PRIMS Full-text transcription (HTML)
Reiſebilder
Erſter Theil.
Hamburg,bey Hoffmann und Campe. 1826.

Dedication.

Der Frau Geh. Legationsraͤthin Friedrike Varnhagen v. Enſe widmet die achtundachtzig Gedichte ſeiner « Heimkehr » der Verfaſſer.

[1]

Die Heimkehr.

(1823 1824.)

1[2]
Des Altars heil'ge Deck ', um eines Diebes
Scheuſel'ge Bloͤße liederlich gewunden!
Der goldne Kelchwein des Gefuͤhls, geſoffen
Von einem Trunkenbolde! Eine Roſe,
Zu ſtolz, den Thau des Himmels zu empfangen,
Herberge nun der giftgeſchwollnen Spinne!
(Aus Immermanns Cardenio und Celinde. 1ſter Akt, 3ter Auftr.)
[3]

I.

In mein gar zu dunkles Leben
Stralte einſt ein ſuͤßes Bild;
Nun das ſuͤße Bild erblichen,
Bin ich gaͤnzlich nachtumhuͤllt.
Wenn die Kinder ſind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemuͤth,
Und um ihre Angſt zu bannen,
Singen ſie ein lautes Lied.
Ich, ein tolles Kind, ich ſinge
Jetzo in der Dunkelheit;
Iſt das Lied auch nicht ergoͤtzlich,
Macht's mich doch von Angſt befreyt.
4

II.

Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten,
Daß ich ſo traurig bin;
Ein Maͤhrchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft iſt kuͤhl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendſonnenſchein.
Die ſchoͤnſte Jungfrau ſitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr gold'nes Geſchmeide blitzet,
Sie kaͤmmt ihr gold'nes Haar.
Sie kaͤmmt es mit gold'nem Kamme,
Und ſingt ein Lied dabey;
Das hat eine wunderſame,
Gewaltige Melodey.
5
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er ſchaut nicht die Felſenriffe,
Er ſchaut nur hinauf in die Hoͤh '.
Ich glaube, die Wellen verſchlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

III.

Mein Herz, mein Herz iſt traurig,
Doch luſtig leuchtet der May;
Ich ſtehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Baſtey.
Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in ſtiller Ruh ';
Ein Knabe faͤhrt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.
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Jenſeits erheben ſich freundlich,
In winziger, bunter Geſtalt,
Luſthaͤuſer, und Gaͤrten, und Menſchen,
Und Ochſen, und Wieſen, und Wald.
Die Maͤdchen bleichen Waͤſche,
Und ſpringen im Graſ 'herum;
Das Muͤhlrad ſtaͤubt Diamanten,
Ich hoͤre ſein fernes Geſumm'.
Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhaͤuschen ſteht;
Ein rothgeroͤckter Burſche
Dort auf und nieder geht.
Er ſpielt mit ſeiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er praͤſentirt und ſchultert
Ich wollt ', er ſchoͤſſe mich todt.
7

IV.

Im Walde wandl 'ich und weine,
Die Droſſel ſitzt in der Hoͤh';
Sie ſpringt und ſingt gar feine:
Warum iſt dir ſo weh?
Die Schwalben, deine Schweſtern,
Die koͤnnen's dir ſagen, mein Kind;
Sie wohnten in klugen Neſtern,
Wo Liebchens Fenſter ſind.

V.

Die Nacht iſt feucht und ſtuͤrmiſch,
Der Himmel ſternenleer;
Im Wald, unter rauſchenden Baͤumen,
Wandle ich ſchweigend einher.
Es flimmert fern ein Lichtchen
Aus dem einſamen Jaͤgerhauſ ';
Es ſoll mich nicht hin verlocken,
Dort ſieht es verdrießlich aus.
8
Die blinde Großmutter ſitzt ja
Im ledernen Lehnſtuhl dort
Unheimlich und ſtarr, wie ein Steinbild,
Und ſpricht kein einziges Wort.
Fluchend geht auf und nieder
Des Foͤrſters rothkoͤpfiger Sohn,
Und wirft an die Wand die Buͤchſe,
Und lacht vor Wuth und Hohn.
Die ſchoͤne Spinnerin weinet
Und feuchtet mit Thraͤnen den Flachs;
Wimmernd zu ihren Fuͤßen
Schmiegt ſich des Vaters Dachs.

VI.

Als ich, auf der Reiſe, zufaͤllig
Meines Liebchens Familie fand,
Schweſterchen, Vater und Mutter,
Sie haben mich freudig erkannt.
9
Sie fragten nach meinem Befinden,
Und ſagten ſelber ſogleich:
Ich haͤtte mich gar nicht veraͤndert,
Nur mein Geſicht ſey bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Baſen,
Nach manchem langweil'gen Geſell'n,
Und nach dem kleinen Huͤndchen,
Mit ſeinem ſanften Bell'n.
Auch nach der vermaͤhlten Geliebten
Fragte ich nebenbey;
Und freundlich gab man zur Antwort:
Daß ſie in den Wochen ſey.
Und freundlich gratulirt 'ich,
Und lispelte liebevoll:
Daß man ſie von mir recht herzlich
Viel tauſendmal gruͤßen ſoll.
Schweſterchen rief dazwiſchen:
Das Huͤndchen, ſanft und klein,
Iſt groß und toll geworden,
Und ward ertraͤnkt, im Rhein.
10
Die Kleine gleicht der Geliebten,
Beſonders, wenn ſie lacht;
Sie hat dieſelben Augen,
Die mich ſo elend gemacht.

VII.

Wir ſaßen am Fiſcherhauſe,
Und ſchauten nach der See;
Die Abendnebel kamen
Und ſtiegen in die Hoͤh '.
Im Leuchtthurm wurden die Lichter
Allmaͤhlig angeſteckt,
Und in der weiten Ferne
Ward noch ein Schiff entdeckt.
Wir ſprachen von Sturm und Schiffbruch,
Vom Seemann, und wie er lebt,
Und zwiſchen Himmel und Waſſer,
Und Angſt und Freude ſchwebt.
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Wir ſprachen von fernen Kuͤſten,
Vom Suͤden und vom Nord,
Und von den ſeltſamen Menſchen,
Und ſeltſamen Sitten dort.
Am Ganges duftet's und leuchtet's,
Und Rieſenbaͤume bluͤh'n,
Und ſchoͤne, ſtille Menſchen
Vor Lotosblumen knie'n.
In Lappland ſind ſchmutzige Leute,
Plattkoͤpfig, breitmaͤulig und klein;
Sie kauern um's Feuer, und backen
Sich Fiſche, und quaͤken und ſchrey'n.
Die Maͤdchen horchten ernſthaft,
Und endlich ſprach Niemand mehr;
Das Schiff war nicht mehr ſichtbar,
Es dunkelte gar zu ſehr.
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VIII.

Du ſchoͤnes Fiſchermaͤdchen,
Treibe den Kahn an's Land;
Komm zu mir und ſetze dich nieder,
Wir koſen Hand in Hand.
Leg 'an mein Herz dein Koͤpfchen,
Und fuͤrchte dich nicht zu ſehr,
Vertrau'ſt du dich doch ſorglos
Taͤglich dem wilden Meer.
Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Hat Sturm und Ebb 'und Fluth,
Und manche ſchoͤne Perle
In ſeiner Tiefe ruht.
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IX.

Der Mond iſt aufgegangen
Und uͤberſtralt die Well'n;
Ich halte mein Liebchen umfangen
Und unſre Herzen ſchwell'n.
Im Arm des holden Kindes
Ruh 'ich allein am Strand;
Was horchſt du bey'm Rauſchen des Windes?
Was zuckt deine weiße Hand?
Das iſt kein Rauſchen des Windes,
Das iſt der Seejungfern Geſang,
Und meine Schweſtern ſind es,
Die einſt das Meer verſchlang.
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X.

Der Wind zieht ſeine Hoſen an,
Die weißen Waſſerhoſen;
Er peitſcht die Wellen ſo ſtark er kann,
Die heulen und brauſen und toſen.
Aus dunkler Hoͤh ', mit wilder Macht,
Die Regenguͤſſe traͤufen;
Es iſt als wollt' die alte Nacht
Das alte Meer erſaͤufen.
An den Maſtbaum klammert die Moͤve ſich,
Mit heiſerem Schrillen und Schreyen;
Sie flattert und will gar aͤngſtlich
Ein Ungluͤck prophezeyen.
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XI.

Der Sturm ſpielt auf zum Tanze,
Es pfeift und ſauſt und bruͤllt;
Heiſa, wie ſpringt das Schifflein!
Die Nacht iſt luſtig und wild.
Ein lebendes Waſſergebirge
Bildet die toſende See;
Hier gaͤhnt ein ſchwarzer Abgrund,
Dort thuͤrmt es ſich weiß in die Hoͤh '.
Ein Fluchen, Erbrechen und Beten,
Schallt aus der Kajuͤte heraus;
Ich halte mich feſt am Maſtbaum,
Und wuͤnſche: waͤr 'ich zu Haus.
16

XII.

Der Abend kommt gezogen,
Der Nebel bedeckt die See;
Geheimnißvoll rauſchen die Wogen,
Da ſteigt es weiß in die Hoͤh '.
Die Meerfrau ſteigt aus den Wellen,
Und ſetzt ſich zu mir, am Strand;
Die weißen Bruͤſte quellen
Hervor aus dem Schleyergewand.
Sie druͤckt mich und ſie preßt mich
Und thut mir faſt ein Weh ';
Du druͤckſt ja viel zu feſt mich,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Ich preſſe dich, in meinen Armen,
Und druͤcke dich mit Gewalt;
Ich will bey dir erwarmen,
Der Abend iſt gar zu kalt.
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Der Mond ſchaut immer blaſſer
Aus daͤmmriger Wolkenhoͤh ';
Dein Auge wird truͤber und naſſer,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Es wird nicht truͤber und naſſer,
Mein Aug 'iſt naß und truͤb',
Weil, als ich ſtieg aus dem Waſſer,
Ein Tropfen im Auge blieb.
Die Moͤven ſchrillen klaͤglich,!
Es grollt und brandet die See;
Dein Herz pocht wild beweglich,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Mein Herz pocht wild beweglich,
Es pocht beweglich wild;
Weil ich dich liebe unſaͤglich,
Du liebes Menſchenbild!
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XIII.

Wenn ich an deinem Hauſe
Des Morgens voruͤber geh ',
So freut's mich, du liebe Kleine,
Wenn ich dich am Fenſter ſeh'.
Mit deinen ſchwarzbraunen Augen
Siehſt du mich forſchend an:
Wer biſt du, und was fehlt dir,
Du fremder, kranker Mann?
Ich bin ein deutſcher Dichter,
Bekannt im deutſchen Land;
Nennt man die beſten Namen,
So wird auch der meine genannt.
Und was mir fehlt, du Kleine,
Fehlt Manchem im deutſchen Land;
Nennt man die ſchlimmſten Schmerzen,
So wird auch der meine genannt.
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XIV.

Das Meer erglaͤnzte weit hinaus,
Im letzten Abendſcheine;
Wir ſaßen am einſamen Fiſcherhaus,
Wir ſaßen ſtumm und alleine.
Der Nebel ſtieg, das Waſſer ſchwoll,
Die Moͤve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thraͤnen nieder.
Ich ſah ſie fallen auf deine Hand,
Und bin auf's Knie geſunken;
Ich hab 'von deiner weißen Hand
Die Thraͤnen fortgetrunken.
Seit jener Stunde verzehrt ſich mein Leib,
Die Seele ſtirbt vor Sehnen;
Mich hat das ungluͤckſeel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thraͤnen.
20

XV.

Da droben auf jenem Berge,
Da ſteht ein feines Schloß,
Da wohnen drey ſchoͤne Fraͤulein,
Von denen ich Liebe genoß.
Sonnabend kuͤßte mich Jette,
Und Sonntag die Julia,
Und Montag die Kunigunde,
Die hat mich erdruͤckt beynah.
Doch Dienſtag war eine Fete
Bey meinen drey Fraͤulein im Schloß;
Die Nachbarſchafts-Herren und Damen,
Die kamen zu Wagen und Roß.
Ich aber war nicht geladen,
Und das habt Ihr dumm gemacht!
Die ziſchelnden Muhmen und Baſen
Die merkten's und haben gelacht.
21

XVI.

Am fernen Horizonte
Erſcheint, wie ein Nebelbild,
Die Stadt mit ihren Thuͤrmen,
In Abenddaͤmmrung gehuͤllt.
Ein feuchter Windzug kraͤuſelt
Die graue Waſſerbahn;
Mit traurigem Tacte rudert
Der Schiffer in meinem Kahn.
Die Sonne hebt ſich noch einmal
Leuchtend vom Boden empor,
Und zeigt mir jene Stelle,
Wo ich das Liebſte verlor.
22

XVII.

Sey mir gegruͤßt, du große,
Geheimnißvolle Stadt,
Die einſt in ihrem Schooße
Mein Liebchen umſchloſſen hat.
Sagt an, Ihr Thuͤrme und Thore,
Wo iſt die Liebſte mein?
Euch hab 'ich ſie anvertrauet,
Ihr ſolltet mir Buͤrge ſeyn.
Unſchuldig ſind die Thuͤrme,
Sie konnten nicht von der Stell ',
Als Sie mit Koffern und Schachteln
Die Stadt verlaſſen ſo ſchnell.
Die Thore jedoch, die ließen
Mein Liebchen entwiſchen gar ſtill;
Ein Thor iſt immer willig,
Wenn eine Thoͤrin will.
23

XVIII.

