An die Frau Eliſabeth von Arnim fuͤr den kleinen Johannes Freimund.
Wir finden es wohl, wenn Sturm oder anderes Ungluͤck, vom Himmel geſchickt, eine ganze Saat zu Boden geſchlagen, daß noch bei niedrigen Hecken oder Straͤuchen, die am Wege ſtehen, ein kleiner Platz ſich ge - ſichert und einzelne Aehren aufrecht geblie - ben ſind. Scheint dann die Sonne wieder guͤnſtig, ſo wachſen ſie einſam und unbeach - tet fort, keine fruͤhe Sichel ſchneidet ſie fuͤr die großen Vorrathskammern, aber im Spaͤt - ſommer, wenn ſie reif und voll geworden, kommen arme, fromme Haͤnde, die ſie ſu - chen; und Aehre an Aehre gelegt, ſorgfaͤltig gebunden und hoͤher geachtet, als ganze Garben, werden ſie heimgetragen und Win - terlang ſind ſie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen fuͤr die Zukunft. So iſt es uns, wenn wir den Reichthum deutſcher Dichtung in fruͤhen Zeiten betrachten, undVI dann ſehen, daß von ſo vielem nichts leben - dig ſich erhalten, ſelbſt die Erinnerung dar - an verloren war, und nur Volkslieder, und dieſe unſchuldigen Hausmaͤrchen uͤbrig ge - blieben ſind. Die Plaͤtze am Ofen, der Kuͤ - chenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch ge - feiert, Triften und Waͤlder in ihrer Stille, vor allem die ungetruͤbte Phantaſie ſind die Hecken geweſen, die ſie geſichert und einer Zeit aus der andern uͤberliefert haben.
So denken wir jetzt, nachdem wir dieſe Sammlung uͤberſehen; anfangs glaubten wir auch hier ſchon vieles zu Grund gegangen, und nur die Maͤrchen noch allein uͤbrig, die uns etwa ſelbſt bewußt, und die nur ab - weichend, wie es immer geſchieht, von an - dern erzaͤhlt wuͤrden. Aber aufmerkſam auf alles, was von der Poeſie wirklich noch da iſt, wollten wir auch dieſes abweichende kennen, und da zeigte ſich dennoch manches neue und ohne eben im Stand zu ſeyn, ſehr weit herum zu fragen, wuchs unſre Samm - lung von Jahr zu Jahr, daß ſie uns jetzt, nachdem etwa ſechſe verfloſſen, reich er - ſcheint; dabei begreifen wir, daß uns noch manches fehlen mag, doch freut uns auchVII der Gedanke, das meiſte und beſte zu be - ſitzen. Alles iſt mit wenigen bemerkten Aus - nahmen faſt nur in Heſſen und den Main - und Kinziggegenden in der Grafſchaft Ha - nau, wo wir her ſind, nach muͤndlicher Ue - berlieferung geſammelt; darum knuͤpft ſich uns an jedes Einzelne noch eine angenehme Erinnerung. Wenig Buͤcher ſind mit ſolcher Luſt entſtanden, und wir ſagen gern hier noch einmal oͤffentlich Allen Dank, die Theil daran haben.
Es war vielleicht gerade Zeit, dieſe Maͤrchen feſtzuhalten, da diejenigen, die ſie bewahren ſollen, immer ſeltner werden (frei - lich, die ſie noch wiſſen, wiſſen auch recht viel, weil die Menſchen ihnen abſterben, ſie nicht den Menſchen), denn die Sitte darin nimmt ſelber immer mehr ab, wie alle heim - lichen Plaͤtze in Wohnungen und Gaͤrten ei - ner leeren Praͤchtigkeit weichen, die dem Laͤ - cheln gleicht, womit man von ihnen ſpricht, welches vornehm ausſieht und doch ſo we - nig koſtet. Wo ſie noch da ſind, da leben ſie ſo, daß man nicht daran denkt, ob ſie gut oder ſchlecht ſind, poetiſch oder abge - ſchmackt, man weiß ſie und liebt ſie, weilVIII man ſie eben ſo empfangen hat, und freut ſich daran ohne einen Grund dafuͤr: ſo herr - lich iſt die Sitte, ja auch das hat dieſe Poeſie mit allem unvergaͤnglichen gemein, daß man ihr ſelbſt gegen einen andern Wil - len geneigt ſeyn muß. Leicht wird man uͤbrigens bemerken, daß ſie nur da gehaftet, wo uͤberhaupt eine regere Empfaͤnglichkeit fuͤr Poeſie oder eine noch nicht von den Ver - kehrtheiten des Lebens ausgeloͤſchte Phantaſie geweſen. Wir wollen in gleichem Sinn hier die Maͤrchen nicht ruͤhmen, oder gar gegen eine entgegengeſetzte Meinung vertheidigen: jenes bloße Daſeyn reicht hin, ſie zu ſchuͤz - zen. Was ſo mannichfach und immer wie - der von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat, das traͤgt ſeine Nothwendigkeit in ſich, und iſt gewiß aus jener ewigen Quelle ge - kommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein klei - nes zuſammenhaltendes Blatt gefaßt, doch in dem erſten Morgenroth ſchimmernd.
Innerlich geht durch dieſe Dichtungen dieſelbe Reinheit, um derentwillen uns Kin - der ſo wunderbar und ſeelig erſcheinen; ſie haben gleichſam dieſelben blaͤulich-weißen,IX mackelloſen, glaͤnzenden Augen (in die ſich die kleinen Kinder ſelbſt ſo gern greifen*)Fiſchart Gargantŭa 129b. 131b.[),] die nicht mehr wachſen koͤnnen, waͤhrend die andern Glieder noch zart, ſchwach, und zum Dienſt der Erde ungeſchickt ſind. So ein - fach ſind die meiſten Situationen, daß viele ſie wohl im Leben gefunden, aber wie alle wahrhaftigen doch immer wieder neu und ergreifend. Die Eltern haben kein Brod mehr, und muͤſſen ihre Kinder in dieſer Noth verſtoßen, oder eine harte Stiefmutter laͤßt ſie leiden**)Dieſes Verhaͤltniß kommt hier oft vor und iſt wohl die erſte Wolke, die an dem blauen Him - mel eines Kinds aufſteigt und die erſten Thraͤ - nen erpreßt, welche die Menſchen nicht ſehen, aber die Engel zaͤhlen. Selbſt Blumen ha - ben davon ihren Namen erhalten, die Viola tricolor heißt Stiefmuͤtterchen, weil jedes der gelben Blaͤtter unter ſich ein ſchmales, gruͤnes Blaͤttchen hat, wovon es gehalten wird, das ſind die Stuͤhle, welche die Mutter ihren rech - ten luſtigen Kindern gegeben; oben muͤſſen die zwei Stiefkinder, in dunkelviolett trauernd ſte - hen und haben keine Stuͤhle., und moͤgte ſie gar zu Grunde gehen laſſen. Dann ſind Geſchwiſter in desX Waldes Einſamkeit verlaſſen, der Wind er - ſchreckt ſie, Furcht vor den wilden Thieren, aber ſie ſtehen ſich in allen Treuen bei, das Bruͤderchen weiß den Weg nach Haus wie - der zu finden, oder das Schweſterchen, wenn Zauberei es verwandelt, leitet es als Reh - kaͤlbchen und ſucht ihm Kraͤuter und Moos zum Lager; oder es ſitzt ſchweigend und naͤht ein Hemd aus Sternblumen, das den Zauber vernichtet. Der ganze Umkreis die - ſer Welt iſt beſtimmt abgeſchloſſen: Koͤ - nige, Prinzen, treue Diener und ehrliche Handwerker, vor allen Fiſcher, Muͤller, Koͤh - ler und Hirten, die der Natur am naͤchſten geblieben, erſcheinen darin; das andere iſt ihr fremd und unbekannt. Auch, wie in den Mythen, die von der goldnen Zeit re - den, iſt die ganze Natur belebt, Sonne, Mond und Sterne ſind zugaͤnglich, geben Geſchenke, oder laſſen ſich wohl gar in Klei - der weben, in den Bergen arbeiten[] die Zwer - ge nach dem Metall, in dem Waſſer ſchla - fen die Nixen, die Voͤgel[] (Tauben ſind die geliebteſten und huͤlfreichſten), Pflanzen, Stei - ne reden und wiſſen ihr Mitgefuͤhl auszu - druͤcken, das Blut ſelber ruft und ſpricht,XI und ſo uͤbt dieſe Poeſie ſchon Rechte, wor - nach die ſpaͤtere nur in Gleichniſſen ſtrebt. Dieſe unſchuldige Vertraulichkeit des groͤß - ten und kleinſten hat eine unbeſchreibliche Lieblichkeit in ſich, und wir moͤgten lieber dem Geſpraͤch der Sterne mit einem armen verlaſſenen Kind im Wald, als dem Klang der Sphaͤren zuhoͤren. Alles ſchoͤne iſt gol - den und mit Perlen beſtreut, ſelbſt goldne Menſchen leben hier, das Ungluͤck aber eine finſtere Gewalt, ein ungeheurer menſchenfreſ - ſender Rieſe, der doch wieder beſiegt wird, da eine gute Frau zur Seite ſteht, welche die Noth gluͤcklich abzuwenden weiß, und dieſes Epos endigt immer, indem es eine endloſe Freude aufthut. Das Boͤſe auch iſt kein kleines, nahſtehendes und das ſchlech - teſte, weil man ſich daran gewoͤhnen koͤnnte, ſondern etwas entſetzliches, ſchwarzes, ſtreng geſchiedenes, dem man ſich nicht naͤhern darf; eben ſo furchtbar die Strafe deſſelben: Schlangen und giftige Wuͤrmer verzehren ihr Opfer, oder in gluͤhenden Eiſenſchuhen muß es ſich zu todt tanzen. Vieles traͤgt auch eine eigene Bedeutung in ſich: die Mutter wird ihr rechtes Kind in dem AugenblickXII wieder im Arme haben, wenn ſie den Wech - ſelbalg, den ihr die Hausgeiſter dafuͤr gege - ben, zum Lachen bringen kann; gleichwie das Leben des Kindes mit dem Laͤcheln anfaͤngt und in der Freude fortwaͤhrt, beim Laͤcheln im Schlaf aber die Engel mit ihm reden. So iſt eine Viertelſtunde taͤglich uͤber der Macht des Zaubers, wo die menſchliche Ge - ſtalt frei hervortritt, als koͤnne uns keine Gewalt ganz einhuͤllen, und es gewaͤhre je - der Tag Minuten, wo der Menſch alles fal - ſche abſchuͤttele und aus ſich ſelbſt heraus - blicke; dagegen aber wird der Zauber auch nicht ganz geloͤſt, und ein Schwanenfluͤgel bleibt ſtatt des Arms, und weil eine Thraͤ - ne gefallen, iſt ein Auge mit ihr verloren[,] oder die weltliche Klugheit wird gedemuͤthigt und der Dummling, von allen verlacht und hintangeſetzt, aber reines Herzens, gewinnt allein das Gluͤck. In dieſen Eigenſchaften aber iſt es gegruͤndet, wenn ſich ſo leicht aus dieſen Maͤrchen eine gute Lehre, eine Anwendung fuͤr die Gegenwart ergiebt; es war weder ihr Zweck, noch ſind ſie darum erfunden, aber es erwaͤchſt daraus, wie eine gute Frucht aus einer geſunden Bluͤthe ohneXIII Zuthun der Menſchen. Darin bewaͤhrt ſich jede aͤchte Poeſie, daß ſie niemals ohne Be - ziehung auf das Leben ſeyn kann, denn ſie iſt aus ihm aufgeſtiegen und kehrt zu ihm zuruͤck, wie die Wolken zu ihrer Geburts - ſtaͤtte, nachdem ſie die Erde getraͤnkt haben.
So erſcheint uns das Weſen dieſer Dich - tungen; in ihrer aͤußeren Natur gleichen ſie aller volks - und ſagenmaͤßigen: nirgends feſtſtehend, in jeder Gegend, faſt in jedem Munde, ſich umwandelnd, bewahren ſie treu denſelben Grund. Indeſſen unterſcheiden ſie ſich ſehr beſtimmt von den eigentlich loca - len Volksſagen, die an leibhafte Oerter oder Helden der Geſchichte gebunden ſind, deren wir hier keine aufgenommen, wiewohl viele geſammelt haben, und die wir ein an - dermal herauszugeben denken. Mehrere Aeußerungen einer und derſelben Sage we - gen ihrer angenehmen und eigenthuͤmlichen Abweichungen haben wir einigemal mitge - theilt, das minder bedeutende in dem An - hang, uͤberhaupt aber ſo genau geſammelt, als uns moͤglich war. Gewiß iſt auch, daß ſich die Maͤrchen in dem Fortgange der Zeit beſtaͤndig neu erzeugt, eben darum aber mußXIV ihr Grund ſehr alt ſeyn, bei einigen wird es durch Spuren in Fiſchart und Rollenha - gen, die an ihrem Ort bemerkt ſind, fuͤr bei - nah drei Jahrhunderte beſonders bewieſen; es iſt aber außer Zweifel, daß ſie noch gar viel aͤlter ſind, wenn auch Mangel an Nach - richten directe Beweiſe unmoͤglich macht. Nur ein einziger, aber ſicherer ergiebt ſich aus ihrem Zuſammenhang mit dem großen Heldenepos und der einheimiſchen Thierfabel, welchen auszufuͤhren natuͤrlich hier der Ort nicht war, einiges iſt jedoch im Anhang gleichfalls daruͤber geſagt worden.
