PRIMS Full-text transcription (HTML)
Reiſebilder
Erſter Theil.
Hamburg,bey Hoffmann und Campe. 1826.

Dedication.

Der Frau Geh. Legationsraͤthin Friedrike Varnhagen v. Enſe widmet die achtundachtzig Gedichte ſeiner « Heimkehr » der Verfaſſer.

[1]

Die Heimkehr.

(1823 1824.)

1[2]
Des Altars heil'ge Deck ', um eines Diebes
Scheuſel'ge Bloͤße liederlich gewunden!
Der goldne Kelchwein des Gefuͤhls, geſoffen
Von einem Trunkenbolde! Eine Roſe,
Zu ſtolz, den Thau des Himmels zu empfangen,
Herberge nun der giftgeſchwollnen Spinne!
(Aus Immermanns Cardenio und Celinde. 1ſter Akt, 3ter Auftr.)
[3]

I.

In mein gar zu dunkles Leben
Stralte einſt ein ſuͤßes Bild;
Nun das ſuͤße Bild erblichen,
Bin ich gaͤnzlich nachtumhuͤllt.
Wenn die Kinder ſind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemuͤth,
Und um ihre Angſt zu bannen,
Singen ſie ein lautes Lied.
Ich, ein tolles Kind, ich ſinge
Jetzo in der Dunkelheit;
Iſt das Lied auch nicht ergoͤtzlich,
Macht's mich doch von Angſt befreyt.
4

II.

Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten,
Daß ich ſo traurig bin;
Ein Maͤhrchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft iſt kuͤhl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendſonnenſchein.
Die ſchoͤnſte Jungfrau ſitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr gold'nes Geſchmeide blitzet,
Sie kaͤmmt ihr gold'nes Haar.
Sie kaͤmmt es mit gold'nem Kamme,
Und ſingt ein Lied dabey;
Das hat eine wunderſame,
Gewaltige Melodey.
5
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er ſchaut nicht die Felſenriffe,
Er ſchaut nur hinauf in die Hoͤh '.
Ich glaube, die Wellen verſchlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

III.

Mein Herz, mein Herz iſt traurig,
Doch luſtig leuchtet der May;
Ich ſtehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Baſtey.
Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in ſtiller Ruh ';
Ein Knabe faͤhrt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.
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Jenſeits erheben ſich freundlich,
In winziger, bunter Geſtalt,
Luſthaͤuſer, und Gaͤrten, und Menſchen,
Und Ochſen, und Wieſen, und Wald.
Die Maͤdchen bleichen Waͤſche,
Und ſpringen im Graſ 'herum;
Das Muͤhlrad ſtaͤubt Diamanten,
Ich hoͤre ſein fernes Geſumm'.
Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhaͤuschen ſteht;
Ein rothgeroͤckter Burſche
Dort auf und nieder geht.
Er ſpielt mit ſeiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er praͤſentirt und ſchultert
Ich wollt ', er ſchoͤſſe mich todt.
7

IV.

Im Walde wandl 'ich und weine,
Die Droſſel ſitzt in der Hoͤh';
Sie ſpringt und ſingt gar feine:
Warum iſt dir ſo weh?
Die Schwalben, deine Schweſtern,
Die koͤnnen's dir ſagen, mein Kind;
Sie wohnten in klugen Neſtern,
Wo Liebchens Fenſter ſind.

V.

Die Nacht iſt feucht und ſtuͤrmiſch,
Der Himmel ſternenleer;
Im Wald, unter rauſchenden Baͤumen,
Wandle ich ſchweigend einher.
Es flimmert fern ein Lichtchen
Aus dem einſamen Jaͤgerhauſ ';
Es ſoll mich nicht hin verlocken,
Dort ſieht es verdrießlich aus.
8
Die blinde Großmutter ſitzt ja
Im ledernen Lehnſtuhl dort
Unheimlich und ſtarr, wie ein Steinbild,
Und ſpricht kein einziges Wort.
Fluchend geht auf und nieder
Des Foͤrſters rothkoͤpfiger Sohn,
Und wirft an die Wand die Buͤchſe,
Und lacht vor Wuth und Hohn.
Die ſchoͤne Spinnerin weinet
Und feuchtet mit Thraͤnen den Flachs;
Wimmernd zu ihren Fuͤßen
Schmiegt ſich des Vaters Dachs.

VI.

Als ich, auf der Reiſe, zufaͤllig
Meines Liebchens Familie fand,
Schweſterchen, Vater und Mutter,
Sie haben mich freudig erkannt.
9
Sie fragten nach meinem Befinden,
Und ſagten ſelber ſogleich:
Ich haͤtte mich gar nicht veraͤndert,
Nur mein Geſicht ſey bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Baſen,
Nach manchem langweil'gen Geſell'n,
Und nach dem kleinen Huͤndchen,
Mit ſeinem ſanften Bell'n.
Auch nach der vermaͤhlten Geliebten
Fragte ich nebenbey;
Und freundlich gab man zur Antwort:
Daß ſie in den Wochen ſey.
Und freundlich gratulirt 'ich,
Und lispelte liebevoll:
Daß man ſie von mir recht herzlich
Viel tauſendmal gruͤßen ſoll.
Schweſterchen rief dazwiſchen:
Das Huͤndchen, ſanft und klein,
Iſt groß und toll geworden,
Und ward ertraͤnkt, im Rhein.
10
Die Kleine gleicht der Geliebten,
Beſonders, wenn ſie lacht;
Sie hat dieſelben Augen,
Die mich ſo elend gemacht.

VII.

Wir ſaßen am Fiſcherhauſe,
Und ſchauten nach der See;
Die Abendnebel kamen
Und ſtiegen in die Hoͤh '.
Im Leuchtthurm wurden die Lichter
Allmaͤhlig angeſteckt,
Und in der weiten Ferne
Ward noch ein Schiff entdeckt.
Wir ſprachen von Sturm und Schiffbruch,
Vom Seemann, und wie er lebt,
Und zwiſchen Himmel und Waſſer,
Und Angſt und Freude ſchwebt.
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Wir ſprachen von fernen Kuͤſten,
Vom Suͤden und vom Nord,
Und von den ſeltſamen Menſchen,
Und ſeltſamen Sitten dort.
Am Ganges duftet's und leuchtet's,
Und Rieſenbaͤume bluͤh'n,
Und ſchoͤne, ſtille Menſchen
Vor Lotosblumen knie'n.
In Lappland ſind ſchmutzige Leute,
Plattkoͤpfig, breitmaͤulig und klein;
Sie kauern um's Feuer, und backen
Sich Fiſche, und quaͤken und ſchrey'n.
Die Maͤdchen horchten ernſthaft,
Und endlich ſprach Niemand mehr;
Das Schiff war nicht mehr ſichtbar,
Es dunkelte gar zu ſehr.
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VIII.

Du ſchoͤnes Fiſchermaͤdchen,
Treibe den Kahn an's Land;
Komm zu mir und ſetze dich nieder,
Wir koſen Hand in Hand.
Leg 'an mein Herz dein Koͤpfchen,
Und fuͤrchte dich nicht zu ſehr,
Vertrau'ſt du dich doch ſorglos
Taͤglich dem wilden Meer.
Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Hat Sturm und Ebb 'und Fluth,
Und manche ſchoͤne Perle
In ſeiner Tiefe ruht.
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IX.

Der Mond iſt aufgegangen
Und uͤberſtralt die Well'n;
Ich halte mein Liebchen umfangen
Und unſre Herzen ſchwell'n.
Im Arm des holden Kindes
Ruh 'ich allein am Strand;
Was horchſt du bey'm Rauſchen des Windes?
Was zuckt deine weiße Hand?
Das iſt kein Rauſchen des Windes,
Das iſt der Seejungfern Geſang,
Und meine Schweſtern ſind es,
Die einſt das Meer verſchlang.
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X.

Der Wind zieht ſeine Hoſen an,
Die weißen Waſſerhoſen;
Er peitſcht die Wellen ſo ſtark er kann,
Die heulen und brauſen und toſen.
Aus dunkler Hoͤh ', mit wilder Macht,
Die Regenguͤſſe traͤufen;
Es iſt als wollt' die alte Nacht
Das alte Meer erſaͤufen.
An den Maſtbaum klammert die Moͤve ſich,
Mit heiſerem Schrillen und Schreyen;
Sie flattert und will gar aͤngſtlich
Ein Ungluͤck prophezeyen.
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XI.

Der Sturm ſpielt auf zum Tanze,
Es pfeift und ſauſt und bruͤllt;
Heiſa, wie ſpringt das Schifflein!
Die Nacht iſt luſtig und wild.
Ein lebendes Waſſergebirge
Bildet die toſende See;
Hier gaͤhnt ein ſchwarzer Abgrund,
Dort thuͤrmt es ſich weiß in die Hoͤh '.
Ein Fluchen, Erbrechen und Beten,
Schallt aus der Kajuͤte heraus;
Ich halte mich feſt am Maſtbaum,
Und wuͤnſche: waͤr 'ich zu Haus.
16

XII.

Der Abend kommt gezogen,
Der Nebel bedeckt die See;
Geheimnißvoll rauſchen die Wogen,
Da ſteigt es weiß in die Hoͤh '.
Die Meerfrau ſteigt aus den Wellen,
Und ſetzt ſich zu mir, am Strand;
Die weißen Bruͤſte quellen
Hervor aus dem Schleyergewand.
Sie druͤckt mich und ſie preßt mich
Und thut mir faſt ein Weh ';
Du druͤckſt ja viel zu feſt mich,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Ich preſſe dich, in meinen Armen,
Und druͤcke dich mit Gewalt;
Ich will bey dir erwarmen,
Der Abend iſt gar zu kalt.
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Der Mond ſchaut immer blaſſer
Aus daͤmmriger Wolkenhoͤh ';
Dein Auge wird truͤber und naſſer,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Es wird nicht truͤber und naſſer,
Mein Aug 'iſt naß und truͤb',
Weil, als ich ſtieg aus dem Waſſer,
Ein Tropfen im Auge blieb.
Die Moͤven ſchrillen klaͤglich,!
Es grollt und brandet die See;
Dein Herz pocht wild beweglich,
Du ſchoͤne Waſſerfee!
Mein Herz pocht wild beweglich,
Es pocht beweglich wild;
Weil ich dich liebe unſaͤglich,
Du liebes Menſchenbild!
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XIII.

Wenn ich an deinem Hauſe
Des Morgens voruͤber geh ',
So freut's mich, du liebe Kleine,
Wenn ich dich am Fenſter ſeh'.
Mit deinen ſchwarzbraunen Augen
Siehſt du mich forſchend an:
Wer biſt du, und was fehlt dir,
Du fremder, kranker Mann?
Ich bin ein deutſcher Dichter,
Bekannt im deutſchen Land;
Nennt man die beſten Namen,
So wird auch der meine genannt.
Und was mir fehlt, du Kleine,
Fehlt Manchem im deutſchen Land;
Nennt man die ſchlimmſten Schmerzen,
So wird auch der meine genannt.
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XIV.

Das Meer erglaͤnzte weit hinaus,
Im letzten Abendſcheine;
Wir ſaßen am einſamen Fiſcherhaus,
Wir ſaßen ſtumm und alleine.
Der Nebel ſtieg, das Waſſer ſchwoll,
Die Moͤve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thraͤnen nieder.
Ich ſah ſie fallen auf deine Hand,
Und bin auf's Knie geſunken;
Ich hab 'von deiner weißen Hand
Die Thraͤnen fortgetrunken.
Seit jener Stunde verzehrt ſich mein Leib,
Die Seele ſtirbt vor Sehnen;
Mich hat das ungluͤckſeel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thraͤnen.
20

XV.

Da droben auf jenem Berge,
Da ſteht ein feines Schloß,
Da wohnen drey ſchoͤne Fraͤulein,
Von denen ich Liebe genoß.
Sonnabend kuͤßte mich Jette,
Und Sonntag die Julia,
Und Montag die Kunigunde,
Die hat mich erdruͤckt beynah.
Doch Dienſtag war eine Fete
Bey meinen drey Fraͤulein im Schloß;
Die Nachbarſchafts-Herren und Damen,
Die kamen zu Wagen und Roß.
Ich aber war nicht geladen,
Und das habt Ihr dumm gemacht!
Die ziſchelnden Muhmen und Baſen
Die merkten's und haben gelacht.
21

XVI.

Am fernen Horizonte
Erſcheint, wie ein Nebelbild,
Die Stadt mit ihren Thuͤrmen,
In Abenddaͤmmrung gehuͤllt.
Ein feuchter Windzug kraͤuſelt
Die graue Waſſerbahn;
Mit traurigem Tacte rudert
Der Schiffer in meinem Kahn.
Die Sonne hebt ſich noch einmal
Leuchtend vom Boden empor,
Und zeigt mir jene Stelle,
Wo ich das Liebſte verlor.
22

XVII.

Sey mir gegruͤßt, du große,
Geheimnißvolle Stadt,
Die einſt in ihrem Schooße
Mein Liebchen umſchloſſen hat.
Sagt an, Ihr Thuͤrme und Thore,
Wo iſt die Liebſte mein?
Euch hab 'ich ſie anvertrauet,
Ihr ſolltet mir Buͤrge ſeyn.
Unſchuldig ſind die Thuͤrme,
Sie konnten nicht von der Stell ',
Als Sie mit Koffern und Schachteln
Die Stadt verlaſſen ſo ſchnell.
Die Thore jedoch, die ließen
Mein Liebchen entwiſchen gar ſtill;
Ein Thor iſt immer willig,
Wenn eine Thoͤrin will.
23

XVIII.

So wandl 'ich wieder den alten Weg,
Die wohlbekannten Gaſſen;
Ich komme von meiner Liebſten Haus,
Das ſteht ſo leer und verlaſſen.
Die Straßen ſind doch gar zu eng '!
Das Pflaſter iſt unertraͤglich!
Die Haͤuſer fallen mir auf den Kopf!
Ich eile ſo viel als moͤglich!

XIX.

Ich trat in jene Hallen,
Wo Sie mir Treue verſprochen;
Wo einſt ihre Thraͤnen gefallen,
Sind Schlangen hervor gekrochen.
24

XX.

Still iſt die Nacht, es ruhen die Gaſſen,
In dieſem Hauſe wohnte mein Schatz;
Sie hat ſchon laͤngſt die Stadt verlaſſen,
Doch ſteht noch das Haus auf demſelben Platz.
Da ſteht auch ein Menſch und ſtarrt in die Hoͤhe
Und ringt die Haͤnde, vor Schmerzensgewalt;
Mir grauſt es, wenn ich ſein Antlitz ſehe,
Der Mond zeigt mir meine eigne Geſtalt.
Du Doppeltgaͤnger! du bleicher Geſelle!
Was aͤffſt du nach mein Liebesleid,
Das mich gequaͤlt auf dieſer Stelle,
So manche Nacht, in alter Zeit?
25

XXI.

Wie kannſt du ruhig ſchlafen,
Und weiſt ich lebe noch?
Der alte Zorn kommt wieder,
Und dann zerbrech 'ich mein Joch.
Kennſt du das alte Liedchen:
Wie einſt ein todter Knab '
Um Mitternacht die Geliebte
Zu ſich geholt in's Grab?
Glaub 'mir, du wunderſchoͤnes,
Du wunderholdes Kind,
Ich lebe und bin noch ſtaͤrker
Als alle Todten ſind!
26

XXII.

Die Jungfrau ſchlaͤft in der Kammer,
Der Mond ſchaut zitternd hinein;
Da draußen ſingt es und klingt es,
Wie Walzermelodeyn.
Ich will mal ſchaun aus dem Fenſter,
Wer drunten ſtoͤrt meine Ruh '.
Da ſteht ein Todtengerippe,
Und fidelt und ſingt dazu:
Haſt einſt mir den Tanz verſprochen,
Und haſt gebrochen dein Wort,
Und heut iſt Ball auf dem Kirchhof,
Komm mit, wir tanzen dort.
Die Jungfrau ergreift es gewaltig,
Es lockt ſie hervor aus dem Haus;
Sie folgt dem Gerippe, das ſingend
Und fidelnd ſchreitet voraus.
27
Es fidelt und taͤnzelt und huͤpfet,
Und klappert mit ſeinem Gebein,
Und nickt und nickt mit dem Schaͤdel
Unheimlich im Mondenſchein.

XXIII.

Ich ſtand in dunkeln Traͤumen
Und ſtarrte ihr Bildniß an,
Und das geliebte Antlitz
Heimlich zu leben begann.
Um ihre Lippen zog ſich
Ein Laͤcheln wunderbar,
Und wie von Wehmuthsthraͤnen
Erglaͤnzte ihr Augenpaar.
Auch meine Thraͤnen floſſen
Mir von den Wangen herab
Und ach, ich kann es nicht glauben,
Daß ich Dich verloren hab '!
28

XXIV.

Ich ungluͤckſel'ger Atlas! eine Welt,
Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen,
Ich trage Unertraͤgliches, und brechen
Will mir das Herz im Leibe.
Du ſtolzes Herz! du haſt es ja gewollt,
Du wollteſt gluͤcklich ſeyn, unendlich gluͤcklich
Oder unendlich elend, ſtolzes Herz,
Und jetzo biſt du elend.

XXV.

Die Jahre kommen und gehen,
Geſchlechter ſteigen in's Grab,
Doch nimmer vergeht die Liebe,
Die ich im Herzen hab '.
Nur einmal noch moͤcht 'ich dich ſehen,
Und ſinken vor dir auf's Knie,
Und ſterbend zu dir ſprechen:
Madame, ich liebe Sie!
29

XXVI.

Mir traͤumte: traurig ſchaute der Mond,
Und traurig ſchienen die Sterne;
Es trug mich zur Stadt, wo Liebchen wohnt,
Viel hundert Meilen ferne.
Es hat mich zu ihrem Hauſe gefuͤhrt,
Ich kuͤßte die Steine der Treppe,
Die oft ihr kleiner Fuß beruͤhrt,
Und ihres Kleides Schleppe.
Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,
Es waren ſo kalt die Steine;
Es lugt 'aus dem Fenſter die blaſſe Geſtalt,
Beleuchtet vom Mondenſcheine.
30

XXVII.

Was will die einſame Thraͤne?
Sie truͤbt mir ja den Blick.
Sie blieb aus alten Zeiten
In meinem Auge zuruͤck.
Sie hatte viel leuchtende Schweſtern,
Die alle zerfloſſen ſind,
Mit meinen Qualen und Freuden,
Zerfloſſen in Nacht und Wind.
Wie Nebel ſind auch zerfloſſen
Die blauen Sternelein,
Die mir jene Freuden und Qualen
Gelaͤchelt in's Herz hinein.
Ach, meine Liebe ſelber
Zerfloß wie eitel Hauch!
Du alte, einſame Thraͤne,
Zerfließe jetzunder auch.
31

XXVIII.

Der bleiche, herbſtliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einſam liegt auf dem Kirchhof '
Das ſtille Pfarrerhaus.
Die Mutter lieſt in der Bibel,
Der Sohn der ſtarret in's Licht,
Schlaftrunken dehnt ſich die aͤlt're,
Die juͤngere Tochter ſpricht:
Ach Gott! wie Einem die Tage
Langweilig hier vergeh'n;
Nur wenn ſie Einen begraben,
Bekommen wir etwas zu ſehn.
Die Mutter ſpricht zwiſchen dem Leſen:
Du irrſt, es ſtarben nur Vier,
Seit man deinen Vater begraben,
Dort an der Kirchhofsthuͤr '.
32
Die aͤlt're Tochter gaͤhnet:
Ich will nicht verhungern bey Euch,
Ich gehe morgen zum Grafen,
Und der iſt verliebt und reich.
Der Sohn bricht aus in Lachen:
Drey Jaͤger zechen im Stern,
Die machen Gold und lehren
Mir das Geheimniß gern.
Die Mutter wirft ihm die Bibel
In's mag're Geſicht hinein:
So willſt du, Gottverfluchter,
Ein Straßenraͤuber ſeyn!
Sie hoͤren pochen an's Fenſter,
Und ſehn eine winkende Hand;
Der todte Vater ſteht draußen
Im ſchwarzen Pred'gergewand.
33

XXIX.

Das iſt ein ſchlechtes Wetter,
Es regnet und ſtuͤrmt und ſchney't;
Ich ſitze am Fenſter und ſchaue
Hinaus in die Dunkelheit.
Da ſchimmert ein einſames Lichtchen,
Das wandelt langſam fort;
Ein Muͤtterchen mit dem Laternchen
Wankt uͤber die Straße dort.
Ich glaube, Mehl und Eyer
Und Butter kaufte ſie ein;
Sie will einen Kuchen backen
Fuͤr's große Toͤchterlein.
Die liegt zu Haus im Lehnſtuhl,
Und blinzelt ſchlaͤfrig in's Licht;
Die goldnen Locken wallen
Ueber das ſuͤße Geſicht.
334

XXX.

Man glaubt, daß ich mich graͤme
In bitter'm Liebesleid,
Und endlich glaub 'ich es ſelber,
So gut wie andre Leut'.
Du Kleine mit großen Augen,
Ich hab 'es dir immer geſagt,
Daß ich dich unſaͤglich liebe,
Daß Liebe mein Herz zernagt.
Doch nur in einſamer Kammer
Sprach ich auf ſolche Art,
Und ach! ich hab 'immer geſchwiegen
In deiner Gegenwart.
Da gab es boͤſe Engel,
Die hielten mir zu den Mund;
Und ach! durch boͤſe Engel
Bin ich ſo elend jetzund.
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XXXI.

Deine weichen Lilienfinger,
Koͤnnt 'ich ſie noch einmal kuͤſſen,
Und ſie druͤcken an mein Herz,
Und vergehn in ſtillem Weinen!
Deine klaren Veilchenaugen
Schweben vor mir Tag und Nacht,
Und mich quaͤlt es: was bedeuten
Dieſe ſuͤßen, blauen Raͤthſel?