So wandl 'ich wieder den alten Weg,
Die wohlbekannten Gaſſen;
Ich komme von meiner Liebſten Haus,
Das ſteht ſo leer und verlaſſen.
Die Straßen ſind doch gar zu eng '!
Das Pflaſter iſt unertraͤglich!
Die Haͤuſer fallen mir auf den Kopf!
Ich eile ſo viel als moͤglich!

XIX.

Ich trat in jene Hallen,
Wo Sie mir Treue verſprochen;
Wo einſt ihre Thraͤnen gefallen,
Sind Schlangen hervor gekrochen.
24

XX.

Still iſt die Nacht, es ruhen die Gaſſen,
In dieſem Hauſe wohnte mein Schatz;
Sie hat ſchon laͤngſt die Stadt verlaſſen,
Doch ſteht noch das Haus auf demſelben Platz.
Da ſteht auch ein Menſch und ſtarrt in die Hoͤhe
Und ringt die Haͤnde, vor Schmerzensgewalt;
Mir grauſt es, wenn ich ſein Antlitz ſehe,
Der Mond zeigt mir meine eigne Geſtalt.
Du Doppeltgaͤnger! du bleicher Geſelle!
Was aͤffſt du nach mein Liebesleid,
Das mich gequaͤlt auf dieſer Stelle,
So manche Nacht, in alter Zeit?
25

XXI.

Wie kannſt du ruhig ſchlafen,
Und weiſt ich lebe noch?
Der alte Zorn kommt wieder,
Und dann zerbrech 'ich mein Joch.
Kennſt du das alte Liedchen:
Wie einſt ein todter Knab '
Um Mitternacht die Geliebte
Zu ſich geholt in's Grab?
Glaub 'mir, du wunderſchoͤnes,
Du wunderholdes Kind,
Ich lebe und bin noch ſtaͤrker
Als alle Todten ſind!
26

XXII.

Die Jungfrau ſchlaͤft in der Kammer,
Der Mond ſchaut zitternd hinein;
Da draußen ſingt es und klingt es,
Wie Walzermelodeyn.
Ich will mal ſchaun aus dem Fenſter,
Wer drunten ſtoͤrt meine Ruh '.
Da ſteht ein Todtengerippe,
Und fidelt und ſingt dazu:
Haſt einſt mir den Tanz verſprochen,
Und haſt gebrochen dein Wort,
Und heut iſt Ball auf dem Kirchhof,
Komm mit, wir tanzen dort.
Die Jungfrau ergreift es gewaltig,
Es lockt ſie hervor aus dem Haus;
Sie folgt dem Gerippe, das ſingend
Und fidelnd ſchreitet voraus.
27
Es fidelt und taͤnzelt und huͤpfet,
Und klappert mit ſeinem Gebein,
Und nickt und nickt mit dem Schaͤdel
Unheimlich im Mondenſchein.

XXIII.

Ich ſtand in dunkeln Traͤumen
Und ſtarrte ihr Bildniß an,
Und das geliebte Antlitz
Heimlich zu leben begann.
Um ihre Lippen zog ſich
Ein Laͤcheln wunderbar,
Und wie von Wehmuthsthraͤnen
Erglaͤnzte ihr Augenpaar.
Auch meine Thraͤnen floſſen
Mir von den Wangen herab
Und ach, ich kann es nicht glauben,
Daß ich Dich verloren hab '!
28

XXIV.

Ich ungluͤckſel'ger Atlas! eine Welt,
Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen,
Ich trage Unertraͤgliches, und brechen
Will mir das Herz im Leibe.
Du ſtolzes Herz! du haſt es ja gewollt,
Du wollteſt gluͤcklich ſeyn, unendlich gluͤcklich
Oder unendlich elend, ſtolzes Herz,
Und jetzo biſt du elend.

XXV.

Die Jahre kommen und gehen,
Geſchlechter ſteigen in's Grab,
Doch nimmer vergeht die Liebe,
Die ich im Herzen hab '.
Nur einmal noch moͤcht 'ich dich ſehen,
Und ſinken vor dir auf's Knie,
Und ſterbend zu dir ſprechen:
Madame, ich liebe Sie!
29

XXVI.

Mir traͤumte: traurig ſchaute der Mond,
Und traurig ſchienen die Sterne;
Es trug mich zur Stadt, wo Liebchen wohnt,
Viel hundert Meilen ferne.
Es hat mich zu ihrem Hauſe gefuͤhrt,
Ich kuͤßte die Steine der Treppe,
Die oft ihr kleiner Fuß beruͤhrt,
Und ihres Kleides Schleppe.
Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,
Es waren ſo kalt die Steine;
Es lugt 'aus dem Fenſter die blaſſe Geſtalt,
Beleuchtet vom Mondenſcheine.
30

XXVII.

Was will die einſame Thraͤne?
Sie truͤbt mir ja den Blick.
Sie blieb aus alten Zeiten
In meinem Auge zuruͤck.
Sie hatte viel leuchtende Schweſtern,
Die alle zerfloſſen ſind,
Mit meinen Qualen und Freuden,
Zerfloſſen in Nacht und Wind.
Wie Nebel ſind auch zerfloſſen
Die blauen Sternelein,
Die mir jene Freuden und Qualen
Gelaͤchelt in's Herz hinein.
Ach, meine Liebe ſelber
Zerfloß wie eitel Hauch!
Du alte, einſame Thraͤne,
Zerfließe jetzunder auch.
31

XXVIII.

Der bleiche, herbſtliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einſam liegt auf dem Kirchhof '
Das ſtille Pfarrerhaus.
Die Mutter lieſt in der Bibel,
Der Sohn der ſtarret in's Licht,
Schlaftrunken dehnt ſich die aͤlt're,
Die juͤngere Tochter ſpricht:
Ach Gott! wie Einem die Tage
Langweilig hier vergeh'n;
Nur wenn ſie Einen begraben,
Bekommen wir etwas zu ſehn.
Die Mutter ſpricht zwiſchen dem Leſen:
Du irrſt, es ſtarben nur Vier,
Seit man deinen Vater begraben,
Dort an der Kirchhofsthuͤr '.
32
Die aͤlt're Tochter gaͤhnet:
Ich will nicht verhungern bey Euch,
Ich gehe morgen zum Grafen,
Und der iſt verliebt und reich.
Der Sohn bricht aus in Lachen:
Drey Jaͤger zechen im Stern,
Die machen Gold und lehren
Mir das Geheimniß gern.
Die Mutter wirft ihm die Bibel
In's mag're Geſicht hinein:
So willſt du, Gottverfluchter,
Ein Straßenraͤuber ſeyn!
Sie hoͤren pochen an's Fenſter,
Und ſehn eine winkende Hand;
Der todte Vater ſteht draußen
Im ſchwarzen Pred'gergewand.
33

XXIX.

Das iſt ein ſchlechtes Wetter,
Es regnet und ſtuͤrmt und ſchney't;
Ich ſitze am Fenſter und ſchaue
Hinaus in die Dunkelheit.
Da ſchimmert ein einſames Lichtchen,
Das wandelt langſam fort;
Ein Muͤtterchen mit dem Laternchen
Wankt uͤber die Straße dort.
Ich glaube, Mehl und Eyer
Und Butter kaufte ſie ein;
Sie will einen Kuchen backen
Fuͤr's große Toͤchterlein.
Die liegt zu Haus im Lehnſtuhl,
Und blinzelt ſchlaͤfrig in's Licht;
Die goldnen Locken wallen
Ueber das ſuͤße Geſicht.
334

XXX.

Man glaubt, daß ich mich graͤme
In bitter'm Liebesleid,
Und endlich glaub 'ich es ſelber,
So gut wie andre Leut'.
Du Kleine mit großen Augen,
Ich hab 'es dir immer geſagt,
Daß ich dich unſaͤglich liebe,
Daß Liebe mein Herz zernagt.
Doch nur in einſamer Kammer
Sprach ich auf ſolche Art,
Und ach! ich hab 'immer geſchwiegen
In deiner Gegenwart.
Da gab es boͤſe Engel,
Die hielten mir zu den Mund;
Und ach! durch boͤſe Engel
Bin ich ſo elend jetzund.
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XXXI.

Deine weichen Lilienfinger,
Koͤnnt 'ich ſie noch einmal kuͤſſen,
Und ſie druͤcken an mein Herz,
Und vergehn in ſtillem Weinen!
Deine klaren Veilchenaugen
Schweben vor mir Tag und Nacht,
Und mich quaͤlt es: was bedeuten
Dieſe ſuͤßen, blauen Raͤthſel?

XXXII.

Hat ſie ſich denn nie geaͤußert
Ueber dein verliebtes Weſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals Gegenliebe leſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals bis zur Seele dringen?
Und du biſt ja ſonſt kein Eſel,
Theurer Freund, in ſolchen Dingen.
36

XXXIII.

Sie liebten ſich beide, doch keiner
Wollt 'es dem andern geſtehn;
Sie ſahen ſich an ſo feindlich,
Und wollten vor Liebe vergehn.
Sie trennten ſich endlich und ſah'n ſich
Nur noch zuweilen im Traum;
Sie waren laͤngſt geſtorben
Und wußten es ſelber kaum.

XXXIV.

Und als ich Euch meine Schmerzen geklagt,
Da habt Ihr gegaͤhnt und nichts geſagt;
Doch als ich ſie zierlich in Verſe gebracht,
Da habt Ihr mir große Elogen gemacht.
37

XXXV.

Ich rief den Teufel und er kam,
Und ich ſah ihn mit Verwund'rung an.
Er iſt nicht haͤßlich und iſt nicht lahm,
Er iſt ein lieber, ſcharmanter Mann,
Ein Mann in ſeinen beſten Jahren,
Verbindlich und hoͤflich und welterfahren.
Er iſt ein geſcheuter Diplomat,
Und ſpricht recht ſchoͤn uͤber Kirch 'und Staat.
Blaß iſt er etwas, doch iſt es kein Wunder,
Sanskritt und Hegel ſtudiert er jetzunder.
Sein Lieblingspoet iſt noch immer Fouquè.
Doch will er nicht mehr mit Kritik ſich befaſſen,
Die hat er jetzt gaͤnzlich uͤberlaſſen
Der theuren Großmutter Hekate.
Er lobte mein juriſtiſches Streben,
Hat fruͤher ſich auch damit abgegeben.
Er ſagte, meine Freundſchaft ſey
Ihm nicht zu theuer, und nickte dabey,
38
Und frug: ob wir uns fruͤher nicht
Schon einmal geſehn bey'm ſpan'ſchen Geſandten?
Und als ich recht beſah ſein Geſicht,
Fand ich in ihm einen alten Bekannten.

XXXVI.

Menſch, verſpotte nicht den Teufel,
Kurz iſt ja die Lebensbahn,
Und die ewige Verdammniß
Iſt kein bloßer Poͤbelwahn.
Menſch, bezahle deine Schulden,
Lang iſt ja die Lebensbahn,
Und du mußt noch manchmal borgen,
Wie du es ſo oft gethan.
39

XXXVII.

Die heil'gen drey Koͤn'ge aus Morgenland,
Sie frugen in jedem Staͤdtchen:
Wo geht der Weg nach Bethlehem,
Ihr lieben Buben und Maͤdchen?
Die Jungen und Alten, ſie wußten es nicht,
Die Koͤnige zogen weiter;
Sie folgten einem goldenen Stern,
Der leuchtete lieblich und heiter.
Der Stern blieb ſtehn uͤber Joſephs Haus,
Da ſind ſie hineingegangen;
Das Oechslein bruͤllte, das Kindlein ſchrie,
Die heil'gen drey Koͤnige ſangen.
40

XXXVIII.

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwey Kinder, klein und froh;
Wir krochen in's Huͤhnerhaͤuschen
Und ſteckten uns unter das Stroh.
Wir kraͤhten wie die Haͤhne,
Und kamen Leute vorbey
Kikerekuͤh! ſie glaubten,
Es waͤre Hahnengeſchrey.
Die Kiſten auf unſerem Hofe,
Die tapezirten wir aus,
Und wohnten drin beyſammen,
Und machten ein vornehmes Haus.
Des Nachbars alte Katze
Kam oͤfters zum Beſuch;
Wir machten ihr Buͤckling 'und Knixe,
Und Complimente genug.
41
Wir haben nach ihrem Befinden
Beſorglich und freundlich gefragt;
Wir haben ſeitdem daſſelbe
Mancher alten Katze geſagt.
Wir ſaßen auch oft und ſprachen
Vernuͤnftig, wie alte Leut ',
Und klagten, wie Alles beſſer
Geweſen zu unſerer Zeit;
Wie Lieb 'und Treu' und Glauben
Verſchwunden aus der Welt,
Und wie ſo theuer der Kaffee,
Und wie ſo rar das Geld!
Vorbey ſind die Kinderſpiele,
Und Alles rollt vorbey,
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb 'und Treu'.
42

XXXIX.

Das Herz iſt mir bedruͤckt, und ſehnlich
Gedenke ich der alten Zeit;
Die Welt war damals noch ſo woͤhnlich,
Und ruhig lebten hin die Leut '.
Doch jetzt iſt alles wie verſchoben,
Das iſt ein Draͤngen! eine Noth!
Geſtorben iſt der Herrgott oben,
Und unten iſt der Teufel todt.
Und Alles ſchaut ſo graͤmlich truͤbe,
Und krausverwirrt und morſch und kalt,
Und waͤre nicht das bischen Liebe,
So gaͤb 'es nirgends einen Halt.
43

XL.

