Sr. Excellenz dem Hochwuͤrdigen und Hochwohlge - bohrnen Herrn Herrn Otto Ferdinand von Loͤben, Kurfuͤrſtlich Saͤchſiſchem Konferenz-Miniſter und wuͤrklichem Geheimen Rathe, des Johanniter Ordens Rittern, Erb-Lehn - und Gerichtsherrn auf Ober - Gerlachsheim und Nieder-Rudelsdorf ꝛc.
Hochwuͤrdiger, Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger und Hoͤchſtzuverehrender Herr,
Keine Zueignungsſchrift kan ie wohl eine gegruͤn - detere Veranlaſſung gehabt haben: und wenn es dabey nicht ſowohl auf den Werth der Abhandlung, als auf die Beweggruͤnde des Verfaſſers ankomt, ſo werden Ew. Excellenz, wie ich zuverſichtlich hoffen darf, mir meine Kuͤhnheit gewis gnaͤdigverzei -verzeihen. Sey es Dankbegierde, Ehrfurcht, oder die Entſtehungsart einer Schrift, welche ein ſolches Unternehmen einigermaaßen zu rechtfertigen vermoͤ - gen; ich kan ſie insgeſamt zu meiner Entſchuldig - ung anfuͤhren.
Die Menge und Groͤße der von Ew. Excel - lenz bisher genoſſenen Gnadenbezeugungen uͤber - ſteigen zwar meine Kraͤfte des Danks unendlich; ohnmoͤglich aber kan ich doch auch die Empfindung - en meines Herzens bergen, von denen ich ſo leb - haft durchdrungen bin, und ich ergreife daher ohne Anſtand eine laͤngſt ſchon gewuͤnſchte, aber ſelten ſich darbietende Gelegenheit, Denenſelben wenigſtens meine Dankbegier ehrfurchtsvoll oͤffent - lich an den Tag zu legen. Unvermoͤgen und Furcht Ew. Excellenz Beſcheidenheit zu beleidigen erlauben mir keine Lobſpruͤche uͤber Dero erhabenen Eigenſchaften. Sie ſind algemein bekant und werden von iedermann bewundert und verehrt: was ſolteichich thun, der ich einige Jahre hindurch das Gluͤck gehabt, taͤglich einleuchtendere Beweiſe davon an mir ſelber zu erfahren? Ganz unberuͤhrt weiß ich indes die gnaͤdige Unterſtuͤtzung nicht zu laſſen, deren Ew. Excellenz, waͤhrend meines Aufent - halts in Regensburg, mich wuͤrdigten. Das An - denken derſelben wird mir iederzeit unvergeßlich bleiben. Ohne ſie haͤtte ich meinen Lieblingswunſch, mich den Staatswiſſenſchaften zu weyhen, gewis aufgeben muͤſſen. Sie allein belebte mich von neuem und fuͤhrte mich zu dem Entſchluß, der gegen - waͤrtiger Schrift ihr Daſein gegeben hat.
Doch wozu bedarf es aller dieſer Entſchuldigung - en! Ew. Excellenz gewohnte grosmuͤthige Denkungsart allein buͤrgt mir fuͤr die gnaͤdige Auf - nahme dieſer wenigſtens aus den reinſten Quellen gefloſſenen Zueignung, und ich unterwerfe mich getroſt ihrem nachſichtsvollen Ausſpruche.
a 5Waͤ -Waͤre meine Arbeit ſo gluͤcklich, nur einigen Beifall Ew. Excellenz zu erhalten, ſo wuͤrde ich Urſach genug haben, auch das guͤnſtige Urteil des Publikums mir verſprechen zu duͤrfen.
Mit der unterthaͤnigſten Bitte um die Fortdau - er Dero gnaͤdigen Wohlwollens vereinige ich die heiſſeſten Wuͤnſche fuͤr Dero und Dero ganzen Hauſes beſtaͤndiges Wohlergehen und erſterbe mit der tiefſten Verehrung
Ew. Excellenz
unterthaͤnigſter Diener Karl Gottlob Guͤnther.
Nur ein Paar Worte uͤber die Veranlaſſung und Einrichtung der gegenwaͤrtigen Schrift. Neigung ſowohl, als andere Ruͤckſichten machten das Stu - dium der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft ehemals zu einer meiner Hauptbeſchaͤftigungen. Bey dem bisherigen Mangel zweckmaͤſiger Vorleſungen uͤber dieſen wich - tigen Theil der Rechtsgelahrheit auf Univerſitaͤten, mußte ich meine Zuflucht hauptſaͤchlich zu den dahin einſchlagenden Schriften nehmen. Allein mein Ver - langen wurde auch hier nicht ganz befriediget. Wenn gleich die, meines Lobes gar nicht beduͤrfenden, Werke eines Grotius, Puffendorf, Ickſtadt, Wolf, Vattel ꝛc. in Anſehung des natuͤrlichen Voͤlkerrechts faſt nichts weiter zu wuͤnſchen uͤbrig lieſſen; ſo war doch der Mangel an einer hinlaͤngli - chen Anfuͤhrung zum practiſchen oder ſogenannten europaͤiſchen Voͤlkerrechte deſto groͤſſer. Auſſer ver - ſchiedenen kleinen Abhandlungen uͤber einzelne Ma - terien deſſelben, waren die Moſerſchen GrundſaͤtzedesVorerinnerung.des itztuͤblichen europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Frie - dens - und Kriegszeiten die einzigen brauchbaren Schriften dieſer Art. Aber der Verfaſſer hatte die Unzulaͤnglichkeit und Unvollkommenheit derſelben ohne Zuruͤckhaltung ſelbſt eingeſtanden, und ſie waren bey einem erſten Verſuche beinah unvermeid - lich. Vornaͤmlich ſchien mir ein gutgeordnetes Syſtem zu fehlen, weiches beide, das natuͤrliche und das practiſche Voͤlkerrecht mit einandervereinigte und deren Abweichungen von einander gehoͤrig bemerkte. Gern wuͤrde ich, da Zeit und andere Umſtaͤnde mich beguͤnſtigten, vermoͤge der natuͤrlichen Pflicht: Nuͤz - lich zu ſeyn ſo viel man kan, den bereits von vielen geaͤuſſerten Wunſch nach einem brauchbaren europaͤi - ſchen Voͤlkerrechtsſyſtem, ſchon damals, nach dem Maas der mir verliehenen Kraͤfte, zu befriedigen geſucht haben; aber ich fand bey naͤherer Erwegung eines ſolchen Vorhabens ſo viele Schwierigkeiten, daß ich es noch nicht wagen konte, mit einem aus - fuͤhrlichen Syſtem hervorzutreten. Ich entwarf daher zuerſt blos einen Grundriß, wornach ich dieſes Werk auszufuͤhren glaubte und legte ihn, vor nunmehr neun Jahren, ohne Vorſetzung meines Namens, dem Publikum zur Beurteilung vor. Dieſer hatte das Gluͤck eine guͤnſtigere Aufnahme zuerhal -Vorerinnerung.erhalten, als ich erwartete und mein Entſchluß gewann dadurch immer mehrere Feſtigkeit.
Meine Beſtimmung wurde iedoch in der Folge merklich veraͤndert und ich an der Ausfuͤhrung mei - nes Plans von einer Zeit zur andern gehindert: gleichwohl konnte ich mich nie entſchließen ihn ganz aufzugeben. Mein gegenwaͤrtiger Beruf und die Vorwuͤrfe, welche der Herr Regierungsrath Spieß an verſchiedenen Orten, beſonders aber in der Vor - rede zum erſten Theile ſeiner archiviſchen Nebenar - beiten, den meiſten Archivsperſonen macht, waren mir zwar Anfeuerung genug, auch meine geſchaͤfts - freien Stunden vorzuͤglich den noch mancher Ver - volkommnung faͤhigen Archivswiſſenſchaften zu wid - men, aber meine etwas beſchraͤnkte Lage in dieſem Fache hielten mich zur Zeit noch davon zuruͤck. Es erſchienen indes auch die ſchaͤtzbaren Voͤlkerrechts - werke des aͤltern Moſer, eines Neyron, von Ompteda und Martens. Allein, ohne der aner - kanten Brauchbarkeit des Moſerſchen Verſuchs ꝛc. im geringſten zu nahe zu treten, wird ieder Kenner gewis darinn mit mir uͤbereinſtimmen, daß derſelbe, wie die meiſten ſeiner Schriften, mehr fuͤr eine Samlung nuͤtzlicher Materialien, als fuͤr ein ordent - liches Voͤlkerrechtsſyſtem anzuſehen ſey. Der Ver -faſſerVorerinnerung.faſſer ſelbſt war auch weit davon entfernt, es fuͤr etwas anders auszugeben. Die Principes du droit des gens des Herrn Neyron ſchienen mir dem Ideal meines Syſtems ebenfals nicht angemeſſen. Bey Erſcheinung der mit algemeinem Beifall auf - genommenen Voͤlkerrechts-Literatur Sr. Excellenz des Kurbraunſchweigiſchen Comitialgeſandten Frei - hern von Ompteda, und der darinn angekuͤndigten Bearbeitung eines volſtaͤndigen Syſtems dieſer Wiſſenſchaft, ſtand die Aenderung meines Ent - ſchluſſes, leider, nicht mehr in meiner Gewalt; ſonſt wuͤrde ich ohnfehlbar ſogleich davon abgeſtan - den ſeyn. Nie wuͤrde ich es gewagt haben, mich einem Manne an die Seite zu ſtellen, der in iedem Betracht ſo weit uͤber mich erhaben iſt. Mein ein - ziger Troſt bey der nun einmal angefangenen Arbeit war dieſer, daß wichtigere Geſchaͤfte deſſelben ienes Vorhaben leicht noch einige Zeit verzoͤgern und mei - ne Bemuͤhungen indes vielleicht doch von einigem Nutzen ſeyn duͤrften. Die zum akademiſchen Unter - richt uͤbrigens ſehr brauchbar eingerichteten primae lineae des Herrn Profeſſor Martens in Goͤttingen aber enthalten, wie ſchon der Titel giebt, nur ein Compendium dieſer Wiſſenſchaft. Solchergeſtalt halte ich mein Unternehmen auch dermalen eben noch nicht fuͤr ganz uͤberfluͤſſig.
ObVorerinnerung.Ob aber die Ausfuͤhrung meiner Abſicht und der Erwartung des Publikums entſpreche? muß ich der Beurteilung der Kenner uͤberlaſſen. An meinen Bemuͤhungen hat es indes nicht gefehlt. Ich habe bey ieder Materie die natuͤrlichen Grund - ſaͤtze vorausgeſchickt und deren Beſtaͤtigung oder Abaͤnderung durch das practiſche Voͤlkerrecht be - merklich zu machen geſucht. Dabey ſind iederzeit die vorzuͤglichſten Schriftſteller, ſowohl die algemei - nen als auch die beſondern, ſoviel ich deren habe erlangen koͤnnen, zu Rathe gezogen worden. Ich habe ihre Grundſaͤtze mit einander verglichen und die wichtigſten Abweichungen, wo mir es noͤthig ge - ſchienen, angezeigt. Zuweilen hielt ich es fuͤr rath - ſam, die Stellen ihrer Werke ſelbſt woͤrtlich in den Noten beyzufuͤgen, damit man ihre Meinung deſto beſſer beurteilen und das oͤftere Nachſchlagen erſpa - ren koͤnnte. In Anſehung der zu Beſtaͤrkung des europaͤiſchen Voͤlkerrechts nothwendigen Beiſpiele habe ich aus den Staatsſchriften und andern Mate - rialien eine Auswahl gemacht, und nur die merk - wuͤrdigſten und treffendſten aufgenommen. Etwas ganz neues kan und wird man in dieſem Werke nicht erwarten. Das Verdienſt deſſelben ſoll blos in ge - hoͤriger ſyſtematiſcher Zuſammenſtellung der bereitsvorhan -Vorerinnerung.vorhandenen Wahrheiten, auf eine moͤglichſt vol - ſtaͤndige und deutliche Art, beſtehen. Die Ord - nung der einzelnen Materien weicht in vielen Stuͤck - en von meinem ehemaligen Plane ab, wie man, bey angeſtelter Vergleichung, ſofort wahrnehmen wird. Ich hielt dieſe Abaͤnderung zu mehrerer Volkommenheit des Syſtems fuͤr nothwendig.
Damit ich auf den Fall, da meine Bemuͤhung - en den Beifall des Publikums nicht erhalten ſolten, die Fortſetzung ſogleich abbrechen koͤnne, ohne ie - doch ein unvolſtaͤndiges Werk zu laſſen, habe ich das ganze Voͤlkerrechtsſyſtem in verſchiedene allen - fals fuͤr ſich beſtehende Theile abgeteilt, die auch einzeln eine volſtaͤndige Abhandlung ausmachen. Die erſte, davon gegenwaͤrtig der erſte Theil er - ſcheint, ſoll das Voͤlkerrecht in Friedenszeiten enthalten. Dieſer erſte Theil begreift blos die al - gemeinen Verhaͤltniſſe der Voͤlker gegen einander und die dahin gehoͤrigen Grundſaͤtze in ſich. Ein zweiter Theil, den ich kuͤnftige Meſſe zu liefern gedenke, wird ſich uͤber die einzelnen Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts in Friedenszeiten erſtrecken und mit einem Regiſter uͤber beide Theile dieſe Abhand - lung beſchließen. Die weitere Fortſetzung wird alsdenn von der Aufmunterung des Publikumsabhang -Vorerinnerung.abhangen. Wuͤrdigt man den erſten Verſuch eini - gen Beifals, ſo will ich mit Vergnuͤgen die aͤhnliche Bearbeitung des Voͤlkerrechts in Kriegszeiten, des Geſandſchaftsrechts, der Materie von den Vertraͤgen des Voͤlkerrechtsceremoniels, der Voͤl - kerrechtspraxis und was dahin gehoͤret uͤbernehmen. Bey der Materie von Vertraͤgen habe ich mir vor - genommen in einem Bande einige, wie ich glaube, nicht unbrauchbare Regiſter uͤber die vorzuͤglichſten europaͤiſchen Voͤlkervertraͤge und Urkunden zu ferti - gen. Die Georgiſchen Regeſta haben zwar ihren entſchiedenen Werth, allein ſie enthalten, wie ſchon andere erinnert haben, zu viele in die Voͤlkerrechts - wiſſenſchaft gar nicht einſchlagende Urkunden und reichen uͤberdies nicht bis auf unſere Zeiten. Ich will daher blos die wichtigſten Vertraͤge und andere voͤlkerrechtliche Urkunden ausheben, und ſie in eine chronologiſche Ordnung ſtellen, mit Bemerkung des Orts, wo ſie in den vorzuͤglichſten Samlungen des Dumont, Schmauß, Lamberty, Rouſſet und anderer anzutreffen ſind. Dieſem ſoll ein Verzeich - nis der Nazionen folgen, und bey jeder eine Anzeige der mit andern errichteten Vertraͤge, nach Claſſifica - tion der Hauptgegenſtaͤnde, angefuͤgt werden. Den Beſchluß wird ein ſyſtematiſches Regiſter der Ma -terienVorerinnerungterien machen, das die dahin gehoͤrigen Urkunden ſaͤmtlicher europaͤiſchen Voͤlker nicht blos nach dem Hauptinhalt, ſondern, wo es noͤthig, auch nach den einzelnen Artickeln unter jeder Rubrick bemerket. Dieſe Arbeit, hoffe ich, ſoll allen, die in Staats - geſchaͤften zu thun haben, nicht unwilkommen ſeyn. Der Literatur wegen habe ich meine Erklaͤrung im Werke ſelbſt ſchon gethan. Nach den ruͤhmlichen Bemuͤhungen des Herrn Freiherrn von Ompteda wuͤrde eine neue Bearbeitung dieſes Fachs uͤberflieſ - ſig ſeyn. Solte ich mich zu etwas entſchließen, ſo wuͤrde ich ein gehoͤrig geordnetes Verzeichnis der hauptſaͤchlichſten bey gewiſſen Gelegenheiten gewech - ſelten Staatsſchriften der europaͤiſchen Nazionen, nach Art der Luͤnig-Holzſchuerſchen Deductionsbi - bliothek von Teutſchland, waͤhlen, das fuͤr die Voͤl - kerrechtswiſſenſchaft gewis einen vielfachen Nutzen haben koͤnte. Die Ausfuͤhrung aller dieſer Ent - wuͤrfe beruht jedoch auf dem Schickſal der gegenwaͤr - tigen Abhandlung. Ich werde jede beſcheidene und gegruͤndete Erinnerung mit Dank annehmen, be - nutzen und daraus das Reſultat fuͤr meine weitern Entſchließungen ziehen. Dresden, am 13ten September 1786.
Staaten ſind Geſelſchaften von Perſonen und Fa - milien, welche unter einer Oberherſchaft verei - nigt, zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfarth auf einem gewiſſen Erdſtriche beiſammen wohnen. Indem ſie mit vereinten Kraͤften nach eignen Grundſaͤtzen und Ab - ſichten handeln, gleichen ſie, als moraliſche Perſonen, ienen unabhaͤngigen Menſchen im natuͤrlichen Zuſtande a], und werden in dieſer Ruͤckſicht freie Voͤlker, Nazio - nen genant. So wie aber wechſelſeitiges Beduͤrfnis warſcheinlich die erſte Veranlaſſung zu Staatsvereinen gab, wenigſtens ihr dauerhafteſtes Band ausmacht; ſo iſt auch wechſelſeitiges Beduͤrfnis, was mehrere Voͤlker in beſtaͤndiger Verbindung erhaͤlt. Aus dieſen verſchie - denen Verhaͤltniſſen entſpringen gewiſſe Grundſaͤtze, wornach ganze Voͤlker [oder deren Regenten und einzelne Glieder, wenn ſie aufs Ganze eine Beziehung haben] ihre Handlungen gegeneinander b] einzurichten pflegen. Sie machen, inſofern ſie als Zwangsrechte und Ver -Abind -2Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,bindlichkeiten ſich beſtimmen laſſen c], den Inbegrif des Voͤlkerrechts im eigentlichen Verſtande aus d].
Einige dieſer Grundſaͤtze laſſen ſich ſchon aus der Natur der Voͤlker, aus ihren natuͤrlichen Verhaͤltniſſen und geſelſchaftlichen Verbindungen gegeneinander herlei - ten. Sie fuͤhren daher den Namen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts, das man auch das philoſophiſche und vernuͤnftige nent, weil es auf Schluͤſſe einer geſunden Vernunft beruht.
Voͤlker, als moraliſche Perſonen, im natuͤrlichen, unabhaͤngigen Zuſtande betrachtet, ſind ohnſtreitig dem fuͤr einzelne Menſchen verbindlichen Rechte der Natur unterworfen. Es erhaͤlt aber von dem Gegenſtande ſei - ner Anwendung den Namen des Voͤlkerrechts. Die - ſes auf die Voͤlker angewandte Naturrecht oder natuͤrliche Voͤlkerrecht muͤſſen die Nationen ohne Ruͤckſicht einer engern Verbindung unter einander beobachten. Man nent es ſeiner verbindenden Kraft wegen daher das nothwendige [neceſſarium] a] oder auch das urſpruͤng - liche [primarium], weil die Geſetze der Natur unmittel - bar es begruͤnden, und iſt, wie ſie, unveraͤnderlich. Die Erlangung einſeitiger Vortheile, ohne Beleidigung anderer Nazionen macht den Hauptgrundſatz deſſelben aus. Es wuͤrde zur Entſcheidung der unter Voͤlkern vor - kommenden Faͤlle hinlaͤnglich ſeyn, wenn ſie alle noch in einem blos natuͤrlichen Zuſtande ſich befaͤnden. Dahin gehoͤren unter andern das Recht der natuͤrlichen Freiheit und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver - traͤge zu ſchließen u. ſ. w.
Die Voͤlker traten iedoch bald, eben ſo, wie einzelne Menſchen in naͤhere Verbindungen und Geſelſchaftenzuſam -5und dem europaͤiſchen insbeſondere.zuſammen. Waren ſie gleich von der Natur ſelbſt hierzu nicht gezwungen a]; ſo machten doch die, mit den Fort - ſchritten der Weichlichkeit und Ausbildung, immer zu - nehmenden wechſelſeitigen Beduͤrfniſſe und das Verlan - gen nach einem volkomnern Gluͤcke uͤberhaupt, eine en - gere Vereinigung unter ihnen nothwendig. Natuͤrlicher - weiſe waren die Vorſchriften der einfachen Natur nun nicht mehr hinreichend: man muſte ſolche einigermaßen abaͤndern und den geſelſchaftlichen Verbindungen anpaſ - ſen. Statt daß ieder einzelne Menſch, iedes Volk, ſonſt nur mit ſeinem eignen Wohl ſich beſchaͤftigte, wa - ren ſie itzt auch auf die gemeinſchaftliche Wohlfahrt, Ruhe und Sicherheit zu denken, und, was ſie ohne ihren eignen Nachtheil konnten, dazu beizutragen genoͤthigt. Daher entſtand, meinem Urteile nach, unter Nazionen das vom Grotius, Wolf, Vattel und Andern ſogenante freiwillige Voͤlkerrecht, [ius gentium voluntarium b] nicht arbitrarium] welches nicht urſpruͤnglich in der Na - tur, ſondern [ſecundarium] in den Begriffen einer Ge - ſellſchaft, worein die Voͤlker freiwillig in der Folge ſich begaben, ſeinen Grund hat. Es iſt gleichſam das na - tuͤrliche Geſelſchaftsrecht der Voͤlker, oder das auf die Voͤlkergeſelſchaft angewandte Naturrecht [Jus ſociale naturale gentium, Jus naturale ſocietatis gentium, Jus naturale ad ſocietatem gentium applicatum]. Man zaͤhlt dahin gewoͤhnlich den Nichtgebrauch vergifteter Waffen, die Annahme und Unverletzlichkeit der Geſandten u. ſ. w.
Das nothwendige und freiwillige Voͤlkerrecht ha - ben alſo beide in der Natur ihren Grund, und laſ - ſen ſich durch Vernunftſchluͤſſe erweiſen a]. Das erſtere aus dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, das andere aus den geſelſchaftlichen Verhaͤltniſſen der Voͤlker. Je - nes iſt allen Voͤlkern des Erdbodens gemein, dieſes ver - bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geſelſchaft - liche Verbindung der Voͤlker treten. Das nothwendi -ge13und dem europaͤiſchen insbeſondere.ge Voͤlkerrecht, ſagt Vattel, darf nie auſſer Augen ge - ſezt werden, wenn bey einem Volke die Frage iſt: wie es ſeinen Pflichten und ſeinem Gewiſſen ein Gnuͤge lei - ſten ſoll? wenn es aber darauf ankomt: was es von einem andern Volke fodern koͤnne? alsdann muß das freiwillige entſcheiden.
Da das natuͤrliche Voͤlkerrecht in Anwendung des ur - ſpruͤnglichen und geſelſchaftlichen Naturrechts auf freie Voͤlker beſteht, ſo folgt, daß die Grundſaͤtze deſſelben lediglich auf Schluͤſſe der geſunden Vernunft beruhen, die aus dem Weſen der Voͤlker und aus den Grundſaͤtzen ihrer Freiheit, Gleichheit und ihres gemeinſchaftlichen Wohls ſich herleiten laſſen. Huͤlfsmittel bieten alle na - tuͤrliche Rechtswiſſenſchaften der einzelnen Menſchen ſo - wohl, als der Staaten dar: nur muß bey deſſen wuͤrkli - cher Anwendung hauptſaͤchlich die beſondere Verfaſſung der Voͤlker zu Rathe gezogen werden.
Die Voͤlker koͤnnen aber auch noch andere ganz wil - kuͤhrliche Verbindlichkeiten unter ſich eingehn, wodurch die oft unzulaͤnglichen Regeln des natuͤrlichen Rechts theils naͤher beſtimt, theils erweitert oder eingeſchraͤnkt werden, wenn ſie nur demſelben nicht gerade zuwiderlau - fen. Daraus entſteht eine beſondere Gattung des Voͤl - kerrechts, die man das wilkuͤhrliche oder beliebte [arbi - trarium] nent, weil deſſen Grundſaͤtze auf die Wilkuͤhr der Voͤlker beruhen. Den Namen des poſitiven fuͤhrtes,15und dem europaͤiſchen insbeſondere.es, nicht in Ruͤckſicht eines menſchlichen Obern, ſondern der von den Voͤlkern ſelbſt ſich auferlegten Geſetze. Das hiſtoriſche wird es endlich zuweilen genant, weil es da - bey nicht ſowohl auf Vernunftſchluͤſſe, als auf Thatſa - chen ankomt, die aus der Geſchichte beigebracht werden muͤſſen.
Die Einwilligung der Voͤlker kan auf beiden Seiten entweder ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, oder ſtilſchweigend erteilt werden. Aus den erſtern entſpringt das Vertragsrecht der Voͤlker oder das verglichene Voͤlkerrecht, welches die durch Vertraͤge beſtimten gegenſeitigen Zwangsrechte und Pflichten enthaͤlt.
Fuͤr eine ſtilſchweigende Einwilligung wird es ange - ſehn, wenn ein Volk, mit Wiſſen und ohne Widerſpruch des andern, etwas thut oder unterlaͤßt, dem dieſes, wenn es nicht einwilligen wolte, zu widerſprechen das Recht und die Verbindlichkeit hatte. Daraus entſtehen gewiſſe verbindliche Gebraͤuche und Gewonheiten, die das Gewonheitsrecht der Voͤlker [jus gentium con - ſuetudinarium] das Voͤlkerherkommen, das herkom - liche oder praktiſche Voͤlkerrecht ausmachen, und z. B. in Beſtimmung des Ranges und unzaͤhliger anderer Vorfallenheiten ein großes Gewicht haben.
Geſetze und Vertraͤge ſind oft ſo beſchaffen, daß ſich noch viele aͤhnliche Faͤlle aus denſelben und ihren Grund - urſachen herleiten laſſen, die wuͤrklich darinn nicht ent -halten21und dem europaͤiſchen insbeſondere.halten ſind. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem Herkom - men. Die aus Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle gezogenen Grundſaͤtze nent man Analogie, welche, wie in allen Rechtswiſſenſchaften, ſo auch im Voͤlkerrechte alsdann ihre Anwendung leidet, wenn ein Fall auf beſtimtere Art nicht zu entſcheiden iſt.
Eine der wichtigſten Abtheilungen des Voͤlkerrechts, worauf man bei Anwendung ſeiner Saͤtze die vorzuͤglich - ſte Aufmerkſamkeit zu richten hat, iſt in algemeines und beſonderes, ie nachdem es entweder alle Voͤlker des Erdbodens, oder nur einige derſelben verbindet. In Vernachlaͤſſigung dieſes Unterſchiedes liegt die Haupt - quelle der mehreſten Streitigkeiten der Rechtsgelehrten in Anſehung der Voͤlkerrechtsbegriffe. Auſſer dem noth - wendigen natuͤrlichen laͤßt ſich ein algemein verbindli - ches Voͤlkerrecht ſchwerlich mit Grunde behaupten. Das freiwillige kan nur gegen dieienigen eine Kraft haben, von denen ſich erweiſen laͤßt, daß ſie wuͤrklich in einer geſelſchaftlichen Vereinigung mit einander leben. Das wilkuͤhtliche endlich iſt nur denen ein Geſetz, welche ihre Einwilligung entweder ausdruͤcklich oder ſtilſchwei - gend auf eine rechtskraͤftige Art gegeben haben. Es laͤßt ſich alſo ein Voͤlkerrecht denken, das blos unter zwei Nazionen Statt findet.
B 3*]22Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,Vorſtehende Voͤlkerrechtseintheilungen haben mir die weſentlichſten geſchienen. Andre Voͤlkerrechtslehrer be - dienen ſich deren noch mehrere, die zum Theil blos in der Benennung abweichen. Ich will wenigſtens die vor - nehmſten davon bemerklich machen. Nach der Meinung des Grotius zerfaͤlt das Voͤlkerrecht in zwei Haupttheile in latius patens, worunter er ſein ſogenantes ius gentium voluntarium verſteht, das wieder vniverſale et certarum gentium ſeyn ſoll, und in arctius patens, welches blos das bey mehreren Voͤlkern gleichfoͤrmig angenommene Privatrecht enthaͤlt. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt nach dem Grotius und andern Philoſophen entweder ein in - nerliches oder aͤuſſerliches. Jenes ſoll aus den Grund - ſaͤtzen beſtehn, welche ich mit Wolfen und andern zu dem nothwendigen Voͤlkerrechte zaͤhle, weil ſie, wenn auch nicht aͤuſſerlich, doch fuͤr das Gewiſſen der Voͤlker ver - bindlich ſind. Zu dieſen gehoͤren die auch aͤuſſere Zwangsmittel zulaſſende Pflichten: und weil die Beob - achtung der innern Obliegenheiten von andern Voͤlkern, nicht wie die aͤuſſern, mit volkomnen Rechte gefodert werden koͤnnen; ſo wird das Voͤlkerrecht vielfaͤltig auch in volkomnes und unvolkomnes eingeteilt. Ferner unterſcheidet man es in abſolutes [abſolutum connatum, von einigen auch primarium genant] und hypothetiſches [hypotheticum, adquiſitum oder auch ſecundarium]. Er - ſteres iſt dasienige, welches ohne Zuthun einer verbindli -chen23und dem europaͤiſchen insbeſondere.chen Handlung, blos aus dem Weſen der Voͤlker ent - ſpringt, lezteres ſezt eine verbindliche Handlung, ein ſo - genantes factum iuridicum, z. B. einen Vertrag, eine Beleidigung voraus. Zouchaͤus und Mehrere machen einen Unterſchied zwiſchen ius gentium und jus inter gentes. Unter ienem verſtehn ſie das natuͤrliche, unter dieſem das von ihm abgehandelte practiſche Voͤlkerrecht. Sel - den endlich theilt das Voͤlkerrecht in Ruͤckſicht der von Gott dem iuͤdiſchen Volke unmittelbar ertheilten Voͤl - kergeſetze in ius gentium imperativum und interveniens.
Unter dem Ausdruck: Voͤlkerrecht verſtehen Viele ſogleich ein Recht, welches alle Voͤlker verbinden ſoll: ſo wie der Name: Staatsrecht, ohne weitern Zuſatz immer nur das algemeine bezeichnet. Da ſie nun blos dem Naturrechte eine algemeine Verbindlichkeit zugeſtehn und ſolches gerade zu auf die Voͤlker angewandt wiſſen wollen; ſo halten ſie auch den Unterſchied fuͤr unnoͤthig. Hobbes laͤugnete ihn zuerſt: ihm folgten Puffendorf, Gundling, Boͤhmer und Andere. Die gegenſeitige Meinung hat iedoch triftigere Gruͤnde fuͤr ſich. So ver - ſchieden das Weſen politiſcher Koͤrper von dem Weſen wuͤrklicher Perſonen iſt, ſo manchen Abaͤnderungen iſt nothwendig das Naturrecht in der Anwendung auf freie Voͤlker unterworfen. Schon das natuͤrliche Voͤlkerrecht weicht alſo von dem Naturrechte merklich ab: noch ein - leuchtender alſo wird der Unterſchied bey den poſitiven Grundſaͤtzen. Puffendorf und ſeine Nachfolger trugenB 4indes24Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,indes die Natur - und Voͤlkerrechtslehren unabgeſondert vor. Deſto ſorgfaͤltiger ſind Wolf, Vattel, Ickſtadt und die neuern Gelehrten in deren Auseinanderſetzung geweſen; und Moſer hat das europaͤiſche Voͤlkerrecht ohn alle Einmiſchung des Naturrechts vorgetragen.
Mit dem Unterſchiede wird denn auch die Exiſtenz eines eignen Voͤlkerrechts uͤberhaupt, beſonders aber des poſitiven abgelaͤugnet. Man wendet ein, daß freie Voͤl - ker, welche keinen Obern als Gott uͤber ſich erkennen, an menſchliche Geſetze und Gewonheiten nicht gebunden ſeyn koͤnten, ſondern lediglich die Vorſchriften des Na - turrechts befolgen duͤrften. Andere, die allenfals ein eignes Voͤlkerrecht zugeben, halten doch ſelbſt das natuͤr - liche darum fuͤr unnuͤtz, weil die Voͤlker zu deſſen Beob - achtung durch niemanden angehalten werden koͤnten. Allein nicht blos Geſetze eines Obern, ſondern auch Ver - traͤge zwiſchen Gleichen ſind vermoͤgend, die Richtſchnur der Handlungen zu beſtimmen, und ein Recht zu begruͤn - den. Sind freie Voͤlker gleich keinem menſchlichen Geſetzgeber unterworfen, ſo koͤnnen ſie doch ſelbſt gewiſſe Verbindlichkeiten ſich auflegen, welche als Geſetze von ihnen beobachtet werden, und deren Handhabung gegen die Uebertreter, ſo wie bey den Vorſchriften der Natur, dem andern Theile mit Recht gebuͤhrt.
*]25und dem europaͤiſchen insbeſondere.Das Voͤlkerrecht iſt ein Theil der Staatswiſſen - ſchaft. Dieſe begreift alle dieienigen Kenntniſſe in ſich, welche die moͤgliche und wuͤrkliche Beſchaffenheit der Staaten und der davon abhangenden Beſtimmungen zum Gegenſtand haben. Sie wird daher in die philo - ſophiſche und hiſtoriſche eingeteilt. Ihre Quellen be - ſtehen in Rechtsgelehrſamkeit, Politik und Ge - ſchichtkunde. Die erſtere lehrt, wie die Staaten von Rechtswegen ſeyn muͤſſen; die zweite, wie ſie, der Klugheit gemaͤs, ſeyn koͤnten und ſolten; und die dritte, wie ſie wuͤrklich ſind, und wodurch ſie ihre gegenwaͤrtige Geſtalt erlangt haben. Ueberdies kan man die Staaten entweder nach ihrer innern Einrichtung und Verfaſſung, oder nach ihrem aͤuſſern Verhaͤltniſſe zu andern Staaten betrachten. Alle dieſe verſchiedenen Ruͤckſichten ſind der Grund, aus welchem die Staatswiſſenſchaft in folgende Haupttheile zerfaͤlt.
Uebrigens wird die Staatswiſſenſchaft auch noch in die theoretiſche und practiſche eingetheilt. Dieſe lehrt in der Staats - und Voͤlkerpraxi die Grundſaͤtze der erſtern auf einzelne Staatsgeſchaͤfte anwenden. — Alle dieſe verſchiedenen Kenntniſſe ſtehen, als Theile ei - nes Ganzen, in der genaueſten Verbindung, und bieten einander, der beſtaͤndigen Beziehung wegen, die unent - behrlichſten Huͤlfsmittel dar.
Die Verbindung der europaͤiſchen Nazionen unter einander, welche zuſammen gleichſam ein Syſtem aus - machen, veranlaßt mancherley beſondere Verhaͤltniſſe. Wenn man auf dieſe die Zwangsrechte und Zwangs - pflichten des algemeinen Voͤlkerrechts anwendet, und zugleich die durch Vertraͤge oder Herkommen unter ihnen beliebten Einſchraͤnkungen und Beſtimmungen bemerkt, ſo entſteht daraus der Begrif des europaͤiſchen Voͤlker - rechts.
Die erſte und zuverlaͤſſigſte Quelle des beſondern europaͤiſchen Voͤlkerrechts machen die unter den europaͤi - ſchen Staaten errichteten ausdruͤcklichen Vertraͤge aus [deren Erforderniſſe weiter unten vorkommen werden]. Da es aber keine algemeinen Vertraͤge giebt, die von allen, oder auch nur den mehreſten europaͤiſchen Nazio - nen geſchloſſen waͤren, ſo iſt dieſes Vertragsrecht keines - weges algemein, ſondern nur fuͤr dieienigen Voͤlker ver - bindlich, welche dergleichen Vertraͤge errichtet, oder durch ihren Beitritt anerkant haben.
Die algemeinen Begriffe des Herkommens ſind ſchon §. 9. feſtgeſezt worden. Die europaͤiſchen Staaten ha - ben, wie nicht zu laͤugnen iſt, unter ſich gewiſſe Gewon - heiten eingefuͤhrt, die ſie als Geſetze von allen beobach -tet29und dem europaͤiſchen insbeſondere.tet wiſſen wollen, ob deren algemeine Verbindlichkeit gleich aus dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nicht allemal zu erwei - ſen iſt. Da die europaͤiſchen Nazionen keinen menſchli - chen geſetzgebenden Obern uͤber ſich erkennen, und die wenigſten Handlungen derſelben gegeneinander durch ausdruͤckliche Vertraͤge beſtimt ſind; ſo iſt das Herkom - men, oder das, was in vorigen Zeiten in dergleichen und aͤhnlichen Faͤllen unter ihnen iſt beobachtet worden, von deſto groͤßerm Umfange.
Der Schlus von aͤhnlichen Faͤllen und Grundſaͤtzen auf andre durch Vertraͤge oder Herkommen ausdruͤcklich nicht beſtimte Faͤlle, giebt auch im europaͤiſchen Voͤlker - rechte oͤfters einen Entſcheidungsgrund ab.
Auſſer dem algemeinen natuͤrlichen Voͤlkerrechte hal - ten J. J. Moſer und andere das goͤttliche Recht der Bibel a], beſonders neuen Teſtaments, und deſſen Hauptgrundſaͤtze: 1] Liebe deinen Naͤchſten als dich ſelbſt; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen auch, fuͤr eine der erſten Normen, wornach beſonders die europaͤiſchen Na - zionen ihre Handlungen einrichten ſolten, weil ſie, eini - ge orientaliſche Staaten ausgenommen, alle zur chriſtli - chen Religion ſich bekennen. Doch geſteht er ſelbſt, daß in den Staatshandlungen der Souverains von Gott und goͤttlichem Rechte ſelten, von der heiligen Schrift aber faſt nie die Rede ſey, wenn ſchon ein Satz daraus noch ſo entſcheidend waͤre. So verehrungswuͤrdig die - ſes goͤttliche Buch in den Augen des wahren Chriſten, und ſo verbindlich es fuͤr das Gewiſſen chriſtlicher Re - genten iſt, ſo wenig kan demſelben doch eine volkomne aͤuſſere Verbindlichkeit im juriſtiſchen Verſtande beige - legt werden, da die, auſſer den iuͤdiſchen Ceremoniel - und Privatgeſetzen, in demſelben enthaltene Vorſchrif -ten33und dem europaͤiſchen insbeſondere.ten lediglich auf unſre kuͤnftige Seligkeit abzwecken, wo - zu Gott mit Gewalt niemanden zwingen will b]. Irri - gerweiſe bediente man ſich ſonſt auch der roͤmiſchen, ca - noniſchen und andrer Privatrechte in Beurteilung der Voͤlkerrechtsmaterien, die man aber, weil ihnen aller Grund einer Verbindlichkeit fehlt, heutzutage billig ver - wirft. Doch iſt deren Kentnis, als Huͤlfsmittel, nicht ganz zu verwerfen, indem aus ienem Gebrauche man - ches europaͤiſche Voͤlkerherkommen ſich erklaͤren laͤßt c].
Erhaltung und Vervolkomnung ſein ſelbſt iſt eine der vorzuͤglichſten Pflichten und gemeiniglich die Haupt - triebfeder der Handlungen des Menſchen, einzeln und in Verbindung mit andern betrachtet. Auch unter Nazio - nen liegt darinnen der Grund des iedem Volke eignen ſogenanten Staatsintereſſe, [Intérêt des Etats] unter welchem der Inbegrif aller Maasregeln verſtanden wird,Cdie34Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver - mehrung der Staatsabſicht annimt, und in vorkommen - den Staatsgeſchaͤften nach der Staatsraiſon [ratio ſta - tus, raiſon d’état] beſtimt a]. Sie haben auf die Hand - lungen der Souverains gegeneinander oft den ſtaͤrkſten Einflus, und muͤſſen allerdings in Erwaͤgung gezogen werden: nur duͤrfen Vergroͤßerungsſucht und Begierde nach uͤberwiegender Macht, mit Hintanſetzung der Ge - rechtſame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen, und der Grund eines bloßen Konvenienzrechts b] ſeyn. Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb - federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wiſ - ſenſchaft des Publikums. Daher die Eintheilung in oͤffentliches und geheimes Staatsintereſſe. Die Kent - nis davon gehoͤrt in die Staatsklugheit.
Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwiſchen zwey Voͤlkern kommen zufoͤrderſt die beſondern Vertraͤge und Gewonheiten unter ihnen beiden, nebſt deren Analogiein35und dem europaͤiſchen insbeſondere.in Betrachtung. Sind dieſe unzulaͤnglich, ſo folgen die gemeinen Gewonheiten der uͤbrigen europaͤiſchen Na - zionen: und wenn der Fall auch daraus nicht zu ent - ſcheiden iſt, muß man ſeine Zuflucht endlich zum natuͤr - lichen, zuerſt zum freiwilligen und dann zum nothwendi - gen nehmen. Zwar haͤlt Moſer dies von ihm ſo betit - telte Schulvoͤlkerrecht fuͤr ziemlich unnuͤtzes Geſchwaͤtz, weil deſſen Grundſaͤtze ſehr ungewis und unzureichend waͤren, auch von den Schriftſtellern und Nazionen wie eine waͤchſerne Naſe gedreht wuͤrden, indem man, der Konvenienz nach, bald dieſes bald ienes fuͤr Recht erken - ne, und den natuͤrlichen Gruͤnden wieder andre entge - gen ſetze. Die Beziehung auf Schriftſteller des natuͤr - lichen Voͤlkerrechts ſey daher unnoͤthig in Staatsſchrif - ten, beruhe blos auf den Geſchmack dieſes oder ienes Miniſters, und komme ſelten vor, weil ſelbſt auf der beruͤhmteſten Ausſpruch in Entſcheidung der Voͤlkerſtrei - tigkeiten nichts ankomme. Allein koͤnten die meiſten die - ſer Vorwuͤrfe mit gleichem Rechte nicht auch den Grund - ſaͤtzen des von ihm zuſehr erhobenen practiſchen Voͤlker - rechts gemacht werden? So lange iene vorzuͤglicheren Quellen hinreichen, bedarf es des Gebrauchs natuͤrlicher Voͤlkerrechtsſaͤtze und ihrer Schriftſteller freilich nicht. Im Gegenfall aber, oder auch blos zu mehrerer Beſtaͤti - gung der vorgetragenen Meinungen iſt deren Anfuͤhrung kaum ganz zu verwerfen. Am oͤfterſten muß man auf das freiwillige Voͤlkerrecht zuruͤckgehen; wo man iedoch nicht blos bey den algemeinen Geſelſchaftspflichten ſtehen blei - ben darf, ſondern vorzuͤglich auch auf die Natur der unter den europaͤiſchen Staaten beſtehenden Verbindun - gen, die mancherley Zufaͤlligkeiten unter ihnen weſentlich gemacht haben, Ruͤckſicht nehmen muß.
Die Einſicht und Beurteilung der europaͤiſchen Voͤl - kerrechtslehren wird durch alle oberwaͤhnte Theile der Staatswiſſenſchaft nicht wenig erleichtert. Die haupt - ſaͤchlichſten Huͤlfsmittel aber gewaͤhrt die Kentnis des Staatsrechts der europaͤiſchen Nazionen, ihrer politi - ſchen Verfaſſung und beſonders ihres Staatsintereſſe, die man durch das Studium der Staatengeſchichte und der Statiſtick mit allen zur Geſchichte gehoͤrigen Huͤlfs - wiſſenſchaften, als Geographie, Genealogie, Heral - dick ꝛc. aus bewaͤhrten Quellen, zuweilen auch aus poli - tiſchen Blaͤttern, durch Reiſen, Umgang mit Staats -C 3bedien -38Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,bedienten und, wo moͤglich, durch eigne Erfahrung zu erwerben bemuͤht ſeyn muß.
Teutſchland als ein einiger Staatskoͤrper, gehoͤrt ohnſtreitig unter die Zahl der uͤbrigen europaͤiſchen Maͤch - te, und genießt daher mit ihnen gleiche, zuweilen noch vorzuͤglichere Rechte. Bekantlich iſt es aber auch ein Reich, das aus mehreren beſondern, iedoch einer gemein - ſchaftlichen hoͤhern Gewalt[untergeordneten] Staaten be - ſteht, die, ihrer Reichsverbindung unnachtheilig, ver - moͤge der Reichsgrundgeſetze und des Herkommens groͤ - ſtenteils dieienigen Gerechtſame ausuͤben, welche andern freien Voͤlkern zuſtehn. Die meiſten Verbindungen der teutſchen Reichsſtaͤnde mit auswaͤrtigen Maͤchten, viele der Reichsſtaͤnde unter ſich und nicht wenige mit dem Kaiſer und Reich muͤſſen daher aus den Grundſaͤtzen des europaͤiſchen Voͤlkerrechts beurteilt werden. Dieſes auf die teutſchen Reichsſtaͤnde angewandte Voͤlkerrecht kan man fuͤglich das teutſche Voͤlkerrecht nennen.
Die Quellen des teutſchen Voͤlkerrechts beſtehen, wie bey dem europaͤiſchen uͤberhaupt, ebenfals in Vertraͤgen, Herkommen und Analogie, und bey deren Ermangelung in Grundſaͤtzen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts. Nur muͤſ - ſen die teutſchen Reichsſtaͤnde bei ihren Verbindungen mit Auswaͤrtigen und unter ſich ſelbſt, die Vorſchriften des teutſchen Staatsrechts nicht auſſer Augen laſſen. Die Kentnis dieſes Rechts und der beſondern reichsſtaͤn - diſchen Verfaſſung iſt auch als das hauptſaͤchlichſte Huͤlfsmittel des teutſchen Voͤlkerrechts anzuſehn.
Zur gruͤndlichen Erlernung des Voͤlkerrechts iſt die Kentnis deſſen Geſchichte und der Gelehrten, welche ſichum41und dem europaͤiſchen insbeſondere.um die wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben verdient gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantſchaft mit den Schickſalen, Volkommenheiten und Maͤngeln einer Wiſſenſchaft die Fortſchritte in derſelben ungemein erleich - tert. Die eigentliche Geſchichte der Wiſſenſchaft be - ſchaͤftigt ſich mit Erzaͤhlung der wichtigſten von Zeit zu Zeit in denſelben aufgeſtelten Grundſaͤtze und deren Ver - anlaſſung; hingegen die Bemuͤhungen der Gelehrten, ſie als Wiſſenſchaft in Schriften auszubilden, werden in der Gelehrtengeſchichte oder ſogenanten Literatur vor - getragen.
Eine Geſchichte im eigentlichen Verſtande findet beim natuͤrlichen Voͤlkerrechte, wie man gegen meinen Grund - ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil deſſen Grundſaͤtze, eben ſo alt als die Nazionen, unveraͤnder - lich ſind, und auf Schluͤſſen einer geſunden Vernunft beruhen. Da iedoch die Art zu ſchluͤſſen nicht immer die naͤmliche geweſen, die Gelehrten in vielen Saͤtzen von einander abweichen, und manche derſelben erſt in neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklaͤrung, mehrere Berichtigung erhalten haben, ſo wuͤrde es wohl mehr Geſchichte der Wiſſenſchaft, als bloße Literatur zu nen - nen ſeyn, wenn man hauptſaͤchlich die verſchiedenen Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts durchginge, und zeigte, wie ſie nach und nach entſtanden, abgeaͤndert und vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten, welche dieſer oder iener Meinung zugethan geweſen. Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der alten und ſcholaſtiſchen Philoſophie; b] Grotius und ſeine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt. Die Ausfuͤhrung dieſer Geſchichte wuͤrde fuͤr meine gegen - waͤrtige Abſicht zu weitlaͤuftig ſeyn. Man kan indesC 5die -42Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,dieienigen Schriftſteller nachſchlagen, welche die Ge - ſchichte des Naturrechts, gewoͤnlich verbunden mit der des natuͤrlichen Voͤlkerrechts abgehandelt haben.
In den aͤltern und ſogenanten mitlern Zeiten ſtanden die europaͤiſchen Nazionen wenig mit einander in Ver - bindung. Jede war nur mit ſich ſelbſt und mit ihrer innern Einrichtung beſchaͤftigt: und ob dieſe ſchon mit dem vierzehnten Jahrhundert ungefaͤhr bey den mehreſten Staaten einige Conſiſtenz erlangte, ſo bekuͤmmerten ſie ſich doch noch ſelten weiter als um ihre naͤchſten Nach - barn. Seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts fing der Zuſammenhang der Staaten an immer ſtaͤrker und das Intereſſe immer gemeinſchaftlicher zu werden, bis ſie nach und nach ihre gegenwaͤrtige Verfaſſung erhiel - ten. Da es unter ihnen anfangs nothwendig an Ver - traͤgen und Gewonheiten fehlte, und an die Ausbildung eines Naturrechts noch nicht zu denken war, ſo nahmen ſie in ſtreitigen Rechtsfaͤllen ihre Zuflucht zu den damals algemein beliebten roͤmiſchen und paͤpſtlichen Rechtsſaͤ - tzen. Nicht ſelten wurden ſogar Gutachten und Beden - ken von Gottesgelehrten eingeholt, die ihre Entſchei - dungsgruͤnde, wie leicht zu erachten, aus der Bibel nahmen. Die Aufklaͤrung in den uͤbrigen Wiſſenſchaf - ten fuͤhrte auch in die Staatsgeſchaͤfte gereinigtere aus gemeinſchaftlichem Wohl hergeleitete Grundſaͤtze ein, und veranlaßte nach und nach mehrere Gewonheiten undVer -43und dem europaͤiſchen insbeſondere.Vertraͤge. Hierzu kamen die Uebermacht einiger Nazio - nen, verſchiedene Staats - und Handelsvereine, beſtaͤn - dige Soldaten, ſtehende Geſandſchaften u. dergl. wo - durch der Umfang des wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechts anſehn - lich erweitert ward. Deſſen Hauptepoche iſt iedoch von dem weſtphaͤliſchen Frieden an zu rechnen, der faſt uͤber ganz Europa ſich erſtreckte, und auf deſſen politiſches Syſtem den wichtigſten Einflus hatte.
Gleiche Bewandnis hat es mit den Grundſaͤtzen, worauf die Beurteilung der auswaͤrtigen Angelegenheiten teutſcher Reichsſtaͤnde beruht. Bey dieſen macht der weſtphaͤliſche Friede eine noch merkwuͤrdigere Epoche.
Die Literatur zeigt die Gelehrten und ihre Schriften an, welche zur Ausbildung einer Wiſſenſchaft beigetra - gen haben. Sie zerfaͤlt in zwei Hauptſtuͤcke, in die Gelehrtengeſchichte und Bibliothek. Die erſtere giebt in chronologiſcher Ordnung von den Schriftſtellern und ihren vorzuͤglichſten Lebensumſtaͤnden, die beſonders auf ihre Schriften einigen Einflus gehabt haben, Re - chenſchaft. In der Bibliothek werden die Schriften nach einer gewiſſen Klaſſification recenſirt.
Vor dem ſechszehnten Jahrhundert fehlte es an ei - ner ſyſtematiſchen Bearbeitung des Natur - und Voͤlker - rechts gaͤnzlich. Johann Oldendorp legte 1539. ge - wiſſermaßen den erſten Grund. Das Hauptſyſtem des Voͤlkerrechts aber fuͤhrte zuerſt Hugo Grotius 1625. in ſeinem jure belli et pacis auf. Sein Werk macht in al - lem Betrachte Epoche, und behauptet unter den Voͤlker - rechtsſchriften noch itzt einen vorzuͤglichen Rang. Nach ihm zeichneten ſich beſonders Thomas Hobbes und Sa - muel Puffendorf am meiſten dadurch aus, daß ſie die Abſonderung des Voͤlkerrechts vom Naturrechte fuͤr un - noͤthig hielten. Dieſen folgten, iedoch mit richtiger Unterſcheidung beider Wiſſenſchaften in eignen Abhand - lungen Glafey, Ickſtadt, Wolf, Rahrel, Real, Vattel, Schrodt und mehrere andere.
Das poſitive Voͤlkerrecht blieb noch laͤnger vernach - laͤſſigt. Grotius nahm in ſeinem vorgedachten Werke zwar vorzuͤglich auch auf die Gewonheiten der Voͤlker Ruͤckſicht: ſeine Beiſpiele ſind aber meiſtens von den Griechen und Roͤmern entlehnt. Richard Zouchaͤus be - nuͤzte hauptſaͤchlich die neuern Staatshandlungen. Seit - dem aber Hobbes und Puffendorf dem poſitiven und practiſchen Voͤlkerrechte die Verbindlichkeit abzuſprechen geſucht hatten, kam es, die Bearbeitung einiger einzel - nen Materien ausgenommen, in noch groͤßern Verfall. Erſt zu Anfange dieſes Jahrhunderts ſuchte J. J. Mo - ſer dieſe nuͤtzliche Wiſſenſchaft mit algemeinem Beifalwie -47und dem europaͤiſchen insbeſondere.wieder hervor, indem er 1732. zu Tuͤbingen anfangs ein eignes Kollegium daruͤber laß, und ſie nachher ſyſtema - tiſch in verſchiedenen Schriften erlaͤuterte. Seine Nach - folger waren Burkhard Gotthelf Struv, Gottfried Achenwall, Peter Joſeph Neyron und Georg Frie - drich Martens. Indes klagt Moſer bey ſeinem neu - ſten Verſuche nicht ganz ohne Grund, daß die bisherigen Schriften entweder zu viel blos moͤgliche oder doch zu alte Faͤlle, deſto weniger hingegen von denen anfuͤhren, welche unter den europaͤiſchen Maͤchten in neuern Zeiten ſich ereignet haben, und in beſtaͤndiger Uebung ſind. An Materialien hierzu fehlt es uͤbrigens nicht. Die Samlungen eines Leibnitz, Luͤnig, du Mont, Rouſſet, Lamberty, Schmaus, Wenk und andrer enthalten deren einen reichlichen Vorrath.
Dieſes hat Moſer zuerſt in zwey beſondern Werken unter dem Namen des auswaͤrtigen und nachbarlichen teutſchen Staatsrechts abgehandelt. Der Herr von Selchov verſprach deſſen Ausarbeitung ebenfals im drit - ten Theile ſeiner Elementorum Juris Publici: es iſt derſel - be zur Zeit aber noch nicht erſchienen, dagegen ſind eini - ge der dahingehoͤrigen Materien in der neuen Ausgabe von 1782. dem erſten Theile an behufigen Orten einge - ſchaltet worden.
Die ſaͤmtlichen Voͤlkerrechtsſchriften laſſen ſich fuͤg - lich unter folgende Klaſſen ordnen:
Das Studium des Voͤlkerrechts beſchaͤftigt ſich mit Erkentnis der algemeinen Wahrheiten durch Vernunft - ſchluͤſſe, mit der richtigen und zweckmaͤßigen Erklaͤrung der unter den Nazionen geſchloſſenen Vertraͤge, mit Be - richtigung der zum Herkommen erforderlichen Handlun - gen und mit Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle bey der Analo - gie. Die Grundſaͤtze des algemeinen Voͤlkerrechts koͤn - nen, der bisherigen Gewonheit nach, zwar fuͤglich beim Vortrage des Naturrechts gleich mitgenommen werden; es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig ſeyn, dieſem auch das poſi - tive, nach ſeinem ganzen Umfange, beizufuͤgen: ſo wie der Unterricht ſehr unvolkommen waͤre, wenn man, nach Wolf, Vattels und Andrer Vorſchlaͤge, in Anſehung des leztern, mit dem ſich begnuͤgen wolte, was in der Staatenhiſtorie und Statiſtick davon angemerkt wird. Die beſte Methode des Vortrags ſcheint mir dieſe zu ſeyn, daß man, nach vorausgeſchickten Grundſaͤtzen des algemeinen Voͤlkerrechts, die Abweichungen des po - ſitiven aus den Vertraͤgen und Herkommen der europaͤi - ſchen Staaten und deren Analogie bemerke. Jenes bleibt allemal die Regel, welche in Ermangelung einer Ausnahme, d. i. eines Vertrags oder Herkommens im - mer ihre Anwendung behaͤlt. Weder die Ausnahme von der Regel, noch dieſe von iener iſt fuͤglich zu trennen und eine ohne die andre zu verſtehen.
Viele halten das Studium des Voͤlkerrechts fuͤr un - nuͤtz, weil ſie die meiſten Grundſaͤtze fuͤr ungewis, ſtrei - tig und wilkuͤhrlich anſehn, und glauben, daß es in den mehreſten Faͤllen auf die Leidenſchaften großer Herrn und ihrer Miniſter, auf Macht und dergleichen Zufaͤlligkeiten ankomme. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß dieſe Umſtaͤnde auf die Handlungen der Nazionen oft nicht geringen Einflus haben; aber auch alsdann wollen ſie ihren Maas - regeln wenigſtens den Anſtrich der Gerechtigkeit geben, und das Recht auf ihrer Seite haben. Sehr oft iſt dies der Fall iedoch nicht. Die Kentnis des Voͤlkerrechts bleibt daher allen Regenten und denen, die ſich den Staatsgeſchaͤften, welcher Art es ſey, widmen, unent - behrlich, auch vielen andern, beſonders Officiers in Kriegszeiten nuͤtzlich, fuͤr ieden Weltmann aber lehrreich und angenehm.
J. J. Moſers Verſuch ꝛc. in der Vorrede §. 4.
In den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts ſind die Regeln enthalten, nach welchen ganze Nazionen, oder de - ren Repraͤſentanten, ihre Handlungen gegeneinander ein - richten ſollen und wornach dieſe beurteilt werden muͤſſen. Aber nur freie, unabhaͤngige Voͤlker koͤnnen dieſes Rechts ſich bedienen: Oberherſchaft und Unterwuͤrfigkeit ſind Gegenſtaͤnde, deren Eroͤrterung zum Staats - und buͤrger - lichen Rechte gehoͤrt. Es iſt daher vor allen Dingen der Begrif eines freien Volks und derienigen Nazionen feſt - zuſetzen, auf welche die in dieſer Abhandlung vorzutra - genden Rechtslehren anwendbar ſind. Zwar werden die Grundbegriffe dieſer Materie eigentlich auch ſchon im al -gemei -73Von den ſouverainen Staaten ꝛc.gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich ſetze deſſen Kentnis billig voraus; doch will ich, ſoviel davon zu beſſerer Ein - ſicht des Folgenden noͤthig iſt, hier bemerken.
Unter einem Staate oder Volke verſteht man, wie obgedacht, eine Geſelſchaft von Perſonen und Familien, welche zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfart unter einer Oberherſchaft, auf einem gewiſſen Erdſtriche bei - ſammen wohnen. Ein ſolcher politiſcher Koͤrper iſt, als moraliſche Perſon betrachtet, wie ieder einzelne Menſch, von Natur frey und unabhaͤngig. Derſelbe bleibt es auch, ſo lange er, durch ſeinen eignen Regenten die Mittel zur gemeinen Gluͤckſeligkeit, in Beziehung auf alle innern und auswaͤrtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut - duͤnken [den aufhabenden natuͤrlichen und andern Ver - bindlichkeiten gemaͤs verſteht ſich] beſorgen zu laſſen be - rechtigt iſt. Die unmittelbare Gewalt, ſich ſelbſt, nach eigenen Geſetzen zu regieren, ohne einer andern auswaͤrti - gen hoͤhern Macht davon Rechenſchaft geben, oder ſonſt auf deſſen Vorſchriften Ruͤckſicht nehmen, oder die Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm erwarten zu duͤrfen, kurz, wie die Franzoſen zu ſagen pflegen, ohne, auſſer Gott und dem Degen iemand uͤber ſich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai - netaͤt und das erſte Erfordernis eines freien unabhaͤngigen Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtſa - me eines ſouverainen Staats, nach dem heutigen Sprachgebrauch, Anſpruch machen will d].
Die Rede iſt hier nicht von dem Urſprung der Staa - ten uͤberhaupt und von den verſchiedenen Vertraͤgen, welche zu Begruͤndung der Oberherſchaft zwiſchen Regen - ten und geſamter Buͤrgerſchaft erforderlich ſind, ſondern es iſt nur zu bemerken, daß ein Volk entweder urſpruͤng - lich frey iſt, wenn es keines andern Oberherſchaft vorher erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung ſei - ner bisherigen Unterwuͤrfigkeit unter einer hoͤhern Macht erlangt. Das letztere geſchieht, wenn die herſchende Na - zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur - ſachen willen, ſich ihrer Hoheitsrechte uͤber einen Theil des Staats begiebt und ihm die Unabhaͤngigkeit zugeſteht, oder wenn dieſer ſeinem bisherigen Oberhaupte den Ge - horſam aufkuͤndigt, und ſich ſelbſt fuͤr frey und unab - haͤngig erklaͤrt.
Von der urſpruͤnglichen Errichtung der Staaten fehlen uns hinlaͤngliche hiſtoriſche Beweiſe, daher auch die Meinungen uͤber deren Entſtehung ſo geteilt ſind.
Faſt alle heutige ſouveraine Voͤlker in Europa haben auf die letztere beiden Arten ihr Daſein erlangt.
So erhielt z. B. Preuſſen 1657 in dem Welauer Vertrage von der Krone Polen ſeine Unabhaͤngigkeit, und Neapel nebſt Sicilien, ingleichen Sardienien kamen durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru - pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von der ſpaniſchen Oberherſchaft ab, und erlangten von neuen die Rechte unabhaͤngiger Staaten.
Noch anſehnlicher iſt die Liſte ſolcher Staaten, die durch Empoͤrung ihre Freiheit ſich erworben haben. Ich will nur die neuſten Beiſpiele davon anfuͤhren.
Die vereinigten Niederlande legten durch die Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit,und77und den europaͤiſchen insbeſondere.und kuͤndigten unterm 26. Jul. 1581 der Krone Spa - nien den Gehorſam foͤrmlich auf, indem ſie ſich fuͤr einen unabhaͤngigen Staat erklaͤrten.
Ein freier Staat, der ſeine Unabhaͤngigkeit auf eine rechtmaͤßige Art erlangt hat, muß, vermoͤge der unter allen Nazionen von Natur zu beobachtenden Gleichheit, auch von den uͤbrigen dafuͤr erkant werden; und es pfle - gen gewoͤnlich keine Schwierigkeiten deshalb gemacht zu werden. Allein iene eigenmaͤchtige Anmaßung der Sou - verainetaͤt iſt zu Begruͤndung der Unabhaͤngigkeit keines - weges hinlaͤnglich, und kan nicht eher fuͤr rechtmaͤßigange -78Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,angeſehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle - nen Theil ſeines Staats von der bisherigen Verbindung und Unterwuͤrfigkeit loszaͤhlt und deſſen Freiheit entweder freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genoͤthigt, endlich anerkennt. Wird ein ſolches Volk a] eher von andern Staaten als unabhaͤngig erkant und behandelt, ſo kan die Nazion, deren Gehorſam es ſich entzogen, dieſes mit Recht fuͤr eine Beleidigung anſehen b], weil kein Staat befugt iſt, ſich zum Richter uͤber die Irrungen zwi - ſchen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer - fen, und dieſe ihres bisherigen Gehorſams fuͤr erledigt zu erklaͤren. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio - nen iſt auch der vormaligen Oberherſchaft auf keine Weiſe nachtheilig, wenn es ihr gluͤcken ſolte, die ſich ſelbſt losgeriſſenen Unterthanen wieder zum Gehorſam zu bringen: ſo wie dieſelbe den leztern nur in Ruͤckſicht des anerkennenden Staats, und zwar nur ſo lange einigen Vortheil verſchaffen kan, als ſie ihre vermeintliche Frei - heit zu behaupten im Stande ſind.
