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Europaͤiſches Voͤlkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Vertraͤgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutſchen Reichsſtaͤnde,
Erſter Theil.
Altenburg,in der Richterſchen Buchhandlung. 1787.
Puisque la guerre et la paix imposent aux nations des devoirs entièrement differens et même opposés, il eſt indispenſable de diſtinguer ces deux états dans le raiſonnement auſſi bien que dans la conduite. (Memoire juſtificatif de la Grande Bretagne pour ſervir de reponſe à l Expoſé de la Cour de France, du 16. Oct. 1779. )
Europaͤiſches Voͤlkerrecht.
Erſter Theil.

Sr. Excellenz dem Hochwuͤrdigen und Hochwohlge - bohrnen Herrn Herrn Otto Ferdinand von Loͤben, Kurfuͤrſtlich Saͤchſiſchem Konferenz-Miniſter und wuͤrklichem Geheimen Rathe, des Johanniter Ordens Rittern, Erb-Lehn - und Gerichtsherrn auf Ober - Gerlachsheim und Nieder-Rudelsdorf ꝛc.

Hochwuͤrdiger, Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger und Hoͤchſtzuverehrender Herr,

Keine Zueignungsſchrift kan ie wohl eine gegruͤn - detere Veranlaſſung gehabt haben: und wenn es dabey nicht ſowohl auf den Werth der Abhandlung, als auf die Beweggruͤnde des Verfaſſers ankomt, ſo werden Ew. Excellenz, wie ich zuverſichtlich hoffen darf, mir meine Kuͤhnheit gewis gnaͤdigverzei -verzeihen. Sey es Dankbegierde, Ehrfurcht, oder die Entſtehungsart einer Schrift, welche ein ſolches Unternehmen einigermaaßen zu rechtfertigen vermoͤ - gen; ich kan ſie insgeſamt zu meiner Entſchuldig - ung anfuͤhren.

Die Menge und Groͤße der von Ew. Excel - lenz bisher genoſſenen Gnadenbezeugungen uͤber - ſteigen zwar meine Kraͤfte des Danks unendlich; ohnmoͤglich aber kan ich doch auch die Empfindung - en meines Herzens bergen, von denen ich ſo leb - haft durchdrungen bin, und ich ergreife daher ohne Anſtand eine laͤngſt ſchon gewuͤnſchte, aber ſelten ſich darbietende Gelegenheit, Denenſelben wenigſtens meine Dankbegier ehrfurchtsvoll oͤffent - lich an den Tag zu legen. Unvermoͤgen und Furcht Ew. Excellenz Beſcheidenheit zu beleidigen erlauben mir keine Lobſpruͤche uͤber Dero erhabenen Eigenſchaften. Sie ſind algemein bekant und werden von iedermann bewundert und verehrt: was ſolteichich thun, der ich einige Jahre hindurch das Gluͤck gehabt, taͤglich einleuchtendere Beweiſe davon an mir ſelber zu erfahren? Ganz unberuͤhrt weiß ich indes die gnaͤdige Unterſtuͤtzung nicht zu laſſen, deren Ew. Excellenz, waͤhrend meines Aufent - halts in Regensburg, mich wuͤrdigten. Das An - denken derſelben wird mir iederzeit unvergeßlich bleiben. Ohne ſie haͤtte ich meinen Lieblingswunſch, mich den Staatswiſſenſchaften zu weyhen, gewis aufgeben muͤſſen. Sie allein belebte mich von neuem und fuͤhrte mich zu dem Entſchluß, der gegen - waͤrtiger Schrift ihr Daſein gegeben hat.

Doch wozu bedarf es aller dieſer Entſchuldigung - en! Ew. Excellenz gewohnte grosmuͤthige Denkungsart allein buͤrgt mir fuͤr die gnaͤdige Auf - nahme dieſer wenigſtens aus den reinſten Quellen gefloſſenen Zueignung, und ich unterwerfe mich getroſt ihrem nachſichtsvollen Ausſpruche.

a 5Waͤ -

Waͤre meine Arbeit ſo gluͤcklich, nur einigen Beifall Ew. Excellenz zu erhalten, ſo wuͤrde ich Urſach genug haben, auch das guͤnſtige Urteil des Publikums mir verſprechen zu duͤrfen.

Mit der unterthaͤnigſten Bitte um die Fortdau - er Dero gnaͤdigen Wohlwollens vereinige ich die heiſſeſten Wuͤnſche fuͤr Dero und Dero ganzen Hauſes beſtaͤndiges Wohlergehen und erſterbe mit der tiefſten Verehrung

Ew. Excellenz

unterthaͤnigſter Diener Karl Gottlob Guͤnther.

Vorerinnerung.

Nur ein Paar Worte uͤber die Veranlaſſung und Einrichtung der gegenwaͤrtigen Schrift. Neigung ſowohl, als andere Ruͤckſichten machten das Stu - dium der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft ehemals zu einer meiner Hauptbeſchaͤftigungen. Bey dem bisherigen Mangel zweckmaͤſiger Vorleſungen uͤber dieſen wich - tigen Theil der Rechtsgelahrheit auf Univerſitaͤten, mußte ich meine Zuflucht hauptſaͤchlich zu den dahin einſchlagenden Schriften nehmen. Allein mein Ver - langen wurde auch hier nicht ganz befriediget. Wenn gleich die, meines Lobes gar nicht beduͤrfenden, Werke eines Grotius, Puffendorf, Ickſtadt, Wolf, Vattel ꝛc. in Anſehung des natuͤrlichen Voͤlkerrechts faſt nichts weiter zu wuͤnſchen uͤbrig lieſſen; ſo war doch der Mangel an einer hinlaͤngli - chen Anfuͤhrung zum practiſchen oder ſogenannten europaͤiſchen Voͤlkerrechte deſto groͤſſer. Auſſer ver - ſchiedenen kleinen Abhandlungen uͤber einzelne Ma - terien deſſelben, waren die Moſerſchen GrundſaͤtzedesVorerinnerung.des itztuͤblichen europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Frie - dens - und Kriegszeiten die einzigen brauchbaren Schriften dieſer Art. Aber der Verfaſſer hatte die Unzulaͤnglichkeit und Unvollkommenheit derſelben ohne Zuruͤckhaltung ſelbſt eingeſtanden, und ſie waren bey einem erſten Verſuche beinah unvermeid - lich. Vornaͤmlich ſchien mir ein gutgeordnetes Syſtem zu fehlen, weiches beide, das natuͤrliche und das practiſche Voͤlkerrecht mit einandervereinigte und deren Abweichungen von einander gehoͤrig bemerkte. Gern wuͤrde ich, da Zeit und andere Umſtaͤnde mich beguͤnſtigten, vermoͤge der natuͤrlichen Pflicht: Nuͤz - lich zu ſeyn ſo viel man kan, den bereits von vielen geaͤuſſerten Wunſch nach einem brauchbaren europaͤi - ſchen Voͤlkerrechtsſyſtem, ſchon damals, nach dem Maas der mir verliehenen Kraͤfte, zu befriedigen geſucht haben; aber ich fand bey naͤherer Erwegung eines ſolchen Vorhabens ſo viele Schwierigkeiten, daß ich es noch nicht wagen konte, mit einem aus - fuͤhrlichen Syſtem hervorzutreten. Ich entwarf daher zuerſt blos einen Grundriß, wornach ich dieſes Werk auszufuͤhren glaubte und legte ihn, vor nunmehr neun Jahren, ohne Vorſetzung meines Namens, dem Publikum zur Beurteilung vor. Dieſer hatte das Gluͤck eine guͤnſtigere Aufnahme zuerhal -Vorerinnerung.erhalten, als ich erwartete und mein Entſchluß gewann dadurch immer mehrere Feſtigkeit.

Meine Beſtimmung wurde iedoch in der Folge merklich veraͤndert und ich an der Ausfuͤhrung mei - nes Plans von einer Zeit zur andern gehindert: gleichwohl konnte ich mich nie entſchließen ihn ganz aufzugeben. Mein gegenwaͤrtiger Beruf und die Vorwuͤrfe, welche der Herr Regierungsrath Spieß an verſchiedenen Orten, beſonders aber in der Vor - rede zum erſten Theile ſeiner archiviſchen Nebenar - beiten, den meiſten Archivsperſonen macht, waren mir zwar Anfeuerung genug, auch meine geſchaͤfts - freien Stunden vorzuͤglich den noch mancher Ver - volkommnung faͤhigen Archivswiſſenſchaften zu wid - men, aber meine etwas beſchraͤnkte Lage in dieſem Fache hielten mich zur Zeit noch davon zuruͤck. Es erſchienen indes auch die ſchaͤtzbaren Voͤlkerrechts - werke des aͤltern Moſer, eines Neyron, von Ompteda und Martens. Allein, ohne der aner - kanten Brauchbarkeit des Moſerſchen Verſuchs ꝛc. im geringſten zu nahe zu treten, wird ieder Kenner gewis darinn mit mir uͤbereinſtimmen, daß derſelbe, wie die meiſten ſeiner Schriften, mehr fuͤr eine Samlung nuͤtzlicher Materialien, als fuͤr ein ordent - liches Voͤlkerrechtsſyſtem anzuſehen ſey. Der Ver -faſſerVorerinnerung.faſſer ſelbſt war auch weit davon entfernt, es fuͤr etwas anders auszugeben. Die Principes du droit des gens des Herrn Neyron ſchienen mir dem Ideal meines Syſtems ebenfals nicht angemeſſen. Bey Erſcheinung der mit algemeinem Beifall auf - genommenen Voͤlkerrechts-Literatur Sr. Excellenz des Kurbraunſchweigiſchen Comitialgeſandten Frei - hern von Ompteda, und der darinn angekuͤndigten Bearbeitung eines volſtaͤndigen Syſtems dieſer Wiſſenſchaft, ſtand die Aenderung meines Ent - ſchluſſes, leider, nicht mehr in meiner Gewalt; ſonſt wuͤrde ich ohnfehlbar ſogleich davon abgeſtan - den ſeyn. Nie wuͤrde ich es gewagt haben, mich einem Manne an die Seite zu ſtellen, der in iedem Betracht ſo weit uͤber mich erhaben iſt. Mein ein - ziger Troſt bey der nun einmal angefangenen Arbeit war dieſer, daß wichtigere Geſchaͤfte deſſelben ienes Vorhaben leicht noch einige Zeit verzoͤgern und mei - ne Bemuͤhungen indes vielleicht doch von einigem Nutzen ſeyn duͤrften. Die zum akademiſchen Unter - richt uͤbrigens ſehr brauchbar eingerichteten primae lineae des Herrn Profeſſor Martens in Goͤttingen aber enthalten, wie ſchon der Titel giebt, nur ein Compendium dieſer Wiſſenſchaft. Solchergeſtalt halte ich mein Unternehmen auch dermalen eben noch nicht fuͤr ganz uͤberfluͤſſig.

ObVorerinnerung.

Ob aber die Ausfuͤhrung meiner Abſicht und der Erwartung des Publikums entſpreche? muß ich der Beurteilung der Kenner uͤberlaſſen. An meinen Bemuͤhungen hat es indes nicht gefehlt. Ich habe bey ieder Materie die natuͤrlichen Grund - ſaͤtze vorausgeſchickt und deren Beſtaͤtigung oder Abaͤnderung durch das practiſche Voͤlkerrecht be - merklich zu machen geſucht. Dabey ſind iederzeit die vorzuͤglichſten Schriftſteller, ſowohl die algemei - nen als auch die beſondern, ſoviel ich deren habe erlangen koͤnnen, zu Rathe gezogen worden. Ich habe ihre Grundſaͤtze mit einander verglichen und die wichtigſten Abweichungen, wo mir es noͤthig ge - ſchienen, angezeigt. Zuweilen hielt ich es fuͤr rath - ſam, die Stellen ihrer Werke ſelbſt woͤrtlich in den Noten beyzufuͤgen, damit man ihre Meinung deſto beſſer beurteilen und das oͤftere Nachſchlagen erſpa - ren koͤnnte. In Anſehung der zu Beſtaͤrkung des europaͤiſchen Voͤlkerrechts nothwendigen Beiſpiele habe ich aus den Staatsſchriften und andern Mate - rialien eine Auswahl gemacht, und nur die merk - wuͤrdigſten und treffendſten aufgenommen. Etwas ganz neues kan und wird man in dieſem Werke nicht erwarten. Das Verdienſt deſſelben ſoll blos in ge - hoͤriger ſyſtematiſcher Zuſammenſtellung der bereitsvorhan -Vorerinnerung.vorhandenen Wahrheiten, auf eine moͤglichſt vol - ſtaͤndige und deutliche Art, beſtehen. Die Ord - nung der einzelnen Materien weicht in vielen Stuͤck - en von meinem ehemaligen Plane ab, wie man, bey angeſtelter Vergleichung, ſofort wahrnehmen wird. Ich hielt dieſe Abaͤnderung zu mehrerer Volkommenheit des Syſtems fuͤr nothwendig.

Damit ich auf den Fall, da meine Bemuͤhung - en den Beifall des Publikums nicht erhalten ſolten, die Fortſetzung ſogleich abbrechen koͤnne, ohne ie - doch ein unvolſtaͤndiges Werk zu laſſen, habe ich das ganze Voͤlkerrechtsſyſtem in verſchiedene allen - fals fuͤr ſich beſtehende Theile abgeteilt, die auch einzeln eine volſtaͤndige Abhandlung ausmachen. Die erſte, davon gegenwaͤrtig der erſte Theil er - ſcheint, ſoll das Voͤlkerrecht in Friedenszeiten enthalten. Dieſer erſte Theil begreift blos die al - gemeinen Verhaͤltniſſe der Voͤlker gegen einander und die dahin gehoͤrigen Grundſaͤtze in ſich. Ein zweiter Theil, den ich kuͤnftige Meſſe zu liefern gedenke, wird ſich uͤber die einzelnen Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts in Friedenszeiten erſtrecken und mit einem Regiſter uͤber beide Theile dieſe Abhand - lung beſchließen. Die weitere Fortſetzung wird alsdenn von der Aufmunterung des Publikumsabhang -Vorerinnerung.abhangen. Wuͤrdigt man den erſten Verſuch eini - gen Beifals, ſo will ich mit Vergnuͤgen die aͤhnliche Bearbeitung des Voͤlkerrechts in Kriegszeiten, des Geſandſchaftsrechts, der Materie von den Vertraͤgen des Voͤlkerrechtsceremoniels, der Voͤl - kerrechtspraxis und was dahin gehoͤret uͤbernehmen. Bey der Materie von Vertraͤgen habe ich mir vor - genommen in einem Bande einige, wie ich glaube, nicht unbrauchbare Regiſter uͤber die vorzuͤglichſten europaͤiſchen Voͤlkervertraͤge und Urkunden zu ferti - gen. Die Georgiſchen Regeſta haben zwar ihren entſchiedenen Werth, allein ſie enthalten, wie ſchon andere erinnert haben, zu viele in die Voͤlkerrechts - wiſſenſchaft gar nicht einſchlagende Urkunden und reichen uͤberdies nicht bis auf unſere Zeiten. Ich will daher blos die wichtigſten Vertraͤge und andere voͤlkerrechtliche Urkunden ausheben, und ſie in eine chronologiſche Ordnung ſtellen, mit Bemerkung des Orts, wo ſie in den vorzuͤglichſten Samlungen des Dumont, Schmauß, Lamberty, Rouſſet und anderer anzutreffen ſind. Dieſem ſoll ein Verzeich - nis der Nazionen folgen, und bey jeder eine Anzeige der mit andern errichteten Vertraͤge, nach Claſſifica - tion der Hauptgegenſtaͤnde, angefuͤgt werden. Den Beſchluß wird ein ſyſtematiſches Regiſter der Ma -terienVorerinnerungterien machen, das die dahin gehoͤrigen Urkunden ſaͤmtlicher europaͤiſchen Voͤlker nicht blos nach dem Hauptinhalt, ſondern, wo es noͤthig, auch nach den einzelnen Artickeln unter jeder Rubrick bemerket. Dieſe Arbeit, hoffe ich, ſoll allen, die in Staats - geſchaͤften zu thun haben, nicht unwilkommen ſeyn. Der Literatur wegen habe ich meine Erklaͤrung im Werke ſelbſt ſchon gethan. Nach den ruͤhmlichen Bemuͤhungen des Herrn Freiherrn von Ompteda wuͤrde eine neue Bearbeitung dieſes Fachs uͤberflieſ - ſig ſeyn. Solte ich mich zu etwas entſchließen, ſo wuͤrde ich ein gehoͤrig geordnetes Verzeichnis der hauptſaͤchlichſten bey gewiſſen Gelegenheiten gewech - ſelten Staatsſchriften der europaͤiſchen Nazionen, nach Art der Luͤnig-Holzſchuerſchen Deductionsbi - bliothek von Teutſchland, waͤhlen, das fuͤr die Voͤl - kerrechtswiſſenſchaft gewis einen vielfachen Nutzen haben koͤnte. Die Ausfuͤhrung aller dieſer Ent - wuͤrfe beruht jedoch auf dem Schickſal der gegenwaͤr - tigen Abhandlung. Ich werde jede beſcheidene und gegruͤndete Erinnerung mit Dank annehmen, be - nutzen und daraus das Reſultat fuͤr meine weitern Entſchließungen ziehen. Dresden, am 13ten September 1786.

Inhalt

Inhalt.

  • Einleitung. Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi - ſchen insbeſondereS. 1.
  • Erſtes Buch. Beſtimmung eines freien [ſouverainen] Volks, der heutigen ſouverainen Staaten in Europa, und ihrer algemeinen Verhaͤltniſſe gegen einanderS. 72.
  • Erſtes Kapitel. Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt und den europaͤiſchen insbeſondereEbend.
  • Zweites Kapitel. Von den geſelſchaftlichen Verbindungen der NazionenS. 147.
  • Drittes Kapitel. Von der urſpruͤnglichen Gleichheit und dem nachher eingefuͤhrten Range der Nazio - nenS. 198.
  • Viertes Kapitel. Von der Freiheit der Nazionen, ihre Handlungen nach eignem Gefallen einzurich - tenS. 280.
  • Fuͤnftes Kapitel. Von der Macht der Nazionen und deren GleichgewichtS. 321.
  • Sechſtes Kapitel. Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlker - rechtsS. 390.
[1]

Einleitung. Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi - ſchen insbeſondere.

§. 1. Begrif des Voͤlkerrechts.

Staaten ſind Geſelſchaften von Perſonen und Fa - milien, welche unter einer Oberherſchaft verei - nigt, zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfarth auf einem gewiſſen Erdſtriche beiſammen wohnen. Indem ſie mit vereinten Kraͤften nach eignen Grundſaͤtzen und Ab - ſichten handeln, gleichen ſie, als moraliſche Perſonen, ienen unabhaͤngigen Menſchen im natuͤrlichen Zuſtande a], und werden in dieſer Ruͤckſicht freie Voͤlker, Nazio - nen genant. So wie aber wechſelſeitiges Beduͤrfnis warſcheinlich die erſte Veranlaſſung zu Staatsvereinen gab, wenigſtens ihr dauerhafteſtes Band ausmacht; ſo iſt auch wechſelſeitiges Beduͤrfnis, was mehrere Voͤlker in beſtaͤndiger Verbindung erhaͤlt. Aus dieſen verſchie - denen Verhaͤltniſſen entſpringen gewiſſe Grundſaͤtze, wornach ganze Voͤlker [oder deren Regenten und einzelne Glieder, wenn ſie aufs Ganze eine Beziehung haben] ihre Handlungen gegeneinander b] einzurichten pflegen. Sie machen, inſofern ſie als Zwangsrechte und Ver -Abind -2Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,bindlichkeiten ſich beſtimmen laſſen c], den Inbegrif des Voͤlkerrechts im eigentlichen Verſtande aus d].

a]Frid. Alex. Künhold de ſtatu naturali rerumpublicarum Lipſ. 1723. 4.
a]
b]Die Pflichten der Nazionen gegen ſich ſelbſt gehoͤren in die Voͤlkermoral, und erhalten im Voͤlkerrechte nur in ſo weit einen Platz, als ſie zur beſſern Erkentnis der Ver - bindlichkeiten gegeneinander dienen.
b]
c]In einer weitlaͤuftigern Bedeutung rechnet man auch wil - kuͤhrliche Handlungen, welche blos auf Billigkeit und Wohlſtand, folglich auf unvolkomnen Verbindlichkeiten, beruhen, zum Voͤlkerrechte. Io. Krugii diß. de obliga - tione decori Lipſ. 1711. 4. Joh. Jac. Moſers Verſuch des neuſten europaͤiſchen Voͤlkerrechts 1. Theil, in der vorlaͤufigen Abhandlung §. 1. u. a. O.
c]
d]Sam. Rachelii diß. II. de jure nat. et gentium Kilon. 1673. und 1696. 4. Io. Wolfg. Iaegeri diß. de jure gentium, Tubing. 1686. 4. Ern. Tenzelii progr. de juris gentium vera indole Erf. 1719. 4. Joh. Jac. Moſers Abhandlung von dem Voͤlkerrecht uͤber - haupt und dem europaͤiſchen insbeſondere; in ſeinen Moſerianis, Leipzig 1739. 8. Nr. 4. S. 72: 91. in - gleichen deſſen uͤbrige weiter unten vorkommende Schriften vom Voͤlkerrecht.
d]
*]Die roͤmiſchen Rechtsgelehrten verbanden mit dem Aus - druck: Voͤlkerrecht [Jus Gentium] ganz andere Begriffe. Mehrentheils verſtanden ſie darunter gewiſſe buͤrgerliche Einrichtungen, die, aus der Natur der Sache ſelbſt her - geleitet, faſt allen Voͤlkern gemein waren, §. 2. Inſt. de J. N. G. et C. §. 1. 2. Inſt. de rer. divis. l. 5. π. de juſt. et jur. l. 15. π. de interd. et releg. zuweilen dasbloſſe3und dem europaͤiſchen insbeſondere.bloſſe Naturrecht §. 1. Inſt. de J. N. G. et C. l. 1. §. 3. und l. 9. π. de J. et J. l. 1 π. de acq. rer. dom. Cicero de offic. Lib. III. c. 5. nur ſelten ſcheinen ſie den heutigen Begriffen ſich zu naͤhern, pr. Inſt. de libertin. l. 4. π. de J. et J. Cf. Io. Cor. Naevii diß. de jure gentium Juſti - nianeo Viteb. 1676. 4. G. Ch. Nelleri juris naturae et gentium definitio Vlpianea vindicata et exemplis illuſtra - ta, Aug. Trev. 1751. 4. Der groͤſte Theil unſrer gegen - waͤrtigen Voͤlkerrechtsmaterien war bey den Roͤmern, beſon - ders zur Zeit der freien Republik, ein Gegenſtand des ju - ris fecialis. Cf. Io. Dan. Ritteri diß. de fecialibus popu - li Romani, Lipſ. 1732. 4. Franc. Car. Conradi de fe - cialibus et jure feciali populi Romani, Helmſt. 1734. 4. [Joh. Heinr. Stuß] Gedanken von den Fecialen des alten Roms, Goͤtting. 1757. 8. Von allen dieſen Gegenſtaͤnden wird ausfuͤhrlicher gehandelt in Diedr. Heinr. Ludw. Freyh. von Ompteda Literatur des Voͤlkerrechts 1. Th. §. 33. u. f.
*]

§. 2. I. Natuͤrliches oder philoſophiſches Voͤl - kerrecht.

Einige dieſer Grundſaͤtze laſſen ſich ſchon aus der Natur der Voͤlker, aus ihren natuͤrlichen Verhaͤltniſſen und geſelſchaftlichen Verbindungen gegeneinander herlei - ten. Sie fuͤhren daher den Namen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts, das man auch das philoſophiſche und vernuͤnftige nent, weil es auf Schluͤſſe einer geſunden Vernunft beruht.

*]Der Herr Etatsrath Moſer unterſcheidet iedoch das na - tuͤrliche Voͤlkerrecht; dem er den veraͤchtlichen Namen des Schulvoͤlkerrechts beilegt, von dem philoſophi - ſchen. Ich ſchreibe, ſagt er in der angefuͤhrten vor - laͤufigen Abhandlung §. 1. kein Schulvoͤlkerrecht, naͤm - lich was von ieher natuͤrlichen Rechtens geweſen, und ſich auf ganze Nazionen, als moraliſche Perſonen anwen -A 2den4Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, den laſſen moͤchte; auch kein philoſophiſches, wie ein ieder, der ſich duͤnkt, ein Weltweiſer zu ſeyn, nach der ſich eingebildeten und ſelbſt formirten Geſchichte und Na - tur der Menſchheit etwa thun koͤnte und wuͤrde. Indes kan ich den Unterſchied hiervon nicht einſehn.
*]

§. 3. Deſſen Eintheilung in a] nothwendiges.

Voͤlker, als moraliſche Perſonen, im natuͤrlichen, unabhaͤngigen Zuſtande betrachtet, ſind ohnſtreitig dem fuͤr einzelne Menſchen verbindlichen Rechte der Natur unterworfen. Es erhaͤlt aber von dem Gegenſtande ſei - ner Anwendung den Namen des Voͤlkerrechts. Die - ſes auf die Voͤlker angewandte Naturrecht oder natuͤrliche Voͤlkerrecht muͤſſen die Nationen ohne Ruͤckſicht einer engern Verbindung unter einander beobachten. Man nent es ſeiner verbindenden Kraft wegen daher das nothwendige [neceſſarium] a] oder auch das urſpruͤng - liche [primarium], weil die Geſetze der Natur unmittel - bar es begruͤnden, und iſt, wie ſie, unveraͤnderlich. Die Erlangung einſeitiger Vortheile, ohne Beleidigung anderer Nazionen macht den Hauptgrundſatz deſſelben aus. Es wuͤrde zur Entſcheidung der unter Voͤlkern vor - kommenden Faͤlle hinlaͤnglich ſeyn, wenn ſie alle noch in einem blos natuͤrlichen Zuſtande ſich befaͤnden. Dahin gehoͤren unter andern das Recht der natuͤrlichen Freiheit und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver - traͤge zu ſchließen u. ſ. w.

a]Wolf I. G. Proleg. §. 3. 4. Vattel Prélim. §. 6. 7. etc.
a]

§. 4. b] Freiwilliges Voͤlkerrecht.

Die Voͤlker traten iedoch bald, eben ſo, wie einzelne Menſchen in naͤhere Verbindungen und Geſelſchaftenzuſam -5und dem europaͤiſchen insbeſondere.zuſammen. Waren ſie gleich von der Natur ſelbſt hierzu nicht gezwungen a]; ſo machten doch die, mit den Fort - ſchritten der Weichlichkeit und Ausbildung, immer zu - nehmenden wechſelſeitigen Beduͤrfniſſe und das Verlan - gen nach einem volkomnern Gluͤcke uͤberhaupt, eine en - gere Vereinigung unter ihnen nothwendig. Natuͤrlicher - weiſe waren die Vorſchriften der einfachen Natur nun nicht mehr hinreichend: man muſte ſolche einigermaßen abaͤndern und den geſelſchaftlichen Verbindungen anpaſ - ſen. Statt daß ieder einzelne Menſch, iedes Volk, ſonſt nur mit ſeinem eignen Wohl ſich beſchaͤftigte, wa - ren ſie itzt auch auf die gemeinſchaftliche Wohlfahrt, Ruhe und Sicherheit zu denken, und, was ſie ohne ihren eignen Nachtheil konnten, dazu beizutragen genoͤthigt. Daher entſtand, meinem Urteile nach, unter Nazionen das vom Grotius, Wolf, Vattel und Andern ſogenante freiwillige Voͤlkerrecht, [ius gentium voluntarium b] nicht arbitrarium] welches nicht urſpruͤnglich in der Na - tur, ſondern [ſecundarium] in den Begriffen einer Ge - ſellſchaft, worein die Voͤlker freiwillig in der Folge ſich begaben, ſeinen Grund hat. Es iſt gleichſam das na - tuͤrliche Geſelſchaftsrecht der Voͤlker, oder das auf die Voͤlkergeſelſchaft angewandte Naturrecht [Jus ſociale naturale gentium, Jus naturale ſocietatis gentium, Jus naturale ad ſocietatem gentium applicatum]. Man zaͤhlt dahin gewoͤhnlich den Nichtgebrauch vergifteter Waffen, die Annahme und Unverletzlichkeit der Geſandten u. ſ. w.

a]Henr. de Cocceji Prodromus juſtitiae gentium, ſ. ex - ercitationes duae, quarum Ima ſocialitatem Gratianam principium neque eſſendi neque cognoſcendi eſſe, evin - cit etc. Frcf. ad Viadr. 1719. 4. Sam. L. B. de Cocceji de jure naturae ſociali diß. prooem. I. Introd. ad Henr. de Cocceji Grotium illuſtr. Sect. II. §. 24. ſeqq.
a]A 3b]6Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
b]Ern. Aug. Bertling diß. de jure gentium voluntario Götting. 1745. 4.
b]
*]Die Rechtsgelehrten haben ſo mancherley zum Theil wi - derſprechende Begriffe von dieſer Gattung des Voͤlkerrechts, daß deren Anfuͤhrung und Auseinanderſetzung hier zuviel Platz wegnehmen wuͤrde. Ich merke daher nur folgen - des an: I] Die hergebrachte Benennung: jus gentium vo - luntarium wird im Teutſchen, wiewohl ſehr unſchick - lich, meiſtens durch wilkuͤhrliches Voͤlkerrecht uͤber - ſezt; da doch, wie der Freyherr von Ompteda in der Litteratur des Voͤlkerrechts §. 94. not. d. ſehr richtig bemerkt, der Wilkuͤhr der Voͤlker durchaus nichts dabey uͤberlaſſen iſt, [auſſer dem Eintritt in die Voͤlkergeſelſchaft]. Er nent es daher das mo - difizirte natuͤrliche Voͤlkerrecht, weil durch daſ - ſelbe theils die urſpruͤnglichen Geſetze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts erweitert oder eingeſchraͤnkt, theils die Haͤrte von deſſen Grundregeln und Verwilligungen in vielen Stuͤcken gemildert wuͤrden. Mir ſcheint iedoch der Ausdruck: freiwilliges, iener lateiniſchen ein - mal faſt durchgaͤngig angenommenen Benennung am meiſten zu entſprechen. Uebrigens iſt nicht zu leug - nen, daß der vom Grotius und Wolf gewaͤhlte et - was zweideutige Name des juris gentium volunta - rii zu vielen Misverſtaͤndniſſen Anlas gegeben hat. II] Die Quellen des freiwilligen Voͤlkerrechts will ich zuerſt mit den eignen Worten der drey Hauptlehrer des Voͤlkerrechts herſetzen. Grotius ſchreibt [Pro - leg. §. 17.] alſo davon: Sicut cuiusque ciuitatis jura vtilitatem ſuae civitatis reſpiciunt; ita inter civitates aut omnes aut plerasque ex conſenſu jura quaedam naſci potuerunt et nata apparet, quae vtilitatem reſpicerent non coetuum ſingu -lo -7und dem europaͤiſchen insbeſondere.lorum, ſed magnae illius vniverſitatis et hoc jus eſt, quod gentium dicitur, quoties id nomen a jure naturali diſtinguimus. cf. L. II. c. VIII. §. 1. n. 2. Wolf ſagt: [in praef. ad jus Gent.] Enimvero quemadmodum ea eſt hominum con - ditio, vt in civitate rigori juris naturae per omnia ex aſſe ſatisfieri non poſſit, ac propterea legibus poſitivis opus ſit, quae neque in totum a natu - rali jure recedunt, nec per omnia ei ſerviunt, ita ſimiliter gentium ea eſt conditio, vt rigori juris gentium naturali per omnia ex asſe ſatisfieri nequeat, atque ideo jus iſtud in ſe immutabile tantisper immutandum ſit, vt neque in totum a naturali recedat, nec per omnia ei ſerviat. Quo - niam vero hanc ipſam immutationem ipſa gen - tium communis ſalus exigit; ideo quod inde pro - dit jus non minus gentes inter ſe admittere te - nentur, quam ad juris natur alis obſervantiam naturaliter obligantur, et non minus iſtud, quam hoc ſalva juris conſonantia pro jure omnium gentium communi habendum. Hoc ipſum autem jus cum Grotio, quamvis ſignificatu non pror - ſus eodem, ſed paulo ſtrictiori, jus gentium vo - luntarium appellare libuit. Abſit vero vt exiſti - mes, ius gentium voluntarium ab earum volun - tate ita proficiſci, vt liberae ſit earum in ea - dem condendo voluntas et ſtet pro ratione, ſola voluntas, nulla habita ratione juris naturalis. Jus gentium voluntarium non a libera gentium voluntate dependet, ſed ipſum jus naturale praeſcribit modum, quo ex naturali efficien - dum ſit voluntarium et non admittatur, niſi quod neceſſitas imperat. Ea de cauſa jus gentium quod voluntarium dicimus, non quem - admodum Grotio viſum eſt, ex factis gentiumA 4pro -8Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,probandum, quaſi inde colligatur communis ea - rum conſenſus, ſed ex fine civitatis maximac. Vattel endlich giebt [Prélimin. §. 21.] folgende Erklaͤrung davon: Les nations étant libres, inde - pendantes, égales et chacune devant juger en ſa conſcience de ce qu’elle a à faire pour remplir ſes devoris; l’effet de tout cela eſt d’opérer, au moins exterieurement et parmi les hommes, une parfaite égalité de droits entre les nations. Il eſt donc necesſaire, en beaucoup d’occaſions, que les nations ſouffrent certaines choſes, bien qu’injuſtes et condamnables en elles mêmes, par ce qu’elles ne pourroient ſ’y oppoſer par la force, ſans violer la liberté de quelqu une et ſans detruire les ſondemens de leur ſociété natu - relle. Et puisqu elles ſont obligées de culti - ver cette ſociété, on preſume de droit, que tou - tes les nations on conſenti au principe que nous venons d établir. Les regles qui en decoulent, forment ce que M. Wolf appelle Le droit des gens volontaire. Aus allen dreien ergiebt ſich im Hauptwerke ſoviel, daß die Grundſaͤtze des frei - willigen Voͤlkerrechts aus einer unter den Voͤlkern beſtehenden Geſelſchaft hergeleitet werden muͤſſen. Dieſer Meinung pflichte ich volkommen bey. Da aber die vorgenanten Schriftſteller den Nazionen ſchon von Natur eine Verbindlichkeit zur Geſelſchaft aufle - gen; ſo weiß ich nicht, warum ſie noch eine praͤ - ſumtive Einwilligung [deren Verbindungskraft ohne - dies auf ſehr ſchwankenden Gruͤnden beruht] bey ie - nem Voͤlkerrechte annehmen. Es ſcheint mir daher etwas widerſprechend, wenn Wolf in der Vorrede behauptet: ius gentium, quod voluntarium dici - mus, probandum ex fine civitatis maximae, quam perinde ac ſocietatem inter omnes hominesinſti -9und dem europaͤiſchen insbeſondere.inſtituit ipſa natura, vt in jus iſtud conſentire debeant gentes, non vero libertati earum reli - ctum ſit, vtrum conſentire malint an nolint, und Prolegom. §. 22. und 28. daſſelbe doch zum poſiti - ven Voͤlkerrechte, quod a voluntate gentium or - tum trahit zaͤhlt, und hinzuſezt, niti conſenſu gen - tium praeſumto. Wo Natur die Freiheit zu waͤh - len verſagt, iſt die Einwilligung und deren Praͤſum - tion wohl ziemlich uͤberfluͤſſig. Sehr richtig urteilt daher Schrodt in ſeinem Jure Gent. wenn er §. 9. Proleg. ſagt: Et ſane quum ſocietas vniverſalis gentium ex ipſa natura fluat, ideoque ſit abſoluta et neceſſaria, conſequens eſt, vt jus gentium, quod determinat primario jura et obligationes ſo - ciales huius ſocietatis perfectas negativas, non ſit voluntarium aut poſitivum, ſed ſit jus gen - tium naturale ſociale latius dictum et necesſa - rium. Deſto weſentlicher aber iſt dieſe Einwilligung der Voͤlker zu Begruͤndung eines freiwilligen Voͤlker - rechts, wenn man nach richtigern Gruͤnden annimt, daß die unter den Menſchen und Nazionen beſtehen - de Geſelſchaften nicht von der Natur unmittelbar, unter allen, ſondern unter mehreren oder wenigern aus freien Willen errichtet worden. Eben ſo ſonder - bar iſt es, daß Grotius und Wolf dieſer Voͤlkerge - ſelſchaft die Form eines buͤrgerlichen Vereins, un - ter dem Namen eines großen Weltſtaats [civitatis maximae] andichten, da dieſe doch eine unter den Nazionen nicht zu erweiſende menſchliche Oberherr - ſchaft erfodert. Nicht iede Geſelſchaft, die ihrer gemeinſchaftlichen Wohlfarth wegen ſich vereinigt, iſt ein Staat. Es giebt bekantlich auch gleiche Ge - ſelſchaften, [ſocietates aequales] in welchen die Mitglieder, ihrer natuͤrlichen Freiheit im uͤbrigen unbeſchadet, dennoch, in Abſicht der Erfuͤllung desA 5ge -10Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,gemeinſchaftlichen Zwecks, gewiſſe Zwangsrechte und Verbindlichkeiten gegen einander haben. Achen - wall Jus N. et G. Lib. II. Sect. I. t. 1. §. 11. ſeqq. Eine andre Geſelſchaft kan man unter freien Voͤl - kern mit Grunde nicht fuͤglich annehmen. Ihr Zweck iſt uͤbrigens die Befoͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls, weil das Verlangen nach Vervolkommnung zur Weſenheit des einzelnen Menſchen ſowohl, als der Staatsverbindungen gehoͤrt, und der Geſelſchaft, als einem myſtiſchen Koͤrper, ordentlicherweiſe eben die Rechte und Verbindlichkeiten zuſtehn, welche die ſaͤmtlichen einzelnen Glieder hatten. Der Bei - tritt zu dieſer Geſelſchaft iſt, meines Erachtens, ie - doch nicht aus einer blos praͤſumtiven oder vermuth - lichen, ſondern wenigſtens aus einer ſtilſchweigenden Einwilligung zu folgern. Von der Wuͤrklichkeit ei - ner ſolchen unter den europaͤiſchen Nazionen be - ſtehenden Vereinigung und dem Beweiſe des Beitrits zu derſelben, werde ich weiter unten mehr zu ſagen Gelegenheit finden. III] Die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts liegt in der Natur der Geſelſchaft, und haͤngt nicht weiter von dem Willen der Voͤlker ab, ſobald ſie einmal freiwillig in die Geſelſchaft getreten ſind. Jedoch kan es natuͤrlicherweiſe auch nur auf dieieni - gen Voͤlker ſich erſtrecken, welche wuͤrklich in einer geſelſchaftlichen Verbindung mit einander ſtehen, weil eine algemeine von der Natur ſelbſt errichtete Geſelſchaft unerweißlich iſt. Die meiſten Vertheidi - ger und Gegner des freiwilligen Voͤlkerrechts ſcheinen dadurch auf Irrwege gerathen zu ſeyn, daß ſie ſich ein algemeines Recht darunter vorgeſtelt haben. IV] Der Unterſchied zwiſchen dem freiwilligen und dem Gewonheits-Voͤlkerrechte wird von den wenig - ſten Voͤlkerrechtslehrern genug beſtimt und beobach -tet.11und dem europaͤiſchen insbeſondere.tet. Die mehreſten verwechſeln oder vermiſchen bei - de Begriffe mit einander. Selbſt Grotius, der Schoͤpfer des erſtern, war oft zweideutig hierin. Glafey und unzaͤhlige Andere hielten beide fuͤr einer - ley. Der Freyherr von Ompteda ſieht es zwar auch nicht fuͤr ſo aͤuſſerſt nothwendig an, ſie von einander abzuſondern, doch ſezt er ſehr richtig hinzu, daß, wenn man die Sache mit philoſophiſchem Auge be - trachtet, ein merklicher Unterſchied zwiſchen denſelben vorhanden ſey. Der Unterſchied ſcheint mir aller - dings ziemlich betraͤchtlich, indem das freiwillige aus bloßen Vernunftſchluͤſſen, das Gewonheits - Voͤlkerrecht aber aus lauter Thathandlungen zu er - weiſen iſt. Perperam, ſagt Wolf in Proleg. §. 25. not. ad conſuetudines refertur, quod inſtar juris obſervandum esſe inter gentes ipſa ratio dictitat. V] Die Exiſtenz eines ſolchen Voͤlkerrechts wird von Vielen ganz gelaͤugnet. Unrichtige Begriffe davon ſind gemeiniglich die Urſach. Ihre Haupteinwuͤrfe gehen wider die algemeine Verbindlichkeit deſſelben. Die Einwilligung aller Voͤlker, ſagen ſie, iſt uner - weislich. Sie ſind weder iemals zuſammengekom - men, um ein ſolches Recht feſtzuſetzen, noch laͤßt ſich deren ſtilſchweigende Genehmigung als moͤglich denken. Dieſe Gruͤnde fallen aber ſogleich uͤber den Haufen, wenn man ihnen zugiebt, daß das freiwil - lige Voͤlkerrecht keinesweges alle Voͤlker des Erdbo - dens, ſondern nur dieienigen verbinde, welche wuͤrk - lich geſelſchaftlich mit einander leben. Uebrigens glauben dieſe Laͤugner ganz unrichtig, daß die Ein - willigung der Voͤlker zu iedem einzelnen Geſetze ienes Rechts noͤthig ſey, und vermiſchen es hierinn mit den Voͤlkergewonheiten. Der Beitrit zur Geſelſchaft al - lein verbindet die Voͤlker zur Beobachtung der dar - aus flieſſenden Grundſaͤtze hinlaͤnglich. Dieienigen,welche12Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,welche das freiwillige Voͤlkerrecht als Gewonheiten oder ſtilſchweigende Vertraͤge nicht wollen gelten laſſen, brauche ich nicht zu widerlegen, weil es zu dieſen nicht gehoͤrt. Wenn endlich Schrodt und Andere, welche eine natuͤrliche Verbindlichkeit zur Geſelſchaft annehmen, die Grundſaͤtze des von Wolf und ſeinen Anhaͤngern aus dem Begriffe eines großen Welt - ſtaats oder einer Geſelſchaft uͤberhaupt hergeleiteten freiwilligen Voͤlkerrechts lieber zum natuͤrlichen Voͤl - kerrechte zaͤhlen wollen, [Non deſunt, ſagt ſelbſt Wolf in praef. J. G., qui cum jus gentium volun - tarium damnent, id pro jure naturali venditant, vt in verbis disſentire ſaltem, in re autem con - venire videantur. ] ſo habe ich nichts dagegen, da ich es ſelbſt fuͤr eine Gattung des leztern halte, die iedoch von dem nothwendigen unterſchieden wer - den muß. Weitlaͤuftig findet man die Gruͤnde ge - gen das freiwillige Voͤlkerrecht abgehandelt in Sam. L. B. de Cocceji disſ. prooem. IV. de jure gen - tium voluntario vbi probatur, tale jus non exiſtere etc. in Introd. ad Henr. de Cocceji Grot. illuſtr. und in I. F. L. Schrodt Syſtema Juris Gentium Prolegom. §. 7. ſeqq.
*]

§. 5. Naͤhere Beſtimmung dieſer beiden Gat - tungen.

Das nothwendige und freiwillige Voͤlkerrecht ha - ben alſo beide in der Natur ihren Grund, und laſ - ſen ſich durch Vernunftſchluͤſſe erweiſen a]. Das erſtere aus dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, das andere aus den geſelſchaftlichen Verhaͤltniſſen der Voͤlker. Je - nes iſt allen Voͤlkern des Erdbodens gemein, dieſes ver - bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geſelſchaft - liche Verbindung der Voͤlker treten. Das nothwendi -ge13und dem europaͤiſchen insbeſondere.ge Voͤlkerrecht, ſagt Vattel, darf nie auſſer Augen ge - ſezt werden, wenn bey einem Volke die Frage iſt: wie es ſeinen Pflichten und ſeinem Gewiſſen ein Gnuͤge lei - ſten ſoll? wenn es aber darauf ankomt: was es von einem andern Volke fodern koͤnne? alsdann muß das freiwillige entſcheiden.

a]Faͤlſchlich behauptet daher Grotius von dem freiwilligen Voͤlkerrechte, das er gemeiniglich ſchlechtweg jus gentium nent, quod ex certis principiis, certa argumenta - tione deduci non poteſt, et tamen vbique obſervatum apparet, ſequitur vt ex voluntate libera ortum habeat. Proleg. §. 40. Richtiger und meiner Meinung angemeſ - ſener urteilen Wolf und beſonders Vattel. Habemus itaque, ſchreibt Erſterer, fundamentum certum atque immotum juris gentium voluntarii et ſunt principia certa, vi quorum ex notione civitatis maximae jus iſtud derivari poteſt, vt non coeco impetu ſtandum ſit factis et moribus atque iudiciis gentium moratiorum ac inde inferendus quaſi vniverſalis quidam omnium conſenſus, quemadmodum Grotius ſenſisſe videtur. Enim - vero tutiorem viam ingredimur, ſi oſtendamus gentes ratione vtentes in hoc vel iſtud conſentire debuisſe, quod pro jure inter ipſas valuit vel hodienum valet: id quod ex notione civitatis maximae non minus evi - denter demonſtrari poteſt, quam jus gentium neces - ſarium ſeu naturale. Proleg. §. 20. und 22. not. Le droit des gens necesſaire, ſagt endlich Vattel in der Vorrede, et le droit des gens volontaire ſont donc éta - blis l un et l autre par la nature; mais chacun à ſa manière: le premier comme une loix ſacrée, que les nations et les ſouverains doivent reſpecter et ſuivre dans toutes leurs actions; le ſecond comme une règle que le bien et le ſalut communs les obligent d aumettre dans les affaires qu’ils ont enſemble. Le droit neces -ſaire14Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,ſaire procède immediatement de la nature; cette mère commune des hommes recommende l obſervation du droit des gens volontaire, en conſideration de l état les nations ſe trouvent les unes avec les autres et pour le bien de leurs affaires. Ce double droit fondé ſur des principes certains et conſtans eſt ſuſceptible de demonſtration.
a]
b]Prélim. §. 28.
b]

§. 6. Quellen und Huͤlfsmittel des natuͤrlichen Voͤlkerrechts.

Da das natuͤrliche Voͤlkerrecht in Anwendung des ur - ſpruͤnglichen und geſelſchaftlichen Naturrechts auf freie Voͤlker beſteht, ſo folgt, daß die Grundſaͤtze deſſelben lediglich auf Schluͤſſe der geſunden Vernunft beruhen, die aus dem Weſen der Voͤlker und aus den Grundſaͤtzen ihrer Freiheit, Gleichheit und ihres gemeinſchaftlichen Wohls ſich herleiten laſſen. Huͤlfsmittel bieten alle na - tuͤrliche Rechtswiſſenſchaften der einzelnen Menſchen ſo - wohl, als der Staaten dar: nur muß bey deſſen wuͤrkli - cher Anwendung hauptſaͤchlich die beſondere Verfaſſung der Voͤlker zu Rathe gezogen werden.

§. 7. II. Wilkuͤhrliches oder poſitives Voͤlkerrecht.

Die Voͤlker koͤnnen aber auch noch andere ganz wil - kuͤhrliche Verbindlichkeiten unter ſich eingehn, wodurch die oft unzulaͤnglichen Regeln des natuͤrlichen Rechts theils naͤher beſtimt, theils erweitert oder eingeſchraͤnkt werden, wenn ſie nur demſelben nicht gerade zuwiderlau - fen. Daraus entſteht eine beſondere Gattung des Voͤl - kerrechts, die man das wilkuͤhrliche oder beliebte [arbi - trarium] nent, weil deſſen Grundſaͤtze auf die Wilkuͤhr der Voͤlker beruhen. Den Namen des poſitiven fuͤhrtes,15und dem europaͤiſchen insbeſondere.es, nicht in Ruͤckſicht eines menſchlichen Obern, ſondern der von den Voͤlkern ſelbſt ſich auferlegten Geſetze. Das hiſtoriſche wird es endlich zuweilen genant, weil es da - bey nicht ſowohl auf Vernunftſchluͤſſe, als auf Thatſa - chen ankomt, die aus der Geſchichte beigebracht werden muͤſſen.

*]Sa Majeſté [Britanique] heißt es in der Grosbritanni - ſchen Antwort vom 1ſten April 1780 auf die Ruſſiſche Declaration vom 28ſten Febr. in Betref der bewafneten Neutralitaͤt, a réglé ſa conduite envers les puisſances amies et neutres, d après la leur à ſon égard, la con - formant aux principes les plus clairs et les plus géné - ralement reconnus du droit des gens qui eſt la ſeule loi entre les nations qui n’ont point de traité, et à la teneur de ſes differens engagemens avec d’autres puis - ſances, lesquels engagemens ont varié cette loi primi - tive par des ſtipulations mutuelles et l ont varié de beaucoup, de manières differentes ſelon la volonté et la convenance des parties contractantes.
*]
**]Wolf, Vattel und Andere zaͤhlen zu dem poſitiven oder wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechte auch das freiwillige, weil es eine vermeintliche Einwilligung [conſenſum praeſumtum] der Voͤlker vorausſetze. Dieſer Meinung kan ich iedoch, wie ſchon aus dem Vorhergehenden erhellet, nicht beitre - ten, da nach meinen Begriffen das wilkuͤhrliche oder poſi - tive Voͤlkerrecht ein Gegenſatz des natuͤrlichen iſt. Unter dieſem verſtehe ich naͤmlich dieienigen Grundſaͤtze, welche aus einer algemeinen Quelle durch natuͤrliche und vernuͤnf - tige Schlusfolgen ſich herleiten laſſen;[unter] ienem ſolche Geſetze, deren iedes einer beſondern Publikation durch Thathandlungen erfordert. Aus erſtern, nicht aus leztern fließt obgedachtermaaßen das freiwillige Voͤlkerrecht, ob deſſen Verbindlichkeit gleich den freiwilligen Beitrit zur Voͤlkergeſelſchaft vorausſezt.
**]
§. 8.16Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 8. Quellen deſſelben a] Vertraͤge.

Die Einwilligung der Voͤlker kan auf beiden Seiten entweder ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, oder ſtilſchweigend erteilt werden. Aus den erſtern entſpringt das Vertragsrecht der Voͤlker oder das verglichene Voͤlkerrecht, welches die durch Vertraͤge beſtimten gegenſeitigen Zwangsrechte und Pflichten enthaͤlt.

*]Huld. ab Eyben disſ. de jure inter et intra gentes ſcri - pto et non ſcripto Giesſ. 1661. 4. und in Opp. T. I. n. 2.
*]

§. 9. b] Herkommen.

Fuͤr eine ſtilſchweigende Einwilligung wird es ange - ſehn, wenn ein Volk, mit Wiſſen und ohne Widerſpruch des andern, etwas thut oder unterlaͤßt, dem dieſes, wenn es nicht einwilligen wolte, zu widerſprechen das Recht und die Verbindlichkeit hatte. Daraus entſtehen gewiſſe verbindliche Gebraͤuche und Gewonheiten, die das Gewonheitsrecht der Voͤlker [jus gentium con - ſuetudinarium] das Voͤlkerherkommen, das herkom - liche oder praktiſche Voͤlkerrecht ausmachen, und z. B. in Beſtimmung des Ranges und unzaͤhliger anderer Vorfallenheiten ein großes Gewicht haben.

*]Iac. Geringii disſ. quantum gentes moribus ſuis obli - gentur Lipſiae. 1716. 4. Io. Wilh. de Goebel diß. de obſervantia gentium et imperii. Helmſt. 1732. 4. Io. Wilhelm Hoffmann de obſervantia gentium 1736. rec. Franc. ad Viadr. 1758. 4. Heur. Chr. de Senckenberg de jure obſervantiae ac conſuetudinis in cauſis publicis privatisve. Giesſ. 1743. 4. Joh.17und dem europaͤiſchen insbeſondere.Joh. Heinr. Balecke wahrer Begrif des Herkommens, als ein in den Rechten gegruͤndeter Titel ein Recht zu beſitzen. Roſtock 1751. 4
*]
**]Die Verbindlichkeit dieſer Gewonheiten beruht freilich auf etwas ſchwankenden Gruͤnden, ſo daß auch einige mit Schrodt [Proleg. §. 8.] ſie ad meram rationem decori zaͤhlen. Eine fingirte aus gemeinſamer Nothwendigkeit und Wohlfarth hergeleitete Einwilligung, oder ein ſo genannter Quaſicontract, den einige hierbei annehmen, iſt kaum vermoͤgend, ein verbindliches Recht unter freien Voͤlkern zu bewuͤrken. Sam. Gottl. Treueri progr. de commento obligationis perfectae gentium quaſi ex con - tractu, Götting 1740. 4. Die Veriaͤhrung, woraus andere die Rechtskraft herleiten, iſt, wenigſtens nach den gewoͤnlichen Begriffen des Privatrechts, im Natur - und Voͤlkerrechte ebenfals unerweislich. Andr. Wilh. Pagenſtecher de fundamento praeſcri - ptionis in iure gentium poſitivo, non naturali quaerendo. Marb. 1748. 4. Chr. Henr. Breuningii disſ. de praeſcriptione liberis gentibus incognita. Lipſ. 1752. Chr. Nic. Carſtens comment. de praeſcriptione inter gentes locum non habente. Ien. 1758. Iac. Fr. Roennberg [ſub praeſ. Siegfr. Caeſ. ab Aeminga] disquiſitio quaeſtionis: num praeſcri - ptio ſit iuris naturalis vel gentium nec ne, ſed mere civilis? Gryphisw. 1764. Die Meinung des Grotius und anderer von einer ſtilſchwei - genden durch Handlungen an den Tag gelegten Einwil - ligung hat zwar auch ihre Schwierigkeiten, dennoch be - hauptet ſie vor den uͤbrigen ohnſtreitig den Vorzug. Magn. Crackan de ſilentio principibus praeiudicante. Alt. 1705. 4. BA.18Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,A. F. Reinhardt von den Wuͤrkungen der ſtilſchwei - genden Einwilligung zwiſchen freyen Voͤlkern; in deſſen Samlung iuriſtiſch-philoſophiſcher und kriti - ſcher Aufſaͤtze. Buͤtzow und Wismar 1775. 8. 5. Stuͤck. n. 1. S. 307-326. Es ſind hauptſaͤchlich folgende Punkte dabey in Acht zu neh - men: a] Die Handlungen und das Betragen der Voͤlker, zwiſchen welchen ein Herkommen eingefuͤhrt werden ſoll, muͤſſen ſo beſchaffen ſeyn, daß deren gegenſei - tige Einwilligung daraus deutlich erhellet. b] Die ſtilſchweigende Abſicht des handelnden oder un - terlaſſenden Theils, ein Recht zu erwerben, wird eben nicht nothwendig erfordert, weil ein Herkom - men oft zufaͤlligerweiſe entſtehen kann. c] Die That muß zur Wiſſenſchaft des andern Theils gelangt oder wenigſtens oͤffentlich und dergeſtalt ge - ſchehen ſeyn, daß ein Volk, deſſen Souverain oder Staatsbediente fuͤglich davon haͤtten Nachricht haben koͤnnen. d] Der Gegentheil muß das Recht ſich dagegen zu re - gen gehabt, den Widerſpruch aber entweder gaͤnzlich unterlaſſen, oder, nach einiger Widerſetzung, bey fernern Anmaſſungen, dennoch geſchwiegen, oder wohl gar etwas unternommen haben, woraus die Einwilligung offenbar folgt. e] Wer das Recht zu widerſprechen hat, iſt deshalb in Zeiten dazu verbunden, weil der Gegentheil, das, was ſonſt geſchehn, aus vernuͤnftigen Gruͤnden, als gewoͤnlich, vermuthend, leicht Gefahr laufen koͤnte, wenn er erſt in nachherigen Faͤllen einen Widerſpruch leiden ſolte. f]19und dem europaͤiſchen insbeſondere.f] Wenn ein Beiſpiel hinlaͤnglich entſcheidet, iſt eine oͤftere und ſeit langen Jahren erfolgte Wiederhohlung der Handlung oder Unterlaſſung nicht ſchlechterdings noͤthig; doch wird bey mehreren Faͤllen Einfoͤrmig - keit und uͤberhaupt ſo viel Zeit erfordert, damit der andere Theil hinlaͤngliche Wiſſenſchaft davon erlan - gen koͤnne. g] Gemeiniglich fodert man auch, daß eine Gewon - heit, welche zum Voͤlkergeſetz werden ſoll, einen Grund in der Wohlfarth, Ruhe und Sicherheit der Voͤlker habe, und auf vernuͤnftigen Handlungen be - ruhe. h] Das Herkommen muß von demienigen Volke, wel - ches ſich darauf bezieht, erwieſen werden. i] Eigentlich verbindet das Herkommen, gleich den ausdruͤcklichen Vertraͤgen nur dieienigen Voͤlker, wel - che ihre Einwilligung ſtilſchweigend dazu gegeben haben. k] Die uͤbrigen Voͤlker koͤnnen daher nicht gezwungen werden, ſich nach einer Gewonheit zu richten, die vielleicht aus beſondern Verhaͤltniſſen etwa nur zwi - ſchen ein und dem andern Volke eingefuͤhrt iſt. l] Wenn aber eine Gewohnheit unter mehrern oder gar den meiſten Voͤlkern angenommen iſt, und auf Grundſaͤtze beruht, welche das gemeinſchaftliche Wohl unter ihnen zur Abſicht haben, folglich unter gleichen Verhaͤltniſſen, auch auf die uͤbrigen anwend - bar ſind, ſo verlangen die geſelſchaftlichen Pflichten die Beobachtung einer ſolchen Gewohnheit allerdings, wenn nicht beſondere Umſtaͤnde dagegen eintreten. Aber alsdann gehoͤrt ein dergleichen Herkommen, das etwa nur in einer unbedeutenden Zufaͤlligkeit ihre Beſtimmung aus der Wilkuͤhr einiger Voͤlker erhalten hat, auch mehr zum freiwilligen Voͤlkerrechte. B 2*]20Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,*] Kahrel leitet in ſeinem Voͤlkerrechte die algemeine Ver - bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen - heit des freiwilligen Voͤlkerrechts, fingirten Begriffe eines unter allen Regenten der Erde beſtehenden großen Welt - ſtaats her. Es kan keine Gewonheit ſchreibt er §. 524. ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz zuwegebringen als ver - mittelſt des muthmaßlichen Willens aller oder doch der mehreſten Regenten der Erde, inſoweit ſolche zuſammen - genommen den Regenten des großen Weltſtaats ausma - chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz iſt ein wilkuͤhrliches Voͤlkergeſetz. Solchergeſtalt haͤngt es von dem Willen aller oder der mehreſten Regenten, in ſoweit ſie einen großen Weltſtaat ausmachen, ab, und kan, weil ſich die Regenten, als Mitglieder des großen Weltſtaats einzeln keinem, als allen oder doch den mehreſten zu - länglich verbunden haben, nirgends andersher, als von dieſem vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen. Nur Schade, daß dieſer große Weltſtaat auf ſo hinfaͤlligen Gruͤnden beruht, und die verbindende Kraft des mehrern Theils, nach dem ſtrengen Rechte, unbedingt nicht zu erweiſen iſt! m] Das Herkommen findet gewoͤhnlich zwar nur in ſolchen Faͤllen Statt, wo keine ausdruͤcklichern Vor - ſchriften entſcheiden; doch koͤnnen zuweilen auch dieſe durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide haben einerlei Wuͤrkung. Das Herkommen fuͤhrt ent - weder neue Grundſaͤtze ein, oder aͤndert und erlaͤutert die bisherigen; ſo wie ein neuer Vertrag das aͤltere Herkommen aufhebt.
**]

§. 10. c] Analogie.

Geſetze und Vertraͤge ſind oft ſo beſchaffen, daß ſich noch viele aͤhnliche Faͤlle aus denſelben und ihren Grund - urſachen herleiten laſſen, die wuͤrklich darinn nicht ent -halten21und dem europaͤiſchen insbeſondere.halten ſind. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem Herkom - men. Die aus Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle gezogenen Grundſaͤtze nent man Analogie, welche, wie in allen Rechtswiſſenſchaften, ſo auch im Voͤlkerrechte alsdann ihre Anwendung leidet, wenn ein Fall auf beſtimtere Art nicht zu entſcheiden iſt.

*]Io. Georg Kulpis orat. de analogia iuris; in disſ. acad. p. 1011-1034. Dan. Nettelbladt de deciſione caſuum ſecundum ana - logiam. Halae 1751. 4. Car. Henr. Geiſleri progr. de analogia iuris publici. Viteb. 1784. 4.
*]

§. 11. Algemeines und beſonderes Voͤlkerrecht.

Eine der wichtigſten Abtheilungen des Voͤlkerrechts, worauf man bei Anwendung ſeiner Saͤtze die vorzuͤglich - ſte Aufmerkſamkeit zu richten hat, iſt in algemeines und beſonderes, ie nachdem es entweder alle Voͤlker des Erdbodens, oder nur einige derſelben verbindet. In Vernachlaͤſſigung dieſes Unterſchiedes liegt die Haupt - quelle der mehreſten Streitigkeiten der Rechtsgelehrten in Anſehung der Voͤlkerrechtsbegriffe. Auſſer dem noth - wendigen natuͤrlichen laͤßt ſich ein algemein verbindli - ches Voͤlkerrecht ſchwerlich mit Grunde behaupten. Das freiwillige kan nur gegen dieienigen eine Kraft haben, von denen ſich erweiſen laͤßt, daß ſie wuͤrklich in einer geſelſchaftlichen Vereinigung mit einander leben. Das wilkuͤhtliche endlich iſt nur denen ein Geſetz, welche ihre Einwilligung entweder ausdruͤcklich oder ſtilſchwei - gend auf eine rechtskraͤftige Art gegeben haben. Es laͤßt ſich alſo ein Voͤlkerrecht denken, das blos unter zwei Nazionen Statt findet.

B 3*]22Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
*]Io. Ad. Ickſtadt in Elem. jur. gentium L. I. c. II. §. 2. Schol. theilt auch das natuͤrliche, naͤmlich das nothwendige, in algemeines und beſonderes. Erſteres ſoll die alge - meinſten Regeln, lezteres dieienigen Grundſaͤtze enthalten, welche die Natur eines ieden Staats insbeſondere erheiſcht.
*]

§. 12. Andrer Rechtslehrer Abtheilungen des Voͤlkerrechts.

Vorſtehende Voͤlkerrechtseintheilungen haben mir die weſentlichſten geſchienen. Andre Voͤlkerrechtslehrer be - dienen ſich deren noch mehrere, die zum Theil blos in der Benennung abweichen. Ich will wenigſtens die vor - nehmſten davon bemerklich machen. Nach der Meinung des Grotius zerfaͤlt das Voͤlkerrecht in zwei Haupttheile in latius patens, worunter er ſein ſogenantes ius gentium voluntarium verſteht, das wieder vniverſale et certarum gentium ſeyn ſoll, und in arctius patens, welches blos das bey mehreren Voͤlkern gleichfoͤrmig angenommene Privatrecht enthaͤlt. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt nach dem Grotius und andern Philoſophen entweder ein in - nerliches oder aͤuſſerliches. Jenes ſoll aus den Grund - ſaͤtzen beſtehn, welche ich mit Wolfen und andern zu dem nothwendigen Voͤlkerrechte zaͤhle, weil ſie, wenn auch nicht aͤuſſerlich, doch fuͤr das Gewiſſen der Voͤlker ver - bindlich ſind. Zu dieſen gehoͤren die auch aͤuſſere Zwangsmittel zulaſſende Pflichten: und weil die Beob - achtung der innern Obliegenheiten von andern Voͤlkern, nicht wie die aͤuſſern, mit volkomnen Rechte gefodert werden koͤnnen; ſo wird das Voͤlkerrecht vielfaͤltig auch in volkomnes und unvolkomnes eingeteilt. Ferner unterſcheidet man es in abſolutes [abſolutum connatum, von einigen auch primarium genant] und hypothetiſches [hypotheticum, adquiſitum oder auch ſecundarium]. Er - ſteres iſt dasienige, welches ohne Zuthun einer verbindli -chen23und dem europaͤiſchen insbeſondere.chen Handlung, blos aus dem Weſen der Voͤlker ent - ſpringt, lezteres ſezt eine verbindliche Handlung, ein ſo - genantes factum iuridicum, z. B. einen Vertrag, eine Beleidigung voraus. Zouchaͤus und Mehrere machen einen Unterſchied zwiſchen ius gentium und jus inter gentes. Unter ienem verſtehn ſie das natuͤrliche, unter dieſem das von ihm abgehandelte practiſche Voͤlkerrecht. Sel - den endlich theilt das Voͤlkerrecht in Ruͤckſicht der von Gott dem iuͤdiſchen Volke unmittelbar ertheilten Voͤl - kergeſetze in ius gentium imperativum und interveniens.

*]Man ſehe von dieſen und mehrern zum Theil unſchickli - chen Eintheilungen Sam. Rachelii disſ. IIdam de J. N. et G. beſonders §. 17-22.
*]

§. 13. Verſchiedenheit des Voͤlkerrechts vom Naturrechte.

Unter dem Ausdruck: Voͤlkerrecht verſtehen Viele ſogleich ein Recht, welches alle Voͤlker verbinden ſoll: ſo wie der Name: Staatsrecht, ohne weitern Zuſatz immer nur das algemeine bezeichnet. Da ſie nun blos dem Naturrechte eine algemeine Verbindlichkeit zugeſtehn und ſolches gerade zu auf die Voͤlker angewandt wiſſen wollen; ſo halten ſie auch den Unterſchied fuͤr unnoͤthig. Hobbes laͤugnete ihn zuerſt: ihm folgten Puffendorf, Gundling, Boͤhmer und Andere. Die gegenſeitige Meinung hat iedoch triftigere Gruͤnde fuͤr ſich. So ver - ſchieden das Weſen politiſcher Koͤrper von dem Weſen wuͤrklicher Perſonen iſt, ſo manchen Abaͤnderungen iſt nothwendig das Naturrecht in der Anwendung auf freie Voͤlker unterworfen. Schon das natuͤrliche Voͤlkerrecht weicht alſo von dem Naturrechte merklich ab: noch ein - leuchtender alſo wird der Unterſchied bey den poſitiven Grundſaͤtzen. Puffendorf und ſeine Nachfolger trugenB 4indes24Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,indes die Natur - und Voͤlkerrechtslehren unabgeſondert vor. Deſto ſorgfaͤltiger ſind Wolf, Vattel, Ickſtadt und die neuern Gelehrten in deren Auseinanderſetzung geweſen; und Moſer hat das europaͤiſche Voͤlkerrecht ohn alle Einmiſchung des Naturrechts vorgetragen.

*]Io. Car. Durrius de juris gentium cum jure naturae conſenſu. Alt. 1671. 4. Io. Dan. Schwertneri disſ. de diſcrimine juris gentium a jure naturae. Lipſ. 1685. 4. Dav. Frid. Kappeine disſ. an et quatenus jus gentium a jure naturae differat? Lugd. Bat. 1741. 4.
*]

§. 14. Exiſtenz eines Voͤlkerrechts.

Mit dem Unterſchiede wird denn auch die Exiſtenz eines eignen Voͤlkerrechts uͤberhaupt, beſonders aber des poſitiven abgelaͤugnet. Man wendet ein, daß freie Voͤl - ker, welche keinen Obern als Gott uͤber ſich erkennen, an menſchliche Geſetze und Gewonheiten nicht gebunden ſeyn koͤnten, ſondern lediglich die Vorſchriften des Na - turrechts befolgen duͤrften. Andere, die allenfals ein eignes Voͤlkerrecht zugeben, halten doch ſelbſt das natuͤr - liche darum fuͤr unnuͤtz, weil die Voͤlker zu deſſen Beob - achtung durch niemanden angehalten werden koͤnten. Allein nicht blos Geſetze eines Obern, ſondern auch Ver - traͤge zwiſchen Gleichen ſind vermoͤgend, die Richtſchnur der Handlungen zu beſtimmen, und ein Recht zu begruͤn - den. Sind freie Voͤlker gleich keinem menſchlichen Geſetzgeber unterworfen, ſo koͤnnen ſie doch ſelbſt gewiſſe Verbindlichkeiten ſich auflegen, welche als Geſetze von ihnen beobachtet werden, und deren Handhabung gegen die Uebertreter, ſo wie bey den Vorſchriften der Natur, dem andern Theile mit Recht gebuͤhrt.

*]25und dem europaͤiſchen insbeſondere.
*]Nic. Andr. Pompeji disſ. de exiſtentia juris gentium. Alt. 1688. 4. Ierem. Eberh. Linckii quaeſtiones IV. 1] an jus gen - tium recte dicatur jus aut lex etc. Argent. 1742. 4. Io. Ioach. Zentgravii diſquiſitio de origine, veritate et obligatione juris gentium. Argent. 1684. 4. P. B. van Wydenbrugh disſ. ſ. t. datur ſed nondum ha - betur jus gentium. Götting. 1783. 4.
*]

§. 15. Verbindung des Voͤlkerrechts mit andern Staatskentniſſen.

Das Voͤlkerrecht iſt ein Theil der Staatswiſſen - ſchaft. Dieſe begreift alle dieienigen Kenntniſſe in ſich, welche die moͤgliche und wuͤrkliche Beſchaffenheit der Staaten und der davon abhangenden Beſtimmungen zum Gegenſtand haben. Sie wird daher in die philo - ſophiſche und hiſtoriſche eingeteilt. Ihre Quellen be - ſtehen in Rechtsgelehrſamkeit, Politik und Ge - ſchichtkunde. Die erſtere lehrt, wie die Staaten von Rechtswegen ſeyn muͤſſen; die zweite, wie ſie, der Klugheit gemaͤs, ſeyn koͤnten und ſolten; und die dritte, wie ſie wuͤrklich ſind, und wodurch ſie ihre gegenwaͤrtige Geſtalt erlangt haben. Ueberdies kan man die Staaten entweder nach ihrer innern Einrichtung und Verfaſſung, oder nach ihrem aͤuſſern Verhaͤltniſſe zu andern Staaten betrachten. Alle dieſe verſchiedenen Ruͤckſichten ſind der Grund, aus welchem die Staatswiſſenſchaft in folgende Haupttheile zerfaͤlt.

  • A] Aus den Rechtslehren fließt:
    • a] Das Staatsrecht, wenn man die innere Verfaſſung der Staaten, in Beziehung auf Regenten und Unterthanen, nach den Regeln des Rechts unterſucht; und zwarB 5aa]26Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      • aa] das algemeine, welches in philoſophiſchen Grund - ſaͤtzen beſteht, und auf alle moͤgliche Staaten ſich erſtreckt.
      • bb] Das beſondere, deſſen Gegenſtand ein einzelner wuͤrklicher Staat iſt.
    • b] Das Voͤlkerrecht, welches in den vorherge - henden §. §. ausfuͤhrlicher erklaͤrt worden, und bey dem die Eintheilung in
      • aa] algemeines und
      • bb] beſonderes z. B. europaͤiſches, davon in der Folge gehandelt werden ſoll, ebenfals Statt findet.
  • B] Die Politik lehrt in der Staatsklugheit unter mehrern rechtmaͤßigen, die beſten und ſchicklichſten Mittel zur geſchwindeſten Erreichung der Abſichten des Staats und deſſen Wohlfarth kennen. Es giebt auch eine
    • a] algemeine und
    • b] beſondere, in Beziehung der
      • aa] innern und
      • bb] aͤuſſern Verhaͤltniſſe.
  • C] Von der Geſchichtkunde gehoͤren zur Staatswiſ - ſenſchaft hauptſaͤchlich
    • a] die Statiſtick, welche von der natuͤrlichen und politiſchen Verfaſſung eines Staats, von deſſen Groͤße, Producte, Maͤngel, Macht und allen uͤbrigen gegenwaͤrtigen Merkwuͤrdig - keiten deſſelben Nachricht giebt.
    • b] Die Staatengeſchichte macht die Veraͤnde - rungen eines Staats im Ganzen und ſeinen Theilen bemerklich, lehrt deren Urſachen und Wuͤrkungen, und zeigt uͤberhaupt, wie allesnach27und dem europaͤiſchen insbeſondere.nach und nach ſeine itzige Beſchaffenheit er - langt hat.

Uebrigens wird die Staatswiſſenſchaft auch noch in die theoretiſche und practiſche eingetheilt. Dieſe lehrt in der Staats - und Voͤlkerpraxi die Grundſaͤtze der erſtern auf einzelne Staatsgeſchaͤfte anwenden. Alle dieſe verſchiedenen Kenntniſſe ſtehen, als Theile ei - nes Ganzen, in der genaueſten Verbindung, und bieten einander, der beſtaͤndigen Beziehung wegen, die unent - behrlichſten Huͤlfsmittel dar.

§. 16. Europaͤiſches Voͤlkerrecht.

Die Verbindung der europaͤiſchen Nazionen unter einander, welche zuſammen gleichſam ein Syſtem aus - machen, veranlaßt mancherley beſondere Verhaͤltniſſe. Wenn man auf dieſe die Zwangsrechte und Zwangs - pflichten des algemeinen Voͤlkerrechts anwendet, und zugleich die durch Vertraͤge oder Herkommen unter ihnen beliebten Einſchraͤnkungen und Beſtimmungen bemerkt, ſo entſteht daraus der Begrif des europaͤiſchen Voͤlker - rechts.

*]Der Freyherr von Ompteda, in ſeiner Litteratur des Voͤl - kerrechts 1. Th. §. 5. misbilligt zwar, daß man den Vortrag des Voͤlkerrechts gemeiniglich nur unter dem Namen des europaͤiſchen beſchraͤnke, da es doch auch auſſer Europa laͤngſt ſchon geſittete Voͤlker gebe, deren Anzahl durch die vereinigten Staaten von Amerika neuer - lich vermehret worden. Ich glaube iedoch, daß die euro - paͤiſchen Nazionen das vorzuͤglichſte Augenmerk verdienen, da ſie ohnſtreitig in weit genauern und haͤufigern Verbin - dungen unter einander als mit den Voͤlkern der uͤbrigen Welttheile ſtehen, deren Grundſaͤtze mit dem europaͤiſchen Voͤlkerrechte ohnedies oft ſchwer zu vereinbaren ſind. Man28Von dem Voͤlkerrecht uͤberhaupt,Man erwaͤge z. B. das marokkauiſche Verbot von 1780. gegen England und andere chriſtliche Nazionen Europens, Spanien und Frankreich ausgenommen, wegen des Einlau - fens ihrer Schiffe in die Haͤfen, und deſſen Abaͤnderung zum Nachtheil Spaniens im folgenden Jahre; Hyder-Ali’s Kriegsmanifeſt gegen England von 1780; die Behandlung des Deys zu Algier gegen den tuͤrkiſchen Geſandten 1782. u. ſ. w. Das natuͤrliche nothwendige Voͤlkerrecht bleibt indes auch auf dieſe anwendbar, und das freiwillige eben - fals, wenn ſie mit andern in geſelſchaftlichen Verbindun - gen ſtehen.
*]

§. 17. Quellen deſſelben a] Vertraͤge.

Die erſte und zuverlaͤſſigſte Quelle des beſondern europaͤiſchen Voͤlkerrechts machen die unter den europaͤi - ſchen Staaten errichteten ausdruͤcklichen Vertraͤge aus [deren Erforderniſſe weiter unten vorkommen werden]. Da es aber keine algemeinen Vertraͤge giebt, die von allen, oder auch nur den mehreſten europaͤiſchen Nazio - nen geſchloſſen waͤren, ſo iſt dieſes Vertragsrecht keines - weges algemein, ſondern nur fuͤr dieienigen Voͤlker ver - bindlich, welche dergleichen Vertraͤge errichtet, oder durch ihren Beitritt anerkant haben.

*]Io. Aug. Hellfeld de fontibus iuris, quo illuſtres vtun - tur vor Struvii Jurisprudentia heroica.
*]

§. 18. b] Herkommen.

Die algemeinen Begriffe des Herkommens ſind ſchon §. 9. feſtgeſezt worden. Die europaͤiſchen Staaten ha - ben, wie nicht zu laͤugnen iſt, unter ſich gewiſſe Gewon - heiten eingefuͤhrt, die ſie als Geſetze von allen beobach -tet29und dem europaͤiſchen insbeſondere.tet wiſſen wollen, ob deren algemeine Verbindlichkeit gleich aus dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nicht allemal zu erwei - ſen iſt. Da die europaͤiſchen Nazionen keinen menſchli - chen geſetzgebenden Obern uͤber ſich erkennen, und die wenigſten Handlungen derſelben gegeneinander durch ausdruͤckliche Vertraͤge beſtimt ſind; ſo iſt das Herkom - men, oder das, was in vorigen Zeiten in dergleichen und aͤhnlichen Faͤllen unter ihnen iſt beobachtet worden, von deſto groͤßerm Umfange.

*]Joh. Jac. Moſer in Moſerianis 1779. 1. Stck. n 4. S. 72.
*]
**]Hier iſt nicht ſowohl von einem beſondern, etwa nur zwiſchen zwey oder einigen wenigen Nazionen eingefuͤhrten Herkommen, ſondern hauptſaͤchlich von ſolchen Gewon - heiten die Rede, welche ſie insgeſamt verbinden ſollen. Bey deren
**]
  • I] Beſtimmung iſt zu merken:
    • a] Das Herkommen gruͤndet ſich lediglich auf That - ſachen, die ſtilſchweigend nach und nach eine geſetz - liche Kraft erreicht haben: auch kan es durch Ver - traͤge zwiſchen etlichen Voͤlkern veranlaßt worden ſeyn, indem die uͤbrigen, ohne ausdruͤcklichen Bei - tritt, ſich demſelben gemaͤs benehmen.
    • b] Je mehr Staaten einem Herkommen beigeſtimt, oder nur nicht widerſprochen haben, fuͤr deſto ver - bindlicher wird es geachtet.
    • c] Je mehr Faͤlle man aufweiſen kan, deſto weniger iſt es zu bezweifeln: doch gnuͤgt zuweilen auch nur ein einziges Beiſpiel.
    • d] Die Faͤlle muͤſſen gleichfoͤrmig ſeyn.
    • e] Da Gewohnheiten einer oͤftern Abaͤnderung unter - worfen ſind, ſo komt es hauptſaͤchlich auf die neu - ſten Faͤlle an; nicht ſelten muß man iedoch auf die aͤltern Zeiten zuruͤckgehn.
II]30Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
  • II] Der Beweis des Herkommens liegt, weil es auf That - ſachen beruht, dem, der ſich darauf bezieht, ob, und muß entweder a] durch Zeugen, b] oͤffentliche Staats - ſchriften, oder c] durch glaubwuͤrdige Geſchichtſchreiber gefuͤhrt werden. Zur Erlaͤuterung und Beſtaͤtigung fin - den iedoch auch philoſophiſche Beweiſe ſtatt.
    • Dietr. Herm. Kemmerich diß. de probatione con - ſuetudinis et obſervantiae tam privatae quam publicae. Ienae 1732. 4.
    • Henr. Bodini disſ. de eo quod juſtum eſt circa teſti - monium hiſtoricorum. Halae 1701. 4.
    • Indes ſchiebt man bey dem Herkommen nicht ſelten die Schuld auf die Miniſters, und ſchuͤtzt einen Kanz - leyfehler vor.
  • III] Die Rechtskraft eines dergleichen Herkommens unter den europaͤiſchen Staaten iſt um ſo weniger zu bezweifeln, da ihr eignes Anerkentnis ſolche bewaͤhrt. Sie
    • a] berufen ſich oͤfters auf ein Voͤlkerrecht.
    • b] verſtehen darunter nichts als hergebrachte Gewon - heiten,
    • c] legen ihnen eine volkomne Verbindlichkeit bey.
    • Ad. Fr. Glafeys Recht der Vernunft 1. Buch 1. Kap. §. 329. S. 205. ed. 1746.
    • J. J. Moſers Verſuch ꝛc. Abhandlung von den Nor - men ꝛc. §. 5.
    • Als beym Ryswickſchen Friedenskongreſſe die kaiſerli - chen Geſandten durch zu ſtrenge Behauptung der Vorzuͤge des Kaiſers mancherley Irrungen veran - laßten, aͤuſſerte man von Seiten der vermittelnden Geſandſchaft: daß kein einziger Miniſter Sr. Kaiſerl. Majeſtaͤt den Rang und Vorzug vor andern Souve - rains ſtreitig machte, weil die Poſſeſſion, in welcher ſich ein roͤmiſcher Kaiſer diesfals main -tenirt31und dem europaͤiſchen insbeſondere.tenirt habe, zu einer Gewonheit, und folg - lich zu einem Geſetze worden ſey, welchem niemand derogiren koͤnte noch wolte.
  • IV] Wie nothwendig die Kentnis dieſer Gewonheiten ſey, ergiebt ſich daraus, daß die europaͤiſchen Souverains oft unbeſtimt ſich darauf beziehen. So heißt es z. B. bey dem Eingang in die Dardanellen und Haͤfen, ſollen in Anſehung der daͤniſchen Schiffe eben die Gewonheiten, welche gegen andre freundſchaftliche Nazionen beobachtet werden, Statt haben; und anlangend das Gruͤſſen der Koͤniglich Daͤniſchen Kriegsſchiffe, ſollen die unter andern befreundeten Maͤchten uͤbliche Gewonheiten beobachtet werden. Freudſchafts - und Handlungsvertrag zwiſchen Daͤnemark und der Pforte von 1756. Art. 1. und 5. Wenn die beiderſeitigen Geſchwader oder Kriegsſchiffe ſich begegnen, oder ſich mit einander vereinigen ſolten, will man wegen des Kommando dasienige beobachten, was unter den gekroͤnten Haͤuptern und der Republik gewoͤnlich iſt. Beitrit der vereinigten Niederlande vom 5ten Januar 1781. zum Seehandlungstractat zwiſchen Rußland und Daͤnemark von 1780. Art. 13.

§. 19. c] Analogie.

Der Schlus von aͤhnlichen Faͤllen und Grundſaͤtzen auf andre durch Vertraͤge oder Herkommen ausdruͤcklich nicht beſtimte Faͤlle, giebt auch im europaͤiſchen Voͤlker - rechte oͤfters einen Entſcheidungsgrund ab.

*]Aus dem Vorhergehenden ergiebt ſich uͤbrigens, daß auch das europaͤiſche Voͤlkerrecht in das algemeine, welches ſaͤmtliche oder doch die mehrſten europaͤiſchen Souverains befolgen, und groͤſtenteils in dem Herkommen beſteht, und in das beſondere ſich eintheilen laͤßt, welches zwi - ſchen zwei Voͤlkern insbeſondere obwaltet, und hauptſaͤch -lich32Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,lich auf Vertraͤge oder ſpecielle Gewonheiten beruht. Am 31ſten December 1782. erklaͤrte der engliſche Miniſter dem hollaͤndiſchen Geſandten zu Paris, daß England alle vori - gen beſondern Verbindungen mit Holland als aufge - hoͤrt betrachte, und nun nur ſchlechterdings und einzig nach den algemeinen Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts gegen die Republik verfahren koͤnne; doch fragten die hol - laͤndiſchen Geſandten in der Antwort vom 5ten Januar 1783., was der Londner Hof durch die Grundſaͤtze dieſes Voͤlkerrechts verſtehe?
*]

§. 20. Vom Gebrauch der Bibel, der roͤmiſchen und andrer Privatrechte in den Voͤl - kerrechtsmaterien.

Auſſer dem algemeinen natuͤrlichen Voͤlkerrechte hal - ten J. J. Moſer und andere das goͤttliche Recht der Bibel a], beſonders neuen Teſtaments, und deſſen Hauptgrundſaͤtze: 1] Liebe deinen Naͤchſten als dich ſelbſt; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen auch, fuͤr eine der erſten Normen, wornach beſonders die europaͤiſchen Na - zionen ihre Handlungen einrichten ſolten, weil ſie, eini - ge orientaliſche Staaten ausgenommen, alle zur chriſtli - chen Religion ſich bekennen. Doch geſteht er ſelbſt, daß in den Staatshandlungen der Souverains von Gott und goͤttlichem Rechte ſelten, von der heiligen Schrift aber faſt nie die Rede ſey, wenn ſchon ein Satz daraus noch ſo entſcheidend waͤre. So verehrungswuͤrdig die - ſes goͤttliche Buch in den Augen des wahren Chriſten, und ſo verbindlich es fuͤr das Gewiſſen chriſtlicher Re - genten iſt, ſo wenig kan demſelben doch eine volkomne aͤuſſere Verbindlichkeit im juriſtiſchen Verſtande beige - legt werden, da die, auſſer den iuͤdiſchen Ceremoniel - und Privatgeſetzen, in demſelben enthaltene Vorſchrif -ten33und dem europaͤiſchen insbeſondere.ten lediglich auf unſre kuͤnftige Seligkeit abzwecken, wo - zu Gott mit Gewalt niemanden zwingen will b]. Irri - gerweiſe bediente man ſich ſonſt auch der roͤmiſchen, ca - noniſchen und andrer Privatrechte in Beurteilung der Voͤlkerrechtsmaterien, die man aber, weil ihnen aller Grund einer Verbindlichkeit fehlt, heutzutage billig ver - wirft. Doch iſt deren Kentnis, als Huͤlfsmittel, nicht ganz zu verwerfen, indem aus ienem Gebrauche man - ches europaͤiſche Voͤlkerherkommen ſich erklaͤren laͤßt c].

a]Io. Seldeni de jure naturae et gentium iuxta diſcipli - nam Hebraeorum Libri VII. Argent. 1665. 4.
a]
b]Petr. Kyhnieri disſ. de fundamento juris naturae et gentium, quod continetur Matth. VII. 12. Baſil. 1727. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. Vorlaͤufige Abhandlung §. 2. Io. Aug. Hellfeld l. c. §. XVIII.
b]
c]Io. Werlhoffii diß. de vſu juris Romani aliorumque privatorum jurium in decidendis controverſiis liberarum gentium. Helmſt. 1692. 4. Der bekante Joh. Otto Tabor ſoll den Rath gegeben ha - ben, den Koͤnig in Frankreich, der einem teutſchen Reichsſtand ins Land gefallen, actione legis aqui - liae zu belangen. Moſers teutſches Staatsrecht 2. Th. S. 214.
c]

§. 21. Staatsintereſſe.

Erhaltung und Vervolkomnung ſein ſelbſt iſt eine der vorzuͤglichſten Pflichten und gemeiniglich die Haupt - triebfeder der Handlungen des Menſchen, einzeln und in Verbindung mit andern betrachtet. Auch unter Nazio - nen liegt darinnen der Grund des iedem Volke eignen ſogenanten Staatsintereſſe, [Intérêt des Etats] unter welchem der Inbegrif aller Maasregeln verſtanden wird,Cdie34Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver - mehrung der Staatsabſicht annimt, und in vorkommen - den Staatsgeſchaͤften nach der Staatsraiſon [ratio ſta - tus, raiſon d’état] beſtimt a]. Sie haben auf die Hand - lungen der Souverains gegeneinander oft den ſtaͤrkſten Einflus, und muͤſſen allerdings in Erwaͤgung gezogen werden: nur duͤrfen Vergroͤßerungsſucht und Begierde nach uͤberwiegender Macht, mit Hintanſetzung der Ge - rechtſame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen, und der Grund eines bloßen Konvenienzrechts b] ſeyn. Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb - federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wiſ - ſenſchaft des Publikums. Daher die Eintheilung in oͤffentliches und geheimes Staatsintereſſe. Die Kent - nis davon gehoͤrt in die Staatsklugheit.

a]Herm. Conringii diß. de ratione ſtatus. Helmft. 1651. 4. und in Opp. T. IV. p. 549-580. Iac. Thomaſius de ratione ſtatus. Lipſ. 1665. 4. Iac. Brunnemanni diß. VI. de ratione ſtatus. Halae 1701. 4. und in Ej. jurispr. publ. n. 12.
a]
b]J. J. Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Friedenszeiten 1ſter Th. S. 8. Sehr oft wird dies ſogenante Konvenienz - recht ein Gegenſtand der Beſchwerden. Das Kabinet von St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das vermeintliche Recht der temporellen Konvenienz, be - fand fuͤr gut ꝛc. heißt es unter andern in dem Gegenma - nifeſt der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien vom 12. Maͤrz. 1781.
b]

§. 22. Gebrauch der Quellen.

Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwiſchen zwey Voͤlkern kommen zufoͤrderſt die beſondern Vertraͤge und Gewonheiten unter ihnen beiden, nebſt deren Analogiein35und dem europaͤiſchen insbeſondere.in Betrachtung. Sind dieſe unzulaͤnglich, ſo folgen die gemeinen Gewonheiten der uͤbrigen europaͤiſchen Na - zionen: und wenn der Fall auch daraus nicht zu ent - ſcheiden iſt, muß man ſeine Zuflucht endlich zum natuͤr - lichen, zuerſt zum freiwilligen und dann zum nothwendi - gen nehmen. Zwar haͤlt Moſer dies von ihm ſo betit - telte Schulvoͤlkerrecht fuͤr ziemlich unnuͤtzes Geſchwaͤtz, weil deſſen Grundſaͤtze ſehr ungewis und unzureichend waͤren, auch von den Schriftſtellern und Nazionen wie eine waͤchſerne Naſe gedreht wuͤrden, indem man, der Konvenienz nach, bald dieſes bald ienes fuͤr Recht erken - ne, und den natuͤrlichen Gruͤnden wieder andre entge - gen ſetze. Die Beziehung auf Schriftſteller des natuͤr - lichen Voͤlkerrechts ſey daher unnoͤthig in Staatsſchrif - ten, beruhe blos auf den Geſchmack dieſes oder ienes Miniſters, und komme ſelten vor, weil ſelbſt auf der beruͤhmteſten Ausſpruch in Entſcheidung der Voͤlkerſtrei - tigkeiten nichts ankomme. Allein koͤnten die meiſten die - ſer Vorwuͤrfe mit gleichem Rechte nicht auch den Grund - ſaͤtzen des von ihm zuſehr erhobenen practiſchen Voͤlker - rechts gemacht werden? So lange iene vorzuͤglicheren Quellen hinreichen, bedarf es des Gebrauchs natuͤrlicher Voͤlkerrechtsſaͤtze und ihrer Schriftſteller freilich nicht. Im Gegenfall aber, oder auch blos zu mehrerer Beſtaͤti - gung der vorgetragenen Meinungen iſt deren Anfuͤhrung kaum ganz zu verwerfen. Am oͤfterſten muß man auf das freiwillige Voͤlkerrecht zuruͤckgehen; wo man iedoch nicht blos bey den algemeinen Geſelſchaftspflichten ſtehen blei - ben darf, ſondern vorzuͤglich auch auf die Natur der unter den europaͤiſchen Staaten beſtehenden Verbindun - gen, die mancherley Zufaͤlligkeiten unter ihnen weſentlich gemacht haben, Ruͤckſicht nehmen muß.

*]Einen Beweis, daß der Gebrauch des natuͤrlichen Voͤlker - rechts unter den europaͤiſchen Souverainen nicht ganz unge -C 2woͤnlich36Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,woͤnlich ſey, geben unter vielen andern folgende neuere Beiſpiele. In dem Seehandlungstractat zwiſchen Ruß - land und Daͤnemark vom 28ſten Jun. 1780. heißt es im Eingange: So haben Ihro zu Folge ihrer ſteten Aufmerkſamkeit, ihre eigne Wuͤrde, und ihre Sorgfalt fuͤr die Sicherheit und das Wohl ihrer Unterthanen, mit ihrer ſo oft bezeigten Achtung fuͤr das algemeine Voͤl - kerrecht zu verbinden, unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤn - den fuͤr noͤthig gefunden, ihr Betragen nach dieſen Geſin - nungen einzurichten. Ihro Maj. die Kaiſerin von Ruß - land hat durch ihre Erklaͤrung an die kriegfuͤhrenden Maͤchte d. d. 28ſten Febr. 1780. ganz Europa die Grundſaͤtze vor Augen gelegt, welche aus dem urſpruͤnglichen Voͤlker - rechte herfließen, die ſie reklamirt und zur Regel ihres Betragens in dem gegenwaͤrtigen Kriege angenommen hat. Die hollaͤndiſchen Geſandten zu Bruͤſſel erklaͤrten 1784. in einem Memoire an den Kaiſerlichen Miniſter, in Betref der auf die Kaiſerlichen Schiffe, welche die Schelde befahren ſolten, gethanen Schuͤſſe: daß die Generalſtaaten keine andre Abſicht gehabt haͤtten, als ihre billigen Rechte zu handhaben. Die Republick bliebe noch bey ihrer friedlichen Neigung, und ſolte dieſes nicht auf den Geiſt Sr. Majeſtaͤt wuͤrken, ſo wuͤrde ſich die Republick, wider ihren Willen genoͤthigt ſehen, von den Mitteln Gebrauch zu machen, wozu ſie durch das Natur - und Voͤlker - recht zur geſetzmaͤßigen Vertheidigung ihrer unbezweifelten Rechte bevolmaͤchtigt ſey; Von der Anwendung der uͤbri - gen Hauptgattungen des Voͤlkerrechts zeugt, wenn Gros - britannien und Schweden ſich verbinden zur Defenſion ihrer Koͤnigreiche, Lande, Unterthanen, Rechte und Freiheit der Schiffahrt und Handlung in der Oſtſee, Belt, Nordſee und dem Canal und andrer Privilegien und Vorzuͤge, die ihnen durch Vergleiche, Gewonheiten, Voͤlker - und Erbrecht zuſtehen ꝛc. Stockholmer Allianz vom 21ſten Jan, 1740, Art. 4. Oft37und dem europaͤiſchen insbeſondere.Oft wird in den Staatshandlungen der europaͤiſchen Souverains der Ausdruck: Voͤlkerrecht ohne weitern Zuſatz gebraucht, und dann darunter gemeiniglich das natuͤrliche und Gewonheitsrecht verſtanden, zumal wenn es, wie nicht ſelten geſchieht, den Tractaten entgegen geſezt iſt. So ſagen z. B. die vereinigten Niederlande in ihrem Kriegsmanifeſte gegen Grosbritannien 1781. Sie waͤren der bewafneten Neutralitaͤt beigetreten, um mit andern nordiſchen Maͤchten die Neutralitaͤt und Rechte der Neutralen, die ihnen nach dem Voͤlkerrechte und den vorwaltenden Tractaten zukommen, mit geſamter Hand zu vertheidigen. Ingleichen: Die Entſcheidung uͤber die Prieſen und Beſitznehmungen, welche vor Anfang der Feindſeligkeiten gemacht worden, ſoll an die resp. Gerichts - hoͤfe beyder Nazionen gewieſen werden, ſo daß ihre Recht - maͤßigkeit nach dem Voͤlkerrechte und den Tractaten vor den Juſtizhoͤfen der Nazion ſoll entſchieden werden, welche die Prieſen gemacht oder die Beſitznehmungen an - befohlen hat. Def. Friede zwiſchen Frankreich und Gros - britannien 1783. Art. 21.
*]

§. 23. Geſchichte des europaͤiſchen Voͤlkerrechts.

Die Einſicht und Beurteilung der europaͤiſchen Voͤl - kerrechtslehren wird durch alle oberwaͤhnte Theile der Staatswiſſenſchaft nicht wenig erleichtert. Die haupt - ſaͤchlichſten Huͤlfsmittel aber gewaͤhrt die Kentnis des Staatsrechts der europaͤiſchen Nazionen, ihrer politi - ſchen Verfaſſung und beſonders ihres Staatsintereſſe, die man durch das Studium der Staatengeſchichte und der Statiſtick mit allen zur Geſchichte gehoͤrigen Huͤlfs - wiſſenſchaften, als Geographie, Genealogie, Heral - dick ꝛc. aus bewaͤhrten Quellen, zuweilen auch aus poli - tiſchen Blaͤttern, durch Reiſen, Umgang mit Staats -C 3bedien -38Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,bedienten und, wo moͤglich, durch eigne Erfahrung zu erwerben bemuͤht ſeyn muß.

*]Die hier einſchlagenden Schriften findet man in den hiſto - riſchen Bibliotheken aufgezeichnet, unter andern in Georg. Wilh. Zapfs Litteratur der alten und neuen Ge - ſchichte. Lemgo 1781. 8. Burc. Gotth. Struvii Bibliotheca hiſtorica aucta a Chr. Gottl. Budero noviß. edita a Io. Georg. Meuſelio Lipſ. 1782. ſeqq. 8.
*]

§. 24. Teutſches Voͤlkerrecht.

Teutſchland als ein einiger Staatskoͤrper, gehoͤrt ohnſtreitig unter die Zahl der uͤbrigen europaͤiſchen Maͤch - te, und genießt daher mit ihnen gleiche, zuweilen noch vorzuͤglichere Rechte. Bekantlich iſt es aber auch ein Reich, das aus mehreren beſondern, iedoch einer gemein - ſchaftlichen hoͤhern Gewalt[untergeordneten] Staaten be - ſteht, die, ihrer Reichsverbindung unnachtheilig, ver - moͤge der Reichsgrundgeſetze und des Herkommens groͤ - ſtenteils dieienigen Gerechtſame ausuͤben, welche andern freien Voͤlkern zuſtehn. Die meiſten Verbindungen der teutſchen Reichsſtaͤnde mit auswaͤrtigen Maͤchten, viele der Reichsſtaͤnde unter ſich und nicht wenige mit dem Kaiſer und Reich muͤſſen daher aus den Grundſaͤtzen des europaͤiſchen Voͤlkerrechts beurteilt werden. Dieſes auf die teutſchen Reichsſtaͤnde angewandte Voͤlkerrecht kan man fuͤglich das teutſche Voͤlkerrecht nennen.

*]Dan. Nettelbladt von dem rechten Gebrauche des na - tuͤrlichen und gemeinen europaͤiſchen Voͤlkerrechts in der beſondern europaͤiſchen Voͤlkerrechtsgelahrheit der teutſchen Nazion; in deſſen Eroͤrterung einiger einzelnen Lehren des teutſchen Staatsrechts n. 3. ingleichen deſſen Abhandlunguͤber39und dem europaͤiſchen insbeſondere.uͤber die rechte Einrichtung eines Lehrbuchs der Staats - rechtsgelahrheit der Teutſchen. Er giebt dieſer Wiſſen - ſchaft den Namen der beſondern europaͤiſchen Voͤlker - rechtsgelahrheit der teutſchen Nazion und behauptet in der leztern Abhandlung §. 8. mit guten Gruͤnden, daß ſolche abgeſondert vom teutſchen Staatsrechte vorgetragen werden muͤffe. I. A. Ickſtadt Elem. Jur. Gent. L. I. c. I. praecogn. §. 1. Schol. II.
*]
**]Von dieſen Gerechtſamen der teutſchen Reichsſtaͤnde wird unten bey Beſtimmung der Souverainete mehr zu ſagen ſeyn. Hier will ich nur noch ſo viel gedenken, daß alle Klaſſen der Reichsſtaͤnde in ihren Staatsſchriften ſelbſt ſich auf das Voͤlkerrecht beziehn. So heißt es in der De - claration Sr. Majeſtaͤt des Koͤnigs in Preuſſen gegen das Wiener Kreiscirculare von 1785 in Betref der von dem Koͤnige veranlaßten Verbindung einiger Reichsſtaͤnde zur Aufrechthaltung der Conſtitution des teutſchen Reichs: in - dem ſie es durch Maasregeln thun, die dem Voͤlker - recht und den Rechten des teutſchen Reichs gemaͤs ſind. Das Corpus Evangelicorum ſagt in einem Vorſtellungs - ſchreiben an Sr. Kaiſerl. Majeſtaͤt vom 16. Nov. 1720. Beyl. M. in Betref der Beſchwerden gegen das Kurmayn - ziſche Reichs Directorium: aus was fuͤr einem Vorrecht Kur Maynz ſolches [NB. die Anweſenheit beym Votiren in eignen Angelegenheiten] wider aller Voͤlker Gebrauch praͤ - tendire ꝛc. Fabers Staatskanzley 38. Th. S. 299. Wuͤr - tenberg erwiederte unterm 10ten Jun. 1710. auf ein Kai - ſerl. Reſcript in Poſtſachen: Meine Vorfahren haben von etlichen hundert Jahren her nicht allein vi libertatis natu - ralis et juris gentium, ſondern auch des teutſchen Fuͤr - ſtenrechts ꝛc. ſolches jus mittendorum nunciorum ge - habt. Moſers teutſches Staatsrecht 5. Th. S. 226. Die Reichsſtaͤdte bezogen ſich 1687 9 / 19 Oct. und oͤfter inC 4Anſe -40Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Anſehung ihrer Gerechtſame beim Bothenweſen auf das jus gentium. Ebendaſ. S. 170. Doch hat der Kaiſer den Gebrauch des Voͤlkerrechts bey innern Staatsangele - genheiten des teutſchen Reichs zuweilen nicht wollen gelten laſſen. Ein Voͤlkerrecht ward 1757. in einer Kaiſerli - chen Schrift gegen Preuſſen behauptet, kent man keines - weges bey teutſchen Fuͤrſten unter ſich, ſondern ein Haupt, den Kaiſer, man weiß Reichsſatzungen, Reichsge - richte, Reichsgeſetze und Gewonheiten, man braucht demnach bey der innern Verfaſſung des Reichs kein ſoge - nantes Voͤlkerrecht. Moſer von Teutſchland und deſ - ſen Staatsverfaſſung Kap. 26. §. 5. S. 530. Der aber auch zugleich erinnert, daß dies zuweit gegangen und das Voͤlkerrecht, wo Reichsgeſetze und Gewonheiten den Aus - ſchlag nicht geben, allerdings anwendbar ſey.
**]

§. 25. Quellen und Huͤlfsmittel des teutſchen Voͤlkerrechts.

Die Quellen des teutſchen Voͤlkerrechts beſtehen, wie bey dem europaͤiſchen uͤberhaupt, ebenfals in Vertraͤgen, Herkommen und Analogie, und bey deren Ermangelung in Grundſaͤtzen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts. Nur muͤſ - ſen die teutſchen Reichsſtaͤnde bei ihren Verbindungen mit Auswaͤrtigen und unter ſich ſelbſt, die Vorſchriften des teutſchen Staatsrechts nicht auſſer Augen laſſen. Die Kentnis dieſes Rechts und der beſondern reichsſtaͤn - diſchen Verfaſſung iſt auch als das hauptſaͤchlichſte Huͤlfsmittel des teutſchen Voͤlkerrechts anzuſehn.

§. 26. Geſchichte des Voͤlkerrechts.

Zur gruͤndlichen Erlernung des Voͤlkerrechts iſt die Kentnis deſſen Geſchichte und der Gelehrten, welche ſichum41und dem europaͤiſchen insbeſondere.um die wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben verdient gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantſchaft mit den Schickſalen, Volkommenheiten und Maͤngeln einer Wiſſenſchaft die Fortſchritte in derſelben ungemein erleich - tert. Die eigentliche Geſchichte der Wiſſenſchaft be - ſchaͤftigt ſich mit Erzaͤhlung der wichtigſten von Zeit zu Zeit in denſelben aufgeſtelten Grundſaͤtze und deren Ver - anlaſſung; hingegen die Bemuͤhungen der Gelehrten, ſie als Wiſſenſchaft in Schriften auszubilden, werden in der Gelehrtengeſchichte oder ſogenanten Literatur vor - getragen.

§. 27. Geſchichte des natuͤrlichen Voͤlkerrechts.

Eine Geſchichte im eigentlichen Verſtande findet beim natuͤrlichen Voͤlkerrechte, wie man gegen meinen Grund - ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil deſſen Grundſaͤtze, eben ſo alt als die Nazionen, unveraͤnder - lich ſind, und auf Schluͤſſen einer geſunden Vernunft beruhen. Da iedoch die Art zu ſchluͤſſen nicht immer die naͤmliche geweſen, die Gelehrten in vielen Saͤtzen von einander abweichen, und manche derſelben erſt in neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklaͤrung, mehrere Berichtigung erhalten haben, ſo wuͤrde es wohl mehr Geſchichte der Wiſſenſchaft, als bloße Literatur zu nen - nen ſeyn, wenn man hauptſaͤchlich die verſchiedenen Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts durchginge, und zeigte, wie ſie nach und nach entſtanden, abgeaͤndert und vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten, welche dieſer oder iener Meinung zugethan geweſen. Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der alten und ſcholaſtiſchen Philoſophie; b] Grotius und ſeine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt. Die Ausfuͤhrung dieſer Geſchichte wuͤrde fuͤr meine gegen - waͤrtige Abſicht zu weitlaͤuftig ſeyn. Man kan indesC 5die -42Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,dieienigen Schriftſteller nachſchlagen, welche die Ge - ſchichte des Naturrechts, gewoͤnlich verbunden mit der des natuͤrlichen Voͤlkerrechts abgehandelt haben.

*]Ad. Fr. Glafeys volſtaͤndige Geſchichte des Rechts der Vernunft nebſt einer Bibliotheca juris naturae et gen - tium. verb. Aufl. 1739. 4. Kurzer Entwurf einer Hiſtorie des Natur - und Voͤlker - rechts. Leipzig 1759. 8.
*]

§. 28. Huͤlfsmittel des europaͤiſchen Voͤlkerrechts.

In den aͤltern und ſogenanten mitlern Zeiten ſtanden die europaͤiſchen Nazionen wenig mit einander in Ver - bindung. Jede war nur mit ſich ſelbſt und mit ihrer innern Einrichtung beſchaͤftigt: und ob dieſe ſchon mit dem vierzehnten Jahrhundert ungefaͤhr bey den mehreſten Staaten einige Conſiſtenz erlangte, ſo bekuͤmmerten ſie ſich doch noch ſelten weiter als um ihre naͤchſten Nach - barn. Seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts fing der Zuſammenhang der Staaten an immer ſtaͤrker und das Intereſſe immer gemeinſchaftlicher zu werden, bis ſie nach und nach ihre gegenwaͤrtige Verfaſſung erhiel - ten. Da es unter ihnen anfangs nothwendig an Ver - traͤgen und Gewonheiten fehlte, und an die Ausbildung eines Naturrechts noch nicht zu denken war, ſo nahmen ſie in ſtreitigen Rechtsfaͤllen ihre Zuflucht zu den damals algemein beliebten roͤmiſchen und paͤpſtlichen Rechtsſaͤ - tzen. Nicht ſelten wurden ſogar Gutachten und Beden - ken von Gottesgelehrten eingeholt, die ihre Entſchei - dungsgruͤnde, wie leicht zu erachten, aus der Bibel nahmen. Die Aufklaͤrung in den uͤbrigen Wiſſenſchaf - ten fuͤhrte auch in die Staatsgeſchaͤfte gereinigtere aus gemeinſchaftlichem Wohl hergeleitete Grundſaͤtze ein, und veranlaßte nach und nach mehrere Gewonheiten undVer -43und dem europaͤiſchen insbeſondere.Vertraͤge. Hierzu kamen die Uebermacht einiger Nazio - nen, verſchiedene Staats - und Handelsvereine, beſtaͤn - dige Soldaten, ſtehende Geſandſchaften u. dergl. wo - durch der Umfang des wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechts anſehn - lich erweitert ward. Deſſen Hauptepoche iſt iedoch von dem weſtphaͤliſchen Frieden an zu rechnen, der faſt uͤber ganz Europa ſich erſtreckte, und auf deſſen politiſches Syſtem den wichtigſten Einflus hatte.

*]Godofr. Achenwalli Juris gentium Europ. Pract. pri - mae lineae. Götting. 1775. 8. Sect. I. §. I. ſeqq. Hellfeld l. c. §. XX. ſeqq.
*]

§. 29. Geſchichte des teutſchen Voͤlkerrechts.

Gleiche Bewandnis hat es mit den Grundſaͤtzen, worauf die Beurteilung der auswaͤrtigen Angelegenheiten teutſcher Reichsſtaͤnde beruht. Bey dieſen macht der weſtphaͤliſche Friede eine noch merkwuͤrdigere Epoche.

§. 30. Literatur des Voͤlkerrechts.

Die Literatur zeigt die Gelehrten und ihre Schriften an, welche zur Ausbildung einer Wiſſenſchaft beigetra - gen haben. Sie zerfaͤlt in zwei Hauptſtuͤcke, in die Gelehrtengeſchichte und Bibliothek. Die erſtere giebt in chronologiſcher Ordnung von den Schriftſtellern und ihren vorzuͤglichſten Lebensumſtaͤnden, die beſonders auf ihre Schriften einigen Einflus gehabt haben, Re - chenſchaft. In der Bibliothek werden die Schriften nach einer gewiſſen Klaſſification recenſirt.