XXXII.

Hat ſie ſich denn nie geaͤußert
Ueber dein verliebtes Weſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals Gegenliebe leſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals bis zur Seele dringen?
Und du biſt ja ſonſt kein Eſel,
Theurer Freund, in ſolchen Dingen.
36

XXXIII.

Sie liebten ſich beide, doch keiner
Wollt 'es dem andern geſtehn;
Sie ſahen ſich an ſo feindlich,
Und wollten vor Liebe vergehn.
Sie trennten ſich endlich und ſah'n ſich
Nur noch zuweilen im Traum;
Sie waren laͤngſt geſtorben
Und wußten es ſelber kaum.

XXXIV.

Und als ich Euch meine Schmerzen geklagt,
Da habt Ihr gegaͤhnt und nichts geſagt;
Doch als ich ſie zierlich in Verſe gebracht,
Da habt Ihr mir große Elogen gemacht.
37

XXXV.

Ich rief den Teufel und er kam,
Und ich ſah ihn mit Verwund'rung an.
Er iſt nicht haͤßlich und iſt nicht lahm,
Er iſt ein lieber, ſcharmanter Mann,
Ein Mann in ſeinen beſten Jahren,
Verbindlich und hoͤflich und welterfahren.
Er iſt ein geſcheuter Diplomat,
Und ſpricht recht ſchoͤn uͤber Kirch 'und Staat.
Blaß iſt er etwas, doch iſt es kein Wunder,
Sanskritt und Hegel ſtudiert er jetzunder.
Sein Lieblingspoet iſt noch immer Fouquè.
Doch will er nicht mehr mit Kritik ſich befaſſen,
Die hat er jetzt gaͤnzlich uͤberlaſſen
Der theuren Großmutter Hekate.
Er lobte mein juriſtiſches Streben,
Hat fruͤher ſich auch damit abgegeben.
Er ſagte, meine Freundſchaft ſey
Ihm nicht zu theuer, und nickte dabey,
38
Und frug: ob wir uns fruͤher nicht
Schon einmal geſehn bey'm ſpan'ſchen Geſandten?
Und als ich recht beſah ſein Geſicht,
Fand ich in ihm einen alten Bekannten.

XXXVI.

Menſch, verſpotte nicht den Teufel,
Kurz iſt ja die Lebensbahn,
Und die ewige Verdammniß
Iſt kein bloßer Poͤbelwahn.
Menſch, bezahle deine Schulden,
Lang iſt ja die Lebensbahn,
Und du mußt noch manchmal borgen,
Wie du es ſo oft gethan.
39

XXXVII.

Die heil'gen drey Koͤn'ge aus Morgenland,
Sie frugen in jedem Staͤdtchen:
Wo geht der Weg nach Bethlehem,
Ihr lieben Buben und Maͤdchen?
Die Jungen und Alten, ſie wußten es nicht,
Die Koͤnige zogen weiter;
Sie folgten einem goldenen Stern,
Der leuchtete lieblich und heiter.
Der Stern blieb ſtehn uͤber Joſephs Haus,
Da ſind ſie hineingegangen;
Das Oechslein bruͤllte, das Kindlein ſchrie,
Die heil'gen drey Koͤnige ſangen.
40

XXXVIII.

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwey Kinder, klein und froh;
Wir krochen in's Huͤhnerhaͤuschen
Und ſteckten uns unter das Stroh.
Wir kraͤhten wie die Haͤhne,
Und kamen Leute vorbey
Kikerekuͤh! ſie glaubten,
Es waͤre Hahnengeſchrey.
Die Kiſten auf unſerem Hofe,
Die tapezirten wir aus,
Und wohnten drin beyſammen,
Und machten ein vornehmes Haus.
Des Nachbars alte Katze
Kam oͤfters zum Beſuch;
Wir machten ihr Buͤckling 'und Knixe,
Und Complimente genug.
41
Wir haben nach ihrem Befinden
Beſorglich und freundlich gefragt;
Wir haben ſeitdem daſſelbe
Mancher alten Katze geſagt.
Wir ſaßen auch oft und ſprachen
Vernuͤnftig, wie alte Leut ',
Und klagten, wie Alles beſſer
Geweſen zu unſerer Zeit;
Wie Lieb 'und Treu' und Glauben
Verſchwunden aus der Welt,
Und wie ſo theuer der Kaffee,
Und wie ſo rar das Geld!
Vorbey ſind die Kinderſpiele,
Und Alles rollt vorbey,
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb 'und Treu'.
42

XXXIX.

Das Herz iſt mir bedruͤckt, und ſehnlich
Gedenke ich der alten Zeit;
Die Welt war damals noch ſo woͤhnlich,
Und ruhig lebten hin die Leut '.
Doch jetzt iſt alles wie verſchoben,
Das iſt ein Draͤngen! eine Noth!
Geſtorben iſt der Herrgott oben,
Und unten iſt der Teufel todt.
Und Alles ſchaut ſo graͤmlich truͤbe,
Und krausverwirrt und morſch und kalt,
Und waͤre nicht das bischen Liebe,
So gaͤb 'es nirgends einen Halt.
43

XL.

Wie der Mond ſich leuchtend draͤnget
Durch den dunkeln Wolkenflor,
Alſo taucht aus dunkeln Zeiten
Mir ein lichtes Bild hervor.
Saßen all auf dem Verdecke,
Fuhren ſtolz hinab den Rhein,
Und die ſommergruͤnen Ufer
Gluͤhn im Abendſonnenſchein.
Sinnend ſaß ich zu den Fuͤßen
Einer Dame, ſchoͤn und hold;
In ihr liebes, bleiches Antlitz
Spielt 'das rothe Sonnengold.
Lauten klangen, Buben ſangen,
Wunderbare Froͤhlichkeit!
Und der Himmel wurde blauer,
Und die Seele wurde weit.
44
Maͤhrchenhaft voruͤberzogen
Berg und Burgen, Wald und Au ';
Und das Alles ſah ich glaͤnzen
In dem Aug' der ſchoͤnen Frau.

XLI.

Im Traum ſah ich die Geliebte,
Ein banges, bekuͤmmertes Weib,
Verwelkt und abgefallen
Der ſonſt ſo bluͤhende Leib.
Ein Kind trug ſie auf dem Arme,
Ein andres fuͤhrt ſie an der Hand,
Und ſichtbar iſt Armuth und Truͤbſal
Am Gang und Blick und Gewand.
Sie ſchwankte uͤber den Marktplatz,
Und da begegnet ſie mir,
Und ſieht mich an, und ruhig
Und ſchmerzlich ſag 'ich zu ihr:
45
Komm mit nach meinem Hauſe,
Denn du biſt blaß und krank;
Ich will durch Fleiß und Arbeit
Dir ſchaffen Speiſ 'und Trank.
Ich will auch pflegen und warten
Die Kinder, die bey dir ſind,
Vor Allem aber dich ſelber,
Du armes, ungluͤckliches Kind.
Ich will dir nie erzaͤhlen,
Daß ich dich geliebet hab ',
Und wenn du ſtirbſt, ſo will ich
Weinen auf deinem Grab.
46

XLII.

Theurer Freund! Was ſoll es nuͤtzen,
Stets das alte Lied zu leyern?
Willſt du ewig bruͤtend ſitzen
Auf den alten Liebes-Eyern!
Ach! das iſt ein ewig Gattern,
Aus den Schalen kriechen Kuͤchlein,
Und ſie piepſen und ſie flattern,
Und du ſperrſt ſie in ein Buͤchlein!

XLIII.

Werdet nur nicht ungeduldig,
Wenn von alten Schmerzensklaͤngen
Manche noch vernehmlich klingen
In den neueſten Geſaͤngen.
Wartet nur, es wird verhallen
Dieſes Echo meiner Schmerzen,
Und ein neuer Liederfruͤhling
Sprießt aus dem geheilten Herzen.
47

XLIV.

Nun iſt es Zeit, daß ich mit Verſtand
Mich aller Thorheit entled'ge;
Ich hab 'ſo lang als ein Comoͤdiant
Mit dir geſpielt die Comoͤdie.
Die praͤcht'gen Couliſſen, ſie waren bemalt
Im hochromantiſchen Style,
Mein Rittermantel hat goldig geſtrahlt,
Ich fuͤhlte die feinſten Gefuͤhle.
Und nun ich mich gar ſaͤuberlich
Des tollen Tands entled'ge,
Noch immer elend fuͤhl 'ich mich,
Als ſpielt' ich noch immer Comoͤdie.
Ach Gott! im Scherz und unbewußt
Sprach ich was ich gefuͤhlet;
Ich hab 'mit dem eignen Tod in der Bruſt
Den ſterbenden Fechter geſpielet.
48

XLV.

Den Koͤnig Wiswamitra,
Den treibt's ohne Raſt und Ruh ',
Er will durch Kampf und Buͤßung
Erwerben Waſiſchtas Kuh'.
O, Koͤnig Wiswamitra,
O, welch ein Ochs biſt du,
Daß du ſo viel kaͤmpfeſt und buͤßeſt,
Und Alles fuͤr eine Kuh!

XLVI.

Herz, mein Herz ſey nicht beklommen,
Und ertrage dein Geſchick,
Neuer Fruͤhling giebt zuruͤck,
Was der Winter dir genommen.
Und wie viel iſt dir geblieben!
Und wie ſchoͤn iſt noch die Welt!
Und, mein Herz, was dir gefaͤllt,
Alles, Alles darfſt du lieben!
49

XLVII.

Du biſt wie eine Blume,
So hold und ſchoͤn und rein;
Ich ſchau 'dich an, und Wehmuth
Schleicht mir in's Herz hinein.
Mir iſt, als ob ich die Haͤnde
Auf's Haupt dir legen ſollt ',
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und ſchoͤn und hold.

XLVIII.

Kind! Es waͤre dein Verderben,
Und ich geb 'mir ſelber Muͤhe,
Daß dein liebes Herz in Liebe
Nimmermehr fuͤr mich ergluͤhe.
Nur daß mir's ſo leicht gelinget,
Will mich dennoch faſt betruͤben,
Und ich denke manchmal dennoch:
Moͤchteſt du mich dennoch lieben!
450

XLIX.

Wenn ich auf dem Lager liege,
In Nacht und Kiſſen gehuͤllt,
So ſchwebt mir vor ein ſuͤßes,
Anmuthig liebes Bild.
Wenn mir der ſtille Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So ſchleicht das Bild ſich leiſe
Hinein in meinen Traum.
Doch mit dem Traum des Morgens
Zerrinnt es nimmermehr;
Dann trag 'ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher.
51

L.

Maͤdchen mit dem rothen Muͤndchen,
Mit den Aeuglein ſuͤß und klar,
Du mein liebes, kleines Maͤdchen,
Deiner denk 'ich immerdar.
Lang iſt heut der Winterabend,
Und ich moͤchte bey dir ſeyn,
Bey dir ſitzen, mit dir ſchwatzen,
Im vertrauten Kaͤmmerlein.
An die Lippen wollt 'ich preſſen
Deine kleine, weiße Hand,
Und mit Thraͤnen ſie benetzen,
Deine kleine, weiße Hand.
52

LI.

Mag da draußen Schnee ſich thuͤrmen,
Mag es hageln, mag es ſtuͤrmen,
Klirrend mir an's Fenſter ſchlagen,
Nimmer will ich mich beklagen,
Denn ich trage in der Bruſt
Liebchens Bild und Fruͤhlingsluſt.

LII.

Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten
Nur zu dir, du ſchoͤne Sonne.
Gieb mir Kuͤſſe, gieb mir Wonne,
Sey mir guͤtig, ſey mir gnaͤdig,
Schoͤnſte Sonne unter den Maͤdchen,
Schoͤnſtes Maͤdchen unter der Sonne!
53

LIII.

Verrieth mein blaſſes Angeſicht
Dir nicht mein Liebeswehe?
Und willſt du, daß der ſtolze Mund
Das Bettlerwort geſtehe?
O, dieſer Mund iſt gar zu ſtolz,
Und kann nur kuͤſſen und ſcherzen;
Er ſpraͤche vielleicht ein hoͤhniſch Wort,
Waͤhrend ich ſterbe vor Schmerzen.

LIV.

Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und dich quaͤlen neue Schmerzen;
Dunkler wird es dir im Kopf ',
Heller wird es dir im Herzen.
Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und du willſt es nicht bekennen,
Und ich ſeh 'des Herzens Gluth
Schon durch deine Weſte brennen.
54

LV.

Ich wollte bey dir weilen,
Und an deiner Seite ruhn;
Du mußteſt von mir eilen,
Du hatteſt viel zu thun.
Ich ſagte, daß meine Seele
Dir gaͤnzlich ergeben ſey;
Du lachteſt aus voller Kehle,
Und machteſt 'nen Knix dabey.
Du haſt noch mehr geſteigert
Mir meinen Liebesverdruß,
Und haſt mir ſogar verweigert
Am Ende den Abſchiedkuß.
Glaub 'nicht, daß ich mich erſchieße,
Wie ſchlimm auch die Sachen ſtehn!
Das Alles, meine Suͤße,
Iſt mir ſchon einmal geſchehn.
55

LVI.

Zu fragmentariſch iſt Welt und Leben,
Ich will mich zum deutſchen Profeſſor begeben,
Der weiß das Leben zuſammen zu ſetzen,
Und er macht ein verſtaͤndlich Syſtem daraus;
Mit ſeinen Nachtmuͤtzen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Luͤcken des Weltenbau's.

LVII.

Ich hab 'mir lang den Kopf zerbrochen
Mit Denken und Sinnen, Tag und Nacht,
Doch deine liebenswuͤrdigen Augen
Sie haben mich zum Entſchluß gebracht.
Jetzt bleib 'ich, wo deine Augen leuchten,
In ihrer ſuͤßen, klugen Pracht
Daß ich noch einmal wuͤrde lieben,
Ich haͤtt' es nimmermehr gedacht.
56

LVIII.

Sie haben heut Abend Geſellſchaft,
Und das Haus iſt lichterfuͤllt.
Dort oben am hellen Fenſter
Bewegt ſich ein Schattenbild.
Du ſchauſt mich nicht, im Dunkeln
Steh 'ich hier unten allein;
Noch wen'ger kannſt du ſchauen
In mein dunkles Herz hinein.
Mein dunkles Herze liebt dich,
Es liebt dich und es bricht,
Und bricht und zuckt und verblutet,
Aber du ſiehſt es nicht.
57

LIX.

Ich wollt ', meine Schmerzen ergoͤſſen
Sich all' in ein einziges Wort,
Das gaͤb' ich den luſtigen Winden,
Die truͤgen es luſtig fort.
Sie tragen zu dir, Geliebte,
Das ſchmerzerfuͤllte Wort;
Du hoͤrſt es zu jeder Stunde,
Du hoͤrſt es an jedem Ort.
Und haſt du zum naͤchtlichen Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So wird dich mein Wort verfolgen
Bis in den tiefſten Traum.
58

LX.

Du haſt Diamanten und Perlen,
Haſt alles, was Menſchenbegehr,
Und haſt die ſchoͤnſten Augen
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Auf deine ſchoͤnen Augen
Hab 'ich ein ganzes Heer
Von ewigen Liedern gedichtet
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Mit deinen ſchoͤnen Augen
Haſt du mich gequaͤlt ſo ſehr,
Und haſt mich zu Grunde gerichtet
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
59

LXI.

Wer zum erſtenmale liebt,
Sey's auch gluͤcklos, iſt ein Gott;
Aber wer zum zweitenmale
Gluͤcklos liebt, der iſt ein Narr.
Ich, ein ſolcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe!
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit und ſterbe.

LXII.

O, mein genaͤdiges Fraͤulein, erlaubt
Mir kranken Sohn der Muſen,
Daß ſchlummernd ruhe mein Saͤngerhaupt
Auf Eurem Schwanenbuſen!
Mein Herr! wie koͤnnen Sie es wagen,
Mir ſo was in Geſellſchaft zu ſagen?
60

LXIII.

Gaben mir Rath und gute Lehren,
Ueberſchuͤtteten mich mit Ehren,
Sagten, daß ich nur warten ſollt ',
Haben mich protegiren gewollt.
Aber bey all ihrem Protegiren,
Haͤtte ich koͤnnen vor Hunger krepiren,
Waͤr 'nicht gekommen ein braver Mann,
Wacker nahm er ſich meiner an.
Braver Mann! Er ſchafft mir zu eſſen!
Will es ihm nie und nimmer vergeſſen!
Schade, daß ich ihn nicht kuͤſſen kann!
Denn ich bin ſelbſt dieſer brave Mann.
61

LXIV.

Dieſen liebenswuͤrd'gen Juͤngling
Kann man nicht genug verehren;
Oft tracktirt er mich mit Auſtern,
Und mit Rheinwein und Liquoͤren.
Zierlich ſitzt ihm Rock und Hoͤschen,
Doch noch zierlicher die Binde,
Und ſo kommt er jeden Morgen,
Fragt, ob ich mich wohlbefinde;
Spricht von meinem weiten Ruhme,
Meiner Anmuth, meinen Witzen;
Eifrig und geſchaͤftig iſt er
Mir zu dienen, mir zu nuͤtzen.
Und des Abends, in Geſellſchaft,
Mit begeiſtertem Geſichte,
Deklamirt er vor den Damen
Meine goͤttlichen Gedichte.
62
O, wie iſt es hoch erfreulich,
Solchen Juͤngling noch zu finden,
Jetzt in unſrer Zeit, wo taͤglich
Mehr und mehr die Beſſern ſchwinden.

LXV.

Mir traͤumt ': ich bin der liebe Gott,
Und ſitz' im Himmel droben,
Und Englein ſitzen um mich her,
Die meine Verſe loben.
Und Kuchen eſſ 'ich und Confeckt
Fuͤr manchen lieben Gulden,
Und Kardinal trink' ich dabey,
Und habe keine Schulden.
Doch Langeweile plagt mich ſehr,
Ich wollt ', ich waͤr' auf Erden,
Und waͤr 'ich nicht der liebe Gott,
Ich koͤnnt' des Teufels werden.
63
Du langer Engel Gabriel,
Geh ', mach' dich auf die Sohlen,
Und meinen theuren Freund Eugèn
Sollſt du herauf mir holen.
Such 'ihn nicht im Collegium,
Such' ihn beim Glas Tokayer;
Such 'ihn nicht in der Hedwigskirch,
Such' ihn bey Mamſell Meyer.
Da breitet aus ſein Fluͤgelpaar
Und fliegt herab der Engel,
Und packt ihn auf, und bringt herauf
Den Freund, den lieben Bengel.
Ja, Jung ', ich bin der liebe Gott,
Und ich regier' die Erde!
Ich hab's ja immer dir geſagt,
Daß ich was Rechts noch werde.
Und Wunder thu 'ich alle Tag,
Die ſollen dich entzuͤcken,
Und dir zum Spaße will ich heut
Die Stadt Ix-Ix begluͤcken.
64
Die Pflaſterſteine auf der Straß ',
Die ſollen jetzt ſich ſpalten,
Und eine Auſter, friſch und klar,
Soll jeder Stein enthalten.
Ein Regen von Zitronenſaft
Soll thauig ſie begießen,
Und in den Straßengoͤſſen ſoll
Der beſte Rheinwein fließen.
Wie freuen die Ix-Ixer ſich,
Sie gehen ſchon an's Freſſen;
Die Herren von dem Landgericht,
Die ſaufen aus den Goͤſſen.
Wie freuen die Poeten ſich
Bey ſolchem Goͤtterfraße!
Die Leutnants und die Faͤhnderichs,
Die lecken ab die Straße.
Die Leutnants und die Faͤhnderichs,
Das ſind die kluͤgſten Leute,
Sie denken, alle Tag 'geſchieht
Kein Wunder ſo wie heute.
65

LXVI.

Von ſchoͤnen Lippen fortgedraͤngt, getrieben
Aus ſchoͤnen Armen, die uns feſt umſchloſſen!
Ich waͤre gern noch einen Tag geblieben,
Doch kam der Schwager ſchon mit ſeinen Roſſen.
Das iſt das Leben, Kind, ein ewig Jammern,
Ein ewig Abſchiednehmen, ew'ges Trennen!
Konnt 'denn dein Herz das mein'ge nicht umklammern?
Hat ſelbſt dein Auge mich nicht halten koͤnnen?

LXVII.

Wir fuhren allein im dunkeln
Poſtwagen die ganze Nacht;
Wir ruhten einander am Herzen,
Wir haben geſcherzt und gelacht.
Doch als es Morgens tagte,
Mein Kind, wie ſtaunten wir!
Denn zwiſchen uns ſaß Amor,
Der blinde Paſſagier.
566

LXVIII.

Das weiß Gott, wo ſich die tolle
Dirne einquartieret hat;
Fluchend, in dem Regenwetter,
Lauf 'ich durch die ganze Stadt.
Bin ich doch von einem Gaſthof
Nach dem andern hingerannt,
Und an jeden groben Kellner
Hab 'ich mich umſonſt gewandt.
Da erblick 'ich ſie am Fenſter,
Und ſie winkt und kichert hell.
Konnt' ich wiſſen, du bewohnteſt,
Maͤdchen, ſolches Pracht-Hotel!
67

LXIX.

Wie dunkle Traͤume ſtehen
Die Haͤuſer in langer Reih ';
Tief eingehuͤllt im Mantel
Schreite ich ſchweigend vorbey.
Der Thurm der Cathedrale
Verkuͤndet die zwoͤlfte Stund ';
Mit ihren Reizen und Kuͤſſen
Erwartet mich Liebchen jetzund.
Der Mond iſt mein Begleiter,
Er leuchtet mir freundlich vor;
Da bin ich an ihrem Hauſe,
Und freudig ruf 'ich empor:
Ich danke dir, alter Vertrauter,
Daß du meinen Weg erhellt;
Jetzt will ich dich entlaſſen,
Jetzt leuchte der uͤbrigen Welt!
68
Und findeſt du einen Verliebten,
Der einſam klagt ſein Leid,
So troͤſt 'ihn, wie du mich ſelber
Getroͤſtet in alter Zeit.