Wie der Mond ſich leuchtend draͤnget
Durch den dunkeln Wolkenflor,
Alſo taucht aus dunkeln Zeiten
Mir ein lichtes Bild hervor.
Saßen all auf dem Verdecke,
Fuhren ſtolz hinab den Rhein,
Und die ſommergruͤnen Ufer
Gluͤhn im Abendſonnenſchein.
Sinnend ſaß ich zu den Fuͤßen
Einer Dame, ſchoͤn und hold;
In ihr liebes, bleiches Antlitz
Spielt 'das rothe Sonnengold.
Lauten klangen, Buben ſangen,
Wunderbare Froͤhlichkeit!
Und der Himmel wurde blauer,
Und die Seele wurde weit.
44
Maͤhrchenhaft voruͤberzogen
Berg und Burgen, Wald und Au ';
Und das Alles ſah ich glaͤnzen
In dem Aug' der ſchoͤnen Frau.

XLI.

Im Traum ſah ich die Geliebte,
Ein banges, bekuͤmmertes Weib,
Verwelkt und abgefallen
Der ſonſt ſo bluͤhende Leib.
Ein Kind trug ſie auf dem Arme,
Ein andres fuͤhrt ſie an der Hand,
Und ſichtbar iſt Armuth und Truͤbſal
Am Gang und Blick und Gewand.
Sie ſchwankte uͤber den Marktplatz,
Und da begegnet ſie mir,
Und ſieht mich an, und ruhig
Und ſchmerzlich ſag 'ich zu ihr:
45
Komm mit nach meinem Hauſe,
Denn du biſt blaß und krank;
Ich will durch Fleiß und Arbeit
Dir ſchaffen Speiſ 'und Trank.
Ich will auch pflegen und warten
Die Kinder, die bey dir ſind,
Vor Allem aber dich ſelber,
Du armes, ungluͤckliches Kind.
Ich will dir nie erzaͤhlen,
Daß ich dich geliebet hab ',
Und wenn du ſtirbſt, ſo will ich
Weinen auf deinem Grab.
46

XLII.

Theurer Freund! Was ſoll es nuͤtzen,
Stets das alte Lied zu leyern?
Willſt du ewig bruͤtend ſitzen
Auf den alten Liebes-Eyern!
Ach! das iſt ein ewig Gattern,
Aus den Schalen kriechen Kuͤchlein,
Und ſie piepſen und ſie flattern,
Und du ſperrſt ſie in ein Buͤchlein!

XLIII.

Werdet nur nicht ungeduldig,
Wenn von alten Schmerzensklaͤngen
Manche noch vernehmlich klingen
In den neueſten Geſaͤngen.
Wartet nur, es wird verhallen
Dieſes Echo meiner Schmerzen,
Und ein neuer Liederfruͤhling
Sprießt aus dem geheilten Herzen.
47

XLIV.

Nun iſt es Zeit, daß ich mit Verſtand
Mich aller Thorheit entled'ge;
Ich hab 'ſo lang als ein Comoͤdiant
Mit dir geſpielt die Comoͤdie.
Die praͤcht'gen Couliſſen, ſie waren bemalt
Im hochromantiſchen Style,
Mein Rittermantel hat goldig geſtrahlt,
Ich fuͤhlte die feinſten Gefuͤhle.
Und nun ich mich gar ſaͤuberlich
Des tollen Tands entled'ge,
Noch immer elend fuͤhl 'ich mich,
Als ſpielt' ich noch immer Comoͤdie.
Ach Gott! im Scherz und unbewußt
Sprach ich was ich gefuͤhlet;
Ich hab 'mit dem eignen Tod in der Bruſt
Den ſterbenden Fechter geſpielet.
48

XLV.

Den Koͤnig Wiswamitra,
Den treibt's ohne Raſt und Ruh ',
Er will durch Kampf und Buͤßung
Erwerben Waſiſchtas Kuh'.
O, Koͤnig Wiswamitra,
O, welch ein Ochs biſt du,
Daß du ſo viel kaͤmpfeſt und buͤßeſt,
Und Alles fuͤr eine Kuh!

XLVI.

Herz, mein Herz ſey nicht beklommen,
Und ertrage dein Geſchick,
Neuer Fruͤhling giebt zuruͤck,
Was der Winter dir genommen.
Und wie viel iſt dir geblieben!
Und wie ſchoͤn iſt noch die Welt!
Und, mein Herz, was dir gefaͤllt,
Alles, Alles darfſt du lieben!
49

XLVII.

Du biſt wie eine Blume,
So hold und ſchoͤn und rein;
Ich ſchau 'dich an, und Wehmuth
Schleicht mir in's Herz hinein.
Mir iſt, als ob ich die Haͤnde
Auf's Haupt dir legen ſollt ',
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und ſchoͤn und hold.

XLVIII.

Kind! Es waͤre dein Verderben,
Und ich geb 'mir ſelber Muͤhe,
Daß dein liebes Herz in Liebe
Nimmermehr fuͤr mich ergluͤhe.
Nur daß mir's ſo leicht gelinget,
Will mich dennoch faſt betruͤben,
Und ich denke manchmal dennoch:
Moͤchteſt du mich dennoch lieben!
450

XLIX.

Wenn ich auf dem Lager liege,
In Nacht und Kiſſen gehuͤllt,
So ſchwebt mir vor ein ſuͤßes,
Anmuthig liebes Bild.
Wenn mir der ſtille Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So ſchleicht das Bild ſich leiſe
Hinein in meinen Traum.
Doch mit dem Traum des Morgens
Zerrinnt es nimmermehr;
Dann trag 'ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher.
51

L.

Maͤdchen mit dem rothen Muͤndchen,
Mit den Aeuglein ſuͤß und klar,
Du mein liebes, kleines Maͤdchen,
Deiner denk 'ich immerdar.
Lang iſt heut der Winterabend,
Und ich moͤchte bey dir ſeyn,
Bey dir ſitzen, mit dir ſchwatzen,
Im vertrauten Kaͤmmerlein.
An die Lippen wollt 'ich preſſen
Deine kleine, weiße Hand,
Und mit Thraͤnen ſie benetzen,
Deine kleine, weiße Hand.
52

LI.

Mag da draußen Schnee ſich thuͤrmen,
Mag es hageln, mag es ſtuͤrmen,
Klirrend mir an's Fenſter ſchlagen,
Nimmer will ich mich beklagen,
Denn ich trage in der Bruſt
Liebchens Bild und Fruͤhlingsluſt.

LII.

Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten
Nur zu dir, du ſchoͤne Sonne.
Gieb mir Kuͤſſe, gieb mir Wonne,
Sey mir guͤtig, ſey mir gnaͤdig,
Schoͤnſte Sonne unter den Maͤdchen,
Schoͤnſtes Maͤdchen unter der Sonne!
53

LIII.

Verrieth mein blaſſes Angeſicht
Dir nicht mein Liebeswehe?
Und willſt du, daß der ſtolze Mund
Das Bettlerwort geſtehe?
O, dieſer Mund iſt gar zu ſtolz,
Und kann nur kuͤſſen und ſcherzen;
Er ſpraͤche vielleicht ein hoͤhniſch Wort,
Waͤhrend ich ſterbe vor Schmerzen.

LIV.

Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und dich quaͤlen neue Schmerzen;
Dunkler wird es dir im Kopf ',
Heller wird es dir im Herzen.
Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und du willſt es nicht bekennen,
Und ich ſeh 'des Herzens Gluth
Schon durch deine Weſte brennen.
54

LV.

Ich wollte bey dir weilen,
Und an deiner Seite ruhn;
Du mußteſt von mir eilen,
Du hatteſt viel zu thun.
Ich ſagte, daß meine Seele
Dir gaͤnzlich ergeben ſey;
Du lachteſt aus voller Kehle,
Und machteſt 'nen Knix dabey.
Du haſt noch mehr geſteigert
Mir meinen Liebesverdruß,
Und haſt mir ſogar verweigert
Am Ende den Abſchiedkuß.
Glaub 'nicht, daß ich mich erſchieße,
Wie ſchlimm auch die Sachen ſtehn!
Das Alles, meine Suͤße,
Iſt mir ſchon einmal geſchehn.
55

LVI.

Zu fragmentariſch iſt Welt und Leben,
Ich will mich zum deutſchen Profeſſor begeben,
Der weiß das Leben zuſammen zu ſetzen,
Und er macht ein verſtaͤndlich Syſtem daraus;
Mit ſeinen Nachtmuͤtzen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Luͤcken des Weltenbau's.

LVII.

Ich hab 'mir lang den Kopf zerbrochen
Mit Denken und Sinnen, Tag und Nacht,
Doch deine liebenswuͤrdigen Augen
Sie haben mich zum Entſchluß gebracht.
Jetzt bleib 'ich, wo deine Augen leuchten,
In ihrer ſuͤßen, klugen Pracht
Daß ich noch einmal wuͤrde lieben,
Ich haͤtt' es nimmermehr gedacht.
56

LVIII.

Sie haben heut Abend Geſellſchaft,
Und das Haus iſt lichterfuͤllt.
Dort oben am hellen Fenſter
Bewegt ſich ein Schattenbild.
Du ſchauſt mich nicht, im Dunkeln
Steh 'ich hier unten allein;
Noch wen'ger kannſt du ſchauen
In mein dunkles Herz hinein.
Mein dunkles Herze liebt dich,
Es liebt dich und es bricht,
Und bricht und zuckt und verblutet,
Aber du ſiehſt es nicht.
57

LIX.

Ich wollt ', meine Schmerzen ergoͤſſen
Sich all' in ein einziges Wort,
Das gaͤb' ich den luſtigen Winden,
Die truͤgen es luſtig fort.
Sie tragen zu dir, Geliebte,
Das ſchmerzerfuͤllte Wort;
Du hoͤrſt es zu jeder Stunde,
Du hoͤrſt es an jedem Ort.
Und haſt du zum naͤchtlichen Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So wird dich mein Wort verfolgen
Bis in den tiefſten Traum.
58

LX.

Du haſt Diamanten und Perlen,
Haſt alles, was Menſchenbegehr,
Und haſt die ſchoͤnſten Augen
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Auf deine ſchoͤnen Augen
Hab 'ich ein ganzes Heer
Von ewigen Liedern gedichtet
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Mit deinen ſchoͤnen Augen
Haſt du mich gequaͤlt ſo ſehr,
Und haſt mich zu Grunde gerichtet
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
59

LXI.

Wer zum erſtenmale liebt,
Sey's auch gluͤcklos, iſt ein Gott;
Aber wer zum zweitenmale
Gluͤcklos liebt, der iſt ein Narr.
Ich, ein ſolcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe!
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit und ſterbe.

LXII.

O, mein genaͤdiges Fraͤulein, erlaubt
Mir kranken Sohn der Muſen,
Daß ſchlummernd ruhe mein Saͤngerhaupt
Auf Eurem Schwanenbuſen!
Mein Herr! wie koͤnnen Sie es wagen,
Mir ſo was in Geſellſchaft zu ſagen?
60

LXIII.

Gaben mir Rath und gute Lehren,
Ueberſchuͤtteten mich mit Ehren,
Sagten, daß ich nur warten ſollt ',
Haben mich protegiren gewollt.
Aber bey all ihrem Protegiren,
Haͤtte ich koͤnnen vor Hunger krepiren,
Waͤr 'nicht gekommen ein braver Mann,
Wacker nahm er ſich meiner an.
Braver Mann! Er ſchafft mir zu eſſen!
Will es ihm nie und nimmer vergeſſen!
Schade, daß ich ihn nicht kuͤſſen kann!
Denn ich bin ſelbſt dieſer brave Mann.
61

LXIV.

Dieſen liebenswuͤrd'gen Juͤngling
Kann man nicht genug verehren;
Oft tracktirt er mich mit Auſtern,
Und mit Rheinwein und Liquoͤren.
Zierlich ſitzt ihm Rock und Hoͤschen,
Doch noch zierlicher die Binde,
Und ſo kommt er jeden Morgen,
Fragt, ob ich mich wohlbefinde;
Spricht von meinem weiten Ruhme,
Meiner Anmuth, meinen Witzen;
Eifrig und geſchaͤftig iſt er
Mir zu dienen, mir zu nuͤtzen.
Und des Abends, in Geſellſchaft,
Mit begeiſtertem Geſichte,
Deklamirt er vor den Damen
Meine goͤttlichen Gedichte.
62
O, wie iſt es hoch erfreulich,
Solchen Juͤngling noch zu finden,
Jetzt in unſrer Zeit, wo taͤglich
Mehr und mehr die Beſſern ſchwinden.

LXV.

Mir traͤumt ': ich bin der liebe Gott,
Und ſitz' im Himmel droben,
Und Englein ſitzen um mich her,
Die meine Verſe loben.
Und Kuchen eſſ 'ich und Confeckt
Fuͤr manchen lieben Gulden,
Und Kardinal trink' ich dabey,
Und habe keine Schulden.
Doch Langeweile plagt mich ſehr,
Ich wollt ', ich waͤr' auf Erden,
Und waͤr 'ich nicht der liebe Gott,
Ich koͤnnt' des Teufels werden.
63
Du langer Engel Gabriel,
Geh ', mach' dich auf die Sohlen,
Und meinen theuren Freund Eugèn
Sollſt du herauf mir holen.
Such 'ihn nicht im Collegium,
Such' ihn beim Glas Tokayer;
Such 'ihn nicht in der Hedwigskirch,
Such' ihn bey Mamſell Meyer.
Da breitet aus ſein Fluͤgelpaar
Und fliegt herab der Engel,
Und packt ihn auf, und bringt herauf
Den Freund, den lieben Bengel.
Ja, Jung ', ich bin der liebe Gott,
Und ich regier' die Erde!
Ich hab's ja immer dir geſagt,
Daß ich was Rechts noch werde.
Und Wunder thu 'ich alle Tag,
Die ſollen dich entzuͤcken,
Und dir zum Spaße will ich heut
Die Stadt Ix-Ix begluͤcken.
64
Die Pflaſterſteine auf der Straß ',
Die ſollen jetzt ſich ſpalten,
Und eine Auſter, friſch und klar,
Soll jeder Stein enthalten.
Ein Regen von Zitronenſaft
Soll thauig ſie begießen,
Und in den Straßengoͤſſen ſoll
Der beſte Rheinwein fließen.
Wie freuen die Ix-Ixer ſich,
Sie gehen ſchon an's Freſſen;
Die Herren von dem Landgericht,
Die ſaufen aus den Goͤſſen.
Wie freuen die Poeten ſich
Bey ſolchem Goͤtterfraße!
Die Leutnants und die Faͤhnderichs,
Die lecken ab die Straße.
Die Leutnants und die Faͤhnderichs,
Das ſind die kluͤgſten Leute,
Sie denken, alle Tag 'geſchieht
Kein Wunder ſo wie heute.
65

LXVI.