*]Die Literatur iſt bei ieder Wiſſenſchaft ein weſentliches Stuͤck. Das vortreflichfte und nachahmungswuͤrdigſte Muſter hat der verdienſtvolle Herr geheime JuſtitzrathPuͤtter44Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Puͤtter zu Goͤttingen, in ſeiner Literatur des teutſchen Staatsrechts gegeben. Bisher fehlte es leider! an einer zweckmaͤſſigen Literatur des Voͤlkerrechts, beſonders des europaͤiſchen noch ganz. Ich war daher Willens, nach Vollendung meines gegenwaͤrtigen Siſtems, einen Ver - ſuch hierinn zu machen, und hatte indes in denen zum Ab - druck bereits fertig liegenden Bogen bey ieder Materie we - nigſtens die vorzuͤglichſten Schriften angefuͤhrt, und in einigen §. §. die Hauptſchriftſteller ieder Klaſſe uͤberhaupt bemerklich gemacht. Waͤhrend der Zeit erſchien zu meiner nicht geringen Freude die iedem Kenner gewis bekante vor - trefliche Voͤlkerrechtsliteratur des Koͤniglich Grosbritanni - ſchen und Kurfuͤrſtlich Braunſchweigiſchen Comitialgeſand - ten zu Regensburg ꝛc. Freyherrn von Ompteda, ein Werk, das nicht nur meine literariſchen Bemuͤhungen uͤberfluͤſſig machte, ſondern auch zu Aufgebung meiner ganzen gegenwaͤrtigen Bearbeitung der Voͤlkerrechtswiſſen - ſchaft mich beſtimt haben wuͤrde, haͤtte ich hierunter noch freiere Gewalt gehabt. Aber das Loos war einmal geworfen! und das Publikum wird es mir daher verzeihn, wenn ich es noch wage, mit meinem Verſuche hervorzu - treten, da eben die Ankuͤndigung ienes durch Rang und Kentniſſe ſo erhabenen Gelehrten eins der volkommenſten Werke in dieſem Fache hoffen laͤßt. Von dem verehrungs - wuͤrdigen Herrn Verfaſſer darf ich mir gewis eben das ſchonende und nachſichtsvolle Urteil ſchmeicheln, deſſen derſelbe meine erſten geringen Proben bereits gewuͤrdigt hat. Wenigſtens hoffe ich, wird man meinen guten Wil - len, ſo viel mir moͤglich, nuͤtzlich zu werden, nicht ver - kennen, der mir zur Zeit, als ich den Entſchlus zu die - ſem Werke faßte, nicht uͤberfluͤſſig ſchien. Ob ich nun gleich, nach Erſcheinung der vorgedachten von mir moͤglichſt noch benuzten Literatur des Freyhern von Om - pteda, die vorgehabte Ausarbeitung einer eignen Voͤlker - rechts Literatur dermalen aufgegeben habe, ſo wird esdoch45und dem europaͤiſchen insbeſondere.doch manchen Leſern vielleicht nicht unangenehm ſeyn, wenn ich, beſonders zur Bequemlichkeit derer, welche ie - nes ausfuͤhrliche Werk nicht immer bey der Hand haben, die wenigen §. §. von den Hauptſchriftſtellern des Voͤlker - rechts, und dann die einmal angefangene Methode mit Anfuͤhrung der vornehmſten Schriften ieder Materie beibe - halte.
*]
**]Auſſer den algemeinen literariſchen Werken und denen von der Philoſophie und Rechtsgelahrheit uͤberhaupt, ſind dem Voͤlkerrechte insbeſondere folgende gewidmet. 1] Io. Groeningii Bibliotheca juris gentium Euro - paea. Hamb. 1703. 8. 2 ] [Io. Fr. Wilh. de Neumann] Bibliotheca juris imperantium quadripartita, ſeu commentarius de ſcriptoribus juris naturae et gentium, publici vniverſalis et principum privati. Norimb. 1727. 4. 3 ] Ad. Fr. Glafeys Bibliotheca juris naturae et gentium; bey der obenangefuͤhrten Geſchichte des Rechts der Vernunft. 4] Chr. Fr. Georg Meiſters Ausbeſſerungen und Zu - ſaͤtze zu Herrn Hofrath Glafeys Bibliothecam juris naturae et gentium 1. Stuͤck. Goͤtting 1740. 2. Stck. 1741. 4. 5 ] Ebendeſſelben Bibliotheca juris naturae et gentium P. I. Götting 1749. P. II. 1756. P. III. 1757. 8. 6 ] Died. Heinr. Ludw. Freyh. von Ompteda Litera - tur des geſamten ſowohl natuͤrlichen als poſitiven Voͤlkerrechts; nebſt vorangeſchickter Abhandlung von dem Umfange des geſamten ſowohl natuͤrlichen als poſitiven Voͤlkerrechts und Ankuͤndigung eines zu bearbeitenden volſtaͤndigen Syſtems deſſelben. Re - gensburg 1785. 2 Theile 8.
**]
§. 31.46Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 31. Hauptſchriftſteller des natuͤrlichen Voͤlker - rechts.

Vor dem ſechszehnten Jahrhundert fehlte es an ei - ner ſyſtematiſchen Bearbeitung des Natur - und Voͤlker - rechts gaͤnzlich. Johann Oldendorp legte 1539. ge - wiſſermaßen den erſten Grund. Das Hauptſyſtem des Voͤlkerrechts aber fuͤhrte zuerſt Hugo Grotius 1625. in ſeinem jure belli et pacis auf. Sein Werk macht in al - lem Betrachte Epoche, und behauptet unter den Voͤlker - rechtsſchriften noch itzt einen vorzuͤglichen Rang. Nach ihm zeichneten ſich beſonders Thomas Hobbes und Sa - muel Puffendorf am meiſten dadurch aus, daß ſie die Abſonderung des Voͤlkerrechts vom Naturrechte fuͤr un - noͤthig hielten. Dieſen folgten, iedoch mit richtiger Unterſcheidung beider Wiſſenſchaften in eignen Abhand - lungen Glafey, Ickſtadt, Wolf, Rahrel, Real, Vattel, Schrodt und mehrere andere.

§. 32. Hauptſchriftſteller des europaͤiſchen Voͤl - kerrechts.

Das poſitive Voͤlkerrecht blieb noch laͤnger vernach - laͤſſigt. Grotius nahm in ſeinem vorgedachten Werke zwar vorzuͤglich auch auf die Gewonheiten der Voͤlker Ruͤckſicht: ſeine Beiſpiele ſind aber meiſtens von den Griechen und Roͤmern entlehnt. Richard Zouchaͤus be - nuͤzte hauptſaͤchlich die neuern Staatshandlungen. Seit - dem aber Hobbes und Puffendorf dem poſitiven und practiſchen Voͤlkerrechte die Verbindlichkeit abzuſprechen geſucht hatten, kam es, die Bearbeitung einiger einzel - nen Materien ausgenommen, in noch groͤßern Verfall. Erſt zu Anfange dieſes Jahrhunderts ſuchte J. J. Mo - ſer dieſe nuͤtzliche Wiſſenſchaft mit algemeinem Beifalwie -47und dem europaͤiſchen insbeſondere.wieder hervor, indem er 1732. zu Tuͤbingen anfangs ein eignes Kollegium daruͤber laß, und ſie nachher ſyſtema - tiſch in verſchiedenen Schriften erlaͤuterte. Seine Nach - folger waren Burkhard Gotthelf Struv, Gottfried Achenwall, Peter Joſeph Neyron und Georg Frie - drich Martens. Indes klagt Moſer bey ſeinem neu - ſten Verſuche nicht ganz ohne Grund, daß die bisherigen Schriften entweder zu viel blos moͤgliche oder doch zu alte Faͤlle, deſto weniger hingegen von denen anfuͤhren, welche unter den europaͤiſchen Maͤchten in neuern Zeiten ſich ereignet haben, und in beſtaͤndiger Uebung ſind. An Materialien hierzu fehlt es uͤbrigens nicht. Die Samlungen eines Leibnitz, Luͤnig, du Mont, Rouſſet, Lamberty, Schmaus, Wenk und andrer enthalten deren einen reichlichen Vorrath.

§. 33. Hauptſchriftſteller des teutſchen Voͤlker - rechts.

Dieſes hat Moſer zuerſt in zwey beſondern Werken unter dem Namen des auswaͤrtigen und nachbarlichen teutſchen Staatsrechts abgehandelt. Der Herr von Selchov verſprach deſſen Ausarbeitung ebenfals im drit - ten Theile ſeiner Elementorum Juris Publici: es iſt derſel - be zur Zeit aber noch nicht erſchienen, dagegen ſind eini - ge der dahingehoͤrigen Materien in der neuen Ausgabe von 1782. dem erſten Theile an behufigen Orten einge - ſchaltet worden.

*]In Anſehung einzelner Gegenſtaͤnde kau man das ſchaͤtz - bare Werk des Herrn geheimen Juſtitzrath Puͤtter: Lite - ratur des teutſchen Staatsrechts, Goͤtting 1776. u. f. 3. Theile gr. 8. mit Nutzen gebrauchen, zumal da der Frey - herr von Ompteda auf dieſen Zweig der Voͤlkerrechtswiſſen - ſchaft in ſeiner Literatur weniger Ruͤckſicht genommen. Von denen zwiſchen den teutſchen Hoͤfen in einzelnen Faͤl -len48Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,len gewechſelten Streitſchriften leiſtet die Deductionsbi - bliothek von Teutſchland, nebſt dazugehoͤrigen Nachrich - ten, welche Chriſtian Sigmund von Holzſchuer Frankf. und Leipzig 1778. herauszugeben anfing, und nunmehr von dem Herrn Profeſſor Johann Chriſt. Siebenkees zu Altorf fortgeſezt wird, und wovon 1783. bereits 4 Baͤnde erſchienen, gute Dienſte.
*]

§. 34. Voͤlkerrechtsbibliothek.

Die ſaͤmtlichen Voͤlkerrechtsſchriften laſſen ſich fuͤg - lich unter folgende Klaſſen ordnen:

  • I] Literariſche Werke, davon die vornehmſten ſchon oben bey der Literatur des Voͤlkerrechts an - gemerkt worden ſind.
  • II] Syſteme und Compendien des natuͤrlichen Voͤlkerrechts. Die Autorn, welche das Natur - recht abgehandelt haben, tragen gemeiniglich auch das Voͤlkerrecht weitlaͤuftiger oder kuͤrzer mit vor. Sie alle namhaft zu machen wuͤrde hier der Raum nicht geſtatten: ich will daher nur die merkwuͤr - digſten und beſonders dieienigen auszeichnen, wel - che das natuͤrliche Voͤlkerrecht in abſonderlichen Werken gelehrt haben.
  • 1] Io. Oldendorpii Iſagoge ſeu elementaria introductio juris naturalis, gentium et civilis. Col. Agripp. 1539. 12. auch in ſeinen Opp. und neuerlich von Car. Ant. Martini, Viennae 1759. 8. herausgegeben. Iſt blos als das erſte Syſtem zu bemerken.
  • 2] Hug. Grotii Lib. III. de jure belli et pacis. Paris. 1625. 4. Die beſten Ausgaben ſind cum notis Henr. et Sam. L. B. de Cocceji. Lauſannae 1751. V. Tom. 4. und c. n. Barbeyracii et excerptis e comment. Cocce -jano49und dem europaͤiſchen insbeſondere.jano, Amſt. 1754. und Lugd. Bat. 1759. 4. erſchienen. Unter den Ueberſetzungen verdient die franzoͤſiſche den Vorzug, welche unter dem Titel: Le droit de la guerre et de la paix par Hugues Grotius, nouvelle traduction par Iean Barbeyrac etc. Amſt. 1724. 1729. und oͤfters 2. Vol. 4. herausgekommen. Wer alle verſchiedene Aus - gaben, Ueberſetzungen und Kommentatore des Grotius kennen lernen will, ſehe Lipenii Bibl. jurid. edit. 1757. T. I. p. 562., Meiſteri Bibl. jur. nat. T. I. p. 199. ſeq. und von Ompteda Litteratur 2. Theil §. 122 u. f. Ebenderſelbe liefert einen vortreflichen Auszug des Gro - tianiſchen Werks im 1. Th. §. 55. u. f.
  • 3] Rich. Zouchaei juris et iudicii fecialis, ſive juris inter gentes et quaeſtionum de eodem explicatio, Oxon. 1650. 4. Lugd. Bat, 1651. 8. auch teutſch uͤberſetzt: Al - gemeines Voͤlkerrecht, wie auch algemeine Urtheile und Ausſpruͤche aller Voͤlker. Frankf. 1666. Enthaͤlt mancher - ley Faͤlle der aͤltern und damaligen Zeiten, nach den Grundſaͤtzen des Grotius ꝛc. entſchieden. Man kan dies Buch beinah als die erſte Ausfuͤhrung eines practiſchen eu - ropaͤiſchen Voͤlkerrechts anſehn.
  • 4] Sam. Puffendorffii de jure naturae et gentium Lib. VIII. Lund. Scan. 1672. 4. am neuſten und beſten cum comment. Hertii et Barbeyracii von Gotfr. Maſcov. Francof. 1743. und 1759. in 2. Tom. 4. edirt. Fran - zoͤſiſch par Iean Barbeyrac. Basle, 1732. und oͤfters 2. Vol. 4. ſ. Lipenii Bibl. jurid. T. II. p. 230. Iſt fuͤr das Voͤlkerrecht eigentlich wenig brauchbar, weil er die Abſonderung deſſelben vom Naturrechte verwirft.
  • 5] Io. Wolfg. Textoris Synopſis juris gentium. Baſil. 1680. 4. baut hauptſaͤchlich auf die Grundſaͤtze des Gro - tius, nimt iedoch mehr Beiſpiele aus der neuern Geſchichte.
  • 6] Io. Ad. Ickſtadt Elementa juris gentium diß. resp. S. R. I. Comite Carolo de Colloredo. Herbip. 1740. 4. DIſt50Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Iſt auf das Naturrecht des Freyherrn von Wolf gegruͤn - det, in mathematiſcher Lehrart geſchrieben, und enthaͤlt manche eigne Saͤtze.
  • 7] Chriſt. L. B. de Wolf Jus gentium methodo ſcientifica pertractatum in quo jus gentium naturale ab eo quod voluntarii, pactitii et conſuetudinarii eſt accurate di - ſtinguitur, Halae 1749. 4. und im Auszuge ſ. t. Inſti - tutiones juris naturae et gentium. Halae 1754. 8. Zeichnet ſich vorzuͤglich durch die Lehrart und Hypotheſe von einer großen Republick unter allen Staaten aus, und enthaͤlt ein brauchbares Syſtem.
  • 8] Herm. Friedr. Kahrels Voͤlkerrecht, worinnen die vor - nehmſten Verbindlichkeiten und Rechte der Monarchen, Regenten und Voͤlker ſowohl nach dem nothwendigen als wilkuͤhrlichen und Gewonheitsvoͤlkerrechte entwickelt wer - den. Herborn 1750. 8. Von lezterm iſt wenig darin an - zutreffen: das erſtere meiſt nach Wolfiſchen Grundſaͤtzen, die er aber noch weiter ausdehnt.
  • 9] Ad. Fr. Glafeys Voͤlkerrecht, worinnen die Handlungen freyer Voͤlker gegeneinander zu Kriegs - und Friedenszeiten nach dem Rechte der Vernunft betrachtet werden. Dritte vermehrte Auflage, Nuͤrnb. Frankf. und Leipz. 1752. 4. War ſonſt ein Theil ſeines Naturrechts, den er nun beſon - ders herausgab. Enthaͤlt nicht den ganzen Umfang des Voͤlkerrechts, iſt uͤbrigens ziemlich brauchbar, beſonders auch in Anſehung der poſitiven Grundſaͤtze.
  • 10] La ſcience du Gouvernement par Mr. de Real, Grand Senechal de Forcalquier à Paris 1754. 8. Tome cinquieme contenant le droit des gens, qui traite des Ambasſades, de la Guerre, des Traités, des Titres, des Prérogatives, des prétentions et des droits reſpe - ctifs des Souverains. Iſt zwar nicht ganz volſtaͤndig, die darin enthaltenen Materien ſind iedoch ſehr gut und practiſch abgehandelt. Iſt auch von Joh. Phil. Schu - lin ins Teutſche uͤberſezt.
11]51und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • 11] Le droit des Gens, ou principes de la loix naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains. Par M. de Vattel à Londres 1758 2 Vol. 8. Am neuſten Neufchatel 1773. und Amſterd. 1775. 4. Auch teutſch uͤberſezt von Joh. Phil. Schulin. Frankf. und Leipzig 1760. 3. Theile 8. Ein in angeneh - mern Vortrag eingekleidetes Syſtem der Wolfiſchen Lehr - ſaͤtze, von denen er iedoch in manchen Stuͤcken abgeht.
  • 12] [Ios. Franc. Loth. Schrodt] Syſtema juris gentium quod ſub directoratu Franc. Wenc. Steph. de Cronen - fels publicae diſputationi ſubmittit Adalb. S. R. I. Co - mes Czernin de Chudenitz Pragae 1768. 4. und nach - her unter des wahren Verfaſſers Namen Bambergae 1780. 8. Hat ſeine Vorgaͤnger gut benuzt. Beiſpiele werden ſelten angefuͤhrt und meiſtens alte. Der Verfaſſer ver - wirft das freiwillige und gewiſſermaßen auch das poſitive und Gewonheitsrecht der Voͤlker.
  • 13] Car. Ant. de Martini poſitiones de jure civitatis. Vindob. 1768. 8. Der zweite Theil enthaͤlt das jus gentium. Eine teutſche Ueberſetzung iſt unter dem Titel: des Freyherrn von Martini Lehrbegrif des Natur-Staats - und Voͤlkerrechts, aus dem Lateiniſchen uͤberſezt. Wien 1784. 4 Baͤnde gr. 8. erſchienen. Ward zum Lehrbuch fuͤr die hohe Schule in Wien geſchrieben, wo man ſich ſonſt des Oldendorps, Grotius ꝛc. bediente. Komt dem vorigen iedoch nicht bey.
  • 14] Précis du droit des gens, de la guerre, de la paix et des Ambasſades par Mr. le Vicomte de la Maillar - dière. Paris 1775. 12. Iſt, nach Moſers Zeugnis, theore - tiſch und practiſch, aber ſehr kurz und nicht volſtaͤndig genug.
D 2III]52Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
  • III] Schriften des europaͤiſchen Voͤlkerrechts. Dahin gehoͤren zufoͤrderſt:
    • a] Samlungen der Vertraͤge. Auſſer denen, die nur einer gewiſſen Gattung, z. B. den Friedensſchluͤſſen ꝛc. oder nur einem einzelnen Staate gewidmet ſind, und an gehoͤrigem Orte angezeigt werden ſollen, ſind hier folgende algemeine Samlungen zu merken:
      • 1] Gotfr. Wilh. Leibnitii Codex juris gentium diplo - maticus, in quo tabulae authenticae actorum publi - corum, tractatuum, aliarumque rerum maioris mo - menti per Europam geſtarum pleraeque ineditae vel ſelectae ipſo verborum tenore expresſae ac tempo - rum ſerie digeſtae continentur. Hanov. 1693. Guel - pherb. 1747. Fol. nebſt deſſen Mantißa Codicis juris gentium diplomatici continens ſtatuta magnorum ordinum regiorum acta vetera electionum regis ro - mani. Hanov. 1700. und Guelpherb. 1747. Fol. ſiehe des Freyherrn von Ompteda Literatur 2. Th. §. 159. S. 430. u. f.
      • 2] Recueil des traités de paix, de trève, de neutra - lité, de ſuſpenſion d’armes, de confédération, d alliance, de commerce, de garantie, et d’autres actes publics, comme contracts de mariage, teſta - ments, manifeſtes, déclarations de guerre etc. faits entre les Empereurs, Rois, Republiques, Princes et autres Puisſances de L’Europe etc. Le tout redigé par ordre[chronologique] etc. à Amſterd. 1700. IV. Tom. fol. Der bekante Iaques Bernard ſoll die Direction daruͤber gefuͤhrt haben. Eine aus - fuͤhrliche Beſchreibung dieſer Samlung findet man am vorbemeldeten Orte §. 161. S. 433.
      • 3] Corps vniverſel diplomatique du droit des gens; contenant un recueil de traités d’alliance, de paix, de trève, de neutralité, de commerce, d’echange,de53und dem europaͤiſchen insbeſondere.de proteſtation et de garantie, de toutes les con - ventions, transactions, pactes, concordats et autres contrats, qui ont été faits en Europe depuis le regne de l Empereur Charles Magne jusqu à préſent etc. par Mr. J. Dumont. Amſt. 1726 - 31. VIII. Tom. fol. nebſt dem Supplement au Corps univerſel diplomatique du droit des gens de Dumont par Mr. Barbeyrac et Mr. Rousſet. Amſt. 1739. V. Tom. fol. Umſtaͤnd - liche Nachricht von dieſem wichtigen Werke ſiehe am angefuͤhrten Orte §. 162. u. f. S. 436.
  • Als Handbuͤcher kan man gebrauchen:
    • 1] Joh. Jac. Schmauſſens Corpus juris gentium aca - demicum. Leipzig, 1730. 2 Theile gr. 8.
    • 2] Fr. Aug. Guil. Wenckii Codex juris gentium re - centiſſimi e tabulariorum exemplorumque fide di - gnorum monumentis compoſitus. Tom. I. continens diplomata inde ab anno 1735 usque ad an. 1742. Lipſ. 1781. 8.
  • Ueber dieſe Vertraͤge giebt es folgende chronologiſche Regiſter:
    • 1] Chronologie des algemeinen Staatsarchivs, worinnen die Friedensſchluͤſſe, Neutralitaͤts - und Stilſtands - handlungen, Vereinigungen, Verbindniſſe, Kriegs - declarationen und andere Manifeſte, wie auch Garan - tieen und Handlungstraktaten ſamt Vermaͤhlungsver - gleichen, Teſtamenten und andern oͤffentlichen Abhand - lungen derer Kaiſer, Koͤnige, Herzoge, Fuͤrſten, Re - publicken und uͤbrigen Staͤnde, ſowohl in Enropa als andern Theilen der Welt von 1536 bis 1703. angezeigt werden. Hamburg, 1704. 8.
    • 2] Regeſta Chronologico-Diplomatica in quibus recen - ſentur omnis generis monumenta et documenta pu -D 3blica,54Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,blica, vti ſunt tabulae conventionum, foederum, pacis, armiſtitiorum, mutuae amicitiae etc. iuxta annorum dierumque ſeriem digeſſit Petrus Geor - giſch Francof. et Lipſ. 1740. IV. Tom. fol. Schade daß dies brauchbare Werk aus den neuern Schriften nicht ergaͤnzt und bis auf unſre Zeiten fortgeſezt wird!
  • Hiſtoriſche Erlaͤuterungen und Auszuͤge findet man in nachſtehenden Buͤchern:
    • 1] Hiſtoire des traités de paix et autres negociations du XVII. ſiecle depuis la paix de Vervins jusqu à la paix de Nimegue. Amſt. 1735. 2. Vol. fol.
    • 2] Joh. Jac. Schmauſſens Einleitung zur Staatswiſ - ſenſchaft und Erlaͤuterung des von ihm herausgegebe - nen Corporis juris gentium 1. Theil. Leipzig, 1741. 2. Theil ebendaſ. 1747. gr. 8.
    • 3] Droit public de l Europe fondé ſur les traités par l Abbé de Mably à Paris, 1747. 2. Vol. 8. Am neuſten bis auf den Hubertsburger Frieden fortgeſezt. Amſt. et Lipſ. 1773. nebſt den principes des nego - ciations 3. Vol. 8. Auch teutſch uͤberſezt unter dem Titel: das Staatsrecht von Europa. Frankf. 1749. 8.
    • 4] Gottfr. Achenwals Entwurf der algemeinen europaͤi - ſchen Staatshaͤndel des XVII. und XVIII. Jahrhun - derts, als der europaͤiſchen Geſchichte zweyter Theil. Goͤttingen 1756. und oͤfter, 8.
    • 5] Hiſtoire politique du Siècle ſe trouvent en or - dre et ſous tous les rapports differens les intérêts les vues et la conduite des principales puisſances de l Europe depuis la paix de Weſtphalie jusqu à la derniere paix d Aix la Chapelle incluſivement avec le précis de tous les traités negociés entre les cours, depuis cent ans. Le tout appuyé des preu - ves de fait et de raiſonnement, et de la citationdes55und dem europaͤiſchen insbeſondere.des actes, memoires et relations ſur les points con - teſtés ou peu connus, à Londres 1754. et 1755. 2 Part. 8. Der erſte Theil kam nachher vermehrter her - aus. Londr. 1757. 4. und Leipz. 1758. gr. 8.
    • 6] Abrégé des principaux traités conclus depuis le 14me ſiecle jusqu à préſent entre les differentes puisſances de l Europe diſpoſés par ordre chrono - logique par Mr. le Vicomte de la Maillardière à Paris, 1783. 2. Vol. 12.
  • Auch giebt es verſchiedene pragmatiſche Geſchichtbuͤ - cher einzelner Friedens - und anderer Vertraͤge, davon einige gelegentlich angemerkt werden ſollen.
  • b] Staatsſchriften der europaͤiſchen Souverains, welche bey Staatsunterhandlungen auf Friedens - und andern Kongreſſen und ſonſt gewechſelt worden, und die beſonders zu Berichtigung des Herkommens dienen. Unter der gro - ſen Anzahl ſolcher Samlungen ſind die vorzuͤglichſten:
    • 1] Io. Chr. Lunigii literae procerum Europae ab Im - peratoribus, Electoribus, Principibus ſtatibusque S. Imp. Rom. Germ. ad reges, principes respublicas liberas et vice verſa ab an. 1552. usque ad an. 1712. lingua latina enaratis, Lipſ. 1712. 3. Th. 8.
    • 2] Le Mercure françois ou la ſuite de l’hiſtoire de la paix commençant l an 1605. jusq en 1644. à Paris 1611·48. 25. Vol. 8.
    • 3] Theatrum Europaeum oder Beſchreibung aller denk - wuͤrdigen Geſchichten, ſo hin und wieder, fuͤrnehmlich in Europa, hernach auch an andern Orten der Welt, ſowohl in Religion als Policeiweſen vom Jahr Chriſti 1617 bis 1718. ſich zugetragen haben. Frankfurt 1635 bis 1738. 21. Theile fol. Iſt von verſchiedenen Ver - faſſern herausgegeben worden, daher auch die Theile in der Guͤte ſehr ungleich ausgefallen. Die darin enthal -D 4tenen56Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,tenen Staatsſchriften machen den vorzuͤglichſten Werth dieſes Werks aus.
    • 4] L Eſpion dans les Cours des Princes Chretiens, ou lettres et memoires etc. à Cologne 1696 - 99. 6. Baͤnde, 8. Enthaͤlt die Jahre 1637 - 1682.
    • 5] Joh. Gottfr. von Meiern Acta Pacis Weſtphalicae, oder weſtphaͤliſche Friedenshandlungen und Geſchichte ꝛc. Hannover 1734. u. f. mit den Nuͤrnbergiſchen Execu - tionshandlungen und Univerſalregiſtern von J. C. Walther, 9. Baͤnde fol.
    • 6] Philemeri Irenici Eliſii Diarium Europaeum, oder kurze Beſchreibung denkwuͤrdigſter Sachen, ſo ſich in Kriegs - und Friedensgeſchichten in Europa, fuͤrnemlich aber in dem heil. Roͤm. Reich und demſelben nahe an - grenzenden Koͤnigreichen, Landen und Herſchaften be - geben. Frankf. am Mayn 1659 - 1683. liefert die Be - gebenheiten von 1657 - 1681. Die Geſchichtserzaͤhlun - gen ſind mehrenteils von geringem Werthe; man findet iedoch viele wichtige Staatsſchriften darinn. Der Verfaſſer hieß eigentlich Martin Meyer.
    • 7] Io. Chr. Lunigii Sylloge publicorum negotiorum ab Imperatore, vniverſis Europae Regibus, S. R. I. Electoribus etc. iuxta vincennium latina lingua tra - ctatorum, Francof. 1694. 4. nebſt einem Supplemen - to und Continuat. ab an. 1674 - 1702. ib. 1702. 4.
    • 8] Mercure hiſtorique et politique contenant l état préſent de l’Europe, ce qui ſe paße dans toutes les cours, l intérêt des princes, leurs brigues et - neralement tout ce qu il y a de curieux, à Parme [a la Haye] 1686. u. f. 12. Iſt bis auf gegenwaͤrti - ge Zeit fortgeſezt worden, und bereits uͤber 200 Theile angewachſen.
    • 9] Das durchlauchtige Archiv, worinnen enthalten vieler Kaiſer, Paͤbſte, Koͤnige, Chur - und Fuͤrſten, wieauch57und dem europaͤiſchen insbeſondere.auch anderer hohen Potentaten, Republicken und derer Ambasſadeurs nachdruͤckliche und curioſe Reden, Sendſchreiben, Verbuͤndniſſe, Tractaten, Gluͤckwuͤn - ſchungen ꝛc. Frankf. und Leipz. 1691 - 94. 4. Th. 8.
    • 10] Lettres hiſtoriques contenant ce qui s eſt pasſé de plus important en Europe depuis 1692 - 1745. à la Haye 1692 - 1745. 12.
    • 11] Monathlicher Staatsſpiegel, worinnen der Kern aller Aviſen, ein Begrif der vornehmſten im heiligen roͤmi - ſchen Reich vorfallenden Affairen, mit vielen Beylagen, ſamt einigen politiſchen Reflexionen vorgeſtelt wird. Augsburg 1698 - 1709. 21 Baͤnde 8. Dieſem folgte:
    • 12] Neueroͤfneter Staatsſpiegel, worinnen die in Europa, wie auch andern Theilen der Welt, vornehmlich aber in Teutſchland vorfallende merkwuͤrdige Begebenheiten kuͤrzlich vorgeſtelt werden. Haag [oder vielmehr Leipz.] 1710 - 1716. 8 Baͤnde, 8.
    • 13] Memoires pour ſervir à l hiſtoire du XVIII. ſiecle contenant les negociations, traités, reſolutions et autres documens authentiques concernant les affai - res d état; liés par une narration hiſtorique des principaux évenemens, dont ils ont été précédés ou ſuivis et particulierement de ce qui s eſt pasſé à la Haye, qui a toujours été comme le centre de tou - tes ces negociations par Mr. de Lamberty. à la Haye 1724 - 1734. 16. Vol. 4.
    • 14] Die europaͤiſche Fama, welche den gegenwaͤrtigen Zuſtand der vornehmſten Hoͤfe entdeckt. [Leipzig] 1702 bis 1734. 360 Theile in 30 Baͤnden 8. Die Fort - ſetzung folgte unter dem Titel: Die neue europaͤiſche Fama ꝛc. 1735 - 1756. 192 Theile oder 17 Baͤnde 8.
    • 15] La Clef du Cabinet des Princes de l Europe, ou recueil hiſtorique et politique ſur les matières du tems 1704. u. f. bis auf gegenwaͤrtige Zeit. Dazu gehoͤrt:D 5Sup -58Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Supplement de la Clef, ou Iournal hiſtorique ſur les matières du tems etc. à Verdun 1713. 2 Vol. 8.
    • 16] Recueil hiſtorique d Actes, negociations, me - moires et traités, depuis la paix d Vtrecht jusqu - au ſecond congrès de Cambray incluſivement par Mr. Rousſet à la Haye 1728 - 1752. 21. Vol. 8. Iſt gewiſſermaßen als Fortſetzung von Lamberty Memoires anzuſehn.
    • 17] Europaͤiſcher Staats Secretarius. Leipzig 1734 bis 1748. 144 Theile oder 12 Baͤnde 8. und
    • 18] Neuer Europaͤiſcher Staats Secretarius. Ebendaſelbſt 1749 - 1755 60 Theile in 5 Baͤnden 8.
    • 19] Die neuſten Staatsbegebenheiten mit hiſtoriſchen und politiſchen Anmerkungen. Frankfurt am Mayn und Maͤynz 1776. u. f. 8.
    • 20] Politiſches Journal nebſt einem gelehrten Anzeiger. Hamburg 1781. u. f. 8.
  • c] Ferner gehoͤren hierher die Berichte der Geſandten, welche ſie an ihre Hoͤfe erſtatten, und deren verſchiedene unter dem Titel: Memoires etc. im Druck erſchienen ſind. Eine volſtaͤndige Anzeige davon fehlt noch, und wuͤrde ein nuͤtzliches Unternehmen ſeyn. Freilich erinnert der Herr von Ludewig nicht ganz ohne Grund, daß die Ge - ſandten zuweilen viel Falſches an ihre Hoͤfe berichteten, theils um ihre begangenen Fehler zuzudecken, theils le bon valet zu machen, theils das Anſehen zu haben, als ob ſie unermuͤdet und gluͤcklich in ihren Negotiationen waͤ - ren. Zu dieſen Berichten gehoͤren z. B.
    • 1] Lettres du Cardinal d Osſat au roi Henri le grand et à Mr. de Villeroy, depuis 1594 jusqu en 1604. avec des notes hiſtoriques et politiques par Mr. Ame - lot de la Housſaie, nouv. edit. à Amſt. 1732. 5. Vol. 12.
    • 59
    • 2] Lettres et Negociations du Chevalier Carleton Am - basſadeur ordinaire de Iaques I. Roi d Angleterre. Leyde 1759. 3. Vol. 12.
    • 3] Ambasſades et Negociations du Comte d Eſtrades depuis 1637 - 1662. à Amſt. 1718. Lettres, Memoires et Negociations du Comte d Eſtrades en 1663 - 1668. à Bruxelles 1709. 5. Vol. nouv. edit. dans laquelle on a retabli tout ce qui avoit été ſupprimé dans les précédentes, à Londres 1743. 9 Vol. 8.
    • 4] Memoires de M. D. [le Comte d Avaux] touchant les negociations du traité de paix fait à Munſter en 1648. à Cologne 1674. 12.
    • 5] Negociations du Comte d Avaux en Hollande depuis 1679 - 1688. à Paris 1752. 53. 6. Vol. 8.
    • 6] Memoires et Negociations ſecretes de Ferdinand Bonaventure Comte de Harrach, Ambasſadeur de S. M. Imperiale à la Cour de Madrid par Mr. de la Torre, à la Haye 1720. 2. Vol. 8.
  • d] Hiſtoriſche Schriften, die von den Staatsangelegen - heiten gewiſſer Perioden oder Regenten aus guten Quel - len Nachricht geben, und in Anſehung des Herkommens ebenfals nuͤtzlich zu gebrauchen ſind. Deren giebt es eine nicht minder betraͤchtliche Anzahl, wovon ich nur folgende namhaft machen will:
    • 1] Memorie recondite di Vittorio Siri dall anno 1601. ſino al anno 1640. 8. Tom. 4. von 1677 - 79. an ver - ſchiedenen Orten gedruckt.
    • 2] Mercurio, ovvero hiſtoria de correnti tempi di Vittorio Siri 15. Tom. oder 17 Baͤnde 4. von 1644 - 82. ebenfals an mehrern Orten gedruckt. Enthaͤlt den Zeitraum von 1640 - 1655. Beide Werke liefern, auf -ſer60Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,ſer den Geſchichtserzaͤhlungen, auch viele ſchaͤtzbare Staatsſchriften.
    • 3] Franz Chriſtoph Khevenhuͤllers, Grafen zu Franken - burg Annales Ferdinandei, oder wahrhafte Beſchrei - bung Kaiſer Ferdinandi II. Regensburg und Wien 1640 - 46. 9. Baͤnde: aber volſtaͤndiger, Leipzig 1717 - 1726. 12 Baͤnde fol. wozu auch noch 2 Baͤnde in Kupfer geſtochene Bildniſſe großer Herrn, Miniſter ꝛc. gehoͤren. Die Geſchichte begreift den Zeitraum von 1578 - 1637. Ein Auszug iſt unter folgendem Titel erſchienen: Des Grafen Franz Chriſtoph Khevenhuͤl - ler Ferdinandeiſche Jahrbuͤcher in einen pragmatiſchen Auszug gebracht und berichtigt von D. Juſtus Friedr. Runde. Leipzig ſeit 1778. 8. iſt noch nicht vollendet.
    • 4] Sam. Puffendorffii Commentariorum de rebus Sue - cicis libri XXVI. ab expeditione Guſtavi Adolphi regis in Germaniam, ad abdicationem usque Chri - ſtinae. Vltraj. 1686. Francof. 1707. fol.
    • 5] Ejusdem de rebus geſtis Friderici Wilhelmi ele - ctoris Brandenburgici commentariorum libri XIX. Berolini 1695. 1733. fol. und aus einer neuerlich auf - gefundenen Handſchrift: Ejusdem e rebus geſtis Fri - derici III. Electoris Brandenburgici fragmentum poſthumum ex authographo autoris. Berol. 1784. fol.
    • 6] Hiſtoire de Charles XII. traduite du Suedois de M. I. A. Nordberg. à la Haye 1742 - 48. 4 Vol. 4. auch teutſch uͤberſezt. Hamburg 1745 - 51. 3 Theile, fol.
    • Hierher ſind auch zu rechnen: Joh. Cph. Adelungs pragmatiſche Staatsgeſchichte Europens; Geſchichte der neuſten Weltbegebenheiten im Großen ꝛc. wovon man in der Bibliotheca hiſtorica Struvio-Meuſeliana Vol. I. P. 1. S. 171. u. f. mehrere Nachricht findet.
e]61und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • e] Als Wiſſenſchaft iſt das europaͤiſche Voͤlkerrecht zur Zeit in nachſtehenden Syſtemen und Kompendien abge - handelt:
    • 1] Joh. Jac. Moſers Anfangsgruͤnde der Wiſſenſchaft von der gegenwaͤrtigen Staatsverfaſſung von Europa und dem unter den Europaͤiſchen Potenzien uͤblichen Voͤlker - oder algemeinen Staatsrecht 1. Th. Tuͤbingen 1732. 8. Mehrere Theile ſind nicht erſchienen. Ent - haͤlt mehr Staatsrecht und Statiſtick der europaͤiſchen Nazionen als eigentliches Voͤlkerrecht.
    • 2] Ebendeſſelben Entwurf einer Einleitung zum allerneu - ſten Europaͤiſchen Voͤlkerrechte in Friedens - und Kriegs - zeiten; in deſſen vermiſchten Schriften. Frankf. u. Leipz. 1733 - 36. 8. 2ter Th. S. 89 - 102.
    • 3] Herrn Fr. Kahrels Europaͤiſches Staats - und Voͤlker - recht, worinnen nicht allein das Staatsrecht von Teutſchland, ſondern auch die Staatsverfaſſung der uͤbrigen vornehmſten Reiche und Republicken von Eu - ropa, ſowohl was ihre Regierungsformen, als auch was ihre Verbindlichkeiten und Rechte, welche aus dem nothwendigen nicht nur, ſondern auch aus dem Gewonheits-Voͤlkerrechte, hauptſaͤchlich aber aus den Buͤndniſſen und Friedensſchluͤſſen entſpringen, betrift, in gruͤndlicher Kaͤrze abgehandelt werden. Herborn 1750. 8. Iſt ungefaͤhr nach Art der Moſerſchen An - faugsgruͤnde no. I. eingerichtet. Er geht die euro - paͤiſchen Staaten nach der Reihe durch, und bemerkt am Schluſſe ieden Kapitels die unter einander geſchloſ - ſenen Buͤndniſſe, Frieden ꝛc.
    • 4] J. J. Moſers Grundſaͤtze des itztuͤblichen Europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Friedenszeiten. Hanau 1750. Frankf. 1763. Nuͤrnb. 1777. 8.
    • 5] Ebendeſſelben Grundſaͤtze des itztuͤblichen Europaͤi - ſchen Voͤlkerrechts in Kriegszeiten. Tuͤbing 1752. Frankf.62Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Frankf. 1763. Sind die beiden erſten eigentlichen ſy - ſtematiſchen Buͤcher vom europaͤiſchen Voͤlkerrechte. Doch gehoͤren manche Materien mehr in das Staats - recht; weshalb aber der Herr Etatsrath ſich hinlaͤng - lich entſchuldiget hat.
    • 6] Gotſr. Achenwalli juris gentium Europaearum pra - ctici primae lineae fragmentum libelli ob b. auctoris mortem adfecti, nunc tandem in lucem editum. Götting 1775. 8. Iſt ein ſehr unvolſtaͤndiger Ent - wurf, der vom Verfaſſer zum Druck noch nicht be - ſtimt war.
    • 7] J. J. Moſers Verſuch des neuſten Europaͤiſchen Voͤl - kerrechts in Friedens - und Kriegszeiten, vornaͤmlich aus den Staatshandlungen der Europaͤiſchen Maͤchten, auch andere Begebenheiten, ſo ſich ſeit dem Tode Kay - ſer Karls VI. im Jahr 1740. zugetragen haben. Frankf. am Mayn 1777. u. f. 10 Theile in 12 Baͤnden 8. Die Art der Moſerſchen Schriften iſt bekant genug. Materialien findet man auch hier in Menge: doch ei - gentliches Syſtem ſolte es, nach ſeiner eignen Abſicht, noch nicht ſeyn.
    • 8] Pierre Ioſeph Neyron principes du droit des gens Européen conventionel et coutumier ou bien Pre - cis hiſtorique, politique et iuridique des droits et obligations que les Etats de l Europe ſe ſont acquis et impoſés par des conventions et des uſages reçus que l intérêt commun a rendu necesſaires. Bronſuic 1783. 8. Auf franzoͤſiſchen Fuß, beſonders in Allega - tionen. Der zweite Theil wird noch erwartet.
    • Im Meßcatalog Michaelis 1785. ſtehen auch G. F. Mar - tens primae lineae iuris gentium Europ. practici. 8. die ich aber noch nicht zu Geſichte bekommen.
IV]63und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • IV] Schriften zum teutſchen Voͤlkerrechte insbe - ſondere gehoͤrig. Hierbey muß man die oben an - gefuͤhrte Literatur des teutſchen Staatsrechts vom Herrn geheimen Juſtitzrath Puͤtter zu Rathe zie - hen.
  • a] Unter den vielen Quellen Samlungen an Grundvertraͤgen u. ſ. w. merke ich nur an:
    • 1] Joh. Chr. Luͤnigs teutſches Reichsarchiv. Leipzig 1710 - 1722. 24 Baͤnde fol.
    • 2] Joh. Jac. Schmauſſens Corpus juris publici acade - micum am neuſten von Gottl. Schumann, und nach deſſen Tod von Heinr. Gottlieb Franken herausgege - ben. Leipzig 1774. gr. 8.
  • b] Teutſchland betreffende Staatsſchriften findet man vor - zuͤglich in:
    • 1] Mich. Caſp. Londorps Acta publica etc. Frankf am Mayn 1668 - 1719. 18 Baͤnde mit dem Regiſter, fol. Dazu gehoͤrt: Martin Meyers Londorpius continuatus et ſupple - tus. Frankf. 1665. Tuͤbing 1739. 4 Baͤnde fol.
    • 2] Anton Fabers Europaͤiſche Staatskanzley ꝛc. Nuͤrn - berg. 1697 - 1760. 115 Theile und 8 Baͤnde Hauptre - giſter 8. ward fortgeſezt unter dem Titel: Anton Fa - bers neue Europaͤiſche Staatskanzley. Ulm 1761 - 1772. 30 Theile nebſt 2 Baͤnden Hauptregiſter 8. Dann: Fortgeſezte neue Staatskanzley. Ulm 1772 - 83. 25 Theile 8.
    • 3] Electa juris publici, worinnen die vornehmſten Staats - affairen in Europa, beſonders in Teutſchland, aus be - waͤhrten Actis publicis in forma, oder durch erneuerte Extracte recenſirt werden. Jena 1709 - 1724. 20 Theile und 1725. 5 Theile Supplementa 8. Darauf folgten:Juri -64Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Juriſtiſch hiſtoriſche Electa etc. Jena. 1726 - 30. 4. Theile 8.
    • 4] Joh. Jac. Muͤllers entdecktes Staatskadinet, darinn ſowohl das jus publicum, feudale und eccleſiaſticum, nebſt dem Ceremoniel und Curialweſen, als auch die Kirchen - und politiſche Hiſtorie erlaͤutert wird. Jena, 1714 - 1717. 8. Eroͤfnungen 8. nebſt Joh. Volkm. Muͤllers Fortſetzung des entdeckten Staatskabinets erſte Samlung. Coburg 1738. 8.
    • 5] Selecta juris publici noviſſima, worinnen das Merk - wuͤrdigſte, was ſich an großer Herrn Hoͤfen, inglei - chen bey algemeinen Reichs - und Kreysverſamlungen, oder ſonſt im Heil. Roͤm. Reich vor kurzem zugetragen, in ſchicklicher Ordnung vorgetragen wird. Frankf. und Leipzig 1740 - 1766. 48 Theile 8. und C. F. H. Sup - plementum Selectorum juris publici noviſſimorum. Ulm 1769. 70. 3 Theile 8.
    • 6] Samlung einiger Staatsſchriften, a] welche nach Ab - leben Kayſer Karls VI. zum Vorſchein gekommen, und die gegenwaͤrtigen wichtigen Staatsangelegenheiten von Deutſchland betreffen. Frankf. 1741 - 1743. 48 Stuͤck oder 4 Theile 8. b] unter Kayſer Karl VII. 1744 - 47. 3 Theile 8. c] nach Ableben Kayſer Karls VII. 1745 - 47. 3 Theile. d] unter Kayſer Franz 1749 - 53. 8 Theile 8.
    • 7] Auserleſene neue Staats-Acta unter der Regierung Kayſer Joſephs des II. zum Behuf der Reichshiſtorie und der Staatsrechte. Ulm 1767 - 73. 7 Theile 8. und: Neue vollſtaͤndige Samlung von Reichs - und Staats - verhandlungen 1. Th. 1773. 8.
    • 8] Joh. Aug. Reuß teutſche Staatskanzley. Ulm ſeit 1783. 8.
c]65und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • c] Eine ſyſtematiſche Bearbeitung der zum teutſchen Voͤlkerrecht gehoͤrigen Materien unternahm zuerſt:
    • 1] J. J. Moſer im teutſchen auswaͤrtigen Staatsrecht, Frankf. und Leipz. 1772. 4. nebſt deſſen Zuſaͤtzen zu ſeinem auswaͤrtigen Staatsrechte; in deſſen Abhand - lung verſchiedener Rechtsmaterien XIV. Stuͤck. S. 323.
    • 2] Ebendeſſelben nachbarliches Staatsrecht. Frankf. und Leipz. 1773. 4.
    • 3] Io. Heinr. Chriſt. de Selchov Elementa juris pu - blici germanici. Götting. 1772. 8. Der dritte Theil ſolte, nach ſeinem damaligen Plane, das jus gentium imperii enthalten. [§. 33.]
  • V] Schriften uͤber einzelne Materien ſollen im Werke ſelbſt, wenigſtens die vorzuͤglichſten, gehoͤ - rigen Orts angemerkt werden.
  • VI] Samlungen vermiſchter Aufſaͤtze zur Erlaͤute - rung des Voͤlkerrechts:
    • 1] Joh. Chr. Luͤnigs Europaͤiſche Staats-Conſilia, oder curieuſe Bedenken, welche von großen Herrn, hohen Collegiis, vornehmen Miniſtern und beruͤhmten Maͤn - nern in Religions - Staats - und andern wichtigen Sa - chen, die ſowohl ganz Europa, als auch vornaͤmlich das heil. Roͤm. Reich teutſcher Nation coucerniren und zur Illuſtration der neuen geiſt - und weltlichen Hiſtorie, ingleichen des juris publici ohneutbehrlich ſind, ſeit dem Anfange des 16. Saeculi nach beſchehener Refor - mation der Kirche bis auf dieſes 1715 Jahr abgefaßt worden. Leipz. 1715. 2 Theile fol.
    • 2] Ebendeſſelben Grundfeſte Europaͤiſcher Potentaten Gerechtſame, worinnen durch auserleſene Deductionen dargethan wird, wie es um aller Potentaten hohe jura, Anſpruͤche und Praͤcedenzſtreitigkeiten eigentlich beſchaf - fen ſey. Leipz. 1716. fol.
    • 66
    • 3] Ebendeſſelben Selecta ſcripta illuſtria, welche viel wichtige und auserleſene in cauſis publicis ergangene Materien in ſich halten, die nicht alleine des heil. Roͤm. Reichs Oberhaupt, ſondern auch deſſen Glieder, inglei - chen die freye Reichsritterſchaft betreffen, auch andere Curioſa von auswaͤrtigen Puisſancen und ſonſten vor - ſtellen, davon die meiſten noch niemals zum Vorſchein kommen, die uͤbrigen aber ſehr rar und gar ſchwer zu erlangen ſeynd. Leipz. 1723. fol.
    • 4] Chr. Gottl. Buders nuͤtzliche Samlung verſchiedener meiſt ungedruckter Schriften, Berichte, Urkunden ꝛc. welche zu Erlaͤuterung des Natur - und Voͤlkerrechts, beſonders teutſchen Staats - und Lehnrechts dienen koͤn - nen; mit noͤthigen Anmerkungen. Frankf. 1735. 8.
    • 5] J. J. Moſers vermiſchte Adhandlungen aus dem eu - ropaͤiſchen Voͤlkerrechte, wie auch von teutſchen und andern europaͤiſchen Staats - desgleichen von Canzley - ſachen zum Gebrauche der Hanauiſchen Staats - und Canzley Akademie. Hanau 1750. 3 Stuͤck 8.
    • 6] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen Voͤlkerrecht in Friedenszeiten 1778. u. f. 5 Theile 8.
    • 7] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen Voͤlkerrechte in Kriegszeiten 1779. 3 Theile 8.
    • 8] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen Geſandſchaftsrecht. Frankf. am Mayn 1781. gr. 8. Dieſe dreifachen Beitraͤge gehoͤren zur Ergaͤnzung ſeines obangefuͤhrten Verſuchs ꝛc. und ſind daher genau mit demſelben verbunden.
    • 9] Fr. Carl von Moſers kleine Schriften zur Erlaͤute - rung des Staats - und Voͤlkerrechts, wie auch des Hof - und Canzleyceremoniels. Frankf. 1751-65. 12 Baͤnd. 8.
    • 10] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem Staats - und Voͤl - kerrecht und Geſchichte. Frankf. 1764-72. 4 Baͤnd. 8.
    • 67
    • 11] Joh. Chr. Wilh. von Steck Verſuche uͤber einige er - hebliche Gegenſtaͤnde, welche auf den Dienſt des Staats Einfluß haben. Frankf. und Leipz. 1772. 8.
    • 12] Ebendeſſelben Ausfuͤhrungen politiſcher und rechtli - cher Materien. Berlin 1776. 8.
    • 13] Ebendeſſelben Obſervationum ſubſecivarum ſpeci - men. Halae 1779. 8.
    • 14] Ebendeſſelben Esſais ſur divers ſujets de politique et de jurisprudence 1779. 8.
    • 15] Ebendeſſelben Verſuche uͤber verſchiedene Materien politiſcher und rechtlicher Kenntniſſe. Berlin und Stral - ſund 1783. 8.
  • Auch iſt noch zu erwaͤhnen:
    • Chr. Fried. Hempels Algemeines Staatsrechts-Lexicon, oder Repertorium der wichtigſten Friedens - und andrer Haupttractaten, ſo ſeit etlichen Jahrhunderten her ge - ſchloſſen worden ꝛc. Frankf. 1751-1755. 9 Theile 4. Iſt nach einem ſehr weitlaͤuftigen Plan angefangen, aber mit dem Artickel Conſtantin-Orden unterbrochen worden.
  • VII] Endlich verdienen in einer Voͤlkerrechtsbibliothek noch die Lebensbeſchreibungen ſolcher Staatsmaͤnner einen Platz, welche mit Bearbeitung des Voͤlker - rechts ſich eigentlich zwar nicht beſchaͤftigt, deren Lebensumſtaͤnde iedoch auf daſſelbe einen merklichen Einfluß gehabt haben; z. B. das Leben der Kardi - naͤle Richelien, Mazarin, Alberoni, ꝛc.
E 2§. 35.68Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 35. Voͤlkerrechts Studium und deſſen Methode.

Das Studium des Voͤlkerrechts beſchaͤftigt ſich mit Erkentnis der algemeinen Wahrheiten durch Vernunft - ſchluͤſſe, mit der richtigen und zweckmaͤßigen Erklaͤrung der unter den Nazionen geſchloſſenen Vertraͤge, mit Be - richtigung der zum Herkommen erforderlichen Handlun - gen und mit Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle bey der Analo - gie. Die Grundſaͤtze des algemeinen Voͤlkerrechts koͤn - nen, der bisherigen Gewonheit nach, zwar fuͤglich beim Vortrage des Naturrechts gleich mitgenommen werden; es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig ſeyn, dieſem auch das poſi - tive, nach ſeinem ganzen Umfange, beizufuͤgen: ſo wie der Unterricht ſehr unvolkommen waͤre, wenn man, nach Wolf, Vattels und Andrer Vorſchlaͤge, in Anſehung des leztern, mit dem ſich begnuͤgen wolte, was in der Staatenhiſtorie und Statiſtick davon angemerkt wird. Die beſte Methode des Vortrags ſcheint mir dieſe zu ſeyn, daß man, nach vorausgeſchickten Grundſaͤtzen des algemeinen Voͤlkerrechts, die Abweichungen des po - ſitiven aus den Vertraͤgen und Herkommen der europaͤi - ſchen Staaten und deren Analogie bemerke. Jenes bleibt allemal die Regel, welche in Ermangelung einer Ausnahme, d. i. eines Vertrags oder Herkommens im - mer ihre Anwendung behaͤlt. Weder die Ausnahme von der Regel, noch dieſe von iener iſt fuͤglich zu trennen und eine ohne die andre zu verſtehen.

*]Die Grundſaͤtze des algemeinen und europaͤiſchen Voͤlker - rechts koͤnnen und ſollen, nach dem Urteile des Herrn Etatsrath Moſers in theſi zwar beiſammenſtehen, collidi - ren aber in praxi oft mit einander: Daher ſeine Gering - ſchaͤtzung des natuͤrlichen Voͤlkerrechts! Sind aber gleich manche Saͤtze deſſelben ungewis, ſo iſt doch deshalb dieganze69und dem europaͤiſchen insbeſondere.ganze Wiſſenſchaft nicht zu verwerfen. Was hier zweifel - haft und uneroͤrtert bleibt, iſt, wo moͤglich, aus dem po - ſitiven Voͤlkerrechte zu beſtimmen. Waͤre aus dem natuͤr - lichen alles zu entſcheiden, ſo beduͤrfte man des leztern nicht.
*]
**]Ferner haͤlt Moſer dafuͤr, man muͤſſe blos Thatſachen anfuͤhren, ohne daruͤber zu urteilen, weil Privatperſonen ſolches nicht zukomme, und deren Meinung die Sache doch nicht entſcheide. Dieſen Grundſatz hat er auch in ſeinen europaͤiſchen Voͤlkerrechtsſchriften, beſonders in ſeinem neu - ſten Verſuche, treulich befolgt. Ich ſchreibe, ſagt er in der vorlaͤufigen Abhandlung, kein politiſches Voͤl - kerrecht; wie ein Raiſoneur, der die Handlungen derer Souverainen nach dem Maasſtab ſeiner kurz - oder weit - ſichtigen Begriffe von Staatsſachen abmiſſet und beurtei - let. Er giebt ſeine Arbeit daher blos fuͤr eine politiſche, in eine gewiſſe Ordnung gebrachte Reiſebeſchreibung durch ganz Europa aus, wo der Reiſende ſich begnuͤgt, zu beob - achten und anzumerken, was er geſehen hat, ohne dar - uͤber zu gloſſiren; die er, wie ſeine eignen Worte lauten, in der Abſicht aufgeſetzt hat, um den Leſer die Welt ken - nen zu lehren, und ihn ein bischen durch Europa ſpazieren zu fuͤhren. In der That iſt dies Werk auch faſt lediglich ſyſtematiſche Staatengeſchichte von Europa. Nicht ohne Grund aber klagt Kaſpar Calvoͤr [in dialog. iren. de pace religioſa] daß die Staatsrechtsgelehrten mehr den Geſchichtſchreiber als Rechtsgelehrten und Philoſophen machten, und nur den Geſchichts - aber nicht den Rechts - punkt eroͤrterten. Schon oft iſt dieſer Moſerſchen Lehrart daher der Vorwurf gemacht worden, daß man ſolcherge - ſtalt nicht wiſſe, was unter den europaͤiſchen Nazionen recht oder unrecht ſey? Zwar entgegnet derſelbe, daß es im europaͤiſchen Voͤlkerrechte viele gleichguͤltige Handlun - gen gebe, und hier auf Erden Niemand Richter uͤber die - ſelben ſey, ſondern ſie dem großen algemeinen Gerichtsta - ge Gottes anheimgeſtellt blieben: Allein die gleichguͤltigenE 3Hand -70Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Handlungen gehoͤren eigentlich gar nicht ins Voͤlkerrecht, und in Anſehung der uͤbrigen komt es nicht darauf an, iede insbeſondere zu richten, ſondern nur uͤberhaupt zu zeigen: was Recht oder Unrecht ſey? Das Urteil fließt aus den vorangeſchickten Grundſaͤtzen ſodann von ſelbſt. Moſer begnuͤgt ſich, dem Leſer die Welt kennen gelehrt zu haben, und uͤberlaͤßt iedem, ſeine Maasregeln darnach zu neh - men, wie er will, und wie er es ſich vor Gott und ſei - nem Gewiſſen zu verantworten getraut. Iſt dies dem Souverain oder Staatsmann aber moͤglich, wenn er nicht weiß, was recht oder unrecht iſt? Die Staatsrechts - ſchriftſteller ſind eben ſo wenig Richter uͤber die Angelegen - heiten der teutſchen Reichsſtaͤnde, und doch werden taͤglich rechtliche Unterſuchungen von ihnen angeſtellt.
**]
***]Die Anfuͤhrung der Beiſpiele, deren Nothwendigkeit einige bezweifeln wollen, iſt beim natuͤrlichen Voͤlkerrechte zu Beſtaͤtigung der aufgeſtelten Grundſaͤtze eben nicht un - umgaͤnglich erforderlich, weil die Beiſpiele vielmehr nach dieſen beurteilt werden muͤſſen; doch dienen ſie ſehr zur Erlaͤuterung. Im practiſchen Voͤlkerrechte hingegen ſind die Beiſpiele deſto weſentlicher, weil daraus die Grundſaͤtze erſt abgezogen werden muͤſſen. Sehr richtig urteilt Gla - fey, daß man bey ieder Materie eigentlich ſaͤmtliche euro - paͤiſche Nazionen durchgehn und unterſuchen ſolte, ob ſie dieſen oder ienen Gebrauch mitgehalten oder nicht? Da man beim zuſammenſummiren finden wuͤrde, daß in den meiſten die ſaͤmtlichen europaͤiſchen Voͤlker uͤbereintreffen. Glafeys Recht der Vernunft 1. Kap. §. 325. Moſers Verſuch ꝛc. vorlaͤufige Abhandlung §. 6.
***]
****]Die Klagen uͤber bisherige Vernachlaͤſſigung dieſes wichtigen Theils der Rechtswiſſenſchaft auf Univerſitaͤten verdienen allerdings beherzigt zu werden.
****]
§. 36.71und dem europaͤiſchen insbeſondere.

§. 36. Nutzen und Nothwendigkeit des Voͤlker - rechts Studiums.

Viele halten das Studium des Voͤlkerrechts fuͤr un - nuͤtz, weil ſie die meiſten Grundſaͤtze fuͤr ungewis, ſtrei - tig und wilkuͤhrlich anſehn, und glauben, daß es in den mehreſten Faͤllen auf die Leidenſchaften großer Herrn und ihrer Miniſter, auf Macht und dergleichen Zufaͤlligkeiten ankomme. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß dieſe Umſtaͤnde auf die Handlungen der Nazionen oft nicht geringen Einflus haben; aber auch alsdann wollen ſie ihren Maas - regeln wenigſtens den Anſtrich der Gerechtigkeit geben, und das Recht auf ihrer Seite haben. Sehr oft iſt dies der Fall iedoch nicht. Die Kentnis des Voͤlkerrechts bleibt daher allen Regenten und denen, die ſich den Staatsgeſchaͤften, welcher Art es ſey, widmen, unent - behrlich, auch vielen andern, beſonders Officiers in Kriegszeiten nuͤtzlich, fuͤr ieden Weltmann aber lehrreich und angenehm.

  • Io. Ad. Ickſtadt Progr. de neceſſitate ſtudii juris naturae et gentium. Wurceb. 1732. 4.

J. J. Moſers Verſuch ꝛc. in der Vorrede §. 4.

E 4Erſtes72

Erſtes Buch. Beſtimmung eines freien [ſouverainen] Volks, der heutigen ſouverainen Staaten in Europa und ihrer algemeinen Verhaͤltniſſe gegen - einander.

Erſtes Kapitel. Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt, und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 1. Das Voͤlkerrecht iſt nur auf freie Voͤlker anwendbar.

In den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts ſind die Regeln enthalten, nach welchen ganze Nazionen, oder de - ren Repraͤſentanten, ihre Handlungen gegeneinander ein - richten ſollen und wornach dieſe beurteilt werden muͤſſen. Aber nur freie, unabhaͤngige Voͤlker koͤnnen dieſes Rechts ſich bedienen: Oberherſchaft und Unterwuͤrfigkeit ſind Gegenſtaͤnde, deren Eroͤrterung zum Staats - und buͤrger - lichen Rechte gehoͤrt. Es iſt daher vor allen Dingen der Begrif eines freien Volks und derienigen Nazionen feſt - zuſetzen, auf welche die in dieſer Abhandlung vorzutra - genden Rechtslehren anwendbar ſind. Zwar werden die Grundbegriffe dieſer Materie eigentlich auch ſchon im al -gemei -73Von den ſouverainen Staaten ꝛc.gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich ſetze deſſen Kentnis billig voraus; doch will ich, ſoviel davon zu beſſerer Ein - ſicht des Folgenden noͤthig iſt, hier bemerken.

§. 2. Begrif der Souverainetaͤt und eines freien Volks.

Unter einem Staate oder Volke verſteht man, wie obgedacht, eine Geſelſchaft von Perſonen und Familien, welche zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfart unter einer Oberherſchaft, auf einem gewiſſen Erdſtriche bei - ſammen wohnen. Ein ſolcher politiſcher Koͤrper iſt, als moraliſche Perſon betrachtet, wie ieder einzelne Menſch, von Natur frey und unabhaͤngig. Derſelbe bleibt es auch, ſo lange er, durch ſeinen eignen Regenten die Mittel zur gemeinen Gluͤckſeligkeit, in Beziehung auf alle innern und auswaͤrtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut - duͤnken [den aufhabenden natuͤrlichen und andern Ver - bindlichkeiten gemaͤs verſteht ſich] beſorgen zu laſſen be - rechtigt iſt. Die unmittelbare Gewalt, ſich ſelbſt, nach eigenen Geſetzen zu regieren, ohne einer andern auswaͤrti - gen hoͤhern Macht davon Rechenſchaft geben, oder ſonſt auf deſſen Vorſchriften Ruͤckſicht nehmen, oder die Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm erwarten zu duͤrfen, kurz, wie die Franzoſen zu ſagen pflegen, ohne, auſſer Gott und dem Degen iemand uͤber ſich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai - netaͤt und das erſte Erfordernis eines freien unabhaͤngigen Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtſa - me eines ſouverainen Staats, nach dem heutigen Sprachgebrauch, Anſpruch machen will d].

a]Der Etatsrath Moſer haͤlt in ſeinem neuſten Verſuche zu Begruͤndung eines freien Volks fuͤr hinlaͤnglich, daß kein andrer Staat oder Herr in weltlichen Sachen ihm etwasE 5zu74Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,zu befehlen habe, weil die der Roͤmiſch. Catholiſchen Reli - gion zugethanen Staaten dem Papſt in Glaubens und Kir - chenſachen eine gewiſſe Art der Oberherſchaft zugeſtehen. Wahrſcheinlich ward er zu dieſen Beiſatz veranlaßt, weil ich in meinem kurz zuvor herausgegebenen Grundriſſe, zu Behauptung der reichsſtaͤndiſchen Freiheit anfuͤhrte, daß die eingeſchraͤnkte Ausuͤbung der Hoheitsrechte, der Souve - rainetaͤt keinesweges nachtheilig ſeyn koͤnnte, weil ſelbſt die unbezweifelt ſouverainen Maͤchte in Europa roͤmiſchka - tholiſcher Religion in Anſehung ihrer geiſtlichen Gerecht - ſame von dem Papſte in vielen Stuͤcken abhingen. Allein iener Zuſatz; in Weltlichen ſcheint mir dieſen Einwurf kei - nesweges zu heben, indem, wie ich ſchon damals erin - nerte, kein Grund vorhanden, warum die Hoheitsrechte im Geiſtlichen geringer als die im Weltlichen ſeyn, und die Einſchraͤnkung der erſtern durch eine auswaͤrtige Macht der Souverainetaͤt nichts ſchaden ſolten.
a]
b]Den Sinn dieſer Redensart erklaͤrt der Herr von Real in ſeiner Science du Gouvernement T. IV. C. II. Sect. II. §. 11.
b]
c]Weder die Art, wie und durch wen die Hoheitsrechte aus - geuͤbt werden d. i. die Regierungsform, noch der groͤßere oder kleinere Umfang eines Staats kommen bey Beſtim - mung der Freiheit und Unabhaͤngigkeit eigentlich in Be - trachtung; ob der letztere gleich, natuͤrlicherweiſe, auf das ſtaͤrkere oder mindere Gewicht in den Staatsgeſchaͤften der uͤbrigen Maͤchte einen großen Einflus hat. Der unter dem Namen Caeſarini Furſtenerii verſteckte groſe Leibnitz will daher in der bekanten Abhandlung de ſuprematu prin - cipum etc. die Souveraineté, oder ſeinen ſogenanten Su - prematum nur denienigen Staaten beilegen, welche einen weitlaͤuftigen Umfang haben, Krieg fuͤhren, Buͤndniſſe ſchlieſſen und zur Entſcheidung der Staatsangelegenheiten anderer Voͤlker uͤberhaupt etwas beitragen koͤnnen. Prae -ter75und den europaͤiſchen insbeſondere.ter libertatem, ſagt er Cap. XII. et in ſe poteſtatem, aliud praeterea vſu requiri videtur ad ſuprematum, nimirum potentia quae apud exteros quoque auctorita - tem conciliare poſſit. Suprematum ergo illi tribuo qui non tantum domi ſubditos manu militari regit, ſed qui etiam exercitum extra fines ducere, et armis, foederibus, legationibus ac caeteris juris gentium ſanctionibus aliquid momenti ad rerum Europae gene - ralium ſummam conferre poteſt [in praef]. Dieſe al - lerdings wilkuͤhrlich angenommene Meinung iſt indes ſo ganz verwerflich nicht. Man kan den kleinern Staaten die Rechte der Souverainetaͤt zwar nicht geradezu abſpre - chen; da es ihnen aber an der Moͤglichkeit fehlt, durch Handlungen, welche ein freies Volk am meiſten auszeich - nen, ihr Daſein andern Nazionen bemerklich zu machen, ſo iſt ihre Souverainetaͤt, wie Moſer ſagt, freilich mehr eine titulare als wuͤrkliche.
c]
d]In einer etwas andern Bedeutung wird der Ausdruck Sou - verain genommen, wenn die Rede von dem Regenten des Staats iſt: er bezeichnet alsdann einen ſolchen, der in Ausuͤbung der Hoheitsrechte durch Reichsgrundgeſetze nicht eingeſchraͤnkt iſt. Die lateiniſchen Schriftſteller bezeichnen die Souverainetaͤt mit den Namen: Suprematus, poten - tatus, libertas etc. Die mit der Souverainetaͤt verwand - ten Begriffe von Majeſtaͤt, Majeſtaͤts - und Hoheits - rechte, Regalien ꝛc. werden uͤbrigens ſchon aus dem Staatsrechte bekant ſeyn, und weiter unten noch mit we - nigen beruͤhrt werden.
d]
*]Man ſehe uͤber dieſe Materie Grot. de J. B. et P. L. I. C. III §. 6. 7. Puffend. J. N. et G. L. VII. c. VI. und Henr. Cocceji Autonomia juris gentium, vbi natum inde inter gentes diſcrimen civitatis mediatae liberae et non liberae etc. pleniſſime eruitur. Frcof. 1719. 8.
*]
§. 3.76Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 3. Urſprung der Souverainetaͤt.

Die Rede iſt hier nicht von dem Urſprung der Staa - ten uͤberhaupt und von den verſchiedenen Vertraͤgen, welche zu Begruͤndung der Oberherſchaft zwiſchen Regen - ten und geſamter Buͤrgerſchaft erforderlich ſind, ſondern es iſt nur zu bemerken, daß ein Volk entweder urſpruͤng - lich frey iſt, wenn es keines andern Oberherſchaft vorher erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung ſei - ner bisherigen Unterwuͤrfigkeit unter einer hoͤhern Macht erlangt. Das letztere geſchieht, wenn die herſchende Na - zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur - ſachen willen, ſich ihrer Hoheitsrechte uͤber einen Theil des Staats begiebt und ihm die Unabhaͤngigkeit zugeſteht, oder wenn dieſer ſeinem bisherigen Oberhaupte den Ge - horſam aufkuͤndigt, und ſich ſelbſt fuͤr frey und unab - haͤngig erklaͤrt.

Von der urſpruͤnglichen Errichtung der Staaten fehlen uns hinlaͤngliche hiſtoriſche Beweiſe, daher auch die Meinungen uͤber deren Entſtehung ſo geteilt ſind.

Faſt alle heutige ſouveraine Voͤlker in Europa haben auf die letztere beiden Arten ihr Daſein erlangt.

So erhielt z. B. Preuſſen 1657 in dem Welauer Vertrage von der Krone Polen ſeine Unabhaͤngigkeit, und Neapel nebſt Sicilien, ingleichen Sardienien kamen durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru - pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von der ſpaniſchen Oberherſchaft ab, und erlangten von neuen die Rechte unabhaͤngiger Staaten.

Noch anſehnlicher iſt die Liſte ſolcher Staaten, die durch Empoͤrung ihre Freiheit ſich erworben haben. Ich will nur die neuſten Beiſpiele davon anfuͤhren.

Die vereinigten Niederlande legten durch die Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit,und77und den europaͤiſchen insbeſondere.und kuͤndigten unterm 26. Jul. 1581 der Krone Spa - nien den Gehorſam foͤrmlich auf, indem ſie ſich fuͤr einen unabhaͤngigen Staat erklaͤrten.

*]Du Mont Corps diplom. T. X. P. I. n. 158. p. 322. T. V. P. I. n. 175. p. 368. Portugal riß ſich 1640 von der ſpaniſchen Her - ſchaft los.
*]
*]Luſitania liberata ab iniuſto Caſtellanorum dominio re - ſtituta legitimo principi Iohanni IV. Lond. 1645. fol. Die krimmiſchen und nogaiſchen Tatarn entzo - gen ſich 1772 der Bothmaͤßigkeit der ottomanniſchen Pforte, und erklaͤrten ſich fuͤr ein freies Volk.
*]
*]Mercure hiſt. et polit. T. I. Fevr. 1773. p. 218. Moſers Verſuch des europ. Voͤlker, 6. Th. 7. Kap. §. 12. S. 127. Die nordamerikaniſchen Staaten endlich fielen von ihrem Mutterlande England ab, und verbanden ſich unterm 4. Jul. 1774. zu Behauptung ihrer Freiheit und Unabhaͤngigkeit.
*]
*]Mercure hiſt. Oct. 1776. p. 435. Moſers Verſuch am ang. O. S. 131.
*]

§. 4. Anerkennung der Unabhaͤngigkeit.

Ein freier Staat, der ſeine Unabhaͤngigkeit auf eine rechtmaͤßige Art erlangt hat, muß, vermoͤge der unter allen Nazionen von Natur zu beobachtenden Gleichheit, auch von den uͤbrigen dafuͤr erkant werden; und es pfle - gen gewoͤnlich keine Schwierigkeiten deshalb gemacht zu werden. Allein iene eigenmaͤchtige Anmaßung der Sou - verainetaͤt iſt zu Begruͤndung der Unabhaͤngigkeit keines - weges hinlaͤnglich, und kan nicht eher fuͤr rechtmaͤßigange -78Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,angeſehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle - nen Theil ſeines Staats von der bisherigen Verbindung und Unterwuͤrfigkeit loszaͤhlt und deſſen Freiheit entweder freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genoͤthigt, endlich anerkennt. Wird ein ſolches Volk a] eher von andern Staaten als unabhaͤngig erkant und behandelt, ſo kan die Nazion, deren Gehorſam es ſich entzogen, dieſes mit Recht fuͤr eine Beleidigung anſehen b], weil kein Staat befugt iſt, ſich zum Richter uͤber die Irrungen zwi - ſchen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer - fen, und dieſe ihres bisherigen Gehorſams fuͤr erledigt zu erklaͤren. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio - nen iſt auch der vormaligen Oberherſchaft auf keine Weiſe nachtheilig, wenn es ihr gluͤcken ſolte, die ſich ſelbſt losgeriſſenen Unterthanen wieder zum Gehorſam zu bringen: ſo wie dieſelbe den leztern nur in Ruͤckſicht des anerkennenden Staats, und zwar nur ſo lange einigen Vortheil verſchaffen kan, als ſie ihre vermeintliche Frei - heit zu behaupten im Stande ſind.

Die europaͤiſchen Nazionen haben in dieſer Materie nicht immer einerley Grundſaͤtze befolgt, wie ſolches be - ſonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und den vereinigten Nordamerikaniſchen Staaten ſich gezeigt hat: wovon ich einiges hier anfuͤhren will.

In Anſehung der vereinigten Niederlande heißt es in einer neuern Staatsſchrift: La conduite qu a te - nue à leur égard la reine Eliſabeth merite d être deve - loppée. Enfin [nach einigen geheimen Vertraͤgen mit England] les Conféderés declarerent leur indépen - dance en 1585; cette demarche fut promptement ſui - vie d une nouvelle alliance defenſive: elle eſt du 10. Août de la même année. Les Hollandois alleguèrent dans leurs pleins pouvoirs la circonſtance, qu ils avoient entièrement ſecué le joug de l Eſpagne, et qu ils ſ etoient declarés libres et independans de ſa ſouverai -neté. 79und den europaͤiſchen insbeſondere.neté. Pour juſtifier ce dernier traité Eliſabeth publia un manifeſte, dans lequel Elle rapella les cruautés que les Gouverneurs Eſpagnols avoient commiſes dans les Pays-bas, et le projet formé par la cour de Madrid de detruire leurs franchiſes. Elle declara en même tems, qu Elle étoit obligée de ſoutenir les Provinces-unies par la defenſe de leur liberté, parceque c étoit l’unique moyen de conſerver aus Anglois la liberté du commerce avec les Pays-bas, et de garantir l Angleter - re des invaſions que l Eſpagne auroit les plus grandes facilités d y faire, ſi une fois elle avoit reduit ces pro - vinces ſous ſon obeißance abſolue. Enfin Eliſabeth ob - ſerva que les traités qui ſubſiſtoient anciennement entre l Angleterre et les ſouverains des Pays-bas avoient été conclus non ſeulement entre ces princes, mais auſſi en - tre leurs états reſpectifs pour leur defenſe mutuelle et qu ainſi en protegeant les Provinces-unies contre un injuſte deſpotisme, Elle ne faiſoit exactement que rem - plir la dernière partie de ſes engagemens, ſans contre - venir en aucune manière à ce qu Elle devoit au Souve - rain de ces provinces. Il eſt à remarquer que la publi - cation de ce manifeſte n’occaſionna pas le rappel des Am - baßadeurs reſpectifs et que trois années après ſa publica - tion, c eſt à dire en 1588 Eliſabeth remplit encore, à la requiſition de Philippe II., l office de mediatrice entre ce Prince et les Provinces-unies au Congrès de Bourbourg. Cet abrégé fidèle de la conduite de la rei - ne Eliſabeth à l égard des Pays-bas convaincra ſans dou - te tout le monde, que cette Princeße a reconnu le droit qu a tout ſouverain d accueillir un peuple qui ſ eſt de - claré independant. Man ſehe die franzoͤſiſchen Obſerva - tions ſur le Memoire juſtificatif de la Cour de Londres von 1780. in Dohms Materialien zur Statiſtick 4te Lieferung, S. 33. u. f.

Portu -80Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

Portugal ward, als es 1640 der Spaniſchen Herſchaft ſich entzog, noch vor dem Frieden von 1668, von Frankreich, England, Holland und Schweden fuͤr unabhaͤngig erkant, daher man auch deſſen Geſandte annahm.

Als die vereinigten Staaten von Nordameri - ka durch die Akte vom 4. Jul. 1776 ihrem Mutterlande den Gehorſam aufkuͤndigten und ſich fuͤr unabhaͤngig er - klaͤrten, ſuchten anfangs die mehreſten Staaten von Eu - ropa die Anerkennung deren angemaßten Souverainetaͤt auf irgend eine Art zu vermeiden. Nur Frankreich ſchloß unterm 6. Februar 1778 zu Paris einen foͤrmli - chen Freundſchafts - und Allianztractat c] mit ihnen, und verſprach, die Freiheit, Souverainetaͤt und abſolute un - begraͤnzte Unabhaͤngigkeit der dreizehn Nordamerikani - ſchen Staaten, ſowohl in Regierungs -, als Handlungs - ſachen aufrecht zu erhalten, Art. 2. Wenn deshalb Krieg zwiſchen Frankreich und England entſtehen ſolte, nicht eher Friede zu machen, bis ſie von England dafuͤr anerkant worden, Art. 8. und dieſe Unabhaͤngigkeit ge - gen alle Beeintraͤchtigungen zu garantiren. Art. 11.

Hiervon gab Frankreich in einer Declaration vom 13. Maͤrz 1778 dem Londner Hofe Nachricht, der die - ſen Tractat fuͤr eine der heftigſten Beleidigungen und fuͤr eine offenbare Kriegserklaͤrung anſah. Ich will die Hauptgruͤnde beider Theile aus den gewechſelten Staatsſchriften kuͤrzlich anfuͤhren, die fuͤr das Voͤlker - recht gewis nicht unwichtig ſind.

England behauptete: La première decouverte, la poßeſſion non interrompuë de deux cent ans et le con - ſentement de toutes les nations ſuffiſent pour conſtater les droits de la Grande-Bretagne aux terres de l Ame - rique ſeptentrionale et ſa ſouveraineté ſur le peuple, qui y avoit formé des etablißemens avec la permiſſion et ſous le gouvernement des prédéceßeurs du Roi. Sice81und den europaͤiſchen insbeſondere.ce peuple même a oſé ſecouër le joug de l autorité au plutôt des loix, ſ il a uſurpé les provinces et les pré - rogatives de ſon ſouverain, et ſ il a recherché l allian - ce des étrangers pour appuier ſon independence pre - tenduë; ces etrangers ne peuvent accepter ſon alliance, ratiſier ſes uſurpations et reconnoitre ſon independance, ſans ſuppoſer que la revolte a des droits plus etendus que ceux de la guerre et ſans accorder aux ſujets rebel - les un titre legitime aux conquêtes qu ils n avoient pu faire qu au mepris de la juſtice et des loix. Les enne - mis ſecrets de la paix de la Grande-Bretagne et peut - être de la France même, eurent cependant l addreße criminelle de perſuader à S. M. T. C. qu Elle pouvoit, ſans violer la foi de traités, declarer publiquement, qu Elle recevoit au nombre de ſes alliés les ſujets revoltés d un roi ſon voiſin et allié. Jamais le Roi n a reconnu l independance d un peuple, qui avoit ſecoué le joug de ſon prince legitime, et il eſt triſte ſans doute que les Miniſtres de S. M. T. C. aient ſurpris la religion de leur ſouverain pour couvrir d un nom auſſi reſpectable des aßertions ſans fondement et ſans vraiſemblance qui ſont dementies par le ſouvenir de l Europe entière. Le retablißement de ſa dependance legitime étoit poſé com - me la condition indispenſable de la paix que la Grande - Bretagne offroit à des ſujets revoltés, dont elle reſpe - ctoit les droits, les interêts et même les prejugés. Man ſehe Memoire juſtificatif de la Grande-Bretagne du 15. Oct. 1779. in Dohms Materialien 3. Lieferung.

Die Aeuſſerungen des franzoͤſiſchen Hofes aber gin - gen dahin: La declaration de France à la Cour de Lon - dres du 13 Mars 1778. que le Roi d Angleterre denonça à ſon Parlement comme une declaration de guerre, avoit pour baſe deux verités inconteſtables; la 1re qu à l épo - que du 6. Fevrier 1778. Les Americains avoient la poßes - ſion publique de leur independance; la 2de que le roi a étéFle82Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,le maitre de regarder cette independance comme exiſtante, ſans être obligé d en examiner la legalité, et qu aucune loi ne lui interdiſoit la faculté de former des liaiſons avec les Americains. Pour demontrer ces deux verités, que la Cour de Londres conteſte, on n invoquera que des principes reconnus de tout tems par toutes les nations policées. Il étoit inutile de reclamer l ancienne poßeſſion, e eſt a dire une poßeſſion reconnuë et avouée par toutes les puißances, puisqu il n eſt jamais venu dans la penſée au roi de la conteſter; et le Mini - ſtère anglois auroit ſans contredit mieux defendu ſa cau - ſe, ſ il eut prouvé qu une poßeſſion legitime ne ſau - roit ſe perdre dans aucun cas: mais comment auroit-il oſé entreprendre cette preuve ſans vouloir démentir les annales de toutes le contrées de l Univers? Il doit donc demeurer pour conſtant, que quelque legitime, quelqu ancienne et quelqu avouée qu ait eté la poßes - ſion de l Angleterre à l égard de ſes anciennes Colo - nies, elle a pu la perdre; qu elle l avoit effectivement perdue an 4. Juillet 1776. et qu elle ne l a point re - couvrée depuis cette époque. Il reſulte de que la France a pu dire avec verité, qu au moment de la ſi - gnature du traité de 1778. les Etats-unis de l Amerique ſeptentrionale etoient en pleine poßeſſion de leur in - dependance. Le Miniſtère Anglois croit detruire les con - ſequences qui derivent de cette verité en ſoutenant que la poßeſſion des Americains eſt illegitime, qu elle n a jamais été ni pu être validée, qu elle eſt une veritable felonie: mais en avancant cette propoſition, il avoit ſans doute oublié la conduite qu il a tenue lui même à l égard des Americains depuis la publication de l acte de l independance. On ſe rappelle que les creatures de la Cour ont conſtamment crié à la rebellion cepen - dant malgré toutes ces clameurs, le Miniſtère Anglois a ceſſé, après la publication de l independance, de pour -ſuivre83und den europaͤiſchen insbeſondere.ſuivre les Americains comme des rebelles; il obſerva et obſerve encore à leur égard les regles de la guerre uſit es parmi les Nations independantes; les priſonniers Ameri - cains ont été echangés en vertu des Cartels ſignés par des Commißaires du Congrès; les troupes Angloiſes ont capitulé et leurs capitulations ont été reſpectées, la Cour de Londres a reconnu l autorité de la nouvelle Republi - que en autoriſant Commißaires pacificateurs à traiter d égal à égal avec les Commißaires Americains [actes qui tiennent à la Souveraineté]. Au ſurplus, que les Etats unis aient eu ou non le droit d abiurer la Souveraineté de l Angleterre; que la poßeſſion ils ſont de leur in - dependance ſoit legitime non: ce n eſt point à la France à diſcuter ces deux queſtions. Le roi n eſt point le juge des querelles domeſtiques de l Angleterre: ni le droit des gens, ni les traités, ni la morale, ni la politi - que ne lui impoſent l obligation d être le gardien de la fidelité que les ſujets Anglois peuvent avoir à leur Souverain: il ſuffit pour la juſtification de Sa Majeſté, que les Colonies, qui forment une Nation conſiderable tant par le nombre de leurs habitans que par l étendue de leurs domaines, aient établi leur independance, non ſeulement par un acte ſolemnel, mais auſſi par le fait, et qu elles l aient maintenue contre les efforts de leur Mère-patrie. Telle etoit en effet la poſition des Etats - unis, lorsque le roi a commencé à negocier avec eux: Sa Majeſté avoit une entière liberté de les regarder ou comme independans ou comme ſujets de la Grande-Bre - tagne; Elle a choiſi le premier parti parceque ſa ſureté, l intérêt de ſes peuples et ſurtout les projets ſecrets de la Cour de Londres lui en impoſoient imperieuſement l obligation. Cependant c’eſt cette même couduite que le Miniſtère Anglois ſoutient être inconciliable avec la verité des faits et les principes du droit des gens, qu il préſente comme incapable de voir le grand jour, qu ilF 2denonce84Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,denonce à toutes〈…〉〈…〉 es nations comme une violation du droit des gens, comme une injurie faite à tous les Sou - verains et à l humanité. Avant le Miniſtère Anglois auroit du examiner avec un eſprit de juſtice et d impartialité, les droits et les devoirs des ſouverains; il auroit du ſurtout conſulter les faſtes de presque tous les Empirs et principalement ceux de la Grande-Breta - gne. L independance des Nations les unes à l égard des autres, eſt la baſe primitive et fondamentale du droit des gens; elle eſt abſoluë, illimitée et elle n ad - met de modifications et de reſtrictions, que celles qui ſont fondées ſur des engagemens ou que preſcrit la conſcience, ou enfin qu exige l intérêt de l Etat. Dans le premier cas, une nation ſ eſt donnée un contradi - cteur legitime; mais dans les deux autres ſes determina - tions et ſa conduite ne peuvent dependre que de ſon propre jugement, et quiconque entreprendroit de la guerre à cet égard, porteroit atteinte à ſon indepen - dance et lui feroit injure. La France eſt indepen - dante de la Couronne Britannique: aucun engagement n oblige le roi de maintenir cette couronne dans l in - tegrité de ſes poßeſſions, et encore moins de contenir ſes ſujets dans l obeißance: ainſi S. M. n a eu aucune eſpèce de devoir à remplir en faveur de l Angleterre relativement à l Amerique ſeptentrionale; ainſi S. M. n a été obligée ni d aſſiſter l Angleterre contre ſes colo - nies, ni de repoußer ces Colonies lorsqu elles ſe ſont preſentées à Elle comme un peuple independant. À en croire l auteur du Memoire juſtificatif le Roi étoit tenu à ces divers devoirs en vertu du dernier traité de Paris; mais il eſt viſible, que pour ſoutenir une pareille pro - poſition, il a fallu meconnoitre le ſens, l eſprit et le but d un ſimple traité de paix et confondre un traité de cette nature avec un traité d alliance. Celui de Paris n impoſoit au roi d autre obligation, que celle de vi -vre85und den europaͤiſchen insbeſondere.vre en paix et en bonne amitié avec la Grande-Bretagne: vouloir étendre cette obligation c eſt ignorer ou me - priſer les premières notions de la diplomatique et le ſentiment de toutes les nations. Le Roi n’étoit pas plus gêné par ſa conſcience, qu il ne l’étoit par ſes en - gagemens. Il ſuffit que S. M. ſe croie exempte de tout reproche, qu Elle puiße ſe dire, qu en re - gardant les Americains comme independans, Elle n a violé ni la loi de Dieu ni celle des Nations: ſi la Cour de Londres oſe contredire cette morale, on lui deman - de, qui, ſur la terre, eſt le juge des Souverains? qui a le droit de les forcer à les ſuivre? Le Roi a eu le droit de regarder comme independans les habitans re - unis d un immenſe continent, qui ſe ſont preſentés à lui avec ce caractère, ſur-tout après que leur ancien ſouverain eut demontré par des efforts auſſi longs que penibles, l impoſſibilité de les ramener à l obeißance. S. Obſervations ſur le Memoire juſtificatif de la Grande Bretagne. Fevr. 1780. in Dohms 4. Lieferung.

Spanien trat, vermoͤge des burboniſchen Familien - vertrags von 1761 zur franzoͤſiſchen Parthey, und gruͤn - dete ſich hauptſaͤchlich auf die eigne Grosbritanniſche An - erkennung der Unabhaͤngigkeit der nordamericaniſchen Staaten, durch Handlungen. La Convention de Sara - toga, heißt es in der ſpaniſchen Hauptdeduction vom 7. Sept. 1779, le Général Bourgoyne conſidéré comme priſonnier legitime pour ſuspendre ſon procès, l’échan - ge et la liberté d autres priſonnièrs Colons, la nomina - tion de Commißaires pour aller chercher les Americains chex eux, l acte de leur avoir demandé la paix et de traiter avec eux ou avec le congrès, et cent autres faits de cette nature autoriſés par la Cour de Londres, ont été de vrais ſignes de reconnoißance de l independance des Colonies. Dohms Materialien 3. Lief. S. 46. u. f.

F 3Die86Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

Die vereinigten Niederlande ſagen in ihrem Kriegs-Manifeſt gegen Grosbritannien vom 12. Maͤrz 1781. L. H. P. envoyerent les ordres les plus precis à tous les Gouverneurs, pour qu ils eußent à ſe garder ſoigneuſement de ne rien faire vis-à-vis du pavillon du congrès Americain, dont on peut inferer ou deduire legitimément un aveu de l’independance des ſusdits Colonies. Dohm 4, S. 157. Als ihnen aber von Grosbritannien der Krieg angekuͤndigt wurde, reſolvirten ſie am 19. April 1782 die Unabhaͤngigkeit der nordame - rikaniſchen Staaten zu erkennen und den Herrn Adams als bevolmaͤchtigten Miniſter derſelben anzunehmen; ſchloſſen auch darauf unterm 8. Oct. gedachten Jahres einen foͤrmlichen Freundſchafts - und Handlungstractat mit ihnen. Politiſches Journal, April 1782. S. 408. u. f. Novbr. 82. S. 418. u. f. Man vergleiche Moſers Verſuch 6. Buch, 7. Kap. §. 13. u. f.

a]Die Frage: in wiefern auswaͤrtige Nazionen die rebelli - renden Unterthanen eines andern Volks, die Empoͤrung mag recht - oder unrechtmaͤßig ſeyn, auf irgend eine Art beguͤnſtigen duͤrfe, wird weiter unten eroͤrtert werden.
a]
b]Nach Moſers Meinung haͤngt es von eines ieden Staats Wilkuͤhr ab, ob er, noch waͤhrenden Streits, es mit dem Oberherrn, oder den rebellirenden Unterthanen halten, oder auch ganz neutral bleiben will? Moſers Verſuch 6. Buch 7. Kap. §. 5. 6. 7.
b]
c]Politiſches Journal Jun. 1782. S. 577. und an ver - ſchiedenen andern Orten.
c]
*]Joh. Chr. Wilh. von Steck von Erkennung der Unabhaͤn - gigkeit einer Nation und eines Staats; in deſſen Verſuche uͤber verſchiedene Materien politiſcher und rechtlicher Kentniſſe. Berlin 1783. 8. S. 49-56.
*]
§. 5.87und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 5. Ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend.

Die Anerkennung der Unabhaͤngigkeit kan entweder ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, Friedensſchluͤſſe ꝛc. oder auch durch ſolche Handlungen geſchehen, welche die Anerkennung der Freiheit nothwendig vorausſetzen; wohin z. B. die Annehmung foͤrmlicher Geſandten von einem ſolchen Volke ꝛc. zu rechnen. Beide Arten finden ſowohl von Seiten des die Oberherſchaft bisher behaup - tenden Staats, als auch der uͤbrigen dabey beſonders nicht intereſſirten Nazionen Statt.

Eine ausdruͤckliche Anerkennung erfolgte unter andern bey den

Vereinigten Niederlanden, welche nicht nur durch den Waffenſtilſtand vom 9. April 1609. mit Spanien und dem Hauſe Oeſterreich, ſondern auch hauptſaͤchlich im Muͤnſterſchen Frieden zwiſchen Spanien und den vereinigten Niederlanden vom 30. Jannuar 1648. Art. 1. fuͤr einen freien und unabhaͤngigen Staat erklaͤrt wurden.

Der Krimm geſtand die ottomanniſche Pforte im Frieden zu Kaingard mit Rußland vom 10 / 21. Jul. 1774. Art. 3. die Unabhaͤngigkeit zu. Mercure hiſt. Oct. 1774. p. 443.

Die vereinigren Staaten von Nordameri - ka erhielten in den Friedens-Praͤliminarien vom 30. Novbr. 1782 und in dem Definitiv. Frieden vom 3. Sept. 1783 mit Grosbritannien Art. 1. ihre Freiheit und die Rechte eines freien, unabhaͤngigen und ſouve - rainen Staats.

Stilſchweigend geſchah die Unabhaͤngigkeits - Erkennung

Der Eidgenoſſenſchaft vom teutſchen Reiche im weſtphaͤliſchen Frieden 1648. [Muͤnſter. Art. 8. -F 4nabr.88Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,nabr. Art. 6]. Es wird darinn zwar nur der Befreiung von der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte erwaͤhnt; al - lein die gaͤnzliche Loszaͤhlung von der Oberherſchaft des Reichs iſt, wie Moſer und von Steck bemerken darun - ter ſtilſchweigend begriffen. v. Steck am ang. O. S. 52.

In Anſehung der vereinigten Niederlande erfolgte von Seiten des teutſchen Reichs, in Gemaͤsheit des muͤnſterſchen Friedensſchluſſes Art 53. zwar auch nur eine Erklaͤrung, gegen dieſelbe die Neutralitaͤt, gute Nachbarſchaft und Freundſchaft zu erhalten, ſolche iſt iedoch fuͤr eine Anerkennung der Freiheit ebenfals zu achten. Von Steck am ang. O.

Hat der ehemals herſchende Staat die Unabhaͤn - gigkeit einmal geſetzmaͤſig zugeſtanden, ſo bedarf es der ausdruͤcklichen Anerkennung der uͤbrigen weiter nicht, weil dieſe bey vorkommenden Gelegenheiten, ſolche als - denn ohnedies nicht verweigern duͤrfen, indem ſie kein Recht haben, zu verlangen, daß ein Volk, dem das Mutterland die Freiheit eingeraͤumt hat, ſich von neuem unterwerfe; es muͤſte denn eine Nazion ſelbſt noch An - ſpruͤche der Bothmaͤßigkeit zu machen ſich berechtigt glauben.

§. 6. Heutige ſouveraine Staaten in Europa.

Europa beſtand von ieher aus verſchiedenen von ein - ander unabhaͤngigen Staaten, deren Anzahl und Um - fang ſich durch mancherley Revolutionen bald vermehrte bald verminderte. Die Herſchaft der Griechen und nachher der Koͤmer war die ausgebreiteſte. Die leztere teilte ſich endlich in zwey Kaiſerthuͤmer, in das morgen - laͤndiſche und abendlaͤndiſche. Dieſes ward im fuͤnften Jahrhundert von den damals herumwandernden nordi - ſchen Voͤlkern zerſtoͤrt, und es entſtanden daraus nachund89und den europaͤiſchen insbeſondere.und nach die mehreſten heutigen Nazionen Europens; aber ſie waren bis ins dreizehnte Jahrhundert beſtaͤndigen Zerruͤttungen unterworfen. Im vierzehnten und folgen - den Jahrhundert erhielten beinah die meiſten derſelben ihre Hauptbeſtimmung, Grenzen, Namen ꝛc. und tra - ten nachher, beſonders ſeit dem ſechszehnten Jahrhundert, immer in naͤhere Verbindung. Ich will hier die merk - wuͤrdigſten Schickſale der itzigen europaͤiſchen Staaten kuͤrzlich beruͤhren, nicht in Abſicht ihrer volſtaͤndigen Geſchichte uͤberhaupt, ſondern nur um den Urſprung der - ſelben und ihrer heutigen Unabhaͤngigkeit zu zeigen.

*]Man ſehe Gabr. Schweder de inſignibus imperiorum et regnorum Europae revolutionibus et mutationibus. Tubing. 1710. und die aus der hiſtoriſchen Literatur bekan - ten Staatengeſchichtſchreiber uͤberhaupt, zu deren Anfuͤh - rung hier der Platz nicht iſt.
*]

§. 7. Portugal.

Portugal, ſonſt Luſitanien genant, war bis zu An - fang des zwoͤlften Jahrhunderts ein Theil Spaniens, und hatte mit dieſem Reiche einerley Schickſale. Hein - rich, ein Burgundiſcher Prinz, erhaͤlt 1109 durch ſeine Gemalin Thereſie, einer natuͤrlichen Tochter Koͤnig Al - fonſus VI. von Kaſtilien, aus deſſen Teſtamente die noͤrdliche Haͤlfte von Portugal, die er Anfangs als Statthalter regiert hatte, erb - und eigenthuͤmlich. Sein Sohn Alfonſus I. nimt, wiewohl mit Widerſpruch der Koͤnige von Kaſtilien, 1139 den Koͤniglichen Titel an, den Pabſt Alexander III. nachher 1179 beſtaͤtigt. Al - fonſus III. vereinigt das kleine Koͤnigreich Algarbien 1251 mit der Krone. Nach gaͤnzlichem Abgange des koͤniglichen Mannsſtams mit Heinrichs Tode 1580 hat, unter andern Praͤtendenten, Philip II. Koͤnig von Spa -F 5nien,90Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,nien, wegen ſeiner Mutter Iſabelle, des lezten Koͤnigs von Portugal aͤlteſten Schweſter, das Gluͤck, die Her - ſchaft uͤber das Koͤnigreich Portugal zu erlangen und zu behaupten. Aber die ſpaniſche Tiranney veranlaßt 1640 den Abfall der Portugieſen, die in dem Herzog Johann von Braganza ſich einen eignen Koͤnig waͤhlen. Spa - nien bemuͤht ſich lange vergeblich um deren Wiederunter - iochung, und muß endlich im Frieden zu Liſſabon vom 13. Februar 1668 Portugal als ein unabhaͤngiges Reich behandeln, und auf die dazugehoͤrigen Lande, Ceuta ausgenommen, Verzicht thun. Seitdem genießt das Koͤnigreich Portugal die voͤllige Souverainetaͤt.

*]La liberté du Portugal 1641. 12. Hiſtoire des revolutions de Portugal par l Abbé de Vertot. à Paris 1711. 12.
*]

§. 8. Spanien

Beſtand, als die Phoͤnizier es kennen lernten, aus mehrern kleinen Staaten, welche die Karthager meiſt unteriochten. Von dieſen kam es als eine Provinz an die Roͤmer. Seit dem fuͤnften Jahrhundert ward es nach und nach von den Alanen, Vandalen, Sueven, Weſtgothen und Mauren beherſcht. Den leztern entzo - gen die in die aſturiſchen und biscayſchen Gebuͤrge gefluͤch - teten Weſigothen, unter ihren gewaͤhlten Koͤnig Pela - gius im Anfange des achten Jahrhunderts, ein Stuͤck nach dem andern wieder: ein gleiches thaten die Franken unter Karl dem Großen. Daraus entſtand eine Menge beſonderer Reiche, deren Hauptvereinigung endlich durch die Vermaͤhlung Ferdinands von Arragonien mit Iſa - belle von Kaſtilien, nach ſeines Vaters Johann II. To - de, 1479 erfolgte. Dieſe machten mit Eroberung vonGre -91und den europaͤiſchen insbeſondere.Grenada der mauriſchen Herſchaft vollends ein Ende, und ſtifteten eins der maͤchtigſten Reiche in Europa. Ihre Nachfolger erweiterten ſolches noch mehr durch die Erwerbungen der Koͤnigreiche Neapel, Navarra, der Niederlande und anderer Beſitzungen in den uͤbrigen Theilen der Welt, die nachher iedoch groͤſtenteils wieder verlohren gingen. Daß Spanien, wie einige behaupten wollen, dem eigentlich teutſchen Reiche ie unterworfen geweſen ſey, iſt unerweißlich.

*]Hiſtoire des revolutions d Eſpagne [par l Abbé de Vayrac] à Paris 1726. 5. Vol. 12.
*]

§. 9. Frankreich

War unter den Celten oder Galliern ebenfals in ver - ſchiedene Staaten zerteilt, welche Julius Caeſar ſaͤmt - lich unter der Roͤmer Bothmaͤßigkeit brachte. Zur Zeit der algemeinen Voͤlkerwanderungen im fuͤnften Jahrhun - dert ließen ſich Gothen, Burgunder und Franken darinn nieder. Die leztern ſtifteten, nach gaͤnzlicher Ueberwaͤl - tigung der Roͤmer, unter ihrem Koͤnige Clodowich 486 wiederum ein maͤchtiges Reich. Unter den Beherſchern dieſer neuen fraͤnkiſchen Monarchie zeichneten ſich beſon - ders die anſehnlichen Eroberungen Karls des Großen aus. Durch die bekante Theilung, welche ſeine Enkel 843 zu Verdun vornahmen, zerfielen deſſen weitlaͤuftige Staaten in drey beſondere Koͤnigreiche. Zwar haben dieſelben in der Folge noch manche Veraͤnderung erlitten, Frankreich hat iedoch von dieſer Zeit an, beſonders nach - dem es unter den Kapetingiſchen Koͤnigen, von ſeiner vorigen Schwaͤche ſich wieder erhohlte, unter den ſouve - rainen Staaten in Europa iederzeit eine der vorzuͤglich - ſten Rollen geſpielt.

*]92Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
*]Carol. Molinaeus de origine et excellentia Monar - chiae Francorum. Frf. 1597. ſol. 1610. u. oͤft. 4.
*]

§. 10. Teutſchland

Hatte in den aͤlteſten Zeiten, die wir kennen, eine Menge beſonderer in keiner Hauptverbindung ſtehender Voͤlker zu Bewohnern. Einige derſelben ſuchten, bey der algemeinen Voͤlkerwanderung, ſich neue Wohnplaͤtze, und wurden von andern ſlaviſchen Nazionen erſetzt, andere beſonders die Sachſen, Thuͤringer, Bayern, Frie - ſen und Franken blieben in ihrem Vaterlande. Das Gluͤck der fraͤnkiſchen Waffen unteriochte die uͤbrigen Voͤlker, und ſo entſtand die maͤchtige Monarchie der Franken, die zu Karls des Großen Zeiten, der die vor - laͤngſt erloſchene Kaiſerwuͤrde des zertruͤmmerten abend - laͤndiſchen roͤmiſchen Reichs wieder annahm, im hoͤchſten Flor ſtand. Die vorerwaͤhnte Theilung ſeiner Enkel zu Verdun 843 war der eigentliche Urſprung des heutigen teutſchen Reichs das Ludewig dem Teutſchen zufiel. Unter den verſchiedenen anſehnlichen Erwerbungen der nachfolgenden Beherſcher iſt Ottos des Großen Ver - einigung Italiens und der roͤmiſchen Kaiſerwuͤrde mit Teutſchland 961 und 962 eine der merkwuͤrdigſten. Haben gleich in der Folge die Staͤnde dieſes Reichs durch Erlangung der vorzuͤglichſten Maieſtaͤtsrechte gewiſſerma - ßen zu eignen Staaten ſich gebildet; ſo hat man doch Teutſchland, unter ſeinem Oberhaupte, dem Kaiſer, bis - her iederzeit fuͤr einen einzigen Staatskoͤrper angeſehen.

*]Iac. Brunneman diſſ. de origine, finibus et praeten - ſionibus Imperii Rom. Germ. Hal. 1701. 4. Io. Steph. Pütteri ſpecimen iuris publ. et gent. medii aevi de inſtauratione Imperii Rom. ſub Carolo M. et Ottone M. facta ejusque affectibus. Goͤtting 1784. 8. Ulr. 93und den europaͤiſchen insbeſondere.Ulr. Obrecht [resp. Jo. Geo. Kulpis] diſſ. de vnitate reipublicae in S. R. I. Argent 1676. 1705. 4.
*]

§. 11. Grosbritannien.

In Britannien befanden ſich ehemals viele kleine von einander unabhaͤngige Staaten, welche nach langen Krie - gen ſaͤmtlich der Roͤmer Herſchaft erkennen muſten; Bey dem Verfall des roͤmiſchen Reichs im fuͤnften Jahrhun - dert ward dieſe Provinz 426 von den Roͤmern verlaſſen und eine Beute der Schotten und Picten. Unvermoͤgend ſich ſelbſt gegen dieſelben zu ſchuͤtzen wurden von den Brit - ten die Sachſen und Angeln 449 aus Teutſchland zu Huͤlfe gerufen, die, nach Unterdruͤckung der alten Ein - wohner, ſieben beſondere Koͤnigreiche daſelbſt errichteten. Dieſe brachte Koͤnig Egbert von Weſtſex 818 unter ſeine Herſchaft zuſammen, und ſie erhielten den Namen Eng - land. Edred, Eduards I. dritter Sohn, nimt in der Mitte des zehnten Jahrhunderts zuerſt den koͤniglichen Titel davon an. Heinrich II. ein Sohn des Grafen von Anjou, Gottfried Plantagenet erobert, mit paͤpſtlicher Verguͤnſtigung 1172 die Inſel Irland, davon Koͤnig Heinrich VIII. erſt 1542 den Titel eines Koͤnigs ſich beilegt. Nach dem Tode der Koͤnigin Eliſabeth komt England 1603 an Jakob Stuart Koͤnig von Schottland als naͤchſten Erben, wodurch der Grund zur Verbindung dieſer beiden Reiche gelegt wird. Jedoch erfolgte die voͤllige Vereinigung in einen Staatskoͤrper, unter der Benennung von Grosbritannien, nach mancherley Revolutionen, erſt unter der Koͤnigin Anna durch den Unionstractat vom 6. Aug. 1706 a]. Die Einverleibung Irlands iſt bisher vergeblich verſucht worden: Es iſt vielmehr nach den neuſten Staatsverhandlungen, einabge -94Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,abgeſondertes Reich geblieben, das mit Grosbritannien nur iederzeit ein gemeinſchaftliches Oberhaupt erkent.

*]Alb. Gentilis de vnione regnorum Britanniae, Hanov. 1605. Helmſt. 1669. 4.
*]
a]Schmauß Corp. Jur. Gent. II, S. 1193.
a]

§. 12. Die vereinigten Niederlande.

Auch ſie erkanten der Roͤmer Herſchaft, machten dann einen Theil der fraͤnkiſchen Monarchie aus, und kamen, nach deren Zertheilung unter die Bothmaͤſigkeit Teutſchlands, auſſer Flandern und Artois. Das iuͤn - gere Haus Burgund gelangte durch Heirath, Erbfolge und andere Vertraͤge nach und nach zum Beſitz der mei - ſten dieſer 17 vormaligen beſondern Staaten. Mit dem Tode Herzog Karls des Kuͤhnen 1477 ſtarb der burgundiſche Mannsſtamm aus, und deſſen Lande fielen durch Erbrecht an den Erzherzog, nachherigen Kaiſer Maximilian. Deſſen Enkel, Kaiſer Karl V. brachte die Niederlande an Spanien, vereinigte durch den Madri - ter Frieden 1526 die bisher unter Frankreichs Hoheit ge - ſtandenen Grafſchaften Flandern und Artois damit, und verband hierauf die ſaͤmtlichen Niederlande, unter dem Namen des burgundiſchen Kraiſes, mit dem teutſchen Reiche, ohne ſie iedoch deſſen Gerichtsbarkeit zu unter - werfen. Die heftigen Bedruͤckungen, welche die Nie - derlaͤnder, der Religion wegen, durch Einfuͤhrung der Inquiſition, von Spanien erdulden muſten, brachte ſie endlich dahin, dieſem Reiche den Gehorſam voͤllig auf - zukuͤndigen, und ſich, nach verſchiedenen Buͤndniſſen unter den einzelnen Provinzen und mancherley abwech - ſelnden Schickſalen, 1581 fuͤr einen freien Staat zu erklaͤren. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward auch, wie obge -dacht,95und den europaͤiſchen insbeſondere.dacht, von Spanien und Teutſchland in der Folge foͤrm - lich anerkant.

*]Ioan. L. B. de Meermann ſpecimen juris publici de ſolutione vinculi, quod olim fuit inter S. R. Imp. et foederati Belgii respublicas. Lugd. Bat. 1774. 4.
*]

§. 13. Die Eidgenoſſenſchaft.

Das ehemalige Helvetien war aus verſchiedenen kleinen Staaten zuſammengeſezt, kam unter Julius Cae - ſar an die Roͤmer, und blieb bis ins fuͤnfte Jahrhundert eine roͤmiſche Provinz. Bey der großen Voͤlkerwande - rung bemaͤchtigten Burgunder und Alanen ſich derſelben, muſten aber, unter Chlodowich und deſſen Soͤhnen, die Herſchaft der Franken erkennen. In der Theilung die - ſes Reichs 843 bekam Lothar den burgundiſchen, Lude - wig der Teutſche aber den alemanniſchen Theil der Schweitz. Lezterer brachte iedoch beide wieder zuſammen. In der Folge zerfiel dies Land abermals in mehrere be - ſondere Theile, die bald eigne Herrn hatten, bald dem teutſchen Reiche unmittelbar unterworfen waren, und von Statthaltern regiert wurden. Zur Zeit des Inter - regnums begaben die meiſten ſich unter den Schutz des maͤchtigen Grafen Rudolphs von Habsburg, nachmali - gen Kaiſers. Aber das widerrechtliche Verfahren ſeines Sohns Herzog Albrechts von Oeſterreich und die Haͤrte der Kaiſerlichen Voigte empoͤrte die Schweitzer, und veranlaßte zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame und zu Behauptung der Freiheit 1307, den erſten Bund der drey Waldſtaͤdte Uri, Schweitz und Unterwalden, der 1315 durch ein ewiges Buͤndnis erneuert ward. Dieſer Verbindung traten nach und nach 1332 Luzern, 1351 Zuͤrich und Glarus, 1352 Zug, 1353 Bern,148196Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,1481 Freyburg und Solothurn, 1501 Baſel und Schafhauſen, und 1513 Appenzell bey. Nach vie - len blutigen Kriegen behaupteten ſie endlich wuͤrklich ihre Freiheit, und wurden ſowohl von dem Hauſe Oeſter - reich in verſchiednen Vertraͤgen, als auch von Teutſch - land beym Weſtphaͤliſchen Frieden 1648 fuͤr einen freien Staat erkant, der nachher noch verſchiedene Bundsge - noſſen und Zuſaͤtze erhielt.