LXX.

Haſt du die Lippen mir wund gekuͤßt
So kuͤſſe ſie wieder heil
Und wenn du bis Abend nicht fertig biſt,
So hat es auch keine Eil.
Du haſt ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebſte mein!
Man kann in ſolch einer ganzen Nacht
Viel kuͤſſen und ſelig ſeyn.
69

LXXI.

Und biſt du erſt mein eh'lich Weib,
Dann biſt du zu beneiden,
Dann lebſt du in lauter Zeitvertreib,
In lauter Plaiſir und Freuden.
Und wenn du ſchiltſt und wenn du tobſt,
Ich werd 'es geduldig leiden;
Doch wenn du meine Verſe nicht lobſt,
Laß ich mich von dir ſcheiden.

LXXII.

Als Sie mich umſchlang mit zaͤrtlichem Preſſen,
Da iſt meine Seele gen Himmel geflogen!
Ich ließ ſie fliegen, und hab 'unterdeſſen
Den Necktar von Ihren Lippen geſogen.
70

LXXIII.

Auf deinen ſchneeweißen Buſen
Hab 'ich mein Haupt gelegt,
Und heimlich kann ich behorchen,
Was dir dein Herz bewegt.
Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor herein,
Und morgen will mich verlaſſen
Die Herzallerliebſte mein.
Und willſt du mich morgen verlaſſen,
So biſt du doch heute noch mein,
Und in deinen ſchoͤnen Armen
Will ich doppelt ſelig ſeyn.

LXXIV.

Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor hinaus;
Da komm 'ich, Geliebte, und bringe
Dir einen Roſenſtrauß.
71
Das war eine wilde Wirthſchaft,
Viel Volk und Kriegesplag '!
Sogar in deinem Herzchen
Viel Einquartierung lag.

LXXV.

Habe auch, in jungen Jahren,
Manches bitt're Leid erfahren
Von der Liebe Gluth.
Doch das Holz iſt gar zu theuer,
Und erloͤſchen will das Feuer,
Ma foi! und das iſt gut.
Das bedenke, junge Schoͤne,
Schicke fort die dumme Thraͤne,
Und den dummen Liebesharm.
Iſt das Leben dir geblieben,
So vergiß das alte Lieben,
Ma foi! in meinem Arm.
72

LXXVI.

Himmliſch war's, wenn ich bezwang
Meine ſuͤndige Begier,
Aber wenn's mir nicht gelang,
Hatt 'ich doch ein groß Plaiſir.

LXXVII.

Blamir 'mich nicht, mein ſchoͤnes Kind,
Und gruͤß' mich nicht unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hauſe ſind
Wird ſich ſchon Alles finden.

LXXVIII.

Selten habt Ihr mich verſtanden
Selten auch verſtand ich Euch,
Nur wenn wir im Koth uns fanden,
So verſtanden wir uns gleich.
73

LXXIX.

Doch die Kaſtraten klagten
Als ich meine Stimm 'erhob;
Sie klagten und ſie ſagten:
Ich ſaͤnge viel zu grob.
Und lieblich erhoben ſie alle
Die kleinen Stimmelein,
Die Trillerchen, wie Kriſtalle,
Sie klangen ſo fein und rein.
Sie ſangen von Liebesſehnen,
Von Lieb 'und Liebeserguß;
Die Damen ſchwammen in Thraͤnen,
Bey ſolchem Kunſtgenuß.
74

LXXX.

Auf den Waͤllen Salamankas
Sind die Luͤfte lind und labend;
Dort, mit meiner holden Donna,
Wandle ich am Sommerabend.
Um den ſchlanken Leib der Schoͤnen
Hab 'ich meinen Arm gebogen,
Und mit ſel'gem Finger fuͤhl' ich
Ihres Buſens ſtolzes Wogen.
Doch ein aͤngſtliches Gefluͤſter
Zieht ſich durch die Lindenbaͤume,
Und der dunkle Muͤhlbach unten
Murmelt boͤſe, bange Traͤume.
Ach, Sennora, Ahnung ſagt mir:
Einſt wird man mich relegiren,
Und auf Salamankas Waͤllen
Geh'n wir nimmermehr ſpatzieren.
75

LXXXI.

Kaum ſahen wir uns, und an Augen und Stimme
Merkt 'ich, daß du mir gewogen biſt;
Und ſtand nicht dabey die Mutter, die ſchlimme,
Ich glaube, wir haͤtten uns gleich gekuͤßt.
Und morgen verlaſſe ich wieder das Staͤdtchen,
Und eile fort im alten Lauf;
Dann lauert am Fenſter mein blondes Maͤdchen,
Und freundliche Gruͤße werf 'ich hinauf.

LXXXII.

Ueber die Berge ſteigt ſchon die Sonne,
Die Laͤmmerheerde laͤutet fern;
Mein Liebchen, mein Lamm, meine Sonne und Wonne,
Noch einmal ſaͤh 'ich dich gar zu gern!
Ich ſchaue hinauf, mit ſpaͤhender Miene
Leb 'wohl, mein Kind, ich wandre von hier!
Vergebens! Es regt ſich keine Gardine;
Sie liegt noch und ſchlaͤft, und traͤumt von mir
76

LXXXIII.

Zu Halle auf dem Markt,
Da ſtehn zwey große Loͤwen.
Ey, du halliſcher Loͤwentrotz,
Wie hat man dich gezaͤhmet!
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht ein großer Rieſe.
Er hat ein Schwert und regt ſich nicht,
Er iſt vor Schreck verſteinert.
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht eine große Kirche.
Die Burſchenſchaft und die Landsmannſchaft,
Die haben dort Platz zum Beten.
77

LXXXIV.

Schoͤne, wirthſchaftliche Dame,
Haus und Hof iſt wohlbeſtellt,
Wohlverſorgt iſt Stall und Keller,
Wohlbeackert iſt das Feld.
Jeder Winkel in dem Garten
Iſt geraͤutet und geputzt,
Und das Stroh, das ausgedroſch'ne,
Wird fuͤr Betten noch benutzt.
Doch dein Herz und deine Lippen,
Schoͤne Dame, liegen brach,
Und zur Haͤlfte nur benutzet
Iſt dein trautes Schlafgemach.
78

LXXXV.

Daͤmmernd liegt der Sommerabend
Ueber Wald und gruͤnen Wieſen;
Goldner Mond, am blauen Himmel,
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt ſich in dem Waſſer,
Und der Wandrer hoͤrt ein Plaͤtſchern,
Und ein Athmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet ſich die ſchoͤne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenſcheine.
79

LXXXVI.

Nacht liegt auf den fremden Wegen,
Krankes Herz und muͤde Glieder;
Ach, da fließt, wie ſtiller Segen,
Suͤßer Mond, dein Licht hernieder.
Suͤßer Mond, mit deinen Strahlen
Scheucheſt du das naͤcht'ge Grauen;
Es zerrinnen meine Qualen,
Und die Augen uͤberthauen.

LXXXVII.

Der Tod das iſt die kuͤhle Nacht,
Das Leben iſt der ſchwuͤle Tag.
Es dunkelt ſchon, mich ſchlaͤfert,
Der Tag hat mich muͤd 'gemacht.
Ueber mein Bett erhebt ſich ein Baum,
Drin ſingt die junge Nachtigall;
Sie ſingt von lauter Liebe,
Ich hoͤr 'es ſogar im Traum.
80

LXXXVIII.

Sag ', wo iſt dein ſchoͤnes Liebchen,
Das du einſt ſo ſchoͤn beſungen,
Als die zaubermaͤcht'gen Flammen
Wunderbar dein Herz durchdrungen?
Jene Flammen ſind erloſchen,
Und mein Herz iſt kalt und truͤbe,
Und dies Buͤchlein iſt die Urne
Mit der Aſche meiner Liebe.
81

Goͤtterdaͤmmerung.

Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,
Und ſeidnen Luͤften und gewuͤrzten Duͤften,
Und freundlich lockt er mit den weißen Bluͤthen,
Und gruͤßt aus tauſend blauen Veilchenaugen,
Und breitet aus den blumreich-gruͤnen Teppich,
Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau,
Und ruft herbey die lieben Menſchenkinder.
Das bloͤde Volk gehorcht dem erſten Ruf;
Die Maͤnner ziehn die Nankinhoſen an,
Und Sonntagsroͤck 'mit goldnen Spiegelknoͤpfen;
Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß,
Juͤnglinge kraͤuſeln ſich den Fruͤhlingſchnurrbart,
Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen,
Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche
Papier und Bleyſtift und Lorgnett'; und jubelnd
Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,
Und lagert draußen ſich auf gruͤnem Raſen,
682
Bewundert, wie die Baͤume fleißig wachſen,
Spielt mit den bunten, zarten Bluͤmelein,
Horcht auf den Sang der luſt'gen Voͤgelein,
Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
Zu mir kam auch der May. Er klopfte dreymal
An meine Thuͤr ', und rief: Ich bin der May,
Du bleicher Traͤumer, komm, ich will dich kuͤſſen!
Ich hielt verriegelt meine Thuͤr', und rief:
Vergebens lockſt du mich, du ſchlimmer Gaſt;
Ich habe dich durchſchaut, ich hab 'durchſchaut
Den Bau der Welt, und hab' zu viel geſchaut
Und viel zu tief, und hin iſt alle Freude,
Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.
Ich ſchaue durch die ſteinern-harten Rinden
Der Menſchenhaͤuſer und der Menſchenherzen,
Und ſchau 'in beyden Lug und Trug und Elend.
Auf den Geſichtern leſ' ich die Gedanken,
Viel ſchlimme. In der Jungfrau Scham-Erroͤthen
Seh 'ich geheime Luſt begehrlich zittern;
Auf dem begeiſtert ſtolzen Juͤnglingshaupt'
83
Seh 'ich die bunte Schellenkappe ſitzen;
Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten
Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht,
Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
Ich ſehe durch den Grund der alten Erde,
Als ſey ſie von Kriſtall, und ſeh 'das Grauſen,
Das mit dem freud'gen Gruͤne zu bedecken
Der May vergeblich ſtrebt. Ich ſeh' die Todten,
Sie liegen unten in den ſchmalen Saͤrgen,
Die Haͤnd 'gefaltet und die Augen offen,
Weiß das Gewand und weiß das Angeſicht,
Und durch die gelben Lippen kriechen Wuͤrmer.
Ich ſeh', der Sohn ſetzt ſich mit ſeiner Buhle
Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;
Spottlieder ſingen rings die Nachtigallen,
Die ſanften Wieſenbluͤmchen lachen haͤmiſch,
Der todte Vater regt ſich in dem Grab ',
Und ſchmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn 'ich!
Ich ſeh' die Gluth in deinem Buſen wuͤhlen,
84
Und deine tauſend Adern ſeh 'ich bluten,
Und ſeh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,
Und wild hervorſtroͤmt Flamm 'und Rauch und Blut.
Ich ſeh' die Rieſenſoͤhn 'der alten Nacht,
Sie ſteigen aus der Erde off'nem Schlund,
Und ſchwingen rothe Fackeln in den Haͤnden,
Und legen ihre Eiſenleiter an,
Und ſtuͤrmen wild hinauf zur Himmelsveſte;
Und ſchwarze Zwerge klettern nach; und kniſternd
Zerſtieben droben alle goldnen Sterne.
Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang
Vom Zelte Gottes, heulend ſtuͤrzen nieder,
Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren.
Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott,
Reißt ſich vom Haupt' die Kron ', zerrauft ſein
Haar
Und naͤher draͤngt heran die wilde Rotte;
Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln
In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen
Mit Flammengeißeln auf der Englein Ruͤcken;
Die winden ſich und kruͤmmen ſich vor Qualen,
85
Und werden bey den Haaren fortgeſchleudert.
Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort,
Mit ſeinen blonden Locken, ſuͤßen Zuͤgen,
Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,
Und mit der Seligkeit im blauen Auge
Und ein entſetzlich haͤßlich ſchwarzer Kobold
Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
Beaͤugelt grinſend ſeine edlen Glieder,
Umſchlingt ihn feſt mit griechiſcher Umſchlingung
Und gellend droͤhnt ein Schrey durch's ganze Weltall
Die Saͤulen brechen, Erd 'und Himmel ſtuͤrzen
Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht.
86

Ratkliff.

Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft,
Wo Trauerweiden mir Willkommen winkten,
Mit ihren langen, gruͤnen Armen, wo die Blumen
Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſahn,
Wo mir vertraulich klang der Voͤgel Zwitſchern,
Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien,
Und Stimmen und Geſtalten mich begruͤßten,
Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd.
Vor einem laͤndlich ſchmucken Hauſe ſtand ich,
In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe
War's ruhig, ruhig ſchuͤttelte ich ab
Den Staub von meinen Reiſekleidern,
Dumpf klang die Klingel, und die Thuͤr ging auf.
Das waren Maͤnner, Frauen, viel bekannte
Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen
87
Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtoͤrt,
Mit Beyleidsmienen faſt, ſahn ſie mich an,
Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert ',
Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.
Die alte Marg'reth' hab 'ich gleich erkannt;
Ich ſah ſie forſchend an, jedoch ſie ſprach nicht.
Wo iſt Maria? fragt' ich, doch ſie ſprach nicht,
Griff leiſe meine Hand, und fuͤhrte mich
Durch viele lange, leuchtende Gemaͤcher,
Wo Prunk und Pracht und Todtenſtille herrſchte,
Und fuͤhrt 'mich endlich in ein daͤmmernd Zimmer,
Und zeigt', mit abgewandtem Angeſicht ',
Nach der Geſtalt, die auf dem Sopha ſaß.
Sind Sie Maria? fragt' ich. Innerlich
Erſtaunt 'ich ſelber ob der Feſtigkeit,
Womit ich ſprach. Und ſteinern und metalllos
Scholl eine Stimm': So nennen mich die Leute.
Ein ſchneidend Weh durchfroͤſtelte mich da,
Denn jener hohle, kalte Ton war doch
Die einſt ſo ſuͤße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
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Nachlaͤßig angezogen, Buſen ſchlotternd,
Die Augen glaͤſern ſtarr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angeſichtes lederſchlaff
Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchoͤne,
Die bluͤhend holde, liebliche Maria!
Sie waren lang auf Reiſen! ſprach ſie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund
Sie ſind geſund, und pralle Lend 'und Wade
Bezeugt Soliditaͤt . Ein ſuͤßlich Laͤcheln
Umzitterte den gelblich blaſſen Mund.
In der Verwirrung ſprach's aus mir hervor:
Man ſagte mir, Sie haben ſich vermaͤhlt?
Ach ja! ſprach ſie, gleichguͤltig laut und lachend,
Hab' einen Stock von Holz, der uͤberzogen
Mit Leder iſt, bey mir im Bette liegt,
Und ſich Gemahl nennt. Aber Holz iſt Holz!
Und klanglos widrig lachte ſie dabey,
Daß kalte Angſt durch meine Seele rann,
Und Zweifel mich ergriff: ſind das die keuſchen,
Die blumenzarten Lippen von Maria?
89
Sie aber hob ſich in die Hoͤh ', nahm raſch
Vom Stuhl den Tuͤrken-Shawl, warf ihn
Um ihren Hals, hing ſich an meinen Arm,
Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthuͤr,
Und zog mich fort durch Feld und Buſch und Au'.
Die gluͤhend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte
Schon niedrig, und ihr Purpur uͤberſtrahlte
Die Baͤume und die Blumen und den Strom,
Der in der Ferne majeſtaͤtiſch floß.
Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen
Im blauen Waſſer? rief Maria haſtig.
Still, armes Weſen! ſprach ich, und ich ſchaute
Im Daͤmmerlicht 'ein maͤhrchenhaftes Weben.
Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern,
Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen;
Die Veilchen ſahn ſich zaͤrtlich an, ſehnſuͤchtig
Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;
Aus allen Roſen gluͤhten Wolluſtgluthen!
Die Nelken wollten ſich im Hauch' entzuͤnden;
In ſel'gen Duͤften ſchwelgten alle Blumen,
90
Und alle weinten ſtille Wonnethraͤnen,
Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!
Die Schmetterlinge flatterten, die hellen
Goldkaͤfer ſummten feine Lieblingsliedchen,
Die Abendwinde fluͤſterten, es rauſchten
Die Eichen, ſchmelzend ſang die Nachtigall
Und zwiſchen all dem Fluͤſtern, Rauſchen, Singen,
Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme
Das welke Weib, das mir am Arme hing.
Ich kenn 'Ihr naͤchtlich Treiben auf dem Schloß;
Der lange Schatten iſt ein guter Tropf,
Er nickt und winkt zu allem was man will;
Der Blaurock iſt ein Engel; doch der Rothe,
Mit blankem Schwert, iſt Ihnen ſpinnefeind.
Und noch viel bunt're, wunderliche Reden
Schwatzt' ſie in einem fort, und ſetzte ſich
Ermuͤdet, mit mir nieder auf die Moosbank,
Die unterm alten Eichenbaume ſteht.
Da ſaßen wir beyſammen, ſtill und traurig,
Und ſahn uns an, und wurden immer traur'ger.
91
Die Eiche ſaͤuſelte wie Sterbeſeufzer,
Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab.
Doch rothe Lichter drangen durch die Blaͤtter,
Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren ſtarren Augen,
Und mit der alten, ſuͤßen Stimme ſprach ſie:
Wie wußteſt Du, daß ich ſo elend bin,
Ich las es juͤngſt in deinen wilden Liedern?
Eiskalt durchzog's mir da die Bruſt, mir grauſte
Ob meinem eig'nen Wahnſinn, der die Zukunft
Geſchaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entſetzen bin ich aufgewacht.
92

Donna Clara.

(Aus einem ſpaniſchen Romane.)

In dem abendlichen Garten
Wandelt des Alkaden Tochter;
Pauken - und Trommetenjubel
Klingt herunter von dem Schloſſe.
Laͤſtig werden mir die Taͤnze
Und die ſuͤßen Schmeichelworte,
Und die Ritter, die ſo zierlich
Mich vergleichen mit der Sonne.
Ueberlaͤſtig wird mir Alles,
Seit ich ſah, bei'm Strahl des Mondes,
Jenen Ritter, deſſen Laute
Naͤchtens mich an's Fenſter lockte.
Wie er ſtand ſo ſchlank und muthig,
Und die Augen leuchtend ſchoſſen
Aus dem edelblaſſen Antlitz,
Glich er wahrlich Sanct Georgen.
93
Alſo dachte Donna Clara,
Und ſie ſchaute auf den Boden;
Wie ſie aufblickt, ſteht der ſchoͤne,
Unbekannte Ritter vor ihr.
Haͤndedruͤckend, liebefluͤſternd,
Wandeln ſie umher im Mondſchein,
Und der Zephyr ſchmeichelt freundlich,
Maͤhrchenartig gruͤßen Roſen.
Maͤhrchenartig gruͤßen Roſen,
Und ſie gluͤhn wie Liebesboten.
Aber ſage mir, Geliebte,
Warum du ſo ploͤtzlich roth wirſt?
Muͤcken ſtachen mich, Geliebter,
Und die Muͤcken ſind, im Sommer,
Mir ſo tief verhaßt, als waͤren's
Langenaſ'ge Judenrotten.
Laß die Muͤcken und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
Von den Mandelbaͤumen fallen
Tauſend weiße Bluͤthenflocken.
94
Tauſend weiße Bluͤthenflocken
Haben ihren Duft ergoſſen.
Aber ſage mir, Geliebte,
Iſt dein Herz mir ganz gewogen?
Ja, ich liebe dich, Geliebter,
Bey dem Heiland ſey's geſchworen,
Den die gottverfluchten Juden
Boshaft tuͤckiſch einſt ermordet.
Laß den Heiland und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
In der Ferne ſchwanken traumhaft
Weiße Liljen, lichtumfloſſen.
Weiße Liljen, lichtumfloſſen,
Blicken nach den Sternen droben.
Aber ſage mir, Geliebte,
Haſt du auch nicht falſch geſchworen.
Falſch iſt nicht in mir, Geliebter,
Wie in meiner Bruſt kein Tropfen
Blut iſt von dem Blut der Mohren
Und des ſchmutz'gen Judenvolkes.
95
Laß die Mohren und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend;
Und nach einer Myrthenlaube
Fuͤhrt er die Alkadentochter.
Wie mit weichen Liebesnetzen
Hat er heimlich ſie umflochten;
Kurze Worte, lange Kuͤſſe,
Und die Herzen uͤberfloſſen.
Und ein ſchmelzend ſuͤßes Brantlied
Singt im Laub 'ein Zaubervogel;
Wie zum Fackeltanze huͤpfen
Feuerwuͤrmchen auf dem Boden.
In der Laube wird es ſtiller,
Und man hoͤrt nur, wie verſtohlen,
Das Gefluͤſter kluger Myrthen
Und ein langes Athemholen.
Aber Pauken und Drommeten
Schallen ploͤtzlich aus dem Schloſſe,
Und erwachend hat ſich Clara
Aus des Ritters Arm gezogen.
96
Horch! da ruft es mich, Geliebter,
Doch, bevor wir ſcheiden, ſollſt du
Nennen deinen lieben Namen,
Den du mir ſo lang verborgen.
Und der Ritter, heiter laͤchelnd,
Kuͤßt die Finger ſeiner Holden,
Kuͤßt die Lippen und die Stirne,
Und er ſpricht die langen Worte:
Ich, Sennora, Eu'r Geliebter,
Bin der Sohn des vielbelobten,
Großen, ſchriftgelehrten Rabbi
Iſrael von Saragoſſa.
97

Almanſor.

(Aus einem ſpaniſchen Romane.)

