidungsſtücke ſelbſt wie die langen und weiten Aermel dürfen nicht länger ſein, als bis ſie den Boden erreichen, und Sammet und Seidenſtoff iſt für ſie verboten, wie aller Be - ſatz von Perlen, Edelſteinen, goldnen und ſilbernen Borten, nebſt goldenen Ringen.

Allmählig wird die Ulmer Geſetzgebung dem Zeitgeſchmack gegenüber nachgiebiger. So durften nach der Ordnung von 1420 die Mäntel und Kleider der Frauen und Jungfrauen bereits ¼ Elle auf der Erde nachſchleppen. Im Jahr 1426 wurde den Frauen auch das Tragen von Perlen auf Kreuzen und Halsbän - dern im Werth von 40 Gulden erlaubt, nicht aber an der Klei - dung. Die ſilbernen und vergoldeten Gürtel durften 4 Mark ſchwer ſein. Ferner wurde ehrbaren Frauen und Jungfrauen auch der Marderpelz erlaubt, entweder am Hut oder um den Hals, desgleichen ſammtne und ſeidene Aermel, nicht aber ein ſammtnes oder ein ſeidenes Preis (worunter ein geſchnürtes Leibchen zu verſtehen iſt) unter den Röcken zu keinem Kleid. Auch wurde mannigfacher Silberſchmuck im Werth von 4 Mark erlaubt, und kleine Heftlein, die früher nur zu 10 Gulden getragen werden ſollten, konnten jetzt den Werth von 20 haben. Verbrämung von Marder oder Hermelin wurde in der ganzen Breite des Balges1872. Die Zeit des Luxus und der Entartung.geſtattet. Seidene Borten waren bis 6 Gulden erlaubt, die Schleppen aber auf ¼ Elle beſchränkt. Was den Ulmerinnen bei dieſen Beſtimmungen übrig blieb, war immer noch ein ſehr Be - deutendes und iſt ein Beweis von dem damaligen Reichthum der Ulmer, der mit dem bekannten Vers: Ulmer Geld geht durch alle Welt, ſprichwörtlich geworden war. Was eine Dame an ſich tragen durfte und auch gewiß an ſich trug, konnte immer noch einen Werth von 100 Gulden und darüber nach damaligem Gelde haben, 500 nach heutigem. Faſt lächerlich kommen uns dabei die Strafen vor, welche auf den Uebertretungsfall ausge - ſetzt waren: die Geſchlechterin hatte 2 Gulden zu zahlen, die Handwerksfrau nur einen. Mit Recht fand daher der Rath in dieſen Strafbeſtimmungen keine Gewähr und er machte deßhalb die Schuſter und Schneider verantwortlich. Beide mußten die Ordnung beſchwören und bei einer Strafe von 5 Gulden und vierteljähriger Verbannung ſich verpflichten, kein Stück zu ma - chen, welches der Ordnung zuwiderlief.

Die Münchner Verordnung vom Jahr 1405, welche ſtren - ger in ihren Beſtimmungen war, macht wieder die Väter und die Männer für die Uebertretungen der Töchter und Frauen verant - wortlich. Der Rath zu München ſchrieb auch den Schneidern eine Taxordnung vor, worin für jedes Kleidungsſtück ein beſtimmter Machlohn feſtgeſetzt war. Es ſcheint, ſie haben den allgemeinen Kleiderluxus zu ſtark zu eigenem Vortheil ausgebeutet. Die Preiſe, zu welchen ſie berechtigt wurden, ſind im Verhältniß nicht gering, was bei der künſtlichen, bunten Zuſammenſetzung der Kleider, den vielen Nähten und dem reichen Beſatz nicht anders möglich war.

Das funfzehnte Jahrhundert war vorzugsweiſe reich an Kleiderordnungen und beſonders die zweite Hälfte deſſelben, in welcher neben der Verſchwendung und den barocken Moden als Hauptgeſichtspunkt die Schamloſigkeit in den Vordergrund tritt. Ein Geſetz folgt dem andern in derſelben Stadt und beweiſet ſo durch die That die Fruchtloſigkeit des früheren. Es iſt daſſelbe in allen Städten, in Augsburg, Nürnberg, Bern, Breslau, Lübeck,188II. Das Mittelalter.Hildesheim, Hannover, Lüneburg u. ſ. w., wenn auch der eine Rath mit mehr, der andere mit weniger Strenge ſeine Beſtim - mungen aufrecht zu erhalten ſuchte. In der erſteren Beziehung zeichneten ſich die von Nürnberg und Augsburg aus. Gegen den letzteren verſuchte es einſt ein Krämer, der mit Seide, Damaſt und gewäſſerten Tüchern handelte, ſich aufzulehnen und klagte ohne Unterlaß über die ſcharfe Kleiderordnung (1441) und warf böſe Karten aus. Da ließ ihn der Rath einen ganzen Monat gefangen ſetzen, und ſtrafte ihn um eine namhafte Summe Gelds zum Beſten der Armen, und zur Erbauung der Stadtmauern mußte er 5000 Ziegelſteine und 20 Faß ungelöſchten Kalk liefern.

Aber alle dieſe Beſtimmungen ſind in Deutſchland verein - zelt und nur auf ein mehr oder weniger kleines Gebiet beſchränkt. Seltner ſind damals noch fürſtliche Verordnungen, von denen wir einer gedenken wollen, welche der Kurfürſt Ernſt und der Herzog Albert zu Sachſen im Jahr 1482 erließen. Danach ſoll keine Frau oder Jungfrau vom Ritterſtande ein Kleid tragen, das über zwei Ellen auf der Erde nachgeht. Keine ſoll mehr als einen ſeidenen und zwei geſtickte Röcke beſitzen, auch nur eine ſei - dene Schaube, und kein Kleid ſoll über anderthalbhundert Gul - den werth ſein das dürfte nach heutigem Werthe bis gegen 1000 Gulden ſein. Dieſe außerordentlich weite Beſtimmung, die doch eine Beſchränkung iſt, zeigt, bis zu welcher Höhe der Luxus damals angewachſen war.

Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts regt ſich ein gemein - ſamer Geiſt. Es war der Adel, der freiwillig, an ſich und ſein Heil denkend, ſich zu gemeinſamem Entgegenwirken verband. Der Luxus und Aufwand an Putz und Kleidern hatte namentlich bei Turnieren als den höchſten feſtlichen Gelegenheiten in der Art überhand genommen, daß ein großer Theil des Adels ſich ganz von ihnen fern hielt, ein anderer bereits in ſeinen Vermö - gensumſtänden ſich zerrüttet hatte. Schlöſſer und Güter wurden verpfändet, um mit der nöthigen Pracht erſcheinen zu können. Ohnehin ſchon war es keinem zweifelhaft, daß gegenüber dem Emporblühen des Bürgerſtandes der Adel im raſchen Sinken be -1892. Die Zeit des Luxus und der Entartung.griffen war. Das Uebel wurde klar erkannt, und darum vereinigte ſich die Ritterſchaft von Franken im Jahr 1479 vor dem großen Turnier zu Würzburg zu einer allgemeinen für die Tage des Tur - niers gültigen Ordnung. Einem jeglichen Ritter wurde zwar er - laubt, guten Sammet und Perlen zu tragen, dagegen war Gold - ſtoff und geſtickter Sammet, ſei es zu Röcken oder Schauben, durchaus verboten, ſowie goldene Pferdedecken. Im Uebrigen wurde jedoch ein Unterſchied gemacht zwiſchen dem Ritter von hohem Adel und dem gewöhnlichen Edelmann. Dieſer ſollte Sammet nur zum Wamms tragen und von Perlen nur eine ein - fache Schnur um die Kappe oder den Hut; auch kein Goldge - ſchmeide an Ketten, Schnüren oder auf die Kleider geſtickt, er trage es denn verdeckt und unſichtlich als die Alten gethan und hergebracht haben. Ferner ſollte er weder Decke noch Wappenrock von Sammet oder Damaſt führen. Ebenſo wurde der Aufwand der Frauen beſchränkt. Keine Dame ritterlichen Standes, Frau oder Fräulein, durfte mehr als vier Prachtkleider mitbringen, nur zwei von Sammet, die beiden andern geſtickt oder ſonſt ver - ziert, geziemend und wohlanſtändig. Da der Adel dieſe Ordnung freiwillig über ſich ſelbſt feſtſtellte, ſo konnten auf Uebertretungen nur Ehrenſtrafen geſetzt ſein. Es ſollte demnach jeder, der dieſen Beſtimmungen zuwider handelte, von allen Rittern verachtet und verſchmäht ſein und im Turnier zu keinem Vortanz oder zu irgend einem Dank zugelaſſen werden, er konnte ſelbſt ganz vom Tur - nier ausgeſchloſſen bleiben. Desgleichen ſoll eine Frau, welche die Verordnung nicht hält, von gemeiner Ritterſchaft, Frauen und Jungfrauen, verachtet und der Vortänze und des Rechts die Dänke auszutheilen beraubt ſein. Es ſoll aber auch eine Frau, ſo wurde ehrenhafter Weiſe hinzugeſetzt, die nicht in Schmuck oder Sammet ſo reich wie die andern gekleidet ſei, deſſenungeach - tet doch zu allen Ehren, die ihr nach ihrem Stand gebühren, hin - zugezogen werden.

Ein paar Jahre ſpäter entwarfen die Ritterſchaften der vier Lande, Bayern, Franken, Schwaben und Rheinland, ein ganz ähnliches Geſetz für das Turnier zu Heilbronn (1485). In dem -190II. Das Mittelalter.ſelben verboten ſie ganz beſonders die Brokatkleider und den Per - lenbeſatz.

In den letzten Jahren des funfzehnten Jahrhunderts ſah ſich auch das Reich als ſolches genöthigt, von dem wachſenden Uebel Notiz zu nehmen. Im Jahr 1496 hatte man in Worms beſchloſſen, die Angelegenheit auf dem nächſtjährigen Reichstag in Lindau vorzunehmen. Das geſchah denn auch. Man einigte ſich über die Grundſätze und ſtellte dieſe den Fürſten und Städ - ten zur Nachahmung und detaillirteren Beſtimmung anheim. Das Hauptaugenmerk dabei war, die verſchiedenen Stände in ſtrenger Sonderung zu halten. Dem Bauer und der arbeitenden und dienenden Claſſe in den Städten wurde der Preis des Tu - ches vorgeſchrieben: die Elle ſollte nicht über einen halben Gul - den koſten. Gold, Perlen, Sammet, Seide, bunt zuſammenge - ſetzte Kleider waren weder ihnen noch ihren Frauen und Kindern geſtattet. Die Diener des Adels wurden davon ausgenommen: ſie trugen fremde Kleidung und der Herr konnte ſie kleiden nach ſeiner Gewohnheit, wie er wollte. Was zweitens die Handwerker betrifft die Verordnung geht alle Stände durch , ſo ſolle es jeder Obrigkeit überlaſſen ſein, darüber geziemend zu beſtimmen. Auch die Bürger in den Städten, wenn ſie nicht von Adel oder Ritter ſind, ſollen weder Gold, Perlen, Sammet, Scharlach, Seide, noch Zobel - oder Hermelinunterfutter tragen, zum Wamms iſt aber Sammet und Seide, wie Schamlot oder Camelot zur Kleidung erlaubt; auch ihren Frauen und Kindern iſt Beſatz von Sammet und Seide geſtattet, doch nicht von Gold - oder Silber - ſtoff. Im Adel wurde zwiſchen denen, die Ritter, und denen, die nicht Ritter ſind, ein Unterſchied gemacht. Die letzteren dürfen weder Perlen noch Gold offen tragen und ſollen ſich in Farbe und Zuſammenſetzung der Kleider in geziemendem Maße halten. Den adligen Rittern wird der Goldſtoff auch nur zum Wamms erlaubt. In Bezug auf die Frauen und Kinder wird einem jeden Fürſten anheimgeſtellt, darüber mit ſeinen Rittern näher zu be - rathen. Was dieſe mit einander beſchließen, ſoll auf dem nächſten Reichstag wieder vorgebracht werden. Was die Geiſtlichkeit be -1912. Die Zeit des Luxus und der Entartung.trifft, ſo begnügte man ſich, den höhern Würdenträgern der Kirche zu empfehlen, daß ſie die ihnen untergebenen Geiſtlichen anhalten, ſich ihrem Stande gemäß zu kleiden und alle ungezie - mende Koſtbarkeit abzuſtellen. Man enthielt ſich weiter ins Ein - zelne einzugehen, nur die Kürze des Rockes und des Mantels traf eine ſpecielle Beſtimmung: beide ſollen in der Länge gemacht werden, daß ſie hinten und vorn ziemlich wohl decken mögen.

Im nächſten Jahr 1498 wurden auf dem Reichstag zu Freiburg im Breisgau dieſe Artikel noch einmal vorgenommen, beſtätigt und ihnen noch einiges hinzugefügt. Auch für den Handwerksmann ſollte der Stoff zu Röcken und Mänteln nur ½ Gulden koſten und zwar ſollte er inländiſches Fabrikat ſein, für Kappen und Hoſen war der Stoff zu ¾ Gulden erlaubt. Aller Schmuck, Sammet, Seide, Schamlot und buntgeſtickte Kleidung wurde ihm verboten. Reiſigen Knechten , wie die Ver - ordnung ſie bezeichnet, wurde Gold, Silber und Seide verboten; auch ſollten ſie kein Bruſttuch tragen, noch goldene oder ſilberne Hauben die einzelnen Gegenſtände und Bezeichnungen finden ſpäter ihre Erklärung , nicht einmal beſetzen durften ſie ihre Kleider mit Seide. Ein in Falten gelegtes, mit Gold und Sil - ber geſticktes Hemd blieb den Fürſten und ihren Angehörigen nebſt den Grafen und dem niedern Adel, falls es Ritter oder Doctoren waren, vorbehalten. Der Doctor ſtand damals an Rang und Ehren dem Ritter gleich. Adligen, die nicht Ritter oder Doctoren ſind, waren Perlen und Gold in den Bruſttüchern und Hemden verboten.

Die Durchführung dieſer Beſchlüſſe hing von dem guten Willen der einzelnen Fürſten und Städte ab. Es ſcheint ſich aber kein Eifer darin gezeigt zu haben, und ſo mußte die Angelegen - heit im Jahr 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg zum dritten Mal vorgenommen werden. Nun wurde den Kurfürſten, Fürſten oder andern Obrigkeiten, weß Würden, Weſen oder Standes ſie ſeien, bei Vermeidung kaiſerlicher Ungnade und Strafe aufgege - ben, daß ſie die Reichstagsbeſchlüſſe in Betreff der Ueberflüſſig - keit der Kleider in ihren Landen in Ausführung zu bringen192II. Das Mittelalter.hätten, und zwar bis Sonntag Lätare des Jahres 1501. Mit der ausdrücklichen Beſtimmung, daß die Verordnung für die Handwerker auch für deren Frauen und Kinder gelten ſolle, und mit der Erlaubniß für die ſtädtiſchen Bürgerfräulein Perlenhaupt - bänder zu tragen, wenn es in geziemendem Maße geſchehe, blieb im Uebrigen das Geſetz das alte. Daß auch ſo nicht erreicht wurde, was beabſichtigt war, werden uns die ſpäteren Verord - nungen lehren.

Schon an ſich iſt leicht einzuſehen, wie eine derartige Ge - ſetzgebung, welche allgemeinen Uebeln, die der ganzen Zeit eigen - thümlich ſind, mit kleinen und kleinlichen Mitteln und Beſtim - mungen, mit Geldſtrafen oder höchſtens Gefängniß abhelfen will, nicht von dauernder oder durchgreifender Wirkung ſein kann. Die ununterbrochene Aufeinanderfolge der Kleiderordnungen, die ſich von localer Beſchränktheit bis zu wiederholten Reichsgeſetzen ſteigert, ſpricht ihre eigene Nichtigkeit aus. Die Geſetzgeber, mit - ten in der Zeit lebend, erkannten nur die Aeußerungen des Uebels, nicht aber die Quelle, das allgemeine Sittenverderbniß. Ein Sturm mußte durch die Welt gehen, ein Gewitter, welches die Luft reinigte, eine Bewegung, ſtark genug, eine vollkommene Umwandlung der Sittenzuſtände und des Geſchmacks hervorzu - bringen. Dieſe führte in der That das erſchütternde Ereigniß der Reformation mit ſich, und erſt da fuhr ein neuer Geiſt in die Trachtenwelt und geſtaltete die äußere Erſcheinung der Menſchen völlig um. Bis zu dieſem Ereigniß aber, alſo bis in den Beginn des ſechszehnten Jahrhunderts, entwickelte ſich der Geſchmack, wie er ſich im Laufe des vierzehnten herausgebildet hatte, in im - mer üppigerer und ausgelaſſnerer Weiſe und erzeugte einen Reich - thum von phantaſtiſchen, bunten, bizarren und widernatürlichen Formen, welcher ſeitdem nie wieder übertroffen iſt.