Von ſchoͤnen Lippen fortgedraͤngt, getrieben
Aus ſchoͤnen Armen, die uns feſt umſchloſſen!
Ich waͤre gern noch einen Tag geblieben,
Doch kam der Schwager ſchon mit ſeinen Roſſen.
Das iſt das Leben, Kind, ein ewig Jammern,
Ein ewig Abſchiednehmen, ew'ges Trennen!
Konnt 'denn dein Herz das mein'ge nicht umklammern?
Hat ſelbſt dein Auge mich nicht halten koͤnnen?

LXVII.

Wir fuhren allein im dunkeln
Poſtwagen die ganze Nacht;
Wir ruhten einander am Herzen,
Wir haben geſcherzt und gelacht.
Doch als es Morgens tagte,
Mein Kind, wie ſtaunten wir!
Denn zwiſchen uns ſaß Amor,
Der blinde Paſſagier.
566

LXVIII.

Das weiß Gott, wo ſich die tolle
Dirne einquartieret hat;
Fluchend, in dem Regenwetter,
Lauf 'ich durch die ganze Stadt.
Bin ich doch von einem Gaſthof
Nach dem andern hingerannt,
Und an jeden groben Kellner
Hab 'ich mich umſonſt gewandt.
Da erblick 'ich ſie am Fenſter,
Und ſie winkt und kichert hell.
Konnt' ich wiſſen, du bewohnteſt,
Maͤdchen, ſolches Pracht-Hotel!
67

LXIX.

Wie dunkle Traͤume ſtehen
Die Haͤuſer in langer Reih ';
Tief eingehuͤllt im Mantel
Schreite ich ſchweigend vorbey.
Der Thurm der Cathedrale
Verkuͤndet die zwoͤlfte Stund ';
Mit ihren Reizen und Kuͤſſen
Erwartet mich Liebchen jetzund.
Der Mond iſt mein Begleiter,
Er leuchtet mir freundlich vor;
Da bin ich an ihrem Hauſe,
Und freudig ruf 'ich empor:
Ich danke dir, alter Vertrauter,
Daß du meinen Weg erhellt;
Jetzt will ich dich entlaſſen,
Jetzt leuchte der uͤbrigen Welt!
68
Und findeſt du einen Verliebten,
Der einſam klagt ſein Leid,
So troͤſt 'ihn, wie du mich ſelber
Getroͤſtet in alter Zeit.

LXX.

Haſt du die Lippen mir wund gekuͤßt
So kuͤſſe ſie wieder heil
Und wenn du bis Abend nicht fertig biſt,
So hat es auch keine Eil.
Du haſt ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebſte mein!
Man kann in ſolch einer ganzen Nacht
Viel kuͤſſen und ſelig ſeyn.
69

LXXI.

Und biſt du erſt mein eh'lich Weib,
Dann biſt du zu beneiden,
Dann lebſt du in lauter Zeitvertreib,
In lauter Plaiſir und Freuden.
Und wenn du ſchiltſt und wenn du tobſt,
Ich werd 'es geduldig leiden;
Doch wenn du meine Verſe nicht lobſt,
Laß ich mich von dir ſcheiden.

LXXII.

Als Sie mich umſchlang mit zaͤrtlichem Preſſen,
Da iſt meine Seele gen Himmel geflogen!
Ich ließ ſie fliegen, und hab 'unterdeſſen
Den Necktar von Ihren Lippen geſogen.
70

LXXIII.

Auf deinen ſchneeweißen Buſen
Hab 'ich mein Haupt gelegt,
Und heimlich kann ich behorchen,
Was dir dein Herz bewegt.
Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor herein,
Und morgen will mich verlaſſen
Die Herzallerliebſte mein.
Und willſt du mich morgen verlaſſen,
So biſt du doch heute noch mein,
Und in deinen ſchoͤnen Armen
Will ich doppelt ſelig ſeyn.

LXXIV.

Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor hinaus;
Da komm 'ich, Geliebte, und bringe
Dir einen Roſenſtrauß.
71
Das war eine wilde Wirthſchaft,
Viel Volk und Kriegesplag '!
Sogar in deinem Herzchen
Viel Einquartierung lag.

LXXV.

Habe auch, in jungen Jahren,
Manches bitt're Leid erfahren
Von der Liebe Gluth.
Doch das Holz iſt gar zu theuer,
Und erloͤſchen will das Feuer,
Ma foi! und das iſt gut.
Das bedenke, junge Schoͤne,
Schicke fort die dumme Thraͤne,
Und den dummen Liebesharm.
Iſt das Leben dir geblieben,
So vergiß das alte Lieben,
Ma foi! in meinem Arm.
72

LXXVI.

Himmliſch war's, wenn ich bezwang
Meine ſuͤndige Begier,
Aber wenn's mir nicht gelang,
Hatt 'ich doch ein groß Plaiſir.

LXXVII.

Blamir 'mich nicht, mein ſchoͤnes Kind,
Und gruͤß' mich nicht unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hauſe ſind
Wird ſich ſchon Alles finden.

LXXVIII.

Selten habt Ihr mich verſtanden
Selten auch verſtand ich Euch,
Nur wenn wir im Koth uns fanden,
So verſtanden wir uns gleich.
73

LXXIX.

Doch die Kaſtraten klagten
Als ich meine Stimm 'erhob;
Sie klagten und ſie ſagten:
Ich ſaͤnge viel zu grob.
Und lieblich erhoben ſie alle
Die kleinen Stimmelein,
Die Trillerchen, wie Kriſtalle,
Sie klangen ſo fein und rein.
Sie ſangen von Liebesſehnen,
Von Lieb 'und Liebeserguß;
Die Damen ſchwammen in Thraͤnen,
Bey ſolchem Kunſtgenuß.
74

LXXX.

Auf den Waͤllen Salamankas
Sind die Luͤfte lind und labend;
Dort, mit meiner holden Donna,
Wandle ich am Sommerabend.
Um den ſchlanken Leib der Schoͤnen
Hab 'ich meinen Arm gebogen,
Und mit ſel'gem Finger fuͤhl' ich
Ihres Buſens ſtolzes Wogen.
Doch ein aͤngſtliches Gefluͤſter
Zieht ſich durch die Lindenbaͤume,
Und der dunkle Muͤhlbach unten
Murmelt boͤſe, bange Traͤume.
Ach, Sennora, Ahnung ſagt mir:
Einſt wird man mich relegiren,
Und auf Salamankas Waͤllen
Geh'n wir nimmermehr ſpatzieren.
75

LXXXI.

Kaum ſahen wir uns, und an Augen und Stimme
Merkt 'ich, daß du mir gewogen biſt;
Und ſtand nicht dabey die Mutter, die ſchlimme,
Ich glaube, wir haͤtten uns gleich gekuͤßt.
Und morgen verlaſſe ich wieder das Staͤdtchen,
Und eile fort im alten Lauf;
Dann lauert am Fenſter mein blondes Maͤdchen,
Und freundliche Gruͤße werf 'ich hinauf.

LXXXII.

Ueber die Berge ſteigt ſchon die Sonne,
Die Laͤmmerheerde laͤutet fern;
Mein Liebchen, mein Lamm, meine Sonne und Wonne,
Noch einmal ſaͤh 'ich dich gar zu gern!
Ich ſchaue hinauf, mit ſpaͤhender Miene
Leb 'wohl, mein Kind, ich wandre von hier!
Vergebens! Es regt ſich keine Gardine;
Sie liegt noch und ſchlaͤft, und traͤumt von mir
76

LXXXIII.

Zu Halle auf dem Markt,
Da ſtehn zwey große Loͤwen.
Ey, du halliſcher Loͤwentrotz,
Wie hat man dich gezaͤhmet!
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht ein großer Rieſe.
Er hat ein Schwert und regt ſich nicht,
Er iſt vor Schreck verſteinert.
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht eine große Kirche.
Die Burſchenſchaft und die Landsmannſchaft,
Die haben dort Platz zum Beten.
77

LXXXIV.

Schoͤne, wirthſchaftliche Dame,
Haus und Hof iſt wohlbeſtellt,
Wohlverſorgt iſt Stall und Keller,
Wohlbeackert iſt das Feld.
Jeder Winkel in dem Garten
Iſt geraͤutet und geputzt,
Und das Stroh, das ausgedroſch'ne,
Wird fuͤr Betten noch benutzt.
Doch dein Herz und deine Lippen,
Schoͤne Dame, liegen brach,
Und zur Haͤlfte nur benutzet
Iſt dein trautes Schlafgemach.
78

LXXXV.

Daͤmmernd liegt der Sommerabend
Ueber Wald und gruͤnen Wieſen;
Goldner Mond, am blauen Himmel,
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt ſich in dem Waſſer,
Und der Wandrer hoͤrt ein Plaͤtſchern,
Und ein Athmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet ſich die ſchoͤne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenſcheine.
79

LXXXVI.

Nacht liegt auf den fremden Wegen,
Krankes Herz und muͤde Glieder;
Ach, da fließt, wie ſtiller Segen,
Suͤßer Mond, dein Licht hernieder.
Suͤßer Mond, mit deinen Strahlen
Scheucheſt du das naͤcht'ge Grauen;
Es zerrinnen meine Qualen,
Und die Augen uͤberthauen.

LXXXVII.

Der Tod das iſt die kuͤhle Nacht,
Das Leben iſt der ſchwuͤle Tag.
Es dunkelt ſchon, mich ſchlaͤfert,
Der Tag hat mich muͤd 'gemacht.
Ueber mein Bett erhebt ſich ein Baum,
Drin ſingt die junge Nachtigall;
Sie ſingt von lauter Liebe,
Ich hoͤr 'es ſogar im Traum.
80

LXXXVIII.

Sag ', wo iſt dein ſchoͤnes Liebchen,
Das du einſt ſo ſchoͤn beſungen,
Als die zaubermaͤcht'gen Flammen
Wunderbar dein Herz durchdrungen?
Jene Flammen ſind erloſchen,
Und mein Herz iſt kalt und truͤbe,
Und dies Buͤchlein iſt die Urne
Mit der Aſche meiner Liebe.
81

Goͤtterdaͤmmerung.

Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,
Und ſeidnen Luͤften und gewuͤrzten Duͤften,
Und freundlich lockt er mit den weißen Bluͤthen,
Und gruͤßt aus tauſend blauen Veilchenaugen,
Und breitet aus den blumreich-gruͤnen Teppich,
Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau,
Und ruft herbey die lieben Menſchenkinder.
Das bloͤde Volk gehorcht dem erſten Ruf;
Die Maͤnner ziehn die Nankinhoſen an,
Und Sonntagsroͤck 'mit goldnen Spiegelknoͤpfen;
Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß,
Juͤnglinge kraͤuſeln ſich den Fruͤhlingſchnurrbart,
Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen,
Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche
Papier und Bleyſtift und Lorgnett'; und jubelnd
Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,
Und lagert draußen ſich auf gruͤnem Raſen,
682
Bewundert, wie die Baͤume fleißig wachſen,
Spielt mit den bunten, zarten Bluͤmelein,
Horcht auf den Sang der luſt'gen Voͤgelein,
Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
Zu mir kam auch der May. Er klopfte dreymal
An meine Thuͤr ', und rief: Ich bin der May,
Du bleicher Traͤumer, komm, ich will dich kuͤſſen!
Ich hielt verriegelt meine Thuͤr', und rief:
Vergebens lockſt du mich, du ſchlimmer Gaſt;
Ich habe dich durchſchaut, ich hab 'durchſchaut
Den Bau der Welt, und hab' zu viel geſchaut
Und viel zu tief, und hin iſt alle Freude,
Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.
Ich ſchaue durch die ſteinern-harten Rinden
Der Menſchenhaͤuſer und der Menſchenherzen,
Und ſchau 'in beyden Lug und Trug und Elend.
Auf den Geſichtern leſ' ich die Gedanken,
Viel ſchlimme. In der Jungfrau Scham-Erroͤthen
Seh 'ich geheime Luſt begehrlich zittern;
Auf dem begeiſtert ſtolzen Juͤnglingshaupt'
83
Seh 'ich die bunte Schellenkappe ſitzen;
Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten
Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht,
Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
Ich ſehe durch den Grund der alten Erde,
Als ſey ſie von Kriſtall, und ſeh 'das Grauſen,
Das mit dem freud'gen Gruͤne zu bedecken
Der May vergeblich ſtrebt. Ich ſeh' die Todten,
Sie liegen unten in den ſchmalen Saͤrgen,
Die Haͤnd 'gefaltet und die Augen offen,
Weiß das Gewand und weiß das Angeſicht,
Und durch die gelben Lippen kriechen Wuͤrmer.
Ich ſeh', der Sohn ſetzt ſich mit ſeiner Buhle
Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;
Spottlieder ſingen rings die Nachtigallen,
Die ſanften Wieſenbluͤmchen lachen haͤmiſch,
Der todte Vater regt ſich in dem Grab ',
Und ſchmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn 'ich!
Ich ſeh' die Gluth in deinem Buſen wuͤhlen,
84
Und deine tauſend Adern ſeh 'ich bluten,
Und ſeh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,
Und wild hervorſtroͤmt Flamm 'und Rauch und Blut.
Ich ſeh' die Rieſenſoͤhn 'der alten Nacht,
Sie ſteigen aus der Erde off'nem Schlund,
Und ſchwingen rothe Fackeln in den Haͤnden,
Und legen ihre Eiſenleiter an,
Und ſtuͤrmen wild hinauf zur Himmelsveſte;
Und ſchwarze Zwerge klettern nach; und kniſternd
Zerſtieben droben alle goldnen Sterne.
Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang
Vom Zelte Gottes, heulend ſtuͤrzen nieder,
Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren.
Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott,
Reißt ſich vom Haupt' die Kron ', zerrauft ſein
Haar
Und naͤher draͤngt heran die wilde Rotte;
Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln
In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen
Mit Flammengeißeln auf der Englein Ruͤcken;
Die winden ſich und kruͤmmen ſich vor Qualen,
85
Und werden bey den Haaren fortgeſchleudert.
Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort,
Mit ſeinen blonden Locken, ſuͤßen Zuͤgen,
Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,
Und mit der Seligkeit im blauen Auge
Und ein entſetzlich haͤßlich ſchwarzer Kobold
Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
Beaͤugelt grinſend ſeine edlen Glieder,
Umſchlingt ihn feſt mit griechiſcher Umſchlingung
Und gellend droͤhnt ein Schrey durch's ganze Weltall
Die Saͤulen brechen, Erd 'und Himmel ſtuͤrzen
Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht.
86