Weil dieſe Poeſie dem erſten und ein - fachſten Leben ſo nah liegt, ſo ſehen wir da - rin den Grund ihrer allgemeinen Verbrei - tung, denn es giebt wohl kein Volk, wel - ches ſie ganz entbehrt. Selbſt die Neger im weſtlichen Afrika vergnuͤgen ihre Kin - der mit Erzaͤhlungen, und von den Grie - chen ſagt es Strabo ausdruͤcklich (Man wird dies Zeugniß am Ende finden bei den an - dern, welche beweiſen, wie ſehr diejenigen, die gewußt, was eine ſolche unmittelbar zum Herzen redende Stimme werth iſt, ſolche Maͤrchen geſchaͤtzt haben). Noch ein ande -XV rer hoͤchſt merkwuͤrdiger Umſtand erklaͤrt ſich daraus, naͤmlich die große Ausbreitung die - ſer deutſchen. Sie erreichen hierin nicht bloß die Heldenſagen von Siegfried dem Drachentoͤdter, ſondern ſie uͤbertreffen dieſe ſogar, indem wir ſie, und genau dieſelben, durch ganz Europa verbreitet finden, ſo daß ſich in ihnen eine Verwandtſchaft der edel - ſten Voͤlker offenbart. Aus dem Norden kennen wir nur die daͤniſchen Kaͤmpe-Viſer, die vieles hierhergehoͤrige enthalten, wenn gleich ſchon als Lied, welches nicht mehr ganz fuͤr Kinder paßt, weil es geſungen ſeyn will, doch laͤßt ſich hier die Graͤnze eben ſo wenig genau angeben, als zu der ernſthafteren, hiſtoriſchen Sage, und es giebt allerdings Vereinigungspuncte. England be - ſitzt die Tabartiſche eben nicht ſehr reiche Sammlung, aber welche Reichthuͤmer von muͤndlicher Sage muͤſſen in Wallis, Schott - land und Irland noch vorhanden ſeyn, er - ſteres hat in[ſeinen] (jetzt gedruckten) Ma - binogion allein einen wahren Schatz. Auf eine aͤhnliche Weiſe ſind Norwegen, Schwe - den und Daͤnemark reich geblieben, weniger vielleicht die ſuͤdlichen Laͤnder; aus SpanienXVI iſt uns nichts bewußt, doch laͤßt eine Stelle des Cervantes uͤber das Daſeyn und Erzaͤh - len der Maͤrchen keinen Zweifel*)— y aquellas (cosas) que à ti te deven pare - cer profecias, no son sino palabras de con - sejas, o cuentos de viejas, como aquel - los del cavallo sin cabeça, y de la varilla de virtudes, con que se en - aretienen al fuego las dilatadas noches del invierno. Colloq. entre cip. y Berg. . Frank - reich hat gewiß noch jetzt mehr, als was Charles Perrault mittheilte, der allein ſie noch als Kindermaͤrchen behandelte (nicht ſeine ſchlechteren Nachahmer, die Aulnoi, Murat); er giebt nur neun, freilich die be - kannteſten, die auch zu den ſchoͤnſten gehoͤ - ren. Sein Verdienſt beſteht darin, daß er nichts hinzugeſetzt und die Sachen an ſich, Kleinigkeiten abgerechnet, unveraͤndert gelaſ - ſen; ſeine Darſtellung verdient nur das Lob, ſo einfach zu ſeyn, als es ihm moͤglich war; an ſich iſt der franzoͤſiſchen Sprache, die ſich ihrer jetzigen Bildung nach, faſt wie von ſelbſt zu epigrammatiſchen Wendungen undfein -XVIIfeingeſchnitztem Dialog zuſammenkraͤuſelt (man ſehe nur das Geſpraͤch zwiſchen Riquet à la houpe und der dummen Prinzeſſin, ſo wie das Ende von petit poucet), wohl nichts ſchwerer, als naiv und gerad, das heißt in der That, nicht mit der Praͤtenſion darauf, Kindermaͤrchen zu erzaͤhlen; außerdem ſind ſie manchmal unnoͤthig gedehnt und breit. Eine Analyſe, die vor einer Ausgabe ſteht, ſieht es ſo an, als habe Perrault ſie zuerſt erfunden, und von ihm (geb. 1633, geſtor - ben 1703.) ſeyen ſie zuerſt unter das Volk gekommen; bei dem Daͤumling wird ſogar eine abſichtliche Nachahmung Homers be - hauptet, welche Kindern die Noth des Odyſ - ſeus beim Polyphem habe verſtaͤndlich ma - chen wollen; eine beſſere Anſicht hat Johan - neau. Reicher als alle anderen ſind aͤltere italiaͤniſche Sammlungen, erſtlich in den Naͤchten des Straparola, die manches gute enthalten, dann aber beſonders im Penta - merone des Baſile, einem in Italien eben ſo bekannten und beliebten, als in Deutſchland ſeltenen und unbekannten, in neapolitaniſchen Dialect geſchriebenen, und in jeder Hinſicht vortrefflichen Buch. Der Inhalt iſt faſt oh -Kindermärchen. bXVIIIne Luͤcke und falſchen Zuſatz, der Stil uͤber - fließend in guten Reden und Spruͤchen. Es ganz lebendig zu uͤberſetzen gehoͤrte ein Fi - ſchart*)Welch ein viel beſſeres Maͤrchenbuch als das unſrige haͤtte dieſer mit der damaligen Spra - che und mit ſeinem bewunderungswuͤrdigen Ge - daͤchtniß aufſchreiben koͤnnen, wenn er anders den Werth einer getreuen, ungefaͤlſchten Auf - zeichnung erkannt haͤtte. und ſein Zeitalter dazu; wir den - ken es indeſſen in dem zweiten Band der vorliegenden Sammlung zu verdeutſchen, wo - rin auch alles andere, was fremde Quellen gewaͤhren, ſeinen Platz finden ſoll.
Wir haben uns bemuͤht, dieſe Maͤrchen ſo rein als moͤglich war aufzufaſſen, man wird in vielen die Erzaͤhlung von Reimen und Verſen unterbrochen finden, die ſogar manchmal deutlich alliteriren, beim Erzaͤhlen aber niemals geſungen werden, und gerade dieſe ſind die aͤlteſten und beſten. Kein Um - ſtand iſt hinzugedichtet oder verſchoͤnert und abgeaͤndert worden, denn wir haͤtten uns geſcheut, in ſich ſelbſt ſo reiche Sagen mit ihrer eigenen Analogie oder Reminiſcenz zu vergroͤßern, ſie ſind unerfindlich. In die -XIX ſem Sinne exiſtirt noch keine Sammlung in Deutſchland, man hat ſie faſt immer nur als Stoff benutzt, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu machen, die willkuͤhrlich erweitert, veraͤndert, was ſie auch ſonſt werth ſeyn konnten, doch immer den Kindern das Ihri - ge aus den Haͤnden riſſen, und ihnen nichts dafuͤr gaben. Selbſt wer an ſie gedacht, konnte es doch nicht laſſen, Manieren, wel - che die Zeitpoeſie gab, hineinzumiſchen; faſt immer hat es auch an Fleiß beim Sammeln gefehlt und ein paar wenige, zufaͤllig etwa aufgefaßte, wurden ſogleich mitgetheilt*)Muſaͤus und Naubert verarbeiteten meiſt, was wir vorhin Localſage nannten, der viel ſchaͤtzbarere Otmar nur lauter ſolche; eine Erfurter Sammlung von 1787. iſt arm, eine Leipziger von 1799. gehoͤrt nur halb hierher, wiewohl ſie nicht ganz ſchlecht zu nennen, eine Braunſchweiger von 1801. unter dieſen die reichſte, obgleich mit ihnen in verkehrtem Ton. Aus der neuſten Buͤſchingiſchen war fuͤr uns nichts zu nehmen, ausdruͤcklich aber muß noch bemerkt werden, daß eine vor ein paar Jahren von einem Namensverwandten A. L. Grimm unter dem Titel: Kindermaͤrchen zu Heidelberg herausgekommene, nicht eben wohl. b 2XXWaͤren wir ſo gluͤcklich geweſen, ſie in einem recht beſtimmten Dialect erzaͤhlen zu koͤnnen, ſo zweifeln wir nicht, wuͤrden ſie viel ge - wonnen haben; es iſt hier ein Fall, wo alle erlangte Bildung, Feinheit und Kunſt der Sprache zu Schanden wird, und wo man fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftſprache, ſo gewandt ſie in allem andern ſeyn mag, hel -*)gerathene, Sammlung mit uns und der unſri - gen gar nichts gemein hat. Die eben ausgegebenen Wintermaͤrchen vom Gevatter Johann (Jena b. Voigt 1813.) ſind nur dem Titel nach neu, und ſchon vor zehn Jahren erſchienen. Sie haben mit der Leipziger Sammlung einen Verfaſſer, der ſich auch Peter Kling nennt, und ſind in derſelben Manier geſchrieben. Nur das ſechſte und zum Theil das fuͤnfte Maͤrchen haben Werth, die an - dern ſind ohne Kern und, bis auf wenige Ein - zelheiten hohle Erfindungen. Wir bitten jeden, dem Gelegenheit und Nei - gung es moͤglich macht, dieſes Buch im Einzel - nen zu verbeſſern, die Fragmente zu ergaͤnzen, beſonders aber neue und ſonderlich Thier-Maͤr - chen zu ſammeln. Fuͤr ſolche Mittheilungen wuͤrden wir ſehr dankbar ſeyn, und durch den Verleger oder durch die Buchhandlungen in Goͤt - tingen, Caſſel und Marburg ſie am beſten erhalten.XXI ler und durchſichtiger aber auch ſchmackloſer geworden, und nicht mehr feſt an den Kern ſich ſchließe.
Wir uͤbergeben dies Buch wohlwollen - den Haͤnden, dabei denken wir uͤberhaupt an die ſegnende Kraft, die in dieſen liegt, und wuͤnſchen, daß denen, welche dieſe Broſamen der Poeſie Armen und Genuͤgſamen nicht goͤn - nen, es gaͤnzlich verborgen bleiben moͤge.
Caſſel, am 18ten October 1812.
„ A work of great interest might be com - piled upon the origine of popular fiction and the transmission of similar tales from age to age and from country to country. The mythology of one period would then appear to pass into the romance of the next century, and that into the nursery-tale of the subsequent ages. Such anXXIV investigation, while it went greatly to dimi - nish our ideas of the richness of human inven - tion would also shew, that these fictions, how - ever wild and childish, possess such charms for the populace, as enable them to penetrate into countries unconnected by manners and language and having no apparent intercourse tho afford the means of transmission. It would carry me far beyond my bounds, to produce instances of this community of fable, among nations, who never borrowed from each other any thing intrinsically worth learning. Indeed the wide diffusion of popular fictions may be compared to the facility, with wich straws and feathers are dispersed abroad by the wind, while valuable metals cannot be transported with - out trouble and labour. There lives, I belie - ve, only one gentleman, whose unlimited ac - quaintance with this subiect might enable him to do it justice; I mean my friend, Mr. Fran - cis Douce, of the british museum, whose usual Kindness will I hope pardon my mentio - ning his name,[while on] a subject so closely connected with his extensive and curious re - searches. “
Es war einmal eine Koͤnigstochter, die ging hinaus in den Wald und ſetzte ſich an einen kuͤhlen Brunnen. Sie hatte eine goldene Ku - gel, die war ihr liebſtes Spielwerk, die warf ſie in die Hoͤhe und fing ſie wieder in der Luft und hatte ihre Luſt daran. Einmal war die Kugel gar hoch geflogen, ſie hatte die Hand ſchon ausgeſtreckt und die Finger gekruͤmmt, um ſie wieder zufangen, da ſchlug ſie neben vorbei auf die Erde, rollte und rollte und geradezu in das Waſſer hinein.