*]Franz Michael Bueller Tractat von der Freyheit, Sou - verainetaͤt und Independenz der loͤblichen 13 Orte der Eid - genoſſenſchaft. Baden 1689. 8. Jo. Jac. Moſer gerettete voͤllige Souverainetaͤt der Schwei - tzeriſchen Eidgenoſſenſchaft. Tuͤbing 1731. 4. auch unter dem Titel: Commentarius ad artic. VI. Inſtr. Pacis Weſtph. Frankf. 1731. 4.
*]

§. 14. Der Kirchenſtaat.

Nicht die Entſtehung des Papſts und ſeiner unbe - ſchraͤnkten Gewalt, durch die er vom Pfarherrn bis zum Monarchen ſich emporgeſchwungen, ſondern nur der Theil Italiens, den er als ſouverainer Fuͤrſt beherſcht, komt hier in Betrachtung. Pipin und Karl der Große, die bey ihren Eroberungen in Italien vorzuͤglich des ſchon damals großen Anſehes der Paͤbſte ſich bedienten, theilten den longobardiſchen Raub mit Stephan II. und Hadrian I. 754. 787. ſchenkten ihnen die meiſten zum griechiſchen Exarchat gehoͤrigen Laͤnder und legten da - durch den Grund des Kirchenſtaats. Zwar fehlte den Paͤpſten anfangs die Oberherſchaft uͤber iene Laͤnder; aber ſie wuſten ſolche bald an ſich zu bringen, und ihren Staat durch verſchiedne ſouveraine Provinzen zu vermeh - ren. Einen betraͤchtlichen Zuwachs erhielt derſelbe durch die reiche Erbſchaft der Graͤfin Mathildis 1105. undandere97und den europaͤiſchen insbeſondere.andere Schenkungen, zum Theil auch gewaltſame Erwerb - ungen, beſonders zu Zeiten der Kreuzzuͤge. Rom ward erſt von Innocenz III. 1393 voͤllig unteriocht. Im zwoͤlften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert gingen viele Beſitzungen verlohren, doch wurden ſie nachher meiſtens wieder zuſammengebracht; beſonders unter dem kriegeriſchen Papſt Julius II. der dem Kir - chenſtaate groͤſtenteils ſeinen heutigen Umfang und ſeine Beſtimmung gab.

*]Della origine del dominio et della ſouvranità de Roma - ni Pontefici ſopra gli ſtati loro temporalmente ſoggetti, Dißertazione di F. G. A. Orſi dell ordine di Predica - tori, in Roma 1742. 12.
*]

§. 15. Venedig

War zu der Roͤmer Zeiten unter dem Namen Vene - tien bekant, und gehoͤrte ehemals zum abendlaͤndiſchen Kaiſerthum. Bey dem Umſturz dieſes Reichs durch die Vandalen, Heruler und Oſtgothen, ſuchten die Vene - ter, gegen das Ende des fuͤnften Jahrhunderts ſich von aller Unterwuͤrfigkeit loszumachen, und es gluͤckte ihnen auch, ihre voͤllige Freiheit zu erlangen, und unter man - cherley Veraͤnderungen bis itzt zu erhalten. Die Ober - haͤupter dieſes Freiſtaats hieſſen bis ins ſiebente Jahr - hundert Tribunen: allein die zwiſchen ihnen und dem Volke entſtandenen Uneinigkeiten veranlaßten 697 die Wahl eines algemeinen Oberhaupts unter der Benen - nung des Doge oder Herzogs, dem die Tribunen auf den einzelnen Inſeln untergeordnet wurden. Im Jahr 1172 kam noch eine Verſammlung von Nobili dazu. Durch dieſe und mehrere nachherige Revolutionen erhielt endlich Venedig, beſonders unter dem Herzog Peter Gradeni -Ggo98Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,go II. im Jahr 1298 dieienige ariſtokratiſche Verfaſſung die es groͤſtentheils noch gegenwaͤrtig hat.

*]Examen de la liberté originaire de Veniſe, traduit d’Italien avec une harangue de Louis Helian Ambaßa - deur de France contre les Venetiens traduite de Latin et des remarques hiſtoriques, ſur la copie de Ratis - bonne, 1677. 12. Theod. Graswinckel de libertate Veneta. Lugd. Bat. 1634. 4.
*]

§. 16. Genua.

Die Republick Genua machte in den aͤlteſten Zeiten einen Theil Liguriens aus, und ſtand mit demſelben un - ter roͤmiſcher Hoheit. Alsdann kam ſie nach und nach unter die Bothmaͤßigkeit der Oſtgothen, Longobarden und des teutſchen Reichs, von dem ſie durch Statthalter regiert ward. Nachdem die Stadt von den Sarazenen groͤſtenteils war verwuͤſtet worden, warfen einige angeſe - hene Familien ſich zu Herren uͤber dieſen kleinen Staat auf. Seit der Zeit ward derſelbe durch beſtaͤndige inner - liche Zwiſtigkeiten zerruͤttet, und muſte bald den Schutz, bald die wuͤrkliche Herſchaft auswaͤrtiger Maͤchte, beſon - ders Frankreichs erkennen, bis Andreas Doria 1527 die Franzoſen gaͤnzlich vertrieb und ſeinem Vaterlande die voͤllige Freiheit und Unabhaͤngigkeit nebſt der Regie - rungsverfaſſung verſchafte, die es noch gegenwaͤrtig genießt.

§. 17.99und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 17. Lucca.

Dieſe ehemalige roͤmiſche Kolonie kam, nach dem Um - ſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums an das longobar - diſche, fraͤnkiſche und endlich an das teutſche Reich, und ward ebenfals durch Kaiſerliche Statthalter regiert. Daß dieſe Stadt ihre Freiheit von Kaiſer Rudolph I. fuͤr zwoͤlf tauſend Dukaten erkauft habe, iſt noch ſehr zwei - felhaft. Wenigſtens hat ſie ſeitdem wieder des Reichs und andrer Bothmaͤßigkeit erkannt. Endlich gelangt dieſelbe unter Kaiſer Karl IV. 1370 zur Freiheit, die ſie unter Paolo Giuniſi auf eine kurze Zeit zwar wieder ver - loren, nach Abwerfung deſſen Herſchaft aber fortwaͤhrend behauptet hat. Wird ſie gleich vom Kaiſer noch des heiligen Roͤmiſchen Reichs Stadt genent, ſo hat dieſelbe dagegen ſich doch in dem Beſitz der Unabhaͤngigkeit er - halten.

§. 18. Raguſa.

Dieſer kleine Staat ſoll aus den Truͤmmern der alten Stadt Epidaurus erbaut ſeyn. Er ſteht unter dem Schutz verſchiedener Maͤchte, und hat daher den Namen Heca - mopolis bekommen. Ungeachtet der Papſt und die Republik Venedig dieſer Stadt die Souverainetaͤt nicht zugeſtehn wollen, und ſie nur la Communità di Raguſa nennen, ſo iſt ihr doch die Unabhaͤngigkeit mit Grunde nicht abzuſprechen.

G 2§. 19.100Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 19. San-Marino.

Der kleinſte Staat des Erdbodens: die Italiener nennen ihn nur la Republichetta. Der heilige Marinus, der bey Erbauung der Stadt Arinimi gebraucht ward, und nachher, als Einſiedler, durch ſeinen Eifer in Be - kehrung der Heyden ſich bekant machte, gab ihm den Ur - ſprung. Man baute naͤmlich an dem Orte ſeines Auf - enthalts eine Kapelle und ein Kloſter, bey denen ſich verſchiedene Perſonen nach und nach niederlieſſen, und gegen das Ende des ſechſten Jahrhunderts die Stadt San-Marino errichteten, die ſich bisher in beſtaͤndiger Unabhaͤngigkeit erhalten hat.

*]Von dem mislungenen Verſuche des Cardinals Alberoni, dieſe kleine Republick dem paͤpſtlichen Stuhle zu unterwer - fen, ſehe man Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Frie - denszeiten 1. Th. 1. Buch 1. Kap. §. 12.
*]

§. 20. Beide Sicilien.

Aus den dahin geſchickten ehemaligen Pflanzſtaͤdten Griechenlands bildeten ſich verſchiedene Staaten, die nachher unter die Bothmaͤßigkeit der Roͤmer geriethen. Beim Untergange des abendlaͤndiſchen Reichs bemaͤchtig - ten die Heruler und dann die Oſtgothen ſich dieſer Laͤnder, muſten ſie aber, unter Juſtinian, dem griechiſchen Kai - ſerthum uͤberlaſſen. In der Folge entſtanden verſchiede - ne Fuͤrſtenthuͤmer, unter eignen Oberherrn daraus, wel - che die Soͤhne des normaͤnniſchen Grafen Tankreds von Hauteville, durch Eroberungen, wieder vereinigen. Ro - ger II. wird vom Papſt Anaklet II. zum Koͤnig beider Sicilien gekroͤnt und empfaͤngt ſie als paͤpſtliches Lehn. Nach -101und den europaͤiſchen insbeſondere.Nachher kommen beide Reiche an Regenten aus verſchie - denen Haͤuſern, und zuletzt an Herzog Karl von Anjou, Koͤnigs Ludwig IX. in Frankreich Bruder. Unter ihm reißt Sicilien 1282 ſich los, und unterwirft ſich dem Koͤnig Peter von Arragonien. Drauf ſteht dieſes Koͤnig - reich theils unter arragoniſchen, theils unter eignen Koͤni - gen. Ferdinand der Katholiſche von Spanien bringt auch Neapel an ſich, und vereinigt beide Reiche wieder, die ſeitdem durch Statthalter regiert werden. Bei dem bekannten ſpaniſchen Erbfolgskriege komt durch den Urrechter Frieden 1713 Neapel an das Haus Oeſter - reich, Sicilien aber, als ein beſonderes Koͤnigreich an den Herzog von Savoyen, jedoch wird lezteres, nach - dem es von Spanien wieder erobert worden, ebenfals an Oeſterreich uͤberlaſſen. Im Wiener Frieden 1736 behaͤlt endlich der ſpaniſche Infant Karl dieſe bey Gelegenheit der ſtreitigen Koͤnigswahl in Polen, dem Hauſe Oeſter - reich abgenommenen beiden Reiche, deſſen Nachfolger ſich noch gegenwaͤrtig auf dem Thron befinden.

§. 21. Sardinien

Stand nach und nach unter der Herſchaft der Kar - thager, Roͤmer, Vandalen, der griechiſchen Kaiſer und der Araber. Den Leztern ward dieſe Inſel, vermoͤge einer paͤpſtlichen Schenkung, von den Piſanern entriſſen, und in vier Fuͤrſtenthuͤmer geteilt. Die Haͤupter derſel - ben ſuchten ſich unabhaͤngig zu machen, und geriethen deshalb unter ſich und mit den Piſanern in Streit, dem Kaiſer Friedrich II. dadurch ein Ende machte, daß er ſei - nen natuͤrlichen Sohn Heinz zum Koͤnig von Sardinien erklaͤrte, und es mit Teutſchland vereinigte. Zur Zeit des Interregnums nahmen die Piſaner wiederum Beſitz davon. Papſt Bonifaz VIII. ſchenkt Sardinien demG 3Koͤnig102Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Koͤnig Jokas II. von Arragonien, wodurch es nachher mit Spanien verbunden wird. Durch den Utrechter Frie - den kam Sicilien an Kaiſer Karl VI. ward aber nach - her, vermoͤge der Quadrupelallianz, ſtatt des an Oeſter - reich abgetretenen Siciliens, dem Herzog von Savoyen als ein eignes Koͤnigreich uͤbertragen.

§. 22. Malta.

Dieſe Inſel hatte verſchiedene Beſitzer nach einander, ehe die Roͤmer im zweiten puniſchen Kriege ſie von den Karthagern an ſich brachten. Dieſelbe kam hierauf an die Gothen, Griechen und Araber, welchen Letztern Graf Roger von Sicilien 1090 ſie entriß und mit ſeinen Be - ſitzungen vereinigte. Kaiſer Karl V. uͤberließ ſolche als ſicilianiſches Lehn nebſt noch einigen kleinen Inſeln 1529 dem aus Rhodus vertriebenen Johanniterorden. Seit - dem iſt Malta, als ein unabhaͤngiger Staat, der beſtaͤn - dige Sitz des Großmeiſters dieſes Ordens geweſen.

§. 23. Daͤnemark und Norwegen.

Die aͤlteſte daͤniſche Geſchichte iſt ziemlich dunkel und fabelhaft. Der daͤniſche Staat ſelbſt ſoll ſchon vor Chriſti Geburt von den Cimbern geſtiftet ſeyn. Ge - woͤnlich wird Skiold ein Sohn Odins, in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach Chriſti Geburt, fuͤr den erſten Koͤnig von Daͤnemark ausgegeben. Zwar entſte - hen nachher wieder mehrere unabhaͤngige Staaten dar - aus, die aber Ivar Vidfathmi im ſiebenten Jahrhun - dert von neuem zuſammenbringt und auch Schweden erobert, das iedoch nachher wieder abkomt. Juͤtland, ehemals ein eignes Reich, ward ums Jahr 863 vonGorm103und den europaͤiſchen insbeſondere.Gorm dem Alten mit Daͤnemark vereinigt. Ebender - ſelbe aber muſte, als er ſeine Eroberungen gegen Kaiſer Heinrich den Vogler auch in Teutſchland erſtrecken wol - te, ein anſehnliches Stuͤck von ſeinen Laͤndern dem teut - ſchen Reiche uͤberlaſſen. Unter den Ottonen fuͤhlte Daͤ - nemark die Uebermacht der teutſchen Kaiſer noch mehr, indem es denſelben ſogar zinsbar werden muſte. Indes ſoll Kaiſer Otto der Große den Beherſchern Daͤnemarks die Koͤnigliche Wuͤrde erneuert haben, welches auch unter den nachherigen Kaiſern mehrmals geſchehen. Allein die Gerechtſame Teutſchlands uͤber Daͤnemark kamen nach und nach wieder in Abgang, beſonders ſeitdem Knud VI. ſich den Anmaſſungen Kaiſer Friedrichs I. welcher Daͤne - mark zum Lehen Teutſchlands machen will, mit Nachdruck entgegenſetzt. Norwegen komt unter Knud II. 1028 auf eine Zeitlang an Daͤnemark, wird aber, nachdem es bald eigne Regenten gehabt, bald mit dem erſtern Rei - che verbunden geweſen, ſeit 1387 auf immer damit verei - nigt. Die Koͤnigin Margaretha bringt 1388 auch Schweden dazu: und dieſe drey Reiche ſolten, vermoͤge der bekanten Kalmariſchen Union von 1397, unter ein regierendes Haupt auf ewig vereinigt bleiben, unbeſcha - det uͤbrigens der beſondern Rechte und Freiheiten eines ieden Reichs. Gleichwohl reißt ſich Schweden, nach verſchiedenen vergeblichen Verſuchen, endlich los, und hebt durch Erwaͤhlung eines eigenen Koͤnigs 1523 die vorgedachte Vereinigung auf.

*]Teutſchlands ehemalige Herſchaft uͤber Daͤnemark wird von den Daͤnen beſtritten, wie man aus folgenden Ab - handlungen erſehen kan. Georg. Aug. Detharding de Dania Germaniae nunquam ſubjecta. Hamb. 1744. 4. Joh. Wilh. Franz Freyh. von Krohne Daͤnemarks beſtaͤn - dige Unabhaͤngigkeit, oder gruͤndlicher Beweis, daßG 4Daͤne -104Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Daͤnemark niemals dem teutſchen Reiche unterwuͤrfig oder zinsbar geweſen ſey, aus unverwerflichen hiſtori - ſchen Zeugniſſen dargethan. Hamburg 1777. 8. Chr. Lud. Scheidt demonſtratio quod Dania imperio Germanico nexu feudali nunquam fuerit ſubiecta, in ſcriptis ſociet. Hafnienſis Part. I. n. 5. p. 87. P. II. n. 7. p. 177.
*]

§. 24. Schweden.

Der Urſprung dieſes Reichs iſt eben ſo ungewiß als des Daͤniſchen und als die Erzaͤhlung von einem andern Sohne Odins, Namens Vnge, welcher Schweden und Gothland bekommen haben ſoll. Indes war das ſchwe - diſche Reich ſchon zu den Zeiten des Tacitus bekant. Es ward nachher in mehrere Fuͤrſtenthuͤmer zerteilt, die Ingiald Illraͤde unteriochte, indem er zugleich das bisher verfallene koͤnigliche Anſehn wieder herſtelte. In der Folge war Schweden zuweilen mit Daͤnemark, Ruß - land und andern Reichen bis ins zehente Jahrhundert verbunden. Zu Ende deſſelben erſcheint Olav, als der erſte chriſtliche Koͤnig von Schweden. Magnus I. Ladulaͤs nimt den Titel Koͤnig der Schweden und Go - then an. Nach verſchiedenen Revolutionen wird dieſes Koͤnigreich, wie im vorigen §. gedacht worden, durch die kalmariſche Union mit Daͤnemark zwar auf immer ver - bunden, ſchuͤttelt iedoch 1520 das daͤniſche Joch ab, und macht ſeit der Wahl Guſtavs Waſa im Jahr 1523 ein von eignen Koͤnigen regiertes Reich aus.

§. 25.105und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 25. Polen

War ehemals ein Theil von Sarmatien. Die Er - zaͤhlung von einem Stifter des Koͤnigreichs, Namens Lech im ſechſten Jahrhundert, iſt noch großen Zweifeln unterworfen. Wahrſcheinlicher entſtand dieſer Staat im neunten Jahrhundert unter Piaſt, einem vormaligen Ackermann. Die Beherſcher aus dem piaſtiſchen Stam - me hießen Anfangs nur Herzoge und ſtanden, wenig - ſtens ſeit Miezislav oder Miesko I. unter dem teutſchen Reiche, dem die Polen einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen muſten. Boleslav der erſte, aber noch mehr ſein Sohn Miezislav II. fingen im eilften Jahrhundert an, ſich von der Verbindung mit dem teutſchen Reiche loszureiſſen. Erſterer nahm 1025 den Koͤniglichen Titel an, gerieth aber mit dem teutſchen Reiche deshalb in Krieg. Nach - dem Boleslav II. vom Papſt in den Bann gethan, und des Throns entſetzt worden war, begnuͤgten ſich deſ - ſen Nachfolger eine zeitlang wieder mit dem Herzoglichen Titel, aber Premislav erneuerte 1294 den Koͤniglichen abermals. Seit Vladislav Lokietek, der Gros - und Klein-Polen auf immer vereinigte, iſt Polen iederzeit fuͤr ein unabhaͤngiges Koͤnigreich angeſehen worden.

*]In Anſehung der ehemaligen Reichsverbindung ſehe man: Io. Schultzii tract. hiſt. polit. de Polonia nunquam tributaria. Gedani 1694. 4. Georg. Dav. Alandi diß. de Imperii Rom. Germ. re - gnante ſtirpe Salica habitu et praeſertim erga Polo - niam. Lipſ. 1752. 4.
*]
G 5§ 26.106Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 26. Preuſſen

Beſtand in den aͤlteſten Zeiten aus verſchiedenen klei - nen Voͤlkerſchaften, die mit den Polen in beſtaͤndigen Kriegen lebten. Dieſe riefen daher die teutſchen Ritter zu Huͤlfe, welche ſich daſelbſt niederlieſſen, und ganz Preuſſen, das ſie von Kaiſer Friedrich II. und Gregor IX. geſchenkt bekamen, binnen einigen funfzig Jahren voͤl - lig unter ihre Bothmaͤſigkeit brachten. Der Orden gerieth hierauf ſelbſt mit den Polen in oͤfteren Krieg und muſte endlich im Frieden zu Thorn 1466 ganz Vorder - Preuſſen, als einen Reichsſtand, der Kron Polen uͤber - laſſen, Hinter-Preuſſen aber von ihr zu Lehn empfangen. Durch den Krakauer Frieden 1525 ward der Orden in Preuſſen gaͤnzlich aufgehaben und Hinter-Preuſſen dem letzten Hochmeiſter Albrecht Marggrafen von Branden - burg und ſeinen Erben, als ein weltliches Herzogthum von Polen zu Lehn gereichet, ungeachtet der Kaiſer und der teutſche Orden ſich dagegen ſetzten. In der Folge erlangte das Kurhaus Brandenburg die Mitbelehnſchaft, und nach Abſterben Herzog Albrecht Friedrichs ohne Er - ben 1618 den Beſitz des Herzogthums Preuſſen. Chur - fuͤrſt Friedrich Wilhelm von Brandenburg erklaͤrt ſich in dem Kriege zwiſchen Polen und Schweden gegen ſei - nen Lehnsherrn und erkent 1656 Preuſſen fuͤr ein Lehn der Kron Schweden, die in dem Vertrage zu Labiau dies Herzogthum fuͤr einen unabhaͤngigen Staat erklaͤrt. Allein Preuſſen wird von Polen wieder unterwuͤrfig ge - macht, Kurbrandenburg erhaͤlt iedoch endlich auch von dieſer Krone in dem Welauer Vertrage vom 19. Septem - ber 1657, Art. 5. 6. die voͤllige Unabhaͤngigkeit des Herzogthums Preuſſen, welche im Frieden zu Oliva 1660 beſtaͤttigt wird. Sein Nachfolger Friedrich I. erhebt das nunmehr freie Preuſſen 1701 zu einem Koͤnigreich,wofuͤr107und den europaͤiſchen insbeſondere.wofuͤr es auch die uͤbrigen Maͤchte in Europa nach und nach anerkennen.

*]Joh. Pet. v. Ludewig von dem allzeit ſouverainen Preuſ - ſen: in deſſen gelehrten Anzeigen, 3. Th. S. 156. Io. Gottl. Heineccii Pruſſiae in libertatem adſertae ſpe - cimen, quo probatur eam nullo vnquam titulo Im - perio Germanico fuiße ſubiectam. Halae 1740. 4.
*]
**]Von Teutſchland und des teutſchen Ordens vermeintli - chen Gerechtſamen an das Koͤnigreich Preuſſen, ſehe man Moſers Tr. von Teutſchland 4. Kap. §. 18. S. 111.
**]

§. 27. Hungarn

Ward ſonſt unter dem Koͤnigreich Pannonien begrif - fen, zu Kaiſer Tibers Zeiten beſiegt und zur roͤmiſchen Provinz gemacht. Drauf kam es an die Gothen und Hunnen, welche Leztern dieſem Reiche den heutigen Na - men gaben. Dieſe lebten mit den griechiſchen Kaiſern in beſtaͤndigen Kriegen, wurden von den Oſtgothen und Longobarden auf eine zeitlang wieder vertrieben und von Karl dem Groſſen uͤberwaͤltigt, riſſen ſich gleichwol abermals los, und machten nachher den teutſchen Kai - ſern, die iedoch nicht ſelten die Oberhand uͤber ſie behiel - ten, viel zu ſchaffen. Otto III. ſoll im Jahr 1001 dem Hungariſchen Herzoge Stephan I. die koͤnigliche Wuͤrde erneuert haben, die ſchon Attila der Hunnen Koͤnig fuͤhr - te. Zwar unterwarf Kaiſer Heinrich III. Hungarn als eine Provinz dem teutſchen Reiche dergeſtalt, daß es demſelben einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen muſte; aber dieſe Verbindung dauerte nicht lange. Schon Koͤnig Andreas ſing am 1052 an, die Abtragung des Tributs zu unterlaſſen: und obwohl die folgenden Kaiſer um die Wiederherſtellung des Reichs Oberherſchaft uͤber Hungarnbemuͤht108Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,bemuͤht waren, und Friedrich II. daſſelbe lehnbar mach - te; ſo ſind dieſe Gerechtſame doch ſeitdem voͤllig in Ab - gang gekommen, und Hungarn die Rechte eines unab - haͤngigen Staats zugeſtanden worden. Nach mehrern Regenten aus verſchiedenen Haͤuſern gelangt das Haus Oeſterreich 1526 zum Beſitz dieſes Koͤnigreichs.

§. 28. Rußland.

In den aͤlteſten Zeiten bewohnten verſchiedene Voͤlker dieſe Lande, beſonders Slaven, welche im neunten Jahr - hundert in Novgorod den Grund zu einem neuen Staat legten. Innerliche Uneinigkeiten dieſes anfaͤnglichen Freiſtaats veranlaßten die Wahl mehrerer Regenten, unter welchen Kurick der Stifter eines ziemlich weit - laͤuftigen Reichs ward: Daſſelbe zerfiel nachher wieder in kleine Fuͤrſtenthuͤmer, deren Oberhaͤupter Kneeſen, d. i. Grafen und Herrn hieſſen, und im dreizehnten Jahrhundert groͤſtenteils den Tatarn lehn - und zinnsbar werden muſten. Ivan I. Waſiljewitſch brachte waͤh - rend ſeiner Regierung von 1462 bis 1505 dieſe kleinen Staaten wieder zuſammen, machte der tatariſchen Her - ſchaft 1477 ein Ende, und begruͤndete dadurch das heu - tige Rußland nach ſeinem Hauptumfange. Iwan II. Waſiljewitſch nimt den Titel Zaar, d. i. Koͤnig oder Herzog an, den Peter I., bey Gelegenheit des Nyſtaͤdter Friedens, mit der Kaiſerwuͤrde vertauſcht.

*]Chr. Schoettgenii diß. VII. de originibus Ruſſicis. Dresd. et Lipſ. 1729 31. 4.
*]
§. 29.109und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 29. Die ottomanniſche Pforte.

Die aſiatiſchen Provinzen des ottomanniſchen Reichs wurden in den aͤltern Zeiten ebenfals von verſchiedenen Voͤlkerſchaften bewohnt, unter denen die Tuͤrken, wel - che im ſechſten Jahrhundert zuerſt vorkommen, die merk - wuͤrdigſten ſind. Ihr Reich machte bald einen eignen Staat aus, bald ſtand es unter der Herſchaft andrer Nazionen. Osmann oder Ottomann I. ſtiftete im Jahr 1300 das gegenwaͤrtige ottomanniſche Reich, und nahm zugleich den Titel eines Sultans an. Orchan erſtreckt durch ſeinen Sohn Soliman ſeine Eroberungen 1355 zuerſt bis nach Europa, und Mohamed II. ero - bert endlich 1453 Conſtantinopel, die Hauptſtadt des ehemaligen griechiſchen Kaiſerthums, welche ſeitdem die Reſidenz der tuͤrkiſchen Kaiſer geblieben iſt. Die Beſitz - ungen in dieſem Welttheile ſind es allein, um derent - willen die Pforte zu den europaͤiſchen Staaten gerechnet wird.

§. 30. Verſchiedene Klaſſen der europaͤiſchen Na - zionen.

Die vorgenanten Staaten laſſen ſich, in Ruͤckſicht ihrer Groͤſe, Lage, Regierungsform ꝛc. in verſchiedene Klaſſen theilen, indem einige entweder Land - oder See - maͤchte, Reiche oder Republiken, Erb - oder Wahlrei - che ꝛc. ſind. Dieſe mannichfaltigen Beſtimmungen lernt man in der Geographie und Statiſtick kennen. Keine derſelben aber vermehrt oder vermindert die Eigenſchaft eines freien Volks oder den Gebrauch des Voͤlkerrechts, die einem ieden, nach Verſchiedenheit ſeiner natuͤrlichen und politiſchen Verfaſſung und der daraus entſpringen - den Verhaͤltniſſe, gebuͤhren.

§. 31.110Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 31. Streitige ſouveraine Staaten.

Auſſer dieſen giebt es noch verſchiedene andere Staa - ten, die theils von ihren Beſitzern ſelbſt, theils nur von einigen Schriftſtellern fuͤr ſouverain ausgegeben werden, deren Unabhaͤngigkeit aber bey den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen ſelten oder gar nicht in Betrachtung kommt a], mit unter auch noch manchen Zweifeln unterworfen, oder wohl gar ungegruͤndet und daher nicht durchgaͤngig aner - kant iſt. Zu den Letztern gehoͤren die meiſten italiaͤniſchen Fuͤrſten, die der Herſchaft des reutſchen Reichs ehemals ohnſtreitig unterworfen geweſen, und noch zur Zeit durch nichts davon losgezaͤhlt ſind, die ihre Lande iedoch groͤ - ſtenteils als ſouveraine Staaten regieren, weil die Gele - genheiten ſelten vorkommen, wo die Gerechtſame des Reichs auf einleuchtende Art geltend gemacht werden koͤnten b].

a]Es giebt, ſagt Loyſeau im traité des Seigneuries c. 2. n. 95. kleine ſouveraine Herſchaften, deren Fuͤrſten, ob ſie ſich gleich eben der Gewalt wie die Monarchen bedienen, doch auſſer ihrem Territorium ganz und gar keinen Ehren - rang unter andern Souverainen haben: und Real rechnet dahin z. B. den Herzog von Bouillon, den Fuͤrſten von Monaco und den Grafen von Orval-Bethuͤne, wegen des Fuͤrſtenthums Henrichemont. Science du Gouv. T. V. C. I. Sect. VI. Das Vorgeben von dem ehemals zum Koͤnigreich erhoben ſeyn ſollenden freien Erbgut Yvetot in Frankreich erklaͤren die neueſten franzoͤſiſchen Schriftſteller ſelbſt fuͤr eine Fabel. Real am ang. O. Cap. IV. Sect. 8.
a]
b]Man ſehe hieruͤber: Gottfr. Ruͤhlmanns unwiederrufliches Recht, welches Sr. Kaiſerl. Maj. von wegen des heil. roͤm. Reichs teut - ſcher Nation nicht nur an Parma und Placenz, ſon -dern111und den europaͤiſchen insbeſondere.dern auch ganz Italien, die Stadt Rom und das Pa - trimonium St. Petri haben. Jen. 1709. 4. nebſt 2. Fortſetzungen. La liberté de l Italie demontrée à ſes Princes et à ſes peuples, traduite de l Italien de l Abbé Toſini. Amſt. 1718. 8. Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. K. S. 398. u. f.
b]

Ich will wenigſtens die vornehmſten ſtreitigen ſouve - rainen Staaten kuͤrzlich anfuͤhren. Man rechnet dahin:

1] Das Koͤnigreich Boͤhmen, das zwar ſchon 722 einen ſouverainen Herzog, Namens Przemyſl ge - habt haben ſoll, aber nachher unter Kaiſer Ludwig dem Teutſchen dem Reiche unterworfen wurde. Wenigſtens iſt deſſen Verbindung mit Teutſchland ſeit den Kaiſern Heinrich III. und IV. nicht zu bezweifeln. Letzterer ſoll dem boͤhmiſchen Herzog Wratislav 1086 die koͤnigliche Wuͤrde ertheilt haben, die ſchon Herzog Wenzel Heinrich dem Vogler ausſchlug. Sie wurde 1158 erneuert und ſeit 1292 von allen Beherſchern Boͤhmens gefuͤhrt. Zwar erlangte das Koͤnigreich Boͤhmen in der Folge an - ſehnliche Vorrechte und Befreiungen vom teutſchen Rei - che, beſonders von deſſen Gerichtsbarkeit, dem ungeachtet iſt der iedesmalige Koͤnig von Boͤhmen, als Churfuͤrſt, wegen dieſes Reichslandes noch ein unſtreitiger Stand des teutſchen Reichs: welche Eigenſchaft die Kron Boͤh - men im Jahr 1708 aufs neue anerkant und durch Ueber - nehmung eines Matricular-Anſchlags befeſtigt hat. Auſ - ſer der Verbindung mit Teutſchland wird Boͤhmen uͤbri - gens von ſeinen Regenten mit ziemlich unbeſchraͤnkter Gewalt beherſchet. In den 1756. und folgenden Jahren kam es, wegen der Abhaͤngigkeit Boͤhmens vom teutſchen Reiche zwiſchen Preuſſen und dem Hauſe Oeſterreich zurSpra -112Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Sprache und letzteres ward von erſterm beſchuldigt, daß es zwar unter dem Schutz des Reichs ſtehn, aber deſſen Grundgeſetze nicht anerkennen wolle.

*]Ant. Viriheri Vindiciae Bohemicae, ſive compendioſa deductio famoſae queſtionis ſuper nexu S. R. I. ger - manicum et inclytum regnum Bohemiae intercedente, Nor. et Prag. 1740. 8. Ioh. Nic. Hertii diſſ. de renovato S. R. I. G. et regni Bohemici nexu. Gieß. 1709. und in ſeinen Opuſc. 4. J. J. Moſer von Teutſchland, 2 Kap. §. 5. S. 25.
*]

2] Das Preuſſiſche Schleſien. Schleſien, ſonſt ein Theil Polens, bekam ſeit 1140 eigne Regenten, meiſtens aus dem piaſtiſchen Hauſe, die dem teutſchen Reiche iedoch zinsbar waren. In den Kriegen zwiſchen Polen und Boͤhmen, begaben ſich dieſe Herzoge gewoͤn - lich unter Boͤhmiſchen Schutz. So kam Schleſien end - lich an das Haus Habsburg. Kaiſer Karl IV. erhielt den ſchleſiſchen Tribut zum Geſchenk vom Reiche, und vereinigte Schleſien, mit Bewilligung der Kurfuͤrſten, im Jahr 1355 auf immer mit Boͤhmen. Dadurch ſoll, dem Vorgeben nach, die Verbindung mit dem teutſchen Reiche aufgehaben worden ſeyn, weil Schleſien ſeitdem nichts mehr zu den Reichsanlagen beitragen oder an den uͤbrigen Reichsangelegenheiten Theil genommen habe. Andere hingegen behaupten, daß die damalige Einverlei - bung ohne Loͤſung des bisherigen Bandes zwiſchen Teutſch - land geſchehen, zumal da Boͤhmen ſelbſt ein Reichsland ſey. In dem Breslauer Frieden 1742, Art. 5. ward indes ein großer Theil Schleſiens mit voͤlliger Souverai - netaͤt an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten, und ſolches in dem Dresdner Frieden 1745 beſtaͤttigt. Der Koͤnig nahm hierauf auch den Titel eines ſouverainen Herzogs von Schleſien an, und erhaͤlt denſelben von dem HauſeOeſter -113und den europaͤiſchen insbeſondere.Oeſterreich und den uͤbrigen Maͤchten. Die Garantie iener Friedensſchluͤſſe vom Reiche erfolgte 1751, iedoch ſalvis juribus imperii. Allein der Koͤniglich Preuſſiſche Hof hielt es 1757 fuͤr eine Verwegenheit, zu behaupten, daß dieſe Reſervation der Souverainetaͤt nachtheilig ſey, weil dem teutſchen Reiche kein weiteres Recht dadurch zuwachſen koͤnne, als es vorher gehabt.

*]Moſer von Teutſchland, 2. Kap. §. 8. S. 32. Verſuch des neuſten europ. Voͤlkerr. 1. B. 1. Kap §. 8. S. 13. Beitraͤge in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 7. S. 18.
*]

3] Die Grafſchaft Glatz. Mit dieſer Grafſchaft, die ehemals verſchiedene Herren, die bald mehr, bald we - niger mit Teutſchland in Verbindung ſtanden, hatte, ſeit 1561 aber beſtaͤndig bey der Kron Boͤhmen geblieben war, hat es eben die Beſchaffenheit wie mit Schleſien. Sie ward nebſt demſelben 1742 mit voͤlliger Unabhaͤngig - keit gleichfals an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten, der auch davon die Titulatur einer ſouverainen Grafſchaft annahm.

*]Moſer von Teutſchland, S. 36. Verſuch S. 14.
*]

4] Die zugewandten Orte der Schweitz. In dem weſtphaͤliſchen Frieden 1648 [Oßnab. Art. 7.] wur - den eigentlich nur die dreizehn Cantons der Schweitz fuͤr ſouverain erklaͤrt. Gleichwohl gehoͤren auſſerdem noch eilf ſogenannte zugewandte Orte, oder kleine Staa - ten, die entweder mit geſamter Eidgenoſſenſchaft, oder nur mit einigen Cantons derſelben im Buͤndnis ſtehn, zu dem ſchweitzeriſchen Staat, oder Helvetien. Unter dieſen Orten befinden ſich ohnſtreitig verſchiedene Lehen und andere Stuͤcke, welche des Reichs Oberherſchaft ehemals anerkant haben, und zur Zeit davon ausdruͤck - lich noch nicht befreit worden ſind, weil der vorerwaͤhnteHFriedens -114Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Friedensſchlus auf ſelbige nicht fuͤglich zu erſtrecken iſt. Die iedoch groͤſtentheils im Beſitz der Souverainetaͤt ſich befinden.

*]Moſer am angef. O. §. 13. S. 40. Verſuch S. 18.
*]

5] Dahin gehoͤrt beſonders die Stadt Genf. Die - ſe kleine Republik war, als eine freie Reichsſtadt, wie einige vorgeben, ehemals der Hoheit des teutſchen Reichs allerdings unterworfen, die auch noch Kaiſer Karl V. zu behaupten ſuchte. Sie muſte iedoch oͤfters die Regierung anderer Herrn, vorzuͤglich der Herzoge von Savoyen und der Biſchoͤfe zu Genf erkennen. Sie trat deshalb mit einigen Schweitzer-Cantons im Bund, und vereitelte nicht nur den Unteriochungsverſuch Herzog Karl III. von Savoyen im Jahre 1521, ſondern entledigte ſich auch 1533 der biſchoͤflichen Gewalt, durch Annehmung der reformirten Religion. Seit der Zeit ſoll Genf die Sou - verainetaͤt erlangt haben. Nachher begab die Stadt 1579 ſich in franzoͤſiſchen Schutz, erneuerte auch die Buͤndniſſe mit den Schweitzer-Cantons, beſonders Zuͤrch und Bern oͤfters; weshalb ſie itzt den zugewandten Orten beigezaͤhlt wird. Das Reich hat ſich ſeiner An - ſpruͤche nun zwar freilich noch nicht begeben, indes befin - det ſie ſich, wie Zech im europaͤiſchen Herold ſagt, in posſeſſione vel quaſi der Souverainetaͤt, und ſtehet da - hin, ob ſie nicht, gleich den ſchweitzeriſchen Cantons, durch den weſtphaͤliſchen Frieden der Dependenz von des Reichs Gerichtsbarkeit erlaſſen zu ſeyn vorgeben moͤchte?

*]Moſer von Teutſchland, 4. Kap. §. 25. S. 143. Bei - traͤge in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 10. S. 31.
*]

6] Das Grosherzogthum Toſcana. Daſſelbe machte ehemals einen Theil Hetruriens aus, und hatte mit den uͤbrigen italiaͤniſchen Staaten gleiches Schickſal. Bey115und den europaͤiſchen insbeſondere.Bey der Abnahme des kaiſerlichen Anſehens in Italien bildeten ſich daraus verſchiedene Freiſtaaten, die nachher in das Herzogthum Florenz oder Toſcana zuſammen - ſchmolzen. Dieſes in der Folge durch Papſt [1569] und Kaiſer [1576] zum Grosherzogthum erhabene Land war der Oberherſchaft des Reichs ohnſtreitig unterwor - fen, obgleich nicht Florenz ſelbſt, ſondern nur einige Nebenſtuͤcke von demſelben zu Lehen gingen. Johann Gaſto, der letzte Grosherzog aus dem Hauſe Medicis, wolte iedoch Toſcana fuͤr unabhaͤngig vom Reiche ausge - ben, weil die Kaiſer ſeit Jahrhunderten kein Hoheits - recht daruͤber ausgeuͤbt haͤtten, aber Kaiſer Karl VI. be - hielt die Oberhand, und das Grosherzogthum Toſcana wurde in der ſogenanten Quadrupelallianz 1718, Art 5. fuͤr ein unbezweifeltes Lehen des teutſchen Reichs aner - kant, das auf den Abgang des mediceiſchen Stams an den ſpaniſchen Prinzen zweiter Ehe Philip V. fallen ſol - te. Das Reich gab auch, unter dieſen Bedingungen, am 9. December 1722 ſeine Einwilligung dazu. Ver - geblich proteſtirte Herzog Gaſto 1723 wider dieſe Lehns - eigenſchaft ſeines Grosherzogthums. In den Wiener Friedenspraͤliminarien 1735 hingegen wurde die vorige Diſpoſition geaͤndert, und Toſcana, auf obigen Fall, dem Herzoge von Lothringen, ſtatt der an Frankreich abzutre - tenden Herzogthuͤmer Lothringen und Aar, zugeſichert, ohne einer Lehnbarkeit oder Unabhaͤngigkeit zu gedenken. Jedoch verſicherte der Kaiſer, in dem desfals ans Reich erlaſſenen Commiſſions-Decret vom 25. Maͤrz 1736, daß die Gerechtſame des Reichs in Anſehung Toſcana, Par - ma und Piacenza bey dieſem neuen Syſtemate keine wei - tere Gefahr und Anſtoß wie ehedeſſen zu befahren. Gleich - wohl geſchah der Lehnseigenſchaft im Definitiv-Frieden weiter keine Erwaͤhnung. Der Herzog Franz Stephan von Lothringen erhielt hierauf 1737 die Eventualbelehn - ung uͤber Toſcana und gelangte noch in demſelben JahreH 2zum116Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,zum Beſitz des Grosherzogthums. Seit der Zeit iſt von einer Reichs-Belehnung nichts weiter zu hoͤren geweſen, und die Grosherzoge beherſchen ihre Lande groͤſtentheils als ſouveraine Herrn. Daß aber die wuͤrkliche Souve - rainetaͤt aus vorgedachten Friedensſchluſſe herzuleiten ſey, wie Neyron a] und Andere vorgeben, iſt ſchwer - lich zu behaupten, weil das Reich ſeine diesfalſigen Anſpruͤche keinesweges aufgegeben zu haben ſcheint, in - dem ſeit 1742 und noch in der neuſten Wahlcapitulation Art. X. §. 10. verſehen wird, daß der Kaiſer die Reichs - lehen in Italien, beſonders nach Maasgabe des obangezo - genen Reichsgutachtens vom 9. Dec. 1722 worinn die Lehnbarkeit von Toſcana ausdruͤcklich bedungen, aufrecht erhalten ſolle.

a]Neyron principes du droit des gens, Ch. V. Art. 3. §. 139.
a]
*]Memoire ſur la liberté de l Etat de Florence, 1721. 4. Fr. Lud. N. D. de Berger Vindicatio juris imperialis in magnum Tuſciae ducatum, ſive confutatio Scrip - tionis cui titulus: Memoire etc. 1723 4. Notizia della vera liberta Florentina conſiderata ne ſuoi giuſti limiti per l ordine de ſecoli con la ſincera Diſamina, e Confutazione delle Scritture e Teſi, che in varj tempi ed a noſtri ſono ſtate publicate per negare ed impugnare i Sovrani Dritti degli Au - guſtiſſimi Imperadori e del Sacro Romano Imperio ſovra la Città e lo ſtato di Firenze e il Gran Du - cato di Toſcana P. III. Mediol. 1724-26. fol. Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. Kap. §. 24. S. 412. Verſuch ꝛc. 1 B. 1. K. §. 8. S. 15.
*]

7] Die Herzogthuͤmer Parma und Placenz. Aehnliche Beſchaffenheit hat es mit dieſen beiden Her - zogthuͤmern. Sie waren in den aͤltern Zeiten zweyanſehn -117und den europaͤiſchen insbeſondere.anſehnliche Staͤdte Galliens, kamen nach und nach an die Roͤmer, Longobarden, Franken und endlich an das teutſche Reich. Im mitlern Zeitalter aber ſuchten ſie ſich loszureiſſen, und erkanten bald dieſen bald ienen Herrn. Am meiſten behaupteten die Paͤpſte die Hoheit daruͤber. Paul III. belehnte 1545 ſeinen natuͤrlichen Sohn, Peter Aloyſius Farneſe damit, und erhob, wiewohl mit groſ - ſen Widerſpruch Kaiſer Karls V. dieſe beiden Staͤdte ſogar zu Herzogthuͤmern. Doch gab Karl in der Folge einigermaaßen nach, als Herzog Oetavius, des vorigen Sohn, ſich mit des Kaiſers natuͤrlichen Tochter Marga - rethe, Grosherzog Alexanders zu Florenz Witwe ver - maͤhlte. In der Quadrupelallianz Art 5. wurden dieſe beiden Herzogthuͤmer fuͤr unſtreitige Reichslehen erklaͤrt, und die Erbfolge darinn, nach Abſterben des damals regierenden Hauſes, dem ſpaniſchen Infanten Don Car - los, wegen der Anſpruͤche ſeiner Mutter, als naͤchſten Anverwandtin, darauf bedungen. Zwar proteſtirte der Papſt 1723 dagegen, und es entſtanden, als 1731 die - ſer Fall mit dem Tode Herzog Anton Farneſe eintrat, weitlaͤuftige Irrungen deshalb zwiſchen dem kaiſerlichen und paͤpſtlichen Hofe: doch ſiegte der erſtere, und Don Carlos wurde mit Parma und Piacenza wuͤrklich belie - hen. Gleichwohl verſuchte eben dieſer Don Carlos nicht lange darnach dieſen Landen auf alle moͤgliche Art eine Unabhaͤngigkeit beizulegen. Als derſelbe aber durch den Wiener Frieden zu den Beſitz beider Sicilien gelangte, erhielt das Haus Oeſterreich dagegen, mehrgedachte Her - zogthuͤmer [des beym Grosherzogthum Toſcana erwaͤhn - ten Reichsgutachtens von 1722 und kaiſerlichen Com - miſſions-Decrets von 1736, ungeachtet] avec le plein droit de proprieté. [Wien. Friede 1738 Art. 7.] End - lich kamen ſie im Aachner Frieden 1748 Art. 4. ohne weitere Erwaͤhnung ihrer Eigenſchaft, an den ſpaniſchen Infanten Don Philip, Bruder des Koͤnigs beider Si -H 3cilien.118Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,cilien. Herzog Philip behauptete daher, als er, auf Verlangen des Kaiſers, die Lehen befolgen ſolte, er habe die Herzogthuͤmer ohne die geringſte Meldung einer Lehn - barkeit, als unabhaͤngige Staaten bekommen. Dies ſcheint iedoch, nach dem obangefuͤhrten 10. §. der Wahl - capitulation, die Meinung des teutſchen Reichs nicht geweſen zu ſeyn. Auch hat der Papſt ſeine Anſpruͤche darauf ſeitdem mehrmalen zu erneuern geſucht.

*]J. H. G. Juſti Abhandlung von Abtretung eines Reichs - lehns in dem Frieden mit auswaͤrtigen Maͤchten, worinn zugleich erwieſen wird, daß die Herzogthuͤmer Parma, Piacenza und Guaſtalla noch wuͤrkliche Reichslehen ſind. Frankf. und Leipz. 1758, 4. und in Select. Jur. Publ. Novifſ. p. XXX. p. 220. Moſers Auswaͤrt. Staatsrecht, 5. Buch 3. K. S. 410. Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 8. §. 17. Beitraͤge in Frie - denszeiten ꝛc. 1. B. 1. K. §. 8. S. 21.
*]

8] Guaſtalla. Mit dieſem kleinen Herzogthum hat es faſt gleiche Bewandnis. Es war ehedem ein unſtrei - tiges Reichslehn. Nach Abſterben des letzten Herzogs aus dem Hauſe Gonzaga-Mantua 1746, nahm es Oeſter - reich, als ein Pertinenzſtuͤck von Mantua in Beſitz, trat es aber, nebſt Parma und Piacenza im Aachner Frieden an den ſpaniſchen Infanten Don Philip ab. Wurde dabei gleich der Lehnseigenſchaft nicht gedacht, ſo folgt doch daraus die Unabhaͤngigkeit eben ſo wenig, zumal das Reich eigentlich gar keine Notiz davon nahm.

*]Moſers Beitraͤge, am ang. O. S. 30.
*]

9] Einige wollen ſogar das Herzogthum Savo - yen fuͤr ſouverain ausgeben; aber es iſt ohnſtreitig ein Reichslehn, und der Koͤnig von Sardinien hat als Her - zog von Savoyen noch itzt das Sitz - und Stimmrechtauf119und den europaͤiſchen insbeſondere.auf Reichstaͤgen, ob er es gleich nicht ausuͤbt, auch von ſeinem Matrieularanſchlage und an Kammerzielern nichts bezahlt. Die Entfernung vom Reiche macht die Ver - bindung mit demſelben indes freilich faſt unmerkbar, und die Unabhaͤngigkeit deſto ſcheinbarer.

*]Moſer von Teutſchland, 1. B. 2. K. §. 16. S. 46.
*]

10] Der Republik Genua pflegt die Souveraine - taͤt gewiſſermaaßen auch beſtritten zu werden; wiewohl aus minder triftigen Gruͤnden. Zwar ſtand dieſelbe in aͤltern Zeiten allerdings unter der Oberherſchaft des Reichs. Die Kaiſer ſuchten auch in neuern Zeiten zu - weilen noch einige Gerechtſame uͤber die Republik auszu - uͤben; demungeachtet hat ſie ſich im Beſitz der Unabhaͤng - igkeit behauptet, ſolche wird von den uͤbrigen europaͤi - ſchen Maͤchten erkant und von Teutſchland dermalen un - angefochten gelaſſen.

*]Chr. Gottl. Reinhard Genuenſium libertatis non ſu - premae juris gentium ſed Caeſari atque Imperio ſubor - dinatae brevis adumbratio. Ien. 1746. 4. Memoires touchant la Superiorité imperiale ſur les villes de Genes et de St. Remo ainſi que ſur toute la Ligurie, 2 Parties, Ratisbonne 1768. 8. Eßai ſur l origine et le progrès de la pretenduë inde - pendence Genoise, 1769. 8. Moſers ausw. Staatsrecht. 6. B. 15. K. §. 1. u. f. S. 462. Beitraͤge am ang. O. S. 31.
*]

Neyron a] rechnet unter die ſtreitigen Souverains auch noch den Papſt, den Grosmeiſter des Malthe - ſerordens und die Kurfuͤrſten: ſo wie er hingegen den Herzog von Modena fuͤr unabhaͤngig ausgiebt. Von den erſtern beiden iſt ſchon oben die Rede geweſen, von den uͤbrigen wird weiter unten noch etwas vorkommen. H 4End -120Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Endlich ruͤgt Moſer b], daß in der Buͤſchingſchen Geo - gravhie von Italien, 1] Bozzolo, 2] Sabionetta, 3] Mirandola, 4] Novellara, 5] Maſſa-Carrara, 6] Maſſerano, 7] Caſtiglione und 7] Solferino als ſouveraine Fuͤrſtenthuͤmer ausgegeben wuͤrden, da ſie doch, auſſer Maſſerano, von dem er keine Nachricht habe, als Reichslehen, ſaͤmtlich unter teutſcher Oberher - ſchaft ſtuͤnden. So viel ich aber gefunden, iſt ihre Ei - genſchaft von dem Herrn O. C. R. Buͤſching meiſtens richtig angegeben worden.

a]Principes du droit des gens, L. I. C. 3. Art. 1. §. 67. C. 4. Art. 3. §. 139.
a]
b]Beitraͤge in Friedenszeiten, 1. B. 1. K. §. 14. S. 39.
b]

§. 32. Halbſouveraine Staaten.

Ferner giebt es gewiſſe Staaten, die zwar nicht voͤl - lig ſouverain und unabhaͤngig ſind, weil ihre Regenten in der That noch ein Oberhaupt uͤber ſich erkennen, die im uͤbrigen aber, beſonders in Beziehung gegen andere ſouveraine Staaten, alle eigentlich nur aus der Unab - haͤngigkeit flieſſende Gerechtſame ausuͤben und ſelbſt in Ruͤckſicht des Oberhaupts ſolche Vorrechte genieſſen, die mit den Begriffen der Unterthaͤnigkeit ſich nicht wohl vereinbaren laſſen, die ihre Lande auch nicht in des Obern, ſondern in ihrem eignen Namen regieren: alles iedoch in Gemaͤsheit der zwiſchen ihnen und dem Ober - haupte verhandenen Grundvertraͤge. Man kann dieſe Staaten fuͤglich halbſouveraine nennen.

*]Dieſe Benennung iſt zwar hauptſaͤchlich nur in den Schrif - ten des Herrn Etatsrath Moſer angenommen und in den europaͤiſchen Staatsſchriften noch nicht gewoͤnlich, ſie ſcheint mir indes der Sache gut zu entſprechen [MoſersBei -121und den europaͤiſchen insbeſondere.Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 508.] J. N. Herz in Diß. de diviſione regnorum vel quaſi giebt dieſen Staa - ten Sect. I §. 2. den Namen quaſi regna nach der Ana - logie von Quaſi-Contracten ꝛc. Real nent mit Loyſeau [des Seigneuries] dergleichen Regenten abhaͤngige Fuͤrſten, [princes ſujets] die zwar Souverainetaͤtsrechte uͤber das Volk, nicht als Beamte, ſondern eigenthuͤmlich als Herrn haben, die aber nichts deſtoweniger einen Obern erkennen, dem ſie unterworfen ſind. [Science du Gou - vern. T. 4. C. 2. §. 19.] Neyron principes du D. d. G. §. 65. ſagt: Actuellement l on a deux ſortes d Etats principaux nommés Etats du prémier et du ſecond ordre. Diſtinction priſe de l entière independance, ou de la liaiſon féodale dans laquelle ſe trouvent quelques uns, qui d ailleurs jouiſſent auſſi de tous les droits de ſuperiorité territoriale.
*]

§. 33. Dahin gehoͤren die teutſchen Reichsſtaͤnde.

Zu den ſogenanten halbſouverainen Staaten werden vorzuͤglich die teutſchen Reichsſtaͤnde gerechnet. Die ſon - derbare und eigne Verfaſſung des teutſchen Reichs hat, ſeiner maͤchtigen und angeſehenen Reichsſtaͤnde wegen, in Beſtimmung der Regierungsart deſſelben, den Staats - rechtsgelehrten von ieher viel zu ſchaffen gemacht. Sie haben ihm die monarchiſche, ariſtokratiſche, demokrati - ſche, oligarchiſche und alle moͤgliche Regierungsformen anzupaſſen geſucht. Es iſt dies auch ohnſtreitig eine der verwickelteſten Materien des teutſchen Staatsrechts, de - ren grundgeſetzmaͤſige Eroͤrterung aber nicht ohne Nutzen iſt. Hier iſt der Ort nicht, die unendlich verſchiedenen Meinungen davon anzufuͤhren und zu unterſuchen. Es gnuͤgt uns, dermalen zu beſtimmen: ob die teutſchen Reichsſtaͤnde den ſouverainen Staaten in Europa beizu -H 5zaͤhlen122Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,zaͤhlen und ob ihre Verhaͤltniſſe gegen einander, gegen das Oberhaupt des Reichs und gegen andre unabhaͤngige Nazionen nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur - theilen ſind? Zwar haͤngt die Beantwortung dieſer Frage großenteils von Beſtimmung der Regierungsform ab; man mag indes deren eine annehmen, welche man will, ſo beruht das Hauptwerk auf folgende Punkte:

I. Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind nicht voͤllig ſouverain. Leibnitz und Andere a] haben ſich zwar vie - le Muͤhe gegeben, zu beweiſen, daß die Souverainetaͤt ihnen zukomme, und ſie von auswaͤrtigen Maͤchten die - ſen Titel erhalten, dieſe auch mit comme de ſouverain à ſouverain gehandelt haben. Wenn man die reichsſtaͤndi - ſche Verfaſſung an ſich und gegen andere Staaten, auſ - ſer der Verbindung mit dem Reiche, betrachtet, ſo fin - det man allerdings bey den meiſten faſt alle Erforderniſſe unabhaͤngiger Staaten. Dem ungeachtet iſt aber auch nicht abzulaͤugnen, daß die Reichsſtaͤnde nach dem aus - druͤcklichen Inhalt der Reichsgrundgeſetze [Reichs-Abſchied von 1566, §. 6. und an mehrern Orten] den roͤmiſchen Kaiſer, als das Oberhaupt im Reiche uͤber ſich erkennen, dem ſie in gewiſſen Stuͤcken Rechenſchaft von ihrer Re - gierung geben muͤſſen. Folglich mangelt ihnen, in Ruͤck - ſicht dieſer Verbindung mit dem Reiche, deſſen Theile ſie ausmachen, eine Haupteigenſchaft der Unabhaͤngigkeit, die, auſſer Gott, keinen Hoͤhern auf Erden uͤber ſich zu haben, und ſie beſitzen daher die Souverainetaͤt wenig - ſtens nicht nach ihrem ganzen Umfange b]. Der Kaiſer will auch nicht zugeben daß die Staͤnde des Reichs ſich den Titel ſouverainer Herrn von Reichslanden beilegen, wiewohl es zuweilen dennoch geſchieht c].

II. Die Reichsſtaͤnde koͤnnen aber auch nicht nach den gewoͤnlichen Begriffen der Unabhaͤngig - keit beurteilt werden d]. Wiewohl die Ausdruͤcke:Gehor -123und den europaͤiſchen insbeſondere.Gehorſam und Unterthaͤnigkeit in den Reichsgrund - geſetzen von den Reichsſtaͤnden nicht ſelten gebraucht wer - den, ſo zeigt doch ſchon der faſt immer dabei befindliche Zuſatz: des Reichs [z. B. Unſern und des Reichs Unterthanen, bey den Pflichten, Eiden und Gehorſam, ſo ſie uns und dem heil. Reiche gethan] daß ſie nicht als gemeine Unterthanen des Kaiſers anzuſehen ſind, und daß man, wie die Staͤnde des Reichs gegen Kaiſer Karl V. bey Gelegenheit der Achtserklaͤrung der Kurfuͤrſten von Sachſen, aͤuſſerten, mit gebohrnen und von Gott geſetzten Reichsfuͤrſten nicht wie mit roͤmiſchen Untertha - nen verfahren koͤnne. Dieſe Unterthaͤnigkeit bezieht ſich hauptſaͤchlich auf die Verbindung der Reichsſtaͤnde in einen politiſchen Koͤrper. Das Recht, einen Staat nicht als Beamter, ſondern als Eigenthuͤmer, in eignem Namen, zu regieren, die Rechte der Geſandſchaften, der Buͤndniſſe, des Kriegs und Friedens ſind unſtreitige Souverainetaͤtsgerechtſame: und wenn dergleichen einem vorher wuͤrklichen Unterthanen gegen andere Staaten und zum Theil gegen das Oberhaupt ſelbſt zugeſtanden wer - den, ſo faͤlt die damit nicht wohl zuvereinbarende Unter - thaͤnigkeit beinah von ſelbſt weg e], oder wenn eine Ab - haͤngigkeit dennoch ausdruͤcklich beibehalten wird, kann ſolche, iener vorzuͤglichern und uͤberwiegendern Rechte wegen, in der Anwendung ſelten einige Wuͤrkung haben. Dies duͤrfte auch der Fall wenigſtens in Anſehung der vornehmſten teutſchen Reichsſtaͤnde ſeyn.

III. Die Regierungs - und Hoheitsrechte der teutſchen Reichsſtaͤnde werden, den Grundgeſetzen gemaͤs, die Landeshoheit [ſuperioritas territo - rialis] und die Regenten Landesherrn genant.

A. Der Name: ſuperioritas territorialis [Lan - deshoheit] iſt neuern, und, wie Treuer f] gezeigt hat, franzoͤſiſchen Urſprungs. Er hat ſeine Entſtehung haupt -ſaͤch -124Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,hauptſaͤchlich dem weſtphaͤliſchen Frieden zu danken. Die ehemaligen gleichbedeutenden Benennungen waren: Lan - desobrigkeit, Landesfuͤrſtliche Obrigkeit, Ober - herlichkeit, Oberbothmaͤßigkeit, Hoheit, lat. ban - num, omnimoda jurisdictio, merum et mixtum imperium, regalia, auch ſuperioritas etc. Nach der Meinung des Leibnitz und einiger Andrer ſoll der Ausdruck: ſuperiori - tas territorialis eins ſeyn mit der Souverainetaͤt. Hoc quod nos vocamus ſuperioritatem territorialem, ſagt Er - ſterer [in Caeſ. Fürſtenerio de ſuprem. c. X.] idem cum eo eße videtur, quod Galli etiam vocant la ſouveraineté etc. Aus triftigern Gruͤnden aber behauptet Thoma - ſius g], daß man zuweilen faͤlſchlich einen Unterſchied zwiſchen ſuperioritas und ſuperioritas territorialis mache, wenn man unter erſterer die Souverainetaͤt, unter letzte - rer aber nur die Landeshoheit verſtehen wolle; weil der Zuſatz: territorialis die Sache keinesweges verringere, beyde Ausdruͤcke auch im weſtphaͤliſchen Frieden ohne Unterſchied von den Reichsſtaͤnden gebraucht wuͤrden.

B. Der Begrif der Landeshoheit wird von den Staatsrechtslehrern gar verſchieden angenommen, je nachdem ſie die Souverainetaͤt der Reichsſtaͤnde mehr oder weniger beguͤnſtigen. Der Reichsverfaſſung am gemaͤßeſten wird die Landeshoheit als der Inbegrif aller Regierungsrechte beſchrieben, welche ein Reichsſtand, gleich andern Souverainen, zum Wohl ſeiner Lande und Unterthanen ausuͤben kan, inſofern er durch die Reichs - oder Landesgrundgeſetze darin nicht eingeſchraͤnkt iſt. Sie enthaͤlt im Grunde alle Gerechtſame der Souverainetaͤt, nur daß ſolche der Reichsverbindung zum Nachtheil und den Grundgeſetzen des Reichs zuwider nicht ausgeuͤbt werden duͤrfen. Jedoch iſt dieſe Landeshoheit, nach des Herrn Etatsrath Moſers Erinnerung, von der wahren Souverainetaͤt noch weit unterſchieden h].

C. 125und den europaͤiſchen insbeſondere.

C. Der Urſprung und Grund der Landeshoheit, die groͤſtenteils auf dem Herkommen beruht, durch den weſtohaͤliſchen Frieden, beſonders Art. VIII. §. 1. u. 2. des Oßnabruͤckſchen und Art. IX. §. 62. u. 63. des Muͤn - ſterſchen Inſtruments aufs kraͤftigſte beſtaͤtigt und in neuern Zeiten immer mehr erweitert worden iſt, werden in den Schriften des teutſchen Staatsrechts eroͤrtert i].

Aus dieſem allen erhellet, daß die teutſchen Reichs - ſtaͤnde, ob ſie gleich nicht fuͤr voͤllig unabhaͤngig zu ach - ten, weil ſie den Kaiſer uͤber ſich haben, dennoch in denen durch die Reichsgrundgeſetze nicht beſchraͤnkten Stuͤcken, alle Souverainetaͤtsgerechtſame, beſonders auch in aus - waͤrtigen Beziehungen, als des Kriegs und Friedens, der Geſandſchaften und Buͤndniſſe, ſowohl gegen ande - re ſouveraine Nazionen, als zum Theil gegen einander und gegen das Oberhaupt des Reichs auszuuͤben befugt ſind, daß ſie folglich in dieſen Materien nothwendig nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts beurteilt werden muͤſſen k].

Worauf die Landeshoheit hafte und welcher Gattung von Reichsſtaͤnden ſie zukomme? gehoͤrt ebenfals fuͤr die Staatsrechtslehre l]. Uebrigens wuͤrde es hier zu weit - laͤuftig ſeyn, die ziemlich an dreihundert ſich belaufende Staaten, woraus das teutſche Reich beſtehet, einzeln zu beruͤhren. Ich ſetze deren Kentnis daher aus der teut - chen Reichsgeſchichte und dem Staatsrechte voraus m].

a]Caeſarinus Fürſtenerius de jure ſuprematus ac legationis principum Germaniae, Norimb. 1678. 8. und oͤfter. Jo. Wilh. de Goebel diß. de juribus procerum imperii majeſtaticis. Helmſt. 1718. 4.
a]
b]Real Science du Gouvernement T. IV. Ch. II. Sect. III. §. 19.
b]
c]Moſers Verſuch des europ. V. R. 1. B. 1. K. §. 11. S. 27.
c]d]126Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
d]Io. Klein diß. de praerogativa principum imperii Roſt. 1698. 4. Ch. Hoffmann diß. de ſtatibus imperii liberis non ſub - ditis. Viteb. 1706. 4. Io. Theod. Scheffer diß. de inſigni praeeminentia prin - cipum imperii maiorum prae principibus et ſtatibus aliorum Europae regnorum. Tubing 1732. 4.
d]
e]Vattel [1. B. 1. K. §. 11.] ſieht die Hoheitsgerechtſame gegen Auswaͤrtige nicht ohne Grund fuͤr ein vorzuͤgliches Kenzeichen der Unabhaͤngigkeit an, und behauptet daher, daß die von den Roͤmern eroberten Provinzen, ſelbſt die meiſten ihrer ſogenanten Freunde und Bundsgenoſſen, ob ſie ihnen gleich ihre eigne Regierung und Geſetze gelaſſen, doch nicht fuͤr frey zu halten geweſen, weil ſie in auswaͤr - tigen Staatsgeſchaͤften voͤllig von den Befehlen Roms ab - hingen.
e]
f]Gottl. Sam. Treuer de origine nominis ſuperioritatis territorialis e Gallia arceßenda. Helmſt. 1732. 4.
f]
g]Chr. Thomaſii diß. de injuſta oppoſitione jurium maje - ſtaticorum ſuperioritatis territorialis et reſervatorum Imperatoriorum. Halae 1696. 4.
g]
h]J. J. Moſers Tr. von der Landeshoheit derer teutſchen Reichsſtaͤnde uͤberhaupt, Frankf. und Lpz. 1773. 4. Joh. Steph. Puͤtter von beſondern Beſtimmungen der Lan - deshoheit in ſofern ſie noch eine hoͤhere Gewalt vom Kaiſer und Reich uͤber ſich hat; in deſſen Beitraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrechte 1. Th. n. XVIII. S. 299-316.
h]
i]Ernſt. Ioachim Weſtphal Diß. de genuina origine potentatus principum in Imperio Rom. Germ. Ien. 1721. 4. Puͤtter von dem Urſprunge der Landeshoheit; in deſſen Beitraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrecht, 1. Th. S. 107. u. f.
i]k]127und den europaͤiſchen insbeſondere.
k]Pleno jure gentium frui, quod in legatis, bello, pace, foederibus conſiſtit. Fürſtenerius cap. XXXIII.
k]
l]Man hat hieruͤber eine Menge einzelner Schriften, davon ich nur etliche anfuͤhren will. Jo. Zach. Gleichmann al. Helmond, de ſuperioritate territoriali et de praerogativis ducum in Imp. Rom. Germ. Erf. 1748. 4. Io. Heinr. Boeckler de ſuperioritate territoriali comi - tum imperii. Arg. 1710. und in Luͤnigs Theſauro juris der Grafen und Herrn p. 752. Io. Dauthii hypotheſis: utrum civitates Imp. librae jura principis in ſuis rebus publicis obtineant. Han - nov. 1607. 4. Chr. Wildvogel diß. de ſuperioritate territoriali civita - tum imperialium. Ien. 1709. 4. Io. Henr. Felz diß. ſuperioritatis territorialis S. R. I. nobilitati immediatae denuo aßerta. Arg. 1725. 4. Steph. Chr. Harprecht de Harprechtſtein diß. de Sacri Rom. Imp. liberae et immediatae nobilitatis jure ſtatus imperialis et ſuperioritatis territorialis. Kilon. 1727. 4.
l]
m]Da bey dem teutſchen Neiche und deſſen Staͤnden ſo mancherley Verhaͤltniſſe, auch in auswaͤrtigen Beziehungen, vorkommen, indem man Teutſchland entweder unter ſeinen. Oberhaupt dem Kaiſer, als einen Staatskoͤrper, oder nur gewiſſe Gattungen der Staͤnde z B. die Staͤnde eines Krai - ſes, das Kurfuͤrſtliche, Fuͤrſtliche ꝛc. Kollegium, das Cor - pus Evangelicorum und Catholicorum oder einzelne Staͤn - de, und zwar wieder nach ihren verſchiedenen Klaſſen, als Kurfuͤrſten, Fuͤrſten, Grafen, Reichsſtaͤdte ꝛc. insgeſamt aber nach dem Unterſchiede des Verhaͤltniſſes gegen Aus - waͤrtige, gegen das geſamte Reich, gegen den Kaiſer, roͤ - miſchen Koͤnig, die Vikarien und gegen einander ſelbſt betrachten kan, ſo will ich kuͤnftig in Behandlungen derein -128Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,einzelnen Materien, dieſes teutſche Voͤlkerrecht nach ſeinem ganzen Umfange jederzeit erſt dann abhandeln, wenn die uͤbrigen europaͤiſchen Staaten durchgegangen ſind; ungeachtet Teutſchland, als ein einiger Staat, ſchon unter den erſtern einen vorzuͤglichen Platz verdienet.
m]

§. 34. Uebrige halbſouveraine Staaten.

Dahin gehoͤren ferner:

1] ſaͤmtliche vom teutſchen Reiche abhaͤngige und zu Lehn gehende Fuͤrſtenthuͤmer in Italien a]. Auſſer den ſchon oben bey den ſtreitigen Souverainetaͤten angefuͤhrten, die, ſo lange deren Unabhaͤngigkeit nicht foͤrmlich anerkant iſt, billig hieher zu rechnen, ſind vor - naͤmlich noch die Herzogthuͤmer Mayland, Mantua, Modena b] nebſt Mirandola, Maſſa-Carrara und Novellara, ingleichen Montferrat zu merken c].

2] Die Herzogthuͤmer Curland und Semigal - lien, welche ehemals zu Liefland gehoͤrten, ſei: 1561 aber einen beſondern Staat ausmachen. Sie ſind Lehen der Kron Pohlen, und vermoͤge der ſogenanten Pacto - rum ſubjectionis von derſelben in vielen Stuͤcken ab - haͤngig d].

3] Die Hospodaren der Moldau und Walla - chey. Sie werden von dem tuͤrkiſchen Kaiſer gewoͤnlich alle drey Jahr veraͤndert oder von neuem beſtaͤttigt, und ſind demſelben zinsbar. Die Gewalt Geſetze zu geben und ſolche durch Strafen zu handhaben, Steuern aus - zuſchreiben ꝛc. ſteht ihnen zwar zu, aber die auswaͤrtigen Hoheitsrechte in Anſehung des Kriegs, Friedens, der Buͤndniſſe und Geſandſchaften haben ſie keinesweges. Man hat Beiſpiele, daß dieſe Hospodaren auf Befehl der Pforte den Kopf verlohren e].

4]129und den europaͤiſchen insbeſondere.

4] Die Staͤdte Danzig und Thoren im pohlni - ſchen Preuſſen, welche zwar der Kron Pohlen unmittel - bar gehoͤren, aber doch viele Gerechtſame der Freiſtaaten ausuͤben f].

a]Moſers auswaͤrt. Staatsrecht, 5. B. 3. K. S. 399. u. f.
a]
b]Viele geben das Herzogthum Modena fuͤr ſouverain aus, und der Herzog ſelbſt behauptete ehemals gegen den Reichs - hofrath, in bloßer Lehnsverbindung mit dem Reiche zu ſtehen; aber dieſes hat bey mehrern Gelegenheiten die Oberherſchaft auf eine unzubezweifelnde Art daruͤber aus - geuͤbt. Uebrigens wird dieſes Herzogthum, wie mehrere, aus obangefuͤhrten Gruͤnden, freilich ziemlich ſouverain regiert. Man ſehe God. Dan. Hoffmann jus Imperato - ris et Imperii Germ. in Mutinam. Tubing. 1771. 4. Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 11. S. 28.
b]
c]Moſer [am ang. O.] zaͤhlt auch das kleine Fuͤrſtenthum Monaco unter die halbſouverainen Staaten in Italien. Zwar hat es eigentlich wohl einen ſouverainen Herrn, der - ſelbe iſt aber um ſo weniger vermoͤgend, die als einem ſol - chen ihm zuſtehenden Rechte auszuuͤben, da er ſeine ein - zige Feſtung dem Koͤnige in Frankreich, als Schutzherrn, uͤberlaſſen und ihm zugleich Tribut und Gehorſam verſpre - chen hat. Wenn der im Schutz ſtehende Fuͤrſt dem Monarchen ſeine feſten Plaͤtze einraͤumt, ſagt Real nicht ohne Grund, ſo iſt er in der That ſein Unterthan, ob er ſich gleich mit den ausdruͤcklichſten Worten die Souveraine - taͤt vorbehaͤlt. Er kan hinfort nicht mehr anders, als nach dem Belieben des Potentaten, welcher ſeine Feſtungen in Haͤnden hat, regieren. Real ſcience du Gouvernement, T. IV. C. II. Sect. III. §. 21. vergl. Fürſten. de ſup. c. XII.
c]
d]Moſers Verſuch, 1. B. 1. K. §. 11. und 2. B. 1. K. §. 20. S. 142. u. f.
d]
e]Buͤſchings Magazin ꝛc. 3. Th. S. 3. u. f.
e]Jf]130Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
f]Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 510. Ioach. Guil. Weickhmann diß. I. qua civitas Gedanen - ſis neque olim in regni germanici fuiffe, neque hodie in Imp. R. G. eße poteſtate ejusque formula conti - neri vincitur. Viteb. 1766. 4.
f]
*]Neyron nimt noch eine dritte Klaſſe von europaͤiſchen Staaten an, und rechnet die aus dem alten Hanſeebunde noch uͤbrigen Staͤdte dahin. Au reſte, ſagt er, il y a encore une eſpece de tiers ordre d Etats ißus de l anti - que ſocieté hanſéatique L. I. Ch. III. Art. I. §. 68.
*]

§. 35. Unnachtheilige Abhaͤngigkeit der Souve - rainetaͤt.

Die Souverainetaͤt kan uͤbrigens, unbeſchadet derſel - ben, durch verſchiedene gleiche und ungleiche Verbindun - gen, bey welchen leztern, wie Ariſtoteles ſagt, dem Maͤchtigern mehr Ehre, dem Schwaͤchern aber mehr Huͤlfe zugeſtanden wird, auf mancherley Art von einer auswaͤrtigen Macht, entweder in Anſehung der Maie - ſtaͤtsrechte ſelbſt, oder in der Art ſie auszuuͤben abhaͤngig gemacht und eingeſchraͤnkt werden a]. Wenn der Staat durch einen ſolchen Vertrag ſich nur nicht voͤllig unter - wirft, ſondern das Recht in einheimiſchen und auswaͤrti - gen Verhaͤltniſſen ſich ſelbſt zu regieren behaͤlt, ſo iſt er dem ungeachtet als ein freier unabhaͤngiger Staat anzu - ſehn und nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur - teilen. Denn es iſt ein großer Unterſchied, ob man aus dem Grunde der Unterthaͤnigkeit uͤberhaupt gehorchen muß, oder ob man nur in einzelnen Faͤllen etwas beob - achtet, wozu man ſich ſelbſt freiwillig verbindlich gemacht hat b]. Jeder Staat mag in auſſerordentlichen Faͤllen, wo die Wohlfarth des Ganzen anders nicht erhalten wer -den131und den europaͤiſchen insbeſondere.den kan, dergleichen Verbindungen eingehn. Die vor - nehmſten davon ſind folgende.

a]Real ſcience du Gouv. T. IV. C. II. Sect. III. §. 17. nent dieſe Staaten unvolkomne Souverainetaͤten.
a]
b]Qui tanquam ex lege et imperio magiſtratus tenetur haud dubie inferior eſt, at proprio ſuo facto et con - ventione qui ſe obligat alii, etſi imperata ſe factu - rum promittat, obligatur non ut inferior altero, ſed ut par: non quia altero alter plus poteſtatis et imperii habet, ſed quia utrique paciſcenti aequalis eſt poteſtas de re ſua diſponendi. Huius ergo obligationis caußa non eſt poteſtas ſuperior ſed ipſorummet par - tium et paciſcentium aequalis. Henr. Cocceji diß. de imperio in pares. Frcf. ad Viadr. 1697. 4. und in Exer - cit. T. II. p. 3. Man vergl. Grotii J. B. et P. L. I. C. III. §. XXI. ſeqq.
b]

§. 36. Schutzbuͤndnis.

Eine Nazion, die zu ſchwach gegen auswaͤrtige Ge - walt, durch freiwillige Vertraͤge unter den Schutz einer angeſehenen Macht ſich begiebt und dafuͤr gewiſſe Oblie - genheiten uͤbernimt, hoͤrt darum nicht auf ein freier un - abhaͤngiger Staat zu ſeyn, wenn er uͤbrigens nur das Recht der Selbſtregierung dabey nicht aufgiebt. Der dem mindermaͤchtigen Volke zu leiſtende Schutz fließt in dieſem Falle nicht aus einer Oberherſchaft, ſondern aus dem eingegangenen Buͤndniſſe; der Beſchuͤtzte iſt dem Schutzherrn zwar vorzuͤgliche Achtung aber keine Unter - thaͤnigkeit ſchuldig. Daher man auch im Sprichwort ſagt: Schutz und Schirm geben keine Obrigkeit. Jedoch erinnert Moſer a] mit Recht, daß unter den groͤſſern Staaten in Europa kein Beiſpiel eines ſolchen Schutzes vorhanden ſey. Derſelbe kan aber auch, derJ 2Natur132Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Natur der Sache nach, meiſt nur bey kleinen Staaten, die eines maͤchtigern Schutzes beduͤrfen, ſtatt finden. So ſtehn z. B. Monaco, wie vorerwaͤhnt, unter fran - zoͤſiſchen, San-Marino unter paͤpſtlichen, und Raguſa unter tuͤrkiſchen und mehrerer anderer Nazionen Schutz. Alle Biſchoͤfe, Aebte ꝛc. begaben ſich ehemals, weil es ihnen an weltlicher Gewalt fehlte, unter den Schutz eines maͤchtigen Fuͤrſten. Der roͤmiſche Kaiſer verſpricht in der Wahlcapitulation Art. I. §. 1. den Stuhl zu Rom und paͤpſtliche Heiligkeit, als derſelben Advocat zu ſchuͤtzen b]. Im teutſchen Reiche ſtehen ebenfals ver - ſchiedene Reichsſtaͤnde, ohne Nachtheil ihrer Landesho - heit, unter dem Schutze ihrer Mitſtaͤnde, beſonders die Stifter und Reichſtaͤdte. Der Schutz auswaͤrtiger Maͤch - te uͤber Glieder des Reichs iſt nach der Wahlcapitulation Art. 27. eigentlich verboten und daſelbſt §. 3. geordnet, daß maͤnniglich in des Kaiſers und heil. Roͤm. Reichs Schutz und Vertheidigung ohne Imploration in - und auswaͤrtigen Anhangs und Aſſiſtenz ſtehen ſolle; die uͤbrige Reichskundige Praxis und das algemeine Reichs - herkommen belehren hingegen, ſagt Moſer c] daß ein unſchuldiger Schirmsvertrag gar wohl erlaubt ſeye; wie es dann auch eine natuͤrliche und nothwendige Folge des allen Reichsſtaͤnden in dem weſtphaliſchen Frieden und der Kaiſerlichen Wahlcapitulation zu ihrer Sicher - heit und Wohlfahrt, unter ſich und mit Auswaͤrtigen zugeſtandenen Buͤndnisrechts iſt. Uebrigens misbraucht der maͤchtigere Schutzherr freilich ſein vertragsweiſe er - langtes Recht nicht ſelten ſo, daß der Schutz zuweilen in eine wahre Oberherſchaft ausartet und man nicht ohne Grund ſagen kan: Sich in fremden Schutz begeben, iſt die erſte Staffel zur Dienſtbarkeit.

a]Beitraͤge in Friedenszeiten, 1. B. 1. K. §. 6. S. 18.
a]
b]Petr. Fr. de Hohenthal diß. de nationis Germanicaein133und den europaͤiſchen insbeſondere.in Curia Romana protectione ſub praeſ. Joh. Gottl. Boehmii. Lipſ. 1763. 4. Chr. Gottl. Bieners Abhandlung von der kaiſerlichen Advocatie uͤber den Stuhl zu Rom, paͤpſtliche Heilig - keit und chriſtliche Kirche, zur Erlaͤuterung der kaiſerli - chen Wahl C. Art. I. §. 1. 10. und 11. Art. XIV. und anderer Reichsgeſetze, auch Beſtimmung der Rechte und Pflichten, welche nach der Staatsverfaſſung des teutſchen Reichs, und dem heutigen europaͤiſchen Voͤl - kerrechte daher erwachſen. Leipzig 1783. 8.
b]
c]Nachbarliches Staatsrecht, Z. B. 16. K. beſ. §. 15.
c]
*]Dergleichen Schutzbuͤndniſſe waren unter den aͤlteſten Voͤl - kern, beſonders auch bey den Roͤmern ſehr gewoͤnlich. Die Formel, womit dieſe einige von ihnen beſiegte Koͤnige und Voͤlker zu Bundsgenoſſen aufzunehmen pflegten, war: imperium majeſtatemque populi Romani comiter con - ſervet. Die Bedeutung derſelben erklaͤrt Cicero in Orat. pro L. Corn. Balbo c. 3. Sie verband zu Ehrerbietung und Beiſtand im Kriege von Seiten des Beſchuͤtzten. Aber auch die roͤmiſchen Rechtsgelehrten erklaͤrten dieſe Verbuͤn - deten billig fuͤr frey. Liber populus eſt is, ſagt Procu - lus l. 7. π. de captiv. et poſtlim. rev., qui nullius alte - rius populi poteſtati eſt ſubiectus ſive is foederatus eſt: item ſive aequo foedere in amicitiam venit, ſive ſoe - dere comprehenſum eſt, ut is populus, alterius populi maieſtatem comiter conſervaret: hoc enim adjicitur, ut intelligatur alterum populum ſuperiorem eße: non ut intelligatur alterum non eße liberum. Et quemad - modum clientes noſtros intelligimus liberos eße, etiam - ſi neque auctoritate neque dignitate neque viribus no - bis pares ſunt, ſic eos, qui maieſtatem noſtram comi - ter conſervare debent, liberos eße intelligendum eſt. Man ſehe auch Grot. L. I. c. III. §. 21.
*]
J 3§. 37.134Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 37. Zinsbarkeit.

Gleiche Bewandnis hat es mit den Staaten, welche wegen Abwendung eines zu befuͤrchtenden Unrechts a], oder aus Erkentlichkeit fuͤr den genuͤſſenden Schutz, oder aus andern Urſachen, zu Entrichtung eines gewiſſen Tri - buts an auswaͤrtige Maͤchte ſich verſtehn. Dieſe Zins - zahlung iſt gewoͤnlich allerdings ein Geſtaͤndnis von Schwaͤche b], vermindert die Einkuͤnfte und das Anſehen des zinſenden Staats und ſeinen Einflus in die Angele - genheiten der uͤbrigen Nazionen, macht ihn iedoch an und fuͤr ſich der Souverainetaͤt nicht verluſtig, und hin - dert keinesweges an Ausuͤbung der Regierungsrechte. Die angeſehenſten Koͤnigreiche wurden in den aͤltern Zeiten hauptſaͤchlich dem paͤpſtlichen Stuhle lehn - und zinsbat, z. B. Portugal 1179, Irland 1155, Sardinien 1297 c], und noch heutzutage entrichtet Neapel dem Pap - ſte, wegen der Lehnsverbindung, iaͤhrlich eine Summt Geldes. Man kan die unter den Souverainen derma - len uͤblichern Penſionen und Subſidiengelder fuͤglich hie - her rechnen, die jedoch meiſtens der Maͤchtigere, ſeines Vorteils wegen, an den Geringern bezahlt; die erſtern auf Lebenszeit, die letztern gewoͤnlich nur auf beſtimte Jahre.

a]So wird zur Sicherheit des Handels von der Republick Venedig dem Kaiſer von Marokko iaͤhrlich eine anſehnliche Summe uͤberſchickt: Grosbritanien, die vereinigten Nie - derlande ꝛc. thun ein gleiches gegen Algir.
a]
b]Schon Salomo ſagt in ſeinen Sprichwoͤrtern 12, 24. Fleißige Hand wird herſchen; die aber laͤßig iſt, wird muͤſſen zinſen.
b]
c]Io. Georg Neumann diß. de regnis Pontificis Romani ſtipendiariis. Viteb. 1685. 4.
c]
§. 38.135und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 38. Lehnsverbindung.

Die Lehnsverbindung thut der Souverainetaͤt und dem Rechte eines Volks ſich ſelbſt zu regieren ebenfals weiter keinen Abbruch, als daß ſie, wie Real ſagt, hoͤchſtens ihren Glanz in etwas vermindert. Durch die Belehnung wird blos eine verſchiedene Beſitzungsart er - zeugt. Wenn gleich der Vaſall in Anſehung ſeines Lehns nicht ſo ganz freie Gewalt, beſonders in deſſen Veraͤuſſerung ꝛc. hat, er ſich auch zu Ehrerbietung, Treue und Leiſtung gewiſſer Dienſte im Kriege dem Lehnherrn verpflichtet und in dieſen Stuͤcken deſſen Lehngerichtsbar - keit anerkent, ſo ſind dies doch keine Folgen der Unter - thaͤnigkeit, ſondern allein des Lehnsvertrags. Regiert er dieſem gemaͤs ſeine Lande, ſo hat der Lehnherr ihm weiter nichts zu befehlen. Deſſen vorzuͤglichſte Rechte aͤuſſern ſich gemeiniglich erſt bey dem Abgange des ganzen regierenden Hauſes in Beſtimmung des neuen Regenten. Meiſtens weichen dieſe Souverainetaͤtslehen von den gewoͤnlichen Lehen noch darin ab, daß weder bey Veraͤn - derungsfaͤllen des Lehnherrn, noch des Vaſallen, eine beſondere Belehnung vorzugehn, oder ein Lehnbrief ausge - fertigt zu werden pflegt, ſondern die Lehnbarkeit wird mehrenteils zu gewiſſen Zeiten, blos durch einige Feier - lichkeiten oder andere Entrichtungen erkant a].

Ehemals war dieſe Lehnsverbindung unter den euro - paͤiſchen Nazionen haͤufiger als ietzt. In den Zeiten, wo die Paͤpſte noch mit unbeſchraͤnkter Gewalt uͤber die Fuͤrſten in Europa herſchten, rechneten die meiſten es ſich zur Ehre, dem Papſte lehnbar zu ſeyn, oder wurden auf andere Art genoͤthiget, ſeine Lehnsherſchaft zu erkennen b]. Portugal, Spanien, Arragonien, Frankreich, England, Irland, Sicilien, Sardinien, Corſica, Polen, Ungarn und mehrere Staaten gingen vom paͤpſtlichen Stuhle zuJ 4Lehn.136Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Lehn. Sonſt waren unter andern auch Portugal, wegen des kleinen Koͤnigreichs Algarbien ein Vaſall von Kaſti - lien, Preuſſen ein Lehn der Kron Pohlen c].

Darneben ſind nur noch zu merken:

1] Neapel als ein Lehn des Papſts. Daſſelbe wird dadurch erkant, daß der Koͤnig beider Sicilien iaͤhrlich ein weiſſes Pferd und 11548 Scudi durch einen auſſer - ordentlichen Ambaſſadeur zu Rom offentlich uͤberreichen laͤßt. Uebrigens hat der Papſt, als Lehnherr bey allen ſeit etlichen Jahrhunderten in den regierenden Familien vorgegangenen Veraͤnderungen weiter keinen ſonderlichen Einflus gehabt. Jedoch iſt die Lehnbarkeit bisher immer noch erkant worden.

2] Die Inſel Malta iſt ſeit 1529 ſicilianiſches Lehn, und muß von dem Grosmeiſter, durch Ueberreich - ung eines Falken iaͤhrlich erkant werden.

Einzelner Provinzen und Orte, die ein Souverain von dem andern zu Lehn empfaͤngt, giebt es mehrere, dieſe kommen aber hier nicht in Betrachtung.

Mit den Reichslehen in Teutſchland hat es eine etwas andere Bewandnis. Wiewohl einige Staats - rechtslehrer, die teutſchen Reichsſtaͤnde, ihrer Lehnsver - bindung wegen, weiter nicht fuͤr abhaͤngig anſehn wollen, weil dieſelbe an und fuͤr ſich keine Unterthaͤnigkeit be - wuͤrkt d], ſo halten doch weit Mehrere das Gegentheil der Reichsverfaſſung und den Reichsgrundgeſetzen fuͤr an - gemeſſener, indem die Reichsſtaͤnde, bey Ablegung der Lehnspflicht, bekantermaßen zugleich verſprechen, dem Kaiſer und Reiche treu, hold, gehorſam und gewaͤrtig zu ſeyn, welches mehr, als die bloße Lehnſchaft erheiſcht, in ſich begreife, und eine wahre Unterwuͤrfigkeit begruͤn - de e]. Auch auswaͤrtige Koͤnige, welche zugleich Reichs - ſtaͤnde ſind, muͤſſen dieſelbe Pflicht ablegen und ſich in Ruͤckſicht ihrer beſitzenden Reichslande derſelben gemaͤsbezei -137und den europaͤiſchen insbeſondere.bezeigen. Weitlaͤuftiger wird von dieſer Materie in den teutſchen Staatsbuͤchern gehandelt.

Die Reichslehen in Italien hat man mit mehrerem Scheine von der weitern Unterwuͤrfigkeit vom teutſchen Reiche freizuſprechen geſucht, weil ſie in einer unmerkli - chern Verbindung mit demſelben ſtehen: aber man haͤlt im Reichshofrathe aus triftigern Gruͤnden dafuͤr, daß die italiaͤniſchen Lehnleute in Anſehung des Gehorſams den Vaſallen des teutſchen Reichs voͤllig gleich zu achten, und die Unabhaͤngigkeitsanmaſſungen einiger derſelben billig zu ahnden ſind f].

Uebrigens beſitzen auch verſchiedene Reichsſtaͤnde ein - zelne Lehnſtuͤcke von auswaͤrtigen Maͤchten und verleihen dergleichen wieder an dieſelben: noch haͤufiger aber ſind die Lehen, welche die Staͤnde des teutſchen Reichs von einander empfangen. Jedoch gehoͤren dieſe ſaͤmtlich eigentlich nicht hieher, wo die Rede nur von ganzen lehn - haren Staaten iſt.

a]Heinr. Gottfr. Scheidemantel diß. de nexu feudali inter gentes. Ien. 1767. 4. Moſers Verſuch, 1. B. 1. K. §. 6. S. 7.
a]
b]I. P. de Ludewig Jura feudorum, L. I. C. XI. quaeſt. II. p. 572.
b]
c]Dieſe Lehnſchaft iſt in dem Welauer Vertrage 1657 aufge - hoben worden. Preuſſen ſoll dafuͤr dem Koͤnige und der Krone Pohlen mit beſtaͤndigem und unverbruͤchlichem Buͤndnis zugethan bleiben, Art. 10.
c]
d]Traug. Thomaſii Problema Jur. Publ. an ſtatus Imperii R. G. ob nexum feudalem ſint ſubditi atque Vaſalli Imperatoris? Lipſ. 1733. 4.
d]
e]Itter de feudis imperii C. XIX. §. VI. ſeqq. Indes ſcheint mir dieſe mit der Lehnspflicht verbundene Huldig - ungsformel, woraus die meiſten Schriftſteller den Haupt -J 5grund138Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,grund fuͤr die Unterwuͤrfigkeit der Reichsſtaͤnde hernehmen, ſo gar uͤberwiegend nicht zu ſeyn. Sie war in den aͤltern Zeiten auch bey andern gleichwohl ſouverainen lehnbaren Reichen nicht ungewoͤnlich. Der Eid, welchen z. B. Koͤnig Peter von Arragonien, als ein Vaſall des Papſts 1204 ablegte, lautete alſo: Ego Petrus Rex Arragonum polliceor quod ſemper fidelis ero et obediens domino meo papae Innocentio etc. Oderic. Raynaldus in Annal. eccleſ. ad an. 1204. §. 72. 73. Von den ver - ſchiedenen Arten der ehemaligen Huldigungs - und Vaſallen - pflicht giebt Real Science du Gouvern. T. IV. C. II Sect. III. §. 20. eine ziemlich ausfuͤhrliche Nachricht.
e]
f]Real l. c. Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. K. §. 27. S. 415.
f]

§. 39. Vereinigung mehrerer ſouverainen Staa - ten unter einen Regenten.

Es koͤnnen auch mehrere ſouveraine unabhaͤngige Staaten, ohne Abbruch ihrer Souverainetaͤt, durch Heirath, Erbſchaft, Wahl, Eroberung und andere We - ge unter einen Regenten vereinigt werden, wenn ieder nur ſeine eigne Regierungsverfaſſung behaͤlt und einer dem andern nicht einverleibt wird. Zwar kan im Rei - che der Natur ein Haupt nicht mehrere beſondere Koͤrper beſeelen, wohl aber kan ein Regent, nach verſchiedenen Geſichtspunkten betrachtet, mehrern moraliſchen Geſel - ſchaften vorſtehn, ohne daß ſie deswegen von einander abhaͤngig wuͤrden. Jede Nazion iſt in dieſem Falle ohn - ſtreitig fuͤr einen beſondern Staat anzuſehn, und der Regent, nach dem Unterſchied ſeiner Handlungen, als Souverain dieſes oder ienes Staats zu beurteilen. Die Unabhaͤngigkeit zeigt ſich hauptſaͤchlich auch beym Abſter -ben139und den europaͤiſchen insbeſondere.ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden Hauſes, und in allen den Faͤllen, wo der Grund der Vereinigung aufhoͤrt; da dann iede Nazion, nach Ver - ſchiedenheit ihrer Grundverfaſſung, ihren eigenen Regen - ten wieder erlangen kan a].

So iſt z. B. das Koͤnigreich Irland dermalen mit Grosbritannien vereinigt. Es ward durch Koͤnig Hein - rich II. von England 1172 erobert und ſeitdem als ein durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter - wuͤrſiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle - mentsacte fuͤr abhaͤngig vom Grosbritanniſchen Parle - ment und deſſen Geſetzen erklaͤrt. Im Jahr 1782 ſah Grosbritannien, in Ruͤckſicht der nordamerikaniſchen Angelegenheiten, ſich genoͤthigt, iene Acte zu widerru - fen und Irland fuͤr ein freies und unabhaͤngiges Reich zu erkennen; iedoch dergeſtalt mit Grosbritannien verbun - den, daß es iederzeit einen und ebendenſelben Koͤnig erkent b].

Auch verſchiedene andere europaͤiſche Souveraine beſi - tzen, auſſer ihren Hauptſtaaten, zuweilen noch kleine ſou - veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver - bindung ſtehen, und von denen ſie insbeſondere den Titel ſouverainer Herrn fuͤhren. Zwar kommen dergleichen Souverainetaͤten unter den uͤbrigen europaͤiſchen Nazio - nen ſelten in Betrachtung, doch koͤnnen ſich Faͤlle ereig - nen, wo auf deren Unabhaͤngigkeit Ruͤckſicht genommen werden muß. Der Koͤnig von Preuſſen iſt z. B. auch ſouverainer Fuͤrſt von Neufchatel in der Schweitz.

Ferner werden von einigen Souverainen in Europa zugleich halbſouveraine Reichslande in Teutſchland und von mehrern Reichsſtaͤnden verſchiedene von einander ab - geſonderte Reichsterritoria beſeſſen.

a]Puffendorff Jus Nat. et Gent. L. VII. c. V. §. 16. ſeqq.
a]
b]Politiſches Journal, Julius 1782. S. 1. u. f.
b]
§. 40.140Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 40. Souverainetaͤt der in ein Syſtem vereinig - ten Staaten.

Mit gleichem Rechte koͤnnen diejenigen Staaten auf Unabhaͤngigkeit Anſpruch machen, welche durch ein ewi - ges Buͤndnis zu gemeinſchaftlicher Wohlfahrt ſich verei - nigt haben, ohne ihre uͤbrigen Rechte und vornemlich die Eigenſchaft eines beſondern Staats dabey aufzuge - ben. Man nent eine ſolche Vereinigung mehrerer Staa - ten ein Staatenſyſtem. Die Einrichtung dieſer poli - tiſchen Koͤrper kan ſehr verſchieden ſeyn, und muß nach dem unter den einzelnen Staaten errichteten Buͤndniſſe beurteilt werden. Die Haupterforderniſſe ſind, daß Gegenſtaͤnde, welche das gemeinſame Wohl betreffen, auch in gemeinſchaftliche Berathſchlagung gezogen wer - den muͤſſen, und daß uͤbrigens ieder Staat die zu ſeiner Aufrechterhaltung insbeſondere noͤthigen Maasregeln nach eignem Gutfinden ergreifen und in dieſer Ruͤckſicht alle Souverainetaͤtsrechte ausuͤben kan, ob iene Verbindung, in der er ſteht, gleich zuweiln einige Einſchraͤnkung noͤthig macht a].

Ein ſolches Staatenſyſtem machten ehemals die Staͤdte Griechenlands unter den Amphictyonen und die Heptarchie in England aus. Gegenwaͤrtig rechnet man die vereinigten Niederlande und die ſchweitzeriſche Eidgenoſſenſchaft dahin.

Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutſche Reich fuͤr einen dergleichen zuſammengeſetzten Staat aus. Dieſe Behauptung ſcheint mir unter den mancherley Meinungen uͤber Teutſchlands Regierungsform der Sache beinah am angemeſſenſten und mit der Reichsverfaſſung, ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl vereinbarlich zu ſeyn. Man mag der Regierungsform einen Namen geben, welchen man will, ſo duͤrfen dievor -141und den europaͤiſchen insbeſondere.vorhandenen Reichsgrundgeſetze nicht auſſer Augen gelaſ - ſen werden, ob ſie gleich in die von den Syſtematikern angenommenen Formen nicht immer ſo genau paſſen. Den teutſchen Reichslanden iſt die Eigenſchaft der Staa - ten nicht fuͤglich ganz abzuſprechen. Von den Einwuͤr - fen, welche gegen das Syſtem verbundener Staaten in Teutſchland gemacht zu werden pflegen, duͤrften die hauptſaͤchlichſten wohl darin beſtehn, daß dieſes Reich ein wuͤrkliches Oberhaupt habe, und daß die Geſchichte von keinem Buͤndnis etwas wiſſe, wodurch die Reichs - ſtaͤnde, als Beſitzer freier Staaten, in eine ſolche Ver - einigung zuſammengetreten. Aber warum ſolten die alſo verbuͤndeten Staaten, unbeſchadet der beſondern Staats - eigenſchaft eines ieden, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht einen Obern waͤhlen koͤnnen, unter deſſen Direction die vorfallenden gemeinſchaftlichen Staatsgeſchaͤfte, mit Theilnehmung der uͤbrigen Staatsregenten, behandelt werden muͤſſen? Da dieſer fuͤr die Handhabung der zur gemeinſchaftlichen Wohlfarth von ienen ſelbſt mit feſtge - ſetzten Einrichtungen zu ſorgen hat, ſo iſt es billig, daß ihm hierinn Gehorſam geleiſtet werde, und der Ausdruck von Unterthaͤnigkeit in Ruͤckſicht der gemeinſchaftlichen Verbindung widerſtreitet der Souverainetaͤt [oder viel - mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge - ſetze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen Auswaͤrtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in England giebt einigermaſſen ein Beiſpiel aͤhnlicher Ver - faſſung. Der in teutſchen Staatsangelegenheiten bey Erwaͤhnung des Kaiſers meiſtens gewoͤhnliche Zuſatz: und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung auf den zuſammengeſetzten Staatskoͤrper. Ob uͤbrigens eine ausdruͤckliche Verabredung noͤthig ſey, wo die Sache ſelbſt deutlich genug ſpricht, will ich hier nicht unterſu - chen. Die Behauptung dieſer Meinung wuͤrde wenig -ſtens142Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,ſtens den ſtilſchweigenden Vertraͤgen ſehr nachtheilig ſeyn. Waͤren die teutſchen Reichsſtaͤnde und Lande dem Kaiſer allein auch noch ſo unterthaͤnig geweſen, ſo haben ſie mit Genehmigung deſſelben doch nach und nach wahre Sou - verainetaͤtsrechte erlangt, und koͤnnen nunmehr kaum anders als ein unter kaiſerlicher Hoheit vereinigtes Staa - tenſyſtem betrachtet werden, welchem die Beobachtung der Grundgeſaͤtze und Vertraͤge demungeachtet heilig blei - ben muß b].

a]Grotius de J. B. et P. L. I. C. III. §. 7. n. 2. Puffen - dorf de J. N. et G. L. VII. c. V. §. 18.
a]
b]Traug. Thomaſii Problema Jur. Publ. an forma Imperii Rom. Germ. ſit Syſtema civitatum compoſitarum? Lipſ. 1737. 4.
b]

§. 41. Perſoͤnliche Souverainetaͤt.

Die Beherſcher ſouverainer Staaten werden deshalb auch Souveraine genant, ob dieſer Ausdruck in der perſoͤnlichen Bedeutung gleich mehr die innere Unabhaͤn - gigkeit von Reichsgrundgeſetzen bezeichnet. Sie ſind, nach Beſchaffenheit der beſitzenden Staaten, auch fuͤr ihre Perſon mehr oder weniger unabhaͤngig. Die Re - genten lehn - zinsbarer und anderer ſolcher abhaͤngiger Staaten bleiben, wie Real a] erinnert, nichts deſtowe - niger Souveraine, wenn ſie nur fuͤr ihre Perſon nicht unter der Gerichtsbarkeit eines andern Fuͤrſten ſtehn und die oͤffentliche und abſolute Macht uͤber ihre Unterthanen haben. Und da eine Perſon mehrere Verbindlichkeiten uͤbernehmen und nach verſchiedenen Ruͤckſichten betrachtet werden kan, ſo ſchaden auch diejenigen Abhaͤngigkeits - verbindungen, welche Beherſcher voͤllig unabhaͤngiger Staaten, ohne deren Einmiſchung, entweder blos fuͤrihre143und den europaͤiſchen insbeſondere.ihre Perſon, oder wegen des Beſitzes andrer halbſouve - rainer ꝛc. Lande eingehn, iener Souverainetaͤt keineswe - ges. Man hat Beiſpiele, daß ſouveraine Koͤnige bey andern Nazionen Staats - und Kriegsbedienungen beklei - det haben. Verſchiedene Souveraine in Europa beſitzen zugleich halbſouveraine Lande in Teutſchland, als Gros - britannien, Sardinien, Daͤnemark, Schweden, Preuſſen, und legen, unbeſchadet ihrer Souverainetaͤt, bey Empfahung der Reichslehen, eben den Eid der Treue, wie die uͤbrigen Reichsſtaͤnde ab; denen ſie uͤber - haupt, als Beſitzer dieſer Lande, voͤllig gleich zu achten, ob ſie wohl in verſchiedenen Stuͤcken einiger Vorrechte ſich angemaſt, ſolche zum Theil auch erhalten haben b]. Freilich iſt es oft ſchwer die Eigenſchaft zu unterſcheiden, in welcher ein Regent, der ſouveraine und abhaͤngige Staaten zugleich beſitzt, handelt.

a]Am ang. O. T. IV. C. II. Sect. III. §. 17.
a]
b]Io. Mart. Paſtorii Comm. de praerogativis principum Imperii regum ex ipſis legibus et conſtanti gentium ac Imperii obſervantia. Baſil. 1752. 4.
b]

§. 42. Garantie der Souverainetaͤt.

Ein Volk, das die Souverainetaͤt einmal rechtmaͤßig erlangt hat, kan, ohne Verletzung des Voͤlkerrechts, von andern Nazionen darin nicht beeintraͤchtiget werden. Doch laſſen zuweiln Staaten, deren Unabhaͤngigkeit leicht Gefahr laufen koͤnte, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung derſelben, ſich ſolche von andern Maͤchten garantiren. Die Souverainetaͤt der Schweitz ward z. B. von Frank - reich im Buͤndniſſe von 1777, Art. 4. und die Unab - haͤngigkeit der vereinigten nordamerikaniſchen Staaten ebenfals von Frankreich in dem Tractat zwiſchen dieſen beiden Nazionen von 1778, Art. 11. garantirt.

§. 43.144Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 43. Verluſt der Souverainetaͤt.

Die Souverainetaͤt einer Nazion kan indes, mit oder wider Willen derſelben, verlohren gehn, wenn entweder ein Staat, der die gemeinſchaftliche Wohlfahrt allein zu befoͤrdern und gegen auswaͤrtige Gewalt ſich ſelbſt zu ver - theidigen und zu erhalten nicht vermag, ſich einer andern Macht freiwillig unterwirft, oder von derſelben unter - iocht wird. Dies kan auf verſchiedene Art geſchehen, indem der ſchwaͤchere Staat noch einige Souverainetaͤts - rechte behaͤlt, oder als ein Haupttheil, die Souveraine - taͤt des groͤßern Staats erkent, oder demſelben gaͤnzlich einverleibt wird a]. Kurz alles, was das Recht eines Volks ſich ſelbſt zu regieren zernichtet, ihm ſeine eigne Staatsverfaſſung nimt, und daſſelbe der Wilkuͤhr und Bothmaͤßigkeit eines Andern unterwirft, hebt deſſen Souverainetaͤt und den Gebrauch des Voͤlkerrechts auf b].

Dergleichen Beſchaffenheit hatte es ehemals mit den meiſten von den Roͤmern eroberten Provinzen, ſelbſt mit verſchiedenen ihrer Bundsgenoſſen. Ließ man ihnen gleich zum Theil ihre eigenen Geſetze, ſo bedienten ſie ſich deren doch nicht aus eigner Macht, ſondern aus Nach - ſicht des hoͤhern Staats.

In den aͤltern Zeiten ward die Anzahl der ſouverai - nen Staaten in Europa mehrmalen vermindert. Das neuſte Beiſpiel eines Staats der ſeine Unabhaͤngigkeit ſehr kurze Zeit genoß, giebt die Krim. Sie ſtand, nach verſchiedenen vorherigen Beherſchern, ſeit 1473 un - ter der Bothmaͤßigkeit des tuͤrkiſchen Kaiſers, der ihre Regenten die Chans, beſonders ſeit 1584 nach Gefallen ein - und abſetzte. Als in dem 1768 zwiſchen Rußland und der Pforte ausgebrochenen Kriege, erſteres die Krim 1771 eroberte, und der Chan entflohe, kuͤndigten die Krimmiſchen Tataren, auf Rußlands Veranlaſſung,der145und den europaͤiſchen insbeſondere.der Pforte alle vorige Verbindung auf und erklaͤrten ſich fuͤr unabhaͤngig. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward in dem drauf folgenden Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte zu Kainardge 1774 Art. 3. beſtaͤttigt und die Krimm ꝛc. fuͤr einen ſouverainen Staat erklaͤrt c]. Da derſelbe aber von der Pforte zu mancherley Misbraͤuchen ſeiner Unab - haͤngigkeit ſich verleiten und gegen Rußland ſich aufwie - geln ließ, nahm dieſes die Krimm mittelſt Manifeſts vom 8. April 1783 d] in Beſitz. Der Grosſultan mu - ſte dieſe Beſitznehmung auch gutheißen und die ruſſiſche Souverainetaͤt uͤber die Krimm, Kuban und Inſel Ta - man, mit Vernichtung der vorigen darauf ſich beziehen - den Tractaten, in einer beſondern Akte vom 8. Jaͤnner 1784 e] foͤrmlich anerkennen.

Zu den eingegangenen kleinern Souverainetaͤten ge - hoͤrt vornaͤmlich das in Frankreich gelegene Fuͤrſtenthum Dombes, das ſeit vielen Jahren von verſchiedenen Be - ſitzern als ein ſouverainer Staat regiert und noch 1681 vom Koͤnig Ludwig XIV. zu Gunſten ſeines natuͤrlichen Sohnes, des Herzogs von Maine, fuͤr unabhaͤngig erklaͤrt ward: aber deſſen Sohn, der Graf von Eu, uͤberließ es 1762 an die Krone Frankreich, worauf deſſen Einverleibung erfolgte f].

Die zur Grafſchaft Mempelgard gehoͤrigen vier Her - ſchaften Hericourt, Chatelot, Blamont und Cler - mont wurden von Wuͤrtenberg ehemals fuͤr unabhaͤngig ausgegeben; allein Frankreich behauptete die Souverai - netaͤt daruͤber. Erſteres gab in einem Vergleiche 1748 endlich nach, erkante die franzoͤſiſche Hoheit und leiſtete auf die angemaſte Unabhaͤngigkeit Verzicht g].

a]Vattel L. 1. C. 16. §. 194.
a]
b]Man vergl. Furſten. de jure ſuprem. c. XII.
b]
c]Hauſens Staats-Materialien 1. B. 3. Stck. S. 381. u. f.
c]Kd]146Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
d]Hauſen a. a. O. 4. St. S. 408. Polit. Journal Auguſt 1783. S. 771.
d]
e]Polit. Journal Februar 1784. S. 145. u. 153.
e]
f]Real Science du Gouv. T. II. C. VII. Sect. I. §. 6. Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 10. S. 26. Beitraͤge in Friedensz. S. 38.
f]
g]Moſers Beitraͤge ꝛc. 1. B. 1. K. §. 3. S. 15.
g]
Zwei -147

Zweites Kapitel. Von den geſelſchaftlichen Verbindungen der Nazionen.