Ratkliff.

Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft,
Wo Trauerweiden mir Willkommen winkten,
Mit ihren langen, gruͤnen Armen, wo die Blumen
Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſahn,
Wo mir vertraulich klang der Voͤgel Zwitſchern,
Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien,
Und Stimmen und Geſtalten mich begruͤßten,
Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd.
Vor einem laͤndlich ſchmucken Hauſe ſtand ich,
In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe
War's ruhig, ruhig ſchuͤttelte ich ab
Den Staub von meinen Reiſekleidern,
Dumpf klang die Klingel, und die Thuͤr ging auf.
Das waren Maͤnner, Frauen, viel bekannte
Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen
87
Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtoͤrt,
Mit Beyleidsmienen faſt, ſahn ſie mich an,
Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert ',
Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.
Die alte Marg'reth' hab 'ich gleich erkannt;
Ich ſah ſie forſchend an, jedoch ſie ſprach nicht.
Wo iſt Maria? fragt' ich, doch ſie ſprach nicht,
Griff leiſe meine Hand, und fuͤhrte mich
Durch viele lange, leuchtende Gemaͤcher,
Wo Prunk und Pracht und Todtenſtille herrſchte,
Und fuͤhrt 'mich endlich in ein daͤmmernd Zimmer,
Und zeigt', mit abgewandtem Angeſicht ',
Nach der Geſtalt, die auf dem Sopha ſaß.
Sind Sie Maria? fragt' ich. Innerlich
Erſtaunt 'ich ſelber ob der Feſtigkeit,
Womit ich ſprach. Und ſteinern und metalllos
Scholl eine Stimm': So nennen mich die Leute.
Ein ſchneidend Weh durchfroͤſtelte mich da,
Denn jener hohle, kalte Ton war doch
Die einſt ſo ſuͤße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
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Nachlaͤßig angezogen, Buſen ſchlotternd,
Die Augen glaͤſern ſtarr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angeſichtes lederſchlaff
Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchoͤne,
Die bluͤhend holde, liebliche Maria!
Sie waren lang auf Reiſen! ſprach ſie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund
Sie ſind geſund, und pralle Lend 'und Wade
Bezeugt Soliditaͤt . Ein ſuͤßlich Laͤcheln
Umzitterte den gelblich blaſſen Mund.
In der Verwirrung ſprach's aus mir hervor:
Man ſagte mir, Sie haben ſich vermaͤhlt?
Ach ja! ſprach ſie, gleichguͤltig laut und lachend,
Hab' einen Stock von Holz, der uͤberzogen
Mit Leder iſt, bey mir im Bette liegt,
Und ſich Gemahl nennt. Aber Holz iſt Holz!
Und klanglos widrig lachte ſie dabey,
Daß kalte Angſt durch meine Seele rann,
Und Zweifel mich ergriff: ſind das die keuſchen,
Die blumenzarten Lippen von Maria?
89
Sie aber hob ſich in die Hoͤh ', nahm raſch
Vom Stuhl den Tuͤrken-Shawl, warf ihn
Um ihren Hals, hing ſich an meinen Arm,
Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthuͤr,
Und zog mich fort durch Feld und Buſch und Au'.
Die gluͤhend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte
Schon niedrig, und ihr Purpur uͤberſtrahlte
Die Baͤume und die Blumen und den Strom,
Der in der Ferne majeſtaͤtiſch floß.
Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen
Im blauen Waſſer? rief Maria haſtig.
Still, armes Weſen! ſprach ich, und ich ſchaute
Im Daͤmmerlicht 'ein maͤhrchenhaftes Weben.
Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern,
Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen;
Die Veilchen ſahn ſich zaͤrtlich an, ſehnſuͤchtig
Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;
Aus allen Roſen gluͤhten Wolluſtgluthen!
Die Nelken wollten ſich im Hauch' entzuͤnden;
In ſel'gen Duͤften ſchwelgten alle Blumen,
90
Und alle weinten ſtille Wonnethraͤnen,
Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!
Die Schmetterlinge flatterten, die hellen
Goldkaͤfer ſummten feine Lieblingsliedchen,
Die Abendwinde fluͤſterten, es rauſchten
Die Eichen, ſchmelzend ſang die Nachtigall
Und zwiſchen all dem Fluͤſtern, Rauſchen, Singen,
Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme
Das welke Weib, das mir am Arme hing.
Ich kenn 'Ihr naͤchtlich Treiben auf dem Schloß;
Der lange Schatten iſt ein guter Tropf,
Er nickt und winkt zu allem was man will;
Der Blaurock iſt ein Engel; doch der Rothe,
Mit blankem Schwert, iſt Ihnen ſpinnefeind.
Und noch viel bunt're, wunderliche Reden
Schwatzt' ſie in einem fort, und ſetzte ſich
Ermuͤdet, mit mir nieder auf die Moosbank,
Die unterm alten Eichenbaume ſteht.
Da ſaßen wir beyſammen, ſtill und traurig,
Und ſahn uns an, und wurden immer traur'ger.
91
Die Eiche ſaͤuſelte wie Sterbeſeufzer,
Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab.
Doch rothe Lichter drangen durch die Blaͤtter,
Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren ſtarren Augen,
Und mit der alten, ſuͤßen Stimme ſprach ſie:
Wie wußteſt Du, daß ich ſo elend bin,
Ich las es juͤngſt in deinen wilden Liedern?
Eiskalt durchzog's mir da die Bruſt, mir grauſte
Ob meinem eig'nen Wahnſinn, der die Zukunft
Geſchaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entſetzen bin ich aufgewacht.
92

Donna Clara.

(Aus einem ſpaniſchen Romane.)

In dem abendlichen Garten
Wandelt des Alkaden Tochter;
Pauken - und Trommetenjubel
Klingt herunter von dem Schloſſe.
Laͤſtig werden mir die Taͤnze
Und die ſuͤßen Schmeichelworte,
Und die Ritter, die ſo zierlich
Mich vergleichen mit der Sonne.
Ueberlaͤſtig wird mir Alles,
Seit ich ſah, bei'm Strahl des Mondes,
Jenen Ritter, deſſen Laute
Naͤchtens mich an's Fenſter lockte.
Wie er ſtand ſo ſchlank und muthig,
Und die Augen leuchtend ſchoſſen
Aus dem edelblaſſen Antlitz,
Glich er wahrlich Sanct Georgen.
93
Alſo dachte Donna Clara,
Und ſie ſchaute auf den Boden;
Wie ſie aufblickt, ſteht der ſchoͤne,
Unbekannte Ritter vor ihr.
Haͤndedruͤckend, liebefluͤſternd,
Wandeln ſie umher im Mondſchein,
Und der Zephyr ſchmeichelt freundlich,
Maͤhrchenartig gruͤßen Roſen.
Maͤhrchenartig gruͤßen Roſen,
Und ſie gluͤhn wie Liebesboten.
Aber ſage mir, Geliebte,
Warum du ſo ploͤtzlich roth wirſt?
Muͤcken ſtachen mich, Geliebter,
Und die Muͤcken ſind, im Sommer,
Mir ſo tief verhaßt, als waͤren's
Langenaſ'ge Judenrotten.
Laß die Muͤcken und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
Von den Mandelbaͤumen fallen
Tauſend weiße Bluͤthenflocken.
94
Tauſend weiße Bluͤthenflocken
Haben ihren Duft ergoſſen.
Aber ſage mir, Geliebte,
Iſt dein Herz mir ganz gewogen?
Ja, ich liebe dich, Geliebter,
Bey dem Heiland ſey's geſchworen,
Den die gottverfluchten Juden
Boshaft tuͤckiſch einſt ermordet.
Laß den Heiland und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
In der Ferne ſchwanken traumhaft
Weiße Liljen, lichtumfloſſen.
Weiße Liljen, lichtumfloſſen,
Blicken nach den Sternen droben.
Aber ſage mir, Geliebte,
Haſt du auch nicht falſch geſchworen.
Falſch iſt nicht in mir, Geliebter,
Wie in meiner Bruſt kein Tropfen
Blut iſt von dem Blut der Mohren
Und des ſchmutz'gen Judenvolkes.
95
Laß die Mohren und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend;
Und nach einer Myrthenlaube
Fuͤhrt er die Alkadentochter.
Wie mit weichen Liebesnetzen
Hat er heimlich ſie umflochten;
Kurze Worte, lange Kuͤſſe,
Und die Herzen uͤberfloſſen.
Und ein ſchmelzend ſuͤßes Brantlied
Singt im Laub 'ein Zaubervogel;
Wie zum Fackeltanze huͤpfen
Feuerwuͤrmchen auf dem Boden.
In der Laube wird es ſtiller,
Und man hoͤrt nur, wie verſtohlen,
Das Gefluͤſter kluger Myrthen
Und ein langes Athemholen.
Aber Pauken und Drommeten
Schallen ploͤtzlich aus dem Schloſſe,
Und erwachend hat ſich Clara
Aus des Ritters Arm gezogen.
96
Horch! da ruft es mich, Geliebter,
Doch, bevor wir ſcheiden, ſollſt du
Nennen deinen lieben Namen,
Den du mir ſo lang verborgen.
Und der Ritter, heiter laͤchelnd,
Kuͤßt die Finger ſeiner Holden,
Kuͤßt die Lippen und die Stirne,
Und er ſpricht die langen Worte:
Ich, Sennora, Eu'r Geliebter,
Bin der Sohn des vielbelobten,
Großen, ſchriftgelehrten Rabbi
Iſrael von Saragoſſa.
97

Almanſor.

(Aus einem ſpaniſchen Romane.)