Die europaͤiſchen Nazionen haben in dieſer Materie nicht immer einerley Grundſaͤtze befolgt, wie ſolches be - ſonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und den vereinigten Nordamerikaniſchen Staaten ſich gezeigt hat: wovon ich einiges hier anfuͤhren will.
In Anſehung der vereinigten Niederlande heißt es in einer neuern Staatsſchrift: La conduite qu’ a te - nue à leur égard la reine Eliſabeth merite d’ être deve - loppée. — — Enfin [nach einigen geheimen Vertraͤgen mit England] les Conféderés declarerent leur indépen - dance en 1585; cette demarche fut promptement ſui - vie d’ une nouvelle alliance defenſive: elle eſt du 10. Août de la même année. Les Hollandois alleguèrent dans leurs pleins pouvoirs la circonſtance, qu’ ils avoient entièrement ſecué le joug de l’ Eſpagne, et qu’ ils ſ’ etoient declarés libres et independans de ſa ſouverai -neté. 79und den europaͤiſchen insbeſondere.neté. Pour juſtifier ce dernier traité Eliſabeth publia un manifeſte, dans lequel Elle rapella les cruautés que les Gouverneurs Eſpagnols avoient commiſes dans les Pays-bas, et le projet formé par la cour de Madrid de detruire leurs franchiſes. Elle declara en même tems, qu’ Elle étoit obligée de ſoutenir les Provinces-unies par la defenſe de leur liberté, parceque c’ étoit là l’unique moyen de conſerver aus Anglois la liberté du commerce avec les Pays-bas, et de garantir l’ Angleter - re des invaſions que l’ Eſpagne auroit les plus grandes facilités d’ y faire, ſi une fois elle avoit reduit ces pro - vinces ſous ſon obeißance abſolue. Enfin Eliſabeth ob - ſerva que les traités qui ſubſiſtoient anciennement entre l’ Angleterre et les ſouverains des Pays-bas avoient été conclus non ſeulement entre ces princes, mais auſſi en - tre leurs états reſpectifs pour leur defenſe mutuelle et qu’ ainſi en protegeant les Provinces-unies contre un injuſte deſpotisme, Elle ne faiſoit exactement que rem - plir la dernière partie de ſes engagemens, ſans contre - venir en aucune manière à ce qu’ Elle devoit au Souve - rain de ces provinces. Il eſt à remarquer que la publi - cation de ce manifeſte n’occaſionna pas le rappel des Am - baßadeurs reſpectifs et que trois années après ſa publica - tion, c’ eſt ‒ à ‒ dire en 1588 Eliſabeth remplit encore, à la requiſition de Philippe II., l’ office de mediatrice entre ce Prince et les Provinces-unies au Congrès de Bourbourg. Cet abrégé fidèle de la conduite de la rei - ne Eliſabeth à l’ égard des Pays-bas convaincra ſans dou - te tout le monde, que cette Princeße a reconnu le droit qu’ a tout ſouverain d’ accueillir un peuple qui ſ’ eſt de - claré independant. Man ſehe die franzoͤſiſchen Obſerva - tions ſur le Memoire juſtificatif de la Cour de Londres von 1780. in Dohms Materialien zur Statiſtick 4te Lieferung, S. 33. u. f.
Portu -80Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Portugal ward, als es 1640 der Spaniſchen Herſchaft ſich entzog, noch vor dem Frieden von 1668, von Frankreich, England, Holland und Schweden fuͤr unabhaͤngig erkant, daher man auch deſſen Geſandte annahm.
Als die vereinigten Staaten von Nordameri - ka durch die Akte vom 4. Jul. 1776 ihrem Mutterlande den Gehorſam aufkuͤndigten und ſich fuͤr unabhaͤngig er - klaͤrten, ſuchten anfangs die mehreſten Staaten von Eu - ropa die Anerkennung deren angemaßten Souverainetaͤt auf irgend eine Art zu vermeiden. Nur Frankreich ſchloß unterm 6. Februar 1778 zu Paris einen foͤrmli - chen Freundſchafts - und Allianztractat c] mit ihnen, und verſprach, die Freiheit, Souverainetaͤt und abſolute un - begraͤnzte Unabhaͤngigkeit der dreizehn Nordamerikani - ſchen Staaten, ſowohl in Regierungs -, als Handlungs - ſachen aufrecht zu erhalten, Art. 2. Wenn deshalb Krieg zwiſchen Frankreich und England entſtehen ſolte, nicht eher Friede zu machen, bis ſie von England dafuͤr anerkant worden, Art. 8. und dieſe Unabhaͤngigkeit ge - gen alle Beeintraͤchtigungen zu garantiren. Art. 11.
Hiervon gab Frankreich in einer Declaration vom 13. Maͤrz 1778 dem Londner Hofe Nachricht, der die - ſen Tractat fuͤr eine der heftigſten Beleidigungen und fuͤr eine offenbare Kriegserklaͤrung anſah. Ich will die Hauptgruͤnde beider Theile aus den gewechſelten Staatsſchriften kuͤrzlich anfuͤhren, die fuͤr das Voͤlker - recht gewis nicht unwichtig ſind.
England behauptete: La première decouverte, la poßeſſion non interrompuë de deux cent ans et le con - ſentement de toutes les nations ſuffiſent pour conſtater les droits de la Grande-Bretagne aux terres de l’ Ame - rique ſeptentrionale et ſa ſouveraineté ſur le peuple, qui y avoit formé des etablißemens avec la permiſſion et ſous le gouvernement des prédéceßeurs du Roi. Sice81und den europaͤiſchen insbeſondere.ce peuple même a oſé ſecouër le joug de l’ autorité au plutôt des loix, ſ’ il a uſurpé les provinces et les pré - rogatives de ſon ſouverain, et ſ’ il a recherché l’ allian - ce des étrangers pour appuier ſon independence pre - tenduë; ces etrangers ne peuvent accepter ſon alliance, ratiſier ſes uſurpations et reconnoitre ſon independance, ſans ſuppoſer que la revolte a des droits plus etendus que ceux de la guerre et ſans accorder aux ſujets rebel - les un titre legitime aux conquêtes qu’ ils n’ avoient pu faire qu’ au mepris de la juſtice et des loix. Les enne - mis ſecrets de la paix de la Grande-Bretagne et peut - être de la France même, eurent cependant l’ addreße criminelle de perſuader à S. M. T. C. qu’ Elle pouvoit, ſans violer la foi de traités, declarer publiquement, qu’ Elle recevoit au nombre de ſes alliés les ſujets revoltés d’ un roi ſon voiſin et allié. Jamais le Roi n’ a reconnu l’ independance d’ un peuple, qui avoit ſecoué le joug de ſon prince legitime, et il eſt triſte ſans doute que les Miniſtres de S. M. T. C. aient ſurpris la religion de leur ſouverain pour couvrir d’ un nom auſſi reſpectable des aßertions ſans fondement et ſans vraiſemblance qui ſont dementies par le ſouvenir de l’ Europe entière. — Le retablißement de ſa dependance legitime étoit poſé com - me la condition indispenſable de la paix que la Grande - Bretagne offroit à des ſujets revoltés, dont elle reſpe - ctoit les droits, les interêts et même les prejugés. Man ſehe Memoire juſtificatif de la Grande-Bretagne du 15. Oct. 1779. in Dohms Materialien 3. Lieferung.
Die Aeuſſerungen des franzoͤſiſchen Hofes aber gin - gen dahin: La declaration de France à la Cour de Lon - dres du 13 Mars 1778. que le Roi d’ Angleterre denonça à ſon Parlement comme une declaration de guerre, avoit pour baſe deux verités inconteſtables; la 1re qu’ à l’ épo - que du 6. Fevrier 1778. Les Americains avoient la poßes - ſion publique de leur independance; la 2de que le roi a étéFle82Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,le maitre de regarder cette independance comme exiſtante, ſans être obligé d’ en examiner la legalité, et qu’ aucune loi ne lui interdiſoit la faculté de former des liaiſons avec les Americains. Pour demontrer ces deux verités, que la Cour de Londres conteſte, on n’ invoquera que des principes reconnus de tout tems par toutes les nations policées. — — Il étoit inutile de reclamer l’ ancienne poßeſſion, e’ eſt ‒ a ‒ dire une poßeſſion reconnuë et avouée par toutes les puißances, puisqu’ il n’ eſt jamais venu dans la penſée au roi de la conteſter; et le Mini - ſtère anglois auroit ſans contredit mieux defendu ſa cau - ſe, ſ’ il eut prouvé qu’ une poßeſſion legitime ne ſau - roit ſe perdre dans aucun cas: mais comment auroit-il oſé entreprendre cette preuve ſans vouloir démentir les annales de toutes le contrées de l’ Univers? Il doit donc demeurer pour conſtant, que quelque legitime, quelqu’ ancienne et quelqu’ avouée qu’ ait eté la poßes - ſion de l’ Angleterre à l’ égard de ſes anciennes Colo - nies, elle a pu la perdre; qu’ elle l’ avoit effectivement perdue an 4. Juillet 1776. et qu’ elle ne l’ a point re - couvrée depuis cette époque. Il reſulte de là que la France a pu dire avec verité, qu’ au moment de la ſi - gnature du traité de 1778. les Etats-unis de l’ Amerique ſeptentrionale etoient en pleine poßeſſion de leur in - dependance. Le Miniſtère Anglois croit detruire les con - ſequences qui derivent de cette verité en ſoutenant que la poßeſſion des Americains eſt illegitime, qu’ elle n’ a jamais été ni pu être validée, qu’ elle eſt une veritable felonie: mais en avancant cette propoſition, il avoit ſans doute oublié la conduite qu’ il a tenue lui même à l’ égard des Americains depuis la publication de l’ acte de l’ independance. On ſe rappelle que les creatures de la Cour ont conſtamment crié à la rebellion — cepen - dant malgré toutes ces clameurs, le Miniſtère Anglois a ceſſé, après la publication de l’ independance, de pour -ſuivre83und den europaͤiſchen insbeſondere.ſuivre les Americains comme des rebelles; il obſerva et obſerve encore à leur égard les regles de la guerre uſit es parmi les Nations independantes; les priſonniers Ameri - cains ont été echangés en vertu des Cartels ſignés par des Commißaires du Congrès; les troupes Angloiſes ont capitulé et leurs capitulations ont été reſpectées, la Cour de Londres a reconnu l’ autorité de la nouvelle Republi - que en autoriſant Commißaires pacificateurs à traiter d’ égal à égal avec les Commißaires Americains [actes qui tiennent à la Souveraineté]. Au ſurplus, que les Etats unis aient eu ou non le droit d’ abiurer la Souveraineté de l’ Angleterre; que la poßeſſion où ils ſont de leur in - dependance ſoit legitime où non: ce n’ eſt point à la France à diſcuter ces deux queſtions. Le roi n’ eſt point le juge des querelles domeſtiques de l’ Angleterre: ni le droit des gens, ni les traités, ni la morale, ni la politi - que ne lui impoſent l’ obligation d’ être le gardien de la fidelité que les ſujets Anglois peuvent avoir à leur Souverain: il ſuffit pour la juſtification de Sa Majeſté, que les Colonies, qui forment une Nation conſiderable tant par le nombre de leurs habitans que par l’ étendue de leurs domaines, aient établi leur independance, non ſeulement par un acte ſolemnel, mais auſſi par le fait, et qu’ elles l’ aient maintenue contre les efforts de leur Mère-patrie. Telle etoit en effet la poſition des Etats - unis, lorsque le roi a commencé à negocier avec eux: Sa Majeſté avoit une entière liberté de les regarder ou comme independans ou comme ſujets de la Grande-Bre - tagne; Elle a choiſi le premier parti parceque ſa ſureté, l’ intérêt de ſes peuples et ſurtout les projets ſecrets de la Cour de Londres lui en impoſoient imperieuſement l’ obligation. Cependant c’eſt cette même couduite que le Miniſtère Anglois ſoutient être inconciliable avec la verité des faits et les principes du droit des gens, qu’ il préſente comme incapable de voir le grand jour, qu’ ilF 2denonce84Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,denonce à toutes〈…〉〈…〉 es nations comme une violation du droit des gens, comme une injurie faite à tous les Sou - verains et à l’ humanité. — — Avant — le Miniſtère Anglois auroit du examiner avec un eſprit de juſtice et d’ impartialité, les droits et les devoirs des ſouverains; il auroit du ſurtout conſulter les faſtes de presque tous les Empirs et principalement ceux de la Grande-Breta - gne. L’ independance des Nations les unes à l’ égard des autres, eſt la baſe primitive et fondamentale du droit des gens; elle eſt abſoluë, illimitée et elle n’ ad - met de modifications et de reſtrictions, que celles qui ſont fondées ſur des engagemens ou que preſcrit la conſcience, ou enfin qu’ exige l’ intérêt de l’ Etat. Dans le premier cas, une nation ſ’ eſt donnée un contradi - cteur legitime; mais dans les deux autres ſes determina - tions et ſa conduite ne peuvent dependre que de ſon propre jugement, et quiconque entreprendroit de la guerre à cet égard, porteroit atteinte à ſon indepen - dance et lui feroit injure. — La France eſt indepen - dante de la Couronne Britannique: aucun engagement n’ oblige le roi de maintenir cette couronne dans l’ in - tegrité de ſes poßeſſions, et encore moins de contenir ſes ſujets dans l’ obeißance: ainſi S. M. n’ a eu aucune eſpèce de devoir à remplir en faveur de l’ Angleterre relativement à l’ Amerique ſeptentrionale; ainſi S. M. n’ a été obligée ni d’ aſſiſter l’ Angleterre contre ſes colo - nies, ni de repoußer ces Colonies lorsqu’ elles ſe ſont preſentées à Elle comme un peuple independant. À en croire l’ auteur du Memoire juſtificatif le Roi étoit tenu à ces divers devoirs en vertu du dernier traité de Paris; mais il eſt viſible, que pour ſoutenir une pareille pro - poſition, il a fallu meconnoitre le ſens, l’ eſprit et le but d’ un ſimple traité de paix et confondre un traité de cette nature avec un traité d’ alliance. Celui de Paris n’ impoſoit au roi d’ autre obligation, que celle de vi -vre85und den europaͤiſchen insbeſondere.vre en paix et en bonne amitié avec la Grande-Bretagne: vouloir étendre cette obligation c’ eſt ignorer ou me - priſer les premières notions de la diplomatique et le ſentiment de toutes les nations. Le Roi n’étoit pas plus gêné par ſa conſcience, qu’ il ne l’étoit par ſes en - gagemens. — — Il ſuffit que S. M. ſe croie exempte de tout reproche, qu’ Elle puiße ſe dire, qu’ en re - gardant les Americains comme independans, Elle n’ a violé ni la loi de Dieu ni celle des Nations: ſi la Cour de Londres oſe contredire cette morale, on lui deman - de, qui, ſur la terre, eſt le juge des Souverains? qui a le droit de les forcer à les ſuivre? — Le Roi a eu le droit de regarder comme independans les habitans re - unis d’ un immenſe continent, qui ſe ſont preſentés à lui avec ce caractère, ſur-tout après que leur ancien ſouverain eut demontré par des efforts auſſi longs que penibles, l’ impoſſibilité de les ramener à l’ obeißance. S. Obſervations ſur le Memoire juſtificatif de la Grande Bretagne. Fevr. 1780. in Dohms 4. Lieferung.
Spanien trat, vermoͤge des burboniſchen Familien - vertrags von 1761 zur franzoͤſiſchen Parthey, und gruͤn - dete ſich hauptſaͤchlich auf die eigne Grosbritanniſche An - erkennung der Unabhaͤngigkeit der nordamericaniſchen Staaten, durch Handlungen. La Convention de Sara - toga, heißt es in der ſpaniſchen Hauptdeduction vom 7. Sept. 1779, le Général Bourgoyne conſidéré comme priſonnier legitime pour ſuspendre ſon procès, l’échan - ge et la liberté d’ autres priſonnièrs Colons, la nomina - tion de Commißaires pour aller chercher les Americains chex eux, l’ acte de leur avoir demandé la paix et de traiter avec eux ou avec le congrès, et cent autres faits de cette nature autoriſés par la Cour de Londres, ont été de vrais ſignes de reconnoißance de l’ independance des Colonies. Dohms Materialien 3. Lief. S. 46. u. f.
F 3Die86Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Die vereinigten Niederlande ſagen in ihrem Kriegs-Manifeſt gegen Grosbritannien vom 12. Maͤrz 1781. L. H. P. envoyerent les ordres les plus precis à tous les Gouverneurs, pour qu’ ils eußent à ſe garder ſoigneuſement de ne rien faire vis-à-vis du pavillon du congrès Americain, dont on peut inferer ou deduire legitimément un aveu de l’independance des ſusdits Colonies. Dohm 4, S. 157. Als ihnen aber von Grosbritannien der Krieg angekuͤndigt wurde, reſolvirten ſie am 19. April 1782 die Unabhaͤngigkeit der nordame - rikaniſchen Staaten zu erkennen und den Herrn Adams als bevolmaͤchtigten Miniſter derſelben anzunehmen; ſchloſſen auch darauf unterm 8. Oct. gedachten Jahres einen foͤrmlichen Freundſchafts - und Handlungstractat mit ihnen. Politiſches Journal, April 1782. S. 408. u. f. Novbr. 82. S. 418. u. f. Man vergleiche Moſers Verſuch 6. Buch, 7. Kap. §. 13. u. f.
Die Anerkennung der Unabhaͤngigkeit kan entweder ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, Friedensſchluͤſſe ꝛc. oder auch durch ſolche Handlungen geſchehen, welche die Anerkennung der Freiheit nothwendig vorausſetzen; wohin z. B. die Annehmung foͤrmlicher Geſandten von einem ſolchen Volke ꝛc. zu rechnen. Beide Arten finden ſowohl von Seiten des die Oberherſchaft bisher behaup - tenden Staats, als auch der uͤbrigen dabey beſonders nicht intereſſirten Nazionen Statt.
Eine ausdruͤckliche Anerkennung erfolgte unter andern bey den
Vereinigten Niederlanden, welche nicht nur durch den Waffenſtilſtand vom 9. April 1609. mit Spanien und dem Hauſe Oeſterreich, ſondern auch hauptſaͤchlich im Muͤnſterſchen Frieden zwiſchen Spanien und den vereinigten Niederlanden vom 30. Jannuar 1648. Art. 1. fuͤr einen freien und unabhaͤngigen Staat erklaͤrt wurden.
Der Krimm geſtand die ottomanniſche Pforte im Frieden zu Kaingard mit Rußland vom 10 / 21. Jul. 1774. Art. 3. die Unabhaͤngigkeit zu. Mercure hiſt. Oct. 1774. p. 443.
Die vereinigren Staaten von Nordameri - ka erhielten in den Friedens-Praͤliminarien vom 30. Novbr. 1782 und in dem Definitiv. Frieden vom 3. Sept. 1783 mit Grosbritannien Art. 1. ihre Freiheit und die Rechte eines freien, unabhaͤngigen und ſouve - rainen Staats.
Stilſchweigend geſchah die Unabhaͤngigkeits - Erkennung
Der Eidgenoſſenſchaft vom teutſchen Reiche im weſtphaͤliſchen Frieden 1648. [Muͤnſter. Art. 8. Oß -F 4nabr.88Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,nabr. Art. 6]. Es wird darinn zwar nur der Befreiung von der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte erwaͤhnt; al - lein die gaͤnzliche Loszaͤhlung von der Oberherſchaft des Reichs iſt, wie Moſer und von Steck bemerken darun - ter ſtilſchweigend begriffen. v. Steck am ang. O. S. 52.
In Anſehung der vereinigten Niederlande erfolgte von Seiten des teutſchen Reichs, in Gemaͤsheit des muͤnſterſchen Friedensſchluſſes Art 53. zwar auch nur eine Erklaͤrung, gegen dieſelbe die Neutralitaͤt, gute Nachbarſchaft und Freundſchaft zu erhalten, ſolche iſt iedoch fuͤr eine Anerkennung der Freiheit ebenfals zu achten. Von Steck am ang. O.
Hat der ehemals herſchende Staat die Unabhaͤn - gigkeit einmal geſetzmaͤſig zugeſtanden, ſo bedarf es der ausdruͤcklichen Anerkennung der uͤbrigen weiter nicht, weil dieſe bey vorkommenden Gelegenheiten, ſolche als - denn ohnedies nicht verweigern duͤrfen, indem ſie kein Recht haben, zu verlangen, daß ein Volk, dem das Mutterland die Freiheit eingeraͤumt hat, ſich von neuem unterwerfe; es muͤſte denn eine Nazion ſelbſt noch An - ſpruͤche der Bothmaͤßigkeit zu machen ſich berechtigt glauben.
Europa beſtand von ieher aus verſchiedenen von ein - ander unabhaͤngigen Staaten, deren Anzahl und Um - fang ſich durch mancherley Revolutionen bald vermehrte bald verminderte. Die Herſchaft der Griechen und nachher der Koͤmer war die ausgebreiteſte. Die leztere teilte ſich endlich in zwey Kaiſerthuͤmer, in das morgen - laͤndiſche und abendlaͤndiſche. Dieſes ward im fuͤnften Jahrhundert von den damals herumwandernden nordi - ſchen Voͤlkern zerſtoͤrt, und es entſtanden daraus nachund89und den europaͤiſchen insbeſondere.und nach die mehreſten heutigen Nazionen Europens; aber ſie waren bis ins dreizehnte Jahrhundert beſtaͤndigen Zerruͤttungen unterworfen. Im vierzehnten und folgen - den Jahrhundert erhielten beinah die meiſten derſelben ihre Hauptbeſtimmung, Grenzen, Namen ꝛc. und tra - ten nachher, beſonders ſeit dem ſechszehnten Jahrhundert, immer in naͤhere Verbindung. Ich will hier die merk - wuͤrdigſten Schickſale der itzigen europaͤiſchen Staaten kuͤrzlich beruͤhren, nicht in Abſicht ihrer volſtaͤndigen Geſchichte uͤberhaupt, ſondern nur um den Urſprung der - ſelben und ihrer heutigen Unabhaͤngigkeit zu zeigen.
Portugal, ſonſt Luſitanien genant, war bis zu An - fang des zwoͤlften Jahrhunderts ein Theil Spaniens, und hatte mit dieſem Reiche einerley Schickſale. Hein - rich, ein Burgundiſcher Prinz, erhaͤlt 1109 durch ſeine Gemalin Thereſie, einer natuͤrlichen Tochter Koͤnig Al - fonſus VI. von Kaſtilien, aus deſſen Teſtamente die noͤrdliche Haͤlfte von Portugal, die er Anfangs als Statthalter regiert hatte, erb - und eigenthuͤmlich. Sein Sohn Alfonſus I. nimt, wiewohl mit Widerſpruch der Koͤnige von Kaſtilien, 1139 den Koͤniglichen Titel an, den Pabſt Alexander III. nachher 1179 beſtaͤtigt. Al - fonſus III. vereinigt das kleine Koͤnigreich Algarbien 1251 mit der Krone. Nach gaͤnzlichem Abgange des koͤniglichen Mannsſtams mit Heinrichs Tode 1580 hat, unter andern Praͤtendenten, Philip II. Koͤnig von Spa -F 5nien,90Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,nien, wegen ſeiner Mutter Iſabelle, des lezten Koͤnigs von Portugal aͤlteſten Schweſter, das Gluͤck, die Her - ſchaft uͤber das Koͤnigreich Portugal zu erlangen und zu behaupten. Aber die ſpaniſche Tiranney veranlaßt 1640 den Abfall der Portugieſen, die in dem Herzog Johann von Braganza ſich einen eignen Koͤnig waͤhlen. Spa - nien bemuͤht ſich lange vergeblich um deren Wiederunter - iochung, und muß endlich im Frieden zu Liſſabon vom 13. Februar 1668 Portugal als ein unabhaͤngiges Reich behandeln, und auf die dazugehoͤrigen Lande, Ceuta ausgenommen, Verzicht thun. Seitdem genießt das Koͤnigreich Portugal die voͤllige Souverainetaͤt.
Beſtand, als die Phoͤnizier es kennen lernten, aus mehrern kleinen Staaten, welche die Karthager meiſt unteriochten. Von dieſen kam es als eine Provinz an die Roͤmer. Seit dem fuͤnften Jahrhundert ward es nach und nach von den Alanen, Vandalen, Sueven, Weſtgothen und Mauren beherſcht. Den leztern entzo - gen die in die aſturiſchen und biscayſchen Gebuͤrge gefluͤch - teten Weſigothen, unter ihren gewaͤhlten Koͤnig Pela - gius im Anfange des achten Jahrhunderts, ein Stuͤck nach dem andern wieder: ein gleiches thaten die Franken unter Karl dem Großen. Daraus entſtand eine Menge beſonderer Reiche, deren Hauptvereinigung endlich durch die Vermaͤhlung Ferdinands von Arragonien mit Iſa - belle von Kaſtilien, nach ſeines Vaters Johann II. To - de, 1479 erfolgte. Dieſe machten mit Eroberung vonGre -91und den europaͤiſchen insbeſondere.Grenada der mauriſchen Herſchaft vollends ein Ende, und ſtifteten eins der maͤchtigſten Reiche in Europa. Ihre Nachfolger erweiterten ſolches noch mehr durch die Erwerbungen der Koͤnigreiche Neapel, Navarra, der Niederlande und anderer Beſitzungen in den uͤbrigen Theilen der Welt, die nachher iedoch groͤſtenteils wieder verlohren gingen. Daß Spanien, wie einige behaupten wollen, dem eigentlich teutſchen Reiche ie unterworfen geweſen ſey, iſt unerweißlich.
War unter den Celten oder Galliern ebenfals in ver - ſchiedene Staaten zerteilt, welche Julius Caeſar ſaͤmt - lich unter der Roͤmer Bothmaͤßigkeit brachte. Zur Zeit der algemeinen Voͤlkerwanderungen im fuͤnften Jahrhun - dert ließen ſich Gothen, Burgunder und Franken darinn nieder. Die leztern ſtifteten, nach gaͤnzlicher Ueberwaͤl - tigung der Roͤmer, unter ihrem Koͤnige Clodowich 486 wiederum ein maͤchtiges Reich. Unter den Beherſchern dieſer neuen fraͤnkiſchen Monarchie zeichneten ſich beſon - ders die anſehnlichen Eroberungen Karls des Großen aus. Durch die bekante Theilung, welche ſeine Enkel 843 zu Verdun vornahmen, zerfielen deſſen weitlaͤuftige Staaten in drey beſondere Koͤnigreiche. Zwar haben dieſelben in der Folge noch manche Veraͤnderung erlitten, Frankreich hat iedoch von dieſer Zeit an, beſonders nach - dem es unter den Kapetingiſchen Koͤnigen, von ſeiner vorigen Schwaͤche ſich wieder erhohlte, unter den ſouve - rainen Staaten in Europa iederzeit eine der vorzuͤglich - ſten Rollen geſpielt.
*]92Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Hatte in den aͤlteſten Zeiten, die wir kennen, eine Menge beſonderer in keiner Hauptverbindung ſtehender Voͤlker zu Bewohnern. Einige derſelben ſuchten, bey der algemeinen Voͤlkerwanderung, ſich neue Wohnplaͤtze, und wurden von andern ſlaviſchen Nazionen erſetzt, andere beſonders die Sachſen, Thuͤringer, Bayern, Frie - ſen und Franken blieben in ihrem Vaterlande. Das Gluͤck der fraͤnkiſchen Waffen unteriochte die uͤbrigen Voͤlker, und ſo entſtand die maͤchtige Monarchie der Franken, die zu Karls des Großen Zeiten, der die vor - laͤngſt erloſchene Kaiſerwuͤrde des zertruͤmmerten abend - laͤndiſchen roͤmiſchen Reichs wieder annahm, im hoͤchſten Flor ſtand. Die vorerwaͤhnte Theilung ſeiner Enkel zu Verdun 843 war der eigentliche Urſprung des heutigen teutſchen Reichs das Ludewig dem Teutſchen zufiel. Unter den verſchiedenen anſehnlichen Erwerbungen der nachfolgenden Beherſcher iſt Ottos des Großen Ver - einigung Italiens und der roͤmiſchen Kaiſerwuͤrde mit Teutſchland 961 und 962 eine der merkwuͤrdigſten. Haben gleich in der Folge die Staͤnde dieſes Reichs durch Erlangung der vorzuͤglichſten Maieſtaͤtsrechte gewiſſerma - ßen zu eignen Staaten ſich gebildet; ſo hat man doch Teutſchland, unter ſeinem Oberhaupte, dem Kaiſer, bis - her iederzeit fuͤr einen einzigen Staatskoͤrper angeſehen.
In Britannien befanden ſich ehemals viele kleine von einander unabhaͤngige Staaten, welche nach langen Krie - gen ſaͤmtlich der Roͤmer Herſchaft erkennen muſten; Bey dem Verfall des roͤmiſchen Reichs im fuͤnften Jahrhun - dert ward dieſe Provinz 426 von den Roͤmern verlaſſen und eine Beute der Schotten und Picten. Unvermoͤgend ſich ſelbſt gegen dieſelben zu ſchuͤtzen wurden von den Brit - ten die Sachſen und Angeln 449 aus Teutſchland zu Huͤlfe gerufen, die, nach Unterdruͤckung der alten Ein - wohner, ſieben beſondere Koͤnigreiche daſelbſt errichteten. Dieſe brachte Koͤnig Egbert von Weſtſex 818 unter ſeine Herſchaft zuſammen, und ſie erhielten den Namen Eng - land. Edred, Eduards I. dritter Sohn, nimt in der Mitte des zehnten Jahrhunderts zuerſt den koͤniglichen Titel davon an. Heinrich II. ein Sohn des Grafen von Anjou, Gottfried Plantagenet erobert, mit paͤpſtlicher Verguͤnſtigung 1172 die Inſel Irland, davon Koͤnig Heinrich VIII. erſt 1542 den Titel eines Koͤnigs ſich beilegt. Nach dem Tode der Koͤnigin Eliſabeth komt England 1603 an Jakob Stuart Koͤnig von Schottland als naͤchſten Erben, wodurch der Grund zur Verbindung dieſer beiden Reiche gelegt wird. Jedoch erfolgte die voͤllige Vereinigung in einen Staatskoͤrper, unter der Benennung von Grosbritannien, nach mancherley Revolutionen, erſt unter der Koͤnigin Anna durch den Unionstractat vom 6. Aug. 1706 a]. Die Einverleibung Irlands iſt bisher vergeblich verſucht worden: Es iſt vielmehr nach den neuſten Staatsverhandlungen, einabge -94Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,abgeſondertes Reich geblieben, das mit Grosbritannien nur iederzeit ein gemeinſchaftliches Oberhaupt erkent.
Auch ſie erkanten der Roͤmer Herſchaft, machten dann einen Theil der fraͤnkiſchen Monarchie aus, und kamen, nach deren Zertheilung unter die Bothmaͤſigkeit Teutſchlands, auſſer Flandern und Artois. Das iuͤn - gere Haus Burgund gelangte durch Heirath, Erbfolge und andere Vertraͤge nach und nach zum Beſitz der mei - ſten dieſer 17 vormaligen beſondern Staaten. Mit dem Tode Herzog Karls des Kuͤhnen 1477 ſtarb der burgundiſche Mannsſtamm aus, und deſſen Lande fielen durch Erbrecht an den Erzherzog, nachherigen Kaiſer Maximilian. Deſſen Enkel, Kaiſer Karl V. brachte die Niederlande an Spanien, vereinigte durch den Madri - ter Frieden 1526 die bisher unter Frankreichs Hoheit ge - ſtandenen Grafſchaften Flandern und Artois damit, und verband hierauf die ſaͤmtlichen Niederlande, unter dem Namen des burgundiſchen Kraiſes, mit dem teutſchen Reiche, ohne ſie iedoch deſſen Gerichtsbarkeit zu unter - werfen. Die heftigen Bedruͤckungen, welche die Nie - derlaͤnder, der Religion wegen, durch Einfuͤhrung der Inquiſition, von Spanien erdulden muſten, brachte ſie endlich dahin, dieſem Reiche den Gehorſam voͤllig auf - zukuͤndigen, und ſich, nach verſchiedenen Buͤndniſſen unter den einzelnen Provinzen und mancherley abwech - ſelnden Schickſalen, 1581 fuͤr einen freien Staat zu erklaͤren. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward auch, wie obge -dacht,95und den europaͤiſchen insbeſondere.dacht, von Spanien und Teutſchland in der Folge foͤrm - lich anerkant.
Das ehemalige Helvetien war aus verſchiedenen kleinen Staaten zuſammengeſezt, kam unter Julius Cae - ſar an die Roͤmer, und blieb bis ins fuͤnfte Jahrhundert eine roͤmiſche Provinz. Bey der großen Voͤlkerwande - rung bemaͤchtigten Burgunder und Alanen ſich derſelben, muſten aber, unter Chlodowich und deſſen Soͤhnen, die Herſchaft der Franken erkennen. In der Theilung die - ſes Reichs 843 bekam Lothar den burgundiſchen, Lude - wig der Teutſche aber den alemanniſchen Theil der Schweitz. Lezterer brachte iedoch beide wieder zuſammen. In der Folge zerfiel dies Land abermals in mehrere be - ſondere Theile, die bald eigne Herrn hatten, bald dem teutſchen Reiche unmittelbar unterworfen waren, und von Statthaltern regiert wurden. Zur Zeit des Inter - regnums begaben die meiſten ſich unter den Schutz des maͤchtigen Grafen Rudolphs von Habsburg, nachmali - gen Kaiſers. Aber das widerrechtliche Verfahren ſeines Sohns Herzog Albrechts von Oeſterreich und die Haͤrte der Kaiſerlichen Voigte empoͤrte die Schweitzer, und veranlaßte zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame und zu Behauptung der Freiheit 1307, den erſten Bund der drey Waldſtaͤdte Uri, Schweitz und Unterwalden, der 1315 durch ein ewiges Buͤndnis erneuert ward. Dieſer Verbindung traten nach und nach 1332 Luzern, 1351 Zuͤrich und Glarus, 1352 Zug, 1353 Bern,148196Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,1481 Freyburg und Solothurn, 1501 Baſel und Schafhauſen, und 1513 Appenzell bey. Nach vie - len blutigen Kriegen behaupteten ſie endlich wuͤrklich ihre Freiheit, und wurden ſowohl von dem Hauſe Oeſter - reich in verſchiednen Vertraͤgen, als auch von Teutſch - land beym Weſtphaͤliſchen Frieden 1648 fuͤr einen freien Staat erkant, der nachher noch verſchiedene Bundsge - noſſen und Zuſaͤtze erhielt.
Nicht die Entſtehung des Papſts und ſeiner unbe - ſchraͤnkten Gewalt, durch die er vom Pfarherrn bis zum Monarchen ſich emporgeſchwungen, ſondern nur der Theil Italiens, den er als ſouverainer Fuͤrſt beherſcht, komt hier in Betrachtung. Pipin und Karl der Große, die bey ihren Eroberungen in Italien vorzuͤglich des ſchon damals großen Anſehes der Paͤbſte ſich bedienten, theilten den longobardiſchen Raub mit Stephan II. und Hadrian I. 754. 787. ſchenkten ihnen die meiſten zum griechiſchen Exarchat gehoͤrigen Laͤnder und legten da - durch den Grund des Kirchenſtaats. Zwar fehlte den Paͤpſten anfangs die Oberherſchaft uͤber iene Laͤnder; aber ſie wuſten ſolche bald an ſich zu bringen, und ihren Staat durch verſchiedne ſouveraine Provinzen zu vermeh - ren. Einen betraͤchtlichen Zuwachs erhielt derſelbe durch die reiche Erbſchaft der Graͤfin Mathildis 1105. undandere97und den europaͤiſchen insbeſondere.andere Schenkungen, zum Theil auch gewaltſame Erwerb - ungen, beſonders zu Zeiten der Kreuzzuͤge. Rom ward erſt von Innocenz III. 1393 voͤllig unteriocht. Im zwoͤlften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert gingen viele Beſitzungen verlohren, doch wurden ſie nachher meiſtens wieder zuſammengebracht; beſonders unter dem kriegeriſchen Papſt Julius II. der dem Kir - chenſtaate groͤſtenteils ſeinen heutigen Umfang und ſeine Beſtimmung gab.
War zu der Roͤmer Zeiten unter dem Namen Vene - tien bekant, und gehoͤrte ehemals zum abendlaͤndiſchen Kaiſerthum. Bey dem Umſturz dieſes Reichs durch die Vandalen, Heruler und Oſtgothen, ſuchten die Vene - ter, gegen das Ende des fuͤnften Jahrhunderts ſich von aller Unterwuͤrfigkeit loszumachen, und es gluͤckte ihnen auch, ihre voͤllige Freiheit zu erlangen, und unter man - cherley Veraͤnderungen bis itzt zu erhalten. Die Ober - haͤupter dieſes Freiſtaats hieſſen bis ins ſiebente Jahr - hundert Tribunen: allein die zwiſchen ihnen und dem Volke entſtandenen Uneinigkeiten veranlaßten 697 die Wahl eines algemeinen Oberhaupts unter der Benen - nung des Doge oder Herzogs, dem die Tribunen auf den einzelnen Inſeln untergeordnet wurden. Im Jahr 1172 kam noch eine Verſammlung von Nobili dazu. Durch dieſe und mehrere nachherige Revolutionen erhielt endlich Venedig, beſonders unter dem Herzog Peter Gradeni -Ggo98Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,go II. im Jahr 1298 dieienige ariſtokratiſche Verfaſſung die es groͤſtentheils noch gegenwaͤrtig hat.
Die Republick Genua machte in den aͤlteſten Zeiten einen Theil Liguriens aus, und ſtand mit demſelben un - ter roͤmiſcher Hoheit. Alsdann kam ſie nach und nach unter die Bothmaͤßigkeit der Oſtgothen, Longobarden und des teutſchen Reichs, von dem ſie durch Statthalter regiert ward. Nachdem die Stadt von den Sarazenen groͤſtenteils war verwuͤſtet worden, warfen einige angeſe - hene Familien ſich zu Herren uͤber dieſen kleinen Staat auf. Seit der Zeit ward derſelbe durch beſtaͤndige inner - liche Zwiſtigkeiten zerruͤttet, und muſte bald den Schutz, bald die wuͤrkliche Herſchaft auswaͤrtiger Maͤchte, beſon - ders Frankreichs erkennen, bis Andreas Doria 1527 die Franzoſen gaͤnzlich vertrieb und ſeinem Vaterlande die voͤllige Freiheit und Unabhaͤngigkeit nebſt der Regie - rungsverfaſſung verſchafte, die es noch gegenwaͤrtig genießt.
Dieſe ehemalige roͤmiſche Kolonie kam, nach dem Um - ſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums an das longobar - diſche, fraͤnkiſche und endlich an das teutſche Reich, und ward ebenfals durch Kaiſerliche Statthalter regiert. Daß dieſe Stadt ihre Freiheit von Kaiſer Rudolph I. fuͤr zwoͤlf tauſend Dukaten erkauft habe, iſt noch ſehr zwei - felhaft. Wenigſtens hat ſie ſeitdem wieder des Reichs und andrer Bothmaͤßigkeit erkannt. Endlich gelangt dieſelbe unter Kaiſer Karl IV. 1370 zur Freiheit, die ſie unter Paolo Giuniſi auf eine kurze Zeit zwar wieder ver - loren, nach Abwerfung deſſen Herſchaft aber fortwaͤhrend behauptet hat. Wird ſie gleich vom Kaiſer noch des heiligen Roͤmiſchen Reichs Stadt genent, ſo hat dieſelbe dagegen ſich doch in dem Beſitz der Unabhaͤngigkeit er - halten.
Dieſer kleine Staat ſoll aus den Truͤmmern der alten Stadt Epidaurus erbaut ſeyn. Er ſteht unter dem Schutz verſchiedener Maͤchte, und hat daher den Namen Heca - mopolis bekommen. Ungeachtet der Papſt und die Republik Venedig dieſer Stadt die Souverainetaͤt nicht zugeſtehn wollen, und ſie nur la Communità di Raguſa nennen, ſo iſt ihr doch die Unabhaͤngigkeit mit Grunde nicht abzuſprechen.
Der kleinſte Staat des Erdbodens: die Italiener nennen ihn nur la Republichetta. Der heilige Marinus, der bey Erbauung der Stadt Arinimi gebraucht ward, und nachher, als Einſiedler, durch ſeinen Eifer in Be - kehrung der Heyden ſich bekant machte, gab ihm den Ur - ſprung. Man baute naͤmlich an dem Orte ſeines Auf - enthalts eine Kapelle und ein Kloſter, bey denen ſich verſchiedene Perſonen nach und nach niederlieſſen, und gegen das Ende des ſechſten Jahrhunderts die Stadt San-Marino errichteten, die ſich bisher in beſtaͤndiger Unabhaͤngigkeit erhalten hat.
Aus den dahin geſchickten ehemaligen Pflanzſtaͤdten Griechenlands bildeten ſich verſchiedene Staaten, die nachher unter die Bothmaͤßigkeit der Roͤmer geriethen. Beim Untergange des abendlaͤndiſchen Reichs bemaͤchtig - ten die Heruler und dann die Oſtgothen ſich dieſer Laͤnder, muſten ſie aber, unter Juſtinian, dem griechiſchen Kai - ſerthum uͤberlaſſen. In der Folge entſtanden verſchiede - ne Fuͤrſtenthuͤmer, unter eignen Oberherrn daraus, wel - che die Soͤhne des normaͤnniſchen Grafen Tankreds von Hauteville, durch Eroberungen, wieder vereinigen. Ro - ger II. wird vom Papſt Anaklet II. zum Koͤnig beider Sicilien gekroͤnt und empfaͤngt ſie als paͤpſtliches Lehn. Nach -101und den europaͤiſchen insbeſondere.Nachher kommen beide Reiche an Regenten aus verſchie - denen Haͤuſern, und zuletzt an Herzog Karl von Anjou, Koͤnigs Ludwig IX. in Frankreich Bruder. Unter ihm reißt Sicilien 1282 ſich los, und unterwirft ſich dem Koͤnig Peter von Arragonien. Drauf ſteht dieſes Koͤnig - reich theils unter arragoniſchen, theils unter eignen Koͤni - gen. Ferdinand der Katholiſche von Spanien bringt auch Neapel an ſich, und vereinigt beide Reiche wieder, die ſeitdem durch Statthalter regiert werden. Bei dem bekannten ſpaniſchen Erbfolgskriege komt durch den Urrechter Frieden 1713 Neapel an das Haus Oeſter - reich, Sicilien aber, als ein beſonderes Koͤnigreich an den Herzog von Savoyen, jedoch wird lezteres, nach - dem es von Spanien wieder erobert worden, ebenfals an Oeſterreich uͤberlaſſen. Im Wiener Frieden 1736 behaͤlt endlich der ſpaniſche Infant Karl dieſe bey Gelegenheit der ſtreitigen Koͤnigswahl in Polen, dem Hauſe Oeſter - reich abgenommenen beiden Reiche, deſſen Nachfolger ſich noch gegenwaͤrtig auf dem Thron befinden.
Stand nach und nach unter der Herſchaft der Kar - thager, Roͤmer, Vandalen, der griechiſchen Kaiſer und der Araber. Den Leztern ward dieſe Inſel, vermoͤge einer paͤpſtlichen Schenkung, von den Piſanern entriſſen, und in vier Fuͤrſtenthuͤmer geteilt. Die Haͤupter derſel - ben ſuchten ſich unabhaͤngig zu machen, und geriethen deshalb unter ſich und mit den Piſanern in Streit, dem Kaiſer Friedrich II. dadurch ein Ende machte, daß er ſei - nen natuͤrlichen Sohn Heinz zum Koͤnig von Sardinien erklaͤrte, und es mit Teutſchland vereinigte. Zur Zeit des Interregnums nahmen die Piſaner wiederum Beſitz davon. Papſt Bonifaz VIII. ſchenkt Sardinien demG 3Koͤnig102Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Koͤnig Jokas II. von Arragonien, wodurch es nachher mit Spanien verbunden wird. Durch den Utrechter Frie - den kam Sicilien an Kaiſer Karl VI. ward aber nach - her, vermoͤge der Quadrupelallianz, ſtatt des an Oeſter - reich abgetretenen Siciliens, dem Herzog von Savoyen als ein eignes Koͤnigreich uͤbertragen.
Dieſe Inſel hatte verſchiedene Beſitzer nach einander, ehe die Roͤmer im zweiten puniſchen Kriege ſie von den Karthagern an ſich brachten. Dieſelbe kam hierauf an die Gothen, Griechen und Araber, welchen Letztern Graf Roger von Sicilien 1090 ſie entriß und mit ſeinen Be - ſitzungen vereinigte. Kaiſer Karl V. uͤberließ ſolche als ſicilianiſches Lehn nebſt noch einigen kleinen Inſeln 1529 dem aus Rhodus vertriebenen Johanniterorden. Seit - dem iſt Malta, als ein unabhaͤngiger Staat, der beſtaͤn - dige Sitz des Großmeiſters dieſes Ordens geweſen.
Die aͤlteſte daͤniſche Geſchichte iſt ziemlich dunkel und fabelhaft. Der daͤniſche Staat ſelbſt ſoll ſchon vor Chriſti Geburt von den Cimbern geſtiftet ſeyn. Ge - woͤnlich wird Skiold ein Sohn Odins, in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach Chriſti Geburt, fuͤr den erſten Koͤnig von Daͤnemark ausgegeben. Zwar entſte - hen nachher wieder mehrere unabhaͤngige Staaten dar - aus, die aber Ivar Vidfathmi im ſiebenten Jahrhun - dert von neuem zuſammenbringt und auch Schweden erobert, das iedoch nachher wieder abkomt. Juͤtland, ehemals ein eignes Reich, ward ums Jahr 863 vonGorm103und den europaͤiſchen insbeſondere.Gorm dem Alten mit Daͤnemark vereinigt. Ebender - ſelbe aber muſte, als er ſeine Eroberungen gegen Kaiſer Heinrich den Vogler auch in Teutſchland erſtrecken wol - te, ein anſehnliches Stuͤck von ſeinen Laͤndern dem teut - ſchen Reiche uͤberlaſſen. Unter den Ottonen fuͤhlte Daͤ - nemark die Uebermacht der teutſchen Kaiſer noch mehr, indem es denſelben ſogar zinsbar werden muſte. Indes ſoll Kaiſer Otto der Große den Beherſchern Daͤnemarks die Koͤnigliche Wuͤrde erneuert haben, welches auch unter den nachherigen Kaiſern mehrmals geſchehen. Allein die Gerechtſame Teutſchlands uͤber Daͤnemark kamen nach und nach wieder in Abgang, beſonders ſeitdem Knud VI. ſich den Anmaſſungen Kaiſer Friedrichs I. welcher Daͤne - mark zum Lehen Teutſchlands machen will, mit Nachdruck entgegenſetzt. Norwegen komt unter Knud II. 1028 auf eine Zeitlang an Daͤnemark, wird aber, nachdem es bald eigne Regenten gehabt, bald mit dem erſtern Rei - che verbunden geweſen, ſeit 1387 auf immer damit verei - nigt. Die Koͤnigin Margaretha bringt 1388 auch Schweden dazu: und dieſe drey Reiche ſolten, vermoͤge der bekanten Kalmariſchen Union von 1397, unter ein regierendes Haupt auf ewig vereinigt bleiben, unbeſcha - det uͤbrigens der beſondern Rechte und Freiheiten eines ieden Reichs. Gleichwohl reißt ſich Schweden, nach verſchiedenen vergeblichen Verſuchen, endlich los, und hebt durch Erwaͤhlung eines eigenen Koͤnigs 1523 die vorgedachte Vereinigung auf.
Der Urſprung dieſes Reichs iſt eben ſo ungewiß als des Daͤniſchen und als die Erzaͤhlung von einem andern Sohne Odins, Namens Vnge, welcher Schweden und Gothland bekommen haben ſoll. Indes war das ſchwe - diſche Reich ſchon zu den Zeiten des Tacitus bekant. Es ward nachher in mehrere Fuͤrſtenthuͤmer zerteilt, die Ingiald Illraͤde unteriochte, indem er zugleich das bisher verfallene koͤnigliche Anſehn wieder herſtelte. In der Folge war Schweden zuweilen mit Daͤnemark, Ruß - land und andern Reichen bis ins zehente Jahrhundert verbunden. Zu Ende deſſelben erſcheint Olav, als der erſte chriſtliche Koͤnig von Schweden. Magnus I. Ladulaͤs nimt den Titel Koͤnig der Schweden und Go - then an. Nach verſchiedenen Revolutionen wird dieſes Koͤnigreich, wie im vorigen §. gedacht worden, durch die kalmariſche Union mit Daͤnemark zwar auf immer ver - bunden, ſchuͤttelt iedoch 1520 das daͤniſche Joch ab, und macht ſeit der Wahl Guſtavs Waſa im Jahr 1523 ein von eignen Koͤnigen regiertes Reich aus.
War ehemals ein Theil von Sarmatien. Die Er - zaͤhlung von einem Stifter des Koͤnigreichs, Namens Lech im ſechſten Jahrhundert, iſt noch großen Zweifeln unterworfen. Wahrſcheinlicher entſtand dieſer Staat im neunten Jahrhundert unter Piaſt, einem vormaligen Ackermann. Die Beherſcher aus dem piaſtiſchen Stam - me hießen Anfangs nur Herzoge und ſtanden, wenig - ſtens ſeit Miezislav oder Miesko I. unter dem teutſchen Reiche, dem die Polen einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen muſten. Boleslav der erſte, aber noch mehr ſein Sohn Miezislav II. fingen im eilften Jahrhundert an, ſich von der Verbindung mit dem teutſchen Reiche loszureiſſen. Erſterer nahm 1025 den Koͤniglichen Titel an, gerieth aber mit dem teutſchen Reiche deshalb in Krieg. Nach - dem Boleslav II. vom Papſt in den Bann gethan, und des Throns entſetzt worden war, begnuͤgten ſich deſ - ſen Nachfolger eine zeitlang wieder mit dem Herzoglichen Titel, aber Premislav erneuerte 1294 den Koͤniglichen abermals. Seit Vladislav Lokietek, der Gros - und Klein-Polen auf immer vereinigte, iſt Polen iederzeit fuͤr ein unabhaͤngiges Koͤnigreich angeſehen worden.
Beſtand in den aͤlteſten Zeiten aus verſchiedenen klei - nen Voͤlkerſchaften, die mit den Polen in beſtaͤndigen Kriegen lebten. Dieſe riefen daher die teutſchen Ritter zu Huͤlfe, welche ſich daſelbſt niederlieſſen, und ganz Preuſſen, das ſie von Kaiſer Friedrich II. und Gregor IX. geſchenkt bekamen, binnen einigen funfzig Jahren voͤl - lig unter ihre Bothmaͤſigkeit brachten. Der Orden gerieth hierauf ſelbſt mit den Polen in oͤfteren Krieg und muſte endlich im Frieden zu Thorn 1466 ganz Vorder - Preuſſen, als einen Reichsſtand, der Kron Polen uͤber - laſſen, Hinter-Preuſſen aber von ihr zu Lehn empfangen. Durch den Krakauer Frieden 1525 ward der Orden in Preuſſen gaͤnzlich aufgehaben und Hinter-Preuſſen dem letzten Hochmeiſter Albrecht Marggrafen von Branden - burg und ſeinen Erben, als ein weltliches Herzogthum von Polen zu Lehn gereichet, ungeachtet der Kaiſer und der teutſche Orden ſich dagegen ſetzten. In der Folge erlangte das Kurhaus Brandenburg die Mitbelehnſchaft, und nach Abſterben Herzog Albrecht Friedrichs ohne Er - ben 1618 den Beſitz des Herzogthums Preuſſen. Chur - fuͤrſt Friedrich Wilhelm von Brandenburg erklaͤrt ſich in dem Kriege zwiſchen Polen und Schweden gegen ſei - nen Lehnsherrn und erkent 1656 Preuſſen fuͤr ein Lehn der Kron Schweden, die in dem Vertrage zu Labiau dies Herzogthum fuͤr einen unabhaͤngigen Staat erklaͤrt. Allein Preuſſen wird von Polen wieder unterwuͤrfig ge - macht, Kurbrandenburg erhaͤlt iedoch endlich auch von dieſer Krone in dem Welauer Vertrage vom 19. Septem - ber 1657, Art. 5. 6. die voͤllige Unabhaͤngigkeit des Herzogthums Preuſſen, welche im Frieden zu Oliva 1660 beſtaͤttigt wird. Sein Nachfolger Friedrich I. erhebt das nunmehr freie Preuſſen 1701 zu einem Koͤnigreich,wofuͤr107und den europaͤiſchen insbeſondere.wofuͤr es auch die uͤbrigen Maͤchte in Europa nach und nach anerkennen.
Ward ſonſt unter dem Koͤnigreich Pannonien begrif - fen, zu Kaiſer Tibers Zeiten beſiegt und zur roͤmiſchen Provinz gemacht. Drauf kam es an die Gothen und Hunnen, welche Leztern dieſem Reiche den heutigen Na - men gaben. Dieſe lebten mit den griechiſchen Kaiſern in beſtaͤndigen Kriegen, wurden von den Oſtgothen und Longobarden auf eine zeitlang wieder vertrieben und von Karl dem Groſſen uͤberwaͤltigt, riſſen ſich gleichwol abermals los, und machten nachher den teutſchen Kai - ſern, die iedoch nicht ſelten die Oberhand uͤber ſie behiel - ten, viel zu ſchaffen. Otto III. ſoll im Jahr 1001 dem Hungariſchen Herzoge Stephan I. die koͤnigliche Wuͤrde erneuert haben, die ſchon Attila der Hunnen Koͤnig fuͤhr - te. Zwar unterwarf Kaiſer Heinrich III. Hungarn als eine Provinz dem teutſchen Reiche dergeſtalt, daß es demſelben einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen muſte; aber dieſe Verbindung dauerte nicht lange. Schon Koͤnig Andreas ſing am 1052 an, die Abtragung des Tributs zu unterlaſſen: und obwohl die folgenden Kaiſer um die Wiederherſtellung des Reichs Oberherſchaft uͤber Hungarnbemuͤht108Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,bemuͤht waren, und Friedrich II. daſſelbe lehnbar mach - te; ſo ſind dieſe Gerechtſame doch ſeitdem voͤllig in Ab - gang gekommen, und Hungarn die Rechte eines unab - haͤngigen Staats zugeſtanden worden. Nach mehrern Regenten aus verſchiedenen Haͤuſern gelangt das Haus Oeſterreich 1526 zum Beſitz dieſes Koͤnigreichs.
In den aͤlteſten Zeiten bewohnten verſchiedene Voͤlker dieſe Lande, beſonders Slaven, welche im neunten Jahr - hundert in Novgorod den Grund zu einem neuen Staat legten. Innerliche Uneinigkeiten dieſes anfaͤnglichen Freiſtaats veranlaßten die Wahl mehrerer Regenten, unter welchen Kurick der Stifter eines ziemlich weit - laͤuftigen Reichs ward: Daſſelbe zerfiel nachher wieder in kleine Fuͤrſtenthuͤmer, deren Oberhaͤupter Kneeſen, d. i. Grafen und Herrn hieſſen, und im dreizehnten Jahrhundert groͤſtenteils den Tatarn lehn - und zinnsbar werden muſten. Ivan I. Waſiljewitſch brachte waͤh - rend ſeiner Regierung von 1462 bis 1505 dieſe kleinen Staaten wieder zuſammen, machte der tatariſchen Her - ſchaft 1477 ein Ende, und begruͤndete dadurch das heu - tige Rußland nach ſeinem Hauptumfange. Iwan II. Waſiljewitſch nimt den Titel Zaar, d. i. Koͤnig oder Herzog an, den Peter I., bey Gelegenheit des Nyſtaͤdter Friedens, mit der Kaiſerwuͤrde vertauſcht.
Die aſiatiſchen Provinzen des ottomanniſchen Reichs wurden in den aͤltern Zeiten ebenfals von verſchiedenen Voͤlkerſchaften bewohnt, unter denen die Tuͤrken, wel - che im ſechſten Jahrhundert zuerſt vorkommen, die merk - wuͤrdigſten ſind. Ihr Reich machte bald einen eignen Staat aus, bald ſtand es unter der Herſchaft andrer Nazionen. Osmann oder Ottomann I. ſtiftete im Jahr 1300 das gegenwaͤrtige ottomanniſche Reich, und nahm zugleich den Titel eines Sultans an. Orchan erſtreckt durch ſeinen Sohn Soliman ſeine Eroberungen 1355 zuerſt bis nach Europa, und Mohamed II. ero - bert endlich 1453 Conſtantinopel, die Hauptſtadt des ehemaligen griechiſchen Kaiſerthums, welche ſeitdem die Reſidenz der tuͤrkiſchen Kaiſer geblieben iſt. Die Beſitz - ungen in dieſem Welttheile ſind es allein, um derent - willen die Pforte zu den europaͤiſchen Staaten gerechnet wird.
Die vorgenanten Staaten laſſen ſich, in Ruͤckſicht ihrer Groͤſe, Lage, Regierungsform ꝛc. in verſchiedene Klaſſen theilen, indem einige entweder Land - oder See - maͤchte, Reiche oder Republiken, Erb - oder Wahlrei - che ꝛc. ſind. Dieſe mannichfaltigen Beſtimmungen lernt man in der Geographie und Statiſtick kennen. Keine derſelben aber vermehrt oder vermindert die Eigenſchaft eines freien Volks oder den Gebrauch des Voͤlkerrechts, die einem ieden, nach Verſchiedenheit ſeiner natuͤrlichen und politiſchen Verfaſſung und der daraus entſpringen - den Verhaͤltniſſe, gebuͤhren.
Auſſer dieſen giebt es noch verſchiedene andere Staa - ten, die theils von ihren Beſitzern ſelbſt, theils nur von einigen Schriftſtellern fuͤr ſouverain ausgegeben werden, deren Unabhaͤngigkeit aber bey den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen ſelten oder gar nicht in Betrachtung kommt a], mit unter auch noch manchen Zweifeln unterworfen, oder wohl gar ungegruͤndet und daher nicht durchgaͤngig aner - kant iſt. Zu den Letztern gehoͤren die meiſten italiaͤniſchen Fuͤrſten, die der Herſchaft des reutſchen Reichs ehemals ohnſtreitig unterworfen geweſen, und noch zur Zeit durch nichts davon losgezaͤhlt ſind, die ihre Lande iedoch groͤ - ſtenteils als ſouveraine Staaten regieren, weil die Gele - genheiten ſelten vorkommen, wo die Gerechtſame des Reichs auf einleuchtende Art geltend gemacht werden koͤnten b].
Ich will wenigſtens die vornehmſten ſtreitigen ſouve - rainen Staaten kuͤrzlich anfuͤhren. Man rechnet dahin:
1] Das Koͤnigreich Boͤhmen, das zwar ſchon 722 einen ſouverainen Herzog, Namens Przemyſl ge - habt haben ſoll, aber nachher unter Kaiſer Ludwig dem Teutſchen dem Reiche unterworfen wurde. Wenigſtens iſt deſſen Verbindung mit Teutſchland ſeit den Kaiſern Heinrich III. und IV. nicht zu bezweifeln. Letzterer ſoll dem boͤhmiſchen Herzog Wratislav 1086 die koͤnigliche Wuͤrde ertheilt haben, die ſchon Herzog Wenzel Heinrich dem Vogler ausſchlug. Sie wurde 1158 erneuert und ſeit 1292 von allen Beherſchern Boͤhmens gefuͤhrt. Zwar erlangte das Koͤnigreich Boͤhmen in der Folge an - ſehnliche Vorrechte und Befreiungen vom teutſchen Rei - che, beſonders von deſſen Gerichtsbarkeit, dem ungeachtet iſt der iedesmalige Koͤnig von Boͤhmen, als Churfuͤrſt, wegen dieſes Reichslandes noch ein unſtreitiger Stand des teutſchen Reichs: welche Eigenſchaft die Kron Boͤh - men im Jahr 1708 aufs neue anerkant und durch Ueber - nehmung eines Matricular-Anſchlags befeſtigt hat. Auſ - ſer der Verbindung mit Teutſchland wird Boͤhmen uͤbri - gens von ſeinen Regenten mit ziemlich unbeſchraͤnkter Gewalt beherſchet. In den 1756. und folgenden Jahren kam es, wegen der Abhaͤngigkeit Boͤhmens vom teutſchen Reiche zwiſchen Preuſſen und dem Hauſe Oeſterreich zurSpra -112Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Sprache und letzteres ward von erſterm beſchuldigt, daß es zwar unter dem Schutz des Reichs ſtehn, aber deſſen Grundgeſetze nicht anerkennen wolle.
2] Das Preuſſiſche Schleſien. Schleſien, ſonſt ein Theil Polens, bekam ſeit 1140 eigne Regenten, meiſtens aus dem piaſtiſchen Hauſe, die dem teutſchen Reiche iedoch zinsbar waren. In den Kriegen zwiſchen Polen und Boͤhmen, begaben ſich dieſe Herzoge gewoͤn - lich unter Boͤhmiſchen Schutz. So kam Schleſien end - lich an das Haus Habsburg. Kaiſer Karl IV. erhielt den ſchleſiſchen Tribut zum Geſchenk vom Reiche, und vereinigte Schleſien, mit Bewilligung der Kurfuͤrſten, im Jahr 1355 auf immer mit Boͤhmen. Dadurch ſoll, dem Vorgeben nach, die Verbindung mit dem teutſchen Reiche aufgehaben worden ſeyn, weil Schleſien ſeitdem nichts mehr zu den Reichsanlagen beitragen oder an den uͤbrigen Reichsangelegenheiten Theil genommen habe. Andere hingegen behaupten, daß die damalige Einverlei - bung ohne Loͤſung des bisherigen Bandes zwiſchen Teutſch - land geſchehen, zumal da Boͤhmen ſelbſt ein Reichsland ſey. In dem Breslauer Frieden 1742, Art. 5. ward indes ein großer Theil Schleſiens mit voͤlliger Souverai - netaͤt an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten, und ſolches in dem Dresdner Frieden 1745 beſtaͤttigt. Der Koͤnig nahm hierauf auch den Titel eines ſouverainen Herzogs von Schleſien an, und erhaͤlt denſelben von dem HauſeOeſter -113und den europaͤiſchen insbeſondere.Oeſterreich und den uͤbrigen Maͤchten. Die Garantie iener Friedensſchluͤſſe vom Reiche erfolgte 1751, iedoch ſalvis juribus imperii. Allein der Koͤniglich Preuſſiſche Hof hielt es 1757 fuͤr eine Verwegenheit, zu behaupten, daß dieſe Reſervation der Souverainetaͤt nachtheilig ſey, weil dem teutſchen Reiche kein weiteres Recht dadurch zuwachſen koͤnne, als es vorher gehabt.