Es war etwas Neues, dieſe Ueberfülle der Formen, als ſie in die Welt trat, und es iſt bemerkenswerth, daß genau mit die - ſem Moment, alſo der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, auch das zuerſt eintritt, was wir ſeitdem unter Mode verſtehen, der ewige, ſcheinbar zufällige Wechſel in der Tracht mit ſeiner unbe -1932. Die Zeit des Luxus und der Entartung.dingten Herrſchaft über alle Claſſen der civiliſirten Menſchheit, die ſich über das bloße Daſein, die einfache Friſtung des Lebens erhoben haben. Wir ſchließen das nicht bloß aus den Zuſtänden ſelbſt, nicht bloß aus der Art der Entſtehung beſtimmter Mode - formen durch perſönliche Laune oder durch Einführung aus der Fremde, ſondern die Zeugniſſe geben beſtimmt an, wie die Mode in dem gedachten Sinn als eine Macht den Zeitgenoſſen ins Be - wußtſein tritt. So konnte die in dieſer Beziehung ſo intereſſante Limburger Chronik ſeit 1350 faſt von Jahr zu Jahr journalmä - ßig den Wechſel der Moden berichten. Die Veränderung geſchah ſchon uns Jahr 1380, wie ſie berichtet, ſo ſchnell und ſo durch - greifend, daß auch die Schneider ſelbſt, wie die Moden wechſel - ten. Wer heuer war ein guter Schneider, der taugt jetzt nicht eine Fliege mehr, alſo hatte ſich der Schnitt verwandelt in dieſen Landen und in ſo kurzer Zeit. Das übertrifft ſelbſt die heutigen Zuſtände, wo die Modeſchneider doch immerhin ein paar Jahr - zehnte aushalten. Der Ritter de la Tour, den wir bereits kennen, warnt ſeine Töchter vor der Mode. Ahmt nicht die Frauen nach, welche, wenn ſie ein Kleidungsſtück von neuem Schnitt ſehen, zu ihrem Manne ſagen: O wie ſchön! Mein Lie - ber, ich bitte dich, laß mich es haben! Wenn der Mann entgeg - net: Meine Theure, die Frauen, welche für verſtändig gelten, die und die tragen es nicht, ſo antworten ſie hartnäckig: Was macht das? wenn Eine es trägt, kann ich es auch wohl haben. Derſelbe Ritter erzählt auch von einer Dame, die, aus dem engliſchen Frankreich mit neuen Moden zurückgekommen, eine andere getadelt habe, daß ſie nicht nach der laufenden Mode gekleidet ſei. Der Gemahl antwortet für ſie, daß ſeine Frau nicht der Mode der Fremden folge, ſondern der Mode franzöſiſcher Damen aus der guten Geſellſchaft, nicht aber der engliſchen. Schon konnte die Phantaſie des Einzelnen erfinderiſch eingreifen, was früher eine völlige Unmöglichkeit geweſen wäre. Der Ritter de la Tour giebt uns darüber eine Erzählung, die wie aus den Tagen Ludwigs XV. und XVI., aus der Zeit der hohen Coiffü - ren, lautet. Es war im Jahr 1392 beim St. Margarethenfeſt, Falke, Trachten - und Modenwelt. I. 13194II. Das Mittelalter.ſo erzählt ihm eine angeſehene Dame, eine junge und hübſche Frau ganz verſchieden von den andern gekleidet; ein jeder be - trachtete ſie, als ob ſie ein wildes Thier wäre. Ich näherte mich ihr und ſagte: Meine Liebe, wie nennen Sie dieſe Mode? Sie antwortete mir, man nenne ſie die Galgencoiffüre. O mein Gott! antwortete ich, der Name iſt nicht ſchön. Die Neuigkeit verbreitete ſich alſobald im Saal, jeder wiederholte den Namen Galgencoiffüre , und alle lachten viel über die arme Dame.

Der Weg, den die Moden in dieſer Periode, die wir jetzt ſchildern, einſchlugen, vorbereitet ſchon in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, führt ſie überall ins Extrem, ohne Rückſicht auf Schönheit, Natur, Zweckmäßigkeit, Sitte und Sitt - lichkeit. Das wird unſre Darſtellung im Einzelnen ergeben.

Vergegenwärtigen wir uns zunächſt die Kleidung, wie ſie ſich um die Mitte des genannten Jahrhunderts geſtaltet hat. Der vornehme Mann, der mit der Mode ging, trug wie ge - wöhnlich ein Hemd, wenn es auch damals Sitte wurde, des Nachts völlig unbekleidet im Bette zu liegen, über dem Hemd einen anliegenden Rock, der über den Kopf angezogen wurde, und darüber einen um die Schultern gehängten Mantel oder häufiger einen weiten Oberrock mit langen, mäßig weiten Aer - meln; das Beinkleid bedeckte, eng anſchließend, die Beine in einem Stück, und an den Füßen ſaßen Schuhe, welche den gan - zen Fuß umſchloſſen oder oben einen Ausſchnitt hatten. An die - ſen Kleidungsſtücken zeigen ſich nun die Veränderungen im Geiſt der neuen Richtung, die ſich zunächſt in wachſender Enge und Kürze ausſpricht. Der Rock, welcher noch im Anfange des Jahrhunderts bei Rittern und Herren bis gegen die Füße herab - reichte und bei der dienenden Claſſe, auch wohl noch im Bürger - ſtande nur eben noch die Kniee bedeckte, wechſelt auf einmal in dieſem Verhältniß. Der Herr will ihn jetzt kurz haben, und den Diener ſoll der längere kennzeichnen. Die Limburger Chronik be - richtet davon ſogleich nach dem Aufhören des ſchwarzen Todes: Die Röcke waren abgeſchnitten um die Lenden und waren einer1952. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Spannen nahe über die Kniee. Darnach machten ſie die Röcke alſo kurz, eine Spanne unter den Gürtel. Alle damaligen Klei - derordnungen, die Speierer von 1356 an der Spitze, ſchreiten ſchon gegen dieſe Mode ein, welche ſofort vollkommen ſtädtiſch und bürgerlich geworden war.

Faſt noch größere Aufmerkſamkeit hat die zunehmende Enge erregt. Schon früher, wie wir am Schluß des vorigen Capitels geſehen haben, hatte man ſie durch Aufſchlitzen, Ausſchneiden, Wiederzuſchnüren und Beſatz von Knöpfen zu erzielen geſucht. Bisher hatte ſich dies aber mehr auf die Arme und die Bruſt der Damen beſchränkt, wo das Oberkleid mit einer Reihe von Knö - pfen bis auf den Gürtel herab beſetzt geweſen war. Jetzt ging es in vollſter Weiſe auf die Männer über. Man kann ſagen, dieſem zunehmenden Geſchmack an der Enge verdanken wir die Ent - ſtehung des modernen Rockes. Die Hauptunbequemlichkeit des alten und mittelalterlichen beruhte darauf, daß er über den Kopf angezogen werden mußte, eine Eigenſchaft, die der Tunica wie dem altgermaniſchen Rock in gleicher Weiſe anklebte. Dieſe Art des Anzugs erforderte immer noch eine gewiſſe Weite für den Durchlaß der Schultern und Arme. Indem man nun aufzu - ſchneiden begann, an den Armen ſowohl, wie vorn auf der Bruſt von oben herab und wieder von unten herauf, und die Oeffnung in größerer Enge wieder zuknöpfte, kam man auf den Gedanken, den vordern Einſchnitt ganz durchgehen zu laſſen und den Rock von oben bis unten zu ſpalten. Damit erhielt er, obwohl es eigentlich nur auf größere Enge abgeſehen war, eine bequemere Art des Anzugs und zugleich eine ſo durchgreifende Veränderung, welche die Grundlage ſeiner folgenden Entwicklung bis auf den gegenwärtigen Zuſtand wurde; und damit auch ging die letzte Erinnerung ſeines claſſiſchen Urſprungs verloren. Nur in der Blouſe erhielt ſich die alte Form erkennbar bis auf unſere Zeiten.

Die Enge des Rockes beſchränkte ſich nicht auf Arme, Bruſt und Taille; ſelbſt um die Hüften und die Oberſchenkel hatte er die höchſte Spannung. Nirgends zeigte ſich nur die kleinſte Falte. Natürlich litt darunter die freie Bewegung des Körpers. Da13*196II. Das Mittelalter.ging auch an, daß ſich die Männer hinten, vorn und neben zu - neſtelten und gingen hart geſpannt. Viel ſchärfer als dieſe Worte der Limburger Chronik ſpricht ſich mit hartem Vorwurf die böhmiſche Chronik des Hagecius darüber aus: Im Jahr 1367 kamen in Böhmen wieder neue Trachten auf. Manche trugen fünf oder ſechs Schock Knöpfe und die Kleider ſo enge angepaßt, daß ſie ſich nicht bücken und bewegen konnten. Gottes Greuel über die kurzen Röcklein und die ſpitzen Schnabelſchuhe! Am allerhärteſten verdammt der öſterreichiſche Dichter Peter Suchen - wirt dieſe Mode. In dem didactiſchen Gedicht von der Verle - genheit leitet er gradezu die Ungeſchicklichkeit des jungen Ritters ſeiner Zeit, die Vernachläſſigung der ritterlichen Tugenden und Uebungen von der verſchamten Kleidung her. Laufen, Sprin - gen, Schießen und Steinwerfen, alle Uebungen der Arme und der Beine ſeien unmöglich, wenn die jungen Ritter ſich vorn und hinten mit Riemen bänden, daß ſie ſtarr und ſteif wären wie Holzſcheite. Wenn einer mit dem andern ſich in ein Kampfſpiel einlaſſen wolle, ſo heiße es gleich: Hör auf, mir iſt dahinten ein Neſtel zerriſſen. So, meint er, müſſe ritterliche Geſchicklich - keit ſchwinden vor der läſterlichen Kleidung, die ſo ſchändlich ſtehe.

Mehr von der komiſchen Seite faßt derſelbe Dichter dieſe Tracht in einem andern Gedicht auf: von der Minne Schlaf. Frau Minne hat einſtmals eine einſchläfernde Wurzel in den Mund genommen und darüber zehn volle Jahre verſchlafen, bis ihre Dienerin, Frau Scham, die Urſache gemerkt und die Wurzel wieder aus dem Mund genommen. Da ſie erwacht iſt, erkundigt ſie ſich nach dem edlen Volk, das ihr früher in Zucht und Scham gedient habe. Da bringt man ihr einen Ritter dar, der diente ihr früher mit Treue wie ein geſchworner eigener Mann.

Die Minne ſah ihn lachend an;
Der kurzen Kleider ſie verdroß:
Seid willkommen, Herr Hintenbloß!
Laßt ihr euch alſo ſchauen
Vor minniglichen Frauen?
1972. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Hinten bloß und vor verſchamt
Zwar! das ziert nicht Ritters Amt;
Ein edel Herz ſich ſchämen ſoll,
Scham ziert alle Tugenden wohl.
Ich hab zu lang geſchlafen;
Mein Diener, die ſind Affen
Worden, das ſei Gott geklagt!
Den Ritter ſie mit Zorn jagt
Aus dem Garten ganz allein.

Wir ſehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anſtand, auch alle Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit weit überwunden. Die Bilder zeigen uns dieſe enge Tracht bereits im vierzehnten Jahrhundert nicht bloß an Fürſtenſitzen oder an provençaliſchen Liebeshöfen, ſondern überall, ſelbſt beim Reiter und auf der Jagd. Wir mögen daher noch weiter gehen als Peter Suchenwirt und noch andere Folgen aufſuchen als die Vernachläſſigung ritterlicher Tugenden; wir glauben ſie auch in der Kunſt zu entdecken. Es iſt bekannt, wie die deutſchen Bilder des funfzehnten Jahrhun - derts uns beim erſten Eindruck ſo unangenehm berühren durch die verdrehte Haltung des Körpers, durch die Verrenkungen der Glieder, die eckigen Bewegungen der Arme und Beine, durch wi - dernatürliche Stellungen, was wir alles nicht der Ungeſchicklich - keit des Künſtlers zuſchreiben dürfen, ſondern was entſchieden Abſicht iſt und aus einem, freilich falſchen, Schönheitsgefühl her - vorgeht. Woher dieſes? Nicht anders als aus der Natur ſelbſt. Was der realiſtiſche Künſtler dieſes Jahrhunderts ſeiner ihn um - gebenden Welt abſah, bildete er in Gewohnheit und Uebertrei - bung zur Manier aus. Nicht jeder kaum einer vermochte es, ſich über den Schönheitsſinn ſeiner Zeit zu erheben. Die - ſelbe Urſache hat auch gewiß einen andern nahe liegenden Fehler der damaligen Kunſt hervorgerufen, die übertriebene Magerkeit. Es war eben Modegeſchmack, möglichſt dünn und ſchlank von Körper zu ſein, und man ſuchte es an ſich ſelbſt durch die Enge der Kleider, ſelbſt bei Männern, durch Schnüren zu erreichen; der Künſtler, befangen in ſeiner Zeit, übertrieb das ebenſo wie die erzwungenen Bewegungen und Stellungen des Körpers. Be -198II. Das Mittelalter.günſtigt wurde dieſer Geſchmack durch den allgemeinen Modegeiſt, den ganzen Charakter des damaligen Culturzuſtandes, namentlich der Ritterſchaft, und findet in ihm ſeine Erklärung. Wir müſſen uns hineindenken in den Geiſt, der die Allegorie das Gegen - bild der Natur in die Poeſie und aus der Poeſie in den Scherz und die Spiele des Lebens einführte; wir müſſen uns hineinver - ſetzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die Zeit, da die Ritterſchaft, arm an poetiſchen Großthaten, die aus - gebrannte Phantaſie und die erloſchene Ehrbegierde an den Hel - denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See wieder zu erhitzen ſuchte, in die Zeit, da die Ritter Romane laſen, aber nicht mit ihren Thaten machten oder erlebten. Eine gewiſſe geiſtige Verſchrobenheit klebte dazumal dem ganzen Ritterthum an, wo es nicht, wie leider ſo vielfach in Deutſchland, ſeinen edlen und geiſtigen Inhalt durch Rauf - und Raubweſen erſtickt hatte. Dieſe Zeit iſt der Beginn der Donquichoterie. Und das iſt genau derſelbe Geiſt, der die ehrſamen Meiſter des Hand - werks zu ihren verkünſtelten, ernſt-komiſchen Poeſieen veranlaßte, nur mußte er ſich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder den Schuſterpfriem handhabte, anders ausſprechen als beim Rit - ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte, und eine Periode der höchſten und feinſten Bildung unmittelbar hinter ſich hatte. Aber grade ſo wie der ernſthafte Unſinn des irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir leſen von der überkurtz Abend-Rötweis , von der abgeſchiedenen Vielfraß - Weis , der geſtreift Safran-Blümleinweis und den andern bit - terernſt gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei - ſtergeſangs.

Es war ſchon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr - hunderts, als für den kurzen und engen Rock ein Name aufkam, der ſich ſeitdem in ähnlicher Bedeutung erhalten hat, nämlich Jacke. Nach der Meinung jener Zeiten war zwar nicht das Wort, wohl aber die Sache deutſchen Urſprungs, obwohl ſich die Ausbildung der kurzen Tracht bei allen abendländiſchen Völ - kern, Deutſchen, Franzoſen, Italienern, Engländern, Spaniern,1992. Die Zeit des Luxus und der Entartung.mit merkwürdiger Uebereinſtimmung gleichzeitig nachweiſen läßt. Froiſſart, freilich ein ſpäterer Geſchichtſchreiber, erzählt, daß Heinrich (IV. ) von Lancaſter bei ſeinem Einzug in London (1399) eine courte jacque von Goldſtoff à la fachon d’Almayne ge - tragen habe. Der kurze Rock, Röcklein, daher bei den Franzoſen roquette und bei den Engländern rocket genannt, ſei, ſo meint man, aus Deutſchland nach England gekommen unter dem volks - thümlichen Namen Hanſelein , welche Bezeichnung Chaucer in ſeinen Canterbury tales giebt. Hanſelein hätten nun die Eng - länder in das ihnen mundgerechtere Jack (Jacob) umgetauft, woraus denn bei den Franzoſen jacque geworden, obwohl ſie den gewöhnlichen Namen cote-hardie (cotardia) dafür haben. Dieſe Benennung des kurzen Rockes iſt wieder nach Deutſchland zurück - gekommen als Schecke oder Scheckenrock, worin wir die eng - liſche Ausſprache erkennen. Unwahrſcheinliches dürfte nicht darin liegen. Die Limburger Chronik erwähnt ihrer zum Jahr 1389, früher aber noch die Straßburger Chronik des Jakob Twinger von Königshofen. Es iſt bekannt, wie im Jahr 1365 aus den franzöſiſch-engliſchen Kriegen ein Haufe Engländer plündernd ins Elſaß eindrang. Von dieſen wird geſagt, ſie hätten lange Kleider und Schecken getragen, was wohl ſo zu verſtehen iſt, daß ſie den kurzen Rock unter langen Oberkleidern trugen. Wenn der Chroniſt hinzufügt: davon kam die Sitte aus zu Straßburg, daß man lange Kleider und Schecken und Beingewand und ſpitze Hauben gerieth zu machen, das vorher zu Straßburg ungewöhn - lich war, ſo mag das theils local ſein, theils iſt es ungenau: denn die frühere Kleidung war im Elſaß lang wie überall.