I.
In dem Dome zu Corduva
Stehen Saͤulen, dreyzehnhundert,
Dreyzehnhundert Rieſenſaͤulen
Tragen die gewalt'ge Kuppel.
Und auf Saͤulen, Kuppel, Waͤnden,
Zieh'n von oben ſich bis unten
Des Corans arab'ſche Spruͤche,
Klug und blumenhaft verſchlungen.
Mohrenkoͤn'ge bauten weiland
Dieſes Haus zu Allahs Ruhme,
Doch hat Alles ſich verwandelt
In der Zeiten dunkelm Strudel.
Auf dem Thurme, wo der Thuͤrmer
Zum Gebete aufgerufen
Hebt ſich jetzt der Chriſtenglocken
Melancholiſches Geſumme.
798
Auf den Stufen, wo die Glaͤub'gen
Das Prophetenwort geſungen,
Zeigen jetzt die Glatzenpfaͤfflein
Ihrer Meſſe fades Wunder.
Und das iſt ein Drehn und Winden
Vor den buntbemalten Puppen,
Und das bloͤckt und dampft und klingelt,
Und die dummen Kerzen funkeln.
In dem Dome zu Corduva
Steht Almanſor ben Abdullah,
All die Saͤulen ſtill betrachtend,
Und die ſtillen Worte murmelnd:
O, Ihr Saͤulen, ſtark und rieſig,
Einſt geſchmuͤckt zu Allahs Ruhme,
Jetzo muͤßt Ihr dienend huld'gen
Dem verhaßten Chriſtenthume!
Ihr bequemt Euch in die Zeiten,
Und Ihr tragt die Laſt geduldig;
Ey, da muß ja wohl der Schwaͤch're
Noch viel leichter ſich beruh'gen.
99
Und ſein Haupt, mit heiterm Antlitz,
Beugt Almanſor ben Abdullah
Ueber den gezierten Taufſtein,
In dem Dome zu Corduva.
II.
Haſtig ſchritt er aus dem Dome,
Jagte fort auf ſeinem Rappen,
Daß im Wind die feuchten Locken
Und des Hutes Federn wallen.
Auf dem Weg 'nach Alkolea,
Dem Guadalquivir entlange,
Wo die weißen Mandeln bluͤhen,
Und die duft'gen Gold-Orangen;
Dorten jagt der luſt'ge Ritter,
Pfeift und ſingt, und lacht behaglich,
Und es ſtimmen ein die Voͤgel,
Und des Stromes laute Waſſer.
100
In dem Schloß zu Alkolea
Wohnet Clara de Alvares,
In Navarra kaͤmpft ihr Vater,
Und ſie freut ſich mindern Zwanges.
Und Almanſor hoͤrt ſchon ferne
Pauken und Drommeten ſchallen,
Und er ſieht des Schloſſes Lichter
Blitzen durch der Baͤume Schatten.
In dem Schloß zu Alkolea
Tanzen zwoͤlf geſchmuͤckte Damen,
Tanzen zwoͤlf geſchmuͤckte Ritter,
Doch am ſchoͤnſten tanzt Almanſor.
Wie beſchwingt von muntrer Laune
Flattert er herum im Saale,
Und er weiß den Damen allen
Suͤße Schmeicheleyn zu ſagen.
Iſabellens ſchoͤne Haͤnde
Kuͤßt er raſch, und ſpringt von dannen;
Und er ſetzt ſich vor Elviren
Und er ſchaut ihr froh in's Antlitz.
101
Lachend fragt er Leonoren:
Ob er heute ihr gefalle?
Und er zeigt die goldnen Kreuze
Eingeſtickt in ſeinen Mantel.
Und zu jeder Dame ſpricht er:
Daß er ſie im Herzen trage;
Und ſo wahr ich Chriſt bin ſchwoͤrt er
Dreyzig Mal an jenem Abend.
III.
In dem Schloß zu Alkolea
Iſt verſchollen Luſt und Klingen,
Herr'n und Damen ſind verſchwunden,
Und erloſchen ſind die Lichter.
Donna Clara und Almanſor
Sind allein im Saal geblieben;
Einſam ſtreut die letzte Lampe
Ueber beyde ihren Schimmer.
102
Auf dem Seſſel ſitzt die Dame,
Auf dem Schemel ſitzt der Ritter,
Und ſein Haupt, das ſchlummermuͤde,
Ruht auf den geliebten Knieen.
Roſenoͤhl, aus gold'nem Flaͤſchchen,
Gießt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und er ſeufzt aus Herzenstiefe.
Suͤßen Kuß, mit ſanftem Munde,
Druͤckt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und es woͤlkt ſich ſeine Stirne.
Thraͤnenfluth, aus lichten Augen,
Weint die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und es zuckt um ſeine Lippen.
Und er traͤumt: er ſtehe wieder,
Tief das Haupt gebeugt und triefend,
In dem Dome zu Corduva,
Und er hoͤrt 'viel dunkle Stimmen.
103
All die hohen Rieſenſaͤulen
Hoͤrt er murmeln unmuthgrimmig,
Laͤnger wollen ſie's nicht tragen,
Und ſie wanken und ſie zittern;
Und ſie brechen wild zuſammen,
Es erbleichen Volk und Prieſter,
Krachend ſtuͤrzt herab die Kuppel,
Und die Chriſtengoͤtter wimmern.
104

Die Wallfahrt nach Kevlaar.

I.
Am Fenſter ſtand die Mutter,
Im Bette lag der Sohn.
Willſt du nicht aufſtehn, Wilhelm,
Zu ſchau'n die Prozeſſion?
Ich bin ſo krank, O Mutter,
Daß ich nicht hoͤr 'und ſeh';
Ich denk 'an das todte Gretchen,
Da thut das Herz mir weh.
Steh 'auf, wir wollen nach Kevlaar,
Nimm Buch und Roſenkranz;
Die Muttergottes heilt dir
Dein krankes Herze ganz.
Es flattern die Kirchenfahnen,
Es ſingt im Kirchenton;
Das iſt zu Coͤlln am Rheine,
Da geht die Prozeſſion.
105
Die Mutter folgt der Menge,
Den Sohn, den fuͤhret ſie,
Sie ſingen beyde im Chore:
Gelobt ſey'ſt du Marie!
II.
Die Muttergottes zu Kevlaar
Traͤgt heut 'ihr beſtes Kleid;
Heut' hat ſie viel zu ſchaffen,
Es kommen viel 'kranke Leut'.
Die kranken Leute bringen
Ihr dar, als Opferſpend ',
Aus Wachs gebildete Glieder,
Viel waͤchſerne Fuͤß' und Haͤnd '.
Und wer eine Wachshand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund ';
Und wer einen Wachsfuß opfert,
Dem wird der Fuß geſund.
106
Nach Kevlaar ging Mancher auf Kruͤcken,
Der jetzo tanzt auf dem Seil ',
Gar Mancher ſpielt jetzt die Bratſche,
Dem dort kein Finger war heil.
Die Mutter nahm ein Wachslicht,
Und bildete d'raus ein Herz.
Bring das der Muttergottes,
Dann heilt ſie deinen Schmerz.
Der Sohn nahm ſeufzend das Wachsherz,
Ging ſeufzend zum Heiligenbild;
Die Thraͤne quillt aus dem Auge,
Das Wort aus dem Herzen quillt:
Du Hochgebenedeite,
Du reine Gottesmagd,
Du Koͤniginn des Himmels,
Dir ſey mein Leid geklagt!
Ich wohnte mit meiner Mutter
Zu Coͤllen in der Stadt,
Der Stadt, die viele hundert
Kapellen und Kirchen hat.
107
Und neben uns wohnte Gretchen,
Doch die iſt todt jetzund
Marie, dir bring 'ich ein Wachsherz,
Heil' Du meine Herzenswund '.
Heil 'Du mein krankes Herze,
Ich will auch ſpaͤt und fruͤh'
Inbruͤnſtiglich beten und ſingen:
Gelobt ſeyſt du, Marie!
III.
Der kranke Sohn und die Mutter,
Die ſchliefen im Kaͤmmerlein;
Da kam die Muttergottes
Ganz leiſe geſchritten herein.
Sie beugte ſich uͤber den Kranken,
Und legte ihre Hand
Ganz leiſe auf ſein Herze,
Und laͤchelte mild und ſchwand.
108
Die Mutter ſchaut Alles im Traume,
Und hat noch mehr geſchaut;
Sie erwachte aus dem Schlummer,
Die Hunde bellten zu laut.
Da lag dahingeſtrecket
Ihr Sohn, und der war todt;
Es ſpielt auf den bleichen Wangen
Das lichte Morgenroth.
Die Mutter faltet die Haͤnde,
Ihr war, ſie wußte nicht wie;
Andaͤchtig ſang ſie leiſe:
Gelobt ſey'ſt du, Marie!

Der Stoff dieſes Gedichtes iſt nicht ganz mein Eigenthum. Es entſtand durch Erinnerung an die rheiniſche Heimath. Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziſkanerkloſter zu Duͤſſeldorf die erſte Dreſſur erhielt, und dort zuerſt Buchſtabiren und Stillſitzen lernte, ſaß ich oft neben einem an¬109 dern Knaben, der mir immer erzaͤhlte: wie ſeine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der erſten Sylbe und der Ort ſelbſt liegt im Geldern¬ ſchen) einſtmals mitgenommen, wie ſie dort einen waͤchſernen Fuß fuͤr ihn geopfert, und wie ſein eig¬ ner ſchlimmer Fuß dadurch geheilt ſey. Mit die¬ ſem Knaben traf ich wieder zuſammen in der ober¬ ſten Claſſe des Gymnaſiums, und als wir im Phi¬ loſophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben einander zu ſitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakel-Erzaͤhlung, ſetzte aber doch etwas ernſthaft hinzu: jetzt wuͤrde er der Muttergottes ein waͤchſernes Herz opfern. Ich hoͤrte ſpaͤter, er habe damals an einer ungluͤcklichen Liebſchaft labo¬ rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedaͤchtniß. Im Jahr 1819, als ich in Bonn ſtudierte, und einmal, in der Gegend von Godesberg, am Rhein ſpatzieren ging, hoͤrte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder, wovon das vorzuͤglichſte den gedehnten Refrain hat Gelobt ſeyſt du, Maria! und als die Prozeſſion110 naͤher kam, bemerkte ich unter den Wallfahrtern meinen Schulkameraden mit ſeiner alten Mutter. Dieſe fuͤhrte ihn. Er aber ſah ſehr blaß und krank aus.

Ich durfte dieſe Notiz nicht von dem Gedichte trennen, weil beyde zugleich entſtanden, ſchon ein¬ mal zuſammen abgedruckt worden, und dadurch gleichſam verwachſen ſind. Auf keinen Fall will ich irgend eine Vorneigung andeuten, eben ſo wenig, wie irgend eine Abneigung durch das vor¬ hergehende Gedicht ausgeſprochen werden ſoll. Die¬ ſes, Almanſor uͤberſchrieben, wird im Romane, dem es entlehnt iſt, von einem Mauren, einem unmu¬ thigen Bekenner des Islams, gedichtet und geſun¬ gen. Und wahrlich ſo ſpricht ein engliſcher Schriftſteller wie Gott, der Urſchoͤpfer, ſtehe auch der Dichter, der Nachſchoͤpfer, partheylos er¬ haben uͤber allem Sektengeklaͤtſche dieſer Erde.

[111]

Die Harzreiſe.

1824.

[112]

Nichts iſt dauernd, als der Wechſel; nichts beſtaͤn¬ dig, als der Tod. Jeder Schlag des Herzens ſchlaͤgt uns eine Wunde, und das Leben waͤre ein ewiges Ver¬ bluten, wenn nicht die Dichtkunſt waͤre. Sie gewaͤhrt uns, was uns die Natur verſagt: eine goldene Zeit, die nicht roſtet, einen Fruͤhling, der nicht abbluͤht, wol¬ kenloſes Gluͤck und ewige Jugend.

Boͤrne.
[113]
Schwarze Roͤcke, ſeid'ne Struͤmpfe,
Weiße hoͤfliche Manſchetten,
Sanfte Reden, Embraſſiren
Ach, wenn ſie nur Herzen haͤtten!
Herzen in der Bruſt, und Liebe,
Warme Liebe in dem Herzen
Ach, mich toͤdtet ihr Geſinge
Von erlog'nen Liebesſchmerzen.
Auf die Berge will ich ſteigen
Wo die frommen Huͤtten ſtehen
Wo die Bruſt ſich frey erſchließet
Und die freyen Luͤfte wehen.
8114
Auf die Berge will ich ſteigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Baͤche rauſchen, Voͤgel ſingen,
Und die ſtolzen Wolken jagen.
Lebet wohl, ihr glatten Saͤle!
Glatte Herren! Glatte Frauen!
Auf die Berge will ich ſteigen,
Lachend auf Euch niederſchauen.

Die Stadt Goͤttingen, beruͤhmt durch ihre Wuͤrſte und Univerſitaͤt, gehoͤrt dem Koͤnig von Hannover, und enthaͤlt 999 Feuerſtellen, diverſe Kirchen, eine Entbindungsanſtalt, eine Stern¬ warte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Rathskeller, wo das Bier ſehr gut iſt. Der[vor¬ beyfließende] Bach heißt die Leine und dient des Sommers zum Baden; das Waſſer iſt ſehr kalt, und an einigen Orten ſo breit, daß Luͤder wirklich115 einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬ uͤber ſprang. Die Stadt ſelbſt iſt ſchoͤn, und ge¬ faͤllt einem am beſten, wenn man ſie mit dem Ruͤcken anſieht. Sie muß ſchon ſehr lange ſtehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fuͤnf Jahren dort immatrikulirt und bald drauf konſiliirt wurde, hatte ſie ſchon daſſelbe graue, altkluge Anſehen, und war ſchon vollſtaͤndig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Diſſertazionen, Thee¬ danſants, Waͤſcherinnen, Compendien, Tauben¬ braten, Guelfenorden, Promozionskutſchen, Pfei¬ fenkoͤpfen, Hofraͤthen, Juſtizraͤthen, Relegazions¬ raͤthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬ haupten ſogar, die Stadt ſey zur Zeit der Voͤl¬ kerwanderung erbaut worden, jeder deutſche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar ſeiner Mitglieder darin zuruͤckgelaſſen, und davon ſtamm¬ ten all die Vandalen, Frieſen, Schwaben, Teuto¬ nen, Sachſen, Thuͤringer u. ſ. w., die noch heut zu Tage in Goͤttingen, hordenweis, und geſchieden durch Farbe der Muͤtzen und der Pfeifenquaͤſte,116 uͤber die Weenderſtraße einherziehen, auf den blu¬ tigen Wahlſtaͤtten der Raſenmuͤhle, des Ritſchen¬ krugs und Bovdens ſich ewig unter einander her¬ umſchlagen, in Sitten und Gebraͤuchen noch im¬ mer wie zur Zeit der Voͤlkerwanderung dahin¬ leben, und theils durch ihre Duces, welche Haupt¬ haͤhne heißen, theils durch ihr uraltes Geſetzbuch, welches Comment heißt und in den legibus bar¬ barorum eine Stelle verdient, regiert werden.

Im Allgemeinen werden die Bewohner Goͤttin¬ gen's eingetheilt in Studenten, Profeſſoren, Phi¬ liſter und Vieh; welche vier Staͤnde doch nichts weniger als ſtreng geſchieden ſind. Der Viehſtand iſt der bedeutendſte. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Profeſſo¬ ren hier herzuzaͤhlen, waͤre zu weitlaͤuftig; auch ſind mir in dieſem Augenblick nicht alle Studen¬ tennamen im Gedaͤchtniſſe, und unter den Pro¬ feſſoren ſind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der goͤttinger Philiſter muß ſehr groß ſeyn, wie Sand, oder beſſer geſagt, wie117 Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich ſie des Mor¬ gens, mit ihren ſchmutzigen Geſichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademiſchen Gerichtes aufgepflanzt ſah, ſo mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur ſo viel Lumpenpack er¬ ſchaffen konnte.