3] Die Grafſchaft Glatz. Mit dieſer Grafſchaft, die ehemals verſchiedene Herren, die bald mehr, bald we - niger mit Teutſchland in Verbindung ſtanden, hatte, ſeit 1561 aber beſtaͤndig bey der Kron Boͤhmen geblieben war, hat es eben die Beſchaffenheit wie mit Schleſien. Sie ward nebſt demſelben 1742 mit voͤlliger Unabhaͤngig - keit gleichfals an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten, der auch davon die Titulatur einer ſouverainen Grafſchaft annahm.
4] Die zugewandten Orte der Schweitz. In dem weſtphaͤliſchen Frieden 1648 [Oßnab. Art. 7.] wur - den eigentlich nur die dreizehn Cantons der Schweitz fuͤr ſouverain erklaͤrt. Gleichwohl gehoͤren auſſerdem noch eilf ſogenannte zugewandte Orte, oder kleine Staa - ten, die entweder mit geſamter Eidgenoſſenſchaft, oder nur mit einigen Cantons derſelben im Buͤndnis ſtehn, zu dem ſchweitzeriſchen Staat, oder Helvetien. Unter dieſen Orten befinden ſich ohnſtreitig verſchiedene Lehen und andere Stuͤcke, welche des Reichs Oberherſchaft ehemals anerkant haben, und zur Zeit davon ausdruͤck - lich noch nicht befreit worden ſind, weil der vorerwaͤhnteHFriedens -114Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Friedensſchlus auf ſelbige nicht fuͤglich zu erſtrecken iſt. Die iedoch groͤſtentheils im Beſitz der Souverainetaͤt ſich befinden.
5] Dahin gehoͤrt beſonders die Stadt Genf. Die - ſe kleine Republik war, als eine freie Reichsſtadt, wie einige vorgeben, ehemals der Hoheit des teutſchen Reichs allerdings unterworfen, die auch noch Kaiſer Karl V. zu behaupten ſuchte. Sie muſte iedoch oͤfters die Regierung anderer Herrn, vorzuͤglich der Herzoge von Savoyen und der Biſchoͤfe zu Genf erkennen. Sie trat deshalb mit einigen Schweitzer-Cantons im Bund, und vereitelte nicht nur den Unteriochungsverſuch Herzog Karl III. von Savoyen im Jahre 1521, ſondern entledigte ſich auch 1533 der biſchoͤflichen Gewalt, durch Annehmung der reformirten Religion. Seit der Zeit ſoll Genf die Sou - verainetaͤt erlangt haben. Nachher begab die Stadt 1579 ſich in franzoͤſiſchen Schutz, erneuerte auch die Buͤndniſſe mit den Schweitzer-Cantons, beſonders Zuͤrch und Bern oͤfters; weshalb ſie itzt den zugewandten Orten beigezaͤhlt wird. Das Reich hat ſich ſeiner An - ſpruͤche nun zwar freilich noch nicht begeben, indes befin - det ſie ſich, wie Zech im europaͤiſchen Herold ſagt, in posſeſſione vel quaſi der Souverainetaͤt, und ſtehet da - hin, ob ſie nicht, gleich den ſchweitzeriſchen Cantons, durch den weſtphaͤliſchen Frieden der Dependenz von des Reichs Gerichtsbarkeit erlaſſen zu ſeyn vorgeben moͤchte?
6] Das Grosherzogthum Toſcana. Daſſelbe machte ehemals einen Theil Hetruriens aus, und hatte mit den uͤbrigen italiaͤniſchen Staaten gleiches Schickſal. Bey115und den europaͤiſchen insbeſondere.Bey der Abnahme des kaiſerlichen Anſehens in Italien bildeten ſich daraus verſchiedene Freiſtaaten, die nachher in das Herzogthum Florenz oder Toſcana zuſammen - ſchmolzen. Dieſes in der Folge durch Papſt [1569] und Kaiſer [1576] zum Grosherzogthum erhabene Land war der Oberherſchaft des Reichs ohnſtreitig unterwor - fen, obgleich nicht Florenz ſelbſt, ſondern nur einige Nebenſtuͤcke von demſelben zu Lehen gingen. Johann Gaſto, der letzte Grosherzog aus dem Hauſe Medicis, wolte iedoch Toſcana fuͤr unabhaͤngig vom Reiche ausge - ben, weil die Kaiſer ſeit Jahrhunderten kein Hoheits - recht daruͤber ausgeuͤbt haͤtten, aber Kaiſer Karl VI. be - hielt die Oberhand, und das Grosherzogthum Toſcana wurde in der ſogenanten Quadrupelallianz 1718, Art 5. fuͤr ein unbezweifeltes Lehen des teutſchen Reichs aner - kant, das auf den Abgang des mediceiſchen Stams an den ſpaniſchen Prinzen zweiter Ehe Philip V. fallen ſol - te. Das Reich gab auch, unter dieſen Bedingungen, am 9. December 1722 ſeine Einwilligung dazu. Ver - geblich proteſtirte Herzog Gaſto 1723 wider dieſe Lehns - eigenſchaft ſeines Grosherzogthums. In den Wiener Friedenspraͤliminarien 1735 hingegen wurde die vorige Diſpoſition geaͤndert, und Toſcana, auf obigen Fall, dem Herzoge von Lothringen, ſtatt der an Frankreich abzutre - tenden Herzogthuͤmer Lothringen und Aar, zugeſichert, ohne einer Lehnbarkeit oder Unabhaͤngigkeit zu gedenken. Jedoch verſicherte der Kaiſer, in dem desfals ans Reich erlaſſenen Commiſſions-Decret vom 25. Maͤrz 1736, daß die Gerechtſame des Reichs in Anſehung Toſcana, Par - ma und Piacenza bey dieſem neuen Syſtemate keine wei - tere Gefahr und Anſtoß wie ehedeſſen zu befahren. Gleich - wohl geſchah der Lehnseigenſchaft im Definitiv-Frieden weiter keine Erwaͤhnung. Der Herzog Franz Stephan von Lothringen erhielt hierauf 1737 die Eventualbelehn - ung uͤber Toſcana und gelangte noch in demſelben JahreH 2zum116Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,zum Beſitz des Grosherzogthums. Seit der Zeit iſt von einer Reichs-Belehnung nichts weiter zu hoͤren geweſen, und die Grosherzoge beherſchen ihre Lande groͤſtentheils als ſouveraine Herrn. Daß aber die wuͤrkliche Souve - rainetaͤt aus vorgedachten Friedensſchluſſe herzuleiten ſey, wie Neyron a] und Andere vorgeben, iſt ſchwer - lich zu behaupten, weil das Reich ſeine diesfalſigen Anſpruͤche keinesweges aufgegeben zu haben ſcheint, in - dem ſeit 1742 und noch in der neuſten Wahlcapitulation Art. X. §. 10. verſehen wird, daß der Kaiſer die Reichs - lehen in Italien, beſonders nach Maasgabe des obangezo - genen Reichsgutachtens vom 9. Dec. 1722 worinn die Lehnbarkeit von Toſcana ausdruͤcklich bedungen, aufrecht erhalten ſolle.
7] Die Herzogthuͤmer Parma und Placenz. Aehnliche Beſchaffenheit hat es mit dieſen beiden Her - zogthuͤmern. Sie waren in den aͤltern Zeiten zweyanſehn -117und den europaͤiſchen insbeſondere.anſehnliche Staͤdte Galliens, kamen nach und nach an die Roͤmer, Longobarden, Franken und endlich an das teutſche Reich. Im mitlern Zeitalter aber ſuchten ſie ſich loszureiſſen, und erkanten bald dieſen bald ienen Herrn. Am meiſten behaupteten die Paͤpſte die Hoheit daruͤber. Paul III. belehnte 1545 ſeinen natuͤrlichen Sohn, Peter Aloyſius Farneſe damit, und erhob, wiewohl mit groſ - ſen Widerſpruch Kaiſer Karls V. dieſe beiden Staͤdte ſogar zu Herzogthuͤmern. Doch gab Karl in der Folge einigermaaßen nach, als Herzog Oetavius, des vorigen Sohn, ſich mit des Kaiſers natuͤrlichen Tochter Marga - rethe, Grosherzog Alexanders zu Florenz Witwe ver - maͤhlte. In der Quadrupelallianz Art 5. wurden dieſe beiden Herzogthuͤmer fuͤr unſtreitige Reichslehen erklaͤrt, und die Erbfolge darinn, nach Abſterben des damals regierenden Hauſes, dem ſpaniſchen Infanten Don Car - los, wegen der Anſpruͤche ſeiner Mutter, als naͤchſten Anverwandtin, darauf bedungen. Zwar proteſtirte der Papſt 1723 dagegen, und es entſtanden, als 1731 die - ſer Fall mit dem Tode Herzog Anton Farneſe eintrat, weitlaͤuftige Irrungen deshalb zwiſchen dem kaiſerlichen und paͤpſtlichen Hofe: doch ſiegte der erſtere, und Don Carlos wurde mit Parma und Piacenza wuͤrklich belie - hen. Gleichwohl verſuchte eben dieſer Don Carlos nicht lange darnach dieſen Landen auf alle moͤgliche Art eine Unabhaͤngigkeit beizulegen. Als derſelbe aber durch den Wiener Frieden zu den Beſitz beider Sicilien gelangte, erhielt das Haus Oeſterreich dagegen, mehrgedachte Her - zogthuͤmer [des beym Grosherzogthum Toſcana erwaͤhn - ten Reichsgutachtens von 1722 und kaiſerlichen Com - miſſions-Decrets von 1736, ungeachtet] avec le plein droit de proprieté. [Wien. Friede 1738 Art. 7.] End - lich kamen ſie im Aachner Frieden 1748 Art. 4. ohne weitere Erwaͤhnung ihrer Eigenſchaft, an den ſpaniſchen Infanten Don Philip, Bruder des Koͤnigs beider Si -H 3cilien.118Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,cilien. Herzog Philip behauptete daher, als er, auf Verlangen des Kaiſers, die Lehen befolgen ſolte, er habe die Herzogthuͤmer ohne die geringſte Meldung einer Lehn - barkeit, als unabhaͤngige Staaten bekommen. Dies ſcheint iedoch, nach dem obangefuͤhrten 10. §. der Wahl - capitulation, die Meinung des teutſchen Reichs nicht geweſen zu ſeyn. Auch hat der Papſt ſeine Anſpruͤche darauf ſeitdem mehrmalen zu erneuern geſucht.
8] Guaſtalla. Mit dieſem kleinen Herzogthum hat es faſt gleiche Bewandnis. Es war ehedem ein unſtrei - tiges Reichslehn. Nach Abſterben des letzten Herzogs aus dem Hauſe Gonzaga-Mantua 1746, nahm es Oeſter - reich, als ein Pertinenzſtuͤck von Mantua in Beſitz, trat es aber, nebſt Parma und Piacenza im Aachner Frieden an den ſpaniſchen Infanten Don Philip ab. Wurde dabei gleich der Lehnseigenſchaft nicht gedacht, ſo folgt doch daraus die Unabhaͤngigkeit eben ſo wenig, zumal das Reich eigentlich gar keine Notiz davon nahm.
9] Einige wollen ſogar das Herzogthum Savo - yen fuͤr ſouverain ausgeben; aber es iſt ohnſtreitig ein Reichslehn, und der Koͤnig von Sardinien hat als Her - zog von Savoyen noch itzt das Sitz - und Stimmrechtauf119und den europaͤiſchen insbeſondere.auf Reichstaͤgen, ob er es gleich nicht ausuͤbt, auch von ſeinem Matrieularanſchlage und an Kammerzielern nichts bezahlt. Die Entfernung vom Reiche macht die Ver - bindung mit demſelben indes freilich faſt unmerkbar, und die Unabhaͤngigkeit deſto ſcheinbarer.
10] Der Republik Genua pflegt die Souveraine - taͤt gewiſſermaaßen auch beſtritten zu werden; wiewohl aus minder triftigen Gruͤnden. Zwar ſtand dieſelbe in aͤltern Zeiten allerdings unter der Oberherſchaft des Reichs. Die Kaiſer ſuchten auch in neuern Zeiten zu - weilen noch einige Gerechtſame uͤber die Republik auszu - uͤben; demungeachtet hat ſie ſich im Beſitz der Unabhaͤng - igkeit behauptet, ſolche wird von den uͤbrigen europaͤi - ſchen Maͤchten erkant und von Teutſchland dermalen un - angefochten gelaſſen.
Neyron a] rechnet unter die ſtreitigen Souverains auch noch den Papſt, den Grosmeiſter des Malthe - ſerordens und die Kurfuͤrſten: ſo wie er hingegen den Herzog von Modena fuͤr unabhaͤngig ausgiebt. Von den erſtern beiden iſt ſchon oben die Rede geweſen, von den uͤbrigen wird weiter unten noch etwas vorkommen. H 4End -120Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Endlich ruͤgt Moſer b], daß in der Buͤſchingſchen Geo - gravhie von Italien, 1] Bozzolo, 2] Sabionetta, 3] Mirandola, 4] Novellara, 5] Maſſa-Carrara, 6] Maſſerano, 7] Caſtiglione und 7] Solferino als ſouveraine Fuͤrſtenthuͤmer ausgegeben wuͤrden, da ſie doch, auſſer Maſſerano, von dem er keine Nachricht habe, als Reichslehen, ſaͤmtlich unter teutſcher Oberher - ſchaft ſtuͤnden. So viel ich aber gefunden, iſt ihre Ei - genſchaft von dem Herrn O. C. R. Buͤſching meiſtens richtig angegeben worden.
Ferner giebt es gewiſſe Staaten, die zwar nicht voͤl - lig ſouverain und unabhaͤngig ſind, weil ihre Regenten in der That noch ein Oberhaupt uͤber ſich erkennen, die im uͤbrigen aber, beſonders in Beziehung gegen andere ſouveraine Staaten, alle eigentlich nur aus der Unab - haͤngigkeit flieſſende Gerechtſame ausuͤben und ſelbſt in Ruͤckſicht des Oberhaupts ſolche Vorrechte genieſſen, die mit den Begriffen der Unterthaͤnigkeit ſich nicht wohl vereinbaren laſſen, die ihre Lande auch nicht in des Obern, ſondern in ihrem eignen Namen regieren: alles iedoch in Gemaͤsheit der zwiſchen ihnen und dem Ober - haupte verhandenen Grundvertraͤge. Man kann dieſe Staaten fuͤglich halbſouveraine nennen.
Zu den ſogenanten halbſouverainen Staaten werden vorzuͤglich die teutſchen Reichsſtaͤnde gerechnet. Die ſon - derbare und eigne Verfaſſung des teutſchen Reichs hat, ſeiner maͤchtigen und angeſehenen Reichsſtaͤnde wegen, in Beſtimmung der Regierungsart deſſelben, den Staats - rechtsgelehrten von ieher viel zu ſchaffen gemacht. Sie haben ihm die monarchiſche, ariſtokratiſche, demokrati - ſche, oligarchiſche und alle moͤgliche Regierungsformen anzupaſſen geſucht. Es iſt dies auch ohnſtreitig eine der verwickelteſten Materien des teutſchen Staatsrechts, de - ren grundgeſetzmaͤſige Eroͤrterung aber nicht ohne Nutzen iſt. Hier iſt der Ort nicht, die unendlich verſchiedenen Meinungen davon anzufuͤhren und zu unterſuchen. Es gnuͤgt uns, dermalen zu beſtimmen: ob die teutſchen Reichsſtaͤnde den ſouverainen Staaten in Europa beizu -H 5zaͤhlen122Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,zaͤhlen und ob ihre Verhaͤltniſſe gegen einander, gegen das Oberhaupt des Reichs und gegen andre unabhaͤngige Nazionen nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur - theilen ſind? Zwar haͤngt die Beantwortung dieſer Frage großenteils von Beſtimmung der Regierungsform ab; man mag indes deren eine annehmen, welche man will, ſo beruht das Hauptwerk auf folgende Punkte:
I. Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind nicht voͤllig ſouverain. Leibnitz und Andere a] haben ſich zwar vie - le Muͤhe gegeben, zu beweiſen, daß die Souverainetaͤt ihnen zukomme, und ſie von auswaͤrtigen Maͤchten die - ſen Titel erhalten, dieſe auch mit comme de ſouverain à ſouverain gehandelt haben. Wenn man die reichsſtaͤndi - ſche Verfaſſung an ſich und gegen andere Staaten, auſ - ſer der Verbindung mit dem Reiche, betrachtet, ſo fin - det man allerdings bey den meiſten faſt alle Erforderniſſe unabhaͤngiger Staaten. Dem ungeachtet iſt aber auch nicht abzulaͤugnen, daß die Reichsſtaͤnde nach dem aus - druͤcklichen Inhalt der Reichsgrundgeſetze [Reichs-Abſchied von 1566, §. 6. und an mehrern Orten] den roͤmiſchen Kaiſer, als das Oberhaupt im Reiche uͤber ſich erkennen, dem ſie in gewiſſen Stuͤcken Rechenſchaft von ihrer Re - gierung geben muͤſſen. Folglich mangelt ihnen, in Ruͤck - ſicht dieſer Verbindung mit dem Reiche, deſſen Theile ſie ausmachen, eine Haupteigenſchaft der Unabhaͤngigkeit, die, auſſer Gott, keinen Hoͤhern auf Erden uͤber ſich zu haben, und ſie beſitzen daher die Souverainetaͤt wenig - ſtens nicht nach ihrem ganzen Umfange b]. Der Kaiſer will auch nicht zugeben daß die Staͤnde des Reichs ſich den Titel ſouverainer Herrn von Reichslanden beilegen, wiewohl es zuweilen dennoch geſchieht c].
II. Die Reichsſtaͤnde koͤnnen aber auch nicht nach den gewoͤnlichen Begriffen der Unabhaͤngig - keit beurteilt werden d]. Wiewohl die Ausdruͤcke:Gehor -123und den europaͤiſchen insbeſondere.Gehorſam und Unterthaͤnigkeit in den Reichsgrund - geſetzen von den Reichsſtaͤnden nicht ſelten gebraucht wer - den, ſo zeigt doch ſchon der faſt immer dabei befindliche Zuſatz: des Reichs [z. B. Unſern und des Reichs Unterthanen, bey den Pflichten, Eiden und Gehorſam, ſo ſie uns und dem heil. Reiche gethan] daß ſie nicht als gemeine Unterthanen des Kaiſers anzuſehen ſind, und daß man, wie die Staͤnde des Reichs gegen Kaiſer Karl V. bey Gelegenheit der Achtserklaͤrung der Kurfuͤrſten von Sachſen, aͤuſſerten, mit gebohrnen und von Gott geſetzten Reichsfuͤrſten nicht wie mit roͤmiſchen Untertha - nen verfahren koͤnne. Dieſe Unterthaͤnigkeit bezieht ſich hauptſaͤchlich auf die Verbindung der Reichsſtaͤnde in einen politiſchen Koͤrper. Das Recht, einen Staat nicht als Beamter, ſondern als Eigenthuͤmer, in eignem Namen, zu regieren, die Rechte der Geſandſchaften, der Buͤndniſſe, des Kriegs und Friedens ſind unſtreitige Souverainetaͤtsgerechtſame: und wenn dergleichen einem vorher wuͤrklichen Unterthanen gegen andere Staaten und zum Theil gegen das Oberhaupt ſelbſt zugeſtanden wer - den, ſo faͤlt die damit nicht wohl zuvereinbarende Unter - thaͤnigkeit beinah von ſelbſt weg e], oder wenn eine Ab - haͤngigkeit dennoch ausdruͤcklich beibehalten wird, kann ſolche, iener vorzuͤglichern und uͤberwiegendern Rechte wegen, in der Anwendung ſelten einige Wuͤrkung haben. Dies duͤrfte auch der Fall wenigſtens in Anſehung der vornehmſten teutſchen Reichsſtaͤnde ſeyn.
III. Die Regierungs - und Hoheitsrechte der teutſchen Reichsſtaͤnde werden, den Grundgeſetzen gemaͤs, die Landeshoheit [ſuperioritas territo - rialis] und die Regenten Landesherrn genant.
A. Der Name: ſuperioritas territorialis [Lan - deshoheit] iſt neuern, und, wie Treuer f] gezeigt hat, franzoͤſiſchen Urſprungs. Er hat ſeine Entſtehung haupt -ſaͤch -124Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,hauptſaͤchlich dem weſtphaͤliſchen Frieden zu danken. Die ehemaligen gleichbedeutenden Benennungen waren: Lan - desobrigkeit, Landesfuͤrſtliche Obrigkeit, Ober - herlichkeit, Oberbothmaͤßigkeit, Hoheit, lat. ban - num, omnimoda jurisdictio, merum et mixtum imperium, regalia, auch ſuperioritas etc. Nach der Meinung des Leibnitz und einiger Andrer ſoll der Ausdruck: ſuperiori - tas territorialis eins ſeyn mit der Souverainetaͤt. Hoc quod nos vocamus ſuperioritatem territorialem, ſagt Er - ſterer [in Caeſ. Fürſtenerio de ſuprem. c. X.] idem cum eo eße videtur, quod Galli etiam vocant la ſouveraineté etc. Aus triftigern Gruͤnden aber behauptet Thoma - ſius g], daß man zuweilen faͤlſchlich einen Unterſchied zwiſchen ſuperioritas und ſuperioritas territorialis mache, wenn man unter erſterer die Souverainetaͤt, unter letzte - rer aber nur die Landeshoheit verſtehen wolle; weil der Zuſatz: territorialis die Sache keinesweges verringere, beyde Ausdruͤcke auch im weſtphaͤliſchen Frieden ohne Unterſchied von den Reichsſtaͤnden gebraucht wuͤrden.
B. Der Begrif der Landeshoheit wird von den Staatsrechtslehrern gar verſchieden angenommen, je nachdem ſie die Souverainetaͤt der Reichsſtaͤnde mehr oder weniger beguͤnſtigen. Der Reichsverfaſſung am gemaͤßeſten wird die Landeshoheit als der Inbegrif aller Regierungsrechte beſchrieben, welche ein Reichsſtand, gleich andern Souverainen, zum Wohl ſeiner Lande und Unterthanen ausuͤben kan, inſofern er durch die Reichs - oder Landesgrundgeſetze darin nicht eingeſchraͤnkt iſt. Sie enthaͤlt im Grunde alle Gerechtſame der Souverainetaͤt, nur daß ſolche der Reichsverbindung zum Nachtheil und den Grundgeſetzen des Reichs zuwider nicht ausgeuͤbt werden duͤrfen. Jedoch iſt dieſe Landeshoheit, nach des Herrn Etatsrath Moſers Erinnerung, von der wahren Souverainetaͤt noch weit unterſchieden h].
C. 125und den europaͤiſchen insbeſondere.C. Der Urſprung und Grund der Landeshoheit, die groͤſtenteils auf dem Herkommen beruht, durch den weſtohaͤliſchen Frieden, beſonders Art. VIII. §. 1. u. 2. des Oßnabruͤckſchen und Art. IX. §. 62. u. 63. des Muͤn - ſterſchen Inſtruments aufs kraͤftigſte beſtaͤtigt und in neuern Zeiten immer mehr erweitert worden iſt, werden in den Schriften des teutſchen Staatsrechts eroͤrtert i].
Aus dieſem allen erhellet, daß die teutſchen Reichs - ſtaͤnde, ob ſie gleich nicht fuͤr voͤllig unabhaͤngig zu ach - ten, weil ſie den Kaiſer uͤber ſich haben, dennoch in denen durch die Reichsgrundgeſetze nicht beſchraͤnkten Stuͤcken, alle Souverainetaͤtsgerechtſame, beſonders auch in aus - waͤrtigen Beziehungen, als des Kriegs und Friedens, der Geſandſchaften und Buͤndniſſe, ſowohl gegen ande - re ſouveraine Nazionen, als zum Theil gegen einander und gegen das Oberhaupt des Reichs auszuuͤben befugt ſind, daß ſie folglich in dieſen Materien nothwendig nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts beurteilt werden muͤſſen k].
Worauf die Landeshoheit hafte und welcher Gattung von Reichsſtaͤnden ſie zukomme? gehoͤrt ebenfals fuͤr die Staatsrechtslehre l]. Uebrigens wuͤrde es hier zu weit - laͤuftig ſeyn, die ziemlich an dreihundert ſich belaufende Staaten, woraus das teutſche Reich beſtehet, einzeln zu beruͤhren. Ich ſetze deren Kentnis daher aus der teut - chen Reichsgeſchichte und dem Staatsrechte voraus m].
Dahin gehoͤren ferner:
1] ſaͤmtliche vom teutſchen Reiche abhaͤngige und zu Lehn gehende Fuͤrſtenthuͤmer in Italien a]. Auſſer den ſchon oben bey den ſtreitigen Souverainetaͤten angefuͤhrten, die, ſo lange deren Unabhaͤngigkeit nicht foͤrmlich anerkant iſt, billig hieher zu rechnen, ſind vor - naͤmlich noch die Herzogthuͤmer Mayland, Mantua, Modena b] nebſt Mirandola, Maſſa-Carrara und Novellara, ingleichen Montferrat zu merken c].
2] Die Herzogthuͤmer Curland und Semigal - lien, welche ehemals zu Liefland gehoͤrten, ſei: 1561 aber einen beſondern Staat ausmachen. Sie ſind Lehen der Kron Pohlen, und vermoͤge der ſogenanten Pacto - rum ſubjectionis von derſelben in vielen Stuͤcken ab - haͤngig d].
3] Die Hospodaren der Moldau und Walla - chey. Sie werden von dem tuͤrkiſchen Kaiſer gewoͤnlich alle drey Jahr veraͤndert oder von neuem beſtaͤttigt, und ſind demſelben zinsbar. Die Gewalt Geſetze zu geben und ſolche durch Strafen zu handhaben, Steuern aus - zuſchreiben ꝛc. ſteht ihnen zwar zu, aber die auswaͤrtigen Hoheitsrechte in Anſehung des Kriegs, Friedens, der Buͤndniſſe und Geſandſchaften haben ſie keinesweges. Man hat Beiſpiele, daß dieſe Hospodaren auf Befehl der Pforte den Kopf verlohren e].
4]129und den europaͤiſchen insbeſondere.4] Die Staͤdte Danzig und Thoren im pohlni - ſchen Preuſſen, welche zwar der Kron Pohlen unmittel - bar gehoͤren, aber doch viele Gerechtſame der Freiſtaaten ausuͤben f].
Die Souverainetaͤt kan uͤbrigens, unbeſchadet derſel - ben, durch verſchiedene gleiche und ungleiche Verbindun - gen, bey welchen leztern, wie Ariſtoteles ſagt, dem Maͤchtigern mehr Ehre, dem Schwaͤchern aber mehr Huͤlfe zugeſtanden wird, auf mancherley Art von einer auswaͤrtigen Macht, entweder in Anſehung der Maie - ſtaͤtsrechte ſelbſt, oder in der Art ſie auszuuͤben abhaͤngig gemacht und eingeſchraͤnkt werden a]. Wenn der Staat durch einen ſolchen Vertrag ſich nur nicht voͤllig unter - wirft, ſondern das Recht in einheimiſchen und auswaͤrti - gen Verhaͤltniſſen ſich ſelbſt zu regieren behaͤlt, ſo iſt er dem ungeachtet als ein freier unabhaͤngiger Staat anzu - ſehn und nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur - teilen. Denn es iſt ein großer Unterſchied, ob man aus dem Grunde der Unterthaͤnigkeit uͤberhaupt gehorchen muß, oder ob man nur in einzelnen Faͤllen etwas beob - achtet, wozu man ſich ſelbſt freiwillig verbindlich gemacht hat b]. Jeder Staat mag in auſſerordentlichen Faͤllen, wo die Wohlfarth des Ganzen anders nicht erhalten wer -den131und den europaͤiſchen insbeſondere.den kan, dergleichen Verbindungen eingehn. Die vor - nehmſten davon ſind folgende.
Eine Nazion, die zu ſchwach gegen auswaͤrtige Ge - walt, durch freiwillige Vertraͤge unter den Schutz einer angeſehenen Macht ſich begiebt und dafuͤr gewiſſe Oblie - genheiten uͤbernimt, hoͤrt darum nicht auf ein freier un - abhaͤngiger Staat zu ſeyn, wenn er uͤbrigens nur das Recht der Selbſtregierung dabey nicht aufgiebt. Der dem mindermaͤchtigen Volke zu leiſtende Schutz fließt in dieſem Falle nicht aus einer Oberherſchaft, ſondern aus dem eingegangenen Buͤndniſſe; der Beſchuͤtzte iſt dem Schutzherrn zwar vorzuͤgliche Achtung aber keine Unter - thaͤnigkeit ſchuldig. Daher man auch im Sprichwort ſagt: Schutz und Schirm geben keine Obrigkeit. Jedoch erinnert Moſer a] mit Recht, daß unter den groͤſſern Staaten in Europa kein Beiſpiel eines ſolchen Schutzes vorhanden ſey. Derſelbe kan aber auch, derJ 2Natur132Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Natur der Sache nach, meiſt nur bey kleinen Staaten, die eines maͤchtigern Schutzes beduͤrfen, ſtatt finden. So ſtehn z. B. Monaco, wie vorerwaͤhnt, unter fran - zoͤſiſchen, San-Marino unter paͤpſtlichen, und Raguſa unter tuͤrkiſchen und mehrerer anderer Nazionen Schutz. Alle Biſchoͤfe, Aebte ꝛc. begaben ſich ehemals, weil es ihnen an weltlicher Gewalt fehlte, unter den Schutz eines maͤchtigen Fuͤrſten. Der roͤmiſche Kaiſer verſpricht in der Wahlcapitulation Art. I. §. 1. den Stuhl zu Rom und paͤpſtliche Heiligkeit, als derſelben Advocat zu ſchuͤtzen b]. Im teutſchen Reiche ſtehen ebenfals ver - ſchiedene Reichsſtaͤnde, ohne Nachtheil ihrer Landesho - heit, unter dem Schutze ihrer Mitſtaͤnde, beſonders die Stifter und Reichſtaͤdte. Der Schutz auswaͤrtiger Maͤch - te uͤber Glieder des Reichs iſt nach der Wahlcapitulation Art. 27. eigentlich verboten und daſelbſt §. 3. geordnet, daß maͤnniglich in des Kaiſers und heil. Roͤm. Reichs Schutz und Vertheidigung — ohne Imploration in - und auswaͤrtigen Anhangs und Aſſiſtenz ſtehen ſolle; “die uͤbrige Reichskundige Praxis und das algemeine Reichs - herkommen belehren hingegen,” ſagt Moſer c] “daß ein unſchuldiger Schirmsvertrag gar wohl erlaubt ſeye; wie es dann auch eine natuͤrliche und nothwendige Folge des allen Reichsſtaͤnden in dem weſtphaliſchen Frieden und der Kaiſerlichen Wahlcapitulation zu ihrer Sicher - heit und Wohlfahrt, unter ſich und mit Auswaͤrtigen zugeſtandenen Buͤndnisrechts iſt.” Uebrigens misbraucht der maͤchtigere Schutzherr freilich ſein vertragsweiſe er - langtes Recht nicht ſelten ſo, daß der Schutz zuweilen in eine wahre Oberherſchaft ausartet und man nicht ohne Grund ſagen kan: Sich in fremden Schutz begeben, iſt die erſte Staffel zur Dienſtbarkeit.
Gleiche Bewandnis hat es mit den Staaten, welche wegen Abwendung eines zu befuͤrchtenden Unrechts a], oder aus Erkentlichkeit fuͤr den genuͤſſenden Schutz, oder aus andern Urſachen, zu Entrichtung eines gewiſſen Tri - buts an auswaͤrtige Maͤchte ſich verſtehn. Dieſe Zins - zahlung iſt gewoͤnlich allerdings ein Geſtaͤndnis von Schwaͤche b], vermindert die Einkuͤnfte und das Anſehen des zinſenden Staats und ſeinen Einflus in die Angele - genheiten der uͤbrigen Nazionen, macht ihn iedoch an und fuͤr ſich der Souverainetaͤt nicht verluſtig, und hin - dert keinesweges an Ausuͤbung der Regierungsrechte. Die angeſehenſten Koͤnigreiche wurden in den aͤltern Zeiten hauptſaͤchlich dem paͤpſtlichen Stuhle lehn - und zinsbat, z. B. Portugal 1179, Irland 1155, Sardinien 1297 c], und noch heutzutage entrichtet Neapel dem Pap - ſte, wegen der Lehnsverbindung, iaͤhrlich eine Summt Geldes. Man kan die unter den Souverainen derma - len uͤblichern Penſionen und Subſidiengelder fuͤglich hie - her rechnen, die jedoch meiſtens der Maͤchtigere, ſeines Vorteils wegen, an den Geringern bezahlt; die erſtern auf Lebenszeit, die letztern gewoͤnlich nur auf beſtimte Jahre.
Die Lehnsverbindung thut der Souverainetaͤt und dem Rechte eines Volks ſich ſelbſt zu regieren ebenfals weiter keinen Abbruch, als daß ſie, wie Real ſagt, hoͤchſtens ihren Glanz in etwas vermindert. Durch die Belehnung wird blos eine verſchiedene Beſitzungsart er - zeugt. Wenn gleich der Vaſall in Anſehung ſeines Lehns nicht ſo ganz freie Gewalt, beſonders in deſſen Veraͤuſſerung ꝛc. hat, er ſich auch zu Ehrerbietung, Treue und Leiſtung gewiſſer Dienſte im Kriege dem Lehnherrn verpflichtet und in dieſen Stuͤcken deſſen Lehngerichtsbar - keit anerkent, ſo ſind dies doch keine Folgen der Unter - thaͤnigkeit, ſondern allein des Lehnsvertrags. Regiert er dieſem gemaͤs ſeine Lande, ſo hat der Lehnherr ihm weiter nichts zu befehlen. Deſſen vorzuͤglichſte Rechte aͤuſſern ſich gemeiniglich erſt bey dem Abgange des ganzen regierenden Hauſes in Beſtimmung des neuen Regenten. Meiſtens weichen dieſe Souverainetaͤtslehen von den gewoͤnlichen Lehen noch darin ab, daß weder bey Veraͤn - derungsfaͤllen des Lehnherrn, noch des Vaſallen, eine beſondere Belehnung vorzugehn, oder ein Lehnbrief ausge - fertigt zu werden pflegt, ſondern die Lehnbarkeit wird mehrenteils zu gewiſſen Zeiten, blos durch einige Feier - lichkeiten oder andere Entrichtungen erkant a].
Ehemals war dieſe Lehnsverbindung unter den euro - paͤiſchen Nazionen haͤufiger als ietzt. In den Zeiten, wo die Paͤpſte noch mit unbeſchraͤnkter Gewalt uͤber die Fuͤrſten in Europa herſchten, rechneten die meiſten es ſich zur Ehre, dem Papſte lehnbar zu ſeyn, oder wurden auf andere Art genoͤthiget, ſeine Lehnsherſchaft zu erkennen b]. Portugal, Spanien, Arragonien, Frankreich, England, Irland, Sicilien, Sardinien, Corſica, Polen, Ungarn und mehrere Staaten gingen vom paͤpſtlichen Stuhle zuJ 4Lehn.136Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,Lehn. Sonſt waren unter andern auch Portugal, wegen des kleinen Koͤnigreichs Algarbien ein Vaſall von Kaſti - lien, Preuſſen ein Lehn der Kron Pohlen c].
Darneben ſind nur noch zu merken:
1] Neapel als ein Lehn des Papſts. Daſſelbe wird dadurch erkant, daß der Koͤnig beider Sicilien iaͤhrlich ein weiſſes Pferd und 11548 Scudi durch einen auſſer - ordentlichen Ambaſſadeur zu Rom offentlich uͤberreichen laͤßt. Uebrigens hat der Papſt, als Lehnherr bey allen ſeit etlichen Jahrhunderten in den regierenden Familien vorgegangenen Veraͤnderungen weiter keinen ſonderlichen Einflus gehabt. Jedoch iſt die Lehnbarkeit bisher immer noch erkant worden.
2] Die Inſel Malta iſt ſeit 1529 ſicilianiſches Lehn, und muß von dem Grosmeiſter, durch Ueberreich - ung eines Falken iaͤhrlich erkant werden.
Einzelner Provinzen und Orte, die ein Souverain von dem andern zu Lehn empfaͤngt, giebt es mehrere, dieſe kommen aber hier nicht in Betrachtung.
Mit den Reichslehen in Teutſchland hat es eine etwas andere Bewandnis. Wiewohl einige Staats - rechtslehrer, die teutſchen Reichsſtaͤnde, ihrer Lehnsver - bindung wegen, weiter nicht fuͤr abhaͤngig anſehn wollen, weil dieſelbe an und fuͤr ſich keine Unterthaͤnigkeit be - wuͤrkt d], ſo halten doch weit Mehrere das Gegentheil der Reichsverfaſſung und den Reichsgrundgeſetzen fuͤr an - gemeſſener, indem die Reichsſtaͤnde, bey Ablegung der Lehnspflicht, bekantermaßen zugleich verſprechen, dem Kaiſer und Reiche treu, hold, gehorſam und gewaͤrtig zu ſeyn, welches mehr, als die bloße Lehnſchaft erheiſcht, in ſich begreife, und eine wahre Unterwuͤrfigkeit begruͤn - de e]. Auch auswaͤrtige Koͤnige, welche zugleich Reichs - ſtaͤnde ſind, muͤſſen dieſelbe Pflicht ablegen und ſich in Ruͤckſicht ihrer beſitzenden Reichslande derſelben gemaͤsbezei -137und den europaͤiſchen insbeſondere.bezeigen. Weitlaͤuftiger wird von dieſer Materie in den teutſchen Staatsbuͤchern gehandelt.
Die Reichslehen in Italien hat man mit mehrerem Scheine von der weitern Unterwuͤrfigkeit vom teutſchen Reiche freizuſprechen geſucht, weil ſie in einer unmerkli - chern Verbindung mit demſelben ſtehen: aber man haͤlt im Reichshofrathe aus triftigern Gruͤnden dafuͤr, daß die italiaͤniſchen Lehnleute in Anſehung des Gehorſams den Vaſallen des teutſchen Reichs voͤllig gleich zu achten, und die Unabhaͤngigkeitsanmaſſungen einiger derſelben billig zu ahnden ſind f].
Uebrigens beſitzen auch verſchiedene Reichsſtaͤnde ein - zelne Lehnſtuͤcke von auswaͤrtigen Maͤchten und verleihen dergleichen wieder an dieſelben: noch haͤufiger aber ſind die Lehen, welche die Staͤnde des teutſchen Reichs von einander empfangen. Jedoch gehoͤren dieſe ſaͤmtlich eigentlich nicht hieher, wo die Rede nur von ganzen lehn - haren Staaten iſt.
Es koͤnnen auch mehrere ſouveraine unabhaͤngige Staaten, ohne Abbruch ihrer Souverainetaͤt, durch Heirath, Erbſchaft, Wahl, Eroberung und andere We - ge unter einen Regenten vereinigt werden, wenn ieder nur ſeine eigne Regierungsverfaſſung behaͤlt und einer dem andern nicht einverleibt wird. Zwar kan im Rei - che der Natur ein Haupt nicht mehrere beſondere Koͤrper beſeelen, wohl aber kan ein Regent, nach verſchiedenen Geſichtspunkten betrachtet, mehrern moraliſchen Geſel - ſchaften vorſtehn, ohne daß ſie deswegen von einander abhaͤngig wuͤrden. Jede Nazion iſt in dieſem Falle ohn - ſtreitig fuͤr einen beſondern Staat anzuſehn, und der Regent, nach dem Unterſchied ſeiner Handlungen, als Souverain dieſes oder ienes Staats zu beurteilen. Die Unabhaͤngigkeit zeigt ſich hauptſaͤchlich auch beym Abſter -ben139und den europaͤiſchen insbeſondere.ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden Hauſes, und in allen den Faͤllen, wo der Grund der Vereinigung aufhoͤrt; da dann iede Nazion, nach Ver - ſchiedenheit ihrer Grundverfaſſung, ihren eigenen Regen - ten wieder erlangen kan a].
So iſt z. B. das Koͤnigreich Irland dermalen mit Grosbritannien vereinigt. Es ward durch Koͤnig Hein - rich II. von England 1172 erobert und ſeitdem als ein durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter - wuͤrſiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle - mentsacte fuͤr abhaͤngig vom Grosbritanniſchen Parle - ment und deſſen Geſetzen erklaͤrt. Im Jahr 1782 ſah Grosbritannien, in Ruͤckſicht der nordamerikaniſchen Angelegenheiten, ſich genoͤthigt, iene Acte zu widerru - fen und Irland fuͤr ein freies und unabhaͤngiges Reich zu erkennen; iedoch dergeſtalt mit Grosbritannien verbun - den, daß es iederzeit einen und ebendenſelben Koͤnig erkent b].
Auch verſchiedene andere europaͤiſche Souveraine beſi - tzen, auſſer ihren Hauptſtaaten, zuweilen noch kleine ſou - veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver - bindung ſtehen, und von denen ſie insbeſondere den Titel ſouverainer Herrn fuͤhren. Zwar kommen dergleichen Souverainetaͤten unter den uͤbrigen europaͤiſchen Nazio - nen ſelten in Betrachtung, doch koͤnnen ſich Faͤlle ereig - nen, wo auf deren Unabhaͤngigkeit Ruͤckſicht genommen werden muß. Der Koͤnig von Preuſſen iſt z. B. auch ſouverainer Fuͤrſt von Neufchatel in der Schweitz.
Ferner werden von einigen Souverainen in Europa zugleich halbſouveraine Reichslande in Teutſchland und von mehrern Reichsſtaͤnden verſchiedene von einander ab - geſonderte Reichsterritoria beſeſſen.
Mit gleichem Rechte koͤnnen diejenigen Staaten auf Unabhaͤngigkeit Anſpruch machen, welche durch ein ewi - ges Buͤndnis zu gemeinſchaftlicher Wohlfahrt ſich verei - nigt haben, ohne ihre uͤbrigen Rechte und vornemlich die Eigenſchaft eines beſondern Staats dabey aufzuge - ben. Man nent eine ſolche Vereinigung mehrerer Staa - ten ein Staatenſyſtem. Die Einrichtung dieſer poli - tiſchen Koͤrper kan ſehr verſchieden ſeyn, und muß nach dem unter den einzelnen Staaten errichteten Buͤndniſſe beurteilt werden. Die Haupterforderniſſe ſind, daß Gegenſtaͤnde, welche das gemeinſame Wohl betreffen, auch in gemeinſchaftliche Berathſchlagung gezogen wer - den muͤſſen, und daß uͤbrigens ieder Staat die zu ſeiner Aufrechterhaltung insbeſondere noͤthigen Maasregeln nach eignem Gutfinden ergreifen und in dieſer Ruͤckſicht alle Souverainetaͤtsrechte ausuͤben kan, ob iene Verbindung, in der er ſteht, gleich zuweiln einige Einſchraͤnkung noͤthig macht a].
Ein ſolches Staatenſyſtem machten ehemals die Staͤdte Griechenlands unter den Amphictyonen und die Heptarchie in England aus. Gegenwaͤrtig rechnet man die vereinigten Niederlande und die ſchweitzeriſche Eidgenoſſenſchaft dahin.
Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutſche Reich fuͤr einen dergleichen zuſammengeſetzten Staat aus. Dieſe Behauptung ſcheint mir unter den mancherley Meinungen uͤber Teutſchlands Regierungsform der Sache beinah am angemeſſenſten und mit der Reichsverfaſſung, ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl vereinbarlich zu ſeyn. Man mag der Regierungsform einen Namen geben, welchen man will, ſo duͤrfen dievor -141und den europaͤiſchen insbeſondere.vorhandenen Reichsgrundgeſetze nicht auſſer Augen gelaſ - ſen werden, ob ſie gleich in die von den Syſtematikern angenommenen Formen nicht immer ſo genau paſſen. Den teutſchen Reichslanden iſt die Eigenſchaft der Staa - ten nicht fuͤglich ganz abzuſprechen. Von den Einwuͤr - fen, welche gegen das Syſtem verbundener Staaten in Teutſchland gemacht zu werden pflegen, duͤrften die hauptſaͤchlichſten wohl darin beſtehn, daß dieſes Reich ein wuͤrkliches Oberhaupt habe, und daß die Geſchichte von keinem Buͤndnis etwas wiſſe, wodurch die Reichs - ſtaͤnde, als Beſitzer freier Staaten, in eine ſolche Ver - einigung zuſammengetreten. Aber warum ſolten die alſo verbuͤndeten Staaten, unbeſchadet der beſondern Staats - eigenſchaft eines ieden, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht einen Obern waͤhlen koͤnnen, unter deſſen Direction die vorfallenden gemeinſchaftlichen Staatsgeſchaͤfte, mit Theilnehmung der uͤbrigen Staatsregenten, behandelt werden muͤſſen? Da dieſer fuͤr die Handhabung der zur gemeinſchaftlichen Wohlfarth von ienen ſelbſt mit feſtge - ſetzten Einrichtungen zu ſorgen hat, ſo iſt es billig, daß ihm hierinn Gehorſam geleiſtet werde, und der Ausdruck von Unterthaͤnigkeit in Ruͤckſicht der gemeinſchaftlichen Verbindung widerſtreitet der Souverainetaͤt [oder viel - mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge - ſetze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen Auswaͤrtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in England giebt einigermaſſen ein Beiſpiel aͤhnlicher Ver - faſſung. Der in teutſchen Staatsangelegenheiten bey Erwaͤhnung des Kaiſers meiſtens gewoͤhnliche Zuſatz: und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung auf den zuſammengeſetzten Staatskoͤrper. Ob uͤbrigens eine ausdruͤckliche Verabredung noͤthig ſey, wo die Sache ſelbſt deutlich genug ſpricht, will ich hier nicht unterſu - chen. Die Behauptung dieſer Meinung wuͤrde wenig -ſtens142Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,ſtens den ſtilſchweigenden Vertraͤgen ſehr nachtheilig ſeyn. Waͤren die teutſchen Reichsſtaͤnde und Lande dem Kaiſer allein auch noch ſo unterthaͤnig geweſen, ſo haben ſie mit Genehmigung deſſelben doch nach und nach wahre Sou - verainetaͤtsrechte erlangt, und koͤnnen nunmehr kaum anders als ein unter kaiſerlicher Hoheit vereinigtes Staa - tenſyſtem betrachtet werden, welchem die Beobachtung der Grundgeſaͤtze und Vertraͤge demungeachtet heilig blei - ben muß b].
Die Beherſcher ſouverainer Staaten werden deshalb auch Souveraine genant, ob dieſer Ausdruck in der perſoͤnlichen Bedeutung gleich mehr die innere Unabhaͤn - gigkeit von Reichsgrundgeſetzen bezeichnet. Sie ſind, nach Beſchaffenheit der beſitzenden Staaten, auch fuͤr ihre Perſon mehr oder weniger unabhaͤngig. Die Re - genten lehn - zinsbarer und anderer ſolcher abhaͤngiger Staaten bleiben, wie Real a] erinnert, nichts deſtowe - niger Souveraine, wenn ſie nur fuͤr ihre Perſon nicht unter der Gerichtsbarkeit eines andern Fuͤrſten ſtehn und die oͤffentliche und abſolute Macht uͤber ihre Unterthanen haben. Und da eine Perſon mehrere Verbindlichkeiten uͤbernehmen und nach verſchiedenen Ruͤckſichten betrachtet werden kan, ſo ſchaden auch diejenigen Abhaͤngigkeits - verbindungen, welche Beherſcher voͤllig unabhaͤngiger Staaten, ohne deren Einmiſchung, entweder blos fuͤrihre143und den europaͤiſchen insbeſondere.ihre Perſon, oder wegen des Beſitzes andrer halbſouve - rainer ꝛc. Lande eingehn, iener Souverainetaͤt keineswe - ges. Man hat Beiſpiele, daß ſouveraine Koͤnige bey andern Nazionen Staats - und Kriegsbedienungen beklei - det haben. Verſchiedene Souveraine in Europa beſitzen zugleich halbſouveraine Lande in Teutſchland, als Gros - britannien, Sardinien, Daͤnemark, Schweden, Preuſſen, und legen, unbeſchadet ihrer Souverainetaͤt, bey Empfahung der Reichslehen, eben den Eid der Treue, wie die uͤbrigen Reichsſtaͤnde ab; denen ſie uͤber - haupt, als Beſitzer dieſer Lande, voͤllig gleich zu achten, ob ſie wohl in verſchiedenen Stuͤcken einiger Vorrechte ſich angemaſt, ſolche zum Theil auch erhalten haben b]. Freilich iſt es oft ſchwer die Eigenſchaft zu unterſcheiden, in welcher ein Regent, der ſouveraine und abhaͤngige Staaten zugleich beſitzt, handelt.
Ein Volk, das die Souverainetaͤt einmal rechtmaͤßig erlangt hat, kan, ohne Verletzung des Voͤlkerrechts, von andern Nazionen darin nicht beeintraͤchtiget werden. Doch laſſen zuweiln Staaten, deren Unabhaͤngigkeit leicht Gefahr laufen koͤnte, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung derſelben, ſich ſolche von andern Maͤchten garantiren. Die Souverainetaͤt der Schweitz ward z. B. von Frank - reich im Buͤndniſſe von 1777, Art. 4. und die Unab - haͤngigkeit der vereinigten nordamerikaniſchen Staaten ebenfals von Frankreich in dem Tractat zwiſchen dieſen beiden Nazionen von 1778, Art. 11. garantirt.
Die Souverainetaͤt einer Nazion kan indes, mit oder wider Willen derſelben, verlohren gehn, wenn entweder ein Staat, der die gemeinſchaftliche Wohlfahrt allein zu befoͤrdern und gegen auswaͤrtige Gewalt ſich ſelbſt zu ver - theidigen und zu erhalten nicht vermag, ſich einer andern Macht freiwillig unterwirft, oder von derſelben unter - iocht wird. Dies kan auf verſchiedene Art geſchehen, indem der ſchwaͤchere Staat noch einige Souverainetaͤts - rechte behaͤlt, oder als ein Haupttheil, die Souveraine - taͤt des groͤßern Staats erkent, oder demſelben gaͤnzlich einverleibt wird a]. Kurz alles, was das Recht eines Volks ſich ſelbſt zu regieren zernichtet, ihm ſeine eigne Staatsverfaſſung nimt, und daſſelbe der Wilkuͤhr und Bothmaͤßigkeit eines Andern unterwirft, hebt deſſen Souverainetaͤt und den Gebrauch des Voͤlkerrechts auf b].
Dergleichen Beſchaffenheit hatte es ehemals mit den meiſten von den Roͤmern eroberten Provinzen, ſelbſt mit verſchiedenen ihrer Bundsgenoſſen. Ließ man ihnen gleich zum Theil ihre eigenen Geſetze, ſo bedienten ſie ſich deren doch nicht aus eigner Macht, ſondern aus Nach - ſicht des hoͤhern Staats.
In den aͤltern Zeiten ward die Anzahl der ſouverai - nen Staaten in Europa mehrmalen vermindert. Das neuſte Beiſpiel eines Staats der ſeine Unabhaͤngigkeit ſehr kurze Zeit genoß, giebt die Krim. Sie ſtand, nach verſchiedenen vorherigen Beherſchern, ſeit 1473 un - ter der Bothmaͤßigkeit des tuͤrkiſchen Kaiſers, der ihre Regenten die Chans, beſonders ſeit 1584 nach Gefallen ein - und abſetzte. Als in dem 1768 zwiſchen Rußland und der Pforte ausgebrochenen Kriege, erſteres die Krim 1771 eroberte, und der Chan entflohe, kuͤndigten die Krimmiſchen Tataren, auf Rußlands Veranlaſſung,der145und den europaͤiſchen insbeſondere.der Pforte alle vorige Verbindung auf und erklaͤrten ſich fuͤr unabhaͤngig. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward in dem drauf folgenden Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte zu Kainardge 1774 Art. 3. beſtaͤttigt und die Krimm ꝛc. fuͤr einen ſouverainen Staat erklaͤrt c]. Da derſelbe aber von der Pforte zu mancherley Misbraͤuchen ſeiner Unab - haͤngigkeit ſich verleiten und gegen Rußland ſich aufwie - geln ließ, nahm dieſes die Krimm mittelſt Manifeſts vom 8. April 1783 d] in Beſitz. Der Grosſultan mu - ſte dieſe Beſitznehmung auch gutheißen und die ruſſiſche Souverainetaͤt uͤber die Krimm, Kuban und Inſel Ta - man, mit Vernichtung der vorigen darauf ſich beziehen - den Tractaten, in einer beſondern Akte vom 8. Jaͤnner 1784 e] foͤrmlich anerkennen.
Zu den eingegangenen kleinern Souverainetaͤten ge - hoͤrt vornaͤmlich das in Frankreich gelegene Fuͤrſtenthum Dombes, das ſeit vielen Jahren von verſchiedenen Be - ſitzern als ein ſouverainer Staat regiert und noch 1681 vom Koͤnig Ludwig XIV. zu Gunſten ſeines natuͤrlichen Sohnes, des Herzogs von Maine, fuͤr unabhaͤngig erklaͤrt ward: aber deſſen Sohn, der Graf von Eu, uͤberließ es 1762 an die Krone Frankreich, worauf deſſen Einverleibung erfolgte f].
Die zur Grafſchaft Mempelgard gehoͤrigen vier Her - ſchaften Hericourt, Chatelot, Blamont und Cler - mont wurden von Wuͤrtenberg ehemals fuͤr unabhaͤngig ausgegeben; allein Frankreich behauptete die Souverai - netaͤt daruͤber. Erſteres gab in einem Vergleiche 1748 endlich nach, erkante die franzoͤſiſche Hoheit und leiſtete auf die angemaſte Unabhaͤngigkeit Verzicht g].
Aus der Vereinigung mehrerer Perſonen zu einem fort - dauernden gemeinſchaftlichen Endzweck entſtehen Geſelſchaften. Dieſe ſind entweder durch Geſetze beſtimt, oder durch freiwillige Vertraͤge der Mitglieder errichtet. Die erſtern nent man nothwendige, die andern frei - willige Geſelſchaften. Bleiben alle Glieder derſelben einander gleich, dergeſtalt, daß ſie wechſelſeitig gleiche Rechte und Verbindlichkeiten behalten, ſo heiſſen ſie glei - che Geſelſchaften, hingegen ungleiche, wenn ihre Handlungen den Vorſchriften einer Oberherſchaft unter - worfen ſind.
Nach der Meinung des Grotius und vieler aͤltern und neuern Philoſophen iſt den Menſchen nicht nur ein Trieb zur Geſelligkeit von der Natur eingepflanzt, ſon - dern auch die geſellſchaftliche Verbindung unter ihnen von ihr ſelbſt vorgeſchrieben. Niemand, ſagen ſie, kan die mannichfaltigen Beduͤrfniſſe, welche das natuͤrliche Verlangen eines ieden nach Gluͤckſeligkeit und Vervol -K 2kom -148Von den geſelſchaftlichen Verbindungenkomnung erheiſcht, allein durch ſich ſelbſt ſattſam befrie - digen, noch entbloͤßt von allen Vertheidigungsmitteln ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ein offenbarer Beweis, daß wir der Huͤlfe und Unterſtuͤtzung anderer beduͤrfen, und ſie, der Abſicht unſers Urhebers gemaͤs, ſuchen ſol - len! a] Aber aus dieſen und allen andern Gruͤnden, die gewoͤnlich hierbey angefuͤhrt werden, ſo ſcheinbar ſie auch ſind, laͤßt ſich eine algemeine Geſelſchaft unter allen Menſchen gleichwohl ſchwerlich erweiſen. Der vorgeb - liche Geſelligkeitstrieb erſtreckt ſich, wenn man ihn genau unterſucht, kaum weiter, als auf eheliche und haͤußliche Verbindungen, und dieſe wuͤrden auch, wenn man ſich mit der einfachen Natur begnuͤgt haͤtte, zu Befoͤrderung unſrer wahren Gluͤckſeligkeit hinlaͤnglich geweſen ſeyn b]. Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menſchen, theils ihre wenigſtens eingebildeten Beduͤrfniſſe immer groͤßer wurden, theils die blos haͤußlichen Verbindungen gegen die ſich mehrenden Gefahren und Beſorgniſſe nicht mehr Sicherheit genug gewaͤhrten; ſo muſten die Men - ſchen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und Vortheile wegen durften ſie einander ihre Huͤlfe nicht verſagen. Alſo wird von der Natur unmittelbar nicht eine algemeine Geſelſchaft befohlen, ſondern nur die Lei - ſtung wechſelſeitigen Beiſtands zu Abhelfung der zufaͤlli - gen nach und nach entſtandenen Beduͤrfniſſe angerathen.
Wenn man annimt, daß alle Menſchen von Na - tur zu einer Geſelſchaft verpflichtet ſind, ſo folgt aller - dings, daß auch alle Voͤlker des Erdbodens, als morali - ſche Perſonen, gleiche Verbindlichkeit haben muͤſſen, weil ſie aus einzelnen Menſchen beſtehen, die ſich den von Natur ihnen obliegenden Pflichten durch den Eintrit in eine buͤrgerliche Geſelſchaft nicht entziehen koͤnnen a]. Allein bey dieſen iſt die unbedingte Nothwendigkeit dazu ohnſtreitig noch weit geringer, als bey einzelnen Men - ſchen, indem Staaten durch die Vereinigung mehrerer Familien gewis in den Stand geſetzt werden, ſich ihre unentbehrlichſten Beduͤrfniſſe zu verſchaffen und gegen die meiſten auswaͤrtigen Anfaͤlle zu ſchuͤtzen. Freilich haͤtte alsdann, ohne naͤhere Verbindung mit andern, ieder mit den Erzeugniſſen ſeines Landes zufrieden ſeyn muͤſſen, welche die Natur iedoch ſehr verſchieden ausge - teilt hat. Allein die Verzaͤrtelung der einzelnen Staats - glieder hatte auch die natuͤrliche Folge, daß ganze Voͤl - ker Dinge, die bei andern anzutreffen waren, ihnen aber mangelten, fuͤr unentbehrlich hielten, ob ſie gleich blosK 3zur150Von den geſelſchaftlichen Verbindungenzur Bequemlichkeit und zum Vergnuͤgen gehoͤrten. Da - her ſuchten ſie blos ihres Nutzens wegen, die Verbindung anderer.
Wenn man aber auch zugiebt, daß die Natur ſelbſt die Geſelſchaft einzelner Menſchen und politiſcher Koͤr - per nicht nur anempfehle, ſondern auch gebiete, ſo folgt doch daraus bey weitem noch nicht, wie einige vorgeben, die Nothwendigkeit der buͤrgerlichen oder Staatsverbind - ungen, am wenigſten unter ganzen Nazionen, da der anarchiſche Zuſtand, wo die geſelſchaftliche Vereinigung, ohne gemeinſchaftliche Oberherſchaft, blos auf gleiche Rechte beruht, ienen Vorſchriften ſchon ſattſam Gnuͤge geleiſtet haben wuͤrde a]. Bey einzelnen Menſchen und kleinen Familien laͤßt ſichs allenfals einraͤumen, daß ſie wegen Unvermoͤgenheit von andern die Erfuͤllung einge - gangener Vertraͤge zu erlangen, und um den deshalb oͤf - ters vorgekommenen Streitigkeiten und daraus zu befuͤrch - tenden Gefahren vorzubeugen, ſich bewogen gefunden, ihrer Freiheit und Gleichheit zu entſagen, und freiwillig oder gezwungen ein gemeinſchaftliches Oberhaupt zu erken - nen; aber dies iſt, wie ſchon gedacht, der Fall zwiſchen mehrern Staaten nicht, die durch Vereinigung einer Menge von Menſchen und Familien gegen iene Ungemaͤch - lichkeiten weit mehr geſichert ſind. Indes haben doch ſchon verſchiedene aͤltere und neuere Philoſophen b] den Begrif von einem großen Weltſtaat, worinn die Voͤlker nur als Familien zu betrachten, ſich gebildet, und der ſcharfſinnige Wolf hat ihn mit vielen ſcheinbaren Gruͤn - den vorzutragen geſucht c]. Jedoch faͤlt die Unrichtigkeit ſeiner Beweiſe, wenn man ſie genau unterſucht, leichtin151der Nazionen.in die Augen. Voͤlker, ſagt er, ſind wie einzelne Men - ſchen von Natur zur Geſelſchaft verbunden, und eine Geſelſchaft, die zum gemeinſchaftlichen Wohl ſich verei - nigt, iſt eine buͤrgerliche oder Staatsgeſelſchaft d]. Hier fehlt offenbar das Haupterfordernis eines Staats, das gemeinſchaftliche Oberhaupt, denn ſonſt wuͤrde iede Geſelſchaft ein Staatskoͤrper ſeyn. Zwar ſchreibt Wolf dieſem Weltſtaate eine demokratiſche Regierungs - form zu, und legt den geſamten Voͤlkern eine gewiſſe Oberherſchaft [Speciem quandam imperii civilis] uͤber einzelne, die regierende und geſetzgebende Gewalt aber demienigen bey, der durch richtige Vernunftſchluͤſſe die Vorſchriften der Natur beſtimmt e]. Da aber alle Ober - herſchaft und Unterwuͤrfigkeit nicht von der Natur, ſon - dern von freiwilligen Vertraͤgen ihren Urſprung hat, ſo wuͤrde die Annahme einer ſolchen Regierungsform, wie Schrodt f] ſehr richtig erinnert, der natuͤrlichen Freiheit und Unabhaͤngigkeit der Voͤlker geradezu widerſtreiten.
Sind nun gleich nicht alle Voͤlker von Natur unmit - telbar zur Geſelſchaft unter einander verbunden, ſo er - zeugte doch die nachherige Verfeinerung oder Verderbt - heit der Menſchen ſo mannichfaltige zum Theil blos ein - gebildete Beduͤrfniſſe, daß nach und nach mehrere Voͤl - ker, beſonders die benachbarten, ihrer Vortheile wegen, freiwillig in naͤhere Vereinigung und Geſelſchaft zuſam - mentraten, die mit der Zeit ſich immer weiter ausgebrei - tet hat. Aber dieſe gleichen Verbindungen machen noch eine Voͤlkerrepublick aus.