§. 1. Hauptbegriffe der geſelſchaftlichen Verbin - dungen.

Aus der Vereinigung mehrerer Perſonen zu einem fort - dauernden gemeinſchaftlichen Endzweck entſtehen Geſelſchaften. Dieſe ſind entweder durch Geſetze beſtimt, oder durch freiwillige Vertraͤge der Mitglieder errichtet. Die erſtern nent man nothwendige, die andern frei - willige Geſelſchaften. Bleiben alle Glieder derſelben einander gleich, dergeſtalt, daß ſie wechſelſeitig gleiche Rechte und Verbindlichkeiten behalten, ſo heiſſen ſie glei - che Geſelſchaften, hingegen ungleiche, wenn ihre Handlungen den Vorſchriften einer Oberherſchaft unter - worfen ſind.

§. 2. Natuͤrliche Geſelſchaft unter allen Men - ſchen.

Nach der Meinung des Grotius und vieler aͤltern und neuern Philoſophen iſt den Menſchen nicht nur ein Trieb zur Geſelligkeit von der Natur eingepflanzt, ſon - dern auch die geſellſchaftliche Verbindung unter ihnen von ihr ſelbſt vorgeſchrieben. Niemand, ſagen ſie, kan die mannichfaltigen Beduͤrfniſſe, welche das natuͤrliche Verlangen eines ieden nach Gluͤckſeligkeit und Vervol -K 2kom -148Von den geſelſchaftlichen Verbindungenkomnung erheiſcht, allein durch ſich ſelbſt ſattſam befrie - digen, noch entbloͤßt von allen Vertheidigungsmitteln ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ein offenbarer Beweis, daß wir der Huͤlfe und Unterſtuͤtzung anderer beduͤrfen, und ſie, der Abſicht unſers Urhebers gemaͤs, ſuchen ſol - len! a] Aber aus dieſen und allen andern Gruͤnden, die gewoͤnlich hierbey angefuͤhrt werden, ſo ſcheinbar ſie auch ſind, laͤßt ſich eine algemeine Geſelſchaft unter allen Menſchen gleichwohl ſchwerlich erweiſen. Der vorgeb - liche Geſelligkeitstrieb erſtreckt ſich, wenn man ihn genau unterſucht, kaum weiter, als auf eheliche und haͤußliche Verbindungen, und dieſe wuͤrden auch, wenn man ſich mit der einfachen Natur begnuͤgt haͤtte, zu Befoͤrderung unſrer wahren Gluͤckſeligkeit hinlaͤnglich geweſen ſeyn b]. Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menſchen, theils ihre wenigſtens eingebildeten Beduͤrfniſſe immer groͤßer wurden, theils die blos haͤußlichen Verbindungen gegen die ſich mehrenden Gefahren und Beſorgniſſe nicht mehr Sicherheit genug gewaͤhrten; ſo muſten die Men - ſchen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und Vortheile wegen durften ſie einander ihre Huͤlfe nicht verſagen. Alſo wird von der Natur unmittelbar nicht eine algemeine Geſelſchaft befohlen, ſondern nur die Lei - ſtung wechſelſeitigen Beiſtands zu Abhelfung der zufaͤlli - gen nach und nach entſtandenen Beduͤrfniſſe angerathen.

a]Grotius Proleg. §. 6. 7. 14. etc. Real T. I. p. 2. u. f. Vattel prélim. §. 10. u. f.
a]
b]Die Unerweißlichkeit der algemeinen Naturgeſelſchaft zeigt weitlaͤuftig Sam. L. B. de Cocceji in Grot. illuſtr. diß. prooem. I. de jure naturae ſociali, beſonders c. I. Sect. II. §. XI. Zugleich bemerkt er c. II. Sect. I. §. 19. u. f. daß die Meinung von einer unter allen Menſchen vonNatur149der Nazionen.Natur errichteten Geſelſchaft ſich aus den Lehren der alten ſtoiſchen und neuern ſpinoziſtiſchen Philoſophie herſchreibe, welche das ganze Weltall fuͤr die Gottheit ausgiebt, deſ - ſen Theile nothwendig in einer natuͤrlichen algemeinen Ver - bindung ſtehen muͤſſen.
b]
*]Eine ausfuͤhrliche Schilderung des natuͤrlichen Zuſtandes, den einige als den unruhigſten und gefaͤhrlichſten, andere als den friedlichſten und gluͤcklichſten abbilden, findet man beim Puffendorf im J. N. et G. L. II. c. II. und in den meiſten uͤbrigen Schriften des Natur - und algemeinen Staatsrechts.
*]

§. 3. Unter den Nazionen.

Wenn man annimt, daß alle Menſchen von Na - tur zu einer Geſelſchaft verpflichtet ſind, ſo folgt aller - dings, daß auch alle Voͤlker des Erdbodens, als morali - ſche Perſonen, gleiche Verbindlichkeit haben muͤſſen, weil ſie aus einzelnen Menſchen beſtehen, die ſich den von Natur ihnen obliegenden Pflichten durch den Eintrit in eine buͤrgerliche Geſelſchaft nicht entziehen koͤnnen a]. Allein bey dieſen iſt die unbedingte Nothwendigkeit dazu ohnſtreitig noch weit geringer, als bey einzelnen Men - ſchen, indem Staaten durch die Vereinigung mehrerer Familien gewis in den Stand geſetzt werden, ſich ihre unentbehrlichſten Beduͤrfniſſe zu verſchaffen und gegen die meiſten auswaͤrtigen Anfaͤlle zu ſchuͤtzen. Freilich haͤtte alsdann, ohne naͤhere Verbindung mit andern, ieder mit den Erzeugniſſen ſeines Landes zufrieden ſeyn muͤſſen, welche die Natur iedoch ſehr verſchieden ausge - teilt hat. Allein die Verzaͤrtelung der einzelnen Staats - glieder hatte auch die natuͤrliche Folge, daß ganze Voͤl - ker Dinge, die bei andern anzutreffen waren, ihnen aber mangelten, fuͤr unentbehrlich hielten, ob ſie gleich blosK 3zur150Von den geſelſchaftlichen Verbindungenzur Bequemlichkeit und zum Vergnuͤgen gehoͤrten. Da - her ſuchten ſie blos ihres Nutzens wegen, die Verbindung anderer.

a]Vattel préf. und prélim. §. 11. Real am a. O.
a]

§. 4. Groſſer algemeiner Weltſtaat.

Wenn man aber auch zugiebt, daß die Natur ſelbſt die Geſelſchaft einzelner Menſchen und politiſcher Koͤr - per nicht nur anempfehle, ſondern auch gebiete, ſo folgt doch daraus bey weitem noch nicht, wie einige vorgeben, die Nothwendigkeit der buͤrgerlichen oder Staatsverbind - ungen, am wenigſten unter ganzen Nazionen, da der anarchiſche Zuſtand, wo die geſelſchaftliche Vereinigung, ohne gemeinſchaftliche Oberherſchaft, blos auf gleiche Rechte beruht, ienen Vorſchriften ſchon ſattſam Gnuͤge geleiſtet haben wuͤrde a]. Bey einzelnen Menſchen und kleinen Familien laͤßt ſichs allenfals einraͤumen, daß ſie wegen Unvermoͤgenheit von andern die Erfuͤllung einge - gangener Vertraͤge zu erlangen, und um den deshalb oͤf - ters vorgekommenen Streitigkeiten und daraus zu befuͤrch - tenden Gefahren vorzubeugen, ſich bewogen gefunden, ihrer Freiheit und Gleichheit zu entſagen, und freiwillig oder gezwungen ein gemeinſchaftliches Oberhaupt zu erken - nen; aber dies iſt, wie ſchon gedacht, der Fall zwiſchen mehrern Staaten nicht, die durch Vereinigung einer Menge von Menſchen und Familien gegen iene Ungemaͤch - lichkeiten weit mehr geſichert ſind. Indes haben doch ſchon verſchiedene aͤltere und neuere Philoſophen b] den Begrif von einem großen Weltſtaat, worinn die Voͤlker nur als Familien zu betrachten, ſich gebildet, und der ſcharfſinnige Wolf hat ihn mit vielen ſcheinbaren Gruͤn - den vorzutragen geſucht c]. Jedoch faͤlt die Unrichtigkeit ſeiner Beweiſe, wenn man ſie genau unterſucht, leichtin151der Nazionen.in die Augen. Voͤlker, ſagt er, ſind wie einzelne Men - ſchen von Natur zur Geſelſchaft verbunden, und eine Geſelſchaft, die zum gemeinſchaftlichen Wohl ſich verei - nigt, iſt eine buͤrgerliche oder Staatsgeſelſchaft d]. Hier fehlt offenbar das Haupterfordernis eines Staats, das gemeinſchaftliche Oberhaupt, denn ſonſt wuͤrde iede Geſelſchaft ein Staatskoͤrper ſeyn. Zwar ſchreibt Wolf dieſem Weltſtaate eine demokratiſche Regierungs - form zu, und legt den geſamten Voͤlkern eine gewiſſe Oberherſchaft [Speciem quandam imperii civilis] uͤber einzelne, die regierende und geſetzgebende Gewalt aber demienigen bey, der durch richtige Vernunftſchluͤſſe die Vorſchriften der Natur beſtimmt e]. Da aber alle Ober - herſchaft und Unterwuͤrfigkeit nicht von der Natur, ſon - dern von freiwilligen Vertraͤgen ihren Urſprung hat, ſo wuͤrde die Annahme einer ſolchen Regierungsform, wie Schrodt f] ſehr richtig erinnert, der natuͤrlichen Freiheit und Unabhaͤngigkeit der Voͤlker geradezu widerſtreiten.

a]Geſelſchaft iſt eine Folge unſrer Beduͤrfniſſe, Regie - rung eine Folge unſerer Verderbtheit. Geſelſchaft, wie ſie auch eingerichtet ſeyn mag, iſt allemal ein Gluͤck, aber Regierung, wie ſie auch aufs volkommenſte eingerichtet iſt, allemal ein nothwendiges Uebel. Ueber den Ur - ſprung und die Abſicht der Regierung uͤberhaupt in Dohms Material. 1. Lief. S. 9. u. f.
a]
b]Seneca de otio ſap. c. 31. Grotius proleg. §. 18. Man vergl. Real T. V. im Anf.
b]
c]l. G. Proleg. §. 7. u. f.
c]
d]Ipſa enim natura inſtituit inter omnes gentes ſocieta - tem et ad eam colendam eas obligat communis boni conjunctis viribus promovendi cauſa. Quamobrem cum ſocietas hominum communis boni conjunctis viri - bus promovendi cauſa contracta civitas ſit, ipſa natura in civitatem conſociavit gentes. Am a. O. §. 9.
d]K 4e]152Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
e]Quia in civitate maxima pro voluntate omnium gen - tium habendum in quod conſentire debebant ſi ductum naturae ſecutae ratione recte utantur fingi poteſt rector civitatis maximae qui ductum naturae ſecutus recto rationis uſu definit quaenam gentes inter ſe pro jure habere debeant, etſi Gentium juri naturali non per omnia ſerviat nec in totum ab eo recedat. Eben - daſ. §. 21.
e]
f]Proleg. I. G. §. X.
f]

§. 5. Freiwillige Geſelſchaft der Voͤlker.

Sind nun gleich nicht alle Voͤlker von Natur unmit - telbar zur Geſelſchaft unter einander verbunden, ſo er - zeugte doch die nachherige Verfeinerung oder Verderbt - heit der Menſchen ſo mannichfaltige zum Theil blos ein - gebildete Beduͤrfniſſe, daß nach und nach mehrere Voͤl - ker, beſonders die benachbarten, ihrer Vortheile wegen, freiwillig in naͤhere Vereinigung und Geſelſchaft zuſam - mentraten, die mit der Zeit ſich immer weiter ausgebrei - tet hat. Aber dieſe gleichen Verbindungen machen noch eine Voͤlkerrepublick aus.

§. 6. Beitrit zur Voͤlkergeſelſchaft.

Wenn die Geſelſchaft unter den Voͤlkern nicht von der Natur ſelbſt herruͤhrt, ſo iſt zu Errichtung derſelben ein Vertrag, naͤmlich ihre ausdruͤckliche oder ſtilſchwei - gende Einwilligung noͤthig. In Anſehung der ausdruͤck - lichen hat es kein Bedenken; aber die Moͤglichkeit einer ſtilſchweigenden Geſelſchaft wollen einige bezweifeln, weil doch ein gemeinſchaftlicher Endzweck erforderlich ſey,der153der Nazionen.der nicht wohl anders, als ausdruͤcklich feſtgeſetzt werden koͤnne. Dies lieſſe ſich allenfals von Geſelſchaften be - haupten, die einen beſondern Zweck zur Abſicht haͤtten, den man aus bloſſen Handlungen nicht errathen koͤnnte. Wenn aber bey dem iedem einzelnen Menſchen und gan - zen Voͤlkern natuͤrlichen Triebe nach Vervolkomnung, dieſe in mehrern vorfallenden Beduͤrfniſſen Huͤlfe bey einander ſuchen und ſolche wechſelſeitig einander leiſten, ſolte man da wohl noch zweifeln, daß ſie, auch ohne ausdruͤckliche Erklaͤrung, zu Befoͤrderung des gemein - ſchaftlichen Wohls ſich vereinigt haben? Und wenn nun ein ander Volk an den Vortheilen dieſer geſelſchaftlichen Verbindung Theil nimt und gleiche Wilfaͤhrigkeit bezeigt, ſo iſt deſſen Beitritt daraus billig zu folgern.

Schwerlich aber kan man mit Grunde vorausſetzen, daß ein Volk, welches zuerſt, in freundſchaftlichen oder feindlichen Verhaͤltniſſen, mit andern etwas zu ſchaffen bekomt, geſelſchaftlich leben wolle, weil ſein eigner Nu - tzen es erfordert. Gleichwohl gruͤnden verſchiedene Voͤl - kerrechtslehrer das geſelſchaftliche Benehmen der Voͤlker auf eine ſogenante praͤſumtive Einwilligung a]. Achen - wall hingegen erinnert gar wohl: quoniam ſocietas quae pacto duntaxat praeſumto nititur, jus et obligationem ſocialem producere nequit, ideoque non eſt ſocietas in - trinſece et per ſe ſpectata b].

Wer einmal in die Geſelſchaft getreten iſt, muß ſich uͤbrigens ihren Geſetzen unterwerfen, und kan ſich, ohne Einwilligung ſaͤmtlicher Glieder, davon nicht trennen. Zu Vernichtung der ſtilſchweigenden Geſelſchaftserrich - tung behaupten daher die Gegner, daß diejenigen, wel - che nur ſtilſchweigend auf einerley Zweck arbeiteten, wil - kuͤhrlich ſich trennen koͤnnten, weil ſie durch nichts zur Geſelſchaft ſich verbindlich gemacht. Allein zween oder mehrere, die zufaͤlligerweiſe zuſammenkommen, und blos ieder fuͤr ſich auf einerley Zweck arbeiten, machen frei -K 5lich154Von den geſelſchaftlichen Verbindungenlich noch keine Geſelſchaft aus; die Handlungen muͤſſen gemeinſchaftlich und wechſelſeitig geſchehen: und als - dann kan derienige der zeithero ſtilſchweigend ſich als ein Glied der Geſelſchaft betragen, eben ſo wenig, als der - ienige, der ausdruͤcklich ſich dazu bekant hat, eigenwillig ſich trennen, weil er ſonſt den uͤbrigen, die vermoͤge des vorigen Benehmens, auf ſeinen Beiſtand rechneten, vielleicht einen unerſetzlichen Schaden und alſo die ſtaͤrkſte Beleidigung zufuͤgen wuͤrde.

a]Wolf gruͤndet ſeinen von der Natur hergeleiteten großen Weltſtaat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung [quaſi pacta] der Voͤlker, weil ſie gewis einwilligen wuͤr - den, wenn ſie ihren wahren Nutzen kennten. Quoniam itaque gentes, ſagt er am ang. O. §. 9. quae commo - da inde naſcentia norunt, impetu naturali in hanc con - ſociationem feruntur, quae genus humanum, ſeu gen - tes omnes inter ſe colligat, ceterae autem in eam con - ſenſurae praeſumuntur, ſi bona ſua noßent; quidni quaſi pacto etiam in ſocietatem coaluiße dicendae ſunt?
a]
b]Jus Naturae L. II. S. I. T. 1. §. 9.
b]

§. 7. Zweck dieſer Geſelſchaft.

Der Menſch iſt mit dem Triebe nach Gluͤckſeligkeit und Vervolkommung gebohren. Die Bemuͤhungen dar - nach ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen auſſergeſelſchaftli - chen Zuſtande blos einſeitig: ieder ſorgt nur fuͤr ſich und ſeine eignen Beduͤrfniſſe. Er muß, will er andere zu ſeinem Vortheil vermoͤgen, mit ihnen in naͤhere Verbin - dung d. i. in Geſelſchaft treten. Die Natur ſelbſt zeigt ihm die erſte und einfachſte Geſelſchaft in der ehelichen und daraus entſpringenden haͤußlichen Verbindung. Da aber der Menſch in dieſer allein noch nicht alle ihm moͤg -liche155der Nazionen.liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, ſuchte er die Befriedigung ſeiner Wuͤnſche und immer zunehmenden Beduͤrfniſſe in der Geſelſchaft mit andern Familien. Daraus entſtanden theils durch Unteriochung, theils durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit buͤrgerliche Geſelſchaften, deren ſcheinbare Vortheile einer geordne - tern noch volkomnern gemeinſchaftlichen Unterſtuͤtzung, die urſpruͤngliche Freiheit vergeſſen machten. Aber auch dieſe politiſche Vereinigung gnuͤgte dem raſtloſen Vol - kommenheitstriebe der Menſchen noch nicht. Um auch an denienigen Vergnuͤgen Theil zu nehmen, welche ſie bey andern Nazionen ſahen, oder um die ihrigen wenig - ſtens ruhiger und ſicherer zu genieſſen, hielten ſie die ge - ſelſchaftliche Verbindung mehrerer Voͤlker fuͤr nothwen - dig. Dieſe erfolgte daher in keiner andern Abſicht, als um ſich wechſelſeitigen Beiſtand zu leiſten, und ihre gemeinſchaftliche Wohlfahrt mit vereinig - ten Kraͤften zu befoͤrdern.

*]Wolf proleg. §. 8. Vattel prélim. §. 12.
*]

§. 8. Grundgeſetze der Voͤlkergeſelſchaften.

Jede Geſelſchaft muß ihre dem gemeinſchaftlichen Zweck angemeſſenen Geſetze haben. Einzelne Menſchen und Voͤlker, im natuͤrlichen Zuſtande, ohne geſelſchaft - liche Verbindung, waren nur fuͤr ſich und fuͤr ihr eignes Wohl beſorgt: um ſich die Beihuͤlfe anderer zu verſichern, traten ſie in eine Geſelſchaft. Hier muͤſſen ſie daher alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemein - ſchaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei - tragen, ſo weit die Pflichten gegen ſich ſelbſt es erlauben a]. Dies iſt der algemeinſte, der Natur einer ſolchen Vereinigung angemeſſenſte Grundſatz, daraus muͤſſen die Regeln in einzelnen Faͤllen hergeleitet werden,auch156Von den geſelſchaftlichen Verbindungenauch wenn ſie durch eine Zuſammenkunft ſaͤmtlicher in Verbindung ſtehender Voͤlker zu beſtimmen waͤren b]. Da dieſe Zuſammenkunft aber nicht wohl thunlich, ſo ſind die blos aus dem Zweck der Geſelſchaft hergeleiteten Grundſaͤtze die ſicherſten.

a]Einige Voͤlkerrechtslehrer unterſcheiden, nicht ganz ohne Grund, die geſelſchaftlichen Pflichten in volkomne [jus ſociale neceſſitatis] und unvolkomne [jus ſociale huma - nitatis]. Aus den erſten fließt der Grundſatz: Thue das, was das gemeine Wohl der Geſelſchaft nothwen - dig erfordert; aus den letztern: Suche auf alle Art und Weiſe das gemeinſchaftliche Wohl der Geſel - ſchaft zu befoͤrdern. Nur iene duͤrften ein Zwangs - recht zulaſſen und im eigentlichen Voͤlkerrechte Platz finden.
a]
b]Wolf laͤßt die Geſetze ſeines algemeinen demokratiſchen Weltſtaats durch die Mehrheit der Stimmen beſonders der geſitteten Voͤlker feſtſetzen. Der große Weltſtaat, ſagt er, erfordert gewiſſe Geſetze. Dieſe koͤnnen und muͤſſen durch den Willen der Glieder beſtimt werden. Da aber nicht alle Voͤlker des Erdbodens zuſammen kommen koͤnnen, ſo gilt dasienige, worein die Voͤlker willigen ſolten, wenn ſie den Vorſchriften einer geſunden Vernunft folgten: Cum in ſtatu populari neceſſe ſit, ut ſinguli in certo loco conveniant et ſuam de eo, quod fieri debet voluntatem declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or - bem disperſae inter ſe convenire nequeant, quod per ſe patet, pro voluntate omnium gentium habendum, in quod conſentire debent, ſi ductum naturae ſecutae ratione recte utantur, conſequenter patet, quatenus ad - mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora - tioribus placuit. Der Ungrund dieſer Behauptungen wird ſich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne - rungen ſattſam ergeben.
b]
§. 9.157der Nazionen.

§. 9. Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker, welche in einer geſelſchaftlichen Ver - bindung ſtehn.

Wenn mehrere Perſonen oder Voͤlker in eine Geſel - ſchaft zuſammentreten, ſo iſt iedes Mitglied verbunden, das zu thun, was der gemeinſchaftliche Zwek erfordert, und zu unterlaſſen, was demſelben zum Nachtheil gerei - chen koͤnte, ſo wie es berechtigt iſt, von den uͤbrigen ein gleiches zu verlangen. Sie haben in Abſicht des gemein - ſchaftlichen Wohls alle gewiſſe beiahende und volkomne Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergeſtalt, daß ſie, im Fall ſie ihren Pflichten kein Gnuͤge thun, zu deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechſelſeitig genoͤ - thigt werden koͤnnen. Dieſe Gerechtſame flieſſen unmit - telbar aus dem geſelſchaftlichen Vertrage. Es bedarf daher keiner buͤrgerlichen Regierung unter den Voͤlkern, dergleichen Wolf bey ſeinem großen Weltſtaat in demo - kratiſcher Form annimt. Warum ſoll man eine dem Begriffe freier Voͤlker nachtheilige Oberherſchaft ſich ein - bilden, da der gleiche Vertrag eben dieſelbe Wuͤrkung hervorbringt b].

a]Wolf proleg. §. 12. u. f.
a]
b]Wolfs nachdruͤcklicher Aeuſſerung ungeachtet, indem er ſagt: Paradoxon nonnullis videbitur imperium iſtud. Sed hi erunt, qui civitatis maximae notionem diſtinctam non habent, nec utilitatem perſpiciunt cui natura pro - videt, dum civilem quandam ſocietatem inſtituit inter gentes. Proleg. §. 15. not. bekenne ich mich gleichwohl zu denen, welche den Nutzen dieſer buͤrgerlichen Voͤlkerge - ſelſchaft nicht einſehn.
b]*]158Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
*]Daß der Umfang dieſer geſelſchaftlichen Rechte und Ver - bindlichkeiten, inſofern ſie aus der Natur einer geſelſchaft - lichen Vereinigung und der mit der Zeit dabey weſentlich gewordenen Nebendinge durch Vernunftſchluͤſſe ſich herlei - ten laſſen, das von vielen misverſtandene freiwillige Voͤl - kerrecht ausmache, habe ich ſchon oben in der Einleitung §. 4. u. 7. gezeigt, auch dabey erinnert, daß, auſſer dem freiwilligen Beitrit der Voͤlker zur Geſelſchaft, es keiner weitern praͤſumtiven Einwilligung in die Vorſchriften dieſes freiwilligen Voͤlkerrechts, oder einer beſondern Errichtung dahin gehoͤriger Geſetze uͤberhaupt, durch die geſitteten Na - zionen, wie Wolf behauptet, beduͤrfe. Denn wodurch ha - ben einige wenige Voͤlker dieſe Gewalt erlangt, und wozu iſt ſie noͤthig, da dieſelben, nach Wolfs eigner Meinung, nichts weiter feſtſetzen ſollen, als was die Natur vorſchreibt? Iſt das, was mehrere geſittete Voͤlker unter ſich eingefuͤhrt haben, den Vorſchriften der Natur nicht durchaus gemaͤs, ſondern aus wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen hergeleitet, ſo kan es ohnmoͤglich fuͤr ein freiwilliges Voͤlkergeſetz angeſehen werden, das die uͤbrigen, mit denen ſie in Verdindung ſtehn, noch weniger alle Voͤlker des Erdbodens verbinden muͤſte. Stimt es hingegen mit der Natur uͤberein, ſo iſt es nicht darum verbindlich, weil geſittete Voͤlker es befol - gen, ſondern weil die Natur es gebeut. Uebrigens wir - die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts fuͤr die europaͤiſchen Nazionen daraus erhellen, daß ſie durch ge - ſelſchaftliche Bande mit einander verknuͤpft ſind.
*]

§. 10. Geſelſchaftliche Verbindung der europaͤi - ſchen Nazionen.

Laͤßt ſich, nach Moſers Urteil, gleich nicht behaup - ten, daß Europa als ein einiger Staatskoͤrper, oder als eine große Republick anzuſehn, und daß ſamtliche euro -paͤiſche159der Nazionen.paͤiſche Voͤlker ein Syſtem verbundener Staaten [ſyſte - ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum] ausmachten, ſo kan man doch eben ſo wenig ſagen, daß ſie an und fuͤr ſich auſſer aller Verbindung ſtuͤnden a]. Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyron b], der den Voͤlkern Europens, ihrer allerſeitigen Verbindung wegen, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Intereſſe beilegt, fuͤr vorzuͤglicher. Die europaͤiſchen Nazionen ſtanden von den aͤlteſten Zeiten her, beſonders ſeitdem die meiſten derſelben die roͤmiſche Oberherſchaft erkennen muſten, in Verbindung. Zwar ward dieſelbe mit dem Umſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums groͤſtenteils zerriſſen, es entſtand iedoch, bey Wiederauflebung dieſes Kaiſerthums in den Fraͤnkiſchteutſchen Regenten, hauptſaͤchlich unter Karl und Otto dem Großen, ein ander Syſtem, das alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich - ſam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den Papſt und roͤmiſchen Kaiſer verband; wie aus den folgen - den §. §. mit mehrerm zu erſehen ſeyn wird. Auch dieſe oberherſchaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein Ende; aber die Glieder dieſes ehemaligen großen Staats - koͤrpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die freien geſelſchaftlichen Bande dennoch bey und knuͤpften ſolche, in Anſehung der Handlung und der wechſelſeiti - gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we - nig europaͤiſche Staaten mehr, die durch Freundſchafts - Handlungs - und andere Tractaten nicht mit einander verbunden waͤren, die gewoͤhnlich eine wechſelſeitige Freundſchaft und Unterſtuͤtzung als den Hauptgrund vor - ausſchicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus - druͤcklichen Vertrag vereinigt, ſo giebt es deren doch viele unter einzelnen Nazionen, und der ſtilſchweigenden Anerkentniſſe einer unter ihnen verhandenen algemeinen Verbindung noch mehrere. Dahin gehoͤren beſonders die faſt von allen Hoͤfen bey den andern befindlichen beſtaͤn -digen160Von den geſelſchaftlichen Verbindungendigen Geſandſchaften, gewiſſe algemeine angenommene Grundſaͤtze bey entſtehenden Kriegen unter einander ꝛc. Es iſt daher kaum zu bezweifeln, daß die europaͤiſchen Nazionen, ihres gemeinſchaftlichen Intereſſe wegen, zu Beobachtung des geſelſchaftlichen oder freiwilligen Voͤl - kerrechts verbunden ſind c]. Selbſt die Vorſchriften der chriſtlichen Religion, zu der ſie, auſſer der Pforte, alle ſich bekennen, thun in ihrer Maaße hierbey das ihrige.

Dieſes gemeinſchaftliche Intereſſe und geſelſchaftliche Band wird unter denen Voͤlkern allerdings ſichtlicher, welche an einander grenzen, oder an der See liegen, und dadurch mehr Gelegenheit haben mit den uͤbrigen Glie - dern durch Handlung, Krieg und andere Vorfallenheiten zuſammenzutreffen. Nur muß man bey dieſer Verbind - ung kein eigentliches Staatenſyſtem, das eine Art ge - meinſchaftlichen Oberhaupts haͤtte, ſondern lediglich eine gleiche Geſelſchaft annehmen.

a]Der Etatsrath Moſer ſagt in ſeinem Europ. Voͤlkerrecht in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 1. Die europaͤiſchen Nazionen ſtuͤnden an und fuͤr ſich auſſer aller Verbin - dung; iedoch haͤtten ihre natuͤrliche Lage, die den meiſten gemeinſchaftliche chriſtliche Religion und die Vorſorge fuͤr ihre Aufrechterhaltung gegen die Uebermacht anderer, eine gewiſſe Art von Verbindung unter ihnen eingefuͤhrt, und in dem Verſuche 1. B. 1. C. §. 14. S. 33. ſie waͤren in keiner voͤlligen und eigentlichen Verbindung, iedoch in einer freiwilligen mehreren, als alle andere Staaten der uͤbrigen Welttheile. Wenn er damit ſo viel ſagen will, daß die europaͤiſchen Nazionen weder von Natur zur Geſel - ſchaft verbunden, noch in einen einigen Staatskoͤrper, wo gewiſſe Regierungsgegenſtaͤnde von gemeinſchaftlicher Ent - ſchließung abhangen, vereinigt ſind, wohl aber in einer freiwilligen durch das gemeinſchaftliche Intereſſe erzeugten gleichen Verbindung ſtehn, ſo pflichte ich ihm volkommen bey; auſſerdem ſcheinen mir dieſe Ausdruͤcke etwas dunkel.
a]b]161der Nazionen.
b]Les nations de l’Europe, ſagt er, étant toutes alliées entre elles, agißent en vertu de l intérêt commun, qui eſt plus ou moins etendu, ſelon la plus ou moins grande etendue des alliances qu elles ont reſpective - ment entre elles. Princip. du D. de G. L. I. c. I. Art. I. §. 5. vergl. §. 23.
b]
c]Verſchiedene europ. Nazionen haben auch, nicht blos eine geſelſchaftliche Verbindung unter den Voͤlkern in Europa, ſondern auch iene algemeine obwohl unerweißliche Voͤlkerge - ſelſchaft in oͤffentlichen Staatsſchriften anerkant und ſolche als die Quelle gewiſſer einander ſchuldiger Pflichten ange - ſehn. Schon Koͤnig Eduard IV. von England ſagt in einem Schreiben an alle Koͤnige, Fuͤrſten, Herrn und Richter des Erdbodens vom 14. Maͤrz 1553, das er denen auf Entdeckungen im weiſſen Meere ausgehenden engliſchen Kaufleuten mitgab: Da der allerhoͤchſte Gott unter allen lebenden Creaturen dem Menſchen ein ſehnliches Verlangen mitgetheilt hat, daß er gern mit andern im Umgang lebe, auch wechſelsweiſe einer dem andern Gefaͤl - ligkeiten und Gutthaten zu erzeigen und zu erwiedern ſich beſtrebe. Denn Gott des Himmels und der Erden hat zum algemeinen Beſten der Menſchen geordnet, daß nicht ein iedes Land eine iedwede Sache hervorbringe, da - mit iedes Land und iedes Volk eines des andern benoͤthigt ſey und auf dieſe Weiſe eine algemeine Freundſchaft in der Welt errichtet werde. In der Wiener Convention vom 28. Auguſt 1736, zwiſchen dem Kaiſer und Frankreich wegen Lothringen heißt es Art. 7. auch: Les droits qui dans la ſociété des Nations ſont reconnus et admis pour des attributs et des appartenances de la qualité et du rang de Souverain etc.
c]
L§. 11.162Von den geſelſchaftlichen Verbindungen

§. 11. Die europaͤiſchen Nazionen aber haben weder ein geiſtliches Oberhaupt;

In den ſogenanten mitlern Zeiten, wo Unwiſſenheit und Aberglauben uͤberall das Ruder fuͤhrten, erſann die Verſchlagenheit der Paͤpſte und der Kleriſey, die noch allein in dem Beſitz einiger Aufklaͤrung ſich befand, ein ihrer Herrſch - und Habſucht voͤllig angemeſſenes Syſtem. Sie gaben das roͤmiſch-teutſche Reich fuͤr die vierte und letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a], welche auf goͤttlichem Befehl vom Papſte den Beher - ſchern des fraͤnkiſch-teutſchen Reichs uͤbertragen worden. Dieſe war fuͤr das Reich Chriſti anzuſehn, ob er gleich ſelbſt erklaͤrt hatte, daß ſein Reich nicht von dieſer Welt ſey, in welcher alle chriſtliche Voͤlker gleichſam in einer Republick begriffen waͤren. Man ſuchte zu bewei - ſen, daß es eine zwiefache von Gott ſelbſt geordnete ſichtbare hoͤchſte Gewalt auf Erden gaͤbe, die als Statthal - ter Chriſti iene chriſtliche Republick regieren ſolten, naͤm - lich der Papſt im Geiſtlichen und der Kaiſer im Weltli - chen. Dieſe wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver - glichen, iedoch muſte die geiſtliche Gewalt uͤber die welt - liche wie die Seele uͤber den Leib und die Sonne uͤber den Mond erhaben ſeyn b].

Es iſt erſtaunend, welche Herſchaft die Paͤpſte aus dieſen Grundſaͤtzen, durch allerhand erkuͤnſtelte Folgerun - gen uͤber die chriſtlichen Voͤlker in Europa ſich angema - ßet, und ſolche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen - ten, weil ſie ihnen oͤfters Kron und Reich verdankten, theils durch deren Unvermoͤgen, Unwiſſenheit und Aber - glauben wuͤrklich erlangt und wie weit ſie ihren Stolz uͤberhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich, doch wenigſtens uͤber die Engel erhaben d] zu ſeyn waͤh -nend,163der Nazionen.nend, ſchalteten ſie uͤber Fuͤrſten und Laͤnder wie uͤber ihr Eigenthum, und ſetzten die Regenten nach Gefallen ein und ab e]. Am weiteſten ging hierinn der herſchſuͤchtige Papſt Gregor VII. deſſen abſcheuliche Grundſaͤtze bekant genug ſind f].

Faſt alle Regenten Europens muſten in ienen dunkeln Zeiten ſich dem Joche der paͤpſtlichen Hierarchie nicht nur im Geiſtlichen, ſondern auch im Weltlichen g] mehr oder weniger unterwerfen. Nachdem man den Paͤpſten ein - mal die hoͤchſte Gewalt im Geiſtlichen eingeraͤumt hatte, ſo fiel es ihnen nicht ſchwer auch in weltlichen Angelegen - heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie konten auch auf die Wilfaͤhrigkeit der Fuͤrſten um ſo eher rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewoͤhnlich den Geiſtlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu dienlichen Grundſaͤtze zeitig genug beizubringen nicht ver - gaſſen. Selbſt von den roͤmiſchen Kaiſern, welche doch die zweite Statthalterſtelle Chriſti auf Erden bekleiden ſolten und den hauptſaͤchlichſten Grund zum paͤpſtlichen Anſehen gelegt hatten, verlangten die Paͤpſte kindlichen Gehorſam h], Vaſallenpflicht i], ia ſogar Tribut und Unterwerfung. Verſchiedene Kaiſer muſten wuͤrklich nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l], Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh - rere. Doch hatten auch andere und beſonders die folgen - den Kaiſer Muth und Entſchloſſenheit genug, ſich den uͤbertriebenen Foderungen der Paͤpſte ſtandhaft zu wider - ſetzen m] und ihre Abſichten zu vereiteln. Gleichwohl waren ſie damals noch nicht vermoͤgend, das paͤpſtliche Joch gaͤnzlich abzuſchuͤtteln n].

Auf gleiche Art verfuhren die Paͤpſte mit den uͤbrigen Koͤnigen und Fuͤrſten in Europa. Die meiſten derſelben waren, wie ich ſchon im vorigen Kapitel gedacht, dem paͤpſtlichen Stuhle lehn - oder zinsbar oder auf andere Art von ihm abhaͤngig: ſie muſten ihren Befehlen gehorchen,L 2und164Von den geſelſchaftlichen Verbindungenund die vorfallenden Regierungsſtreitigkeiten ihrer Ent - ſcheidung uͤberlaſſen o]. Die Geſchichte iſt voll von Bei - ſpielen der paͤpſtlichen Herſchaft in Portugal, Arrago - nien, Spanien, Frankreich, England, Sicilien, Daͤ - nemark, Ungarn und andern Reichen p].

Dieſe paͤpſtliche Gewalt fing iedoch an ſich zu vermin - dern, ſobald die Aufklaͤrung in Europa ein wenig be - gann. Den gefaͤhrlichſten Stoß aber erlitt ſie durch die 1517 angefangene Reformation q]; und ſeitdem iſt ſie taͤglich mehr in Verfall gekommen. Zwar lieſſen es die nachherigen Paͤpſte, bis in die neuern Zeiten an Verſu - chen nicht fehlen, ihre ehemalige Macht wieder geltend zu machen; aber ohne ſonderlichen Erfolg r].

Dermalen handelt iede europaͤiſche Nazion im Geiſt - lichen und Weltlichen nach eignem Gutduͤnken, ohne um den Papſt ſich viel zu bekuͤmmern s]. Zwar raͤumen die der catholiſchen Religion zugethanen Regenten ihm noch verſchiedene Vorzuͤge ein, aber die ehemaligen ihm als Statthalter Chriſti und ſichtbares Haupt der Chri - ſtenheit gebuͤhrenden Gerechtſame haben groͤſtenteils ihr Ende erreicht. Werden dem Papſte auch in dieſem oder ienem Reiche noch einige Rechte zugeſtanden, ſo gruͤnden ſich dieſe doch nicht auf eine vermeintliche Oberherſchaft ſondern auf Vertraͤge oder Herkommen unter beiden Theilen.

a]I. St. Puͤtteri Specimen juris publici et gentium medii aevi de inſtauratione Imperii Romani ſub Carolo M. et Ottone M. facta ejusque effectibus. Goetting 1784. 8. cap. VI.
a]
b]Duo ſunt, ſagt dem Vorgeben nach, Papſt Gelaſius in einem Briefe an den Kaiſer Anaſtaſius 494, [oder, wie erweislicher, Papſt Gregor VII. im Jahr 1080] quibus principaliter hic mundus regitur: auctoritas ſacra, pon - tificum et regalis poteſtas. Can. 10. diſt. 96. und PapſtInno -165der Nazionen.Innocenz III. ſchreibt 1198 an den Kaiſer zu Konſtantino - pel: Fecit Deus duo magna luminaria in firma - mento coeli: luminare majus, ut praeeßet diei, et luminare minus, ut praeeßet nocti. Vtrumque magnum ſed alterum maius. Ad firmamentum igitur coeli, hoc eſt, univerſalis eccleſiae, fecit Deus duo magna luminaria, id eſt, duas inſtituit dignitates, quae ſunt pontificalis auctoritas et regalis poteſtas. Sed illa, quae praeeſt die - bus, i. e. ſpiritualibus, major eſt, quae vero carnalibus, minor: ut quanta eſt inter ſolem et lunam, tanta inter pontifices et reges differentia cognoſcatur. cap. 6. §. 4. X. de maioritate et obedientia. Man vergl. Gerohus de corrupto eccl. ſtatu ap. Baluz. Miſcel. T. V. p. 65. Das Gleichnis der Schwerdter braucht Kaiſer Friedrich I. in einem Briefe an die italiaͤniſchen Biſchoͤfe bey Gelegenheit der, nach Hadrians IV. Tode, ſpaltigen Papſtwahl 1162, mit folgenden Worten: Quod Deus in paſſione Chriſti ſilii ſui duobus gladiis contentus fuit, hoc in romana eccleſia et in imperio credimus mirabili providentia declaraße, quum per haec duo rerum capita et principia totus mundus tam in divinis quam in humanis ordinetur. Quumque unus Deus, unus Papa, unus imperator ſufficiat, et una eccleſia Dei eße debeat etc. Radevi - cus lib. II. cap. 56. ap. Murator Script. Ital. T. 6. p. 833. Man vergl. den Sachſenſpiegel 1. B. 1. Art. nebſt der Gloſſe.
b]
c]Rhegino ſagt vom Papſt Nikolaus I. Regibus ac tyran - nis imperavit eisque ac ſi Dominus orbis terrarum, authoritate praefuit ad an. 868. Kaiſer Friedrich II. ließ ſich in ſeinen Streitigkeiten mit dem Papſt, in einem Schreiben an die teutſchen Reichsſtaͤnde alſo heraus: Pon - tifices Romanos auctos divitiis et dignitate a ſe atque ceteris imperatoribus, aemulos eße pertinaciſſimos omnium regum et principum, neque parem vltro ferre poße. Manibus pedibusque noctes diesque id eosL 3conari166Von den geſelſchaftlichen Verbindungenconari, vt non tam ſe quam ſacro ſancto Romanorum im - perio, tanquam capite oppreßo, facile ceteris membris omnibus ſervitutem imponant: affectare eos dominatio - nem atque divinitatem, nempe vt ab omnibus haud aliter, imo magis quam Deus timeantur. Aventini Annal. Boic. L. VII. p. 416. Noch verdient die Schilde - rung ſelbſt eines Erzbiſchofs von Salzburg, Eberhard, in einer Rede an die bayerſchen Staͤnde, von den Aus - ſchweifungen der Paͤpſte bemerkt zu werden: Sub pontifi - cis maximi titulo, paſtoris pelle, lupum ſaeviſſimum, niſi caeci ſumus, ſentimus. Romani flamines arma in omnes habent Chriſtianos, audendo, fallendo et bella ex bellis ſerendo magni facti, oves trucidant, occi - dunt, pacem concordiam terris depellunt, inteſtina bella, domeſticas ſeditiones ab inferis eliciunt in dies magis atque magis omnium vires debilitant, ut omnium capitibus inſultent, omnes devorent, univerſos in ſer - vitutem redigant. Ferre parem non poßunt, non deſiſtent, donec omnia pedibus ſuis conculcave - rint, atque in templo Dei ſedeant, extollanturque ſupra omne id, quod colitur: fames opum, ſitis hono - rum inexplebilis eſt: quo plura avido conceßeris, eo plura appetit: porige digitum et manum concupiſcet. Licentia omnes ſumus deteriores. Qui ſervus ſervo - rum eſt, Dominus Dominorum, perinde ac ſi Deus foret, eße cupit. Aventin. Annal. p. 420.
c]
d]Auguſtinus Triumphus ein Auguſtinermoͤnch im vierzehn - ten Jahrhundert beweißt, in ſeiner Abhandlung de pote - ſtate eccleſiaſtica quaeſt. IX. daß der Papſt den Vorzug vor den Engeln habe. Nulli angelo, ſagt er, commißa eſt jurisdictio et cura totius orbis; ſed Papae totius orbis jurisdictio et cura eſt commißa.
d]
e]Papſt Hadrian IV. trug kein Bedenken, den teutſchen Reichsſtaͤnden zu ſchreiben: Ecce in poteſtate noſtra eſt, ut demus imperium, cui volumus. Proptereacon -167der Nazionen.conſtituti a Deo ſuper gentes ac regna, ut deſtruamus et vellamus et aedificemus et plantemus. Aventin. Annal. l. 6. c. 5. p. 607. Novum eſt autem, wendet ſogar ein Biſchof von Verdun dem Papſt Gregor VII. in einem Schreiben ein, et omnibus retro ſaeculis inaudi - tum pontifices regna gentium tam facile velle dividere. Nomen regum inter ipſa mundi initia repertum, a Deo poſtea ſtabilitum repentina factione elidere, Chriſtos domini, quoties libuerit, plebeia ſorte ſicut villicos mutare, regno patrum ſuorum decedere jußos, niſi confeſtim adquieverint anathemate damnare. Epiſtola Theodorici Virdun Epiſc. ad Gregor. VII. apud Mar - tone T. I. p. 224. Bellarmin endlich Lib. V. de Roma - no pontif. C. I. verdamt dieienige Meinung als eine Ketze - rey, quae negat, Pontificem, ut pontificem et ex jure divino habere poteſtatem temporalem et principibus ſecularibus imperare poße eosque regnis et principatu privare, etiamſi illo privari alioquin mereantur.
e]
f]Man findet ſie beim Roußet Suplément au Corps di - plom. de Dumont T. 2. p. 30. und anderen Orten. Iſt es gleich noch nicht ganz ausgemacht, daß die ſogenauten Hildebrandiſchen Dictata auf der geiſtlichen Verſamlung zu Rom 1076 wuͤrklich feſtgeſetzt worden, ſo hat doch der paͤpſtliche Hof ſolche in ſeinem Benehmen ſattſam fuͤr guͤl - tig erkant.
f]
g]Auf dem lateraniſchen Concilio 1515, ging man ſo weit in einer Rede an den Papſt Leo X. die Worte Pſalm 72, 11. auf ihn alſo anzuwenden: Alle Koͤnige auf Erden werden ihn anbeten und alle Voͤlker ihm dienen, mit dem Zuſatz: non ignari ſunt homines, omnem tibi uni in coelo et in terra traditam a Domino poteſtatem, ut non ſpiri - tualibus tantum viris, ſed terrenis quoque huius ſecu - li poteſtatibus, in cauſa communis boni, jus dicere non pertimeſcas.
g]L 4h]168Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
h]Quis dubitet, ſagt Gregor VII. ſacerdotes Chriſti regum et principum omniumque fidelium patres et magiſtros cenſeri? Nonne miſerabilis inſaniae eße cognoſcitur, ſi filius patrem, diſcipulus magiſtrum ſibi conetur ſub - iugare, et iniquis obligationibus illum ſuae poteſtati ſubjicere, a quo credit non ſolum in terra, ſed etiam in coelis ſe ligari poße et ſolvi? Can. 9. diſt. 96.
h]
i]Die Formel, welche Gregor VII. dem Kaiſer Heinrich IV. deshalb vorſchrieb, und welche, oder eine aͤhnliche, er und einige ſeiner Nachfolger ablegen muſten, lautete fol - gendergeſtalt: Ab hac hora et deinceps fidelis ero per rectam fidem B. Petro apoſtolo ejusque vicario papae Gregorio et quodcunque mihi ipſe papa praeceperit ſub his videlicet verbis: per veram obedientiam fideli - ter ſicut oportet Chriſtianum, obſervabo. Et eo die, quando illum primitus videro, fideliter per manus meas miles ſancti Petri et illius efficior. Kaiſer Otto IV. ſchwor alſo: Tibi etiam Domino meo Innocentio papae et ſucceßoribus tuis omnem obedientiam et ho - norificentiam exhibebo, quam devoti et catholici Impe - ratores conſueverunt ſedi apoſtolico exhibere. Regiſtr. Innocent. III. Ep. 77.
i]
k]Die ſchimpfliche Reiſe dieſes Kaiſers nach Rom und ſeine dortige Aufnahme beim Papſt ſind bekant genug.
k]
l]Dieſer Kaiſer muſte dem Papſt Hadrian IV. als dieſer ienen im Lager beſuchte, wiewohl nach einigen Streitigkei - ten, unter andern auch den Steigbiegel halten, wie Kaiſer Lothar dem Papſt Innocenz ebenfals gethan haben ſolte. Die Erzaͤhlung, daß Papſt Alexander III. dem Kaiſer, als er ſich ihm zu Fuͤſſen geworfen, auf den Kopf getreten habe, iſt iedoch laͤngſt fuͤr eine Fabel erklaͤrt. Von dem Steigbiegelhalten findet ſich in dem paͤpſtlichen Ceremo - nienbuche lib. I. Sect. 2. cap. 3. folgende ſchoͤne Verord - nung: Cum papa per ſcalam, quam ſuperius diximus, aſcendit equum, maior princeps, qui praeſens adeſt,etiamſi169der Nazionen.etiamſi rex eßet aut imperator, ſtapham equi papalis tenet, deinde ducit equum per frenum aliquantulum. Si imperator aut rex ſoli eßent, id eſt, non eßet alius rex, ſoli equum ducerent cum dextra manu, ſin vero eßet alius rex, dignior a dextra, alius a ſiniſtra frenum teneret. Si vero pontifex non equo ſed ſella veheretur, quatuor maiores principes, etiamſi inter eos imperator aut quivis maximus princeps ades - ſet, in honorem ſalvatoris Chriſti, ſellam ipſam cum pontifice humeris ſuis portare aliquantulum debent.
l]
m]Schon als nach Lothars II. Tode Papſt Hadrian II. ſich in die Erbfolgsſtreitigkeiten wegen Lothringen miſchte, ant - wortete ihm Karl der Kahle: omne regnum ſaeculi huius bellis quaeritur, victoriis propagatur et non apoſtoli - cis vel Epiſcoporum excommunicationihus obtinetur. Auch Kaiſer Friedrich I. ſchrieb an Hadrian IV. Qum per electionem principum a ſolo Deo regnum et imperium noſtrum ſit, quicumque nos imperialem coronam pro beneficio a domino papa ſuscepiße dixerit, divinae inſtitutioni et doctrinae Petri contrarius eſt et menda - cii reus erit. Radevic. ap. Murator. T. 6. p. 749. und Kaiſer Heinrich VII. entgegnete auf das paͤpſtliche Anſin - nen, das teutſche Reich von ihm zu Lehn zu nehmen: Novi exempli res eſt, nec uſurpata anteceßorum meo - rum temporibus principem principum ac orbis terrarum dominum ſervo ſervorum fidelitatis juramento obſtringi. Die Streitigkeiten Kaiſer Ludewigs des Baiern mit dem Papſt Johann XXII. hauptſaͤchlich uͤber die Beſtaͤttigung der Kaiſerwahl, und die von beiden Theilen, beſonders auch von Seiten der teutſchen Reichsſtaͤnde, geaͤuſſerten Geſinnungen ſind ebenfals merkwuͤrdig, aber fuͤr dieſen Ort zu weitlaͤuftig.
m]
n]Die Gewonheit der Regenten des roͤmiſch-teutſchen Reichs, die bis auf Maximilian I. in Uebung blieb, ſich nicht eher, als nach der roͤmiſchen Kroͤnung: roͤmiſche Kaiſer zuL 5nen -170Von den geſelſchaftlichen Verbindungennennen, war ein Hauptgrund von den Anmaſſungen der Paͤpſte. Sie ſahen dies als eine Beſtaͤttigung der Kaiſer - wahl an, und leiteten das Recht daraus her, die erwaͤhl - ten Kaiſer nach Gefallen anzunehmen oder zu verwerfen. Hadrian IV. ſagt in einem Schreiben an die teutſchen Erz - biſchoͤfe ſehr freimuͤthig: Romanum imperium a Graecis translatum eſt ad Alemannos ut rex Teutonicorum non ante, quam ab apoſtolico coronaretur, imperator voca - retur. Ante conſecrationem rex, poſt imperator. Vnde igitur habet imperium, niſi a nobis? ex electione principum ſuorum habet nomen regis, ex conſecra - tione noſtra habet nomen imperatoris et Auguſti et Caeſaris. Ergo per nos imperat. etc. Aventin. Annal. Boic. l. 6. c. 5. p. 609. Dagegen machten endlich Kai - ſer Ludewig IV. von Baiern und die Staͤnde des Reichs die bekante Conſtitution von 1338, quod Imperator ex ſola electione eorum, ad quos pertinet, verus efficitur Imperator, nec alicujus alterius eget confirmatione ſeu approbatione, quoniam in terris quoad temporalia non habet ſuperiorem, ſed eidem gentes ſubſunt et natio - nes. Schmauß Corp. I. P. Acad. S. 9.
n]
o]B. G. Struvii Jurisprud. heroica P. I. c. I. de obſer - vantia, iudicio et arbitrio inter gentes. §. 44. u. f.
o]
p]Aus der großen Menge von Beiſpielen will ich nur einige wenige beruͤhren. Alphons I. von Portugal machte, nachdem er 1139 den koͤniglichen Titel angenommen, ſein Reich dem paͤpſtlichen Stuhle lehn - und zinsbar, und erhielt dafuͤr die Beſtaͤttigung der koͤniglichen Wuͤrde. Peter II. von Arragonien bewilligt dem Papſt Innocenz III. 1204 fuͤr die koͤnigliche Kroͤnung ebenfals Zins. Spanien ſolte nach der Meinung Papſt Gregor VII. [Lib. I. epiſt. 7.] zum rechtmaͤßigen Eigenthum des heiligen Petrus gehoͤren. Papſt Zacharias ſetzte den fraͤnkiſchen Koͤnig Childe - rich 751 ab, ſchickte ihn in ein Kloſter und erhob an deſ - ſen Stelle den Pipin auf den Thron; wenigſtens gab erden171der Nazionen.den Unternehmungen des letztern durch ſeinen Beifall den Schein der Gerechtigkeit. Bonifaz VIII. gerieth mit Koͤ - nig Philip dem Schoͤnen von Frankreich in heftigen Streit, wobey erſterer eine Oberherſchaft im Geiſtlichen und Weltlichen zu behaupten ſuchte. Papa excommuni - cavit Philippum regem Franciae quod pecuniam extra regnum ſuum portare non permiſit et Alberti regis Romanorum electionem admiſit ſubjiciens ſibi regnum Franciae. Annal. H. Steronis Contin. ad an. 1302. Karl VIII. von Frankreich zog 1494 nach Italien und bezeigte dem Papſt durch einen Fußkuß ſeine Obedienz: Sainct père, ſagt er, je ſuis venu pour faire obedience et reverence à voſtre ſainctété comme ont accoustumé de faire mes predeceßeurs Roys de France. England muſte dem Papſte ſchon ſeit 725 Zins bezahlen: derſelbe wurde aber einigemal, beſonders unter Koͤnig Heinrich II. bey Gelegenheit des ermordeten Erzbiſchofs von Canterbury Thomas Becket erhoͤht. Dieſes Mordes wegen muſte Heinrich vor den paͤpſtlichen Geſandten ſchwoͤren: mortem Thomae martyris glorioſi nec voluntate nec conſcien - tia ſua perpetratam fuiße nec ſuo artificio perquiſitam. Sed quoniam malefactores ex verbis, quae rex pro - tulerat occaſionem virum Dei ſumpſerunt perimendi, rex cum ſumma humilitate abſolutionem poſtulans im - petravit etc. Matth. Paris. ad an. 1172. p. 88. Ebender - ſelbe Heinrich II. ſuchte auch zur Eroberung Irlaͤnds Er - laubnis beim Papſt. Johann ohne Land ward vom Innocenz III. der ſtreitigen Erzbiſchofswahl von Canterbury halber in den Bann gethan und ſah ſich genoͤthigt, England als ein zinsbares Lehn des Papſtes zu erkennen. Von den Koͤnigen in Daͤnemark verlangten die Paͤpſte Zins, blos weil ihnen einige Koͤnige etwa freiwillige Opfer ge - bracht hatten, und Koͤnig Chriſtoph I. ward, weil er den Erzbiſchof von Lunden, Jakob Erlandſon ins Gefaͤng - nis geſetzt, vom Papſt Alexander III. mit ſamt dem Rei -che172Von den geſelſchaftlichen Verbindungenche in den Bann gethan. Dergleichen Beiſpiele lieſſen ſich auch von andern Reichen mehrere anfuͤhren.
p]
q]Io. Guil. Iani diß. de dominatu pontificio in reges et principes poſt reformationem diminuto. Viteb. 1717. 4.
q]
r]Papſt Klemens VII. Unternehmungen gegen Kaiſer Karl V. in Neapel brachten ihn um die meiſten Gerechtſame in Spanien. Ebenderſelbe verlohr durch ſein uͤbereiltes Urteil gegen Koͤnig Heinrich VIII. von England ſein Anſehn und ſeine Einkuͤnfte in England. Vbi ſententiam contra ſe latam cognovit, graviſſimum odium in pontiſicem con - cipit, et continuo decretum facit, quo ſe per Angliam eccleſiae caput proximum a Chriſto pronunciat, et pon - tificatum plane proiicit, et capitis poenam conſtituit, ſi quis epiſcopo Romano ſupremam poteſtatem adſcri - bat: tributum etiam annuum Romani pontificis quae - ſtori dari ſolitum denegat etc. Sleidanus Lib. IX. ad an. 1534. Koͤnig Heinrich von Navarra und nachher der Vierte dieſes Namens in Frankreich, ließ, wie Thuanus erzaͤhlt, 1585 ſeine Appellation gegen die Excommunica - tionsbulle Papſt Sirtus V. worinn er und der Prinz Heinrich von Conde fuͤr unfaͤhig zum Thron erklaͤrt wur - den, in Rom oͤffentlich anſchlagen und nante den Papſt darin einen Luͤgner, Ketzer und Antichriſt, ſo lange er die Beſchuldigungen gegen ihn nicht erwieſe. Die Monito - rien, welche der Papſt Gregor XIV. 1591 wider ihn erge - hen ließ, wurden in den Parlamentsſitzungen zu Tours und Chalons fuͤr nulla, ſeditioſa, impietatis et impoſtura - rum plena erklaͤrt und zum Feuer durch die Hand des Scharfrichters verurteilt. Paul V. muſte in den Streitigkei - ten mit der Republick Venedig zu Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts ſogar bewilligen, ut interdictum Papae Venetiis coram principe et XXV. primariis ſenatori - bus, valvis clauſis, voce praeconis revocaretur, etc. Thuan. lib. 137. Noch weit mehr demuͤthigte Frankreich den Papſt Alexander VII. wegen der Beleidigungen, welcheder173der Nazionen.der franzoͤſiſche Geſandte zu Rom, Herzog von Creqvi 1662 erduldet hatte. Der Papſt muſte, nach langem Weigern, endlich 1664 zur Abbitte durch eine ſolenne Geſandſchaft, den Kardinal Chigi ſich verſtehn, und in Rom oͤffentlich eine Piramide aufrichten laſſen, worauf die Genugthuungsartickel befindlich waren. Zu gleicher Zeit 1663 gab die Sorbonne ihre Erklaͤrung uͤber die Gewalt der Paͤpſte dahin: I] Facultatis doctrinam non eße, quod ſummus Pontifex aliquam in temporalia regis Chriſtianiſſimi autoritatem habeat. II] Doctrinam facul - tatis eße, quod rex Chriſtianiſſimus, nullum omnino agnoſcat, nec habeat, in temporalibus ſuperiorem, praeter Deum etc. Dieſe ward zur kuͤnftigen Richtſchnur allen Kollegien und Kirchſpielen zugefertigt, und durch ein koͤnigliches Edikt 1682 noch mehr beſtaͤttigt. Noch in die - ſem Jahrhundert ließ Klemens XI. es ſich einfallen, der von Friedrich I. angenommenen koͤniglichen Wuͤrde von Preuſſen zu widerſprechen, weil es ohne ſeine Bewilligung geſchehen. Er ſandte deshalb Brevia an alle catholiſche Koͤnige und ermahnte ſie, den neuen Koͤnig dafuͤr nicht zu erkennen. Aber Erſtere achteten wenig darauf und Letz - terer gar nicht. Der Kanzler Ludewig zeigte die Unuͤber - legtheit des paͤpſtlichen Benehmens in einer Schrift: Nae - niae pontificales etc. oder teutſch: Paͤpſtlicher Unfug Cle - mentis XI. ꝛc. Halle 1701. Eben dieſer Papſt wolte ſogar den Kaiſer Joſeph I. wegen Behauptung deſſen Gerechtſa - me uͤber Parma und Placenz in den Ban thun; aber die kaiſerliche Macht bewog ihn bald zum Nachgeben. In dem Edikt vom 26. Jun. 1708 wider die erſchienenen paͤpſtlichen Bullen bezeigt der Kaiſer ſeine Verwunder - ung: Daß die Miniſtri des Roͤmiſchen Hofes ſich ſo weit vergangen, daß ſie ſich unterſtanden, zum Erſtaunen der ganzen Welt und algemeinen Aergernis der ſaͤmtlichen Chriſtenheit, wider die weltlichen Geſchaͤfte die geiſtlichen Waffen zu gebrauchen, und nachſtehende Schrift in dieWelt174Von den geſelſchaftlichen VerbindungenWelt ausfliegen zu laſſen: Nullitaͤts-Erklaͤrung ꝛc. Derowegen heißt es am Schlus, aboliren, caſſiren Wir zernichten zugleich und erklaͤren fuͤr ungerecht alles dasje - nige, was in mehrangezogener paͤpſtlichen Schrift unſerm und des h. R. Reichs hohen Rechte einigen Nach - theil bringen moͤchte. Wir gebieten zugleich Allen ꝛc. daß bey unnachbleiblicher Unſerer und des Reichs Ungnade, Confiscation aller Guͤter und unfehlbarer Leibesſtrafe, ſie ſich in keinen Stuͤcken nach demienigen richten ſollen, was in oftangefuͤhrten Scripto enthalten ꝛc. Fabers Staats - kanz. T. XIII. S. 548. Eben ſo ſtandhaft haben die euro - paͤiſchen Regenten bekantlich auch in den neuſten Zeiten den paͤpſtlichen Anmaßungen vermeintlicher Gerechtſame ſich widerſetzt.
r]
s]Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 12. S. 31.
s]
*]Ueber die Rechtmaͤßigkeit und Grenzen der paͤpſtlichen Gewalt in weltlichen Dingen ſind mehrmalen verſchiedene Schriften gewechſelt worden, von denen ich nur die vor - zuͤglichſten auszeichnen will. 1] Io. Zanger de excommunicatione maiore qua Pon - tifices in principes abuſi fuerunt. Viteb. 1607. 4. 2 ] Guil. Barclaji tract. poſthumus de poteſtate papae an et quatenus in reges et principes ſaeculares jus et imperium habeat? Frncf. 1609. Colon. 1610. 8. 3 ] Rob. Bellarminus de poteſtate Papae in temporalibus contra Barclajum. Colon. 1610. 8. 4 ] Ejusd. Libr. V. de Romano pontifice. Colon. 1610. 8. 5 ] Io. Barclaji Vindiciae pro regibus contra Bellarmi - num de poteſtate papae in rebus temporalibus. Paris 1612. 6 ] Henn. Arniſaeus de poteſtate pontificis temporali in principes. Frcf. 1612. 1624. 4. 7 ] Les droits des ſouverains defendus contre les ex - communications et les intérêts des Papes, par Fr. Paolo Sarpi, II. Vol. à la Haye 1721. Amſt. 1743. 12. 8]175der Nazionen.8] Io. Fr. de Beulwitz comment. de excommunica - tionis in Electorem S. R. I. eccleſiaſticum a Pontif. Rom. decretae effectibus civilibus. Halae 1743. 4. In neuern Zeiten hat das beruͤhmte Werk: Iuſtini Febro - nii de ſtatu eccleſiae et legitima poteſtate Romani Pontificis etc. viel Aufſehn und Streitigkeiten erregt, hauptſaͤchlich aber in Ruͤckſicht der geiſtlichen Gewalt. Die verſchiedenen Ausgaben, Ueberſetzungen ꝛc. findet man in A. Fr. Schott Suppl. Bibl. Jurid. Lipp. p. 385.
*]

§. 12. Noch ein weltliches.

Noch aͤlter iſt das Vorgeben von einer Oberherſchaft der roͤmiſchen Kaiſer uͤber die ganze Welt. Der bluͤhen - de Zuſtand der Roͤmer, die ihre ſiegreichen Waffen faſt uͤber alle damals bekante Welttheile verbreiteten, ſezte beſonders die Dichter in ſolchen Enthuſiasmus, daß ſie Rom nur das caput mundi und dominam orbis terrarum nanten a]. Die nachherigen Kaiſer waren eitel genug, den von Schmeichlern ihnen beygelegten Titel: mundi et totius orbis dominus nicht nur anzunehmen, ſondern ſich deſſen auch ſelbſt zu bedienen b]. Es iſt aber nicht wahrſcheinlich, daß ſie im Ernſt geglaubt haben, oder ſich uͤberreden laſſen, daß ihnen dieſer Titel wuͤrklich ge - buͤhre, da ſie auch nicht einmal Herrn der damals bekan - ten Welt waren c].

Nach der Theilung des roͤmiſchen Reichs in das mor - gen - und abendlaͤndiſche, und des letztern Zertruͤmmerung durch die Gothen, Vandalen, Longobarden und andere fremde Nazionen, lieſſen die Kaiſer dergleichen hochmuͤthi - ge Gedanken ſich vergehn. Auch bey der Erneuerung des roͤmiſchen Kaiſerthums unter Karl dem Großen, war deſſen Umfang noch in zu enge Grenzen eingeſchloſſen, als daß man daran haͤtte denken ſollen. Almaͤhlig aberund176Von den geſelſchaftlichen Verbindungenund beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung der kaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor - maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und Erdſtriche ausgegeben d]. Aus dieſem Grunde gebrauch - ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul - len, die Aufſchrift: Roma caput mundi, regit orbis fre - na rotundi und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum Inſigne e]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom Kaiſer Auguſtus alle Welt [verſteht ſich die der roͤmi - ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ - ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau - bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer hielt, der es wagte daran zu zweifeln f].

An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths hatten die Paͤpſte wohl den meiſten Antheil. Sie bedurf - ten zu ihrer Erhebung des kaiſerlichen Anſehens in mehr als einer Ruͤckſicht g]. Haͤtten ſie die Herſchaft der Welt ſich allein zuſchreiben wollen, ſo wuͤrden ſie von den Kaiſern, vermoͤge des Wahns ihrer vorigen Hoheit, zu viel Widerſpruch zu fuͤrchten gehabt haben. Sie brach - ten daher, obgedachtermaaßen, eine doppelte ſichtbare Oberherſchaft der Welt auf die Bahn, und raͤumten dem Kaiſer ebendieſelben Vorzuͤge uͤber andere Koͤnige und Fuͤrſten ein, welche die Paͤpſte uͤber die Patriarchen, Biſchoͤfe ꝛc. behaupteten; iedoch unbeſchadet der Gerecht - ſame der Kirche und des den Paͤpſten gebuͤhrenden Vor - ranges. Zur Entſchaͤdigung aber trugen dieſe den Kai - ſern den Schutz uͤber die chriſtliche Kirche und den paͤpſt - lichen Stuhl h] auf; wodurch die vermeintliche Ober - herſchaft des Kaiſers vorgeblich einen deſto groͤßern Glanz erlangen ſolte, im Grunde aber blos eigner Vortheilabge -177der Nazionen.abgezweckt war. Denn vermoͤge dieſer uͤbernommenen Advocatie muſten die Kaiſer die chriſtliche Religion, alle Kirchen, Kloͤſter ꝛc. gegen innere und aͤuſſere Anfaͤlle der Unglaͤubigen und Ketzer, ſelbſt mit gewafneter Hand, wenn es noͤthig war, vertheidigen und andere chriſtliche Regenten zu gleicher Beihuͤlfe anhalten. Eben dadurch aber ward die kaiſerliche Herſchaft mit der paͤpſtlichen zugleich immer weiter ausgebreitet i].

Die Kaiſer haben iedoch ihre angebliche Herſchaft uͤber die Welt, oder wenigſtens uͤber die Chriſtenheit nie ſo weit getrieben, als die Paͤpſte k]. Daß ſie vielmehr ſelbſt an der Richtigkeit dieſes Vorgebens zuweilen noch gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiſer Fridrich I. an die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarus l]. Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar - unter verſtanden wiſſen. Daher ſchrenkte man auch in der Folge dieſe Herſchaft gewoͤnlich blos auf Schutz und algemeine Regierung ein, die aber alles umfaſſen ſolte, nicht nur die wuͤrklichen Lande des teutſchen Reichs, ſon - dern auch alle dieienigen, worauf daſſelbe iemals ein Recht gehabt, oder noch haͤtte m].

Indes wurden dieſe Vorrechte den Kaiſern von den uͤbrigen chriſtlichen Regenten Europens faſt durchgaͤngig zugeſtanden. Laͤßt ſich gleich wider die Meinung des Grotius, daß die chriſtlichen Nazionen den Kaiſer zu ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwaͤhlt haͤtten n], noch manches erinnern; ſo iſt doch deren damalige ſtilſchwei - gende Anerkennung deſſelben nicht zu bezweifeln. Einige Regenten hatten den Kaiſern die koͤnigliche oder andere Wuͤrde zu verdanken und muſten daher aus Dankbarkeit ſich wilfaͤhrig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiſer uͤberwunden und dem Reiche gewiſſermaaßen verbindlich waren, als Daͤnemark, Polen, Ungarn ꝛc. durften eben ſo wenig ſich widerſetzen, und die uͤbrigen wurden theils durch die paͤpſtliche und kaiſerliche Macht, theils durchMden178Von den geſelſchaftlichen Verbindungenden Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen - ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten o]. Am einleuch - tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen, algemeinen Koncilien ꝛc.

Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni - gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie - ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker, Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber - haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot p]. Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts - barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten aufgefodert q]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken r]. Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an s], und die Standes - erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung der Notarien ꝛc.

Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher - ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr, nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen - ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls V. Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen, waren fruchtlos t]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,ſich279[179]der Nazionen.ſich eine ſolche Oberherſchaft zuzuſchreiben. Die in neuern Zeiten etwa noch vorkommenden Anſpielungen darauf ſind als ein leeres Ceremoniel zu betrachten u]. Jedoch aͤuſſern ſich noch verſchiedene Ueberbleibſel des Alterthums, beſonders in Abſicht der kaiſerlichen Praͤcedenz vor andern europaͤiſchen Nazionen x].

a]Martial giebt Rom den Beinamen: terrarum Dea gen - tiumque und Petronius bedient ſich folgender Ausdruͤcke: orbem iam totum victor Romanus habebat, qua mare, qua terrae, qua ſidus currit utrumque.
a]
b]Antonin der Fromme ſagt l. 9. π. ad leg. Rhod. de iactu von ſich: Ego quidem mundi dominus. Man hat Muͤnzen vom Kaiſer Julian, worauf er ſtehend eine Weltkugel in der rechten Hand haͤlt, mit der Aufſchrift: Rector orbis. Juſtinian ſchreibt l. un. C. de Iuſtin. Cod. fac. felix Romanorum genus omnibus ante - poni nationibus omnibusque gentibus dominari; und wird von Biſchoͤfen totius orbis poſt Deum dominus genant.
b]
c]Quirin Cubach in diß. an imperator Romanus recte dicatur dominus totius mundi? in Arumaei diſc. de jure publ. Vol. 4. diſc. 22. p. 94. ſcheint mir hieruͤber am richtigſten zu urteilen, wenn er ſagt: dici imperatorem dominum mundi, non quod ſit, vel umquam fuerit totius mundi dominus; ſed quod vel eius potiſſimam partem habuerit, vel toti mundo timorem ſuam ob po - tentiam invictam incuſserit.
c]
d]Wippo de vita Conradi Salici nent ſchon den Kaiſer Heinrich III. in der Zuſchrift: huius orbis dominum do - minantium; beim Piſtorius in ſcript Rer Germ. Kon - rad III. und die nachherigen Kaiſer wurden gewoͤnlich nur urbis et orbis domini genant.
d]
e]Pfalzgraf Ludewig uͤberreichte dem Grafen Wilhelm von Holland bey der Kroͤnung zum roͤmiſchen Koͤnig den Reichs -M 2apfel180Von den geſelſchaftlichen Verbindungenapfel mit den Worien: Accipe globum ſphaericum, ut omnes terrae nationes Romano imperio ſubjicias. Mo - ſers teut. Staatsrecht 3. Th. S. 76.
e]
f]Et forte, ſagt Bartolus ad l. 24. π. de captiv. et poſt - lim. rev., ſi quis diceret imperatorem non eße domi - num et monarcham totius orbis, eßet haereticus, quia diceret contra determinationem eccleſiae.
f]
g]Kaiſer Heinrich III. ſahe dies gar wohl ein, und gab es denen zu Florenz 1055 verſamleten Kirchenvaͤtern deutlich zu verſtehen, indem er ſie alſo anredete: Omnem orbem, quam late imperium Chriſtianorum patet, reſpicite, cuius incolumitas ſtare non poteſt, niſi ſit unus, cuius auctoritatem cuncti reſpiciant, cuius imperio devincti ſint, obtemperent voluntati. Reſpicite ſacroſanctam pontificum maieſtatem, quorum fluxa auctoritas eſt, niſi imperatorum armis et potentia muniatur. Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 27.
g]
h]Die Kaiſer begnuͤgten ſich auch damit um ſo mehr, und uͤbernahmen den angetragenen Schutz um deſto williger, da ſie den Paͤpſten die kaiſerliche Wuͤrde gewiſſermaaſſen verdankten. Kaiſer Ludewig laͤßt ſich in einem Schrei - ben an den griechiſchen Kaiſer Baſilius 871 daruͤber alſo heraus: Mirari ſe dilecta fraternitas tua ſignificat, quod non Francorum ſed Romanorum imperator appellemur; ſed ſcire te convenit, quia, niſi Romanorum impera - tor eßemus, utique nec Francorum. A Romanis enim hoc nomen et dignitatem aßumſimus, apud quos profecto primo tantae culmen ſublimitatis et appella - tionis effulſit, quorumque gentem et urbem divinitus gubernandam et matrem omnium eccleſiarum Dei de - fendendam atque ſublimandam ſuscepimus, ex qua et regnandi prius et poſtmodum imperandi auctoritatem proſapiae noſtrae ſeminarium ſumſit. Baronius tom. 10. ad an. 871. §. 67.
h]i]181der Nazionen.
i]Ein ſehr richtiges Urteil findet ſich hieruͤber in einem Gut - achten, welches uͤber die kaiſerliche Advocatie bey Gele - genheit der Bulle: Vnigenitus 1722. abgefaßt worden in Lunigii Script. ſelect. illuſtr. p. 117. Nachdemmalen auch die Roͤmiſch-Catholiſche Religion, heißt es daſelbſt, welche zu Zeiten Caroli M. ſich faſt innerhalb der Grenzen der fraͤnkiſchen Monarchie endigte, ſich auſſerhalb dieſes Reichs ausbreitete, und die Paͤpſte, durch welche dieſe Religion eben fortgepflanzt wurde, ihr Anſehen und geiſt - liche Oberherſchaft auch in andere Reiche erſtreckten, iſt die kaiſerliche Auctoritaͤt immer mit nebenher gewandert, und eo ipſo in andere Reiche introducirt worden, maſſen den Kaiſern, als Schutzherrn, Voͤigten und Patriciis allerdings Sorge zu tragen oblag, daß die roͤmiſche Kirche nicht nur innerhalb des Kaiſerthums, in Ruhe verbleibe, ſondern auch in auswaͤrtigen Landen, oder durch auswaͤr - tige Streitigkeiten keinen Schaden leide. Wie dann auch die Paͤpſte die Kaiſer gar fleiſſig um Beiſtand und Vermit - telung angeſprochen und ihnen ihr kaiſerlich Amt der Ober - Voigtey oder advocatiae eccleſiae Romanae vorzuhalten gewuſt, wenn ihr Anſehen in den auswaͤrtigen Reichen zu Grunde gehen und allerhand Mishelligkeit unter den Kir - chen entſtehen wollen.
i]
k]Vom Kaiſer Ludewig dem Baier erzaͤhlt man gleichwohl, daß er, nach dem Beiſpiel der Paͤpſte, vom Koͤnige Edu - ard III. in England, bey ihrer Zuſammenkunft zu Koͤln 1338, verlangt habe, er ſolle ihm die Fuͤſſe kuͤſſen; wel - cher ſich aber hauptſaͤchlich damit entſchuldigt, daß er ein geſalbtes Haupt ſey, und ſich nicht wie ein anderer unge - ſalbter Koͤnig erniedrigen koͤnte.
k]
l]Otto Morena apud Murator. T. IV. p. 1018. erzaͤhlt dieſe Geſchichte alſo: Quum dominus imperator ſemel equita - ret, ſuper quodam ſuo palafreno in medio DD. Bulgari et Martini, exquiſivit ab eis: vtrum de jure eßet do - minus mundi? et dictus dominus Bulgarus reſpondit,M 3quod182Von den geſelſchaftlichen Verbindungenquod non erat dominus, quantum ad proprietatem; dominus vero Martinus dixit, quod erat dominus, et tunc imperator, quum deſcendiſset de palafreno, ſuper quo ſedebat, fecit eum praeſentari dicto Martino; Bulgarus autem hoc audiens dixit haec elegantia ver - ba: Amiſi equum, quia dixi aequum, quod non fuit aequum.
l]
m]Pütter de inſtauratione Imperii Romani etc. c. XI. §. 115. 116. p. 192.
m]
n]Grotius in J. B. et P. l. II. c. 15. §. 12. ſagt: foedus iam olim initum eſt, [naͤmlich von den chriſtlichen Voͤl - kern und Regenten:] et princeps eius creatus conſenſu communi Romanorum imperator.
n]
o]Unter andern ſchreibt auch Konrad III. ſelbſt an den griechiſchen Kaiſer Johann: Francia et Hiſpania, Anglia, Dania caeteraque regna imperio noſtro adiacentia quo - tidiana legatione ſua cum debita reverentia et obſequio nos frequentant, ad ea, quae imperii noſtri mandata ſunt, ſe promtas eße tam obſidibus quam ſacramentis adfirmantes. Otto Freiſing de Frid. I. lib. I. cap. 23. in Murator. T. 6. p. 657. Koͤnig Heinrich II. in Eng - land ſagt in einem Briefe an Kaiſer Friedrich I.: Regnum noſtrum veſtrae committimus poteſtati. Koͤnig Richard von England, der als ein Gefangener vom Herzog Leopold zu Oeſterreich dem Kaiſer Heinrich VI. uͤberliefert ward, uͤbergab ſein Reich dem Kaiſer, ſicut univerſorum domino. Papſt Bonifaz VIII. nent in einem Schreiben an Koͤnig Philip in Frankreich den Kaiſer monarcham omnium regum et principum terrenorum und ſetzt hinzu: nec inſurgat hic ſuperbia gallicana, quae dicit, quod non recognoſcat ſuperiorem. Mentiuntur, quia de ju - re ſunt et eße debent ſub rege Romanorum. Alphons Koͤnig von Neapel und Arragonien antwortete, als man ihn erinnerte, dem Kaiſer nicht zu viel Achtung zu bezei - gen: Nos reges omnes debemus reverentiam im era -tori183der Nazionen.tori tanquam ſummo regi. Ille eſt caput et dux regum. Man ſehe Pütter am ang. O. cap. XI. §. 119. p. 197. vergl. Fürſtenerius de ſuprem. c. XXXII.
o]
p]Pütter am ang. O. §. 114. p. 190. Sogar die Kurfuͤr - ſten werden in der goldenen Bulle cap. 12. §. 1. ermahnt, ſich fleiſſig zu verſamlen, ad tractandum de imperii orbis - que ſalute.
p]
q]So ward z. B. der vorgenante Koͤnig Richard von Eng - land vor denen zu Hagenau verſamleten Reichsſtaͤnden, verſchiedener Puncte wegen foͤrmlich angeklagt. Pütter p. 198. Koͤnig Eduard verklagte den Koͤnig Philip von Frankreich 1438 beim Kaiſer Ludewig dem Baier. Ludo - vico pro tribunali ſedenti, heißt es beim Continuator Martini Poloni ap. Eccard in Corp. hiſt. Med. aev., prae - ſentibus quaſi omnibus principibus Alamanniae quam eccleſiaſticis tam etiam ſecularibus, coram eis propo - ſuit, quod Philippus rex Franciae contra Deum et juſtitiam in ſui praejudicium non ſolum Normandiae et Aquitaniae ducatum, ſed etiam coronam regni Franciae retineret, propter quod ab ipſo Ludovico, quem judicem et juſtitiae defenſorem interpellabat, de praedictis ſibi juſtitiam fieri poſtulabat, igitur a principibus communi omnium ſententia eidem regi adclamabatur juſtitia et patrum hereditas adjudicaba - tur. Pütter p. 201.
q]
r]Puͤtter am mehrangefuͤhrten Orte S. 202. fuͤhrt einen merkwuͤrdigen Fall davon an, wo Kaiſer Maximilian I. auf Anſuchen Koͤnigs Johann von Daͤnemark, die Reichs - acht wider einige Schwediſche Staͤnde und Unterthanen am 2. October 1506 erkant hat.
r]
s]Kaiſer Sigismunds Grafen-Diplom fuͤr Kaſpar Schlick vom Jahr 1437 erlaͤutert die ehemaligen Grundſaͤtze hier - uͤber gar ſchoͤn. Als der almaͤchtige Gott, heißt es dar - inn, Schoͤpfer Himmels und der Erde, durch ſeine unaus - ſprechliche Weisheit das oberſte Firmament, den LaufM 4der184Von den geſelſchaftlichen Verbindungender Planeten geſchicket, und ieglichem ſeine Handlung und Amt zugeeignet hat; doch, daß alle Klarheit, die ſie haben, von einem Urſprunge kommen, d. i. von der Sonne, die ihrer ieglichem ſein Licht reichet und doch an ihrem Glanze und Scheine keine Minderung empfin - det; Alſo zum Ebenbilde und Gleichnis hat auch ſeine goͤttliche Vorſehung auf Erden eine oberſte Gewalt allein geordnet, d. i. die kaͤiſerliche Maieſtaͤt, die unter allen Gewalten der Welt die Hoͤhe behaͤlt, und allen anderen Geſetze, Wuͤrdigkeit und Ehren hand - langet; alſo, daß von dem Throne Kaiſerlicher Maieſtaͤt aller Adel koͤmt und Urſprung nimt, gleich von der Sonnt der Glanz. Und iſt auch kein Adel noch Wuͤrde zu rech - nen, er ſey von Koͤnigen, Fuͤrſten, Herren oder anderen, der ſeinen Anfang anders habe, denn von dem heiligen Roͤmiſchen Reiche, als von einem Grunde alles Adels. Kulpis Script. Rer. Germ. p. 85.
s]
t]Die Propoſition, welche er 1521 auf dem Reichstage zu Worms that, lautet unter andern alſo: Das haylich Raich, das das wurdgiſte in der ganzen Welt, Gott ſelbs gewurdiget, geeret vnnd hinder Ime gelaſſen, das etwann gar nah die gan̄z Wellt vnnder ſich gebracht vnnd regiert hat; dergleichen Monarchia, Kayſerthumb und Koͤn̄ig - reich aff Erdtrich nit geweſen; aber mit der Zeit allſo in Abfall gekommen, daß es ſeinen Schein und die groſſe Macht verlaſſen ꝛc. mit Gottes Hillfe gar oder zum tayl wieder zu bringen in ſein Glori, Ere und Wurde zu erſetzen, das nit allein Irer Mayeſtat, als in der Weltlichait ainem Hawbte der Chriſtenheit, chriſtlicher Kirchen Advoca - ten, Schutzer und Schirm̄er paͤpſtlicher Heyligkeit und der ganzen Kirchen und Geiſtlichkait beſonder tetwſcher Na - tion auch gemeinem Nutz wol dienſtlich ſein mag ꝛc. ſo nuer die Stende des Reychs vnns trewlich helffen und beyſten̄dig ſein wollen damit vnnſere Hohait, Obrigkait Reputation vnnd Autoritet nit allein bey Inen, beſon̄derbey185der Nazionen.bey frembden Nation alſo bedacht werden ꝛc. Olenſchlager Erlaͤut. der gold. Bulle. Urkundenbuch S. 15. In dem zwiſchen Kaiſer Karl V. als Koͤnig von Spanien und der Kron Frankreich 1526 zu Madrit geſchloſſenem Frieden wird iedoch Art. 26. noch feſtgeſetzt daß der Kaiſer und Koͤnig von Frankreich den Papſt erſuchen ſollen, daß er an alle Koͤnige und Fuͤrſten der Chriſtenheit eine algemeine Kreutzfahrt gegen den Tuͤrken zu Waſſer und zu Land ver - kuͤndige, welcher der Kaiſer als Haupt der weltlichen Fuͤrſten der Chriſtenheit, dem vornemlich die Be - ſchuͤtzung derſelben zuſtehet perſoͤnlich beiwohnen oder einen Generalkapitaͤn hiezu beſtellen wird.
t]
u]So heißt es z. B. in einem Patent Kaiſer Karls VI. vom 28. Jun. 1716 in Betref des Marquis de Langallerie: Nachdem uns von des Marquis de Langallerie Vor - haben umſtaͤndliche Nachricht zugekommen, daß er ſich in Gott - und Ehrvergeſſene Anſchlaͤge gegen die werthe Chri - ſtenheit vertiefe und zu deren Ausfuͤhrung mit dem Erbfeinde des chriſtlichen Glaubens und Namens gewiſſe Buͤndnis er - richtet, wir als Haupt der Chriſtenheit aus unſerer der - ſelben ſchuldigen vaͤterlichen Vorſorge und Beſchuͤtzung die Kaiſerliche Verordnung ergehen laſſen ꝛc. Fabers Staats - kanzl. T. XXVII. p. 815. Noch ietzt ſchwoͤren zwar die Kurfuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle, vor der Wahl eines roͤmiſchen Koͤnigs: Daß ſie ein weltliches Haupt dem chriſtlichen Volke, d. i. einen roͤmiſchen Koͤnig in kuͤnftigen Kaiſer zu erheben waͤhlen wollen; allein die Kai - ſer ſelbſt maſſen ſich aus dieſer von ienen Zeiten uͤbriggeblie - benen Formel keine weitere Rechte deshalb an, und die uͤbrigen chriſtlichen Nazionen haben nicht Urſach Notitz da - von zu nehmen. In dem vorangefuͤhrten Gutachten beim Luͤnig p. 120. werden dem Kaiſer, vermoͤge ſeiner Advo - catiae in eccleſiam Romanam, auch noch heutzutage gewiſ - ſe Gerechtſame in andern Staaten zugeſchrieben. Obwohl verſchiedene Reiche und Lande, heißt es, von dem roͤmi -M 5ſchen186Von den geſelſchaftlichen Verbindungenſchen Reiche, nachdem daſſelbige an die Teutſchen gelangt, wieder abgeriſſen worden, und in die Souverainetaͤt getre - ten; ſo haben doch die roͤmiſchen Paͤpſte in ſelbigen ihre geiſtliche Oberherſchaft vor wie nach behalten, welche zu handhaben, und vertheitigen zu helfen der Kaiſer in Kraft ſeiner Advocatias in eccleſiam Romanam ſchul - dig und befugt iſt, daß daher die Wirkung dieſer kaiſer - lichen Obervoigtey, ſich in alle dieienige Lande erſtrecket, welche des roͤmiſchen Stuhls geiſtliche Oberherſchaft erken - nen, ob ſie gleich ſonſten in temporalibus mit dem Teut - ſchen Kaiſer nichts zu thun haben. Da es aber dermalen mit der paͤpſtlichen Oberherſchaft ſehr mislich ausſieht, ſo ſtehen auch dieſe kaiſerlichen Gerechtſame auf ſehr ſeichten Gruͤnden. Ueberhaupt iſt, wie der Herr geheime Juſtitz - rath Puͤtter [am ang. O. c. VII. §. 59. p. 95. erinnert, der beſondere Schutz des katholiſchen Reichstheils in Teutſchland nicht mit der Advokatie der roͤmiſchen Kirche und der ganzen Chriſtenheit zu vermiſchen. Man vergl. auch D. C. G. Bieners obenangefuͤhrte Abhandlung von der kaiſerlichen Advocatie ꝛc.
u]
*]Die vorzuͤglichſten Schriften uͤber dieſe Materie ſind: 1] Henr. Cocceji diſs. de dominio ſeu imperio orbis ad leg. 9. π. de lege Rhodia. Francof. 1711. 4. 2 ] Jo. Schuback von dem Anſehn des Kaiſers bey auswaͤr - tigen Reichen in mittlern Zeiten; in den Hannoͤver. gel. Anz. v. 1750. S. 105-107. und in A. F. Schotts iuriſt. Wochenblatte I. Jahrg. S. 817-824. 3] Io. Steph. Pütteri Specimen Jur. Publ. et Gentium Medii aevi de inſtauratione Imperii Romani ſub Carolo M. et Ottone M. facta ejusq. effectibus Goetting. 1784. 8. beſonders cap. XI. Aus dieſer fuͤrtreflichen Abhandlung habe ich dieſen §. groͤſtentheils nur ausgezogen.
*]
**]Einigen Leſern werden die in den vorhergehenden beiden §. §. befindlichen Allegaten und Ausſchweifungen in die mit - lere Geſchichte vielleicht nicht unangenehm ſeyn. Dieienigenaber187der Nazionen.aber welchen ſie zu weitlaͤuftig duͤnken moͤchten, wollen mich durch die Abſicht fuͤr entſchuldigt halten, daß ich einen algemeinen Abris des Zuſtandes der europaͤiſchen Nazionen im mitlern Zeitalter in Ruͤckſicht der voͤlkerrechtlichen Grundſaͤtze, zu geben wuͤnſchte, woraus ſich die einzelnen Materien in der Folge deſto leichter beurteilen lieſſen.
**]

§. 13. Verſuche und Vorſchlaͤge, die europaͤiſchen Voͤlker in eine Republick zu vereinigen.

Weder im natuͤrlichen Zuſtande, noch in gleichen Verbindungen findet eine Art von Oberherſchaft ſtatt. Ein ieder muß darin ſeine urſpruͤnglichen und erworbenen Rechte, ſo viel er vermag, durch guͤtliche, und wenn dieſe nichts fruchten, am Ende durch gewaltſame Mittel geltend zu machen ſuchen. Da aber die Erfuͤllung der Vertraͤge nicht allemal puͤnctlich erfolgt und der Ausgang der feindlichen Unternehmungen oͤfters ſehr ungewis iſt, ſo haben die buͤrgerlichen Vereinigungen, wo durch das Anſehn und die Gewalt eines Oberhaupts in beſtimten Geſetzen und Ordnungen fuͤr die Aufrechterhaltung der allerſeitigen Gerechtſame, Ruhe und Eintracht geſorgt iſt, in dieſer Ruͤckſicht allerdings gewiſſe Vorzuͤge. Die Nazionen befinden ſich in der naͤmlichen Lage. Sie muͤſ - ſen ihre Rechte, ſo gut als moͤglich, ſelbſt handhaben; und koͤnnen die daruͤber unter ihnen entſtehenden Strei - tigkeiten in der Guͤte nicht beigelegt werden, ſo bleibt nichts als Gewalt und endlich der Krieg uͤbrig. Aber dies iſt leider! ein ſehr beſchwerlicher und ſchluͤpfriger Weg. Hierzu koͤmmt noch, daß manche Voͤlkergeſetze zweifel - haft und die Voͤlker Richter ihrer eignen Handlungen ſind, folglich nicht allemal die ſtrengſte Unparthei ichkeit beobachten.

Allein188Von den geſelſchaftlichen Verbindungen

Allein dieſen Ungemaͤchlichkeiten waͤre vielleicht da - durch abzuhelfen, wenn die Nazionen in eine Art von buͤrgerlicher Geſelſchaft ſich vereinigten, oder, nach Wolfs Meinung, ſchon von Natur wuͤrklich vereinigt waͤren, und zu Unterſuchung und Entſcheidung der unter ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinſchaftlichen Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem Begriffe freier Voͤlker entgegen ſey, deren Haupteigen - ſchaft darinnen beſtehe, daß ſie keinen Hoͤhern weiter uͤber ſich haben, faͤllt weg, weil hier oben nicht von einer Univerſalmonarchie oder Vereinigung der Voͤlker unter ein gemeinſchaftliches Oberhaupt die Rede iſt. Die Nazionen duͤrften nur einen gemeinſamen Gerichtshof niederſetzen, der unbeſchadet im uͤbrigen der Unabhaͤng - igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu Beſtimmung der zweifelhaften wechſelſeitigen Rechte und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren Nichtbeobachtung entſpringenden Beſchwerden mit hin - laͤnglicher Gewalt verſehen waͤre. Eine aͤhnliche Ein - richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen bey den griechiſchen Staaten.

Im vorigen Jahrhundert hatte Koͤnig Heinrich IV. von Frankreich, durch die Koͤnigin Eliſabeth von Eng - land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf - zehn an Macht einander ziemlich gleiche Staaten zu zer - teilen, und dieſe in eine Art von chriſtlicher Republick oder Staatenſyſtem zu vereinigen. Dazu ſolten gehoͤren, a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng - land, Schweden und das aus den Herzogthuͤmern Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom - bardiſche Reich. b] 6 Wahlreiche, naͤmlich: Teutſch - land, der Kirchenſtaat nebſt Neapel, Daͤnemark, Polen, Boͤhmen nebſt incorporirten Landen, Ungarn nebſt Siebenbuͤrgen und den eigentlichen oͤſterreichiſchen Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratiſche,die189der Nazionen.die vereinigten Niederlande nebſt der ganzen Juͤlich - Cleviſchen Erbſchaft, und die Lidgenoſſenſchaft nebſt der Grafſchaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident, ingleichen 2 ariſtokratiſche: Venedig nebſt der Inſel Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma und Modena, mit Beibehaltung ihrer beſondern Regier - ungsformen geſchlagen werden ſolten. Aus den Abge - ordneten dieſer Staaten waͤre ein Senat zuſammenge - ſetzt worden, der die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten nach der Mehrheit der Stimmen beſorgt und entſchie - den haͤtte. Jedoch lagen nicht ſowohl die hieraus zu hoffenden gemeinnuͤtzigen Folgen, als vielmehr die Ab - ſicht, die damalige Macht des Hauſes Oeſterreich zu ſchwaͤchen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle zu dieſen Behuf dienliche Anſtalten vorgekehrt und ſtand, bey Gelegenheit des Juͤlichſchen Succeſſionsfalls, eben im Begrif ſeine Kraͤfte zu verſuchen, als durch deſſen Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward.

In der Folge haben verſchiedene Privatſchriftſteller, beſonders der beruͤhmte Abt St. Pierre und neuerlich ein Herr von Lilienfels, ein lieflaͤndiſcher Edelmann, wel - cher der Verfaſſer des Neuen Staatsgebaͤudes ꝛc. ſeyn ſoll, ienen Plan wieder in Vorſchlag gebracht und aus - zubilden geſucht. Die Hauptſache beruhet, nach dem Inhalt der letztern Schrift, ungefaͤhr darauf: Die Ge - ſetze, ſagt man, wornach freie Voͤlker ihre Handlungen gegen einander einrichten ſollen, ſind meiſtens ſehr ſchwankend. Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf, Hobbes, Selden und die Neuern davon geſchrieben ha - ben, heißt es daſelbſt [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.] iſt zerſtreut, abweichend und erſchoͤpft nicht alles. Ihre Meinungen ſind keine Orakelſpruͤche. Sie ſind nicht durchgaͤngig practiſch und mit dem Buͤrgerrechte bekleidet. Sie haben nicht alle Faͤlle bemerkt, auch die bemerkten nicht gleich gruͤndlich eroͤrtert, den eroͤrterten aber keinGe -190Von den geſelſchaftlichen VerbindungenGepraͤge der algemeinen und heiligen Geſetze aufdruͤcken koͤnnen. Zu dieſer Unzulaͤnglichkeit hat ſich noch ein un - beſtimtes Herkommen geſellet. Beyde zuſammen, ſowohl das geſchriebene, als ungeſchriebene Geſetz, ſind noch unzuſammenhaͤngende und unvolkommne Theile eines Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehoͤrige Um - fang und das Anſehen fehlen. Man fuͤhret neue Regeln und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl - gefallen bequem iſt. Die Zuſaͤtze, Ausdehnungen, Ein - ſchraͤnkungen, Ausnahmen, Verbeſſerungen verewigen ſich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beiſpiele der Maͤchtigſten, Vorfaͤlle und Gebraͤuche gehen ins Un - endliche, und ſetzen neue Rechte, bis dieſe wiederum durch neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge zweifelhafter und verſtrickter Faͤlle zum Zankapfel der Nachkommenden unausgemacht uͤbrig. Die haͤufigen Widerſpruͤche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit dieſes Rechts, in Anſehung deſſen Verletzung, oder Aus - legung, oder Erweiterung entſproſſen ſind, zeugen allein, daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem - der Achtung fehle. Dieſe Streitigkeiten koͤnnen in dem freien Zuſtande der Voͤlker nicht anders als durch Ver - traͤge beigelegt werden, welche iedoch nicht ſelten erſt die Frucht vieliaͤhriger koſtbarer und verherender Kriege zu ſeyn pflegen. Bey dieſem allen lehrt die Erfahrung, daß die feierlichſten Vertraͤge und Friedensinſtrumente mit der Zeit durchloͤchert werden. Die zahlreichen neuen Tra - ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt ſind, zeugen von der Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit, und kurzen Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig - keit aufgedruckt hatten. Es moͤgen Uebereilung, Un - aufmerkſamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der Zukunft, oder die engen Grenzen der menſchlichen Einſicht und Sprache, oder ein heimlicher Vorſatz oder eine andereUn -191der Nazionen.Unvollkommenheit verſchiedene Deutungen zulaſſen; ſo iſt es ausgemacht, und durch die Erfahrung beſtaͤttigt, daß die nachfolgenden critiſchen und politiſchen Umſtaͤnde den buchſtaͤblichen in figuͤrlichen Sinn der Worte drehen koͤnnen, und dieſer ſich nach ienen richten muß. Die neue Auslegung wird durch das neue Intereſſe beſtimmt und hiermit ſind alle Tractaten unterſiegelt. Da nun [S. 194.] die Weltbeherſcher keine Obrigkeit uͤber ſich erkennen, folglich ohne die freiwilligen Vertraͤge nicht anders als durch ſelbſt erwaͤhlte Schiedsrichter friedlich und billig auseinander kommen koͤnnen; ſo gleicht, um die Zwiſtigkeiten und Beſchwerden der Potentaten unter ein - ander auf eine ſo gerechte als friedſame auch geſchwinde und unfehlbare Weiſe abzuſtellen, nichts einem unpar - theiiſchen, klugen, gelehrten, beſtaͤndigen und guͤltigen Schieds - oder Friedensgerichte. Ein ſeichter Einwurf, daß die unabhaͤngigen Maͤchte in einem freien natuͤrlichen Zuſtande ſind und keinen Richter uͤber ſich erkennen. Selbſt die Beiſpiele des buͤrgerlichen Zuſtandes erweiſen, daß die Partheien nicht die Richter, die oft viel geringer als iene ſind, ſondern blos die Geſetze uͤber ſich erkennen. Die Urſachen des Krieges wuͤrden alſo wegfallen, wenn der natuͤrliche Zuſtand weniger unumſchraͤnkt, und das Voͤlkerrecht ſo vollkommen und den Fuͤrſten ſo verbindlich waͤre, als ihren Unterthanen das buͤrgerliche Recht iſt. Zu dieſem Ende muͤſten alle Potentaten, durch eine freie und einmuͤthige Einſtimmung, auf einem algemeinen Kongres, fuͤr ſich und alle folgende Zeiten feierlichſt ein hoͤchſtes Nazionen Tribunal und Friedensgerecht nie - derſetzen und anerkennen. Das hieruͤber ausgefertigte Inſtrument, das die Kraft und Natur eines ewigen Compromiſſes und Fundamentalgeſetzes aller Reiche an ſich haͤtte, und wozu ein ieder Landesherr und ſeine Unter - thanen, beim Antritt einer ieglichen neuen Regierung ſich verpflichteten, wuͤrde im Tribunalarchive aufbehaltenDa -192Von den geſelſchaftlichen VerbindungenDamit das Recht des Krieges und das ganze Natur - und Voͤlkerrecht hinfuͤhro keinen Chamaͤleon mehr aͤhnlich waͤren, duͤrfte durch die geſchickteſten Maͤnner ein kurzes und reines Geſetzbuch zuſammengetragen und ausgear - beitet werden, das nichts als die moͤglichen Faͤlle und Nationalſtreitigkeiten beruͤhrte, den Namen eines Na - zionen - oder Fuͤrſtenrechts annaͤhme und aus den vor - treflichſten Natur-Voͤlker - und buͤrgerlichen Rechten den Koͤrper erbauet haͤtte, deſſen Seele die gelaͤuterte und friedſame Vernunft der Friedensrichter waͤre. Dieſes Buch koͤnte ebenfals auf einem algemeinen Kongres beſtaͤ - tigt, auch kuͤnftig dergeſtalt verbeſſert und erweitert wer - den, und wuͤrde die Grundſaͤule der Gluͤckſeligkeit der Voͤlker und die Zierde des Tribunalarchivs ſeyn. Da - ſelbſt muͤſten ferner ſowohl die dienlichen alten, als alle neuern und kuͤnftigen Tractaten, Friedensſchluͤſſe, Buͤnd - niſſe, Vergleiche, Anſpruͤche, Verſchenkungen, Ver - pfaͤndungen, Kauf - und Lehnbriefe, Teſtamente, Ceſſio - nen, Anwartſchaften, Erbfolgen, Erbverbruͤderungen, Erb - und Familienvertraͤge, Erbvereinigungen und ande - re wichtige Urkunden, Rechte und Erweiſe aller europaͤi - ſchen Maͤchte, dann die Grundverfaſſungen, Privile - gien, Freiheiten, Herkommen ꝛc. der Staaten und end - lich die beſten Natur - Voͤlker - Staats - und gemeinen Rechte und Statuten aufbewahret werden. Nach den in dieſen Sammlungen enthaltenen Grundſaͤtzen entſchiede nun das Friedensgericht alle Arten der Misverſtaͤndniſſe, Rechte, Anſpruͤche und Uneinigkeiten unter den chriſtlichen Maͤchten in Europa in allen Vorfaͤllen ohne Ausnahme, die ſonſt Unruhen, Hader und Kriege zu erwecken geſchickt waͤren, ſie geſchehen in welchem Theile der Welt ſie wollen. Dadurch wuͤrde alle Gelegenheit zu kuͤnftigen Kriegen ab - geſchnitten und die beſchwerliche Unterhaltung zahlreicher Armeen unnoͤthig gemacht. Zugleich werden weitlaͤuftige Vorſchlaͤge uͤber die Einrichtung und das Verfahrer desFrie -193der Nazionen.Friedensgerichts gethan, in Anſehung Gelehrſamkeit, Verſtand, Erfahrung, Tugend, Alter und unpartheii - ſcher Gerechtigkeit der Friedensrichter, der Art ſie zu ernennen, ihres Ranges, ihrer Anzahl ꝛc. Der ganze Senat ſoll z. B. aus 69 Perſonen, und zwar 1 Praͤſiden - ten, 8 Oberraͤthen, 20 Raͤthen und 40 Beiſitzern beſtehen und dabey eine Kanzley von 6 Oberſekretarien, 20 Sekre - tarien, 1 Oberarchivar und 4 Archivarien nebſt hinlaͤngli - chen Actuarien, Notarien ꝛc. angeſtelt ſeyn, die, nach der entworfenen Bilance von Einnahme und Ausgabe, alle gut bezahlt wuͤrden. Dem ganzen Tribunal geſtuͤnde man die hoͤchſte Souverainetaͤt zu; iedoch muͤſte derſelbe einem algemeinen Kongres, der allemal, erforderlichen Fals, von den Deputirten aller Maͤchte gehalten werden koͤnte, unterworfen ſeyn. Bey dieſem Gerichtshofe, der ſeinen Sitz in Teutſchland, als dem Mittelpunkt von Europa, haben koͤnte, unterhielte iede chriſtliche Macht ihren beſtaͤndigen Geſandten oder Reſidenten zu Beſorg - ung ihrer Angelegenheiten und Uebergebung der noͤthigen Schriften. Es folgen ſodann Gedanken uͤber die Be - weisfuͤhrung, Stimmordnung und Volſtreckung der Aus - ſpruͤche. Nach allen vergeblich verſuchten freundſchaftlichen Erinnerungen und Warnungen muͤſten naͤmlich ſaͤmtliche Nazionen zufoͤrderſt alle Gemeinſchaft mit dem widerſpen - ſtigen Volke aufheben, ihre Geſandten von demſelben zuruͤckberufen ꝛc; am Ende aber bliebe nichts uͤbrig, als den Regenten ſeiner Regierung zu entſetzen und ſie dem naͤchſten Nachfolger zu uͤbertragen. Hierzu waͤre denn allerdings eine anſehnliche Armee noͤthig. Endlich kommt noch die Errichtung eines Ritterordens gegen die Barbaren und die Unterhaltung gewiſſer Kriegsheere gegen dieſelben in Vorſchlag.

So glaͤnzend nun aber auch ein ſolcher Entwurf ins Auge faͤlt, erinnert der Freyherr von Bielefeld in ſeiner Staatskunſt 2. Th. 4. Hauptſt. §. 30, und mitNihm194Von den geſelſchaftlichen Verbindungenihm der groͤſte Theil der Politiker; ſo hat er doch den großen Fehler, daß er nicht ins Werk zu richten ſteht. Man muͤſte ſich Europa als ganz platoniſch vorſtellen, um zu glauben, daß alle Landesherrn einen Theil ihres hoͤchſten Anſehns in die Haͤnde eines algemeinen Senats uͤbergeben wuͤrden, daß die Gebieter der groͤſten Staaten ſich nicht auch zu Herrn der Rathſchlaͤge dieſes Senats machen ſolten, daß die Schwaͤchſten nicht eben ſowohl Geſetze von ihnen erhalten wuͤrden. Der Verfaſſer des neuen Staatsgebaͤudes ſieht dieſen Punkt auch ſelbſt [S. 338.] als die groͤſte und einzige Schwierigkeit ſei - nes Plans an und ſagt ſehr richtig, daß, wenn man Europa unter dem Bilde eines einzigen Staatskoͤrpers, als ein Ganzes darſtellen wolte, das durch Religion, Intereſſe, Buͤndniſſe, Sitten, Nachbarſchaft, Bluts - und andere Freundſchaft, Negociationen, Handel, Schiffahrt, Poſten, Politick und Voͤlkerrecht zuſam - mengeknuͤpft iſt, man es gewis mit keiner Demokratie, ſondern am aͤhnlichſten mit einer Art von Ariſtokratie vergleichen wuͤrde, wo Dictators, Triumvirs ꝛc. keine andere Geſetze als ihr Wohlgefallen kennen, die immer Recht haben, weil ſie maͤchtig ſind und deren letzter Ver - nunftſchlus donnernd iſt. Jedoch macht er zuletzt noch viele gutgemeinte Bemerkungen, daß ein ſolcher Plan den Regenten Ehre und ihren Staaten Gluͤck bringen wuͤrde, und hoft die Ausfuͤhrbarkeit deſſelben vielleicht einmal in der Zukunft. Wer von dieſen Vorſchlaͤgen weitlaͤuftiger unterrichtet zu ſeyn wuͤnſcht, dem werden die nachher angefuͤhrten Schriften ein Gnuͤge leiſten.

a]Schmauß Einleitung zur Staatswiſſenſchaft oder Erlaͤu - terung ſeines Corp. J. G. 1. Th. S. 53, u. f. Mably principes de negociat. p. 51. ed. 1773.
a]
*]Hierher gehoͤrige beſondere Schriften ſind vorzuͤglich: Idea pacis generalis inter orbis chriſtiani principes. Antw. 1644. 8. Pro -195der Nazionen.Projét de traité pour rendre la paix perpetuelle entre les ſouverains Chretiens, pour maintenir toujours le commerce entre les nations et pour affermir beau - coup d avantage les maiſons ſouveraines ſur le thro - ne; propoſés autrefois par Henri le Grand, Roi de France, agréé par la Reine Eliſabeth, par Jacques I. ſon ſucceßeur Roi d Angleterre et par la plûpart des autres Potentats d Europe etc. nov. 1747 8. Abrégé du projet de paix perpetuelle par Saint-Pierre. à Roterd. 1729. 8. Die algemeine chriſtliche Republick in Europa nach den Entwuͤrfen Heinrichs IV. Koͤnigs in Frankreich, des Abts von St. Pierre und anderer vorgeſtelt, nebſt eini - gen Betrachtungen uͤber dieſe Staatsverfaſſung. Goͤt - ting, 1752. 8. Extrait du projet de paix perpetuelle de Mr. l Abbé St. Pierre par M. J. J. Roußeau. Amſt. 1761. 8. Der ewige und algemeine Friede in dem chriſtlichen Euro - pa nach dem Entwurf Heinrich IV. von St. Pierre, Goͤtting. 1763. 8. Neues Staatsgebaͤude, in drey Buͤchern von L***, Leip - zig, 1767. gr4.
*]

§. 14. Verbindung der teutſchen Reichsſtaͤnde.