Die Koͤnigstochter blickte ihr erſchrocken nach, der Brunnen war aber ſo tief, daß kein Grund zu ſehen war. Da fing ſie an jaͤmmer - lich zu weinen und zu klagen: „ ach! wenn ich meine Kugel wieder haͤtte, da wollt 'ich alles darum geben, meine Kleider, meine Edelgeſteine, meine Perlen und was es auf der Welt nur waͤr'. “ Wie ſie ſo klagte, ſteckte ein FroſchKindermärchen. A2ſeinen Kopf aus dem Waſſer und ſprach: „ Koͤ - nigstochter, was jammerſt du ſo erbaͤrmlich? “— „ Ach, ſagte ſie, du garſtiger Froſch, was kannſt du mir helfen! meine goldne Kugel iſt mir in den Brunnen gefallen. “— Der Froſch ſprach: „ deine Perlen, deine Edelgeſteine und deine Kleider, die verlang ich nicht, aber wenn du mich zum Geſellen annehmen willſt, und ich ſoll neben dir ſitzen und von deinem goldnen Tellerlein eſſen und in deinem Bettlein ſchla - fen und du willſt mich werth und lieb haben, ſo will ich dir deine Kugel wiederbringen. “ Die Koͤnigstochter dachte, was ſchwaͤtzt der ein - faͤltige Froſch wohl, der muß doch in ſeinem Waſſer bleiben, vielleicht aber kann er mir meine Kugel holen, da will ich nur ja ſagen; und ſag - te: „ ja meinetwegen, ſchaff mir nur erſt die goldne Kugel wieder, es ſoll dir alles verſprochen ſeyn. “ Der Froſch ſteckte ſeinen Kopf unter das Waſſer und tauchte hinab, es dauerte auch nicht lange, ſo kam er wieder in die Hoͤhe, hatte die Kugel im Maul und warf ſie ans Land. Wie die Koͤ - nigstochter ihre Kugel wieder erblickte, lief ſie geſchwind darauf zu, hob ſie auf und war ſo froh, ſie wieder in ihrer Hand zu halten, daß ſie an nichts weiter gedachte, ſondern damit nach Haus eilte. Der Froſch rief ihr nach: „ warte, Koͤnigstochter, und nimm mich mit, wie du verſprochen haſt; “aber ſie hoͤrte nicht darauf.
3Am andern Tage ſaß die Koͤnigstochter an der Tafel, da hoͤrte ſie etwas die Marmortreppe heraufkommen, plitſch, platſch! plitſch, platſch! bald darauf klopfte es auch an der Thuͤre und rief: „ Koͤnigstochter, juͤngſte, mach mir auf! “ Sie lief hin und machte die Thuͤre auf, da war es der Froſch, an den ſie nicht mehr gedacht hatte; ganz erſchrocken warf ſie die Thuͤre haſtig zu und ſetzte ſich wieder an die Tafel. Der Koͤnig aber ſah, daß ihr das Herz klopfte, und ſagte: „ warum fuͤrchteſt du dich? “— „ Da drau - ßen iſt ein garſtiger Froſch, ſagte ſie, der hat mir meine goldne Kugel aus dem Waſſer ge - holt, ich verſprach ihm dafuͤr, er ſollte mein Geſelle werden, ich glaubte aber nimmermehr, daß er aus ſeinem Waſſer heraus koͤnnte, nun iſt er draußen vor der Thuͤr und will herein. “ Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:
Der Koͤnig ſagte: „ was du verſprochen haſt, mußt du halten, geh und mach dem Froſch die Thuͤre auf. [“]Sie gehorchte und der Froſch huͤpfte herein, und ihr auf dem Fuße immer nach, bisA 24zu ihrem Stuhl, und als ſie ſich wieder geſetzt hatte, da rief er: „ heb mich herauf auf einen Stuhl neben dich. “ Die Koͤnigstochter wollte nicht, aber der Koͤnig befahl es ihr. Wie der Froſch oben war, ſprach er: „ nun ſchieb dein goldenes Tellerlein naͤher, ich will mit dir da - von eſſen. “ Das mußte ſie auch thun. Wie er ſich ſatt gegeſſen hatte, ſagte er: „ nun bin ich muͤd 'und will ſchlafen, bring mich hinauf in dein Kaͤmmerlein, mach dein Bettlein zu - recht, da wollen wir uns hineinlegen. “ Die Koͤnigstochter erſchrack, wie ſie das hoͤrte, ſie fuͤrchtete ſich vor dem kalten Froſch, ſie getraute ſich nicht ihn anzuruͤhren und nun ſollte er bei ihr in ihrem Bett liegen, ſie fing an zu weinen und wollte durchaus nicht. Da ward der Koͤnig zornig und befahl ihr bei ſeiner Ungnade, zu thun, was ſie verſprochen habe. Es half nichts, ſie mußte thun, wie ihr Vater wollte, aber ſie war bitterboͤſe in ihrem Herzen. Sie packte den Froſch mit zwei Fingern und trug ihn hinauf in ihre Kammer, legte ſich ins Bett und ſtatt ihn neben ſich zu legen, warf ſie ihn bratſch! an die Wand; „ da nun wirſt du mich in Ruh laſſen, du garſtiger Froſch! “
Aber der Froſch fiel nicht todt herunter, ſondern wie er herab auf das Bett kam, da wars ein ſchoͤner junger Prinz. Der war nun ihr lieber Geſelle, und ſie hielt ihn werth wie5 ſie verſprochen hatte, und ſie ſchliefen vergnuͤgt zuſammen ein. Am Morgen aber kam ein praͤch - tiger Wagen mit acht Pferden beſpannt, mit Federn geputzt und goldſchimmernd, dabei war der treue Heinrich des Prinzen, der hatte ſich ſo betruͤbt uͤber die Verwandlung deſſelben, daß er drei eiſerne Bande um ſein Herz legen muß - te, damit es vor Traurigkeit nicht zerſpringe. Der Prinz ſetzte ſich mit der Koͤnigstochter in den Wagen, der treue Diener aber ſtand hinten auf, ſo wollten ſie in ſein Reich fahren. Und wie ſie ein Stuͤck Weges gefahren waren, hoͤrte der Prinz hinter ſich ein lautes Krachen, da drehte er ſich um und rief:
Noch einmal und noch einmal hoͤrte es der Prinz krachen, und meinte: der Wagen braͤche, aber es waren nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich abſprangen, weil ſein Herr erloͤſt und gluͤcklich war.
Eine Katze und eine Maus wollten zuſam - men leben und Wirthſchaft zuſammen haben; ſie ſorgten auch fuͤr den Winter und kauften ein Toͤpfchen mit Fett, und weil ſie keinen beſſern und ſicherern Ort wußten, ſtellten ſie es unter den Altar in der Kirche, da ſollt 'es ſtehen, bis ſie ſein beduͤrftig waͤren. Einſtmals aber trug die Katze Geluͤſten darnach, und ging zur Maus: „ hoͤr' Maͤuschen, ich bin von meiner Baſe zu Gevatter gebeten, ſie hat ein Soͤhnchen gebo - ren, weiß und braun gefleckt, das ſoll ich uͤber die Taufe halten, laß mich ausgehen und halt heut allein Haus. “— „ Ja, ja, ſagte die Maus, geh hin, und wenn du was Gutes iſſeſt, denk an mich, von dem ſuͤßen rothen Kind - betterwein traͤnk ich auch gern ein Troͤpfchen. “ Die Katze aber ging geradeswegs in die Kirche und leckte die fette Haut ab, ſpatzirte darnach um die Stadt herum und kam erſt am Abend nach Haus. „ Du wirſt dich recht erluſtirt haben, ſagte die Maus, wie hat denn das Kind geheißen? “— „[ Hautab “], antwortete die Katze. []— „ Hautab? das iſt ein ſeltſamer Name, den hab 'ich noch nicht gehoͤrt. “
Bald darnach hatte die Katze wieder ein7 Geluͤſten, ging zur Maus und ſprach: „ ich[bin] aufs neue zu Gevatter gebeten, das Kind hat einen weißen Ring um den Leib, da kann ichs nicht abſchlagen, du mußt mir den Gefallen thun und allein die Wirthſchaft treiben. “ Die Maus ſagte ja, die Katze aber ging hin und fraß den Fetttopf bis zur Haͤlfte leer. Als ſie heim kam, fragte die Maus: „ wie iſt denn dieſer Pathe getauft worden? “— „ Halb - aus “— „ Halbaus? was du ſagſt! den Na - men hab 'ich gar noch nicht gehoͤrt, der ſteht gewiß nicht im Calender. “
Die Katze aber konnte den Fetttopf nicht vergeſſen: „ ich bin zum drittenmal zu Gevat - ter gebeten, das Kind iſt ſchwarz und hat bloß weiße Pfoten, ſonſt kein weißes Haar am gan - zen Leib, das trifft ſich alle paar Jahr nur ein - mal, du laͤßt mich doch ausgehen? “— Haut - ab, Halbaus, ſagte die Maus, es ſind ſo ku - rioſe Namen, die machen mich ſo nachdenkſam, doch geh nur hin. “ Die Maus hielt alles in Ordnung und raͤumte auf, dieweil fraß die Katze den Fetttopf rein aus und kam ſatt und dick erſt in der Nacht wieder. „ Wie heißt denn das dritte Kind? “— „ Ganzaus “— Ganz - aus! ei! ei! Das iſt der allerbedenklichſte Na - men, ſagte die Maus; Ganzaus? was ſoll der bedeuten? „ gedruckt iſt er mir noch nicht vorge -8 kommen! “damit ſchuͤttelte ſie den Kopf und legte ſich ſchlafen.
Zum viertenmal wollte niemand die Katze zu Gevatter bitten; der Winter aber kam bald herbei. Wie nun draußen nichts mehr zu fin - den war, ſagte die Maus zur Katze: „ komm wir wollen zum Vorrath gehen, den wir in der Kirche unter dem Altar verſteckt haben. “ Wie ſie aber hinkamen, war alles leer — „ Ach! ſagte die Maus, nun kommts an den Tag, du haſt Alles gefreſſen, wie du zu Gevatter aus - gegangen biſt, erſt Haut ab, dann Halb aus, dann “— „ Schweig ſtill, ſagte die Katze, oder ich freß dich, wenn du noch ein Wort ſprichſt “— „ Ganz aus “hatte die arme Maus im Mund, und hatt 'es kaum geſprochen, ſo ſprang die Katz' auf ſie zu und ſchluckte ſie hinunter.
Vor einem großen Walde lebte ein Holz - hacker mit ſeiner Frau und ſeinem einzigen Kind, das war ein Maͤdchen und drei Jahr alt. Sie waren aber ſo arm, daß ſie nicht mehr das taͤgliche Brot hatten und nicht wußten, was ſie ihm ſollten zu eſſen geben. Da ging der Holz - hacker voller Sorgen hinaus in den Wald an9 ſeine Arbeit, und wie er da Holz hackte, ſtand auf einmal eine ſchoͤne große Frau vor ihm, die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf dem Haupt und ſprach zu ihm: „ ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter des Chriſtkind - leins, bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, ſeine Mutter ſeyn und fuͤr es ſorgen. “ Der Holzhacker gehorchte und holte ſein Kind und gab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit ſich hinauf in den Himmel. Da ging es ihm wohl, es aß bloß Zuckerbrot und trank ſuͤße Milch, und ſeine Kleider waren von Gold und die Englein ſpielten mit ihm. So war es vierzehn Jahre im Himmel, da mußte die Jung - frau Maria eine große Reiſe machen; eh ſie aber weg ging, rief ſie das Maͤdchen und ſag - te: „ liebes Kind, da vertrau ich dir die Schluͤſ - ſel zu den dreizehn Thuͤren des Himmelreichs, zwoͤlf darfſt du aufſchließen und betrachten, aber die dreizehnte nicht, die dieſer kleine Schluͤſſel oͤffnet. “ Das Maͤdchen verſprach ihren Befeh - len zu gehorchen, wie nun die Jungfrau weg war oͤffnete es jeden Tag eine Thuͤre, und ſah die Wohnungen des Himmelreichs. In jeder ſaß ein Apoſtel und war ſo viel Glanz umher, daß es ſein Lebtag ſolche Pracht und Herrlich - keit nicht geſehen. Als es die zwoͤlf Thuͤren auf - geſchloſſen hatte, war die verbotene noch uͤbrig; lange widerſtand es ſeiner Neugier, endlich aber10 ward es davon uͤberwaͤltigt und oͤffnete auch die dreizehnte. Und wie die Thuͤre aufging, ſah es in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit ſitzen und ruͤhrte ein klein wenig mit dem Finger an den Glanz, da ward er ganz golden, dann aber ſchlug es geſchwind die Thuͤre zu und lief fort; ſein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder aufhoͤren. Nach wenigen Tagen aber kam die Jungfrau Maria von ihrer Reiſe zuruͤck und forderte die Himmelsſchluͤſſel von dem Maͤdchen, und wie es ſie reichte, ſah ſie es an und ſagte: „ haſt du auch nicht die dreizehnte Thuͤre geoͤff - net? “— „ Nein, “antwortete es. Da legte ſie ihre Hand auf ſein Herz, das klopfte und klopfte, da ſah ſie, daß es ihr Gebot uͤbertre - ten und die Thuͤre aufgeſchloſſen hatte: „ haſt du es gewiß nicht gethan? “ „ Nein, “ſagte das Maͤdchen noch einmal. Da ſah ſie den gol - denen Finger, womit es das himmliſche Feuer angeruͤhrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es ſchuldig war und ſprach: „ du haſt mir nicht gehorcht und haſt gelogen, du biſt nicht mehr wuͤrdig im Himmel zu ſeyn. “
Da verſank das Maͤdchen in einen tiefen, tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf der Erde und lag unter einem hohen Baum, der war rings mit dichten Gebuͤſchen umzaͤunt, ſo daß es ganz eingeſchloſſen war, der Mund war ihm auch verſchloſſen und es konnte kein11 Wort reden. In dem Baum war eine Hoͤhle, darin ſaß es bei Regen und Gewitter, und ſchlief es in der Nacht; Wurzeln und Waldbee - ren waren ſeine Nahrung, die ſuchte es ſich, ſo weit es kommen konnte. Im Herbſt ſammelte es Wurzeln und Blaͤtter und trug ſie in die Hoͤhle, und wenn es dann ſchneite und fror, ſaß es darin. Seine Kleider verdarben auch und fielen ihm ab, da ſaß es in die Blaͤtter ganz eingehuͤllt, und wenn die Sonne wieder warm ſchien ging es heraus, ſetzte ſich vor den Baum, und ſeine langen Haare bedeckten es von allen Seiten wie ein Mantel.