Wenn die Geſelſchaft unter den Voͤlkern nicht von der Natur ſelbſt herruͤhrt, ſo iſt zu Errichtung derſelben ein Vertrag, naͤmlich ihre ausdruͤckliche oder ſtilſchwei - gende Einwilligung noͤthig. In Anſehung der ausdruͤck - lichen hat es kein Bedenken; aber die Moͤglichkeit einer ſtilſchweigenden Geſelſchaft wollen einige bezweifeln, weil doch ein gemeinſchaftlicher Endzweck erforderlich ſey,der153der Nazionen.der nicht wohl anders, als ausdruͤcklich feſtgeſetzt werden koͤnne. Dies lieſſe ſich allenfals von Geſelſchaften be - haupten, die einen beſondern Zweck zur Abſicht haͤtten, den man aus bloſſen Handlungen nicht errathen koͤnnte. Wenn aber bey dem iedem einzelnen Menſchen und gan - zen Voͤlkern natuͤrlichen Triebe nach Vervolkomnung, dieſe in mehrern vorfallenden Beduͤrfniſſen Huͤlfe bey einander ſuchen und ſolche wechſelſeitig einander leiſten, ſolte man da wohl noch zweifeln, daß ſie, auch ohne ausdruͤckliche Erklaͤrung, zu Befoͤrderung des gemein - ſchaftlichen Wohls ſich vereinigt haben? Und wenn nun ein ander Volk an den Vortheilen dieſer geſelſchaftlichen Verbindung Theil nimt und gleiche Wilfaͤhrigkeit bezeigt, ſo iſt deſſen Beitritt daraus billig zu folgern.
Schwerlich aber kan man mit Grunde vorausſetzen, daß ein Volk, welches zuerſt, in freundſchaftlichen oder feindlichen Verhaͤltniſſen, mit andern etwas zu ſchaffen bekomt, geſelſchaftlich leben wolle, weil ſein eigner Nu - tzen es erfordert. Gleichwohl gruͤnden verſchiedene Voͤl - kerrechtslehrer das geſelſchaftliche Benehmen der Voͤlker auf eine ſogenante praͤſumtive Einwilligung a]. Achen - wall hingegen erinnert gar wohl: quoniam ſocietas quae pacto duntaxat praeſumto nititur, jus et obligationem ſocialem producere nequit, ideoque non eſt ſocietas in - trinſece et per ſe ſpectata b]. —
Wer einmal in die Geſelſchaft getreten iſt, muß ſich uͤbrigens ihren Geſetzen unterwerfen, und kan ſich, ohne Einwilligung ſaͤmtlicher Glieder, davon nicht trennen. Zu Vernichtung der ſtilſchweigenden Geſelſchaftserrich - tung behaupten daher die Gegner, daß diejenigen, wel - che nur ſtilſchweigend auf einerley Zweck arbeiteten, wil - kuͤhrlich ſich trennen koͤnnten, weil ſie durch nichts zur Geſelſchaft ſich verbindlich gemacht. Allein zween oder mehrere, die zufaͤlligerweiſe zuſammenkommen, und blos ieder fuͤr ſich auf einerley Zweck arbeiten, machen frei -K 5lich154Von den geſelſchaftlichen Verbindungenlich noch keine Geſelſchaft aus; die Handlungen muͤſſen gemeinſchaftlich und wechſelſeitig geſchehen: und als - dann kan derienige der zeithero ſtilſchweigend ſich als ein Glied der Geſelſchaft betragen, eben ſo wenig, als der - ienige, der ausdruͤcklich ſich dazu bekant hat, eigenwillig ſich trennen, weil er ſonſt den uͤbrigen, die vermoͤge des vorigen Benehmens, auf ſeinen Beiſtand rechneten, vielleicht einen unerſetzlichen Schaden und alſo die ſtaͤrkſte Beleidigung zufuͤgen wuͤrde.
Der Menſch iſt mit dem Triebe nach Gluͤckſeligkeit und Vervolkommung gebohren. Die Bemuͤhungen dar - nach ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen auſſergeſelſchaftli - chen Zuſtande blos einſeitig: ieder ſorgt nur fuͤr ſich und ſeine eignen Beduͤrfniſſe. Er muß, will er andere zu ſeinem Vortheil vermoͤgen, mit ihnen in naͤhere Verbin - dung d. i. in Geſelſchaft treten. Die Natur ſelbſt zeigt ihm die erſte und einfachſte Geſelſchaft in der ehelichen und daraus entſpringenden haͤußlichen Verbindung. Da aber der Menſch in dieſer allein noch nicht alle ihm moͤg -liche155der Nazionen.liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, ſuchte er die Befriedigung ſeiner Wuͤnſche und immer zunehmenden Beduͤrfniſſe in der Geſelſchaft mit andern Familien. Daraus entſtanden theils durch Unteriochung, theils durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit buͤrgerliche Geſelſchaften, deren ſcheinbare Vortheile einer geordne - tern noch volkomnern gemeinſchaftlichen Unterſtuͤtzung, die urſpruͤngliche Freiheit vergeſſen machten. Aber auch dieſe politiſche Vereinigung gnuͤgte dem raſtloſen Vol - kommenheitstriebe der Menſchen noch nicht. Um auch an denienigen Vergnuͤgen Theil zu nehmen, welche ſie bey andern Nazionen ſahen, oder um die ihrigen wenig - ſtens ruhiger und ſicherer zu genieſſen, hielten ſie die ge - ſelſchaftliche Verbindung mehrerer Voͤlker fuͤr nothwen - dig. Dieſe erfolgte daher in keiner andern Abſicht, als um ſich wechſelſeitigen Beiſtand zu leiſten, und ihre gemeinſchaftliche Wohlfahrt mit vereinig - ten Kraͤften zu befoͤrdern.
Jede Geſelſchaft muß ihre dem gemeinſchaftlichen Zweck angemeſſenen Geſetze haben. Einzelne Menſchen und Voͤlker, im natuͤrlichen Zuſtande, ohne geſelſchaft - liche Verbindung, waren nur fuͤr ſich und fuͤr ihr eignes Wohl beſorgt: um ſich die Beihuͤlfe anderer zu verſichern, traten ſie in eine Geſelſchaft. Hier muͤſſen ſie daher alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemein - ſchaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei - tragen, ſo weit die Pflichten gegen ſich ſelbſt es erlauben a]. Dies iſt der algemeinſte, der Natur einer ſolchen Vereinigung angemeſſenſte Grundſatz, daraus muͤſſen die Regeln in einzelnen Faͤllen hergeleitet werden,auch156Von den geſelſchaftlichen Verbindungenauch wenn ſie durch eine Zuſammenkunft ſaͤmtlicher in Verbindung ſtehender Voͤlker zu beſtimmen waͤren b]. Da dieſe Zuſammenkunft aber nicht wohl thunlich, ſo ſind die blos aus dem Zweck der Geſelſchaft hergeleiteten Grundſaͤtze die ſicherſten.
Wenn mehrere Perſonen oder Voͤlker in eine Geſel - ſchaft zuſammentreten, ſo iſt iedes Mitglied verbunden, das zu thun, was der gemeinſchaftliche Zwek erfordert, und zu unterlaſſen, was demſelben zum Nachtheil gerei - chen koͤnte, ſo wie es berechtigt iſt, von den uͤbrigen ein gleiches zu verlangen. Sie haben in Abſicht des gemein - ſchaftlichen Wohls alle gewiſſe beiahende und volkomne Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergeſtalt, daß ſie, im Fall ſie ihren Pflichten kein Gnuͤge thun, zu deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechſelſeitig genoͤ - thigt werden koͤnnen. Dieſe Gerechtſame flieſſen unmit - telbar aus dem geſelſchaftlichen Vertrage. Es bedarf daher keiner buͤrgerlichen Regierung unter den Voͤlkern, dergleichen Wolf bey ſeinem großen Weltſtaat in demo - kratiſcher Form annimt. Warum ſoll man eine dem Begriffe freier Voͤlker nachtheilige Oberherſchaft ſich ein - bilden, da der gleiche Vertrag eben dieſelbe Wuͤrkung hervorbringt b].
Laͤßt ſich, nach Moſers Urteil, gleich nicht behaup - ten, daß Europa als ein einiger Staatskoͤrper, oder als eine große Republick anzuſehn, und daß ſamtliche euro -paͤiſche159der Nazionen.paͤiſche Voͤlker ein Syſtem verbundener Staaten [ſyſte - ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum] ausmachten, ſo kan man doch eben ſo wenig ſagen, daß ſie an und fuͤr ſich auſſer aller Verbindung ſtuͤnden a]. Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyron b], der den Voͤlkern Europens, ihrer allerſeitigen Verbindung wegen, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Intereſſe beilegt, fuͤr vorzuͤglicher. Die europaͤiſchen Nazionen ſtanden von den aͤlteſten Zeiten her, beſonders ſeitdem die meiſten derſelben die roͤmiſche Oberherſchaft erkennen muſten, in Verbindung. Zwar ward dieſelbe mit dem Umſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums groͤſtenteils zerriſſen, es entſtand iedoch, bey Wiederauflebung dieſes Kaiſerthums in den Fraͤnkiſchteutſchen Regenten, hauptſaͤchlich unter Karl und Otto dem Großen, ein ander Syſtem, das alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich - ſam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den Papſt und roͤmiſchen Kaiſer verband; wie aus den folgen - den §. §. mit mehrerm zu erſehen ſeyn wird. Auch dieſe oberherſchaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein Ende; aber die Glieder dieſes ehemaligen großen Staats - koͤrpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die freien geſelſchaftlichen Bande dennoch bey und knuͤpften ſolche, in Anſehung der Handlung und der wechſelſeiti - gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we - nig europaͤiſche Staaten mehr, die durch Freundſchafts - Handlungs - und andere Tractaten nicht mit einander verbunden waͤren, die gewoͤhnlich eine wechſelſeitige Freundſchaft und Unterſtuͤtzung als den Hauptgrund vor - ausſchicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus - druͤcklichen Vertrag vereinigt, ſo giebt es deren doch viele unter einzelnen Nazionen, und der ſtilſchweigenden Anerkentniſſe einer unter ihnen verhandenen algemeinen Verbindung noch mehrere. Dahin gehoͤren beſonders die faſt von allen Hoͤfen bey den andern befindlichen beſtaͤn -digen160Von den geſelſchaftlichen Verbindungendigen Geſandſchaften, gewiſſe algemeine angenommene Grundſaͤtze bey entſtehenden Kriegen unter einander ꝛc. Es iſt daher kaum zu bezweifeln, daß die europaͤiſchen Nazionen, ihres gemeinſchaftlichen Intereſſe wegen, zu Beobachtung des geſelſchaftlichen oder freiwilligen Voͤl - kerrechts verbunden ſind c]. Selbſt die Vorſchriften der chriſtlichen Religion, zu der ſie, auſſer der Pforte, alle ſich bekennen, thun in ihrer Maaße hierbey das ihrige.
Dieſes gemeinſchaftliche Intereſſe und geſelſchaftliche Band wird unter denen Voͤlkern allerdings ſichtlicher, welche an einander grenzen, oder an der See liegen, und dadurch mehr Gelegenheit haben mit den uͤbrigen Glie - dern durch Handlung, Krieg und andere Vorfallenheiten zuſammenzutreffen. Nur muß man bey dieſer Verbind - ung kein eigentliches Staatenſyſtem, das eine Art ge - meinſchaftlichen Oberhaupts haͤtte, ſondern lediglich eine gleiche Geſelſchaft annehmen.
In den ſogenanten mitlern Zeiten, wo Unwiſſenheit und Aberglauben uͤberall das Ruder fuͤhrten, erſann die Verſchlagenheit der Paͤpſte und der Kleriſey, die noch allein in dem Beſitz einiger Aufklaͤrung ſich befand, ein ihrer Herrſch - und Habſucht voͤllig angemeſſenes Syſtem. Sie gaben das roͤmiſch-teutſche Reich fuͤr die vierte und letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a], welche auf goͤttlichem Befehl vom Papſte den Beher - ſchern des fraͤnkiſch-teutſchen Reichs uͤbertragen worden. Dieſe war fuͤr das Reich Chriſti anzuſehn, — ob er gleich ſelbſt erklaͤrt hatte, daß ſein Reich nicht von dieſer Welt ſey, — in welcher alle chriſtliche Voͤlker gleichſam in einer Republick begriffen waͤren. Man ſuchte zu bewei - ſen, daß es eine zwiefache von Gott ſelbſt geordnete ſichtbare hoͤchſte Gewalt auf Erden gaͤbe, die als Statthal - ter Chriſti iene chriſtliche Republick regieren ſolten, naͤm - lich der Papſt im Geiſtlichen und der Kaiſer im Weltli - chen. Dieſe wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver - glichen, iedoch muſte die geiſtliche Gewalt uͤber die welt - liche wie die Seele uͤber den Leib und die Sonne uͤber den Mond erhaben ſeyn b].
Es iſt erſtaunend, welche Herſchaft die Paͤpſte aus dieſen Grundſaͤtzen, durch allerhand erkuͤnſtelte Folgerun - gen uͤber die chriſtlichen Voͤlker in Europa ſich angema - ßet, und ſolche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen - ten, weil ſie ihnen oͤfters Kron und Reich verdankten, theils durch deren Unvermoͤgen, Unwiſſenheit und Aber - glauben wuͤrklich erlangt und wie weit ſie ihren Stolz uͤberhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich, doch wenigſtens uͤber die Engel erhaben d] zu ſeyn waͤh -nend,163der Nazionen.nend, ſchalteten ſie uͤber Fuͤrſten und Laͤnder wie uͤber ihr Eigenthum, und ſetzten die Regenten nach Gefallen ein und ab e]. Am weiteſten ging hierinn der herſchſuͤchtige Papſt Gregor VII. deſſen abſcheuliche Grundſaͤtze bekant genug ſind f].
Faſt alle Regenten Europens muſten in ienen dunkeln Zeiten ſich dem Joche der paͤpſtlichen Hierarchie nicht nur im Geiſtlichen, ſondern auch im Weltlichen g] mehr oder weniger unterwerfen. Nachdem man den Paͤpſten ein - mal die hoͤchſte Gewalt im Geiſtlichen eingeraͤumt hatte, ſo fiel es ihnen nicht ſchwer auch in weltlichen Angelegen - heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie konten auch auf die Wilfaͤhrigkeit der Fuͤrſten um ſo eher rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewoͤhnlich den Geiſtlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu dienlichen Grundſaͤtze zeitig genug beizubringen nicht ver - gaſſen. Selbſt von den roͤmiſchen Kaiſern, welche doch die zweite Statthalterſtelle Chriſti auf Erden bekleiden ſolten und den hauptſaͤchlichſten Grund zum paͤpſtlichen Anſehen gelegt hatten, verlangten die Paͤpſte kindlichen Gehorſam h], Vaſallenpflicht i], ia ſogar Tribut und Unterwerfung. Verſchiedene Kaiſer muſten wuͤrklich nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l], Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh - rere. Doch hatten auch andere und beſonders die folgen - den Kaiſer Muth und Entſchloſſenheit genug, ſich den uͤbertriebenen Foderungen der Paͤpſte ſtandhaft zu wider - ſetzen m] und ihre Abſichten zu vereiteln. Gleichwohl waren ſie damals noch nicht vermoͤgend, das paͤpſtliche Joch gaͤnzlich abzuſchuͤtteln n].
Auf gleiche Art verfuhren die Paͤpſte mit den uͤbrigen Koͤnigen und Fuͤrſten in Europa. Die meiſten derſelben waren, wie ich ſchon im vorigen Kapitel gedacht, dem paͤpſtlichen Stuhle lehn - oder zinsbar oder auf andere Art von ihm abhaͤngig: ſie muſten ihren Befehlen gehorchen,L 2und164Von den geſelſchaftlichen Verbindungenund die vorfallenden Regierungsſtreitigkeiten ihrer Ent - ſcheidung uͤberlaſſen o]. Die Geſchichte iſt voll von Bei - ſpielen der paͤpſtlichen Herſchaft in Portugal, Arrago - nien, Spanien, Frankreich, England, Sicilien, Daͤ - nemark, Ungarn und andern Reichen p].
Dieſe paͤpſtliche Gewalt fing iedoch an ſich zu vermin - dern, ſobald die Aufklaͤrung in Europa ein wenig be - gann. Den gefaͤhrlichſten Stoß aber erlitt ſie durch die 1517 angefangene Reformation q]; und ſeitdem iſt ſie taͤglich mehr in Verfall gekommen. Zwar lieſſen es die nachherigen Paͤpſte, bis in die neuern Zeiten an Verſu - chen nicht fehlen, ihre ehemalige Macht wieder geltend zu machen; aber ohne ſonderlichen Erfolg r].
Dermalen handelt iede europaͤiſche Nazion im Geiſt - lichen und Weltlichen nach eignem Gutduͤnken, ohne um den Papſt ſich viel zu bekuͤmmern s]. Zwar raͤumen die der catholiſchen Religion zugethanen Regenten ihm noch verſchiedene Vorzuͤge ein, aber die ehemaligen ihm als Statthalter Chriſti und ſichtbares Haupt der Chri - ſtenheit gebuͤhrenden Gerechtſame haben groͤſtenteils ihr Ende erreicht. Werden dem Papſte auch in dieſem oder ienem Reiche noch einige Rechte zugeſtanden, ſo gruͤnden ſich dieſe doch nicht auf eine vermeintliche Oberherſchaft ſondern auf Vertraͤge oder Herkommen unter beiden Theilen.
Noch aͤlter iſt das Vorgeben von einer Oberherſchaft der roͤmiſchen Kaiſer uͤber die ganze Welt. Der bluͤhen - de Zuſtand der Roͤmer, die ihre ſiegreichen Waffen faſt uͤber alle damals bekante Welttheile verbreiteten, ſezte beſonders die Dichter in ſolchen Enthuſiasmus, daß ſie Rom nur das caput mundi und dominam orbis terrarum nanten a]. Die nachherigen Kaiſer waren eitel genug, den von Schmeichlern ihnen beygelegten Titel: mundi et totius orbis dominus nicht nur anzunehmen, ſondern ſich deſſen auch ſelbſt zu bedienen b]. Es iſt aber nicht wahrſcheinlich, daß ſie im Ernſt geglaubt haben, oder ſich uͤberreden laſſen, daß ihnen dieſer Titel wuͤrklich ge - buͤhre, da ſie auch nicht einmal Herrn der damals bekan - ten Welt waren c].
Nach der Theilung des roͤmiſchen Reichs in das mor - gen - und abendlaͤndiſche, und des letztern Zertruͤmmerung durch die Gothen, Vandalen, Longobarden und andere fremde Nazionen, lieſſen die Kaiſer dergleichen hochmuͤthi - ge Gedanken ſich vergehn. Auch bey der Erneuerung des roͤmiſchen Kaiſerthums unter Karl dem Großen, war deſſen Umfang noch in zu enge Grenzen eingeſchloſſen, als daß man daran haͤtte denken ſollen. Almaͤhlig aberund176Von den geſelſchaftlichen Verbindungenund beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung der kaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor - maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und Erdſtriche ausgegeben d]. Aus dieſem Grunde gebrauch - ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul - len, die Aufſchrift: Roma caput mundi, regit orbis fre - na rotundi und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum Inſigne e]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom Kaiſer Auguſtus alle Welt [verſteht ſich die der roͤmi - ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ - ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau - bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer hielt, der es wagte daran zu zweifeln f].
An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths hatten die Paͤpſte wohl den meiſten Antheil. Sie bedurf - ten zu ihrer Erhebung des kaiſerlichen Anſehens in mehr als einer Ruͤckſicht g]. Haͤtten ſie die Herſchaft der Welt ſich allein zuſchreiben wollen, ſo wuͤrden ſie von den Kaiſern, vermoͤge des Wahns ihrer vorigen Hoheit, zu viel Widerſpruch zu fuͤrchten gehabt haben. Sie brach - ten daher, obgedachtermaaßen, eine doppelte ſichtbare Oberherſchaft der Welt auf die Bahn, und raͤumten dem Kaiſer ebendieſelben Vorzuͤge uͤber andere Koͤnige und Fuͤrſten ein, welche die Paͤpſte uͤber die Patriarchen, Biſchoͤfe ꝛc. behaupteten; iedoch unbeſchadet der Gerecht - ſame der Kirche und des den Paͤpſten gebuͤhrenden Vor - ranges. Zur Entſchaͤdigung aber trugen dieſe den Kai - ſern den Schutz uͤber die chriſtliche Kirche und den paͤpſt - lichen Stuhl h] auf; wodurch die vermeintliche Ober - herſchaft des Kaiſers vorgeblich einen deſto groͤßern Glanz erlangen ſolte, im Grunde aber blos eigner Vortheilabge -177der Nazionen.abgezweckt war. Denn vermoͤge dieſer uͤbernommenen Advocatie muſten die Kaiſer die chriſtliche Religion, alle Kirchen, Kloͤſter ꝛc. gegen innere und aͤuſſere Anfaͤlle der Unglaͤubigen und Ketzer, ſelbſt mit gewafneter Hand, wenn es noͤthig war, vertheidigen und andere chriſtliche Regenten zu gleicher Beihuͤlfe anhalten. Eben dadurch aber ward die kaiſerliche Herſchaft mit der paͤpſtlichen zugleich immer weiter ausgebreitet i].
Die Kaiſer haben iedoch ihre angebliche Herſchaft uͤber die Welt, oder wenigſtens uͤber die Chriſtenheit nie ſo weit getrieben, als die Paͤpſte k]. Daß ſie vielmehr ſelbſt an der Richtigkeit dieſes Vorgebens zuweilen noch gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiſer Fridrich I. an die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarus l]. Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar - unter verſtanden wiſſen. Daher ſchrenkte man auch in der Folge dieſe Herſchaft gewoͤnlich blos auf Schutz und algemeine Regierung ein, die aber alles umfaſſen ſolte, nicht nur die wuͤrklichen Lande des teutſchen Reichs, ſon - dern auch alle dieienigen, worauf daſſelbe iemals ein Recht gehabt, oder noch haͤtte m].
Indes wurden dieſe Vorrechte den Kaiſern von den uͤbrigen chriſtlichen Regenten Europens faſt durchgaͤngig zugeſtanden. Laͤßt ſich gleich wider die Meinung des Grotius, daß die chriſtlichen Nazionen den Kaiſer zu ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwaͤhlt haͤtten n], noch manches erinnern; ſo iſt doch deren damalige ſtilſchwei - gende Anerkennung deſſelben nicht zu bezweifeln. Einige Regenten hatten den Kaiſern die koͤnigliche oder andere Wuͤrde zu verdanken und muſten daher aus Dankbarkeit ſich wilfaͤhrig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiſer uͤberwunden und dem Reiche gewiſſermaaßen verbindlich waren, als Daͤnemark, Polen, Ungarn ꝛc. durften eben ſo wenig ſich widerſetzen, und die uͤbrigen wurden theils durch die paͤpſtliche und kaiſerliche Macht, theils durchMden178Von den geſelſchaftlichen Verbindungenden Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen - ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten o]. Am einleuch - tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen, algemeinen Koncilien ꝛc.
Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni - gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie - ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker, Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber - haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot p]. Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts - barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten aufgefodert q]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken r]. Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an s], und die Standes - erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung der Notarien ꝛc.
Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher - ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr, nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen - ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls V. Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen, waren fruchtlos t]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,ſich279[179]der Nazionen.ſich eine ſolche Oberherſchaft zuzuſchreiben. Die in neuern Zeiten etwa noch vorkommenden Anſpielungen darauf ſind als ein leeres Ceremoniel zu betrachten u]. Jedoch aͤuſſern ſich noch verſchiedene Ueberbleibſel des Alterthums, beſonders in Abſicht der kaiſerlichen Praͤcedenz vor andern europaͤiſchen Nazionen x].
Weder im natuͤrlichen Zuſtande, noch in gleichen Verbindungen findet eine Art von Oberherſchaft ſtatt. Ein ieder muß darin ſeine urſpruͤnglichen und erworbenen Rechte, ſo viel er vermag, durch guͤtliche, und wenn dieſe nichts fruchten, am Ende durch gewaltſame Mittel geltend zu machen ſuchen. Da aber die Erfuͤllung der Vertraͤge nicht allemal puͤnctlich erfolgt und der Ausgang der feindlichen Unternehmungen oͤfters ſehr ungewis iſt, ſo haben die buͤrgerlichen Vereinigungen, wo durch das Anſehn und die Gewalt eines Oberhaupts in beſtimten Geſetzen und Ordnungen fuͤr die Aufrechterhaltung der allerſeitigen Gerechtſame, Ruhe und Eintracht geſorgt iſt, in dieſer Ruͤckſicht allerdings gewiſſe Vorzuͤge. Die Nazionen befinden ſich in der naͤmlichen Lage. Sie muͤſ - ſen ihre Rechte, ſo gut als moͤglich, ſelbſt handhaben; und koͤnnen die daruͤber unter ihnen entſtehenden Strei - tigkeiten in der Guͤte nicht beigelegt werden, ſo bleibt nichts als Gewalt und endlich der Krieg uͤbrig. Aber dies iſt leider! ein ſehr beſchwerlicher und ſchluͤpfriger Weg. Hierzu koͤmmt noch, daß manche Voͤlkergeſetze zweifel - haft und die Voͤlker Richter ihrer eignen Handlungen ſind, folglich nicht allemal die ſtrengſte Unparthei ichkeit beobachten.
Allein188Von den geſelſchaftlichen VerbindungenAllein dieſen Ungemaͤchlichkeiten waͤre vielleicht da - durch abzuhelfen, wenn die Nazionen in eine Art von buͤrgerlicher Geſelſchaft ſich vereinigten, oder, nach Wolfs Meinung, ſchon von Natur wuͤrklich vereinigt waͤren, und zu Unterſuchung und Entſcheidung der unter ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinſchaftlichen Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem Begriffe freier Voͤlker entgegen ſey, deren Haupteigen - ſchaft darinnen beſtehe, daß ſie keinen Hoͤhern weiter uͤber ſich haben, faͤllt weg, weil hier oben nicht von einer Univerſalmonarchie oder Vereinigung der Voͤlker unter ein gemeinſchaftliches Oberhaupt die Rede iſt. Die Nazionen duͤrften nur einen gemeinſamen Gerichtshof niederſetzen, der unbeſchadet im uͤbrigen der Unabhaͤng - igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu Beſtimmung der zweifelhaften wechſelſeitigen Rechte und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren Nichtbeobachtung entſpringenden Beſchwerden mit hin - laͤnglicher Gewalt verſehen waͤre. Eine aͤhnliche Ein - richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen bey den griechiſchen Staaten.
Im vorigen Jahrhundert hatte Koͤnig Heinrich IV. von Frankreich, durch die Koͤnigin Eliſabeth von Eng - land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf - zehn an Macht einander ziemlich gleiche Staaten zu zer - teilen, und dieſe in eine Art von chriſtlicher Republick oder Staatenſyſtem zu vereinigen. Dazu ſolten gehoͤren, a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng - land, Schweden und das aus den Herzogthuͤmern Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom - bardiſche Reich. b] 6 Wahlreiche, naͤmlich: Teutſch - land, der Kirchenſtaat nebſt Neapel, Daͤnemark, Polen, Boͤhmen nebſt incorporirten Landen, Ungarn nebſt Siebenbuͤrgen und den eigentlichen oͤſterreichiſchen Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratiſche,die189der Nazionen.die vereinigten Niederlande nebſt der ganzen Juͤlich - Cleviſchen Erbſchaft, und die Lidgenoſſenſchaft nebſt der Grafſchaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident, ingleichen 2 ariſtokratiſche: Venedig nebſt der Inſel Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma und Modena, mit Beibehaltung ihrer beſondern Regier - ungsformen geſchlagen werden ſolten. Aus den Abge - ordneten dieſer Staaten waͤre ein Senat zuſammenge - ſetzt worden, der die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten nach der Mehrheit der Stimmen beſorgt und entſchie - den haͤtte. Jedoch lagen nicht ſowohl die hieraus zu hoffenden gemeinnuͤtzigen Folgen, als vielmehr die Ab - ſicht, die damalige Macht des Hauſes Oeſterreich zu ſchwaͤchen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle zu dieſen Behuf dienliche Anſtalten vorgekehrt und ſtand, bey Gelegenheit des Juͤlichſchen Succeſſionsfalls, eben im Begrif ſeine Kraͤfte zu verſuchen, als durch deſſen Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward.
In der Folge haben verſchiedene Privatſchriftſteller, beſonders der beruͤhmte Abt St. Pierre und neuerlich ein Herr von Lilienfels, ein lieflaͤndiſcher Edelmann, wel - cher der Verfaſſer des Neuen Staatsgebaͤudes ꝛc. ſeyn ſoll, ienen Plan wieder in Vorſchlag gebracht und aus - zubilden geſucht. Die Hauptſache beruhet, nach dem Inhalt der letztern Schrift, ungefaͤhr darauf: Die Ge - ſetze, ſagt man, wornach freie Voͤlker ihre Handlungen gegen einander einrichten ſollen, ſind meiſtens ſehr ſchwankend. “Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf, Hobbes, Selden und die Neuern davon geſchrieben ha - ben, heißt es daſelbſt [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.] iſt zerſtreut, abweichend und erſchoͤpft nicht alles. Ihre Meinungen ſind keine Orakelſpruͤche. Sie ſind nicht durchgaͤngig practiſch und mit dem Buͤrgerrechte bekleidet. Sie haben nicht alle Faͤlle bemerkt, auch die bemerkten nicht gleich gruͤndlich eroͤrtert, den eroͤrterten aber keinGe -190Von den geſelſchaftlichen VerbindungenGepraͤge der algemeinen und heiligen Geſetze aufdruͤcken koͤnnen. Zu dieſer Unzulaͤnglichkeit hat ſich noch ein un - beſtimtes Herkommen geſellet. Beyde zuſammen, ſowohl das geſchriebene, als ungeſchriebene Geſetz, ſind noch unzuſammenhaͤngende und unvolkommne Theile eines Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehoͤrige Um - fang und das Anſehen fehlen. Man fuͤhret neue Regeln und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl - gefallen bequem iſt. Die Zuſaͤtze, Ausdehnungen, Ein - ſchraͤnkungen, Ausnahmen, Verbeſſerungen verewigen ſich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beiſpiele der Maͤchtigſten, Vorfaͤlle und Gebraͤuche gehen ins Un - endliche, und ſetzen neue Rechte, bis dieſe wiederum durch neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge zweifelhafter und verſtrickter Faͤlle zum Zankapfel der Nachkommenden unausgemacht uͤbrig. — Die haͤufigen Widerſpruͤche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit dieſes Rechts, in Anſehung deſſen Verletzung, oder Aus - legung, oder Erweiterung entſproſſen ſind, zeugen allein, daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem - der Achtung fehle. “ Dieſe Streitigkeiten koͤnnen in dem freien Zuſtande der Voͤlker nicht anders als durch Ver - traͤge beigelegt werden, welche iedoch nicht ſelten erſt die Frucht vieliaͤhriger koſtbarer und verherender Kriege zu ſeyn pflegen. Bey dieſem allen lehrt die Erfahrung, daß die feierlichſten Vertraͤge und Friedensinſtrumente mit der Zeit durchloͤchert werden. Die zahlreichen neuen Tra - ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt ſind, zeugen von der Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit, und kurzen Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig - keit aufgedruckt hatten. — Es moͤgen Uebereilung, Un - aufmerkſamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der Zukunft, oder die engen Grenzen der menſchlichen Einſicht und Sprache, oder ein heimlicher Vorſatz oder eine andereUn -191der Nazionen.Unvollkommenheit verſchiedene Deutungen zulaſſen; ſo iſt es ausgemacht, und durch die Erfahrung beſtaͤttigt, daß die nachfolgenden critiſchen und politiſchen Umſtaͤnde den buchſtaͤblichen in figuͤrlichen Sinn der Worte drehen koͤnnen, und dieſer ſich nach ienen richten muß. Die neue Auslegung wird durch das neue Intereſſe beſtimmt und hiermit ſind alle Tractaten unterſiegelt. Da nun [S. 194.] die Weltbeherſcher keine Obrigkeit uͤber ſich erkennen, folglich ohne die freiwilligen Vertraͤge nicht anders als durch ſelbſt erwaͤhlte Schiedsrichter friedlich und billig auseinander kommen koͤnnen; ſo gleicht, um die Zwiſtigkeiten und Beſchwerden der Potentaten unter ein - ander auf eine ſo gerechte als friedſame auch geſchwinde und unfehlbare Weiſe abzuſtellen, nichts einem unpar - theiiſchen, klugen, gelehrten, beſtaͤndigen und guͤltigen Schieds - oder Friedensgerichte. Ein ſeichter Einwurf, daß die unabhaͤngigen Maͤchte in einem freien natuͤrlichen Zuſtande ſind und keinen Richter uͤber ſich erkennen. Selbſt die Beiſpiele des buͤrgerlichen Zuſtandes erweiſen, daß die Partheien nicht die Richter, die oft viel geringer als iene ſind, ſondern blos die Geſetze uͤber ſich erkennen. Die Urſachen des Krieges wuͤrden alſo wegfallen, wenn der natuͤrliche Zuſtand weniger unumſchraͤnkt, und das Voͤlkerrecht ſo vollkommen und den Fuͤrſten ſo verbindlich waͤre, als ihren Unterthanen das buͤrgerliche Recht iſt. Zu dieſem Ende muͤſten alle Potentaten, durch eine freie und einmuͤthige Einſtimmung, auf einem algemeinen Kongres, fuͤr ſich und alle folgende Zeiten feierlichſt ein hoͤchſtes Nazionen Tribunal und Friedensgerecht nie - derſetzen und anerkennen. Das hieruͤber ausgefertigte Inſtrument, das die Kraft und Natur eines ewigen Compromiſſes und Fundamentalgeſetzes aller Reiche an ſich haͤtte, und wozu ein ieder Landesherr und ſeine Unter - thanen, beim Antritt einer ieglichen neuen Regierung ſich verpflichteten, wuͤrde im Tribunalarchive aufbehaltenDa -192Von den geſelſchaftlichen VerbindungenDamit das Recht des Krieges und das ganze Natur - und Voͤlkerrecht hinfuͤhro keinen Chamaͤleon mehr aͤhnlich waͤren, duͤrfte durch die geſchickteſten Maͤnner ein kurzes und reines Geſetzbuch zuſammengetragen und ausgear - beitet werden, das nichts als die moͤglichen Faͤlle und Nationalſtreitigkeiten beruͤhrte, den Namen eines Na - zionen - oder Fuͤrſtenrechts annaͤhme und aus den vor - treflichſten Natur-Voͤlker - und buͤrgerlichen Rechten den Koͤrper erbauet haͤtte, deſſen Seele die gelaͤuterte und friedſame Vernunft der Friedensrichter waͤre. Dieſes Buch koͤnte ebenfals auf einem algemeinen Kongres beſtaͤ - tigt, auch kuͤnftig dergeſtalt verbeſſert und erweitert wer - den, und wuͤrde die Grundſaͤule der Gluͤckſeligkeit der Voͤlker und die Zierde des Tribunalarchivs ſeyn. Da - ſelbſt muͤſten ferner ſowohl die dienlichen alten, als alle neuern und kuͤnftigen Tractaten, Friedensſchluͤſſe, Buͤnd - niſſe, Vergleiche, Anſpruͤche, Verſchenkungen, Ver - pfaͤndungen, Kauf - und Lehnbriefe, Teſtamente, Ceſſio - nen, Anwartſchaften, Erbfolgen, Erbverbruͤderungen, Erb - und Familienvertraͤge, Erbvereinigungen und ande - re wichtige Urkunden, Rechte und Erweiſe aller europaͤi - ſchen Maͤchte, dann die Grundverfaſſungen, Privile - gien, Freiheiten, Herkommen ꝛc. der Staaten und end - lich die beſten Natur - Voͤlker - Staats - und gemeinen Rechte und Statuten aufbewahret werden. Nach den in dieſen Sammlungen enthaltenen Grundſaͤtzen entſchiede nun das Friedensgericht alle Arten der Misverſtaͤndniſſe, Rechte, Anſpruͤche und Uneinigkeiten unter den chriſtlichen Maͤchten in Europa in allen Vorfaͤllen ohne Ausnahme, die ſonſt Unruhen, Hader und Kriege zu erwecken geſchickt waͤren, ſie geſchehen in welchem Theile der Welt ſie wollen. Dadurch wuͤrde alle Gelegenheit zu kuͤnftigen Kriegen ab - geſchnitten und die beſchwerliche Unterhaltung zahlreicher Armeen unnoͤthig gemacht. Zugleich werden weitlaͤuftige Vorſchlaͤge uͤber die Einrichtung und das Verfahrer desFrie -193der Nazionen.Friedensgerichts gethan, in Anſehung Gelehrſamkeit, Verſtand, Erfahrung, Tugend, Alter und unpartheii - ſcher Gerechtigkeit der Friedensrichter, der Art ſie zu ernennen, ihres Ranges, ihrer Anzahl ꝛc. Der ganze Senat ſoll z. B. aus 69 Perſonen, und zwar 1 Praͤſiden - ten, 8 Oberraͤthen, 20 Raͤthen und 40 Beiſitzern beſtehen und dabey eine Kanzley von 6 Oberſekretarien, 20 Sekre - tarien, 1 Oberarchivar und 4 Archivarien nebſt hinlaͤngli - chen Actuarien, Notarien ꝛc. angeſtelt ſeyn, die, nach der entworfenen Bilance von Einnahme und Ausgabe, alle gut bezahlt wuͤrden. Dem ganzen Tribunal geſtuͤnde man die hoͤchſte Souverainetaͤt zu; iedoch muͤſte derſelbe einem algemeinen Kongres, der allemal, erforderlichen Fals, von den Deputirten aller Maͤchte gehalten werden koͤnte, unterworfen ſeyn. Bey dieſem Gerichtshofe, der ſeinen Sitz in Teutſchland, als dem Mittelpunkt von Europa, haben koͤnte, unterhielte iede chriſtliche Macht ihren beſtaͤndigen Geſandten oder Reſidenten zu Beſorg - ung ihrer Angelegenheiten und Uebergebung der noͤthigen Schriften. Es folgen ſodann Gedanken uͤber die Be - weisfuͤhrung, Stimmordnung und Volſtreckung der Aus - ſpruͤche. Nach allen vergeblich verſuchten freundſchaftlichen Erinnerungen und Warnungen muͤſten naͤmlich ſaͤmtliche Nazionen zufoͤrderſt alle Gemeinſchaft mit dem widerſpen - ſtigen Volke aufheben, ihre Geſandten von demſelben zuruͤckberufen ꝛc; am Ende aber bliebe nichts uͤbrig, als den Regenten ſeiner Regierung zu entſetzen und ſie dem naͤchſten Nachfolger zu uͤbertragen. Hierzu waͤre denn allerdings eine anſehnliche Armee noͤthig. Endlich kommt noch die Errichtung eines Ritterordens gegen die Barbaren und die Unterhaltung gewiſſer Kriegsheere gegen dieſelben in Vorſchlag.
„ So glaͤnzend nun aber auch ein ſolcher Entwurf ins Auge faͤlt,” erinnert der Freyherr von Bielefeld in ſeiner Staatskunſt 2. Th. 4. Hauptſt. §. 30, und mitNihm194Von den geſelſchaftlichen Verbindungenihm der groͤſte Theil der Politiker; „ ſo hat er doch den großen Fehler, daß er nicht ins Werk zu richten ſteht. Man muͤſte ſich Europa als ganz platoniſch vorſtellen, um zu glauben, daß alle Landesherrn einen Theil ihres hoͤchſten Anſehns in die Haͤnde eines algemeinen Senats uͤbergeben wuͤrden, daß die Gebieter der groͤſten Staaten ſich nicht auch zu Herrn der Rathſchlaͤge dieſes Senats machen ſolten, daß die Schwaͤchſten nicht eben ſowohl Geſetze von ihnen erhalten wuͤrden. “ Der Verfaſſer des neuen Staatsgebaͤudes ſieht dieſen Punkt auch ſelbſt [S. 338.] als die groͤſte und einzige Schwierigkeit ſei - nes Plans an und ſagt ſehr richtig, daß, wenn man Europa unter dem Bilde eines einzigen Staatskoͤrpers, als ein Ganzes darſtellen wolte, das durch Religion, Intereſſe, Buͤndniſſe, Sitten, Nachbarſchaft, Bluts - und andere Freundſchaft, Negociationen, Handel, Schiffahrt, Poſten, Politick und Voͤlkerrecht zuſam - mengeknuͤpft iſt, man es gewis mit keiner Demokratie, ſondern am aͤhnlichſten mit einer Art von Ariſtokratie vergleichen wuͤrde, wo Dictators, Triumvirs ꝛc. keine andere Geſetze als ihr Wohlgefallen kennen, die immer Recht haben, weil ſie maͤchtig ſind und deren letzter Ver - nunftſchlus donnernd iſt. Jedoch macht er zuletzt noch viele gutgemeinte Bemerkungen, daß ein ſolcher Plan den Regenten Ehre und ihren Staaten Gluͤck bringen wuͤrde, und hoft die Ausfuͤhrbarkeit deſſelben vielleicht einmal in der Zukunft. Wer von dieſen Vorſchlaͤgen weitlaͤuftiger unterrichtet zu ſeyn wuͤnſcht, dem werden die nachher angefuͤhrten Schriften ein Gnuͤge leiſten.
Weit enger als alle uͤbrige europaͤiſche Nazionen ſind die Staͤnde des teutſchen Reichs mit einander verbunden: ſie ſtehen in einem wuͤrklichen Staatsvereine. Zwar enthaͤlt Teutſchland, nach des Herrn Geheimen Juſtitz - rath Puͤtter a] Urteile, wie ich bereits oben gezeigt, „ allerdings ſo viele eigne beſondere Staaten, als es „ Kurfuͤrſtenthuͤmer, Fuͤrſtenthuͤmer, Grafſchaften und „ Reichsſtaͤdte in ſich faſſet, auch das Gebiet eines ieden „ Reichspraͤlaten und Reichsritters in ſeiner Art nichtN 2„ ausge -196Von den geſelſchaftlichen Verbindungen„ ausgeſchloſſen. Ein ieder dieſer beſondern Staaten hat „ ſeine eigne, der Regel nach und im Ganzen mit allen „ Hoheitsrechten begabte Regierung; ein ieder ſeine eigne „ innere Verfaſſung, ein ieder ſogar gegen auswaͤrtige „ Maͤchte ſolche Rechte, die ſonſt nur unabhaͤngige Maͤch - „ te gegeneinander in Uebung haben; auch Krieg und „ Frieden, Buͤndniſſe und Geſandſchaften nicht ausge - „ ſchloſſen. — — So ſehr aber auch dieſe Regierungs - „ verfaſſung der einzelnen Laͤnder von einander abgehet; „ ſo iſt doch nichts gewiſſer, als daß dennoch alle ohne „ Ausnahme noch als Theile eines einzigen Ganzen in „ gleichmaͤßiger Verbindung unter dem teutſchen Rei - „ che ſtehen; und zwar nicht etwa nur in einer ſolchen „ Verbindung, wie die ſieben niederlaͤndiſchen Provinzen, „ oder die dreizehn Schweitzercantons, ohne weiter eine „ gemeinſame hoͤhere Gewalt uͤber ſich zu erkennen, ſich „ unter einander verbunden haben, — ſondern unter „ einem gemeinſamen hoͤchſten Oberhaupte, dem die per - „ ſoͤnliche Maieſtaͤt und Unabhaͤngigkeit ſo wenig als „ einem Koͤnige in Frankreich oder irgend einem andern „ Monarchen beſtritten werden kann. Auch nicht eine „ blos perſoͤnliche Verbindung iſt es, die alle beſondere „ teutſche Staaten unter dem Kaiſer vereiniget, etwa „ wie Ungarn, Boͤhmen und die uͤbrigen oͤſterreichiſchen „ Erblande, oder wie England und Hannover einerley „ Herrn haben; ſondern eben die Realverbindung, wor - „ auf die Einheit eines ieden andern Staats beruht, haͤlt „ auch noch alle beſondere teutſche Staaten in dem Bande „ eines einigen Reichs beiſammen. — — Kurz Teutſch - „ land iſt ein Reich, das in lauter beſondere Staaten „ eingetheilt iſt, die iedoch alle noch unter einer gemeinſa - „ men hoͤchſten Gewalt in der Geſtalt eines zuſammen - „ geſetzten Staats vereinigt ſind.
Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind daher nicht nur zu Beobachtung des aus der geſelſchaftlichen Verbindunguͤber -197der Nazionen.uͤberhaupt flieſſenden freiwilligen Voͤlkerrechts verbunden, ſondern die Vereinigung in einen Staatskoͤrper ſchreibt ihnen auch verſchiedene andere theils natuͤrliche theils po - ſitive Grundgeſetze vor, deren Befolgung bey den uͤbri - gen ganz unabhaͤngigen europaͤiſchen Staaten lediglich freiwillige Vertraͤge vorausſetzt b]. So haben die teut - ſchen Reichsſtaͤnde z. B. zwar das voͤllige Recht der Buͤndniſſe, des Krieges und Friedens unter ſich, und mit Auswaͤrtigen, nur duͤrfen ſie daſſelbe nicht wider den Kaiſer, das Reich und ihre Mitſtaͤnde ausuͤben.
Im Verhaͤltnis gegen andere europaͤiſche Nazionen koͤnnen die teutſchen Reichsſtaͤnde uͤbrigens nicht anders, als nach der algemeinen engern oder weitern Verbindung, welche unter den uͤbrigen europaͤiſchen Staaten uͤberhaupt Statt findet, beurteilt und auch in dieſem Falle die frei - willigen Voͤlkerrechtsſaͤtze auf ſie angewandt werden.
Aus dem Vorhergehenden erhellet, daß man zwiſchen den unabhaͤngigen Staaten in Europa zwar eine gewiſſe geſelſchaftliche Verbindung annehmen koͤnne, daß bey derſelben iedoch keine Art von Oberhaupt Statt finde, ſondern iedes Glied die voͤllige Gleichheit behalte. Von dieſer Gleichheit ſoll im folgenden Kapitel weitlaͤuftiger gehandelt werden.
Freie Voͤlker ſind, als moraliſche Perſonen, ſo wie einzelne Menſchen, im natuͤrlichen Zuſtande einan - der volkommen gleich. Die Unabhaͤngigkeit, ihr weſent - liches Erfordernis, ſchließt die Gleichheit nothwendig in ſich und giebt allen gleiche Rechte und Verbindlichkei - ten gegen einander. Keines kan dem andern befehlen, Rechenſchaft von ſeinen Handlungen fodern, oder irgend einen Vorzug vor ihm verlangen. Sie muͤſſen alle glei - che Rechte der Unabhaͤngigkeit genieſſen. Dieſe Gleich - heit geht keinesweges verlohren, wenn auch mehrere Voͤl - ker in eine Geſelſchaft zuſammentreten; es muͤſte denn durch eine ungleiche Verbindung das Gegentheil ausdruͤck - lich bedungen ſeyn. Unter den europaͤiſchen Nazionen iſt dergleichen Buͤndnis wenigſtens nicht vorhanden. San-Marino, der kleinſte Staat in Europa, iſt in Anſehung der Unabhaͤngigkeitsgerechtſame dem groͤſten ſouverainen Staate gleich. Kein Souverain, er ſey Kayſer oder Koͤnig, maͤchtig oder nicht, darf dem an - dern von Natur nachgeben, da der eine in ſeiner Art eben ſo unabhaͤngig iſt, als der andere.
Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verſchiedene natuͤrliche und politiſche Urſachen, an der Ausuͤbung aller in der Souverainetaͤt eigentlich begriffenen Rechte gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewiſſe Eigenſchaften und Volkommenheiten haben, welche dem andern abgehn; es kan maͤchtiger an Laͤndern, uneinge - ſchraͤnkter in der Regierungsform ꝛc. ſeyn. Aber dies ſind zufaͤllige Vorzuͤge, welche auf die weſentlichen Rech - te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm zwar bey innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſen mehr Anſehn und Achtung verſchaffen, auch wohl Gelegenheit geben, bey den uͤbrigen Voͤlkern mehrere Vorzuͤge zu erwerben, nur iſt es nicht berechtigt, ſolche deshalb zu fodern.
Der Vorrang oder der erſte und vorzuͤglichſte Platz im Gehen, Stehen, Sitzen ꝛc. bey Zuſammenkuͤnften, wird, nach der Einbildung der Menſchen, fuͤr einen der groͤſten Vorzuͤge geachtet. In ſofern man ihn als ein Recht anſieht, das gewiſſer zufaͤlliger Volkommen - heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird, kan ein Vorrang unter freien Voͤlkern, vermoͤge der vol - komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natuͤrlichen Grund - ſaͤtzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei - chen Vorrechte vor andern zu erhalten geſucht. Die Gele - genheiten hierzu aͤuſſern ſich entweder bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Beherſcher freier Staaten, alsN 4Repraͤ -200Von der urſpruͤnglichen GleichheitRepraͤſentanten des ganzen Volks, oder ihrer Bothſchaf - ter, d. i. Geſandten mit repraͤſentirenden Karacter, oder endlich bey ſchriftlichen Unterhandlungen und Vertraͤgen die im Namen mehrerer Nazionen abgefaſt werden.
Die Natur kent alſo kein Recht des Vorranges. Sie hat iedem Menſchen, iedem Volke gleiche Rechte zugeteilt und es iſt daher keine Verbindlichkeit vorhan - den, warum ein Volk dem andern, das ihm nichts zu befehlen hat, nachſtehn ſolte. Bey einer Zuſammen - kunft mehrerer iſt es freilich natuͤrlich, daß eine gewiſſe Ordnung beobachtet werden und eins das erſte ꝛc. ſeyn muͤſſe. Aus dieſem Grunde leiten auch einige Voͤlker - rechtslehrer a] die Rangordnung unter den Voͤlkern aus der Natur ſelbſt her. Aber iene Ordnung kan fuͤglich beſtehen und auf verſchiedene Art alſo eingerichtet wer - den, daß die natuͤrliche Gleichheit deshalb nicht aufgeho - ben, oder einem Volke ein Vorrecht eingeraͤumt werden darf. Durch wen, und nach welchem Maasſtabe von Vorzuͤgen ſolte auch dieſer Vorrang beſtimt werden? Allein nicht zufrieden mit der natuͤrlichen Gleichheit, nahmen die Nazionen, weil ſie bey der Natur die Befrie - digung ihrer Eitelkeit nicht fanden, zu mancherley zufaͤl - lig erworbenen Eigenſchaften b] ihre Zuflucht, und glaub - ten im Alter ihres Reichs, des angenommenen Chriſten - thums, in der Macht, Erhabenheit der Wuͤrde und dergleichen, Urſach genug zu finden, ſich uͤber andereN 5zu202Von der urſpruͤnglichen Gleichheitre zu erheben. Da aber dieſe auch nicht nachgeben wol - ten, ſondern gleiche Vorzuͤge verlangten, ſo muſten nothwendig tauſenderley Streitigkeiten entſtehen, welche die Unterhandlungen der Nazionen mit einander gar ſehr erſchwerten c]. Ich will die Gruͤnde, derer man ſich zu Behauptung des Vorranges gewoͤnlich bedient hat, kuͤrzlich anfuͤhren, und fuͤr dieienigen, welche eine weit - laͤuftigere Behandlung dieſer Gegenſtaͤnde wuͤnſchen, die Stellen der vorgenanten Hauptſchriftſteller in dieſem Fache anmerken, wo ſie deshalb Raths ſich erhohlen koͤnnen.
Einer der erſten Gruͤnde fuͤr den Vorrang der Nazio - nen wird von dem Alter der Unabhaͤngigkeit eines Volks hergenommen. Die meiſten und angeſehenſten Voͤlker - rechtslehrer, ein Grotius a] Ickſtadt, Vattel, Real, legen ihm eine entſcheidende Kraft bey und glauben, daßein204Von der urſpruͤnglichen Gleichheitein neuer Ankoͤmling den unterſten Platz einnehmen muͤſ - ſe, weil dieſer niemanden aus dem Beſitz der Ehre ver - draͤngen koͤnne, die er einmal genießt. Der lange Beſitz, ſagen ſie, legt den Fuͤrſten einen Glanz bey, der ſich auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche dieſe Ehre zu genieſſen erſt angefangen haben, und es iſt bil - lig, daß die Wuͤrde des Ranges denen vorbehalten wird, welche das Vorrecht deſſelben eher erlangt haben. Allein die Zeit kan an und vor ſich keine Ungleichheit des Vor - zugs und der Rechte bewuͤrken. Die vortreflichſte Sache kan von der geringſten in Anſehung der aͤltern Dauer uͤbertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte iſt der wuͤrkliche Beſitz der Souverainetaͤt hinlaͤnglich: Wie lange man ſolche beſitze, darauf komt es nicht an. Dies haͤngt blos vom Gluͤck und der guten Staatsverfaſſung ab.
Ueberdies wird dieſer Grund durch den ungewiſſen Urſprung der meiſten Reiche entkraͤftet. Faſt alle Na - zionen ſuchen, wie Privatperſonen, in dem Alter der Herkunft und des Adels eine beſondere Ehre. Sie gehn daher in ihrem Urſprunge ſo weit als moͤglich zuruͤck. Jedes Volk will das aͤlteſte ſeyn und ihre Geſchichtbuͤcher ſind uͤber dieſen Punct gewoͤnlich mit den fabelhafteſten Hiſtoͤrchen angefuͤllt. So fangen manche Hiſtoriker eini - ger europaͤiſchen Reiche ihre Geſchichte mehrere Jahrtau - ſende vor Chriſti Geburt, vom babiloniſchen Thurmbau oder gar von der Suͤndfluth an. Wer ſoll nun dieſe Nebel der Dunkelheit zerſtreuen und den erſten Urſprung der Reiche in ein ſolches Licht ſetzen, daß ihr Alter hin - laͤnglich eroͤrtert und der davon abhangende Rang mit Grunde beſtimmt werden koͤnte?
Indes haben Teutſchland, Frankreich, Daͤnemark, Schweden und andere Staaten dieſen Grund oͤfters fuͤr ſich angefuͤhrt; und noch 1742 verlangte Grosbritannien, des Alters halber, den Rang vor Preuſſen b].
Wenn205und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Wenn uͤbrigens ein gewiſſer Vorrang Statt finden muͤſte, und das Alter der Unabhaͤngigkeit einer ieden Nazion genau angegeben waͤre, ſo wuͤrde dieſes, der Billigkeit nach, freilich wohl den natuͤrlichſten Ent - ſcheidungsgrund an die Hand geben.
Bey Behauptung des Ranges unter den Voͤlkern wird ſich nicht ſelten auch auf das hohe Alter der regie - renden Familie bezogen. Es hat aber damit eben die Bewandnis wie mit dem Alter der Nazion. Dieſe zu - faͤllige Eigenſchaft und die Vorzuͤge des regierenden Hau - ſes uͤberhaupt koͤnnen einer Nazion kein vorzuͤglicheres Recht vor der andern geben.
Die haͤufigſte Gelegenheit zu Zuſammenkuͤnften der europaͤiſchen Nazionen waren ehemals die algemeinen Kirchenverſamlungen. Da hier das Wohl der geſamten Chriſtenheit in Erwaͤgung gezogen werden ſolte, ſo ſahen die Paͤpſte, welche nebſt dem Kaiſer das groͤſte Gewicht und vorzuͤglichſte Intereſſe dabey hatten, bey Anweiſung der Plaͤtze hauptſaͤchlich auf den mehrern oder mindern Antheil, den die Voͤlker an dem Beſten der chriſtlichen Kirche nahmen und auf ihre fruͤhere oder ſpaͤ - tere Bekehrung zur chriſtlichen Religion a]. Aber auſ - ſerdem, daß dies auch nur zufaͤllige Eigenſchaften ſind, lief hierbey, wie bey dem Urſprunge der Reiche, viel Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate ſolte ſchon Joſeph von Arimathias, in dem andern Petrus und Paulus die chriſtliche Religion gepredigt und einge - fuͤhrt haben. Es iſt daher leicht abzunehmen, wie unzu - verlaͤſſig und ſtreitig die Entſcheidung des Ranges daraus geweſen ſeyn muͤſſe. Ueberdies konte dieſe aus beſondrer Ruͤckſicht in ienen Verſamlungen beliebte Ordnung uͤber - haupt nicht fuͤglich auf andre Faͤlle angewandt werden, wiewohl die Nazionen ſie auch ſonſt haͤufig als Richt - ſchnur anzufuͤhren pflegten. Auf dieſe fruͤhere Bekehr - ung zum Chriſtenthum bezogen ſich ehemals hauptſaͤchlich Spanien, Frankreich und England.
Der groͤßere Umfang des Staats, die Mehrheit der Reiche und die ſtaͤrkere Anzal von Unterthanen, welche ein Souverain beherſcht, geben an und vor ſich ebenfals kein Recht des Vorrangs. Der Rieſe und der Zwerg ſind als Menſchen einander volkommen gleich, und der kleinſte freie Staat hat eben ſo viel Rechte als der groͤſte; denn dieſe flieſſen nicht aus der Macht, wie Fuͤrſtenerius lehrt, ſondern aus der Unabhaͤngigkeit, die, wenn ſie volkommen ſeyn ſoll, bey allen Nazionen gleich ſeyn muß. Allein der große und maͤchtige Staat, ſagen Ickſtadt a], Vattel b], Real c] und andere, kan in der Voͤlkergeſelſchaft eine weit anſehnlichere Rolle ſpielen und den Zweck derſelben, die gemeinſchaftliche Sicher - heit und Ruhe in einem weit ſtaͤrkern Grade befoͤrdern, als ein kleiner. Es iſt daher vernuͤnftig und billig, daß iener auch mehrere aͤuſſerliche Vorzuͤge genieße, und daß dieſer ihm bey Gelegenheiten weiche, wo einer nach - geben muß. Allein Billigkeit iſt noch kein Recht. In - des iſt der Unterſchied der groͤßern und kleinern Reiche freilich von ieher ſehr auffallend geweſen, und die Macht hat ohnſtreitig die erſte Gelegenheit gegeben, ſich einen Vorrang bey den uͤbrigen Nazionen, beſonders bey den Mindermaͤchtigen zu verſchaffen d]. Aus Furcht vor der Maͤchtigen Rache raͤumten ſie ihnen die verlangten Vor - rechte willig ein. Eine Verbindlichkeit dazu iſt iedoch nicht vorhanden. Eine Nazion, welche ihr Reich ſelbſt hinlaͤnglich zu beſchuͤtzen und zu vertheidigen im Stande iſt, folglich die uͤberwiegende Macht einer Groͤßern we - der fuͤrchten noch ſuchen darf, hat nicht Urſach, dieſem aus dem Grunde der Uebermacht irgend ein Vorrecht einzuraͤumen,
Auch208Von der urſpruͤnglichen GleichheitAuch die europaͤiſchen Staaten haben zu Behauptung des Vorranges am meiſten auf die Macht ſich geſtuͤtzt, und ſie war ein Hauptgrund, deſſen Peter I. von Ruß - land ſich bey Annehmung des kaiſerlichen Titels bedien - te, indem er zu erweiſen ſuchte, daß Rußland im Um - fange ſelbſt das roͤmiſch-teutſche Kaiſerthum uͤbertreffe.
Da aber die Macht eine ſehr zufaͤllige Sache iſt und leicht ſich vermindern kan; ſo entſteht die Frage, ob ein Volk mit der Abnahme der Macht auch einen geringern Platz einnehmen muͤſſe? Hier entſcheiden faſt alle Voͤl - kerrechtslehrer, wie billig, fuͤr den Beſitz des einmal erlangten Ranges.
Die monarchiſche Regierungsform wird, nach dem gemeinen Wahne, der republikaniſchen vorgezogen, weil bey iener der Glanz der Maieſtaͤt in einem Subiecte ver -einigt207[209]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.einigt weit heller in die Augen faͤlt, als wenn derſelbe unter mehrere verteilt iſt. Dieſer Glanz, glaubt man, muͤſſe den Monarchien vor den Republicken nothwendig mehr Achtung und einen hoͤhern Rang verſchaffen a], zumal da die Beherſcher der monarchiſchen Staaten per - ſoͤnlich zuſammenkommen, die Republicken hingegen nur durch Geſandte erſcheinen koͤnten, welche ienen ohnſtrei - tig nachſtehn muͤſten.
Nun iſt dieſer Vorzug zwar in der Natur keineswe - ges gegruͤndet, weil iede Regierungsform eines freien Volks gleichwohl die Unabhaͤngigkeit in ſich begreift, und wenn auch bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Mo - narchen die Gleichheit wegfaͤlt, ſolche doch unter allerſei - tigen Geſandſchaften fuͤglich Statt findet. Demunge - achtet hat das Herkommen allen gekroͤnten Haͤuptern, wenn ſie auch erſt neuerlich die koͤnigliche Wuͤrde ꝛc. wie z. B. Preuſſen erlangt haben, den Vorrang vor den Republicken zugeſtanden b].
Den Grund hiervon ſetzt Vattel c] in der Ueberlegen - heit der Monarchien Europens, die mehrenteils blos mit geringen Republicken zu thun gehabt, und daher zu ſtolz geweſen ſind, denſelben Gleichheit zuzugeſtehn. Eine Haupturſach liegt aber wohl auch in dem Aberglauben des Papſtthums. Die Monarchen lieſſen ſich gewoͤnlich vom Papſte oder doch der Geiſtlichkeit kroͤnen und ſalben. Dieſe mehr zu Erhaltung des paͤpſtlichen Anſehns, als zu Beſtaͤtigung der koͤniglichen Wuͤrde noͤthige Handlung gab den Monarchen bey dem aberglaͤubiſchen Haufen ein weit ehrwuͤrdigeres Anſehn und viel erhabnere Vorzuͤge, deren die Republicken ſich nicht theilhaftig machen konten.
Indes wollen die Republicken, indem ſie den gekroͤn - ten Haͤuptern weichen, dadurch nicht fuͤr geringer gehal - ten ſeyn, ſondern die Monarchien nur als die erſten un - ter Gleichen anſehn. Man hat auch einigen Republicken die ſogenanten koͤniglichen Ehrenbezeigungen, vermoͤgeOwel -208[210]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwelcher ihre Geſandten den koͤniglichen gleich behandelt werden, zugeſtanden.
Es fragt ſich uͤbrigens: welchen Rang ein Staat einnehmen muͤſſe, welcher aus der Monarchie in eine Republick und umgekehrt verwandelt worden iſt? Da die Regierungsform in Ruͤckſicht der aͤuſſern Verhaͤltniſſe einige Rechte weder geben noch nehmen kan, ſo wird er fuͤglich ſeinen alten Platz behaupten d]. Das that auch England, als es unter Cronwell eine Art von Repulick formirte e]. Doch duͤrfte heutzutage, bey dem durch das Herkommen einmal eingefuͤhrten Grundſatze, daß die Republicken den Monarchien weichen, vielleicht daruͤber Streit entſtehen. Ickſtadt glaubt daher auch, daß eine Republick, welche einen Monarchen bekomt, den uͤbri - gen Republicken nunmehr vorgehn muͤſſe f].