Weit enger als alle uͤbrige europaͤiſche Nazionen ſind die Staͤnde des teutſchen Reichs mit einander verbunden: ſie ſtehen in einem wuͤrklichen Staatsvereine. Zwar enthaͤlt Teutſchland, nach des Herrn Geheimen Juſtitz - rath Puͤtter a] Urteile, wie ich bereits oben gezeigt, allerdings ſo viele eigne beſondere Staaten, als es Kurfuͤrſtenthuͤmer, Fuͤrſtenthuͤmer, Grafſchaften und Reichsſtaͤdte in ſich faſſet, auch das Gebiet eines ieden Reichspraͤlaten und Reichsritters in ſeiner Art nichtN 2 ausge -196Von den geſelſchaftlichen Verbindungen ausgeſchloſſen. Ein ieder dieſer beſondern Staaten hat ſeine eigne, der Regel nach und im Ganzen mit allen Hoheitsrechten begabte Regierung; ein ieder ſeine eigne innere Verfaſſung, ein ieder ſogar gegen auswaͤrtige Maͤchte ſolche Rechte, die ſonſt nur unabhaͤngige Maͤch - te gegeneinander in Uebung haben; auch Krieg und Frieden, Buͤndniſſe und Geſandſchaften nicht ausge - ſchloſſen. So ſehr aber auch dieſe Regierungs - verfaſſung der einzelnen Laͤnder von einander abgehet; ſo iſt doch nichts gewiſſer, als daß dennoch alle ohne Ausnahme noch als Theile eines einzigen Ganzen in gleichmaͤßiger Verbindung unter dem teutſchen Rei - che ſtehen; und zwar nicht etwa nur in einer ſolchen Verbindung, wie die ſieben niederlaͤndiſchen Provinzen, oder die dreizehn Schweitzercantons, ohne weiter eine gemeinſame hoͤhere Gewalt uͤber ſich zu erkennen, ſich unter einander verbunden haben, ſondern unter einem gemeinſamen hoͤchſten Oberhaupte, dem die per - ſoͤnliche Maieſtaͤt und Unabhaͤngigkeit ſo wenig als einem Koͤnige in Frankreich oder irgend einem andern Monarchen beſtritten werden kann. Auch nicht eine blos perſoͤnliche Verbindung iſt es, die alle beſondere teutſche Staaten unter dem Kaiſer vereiniget, etwa wie Ungarn, Boͤhmen und die uͤbrigen oͤſterreichiſchen Erblande, oder wie England und Hannover einerley Herrn haben; ſondern eben die Realverbindung, wor - auf die Einheit eines ieden andern Staats beruht, haͤlt auch noch alle beſondere teutſche Staaten in dem Bande eines einigen Reichs beiſammen. Kurz Teutſch - land iſt ein Reich, das in lauter beſondere Staaten eingetheilt iſt, die iedoch alle noch unter einer gemeinſa - men hoͤchſten Gewalt in der Geſtalt eines zuſammen - geſetzten Staats vereinigt ſind.

Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind daher nicht nur zu Beobachtung des aus der geſelſchaftlichen Verbindunguͤber -197der Nazionen.uͤberhaupt flieſſenden freiwilligen Voͤlkerrechts verbunden, ſondern die Vereinigung in einen Staatskoͤrper ſchreibt ihnen auch verſchiedene andere theils natuͤrliche theils po - ſitive Grundgeſetze vor, deren Befolgung bey den uͤbri - gen ganz unabhaͤngigen europaͤiſchen Staaten lediglich freiwillige Vertraͤge vorausſetzt b]. So haben die teut - ſchen Reichsſtaͤnde z. B. zwar das voͤllige Recht der Buͤndniſſe, des Krieges und Friedens unter ſich, und mit Auswaͤrtigen, nur duͤrfen ſie daſſelbe nicht wider den Kaiſer, das Reich und ihre Mitſtaͤnde ausuͤben.

Im Verhaͤltnis gegen andere europaͤiſche Nazionen koͤnnen die teutſchen Reichsſtaͤnde uͤbrigens nicht anders, als nach der algemeinen engern oder weitern Verbindung, welche unter den uͤbrigen europaͤiſchen Staaten uͤberhaupt Statt findet, beurteilt und auch in dieſem Falle die frei - willigen Voͤlkerrechtsſaͤtze auf ſie angewandt werden.

a]Beitraͤge zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrecht 1. Th. n. II. von der Regierungsform des teutſchen Reichs.
a]
b]Man ſehe die Abhandlung: Von beſondern Beſtimmun - gen der Landeshoheit aus der gemeinſamen Verbindung, worinn alle Reichsſtaͤnde mit einander ſtehen. Ebendaſelbſt n. XVII.
b]

§. 15. Gleichheit der Glieder in der europaͤiſchen Staatenverbindung.

Aus dem Vorhergehenden erhellet, daß man zwiſchen den unabhaͤngigen Staaten in Europa zwar eine gewiſſe geſelſchaftliche Verbindung annehmen koͤnne, daß bey derſelben iedoch keine Art von Oberhaupt Statt finde, ſondern iedes Glied die voͤllige Gleichheit behalte. Von dieſer Gleichheit ſoll im folgenden Kapitel weitlaͤuftiger gehandelt werden.

N 3Drit -198

Drittes Kapitel. Von der urſpruͤnglichen Gleichheit und dem nach - her eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 1. Natuͤrliche Gleichheit der Rechte.

Freie Voͤlker ſind, als moraliſche Perſonen, ſo wie einzelne Menſchen, im natuͤrlichen Zuſtande einan - der volkommen gleich. Die Unabhaͤngigkeit, ihr weſent - liches Erfordernis, ſchließt die Gleichheit nothwendig in ſich und giebt allen gleiche Rechte und Verbindlichkei - ten gegen einander. Keines kan dem andern befehlen, Rechenſchaft von ſeinen Handlungen fodern, oder irgend einen Vorzug vor ihm verlangen. Sie muͤſſen alle glei - che Rechte der Unabhaͤngigkeit genieſſen. Dieſe Gleich - heit geht keinesweges verlohren, wenn auch mehrere Voͤl - ker in eine Geſelſchaft zuſammentreten; es muͤſte denn durch eine ungleiche Verbindung das Gegentheil ausdruͤck - lich bedungen ſeyn. Unter den europaͤiſchen Nazionen iſt dergleichen Buͤndnis wenigſtens nicht vorhanden. San-Marino, der kleinſte Staat in Europa, iſt in Anſehung der Unabhaͤngigkeitsgerechtſame dem groͤſten ſouverainen Staate gleich. Kein Souverain, er ſey Kayſer oder Koͤnig, maͤchtig oder nicht, darf dem an - dern von Natur nachgeben, da der eine in ſeiner Art eben ſo unabhaͤngig iſt, als der andere.

*]Puffendorf J. N. L. VIII. c. 4. §. 15. u. f. Wolf J. G. c. II. §. 237. u. f. Vattel L. II. c. 3. Schrodt P. I. c. II. §. 3. u. f.
*]
§. 2.199Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.

§. 2. Zufaͤllige Vorzuͤge der Nazionen.

Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verſchiedene natuͤrliche und politiſche Urſachen, an der Ausuͤbung aller in der Souverainetaͤt eigentlich begriffenen Rechte gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewiſſe Eigenſchaften und Volkommenheiten haben, welche dem andern abgehn; es kan maͤchtiger an Laͤndern, uneinge - ſchraͤnkter in der Regierungsform ꝛc. ſeyn. Aber dies ſind zufaͤllige Vorzuͤge, welche auf die weſentlichen Rech - te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm zwar bey innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſen mehr Anſehn und Achtung verſchaffen, auch wohl Gelegenheit geben, bey den uͤbrigen Voͤlkern mehrere Vorzuͤge zu erwerben, nur iſt es nicht berechtigt, ſolche deshalb zu fodern.

*]Ickſtadt L. II. c. VI. §. 10. u. f.
*]

§. 3. Deren Rang.

Der Vorrang oder der erſte und vorzuͤglichſte Platz im Gehen, Stehen, Sitzen ꝛc. bey Zuſammenkuͤnften, wird, nach der Einbildung der Menſchen, fuͤr einen der groͤſten Vorzuͤge geachtet. In ſofern man ihn als ein Recht anſieht, das gewiſſer zufaͤlliger Volkommen - heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird, kan ein Vorrang unter freien Voͤlkern, vermoͤge der vol - komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natuͤrlichen Grund - ſaͤtzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei - chen Vorrechte vor andern zu erhalten geſucht. Die Gele - genheiten hierzu aͤuſſern ſich entweder bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Beherſcher freier Staaten, alsN 4Repraͤ -200Von der urſpruͤnglichen GleichheitRepraͤſentanten des ganzen Volks, oder ihrer Bothſchaf - ter, d. i. Geſandten mit repraͤſentirenden Karacter, oder endlich bey ſchriftlichen Unterhandlungen und Vertraͤgen die im Namen mehrerer Nazionen abgefaſt werden.

*]Man hat eine Menge Schriftſteller, die theils vom Ran - ge der Voͤlker uͤberhaupt, theils in Ruͤckſicht einzelner Staaten gehandelt haben. Agaſtino Paradiſi in ſeinem Atteneo dell uomo nobile. Venet. 1731. fol. deſſen ganzer fuͤnfter Theil von dieſer Materie handelt, fuͤhrt deren bey 1600 an. Die vorzuͤglichſten von der erſten Gattung ſind: 1] Iac. Andr. Cruſii tractatus politico-juridico-hiſto - ricus de praeeminentia, ſeſſione, praecedentia et univerſo jure proedrias magnatum in Europa etc. quatuor libris abſolutus. Bremae 1665. 4. 2 ] Balth. Sigism. von Stoſch von dem Praͤcedenz - oder Vorderrecht aller Potentaten und Republiquen in Euro - pa; Breslau 1677. 8. 3 ] Zach. Zwanzig Theatrum praecedentiae, oder eines Theils illuſtrer Rangſtreit, andern Theils illuſtre Rang - ordnung; wie naͤmlich die conſiderablen Potenzen und Grandes in der Welt, nach Qualitaͤt ihres Standes, Stammes, Dignitaͤt und Characters ſammt und ſonders in der Praͤcedenz, in dem Range und Tractamente ſtreitig ſeynd und competiren. Frankf. 1709 fol. Vor der erſten Ausgabe, die 1706 erſchien, nante der Ver - faſſer ſich: Ehrenhart Zweyburg. 4] Gottfr. Stievens europaͤiſches Hofceremoniel, in welchem Nachricht gegeben wird, was es fuͤr eine Beſchaffenheit habe mit der Praerogativa und dem aus ſelbiger flieſſenden Ceremoniel etc. Leipz. 1715. 1723. 8. Das erſte Buch giebt im Auszuge ziemlich volſtaͤn - dige Nachricht von dem Range der europaͤiſchen Staaten. 5]201und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.5] Memoires ſur le rang et la préſéance entre les ſou - verains de l’Europe et entre leurs Miniſtres repre - ſentans ſuivant leurs differens caractères. Par Mr. Roußet pour ſervir de ſupplement à l Ambaßadeur et ſes fonctions de Mr. de Wicquefort. à Amſterd. 1746. 4. Sind eigentlich blos eine Ueberſetzung der vornehmſten Kapitel des Zwanzig, aber in einer etwas geaͤnderten Ordnung. Selten ſind einige Zuſaͤtze von dem, was ſeit 1709 vorgefallen, hinzugekommen.
*]

§. 4. Urſprung und Gruͤnde deſſelben.

Die Natur kent alſo kein Recht des Vorranges. Sie hat iedem Menſchen, iedem Volke gleiche Rechte zugeteilt und es iſt daher keine Verbindlichkeit vorhan - den, warum ein Volk dem andern, das ihm nichts zu befehlen hat, nachſtehn ſolte. Bey einer Zuſammen - kunft mehrerer iſt es freilich natuͤrlich, daß eine gewiſſe Ordnung beobachtet werden und eins das erſte ꝛc. ſeyn muͤſſe. Aus dieſem Grunde leiten auch einige Voͤlker - rechtslehrer a] die Rangordnung unter den Voͤlkern aus der Natur ſelbſt her. Aber iene Ordnung kan fuͤglich beſtehen und auf verſchiedene Art alſo eingerichtet wer - den, daß die natuͤrliche Gleichheit deshalb nicht aufgeho - ben, oder einem Volke ein Vorrecht eingeraͤumt werden darf. Durch wen, und nach welchem Maasſtabe von Vorzuͤgen ſolte auch dieſer Vorrang beſtimt werden? Allein nicht zufrieden mit der natuͤrlichen Gleichheit, nahmen die Nazionen, weil ſie bey der Natur die Befrie - digung ihrer Eitelkeit nicht fanden, zu mancherley zufaͤl - lig erworbenen Eigenſchaften b] ihre Zuflucht, und glaub - ten im Alter ihres Reichs, des angenommenen Chriſten - thums, in der Macht, Erhabenheit der Wuͤrde und dergleichen, Urſach genug zu finden, ſich uͤber andereN 5zu202Von der urſpruͤnglichen Gleichheitre zu erheben. Da aber dieſe auch nicht nachgeben wol - ten, ſondern gleiche Vorzuͤge verlangten, ſo muſten nothwendig tauſenderley Streitigkeiten entſtehen, welche die Unterhandlungen der Nazionen mit einander gar ſehr erſchwerten c]. Ich will die Gruͤnde, derer man ſich zu Behauptung des Vorranges gewoͤnlich bedient hat, kuͤrzlich anfuͤhren, und fuͤr dieienigen, welche eine weit - laͤuftigere Behandlung dieſer Gegenſtaͤnde wuͤnſchen, die Stellen der vorgenanten Hauptſchriftſteller in dieſem Fache anmerken, wo ſie deshalb Raths ſich erhohlen koͤnnen.

a]L’ordre et le rang, heißt es beim Rouſset [memoires ſur le rang Introd. ] ſont fondés ſur les loix mêmes de la nature. Sine ordine omnia confunduntur dit un grand Pape. Enfin on peut dire, que toute la ſo - ciété ne ſubſiſte que par l ordre et la diſtinction des rangs, ſans quoi elle retomberoit bientot dans un affreux chaos. Si cet ordre eſt neceſsaire dans la ſociété en général, il ne l’eſt pas moins entre les dif - ferentes ſociétés particulières et dans chacune de ſes ſocietés qui forment ce qu’on appelle des empirs ſous differens noms; enſorte que par une ſuite neceſsaire il doit y avoir d’abord un certain ordre des rangs entre les chefs de ces ſociétés particulières, ſans lequel ils ne pourroient communiquer enſemble ſ’ils preten - doient tous avoir le premier rang. Ainſi perſonne ne nie la neceſſité de la diſtinction des rangs. Tous les ſouverains reconnoiſsent la neceſſité de cet ordre eux mêmes, l’établiſsent parmi leurs ſujets, mais ils ne reconnoiſsent plus de même des qu’on parle de l’établir entr eux. Auch Real [Science du Gouvernem. T. V. c. 4. Sect. 3. p. 963. der teutſchen Ueberſetzung, die ich blos zu benutzen Gelegenheit gehabt] ſagt, es ſey nichts vernuͤnftiger, als der[aͤuſſerliche] Unterſchied unter denSou -203und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Souverainen, weil es Gelegenheiten gebe, bey welchen einer von beiden nothwendig dem andern nachgehen muͤſſe. So nothwendig aber eine gewiſſe Ordnung dabey iſt, ſo natuͤrlich ſcheint es mir doch auch, daß unter Gleichen nicht einer oder mehrere den Vorrang, als ein Recht auf immer verlangen koͤnnen, ſondern daß im Vorgehn, Sitzen ꝛc. entweder gewechſelt, oder ein ſolches Auskunftsmittel getroffen werde, wodurch aller Vorrang wegfaͤlt, z. B. das Sitzen an einer runden Tafel, Einnehmen der Plaͤtze nach Ordnung der Ankunft ꝛc.
a]
b]Mehrere Voͤlkerrechtslehrer haben dieſe Zufaͤlligkeiten als hinlaͤngliche Gruͤnde des Vorranges vertheidigt. Ickſtadt z. B. ſagt: [L. II. c. I. §. 22. Schol.] Neque aliunde quam ex diverſis gentium qualitatibus et adfectionibus extrinſecus advenientibus, abſtrabendo a pactis uſuque recepto, de praecedentia inter gentes populosque libe - ros rectum formari poſse judicium infra monſtrabimus. Man vergl. L. II. c. 6. §. 15. Real am ang. O. meint: Der weite Umfang der Staaten, welche den Kaiſern und Koͤnigen gehorchen, die Anzahl ihrer Unterthanen, ihre Reichthuͤmer, ihre Truppen, der Glanz ihres Hofes, das Alterthum ihres Koͤnigreichs, der alte Urſprung ihres regie - renden Hauſes, alles dieſes giebt ihnen in der Welt einen merklichen Vorrang.
b]
c]Wicquefort Ambaſsadeur L. I. c. 24. 25.
c]

§. 5. a] Alter der Unabhaͤngigkeit des Reichs.

Einer der erſten Gruͤnde fuͤr den Vorrang der Nazio - nen wird von dem Alter der Unabhaͤngigkeit eines Volks hergenommen. Die meiſten und angeſehenſten Voͤlker - rechtslehrer, ein Grotius a] Ickſtadt, Vattel, Real, legen ihm eine entſcheidende Kraft bey und glauben, daßein204Von der urſpruͤnglichen Gleichheitein neuer Ankoͤmling den unterſten Platz einnehmen muͤſ - ſe, weil dieſer niemanden aus dem Beſitz der Ehre ver - draͤngen koͤnne, die er einmal genießt. Der lange Beſitz, ſagen ſie, legt den Fuͤrſten einen Glanz bey, der ſich auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche dieſe Ehre zu genieſſen erſt angefangen haben, und es iſt bil - lig, daß die Wuͤrde des Ranges denen vorbehalten wird, welche das Vorrecht deſſelben eher erlangt haben. Allein die Zeit kan an und vor ſich keine Ungleichheit des Vor - zugs und der Rechte bewuͤrken. Die vortreflichſte Sache kan von der geringſten in Anſehung der aͤltern Dauer uͤbertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte iſt der wuͤrkliche Beſitz der Souverainetaͤt hinlaͤnglich: Wie lange man ſolche beſitze, darauf komt es nicht an. Dies haͤngt blos vom Gluͤck und der guten Staatsverfaſſung ab.

Ueberdies wird dieſer Grund durch den ungewiſſen Urſprung der meiſten Reiche entkraͤftet. Faſt alle Na - zionen ſuchen, wie Privatperſonen, in dem Alter der Herkunft und des Adels eine beſondere Ehre. Sie gehn daher in ihrem Urſprunge ſo weit als moͤglich zuruͤck. Jedes Volk will das aͤlteſte ſeyn und ihre Geſchichtbuͤcher ſind uͤber dieſen Punct gewoͤnlich mit den fabelhafteſten Hiſtoͤrchen angefuͤllt. So fangen manche Hiſtoriker eini - ger europaͤiſchen Reiche ihre Geſchichte mehrere Jahrtau - ſende vor Chriſti Geburt, vom babiloniſchen Thurmbau oder gar von der Suͤndfluth an. Wer ſoll nun dieſe Nebel der Dunkelheit zerſtreuen und den erſten Urſprung der Reiche in ein ſolches Licht ſetzen, daß ihr Alter hin - laͤnglich eroͤrtert und der davon abhangende Rang mit Grunde beſtimmt werden koͤnte?

Indes haben Teutſchland, Frankreich, Daͤnemark, Schweden und andere Staaten dieſen Grund oͤfters fuͤr ſich angefuͤhrt; und noch 1742 verlangte Grosbritannien, des Alters halber, den Rang vor Preuſſen b].

Wenn205und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Wenn uͤbrigens ein gewiſſer Vorrang Statt finden muͤſte, und das Alter der Unabhaͤngigkeit einer ieden Nazion genau angegeben waͤre, ſo wuͤrde dieſes, der Billigkeit nach, freilich wohl den natuͤrlichſten Ent - ſcheidungsgrund an die Hand geben.

a]Naturalis ordo inter ſocios hic eſt, ſagt Grotius L. II. c. V. §. 21. prout quisque in ſocietatem venit. Sic inter fratres is ſervatur ordo, ut qui primus natus eſt, reliquos praecedat atque ita deinceps, reiectis aliis omni - bus qualitatibus, und bezieht ſich zum Beweis auf den Ausſpruch der Kaiſer Theodos und Valentinian l. I. C. de conſul. quis enim in uno eodemque genere dignitatis prior eße debuerat niſi qui prior meruit dignitatem? Man vergl. Roußet Memoires etc. c. VI. p. 58. Vat - tel L. II. c. 3. §. 37. Real T. V. c. 4. Sect. 3.
a]
b]Moſers Beitraͤge zum europ. Voͤlkerrecht in Friedensz. 1. Th. S. 45.
b]
**]Cruſius l. c. cap. VI. §. 37. p. 61. Stoſch S. 867. Stiev S. 10-37. geht die vornehmſten Reiche durch und zeigt ihren wahrſcheinlichen Urſprung.
**]

§. 6. b] Alter des regierenden Hauſes.

Bey Behauptung des Ranges unter den Voͤlkern wird ſich nicht ſelten auch auf das hohe Alter der regie - renden Familie bezogen. Es hat aber damit eben die Bewandnis wie mit dem Alter der Nazion. Dieſe zu - faͤllige Eigenſchaft und die Vorzuͤge des regierenden Hau - ſes uͤberhaupt koͤnnen einer Nazion kein vorzuͤglicheres Recht vor der andern geben.

*]Stoſch S. 858.
*]
§. 7.206Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 7. c] Alter des Chriſtenthums.

Die haͤufigſte Gelegenheit zu Zuſammenkuͤnften der europaͤiſchen Nazionen waren ehemals die algemeinen Kirchenverſamlungen. Da hier das Wohl der geſamten Chriſtenheit in Erwaͤgung gezogen werden ſolte, ſo ſahen die Paͤpſte, welche nebſt dem Kaiſer das groͤſte Gewicht und vorzuͤglichſte Intereſſe dabey hatten, bey Anweiſung der Plaͤtze hauptſaͤchlich auf den mehrern oder mindern Antheil, den die Voͤlker an dem Beſten der chriſtlichen Kirche nahmen und auf ihre fruͤhere oder ſpaͤ - tere Bekehrung zur chriſtlichen Religion a]. Aber auſ - ſerdem, daß dies auch nur zufaͤllige Eigenſchaften ſind, lief hierbey, wie bey dem Urſprunge der Reiche, viel Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate ſolte ſchon Joſeph von Arimathias, in dem andern Petrus und Paulus die chriſtliche Religion gepredigt und einge - fuͤhrt haben. Es iſt daher leicht abzunehmen, wie unzu - verlaͤſſig und ſtreitig die Entſcheidung des Ranges daraus geweſen ſeyn muͤſſe. Ueberdies konte dieſe aus beſondrer Ruͤckſicht in ienen Verſamlungen beliebte Ordnung uͤber - haupt nicht fuͤglich auf andre Faͤlle angewandt werden, wiewohl die Nazionen ſie auch ſonſt haͤufig als Richt - ſchnur anzufuͤhren pflegten. Auf dieſe fruͤhere Bekehr - ung zum Chriſtenthum bezogen ſich ehemals hauptſaͤchlich Spanien, Frankreich und England.

a]Grotius ſcheint dieſen Grund zu billigen, indem er, nach der obigen Vergleichung der Nazionen mit aͤltern und iuͤn - gern Bruͤdern hinzufuͤgt: atque hic mos antiquitus in Chriſtianorum quoque regum ac populorum ſocietate obtinuit, ut qui primi Chriſtianismum profeſſi ſunt in conciliis ad rem chriſtianam pertinentibus praecedant caeteros.
a]
*]Cruſius c. VI. §. 44. p. 63. Stiev, S. 37-56.
*]
§. 8.207und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 8. d] Macht der Nazionen.

Der groͤßere Umfang des Staats, die Mehrheit der Reiche und die ſtaͤrkere Anzal von Unterthanen, welche ein Souverain beherſcht, geben an und vor ſich ebenfals kein Recht des Vorrangs. Der Rieſe und der Zwerg ſind als Menſchen einander volkommen gleich, und der kleinſte freie Staat hat eben ſo viel Rechte als der groͤſte; denn dieſe flieſſen nicht aus der Macht, wie Fuͤrſtenerius lehrt, ſondern aus der Unabhaͤngigkeit, die, wenn ſie volkommen ſeyn ſoll, bey allen Nazionen gleich ſeyn muß. Allein der große und maͤchtige Staat, ſagen Ickſtadt a], Vattel b], Real c] und andere, kan in der Voͤlkergeſelſchaft eine weit anſehnlichere Rolle ſpielen und den Zweck derſelben, die gemeinſchaftliche Sicher - heit und Ruhe in einem weit ſtaͤrkern Grade befoͤrdern, als ein kleiner. Es iſt daher vernuͤnftig und billig, daß iener auch mehrere aͤuſſerliche Vorzuͤge genieße, und daß dieſer ihm bey Gelegenheiten weiche, wo einer nach - geben muß. Allein Billigkeit iſt noch kein Recht. In - des iſt der Unterſchied der groͤßern und kleinern Reiche freilich von ieher ſehr auffallend geweſen, und die Macht hat ohnſtreitig die erſte Gelegenheit gegeben, ſich einen Vorrang bey den uͤbrigen Nazionen, beſonders bey den Mindermaͤchtigen zu verſchaffen d]. Aus Furcht vor der Maͤchtigen Rache raͤumten ſie ihnen die verlangten Vor - rechte willig ein. Eine Verbindlichkeit dazu iſt iedoch nicht vorhanden. Eine Nazion, welche ihr Reich ſelbſt hinlaͤnglich zu beſchuͤtzen und zu vertheidigen im Stande iſt, folglich die uͤberwiegende Macht einer Groͤßern we - der fuͤrchten noch ſuchen darf, hat nicht Urſach, dieſem aus dem Grunde der Uebermacht irgend ein Vorrecht einzuraͤumen,

Auch208Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Auch die europaͤiſchen Staaten haben zu Behauptung des Vorranges am meiſten auf die Macht ſich geſtuͤtzt, und ſie war ein Hauptgrund, deſſen Peter I. von Ruß - land ſich bey Annehmung des kaiſerlichen Titels bedien - te, indem er zu erweiſen ſuchte, daß Rußland im Um - fange ſelbſt das roͤmiſch-teutſche Kaiſerthum uͤbertreffe.

Da aber die Macht eine ſehr zufaͤllige Sache iſt und leicht ſich vermindern kan; ſo entſteht die Frage, ob ein Volk mit der Abnahme der Macht auch einen geringern Platz einnehmen muͤſſe? Hier entſcheiden faſt alle Voͤl - kerrechtslehrer, wie billig, fuͤr den Beſitz des einmal erlangten Ranges.

a]L. II. c. VI. §. 13.
a]
b]L. II. c. 3. §. 37.
b]
c]Tom. V. c. 4. Sect. 3.
c]
d]Au commancement, wird beim Rouſſet am ang. Orte hiervon ſehr richtig geurteilt, lorsqu on établit dans le monde, en partie par une force ſuperieure, en partie par un conſentement libre et unanime, premierement les familles, et avec le tems les ſociétés, les republi - ques, les royaumes et d autres états, on ne regla pas la préſéance et le rang ſuivant l ancienneté de ces états reſpectifs en ſuivant l ancienneté et les merites du priu - ce regnant et de ſa famille, mais ſuivant la puißance et les forces dont un chacun jouißoit, et celui qui étoit ſuperieur en force à un autre prit ſans ſcru - pule le pas devant lui. Introd.
d]
*]Cruſius, VI. §. 47. p. 64. Stiev, S. 65-69.
*]

§. 9. e] Vorzuͤglichere Regierungsform.

Die monarchiſche Regierungsform wird, nach dem gemeinen Wahne, der republikaniſchen vorgezogen, weil bey iener der Glanz der Maieſtaͤt in einem Subiecte ver -einigt207[209]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.einigt weit heller in die Augen faͤlt, als wenn derſelbe unter mehrere verteilt iſt. Dieſer Glanz, glaubt man, muͤſſe den Monarchien vor den Republicken nothwendig mehr Achtung und einen hoͤhern Rang verſchaffen a], zumal da die Beherſcher der monarchiſchen Staaten per - ſoͤnlich zuſammenkommen, die Republicken hingegen nur durch Geſandte erſcheinen koͤnten, welche ienen ohnſtrei - tig nachſtehn muͤſten.

Nun iſt dieſer Vorzug zwar in der Natur keineswe - ges gegruͤndet, weil iede Regierungsform eines freien Volks gleichwohl die Unabhaͤngigkeit in ſich begreift, und wenn auch bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Mo - narchen die Gleichheit wegfaͤlt, ſolche doch unter allerſei - tigen Geſandſchaften fuͤglich Statt findet. Demunge - achtet hat das Herkommen allen gekroͤnten Haͤuptern, wenn ſie auch erſt neuerlich die koͤnigliche Wuͤrde ꝛc. wie z. B. Preuſſen erlangt haben, den Vorrang vor den Republicken zugeſtanden b].

Den Grund hiervon ſetzt Vattel c] in der Ueberlegen - heit der Monarchien Europens, die mehrenteils blos mit geringen Republicken zu thun gehabt, und daher zu ſtolz geweſen ſind, denſelben Gleichheit zuzugeſtehn. Eine Haupturſach liegt aber wohl auch in dem Aberglauben des Papſtthums. Die Monarchen lieſſen ſich gewoͤnlich vom Papſte oder doch der Geiſtlichkeit kroͤnen und ſalben. Dieſe mehr zu Erhaltung des paͤpſtlichen Anſehns, als zu Beſtaͤtigung der koͤniglichen Wuͤrde noͤthige Handlung gab den Monarchen bey dem aberglaͤubiſchen Haufen ein weit ehrwuͤrdigeres Anſehn und viel erhabnere Vorzuͤge, deren die Republicken ſich nicht theilhaftig machen konten.

Indes wollen die Republicken, indem ſie den gekroͤn - ten Haͤuptern weichen, dadurch nicht fuͤr geringer gehal - ten ſeyn, ſondern die Monarchien nur als die erſten un - ter Gleichen anſehn. Man hat auch einigen Republicken die ſogenanten koͤniglichen Ehrenbezeigungen, vermoͤgeOwel -208[210]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwelcher ihre Geſandten den koͤniglichen gleich behandelt werden, zugeſtanden.

Es fragt ſich uͤbrigens: welchen Rang ein Staat einnehmen muͤſſe, welcher aus der Monarchie in eine Republick und umgekehrt verwandelt worden iſt? Da die Regierungsform in Ruͤckſicht der aͤuſſern Verhaͤltniſſe einige Rechte weder geben noch nehmen kan, ſo wird er fuͤglich ſeinen alten Platz behaupten d]. Das that auch England, als es unter Cronwell eine Art von Repulick formirte e]. Doch duͤrfte heutzutage, bey dem durch das Herkommen einmal eingefuͤhrten Grundſatze, daß die Republicken den Monarchien weichen, vielleicht daruͤber Streit entſtehen. Ickſtadt glaubt daher auch, daß eine Republick, welche einen Monarchen bekomt, den uͤbri - gen Republicken nunmehr vorgehn muͤſſe f].

Warum ein Erbreich dem Wahlreiche vorgehn ſolte, ſehe ich keinen Grund. Gleichwohl ſcheint Real dieſer Meinung zu ſeyn, indem er, bey Gelegenheit des kaiſer - lichen Ranges aͤuſſert, daß der Kaiſer ein Wahlfuͤrſt ſey, welcher eigentlich ſchon aus dieſem einzigen Grunde mit einem Erbfuͤrſten von gleicher Wuͤrde keinen Rang - ſtreit haben ſolte.

Die mehr oder minder eingeſchraͤnkte Gewalt, wor - auf einige Nazionen und Schriftſteller ſich beziehen, und den Souverainen, welche damit begabt ſind, darum einen hoͤhern Rang anweiſen, weil ſie Gott am naͤchſten kom - men, giebt dem Regenten zwar ein groͤßeres Anſehn und mehrere Rechte gegen die Unterthanen; aber der Rang iſt nicht nach den Gerechtſamen des Regenten uͤber ſeinen Staat, ſondern nach den Verhaͤltniſſen gegen Auswaͤr - tige zu beurteilen.

Von gleichem Werth iſt der Grund des Vorranges, den man aus dem Anſehn der Staͤnde nimt, welche ein Regent beherſcht. Er diente hauptſaͤchlich um den Vor - rang des roͤmiſchen Kaiſers zu beſtaͤrken, weil die teut -ſchen209[211]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſchen Reichsſtaͤnde theils den koͤniglichen Titel fuͤhren, theils den Koͤnigen gleich geachtet werden, und iedes ſtaͤndiſche Gebiete einen eignen kleinen Staat ausmacht. Aber andere, beſonders Real, haben dagegen nicht ohne allen Grund erinnert, daß das Anſehn des Regenten vielmehr verringert werde, ie groͤßer die Macht ſeiner Staͤnde iſt g].

a]Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 14.
a]
b]In Anſehung des teutſchen Reichs, welches ohne ſeinem Oberhaupt, dem Kaiſer, eine Art von Republick vorſtelt, iſt kein beſtimtes Herkommen vorhanden. Man hat es den Monarchien zuweilen nach, doch aber oͤfter vorgeſetzt. S. Moſers auswaͤrtiges Staatsr. 2. B. 2. K. §. 8. 9. S. 50. und 51. desgleichen Verſuch des europ. Voͤlkerr. S. 50.
b]
c]L. II. c. 3. §. 38.
c]
d]Grotius, L. II. c. 9. §. 8. n. 3.
d]
e]Vattel, am ang. O. §. 39.
e]
f]Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 14. coroll. Doch nimt er den Fall aus, wenn die Macht fuͤr den Vorrang der Repu - blick entſcheidet. Man ſieht hieraus, wie dieſe zufaͤlligen Eigenſchaften oͤfters einander entgegen laufen.
f]
g]Real, T. V. c. 4. Sect. 13. S. 966. ſagt: Je weniger Große ſich in einem Staate finden, deſto maͤchtiger iſt der Fuͤrſt; und wenn alle dieienigen, welche, wie man in Teutſchland redet, die Landeshoheit haben, wuͤrkliche Souverainen waͤren, ſo muͤſte man eben daraus nothwen - dig ſchlieſſen, daß der Kaiſer der geringſte unter allen Koͤnigen waͤre.
g]
*]Stoſch, S. 865. 866. Stiev, S. 70. 71.
*]
O 2§. 10.210[212]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 10. f] Hoͤhere Wuͤrde und Titel.

Die Natur kent dergleichen Unterſcheidungszeichen nicht. Es ſind leere Worte, deren Werth blos in der Einbildung der Menſchen beſteht und wodurch der gemeine Haufe ebenfals ſich blenden laͤßt. Indes hat das Her - kommen freilich verſchiedenen Ehrenwoͤrtern eine vorzuͤg - lichere Bedeutung beigelegt und gewiſſe hoͤhere Vorzuͤge damit verbunden. Doch haben ſolche auf die Unabhaͤng - igkeit und deren Rechte keine weitere Beziehung. So wenig man von der urſpruͤnglichen Gleichheit der Nazio - nen auf eine Gleichheit der Wuͤrde folgern darf, indem unter zweien an Unabhaͤngigkeit und Macht einander glei - chen Staaten, einer doch gar fuͤglich mit einer hoͤheren Wuͤrde bekleidet ſeyn kan, ſo lehrt auch die Erfahrung, daß die Ungleichheit der Rechte nicht allemahl eine Un - gleichheit der Wuͤrde nach ſich zieht, und daß ein halb - ſouverainer Regent zuweilen einen hoͤhern Titel fuͤhrt, als ein wuͤrklich ſouverainer Herr a]. Die Titel koͤnnen alſo nicht wohl den Rang freier Voͤlker beſtimmen b].

Das große Anſehn und die Macht, welche die roͤmi - ſchen Kaiſer in aͤltern Zeiten ſich erworben hatten, legten dem kaiſerlichen Titel den ſie in Europa allein fuͤhrten, einen ſolchen Glanz bey, daß man ihn fuͤr erhaben uͤber alle andere Wuͤrden hielt. Dieienigen Monarchen, wel - che den Kaiſertitel in der Folge fuͤhrten und annahmen, ſcheinen dies auch ſelbſt geglaubt zu haben c] und an dem tuͤrkiſchen und andern aſiatiſchen Hoͤfen hegt man noch heutzutage dieſe Meinung, daher verſchiedene europaͤiſche Koͤnige in Unterhandlungen mit denſelben, ſich den Titel: Kaiſer beilegen. Dieſes vermeintlichen Vorzugs wegen und aus dem irrigen Wahne eines Anſpruchs auf das roͤ - miſche Kaiſerthum ſuchten auch einige Koͤnige von Spa - nien im zwoͤlften Jahrhundert, ſich die kaiſerliche Wuͤrdemit211[213]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.mit Beihuͤlfe der Paͤpſte zu verſchaffen; doch ſtunden ſie bald wieder davon ab d]. Aus dem naͤmlichen Vorzugs - grunde geſchah es auch wahrſcheinlich, daß Peter I. von Rußland 1721 den Titel: Czaar mit dem Kaiſertitel vertauſchte. Allein obgleich die uͤbrigen europaͤiſchen Maͤchte dieſen Titel nach und nach anerkanten, ſo ward doch von den meiſten dabey bedungen, daß daraus kein weiterer Vorzug, oder Vorrang vor andern Koͤnigen gefol - gert werden ſolte e]

So iſts auch mit dem Vorrange der uͤbrigen Regen - ten beſchaffen, welche den Koͤniglichen, Herzoglichen, Fuͤrſtlichen und andere Titel fuͤhren. Obſchon Rouſſet in der mehrangefuͤhrte Introduction behauptet: On eſt convenu en général d une certaine préſéance entre ces diverſes ſortes de Souverains. Les Empereurs précédent les rois, les rois vont avant les princes; ceux-ci avant les Ducs, les Marquis ſuivent ceux-ci et précédent les Comtes, auxquels les Barons cedent le pas. Ainſi toute la difficulté conſiſte à decider du rang entre ceux du même ordre comme entre les Empereurs, entre les rois, entre les Princes etc.; ſo kan doch dieſe Klaſſification der Wuͤrden zum Range ganzer Voͤlker nichts thun und die in neuern Zeiten zu behaupten angefangene Gleichheit unter den Nazionen, ohne Ruͤckſicht auf Wuͤrde oder Titel, iſt der Natur ohnſtreitig viel angemeſſener.

Die Vielheit der Titel, worinn verſchiedene Souve - rains einen Vorzug ſuchen, giebt auch keine mehrere Rechte: ein Souverain iſt nicht minder ſouverain, wenn er nur einen Titel fuͤhrt, als wenn er deren eine ganze Seite voll ſeinem Namen nachzuſetzen vermag. Dies gab Franz I. Koͤnig von Frankreich ſehr wohl zu verſtehn, als er in einer Antwort an Kaiſer Karl V. als Koͤnig von Spanien, der in einem Schreiben alle Titel ſeiner Rei - che und Provinzen beigefuͤgt hatte, ſich blos Koͤnig vonO 3Frank -212[214]Von der urſpruͤnglichen GleichheitFrankreich und Herr von Goneſſe [ein geringes Dorf in der Gegend von Paris] nante.

a]Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 2. K. §. 3. S. 38.
a]
b]Real, V, 4, 3. haͤltjes zwar fuͤr billig, daß ein aͤlterer Staat, oder Fuͤrſt, welcher niemals mit einem großen Titel geziert geweſen, einem ſolchen den Rang nicht ſtreitig mache, welcher zwar neuer iſt, der aber durch die Bewilligung der Menſchen zu einer groͤſſern Wuͤrde, welche eine Macht von einem weiten Umfange zum Grunde ſetzt, erhoben worden iſt. Er ſetzt daher die Regel feſt, daß ein Staat von geringerer Wuͤrde dem hoͤhern nachgehn muͤſſe. Doch widerſpricht er ſich ſelbſt, wenn er weiter unten bey Unter - ſuchung des kaiſerlichen Vorranges glaubt, daß die Urſa - chen davon keinen Grund haͤtten. Der Kaiſertitel, ſagt er, kan es nicht ſeyn, denn was hat dieſer Titel Hoͤheres in ſich, als der Titel Koͤnig?
b]
c]Dieſen Grundſatz nahm nicht nur Kaiſer Karl V. in ſeiner Erklaͤrung vom 5. Sept. 1519 zu Barcellona [Ceremoniel diplomatique T. l. p. 580.] an, als er ſeinen Vorzug vor ſeiner Mutter feſtſetzte, ſondern auch im Belgrader Frie - den 1739. Art. 21. legten der roͤmiſche und tuͤrkiſche Kaiſer dieſem Titel gewiſſe Vorrechte bey. Aber einige Schrift - ſteller wollen den Vorzug des Kaiſertitels ſelbſt aus der hei - ligen Schrift entkraͤften und ihm eher den koͤniglichen vor - ziehn, weil Gott Koͤnige aber nicht Kaiſer eingeſetzt, weil es ſchon zu Abrahams Zeiten Koͤnige aber keine Kaiſer gege - ben und weil endlich Chriſtus ſich nicht einen Kaiſer, ſon - dern Koͤnig aller Koͤnige genant. ſ. Moſers Staatsrecht. 3. Th. S. 22.
c]
d]Stiev, am angef. O. S. 85.
d]
e]Spanien aͤuſſerte in ſeiner Erklaͤrung vom 5. Febr 1763. ganz richtig: Le roi ſachant que le titre d Imperial ainſi que tout autre n abolit ni ne fixe le rang des Monarchies, lorsque quelque Souverain ſe l attribue deſon213[215]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſon propre mouvement etc. Gleichwohl verlangte 1742 der Rußiſche Reſident an der Pforte die Audienz bey dem neuen Großvezier darum vor allen andern Reſidenten, den Roͤmiſch-Kaiſerlichen ausgenommen, weil ſeine Principa - lin den kaiſerlichen Titel fuͤhrte, ſ. Moſers auswaͤrt. Staatsv. 1. B. 1. K. §. 10. S. 17. und Ebendeſſ. Bei - traͤge zum europ. V. R. in Friedensz. S. 41.
e]
*]Cruſius, c. VI. §. 33. p. 61. Stoſch, S. 5. 865. 866. Stiev, S. 69.
*]

§. 11. g] Auszeichnende Thaten.

Den Vorrang der Nazionen auf ihre Heldenthaten und andere ruͤhmliche Handlungen zu bauen iſt eine ſehr mißliche Sache. Die Geſchichtbuͤcher der meiſten Voͤlker haben dergleichen aufzuweiſen; und wer ſoll uͤber den vor - zuͤglichern Werth derſelben urteilen und entſcheiden? Ehe - mals, als man auf den Ausſpruch der Paͤpſte noch eini - ge Ruͤckſicht nahm, konten die Verdienſte um die Kirche und den paͤpſtlichen Stuhl allenfals wohl einigen Vorzug bewuͤrken.

*]Cruſius, c. VI. §. 45. p. 64. Stiev, S. 71.
*]

§. 12. b.] Lehns - Schutz - Zins - und andere Verbin - dungen.

Daß die Verbindung mit andern angeſehenen und maͤchtigen Nazionen durch Blutfreundſchaft oder Buͤnd - niſſe weiter kein Vorrangsrecht geben koͤnne, wie einige gleichwohl behaupten a], bedarf, glaube ich, keines weit - laͤuftigen Beweiſes.

Weit ſcheinbarer aber iſt die Meinung, daß ein Volk welches mit andern in ungleichen Verbindungen ſteht,O 4dem -214[216]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitdemienigen nachgehn muͤſſe, dem die Ungleichheit zum Vorteil gereicht b]. Der Vaſall ſoll alſo ſeinen lehns - herrn, der Schutzverwandte ſeinem Schutzherrn und der zinſende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im Kriege dazu iſt gemacht worden, dem Zinsherrn wei - chen c]. Es iſt allerdings nicht zu laͤugnen, daß der Vaſall in Anſehung ſeines Lehns in gewiſſen Stuͤcken nicht ganz ſo freie Haͤnde hat, als ein Regent, deſſen Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden Schutzes und Zahlung des Zinſes ein Geſtaͤndnis von Schwaͤche ſind. Da aber alle dieſe Verbindungen, wie oben gezeigt worden, der Unabhaͤngigkeit nicht nachthei - lig ſind und im uͤbrigen die Gleichheit der Rechte nicht aufheben, ſo folgt die Einraͤumung des Vorranges daraus keinesweges unmittelbar. Sie koͤnnen nicht weiter er - ſtreckt werden, als die deshalb errichteten Vertraͤge aus - druͤcklich es erlauben.

a]Cruſius, c. VI. §. 73. p. 70.
a]
b]Is eo ipſo alterius dignitatem eminentiorem fatetur ſagt Puffendorf L, VIII. c. 5. §. 15. ſeq. Man vergl. Real T. V. c. 4. p. 976.
b]
c]Stiev, S. 56. u. f.
c]

§. 13. I]. Unvollkommenheit der Souverainetaͤt.

Der natuͤrlichſte und triftigſte Grund des Vorzugs wird wohl von der Unabhaͤngigkeit eines Staats herge - nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen Staate, welcher die voͤllige Souverainetaͤt beſitzt, vor den ſogenanten Halbſouverainen eingeraͤumt, die auſer Gott und dem Degen noch ein wuͤrkliches Oberhaupt ha - ben. Doch iſt auch dieſe Regel nicht ohne Ausnahme, und die volkomne Unabhaͤngigkeit giebt nicht allemal einenuntruͤg -215[217]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.untruͤglichen Beweis des Vorranges. Es koͤnnen, wie die Erfahrung lehrt, auch halbſouveraine Staaten ſich durch Vertraͤge und Herkommen einen Rang vor den ganz ſouverainen erwerben, wie dies der Fall in Anſeh - ung der Kurfuͤrſten des teutſchen Reichs und der Repu - bliken in Europa iſt.

§. 14. Einraͤumung des Ranges durch a] ausdruͤck - liche Vertraͤge.

Alle vorgedachten zufaͤlligen Eigenſchaften der Nazio - nen geben, wie gedacht, zwar Gelegenheit vor andern einen Vorrang zu behaupten, aber kein Recht: was blos billig und ſchicklich iſt, Gruͤnde deren man ſich ſehr haͤufig in dieſer Materie bedient gehoͤren nicht in das Voͤlkerrecht. Ueberhaupt laufen dieſe ver - meintlichen Gruͤnde ſo oft gegeneinander, daß darauf ohnmoͤglich zuverlaͤſſige Regeln gebaut werden koͤnnen. Bald ſoll die Regierungsform entſcheiden, bald, wenn dieſe geaͤndert wird, der Beſitz, oder die Macht, und ieder Staat hat doch immer wenigſtens eine dieſer Eigen - ſchaften aufzuweiſen. Es muͤſten ſolche alſo zufoͤrderſt gehoͤrig und mit Einverſtaͤndnis der Nazionen klaſſificirt werden, weil die Natur keine Regeln dazu an die Hand giebt. Das einzige rechtmaͤſſige Mittel ſich den Rang zu verſichern ſind ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende Ver - traͤge, wodurch alle Streitigkeiten, die aus ienen Gruͤn - den nothwendig entſtehen muͤſſen, aufgehoben werden. Einige europaͤiſche Nazionen haben, wie man in der Folge ſchen wird, dergleichen Vertraͤge unter ſich errich - tet; aber die Anzahl derſelben iſt noch zur Zeit ſehr gerin - ge. Die uͤbrigen ſuchen dermalen bey Anmaſſung des Ranges hauptſaͤchlich ſtilſchweigende Vertraͤge und den Beſitz zu erweiſen.

O 5§. 15.216[218]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 15. b]. Stilſchweigende Vertraͤge.

Der Exiſtenz ſtilſchweigender Vertraͤge iſt ſchon in der Einleitung einige Erwaͤhnung geſchehen, und ſie ſoll bey der Materie von Vertraͤgen noch einleuchtender gezeigt werden. Auf dieſe komt bey dem Range das meiſte an. Die ſtilſchweigende Einwilligung muß hierbey iedoch, wie in allen Faͤllen deutlich und keiner andern Auslegung un - terworfen ſeyn. Wenn z. B. ein Regent, welcher weiß und ſieht, daß ein anderer von Natur ihm Gleicher einen Vorrang uͤber ihn ſucht und einnimmt, dazu ſtilſchweigt, und ſeine Rechte der Gleichheit durch nichts ſicherſtellt, welches er doch thun konte und ſolte, iſt da wohl an deſſen Einwilligung zu zweifeln? Ein durch Gewalt oder Liſt deren man ſich hierbey zu bedienen ehemals kein Beden - ken trug a] erlangter Beſitz hingegen kan keinesweges ein Recht hervorbringen.

Die meiſten europaͤiſchen Nazionen haben den Beſitz auch als den Hauptgrund des Vorranges angeſehn. Die franzoͤſiſchen Geſandten gaben auf dem Niemwegiſchen Friedenskongreß den uͤbrigen zu erkennen, daß es bey dem Ceremoniel nicht auf Raiſon, Macht und Wuͤrde, ſondern einig und allein auf den Beſitz ankomme, und die ſchwediſche Mediateurs aͤuſſerten beim Ryßwikiſchen Frieden ein Gleiches b].

Der heutige Beſitz des Ranges unter den Maͤchten in Europa ſchreibt ſich groſſenteils noch von den ehemaligen Kirchenverſamlungen her. Der daſelbſt, nach den Ver - dienſten um die Kirche und dem Erkentnis des Papſtes, genommene Sitz ward ſehr oft auch bey andern Gelegen - heiten beobachtet, woraus durch mehrmalige Wiederho - lung nach und nach ein Beſitzrecht entſtand.

Der Beſitz iſt auch, obgedachtermaſſen, der einzige rechtmaͤſſige Entſcheidungsgrund bey dem Range einesStaats,217[219]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Staats, deſſen Regierungsform geaͤndert, ſo wie auch desienigen, der durch einen Regenten von niedrigerm Range beſiegt worden iſt c].

Freilich wird der Beſitz von andern Nazionen zuweiln angefochten, fuͤr gewaltſam oder durch Liſt erlangt aus - gegeben und veranlaßt mancherley Streitigkeiten. Rouſ - ſet ſagt daher in der Introduction zu ſeinen Memoires ſur le rang des ſouverains ſehr richtig: L usage ſeul y a pour - vu, mais chacun d eux respectivement fait difficulté dans l occaſion de ſe ſoumettre à ſa déciſion, ce qui fait naitre des embarras et des difficultés ſouvent inſur - montables.

a]Man hat auffallende Beiſpiele hiervon. Ich will nur ein Paar der merkwuͤrdigſten anfuͤhren. Auf der Kirchenver - ſamlung zu Coſtanz gab Spanien ſich alle Muͤhe den Rang uͤber England zu erhalten. Die ſpaniſchen Geſandten wa - ren: Diego de Anaga Erzbiſchof von Sevilien und Diego Fernandes de Cordua Alcayde de los Donzellas Pagen - hofmeiſter. Als ſie mit Worten in Guͤte ihre Abſicht nicht erreichen konten, nahm der dicke Erzbiſchof den engliſchen Geſandten, einen kleinen ſchmaͤchtigen Mann von ſeinem Platz, ſchlepte ihn, der dem Erzbiſchof nach dem Barte grif, zum Conferenzſaal hinaus, trug ihn bis zur Kirche und warf ihn in eine offne Gruft. Triumphirend kehrte er dann zur Verſamlung mit den Worten zuruͤck. Ich habe gethan, was ein Pfaf und Prieſter thun kan; nun thue der Herr Kollege auch, was ein ſpaniſcher Cavallero thun ſoll. Die Verſamlung gerieth daruͤber in nicht geringe Verwirrung und der Erzbiſchof ſah ſich genoͤthigt, Sicherheit in ſeiner Wohnung zu ſuchen. ſ. Zwanzig 1. Th. Tit. 9. Roußet c. XI. p. 68. Der pohlniſche Geſandte machte es an dem Hofe Kaiſer Karl V. oder wie andere ſa - gen, auf einer Kirchenverſamlung feiner, um den Vorrang vor dem portugieſiſchen zu erlangen. Als dieſer bey einer gewiſſen Feierlichkeit in der Kirche den Sitz uͤber ienen genom -meu218[220]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitmen hatte, ſtand der pohlniſche Geſandte auf und reichte dem Portugieſen die Hand, als ob er ihm etwas zu ſagen haͤtte. Indem der portugieſiſche Geſandte, keine Argliſt befuͤrchtend, ebenfals aufſtand und ſich zu dem Pohlen neigte, ſchluͤpfte dieſer hurtig herum auf deſſen Platz, zu großem Misfallen des anweſenden Kaiſers. Zwanzig 1 Th. Tit. 10. der ſpaniſche Geſandte Baron Batteville zu Londen ließ 1661 bey Einhohlung des Schwediſchen Both - ſchafters dem franzoͤſiſchen Geſandten Grafen von Eſtrades die Strenge am Wagen zerſchneiden, damit ſeine Caroſſe dieſem vorfahren und den Rang behaupten moͤchte, an ſei - nen Wagen aber waren ſubtile Ketten mit Leder uͤberzogen befeſtigt, damit ihm nicht ein Gleiches widerfahren konte. Dieſes Auftrits wegen, der ohne Blutvergieſſen nicht ablief, muſte der Koͤnig von Spanien nachher die bekante, weiter unten zu erwaͤhnende Erklaͤrung am franzoͤſiſchen Hofe thun laſſen. Lünig theatrum ceremoniale T. I. S. 421.
a]
b]Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 127.
b]
c]Grotius L. II. c. 5. §. 21.
c]
*]Cruſius L. I. c. 5. §. 3. ſeq. p. 54. Stoſch S. 867. u. f.
*]

§. 16. Rangordnung der europaͤiſchen Staaten.

Da die Nazionen keinen Obern erkennen, der den Rang unter ihnen beſtimmen koͤnte, es auch an algemei - nen Vertraͤgen und unbezweifeltem Herkommen hierunter noch gar ſehr fehlt; ſo iſt leicht abzunehmen, daß es keine entſchiedene Rangordnung unter den Staaten in Euro - pa gebe, wornach ſie ſaͤmtlich ſich zu richten verbunden waͤren. Jedoch haben verſchiedene Paͤpſte ehemals der - gleichen Rangordnungen aufgeſetzt und mehrmalen abge - aͤndert. Dieienige, welche Julius II. durch ſeinen Ce - remonienmeiſter Paris de Craßis 1504 bekant machen ließ,iſt219[221]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.iſt die vorzuͤglichſte. Nach dieſer folgen die europaͤiſchen Nazionen alſo auf einander:

  • 1] Der roͤmiſche Kaiſer.
  • 2] Der roͤmiſche Koͤnig.
  • 3] Der Koͤnig von Frankreich.
  • 4] Der Koͤnig von Spanien.
  • 5] Der Koͤnig von Arragonien.
  • 6] Der Koͤnig von Portugal.
  • 7] Der Koͤnig von England.
  • 8] Der Koͤnig von Sicilien.
  • 9] Der Koͤnig von Schottland.
  • 10] Der Koͤnig von Ungarn.
  • 11] Der Koͤnig von Navarra.
  • 12] Der Koͤnig von Cypern.
  • 13] Der Koͤnig von Boͤhmen.
  • 14] Der Koͤnig von Pohlen.

Hierzu kommen nachher ferner:

  • 15] Der Koͤnig in Daͤnemark.
  • 16] Die Republick Venedig.
  • 17] Der Herzog von Bretagne.
  • 18] Der Herzog von Burgund.
  • 19] Der Kurfuͤrſt von Bayern.
  • 20] Der Kurfuͤrſt zu Sachſen.
  • 21] Der Kurfuͤrſt von Brandenburg.
  • 22] Der Erzherzog in Oeſterreich.
  • 23] Der Herzog von Savoyen.
  • 24] Der Grosherzog zu Florenz.
  • 25] Der Herzog von Mayland.
  • 26] Der Herzog in Bayern.
  • 27] Der Herzog zu Lothringen ꝛc.

Allein nicht zu gedenken, daß dieſe Rangordnungen mehrenteils ſehr unvollkommen waren, ſo konten ſie ſich eigentlich nicht weiter, als auf die paͤpſtliche Kapel - le erſtrecken. Sie wurde auch von ſaͤmtlichen europaͤi -ſchen220[222]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſchen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verſchie - dene derſelben, zu deren Vorteil ſie entſchieden, bey an - dern vorkommenden Gelegenheiten ſolche als eine Grund - regel wolten angeſehn wiſſen. Heutzutage aber kommen ſie in keine Betrachtung mehr a].

Der Rang der Staaten in Europa iſt daher noch groͤſtenteils unentſchieden. Nachdem ich in den vorher - gehenden §. §. die algemeinen Gruͤnde des Vorranges angefuͤhrt habe, will ich nun die einzelnen europaͤiſchen Staaten, hauptſaͤchlich nach Ordnung ihrer geographi - ſchen Lage durchgehen und ihre vornehmſten Anſpruͤche auf Vorrang oder Gleichheit nebſt den beſondern Gruͤn - den und daruͤber entſtandenen Streitigkeiten kuͤrzlich bemerken.

Ich hatte es faſt fuͤr unnoͤthig mit Paradiſi und Rouſſet b] hierbey ausdruͤcklich zu erinnern, daß ich keinesweges die Abſicht habe, irgend einer Nazion zum Vorteil oder Nachtheil zu ſchreiben, ſondern blos die gegenſeitigen Gruͤnde und Handlungen hiſtoriſch anzufuͤh - ren. Solte ein Privatſchriftſteller auch wuͤrklich aus Partheilichkeit dieſer oder iener Nazion das Wort reden, ſo glaube ich, daß die uͤbrigen Staaten nicht Urſach ha - ben, ſich daruͤber zu entruͤſten b], weil die Urteile und Meinungen der Privatſchriftſteller ihren Rechten ganz und gar nichts vergeben oder ſie dadurch zu etwas ver - binden koͤnnen.

a]Die Rangordnung Papſt Julius II. ſoll, dem Vorgeben nach, auch am paͤpſtlichen Hofe nur noch in Anſehung der vier erſtern Monarchen beobachtet, dem roͤmiſchen Koͤnige iedoch nicht der Rang vor Spanien und Frankreich einge - raͤumt, ſondern er dieſen nur gleich tractirt werden, Lünig Theat. Cerem. t. I. p. 9.
a]
b]Rouſſet rukte vor ſeinen Memoires, ſur le rang etc. fol - gende Erklaͤrung ein: Je ſoußigné declare, qu en publiantces221[223]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ces Memoires ſur le rang et la préſeance entre les ſou - verains et entre leurs Miniſtres Repreſentans etc. je n ai eu aucune intention de m ingerer à decider dans un ſujet ſi delicat: je n ai écrit qu hiſtoriquement, raportant les faits et les ſentimens ſur differens cas, tels que je les ai trouvés dans d autres Ecrivains, non dans l intention de les faire paſſer pour inconteſtables, mais uniquement relata referendo. C est pourquoi j ai eu ſoin de citer les auteurs que l on pourra con - ſulter, enſorte que je ne pretends faire tort aus droits de qui que ce ſoit. Roußet.
b]
c]Gleichwohl befahl der Koͤnig in Frankreich, daß den Exem - plarien des Ceremonial diplomatique von Rouſſet, welche nach Paris gebracht wurden, ein Vorbericht beigefuͤgt werden muſte, worinn fuͤr den erſten Fehler, welche dieſes zuſammengetragene Werk verunſtalteten, dieſer angegeben wird, daß man den roͤmiſchen Kaͤiſern und Koͤnigen uͤber - haupt den Rang vor dem Koͤnige von Frankreich und allen andern Koͤnigen darinn zuſchreibe.
c]

§. 17. Papſt.

Ich ſetze dieſen geiſtlichen Monarchen, der als Bi - ſchof ehemals gaͤnzlich vom Kaiſer und deſſen Beſtaͤtig - ung abhing, nach und nach aber alle Koͤnige und Fuͤrſten ſich unterwarf, und beſonders ſeit Gregor VII. Zeiten beinah unumſchraͤnkt beherſchte, billig zuerſt, weil er, als vermeintlicher Statthalter Chriſti und Haupt der Chriſtenheit nicht nur in aͤltern Zeiten den Rang vor allen chriſtlichen Nazionen behauptete, ſondern ihm ſol - cher auch noch heutzutage, wenigſtens von allen catho - liſchen Maͤchten, zugeſtanden wird. Dieſer Vorrang, ſagt Real, hat weiter keine Folgen. Die Haͤupter allerReli -222[224]Von der urſpruͤnglichen GleichheitReligionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi - ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli - chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.

Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel nach, den Rang ebenfals zu a]. Joſeph II. erwieß auch dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe - zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer - liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier - lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen b].

Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark, Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni - ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach - gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann die vereinigten Niederlande folgen wollen.

Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.

a]Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedenszeiten S. 28.
a]
b]Politiſches Journal, April 1782. S. 383.
b]*]225und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
*]Cruſius Lib. II. c. 1. p. 129. Stoſch, S. 6. Zwanzig, 1. Th. Tit. 17. und 18. Roußet c. I.
*]

§. 18. Der roͤmiſche Kaiſer.

Nach dem im vorigen Kapitel geſchilderten Anſehn des Kaiſers in aͤltern und mitlern Zeiten faͤlt von ſelbſt in die Augen, daß er, als weltliches Haupt der Chri - ſtenheit und oberſter Voigt derſelben den naͤchſten Platz nach dem Papſt eingenommen habe. Dieſen hat er auch, obgleich die uͤbrigen Vorzuͤge des Mittelalters groͤſtenteils weggefallen, bis itzt behauptet; und der Beſitz von meh - reren Jahrhunderten ſtelt dieſen Rang auch gegen alle Widerſpruͤche ſicher a]. Jedoch wollen die europaͤiſchen Maͤchte dadurch keine Ungleichheit zugeben, ſondern ſehen den Kaiſer nur gleichſam als den aͤlteſten Bruder, oder den erſten unter Gleichen an b].

Die tuͤrkiſchen Kaiſer erregten ehemals gegen den Vorrang des roͤmiſchen Kaiſers mancherley Streitigkei - ten. Endlich verglichen beide Theile ſich einer voͤlligen Gleichheit c].

a]Real giebt ſich viel Muͤhe die Gruͤnde des Kaiſerlichen Vorranges zu widerlegen, muß iedoch am Ende eingeſtehn, daß derſelbe durch den Beſitz hinlaͤnglich entſchieden ſey.
a]
b]Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 79.
b]
c]Paſſarowitzer Friede 1718. Art. 17. und oͤfter.
c]
*]Auſſer dem, was beim Cruſius L. III. c. 1. et 2. p. 339. 365. Stoſch, S. 120. u. f. Europ. Herold, 1. Th. S. 84. Zwanzig, 1. Th. Tit. 1. Stiev, S. 73. und Roußet c. II. p. 11. c. III. p. 15. von dem Range des Kaiſers vorkomt, hat man noch einige beſondere Abhand - lungen daruͤber, z. B.
*]P1]226Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
1]Dietr. Wilh. Matthiae diſs. de praeeminentia Impe - ratoris Germanici. Erf. 1677. 4.
1]
2]Franz Lambert Humler von dem allerhoͤchſten Range, Titel und Wapen des roͤmiſchen Kaiſers. Frankf. 1770. 8.
2]

§. 19. Roͤmiſcher Koͤnig.

Der roͤmiſche Koͤnig verlangt zwar den Rang unmit - telbar nach dem Kaiſer uͤber alle andere wuͤrklich regieren - de Koͤnige, aber dieſe, und beſonders Frankreich, wider - ſetzen ſich den desfalſigen Anmaſſungen moͤglichſt. Die meiſten franzoͤſiſchen Schriftſteller reden von dieſem an - geblichen Range in einem ſehr ſpoͤttiſchen Tone. Real a] ſagt, es ſey ſonderbar, daß ein Titularkoͤnig, ein Wahl - koͤnig, den der Kaiſer nur Ew. Lbden nenne, und der von einem Reichsfuͤrſten nicht unterſchieden ſey, einen ſolchen Vorrang verlange; der als Koͤnig weder ein Koͤnigreich, noch Unterthanen, noch Einkuͤnfte, noch Anſehn, noch Macht habe; der nur in Abweſenheit des Kaiſers Stelle vertrete, und deſſen Titel keinen andern Vorzug, als das Anwartſchaftsrecht auf die ſchwache Wuͤrde des Oberhaupts einer Republick erweiſe. Wen muͤſſe es nicht befremden, einem ſolchen Koͤnig den Vor - zug vor andern Koͤnigen zuzuſchreiben, welche maͤchtige Monarchien, Erbkoͤnigreiche, von denen einige faſt ſo alt als das Chriſtenthum ſind, beherſchen?

Kaͤme es hierbey auf Gruͤnde vorerwaͤhnter Art an, ſo ließen ſich iene Einwuͤrfe leicht beantworten. Der roͤmiſche Koͤnig iſt keinesweges als ein bloßer Titular - koͤnig oder gewoͤhnlicher Thronfolger und Erbprinz in andern Reichen zu betrachten b]. Denn nach den teut - ſchen Reichsgrundgeſetzen c] ſoll kein roͤmiſcher Koͤnig bey Lebzeiten des Kaiſers erwaͤhlt werden, es waͤre denn, daß der Kaiſer ſich aus dem roͤmiſchen Reiche begebenund227und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.und beſtaͤndig oder alzulang aufhalten wolte, oder der - ſelbe, wegen ſeines hohen Alters oder beharrlicher Unpaͤß - lichkeit, der Regierung nicht mehr vorſtehen koͤnte, oder ſonſten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die - ſen Faͤllen aber vertrit er mehr die Stelle des wuͤrklichen Regenten, ob er gleich ohne ausdruͤcklichen Auftrag und Einwilligung des lebenden Kaiſers ſich keiner Regier - ung unterziehn darf d]. Die uͤbrigen Vorwuͤrfe treffen den roͤmiſchen Kaiſer zugleich mit, wider deſſen Vorrang man gleichwohl nichts einzuwenden vermag.

Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem paͤpſtli - chen Ceremonielbuche zur Entſcheidung fuͤr den roͤmiſchen Koͤnig hernimt, iſt freilich ſehr ſeichte; und Selchov fragt billig, wer den Papſt zum Oberceremonienmeiſter unter den chriſtlichen Fuͤrſten gemacht habe? Aber eben ſo wenig iſt deſſen Rang, wie Selchov glaubt, durch den Beſitz entſchieden f]. Die Faͤlle, welche man des - halb anzufuͤhren pflegt, ſind ſo unbezweifelt nicht. Daß z. B. der roͤmiſche Koͤnig Joſeph I. 1703 am kaiſerlichen Hofe den Rang uͤber ſeinen Bruder Koͤnig Karl III. von Spanien genommen, duͤrfte, wie Moſer ſehr richtig erinnert, von andern Maͤchten allerdings blos fuͤr eine Familienſache angeſehn werden. Es fehlt auch an Bei - ſpielen nicht, welche die uͤbrigen europaͤiſchen Koͤnige fuͤr ſich entgegenſetzen. Der Rang des roͤmiſchen Koͤnigs iſt alſo wohl fuͤr noch unentſchieden anzuſehn.

a]Real, T. V. c. 4. Sect. 3. S. 971.
a]
b]Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B. 2. K. §. 9. S. 24.
b]
c]Wahlkapitulation, Art. III. §. 11.
c]
d]Ebendaſ. Art. XXX. §. 3.
d]
e]Principia juris publ. Ingolſt. 1768. 8. p. 163.
e]
f]Moſers auswaͤrt, Staatsrecht, 1. B. 2. K. §. 5. S. 40.
f]P 2*]228Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
*]Man vergl. Cruſius. III., c. 3. p. 401. Stoſch, S. 381. Zwanzig, 1. Th. Tit. 7. Roußet, c. IX. p. 65. ingleichen: Anton Quett a Rex Romanorum et rex Francorum vter alterum praecedat? Francof. 1614. und in Goldaſti Polit. Imp. P. XI. n. 3. Heinr. Friedr. Chriſt. von Luͤncker von den Vorzuͤgen und der Titulatur eines roͤmiſchen Koͤnigs und deſſelben Er - hoͤhung zum kaiſerlichen Thron. Halle 1767. 8. Dan. Nettelbladt Beweis, daß dem roͤmiſchen Koͤnige der Rang vor allen auswaͤrtigen regierenden Ober - haͤuptern der europaͤiſchen Nazionen zuſtehe; in deſſen Eroͤrterungen einig. einz. Lehren des t. Staatsrechts. Halle 1773. 8. n. 5. S. 87.
*]

§. 20. Portugal

Hat mit dem roͤmiſchen Koͤnig, Frankreich, Gros - britannien, Polen und andern Reichen ehedem mehrmals, beſonders auf den Kirchenverſamlungen, Rangſtreitigkei - ten gehabt und keinem nachgehn wollen. Die Schrift - ſteller fuͤhren, auſſer der ſonſtigen Weitlaͤuftigkeit des Reichs, noch zween ſehr wichtige Gruͤnde an, weil naͤm - lich Alfonſus I. auf Chriſti Befehl die Krone angenom - men habe, und dieſer daher fuͤr den Stifter des Reichs anzuſehen ſey, und weil Portugal an der Jungfer, un - ter welcher man Europa gewoͤnlich vorſtelt, die Stirn einnehme.

Mit den Geſandten des roͤmiſchen Koͤnigs Ferdi - nands wolten die portugieſiſchen auf der Kirchenverſam - lung zu Trident alterniren. Da iene aber, weil ſie das paͤpſtliche Ceremonielbuch fuͤr ſich hatten, nicht wichen, ſetzten dieſe ſich auf die geiſtliche Bank zu den Biſchoͤfen und geiſtlichen Kurfuͤrſten, die Geſandten Ferdinands aber blieben auf der weltlichen Bank ſitzen.

Frank -229und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Frankreich will, auſſer dem teutſchen Reiche, kei - nem, alſo auch Portugal nicht weichen.

Der heftigſte Streit war mit England. Portugal fuͤhrte die Rangordnung Papſt Julius II. von 1504 fuͤr ſich an. England aber ſetzte das Alter der koͤniglichen Wuͤrde, ſeine Herſchaft uͤber drei Koͤnigreiche, die ruͤhm - lichen Thaten der Nazion und das groͤßere Anſehn derſel - ben bey den uͤbrigen Maͤchten in Europa dagegen. Als Portugal 1763 dem Pariſer Frieden zwiſchen Frankreich und Grosbritannien beitrat, wurde in den Beitritsur - kunden unter dieſen drey Kronen zwar gewechſelt, doch muſte Portugal unterm 10ten Februar eine beſondere Erklaͤrung ausſtellen a], daß es dieſe Abwechſelung blos fuͤr eine Nachgiebigkeit Grosbritanniens und Frankreichs zu Beſchleunigung des Friedens erkenne, und ſolche gegen dieſe kuͤnftig zu keinem Beiſpiele anfuͤhren, noch unter einigerley Vorwand irgend einen Anſpruch daraus herlei - ten wolle.

Der Krone Spanien ſoll Portugal, dem Verneh - men nach, den Rang willig zugeſtehn b].

Mit Pohlen hatte es ehedem ſelten Gelegenheit zu Rangſtreitigkeiten. Den Vorfall zwiſchen den beiderſei - tigen Geſandten in der Kirche habe ich ſchon oben beruͤhrt. Auf der Tridentiniſchen Kirchenverſamlung wurden die pohlniſchen Anmaſſungen durch den Papſt zum Vorteil Portugals entſchieden.

a]Moſers Beitraͤge zum europ. V. R. in Friedenszeiten. 1. B. 2. K. §. 6. S. 43.
a]
b]Ebendeſſelben Grundſaͤtze des e. V. R. in Friedensz. 1. B. 5. K. §. 22.
b]
*]Cruſius, L. III. c. 7. p. 488. Stoſch, S. 447. Zwan - zig, 1. Th. Tit. 10. Stiev, S. 123. Roußet, c. XII. p. 69.
*]
P 3§. 21.230Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 21. Spanien.

Dieſes Reich verlangte ehemals den Rang vor allen chriſtlichen Nazionen. Beſonders hatte es mit Frank - reich unaufhoͤrliche Rangſtreitigkeiten. Spanien gruͤnde - te ſich zwar, beſonders unter Kaiſer Karl V. auf die Groͤße der Monarchie und die Vielheit der Koͤnigreiche, die ſo weitlaͤuftig waͤren, daß auch die Sonne nie dar - inn unterginge; auf den von Papſt Alexander VI. dem Koͤnige Ferdinand I. und ſeinen Nachfolgern ertheilten Titel eines catholiſchen Koͤnigs; auf Kaiſer Maxi - milians, als Haupt der Chriſtenheit, Entſcheidung zu Spaniens Vorteil und auf den Beſitz zu der Koͤnige Karl I. und Philip II. Zeiten. Allein Frankreich wolte dieſe Gruͤnde nicht gelten laſſen und es kam daher zwi - ſchen den beiderſeitigen Geſandten mehrmalen zu blutigen Auftritten, weil ieder den Rang mit Gewalt zu behaup - ten ſuchte.

Als in der Folge die Kron Spanien in Philip V. an einen Prinzen aus dem Hauſe Burbon gelangte, ſuch - ten beide Theile alle Rangſtreitigkeiten moͤglichſt zu ver - meiden. So nahm z. B. 1726 der franzoͤſiſche Bot - ſchafter in Wien an eben dem Tage ſeine Abſchieds-Au - dienz, als der Spaniſche ſeinen Einzug hielt, und 1742 auf dem Wahltage zu Frankfurt reißte der ſpaniſche Ge - ſandte, um den Rangſtreitigkeiten mit dem franzoͤſiſchen bey den Kroͤnungsfeierlichkeiten auszuweichen, unter einem ſchicklichen Vorwande weg a]. Im Jahr 1761 erfolgte endlich der in folgendem §. zu erwaͤhnende Ver - gleich.

a]Moſers Verſuch des europ. V. R. 1. B. 3. K. §. 6. S. 55.
a]
*]Cruſtus, L. III. c. 4. p. 415. c. 5. p. 451. Stoſch, S. 383. Zwanzig, 1. Th. Tit. 5. Europaͤiſcher Herold,2.231und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.2. Th. S. 32. Stiev, S. 79. Roußet, c. VIII. p. 61. Insbeſondere handelt davon: Iac. Valdeſii Praerogativa Hispaniae; hoc eſt de digni - tate et praeeminentia Regum regnorumq. Hispaniae et honoratiori loco ac titulo eis eorumq. legatis à conciliis nec non romana ſede jure debito etc. Gra - natae 1602. f. Frcf. 1626. 4. Dagegen aber erſchien: Sentence du Prévôt de Paris contre un mechant et pernicieux livre imprimé à Francfort intitulé: Prae - cedentia Hispaniae etc. à Paris 1626. 8.
*]

§. 22. Frankreich.

Einige franzoͤſiſche Privatſchriftſteller z. B. Aubery Sorel ꝛc. wollen den Koͤnigen von Frankreich ſogar den Rang vor dem roͤmiſch-teutſchen Kaiſern beilegen; aber die Koͤnige ſelbſt haben dergleichen Anſpruͤche wohl nie gemacht, ſondern laſſen dem Kaiſer, als erſten unter Gleichen, willig den Vorrang, verlangen iedoch im uͤbrigen durchaus gleiches Ceremoniel, und haben es auch an den meiſten Hoͤfen dahin zu bringen gewuſt. So er - hielt unter andern 1682 der franzoͤſiſche Geſandte bey der Pforte auch den ſonſt dem roͤmiſchen kaiſerlichen allein geſtatteten Vorrang, daß man ihm bey der Audienz einen etwas erhoͤhten Sitz zugeſtand a].

Nach dem Kaiſer aber verlangt Frankreich unmittel - bar den Rang vor allen chriſtlichen Maͤchten in Europa und dieſer ſoll ihm, nach Reals Meinung b] darum ge - buͤhren, weil der Koͤnig von Frankreich alle bey den uͤbri - gen Staaten nur einzeln anzutreffende Vorzuͤge in ſich vereinige. Er ſieht den franzoͤſiſchen Vorrang daher auch als entſchieden an. Ob dieſer nun gleich ſo ganz ausgemacht noch nicht iſt, ſo hat doch Frankreich bey allen Gelegenheiten, beſonders auch auf dem Niemwegi -P 4ſchen232Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſchen und Ryßwickſchen Friedenskongreſſen einige Vorzuͤge zu erhalten geſucht, und in manchen Stuͤcken auch wuͤrk - lich erlangt.

Die heftigſten Widerſpruͤche wurden dieſer Krone, wie im vorhergehenden §. gedacht, von Spanien erregt, denen aber Frankreich nebſt dem Alter der Monarchie, Papſt Julius II. Rangordnung und die von den Paͤpſten erhaltenen Titel eines erſtgebohrnen Sohnes der Kirche und des allerchriſtlichſten entgegenſetzte. Den angeblichen ſpaniſchen Beſitz unter Kaiſer Karl V. ſuchte es durch das Vorgeben zu zernichten, daß den Geſandten nicht in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs Spanien, ſondern der kaiſerlichen Wuͤrde der Vorrang eingeſtanden worden ſey, und dieſes, nach deren Wegfall aufgehoͤrt habe. Man bezog ſich vielmehr ſelbſt auf den Beſitz von undenk - lichen Jahren, beſonders auf den Kirchenverſamlungen; wogegen aber Spanien wiederum manches erinnerte. Da kein Theil nachgeben wolte, ſo kam es zwiſchen den Geſandten oͤfters zu Streitigkeiten, beſonders 1555 zu Venedig, 1558 zu Rom, 1563 und 64 zu Trident, 1657 zu Frankfurt, 1663 zu Koppenhagen c].

Am merkwuͤrdigſten iſt der oben ſchon erwaͤhnte Vor - fall zu London 1661 beim Einzuge des ſchwediſchen Ge - ſandten Grafen von Brahe. Frankreich fand ſich dadurch aͤuſſerſt beleidigt und der Koͤnig von Spanien ſah ſich ge - noͤthigt, um unangenehmern Folgen vorzubeugen, durch einen auſſerordentlichen Geſandten, den Marqvis de la Fuente eine oͤffentliche Erklaͤrung deshalb am franzoͤſiſchen Hofe zu thun. Sie wurde anfangs ſchriftlich verlangt, man begnuͤgte ſich aber nachher mit der muͤndlichen. Der Marqvis de la Fuente muſte ſolche am 24. Maͤrz 1662 in Gegenwart vieler franzoͤſiſchen Prinzen vom Ge - bluͤte und des ganzen Corps Diplomatique ablegen und der Koͤnig von Frankreich ließ ſie durch Notarien auf - zeichnen. Der Hauptinhalt ging dahin; que le roi d Eſpagne233und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Eſpagne avoit envoyé ſes ordres à tous ſes Ambaßadeurs et Miniſtres tant en Angleterre comme en toutes Cours et lieux reſident et reſideront les dits Miniſtres et ſe pourront préſenter de pareilles difficultés pour raiſon de competence àfin qu’ils abſtiennent et ne concourent point avec les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. en toutes les fonctions et cérémonies publiques auxquelles les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. aſſisteront. Ob nun dieſe Erklaͤrung gleich, den Worten nach, blos ſo viel ſagen wolte, daß die ſpaniſchen Miniſter kuͤnftig die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vermeiden ſolten, ſo nahm ſie der Koͤnig von Frankreich doch fuͤr ein deutliches Geſtaͤndnis des franzoͤſiſchen Vorrangs an und ſagte zu den Anweſenden: Vous avez ouï la déclaration que l Ambaßadeur d Espagne m a faite: je vous prie de l ecrire à vos maitres, afin qu’ils ſachent que le roi ca - tholique a donné ordre à tous ſes Ambaßadeurs de ceder le rang aux miens en toutes occaſions d].

Daß dies aber die Meinung des Spaniſchen Hofes nicht geweſen ſey, zeigte die Folge klar, indem er ſich, bey vorkommenden Gelegenheiten, dem franzoͤſiſchen Vorrange nach wie vor widerſetzte.

Endlich verglichen ſich beide Hoͤfe in dem Familien - vertrage von 1761 Art. 27. dahin: An den Familienhoͤ - fen, dergleichen gegenwaͤrtig Neapel und Parma ſind, ſoll unter den Miniſtern von gleichem Range der des aͤlteſten Monarchen vom Hauſe in allen Ceremonielange - legenheiten den Vorrang haben, und dieſes Recht als ein Vorzug der Geburt angeſehn werden. An allen uͤbri - gen Hoͤfen aber ſoll der zuletztangekommene Miniſter, [er ſey von Frankreich oder Spanien] oder derienige, welcher ſich noch nicht ſo lange an dem Hofe aufhaͤlt, dem Miniſter der andern Nazion von gleichem Range, der eher angekommen und laͤnger daſelbſt iſt, weichen; dergeſtalt, daß kuͤnftig eine beſtaͤndige bruͤderliche Ab -P 5wech -234Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwechſelung Statt finde. An dieſer Einrichtung aber kan keine andre Macht weiter Theil nehmen, und der Ver - trag hoͤrt auf, wenn eins von beiden Reichen nicht mehr von der burboniſchen Familie beherſcht werden ſolte. In dieſem Falle leben alle dermalige Rechte und Anſpruͤche wieder auf. Kommen zufaͤlligerweiſe beide Miniſters zu gleicher Zeit an, ſo ſollen auch auſſer den Familienhoͤ - fen die aͤltern Regenten den iuͤngern vorgezogen werden.

Auch Grosbritannien hat den Anmaßungen des franzoͤſiſchen Vorranges mehrmalen widerſprochen, ob Frankreich ſchon den erlangten Beſitz vorwandte, und hauptſaͤchlich auf die perſoͤnliche Zuſammenkunft der Koͤ - nige Karl IV. von Frankreich und Richard II. von Eng - land 1559 zwiſchen Calais und Andres. Bey den Ehe - pacten aber zwiſchen dem Prinzen Karl I. von Wallis und der franzoͤſiſchen Prinzeſſin France Henriette Marie kam man uͤberein, daß in den engliſchen an Frankreich abzuge - benden Urkunden, der Name und Titel des Prinzen von Wallis und in den franzoͤſiſchen Exemplarien fuͤr Eng - land, Frankreich vorgeſetzt werden ſolte. Dieſer Abwech - ſelung ſoll man ſich auch nachher iederzeit bedient haben.

In Tractaten mit Portugal, verſichert Real, wer - de der allerchriſtlichſte Koͤnig iederzeit zuerſt genant. Widerſpraͤchen die Portugieſen auch ſchon immer dabey, ſo wolte doch ein Widerſpruch gegen eine freiwillige Handlung nichts ſagen e].

Was die Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen anbe - trift, ſo ward bey Gelegenheit der Allianz zwiſchen der Kaiſerin-Koͤnigin und Frankreich 1756, wo im dritten Artickel die Kaiſerin-Koͤnigin, im vierten aber Frankreich genant waren, in einem Separatartickel feſtgeſetzt, daß die Ordnung des 3. und 4. Artickels der ſonſt zwiſchen beiden Maͤchten beliebten Alternative nicht praͤiudiciren ſolte f].

a]235und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
a]Real, T. V. 4. 3. S. 973. behauptet, in Conſtantinopel ginge der Ambaſſadeur des Koͤnigs in Frankreich ſogar dem Ambaſſadeur des teutſchen Kaiſers vor, und zwar vermoͤge der mit der Pforte geſchloſſenen Tractaten von 1604, 1673 und 1740. Ich habe dergleichen Vorzug darinne nicht finden koͤnnen. Zwar bedingt ſich Frankreich 1604, Art. 20. que ſon Ambaßadeur qui reſide à la Porte ait la préſeance ſur l Ambaßadeur d Eſpagne et ſur ceux des autres rois et princes etc. und 1673, Art. 19. im algemeinen den Rang ſur tous les Ambaßadeurs des autres rois et princes [1740 werden die erſtern hierinn nur beſtaͤtigt]. Aber dieſe Diſpoſitionen koͤnnen, wie beſonders aus der erſtern erhellet, ohnmoͤglich mit auf den Kaiſer gehn, dem der Koͤnig von Frankreich den Rang willig zugeſteht.
a]
b]Am ang. O. S. 971.
b]
c]Man ſ. Luͤnigs Theatrum Cerem. T. I. S. 14. u. f. ꝛc.
c]
d]Procès verbal, contenant la declaration que le Mar - quis de la Fuente, Ambaßadeur extraordinaire du roi catholique près du roi a faite à ſa Majeſté etc. in Du - mont Corps diplomat. T. VI. P. 2. p. 403. Schmauß Corp. J. G. T. I. p. 760. Fuͤr wie wichtig man dieſe Erklaͤrung gehalten, iſt daraus zu erſehn, daß Ludewig XIV. eine große Medaille praͤgen ließ, worauf die dem Marqvis de la Fuente ertheilte Audienz vorgeſtelt iſt. Der Koͤnig ſteht mit bedecktem Haupte auf einem erhabe - nen Boden; hinter ihm ein Lehnſeſſel. Ihm gegenuͤber ſieht man den ſpaniſchen Geſandten, wie er bedeckt, aber halbgebuͤckt redet. Der paͤpſtliche Nuntius und die uͤbri - gen Ambaſſadeurs ꝛc. ſtehen herum, mit der Aufſchrift: Jus praecedendi Gallo aßertum, und darunter in einem kleinen Raume: Hiſpanorum excuſatio coram XXX. leg. Princ. MDCLXII. ſ. Real S. 973.
d]
e]Am angef. O. S. 985.
e]f]236Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
f]Moſers Verſuch 8. Th. 15. B. 2. K. §. 4. S. 74.
f]
g]Cruſius, III. c. 4. p. 415. Stoſch, S. 463. Zwanzig, 1 Th. Tit. 5 8. Europ. Herold, 2. Th. S. 32. Stiev, S. 89. Roußet, c. VIII. p. 61. Auſſer dieſen Stellen giebt es noch eine Menge beſonderer Abhandlungen, deren ich nur einige anfuͤhren will: Ierome Bignon traité de l excellence des rois et du royaume de France traitant de leur préſéance et prérogative par deßus les autres. à Paris 1610. 8. iſt beſonders dem Valdeſius fuͤr Spanien entgegen - geſetzt. Ant. Aubery de la préeminence des rois de France et de leur préſéance ſur l Empereur et le roi d Eſpa - gne. Paris 1680. 4. Ch. Bulteau de la préſeance des rois de France ſur les rois d Eſpagne. à Paris 1674. 4. Fr. Wilh. von Piſtorius von Praͤeminenz des Koͤnigs in Frankreich uͤber andere Koͤnige auf Erden; in Amoeni - tat hiſt. jurid. 7. Th. S. 1937-48.
g]

§. 23. Grosbritannien.

Daß Grosbritannien der Kron Frankreich den Rang ſtreitig gemacht habe iſt im vorhergehenden §. gedacht wor - den. Mit noch mehrerem Grunde glaubte es den Rang vor Spanien verlangen zu koͤnnen. Das hohe Alter des Reichs und der angenommenen chriſtlichen Religion, verſchiedene paͤpſtliche Entſcheidungen und der Beſitz auf einigen Kirchenverſamlungen ſolten dieſen Vorzug begruͤn - den; aber Spanien ſetzte die Macht, die vielen Titel, die uneingeſchraͤnktere Regierungsform und Englands ehemalige Abhaͤngigkeit vom paͤpſtlichen Stuhle entgegen, und ſuchte dieſe Gegengruͤnde beſonders unter Ferdinanddem237und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.dem Catholiſchen und Kaiſer Karl V. geltend zu machen. England wolte damals zwar Karls V. Geſandten nach - gehn, aber nicht in Anſehung Spaniens, ſondern der kaiſerlichen Wuͤrde. Am heftigſten ward auf dem Kon - greſſe zu Boulogne unter franzoͤſiſcher Vermittelung, uͤber den Vorrang geſtritten. Beyde Theile ſuchten alle Gruͤnde hervor; da aber, aller guͤtlichen Vorſchlaͤge un - geachtet, keiner nachgeben wolte, ſo ward der ganze Kongreß zerriſſen und die Sache blieb unentſchieden.

*]Cruſius, III. c. 5. p. 451. Stoſch, S. 585. Zwanzig, 1. Th. Tit. 8. und 9. Stiev, S. 109. Roußet. c. X. u. XI. p. 66. 67. u. f. Man vergl. auch James Howell of the precedency of Kings. Lond. 1664. fol. und lateiniſch: de praecedentia regum Franciae, Hiſpaniae, Angliae. Lond. 1665. 8.
*]

§. 24. Sicilien.

In der paͤpſtlichen Rangordnung ſteht es gleich nach England. Da es ehemals meiſt mit andern Koͤnigrei - chen verbunden geweſen, ſo ſind die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten, ſelten vorgekommen. Seit ſeiner neuen Darſtellung als ein beſonderes Koͤnigreich unter eignen Regenten wird der Koͤnig die Gleichheit mit an - dern ohnſtreitig zu beobachten ſuchen.

*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 20. Roußet, c. XIX. p. 82.
*]

§. 25. Sardinien.

Bey dem Koͤnige von Sardinien muß man billig den Rang unterſcheiden, der ihm in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs Sardinien und den, welcher ihm als Herzog von Savo -yen238Von der urſpruͤnglichen Gleichheityen gebuͤhrt. Rouſſets Behauptung iſt daher nicht ganz richtig, wenn er ſagt, daß aller ehemaliger Streit dieſes Hauſes entſchieden ſey, nachdem es 1720 das Koͤnigreich Sardinien erlangt habe. Beide Eigenſchaften ſind zwar in der Perſon des Koͤnigs vereinigt, ſo daß ſich die Ver - ſchiedenheit nicht bey allen Handlungen genau beſtimmen laͤßt, doch ſind auch Faͤlle moͤglich, wo beſonders deſſen Geſandte blos als herzoglich ſavoyſche betrachtet werden muͤſſen z. B. auf den teutſchen Reichstagen ꝛc. Hier iſt die Rede blos von dem Koͤnigreich Sardinien.

Rouſſet glaubt, daß es als ein neues Koͤnigreich vor keiner Krone den Rang verlangen koͤnne, weil die regie - rende Familie ehemals nur den koͤniglichen Titel in gewiſ - ſem Betracht gefuͤhrt hatte. Einen Vorrang vor andern Koͤnigen zu behaupten wird Sardinien ſelbſt ſich wohl nicht beigehn laſſen, die Gleichheit mit ihnen kan man demſelben aber mit Recht ſchwerlich abſprechen.

Als Sardinien indes 1748 dem Aachner Frieden bei - trat, ward in den Acceſſions - und Acceptationsurkunden mit der Kaiſerin-Koͤnigin in Ungarn und Boͤhmen zwar gewechſelt, weil dies aber zwiſchen den uͤbrigen Maͤchten, naͤmlich Frankreich, Grosbritannien und Spa - nien in Ruͤckſicht Sardiniens nicht war beobachtet wor - den; ſo traten die Kaiſerlich-Koͤniglichen Miniſter nach - her unterm 6. December mit einer Declaration und Ver - wahrung hervor, daß dieſe ihre Alternation mit Sardi - nien zu ganz und gar keiner Folge gereichen moͤge, weil die Kaiſerin-Koͤnigin von Ungarn und Boͤhmen dieſelbe blos zu Beſchleunigung des Friedensgeſchaͤfts beliebt habe. Allein Sardinien erklaͤrte dieſe Declaration, zumal da man vorher nichts erinnert haͤtte, in einer Gegennote vom 9. December fuͤr null und nichtig, indem dieſe Abwech - ſelung gar nichts Auſſerordentliches, ſondern dem Herkom - men mehrerer Tractaten gemaͤs ſey. Kaiſerl. Koͤniglicher Seits aͤuſſerte man unterm 11. December noch, daßdie239und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.die obige Declaration allerdings vor der Unterzeichnung muͤndlich geſchehen, und Sardinien entgegnete am 13. December, daß auch damals ſchon erklaͤrt worden, es wuͤrde und koͤnne darauf keine Ruͤckſicht genommen werden a].

Aus dieſem laͤßt ſich zugleich abnehmen, daß Sardi - nien, da es mit Frankreich, Grosbritannien und Spa - nien nicht gewechſelt, dieſen den Vorrang eingeraͤumt habe b].

Von den alten Rangſtreitigkeiten wegen des Herzog - thums Savoyen wird weiter unten noch etwas zu ſagen ſeyn.

a]Moſers Beytraͤge zum europ. V. R. in Frz. S. 45. u. f.
a]
b]Ebendeſſelben Verſuch 1. B. 3. K. §. 12. S. 64.
b]
*]Roußet, c. XXIV. p. 100.
*]

§. 26. Großmeiſter des Johanniterordens.

Da er ſich, wie oben gedacht worden, im Beſitz der Unabhaͤngigkeit wegen der Inſel Malta befindet, ſo kan er, dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach, zwar die voͤllige Gleichheit mit den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen verlan - gen; doch weicht derſelbe, vermoͤge Herkommens, wie Moſer a] verſichert, allen Koͤnigen, der Republick Vene - dig und nunmehr auch dem Großherzog von Toscana. Der Republick Genua aber, wie auch den teutſchen und italiaͤniſchen Fuͤrſten will er den Rang nicht zugeſtehn und zwar wegen des Alters des Ordens und wegen der ihm gebuͤhrenden Souverainetaͤt. Auch Papſt Leo X. hatte ihm ehemals in der paͤpſtlichen Kapelle einen Rang unter den Koͤnigen angewieſen, es wurden ihm aber nach -her240Von der urſpruͤnglichen Gleichheither ebenfals durch paͤpſtliche Decrete andere Fuͤrſten, als Savoyen und Florenz wiederum vorgezogen.

a]Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B. 5. K. §. 53. S. 45. doch bemerkt derſelbe an einem andern Orte, daß 1749 bey Anweſenheit eines Bothſchafters vom Groß - meiſter zu Wien, der venetianiſche Abgeſandte ſich der gewoͤhnlichen Begleitung des Kaiſers in die Kapelle enthalten habe, um wahrſcheinlich den Rangſtreitigkeiten auszuwei - chen. Verſuch des europ. V. R. 1. B. 3. K. §. 12. S. 65.
a]
*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 45. Rouſſet, c. XXXIV. p. 166.
*]

§. 27. Daͤnemark.

Das Koͤnigreich Daͤnemark hat in aͤltern Zeiten mit Schweden und Polen um den Rang geſtritten. Es gruͤndete ſich hauptſaͤchlich auf ſein fabelhaftes hohes Al - ter der Monarchie und des Chriſtenthums, ingleichen auf ſein ehemaliges Anſehn und ſeine Macht in Norden. Schweden hingegen habe als eine von Daͤnemark abhaͤng - ige Provinz, ihm oͤfters gehorcht und ſein gegenwaͤrtiges Daſein erſt 1640 erhalten.

Aus dem, was 1742 auf dem Kaiſerwahltage zu Frankfurt vorgefallen, da beim Einzuge des franzoͤſiſchen Ambaſſadeurs die Caroſſe des Daͤniſchen Geſandten nach des von Blondel ſeiner, der an einige teutſche Hoͤfe von Frankreich accreditirt geweſen, gefolgt, laͤßt ſich faſt ab - nehmen, daß Daͤnemark der Kron Frankreich den Vor - rang zugeſtehe a].

a]Moſers Beitraͤge in Friedz. 1. Th. S. 41.
a]
*]Cruſius, L. III. c. 7. p. 490. Stoſch, S. 670. Zwan - zig, 1. Th. c. 11. Stiev, S. 127. Rouſſet, c. XII. p. 70. Eigne Abhandlungen hieruͤber haben geſchrieben:Ioan. 241und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Ivar. Herzholmius de praecedentia regni Daniae. Hafn. 1562. fol. Guil. Schinmeier diſcours ſur la prééminence du roi de Danemarc audeßus des autres rois de l Europe. 1731.
*]

§. 28. Schweden

Hat von den aͤlteſten Zeiten her weder Frankreich, noch England, noch ſonſt einem Koͤnige in Europa a] am wenigſten Daͤnemark weichen wollen, und iſt eins der erſten Reiche geweſen, welche die Gleichheit unter den Nazionen wiederherzuſtellen und zu behaupten geſucht haben.

Gegen Frankreich erklaͤrten die ſchwediſchen Geſand - ten auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß: que leur reine et la couronne de Suede étoient en poßeſſion réel - le de la même dignité dont un roi de France jouißoit, que par conſequent les deux couronnes étoient tout-à - fait égales entr elles pour le rang; et que la couronne de Suede ne cederoit pas la moindre choſe à celle de France in praecedentia et in praerogativa b]. Die Fran - zoſen muſten auch nachgeben und ihnen die Gleichheit in den Conferenzen, am dritten Orte und in den Unterſchrif - ten zugeſtehn. Als auch 1742 auf dem Wahltage zu Frankfurt, beim Einzuge des franzoͤſiſchen Bothſchaf - ters, man der Caroſſe des ſchwediſchen Geſandten eben den Platz anweiſen wolte, welchen der daͤniſche, wie im vorigen §. erinnert worden, einnahm, ſo ſchickte iener ſolche gar nicht hin c].

Auch den engliſchen Geſandten machen die ſchwedi - ſchen den Rang ſtreitig d].

Gegen die daͤniſchen Anſpruͤche auf Vorrang behaup - tete Schweden ein gleiches Alter der Monarchie, vonQder242Von der urſpruͤnglichen Gleichheitder Zeit an gerechnet, als es zuerſt Koͤnige gehabt; denn daß es nachher wieder einigemal unteriocht geweſen, ſey ienem Alter nicht nachtheilig. Nicht minder bezog es ſich auf ſeine Freundſchaft mit Kaiſern und Koͤnigen und auf die uͤberall bekanten Heldenthaten der ſchwediſchen Nazion.

a]Als auf der Kirchenverſamlung zu Baſel ieder Staat ſeine Gruͤnde des Ranges vorlegen muſte, that es auch der ſchwediſche und ſchloß mit den Worten: Speramus reve - rendiſſimi patres, judicabitis in ordine ſedium, noſtrum regnum primum, et ſi non primum, tamen primo pro - ximum locum ſibi vindicare. Zugleich uͤbergab der Ge - ſandte eine Proteſtation gegen alles den Rechten und Vor - zuͤgen ſeines Principals nachtheilige, wenn man ihm kei - nen dem Range ſeines Koͤnigs angemeſſenen Platz anwei - ſen ſolte, den er, blos um die Verſamlung nicht zu ſtoͤren, einnehmen wuͤrde. ſ. Roußet.
a]
b]Roußet, c. VII. p. 59.
b]
c]Moſer am ang. O.
c]
d]Real, V. 4. 3. p. 976.
d]
*]Cruſius, III. c. 6. p. 466. Stoſch, S. 675. Zwanzig, 1. Th. Tit. 11. und 12. Stiev, S. 118.
*]

§. 29. Polen.

Die Kron Polen nimt zwar in der paͤpſtlichen Rang - ordnung den letzten Platz unter den Koͤnigen ein, ſie will ſich iedoch damit nicht begnuͤgen, und auch aus der Urſach nicht die ſchlechteſte ſeyn, weil dieſes Reich von den Roͤmern nie bezwungen worden, ſondern ſeine Frei - heit iederzeit behalten. Sie hat daher ehemals beſonders mit Portugal, Schweden, Hungarn und Boͤhmen ꝛc. um den Rang geſtritten.

Den243und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Den Vorfall zwiſchen den portugieſiſchen und pol - niſchen Geſandten habe ich ſchon oben erzaͤhlt.

Gegen Schweden hat Polen nicht viel ausrichten koͤnnen, indem ienes das hoͤhere Alter ſeines Reichs und der Souverainetaͤt, die groͤßere Macht und die Erbei - genſchaft gegen die gar ſehr eingeſchraͤnkte Regierungs - form in Polen und die Wahleigenſchaft dieſes Reichs, vermoͤge welcher auch Perſonen aus dem niedrigſten Stande zur Krone gelangen koͤnten, zu erheben geſucht.

Auch Hungarn ſetzt den polniſchen Anmaßungen ein hoͤheres Alter des Reichs und der chriſtlichen Religion, die Mehrheit der Reiche, woraus es beſteht, und die daher entſpringende Macht entgegen.

In Anſehung Boͤhmens hingegen ſchien Polen den Vorzug zu behaupten. Es hatte das Alterthum der Wuͤrde, eine volkomne Unabhaͤngigkeit und ein groͤßeres Anſehn uͤberhaupt vor ſich.

*]Cruſius, III. c. 6. p. 466. Stoſch, S. 617. Zwanzig, 1. Th. Tit. 12. 13. Stiev, S. 126. Roußet, c. XV. und XVI. S. 74. 75.
*]

§. 30. Preuſſen.

Preuſſen iſt zwar ein neues Koͤnigreich, denn daß ſchon im vierzehnten Jahrhundert einige Beherſcher Preuſ - ſens den koͤniglichen Titel gefuͤhrt haben ſollen, komt hierbey nicht in Betrachtung und ſolte daher, nach einiger Meinung, den aͤltern nachgehn; allein die preuſ - ſiſchen Monarchen ſuchen die Gleichheit zu behaupten. Denn als 1742 die grosbritanniſchen und preuſſiſchen Miniſter im Haag den Generalſtaaten ein Memoire we - gen Garantirung des zwiſchen Oeſterreich und Preuſſen eben geſchloſſenen Breßlauer Friedens uͤbergeben wolten,Q 2ver -244Von der urſpruͤnglichen Gleichheitverlangten die Grosbritanniſchen zwar den Vorrang im Unterzeichnen, mit Beziehung auf das Alter der Krone, aber preuſſiſcher Seits widerſprach man wegen natuͤrli - cher Gleichheit der Koͤnige. Da kein Theil nachgeben wolte, ward beliebt, daß ieder Miniſter ein beſonderes Memoire uͤbergeben ſolte a].

a]Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 44.
a]
*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 15. Stiev, S. 131. Roußet, c. XVIII. p. 27.
*]

§. 31. Hungarn

Iſt iederzeit fuͤr eins der anſehnlichſten Koͤnigreiche in Europa gehalten worden, und hat beſonders uͤber Polen den Vorrang verlangt, auch mit Boͤhmen ſonſt darum geſtritten. Es gruͤndet ſich hauptſaͤchlich auf das Alter des Reichs und will ſchon im vierten und fuͤnf - ten Jahrhundert maͤchtige Koͤnige gehabt haben: auch hat es die paͤpſtliche Rangordnung fuͤr ſich. In Anſe - hung Boͤhmens iſt ſein Rang ziemlich entſchieden, da die gegenwaͤrtigen Beſitzer beider Koͤnigreiche die Kron Hungarn in der Titulatur iederzeit vorſetzen.

*]Cruſius, III. c. 8. p. 495. Stoſch, S. 607. Zwanzig, 1, Th. Tit. 13. Roußet, c. XIV. p. 73.
*]

§. 32. Rußland.

Dieſes Reich hatte in aͤltern Zeiten mit den chriſtli - chen Maͤchten in Europa wenig zu thun. Es war in zu viel kleine Regierungen zerſtuͤckt, von denen Rouſſet ſagt: qu il ne leur étoit pas poſſible d aller de pair avec des états plus puißans ou avec les têtes couronnées. Nach - dem aber Iwan I. Waſiliewitſch durch Unteriochung die -ſer245und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſer kleinen Fuͤrſten den Grund zur heutigen ruſſiſchen Monarchie gelegt und deſſen Nachfolger den Titel: Czar angenommen hatten, fing Rußland immer mehr und mehr an, ſich uͤber andere europaͤiſche Nazionen zu erhe - ben. Man wolte dem Titel: Czar, der eigentlich nichts mehr als Koͤnig ſagen will, die Bedeutung: Caeſar, Imperator, beilegen, und deshalb kaiſerliche Ehrenbezei - gungen verlangen. Die ruſſiſchen Geſandten wurden auch an einigen Hoͤfen wuͤrklich vorzuͤglicher als andere koͤnigliche behandelt. Durch die Annahme des Kaiſer - titels im Jahr 1721 glaubte Rußland wahrſcheinlich den Vorrang vor allen uͤbrigen Koͤnigen zu erlangen; aber die meiſten bedungen, bey Anerkennung dieſes Ti - tels, daß derſelbe nicht das geringſte Vorrecht weiter bewuͤrken ſolte a].

Demungeachtet verlangte der ruſſiſche Geſandte bey der Pforte 1742 die Audienz vor allen andern Geſand - ten, den roͤmiſch-kaiſerlichen ausgenommen b], und 1769 geſchah von den ruſſiſchen Miniſtern an den europaͤiſchen Hoͤfen die Erklaͤrung: daß ſie von ihrer Monarchin be - fehligt waͤren, keinem Geſandten andrer Maͤchte, auſſer dem Roͤmiſch-kaiſerlichen, nachzuſtehn; welches beſon - ders auf dem Reichstage zu Regensburg 1770 große Bewegungen verurſachte c]. Aber verſchiedene Hoͤfe ließen dagegen ausdruͤcklich erklaͤren, daß ſie dieſen Vor - rang nicht geſtatten wuͤrden.

Gegen Frankreich hatte Rußland ſchon 1701 Rang - anſpruͤche, die iedoch ohne oͤffentliche Streitigkeiten ab - liefen d]. Im Jahr 1784 entſtanden deshalb neue Irr - ungen zwiſchen den beiderſeitigen Geſandſchaften zu Wien. Der ruſſiſche erklaͤrte bald nach ſeiner Ankunft dem kaiſerlich-koͤniglichen Staatskanzler Fuͤrſten von Kaunitz ſchriftlich, daß er den burboniſchen Miniſtern nicht mehr den Vorrang laſſen wuͤrde e]. Dies war um ſo auffallender, da Frankreich, als es den ruſſiſchen Kai -Q 3ſer -246Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſertitel 1745 zuerſt erkante und denſelben 1763 der itzigen Kaiſerin von neuem zuſicherte, die Bedingung hinzuge - fuͤgt hatte, daß dieſer Titel keinen Unterſchied oder irgend eine Abaͤnderung in dem bisherigen Ceremoniel zwiſchen den beiderſeitigen Hoͤfen machen ſolte: und ebenderglei - chen Erklaͤrung hatte auch Spanien unterm 15. Februar 1763 gethan f]. Allein Rußland bediente ſich eines ganz eignen Grundes. Es berief ſich auf die zwiſchen Frank - reich und Spanien verglichene Gleichheit des Ranges, und ſagte, es habe Spanien niemals den Rang zugeſtan - den, und da Frankreich ſich Spanien gleich geſetzt, muͤſ - ſe Rußland auch uͤber dieſe Krone den Rang haben g]. Auf alle Faͤlle beſtand es auf die Gleichheit mit den fran - zoͤſiſchen und ſpaniſchen Hoͤfen. Der roͤmiſche Kaiſer ſtelte uͤbrigens deshalb den ſonſt gewoͤhnlichen Cercle bey Hofe ein und ſuchte die beiderſeitigen Geſandten dadurch aus der Verlegenheit zu ziehn, daß er erklaͤrte: es beſtehe an ſeinem Hofe keine Etiquette und habe niemaln beſtan - den h].

a]Mercure hiſt. 1744. T. I. p. 199. 1763. T. I. p. 106. 141. Die itzige Kaiſerin von Rußland ließ unterm 21. Nov. 1762 allen auswaͤrtigen Miniſtern erklaͤren: que le titre d Imperial n aportera aucun changement au Cérémoniel ufité entre les cours, lequel reſtera ſur le même pied. Moſers ausw. Staatsrecht 1. B. 1. K. §. 10. S. 17.
a]
b]Moſers Beitr. in Friedensz. 1. Th. S. 41.
b]
c]Ebendeſſelben Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 7. S. 57.
c]
d]Luͤnig Theat. Cerem. Tom. I. S. 435.
d]
e]Politiſches Journ. May 1784. S. 518. 541.
e]
f]Fabers Neue Staatskanzley 10. Th. S. 6.
f]
g]Polit. Journ. Junius 1784. S. 650.
g]
h]Ebendaſelbſt Auguſt 1784. S. 818.
h]*]247und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
*]Stoſch, S. 127. Zwanzig, 1. Th. Tit. 19. Stiev, S. 130. Roußet, c. V. p. 45.
*]

§. 33. Die Pforte.

Die tuͤrkiſchen Kaiſer wolten Anfangs ſogar den roͤmiſchen den Rang ſtreitig machen, und dieſen, ſo wie allen chriſtlichen und heidniſchen Regenten vorgehn. Aber die roͤmiſchen Kaiſer verweigerten ihnen dafuͤr ſelbſt den Kaiſertitel, den die Sultans, nach Zerſtoͤrung des orientaliſchen Kaiſerthums angenommen hatten, bis Rudolph II. und Achmet einander als Kaiſer erkanten, und zwar mit der Erklaͤrung, daß Achmet den Rudolf Vater, Rudolf aber den Achmet Sohn nennen ſolte. Aber dies war mehr ein perſoneller Vergleich a]. Im Paſſarowitzer Frieden 1718, Art. 17. verſprachen beide Kaiſer einander und ihren Geſandten voͤllige Gleichheit im Ceremoniel und dieſe wird bey vorkommenden Gele - genheiten aͤuſſerſt genau beobachtet. Als z. B. 1737 auf dem Kongreß zu Nimirov zwiſchen Rußland, der Pforte und dem roͤmiſchen Kaiſer iedes der beiden erſtern drey, der roͤmiſche Kaiſer aber nur zwey Geſandte geſchickt hatte, berief der tuͤrkiſche Kaiſer ſeinen dritten wieder zuruͤck b]; ia als einſt bey Auswechſelung der beiderſeiti - gen Geſandten auf der Grenze, der tuͤrkiſche etwas eher aus dem Steigbiegel war, hielten ſeine Leute ihn ſo lange ſchwebend, damit er mit dem roͤmiſch-kaiſerlichen zugleich auf die Erde ſteigen moͤchte. Sie gingen einander mit gleichen Schritten entgegen ꝛc. c].