Einmal, als es ſo im Fruͤhjahr vor dem Baume ſaß, draͤngte ſich jemand mit Gewalt durch das Gebuͤſch, das war aber der Koͤnig, der in dem Wald gejagt und ſich verirrt hatte. Er war erſtaunt, daß in der Einoͤde ein ſo ſchoͤ - nes Maͤdchen allein ſaß, und fragte es: ob es mit auf ſein Schloß gehen wollte. Es konnte aber nicht antworten, ſondern nickte bloß ein wenig mit dem Kopf, da hob es der Koͤnig auf ſein Pferd und fuͤhrte es mit ſich heim und bald gewann er es ſo lieb, daß er es zu ſeiner Ge - mahlin machte. Nach Verlauf eines Jahres brachte die Koͤnigin einen ſchoͤnen Prinzen zur Welt. In der Nacht erſchien ihr die Jungfrau Maria und ſprach: „ ſag 'jetzt die Wahrheit, daß du die verbotene Thuͤr aufgeſchloſſen haſt, dann12 will ich dir die Sprache wiedergeben, ohne die du doch nicht recht vergnuͤgt leben kannſt, biſt du aber hartnaͤckig und willſt es nicht geſtehen, ſo nehm' ich dein Kind mit. “ Die Koͤnigin aber blieb dabei, ſie habe die verbotene Thuͤre nicht geoͤffnet. Da nahm die Jungfrau Maria das kleine Kind und verſchwand damit. Am andern Morgen aber, als das Kind fort war, ging ein Gemurmel, die ſtumme Koͤnigin ſey eine Menſchenfreſſerin und habe ihr eigen Kind gegeſſen. — Nach einem Jahr gebar die Koͤni - gin wieder einen Prinzen, die Jungfrau Maria trat wieder vor ſie und bat ſie, nun die Wahr - heit zu ſagen, ſonſt verliere ſie auch das zweite Kind. Die Koͤnigin aber beharrte darauf, ſie habe die verbotene Thuͤr nicht geoͤffnet, und die Jungfrau nahm das Kind mit ſich fort. Am Morgen, als es fehlte, ſagten des Koͤnigs Raͤ - the laut, die Koͤnigin ſey eine Menſchenfreſſe - rin und drangen darauf, daß ſie fuͤr ihre gott - loſe Thaten gerichtet werde; der Koͤnig aber hieß ſie ſtillſchweigen und wollte es nicht glau - ben, weil er die Koͤnigin ſo lieb hatte. Im dritten Jahr brachte ſie eine Prinzeſſin zur Welt, da erſchien die Jungfrau Maria wieder, nahm ſie mit in den Himmel und zeigte ihr da ihre zwei aͤlteſten Kinder, die mit der Weltku - gel ſpielten. Darauf bat ſie noch einmal, ſie moͤgte ihren Fehler geſtehen und nicht laͤnger13 bei der Luͤge beharren. Aber die Koͤnigin war nicht zu bewegen, und blieb bei ihrer Ausſage. Da verließ ſie die Jungfrau Maria, und nahm das juͤngſte Kind auch mit ſich.
Der Koͤnig konnte nun ſeine Raͤthe nicht laͤnger zuruͤckhalten, ſie behaupteten, die Koͤni - gin ſey eine Menſchenfreſſerin, das ſey gewiß, und weil ſie ſtumm war, konnte ſie ſich nicht vertheidigen, da ward ſie verdammt auf dem Scheiterhaufen zu ſterben. Wie ſie nun darauf ſtand, angebunden war, und das Feuer rings ſchon zu brennen anfing, da ward ihr Herz be - wegt und ſie gedachte bei ſich: „ ach, wenn ich auch ſterben muͤßte, wie gern wollt 'ich der Jungfrau Maria vorher noch geſtehen, daß ich die verbotene Thuͤre im Himmel aufgeſchloſſen habe, wie hab' ich ſo boͤſ 'gethan, das zu leug - nen! “ Und wie ſie das gedachte, in dem Au - genblick, da that ſich der Himmel auf, und die Jungfrau Maria kam herunter, zu ihren Sei - ten die beiden aͤlteſten Kinder, auf ihrem Arm das juͤngſte; das Feuer aber loͤſchte ſich von ſelbſt aus, und ſie trat zur Koͤnigin und ſprach: „ da du die Wahrheit haſt ſagen wollen, iſt dir deine Schuld vergeben, “und reichte ihr die Kinder, oͤffnete ihr den Mund, daß ſie von nun an ſprechen konnte, und verlieh ihr Gluͤck auf ihr Lebtag.
Es war einmal ein alter Koͤnig, der hatte eine Tochter, die war die ſchoͤnſte Jungfrau auf der Welt. Da ließ er bekannt machen: „ wer drei Naͤchte in meinem alten Schloß wacht, ſoll die Prinzeſſin zur Gemahlin haben. “ Nun war ein junger Burſch, arm von Haus aus, der ge - dacht: ich will mein Leben daran wagen, nichts zu verlieren, viel zu gewinnen, was iſt da lang zu beſinnen! Alſo ſtellt 'er ſich vor den Koͤnig und bot ſich an, drei Naͤchte in dem Schloß zu wachen. „ Du darfſt Dir noch etwas ausbitten, das Du mitnimmſt in das Schloß, aber von lebloſen Dingen, “ſagte der Koͤnig. — „ So bitt' ich mir eine Schnitzbank mit dem Schnitz - meſſer aus, eine Drehbank und ein Feuer. “
Das wird ihm alles in das alte Schloß getragen; darauf, wie es anfaͤngt dunkel zu werden, geht er ſelbſt hinein. Anfangs iſt alles ſtill darin, er macht ſich ſein Feuer an, ſtellt die Schnitzbank mit dem Meſſer daneben und ſetzt ſich auf die Drehbank. Wie es aber gegen Mit - ternacht geht, faͤngt ein Geruͤmpel an, erſt ſach - te, dann ſtaͤrker, bif! baf! hehe! holla ho! im - mer aͤrger, dann iſts ein klein bischen ſtill, end - lich kommt ein Bein den Schornſtein herunter15 und ſtellt ſich gerade vor ihn hin. „ Heda, ruft der Burſch, noch mehr, eins iſt zu wenig. Da geht der Laͤrm von friſchem an, dann faͤllt noch ein Bein herunter und noch eins und ſo fort, bis es neun ſind. „ Nun iſts genug und die ſind gut zum Kegelſpiel, aber die Kugeln fehlen noch, friſch! “ Da tobts entſetzlich und fallen zwei Koͤpfe herunter. Die ſetzt er in die Dreh - bank und dreht ſie rund: „ daß ihr gut ſchuͤp - pelt! “dann macht er die Beine gleich und ſtellt ſie wie die Kegel auf: „ Heida! nun gehts luſtig! “
Da kamen zwei große ſchwarze Katzen, gin - gen ums Feuer herum und ſchrien: „ au! mi - au! was uns friert! was uns friert! “— „ Ihr Narren, was ſchreit Ihr, ſetzt euch ans Feuer und waͤrmt euch. “ Wie die Katzen ſich ge - waͤrmt hatten, ſagten ſie: „ Cammrad! wir wollen eins in der Karte ſpielen. “ „ Ja, ant - wortete er, aber zeigt einmal eure Pfoten her, Ihr habt ſo lange Naͤgel, die will ich Euch erſt abſchneiden. “ Damit packte er ſie am Kragen und hob ſie auf die Schnitzbank, da ſchraubte er ſie feſt und ſchmiß ſie todt. Dann trug er ſie hinaus und warf ſie in einen kleinen Teich, dem Schloß gegenuͤber. Wie er die zur Ruh gebracht, und ſich wieder zum Feuer ſetzen[woll - te] und ſich waͤrmen, da kamen viele[ſchwarze] Katzen und Hunde, bald aus allen Ecken und16 immer mehr und mehr, daß er ſich nicht mehr bergen konnte, die ſchrien, traten ihm auf ſein Feuer, zerrten es auseinander und machten es ganz aus. Da faßte er ſein Schnitzmeſſer: „ fort ihr Geſindel! “und hieb ein. Ein großer Theil lief weg, die andern ſchmiß er todt und trug ſie auch hinaus in den Teich. Dann blies er ſich das Feuer wieder an aus einem Funken und waͤrmte ſich.
Als er ſich gewaͤrmt hatte, ward er muͤd 'und legte ſich in ein großes Bett, das in der Ecke ſtand. Und als er eben einſchlafen wollte, fing das Bett an zu fahren und fuhr im gan - zen Schloß herum. „ Das geht gut ſo, nur beſſer zu! “ſagte er. Da fuhr das Bett, als zoͤgens ſechs Pferde, uͤber Schwellen und Trep - pen: hopp! hopp! warf es um, das unterſt zu oberſt und er drunter. Da ſchleudert' er Decken und Kiſſen in die Hoͤh 'und ſtieg heraus: „ mag fahren, wer Luſt hat! “legte ſich zum Feuer und ſchlief bis es Tag war.
Am Morgen kam der Koͤnig, und als er den jungen Burſchen da liegen und ſchlafen ſah, meint 'er, der waͤre auch todt, und ſagte, es ſey ſchade um ihn. Da erwachte der Burſch von den Worten, und wie er den Koͤnig ſah, ſtand er auf, der fragte ihn, wie es gegangen waͤre in der Nacht? „ Recht gut, eine waͤr' herum, die zwei werden auch noch herum gehn. “Die17Die andern Naͤchte gings ebenſo, aber er wuß - te ſchon, wie es anzugreifen war, und am vier - ten Tag ward ihm die ſchoͤne Koͤnigstochter ge - geben.
Eine Geis hatte ſieben Junge, die ſie gar lieb hatte und ſorgfaͤltig vor dem Wolf huͤtete. Eines Tags, als ſie ausgehen mußte, Futter zu holen, rief ſie alle zuſammen und ſagte: „ liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein, gebt auch Acht, denn er verſtellt ſich oft, aber an ſeiner rauhen Stimme und an ſeinen ſchwarzen Pfoten koͤnnt ihr ihn erkennen; huͤtet euch, wenn er erſt einmal im Haus iſt, ſo frißt er euch alle miteinander. “ Darauf ging ſie fort, bald aber kam der Wolf vor die Haus - thuͤre und rief: „ liebe Kinder, macht mir auf, ich bin eure Mutter und hab 'euch ſchoͤne Sa - chen mitgebracht. “ Die ſieben Geiſerchen aber ſprachen: „ unſere Mutter biſt du nicht, die hat eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber iſt rauh, du biſt der Wolf, wir machen dir nicht auf. “ Der Wolf ging fort zu einem Kraͤmer und kaufte ſich ein groß Stuͤck Kreide, die aßKindermärchen. B18er und machte ſeine Stimme fein damit. Dar - nach ging er wieder zu der ſieben Geislein Haus - thuͤre und rief mit feiner Stimme: „ liebe Kin - der, laßt mich ein, ich bin eure Mutter, jedes von euch ſoll etwas haben. “ Er hatte aber ſeine Pfote in das Fenſter gelegt, das ſahen die ſie - ben Geiſerchen und ſprachen: „ unſere Mutter biſt du nicht, die hat keinen ſchwarzen Fuß, wie du; du biſt der Wolf, wir machen dir nicht auf. “ Der Wolf ging fort zu einem Baͤcker und ſprach: „ Baͤcker, beſtreich mir meine Pfote mit friſchem Teig, “und als das gethan war, ging er zum Muͤller und ſprach: „ Muͤller, ſtreu mir fein weißes Mehl auf meine Pfote. “ Der Muͤller ſagte nein. — „ Wenn du es nicht thuſt, ſo freß ich dich. “ Da mußte es der Muͤl - ler thun.
Darauf ging der Wolf wieder vor der ſie - ben Geiſerchen Hausthuͤre und ſagte: „ liebe Kinder, laßt mich ein, ich bin eure Mutter, je - des von euch ſoll etwas geſchenkt kriegen. “ Die ſieben Geiſerchen wollten erſt die Pfote ſehen, und wie ſie ſahen, daß ſie ſchneeweiß war und den Wolf ſo fein ſprechen hoͤrten, glaubten ſie es waͤre ihre Mutter und machten die Thuͤre auf, und der Wolf kam herein. Wie ſie ihn aber erkannten, verſteckten ſie ſich geſchwind, ſo gut es ging, das eine unter den Tiſch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das19 vierte in die Kuͤche, das fuͤnfte in den Schrank, das ſechste unter eine große Schuͤſſel, das ſie - bente in die Wanduhr. Aber der Wolf fand ſie alle und verſchluckte ſie, außer das juͤngſte in der Wanduhr, das blieb am Leben.