I.
In dem Dome zu Corduva
Stehen Saͤulen, dreyzehnhundert,
Dreyzehnhundert Rieſenſaͤulen
Tragen die gewalt'ge Kuppel.
Und auf Saͤulen, Kuppel, Waͤnden,
Zieh'n von oben ſich bis unten
Des Corans arab'ſche Spruͤche,
Klug und blumenhaft verſchlungen.
Mohrenkoͤn'ge bauten weiland
Dieſes Haus zu Allahs Ruhme,
Doch hat Alles ſich verwandelt
In der Zeiten dunkelm Strudel.
Auf dem Thurme, wo der Thuͤrmer
Zum Gebete aufgerufen
Hebt ſich jetzt der Chriſtenglocken
Melancholiſches Geſumme.
798
Auf den Stufen, wo die Glaͤub'gen
Das Prophetenwort geſungen,
Zeigen jetzt die Glatzenpfaͤfflein
Ihrer Meſſe fades Wunder.
Und das iſt ein Drehn und Winden
Vor den buntbemalten Puppen,
Und das bloͤckt und dampft und klingelt,
Und die dummen Kerzen funkeln.
In dem Dome zu Corduva
Steht Almanſor ben Abdullah,
All die Saͤulen ſtill betrachtend,
Und die ſtillen Worte murmelnd:
O, Ihr Saͤulen, ſtark und rieſig,
Einſt geſchmuͤckt zu Allahs Ruhme,
Jetzo muͤßt Ihr dienend huld'gen
Dem verhaßten Chriſtenthume!
Ihr bequemt Euch in die Zeiten,
Und Ihr tragt die Laſt geduldig;
Ey, da muß ja wohl der Schwaͤch're
Noch viel leichter ſich beruh'gen.
99
Und ſein Haupt, mit heiterm Antlitz,
Beugt Almanſor ben Abdullah
Ueber den gezierten Taufſtein,
In dem Dome zu Corduva.
II.
Haſtig ſchritt er aus dem Dome,
Jagte fort auf ſeinem Rappen,
Daß im Wind die feuchten Locken
Und des Hutes Federn wallen.
Auf dem Weg 'nach Alkolea,
Dem Guadalquivir entlange,
Wo die weißen Mandeln bluͤhen,
Und die duft'gen Gold-Orangen;
Dorten jagt der luſt'ge Ritter,
Pfeift und ſingt, und lacht behaglich,
Und es ſtimmen ein die Voͤgel,
Und des Stromes laute Waſſer.
100
In dem Schloß zu Alkolea
Wohnet Clara de Alvares,
In Navarra kaͤmpft ihr Vater,
Und ſie freut ſich mindern Zwanges.
Und Almanſor hoͤrt ſchon ferne
Pauken und Drommeten ſchallen,
Und er ſieht des Schloſſes Lichter
Blitzen durch der Baͤume Schatten.
In dem Schloß zu Alkolea
Tanzen zwoͤlf geſchmuͤckte Damen,
Tanzen zwoͤlf geſchmuͤckte Ritter,
Doch am ſchoͤnſten tanzt Almanſor.
Wie beſchwingt von muntrer Laune
Flattert er herum im Saale,
Und er weiß den Damen allen
Suͤße Schmeicheleyn zu ſagen.
Iſabellens ſchoͤne Haͤnde
Kuͤßt er raſch, und ſpringt von dannen;
Und er ſetzt ſich vor Elviren
Und er ſchaut ihr froh in's Antlitz.
101
Lachend fragt er Leonoren:
Ob er heute ihr gefalle?
Und er zeigt die goldnen Kreuze
Eingeſtickt in ſeinen Mantel.
Und zu jeder Dame ſpricht er:
Daß er ſie im Herzen trage;
Und ſo wahr ich Chriſt bin ſchwoͤrt er
Dreyzig Mal an jenem Abend.
III.
In dem Schloß zu Alkolea
Iſt verſchollen Luſt und Klingen,
Herr'n und Damen ſind verſchwunden,
Und erloſchen ſind die Lichter.
Donna Clara und Almanſor
Sind allein im Saal geblieben;
Einſam ſtreut die letzte Lampe
Ueber beyde ihren Schimmer.
102
Auf dem Seſſel ſitzt die Dame,
Auf dem Schemel ſitzt der Ritter,
Und ſein Haupt, das ſchlummermuͤde,
Ruht auf den geliebten Knieen.
Roſenoͤhl, aus gold'nem Flaͤſchchen,
Gießt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und er ſeufzt aus Herzenstiefe.
Suͤßen Kuß, mit ſanftem Munde,
Druͤckt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und es woͤlkt ſich ſeine Stirne.
Thraͤnenfluth, aus lichten Augen,
Weint die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken
Und es zuckt um ſeine Lippen.
Und er traͤumt: er ſtehe wieder,
Tief das Haupt gebeugt und triefend,
In dem Dome zu Corduva,
Und er hoͤrt 'viel dunkle Stimmen.
103
All die hohen Rieſenſaͤulen
Hoͤrt er murmeln unmuthgrimmig,
Laͤnger wollen ſie's nicht tragen,
Und ſie wanken und ſie zittern;
Und ſie brechen wild zuſammen,
Es erbleichen Volk und Prieſter,
Krachend ſtuͤrzt herab die Kuppel,
Und die Chriſtengoͤtter wimmern.
104

Die Wallfahrt nach Kevlaar.

I.
Am Fenſter ſtand die Mutter,
Im Bette lag der Sohn.
Willſt du nicht aufſtehn, Wilhelm,
Zu ſchau'n die Prozeſſion?
Ich bin ſo krank, O Mutter,
Daß ich nicht hoͤr 'und ſeh';
Ich denk 'an das todte Gretchen,
Da thut das Herz mir weh.
Steh 'auf, wir wollen nach Kevlaar,
Nimm Buch und Roſenkranz;
Die Muttergottes heilt dir
Dein krankes Herze ganz.
Es flattern die Kirchenfahnen,
Es ſingt im Kirchenton;
Das iſt zu Coͤlln am Rheine,
Da geht die Prozeſſion.
105
Die Mutter folgt der Menge,
Den Sohn, den fuͤhret ſie,
Sie ſingen beyde im Chore:
Gelobt ſey'ſt du Marie!
II.
Die Muttergottes zu Kevlaar
Traͤgt heut 'ihr beſtes Kleid;
Heut' hat ſie viel zu ſchaffen,
Es kommen viel 'kranke Leut'.
Die kranken Leute bringen
Ihr dar, als Opferſpend ',
Aus Wachs gebildete Glieder,
Viel waͤchſerne Fuͤß' und Haͤnd '.
Und wer eine Wachshand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund ';
Und wer einen Wachsfuß opfert,
Dem wird der Fuß geſund.
106
Nach Kevlaar ging Mancher auf Kruͤcken,
Der jetzo tanzt auf dem Seil ',
Gar Mancher ſpielt jetzt die Bratſche,
Dem dort kein Finger war heil.
Die Mutter nahm ein Wachslicht,
Und bildete d'raus ein Herz.
Bring das der Muttergottes,
Dann heilt ſie deinen Schmerz.
Der Sohn nahm ſeufzend das Wachsherz,
Ging ſeufzend zum Heiligenbild;
Die Thraͤne quillt aus dem Auge,
Das Wort aus dem Herzen quillt:
Du Hochgebenedeite,
Du reine Gottesmagd,
Du Koͤniginn des Himmels,
Dir ſey mein Leid geklagt!
Ich wohnte mit meiner Mutter
Zu Coͤllen in der Stadt,
Der Stadt, die viele hundert
Kapellen und Kirchen hat.
107
Und neben uns wohnte Gretchen,
Doch die iſt todt jetzund
Marie, dir bring 'ich ein Wachsherz,
Heil' Du meine Herzenswund '.
Heil 'Du mein krankes Herze,
Ich will auch ſpaͤt und fruͤh'
Inbruͤnſtiglich beten und ſingen:
Gelobt ſeyſt du, Marie!
III.
Der kranke Sohn und die Mutter,
Die ſchliefen im Kaͤmmerlein;
Da kam die Muttergottes
Ganz leiſe geſchritten herein.
Sie beugte ſich uͤber den Kranken,
Und legte ihre Hand
Ganz leiſe auf ſein Herze,
Und laͤchelte mild und ſchwand.
108
Die Mutter ſchaut Alles im Traume,
Und hat noch mehr geſchaut;
Sie erwachte aus dem Schlummer,
Die Hunde bellten zu laut.
Da lag dahingeſtrecket
Ihr Sohn, und der war todt;
Es ſpielt auf den bleichen Wangen
Das lichte Morgenroth.
Die Mutter faltet die Haͤnde,
Ihr war, ſie wußte nicht wie;
Andaͤchtig ſang ſie leiſe:
Gelobt ſey'ſt du, Marie!

Der Stoff dieſes Gedichtes iſt nicht ganz mein Eigenthum. Es entſtand durch Erinnerung an die rheiniſche Heimath. Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziſkanerkloſter zu Duͤſſeldorf die erſte Dreſſur erhielt, und dort zuerſt Buchſtabiren und Stillſitzen lernte, ſaß ich oft neben einem an¬109 dern Knaben, der mir immer erzaͤhlte: wie ſeine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der erſten Sylbe und der Ort ſelbſt liegt im Geldern¬ ſchen) einſtmals mitgenommen, wie ſie dort einen waͤchſernen Fuß fuͤr ihn geopfert, und wie ſein eig¬ ner ſchlimmer Fuß dadurch geheilt ſey. Mit die¬ ſem Knaben traf ich wieder zuſammen in der ober¬ ſten Claſſe des Gymnaſiums, und als wir im Phi¬ loſophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben einander zu ſitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakel-Erzaͤhlung, ſetzte aber doch etwas ernſthaft hinzu: jetzt wuͤrde er der Muttergottes ein waͤchſernes Herz opfern. Ich hoͤrte ſpaͤter, er habe damals an einer ungluͤcklichen Liebſchaft labo¬ rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedaͤchtniß. Im Jahr 1819, als ich in Bonn ſtudierte, und einmal, in der Gegend von Godesberg, am Rhein ſpatzieren ging, hoͤrte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder, wovon das vorzuͤglichſte den gedehnten Refrain hat Gelobt ſeyſt du, Maria! und als die Prozeſſion110 naͤher kam, bemerkte ich unter den Wallfahrtern meinen Schulkameraden mit ſeiner alten Mutter. Dieſe fuͤhrte ihn. Er aber ſah ſehr blaß und krank aus.

Ich durfte dieſe Notiz nicht von dem Gedichte trennen, weil beyde zugleich entſtanden, ſchon ein¬ mal zuſammen abgedruckt worden, und dadurch gleichſam verwachſen ſind. Auf keinen Fall will ich irgend eine Vorneigung andeuten, eben ſo wenig, wie irgend eine Abneigung durch das vor¬ hergehende Gedicht ausgeſprochen werden ſoll. Die¬ ſes, Almanſor uͤberſchrieben, wird im Romane, dem es entlehnt iſt, von einem Mauren, einem unmu¬ thigen Bekenner des Islams, gedichtet und geſun¬ gen. Und wahrlich ſo ſpricht ein engliſcher Schriftſteller wie Gott, der Urſchoͤpfer, ſtehe auch der Dichter, der Nachſchoͤpfer, partheylos er¬ haben uͤber allem Sektengeklaͤtſche dieſer Erde.

[111]

Die Harzreiſe.

1824.

[112]

Nichts iſt dauernd, als der Wechſel; nichts beſtaͤn¬ dig, als der Tod. Jeder Schlag des Herzens ſchlaͤgt uns eine Wunde, und das Leben waͤre ein ewiges Ver¬ bluten, wenn nicht die Dichtkunſt waͤre. Sie gewaͤhrt uns, was uns die Natur verſagt: eine goldene Zeit, die nicht roſtet, einen Fruͤhling, der nicht abbluͤht, wol¬ kenloſes Gluͤck und ewige Jugend.

Boͤrne.
[113]
Schwarze Roͤcke, ſeid'ne Struͤmpfe,
Weiße hoͤfliche Manſchetten,
Sanfte Reden, Embraſſiren
Ach, wenn ſie nur Herzen haͤtten!
Herzen in der Bruſt, und Liebe,
Warme Liebe in dem Herzen
Ach, mich toͤdtet ihr Geſinge
Von erlog'nen Liebesſchmerzen.
Auf die Berge will ich ſteigen
Wo die frommen Huͤtten ſtehen
Wo die Bruſt ſich frey erſchließet
Und die freyen Luͤfte wehen.
8114
Auf die Berge will ich ſteigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Baͤche rauſchen, Voͤgel ſingen,
Und die ſtolzen Wolken jagen.
Lebet wohl, ihr glatten Saͤle!
Glatte Herren! Glatte Frauen!
Auf die Berge will ich ſteigen,
Lachend auf Euch niederſchauen.

Die Stadt Goͤttingen, beruͤhmt durch ihre Wuͤrſte und Univerſitaͤt, gehoͤrt dem Koͤnig von Hannover, und enthaͤlt 999 Feuerſtellen, diverſe Kirchen, eine Entbindungsanſtalt, eine Stern¬ warte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Rathskeller, wo das Bier ſehr gut iſt. Der[vor¬ beyfließende] Bach heißt die Leine und dient des Sommers zum Baden; das Waſſer iſt ſehr kalt, und an einigen Orten ſo breit, daß Luͤder wirklich115 einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬ uͤber ſprang. Die Stadt ſelbſt iſt ſchoͤn, und ge¬ faͤllt einem am beſten, wenn man ſie mit dem Ruͤcken anſieht. Sie muß ſchon ſehr lange ſtehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fuͤnf Jahren dort immatrikulirt und bald drauf konſiliirt wurde, hatte ſie ſchon daſſelbe graue, altkluge Anſehen, und war ſchon vollſtaͤndig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Diſſertazionen, Thee¬ danſants, Waͤſcherinnen, Compendien, Tauben¬ braten, Guelfenorden, Promozionskutſchen, Pfei¬ fenkoͤpfen, Hofraͤthen, Juſtizraͤthen, Relegazions¬ raͤthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬ haupten ſogar, die Stadt ſey zur Zeit der Voͤl¬ kerwanderung erbaut worden, jeder deutſche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar ſeiner Mitglieder darin zuruͤckgelaſſen, und davon ſtamm¬ ten all die Vandalen, Frieſen, Schwaben, Teuto¬ nen, Sachſen, Thuͤringer u. ſ. w., die noch heut zu Tage in Goͤttingen, hordenweis, und geſchieden durch Farbe der Muͤtzen und der Pfeifenquaͤſte,116 uͤber die Weenderſtraße einherziehen, auf den blu¬ tigen Wahlſtaͤtten der Raſenmuͤhle, des Ritſchen¬ krugs und Bovdens ſich ewig unter einander her¬ umſchlagen, in Sitten und Gebraͤuchen noch im¬ mer wie zur Zeit der Voͤlkerwanderung dahin¬ leben, und theils durch ihre Duces, welche Haupt¬ haͤhne heißen, theils durch ihr uraltes Geſetzbuch, welches Comment heißt und in den legibus bar¬ barorum eine Stelle verdient, regiert werden.

Im Allgemeinen werden die Bewohner Goͤttin¬ gen's eingetheilt in Studenten, Profeſſoren, Phi¬ liſter und Vieh; welche vier Staͤnde doch nichts weniger als ſtreng geſchieden ſind. Der Viehſtand iſt der bedeutendſte. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Profeſſo¬ ren hier herzuzaͤhlen, waͤre zu weitlaͤuftig; auch ſind mir in dieſem Augenblick nicht alle Studen¬ tennamen im Gedaͤchtniſſe, und unter den Pro¬ feſſoren ſind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der goͤttinger Philiſter muß ſehr groß ſeyn, wie Sand, oder beſſer geſagt, wie117 Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich ſie des Mor¬ gens, mit ihren ſchmutzigen Geſichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademiſchen Gerichtes aufgepflanzt ſah, ſo mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur ſo viel Lumpenpack er¬ ſchaffen konnte.

Ausfuͤhrlicheres uͤber die Stadt Goͤttingen laͤßt ſich ſehr bequem nachleſen in der Topographie der¬ ſelben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬ gen den Verfaſſer, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligſten Verpflichtungen hege, ſo kann ich doch ſein Werk nicht unbe¬ dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falſchen Meinung, als haͤtten die Goͤttingerinnen allzugroße Fuͤße, nicht ſtreng genug widerſpricht. Ja, ich habe mich ſogar ſeit Jahr und Tag mit einer ernſten Widerlegung dieſer Meinung beſchaͤff¬ tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬ hoͤrt, die ſeltenſten Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderſtraße ſtundenlang die Fuͤße der voruͤbergehenden Damen ſtudiert, und in118 der grundgelehrten Abhandlung, ſo die Reſultate dieſer Studien enthaͤlt, ſpreche ich von den Fuͤßen uͤberhaupt, von den Fuͤßen bey den Al¬ ten, von den Fuͤßen der Elephanten, von den Fuͤßen der Goͤttingerinnen, ſtelle ich Alles zuſammen, was uͤber dieſe Fuͤße auf Ullrichs Gar¬ ten ſchon geſagt worden, betrachte ich dieſe Fuͤße in ihrem Zuſammenhang, und verbreite mich bey dieſer Gelegenheit auch uͤber Waden, Knie u. ſ. w., und endlich , wenn ich nur ſo großes Papier auftreiben kann, fuͤge ich noch hinzu einige Kupfertafeln mit dem Facſimile goͤttingſcher Da¬ menfuͤße.

Es war noch ſehr fruͤh, als ich Goͤttingen verließ, und der gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und traͤumte wie gewoͤhnlich: er wandle in einem ſchoͤnen Garten, auf deſſen Beeten lau¬ ter weiße, mit Citaten beſchriebene Papierchen wachſen, die im Sonnenlichte lieblich glaͤnzen, und von denen er hier und da mehrere pfluͤckt, und muͤhſam in ein neues Beet verpflanzt, waͤh¬119 rend die Nachtigallen mit ihren ſuͤßeſten Toͤnen ſein altes Herz erfreuen.

Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine zum Andern ſagte: Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er iſt ein Lumpenkerl, denn geſtern wußte er nicht mal, wie der Ge¬ nitiv von Mensa heißt. So unbedeutend dieſe Worte klingen, ſo muß ich ſie doch wieder erzaͤh¬ len, ja, ich moͤchte ſie als Stadt-Motto gleich auf das Thor ſchreiben laſſen; denn die Jungen piepſen wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenſtolz der hochgelahrten Georgia Auguſta.

Auf der Chauſſee wehte friſche Morgenluft, und die Voͤgel ſangen gar freudig, und auch mir wurde allmaͤhlig wieder friſch und freudig zu Muthe. Eine ſolche Erquickung that Noth. Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenſtall herausgekommen, roͤmiſche Caſuiſten hatten mir den Geiſt wie mit einem grauen Spinnweb uͤberzogen, mein Herz war120 wie eingeklemmt zwiſchen den eiſernen Paragraphen ſelbſtſuͤchtiger Rechtsſyſteme, beſtaͤndig klang es mir noch in den Ohren wie Tribonian, Juſtinian, Hermogenian und Dummerjahn, und ein zaͤrtliches Liebespaar, das unter einem Baume ſaß, hielt ich gar fuͤr eine Corpusjuris-Ausgabe mit verſchlunge¬ nen Haͤnden. Auf der Landſtraße fing es ſchon an lebendig zu werden. Milchmaͤdchen zogen voruͤber; auch Eſeltreiber mit ihren grauen Zoͤglingen. Hin¬ ter Weende begegneten mir der Schaͤfer und Do¬ ris. Dieſes iſt nicht das idylliſche Paar, wovon Geßner ſingt, ſondern es ſind wohlbeſtallte Univer¬ ſitaͤtspedelle, die wachſam aufpaſſen muͤſſen, daß ſich keine Studenten in Bovden duelliren, und daß keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬ nien vor Goͤttingen Quarantaine halten muͤſſen, von einem ſpekulirenden Privatdozenten eingeſchmug¬ gelt werden. Schaͤfer gruͤßte mich ſehr kollegialiſch; denn er iſt ebenfalls Schriftſteller, und hat meiner in ſeinen halbjaͤhrigen Schriften oft erwaͤhnt; wie er mich denn auch außerdem oft citirt hat, und 121 wenn er mich nicht zu Hauſe fand, immer ſo guͤtig war, die Citation mit Kreide auf meine Stuben¬ thuͤr zu ſchreiben. Dann und wann rollte auch ein Einſpaͤnner voruͤber, wohlbepackt mit Studen¬ ten, die fuͤr die Ferienzeit, oder auch fuͤr immer wegreiſten. In ſolch einer Univerſitaͤtſtadt iſt ein beſtaͤndiges Kommen und Abgehn, alle drey Jahre findet man dort eine neue Studentengeneration, das iſt ein ewiger Menſchenſtrom, wo eine Se¬ meſterwelle die andere fortdraͤngt, und nur die alten Profeſſoren bleiben ſtehen in dieſer allgemeinen Bewegung, unerſchuͤtterlich feſt, gleich den Pyra¬ miden Egyptens nur daß in dieſen Univerſitaͤts - Pyramiden nicht immer Weisheit verborgen iſt.