Ueberhaupt aber kommen die Gelegenheiten zu Rang - ſtreitigkeiten mit der Pforte nicht oft vor, weil die Er - ſcheinung tuͤrkiſcher Geſandten an den europaͤiſchen Hoͤfen eine ſeltne Sache iſt. In ſchriftlichen VerhandlungenQ 4wird248Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwird iedoch, wie Moſer meint, im Range auch mit den uͤbrigen chriſtlichen Maͤchten gewechſelt d].

a]Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 87.
a]
b]Ebendaſ. S. 106.
b]
c]Luͤnig, am ang. O. T. II. p. 1438.
c]
d]Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 5. S. 53.
d]
*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 11. Roußet, c. III. p. 15.
*]

§. 34. Die vereinigten Niederlande.

Da die Republicken, obgedachtermaaßen, den ge - kroͤnten Haͤuptern ohne Schwierigkeiten weichen, ſo ha - be ich auch kein Bedenken getragen, ſie ihnen nachzuſe - tzen. An Rangſtreitigkeiten unter ſich und mit den fuͤrſt - lichen Haͤuſern in Teutſchland ꝛc. fehlt es uͤbrigens nicht.

Die vereinigten Niederlande laſſen den gekroͤnten Haͤuptern zwar den Rang, genießen uͤbrigens aber koͤnig - liche Ehrenbezeigungen.

Ueber Venedig verlangen ſie, der Uebermacht wegen, den Vorrang, aber dieſe Republick geſtehet ihnen ſol - chen, wegen hoͤhern Alters und ſonſtigen Anſehens, nicht zu.

Der Republick Genua und den teutſchen Kur - und Reichsfuͤrſten wollen ſie auch nicht nachgehn.

*]Cruſius, III. c. 13. p. 539. Stoſch, S. 710. Zwanzig, 1. Th. Tit. 28. und 39. Luͤnigs Europaͤiſche Staats-Con - ſilia T. II. S. 793. u. f.
*]
§. 35.249und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 35. Die Eidgenoſſenſchaft

Genießt ebenfals koͤnigliche Ehre, und laͤßt zwar den vereinigten Niederlanden den Rang, will aber der Repu - blick Genua vorgehn.

Auf der Kirchenverſamlung zu Trident wolte ſie, noch vor voͤlliger Anerkennung ihrer Souverainetaͤt, den Großherzoglich-Florentiniſchen und den Herzoglich-Baye - riſchen Geſandten den Rang ſtreitig machen; aber dieſe gaben nicht nach und ſie konte nicht einmal die Alterna - tion mit ihnen erhalten.

Eben ſo wenig will dieſe Republick den teutſchen Fuͤr - ſten, auſſer Oeſterreich, ingleichen ehemals Burgund und Lothringen, weichen.

*]Cruſius, III. c. 14. p. 456. Zwanzig, 1. Th. Tit. 47. u. 48. Roußet, c. XXXVIII. p. 173.
*]

§. 36. Venedig.

Die Republick Venedig will als eine der aͤlteſten und erſten, denen man die koͤniglichen Ehrenbezeigungen zu - geſtanden hat, allen uͤbrigen Republicken in Europa vor - gehn. Allein dieſer Vorrang wird ihr von den verei - nigten Niederlanden ſtreitig gemacht. Die erſtere gruͤndet ſich aufs Alter, die letztere auf Macht.

Ueber die Kurfuͤrſten ſuchte Venedig ebenfals den Rang zu behaupten, ob das paͤpſtliche Ceremoniel gleich fuͤr iene entſchied. Zwar beguͤnſtigten die Kaiſer Ferdi - nand II. und III. dieſe Republick am kaiſerlichen Hofe; aber die Kurfuͤrſten lieſſen nicht nach, bis die Kaiſer ihnen die Abſtellung aller nachtheiligen Verfuͤgungen und den ausdruͤcklichen Rang vor allen Republicken in der Wahlkapitulation zuſicherten.

Q 5End -250Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Endlich hat Venedig auch noch mit den teutſchen Reichs - und italiaͤniſchen Fuͤrſten, beſonders chemals mit Savoyen, mancherley Rangſtreitigkeiten gehabt.

*]Cruſius, III. c. 12. p. 519. Stoſch, S. 684. Zwanzig, 1. Th. Tit. 27. 39. und 50. Roußet, c. XXVI. p. 145. c. XXXV. p. 168. XXXVI. p. 169 ingleichen: Theod. Graswinckel de jure praecedentiae inter Vene - tam Rempublicam et Sabaudiae Ducem. Lugd. Bat. 1644. 8.
*]

§. 37. Genua

Hat ſich, zumal waͤhrend des Beſitzes von Corſica, um die koͤniglichen Ehrenbezeugungen ſehr viel Muͤhe ge - geben, ſolche aber nicht erhalten koͤnnen. Demungeach - tet verlangt dieſe Republick gleichen Rang mit Venedig, und will den vereinigten Niederlanden, der Eidgenoſſen - ſchaft, dem Johannitermeiſter und andern Fuͤrſten vor - gehn. Jedoch weichen dieſe keinesweges, indem ſie Ge - nua uͤberhaupt nur fuͤr quaſi ſouverain anſehn wollen, weil das teutſche Reich noch mancherley Hoheitsanſpruͤ - che darauf zu machen berechtigt ſey.

Dagegen erwidert Genua, daß es in Anſehung der vereinigten Niederlande und der Eidgenoſſenſchaft wenig - ſtens laͤnger im Beſitz der Souverainetaͤt ſey, und vor letzterer uͤberall mehr Ehre genieße; denn die ſchweitzeri - ſchen Bothſchafter duͤrften z. B. bey den Audienzen am franzoͤſiſchen Hofe ſich nicht einmal bedecken, welches doch den Geſandten der italiaͤniſchen Fuͤrſten und uͤbrigen Republicken verſtattet wuͤrde.

Als im Definitivfrieden zu Aachen 1748 Genua dem Herzog von Modena nachgeſetzt worden war, proteſtirte die Republick unterm 28. October dagegen; weshalb diefran -251und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.franzoͤſiſchen Geſandten an dem naͤmlichen Tage eine Erklaͤrung ausſtelten, daß die im Friedensinſtrumente gebrauchte Rangordnung den beiderſeitigen Gerechtſamen und Anſpruͤchen in Ruͤckſicht des Vorranges unnachthei - lig ſeyn ſolte a].

a]Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. B. 2. K. §. 9. S. 50.
a]
*]Cruſius, III. c. 13. p. 539. Stoſch, S. 744. Zwanzig, 1. Th. Tit. 45. 46. und 47. Roußet, c. XXXVII. p. 170. c. XXXVIII. p. 173. Petr. Bapt. Burgus de dignitate Genuenſis reipublicae diſceptatio. Genev. 1646. 8.
*]

§. 38. Die kleinen italiaͤniſchen Republicken Luc - ca, Raguſa und San-Marino.

Lucca haͤlt ſich als eine unabhaͤngige Republick zu gleichem Range und Tractamente mit Genua berechtigt, hat es aber noch nicht dahin bringen koͤnnen. Schwer - lich wird ein teutſcher oder italiaͤniſcher Fuͤrſt ihr den Rang laſſen.

Raguſa und San-Marino ſtehn in gleichem Ver - haͤltniſſe. Ueberhaupt aber finden bey dieſen kleinen Republicken die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten ſelten Statt.

*]Zwanzig, 1. Th. c. 76. und 77.
*]

§. 39. Rang einiger ſtreitigen ſouverainen Staaten.

Unter den Staaten, deren voͤllige Souverainetaͤt, wie oben, im erſten Kapitel gezeigt worden, noch zwei - felhaft iſt, nimt das Koͤnigreich Boͤhmen den vor -zuͤglich -252Von der urſpruͤnglichen Gleichheitzuͤglichſten Platz ein. Ob der Koͤnig aber gleich ein Vaſall und Kurfuͤrſt des teutſchen Reichs iſt, welcher Eigenſchaft halber deſſen Rang in Reichsangelegenheiten unter den uͤbrigen Kurfuͤrſten durch die Reichsgrundge - ſetze beſtimmt iſt ſo behauptet er doch, auſſer der Reichs - verbindung, als gekroͤntes Haupt, unter den uͤbrigen Koͤnigen in Europa eine Stelle. Die paͤpſtliche Rang - ordnung weißt ihm den vorletzten Platz zwiſchen Cypern und Polen an: letzteres Reich will iedoch, vorerwaͤhn - termaaßen, den Vorrang haben.

Seitdem das Koͤnigreich Boͤhmen keine eigne Regen - ten mehr hat, ſondern nebſt Hungarn von dem erzherzog - lich-oͤſterreichiſchen und gewoͤnlich zugleich auch kaiſerli - chen Hofe mit beſeſſen wird, fallen die Rangſtreitigkei - ten mit andern europaͤiſchen Maͤchten ziemlich weg, weil, auſſer auf den Reichstag und zu Kaiſerwahlen, keine beſondere koͤniglich-boͤhmiſche Geſandten geſchickt zu werden pflegen.

*]Cruſius, III. c. 8. p. 495. Stoſch, S. 683. Zwanzig, 1. Th. Tit. 14. und 16. Roußet, c. XVII. p. 76.
*]

Der Republick Genf wuͤrde, wenn ſich Gelegenhei - ten darbieten ſolten, wo ihr Rang in Frage kaͤme, als einem freien Staat wenigſtens vor den halbſouverainen Reichsſtaͤdten der Rang gebuͤhren, und ihr und ihren Abgeordneten gleiche Behandlung mit den einzelnen Schweitzercantons zuzugeſtehn ſeyn.

*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 76.
*]

Von Savoyen, Toſcana ꝛc. will ich weiter unten bey den italiaͤniſchen Reichsfuͤrſten noch etwas weniges ſagen.

§. 40.253und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 40. Rang der halbſouverainen Regenten.

Dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach ſind die halbſou - verainen Staaten und Regenten ohnſtreitig verbunden, den ganzſouverainen zu weichen, weil keine voͤllige Gleich - heit der Rechte bey ihnen Statt findet. Jedoch koͤnnen Vertraͤge und Herkommen hierunter gar fuͤglich ein ande - res beſtimmen. Alle europaͤiſche Halbſouverains laſſen auch den gekroͤnten Haͤuptern willig den Rang; nur wol - len ſie den Republicken ſolchen nicht zugeſtehn und einige haben ſich auch den Vorrang vor ihnen wuͤrklich zu ver - ſchaffen gewußt.

*]Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 11. S. 60.
*]

§. 41. Rang der teutſchen Reichsſtaͤnde.

Der Rang der teutſchen Reichsſtaͤnde hat ſchon unzaͤh - lige Streitigkeiten veranlaßt. Die Gelegenheiten hierzu ſind um deſto haͤufiger, ie groͤßer die Anzahl und die Verſchiedenheit dieſer Staaten iſt a]. Man muß dabey hauptſaͤchlich dreierley Verhaͤltniſſe unterſcheiden, 1] den Rang der Reichsſtaͤnde, nach ihren Klaſſen, gegen ande - re europaͤiſche Nazionen, 2] der verſchiedenen Klaſſen unter einander und 3] der einzelnen Glieder einer ieden Klaſſe unter ſich. In Anſehung der letztern beiden Rang - verhaͤltniſſe komt es wiederum darauf an, ob die Konkur - renz in Reichsangelegenheiten, oder auſſer der Reichs - verbindung ſich ereignet b].

Alle Reichsſtaͤnde laſſen, als halbſouveraine, die den Kaiſer als ihr Oberhaupt erkennen, nach dem vor - hergehenden §. den gekroͤnten Haͤuptern in Europa den Rang; die meiſten aber wollen den Republicken vorgehn, wie ich bey ieder Klaſſe nachher bemerken werde.

Der254Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Der Rang der verſchiedenen Reichsſtaͤndiſchen Klaſ - ſen gegen einander und der einzelnen Glieder unter ſich in Reichsverhaͤltniſſen richtet ſich nach den auf Reichs - taͤgen und bey andern Zuſammenkuͤnften durch die Reichsgrundgeſetze, Vertraͤge oder Herkommen beſtimten Ordnungen.

Auſſer dem Reiche pflegt man zwar ſehr oft auch die Ordnung der Reichsverſamlungen beyzubehalten; iedoch haben verſchiedene Reichsſtaͤnde, bey dergleichen Gele - genheiten, ſchon mehrmalen nicht ohne Grund eine Gleich - heit zu behaupten geſucht: denn von Natur ſind dieſe Staaten einander ohnſtreitig gleich, und es iſt, ohne be - ſondere Uebereinkunft, keine nothwendige Folge, daß der in einer beſondern Verbindung beliebte Rang auch auſſer derſelben beobachtet werden muͤſſe. Auf dem Teſchner Friedenskongreß z. B. verlangte zwar Kurpfalz in beiden Exemplarien der Convention mit Kurſachſen vorausge - ſetzt zu werden, weil ihm der Vorrang auf Reichstagen zuſtehe; aber Kurſachſen beſtand auf die Alternation, indem beide Kurfuͤrſten hier nicht in einer Reichsangele - genheit, ſondern als Gleiche mit einander tractirten. Da kein Theil nachgeben wolte, ward beliebt, daß der contrahirenden Theile in der Convention namentlich keine Erwaͤhnung geſchehn, ſolche doppelt gefertigt und iedes Exemplar nur von dem bevolmaͤchtigten Miniſter des einen Theils unterſchrieben und alſo ausgewechſelt werden ſolte. Die 1731 zwiſchen den Hoͤfen zu Dresden und Hannover geſchloſſene Allianz diente hierbey zum Muſter.

Auch die alternirenden altweltfuͤrſtlichen Haͤuſer wol - len, wie Moſer bezeugt, an dritten Orten an die auf Reichstaͤgen beliebte Ordnung nicht gebunden ſeyn c].

a]Es ſtreiten die geiſtlichen Kurfuͤrſten unter ſich, die weltli - chen unter ſich und geiſtliche und weltliche mit einander; ſo auch die Fuͤrſten, beſonders die altweltfuͤrſtlichen mitden255und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.den neuen, die Reichspraͤlaten und Reichsgrafen, die Grafenkollegien unter einander, die Reichsſtaͤdte unter ſich und mit der Reichsritterſchaft ꝛc. Dabey fielen zuweilen ſehr ernſtliche Auftritte vor. Die Biſchoͤfe von Eichſtaͤdt und Speier foderten ſogar deshalb einander einſt in Gegen - wart des Kaiſers auf Kugeln heraus, ſo, daß der Kaiſer endlich Frieden gebieten muſte. Moſers nachbarl. Staatsr. 1. B. 1. K. §. 10. S. 11.
a]
b]Alle dieſe Rangverhaͤltniſſe koͤnnen hier ohnmoͤglich ausein - andergeſetzt werden: ich will mich daher vorzuͤglich auf den Rang der Reichsſtaͤnde gegen andere europaͤiſche Staaten einſchraͤnken, von den uͤbrigen aber blos die algemeinſten Grundſaͤtze anfuͤhren und in Anſehung des weitern auch auf die Staatsrechtslehrbuͤcher und andere Schriften davon beziehen.
b]
c]Moſers nachbarl. Staatsr. 1. B. 1. K. §. 10. S. 12.
c]
*]Zwanzig, 2. Th. Tit. 1. Roußet, c. XL. p. 184.
*]

§. 42. Rang der Kurfuͤrſten.

Den wuͤrklich regierenden Koͤnigen weichen die Kur - fuͤrſten auſſerhalb den Reichsangelegenheiten willig. In der Wahlcapitulation Art. III. §. 20. heißt es ausdruͤck - lich: waͤre es Sache, daß neben denen kurfuͤrſtlichen Geſandten derer recht titulirten und gekroͤnten regieren - den auslaͤndiſchen Koͤnigen, koͤniglichen Wittwen oder Pupillen [denen die Regierung, ſobald ſie ihr gebuͤhren - des Alter erreicht, zu fuͤhren zuſtehet, und immittels in der Tutel oder Curatel begriffen ſeynd] Bothſchafter zu - gleich vorhanden waͤren, ſo moͤgen und ſollen dieſelben denſelben churfuͤrſtlichen Geſandten ohne Unter - ſchied vorgehn.

Bey256Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Bey Reichsſolennitaͤten hingegen behaupten die Kur - fuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle a] und des alten Herkommens, auch vor den Koͤnigen den Rang. So wolte der Kurfuͤrſt von Brandenburg auf dem Reichs - tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Koͤnige von Hungarn, nachherigen Kaiſer Rudolf II. nicht weichen b]. In Anſehung der Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte auf Reichs - und Wahltaͤgen haben die Kurfuͤrſten verſchie - dene Kollegialſchluͤſſe auch noch neuerlich bey der roͤmi - ſchen Koͤnigswahl Joſeph II. 1764 abgefaßt, die bey einer andern Gelegenheit angefuͤhrt werden ſollen.

Bloßen Titularkoͤnigen, die keine Lande zu regieren haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, ingleichen Koͤnig Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfuͤrſten iedoch keinesweges den Vorrang einraͤumen c].

Eben ſo wenig wollen ſie den Republicken nachgehn, ſondern haben den Rang iederzeit uͤber ſie zu behaupten geſucht. Die Eidgenoſſenſchaft und Genua machen des - halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig - ren Niederlande aber haben ſich heftig dagegen geſetzt. Venedig erhielt auch vom Kaiſer Ferdinand II. ein den kurfuͤrſtlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiſer - lichen Hofe und auf Reichstaͤgen. Allein die Kurfuͤr - ſten brachten es durch Vorſtellungen und Proteſtationen endlich dahin, daß Koͤnig Ferdinand IV. 1653 und Kai - ſer Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den Rang vor allen Republicken ausdruͤcklich zugeſtehn und ſich verbindlich machen muſten: was hiebevor per De - creta und abſonderlich anno 1636, oder ſonſt vorgenom - men oder verordnet, ſoll foͤrderlichſt abgeſtellet und kraft - los ſeyn. Seitdem wird in allen kaiſerlichen Wahlca - pitulationen feſtgeſetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Joſephs II.] Nachdemmahlen ſich auch eine Zeitlang zugetra - gen, daß auslaͤndiſcher Potentaten, Fuͤrſten und Repu -blicken257und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.blicken Geſandte, und zwar dieſe unter dem Namen und Vorwand, als waͤren die Republicken vor gekroͤnte Haͤupter, und alſo denenſelben in Wuͤrden gleich zu ach - ten, an denen kaiſerlichen und koͤniglichen Hoͤfen und Kapellen die Praͤcedenz vor denen churfuͤrſtlichen Geſandten praͤtendiren wollen; ſo ſollen und wollen wir inskuͤnftige ſolches weiter nicht geſtatten ꝛc. Die ver - einigten Niederlande erregten den Kurfuͤrſten auch oͤftere Rangſtreitigkeiten, beſonders auf dem weſtphaͤliſchen Frieden, doch ſuchten dieſe ihre Gerechtſame iederzeit ſtandhaft zu verwahren. Die obige Diſpoſition der Wahlcapitulationen kann, auſſer dem Kaiſer, zwar eigentlich keinen auswaͤrtigen Staat weiter verbinden, indes haben die Kurfuͤrſten an den meiſten Hoͤfen ſich den Vorrang vor den Republicken verſchaft, wenigſtens 1671 den 24. Aug. zu deſſen Behauptung unter einan - der ſich verbunden e]. Die Republicken, welche den Kurfuͤrſten den Rang iedoch noch nicht foͤrmlich zugeſtan - den haben, ſuchen daher die Gelegenheiten zum Streite moͤglichſt zu vermeiden, welches um ſo leichter iſt, da die Kurfuͤrſten ſelten Geſandte vom erſten Range zu ſchicken pflegen.

Die ehemaligen Rangſtreitigkeiten der Kurfuͤrſten mit den Herzogen von Lothringen und Burgund fallen derma - len gaͤnzlich weg f].

Im Verhaͤltniſſe zu den uͤbrigen Klaſſen der Reichs - ſtaͤnde iſt der Kurfuͤrſten Vorrang dermalen entſchieden. Sie behaupten ſolchen auch auſſer den Reichsgeſchaͤften g]. Auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß maßten die Erz - herzoge von Oeſterreich wegen der von Kaiſer Ferdinand II. erhaltenen koͤniglichen Ehrenzeichen und als Erbprin - zen der Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen, ſich zwar eines Vorranges uͤber die Kurfuͤrſten an, und die Vene - zianer, die den letztern nicht weichen wolten, gingen ihnen nach. In neuern Zeiten iſt iedoch von dieſem StreiteRnichts258Von der urſpruͤnglichen Gleichheitnichts weiter zu hoͤren geweſen h]. Der herzoglich ſavoyiſchen Widerſpruͤche gegen den kurfuͤrſtlichen Vor - rang ſoll nachher noch einige Erwaͤhnung geſchehen.

Der Rang der Kurfuͤrſten unter ſich in Reichsangele - genheiten war ehemals zuweilen auch ſtreitig. Gegen - waͤrtig iſt er durch Grundgeſetze und Vertraͤge nach der Lineal -, Lateral - und Proceſſionsordnung auf alle Faͤlle entſchieden, wohin hauptſaͤchlich die Tit. III. IV. XXI. und XXII. der goldnen Bulle, der Kollegialſchluß vom 11. Maͤrz 1653 und einige neuere Concluſa zu rechnen, deren umſtaͤndlichere Erwaͤhnung aber mehr ins teutſche Staatsrecht gehoͤrt. Nur ſo viel will ich noch bemerken, daß die koͤnigliche Wuͤrde, womit einige Kur - fuͤrſten zugleich bekleidet ſind, auf Wahl -, Reichs -, Kreis -, Deputations -, Kollegial - und andern Taͤgen, auch Friedens - und dergleichen Konventen, wo die Koͤnige blos als Kurfuͤrſten und ihre Geſandte als Kur - fuͤrſtliche erſcheinen, keinen Vorrang oder Vorrecht weiter bewuͤrke. Dahin muſte nicht nur Kurbrandenburg bey Annehmung der preuſſiſchen Krone, ſondern auch Boͤh - men bey ſeiner Readmiſſion 1708 ſich verbinden i], und in der Wahlkapitulation verſpricht der Kaiſer Art. III. §. 21.: nirgendwo zwiſchen denen Kurfuͤrſten unter einander in Ceremoniali einen Unterſchied einzufuͤhren, noch einfuͤhren zu laſſen.

Auſſer der Reichsverbindung beobachten die Kurfuͤr - ſten unter ſich, nach Moſers Meinung, bey Zuſamen - kuͤnften zwar gemeiniglich auch den in kurfuͤrſtlichen Kol - legien eingefuͤhrten Rang, iedoch erhellet aus dem oben - angefuͤhrten, daß man dieſen Satz nicht als eine alge - meine Regel annehmen koͤnne. Uebrigens iſt kein Zwei - fel, daß die Kurfuͤrſten, welche zugleich Koͤnige ſind, und als ſolche erſcheinen, den uͤbrigen vorgehen.

Vermoͤge uralten Herkommens genießen endlich ſaͤmt - liche Kurfuͤrſten, ſie moͤgen zugleich Koͤnige oder nichtſeyn,259und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſeyn, uͤberall koͤnigliche Ehrenbezeigungen, ſowohl bey Auswaͤrtigen als innerhalb des Reichs, vom Kaiſer und ihren Mitſtaͤnden k].

a]In der goldnen Bulle cap. VI. heißt es: Decernimus, ut in celeberacione Imperialis Curie quocienscunque illam deinceps perpetuo celebrari contigerit, antedicti prin - cipes Electores, Eccleſiaſtici et ſeculares, iuxta pre - ſcriptum ordinem atque modum, à dextris et a ſiniſtris immutabiliter teneant loca ſua eisque vel eorum alicui, in quibuscunque actibus ad Curiam ipſam ſpectanti - bus, eundo, ſedendo vel ſtando, nullus princeps alius cuiuscunque ſtatus, dignitatis, praeeminencie, vel con - dicionis exiſtat nullatenus preferatur. Eo ſignanter expreßo quod nominatim Rex Boem. in celebracione Curiarum huiusmodi, in omnibus et ſingulis locis et actibus antedictis, quemcunque Regem alium, qua - cunque eciam ſingulari dignitatis prerogativa fulgen - tem, quem quouis caſu ſeu caußa venire vel adeße for - te contigerit immutabiliter antecedat. Die Meinungen der Ausleger, ſind uͤber dieſes Kapitel geteilt und einige fin - den auſſerordentliche Schwierigkeiten darinn. Es iſt naͤm - lich die Frage: ob der Vorrang vor auswaͤrtigen Koͤnigen bey Reichshoͤfen allen Kurfuͤrſten, oder nur dem Koͤnige in Boͤhmen darinnen zugeſtanden ſey? Einige ſagen nur dem Koͤnige in Boͤhmen, weil der erſtere Satz deutlich nur von Fuͤrſten rede und die beſondere Benennung des Koͤnigs in Boͤhmen uͤberflieſig geweſen waͤre, wenn deſſen Vorrang ſchon ſo wie der uͤbrigen Kurfuͤrſten im vorhergehenden ent - ſchieden waͤre. Olenſchlager Erlaͤut. der G. B. §. 72. S. 283. Andere z. B. Ludwig uͤber die G. B. 1. Th. S. 618. ſehen dies fuͤr eine auf alle Kurfuͤrſten gehende Vorſchrift an, und glauben daß ſolche blos aus Vorliebe fuͤr Boͤhmen vom Kaiſer Karl IV. namentlich wiederholt ſey; denn zugeſchweigen, daß den Kurfuͤrſten im uͤbrigen gleich -R 2wohl260Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwohl einerley Rechte zugeſtanden wuͤrden, ſo koͤnnte eine dergleichen Boͤhmen allein angehende Verfuͤgung mit dem Verlangen des Kaiſers nicht beſtehn, daß die Kurfuͤrſten in unzertrennter Ordnung einander folgen ſolten, welches aber nicht moͤglich waͤre, wenn die fremden Koͤnige zwar nicht dem Koͤnige von Boͤhmen aber den uͤbrigen Kurfuͤrſten vor - gehn duͤrften. Mir ſcheint in dieſem Kapitel allerdings dem Koͤnige in Boͤhmen ein gewiſſer Vorzug, aber nur nicht ihm allein der Rang vor den Koͤnigen zugeſtanden zu ſeyn. Den ziemlich klaren Worten nach glaube ich iſt ſaͤmtlichen Kurfuͤrſten der Vorrang vor allen Koͤnigen und Fuͤrſten nur in quibuscunqe actibus ad Curiam ipſam ſpectantibus [die unmittelbar zum Reichshofe gehoͤren] dem Koͤnige in Boͤhmen aber auch noch vorzugsweiſe in omnibus ſingulis locis [bey andern Vorfallenheiten, die gelegentlich in celebracione Curiarum huiusmodi ſich ereignen koͤnnen] et actibus antedictis [und wie ſchon ge - dacht, bey den Solennitaͤten, die unmittelbar zum Reichs - hofe gehoͤren.] Ich zweifle, ob ſich gegen dieſe ungekuͤn - ſtelte Auslegung erhebliche Einwendungen machen laſſen.
a]
b]Moſers auswaͤrt. Staatsr. 3. B. 4. K. §. 7. S. 216.
b]
c]Ebendaſ. S. 217.
c]
d]Ebendaſ. S. 236.
d]
e]Schmauß Corp. Jur. Publ. Acad. 2. Th. S. 1080.
e]
f]Moſer am ang. O. S. 236. Man vergl. Speners teut - ſches Staatsrecht 7. Th. 5. B. 1. K. §. 2. Not. n. S. 16.
f]
g]Wie in aͤltern Zeiten ein Erzbiſchof von Magdeburg, ein Herzog von Bayern, ſich zuweilen den Kurfuͤrſten vor - draͤngen wolten. ſ. Spener am angef. O. S. 20. u. f.
g]
h]Jedoch ſchreibt man es dieſer Rangdifferenz zu, daß 1695 der Erzherzog von Oeſterreich, bey Anweſenheit des Kur - fuͤrſten von Sachſen zu Wien, die Zuſammenkunft am drit - ten Orte vermieden habe. Zwanzig 1. Th. Tit. 51. Auchſoll261Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.ſoll Joſeph II. bey ſeiner Anweſenheit als Erzherzog von Oeſterreich auf dem Wahltage, den Zuſammenkuͤnften mit den Kurfuͤrſten ausgewichen ſeyn. Moſer vom Rom. Kai - ſer S. 74.
h]
i]Reichsgutachten vom 30. Jun. 1708 beim Schmauß am ang. O. S. 1133.
i]
k]Aug. Fr. Schott ſ resp. Aug. Polyc. Leyſer diſs. de honoribus regiis principum Electorum. Lipſ. 1771. 4.
k]
*]Cruſius, IV. c. 2. p. 571. c. 3. p. 585. Stoſch, S. 720. Zwanzig, 1. Th. Tit. 21. 27. u. 28. Europ. Herold, 1. Th. S. 190. Luͤnigs Europ. Staats-Conſilia T. 2. p. 374. Stiev, S. 135. Roußet, c. XX. p. 87. c. XXIV. p. 139. c. XXV. p. 143. c. XXXIX. p. 175. Moſers teutſches Staatsrecht 33. Th. 162. K. Sect. 1. S. 262. Ingleichen: Iac. Andr. Cruſii de jure proedriae S. R. I. Electorum nec non Seren. Dom. Neoburgicae diſquiſitio. Mindae. 1678. 4. Anon. de praerogativis principum electorum ante alios principes Imperii contra Caeſ. Fürſtenerium 1743.
*]
**]Die Rangſtreitigkeiten der Kurfuͤrſten mit den Kardinaͤlen gehoͤren, weil letztere keine Souverains ſind, nicht hieher, ſondern ſollen bey dem Ceremonielweſen mit beruͤhrt werden.
**]

§. 43. Rang der teutſchen Reichsfuͤrſten.

In den aͤltern Zeiten hatten auch die altweltfuͤrſtli - chen Haͤuſer, beſonders Pfalz-Neuburg, Braunſchweig - Zelle, ingleichen Oeſterreich oͤftere Rangſtreitigkeiten mit den Republicken, welche iedoch dermalen wegfallen, weil iene zur Kurwuͤrde erhaben worden, von Oeſterreich aber, auſſer auf dem Reichstage, ſelten bloße Erzherzogliche Geſandten erſcheinen a].

R 3Im262Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Im Verhaͤltnis zu den uͤbrigen Reichsſtaͤnden folgen die Fuͤrſten den Kurfuͤrſten unmittelbar, verlangen uͤbri - gens aber groͤſtenteils gleiches Ceremoniel.

Der Rang der Reichsfuͤrſten unter ſich auf Reichs - verſamlungen hat im Sitzen und Votiren mit Abwech - ſelung von der geiſtlichen zur weltlichen Bank und Alter - nirung einiger Haͤuſer nach gewiſſen Strophen, Mate - rien oder Tagen groͤſtenteils ſeine durch Vertraͤge und Herkommen beſtimte Ordnung, welche in den Staats - rechtsſyſtemen ausfuͤhrlich anzutreffen iſt b].

Auſſer den Reichsangelegenheiten und an dritten Orten wollen die geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten, be - ſonders aus alten Haͤuſern, einander nicht weichen c].

Endlich ſtreiten die alten Fuͤrſten des teutſchen Reichs auch noch mit den italiaͤniſchen Fuͤrſten z. B. mit Toſca - na, Savoyen ꝛc. um den Rang, und wollen dieſen dar - um vorgehn, weil ſie groͤſtenteils von koͤniglichen, kur - fuͤrſtlichen und andern alten Familien abſtammen, die italiaͤniſchen hingegen meiſtens nur graͤflichen und gerin - gern adelichen Herkommens waͤren, die ihre Wuͤrde erſt im vierzehnten und folgenden Jahrhunderten erlangt haͤt - ten, Italien uͤberhaupt aber nur eine neuere Erwerbung des teutſchen Reichs ausmache.

a]Zwanzig, 1. Th. Tit. 48. 51. 54. und 55.
a]
b]Moſers Staatsrecht 35. Th. K. 170. Sect. I. S. 485. u. f. ingleichen deſſen Tract. von den teutſchen Reichsſtaͤn - den ꝛc. S. 660. u. f. Majers weltliches Staatsrecht 1. Th. S. 439.
b]
c]Ebendeſſelben Nachbarl. Staatsrecht 1. B. 1. K. §. 10. S. 11.
c]
*]Man vergleiche ferner: Cruſius, L. II. c. 8 19. p. 212. 295. L. IV. c. 6 20. p. 619 747. Zwanzig, 2. Th. Tit. 1. u. f. Luͤnigs europaͤiſche Staats-conſilia T. II. S.263und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.S. 892. Grundfeſte europaͤiſch. Potenz. Gerechtſame T. I. S. 239. u. f. T. II. S. 105.
*]

§. 44. Reichspraͤlaten und Grafen Rang.

Der Rang der zum fuͤrſtlichen Kollegio gehoͤrigen Reichspraͤlaten und Reichsgrafen, ſo wie der noch uͤbri - gen Klaſſen teutſcher Reichsſtaͤnde komt im Verhaͤltnis zu den europaͤiſchen Staaten nicht in Betrachtung und wird ſchwerlich Gelegenheit zu Streitigkeiten geben.

Auf Reichsverſamlungen wechſeln die Praͤlatenbaͤnke und Grafenkollegia im Range ab. Auſſerdem aber wol - len die evangeliſchen regierenden Grafen aus alten Haͤu - ſern den catholiſchen Praͤlaten nicht weichen a].

Den Rang der Immediat-Reichs-Grafen, die Sitz und Stimme im Fuͤrſtenrath haben, bey Reichsſolenni - taͤten und am kaiſerlichen Hofe ꝛc. beſtimt die Wahlka - pitulation Art. III. §. 22.

a]Moſers nachbarl. Staatsrecht am ang. O. S. 12.
a]
*]Man ſehe mehreres in Cruſius, L. IV. c. 20. und 21. p. 747. Stoſch, S. 830. und 842. Zwanzig, 2. Th. Tit. 22. 53-90. Moſers Staatsrecht, 37. Th. S. 356. 38. Th. K. 183. Sect. I. S. 251.
*]

§. 45. Reichsſtaͤdte und Reichsritterſchaft.

Die Reichsſtaͤdte ſtreiten mit der Reichsritterſchaft um den Rang und behaupten ihn darum vor dieſer, weil ſie wuͤrkliche Reichsſtaͤnde ſind; die Reichsritterſchaft aber nur zu den unmittelbaren Reichsunterthanen gehoͤrt. Dieſe wendet dagegen ein, daß der Adel den buͤrgerlichen Kollegien uͤberall vorgehe und die Reichsritterſchaft ehe -R 4mals264Von der urſpruͤnglichen Gleichheitmals den Grafen und Herrn unmittelbar gefolgt ſey. Am meiſten war dieſe Rangſtreitigkeit auf dem weſtphaͤ - liſchen Friedenskongres rege.

Unter ſich haben die Reichsſtaͤdte allerhand Rangir - ungen, die aber hier nicht angefuͤhrt werden koͤnnen.

*]Cruſius, L. IV. c. 22-28. p. 757. u. f. Stoſch, S. 847. Zwanzig, 2. Th. Tit. 91. u. f. Luͤnigs europ. Staats - Conſilia T. II. S. 1104. und 1473. Ebendeſſ. Grundfeſte europ. Potenz. Gerechtſame T. II. S. 629. 634. 636. Moſers Staatsrecht 40. Th. K. 190. Sect. II. S. 427. An beſondern Abhandlungen ſind noch zu merken: a] Zum Vorteil der Reichsſtaͤdte: Io. Lud. Winckler de praecedentia liberarum civitatum S. R. Imperii prae nobilitate immediata. Argent. 1720. 4. und in Moſeri Rynt. diſs. I. P. p. 853. b] Fuͤr die Reichsritterſchaft: Steph. Chr. Harprecht de Harprechtſtein liberae et immediatae nobilitatis prae civitatibus imperialibus jus ſeſſionis et praecedentiae. Hamb. et Lipſ. 1727. 4. Iac. Ioſ. Kirſchbaum praeſ. Io. Phil. Hahn diſs. de proedria prae liberis Imperii civitatibus compe - tente immediatae Imperii nobilitati. 1746.
*]

§. 46. Italiaͤniſcher Reichsfuͤrſten Rang.

Die Fuͤrſten des unter kaiſerlicher Oberherſchaft mit Teutſchland verbundenen italiaͤniſchen Koͤnigreichs haben von allen Zeiten her mit einigen Republicken, beſonders aber mit den Kurfuͤrſten und Fuͤrſten des teutſchen Reichs und unter ſich ſelbſt um den Rang geſtritten. Die Teut - ſchen verlangen deshalb vor den Italiaͤnern den Vorzug, weil ſie Teutſchland fuͤr den Hauptſtaat und Italien nurfuͤr265und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.fuͤr eine von erſterm eroberte Provinz anſehn, welche demienigen Kaiſer gehorchen muͤſſe, welchen die Kurfuͤr - ſten des teutſchen Reichs erwaͤhlen. Die italiaͤniſchen Fuͤrſten hingegen geben Italien fuͤr den edlern Theil des roͤmiſch-teutſchen Reichs und fuͤr den Sitz des Kaiſer - thums aus, indem die Beherſcher deſſelben wegen Ita - lien roͤmiſche Kaiſer, wegen Teutſchland aber nur teut - ſche Koͤnige genant wuͤrden. Indes kommen derglei - chen Rangſtreitigkeiten dermalen wenig mehr vor, da einige italiaͤniſche Haͤuſer gaͤnzlich ausgeſtorben und ihre Lande an Regenten hoͤhern Ranges gekommen ſind, ande - re ſelbſt eine hoͤhere Wuͤrde erlangt haben, und die Gele - genheiten dazu uͤberhaupt ſelten Statt finden. Ich will daher nur etwas weniges von den gegenwaͤrtig noch regie - renden fuͤrſtlichen Haͤuſern in Italien anfuͤhren.

1] Savoyen a], welches dermalen zugleich die Wuͤr - de eines Koͤnigs von Sardinien bekleidet, hatte, wie obgedacht, ehemals haͤufige Rangſtreitigkeiten mit der Republick Venedig, die aber itzt wegfallen.

Den Kurfuͤrſten wolte es auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongres und oͤfters, hauptſaͤchlich in Ruͤckſicht ſeiner Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, weshalb es auch den Titel: koͤnigliche Hoheit annahm und an den meiſten europaͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehren erhielt, vorgehn. Endlich verglichen ſich beide Theile 1666 in beſondern Vertraͤgen dahin, daß die Kurfuͤrſten dem Herzog von Savoyen den Titel: koͤnigliche Hoheit zuge - ſtanden und dieſer verſprach, den Kurfuͤrſten allenthal - ben, es ſey wo es wolle, den Rang zu laſſen und ihren Geſandten an ſeinem Hofe koͤnigliche Ehre zu erzeigen.

Mit noch groͤßerm Rechte glaubt Savoyen den teut - ſchen Reichsfuͤrſten vorgehn zu koͤnnen. Da es zugleich ein Stand des teutſchen Reichs iſt, auch Sitz und Stim - me im Fuͤrſtenrath zwiſchen Holſtein-Gottorp und Leuch - tenberg hat, ſo findet dieſe Rangſtreitigkeit auf denR 5Reichs -266Von der urſpruͤnglichen GleichheitReichsverſamlungen, wo blos die herzogliche, nicht aber die koͤnigliche Wuͤrde dieſes Hauſes in Betrachtung komt, noch gegenwaͤrtig ſtatt. Seit langer Zeit aber hat Sa - voyen, wegen Niedrigkeit des Ranges, die Reichsver - ſamlungen nicht mehr beſchickt, oder die daſelbſt ange - langten bevolmaͤchtigten Geſandten haben doch von dem Sitz - und Stimmrecht keinen Gebrauch gemacht.

2] Der Grosherzog von Toſcana b], welcher am paͤpſtlichen, kaiſerlichen und verſchiedenen andern euro - paͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehre genießt, will dem Gros - meiſter des Johanniterordens und der Eidgenoſſenſchaft im Range nicht weichen.

Vor den Kurfuͤrſten wird derſelbe den Rang ſchwer - lich behaupten c]; indes wird er am kaiſerlichen Hofe ihnen gleich gehalten.

Am wenigſten will er den uͤbrigen teutſchen und ita - liaͤniſchen Fuͤrſten nachgehn.

3] Die Herzoge von Parma und Piacenza haben ſonſt den Rang vor Toſcana geſucht und mit Mantua und Modena deshalb geſtritten. Itzt werden ſie dem letztern gleich geachtet; alle aber haben Rangſtreitigkeiten mit den teutſchen Fuͤrſten d].

a]Cruſius, L. III. c. 10. und 11. p. 510. Stoſch, S. 756. Zwanzig, 1. Th. Tit. 24. 42. 43. und 50. Roußet, c. XXIV. p. 100. c. XXIX. p. 153.
a]
b]Zwanzig, 1. Th. Tit. 44. Roußet, c. XXXI. p. 159.
b]
c]Moſers Grundſaͤtze des europ. Voͤlkerr. in Friedensz. S. 46.
c]
d]Zwanzig, 1. Th. Tit. 43. und 49. Roußet, c. XXXII. p. 162.
d]
§. 47.267und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 47. Curland ꝛc.

Von Rangſtreitigkeiten der uͤbrigen europaͤiſchen halb - ſouverainen Regenten, z. B. des Herzogs von Curland, der Hospodare der Moldau und Wallachey iſt zur Zeit wenig vorgekommen. Doch pflegen ſie, beſonders der erſtere, den teutſchen Reichsfuͤrſten, die nicht aus kur - fuͤrſtlichen Stamme entſproſſen, gleichgeachtet zu werden.

*]Zwanzig, 1. Th. Tit. 58. und 75. Roußet, c. XXXIII. p. 164. Moſers Anfangsgruͤnde des europ. V. R. S. 195.
*]

§. 48. Entſcheidung der Rangſtreitigkeiten.

Da die unabhaͤngigen Nazionen hier auf Erden kei - nen obern Richter haben, ſo kan auch Niemand von Rechtswegen die Rangſtreitigkeiten unter ihnen beurtei - len und entſcheiden. In denen Zeiten, wo die roͤmiſchen Kaiſer und Paͤpſte ſich eine Herſchaft uͤber die ganze Chriſtenheit einbildeten, maßten die letztern beſonders ſich zuweilen eines ſolchen Entſcheidungsrechts an. Die Streitenden, zumal der beguͤnſtigte Theil, ließen ſich den Ausſpruch auch oͤfters gefallen, und er ward, wenig - ſtens auf den Kirchenverſamlungen, befolgt. Dieſe ent - ſchieden auch zuweilen ſelbſt. Auf der Kirchenverſam - lung zu Baſel legte iede Macht die Gruͤnde ſeines Vor - ranges den heiligen Vaͤtern dar; und zu Trident ſahen dieſe ebenfals ſich fuͤr Richter in dergleichen Streitigkei - ten an.

Das einzige rechtmaͤßige Mittel ſind Vertraͤge zwi - ſchen den ſtreitigen Maͤchten, die aber ſelten zu Stande kommen. Eine Vermittelung wird, weil der Punkt der vermeintlichen Ehre gar zu bedenklich iſt, von dritten Nazionen hierunter ſelten uͤbernommen, oder iſt dochmehren -268Von der urſpruͤnglichen Gleichheitteils ohne Erfolg. Papſt Pius IV. erbot ſich 1564 zwar mit Beiſtand der Kardinaͤle zu Beilegung der Rangſtrei - tigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien; aber beide Staaten ſchlugen ſie aus. Auch die von Frankreich den Kronen England und Spanien angetragene Vermittelung auf dem Kongres zu Boulogne 1600 war fruchtlos.

Man muß daher, ſo lange nichts entſchieden, allen Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten moͤglichſt ausweichen, weil ſonſt der maͤchtigere und angeſehenere oͤfters mit Gewalt den Beſitz zu behaupten ſucht.

In Rangangelegenheiten der teutſchen Reichsſtaͤnde ſehen einige Staatsrechtslehrer das geſamte Reich, ande - re die Austraͤge, und noch andere die Reichsgerichte fuͤr die rechtmaͤßige Inſtanz an. Coccejus a] legt das Ent - ſcheidungsrecht, vermoͤge der Reichsabſchiede von 1555, 1567, 1570, 1576, 1582, 1594 und 1654 b] dem Kaiſer bey, und Moſer c] iſt gleicher Meinung. Doch werden die, nach Beſchaffenheit, den ſtreitenden Thei - len zuſtaͤndigen Austraͤge nicht zu uͤbergehen ſeyn, wor - auf man auch 1703 in der ehemaligen Sachſen-Weimar und Eiſenachiſchen Rangſtreitigkeit ſich bezog. Moſer d] fuͤhrt noch ein Beyſpiel neuerer Zeiten an, da ſeit 1738 ein Rangſtreit zwiſchen den graͤflichen Haͤuſern Solms, Stolberg und Yſenburg vor dem Reichshofrath verhan - delt worden, ſezt aber hinzu, man werde bey Kur - und Fuͤrſten in den lezten hundert Jahren dergleichen nicht antreffen.

In Anſehung der geiſtlichen Reichsſtaͤnde wolte zu Anfang dieſes Jahrhunderts der Papſt einen Rangſtreit zwiſchen den Praͤlaten zu Petershauſen und Creutzlingen entſcheiden; aber das ſchwaͤbiſche Praͤlatenkollegium brachte die Sache ans Reich, und man beſchloß mittelſt Reichsgutachten vom 3. Maͤrz und kaiſerl. Ratification vom 16. Jun. 1714 dieſe paͤpſtlichen Eingriffe in des Reichs Gerechtſame ernſtlich zu ahnden e].

a] Henr. 269und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
a]Henr. Cocceji diſs. de praecedentia 1681. 4.
a]
b]Daſelbſt heißt es §. 196. und ſeynd wir des gnaͤdig - ſten Erbietens, nach Befindung eines jeden Gerechtigkeit, ſie wegen ſolcher Irrung der Seſſion auf ziemliche leidliche Weg zu vereinigen und zu vertragen, oder ſonſten nach Billigkeit der Sachen zu entſcheiden.
b]
c]Im Tractat von den kaiſerlichen Regierungsrechten und Pflichten, S. 13.
c]
d]Im nachbarlichen Staatsrecht, S. 13.
d]
e]Fabers Staatskanzley 23. Th. S. 602-639.
e]
*]Man ſehe uͤbrigens: Chr. Godofr. Hoffmann diſs. de fundamento decidendi controverſias de praecedentia inter liberas gentes, Lipſ. 1721. 4.
*]

§. 49. Benehmen dritter Maͤchte dabey.

Ein Souverain iſt allerdings Herr in ſeinem Lande, und kann daher einem fremden Volke und deſſen Repraͤ - ſentanten an ſeinem Hofe einen Rang anweiſen, welchen er will. Wenn aber zwey bey ihm zuſammentreffen, deren Rang durch Vertraͤge oder Herkommen entſchieden iſt, ſo wuͤrde es eine offenbare Beleidigung ſeyn, wenn er dieſe Ordnung zum Nachtheil des einen umaͤndern, oder zwiſchen Streitigen einem geradezu den Vorrang bey ſich zuerkennen wolte. Er iſt zwar Herr in ſeinem Lande, aber keinesweges Richter uͤber die Streitigkeiten von ihm unabhaͤngiger Maͤchte; wozu er ſich doch auf - werfen wuͤrde, wenn er dem einen Theile den Rang ein - raͤumte a].

Will alſo ein Hof ſich nicht Repreſſalien in aͤhnlichen Faͤllen zuziehn, ſo muß er neutral bleiben, und ſich in dergleichen Streitigkeiten gar nicht miſchen. Jedoch ſteht ihm frey, ſolche Maasregeln zu nehmen, wodurchden270Von der urſpruͤnglichen Gleichheitden Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vorgebeugt wird, z. B. dem zuerſt angekommenen Geſandten zuerſt Audienz geben; befehlen, daß beide bey oͤffentlichen Feierlichkeiten ꝛc. nicht erſcheinen, oder, wie der Kaiſer bey den neu - ſten Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Rußland, bis zu Ausgleichung derſelben, die gewoͤhnlichen Cirkel bey Hofe gaͤnzlich einſtellen b].

Indes haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen ſich berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundſchaft oder auf andere Art mit ihnen verbundenen Maͤchte im Range vor andern, mit denen dieſe ſtreitig, zu beguͤnſtigen. So ward ehemals am paͤpſtlichen Hofe, bey der Pforte und zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiſerlichen Hofe hingegen Spanien der Vorrang eingeraͤumt.

Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien, auf Zudringen des Geſandten der erſtern Macht, ein Decret ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugeſprochen ward. Der Rath entſchuldigte ſich, auf die drohenden Vorſtellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei - nesweges die Macht und das Anſehn weder des aller - chriſtlichſten noch des catholiſchen Koͤnigs entſcheiden; es faͤnde ſich aber in den Archiven, daß die franzoͤſiſchen Geſandten bey allen und ieden oͤffentlichen Vorfaͤllen den Rang iederzeit vor den ſpaniſchen ohne Widerrede behaup - tet haͤtten, daher der Rath auch beſchloſſen, dasienige mit Gefahr nicht zu aͤndern, was jederzeit ganz friedlich waͤre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals nicht, die Drohungen in Erfuͤllung zu bringen c].

Bey der Pforte bedung Frankreich ſich den Rang vor Spanien und alle uͤbrige Koͤnige in den Tractaten von 1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d]

Im Frieden zu Kaingerd 1774 verſprach die Pforte, dem ruſſiſchen Geſandten den Rang unmittelbar nach dem roͤmiſch kaiſerlichen und vor allen uͤbrigen Maͤchteneinzu -271und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.einzuraͤumen, bey Geſandten von ungleichem Range aber, ſolle der ruſſiſche dem hollaͤndiſchen, und in deſſen Abwe - ſenheit, dem venezianiſchen folgen e].

Uebrigens koͤnnen alle ſolche Verfuͤgungen, als Handlungen zwiſchen einem dritten, den intereſſirten Thei - len keinen Nachtheil bringen, oder andere Maͤchte zur Nachfolge verbinden, obgleich eine oder die andere ſtreitige Nazion zuweilen als einen Grund des Vorranges anfuͤhrt, daß ihr an dieſem oder ienem Hofe der Vorzug einge - raͤumt werde.

a]Wiquefort in ſeinem Ambaßadeur L. I. Sect. 22. p. 208. iſt ebenfals dieſer Meinung. Dahingegen behaupten ande - re, als Moſer im Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 13. S. 65. beſonders Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 16. p. 137. das Gegen - theil, und glauben, es ſey iedem Souverain erlaubt, einer Nazion den Vorrang einzuraͤumen, ohne daß die andere ſich daruͤber beſchweren koͤnne.
a]
b]Politiſches Journal, May 1784. S. 518.
b]
c]Luͤnigs Theatrum Cerem. T. I. S. 14.
c]
d]Schmauß Corp. Jur. Gent. T. I. S. 433.
d]
e]Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 42.
e]

§. 50. Auskunftsmittel bey Rangſtreitigkeiten.

Koͤnnen die Rangſtreitigkeiten unter den Nazionen nicht in Guͤte foͤrmlich beigelegt werden, ſo muß man entweder alle Ceremonielle und andere Gelegenheiten, wo der Rang in Frage kommt, gaͤnzlich vermeiden a], oder ſich gewiſſer Auswege bedienen, wodurch keinem Theile mehrere Vorzuͤge eingeraͤumt werden, als dem andern, z. B. eine ſolche Eintheilung des Ranges, daß in einem Stuͤcke dieſem, im andern ienem Theile der Vorranggelaſ -272Von der urſpruͤnglichen Gleichheitgelaſſen wird, voͤllige Gleichheit in allen Stuͤcken, Ab - wechſelung nach dem Alter, der Zeit, dem Looſe, Unter - laſſung alles Ceremoniels ꝛc. Bey dieſen und aͤhnlichen Auskunftsmitteln komt es hauptſaͤchlich auf die verſchie - dene Konkurrenz der ſtreitenden Nazionen an.

1] Die perſoͤnliche Zuſammenkunft ihrer Regen - ten an dritten Orten wird, wo moͤglich, ganz unterlaſ - ſen, oder geſchieht ohne alles Ceremoniel, entweder in - cognito, unter einem andern geringern Karacter, wel - ches heutzutage am gewoͤnlichſten oder mit Beobach - tung gewiſſer Formalitaͤten. So veranſtalteten z. B. die Koͤnige von Spanien und Frankreich 1660 an der Grenze ihrer Reiche, auf der ſogenanten Conferenzinſel, eine Zuſammenkunft, wobey in der Mitte des Confe - renzſaals eine Linie, die Grenze bedeutend, gezogen war, welche keiner von beiden uͤberſchritt. Sie kamen und gingen mit gleichen Schritten ꝛc. b] Auf dem Wahltage zu Frankfurt kamen der Koͤnig von Ungarn, nachheriger Kaiſer, Leopold, vor der Wahl, und Kur Mainz eini - gemal, mit Unterlaſſung aller Ceremonien, dergeſtalt zuſammen, daß ſie ſich gar nicht niederließen, ſondern im Zimmer blos auf und abgingen und die Oberhand unentſchieden blieb. Das naͤmliche geſchah auch bey glei - cher Gelegenheit zwiſchen dem nachmaligen Kaiſer Joſeph I. und dem Kurfuͤrſten von Baiern c].

Es giebt iedoch auch Beyſpiele von dem Gebrauche anderer zu Ausgleichung des Ranges, mit Beibehaltung des Ceremoniels, dienlicher Mittel. Die Koͤnige von Daͤnemark und Polen hatten bey ihrer Reiſe nach Berlin 1709 gelooſt, daß ſie wechſelsweiſe den Rang haben ſolten d].

2] In Anſehung der Geſandten mehrerer um den Rang ſtreitenden Maͤchte hat man ebenfals verſchie - dene Auskunftsmittel, beſonders an dem Hofe einer dritten Nazion. In den ehemaligen Rangſtreitigkeitenzwi -273und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.zwiſchen Spanien und Frankreich richtete man es an dem Hofe Papſt Pius des V. alſo ein, daß beide Bothſchaf - ter ihren Einzug zu gleicher Zeit hielten, und ieder eine beſondere Stunde zur Audienz bekam, wo er allein war e]. Wenn Prozeſſionen oder andere Feierlichkeiten vorfielen, wobey Frankreich mehrern Antheil hatte, erſchien der franzoͤſiſche, und bey denen, wo Spanien mehr inter - eſſirt war, der ſpaniſche allein. In Privatbeſuchen aber behandelten die Bothſchafter einander gleich. Einer der gemeinſten Auswege, wenn kein Theil im geringſten nachgeben will, iſt, daß der eine einen Geſandten von niedrigerm Karacter ſchickt, der vermoͤge ſeines Ranges nachgeht.

Mit weit mehrern Schwierigkeiten ſind die Rang - ſtreitigkeiten der Geſandten auf Friedens - und andern Kongreſſen verknuͤpft, indem dieſe dadurch ſchon mehr - malen auſſerordentlich verlaͤngert, oder wohl gar zertrent worden ſind. Doch giebt es auch hier der Auswege noch mehrere.

a] Die bevolmaͤchtigten Miniſter der kriegfuͤhrenden Maͤchte vermeiden alle foͤrmliche Zuſammenkuͤnfte, und unterhandeln in Schriften, welche durch Mediateurs dem andern Theile iedesmal zugeſtelt werden. Dieſen Weg ſchlugen ſchon die franzoͤſiſchen Mediateurs auf dem Kongreſſe zu Boulogne 1600 den engliſchen und ſpani - ſchen Geſandten vor.

b] Die Geſandten nehmen den Rang nach der Zeit ein, wie ſie in den Verſamlungsort oder den Conferenz - ſaal ankommen.

c] Man ſezt ſich in einem Zimmer, wo eigentlich kein vorzuͤglicherer Platz ſtatt findet, an eine runde Tafel. Als auf dem Kongreſſe zu Carlowitz 1698 die Geſand - ten des roͤmiſchen Kaiſers, der Pforte, Rußlands, der Kron Polen, der Republik Venedig und Grosbritan - niens, als vermittelnder Macht, des Ranges wegen ſichSnicht274Von der urſpruͤnglichen Gleichheitnicht vereinigen konnten, ließen ſie einen runden Saal und fuͤr ieden Geſandten eine Thuͤr in denſelben erbauen. Vor den Thuͤren waren die Zelter derſelben, iedes nach der Gegend ſeines Landes aufgeſchlagen. Bey der Zu - ſammenkunft gingen ſie mit gleichen Schritten aus ihren Zelten, kamen zu gleicher Zeit in den Saal, bewilkom - ten einander auf einmal, und ieder nahm den Stuhl ein, den er ſeiner Thuͤr gerade gegenuͤber fand. Zu Nimirov wurden 1737 die Zuſammenkuͤnfte zwiſchen den roͤmiſch - kaiſerlichen, ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Geſandten auf aͤhn - liche Art in einer Art von Scheune gehalten, welche drey Thuͤren hatte, wodurch ieder Geſandte aus ſeinem von dem Conferenzort ziemlich entfernten Quartier zu gleicher Zeit eingieng f].

d] In neuern Zeiten hat man ſich uͤber ſolche die Unterhandlungen aͤuſſerſt erſchwerende Rangſtreitigkeiten mehrenteils weggeſezt. Die Zuſammenkuͤnfte werden gewoͤnlich ohne alles Ceremoniel gehalten, indem die Geſandten den erſten beſten Platz einnehmen, und wider alles Nachtheilige, welches in Anſehung des Ranges dar - aus gefolgert werden koͤnte, proteſtiren, oder vorher des - halb gewiſſe Abrede mit einander nehmen. Lezteres ge - ſchah auf den Kongreſſen zu Utrecht, Cambrai, Soiſſons und Aachen, wo man unter andern guten Policeyveran - ſtaltungen dahin uͤbereinkam: Alle Conferenzen ſollen ohne Ceremoniel gehalten werden, ſo, daß die Bevol - maͤchtigten ſich an einen runden Tiſch ſetzen, an welchem weder ein oberes noch unteres Ende ſich befindet. Sie werden ſich an ſelbigen, ſo wie ſie in den Saal hinein - kommen, niederſetzen, und daſelbſt ſich mit einander ohne Unterſchied und Rang befinden. g]

3] Bey ſchriftlichen Unterhandlungen, Aus - fertigung der Vertraͤge, Friedens - und andrer Inſtru - mente pflegen beide Theile, wenn der Vorrang nicht ent - ſchieden iſt, abzuwechſeln. Jeder ſezt naͤmlich in demExem -275und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Exemplar, das er ausfertigt und ihm verbleiben ſoll, ſich zuerſt, und ſein Geſandter unterzeichnet ſich am erſten Platze. Doch will zuweilen auch dieſe Abwechſelung nicht einmal zugeſtanden werden; alsdann ſtelt ieder Theil eine von ihm allein unterzeichnete beſondere Urkun - de aus. Auf dem Utrechter Friedenskongres z. B. uͤber - gab der franzoͤſiſche Geſandte dem Grosbritanniſchen die von ihm allein unterzeichneten Praͤliminarartickel, und dieſer ſtelte dagegen eine Genehmigungserklaͤrung aus. So ward es auch auf dem Aachner Friedenskongres mit der Erklaͤrung vom 31. May 1748 zwiſchen Frankreich, Grosbritannien und den vereinigten Niederlanden gehal - ten. Nur ein Geſandter unterzeichnete iedes Exemplar, ſtelte ſolche den uͤbrigen Geſandten zu, und erhielt von ihnen ein gleiches. Mit den andern Friedensinſtrumen - ten hielt man es alſo: Es wurden vier Exemplarien des Tractats gefertigt, zwey, in welchen der Koͤnig von Frankreich, zwey, in welchen Grosbritannien zuerſt ge - nant war: der franzoͤſiſche Geſandte unterſchrieb ſich in ienes, der grosbritanniſche in dieſen am erſten Orte. Die Geſandten der vereinigten Niederlande ſezten ihren Namen in allen vier Exemplarien zulezt. Frankreich bekam eins von denen, worinnen es zuerſt genant, Gros - britannien eins, wo dieſe Krone vorgeſezt war; die ver - einigten Niederlande behielten die beiden uͤbrigen, um beiden Maͤchten durch Abwechſelung den Vorrang zu laſ - ſen. Bey dem Beytritte der Kaiſerin Koͤnigin von Hun - garn und anderer Maͤchte, wurden iederzeit eben ſo viel Exemplarien auf gleiche Art gefertigt, unter iedes die Beitritsurkunde geſchrieben, und ſie obgenanten Haupt - contrahenten zugeſtelt, wogegen ieder Beitretende wie - derum vier Acceptationsurkunden erhielt h].

Der Streitigkeiten, welche bey Gelegenheit des Aach - ner Friedens, der Abwechſelung halber in den UrkundenS 2zwi -276Von der urſpruͤnglichen Gleichheitzwiſchen Sardinien und Hungarn, Genua und Modena entſtanden, iſt bereits oben Erwaͤhnung geſchehen.

a]Real am a. O. S. 964. behauptet zwar, daß ein jeder Fuͤrſt, welcher den Gelegenheiten zu einem Rangſtreit ausweicht, dadurch unmittelbar nachgebe; aber ich kann keinen Grund hiervon finden.
a]
b]Luͤnigs Theat. Cerem. T. I. S. 199. u. f.
b]
c]Speners teutſches Staatsrecht 7. Th. S. 12.
c]
d]Luͤnig am a. O. S. 211.
d]
e]Auf aͤhnliche Art ſoll auch der ſicilianiſche Miniſter zu Con - ſtantinopel 1742 es alſo eingeleitet haben, daß der neue Großvezier, um allen Rangſtreit zu vermeiden, ihm zehn Tage nach allen andern Geſandten Audienz ertheilte. Moſers Beitraͤge in Friedz. 1. Th. S. 52.
e]
f]Real am a. O. S. 978.
f]
g]Ebendaſelbſt S. 981.
g]
h]Ebendaſ. S. 986 u. f. Man vergl. Moſers Verſuch 1. Th. S. 59. u. Beitr. in Frz. 1. Th. S. 43. u. f.
h]

§. 51. Gegenwaͤrtige Grundſaͤtze der europaͤiſchen Staaten.

In neuern Zeiten haben die europaͤiſchen Nazionen den Grundſatz der natuͤrlichen Gleichheit unter ſich immer mehr einzufuͤhren geſucht. Guſtav Adolph von Schwe - den war einer der erſten, der ſowohl gegen den franzoͤſi - ſchen Geſandten an ſeinem Hofe in Geſpraͤchen, als be - ſonders auf der weſtphaͤliſchen Friedensverſamlung dieſe Gleichheit behauptete a]. Sein Ehrgeitz, ſagt Real b], konte ſich nicht entſchluͤßen, irgend iemand uͤber ſich zu erkennen, oder ihm einen Vorrang einzuraͤumen. Es kam ihm ſonderbar vor, daß unter Koͤnigen, die einan -der277und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.der Bruͤder nennen, einige als die Erſtgebohrnen, die uͤbrigen aber als die Juͤngern behandelt werden ſolten. In der Vorausſetzung, daß man blos die koͤnigliche Wuͤrde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht ꝛc. hin - gegen bey Seite ſetzen muͤſſe, glaubte er, daß ihnen allen einerley Rang gebuͤhre.

Dermalen iſt,

1] auſſer dem roͤmiſchen Kaiſer, beinahe keine Frage mehr vom Vorrange, ſondern alle europaͤiſche Maͤchte wollen, ienem Beiſpiel zu Folge, einander gleich behan - delt werden. Nach Neyrons Meinung ſollen ſie auch, bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa - niens Beitritt zu derſelben 1720, dieſe Regel im algemei - nen feſtgeſezt haben c]. Indes ſuchen der roͤmiſche Koͤ - nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch einigen Vorzug zu behaupten.

2] Jedoch gehen alle gekroͤnte ganz ſouveraine Haͤup - ter allen Republiken und den halbſouverainen Regenten ohne Widerrede vor.

Wenn gekroͤnte Haͤupter einander beſuchen, laͤßt der Wirth dem Gaſt gewoͤnlich den Vorrang. Dies geſchah unter andern z. B. bey der Zuſammenkunft der Koͤnige in Schweden und Daͤnemark zu Friedrichsburg 1658. Der Koͤnige von Spanien und Portugal zu Liſſabon 1704. ꝛc. d]

Nur der roͤmiſche Kaiſer will auch in ſeiner Behau - ſung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da - her dieſe einen ſolennen Beſuch bey ihm vermeiden e]. Aus dieſem Grunde kamen Kaiſer Leopold und Koͤnig Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im Lager zu Pferde zuſammen, erſchien der Czaar Peter I. incognito zu Wien, und ſprachen der Kaiſer und Koͤnig von Preuſſen 1732 einander ohne ſolennes Ceremoniel bey Carlsbad auf einer Landpartie.

S 3Vor278Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Von dem gleichen Verlangen des roͤmiſchen Koͤnigs iſt ſchon oben Erwaͤhnung geſchehen.

Die Koͤnige nehmen ebenfals in ihrem eignen Quar - tier den Rang vor den Kurfuͤrſten. Dies hat z. B. 1681 Koͤnig Chriſtian IV. von Daͤnemark gegen Kuͤrfuͤrſt Fridrich Wilhelm zu Brandenburg, der Koͤnig von Hun - garn nachheriger Kaiſer Joſeph I. vor der Wahl zu Augsburg 1689 gegen Kurmainz ꝛc. gethan f].

Die Kurfuͤrſten laſſen einander bey Beſuchen die Oberſtelle; ſo auch den altweltlichen Fuͤrſten, die Sitz und Stimme haben, aber keinesweges den neuen Fuͤr - ſten, oder denen, die nicht Sitz und Stimme haben g].

Die altweltliche Fuͤrſten wollen den geiſtlichen, den neuen Fuͤrſten, wenn ſie gleich Sitz und Stimme haben, und noch weniger den Titularfuͤrſten den Vorrang auch im eignen Hauſe nicht zugeſtehn h].

3] Auf Congreſſen gehen die Geſandten der ſtreitigen Theile den Miniſtern der vermittelnden Maͤchte ohne Bedenken nach, wenn dieſe auch ſonſt wuͤrklich von ge - ringerer Wuͤrde und niedrigerm Range waͤren.

a]Er aͤuſſerte einſt gegen die franzoͤſiſchen Geſandten aus - druͤcklich: que toutes les têtes couronnées etoient éga - les. Memoires du Chev. Temple p. 220. Man vergl. Zwanzig 1. Th. Tit. 4.
a]
b]T. V. S. 960.
b]
c]Principes du droit des gens T. I. p. 107. Man vergl. Rouſſet, c. VII. p. 59. XXVIII. p. 152.
c]
d]Luͤnigs Theat. Cerem. T. I. S. 199. u. f.
d]
e]Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 8. ingl. deſſen auswaͤr - tiges Staatsrecht 1. B. 1. K. §. 8. S. 14.
e]
f]Zwanzig, 1. Th. Tit. 21. Moſers ausw. Staatsr. 3. B 4. K. §. 8. S. 218. Speners teutſches Staatsr. 7. Th. S. 12.
f]g] Mo -279und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
g]Moſers nachbarl. Staatsr. 1. B. 1. K. §. 10. S. 11.
g]
h]Ebendaſelbſt S. 12.
h]
*]Der Rang wird hauptſaͤchlich in der Verſchiedenheit des Ceremoniels bemerkbar. Dieienigen Materien, welche man hier etwa vermißt, ſollen daher in der Ceremoniel - wiſſenſchaft noch nachgeholt werden, z. B. der blos per - ſoͤnliche Rang der Kron - und anderer apanagirten Prinzen, der Vormuͤnder eines Regenten ꝛc., weil hier verzuͤglich nur von dem Range ganzer Staaten und ihrer Repraͤſen - tanten die Rede geweſen.
*]
S 4Vier -280

Viertes Kapitel. Von der Freiheit der Nazionen, ihre Handlungen nach eignem Gefallen einzurichten.

§. 1. Dieſe Freiheit fließt aus der Unabhaͤngig - keit und Gleichheit der Nazionen.

Da die Voͤlker von Natur unabhaͤngig und einander volkommen gleich ſind, alſo keine Oberherſchaft, kein Gebot oder Verbot, noch Strafen unter ihnen ſtatt findet a], ſo folgt daraus vorzuͤglich der Grundſatz, daß iedes ſouveraine Volk und deſſen Regent, der Regel nach, das Recht habe, ſeine Handlungen und die Regierung des Staatskoͤrpers nach eignem Gutduͤnken einzurichten b], ohne daß eine andere Nazion befugt iſt, ſich darein zu miſchen, das handelnde Volk deshalb zur Rede zu ſtellen, ſich zum Richter daruͤber aufzuwerfen, oder eine Abaͤnde - rung der getroffenen Veranſtaltungen zu verlangen. Folglich iſt auch keine Nazion verbunden, dergleichen Einmiſchung von andern zu leiden, ihnen von ihrem Thun und Laſſen Rede und Antwort zu geben c], noch deren Gebote oder Verbote anzunehmen. Ein Grund - ſatz, den alle freie Voͤlker, ihres eignen Vorteils wegen, ohne Widerrede anerkennen.

a]Fr. Carl von Moſer Abhandlung von dem Recht eines Souverains und freien Volks den andern wegen ſeinen Handlungen zu Rede zu ſtellen; in deſſen kleinen Schrif - ten ꝛc. 6. B. n. VI. S. 287. beſonders §. 8. S. 289.
a]b]281Von der Freiheit der Nazionen, ꝛc.
b]Vattel Droit des gens L. I. c. IV. §. 54. 55.
b]
c]Wolf J G. c. II. §. 256. 269. Schrodt Syſt. J. G. P. I. c. II. §. 12. J. J. Moſers Verſuch 1. B. 2. K. §. 2. S. 36.
c]
d]Ebenderſelbe Verſuch ꝛc. 8. B. 3. K. §. 2. S. 399. [6. Th.] Als 1728 Daͤnemark die oſtindiſche Compagnie zu Altona octroyrte, thaten die grosbritanniſchen und niederlaͤndiſchen Miniſter zwar Vorſtellungen dagegen, aber man bezog ſich Daͤniſcher Seits auf einen mehr als hundertiaͤhrigen Beſitz. Dennoch wurden ſolche, aus Eiferſucht uͤber den immer mehr emporſteigenden Daͤniſchen Handel nach Oſtindien 1730 nochmals wiederholt. Darauf erklaͤrte Daͤnemark: Daß Sr. Maj. noch des feſten Entſchluſſes waͤren, ihren treuen Unterthanen alle nur moͤgliche Vorteile zu verſchaf - fen, indeſſen aber verlangten ſie nichts zum Nachtheil der Gerechtſame anderer Nazionen vorzunehmen. Wie ſie denn, allen Vorwurf deshalb zu verhuͤten, den Schiffen unterſagen laſſen, in keinem Hafen von Oſtindien einzu - laufen, wo die Engell - und Hollaͤnder bereits ihre Hand - lung errichtet haͤtten, und glaubten demnach Ihro Maj. daß, ſo lange ſie dieſes beobachteten, man ſich mit Recht daruͤber nicht beſchweren koͤnte, wenn Sie die Handlung in Dero Staaten immer mehr in Aufnahme zu bringen ſuchten. v. Moſer am ang. O. S. 313.
d]

§. 2. Darf iedoch die Rechte der uͤbrigen Nazio - nen nicht verletzen.

Bey alle dem iſt die Wilkuͤhr in den Handlungen der Nazionen iedoch dergeſtalt zu maͤßigen, daß die gleichen Rechte und Freiheiten der uͤbrigen dadurch nicht verletzt werden.

S 5*]282Von der Freiheit der Nazionen, ihre
*]Car. Ant. de Martini Poſit. de jure civitatis c. XVI. §. 535.
*]

§. 3. Noch ihre geſelſchaftliche Verbindung ſtoͤren.

Die genaue Verbindung, in welcher die europaͤiſchen Nazionen heut zu Tage ſtehen, indem ſie gewiſſermaaſſen und beſonders in den Faͤllen, wo es auf ein gemeinſchaft - liches Intereſſe ankomt, als Glieder einer großen glei - chen Geſelſchaft zu betrachten ſind, [2. Kap. ] erfordert, nach den Grundſaͤtzen des freiwilligen Voͤlkerrechts, daß eine Nazion bey ihren Handlungen auch Ruͤckſicht auf die geſelſchaftlichen Pflichten nehme, und ihre Freiheit hierinn nicht zum offenbaren Nachtheil fuͤr die Ruhe und Erhaltung dieſer großen Geſelſchaft misbrauche a], oder den uͤbrigen Gliedern dadurch gegruͤndete Urſache zu Mistrauen und Unruhe gebe b].

a]Fr. Carl v. Moſer am a. O. §. 4. u. 11. S. 288.
a]
b]J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 8. B. 3. Th. §. 3. S. 399. [6. Theil.]
b]

§. 4. Dieſe Freiheit kann auch durch Vertraͤge oder Herkommen eingeſchraͤnkt werden.

Ein Volk kann ferner durch Vertraͤge oder auch durchs Herkommen der Freiheit nach eignem Gutduͤnken zu handeln ſich begeben. Dahin gehoͤren alle zum Theil oben ſchon erwaͤhnte Buͤndniſſe, wodurch die Souverai - netaͤt uͤberhaupt in einigen Stuͤcken beſchraͤnkt wird, z. B. Lehns -, Schutz - und andere Buͤndniſſe; ingleichen die Vertraͤge, vermoͤge welcher man dieſer Freiheit inein -283Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.einzelnen Faͤllen entſagt, oder die ſogenanten Staats - rechts-Servituten [ſervitutes juris publici] wovon in der Folge Beiſpiele vorkommen werden. Das Herkommen ſezt einen ſtilſchweigenden Vertrag zum Grunde, und kann alſo auch hierinn gleiche Wuͤrkung hervorbringen a].

a]J. J. Moſers Verſuch am ang. O. S. 316.
a]
*]Nie und nirgends, heißt es unter andern in dem Kriegs - manifeſt der vereinigten Niederlande gegen Grosbritannien von 1781, haben J. H. M. durch einige Tractaten der Unabhaͤngigkeit des Staats entſagt, und ihr Intereſſe dem Intereſſe Grosbritanniens ſo weit aufgeopfert, daß ſie zu einem Schritt gekommen ſeyn ſollten, wodurch ſie auf irgend eine Weiſe fuͤr verbunden gehalten wer - den koͤnten, ſich dem Gutduͤnken des Grosbritanniſchen Hofes unterwerfen zu muͤſſen. Politiſches Journ. April 1781. S. 352.
*]

§. 5. Unrechtmaͤßige Einſchraͤnkung.

Macht und Anſehen koͤnnen von Rechtswegen auf die Freiheit der Handlungen unter den Nazionen eben ſo wenig Einflus haben, als auf ihre Unabhaͤngigkeit uͤber - haupt. Der Staͤrkere hat kein Recht, dem Minder - maͤchtigen vorzuſchreiben, oder zu verbieten. Dies ge - ſchieht zwar auch gewoͤnlich eben nicht gerade zu; indes wird ein ſchwaͤcherer Staat, aus Furcht vor dem ſtaͤr - kern Nachbar, oͤfters genoͤthigt, etwas zu thun oder zu laſſen, wozu er ſich auſſerdem nicht entſchloſſen haben wuͤrde, und wozu er, nach dem ſtrengen Rechte, nicht verbunden geweſen waͤre. Dahingegen unternimt der Maͤchtige gemeiniglich, ohne weitere Ruͤckſicht, alles, was er ſich durchzuſetzen getraut. Der Schwaͤchere kan dies zwar auch; doch rather die Klugheit allerdings, demStaͤr -284Von der Freiheit der Nazionen, ihreStaͤrkern, ſo viel moͤglich, nachzugeben, und in den Handlungen ſich alſo zu benehmen, daß dieſer keine Urſach habe, ienem ſeinen Unwillen fuͤhlen zu laſſen a].

a]Moſers Verſuch 1. B. 2. K. §. 2. u. 5. S. 37. u. f.
a]
*]Der Herr von Linden, welcher von den Generalſtaaten der vereinigten Niederlande zum Geſandten nach Wien ernant war, dieſen Poſten aber ausſchlug und ſeinen Ab - ſchied verlangte, aͤuſſerte in einem Memoire an die Gene - ralſtaaten bey Gelegenheit der Uneinigkeiten und Beſchuldi - gungen gegen den Herzog Feldmarſchall 1781: daß er ſowohl durch das Recht ſeiner Geburt, als ſeiner Charge ein Glied der Regierung der freien Republik ſey, und da - her die Pflicht habe, allen Einflus von Fremden, ſo glaͤnzend ihre Geburt, oder ſo maͤchtig ihr Anſehn auch ſey, abzuhalten, und ſich ihm zu widerſetzen. Polit. Journ. 1781. Sept. S. 263.
*]
**]Die Geſinnungen der ruſſiſchen Kaiſerin in dieſem Punkte gingen 1767 bey den Unruhen in Polen dahin: L’amour de l’humanité ſi profondement gravé dans le coeur de l’Imperatrice ne lui permet point au delà des limites de ſon empire d’autre uſage de la puiſſance et des moyens que Dieu lui a mis en main, que de contri - buer au bienêtre réel des nations voiſines, de mainte - nir la ſureté et la tranquillité chez elles et de les aider à rétablir le bon ordre interrompu dans leur gouverne - ment. Moſers Verſuch 6. Th. S. 345.
**]

§. 6. Keine Nazion iſt befugt, ſich in die Hand - lungen der andern zu miſchen.

Kein Volk kann daher auf irgend eine Art, oͤffent - lich oder heimlich, ſich in die Staatsangelegenheiten der uͤbrigen miſchen, ohne ihre Rechte zu beleidigen a].

Die285Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

Die leider nur zu oͤftere Uebertretung dieſes natuͤrli - chen Geſetzes und die haͤufigen Klagen daruͤber b] haben deshalb verſchiedene beſondere Vertraͤge unter den euro - paͤiſchen Nazionen veranlaßt, worinn ſie einander ver - ſprochen, ſich in die Regierungshaͤndel gewiſſer Staaten nicht zu miſchen.

Frankreich z. B. will nach dem pyrenaͤiſchen Frie - den von 1659, Art. 60. ſich der Einmiſchung in die por - tugieſiſchen Haͤndel enthalten.

Der roͤmiſche Kaiſer ſoll, vermoͤge des Luͤbecker Friedens mit Daͤnemark 1629, Art. 2. 3. eben ſo wenig an der Regierung in Daͤnemark, als dieſe Krone an der Regierung des Kaiſers im Reiche etwas zu verbeſſern ſuchen, oder erſtere ſich in die teutſchen Sachen uͤberhaupt weiter, als wegen Holſtein miſchen.

Rußland verſprach, in die innern Angelegenheiten des Koͤnigreichs Schweden, inſonderheit was die von den Staͤnden des Reichs einhellig beliebte Regierungs - form und Succeſſionsart betrift, ſich weder directe noch indirecte zu miſchen. Neuſtaͤdter Friede 1721 Art. 7.

Ein gleiches ſicherte eben dieſe Macht in Anſehung der polniſchen Staatsſachen zu, im Frieden mit der Pforte zu Conſtantinopel 1712, Art. 1. und zu Adria - nopel 1713, Art. 1.

Zuweilen verbinden auch wohl die Staͤnde eines Reichs ihren Regenten, nicht zuzugeben, daß auswaͤr - tige Nazionen ſich in die Staatsgeſchaͤfte miſchen, wie z. B. die teutſchen Reichsſtaͤnde den Kaiſer, welcher Art. 28. §. 1. der Wahlcapitulation verſpricht: Wir ſollen und wollen [zu Verhuͤtung allerhand Simultaͤten und daraus entſtehender gefaͤhrlichen Weiterung] nicht geſtatten, daß die auswaͤrtigen Gewaͤlte oder deren Geſandte ſich heim - oder oͤffentlich in die Reichsſachen miſchen.

Auch286Von der Freiheit der Nazionen, ihre

Auch dritte Maͤchte ſuchen, wie aus dem vorſtehen - den ſchon erhellet, mehrmalen den alzugroßen Einfluß eines Staats auf die Regierung des andern zu verhuͤten. So ließ ebenfals Rußland in dem Kriege zwiſchen Gros - britannien und den vereinigten Niederlanden den leztern erklaͤren: daß es, in Verbindung mit einer andern Macht [Oeſterreich] niemals zugeben wuͤrde, daß Frankreich auf die Entſchluͤſſe der Generalſtaaten einen Einflus habe c].

a]Moſers Verſuch 8. B. 2. K. §. 1. S. 318. [6. Th.]
a]
b]Am haͤufigſten ſind immer die Klagen uͤber die Einmiſchung auswaͤrtiger Staaten, beſonders Frankreichs, in die teut - ſchen Reichshaͤndel geweſen, welches auch die Einruͤckung des nachher zu erwaͤhnenden §. in die kaiſerliche Wahlcapi - tulation bewuͤrket. Man ſehe hieruͤber weitlaͤuftiger Mo - ſers auswaͤrtiges Staatsrecht 2. B. 6. K. beſond. §. 13. u. f. ingl. deſſen Verſuch 8. B. 2. K. §. 11. S. 326. u. f. [6. Theil.]
b]
c]Polit. Journ. Julius, 1781. S. 77.
c]

§. 7. Am wenigſten in die innere Staatsverfaſ - ſung.

Die vorzuͤglichſte Freiheit hat eine Nazion in Anſe - hung ihrer innern Angelegenheiten, welche zunaͤchſt blos die eigne Staatsverfaſſung des Volks, die Regierungs - form, die Staatsverwaltung, die Gerechtſame des Re - genten, der Reichsſtaͤnde und Unterthanen, und uͤber - haupt das eigne Wohl der Staaten betreffen a]. Da alle dieſe Gegenſtaͤnde auf andere Nazionen gewoͤhnlicher - weiſe keine Beziehung haben; ſo duͤrfen ſie auch einander hierinn nichts vorſchreiben oder unterſagen. Wenn gleich ein Regent ſeine Unterthanen auf irgend eine Art beſchwert,ſo287Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.ſo hat doch kein Volk das Recht, ihm Einhalt zu thun, oder iene zu Klagen zu veranlaſſen b].

Als daher Rußland 1747 von Schweden die Ent - fernung des Grafen von Teßin von den Regierungsge - ſchaͤften verlangte, aͤuſſerte der Reichsſenat: Sie hiel - ten es vor ſchimpflich, daß ſich ein freies Koͤnig - reich in dergleichen Domeſtique-Affairen von einer andern Potenz ſolte Geſetze vorſchreiben laſſen; und der Bauernſtand ließ ſich dahin vernehmen: Man koͤnte keinen Miniſter abſetzen, ohne daß die Potenz, welche ſich uͤber ihn beſchwerte, die Beſchuldigungen dar - gethan haͤtte. Weil ſich aber dieſe Potenz in ihrer Mei - nung gar ſehr betruͤgen koͤnte, ſo muͤſte ſie ihr Vorgeben mit den klaͤrſten Beweisgruͤnden unterſtuͤtzen, ſonſt wuͤr - de man ſich voͤllig von derſelben dependent machen, welches doch einer freien und ſouverainen Nazion nachtheilig waͤre c].

a]J. J. Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 10. B. 4. K. §. 1. S. 520. F. C. Moſer am ang. O. §. 32. S. 312.
a]
b]Vattel L. II. C. 4. §. 55. Im vorangefuͤhrten Luͤbecker Frieden 1629, Art. 7. heißt es: Nachdem der Koͤnig von Daͤnemark dieſem Tractat einzuruͤcken begehrt, daß die Staͤnde des teutſchen Reichs nicht wider Recht und Billig - keit beſchwert werden moͤchten, und dieſes auch Sr. Kaiſerl. Maj. Meinung nicht iſt; ſo begnuͤgt ſich der Koͤnig von Daͤnemark mit dieſer Erklaͤrung.
b]
c]F. C. v. Moſer am a. O. §. 34. S. 315. u. f.
c]

§. 8. Es muͤſten denn Vertraͤge dazu berechtigen.

Jedoch leidet dieſes eine Ausnahme, wenn eine Na - zion durch Friedensſchluͤſſe, Vertraͤge ꝛc. dazu berechtigt iſt a], wie z. B. Frankreich und Schweden als Garantsdes288Von der Freiheit der Nazionen, ihredes weſtphaͤliſchen Friedens und der Staatsverfaſſung von Teutſchland; Rußland, Preuſſen und Oeſterreich in Anſehung Polens. Nur muͤſſen dieſe Vertraͤge aller - dings nicht weiter ausgedehnt werden, als der deutliche und woͤrtliche Inhalt derſelben es mit ſich bringt b]. Aber die Klagen uͤber den Misbrauch ſind mehrenteils nicht ſelten.

a]Rußland erklaͤrte 1751 gegen Schweden: Daß man nicht geneigt ſey, ſich in die ſchwediſchen Angelegenheiten wei - ter zu miſchen, als Ihro Kaiſerl. Maj. durch die Trac - taten und das Intereſſe der guten Nachbarſchaft dazu ver - bunden waͤren. F. C. v. Moſer §. 20. S. 296.
a]
b]Vattel L. XII. c. 4. §. 57.
b]

§. 9. Oder auf Erſuchen der intereſſirten Theile.

Zuweilen veranlaßt ein Staat ſelbſt den andern, ſich ſeiner innern Staatsgeſchaͤfte anzunehmen, und erſucht ihn, beſonders bey Entſtehung innerer Unruhen und Par - theien, um Vermittelung und Beiſtand. Jedoch muß dann, wenn die Einmiſchung der auswaͤrtigen Macht rechtmaͤßig ſeyn ſoll, das Anſuchen mit beider intereſſir - ten Theile Einwilligung geſchehen, damit iener Vorkeh - rungen nicht der Vorwurf der Partheilichkeit gemacht werden koͤnne a].

a]Moſers Verſuch 8. B. 2. K. §. 5. S. 323. [6. Th.]
a]
*]Klagen des Kaiſers und der Reichsſtaͤnde gegen einander, daß der eine Theil auswaͤrtige Staaten zur Ungebuͤhr und Unzeit in die innerlichen Reichs - und Staatsangelegenhei - ten zu mengen ſuche, findet man in Moſers auswaͤrtigen Staatsrecht S. 112. u. f.
*]
§. 10.289Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

§. 10. Ingleichen des dabey habenden Intereſſe wegen.

Nazionen, welche bey den Handlungen eines andern Volks ein Intereſſe, d. i. einigen Nutzen oder Schaden daraus zu gewarten haben, koͤnnen auch, nach Beſchaf - fenheit der Umſtaͤnde, mehr oder weniger ſich dagegen regen a]. Zwar iſt kein Volk verbunden, ſeine Freiheit zum Nutzen der uͤbrigen zu beſchraͤnken, oder eine zum Vortheil des Staats gereichende Einrichtung darum zu unterlaſſen, weil andern einiger Nutzen dadurch entzo - gen, folglich mittelbar Schaden zugefuͤgt wird b]; iedoch erfordern die Pflichten der geſelſchaftlichen Verbindung, den unmittelbaren Nachtheil der uͤbrigen Nazionen ſo viel moͤglich zu vermeiden, und alles aus dem Wege zu raͤu - men, wodurch beſonders die Nachbarn beſtaͤndiger Gefahr und Unruhe ausgeſetzt werden c].

Auch dem dritten Staate, der durch das Intereſſe ſeiner Bundsgenoſſen hierzu veranlaßt, oder vermoͤge der mit dieſen errichteten Vertraͤge dazu genoͤthigt wird, kann es nicht fuͤglich verargt werden, wenn er ſich, zu Gunſten derſelben, bey gewiſſen Gelegenheiten in die Staatsgeſchaͤfte fremder Maͤchte miſcht d].

a]Moſers Verſuch 8 B. 1. K. §. 5. 2 K. §. 2. S. 316. 319. u. f. [6. Th.] Bey dem 1749 ſich verbreiteten Geruͤchte, daß man die Regierungsform in Schweden ab - zuaͤndern gedenke, ergriffen Rußland und Daͤnemark alle Maasregeln dagegen, und thaten deshalb verſchiedene Erklaͤrungen an Schweden. Der daͤniſche Geſandte erklaͤr - te unter andern: Que quoique le roi ſon maitre ne pen - ſe à rien moins qu’à ſe mêler des affaires domeſtiques du royaume de Suede, S. M. ne pouvoit néanmoins ſe diſpenſer de faire declarer, qu au cas qu on medi -Ttât290Von der Freiheit der Nazionen, ihretât de changer la preſente forme de regence en Suede, ſoit par artifice, ſoit par force, ainſi que le bruit ſ’en eſt généralement rependu, S. M. ſe trouveroit obligée de ſ’y oppoſer par des meſures efficaces tant pour ſes propres intérêts que rélativement au maintien de la tranquillité dans le Nord. Merc. hiſt. 1749 T. I. p. 504. und in Moſers Verſuch 6. Th. S. 385.
a]
b]Moſer am ang. O. beſonders S. 319.
b]
c]Der ruſſiſche Groskanzler Graf von Beſtuſchef-Rumin gab den Geſandten der Hoͤfe zu Wien und London, die eine Vermittelung zwiſchen Rußland und Schweden zu bewuͤr - ken ſuchten, 1750 in einer Conferenz zu erkennen: Que l’Imperatrice n’avoit pour objet que d’aßurer de plus en plus la paix du Nord, ſur les fondemens les plus ſolides et de contribuer par au repos et à la proſpe - rité de la Nation Suedoiſe; ainſi que S. M. I. ſ’y tient obligée en vertu des traités et en conſequence des loix du bon voiſinage. Merc. hiſt. 1750. T I. p. 563. Moſer 6. Th. S. 394. Bey Gelegenheit der Unruhen in Polen aͤuſſerte der ruſſiſche Miniſter auf dem polniſchen Reichstage 1774: Que les nations voiſines avoient trop ſouvent été troublées par les deſordres inteſtins de la Pologne; qu’il etoit tems de prevenir les mêmes inconveniens par l’établißement d’une conſtitution ſolide et durable. Merc. hiſt. 1774. T. I. p. 593. Moſer 6. Th. S. 359. und die Miniſter der drey ver - bundenen Maͤchte, Oeſterreich, Preuſſen und Rußland erklaͤrten in eben dieſer Angelegenheit unterm 4. Nov. 1776. nach Endigung des Reichstages: Apres un ouvra - ge enfin [le Conſeil permanent] auquel, independam - ment du bien qui en reſulte, pour la republique, les puiſſances voiſines attachent tout l’intérêt de leuv propre paix et harmonie. Moſer S. 382.
c]d]291Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
d]Verſchiedene Staaten haben theils beſtaͤndige, theils zeit - liche Buͤndniſſe unter einander, daß ſie auch an dem Inter - eſſe der Bundsgenoſſen Antheil nehmen, und ſich in der - gleichen Faͤllen fuͤr ſie verwenden wollen, wie z. B. die bourboniſchen Maͤchte. Ueberhaupt iſt dies ein Gegenſtand der meiſten Allianzen. Moſers Verſuch am angef. O. S. 321.
d]

§. 11. Aus Freundſchaft und Bundsgenoſſenſchaft.

Wenn aber auch in denen zwiſchen den Nazionen vorhandenen Vertraͤgen hieruͤber ausdruͤcklich nichts be - ſtimt iſt, ſo halten dieienigen Staaten, welche uͤber - haupt mit einander in Buͤndnis und Freundſchaft ſtehen, ſich oͤfters berechtigt, ihre willigen Dienſte bey innern Angelegenheiten dem andern Staate anzutragen. So ließ Frankreich bey den gegenwaͤrtigen Uneinigkeiten in den vereinigten Niederlanden den Generalſtaaten durch ſeinen Geſandten in einem Memoire vom 21. Apr. 1786 erklaͤren: Der unterzeichnete Ambaſſadeur hat die Ehre E. H. M. die ſtaͤrkſten Zeugniſſe von der Zuneigung und Freundſchaft zu ertheilen, welche der Koͤnig ſein Herr gegen ſie hege, und ihnen die Verſicherung der unveraͤn - derlichen Anhaͤnglichkeit Sr. Maj. an die Allianz, wel - che zwiſchen ihnen und den vereinigten Staaten Statt findet, zu erneuern.

Als eine Folge dieſer Geſinnungen aͤuſſert der Koͤnig den Wunſch, daß man zu einer Verbeſſerung der Misbraͤuche kommen moͤge, welche in der Republick innerliche Uneinigkeiten veranlaßt haben koͤnnen, und daß ihre Ruhe auf Gruͤnden moͤge hergeſtelt werden, die in dem Weſen ihrer wahren Conſtitution liegen.

Indem der Koͤnig E. H. M. dieſe Wuͤnſche zu erkennen giebt, ſo verlangt er keinesweges ſichT 2in292Von der Freiheit der Nazionen, ihrein die Direction der innerlichen Affairen der Republick zu miſchen; weit entfernt dieſe Abſicht zu haben, wuͤrde im Gegentheil Sr. Maj., wenn es noͤthig waͤre, die thaͤtigſten Bemuͤhungen anwenden, um zu verhindern, daß J. H. M. darinn von innen oder von auſſen geſtoͤhrt wuͤrden. Sr. Maj. haben bey dieſem Schritte keine andre Abſicht, als gegen J. H. M. die Pflichten eines Freundes und Bundsgenoſ - ſen zu erfuͤllen, und ihnen dadurch eine neue Probe des aufrichtigen Anteils zu geben, welchen der Koͤnig an dem Gluͤck und Wohlergehn der vereinigten Provinzen nimt.

Geſchieht die Einmiſchung wuͤrklich aus guter Abſicht und zum Nutzen des Staats, in deſſen Angelegenheiten dieſelbe unternommen wird, ſo kann der ſich einmiſchende Staat allenfals auf eine feierliche und foͤrmliche Dank - ſagung von dieſem Anſpruch machen; ſonſt aber wird ſolche wohl eine ſeltne Erſcheinung ſeyn, wie Moſer bemerkt und zum Beiſpiel die polniſche Dankabſtattung an Rußland 1776 anfuͤhrt a].

a]Verſuch 8. B. 2. K. §. 9. S. 326. [6. Th.]
a]

§. 12. Erlaubte Maasregeln beider Theile hierbey.

Wird den natuͤrlichen oder erworbenen Rechten eines Volks durch die innern Einrichtungen des andern nicht zu nahe getreten, ſondern etwa nur ein gehofter Nutzen vereitelt, oder ein zufaͤlliger vielleicht gar entfernter, blos moͤglicher Schaden bewuͤrkt, ſo darf die Einmi - ſchung nicht fuͤglich anders als durch freundſchaftliche Vorſtellungen und bittweiſe a], oder auch weiter, als man durch Vertraͤge oder auf andere Art dazu berechtigt iſt, geſchehen. Geht eine Nazion hierinn zu weit, ſo giebt ſie der andern, in deren Staatsverfaſſung ſie ſichmiſcht,293Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.miſcht, Anlas zu gegruͤndeten Beſchwerden, die durch nachdruͤckliche Vorſtellungen, Anrufung der Bundsge - noſſen und andere ſchaͤrfere gegen verlezte Rechte uͤber - haupt erlaubte Mittel, z. B. Wegſchaffung ihres Ge - ſandten vom Hofe ꝛc. geahndet werden koͤnnen b].

a]F. C. v. Moſer am ang. O. §. 35. S. 317.
a]
b]Als 1748 der engliſche Miniſter bey der Eidgenoſſenſchaft in Anſehung des dem Praͤtendenten nicht zu geſtattenden Aufenthalts ſich in etwas heftigen Ausdruͤcken gegen den Canton Freyburg herausließ, antwortete derſelbe: Dero Schreiben, ſo ſie ſich die Muͤhe genommen, an unſern kleinen und großen Rath abzulaſſen, hat uns, den Aus - druͤckungen nach, ſo unbehutſam und gegen einen ſouverai - nen Staat ſo unanſtaͤndig geſchienen, daß wir davor hal - ten, wir duͤrften nicht darauf antworten, um ſo mehr, da die Art, womit ſich ſelbiges ausdruͤckt, uns keinesweges dahin vermdgen wird, Sie, mein Herr, uͤber die Verfaſ - ſung dieſes Staats und deſſen Souverainetaͤt zu Rath zu ziehen. Schweden fuͤhrte in dem Kriegsmanifeſt gegen Rußland 1741 unter andern an, daß dieſe Macht, dem 8. Art. des Nyſtaͤdter Friedens zuwider, in die inner - lichen Regierungsangelegenheiten, beſonders die Succeſ - ſion des Reichs belangend, ſich gemiſcht habe. Auch die Pforte kuͤndigte 1768 Rußland deswegen den Krieg an, weil es ſich in die innerlichen Haͤndel Polens gemengt hatte.
b]

§. 13. Recht der Nazionen, einander ihrer Hand - lungen wegen zu Rede zu ſtellen.

So wenig ein Volk das Recht hat, ſich in die Regie - rung des andern uͤberhaupt zu miſchen, eben ſo wenig iſtT 3es,294Von der Freiheit der Nazionen, ihrees, aus dem naͤmlichen Grunde, befugt, daſſelbe, ſei - ner Handlungen wegen, zu Rede zu ſtellen.

*]Hiervon handelt weitlaͤuftig die ſchon oben angefuͤhrte Fr. C. von Moſers Abhandlung von dem Recht eines Souve - raius und freien Staats, den andern wegen ſeiner Hand - lungen zur Rede zu ſtellen, ingl. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 8. B. 3. K. S. 397. u. f. [6. Th.]
*]

§. 14. Schuldigkeit, deshalb Rechenſchaft zu geben.

Keine Nazion iſt folglich, der Regel nach, ſchul - dig, der andern, oder irgend iemand von ihrem Thun und Laſſen Rechenſchaft zu geben: und man ſchuͤzt ſolche gemeiniglich alsdenn vor, wenn man auf beſchehene An - frage eine beſtimtere Antwort ſeiner Konvenienz nicht gemaͤs findet. Der ruſſiſche Groskanzler entgegnete 1748 dem franzoͤſiſchen Chargé d affaires zu Petersburg, der ſich wegen der, dem Vernehmen nach, zum Dienſt der Seemaͤchte beſtimten ruſſiſchen Truppen erkundigte: Que Sa Maj. Imp. étant Souveraine, elle n’avoit beſoin de rendre compte à aucune puißance de la terre de la marche des ſes troupes a].

a]Merc. hiſt. 1748. T. I. p. 194. Moſers Verſuch 6. Th. S. 408.
a]
*]Jedoch pflegen die Souverains, bey entſtehenden Strei - tigkeiten, freiwillig die, wenigſtens angeblichen, Gruͤnde ihrer Handlungen dem Publikum zur Beurtheilung vorzu - legen, und zu verſichern, daß ſie dieſelben alſo eingerich - tet haben, wie ſie ſolche vor Gott und der Nachwelt zu verantworten ſich getrauen; wohin die meiſten Manifeſte ꝛc. lauten. In dem franzoͤſiſchen Kriegsmanifeſt gegen Spa -nien295Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.nien 1718 heißt es: Les rois ne ſont comptables de leurs demarches qu’à Dieu même dont ils tiennent leur autorité. Mais dès qu’il importe à leur gloire et à la tranquillité de leurs peuples, qui n’en peut être ſeparée, que les motifs de leurs reſolutions ſoient connus, ils doivent agir à la face de l’univers et faire éclater la juſtice qu’ils ont conſultée dans le ſecret. F. C. v. Moſer am a. O. §. 6. S. 289.
*]

§. 15. Finden nur bey algemeinen bedenklichen Unternehmungen ſtatt.

So lange die Handlungen eines Volks hauptſaͤchlich nur das innere Wohl des Staats betreffen, haben die uͤbrigen Nazionen, auſſer den obbemerkten Faͤllen weder Recht noch Urſach ſich darum zu bekuͤmmern. Wenn aber deſſen Veranſtaltungen unmittelbar auf die große Staatsgeſelſchaft, deren Mitglied es iſt, ſich beziehen, und von der Art ſind, daß die Beſorgniß fuͤr die alge - meine Ruhe und Sicherheit erwecken; ſo muͤſſen die andern Staaten nothwendig aufmerkſam werden; zumal wenn die etwas dergleichen unternehmende Nazion ſchon durch aͤhnliche Faͤlle zu Mistrauen Anlas gegeben hat. Sie ſind daher, beſonders die zunaͤchſt intereſſirten, nach dem freiwilligen ſowohl, als dem herkomlichen Voͤlkerrechte, gar wohl befugt, eine Erklaͤrung uͤber die Abſicht ſolcher Handlungen und die Hebung des Beſorg - niſſes hierunter zu fodern a].

a]Moſers Verſuch 8. B. 3. K. §. 3. S. 399. [6. Th.]
a]
T 4§. 16.296Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 16. Deren Beſtimmung.

Bey Beſtimmung dieſer fuͤr die algemeine Ruhe der großen Voͤlkergeſelſchaft beſorglichen Handlungen komt es zuweilen blos auf gewiſſe angenommene Syſteme und beſondere, bald auf laͤngere, bald auf kuͤrzere Zeit, ge - ſchloſſene Verbindungen unter den Hauptnazionen Euro - pens an. Es giebt aber auch Unternehmungen, welche durch ein beſtaͤndiges Herkommen von den europaͤiſchen Maͤchten zu allen Zeiten und unter allen Umſtaͤnden dem gemeinſchaftlichen Intereſſe und der algemeinen Geſel - ſchaft fuͤr nachtheilig angeſehn worden ſind a].

a]F. C. v. Moſer am a. O. §. 15. u. f. S. 292.
a]

§. 17. Dahin gehoͤren: Verletzung der Gerecht - ſame anderer Nazionen.

Die erſte und rechtmaͤßigſte Urſach, eine Nazion, ihrer Handlung wegen, zur Rede zu ſtellen, iſt alsdann vorhanden, wenn dieſelbe dadurch den Rechten einer andern zu nahe tritt, oder wenigſtens zu nahe zu treten ſcheint; wenn ſie den unter ihnen vorhandenen Vertraͤ - gen geradezu oder unmittelbar zuwiderhandelt a], und Schuldigkeiten unterlaͤßt, die auf Vertraͤge b], oder auch nur auf ein guͤltiges Herkommen beruhen.

a]F. C. v. Moſer am a. O. §. 22. S. 297. Als in der ſpaniſchen Kriegserklaͤrung gegen Grosbritannien 1739 einige dem franzoͤſiſchen Hofe bedenkliche Stellen eingefloſ - ſen waren, gab derſelbe Spanien in einem Memorie zu erkennen: Nachdem in der publicirten Kriegsankuͤndi - gung ſich Stellen finden, welche den zwiſchen Frankreichund297Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.und Spanien beſtehenden Tractaten durchaus entgegen waͤren; und gleichwie nicht nur die bekante Gerechtigkeit Sr. Catholiſchen Majeſtaͤt, ſondern auch die Verſicherung, die Sie an verſchiedenen Orten dieſer Declaration davon gethan, zu erkennen gaͤben, daß Dero Meinung nicht ſey, in Anſehung der freundſchaftlichen und alliirten Puiſſancen, die alten Gebraͤuche und Vertraͤge zu uͤbertreten; alſo ſey man verſichert, daß die Anzeigung dieſer Orte der Decla - ration, wie ſie von Wort zu Wort lauten, hinlaͤnglich ſeyn werde, Seine Catholiſche Majeſtaͤt zu bewegen, Erlaͤuterungen daruͤber zu geben, welche die franzoͤſiſchen Negocianten auſſer Sorgen ſtellen. Ebendaſ. S. 304.
a]
b]Aus dem Grunde beſchwerte ſich Preuſſen uͤber Oeſterreich, daß es die im Tractate ſelbſt verſprochene Befoͤrderung der Reichsgarantie des Dresdner Friedens zu verzoͤgern ſuche. Ebendaſ. S. 306.
b]

§. 18. Freundſchaftswidriges Benehmen.

Vermoͤge des freiwilligen Voͤlkerrechts muͤſſen die in geſelſchaftlicher Verbindung ſtehenden Voͤlker, wenn ſie auch keine volkomne Verbindlichkeit haben, ihr wechſelſeitiges Wohl zu befoͤrdern, wenigſtens alles dasienige vermeiden, was die Eintracht unter ihnen ſtoͤ - ren, oder dieſe Bande ganz zerreiſſen koͤnnte. Wenn daher eine, dem Vorgeben nach, freundſchaftliche Na - zion mit den oͤffentlichen oder heimlichen Feinden einer andern in Buͤndnis trit oder ſonſt ſich einlaͤßt; mittel - oder unmittelbar die Anſchlaͤge und Abſichten dieſer Na - zion erſchwert oder gar vereitelt; Hoͤflichkeiten oder Ge - faͤlligkeiten gegen dieſelbe unterlaͤßt oder verweigert, wel - che dieſe von allen uͤbrigen erhaͤlt, und iene allen andern erweißt; wenn endlich ein Volk, das bisher in gutemT 5Ver -298Von der Freiheit der Nazionen, ihreVernehmen mit ihnen geſtanden, uͤberhaupt ein bedenkli - ches Betragen annimt, und Dinge ſich erlaubt, welche mit der guten Nachbarſchaft und Geſelligkeit nicht beſte - hen koͤnnen, ſo ſind dies fuͤr einen ruheliebenden Staat, der keine Gelegenheit dazu gegeben, gerechte Veranlaſ - ſungen genug, den andern um die Abſicht ſolcher auffal - lenden Handlungen zu befragen.

*]F. C. v. Moſer am ang. O. §. 23-28. S. 297. u. f.
*]

§. 19. Anſtalten, welche feindſelige Abſichten gegen andre Nazionen vermuthen laſſen.