Wie der Wolf ſeine Luſt gebuͤßt, ging er fort, bald darauf kam die alte Geis nach Haus. Was fuͤr ein Jammer! der Wolf war da gewe - ſen und hatte ihre lieben Kinder gefreſſen. Sie glaubte ſie waͤren alle todt, da ſprang das juͤngſte aus der Wanduhr, und erzaͤhlte, wie das Un - gluͤck gekommen war.
Der Wolf aber, weil er ſich vollgefreſſen, war auf eine gruͤne Wieſe gegangen, hatte ſich in den Sonnenſchein gelegt und war in einen tiefen Schlaf gefallen. Die alte Geis dachte daran, ob ſie ihre Kinder nicht noch erretten koͤnnte, ſagte darum zu dem juͤngſten Geislein: „ nimm Zwirn, Nadel und Scheere und folg 'mir nach. “ Darauf ging ſie hinaus und fand den Wolf ſchnarchend auf der Wieſe liegen: „ da liegt der garſtige Wolf, “ſagte ſie und be - trachtete ihn von allen Seiten, nachdem er zum Vieruhrenbrot meine ſechs Kindlein hinunterge - freſſen hat, gieb mir einmal die Scheere her: „ Ach! wenn ſie noch lebendig in ſeinem Leibe waͤren! “ Damit ſchnitt ſie ihm den Bauch auf, und die ſechs Geiſerchen, die er in der Gier ganz verſchluckt hatte, ſprangen unverſehrt her -B 220aus. Sie hieß ſie gleich hingehen und große und ſchwere Wackerſteine herbeitragen, damit fuͤllten ſie dem Wolf den Leib, naͤhten ihn wieder zu, liefen fort, und verſteckten ſich hinter eine Hecke.
Als der Wolf ausgeſchlafen hatte, ſo fuͤhlt 'er es ſo ſchwer im Leib und ſprach: „ es rum - pelt und pumpelt mir im Leib herum! es rum - pelt und pumpelt mir im Leib herum! was iſt das? ich hab' nur ſechs Geiſerchen gegeſſen. “ Er dacht, er wollt einen friſchen Trunk thun, das moͤgt 'ihm helfen und ſuchte einen Brun - nen, aber wie er ſich daruͤber buͤckte, konnte er vor der Schwere der Steine ſich nicht mehr hal - ten, und ſtuͤrzte ins Waſſer. Wie das die ſie - ben Geiſerchen ſahen, kamen ſie herzu gelaufen, und tanzten vor Freude um den Brunnen.
Es waren einmal eine Nachtigall und eine Blindſchleiche, die hatten jede nur ein Aug 'und lebten zuſammen in einem Haus lange Zeit in Frieden und Einigkeit. Eines Tags aber wurde die Nachtigall auf eine Hochzeit gebeten, da ſprach ſie zur Blindſchleiche: „ ich bin da auf eine Hochzeit gebeten und moͤgte nicht gern ſo mit einem Aug' hingehen, ſey doch ſo gut und21 leih mir deins dazu, ich bring dirs Morgen wieder. “ Und die Blindſchleiche that es aus Gefaͤlligkeit.
Aber den andern Tag, wie die Nachtigall nach Haus gekommen war, gefiel es ihr ſo wohl, daß ſie zwei Augen im Kopf trug und zu beiden Seiten ſehen konnte, daß ſie der ar - men Blindſchleiche ihr geliehenes Aug 'nicht wie - dergeben wollte. Da ſchwur die Blindſchleiche, ſie wollte ſich an ihr, an ihren Kindern und Kindeskindern raͤchen. „ Geh nur, ſagte die Nachtigall, und ſuch einmal:
Seit der Zeit haben alle Nachtigallen zwei Au - gen und alle Blindſchleichen keine Augen. Aber wo die Nachtigall hinbaut, da wohnt unten auch im Buſch eine Blindſchleiche, und ſie trachtet immer hinaufzukriechen, Loͤcher in die Eier ihrer Feindin zu bohren oder ſie auszu - ſaufen.
Es ſaß ein Vater mit ſeiner Frau und ſeinen Kindern, und einem guten Freund, der ihn beſuchte, Mittags am Tiſch. Wie ſie ſo22 ſaßen und es zwoͤlf Uhr ſchlug, da ſah der Fremde die Thuͤr aufgehen, und es kam ein ſchneeweiß gekleidetes blaſſes Kindlein herein: es blickte ſich nicht um, ſprach auch nichts, ſon - dern ging ſtill in die Kammer neben an. Bald darauf kam es zuruͤck, und ging eben ſo ſtill wieder fort. Am zweiten und dritten Tag kam daſſelbige Kind wieder; da fragte der Fremde den Vater, wem das ſchoͤne Kind gehoͤre, das alle Mittag in die Kammer gehe. Der Va - ter antwortete, er wiſſe nichts davon, er hab es auch noch nicht geſehen. Am andern Ta - ge, als es zwoͤlf Uhr ſchlug und es wieder hereintrat, ſo zeigte es der Fremde dem Vater, der ſah aber nichts, und die Mutter und die Kinder alle ſahen auch nichts. Der Fremde ſtand auf, ging zu der Thuͤre, oͤffnete ſie ein wenig und guckte hinein. Da ſah er das blaſ - ſe Kindlein auf der Erde ſitzen und emſig mit den Fingern in den Dielenritzen graben und wuͤhlen, wie es aber den Fremden bemerkte, verſchwand es. Darauf erzaͤhlte er, was er ge - ſehen, und beſchrieb das Kindlein genau, da er - kannte es die Mutter und ſagte: „ ach! das iſt mein liebes Kind, das vor vier Wochen geſtor - ben iſt. “ Da brachen ſie die Dielen auf und fanden zwei Heller, die hatte das Kind einmal einem armen Mann geben ſollen, es hatte aber gedacht, dafuͤr kannſt du dir einen Zwieback23 kaufen, die Heller behalten und in die Dielen - ritzen verſteckt, und da hatte es im Grabe kei - ne Ruh und mußte alle Mittage kommen und die Heller ſuchen. Sie gaben darauf das Geld einem Armen, und nachher iſt das Kindlein nicht wieder geſehen worden.
Es war ein kleines Maͤdchen, das hatte drei Bruͤder, die galten bei der Mutter alles, und es wurde uͤberall zuruͤckgeſetzt, hart ange - fahren und mußte tagtaͤglich Morgens fruͤh ausgehen, Torf zu graben auf duͤrrem Heide - grund, den ſie zum Kochen und Brennen brauch - ten. Noch dazu bekam es ein altes und ſtum - pfes Geraͤth, womit es die ſauere Arbeit ver - richten ſollte.
Aber das kleine Maͤdchen hatte einen Lieb - haber, der war ein Elfe und wohnte nahe an ihrer Mutter Haus in einem Huͤgel, und ſo oft es nun an dem Huͤgel vorbei kam, ſo ſtreck - te er ſeine Hand aus dem Fels, und hielt dar - in ein ſehr ſcharfes Meſſer, das von ſonderli - cher Kraft war und alles durchſchnitt. Mit dieſem Meſſer ſchnitt ſie den Torf bald her - aus, ging vergnuͤgt mit der noͤthigen Ladung heim, und wenn ſie am Felſen vorbei kam,24 klopfte ſie zweimal dran, ſo reichte die Hand heraus und nahm das Meſſer in Empfang.
Als aber die Mutter merkte, wie geſchwind und leicht ſie immer den Torf heimbrachte, er - zaͤhlte ſie den Bruͤdern, es muͤßte ihr gewiß jemand anders dabei helfen, ſonſt waͤre es nicht moͤglich. Da ſchlichen ihr die Bruͤder nach und ſahen, wie ſie das Zaubermeſſer bekam, holten ſie ein und drangen es ihr mit Gewalt ab. Darauf kehrten ſie zuruͤck, ſchlugen an den Fel - ſen, als ſie gewohnt war zu thun, und wie der gute Elf die Hand herausſtreckte, ſchnitten ſie ſie ihm ab mit ſeinem ſelbeigenen Meſſer. Der blutende Arm zog ſich zuruͤck, und weil der Elf glaubte ſeine Geliebte haͤtte es aus Verrath gethan, ſo wurde er ſeitdem nimmermehr ge - ſehen.
Es war einmal ein Koͤnig, der hatte zwoͤlf Kinder, das waren lauter Buben, er wollte auch kein Maͤdchen haben und ſagte zur Koͤni - gin: „ wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringſt, ein Maͤdchen iſt, ſo laß ich die zwoͤlf andern toͤdten, iſts aber auch ein Bube, dann ſollen ſie alle miteinander leben bleiben. “— Die Koͤnigin gedachte es ihm auszureden. Der25 Koͤnig wollte aber nichts weiter hoͤren: „ wenns ſo iſt, wie ich geſagt habe, ſo muͤſſen ſie ſter - ben, lieber hau 'ich ihnen ſelber den Kopf ab, als daß ein Maͤdchen darunter waͤre.[ “]
Da war die Koͤnigin traurig, denn ſie hat - te ihre Soͤhne von Herzen lieb und wußte nicht, wie ſie zu retten waren. Endlich ging ſie zu dem juͤngſten, den ſie vor allen lieb hatte, of - fenbarte ihm, was der Koͤnig beſchloſſen, und ſagte: „ allerliebſtes Kind, geh du mit deinen eilf Bruͤdern hinaus in den Wald, da bleibt und kommt nicht nach Haus, einer von euch aber halte immer Wacht auf einem Baum und ſehe nach dem Thurm hier, wenn ich ein Soͤhn - chen zur Welt bringe, will ich obenauf eine weiße Fahne ſtecken, iſts aber ein Toͤchterchen eine rothe, und wenn ihr das ſeht, dann rettet euch, flieht in die weite Welt, und der liebe Gott behuͤt euch. Alle Nacht will ich aufſte - hen und fuͤr euch beten, wenns kalt iſt im Win - ter, daß ihr nicht friert und ein warmes Feuer vor euch brennt, und wenns heiß iſt im Som - mer, daß ihr in einem kuͤhlen Walde ruht und ſchlaft. “
So geſegnete ſie die Kinder und ſie gingen fort in den Wald. Oft guckten ſie nach dem Thurm, und einer mußte beſtaͤndig auf einer hohen Eiche ſitzen und Acht haben. Bald auch wurde eine Fahne aufgeſteckt, es war aber nicht26 die weiße, ſondern die rothe Blutfahne, die ih - nen den Untergang drohte. Wie die Buben ſie erblickten, wurden ſie alle zornig und riefen: „ ſollen wir eines Maͤdchens willen das Leben verlieren! “da ſchwuren ſie zuſammen, mitten in dem Wald zu bleiben, und aufzupaſſen, wenn ſich ein Maͤdchen ſehen ließ, wollten ſie es ohne Gnade toͤdten.
Darauf ſuchten ſie eine Hoͤhle, wo der Wald am dunkelſten war, wo ſie wohnten. Alle Morgen zogen elf hinaus auf die Jagd, einer mußte aber zu Haus bleiben, kochen, und den Haushalt fuͤhren. Jedes Maͤdchen aber, das den eilfen begegnete, war ohne Barmherzigkeit verloren; das dauerte viele Jahre.
Das Schweſterchen zu Haus aber ward groß und blieb das einzige Kind. Einmal hat - te es große Waͤſche, darunter waren auch zwoͤlf Mannshemden. „ Fuͤr wen ſind denn dieſe Hemder, fragte die Prinzeſſin, meinem Vater ſind ſie doch viel zu klein, “da erzaͤhlte ihr die Waͤſcherin, daß ſie zwoͤlf Bruͤder gehabt haͤtte, die waͤren heimlich fortgegangen, kein Menſch wiſſe wohin, weil ſie der Koͤnig habe wollen toͤdten laſſen, und dieſen zwoͤlf Bruͤdern gehoͤr - ten dieſe zwoͤlf Hemder. Das Schweſterchen verwunderte ſich, daß ihm niemals von ſeinen zwoͤlf Bruͤdern etwas zu Ohren gekommen und wie es Nachmittags auf der Wieſe ſaß und die27 Waͤſche bleichte, da fielen ihm die Worte der Waͤſcherin wieder ein, und es ward nachdenk - ſam, und endlich ſtieg es auf, nahm die zwoͤlf Hemder und ging in den Wald hinein, wo ſei - ne Bruͤder lebten.
Das Schweſterchen kam gerade zu der Hoͤhle, wo ſie ihre Wohnung hatten. Die eilf waren auf der Jagd und nur ein ein - ziger daheim, der kochen mußte. Wie der das Maͤdchen erblickte, faßte er es gleich, und holte ſein Schwert: „ knie nieder, dein ro - thes Blut muß den Augenblick fließen. “ Das Maͤdchen aber bat ihn: „ lieber Herr, laßt mich leben, ich will bei euch bleiben und euch redlich dienen, ich will kochen und den Haushalt fuͤh - ren. “Es[w]ar gerade der juͤngſte Bruder, den erbarmte die Schoͤnheit des Maͤdchens und er ſchenkte ihr das Leben. Wie die eilfe nach Haus kamen und ſich verwunderten, ein Maͤdchen le - bendig in der Hoͤhle zu finden, ſagte er zu ih - nen: „ liebe Bruͤder, dies Maͤdchen iſt in die Hoͤhle gekommen, und wie ich es niederhauen wollte, da bat es ſo ſehr um ſein Leben, es wollt uns treu dienen und den Haushalt fuͤh - ren, daß ichs ihm geſchenkt habe. “ Die an - dern gedachten, daß ihnen das vortheilhaft waͤ - re und daß ſie nun alle zwoͤlf auf die Jagd ausgehen koͤnnten, und warens zufrieden. Da zeigte es ihnen die zwoͤlf Hemdlein und ſagte,28 es waͤr 'ihre Schweſter; daruͤber freuten ſie ſich alle, und waren froh, daß ſie es nicht getoͤdtet hatten.