Warum ein Erbreich dem Wahlreiche vorgehn ſolte, ſehe ich keinen Grund. Gleichwohl ſcheint Real dieſer Meinung zu ſeyn, indem er, bey Gelegenheit des kaiſer - lichen Ranges aͤuſſert, daß der Kaiſer ein Wahlfuͤrſt ſey, welcher eigentlich ſchon aus dieſem einzigen Grunde mit einem Erbfuͤrſten von gleicher Wuͤrde keinen Rang - ſtreit haben ſolte.
Die mehr oder minder eingeſchraͤnkte Gewalt, wor - auf einige Nazionen und Schriftſteller ſich beziehen, und den Souverainen, welche damit begabt ſind, darum einen hoͤhern Rang anweiſen, weil ſie Gott am naͤchſten kom - men, giebt dem Regenten zwar ein groͤßeres Anſehn und mehrere Rechte gegen die Unterthanen; aber der Rang iſt nicht nach den Gerechtſamen des Regenten uͤber ſeinen Staat, ſondern nach den Verhaͤltniſſen gegen Auswaͤr - tige zu beurteilen.
Von gleichem Werth iſt der Grund des Vorranges, den man aus dem Anſehn der Staͤnde nimt, welche ein Regent beherſcht. Er diente hauptſaͤchlich um den Vor - rang des roͤmiſchen Kaiſers zu beſtaͤrken, weil die teut -ſchen209[211]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſchen Reichsſtaͤnde theils den koͤniglichen Titel fuͤhren, theils den Koͤnigen gleich geachtet werden, und iedes ſtaͤndiſche Gebiete einen eignen kleinen Staat ausmacht. Aber andere, beſonders Real, haben dagegen nicht ohne allen Grund erinnert, daß das Anſehn des Regenten vielmehr verringert werde, ie groͤßer die Macht ſeiner Staͤnde iſt g].
Die Natur kent dergleichen Unterſcheidungszeichen nicht. Es ſind leere Worte, deren Werth blos in der Einbildung der Menſchen beſteht und wodurch der gemeine Haufe ebenfals ſich blenden laͤßt. Indes hat das Her - kommen freilich verſchiedenen Ehrenwoͤrtern eine vorzuͤg - lichere Bedeutung beigelegt und gewiſſe hoͤhere Vorzuͤge damit verbunden. Doch haben ſolche auf die Unabhaͤng - igkeit und deren Rechte keine weitere Beziehung. So wenig man von der urſpruͤnglichen Gleichheit der Nazio - nen auf eine Gleichheit der Wuͤrde folgern darf, indem unter zweien an Unabhaͤngigkeit und Macht einander glei - chen Staaten, einer doch gar fuͤglich mit einer hoͤheren Wuͤrde bekleidet ſeyn kan, ſo lehrt auch die Erfahrung, daß die Ungleichheit der Rechte nicht allemahl eine Un - gleichheit der Wuͤrde nach ſich zieht, und daß ein halb - ſouverainer Regent zuweilen einen hoͤhern Titel fuͤhrt, als ein wuͤrklich ſouverainer Herr a]. Die Titel koͤnnen alſo nicht wohl den Rang freier Voͤlker beſtimmen b].
Das große Anſehn und die Macht, welche die roͤmi - ſchen Kaiſer in aͤltern Zeiten ſich erworben hatten, legten dem kaiſerlichen Titel den ſie in Europa allein fuͤhrten, einen ſolchen Glanz bey, daß man ihn fuͤr erhaben uͤber alle andere Wuͤrden hielt. Dieienigen Monarchen, wel - che den Kaiſertitel in der Folge fuͤhrten und annahmen, ſcheinen dies auch ſelbſt geglaubt zu haben c] und an dem tuͤrkiſchen und andern aſiatiſchen Hoͤfen hegt man noch heutzutage dieſe Meinung, daher verſchiedene europaͤiſche Koͤnige in Unterhandlungen mit denſelben, ſich den Titel: Kaiſer beilegen. Dieſes vermeintlichen Vorzugs wegen und aus dem irrigen Wahne eines Anſpruchs auf das roͤ - miſche Kaiſerthum ſuchten auch einige Koͤnige von Spa - nien im zwoͤlften Jahrhundert, ſich die kaiſerliche Wuͤrdemit211[213]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.mit Beihuͤlfe der Paͤpſte zu verſchaffen; doch ſtunden ſie bald wieder davon ab d]. Aus dem naͤmlichen Vorzugs - grunde geſchah es auch wahrſcheinlich, daß Peter I. von Rußland 1721 den Titel: Czaar mit dem Kaiſertitel vertauſchte. Allein obgleich die uͤbrigen europaͤiſchen Maͤchte dieſen Titel nach und nach anerkanten, ſo ward doch von den meiſten dabey bedungen, daß daraus kein weiterer Vorzug, oder Vorrang vor andern Koͤnigen gefol - gert werden ſolte e]
So iſts auch mit dem Vorrange der uͤbrigen Regen - ten beſchaffen, welche den Koͤniglichen, Herzoglichen, Fuͤrſtlichen und andere Titel fuͤhren. Obſchon Rouſſet in der mehrangefuͤhrte Introduction behauptet: On eſt convenu en général d’ une certaine préſéance entre ces diverſes ſortes de Souverains. Les Empereurs précédent les rois, les rois vont avant les princes; ceux-ci avant les Ducs, les Marquis ſuivent ceux-ci et précédent les Comtes, auxquels les Barons cedent le pas. Ainſi toute la difficulté conſiſte à decider du rang entre ceux du même ordre comme entre les Empereurs, entre les rois, entre les Princes etc.; ſo kan doch dieſe Klaſſification der Wuͤrden zum Range ganzer Voͤlker nichts thun und die in neuern Zeiten zu behaupten angefangene Gleichheit unter den Nazionen, ohne Ruͤckſicht auf Wuͤrde oder Titel, iſt der Natur ohnſtreitig viel angemeſſener.
Die Vielheit der Titel, worinn verſchiedene Souve - rains einen Vorzug ſuchen, giebt auch keine mehrere Rechte: ein Souverain iſt nicht minder ſouverain, wenn er nur einen Titel fuͤhrt, als wenn er deren eine ganze Seite voll ſeinem Namen nachzuſetzen vermag. Dies gab Franz I. Koͤnig von Frankreich ſehr wohl zu verſtehn, als er in einer Antwort an Kaiſer Karl V. als Koͤnig von Spanien, der in einem Schreiben alle Titel ſeiner Rei - che und Provinzen beigefuͤgt hatte, ſich blos Koͤnig vonO 3Frank -212[214]Von der urſpruͤnglichen GleichheitFrankreich und Herr von Goneſſe [ein geringes Dorf in der Gegend von Paris] nante.
Den Vorrang der Nazionen auf ihre Heldenthaten und andere ruͤhmliche Handlungen zu bauen iſt eine ſehr mißliche Sache. Die Geſchichtbuͤcher der meiſten Voͤlker haben dergleichen aufzuweiſen; und wer ſoll uͤber den vor - zuͤglichern Werth derſelben urteilen und entſcheiden? Ehe - mals, als man auf den Ausſpruch der Paͤpſte noch eini - ge Ruͤckſicht nahm, konten die Verdienſte um die Kirche und den paͤpſtlichen Stuhl allenfals wohl einigen Vorzug bewuͤrken.
Daß die Verbindung mit andern angeſehenen und maͤchtigen Nazionen durch Blutfreundſchaft oder Buͤnd - niſſe weiter kein Vorrangsrecht geben koͤnne, wie einige gleichwohl behaupten a], bedarf, glaube ich, keines weit - laͤuftigen Beweiſes.
Weit ſcheinbarer aber iſt die Meinung, daß ein Volk welches mit andern in ungleichen Verbindungen ſteht,O 4dem -214[216]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitdemienigen nachgehn muͤſſe, dem die Ungleichheit zum Vorteil gereicht b]. Der Vaſall ſoll alſo ſeinen lehns - herrn, der Schutzverwandte ſeinem Schutzherrn und der zinſende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im Kriege dazu iſt gemacht worden, dem Zinsherrn wei - chen c]. Es iſt allerdings nicht zu laͤugnen, daß der Vaſall in Anſehung ſeines Lehns in gewiſſen Stuͤcken nicht ganz ſo freie Haͤnde hat, als ein Regent, deſſen Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden Schutzes und Zahlung des Zinſes ein Geſtaͤndnis von Schwaͤche ſind. Da aber alle dieſe Verbindungen, wie oben gezeigt worden, der Unabhaͤngigkeit nicht nachthei - lig ſind und im uͤbrigen die Gleichheit der Rechte nicht aufheben, ſo folgt die Einraͤumung des Vorranges daraus keinesweges unmittelbar. Sie koͤnnen nicht weiter er - ſtreckt werden, als die deshalb errichteten Vertraͤge aus - druͤcklich es erlauben.
Der natuͤrlichſte und triftigſte Grund des Vorzugs wird wohl von der Unabhaͤngigkeit eines Staats herge - nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen Staate, welcher die voͤllige Souverainetaͤt beſitzt, vor den ſogenanten Halbſouverainen eingeraͤumt, die auſer Gott und dem Degen noch ein wuͤrkliches Oberhaupt ha - ben. Doch iſt auch dieſe Regel nicht ohne Ausnahme, und die volkomne Unabhaͤngigkeit giebt nicht allemal einenuntruͤg -215[217]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.untruͤglichen Beweis des Vorranges. Es koͤnnen, wie die Erfahrung lehrt, auch halbſouveraine Staaten ſich durch Vertraͤge und Herkommen einen Rang vor den ganz ſouverainen erwerben, wie dies der Fall in Anſeh - ung der Kurfuͤrſten des teutſchen Reichs und der Repu - bliken in Europa iſt.
Alle vorgedachten zufaͤlligen Eigenſchaften der Nazio - nen geben, wie gedacht, zwar Gelegenheit vor andern einen Vorrang zu behaupten, aber kein Recht: was blos billig und ſchicklich iſt, — Gruͤnde deren man ſich ſehr haͤufig in dieſer Materie bedient — gehoͤren nicht in das Voͤlkerrecht. Ueberhaupt laufen dieſe ver - meintlichen Gruͤnde ſo oft gegeneinander, daß darauf ohnmoͤglich zuverlaͤſſige Regeln gebaut werden koͤnnen. Bald ſoll die Regierungsform entſcheiden, bald, wenn dieſe geaͤndert wird, der Beſitz, oder die Macht, und ieder Staat hat doch immer wenigſtens eine dieſer Eigen - ſchaften aufzuweiſen. Es muͤſten ſolche alſo zufoͤrderſt gehoͤrig und mit Einverſtaͤndnis der Nazionen klaſſificirt werden, weil die Natur keine Regeln dazu an die Hand giebt. Das einzige rechtmaͤſſige Mittel ſich den Rang zu verſichern ſind ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende Ver - traͤge, wodurch alle Streitigkeiten, die aus ienen Gruͤn - den nothwendig entſtehen muͤſſen, aufgehoben werden. Einige europaͤiſche Nazionen haben, wie man in der Folge ſchen wird, dergleichen Vertraͤge unter ſich errich - tet; aber die Anzahl derſelben iſt noch zur Zeit ſehr gerin - ge. Die uͤbrigen ſuchen dermalen bey Anmaſſung des Ranges hauptſaͤchlich ſtilſchweigende Vertraͤge und den Beſitz zu erweiſen.
Der Exiſtenz ſtilſchweigender Vertraͤge iſt ſchon in der Einleitung einige Erwaͤhnung geſchehen, und ſie ſoll bey der Materie von Vertraͤgen noch einleuchtender gezeigt werden. Auf dieſe komt bey dem Range das meiſte an. Die ſtilſchweigende Einwilligung muß hierbey iedoch, wie in allen Faͤllen deutlich und keiner andern Auslegung un - terworfen ſeyn. Wenn z. B. ein Regent, welcher weiß und ſieht, daß ein anderer von Natur ihm Gleicher einen Vorrang uͤber ihn ſucht und einnimmt, dazu ſtilſchweigt, und ſeine Rechte der Gleichheit durch nichts ſicherſtellt, welches er doch thun konte und ſolte, iſt da wohl an deſſen Einwilligung zu zweifeln? Ein durch Gewalt oder Liſt — deren man ſich hierbey zu bedienen ehemals kein Beden - ken trug a] — erlangter Beſitz hingegen kan keinesweges ein Recht hervorbringen.
Die meiſten europaͤiſchen Nazionen haben den Beſitz auch als den Hauptgrund des Vorranges angeſehn. Die franzoͤſiſchen Geſandten gaben auf dem Niemwegiſchen Friedenskongreß den uͤbrigen zu erkennen, daß es bey dem Ceremoniel nicht auf Raiſon, Macht und Wuͤrde, ſondern einig und allein auf den Beſitz ankomme, und die ſchwediſche Mediateurs aͤuſſerten beim Ryßwikiſchen Frieden ein Gleiches b].
Der heutige Beſitz des Ranges unter den Maͤchten in Europa ſchreibt ſich groſſenteils noch von den ehemaligen Kirchenverſamlungen her. Der daſelbſt, nach den Ver - dienſten um die Kirche und dem Erkentnis des Papſtes, genommene Sitz ward ſehr oft auch bey andern Gelegen - heiten beobachtet, woraus durch mehrmalige Wiederho - lung nach und nach ein Beſitzrecht entſtand.
Der Beſitz iſt auch, obgedachtermaſſen, der einzige rechtmaͤſſige Entſcheidungsgrund bey dem Range einesStaats,217[219]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Staats, deſſen Regierungsform geaͤndert, ſo wie auch desienigen, der durch einen Regenten von niedrigerm Range beſiegt worden iſt c].
Freilich wird der Beſitz von andern Nazionen zuweiln angefochten, fuͤr gewaltſam oder durch Liſt erlangt aus - gegeben und veranlaßt mancherley Streitigkeiten. Rouſ - ſet ſagt daher in der Introduction zu ſeinen Memoires ſur le rang des ſouverains ſehr richtig: L’ usage ſeul y a pour - vu, mais chacun d’ eux respectivement fait difficulté dans l’ occaſion de ſe ſoumettre à ſa déciſion, ce qui fait naitre des embarras et des difficultés ſouvent inſur - montables.
Da die Nazionen keinen Obern erkennen, der den Rang unter ihnen beſtimmen koͤnte, es auch an algemei - nen Vertraͤgen und unbezweifeltem Herkommen hierunter noch gar ſehr fehlt; ſo iſt leicht abzunehmen, daß es keine entſchiedene Rangordnung unter den Staaten in Euro - pa gebe, wornach ſie ſaͤmtlich ſich zu richten verbunden waͤren. Jedoch haben verſchiedene Paͤpſte ehemals der - gleichen Rangordnungen aufgeſetzt und mehrmalen abge - aͤndert. Dieienige, welche Julius II. durch ſeinen Ce - remonienmeiſter Paris de Craßis 1504 bekant machen ließ,iſt219[221]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.iſt die vorzuͤglichſte. Nach dieſer folgen die europaͤiſchen Nazionen alſo auf einander:
Hierzu kommen nachher ferner:
Allein nicht zu gedenken, daß dieſe Rangordnungen mehrenteils ſehr unvollkommen waren, ſo konten ſie ſich eigentlich nicht weiter, als auf die paͤpſtliche Kapel - le erſtrecken. Sie wurde auch von ſaͤmtlichen europaͤi -ſchen220[222]Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſchen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verſchie - dene derſelben, zu deren Vorteil ſie entſchieden, bey an - dern vorkommenden Gelegenheiten ſolche als eine Grund - regel wolten angeſehn wiſſen. Heutzutage aber kommen ſie in keine Betrachtung mehr a].
Der Rang der Staaten in Europa iſt daher noch groͤſtenteils unentſchieden. Nachdem ich in den vorher - gehenden §. §. die algemeinen Gruͤnde des Vorranges angefuͤhrt habe, will ich nun die einzelnen europaͤiſchen Staaten, hauptſaͤchlich nach Ordnung ihrer geographi - ſchen Lage durchgehen und ihre vornehmſten Anſpruͤche auf Vorrang oder Gleichheit nebſt den beſondern Gruͤn - den und daruͤber entſtandenen Streitigkeiten kuͤrzlich bemerken.
Ich hatte es faſt fuͤr unnoͤthig mit Paradiſi und Rouſſet b] hierbey ausdruͤcklich zu erinnern, daß ich keinesweges die Abſicht habe, irgend einer Nazion zum Vorteil oder Nachtheil zu ſchreiben, ſondern blos die gegenſeitigen Gruͤnde und Handlungen hiſtoriſch anzufuͤh - ren. Solte ein Privatſchriftſteller auch wuͤrklich aus Partheilichkeit dieſer oder iener Nazion das Wort reden, ſo glaube ich, daß die uͤbrigen Staaten nicht Urſach ha - ben, ſich daruͤber zu entruͤſten b], weil die Urteile und Meinungen der Privatſchriftſteller ihren Rechten ganz und gar nichts vergeben oder ſie dadurch zu etwas ver - binden koͤnnen.
Ich ſetze dieſen geiſtlichen Monarchen, der als Bi - ſchof ehemals gaͤnzlich vom Kaiſer und deſſen Beſtaͤtig - ung abhing, nach und nach aber alle Koͤnige und Fuͤrſten ſich unterwarf, und beſonders ſeit Gregor VII. Zeiten beinah unumſchraͤnkt beherſchte, billig zuerſt, weil er, als vermeintlicher Statthalter Chriſti und Haupt der Chriſtenheit nicht nur in aͤltern Zeiten den Rang vor allen chriſtlichen Nazionen behauptete, ſondern ihm ſol - cher auch noch heutzutage, wenigſtens von allen catho - liſchen Maͤchten, zugeſtanden wird. Dieſer Vorrang, ſagt Real, hat weiter keine Folgen. Die Haͤupter allerReli -222[224]Von der urſpruͤnglichen GleichheitReligionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi - ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli - chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.
Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel nach, den Rang ebenfals zu a]. Joſeph II. erwieß auch dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe - zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer - liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier - lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen b].
Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark, Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni - ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach - gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann die vereinigten Niederlande folgen wollen.
Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.
Nach dem im vorigen Kapitel geſchilderten Anſehn des Kaiſers in aͤltern und mitlern Zeiten faͤlt von ſelbſt in die Augen, daß er, als weltliches Haupt der Chri - ſtenheit und oberſter Voigt derſelben den naͤchſten Platz nach dem Papſt eingenommen habe. Dieſen hat er auch, obgleich die uͤbrigen Vorzuͤge des Mittelalters groͤſtenteils weggefallen, bis itzt behauptet; und der Beſitz von meh - reren Jahrhunderten ſtelt dieſen Rang auch gegen alle Widerſpruͤche ſicher a]. Jedoch wollen die europaͤiſchen Maͤchte dadurch keine Ungleichheit zugeben, ſondern ſehen den Kaiſer nur gleichſam als den aͤlteſten Bruder, oder den erſten unter Gleichen an b].
Die tuͤrkiſchen Kaiſer erregten ehemals gegen den Vorrang des roͤmiſchen Kaiſers mancherley Streitigkei - ten. Endlich verglichen beide Theile ſich einer voͤlligen Gleichheit c].
Der roͤmiſche Koͤnig verlangt zwar den Rang unmit - telbar nach dem Kaiſer uͤber alle andere wuͤrklich regieren - de Koͤnige, aber dieſe, und beſonders Frankreich, wider - ſetzen ſich den desfalſigen Anmaſſungen moͤglichſt. Die meiſten franzoͤſiſchen Schriftſteller reden von dieſem an - geblichen Range in einem ſehr ſpoͤttiſchen Tone. Real a] ſagt, es ſey ſonderbar, daß ein Titularkoͤnig, ein Wahl - koͤnig, den der Kaiſer nur Ew. Lbden nenne, und der von einem Reichsfuͤrſten nicht unterſchieden ſey, einen ſolchen Vorrang verlange; der als Koͤnig weder ein Koͤnigreich, noch Unterthanen, noch Einkuͤnfte, noch Anſehn, noch Macht habe; der nur in Abweſenheit des Kaiſers Stelle vertrete, und deſſen Titel keinen andern Vorzug, als das Anwartſchaftsrecht auf die ſchwache Wuͤrde des Oberhaupts einer Republick erweiſe. Wen muͤſſe es nicht befremden, einem ſolchen Koͤnig den Vor - zug vor andern Koͤnigen zuzuſchreiben, welche maͤchtige Monarchien, Erbkoͤnigreiche, von denen einige faſt ſo alt als das Chriſtenthum ſind, beherſchen?
Kaͤme es hierbey auf Gruͤnde vorerwaͤhnter Art an, ſo ließen ſich iene Einwuͤrfe leicht beantworten. Der roͤmiſche Koͤnig iſt keinesweges als ein bloßer Titular - koͤnig oder gewoͤhnlicher Thronfolger und Erbprinz in andern Reichen zu betrachten b]. Denn nach den teut - ſchen Reichsgrundgeſetzen c] ſoll kein roͤmiſcher Koͤnig bey Lebzeiten des Kaiſers erwaͤhlt werden, es waͤre denn, daß der Kaiſer ſich aus dem roͤmiſchen Reiche begebenund227und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.und beſtaͤndig oder alzulang aufhalten wolte, oder der - ſelbe, wegen ſeines hohen Alters oder beharrlicher Unpaͤß - lichkeit, der Regierung nicht mehr vorſtehen koͤnte, oder ſonſten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die - ſen Faͤllen aber vertrit er mehr die Stelle des wuͤrklichen Regenten, ob er gleich ohne ausdruͤcklichen Auftrag und Einwilligung des lebenden Kaiſers ſich keiner Regier - ung unterziehn darf d]. Die uͤbrigen Vorwuͤrfe treffen den roͤmiſchen Kaiſer zugleich mit, wider deſſen Vorrang man gleichwohl nichts einzuwenden vermag.
Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem paͤpſtli - chen Ceremonielbuche zur Entſcheidung fuͤr den roͤmiſchen Koͤnig hernimt, iſt freilich ſehr ſeichte; und Selchov fragt billig, wer den Papſt zum Oberceremonienmeiſter unter den chriſtlichen Fuͤrſten gemacht habe? Aber eben ſo wenig iſt deſſen Rang, wie Selchov glaubt, durch den Beſitz entſchieden f]. Die Faͤlle, welche man des - halb anzufuͤhren pflegt, ſind ſo unbezweifelt nicht. Daß z. B. der roͤmiſche Koͤnig Joſeph I. 1703 am kaiſerlichen Hofe den Rang uͤber ſeinen Bruder Koͤnig Karl III. von Spanien genommen, duͤrfte, wie Moſer ſehr richtig erinnert, von andern Maͤchten allerdings blos fuͤr eine Familienſache angeſehn werden. Es fehlt auch an Bei - ſpielen nicht, welche die uͤbrigen europaͤiſchen Koͤnige fuͤr ſich entgegenſetzen. Der Rang des roͤmiſchen Koͤnigs iſt alſo wohl fuͤr noch unentſchieden anzuſehn.
Hat mit dem roͤmiſchen Koͤnig, Frankreich, Gros - britannien, Polen und andern Reichen ehedem mehrmals, beſonders auf den Kirchenverſamlungen, Rangſtreitigkei - ten gehabt und keinem nachgehn wollen. Die Schrift - ſteller fuͤhren, auſſer der ſonſtigen Weitlaͤuftigkeit des Reichs, noch zween ſehr wichtige Gruͤnde an, weil naͤm - lich Alfonſus I. auf Chriſti Befehl die Krone angenom - men habe, und dieſer daher fuͤr den Stifter des Reichs anzuſehen ſey, und weil Portugal an der Jungfer, un - ter welcher man Europa gewoͤnlich vorſtelt, die Stirn einnehme.
Mit den Geſandten des roͤmiſchen Koͤnigs Ferdi - nands wolten die portugieſiſchen auf der Kirchenverſam - lung zu Trident alterniren. Da iene aber, weil ſie das paͤpſtliche Ceremonielbuch fuͤr ſich hatten, nicht wichen, ſetzten dieſe ſich auf die geiſtliche Bank zu den Biſchoͤfen und geiſtlichen Kurfuͤrſten, die Geſandten Ferdinands aber blieben auf der weltlichen Bank ſitzen.
Frank -229und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Frankreich will, auſſer dem teutſchen Reiche, kei - nem, alſo auch Portugal nicht weichen.
Der heftigſte Streit war mit England. Portugal fuͤhrte die Rangordnung Papſt Julius II. von 1504 fuͤr ſich an. England aber ſetzte das Alter der koͤniglichen Wuͤrde, ſeine Herſchaft uͤber drei Koͤnigreiche, die ruͤhm - lichen Thaten der Nazion und das groͤßere Anſehn derſel - ben bey den uͤbrigen Maͤchten in Europa dagegen. Als Portugal 1763 dem Pariſer Frieden zwiſchen Frankreich und Grosbritannien beitrat, wurde in den Beitritsur - kunden unter dieſen drey Kronen zwar gewechſelt, doch muſte Portugal unterm 10ten Februar eine beſondere Erklaͤrung ausſtellen a], daß es dieſe Abwechſelung blos fuͤr eine Nachgiebigkeit Grosbritanniens und Frankreichs zu Beſchleunigung des Friedens erkenne, und ſolche gegen dieſe kuͤnftig zu keinem Beiſpiele anfuͤhren, noch unter einigerley Vorwand irgend einen Anſpruch daraus herlei - ten wolle.
Der Krone Spanien ſoll Portugal, dem Verneh - men nach, den Rang willig zugeſtehn b].
Mit Pohlen hatte es ehedem ſelten Gelegenheit zu Rangſtreitigkeiten. Den Vorfall zwiſchen den beiderſei - tigen Geſandten in der Kirche habe ich ſchon oben beruͤhrt. Auf der Tridentiniſchen Kirchenverſamlung wurden die pohlniſchen Anmaſſungen durch den Papſt zum Vorteil Portugals entſchieden.
Dieſes Reich verlangte ehemals den Rang vor allen chriſtlichen Nazionen. Beſonders hatte es mit Frank - reich unaufhoͤrliche Rangſtreitigkeiten. Spanien gruͤnde - te ſich zwar, beſonders unter Kaiſer Karl V. auf die Groͤße der Monarchie und die Vielheit der Koͤnigreiche, die ſo weitlaͤuftig waͤren, daß auch die Sonne nie dar - inn unterginge; auf den von Papſt Alexander VI. dem Koͤnige Ferdinand I. und ſeinen Nachfolgern ertheilten Titel eines catholiſchen Koͤnigs; auf Kaiſer Maxi - milians, als Haupt der Chriſtenheit, Entſcheidung zu Spaniens Vorteil und auf den Beſitz zu der Koͤnige Karl I. und Philip II. Zeiten. Allein Frankreich wolte dieſe Gruͤnde nicht gelten laſſen und es kam daher zwi - ſchen den beiderſeitigen Geſandten mehrmalen zu blutigen Auftritten, weil ieder den Rang mit Gewalt zu behaup - ten ſuchte.
Als in der Folge die Kron Spanien in Philip V. an einen Prinzen aus dem Hauſe Burbon gelangte, ſuch - ten beide Theile alle Rangſtreitigkeiten moͤglichſt zu ver - meiden. So nahm z. B. 1726 der franzoͤſiſche Bot - ſchafter in Wien an eben dem Tage ſeine Abſchieds-Au - dienz, als der Spaniſche ſeinen Einzug hielt, und 1742 auf dem Wahltage zu Frankfurt reißte der ſpaniſche Ge - ſandte, um den Rangſtreitigkeiten mit dem franzoͤſiſchen bey den Kroͤnungsfeierlichkeiten auszuweichen, unter einem ſchicklichen Vorwande weg a]. Im Jahr 1761 erfolgte endlich der in folgendem §. zu erwaͤhnende Ver - gleich.
Einige franzoͤſiſche Privatſchriftſteller z. B. Aubery Sorel ꝛc. wollen den Koͤnigen von Frankreich ſogar den Rang vor dem roͤmiſch-teutſchen Kaiſern beilegen; aber die Koͤnige ſelbſt haben dergleichen Anſpruͤche wohl nie gemacht, ſondern laſſen dem Kaiſer, als erſten unter Gleichen, willig den Vorrang, verlangen iedoch im uͤbrigen durchaus gleiches Ceremoniel, und haben es auch an den meiſten Hoͤfen dahin zu bringen gewuſt. So er - hielt unter andern 1682 der franzoͤſiſche Geſandte bey der Pforte auch den ſonſt dem roͤmiſchen kaiſerlichen allein geſtatteten Vorrang, daß man ihm bey der Audienz einen etwas erhoͤhten Sitz zugeſtand a].
Nach dem Kaiſer aber verlangt Frankreich unmittel - bar den Rang vor allen chriſtlichen Maͤchten in Europa und dieſer ſoll ihm, nach Reals Meinung b] darum ge - buͤhren, weil der Koͤnig von Frankreich alle bey den uͤbri - gen Staaten nur einzeln anzutreffende Vorzuͤge in ſich vereinige. Er ſieht den franzoͤſiſchen Vorrang daher auch als entſchieden an. Ob dieſer nun gleich ſo ganz ausgemacht noch nicht iſt, ſo hat doch Frankreich bey allen Gelegenheiten, beſonders auch auf dem Niemwegi -P 4ſchen232Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſchen und Ryßwickſchen Friedenskongreſſen einige Vorzuͤge zu erhalten geſucht, und in manchen Stuͤcken auch wuͤrk - lich erlangt.
Die heftigſten Widerſpruͤche wurden dieſer Krone, wie im vorhergehenden §. gedacht, von Spanien erregt, denen aber Frankreich nebſt dem Alter der Monarchie, Papſt Julius II. Rangordnung und die von den Paͤpſten erhaltenen Titel eines erſtgebohrnen Sohnes der Kirche und des allerchriſtlichſten entgegenſetzte. Den angeblichen ſpaniſchen Beſitz unter Kaiſer Karl V. ſuchte es durch das Vorgeben zu zernichten, daß den Geſandten nicht in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs Spanien, ſondern der kaiſerlichen Wuͤrde der Vorrang eingeſtanden worden ſey, und dieſes, nach deren Wegfall aufgehoͤrt habe. Man bezog ſich vielmehr ſelbſt auf den Beſitz von undenk - lichen Jahren, beſonders auf den Kirchenverſamlungen; wogegen aber Spanien wiederum manches erinnerte. Da kein Theil nachgeben wolte, ſo kam es zwiſchen den Geſandten oͤfters zu Streitigkeiten, beſonders 1555 zu Venedig, 1558 zu Rom, 1563 und 64 zu Trident, 1657 zu Frankfurt, 1663 zu Koppenhagen c].
Am merkwuͤrdigſten iſt der oben ſchon erwaͤhnte Vor - fall zu London 1661 beim Einzuge des ſchwediſchen Ge - ſandten Grafen von Brahe. Frankreich fand ſich dadurch aͤuſſerſt beleidigt und der Koͤnig von Spanien ſah ſich ge - noͤthigt, um unangenehmern Folgen vorzubeugen, durch einen auſſerordentlichen Geſandten, den Marqvis de la Fuente eine oͤffentliche Erklaͤrung deshalb am franzoͤſiſchen Hofe zu thun. Sie wurde anfangs ſchriftlich verlangt, man begnuͤgte ſich aber nachher mit der muͤndlichen. Der Marqvis de la Fuente muſte ſolche am 24. Maͤrz 1662 in Gegenwart vieler franzoͤſiſchen Prinzen vom Ge - bluͤte und des ganzen Corps Diplomatique ablegen und der Koͤnig von Frankreich ließ ſie durch Notarien auf - zeichnen. Der Hauptinhalt ging dahin; que le roi d’ Eſpagne233und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Eſpagne avoit envoyé ſes ordres à tous ſes Ambaßadeurs et Miniſtres tant en Angleterre comme en toutes Cours et lieux où reſident et reſideront les dits Miniſtres et où ſe pourront préſenter de pareilles difficultés pour raiſon de competence àfin qu’ils abſtiennent et ne concourent point avec les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. en toutes les fonctions et cérémonies publiques auxquelles les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. aſſisteront. Ob nun dieſe Erklaͤrung gleich, den Worten nach, blos ſo viel ſagen wolte, daß die ſpaniſchen Miniſter kuͤnftig die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vermeiden ſolten, ſo nahm ſie der Koͤnig von Frankreich doch fuͤr ein deutliches Geſtaͤndnis des franzoͤſiſchen Vorrangs an und ſagte zu den Anweſenden: Vous avez ouï la déclaration que l’ Ambaßadeur d’ Espagne m’ a faite: je vous prie de l’ ecrire à vos maitres, afin qu’ils ſachent que le roi ca - tholique a donné ordre à tous ſes Ambaßadeurs de ceder le rang aux miens en toutes occaſions d].
Daß dies aber die Meinung des Spaniſchen Hofes nicht geweſen ſey, zeigte die Folge klar, indem er ſich, bey vorkommenden Gelegenheiten, dem franzoͤſiſchen Vorrange nach wie vor widerſetzte.
Endlich verglichen ſich beide Hoͤfe in dem Familien - vertrage von 1761 Art. 27. dahin: An den Familienhoͤ - fen, dergleichen gegenwaͤrtig Neapel und Parma ſind, ſoll unter den Miniſtern von gleichem Range der des aͤlteſten Monarchen vom Hauſe in allen Ceremonielange - legenheiten den Vorrang haben, und dieſes Recht als ein Vorzug der Geburt angeſehn werden. An allen uͤbri - gen Hoͤfen aber ſoll der zuletztangekommene Miniſter, [er ſey von Frankreich oder Spanien] oder derienige, welcher ſich noch nicht ſo lange an dem Hofe aufhaͤlt, dem Miniſter der andern Nazion von gleichem Range, der eher angekommen und laͤnger daſelbſt iſt, weichen; dergeſtalt, daß kuͤnftig eine beſtaͤndige bruͤderliche Ab -P 5wech -234Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwechſelung Statt finde. An dieſer Einrichtung aber kan keine andre Macht weiter Theil nehmen, und der Ver - trag hoͤrt auf, wenn eins von beiden Reichen nicht mehr von der burboniſchen Familie beherſcht werden ſolte. In dieſem Falle leben alle dermalige Rechte und Anſpruͤche wieder auf. Kommen zufaͤlligerweiſe beide Miniſters zu gleicher Zeit an, ſo ſollen auch auſſer den Familienhoͤ - fen die aͤltern Regenten den iuͤngern vorgezogen werden.
Auch Grosbritannien hat den Anmaßungen des franzoͤſiſchen Vorranges mehrmalen widerſprochen, ob Frankreich ſchon den erlangten Beſitz vorwandte, und hauptſaͤchlich auf die perſoͤnliche Zuſammenkunft der Koͤ - nige Karl IV. von Frankreich und Richard II. von Eng - land 1559 zwiſchen Calais und Andres. Bey den Ehe - pacten aber zwiſchen dem Prinzen Karl I. von Wallis und der franzoͤſiſchen Prinzeſſin France Henriette Marie kam man uͤberein, daß in den engliſchen an Frankreich abzuge - benden Urkunden, der Name und Titel des Prinzen von Wallis und in den franzoͤſiſchen Exemplarien fuͤr Eng - land, Frankreich vorgeſetzt werden ſolte. Dieſer Abwech - ſelung ſoll man ſich auch nachher iederzeit bedient haben.
In Tractaten mit Portugal, verſichert Real, wer - de der allerchriſtlichſte Koͤnig iederzeit zuerſt genant. Widerſpraͤchen die Portugieſen auch ſchon immer dabey, ſo wolte doch ein Widerſpruch gegen eine freiwillige Handlung nichts ſagen e].
Was die Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen anbe - trift, ſo ward bey Gelegenheit der Allianz zwiſchen der Kaiſerin-Koͤnigin und Frankreich 1756, wo im dritten Artickel die Kaiſerin-Koͤnigin, im vierten aber Frankreich genant waren, in einem Separatartickel feſtgeſetzt, daß die Ordnung des 3. und 4. Artickels der ſonſt zwiſchen beiden Maͤchten beliebten Alternative nicht praͤiudiciren ſolte f].
a]235und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Daß Grosbritannien der Kron Frankreich den Rang ſtreitig gemacht habe iſt im vorhergehenden §. gedacht wor - den. Mit noch mehrerem Grunde glaubte es den Rang vor Spanien verlangen zu koͤnnen. Das hohe Alter des Reichs und der angenommenen chriſtlichen Religion, verſchiedene paͤpſtliche Entſcheidungen und der Beſitz auf einigen Kirchenverſamlungen ſolten dieſen Vorzug begruͤn - den; aber Spanien ſetzte die Macht, die vielen Titel, die uneingeſchraͤnktere Regierungsform und Englands ehemalige Abhaͤngigkeit vom paͤpſtlichen Stuhle entgegen, und ſuchte dieſe Gegengruͤnde beſonders unter Ferdinanddem237und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.dem Catholiſchen und Kaiſer Karl V. geltend zu machen. England wolte damals zwar Karls V. Geſandten nach - gehn, aber nicht in Anſehung Spaniens, ſondern der kaiſerlichen Wuͤrde. Am heftigſten ward auf dem Kon - greſſe zu Boulogne unter franzoͤſiſcher Vermittelung, uͤber den Vorrang geſtritten. Beyde Theile ſuchten alle Gruͤnde hervor; da aber, aller guͤtlichen Vorſchlaͤge un - geachtet, keiner nachgeben wolte, ſo ward der ganze Kongreß zerriſſen und die Sache blieb unentſchieden.
In der paͤpſtlichen Rangordnung ſteht es gleich nach England. Da es ehemals meiſt mit andern Koͤnigrei - chen verbunden geweſen, ſo ſind die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten, ſelten vorgekommen. Seit ſeiner neuen Darſtellung als ein beſonderes Koͤnigreich unter eignen Regenten wird der Koͤnig die Gleichheit mit an - dern ohnſtreitig zu beobachten ſuchen.
Bey dem Koͤnige von Sardinien muß man billig den Rang unterſcheiden, der ihm in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs Sardinien und den, welcher ihm als Herzog von Savo -yen238Von der urſpruͤnglichen Gleichheityen gebuͤhrt. Rouſſets Behauptung iſt daher nicht ganz richtig, wenn er ſagt, daß aller ehemaliger Streit dieſes Hauſes entſchieden ſey, nachdem es 1720 das Koͤnigreich Sardinien erlangt habe. Beide Eigenſchaften ſind zwar in der Perſon des Koͤnigs vereinigt, ſo daß ſich die Ver - ſchiedenheit nicht bey allen Handlungen genau beſtimmen laͤßt, doch ſind auch Faͤlle moͤglich, wo beſonders deſſen Geſandte blos als herzoglich ſavoyſche betrachtet werden muͤſſen z. B. auf den teutſchen Reichstagen ꝛc. Hier iſt die Rede blos von dem Koͤnigreich Sardinien.
Rouſſet glaubt, daß es als ein neues Koͤnigreich vor keiner Krone den Rang verlangen koͤnne, weil die regie - rende Familie ehemals nur den koͤniglichen Titel in gewiſ - ſem Betracht gefuͤhrt hatte. Einen Vorrang vor andern Koͤnigen zu behaupten wird Sardinien ſelbſt ſich wohl nicht beigehn laſſen, die Gleichheit mit ihnen kan man demſelben aber mit Recht ſchwerlich abſprechen.
Als Sardinien indes 1748 dem Aachner Frieden bei - trat, ward in den Acceſſions - und Acceptationsurkunden mit der Kaiſerin-Koͤnigin in Ungarn und Boͤhmen zwar gewechſelt, weil dies aber zwiſchen den uͤbrigen Maͤchten, naͤmlich Frankreich, Grosbritannien und Spa - nien in Ruͤckſicht Sardiniens nicht war beobachtet wor - den; ſo traten die Kaiſerlich-Koͤniglichen Miniſter nach - her unterm 6. December mit einer Declaration und Ver - wahrung hervor, daß dieſe ihre Alternation mit Sardi - nien zu ganz und gar keiner Folge gereichen moͤge, weil die Kaiſerin-Koͤnigin von Ungarn und Boͤhmen dieſelbe blos zu Beſchleunigung des Friedensgeſchaͤfts beliebt habe. Allein Sardinien erklaͤrte dieſe Declaration, zumal da man vorher nichts erinnert haͤtte, in einer Gegennote vom 9. December fuͤr null und nichtig, indem dieſe Abwech - ſelung gar nichts Auſſerordentliches, ſondern dem Herkom - men mehrerer Tractaten gemaͤs ſey. Kaiſerl. Koͤniglicher Seits aͤuſſerte man unterm 11. December noch, daßdie239und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.die obige Declaration allerdings vor der Unterzeichnung muͤndlich geſchehen, und Sardinien entgegnete am 13. December, daß auch damals ſchon erklaͤrt worden, es wuͤrde und koͤnne darauf keine Ruͤckſicht genommen werden a].
Aus dieſem laͤßt ſich zugleich abnehmen, daß Sardi - nien, da es mit Frankreich, Grosbritannien und Spa - nien nicht gewechſelt, dieſen den Vorrang eingeraͤumt habe b].
Von den alten Rangſtreitigkeiten wegen des Herzog - thums Savoyen wird weiter unten noch etwas zu ſagen ſeyn.
Da er ſich, wie oben gedacht worden, im Beſitz der Unabhaͤngigkeit wegen der Inſel Malta befindet, ſo kan er, dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach, zwar die voͤllige Gleichheit mit den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen verlan - gen; doch weicht derſelbe, vermoͤge Herkommens, wie Moſer a] verſichert, allen Koͤnigen, der Republick Vene - dig und nunmehr auch dem Großherzog von Toscana. Der Republick Genua aber, wie auch den teutſchen und italiaͤniſchen Fuͤrſten will er den Rang nicht zugeſtehn und zwar wegen des Alters des Ordens und wegen der ihm gebuͤhrenden Souverainetaͤt. Auch Papſt Leo X. hatte ihm ehemals in der paͤpſtlichen Kapelle einen Rang unter den Koͤnigen angewieſen, es wurden ihm aber nach -her240Von der urſpruͤnglichen Gleichheither ebenfals durch paͤpſtliche Decrete andere Fuͤrſten, als Savoyen und Florenz wiederum vorgezogen.
Das Koͤnigreich Daͤnemark hat in aͤltern Zeiten mit Schweden und Polen um den Rang geſtritten. Es gruͤndete ſich hauptſaͤchlich auf ſein fabelhaftes hohes Al - ter der Monarchie und des Chriſtenthums, ingleichen auf ſein ehemaliges Anſehn und ſeine Macht in Norden. Schweden hingegen habe als eine von Daͤnemark abhaͤng - ige Provinz, ihm oͤfters gehorcht und ſein gegenwaͤrtiges Daſein erſt 1640 erhalten.
Aus dem, was 1742 auf dem Kaiſerwahltage zu Frankfurt vorgefallen, da beim Einzuge des franzoͤſiſchen Ambaſſadeurs die Caroſſe des Daͤniſchen Geſandten nach des von Blondel ſeiner, der an einige teutſche Hoͤfe von Frankreich accreditirt geweſen, gefolgt, laͤßt ſich faſt ab - nehmen, daß Daͤnemark der Kron Frankreich den Vor - rang zugeſtehe a].
Hat von den aͤlteſten Zeiten her weder Frankreich, noch England, noch ſonſt einem Koͤnige in Europa a] am wenigſten Daͤnemark weichen wollen, und iſt eins der erſten Reiche geweſen, welche die Gleichheit unter den Nazionen wiederherzuſtellen und zu behaupten geſucht haben.
Gegen Frankreich erklaͤrten die ſchwediſchen Geſand - ten auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß: que leur reine et la couronne de Suede étoient en poßeſſion réel - le de la même dignité dont un roi de France jouißoit, que par conſequent les deux couronnes étoient tout-à - fait égales entr’ elles pour le rang; et que la couronne de Suede ne cederoit pas la moindre choſe à celle de France in praecedentia et in praerogativa b]. Die Fran - zoſen muſten auch nachgeben und ihnen die Gleichheit in den Conferenzen, am dritten Orte und in den Unterſchrif - ten zugeſtehn. Als auch 1742 auf dem Wahltage zu Frankfurt, beim Einzuge des franzoͤſiſchen Bothſchaf - ters, man der Caroſſe des ſchwediſchen Geſandten eben den Platz anweiſen wolte, welchen der daͤniſche, wie im vorigen §. erinnert worden, einnahm, ſo ſchickte iener ſolche gar nicht hin c].
Auch den engliſchen Geſandten machen die ſchwedi - ſchen den Rang ſtreitig d].
Gegen die daͤniſchen Anſpruͤche auf Vorrang behaup - tete Schweden ein gleiches Alter der Monarchie, vonQder242Von der urſpruͤnglichen Gleichheitder Zeit an gerechnet, als es zuerſt Koͤnige gehabt; denn daß es nachher wieder einigemal unteriocht geweſen, ſey ienem Alter nicht nachtheilig. Nicht minder bezog es ſich auf ſeine Freundſchaft mit Kaiſern und Koͤnigen und auf die uͤberall bekanten Heldenthaten der ſchwediſchen Nazion.
Die Kron Polen nimt zwar in der paͤpſtlichen Rang - ordnung den letzten Platz unter den Koͤnigen ein, ſie will ſich iedoch damit nicht begnuͤgen, und auch aus der Urſach nicht die ſchlechteſte ſeyn, weil dieſes Reich von den Roͤmern nie bezwungen worden, ſondern ſeine Frei - heit iederzeit behalten. Sie hat daher ehemals beſonders mit Portugal, Schweden, Hungarn und Boͤhmen ꝛc. um den Rang geſtritten.
Den243und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Den Vorfall zwiſchen den portugieſiſchen und pol - niſchen Geſandten habe ich ſchon oben erzaͤhlt.
Gegen Schweden hat Polen nicht viel ausrichten koͤnnen, indem ienes das hoͤhere Alter ſeines Reichs und der Souverainetaͤt, die groͤßere Macht und die Erbei - genſchaft gegen die gar ſehr eingeſchraͤnkte Regierungs - form in Polen und die Wahleigenſchaft dieſes Reichs, vermoͤge welcher auch Perſonen aus dem niedrigſten Stande zur Krone gelangen koͤnten, zu erheben geſucht.
Auch Hungarn ſetzt den polniſchen Anmaßungen ein hoͤheres Alter des Reichs und der chriſtlichen Religion, die Mehrheit der Reiche, woraus es beſteht, und die daher entſpringende Macht entgegen.
In Anſehung Boͤhmens hingegen ſchien Polen den Vorzug zu behaupten. Es hatte das Alterthum der Wuͤrde, eine volkomne Unabhaͤngigkeit und ein groͤßeres Anſehn uͤberhaupt vor ſich.
Preuſſen iſt zwar ein neues Koͤnigreich, — denn daß ſchon im vierzehnten Jahrhundert einige Beherſcher Preuſ - ſens den koͤniglichen Titel gefuͤhrt haben ſollen, komt hierbey nicht in Betrachtung — und ſolte daher, nach einiger Meinung, den aͤltern nachgehn; allein die preuſ - ſiſchen Monarchen ſuchen die Gleichheit zu behaupten. Denn als 1742 die grosbritanniſchen und preuſſiſchen Miniſter im Haag den Generalſtaaten ein Memoire we - gen Garantirung des zwiſchen Oeſterreich und Preuſſen eben geſchloſſenen Breßlauer Friedens uͤbergeben wolten,Q 2ver -244Von der urſpruͤnglichen Gleichheitverlangten die Grosbritanniſchen zwar den Vorrang im Unterzeichnen, mit Beziehung auf das Alter der Krone, aber preuſſiſcher Seits widerſprach man wegen natuͤrli - cher Gleichheit der Koͤnige. Da kein Theil nachgeben wolte, ward beliebt, daß ieder Miniſter ein beſonderes Memoire uͤbergeben ſolte a].
Iſt iederzeit fuͤr eins der anſehnlichſten Koͤnigreiche in Europa gehalten worden, und hat beſonders uͤber Polen den Vorrang verlangt, auch mit Boͤhmen ſonſt darum geſtritten. Es gruͤndet ſich hauptſaͤchlich auf das Alter des Reichs und will ſchon im vierten und fuͤnf - ten Jahrhundert maͤchtige Koͤnige gehabt haben: auch hat es die paͤpſtliche Rangordnung fuͤr ſich. In Anſe - hung Boͤhmens iſt ſein Rang ziemlich entſchieden, da die gegenwaͤrtigen Beſitzer beider Koͤnigreiche die Kron Hungarn in der Titulatur iederzeit vorſetzen.
Dieſes Reich hatte in aͤltern Zeiten mit den chriſtli - chen Maͤchten in Europa wenig zu thun. Es war in zu viel kleine Regierungen zerſtuͤckt, von denen Rouſſet ſagt: qu’ il ne leur étoit pas poſſible d’ aller de pair avec des états plus puißans ou avec les têtes couronnées. Nach - dem aber Iwan I. Waſiliewitſch durch Unteriochung die -ſer245und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſer kleinen Fuͤrſten den Grund zur heutigen ruſſiſchen Monarchie gelegt und deſſen Nachfolger den Titel: Czar angenommen hatten, fing Rußland immer mehr und mehr an, ſich uͤber andere europaͤiſche Nazionen zu erhe - ben. Man wolte dem Titel: Czar, der eigentlich nichts mehr als Koͤnig ſagen will, die Bedeutung: Caeſar, Imperator, beilegen, und deshalb kaiſerliche Ehrenbezei - gungen verlangen. Die ruſſiſchen Geſandten wurden auch an einigen Hoͤfen wuͤrklich vorzuͤglicher als andere koͤnigliche behandelt. Durch die Annahme des Kaiſer - titels im Jahr 1721 glaubte Rußland wahrſcheinlich den Vorrang vor allen uͤbrigen Koͤnigen zu erlangen; aber die meiſten bedungen, bey Anerkennung dieſes Ti - tels, daß derſelbe nicht das geringſte Vorrecht weiter bewuͤrken ſolte a].
Demungeachtet verlangte der ruſſiſche Geſandte bey der Pforte 1742 die Audienz vor allen andern Geſand - ten, den roͤmiſch-kaiſerlichen ausgenommen b], und 1769 geſchah von den ruſſiſchen Miniſtern an den europaͤiſchen Hoͤfen die Erklaͤrung: daß ſie von ihrer Monarchin be - fehligt waͤren, keinem Geſandten andrer Maͤchte, auſſer dem Roͤmiſch-kaiſerlichen, nachzuſtehn; welches beſon - ders auf dem Reichstage zu Regensburg 1770 große Bewegungen verurſachte c]. Aber verſchiedene Hoͤfe ließen dagegen ausdruͤcklich erklaͤren, daß ſie dieſen Vor - rang nicht geſtatten wuͤrden.
Gegen Frankreich hatte Rußland ſchon 1701 Rang - anſpruͤche, die iedoch ohne oͤffentliche Streitigkeiten ab - liefen d]. Im Jahr 1784 entſtanden deshalb neue Irr - ungen zwiſchen den beiderſeitigen Geſandſchaften zu Wien. Der ruſſiſche erklaͤrte bald nach ſeiner Ankunft dem kaiſerlich-koͤniglichen Staatskanzler Fuͤrſten von Kaunitz ſchriftlich, daß er den burboniſchen Miniſtern nicht mehr den Vorrang laſſen wuͤrde e]. Dies war um ſo auffallender, da Frankreich, als es den ruſſiſchen Kai -Q 3ſer -246Von der urſpruͤnglichen Gleichheitſertitel 1745 zuerſt erkante und denſelben 1763 der itzigen Kaiſerin von neuem zuſicherte, die Bedingung hinzuge - fuͤgt hatte, daß dieſer Titel keinen Unterſchied oder irgend eine Abaͤnderung in dem bisherigen Ceremoniel zwiſchen den beiderſeitigen Hoͤfen machen ſolte: und ebenderglei - chen Erklaͤrung hatte auch Spanien unterm 15. Februar 1763 gethan f]. Allein Rußland bediente ſich eines ganz eignen Grundes. Es berief ſich auf die zwiſchen Frank - reich und Spanien verglichene Gleichheit des Ranges, und ſagte, es habe Spanien niemals den Rang zugeſtan - den, und da Frankreich ſich Spanien gleich geſetzt, muͤſ - ſe Rußland auch uͤber dieſe Krone den Rang haben g]. Auf alle Faͤlle beſtand es auf die Gleichheit mit den fran - zoͤſiſchen und ſpaniſchen Hoͤfen. Der roͤmiſche Kaiſer ſtelte uͤbrigens deshalb den ſonſt gewoͤhnlichen Cercle bey Hofe ein und ſuchte die beiderſeitigen Geſandten dadurch aus der Verlegenheit zu ziehn, daß er erklaͤrte: es beſtehe an ſeinem Hofe keine Etiquette und habe niemaln beſtan - den h].
Die tuͤrkiſchen Kaiſer wolten Anfangs ſogar den roͤmiſchen den Rang ſtreitig machen, und dieſen, ſo wie allen chriſtlichen und heidniſchen Regenten vorgehn. Aber die roͤmiſchen Kaiſer verweigerten ihnen dafuͤr ſelbſt den Kaiſertitel, den die Sultans, nach Zerſtoͤrung des orientaliſchen Kaiſerthums angenommen hatten, bis Rudolph II. und Achmet einander als Kaiſer erkanten, und zwar mit der Erklaͤrung, daß Achmet den Rudolf Vater, Rudolf aber den Achmet Sohn nennen ſolte. Aber dies war mehr ein perſoneller Vergleich a]. Im Paſſarowitzer Frieden 1718, Art. 17. verſprachen beide Kaiſer einander und ihren Geſandten voͤllige Gleichheit im Ceremoniel und dieſe wird bey vorkommenden Gele - genheiten aͤuſſerſt genau beobachtet. Als z. B. 1737 auf dem Kongreß zu Nimirov zwiſchen Rußland, der Pforte und dem roͤmiſchen Kaiſer iedes der beiden erſtern drey, der roͤmiſche Kaiſer aber nur zwey Geſandte geſchickt hatte, berief der tuͤrkiſche Kaiſer ſeinen dritten wieder zuruͤck b]; ia als einſt bey Auswechſelung der beiderſeiti - gen Geſandten auf der Grenze, der tuͤrkiſche etwas eher aus dem Steigbiegel war, hielten ſeine Leute ihn ſo lange ſchwebend, damit er mit dem roͤmiſch-kaiſerlichen zugleich auf die Erde ſteigen moͤchte. Sie gingen einander mit gleichen Schritten entgegen ꝛc. c].
Ueberhaupt aber kommen die Gelegenheiten zu Rang - ſtreitigkeiten mit der Pforte nicht oft vor, weil die Er - ſcheinung tuͤrkiſcher Geſandten an den europaͤiſchen Hoͤfen eine ſeltne Sache iſt. In ſchriftlichen VerhandlungenQ 4wird248Von der urſpruͤnglichen Gleichheitwird iedoch, wie Moſer meint, im Range auch mit den uͤbrigen chriſtlichen Maͤchten gewechſelt d].
Da die Republicken, obgedachtermaaßen, den ge - kroͤnten Haͤuptern ohne Schwierigkeiten weichen, ſo ha - be ich auch kein Bedenken getragen, ſie ihnen nachzuſe - tzen. An Rangſtreitigkeiten unter ſich und mit den fuͤrſt - lichen Haͤuſern in Teutſchland ꝛc. fehlt es uͤbrigens nicht.
Die vereinigten Niederlande laſſen den gekroͤnten Haͤuptern zwar den Rang, genießen uͤbrigens aber koͤnig - liche Ehrenbezeigungen.
Ueber Venedig verlangen ſie, der Uebermacht wegen, den Vorrang, aber dieſe Republick geſtehet ihnen ſol - chen, wegen hoͤhern Alters und ſonſtigen Anſehens, nicht zu.
Der Republick Genua und den teutſchen Kur - und Reichsfuͤrſten wollen ſie auch nicht nachgehn.
Genießt ebenfals koͤnigliche Ehre, und laͤßt zwar den vereinigten Niederlanden den Rang, will aber der Repu - blick Genua vorgehn.
Auf der Kirchenverſamlung zu Trident wolte ſie, noch vor voͤlliger Anerkennung ihrer Souverainetaͤt, den Großherzoglich-Florentiniſchen und den Herzoglich-Baye - riſchen Geſandten den Rang ſtreitig machen; aber dieſe gaben nicht nach und ſie konte nicht einmal die Alterna - tion mit ihnen erhalten.
Eben ſo wenig will dieſe Republick den teutſchen Fuͤr - ſten, auſſer Oeſterreich, ingleichen ehemals Burgund und Lothringen, weichen.
Die Republick Venedig will als eine der aͤlteſten und erſten, denen man die koͤniglichen Ehrenbezeigungen zu - geſtanden hat, allen uͤbrigen Republicken in Europa vor - gehn. Allein dieſer Vorrang wird ihr von den verei - nigten Niederlanden ſtreitig gemacht. Die erſtere gruͤndet ſich aufs Alter, die letztere auf Macht.
Ueber die Kurfuͤrſten ſuchte Venedig ebenfals den Rang zu behaupten, ob das paͤpſtliche Ceremoniel gleich fuͤr iene entſchied. Zwar beguͤnſtigten die Kaiſer Ferdi - nand II. und III. dieſe Republick am kaiſerlichen Hofe; aber die Kurfuͤrſten lieſſen nicht nach, bis die Kaiſer ihnen die Abſtellung aller nachtheiligen Verfuͤgungen und den ausdruͤcklichen Rang vor allen Republicken in der Wahlkapitulation zuſicherten.
Q 5End -250Von der urſpruͤnglichen GleichheitEndlich hat Venedig auch noch mit den teutſchen Reichs - und italiaͤniſchen Fuͤrſten, beſonders chemals mit Savoyen, mancherley Rangſtreitigkeiten gehabt.
Hat ſich, zumal waͤhrend des Beſitzes von Corſica, um die koͤniglichen Ehrenbezeugungen ſehr viel Muͤhe ge - geben, ſolche aber nicht erhalten koͤnnen. Demungeach - tet verlangt dieſe Republick gleichen Rang mit Venedig, und will den vereinigten Niederlanden, der Eidgenoſſen - ſchaft, dem Johannitermeiſter und andern Fuͤrſten vor - gehn. Jedoch weichen dieſe keinesweges, indem ſie Ge - nua uͤberhaupt nur fuͤr quaſi ſouverain anſehn wollen, weil das teutſche Reich noch mancherley Hoheitsanſpruͤ - che darauf zu machen berechtigt ſey.
Dagegen erwidert Genua, daß es in Anſehung der vereinigten Niederlande und der Eidgenoſſenſchaft wenig - ſtens laͤnger im Beſitz der Souverainetaͤt ſey, und vor letzterer uͤberall mehr Ehre genieße; denn die ſchweitzeri - ſchen Bothſchafter duͤrften z. B. bey den Audienzen am franzoͤſiſchen Hofe ſich nicht einmal bedecken, welches doch den Geſandten der italiaͤniſchen Fuͤrſten und uͤbrigen Republicken verſtattet wuͤrde.
Als im Definitivfrieden zu Aachen 1748 Genua dem Herzog von Modena nachgeſetzt worden war, proteſtirte die Republick unterm 28. October dagegen; weshalb diefran -251und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.franzoͤſiſchen Geſandten an dem naͤmlichen Tage eine Erklaͤrung ausſtelten, daß die im Friedensinſtrumente gebrauchte Rangordnung den beiderſeitigen Gerechtſamen und Anſpruͤchen in Ruͤckſicht des Vorranges unnachthei - lig ſeyn ſolte a].
Lucca haͤlt ſich als eine unabhaͤngige Republick zu gleichem Range und Tractamente mit Genua berechtigt, hat es aber noch nicht dahin bringen koͤnnen. Schwer - lich wird ein teutſcher oder italiaͤniſcher Fuͤrſt ihr den Rang laſſen.
Raguſa und San-Marino ſtehn in gleichem Ver - haͤltniſſe. Ueberhaupt aber finden bey dieſen kleinen Republicken die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten ſelten Statt.
Unter den Staaten, deren voͤllige Souverainetaͤt, wie oben, im erſten Kapitel gezeigt worden, noch zwei - felhaft iſt, nimt das Koͤnigreich Boͤhmen den vor -zuͤglich -252Von der urſpruͤnglichen Gleichheitzuͤglichſten Platz ein. Ob der Koͤnig aber gleich ein Vaſall und Kurfuͤrſt des teutſchen Reichs iſt, — welcher Eigenſchaft halber deſſen Rang in Reichsangelegenheiten unter den uͤbrigen Kurfuͤrſten durch die Reichsgrundge - ſetze beſtimmt iſt — ſo behauptet er doch, auſſer der Reichs - verbindung, als gekroͤntes Haupt, unter den uͤbrigen Koͤnigen in Europa eine Stelle. Die paͤpſtliche Rang - ordnung weißt ihm den vorletzten Platz zwiſchen Cypern und Polen an: letzteres Reich will iedoch, vorerwaͤhn - termaaßen, den Vorrang haben.
Seitdem das Koͤnigreich Boͤhmen keine eigne Regen - ten mehr hat, ſondern nebſt Hungarn von dem erzherzog - lich-oͤſterreichiſchen und gewoͤnlich zugleich auch kaiſerli - chen Hofe mit beſeſſen wird, fallen die Rangſtreitigkei - ten mit andern europaͤiſchen Maͤchten ziemlich weg, weil, auſſer auf den Reichstag und zu Kaiſerwahlen, keine beſondere koͤniglich-boͤhmiſche Geſandten geſchickt zu werden pflegen.
Der Republick Genf wuͤrde, wenn ſich Gelegenhei - ten darbieten ſolten, wo ihr Rang in Frage kaͤme, als einem freien Staat wenigſtens vor den halbſouverainen Reichsſtaͤdten der Rang gebuͤhren, und ihr und ihren Abgeordneten gleiche Behandlung mit den einzelnen Schweitzercantons zuzugeſtehn ſeyn.
Von Savoyen, Toſcana ꝛc. will ich weiter unten bey den italiaͤniſchen Reichsfuͤrſten noch etwas weniges ſagen.
Dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach ſind die halbſou - verainen Staaten und Regenten ohnſtreitig verbunden, den ganzſouverainen zu weichen, weil keine voͤllige Gleich - heit der Rechte bey ihnen Statt findet. Jedoch koͤnnen Vertraͤge und Herkommen hierunter gar fuͤglich ein ande - res beſtimmen. Alle europaͤiſche Halbſouverains laſſen auch den gekroͤnten Haͤuptern willig den Rang; nur wol - len ſie den Republicken ſolchen nicht zugeſtehn und einige haben ſich auch den Vorrang vor ihnen wuͤrklich zu ver - ſchaffen gewußt.