Ausfuͤhrlicheres uͤber die Stadt Goͤttingen laͤßt ſich ſehr bequem nachleſen in der Topographie der¬ ſelben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬ gen den Verfaſſer, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligſten Verpflichtungen hege, ſo kann ich doch ſein Werk nicht unbe¬ dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falſchen Meinung, als haͤtten die Goͤttingerinnen allzugroße Fuͤße, nicht ſtreng genug widerſpricht. Ja, ich habe mich ſogar ſeit Jahr und Tag mit einer ernſten Widerlegung dieſer Meinung beſchaͤff¬ tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬ hoͤrt, die ſeltenſten Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderſtraße ſtundenlang die Fuͤße der voruͤbergehenden Damen ſtudiert, und in118 der grundgelehrten Abhandlung, ſo die Reſultate dieſer Studien enthaͤlt, ſpreche ich von den Fuͤßen uͤberhaupt, von den Fuͤßen bey den Al¬ ten, von den Fuͤßen der Elephanten, von den Fuͤßen der Goͤttingerinnen, ſtelle ich Alles zuſammen, was uͤber dieſe Fuͤße auf Ullrichs Gar¬ ten ſchon geſagt worden, betrachte ich dieſe Fuͤße in ihrem Zuſammenhang, und verbreite mich bey dieſer Gelegenheit auch uͤber Waden, Knie u. ſ. w., und endlich , wenn ich nur ſo großes Papier auftreiben kann, fuͤge ich noch hinzu einige Kupfertafeln mit dem Facſimile goͤttingſcher Da¬ menfuͤße.

Es war noch ſehr fruͤh, als ich Goͤttingen verließ, und der gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und traͤumte wie gewoͤhnlich: er wandle in einem ſchoͤnen Garten, auf deſſen Beeten lau¬ ter weiße, mit Citaten beſchriebene Papierchen wachſen, die im Sonnenlichte lieblich glaͤnzen, und von denen er hier und da mehrere pfluͤckt, und muͤhſam in ein neues Beet verpflanzt, waͤh¬119 rend die Nachtigallen mit ihren ſuͤßeſten Toͤnen ſein altes Herz erfreuen.

Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine zum Andern ſagte: Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er iſt ein Lumpenkerl, denn geſtern wußte er nicht mal, wie der Ge¬ nitiv von Mensa heißt. So unbedeutend dieſe Worte klingen, ſo muß ich ſie doch wieder erzaͤh¬ len, ja, ich moͤchte ſie als Stadt-Motto gleich auf das Thor ſchreiben laſſen; denn die Jungen piepſen wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenſtolz der hochgelahrten Georgia Auguſta.

Auf der Chauſſee wehte friſche Morgenluft, und die Voͤgel ſangen gar freudig, und auch mir wurde allmaͤhlig wieder friſch und freudig zu Muthe. Eine ſolche Erquickung that Noth. Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenſtall herausgekommen, roͤmiſche Caſuiſten hatten mir den Geiſt wie mit einem grauen Spinnweb uͤberzogen, mein Herz war120 wie eingeklemmt zwiſchen den eiſernen Paragraphen ſelbſtſuͤchtiger Rechtsſyſteme, beſtaͤndig klang es mir noch in den Ohren wie Tribonian, Juſtinian, Hermogenian und Dummerjahn, und ein zaͤrtliches Liebespaar, das unter einem Baume ſaß, hielt ich gar fuͤr eine Corpusjuris-Ausgabe mit verſchlunge¬ nen Haͤnden. Auf der Landſtraße fing es ſchon an lebendig zu werden. Milchmaͤdchen zogen voruͤber; auch Eſeltreiber mit ihren grauen Zoͤglingen. Hin¬ ter Weende begegneten mir der Schaͤfer und Do¬ ris. Dieſes iſt nicht das idylliſche Paar, wovon Geßner ſingt, ſondern es ſind wohlbeſtallte Univer¬ ſitaͤtspedelle, die wachſam aufpaſſen muͤſſen, daß ſich keine Studenten in Bovden duelliren, und daß keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬ nien vor Goͤttingen Quarantaine halten muͤſſen, von einem ſpekulirenden Privatdozenten eingeſchmug¬ gelt werden. Schaͤfer gruͤßte mich ſehr kollegialiſch; denn er iſt ebenfalls Schriftſteller, und hat meiner in ſeinen halbjaͤhrigen Schriften oft erwaͤhnt; wie er mich denn auch außerdem oft citirt hat, und 121 wenn er mich nicht zu Hauſe fand, immer ſo guͤtig war, die Citation mit Kreide auf meine Stuben¬ thuͤr zu ſchreiben. Dann und wann rollte auch ein Einſpaͤnner voruͤber, wohlbepackt mit Studen¬ ten, die fuͤr die Ferienzeit, oder auch fuͤr immer wegreiſten. In ſolch einer Univerſitaͤtſtadt iſt ein beſtaͤndiges Kommen und Abgehn, alle drey Jahre findet man dort eine neue Studentengeneration, das iſt ein ewiger Menſchenſtrom, wo eine Se¬ meſterwelle die andere fortdraͤngt, und nur die alten Profeſſoren bleiben ſtehen in dieſer allgemeinen Bewegung, unerſchuͤtterlich feſt, gleich den Pyra¬ miden Egyptens nur daß in dieſen Univerſitaͤts - Pyramiden nicht immer Weisheit verborgen iſt.

Aus den Myrthenlauben bey Rauſchenwaſſer ſah ich zwey hoffnungsvolle Juͤnglinge hervorrei¬ ten. Ein Weibsbild, das dort ſein horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landſtraße das Geleit, klaͤtſchelte mit geuͤbter Hand die ma¬ geren Schenkel der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reuter ihr hinten, auf die breite Spon¬122 taneitaͤt einige Galanterien mit der Peitſche uͤber¬ langte, und ſchob ſich alsdann gen Bovden. Die Juͤnglinge aber jagten nach Noͤrten, und johlten gar geiſtreich, und ſangen gar lieblich das Roſſini¬ ſche Lied: Trink Bier, liebe, liebe Liſe! Dieſe Toͤne hoͤrte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Saͤnger ſelbſt verlor ich bald voͤllig aus dem Geſichte, ſintemal ſie ihre Pferde, die im Grunde einen deutſch-langſamen Charakter zu ha¬ ben ſchienen, gar entſetzlich anſpornten und vor¬ waͤrtspeitſchten. Nirgends wird die Pferdeſchin¬ derey ſtaͤrker getrieben als in Goͤttingen, und oft, wenn ich ſah, wie ſolch eine ſchweißtriefende, lahme Kracke, fuͤr das bischen Lebensfutter, von unſern Rauſchenwaſſerrittern abgequaͤlt ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬ ziehen mußte, ſo dachte ich auch: O du armes Thier, gewiß haben deine Voraͤltern im Paradieſe verbotenen Hafer gefreſſen!

Im Wirthshauſe zu Noͤrten traf ich die bey¬ den Juͤnglinge wieder. Der eine verzehrte einen123 Heringſalat, und der andere unterhielt ſich mit der gelbledernen Magd, Fuſia Canina, auch Trittvo¬ gel genannt. Er ſagte ihr einige Anſtaͤndigkei¬ ten, und am Ende wurden ſie Hand-gemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die ein¬ gepackten blauen Hoſen, die in geſchichtlicher Hin¬ ſicht ſehr merkwuͤrdig ſind, wieder heraus und ſchenkte ſie dem kleinen Kellner, den man Colibri nennt. Die Buſſenia, die alte Wirthin, brachte mir unterdeſſen ein Butterbrod, und beklagte ſich, daß ich ſie jetzt ſo ſelten beſuche; denn ſie liebt mich ſehr.

Hinter Noͤrten ſtand die Sonne hoch und glaͤnzend am Himmel. Sie meinte es recht ehr¬ lich mit mir und[erwaͤrmte] mein Haupt, daß alle unreife Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirthshausſonne in Nordheim iſt auch nicht zu verachten; ich kehrte hier ein, und fand das Mittageſſen ſchon fertig. Alle Gerichte waren ſchmackhaft zubereitet, und wollten mir beſſer beha¬ gen, als die abgeſchmackten akademiſchen Gerichte,124 die ſalzloſen, ledernen Stockfiſche mit ihrem al¬ ten Kohl, die mir in Goͤttingen vorgeſetzt wur¬ den. Nachdem ich meinen Magen etwas beſchwich¬ tigt hatte, bemerkte ich in derſelben Wirthsſtube einen Herrn mit zwey Damen, die im Begriff waren abzureiſen. Dieſer Herr war ganz gruͤn ge¬ kleidet, trug ſogar eine gruͤne Brille, die auf ſeine rothe Kupfernaſe einen Schein wie Gruͤnſpan warf, und ſah aus, wie der Koͤnig Nebukadnezar in ſeinen ſpaͤtern Jahren ausgeſehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Thiere des Waldes, nichts als Salat . Der Gruͤne wuͤnſchte, daß ich ihm ein Hotel in Goͤttingen empfehlen moͤchte, und ich rieth ihm, dort von dem erſten beſten Studenten das Hotel de Bruͤhbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitlaͤuftige Dame, ein rothes Quadrat¬ meilen-Geſicht mit Gruͤbchen in den Wangen, die wie Spucknaͤpfe fuͤr Liebesgoͤtter ausſahen, ein langfleiſchig herabhaͤngendes Unterkinn, das eine ſchlechte Fortſetzung des Geſichtes zu ſeyn ſchien,125 und ein hochaufgeſtapelter Buſen, der mit ſteifen Spitzen und vielzackig feſtonirten Kraͤgen, wie mit Thuͤrmchen und Baſtionen umbaut war, und einer Feſtung glich, die gewiß eben ſo wenig wie jene anderen Feſtungen, von denen Philipp von Mace¬ donien ſpricht, einem mit Gold beladenen Eſel widerſtehen wuͤrde. Die andere Dame, die Frau Schweſter, bildete ganz den Gegenſatz der eben beſchriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kuͤhen, ſo ſtammte dieſe von den magern. Das Geſicht nur ein Mund zwiſchen zwey Ohren, die Bruſt troſtlos oͤde wie die Luͤneburger Haide; die ganze, ausgekochte Geſtalt glich einem Freytiſch fuͤr arme Theologen. Beyde Damen fragten mich zu gleicher Zeit: ob im Hotel de Bruͤhbach auch ordentliche Leute logirten. Ich bejahte es mit gutem Ge¬ wiſſen, und als das holde Kleeblatt abfuhr, gruͤßte ich nochmals zum Fenſter hinaus. Der Sonnen¬ wirth laͤchelte gar ſchlau und mochte wohl wiſſen, daß der Carzer von den Studenten in Goͤttingen Hotel de Bruͤhbach genannt wird.

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Hinter Nordheim wird es ſchon gebirgig und hier und da treten ſchoͤne Anhoͤhen hervor. Auf dem Wege traf ich meiſtens Kraͤmer, die nach der Braunſchweiger Meſſe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, faſt haͤuſer¬ hohes, mit weißem Leinen uͤberzogenes Behaͤltniß auf dem Ruͤcken trug. Darin ſaßen allerley ein¬ gefangene Singvoͤgel, die beſtaͤndig piepſten und zwitſcherten, waͤhrend ihre Traͤgerinnen luſtig da¬ hinhuͤpften und ſchwatzten. Mir kam es gar naͤrriſch vor, wie ſo ein Vogel den andern zu Markte traͤgt.