Das Schweſterchen uͤbernahm nun den Haushalt, und wenn die Bruͤder auf der Jagd waren, ſammelte es Holz und Kraͤuter, ſtellte zu am Feuer, deckte die Bettlein huͤbſch weiß und rein, und thaͤt alles unverdroſſen und flei - ßig. Einmal geſchah es, daß es fertig war mit aller Arbeit, da ging es in den Wald ſpazieren. Es kam an einen Platz, wo zwoͤlf ſchoͤne hohe, weiße Lilien ſtanden, und weil ſie ihr ſo wohl gefielen, brach ſie alle miteinander ab. Kaum aber war das geſchehen, ſo ſtand eine alte Frau vor ihr: „ ach meine Tochter, ſagte ſie, warum haſt du die zwoͤlf Studentenblumen nicht ſte - hen laſſen! das ſind deine zwoͤlf Bruͤder, die ſind nun alle in Raben verwandelt worden und ſind verloren auf ewig. “ Das Schweſterchen fing an zu weinen, „ ach! ſagte es, giebts denn kein Mittel ſie zu erloͤſen? [“]„ Nein, es iſt kein Mittel auf der Welt, als ein einziges, das iſt ſo ſchwer, das du ſie nicht damit befreien wirſt: du mußt zwoͤlf ganzer Jahr ſtumm ſeyn, ſprichſt du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde daran, ſo iſt alles umſonſt und deine Bruͤder ſind in dem Augenblick todt. “
Das Schweſterchen ſetzte ſich da auf einen hohen Baum im Wald und ſpann und wollte29 zwoͤlf Jahre ſtumm ſitzen, um ſeine Bruͤder zu erloͤſen. Es geſchah aber, daß der Koͤnig auf einer Jagd durch den Wald ritt, und als er an dem Baum vorbei kam, ſtand ſein Hund ſtill und bellte. Der Koͤnig hielt nun, ſah hin - auf und war ganz verwundert uͤber die Schoͤn - heit der Prinzeſſin. Er rief ihr zu, ob ſie ſei - ne Gemahlin werden wollte. Sie ſchwieg aber ſtill und nickte nur ein wenig mit dem Kopf. Da ſtieg der Koͤnig ſelber hinauf und hob ſie herunter, ſetzte ſie vor ſich auf ſein Pferd und brachte ſie heim in ſein Schloß, wo die Hochzeit praͤchtig gehalten ward. Die Prin - zeſſin ſprach aber niemals ein Wort und der Koͤnig glaubte ſie ſey ſtumm. Doch haͤtten ſie vergnuͤgt mit einander gelebt, wenn nicht die Mutter des Koͤnigs geweſen waͤre, die fing an die Koͤnigin bei ihrem Sohn zu verlaͤum - den: „ es iſt ein gemeines Bettelmaͤdchen, das du aus der Fremde mitgebracht haſt, die hin - ter deinem Ruͤcken die ſchaͤndlichſten Dinge treibt. “ Weil die Koͤnigin nun ſich nicht ver - theidigen konnte, ließ ſich der Koͤnig verfuͤhren, und glaubte ihr endlich und verurtheilte ſie zum Tod. Da ward ein großes Feuer angemacht im Hof, darin ſollte ſie verbrannt werden. Schon ſtand ſie in den Flammen und die ſpiel - ten an ihrem Kleide; da war eben die letzte Minute von den zwoͤlf Jahren verfloſſen, man30 hoͤrte in der Luft ein Geraͤuſch, und es kamen zwoͤlf Raben hergeflogen und ließen ſich nieder. Wie ſie die Erde beruͤhrten, waren es zwoͤlf ſchoͤne Prinzen, die riſſen das Feuer von ein - ander und fuͤhrten ihre Schweſter heraus. Da ſprach ſie ihr erſtes Wort wieder und ſagte dem Koͤnig alles, wie es zugegangen und ſie die zwoͤlf Bruͤder habe erloͤſen muͤſſen; und ſie waren alle vergnuͤgt, daß es ſo wohl gewor - den war.
Was ſollten ſie mit der boͤſen Stiefmutter anfangen; ſie ward in ein Faß geſteckt von ſie - dendem Oehl und von giftigen Schlangen an - gefuͤllt, und ſtarb da eines boͤſen Todes.
Haͤhnchen ſprach zum Huͤhnchen: „ die Nuͤſſe ſind reif, da wollen wir mit einander auf den Berg gehen, und uns einmal recht ſatt daran eſſen, eh ſie das Eichhorn alle wegholt. “ Ja, antwortete das Huͤhnchen, „ komm da wol - len wir uns eine Luſt miteinander machen. “ Sie gingen zuſammen fort, und weil es ein hel - ler Tag war, blieben ſie bis zum Abend; nun weiß ich nicht, ob ſie ſich ſo dick gegeſſen oder ob ſie ſo uͤbermuͤthig geworden waren, ſie woll - ten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und das31 Haͤhnchen mußte einen kleinen Wagen von Nuß - ſchaalen bauen. Als er fertig war, ſetzte ſich Huͤhnchen hinein und ſagte zum Haͤhnchen: „ du kannſt dich nur immer vorſpannen. “— „ Nein, ſagte das Haͤhnchen, das waͤre mir recht! lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als daß ich mich vorſpannen laſſe, ſo haben wir nicht gewettet; Kutſcher will ich wohl ſeyn und auf dem Bock ſitzen, aber ſelbſt ziehen, das thu ich nicht. “
Wie ſie ſich ſo ſtritten, ſchnatterte eine En - te daher: „ ihr Diebsvolk, wer hat euch gehei - ßen in meinen Nußberg gehen, das ſoll euch ſchlecht bekommen “, ging damit auf das Haͤhn - chen los. Aber Haͤhnchen war auch nicht faul, und ſtieg der Ente tuͤchtig zu Leib, endlich hack - te es mit[ſeinem] Sporn ſo gewaltig, daß ſie um Gnade bat und ſich gern zur Strafe vor den Wagen ſpannen ließ. Haͤhnchen ſetzte ſich auf den Bock und war Kutſcher, und nun ging es fort, im Gallop: Ente lauf zu was du kannſt! Als ſie ein Stuͤck Wegs gefahren wa - ren, begegneten ſie zwei Fußgaͤngern, einer Stecknadel und einer Naͤhnadel. Die riefen halt und ſagten, es werde gleich ſtichdunkel werden, da koͤnnten ſie keinen Schritt weiter, dabei waͤr es ſo ſchmutzig auf der Straße, ob ſie nicht ein wenig einſitzen koͤnnten; ſie ſeyen auf der Schneiderherberge vor dem Thor gewe -32 ſen und haͤtten ſich beim Bier verſpaͤtet. Das Haͤhnchen, da es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ ſie beide einſteigen, doch mußten ſie verſprechen, ihm nicht auf die Fuͤße zu treten. Spaͤt Abends kamen ſie zu ei - nem Wirthshaus, und weil ſie die Nacht nicht weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und von einer Seite auf die an - dere fiel, kehrten ſie ein. Der Wirth machte anfangs viel Einwendungen, ſein Haus ſey ſchon voll, gedachte auch wohl, es moͤgten keine vornehme Paſſagiere ſeyn; endlich aber, da ſie ſuͤße Reden fuͤhrten, er ſolle das Ei haben, wel - ches das Huͤhnchen unterwegs gelegt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins lege, ſo gab er nach. Nun ließen ſie ſich wieder friſch auftragen und lebten in Saus und Braus. Fruͤh Morgens, als es erſt daͤmmerte und noch alles ſchlief, weckte Haͤhnchen das Huͤhnchen, holte das Ei, pickte es auf und ſie verzehrten es zuſammen, die Schalen aber warfen ſie auf den Feuerheerd. Dann gingen ſie zu der Naͤh - nadel, die noch ſchlief, packten ſie beim Kopf und ſteckten ſie in das Seſſelkiſſen des Wirths, die Stecknadel aber in ſein Handtuch, darauf flogen ſie, mir nichts dir nichts, uͤber die Heide davon. Die Ente, die unter freiem Himmel ſchlafen wollte und im Hof geblieben war, hoͤrte ſie fortſchnurren, machte ſich munter und fandei -33einen Bach, auf dem ſie hinunter ſchwamm, und das ging geſchwinder als vor dem Wagen. Ein paar Stunden darnach ſtieg der Wirth aus den Federn, wuſch ſich und wollte ſich am Hand - tuch abtrocknen, da zerriß er ſich das Geſicht mit der Stecknadel, dann ging er in die Kuͤche und wollte ſich eine Pfeife anſtecken, wie er aber an den Heerd kam, ſprangen ihm die Eierſcha - len in die Augen. „ Heute Morgen trifft Alles meinen Kopf, “ſagte er, und ſetzte ſich aͤrger - lich in ſeinen Großvaterſtuhl — auweh! da ward er noch ſchlimmer getroffen von der Naͤhnadel und nicht an den Kopf. Da ward er vollends boͤſ 'und hatte Verdacht auf die Gaͤſte, die ſo ſpaͤt geſtern Abend gekommen waren, und wie er ging und ſich nach ihnen umſah, waren ſie fort. Da that er einen Schwur, kein Lumpengeſindel mehr in ſein Haus zu nehmen, das viel ver - zehrt, nichts bezahlt und obendrein zum Dank Schabernack treibt.
Bruͤderchen nahm ſein Schweſterchen an der Hand und ſagte: „ ſeit die Mutter todt iſt, ha - ben wir keine gute Stunde mehr, die Stiefmut - ter ſchlaͤgt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, ſtoͤßt ſie uns mit dem Fuß fort; ſieKindermärchen. C34giebt uns auch nichts zu eſſen, als harte Brot - kruſten; dem Huͤndlein unter dem Tiſch gehts beſſer, dem wirft ſie doch manchmal was Gu - tes zu, daß Gott erbarm, wenn das unſere Mutter wuͤßte! Komm laß uns miteinander fortgehen. “ Sie gingen zuſammen fort und kamen in einen großen Wald, da waren ſie ſo traurig und ſo muͤde, daß ſie ſich in einen hoh - len Baum ſetzten und da Hungers ſterben wollten.
Sie ſchliefen zuſammen ein, und wie ſie am Morgen aufwachten, war die Sonne ſchon lange aufgeſtiegen und ſchien heiß in den hoh - len Baum hinein. „ Schweſterchen, ſagte das Bruͤderchen nach einer Zeit, mich duͤrſtet ſo ge - waltig, wenn ich ein Bruͤnnlein in der Naͤhe wuͤßte, ich ging hin und traͤnk einmal, es iſt mir auch, als hoͤrte ich eins rauſchen. “— „ Was hilft das, antwortete das Schweſterchen, warum willſt Du trinken, da wir doch Hungers ſterben wollen. “— Bruͤderchen aber ſchwieg ſtill und ſtieg heraus, und weil es das Schwe - ſterchen immer feſt mit der Hand hielt, mußte es mit heraus ſteigen. Die boͤſe Stiefmutter aber war eine Hexe, und wie ſie die zwei Kin - der hatte fortgehen ſehen, war ſie ihnen nach - gegangen und hatte ein klares Bruͤnnlein in der Naͤhe des Baums aus dem Felſen ſpringen laſ - ſen, das ſollte durch ſein Rauſchen die Kinder35 herbeilocken und zum trinken reizen, wer aber davon trank, der ward in ein Rehkaͤlbchen ver - wandelt. Bruͤderchen kam bald mit dem Schwe - ſterchen zu dem Bruͤnnlein, und als er es ſo glitzerig uͤber die Steine ſpringen ſah, ward ſeine Luſt immer groͤßer, und er wollte davon trinken. Aber dem Schweſterchen war Angſt, es meinte, das Bruͤnnlein ſpraͤche im Rauſchen und ſagte: „ wer mich trinkt, wird zum Reh - kaͤlbchen; wer mich trinkt, wird zum Rehkaͤlb - chen! “da bat es das Bruͤderchen, nicht von dem Waſſer zu trinken. „ Ich hoͤre nichts, ſag - te das Bruͤderchen, als wie das Waſſer ſo lieb - lich rauſcht, laß mich nur gehen! “ Damit legte es ſich nieder, beugte ſich herab und trank, und wie der erſte Tropfen auf ſeine Lippen gekommen war, da lag ein Rehkaͤlbchen an dem Bruͤnnlein.