Der Rang der teutſchen Reichsſtaͤnde hat ſchon unzaͤh - lige Streitigkeiten veranlaßt. Die Gelegenheiten hierzu ſind um deſto haͤufiger, ie groͤßer die Anzahl und die Verſchiedenheit dieſer Staaten iſt a]. Man muß dabey hauptſaͤchlich dreierley Verhaͤltniſſe unterſcheiden, 1] den Rang der Reichsſtaͤnde, nach ihren Klaſſen, gegen ande - re europaͤiſche Nazionen, 2] der verſchiedenen Klaſſen unter einander und 3] der einzelnen Glieder einer ieden Klaſſe unter ſich. In Anſehung der letztern beiden Rang - verhaͤltniſſe komt es wiederum darauf an, ob die Konkur - renz in Reichsangelegenheiten, oder auſſer der Reichs - verbindung ſich ereignet b].
Alle Reichsſtaͤnde laſſen, als halbſouveraine, die den Kaiſer als ihr Oberhaupt erkennen, nach dem vor - hergehenden §. den gekroͤnten Haͤuptern in Europa den Rang; die meiſten aber wollen den Republicken vorgehn, wie ich bey ieder Klaſſe nachher bemerken werde.
Der254Von der urſpruͤnglichen GleichheitDer Rang der verſchiedenen Reichsſtaͤndiſchen Klaſ - ſen gegen einander und der einzelnen Glieder unter ſich in Reichsverhaͤltniſſen richtet ſich nach den auf Reichs - taͤgen und bey andern Zuſammenkuͤnften durch die Reichsgrundgeſetze, Vertraͤge oder Herkommen beſtimten Ordnungen.
Auſſer dem Reiche pflegt man zwar ſehr oft auch die Ordnung der Reichsverſamlungen beyzubehalten; iedoch haben verſchiedene Reichsſtaͤnde, bey dergleichen Gele - genheiten, ſchon mehrmalen nicht ohne Grund eine Gleich - heit zu behaupten geſucht: denn von Natur ſind dieſe Staaten einander ohnſtreitig gleich, und es iſt, ohne be - ſondere Uebereinkunft, keine nothwendige Folge, daß der in einer beſondern Verbindung beliebte Rang auch auſſer derſelben beobachtet werden muͤſſe. Auf dem Teſchner Friedenskongreß z. B. verlangte zwar Kurpfalz in beiden Exemplarien der Convention mit Kurſachſen vorausge - ſetzt zu werden, weil ihm der Vorrang auf Reichstagen zuſtehe; aber Kurſachſen beſtand auf die Alternation, indem beide Kurfuͤrſten hier nicht in einer Reichsangele - genheit, ſondern als Gleiche mit einander tractirten. Da kein Theil nachgeben wolte, ward beliebt, daß der contrahirenden Theile in der Convention namentlich keine Erwaͤhnung geſchehn, ſolche doppelt gefertigt und iedes Exemplar nur von dem bevolmaͤchtigten Miniſter des einen Theils unterſchrieben und alſo ausgewechſelt werden ſolte. Die 1731 zwiſchen den Hoͤfen zu Dresden und Hannover geſchloſſene Allianz diente hierbey zum Muſter.
Auch die alternirenden altweltfuͤrſtlichen Haͤuſer wol - len, wie Moſer bezeugt, an dritten Orten an die auf Reichstaͤgen beliebte Ordnung nicht gebunden ſeyn c].
Den wuͤrklich regierenden Koͤnigen weichen die Kur - fuͤrſten auſſerhalb den Reichsangelegenheiten willig. In der Wahlcapitulation Art. III. §. 20. heißt es ausdruͤck - lich: waͤre es Sache, daß neben denen kurfuͤrſtlichen Geſandten derer recht titulirten und gekroͤnten regieren - den auslaͤndiſchen Koͤnigen, koͤniglichen Wittwen oder Pupillen [denen die Regierung, ſobald ſie ihr gebuͤhren - des Alter erreicht, zu fuͤhren zuſtehet, und immittels in der Tutel oder Curatel begriffen ſeynd] Bothſchafter zu - gleich vorhanden waͤren, ſo moͤgen und ſollen dieſelben — denſelben churfuͤrſtlichen Geſandten — ohne Unter - ſchied vorgehn.
Bey256Von der urſpruͤnglichen GleichheitBey Reichsſolennitaͤten hingegen behaupten die Kur - fuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle a] und des alten Herkommens, auch vor den Koͤnigen den Rang. So wolte der Kurfuͤrſt von Brandenburg auf dem Reichs - tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Koͤnige von Hungarn, nachherigen Kaiſer Rudolf II. nicht weichen b]. In Anſehung der Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte auf Reichs - und Wahltaͤgen haben die Kurfuͤrſten verſchie - dene Kollegialſchluͤſſe auch noch neuerlich bey der roͤmi - ſchen Koͤnigswahl Joſeph II. 1764 abgefaßt, die bey einer andern Gelegenheit angefuͤhrt werden ſollen.
Bloßen Titularkoͤnigen, die keine Lande zu regieren haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, ingleichen Koͤnig Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfuͤrſten iedoch keinesweges den Vorrang einraͤumen c].
Eben ſo wenig wollen ſie den Republicken nachgehn, ſondern haben den Rang iederzeit uͤber ſie zu behaupten geſucht. Die Eidgenoſſenſchaft und Genua machen des - halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig - ren Niederlande aber haben ſich heftig dagegen geſetzt. Venedig erhielt auch vom Kaiſer Ferdinand II. ein den kurfuͤrſtlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiſer - lichen Hofe und auf Reichstaͤgen. Allein die Kurfuͤr - ſten brachten es durch Vorſtellungen und Proteſtationen endlich dahin, daß Koͤnig Ferdinand IV. 1653 und Kai - ſer Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den Rang vor allen Republicken ausdruͤcklich zugeſtehn und ſich verbindlich machen muſten: “was hiebevor per De - creta und abſonderlich anno 1636, oder ſonſt vorgenom - men oder verordnet, ſoll foͤrderlichſt abgeſtellet und kraft - los ſeyn.” Seitdem wird in allen kaiſerlichen Wahlca - pitulationen feſtgeſetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Joſephs II.] “Nachdemmahlen ſich auch eine Zeitlang zugetra - gen, daß auslaͤndiſcher Potentaten, Fuͤrſten und Repu -blicken257und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.blicken Geſandte, und zwar dieſe unter dem Namen und Vorwand, als waͤren die Republicken vor gekroͤnte Haͤupter, und alſo denenſelben in Wuͤrden gleich zu ach - ten, an denen kaiſerlichen und koͤniglichen Hoͤfen und Kapellen die Praͤcedenz vor denen churfuͤrſtlichen Geſandten praͤtendiren wollen; ſo ſollen und wollen wir inskuͤnftige ſolches weiter nicht geſtatten ꝛc.” Die ver - einigten Niederlande erregten den Kurfuͤrſten auch oͤftere Rangſtreitigkeiten, beſonders auf dem weſtphaͤliſchen Frieden, doch ſuchten dieſe ihre Gerechtſame iederzeit ſtandhaft zu verwahren. Die obige Diſpoſition der Wahlcapitulationen kann, auſſer dem Kaiſer, zwar eigentlich keinen auswaͤrtigen Staat weiter verbinden, indes haben die Kurfuͤrſten an den meiſten Hoͤfen ſich den Vorrang vor den Republicken verſchaft, wenigſtens 1671 den 24. Aug. zu deſſen Behauptung unter einan - der ſich verbunden e]. Die Republicken, welche den Kurfuͤrſten den Rang iedoch noch nicht foͤrmlich zugeſtan - den haben, ſuchen daher die Gelegenheiten zum Streite moͤglichſt zu vermeiden, welches um ſo leichter iſt, da die Kurfuͤrſten ſelten Geſandte vom erſten Range zu ſchicken pflegen.
Die ehemaligen Rangſtreitigkeiten der Kurfuͤrſten mit den Herzogen von Lothringen und Burgund fallen derma - len gaͤnzlich weg f].
Im Verhaͤltniſſe zu den uͤbrigen Klaſſen der Reichs - ſtaͤnde iſt der Kurfuͤrſten Vorrang dermalen entſchieden. Sie behaupten ſolchen auch auſſer den Reichsgeſchaͤften g]. Auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß maßten die Erz - herzoge von Oeſterreich wegen der von Kaiſer Ferdinand II. erhaltenen koͤniglichen Ehrenzeichen und als Erbprin - zen der Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen, ſich zwar eines Vorranges uͤber die Kurfuͤrſten an, und die Vene - zianer, die den letztern nicht weichen wolten, gingen ihnen nach. In neuern Zeiten iſt iedoch von dieſem StreiteRnichts258Von der urſpruͤnglichen Gleichheitnichts weiter zu hoͤren geweſen h]. Der herzoglich ſavoyiſchen Widerſpruͤche gegen den kurfuͤrſtlichen Vor - rang ſoll nachher noch einige Erwaͤhnung geſchehen.
Der Rang der Kurfuͤrſten unter ſich in Reichsangele - genheiten war ehemals zuweilen auch ſtreitig. Gegen - waͤrtig iſt er durch Grundgeſetze und Vertraͤge nach der Lineal -, Lateral - und Proceſſionsordnung auf alle Faͤlle entſchieden, wohin hauptſaͤchlich die Tit. III. IV. XXI. und XXII. der goldnen Bulle, der Kollegialſchluß vom 11. Maͤrz 1653 und einige neuere Concluſa zu rechnen, deren umſtaͤndlichere Erwaͤhnung aber mehr ins teutſche Staatsrecht gehoͤrt. Nur ſo viel will ich noch bemerken, daß die koͤnigliche Wuͤrde, womit einige Kur - fuͤrſten zugleich bekleidet ſind, auf Wahl -, Reichs -, Kreis -, Deputations -, Kollegial - und andern Taͤgen, auch Friedens - und dergleichen Konventen, wo die Koͤnige blos als Kurfuͤrſten und ihre Geſandte als Kur - fuͤrſtliche erſcheinen, keinen Vorrang oder Vorrecht weiter bewuͤrke. Dahin muſte nicht nur Kurbrandenburg bey Annehmung der preuſſiſchen Krone, ſondern auch Boͤh - men bey ſeiner Readmiſſion 1708 ſich verbinden i], und in der Wahlkapitulation verſpricht der Kaiſer Art. III. §. 21.: “nirgendwo zwiſchen denen Kurfuͤrſten unter einander in Ceremoniali einen Unterſchied einzufuͤhren, noch einfuͤhren zu laſſen.
Auſſer der Reichsverbindung beobachten die Kurfuͤr - ſten unter ſich, nach Moſers Meinung, bey Zuſamen - kuͤnften zwar gemeiniglich auch den in kurfuͤrſtlichen Kol - legien eingefuͤhrten Rang, iedoch erhellet aus dem oben - angefuͤhrten, daß man dieſen Satz nicht als eine alge - meine Regel annehmen koͤnne. Uebrigens iſt kein Zwei - fel, daß die Kurfuͤrſten, welche zugleich Koͤnige ſind, und als ſolche erſcheinen, den uͤbrigen vorgehen.
Vermoͤge uralten Herkommens genießen endlich ſaͤmt - liche Kurfuͤrſten, ſie moͤgen zugleich Koͤnige oder nichtſeyn,259und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.ſeyn, uͤberall koͤnigliche Ehrenbezeigungen, ſowohl bey Auswaͤrtigen als innerhalb des Reichs, vom Kaiſer und ihren Mitſtaͤnden k].
In den aͤltern Zeiten hatten auch die altweltfuͤrſtli - chen Haͤuſer, beſonders Pfalz-Neuburg, Braunſchweig - Zelle, ingleichen Oeſterreich oͤftere Rangſtreitigkeiten mit den Republicken, welche iedoch dermalen wegfallen, weil iene zur Kurwuͤrde erhaben worden, von Oeſterreich aber, auſſer auf dem Reichstage, ſelten bloße Erzherzogliche Geſandten erſcheinen a].
R 3Im262Von der urſpruͤnglichen GleichheitIm Verhaͤltnis zu den uͤbrigen Reichsſtaͤnden folgen die Fuͤrſten den Kurfuͤrſten unmittelbar, verlangen uͤbri - gens aber groͤſtenteils gleiches Ceremoniel.
Der Rang der Reichsfuͤrſten unter ſich auf Reichs - verſamlungen hat im Sitzen und Votiren mit Abwech - ſelung von der geiſtlichen zur weltlichen Bank und Alter - nirung einiger Haͤuſer nach gewiſſen Strophen, Mate - rien oder Tagen groͤſtenteils ſeine durch Vertraͤge und Herkommen beſtimte Ordnung, welche in den Staats - rechtsſyſtemen ausfuͤhrlich anzutreffen iſt b].
Auſſer den Reichsangelegenheiten und an dritten Orten wollen die geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten, be - ſonders aus alten Haͤuſern, einander nicht weichen c].
Endlich ſtreiten die alten Fuͤrſten des teutſchen Reichs auch noch mit den italiaͤniſchen Fuͤrſten z. B. mit Toſca - na, Savoyen ꝛc. um den Rang, und wollen dieſen dar - um vorgehn, weil ſie groͤſtenteils von koͤniglichen, kur - fuͤrſtlichen und andern alten Familien abſtammen, die italiaͤniſchen hingegen meiſtens nur graͤflichen und gerin - gern adelichen Herkommens waͤren, die ihre Wuͤrde erſt im vierzehnten und folgenden Jahrhunderten erlangt haͤt - ten, Italien uͤberhaupt aber nur eine neuere Erwerbung des teutſchen Reichs ausmache.
Der Rang der zum fuͤrſtlichen Kollegio gehoͤrigen Reichspraͤlaten und Reichsgrafen, ſo wie der noch uͤbri - gen Klaſſen teutſcher Reichsſtaͤnde komt im Verhaͤltnis zu den europaͤiſchen Staaten nicht in Betrachtung und wird ſchwerlich Gelegenheit zu Streitigkeiten geben.
Auf Reichsverſamlungen wechſeln die Praͤlatenbaͤnke und Grafenkollegia im Range ab. Auſſerdem aber wol - len die evangeliſchen regierenden Grafen aus alten Haͤu - ſern den catholiſchen Praͤlaten nicht weichen a].
Den Rang der Immediat-Reichs-Grafen, die Sitz und Stimme im Fuͤrſtenrath haben, bey Reichsſolenni - taͤten und am kaiſerlichen Hofe ꝛc. beſtimt die Wahlka - pitulation Art. III. §. 22.
Die Reichsſtaͤdte ſtreiten mit der Reichsritterſchaft um den Rang und behaupten ihn darum vor dieſer, weil ſie wuͤrkliche Reichsſtaͤnde ſind; die Reichsritterſchaft aber nur zu den unmittelbaren Reichsunterthanen gehoͤrt. Dieſe wendet dagegen ein, daß der Adel den buͤrgerlichen Kollegien uͤberall vorgehe und die Reichsritterſchaft ehe -R 4mals264Von der urſpruͤnglichen Gleichheitmals den Grafen und Herrn unmittelbar gefolgt ſey. Am meiſten war dieſe Rangſtreitigkeit auf dem weſtphaͤ - liſchen Friedenskongres rege.
Unter ſich haben die Reichsſtaͤdte allerhand Rangir - ungen, die aber hier nicht angefuͤhrt werden koͤnnen.
Die Fuͤrſten des unter kaiſerlicher Oberherſchaft mit Teutſchland verbundenen italiaͤniſchen Koͤnigreichs haben von allen Zeiten her mit einigen Republicken, beſonders aber mit den Kurfuͤrſten und Fuͤrſten des teutſchen Reichs und unter ſich ſelbſt um den Rang geſtritten. Die Teut - ſchen verlangen deshalb vor den Italiaͤnern den Vorzug, weil ſie Teutſchland fuͤr den Hauptſtaat und Italien nurfuͤr265und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.fuͤr eine von erſterm eroberte Provinz anſehn, welche demienigen Kaiſer gehorchen muͤſſe, welchen die Kurfuͤr - ſten des teutſchen Reichs erwaͤhlen. Die italiaͤniſchen Fuͤrſten hingegen geben Italien fuͤr den edlern Theil des roͤmiſch-teutſchen Reichs und fuͤr den Sitz des Kaiſer - thums aus, indem die Beherſcher deſſelben wegen Ita - lien roͤmiſche Kaiſer, wegen Teutſchland aber nur teut - ſche Koͤnige genant wuͤrden. Indes kommen derglei - chen Rangſtreitigkeiten dermalen wenig mehr vor, da einige italiaͤniſche Haͤuſer gaͤnzlich ausgeſtorben und ihre Lande an Regenten hoͤhern Ranges gekommen ſind, ande - re ſelbſt eine hoͤhere Wuͤrde erlangt haben, und die Gele - genheiten dazu uͤberhaupt ſelten Statt finden. Ich will daher nur etwas weniges von den gegenwaͤrtig noch regie - renden fuͤrſtlichen Haͤuſern in Italien anfuͤhren.
1] Savoyen a], welches dermalen zugleich die Wuͤr - de eines Koͤnigs von Sardinien bekleidet, hatte, wie obgedacht, ehemals haͤufige Rangſtreitigkeiten mit der Republick Venedig, die aber itzt wegfallen.
Den Kurfuͤrſten wolte es auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongres und oͤfters, hauptſaͤchlich in Ruͤckſicht ſeiner Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, weshalb es auch den Titel: koͤnigliche Hoheit annahm und an den meiſten europaͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehren erhielt, vorgehn. Endlich verglichen ſich beide Theile 1666 in beſondern Vertraͤgen dahin, daß die Kurfuͤrſten dem Herzog von Savoyen den Titel: koͤnigliche Hoheit zuge - ſtanden und dieſer verſprach, den Kurfuͤrſten allenthal - ben, es ſey wo es wolle, den Rang zu laſſen und ihren Geſandten an ſeinem Hofe koͤnigliche Ehre zu erzeigen.
Mit noch groͤßerm Rechte glaubt Savoyen den teut - ſchen Reichsfuͤrſten vorgehn zu koͤnnen. Da es zugleich ein Stand des teutſchen Reichs iſt, auch Sitz und Stim - me im Fuͤrſtenrath zwiſchen Holſtein-Gottorp und Leuch - tenberg hat, ſo findet dieſe Rangſtreitigkeit auf denR 5Reichs -266Von der urſpruͤnglichen GleichheitReichsverſamlungen, wo blos die herzogliche, nicht aber die koͤnigliche Wuͤrde dieſes Hauſes in Betrachtung komt, noch gegenwaͤrtig ſtatt. Seit langer Zeit aber hat Sa - voyen, wegen Niedrigkeit des Ranges, die Reichsver - ſamlungen nicht mehr beſchickt, oder die daſelbſt ange - langten bevolmaͤchtigten Geſandten haben doch von dem Sitz - und Stimmrecht keinen Gebrauch gemacht.
2] Der Grosherzog von Toſcana b], welcher am paͤpſtlichen, kaiſerlichen und verſchiedenen andern euro - paͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehre genießt, will dem Gros - meiſter des Johanniterordens und der Eidgenoſſenſchaft im Range nicht weichen.
Vor den Kurfuͤrſten wird derſelbe den Rang ſchwer - lich behaupten c]; indes wird er am kaiſerlichen Hofe ihnen gleich gehalten.
Am wenigſten will er den uͤbrigen teutſchen und ita - liaͤniſchen Fuͤrſten nachgehn.
3] Die Herzoge von Parma und Piacenza haben ſonſt den Rang vor Toſcana geſucht und mit Mantua und Modena deshalb geſtritten. Itzt werden ſie dem letztern gleich geachtet; alle aber haben Rangſtreitigkeiten mit den teutſchen Fuͤrſten d].
Von Rangſtreitigkeiten der uͤbrigen europaͤiſchen halb - ſouverainen Regenten, z. B. des Herzogs von Curland, der Hospodare der Moldau und Wallachey iſt zur Zeit wenig vorgekommen. Doch pflegen ſie, beſonders der erſtere, den teutſchen Reichsfuͤrſten, die nicht aus kur - fuͤrſtlichen Stamme entſproſſen, gleichgeachtet zu werden.
Da die unabhaͤngigen Nazionen hier auf Erden kei - nen obern Richter haben, ſo kan auch Niemand von Rechtswegen die Rangſtreitigkeiten unter ihnen beurtei - len und entſcheiden. In denen Zeiten, wo die roͤmiſchen Kaiſer und Paͤpſte ſich eine Herſchaft uͤber die ganze Chriſtenheit einbildeten, maßten die letztern beſonders ſich zuweilen eines ſolchen Entſcheidungsrechts an. Die Streitenden, zumal der beguͤnſtigte Theil, ließen ſich den Ausſpruch auch oͤfters gefallen, und er ward, wenig - ſtens auf den Kirchenverſamlungen, befolgt. Dieſe ent - ſchieden auch zuweilen ſelbſt. Auf der Kirchenverſam - lung zu Baſel legte iede Macht die Gruͤnde ſeines Vor - ranges den heiligen Vaͤtern dar; und zu Trident ſahen dieſe ebenfals ſich fuͤr Richter in dergleichen Streitigkei - ten an.
Das einzige rechtmaͤßige Mittel ſind Vertraͤge zwi - ſchen den ſtreitigen Maͤchten, die aber ſelten zu Stande kommen. Eine Vermittelung wird, weil der Punkt der vermeintlichen Ehre gar zu bedenklich iſt, von dritten Nazionen hierunter ſelten uͤbernommen, oder iſt dochmehren -268Von der urſpruͤnglichen Gleichheitteils ohne Erfolg. Papſt Pius IV. erbot ſich 1564 zwar mit Beiſtand der Kardinaͤle zu Beilegung der Rangſtrei - tigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien; aber beide Staaten ſchlugen ſie aus. Auch die von Frankreich den Kronen England und Spanien angetragene Vermittelung auf dem Kongres zu Boulogne 1600 war fruchtlos.
Man muß daher, ſo lange nichts entſchieden, allen Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten moͤglichſt ausweichen, weil ſonſt der maͤchtigere und angeſehenere oͤfters mit Gewalt den Beſitz zu behaupten ſucht.
In Rangangelegenheiten der teutſchen Reichsſtaͤnde ſehen einige Staatsrechtslehrer das geſamte Reich, ande - re die Austraͤge, und noch andere die Reichsgerichte fuͤr die rechtmaͤßige Inſtanz an. Coccejus a] legt das Ent - ſcheidungsrecht, vermoͤge der Reichsabſchiede von 1555, 1567, 1570, 1576, 1582, 1594 und 1654 b] dem Kaiſer bey, und Moſer c] iſt gleicher Meinung. Doch werden die, nach Beſchaffenheit, den ſtreitenden Thei - len zuſtaͤndigen Austraͤge nicht zu uͤbergehen ſeyn, wor - auf man auch 1703 in der ehemaligen Sachſen-Weimar und Eiſenachiſchen Rangſtreitigkeit ſich bezog. Moſer d] fuͤhrt noch ein Beyſpiel neuerer Zeiten an, da ſeit 1738 ein Rangſtreit zwiſchen den graͤflichen Haͤuſern Solms, Stolberg und Yſenburg vor dem Reichshofrath verhan - delt worden, ſezt aber hinzu, man werde bey Kur - und Fuͤrſten in den lezten hundert Jahren dergleichen nicht antreffen.
In Anſehung der geiſtlichen Reichsſtaͤnde wolte zu Anfang dieſes Jahrhunderts der Papſt einen Rangſtreit zwiſchen den Praͤlaten zu Petershauſen und Creutzlingen entſcheiden; aber das ſchwaͤbiſche Praͤlatenkollegium brachte die Sache ans Reich, und man beſchloß mittelſt Reichsgutachten vom 3. Maͤrz und kaiſerl. Ratification vom 16. Jun. 1714 dieſe paͤpſtlichen Eingriffe in des Reichs Gerechtſame ernſtlich zu ahnden e].
a] Henr. 269und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Ein Souverain iſt allerdings Herr in ſeinem Lande, und kann daher einem fremden Volke und deſſen Repraͤ - ſentanten an ſeinem Hofe einen Rang anweiſen, welchen er will. Wenn aber zwey bey ihm zuſammentreffen, deren Rang durch Vertraͤge oder Herkommen entſchieden iſt, ſo wuͤrde es eine offenbare Beleidigung ſeyn, wenn er dieſe Ordnung zum Nachtheil des einen umaͤndern, oder zwiſchen Streitigen einem geradezu den Vorrang bey ſich zuerkennen wolte. Er iſt zwar Herr in ſeinem Lande, aber keinesweges Richter uͤber die Streitigkeiten von ihm unabhaͤngiger Maͤchte; wozu er ſich doch auf - werfen wuͤrde, wenn er dem einen Theile den Rang ein - raͤumte a].
Will alſo ein Hof ſich nicht Repreſſalien in aͤhnlichen Faͤllen zuziehn, ſo muß er neutral bleiben, und ſich in dergleichen Streitigkeiten gar nicht miſchen. Jedoch ſteht ihm frey, ſolche Maasregeln zu nehmen, wodurchden270Von der urſpruͤnglichen Gleichheitden Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vorgebeugt wird, z. B. dem zuerſt angekommenen Geſandten zuerſt Audienz geben; befehlen, daß beide bey oͤffentlichen Feierlichkeiten ꝛc. nicht erſcheinen, oder, wie der Kaiſer bey den neu - ſten Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Rußland, bis zu Ausgleichung derſelben, die gewoͤhnlichen Cirkel bey Hofe gaͤnzlich einſtellen b].
Indes haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen ſich berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundſchaft oder auf andere Art mit ihnen verbundenen Maͤchte im Range vor andern, mit denen dieſe ſtreitig, zu beguͤnſtigen. So ward ehemals am paͤpſtlichen Hofe, bey der Pforte und zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiſerlichen Hofe hingegen Spanien der Vorrang eingeraͤumt.
Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien, auf Zudringen des Geſandten der erſtern Macht, ein Decret ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugeſprochen ward. Der Rath entſchuldigte ſich, auf die drohenden Vorſtellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei - nesweges die Macht und das Anſehn weder des aller - chriſtlichſten noch des catholiſchen Koͤnigs entſcheiden; es faͤnde ſich aber in den Archiven, daß die franzoͤſiſchen Geſandten bey allen und ieden oͤffentlichen Vorfaͤllen den Rang iederzeit vor den ſpaniſchen ohne Widerrede behaup - tet haͤtten, daher der Rath auch beſchloſſen, dasienige mit Gefahr nicht zu aͤndern, was jederzeit ganz friedlich waͤre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals nicht, die Drohungen in Erfuͤllung zu bringen c].
Bey der Pforte bedung Frankreich ſich den Rang vor Spanien und alle uͤbrige Koͤnige in den Tractaten von 1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d]
Im Frieden zu Kaingerd 1774 verſprach die Pforte, dem ruſſiſchen Geſandten den Rang unmittelbar nach dem roͤmiſch kaiſerlichen und vor allen uͤbrigen Maͤchteneinzu -271und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.einzuraͤumen, bey Geſandten von ungleichem Range aber, ſolle der ruſſiſche dem hollaͤndiſchen, und in deſſen Abwe - ſenheit, dem venezianiſchen folgen e].
Uebrigens koͤnnen alle ſolche Verfuͤgungen, als Handlungen zwiſchen einem dritten, den intereſſirten Thei - len keinen Nachtheil bringen, oder andere Maͤchte zur Nachfolge verbinden, obgleich eine oder die andere ſtreitige Nazion zuweilen als einen Grund des Vorranges anfuͤhrt, daß ihr an dieſem oder ienem Hofe der Vorzug einge - raͤumt werde.
Koͤnnen die Rangſtreitigkeiten unter den Nazionen nicht in Guͤte foͤrmlich beigelegt werden, ſo muß man entweder alle Ceremonielle und andere Gelegenheiten, wo der Rang in Frage kommt, gaͤnzlich vermeiden a], oder ſich gewiſſer Auswege bedienen, wodurch keinem Theile mehrere Vorzuͤge eingeraͤumt werden, als dem andern, z. B. eine ſolche Eintheilung des Ranges, daß in einem Stuͤcke dieſem, im andern ienem Theile der Vorranggelaſ -272Von der urſpruͤnglichen Gleichheitgelaſſen wird, voͤllige Gleichheit in allen Stuͤcken, Ab - wechſelung nach dem Alter, der Zeit, dem Looſe, Unter - laſſung alles Ceremoniels ꝛc. Bey dieſen und aͤhnlichen Auskunftsmitteln komt es hauptſaͤchlich auf die verſchie - dene Konkurrenz der ſtreitenden Nazionen an.
1] Die perſoͤnliche Zuſammenkunft ihrer Regen - ten an dritten Orten wird, wo moͤglich, ganz unterlaſ - ſen, oder geſchieht ohne alles Ceremoniel, entweder in - cognito, unter einem andern geringern Karacter, — wel - ches heutzutage am gewoͤnlichſten — oder mit Beobach - tung gewiſſer Formalitaͤten. So veranſtalteten z. B. die Koͤnige von Spanien und Frankreich 1660 an der Grenze ihrer Reiche, auf der ſogenanten Conferenzinſel, eine Zuſammenkunft, wobey in der Mitte des Confe - renzſaals eine Linie, die Grenze bedeutend, gezogen war, welche keiner von beiden uͤberſchritt. Sie kamen und gingen mit gleichen Schritten ꝛc. b] Auf dem Wahltage zu Frankfurt kamen der Koͤnig von Ungarn, nachheriger Kaiſer, Leopold, vor der Wahl, und Kur Mainz eini - gemal, mit Unterlaſſung aller Ceremonien, dergeſtalt zuſammen, daß ſie ſich gar nicht niederließen, ſondern im Zimmer blos auf und abgingen und die Oberhand unentſchieden blieb. Das naͤmliche geſchah auch bey glei - cher Gelegenheit zwiſchen dem nachmaligen Kaiſer Joſeph I. und dem Kurfuͤrſten von Baiern c].
Es giebt iedoch auch Beyſpiele von dem Gebrauche anderer zu Ausgleichung des Ranges, mit Beibehaltung des Ceremoniels, dienlicher Mittel. Die Koͤnige von Daͤnemark und Polen hatten bey ihrer Reiſe nach Berlin 1709 gelooſt, daß ſie wechſelsweiſe den Rang haben ſolten d].
2] In Anſehung der Geſandten mehrerer um den Rang ſtreitenden Maͤchte hat man ebenfals verſchie - dene Auskunftsmittel, beſonders an dem Hofe einer dritten Nazion. In den ehemaligen Rangſtreitigkeitenzwi -273und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.zwiſchen Spanien und Frankreich richtete man es an dem Hofe Papſt Pius des V. alſo ein, daß beide Bothſchaf - ter ihren Einzug zu gleicher Zeit hielten, und ieder eine beſondere Stunde zur Audienz bekam, wo er allein war e]. Wenn Prozeſſionen oder andere Feierlichkeiten vorfielen, wobey Frankreich mehrern Antheil hatte, erſchien der franzoͤſiſche, und bey denen, wo Spanien mehr inter - eſſirt war, der ſpaniſche allein. In Privatbeſuchen aber behandelten die Bothſchafter einander gleich. Einer der gemeinſten Auswege, wenn kein Theil im geringſten nachgeben will, iſt, daß der eine einen Geſandten von niedrigerm Karacter ſchickt, der vermoͤge ſeines Ranges nachgeht.
Mit weit mehrern Schwierigkeiten ſind die Rang - ſtreitigkeiten der Geſandten auf Friedens - und andern Kongreſſen verknuͤpft, indem dieſe dadurch ſchon mehr - malen auſſerordentlich verlaͤngert, oder wohl gar zertrent worden ſind. Doch giebt es auch hier der Auswege noch mehrere.
a] Die bevolmaͤchtigten Miniſter der kriegfuͤhrenden Maͤchte vermeiden alle foͤrmliche Zuſammenkuͤnfte, und unterhandeln in Schriften, welche durch Mediateurs dem andern Theile iedesmal zugeſtelt werden. Dieſen Weg ſchlugen ſchon die franzoͤſiſchen Mediateurs auf dem Kongreſſe zu Boulogne 1600 den engliſchen und ſpani - ſchen Geſandten vor.
b] Die Geſandten nehmen den Rang nach der Zeit ein, wie ſie in den Verſamlungsort oder den Conferenz - ſaal ankommen.
c] Man ſezt ſich in einem Zimmer, wo eigentlich kein vorzuͤglicherer Platz ſtatt findet, an eine runde Tafel. Als auf dem Kongreſſe zu Carlowitz 1698 die Geſand - ten des roͤmiſchen Kaiſers, der Pforte, Rußlands, der Kron Polen, der Republik Venedig und Grosbritan - niens, als vermittelnder Macht, des Ranges wegen ſichSnicht274Von der urſpruͤnglichen Gleichheitnicht vereinigen konnten, ließen ſie einen runden Saal und fuͤr ieden Geſandten eine Thuͤr in denſelben erbauen. Vor den Thuͤren waren die Zelter derſelben, iedes nach der Gegend ſeines Landes aufgeſchlagen. Bey der Zu - ſammenkunft gingen ſie mit gleichen Schritten aus ihren Zelten, kamen zu gleicher Zeit in den Saal, bewilkom - ten einander auf einmal, und ieder nahm den Stuhl ein, den er ſeiner Thuͤr gerade gegenuͤber fand. Zu Nimirov wurden 1737 die Zuſammenkuͤnfte zwiſchen den roͤmiſch - kaiſerlichen, ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Geſandten auf aͤhn - liche Art in einer Art von Scheune gehalten, welche drey Thuͤren hatte, wodurch ieder Geſandte aus ſeinem von dem Conferenzort ziemlich entfernten Quartier zu gleicher Zeit eingieng f].
d] In neuern Zeiten hat man ſich uͤber ſolche die Unterhandlungen aͤuſſerſt erſchwerende Rangſtreitigkeiten mehrenteils weggeſezt. Die Zuſammenkuͤnfte werden gewoͤnlich ohne alles Ceremoniel gehalten, indem die Geſandten den erſten beſten Platz einnehmen, und wider alles Nachtheilige, welches in Anſehung des Ranges dar - aus gefolgert werden koͤnte, proteſtiren, oder vorher des - halb gewiſſe Abrede mit einander nehmen. Lezteres ge - ſchah auf den Kongreſſen zu Utrecht, Cambrai, Soiſſons und Aachen, wo man unter andern guten Policeyveran - ſtaltungen dahin uͤbereinkam: “Alle Conferenzen ſollen ohne Ceremoniel gehalten werden, ſo, daß die Bevol - maͤchtigten ſich an einen runden Tiſch ſetzen, an welchem weder ein oberes noch unteres Ende ſich befindet. Sie werden ſich an ſelbigen, ſo wie ſie in den Saal hinein - kommen, niederſetzen, und daſelbſt ſich mit einander ohne Unterſchied und Rang befinden. ” g]
3] Bey ſchriftlichen Unterhandlungen, Aus - fertigung der Vertraͤge, Friedens - und andrer Inſtru - mente pflegen beide Theile, wenn der Vorrang nicht ent - ſchieden iſt, abzuwechſeln. Jeder ſezt naͤmlich in demExem -275und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.Exemplar, das er ausfertigt und ihm verbleiben ſoll, ſich zuerſt, und ſein Geſandter unterzeichnet ſich am erſten Platze. Doch will zuweilen auch dieſe Abwechſelung nicht einmal zugeſtanden werden; alsdann ſtelt ieder Theil eine von ihm allein unterzeichnete beſondere Urkun - de aus. Auf dem Utrechter Friedenskongres z. B. uͤber - gab der franzoͤſiſche Geſandte dem Grosbritanniſchen die von ihm allein unterzeichneten Praͤliminarartickel, und dieſer ſtelte dagegen eine Genehmigungserklaͤrung aus. So ward es auch auf dem Aachner Friedenskongres mit der Erklaͤrung vom 31. May 1748 zwiſchen Frankreich, Grosbritannien und den vereinigten Niederlanden gehal - ten. Nur ein Geſandter unterzeichnete iedes Exemplar, ſtelte ſolche den uͤbrigen Geſandten zu, und erhielt von ihnen ein gleiches. Mit den andern Friedensinſtrumen - ten hielt man es alſo: Es wurden vier Exemplarien des Tractats gefertigt, zwey, in welchen der Koͤnig von Frankreich, zwey, in welchen Grosbritannien zuerſt ge - nant war: der franzoͤſiſche Geſandte unterſchrieb ſich in ienes, der grosbritanniſche in dieſen am erſten Orte. Die Geſandten der vereinigten Niederlande ſezten ihren Namen in allen vier Exemplarien zulezt. Frankreich bekam eins von denen, worinnen es zuerſt genant, Gros - britannien eins, wo dieſe Krone vorgeſezt war; die ver - einigten Niederlande behielten die beiden uͤbrigen, um beiden Maͤchten durch Abwechſelung den Vorrang zu laſ - ſen. Bey dem Beytritte der Kaiſerin Koͤnigin von Hun - garn und anderer Maͤchte, wurden iederzeit eben ſo viel Exemplarien auf gleiche Art gefertigt, unter iedes die Beitritsurkunde geſchrieben, und ſie obgenanten Haupt - contrahenten zugeſtelt, wogegen ieder Beitretende wie - derum vier Acceptationsurkunden erhielt h].
Der Streitigkeiten, welche bey Gelegenheit des Aach - ner Friedens, der Abwechſelung halber in den UrkundenS 2zwi -276Von der urſpruͤnglichen Gleichheitzwiſchen Sardinien und Hungarn, Genua und Modena entſtanden, iſt bereits oben Erwaͤhnung geſchehen.
In neuern Zeiten haben die europaͤiſchen Nazionen den Grundſatz der natuͤrlichen Gleichheit unter ſich immer mehr einzufuͤhren geſucht. Guſtav Adolph von Schwe - den war einer der erſten, der ſowohl gegen den franzoͤſi - ſchen Geſandten an ſeinem Hofe in Geſpraͤchen, als be - ſonders auf der weſtphaͤliſchen Friedensverſamlung dieſe Gleichheit behauptete a]. Sein Ehrgeitz, ſagt Real b], konte ſich nicht entſchluͤßen, irgend iemand uͤber ſich zu erkennen, oder ihm einen Vorrang einzuraͤumen. Es kam ihm ſonderbar vor, daß unter Koͤnigen, die einan -der277und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.der Bruͤder nennen, einige als die Erſtgebohrnen, die uͤbrigen aber als die Juͤngern behandelt werden ſolten. In der Vorausſetzung, daß man blos die koͤnigliche Wuͤrde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht ꝛc. hin - gegen bey Seite ſetzen muͤſſe, glaubte er, daß ihnen allen einerley Rang gebuͤhre.
Dermalen iſt,
1] auſſer dem roͤmiſchen Kaiſer, beinahe keine Frage mehr vom Vorrange, ſondern alle europaͤiſche Maͤchte wollen, ienem Beiſpiel zu Folge, einander gleich behan - delt werden. Nach Neyrons Meinung ſollen ſie auch, bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa - niens Beitritt zu derſelben 1720, dieſe Regel im algemei - nen feſtgeſezt haben c]. Indes ſuchen der roͤmiſche Koͤ - nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch einigen Vorzug zu behaupten.
2] Jedoch gehen alle gekroͤnte ganz ſouveraine Haͤup - ter allen Republiken und den halbſouverainen Regenten ohne Widerrede vor.
Wenn gekroͤnte Haͤupter einander beſuchen, laͤßt der Wirth dem Gaſt gewoͤnlich den Vorrang. Dies geſchah unter andern z. B. bey der Zuſammenkunft der Koͤnige in Schweden und Daͤnemark zu Friedrichsburg 1658. Der Koͤnige von Spanien und Portugal zu Liſſabon 1704. ꝛc. d]
Nur der roͤmiſche Kaiſer will auch in ſeiner Behau - ſung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da - her dieſe einen ſolennen Beſuch bey ihm vermeiden e]. Aus dieſem Grunde kamen Kaiſer Leopold und Koͤnig Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im Lager zu Pferde zuſammen, erſchien der Czaar Peter I. incognito zu Wien, und ſprachen der Kaiſer und Koͤnig von Preuſſen 1732 einander ohne ſolennes Ceremoniel bey Carlsbad auf einer Landpartie.
S 3Vor278Von der urſpruͤnglichen GleichheitVon dem gleichen Verlangen des roͤmiſchen Koͤnigs iſt ſchon oben Erwaͤhnung geſchehen.
Die Koͤnige nehmen ebenfals in ihrem eignen Quar - tier den Rang vor den Kurfuͤrſten. Dies hat z. B. 1681 Koͤnig Chriſtian IV. von Daͤnemark gegen Kuͤrfuͤrſt Fridrich Wilhelm zu Brandenburg, der Koͤnig von Hun - garn nachheriger Kaiſer Joſeph I. vor der Wahl zu Augsburg 1689 gegen Kurmainz ꝛc. gethan f].
Die Kurfuͤrſten laſſen einander bey Beſuchen die Oberſtelle; ſo auch den altweltlichen Fuͤrſten, die Sitz und Stimme haben, aber keinesweges den neuen Fuͤr - ſten, oder denen, die nicht Sitz und Stimme haben g].
Die altweltliche Fuͤrſten wollen den geiſtlichen, den neuen Fuͤrſten, wenn ſie gleich Sitz und Stimme haben, und noch weniger den Titularfuͤrſten den Vorrang auch im eignen Hauſe nicht zugeſtehn h].
3] Auf Congreſſen gehen die Geſandten der ſtreitigen Theile den Miniſtern der vermittelnden Maͤchte ohne Bedenken nach, wenn dieſe auch ſonſt wuͤrklich von ge - ringerer Wuͤrde und niedrigerm Range waͤren.
Da die Voͤlker von Natur unabhaͤngig und einander volkommen gleich ſind, alſo keine Oberherſchaft, kein Gebot oder Verbot, noch Strafen unter ihnen ſtatt findet a], ſo folgt daraus vorzuͤglich der Grundſatz, daß iedes ſouveraine Volk und deſſen Regent, der Regel nach, das Recht habe, ſeine Handlungen und die Regierung des Staatskoͤrpers nach eignem Gutduͤnken einzurichten b], ohne daß eine andere Nazion befugt iſt, ſich darein zu miſchen, das handelnde Volk deshalb zur Rede zu ſtellen, ſich zum Richter daruͤber aufzuwerfen, oder eine Abaͤnde - rung der getroffenen Veranſtaltungen zu verlangen. Folglich iſt auch keine Nazion verbunden, dergleichen Einmiſchung von andern zu leiden, ihnen von ihrem Thun und Laſſen Rede und Antwort zu geben c], noch deren Gebote oder Verbote anzunehmen. Ein Grund - ſatz, den alle freie Voͤlker, ihres eignen Vorteils wegen, ohne Widerrede anerkennen.
Bey alle dem iſt die Wilkuͤhr in den Handlungen der Nazionen iedoch dergeſtalt zu maͤßigen, daß die gleichen Rechte und Freiheiten der uͤbrigen dadurch nicht verletzt werden.
S 5*]282Von der Freiheit der Nazionen, ihreDie genaue Verbindung, in welcher die europaͤiſchen Nazionen heut zu Tage ſtehen, indem ſie gewiſſermaaſſen und beſonders in den Faͤllen, wo es auf ein gemeinſchaft - liches Intereſſe ankomt, als Glieder einer großen glei - chen Geſelſchaft zu betrachten ſind, [2. Kap. ] erfordert, nach den Grundſaͤtzen des freiwilligen Voͤlkerrechts, daß eine Nazion bey ihren Handlungen auch Ruͤckſicht auf die geſelſchaftlichen Pflichten nehme, und ihre Freiheit hierinn nicht zum offenbaren Nachtheil fuͤr die Ruhe und Erhaltung dieſer großen Geſelſchaft misbrauche a], oder den uͤbrigen Gliedern dadurch gegruͤndete Urſache zu Mistrauen und Unruhe gebe b].
Ein Volk kann ferner durch Vertraͤge oder auch durchs Herkommen der Freiheit nach eignem Gutduͤnken zu handeln ſich begeben. Dahin gehoͤren alle zum Theil oben ſchon erwaͤhnte Buͤndniſſe, wodurch die Souverai - netaͤt uͤberhaupt in einigen Stuͤcken beſchraͤnkt wird, z. B. Lehns -, Schutz - und andere Buͤndniſſe; ingleichen die Vertraͤge, vermoͤge welcher man dieſer Freiheit inein -283Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.einzelnen Faͤllen entſagt, oder die ſogenanten Staats - rechts-Servituten [ſervitutes juris publici] wovon in der Folge Beiſpiele vorkommen werden. Das Herkommen ſezt einen ſtilſchweigenden Vertrag zum Grunde, und kann alſo auch hierinn gleiche Wuͤrkung hervorbringen a].
Macht und Anſehen koͤnnen von Rechtswegen auf die Freiheit der Handlungen unter den Nazionen eben ſo wenig Einflus haben, als auf ihre Unabhaͤngigkeit uͤber - haupt. Der Staͤrkere hat kein Recht, dem Minder - maͤchtigen vorzuſchreiben, oder zu verbieten. Dies ge - ſchieht zwar auch gewoͤnlich eben nicht gerade zu; indes wird ein ſchwaͤcherer Staat, aus Furcht vor dem ſtaͤr - kern Nachbar, oͤfters genoͤthigt, etwas zu thun oder zu laſſen, wozu er ſich auſſerdem nicht entſchloſſen haben wuͤrde, und wozu er, nach dem ſtrengen Rechte, nicht verbunden geweſen waͤre. Dahingegen unternimt der Maͤchtige gemeiniglich, ohne weitere Ruͤckſicht, alles, was er ſich durchzuſetzen getraut. Der Schwaͤchere kan dies zwar auch; doch rather die Klugheit allerdings, demStaͤr -284Von der Freiheit der Nazionen, ihreStaͤrkern, ſo viel moͤglich, nachzugeben, und in den Handlungen ſich alſo zu benehmen, daß dieſer keine Urſach habe, ienem ſeinen Unwillen fuͤhlen zu laſſen a].
Kein Volk kann daher auf irgend eine Art, oͤffent - lich oder heimlich, ſich in die Staatsangelegenheiten der uͤbrigen miſchen, ohne ihre Rechte zu beleidigen a].
Die285Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Die leider nur zu oͤftere Uebertretung dieſes natuͤrli - chen Geſetzes und die haͤufigen Klagen daruͤber b] haben deshalb verſchiedene beſondere Vertraͤge unter den euro - paͤiſchen Nazionen veranlaßt, worinn ſie einander ver - ſprochen, ſich in die Regierungshaͤndel gewiſſer Staaten nicht zu miſchen.
Frankreich z. B. will nach dem pyrenaͤiſchen Frie - den von 1659, Art. 60. ſich der Einmiſchung in die por - tugieſiſchen Haͤndel enthalten.
Der roͤmiſche Kaiſer ſoll, vermoͤge des Luͤbecker Friedens mit Daͤnemark 1629, Art. 2. 3. eben ſo wenig an der Regierung in Daͤnemark, als dieſe Krone an der Regierung des Kaiſers im Reiche etwas zu verbeſſern ſuchen, oder erſtere ſich in die teutſchen Sachen uͤberhaupt weiter, als wegen Holſtein miſchen.
Rußland verſprach, in die innern Angelegenheiten des Koͤnigreichs Schweden, inſonderheit was die von den Staͤnden des Reichs einhellig beliebte Regierungs - form und Succeſſionsart betrift, ſich weder directe noch indirecte zu miſchen. Neuſtaͤdter Friede 1721 Art. 7.
Ein gleiches ſicherte eben dieſe Macht in Anſehung der polniſchen Staatsſachen zu, im Frieden mit der Pforte zu Conſtantinopel 1712, Art. 1. und zu Adria - nopel 1713, Art. 1.
Zuweilen verbinden auch wohl die Staͤnde eines Reichs ihren Regenten, nicht zuzugeben, daß auswaͤr - tige Nazionen ſich in die Staatsgeſchaͤfte miſchen, wie z. B. die teutſchen Reichsſtaͤnde den Kaiſer, welcher Art. 28. §. 1. der Wahlcapitulation verſpricht: Wir ſollen und wollen [zu Verhuͤtung allerhand Simultaͤten und daraus entſtehender gefaͤhrlichen Weiterung] nicht geſtatten, daß die auswaͤrtigen Gewaͤlte oder deren Geſandte ſich heim - oder oͤffentlich in die Reichsſachen miſchen.
Auch286Von der Freiheit der Nazionen, ihreAuch dritte Maͤchte ſuchen, wie aus dem vorſtehen - den ſchon erhellet, mehrmalen den alzugroßen Einfluß eines Staats auf die Regierung des andern zu verhuͤten. So ließ ebenfals Rußland in dem Kriege zwiſchen Gros - britannien und den vereinigten Niederlanden den leztern erklaͤren: daß es, in Verbindung mit einer andern Macht [Oeſterreich] niemals zugeben wuͤrde, daß Frankreich auf die Entſchluͤſſe der Generalſtaaten einen Einflus habe c].
Die vorzuͤglichſte Freiheit hat eine Nazion in Anſe - hung ihrer innern Angelegenheiten, welche zunaͤchſt blos die eigne Staatsverfaſſung des Volks, die Regierungs - form, die Staatsverwaltung, die Gerechtſame des Re - genten, der Reichsſtaͤnde und Unterthanen, und uͤber - haupt das eigne Wohl der Staaten betreffen a]. Da alle dieſe Gegenſtaͤnde auf andere Nazionen gewoͤhnlicher - weiſe keine Beziehung haben; ſo duͤrfen ſie auch einander hierinn nichts vorſchreiben oder unterſagen. Wenn gleich ein Regent ſeine Unterthanen auf irgend eine Art beſchwert,ſo287Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.ſo hat doch kein Volk das Recht, ihm Einhalt zu thun, oder iene zu Klagen zu veranlaſſen b].
Als daher Rußland 1747 von Schweden die Ent - fernung des Grafen von Teßin von den Regierungsge - ſchaͤften verlangte, aͤuſſerte der Reichsſenat: Sie hiel - ten es vor ſchimpflich, daß ſich ein freies Koͤnig - reich in dergleichen Domeſtique-Affairen von einer andern Potenz ſolte Geſetze vorſchreiben laſſen; und der Bauernſtand ließ ſich dahin vernehmen: Man koͤnte keinen Miniſter abſetzen, ohne daß die Potenz, welche ſich uͤber ihn beſchwerte, die Beſchuldigungen dar - gethan haͤtte. Weil ſich aber dieſe Potenz in ihrer Mei - nung gar ſehr betruͤgen koͤnte, ſo muͤſte ſie ihr Vorgeben mit den klaͤrſten Beweisgruͤnden unterſtuͤtzen, ſonſt wuͤr - de man ſich voͤllig von derſelben dependent machen, welches doch einer freien und ſouverainen Nazion nachtheilig waͤre c].
Jedoch leidet dieſes eine Ausnahme, wenn eine Na - zion durch Friedensſchluͤſſe, Vertraͤge ꝛc. dazu berechtigt iſt a], wie z. B. Frankreich und Schweden als Garantsdes288Von der Freiheit der Nazionen, ihredes weſtphaͤliſchen Friedens und der Staatsverfaſſung von Teutſchland; Rußland, Preuſſen und Oeſterreich in Anſehung Polens. Nur muͤſſen dieſe Vertraͤge aller - dings nicht weiter ausgedehnt werden, als der deutliche und woͤrtliche Inhalt derſelben es mit ſich bringt b]. Aber die Klagen uͤber den Misbrauch ſind mehrenteils nicht ſelten.
Zuweilen veranlaßt ein Staat ſelbſt den andern, ſich ſeiner innern Staatsgeſchaͤfte anzunehmen, und erſucht ihn, beſonders bey Entſtehung innerer Unruhen und Par - theien, um Vermittelung und Beiſtand. Jedoch muß dann, wenn die Einmiſchung der auswaͤrtigen Macht rechtmaͤßig ſeyn ſoll, das Anſuchen mit beider intereſſir - ten Theile Einwilligung geſchehen, damit iener Vorkeh - rungen nicht der Vorwurf der Partheilichkeit gemacht werden koͤnne a].
Nazionen, welche bey den Handlungen eines andern Volks ein Intereſſe, d. i. einigen Nutzen oder Schaden daraus zu gewarten haben, koͤnnen auch, nach Beſchaf - fenheit der Umſtaͤnde, mehr oder weniger ſich dagegen regen a]. Zwar iſt kein Volk verbunden, ſeine Freiheit zum Nutzen der uͤbrigen zu beſchraͤnken, oder eine zum Vortheil des Staats gereichende Einrichtung darum zu unterlaſſen, weil andern einiger Nutzen dadurch entzo - gen, folglich mittelbar Schaden zugefuͤgt wird b]; iedoch erfordern die Pflichten der geſelſchaftlichen Verbindung, den unmittelbaren Nachtheil der uͤbrigen Nazionen ſo viel moͤglich zu vermeiden, und alles aus dem Wege zu raͤu - men, wodurch beſonders die Nachbarn beſtaͤndiger Gefahr und Unruhe ausgeſetzt werden c].
Auch dem dritten Staate, der durch das Intereſſe ſeiner Bundsgenoſſen hierzu veranlaßt, oder vermoͤge der mit dieſen errichteten Vertraͤge dazu genoͤthigt wird, kann es nicht fuͤglich verargt werden, wenn er ſich, zu Gunſten derſelben, bey gewiſſen Gelegenheiten in die Staatsgeſchaͤfte fremder Maͤchte miſcht d].
Wenn aber auch in denen zwiſchen den Nazionen vorhandenen Vertraͤgen hieruͤber ausdruͤcklich nichts be - ſtimt iſt, ſo halten dieienigen Staaten, welche uͤber - haupt mit einander in Buͤndnis und Freundſchaft ſtehen, ſich oͤfters berechtigt, ihre willigen Dienſte bey innern Angelegenheiten dem andern Staate anzutragen. So ließ Frankreich bey den gegenwaͤrtigen Uneinigkeiten in den vereinigten Niederlanden den Generalſtaaten durch ſeinen Geſandten in einem Memoire vom 21. Apr. 1786 erklaͤren: “Der unterzeichnete Ambaſſadeur hat die Ehre E. H. M. die ſtaͤrkſten Zeugniſſe von der Zuneigung und Freundſchaft zu ertheilen, welche der Koͤnig ſein Herr gegen ſie hege, und ihnen die Verſicherung der unveraͤn - derlichen Anhaͤnglichkeit Sr. Maj. an die Allianz, wel - che zwiſchen ihnen und den vereinigten Staaten Statt findet, zu erneuern.
“Als eine Folge dieſer Geſinnungen aͤuſſert der Koͤnig den Wunſch, daß man zu einer Verbeſſerung der Misbraͤuche kommen moͤge, welche in der Republick innerliche Uneinigkeiten veranlaßt haben koͤnnen, und daß ihre Ruhe auf Gruͤnden moͤge hergeſtelt werden, die in dem Weſen ihrer wahren Conſtitution liegen.
“Indem der Koͤnig E. H. M. dieſe Wuͤnſche zu erkennen giebt, ſo verlangt er keinesweges ſichT 2in292Von der Freiheit der Nazionen, ihrein die Direction der innerlichen Affairen der Republick zu miſchen; weit entfernt dieſe Abſicht zu haben, wuͤrde im Gegentheil Sr. Maj., wenn es noͤthig waͤre, die thaͤtigſten Bemuͤhungen anwenden, um zu verhindern, daß J. H. M. darinn von innen oder von auſſen geſtoͤhrt wuͤrden. Sr. Maj. haben bey dieſem Schritte keine andre Abſicht, als gegen J. H. M. die Pflichten eines Freundes und Bundsgenoſ - ſen zu erfuͤllen, und ihnen dadurch eine neue Probe des aufrichtigen Anteils zu geben, welchen der Koͤnig an dem Gluͤck und Wohlergehn der vereinigten Provinzen nimt.”
Geſchieht die Einmiſchung wuͤrklich aus guter Abſicht und zum Nutzen des Staats, in deſſen Angelegenheiten dieſelbe unternommen wird, ſo kann der ſich einmiſchende Staat allenfals auf eine feierliche und foͤrmliche Dank - ſagung von dieſem Anſpruch machen; ſonſt aber wird ſolche wohl eine ſeltne Erſcheinung ſeyn, wie Moſer bemerkt und zum Beiſpiel die polniſche Dankabſtattung an Rußland 1776 anfuͤhrt a].
Wird den natuͤrlichen oder erworbenen Rechten eines Volks durch die innern Einrichtungen des andern nicht zu nahe getreten, ſondern etwa nur ein gehofter Nutzen vereitelt, oder ein zufaͤlliger vielleicht gar entfernter, blos moͤglicher Schaden bewuͤrkt, ſo darf die Einmi - ſchung nicht fuͤglich anders als durch freundſchaftliche Vorſtellungen und bittweiſe a], oder auch weiter, als man durch Vertraͤge oder auf andere Art dazu berechtigt iſt, geſchehen. Geht eine Nazion hierinn zu weit, ſo giebt ſie der andern, in deren Staatsverfaſſung ſie ſichmiſcht,293Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.miſcht, Anlas zu gegruͤndeten Beſchwerden, die durch nachdruͤckliche Vorſtellungen, Anrufung der Bundsge - noſſen und andere ſchaͤrfere gegen verlezte Rechte uͤber - haupt erlaubte Mittel, z. B. Wegſchaffung ihres Ge - ſandten vom Hofe ꝛc. geahndet werden koͤnnen b].
So wenig ein Volk das Recht hat, ſich in die Regie - rung des andern uͤberhaupt zu miſchen, eben ſo wenig iſtT 3es,294Von der Freiheit der Nazionen, ihrees, aus dem naͤmlichen Grunde, befugt, daſſelbe, ſei - ner Handlungen wegen, zu Rede zu ſtellen.
Keine Nazion iſt folglich, der Regel nach, ſchul - dig, der andern, oder irgend iemand von ihrem Thun und Laſſen Rechenſchaft zu geben: und man ſchuͤzt ſolche gemeiniglich alsdenn vor, wenn man auf beſchehene An - frage eine beſtimtere Antwort ſeiner Konvenienz nicht gemaͤs findet. Der ruſſiſche Groskanzler entgegnete 1748 dem franzoͤſiſchen Chargé d’ affaires zu Petersburg, der ſich wegen der, dem Vernehmen nach, zum Dienſt der Seemaͤchte beſtimten ruſſiſchen Truppen erkundigte: Que Sa Maj. Imp. étant Souveraine, elle n’avoit beſoin de rendre compte à aucune puißance de la terre de la marche des ſes troupes a].
So lange die Handlungen eines Volks hauptſaͤchlich nur das innere Wohl des Staats betreffen, haben die uͤbrigen Nazionen, auſſer den obbemerkten Faͤllen weder Recht noch Urſach ſich darum zu bekuͤmmern. Wenn aber deſſen Veranſtaltungen unmittelbar auf die große Staatsgeſelſchaft, deren Mitglied es iſt, ſich beziehen, und von der Art ſind, daß die Beſorgniß fuͤr die alge - meine Ruhe und Sicherheit erwecken; ſo muͤſſen die andern Staaten nothwendig aufmerkſam werden; zumal wenn die etwas dergleichen unternehmende Nazion ſchon durch aͤhnliche Faͤlle zu Mistrauen Anlas gegeben hat. Sie ſind daher, beſonders die zunaͤchſt intereſſirten, nach dem freiwilligen ſowohl, als dem herkomlichen Voͤlkerrechte, gar wohl befugt, eine Erklaͤrung uͤber die Abſicht ſolcher Handlungen und die Hebung des Beſorg - niſſes hierunter zu fodern a].
Bey Beſtimmung dieſer fuͤr die algemeine Ruhe der großen Voͤlkergeſelſchaft beſorglichen Handlungen komt es zuweilen blos auf gewiſſe angenommene Syſteme und beſondere, bald auf laͤngere, bald auf kuͤrzere Zeit, ge - ſchloſſene Verbindungen unter den Hauptnazionen Euro - pens an. Es giebt aber auch Unternehmungen, welche durch ein beſtaͤndiges Herkommen von den europaͤiſchen Maͤchten zu allen Zeiten und unter allen Umſtaͤnden dem gemeinſchaftlichen Intereſſe und der algemeinen Geſel - ſchaft fuͤr nachtheilig angeſehn worden ſind a].
Die erſte und rechtmaͤßigſte Urſach, eine Nazion, ihrer Handlung wegen, zur Rede zu ſtellen, iſt alsdann vorhanden, wenn dieſelbe dadurch den Rechten einer andern zu nahe tritt, oder wenigſtens zu nahe zu treten ſcheint; wenn ſie den unter ihnen vorhandenen Vertraͤ - gen geradezu oder unmittelbar zuwiderhandelt a], und Schuldigkeiten unterlaͤßt, die auf Vertraͤge b], oder auch nur auf ein guͤltiges Herkommen beruhen.
Vermoͤge des freiwilligen Voͤlkerrechts muͤſſen die in geſelſchaftlicher Verbindung ſtehenden Voͤlker, wenn ſie auch keine volkomne Verbindlichkeit haben, ihr wechſelſeitiges Wohl zu befoͤrdern, wenigſtens alles dasienige vermeiden, was die Eintracht unter ihnen ſtoͤ - ren, oder dieſe Bande ganz zerreiſſen koͤnnte. Wenn daher eine, dem Vorgeben nach, freundſchaftliche Na - zion mit den oͤffentlichen oder heimlichen Feinden einer andern in Buͤndnis trit oder ſonſt ſich einlaͤßt; mittel - oder unmittelbar die Anſchlaͤge und Abſichten dieſer Na - zion erſchwert oder gar vereitelt; Hoͤflichkeiten oder Ge - faͤlligkeiten gegen dieſelbe unterlaͤßt oder verweigert, wel - che dieſe von allen uͤbrigen erhaͤlt, und iene allen andern erweißt; wenn endlich ein Volk, das bisher in gutemT 5Ver -298Von der Freiheit der Nazionen, ihreVernehmen mit ihnen geſtanden, uͤberhaupt ein bedenkli - ches Betragen annimt, und Dinge ſich erlaubt, welche mit der guten Nachbarſchaft und Geſelligkeit nicht beſte - hen koͤnnen, ſo ſind dies fuͤr einen ruheliebenden Staat, der keine Gelegenheit dazu gegeben, gerechte Veranlaſ - ſungen genug, den andern um die Abſicht ſolcher auffal - lenden Handlungen zu befragen.