Neben der Schecke, der Friedenstracht des Ritters wie des Bürgers, finden ſich noch zwei andere Namen im Gebrauch, Wamms und Lendner. Der letztere gehört der Rüſtung an und wird nur aus der Aehnlichkeit auf den Scheckenrock übertra - gen, das erſtere verdankt ihr wenigſtens ſeinen Urſprung. So lange man das Kettenhemd trug, bedurfte man, um ſich vor dem Druck der Ringe und der Schwere des Eiſens zu ſchützen, eines dicken, feſten Kleidungsſtückes unter demſelben, das wohl durch -200II. Das Mittelalter.gängig kurz und geſteppt war. Obwohl es ſomit zur Rüſtung gehörte, war doch nicht ausgeſchloſſen, daß es der Ritter auch ohne das Kettenhemd tragen konnte, wenn er der Ruhe pflegte. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts aber, alſo in einer Zeit, wo das Kettenhemd noch immer das Hauptſtück der Rüſtung war, findet ſich das Wamms als ſelbſtſtändiges Stück in den Kleiderordnungen neben dem Rock erwähnt. Die Speierer Ord - nung (1356) ſtellt es noch zu der Kleidung des Ritters und Rei - ters und will es als ſolches in ſeiner Kürze nicht beſchränken; der Rath von Straßburg aber (1370) behandelt es als eine gewöhn - liche Tracht des Bürgers und unterwirft es mit dem Rock denſel - ben Beſtimmungen. Doch unterſcheidet er ein reiſiges Wamms , das er gleich dem Reitrock des Ritters vom Geſetz ausnimmt. Wodurch das Wamms von der Schecke des Bürgers verſchieden war, dürfte ſich ſchwer beſtimmen laſſen.

Der Lendner, deſſen wir ſchon am Schluß des vorigen Ka - pitels in Kürze gedacht haben, verdankt ſeine Entſtehung dem Waffenrock und blieb, was er war, ein Stück der Kriegstracht. Wie unter dem Kettenhemd das Wamms, ſo lag über demſelben ſchon in ſehr früher Zeit der Waffen - oder Wappenrock, ein lan - ges, weites Gewand, mit den Farben oder dem Wappen ſeines ritterlichen Trägers geſchmückt. Der Wappenrock mußte mitſammt dem Panzerhemd die Wandlungen der Mode mitmachen. Seit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts verkürzte ſich das letz - tere nicht bloß, ſondern legte ſich auch immer enger um die Hüf - ten. Grade daſſelbe geſchah auch mit dem Wappenrock; es läßt ſich genau verfolgen, wie beide allmählig Taille gewinnen. Nun kamen aber andre Dinge hinzu, die mitwirkend in den Gang der Mode eingriffen, das war die Einführung des Schießpulvers in das Kriegsweſen, und vielleicht im Anfange noch mehr die eng - liſche Armbruſt. Den ſcharfen Bolzen oder den kurzen, eiſenge - ſpitzten Pfeilen leiſtete das Kettengeflecht zu wenig Widerſtand, und man ſah ſich daher nach weiterem Schutze um. In Folge deſſelben erlitt der Wappenrock eine durchgreifende Veränderung: er wurde aus der bloßen Zierde, aus einem Luxuskleid eine2012. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Schutzwehr, ein nothwendiger Theil der Rüſtung. Anfangs wurde er dick mit Wolle geſteppt, dann mit hart in Oel geſottenem Le - der überzogen oder ganz daraus gebildet und endlich noch an be - ſtimmten Stellen mit Eiſenplatten belegt, aus denen er ſchließlich ganz zuſammengeſetzt wurde, um gegen die Kugeln des Feuer - rohrs zu ſchützen. So entſtand der Plattenharniſch oder der Krebs. Das geſchah aber erſt im Lauf des funfzehnten Jahrhun - derts. In der Form, welche der Wappenrock zuerſt bei ſeiner Umwandlung in ein Stück der Rüſtung annahm, erhielt er den Namen Lendner. Mit dem Kettenhemd legte er ſich ſo eng um die Glieder wie der Rock und hielt auch in der Länge oder Kürze die Mode ein; er war eng zugeſchnürt, hinten oder vorn, hart geſteppt, beinahe in der Dicke eines Fingers.

Mit dem Rock zugleich, oder vielmehr durch deſſen Schick - ſale veranlaßt, erlitt auch der Gürtel eine bemerkenswerthe Ver - änderung, die wir bereits ebenfalls angedeutet haben. Da der Scheckenrock ſchon für ſich allein die Schlankheit des Körpers in möglichſter Weiſe hob, ſo war der Gürtel, wo er nicht der ritter - lichen Würde diente, zwecklos und überflüſſig geworden, und zwar ſo völlig, daß ihn auch der gerüſtete Ritter entbehrte, und ſein kurzes Schwert und ſeinen Dolch an Ketten hing, die mit dem andern Ende auf der Bruſt am Lendner befeſtigt waren. Es iſt daher nichts Seltnes in dieſer Zeit, auf Bildern Ritter wie Bürger in civiler Kleidung ungegürtet zu finden. Aber die ſtutzer - hafte Eitelkeit, eine faſt allgemeine Eigenſchaft damals, entbehrte nicht gern eines ſo prunkenden Schmuckes. Was geſchieht? Da der Gürtel ſeinen Zweck verloren hat, ändert er auch ſeine Form. Nunmehr eine bloße Zierde geworden, dem Ring oder dem Hals - band ähnlich, läßt er mit ſich machen, was der Laune oder der Mode gefällt. Statt einengend die Taille zu umſchließen, wird er erweitert, daß er loſe und locker über die Lenden herunterfällt, oder unten am Rock angenäht wird; ſtatt aus biegſamem Stoff, ſetzt man ihn nun aus breiten und dicken viereckigen Metallplat - ten zuſammen, die gleich den Gliedern einer Kette beweglich an einander geheftet ſind und hinlänglich Raum bieten für Edelſteine202II. Das Mittelalter.und Perlen. Waren nun gar die Glieder aus edlem Metall, ſo bildete ein ſolcher Gürtel den reichſten nur denkbaren Schmuck. Daher unterwarfen ihn auch gleich die erſten Luxusgeſetze ihren beſchränkenden Beſtimmungen. Die Limburger Chronik bezeichnet ihn mit dem Worte Dupfing; wenn daſſelbe von dupfen, mit der Nadel ſticken, abgeleitet werden ſoll, ſo muß es ſchon eine ältere Art des Gürtels bezeichnet haben, denn die damalige war von Metall.

Als herrſchende Form des Beinkleids in den nobeln Ständen iſt für dieſe Periode die zu betrachten, welche als ein Stück die ganze untere Hälfte des Mannes deckt, von den Füßen an, die mit umſchloſſen ſind, bis zur Hüfte herauf. Hier war die Hoſe durch Neſteln, Schnüre oder Schleifen befeſtigt. Obwohl nur in den ſeltneren Fällen aus Leder beſtehend und gewöhnlich aus Wollſtoff gemacht, ſchloß ſie ſich in geſchicktem Schnitt in allen Theilen aufs vollkommenſte eng an, daß die Männer hart geſpannt gingen und, wie wir oben geſehen haben, bei raſcher und plötzlicher Bewegung nicht ſelten die Neſteln ſprengten. Es findet ſich für die Art des Beinkleides öfter die Bezeichnung ganze Hoſen im Gegenſatz zu den in den niedern Ständen ge - bräuchlichen langen Strümpfen. Auch dieſe wurden wohl noch fortgetragen, doch nur ſelten, denn es berichtet die Limburger Chronik zum Jahr 1362, daß damals die großen, weiten Plo - derhoſen vergangen ſeien, worunter nichts anderes verſtanden ſein kann als jene alten weiten, leinenen Beinkleider, welche Bürger und alle Leute niedern Standes in der Art trugen, daß ſie dieſel - ben von oben her in die langen Strümpfe hineinſteckten. Wir kennen ſie von den Bildern der Herrad von Landsberg und haben ſie oben näher beſchrieben. Lange Lederſen nennt auch die Lim - burger Chronik wegen des Stoffes die ganzen Hoſen und ſagt von ihnen, ſie hätten lange Schnäbel gehabt und Krabben, eine bei der andern von der großen Zehe bis oben hinaus, und ſeien hinten aufgeneſtelt geweſen halb bis auf den Rücken. Die jeden - falls vorübergehende Mode des Beſatzes mit Krabben ein Name, der ohne Zweifel von dem bekannten gothiſchen Ornament2032. Die Zeit des Luxus und der Entartung.hergenommen iſt war damals neu, nicht aber dieſe Form des Beinkleides, es ſei denn höchſtens für den Bürger. Fehlen konnte die Beinbekleidung damals nur dem Bauer allein, und auch das dürfte nur als Ausnahme zu betrachten ſein, wenn auch der Fall kein ſeltner war. Häufig haben Leute niedern Standes, Boten zumal, über die Hoſe noch Strümpfe gezogen, welche bis ans Knie reichen und hier gebunden und umgekrämpt ſind.

Da die lange Hoſe auch die Füße mitbedeckte und dann ge - wiß mit Lederſohlen verſehen war, ſo konnte auch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert eine beſondere Fußbekleidung dem ritterlichen Stande überflüſſig ſein, und wir ſehen ſie deßhalb nicht ſelten fehlen. Der Schnitt der Hoſe an den Füßen richtet ſich ganz nach der herrſchenden Mode, d. h. ſie war hier lang und zugeſpitzt. Die Mode der langen Spitzen, die wir weiter unten im Zuſammenhang beſprechen werden, fing damals an die allge - meine Aufmerkſamkeit zu erregen. Wo ſich eine beſondere Fuß - bekleidung findet und bei den Bürgern iſt es gewöhnlich ſo , ſind es Schuhe oder ganz kurze, oben über die Knöchel gehende Stiefeletten. Stiefel, die ſich ausnahmsweiſe erwähnt finden, tragen nur Boten oder reiſige Leute. Stiefeletten meint auch die Limburger Chronik, wenn ſie berichtet, daß im Jahr 1362 mit den Pluderhoſen auch die Stiefeln vergangen ſeien, die oben roth Leder hatten und verhauen d. h. gezackt waren. Auf den Bildern der Kölner Schule vom vierzehnten und auch vom funfzehnten Jahrhundert tragen ritterliche Perſonen hohe, weite, zum Knie hinaufgehende Stiefeln von rother Farbe, mit einem breiten Goldſtreif von oben bis unten und am Rande mit Gold gefaßt. Die Schuhe waren von allen Farben und bedeckten den ganzen Fuß, doch hatten ſie auch oben einen offenen oder zuge - ſchnürten Ausſchnitt.

Die ganze Kleidung des Mannes war in ihrer kurzen, an - ſchließenden Enge darauf angelegt, die Geſtalt nach allen Theilen und Gliedern in ihren Formen markirt zu zeigen. In ſcheinbarem Widerſpruch damit ſteht die Kopftracht, welche es auf Vermum - men abgeſehen zu haben ſcheint. Denn in dieſer Zeit bemächtigt204II. Das Mittelalter.ſich die verhüllende Gugel, früher eine Tracht der Knappen und niederen Leute, aller Köpfe. Schon um das Jahr 1320 etwa tragen ſie edle Jäger und Jägerinnen auf der Hirſchjagd, und beim Waidmann überhaupt hat ſie ſich zuletzt noch lange erhal - ten, als ſie bereits aus dem gewöhnlichen Leben verſchwunden war. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zeigt ſie ſich in allen Lebensverhältniſſen in beſtimmt ausgeprägter Form. Vom lateiniſchen cucullus, welches ebenfalls ſchon eine verhüllende Kopfbedeckung iſt, kommt das Wort Gugel mit allen ſeinen Ne - benformen her, als: Kugel, Kogel, Gogel, Gugler, Kugelhut und daraus zuſammengezogen Kulhut. Unſern Begriff von Hut müſſen wir davon fern halten, denn die Gugel, wie wir ſchon im vorigen Abſchnitt ausgeführt haben, iſt nichts als die bekannte Kaputze, an einen Kragen deſſelben Stoffes, Goller, befeſtigt, welcher Schultern und Hals rings umſchließt. Sie mußte entweder über den Kopf gezogen werden, oder ſie war vom Kinn herab aufgeſchnitten und durch eine Reihe Knöpfe zuſam - mengehalten. Wenn die Kaputze übergezogen war, ſo blieb vom ganzen Kopf nichts zu ſehen als das rings umrahmte Geſicht: Haar, Hals, Ohren und ſelbſt das Kinn waren völlig verhüllt. In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem man die Gugel vor dem ganzen Geſicht zuknöpfte, und nur die Augen ſahen aus Löchern heraus; zum Geſpräch, zum Eſſen und Trinken mußte das Geſicht aufgeknöpft werden.

Dadurch, ſo ſcheint es, hätte die ganze äußere Erſcheinung des Menſchen einen finſtern, mönchiſchen Charakter erhalten müſ - ſen und es war auch die Zeit des Myſticismus, da man ſich ſcheu vor den Sünden der Welt in ſich ſelbſt zurückzog , allein dieſer Charakter verſchwindet wieder, indem wir wahrnehmen, wie zu der Gugel immer die hellſten oder am kräftigſten wirken - den Farben gewählt werden. Wir ſehen Gelb, Hellgrün, Roſa und alle Nüancen von Purpur und leuchtendem Hochroth, weiß mit Gold, oder auch den farbigen Stoff am Geſicht von weißem Rauchwerk umfaßt. Wenn wir dazu noch einen langen, gleich - farbigen oder buntgedrehten Schwanz von der Spitze der Kaputze2052. Die Zeit des Luxus und der Entartung.bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet gewiß ein bedeutendes Maß mit Ellen, aber er ſoll weder gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig - keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; kei - ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe. Der Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle.

Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo - nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver - folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen (1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. Da fingen auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und Katzen gleich nach heidniſcher Art. Damals ſtand Böhmen un - ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr - ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver - breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im206II. Das Mittelalter.Jahr 1356 verbot der Rath von Speier alle Bärte, gewiß ein Zeichen, wie ſehr der Bart dem Geiſt des Mittelalters wider - ſpricht.

Die genannte Chronik fährt dann fort: Andere aber, da - mit ſie ihre Mannheit läſterten, nahmen weibiſchen Gebrauch an, trugen lange Haare, kämmten und bleichten daſſelbe naß an der Sonne. Etliche, die vor andern berufen und ſchön ſein wollten, nahmen dann ein heißes Eiſen, welches ſie calanistrum nann - ten, brannten und drehten ihr Haar daran, und je ſchöner einer das konnte, je ſchöner er ſich zu ſein bedünkte. Wir haben dieſe ſtutzerhafte Pflege des Haars bei den Deutſchen ſchon von früh an verfolgt; im funfzehnten Jahrhundert erkennt man ſie auf allen Bildern. Die Form, in welcher man das Haar im vierzehn - ten Jahrhundert trug, unterſcheidet ſich von der gemäßigt langen und gelockten des dreizehnten nicht, und es iſt als Ausnahme, locale oder doch beſchränkte und vorübergehende Mode zu ver - ſtehen, wenn die Limburger Chronik zum Jahr 1380 berichtet: Da ging es an, daß man nicht Haarlocken und Zöpfe trug, ſon - dern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürte (gekürzte) Haare oder Krullen, über die Ohren abgeſchnitten, gleich den Conversbrüdern; da das die gemeinen Leute ſahen, thaten ſie es auch. Von den Bauern aber iſt gewiß, daß ſie das kurze Haar als Standesunterſchied das ganze Mittelalter hindurch getragen haben. Da die Gugel nicht immer getragen wurde, nament - lich nicht im Hauſe, und die Kaputze gewöhnlich auf dem Rücken lag, ſo blieb für die lockige Tracht des männlichen Haars auch noch der Schmuck der früheren Periode, Ringe, Reife, Kränze, Diademe, welche die Lockenfülle umfaßten und verhinderten, daß ſie läſtig ins Geſicht fiel.