Das Schweſterchen weinte und weinte, die Hexe aber war boͤſe, daß ſie es nicht auch zum Trinken hatte verfuͤhren koͤnnen. Nachdem es drei Tage geweint, ſtand es auf und ſammelte die Binſen in dem Wald, und flocht ein wei - ches Seil daraus. Dann band es das Rehkaͤlb - chen daran und fuͤhrte es mit ſich. Es ſuchte ihm auch eine Hoͤhle, trug Moos und Laub hin - ein und machte ihm ein weiches Lager; am Mor - gen ging es mit ihm hinaus, wo zartes Gras war und ſammelte das allerſchoͤnſte, das fraß es ihm aus der Hand, und das Rehkaͤlbchen warC 236dann vergnuͤgt und ſpielte auf den Huͤgeln. Abends aber, wenn Schweſterchen muͤde war, legte es ſeinen Kopf auf den Ruͤcken des Reh - kaͤlbchens, das war ſein Kiſſen, und ſo ſchlief es ein; und haͤtte das Bruͤderchen nur ſeine menſch - liche Geſtalt gehabt, das waͤre ein herrliches Le - ben geweſen.
So lebten ſie lange Jahre in dem Wald. Auf eine Zeit jagte der Koͤnig und verirrte ſich darin. Da fand er das Maͤdchen mit dem Thier - lein in dem Wald und war erſtaunt uͤber ſeine Schoͤnheit. Er hob es zu ſich auf ſein Pferd und nahm es mit, und das Rehkaͤlbchen lief an dem Seile nebenher. An dem koͤniglichen Hofe ward ihm alle Ehre angethan, ſchoͤne Jungfrauen mußten es bedienen, doch war es ſelber ſchoͤner, als alle andern; das Rehkaͤlbchen ließ es nie - mals von ſich, und that ihm alles Gute an. Bald darauf ſtarb die Koͤnigin, da ward das Schweſterchen mit dem Koͤnig vermaͤhlt und lebte in allen Freuden.
Die Stiefmutter aber hatte von dem Gluͤck gehoͤrt, das dem armen Schweſterchen begeg - net; ſie dachte es waͤre laͤngſt im Wald von den wilden Thieren gefreſſen worden, aber die hat - ten ihm nichts gethan, und nun war es Koͤnigin im Reich. Die Hexe war ſo boͤſe daruͤber, daß ſie nur darauf dachte, wie ſie ihr das Gluͤck ver - derben konnte. Als im folgenden Jahr die Koͤ -37 nigin einen ſchoͤnen Prinzen zur Welt gebracht hatte, und der Koͤnig auf der Jagd war, trat ſie in der Geſtalt der Kammerfrau in die Stu - be, worin die Kranke lag. „ Das Bad iſt fuͤr euch bereitet, ſagte ſie, das wird euch wohlthun und ſtaͤrken, kommt eh 'es kalt wird. “ Sie fuͤhrte ſie darauf in die Badeſtube; wie die Koͤ - nigin hineingetreten war, ſchloß ſie die Thuͤre hinter ihr zu, drin aber war ein Hoͤllenfeuer angemacht, da mußte die ſchoͤne Koͤnigin erſtik - ken. Die Hexe hatte eine rechte Tochter, der gab ſie ganz die aͤußerliche Geſtalt der Koͤnigin und legte ſie an ihrer Stelle in das Bett. Der Koͤnig kam am Abend heim, und wußte nicht, daß er eine falſche Frau habe. Aber in der Nacht — ſah die Kinderfrau — trat die rechte Koͤ - nigin in die Stube, ſie ging zur Wiege, nahm ihr Kind heraus, hob es an ihre Bruſt und gab ihm zu trinken, dann ſchuͤttelte ſie ihm ſein Bett - chen auf, legte es wieder hinein und deckte es zu. Darauf ging ſie in die Ecke wo das Reh - kaͤlbchen ſchlief und ſtreichelte ihm uͤber den Ruͤk - ken. So kam ſie alle Nacht und ging wieder fort, ohne ein Wort zu ſprechen.
Einmal aber trat ſie wieder ein und ſprach:
und that alles, wie in den andern Naͤchten. 38Die Kinderfrau weckte aber den Koͤnig und ſagte es ihm heimlich. Der Koͤnig wachte die andere Nacht, und da ſah er auch, wie die Koͤnigin kam und hoͤrte deutlich ihre Worte:
„ Was macht mein Kind? was macht mein Reh? nun komm 'ich noch einmal und dann nimmer - mehr. “
Aber er getraute ſich nicht, ſie anzureden. In der andern Nacht wacht 'er wieder, da ſprach die Koͤnigin:
„ Was macht mein Kind? was macht mein Reh? nun komm 'ich noch diesmal her und dann nim - mermehr. “
Da konnte ſich der Koͤnig nicht laͤnger halten, ſprang auf und umarmte ſie, und wie er ſie an - ruͤhrte, ward ſie wieder lebendig, friſch und roth. Die falſche Koͤnigin ward in den Wald gefuͤhrt, wo die wilden Thiere ſie fraßen, die boͤſe Stief - mutter aber ward verbrannt, und wie das Feuer ſie verzehrte, da verwandelte ſich das Rehkaͤlb - chen, und Bruͤderchen und Schweſterchen waren wieder beiſammen und lebten gluͤcklich ihr Lebe - lang.
Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten ſich ſchon lange ein Kind gewuͤnſcht39 und nie eins bekommen, endlich aber ward die Frau guter Hoffnung. Dieſe Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenſter, daraus konnten ſie in den Garten einer Fee ſehen, der voll von Blumen und Kraͤutern ſtand, allerlei Art, keiner aber durfte es wagen, in den Gar - ten hineinzugehen. Eines Tages ſtand die Frau an dieſem Fenſter und ſah hinab, da erblickte ſie wunderſchoͤne Rapunzeln auf einem Beet und wurde ſo luͤſtern darnach, und wußte doch, daß ſie keine davon bekommen konnte, daß ſie ganz abfiel und elend wurde. Ihr Mann erſchrack endlich und fragte nach der Urſache; „ ach wenn ich keine von den Rapunzeln aus dem Garten hinter unſerm Haus zu eſſen kriege, ſo muß ich ſterben. “ Der Mann, welcher ſie gar lieb hatte, dachte, es mag koſten was es will, ſo willſt du ihr doch welche ſchaffen, ſtieg eines Abends uͤber die hohe Mauer und ſtach in aller Eile eine Hand voll Rapunzeln aus, die er ſeiner Frau brachte. Die Frau machte ſich ſogleich Salat daraus, und aß ſie in vollem Heißhunger auf. Sie hat - ten ihr aber ſo gut, ſo gut geſchmeckt, daß ſie den andern Tag noch dreimal ſoviel Luſt bekam. Der Mann ſah wohl, daß keine Ruh waͤre, alſo ſtieg er noch einmal in den Garten, allein er erſchrack gewaltig, als die Fee darin ſtand und ihn heftig ſchalt, daß er es wage in ihren Gar - ten zu kommen und daraus zu ſtehlen. Er ent -40 ſchuldigte ſich, ſo gut er konnte, mit der Schwan - gerſchaft ſeiner Frau, und wie gefaͤhrlich es ſey, ihr dann etwas abzuſchlagen, endlich ſprach die Fee: „ ich will mich zufrieden geben und dir ſelbſt geſtatten Rapunzeln mitzunehmen, ſo viel du willſt, wofern du mir das Kind geben wirſt, womit deine Frau jetzo geht. “ In der Angſt ſagte der Mann alles zu, und als die Frau in Wochen kam, erſchien die Fee ſogleich, nannte das kleine Maͤdchen Rapunzel und nahm es mit ſich fort.
Dieſes Rapunzel wurde das ſchoͤnſte Kind unter der Sonne, wie es aber zwoͤlf Jahr alt war, ſo ſchloß es die Fee in einen hohen hohen Thurm, der hatte weder Thuͤr noch Treppe, nur bloß ganz oben war ein kleines Fenſterchen. Wenn nun die Fee hinein wollte, ſo ſtand ſie unten und rief:
„ Rapunzel, Rapunzel! laß mir dein Haar herunter. “
Rapunzel hatte aber praͤchtige Haare, fein wie geſponnen Gold, und wenn die Fee ſo rief, ſo band ſie ſie los, wickelte ſie oben um einen Fen - ſterhaken und dann fielen die Haare zwanzig Ellen tief hinunter und die Fee ſtieg daran hinauf.
Eines Tages kam nun ein junger Koͤnigs - ſohn durch den Wald, wo der Thurm ſtand, ſah das ſchoͤne Rapunzel oben am Fenſter ſte - hen und hoͤrte ſie mit ſo ſuͤßer Stimme ſingen,41 daß er ſich ganz in ſie verliebte. Da aber keine Thuͤre im Thurm war und keine Leiter ſo hoch reichen konnte, ſo gerieth er in Verzweiflung, doch ging er alle Tage in den Wald hin, bis er einſtmals die Fee kommen ſah, die ſprach:
„ Rapunzel, Rapunzel! laß dein Haar herunter. “
Darauf ſah er wohl, auf welcher Leiter man in den Thurm kommen konnte. Er hatte ſich aber die Worte wohl gemerkt, die man ſprechen muß - te, und des andern Tages, als es dunkel war, ging er an den Thurm und ſprach hinauf:
[„]Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter! [“]
da ließ ſie die Haare los, und wie ſie unten waren, machte er ſich daran feſt und wurde hin - aufgezogen.
Rapunzel erſchrack nun anfangs, bald aber gefiel ihr der junge Koͤnig ſo gut, daß ſie mit ihm verabredete, er ſolle alle Tage kommen und hinaufgezogen werden. So lebten ſie luſtig und in Freuden eine geraume Zeit, und die Fee kam nicht dahinter, bis eines Tages das Rapunzel anfing und zu ihr ſagte: „ ſag 'ſie mir doch Frau Gothel, meine Kleiderchen werden mir ſo eng und wollen nicht mehr paſſen. “ Ach du gottlo - ſes Kind, ſprach die Fee, was muß ich von dir hoͤren, und ſie merkte gleich, wie ſie betrogen waͤre, und war ganz aufgebracht. Da nahm ſie42 die ſchoͤnen Haare Rapunzels, ſchlug ſie ein paar Mal um ihre linke Hand, griff eine Scheere mit der rechten und ritſch, ritſch, waren ſie abge - ſchnitten. Darauf verwieß ſie Rapunzel in eine Wuͤſtenei, wo es ihr ſehr kuͤmmerlich erging und ſie nach Verlauf einiger Zeit Zwillinge, einen Knaben und ein Maͤdchen gebar.
Denſelben Tag aber, wo ſie Rapunzel ver - ſtoßen hatte, machte die Fee Abends die abge - ſchnittenen Haare oben am Haken feſt, und als der Koͤnigsſohn kam;
[„]Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter! [“]
ſo ließ ſie zwar die Haare nieder, allein wie erſtaunte der Prinz, als er ſtatt ſeines gelieb - ten Rapunzels die Fee oben fand. „ Weißt du was, ſprach die erzuͤrnte Fee, Rapunzel iſt fuͤr dich Boͤſewicht auf immer verloren! “
Da wurde der Koͤnigsſohn ganz verzwei - felnd, und ſtuͤrzte ſich gleich den Thurm hinab, das Leben brachte er davon, aber die beiden Augen hatte er ſich ausgefallen, traurig irrte er im Wald herum, aß nichts als Gras und Wurzeln, und that nichts als weinen. Einige Jahre nachher geraͤth er in jene Wuͤſtenei, wo Rapunzel kuͤmmerlich mit ihren Kindern lebte, ihre Stimme daͤuchte ihm ſo bekannt, in dem - ſelben Augenblick erkannte ſie ihn auch und faͤllt ihm um den Hals. Zwei von ihren Thraͤ -43 nen fallen in ſeine Augen, da werden ſie wie - der klar, und er kann damit ſehen, wie ſonſt.
Einem Mann war ſeine Frau geſtorben, da war er unſchluͤſſig ob er ſich wieder eine nehmen ſollte oder nicht. Endlich zog er ſei - nen Stiefel aus, der hatte in der Sohle ein Loch, und ſprach zu ſeiner Tochter, ſeinem ein - zigen Kind: „ nimm dieſem Stiefel, trag ihn auf den Boden, da iſt ein großer Nagel, dar - an haͤng ihn auf, dann hole Waſſer und gieß es hinein; haͤlt er das Waſſer, ſo will ich wie - der eine Frau nehmen, laͤufts aber durch, ſo laß ichs bleiben. “ Das Maͤdchen that, wie ihm geheißen war, das Waſſer aber zog das Loch zuſammen und der Stiefel ward voll bis oben hin. Der Mann ſah ſelber nach, obs richtig war, dann ſagte er: da muß ich mir wohl eine Frau nehmen; ging hin und freite eine Witt - we. Dieſe brachte auch eine Tochter von ih - rem erſten Mann mit ins Haus, und als ſie ſah, daß ihr Stiefkind ſchoͤn war und jeder - mann es lieb hatte, ihre Tochter aber haͤßlich, ſo ward ſie neidiſch, ſetzte es uͤberall zuruͤck und dachte nur darauf, wie ſie es recht quaͤlen wollte.