Es kann zwar keinem Volke gemisdeutet werden, wenn es ſowohl zu Handhabung der innern Ruhe, als zu Vertheidigung gegen auswaͤrtige Anfaͤlle, die noͤthi - gen Anſtalten trift; iedoch erfordern die geſelſchaftlichen Pflichten, daß es die Wahrſcheinlichkeit dieſer Abſicht, durch gar zu ungewoͤnliche und bedenkliche Ruͤſtungen nicht uͤberſchreite, und Beſorgniſſe fuͤr die Sicherheit der uͤbrigen Nazionen errege: oder es iſt verbunden, dieſe durch Darlegung ſeines dabey habenden Endzwecks, zu beruhigen, und ihnen ihr Mistrauen zu benehmen. Zu dergleichen auffallenden Handlungen rechnet man gemei - niglich: Die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze, beſonders an den Grenzen; ungewoͤnliche Werbung ſtarker Armeen a]; Maͤrſche der Truppen, vornaͤmlich nach den Grenzen b]; Zuſammenziehung derſelben in Laͤger, die zuweilen unter dem Schein der Waffenuͤbungen angeordnet werden; Zufuhr von Kriegsmunition und Anlegung von Magazi - nen an den Grenzen c]; bey Seemaͤchten: das unerwar - tete Auslaufen der Kriegsflotten ꝛc. d]

a]Als 1721 die Pforte verſchiedene bedenkliche Bewegungen mit den Truppen vornahm, auch die Grenzen an der Wal -lachey299Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.lachey und Moldau befeſtigen ließ, muſte der kaiſerliche Reſident dieſelbe deshalb zur Rede ſtellen. Sie erklaͤrte darauf: Die Vermehrung ihrer Truppen an den Grenzen haͤtte keineswegs die Abſicht, Teutſchland, Ungarn, oder die Staaten des Kaiſers zu beunruhigen, ſondern betreffe die Tripolitaner und Maroccaner. Die Befeſtigung der Grenzplaͤtze geſchehe blos vertheidigungsweiſe und wolte ſie uͤbrigens den Frieden mit dem Kaiſer, Rußland und Vene - dig heilig halten. F. C. v. Moſer am a. O. §. 20. S. 293. Der neapolitaniſche Conſul zu Livorno that, wegen der Truppenvermehrung im Toſcaniſchen, 1741 zu Florenz die Erklaͤrung: Que S. Maj. Sicil. n’avoit pu apprendre ſans beaucoup de ſurprice qu on augmentoit les trouppes Allemandes dans l état de Sienne: qu elle ne concevoit pas ce qui pouvoit donner lieu à cette augmentation: et qu’ainſi on ne devoit point étre ſur - pris, qu elle eut renforcé de quelques regimens les trouppes qui ſont dans l Etat des Garniſons; und erhielt zur Antwort: Qu on avoit außi été fort ſurpris en cet - te cour des bruits qui ſ étoient repandus, que l arme - ment auquel on travailloit à Naples menaçoit la Toſca - ne, qu on n avoit pu ſ imaginer qu il y eût aucune raiſon qui pût autoriſer une entrepriſe de cette nature: qu on avoit cependant jugé à propos de ſe précaution - ner à tout événement, et que c étoit l’unique rai - ſon de l augmentation des troupes dans l état de Sien - ne. Merc. hiſt. 1741. T. I. p. 493. Moſers Verſuch 6. Th. S. 406.
a]
b]Im Jahr 1747 ließ der kaiſerlich-koͤnigliche Hof ſich abermals bey der Pforte erkundigen: warum man Trup - pen gegen die Wallachey und Servien defiliren lieſſe? Die Antwort ging dahin: daß man eine Parthie derer Truppen, deren man ſich bis dato gegen Perſien bedient, zuruͤck zu ziehen beſchloſſen haͤtte: der kaiſerliche Hof duͤrf - te ſich aber dieſes nicht verdaͤchtig vorkommen laſſen, in -dem300Von der Freiheit der Nazionen, ihredem der Grosſultan uͤberhaupt alle Tractaten, welche er mit den chriſtlichen Potenzien haͤtte, beobachten wuͤrde. Ebendaſ. S. 294.
b]
c]Die Beſchaffenheit der Sachen und deren Wichtigkeit, heißt es in dem P. M. des preuſſiſchen Miniſters an die Kaiſerin-Koͤnigin vom 18. Auguſt 1756 wegen der dama - ligen Kriegsruͤſtungen, erfodere eine deutlichere Antwort, [in der erſtern erklaͤrte ſie, daß die gemachten Anſtalten blos zu ihrer Sicherheit und zur Vertheidigung der Bunds - genoſſen, aber zu Niemands Nachtheil abzwecke] weder die Staaten der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. noch dieienigen von ihren Bundsgenoſſen waͤren mit irgend einem Ueberfall bedroht, wohl aber die Staaten Sr. Maj. des Koͤnigs in Preuſſen, der von der zwiſchen der Kaiſerin-Koͤnigin und Rußland geſchloſſenen Offenſivallianz gegen ihn zuverlaͤſſig unterrichtet ſey. Da nunmehr Se. Preuſſiſche Maj. von allen Seiten her vernehmen, wie der Kaiſerin-Koͤni - gin Maj. Dero vornehmſte Macht in Boͤhmen und Maͤh - ren zuſammenziehen, wie die Truppen ganz nahe an den Grenzen des gedachten Prinzen campiren, wie man Ma - gazine errichtet, und einen anſehnlichen Vorrath von aller - hand Kriegs - und Lebenserforderniſſen zuſammenbraͤchte, wie man laͤngs den Grenzen des benanten Fuͤrſten Cordons von Huſaren und Croaten ziehe, nicht anders, als ob der - ſelbe bereits mit der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. in oͤffentlichen Krieg begriffen waͤre; ſo glaubte der Koͤnig berechtigt zu ſeyn, von Derſelben eine foͤrmliche und deutliche Erklaͤ - rung zu fordern, welche in der Verſicherung zu beſtehen haͤtte: daß Ihro Maj. die Kaiſerin-Koͤnigin auf keine Art geſonnen, des Koͤnigs in Preuſſen Maj. weder in dieſem Jahre noch in dem folgenden feindlich anzugreifen. Die - ſem Fuͤrſten ſey hoͤchſt daran gelegen, zu wiſſen, ob er mit der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. Krieg oder Frieden habe? und er uͤberlaſſe von beyden die Wahl dieſer Fuͤrſtin. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 415.
c]d]301Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
d]Bey Gelegenheit der ruſſiſchen Kriegsruͤſtungen 1726 ließ Daͤnemark durch ſeinen Geſandten vorſtellen: Die großen Kriegsruͤſtungen, welche Rußland ſeit einigen Jahren auf der Oſtſee gemacht habe, ſezten alle Benachbarte in Un - ruhe. Weil annebſt der Ruf durchgehends erſchollen, daß alle dieſe Kriegsruͤſtungen auf Daͤnemark angeſehen ſeyn; ſo habe der Koͤnig nicht umhin gekont, ſeine Bey - ſorge hieruͤber zu erkennen zu geben, anbey zu verſichern, daß er der ewigen Allianz von anno 1709 in allen Stuͤcken getreulich nachzuleben geſonnen ſey, und ſich zu erkundi - gen, ob die Czaarin gleicher Meinung ſey? Dieſe aber antwortete: Daß die an die Czaarin geſchehene An - frage ihr ſehr fremd und unter gekroͤnten Haͤuptern ganz ungewoͤnlich vorkomme. Gleichwie ſie es vor unanſtaͤndig halte, den Koͤnig in Daͤnemark um die Urſa - che zu befragen: warum er alle ſeine Zuruͤſtungen mache? alſo glaubte ſie auch nicht ſchuldig zu ſeyn, weder dem Koͤnig in Daͤnemark, noch andern, von ihrem Vorneh - men Rechenſchaft zu geben. Sie wolte indeſſen dennoch dem Koͤnig die Nachricht geben, daß Ihre Kriegsruͤſtun - gen auf der Oſtſee keinen andern Endzweck haͤtten, als nach dem Exempel ihres verſtorbenen Gemals, ſich in dem Stand zu erhalten, ihren Alliirten, denen mit ihnen ge - troffenen Verbindungen gemaͤs, beizuſtehen, wie auch ſich und ihre Lande und Unterthanen gegen alle feindliche Un - ternehmungen zu ſchuͤtzen, und ſich denienigen, welche Haͤndel mit ihr anfangen wolten, zu widerſetzen. Sie faͤnde ſich im uͤbrigen veranlaßt, den Koͤnig in Daͤnemark hinwiederum zu fragen: ob ſie es nicht fuͤr eine oͤffentliche Ruptur anzuſehen habe, daß er eine Eſcadre Kriegsſchif - fe bis an die Rheede von Reval ſchicke, und mit der eng - liſchen vereinigt habe? F. C. v. Moſer a. a. O. S. 301.
d]
§. 20.302Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 20. Beurteilung der auffallenden und bedenk - lichen Handlungen.

Ob ein Unternehmen wuͤrklich bedenklich und fuͤr die Sicherheit der uͤbrigen Nazionen gefaͤhrlich ſey? Dar - uͤber entſteht nicht ſelten Streit zwiſchen den handelnden und fragenden Theilen. In dieſem Falle hat iedoch das zunaͤchſt intereſſirte Volk bey der Anfrage ohnſtreitig mehr fuͤr ſich, weil dieſes am beſten beurteilen muß, was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine befriedigende Antwort ſehr leicht heben kann. Jedoch darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder Gelegenheit ihr Mistrauen aͤuſſern. Auf den Anſpruch der, wegen Leiſtung der verſprochenen Huͤlfe bey entſte - henden Streitigkeiten, dabey hauptſaͤchlich intereſſirten Bundsgenoſſen und uͤbrigen Theilhaber komt vieles an a]. Uebrigens iſt es eben nicht noͤthig, daß die nachtheilige Handlung wuͤrklich ſchon erfolgt ſey. Zuweiln ſind auch ein gegruͤndetes Beſorgniß b], ein hoͤchſt wahrſcheinlicher Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen uͤber - haupt hinlaͤnglich zur Anfrage c].

a]F. C. v. Moſer am a. O. §. 36. 37. S. 318.
a]
b]Ebendaſ. §. 31. S. 309. Die Verbreitung des Geruͤchts 1738, daß der Kaiſer mit Frankreich in geheimen Tracta - ten wegen Abtretung eines Theils der Niederlande ſtuͤnde, veranlaßte die Erklaͤrung der Generalſtaaten an den kaiſer - lichen Bothſchafter im Haag: Ihro Hochmoͤgenden wolten gebeten haben, daß Ihro Kaiſerl. Maj. hieruͤber ſich ge - nauer erklaͤren moͤchten, datait, wenn etwas in dieſen von allen Orten her zu verſchiedenen mahlen erſchollenen Ge - ruͤchten wuͤrklich waͤre, die Herrn Generalſtaaten bey guter Zeit ihre Anſtalten darnach treffen, oder wenn alles ohneGrund303Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Grund ſey, wie man faſt zu hoffen haͤtte, ſich aller Furcht entſchlagen koͤnten.
b]
c]Aus dieſem Grunde haͤlt man auch alsdann eine Anfrage fuͤr erlaubt, wenn ein Souverain uͤberhaupt zu erfahren wuͤnſcht, was er von dem andern zu erwarten habe? So ließ Grosbritannien 1739 beim Ausbruch des Krieges gegen Spanien den franzoͤſiſchen Hof befragen: weſſen man ſich zu ihm wegen der Neutralitaͤt zu verſehen habe? Der Allerchriſtlichſte Koͤnig, war die Antwort, wuͤrde nicht das geringſte vornehmen, ſo lange der Krieg auf die Weiſe, wie bisher geſchehen, gefuͤhrt wuͤrde. F. C. v. Moſer am a. O. S. 309.
c]

§. 21. Freiwillige Erklaͤrung.

Bey Handlungen, welche Mistrauen und Beſorg - niſſe bey andern erwecken koͤnnten, erklaͤren die Nazio - nen, wenn ſie aufrichtig und den geſelſchaftlichen Pflich - ten gemaͤs zu Werke gehen wollen, gewoͤnlich ſelbſt, ohne weitere Veranlaſſung, den uͤbrigen, beſonders den Nachbarn und denen, die zunaͤchſt dabey intereſſirt ſind, daß darunter keine nachtheilige Abſicht gegen dieſelben verborgen ſey. Wenn z. B. auſſerordentliche Veraͤnde - rungen in der Regierungsverfaſſung, oder auch nur im Miniſterio vorgenommen werden, pflegt man allen an - dern Hoͤfen, zumal den freundſchaftlichen, zu verſichern, daß dieſes keine Veraͤnderung in den Tractaten oder der guten Freundſchaft und Nachbarſchaft uͤberhaupt mit ihnen, nach ſich ziehen ſolle a]. Dies geſchieht auch, wenn ein Volk veranlaßt wird, ſich in Vertheidigungs - ſtand zu ſetzen, gewiſſe bedenkliche Buͤndniſſe mit andern zu ſchließen ꝛc. b]

a]304Von der Freiheit der Nazionen, ihre
a]Schweden ließ nach Endigung des Reichstags 1748 allen fremden Miniſtern erklaͤren, daß die daſelbſt abgefaßten Schluͤſſe nur dahin abzweckten, die mit ihren Hoͤfen pfle - gende Freundſchaft und das gute Einverſtaͤndnis ohnver - bruͤchlich zu beobachten: und bey der großen Veraͤnderung im daͤniſchen Miniſterio 1770 ſchickte der Koͤnig einen General-Adjutanten mit einem Schreiben nach Petersburg, worinn er die Kaiſerin von Rußland verſicherte: daß dieſe Veraͤnderung nicht nur keinen Einfluß auf die zwiſchen den beyden Hoͤfen beſtehende Freundſchaft haben, ſondern ſolche im Gegentheil noch mehr befeſtigen wuͤrde. Moſers Ver - ſuch 6. Th. S. 407. u. 408.
a]
b]Moſers Verſuch am a. O. S. 402. Daͤnemark aͤuſſerte in der oben §. 19. Not. d. angefuͤhrten Vorſtellung gegen Rußland 1726 unter andern: Die vorige Allianz zwiſchen Daͤnemark und Rußland von 1709 gebe zwar dem Koͤnig große Urſach, von der Czaarin alle Proben der Freund - ſchaft zu erwarten, weil ſie ihm aber von der auſſerordent - lichen Ausruͤſtung der Kriegsſchiffe ꝛc., von dem Marſch unterſchiedener Regimenter, und von den andern vielen Praͤparatorien, auch was ſie dazu bewegt, noch keine Nachricht mitgeteilt habe, wie doch zwiſchen Nach - barn, die in Freundſchaft leben wollen, gebraͤuch - lich, und Alliirte unter einander ſchuldig ſeyn ꝛc. Allein Rußland beſchuldigte Daͤnemark hingegen ebenfals, daß es eine Eſcadre von Kriegsſchiffen mit der engli - ſchen vereinigt habe, ohne Rußland vorher die geringſte Nachricht davon zu geben, welches doch nach aller Vernunft und Gewohnheit billig haͤtte geſchehen ſollen, um nicht eben ſowohl, wie die engliſche Eſcadre vor feindlich angeſehen zu werden. Fr. C. v. Moſer am a. O. S. 301. u. 303. Als 1751 Schweden 8000 Mann nach Finland mar - ſchiren ließ, geſchah dem ruſſiſchen Miniſter zu Stockholmdie305Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.die Erklaͤrung: daß der Koͤnig hoffe, die Kaiſerin werde dadurch keinen Argwohn bey ſich erwecken laſſen. Dieſer antwortete: Es kaͤme nichts darauf an, ob 8000 Mann mehr oder weniger in Finnland ſtuͤnden, doch erkenne man es fuͤr eine beſondere Aufmerkſamkeit, daß man Ihro Rußl. Kaiſerl. Maj. davon Part geben wollen. Ebendaſ. S. 295. Noch verdienen die wechſelſeitigen Erklaͤrungen Daͤne - marks und Schwedens vom Jahre 1772 bemerkt zu werden. Als man, der ſtarken Kriegsruͤſtungen wegen, von beiden Seiten einen Ausbruch von Feindſeligkeiten befuͤrchtete, that leztere Macht zuerſt die Erklaͤrung: S. M. eſt informée par des avis certains et reiterés, que les armemens en tous genres, qui avoient d’abord commencé dans la Norwegue, continuent à ſe faire avec une progreſſion redoutable, au point même que S. M. ne ſçachant contre qui on les deſtine, ſe trouve dans la neceſſité de ſonger à ſa propre ſureté et à la defenſe de ſes frontières. Elle a pourtant de la pei - ne à croire que S. M. Danoiſe veuille ſans aucune cauſe et ſans la moindre raiſon attaquer les Etats du Roi, et commencer une guerre qui entraineroit des ſuites funeſtes pour le repos et la tranquillité de l’Europe. Mais comme il eſt eſſentiel de ſ’en aſſurer par des ex - plications ſincerement amiables entre deux princes voiſins et parens, S. M. ne balance pas de declarer de la manière la plus ſolemnelle que ſon intention eſt et ſera de maintenir, autant qu’il eſt en Elle, la paix, l union et l amitié les plus parfaites avec S. M. Danoi - ſe; et ſi le roi de Danemarc ſe trouve animé du même deſir, il ſera ſans doute également diſpoſé à donner des eclairciſſemens ſur ce ſujet, propres à convaincre le roi de la ſincerité de ſon amitié, en éloignant tous les ſoupçons et toutes les méfiances que S. M. cherche ſoigneuſement de ſon coté à écarter. Merc. hiſt. U1772.306Von der Freiheit der Nazionen, ihre1772 T. II. p. 661. Moſers Verſuch 6. Th. S. 410. Daͤnemarks Gegenerklaͤrung lautete dahin: Que S. M. n hefite pas un inſtant à declarer de la manière la plus ſolemnelle et la plus ſincère que tous les arrange - mens militaires et ceux faits en Norwegue, dont il eſt fait mention dans la ſurdite declaration de S. M. Suedoiſe, n’ont et n’ont jamais eu d’autre but et objet que la ſureté de ſes propres états et que S. M. n’a et n a jamais eu le moindre deſſin d’attaquer ou d offen - ſer ceux de S. M. Suedoiſe ni d’aucune manière trou - bler le repos ou interrompre la paix et la bonne har - monie qui ſubſiſtent ſi heureuſement entre les deux cours et dont Elle deſire fincerement la perpetuité. Ebendaſ.
b]

§. 22. Anfragen deshalb.

Unterlaͤßt aber auch ein Staat dieſe freiwillige Erklaͤrung, ſo iſt er doch, den geſelſchaftlichen Pflich - ten und dem Herkommen gemaͤs, verbunden, wenig - ſtens auf die deshalb an ihn ergehende Anfrage, eine be - friedigende Antwort zu erteilen, wenn ihm anders daran gelegen iſt, die bisherige Freundſchaft mit der fragenden Nazion zu unterhalten.

§. 23. Wer das Recht hat zu fragen?

Aus den vorhergehenden §. §. worinn gezeigt worden, wer uͤberhaupt einiges Recht habe, ſich um die Handlun - gen eines unabhaͤngigen Staats zu bekuͤmmern, laͤßt ſich auch leicht abnehmen: wer den Souverain deshalb zu Rede ſtellen koͤnne? Jede Nazion naͤmlich, die mit - tel - oder unmittelbar dabey intereſſirt iſt. Bey Unter -nehmung -307Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.nehmungen in auswaͤrtiger Beziehung inſonderheit, die naͤchſten Nachbarn, auch deren Bundsgenoſſen a] und andere, denen aus den Veranſtaltungen eines Staats gegen dritte einiger Nachtheil zuwaͤchſt b]. In Faͤllen, wo das eigentlich blos auf ein einzelnes Volk gerichtete Benehmen nachtheilige Folgen fuͤr die große Voͤlkerge - ſelſchaft Europens haben koͤnte, halten ſich ſaͤmtliche Mitglieder derſelben berechtigt, deshalb anzufragen c].

a]In einigen Buͤndniſſen iſt dies ausdruͤcklich bedungen. Z. B. in einem Separatartickel des Freundſchaftstractats zwiſchen Grosbrittannien und den vereinigten Niederlanden von 1716 heißt es: pro caſu foederis habitum iri non tantum ſi alteruter foederatorum vi armata hoſtiliter impetitus fuerit, verum etiam ſi quisquam e vicinis arma in unum vel alterum foederatorum paraverit, minasque illi intentaverit, ſive id fiat dum apud vici - nos delectus militum extraordinarii habentur etc. Fr. C. v. Moſer a. a. O. S. 306. Auch die burboniſchen Maͤchte haben ſich, ſchon oberwaͤhntermaßen, dahin ver - bunden. Moſers Verſuch 6. Th. S. 321.
a]
b]F. C. v. Moſer §. 25. S. 303.
b]
c]Ebendaſ. §. 13. S. 291.
c]

§. 24. Nothwendigkeit zu fragen.

Wenn eine Nazion dergleichen verdaͤchtige, oder den Gerechtſamen anderer wuͤrklich nachtheilige Hand - lungen unternimt, ſo verlangt das von den meiſten Voͤlkern Europens behauptete Herkommen, daß die dabey intereſſirten Staaten, bevor ſie weitere Vorkeh - rungen treffen, ſich mit iener daruͤber vernehmen und Sicherſtellung oder Genugthuung fodern a]; wohinU 2auch308Von der Freiheit der Nazionen, ihreauch verſchiedene Buͤndniſſe lauten b]. Wird die Anfrage oder Beſchwerde aber unterlaſſen und ſogleich zu Thaͤtigkeiten geſchritten, ſo hat man es gemeinig - lich fuͤr Beleidigung angeſehn c].

a]Fr. C. v. Moſer a. a. O. §. 40. u. f. S. 324.
a]
b]Ebendaſ. S. 325.
b]
c]Im Jahr 1674 aͤuſſerten die Generalſtaaten der verei - nigten Niederlande gegen Schweden, in Anſehung der zwiſchen lezterer Macht und Kurbrandenburg obſchweben - den Irrungen: Wann nun unter allen, inſonderheit chriſtlichen Potentaten, von Alters her, iederzeit, um unwiderſprechlicher Urſachen willen, gebraͤuch - lich geweſen iſt, daß wenn einer oder anderer belei - digt worden zu ſeyn vermeynet, der Beleidigte, ehe und bevor er zu den Waffen gegriffen, von demienigen, welcher die Beleidigung ihm zugefuͤgt, Satisfaction begehrt hat ꝛc. Ebendaſ. S. 308. Als bey Gelegenheit der Wiener Allianz Grosbritannien eine Flotte in das Baltiſche Meer ſchickte, um das Aus - laufen der Ruſſiſchen Eſcadre zu verhindern, antwortete die Kaiſerin unterm 25. Jun. 1726 auf das deshalb erhaltene Schreiben: Nous ne deſavouerons pas, que nous avons été bien ſurpriſes de ne recevoir votre lettre qu’au même inſtant, que votre flotte parût ſur nos côtes, et après qu’elle eut jetté l’ancre devant Reval, puisqu il auroit été plus conforme à l’uſage, etabli parmi les ſouverains, et plus conciliable avec l’amitié qui a ſubſiſté ſi long-tems entre nos Roiau - mes et la Couronne de la Grande-Bretagne, ſi v. M. avoit trouvé bon de ſ’expliquer avec nous ſur l’om - brage, que lui pouvoit donner notre armement, et d attendre là-deſſus nôtre reponſe, avant que d en venir à un pas ſi offenſant. S. 327. Auf309Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Auf dieſe Art beſchwerte ſich Rußland auch 1741 uͤber die Schwediſche Kriegserklaͤrung. C eſt une choſe inouïe, hieß es in dem Gegenmanifeſt, dans la Chre - tienté et même parmi les nations les plus ſauvages et les payens, qui n ont aucune connoiſſance du vrai Dieu, qu’on declare la guerre, comme la Suede vient de le faire, avant que d avoir fait connoitre le ſujet de mecontentement et expoſé des griefs fondés pour en demander ſatisfaction. Ebendaſ. S. 330.
c]

§. 25. Art der Anfrage.

Die Anfrage kan entweder ſchriftlich oder muͤndlich, theils von dem zunaͤchſt intereſſirten Souverain ſelbſt, durch den an ſeinem Hofe befindlichen Geſandten des freundſchaftswidrig handelnden Staats, oder durch ſei - nen bey dieſem ſich aufhaltenden Geſandten, theils mittelſt der Bundsgenoſſen eines oder des andern Volks, oder auch durch einen mit beiden in Freundſchaft ſtehen - den Staat geſchehen. Die Art der Anfrage muß uͤbri - gens allerdings, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, algemeiner oder beſtimter, und, nach der Groͤße der Gefahr und des Intereſſe, auch nach dem Verhaͤltniſſe, in welchem man mit dem andern Hofe bis dahin geſtan - den, beſcheidener oder ernſtlicher eingerichtet werden. Zuweilen fuͤgt der fragende Staat gleich die Erklaͤrung der, im Fall einer unzulaͤnglichen Antwort, zu ergrei - fenden Maasregeln bey.

*]Fr. C. v. Moſer am a. O. §. 44. u. f. S. 330. Bey Gelegenheit der leztern Irrungen zwiſchen dem Kaiſer und den vereinigten Niederlanden, wurde gemeldet: Der fran - zoͤſiſche Geſandte habe in einer Audienz bey dem Staats - ſekretaͤr Lord Sidney foͤrmlich die Frage zur BeantwortungU 3der310Von der Freiheit der Nazionen, ihreder Regierung vorgelegt: ob, im Fall es zum offenbaren Bruch zwiſchen der Republick und dem Kaiſer kommen ſollte, Grosbritannien, den Tractaten gemaͤs, den Hol - laͤndern beiſtehn, oder ein muͤſſiger Zuſchauer bey einem Kriege verbleiben wolle, in den das Intereſſe aller euro - paͤiſchen Staaten verwickelt ſey?
*]

§. 26. Antwort darauf.

In den vorbemerkten Faͤllen leidet die Regel des natuͤrlichen Voͤlkerrechts: daß kein freies Volk ſchuldig ſey, dem andern von ſeinen Handlungen Rechenſchaft zu geben, eine Ausnahme. Wird hierinn, auf geziemen - de Anfrage, entweder keine hinlaͤngliche, oder auch gar keine Antwort gegeben, ja ſolche, unter Beziehung auf iene Regel ausdruͤcklich verweigert, und die diesfalſige Anfrage fuͤr Beleidigung geachtet, ſo ſieht man dies gemeiniglich fuͤr ein ſtilſchweigendes Geſtaͤndnis der beſchuldigten Abſichten an, wodurch die fragende Na - zion alle dagegen zu ergreifende Sicherheitsvorkehrungen gerechtfertigt glaubt a]. Ein freundſchaftlich geſinnter Staat, der die geaͤuſſerten Beſorgniſſe des andern unge - gruͤndet findet, ſucht den fragenden daher auf alle Art zu beruhigen und ſicher zu ſtellen. Die Kaiſerin von Rußland, hieß es 1784, hat auf die Anfrage wegen einiger Ruͤſtungen in Schweden von dem Miniſter Gra - fen von Kreutz die Verſicherung erhalten, daß der Koͤnig von Schweden nicht die geringſte Abſicht habe, die freundſchaftliche Eintracht in Norden zu unterbre - chen b].

Die Antwort kan durch eben die Wege wie die An - frage geſchehen, muß uͤbrigens, ſo viel moͤglich klar und befriedigend ſeyn c], und da die muͤndlichen oft aller - hand Zweideutigkeiten unterworfen ſind; ſo werden ſiemehren -311Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.mehrenteils ſchriftlich verlangt d]. Zuweilen hat der fragende Souverain auch ſchon dem andern vorgeſchrie - ben, wie die Erklaͤrung eingerichtet werden ſolle e]. Dieſe Antwort pflegt dann den uͤbrigen freundſchaftlichen Hoͤfen mitgeteilt zu werden, damit ſie aus dem Erfolg die Zuverlaͤſſigkeit der Verſicherungen ienes Staats in aͤhnlichen Faͤllen beurteilen koͤnnen f].

a]Fr. C. v. Moſer §. 63. u. 66. S. 339. u. 344. ingl. J. J. Moſers Verſuch, 6. Th. S. 402. Die Ruſſiſchen Antworten auf die Daͤniſchen und Franzoͤſiſchen Anfragen von 1726 und 1748 ſind ſchon oben angefuͤhrt worden. In der preuſſiſchen Anfrage an den Kaiſerl. Koͤnigl. Hof von 1756 hieß es unter andern: Wenn man Sr. Preußl. Maj. eine ungewiſſe und unſchluͤſſige Antwort ertheilen werde, ſo habe ſich der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. alle die Folgen beizumeſſen, welche dieſe Art des Stilſchweigens nach ſich ziehen wird; Hoͤchſt Dieſelben wuͤrden dadurch das gefaͤhrliche Vorhaben eingeſtehen, welches mit Ruß - land wider beſagte Preußl. Maj. waͤre beſchloſſen worden. J. J. Moſers Verſuch 6. Th. S. 416.
a]
b]Politiſches Journal, Julius 1784 S. 760. Auguſt S. 902.
b]
c]Der Ruſſiſche Geſandte erwiederte 1749 auf die von Schweden in Anſehung der, dem Geruͤchte nach, im Werke ſtehenden Veraͤnderung der Regierungsform ertheilte Erklaͤrung: Die Ruſſiſche Kaiſerin koͤnne nicht finden, daß dieſe Verſicherungen wichtig genug waͤren, um ſich gaͤnzlich darauf zu verlaſſen, und es muͤſte bey einer Sache von ſolcher Wichtigkeit auch ſogar der Schatten einer Zweideutigkeit vermieden werden. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 388.
c]
d]Fr. C. v. Moſer a. a. O. §. 60. S. 336.
d]U 4e] Der312Von der Freiheit der Nazionen, ihre
e]Der Koͤnigl. Preußl. Miniſter aͤuſſerte 1756 in einer nochmaligen Vorſtellung an den Kaiſerl. Koͤnigl. Hof: daß das vorige Memoire ein Begehren in ſich enthalte, welches des Koͤnigs in Preuſſen Maj. an der Kaiſerin Koͤnigin Maj. gelangen laſſen zu koͤnnen ſich berechtigt geglaubt, naͤmlich die Erteilung einer foͤrmlichen und deutlichen Erklaͤrung, welche in der Verſicherung beſtehe: daß der Kaiſerin Koͤnigin Maj. nicht geſonnen ſeyn, des Koͤnigs in Preuſſen Maj. weder in dieſem noch im fol - genden Jahre anzugreifen. Der Endesbenante Mini - ſter erwartet demnach von der Kaiſerin Koͤnigin Maj. eine nach denen oben vorgeſchriebenen Worten eingerich - tete Antwort. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 419. Als 1732 Spanien zu Beſetzung des Toſcaniſchen Ge - bietes 6000 Mann debarqvirte und zu Wien die Ver - mehrung dieſer Anzal beſorgt ward, ließ letzterer Hof das Formular einer Declaration aufſetzen, welches die ſpani - ſchen Miniſter zu Wien und in Italien unterſchreiben ſolten, daß man naͤmlich uͤber iene 6000 Mann keine weiter ins Florentiniſche einfuͤhren wolle. Der ſpaniſche Miniſter in Italien unterſchrieb ſolches auch wuͤrklich. F. C. v. Moſer §. 62. S. 338.
e]
f]Fr. C. v. Moſer §. 57. u. 58. S. 336.
f]

§. 27. Streit uͤber die Hinlaͤnglichkeit der Erklaͤrung.

In wiefern die ertheilte Antwort befriedigend ſey oder nicht? daruͤber entſtehen mehrmalen Streitigkeiten. Dem antwortenden Theile ſcheint oft etwas hinlaͤnglich, was der fragende dafuͤr nicht anſehen will. Jener beſchuldigt dieſen daher der Ungenuͤgſamkeit a], glaubt ſich wohl gar beleidigt, daß man zu ſeinen Verſicherun - gen nicht mehr Vertrauen hat, oder haͤlt es doch ſeinerUnab -313Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Unabhaͤngigkeit fuͤr nachtheilig, ſich in weitere Erklaͤrun - gen deshalb einzulaſſen b]. Indes ſind die durch das Betragen einer andern Nazion in Unruhe verſetzte und ſonſt dabey intereſſirte, oder dritte freundſchaftliche Staaten allerdings guͤltigere Richter uͤber die Hinlaͤng - lichkeit der erfolgten Antwort, als derienige, welcher ſolche ertheilt hat c].

a]In einem Schreiben, welches der Koͤnig von Preuſſen an Grosbritannien 1749 wegen der von Rußland und andern Maͤchten beſorgten Regierungsveraͤnderung in Schweden, erließ, heißt es: Mich duͤnkt, daß die Er - klaͤrung, welche der Prinz, [Thronfolger in Schweden] und der Senat letzthin dem Ruſſiſchen Hofe dieſes Punkts wegen gethan, ſo deutlich, ſo gemeſſen und ſo weißlich ſey, daß ſie denen Maͤchten, welche ſich fuͤr die Beibehal - tung der gegenwaͤrtigen Regierung dieſes Reichs intereſſi - ren, nicht das geringſte mehr zu verlangen uͤbrig laͤßt. Fr. C. v. Moſer ꝛc. §. 61. S. 338. Im Jahr 1756 aͤuſſerte die Kaiſerin Koͤnigin, als man ſich Preuſſiſcher Seits mit der Verſicherung: daß die getroffenen Kriegs - anſtalten blos ihre und ihrer Bundsgenoſſen Vertheidigung zur Abſicht haͤtten, nicht begnuͤgen wollte: Ihre Kaiſerl. Koͤnigl. Majeſtaͤt haben ohne Zweifel das Recht, die Umſtaͤnde der Zeit nach eignem Gutduͤnken zu beurteilen, und niemand andern komt es zu, die Beſchaffenheit der Gefahr zu beſtimmen, welche Allerhoͤchſtdieſelben zu beſor - gen haben. Auſſerdem iſt allerhoͤchſt dero erwaͤhnte Er - klaͤrung ſo deutlich, daß man ſich nie vorgeſtellt, daß ienſeits eine Dunkelheit darin gefunden werden koͤnte. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 417.
a]
b]Ebendaſ. S. 404.
b]
c]Fr. C. v. Moſer a. a. O. S. 337.
c]
U 5§. 28.314Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 28. Maasregeln des fragenden Theils hierbey.

Finden die intereſſirten Nazionen die Antwort des andern Souverains nicht deutlich oder nicht hinlaͤnglich genug, ſo koͤnnen ſie nicht nur eine befriedigendere Erklaͤ - rung, ſondern auch, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, mehrere Sicherheit durch Abſtellung der beſorglichen Handlungen a] oder ſonſtige Garantie b] verlangen, auch die Erklaͤrung ernſtlicher Gegenvorkehrungen beifuͤ - gen. Werden iene abgeſchlagen, ſo bleibt nichts uͤbrig, als ſich in erfoderlichen Vertheidigungsſtand zu ſetzen, Obſervationskorps, Flotten ꝛc. auszuruͤſten und andere noͤthige Anſtalten zu treffen c]. Der Theil, ſagt Mo - ſer d], welcher durch eine unzulaͤngliche Antwort und Erklaͤrung in unnoͤthige Sorgen, Koſten und Gegenver - faſſung geſetzt worden iſt, kan von ienem eine billigmaͤſi - ge Entſchaͤdigung fodern, wie z. E. der Kaiſer von Spanien, als dieſe Krone einen Einfall in Italien beſorgen ließ. Er bemerkt aber auch an einem andern Ort e] ſehr wohl, daß es etwas rares ſey, wenn eine Potenz von der andern in ſolchem Falle Schadloshaltung bekomme. Hat uͤbrigens eine Nazion uͤberzeugende Be - weiſe von den feindlichen Abſichten der andern, ſo kan es ihn keinesweges verargt werden, wenn ſie dieſer zuvorzukommen, ſich dadurch Sicherheit zu verſchaffen und die ihr gedrohte Gefahr abzuwenden ſucht f].

Auch die Bundsgenoſſen und andere vermittelnde Maͤchte pflegen, wenn ihren guͤtlichen Vorſtellungen kein Gehoͤr gegeben werden will, oͤfters zu erklaͤren, daß ſie, im Fall es zum Ausbruch oͤffentlicher Feindſeligkei - ten kommen ſollte, die Parthie des Beleidigten ergreifen wuͤrden.

a]Der Koͤnigl. Preuſſiſche Miniſter von Klinggraͤf that 1756 wiederhohlte Vorſtellungen bey der Kaiſerin Koͤnigin Maj -wegen315Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.wegen der zu ertheilenden oberwaͤhnten beſtimten Erklaͤrung. Ungeachtet, aͤuſſerte derſelbe unterm 2. Sept., dem Koͤnige nichts mehr uͤbrig bleibe, als die zu ſeiner Sicherheit benoͤthigte Maasregeln zu ergreifen; ſo hat demungeach - tet dieſer Fuͤrſt, um ſein aufrichtiges Verlangen zu Erhalt - ung des Friedens und der gemeinſchaftlichen Ruhe zu erkennen zu geben, ſich entſchloſſen, abermalen dem En - desbenannten Miniſter aufzutragen, nunmehro zum drit - tenmale von der Kaiſerin Majeſtaͤt die Verſicherung zu verlangen: daß ꝛc. und ſchon vorher erklaͤrte derſelbe, daß, wenn man gegenſeitig von dieſem zur Zeit eines vollkom - nen Friedens gemachten Zuruͤſtungen nicht abſtehen wuͤr - de, Sr. Preußl. Maj. ſolches nicht anders als eine offen - bare Declaration feindſeliger Abſichten anſehn koͤnten. Moſers Verſuch 6. Th. S. 413. u. 419.
a]
b]So verlangte Rußland 1750, daß andere Maͤchte die Verſicherung der Krone Schweden, wegen Beibehaltung der bisherigen Regierungsform, garantiren ſolten. Merc. hiſt. 1750 T. I. p. 304. u. Moſers Verſuch a. a. O. S. 391. u. f.
b]
c]Die Ruſſiſche Kaiſerin erklaͤrte 1749 in eben dieſer Ange - legenheit, als ihr die ſchwediſche Verſicherung nicht zuver - laͤſſig genug ſchien: daß Sr. Kaiſerliche Majeſtaͤt aller Reußen ſich bemuͤßiget ſaͤhen, Trouppen nach Finnland marſchiren zu laſſen, die ſo lange daſelbſt verbleiben ſolten, bis ein neuer Koͤnig ausgerufen und von demſelben der Eid abgelegt worden, daß er die gegenwaͤrtige Regier - ungsform handhaben und die Tractaten, namentlich den zu Neuſtadt, beobachten wolle. Ebendaſ. S. 388.
c]
d]Ebendaſ. S. 405.
d]
e]Verſuch ꝛc. 3. B. 3. K. §. 9. S. 257. [Th.]
e]
f]Als Frankreich 1741 wegen der von Grosbritannien ihm zugefuͤgten Beleidigungen in Amerika, nach vergeblichenVor -316Von der Freiheit der Nazionen, ihreVorſtellungen, ſeine Eſcadern zu Breſt und Toulon aus - laufen ließ, ward in der Anzeige der Urſachen ꝛc. geaͤuſ - ſert: weil der grosbritanniſche Abgeſandte keine Antwort auf eine ſo wichtige Sache gab, erachtete der Koͤnig fuͤr noͤthig, es nicht laͤnger zu verſchieben, ſeine Schiffe aus - zuruͤſten, um ſich in den Stand zu ſetzen, einer Gefahr zuvorzukommen, die alle Tage dringender ward. Fr. C. v. Moſer a. a. O. S. 345. In dem letztern Kriege zwiſchen Frankreich und Grosbritannien gab erſterer Hof in dem Expoſé des motifs etc. vom 13. Jul. 1779 zu erkennen: La Cour de Londres faiſoit dans ſes Ports des préparatifs et des armemens, qui ne pouvoient avoir l Amerique pour objet. Leur but etoit par conſequent trop determiné, pour que le roi put ſ’y meprendre; et dès-lors il devint d un devoir rigou - reux pour S. Majeſté de faire des diſpoſitions ca - pables de prevenir les mauvais deſſins de Son ennemi et des depredations et des inſultes pareilles à celles de 1755.
f]

§. 29. Ob eine Nazion gewiſſe Vorrechte verlan - gen koͤnne?

So wie unabhaͤngige Nazionen, der Regel nach, kein Recht haben, einander in ihren Handlungen Ein - halt zu thun, ſo gehoͤrt es auch zu ihrer natuͤrlichen Frei - heit, nach Gefallen, einem Volke gewiſſe Vorrechte im Ceremoniel, in der Handlung ꝛc. vor andern zu geſtat - ten, ohne daß dieſe, wenn ſonſt ihren Rechten dadurch nicht zu nahe getreten wird, befugt waͤren, ein Glei - ches zu verlangen: denn die Nazionen ſind zwar ein - ander gleich; aber dieſe Gleichheit erſtreckt ſich nicht weiter, als auf die natuͤrlichen Rechte. Jeder iſt es uͤbrigens unverwehrt, ſolche durch Vertraͤge ꝛc. zu erwei -tern317Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.tern und zu vermehren, wenn die andern ihm dergleichen geſtatten wollen. Nur kan dies mit vollkomnen Rechte eben ſo wenig verlangt, als, ohne beſondere Verguͤn - ſtigung gehindert werden, daß eben dieſe erworbenen Rechte nicht auch den uͤbrigen Nazionen zugeſtanden werden.

*]J. J. Moſers Verſuch 8. B. 4. K. S. 420. u. f. [6. Th.] Spanien ließ ſich 1726 in Betref der Oſtin - diſchen Compagnie, gegen die vereinigten Niederlande alſo heraus: Il eſt évident, que l independance ſouveraine ſeroit bleſſée, ſ il falloit rendre compte à quelque Potentat que ce fut, des privilèges ou autres facilités pour le commerce, qu un Monarque accorde dans ſon royaume à quelque nation ou ſujets d un autre mo - narque ou prince, comme perſonne n ignore, que cela eſt du Domaine abſolu de Souveraineté, et que cela depend de ſon libre arbitre, on ſcait auſſi, que ſa Ma - jeſté n’a ſigné aucun traité et ne ſ’eſt engagée de refu - ſer aux uns les faveurs qu’elle donne aux autres, par - ce qu’elle ſe priveroit par de cette liberté abſolue fi eſſentielle aux Souverains. Fr. C. v. Moſer a. a. O. S. 314.
*]

§. 30. Rechte und Verbindlichkeiten der halbſou - verainen Staaten.

Die in den vorhergehenden §. §. aufgeſtelten Grund - ſaͤtze des nothwendigen, freiwilligen und poſitiven Voͤl - kerrechts ſind groͤßtenteils auch auf die halbſouverainen Staaten, beſonders auf die teutſchen Reichsſtaͤnde anwendbar a]. Nur muͤſſen dieſe bey allen ihren Hand - lungen, auſſer ienen Ruͤckſichten auch die Verfaſſung und Grundgeſetze des Staats, deſſen Mitglieder ſie ſind, ſich zur Richtſchnur dienen laſſen, und dieſelben alſoeinrich -318Von der Freiheit der Nazionen, ihreeinrichten, wie ſie ſolche nicht blos vor Gott, ſondern auch vor dem Reiche zu verantworten ſich getrauen, weil ſie, widrigenfals auf gerichtliche oder andere Weiſe, vor dem Oberhaupte zur Verantwortung gezogen werden koͤnnen; dahingegen die ganz ſouverainen Nazionen, im uͤbrigen der Regel nach, in allen Stuͤcken, nach einer uneingeſchraͤnkten Freiheit handeln, und niemand des - halb Rechenſchaft geben duͤrfen b].

Jedoch findet dieſe Einſchraͤnkung bey den teutſchen Reichsſtaͤnden nur in Abſicht auf das Oberhaupt, dem ſie untergeordnet, und auf ihre Mitſtaͤnde ſtatt, und zwar nicht weiter, als die Grundgeſetze und das Her - kommen des Reichs es erfodern. Auſſerdem und im Verhaͤltniß gegen Auswaͤrtige haben ſie obgezeigterma - ßen die voͤllige Uebung der Souverainetaͤtsrechte, folg - lich auch voͤllige Freiheit der Handlungen c].

Selbſt der roͤmiſche Kaiſer, als Oberhaupt des teutſchen Reichs, kan die Freiheit der Reichsſtaͤnde in ihren innern Angelegenheiten nicht wilkuͤhrlich ein - ſchraͤnken, ſondern deſſen Gerechtſame in den reichsſtaͤn - diſchen Landen beruhen groͤßtenteils auf beſtimte Grund - vertraͤge und Herkommen. Derſelbe verbindet ſich in der Wahlcapitulation Art. I. §. 8. ausdruͤcklich: Wir wollen weder denen Reichsgerichten, noch ſonſt iemand, wer der auch ſeye, geſtatten, daß denen Staͤnden in ihren Territoriis in Religions - Politiſchen - Juſtitz - Ca - meral - und Criminalſachen ſub quaeunque praetextu, wider die Reichsgeſetze, den Friedensſchluß, oder aufgerichtete, rechtmaͤſige und verbindliche Pacta vor - oder eingegriffen werde; ingleichen Art. XII. §. 4. daß denen Reichsgerichten keinesweges geſtattet werde, in die innern Kriegs - Civil - und Oekonomiſche Verfaſ - ſungen derer Reichskreiſe Hand einzuſchlagen, daruͤber auf einigerley Weiſe zu erkennen, oder wohl gar Proceſſe ausgehen zu laſſen. Bey Handlungen in auswaͤrtigerBe -319Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Beziehung iſt blos die angezogene Vorſchrift des §. 4. Art. VI. der Wahlcapitulation zu befolgen d]. Die Art der Zuredeſtellung, oder vielmehr Ahndung, bey einem, ienen Grundſaͤtzen zuwider laufenden Unternehmen, geben die Reichsgeſetze ſattſam an die Hand.

Auch kein Mitſtand iſt befugt ſich in die innere Regierungsverfaſſung des andern zu miſchen, ſondern ieder handelt hierin frey, in ſoweit ihm, ſo wie iedem andern ſouverainen Staat, durch Vertraͤge, ſogenante Staatsrechtsſervitute, Garantien der Landesvertraͤge, Herkommen ꝛc. die Haͤnde nicht gebunden ſind und den uͤbrigen kein Nachtheil dadurch zuwaͤchſt e]. Die engern geſelſchaftlichen Bande, welche ſaͤmtliche Staͤnde in einen Staatskoͤrper vereinigen, erfodern hierin allerdings mehrere Behutſamkeit, als unter ganz ſouverainen Na - zionen f]. Die Maasregeln der Reichsſtaͤnde gegen einander im Falle eintretender Beſchwerden, ſind in dem Landfrieden und andern Reichsgrundgeſetzen ebenfals beſtimt. In Anſehung des Reichs, einander zu Rede zu ſtellen, ahndete der Kaiſer in einem Commiſſionsde - kret vom 12. April 1720, daß die Reichsſtaͤnde bey dem Reichsconvent einander unter ſich, nach kaum an - gebrachten Klagen, ohne Richter oder Mittler, gleichſam zu Rede ſtellen und bedrohen wolten, da doch der Kaiſer nicht glauben koͤnne, daß ein Stand oder ein Theil des Reichs den andern eigenmaͤchtig zu Rede zu ſtellen befugt ſey g].

Auswaͤrtige Nazionen haben eben ſo wenig Recht, ſich in die Staatsgeſchaͤfte der teutſchen Reichsſtaͤnde, als in die Angelegenheiten irgend eines ganz ſouverainen Staats zu miſchen, oder ſie deshalb zu Rede zu ſtellen, ob es gleich bey der Mindermaͤchtigkeit vieler Reichsſtaͤn - de, freilich nicht ſelten geſchieht h]. Dieienigen indes, deren Verfaſſung es zulaͤßt, koͤnnen dagegen aller einem ſouverainen Staate erlaubten Vorkehrungen ſich bedienen.

a]320Von der Freiheit der Nazionen, ihre
a]Moſers Nachbarliches Staatsr. 2. B. 1. K. §. 7. S. 79.
a]
b]Ebendeſſelben Verſuch ꝛc. 1. Th. S. 37.
b]
c]Daß iedoch, wie Art. VI. §. 4. der Wahlcapit. in An - ſehung der Buͤndniſſe bedungen, alles unverletzt des Eides geſchehe, womit ein ieder Stand dem regierenden roͤmi - ſchen Kaiſer und dem heiligen roͤmiſchen Reich verwandt iſt.
c]
d]Man vergl. Inſtr. Pac. Oſn. Art. VIII. §. 2.
d]
e]So heißt es z. B. in der Wahlcapit. Art. XV. §. 8. Immaſen denn auch Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤnden ꝛc. zugelaſſen und erlaubt ſeyn ſoll, ſich nach der Verord - nung der Reichsconſtitutionen bey ihren hergebrachten und habenden landesfuͤrſtl. und herrlichen Juribus ſelbſten und mit Aſſiſtenz derer benachbarten Staͤnden wider ihre Un - terthanen zu manuteniren, und ſie zum Gehorſam zu bringen, iedoch andern benachbarten oder ſonſt in - tereſſirten Staͤnden ohne Schaden und Nachtheil. vergl. Moſers Nachbarl. St. R. S. 249. u. f.
e]
f]Man ſehe J. St. Puͤtters Abh. von beſondern Beſtim - mungen der Landeshoheit aus der gemeinſamen Verbin - dung, worinnen alle Reichsſtaͤnde unter einander ſtehn; in deſſen Beitr. zum teut. Staats - und Fuͤrſtenr. 1. Th. S. 293. u. f.
f]
g]Moſers nachbarl. Staatsr. 2. B. 1. K. §. 7. S. 78.
g]
h]Ebendeſſelb. ausw. Staatsr. 2. B. 13. K. §. 4. S. 161. u. 4. B. 3. K. S. 292. u. f.
h]
*]Einigermaſen gehoͤren hierher: Nic. Eph. Lyncker diſſ. de libertate ſtatuum imperii, Ien. 1678 und Ejusdem diſſ. de his quae principum ſtatuumve impe - rii libertati perperam accenſentur, ib. eod.
*]
Fuͤnf -321

Fuͤnftes Kapitel. Von der Macht der Nazionen und deren Gleichgewicht.

§. 1. Recht der Nazionen ſich zu vergroͤßern.

Das Verlangen nach Gluͤckſeligkeit iſt, wie ſchon oben [2. Kap. §. 8.] gedacht worden, die Haupt - triebfeder menſchlicher Handlungen, der Grund der Staatsvereine ſowohl, als der geſelſchaftlichen Verbin - dung der Voͤlker. Dieſer Trieb iſt von der Natur ſelbſt eingepflanzt. Ihm zu Folge ſind einzelne Menſchen und ganze Nazionen verbunden, fuͤr ihre Erhaltung und Vervollkomnung moͤglichſt zu ſorgen, und berechtigt aller erlaubten Mittel ſich zu bedienen, welche dieſer Abſicht entſprechen a]. Macht und Anſehn ſind Haupt - vollkommenheiten eines Volks und die vorzuͤglichſten Mittel zu Befoͤrderung ſeiner Erhaltung, Sicherheit und Ruhe, indem ſie es nicht nur gegen innere Zerruͤttungen, ſondern auch gegen aͤuſſere Anfaͤlle und Unterdruͤckung in erfoderlichen Vertheidigungsſtand ſetzen. Das Beſtre - ben nach Vergroͤſſerung der Macht iſt daher ohnſtreitig eine der erſten Pflichten der Voͤlker gegen ſich ſelbſt: und vermoͤge der algemeinen Freiheit, ihre Handlungen nach Gefallen einzurichten, iſt keine Nazion befugt, der andern hierunter Einhalt zu thun, ſo lange iene ſich rechtmaͤſiger dieſer unſchaͤdlicher Mittel bedient.

a]Wolf. J. G. c. I. §. 35. u. 70. c. VI. §. 640.
a]
X§. 2.322Von der Macht der Nazionen

§. 2. Misbrauch deſſelben.

Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem Gebrauche der natuͤrlichen Freiheit der Voͤlker uͤberhaupt feſtgeſetzt worden, finden auch hier bey der Vergroͤſſe - rung ihrer Macht ſtatt. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande duͤrfen die Nazionen, nach dem nothwendigen Voͤlkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Ruͤck - ſicht nehmen, daß die Gerechtſame einzelner Voͤlker dadurch nicht beleidigt werden: aber die geſelſchaftliche Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergeſtalti - ge Maͤſſigung der Vergroͤſſerungsbegierde, damit die algemeine Sicherheit und Ruhe dieſer großen Geſelſchaft weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die erlangte Macht ſelbſt geſtoͤrt und dieſe auf den Ruin anderer gebaut werde. Die Voͤlker haben um ſo mehr Urſache, deshalb auf ihrer Hut zu ſeyn, da die Erfahrung aller Jahrhunderte lehrt, daß, ſo wenig auch die zufaͤl - lige Eigenſchaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor - zug zu gewaͤhren im Stande iſt, die maͤchtigern Staaten dennoch, unter einigen Schein, ein gewiſſes Recht des Staͤrkern auszuuͤben und ſich auf Kaſten der Schwaͤ - chern immer mehr zu vergroͤſſern geſucht haben a].

a]Semper ita moris fuit, inferiorem a potentiore ſubiu - gari ſagt Thucidides im erſten Buche.
a]

§. 3. Abſichten verſchiedener Nazionen auf eine Univerſalmonarchie.

Einige Fuͤrſten aͤlterer und neuerer Zeiten ſind, ſtolz und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in ihrem Vergroͤſſerungsſyſtem ſo weit gegangen, daß ſienichts323und deren Gleichgewicht.nichts geringeres zur Abſicht gehabt, als ſich, wenn auch nicht zu Monarchen der ganzen Welt, doch wenigſtens zu Beherrſchern des betraͤchtlichſten Umfangs dieſes oder ienes Welttheils zu erheben. Einer ſolchen weitumfaſ - ſenden Herrſchaft hat man den Namen der Univerſal - monarchie beigelegt. Sie laͤßt ſich in einem doppelten Verſtande nehmen: entweder es muͤſten die uͤbrigen Nazionen nur einen algemeinen Regenten fuͤr ihren Beherrſcher erkennen und wie z. B. Teutſchland unter ein einiges Oberhaupt vereinigt ſeyn; oder man kan auch das billig fuͤr eine Univerſalmonarchie anſehn, wenn ein Staat durch Schwaͤchung der uͤbrigen ſich in ſolche Verfaſſung ſetzt, daß dieſe aus Furcht oder andern Beweggruͤnden in allen Stuͤcken dem Verlangen iener Macht ſich fuͤgen und ihre Handlungen deren Abſichten gemaͤß einrichten muͤſſen a]. Eine Univerſalmonarchie der erſtern Art war wohl hauptſaͤchlich das Werk der aͤltern Welteroberer b], wohin man die Chaldeer, Aſſy - rer, Perſer, Meder, Griechen c] und Roͤmer d] zaͤhlt. Nach dem Untergange des weitlaͤuftigen roͤmiſchen Reichs wagte lange kein Volk dieſen ſtolzen Gedanken wieder. Die Abſichten Karls des Großen und ſeiner Nachfolger wurden durch die paͤpſtliche Hierarchie zu ſehr beſchraͤnkt e]. In neuern Zeiten f] waren die Tuͤrken g] eine zeitlang furchtbar durch ihre Eroberungen: beſonders aber hat man Frankreich und dem Spaniſch-Oeſterreicht ſchen Hauſe hauptſaͤchlich eine zwar nicht ſo auffallende, iedoch eben ſo gefaͤhrliche Vergroͤſſerungsabſicht, naͤmlich das Beſtreben nach einer Univerſalmonarchie im zweiten Verſtande beigemeſſen. Dieſe zuweilen oͤffentlich dar - gelegte Abſichten ſind mehrenteils mit dem Deckmantel der Religion oder anderer guten Abſichten beſchoͤnigt worden h]. Die Univerſalmonarchie im erſtern Verſtan - de wuͤrde, wenn ſie moͤglich waͤre, vielleicht noch den weſentlichſten Nutzen ſtiften, weil ſie durch oberſtrich -X 2terliche324Von der Macht der Nazionenterliche Entſcheidungen den Kriegen ein Ende machte. Allein der Abt St. Pierre urteilt ſehr richtig, wenn er ſagt: L’idée de conquerir L Europe eſt une idée par - faitement chimerique i].

a]J. J. Schmauß in der Einleitung zur Staatswiſſen - ſchaft ꝛc. 1. Th. Anhang: Raiſonnement uͤber den gegenwaͤrtigen Zuſtand der Balance von Europa ſagt: Der gemeine Haufe ſtelt ſich bey der Univerſalmo - narchie vor, ein ſolcher Monarch wuͤrde immediate in allen Laͤndern von Europa das Regiment fuͤhren, alle andere Regenten veriagen, die Unterthanen um alle Rech - te, Freiheiten, Geſetze und Gewohnheiten bringen, und dergleichen. So lange nun dieſes nicht geſchieht; ſo lange ſie ſehen, daß in Spanien, Sardinien, Neapel, Engelland, Holland, Teutſchland ꝛc. noch abſonderliche Regenten vorhanden ſind, und dieſe Reiche nicht unter einem Haupte ſtehen, ſo laſſen ſie ſich bethoͤren, es waͤre alles in genugſamer Sicherheit. Sie bedenken nicht, daß es einem Univerſalmonarchen unmoͤglich ſey, ſelbſt in Perſon ein iedes Reich in Europa zugleich und immediate zu regieren; daß er ſeine Oberherrſchaft nothwendig durch ſubalterne Regierungen fuͤhren muͤſſe: daß es ia gleichguͤl - tig ſey, ob die Subalternen den Titel von Amtleuten, oder Gouverneurs, oder Vice-Ré, oder Koͤnigen fuͤhren; daß alſo eine veritable Univerſalmonarchie und Oberher - ſchaft uͤber viele Koͤnigreiche zugleich ſeyn koͤnne, wenn gleich dieſe nicht immediate unter einem Haupte ſtehen, ſondern iedes Koͤnigreich ſeinen beſondern ſubalternen Re - genten unter dem aͤuſſerlichen Schemate eines Koͤnigs behaͤlt.
a]
b]L. M. Kahle de trutina Europae §. 1.
b]
c]Curtius L. IX. c. 6. erzaͤhlt uns, daß Alexander der Große ſelbſt einſt gegen ſeine Freunde geaͤuſſert: Orſus a Macedonia imperium, Graeciam teneo, Thraciam etIlly -325und deren Gleichgewicht.Illyricos ſubegi: etc. iamque haud procul abſum a fine mundi, quem egreſſus aliam naturam alium orbem aperire mihi ſtatui.
c]
d]Die Herſchaft der Roͤmer war ohnſtreitig eine der weit - laͤuftigſten; in wiefern ſie aber den Titel: Herrn der Welt verdient, davon iſt ſchon oben im 2. Kap. etwas geſagt worden.
d]
e]Neyron principes L. I. c. 2. Art. 2. §. 31 36.
e]
f]Kahle a. a. O. §. 2. 3. 4. Man vergl. Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Frz. 1. B. 7. Kap. Von dem Project einer Univerſalmonarchie in Europa S. 61. u. f.
f]
g]Sie hatten, beſonders unter Solimann II. bereits den groͤßten Theil von Aſien im Beſitz, und anſehnliche Erobe - rungen in Europa gemacht. Haͤtten ſie, wie Stiſſer in den Erinnerungen uͤber Kahlens Abhandlung bemerkt, nicht eine unmittelbar beherſchte Univerſalmonarchie zum Endzweck gehabt, ſo wuͤrden ihre Abſichten in der Folge vielleicht weniger vereitelt worden ſeyn. Erinnerungen ꝛc. S. 52.
g]
h]Kahle a. a. O. §. 21.
h]
i]Huldenburg de Aequilibrio, C. I. §. 4. u. 5.
i]

§. 4. Vereitelung derſelben durch das Syſtem des Gleichgewichts.

Bisher hat es iedoch noch keinem Volke gegluͤckt, eine eigentliche unmittelbar beherſchte Univerſalmonarchie zu errichten: und dieſe wird, nach dem Urteile der ein - ſichtsvolſten Politiker a] wahrſcheinlich nie zu Stande kommen. Ein Fuͤrſt, der einen ſolchen Plan auszufuͤh - ren unternaͤhme, wuͤrde, beſonders nach der heutigenX 3Ver -326Von der Macht der Nazionen.Verfaſſung, gegen die ungerechten und gewaltſamen Schritte, die dabey unvermeidlich waͤren, zu vielen Widerſtand finden. Geſetzt aber auch, daß er das Ziel ſeiner Wuͤnſche erreichte, ſo wuͤrde dieſes ungeheuere Gebaͤude, ſeiner eignen Groͤße wegen, von ſelbſt bald wieder zerfallen, da es nothwendig beſtaͤndigen innern Gefahren und Erſchuͤtterungen ausgeſetzt ſeyn muͤſte. Von ieher ſuchten aber auch die Nazionen, theils aus Neid, theils um ihrer eignen Erhaltung und Sicherheit willen b] zu verhindern, daß ein Staat zu einer Macht anwachſe, die ihnen ſaͤmtlich den Untergang zu drohn im Stande waͤre c]. Sie befolgten hierin den ſehr ver - nuͤnftigen Grundſatz, welcher in neuern Zeiten das Syſtem des Gleichgewichts erzeugt, Benennung und mehrere Ausbildung erhalten hat.

a]ſ. des Freiherrn von Bielefeld, Lehrbegriff der Staats - kunſt 2. Th. 4. Hauptſt. §. 19. und Ad. Rechenberg diſſ an monarchia uniuerſalis in Europa ſit expectan. da? in ſeiner diſſ. hiſt. n. XII.
a]
b]Cette balance politique nait naturellement de la jalou - ſie reciproque, iuſte et raiſonnable des ſocietés et des nations, v. Herzberg am nachher angefuͤhrten Orte.
b]
c]Beiſpiele aus den aͤltern Zeiten findet man in Teſmari not. und Cocceji Comment. ad Grot. J. B. et P. L. II. c. I. §. 17.
c]
*]Es giebt eine Menge beſonderer Schriftſteller uͤber das Gleichgewicht. Die vorzuͤglichſten ſind: Io. Iac. Lehmanni trutina vulgo bilanx Europae nor - ma belli pacisque hactenus a ſummis imperantibus habita etc. Ienae 1716 8. Ge. Lud. Erasm. de Huldenberg diſſ. de aequilibrii alioque legali juris gentium arbitrio in gentiumcon -327und deren Gleichgewicht.controuerſiis pacis tuendae cauſa interponendo, Helmſt. 1720 1748. 4. Lud. Mart. Kahle diſſ. de trutina Europae quae vulgo appellatur die Balance von Europa, praecipua belli et pacis norma, Goetting. 1744. Auch franzoͤſiſch unter dem Titel: La balance de l Europe etc. à Ber - lin 1744. 8. Daruͤber kamen: Freimuͤthige und beſcheidene Erin - nerungen ꝛc. Leipzig 1745 u. 1746. und dagegen; Neue Erlaͤuterungen ꝛc. Hannov. 1746. 8. heraus. J. J. Schmauſſens Einleitung zu der Staatswiſſen - ſchaft ꝛc. enthaͤlt im erſten Theile hauptſaͤchlich. Die Hiſtorie der Balance von Europa ꝛc. Sur la veritable richeſſe des états, la balance du com - merce et celle du pouvoir. Diſſertation, qui a été lue dans l aſſemblée publique de l Académie des ſcences et des Belles-lettres à Berlin par M. de Herzberg 1786.
*]

§. 5. Begrif des Gleichgewichts.

In Beſtimmung des Begrifs vom Gleichgewichte kommen nicht alle Voͤlkerrechtslehrer uͤberein, wie wohl ſie im Hauptwerke ziemlich einig ſind a]. Einer unſerer groͤſten Staatsmaͤnner, der Herr Staatsminiſter von Herzberg giebt uns eine Beſchreibung davon b], die ich mit algemeinem Beifal hier aufnehmen zu duͤrfen mit Grunde hoffen kan. Das politiſche Gleichge - wicht, ſagt derſelbe, iſt nichts anders, als eine ausdruͤckliche oder ſtilſchweigende Vereinigung gewiſſer mindermaͤchtiger Staaten, um ihre Erhaltung, ihre Freiheit und ihr Eigenthum zu ſichern, und mit vereinig - ten Kraͤften die weitern Vorſchritte und ſehr weit um ſichX 4grei -328Von der Macht der Nazionengreifenden wuͤrklichen, oder moͤglichen Abſichten irgend einer Macht zu hindern, die durch mancherley Gluͤcks - faͤlle und Ereigniſſe ſchon uͤberwiegend geworden iſt, oder es noch mehr zu werden ſucht. Es komt dabey nicht eben auf eine phiſiſche Gleichheit iedes einzelnen Volks in Vergleichung zum andern an, wie es einige und beſonders auch der Verfaſſer der Erinnerungen gegen Herrn Kahle genommen zu haben ſcheint c], ſondern es muß iederzeit das Ganze gewiſſer in geſelſchaftlicher Verbindung ſtehender Nazionen in Betrachtung gezogen werden. Keine aus dieſer Geſelſchaft ſoll, nach dem Syſtem des Gleichgewichts, ſich zu einer ſolchen Ueber - macht erheben und ein ſolches Uebergewicht erlangen; daß die uͤbrigen, wenn dieſe Nazion ihre Macht zu deren Unterdruͤckung misbrauchen wolte, mit vereinten Kraͤften nicht vermoͤgend waͤren derſelben Widerſtand zu thun. Die einzelnen Staaten gegen einander koͤnnen und moͤgen an Macht noch ſo ungleich ſeyn, oder es durch neue Erwerbungen oder Verminderungen werden. Uebrigens folgt ſehr natuͤrlich, daß das Gleichgewicht mancherley Veraͤnderungen unterworfen ſeyn muͤſſe, nachdem die Macht der einen oder andern Parthey durch Erwerbungen oder Buͤndniſſe ſich vergroͤſſert d].

a]Z. B. Kahle a. a. O. ſagt: Eſt trutina ſeu bilanx gentium, vulgo die Balance inſtitutum gentium, quo imperia ita confirmantur, ut proportio virium determi - nata ſervetur; ne in damnum aliorum nimis augeatur, ſed ſalus communis populorum commode ſuſtineatur. Ickſtadt L. IV. c. 7. §. 6. giebt davon dieſen Begrif: Aequilibrium inter gentes dicitur talis populorum plurium ad ſe invicem relatorum ſtatus atque conditio, ut increſcenti unius vel quorundam potentiae aequale ſemper virium robur opponi atque ita, ne nocere poſ - ſit, effici valet, womit auch Wolf C. VI. §. 642. groͤßtentheils einſtimt.
a]b] Am329und deren Gleichgewicht.
b]Am ang O. S. 9. heißt es: Cette balance politique n eſt autre choſe que l union contractée ſoit formelle - ment ſoit tacitement entre certains Etats d’une moin - dre puiſſance, pour mettre en ſûreté leur exiſtence, leur liberté et leurs poſſeſſions en empêchant par leurs forces réunies les progrès ulterieurs et les deſſins trop vaſtes, réels ou poſſibles, de telle autre puiſſance qui eſt déja devenue preponderante par toutes ſortes de chances et d événemens, ou qui veut le devenir encore davantage.
b]
c]S. 141. u. f.
c]
d]Neyron L. I. c. 2. Art. 3. §. 37. u. f.
d]

§. 6. Beſtimmung der Uebermacht.

Macht und Uebermacht ſind ſehr relative Begriffe, die blos in Vergleichung mit Mindermaͤchtigen beſtimt werden koͤnnen. Der Maasſtab, wornach man die vermeintliche Uebermacht einer Nazion aus der großen Voͤlkergeſelſchaft beurteilen muß, ſind die Kraͤfte der uͤbrigen mindermaͤchtigen Staaten, deren Erhaltung, Freiheit und Sicherheit erfodert, gemeinſchaftliche Sache gegen iene zu machen, wenn Gefahr der Unter - druͤckung ihnen bevorſtehn ſolte. Uebertrift die Macht der erſtern Nazion und ihrer Bundsgenoſſen die verei - nigte Macht mehrerer geringern Voͤlker dergeſtalt, daß ſie bei einem ienſeitigen gewaltſamen Angriffe nothwen - dig unterliegen muͤſten, ſo iſt das Gleichgewicht aufge - hoben und offenbar eine Uebermacht vorhanden. Die Gegner dieſes Syſtems nehmen von den Schwierig - keiten in Beſtimmung der Machtverhaͤltniſſe einen Haupteinwand her, der iedoch auf irrigen Vorausſetz - ungen beruht a].

X 5Die330Von der Macht der Nazionen

Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be - voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch - lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung; iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden, doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern Vergroͤſſerung gewaͤhren.

Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um - ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu - weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun - gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor - handen e].

Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi - ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſehaben,331und deren Gleichgewicht.haben, das Gleichgewicht zu zerruͤtten im Stande ſey.

Allerdings iſt iedoch die Beantwortung der Frage: ob eine Verletzung des Gleichgewichts wuͤrklich vorhan - den ſey? in einzelnen Faͤllen mit mancherley Bedenklich - keiten verknuͤpft, weil es an einem unpartheiiſchen Rich - ter fehlt, welcher den Ausſpruch thun koͤnte. Dem mit Vergroͤſſerungsabſichten befangenem Staate kan die Beurteilung eben ſo wenig uͤberlaſſen werden, als einem oder dem andern einzelnen Volke, das vielleicht blos ſeines Privatnutzens wegen die Macht ſeines Nachbars fuͤr zu gefaͤhrlich anſieht. Es muß hier ohnſtreitig auf das Urteil und den Ausſpruch ſaͤmtlicher uͤbrigen Nazio - nen oder, wo moͤglich, eines dritten dabey am wenigſten intereſſirten vermittelnden Volks ankommen f]. Da man heutzutage die Staͤrke und Schwaͤche der Voͤlker in Anſehung ihrer Einkuͤnfte, Kriegsheere und uͤbrigen Verfaſſung ziemlich genau anzugeben weiß, ſo duͤrfte das iedesmalige Machtverhaͤltnis minder ſchwer zu beſtimmen ſeyn.

a]Der Verfaſſer der Erinnerungen [S. 131. u. f.] hat ſich viele Muͤhe gegeben deshalb den Kahliſchen Begriff vom Gleichgewichte zu verwerfen. Aber immer nimt er nur auf das Verhaͤltnis eines einzelnen Staats zum andern einzelnen Ruͤckſicht; woraus natuͤrlich folgt, daß ein Gleichgewicht unter ihnen nicht fuͤglich Statt finde; daß es moͤglich ſey, daß ein Staat zum Schaden des andern ſeine Kraͤfte gar zu ſehr vermehre und ſolche Vermehrung doch die Staatswage im mindeſten nicht verruͤcke ꝛc. Je - doch ſieht er gar wohl ein, worauf es ankomme, indem er ſagt: In der That aber iſt die Balance der Voͤlker entweder eine leere Erfindung muͤſſiger Koͤpfe, deren An - wendung in den oͤffentlichen Kriegs - und Friedensgeſchaͤf - ten weder Nutzen ſchaft, noch Statt findet, oder ihrweſent -332Von der Macht der Nazionenweſentlicher Vorwurf muͤſſen die großen Vermehrungen der Macht ſeyn, wozu ein Volk von Gott und Rechtswegen befugt iſt, deren Erlangung aber andere Nazionen der Gefahr einer kuͤnftigen Unterdruͤckung ausſetzt, ohne ihnen die Ueberzeugung zu geben, daß ſie dieſem itzo noch kuͤnf - tigen Uebel, bey deſſen wuͤrklichem Einbruch werden widerſtehn koͤnnen. S. 154.
a]
b]In der Chimaͤre des Gleichgewichts von Europa 2. Hauptſt. S. 27. u. f.
b]
c]Lehmann c. III. §. 8. Neyron L. I. c. 2. Art. 3. §. 37.
c]
d]Kahle §. XVI.
d]
e]Ickſtadt L. IV. c. 7. §. 7. u. 9.
e]
f]Lehmann a. a. O. §. 16.
f]

§. 7. Grund des Gleichgewichts.

In dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande findet freilich kein Syſtem des Gleichgewichts Statt. Im Verhaͤltnis der einzelnen Nazionen gegen einander ſorgt iede nur fuͤr ſich und ihre Vergroͤſſerung, ohne irgend eine andere zu beleidigen: ihnen ſaͤmtlich iſt er nichts weiter ſchuldig. Dieſe koͤnnen daher ſeinem Anwuchs mit Grunde keine Hinderniſſe in den Weg legen. Eben ſo wenig iſt dieſes Syſtem aber auch eine nothwendige und unmittelbare Folge der geſellſchaftlichen Verbindung. Die Voͤlker ſind zwar ſchuldig, hier nicht blos auf ihr eigenes, ſondern auch auf das Wohl des Ganzen Be - dacht zu nehmen, und keiner ſolchen Maasregeln ſich zu hedienen, wodurch der Erhaltung und Sicherheit der uͤbrigen insgeſamt zu nahe getreten wird; Allein die Macht an und fuͤr ſich ſchließt keinen Eingrif in dieGerecht -333und deren Gleichgewicht.Gerechtſame anderer in ſich. Hat der Maͤchtige gleich mehr Kraͤfte zu ſchaden, ſo iſt doch der Grundſatz des Hobbes und ſeiner Anhaͤnger: daß der, welcher die Kraͤfte zu ſchaden habe, ſolche gewis auch dazu anwen - den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel - mehr ſollte man folgern, daß eine Nazion, die der gemeinſchaftlichen Gluͤckſeligkeit halber mit andern in Verbindung getreten iſt, ihre Macht auch dieſem edlen Zwecke gemaͤs gebrauchen werde. Was ſolten die uͤbri - gen alſo fuͤr Grund haben, ſich der Vergroͤſſerung einer andern zu widerſetzen?

Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewaͤhrt hat, daß maͤchtige Staaten ihre Kraͤfte leider! nur zu oft zur Unterdruͤckung ihrer Mitſtaaten gemisbraucht haben, ſo erfoderte auch die Klugheit der Mindermaͤchtigen dagegen alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anſtalten zu treffen: und da, wie ſchon in der Einleitung §. 22. erinnert worden, bey den geſelſchaftlichen Pflichten der Voͤlker auch nothwendig auf die nach und nach entſtandenen Zufaͤlligkeiten Ruͤckſicht zu nehmen iſt, ſo kan man den Grund des Syſtems vom Gleichgewichte fuͤglich in dem freiwilligen Voͤlkerrechte ſuchen. Hauptſaͤchlich aber beruht es theils auf ſtilſchweigende, theils auf ausdruͤck - liche Vertraͤge der Nazionen b], wodurch ſie ihrer na - tuͤrlichen Vergroͤſſerungsfreiheit, zum Beſten des Gan - zen, Schranken zu ſetzen fuͤr gut befunden haben c]. Ehemals gruͤndete ſich daſſelbe groͤßtentheils auf ſtil - ſchweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein - willigung d], und erſt in neuern Zeiten hat man dieſe auch durch ausdruͤckliche Vertraͤge zu beſtaͤtigen geſucht, wie aus der folgenden Geſchichte erhellen wird.

a]Nic. Hier. Gundlingii ſtatus naturalis Hobbeſii in Cor - pore I. C. defenſus et defendendus, Halae 1706. 4. Viele Voͤlkerrechtslehrer nehmen dieſen als den Haupt -grund -334Von der Macht der Nazionengrundſatz des Gleichgewichtsſyſtems an, als Kahle §. 6. etc. Ihn widerlegt beſonders v. Juſti a. a. O. S. 88. Man vergl. auch Glafeys Voͤlkerr. c. II. §. 78. u. f.
a]
b]Kahle §. IV. u. V.
b]
c]Glafey am a. O. §. 77.
c]
d]Jedoch fehlt es auch an Beiſpielen nicht, wo die aͤltern Nazionen daſſelbe ausdruͤcklich zur Richtſchnur angenom - men haben. Merkwuͤrdig iſt die Erzaͤhlung des Poly - bius 1. B. 83. K. vom Sicilianiſchen Koͤnige Hiero: Hiero autem animum ad eam rem advertens, toto quidem belli tempore ſtudioſe quicquid rogaverant ipſis contulerat: tum vero impenſiore etiam ſtudio in eam curam incumbebat: perſuaſus expedire ſibi cum ad ſuum in Sicilia dominatum firmandum, tum ad Roma - norum amicitiam, ſaluti Carthaginenſium eſſe conſul - tum: ne in poteſtate praepotentium penitus foret, quicquid libuiſſet nemine aduerſante facere, prudenter omnino et ſapienter rem putans: nunquam enim ejus - modi principia comtemnere oportet, neque tanta cui - quam aſtruenda eſt potentia, ut cum eo poſtea de tuo quamuis manifeſto iure diſceptare ex aequo non queas. Man vergl. Kahle §. XIII.
d]

§. 8. Urſprung und Geſchichte des Gleichge - wichts.

Einige Schriftſteller wollen dem Syſtem des Gleich - gewichts kein gar hohes Alter zugeſtehn. Sie halten es fuͤr eine neue Erfindung und glauben, daß man damit uͤber das funfzehnte Jahrhundert nicht hinausgehn koͤn - ne a]. Andere im Gegentheil leiten es von dem Urſprun - ge der Staaten und ihrer geſelſchaftlichen Verbindung her b]. Die Gruͤnde der letztern ſind ohnſtreitig uͤber -wie -335und deren Gleichgewicht.wiegender. Wir finden, wie ſchon gedacht, von ieher in der Geſchichte Beiſpiele von ſtolzen und herſchſuͤchti - gen Nazionen, deren Vergroͤſſerungsabſichten andere nach allen Kraͤften ſich widerſetzt haben; ob es ſchon nicht zu leugnen iſt, daß man in aͤltern Zeiten deshalb weniger gemeinſchaftliche Sache gemacht habe, indem ieder Staat hauptſaͤchlich fuͤr ſeine eigne Erhaltung ſorg - te. Auch hat daſſelbe freilich zu einer Zeit ſich nicht ſehr aͤuſſern und zu Streitigkeiten Anlaß geben koͤnnen, wo alle Nazionen ziemlich in einer ſolchen Verfaſſung ſich befanden, daß keine an Unteriochung der andern denken konte c]. Der Herr Staatsminiſter von Herzberg hat in der vorangefuͤhrten Abhandlung d] einen kurzen Abris der Geſchichte des Urſprungs und Fortgangs des Gleich - gewichts entworfen, den ich hier mittheilen will, weil ich mir nicht getraue den Gegenſtand dieſes §. auf eine wuͤrdigere Art zu bearbeiten. Das politiſche Gleich - gewicht, ſagt derſelbe, iſt ſo alt, als die Geſel - ſchaften und Staaten, und erhaͤlt ſich mit ihnen fort. Ein ſcharfſinniger Beobachter wird es in der Geſchichte aller Zeiten und Nazionen entdecken; wovon man in den Verſuchen des beruͤhmten Hume und in den beſondern Abhandlungen, welche die teutſchen Gelehrten Leh - mann, Huldenburg, Schmaus, Kahle, Benzel und andere von dem Gleichgewichte in Europa geſchrie - ben haben, die auffallendſten Beweiſe antreffen kan. Hier will ich nur ein kleines hiſtoriſches Gemaͤlde von dem Daſein des politiſchen Gleichgewichts in allen Jahr - hunderten vorlegen. Nach dem Thucidides hatte der beruͤhmte Peloponneſiſche Krieg keinen andern Urſprung, als die Eiferſucht der griechiſchen Freiſtaaten gegen Athen. In der Folge ſuchte dieſe Republik ein Gleichgewicht zwiſchen Sparta und Theben zu erhalten. Sogar die maͤchtigen Koͤnige von Perſien trugen, auf Alcibiades Anrathen, das Ihrige zu Aufrechterhaltung des Gleich -gewichts336Von der Macht der Nazionengewichts unter den verſchiedenen Republicken Griechen - lands bey. Demoſthenes machte in ſeinen Reden die Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis zum Treffen bey Chaͤronea. Philip und Alexander hoben alles Gleichgewicht in Europa und Aſien auf, beſonders der letztere durch ſeine ſo erſtaunenden als unaufhaltſamen Siege und Eroberungen. Nachdem ſeine Generals ſich in deſſen weitlaͤuftige Staaten geteilt hatten, ſtritten die nachfolgenden Koͤnige von Macedo - nien, Aſien und Egypten lange um das Gleichgewicht der Macht, bis Rom, dieſer beruͤhmte Freiſtaat, der einzige, welcher wider das Beiſpiel und die Natur der Republicken das Eroberungsſyſtem annahm, die Unei - nigkeit und Unfaͤhigkeit der benachbarten Koͤnige ſich zu Nutze machte, und ſie zu vertilgen und ganz Griechen - land, Aſien und Afrika zu erobern das Gluͤck hatte. Einige von ihnen, als Philip und Perſeus von Mace - donien, Pyrrhus Koͤnig von Epirus und Hiero Koͤnig von Sicilien verſuchten einige Zeitlang, das Gleichge - wicht zwiſchen den Roͤmern und Karthagern, dieſer bei - den wetteifernden Maͤchte, die ſo lange um die Herſchaft der Welt geſtritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber es geſchah mit eben ſo wenig Erfolg, als Geſchicklich - keit; und einige dieſer aſiatiſchen und afrikaniſchen Koͤni - ge z. B. Pruſias, Attalus und Maſiniſſa waren unuͤber - legterweiſe ſelbſt Schuld, daß die Wage auf Seiten Roms uͤberſchlug, indem ſie ſich, aus Nebenabſichten, mit dieſem ohnedies ſchon uͤbermaͤchtigen Staate verban - den; und zwar wider alle Regeln einer geſunden Staats - klugheit, welche iederzeit mindermaͤchtige Staaten von der Verbindung mit einer uͤbermaͤchtigen Nazion abzu - lenken und ſie in das Intereſſe nicht ſo maͤchtiger ihnen aͤhnlicher Staaten zu ziehn ſucht. Als endlich die Roͤ - mer, dieſe ſtolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheitihrer337und deren Gleichgewicht.ihrer Tactick die bekanten und geſitteten Reiche der drey Welttheile unteriocht hatten, ward das politiſche Gleich - gewicht ganz aus der Welt verdraͤngt, und man kante vier Jahrhunderte hindurch, ſo lange das roͤmiſche Reich theils in der Form eines Freiſtaats, theils als Monar - chie dauerte, bis zum vierten Jahrhundert der chriſtli - chen Zeitrechnung weder die Sache, noch den Namen. Bey aller dieſer Ueberlegenheit des roͤmiſchen Reichs gluͤckte es den tapfern teutſchen Voͤlkerſchaften, welchen die roͤmiſchen und neuern Schriftſteller ohne Grund den Namen der Barbaren aufbuͤrden wollen, dennoch, nicht etwa durch eine Verbindung unter ihnen, ſondern blos durch vorzuͤglichen Muth, den roͤmiſchen Koloß uͤber den Haufen zu werfen und auf ſeinen Truͤmmern alle neuere Reiche Europens zu errichten und zu gruͤnden. Jede Na - zion dieſer nordiſchen Eroberer war uͤbrigens zufrieden, ſich in dem Beſitz der eingenommenen roͤmiſchen Provinz zu erhalten, ohne daß eine von ihnen an eine Univerſal - monarchie, oder an ein Gleichgewicht haͤtte denken ſollen. Karl der Große, Otto der Große und die beiden Frie - driche, teutſche Koͤnige und Kaiſer aus dem ſchwaͤbiſchen Hauſe, richteten zwar ihr Abſehn auf eine algemeine Herſchaft, und glaubten das große roͤmiſche Reich wie - derhergeſtelt zu haben; aber es beſtand blos im Namen. Das Lehnsweſen und die darauf ſich gruͤndende Kriegs - verfaſſung, die tiefe Unwiſſenheit in der Staatskunſt, die Anarchie und die unaufhoͤrlichen innern Kriege, wel - che eine Folge dieſer Verfaſſung waren, veranlaßten zwar oͤfters unter den Nazionen Uneinigkeiten und entge - gengeſeztes Intereſſe, welche zuweiln ein beſonderes und voruͤbergehendes Gleichgewicht bewuͤrkten; aber auf eine dauerhafte und gruͤndliche Art konte weder von einer Uni - verſalmonarchie, noch von einem dieſer entgegenzuſetzen - den Gleichgewicht die Frage entſtehn.

Ya]338Von der Macht der Nazionen
a]von Juſti a. ang. O. 1. Hauptſt. S. 18. u. f.
a]
b]Kahle §. I. u. XIII.
b]
c]Ebendaſelbſt §. X.
c]
d]S. 9. der franz. Ausgabe. Man vergl. Huldenburg C. V. u. f.
d]

§. 9. Europaͤiſches Gleichgewicht.

Die heutigen europaͤiſchen Nazionen, die nach und nach immer in eine engere geſelſchaftliche Verbindung zu - ſammengetreten ſind, haben den Grundſatz des Gleichge - wichts ihrem gemeinſchaftlichen Wohl dergeſtalt ange - meſſen gefunden, daß ſie ihn nicht nur in ihren Hand - lungen iederzeit befolgt, ſondern ihn auch ausdruͤcklich und oͤffentlich anerkant, ihm den Namen des europaͤi - ſchen Gleichgewichts gegeben und ein eignes Syſtem daraus gebildet haben. Daſſelbe muß iedoch nicht, wie ehedem meiſtens geſchah, blos auf die beiden Maͤchte Frankreich und Oeſterreich eingeſchraͤnkt werden, die man gleichſam fuͤr ein paar Wagſchaalen anſahe, woran die uͤbrigen Staaten bald auf dieſer, bald auf iener Seite ſich hingen a]: es iſt wider die gefaͤhrlichen Vergroͤſſe - rungsabſichten aller europaͤiſchen Staaten gerichtet, und der im 5. §. feſtgeſezte algemeine Begrif des Gleichge - wichts iſt, nach ſeinem ganzen Umfange, auch auf die Nazionen Europens anwendbar. Man hat es ſeit Jahr - hunderten als den Grund der Ruhe von Europa und als die algemeine Regel des Krieges und Friedens angeſehen, zu deren Befolgung die Staaten nicht nur aus geſelſchaft - licher Pflicht, ſondern auch vermoͤge ausdruͤcklicher Ver - traͤge verbunden ſind b].

a]von Juſti 1. Hauptſt. S. 25. u. f.
a]
b]Kahle §. XIV.
b]
§. 10.339und deren Gleichgewicht.

§. 10. Geſchichte des heutigen europaͤiſchen Gleich - gewichts.

Der mehrgedachte große Staatsminiſter Herr von Herzberg faͤhrt in der oben [§. 8.] abgebrochenen Geſchich - te alſo fort a]:

Die Ruͤckkehr dieſer beiden großen Syſteme [der Univerſalmonarchie und des Gleichgewichts] war dem funfzehnten und ſechszehnten Jahrhundert vorbehalten, als es den oͤſterreichiſchen Fuͤrſten gluͤckte, durch vortheil - hafte Heirathen und eine wohldurchdachte Staatskunſt die reiche burgundiſche Erbſchaft, die Koͤnigreiche Spa - nien, beide Sicilien, Hungarn und Boͤhmen nebſt an - dern großen Provinzen in Teutſchland und Italien, in - gleichen die ſehr reichen Beſitzungen in beiden Indien in ihrem Hauſe zu vereinigen. Itzt dachten und arbeiteten Karl V., Philip II. und Ferdinand II. im Ernſt daran, den großen Staat zu bilden, den man die Univerſalmo - narchie zu nennen pflegt. Den Anfang machten ſie mit dem Vorſatz, Teutſchland, Italien und die Niederlande zu unteriochen, weil es die ſchicklichſten zu dieſem Zweck waren, da ſie nach ihrem politiſchen und geographiſchen Verhaͤltniſſe im Mittelpunkt von Europa liegen. Nun - mehr ſahen die Koͤnige von Frankreich und England ſich genoͤthigt, das Gleichgewicht von Europa durch Buͤnd - niſſe, die ſie von Zeit zu Zeit unter ſich, und nach Erfor - dernis der Umſtaͤnde, mit den teutſchen und italiaͤniſchen Fuͤrſten, der neuen Republick Holland und dem Koͤnige von Schweden errichteten, aufrecht zu erhalten. Waͤh - rend dieſer Wetteiferung, waͤhrend dieſer unaufhoͤrlichen Erſchuͤtterung der Macht der beiden Haͤuſer Frankreich und Oeſterreich, welche laͤnger als zweihundert Jahre dauerten, aͤuſſerte ſich das Gleichgewicht von Europa aufY 2die340Von der Macht der Nazionendie einleuchtendſte Art. Aus dieſem anhaltenden Strei - te zwiſchen den beiden Syſtemen, der großen oͤſterreichi - ſchen Monarchie und dem entgegengeſezten Syſtem des Gleichgewichts entſprangen die beſtaͤndigen Kriege zwi - ſchen Karl V. und Franz I., zwiſchen Philip II. auf einer und den Franzoſen, Hollaͤndern und Englaͤndern auf der andern Seite, und endlich iener bekante teutſche, oder dreiſſigiaͤhrige Krieg, den die beiden Linien des Hauſes Oeſterreich gegen die teutſchen Fuͤrſten, Schweden, Frankreich und Holland fuͤhrten. Waͤhrend dieſer wichti - gen Epoche des ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts errichteten die Fuͤrſten Teutſchlands im Jahr 1530 den beruͤhmten ſchmalkaldiſchen Bund, und 1610 und 1633 die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar die leztere unter ſchwediſcher Beguͤnſtigung: im Jahre 1690 endlich, bey Gelegenheit der Cleviſchen Erbfolge, erſann Heinrich IV. Koͤnig von Frankreich den beruͤch - tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa, der aber mit der Ermordung dieſes großen Fuͤrſten ein Ende nahm. Alle dieſe Plane wurden lediglich entwor - fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutſchland gegen die gar zu große Macht und gegen die wuͤrklichen oder vermeintlichen Abſichten des Hauſes Oeſterreich zu erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen Monarchien Oeſterreich und Frankreich die heftigſten Stoͤſſe; es waren vielmehr die Fuͤrſten von mitler Macht, welche durch ihre Kraͤfte und perſoͤnliche Faͤhigkeiten in entſcheidenden Zeitpunkten das bereits auf oͤſterreichiſche Seite uͤberſchlagende Gleichgewicht wiederherſtelten. Der muthige Moriz, Herzog und Kurfuͤrſt von Sachſen, war es, der mit einer Handvoll ſeiner Vaſallen Karl V. zu rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Paſſauiſchen Vertrag und den erſten Religionsfrieden, nebſt der Frei - heit ſeiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfuͤrſten Johann Friedrich von Sachſen und des Landgrafen vonHeſſen,341und deren Gleichgewicht.Heſſen, abnoͤthigte, und dadurch die Freiheit Teutſch - lands raͤchte und befeſtigte, welche durch den uͤbeln Erfolg des ſchmalkaldiſchen Bundes beinah ganz zernich - tet worden war. Der große Guſtav Adolph, ein Fuͤrſt eben ſo ſtark an Muth und Geiſt, als ſchwach an Macht, war es, der mit dreiſſigtauſend Schweden nach Teutſch - land kam, und im Stande war, mit Beihuͤlfe einiger ſchwachen teutſchen Fuͤrſten, die uͤberwiegende Macht Ferdinands II. zu beſiegen, Germanien gegen eine unum - ſchraͤnkte Herſchaft zu ſchuͤtzen, und dieſe große verbuͤnde - te Republick zu retten. Nachdem ein zu fruͤher Tod die - ſen Helden weggeraft hatte, ward die naͤmliche Rolle mit eben ſo maͤſigen Kraͤften durch ſeine großen Generals, beſonders durch den erhabenen Bernhard von Weimar ausgefuͤhrt, deſſen Name in den Jahrbuͤchern der Welt neben einen Hermann, Moriz, Guſtav und Friedrich unter den Namen der Helden und Erhalter teutſcher Frei - heit iederzeit glaͤnzen wird. Die Fuͤrſten von Naſſau und Oranien, Schoͤpfer der niederlaͤndiſchen Republick, deren Groͤße, bey ihrer geringen Macht, blos in Tapfer - keit und tactiſcher Kentnis beſtand, waren es endlich, welche die große ſpaniſche Monarchie aus dem Grunde zu erſchuͤttern vermochten. Durch dieſe unglaubliche, vereinigte und ſo lange ausgehaltene Anſtrengung der Fuͤrſten Teutſchlands, der Kronen Schweden und Frank - reich, ingleichen der Hollaͤnder, war man am Ende im Stande, den beiden oͤſterreichiſchen Monarchen den beruͤhmten weſtphaͤliſchen Frieden von 1648 abzunoͤthi - gen. Dieſer Friede, der erſte, welcher nach den Regeln einer geſunden Staatskunſt verhandelt und geſchloſſen worden, hat nicht nur die vorher ſo ſchwankende Ver - faſſung des weitlaͤuftigen teutſchen Reichs auf einen regel - maͤſigen und feſten Fuß geſetzt, ſondern auch, vermoͤge der Garantieen der beiden Kronen Frankreich und Schwe - den, einen dauerhaften Grund zum Gleichgewicht nichtY 3blos342Von der Macht der Nazionenblos von Teutſchland, ſondern zugleich von ganz Europa gelegt, und er wird noch heutzutage mit Recht fuͤr das erſte geheiligte Geſetz aller europaͤiſchen Nazionen ange - ſehn, welche, ſelbſt ohne eine gluͤckliche Ausfuͤhrung der Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge - meine Republick des weitlaͤuftigen europaͤiſchen Welt - theils ausmachen, die ſtilſchweigend durch das große wechſelſeitige Intereſſe, ein rechtmaͤſiges Gleichgewicht der Macht unter ſich zu erhalten, zuſammen verbunden iſt. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauſes Oeſterreich durch dieſe langen ungluͤcklichen Kriege und durch den ſchwachen Karakter der Regenten aͤuſſerſt ver - mindert worden war, die franzoͤſiſche hingegen durch die geſchickte Staatskunſt und Staatsverwaltung der Kardi - naͤle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV. verhaͤltnismaͤſig zugenommen hatte, richtete dieſer Mon - arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be - ſtaͤndigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die ſpaniſchen Niederlande, in Holland und in die Pfalz ſowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam - mer ſeine Macht dergeſtalt an, daß er faſt durchgaͤngig dafuͤr angeſehn ward, als trachte er, an die Stelle des Hauſes Oeſterreich, nach der Univerſalmonarchie. Nun - mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Buͤnd - niſſe, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wider ihn geſchloſſen wurden, ingleichen die Kriege, die ſich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys - wicker Frieden endigten, ihren Urſprung. Man beſchleu - nigte den leztern, weil die nahe Erloͤſchung der oͤſterrei - chiſch-ſpaniſchen Linie vorauszuſehen war. Die beiden Seemaͤchte, England und Holland, deren Vereinigung Koͤnig Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewuͤrkt hat - te, die eben damals den Namen und die Rolle der See - maͤchte annahmen, und das Gleichgewicht von Europa inHaͤnden343und deren Gleichgewicht.Haͤnden hatten b], hielten es itzt fuͤr ihre Pflicht, daſ - ſelbe durch den berufenen Partagetractat zu erhalten. Dieſer ſolte verhindern, damit nicht die ganze Macht des Hauſes Oeſterreich, durch Einverleibung Spaniens und der indiſchen Beſitzungen, in der iuͤngern Linie ver - einigt wuͤrde. Als dieſer Theilungsplan aber durch den Tod des bayriſchen Prinzen und durch das Teſtament, welches Koͤnig Karl II. von Spanien zu Gunſten des Herzogs von Anjou machte, vereitelt worden war, ſa - hen die naͤmlichen Seemaͤchte ſich genoͤthigt, der Abſicht des Gleichgewichtsſyſtems gemaͤs, ſich mit dem Hauſe Oeſterreich und den teutſchen Fuͤrſten gegen Frankreich zu verbinden, um dieſer Krone die ſpaniſche Monarchie zu entreiſſen; die man dem Erzherzog Karl, zweiten Sohne Kaiſer Leopolds zutheilte. Daraus entſtand der lange und blutige ſpaniſche Erbfolgskrieg, welcher 1701 be - gann, und 1713 mit dem Utrechter Frieden ſich endigte. In dieſem raͤumte man die ſpaniſche Monarchie dem Herzog von Anjou ein, weil Kaiſer Joſeph ohne maͤnn - liche Erben geſtorben, und ſein Bruder Karl, unter dem Namen Karl VI., ihm gefolgt war. Aus abermaliger Furcht vor der Vereinigung der ſpaniſchen Monarchie mit der oͤſterreichiſchen Linie, uͤberließ man ſie lieber einer iuͤngern Linie des Hauſes Bourbon, unter der Beding - ung, daß die Reiche Frankreich und Spanien nie mit einander verbunden werden ſolten. Solchergeſtalt hat man bey der ſpaniſchen Erbfolge und dem ganzen Kriege ſowohl als dem draufgefolgten Frieden, das Syſtem des Gleichgewichts theils nach richtigen, theils nach fal - ſchen Grundſaͤtzen, wie die verſchiedenen Zeitumſtaͤnde es mit ſich brachten, zur Richtſchnur genommen.

In dem Zeitraum vom Utrechter Frieden 1713 bis auf den Tod Kaiſer Karls VI. hat das Gleichgewicht von Europa durch kurze und particulaͤre Kriege keine nach - theilige Veraͤnderung gelitten, weil die drey MonarchieenY 4Oeſter -344Von der Macht der NazionenOeſterreich, Frankreich und Spanien durch die vorherigen Kriege zu ſehr erſchoͤpft und von friedliebenden Fuͤrſten beherſcht waren. Die beiden Seemaͤchte hatten in die - ſem Zwiſchenraum keine weitere Gelegenheit von dem Namen und der Rolle des Gleichgewichts Gebrauch zu machen, als in Unterhandlungen, Vermittelungen und Buͤndniſſen z. B. dem Barrieretractat, der Quadrupel - allianz, der Hannoͤveriſchen, Wuſterhauſiſchen und an - dern Allianzen. Man glaubte durch die Garantie der pragmatiſchen Sanction, welche die Erbfolge der ganzen oͤſterreichiſchen Monarchie, der Tochter Kaiſer Karls VI. verſichern ſolte, fuͤr die Erhaltung des Gleichgewichts hinlaͤnglich geſorgt zu haben. Indes gab die 1740 mit dem Tode dieſes Fuͤrſten erfolgte Erloͤſchung des oͤſterrei - chiſchen Mannsſtammes dem Gleichgewicht von Europa eine andere Geſtalt. Der Kurfuͤrſt von Bayern machte Anſpruͤche auf die ganze bayeriſche Erbſchaft, und ward von Frankreich und Spanien unterſtuͤzt. Die Tochter Kaiſer Karls VI., welche die beiden Seemaͤchte, vermoͤge des Syſtems der pragmatiſchen Sanction und des Gleich - gewichts von Europa auf ihrer Seite hatte, uͤberſtand den Krieg von 1740 bis 1748, und behielt im Aachner Frieden endlich die ganze oͤſterreichiſche Monarchie, das Herzogthum Schleſien ausgenommen, welches dem Koͤnig von Preuſſen, beſonderer Anſpruͤche wegen, auf eine rechtmaͤſſige Art in dem Breslauer Frieden 1742 uͤber - laſſen ward, den die Friedensſchluͤſſe zu Dresden und Hubertsburg in der Folge beſtaͤtiget haben.

Die innerlichen Unruhen in Pohlen gaben den drey benachbarten Maͤchten Gelegenheit, gewiſſe Anſpruͤche auf einige polniſche Provinzen geltend zu machen, und es erfolgte 1772 deren Theilung nach den Grundſaͤtzen eines Gleichgewichts, woruͤber dieſe drey Maͤchte ſich mit einander vereinigt hatten.

Zwar345und deren Gleichgewicht.

Zwar behaupten einige c], daß ſeit der Mitte dieſes Jahrhunderts, nachdem Grosbritannien das Ueberge - wicht zur See an ſich geriſſen, beſonders auch ſeit der großen Allianz wider den Koͤnig von Preuſſen 1756 und den verſchiedenen in Europa noch beſtehenden Buͤndniſſen zwiſchen einigen Hoͤfen, der Grundſatz des Gleichgewichts keine Regel unter den europaͤiſchen Nazionen mehr ſey: ia ſie halten d] Gleichgewicht und Univerſalmonar - chie fuͤr laͤngſt veraltete Schreckworte einer grostoͤnenden Politik. Allein ſowohl der leztere nordamerikaniſche Krieg, als auch noch neuerlich das beruͤhmte Aſſociations - buͤndnis der teutſchen Fuͤrſten haben die fortdauernde Anwendbarkeit derſelben nicht nur in Teutſchland, ſon - dern auch in Europa bewaͤhrt; und ihre Guͤltigkeit iſt in der Koͤnigl. Preuſſiſchen Beantwortung der Wiener Pruͤfung e] einleuchtend gezeigt worden.

a]Am ang. O. S. 12. u. f. Es findet ſich auch eine Geſchichte des Gleichgewichts von Europa bis auf das Abſterben Kaiſer Karls VI. in Adelungs Staaten - geſchichte Europens ꝛc. 1. Band, S. 337. u. f. Man vergl. ferner: von Juſti Chimaͤre ꝛc. 1. Hauptſt. S. 18. u. f. v. Bielefeld Staatskunſt 4. Haupſt. §. 28.
a]
b]J. J. Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 53. ſagt, es habe England ſich von ieher die Erhaltung des Gleichge - wichts in Europa ſehr angelegen ſeyn laſſen, und gleichſam das Zuͤnglein in der Wage ſeyn wollen.
b]
c]Politiſches Journal, Januar 1781. S. 17.
c]
d]Otto Reichsfreiherr von Gemmingen uͤber die koͤnigl. preuſ - ſiſche Aſſociation zu Erhaltung des Reichsſyſtems.
d]
e]Polit. Journal, December 1785. S. 1244. u. f.
e]
Y 5§. 11.346Von der Macht der Nazionen

§. 11. Anerkennung des Gleichgewichts unter den europaͤiſchen Maͤchten.

Da das Gleichgewicht hauptſaͤchlich auf die ausdruͤck - liche oder ſtilſchweigende Einwilligung der Voͤlker beruht, ſo iſt es, um das Daſein eines ſolchen Syſtems unter den europaͤiſchen Nazionen zu erweiſen, noͤthig, deren Anerkennung beizubringen. Schon aus der vorhergehen - den Geſchichte, und noch mehr aus den bey Gelegenheit der daſelbſt angefuͤhrten Kriege und Friedensſchluͤſſe ge - pflogenen Unterhandlungen und gebrauchten Maasregeln wird man ſich von der wenigſtens ſtilſchweigenden Befolg - ung der Grundſaͤtze des Gleichgewichts unter den Staa - ten Europens uͤberzeugen koͤnnen. Zu mehrerer Beſtaͤ - tigung dieſes Syſtems will ich aber auch noch einige der vornehmſten Vertraͤge anfuͤhren, worinn ſie daſſelbe aus - druͤcklich anerkant haben.