Der Mantel oder der Oberrock, welcher die männliche Tracht vervollſtändigt, konnte freilich nicht ſo der engen und kur - zen Mode folgen. Lange und weite Oberkleider blieben daher fortwährend in Gebrauch, nicht bloß bei den ehrbaren Leuten, die der Mode Oppoſition machten, ſondern ſelbſt bei Stutzern und insbeſondere als Feierkleidung. Der Rittermantel blieb noch2072. Die Zeit des Luxus und der Entartung.immer das Ehrenkleid des Standes. Im Allgemeinen aber trat der Mantel ſchon ſeit dem dreizehnten Jahrhundert mehr und mehr vor dem Oberrock zurück, endlich faſt bis zum völligen Ver - ſchwinden. Seine nahende Niederlage kündigte er dadurch an, daß er ſeinen eigentlichen Charakter zu ändern anfing, indem die Seiten auf der Schulter und ſpäter ganz herunter zugenäht wur - den, und er nunmehr glockenförmig über den Kopf gezogen oder geworfen werden mußte. Er wurde dadurch ein Mittelding zwi - ſchen Rock und Mantel. In dieſer Form erhielt er den Namen Hoike; ſo trugen ihn Männer wie Frauen. Die Limburger Chronik erwähnt ihrer nach dem Jahre 1351: Auch trugen ſie Hoiken, die waren all um rund und ganz. Das hieße man Glocken, die waren weit, lang und kurz. Gleichzeitig ſpricht ſie von einer Art von Hoiken, die bis auf die Füße herabreichten und vorn von oben bis unten herab zugeknöpft waren. Hier war die Entfernung vom Mantel ſchon wieder um einen Schritt vergrö - ßert. Gefüttert waren die Mäntel und Hoiken mit aller Art von feinem Pelz, nach Stand, Vermögen und nach Zulaß der Klei - derordnungen, oder mit andersfarbigem Stoff von Wolle oder Seide. Das Wort Hoike iſt arabiſchen Urſprungs.

Mehr noch als der Mantel und ſein Stellvertreter, die Hoike, war ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der Trappert als Oberkleid in Gebrauch. Es war aber eigentlich nur ein neuer Name für die alte Sache, obwohl auch dieſe ſich formell geändert hatte. Der Trappert ſetzt den alten Oberrock fort, um ſpäter wieder der Schaube zu weichen. Das Wort ſelbſt wird aus dem Celtiſchen hergeleitet und hat im Franzöſiſchen, wo es ſchon früher als ein langes Obergewand vorkommt, ſeine ſpätere Form erhalten. Im Deutſchen ſagte man zu jener Zeit Trapp - hart, Trappert und Tappert. Alle Formen des Oberrocks wur - den damals mit dieſem Wort bezeichnet, obwohl ſich local auch ſchon die Schaube als Joppe und Juppe findet. Er iſt von - ßiger Weite, über den Hüften gegürtet und wenigſtens am Ausgang des Jahrhunderts bis zu den Füßen herabfallend, aber von hier aufwärts bis zum Gürtel geſpalten, um das koſtbare208II. Das Mittelalter.Unterfutter zu zeigen. Der Rath von Ulm verbot ſogar (1406) ihn noch länger zu tragen. Hier fällt die Stutzerhaftigkeit mit der Oberkleidung in das entgegengeſetzte Extrem. In England war es damals unter der Regierung Richards II. und Heinrichs IV. ganz ähnlich: es wird geklagt, daß man die Männer nicht mehr in ihrem Aeußern von den Frauen unterſcheiden könne. Aber es findet ſich auch der Trappert kurz bis zum Knie und noch kürzer, ferner mit langen, weiten, bis auf den Boden fallenden Aermeln, und mit engeren, die bis zum Ellbogen zugeknöpft ſind. Die Mannigfaltigkeit dieſes Kleidungsſtücks iſt noch in beſtändigem Wachſen.

Was der männlichen Kleidung dieſer Zeit vor allem den Charakter des Phantaſtiſchen und Geckenhaften verleiht, das ſind die ſ. g. Zatteln, eine Zerſchneidung der Ränder in lange Zacken oder Lappen, oder ein Beſatz mit denſelben. Man begeg - net ihnen in Deutſchland, wie wir geſehen haben, ſchon im drei - zehnten Jahrhundert, aber damals nur als einer Eigenthümlichkeit aller fahrenden Leute des Komödiantenweſens, der vagirenden Muſiker, Jongleurs und andrer heimathloſer Leute ihrer Art. Der Ritter und der Bürger verachtete dieſe Sitte. Allein ſchon in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ſind in der Provence, der Heimath der Romantik und der Liebesthorheiten, die Zatteln beim Ritterſtande vollkommen eingebürgert. Die Herren der Liebeshöfe wir haben eine Miniature vor uns tragen die Gugel um die Schultern, von deren unterem Rand die Zatteln, lang und ſpitz, bis zum Gürtel herabfallen; ſelbſt der Rand der Kaputze, wo er das Geſicht umfaßt, iſt tief ausgezackt. Der kurze, enge Rock reicht kaum auf die Oberſchenkel, aber die gezackten Lappen fallen bis gegen die Kniee herab. Von den Ellbogen reichen die Doppelärmel in langen, ſchmalen Schwänzen bis nahe auf den Boden. Ebenſo zeigt ſich die Mode in Deutſch - land bei den vornehmen Ständen ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, und der Rath zu Speier verbietet (1356) die unter den Augen zerſchnitzelten Kugelhüte . Aber die Zatteln beſchränken ſich nicht auf die Gugeln und kurzen Röcke; Mäntel,2092. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Trapperte, Hoiken, alle Arten der Oberkleidung werden von ihr ergriffen. Doch feierten ſie ihre eigentliche Blüthezeit erſt fünfzig Jahre ſpäter. Mit den Zatteln kamen auch die langen Aermel oder Flügel, auch geflügelte Aermel genannt, in Aufnahme und wuchſen mit ihnen im Uebermaß. Schon 1351 ſagt die Lim - burger Chronik von dieſer Tracht in Deutſchland: Herren, Ritter und Knechte, wenn ſie hoffarten, ſo hatten ſie lange Lappen an ihren Armen bis auf die Erde, gefüttert mit Kleinſpalt oder mit Bunt (zwei edle Arten von Rauchwerk), als den Herren und Rit - tern zugehört und den Knechten als ihnen zugehört. Und weiter heißt es zum Jahr 1389: Fürder trugen die Männer Aermel an Wammſen und an den Schauben und anderer Kleidung, die hat - ten Stauchen (Hängeärmel) beinahe auf die Erde. Und wer die allerlängſten trug, der war der Mann.

Mit dieſen Dingen iſt die Zahl der Excentricitäten noch keineswegs erſchöpft. Die böhmiſche Chronik erzählt noch von dem übermäßigen Knopfbeſatz, von Halsbändern und ausgeſtopf - ten Bruſtlätzen der Männer, gleich Weiberbuſen. Auch Peter Suchenwirt ſpricht davon als Gegenſtänden der Hoffart in dem Gedicht von den ſieben Todſünden: Baumwolle legſt du dir vor, ſagt er, und ziehſt dich ein in den Seiten, daß du ſchlank biſt; du thuſt dir ſelbſt weh und biſt ein Spott, und machſt dich anders als dich Gott nach ſeinem Bilde erſchaffen hat. Früh und ſpät ſchmierſt du dein Antlitz ein; deine Stirn glitzert und Salben durchziehen deine Wangen, daß du falſcher Farbe Schein giebſt. Auch fremdes Haar bindeſt du ein und machſt deine Zehen anders, als ſie dir Gott gegeben hat, lang, ſpitz und krumm wie des Teufels Naſe. Damals fing man auch wieder an, den Schmuck in aller Geſtalt am ganzen Körper zu tragen, an Haar, Hals, Hand wie an den Kleidern, an Gürteln, Taſchen und Meſſern. Dann kamen zu den ſpitzen Schuhen auch noch die Schellen.

Die Kleidung der Frauen unterliegt demſelben Modegeſetz; in völlig entſprechender Weiſe wie bei den Männern gehen die Veränderungen an den alten Stücken vor ſich. Wenn ſie zuFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 14210II. Das Mittelalter.Hof und Tänzen gingen, ſagt die Limburger Chronik von ihnen in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, dann trugen ſie zwei Kleider und das Unterkleid mit engen Aermeln. Gerade ſo war es im dreizehnten Jahrhundert. Nach einem Göttinger Geſetz durften nur die Frauen, welche der höchſten Vermögensclaſſe an - gehörten, die volle Kleidung tragen, und dazu gehörten ein Ober - kleid, ein Unterkleid und ein langer Mantel. Wenn wir noch das Hemd hinzurechnen, ſo haben wir damit die Hauptbeſtand - theile der weiblichen Kleidung.

Das oberſte Kleid, ſo erzählt die Limburger Chronik weiter, hieß ein Sorkett und war bei den Seiten von unten herauf - geſchliſſen und gefüttert, im Winter mit Buntwerk oder im Som - mer mit Sendel, das da ziemlich einem jeglichen Weib war. Dieſe Aufſchlitzung iſt eine neue Mode, die aber zu den vorüber - gehenden Erſcheinungen gehört; ſie ſollte mehr Gelegenheit geben für die koſtbare Pelzverbrämung und zugleich das untere Kleid ſichtbar machen. Die Mäntel hielten ſich in der alten Form mit der Schnur auf der Bruſt, welche die beiden Enden zuſam - menhielt, bei den Frauen häufiger noch als bei den Männern, namentlich im bürgerlichen Stande, doch kommen daneben auch für jene die Hoiken und Trapperte in Gebrauch, von denen die letzteren, eine Umwandlung des Oberkleides, ein wenig ſpäter eintraten. Beide waren kürzer als die gewöhnlichen Mäntel, und dieſe Eigenſchaft wahrſcheinlich machte ſie beliebt. Selbſt den Mantel wollten die Damen kürzen und thaten es ſo ſehr, daß der Rath von Straßburg ihnen verbot, ihn kürzer zu tragen denn ¼ Elle über den Knieen; auch den Gebrauch der Knabenmäntel unterſagte er ihnen, wie ſchon früher der von Speier den Gebrauch der Männermäntel ihnen verboten hatte. Beides kann ſich nur auf die beliebte Kürze beziehen.

Im Uebrigen machte ſich gerade das Beſtreben zu langen Kleidern, oder vielmehr zu Schleppen geltend, welche damals in Mode kamen und noch heute nicht außer allen Gebrauch gekommen ſind, ſondern zu Zeiten, wie bekannt, Hofdienſte zu verrichten haben. Die Schleppe iſt ein Erzeugniß des extra -2112. Die Zeit des Luxus und der Entartung.vaganten Geiſtes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, und es kann daher ziemlich gleichgültig ſein, von wo man ihren Urſprung herleitet. Sie iſt nicht auf einmal in voller Größe als ein fertiges Geſchöpf der Laune in’s Daſein gerufen worden ſo kühn iſt die Mode nicht , ſondern allmählig aus dem reichen Stoff, der weit und faltig ſchon im dreizehnten Jahrhundert die Füße der Damen umfloß, hervorgewachſen. Aber bereits im Anfang des vierzehnten muß ſie in Frankreich durch ihre Größe auffallend geweſen ſein, denn als ſich Kaiſer Heinrichs VII. Sohn Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der franzöſiſchen Prinzeſſin Eliſabeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug ſie ein ſehr langes Kleid nach franzöſiſcher Mode. In Deutſchland aber erregte ſie erſt im Beginn des fünfzehnten die Aufmerkſamkeit der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrigſt wachenden ſtädti - ſchen Lenker. Selbſt fürſtliche Damen ſcheinen noch längere Zeit dieſer Mode ſich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche der Familie des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg angehö - ren (um 1400), wie ſie auf dem Wandgemälde im Kloſter Heils - bronn in knieender Stellung abgebildet ſind, haben offenbar Kleider ohne Schleppen; man ſieht die Füße mit ſpitzen Schnür - ſchuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe.

Der Rath von München iſt der erſte, welcher der Schleppe eine beſtimmte Länge vorſchreibt; nur die Breite eines Fingers erlaubt er. Der Rath zu Ulm geſtattet einige Jahre ſpäter doch ſchon ein viertel Elle, die er freilich ſechs Jahre darauf wieder auf die Hälfte beſchränkte. Die Obrigkeit von Modena geſtattete da - mals ein ganze Elle, aber ſie hielt hierauf mit ſolcher Strenge, daß ſie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich aufſtellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen ſofort daran gemeſſen würden. In Frankreich exiſtirte die Schleppe ſchon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus - gebildetſten Geſtalt, wonach ſie einer beſondern Perſon zum Tra - gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile geſpalten hat: die vordere Hälfte trägt ſie ſelbſt auf dem linken Arm, die14*212II. Das Mittelalter.hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayriſche Iſabella, Karl’s VI. Gemahlin, ſoll vorzugsweiſe dieſe Mode in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geſchah ſo weit, daß der Ritter de la Tour ſchon Klage führt, wie Dienerinnen und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk beſetzte Schleppkleid angenommen haben, freilich ſehr unpaſſender und unzweckmäßiger Weiſe, denn, ſagt er, ſie haben ſich hinten be - ſchmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze. In England ſchrieb unter Richard II. bereits ein Geiſtlicher eine Abhandlung gegen die Schleppen der Damen. Zu ihrer Hofrolle kamen ſie durch die burgundiſche Etiquette. Endlich konnte auch Deutſch - land nicht zurückbleiben. Im Städtchen Kreuzburg ſollen ſchon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die adligen Damen ge - ſchwänzte Röcke getragen haben, vier bis fünf Ellen lang, ſo daß Knaben die Schleppen nachtragen mußten. In dieſem Städtchen ſcheint die Obrigkeit weniger von Polizeimoral erfüllt geweſen zu ſein. Uebrigens erlaubten der Kurfürſt Ernſt und der Herzog Albrecht von Sachſen in ihrem Erlaß von 1482 ordnungsmäßig allen Ritterfrauen und Ritterfräulein zwei volle Ellen.

Wenn die Frauenkleidung mit der Schleppe in Vergleich zu der männlichen eine entgegengeſetzte Tendenz zu verfolgen ſcheint, ſo ſtimmt ſie um ſo mehr in der Enge überein. Neu iſt das bei den Frauen nicht, denn wir wiſſen, wie gerade dieſe Neigung die Frauenkleidung im zwölften und dreizehnten Jahrhundert von der alten Formloſigkeit befreit. Was aber damals Grazie und freie Beweglichkeit verlieh, das führte jetzt, in’s Extrem getrieben und mit andern Uebertreibungen vereinigt, zu Mißgeſtalten, ver - hinderte die Leichtigkeit, Elaſticität und Freiheit und raubte die Anmuth, abgeſehen von dem Anſtand und der Sittlichkeit, wel - chen Punkt die Weisheit und das Gewiſſen der ſtädtiſchen Behör - den vor allem in’s Auge faßten.

Wenn damals eine vornehme Dame oder eine wohlhabende Bürgerin zu Hauſe nur ein einziges Kleid trug, ſo lag dieſes am ganzen Leibe und ſelbſt noch um den Unterleib in voller Enge an. Der Körper zeigte ſich in ſeiner natürlichen Form. Erſchien ſie2132. Die Zeit des Luxus und der Entartung.öffentlich, oder ging ſie zum Beſuch, zum Tanz, zum Turnier oder zu einem andern Feſt, ſo ſaß auch das in dieſem Fall nothwen - dige Oberkleid in gleicher Enge um den Körper, mit Ausnahme der Aermel, welche weit geöffnet ſind und, mit Zatteln verſehen, tief herunterfallen. Dieſe Enge konnte ſchon durch den bloßen Schnitt des Kleides hergeſtellt werden, wodurch freilich das An - ziehen eine ſchwierige und unbequeme Sache wurde; es wird ver - ſichert, daß eine Dame allein nicht dazu im Stande geweſen ſei: ſie bedurfte der Hülfe, was im ähnlichen Fall auch von den Män - nern gilt. Um dieſer Unbequemlichkeit auszuweichen, war der Knopfbeſatz erfunden worden. Die Frauen bedienten ſich deſſel - ben in ausgedehntem Maße. Sie ſchnitten die Aermel des untern Kleides bis zum Ellbogen auf und engten ſie mit Knöpfen wieder ein; ſie ſchlitzten das Kleid vorn von oben an bis tief herunter auf den Leib und ſetzten längs des Ausſchnittes Knopf an Knopf. Das allein ſchien nicht zu genügen, und man nahm die ſchon bekannten Schnürſenkel zu Hülfe, oder erſetzte die Knöpfe ganz dadurch. Vorzugsweiſe aber wurden ſie an den Seiten angewen - det, und weder das untere noch das obere Kleid noch das Hemd waren davon ausgenommen. Ja es ſcheinen bereits beſondere Leibchen, gleich der ſpätern Schnürbruſt, zu dieſem Zweck in Ge - brauch geweſen zu ſein. Hinfüro ſoll ſich keine Frau mehr ſchürzen mit ihren Brüſten, weder mit Hemden noch gebriſen (geſchnürten) Röcken, noch mit irgend einem andern Gefängniß, ſo ſchreibt der Rath zu Straßburg vor (1370). Die Ulmer Ordnung von 1426 verbietet ſammtene oder ſeidene Preiſe (von briſen, ſchnüren).

Dieſe Einengung der Kleider hatte für den Frauengürtel dieſelbe Folge, wie für den der Männer: er wurde überflüſſig und dann als ein über die Hüften herabhängender Schmuck getragen in derſelben Weiſe, wie wir oben bei den Männern den Dupfing beſchrieben haben. Dieſen Namen führte er auch bei den Frauen.