44Einmal mitten im Winter, als der Schnee hoch lag, naͤhte ſie ein Kleid von feinem Pa - pier, und als es fertig war, rief ſie das Stief - kind und ſagte: „ ich habe Luſt Erdbeeren zu eſſen, da zieh das Kleid an, geh in den Wald und ſuche mir das Koͤrbchen voll: und daß du nicht eher nach Haus kommſt, bis du es voll haſt! “ Das Maͤdchen weinte bitterlich und ſagte: „ im Winter wachſen keine Erdbeeren im Walde, und wenn ſie auch da waͤren ſo liegt der Schnee darauf, wie ſoll ich ſie finden; und draußen iſts ſo kalt, daß der Athem friert, wie kann ich in dem Papierkleid gehen, da weht ja der Wind durch, und die Dornen reißen es mir herunter. “— Rede kein Wort mehr, ſag - te die Mutter, und geh gleich hinaus und ſu - che die Erdbeeren; “in ihrem neidiſchen Her - zen aber gedachte ſie, das Maͤdchen werde drau - ßen erfrieren und nimmermehr heimkommen, darum hatte ſie ihm auch das duͤnne Papier - kleid gemacht. Das Maͤdchen aber war gehor - ſam, that das Papierkleid um, ging in den Wald, da war aber nichts als Schnee und nir - gends auch nur ein gruͤn Haͤlmchen zu ſehen. Es ging immer weiter, und als es mitten in den Wald kam, da ſah es ein kleines Haus, aus dem guckten drei kleine Maͤnner. Es ſagte ihnen guten Tag, und weil es ſo artig gruͤßte, fragten ſie, was es in dem leichten Papierklei -45 de im Walde zur Winterszeit ſuche. „ Ach! “ſagte es, „ ich ſoll ein Koͤrbchen voll Erdbeeren ſuchen und darf nicht eher nach Haus kommen bis ich es mitbringe. “ Die drei Maͤnner ſag - ten darauf: „ geh hinter unſer Haus und raͤu - me den Schnee weg, da haben ſie Schutz ge - habt und ſind gewachſen, da wirſt du vollauf finden. “ Das Maͤdchen bedankte ſich und that, wie ſie es geheißen hatten. Waͤhrend es nun den Schnee wegraͤumte und die Erdbeeren ab - brach, ſprachen die drei Maͤnnlein unter ſich: „ was ſollen wir ihm ſchenken, weil es ſo ar - tig gegen uns geweſen und ſo ſchoͤn iſt? “da ſagte das eine: „ ich ſchenke ihm, daß es noch ſchoͤner wird, „ das andere ſagte: „ ich ſchenke ihm, daß die goldenen Ducaten aus ſeinem Munde fallen, wenn es ſpricht; “das dritte: „ ich ſchenke ihm, daß ein Koͤnig kommt und es heirathe. “ Wie nun das Maͤdchen wieder her - vorkam, ſchenkten ſie ihm das alles, und als es ſich bedanken wollte, fielen ſchon Ducaten aus ſeinem Munde. Da ging es nach Haus und verwunderte ſich die Stiefmutter uͤber die Erd - beeren, die es brachte, ſo verwunderte ſie ſich noch mehr, als ſie ſah, wie ihm die Ducaten aus dem Munde fielen; es dauerte auch nicht lange, ſo kam ein Koͤnig und holte es ab, und machte es zu ſeiner Gemahlin.
Die Mutter aber gedachte, ſie wollte ihrer46 Tochter auch ein ſo großes Gluͤck verſchaffen. Da naͤhte ſie ihr einen praͤchtigen Pelzrock und hieß ſie hinausgehen in den Wald, und die klei - nen Maͤnner um ein Geſchenk bitten. Die Maͤnner aber ſahen, daß ſie ein boͤſes Herz hatte und ſtatt guter Geſchenke gaben ſie ihm ſchlimme. Der erſte, daß ſie in ihrem Pelzrock friere, als waͤr er aus Papier, der zweite, daß ſie alle Tage garſtiger werde, der dritte, daß ſie eines ungluͤcklichen Todes ſterbe. Zitternd vor Froſt kam ſie nach Hauſe und erzaͤhlte der Mutter, was ihr begegnet war, und als dieſe ſah, daß die Verwuͤnſchungen der drei Maͤnner anfingen einzutreffen, dachte ſie nur darauf, wie ſie ſich raͤchen wollte. Sie ging zu ihrer Stief - tochter, der Koͤnigin, und ſtellte ſich freundlich und liebreich an, da ward ſie wohl aufgenom - men und ward ihr eine eigene Wohnung gege - ben. Bald darauf gebar die Koͤnigin einen Prinzen, und als ſie in der Nacht allein, krank und ſchwach war, da hob ſie das boͤſe Weib mit ihrer Tochter aus dem Bett, und ſie tru - gen ſie hinaus zu dem Fluß und warfen ſie hinein. Am andern Morgen ſagten ſie dem Koͤnig, die Koͤnigin ſey in der Nacht ge - ſtorben.
In der folgenden Nacht ſah der Kuͤchen - junge, wie eine Ente durch die Goſſe in die Kuͤche hineinſchwamm. Sie fragte:47 „ Was machen meine Gaͤſte? “— Er antwortete: „ Sie ſchlafen feſte. “ „ Was macht mein Kindelein? “ „ Es ſchlaͤft in der Wiege fein. “ Da ging ſie hinauf in der Koͤnigin Geſtalt, gab ihm zu trinken, pflegt 'es, macht' ihm ſei - ne Wiege, deckt es zu und ſchwamm als Ente am Morgen wieder durch die Goſſe fort. So kam ſie noch eine Nacht, in der dritten aber ſagte ſie zu dem Kuͤchenjungen: „ geh zu dem Koͤnig und ſag ihm, er ſolle ſein Schwert drei - mal auf der Schwelle uͤber mir ſchwingen. “ Der Kuͤchenjunge lief und ſagts dem Koͤnig, und als der Koͤnig dreimal ſein Schwert ge - ſchwungen, da ſtand die Koͤnigin wieder leben - dig vor ihm. Die Falſchheit der Stiefmutter und ihrer Tochter kam an den Tag und ſie wurden den wilden Thieren im Walde zu freſ - ſen gegeben.
Vorzeiten lebte ein Koͤnig, dem war nichts lieber auf der Welt als Flachsſpinnen, und die Koͤnigin und ſeine Toͤchter mußten den ganzen Tag ſpinnen, und wenn er die Raͤder nicht ſchnurren hoͤrte, war er boͤſe. Einmal mußte er eine Reiſe machen, und ehe er Abſchied48 nahm, gab er der Koͤnigin einen großen Kaſten mit Flachs und ſagte: „ der muß geſponnen ſeyn, wann ich wieder komme. “ Die Prin - zeſſinnen wurden betruͤbt und weinten: „ wenn wir das alles ſpinnen ſollen, muͤſſen wir den ganzen Tag ſitzen und duͤrfen nicht einmal auf - ſtehen. “ Die Koͤnigin aber ſprach: „ troͤſtet euch, ich will euch ſchon helfen. Da waren im Lande drei beſonders haͤßliche Jungfern, die er - ſte hatte eine ſo große Unterlippe, daß ſie uͤber das Kinn herunterhing, die zweite hatte an der rechten Hand den Zeigefinger ſo dick und breit, daß man drei andere Finger haͤtte daraus ma - chen koͤnnen, die dritte hatte einen dicken breiten Platſchfuß, ſo breit wie ein halbes Kuchenbrett. Die ließ die Koͤnigin zu ſich fordern und an dem Tage, wo der Koͤnig heim kommen ſollte, ſetzte ſie alle drei nebeneinander in ihre Stube, gab ihnen ihre Spinnraͤder und da mußten ſie ſpinnen, auch ſagte ſie einer jeden, was ſie auf des Koͤnigs Fragen antworten ſolle. Als der Koͤnig anlangte, hoͤrte er das Schnurren der Raͤder von weitem, freute ſich herzlich und ge - dachte ſeine Toͤchter zu loben. Wie er aber in die Stube kam und die drei garſtigen Jungfern da ſitzen ſah, erſchrack er erſtlich, dann trat er hinzu und fragte die erſte, woher ſie die ent - ſetzlich große Unterlippe habe? „ vom Lecken, vom Lecken! “ Darauf die zweite, woher derdicke49dicke Finger? „ vom Faden drehen, vom Fa - den drehen und umſchlingen! “dabei ließ ſie den Faden ein paarmal um den Finger laufen. Endlich die dritte: woher den dicken Fuß? „ vom Treten, vom Treten! “wie das der Koͤ - nig hoͤrte, befahl er der Koͤnigin und den Prin - zeſſinnen, ſie ſollten nimmermehr ein Spinnrad anruͤhren und ſo waren ſie ihrer Qual los.
Vor einem großen Walde wohnte ein ar - mer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und zu brechen, und kaum das taͤgliche Brod fuͤr ſeine Frau und ſeine zwei Kinder, Haͤnſel und Gretel. Einmal konnte er auch das nicht mehr ſchaffen, und wußte ſich nicht zu helfen in ſeiner Noth. Wie er Abends vor Sorge ſich im Bett herumwaͤlzte, da ſagte ſeine Frau zu ihm: „ hoͤre Mann, morgen fruͤh nimm die beiden Kinder, gieb jedem noch ein Stuͤckchen Brod, dann fuͤhr ſie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dickſten iſt, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg und laß ſie dort, wir koͤn - nen ſie nicht laͤnger ernaͤhren. “ „ Nein Frau, ſagte der Mann, das kann ich nicht uͤber mein Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder zu den wilden Thieren zu fuͤhren, die ſie bald inKindermärchen. D50dem Wald zerreißen wuͤrden. “ „ Wenn du das nicht thuſt, ſprach die Frau, ſo muͤſſen wir alle miteinander Hungers ſterben; “da ließ ſie ihm keine Ruhe, bis er Ja ſagte.
Die zwei Kinder waren auch noch wach von Hunger, und hatten alles gehoͤrt, was die Mutter zum Vater geſagt hatte. Gretel dach - te, nun iſt es um mich geſchehen und fing er - baͤrmlich an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach: „ ſey ſtill, Gretel, und graͤm dich nicht, ich will uns helfen. “ Damit ſtieg er auf, zog ſein Roͤcklein an, machte die Unterthuͤre auf und ſchlich hinaus. Da ſchien der Mond hell und die weißen Kieſelſteine glaͤnzten wie lauter Ba - tzen. Haͤnſel buͤckte ſich und machte ſich ſein ganz Rocktaͤſchlein voll davon, ſo viel nur hin - ein wollten, dann ging er zuruͤck ins Haus: „ troͤſte dich, Gretel, und ſchlaf nur ruhig, “leg - te ſich wieder ins Bett und ſchlief ein.
Morgens fruͤh, ehe die Sonne noch aufge - gangen war, kam die Mutter und weckte ſie alle beide: „ ſteht auf, ihr Kinder, wir wollen in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stuͤck - lein Brod, aber haltets zu Rathe und hebts euch fuͤr den Mittag auf. “ Gretel nahm das Brod unter die Schuͤrze, weil Haͤnſel die Stei - ne in der Taſche hatte, dann machten ſie ſich auf den Weg in den Wald hinein. Wie ſie ein Weilchen gegangen waren, ſtand Haͤnſel51 ſtill und guckte nach dem Haus zuruͤck, bald darauf wieder und immer wieder. Der Vater ſprach: „ Haͤnſel, was guckſt du zuruͤck und haͤltſt dich auf, hab Acht und marſchir zu. “— „ Ach, Vater, ich ſeh nach meinem weißen Kaͤtz - chen, das ſitzt oben auf dem Dach und will mir Ade ſagen. “ Die Mutter ſprach: „ ei Narr, das iſt dein Kaͤtzchen nicht, das iſt die Morgenſonne, die auf den Schornſtein ſcheint. “ Haͤnſel aber hatte nicht nach dem Kaͤtzchen geſe - hen, ſondern immer einen von den blanken Kieſel - ſteinen aus ſeiner Taſche auf den Weg geworfen.
Wie ſie mitten in den Wald gekommen waren, ſprach der Vater, „ nun ſammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß wir nicht frieren. “ Haͤnſel und Gretel trugen Reiſig zuſammen, einen kleinen Berg hoch. Da ſteckten ſie es an, und wie die Flamme recht groß brannte, ſagte die Mutter: „ nun legt euch ans Feuer und ſchlaft, wir wollen in dem Wald das Holz faͤllen, wartet, bis wir wieder kommen, und euch abholen.[ “]
Haͤnſel und Gretel ſaßen an dem Feuer, bis Mittag, da aß jedes ſein Stuͤcklein Brod, und dann wieder bis an den Abend; aber Va - ter und Mutter blieben aus, und niemand woll - te kommen und ſie abholen. Wie es nun fin - ſtere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach: „ wart nur ein Weilchen,D 252bis der Mond aufgegangen iſt. Und als der Mond aufgegangen war, faßte er die Gre - tel bei der Hand, da lagen die Kieſelſteine wie neugeſchlagene Batzen und ſchimmerten und zeigten ihnen den Weg. Da gingen ſie die ganze Nacht durch, und wie es Morgen war, kamen ſie wieder bei ihres Vaters Haus an. Der Vater freute ſich von Herzen, als er ſeine Kinder wieder ſah, denn er hatte ſie ungern allein gelaſſen, die Mutter ſtellte ſich auch, als wenn ſie ſich freute, heimlich