Aus den Myrthenlauben bey Rauſchenwaſſer ſah ich zwey hoffnungsvolle Juͤnglinge hervorrei¬ ten. Ein Weibsbild, das dort ſein horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landſtraße das Geleit, klaͤtſchelte mit geuͤbter Hand die ma¬ geren Schenkel der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reuter ihr hinten, auf die breite Spon¬122 taneitaͤt einige Galanterien mit der Peitſche uͤber¬ langte, und ſchob ſich alsdann gen Bovden. Die Juͤnglinge aber jagten nach Noͤrten, und johlten gar geiſtreich, und ſangen gar lieblich das Roſſini¬ ſche Lied: Trink Bier, liebe, liebe Liſe! Dieſe Toͤne hoͤrte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Saͤnger ſelbſt verlor ich bald voͤllig aus dem Geſichte, ſintemal ſie ihre Pferde, die im Grunde einen deutſch-langſamen Charakter zu ha¬ ben ſchienen, gar entſetzlich anſpornten und vor¬ waͤrtspeitſchten. Nirgends wird die Pferdeſchin¬ derey ſtaͤrker getrieben als in Goͤttingen, und oft, wenn ich ſah, wie ſolch eine ſchweißtriefende, lahme Kracke, fuͤr das bischen Lebensfutter, von unſern Rauſchenwaſſerrittern abgequaͤlt ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬ ziehen mußte, ſo dachte ich auch: O du armes Thier, gewiß haben deine Voraͤltern im Paradieſe verbotenen Hafer gefreſſen!

Im Wirthshauſe zu Noͤrten traf ich die bey¬ den Juͤnglinge wieder. Der eine verzehrte einen123 Heringſalat, und der andere unterhielt ſich mit der gelbledernen Magd, Fuſia Canina, auch Trittvo¬ gel genannt. Er ſagte ihr einige Anſtaͤndigkei¬ ten, und am Ende wurden ſie Hand-gemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die ein¬ gepackten blauen Hoſen, die in geſchichtlicher Hin¬ ſicht ſehr merkwuͤrdig ſind, wieder heraus und ſchenkte ſie dem kleinen Kellner, den man Colibri nennt. Die Buſſenia, die alte Wirthin, brachte mir unterdeſſen ein Butterbrod, und beklagte ſich, daß ich ſie jetzt ſo ſelten beſuche; denn ſie liebt mich ſehr.

Hinter Noͤrten ſtand die Sonne hoch und glaͤnzend am Himmel. Sie meinte es recht ehr¬ lich mit mir und[erwaͤrmte] mein Haupt, daß alle unreife Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirthshausſonne in Nordheim iſt auch nicht zu verachten; ich kehrte hier ein, und fand das Mittageſſen ſchon fertig. Alle Gerichte waren ſchmackhaft zubereitet, und wollten mir beſſer beha¬ gen, als die abgeſchmackten akademiſchen Gerichte,124 die ſalzloſen, ledernen Stockfiſche mit ihrem al¬ ten Kohl, die mir in Goͤttingen vorgeſetzt wur¬ den. Nachdem ich meinen Magen etwas beſchwich¬ tigt hatte, bemerkte ich in derſelben Wirthsſtube einen Herrn mit zwey Damen, die im Begriff waren abzureiſen. Dieſer Herr war ganz gruͤn ge¬ kleidet, trug ſogar eine gruͤne Brille, die auf ſeine rothe Kupfernaſe einen Schein wie Gruͤnſpan warf, und ſah aus, wie der Koͤnig Nebukadnezar in ſeinen ſpaͤtern Jahren ausgeſehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Thiere des Waldes, nichts als Salat . Der Gruͤne wuͤnſchte, daß ich ihm ein Hotel in Goͤttingen empfehlen moͤchte, und ich rieth ihm, dort von dem erſten beſten Studenten das Hotel de Bruͤhbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitlaͤuftige Dame, ein rothes Quadrat¬ meilen-Geſicht mit Gruͤbchen in den Wangen, die wie Spucknaͤpfe fuͤr Liebesgoͤtter ausſahen, ein langfleiſchig herabhaͤngendes Unterkinn, das eine ſchlechte Fortſetzung des Geſichtes zu ſeyn ſchien,125 und ein hochaufgeſtapelter Buſen, der mit ſteifen Spitzen und vielzackig feſtonirten Kraͤgen, wie mit Thuͤrmchen und Baſtionen umbaut war, und einer Feſtung glich, die gewiß eben ſo wenig wie jene anderen Feſtungen, von denen Philipp von Mace¬ donien ſpricht, einem mit Gold beladenen Eſel widerſtehen wuͤrde. Die andere Dame, die Frau Schweſter, bildete ganz den Gegenſatz der eben beſchriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kuͤhen, ſo ſtammte dieſe von den magern. Das Geſicht nur ein Mund zwiſchen zwey Ohren, die Bruſt troſtlos oͤde wie die Luͤneburger Haide; die ganze, ausgekochte Geſtalt glich einem Freytiſch fuͤr arme Theologen. Beyde Damen fragten mich zu gleicher Zeit: ob im Hotel de Bruͤhbach auch ordentliche Leute logirten. Ich bejahte es mit gutem Ge¬ wiſſen, und als das holde Kleeblatt abfuhr, gruͤßte ich nochmals zum Fenſter hinaus. Der Sonnen¬ wirth laͤchelte gar ſchlau und mochte wohl wiſſen, daß der Carzer von den Studenten in Goͤttingen Hotel de Bruͤhbach genannt wird.

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Hinter Nordheim wird es ſchon gebirgig und hier und da treten ſchoͤne Anhoͤhen hervor. Auf dem Wege traf ich meiſtens Kraͤmer, die nach der Braunſchweiger Meſſe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, faſt haͤuſer¬ hohes, mit weißem Leinen uͤberzogenes Behaͤltniß auf dem Ruͤcken trug. Darin ſaßen allerley ein¬ gefangene Singvoͤgel, die beſtaͤndig piepſten und zwitſcherten, waͤhrend ihre Traͤgerinnen luſtig da¬ hinhuͤpften und ſchwatzten. Mir kam es gar naͤrriſch vor, wie ſo ein Vogel den andern zu Markte traͤgt.

In pechdunkler Nacht kam ich an zu Oſterode. Es fehlte mir der Appetit zum Eſſen und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war muͤde wie ein Hund und ſchlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach Goͤttingen zuruͤck, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich ſtand in einer Ecke des juriſtiſchen Saals, durchſtoͤberte alte Diſſerta¬ zionen, vertiefte mich im Leſen, und als ich auf¬ hoͤrte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß127 es Nacht war, und herabhaͤngende Kriſtall-Leuch¬ ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke ſchlug eben zwoͤlf, die Saalthuͤre oͤffnete ſich lang¬ ſam, und herein trat eine ſtolze, gigantiſche Frau, ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhaͤngern der juriſtiſchen Facultaͤt. Das Rieſen¬ weib, obgleich ſchon bejahrt, trug dennoch im Ant¬ litz die Zuͤge einer ſtrengen Schoͤnheit, jeder ihrer Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬ mis, Schwert und Wage hielt ſie nachlaͤſſig zu¬ ſammen in der einen Hand, in der andern hielt ſie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬ wandes, an ihrer rechten Seite ſprang windig hin und her der duͤnne Hofrath Ruſticus, der Lykurg Hannovers, und deklamirte aus ſeinem neuen Geſetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬ pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere servente, der geheime Juſtizrath Cujacius, und riß beſtaͤndig juriſtiſche Witze, und lachte ſelbſt daruͤber ſo herzlich, daß ſogar die ernſte Goͤttin ſich mehr¬128 mals laͤchelnd zu ihm herabbeugte, mit der großen Pergamentrolle ihm auf die Schulter klopfte, und freundlich fluͤſterte: Kleiner, loſer Schalk, der die Baͤume von oben herab beſchneidet! Jeder von den uͤbrigen Herren trat jetzt ebenfalls naͤher und hatte etwas hin zu bemerken und hin zu laͤcheln, etwa ein neu ergruͤbeltes Syſtemchen, oder Hypo¬ theschen, oder aͤhnliches Mißgebuͤrtchen des eige¬ nen Koͤpfchens. Durch die geoͤffnete Saalthuͤre traten auch noch mehrere fremde Herren herein, die ſich als die andern großen Maͤnner des illuſtren Ordens kundgaben, meiſtens eckige, laurende Ge¬ ſellen, die mit breiter Selbſtzufriedenheit gleich drauf los definirten und diſtinguirten und uͤber jedes Titelchen eines Pandektentitels disputirten. Und immer kamen noch neue Geſtalten herein, alte Rechtsgelehrten, in verſchollenen Trachten, mit weißen Alongeperucken und laͤngſt vergeſſenen Geſichtern, und ſehr erſtaunt, daß man ſie, die Hochberuͤhmten des verfloſſenen Jahrhunderts, nicht ſonderlich regardirte; und dieſe ſtimmten nun ein,129 auf ihre Weiſe, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lauter, die hohe Goͤttin um¬ rauſchte, bis dieſe die Geduld verlor, und in einem Tone des entſetzlichſten Rieſenſchmerzes ploͤtz¬ lich aufſchrie: Schweigt! ſchweigt! ich hoͤre die Stimme des theuren Prometheus, die hoͤhnende Kraft und die ſtumme Gewalt ſchmieden den Schuld¬ loſen an den Marterfelſen, und all Euer Geſchwaͤtz und Gezaͤnke kann nicht ſeine Wunden kuͤhlen und ſeine Feſſeln zerbrechen! So rief die Goͤttin, und Thraͤnenbaͤche ſtuͤrzten aus ihren Augen, die ganze Verſammlung heulte wie von Todesangſt er¬ griffen, die Decke des Saales krachte, die Buͤcher taumelten herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte Muͤnchhauſen aus ſeinem Rahmen hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und kreiſchte immer wilder, und fort, aus dieſem draͤn¬ genden Tollhauslaͤrm rettete ich mich in den hiſto¬ riſchen Saal, nach jener Gnadenſtelle, wo die hei¬ ligen Bilder des belvederiſchen Apoll's und der9130mediceiſchen Venus neben einander ſtehen, und ich ſtuͤrzte zu den Fuͤßen der Schoͤnheitsgoͤttin, in ih¬ rem Anblick vergaß ich all das wuͤſte Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzuͤckt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochge¬ benedeiten Leibes, griechiſche Ruhe zog durch meine Seele, und uͤber mein Haupt, wie himm¬ liſchen Seegen, goß ſeine ſuͤßeſten Lyraklaͤnge Phoͤ¬ bus Apollo.

Erwachend hoͤrte ich noch immer ein freundli¬ ches Klingen. Die Heerden zogen auf die Weide und es laͤuteten ihre Gloͤckchen. Die liebe, gol¬ dene Sonne ſchien durch das Fenſter und beleuch¬ tete die Schildereyen an den Waͤnden des Zim¬ mers. Es waren Bilder aus dem Befreyungs¬ kriege, worauf treu dargeſtellt ſtand, wie wir alle Helden waren, dann auch Hinrichtungs-Scenen aus der Revolutionszeit, Ludwig XVI. auf der Guillo¬ tine, und aͤhnliche Kopfabſchneidereyen, die man gar nicht anſehen kann, ohne Gott zu danken, daß man ruhig im Bette liegt, und guten Kaffee trinkt131 und den Kopf noch ſo recht comfortabel auf den Schultern ſitzen hat. Auch hingen noch an der Wand Abeillard und Heloiſe, einige franzoͤſiſche Tu¬ genden, naͤmlich leere Maͤdchengeſichter, worunter ſehr kalligraphiſch la prudence, la timidité, la pitié etc. geſchrieben war, und endlich eine Ma¬ donna, ſo ſchoͤn, ſo lieblich, ſo hingebend fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu geſeſ¬ ſen hat, aufſuchen und zu meinem Weibe machen moͤchte. Freylich, ſo bald ich mal mit dieſer Ma¬ donna verheirathet waͤre, wuͤrde ich ſie bitten, allen fernern Umgang mit dem heiligen Geiſte aufzugeben, indem es mir gar nicht lieb ſeyn moͤchte, wenn mein Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬ genſchein, oder irgend eine andre Verzierung gewoͤnne.

Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inſchriften auf den Fenſterſcheiben geleſen, und alles im Wirthshauſe berichtigt hatte, verließ ich Oſterode.

Dieſe Stadt hat ſo und ſo viel Haͤuſer, ver¬ ſchiedene Einwohner, worunter auch mehrere See¬ len, wie in Gottſchalk's Taſchenbuch fuͤr Harzrei¬132 ſende genauer nachzuleſen iſt. Ehe ich die Land¬ ſtraße einſchlug, beſtieg ich die Truͤmmer der uralten Oſteroder Burg. Sie beſtehen nur noch aus der Haͤlfte eines großen, dickmaurigen, wie von Krebs¬ ſchaͤden angefreſſenen Thurms. Der Weg nach Clausthal fuͤhrte mich wieder bergauf, und von ei¬ ner der erſten Hoͤhen ſchaute ich nochmals hinab in das Thal, wo Oſterode mit ſeinen rothen Daͤchern aus den gruͤnen Tannenwaͤldern hervor guckt, wie eine Moosroſe. Die Sonne gab eine gar liebe, kindliche Beleuchtung. Von der erhaltenen Thurm¬ haͤlfte erblickt man hier die imponirende Ruͤckſeite. Es liegen noch viele andre Burgruinen in die¬ ſer Gegend. Der Hardenberg bey Noͤrten iſt die ſchoͤnſte. Wenn man auch, wie es ſich gebuͤhrt, das Herz auf der linken Seite hat, auf der libe¬ ralen, ſo kann man ſich doch nicht aller elegiſchen Gefuͤhle erwehren, bey'm Anblick der Felſenneſter jener privilegirten Raubvoͤgel, die auf ihre ſchwaͤch¬ liche Nachbrut bloß den ſtarken Appetit vererbten. Und ſo ging es auch mir dieſen Morgen. Mein133 Gemuͤth war, je mehr ich mich von Goͤttingen entfernte, allmaͤhlig aufgethaut, wieder wie ſonſt wurde mir romantiſch zu Sinn, und wandernd dichtete ich folgendes Lied:

Steiget auf, Ihr alten Traͤume!
Oeffne dich, du Herzensthor!
Liederwonne, Wehmuthsthraͤnen,
Stroͤmen wunderbar hervor.
Durch die Tannen will ich ſchweifen,
Wo die muntre Quelle ſpringt,
Wo die ſtolzen Hirſche wandeln,
Wo die liebe Droſſel ſingt.
Auf die Berge will ich ſteigen,
Auf die ſchroffen Felſenhoͤh'n,
Wo die grauen Schloßruinen
In dem Morgenlichte ſtehn.
Dorten ſetz 'ich ſtill mich nieder
Und gedenke alter Zeit,
Alter bluͤhender Geſchlechter
Und verſunk'ner Herrlichkeit.
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Gras bedeckt jetzt den Turnierplatz,
Wo gekaͤmpft der ſtolze Mann,
Der die Beſten uͤberwunden
Und des Kampfes Preis gewann.
Epheu rankt an dem Balkone,
Wo die ſchoͤne Dame ſtand,
Die den ſtolzen Ueberwinder
Mit den Augen uͤberwand.
Ach! den Sieger und die Sieg'rin
Hat beſiegt des Todes Hand.
Jener duͤrre Senſenritter
Streckt uns Alle in den Sand!

Nachdem ich eine Strecke gegangen, traf ich zuſammen mit einem reiſenden Handwerksburſchen, der von Braunſchweig kam, und mir als ein dor¬ tiges Geruͤcht erzaͤhlte: der junge Herzog ſey auf dem Wege nach dem gelobten Lande von den Tuͤr¬ ken gefangen worden, und koͤnne nur gegen ein gro¬ ßes Loͤſegeld frei kommen. Die große Reiſe des Herzogs mag dieſe Sage veranlaßt haben. Das135 Volk hat noch immer den traditionell fabelhaften Ideengang, der ſich ſo lieblich ausſpricht in ſeinem Herzog Ernſt. Der Erzaͤhler jener Neuigkeit war ein Schneidergeſell, ein niedlicher, kleiner jun¬ ger Menſch, ſo duͤnn, daß die Sterne durchſchim¬ mern konnten, wie durch Oſſian's Nebelgeiſter, und im Ganzen eine volksthuͤmlich barocke Miſchung von Laune und Wehmuth. Dieſes aͤußerte ſich be¬ ſonders in der drollig ruͤhrenden Weiſe, womit er das wunderbare Volkslied ſang: Ein Kaͤfer auf dem Zaune ſaß, ſumm, ſumm! Das iſt ſchoͤn bey uns Deutſchen; Keiner iſt ſo verruͤckt, daß er nicht einen noch Verruͤckteren faͤnde, der ihn ver¬ ſteht. Nur ein Deutſcher kann jenes Lied nach¬ empfinden, und ſich dabey todtlachen und todtweinen. Wie tief das Goetheſche Wort in's Leben des Volks gedrungen, bemerkte ich auch hier. Mein duͤnner Weggenoſſe trillerte ebenfalls zuweilen vor ſich hin: Leidvoll und freudvoll, Gedanken ſind frei! Solche Corruption des Textes iſt bey'm Volke etwas Gewoͤhnliches. Er ſang auch ein Lied, wo136 Lottchen bey dem Grabe ihres Werthers trauert. Der Schneider zerfloß vor Sentimentalitaͤt bey den Worten: Einſam wein 'ich an der Roſen¬ quelle, wo uns oft der ſpaͤte Mond belauſcht! Jam¬ mernd irr' ich an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne zugerauſcht. Aber bald darauf ging er in Muthwillen uͤber, und erzaͤhlte mir: Wir ha¬ ben einen Preußen in der Herberge zu Caſſel, der eben ſolche Lieder ſelbſt macht; er kann keinen ſeli¬ gen Stich naͤhen; hat er einen Groſchen in der Taſche, ſo hat er fuͤr zwey Groſchen Durſt, und wenn er im Thran iſt, haͤlt er den Himmel fuͤr ein blaues Camiſol, und weint wie eine Dachtraufe, und ſingt ein Lied mit der doppelten Poeſie! Von[letzterem] Ausdruck wuͤnſchte ich eine Erklaͤrung, aber mein Schneiderlein, mit ſeinen Ziegenhainer Beinchen, huͤpfte hin und her und rief beſtaͤndig: Die doppelte Poeſie iſt die doppelte Poeſie! End¬ lich brachte ich es heraus, daß er doppelt gereimte Gedichte, namentlich Stanzen, im Sinne hatte. Unterdeß, durch die große Bewegung und durch137 den contrairen Wind, war der Ritter von der Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬ ſirte: Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine nehmen! Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬ ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬ ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬ ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: Da bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬ rode!

Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬ nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer, und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬ fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes, oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und138 der gruͤnen Erde harmoniſch correſpondirendes Co¬ lorit, ſo daß alle Farben einer Gegend wie leiſe Muſik ineinander ſchmelzen, und jeder Natur-An¬ blick krampfſtillend und gemuͤthberuhigend wirkt. Der ſelige Hoffmann wuͤrde die Wolken buntſcheckig bemalt haben. Eben wie ein großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigſten Mitteln die groͤßten Effekte hervor zu bringen. Da ſind nur eine Sonne, Baͤume, Blumen, Waſſer und Liebe. Freilich, fehlt letztere im Herzen des Be¬ ſchauers, ſo mag das Ganze wohl einen ſchlechten Anblick gewaͤhren, und die Sonne hat dann blos ſo und ſo viel Meilen im Durchmeſſer, und die Baͤume ſind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfaͤden claſſifizirt, und das Waſſer iſt naß. **!

Ein kleiner Junge, der fuͤr ſeinen kranken Oheim im Walde Reiſig ſuchte, zeigte mir das Dorf Lerrbach, deſſen kleine Huͤtten, mit grauen Daͤchern, ſich uͤber eine halbe Stunde durch das Thal hinziehen. Dort, ſagte er, wohnen dumme Kropf-Leute und weiße139 Mohren. mit letzterem Namen werden die Albi¬ nos vom Volke benannt. Der kleine Junge ſtand mit den Baͤumen in gar eigenem Einverſtaͤndniß; er gruͤßte ſie wie gute Bekannte, und ſie ſchienen rauſchend ſeinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie ein Zeiſig, ringsum antworteten zwitſchernd die an¬ dern Voͤgel, und ehe ich mich deſſen verſah, war er mit ſeinen nackten Fuͤßchen und ſeinem Buͤndel Reiſig in's Walddickigt fortgeſprungen. Die Kin¬ der, dacht 'ich, ſind juͤnger als wir, koͤnnen ſich noch erinnern, wie ſie ebenfalls Baͤume oder Voͤ¬ gel waren, und ſind alſo noch im Stande, dieſel¬ ben zu verſtehen; unſereins aber iſt ſchon alt und hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und ſchlechte Verſe im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder recht lebhaft in's Gedaͤchtniß. In dieſes nette Bergſtaͤdtchen, welches man nicht fruͤher erblickt, als bis man davor ſteht, gelangte ich, als eben die Glocke zwoͤlf ſchlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen. Die lieben Knaben, faſt alle140 rothbaͤckig, blauaͤugig und flachshaarig, jubelten und jauchzten, und weckten in mir die wehmuͤthig heitere Erinnerung, wie ich einſt ſelbſt, als ein kleines Buͤbchen, in einer dumpfkatholiſchen Klo¬ ſterſchule zu Duͤſſeldorf den ganzen lieben Vormit¬ tag von der hoͤlzernen Bank nicht aufſtehen durfte, und ſo viel Latein, Pruͤgel und Geographie aus¬ ſtehen mußte, und dann ebenfalls unmaͤßig jauchzte und jubelte, wenn die alte Franziskanerglocke end¬ lich zwoͤlf ſchlug. Die Kinder ſahen an meinem Ranzen, daß ich ein Fremder ſey, und gruͤßten mich recht gaſtfreundlich. Einer der Knaben er¬ zaͤhlte mir, ſie haͤtten eben Religions-Unterricht ge¬ habt, und er zeigte mir den Koͤnigl. Hannoͤv. Ka¬ techismus, nach welchem man ihnen das Chriſten¬ thum abfragt. Dieſes Buͤchlein war ſehr ſchlecht gedruckt, und ich fuͤrchte, die Glaubenslehren ma¬ chen dadurch ſchon gleich einen unerfreulichen Ein¬ druck auf die Gemuͤther der Kinder; wie es mir denn auch erſchrecklich mißfiel, daß das Ein-mal - Eins, welches doch mit der heiligen Dreyheitslehre141 bedenklich collidirt, im Catechismus ſelbſt, und zwar auf dem letzten Blatte deſſelben, abgedruckt iſt, und die Kinder dadurch ſchon fruͤhzeitig zu ſuͤnd¬ haften Zweifeln verleitet werden koͤnnen. Da ſind wir im Preußiſchen viel kluͤger, und bey unſerem Eifer zur Bekehrung jener Leute, die ſich ſo gut auf's Rechnen verſtehen, huͤten wir uns wohl, das Ein-mal-Eins hinter den Katechismus abdrucken zu laſſen.