Die gleiche Sorge wie die Einengung des Körpers machte den Geſetzgebern die immer ſtärker werdende Decolletirung. Das ganze Mittelalter hindurch hatten die Frauenkleider Bruſt und Schultern verhüllt und nur den Hals unbedeckt gelaſſen; mit214II. Das Mittelalter.andern Moden war auch dieſe ein Erzeugniß des vierzehnten Jahr - hunderts. Schon in der Mitte deſſelben trugen die Frauen den Ausſchnitt ſo tief, daß man die halben Brüſte ſah. Die Kleider - geſetze, eines nach dem andern, ſuchen umſonſt das wachſende Uebel zu beſchränken und vergebens ſchreiben ſie aufs genauſte die Größe des Hauptloches vor und auf Fingerbreite, wie weit das Kleid auf den Achſeln aufliegen ſoll. Es war ein Kampf wider Wind und Strom.

Mit dieſer Neigung zu decolletiren, iſt die Umwandlung, welche gleichzeitig die Haartracht erlitt, in Verbindung zu ſetzen. Um die blendende Weiße des Nackens und Rückens zur vollen Geltung zu bringen, mußten die langen, wallenden Locken, wie ſie noch im Beginn des vierzehnten Jahrhunderts, ſelbſt bei verheiratheten Damen, über die Schultern und den Rücken herabfloſſen, ihrer Freiheit beraubt werden. Der einen Schönheit wurde die andere zum Opfer gebracht. Es wurde, wie wir ſchon am Schluß des vorigen Capitels angedeutet haben, allgemeine Sitte, das Haar aufzubinden; nur Jungfrauen vornehmſten Standes, unverhei - rathete Prinzeſſinnen und zuweilen auch verheirathete Fürſtinnen machen eine Ausnahme zu Gunſten der alten Mode des langen Lockenfluſſes. Gewöhnlich iſt das Haar über der Stirn geſcheitelt und in zwei Zöpfe geflochten, welche zu beiden Seiten um die Ohren gelegt ſind. Jungfrauen ließen auch wohl die Flechten herunterhängen; Frauen war das z. B. vom überſorgſamen Rath zu Speier ausdrücklich verboten worden. In der Art, wie die Flechten gelegt, wie ſie auf dem Kopfe befeſtigt oder mit einigen kleinen Locken an der Wange verbunden, namentlich aber, wie ſie mit Schmuck verſehen wurden, blieb dem individuellen Geſchmack der Frauen noch vieles überlaſſen. Zuweilen konnten auch ge - gründete Zweifel über die Aechtheit der Zöpfe entſtehen, denn der Rath von Straßburg ſieht ſich gar genöthigt, das falſche Haar zu verbieten. Ein ſchöner, ächter Frauenzopf konnte aber hoch gefeiert werden, wie es jenem geſchah, den ſich einſt eine ſchöne Frau für einen Herzog von Oeſterreich abſchnitt. Der Herzog ſtiftete ihm zu Ehren eine ritterliche Geſellſchaft, genannt vom Zopf.

2152. Die Zeit des Luxus und der Entartung.

Mit ſolcher Haartracht konnte auch erſt die Haube zu größerer Bedeutung gelangen, und ſie verdrängt daher in mannig - facher Geſtalt allmählig den alten, ſchönen Kopfputz, und die kleinliche Weisheit und das beſondere Schönheits - und Anſtands - gefühl der Geſetzgeber trug durch ausdrückliche Verbote dazu bei. Die Schapel aller Geſtalt, die goldenen Reife und Kronen und Diademe, die Juwelen - und Perlenkränze, die früher den freien, fliegenden Locken zum Zügel gedient hatten, weichen den ver - hüllenden Hauben oder den andern abenteuerlich mißgeſtalteten Kopfbedeckungen. Die Kronen, früher ein allgemein ritterlicher Schmuck, werden allmählig ein Vorrecht fürſtlicher Damen, von denen die verheiratheten ſie über Schleier und Haube tragen. Vor allen iſt es die Gugel, welche in ihrer ganzen Unform auf die Frauenwelt übergeht. Früher legte ſie eine noble Dame wohl auf der Jagd um oder auf Reiſen oder beim Reiten, um vor ſchlechtem Wetter ſich zu ſchützen; bald aber wurde ſie ihre ge - wöhnliche Tracht, wenn ſie ſich öffentlich zeigte. Die Kaputze hing nicht bloß auf dem Rücken des Scheins wegen und bunt gefüttert, wie wir heute die alte Mode als vorübergehenden Einfall erneuert geſehen haben, ſondern es heißt in der Limburger Chronik (1389): Die Kogeln ſtürzte eine Frau auf ihr Haupt und ſtunden ihnen vorn auf zu Berg über das Haupt, als man die Heiligen malet mit den Diademen. Die Gugeln der Damen wurden ebenfalls um das Geſicht ausgezackt und mit Zatteln verſehen; ſie waren buntfarbig, aus verſchiedenen Streifen zuſammengeſetzt, mit Gold, Silber, Edelſteinen und Perlen verziert, und hinten hin - gen die langen, bunten Schwänze ein, zwei Ellen herab.

Nächſt der Gugel wurde von verheiratheten Frauen beſon - ders häufig der Kruſeler oder die Hulle getragen, eine Haube, deren Namen ſich aus ihrer Beſchaffenheit erklärt. Sie verhüllte den ganzen Kopf und umſchloß das Geſicht mit mehrfach über einander gelegten, zackig eingebrannten Krauſen von feinem, viel - leicht klarem Stoff, der ſich noch mit beſondern Wülſten auf die Schultern herabſenkte oder ſie rings der Gugel ähnlich um - ſchloß. Man kann ſie überhaupt ſich aus der Gugel in der Weiſe216II. Das Mittelalter.entſtanden denken, daß die Kaputze, mit Aufgebung von Schwanz und Spitze, ſich eng um den Kopf anſchloß. Der Rath von Speier verbot (1356), daß der Kruſeler mehr als vier ſolcher Striche über einander haben ſollte; der zu Frankfurt erlaubte ihrer ſechs. Auch Fürſtinnen trugen dieſe Hauben und Kronen darüber, auch mehr in Art eines in Krauſen eingebrannten Schleiers.

In beſonders hoher Gunſt ſtand der Schleier, ſei es, daß er für ſich allein den Kopf umhüllt, oder mit Haube und Kinn - tuch in Verbindung ſteht. Auf Feinheit und Güte des Stoffs wurde ein großer Werth gelegt. Ob er von Seide oder Baum - wolle war, ob von ſo oder ſoviel Fäden in der Breite, ob ſein Endbeſatz lang und zart, oder kurz und dick gewirkt war das konnte die Geſchlechterin von der Handwerksfrau unterſcheiden.

Neben den langen Hängeärmeln, die einfach gezattelt auf den Boden fielen, neben den ſpitzen Schuhen und andern Din - gen konnte die Eitelkeit einer Dame noch Befriedigung finden an dem nun in reichlichem Maße wieder auflebenden Schmuck. Was in alten Zeiten ein Zeichen einer niedern, noch ringenden Civiliſation geweſen war, das kann jetzt als Merkmal der Ueber - feinerung, eines verbildeten Geſchmacks betrachtet werden. Den Schmuck faßten die Kleiderordnungen zuerſt ins Auge, weil die bürgerliche Exiſtenz, der Vermögensſtand des Einzelnen dadurch am erſten gefährdet werden konnte. Ueberall auch, am Körper wie an der Kleidung, wußten die Frauen Schmuck anzubringen. Perlenkränze ſchlangen ſie nicht bloß durch das Haar, ſie um - wanden ſelbſt die ungeſtalteten Gugeln damit, deren weiterer Schmuck aus edlem Metall, Juwelen, ſilbernen und goldenen Schnüren beſtand. Der freie Hals mit der Bruſt wurde ein Fa - voritplatz für Perlen und Metallbänder; golden und ſilbern waren auch die Schnürſenkel; Ringe trug man in großer Zahl, freilich auch oft nur ſoviel die Obrigkeit erlaubte. Die langen Aermel, die Kleider wurden ober - und unterhalb des Gürtels, deſſen wir als koſtbarſten Schmuck ſchon oben gedachten, mit Perlen und Juwelen, deren Aechtheit freilich vielfach Zweifeln2172. Die Zeit des Luxus und der Entartung.unterlag, übernäht und mit edlen Metallen geſchmückt. Auch die zahlreichen Knöpfe waren nicht immer gemeinen Stoffes und dienten ebenſo zum Schmuck wie zur Einengung.

Die ſonſtige, außer dem reichen Pelzwerk zum Futter und zur Verbrämung oft weniger koſtbare Verzierung der Kleider ver - räth ſchon mehr den ſich an Seltſamkeiten erfreuenden Modeſinn. Die großgemuſterten Stoffe beginnen in Aufnahme zu kommen; man ſtickte mit Seide oder mit Gold die Muſter hinein, Vögel und andere Thiere, auch Buchſtaben mit beſtimmtem Sinn, z. B. in vielfacher Wiederholung das beliebte Wort amor. Wir wer - den auch dieſe Liebhaberei ſpäter geſteigert wieder antreffen.

Im Gebrauch der Schönheitsmittel ſtand dieſe Pe - riode nicht hinter der vorhergehenden zurück. Die oben mitge - theilte Erzählung des Ritters de la Tour-Landry giebt das Nähere darüber. Aus Peter Suchenwirt wiſſen wir, daß auch die jungen Herren es damals machten wie die Damen.

Um den ganzen Zuſtand des Modeweſens, wie er ſich in Deutſchland etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bis gegen das Jahr 1380 mit ſeiner bunten Mannigfaltigkeit, auch mit ſeinen Thorheiten herausgebildet hatte, in einem Ge - ſammtbilde zuſammenzufaſſen, theilen wir ein paar gleichzeitige Schilderungen mit. Die ältere derſelben hat das glückliche Wien und ſeine Umgegend vor Augen, wo ſchon ein Jahrhundert früher der Bauernſtand in ſeltſamer Geckenhaftigkeit einherſtolzirt war. Die Stelle lautet: Jeder kleidete ſich nach ſeinem Eigendünkel; einige trugen Röcke von zweierlei Tuch. Bei andern war der linke Arm weiter als der rechte, ja ſogar bei manchen weiter als der ganze Rock lang war. Andere hatten beide Aermel von ſolcher Weite, und wieder manche zierten den linken Aermel auf ver - ſchiedene Weiſe, theils mit Bändern von allerlei Farben, theils mit ſilbernen Röhrlein an ſeidenen Schnüren. Dann trugen einige auf der Bruſt einen Tuchfleck von verſchiedener Farbe, mit ſilbernen und ſeidenen Buchſtaben geziert. Wieder andere trugen verſchiedene Bildniſſe auf der linken Seite der Bruſt, und endlich wickelten ſich andere ganz mit ſeidenen Ringen um die Bruſt ein. 218II. Das Mittelalter.Wieder andere ließen ſich die Kleider ſo eng machen, daß ſie ſolche nicht anders als mit Hülfe anderer oder mittelſt Auflöſung einer Menge kleiner Knöpflein, womit die ganzen Aermel bis auf die Schultern, dann die Bruſt und der Bauch ganz beſetzt waren, an - und ausziehen konnten. Andere trugen Kleider, die um den Hals ſoweit ausgeſchnitten waren, daß man ihnen einen ziem - lichen Theil von der Bruſt und dem Rücken ſehen konnte. Einige faßten den Saum der Kleider mit andersfarbigem Tuch ein; an - dere machten ſtatt der Einfaſſung viele Einſchnitte in die Enden der Kleider (Zatteln). Man fing durchgehends an, Kaputzen an den Kleidern zu tragen, und deßwegen hörte damals die vorhin gewöhnliche Haubentracht der Männer auf, woraus man unter den Weltlichen die Juden und die Chriſten unterſcheiden konnte. Manche trugen weniges Haar, andre theilten daſſelbe wie die Juden oder flochten es wie die Ungarn oder Cumanen. Die Mäntel wurden ſo kurz gemacht, daß ſie kaum auf die Hüften reichten. Man verkürzte an den Oberröcken die Aermel um ſo viel, daß ſie nur bis an die Ellbogen reichten, von da aber ließen ſie einen Lappen wie ein Fähnlein herunterhängen.

Die andere Stelle, deren wir ſchon oben gedachten, iſt die Schilderung der böhmiſchen Trachten im Jahre 1367. Zu der Zeit haben die Böhmen anderer fremder Nationen ſchändlichen Gebrauch in der Kleidung und Gemüthe an ſich genommen und ſind von dem Wege ihrer Vorfahren gar weit geſchritten. Denn nachdem ſie zuvorhin feine, ehrliche, lange Kleidung bis unter die Kniee oder von den Knieen bis halb an die Erden zu tragen gepflogen, ließen ſie ſich dazumal gar kurze und abſcheuliche Röck - lein machen, darinnen ſich keiner mit Ehren bücken mögen, und alſo enge, daß man darinnen kaum den Athem haben konnte. Etliche trugen dieſelbigen Leibröcklein mit Senkeln zuſammenge - knüpft und vorne mit ſehr vielen Knöpfen zuſammengeknäffelt. Desgleichen ſind die Aermel ſehr eng und alſo voller Knöpfe ge - weſen, daß an der ganzen Länge eines Aermels ein Knopf an dem andern befeſtigt war. Etzliche aber und beſonders diejenigen, ſo etwas Vornehmes ſein wollen, hatten an einem Kleid in die fünf,2192. Die Zeit des Luxus und der Entartung.auch wohl ſechs Schock Knöpf und dermaßen eingepreßt, daß ſie ſich nicht bücken oder die Erden mit der Hand berühren mögen. Die Rittermäßigen ließen ſich auf gemeldte Röcklein über die Lenden von Tuch anderer Farben Sträme, gleich als Rittergürtel aufziehen. Etzliche trugen auch auf der Bruſt mit Baumwollen gefütterte und ausgefüllte Bruſtlätze, auf daß es ein Anſehen ha - ben müßte, gleich als wenn der Mann ſo wohl gebrüſt wäre als eine Weibsperſon, und pflegten alſo dieſelbigen falſchen Brüſte, Bäuche gar ſehr einzuſchnüren. Kurz vor dieſem pflegte man eine ehrliche Kappe oder Gugel von ſechs oder ſieben Ellen Tuchs zu tragen, aber dazumal trugen die Böhmen feine geſchmeidige Käpplein oder Guglichen, alſo daß aus einer Ellen Tuch mehre werden konnten. Um den Hals herum trugen die Reichen einen ſilbernen Text und die Armen einen zinnernen, und hatten alſo beſchlagene Krägen nicht anders als die engliſchen oder Schaaf - hunde, damit ihnen die Wölfe nicht Schaden thun ſollten. Ein Theil trugen dieſelbigen Hauptkäpplein ganz zugeknäffelt von der Unterkehle an über die Naſe bis an das Geſicht ganz zugemacht oder mit ſilbernen Spangen zuſammengeheftelt, gingen alſo herum, machten das Antlitz nicht eher auf, bis ſie eſſen und trin - ken ſollten. Darnach pflegten ſie auch dieſelbigen Käpplein zu tragen, oben auf dem Kopf über ſich mit Trollern. Die Schuhe, ſo ſie antrugen, waren von rothem Leder, mit langen Spitzen gleich den Storchsſchnäbeln gemacht, daß man nicht geraum da - rinnen gehen können. Alſo iſt dazumal das Böhmerland mit der fremden und ſchändlichen Tracht häßlich verderbt worden, und hatte eine unerhörte Hoffart überhand genommen.