Es kann zwar keinem Volke gemisdeutet werden, wenn es ſowohl zu Handhabung der innern Ruhe, als zu Vertheidigung gegen auswaͤrtige Anfaͤlle, die noͤthi - gen Anſtalten trift; iedoch erfordern die geſelſchaftlichen Pflichten, daß es die Wahrſcheinlichkeit dieſer Abſicht, durch gar zu ungewoͤnliche und bedenkliche Ruͤſtungen nicht uͤberſchreite, und Beſorgniſſe fuͤr die Sicherheit der uͤbrigen Nazionen errege: oder es iſt verbunden, dieſe durch Darlegung ſeines dabey habenden Endzwecks, zu beruhigen, und ihnen ihr Mistrauen zu benehmen. Zu dergleichen auffallenden Handlungen rechnet man gemei - niglich: Die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze, beſonders an den Grenzen; ungewoͤnliche Werbung ſtarker Armeen a]; Maͤrſche der Truppen, vornaͤmlich nach den Grenzen b]; Zuſammenziehung derſelben in Laͤger, die zuweilen unter dem Schein der Waffenuͤbungen angeordnet werden; Zufuhr von Kriegsmunition und Anlegung von Magazi - nen an den Grenzen c]; bey Seemaͤchten: das unerwar - tete Auslaufen der Kriegsflotten ꝛc. d]
Ob ein Unternehmen wuͤrklich bedenklich und fuͤr die Sicherheit der uͤbrigen Nazionen gefaͤhrlich ſey? Dar - uͤber entſteht nicht ſelten Streit zwiſchen den handelnden und fragenden Theilen. In dieſem Falle hat iedoch das zunaͤchſt intereſſirte Volk bey der Anfrage ohnſtreitig mehr fuͤr ſich, weil dieſes am beſten beurteilen muß, was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine befriedigende Antwort ſehr leicht heben kann. Jedoch darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder Gelegenheit ihr Mistrauen aͤuſſern. Auf den Anſpruch der, wegen Leiſtung der verſprochenen Huͤlfe bey entſte - henden Streitigkeiten, dabey hauptſaͤchlich intereſſirten Bundsgenoſſen und uͤbrigen Theilhaber komt vieles an a]. Uebrigens iſt es eben nicht noͤthig, daß die nachtheilige Handlung wuͤrklich ſchon erfolgt ſey. Zuweiln ſind auch ein gegruͤndetes Beſorgniß b], ein hoͤchſt wahrſcheinlicher Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen uͤber - haupt hinlaͤnglich zur Anfrage c].
Bey Handlungen, welche Mistrauen und Beſorg - niſſe bey andern erwecken koͤnnten, erklaͤren die Nazio - nen, wenn ſie aufrichtig und den geſelſchaftlichen Pflich - ten gemaͤs zu Werke gehen wollen, gewoͤnlich ſelbſt, ohne weitere Veranlaſſung, den uͤbrigen, beſonders den Nachbarn und denen, die zunaͤchſt dabey intereſſirt ſind, daß darunter keine nachtheilige Abſicht gegen dieſelben verborgen ſey. Wenn z. B. auſſerordentliche Veraͤnde - rungen in der Regierungsverfaſſung, oder auch nur im Miniſterio vorgenommen werden, pflegt man allen an - dern Hoͤfen, zumal den freundſchaftlichen, zu verſichern, daß dieſes keine Veraͤnderung in den Tractaten oder der guten Freundſchaft und Nachbarſchaft uͤberhaupt mit ihnen, nach ſich ziehen ſolle a]. Dies geſchieht auch, wenn ein Volk veranlaßt wird, ſich in Vertheidigungs - ſtand zu ſetzen, gewiſſe bedenkliche Buͤndniſſe mit andern zu ſchließen ꝛc. b]
a]304Von der Freiheit der Nazionen, ihreUnterlaͤßt aber auch ein Staat dieſe freiwillige Erklaͤrung, ſo iſt er doch, den geſelſchaftlichen Pflich - ten und dem Herkommen gemaͤs, verbunden, wenig - ſtens auf die deshalb an ihn ergehende Anfrage, eine be - friedigende Antwort zu erteilen, wenn ihm anders daran gelegen iſt, die bisherige Freundſchaft mit der fragenden Nazion zu unterhalten.
Aus den vorhergehenden §. §. worinn gezeigt worden, wer uͤberhaupt einiges Recht habe, ſich um die Handlun - gen eines unabhaͤngigen Staats zu bekuͤmmern, laͤßt ſich auch leicht abnehmen: wer den Souverain deshalb zu Rede ſtellen koͤnne? Jede Nazion naͤmlich, die mit - tel - oder unmittelbar dabey intereſſirt iſt. Bey Unter -nehmung -307Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.nehmungen in auswaͤrtiger Beziehung inſonderheit, die naͤchſten Nachbarn, auch deren Bundsgenoſſen a] und andere, denen aus den Veranſtaltungen eines Staats gegen dritte einiger Nachtheil zuwaͤchſt b]. In Faͤllen, wo das eigentlich blos auf ein einzelnes Volk gerichtete Benehmen nachtheilige Folgen fuͤr die große Voͤlkerge - ſelſchaft Europens haben koͤnte, halten ſich ſaͤmtliche Mitglieder derſelben berechtigt, deshalb anzufragen c].
Wenn eine Nazion dergleichen verdaͤchtige, oder den Gerechtſamen anderer wuͤrklich nachtheilige Hand - lungen unternimt, ſo verlangt das von den meiſten Voͤlkern Europens behauptete Herkommen, daß die dabey intereſſirten Staaten, bevor ſie weitere Vorkeh - rungen treffen, ſich mit iener daruͤber vernehmen und Sicherſtellung oder Genugthuung fodern a]; wohinU 2auch308Von der Freiheit der Nazionen, ihreauch verſchiedene Buͤndniſſe lauten b]. Wird die Anfrage oder Beſchwerde aber unterlaſſen und ſogleich zu Thaͤtigkeiten geſchritten, ſo hat man es gemeinig - lich fuͤr Beleidigung angeſehn c].
Die Anfrage kan entweder ſchriftlich oder muͤndlich, theils von dem zunaͤchſt intereſſirten Souverain ſelbſt, durch den an ſeinem Hofe befindlichen Geſandten des freundſchaftswidrig handelnden Staats, oder durch ſei - nen bey dieſem ſich aufhaltenden Geſandten, theils mittelſt der Bundsgenoſſen eines oder des andern Volks, oder auch durch einen mit beiden in Freundſchaft ſtehen - den Staat geſchehen. Die Art der Anfrage muß uͤbri - gens allerdings, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, algemeiner oder beſtimter, und, nach der Groͤße der Gefahr und des Intereſſe, auch nach dem Verhaͤltniſſe, in welchem man mit dem andern Hofe bis dahin geſtan - den, beſcheidener oder ernſtlicher eingerichtet werden. Zuweilen fuͤgt der fragende Staat gleich die Erklaͤrung der, im Fall einer unzulaͤnglichen Antwort, zu ergrei - fenden Maasregeln bey.
In den vorbemerkten Faͤllen leidet die Regel des natuͤrlichen Voͤlkerrechts: daß kein freies Volk ſchuldig ſey, dem andern von ſeinen Handlungen Rechenſchaft zu geben, eine Ausnahme. Wird hierinn, auf geziemen - de Anfrage, entweder keine hinlaͤngliche, oder auch gar keine Antwort gegeben, ja ſolche, unter Beziehung auf iene Regel ausdruͤcklich verweigert, und die diesfalſige Anfrage fuͤr Beleidigung geachtet, ſo ſieht man dies gemeiniglich fuͤr ein ſtilſchweigendes Geſtaͤndnis der beſchuldigten Abſichten an, wodurch die fragende Na - zion alle dagegen zu ergreifende Sicherheitsvorkehrungen gerechtfertigt glaubt a]. Ein freundſchaftlich geſinnter Staat, der die geaͤuſſerten Beſorgniſſe des andern unge - gruͤndet findet, ſucht den fragenden daher auf alle Art zu beruhigen und ſicher zu ſtellen. “Die Kaiſerin von Rußland, hieß es 1784, hat auf die Anfrage wegen einiger Ruͤſtungen in Schweden von dem Miniſter Gra - fen von Kreutz die Verſicherung erhalten, daß der Koͤnig von Schweden nicht die geringſte Abſicht habe, die freundſchaftliche Eintracht in Norden zu unterbre - chen b].”
Die Antwort kan durch eben die Wege wie die An - frage geſchehen, muß uͤbrigens, ſo viel moͤglich klar und befriedigend ſeyn c], und da die muͤndlichen oft aller - hand Zweideutigkeiten unterworfen ſind; ſo werden ſiemehren -311Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.mehrenteils ſchriftlich verlangt d]. Zuweilen hat der fragende Souverain auch ſchon dem andern vorgeſchrie - ben, wie die Erklaͤrung eingerichtet werden ſolle e]. Dieſe Antwort pflegt dann den uͤbrigen freundſchaftlichen Hoͤfen mitgeteilt zu werden, damit ſie aus dem Erfolg die Zuverlaͤſſigkeit der Verſicherungen ienes Staats in aͤhnlichen Faͤllen beurteilen koͤnnen f].
In wiefern die ertheilte Antwort befriedigend ſey oder nicht? daruͤber entſtehen mehrmalen Streitigkeiten. Dem antwortenden Theile ſcheint oft etwas hinlaͤnglich, was der fragende dafuͤr nicht anſehen will. Jener beſchuldigt dieſen daher der Ungenuͤgſamkeit a], glaubt ſich wohl gar beleidigt, daß man zu ſeinen Verſicherun - gen nicht mehr Vertrauen hat, oder haͤlt es doch ſeinerUnab -313Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Unabhaͤngigkeit fuͤr nachtheilig, ſich in weitere Erklaͤrun - gen deshalb einzulaſſen b]. Indes ſind die durch das Betragen einer andern Nazion in Unruhe verſetzte und ſonſt dabey intereſſirte, oder dritte freundſchaftliche Staaten allerdings guͤltigere Richter uͤber die Hinlaͤng - lichkeit der erfolgten Antwort, als derienige, welcher ſolche ertheilt hat c].
Finden die intereſſirten Nazionen die Antwort des andern Souverains nicht deutlich oder nicht hinlaͤnglich genug, ſo koͤnnen ſie nicht nur eine befriedigendere Erklaͤ - rung, ſondern auch, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, mehrere Sicherheit durch Abſtellung der beſorglichen Handlungen a] oder ſonſtige Garantie b] verlangen, auch die Erklaͤrung ernſtlicher Gegenvorkehrungen beifuͤ - gen. Werden iene abgeſchlagen, ſo bleibt nichts uͤbrig, als ſich in erfoderlichen Vertheidigungsſtand zu ſetzen, Obſervationskorps, Flotten ꝛc. auszuruͤſten und andere noͤthige Anſtalten zu treffen c]. Der Theil, ſagt Mo - ſer d], welcher durch eine unzulaͤngliche Antwort und Erklaͤrung in unnoͤthige Sorgen, Koſten und Gegenver - faſſung geſetzt worden iſt, kan von ienem eine billigmaͤſi - ge Entſchaͤdigung fodern, wie z. E. der Kaiſer von Spanien, als dieſe Krone einen Einfall in Italien beſorgen ließ. Er bemerkt aber auch an einem andern Ort e] ſehr wohl, daß es etwas rares ſey, wenn eine Potenz von der andern in ſolchem Falle Schadloshaltung bekomme. Hat uͤbrigens eine Nazion uͤberzeugende Be - weiſe von den feindlichen Abſichten der andern, ſo kan es ihn keinesweges verargt werden, wenn ſie dieſer zuvorzukommen, ſich dadurch Sicherheit zu verſchaffen und die ihr gedrohte Gefahr abzuwenden ſucht f].
Auch die Bundsgenoſſen und andere vermittelnde Maͤchte pflegen, wenn ihren guͤtlichen Vorſtellungen kein Gehoͤr gegeben werden will, oͤfters zu erklaͤren, daß ſie, im Fall es zum Ausbruch oͤffentlicher Feindſeligkei - ten kommen ſollte, die Parthie des Beleidigten ergreifen wuͤrden.
So wie unabhaͤngige Nazionen, der Regel nach, kein Recht haben, einander in ihren Handlungen Ein - halt zu thun, ſo gehoͤrt es auch zu ihrer natuͤrlichen Frei - heit, nach Gefallen, einem Volke gewiſſe Vorrechte im Ceremoniel, in der Handlung ꝛc. vor andern zu geſtat - ten, ohne daß dieſe, wenn ſonſt ihren Rechten dadurch nicht zu nahe getreten wird, befugt waͤren, ein Glei - ches zu verlangen: denn die Nazionen ſind zwar ein - ander gleich; aber dieſe Gleichheit erſtreckt ſich nicht weiter, als auf die natuͤrlichen Rechte. Jeder iſt es uͤbrigens unverwehrt, ſolche durch Vertraͤge ꝛc. zu erwei -tern317Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.tern und zu vermehren, wenn die andern ihm dergleichen geſtatten wollen. Nur kan dies mit vollkomnen Rechte eben ſo wenig verlangt, als, ohne beſondere Verguͤn - ſtigung gehindert werden, daß eben dieſe erworbenen Rechte nicht auch den uͤbrigen Nazionen zugeſtanden werden.
Die in den vorhergehenden §. §. aufgeſtelten Grund - ſaͤtze des nothwendigen, freiwilligen und poſitiven Voͤl - kerrechts ſind groͤßtenteils auch auf die halbſouverainen Staaten, beſonders auf die teutſchen Reichsſtaͤnde anwendbar a]. Nur muͤſſen dieſe bey allen ihren Hand - lungen, auſſer ienen Ruͤckſichten auch die Verfaſſung und Grundgeſetze des Staats, deſſen Mitglieder ſie ſind, ſich zur Richtſchnur dienen laſſen, und dieſelben alſoeinrich -318Von der Freiheit der Nazionen, ihreeinrichten, wie ſie ſolche nicht blos vor Gott, ſondern auch vor dem Reiche zu verantworten ſich getrauen, weil ſie, widrigenfals auf gerichtliche oder andere Weiſe, vor dem Oberhaupte zur Verantwortung gezogen werden koͤnnen; dahingegen die ganz ſouverainen Nazionen, im uͤbrigen der Regel nach, in allen Stuͤcken, nach einer uneingeſchraͤnkten Freiheit handeln, und niemand des - halb Rechenſchaft geben duͤrfen b].
Jedoch findet dieſe Einſchraͤnkung bey den teutſchen Reichsſtaͤnden nur in Abſicht auf das Oberhaupt, dem ſie untergeordnet, und auf ihre Mitſtaͤnde ſtatt, und zwar nicht weiter, als die Grundgeſetze und das Her - kommen des Reichs es erfodern. Auſſerdem und im Verhaͤltniß gegen Auswaͤrtige haben ſie obgezeigterma - ßen die voͤllige Uebung der Souverainetaͤtsrechte, folg - lich auch voͤllige Freiheit der Handlungen c].
Selbſt der roͤmiſche Kaiſer, als Oberhaupt des teutſchen Reichs, kan die Freiheit der Reichsſtaͤnde in ihren innern Angelegenheiten nicht wilkuͤhrlich ein - ſchraͤnken, ſondern deſſen Gerechtſame in den reichsſtaͤn - diſchen Landen beruhen groͤßtenteils auf beſtimte Grund - vertraͤge und Herkommen. Derſelbe verbindet ſich in der Wahlcapitulation Art. I. §. 8. ausdruͤcklich: „ Wir wollen weder denen Reichsgerichten, noch ſonſt iemand, wer der auch ſeye, geſtatten, daß denen Staͤnden in ihren Territoriis in Religions - Politiſchen - Juſtitz - Ca - meral - und Criminalſachen ſub quaeunque praetextu, wider die Reichsgeſetze, den Friedensſchluß, oder aufgerichtete, rechtmaͤſige und verbindliche Pacta vor - oder eingegriffen werde; “ingleichen Art. XII. §. 4. „ daß denen Reichsgerichten keinesweges geſtattet werde, in die innern Kriegs - Civil - und Oekonomiſche Verfaſ - ſungen derer Reichskreiſe Hand einzuſchlagen, daruͤber auf einigerley Weiſe zu erkennen, oder wohl gar Proceſſe ausgehen zu laſſen. “ Bey Handlungen in auswaͤrtigerBe -319Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.Beziehung iſt blos die angezogene Vorſchrift des §. 4. Art. VI. der Wahlcapitulation zu befolgen d]. Die Art der Zuredeſtellung, oder vielmehr Ahndung, bey einem, ienen Grundſaͤtzen zuwider laufenden Unternehmen, geben die Reichsgeſetze ſattſam an die Hand.
Auch kein Mitſtand iſt befugt ſich in die innere Regierungsverfaſſung des andern zu miſchen, ſondern ieder handelt hierin frey, in ſoweit ihm, ſo wie iedem andern ſouverainen Staat, durch Vertraͤge, ſogenante Staatsrechtsſervitute, Garantien der Landesvertraͤge, Herkommen ꝛc. die Haͤnde nicht gebunden ſind und den uͤbrigen kein Nachtheil dadurch zuwaͤchſt e]. Die engern geſelſchaftlichen Bande, welche ſaͤmtliche Staͤnde in einen Staatskoͤrper vereinigen, erfodern hierin allerdings mehrere Behutſamkeit, als unter ganz ſouverainen Na - zionen f]. Die Maasregeln der Reichsſtaͤnde gegen einander im Falle eintretender Beſchwerden, ſind in dem Landfrieden und andern Reichsgrundgeſetzen ebenfals beſtimt. In Anſehung des Reichs, einander zu Rede zu ſtellen, ahndete der Kaiſer in einem Commiſſionsde - kret vom 12. April 1720, “daß die Reichsſtaͤnde bey dem Reichsconvent einander unter ſich, nach kaum an - gebrachten Klagen, ohne Richter oder Mittler, gleichſam zu Rede ſtellen und bedrohen wolten, da doch der Kaiſer nicht glauben koͤnne, daß ein Stand oder ein Theil des Reichs den andern eigenmaͤchtig zu Rede zu ſtellen befugt ſey g].
Auswaͤrtige Nazionen haben eben ſo wenig Recht, ſich in die Staatsgeſchaͤfte der teutſchen Reichsſtaͤnde, als in die Angelegenheiten irgend eines ganz ſouverainen Staats zu miſchen, oder ſie deshalb zu Rede zu ſtellen, ob es gleich bey der Mindermaͤchtigkeit vieler Reichsſtaͤn - de, freilich nicht ſelten geſchieht h]. Dieienigen indes, deren Verfaſſung es zulaͤßt, koͤnnen dagegen aller einem ſouverainen Staate erlaubten Vorkehrungen ſich bedienen.
a]320Von der Freiheit der Nazionen, ihreDas Verlangen nach Gluͤckſeligkeit iſt, wie ſchon oben [2. Kap. §. 8.] gedacht worden, die Haupt - triebfeder menſchlicher Handlungen, der Grund der Staatsvereine ſowohl, als der geſelſchaftlichen Verbin - dung der Voͤlker. Dieſer Trieb iſt von der Natur ſelbſt eingepflanzt. Ihm zu Folge ſind einzelne Menſchen und ganze Nazionen verbunden, fuͤr ihre Erhaltung und Vervollkomnung moͤglichſt zu ſorgen, und berechtigt aller erlaubten Mittel ſich zu bedienen, welche dieſer Abſicht entſprechen a]. Macht und Anſehn ſind Haupt - vollkommenheiten eines Volks und die vorzuͤglichſten Mittel zu Befoͤrderung ſeiner Erhaltung, Sicherheit und Ruhe, indem ſie es nicht nur gegen innere Zerruͤttungen, ſondern auch gegen aͤuſſere Anfaͤlle und Unterdruͤckung in erfoderlichen Vertheidigungsſtand ſetzen. Das Beſtre - ben nach Vergroͤſſerung der Macht iſt daher ohnſtreitig eine der erſten Pflichten der Voͤlker gegen ſich ſelbſt: und vermoͤge der algemeinen Freiheit, ihre Handlungen nach Gefallen einzurichten, iſt keine Nazion befugt, der andern hierunter Einhalt zu thun, ſo lange iene ſich rechtmaͤſiger dieſer unſchaͤdlicher Mittel bedient.
Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem Gebrauche der natuͤrlichen Freiheit der Voͤlker uͤberhaupt feſtgeſetzt worden, finden auch hier bey der Vergroͤſſe - rung ihrer Macht ſtatt. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande duͤrfen die Nazionen, nach dem nothwendigen Voͤlkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Ruͤck - ſicht nehmen, daß die Gerechtſame einzelner Voͤlker dadurch nicht beleidigt werden: aber die geſelſchaftliche Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergeſtalti - ge Maͤſſigung der Vergroͤſſerungsbegierde, damit die algemeine Sicherheit und Ruhe dieſer großen Geſelſchaft weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die erlangte Macht ſelbſt geſtoͤrt und dieſe auf den Ruin anderer gebaut werde. Die Voͤlker haben um ſo mehr Urſache, deshalb auf ihrer Hut zu ſeyn, da die Erfahrung aller Jahrhunderte lehrt, daß, ſo wenig auch die zufaͤl - lige Eigenſchaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor - zug zu gewaͤhren im Stande iſt, die maͤchtigern Staaten dennoch, unter einigen Schein, ein gewiſſes Recht des Staͤrkern auszuuͤben und ſich auf Kaſten der Schwaͤ - chern immer mehr zu vergroͤſſern geſucht haben a].
Einige Fuͤrſten aͤlterer und neuerer Zeiten ſind, ſtolz und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in ihrem Vergroͤſſerungsſyſtem ſo weit gegangen, daß ſienichts323und deren Gleichgewicht.nichts geringeres zur Abſicht gehabt, als ſich, wenn auch nicht zu Monarchen der ganzen Welt, doch wenigſtens zu Beherrſchern des betraͤchtlichſten Umfangs dieſes oder ienes Welttheils zu erheben. Einer ſolchen weitumfaſ - ſenden Herrſchaft hat man den Namen der Univerſal - monarchie beigelegt. Sie laͤßt ſich in einem doppelten Verſtande nehmen: entweder es muͤſten die uͤbrigen Nazionen nur einen algemeinen Regenten fuͤr ihren Beherrſcher erkennen und wie z. B. Teutſchland unter ein einiges Oberhaupt vereinigt ſeyn; oder man kan auch das billig fuͤr eine Univerſalmonarchie anſehn, wenn ein Staat durch Schwaͤchung der uͤbrigen ſich in ſolche Verfaſſung ſetzt, daß dieſe aus Furcht oder andern Beweggruͤnden in allen Stuͤcken dem Verlangen iener Macht ſich fuͤgen und ihre Handlungen deren Abſichten gemaͤß einrichten muͤſſen a]. Eine Univerſalmonarchie der erſtern Art war wohl hauptſaͤchlich das Werk der aͤltern Welteroberer b], wohin man die Chaldeer, Aſſy - rer, Perſer, Meder, Griechen c] und Roͤmer d] zaͤhlt. Nach dem Untergange des weitlaͤuftigen roͤmiſchen Reichs wagte lange kein Volk dieſen ſtolzen Gedanken wieder. Die Abſichten Karls des Großen und ſeiner Nachfolger wurden durch die paͤpſtliche Hierarchie zu ſehr beſchraͤnkt e]. In neuern Zeiten f] waren die Tuͤrken g] eine zeitlang furchtbar durch ihre Eroberungen: beſonders aber hat man Frankreich und dem Spaniſch-Oeſterreicht ſchen Hauſe hauptſaͤchlich eine zwar nicht ſo auffallende, iedoch eben ſo gefaͤhrliche Vergroͤſſerungsabſicht, naͤmlich das Beſtreben nach einer Univerſalmonarchie im zweiten Verſtande beigemeſſen. Dieſe zuweilen oͤffentlich dar - gelegte Abſichten ſind mehrenteils mit dem Deckmantel der Religion oder anderer guten Abſichten beſchoͤnigt worden h]. Die Univerſalmonarchie im erſtern Verſtan - de wuͤrde, wenn ſie moͤglich waͤre, vielleicht noch den weſentlichſten Nutzen ſtiften, weil ſie durch oberſtrich -X 2terliche324Von der Macht der Nazionenterliche Entſcheidungen den Kriegen ein Ende machte. Allein der Abt St. Pierre urteilt ſehr richtig, wenn er ſagt: L’idée de conquerir L’ Europe eſt une idée par - faitement chimerique i].
Bisher hat es iedoch noch keinem Volke gegluͤckt, eine eigentliche unmittelbar beherſchte Univerſalmonarchie zu errichten: und dieſe wird, nach dem Urteile der ein - ſichtsvolſten Politiker a] wahrſcheinlich nie zu Stande kommen. Ein Fuͤrſt, der einen ſolchen Plan auszufuͤh - ren unternaͤhme, wuͤrde, beſonders nach der heutigenX 3Ver -326Von der Macht der Nazionen.Verfaſſung, gegen die ungerechten und gewaltſamen Schritte, die dabey unvermeidlich waͤren, zu vielen Widerſtand finden. Geſetzt aber auch, daß er das Ziel ſeiner Wuͤnſche erreichte, ſo wuͤrde dieſes ungeheuere Gebaͤude, ſeiner eignen Groͤße wegen, von ſelbſt bald wieder zerfallen, da es nothwendig beſtaͤndigen innern Gefahren und Erſchuͤtterungen ausgeſetzt ſeyn muͤſte. Von ieher ſuchten aber auch die Nazionen, theils aus Neid, theils um ihrer eignen Erhaltung und Sicherheit willen b] zu verhindern, daß ein Staat zu einer Macht anwachſe, die ihnen ſaͤmtlich den Untergang zu drohn im Stande waͤre c]. Sie befolgten hierin den ſehr ver - nuͤnftigen Grundſatz, welcher in neuern Zeiten das Syſtem des Gleichgewichts erzeugt, Benennung und mehrere Ausbildung erhalten hat.
In Beſtimmung des Begrifs vom Gleichgewichte kommen nicht alle Voͤlkerrechtslehrer uͤberein, wie wohl ſie im Hauptwerke ziemlich einig ſind a]. Einer unſerer groͤſten Staatsmaͤnner, der Herr Staatsminiſter von Herzberg giebt uns eine Beſchreibung davon b], die ich mit algemeinem Beifal hier aufnehmen zu duͤrfen mit Grunde hoffen kan. “Das politiſche Gleichge - wicht,” ſagt derſelbe, “iſt nichts anders, als eine ausdruͤckliche oder ſtilſchweigende Vereinigung gewiſſer mindermaͤchtiger Staaten, um ihre Erhaltung, ihre Freiheit und ihr Eigenthum zu ſichern, und mit vereinig - ten Kraͤften die weitern Vorſchritte und ſehr weit um ſichX 4grei -328Von der Macht der Nazionengreifenden wuͤrklichen, oder moͤglichen Abſichten irgend einer Macht zu hindern, die durch mancherley Gluͤcks - faͤlle und Ereigniſſe ſchon uͤberwiegend geworden iſt, oder es noch mehr zu werden ſucht.” Es komt dabey nicht eben auf eine phiſiſche Gleichheit iedes einzelnen Volks in Vergleichung zum andern an, wie es einige und beſonders auch der Verfaſſer der Erinnerungen gegen Herrn Kahle genommen zu haben ſcheint c], ſondern es muß iederzeit das Ganze gewiſſer in geſelſchaftlicher Verbindung ſtehender Nazionen in Betrachtung gezogen werden. Keine aus dieſer Geſelſchaft ſoll, nach dem Syſtem des Gleichgewichts, ſich zu einer ſolchen Ueber - macht erheben und ein ſolches Uebergewicht erlangen; daß die uͤbrigen, wenn dieſe Nazion ihre Macht zu deren Unterdruͤckung misbrauchen wolte, mit vereinten Kraͤften nicht vermoͤgend waͤren derſelben Widerſtand zu thun. Die einzelnen Staaten gegen einander koͤnnen und moͤgen an Macht noch ſo ungleich ſeyn, oder es durch neue Erwerbungen oder Verminderungen werden. Uebrigens folgt ſehr natuͤrlich, daß das Gleichgewicht mancherley Veraͤnderungen unterworfen ſeyn muͤſſe, nachdem die Macht der einen oder andern Parthey durch Erwerbungen oder Buͤndniſſe ſich vergroͤſſert d].
Macht und Uebermacht ſind ſehr relative Begriffe, die blos in Vergleichung mit Mindermaͤchtigen beſtimt werden koͤnnen. Der Maasſtab, wornach man die vermeintliche Uebermacht einer Nazion aus der großen Voͤlkergeſelſchaft beurteilen muß, ſind die Kraͤfte der uͤbrigen mindermaͤchtigen Staaten, deren Erhaltung, Freiheit und Sicherheit erfodert, gemeinſchaftliche Sache gegen iene zu machen, wenn Gefahr der Unter - druͤckung ihnen bevorſtehn ſolte. Uebertrift die Macht der erſtern Nazion und ihrer Bundsgenoſſen die verei - nigte Macht mehrerer geringern Voͤlker dergeſtalt, daß ſie bei einem ienſeitigen gewaltſamen Angriffe nothwen - dig unterliegen muͤſten, ſo iſt das Gleichgewicht aufge - hoben und offenbar eine Uebermacht vorhanden. Die Gegner dieſes Syſtems nehmen von den Schwierig - keiten in Beſtimmung der Machtverhaͤltniſſe einen Haupteinwand her, der iedoch auf irrigen Vorausſetz - ungen beruht a].
X 5Die330Von der Macht der NazionenDie wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be - voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch - lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung; iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden, doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern Vergroͤſſerung gewaͤhren.
Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um - ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu - weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun - gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor - handen e].
Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi - ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſehaben,331und deren Gleichgewicht.haben, das Gleichgewicht zu zerruͤtten im Stande ſey.
Allerdings iſt iedoch die Beantwortung der Frage: ob eine Verletzung des Gleichgewichts wuͤrklich vorhan - den ſey? in einzelnen Faͤllen mit mancherley Bedenklich - keiten verknuͤpft, weil es an einem unpartheiiſchen Rich - ter fehlt, welcher den Ausſpruch thun koͤnte. Dem mit Vergroͤſſerungsabſichten befangenem Staate kan die Beurteilung eben ſo wenig uͤberlaſſen werden, als einem oder dem andern einzelnen Volke, das vielleicht blos ſeines Privatnutzens wegen die Macht ſeines Nachbars fuͤr zu gefaͤhrlich anſieht. Es muß hier ohnſtreitig auf das Urteil und den Ausſpruch ſaͤmtlicher uͤbrigen Nazio - nen oder, wo moͤglich, eines dritten dabey am wenigſten intereſſirten vermittelnden Volks ankommen f]. Da man heutzutage die Staͤrke und Schwaͤche der Voͤlker in Anſehung ihrer Einkuͤnfte, Kriegsheere und uͤbrigen Verfaſſung ziemlich genau anzugeben weiß, ſo duͤrfte das iedesmalige Machtverhaͤltnis minder ſchwer zu beſtimmen ſeyn.
In dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande findet freilich kein Syſtem des Gleichgewichts Statt. Im Verhaͤltnis der einzelnen Nazionen gegen einander ſorgt iede nur fuͤr ſich und ihre Vergroͤſſerung, ohne irgend eine andere zu beleidigen: ihnen ſaͤmtlich iſt er nichts weiter ſchuldig. Dieſe koͤnnen daher ſeinem Anwuchs mit Grunde keine Hinderniſſe in den Weg legen. Eben ſo wenig iſt dieſes Syſtem aber auch eine nothwendige und unmittelbare Folge der geſellſchaftlichen Verbindung. Die Voͤlker ſind zwar ſchuldig, hier nicht blos auf ihr eigenes, ſondern auch auf das Wohl des Ganzen Be - dacht zu nehmen, und keiner ſolchen Maasregeln ſich zu hedienen, wodurch der Erhaltung und Sicherheit der uͤbrigen insgeſamt zu nahe getreten wird; Allein die Macht an und fuͤr ſich ſchließt keinen Eingrif in dieGerecht -333und deren Gleichgewicht.Gerechtſame anderer in ſich. Hat der Maͤchtige gleich mehr Kraͤfte zu ſchaden, ſo iſt doch der Grundſatz des Hobbes und ſeiner Anhaͤnger: daß der, welcher die Kraͤfte zu ſchaden habe, ſolche gewis auch dazu anwen - den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel - mehr ſollte man folgern, daß eine Nazion, die der gemeinſchaftlichen Gluͤckſeligkeit halber mit andern in Verbindung getreten iſt, ihre Macht auch dieſem edlen Zwecke gemaͤs gebrauchen werde. Was ſolten die uͤbri - gen alſo fuͤr Grund haben, ſich der Vergroͤſſerung einer andern zu widerſetzen?
Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewaͤhrt hat, daß maͤchtige Staaten ihre Kraͤfte leider! nur zu oft zur Unterdruͤckung ihrer Mitſtaaten gemisbraucht haben, ſo erfoderte auch die Klugheit der Mindermaͤchtigen dagegen alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anſtalten zu treffen: und da, wie ſchon in der Einleitung §. 22. erinnert worden, bey den geſelſchaftlichen Pflichten der Voͤlker auch nothwendig auf die nach und nach entſtandenen Zufaͤlligkeiten Ruͤckſicht zu nehmen iſt, ſo kan man den Grund des Syſtems vom Gleichgewichte fuͤglich in dem freiwilligen Voͤlkerrechte ſuchen. Hauptſaͤchlich aber beruht es theils auf ſtilſchweigende, theils auf ausdruͤck - liche Vertraͤge der Nazionen b], wodurch ſie ihrer na - tuͤrlichen Vergroͤſſerungsfreiheit, zum Beſten des Gan - zen, Schranken zu ſetzen fuͤr gut befunden haben c]. Ehemals gruͤndete ſich daſſelbe groͤßtentheils auf ſtil - ſchweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein - willigung d], und erſt in neuern Zeiten hat man dieſe auch durch ausdruͤckliche Vertraͤge zu beſtaͤtigen geſucht, wie aus der folgenden Geſchichte erhellen wird.
Einige Schriftſteller wollen dem Syſtem des Gleich - gewichts kein gar hohes Alter zugeſtehn. Sie halten es fuͤr eine neue Erfindung und glauben, daß man damit uͤber das funfzehnte Jahrhundert nicht hinausgehn koͤn - ne a]. Andere im Gegentheil leiten es von dem Urſprun - ge der Staaten und ihrer geſelſchaftlichen Verbindung her b]. Die Gruͤnde der letztern ſind ohnſtreitig uͤber -wie -335und deren Gleichgewicht.wiegender. Wir finden, wie ſchon gedacht, von ieher in der Geſchichte Beiſpiele von ſtolzen und herſchſuͤchti - gen Nazionen, deren Vergroͤſſerungsabſichten andere nach allen Kraͤften ſich widerſetzt haben; ob es ſchon nicht zu leugnen iſt, daß man in aͤltern Zeiten deshalb weniger gemeinſchaftliche Sache gemacht habe, indem ieder Staat hauptſaͤchlich fuͤr ſeine eigne Erhaltung ſorg - te. Auch hat daſſelbe freilich zu einer Zeit ſich nicht ſehr aͤuſſern und zu Streitigkeiten Anlaß geben koͤnnen, wo alle Nazionen ziemlich in einer ſolchen Verfaſſung ſich befanden, daß keine an Unteriochung der andern denken konte c]. Der Herr Staatsminiſter von Herzberg hat in der vorangefuͤhrten Abhandlung d] einen kurzen Abris der Geſchichte des Urſprungs und Fortgangs des Gleich - gewichts entworfen, den ich hier mittheilen will, weil ich mir nicht getraue den Gegenſtand dieſes §. auf eine wuͤrdigere Art zu bearbeiten. “Das politiſche Gleich - gewicht,” ſagt derſelbe, “iſt ſo alt, als die Geſel - ſchaften und Staaten, und erhaͤlt ſich mit ihnen fort. Ein ſcharfſinniger Beobachter wird es in der Geſchichte aller Zeiten und Nazionen entdecken; wovon man in den Verſuchen des beruͤhmten Hume und in den beſondern Abhandlungen, welche die teutſchen Gelehrten Leh - mann, Huldenburg, Schmaus, Kahle, Benzel und andere von dem Gleichgewichte in Europa geſchrie - ben haben, die auffallendſten Beweiſe antreffen kan. Hier will ich nur ein kleines hiſtoriſches Gemaͤlde von dem Daſein des politiſchen Gleichgewichts in allen Jahr - hunderten vorlegen. Nach dem Thucidides hatte der beruͤhmte Peloponneſiſche Krieg keinen andern Urſprung, als die Eiferſucht der griechiſchen Freiſtaaten gegen Athen. In der Folge ſuchte dieſe Republik ein Gleichgewicht zwiſchen Sparta und Theben zu erhalten. Sogar die maͤchtigen Koͤnige von Perſien trugen, auf Alcibiades Anrathen, das Ihrige zu Aufrechterhaltung des Gleich -gewichts336Von der Macht der Nazionengewichts unter den verſchiedenen Republicken Griechen - lands bey. Demoſthenes machte in ſeinen Reden die Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis zum Treffen bey Chaͤronea. Philip und Alexander hoben alles Gleichgewicht in Europa und Aſien auf, beſonders der letztere durch ſeine ſo erſtaunenden als unaufhaltſamen Siege und Eroberungen. Nachdem ſeine Generals ſich in deſſen weitlaͤuftige Staaten geteilt hatten, ſtritten die nachfolgenden Koͤnige von Macedo - nien, Aſien und Egypten lange um das Gleichgewicht der Macht, bis Rom, dieſer beruͤhmte Freiſtaat, der einzige, welcher wider das Beiſpiel und die Natur der Republicken das Eroberungsſyſtem annahm, die Unei - nigkeit und Unfaͤhigkeit der benachbarten Koͤnige ſich zu Nutze machte, und ſie zu vertilgen und ganz Griechen - land, Aſien und Afrika zu erobern das Gluͤck hatte. Einige von ihnen, als Philip und Perſeus von Mace - donien, Pyrrhus Koͤnig von Epirus und Hiero Koͤnig von Sicilien verſuchten einige Zeitlang, das Gleichge - wicht zwiſchen den Roͤmern und Karthagern, dieſer bei - den wetteifernden Maͤchte, die ſo lange um die Herſchaft der Welt geſtritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber es geſchah mit eben ſo wenig Erfolg, als Geſchicklich - keit; und einige dieſer aſiatiſchen und afrikaniſchen Koͤni - ge z. B. Pruſias, Attalus und Maſiniſſa waren unuͤber - legterweiſe ſelbſt Schuld, daß die Wage auf Seiten Roms uͤberſchlug, indem ſie ſich, aus Nebenabſichten, mit dieſem ohnedies ſchon uͤbermaͤchtigen Staate verban - den; und zwar wider alle Regeln einer geſunden Staats - klugheit, welche iederzeit mindermaͤchtige Staaten von der Verbindung mit einer uͤbermaͤchtigen Nazion abzu - lenken und ſie in das Intereſſe nicht ſo maͤchtiger ihnen aͤhnlicher Staaten zu ziehn ſucht. Als endlich die Roͤ - mer, dieſe ſtolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheitihrer337und deren Gleichgewicht.ihrer Tactick die bekanten und geſitteten Reiche der drey Welttheile unteriocht hatten, ward das politiſche Gleich - gewicht ganz aus der Welt verdraͤngt, und man kante vier Jahrhunderte hindurch, ſo lange das roͤmiſche Reich theils in der Form eines Freiſtaats, theils als Monar - chie dauerte, bis zum vierten Jahrhundert der chriſtli - chen Zeitrechnung weder die Sache, noch den Namen. Bey aller dieſer Ueberlegenheit des roͤmiſchen Reichs gluͤckte es den tapfern teutſchen Voͤlkerſchaften, welchen die roͤmiſchen und neuern Schriftſteller ohne Grund den Namen der Barbaren aufbuͤrden wollen, dennoch, nicht etwa durch eine Verbindung unter ihnen, ſondern blos durch vorzuͤglichen Muth, den roͤmiſchen Koloß uͤber den Haufen zu werfen und auf ſeinen Truͤmmern alle neuere Reiche Europens zu errichten und zu gruͤnden. Jede Na - zion dieſer nordiſchen Eroberer war uͤbrigens zufrieden, ſich in dem Beſitz der eingenommenen roͤmiſchen Provinz zu erhalten, ohne daß eine von ihnen an eine Univerſal - monarchie, oder an ein Gleichgewicht haͤtte denken ſollen. Karl der Große, Otto der Große und die beiden Frie - driche, teutſche Koͤnige und Kaiſer aus dem ſchwaͤbiſchen Hauſe, richteten zwar ihr Abſehn auf eine algemeine Herſchaft, und glaubten das große roͤmiſche Reich wie - derhergeſtelt zu haben; aber es beſtand blos im Namen. Das Lehnsweſen und die darauf ſich gruͤndende Kriegs - verfaſſung, die tiefe Unwiſſenheit in der Staatskunſt, die Anarchie und die unaufhoͤrlichen innern Kriege, wel - che eine Folge dieſer Verfaſſung waren, veranlaßten zwar oͤfters unter den Nazionen Uneinigkeiten und entge - gengeſeztes Intereſſe, welche zuweiln ein beſonderes und voruͤbergehendes Gleichgewicht bewuͤrkten; aber auf eine dauerhafte und gruͤndliche Art konte weder von einer Uni - verſalmonarchie, noch von einem dieſer entgegenzuſetzen - den Gleichgewicht die Frage entſtehn.”
Ya]338Von der Macht der NazionenDie heutigen europaͤiſchen Nazionen, die nach und nach immer in eine engere geſelſchaftliche Verbindung zu - ſammengetreten ſind, haben den Grundſatz des Gleichge - wichts ihrem gemeinſchaftlichen Wohl dergeſtalt ange - meſſen gefunden, daß ſie ihn nicht nur in ihren Hand - lungen iederzeit befolgt, ſondern ihn auch ausdruͤcklich und oͤffentlich anerkant, ihm den Namen des europaͤi - ſchen Gleichgewichts gegeben und ein eignes Syſtem daraus gebildet haben. Daſſelbe muß iedoch nicht, wie ehedem meiſtens geſchah, blos auf die beiden Maͤchte Frankreich und Oeſterreich eingeſchraͤnkt werden, die man gleichſam fuͤr ein paar Wagſchaalen anſahe, woran die uͤbrigen Staaten bald auf dieſer, bald auf iener Seite ſich hingen a]: es iſt wider die gefaͤhrlichen Vergroͤſſe - rungsabſichten aller europaͤiſchen Staaten gerichtet, und der im 5. §. feſtgeſezte algemeine Begrif des Gleichge - wichts iſt, nach ſeinem ganzen Umfange, auch auf die Nazionen Europens anwendbar. Man hat es ſeit Jahr - hunderten als den Grund der Ruhe von Europa und als die algemeine Regel des Krieges und Friedens angeſehen, zu deren Befolgung die Staaten nicht nur aus geſelſchaft - licher Pflicht, ſondern auch vermoͤge ausdruͤcklicher Ver - traͤge verbunden ſind b].
Der mehrgedachte große Staatsminiſter Herr von Herzberg faͤhrt in der oben [§. 8.] abgebrochenen Geſchich - te alſo fort a]:
Die Ruͤckkehr dieſer beiden großen Syſteme [der Univerſalmonarchie und des Gleichgewichts] war dem funfzehnten und ſechszehnten Jahrhundert vorbehalten, als es den oͤſterreichiſchen Fuͤrſten gluͤckte, durch vortheil - hafte Heirathen und eine wohldurchdachte Staatskunſt die reiche burgundiſche Erbſchaft, die Koͤnigreiche Spa - nien, beide Sicilien, Hungarn und Boͤhmen nebſt an - dern großen Provinzen in Teutſchland und Italien, in - gleichen die ſehr reichen Beſitzungen in beiden Indien in ihrem Hauſe zu vereinigen. Itzt dachten und arbeiteten Karl V., Philip II. und Ferdinand II. im Ernſt daran, den großen Staat zu bilden, den man die Univerſalmo - narchie zu nennen pflegt. Den Anfang machten ſie mit dem Vorſatz, Teutſchland, Italien und die Niederlande zu unteriochen, weil es die ſchicklichſten zu dieſem Zweck waren, da ſie nach ihrem politiſchen und geographiſchen Verhaͤltniſſe im Mittelpunkt von Europa liegen. Nun - mehr ſahen die Koͤnige von Frankreich und England ſich genoͤthigt, das Gleichgewicht von Europa durch Buͤnd - niſſe, die ſie von Zeit zu Zeit unter ſich, und nach Erfor - dernis der Umſtaͤnde, mit den teutſchen und italiaͤniſchen Fuͤrſten, der neuen Republick Holland und dem Koͤnige von Schweden errichteten, aufrecht zu erhalten. Waͤh - rend dieſer Wetteiferung, waͤhrend dieſer unaufhoͤrlichen Erſchuͤtterung der Macht der beiden Haͤuſer Frankreich und Oeſterreich, welche laͤnger als zweihundert Jahre dauerten, aͤuſſerte ſich das Gleichgewicht von Europa aufY 2die340Von der Macht der Nazionendie einleuchtendſte Art. Aus dieſem anhaltenden Strei - te zwiſchen den beiden Syſtemen, der großen oͤſterreichi - ſchen Monarchie und dem entgegengeſezten Syſtem des Gleichgewichts entſprangen die beſtaͤndigen Kriege zwi - ſchen Karl V. und Franz I., zwiſchen Philip II. auf einer und den Franzoſen, Hollaͤndern und Englaͤndern auf der andern Seite, und endlich iener bekante teutſche, oder dreiſſigiaͤhrige Krieg, den die beiden Linien des Hauſes Oeſterreich gegen die teutſchen Fuͤrſten, Schweden, Frankreich und Holland fuͤhrten. Waͤhrend dieſer wichti - gen Epoche des ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts errichteten die Fuͤrſten Teutſchlands im Jahr 1530 den beruͤhmten ſchmalkaldiſchen Bund, und 1610 und 1633 die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar die leztere unter ſchwediſcher Beguͤnſtigung: im Jahre 1690 endlich, bey Gelegenheit der Cleviſchen Erbfolge, erſann Heinrich IV. Koͤnig von Frankreich den beruͤch - tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa, der aber mit der Ermordung dieſes großen Fuͤrſten ein Ende nahm. Alle dieſe Plane wurden lediglich entwor - fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutſchland gegen die gar zu große Macht und gegen die wuͤrklichen oder vermeintlichen Abſichten des Hauſes Oeſterreich zu erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen Monarchien Oeſterreich und Frankreich die heftigſten Stoͤſſe; es waren vielmehr die Fuͤrſten von mitler Macht, welche durch ihre Kraͤfte und perſoͤnliche Faͤhigkeiten in entſcheidenden Zeitpunkten das bereits auf oͤſterreichiſche Seite uͤberſchlagende Gleichgewicht wiederherſtelten. Der muthige Moriz, Herzog und Kurfuͤrſt von Sachſen, war es, der mit einer Handvoll ſeiner Vaſallen Karl V. zu rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Paſſauiſchen Vertrag und den erſten Religionsfrieden, nebſt der Frei - heit ſeiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfuͤrſten Johann Friedrich von Sachſen und des Landgrafen vonHeſſen,341und deren Gleichgewicht.Heſſen, abnoͤthigte, und dadurch die Freiheit Teutſch - lands raͤchte und befeſtigte, welche durch den uͤbeln Erfolg des ſchmalkaldiſchen Bundes beinah ganz zernich - tet worden war. Der große Guſtav Adolph, ein Fuͤrſt eben ſo ſtark an Muth und Geiſt, als ſchwach an Macht, war es, der mit dreiſſigtauſend Schweden nach Teutſch - land kam, und im Stande war, mit Beihuͤlfe einiger ſchwachen teutſchen Fuͤrſten, die uͤberwiegende Macht Ferdinands II. zu beſiegen, Germanien gegen eine unum - ſchraͤnkte Herſchaft zu ſchuͤtzen, und dieſe große verbuͤnde - te Republick zu retten. Nachdem ein zu fruͤher Tod die - ſen Helden weggeraft hatte, ward die naͤmliche Rolle mit eben ſo maͤſigen Kraͤften durch ſeine großen Generals, beſonders durch den erhabenen Bernhard von Weimar ausgefuͤhrt, deſſen Name in den Jahrbuͤchern der Welt neben einen Hermann, Moriz, Guſtav und Friedrich unter den Namen der Helden und Erhalter teutſcher Frei - heit iederzeit glaͤnzen wird. Die Fuͤrſten von Naſſau und Oranien, Schoͤpfer der niederlaͤndiſchen Republick, deren Groͤße, bey ihrer geringen Macht, blos in Tapfer - keit und tactiſcher Kentnis beſtand, waren es endlich, welche die große ſpaniſche Monarchie aus dem Grunde zu erſchuͤttern vermochten. Durch dieſe unglaubliche, vereinigte und ſo lange ausgehaltene Anſtrengung der Fuͤrſten Teutſchlands, der Kronen Schweden und Frank - reich, ingleichen der Hollaͤnder, war man am Ende im Stande, den beiden oͤſterreichiſchen Monarchen den beruͤhmten weſtphaͤliſchen Frieden von 1648 abzunoͤthi - gen. Dieſer Friede, der erſte, welcher nach den Regeln einer geſunden Staatskunſt verhandelt und geſchloſſen worden, hat nicht nur die vorher ſo ſchwankende Ver - faſſung des weitlaͤuftigen teutſchen Reichs auf einen regel - maͤſigen und feſten Fuß geſetzt, ſondern auch, vermoͤge der Garantieen der beiden Kronen Frankreich und Schwe - den, einen dauerhaften Grund zum Gleichgewicht nichtY 3blos342Von der Macht der Nazionenblos von Teutſchland, ſondern zugleich von ganz Europa gelegt, und er wird noch heutzutage mit Recht fuͤr das erſte geheiligte Geſetz aller europaͤiſchen Nazionen ange - ſehn, welche, ſelbſt ohne eine gluͤckliche Ausfuͤhrung der Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge - meine Republick des weitlaͤuftigen europaͤiſchen Welt - theils ausmachen, die ſtilſchweigend durch das große wechſelſeitige Intereſſe, ein rechtmaͤſiges Gleichgewicht der Macht unter ſich zu erhalten, zuſammen verbunden iſt. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauſes Oeſterreich durch dieſe langen ungluͤcklichen Kriege und durch den ſchwachen Karakter der Regenten aͤuſſerſt ver - mindert worden war, die franzoͤſiſche hingegen durch die geſchickte Staatskunſt und Staatsverwaltung der Kardi - naͤle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV. verhaͤltnismaͤſig zugenommen hatte, richtete dieſer Mon - arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be - ſtaͤndigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die ſpaniſchen Niederlande, in Holland und in die Pfalz ſowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam - mer ſeine Macht dergeſtalt an, daß er faſt durchgaͤngig dafuͤr angeſehn ward, als trachte er, an die Stelle des Hauſes Oeſterreich, nach der Univerſalmonarchie. Nun - mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Buͤnd - niſſe, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wider ihn geſchloſſen wurden, ingleichen die Kriege, die ſich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys - wicker Frieden endigten, ihren Urſprung. Man beſchleu - nigte den leztern, weil die nahe Erloͤſchung der oͤſterrei - chiſch-ſpaniſchen Linie vorauszuſehen war. Die beiden Seemaͤchte, England und Holland, deren Vereinigung Koͤnig Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewuͤrkt hat - te, die eben damals den Namen und die Rolle der See - maͤchte annahmen, und das Gleichgewicht von Europa inHaͤnden343und deren Gleichgewicht.Haͤnden hatten b], hielten es itzt fuͤr ihre Pflicht, daſ - ſelbe durch den berufenen Partagetractat zu erhalten. Dieſer ſolte verhindern, damit nicht die ganze Macht des Hauſes Oeſterreich, durch Einverleibung Spaniens und der indiſchen Beſitzungen, in der iuͤngern Linie ver - einigt wuͤrde. Als dieſer Theilungsplan aber durch den Tod des bayriſchen Prinzen und durch das Teſtament, welches Koͤnig Karl II. von Spanien zu Gunſten des Herzogs von Anjou machte, vereitelt worden war, ſa - hen die naͤmlichen Seemaͤchte ſich genoͤthigt, der Abſicht des Gleichgewichtsſyſtems gemaͤs, ſich mit dem Hauſe Oeſterreich und den teutſchen Fuͤrſten gegen Frankreich zu verbinden, um dieſer Krone die ſpaniſche Monarchie zu entreiſſen; die man dem Erzherzog Karl, zweiten Sohne Kaiſer Leopolds zutheilte. Daraus entſtand der lange und blutige ſpaniſche Erbfolgskrieg, welcher 1701 be - gann, und 1713 mit dem Utrechter Frieden ſich endigte. In dieſem raͤumte man die ſpaniſche Monarchie dem Herzog von Anjou ein, weil Kaiſer Joſeph ohne maͤnn - liche Erben geſtorben, und ſein Bruder Karl, unter dem Namen Karl VI., ihm gefolgt war. Aus abermaliger Furcht vor der Vereinigung der ſpaniſchen Monarchie mit der oͤſterreichiſchen Linie, uͤberließ man ſie lieber einer iuͤngern Linie des Hauſes Bourbon, unter der Beding - ung, daß die Reiche Frankreich und Spanien nie mit einander verbunden werden ſolten. Solchergeſtalt hat man bey der ſpaniſchen Erbfolge und dem ganzen Kriege ſowohl als dem draufgefolgten Frieden, das Syſtem des Gleichgewichts theils nach richtigen, theils nach fal - ſchen Grundſaͤtzen, wie die verſchiedenen Zeitumſtaͤnde es mit ſich brachten, zur Richtſchnur genommen.
In dem Zeitraum vom Utrechter Frieden 1713 bis auf den Tod Kaiſer Karls VI. hat das Gleichgewicht von Europa durch kurze und particulaͤre Kriege keine nach - theilige Veraͤnderung gelitten, weil die drey MonarchieenY 4Oeſter -344Von der Macht der NazionenOeſterreich, Frankreich und Spanien durch die vorherigen Kriege zu ſehr erſchoͤpft und von friedliebenden Fuͤrſten beherſcht waren. Die beiden Seemaͤchte hatten in die - ſem Zwiſchenraum keine weitere Gelegenheit von dem Namen und der Rolle des Gleichgewichts Gebrauch zu machen, als in Unterhandlungen, Vermittelungen und Buͤndniſſen z. B. dem Barrieretractat, der Quadrupel - allianz, der Hannoͤveriſchen, Wuſterhauſiſchen und an - dern Allianzen. Man glaubte durch die Garantie der pragmatiſchen Sanction, welche die Erbfolge der ganzen oͤſterreichiſchen Monarchie, der Tochter Kaiſer Karls VI. verſichern ſolte, fuͤr die Erhaltung des Gleichgewichts hinlaͤnglich geſorgt zu haben. Indes gab die 1740 mit dem Tode dieſes Fuͤrſten erfolgte Erloͤſchung des oͤſterrei - chiſchen Mannsſtammes dem Gleichgewicht von Europa eine andere Geſtalt. Der Kurfuͤrſt von Bayern machte Anſpruͤche auf die ganze bayeriſche Erbſchaft, und ward von Frankreich und Spanien unterſtuͤzt. Die Tochter Kaiſer Karls VI., welche die beiden Seemaͤchte, vermoͤge des Syſtems der pragmatiſchen Sanction und des Gleich - gewichts von Europa auf ihrer Seite hatte, uͤberſtand den Krieg von 1740 bis 1748, und behielt im Aachner Frieden endlich die ganze oͤſterreichiſche Monarchie, das Herzogthum Schleſien ausgenommen, welches dem Koͤnig von Preuſſen, beſonderer Anſpruͤche wegen, auf eine rechtmaͤſſige Art in dem Breslauer Frieden 1742 uͤber - laſſen ward, den die Friedensſchluͤſſe zu Dresden und Hubertsburg in der Folge beſtaͤtiget haben. — —
Die innerlichen Unruhen in Pohlen gaben den drey benachbarten Maͤchten Gelegenheit, gewiſſe Anſpruͤche auf einige polniſche Provinzen geltend zu machen, und es erfolgte 1772 deren Theilung nach den Grundſaͤtzen eines Gleichgewichts, woruͤber dieſe drey Maͤchte ſich mit einander vereinigt hatten.”
Zwar345und deren Gleichgewicht.Zwar behaupten einige c], daß ſeit der Mitte dieſes Jahrhunderts, nachdem Grosbritannien das Ueberge - wicht zur See an ſich geriſſen, beſonders auch ſeit der großen Allianz wider den Koͤnig von Preuſſen 1756 und den verſchiedenen in Europa noch beſtehenden Buͤndniſſen zwiſchen einigen Hoͤfen, der Grundſatz des Gleichgewichts keine Regel unter den europaͤiſchen Nazionen mehr ſey: ia ſie halten d] Gleichgewicht und Univerſalmonar - chie fuͤr laͤngſt veraltete Schreckworte einer grostoͤnenden Politik. Allein ſowohl der leztere nordamerikaniſche Krieg, als auch noch neuerlich das beruͤhmte Aſſociations - buͤndnis der teutſchen Fuͤrſten haben die fortdauernde Anwendbarkeit derſelben nicht nur in Teutſchland, ſon - dern auch in Europa bewaͤhrt; und ihre Guͤltigkeit iſt in der Koͤnigl. Preuſſiſchen Beantwortung der Wiener Pruͤfung e] einleuchtend gezeigt worden.
Da das Gleichgewicht hauptſaͤchlich auf die ausdruͤck - liche oder ſtilſchweigende Einwilligung der Voͤlker beruht, ſo iſt es, um das Daſein eines ſolchen Syſtems unter den europaͤiſchen Nazionen zu erweiſen, noͤthig, deren Anerkennung beizubringen. Schon aus der vorhergehen - den Geſchichte, und noch mehr aus den bey Gelegenheit der daſelbſt angefuͤhrten Kriege und Friedensſchluͤſſe ge - pflogenen Unterhandlungen und gebrauchten Maasregeln wird man ſich von der wenigſtens ſtilſchweigenden Befolg - ung der Grundſaͤtze des Gleichgewichts unter den Staa - ten Europens uͤberzeugen koͤnnen. Zu mehrerer Beſtaͤ - tigung dieſes Syſtems will ich aber auch noch einige der vornehmſten Vertraͤge anfuͤhren, worinn ſie daſſelbe aus - druͤcklich anerkant haben.
Jedoch es wuͤrde viel zu weitlaͤuftig ſeyn, hier alle die Staatsſchriften auszuziehn, worinn die vorbenanten und zum Theil auch wohl noch andere Nazionen das Sy - ſtem des europaͤiſchen Gleichgewichts zur Richtſchnur ihrer Handlungen ausdruͤcklich angenommen haben.
Es laͤßt ſich dagegen zwar einwenden q], daß dieſe Anerkennung nur in beſondern Faͤllen und doch keines - weges von allen europaͤiſchen Nazionen geſchehen ſey. Allein es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß man eben in dieſen Faͤllen, vornaͤmlich in der ſpaniſchen Erbfolgsan - gelegenheit, das Syſtem des Gleichgewichts fuͤr einen algemeinen Entſcheidungsgrund angeſehen habe, der nothwendig auch in aͤhnlichen Umſtaͤnden, zumal gegen dieienigen, die ſich deſſen zu ihrem Vortheil wider andere Staaten bedient haben, anwendbar ſeyn muß. Zudem gehoͤren die genanten Nazionen ohnſtreitig zu denen, wel - che die meiſten Kraͤfte zu Erlangung eines Uebergewichts beſitzen, die ſich folglich im gleichen Falle, ienes Geſetz auch wider ſich gelten zu laſſen, nicht entbrechen koͤnten. Die uͤbrigen Staaten haben das Syſtem des Gleichge - wichts zu Zeiten groͤſtentheils wenigſtens ſtilſchweigend befolgt, und wuͤrden, ihres eigenen Nutzens wegen, bey erforderlichen Umſtaͤnden, ſich ausdruͤcklich dazu zu beken - nen gewis kein Bedenken tragen. Herr Martens r] ur - theilt daher ſehr richtig, daß zwar nicht alle europaͤiſcheNa -357und deren Gleichgewicht.Nazionen es iederzeit anerkant, ſolches aber doch auch nicht ganz aufgehoben haben.
Das Syſtem des Gleichgewichts hat die Erhaltung der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel - nen Nazionen, ſondern auch der großen Voͤlkergeſel - ſchaft Europens zur Abſicht a]. Das Wohl der leztern muß iedoch das vorzuͤglichſte Augenmerk dabey ſeyn, und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn. Dieſes Gleichgewicht ſoll die Macht der Nazionen und ihr Verhaͤltnis dergeſtalt gegeneinander abwaͤgen, daß keine unter ihnen zu einer uͤberwiegenden Groͤße anwach - ſe, welche die ganze Geſelſchaft der beſtaͤndigen Gefahr ausſetzen koͤnte, unterdruͤckt und verſchlungen zu werden, ſobald iene Macht fuͤr gut faͤnde, ſich zum Beherſcher und Geſezgeber uͤber ſie aufzuwerfen, weil es dieſer an Kraͤften fehlte, ihre Gerechtſame und Freiheit gegen der - gleichen Beeintraͤchtigungen auf irgend eine Art zu ver - theidigen.
Schon der Umſtand, daß man, vorgezeigtermaaſſen, den Grundſaz des Gleichgewichts faſt zu allen Zeiten be - folgt hat, bewaͤhrt einigermaaſſen deſſen Guͤte. In einer gleichen Geſelſchaft, wie die Geſelſchaft freier Voͤl - ker ſeyn muß, wo keine Oberherſchaft Statt findet, der die Handhabung der Geſetze und die Ahndung gegen deren Uebertreter, in Abſicht auf gemeinſchaftliche Sicherheit und Wohlfahrt, oblaͤge, ſondern wo ieder Beleidigteſelbſt,359und deren Gleichgewicht.ſelbſt, und allenfalls mit Beihuͤlfe anderer, fuͤr ſeine Genugthuung zu ſorgen hat, iſt es gewis keine uͤberflieſ - ſige Vorſicht, darauf Bedacht zu nehmen, daß die Mit - glieder an Macht einander ſo viel moͤglich gleich, wenig - ſtens nicht gar zu ſehr uͤberlegen ſind. Dieienigen, wel - che wiſſen, daß ſie einander gewachſen ſind, werden ſo leicht keine wechſelſeitigen Feindſeligkeiten unternehmen, weil ſie ſchwerlich einigen Vortheil, vielmehr die nach - theiligſten Folgen fuͤr ihr Wohl zu erwarten haben, wenn der Beleidigte, zumal mit Beihuͤlfe der uͤbrigen, billige Genugthuung an ihm nehmen koͤnte. Im Gegentheil iſt nichts gewoͤnlicher, als daß ein zu uͤbermaͤchtiges Volk, ſeine Kraͤfte zum Schaden und zur Unterdruͤckung ande - rer misbraucht, weil es keinen Nachtheil und Widerſtand zu befuͤrchten hat. Wie ſoll aber einer Nazion in ihren unrechtmaͤſſigen Unternehmungen Einhalt gethan und die - ſelbe zu Beobachtung der nothwendigen und freiwillig uͤbernommenen Pflichten gebracht werden, die an Macht nicht nur ihrem Gegner, ſondern den ſaͤmtlichen Gliedern einer Voͤlkergeſelſchaft uͤberlegen iſt? Das gemeine Beſte und die Sicherheit der einzelnen Nazionen erfordern es daher, ihrer Macht gewiſſe Schranken zu ſetzen, zu hin - dern, daß keine nach Belieben andre beleidigen koͤnne, und dafuͤr zu ſorgen, daß ſie im Stande ſind, iedem gewaltſamen Schritte gleichen Widerſtand zu thun a], damit ieder freie Staat ſicher und unbeſorgt neben dem andern beſtehen koͤnne, indem die beſtaͤndige Furcht der Unterdruͤckung allerdings uͤbler als der Krieg ſelbſt ſeyn muß. Schraͤnkt das Gleichgewicht ſchon die Pflicht und das Recht der Vergroͤſſerung einigermaaſſen, mit zuwei - liger Aufopferung rechtmaͤſſiger Vortheile ein, ſo iſt doch dieſer Verluſt ſehr geringe gegen den großen Nutzen, wel - cher der ganzen Voͤlkergeſelſchaft daraus zuwaͤchſt b].