In der Krone zu Clausthal hielt ich Mit¬ tag. Ich bekam fruͤhlingsgruͤne Peterſilienſuppe, veilchenblauen Kohl, einen Kalbsbraten, groß wie der Chimboraſſo in Miniatur, ſo wie auch eine Art geraͤucherter Heringe, die Buͤckinge heißen, nach dem Namen ihres Erfinders, Wilhelm Buͤcking, der 1447 geſtorben, und um jener Erfindung willen von Carl V. ſo verehrt wurde, daß derſelbe anno 1556 von Middelburg nach Bievlied in Seeland reiſte, bloß um dort das Grab dieſes großen Man¬ nes zu ſehen. Wie herrlich ſchmeckt doch ſolch ein Gericht, wenn man die hiſtoriſchen Notizen dazu142 weiß und es ſelbſt verzehrt! Nur der Kaffee nach Tiſche wurde mir verleidet, indem ſich ein junger Menſch diskurſirend zu mir ſetzte und ſo entſetzlich ſchwadronirte, daß mir die Milch auf dem Tiſche ſauer wurde. Es war ein junger Handlungsbefliſſe¬ ner mit fuͤnf und zwanzig bunten Weſten und eben ſo viel goldenen Petſchaften, Ringen, Bruſtnadeln u. ſ. w. Er ſah aus wie ein Affe, der eine rothe Jacke angezogen hat und nun zu ſich ſelber ſagt: Kleider machen Leute. Eine ganze Menge Chara¬ den wußte er auswendig, ſo wie auch Anecdoten, die er immer da anbrachte, wo ſie am wenigſten pa߬ ten. Er fragte mich, was es in Goͤttingen Neues gaͤbe, und ich erzaͤhlte ihm: daß vor meiner Ab¬ reiſe von dort ein Decret des academiſchen Senats erſchienen, worin bey drey Thaler Strafe verboten wird, den Hunden die Schwaͤnze abzuſchneiden, indem die tollen Hunde in den Hundstagen die Schwaͤnze zwiſchen den Beinen tragen, und man ſie dadurch von den Nicht-Tollen unterſcheidet, was doch nicht geſchehen koͤnnte, wenn ſie gar keine143 Schwaͤnze haben. Nach Tiſche machte ich mich auf den Weg, die Gruben, die Silberhuͤtten und die Muͤnze zu beſuchen.

In den Silberhuͤtten habe ich, wie oft im Le¬ ben, den Silberblick verfehlt. In der Muͤnze traf ich es ſchon beſſer, und konnte zuſehen, wie das Geld gemacht wird. Freylich, weiter hab 'ich es auch nie bringen koͤnnen. Ich hatte bey ſolcher Gelegenheit immer das Zuſehen, und ich glaube, wenn mal die Thaler vom Himmel herunter reg¬ neten, ſo bekaͤme ich davon nur Loͤcher in den Kopf, waͤhrend die Kinder Iſrael die ſilberne Manna mit luſtigem Muthe einſammeln wuͤrden. Mit einem Gefuͤhle, worin gar komiſch Ehrfurcht und Ruͤhrung gemiſcht waren, betrachtete ich die neugebornen, blanken Thaler, nahm einen, der eben vom Praͤgſtocke kam, in die Hand, und ſprach zu ihm: junger Thaler! welche Schickſale erwar¬ ten dich! wie viel Gutes und wie viel Boͤſes wirſt du ſtiften! wie wirſt du das Laſter beſchuͤtzen und die Tugend flicken, wie wirſt du geliebt und dann144 wieder verwuͤnſcht werden! wie wirſt du ſchwelgen, kuppeln, luͤgen und morden helfen! wie wirſt du raſtlos umherirren, durch reine und ſchmutzige Haͤnde, jahrhundertelang, bis du endlich, ſchuldbe¬ laden und ſuͤndenmuͤd, verſammelt wirſt zu den Deinigen im Schooße Abrahams, der dich einſchmelzt und laͤutert und umbildet zu einem neuen beſſeren Seyn, vielleicht gar zu einem unſchuldigen Thee¬ loͤffelchen, womit einſt mein eignes Ur-Urenkelchen ſein liebes Breyſuͤppchen zurechtmatſcht.

Das Befahren der zwey vorzuͤglichſten Claus¬ thaler Gruben, der Dorothea und Carolina, fand ich ſehr intereſſant und ich muß ausfuͤhrlich davon erzaͤhlen.

Eine halbe Stunde vor der Stadt gelangt man zu zwey großen ſchwaͤrzlichen Gebaͤuden. Dort wird man gleich von den Bergleuten in Empfang genommen. Dieſe tragen dunkle, gewoͤhnlich ſtahl¬ blaue, weite, bis uͤber den Bauch herabhaͤngende Jacken, Hoſen von aͤhnlicher Farbe, ein hinten auf¬ gebundenes Schurzfell und kleine gruͤne Filzhuͤte,145 ganz randlos, wie ein abgekappter Kegel. In eine ſolche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Be¬ ſuchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann, ein Steiger, nachdem er ſein Grubenlicht angezuͤn¬ det, fuͤhrt ihn nach einer dunkeln Oeffnung, die wie ein Kaminfegeloch ausſieht, ſteigt bis an die Bruſt hinab, giebt Regeln, wie man ſich an den Leitern feſt zu halten habe, und bittet angſtlos zu folgen. Die Sache ſelbſt iſt nichts weniger als gefaͤhrlich; aber man glaubt es nicht im Anfang, wenn man gar nichts vom Bergwerksweſen verſteht. Es giebt ſchon eine eigene Empfindung, daß man ſich ausziehen und die dunkle Delinquenten-Tracht anziehen muß. Und nun ſoll man auf allen Vie¬ ren hinab klettern, und das dunkle Loch iſt ſo dun¬ kel, und Gott weiß, wie lang die Leiter ſeyn mag. Aber bald merkt man doch, daß es nicht eine ein¬ zige, in die ſchwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter iſt, ſondern daß es mehrere von funfzehn bis zwan¬ zig Sproſſen ſind, deren jede auf ein kleines Brett fuͤhrt, worauf man ſtehen kann, und worin wieder10146ein neues Loch nach einer neuen Leiter hinableitet. Ich war zuerſt in die Carolina geſtiegen. Das iſt die ſchmutzigſte und unerfreulichſte Carolina, die ich je kennen gelernt habe. Die Leiterſproſſen ſind kothignaß. Und von einer Leiter zur andern geht's hinab, und der Steiger voran, und dieſer betheu¬ ert immer: es ſey gar nicht gefaͤhrlich, nur muͤſſe man ſich mit den Haͤnden feſt an den Sproſſen halten, und nicht nach den Fuͤßen ſehen, und nicht ſchwindlich werden, und nur bey Leibe nicht auf das Seitenbrett treten, wo jetzt das ſchnurrende Tonnenſeil heraufgeht, und wo, vor vierzehn Ta¬ gen, ein unvorſichtiger Menſch hinunter geſtuͤrzt und leider den Hals gebrochen. Da unten iſt ein verworrenes Rauſchen und Summen, man ſtoͤßt beſtaͤndig an Balken und Seile, die in Bewegung ſind, um die Tonnen mit geklopften Erzen, oder das hervorgeſinterte Waſſer, herauf zu winden. Zu¬ weilen gelangt man auch in durchgehauene Gaͤnge, Stollen genannt, wo man das Erz wachſen ſieht, und wo der einſame Bergmann den ganzen Tag147 ſitzt und muͤhſam mit dem Hammer die Erzſtuͤcke aus der Wand heraus klopft. Bis in die unterſte Tiefe, wo man, wie Einige behaupten, ſchon hoͤren kann, wie die Leute in Amerika Hurrah Lafayette! ſchreien, bin ich nicht gekommen; unter uns ge¬ ſagt, dort, bis wohin ich kam, ſchien es mir bereits tief genug: immerwaͤhrendes Brauſen und Sau¬ ſen, unheimliche Maſchinen-Bewegung, unterir¬ diſches Quellen-Gerieſel, von allen Seiten herab¬ triefendes Waſſer, qualmig aufſteigende Erdduͤnſte, und das Grubenlicht immer bleicher hinein flim¬ mernd in die einſame Nacht. Wirklich, es war betaͤubend, das Athmen wurde mir ſchwer, und mit Muͤhe hielt ich mich an den glitſchrigen Lei¬ terſproſſen. Ich habe keinen Anflug von ſogenann¬ ter Angſt empfunden, aber, ſeltſam genug, dort unten in der Tiefe erinnerte ich mich, daß ich im vorigen Jahr, ungefaͤhr um dieſelbe Zeit, einen Sturm auf der Nord-See erlebte, und ich meinte jetzt, es ſey doch eigentlich recht traulich angenehm, wenn das Schiff hin und her ſchaukelt, die Winde148 ihre Trompeter-Stuͤckchen losblaſen, zwiſchen drein der luſtige Matroſen-Laͤrmen erſchallt, und Alles friſch uͤberſchauert wird von Gottes lieber, freier Luft. Ja, Luft! Nach Luft ſchnappend ſtieg ich einige Dutzend Leitern wieder in die Hoͤhe, und mein Steiger fuͤhrte mich durch einen ſchmalen, ſehr langen, in den Berg gehauenen Gang nach der Grube Dorothea. Hier iſt es luftiger und friſcher, und die Leitern ſind reiner, aber auch laͤnger und ſteiler als in der Carolina. Hier wurde mir auch beſſer zu Muthe, beſonders da ich wieder Spuren lebendiger Menſchen gewahrte. In der Tiefe zeig¬ ten ſich naͤmlich wandelnde Schimmer; Bergleute mit ihren Grubenlichtern kamen allmaͤhlig in die Hoͤhe, mit dem Gruße Gluͤckauf! und mit dem¬ ſelben Wiedergruße von unſerer Seite ſtiegen ſie an uns voruͤber; und wie eine befreundet ruhige, und doch zugleich quaͤlend raͤthſelhafte Erinnerung, trafen mich, mit ihren tiefſinnig klaren Blicken, die ernſtfrommen, etwas blaſſen, und vom Grubenlicht geheimnißvoll beleuchteten Geſichter dieſer, theils149 jungen, theils alten Maͤnner, die in ihren dunkeln, einſamen Bergſchachten den ganzen Tag gearbeitet hatten, und ſich jetzt hinauf ſehnten nach dem lieben Tageslicht, und nach den Augen von Weib und Kind.

Mein Cicerone ſelbſt war eine kreuzehrliche, pu¬ deldeutſche Natur. Mit innerer Freudigkeit zeigte er mir jene Stolle, wo der Herzog von Cambridge, als er die Grube befahren, mit ſeinem ganzen Gefolge geſpeiſt hat, und wo noch der lange hoͤlzerne Spei¬ ſetiſch ſteht, ſo wie auch der große Stuhl von Erz, worauf der Herzog geſeſſen. Dieſer bleibe zum ewi¬ gen Andenken ſtehen, ſagte der gute Bergmann, und mit Feuer erzaͤhlte er: wie viele Feſtlichkeiten da¬ mals ſtatt gefunden, wie der ganze Stollen mit Lich¬ tern, Blumen und Laubwerk verziert geweſen, wie ein Bergknappe die Zitter geſpielt und geſungen, wie der vergnuͤgte liebe, dicke Herzog ſehr viele Geſundhei¬ ten ausgetrunken habe, und wie viele Bergleute, und er ſelbſt ganz beſonders, ſich gern wuͤrden tod¬ ſchlagen laſſen fuͤr den lieben, dicken Herzog und150 das ganze Haus Hannover. Innig ruͤhrt es mich jedesmal, wenn ich ſehe, wie ſich dieſes Gefuͤhl der Unterthanstreue in ſeinen einfachen Naturlauten ausſpricht. Es iſt ein ſo ſchoͤnes Gefuͤhl! Und es iſt ein ſo wahrhaft deutſches Gefuͤhl! Andere Voͤl¬ ker moͤgen gewandter ſeyn, und witziger und ergoͤtz¬ licher, aber keines iſt ſo treu, wie das treue deut¬ ſche Volk. Wuͤßte ich nicht, daß die Treue ſo alt iſt, wie die Welt, ſo wuͤrde ich glauben, ein deut¬ ſches Herz habe ſie erfunden. Deutſche Treue! ſie iſt keine moderne Adreſſen-Floskel. An Euren Hoͤ¬ fen, Ihr deutſchen Fuͤrſten, ſollte man ſingen und wieder ſingen das Lied vom getreuen Eckart und vom boͤſen Burgund, der ihm die lieben Kinder toͤdten laſſen, und ihn alsdann doch noch immer treu befunden hat. Ihr habt das treueſte Volk, und Ihr irrt, wenn Ihr glaubt: der alte, verſtaͤndige, treue Hund ſey ploͤtzlich toll geworden, und ſchnappe nach Euren geheiligten Waden.

Wie die deutſche Treue hatte uns jetzt das kleine Grubenlicht, ohne viel Geflacker, ſtill und ſicher ge¬151 leitet durch das Labyrinth der Schachten und Stol¬ len; wir ſtiegen hervor aus der dumpfigen Berg¬ nacht, das Sonnenlicht ſtrahlt ' Gluͤck auf!

Die meiſten Berg-Arbeiter wohnen in Clausthal und in dem damit verbundenen Bergſtaͤdtchen Zeller¬ feld. Ich beſuchte mehrere dieſer wackern Leute, betrachtete ihre kleine haͤusliche Einrichtung, hoͤrte einige ihrer Lieder, die ſie mit der Zitter, ihrem Lieblings-Inſtumente, gar huͤbſch begleiten, ließ mir alte Bergmaͤhrchen von ihnen erzaͤhlen, und auch die Gebete herſagen, die ſie in Gemeinſchaft zu hal¬ ten pflegen, ehe ſie in den dunkeln Schacht hinun¬ ter ſteigen, und manches gute Gebet habe ich mit gebetet. Ein alter Steiger meinte ſogar, ich ſollte bey ihnen bleiben und Bergmann werden; und als ich dennoch Abſchied nahm, gab er mir einen Auftrag an ſeinen Bruder, der in der Naͤhe von Goslar wohnt, und viele Kuͤſſe fuͤr ſeine liebe Nichte.

So ſtillſtehend ruhig auch das Leben dieſer Leute erſcheint, ſo iſt es dennoch ein wahrhaftes, lebendi¬ ges Leben. Die ſteinalte, zitternde Frau, die, dem152 großen Schranke gegenuͤber, hinter'm Ofen ſaß, mag dort ſchon ein Viertel-Jahrhundert lang geſeſſen ha¬ ben, und ihr Denken und Fuͤhlen iſt gewiß innig verwachſen mit allen Ecken dieſes Ofens und allen Schnitzeleien dieſes Schrankes. Und Schrank und Öfen leben, denn ein Menſch hat ihnen einen Theil ſeiner Seele eingefloͤßt.

Nur durch ſolch tiefes Anſchauungsleben, durch die Unmittelbarkeit entſtand die deutſche Maͤhr¬ chen-Fabel, deren Eigenthuͤmlichkeit darin beſteht, daß nicht nur die Thiere und Pflanzen, ſondern auch ganz leblos ſcheinende Gegenſtaͤnde ſprechen und handeln. Sinnigem, harmloſen Volke, in der ſtil¬ len, umfriedeten Heimlichkeit ſeiner niedern Berg¬ oder Waldhuͤtten offenbarte ſich das innere Leben ſolcher Gegenſtaͤnde, dieſe gewannen einen nothwen¬ digen, conſequenten Charakter, eine ſuͤße Miſchung von phantaſtiſcher Laune und rein menſchlicher Geſinnung; und ſo ſehen wir im Maͤhrchen, wun¬ derbar und doch als wenn es ſich von ſelbſt ver¬ ſtaͤnde: Naͤhnadel und Stecknadel kommen von153 der Schneider-Herberge und verirren ſich im Dun¬ keln; Strohhalm und Kohle wollen uͤber den Bach ſetzen und verungluͤcken; Schippe und Beſen ſtehen auf der Treppe und zanken und ſchmeißen ſich; der befragte Spiegel zeigt das Bild der ſchoͤnſten Frau; ſogar die Blutstropfen fangen an zu ſprechen, bange, dunkle Worte des beſorglichſten Mitleids. Aus demſelben Grunde iſt unſer Leben in der Kindheit ſo unendlich bedeutend, in jener Zeit iſt uns Alles gleich wichtig, wir hoͤren Alles, wir ſehen Alles, bey allen Eindruͤcken iſt Gleichmaͤßigkeit, ſtatt daß wir ſpaͤterhin abſichtlicher werden, uns mit dem Einzelnen ausſchließlicher beſchaͤftigen, das klare Gold der Anſchauung fuͤr das Papiergeld der Buͤ¬ cher-Definitionen muͤhſam einwechſeln, und an Le¬ bensbreite gewinnen, was wir an Lebenstiefe ver¬ lieren. Jetzt ſind wir ausgewachſene, vornehme Leute; wir beziehen oft neue Wohnungen, die Magd raͤumt taͤglich auf, und veraͤndert nach Gutduͤnken die Stellung der Moͤbeln, die uns wenig intereſſi¬ ren, da ſie entweder neu ſind, oder heute dem154 Hans, morgen dem Iſaak gehoͤren; ſelbſt unſere Kleider bleiben uns fremd, wir wiſſen kaum, wie viel Knoͤpfe an dem Rocke ſitzen, den wir eben jetzt auf dem Leibe tragen; wir wechſeln ja ſo oft als moͤglich mit Kleidungsſtuͤcken, keines derſelben bleibt im Zuſammenhange mit unſerer inneren und aͤuße¬ ren Geſchichte; kaum vermoͤgen wir uns zu er¬ innern, wie jene braune Weſte ausſah, die uns einſt ſo viel Gelaͤchter zugezogen hat, und auf deren breiten Streifen dennoch die liebe Hand der Ge¬ liebten ſo lieblich ruhte!

Die alte Frau, dem großen Schrank gegenuͤber, hinter'm Ofen, trug einen gebluͤmten Rock von verſchollenem Zeuge, das Brautkleid ihrer ſeligen Mutter. Ihr Urenkel, ein als Bergmann geklei¬ deter, blonder, blitzaͤugiger Knabe, ſaß zu ihren Fuͤßen und zaͤhlte die Blumen ihres Rockes, und ſie mag ihm von dieſem Rocke wohl ſchon viele Geſchichten erzaͤhlt haben, viele ernſthafte, huͤbſche Geſchichten, die der Junge gewiß nicht ſo bald vergißt, die ihm noch oft vorſchweben werden,155 wenn er bald, als ein erwachſener Mann, in den naͤchtlichen Stollen der Carolina einſam arbeitet, und die er vielleicht wieder erzaͤhlt, wenn die liebe Großmutter laͤngſt todt iſt, und er ſelber, ein ſilber¬ haariger, erloſchener Greis, im Kreiſe ſeiner En¬ kel ſitzt, dem großen Schranke gegenuͤber, hin¬ ter'm Ofen.

Ich blieb die Nacht ebenfalls in der Krone, wo unterdeſſen auch der Hofrath B. aus Goͤttingen angekommen war. Ich hatte das Vergnuͤgen, dem alten Herrn meine Aufwartung zu machen; er ge¬ dachte ebenfalls den andern Tag nach Goslar zu reiſen. Als ich mich in's Fremdenbuch einſchrieb und im Monat Juli blaͤtterte, fand ich auch den vieltheuern Namen Adalbert von Chamiſſo, den Bio¬ graphen des unſterblichen Schlemiehl. Der Wirth erzaͤhlte mir: dieſer Herr ſey in einem unbeſchreib¬ bar ſchlechten Wetter angekommen, und in einem eben ſo ſchlechten Wetter wieder abgereiſt.