Daß dieſe Thorheiten der Mode, welche um das Jahr 1380 noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hatten, auch in mehr - facher Weiſe Oppoſition gefunden, haben wir bereits oben darge - legt. Es beſtand aber dieſelbe nicht bloß in der väterlichen, ſitten - meiſternden Fürſorge der Stadtobrigkeiten oder in den gelegent - lichen Strafpredigten der Geiſtlichkeit, wie in den Ergüſſen didac - tiſch-ſatiriſcher Dichter, ſondern ſie iſt ebenſowohl an den Trachten ſelbſt und vorzugsweiſe auch bei den höheren Ständen erkenn -220II. Das Mittelalter.bar. Nicht ehrwürdige Matronen ſind es, die wir vor Augen haben, ſolche, welche, der Welt - und Jugendluſt entſagend, ſich nonnenhaft in weite, faltig gegürtete Kleider hüllen, und den Kopf mit Haube und Kinntuch bis auf das Geſicht dem Anblick entziehen und keinerlei Form des Körpers erkennen laſſen; nicht Greiſe, die mit dem Leben abgeſchloſſen haben und vor dem frie - renden Alter ſich mit warmen, langen Gewändern decken: ſon - dern Damen, Fürſtinnen und Edelfrauen, die noch in der Blüthe der Schönheit und der Fülle des Lebens ſtehen und dem Schmuck, dem Reichthum und einem reizend anmuthigen Aeußern nicht ent - ſagen wollen, aber allen Thorheiten und Extravaganzen wider - ſtreben. Sie folgen der Mode in ihren Hauptrichtungen; wenn ſie ſich decolletiren, ſo wahren ſie die Gränzen des Anſtandes; wenn ſie die Kleider ſich den Formen des Körpers anſchmiegen laſſen, ſo preſſen ſie denſelben nicht ein und verderben nicht mit der Freiheit die Anmuth zugleich; ſie heben und zeigen nur die Schönheit des Wuchſes. Wir haben viele Bilder dieſer Art vor Augen, mehr noch engliſche und franzöſiſche als deutſche, denn in Deutſchland war es von jeher ſo, daß man gern die aus der Fremde gekommenen Moden ins Uebermaß verkehrte. Aber auch hier ſind ſie häufig zu finden. *)S. Kunſt und Leben, Heft 11. Bl. 3. Katharina von Oeſterreich. Auf dem Haar, das nach alter Weiſe in aufgelöſeten Locken über den unverhüllten Nacken herab - wallt, ſitzt eine keineswegs ſteife Krauſe mit dem Schleier, der nach hinten herabfällt; auf beiden ruht die Krone. Das Kleid, mit mäßigem Ausſchnitt rund umher Nacken, Schultern und einen Theil der Bruſt entblößend, ſchmiegt ſich dem Oberkörper an, aber unterwärts fällt es in reichen Falten herab. Ein breiter Streifen, meiſt goldgewirkter Stoff oder Hermelin, zieht ſich vorn von der Bruſt herab, und quer darüber legt ſich um die Hüften der reiche Gürtel von geſchlagenem, gegliedertem Metall. Ein weiter Mantel, deſſen beide Haften auf der Bruſt durch eine breite Borte verbunden ſind, hängt loſe um die Schultern und fällt auf den Boden herab; ein koſtbarer Hermelinſtreif, der unten2212. Die Zeit des Luxus und der Entartung.fußbreit iſt, bildet die Säume. Denken wir uns auch mit Her - melin oder anderem edelen Rauchwerk, Zobel oder Veh oder Kleinſpalt, den goldbrokatnen Stoff unterfüttert, den Hals von Perlſchnüren umwunden, und andere ſich durch das Haar ſchlin - gen dann haben wir in einer ſolchen Dame ein Muſterbild, das an Reichthum und nobler Eleganz eine würdige Vertreterin des höchſten Standes iſt, und eine Tracht, die an wahrer Schön - heit nicht leicht zu übertreffen iſt.

Noch reicher und doch ohne eine Spur von Ueberladung wußten damals die engliſchen und franzöſiſchen Damen dieſen Anzug zu machen, indem ſie über dem Kleid noch ein koſtbares Leibchen trugen, welches, halb hängend, halb anſchmiegend, ge - eignet war die Schönheit des Wuchſes zu heben, indem es in gleicher Weiſe zeigte und errathen ließ. Dieſes Leibchen, das nicht höher zum Halſe hinaufging als das Kleid und eben über die Hüften ſich herabſenkte, war gewöhnlich ohne Aermel und meiſt an den Seiten unter den Achſeln tief ausgeſchnitten. Häufig beſtand es ganz aus Hermelin, oder aus Gold - und Silberſtoff, an allen ſchön geſchweiften Säumen von Hermelin umzogen. Oft ſcheint es nur das Gerippe eines Kleidungsſtückes zu ſein, indem dieſe Pelzſtreifen allein daſſelbe bilden, welche, auf der Bruſt mit einander befeſtigt, von den Schultern herab um die Hüften und wieder aufwärts zum Rücken laufen. In Deutſchland erſcheint dieſes Leibchen ohne Vergleich ſeltner, und kaum je im Bürger - ſtande.

Aber angeſehene Geſchlechterinnen der deutſchen Städte hul - digen ähnlichem Geſchmack, und vermeiden die Uebertreibungen, ohne der Mode zu entſagen. So die Gudela von Holzhauſen, eine vornehme Frankfurterin*)S. Kunſt und Leben, Heft 2. Bl. 1., die auf ihrem Grabſtein gleich einfach und natürlich mit Mantel und Rock bekleidet iſt, von de - nen ſich der letztere ohne ſteifmachende Einengung dem Oberkör - per anlegt. Ihr Gemahl repräſentirt den vornehmen Städter in gleichem Sinne. Er trägt den anliegenden Rock, der von oben222II. Das Mittelalter.bis unten geſpalten und mit kleinen Knöpfen geſchloſſen iſt. Ebenſo die Unterarme. Aber der Rock reicht bis zum Knie und die Enge erſcheint nicht übertrieben. Der lange Mantel iſt auf der rechten Schulter geknöpft und hängt bis auf die Füße herab; eine Gugel liegt locker um die Schultern. Von ähnlichem Geiſte getragen erſcheinen zwei Mitglieder des Lübecker Patriziats, der Rathmann Johannes Klingenberg (geſtorben 1356) und der Bürgermeiſter Bruno von Warendorp (geſtorben 1369), deren Bilder, in koſtbare Bronceplatten lebensgroß eingegraben, ſich in der Petri - und Marienkirche zu Lübeck befinden. Ihnen reichen die Röcke faſt bis auf die Füße herab. Von unten her ſind ſie in der Länge des Beines vorn aufgeſchnitten und nicht ohne Schmuck; am Oberkörper liegen ſie in ziemlicher Enge an, beim Bruno von Warendorp ſelbſt mit Knopfbeſatz bis zum hängenden Gürtel herab. Die Gugel, die der ältere Klingenberg trägt, hat ſich bei dem andern in einen kleinen Schulterkragen mit kurzen Zacken, den Goller, verwandelt. Die Schuhe, oben mit einem Ausſchnitt und mit einem an der Seite feſtgeſchnallten Riemen, bedecken den Fuß in natürlicher Form ohne Spitze.

b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen, Schnabelſchuhe und Farbenallegorie.

Während die in Letzterem geſchilderte reiche, noble und doch einfache Kleidung noch länger unter den höchſten Schichten der Geſellſchaft, an Fürſtenhöfen mehr noch als beim ſtädtiſchen Pa - triziat, Freunde und insbeſondere Freundinnen findet, ſelbſt ſo lange, bis ſie mit den Trachten der Reformationszeit zuſammen - fließt, währenddeß wächſt die Luſt am Barocken, am Narren - haften ſelbſt, auf Koſten der Schönheit, der Bequemlichkeit und des geſunden Menſchenverſtandes noch ununterbrochen. Solche Zuſtände, wie ſie oben von Wien und Böhmen geſchildert wor - den ſind, ſtehen noch lange nicht auf der Höhe des Zeitgeſchmacks. Ehe wir aber zu den feinſten und charakteriſtiſchſten Blüthen deſ - ſelben, Schellen und Schnabelſchuhen, übergehen, wollen wir die2232. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Veränderungen ſelbſt darlegen, welche an den Trachten in derſel - ben Zeit vor ſich gingen, als jene Moden culminirten, gegen das Jahr 1400 und in den nächſtfolgenden Jahrzehnten.

Von vorn herein müſſen wir darauf Verzicht leiſten, dieſe bunte Welt in ihrem ganzen Reichthum erſchöpfend darſtellen zu wollen. Wie in allen Dingen der Einzelne dem Althergebrachten und Allgemeingültigen entgegentrat und ſich vom Geſetz loszu - ringen ſuchte, ſo ſchien auch auf dieſem Gebiet, der unerbittlichen Mode zum Trotz, die individuelle Laune allein die Herrſchaft zu führen. Dem erfinderiſchen Kopf des einzelnen Modenarren es iſt das eben der Charakter dieſer Zeit blieb alles überlaſſen. Und ſo ſchoß eine ſo außerordentliche Menge verſchiedenartiger Formen hervor als vor niemals iſt gehört worden , ſagt die Chronik , daß allein noch die nächſtfolgende Zeit, die zweite Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts, ſiegreich damit zu wetteifern vermag. Der Verſuch würde vergeblich ſein, ein Bild derſel - ben in Worten zu geben, da ſie eben wegen ihrer Abſonderlich - keit, man kann oft ſagen wegen ihrer Formloſigkeit, ſich aller Beſchreibung entziehen. Indeſſen wie willkürlich auch immer er - ſonnen, wie widerſpruchsvoll dem Anſcheine nach, ſind und blei - ben ſie doch Kinder ihrer Zeit, aus demſelben Geiſte geboren und folgen ſeinen Geſetzen. Dieſe bilden den Ariadnefaden, an wel - chem wir uns in dieſem Labyrinth des funfzehnten Jahrhunderts zurecht finden wollen.

In der Männerwelt blieb bei der gewöhnlichen Kleidung die Enge und Kürze das allgemeine Beſtreben wie bisher in mög - lichſt geſteigertem Maße. Denn der vorn zugeknöpfte Schecken - rock, der nach wie vor die gewöhnliche Tracht des Mannes blieb und ohne Oberkleid getragen wurde, wenn nicht die Kälte oder beſondere Veranlaſſung dazu nöthigte, erreichte in den beiden letzten Jahrzehnten des vierzehnten Jahrhunderts nicht mehr die Oberſchenkel. Da ſich nun das lange Beinkleid aufs allerengſte anlegte und jedes Glied zwar verdeckte, aber in ſeiner Form aufs genauſte markirte, ſo lag einer ehrbaren Obrigkeit damaliger Zeit eine Verordnung nicht fern, wie ſie im Jahr 1390 zu Conſtanz224II. Das Mittelalter.erlaſſen wurde, daß wer in einem bloßen Wamms zum Tanz oder auf der Straße gehe, der ſolle es erbarlich machen und ſeine Scham hinten und vorne decken, daß man die nicht ſehe. Nur an den Aermeln erlitt die Schecke alsbald eine Veränderung, in - dem ſich dieſelben von den Schultern ab erweiterten, und offen und weit um die Arme flatterten. Unter ihnen aber erſcheinen andere völlig enge Aermel, welche am Handgelenk ſchließen und mit einem oft gezackten Vorſtoß die Hände bis zu den Fingern bedecken. Dieſer Vorſtoß konnte manſchettenartig zurückgeklappt werden. Es iſt möglich, daß die offenen Oberärmel nur ein über - flüſſiger Behang des Rockes waren, aber es erſcheinen auch die untern einer weſtenartigen Jacke, dem Wamms, zugehörig, an welches das Beinkleid auf den Hüften mit Neſteln und Bändern befeſtigt war eine Tracht, wie ſie an Werkleuten bei der Ar - beit, bald aber auch bei vornehmen Leuten zum öftern ſichtbar wird.

Die weiten, offenen Aermel, zunächſt noch der Schecke, dann dem Trappert angehörig, machen in den nächſten Jahr - zehnten, gleichmäßig an Männern wie an Frauen, eine ganze Reihe von Lebensſchickſalen durch. Zuerſt erweitert ſich die Oeff - nung in dem Maße, daß die Ränder auf den Boden fallen. Mit dieſer Maſſe von Stoff, nicht ſelten noch ſchwer mit Pelz gefüt - tert, die vom Arm herunterhing, war jede Bewegung deſſelben ſo gehindert, daß ein Auskunftsmittel nöthig war. Man fand es, indem man den Aermel vorn der Länge nach aufſchnitt, ſodaß die Maſſe nunmehr von der Schulter herabfiel. So war es aber eigentlich nur ein breiteres oder ſchmäleres Stück, auf der einen Seite Sammet, Seide oder Wolle, auf der andern Hermelin oder ſonſtiges Rauchwerk, welches von der Schulter herab nach hinten auf den Boden fiel und nachſchleppen konnte, ſoweit es nicht vom Geſetz beſchränkt war. Beider Formen, der offenen Aermel wie der hängenden, bemächtigte ſich die Zattelluſt, indem die Ränder mit tieferen oder kürzeren Einſchnitten verſehen oder mit blatt - oder federartig umzackten Bändern beſetzt wurden. Von ſolchen Bändern wurde oft eine Reihe über die andere geſetzt. 2252. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Sie waren von Seide, gewöhnlich von anderer Farbe als das Kleid, zuweilen mit Pelz gefüttert und mit kleinem Schmelzwerk, mit Perlen und anderm Zierrath benäht. So ſehr wurden die Zatteln ein Liebling der Mode, daß ſie ſelbſt der Ritter in der Rüſtung nicht entbehren mochte; nicht ſelten ſehen wir ſie hell - farbig zu allen Fugen herausdringen und bis auf den Boden hin den Eiſenmann umwallen.

Seit dem Jahr 1420 etwa bildete ſich noch eine andere Art von Hängeärmeln aus, die man Sackärmel nennen könnte. In der That ſind es vollkommene Säcke, welche von den Schultern bis gegen den Boden herabreichen. Die Arme ruhten verborgen in ihnen; nur oben hatten ſie ein kleines farbig oder mit Pelz - werk gefaßtes Loch, aus welchem bloß die Hände, höchſtens auch die Unterarme ſich ſehen ließen. Bei heftigen Bewegungen, wie z. B. bei dem unter Männern und Frauen beliebten Ballſpiel, wurden die hängenden Säcke oben am Körper befeſtigt. Alle drei Formen der Hängeärmel, obwohl nach einander entſtanden, wurden noch neben einander getragen.

Die Sackärmel trug der Mann nicht mehr am Scheckenrock, denn dieſer war zu derſelben Zeit, in der erſten Hälfte des funf - zehnten Jahrhunderts, unter den mannigfachen Formen des Trap - perts eine kurze Zeit verſchwunden, um in neuen Geſtalten wieder aufzuleben. Gegen das Jahr 1400 hatten ſich die langen und weiten Oberkleider wieder mehr Geltung verſchafft, und wie man einerſeits ſich möglichſt kurz, knapp und geſpannt kleidete, prunkte man andrerſeits wieder mit einer Ueberfülle von Stoff. Wenn wir aber vom Gebrauch des Trapperts in ſeiner Bedeutung als Paletot abſehen, ſo galt die Mode mehr an Fürſtenhöfen und im Hofceremoniell, denn im gewöhnlichen Leben. Wenigſtens war es in Deutſchland ſo. Dagegen ſcheint die lange Kleidung in England namentlich unter der Regierung des weiblich ſchwachen und eitlen Richard II. allgemein geweſen zu ſein. Der ganze Körper mitſammt Armen und Händen iſt von einer Maſſe bun - ten Stoffes in abenteuerlichem Schnitt weit umhüllt; ringsum zackig eingeſchnitten, fällt er nachſchleppend auf den Boden. AmFalke, Trachten - und Modenwelt. I. 15226II. Das Mittelalter.Halſe ſtößt ein hochaufgerichteter ſteifer Kragen unter das Kinn und geht im Nacken hoch hinauf, in Folge deſſen das Haar rings - um über den Ohren kurz abgeſchnitten iſt. So trägt ſich Ri - chard II., ſo auch noch Heinrich V., der Sieger von Azincourt und der Freund Falſtaffs. Ein ähnliches Obergewand finden wir in Deutſchland, aber eigentlich nur als ceremonielle Fürſten - tracht. Es iſt ein weiter Oberrock oder Trappert, über den Hüf - ten faltig gegürtet, meiſtens mit weiten, offenen Aermeln und bis zu den Füßen herabreichend; an den Rändern iſt er gezattelt oder ſchlicht, mit Rauchwerk verbrämt oder buntgefaßt. Auf Bil - dern dieſer Zeit unterſcheidet er den Herrſcher von ſeinen Rittern. Dieſe tragen über der Jacke oder dem Scheckenrock gewöhnlich einen kürzeren Trappert bis zu den Knieen, von ziemlicher Weite und ebenfalls über der Hüfte gegürtet. Ungezattelt und pelzver - brämt ſehen wir ihn nicht ſelten auf Bildern der kölner Schule. Auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg (1430) hat er einen kleinen, den Hals bedeckenden Stehkragen, mit weiten, an den Händen geſchloſſenen Aermeln, über den Hüften zuſammen - geſchnürt und unten mit langen, gefiederten Zatteln. Oft gleicht er nur einem langen, pelzgefaßten Stück Tuch mit einem Haupt - loch in der Mitte, ſodaß die Seiten vorn und hinten herabfallen: es iſt der Urſprung des ſpätern Heroldshemdes ein Beiſpiel, wie überhaupt Amtstrachten entſtanden ſind, gleich den Volks - trachten ſtehen gebliebene Ueberreſte einer früheren allgemeinen Mode. Beim ehrbaren Handwerksmann iſt der Trappert um das Jahr 1430 eine weite, am Halſe eng anſchließende Glocke, an den weiten Aermellöchern und am untern Rande mit Fuchspelz verbrämt.