  • Frankreich,
  • Grosbritannien und
  • die vereinigten Niederlande ſchloſſen 1698 den 11ten October den ſogenanten Partagetractat uͤber die ſpa - niſche Erbfolge unter nachfolgenden Aeuſſerungen: Und nachdem gemeldte zwey Koͤnige und die Herrn Generalſtaaten vor allen Dingen die Erhaltung der algemeinen Ruhe verlangen, und dahin trachten, damit durch Beilegung derer Irrungen und Differenzien, welche um beſagter Succeſſion willen, oder auch aus ſchoͤpfender Ombrage, wenn allzuviel Laͤnder unter eines einigen Fuͤrſten Botmaͤſigkeit vereinigt wuͤrden, re - ſultiren, und ſich hervorthun ſolten, ein neuerKrieg347und deren Gleichgewicht.Krieg unterbleiben und vermeidet werden moͤchte; ſo haben ſie vor gut angeſehen, bey Zei - ten nothwendige Meſſures zu faſſen, um demienigen Unheil, welches die traurige Begebenheit, wenn der catholiſche Koͤnig ohne Leibeserben mit Tod ab - gehen ſolte, nach ſich ziehen wuͤrde, zu begegnen und vorzubiegen; Art. 3. iedoch allemal mit der Bedingung, daß beſag - tes Antheil [des durchlauchtigſten Erzherzogs] nie - mals vereiniget werden noch bleiben moͤge auf der Perſon desienigen, welcher Kayſer oder roͤmiſcher Koͤnig ſeyn, oder der auch ein oder anderes gewor - den ſeyn wird, es geſchehe gleich durch Succeſſion, Teſtament, Heyrathscontract, Schenkung, Ver - tauſchung, Ceſſion, Appellation, Aufruhr, oder in andere Wege: Und ingleichen ſoll auch beſagter Theil des durchlauchtigſten Erzherzogs niemals fal - len noch bleiben koͤnnen auf der Perſon eines Fuͤr - ſten, welcher Koͤnig in Frankreich oder Dauphin ſey; oder einer oder anderes geworden ſeyn wird, es geſchehe gleich durch Succeſſion, Teſtament ꝛc. Art. 9. Und damit die Ruhe in Europa noch beſ - ſer verſichert und feſtgeſtelt ſeyn moͤchte, ſo werden beſagte Koͤnige, Fuͤrſten und Staͤnde, [welche hiemit einſtimmen wollen, und admittirt werden ſollen] nicht nur allein invitirt werden, die Garants zu ſeyn, uͤber die Execution dieſes Tra - ctats und uͤber die Guͤltigkeit der darinnen enthalte - nen Verzichten, wie hieroben ſchon gedacht worden iſt; ſondern wenn einer von denen Potentaten, welchen zum Beſten dieſe Abtheilungen geſchehen, in das kuͤnftige, die in dieſem Vergleich feſtgeſtelte Ordnung troubliren und verwirren, neue und ſelbi - gem zuwiderlaufende Unternehmungen vor die Handneh -348Von der Macht der Nazionennehmen, und ſich alſo einer dem andern zum Schaden und Nachtheil, unter was fuͤr Praͤtext es auch ſeyn moͤchte, groͤßer machen wolte, ſo ſoll es dafuͤr gehalten werden, daß ſich eben dieſe Garantie auch auf dieſen Fall erſtrecke, dergeſtalt, daß die Koͤnige, Fuͤrſten und Staͤnde, ſo ſolche auf ſich nehmen, ſchuldig ſeyn ſollen, ihre Kraͤfte anzuwenden, um ſich dergleichen Unternehmungen zu widerſetzen ꝛc. Art. 12. a] Hierauf folgte zwiſchen den naͤmlichen Maͤchten der zweite Partagetractat vom 13. Maͤrz 1700, der durch den Tod des Kurprinzen von Baiern ver - anlaßt ward, und auf gleichen Grundſaͤtzen be - ruhte b].
  • Das Haus Oeſterreich ging die ſogenante große Allianz mit ein, welche die Seemaͤchte, nach dem Tode Koͤnig Karls II. von Spanien, gegen Frankreich, das aus einem Teſtamente dieſes Koͤnigs der ſpani - ſchen Erbſchaft ſich anmaßte, 1701 den 7. Sept. zu ſchlieſſen ſich genoͤthigt ſahen. Der Eingang derſelben lautet alſo: Quandoquidem mortuo ſine liberis non ita pri - dem glorioſiſſimae memoriae Carolo Secundo, Hi - ſpaniarum rege, ſacra ſua Caeſarea Maieſtas ſucces - ſionem in regna et provincias regis defuncti Domui ſuae Auguſtae legitime deberi aſſeruerit; Rex autem chriſtianiſſimus pro nepote ſuo Duce Andegavenſi eandem ſucceſſionem ambiens et ius illi ex teſta - mento quodam regis defuncti natum eſſe praeferens, pro modo dicto Duce Andegavenſi poſſeſſionem uni - verſae haereditatis ſive Monarchiae Hiſpanicae arri - puerit, provincias Hiſpano-Belgicas armis occu - paverit atque hoc modo, aliisque plurimis, regna Galliarum et Hiſpaniarum tam arcte inter ſe uniantur et coaleſcant, ut poſthac non aliter quampro349und deren Gleichgewicht.pro uno eademque regno conſideranda eſſe videan - tur; adeo ut niſi proſpectum fuerit, ſatis appareat, Caeſareae Suae Maieſtati abiiciendam eſſe omnem ſpem unquam ſibi de praetenſione ſua ſatisfactum iri, Sacrum Romanum Imperium iura ſua in feuda, quae ſunt in Italia et in Belgio Hiſpanico, perdi - turum Britannis et Belgis foederatis liberum navi - gationis et commerciorum uſum in mare mediter - raneum, in Indias et alibi funditus periturum, Uni - tumque Belgium deſtitutum in ſecuritate quam ex interpoſitis inter ſe et Gallos provinciis Hiſpano - Belgicis, vulgo Barrière, tenebat; denique Gallos et Hiſpanos ita coniunctos adeo omnibus formidan - dos brevi evaſuros, ut totius Europae imperium facile ſibi vindicaturi ſint. Quum autem ob hunc proce - dendi modum Regis Chriſtianiſſimi Caeſareae Suae Maieſtati neceſſitas impoſita fuerit exercitum in Ita - liam mittendi, ad conſervanda tam iura ſua privata, quam feuda Imperii, Rex Magnae Britanniae neces - ſarium exiſtimaverit, copias ſuas auxiliares mitten - di Belgio Foederato, cuius res eo loco ſunt, ac ſi reipſa iam aggreſſum foret, et Domini Ordines Ge - nerales Uniti Belgii, quorum fines undique fere patent, effracto et remoto obire, vulgo Barrière, qui Gallorum vicinitatem arcebat, coacti ſint ea cuncta pro ſecuritate et ſalutae Reipublicae ſuae facere, quae bello impetiti facere debuiſſent vel potuiſſent; Quumque tam anceps rerum conſtitutio ipſo bello periculoſior ſit, et hoc rerum ſtatu Gallia et Hiſpania abutantur ut ſe magis et magis inter ſe devinciant ad opprimendam Europae libertatem et tollendum commerciorum uſum: His rationibus ad - ducti S. S. Caeſ. Maj. S. S. Reg. Maj. Magnae Bri - tanniae et Celſi et Praepotentes Domini Ordines Generales Vniti Belgii tantis malis hinc ſurrecturisobviam350Von der Macht der Nazionenobviam tendentes, et pro viribus remedia afferre cupientes, arctam inter ſe coniunctionem et con - foederationem pro depellenda communis periculi magnitudine, neceſſariam eſſe exiſtimaverunt etc. c] Auch verdient noch die Stelle des Grosbritanni - ſchen Kriegsmanifeſts gegen Frankreich und Spa - nien bemerkt zu werden: Gleichwie es dem Aller - hoͤchſten gefallen, uns zu Beherſchung dieſer Koͤnig - reiche zu einer ſolchen Zeit zu berufen, als unſer Vorfahr, der Koͤnig William, glorwuͤrdigſten An - denkens, vermoͤge des von dem Parlament dieſes Koͤnigreichs oft wiederhohlten Verlangens, mit dem teutſchen Kaiſer, denen Generalſtaaten der vereinigten Niederlande und andern Puiſſanzen, zu Erhaltung der Freiheit und des Gleichge - wichts von Europa, auch damit der auſſer - ordentlichen großen Macht von Frankreich rechtmaͤſſige Grenzen geſezt werden moͤchten, ſich in Alliance eingelaſſen ꝛc. d]
  • Portugal und
  • Savoyen traten, erſteres unterm 16. May 1703, e] lezteres unterm 25. October eben deſſelben Jahres f] der großen Allianz ebenfals bey.
  • Spanien muſte, vermoͤge des Utrechter Friedens zwi - ſchen Grosbritannien und Frankreich vom 11. April 1713, g] durch ſeinen neuen Koͤnig Philip V. aus dem Grunde des Gleichgewichts auf das Koͤnig - reich Frankreich Verzicht leiſten. Der 6. Art. deſ - ſelben iſt dieſes Inhalts: Quemadmodum fune - ſtiſſima belli flamma hac pace reſtinguenda, exinde praeprimis orta ſit, quod Europae ſecuritas et liber - tates, unionem regnorum Galliae et Hiſpaniae, ſub uno eodem rege, omnino ferre nequiverint, idque tandem Divini numinis auxilio effectum ſit, inſtante plurimum Sacra Regia Maieſtate Ma -gnae351und deren Gleichgewicht.gnae Britanniae et conſentientibus tam Chriſtianis - ſimo quam Catholico rege, quo huic malo obviam omni tempore in poſterum eatur per renunciatio - nes optima forma conceptas, et modo quam maxi - me ſolenni perfectas, quarum tenor ſequitur. In der Renunciation Koͤnig Philip V. von Spa - nien vom 7. November 1712 wird ausdruͤcklich ge - ſagt: weil eines der vornehmſten Fundamenten der aufzurichtenden Friedenstractaten zwiſchen der Kron Spanien und Frankreich einer Seits, und zwiſchen der Kron England andern Theils, um ſol - che zu befeſtigen, zu beſtaͤtigen und dauerhaft zu machen, und dadurch zu einen algemeinen Frieden zu gelangen, geweſen, daß man zu Beſtaͤtigung der algemeinen Wolfahrt und Ruhe von Eu - ropa, ein gleiches Gewicht zwiſchen den Po - tenzen ſetzen und veranſtalten muͤſſe; ſolchem - nach, damit nicht erfolge, daß die gleichhan - gende Waageſchale uͤberſchlage ꝛc. ſey nach denen Fundamental - und immerwaͤhrenden Maximen einer Gleichheit der europaͤiſchen Potenzen, das Maas und Ziel genommen und geſtecket worden ꝛc. Eben ſo merkwuͤrdig ſind die Verzichtsurkunden der Herzoge von Barry und Orleans auf die ſpani - ſche Krone. Die erſtere vom 24. November 1712 hat folgenden Eingang: Toutes les puiſſances de l Europe ſe trouvant presque ruinées à l occaſion des préſentes guerres, qui ont porté la deſolation dans les frontières et pluſieurs autres parties des plus riches monarchies et autres Etats, on eſt con - venu dans les congrès et traités de paix qui ſe ne - gocient avec la Grande-Bretagne, d établir un equi - libre et des limites politiques entre les royaumes dont les intérêts ont été et ſe trouvent encore le triſte ſujetd une352Von der Macht der Nazionend une ſanglante diſpute; et de tenir pour maxime fondamentale de la conſervation de cette paix, que l on doit pourvoir à ce que les forces de ces royaumes ne ſoient point à craindre, et ne puiſſent cauſer au - cune jalouſie; ce que l on a crû ne pouvoir établir plus ſolidement qu en les empêchant de ſ étendre et en gardant une certaine proportion; afin que les plus foibles etant unis puiſſent ſe defendre contre de plus puiſſans et ſe ſoutenir reſpectivement contre leurs égaux etc. und in der zweiten vom 19. deſſelben Monats heißt es: on a poſé pour fondement de la paix, que l on traite preſentement, et qu on eſpère cimenter de plus en plus, pour le repos de tant d etats qui ſe ſont ſacrifiés, comme autant de victimes, pour ſ oppoſer au peril dont ils ſe cro - yoient menaces, qu il falloit établir une eſpèce d égalité et d equilibre entre les princes qui étoient en diſpute il eſt certain que ſans cet équilibre, les états ſouffrent du poids de leur propre grandeur; ou que l envie engage leurs voiſins à faire des allian - ces pour les attaquer et pour les reduire au point, que ces grandes puiſſances inſpirent moins de crainte et ne puiſſent aſpirer à la monarchie univerſelle. Hiermit koͤnnen auch noch die uͤbrigen Friedens - ſchluͤſſe zu Utrecht zwiſchen Spanien und den andern Maͤchten verglichen werden. In dem mit Grosbri - tannien wird ein juſtum potentiae aequilibrium, optimum et maxime ſolidum mutuae amicitiae et duraturae undiquaque concordiae fundamentum genant. Die nachherigen haͤufigen Tractaten, worinn eben dieſelben Razionen das Syſtem des Gleichge - wichts zum oͤftern anerkant haben, uͤbergehe ich. Es gehoͤren dahin hauptſaͤchlich die bekante Londner Quadrupelallianz vom 2. Aug. 1718 h] und die da -durch353und deren Gleichgewicht.durch veranlaßten fernern Tractaten. Nur der Anfang des zweiten Artickels derſelben iſt noch zu bemerken: Quandoquidem unica quae excogitari potuit ratio ad conſtituendum duraturum in Europa aequilibrium ea viſa fuerit, ut pro regula ſtatuatur, ne regna Galliae et Hiſpaniae ullo unquam tempore in unam eandemque perſonam nec in unam ean - demque lineam coaleſcere unirique poſſent, iſtae - que duae Monarchiae, perpetuis retro temporibus ſeparatae remanerent etc.
  • Sardinien trat aus Liebe zum Gleichgewicht der Qua - drupelallianz unterm 18. November 1718 ebenfals bei i].
  • Preuſſen verband ſich mit Grosbritannien und Frank - reich in der hannoͤverſchen Allianz vom 3. Septem - ber 1725 k], Art. 4. dahin: Et comme les dits trois ſereniſſimes roix ſont reſolus de reſerrer de plus en plus l étroite union, qui regne entr eux ils ſont convenus reciproquement non ſeulement de n entrer dans aucun traite mais même de ſ entrecommuniquer fidelement les propoſitions qui pourroient leur étre faites et de ne prendre ſur ce qui leur ſeroit propoſé aucune reſolution que de concert et apres avoir examiné conjointe - ment ce qui ſeroit convenable à leurs intérêts com - muns et propre à maintenir l equilibre de l Europe, qu il eſt ſi neceſſaire de conſerver pour le bien de la paix générale. Unter andern erklaͤrte auch der koͤnigl. preuſſiſche Geſandte im Haag, Graf von Podewils, 1742 nach dem Breslauer Frieden: Sein Herr werde niemals von der verſprochenen Neutralitaͤt abgehen, wofern er nicht ſaͤhe, daß die Freiheit des Reichs und Europens Gefahr laufe. Wenn ſich auch der Koͤnig entſchlieſſen koͤnte, einen neuen Krieg zuZunter -354Von der Macht der Nazionenunternehmen; ſo ſolte es blos zur Vertheidigung des Gleichgewichts und der evangeliſchen Reli - gion geſchehen l].
  • Das teutſche Reich im Ganzen ſowohl, als ſeine ein - zelnen Staͤnde haben ihre Genehmigung eines poli - tiſchen Gleichgewichts in Europa bey mehr als einer Gelegenheit, beſonders aber auch bey Gelegenheit der pragmatiſchen Sanction uͤber die Erbfolge des Hauſes Oeſterreich deutlich an den Tag gelegt. Von dieſem Erbfolgsgeſetz wird in dem zwiſchen Sr. Maj. dem Kaiſer Karl VI. und Grosbritannien ge - ſchloſſenen Tractat vom 16. Maͤrz 1731 geſagt: Quandoquidem nomine Sacrae Caeſareae Catholi - cae Maieſtatis ſaepius expoſitum fuit, haud diu pu - blicam tranquillitatem vigere et conſtare, nec ſecu - ram pro conſervando duraturo in Europa aequilibrio rationem excogitari poſſe, niſi ſibi generalis tuitio, ſponſio ac evictio, ſeu, uti vulgo vocant Guaran - tia illius ſuccedendi ordinis praeſtetur, qui iuxta declarationem anno 1713 emanatam in Sereniſſima Domo Auſtriaca obtinet, Sacra Regia Maieſtas Bri - tanniae et Celſiae potentes ordines generales uni - tarum Foederati Belgii Provinciarum tam eo ſtudio ducti, quo in tranquillitatem publicam tuendam et aequilibrium conſervandum in Europa feruntur, quam vigore praeſentis Articuli guarantiam mo - do dicti ſuccedendi ordinis generalem in ſe ſuſci - piunt etc. Dieſen Artickel haben die Reichsſtaͤnde in dem Reichsgutachten vom 11. Januar 1732 m] nicht nur wuͤrklich eingeruͤckt, und demſelben gemaͤs die Garantie uͤbernommen, ſondern ſie ſagen auch ſelbſt noch ausdruͤcklich: und dann hiebey in ſon - derbare Conſideration kommen, daß die unzer - trennte ungeſchmaͤlerte Erhaltung aller von Gott Ihrer Kaiſerl. Maj. durchlauchtigſtenErz -355und deren Gleichgewicht.Erzhauß verliehenen und dermaln beſitzenden Erbkoͤnigreich und Landen, und deren ſaͤmtlich große Macht ſowohl fuͤrterhin vor eine Vormauer der Chriſtenheit und dazu dienen wuͤrde, die Wag - ſchale in Europa zu erhalten, als die Freiheit des teutſchen Vaterlandes, und deſſen mit der alge - meinen Reichsſicherheit und Frieden in Europa ver - knuͤpfter Wohlfarth, beſonders aber auch des roͤmi - ſchen Reichs Hoheit, Anſehn, Gerechtſame und Reichsverfaſſung gegen alle feindliche Eingriffe und Unternehmungen kraͤftigſt zu vertheidigen und zu mainteniren ꝛc. Die Garantie dieſer das Gleichgewicht von Eu - ropa zum Grunde ſetzenden pragmatiſchen Sanction ward faſt von allen europaͤiſchen Maͤchten ſowohl, als von den vornehmſten einzelnen Reichsſtaͤnden insbeſondere nach und nach uͤbernommen und mehr - maln wiederholt. Dieſe haben denn das Gleichge - wichtsſyſtem zugleich mit anerkannt. Dahin gehoͤ - ren unter andern auch
  • Daͤnemark und
  • Rußland, welche im Coppenhagner Tractat mit dem Kaiſer vom 26. May 1732 zur Garantie der San - ction ſich verbanden n]. Die letztere Macht hat auch der Erklaͤrungen mehrere gethan, woraus ihre Ein - ſtimmung in das Syſtem des Gleichgewichts erhel - let. Eine davon ging dahin: Qu Elle avoit reſolu d employer toutes ſes forces pour maintenir l Equi - libre en Europe, qu on avoit pris à tâche d ébran - ler et de renverſer, et pour empêcher toute puis - ſance etrangère d inſulter la couronne et les etats des princes qui en ſont legitimes poſſeſſeurs o]. Zu denen, welche ein Gleichgewicht bey Gelegen - heit der oͤſterreichiſchen pragmatiſchen Sanction an - erkant haben, gehoͤrt auch noch die Republick
Z 2Genua,356Von der Macht der Nazionen
  • Genua, welche deren Garantie nebſt andern Maͤchten im Aachner Frieden 1748, Art. 21. uͤbernommen.
  • Schweden trat dem vorangefuͤhrten hannoͤverſchen Tra - ctat zwiſchen Grosbritannien, Frankreich und Preuſ - ſen nach ſeinem ganzen Inhalt und alſo auch in Abſicht auf die Erhaltung des Gleichgewichts un - term 14. Maͤrz 1727 bey p]; und hat auch ſonſt, beſonders in Anſehung des nordiſchen Gleichgewichts, ſeine Geſinnungen fuͤr dieſes Syſtem an den Tag gelegt.

Jedoch es wuͤrde viel zu weitlaͤuftig ſeyn, hier alle die Staatsſchriften auszuziehn, worinn die vorbenanten und zum Theil auch wohl noch andere Nazionen das Sy - ſtem des europaͤiſchen Gleichgewichts zur Richtſchnur ihrer Handlungen ausdruͤcklich angenommen haben.

Es laͤßt ſich dagegen zwar einwenden q], daß dieſe Anerkennung nur in beſondern Faͤllen und doch keines - weges von allen europaͤiſchen Nazionen geſchehen ſey. Allein es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß man eben in dieſen Faͤllen, vornaͤmlich in der ſpaniſchen Erbfolgsan - gelegenheit, das Syſtem des Gleichgewichts fuͤr einen algemeinen Entſcheidungsgrund angeſehen habe, der nothwendig auch in aͤhnlichen Umſtaͤnden, zumal gegen dieienigen, die ſich deſſen zu ihrem Vortheil wider andere Staaten bedient haben, anwendbar ſeyn muß. Zudem gehoͤren die genanten Nazionen ohnſtreitig zu denen, wel - che die meiſten Kraͤfte zu Erlangung eines Uebergewichts beſitzen, die ſich folglich im gleichen Falle, ienes Geſetz auch wider ſich gelten zu laſſen, nicht entbrechen koͤnten. Die uͤbrigen Staaten haben das Syſtem des Gleichge - wichts zu Zeiten groͤſtentheils wenigſtens ſtilſchweigend befolgt, und wuͤrden, ihres eigenen Nutzens wegen, bey erforderlichen Umſtaͤnden, ſich ausdruͤcklich dazu zu beken - nen gewis kein Bedenken tragen. Herr Martens r] ur - theilt daher ſehr richtig, daß zwar nicht alle europaͤiſcheNa -357und deren Gleichgewicht.Nazionen es iederzeit anerkant, ſolches aber doch auch nicht ganz aufgehoben haben.

a]Dumont Corps diplomat. T. VII. P. II. p. 442. Ich bediene mich hier der teutſchuͤberſezten Stellen, wie ſie beim Lehmann a. ang. O. S. 15. u. f. anzutreffen.
a]
b]Corps diplom. a. ang. O. p. 477.
b]
c]Schmauſſens Corp. Jur. Gent. Acad. T. II. S. 1153.
c]
d]Lehmann S. 26.
d]
e]Corps diplom. T. VIII. P. I. p. 127.
e]
f]Schmauß C. J. G. T. II. S. 1160.
f]
g]Ebendaſelbſt S. 1312. Die erſte Renunciation iſt in ſpaniſcher Sprache abgefaßt. Die hier angefuͤhrten teut - ſchen Puncte habe ich aus dem Lehmann S. 30. genom - men.
g]
h]Schmauß T. I. S. 1722.
h]
i]Ebendaſ. S. 1740.
i]
k]Ebendaſ. S. 2012.
k]
l]Moſers Beitr. zum europ. Voͤlkerr. in Friedensz. 1. Th. S. 68.
l]
m]Schmauſſens Corpus Jur. Publ. Acad. S. 1400.
m]
n]Recueil hiſtorique etc. de Rouſſet T. VII. p. 464.
n]
o]Moſer am ang. O. S. 70.
o]
p]Schmauß Corp. J. G. T. II. S. 2077.
p]
q]Glafeys Voͤlkerr. c. II. §. 86. ingl. Erinnerungen uͤber Kahlens Balance S. 27.
q]
r]Martens Prim. lin. jur. gent. L. IV. c. I. §. 94. [die ich ſo eben erhalte.]
r]
Z 3§. 12.358Von der Macht der Nazionen

§. 12. Endzweck des Gleichgewichts.

Das Syſtem des Gleichgewichts hat die Erhaltung der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel - nen Nazionen, ſondern auch der großen Voͤlkergeſel - ſchaft Europens zur Abſicht a]. Das Wohl der leztern muß iedoch das vorzuͤglichſte Augenmerk dabey ſeyn, und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn. Dieſes Gleichgewicht ſoll die Macht der Nazionen und ihr Verhaͤltnis dergeſtalt gegeneinander abwaͤgen, daß keine unter ihnen zu einer uͤberwiegenden Groͤße anwach - ſe, welche die ganze Geſelſchaft der beſtaͤndigen Gefahr ausſetzen koͤnte, unterdruͤckt und verſchlungen zu werden, ſobald iene Macht fuͤr gut faͤnde, ſich zum Beherſcher und Geſezgeber uͤber ſie aufzuwerfen, weil es dieſer an Kraͤften fehlte, ihre Gerechtſame und Freiheit gegen der - gleichen Beeintraͤchtigungen auf irgend eine Art zu ver - theidigen.

a]Lehmann am ang. O. c. III. §. 8. u. 9.
a]

§. 31. Nuzzen und Nothwendigkeit des Gleichge - wichts.

Schon der Umſtand, daß man, vorgezeigtermaaſſen, den Grundſaz des Gleichgewichts faſt zu allen Zeiten be - folgt hat, bewaͤhrt einigermaaſſen deſſen Guͤte. In einer gleichen Geſelſchaft, wie die Geſelſchaft freier Voͤl - ker ſeyn muß, wo keine Oberherſchaft Statt findet, der die Handhabung der Geſetze und die Ahndung gegen deren Uebertreter, in Abſicht auf gemeinſchaftliche Sicherheit und Wohlfahrt, oblaͤge, ſondern wo ieder Beleidigteſelbſt,359und deren Gleichgewicht.ſelbſt, und allenfalls mit Beihuͤlfe anderer, fuͤr ſeine Genugthuung zu ſorgen hat, iſt es gewis keine uͤberflieſ - ſige Vorſicht, darauf Bedacht zu nehmen, daß die Mit - glieder an Macht einander ſo viel moͤglich gleich, wenig - ſtens nicht gar zu ſehr uͤberlegen ſind. Dieienigen, wel - che wiſſen, daß ſie einander gewachſen ſind, werden ſo leicht keine wechſelſeitigen Feindſeligkeiten unternehmen, weil ſie ſchwerlich einigen Vortheil, vielmehr die nach - theiligſten Folgen fuͤr ihr Wohl zu erwarten haben, wenn der Beleidigte, zumal mit Beihuͤlfe der uͤbrigen, billige Genugthuung an ihm nehmen koͤnte. Im Gegentheil iſt nichts gewoͤnlicher, als daß ein zu uͤbermaͤchtiges Volk, ſeine Kraͤfte zum Schaden und zur Unterdruͤckung ande - rer misbraucht, weil es keinen Nachtheil und Widerſtand zu befuͤrchten hat. Wie ſoll aber einer Nazion in ihren unrechtmaͤſſigen Unternehmungen Einhalt gethan und die - ſelbe zu Beobachtung der nothwendigen und freiwillig uͤbernommenen Pflichten gebracht werden, die an Macht nicht nur ihrem Gegner, ſondern den ſaͤmtlichen Gliedern einer Voͤlkergeſelſchaft uͤberlegen iſt? Das gemeine Beſte und die Sicherheit der einzelnen Nazionen erfordern es daher, ihrer Macht gewiſſe Schranken zu ſetzen, zu hin - dern, daß keine nach Belieben andre beleidigen koͤnne, und dafuͤr zu ſorgen, daß ſie im Stande ſind, iedem gewaltſamen Schritte gleichen Widerſtand zu thun a], damit ieder freie Staat ſicher und unbeſorgt neben dem andern beſtehen koͤnne, indem die beſtaͤndige Furcht der Unterdruͤckung allerdings uͤbler als der Krieg ſelbſt ſeyn muß. Schraͤnkt das Gleichgewicht ſchon die Pflicht und das Recht der Vergroͤſſerung einigermaaſſen, mit zuwei - liger Aufopferung rechtmaͤſſiger Vortheile ein, ſo iſt doch dieſer Verluſt ſehr geringe gegen den großen Nutzen, wel - cher der ganzen Voͤlkergeſelſchaft daraus zuwaͤchſt b].

Z 4a]360Von der Macht der Nazionen
a]Wolf J. G. c. VI. §. 643. Huldenburg am ang. O. c. III. §. 9. 10.
a]
b]Lehmann c. II. §. 52. u. 55.
b]

§. 14. Rechtmaͤſſigkeit des Gleichgewichts.

Eine andere wichtige Frage iſt es, ob das Syſtem des Gleichgewichts ſich mit den Grundſaͤtzen der Gerech - tigkeit vertrage? Daſſelbe ſoll den allzugroßen Anwuchs einer Macht, ſelbſt wenn ſie auf die rechtmaͤſſigſte Art erlangt werden koͤnte, einſchraͤnken, da doch die Geſetze der Natur iede ohne Beleidigung anderer zu erlangende Vergroͤſſerung nicht nur erlauben, ſondern ſogar verlan - gen. Nun beleidigt aber die Erweiterung der Macht einer Nazion an und vor ſich die Gerechtſame anderer nicht, weil man von der Kraft zu ſchaden noch nicht auf die Wuͤrklichkeit ſchlieſſen kan. Allein die Nazionen haben auch noch eine andere wichtige Pflicht, die Sorge fuͤr ihre Erhaltung und Sicherheit auf ſich, die, wenn ſie mit der Vergroͤßerungspflicht zuſammentrift, ohnſtrei - tig die Oberhand behalten muß. Sie iſt ſowohl im ur - ſpruͤnglich natuͤrlichen, als im geſelſchaftlichen Zuſtande das erſte Geſetz der Voͤlker, welches ſie berechtigt und verbindet, ſelbſt gegen eine gegruͤndete Furcht und ge - gen den hoͤchſten Grad der Wahrſcheinlichkeit dienliche Vorkehrungen zu treffen, die iedoch, ſo lange als es auf irgend eine Art moͤglich, keinem andern Rechte der Na - zionen zu nahe treten duͤrfen. Beſonders iſt in einer engern Verbindung mehrerer Voͤlker auf die Erhaltung der gemeinſchaftlichen Sicherheit und Ruhe hauptſaͤchlich Ruͤckſicht zu nehmen und alles aus dem Wege zu raͤumen, was dieſem Zwecke der Geſelſchaft entgegen iſt. Daß eine uͤberwiegende Macht nur zu oft zum Schaden undzur361und deren Gleichgewicht.zur Unterdruͤckung anderer gemisbraucht werde, lehrt die Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen muͤſſen daher bey dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegruͤn - dete Beſorgniß ihrer Sicherheit wegen verſezt werden. Alle Anſtalten wuͤrden fruchtlos dagegen ſeyn, wenn die ſaͤmtlichen uͤbrigen Glieder der Geſelſchaft nicht Kraͤfte genug haͤtten, der Gewalt eines Uebermaͤchtigen Wider - ſtand zu thun. Es iſt alſo kein wuͤrkſameres Mittel, dieſer Gefahr vorzubeugen, als die Einſchraͤnkung der zu ſehr uͤberhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg - lich ſind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts berechtigt und verbunden. Die Rechtmaͤſſigkeit einer ſolchen Einrichtung iſt auch um ſo weniger zu bezweifeln, wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig - keit der zum Wohl des Ganzen einzuſchraͤnkenden Macht freiwillig anerkennen.

Im natuͤrlichen Zuſtande einzelner Menſchen wuͤrde es freilich ungerecht ſeyn, wenn man [wie von einigen zu Entkraͤftung des Gleichgewichts eingewand wird] b] einem vorzuͤglich Starken Arme oder Beine zerbrechen ꝛc. wolte, damit er andern nicht ſchaden koͤnte. Dieſe Vor - ſicht waͤre hier ganz unnoͤthig, weil den uͤbrigen, durch Vereinigung, gewis immer noch Kraͤfte genug zum Wi - derſtand bleiben. In buͤrgerlichen Geſelſchaften iſt eine ſolche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da die Oberherſchaft den Ausſchweifungen der Maͤchtigen leicht Ziel ſetzen kann. Solte aber gleichwohl, beſon - ders in demokratiſchen und ariſtokratiſchen Staaten, ein Buͤrger durch ſeine Macht dem Staate zu gefaͤhrlich wer - den, und dieſer Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu - beugen ſeyn; ſo rechtfertigt das algemeine Beſte allerdings eine Einſchraͤnkung iener Macht und eine Art von Athe - niſchen Oſtraciſmus c].

a]Lehmann c. II. §. 60.
a]Z 5b]362Von der Macht der Nazionen
b]Erinnerungen uͤber Kahlens Balance ꝛc. S. 165. u. f.
b]
c]Man vergl. Wolf J. G. c. VI. §. 649. und Glafeys Voͤl - kerr. c. II. §. 9. 9. u. f.
c]

§. 15. Erlaubte Mittel zu Erhaltung deſſelben.

Es bedarf ohnſtreitig vieler Behutſamkeit in Beſtim - mung der gehoͤrigen Grenzen des Gleichgewichts und der zu Erhaltung deſſelben erlaubten Mittel a], damit ſol - ches, anſtatt die Gerechtſame und Freiheit der Nazionen zu ſichern, dieſelben nicht noch mehr beleidige. Ueber - haupt iſt zu merken, daß, da das Gleichgewicht die Ab - ſicht hat, zu verhindern, daß kein Volk eine Ueber - macht erlange, die den mit ihm verbundenen Nazionen gefaͤhrlich werden koͤnte, man mehr vertheidigungs - als angrifsweiſe zu Werke gehen, und ſich ſo viel moͤg - lich aller beleidigenden und gewaltſamen Mittel dabey enthalten muͤſſe.

Eine große Republick, wie Heinrich IV. von Frank - reich ꝛc. ſie ſich dachte, oder eine von mehrern Nazionen bereits geſuchte Univerſalmonarchie b] wuͤrden, obgedach - termaaſſen, dem Syſtem des Gleichgewichts vielleicht am zutraͤglichſten ſeyn; aber ſie duͤrften, wie bis itzt, ſo noch ferner eine Chimaͤre bleiben.

So lange die Macht einer Nazion noch nicht uͤber - wiegend wird, [§. 6.] deren Anwuchs iedoch Beſorg - niſſe zu erregen im Stande iſt, ob der ſich vergroͤßernde Staat gleich noch keinen Anlas zu Mistrauen gegeben hat, koͤnnen die uͤbrigen Nazionen keine andern Maas - regeln ergreifen, als daß ſie durch Verbeſſerung ihrer eignen Kriegsverfaſſung, Anlegung von Feſtungen ꝛc. durch Buͤndniſſe mit andern, ſich auf alle Faͤlle in guten Vertheidigungsſtand ſetzen c]. Faͤngt die Macht anuͤber -363und deren Gleichgewicht.uͤberwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch mehrerer Laͤnder, allenfals hinlaͤngliche Sicherheit fo - dern d]. Bloſſe Verſicherungen, ſelbſt durch Eide beſtaͤ - tigt, duͤrften aber dafuͤr kaum anzuſehn ſeyn, ſondern z. B. die Beſetzung der feſten Plaͤtze in den neuerworbe - nen Provinzen durch andere Nazionen ꝛc. e].

Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg und andere gewaltſame Mittel Statt finden? iſt eine von den Voͤlkerrechtslehrern aͤuſſerſt beſtrittene Frage.

Einige glauben mit Kahlen f], alle Nazionen, denen es um ihre Erhaltung zu thun waͤre, muͤſten dieie - nigen ſogleich fuͤr ihre Feinde anſehn, welche die Schranken einer gemaͤſſigten Macht uͤberſchritten, und nach einer Herſchaft ſtrebten, wodurch ienen fruͤher oder ſpaͤter der Untergang bereitet wuͤrde. Sie ſehen gute Kriegsanſtalten, Feſtungen, Vertheidigungsbuͤndniſſe ꝛc. fuͤr weiſe Maasregeln an, deren man ſich zufoͤrderſt bedienen muͤſſe; aber auſſerdem daß die Unterhaltung zahlreicher Armeen ꝛc. und die Schlieſſung der Buͤnd - niſſe mit vielen Koſten und oft nicht mit geringen Schwierigkeiten verknuͤpft ſind g], ſey es noch ſehr un - gewis, ob der maͤchtige Feind ſeinen Gegnern zu allen dieſen Vorkehrungen Zeit genug laſſen, oder ſie viel - mehr unvermuthet uͤberfallen werde. Es ſey daher beſ - ſer, zuvorzukommen, und iede uͤberhandnehmende Macht mit Gewalt einzuſchraͤnken. Folge gleich nicht, daß der Maͤchtigere den Schwaͤchern allezeit unterdruͤcke, ſo muͤſſe dieſer doch in beſtaͤndiger Furcht deshalb leben, weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft waͤre, man doch nicht wiſſe, was man von ſeinen Nachfolgern zu erwarten habe. Es wuͤrde unverantwortlich ſeyn, wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen ſehn wolte, bis er unvermeidlich waͤre. In Faͤllen, wo es unmoͤglich oder zu gefaͤhrlich ſey, eine voͤllige Ge - wisheit abzuwarten, muͤſſe man auch nach einer ver -nuͤnf -364Von der Macht der Nazionennuͤnftigen Muthmaßung und Wahrſcheinlichkeit zu Wer - ke gehn h].

Andere hingegen nehmen die Parthey des Grotius i], und misbilligen alles feindſelige Unternehmen gegen eine Nazion, die bey aller ihrer uͤberwiegenden Macht, durch ein gerechtes und vorſichtiges Betragen, andern doch keine Urſach zu Mistrauen giebt. Der Krieg, ſagen ſie, ſetze eine wuͤrkliche Beleidigung oder wenigſtens die moraliſche Gewisheit von der Abſicht zu beleidigen vor - aus, wofuͤr die Vergroͤßerung der Macht allein nicht anzuſehn, ob ſie gleich Furcht zu erregen vermoͤge. Das Gleichgewicht habe blos den Vortheil zur Abſicht, daß bey entſtehendem Kriege einer ungerechten Gewalt gleiche Macht entgegengeſezt werden koͤnne. Weder Furcht noch Nutzen berechtigten iedoch zum Kriege k]. Indes erlau - ben ſie den Krieg zu Erhaltung des Gleichgewichts gleich - wohl in gewiſſen Faͤllen, und zwar:

1] Wenn die Macht einer Nazion der ganzen Voͤl - kergeſelſchaft ſo furchtbar wird, [tremenda] daß man von der bevorſtehenden Beleidigung durch aufgefangene Briefe ꝛc. oder ſonſt, die klaͤrſten Beweiſe, wenigſtens eine moraliſche Gewisheit hat. Dieſe Nazion muß nicht allein durch ſtarke Ruͤſtungen, Truppenvermeh - rung ꝛc., ſondern auch durch deutliche Merkmale von Ungerechtigkeit, Habſucht, Stolz, Ehrgeiz und Herſch - begierde ſich verdaͤchtig gemacht haben l].

2] Wenn man einem rechtmaͤſſig kriegenden Bunds - genoſſen gegen einen uͤbermaͤchtigen Staat, aus Furcht vor Unterdruͤckung, beiſteht m], oder deſſen Feinden auf andere Art Vorſchub thut n].

3] Wenn bey Vergroͤßerung der Macht die deshalb verhandenen Vertraͤge verlezt werden.

Unter dieſen Umſtaͤnden haͤlt man es fuͤr erlaubt, der Gefahr zuvorzukommen, oder auch eine ſchon gar zumaͤch -365und deren Gleichgewicht.maͤchtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er - werbung mehrerer Laͤnder mit Gewalt zu hindern o].

Meinem Ermeſſen nach iſt des Gleichgewichts wegen kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur in dem Falle zu unternehmen, wenn eine ſchon maͤchtige Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue Erwerbungen, auf keine andere guͤtliche Art abzubrin - gen iſt.

Der Krieg ſetzt allerdings entweder eine ſchon wuͤrk - lich zugefuͤgte, oder doch die moraliſche Gewisheit einer bevorſtehenden Beleidigung voraus. Die Moͤglichkeit derſelben und die Furcht davor ſind allein keinesweges hinlaͤngliche Urſachen, ſo lange der Gegentheil im Noth - fall noch Kraͤfte genug zum Widerſtande hat. Wenn daher unter dieſen Umſtaͤnden ein Volk ſeine bereits erlangte Macht zum Nachtheil anderer nicht mis - braucht, und den uͤbrigen keine Gelegenheit zu gerechten Beſchwerden giebt, ſo wuͤrde ieder angreifende Krieg wider daſſelbe ungerecht ſeyn. Laͤßt es ſich aber Belei - digungen anderer zu Schulden kommen, ſo iſt die dage - gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht ſowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefuͤg - ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die Groͤße der Macht, als eine der haͤufigſten Quellen der Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen, zugleich zu Verringerung derſelben, eher, als ſonſt geſchehen ſeyn wuͤrde, zu ergreifen, damit man ſich deſto mehrere Sicherheit fuͤr die Zukunft verſchaffe.

Im Gegentheil handeln mindermaͤchtige Staaten den Grundſaͤtzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit der ganzen Voͤlkergeſelſchaft gemaͤs, wenn ſie die Ver - groͤßerungsabſichten einer ſchon gar zu maͤchtigen Nazion, ſelbſt die ſonſt rechtmaͤſſigen Erweiterungen ihrer Reiche und Provinzen durch Erbfolge, Heirath p], Wahl, Entdeckung, Eroberung, Tauſch q], oder aufan -366Von der Macht der Nazionenandere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts ſo viel moͤglich zu vereiteln, und noͤthigen Fals mit Gewalt der Waffen zu verhindern ſuchen r]. Die geſelſchaft - liche Verbindung, beſonders der europaͤiſchen Nazionen, macht eine ſolche Vorſicht nothwendig [§. 13. u. 14.] und die meiſten derſelben haben dieſe Nothwendigkeit nicht nur ſtilſchweigend, ſondern auch ausdruͤcklich aner - kant. [§. 11.] Wenn daher eine ſchon maͤchtige Na - zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens iſt, welche alles Gleichgewicht aufheben wuͤrden, nach deut - licher Ueberfuͤhrung von der dadurch unvermeidlichen Zerruͤttung dieſes Syſtems und erfolgter Abmahnung, von ihren Vergroͤßerungsabſichten dennoch nicht abſtehn wolte, ſo wuͤrde ſie die Vorſchriften des freiwilligen ſo - wohl, als des poſitiven Voͤlkerrechts beleidigen und den uͤbrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame durch Waffen die gegruͤndetſte Veranlaſſung geben.

Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh - rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fuͤrſten ſonſt von Rechtswegen gebuͤhrten, dem Gleichgewicht nach - theilig erachtet wird, pflegt zu ſeyn, daß man ſolche einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden Hauſes, mit der Bedingung uͤberlaͤßt, daß ſie mit dem Hauptlande nie vereinigt werden duͤrfen; welches in der bekanten ſpaniſchen Erbfolgsangelegenheit geſchah. Eini - ge rathen bey dergleichen Ereigniſſen lieber einen Frem - den, der auch nur das entfernteſte Recht dazu hat, zu waͤhlen, weil Regenten, die aus einem Hauſe entſproſ - ſen, durch Buͤndniſſe leicht ſich vereinigen, und ihre Macht zu Unterdruͤckung anderer misbrauchen koͤnten s].

Daß uͤbrigens ein Volk dem Rechte, ſich der Ver - groͤßerung eines andern zu widerſetzen, entſagen koͤnne, leidet keinen Zweifel t].

a]Io. Geo. Neureuter de juſtis aequilibrii finibus Mo -gunt. 367und deren Gleichgewicht.gunt. 1746. 4. Man vergl. Huldenburg am ang. O. C. IV. von Bielefeld 4. Hauptſt. §. 29.
a]
b]v. Bielefeld a. a. O. §. 30.
b]
c]Puffendorf J. N. et G. L. II. c. 5. §. 6. L. III. c. 6. §. 5. Wolf c. VI. §. 641. Vattel L. III. c. 3. §. 48.
c]
d]Cocceji in Comment. ad Grot. L. II. c. 1. §. 17. be - zweifelt iedoch, daß eine Nazion von der andern derglei - chen Sicherheit fodern koͤnne: dieſe haͤtte vielmehr Urſach, eine ſolche Zumuthung als eine ſelbſt durch Krieg zu raͤchen - de Beleidigung anzuſehn.
d]
e]Ickſtadt Elem. Jur. Gent. L. IV. c. 7. §. 9. Coroll. et Schol.
e]
f]Kahle a. a. O. §. VI.
f]
g]Lehmann c. II. §. 54.
g]
h]Vattel L. III. c. 3. §. 44. Kahrels Europ. Staats - und V. R. S. 20.
h]
i]Illud vero minime ferendum eſt, ſagt derſelbe, quod quidam tradiderunt, jure gentium arma recte ſumi ad imminuendam potentiam creſcentem quae nimium au - cta nocere poſſet. Fateor in conſultationem de bello et hoc venire, non ſub ratione juſti, ſed ſub ratione utilis: ut ſi ex alia cauſa juſtum ſit bellum, ex hac cauſa prudenter quoque ſuſceptum judicetur: nec aliud dicunt, qui in hanc rem citantur auctores. Sed ut vim pati poſſe ad vim inferendam jus tribuat, ab omni aequitatis ratione abhorret. Ita vita humana eſt, ut plena ſecuritas nunquam nobis conſtet. Adverſus in - certos metus a divina providentia et ab innoxia cautio - ne, non a vi praeſidium petendum eſt. L. II. c. 2. §. 17. und: Metum ergo ex vicina potentia non ſuf - ficere ſupra diximus. Vt enim juſta ſit defenſio, ne - ceſſariam eſſe oportet, qualis non eſt niſi conſtet, non tantum de potentia, ſed et de animo, et quidem itacon -368Von der Macht der Nazionenconſtet, ut certum id ſit ea certitudine quae in mora - li materia locum habet. Lib. II. c. 22. §. 5. Man vergl. Wolf c. VI. §. 640. u. 651.
i]
k]Wolf a. a. O. §. 646.
k]
l]Ickſtadt a. a. O. §. 10. Quodſi, heißt es daſelbſt, per acquiſitiones iſtas, a populo uno, aut etiam pluri - bus nexu perpetuo inter ſe confoederatis, eademve fors familia regnatrice gubernatis factas, aequilibrium ita tollatur, ut nullis amplius in contrarium ictis foe - deribus reduci queat: quodſi familia regnans atque gens acquiſitura affectati praedominii ambitaequae ſu - perioritatis in populos reliquos manifeſta huiusque in - dicia dederit; quodſi aliunde, praepotentiam in rerum - publicarum aliarum ruinam verſum iri, probabile ad - modum, vel certum plane exiſtat, neque tamen ſecu - ritatem cautionemque idoneam eadem praeſtare parata ſit; quin ſub his circumſtantiis, ex una parte aequi - pondii ſublatio, et ex altera idem integrum ſervandi obligatio juſtam bello cauſam praebeat, dubitari ne - quit.
l]
m]Cocceji ad Grot. L. II. c. 1. §. 17.
m]
n]Frankreich aͤuſſerte daher 1739 bey Gelegenheit des Krie - ges zwiſchen Grosbritannien und Spanien, auf die An - frage der erſtern Macht wegen der Neutralitaͤt: Dafern die Englaͤnder, wie ihre Abſicht zu ſeyn ſchiene, ſich eines oder des andern Platzes in dem ſpaniſchen Weſtindien be - maͤchtigten, ſo koͤnte man alsdenn nicht umhin, zu Er - haltung des Gleichgewichts die Parthey der Kron Spa - nien zu ergreifen. Fr. C. von Moſers kleine Schriften 6. Th. S. 309. Als ferner Frankreich mit den Nord - amerikanern waͤhrend ihres Krieges mit Grosbritannien, ſich in ein Buͤndnis einlies, und ſie fuͤr unabhaͤngig erkan - te, entſchuldigte es dies Verfahren damit: En traitantavec369und deren Gleichgewicht.avec les Americains devenus independans, le Roi n’a exercé un droit inhérent à la ſouveraineté que pour faire ceſſer une prepotence dont l Angleterre abuſoit dans les quatre parties du monde. Ainſi bien loin que le Roi ait eu à craindre de pêcher contre l inté - rêt de ſon état, dans la ſuppoſition qu’il pourroit nui - re à celui des autres Souverains de l Europe il a au contraire veillé eſſentiellement à l intérêt de tous en concourant à reſtreindre une puiſſance qui a tou - jours porté jusqu à l excès l abus de ſes moyens. La Cour de Londres préſente Sa Maj. comme n ayant eu d autre objet que de ſatisfaire ſon ambition immo - derée mais on n y decouvrira rien autre choſe, en dernière analyſe, ſi ce n eſt une diminution de cette même puiſſance, diminution que l Angleterre a Elle - même provoquće par la conduite la plus injuſte et la plus inconſequente et que la tranquillité et le bonheur de l Europe demandent depuis long-tems: on en ap - pelle à cet égard au jugement de toutes les nations qui ont la moindre relation ſoit politique ſoit mercan - tile avec la Grande-Bretagne. Obſervations ſur le Memoire juſtificatif de la Cour de Londres.
n]
o]Wolf c. VI. §. 640. 650. 651. Vattel L. III. c. 3. §. 44. 45. 49. Schrodt Syſt. J. G. P. III. c. II. §. 20-22.
o]
p]Die vereinigten Niederlande bedungen in einem Separat - artickel ihres Beitritts zum Wiener Frieden, daß die Ga - rantie der Erbfolge des Hauſes Oeſterreich, nach der pragmatiſchen Sanction, alsdenn nicht Statt haben ſolte, wenn dieienige von den Erzherzoginnen, auf welche ſolche fiele, einen ſo maͤchtigen Herrn heirathen ſolte, daß da - durch das Aequilibrium von Europa in Gefahr kaͤme; es ſey denn, daß dieſer Herr, in dieſem Fall, ſeine ihm vor der Heirath zugehoͤrig geweſenen Lande an ſeine naͤch - ſten Aguaten abtreten wolte.
p]A aq]370Von der Macht der Nazionen
q]Die Streitigkeiten uͤber das unlaͤngſt vorgeweſene Aus - tauſchungsgeſchaͤft Baierns gegen die oͤſterreichiſchen Nie - derlande und der dadurch veranlaſte teutſche Fuͤrſtenbund koͤnnen hierbey zum erlaͤuternden Beiſpiel dienen.
q]
r]Lehmann a. a. O. C. III. §. 25. nimt zu einer Grund - regel des Syſtems vom Gleichgewicht an: Eum, qui inſtitutum aequilibrii evertere conatur, omnibus me - diis revocandum; ſi haec non admittat, bello adigen - dum eſſe. Das Gegentheil behauptet Wolf c. VI. §. 647. u. 648. Die Vergroͤßerung der Macht, ſagt er, gehoͤrt zur Erhaltung und Vervolkomnung, welche das Recht der Natur iedem Volke vorſchreibt und erlaubt. Quan - do gens jure ſuo utitur, nullam tibi injuriam facit. Quamdiu igitur gens aliqua non agit niſi id, quod jure ſuo agere poteſt, utrum idem alteri utile ſit nec ne, attendere non tenetur. Dieſe Regel duͤrfte iedoch in einer geſelſchaftlichen Verbindung der Voͤlker, welche die gemeinſchaftliche Sicherheit zur Abſicht hat, ſchwerlich anwendbar ſeyn.
r]
s]Lehmann c. III. §. 7. 22. u. 23. Kahle §. XXVIII.
s]
t]So macht Frankreich im Raſtaͤdter Frieden Art. 30. ſich gegen Oeſterreich verbindlich de ne ſ oppoſer à la poſſes - ſion, que la maiſon d Autriche a ou pourra avoir à l avenir, ſoit par negociation, traité, ou autre voye le - gitime et paiſible, en ſorte toute fois, que la Neutra - lité d Italie n en ſoit point troublée.
t]

§. 16. Einwuͤrfe gegen das Syſtem des Gleichge - wichts.

Die hauptſaͤchlichſten Einwendungen, welche man gegen das Gleichgewicht zu machen pflegt, ſind ſchon beilaͤufig mit angefuͤhrt und beantwortet worden. Vie -le a]371und deren Gleichgewicht.le a] erklaͤren es fuͤr weiter nichts, als fuͤr eine Chimaͤre, und glauben, daß, wenn es auch gerecht und den Nazio - nen zutraͤglich waͤre, es doch nicht wohl zu erlangen und zu behaupten ſey, weil die Macht und die Verbindungen der Voͤlker ſo vielen Veraͤnderungen durch innere und aͤuſſere Revolutionen unterworfen waͤren. Selbſt bey einer gleichen Laͤndermacht hange die vorzuͤglichſte Groͤße von der innern Regierungsverfaſſung ab; es muͤſte daher, den Geſetzen der Freiheit zuwider, erlaubt ſeyn, ſich in die innern Angelegenheiten der Voͤlker zu miſchen, damit man die Uebermacht daraus zu beſtimmen im Stande waͤre. Allein eben dieſer oͤftern Veraͤnderungen wegen iſt das Gleichgewicht noͤthig und unter den Nazionen eingefuͤhrt, um zu verhindern, daß bey ſolchen Gelegen - heiten kein Volk eine Uebermacht erlange. Dieſe aber iſt, wie ſchon oben erinnert worden, nicht ſowohl nach der innern Einrichtung, als vielmehr nach dem Umfan - ge der Laͤnder zu beurteilen. Auch iſt es, dem Inhalt des vorigen Kapitels gemaͤs, in gewiſſen Faͤllen gar nicht unerlaubt, ſich um die Handlungen der uͤbrigen Nazionen zu bekuͤmmern.

Der Einwurf, daß das Syſtem des Gleichgewichts, welches Sicherheit und Ruhe befoͤrdern ſolle, wie die Erfahrung lehre, oͤfters eine Quelle ungerechter Kriege werde b], iſt zwar nicht ganz ungegruͤndet; allein der Misbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf: die be - ſten und gemeinnuͤtzigſten Anſtalten muͤſſen zuweilen zu Ausfuͤhrung der unrechtmaͤſſigſten Privatabſichten dienen. Bey der heutigen Verfaſſung der meiſten europaͤiſchen Staaten, darf es iedoch auch keine Nazion ſo leicht wa - gen, ihre Macht, unter dem Schein des Gleichgewichts, auf Unkoſten anderer vergroͤßern zu wollen.

Endlich wird dieſes Syſtem von manchen noch dar - um verworfen, weil es wider die Grundſaͤtze des Chri - ſtenthums ſtreite c]. Was in der Einleitung vom Gebrau -A a 2che372Von der Macht der Nazionenche der Bibel in der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft uͤberhaupt geſagt worden, dient auch hier zu Beantwortung dieſes Einwands. Nach deſſen Vorſchriften faͤnde ſelbſt gegen offenbare Feinde der Krieg nicht ſtatt.

a]Joh. Heinr. Gottlob von Juſti Chimaͤre des Gleichge - wichts von Europa, Altona 1758. 8. Man vergl. Real Science du Gouv. 6. Th. S. 587. der teutſchen Ueberſ. Hingegen heißt es in der mehr angezogenen Schrift des Herrn Staatsminiſter von Herzberg: Une telle balance, qui eſt fondée ſur le juſte deſir et ſur la loi de ſa pro - pre conſervation, n eſt ni chimerique, ni impoſſible, ni injuſte. S. 9.
a]
b]Hüldenburg c. III. §. 3. u. 11.
b]
c]Kahle §. XII.
c]

§. 17. Verſchiedene Gattungen des Gleichge - wichts.

Das Gleichgewicht findet zwiſchen allen Nazionen ſtatt, die in einer gewiſſen engern geſelſchaftlichen Ver - bindung leben, wie z. B. die ſaͤmtlichen Staaten in Europa, die in Aſien ꝛc. Da aber auch in dieſen Welt - theilen einige Voͤlker wiederum entweder in Anſehung ihrer benachbarten Lage nach einer beſondern Gegend, oder in anderer Ruͤckſicht, in noch naͤherem Verhaͤltnis ſtehen, ſo nimt man nicht nur ein algemeines europaͤi - ſches, ſondern auch ein nordiſches, ein italiaͤniſches ꝛc. ſowohl als ein Gleichgewicht der Schiffahrt und Hand - lung an.

*]Moſers Grundſaͤtze des Europ. V. R. in Frz. 1. B. 6. K. §. 5. S. 50.
*]
§. 18.373und deren Gleichgewicht.

§. 18. Gleichgewicht in Weſten.

Hier haben Frankreich und Spanien auf einer, Gros - britannien und Portugal auf der andern Seite eine Art von Gleichgewicht gegen einander zu erhalten geſucht.

*]Moſers erſte Grundlehren des Europ. V. R. 2. K. §. 52. S. 31.
*]

§. 19. Gleichgewicht in Norden.

Die nordiſchen Nazionen, Daͤnemark, Schweden, Polen, Preuſſen und Rußland haben beſonders in aͤltern Zeiten mehr unter ſich, als mit den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen in Verbindung geſtanden. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts entſtand des Gleichgewichts wegen unter ihnen eben keine Frage, bis Schweden an - fing ſich uͤber ſeine Nachbarn zu erheben, und beſon - ders den Reichen Daͤnemark und Polen gefaͤhrlich zu werden. Gegen Ende dieſes Zeitpunkts fand dieſes Reich an Rußland ſeinen vorzuͤglichſten Gegner, wel - ches ſich auf Schwedens Unkoſten gros zu machen ſuchte. Jeder Theil hatte ſeine Anhaͤnger und Bundsgenoſſen. Karl XII. von Schweden hatte Frankreich, die Pforte und zum Theil Grosbritannien und die vereinigten Nie - derlande, Peter der Große hingegen Daͤnemark, Polen, Preuſſen und Oeſterreich auf ſeiner Seite a]. Es ent - ſtanden in Beziehung auf das nordiſche Gleichgewicht verſchiedene Kriege unter dieſen Maͤchten, welche durch die Nyſtaͤdter, Stockholmer, Belgrader und Aboer Friedenſchluͤſſe ſich endigten. Der leztere hauptſaͤchlich verſchafte Rußland eine gewiſſe Uebermacht, welche mitA a 3der374Von der Macht der Nazionender Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile, den uͤbrigen nordiſchen Nazionen Beſorgniſſe erregte b]. Die nun hervorwachſende preuſſiſche Macht allein war vermoͤgend ihr einigermaaſſen das Gleichgewicht zu halten, ſo daß Rußland es in der Folge fuͤr noͤthig hielt, ſich deren ferneren Ausbreitung zu widerſetzen c]. In neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polniſche Theilung und andere vortheilhafte Ereigniſſe anſehnliche Vergroͤßerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver - moͤge der Aufmerkſamkeit der uͤbrigen europaͤiſchen Staa - ten, den Nachbarn nicht ſo leicht gefaͤhrlich werden kan d].

a]Neyron principes L. I. c. 2. Art. 3. §. 39.
a]
b]Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 24. u. f. S. 56.
b]
c]Im Jahre 1751 erklaͤrte die Kaiſerin in Rußland: Alle ihre Bemuͤhungen gingen nur dahin, den wichtigen Punkt wegen Erhaltung der Ruhe und des Gleichge-vichts in Norden ſicher zu ſtellen. Sie ſuchte deshalb die 1719 in Schweden eingefuͤhrte Regierungsform zu handhaben, und den Anwachs der preuſſiſchen Macht auf alle Art zu hin - dern. Es wurde auch 1755 in einer Verſamlung des ruſſiſchen großen Raths zu einer beſtaͤndigen Staatsmaxime des ruſſiſchen Reichs feſtgeſezt: ſich nicht allein allem fernern Anwachs der preuſſiſchen Macht zu widerſetzen, ſondern auch alle Kraͤfte anzuwenden, um das Haus Brandenburg in ſeinen vorigen mittelmaͤſigen Stand zu verſetzen; und daß man ſolches nicht allein thun wolte, wenn Hannover von Preuſſen angegriffen wuͤrde, ſondern auch, wenn man ſelbſt vor noͤthig faͤnde, den Krieg gegen Preuſſen zu erklaͤren und anzufangen; welche Entſchlieſung in der Folge mehrmalen beſtaͤtigt ward. Moſers Bei - traͤge zum Europ. V. R. in Frz. 1. Th. S. 73 u. 74.
c]d]375und deren Gleichgewicht.
d]Moſers Verſuch 1. Th. S. 72.
d]
*]Die Geſchichte des nordiſchen Gleichgewichts bis 1740 iſt enthalten in Schmauſſens Einleitung zur Staatswiſſen - ſchaft ꝛc. 2. Theil, die Hiſtorie aller zwiſchen den nordi - ſchen Potenzen ꝛc. geſchloſſenen Tractaten in ſich haltend, Leipzig 1760. 8.
*]

§. 20. Gleichgewicht im Orient.

Ehedem, und beſonders im ſechszehnten und ſieb - zehnten Jahrhundert war man im Orient wegen der uͤber - handnehmenden Macht der Pforte ſehr in Sorgen, und die benachbarten Staaten lagen deshalb beſtaͤndig mit ihr im Kriege. Sie iſt aber nach und nach ziemlich ein - geſchraͤnkt worden, und gegenwaͤrtig halten ihr Rußland und Oeſterreich dergeſtalt das Gleichgewicht, daß von ihrer Uebermacht wenig zu fuͤrchten ſteht.

*]Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 27. u. f. S. 57.
*]

§. 21. Italiaͤniſches Gleichgewicht.

Die Erhaltung des Gleichgewichts in Italien hat in aͤltern Zeiten oͤftere Unruhen, hauptſaͤchlich zwiſchen Spanien und Frankreich erregt, bis Kaiſer Karl V. die Oberhand behielt, indem er zum Beſitz von Neapel, Sicilien, Sardinien, Mayland ꝛc. gelangte. Dieſe Uebermacht verſchwand iedoch, als nach deſſen Tode 1558 die Kaiſerwuͤrde von Spanien getrennt ward. Nach dem Abgange der oͤſterreichiſchen Linie in Spanien 1700 entſtanden neue Streitigkeiten, aber das HausA a 4Oeſter -376Von der Macht der NazionenOeſterreich blieb im Beſitz des groͤſten Theils der ſpani - ſchen Lande in Italien, Sicilien ausgenommen, welches an Savoyen kam. In der Folge erwarb die ſpaniſche Linie des Hauſes Burbon in der Quadrupelallianz, dem Wiener und Aachner Frieden ꝛc. anſehnliche Lande, als Neapel, Sicilien und Parma. Im Jahr 1752 errichte - ten Spanien, Sardinien und Oeſterreich des Gleichge - wichts und der Ruhe in Italien wegen einen Tractat a], und der Koͤnig von Sicilien ſtelte, als er 1759 die Kron Spanien erhielt, und erſteres Reich ſeinem dritten Prin - zen abtrat, zugleich feſt, daß dieſe beiden Koͤnigreiche in Zukunft iederzeit von einander getrennt und von ver - ſchiedenen Regenten beherſcht werden ſolten. Itzt iſt ſeit langer Zeit von einer Gefahr in Anſehung dieſes Gleichgewichts nichts zu vernehmen geweſen b].

a]Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 79.
a]
b]Ebendeſſelben Verſuch 1. Th. S. 73. u. f.
b]

§. 22. Gleichgewicht im teutſchen Reiche.

Teutſchland komt in Ruͤckſicht des Gleichgewichts doppelt in Anſchlag. Einmal traͤgt die conſtitutions - maͤſige Fortdauer dieſer aus mehrern obgleich nicht voͤllig ſouverainen Staaten zuſammengeſezten ſonderbaren Mo - narchie zu Erhaltung des algemeinen Gleichgewichts in Europa nicht wenig bey; wie dies die uͤbrigen Nazionen bey verſchiedenen Gelegenheiten erkant haben. Dann aber haͤngt iene Fortdauer ſelbſt von einem gewiſſen Gleichgewichte der Macht unter den einzelnen Gliedern dieſes Staatskoͤrpers gegeneinander und gegen deſſen Oberhaupt ab. Je enger die Verbindung iſt, worinn mehrere Staaten leben,[und] ie nothwendiger die Be -ob -377und deren Gleichgewicht.obachtung der feſtgeſezten wechſelſeitigen Verbindlichkei - ten zu Erhaltung des gemeinſamen Bandes iſt, deſto groͤßer muß die Sorgfalt der ſaͤmtlichen Mitglieder ſeyn, daß keins derſelben ſeine Macht zum Nachtheil der Freiheit und Gerechtſame der uͤbrigen zu ſehr erwei - tere. Das teutſche Reich iſt ein aus mehrern groͤßern und kleinern Staaten zuſammengeſezter Staatskoͤrper, deſſen Oberhaupt in Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt, ſo wie den ſtaͤndiſchen Freiheiten dabey durch Grundgeſetze zwar gewiſſe Grenzen vorgezeichnet ſind, die iedoch von beiden Seiten leicht uͤberſchritten werden koͤnten, wenn nicht eine gewiſſe Gleichheit der Macht ſowohl zwiſchen Haupt und Gliedern, als unter den leztern ſtatt faͤnde; zumal da das Staatsintereſſe die Wahl eines maͤchtigen Standes zum Oberhaupt erfodert. Es iſt daher eine beſtaͤndige Aufmerkſamkeit noͤthig, damit iedes Mitglied bey dem freien und geruhigen Genuß ſeiner Lande, Be - ſitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli - chen und willkuͤhrlichen Unternehmung gehindert wer - de a]. Dies iſt der Grund des Gleichgewichts im teutſchen Reiche. Bey Gelegenheit der Streitigkei - ten uͤber den baierſchen Laͤndertauſch waren die Meinun - gen uͤber den Begrif des Gleichgewichts in Teutſchland getheilt. Kaiſerlicher Seits behauptete man b]: Das wahre Gleichgewicht der Gewalt in Anſehung der Staͤn - de unter ſich, haͤngt nach der teutſchen Verfaſſung nur allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern ſich gar keiner Gewalt anmaße, ſondern daß ieder derſelben der beſtelten geſetzmaͤſigen Obergewalt untergeordnet blei - be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An - ſehung des Reichsoberhaupts gegen die derſelben unterge - bene Staͤnde einzig darauf beruht, daß die leztern an der Geſetzgebung und an einigen andern in den Geſetzen benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi - ſche Gewalt durch die dazu beſonders geordnete StaͤndeA a 5vol -378Von der Macht der Nazionenvolbracht und dazu in der Regel nur die von den Staͤn - den geſtelte Manſchaft gebraucht werde. Dieſem einzi - gen wahren und weſentlichen Gleichgewichte im teutſchen Reiche ſtehet keinesweges die allen Staͤnden deſſelben gebuͤhrende Befugnis entgegen, ſo viele Reichslande an ſich zu bringen, als ihnen verliehen werden, oder in rechtlicher Ordnung an ſie fallen, oder ſonſt auf eine den Geſetzen gemaͤße Art, durch Tauſch und andere er - laubte Wege von ihnen erworben werden koͤnnen. Nur iene Staͤnde zerſtoͤren dieſes Gleichgewicht, welche ein - ſeitige Buͤndniſſe gegen andere errichten, uͤber Dinge, die nur der Erwegung und Entſcheidung aller vorbehal - ten ſind, wilkuͤhrlicher Urteile ſich anmaßen, ſogar zu derer bewafneter Behauptung ſich unter einander vereini - gen, und ſolchergeſtalt allen uͤbrigen eine ganz unbefugte Obergewalt aufdringen wollen. Dagegen aber wurde von koͤniglich preuſſiſcher Seite geaͤuſſert c]: Nach die - ſen hier wilkuͤhrlich und ohne Beweis angenommenen groͤſtenteils unaͤchten Grundſaͤtzen wuͤrde das Gleichge - wicht der Gewalt im teutſchen Reiche faſt ganz in der Wilkuͤhr der hier ſogenanten Obergewalt, worunter man den Kaiſer zu verſtehen ſcheint, beruhen, und wuͤrde das Schickſal der vermeintlich untergebenen Reichsſtaͤnde ſehr mißlich ſeyn. Zum Gluͤck fuͤr den konfoͤderirten Staat von Teutſchland hat deſſen gewaͤhltes Oberhaupt keine andere Obergewalt, als welche die Erbfuͤrſten, die es gewaͤhlt, ihm durch die von ihm beſchworne Wahlka - pitulation aufgetragen haben. Nach ſolcher beruhet die geſetzmaͤſige Obergewalt nicht bey dem Kaiſer allein, ſondern fuͤr die Geſetzgebung, bey dem Kaiſer und den Staͤnden zuſammen; in Anſehung der exekutiviſchen Gewalt, allein auf die dazu beſonders geordneten Staͤn - de. Wenn ſie der Kaiſer, als ſolcher, fuͤr ſich allein, oder als ein dazu nicht verordneter Reichsſtand, aus - uͤben will, wenn er ſeinen ſchwaͤchern Mitſtaͤnden Kon -ven -379und deren Gleichgewicht.ventionen, nach einſeitiger Konvenienz, oder widerrecht - liche und ihnen nachtheilige Tauſchhandlungen abzudrin - gen ſucht; wenn er die groͤſten Reichslande ohne Ein - ſtimmung aller dazu gehoͤrigen Erbfuͤrſten und des ge - ſamten Reichs, wider deſſen Syſtem und poſitive Geſe - tze, durch ungeſetzmaͤſſige Mittel an ſich zu bringen ſucht, ſo zerſtoͤrt er dadurch allerdings das Gleichgewicht des Reichs; ſo misbraucht er dadurch die Gewalt, welche die Wahlfuͤrſten ihm aufgetragen haben, und alsdann tritt das Recht ein, welches das alte Herkommen, der Osnabruͤckiſche Friedensſchlus Art. 8. §. 2. und die Wahlkapitulation Art. 3. §. 6. und Art. 6. §. 4. ihnen zugeeignet haben, Buͤndniſſe unter ſich und mit Aus - waͤrtigen, zu Erhaltung ihrer Rechte und Sicherheit zu ſchlieſſen; ſie ſchlieſſen ſolche dadurch nicht gegen den Kaiſer und das Reich, ſondern gegen einen ſeine Macht misbrauchenden Mitſtand; ſie zerſtoͤren dadurch nicht, ſondern erhalten das Gleichgewicht, ſie dringen nie - manden eine unbefugte Obergewalt auf, ſondern ſie ſuchen ſie nur abzuwenden; ſie maſſen ſich keine wilkuͤhr - liche Beurtheilung uͤber Dinge an, die nur der Erwaͤg - ung und Entſcheidung Aller vorbehalten ſind ꝛc. Die geſunde Vernunft und die geſchichtmaͤſige Erfahr - ung beweiſet auch genugſam, daß in einem, ſo wie das teutſche Reich, verbundenen Freiſtaat, das aus ſo vie - len maͤchtigen, mittelmaͤſigen und ſchwachen Staͤnden beſteht, auſſer der an ſich wenig wirkſamen Macht der Geſetze, ein wahres Gleichgewicht der Macht zwiſchen dem Kaiſer und Staͤnden, und den Staͤnden unter ſich, ſeyn und dadurch erhalten werden muß, daß ein ieder Stand und ein iedes erbfuͤrſtliches Haus bey ſeinen alt - erblichen Beſitzungen erhalten, und die mindermaͤchtige nicht von den Maͤchtigern durch allerhand zweideutige von den leztern leicht zu erſindende Mittel verdrungenwer -380Von der Macht der Nazionenwerden, ſonſt wuͤrde das geſetzmaͤſige Gleichgewicht bald und oft aufhoͤren und verſchwinden. ꝛc. d]

Iſt der Ausdruck: Gleichgewicht von Teutſch - land auch neuern Urſprungs e]: ſo findet man doch von der Sache ſelbſt ſchon Spuren in den aͤlteſten Zeiten. Von ieher haben ſowohl Kaiſer, als Staͤnde, ihr An - ſehn und ihre Gewalt uͤber die vorgeſchriebenen Grenzen zu erweitern geſucht. Indes hat die Freiheit der leztern immer maͤchtige Vertheidiger ſowohl unter den Mitſtaͤn - den, als unter auswaͤrtigen Nazionen gefunden. Der Einflus der leztern in die teutſchen Reichshaͤndel wird be - ſonders ſeit den Zeiten Kaiſer Friedrichs I., der die Unter - druͤckung der Staͤnde zur Hauptabſicht hatte, merklicher. Die auswaͤrtigen Koͤnige, ſagt Olenſchlager f], fin - gen ſeit dieſer Zeit an, ihre eigne Freiheit nach dem Schickſale der teutſchen Staͤnde zu ſchaͤtzen. Jedoch war damals noch nicht ſo viel zu befuͤrchten, weil das Unvermoͤgen der meiſten Staaten keine gar zu gefaͤhrli - chen Unternehmungen verſtattete. Als ſie aber im funf - zehnten und ſechszehnten Jahrhundert almaͤhlig ſich zu erheben begannen, und beſonders das Haus Oeſterreich, deſſen Regenten ſich ſeit einer langen Reihe von Jahren im Beſitz der Kaiſerwuͤrde befanden, zu einer fuͤrchterli - chen Macht emporwuchs, die den Staͤnden zu manchen nicht ungegruͤndeten Beſchwerden Anlas gab, ward die Sorge fuͤr das Gleichgewicht zwiſchen der kaiſerlichen Macht und den Reichsſtaͤndiſchen Freiheiten immer noth - wendiger. Die Staͤnde ergriffen nicht nur ſelbſt die erforderlichen Maasregeln hierunter, indem ſie den wil - kuͤhrlichen Anmaſſungen der Kaiſer durch Wahlkapitula - tionen ꝛc. zuvorzukommen bedacht waren, ſondern erhiel - ten auch hauptſaͤchlich Frankreichs Unterſtuͤtzung, das ſich der teutſchen Reichsſtaͤnde meiſtens annahm, zumal da Kaiſer Karl V., unter dem Schein der Religion, die Zernichtung der teutſchen Freiheit unternahm. Hiertrift381und deren Gleichgewicht.trift das Gleichgewicht von Teutſchland mit dem Gleich - gewicht von ganz Europa zuſammen, deſſen Geſchichte, ſo wie die zwiſchen den Staͤnden unter ſich und mit aus - waͤrtigen Maͤchten deshalb geſchloſſenen Vertraͤge ſchon oben [§. 10.] erzaͤhlt worden ſind. Der dreiſſigiaͤhrige Krieg und daraufgefolgte weſtphaͤliſche Friede von 1648 machen die Hauptepochen im teutſchen Gleichgewichte aus, und der leztere wird noch itzt als die Grundlage deſſelben betrachtet, worauf faſt alle folgende Friedensſchluͤſſe und Vertraͤge im teutſchen Reiche gebaut ſind.

In Anſehung der neuern Zeiten heißt es in der oban - gefuͤhrten fuͤrtreflichen Abhandlung des Herrn Staats - miniſters von Hertzberg g]: Das Gleichgewicht von Teutſchland waͤre in dem Kriege, welcher 1756 unver - muthet ſich entſpann, in Gefahr geweſen, gaͤnzlich zer - ruͤttet zu werden, wenn die preuſſiſche Monarchie von ihren Feinden vernichtet worden waͤre. Zum Gluͤck hielt der große Koͤnig dieſen Krieg ſieben Jahr lang wider die vornehmſten Maͤchte von Europa aus, auf eine Art, die in der Geſchichte ohne Beiſpiel iſt, und das Gleichge - wicht von Teutſchland ward durch den Frieden, welchen ich 1763 zu Hubertsburg nach Grundſaͤtzen eines gerech - ten, dauerhaften und ehrenvollen Frieden, ſo wie man deshalb zuvor uͤbereingekommen war, zu ſchlieſſen die Ehre hatte, wiederhergeſtelt.

Als das Kurhaus Baiern 1778 erloſch, ſchien das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland durch die An - ſpruͤche, welche der Wiener Hof auf Nieder-Baiern machte, in Gefahr zu ſeyn. Der Koͤnig von Preuſſen widerſezte ſich denſelben als ein Mitſtand des Reichs nicht nur, um das Erbfolgsrecht des Haufes Pfalz auf ganz Baiern zu behaupten, ſondern auch, um das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland zu vertheidigen. Daraus entſtand ein Krieg, den der Friedensſchlus zu Teſchen 1779 gluͤcklich beendigte. Durch demſelbenward382Von der Macht der Nazionenward das teutſche Gleichgewicht erhalten und dem Hauſe Pfalz der groͤſte Theil der baieriſchen Erbſchaft, unter Garantie zwey großer Hoͤfe, gelaſſen.

Das Syſtem des Gleichgewichts in Teutſchland er - regte neue Beſorgniſſe, als zu Anfang des Jahres 1785 der Vorſchlag eines Austauſches von Baiern gegen die Niederlande auf die Bahn gebracht wurde. Der Koͤnig von Preuſſen nebſt dem Herzoge von Zweibruͤcken zog die Vertraͤge von Teſchen und Pavia ſowohl, als das teutſche Gleichgewicht als unerſchuͤtterliche Geſetze gegen alle Veraͤuſſerung Baierns an. Der kaiſerliche Hof verſicherte in oͤffentlichen Erklaͤrungen, daß er nie an einen gewaltſamen Tauſch von Baiern denken wuͤrde, und erneuerte dadurch das Zutrauen, das man iederzeit in ſeine Gerechtigkeitsliebe und Grosmuth geſetzt hat. Die vornehmſten Glieder des pfaͤlziſchen Hauſes erklaͤr - ten ihrer Seits, daß ſie ſich nie zu einen freiwilligen Austauſch von Baiern verſtehen wuͤrden. Durch dieſen Zuſammenflus beſonderer Umſtaͤnde und oͤffentlicher auf einander ſich beziehender Erklaͤrungen iſt nun, ohne einen foͤrmlichen Vertrag, eine neue, feierliche im Angeſicht von Europa volzogene Verbindung der vornehmſten inter - eſſirten Theile entſtanden, welche die Sicherheit und das Gleichgewicht von Teutſchland auf lange Zeit befeſtigt. Indes gaben dieſe Unruhe und Beſorgniſſe, welche der bloße Name eines ſolchen Vorhabens nothwendig erwek - ken muſte, zu der conſtitutionsmaͤſigen Aſſociation Anlas, welche den 23ſten Julius [1785] zu Berlin zwi - ſchen den drey Kurfuͤrſten von Sachſen, Brandenburg und Braunſchweig geſchloſſen ward h]. Als eine Erneu - erung der alten Verbindung der erlauchten contrahirenden Haͤuſer iſt ſie blos vertheidigend, und hat lediglich die Erhaltung des conſtitutionsmaͤſigen Syſtems des teut - ſchen Reichs ſowohl, als der Beſitzungen und Rechte aller ſeiner Glieder zum Gegenſtand i]. Mankan383und deren Gleichgewicht.kan ſich mit einigem Grunde ſchmeicheln, daß dieſe an - fangs verkante und verdaͤchtig geſchienene Aſſociation mit der Zeit zur neuen Grundlage des Wohls und der Sicherheit Teutſchlands werde dienen, und den Gedan - ken des ehemaligen Gleichgewichts der Macht erneuern koͤnnen, das in einer verbuͤndeten Monarchie, wie das teutſche Reich, durchaus nothwendig iſt, und ohne wel - ches die Geſetze und Vertraͤge dieſes Reichs nicht lange ihre Kraft behalten, ſondern ſie fruͤher oder ſpaͤter ver - lieren wuͤrden. k]

Unter den Staͤnden hat das Kurhaus Brandenburg, indem es der kaiſerlichen Macht das Gegengewicht zu halten ſich bemuͤht, beſonders ſeit ſeinem Anwachs durch die Erwerbung von Schleſien und andere betraͤchtliche Erweiterungen ſeiner Laͤnder, bey andern zuweilen ſelbſt den Verdacht gefaͤhrlicher Abſichten erregt l]. Daß aber die Unterdruͤckung teutſcher Freiheit, wenn ſie auch zu Preuſſens vermeintlichen Vorteile moͤglich waͤre, dem wahren Intereſſe dieſes Hauſes nicht angemeſſen ſey, iſt in der Dohmiſchen Abhandlung ſehr einleuchtend ge - zeigt worden m]. Vielmehr ſcheint es ſeine Aufmerk - ſamkeit auf die Erhaltung des nordiſchen und teutſchen Gleichgewichts geteilt zu haben n].

a]Koͤnigl. preuſſiſche Erklaͤrung der Urſachen ꝛc. in Betref des Baieriſchen Tauſches vom Auguſt 1785. im polit. Journal, September 1785. S. 887. u. f. Man ver - gleiche C. W. Dohm uͤber den teutſchen Fuͤrſtenbund, 1785. 8. S. 15. u. f.
a]
b]Kaiſerliche Pruͤfung der Urſachen einer Aſſociation ꝛc. im polit. Journ. November 1785. S. 1111.
b]
c]Beantwortung der zu Wien herausgekommenen ſogenanten Pruͤfung der Urſachen ꝛc. Polit. Journal, December 1785. S. 1244.
c]d]384Von der Macht der Nazionen
d]Man vergl. von Herzberg a. a. O. S. 22.
d]
e]Dohm a. a. O. S. 18.
e]
f]Erlaͤuterung der goldenen Bulle S. 92. u. 100.
f]
g]S. 18.
g]
h]Die bey dieſer Aſſociation eintretenden Umſtaͤnde hat der Herr Geheimerath Dohm in der vorangezogenen Schrift ſehr gruͤndlich eroͤrtert; wo auch die Gruͤnde der Gegen - ſchrift: Ueber die koͤniglich-preuſſiſche Aſſociation ꝛc. von Otto von Gemmingen, Reichsfreyherrn, ge - pruͤft werden.
h]
i]In der koͤniglich-preuſſiſchen Erklaͤrung der Urſachen ꝛc. heißt es: Es faͤlt in die Augen und Sinne, daß, wenn dem Hauſe Oeſterreich frey ſtuͤnde, den ſo weitlaͤufti - gen Staat von Baiern, gegen ein ihm entlegenes dreifach kleineres Land zu vertauſchen, ſeine mit Bai - ern grenzenden Staaten damit zu vereinigen, und da - durch ſeinen ſchon ſo uͤberwiegenden Staatskoͤrper auf eine ſo uͤbertriebene als unbillige Art zu verſtaͤrken, alsdenn das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland ſich gaͤnzlich verlieren, und ſowohl die Sicherheit und Freiheit aller uͤbrigen Reichsſtaͤnde blos von der Maͤſigung des Hauſes Oeſterreich abhaͤngen wuͤrde. Dieſes ſchon ſo große und uͤbermaͤchtige Haus ſolte ſich doch an ſeiner ſo weitlaͤufti - gen Monarchie begnuͤgen, und nicht an neue, an ſich nicht rechtmaͤſige Erwerbungen gedenken, welche nicht allein Teutſchland, ſondern auch ganz Europa beunruhigen muͤſſen. Da nun Se. Koͤnigl. Maj. von Preuſ - ſen bey einer ſo widerrechtlichen als wilkuͤhrlichen Ver - groͤßerung ihres Nachbarn nicht gleichguͤltig ſeyn koͤnnen, da Sie als Kur - und Reichsfuͤrſt und als Contrahent und Garant des weſtphaͤliſchen und teſchniſchen Friedens ſo berechtigt als intereſſirt ſind, darauf zu wa - chen, und mit allen Kraͤften darauf zu halten, daß dasganze385und deren Gleichgewicht.ganze teutſche Reich in ſeinem conſtitutionsmaͤſigen Syſtem und Gleichgewicht erhalten, und beſonders, daß nicht eines der groͤſten und aͤlteſten fuͤrſtlichen Haͤuſer, das zu dieſem Gleichgewichte noͤthig iſt, faſt aus dem Reiche ver - trieben werde; ſo haben Sie geglaubt, fuͤr Ihre und des ganzen teutſchen Reichs Sicherheit und Wohlfahrt nicht weniger thun zu koͤnnen, als daß Sie Ihren hohen Mit - ſtaͤnden eine Vereinigung antragen, welche keinen andern Endzweck hat, als die gegenwaͤrtige geſezmaͤſige Verfaſſung des Reichs zu erhalten ꝛc. die alſo weder gegen den Kaiſer, noch das Reich, noch gegen einigen Reichsſtand gerichtet iſt, die den Rechten und der Wuͤrde Ihrer Kaiſerl. Majeſtaͤt gar nicht zu nahe tritt, und den Wiener Hof weder beleidigen, noch beunruhigen kann, wenn ſeine Abſichten und Geſinnungen fuͤr die Erhaltung des Reichs-Syſtems ſo beſchaffen ſind, wie man von der Grosmuth und Rechtſchaffenheit des Reichsoberhaupts er - warten kan und auch zuverſichtlich erwartet. Die Aſſociation ward Anfangs zwiſchen den drey Kur - fuͤrſten Sachſen, Brandenburg und Braunſchweig geſchloſ - ſen. Ihr traten aber nachher, auf preuſſiſche Einladung, der Kurfuͤrſt von Mainz, Sachſen Weimar, Heſſen ꝛc. bey. v. Herzberg am a. O. S. 21. u. 22. Politiſches Journal, December 1785. S. 1311.
i]
k]Eine Samlung der vorangefuͤhrten Staatsſchriften, den baieriſchen Laͤndertauſch und Fuͤrſtenbund betreffend, findet man auch in Reuß teutſcher Staatskanzley 12. Th. S. 193-354.
k]
l]Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 77.
l]
m]Dohm am a. O. S. 41.
m]
n]Neyron principes du droit de G. L. I. c. 2. art. 3. §. 40.
n]
B b§. 23.386Von der Macht der Nazionen

§. 23. Gleichgewicht der Religion.

Seitdem durch Luthers Reformation die Staͤnde des teutſchen Reichs, in Anſehung der Religion, in zwey Corpora, naͤmlich den Evangeliſchen und Catholiſchen Reichstheil ſich abgeſondert haben, ſind der Religion halber, wohin man den meiſten Reichsgeſchaͤften eine Beziehung zu geben geſucht hat, mancherley Streitigkei - ten unter ihnen entſtanden. Jeder Theil war bemuͤht, die Oberhand uͤber den andern zu gewinnen. Durch den Religions - und weſtphaͤliſchen Frieden iſt, ſo viel moͤglich, eine voͤllige Gleichheit der Rechte unter beiden Theilen eingefuͤhrt worden, die ieder bey aller Gelegen - heit ſorgfaͤltig zu erhalten und dem andern keine Art von Uebergewicht einzuraͤumen bedacht iſt.

*]J. J. Moſers teutſche Religionsverfaſſung 1. B. 11. K. §. 10. u. f. Joh. Chriſt. Quiſtorp von den vornehm - ſten Faͤllen, in welchen ſich die durch teutſche Reichsgrund - geſetze der evangeliſchen Religion zugeſicherte Gleichheit am meiſten zeigt. u. Beitraͤge zur Erlaͤuterung unentſchiedener Rechtsmaterien 1780. 8. 1. B. Nr. 4.
*]
**]In einer zu Wien 1785 erſchienenen Schrift: Poli - tiſche Betrachtungen und Nachrichten ꝛc. werden die ſaͤmtlichen proteſtantiſchen Reichsſtaͤnde ſogar wahre Anti - poden des Reichsoberhaupts und der alten geſetzmaͤſigen Reichsverfaſſung genant, und von dem Corpore Evan - gelicorum eine Revolution fruͤher oder ſpaͤter prophezeit, die dem roͤmiſch-teutſchen Reiche ein Ende machen werde. Dohm am a. O. S. 137.
**]
§. 24.387und deren Gleichgewicht.

§. 24. Gleichgewicht der Schiffahrt und Hand - lung.

Die Vorzuͤge, welche Grosbritannien in Anſehung der Schiffahrt und Handlung vor andern Nazionen zu erwerben gewuſt hat, haben ſchon laͤngſt deren Eiferſucht erregt. Beſonders aber iſt von Seiten Frankreichs, ſo - wohl in Staatsverhandlungen a] als von franzoͤſiſchen Privatſchriftſtellern b] oͤfters die Nothwendigkeit eines Gleichgewichts der Macht zur See einleuchtend zu ma - chen geſucht worden, weil alle handelnde Nazionen die grosbritanniſche Macht zur See zu fuͤrchten haͤtten, in - dem dieſer Staat von ieher eine unumſchraͤnkte Herſchaft zur See an ſich zu reiſſen und den Handel aller uͤbrigen Nazionen zu verſchlingen trachte. Da aber, wie unten gezeigt werden wird, die Erweiterung der Herſchaft zur See nicht ſo leicht wie die zu Lande geſchehen kan, die innern Vergroͤßerungen der Macht durch Handlung und andere gute Anſtalten, inſofern dadurch den Gerechtſa - men anderer nicht zu nahe getreten wird, das Gleichge - wicht auch nicht aufheben, [§. 6.] ob ſie gleich keinen geringen Einflus darauf haben c], ſo kann man das Gleichgewicht der Schiffahrt und Handlung mit Recht eine ungereimte Chimaͤre nennen d], deſſen Noth - wendigkeit und Bewuͤrkung der Neid gegen die uͤberwie - gende brittiſche Handlung und Schiffahrt den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen vorgepredigt und empfohlen hat e].

Auch von einem Gleichgewicht auf dem baltiſchen Meere insbeſondere, deſſen Erhaltung Daͤnemark ſich angelegen ſeyn laſſe, iſt ſchon die Rede geweſen f].

a]Bey Gelegenheit des Krieges zwiſchen Spanien und Gros - britannien aͤuſſerte Frankreich 1742. L eſcadre que le roi avoit envoyée, ne commit aucune hoſtilité contreB b 2l Ang -388Von der Macht der Nazionenl Angleterre et ne troubla ſon commerce en rien du monde, tandis que les Anglois, bien loin de ſuivre cet exemple de modération, ne reſpectèrent ni l inde - pendance de notre Pavillon, ni la liberté de la naviga - tion, ni le droit des gens et de neutralité. Ils forme - rent à leur gré, comme s ils étoient Souverains des Mers, un nouveau Code de Marine et viſiterent tous les Bâtimens Etrangers, même ceux des Hollandois et ſe crurent en droit de confisquer touts les effets qu ils pretendoient ſous des prétextes ſupoſés appar - tenir aux Eſpagnols. Ils ont ajouté depuis une infinité d inſultes de toute eſpèce, par lesquelles on peut juger ce qu on auroit à craindre d eux, ſ ils par - venoient enfin au ſuccès du projet, qu’ils ont tant de fois annoncé à l Europe, de ſe rendre les maitres de la Mer et du commerce. Auch heißt es 1758 in einer oͤffentlichen Schrift des franzoͤſiſchen Geſandten am ruſſiſchen Hofe: Toutes les nations commerçantes devroient bien enfin ouvrir les yeux ſur leur intérêt le plus eſſentiel, et réunir leurs forces avec les nôtres, pour prevenir le Deſpotiſme abſolu que l Angleterre va exercer ſur toutes les Mers, ſi l on ne met pas inceſſement un frein à ſon ambition et à ſa cupidité. Le mot de raliement de preſque toutes les puiſſan - ces de l Europe contre la France, a été pendant un Siècle l Equilibre de pouvoir à maintenir ſur le Con - tinent; mais tandis que les Anglois preſentoient ce fantôme pour faire illuſion à la credulité publique, ils travailloient ſans relâche [et ils n ont malheureuſe - ment que trop reuſſi] à detruire abſolument l Equili - bre de puiſſance ſur Mer, ſans lequel cependant il n eſt pas poſſible que celui ſur terre ſubſiſte: C eſt à quoi les autres Peuples doivent faire la plus ſerieuſe attention, puisqu il ne ſ agit de rien moins que del en -389und deren Gleichgewicht.l’entière deſtruction de leur Navigation et de l uſurpa - tion de tout le Commerce par les Anglois. Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 72. u. 79.
a]
b]Real Science de Gouvernement Tom. VI. S. 588. der teutſchen Ueberſetzung.
b]
c]La balance du commerce a une influence eſſentielle et même decidée ſur la balance du pouvoir. Une Nation qui jouit d une balance de commerce également favorable et aſſurée peut aſpirer au titre et role de puiſſance reſpectable. Elle peut et elle doit méme, ſelon ſes grands intérêts prendre toujours part à l équilibre et à la balance politique du pouvoir pour ſ aſſurer une exiſtence permanente et floriſſante. v. Herzberg a. a. O. S. 9.
c]
d]von Steck Verſuch uͤber die Handels - und Schiffahrts - vertraͤge, Halle 1782. 8. S. 10.
d]
e]Die Grundſaͤtze der bewafneten Neutralitaͤt, welche die vornehmſten europaͤiſchen Nazionen in Abſicht auf die Frei - heit der Schiffahrt und Handlung neutraler Voͤlker im Kriege bey Gelegenheit des leztern Krieges zwiſchen Frank - reich und Grosbritannien angenommen haben, kommen weiter unten vor.
e]
f]Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 77.
f]
*]Joh. Heinr. Gottl. von Juſti Chimaͤre des Gleichgewichts der Handlung und Schiffahrt, Altona 1759. 4.
*]
B b 3Sech -390

Sechſtes Kapitel. Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 1. Die Nazionen muͤſſen ihrer Natur gemaͤs handeln.

Jedes vernuͤnftige Weſen fuͤhlt in ſich den Beruf, ſei - ne Handlungen ſeiner Natur gemaͤs einzurichten. Die Voͤlker ſind aus einzelnen Menſchen zuſammenge - ſezt, welche durch den Eintritt in einen Staatsverein der von Natur aufhabenden Pflichten keinesweges entle - digt werden. Ein ſolcher Staatskoͤrper hat daher, als moraliſche Perſon, nicht nur eben dieienigen Obliegen - heiten auf ſich, welche die einzelnen Glieder im natuͤrli - chen Zuſtande verbanden, ſondern er muß auch noch uͤber - dies bey allen Handlungen die Natur und die Abſicht ſei - ner Verbindung zu Rathe ziehen.

Natuͤrliche Freiheit und Gleichheit ſind die Hauptei - genſchaften eines Volks. Verlangen nach Gluͤckſelig - keit iſt die vorzuͤglichſte Triebfeder aller menſchlichen Handlungen im auſſergeſelſchaftlichen Zuſtande ſowohl, als in Verbindung mit andern. In der gemeinſchaft - lichen Gluͤckſeligkeitsbefoͤrderung beſteht auch der Haupt - grund und die Abſicht der Staatsvereine und der geſel - ſchaftlichen Verbindung mehrerer Voͤlker. Sie gehoͤrt daher zum Weſen der Nazionen. Wenn ſie darauf alle ihre Handlungen abzielen laſſen, ſo leben ſie ihrer Na - tur gemaͤs: dies iſt die erſte Pflicht, welche ſie ſich ſelberſchul -391Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ſchuldig ſind, und woraus alle Rechte und Verbindlich - keiten gegen einander ſich herleiten laſſen.

*]Vattel L. I. c. 2. §. 1.
*]

§. 2. Sich erhalten und vervolkomnen.

Die Gluͤckſeligkeit der Nazionen begreift die politi - ſche Freiheit und Unabhaͤngigkeit von andern, hinlaͤng - lichen Lebensunterhalt, und eine anſehnliche Macht, da - mit ſie dieſe in Ruhe und Sicherheit genieſſen, und ſich gegen alle Anfaͤlle ſchuͤtzen und vertheidigen koͤnnen, in ſich. Die dahin gehoͤrigen Pflichten laſſen ſich fuͤglich alle auf den Grundſatz zuruͤckfuͤhren: Erhalte und ver - volkomne dich.

*]Wolf J. G. c. 2. §. 177. Schrodt Syſt. J. G. P. I. c. 1. §. 8.
*]

§. 3. Erhaltung.

Die Erhaltung beſteht in der Fortdauer nicht nur des ganzen Staatsvereins, ſondern auch aller einzelner Theile und Glieder deſſelben. Dieſe haben ſich zu Be - foͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls gegen einander verbunden, welche aber unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn iene Vereinigung getrent werden ſolte. Sie erfodert zuerſt die Handhabung aller Beſitzungen und Rechte des Ganzen, beſonders auch der Regierungsverfaſſung als der Seele des Staats, und dann die Sorge fuͤr das Leben, die Guͤter und Gerechtſame der einzelnen Buͤrger, fuͤr ihre Beduͤrfniſſe, Bequemlichkeit, Vergnuͤgungen und Gluͤcksmittel.

*]Wolf c. I. §. 28. u. 30.
*]
B b 4§. 4.392Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 4. Vervolkomnung.

Das Vermoͤgen, den Zweck der Staatsvereinigung zu erhalten, macht die Volkommenheit einer Nazion aus, und dieienige befindet ſich in einem volkomnen Zu - ſtande, der nichts zu Erreichung dieſes Endzwecks man - gelt a]. Je genauer alle Theile zur Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit, als der Hauptabſicht der Staatsvereinig - ung [§. 1.] uͤbereinſtimmen, deſto volkomner iſt ein Volk zu nennen.

a]Wolf c. I. §. 29. u. f.
a]

§. 5. Verbindlichkeit der Nazionen deshalb ge - gen ſich ſelbſt.

Die Pflichten eines Volks gegen ſich ſelbſt ſchreiben ihm die Handlungen vor, welche es, ſeiner Natur nach, zu thun und zu laſſen verbunden iſt. Da der Hauptzweck der Nazionen in Gluͤckſeligkeit oder in Erhaltung und Vervolkomnung beſteht, ſo ſind ſie auch verbunden, alles zu thun, was ihre Erhaltung befoͤrdern, und alles zu unterlaſſen, was ihren Untergang nach ſich ziehen kan a]. Sie muͤſſen fuͤr ihre Freiheit und Sicherheit ſorgen, damit andere Nazionen ſich nicht zuviel uͤber ſie herausnehmen, oder ihnen ungeahndet Beleidigungen zufuͤgen. Gleiche Aufmerkſamkeit erfo - dert die Vervolkomnung ihres Zuſtandes. Sie muͤſſen alles thun, was dieſelbe befoͤrdert, und alles un - terlaſſen, was derſelben zuwider iſt, um nicht nur ihren eignen Endzweck deſto geſchwinder erreichen, ſon -dern393Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.dern auch die Gluͤckſeligkeit anderer mit ihnen verbun - denen Voͤlker, nach Vermoͤgen befoͤrdern zu koͤnnen c].

a]Wolf, c. 1. §. 33. 34.
a]
b]Wolf, c. 2. §. 188. 254.
b]
c]Wolf, c. 2. §. 180.
c]

§. 6. Ihre Rechte.

Wer eine Verbindlichkeit zu etwas hat, dem muß auch das Recht zuſtehen, ſich aller derienigen Mittel zu bedienen, ohne welche er ſeine Pflichten zu erfuͤllen nicht im Stande iſt, weil er ſonſt zu etwas unmoͤglichen verbunden waͤren. Jedoch muß durch Ausuͤbung dieſes Rechts, die Freiheit und Gleichheit anderer nicht verlezt werden: denn zu einem erlaubten Endzweck darf man doch keinesweges unerlaubte Mittel gebrauchen a]. Je - des Volk iſt daher berechtigt, ſeine Gluͤckſelig - keit auf alle erlaubte Art und ohne Nachtheil der algemeinen Wohlfahrt zu befoͤrdern. Die Mittel richten ſich nach der Beſchaffenheit der Nazionen, und muͤſſen bey maͤchtigen natuͤrlicherweiſe anders als bey mindermaͤchtigen ſeyn b].

a]Wolf c. 1. §. 71.
a]
b]Schrodt P. I. c. I. §. 9. 18.
b]

§. 7. Verbindlichkeiten und Rechte der Nazio - nen gegen einander und deren verſchie - dene Gattungen.

Aus den Pflichten und Rechten der Nazionen gegen ſich ſelber, ſind auch ihre Verbindlichkeiten gegen einan -B b 5der394Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.der leicht abzunehmen. Dieſe ſind iedoch nicht alle einer - ley Art. Einige derſelben flieſſen unmittelbar aus der Natur und dem Weſen der Voͤlker, und heiſſen daher unbedingte [officia abſoluta] oder ſie ſetzen eine wilkuͤhr - liche Einrichtung, einen Vertrag, oder ſonſt eine ver - bindende Handlung voraus, und werden beſondere, bedingte [hypothetica] genant. Die erſtern ſind wie - derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa] oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter - laſſung ſolcher Handlungen, welche die Gluͤckſeligkeit anderer hindern oder ſtoͤren koͤnten; dieſe erſtrecken ſich auch auf deren Befoͤrderung durch werkthaͤtige Beihuͤlfe. Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten, nent man gerecht [juſtae], dieienigen, welche auch in Anſehung der affirmativen ſich nichts zu Schulden kom - men laſſen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un - bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe - cta] und unvolkomne [imperfecta], nachdem ſie, im Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, ſelbſt mit Gewalt der Waffen, zulaſſen oder nicht.

*]Ickſtadt Elem. J. G. L. 2. c. 1. §. 1. u. 2. Schrodt P. I. c. 2. §. 1.
*]

§. 8. Volkomne Verbindlichkeit, die Gluͤckſelig - keit anderer nicht zu ſtoͤren.

Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande haben die Voͤlker, ſo wie einzelne Menſchen, lauter verneinen - de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach - tung ſie mit volkomnem Rechte angehalten werden koͤn - nen. Sie ſind verbunden, die Erhaltung und Vervol - komnung anderer weder zu hindern, und ihnen die da - zu erforderlichen Mittel und deren Gebrauch zu ent -ziehn,395Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ziehn, noch ſie ſonſt im Genus ihrer Rechte zu ſtoͤren. Sie muͤſſen iedem das Seine laſſen, kein Volk beleidi - gen, und wegen zugefuͤgten Schadens Genugthuung ver - ſchaffen.

*]Schrodt l. c. §. 22.
*]

§. 9. Recht gegen Beleidigungen.

Ein Volk, das die Erhaltung und Volkommenheit anderer hindert, oder deren Zuſtand unvolkomner macht, daß ſie den Endzweck der Staatsvereinigung nicht errei - chen koͤnnen, beleidigt ihre Gerechtſame. Kein Volk darf daher leiden, daß es von andern beleidigt werde. Daſ - ſelbe hat ein Recht, dieienigen Nazionen, welche ihm ſeine Gerechtſame nicht zugeſtehn oder entziehn wollen, mit Gewalt anzuhalten, ſeine Rechte zu vertheidigen, den Beleidigungen mit Gewalt zu widerſtehen, und we - gen des wuͤrklich erlittenen Unrechts Entſchaͤdigung und Genugthuung zu fodern, auch im Weigerungsfall ſich ſolche ſelber zu verſchaffen.

*]Wolf c. 2. §. 179. 252. 265. 271. u. f.
*]

§. 10. Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit.

Einzelne Menſchen und ganze Voͤlker haben mit den Fortſchritten der Verfeinerung die Erforderniſſe ihrer Gluͤckſeligkeit dergeſtalt erweitert, daß ihre eignen Kraͤf - te nicht mehr hinreichen, alle dazu gehoͤrige Beduͤrfniſſe ſich ſelbſt allein zu verſchaffen, wenn ſie auch alle nega - tive und volkomne Verbindlichkeiten gegen einander be - obachteten. Sie beduͤrfen daher der thaͤtigen Unterſtuͤtz -ung396Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ung und wechſelſeitigen Beihuͤlfe anderer. Daraus iſt eine naͤhere geſelſchaftliche Verbindung unter ihnen ent - ſtanden, welche die gemeinſchaftliche Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit zum Endzweck hat, die von der Natur un - mittelbar zwar nicht befohlen, durch die in der Folge entſtandenen zufaͤlligen Beduͤrfniſſe iedoch nothwendig gemacht worden. [Kap. 2.]

§. 11. Quellen derſelben.

Die Hauptquelle, woraus die geſelſchaftliche Ver - bindung und gemeinſchaftliche Befoͤrderung der Gluͤckſe - ligkeit anderer flieſſen, iſt daher ohnſtreitig in dem eig - nen Vervolkomnungstriebe zu ſuchen. Ein Volk, das die Beduͤrfniſſe anderer, ſo viel in ſeinem Vermoͤgen ſteht, befriedigt, darf in aͤhnlichen Faͤllen gleiche Unter - ſtuͤtzung hoffen a]. Was ihr wolt, das euch ande - re thun, das thut ihr ihnen auch, muß ihm hier zur Vorſchrift dienen. Dieſe kann iedoch ohne wechſelſeitige Liebe und Wohlwollen nicht fuͤglich beſtehen b]. Durch ſie werden die geſelſchaftlichen Bande erſt feſter geknuͤpft: denn wer den andern liebt, wird gewis alles zu deſſen Erhaltung und Vervolkomnung beitragen c], und die Gelegenheiten um ſo williger ergreifen, welche ſich zu Ausuͤbung der geſelſchaftlichen Pflichten darbieten.

a]Schrodt P. I. c. 1. §. 1.
a]
b]Wolf c. 2. §. 164.
b]
c]Vattel L. 2. c. 1. §. 2.
c]
§. 12.397Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 12. Liebespflichten und deren Eintheilung.

Die Geſelſchaftspflichten, welche Nazionen einander aus gegenſeitiger Liebe zu Befoͤrderung ihrer Gluͤckſelig - keit leiſten, werden Liebespflichten [officia humanita - tis] genant, und in verſchiedene Klaſſen getheilt. Sie ſind entweder unbeſtimte [indefinita], welche ein Volk ohne Ruͤckſicht auf eine beſondere Nazion, oder beſtim - te [definita], welche es bey wuͤrklich vorkommenden Ge - legenheiten ausuͤbt. Nazionen z. B. welche auf anſehn - liche Getraidevorraͤthe bedacht ſind, um andere beduͤrfen - den Fals damit zu unterſtuͤtzen, erfuͤllen die erſtern, und wenn ſie einem eben nothleidenden Volke damit aushel - fen, die leztern. Ferner werden ſie theils ohne, theils mit eigner Beſchwernis geleiſtet. Jene insbeſondere heiſſen Pflichten unſchaͤdlicher Gefaͤlligkeit [innoxiae utilitatis], und man theilt ſie gemeiniglich auch in beia - hende [affirmativa] und verneinende [negativa], ienach - dem ein Volk ſeine Kraͤfte zum Nutzen des andern ſelbſt anwendet, oder nur zulaͤſt, daß etwas zu deſſen Vor - theil geſchehe. Der noch vorzuͤglichern Liebespflichten, welche mit Aufopferung irgend eines Eigenthums ver - knuͤpft ſind [noxiae utilitatis ſ. humanitatis eminentioris] giebt es wiederum verſchiedene Gattungen. Sie ſind theils Pflichten der Wohlthaͤtigkeit [liberalitatis ſ. beneficentiae], wenn ein Volk dem andern etwas von dem Seinigen entweder zum voͤlligen Eigenthum, oder nur zum Gebrauch einraͤumt; theils Pflichten der Dienſtfertigkeit [officioſitatis], wenn ein Volk fuͤr das andre eine beſchwerliche Verrichtung z. B. das Amt eines Mitlers zwiſchen kriegfuͤhrenden Maͤchten uͤber - nimt; oder endlich Pflichten der Dankbarkeit [grati - tudinis], vermoͤge welchen ein Volk Wohlthaten mit Wohlthaten vergilt.

*]398Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
*]Schrodt P. I. c. 3. §. 6. u. f.
*]

§. 13. Leiſtung derſelben ohne Nachtheil der Pflichten gegen ſich ſelbſt.

Die geſelſchaftliche Vereinigung und wechſelſeitige Liebe unter den Nazionen verlangen, daß ſie alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemeinſchaft - lichen Gluͤckſeligkeit beitragen, ſo weit die Pflich - ten gegen ſich ſelbſt es erlauben. [K. 2. §. 8.] Was in ihrer Gewalt nicht ſteht, wenn ſie gleich wolten, da - zu koͤnnen ſie nicht verbunden werden. Dieſe Verbind - lichkeit hoͤrt auch auf, wenn die Huͤlfsleiſtung nicht an - ders, als mit Aufopferung der Pflichten gegen ſich ſelbſt geſchehen koͤnte; denn wenn man ſeine Kraͤfte zum eignen Beduͤrfnis braucht, iſt es eben ſo viel, als haͤtte man ſie nicht. Man muß, vermoͤge der natuͤrlichen Verbind - lichkeit gegen ſich ſelbſt, zuerſt fuͤr ſich und dann fuͤr an - dre ſorgen. Wenn beiderlei Pflichten mit einander ſtrei - ten, behalten die erſtern ohnſtreitig den Vorzug a].

Die Beurteilung, ob ein Volk im Stande ſey, die Gluͤckſeligkeit andrer, ohne Verletzung ſeiner eignen Pflichten, zu befoͤrdern, iſt, vermoͤge der natuͤrlichen Freiheit, dem Volke uͤberlaſſen, welches die Liebespflich - ten ausuͤben ſoll. Eben ſo hat es auch das Recht, zu unterſuchen, ob das andere Volk der Unterſtuͤtzung wuͤrk - lich beduͤrfe b].

a]Wolf c. 2. §. 206.
a]
b]Schrodt P. I. c. 3. §. 51.
b]
§. 14.399Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 14. Verbindlichkeit dazu.

Alle Verbindlichkeiten zu Geſelligkeit und Liebe ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande unvolkommen, und deren Erfuͤllung kann durch aͤuſſere Zwangsmittel nicht erlangt werden. Sie enthalten beiahende Pflichten, wobey es, vermoͤge der natuͤrlichen Freiheit, auf das Ermeſſen des Leiſtenden ankomt, ob die Gelegenheit da - zu vorhanden iſt. Auſſerdem iſt die Liebe, als eine Hauptquelle derſelben, eine innerliche Regung, die ſich durch aͤuſſere Gewalt nicht erzwingen laͤßt. Ein Volk, das dem andern dergleichen Pflichten abſchlaͤgt, wenn es ſchon ſie leiſten koͤnte, beleidigt daſſelbe daher nicht, ob es gleich gegen die Billigkeit handelt.

*]Grotius L. 2. c. 2. §. 11. giebt die Pflichten unſchaͤdli - cher Gefaͤlligkeit zwar fuͤr volkomne an, weil bey ihnen die urſpruͤnglichen Gemeinſchaftsrechte wieder auflebten; aber Puffendorf und andre rechnen ſie mit mehrerm Fug zu den unvolkomnen, weil iedes freie Volk das Recht hat, uͤber ſein einmal erworbenes Eigenthum zu ſchalten. Schrodt P. I. c. 3. §. 10.
*]

§. 15. Rechte darauf.

So unvolkommen die Verbindlichkeit zu Leiſtung der Liebespflichten auf der einen Seite iſt, ſo unvolkom - men iſt auch das Recht, dergleichen mit Gewalt zu er - zwingen, auf der andern Seite. Indes hat das beduͤr - fende Volk, in Ruͤckſicht ſein ſelbſt, doch das Recht, dieſelben von andern zu begehren a], dergeſtalt, daß es niemand daran hindern, oder die Forderung fuͤr eine Beleidigung aufnehmen darf; denn es iſt verbunden,ſeine400Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ſeine Gluͤckſeligkeit auf alle Art zu befoͤrdern, und muß daher am beſten wiſſen, ob es der Huͤlfe und Unterſtuͤtz - ung anderer dabey bedarf b]. Im Verweigerungsfall kann es ſich auch daruͤber beſchweren, und bey aͤhnlicher Gelegenheit das naͤmliche Betragen gegen das unbillige Volk annehmen. Am wenigſten kann aber auch eine Nazion gezwungen werden, die Leiſtung der Liebespflich - ten von andern anzunehmen c].

a]Genti quoque uni ab altera officia humanitatis non quidem exigere tandem petere licet. Wolf c. 2. §. 170. not.
a]
b]Schrodt l. c. c. 3. §. 5.
b]
c]Vattel L. 2. c. 1. §. 7.
c]

§. 16. Sie erlangen eine volkomne Verbindlich - keit a] durch Vertraͤge.

Dieſe von Natur unvolkomnen Pflichten koͤnnen iedoch durch die ſtilſchweigende oder ausdruͤckliche Ein - willigung der Nazionen die Kraft der volkomnen erlan - gen. In beiden Faͤllen iſt die Verbindlichkeit aber nicht weiter zu erſtrecken, als die Natur und der Inhalt dieſer Vertraͤge es mit ſich bringt. Zu der ſtilſchweigen - den Einwilligung in die volkomne Verbindlichkeit der Geſelſchafts - und Liebespflichten rechne ich die, ohne ausdruͤckliche Uebereinkunft, unter mehrere, beſonders den europaͤiſchen Nazionen beſtehende Geſelſchaft [K. 2.] welche ihnen die Pflicht auflegt: Alles zu thun, was das gemeinſchaftliche Wohl der Geſelſchaft noth - wendig erfodert. Die unbedingte Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit einzelner Glieder derſelben bleibt dem - ungeachtet blos unvolkomne Verbindlichkeit.

Durch401Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

Durch ausdruͤckliche Vertraͤge haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen zu Leiſtung wechſelſeitiger Liebes - pflichten ſich anheiſchig gemacht a]. So verbinden ſich z. B.

Spanien und die Vereinigten Niederlande, daß beide Theile hinfuͤhro einander mit Rath und That bey allen Gelegenheiten zu Nutzen ſeyn ſollen. Utrech - ter Friede 1714. Art. 9.

Frankreich, Spanien und Grosbritannien: Einer des andern Beſtes und Sicherheit eben ſo wie ſeine eigne zu Herzen zu nehmen, ſich wegen der Gefahr deſ - ſelben zu erkundigen und ſolcher mit allen Kraͤften ſich zu widerſetzen. Geheimer Garantietractat 1721 Art. 1.

Kaiſer und Reich mit Frankreich: Beide Theile den Nutzen, die Ehre und Vortheile des andern ernſt - lich zu befoͤrdern. Wiener Defin. Friede 1738. Art. 1.

Die Bourboniſchen Maͤchte: Die contrahirenden Theile wollen einander ihren Splendeur, Ehre und Rechte zu erhalten ſuchen. Jede Macht deren Regent aus dem maͤnnlichen Blute entſproſſen, ſoll ſich bey allen Gelegenheiten des Schutzes und Beiſtandes der drey Kronen zu verſprechen haben. Bourb. Familien - vert. 1761. Art. 20.

Frankreich und die Vereinigten Niederlande: Beide Theile ſollen einander mit Rath und That unter - ſtuͤtzen und keine Negociation eingehen, die der andern nachtheilig ſeyn koͤnnte ꝛc. Allianztract. von 1785. Art. Sep. 3.

b]La bienveillance mutuelle ou le penchant à ſe procu - rer mutuellement autant de bons offices que l on peut ſans nuire à ſes veritables intérêts eſt un principe que l esprit de commerce et de religion ont fait valoir et qui fait actuellement la maxime de tous les premiersC carti -402Allgemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.articles généraux des traités. De-là ſont iſſus pluſi - eurs uſages reçus en paix comme en guerre entres Europééns contre la rigueur des droits eto. Neyron principes du D. de G. L. 1. c. 1. a. 5. §. 23.
b]

§. 17. Im Nothfall.

Vermoͤge der natuͤrlichen Verbindlichkeit der Voͤlker, fuͤr ihre Erhaltung zu ſorgen, haben ſie allerdings auch das Recht, gewiſſe Liebespflichten mit Gewalt zu fodern, wenn ſie, ohne dieſelben, ihren Untergang vor Augen ſehen a]. Jedoch iſt bey dergleichen Nothfaͤllen zu mer - ken, daß man 1] alle moͤgliche Mittel vorher verſuchen muͤſſe. Denn wenn noch irgend ein Ausweg moͤglich iſt, ſo faͤllt die Colliſion weg; 2] das andere Volk darf nicht in dem naͤmlichen Zuſtande ſich befinden und 3] wenn der Nothſtand aufhoͤrt, muß der Erſatz oder die Genugthuung ſo viel moͤglich erfolgen.

a]Ickſtadt L. 2. c. 8. §. 8. Schrodt P. I. c. 3. §. 4.
a]

§. 18. Friedlicher Zuſtand unter den Nazionen.

Ein Volk, das alle Pflichten beobachtet, wozu es gegen andere verbunden iſt, lebt mit ihnen in Frieden und es findet keine Gewaltthaͤtigkeit unter ihnen ſtatt. Die allgemeinen Grundſaͤtze von der Verbindlichkeit mit andern in Friede und Eintracht zu leben, ſind in den Vorhergehenden beſtimmt worden. Wie alle dieſe Rech - te und Pflichten, beſonders die volkomnen, denen im Voͤlkerrechte vor allen andern ein Platz gebuͤhrt, ange - wandt werden muͤſſen, ſoll nunmehro in den folgenden Buͤchern umſtaͤndlicher auseinander geſetzt werden.

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Druckfehler und Verbeſſerungen.

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  • 19 3 von unten: ihre ſeine
  • 20 letzte: wuͤrklich woͤrtlich
  • 23 vorlezte: alſo aber
  • 33 12. Kyhnieri Ryhnieri
  • 37 21. Geſchichte Huͤlfsmittel
  • 61 15. Herrn Herm.
  • 102 1. Jokas Jakob
  • 112 16. ſtatt: So kam Schleſien endlich an das Haus Habsburg, lies: und entzo - gen ſich nach und nach der polni - ſchen Herſchaft, welcher Koͤnig Ka - ſimir III. von Polen endlich 1339 ſich begeben und die ſchleſiſchen Herzogthuͤmer dem Koͤnige Johann von Boͤhmen, gegen Entſagung des Titels eines Koͤnigs von Polen, den die Koͤnige von Boͤhmen ſeit Wenzes - laus Regierung gefuͤhrt hatten, gaͤnz - lich uͤberlaſſen muſte.
  • 23. ſtatt: beitragen lies: beigetragen
  • 115 25. Aar Bar
  • 122 12. nach: mit, ſetze hinzu: ihnen
  • vorletzte, ſtatt: Unabhaͤngigkeit, lies: Unterthaͤ - nigkeit
  • 136 4. ſtatt: darneben lies: dermalen
  • Seite 137 Zeile 2. ſtatt Staatsbuͤchern lies Staatsrechts - buͤchern
  • 155 11. Vergnuͤgen Vorzuͤgen
  • 188 1. Allein allen
  • 10. oben eben
  • 210 5. ebenfals allenfals
  • 220 15. hatte halte
  • 255 13. auch mich
  • 295 17. die ſie
  • 299 13. ſurprice ſurpriſe
  • 302 12. Anſpruch Ausſpruch
  • 305 2. dieſer dieſe
Ende des erſten Theils.

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TextEuropäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände
Author Karl Gottlob Günther
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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About the source text

Bibliographic informationEuropäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände Erster Theil Karl Gottlob Günther. . [10] Bl., 402, [2] S. RichterAltenburg1787.

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LanguageGerman
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