Z 4a]360Von der Macht der NazionenEine andere wichtige Frage iſt es, ob das Syſtem des Gleichgewichts ſich mit den Grundſaͤtzen der Gerech - tigkeit vertrage? Daſſelbe ſoll den allzugroßen Anwuchs einer Macht, ſelbſt wenn ſie auf die rechtmaͤſſigſte Art erlangt werden koͤnte, einſchraͤnken, da doch die Geſetze der Natur iede ohne Beleidigung anderer zu erlangende Vergroͤſſerung nicht nur erlauben, ſondern ſogar verlan - gen. Nun beleidigt aber die Erweiterung der Macht einer Nazion an und vor ſich die Gerechtſame anderer nicht, weil man von der Kraft zu ſchaden noch nicht auf die Wuͤrklichkeit ſchlieſſen kan. Allein die Nazionen haben auch noch eine andere wichtige Pflicht, die Sorge fuͤr ihre Erhaltung und Sicherheit auf ſich, die, wenn ſie mit der Vergroͤßerungspflicht zuſammentrift, ohnſtrei - tig die Oberhand behalten muß. Sie iſt ſowohl im ur - ſpruͤnglich natuͤrlichen, als im geſelſchaftlichen Zuſtande das erſte Geſetz der Voͤlker, welches ſie berechtigt und verbindet, ſelbſt gegen eine gegruͤndete Furcht und ge - gen den hoͤchſten Grad der Wahrſcheinlichkeit dienliche Vorkehrungen zu treffen, die iedoch, ſo lange als es auf irgend eine Art moͤglich, keinem andern Rechte der Na - zionen zu nahe treten duͤrfen. Beſonders iſt in einer engern Verbindung mehrerer Voͤlker auf die Erhaltung der gemeinſchaftlichen Sicherheit und Ruhe hauptſaͤchlich Ruͤckſicht zu nehmen und alles aus dem Wege zu raͤumen, was dieſem Zwecke der Geſelſchaft entgegen iſt. Daß eine uͤberwiegende Macht nur zu oft zum Schaden undzur361und deren Gleichgewicht.zur Unterdruͤckung anderer gemisbraucht werde, lehrt die Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen muͤſſen daher bey dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegruͤn - dete Beſorgniß ihrer Sicherheit wegen verſezt werden. Alle Anſtalten wuͤrden fruchtlos dagegen ſeyn, wenn die ſaͤmtlichen uͤbrigen Glieder der Geſelſchaft nicht Kraͤfte genug haͤtten, der Gewalt eines Uebermaͤchtigen Wider - ſtand zu thun. Es iſt alſo kein wuͤrkſameres Mittel, dieſer Gefahr vorzubeugen, als die Einſchraͤnkung der zu ſehr uͤberhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg - lich ſind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts berechtigt und verbunden. Die Rechtmaͤſſigkeit einer ſolchen Einrichtung iſt auch um ſo weniger zu bezweifeln, wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig - keit der zum Wohl des Ganzen einzuſchraͤnkenden Macht freiwillig anerkennen.
Im natuͤrlichen Zuſtande einzelner Menſchen wuͤrde es freilich ungerecht ſeyn, wenn man [wie von einigen zu Entkraͤftung des Gleichgewichts eingewand wird] b] einem vorzuͤglich Starken Arme oder Beine zerbrechen ꝛc. wolte, damit er andern nicht ſchaden koͤnte. Dieſe Vor - ſicht waͤre hier ganz unnoͤthig, weil den uͤbrigen, durch Vereinigung, gewis immer noch Kraͤfte genug zum Wi - derſtand bleiben. In buͤrgerlichen Geſelſchaften iſt eine ſolche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da die Oberherſchaft den Ausſchweifungen der Maͤchtigen leicht Ziel ſetzen kann. Solte aber gleichwohl, beſon - ders in demokratiſchen und ariſtokratiſchen Staaten, ein Buͤrger durch ſeine Macht dem Staate zu gefaͤhrlich wer - den, und dieſer Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu - beugen ſeyn; ſo rechtfertigt das algemeine Beſte allerdings eine Einſchraͤnkung iener Macht und eine Art von Athe - niſchen Oſtraciſmus c].
Es bedarf ohnſtreitig vieler Behutſamkeit in Beſtim - mung der gehoͤrigen Grenzen des Gleichgewichts und der zu Erhaltung deſſelben erlaubten Mittel a], damit ſol - ches, anſtatt die Gerechtſame und Freiheit der Nazionen zu ſichern, dieſelben nicht noch mehr beleidige. Ueber - haupt iſt zu merken, daß, da das Gleichgewicht die Ab - ſicht hat, zu verhindern, daß kein Volk eine Ueber - macht erlange, die den mit ihm verbundenen Nazionen gefaͤhrlich werden koͤnte, man mehr vertheidigungs - als angrifsweiſe zu Werke gehen, und ſich ſo viel moͤg - lich aller beleidigenden und gewaltſamen Mittel dabey enthalten muͤſſe.
Eine große Republick, wie Heinrich IV. von Frank - reich ꝛc. ſie ſich dachte, oder eine von mehrern Nazionen bereits geſuchte Univerſalmonarchie b] wuͤrden, obgedach - termaaſſen, dem Syſtem des Gleichgewichts vielleicht am zutraͤglichſten ſeyn; aber ſie duͤrften, wie bis itzt, ſo noch ferner eine Chimaͤre bleiben.
So lange die Macht einer Nazion noch nicht uͤber - wiegend wird, [§. 6.] deren Anwuchs iedoch Beſorg - niſſe zu erregen im Stande iſt, ob der ſich vergroͤßernde Staat gleich noch keinen Anlas zu Mistrauen gegeben hat, koͤnnen die uͤbrigen Nazionen keine andern Maas - regeln ergreifen, als daß ſie durch Verbeſſerung ihrer eignen Kriegsverfaſſung, Anlegung von Feſtungen ꝛc. durch Buͤndniſſe mit andern, ſich auf alle Faͤlle in guten Vertheidigungsſtand ſetzen c]. Faͤngt die Macht anuͤber -363und deren Gleichgewicht.uͤberwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch mehrerer Laͤnder, allenfals hinlaͤngliche Sicherheit fo - dern d]. Bloſſe Verſicherungen, ſelbſt durch Eide beſtaͤ - tigt, duͤrften aber dafuͤr kaum anzuſehn ſeyn, ſondern z. B. die Beſetzung der feſten Plaͤtze in den neuerworbe - nen Provinzen durch andere Nazionen ꝛc. e].
Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg und andere gewaltſame Mittel Statt finden? iſt eine von den Voͤlkerrechtslehrern aͤuſſerſt beſtrittene Frage.
Einige glauben mit Kahlen f], alle Nazionen, denen es um ihre Erhaltung zu thun waͤre, muͤſten dieie - nigen ſogleich fuͤr ihre Feinde anſehn, welche die Schranken einer gemaͤſſigten Macht uͤberſchritten, und nach einer Herſchaft ſtrebten, wodurch ienen fruͤher oder ſpaͤter der Untergang bereitet wuͤrde. Sie ſehen gute Kriegsanſtalten, Feſtungen, Vertheidigungsbuͤndniſſe ꝛc. fuͤr weiſe Maasregeln an, deren man ſich zufoͤrderſt bedienen muͤſſe; aber auſſerdem daß die Unterhaltung zahlreicher Armeen ꝛc. und die Schlieſſung der Buͤnd - niſſe mit vielen Koſten und oft nicht mit geringen Schwierigkeiten verknuͤpft ſind g], ſey es noch ſehr un - gewis, ob der maͤchtige Feind ſeinen Gegnern zu allen dieſen Vorkehrungen Zeit genug laſſen, oder ſie viel - mehr unvermuthet uͤberfallen werde. Es ſey daher beſ - ſer, zuvorzukommen, und iede uͤberhandnehmende Macht mit Gewalt einzuſchraͤnken. Folge gleich nicht, daß der Maͤchtigere den Schwaͤchern allezeit unterdruͤcke, ſo muͤſſe dieſer doch in beſtaͤndiger Furcht deshalb leben, weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft waͤre, man doch nicht wiſſe, was man von ſeinen Nachfolgern zu erwarten habe. Es wuͤrde unverantwortlich ſeyn, wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen ſehn wolte, bis er unvermeidlich waͤre. In Faͤllen, wo es unmoͤglich oder zu gefaͤhrlich ſey, eine voͤllige Ge - wisheit abzuwarten, muͤſſe man auch nach einer ver -nuͤnf -364Von der Macht der Nazionennuͤnftigen Muthmaßung und Wahrſcheinlichkeit zu Wer - ke gehn h].
Andere hingegen nehmen die Parthey des Grotius i], und misbilligen alles feindſelige Unternehmen gegen eine Nazion, die bey aller ihrer uͤberwiegenden Macht, durch ein gerechtes und vorſichtiges Betragen, andern doch keine Urſach zu Mistrauen giebt. Der Krieg, ſagen ſie, ſetze eine wuͤrkliche Beleidigung oder wenigſtens die moraliſche Gewisheit von der Abſicht zu beleidigen vor - aus, wofuͤr die Vergroͤßerung der Macht allein nicht anzuſehn, ob ſie gleich Furcht zu erregen vermoͤge. Das Gleichgewicht habe blos den Vortheil zur Abſicht, daß bey entſtehendem Kriege einer ungerechten Gewalt gleiche Macht entgegengeſezt werden koͤnne. Weder Furcht noch Nutzen berechtigten iedoch zum Kriege k]. Indes erlau - ben ſie den Krieg zu Erhaltung des Gleichgewichts gleich - wohl in gewiſſen Faͤllen, und zwar:
1] Wenn die Macht einer Nazion der ganzen Voͤl - kergeſelſchaft ſo furchtbar wird, [tremenda] daß man von der bevorſtehenden Beleidigung durch aufgefangene Briefe ꝛc. oder ſonſt, die klaͤrſten Beweiſe, wenigſtens eine moraliſche Gewisheit hat. Dieſe Nazion muß nicht allein durch ſtarke Ruͤſtungen, Truppenvermeh - rung ꝛc., ſondern auch durch deutliche Merkmale von Ungerechtigkeit, Habſucht, Stolz, Ehrgeiz und Herſch - begierde ſich verdaͤchtig gemacht haben l].
2] Wenn man einem rechtmaͤſſig kriegenden Bunds - genoſſen gegen einen uͤbermaͤchtigen Staat, aus Furcht vor Unterdruͤckung, beiſteht m], oder deſſen Feinden auf andere Art Vorſchub thut n].
3] Wenn bey Vergroͤßerung der Macht die deshalb verhandenen Vertraͤge verlezt werden.
Unter dieſen Umſtaͤnden haͤlt man es fuͤr erlaubt, der Gefahr zuvorzukommen, oder auch eine ſchon gar zumaͤch -365und deren Gleichgewicht.maͤchtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er - werbung mehrerer Laͤnder mit Gewalt zu hindern o].
Meinem Ermeſſen nach iſt des Gleichgewichts wegen kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur in dem Falle zu unternehmen, wenn eine ſchon maͤchtige Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue Erwerbungen, auf keine andere guͤtliche Art abzubrin - gen iſt.
Der Krieg ſetzt allerdings entweder eine ſchon wuͤrk - lich zugefuͤgte, oder doch die moraliſche Gewisheit einer bevorſtehenden Beleidigung voraus. Die Moͤglichkeit derſelben und die Furcht davor ſind allein keinesweges hinlaͤngliche Urſachen, ſo lange der Gegentheil im Noth - fall noch Kraͤfte genug zum Widerſtande hat. Wenn daher unter dieſen Umſtaͤnden ein Volk ſeine bereits erlangte Macht zum Nachtheil anderer nicht mis - braucht, und den uͤbrigen keine Gelegenheit zu gerechten Beſchwerden giebt, ſo wuͤrde ieder angreifende Krieg wider daſſelbe ungerecht ſeyn. Laͤßt es ſich aber Belei - digungen anderer zu Schulden kommen, ſo iſt die dage - gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht ſowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefuͤg - ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die Groͤße der Macht, als eine der haͤufigſten Quellen der Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen, zugleich zu Verringerung derſelben, eher, als ſonſt geſchehen ſeyn wuͤrde, zu ergreifen, damit man ſich deſto mehrere Sicherheit fuͤr die Zukunft verſchaffe.
Im Gegentheil handeln mindermaͤchtige Staaten den Grundſaͤtzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit der ganzen Voͤlkergeſelſchaft gemaͤs, wenn ſie die Ver - groͤßerungsabſichten einer ſchon gar zu maͤchtigen Nazion, ſelbſt die ſonſt rechtmaͤſſigen Erweiterungen ihrer Reiche und Provinzen durch Erbfolge, Heirath p], Wahl, Entdeckung, Eroberung, Tauſch q], oder aufan -366Von der Macht der Nazionenandere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts ſo viel moͤglich zu vereiteln, und noͤthigen Fals mit Gewalt der Waffen zu verhindern ſuchen r]. Die geſelſchaft - liche Verbindung, beſonders der europaͤiſchen Nazionen, macht eine ſolche Vorſicht nothwendig [§. 13. u. 14.] und die meiſten derſelben haben dieſe Nothwendigkeit nicht nur ſtilſchweigend, ſondern auch ausdruͤcklich aner - kant. [§. 11.] Wenn daher eine ſchon maͤchtige Na - zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens iſt, welche alles Gleichgewicht aufheben wuͤrden, nach deut - licher Ueberfuͤhrung von der dadurch unvermeidlichen Zerruͤttung dieſes Syſtems und erfolgter Abmahnung, von ihren Vergroͤßerungsabſichten dennoch nicht abſtehn wolte, ſo wuͤrde ſie die Vorſchriften des freiwilligen ſo - wohl, als des poſitiven Voͤlkerrechts beleidigen und den uͤbrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame durch Waffen die gegruͤndetſte Veranlaſſung geben.
Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh - rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fuͤrſten ſonſt von Rechtswegen gebuͤhrten, dem Gleichgewicht nach - theilig erachtet wird, pflegt zu ſeyn, daß man ſolche einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden Hauſes, mit der Bedingung uͤberlaͤßt, daß ſie mit dem Hauptlande nie vereinigt werden duͤrfen; welches in der bekanten ſpaniſchen Erbfolgsangelegenheit geſchah. Eini - ge rathen bey dergleichen Ereigniſſen lieber einen Frem - den, der auch nur das entfernteſte Recht dazu hat, zu waͤhlen, weil Regenten, die aus einem Hauſe entſproſ - ſen, durch Buͤndniſſe leicht ſich vereinigen, und ihre Macht zu Unterdruͤckung anderer misbrauchen koͤnten s].
Daß uͤbrigens ein Volk dem Rechte, ſich der Ver - groͤßerung eines andern zu widerſetzen, entſagen koͤnne, leidet keinen Zweifel t].
Die hauptſaͤchlichſten Einwendungen, welche man gegen das Gleichgewicht zu machen pflegt, ſind ſchon beilaͤufig mit angefuͤhrt und beantwortet worden. Vie -le a]371und deren Gleichgewicht.le a] erklaͤren es fuͤr weiter nichts, als fuͤr eine Chimaͤre, und glauben, daß, wenn es auch gerecht und den Nazio - nen zutraͤglich waͤre, es doch nicht wohl zu erlangen und zu behaupten ſey, weil die Macht und die Verbindungen der Voͤlker ſo vielen Veraͤnderungen durch innere und aͤuſſere Revolutionen unterworfen waͤren. Selbſt bey einer gleichen Laͤndermacht hange die vorzuͤglichſte Groͤße von der innern Regierungsverfaſſung ab; es muͤſte daher, den Geſetzen der Freiheit zuwider, erlaubt ſeyn, ſich in die innern Angelegenheiten der Voͤlker zu miſchen, damit man die Uebermacht daraus zu beſtimmen im Stande waͤre. Allein eben dieſer oͤftern Veraͤnderungen wegen iſt das Gleichgewicht noͤthig und unter den Nazionen eingefuͤhrt, um zu verhindern, daß bey ſolchen Gelegen - heiten kein Volk eine Uebermacht erlange. Dieſe aber iſt, wie ſchon oben erinnert worden, nicht ſowohl nach der innern Einrichtung, als vielmehr nach dem Umfan - ge der Laͤnder zu beurteilen. Auch iſt es, dem Inhalt des vorigen Kapitels gemaͤs, in gewiſſen Faͤllen gar nicht unerlaubt, ſich um die Handlungen der uͤbrigen Nazionen zu bekuͤmmern.
Der Einwurf, daß das Syſtem des Gleichgewichts, welches Sicherheit und Ruhe befoͤrdern ſolle, wie die Erfahrung lehre, oͤfters eine Quelle ungerechter Kriege werde b], iſt zwar nicht ganz ungegruͤndet; allein der Misbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf: die be - ſten und gemeinnuͤtzigſten Anſtalten muͤſſen zuweilen zu Ausfuͤhrung der unrechtmaͤſſigſten Privatabſichten dienen. Bey der heutigen Verfaſſung der meiſten europaͤiſchen Staaten, darf es iedoch auch keine Nazion ſo leicht wa - gen, ihre Macht, unter dem Schein des Gleichgewichts, auf Unkoſten anderer vergroͤßern zu wollen.
Endlich wird dieſes Syſtem von manchen noch dar - um verworfen, weil es wider die Grundſaͤtze des Chri - ſtenthums ſtreite c]. Was in der Einleitung vom Gebrau -A a 2che372Von der Macht der Nazionenche der Bibel in der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft uͤberhaupt geſagt worden, dient auch hier zu Beantwortung dieſes Einwands. Nach deſſen Vorſchriften faͤnde ſelbſt gegen offenbare Feinde der Krieg nicht ſtatt.
Das Gleichgewicht findet zwiſchen allen Nazionen ſtatt, die in einer gewiſſen engern geſelſchaftlichen Ver - bindung leben, wie z. B. die ſaͤmtlichen Staaten in Europa, die in Aſien ꝛc. Da aber auch in dieſen Welt - theilen einige Voͤlker wiederum entweder in Anſehung ihrer benachbarten Lage nach einer beſondern Gegend, oder in anderer Ruͤckſicht, in noch naͤherem Verhaͤltnis ſtehen, ſo nimt man nicht nur ein algemeines europaͤi - ſches, ſondern auch ein nordiſches, ein italiaͤniſches ꝛc. ſowohl als ein Gleichgewicht der Schiffahrt und Hand - lung an.
Hier haben Frankreich und Spanien auf einer, Gros - britannien und Portugal auf der andern Seite eine Art von Gleichgewicht gegen einander zu erhalten geſucht.
Die nordiſchen Nazionen, Daͤnemark, Schweden, Polen, Preuſſen und Rußland haben beſonders in aͤltern Zeiten mehr unter ſich, als mit den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen in Verbindung geſtanden. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts entſtand des Gleichgewichts wegen unter ihnen eben keine Frage, bis Schweden an - fing ſich uͤber ſeine Nachbarn zu erheben, und beſon - ders den Reichen Daͤnemark und Polen gefaͤhrlich zu werden. Gegen Ende dieſes Zeitpunkts fand dieſes Reich an Rußland ſeinen vorzuͤglichſten Gegner, wel - ches ſich auf Schwedens Unkoſten gros zu machen ſuchte. Jeder Theil hatte ſeine Anhaͤnger und Bundsgenoſſen. Karl XII. von Schweden hatte Frankreich, die Pforte und zum Theil Grosbritannien und die vereinigten Nie - derlande, Peter der Große hingegen Daͤnemark, Polen, Preuſſen und Oeſterreich auf ſeiner Seite a]. Es ent - ſtanden in Beziehung auf das nordiſche Gleichgewicht verſchiedene Kriege unter dieſen Maͤchten, welche durch die Nyſtaͤdter, Stockholmer, Belgrader und Aboer Friedenſchluͤſſe ſich endigten. Der leztere hauptſaͤchlich verſchafte Rußland eine gewiſſe Uebermacht, welche mitA a 3der374Von der Macht der Nazionender Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile, den uͤbrigen nordiſchen Nazionen Beſorgniſſe erregte b]. Die nun hervorwachſende preuſſiſche Macht allein war vermoͤgend ihr einigermaaſſen das Gleichgewicht zu halten, ſo daß Rußland es in der Folge fuͤr noͤthig hielt, ſich deren ferneren Ausbreitung zu widerſetzen c]. In neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polniſche Theilung und andere vortheilhafte Ereigniſſe anſehnliche Vergroͤßerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver - moͤge der Aufmerkſamkeit der uͤbrigen europaͤiſchen Staa - ten, den Nachbarn nicht ſo leicht gefaͤhrlich werden kan d].
Ehedem, und beſonders im ſechszehnten und ſieb - zehnten Jahrhundert war man im Orient wegen der uͤber - handnehmenden Macht der Pforte ſehr in Sorgen, und die benachbarten Staaten lagen deshalb beſtaͤndig mit ihr im Kriege. Sie iſt aber nach und nach ziemlich ein - geſchraͤnkt worden, und gegenwaͤrtig halten ihr Rußland und Oeſterreich dergeſtalt das Gleichgewicht, daß von ihrer Uebermacht wenig zu fuͤrchten ſteht.
Die Erhaltung des Gleichgewichts in Italien hat in aͤltern Zeiten oͤftere Unruhen, hauptſaͤchlich zwiſchen Spanien und Frankreich erregt, bis Kaiſer Karl V. die Oberhand behielt, indem er zum Beſitz von Neapel, Sicilien, Sardinien, Mayland ꝛc. gelangte. Dieſe Uebermacht verſchwand iedoch, als nach deſſen Tode 1558 die Kaiſerwuͤrde von Spanien getrennt ward. Nach dem Abgange der oͤſterreichiſchen Linie in Spanien 1700 entſtanden neue Streitigkeiten, aber das HausA a 4Oeſter -376Von der Macht der NazionenOeſterreich blieb im Beſitz des groͤſten Theils der ſpani - ſchen Lande in Italien, Sicilien ausgenommen, welches an Savoyen kam. In der Folge erwarb die ſpaniſche Linie des Hauſes Burbon in der Quadrupelallianz, dem Wiener und Aachner Frieden ꝛc. anſehnliche Lande, als Neapel, Sicilien und Parma. Im Jahr 1752 errichte - ten Spanien, Sardinien und Oeſterreich des Gleichge - wichts und der Ruhe in Italien wegen einen Tractat a], und der Koͤnig von Sicilien ſtelte, als er 1759 die Kron Spanien erhielt, und erſteres Reich ſeinem dritten Prin - zen abtrat, zugleich feſt, daß dieſe beiden Koͤnigreiche in Zukunft iederzeit von einander getrennt und von ver - ſchiedenen Regenten beherſcht werden ſolten. Itzt iſt ſeit langer Zeit von einer Gefahr in Anſehung dieſes Gleichgewichts nichts zu vernehmen geweſen b].
Teutſchland komt in Ruͤckſicht des Gleichgewichts doppelt in Anſchlag. Einmal traͤgt die conſtitutions - maͤſige Fortdauer dieſer aus mehrern obgleich nicht voͤllig ſouverainen Staaten zuſammengeſezten ſonderbaren Mo - narchie zu Erhaltung des algemeinen Gleichgewichts in Europa nicht wenig bey; wie dies die uͤbrigen Nazionen bey verſchiedenen Gelegenheiten erkant haben. Dann aber haͤngt iene Fortdauer ſelbſt von einem gewiſſen Gleichgewichte der Macht unter den einzelnen Gliedern dieſes Staatskoͤrpers gegeneinander und gegen deſſen Oberhaupt ab. Je enger die Verbindung iſt, worinn mehrere Staaten leben,[und] ie nothwendiger die Be -ob -377und deren Gleichgewicht.obachtung der feſtgeſezten wechſelſeitigen Verbindlichkei - ten zu Erhaltung des gemeinſamen Bandes iſt, deſto groͤßer muß die Sorgfalt der ſaͤmtlichen Mitglieder ſeyn, daß keins derſelben ſeine Macht zum Nachtheil der Freiheit und Gerechtſame der uͤbrigen zu ſehr erwei - tere. Das teutſche Reich iſt ein aus mehrern groͤßern und kleinern Staaten zuſammengeſezter Staatskoͤrper, deſſen Oberhaupt in Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt, ſo wie den ſtaͤndiſchen Freiheiten dabey durch Grundgeſetze zwar gewiſſe Grenzen vorgezeichnet ſind, die iedoch von beiden Seiten leicht uͤberſchritten werden koͤnten, wenn nicht eine gewiſſe Gleichheit der Macht ſowohl zwiſchen Haupt und Gliedern, als unter den leztern ſtatt faͤnde; zumal da das Staatsintereſſe die Wahl eines maͤchtigen Standes zum Oberhaupt erfodert. Es iſt daher eine beſtaͤndige Aufmerkſamkeit noͤthig, damit iedes Mitglied bey dem freien und geruhigen Genuß ſeiner Lande, Be - ſitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli - chen und willkuͤhrlichen Unternehmung gehindert wer - de a]. Dies iſt der Grund des Gleichgewichts im teutſchen Reiche. Bey Gelegenheit der Streitigkei - ten uͤber den baierſchen Laͤndertauſch waren die Meinun - gen uͤber den Begrif des Gleichgewichts in Teutſchland getheilt. Kaiſerlicher Seits behauptete man b]: „ Das wahre Gleichgewicht der Gewalt in Anſehung der Staͤn - de unter ſich, haͤngt nach der teutſchen Verfaſſung nur allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern ſich gar keiner Gewalt anmaße, ſondern daß ieder derſelben der beſtelten geſetzmaͤſigen Obergewalt untergeordnet blei - be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An - ſehung des Reichsoberhaupts gegen die derſelben unterge - bene Staͤnde einzig darauf beruht, daß die leztern an der Geſetzgebung und an einigen andern in den Geſetzen benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi - ſche Gewalt durch die dazu beſonders geordnete StaͤndeA a 5vol -378Von der Macht der Nazionenvolbracht und dazu in der Regel nur die von den Staͤn - den geſtelte Manſchaft gebraucht werde. Dieſem einzi - gen wahren und weſentlichen Gleichgewichte im teutſchen Reiche ſtehet keinesweges die allen Staͤnden deſſelben gebuͤhrende Befugnis entgegen, ſo viele Reichslande an ſich zu bringen, als ihnen verliehen werden, oder in rechtlicher Ordnung an ſie fallen, oder ſonſt auf eine den Geſetzen gemaͤße Art, durch Tauſch und andere er - laubte Wege von ihnen erworben werden koͤnnen. Nur iene Staͤnde zerſtoͤren dieſes Gleichgewicht, welche ein - ſeitige Buͤndniſſe gegen andere errichten, uͤber Dinge, die nur der Erwegung und Entſcheidung aller vorbehal - ten ſind, wilkuͤhrlicher Urteile ſich anmaßen, ſogar zu derer bewafneter Behauptung ſich unter einander vereini - gen, und ſolchergeſtalt allen uͤbrigen eine ganz unbefugte Obergewalt aufdringen wollen.” Dagegen aber wurde von koͤniglich preuſſiſcher Seite geaͤuſſert c]: „ Nach die - ſen hier wilkuͤhrlich und ohne Beweis angenommenen groͤſtenteils unaͤchten Grundſaͤtzen wuͤrde das Gleichge - wicht der Gewalt im teutſchen Reiche faſt ganz in der Wilkuͤhr der hier ſogenanten Obergewalt, worunter man den Kaiſer zu verſtehen ſcheint, beruhen, und wuͤrde das Schickſal der vermeintlich untergebenen Reichsſtaͤnde ſehr mißlich ſeyn. Zum Gluͤck fuͤr den konfoͤderirten Staat von Teutſchland hat deſſen gewaͤhltes Oberhaupt keine andere Obergewalt, als welche die Erbfuͤrſten, die es gewaͤhlt, ihm durch die von ihm beſchworne Wahlka - pitulation aufgetragen haben. Nach ſolcher beruhet die geſetzmaͤſige Obergewalt nicht bey dem Kaiſer allein, ſondern fuͤr die Geſetzgebung, bey dem Kaiſer und den Staͤnden zuſammen; in Anſehung der exekutiviſchen Gewalt, allein auf die dazu beſonders geordneten Staͤn - de. Wenn ſie der Kaiſer, als ſolcher, fuͤr ſich allein, oder als ein dazu nicht verordneter Reichsſtand, aus - uͤben will, wenn er ſeinen ſchwaͤchern Mitſtaͤnden Kon -ven -379und deren Gleichgewicht.ventionen, nach einſeitiger Konvenienz, oder widerrecht - liche und ihnen nachtheilige Tauſchhandlungen abzudrin - gen ſucht; wenn er die groͤſten Reichslande ohne Ein - ſtimmung aller dazu gehoͤrigen Erbfuͤrſten und des ge - ſamten Reichs, wider deſſen Syſtem und poſitive Geſe - tze, durch ungeſetzmaͤſſige Mittel an ſich zu bringen ſucht, ſo zerſtoͤrt er dadurch allerdings das Gleichgewicht des Reichs; ſo misbraucht er dadurch die Gewalt, welche die Wahlfuͤrſten ihm aufgetragen haben, und alsdann tritt das Recht ein, welches das alte Herkommen, der Osnabruͤckiſche Friedensſchlus Art. 8. §. 2. und die Wahlkapitulation Art. 3. §. 6. und Art. 6. §. 4. ihnen zugeeignet haben, Buͤndniſſe unter ſich und mit Aus - waͤrtigen, zu Erhaltung ihrer Rechte und Sicherheit zu ſchlieſſen; ſie ſchlieſſen ſolche dadurch nicht gegen den Kaiſer und das Reich, ſondern gegen einen ſeine Macht misbrauchenden Mitſtand; ſie zerſtoͤren dadurch nicht, ſondern erhalten das Gleichgewicht, ſie dringen nie - manden eine unbefugte Obergewalt auf, ſondern ſie ſuchen ſie nur abzuwenden; ſie maſſen ſich keine wilkuͤhr - liche Beurtheilung uͤber Dinge an, die nur der Erwaͤg - ung und Entſcheidung Aller vorbehalten ſind ꝛc. — — Die geſunde Vernunft und die geſchichtmaͤſige Erfahr - ung beweiſet auch genugſam, daß in einem, ſo wie das teutſche Reich, verbundenen Freiſtaat, das aus ſo vie - len maͤchtigen, mittelmaͤſigen und ſchwachen Staͤnden beſteht, auſſer der an ſich wenig wirkſamen Macht der Geſetze, ein wahres Gleichgewicht der Macht zwiſchen dem Kaiſer und Staͤnden, und den Staͤnden unter ſich, ſeyn und dadurch erhalten werden muß, daß ein ieder Stand und ein iedes erbfuͤrſtliches Haus bey ſeinen alt - erblichen Beſitzungen erhalten, und die mindermaͤchtige nicht von den Maͤchtigern durch allerhand zweideutige von den leztern leicht zu erſindende Mittel verdrungenwer -380Von der Macht der Nazionenwerden, ſonſt wuͤrde das geſetzmaͤſige Gleichgewicht bald und oft aufhoͤren und verſchwinden. ” ꝛc. d]
Iſt der Ausdruck: Gleichgewicht von Teutſch - land auch neuern Urſprungs e]: ſo findet man doch von der Sache ſelbſt ſchon Spuren in den aͤlteſten Zeiten. Von ieher haben ſowohl Kaiſer, als Staͤnde, ihr An - ſehn und ihre Gewalt uͤber die vorgeſchriebenen Grenzen zu erweitern geſucht. Indes hat die Freiheit der leztern immer maͤchtige Vertheidiger ſowohl unter den Mitſtaͤn - den, als unter auswaͤrtigen Nazionen gefunden. Der Einflus der leztern in die teutſchen Reichshaͤndel wird be - ſonders ſeit den Zeiten Kaiſer Friedrichs I., der die Unter - druͤckung der Staͤnde zur Hauptabſicht hatte, merklicher. Die auswaͤrtigen Koͤnige, ſagt Olenſchlager f], fin - gen ſeit dieſer Zeit an, ihre eigne Freiheit nach dem Schickſale der teutſchen Staͤnde zu ſchaͤtzen. Jedoch war damals noch nicht ſo viel zu befuͤrchten, weil das Unvermoͤgen der meiſten Staaten keine gar zu gefaͤhrli - chen Unternehmungen verſtattete. Als ſie aber im funf - zehnten und ſechszehnten Jahrhundert almaͤhlig ſich zu erheben begannen, und beſonders das Haus Oeſterreich, deſſen Regenten ſich ſeit einer langen Reihe von Jahren im Beſitz der Kaiſerwuͤrde befanden, zu einer fuͤrchterli - chen Macht emporwuchs, die den Staͤnden zu manchen nicht ungegruͤndeten Beſchwerden Anlas gab, ward die Sorge fuͤr das Gleichgewicht zwiſchen der kaiſerlichen Macht und den Reichsſtaͤndiſchen Freiheiten immer noth - wendiger. Die Staͤnde ergriffen nicht nur ſelbſt die erforderlichen Maasregeln hierunter, indem ſie den wil - kuͤhrlichen Anmaſſungen der Kaiſer durch Wahlkapitula - tionen ꝛc. zuvorzukommen bedacht waren, ſondern erhiel - ten auch hauptſaͤchlich Frankreichs Unterſtuͤtzung, das ſich der teutſchen Reichsſtaͤnde meiſtens annahm, zumal da Kaiſer Karl V., unter dem Schein der Religion, die Zernichtung der teutſchen Freiheit unternahm. Hiertrift381und deren Gleichgewicht.trift das Gleichgewicht von Teutſchland mit dem Gleich - gewicht von ganz Europa zuſammen, deſſen Geſchichte, ſo wie die zwiſchen den Staͤnden unter ſich und mit aus - waͤrtigen Maͤchten deshalb geſchloſſenen Vertraͤge ſchon oben [§. 10.] erzaͤhlt worden ſind. Der dreiſſigiaͤhrige Krieg und daraufgefolgte weſtphaͤliſche Friede von 1648 machen die Hauptepochen im teutſchen Gleichgewichte aus, und der leztere wird noch itzt als die Grundlage deſſelben betrachtet, worauf faſt alle folgende Friedensſchluͤſſe und Vertraͤge im teutſchen Reiche gebaut ſind.
In Anſehung der neuern Zeiten heißt es in der oban - gefuͤhrten fuͤrtreflichen Abhandlung des Herrn Staats - miniſters von Hertzberg g]: „ Das Gleichgewicht von Teutſchland waͤre in dem Kriege, welcher 1756 unver - muthet ſich entſpann, in Gefahr geweſen, gaͤnzlich zer - ruͤttet zu werden, wenn die preuſſiſche Monarchie von ihren Feinden vernichtet worden waͤre. Zum Gluͤck hielt der große Koͤnig dieſen Krieg ſieben Jahr lang wider die vornehmſten Maͤchte von Europa aus, auf eine Art, die in der Geſchichte ohne Beiſpiel iſt, und das Gleichge - wicht von Teutſchland ward durch den Frieden, welchen ich 1763 zu Hubertsburg nach Grundſaͤtzen eines gerech - ten, dauerhaften und ehrenvollen Frieden, ſo wie man deshalb zuvor uͤbereingekommen war, zu ſchlieſſen die Ehre hatte, wiederhergeſtelt.
Als das Kurhaus Baiern 1778 erloſch, ſchien das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland durch die An - ſpruͤche, welche der Wiener Hof auf Nieder-Baiern machte, in Gefahr zu ſeyn. Der Koͤnig von Preuſſen widerſezte ſich denſelben als ein Mitſtand des Reichs nicht nur, um das Erbfolgsrecht des Haufes Pfalz auf ganz Baiern zu behaupten, ſondern auch, um das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland zu vertheidigen. Daraus entſtand ein Krieg, den der Friedensſchlus zu Teſchen 1779 gluͤcklich beendigte. Durch demſelbenward382Von der Macht der Nazionenward das teutſche Gleichgewicht erhalten und dem Hauſe Pfalz der groͤſte Theil der baieriſchen Erbſchaft, unter Garantie zwey großer Hoͤfe, gelaſſen.
Das Syſtem des Gleichgewichts in Teutſchland er - regte neue Beſorgniſſe, als zu Anfang des Jahres 1785 der Vorſchlag eines Austauſches von Baiern gegen die Niederlande auf die Bahn gebracht wurde. Der Koͤnig von Preuſſen nebſt dem Herzoge von Zweibruͤcken zog die Vertraͤge von Teſchen und Pavia ſowohl, als das teutſche Gleichgewicht als unerſchuͤtterliche Geſetze gegen alle Veraͤuſſerung Baierns an. Der kaiſerliche Hof verſicherte in oͤffentlichen Erklaͤrungen, daß er nie an einen gewaltſamen Tauſch von Baiern denken wuͤrde, und erneuerte dadurch das Zutrauen, das man iederzeit in ſeine Gerechtigkeitsliebe und Grosmuth geſetzt hat. Die vornehmſten Glieder des pfaͤlziſchen Hauſes erklaͤr - ten ihrer Seits, daß ſie ſich nie zu einen freiwilligen Austauſch von Baiern verſtehen wuͤrden. Durch dieſen Zuſammenflus beſonderer Umſtaͤnde und oͤffentlicher auf einander ſich beziehender Erklaͤrungen iſt nun, ohne einen foͤrmlichen Vertrag, eine neue, feierliche im Angeſicht von Europa volzogene Verbindung der vornehmſten inter - eſſirten Theile entſtanden, welche die Sicherheit und das Gleichgewicht von Teutſchland auf lange Zeit befeſtigt. Indes gaben dieſe Unruhe und Beſorgniſſe, welche der bloße Name eines ſolchen Vorhabens nothwendig erwek - ken muſte, zu der conſtitutionsmaͤſigen Aſſociation Anlas, welche den 23ſten Julius [1785] zu Berlin zwi - ſchen den drey Kurfuͤrſten von Sachſen, Brandenburg und Braunſchweig geſchloſſen ward h]. Als eine Erneu - erung der alten Verbindung der erlauchten contrahirenden Haͤuſer iſt ſie blos vertheidigend, und hat lediglich die Erhaltung des conſtitutionsmaͤſigen Syſtems des teut - ſchen Reichs ſowohl, als der Beſitzungen und Rechte aller ſeiner Glieder zum Gegenſtand i]. — — Mankan383und deren Gleichgewicht.kan ſich mit einigem Grunde ſchmeicheln, daß dieſe an - fangs verkante und verdaͤchtig geſchienene Aſſociation mit der Zeit zur neuen Grundlage des Wohls und der Sicherheit Teutſchlands werde dienen, und den Gedan - ken des ehemaligen Gleichgewichts der Macht erneuern koͤnnen, das in einer verbuͤndeten Monarchie, wie das teutſche Reich, durchaus nothwendig iſt, und ohne wel - ches die Geſetze und Vertraͤge dieſes Reichs nicht lange ihre Kraft behalten, ſondern ſie fruͤher oder ſpaͤter ver - lieren wuͤrden. ” k]
Unter den Staͤnden hat das Kurhaus Brandenburg, indem es der kaiſerlichen Macht das Gegengewicht zu halten ſich bemuͤht, beſonders ſeit ſeinem Anwachs durch die Erwerbung von Schleſien und andere betraͤchtliche Erweiterungen ſeiner Laͤnder, bey andern zuweilen ſelbſt den Verdacht gefaͤhrlicher Abſichten erregt l]. Daß aber die Unterdruͤckung teutſcher Freiheit, wenn ſie auch zu Preuſſens vermeintlichen Vorteile moͤglich waͤre, dem wahren Intereſſe dieſes Hauſes nicht angemeſſen ſey, iſt in der Dohmiſchen Abhandlung ſehr einleuchtend ge - zeigt worden m]. Vielmehr ſcheint es ſeine Aufmerk - ſamkeit auf die Erhaltung des nordiſchen und teutſchen Gleichgewichts geteilt zu haben n].
Seitdem durch Luthers Reformation die Staͤnde des teutſchen Reichs, in Anſehung der Religion, in zwey Corpora, naͤmlich den Evangeliſchen und Catholiſchen Reichstheil ſich abgeſondert haben, ſind der Religion halber, wohin man den meiſten Reichsgeſchaͤften eine Beziehung zu geben geſucht hat, mancherley Streitigkei - ten unter ihnen entſtanden. Jeder Theil war bemuͤht, die Oberhand uͤber den andern zu gewinnen. Durch den Religions - und weſtphaͤliſchen Frieden iſt, ſo viel moͤglich, eine voͤllige Gleichheit der Rechte unter beiden Theilen eingefuͤhrt worden, die ieder bey aller Gelegen - heit ſorgfaͤltig zu erhalten und dem andern keine Art von Uebergewicht einzuraͤumen bedacht iſt.
Die Vorzuͤge, welche Grosbritannien in Anſehung der Schiffahrt und Handlung vor andern Nazionen zu erwerben gewuſt hat, haben ſchon laͤngſt deren Eiferſucht erregt. Beſonders aber iſt von Seiten Frankreichs, ſo - wohl in Staatsverhandlungen a] als von franzoͤſiſchen Privatſchriftſtellern b] oͤfters die Nothwendigkeit eines Gleichgewichts der Macht zur See einleuchtend zu ma - chen geſucht worden, weil alle handelnde Nazionen die grosbritanniſche Macht zur See zu fuͤrchten haͤtten, in - dem dieſer Staat von ieher eine unumſchraͤnkte Herſchaft zur See an ſich zu reiſſen und den Handel aller uͤbrigen Nazionen zu verſchlingen trachte. Da aber, wie unten gezeigt werden wird, die Erweiterung der Herſchaft zur See nicht ſo leicht wie die zu Lande geſchehen kan, die innern Vergroͤßerungen der Macht durch Handlung und andere gute Anſtalten, inſofern dadurch den Gerechtſa - men anderer nicht zu nahe getreten wird, das Gleichge - wicht auch nicht aufheben, [§. 6.] ob ſie gleich keinen geringen Einflus darauf haben c], ſo kann man das Gleichgewicht der Schiffahrt und Handlung mit Recht eine ungereimte Chimaͤre nennen d], deſſen Noth - wendigkeit und Bewuͤrkung der Neid gegen die uͤberwie - gende brittiſche Handlung und Schiffahrt den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen vorgepredigt und empfohlen hat e].
Auch von einem Gleichgewicht auf dem baltiſchen Meere insbeſondere, deſſen Erhaltung Daͤnemark ſich angelegen ſeyn laſſe, iſt ſchon die Rede geweſen f].
Jedes vernuͤnftige Weſen fuͤhlt in ſich den Beruf, ſei - ne Handlungen ſeiner Natur gemaͤs einzurichten. Die Voͤlker ſind aus einzelnen Menſchen zuſammenge - ſezt, welche durch den Eintritt in einen Staatsverein der von Natur aufhabenden Pflichten keinesweges entle - digt werden. Ein ſolcher Staatskoͤrper hat daher, als moraliſche Perſon, nicht nur eben dieienigen Obliegen - heiten auf ſich, welche die einzelnen Glieder im natuͤrli - chen Zuſtande verbanden, ſondern er muß auch noch uͤber - dies bey allen Handlungen die Natur und die Abſicht ſei - ner Verbindung zu Rathe ziehen.
Natuͤrliche Freiheit und Gleichheit ſind die Hauptei - genſchaften eines Volks. Verlangen nach Gluͤckſelig - keit iſt die vorzuͤglichſte Triebfeder aller menſchlichen Handlungen im auſſergeſelſchaftlichen Zuſtande ſowohl, als in Verbindung mit andern. In der gemeinſchaft - lichen Gluͤckſeligkeitsbefoͤrderung beſteht auch der Haupt - grund und die Abſicht der Staatsvereine und der geſel - ſchaftlichen Verbindung mehrerer Voͤlker. Sie gehoͤrt daher zum Weſen der Nazionen. Wenn ſie darauf alle ihre Handlungen abzielen laſſen, ſo leben ſie ihrer Na - tur gemaͤs: dies iſt die erſte Pflicht, welche ſie ſich ſelberſchul -391Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ſchuldig ſind, und woraus alle Rechte und Verbindlich - keiten gegen einander ſich herleiten laſſen.
Die Gluͤckſeligkeit der Nazionen begreift die politi - ſche Freiheit und Unabhaͤngigkeit von andern, hinlaͤng - lichen Lebensunterhalt, und eine anſehnliche Macht, da - mit ſie dieſe in Ruhe und Sicherheit genieſſen, und ſich gegen alle Anfaͤlle ſchuͤtzen und vertheidigen koͤnnen, in ſich. Die dahin gehoͤrigen Pflichten laſſen ſich fuͤglich alle auf den Grundſatz zuruͤckfuͤhren: Erhalte und ver - volkomne dich.
Die Erhaltung beſteht in der Fortdauer nicht nur des ganzen Staatsvereins, ſondern auch aller einzelner Theile und Glieder deſſelben. Dieſe haben ſich zu Be - foͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls gegen einander verbunden, welche aber unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn iene Vereinigung getrent werden ſolte. Sie erfodert zuerſt die Handhabung aller Beſitzungen und Rechte des Ganzen, beſonders auch der Regierungsverfaſſung als der Seele des Staats, und dann die Sorge fuͤr das Leben, die Guͤter und Gerechtſame der einzelnen Buͤrger, fuͤr ihre Beduͤrfniſſe, Bequemlichkeit, Vergnuͤgungen und Gluͤcksmittel.
Das Vermoͤgen, den Zweck der Staatsvereinigung zu erhalten, macht die Volkommenheit einer Nazion aus, und dieienige befindet ſich in einem volkomnen Zu - ſtande, der nichts zu Erreichung dieſes Endzwecks man - gelt a]. Je genauer alle Theile zur Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit, als der Hauptabſicht der Staatsvereinig - ung [§. 1.] uͤbereinſtimmen, deſto volkomner iſt ein Volk zu nennen.
Die Pflichten eines Volks gegen ſich ſelbſt ſchreiben ihm die Handlungen vor, welche es, ſeiner Natur nach, zu thun und zu laſſen verbunden iſt. Da der Hauptzweck der Nazionen in Gluͤckſeligkeit oder in Erhaltung und Vervolkomnung beſteht, ſo ſind ſie auch verbunden, alles zu thun, was ihre Erhaltung befoͤrdern, und alles zu unterlaſſen, was ihren Untergang nach ſich ziehen kan a]. Sie muͤſſen fuͤr ihre Freiheit und Sicherheit ſorgen, damit andere Nazionen ſich nicht zuviel uͤber ſie herausnehmen, oder ihnen ungeahndet Beleidigungen zufuͤgen. Gleiche Aufmerkſamkeit erfo - dert die Vervolkomnung ihres Zuſtandes. Sie muͤſſen alles thun, was dieſelbe befoͤrdert, und alles un - terlaſſen, was derſelben zuwider iſt, um nicht nur ihren eignen Endzweck deſto geſchwinder erreichen, ſon -dern393Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.dern auch die Gluͤckſeligkeit anderer mit ihnen verbun - denen Voͤlker, nach Vermoͤgen befoͤrdern zu koͤnnen c].
Wer eine Verbindlichkeit zu etwas hat, dem muß auch das Recht zuſtehen, ſich aller derienigen Mittel zu bedienen, ohne welche er ſeine Pflichten zu erfuͤllen nicht im Stande iſt, weil er ſonſt zu etwas unmoͤglichen verbunden waͤren. Jedoch muß durch Ausuͤbung dieſes Rechts, die Freiheit und Gleichheit anderer nicht verlezt werden: denn zu einem erlaubten Endzweck darf man doch keinesweges unerlaubte Mittel gebrauchen a]. Je - des Volk iſt daher berechtigt, ſeine Gluͤckſelig - keit auf alle erlaubte Art und ohne Nachtheil der algemeinen Wohlfahrt zu befoͤrdern. Die Mittel richten ſich nach der Beſchaffenheit der Nazionen, und muͤſſen bey maͤchtigen natuͤrlicherweiſe anders als bey mindermaͤchtigen ſeyn b].
Aus den Pflichten und Rechten der Nazionen gegen ſich ſelber, ſind auch ihre Verbindlichkeiten gegen einan -B b 5der394Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.der leicht abzunehmen. Dieſe ſind iedoch nicht alle einer - ley Art. Einige derſelben flieſſen unmittelbar aus der Natur und dem Weſen der Voͤlker, und heiſſen daher unbedingte [officia abſoluta] oder ſie ſetzen eine wilkuͤhr - liche Einrichtung, einen Vertrag, oder ſonſt eine ver - bindende Handlung voraus, und werden beſondere, bedingte [hypothetica] genant. Die erſtern ſind wie - derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa] oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter - laſſung ſolcher Handlungen, welche die Gluͤckſeligkeit anderer hindern oder ſtoͤren koͤnten; dieſe erſtrecken ſich auch auf deren Befoͤrderung durch werkthaͤtige Beihuͤlfe. Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten, nent man gerecht [juſtae], dieienigen, welche auch in Anſehung der affirmativen ſich nichts zu Schulden kom - men laſſen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un - bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe - cta] und unvolkomne [imperfecta], nachdem ſie, im Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, ſelbſt mit Gewalt der Waffen, zulaſſen oder nicht.
Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande haben die Voͤlker, ſo wie einzelne Menſchen, lauter verneinen - de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach - tung ſie mit volkomnem Rechte angehalten werden koͤn - nen. Sie ſind verbunden, die Erhaltung und Vervol - komnung anderer weder zu hindern, und ihnen die da - zu erforderlichen Mittel und deren Gebrauch zu ent -ziehn,395Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ziehn, noch ſie ſonſt im Genus ihrer Rechte zu ſtoͤren. Sie muͤſſen iedem das Seine laſſen, kein Volk beleidi - gen, und wegen zugefuͤgten Schadens Genugthuung ver - ſchaffen.
Ein Volk, das die Erhaltung und Volkommenheit anderer hindert, oder deren Zuſtand unvolkomner macht, daß ſie den Endzweck der Staatsvereinigung nicht errei - chen koͤnnen, beleidigt ihre Gerechtſame. Kein Volk darf daher leiden, daß es von andern beleidigt werde. Daſ - ſelbe hat ein Recht, dieienigen Nazionen, welche ihm ſeine Gerechtſame nicht zugeſtehn oder entziehn wollen, mit Gewalt anzuhalten, ſeine Rechte zu vertheidigen, den Beleidigungen mit Gewalt zu widerſtehen, und we - gen des wuͤrklich erlittenen Unrechts Entſchaͤdigung und Genugthuung zu fodern, auch im Weigerungsfall ſich ſolche ſelber zu verſchaffen.
Einzelne Menſchen und ganze Voͤlker haben mit den Fortſchritten der Verfeinerung die Erforderniſſe ihrer Gluͤckſeligkeit dergeſtalt erweitert, daß ihre eignen Kraͤf - te nicht mehr hinreichen, alle dazu gehoͤrige Beduͤrfniſſe ſich ſelbſt allein zu verſchaffen, wenn ſie auch alle nega - tive und volkomne Verbindlichkeiten gegen einander be - obachteten. Sie beduͤrfen daher der thaͤtigen Unterſtuͤtz -ung396Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ung und wechſelſeitigen Beihuͤlfe anderer. Daraus iſt eine naͤhere geſelſchaftliche Verbindung unter ihnen ent - ſtanden, welche die gemeinſchaftliche Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit zum Endzweck hat, die von der Natur un - mittelbar zwar nicht befohlen, durch die in der Folge entſtandenen zufaͤlligen Beduͤrfniſſe iedoch nothwendig gemacht worden. [Kap. 2.]
Die Hauptquelle, woraus die geſelſchaftliche Ver - bindung und gemeinſchaftliche Befoͤrderung der Gluͤckſe - ligkeit anderer flieſſen, iſt daher ohnſtreitig in dem eig - nen Vervolkomnungstriebe zu ſuchen. Ein Volk, das die Beduͤrfniſſe anderer, ſo viel in ſeinem Vermoͤgen ſteht, befriedigt, darf in aͤhnlichen Faͤllen gleiche Unter - ſtuͤtzung hoffen a]. Was ihr wolt, das euch ande - re thun, das thut ihr ihnen auch, muß ihm hier zur Vorſchrift dienen. Dieſe kann iedoch ohne wechſelſeitige Liebe und Wohlwollen nicht fuͤglich beſtehen b]. Durch ſie werden die geſelſchaftlichen Bande erſt feſter geknuͤpft: denn wer den andern liebt, wird gewis alles zu deſſen Erhaltung und Vervolkomnung beitragen c], und die Gelegenheiten um ſo williger ergreifen, welche ſich zu Ausuͤbung der geſelſchaftlichen Pflichten darbieten.
Die Geſelſchaftspflichten, welche Nazionen einander aus gegenſeitiger Liebe zu Befoͤrderung ihrer Gluͤckſelig - keit leiſten, werden Liebespflichten [officia humanita - tis] genant, und in verſchiedene Klaſſen getheilt. Sie ſind entweder unbeſtimte [indefinita], welche ein Volk ohne Ruͤckſicht auf eine beſondere Nazion, oder beſtim - te [definita], welche es bey wuͤrklich vorkommenden Ge - legenheiten ausuͤbt. Nazionen z. B. welche auf anſehn - liche Getraidevorraͤthe bedacht ſind, um andere beduͤrfen - den Fals damit zu unterſtuͤtzen, erfuͤllen die erſtern, und wenn ſie einem eben nothleidenden Volke damit aushel - fen, die leztern. Ferner werden ſie theils ohne, theils mit eigner Beſchwernis geleiſtet. Jene insbeſondere heiſſen Pflichten unſchaͤdlicher Gefaͤlligkeit [innoxiae utilitatis], und man theilt ſie gemeiniglich auch in beia - hende [affirmativa] und verneinende [negativa], ienach - dem ein Volk ſeine Kraͤfte zum Nutzen des andern ſelbſt anwendet, oder nur zulaͤſt, daß etwas zu deſſen Vor - theil geſchehe. Der noch vorzuͤglichern Liebespflichten, welche mit Aufopferung irgend eines Eigenthums ver - knuͤpft ſind [noxiae utilitatis ſ. humanitatis eminentioris] giebt es wiederum verſchiedene Gattungen. Sie ſind theils Pflichten der Wohlthaͤtigkeit [liberalitatis ſ. beneficentiae], wenn ein Volk dem andern etwas von dem Seinigen entweder zum voͤlligen Eigenthum, oder nur zum Gebrauch einraͤumt; theils Pflichten der Dienſtfertigkeit [officioſitatis], wenn ein Volk fuͤr das andre eine beſchwerliche Verrichtung z. B. das Amt eines Mitlers zwiſchen kriegfuͤhrenden Maͤchten uͤber - nimt; oder endlich Pflichten der Dankbarkeit [grati - tudinis], vermoͤge welchen ein Volk Wohlthaten mit Wohlthaten vergilt.
*]398Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.Die geſelſchaftliche Vereinigung und wechſelſeitige Liebe unter den Nazionen verlangen, daß ſie alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemeinſchaft - lichen Gluͤckſeligkeit beitragen, ſo weit die Pflich - ten gegen ſich ſelbſt es erlauben. [K. 2. §. 8.] Was in ihrer Gewalt nicht ſteht, wenn ſie gleich wolten, da - zu koͤnnen ſie nicht verbunden werden. Dieſe Verbind - lichkeit hoͤrt auch auf, wenn die Huͤlfsleiſtung nicht an - ders, als mit Aufopferung der Pflichten gegen ſich ſelbſt geſchehen koͤnte; denn wenn man ſeine Kraͤfte zum eignen Beduͤrfnis braucht, iſt es eben ſo viel, als haͤtte man ſie nicht. Man muß, vermoͤge der natuͤrlichen Verbind - lichkeit gegen ſich ſelbſt, zuerſt fuͤr ſich und dann fuͤr an - dre ſorgen. Wenn beiderlei Pflichten mit einander ſtrei - ten, behalten die erſtern ohnſtreitig den Vorzug a].
Die Beurteilung, ob ein Volk im Stande ſey, die Gluͤckſeligkeit andrer, ohne Verletzung ſeiner eignen Pflichten, zu befoͤrdern, iſt, vermoͤge der natuͤrlichen Freiheit, dem Volke uͤberlaſſen, welches die Liebespflich - ten ausuͤben ſoll. Eben ſo hat es auch das Recht, zu unterſuchen, ob das andere Volk der Unterſtuͤtzung wuͤrk - lich beduͤrfe b].
Alle Verbindlichkeiten zu Geſelligkeit und Liebe ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande unvolkommen, und deren Erfuͤllung kann durch aͤuſſere Zwangsmittel nicht erlangt werden. Sie enthalten beiahende Pflichten, wobey es, vermoͤge der natuͤrlichen Freiheit, auf das Ermeſſen des Leiſtenden ankomt, ob die Gelegenheit da - zu vorhanden iſt. Auſſerdem iſt die Liebe, als eine Hauptquelle derſelben, eine innerliche Regung, die ſich durch aͤuſſere Gewalt nicht erzwingen laͤßt. Ein Volk, das dem andern dergleichen Pflichten abſchlaͤgt, wenn es ſchon ſie leiſten koͤnte, beleidigt daſſelbe daher nicht, ob es gleich gegen die Billigkeit handelt.
So unvolkommen die Verbindlichkeit zu Leiſtung der Liebespflichten auf der einen Seite iſt, ſo unvolkom - men iſt auch das Recht, dergleichen mit Gewalt zu er - zwingen, auf der andern Seite. Indes hat das beduͤr - fende Volk, in Ruͤckſicht ſein ſelbſt, doch das Recht, dieſelben von andern zu begehren a], dergeſtalt, daß es niemand daran hindern, oder die Forderung fuͤr eine Beleidigung aufnehmen darf; denn es iſt verbunden,ſeine400Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.ſeine Gluͤckſeligkeit auf alle Art zu befoͤrdern, und muß daher am beſten wiſſen, ob es der Huͤlfe und Unterſtuͤtz - ung anderer dabey bedarf b]. Im Verweigerungsfall kann es ſich auch daruͤber beſchweren, und bey aͤhnlicher Gelegenheit das naͤmliche Betragen gegen das unbillige Volk annehmen. Am wenigſten kann aber auch eine Nazion gezwungen werden, die Leiſtung der Liebespflich - ten von andern anzunehmen c].
Dieſe von Natur unvolkomnen Pflichten koͤnnen iedoch durch die ſtilſchweigende oder ausdruͤckliche Ein - willigung der Nazionen die Kraft der volkomnen erlan - gen. In beiden Faͤllen iſt die Verbindlichkeit aber nicht weiter zu erſtrecken, als die Natur und der Inhalt dieſer Vertraͤge es mit ſich bringt. Zu der ſtilſchweigen - den Einwilligung in die volkomne Verbindlichkeit der Geſelſchafts - und Liebespflichten rechne ich die, ohne ausdruͤckliche Uebereinkunft, unter mehrere, beſonders den europaͤiſchen Nazionen beſtehende Geſelſchaft [K. 2.] welche ihnen die Pflicht auflegt: Alles zu thun, was das gemeinſchaftliche Wohl der Geſelſchaft noth - wendig erfodert. Die unbedingte Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit einzelner Glieder derſelben bleibt dem - ungeachtet blos unvolkomne Verbindlichkeit.
Durch401Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.Durch ausdruͤckliche Vertraͤge haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen zu Leiſtung wechſelſeitiger Liebes - pflichten ſich anheiſchig gemacht a]. So verbinden ſich z. B.
Spanien und die Vereinigten Niederlande, daß beide Theile hinfuͤhro einander mit Rath und That bey allen Gelegenheiten zu Nutzen ſeyn ſollen. Utrech - ter Friede 1714. Art. 9.
Frankreich, Spanien und Grosbritannien: Einer des andern Beſtes und Sicherheit eben ſo wie ſeine eigne zu Herzen zu nehmen, ſich wegen der Gefahr deſ - ſelben zu erkundigen und ſolcher mit allen Kraͤften ſich zu widerſetzen. Geheimer Garantietractat 1721 Art. 1.
Kaiſer und Reich mit Frankreich: Beide Theile den Nutzen, die Ehre und Vortheile des andern ernſt - lich zu befoͤrdern. Wiener Defin. Friede 1738. Art. 1.
Die Bourboniſchen Maͤchte: Die contrahirenden Theile wollen einander ihren Splendeur, Ehre und Rechte zu erhalten ſuchen. Jede Macht deren Regent aus dem maͤnnlichen Blute entſproſſen, ſoll ſich bey allen Gelegenheiten des Schutzes und Beiſtandes der drey Kronen zu verſprechen haben. Bourb. Familien - vert. 1761. Art. 20.
Frankreich und die Vereinigten Niederlande: Beide Theile ſollen einander mit Rath und That unter - ſtuͤtzen und keine Negociation eingehen, die der andern nachtheilig ſeyn koͤnnte ꝛc. Allianztract. von 1785. Art. Sep. 3.
Vermoͤge der natuͤrlichen Verbindlichkeit der Voͤlker, fuͤr ihre Erhaltung zu ſorgen, haben ſie allerdings auch das Recht, gewiſſe Liebespflichten mit Gewalt zu fodern, wenn ſie, ohne dieſelben, ihren Untergang vor Augen ſehen a]. Jedoch iſt bey dergleichen Nothfaͤllen zu mer - ken, daß man 1] alle moͤgliche Mittel vorher verſuchen muͤſſe. Denn wenn noch irgend ein Ausweg moͤglich iſt, ſo faͤllt die Colliſion weg; 2] das andere Volk darf nicht in dem naͤmlichen Zuſtande ſich befinden und 3] wenn der Nothſtand aufhoͤrt, muß der Erſatz oder die Genugthuung ſo viel moͤglich erfolgen.
Ein Volk, das alle Pflichten beobachtet, wozu es gegen andere verbunden iſt, lebt mit ihnen in Frieden und es findet keine Gewaltthaͤtigkeit unter ihnen ſtatt. Die allgemeinen Grundſaͤtze von der Verbindlichkeit mit andern in Friede und Eintracht zu leben, ſind in den Vorhergehenden beſtimmt worden. Wie alle dieſe Rech - te und Pflichten, beſonders die volkomnen, denen im Voͤlkerrechte vor allen andern ein Platz gebuͤhrt, ange - wandt werden muͤſſen, ſoll nunmehro in den folgenden Buͤchern umſtaͤndlicher auseinander geſetzt werden.
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