Eine bedeutende Veränderung ging mit der Kopftracht vor ſich, indem ſich die Gugel gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts aus der nobeln Welt zurückzog und in ſehr man - nigfacher Weiſe erſetzt wurde. Der Mangel aller und jeder Ele - ganz, der ihr anklebte, gleichſam als Erbtheil ihres gemeinen Ur - ſprungs, trotz bunten Schwänzen, Perlſchnüren und Goldborten, ſtürzte ſie ſchon nach wenigen Jahrzehnten ihrer Herrſchaft. Aber2272. Die Zeit des Luxus und der Entartung.um der großen Bequemlichkeit willen und wegen ihrer unläugba - ren praktiſchen Vorzüge blieb ſie noch längere Zeit beim Bürger, namentlich aber dem Bauer und dem Jägersmann eine beliebte Tracht: Falkeniere tragen ſie im funfzehnten Jahrhundert, die mit dem Falken auf der Fauſt ihre Herren oder die Damen zur Reiherbeize begleiten, der Bauer hinterm Pflug und der Handels - mann auf der Reiſe, doch alle als praktiſche Leute ohne den lan - gen Luxusſchwanz. Der Städter, auch wohl der Bauer veränderte noch ein wenig ihre Geſtalt, indem er ſie oben abſtumpfte und noch den Filzhut darauf ſetzte. Der vornehme Mann be - hielt mit Hinweglaſſung der Kaputze noch eine Zeit lang den Kragen um die Schultern, den er auch wohl mit dem Rock ver - band. Auch hatten die Männer Wämmſer von Parchent, heißt es in einer Beſchreibung der Kreuzburger Trachten dieſer Zeit, mitten waren dopple Krägen von Tuch, mit Teig zuſammenge - kleiſtert. Aber die Mode war nicht von langer Dauer. Die Schecken oder Lendner wurden immer ſo getragen, daß der Hals frei war, und nur der Trappert reichte zu Zeiten unter das Kinn.

Die Gugel bedurfte aber eines Erſatzes. Er wurde durch Mützen und Hüte gegeben, die beide gleiche Anſprüche auf Eleganz machten. Die Mützen hatten einen mehr oder weniger ſteifen Rand, aus welchem oben eine Maſſe überflüſſigen Stoffes nach vorn, nach hinten oder ſeitwärts loſe oder ſackförmig herab - fiel. Es war ein tauſendfach geſtaltiges Ding, dieſe Mütze; ein Griff der Hand, der den Stoff herein oder herauszog, nur eine geringe Veränderung im Aufſetzen konnte der Mütze und dem Geſicht zugleich einen ganz anderen Ausdruck geben. Dann kam noch die Zattelluſt hinzu, und dieſe Zacken oder blätterartigen und gefiederten Bänder umflatterten kindlich-fröhlich den Kopf. Dieſe Mode hielt in Deutſchland lange an, ſelbſt bis zum Aus - gang dieſer Periode, da ſich die Mütze in das Barett verwan - delte.

Auch die Filzhüte ſtiegen herauf aus den niederen Sphä - ren der Geſellſchaft, aus der Praxis des Lebens, um ſpäter vor der Alleinherrſchaft der Barette wieder dahin zurückzutauchen und15*228II. Das Mittelalter.ſo noch öfter dieſen Weg auf und ab zu machen. In der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts aber und am burgundiſchen Hofe hatten ſie entſchieden den Vorrang. Damals verleugneten ſie ihren Urſprung noch nicht. Der Filzhut erſcheint um das Jahr 1400 in der höhern Geſellſchaft ganz in derſelben Grundform, wie ſie ihm zu allen Zeiten und noch heute geblieben iſt: ein mäßig hoher gerundeter Deckel mit etwa handbreitem Rande, oder etwas mehr, in ſeiner allbekannten grauen Farbe. Die Form blieb dieſelbe, wenn der Filz durch Marder oder Wolfspelz erſetzt wurde. So lange dieſer Hut noch neue Mode war, konnte er in ſolcher Geſtalt dem geckenhaften Geſchlecht zuſagen, wie vor - dem die Gugel, aber die Einförmigkeit mußte bald langweilig werden, da die Erfindungsgabe wenig mit ihm anfangen konnte. Was half es viel, daß man den Rand mehr hinaufbog, ihn ein wenig breiter oder ſchmäler machte, ihn halbirte und die eine Hälfte hinauf, die andere herunterkrämpte? was half es, daß man den Hut färbte und ſogar bunt in getheilter Weiſe, die eine Hälfte blau, die andere gelb, oder den Rand grün, den Deckel roth? was half es, daß man ihn mit Federn beſetzte, mit Gold - ſchmuck, ſelbſt mit Kronen den Rand umzog? er blieb eben der alte Filzhut, geſchmeidig und nachgiebig auch dem eckigſten Kopf, aber allen Launen der Mode, allen willkürlichen Erfindun - gen paſſiven Widerſtand entgegenſetzend. Da gab man es auf, ihn viel zu beſſern, und was an ihm ſelbſt verlorne Mühe ſchien, Befriedigung der phantaſtiſchen Eitelkeit, gelang um ſo beſſer an der Zierde, mit der man ihn verſah, an der Sendelbinde.

Dieſe Binde hat ihren Namen von dem leichten, ſeidenen Stoff, Sendel oder Zendal, aus welchem ſie meiſtens gemacht wurde. Es war ein ſchmaler Streif, gewöhnlich von leuchtend heller Farbe, hochroth, gelb oder hellgrün. Mit dem einen Ende am Rande des Hutes befeſtigt, war ſie ſo lang, daß ſie mit dem andern wenigſtens den Boden erreichen konnte. Aber man trug ſie nicht in dieſer Weiſe. Man wand ſie erſt einmal um den Hut, ließ ſie dann auf die Schulter fallen und legte ſie vorn über die Bruſt und die andere Schulter, von wo ſie hinten herab fiel2292. Die Zeit des Luxus und der Entartung.bis gegen die Beugung des Knies. In dieſer Manier trug man ſie vorzugsweiſe um das Jahr 1430, aber grade ſo tragen ſie ehrbare Krämer und Handwerksleute von Hamburg, die in jener luxuriöſen Zeit eines beſcheidenen Schmuckes nicht entbehren wollten, noch gegen das Jahr 1500. Andere wanden ſie mehr - mals um Hals und Kopf, oder legten ſie an die Mütze, oder drehten ſelbſt eine daraus. Später umwickelte man auch die be - liebte Turbanmütze damit. Aber an dieſen und ſo vielen andern Weiſen hatte ſich die Erfindungsgabe und Modelaune noch nicht erſchöpft. Man begnügte ſich nicht mit einer Sendelbinde, man verband mehrere bis zu einem Dutzend, man zattelte ſie und hing an die Enden allerlei curioſe Dinge, als da ſind: ausgeſchnittene Sterne, Blumen, Blätter, Kreuze u. ſ. w.

Wenn die jungen Ritter und die Elegants der Stadt ſich in Geſellſchaft der Damen befanden, ſei es zu Hauſe oder ſom - merlich im Freien bei heitern, geſelligen Spielen, oder auch im eigenen Hauſe, ſo hatten ſie noch einen beſondern Schmuck für das Haar. Wir wiſſen ſchon, daß ſie Pomade und Brenneiſen nicht ſchonten, um das lange Haar im zierlichſten Lockengebäude zu friſiren. Oft war der Kopf mit lauter kleinen, aufgerollten Locken umlegt, oft ſenkten ſich vom Scheitel her die ſchön gewickel - ten Spiralrollen, eine an der andern ſenkrecht bis gegen die Schulter; zuweilen ſtrebten dieſe Herren auch wie Roués nach ſcheinbarer Nachläſſigkeit, ja Wildheit, indem ſie die Haare kraus durch einander weit vom Kopfe abſtehen ließen. Um die Locken - friſur zuſammenzuhalten und das Geſicht vor ihnen zu ſchützen, behielt man den alten Gebrauch der Reife und Ringe bei, aber veränderte ſie vielfach in Form und Anwendung, indem man z. B. ſtatt des Metalls farbige, ſeidene Bänder oder bunte ge - wundene Schnüre herumlegte. Suchenwirt erzählt von einem jungen Ritter, der das Glück hatte, eine reiche Wittwe zu hei - rathen: ſie giebt ihm Silbergürtel, reich Gewand und in den Zopf ein ſeiden Band. Der Zopf bedeutet hier nichts weiter als das lange Lockenhaar. Dieſe Bänder und Reife hatten gewöhn - lich über der Stirn eine ſilberne oder goldene Agraffe, in welcher230II. Das Mittelalter.eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbuſch oder die Schwanzfeder des Pfaus, das ſogenannte Auge, ſteckte. Man nannte ſie daher Federkränze.

Das Geſicht glatt zu tragen blieb die vorherrſchende Mode des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab ſelbſt Fälle, wo der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbiſch-Hall: wer verwundet werde und ſich dem andern ergebe, der ſolle hinfort geachtet ſein erblos, auf keinem Pferd mehr ſitzen, ſeinen Bart nicht ſcheren, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen Ehren untauglich ſein. In Frankreich herrſchten ähnliche Be - griffe. Da gelobte einſt ein Ritter, der von dem mächtigen Gra - fen von der Mark ſchwer beleidigt war, in der Meinung, daß er nun ehrlos ſei, bei allen Heiligen, daß er ſich nicht nach Ritter - mode wollte ſcheren laſſen, bis er würde gerächt ſein. Er hielt ſein Gelübde, bis daß er einſt ſeinen Feind gedemüthigt mit Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen und um Gnade flehen ſah. Da ließ er ſich ſogleich den Bart ab - nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark und aller derer, welche grade zugegen waren. Ausnahmen je - doch machten auch jetzt wie früher, ſeitdem der oben erwähnte Schnurrbart wieder verſchwand, die Würde und das Alter. In dieſen Regionen iſt der Vollbart, kurz gehalten und faſt immer mit glattraſirter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kaiſer Sig - mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart, nach Weiſe ſeiner ſlaviſchen Unterthanen. Die franzöſiſchen und engliſchen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. zeigen immer ein gänzlich glattes Geſicht. Auch die burgundiſchen Her - zoge folgen dieſer Mode und Kaiſer Friedrich III. und Maximi - lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter der Erde nicht ſelten mit Kinn - und Backenbart.

Die Frauenkleidung ging in dieſen Jahrzehnten, was Pracht, Ueppigkeit und widerſinnige, entſtellende Formen betrifft, ſowie in vielen Einzelheiten, denſelben Weg wie die der Männer. Wir haben ſchon oben geſehen, wie ſich die langen Aermel bei2312. Die Zeit des Luxus und der Entartung.Männern und Frauen ganz gleich entwickelt hatten. Die offenen, weiten Aermel und die engen darunter mit dem Handvorſtoß, die langen aufgeſchnittenen Schleppärmel, die Sackärmel, ſie wa - ren beiden gemeinſam, doch ſtanden ſie den Frauen naturgemä - ßer, weil langſame, abgemeſſene Bewegungen, wie ſie dadurch geboten waren, von ſelbſt und durch Sitte ihrem Geſchlecht mehr zuſtehen als der raſch geſchäftigen Männerwelt.

Aehnlich war es mit der Kopftracht. Auch die Frauen gaben die ihnen vor allen unkleidſame Gugel auf und trugen ſtatt derſelben die verhüllende Haube, den Kruſeler oder die Hulle mit dem Schulterkragen, die ſchon oben beſchrieben iſt. Nur das Geſicht blieb frei. Aber dieſe höchſt ehrbare, wenn auch unſchöne Tracht war keineswegs die allgemeine auch nur aller verheirathe - ten Frauen. Die Jungfrauen waren von ſelber ausgenommen, und von fürſtlichen Damen, die der Verhüllung widerſtrebten, trugen ſie nur ältere in vereinzelten Fällen. Auch den Ehefrauen geſtattete die willkürliche und vielgeſtaltige Mode jener Zeit noch manche Formen, bei denen ſie mit ſchönem Haar, mit weißem Hals und Schultern glänzen konnten. Den Schleier und die Krone darauf, das Haar in Flechten zur Seite aufgebunden und in ein goldenes Netzwerk gefaßt, oder in freien Locken herabgelaſ - ſen, ſo finden wir die Kopftracht der Fürſtinnen um das Jahr 1400. Bei jüngeren Damen fürſtlichen Standes fällt das Haar noch öfter aufgelöſet herab, umſchlungen von einem Stirnband, ſei es Seide, ein Goldreif oder eine Perlenſchnur. Aber ſeit dem Beginn des funfzehnten Jahrhunderts verſchwindet dieſe ſchöne Tracht auch aus dem kleinen Kreiſe, in welchem ſie ſich noch ge - halten hatte: die Locken weichen den aufgebundenen Flechten, ſo - daß auch der Nacken frei wird. Reicher Schmuck war damit ver - bunden, nach Maßgabe des Vermögens und Standes und ſoweit das Geſetz es erlaubte oder nicht zu hindern vermochte. Die Kränze, einfache und mit Roſetten und Steinen geſchmückte Gold - reife, Perlſchnüre, Bänder mit Federn und Blumen waren der Damen urſprüngliches Eigenthum, und nur eine weibiſche Putz - ſucht hatte ſie damals auch zur Tracht der Männer gemacht. Den232II. Das Mittelalter.größten Luxus hierin trieben wohl die Damen Piacenzas. Sie gingen gern in bloßem Kopfe und bedeckten ihr Haar mit gewun - denen Gold - und Silberblättchen, mit Perlen und Edelſteinen im Werth von 70 bis 100 Ducaten, und durchſchlangen es mit Perlſchnüren im Werth von 100 bis 125 Ducaten. Wie neidiſch mögen die ſchönen und doch ſo reichen Ulmerinnen geweſen ſein, die nur mit einer einzigen und nicht koſtbaren Perlſchnur das Haar ſchmücken durften!

Mehr und mehr wurde es ſeit dem Beginn des funfzehnten Jahrhunderts Sitte, das in ſtarken Flechten um die Ohren ge - legte Haar mit rothen oder goldenen Säckchen haubenartig zu be - decken und dieſelben netzförmig mit Perlen und Steinen zu be - ſetzen. Mit koſtbarer Nadel war dann ein feiner, auch goldgeſtick - ter Schleier vorn über der Stirn befeſtigt. Er war ſo lang, daß er auf den Boden herabfallen konnte, doch die Damen drappirten ihn um ſich gleich der Sendelbinde. So iſt der Kopfputz der ſchönen Fee auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg und auch der, den des Königs Nichte trägt, da ſie nach dem Tode ihres jungen Gemahls zum Kloſter reitet, während beim feſtlichen Turnier und beim Hochzeitsmahl eine goldene Krone über ihrem Schleier ruht. An ſeinem Sterbebett aber hat ſie den Kopf mit einem langen weißen Tuch ſchleierartig verhüllt. Es iſt die alte Riſe , welche bei ehrbaren Frauen fort und fort das ganze funf - zehnte Jahrhundert hindurch in mancherlei Geſtalt eine Rolle ſpielt. Oft mag es ſo fein geweſen ſein, daß es einem Schleier gleichkam. In der Drappirung dieſes weißen, bisweilen goldge - ſäumten und feingezackten Tuches, wie es um das Haupt gelegt wurde, verhüllend und andeutend, wie es von der Schulter ſanft herabfloß, konnten die Damen wie die Künſtler, allen Ungeſtal - ten jener Zeit zum Trotz, wirklichen und hohen Schönheitsſinn offenbaren. Ich erinnere hier an den ſchönen Grabſtein der Agnes Bernauer (geſt. 1435), der dem Tode und dem Leben zugleich nachgebildet iſt*)Hefner II, 113.: das liebliche im Tode entſchlafene Geſicht iſt2332. Die Zeit des Luxus und der Entartung.von einem derartigen feinen Tuche mit geſticktem und gekrauſtem Rande umzogen, welches am geneigten Haupt herunter über die Bruſt und die linke Schulter gelegt iſt. Solche einfache Schön - heit vermochte den bizarren Geſchmack aber nur ſelten zu befrie - digen, und ſo ſtellten ſich auch an dieſem Kopftuch die Zatteln und Zacken in reichlichem Maße ein und umflatterten buntfarbig das Geſicht.

Die hohen franzöſiſchen Coiffüren fanden damals in Deutſch - land noch wenig Eingang. Auch die turbanartigen Hauben, die aus runden, um den Kopf gelegten und mit Seide oder dem Schleier umwundenen farbigen Wülſten beſtehen und vorn mit Agraffe und Feder verziert ſind, zeigen ſich nur vereinzelt in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Erſt ſeit der Mitte werden ſie häufiger und nehmen auch phantaſtiſche Formen an. Um dieſelbe Zeit bedeckt auch zuweilen der buntfarbige Männer - filzhut den Frauenkopf, auf das geflochtene Haar geſetzt und mit hoher Feder geſchmückt. Seine Form iſt coloſſal an Rand und Deckel, eine Mißgeſtalt für einen lieblichen Frauenkopf. Aber was iſt dem Geſchmack dieſer Zeit unmöglich!