Den andern Morgen mußte ich meinen Ranzen nochmals erleichtern, das eingepackte Paar Stie¬156 fel warf ich uͤber Bord, und ich hob auf meine Fuͤße und ging nach Goſlar. Ich kam dahin, ohne zu wiſſen wie. Nur ſo viel kann ich mich erin¬ nern: ich ſchlenderte wieder bergauf, bergab, ſchaute hinunter in manches huͤbſche Wieſenthal; ſilberne Waſſer brauſten, ſuͤße Waldvoͤgel zwitſcherten, die Heerdengloͤckchen laͤuteten, die mannigfaltig gruͤnen Baͤume wurden von der lieben Sonne goldig an¬ geſtrahlt, und oben war die blauſeidene Decke des Himmels ſo durchſichtig, daß man tief hinein ſchauen konnte, bis in's Allerheiligſte, wo die En¬ gel zu den Fuͤßen Gottes ſitzen, und in den Zuͤgen ſeines Antlitzes den Generalbaß ſtudieren. Ich aber lebte noch in dem Traum der vorigen Nacht, den ich nicht aus meiner Seele verſcheuchen konnte. Es war das alte Maͤhrchen, wie ein Ritter hinab ſteigt in einen tiefen Brunnen, wo unten die ſchoͤnſte Prinzeſſin zu einem ſtarren Zauberſchlafe verwuͤnſcht iſt. Ich ſelbſt war der Ritter, und der Brunnen die dunkle Clausthaler Grube, und ploͤtzlich erſchienen viele Lichter, aus allen Seiten¬157 loͤchern ſtuͤrzten die wachſamen Zwerglein, ſchnitten zornige Geſichter, hieben nach mir mit ihren kur¬ zen Schwerdtern, blieſen gellend in's Horn, daß immer mehr und mehre herzu eilten, und es wackelten entſetzlich ihre breiten Haͤupter. Wie ich darauf zuſchlug und das Blut heraus floß, merkte ich erſt, daß es die rothbluͤhenden, langbaͤrtigen Diſtelkoͤpfe waren, die ich den Tag vorher an der Landſtraße mit dem Stocke abgeſchlagen hatte. Da waren ſie auch gleich alle verſcheucht, und ich gelangte in einen hellen Prachtſaal; in der Mitte ſtand, weiß verſchleiert, und wie eine Bildſaͤule ſtarr und regungslos, die Herzgeliebte, und ich kuͤßte ihren Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fuͤhlte den beſeligenden Hauch ihrer Seele und das ſuͤße Be¬ ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hoͤrte ich, wie Gott rief: Es werde Licht! blendend ſchoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in demſelben Augenblick wurde es wieder Nacht, und Alles rann chaotiſch zuſammen in ein wildes, wuͤſtes Meer. Ein wildes, wuͤſtes Meer! uͤber das gaͤh¬158 rende Waſſer jagten aͤngſtlich die Geſpenſter der Verſtorbenen, ihre weißen Todtenhemde flatterten im Winde, hinter ihnen her, hetzend, mit klat¬ ſchender Peitſche, lief ein buntſcheckiger Harlequin, und dieſer war ich ſelbſt und ploͤtzlich, aus den dunkeln Wellen, reckten die Meerungethuͤme ihre mißgeſtalteten Haͤupter, und langten nach mir mit ausgebreiteten Krallen, und vor Entſetzen er¬ wacht 'ich.

Wie doch zuweilen die allerſchoͤnſten Maͤhrchen verdorben werden! Eigentlich muß der Ritter, wenn er die ſchlafende Prinzeſſin gefunden hat, ein Stuͤck aus ihrem koſtbaren Schleier heraus ſchnei¬ den; und wenn durch ſeine Kuͤhnheit ihr Zauber¬ ſchlaf gebrochen iſt, und ſie wieder in ihrem Pal¬ laſt auf dem goldenen Stuhle ſitzt, muß der Rit¬ ter zu ihr treten und ſprechen: Meine allerſchoͤnſte Prinzeſſin, kennſt du mich? Und dann antwortet ſie: Mein allertapferſter Ritter, ich kenne dich nicht. Und dieſer zeigt ihr alsdann das aus ihrem Schleyer heraus geſchnittene Stuͤck, das juſt in159 denſelben wieder hineinpaßt, und Beyde umarmen ſich zaͤrtlich, und die Trompeter blaſen, und die Hochzeit wird gefeiert.

Es iſt wirklich ein eigenes Mißgeſchick, daß meine Liebestraͤume ſelten ein ſo ſchoͤnes Ende nehmen.

Der Name Goslar klingt ſo erfreulich, und es knuͤpfen ſich daran ſo viele uralte Kaiſer-Erin¬ nerungen, daß ich eine impoſante, ſtattliche Stadt erwartete. Aber ſo geht es, wenn man die Be¬ ruͤhmten in der Naͤhe beſieht! Ich fand ein Neſt mit meiſtens ſchmalen, labyrinthiſch krummen Straßen, allwo mittendurch ein kleines Waſſer, wahrſcheinlich die Goſe, fließt, verfallen und dum¬ pfig, und ein Pflaſter, ſo holprig wie Berliner Hexameter. Nur die Alterthuͤmlichkeiten der Einfaſ¬ ſung, naͤmlich Reſte von Mauern, Thuͤrmen und Zin¬ nen, geben der Stadt etwas Pikantes. Einer die¬ ſer Thuͤrme, der Zwinger genannt, hat ſo dicke Mauern, daß ganze Gemaͤcher darin ausgehauen ſind. Der Platz vor der Stadt, wo der weitbe¬160 ruͤhmte Schuͤtzenhof gehalten wird, iſt eine ſchoͤne große Wieſe, ringsum hohe Berge. Der Markt iſt klein, in der Mitte ſteht ein Springbrunnen, deſſen Waſſer ſich in ein großes Metallbecken er¬ gießt. Bey Feuersbruͤnſten wird einige Mal daran geſchlagen; es giebt dann einen weitſchallenden Ton. Man weiß nichts vom Urſprunge dieſes Beckens. Einige ſagen, der Teufel habe es einſt, zur Nacht¬ zeit, dort auf den Markt hingeſtellt. Damals waren die Leute noch dumm, und der Teufel war auch dumm, und ſie machten ſich wechſelſeitig Ge¬ ſchenke.

Das Rathhaus zu Goslar iſt eine weißangeſtri¬ chene Wachtſtube. Das daneben ſtehende Gilden¬ haus hat ſchon ein beſſeres Anſehen. Ungefaͤhr von der Erde und vom Dach gleich weit entfernt ſtehen da die Standbilder deutſcher Kaiſer, raͤucherig ſchwarz und zum Theil vergoldet, in der einen Hand das Scepter, in der andern die Weltkugel; ſehen aus wie gebratene Univerſitaͤts-Pedelle. Einer die¬ ſer Kaiſer haͤlt ein Schwerdt, ſtatt des Scepters. 161Ich konnte nicht errathen, was dieſer Unterſchied ſagen ſoll; und es hat doch gewiß ſeine Bedeutung, da die Deutſchen die merkwuͤrdige Gewohnheit ha¬ ben, daß ſie bey Allem, was ſie thun, ſich auch etwas denken.

In Gottſchalk's Handbuch hatte ich von dem uralten Dom und von dem beruͤhmten Kaiſerſtuhl zu Goslar viel geleſen. Als ich aber Beides be¬ ſehen wollte, ſagte man mir: der Dom ſey nieder¬ geriſſen und der Kaiſerſtuhl nach Berlin gebracht worden. So wird einſt der Wanderer nach Europa kommen und vergebens nach Deutſchland fragen. Unſre lanzenkundigen Freunde werden es eingeſteckt und fortgeſchleppt haben, unter ihren hohen Saͤt¬ teln. Wir leben in einer bedeutungſchweren Zeit; tauſendjaͤhrige Dome werden abgebrochen, und Kai¬ ſerſtuͤhle in die Rumpelkammer geworfen.

Einige Merkwuͤrdigkeiten des ſeligen Doms ſind jetzt in der Stephanskirche aufgeſtellt. Glasmale¬ reien, die wunderſchoͤn ſind, einige ſchlechte Ge¬ maͤlde, worunter auch ein Lucas Cranach ſeyn ſoll,11162ferner ein hoͤlzener Chriſtus am Kreuz, und ein heid¬ niſcher Opfer-Altar aus unbekanntem Metall; er hat die Geſtalt einer laͤnglich viereckigen Lade, und wird von vier Caryatiden getragen, die, in geduck¬ ter Stellung, die Haͤnde ſtuͤtzend uͤber dem Kopfe halten, und unerfreulich haͤßliche Geſichter ſchnei¬ den. Indeſſen noch unerfreulicher iſt das dabeiſte¬ hende, ſchon erwaͤhnte, große hoͤlzerne Crucifix. Dieſer Chriſtuskopf, mit natuͤrlichen Haaren und Dornen und blutbeſchmiertem Geſichte, zeigt freilich hoͤchſt meiſterhaft das Hinſterben eines Menſchen, aber nicht eines gottgebornen Heilands. Nur das materielle Leiden iſt in dieſes Geſicht hinein ge¬ ſchnitzelt, nicht die Poeſie des Schmerzes. Solch Bild gehoͤrt eher in einen anatomiſchen Lehrſaal, als in ein Gotteshaus. Die kunſterfahrene Frau Kuͤſterin, die mich herum fuͤhrte, zeigte mir noch, als ganz beſondere Raritaͤt, ein vieleckiges, wohl¬ gehobeltes, ſchwarzes, mit weißen Zahlen bedecktes Stuͤck Holz, das ampelartig in der Mitte der Kirche haͤngt. O, wie glaͤnzend zeigt ſich hier der163 Erfindungsgeiſt in der proteſtantiſchen Kirche! Denn, wer ſollte dies denken! die Zahlen auf beſagtem Stuͤck Holze ſind die Pſalm-Nummern, welche gewoͤhnlich mit Kreide auf einer ſchwarzen Tafel verzeichnet werden, und auf den aͤſthetiſchen Sinn etwas nuͤch¬ tern wirken, aber jetzt, durch obige Erfindung, ſo¬ gar zur Zierde der Kirche dienen, und die ſo oft darin vermißten Raphaelſchen Bilder hinlaͤng¬ lich erſetzen. Solche Fortſchritte freuen mich un¬ endlich, da ich, der ich Proteſtant und zwar Luthe¬ raner bin, immer tief betruͤbt worden, wenn katho¬ liſche Gegner das leere, gottverlaſſene Anſehen pro¬ teſtantiſcher Kirchen beſpoͤtteln konnten.

Ich logirte in einem Gaſthofe nahe dem Markte, wo mir das Mittageſſen noch beſſer geſchmeckt ha¬ ben wuͤrde, haͤtte ſich nur nicht der Herr Wirth mit ſeinem langen, uͤberfluͤſſigen Geſichte und ſei¬ nen langweiligen Fragen zu mir hin geſetzt; gluͤck¬ licher Weiſe ward ich bald erloͤſt durch die Ankunft eines andern Reiſenden, der dieſelben Fragen in der¬ ſelben Ordnung aushalten mußte: quis? quid? ubi?164 quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? Dieſer Fremde war ein alter, muͤder, abgetragener Mann, der, wie aus ſeinen Reden hervorging, die ganze Welt durchwandert, beſonders lang auf Batavia gelebt, viel Geld erworben und wieder alles verlo¬ ren hatte, und jetzt, nach dreyzigjaͤhriger Abwe¬ ſenheit nach Quedlinburg, ſeiner Vaterſtadt, zu¬ ruͤckkehrte, denn ſetzte er hinzu, unſre Familie hat dort ihr Erbbegraͤbniß. Der Herr Wirth machte die ſehr aufgeklaͤrte Bemerkung: daß es doch fuͤr die Seele gleichguͤltig ſey, wo unſer Leib begraben wird. Haben Sie es ſchriftlich? ant¬ wortete der Fremde, und dabey zogen ſich unheim¬ lich ſchlaue Ringe um ſeine kuͤmmerlichen Lippen und verblichenen Aeugelein. Aber ſetzte er aͤngſt¬ lich beguͤtigend hinzu, ich will darum uͤber fremde Graͤber doch nichts boͤſes geſagt haben; die Tuͤr¬ ken begraben ihre Todten noch weit ſchoͤner als wir, ihre Kirchhoͤfe ſind ordentlich Gaͤrten, und da ſitzen ſie auf ihren weißen, beturbanten Grabſtei¬ nen, unter dem Schatten einer Zypreſſe, und ſtrei¬165 chen ihre ernſthaften Baͤrte, und rauchen ruhig ihren tuͤrkiſchen Tabak, aus ihren langen tuͤrkiſchen Pfeifen; und bey den Chineſen gar iſt es eine ordentliche Luſt zuzuſehen, wie ſie auf den Ruhe¬ ſtaͤtten ihrer Todten manierlich herumtaͤnzeln, und beten, und Thee trinken, und die Geige ſpielen, und die geliebten Graͤber gar huͤbſch zu verzieren wiſſen, mit allerley vergoldetem Lattenwerk, Porze¬ lan-Figuͤrchen, Fetzen von buntem Seidenzeug, kuͤnſtlichen Blumen, und farbigen Laternchen Al¬ les ſehr huͤbſch wie weit hab 'ich noch bis Qued¬ linburg?

Der Kirchhof in Goslar hat mich nicht ſehr angeſprochen. Deſto mehr aber jenes wunderſchoͤne Lockenkoͤpfchen, das bey meiner Ankunft in der Stadt aus einem etwas hohen Parterre-Fenſter laͤchelnd heraus ſchaute. Nach Tiſche ſuchte ich wieder das liebe Fenſter; aber jetzt ſtand dort nur ein Waſſerglas mit weißen Glockenbluͤmchen. Ich kletterte hinauf, nahm die artigen Bluͤmchen aus dem Glaſe, ſteckte ſie ruhig auf meine Muͤtze, und166 kuͤmmerte mich wenig um die aufgeſperrten Maͤuler, verſteinerten Naſen und Glotzaugen, womit die Leute auf der Straße, beſonders die alten Weiber, die¬ ſem qualifizirten Diebſtahle zuſahen. Als ich eine Stunde ſpaͤter an demſelben Hauſe vorbey ging, ſtand die Holde am Fenſter, und wie ſie die Glo¬ ckenbluͤmchen auf meiner Muͤtze gewahrte, wurde ſie blutroth und ſtuͤrzte zuruͤck. Ich hatte jetzt das ſchoͤne Antlitz noch genauer geſehen; es war eine ſuͤße, durchſichtige Verkoͤrperung von Sommer-Abend¬ hauch, Mondſchein, Nachtigallenlaut und Roſen¬ duft. Spaͤter, als es ganz dunkel geworden, trat ſie vor die Thuͤre. Ich kam ich naͤherte mich ſie zieht ſich langſam zuruͤck in den dunk¬ len Hausflur ich faſſe ſie bey der Hand und ſage: ich bin ein Liebhaber von ſchoͤnen Blumen und Kuͤſſen, und was man mir nicht freiwillig giebt, das ſtehle ich und ich kuͤßte ſie raſch und wie ſie entfliehen will, fluͤſtere ich beſchwichtigend: mor¬ gen reiſ 'ich fort und komme wohl nie wieder und ich fuͤhle den geheimen Wiederdruck der lieb¬167 lichen Lippen und der kleinen Haͤnde und lachend eile ich von hinnen. Ja, ich muß lachen, wenn ich bedenke, daß ich unbewußt jene Zauberformel ausgeſprochen, wodurch unſere Roth - und Blau¬ roͤcke, oͤfter als durch ihre ſchnurbaͤrtige Liebens¬ wuͤrdigkeit, die Herzen der Frauen bezwingen: Ich reiſe morgen fort, und komme wohl nie wieder!

Mein Logis gewaͤhrte eine herrliche Ausſicht nach dem Rammesberg. Es war ein ſchoͤner Abend. Die Nacht jagte auf ihrem ſchwarzen Roſſe, und die langen Maͤhnen flatterten im Winde. Ich ſtand am Fenſter[und] betrachtete den Mond. Giebt es wirklich einen Mann im Monde? Die Slaven ſagen, er heiße Clotar, und das Wachſen des Mon¬ des bewirke er durch Waſſer-Aufgießen. Als ich noch klein war, hatte ich gehoͤrt: Der Mond ſey eine Frucht, die, wenn ſie reif geworden, vom lie¬ ben Gott abgepfluͤckt, und, zu den uͤbrigen Voll¬ monden, in den großen Schrank gelegt werde, der am Ende der Welt ſteht, wo ſie mit Brettern zu¬ genagelt iſt. Als ich groͤßer wurde, bemerkte ich,168 daß die Welt nicht ſo eng begraͤnzt iſt, und daß der menſchliche Geiſt die hoͤlzernen Schranken durch¬ brochen, und mit einem rieſigen Petri-Schluͤſſel, mit der Idee der Unſterblichkeit, alle ſieben Him¬ mel aufgeſchloſſen hat. Unſterblichkeit! ſchoͤner Ge¬ danke! wer hat dich zuerſt erdacht? War es ein Nuͤrnberger Spießbuͤrger, der, mit weißer Nacht¬ muͤtze auf dem Kopfe und weißer Tonpfeife im Maule, am lauen Sommerabend vor ſeiner Haus¬ thuͤre ſaß, und recht behaglich meinte: es waͤre doch huͤbſch, wenn er nun ſo immer fort, ohne daß ſein Pfeifchen und ſein Lebensathemchen ausgingen, in die liebe Ewigkeit hineinvegetiren koͤnnte! Oder war es ein junger Liebender, der in den Armen ſei¬ ner Geliebten jenen Unſterblichkeits-Gedanken dachte, und ihn dachte, weil er ihn fuͤhlte, und weil er nichts anders fuͤhlen und denken konnte! Liebe! Unſterblichkeit! in meiner Bruſt ward es ploͤtzlich ſo heiß, daß ich glaubte, die Geographen haͤtten den Aequator verlegt, und er laufe jetzt grade durch mein Herz. Und aus meinem Herzen ergoſſen ſich169 die Gefuͤhle der Liebe, ergoſſen ſich ſehnſuͤchtig in die weite Nacht. Die Blumen im Garten unter meinem Fenſter dufteten ſtaͤrker. Duͤfte ſind die Gefuͤhle der Blumen, und wie das Menſchenherz, in der Nacht, wo es ſich einſam und unbelauſcht glaubt, ſtaͤrker fuͤhlt, ſo ſcheinen auch die Blumen, ſinnig verſchaͤmt, erſt die umhuͤllende Dunkelheit zu erwarten, um ſich gaͤnzlich ihren Gefuͤhlen hinzuge¬ ben, und ſie auszuhauchen in ſuͤßen Duͤften. Ergießt Euch, Ihr Duͤfte meines Herzens! und ſucht hinter jenen Bergen die Geliebte meiner Traͤume! Sie liegt jetzt ſchon und ſchlaͤft; zu ihren Fuͤßen knieen Engel, und wenn ſie im Schlafe laͤchelt, ſo iſt es ein Gebet, das die Engel nach¬ beten; in ihrer Bruſt liegt der Himmel mit allen ſeinen Seligkeiten, und wenn ſie athmet, ſo bebt mein Herz in der Ferne; hinter den ſeidnen Wim¬ pern ihrer Augen iſt die Sonne untergegangen, und wenn ſie die Augen wieder aufſchlaͤgt, ſo iſt es Tag, und die Voͤgel ſingen, und die Heerden¬ gloͤckchen laͤuten, und die Berge ſchimmern in ihren170 ſchmaragdnen Kleidern, und ich ſchnuͤre den Ran¬ zen und wandre.

In dieſen philoſophiſchen Betrachtungen und Privatgefuͤhlen uͤberraſchte mich der Beſuch des Hofrath B., der kurz vorher ebenfalls nach Goslar gekommen war. Zu keiner Stunde haͤtte ich die wohlwollende Gemuͤthlichkeit dieſes Mannes tiefer empfinden koͤnnen. Ich verehre ihn wegen ſeines ausgezeichneten, erfolgreichen Scharfſinns; noch mehr aber wegen ſeiner Beſcheidenheit. Ich fand ihn ungemein heiter, friſch und ruͤſtig. Daß er letzteres iſt, bewies er juͤngſt durch ſein neues Werk: Die Religion der Vernunft, ein Buch, das die Nationaliſten ſo ſehr entzuͤckt, die Myſtiker aͤrgert, und das große Publikum in Bewegung ſetzt. Ich ſelbſt bin zwar in dieſem Augenblick ein Myſtiker, meiner Geſundheit wegen, indem ich, nach der Vor¬ ſchrift meines Arztes, alle Anreizungen zum Den¬ ken vermeiden ſoll. Doch verkenne ich nicht den unſchaͤtzbaren Werth der rationaliſtiſchen Bemuͤhun¬ gen eines Paulus, Gurlitt, Krug, Eichhorn, Bou¬171 terwek, Wegſcheider, u. ſ. w. Zufaͤllig iſt es mir ſelbſt hoͤchſt erſprießlich, daß dieſe Leute ſo manches verjaͤhrte Uebel fortraͤumen, beſonders den alten Kirchenſchutt, worunter ſo viele Schlangen und boͤſe Duͤnſte. Die Luft wird in Deutſchland zu dick und auch zu heiß, und oft fuͤrchte ich zu erſticken, oder von meinen geliebten Mitmyſtikern, in ihrer Liebeshitze, erwuͤrgt zu werden. Drum will ich auch den guten Rationaliſten nichts weniger als boͤſe ſeyn, wenn ſie die Luft etwas gar zu ſehr verduͤnnen und etwas gar zu ſehr abkuͤhlen. Im Grunde hat ja die Natur ſelbſt dem Nationalismus ſeine Gren¬ zen geſteckt; unter der Luftpumpe und am Nordpol kann der Menſch es nicht aushalten.