In pechdunkler Nacht kam ich an zu Oſterode. Es fehlte mir der Appetit zum Eſſen und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war muͤde wie ein Hund und ſchlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach Goͤttingen zuruͤck, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich ſtand in einer Ecke des juriſtiſchen Saals, durchſtoͤberte alte Diſſerta¬ zionen, vertiefte mich im Leſen, und als ich auf¬ hoͤrte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß127 es Nacht war, und herabhaͤngende Kriſtall-Leuch¬ ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke ſchlug eben zwoͤlf, die Saalthuͤre oͤffnete ſich lang¬ ſam, und herein trat eine ſtolze, gigantiſche Frau, ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhaͤngern der juriſtiſchen Facultaͤt. Das Rieſen¬ weib, obgleich ſchon bejahrt, trug dennoch im Ant¬ litz die Zuͤge einer ſtrengen Schoͤnheit, jeder ihrer Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬ mis, Schwert und Wage hielt ſie nachlaͤſſig zu¬ ſammen in der einen Hand, in der andern hielt ſie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬ wandes, an ihrer rechten Seite ſprang windig hin und her der duͤnne Hofrath Ruſticus, der Lykurg Hannovers, und deklamirte aus ſeinem neuen Geſetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬ pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere servente, der geheime Juſtizrath Cujacius, und riß beſtaͤndig juriſtiſche Witze, und lachte ſelbſt daruͤber ſo herzlich, daß ſogar die ernſte Goͤttin ſich mehr¬128 mals laͤchelnd zu ihm herabbeugte, mit der großen Pergamentrolle ihm auf die Schulter klopfte, und freundlich fluͤſterte: Kleiner, loſer Schalk, der die Baͤume von oben herab beſchneidet! Jeder von den uͤbrigen Herren trat jetzt ebenfalls naͤher und hatte etwas hin zu bemerken und hin zu laͤcheln, etwa ein neu ergruͤbeltes Syſtemchen, oder Hypo¬ theschen, oder aͤhnliches Mißgebuͤrtchen des eige¬ nen Koͤpfchens. Durch die geoͤffnete Saalthuͤre traten auch noch mehrere fremde Herren herein, die ſich als die andern großen Maͤnner des illuſtren Ordens kundgaben, meiſtens eckige, laurende Ge¬ ſellen, die mit breiter Selbſtzufriedenheit gleich drauf los definirten und diſtinguirten und uͤber jedes Titelchen eines Pandektentitels disputirten. Und immer kamen noch neue Geſtalten herein, alte Rechtsgelehrten, in verſchollenen Trachten, mit weißen Alongeperucken und laͤngſt vergeſſenen Geſichtern, und ſehr erſtaunt, daß man ſie, die Hochberuͤhmten des verfloſſenen Jahrhunderts, nicht ſonderlich regardirte; und dieſe ſtimmten nun ein,129 auf ihre Weiſe, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lauter, die hohe Goͤttin um¬ rauſchte, bis dieſe die Geduld verlor, und in einem Tone des entſetzlichſten Rieſenſchmerzes ploͤtz¬ lich aufſchrie: Schweigt! ſchweigt! ich hoͤre die Stimme des theuren Prometheus, die hoͤhnende Kraft und die ſtumme Gewalt ſchmieden den Schuld¬ loſen an den Marterfelſen, und all Euer Geſchwaͤtz und Gezaͤnke kann nicht ſeine Wunden kuͤhlen und ſeine Feſſeln zerbrechen! So rief die Goͤttin, und Thraͤnenbaͤche ſtuͤrzten aus ihren Augen, die ganze Verſammlung heulte wie von Todesangſt er¬ griffen, die Decke des Saales krachte, die Buͤcher taumelten herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte Muͤnchhauſen aus ſeinem Rahmen hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und kreiſchte immer wilder, und fort, aus dieſem draͤn¬ genden Tollhauslaͤrm rettete ich mich in den hiſto¬ riſchen Saal, nach jener Gnadenſtelle, wo die hei¬ ligen Bilder des belvederiſchen Apoll's und der9130mediceiſchen Venus neben einander ſtehen, und ich ſtuͤrzte zu den Fuͤßen der Schoͤnheitsgoͤttin, in ih¬ rem Anblick vergaß ich all das wuͤſte Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzuͤckt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochge¬ benedeiten Leibes, griechiſche Ruhe zog durch meine Seele, und uͤber mein Haupt, wie himm¬ liſchen Seegen, goß ſeine ſuͤßeſten Lyraklaͤnge Phoͤ¬ bus Apollo.

Erwachend hoͤrte ich noch immer ein freundli¬ ches Klingen. Die Heerden zogen auf die Weide und es laͤuteten ihre Gloͤckchen. Die liebe, gol¬ dene Sonne ſchien durch das Fenſter und beleuch¬ tete die Schildereyen an den Waͤnden des Zim¬ mers. Es waren Bilder aus dem Befreyungs¬ kriege, worauf treu dargeſtellt ſtand, wie wir alle Helden waren, dann auch Hinrichtungs-Scenen aus der Revolutionszeit, Ludwig XVI. auf der Guillo¬ tine, und aͤhnliche Kopfabſchneidereyen, die man gar nicht anſehen kann, ohne Gott zu danken, daß man ruhig im Bette liegt, und guten Kaffee trinkt131 und den Kopf noch ſo recht comfortabel auf den Schultern ſitzen hat. Auch hingen noch an der Wand Abeillard und Heloiſe, einige franzoͤſiſche Tu¬ genden, naͤmlich leere Maͤdchengeſichter, worunter ſehr kalligraphiſch la prudence, la timidité, la pitié etc. geſchrieben war, und endlich eine Ma¬ donna, ſo ſchoͤn, ſo lieblich, ſo hingebend fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu geſeſ¬ ſen hat, aufſuchen und zu meinem Weibe machen moͤchte. Freylich, ſo bald ich mal mit dieſer Ma¬ donna verheirathet waͤre, wuͤrde ich ſie bitten, allen fernern Umgang mit dem heiligen Geiſte aufzugeben, indem es mir gar nicht lieb ſeyn moͤchte, wenn mein Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬ genſchein, oder irgend eine andre Verzierung gewoͤnne.

Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inſchriften auf den Fenſterſcheiben geleſen, und alles im Wirthshauſe berichtigt hatte, verließ ich Oſterode.

Dieſe Stadt hat ſo und ſo viel Haͤuſer, ver¬ ſchiedene Einwohner, worunter auch mehrere See¬ len, wie in Gottſchalk's Taſchenbuch fuͤr Harzrei¬132 ſende genauer nachzuleſen iſt. Ehe ich die Land¬ ſtraße einſchlug, beſtieg ich die Truͤmmer der uralten Oſteroder Burg. Sie beſtehen nur noch aus der Haͤlfte eines großen, dickmaurigen, wie von Krebs¬ ſchaͤden angefreſſenen Thurms. Der Weg nach Clausthal fuͤhrte mich wieder bergauf, und von ei¬ ner der erſten Hoͤhen ſchaute ich nochmals hinab in das Thal, wo Oſterode mit ſeinen rothen Daͤchern aus den gruͤnen Tannenwaͤldern hervor guckt, wie eine Moosroſe. Die Sonne gab eine gar liebe, kindliche Beleuchtung. Von der erhaltenen Thurm¬ haͤlfte erblickt man hier die imponirende Ruͤckſeite. Es liegen noch viele andre Burgruinen in die¬ ſer Gegend. Der Hardenberg bey Noͤrten iſt die ſchoͤnſte. Wenn man auch, wie es ſich gebuͤhrt, das Herz auf der linken Seite hat, auf der libe¬ ralen, ſo kann man ſich doch nicht aller elegiſchen Gefuͤhle erwehren, bey'm Anblick der Felſenneſter jener privilegirten Raubvoͤgel, die auf ihre ſchwaͤch¬ liche Nachbrut bloß den ſtarken Appetit vererbten. Und ſo ging es auch mir dieſen Morgen. Mein133 Gemuͤth war, je mehr ich mich von Goͤttingen entfernte, allmaͤhlig aufgethaut, wieder wie ſonſt wurde mir romantiſch zu Sinn, und wandernd dichtete ich folgendes Lied:

Steiget auf, Ihr alten Traͤume!
Oeffne dich, du Herzensthor!
Liederwonne, Wehmuthsthraͤnen,
Stroͤmen wunderbar hervor.
Durch die Tannen will ich ſchweifen,
Wo die muntre Quelle ſpringt,
Wo die ſtolzen Hirſche wandeln,
Wo die liebe Droſſel ſingt.
Auf die Berge will ich ſteigen,
Auf die ſchroffen Felſenhoͤh'n,
Wo die grauen Schloßruinen
In dem Morgenlichte ſtehn.
Dorten ſetz 'ich ſtill mich nieder
Und gedenke alter Zeit,
Alter bluͤhender Geſchlechter
Und verſunk'ner Herrlichkeit.
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Gras bedeckt jetzt den Turnierplatz,
Wo gekaͤmpft der ſtolze Mann,
Der die Beſten uͤberwunden
Und des Kampfes Preis gewann.
Epheu rankt an dem Balkone,
Wo die ſchoͤne Dame ſtand,
Die den ſtolzen Ueberwinder
Mit den Augen uͤberwand.
Ach! den Sieger und die Sieg'rin
Hat beſiegt des Todes Hand.
Jener duͤrre Senſenritter
Streckt uns Alle in den Sand!

Nachdem ich eine Strecke gegangen, traf ich zuſammen mit einem reiſenden Handwerksburſchen, der von Braunſchweig kam, und mir als ein dor¬ tiges Geruͤcht erzaͤhlte: der junge Herzog ſey auf dem Wege nach dem gelobten Lande von den Tuͤr¬ ken gefangen worden, und koͤnne nur gegen ein gro¬ ßes Loͤſegeld frei kommen. Die große Reiſe des Herzogs mag dieſe Sage veranlaßt haben. Das135 Volk hat noch immer den traditionell fabelhaften Ideengang, der ſich ſo lieblich ausſpricht in ſeinem Herzog Ernſt. Der Erzaͤhler jener Neuigkeit war ein Schneidergeſell, ein niedlicher, kleiner jun¬ ger Menſch, ſo duͤnn, daß die Sterne durchſchim¬ mern konnten, wie durch Oſſian's Nebelgeiſter, und im Ganzen eine volksthuͤmlich barocke Miſchung von Laune und Wehmuth. Dieſes aͤußerte ſich be¬ ſonders in der drollig ruͤhrenden Weiſe, womit er das wunderbare Volkslied ſang: Ein Kaͤfer auf dem Zaune ſaß, ſumm, ſumm! Das iſt ſchoͤn bey uns Deutſchen; Keiner iſt ſo verruͤckt, daß er nicht einen noch Verruͤckteren faͤnde, der ihn ver¬ ſteht. Nur ein Deutſcher kann jenes Lied nach¬ empfinden, und ſich dabey todtlachen und todtweinen. Wie tief das Goetheſche Wort in's Leben des Volks gedrungen, bemerkte ich auch hier. Mein duͤnner Weggenoſſe trillerte ebenfalls zuweilen vor ſich hin: Leidvoll und freudvoll, Gedanken ſind frei! Solche Corruption des Textes iſt bey'm Volke etwas Gewoͤhnliches. Er ſang auch ein Lied, wo136 Lottchen bey dem Grabe ihres Werthers trauert. Der Schneider zerfloß vor Sentimentalitaͤt bey den Worten: Einſam wein 'ich an der Roſen¬ quelle, wo uns oft der ſpaͤte Mond belauſcht! Jam¬ mernd irr' ich an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne zugerauſcht. Aber bald darauf ging er in Muthwillen uͤber, und erzaͤhlte mir: Wir ha¬ ben einen Preußen in der Herberge zu Caſſel, der eben ſolche Lieder ſelbſt macht; er kann keinen ſeli¬ gen Stich naͤhen; hat er einen Groſchen in der Taſche, ſo hat er fuͤr zwey Groſchen Durſt, und wenn er im Thran iſt, haͤlt er den Himmel fuͤr ein blaues Camiſol, und weint wie eine Dachtraufe, und ſingt ein Lied mit der doppelten Poeſie! Von[letzterem] Ausdruck wuͤnſchte ich eine Erklaͤrung, aber mein Schneiderlein, mit ſeinen Ziegenhainer Beinchen, huͤpfte hin und her und rief beſtaͤndig: Die doppelte Poeſie iſt die doppelte Poeſie! End¬ lich brachte ich es heraus, daß er doppelt gereimte Gedichte, namentlich Stanzen, im Sinne hatte. Unterdeß, durch die große Bewegung und durch137 den contrairen Wind, war der Ritter von der Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬ ſirte: Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine nehmen! Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬ ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬ ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬ ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: Da bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬ rode!

Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬ nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer, und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬ fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes, oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und138 der gruͤnen Erde harmoniſch correſpondirendes Co¬ lorit, ſo daß alle Farben einer Gegend wie leiſe Muſik ineinander ſchmelzen, und jeder Natur-An¬ blick krampfſtillend und gemuͤthberuhigend wirkt. Der ſelige Hoffmann wuͤrde die Wolken buntſcheckig bemalt haben. Eben wie ein großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigſten Mitteln die groͤßten Effekte hervor zu bringen. Da ſind nur eine Sonne, Baͤume, Blumen, Waſſer und Liebe. Freilich, fehlt letztere im Herzen des Be¬ ſchauers, ſo mag das Ganze wohl einen ſchlechten Anblick gewaͤhren, und die Sonne hat dann blos ſo und ſo viel Meilen im Durchmeſſer, und die Baͤume ſind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfaͤden claſſifizirt, und das Waſſer iſt naß. **!

Ein kleiner Junge, der fuͤr ſeinen kranken Oheim im Walde Reiſig ſuchte, zeigte mir das Dorf Lerrbach, deſſen kleine Huͤtten, mit grauen Daͤchern, ſich uͤber eine halbe Stunde durch das Thal hinziehen. Dort, ſagte er, wohnen dumme Kropf-Leute und weiße139 Mohren. mit letzterem Namen werden die Albi¬ nos vom Volke benannt. Der kleine Junge ſtand mit den Baͤumen in gar eigenem Einverſtaͤndniß; er gruͤßte ſie wie gute Bekannte, und ſie ſchienen rauſchend ſeinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie ein Zeiſig, ringsum antworteten zwitſchernd die an¬ dern Voͤgel, und ehe ich mich deſſen verſah, war er mit ſeinen nackten Fuͤßchen und ſeinem Buͤndel Reiſig in's Walddickigt fortgeſprungen. Die Kin¬ der, dacht 'ich, ſind juͤnger als wir, koͤnnen ſich noch erinnern, wie ſie ebenfalls Baͤume oder Voͤ¬ gel waren, und ſind alſo noch im Stande, dieſel¬ ben zu verſtehen; unſereins aber iſt ſchon alt und hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und ſchlechte Verſe im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder recht lebhaft in's Gedaͤchtniß. In dieſes nette Bergſtaͤdtchen, welches man nicht fruͤher erblickt, als bis man davor ſteht, gelangte ich, als eben die Glocke zwoͤlf ſchlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen. Die lieben Knaben, faſt alle140 rothbaͤckig, blauaͤugig und flachshaarig, jubelten und jauchzten, und weckten in mir die wehmuͤthig heitere Erinnerung, wie ich einſt ſelbſt, als ein kleines Buͤbchen,