Die bedeutungsvollſte Veränderung, welche die Frauenklei - dung am Ende des vierzehnten Jahrhunderts traf und der gan - zen Erſcheinung einen abweichenden Charakter aufdrückte, ge - ſchah dadurch, daß das, was wir Taille nennen, hoch unter den Buſen hinaufrückte. Früher war das Beſtreben geweſen, die Länge des Leibes bis über die Hüften herab gleichmäßig einzu - ſchnüren; man hatte die Schlankheit des Wuchſes, auf die man ſtolz war, in möglichſter Weiſe zu heben geſucht. Jetzt hat es Mode, Eitelkeit und Demoraliſation darauf abgeſehen, die Fülle des Buſens zu verſtärken und ſie den Augen erſchreckter Morali - ſten zum Trotz unverhüllt bloßzulegen. Der Ausſchnitt des Klei - des, der vorn die halben Brüſte umzieht, geht noch tief den Rücken hinunter. Statt des hängenden Gürtels, des Dupfings, der jetzt aufgegeben wird oder nur als Schellengürtel bleibt, tritt der gewöhnliche wieder in ſeine Rechte ein, rückt aber aufwärts dicht unter die Bruſt. An reichem Schmuck von Metall, Steinen234II. Das Mittelalter.und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun - dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe; nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun - ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.

Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch, im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche, als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind - betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das Jahr 1400: Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten, unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und hießen Kragenmäntel. Die Damen von Piacenza, deren Schmuck - liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge - ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten. Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.

Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein - ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel - tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und2352. Die Zeit des Luxus und der Entartung.zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe ihr genügt. Das mag alſo der gewöhnliche Beſitzſtand einer Dame von Stande geweſen ſein. Wenn der Teufel hinzufügt, ein langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider ſeien genug für eine einfache Dame, ſo mag das von ſeinem Standpunkt aus richtig ſein, eine einigermaßen vermögende Frau wird ſich aber ſchwerlich damit befriedigt haben.

Zur Menge der Kleider kam noch insbeſondere die Koſtbar - keit der Stoffe hinzu, denn ſeitdem die Seidenmanufactur von den Sarazenen nach Oberitalien, insbeſondere Lucca, und von da nach den Niederlanden gekommen war, wurde faſt zur Regel, was früher Ausnahme geweſen war. Seidene Kleider, ſeidene Mäntel u. ſ. w. konnten die Obrigkeiten ſelbſt den Bürgerinnen nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un - terſagt werden. Selbſt der Goldſtoff iſt in die Städte zu den Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und beſtimmt den Lohn für einen ganz goldenen Frauenrock. Der Goldſtoff hatte farbigen Grund und darin große Pflanzenmuſter hineingewirkt. Daneben blieben auch die geſtickten überaus koſtbaren Stoffe in Gebrauch. Als die franzöſiſche Prinzeſſin Iſabella, Tochter Karls VI., mit Richard II. von England vermählt wurde, befanden ſich unter ihrer Ausſteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten Sammet, beſtickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold - ſchmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma - ragden ſitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginſter in Perlen geſtickt und mit Grauwerk gefüttert. Die deutſchen Bürgerfrauen bemühten ſich, das nach Kräften nachzuahmen, doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft, mit denen ein ſo außerordentlicher Luxus getrieben wurde, ſo war für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent - ſtanden.

Von allen Sonderbarkeiten dieſer Zeit ſind die höchſten236II. Das Mittelalter.Spitzen die Schellentracht und die Schnabelſchuhe. Die einen wie die andern ſind zwar für dieſe Periode ihrem Urſprung nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber ſie ſind es doch ſowohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge - meinheit, ſowie in Anbetracht der Art und Weiſe, in welcher ſie getragen wurden.

Wir haben der Schellentracht bereits in der vorigen Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Beiſpiele mitgetheilt, wo ſie wirklich an der ritterlichen Tracht erſcheinen, aber nur als eine außergewöhnliche und ſtutzerhafte Mode. Bei der Geiſtlichkeit hatte ſie ſich jedoch als zur Tracht ihres Dienſtes gehörend gefunden. Mag ſie nun ihren Urſprung und ihre Ein - führung in Deutſchland auf Umwegen von dem jüdiſchen Hohen - prieſter oder von den Ungarn herleiten, ſo iſt doch für den ſpätern Gebrauch die Mode durchaus als eine deutſche, Deutſchland eigen - thümliche zu bezeichnen. Es iſt ſelten, daß man in der Geſchichte der Moden und Trachten von deutſcher Originalität zu reden hat; man findet faſt immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht nachgewieſen werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr - zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es iſt nicht ſchade darum; denn ſtößt man wirklich einmal in dieſem Gebiet auf et - was, was deutſches Eigenthum iſt, oder bei dem Deutſchen wenn auch nicht ſeinem erſten Urſprung nach, ſo doch eine in ſeinem Geiſte originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch - tige Pluderhoſe des Landsknechts und leider auch der Zopf des achtzehnten Jahrhunderts, ſo möchte man auch hier den Ruhm der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von ſich ab - wälzen und den Fremden überlaſſen. Die Originalität und Stärke des deutſchen Geiſtes liegt nicht auf dieſer Seite; wir können ſolche Geiſtesarbeit ruhig fremden Köpfen überlaſſen. Nationale Beſtrebungen dieſer Art haben uns nie gelingen wol - len, und werden es jetzt weniger als je. Wie ſehr auch im vier - zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzoſen wie Engländer, der allgemeinen Zeitſtrömung folgend oder vorangehend, ſich in Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang2372. Die Zeit des Luxus und der Entartung.bei ihnen finden. Die Trachtengeſchichte der Engländer kennt ſie nicht und auch bei den Franzoſen dürfte kaum ein Beiſpiel zu ent - decken ſein. Wohl aber gab es im funfzehnten Jahrhundert ita - lieniſche Stutzer, junge Elegants, welche am Geklingel der Schel - len oder Glöckchen an ihren Kleidern ihre Freude hatten. In der Fremde galten ſie ſchon früh als deutſche Mode. Ausdrücklich ſpricht in dieſem Sinne davon ein alter ſchwediſcher Reimchroniſt bei Gelegenheit, da der mecklenburgiſche Herzog Albrecht, der ſpätere König, nach Schweden gekommen war (1360):

Käm einer auch noch ſo arm aus deutſchem Land,
So hat er doch ein Schwert in ſeiner Hand,
Er kann tanzen, hüpfen und ſpringen,
Und müſſen ſeine vergoldeten Glöcklein klingen.

Den Schweden ſcheint aber die deutſche Mode gefallen zu haben. So ſoll Karl Ulffon einen Hermelinmantel getragen haben, an welchem jedes Schwänzchen ſeine Schelle hatte, und der Unions - könig Erich XIII. (um 1400) hat ſich, wie das Bild auf ſeinem Siegel zeigt, mit Schellen in doppelter Reihe, am hängenden Gürtel und um die Hüften herum, geſchmückt.

Wenn wir von den vereinzelten Beiſpielen des dreizehnten Jahrhunderts abſehen, was um ſo mehr geſchehen kann, als ſeit - dem hundert Jahre hindurch der Schellen keinerlei Erwähnung geſchieht, ſo begegnen wir ihnen als einer wohl noch auffallenden, aber nicht ganz ungewöhnlichen Tracht in der Nürnberger Ord - nung von 1343, in welcher ſie Männern wie Frauen verboten werden: kein Mann noch Frau ſoll keinerlei Glocken, Schellen, noch keinerlei von Silber gemacht hangend Ding an einer Kette noch an Gürteln tragen. Ob dies Geſetz, glücklicher als andere, Erfolg gehabt hat, iſt ſchwer zu ſagen, doch iſt zu bemerken, daß die ganze zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts hindurch die Schellen in keiner ſtädtiſchen Kleiderordnung berückſichtigt werden. Sie ſcheinen in dieſer Zeit wenn nicht ein Vorrecht, doch eine Auszeichnung der fürſtlichen und ritterlichen Stände geweſen zu ſein, bei denen ſie zum öftern erwähnt werden. Wir kennen ſchon die Stelle des ſchwediſchen Chroniſten. In den Jahren238II. Das Mittelalter.1370 und 1376 gab der Herzog Otto zu Göttingen große Feſte; dabei erſchienen die Ritter, die Frauen und Jungfrauen mit gro - ßer Pracht in Purpurkleidern und mit klingenden, ſilbernen und güldenen Gürteln, mit langen Röcken und Kleidern, die gingen alle ſchurr, ſchurr und kling, kling. So erzählt die Göttinger Chronik, dat olde book genannt. Es exiſtiren noch mancherlei Standbilder und andere Abbildungen von fürſtlichen Perſonen, von Kaiſern herab, oft von viel früher lebenden Perſonen, welche Schellen in verſchiedener Weiſe tragen, aber alle ſind um das Jahr 1400 oder nicht viel ſpäter gemacht. Man ſetzte damals in der allgemeinen Volksmeinung den lärmenden Klang der Schel - len, das Geklingel der Glocken entſchieden mit Hoheit, Würde, Ruhm und vornehmem Stand in Verbindung. Aeußerer Lärm für das Ohr und Lärm in der Welt, als Ruf und viel Gerede, miſchten ſich im Begriff mit einander. Die Urſache lag darin, daß die Augen des Volks die Schellen zuerſt bei hochgeſtellten oder hochgebornen Leuten ſah. Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen , lautet daher das alte Sprichwort. Als einmal dieſe Gedankenverbindung ſtatt gefunden hatte, kümmerte man ſich dann wenig mehr um den Unterſchied der Zeiten und um hiſtori - ſche Wahrheit. So giebt es in Braunſchweig ein Standbild Heinrichs des Löwen aus dieſer Zeit, einen mit Schellen behäng - ten Gürtel tragend, und ein anderes ſeiner Gemahlin Mathilde ſcheint ſie an einem Reifen oder Gehenk über die Schulter zu ha - ben. Es giebt Bilder Kaiſer Heinrichs VI., Ottos IV. und ſeines Bruders, des Pfalzgrafen Heinrich, und mancher Damen dieſes erlauchten Geſchlechts der Welfen; es giebt eine ganze Reihe von Abbildungen der Grafen von Holland, welche im Jahr 1586 Chriſtoph Plantinus zu Antwerpen im Kupferſtich herausgegeben hat, und viele andere noch alle mit Schellen behängt: es iſt aber kein Zweifel, daß ſie ſämmtlich der angegebenen Zeit ent - ſtammen, der Blüthezeit der Schellen, oder wenigſtens einer nicht viel ſpäteren, als die Erinnerung noch wach und lebendig, aber die Sache ſo veraltet war, daß man mit dieſem Schmuck ein gewiſſes Gepräge des Alters aufdrücken konnte. Zwar haben wir2392. Die Zeit des Luxus und der Entartung.mit Schellen kein Bild der damals lebenden Kaiſer, weder Karls IV. noch Wenzels, Ruprechts oder Sigmunds, wohl aber anderer Fürſten, wie des Kurfürſten Rudolf I. von Sachſen (geſt. 1356), welcher ein Wehrgehenk mit birnenförmigen Schellen auf der Schulter trug. Auch pflegte die Herzogin Anna von Braun - ſchweig (um 1410) einen Schellengürtel um den Leib zu tragen. Eine alte Chronik ſagt: Anno 1400 bis man ſchrieb 1430 war ſo ein großer Ueberfluß an prächtigem Gewand und Kleidungen der Fürſten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der Weiber, als vordem niemals iſt gehört worden; da trug man Ketten von 4 oder 6 Mark, ſammt köſtlichen Halsbändern, gro - ßen ſilbernen Gürteln und mancherlei Spangen, auch ſilberne Faſſungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15 und bisweilen von 20 Mark. Als Herzog Friedrich von Sachſen (1417) in Konſtanz feierlichſt ſeinen Einzug hielt, ging ſein gan - zes Gefolge, Knappen, Ritter und Barone, mit glockenbehängten Gürteln einher. Es mag ein ſtattliches Geklingel geweſen ſein und ſeinen Eindruck auf die Ohren der ſtaunenden Menge nicht verfehlt haben!

Die Schellentracht drängt ſich dem Bewußtſein der Zeit ſo ſehr als etwas Herrliches, Erhabenes auf, daß man ſie auch my - thiſchen und heiligen Perſonen umhängte, um ihnen eine rechte Ehre zu erweiſen wie man im ſiebzehnten Jahrhundert den Göttern des Olymps und den Apoſteln Perrücken aufſetzte, ja ſelbſt den Chriſtuskopf ſich nicht ohne dieſelbe denken wollte. So prangt in Zerbſt die Rolandſtatue mit Schellen, und das ſteinerne Standbild des heiligen Mauritius in ſeiner Kirche zu Halle, von Meiſter Konrad von Eimbeck im Jahr 1411 gefertigt, hat die Schellen vom Gürtel herab an kleinen Kettchen hängen. Der Schellenmoriz heißt er davon noch heute. Selbſt die Freuden des Himmels kann ſich die fromme Seele des Dichters Peter von Dresden (um 1410) nicht anders denken, als mit Schellenge - klingel zum Geſang der Engel:

Ubi sunt gaudia?
Nirgend mehr denn da,
240II. Das Mittelalter.
Da die Engel ſingen
Nova cantica
Und die Schellen klingen
In regis curia
Eia, wer wir da!
Eia, wer wir da!

Die lärmende, überfröhliche Feſtluſt, der ausgelaſſene Jubel, der in jener Zeit an den Höfen wie in den Städten herrſchte und wie ein Rauſch in toller Weinlaune weder Geſetz noch Sitte und Sittlichkeit kannte und achtete die Sittengeſchichte weiß viel davon zu erzählen, auch ohne der Mummereien und Narrenfeſte zu gedenken , dieſes Uebermaß der Luſt war es, was die Schel - lentracht hervorrief und zur üppigen Blüthe trieb, nicht aber, wie man glaubt, die Abſicht der hohen Herren, von fern ſchon ihre Ankunft durch lautes Geklingel anzumelden, um im Gedränge Platz zu finden. Allerdings war es ſo, daß ſie ſich ſchon weither hörbar machten, und es iſt daher der Ausdruck entſtanden: mit Schall kommen.

Noch ſpäter finden ſich Anklänge, daß der Gedanke, welcher die Schellen mit königlicher Pracht in Verbindung ſetzt, fortlebt. So beſchreibt Rollenhagen im Froſchmeufeler die Tracht des Mäuſekönigs:

Der König aber inſonderheit
Hatt angethan ein Wunderkleid,
Eines kohlſchwarzen Maulwurfs Haut,
Dafür den Mäuſen ſelber graut.
Zu ſchürzen er ſich auch anfing
Mit einem ſilbernen Gürtelring,
Daran viel ſchöner Glöcklein hingen,
Die prächtig konnten einher klingen.

Nach dem Jahr 1410 wird die Schellentracht auch in den Städten nichts Seltnes mehr geweſen ſein. In Ulm, wo ſie bis - her verboten war, wird ſie im Jahr 1411 ausdrücklich überall er - laubt, nur mit Ausnahme der Kirche, wo allerdings das lärmende Geklingel der Gehenden und Kommenden ſich ſchwer mit dem Gottesdienſt und der Andacht vereinigen ließ. Auch in Lübeck2412. Die Zeit des Luxus und der Entartung.wurde ſie zu der Zeit von Patriziern getragen. Immer aber blie - ben ſie in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts noch bei den Vornehmeren, ſei es an Fürſtenhöfen, auf Edelſitzen oder in den Städten. Die ganze Zeit hindurch haben wir an Bild - werken Beiſpiele genug, auf ritterlichen Grabſteinen, auf alten Zeichnungen, Siegeln, Teppichen und Wandmalereien. Noch auf dem berühmten Lübecker Todtentanz, der bald nach der Mitte des Jahrhunderts gemacht worden, tragen der Herzog und der Edelmann dieſen Schmuck, aber weder der Bürgermeiſter noch der Amtmann oder der Kaufmann. Von da aber geht der Be - griff der Auszeichnung davon; die Mode wird eine alte, ſinkt herab, ohne eigentlich die niedern Stände hereinzuziehen, und bleibt am Schluſſe ſtehen bei den Narren und Schlittenpferden. Kürzere oder längere Zeit blieb ſie auch ein nothwendiges Erfor - derniß zu beſtimmten Trachten und Feſten, verſchwand dann aber mit den Feſten ſelbſt. So tragen ſie die berühmten Nürnberger Schönbartläufer vom erſten Jahr 1449 an, ſoweit die Abbildun - gen zurückgehen, bis zum letzten 1539 am Hals, am Gürtel oder am Knie. Auch beim Fackeltanz wurden ſie noch im ſechszehnten Jahrhundert angelegt, beim Reiftanz und beſonders beim Schwert - tanz der Vornehmen wie der Zünfte. In Heſſen war noch lange die Sitte, daß die Schwerttänzer Schellen an die Kniee banden, und dann ſangen ſie:

Alſo ſollen meine Geſellen
Ihre Schellen
Laſſen klingen,
Wie die Engel im Himmel ſingen.

Länger noch ſpielen ſie ihre Rolle im Kinderleben als Schmuck und Zeichen feſtlich-fröhlicher Luſt. Zwar wird ſich ſchwer ſagen laſſen, wie alt das Liedchen iſt:

Die Mutter gab mir Glöckchen
Und hing ſie an mein Röckchen.

Vielleicht reicht es noch ins funfzehnte Jahrhundert hinauf.