In jener Nacht, die ich in Goslar zubrachte, iſt mir etwas hoͤchſt Seltſames begegnet. Noch immer kann ich nicht ohne Angſt daran zuruͤck denken. Ich bin von Natur nicht aͤngſtlich, und Gott weiß, daß ich niemals eine ſonderliche Beklemmung em¬ pfunden habe, wenn z. B. eine blanke Klinge mit meiner Naſe Bekanntſchaft zu machen ſuchte, oder172 wenn ich mich des Nachts in einem verrufenen Walde verirrte, oder wenn mich im Conzert ein gaͤhnender Lieutenant zu verſchlingen drohte aber vor Geiſtern fuͤrchte ich mich faſt ſo ſehr wie der Oeſtreichiſche Beobachter. Was iſt Furcht? Kommt ſie aus dem Verſtande oder aus dem Ge¬ muͤth? Ueber dieſe Frage diſputirte ich ſo oft mit dem Doctor Saul Aſcher, wenn wir zu Berlin, im Café royal, wo ich lange Zeit meinen Mittags¬ tiſch hatte, zufaͤllig zuſammen trafen. Er behaup¬ tete immer: wir fuͤrchten etwas, weil wir es durch Vernunftſchluͤſſe fuͤr furchtbar erkennen. Nur die Vernunft ſey eine Kraft, nicht das Gemuͤth. Waͤh¬ rend ich gut und gut trank, demonſtrirte er mir fortwaͤhrend die Vorzuͤge der Vernunft. Gegen das Ende ſeiner Demonſtration pflegte er nach ſeiner Uhr zu ſehen, und immer ſchloß er damit: Die Vernunft iſt das hoͤchſte Prinzip! Ver¬ nunft! Wenn ich jetzt dieſes Wort hoͤre, ſo ſehe ich noch immer den Doctor Saul Aſcher mit ſei¬ nen abſtrakten Beinen, mit ſeinem engen, trans¬173 cendentalgrauen Leibrock, und mit ſeinem ſchroffen, frierend kalten Geſichte, das einem Lehrbuche der Geometrie als Kupfertafel dienen konnte. Dieſer Mann, tief in den Funfzigern, war eine perſonifi¬ zirte grade Linie, und bildete dadurch einen Gegen¬ ſatz zu mir, der ich damals nur in der Hogarth¬ ſchen Wellenlinie lebte. In ſeinem Streben nach dem Poſitiven, hatte der arme Mann ſich alles Herr¬ liche aus dem Leben heraus philoſophirt, alle Son¬ nenſtrahlen, allen Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm nichts uͤbrig, als das kalte, poſitive Grab. Auf den Apoll vom Belvedere und auf das Chriſtenthum hatte er eine ſpezielle Malice. Ge¬ gen letzteres ſchrieb er ſogar eine Broſchuͤre, worin er deſſen Unvernuͤnftigkeit und Unhaltbarkeit bewies. Er hat uͤberhaupt eine ganze Menge Buͤcher[ge¬ ſchrieben], worin immer die Vernunft von ihrer eige¬ nen Vortrefflichkeit renommirt, und wobey es der arme Doctor gewiß ernſthaft genug meinte, und alſo in dieſer Hinſicht alle Achtung verdiente. Da¬ rin aber beſtand ja eben der Hauptſpaß, daß er ein174 ſo ernſthaft naͤrriſches Geſicht ſchnitt, wenn er das¬ jenige nicht begreifen konnte, was jedes Kind be¬ greift, eben weil es ein Kind iſt. Einige Mal beſuchte ich auch den Vernunft-Doctor in ſeinem eigenen Hauſe, wo ich ſchoͤne Maͤdchen bey ihm fand; denn die Vernunft verbietet nicht die Sinn¬ lichkeit. Als ich ihn einſt ebenfalls beſuchen wollte, ſagte mir ſein Bedienter: der Herr Doctor iſt eben geſtorben. Ich fuͤhlte nicht viel mehr dabey, als wenn er geſagt haͤtte: der Herr Doctor iſt ausge¬ zogen.

Doch zuruͤck nach Goslar. Das hoͤchſte Prin¬ zip iſt die Vernunft! ſagte ich beſchwichtigend zu mir ſelbſt, als ich in's Bett ſtieg. Indeſſen, es half nicht. Ich hatte eben in Varnhagen von Enſe's deutſche Erzaͤhlungen, die ich von Claus¬ thal mitgenommen hatte, jene entſetzliche Geſchichte geleſen, wie der Sohn, den ſein eigener Vater er¬ morden wollte, in der Nacht von dem Geiſte ſei¬ ner todten Mutter gewarnt wird. Die wunder¬ bare Darſtellung dieſer Geſchichte bewirkte, daß175 mich waͤhrend des Leſens ein inneres Grauen durch¬ froͤſtelte. Auch erregen Geſpenſter-Erzaͤhlungen ein noch ſchauerlicheres Gefuͤhl, wenn man ſie auf der Reiſe lieſt, und zumal des Nachts, in einer Stadt, in einem Hauſe, in einem Zimmer, wo man noch nie geweſen. Wie viel Graͤßliches mag ſich ſchon zugetragen haben auf dieſem Flecke, wo du eben liegſt? ſo denkt man unwillkuͤhrlich. Ueberdies ſchien jetzt der Mond ſo zweideutig in's Zimmer herein, an der Wand bewegten ſich allerley unberufene Schatten, und als ich mich im Bette aufrichtete, um hin zu ſehen, erblickte ich

Es giebt nichts Unheimlicheres, als wenn man, bey Mondſchein, das eigne Geſicht zufaͤllig im Spiegel ſieht. In demſelben Augenblick ſchlug eine ſchwerfaͤllige, gaͤhnende Glocke, und zwar ſo lang und langſam, daß ich nach dem zwoͤlften Glockenſchlage ſicher glaubte, es ſeyen unterdeſſen volle vier und zwanzig Stunden verfloſſen, und es muͤßte wieder von vorn anfangen zwoͤlf zu ſchlagen. Zwiſchen dem vorletzten und letzten176 Glockenſchlage ſchlug noch eine andere Uhr, ſehr raſch, faſt keifend gell, und vielleicht aͤrgerlich uͤber die Langſamkeit ihrer Frau Gevatterin. Als beide eiſerne Zungen ſchwiegen, und tiefe Todesſtille im ganzen Hauſe herrſchte, war es mir ploͤtzlich, als hoͤrte ich auf dem Corridor, vor meinem Zimmer, etwas ſchlottern und ſchlappen, wie der unſichere Gang eines alten Mannes. Endlich oͤffnete ſich meine Thuͤre, und langſam trat herein der verſtor¬ bene Doctor Saul Aſcher. Ein kaltes Fieber rie¬ ſelte mir durch Mark und Bein, ich zitterte wie Eſpenlaub, und kaum wagte ich das Geſpenſt an¬ zuſehen. Er ſah aus wie ſonſt, derſelbe trans¬ cendentalgraue Leibrock, dieſelben abſtrakten Beine, und daſſelbe mathematiſche Geſicht; nur war dieſes jetzt etwas gelblicher als ſonſt, auch der Mund, der ſonſt zwei Winkel von 22½ Grad bildete, war zuſammengekniffen, und die Augenkreiſe hatten einen groͤßeren Radius. Schwankend, und wie ſonſt ſich auf ſein ſpaniſches Roͤhrchen ſtuͤtzend, naͤherte er ſich mir, und in ſeinem gewoͤhnlichen177 mundfaulen Dialekte ſprach er freundlich: Fuͤrch¬ ten Sie ſich nicht, und glauben Sie nicht, daß ich ein Geſpenſt ſey. Es iſt Taͤuſchung Ihrer Phantaſie, wenn Sie mich als Geſpenſt zu ſehen glauben. Was iſt ein Geſpenſt? Geben Sie mir eine Definition? Deduziren Sie mir die Bedin¬ gungen der Moͤglichkeit eines Geſpenſtes? In welchem vernuͤnftigen Zuſammenhange ſtaͤnde eine ſolche Erſcheinung mit der Vernunft? Die Ver¬ nunft, ich ſage die Vernunft Und nun ſchritt das Geſpenſt zu einer Analyſe der Vernunft, citirte Kant's Kritik der reinen Vernunft 2ten Theil, 1ſter[A]bſchnitt, 2tes Buch, 3tes Hauptſtuͤck, die Unter¬ ſch[e]idung von Phaͤnomena und Noumena, conſtru¬ irte[a]lsdann den problematiſchen Geſpenſterglauben, ſetzte einen Syllogismus auf den andern, und ſchloß mit dem l[o]giſchen Beweiſe: daß es durchaus keine Geiſter gie[b]t. Mir unterdeſſen lief der kalte Schweiß uͤber den Ruͤcken, meine Zaͤhne klapperten wie Kaſtanietten, aus Seelenangſt nickte ich unbe¬ dingte Zuſtimmung bei jedem Satz, womit der12178ſpukende Doctor die Abſurditaͤt aller Geſpenſterfurcht bewies, und derſelbe demonſtrirte ſo eifrig, daß er einmal in der Zerſtreuung, ſtatt ſeiner golde¬ nen Uhr, eine Hand voll Wuͤrmer aus der Uhr¬ taſche zog, und ſeinen Irrthum bemerkend, mit poſſirlich aͤngſtlicher Haſtigkeit wieder einſteckte. Die Vernunft iſt das hoͤchſte da ſchlug die Glocke Eins und das Geſpenſt verſchwand.

Von Goslar ging ich den andern Morgen wei¬ ter, halb auf Gerathewohl, halb in der Abſicht, den Bruder des Clausthaler Bergmanns aufzu¬ ſuchen. Wieder ſchoͤnes, liebes Sonntagswetter. Ich beſtieg Huͤgel und Berge, betrachtete wie[d]ie Sonne den Nebel zu verſcheuchen ſuchte, wan[d]erte freudig durch die ſchauernden Waͤlder,[und]um mein traͤumendes Haupt klingelten die Glocken¬ bluͤmchen von Goslar. In ihren we[i]ßen Nacht¬ maͤnteln ſtanden die Berge, die Tan[n]en ruͤttelten ſich den Schlaf aus den Gliedern, d[e]r friſche Mor¬ genwind friſirte ihnen die herabhaͤngenden, gruͤnen Haare, die Voͤglein hielten Betſtunde, das Wie¬179 ſenthal blitzte wie eine diamantenbeſaͤete Golddecke, und der Hirt ſchritt daruͤber hin mit ſeiner laͤuten¬ den Heerde. Ich mochte mich wohl eigentlich ver¬ irrt haben. Man ſchlaͤgt immer Seitenwege und Fußſteige ein, und glaubt dadurch naͤher zum Ziele zu gelangen. Wie im Leben uͤberhaupt, geht's uns auch auf dem Harze. Aber es giebt immer gute Seelen, die uns wieder auf den rechten Weg brin¬ gen; ſie thun es gern, und finden noch obendrein ein beſonderes Vergnuͤgen daran, wenn ſie uns mit ſelbſtgefaͤlliger Miene und wohlwollend lauter Stimme bedeuten: welche große Umwege wir ge¬ macht, in welche Abgruͤnde und Suͤmpfe wir ver¬ ſinken konnten, und welch ein Gluͤck es ſey, daß wir ſo wegkundige Leute, wie ſie ſind, noch zeitig angetroffen. Einen ſolchen Berichtiger fand ich unweit der Harzburg. Es war ein wohlgenaͤhrter Buͤrger von Goslar, ein glaͤnzend wampiges, dummkluges Geſicht; er ſah aus, als habe er die Viehſeuche erfunden. Wir gingen eine Strecke zuſammen, und er erzaͤhlte mir allerlei180 Spukgeſchichten, die huͤbſch klingen konnten, wenn ſie nicht alle darauf hinaus liefen, daß es doch kein wirklicher Spuk geweſen, ſondern, daß die weiße Geſtalt ein Wilddieb war, und daß die wimmern¬ den Stimmen von den eben geworfenen Jungen einer Bache (wilden Sau), und das Geraͤuſch auf dem Boden von der Hauskatze herruͤhrte. Nur wenn der Menſch krank iſt, ſetzte er hinzu, glaubt er Geſpenſter zu ſehen; was aber ſeine Wenigkeit anbelange, ſo ſey er ſelten krank, nur zuweilen leide er an Hautuͤbeln, und dann kurire er ſich jedesmal mit nuͤchternem Speichel. Er machte mich auch aufmerkſam auf die Zweckmaͤßigkeit und Nuͤtzlichkeit in der Natur. Die Baͤume ſind gruͤn, weil gruͤn gut fuͤr die Augen iſt. Ich gab ihm Recht, und fuͤgte hinzu: daß Gott das Rindvieh erſchaffen, weil Fleiſchſuppen den Menſchen ſtaͤrken, daß er die Eſel erſchaffen, damit ſie dem Menſchen zu Vergleichungen dienen koͤnnen, und daß er den Menſchen ſelbſt erſchaffen, damit er Fleiſchſuppen eſſen und kein Eſel ſeyn ſoll. Mein Begleiter war181 entzuͤckt einen Gleichgeſtimmten gefunden zu ha¬ ben, ſein Antlitz erglaͤnzte noch freudiger, und bey dem Abſchiede war er geruͤhrt.

So lange er neben mir ging, war gleichſam die ganze Natur entzaubert, ſobald er aber fort war fingen die Baͤume wieder an zu ſprechen, und die Sonnenſtrahlen erklangen, und die Wieſenbluͤm¬ chen tanzten, und der blaue Himmel umarmte die gruͤne Erde. Ja, ich weiß es beſſer; Gott hat den Menſchen erſchaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder Autor, und ſey er noch ſo groß, wuͤnſcht, daß ſein Werk gelobt werde. Und in der Bibel, den Memoiren Gottes, ſteht ausdruͤcklich: daß er die Menſchen erſchaffen zu ſei¬ nem Ruhm und Preis.

Nach einem langen Hin - und Herwandern ge¬ langte ich zu der Wohnung des Bruders meines Clausthaler Freundes, uͤbernachtete alldort, und er¬ lebte folgendes ſchoͤne Gedicht:

182
I.
Auf dem Berge ſteht die Huͤtte,
Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauſcht die gruͤne Tanne,
Und erglaͤnzt der gold'ne Mond.
In der Huͤtte ſteht ein Lehnſtuhl,
Reich geſchnitzt und wunderlich,
Der darauf ſitzt, der iſt gluͤcklich,
Und der Gluͤckliche bin Ich!
Auf dem Schemel ſitzt die Kleine,
Stuͤtzt den Arm auf meinen Schooß;
Aeuglein wie zwey blaue Sterne,
Muͤndlein wie die Purpurroſ '.
Und die lieben, blauen Sterne
Schau'n mich an ſo himmelgroß,
Und ſie legt den Liljenfinger
Schalkhaft auf die Purpurroſ '.
183
Nein, es ſieht uns nicht die Mutter,
Denn ſie ſpinnt mit großem Fleiß,
Und der Vater ſpielt die Zitter,
Und er ſingt die alte Weiſ '.
Und die Kleine fluͤſtert leiſe
Leiſe, mit gedaͤmpftem Laut;
Manches wichtige Geheimniß
Hat ſie mir ſchon anvertraut.
Aber ſeit die Muhme todt iſt,
Koͤnnen wir ja nicht mehr geh'n
Nach dem Schuͤtzenhof zu Goslar,
Und dort iſt es gar zu ſchoͤn.
Hier dagegen iſt es einſam,
Auf der kalten Bergeshoͤh ',
Und des Winters ſind wir gaͤnzlich
Wie vergraben in dem Schnee.
Und ich bin ein banges Maͤdchen,
Und ich fuͤrcht 'mich wie ein Kind
Vor den boͤſen Bergesgeiſtern,
Die des Nachts geſchaͤftig ſind.
184
Ploͤtzlich ſchweigt die liebe Kleine,
Wie vom eig'nen Wort erſchreckt,
Und ſie hat mit beyden Haͤndchen
Ihre Aeugelein bedeckt.
Lauter rauſcht die Tanne draußen,
Und das Spinnrad ſchnarrt und brummt,
Und die Zitter klingt dazwiſchen,
Und die alte Weiſe ſummt:
Fuͤrcht 'dich nicht, du liebes Kindchen,
Vor der boͤſen Geiſter Macht;
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
Halten Englein bey dir Wacht!
II.
Tannenbaum, mit gruͤnen Fingern,
Pocht an's nied're Fenſterlein,
Und der Mond, der gelbe Lauſcher,
Wirft ſein ſuͤßes Licht herein.
185
Vater, Mutter ſchnarchen leiſe
In dem nahen Schlafgemach,
Doch wir Beyde, ſelig ſchwatzend,
Halten uns einander wach.
Daß du gar zu oft gebetet,
Das zu glauben wird mir ſchwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.
Jenes boͤſe, kalte Zucken,
Das erſchreckt mich jedesmal,
Doch die dunkle Angſt beſchwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.
Auch bezweifl 'ich, daß du glaubeſt,
Was ſo rechter Glauben heißt,
Glaubſt wohl nicht an Gott den Vater,
An den Sohn und heil'gen Geiſt?
Ach, mein Kindchen, ſchon als Knabe,
Als ich ſaß auf Mutters Schooß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;
186
Der die ſchoͤne Erd 'erſchaffen,
Und die ſchoͤnen Menſchen d'rauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen,
Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als ich groͤßer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich ſchon,
Und begriff, und ward vernuͤnftig,
Und ich glaub 'auch an den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebraͤuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachſen,
Viel geleſen, viel gereiſt,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen
Glaub 'ich an den heil'gen Geiſt.
Dieſer that die groͤßten Wunder,
Und viel groͤß're thut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.
187
Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menſchen, gleichgeboren,
Sind ein adliches Geſchlecht.
Er verſcheucht die boͤſen Nebel,
Und das dunkle Hirngeſpinſt,
Das uns Lieb 'und Luſt verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinzt.
Tauſend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heil'ge Geiſt erwaͤhlt,
Seinen Willen zu erfuͤllen,
Und er hat ſie muthbeſeelt.
Ihre theuern Schwerdter blitzen,
Ihre guten Banner weh'n!
Ey, du moͤchteſt wohl, mein Kindchen,
Solche ſtolze Ritter ſeh'n?
Nun, ſo ſchau 'mich an, mein Kindchen,
Kuͤſſe mich und ſchaue dreiſt;
Denn ich ſelber bin ein ſolcher
Ritter von dem heil'gen Geiſt.
188
III.
Still verſteckt der Mond ſich draußen
Hinter'm gruͤnen Tannenbaum,
Und im Zimmer unſre Lampe
Flackert matt und leuchtet kaum.
Aber meine blauen Sterne
Strahlen auf in heller'm Licht,
Und es gluͤhn die Purpurroͤslein,
Und das liebe Maͤdchen ſpricht:
Kleines Voͤlkchen, Wichtelmaͤnnchen,
Stehlen unſer Brod und Speck,
Abends liegt es noch im Kaſten,
Und des Morgens iſt es weg.
Kleines Voͤlkchen, unſre Sahne
Naſcht es von der Milch, und laͤßt
Unbedeckt die Schuͤſſel ſtehen,
Und die Katze ſaͤuft den Reſt.
189
Und die Katz 'iſt eine Hexe,
Denn ſie ſchleicht, bey Nacht und Sturm,
Druͤben nach dem Geiſterberge,
Nach dem altverfall'nen Thurm.
Dort hat einſt ein Schloß geſtanden,
Voller Luſt und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Frau'n und Knappen
Schwangen ſich im Fackeltanz.
Da verwuͤnſchte Schloß und Leute
Eine boͤſe Zauberin,
Nur die Truͤmmer blieben ſtehen,
Und die Eulen niſten d'rin.
Doch die ſel'ge Muhme ſagte:
Wenn man ſpricht das rechte Wort,
Naͤchtlich zu der rechten Stunde,
Druͤben an dem rechten Ort;
So verwandeln ſich die Truͤmmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder luſtig
Ritter, Frau'n und Knappentroß;
190
Und wer jenes Wort geſprochen,
Dem gehoͤren Schloß und Leut ',
Pauken und Trompeten huld'gen
Seiner jungen Herrlichkeit.
Alſo bluͤhen Maͤhrchenbilder
Aus des Mundes Roͤſelein,
Und die Augen gießen druͤber
Ihren blauen Sternenſchein.
Ihre gold'nen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Haͤnd ',
Giebt den Fingern huͤbſche Namen,
Lacht und kuͤßt, und ſchweigt am End'.
Und im ſtillen Zimmer Alles
Blickt mich an ſo wohlvertraut;
Tiſch und Schrank, mir iſt als haͤtt 'ich
Sie ſchon fruͤher mal geſchaut.
Freundlich ernſthaft ſchwatzt die Wanduhr,
Und die Zitter, hoͤrbar kaum,
Faͤngt von ſelber an zu klingen,
Und ich ſitze wie im Traum.
191
Jetzo iſt die rechte Stunde,
Und es iſt der rechte Ort;
Staunen wuͤrdeſt du, mein Kindchen,
Spraͤch 'ich aus das rechte Wort.
Sprech 'ich jenes Wort, ſo daͤmmert
Und erbebt die Mitternacht,
Bach und Tannen brauſen lauter,
Und der alte Berg erwacht.
Zitterklang und Zwergenlieder
Toͤnen aus des Berges Spalt,
Und es ſprießt, wie'n toller Fruͤhling,
D'raus hervor ein Blumenwald;
Blumen, kuͤhne Wunderblumen,
Blaͤtter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und haſtig regſam,
Wie gedraͤngt von Leidenſchaft.
Roſen, wild wie rothe Flammen,
Spruͤh'n aus dem Gewuͤhl hervor;
Liljen, wie kryſtall'ne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.
192
Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schau'n herab mit Sehnſuchtgluth;
In der Liljen Rieſenkelche
Stroͤmet ihre Strahlenfluth.
Doch wir ſelber, ſuͤßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern luſtig um uns her.
Du, du wurdeſt zur Prinzeſſin,
Dieſe Huͤtte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen
Ritter, Frau'n und Knappentroß.
Aber Ich, ich hab 'erworben
Dich und Alles, Schloß und Leut';
Pauken und Trompeten huld'gen
Meiner jungen Herrlichkeit!
193

Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Geſpenſter bey'm dritten Hahnenſchrey. Ich ſtieg wieder bergauf und bergab, und vor mir ſchwebte die ſchoͤne Sonne, immer neue Schoͤnheiten be¬ leuchtend. Der Geiſt des Gebirges beguͤnſtigte mich ganz offenbar: er wußte wohl, daß ſo ein Dichter¬ menſch viel Huͤbſches wiedererzaͤhlen kann, und er ließ mich dieſen Morgen ſeinen Harz ſehen, wie ihn gewiß nicht Jeder ſah. Aber auch mich ſah der Harz, wie mich nur Wenige geſehen; in meinen Augenwimpern flimmerten eben ſo koſt¬ bare Perlen, wie in den Graͤſern des Thals. Mor¬ genthau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauſchenden Tannen verſtanden mich, ihre Zweige thaten ſich von einander, bewegten ſich herauf und herab, gleich ſtummen Menſchen, die mit den Haͤn¬ den ihre Freude bezeigen, und in der Ferne klang's wunderbar geheimnißvoll, wie Glockengelaͤute einer verlornen Waldkirche. Man ſagt, das ſeyen die Heerdengloͤckchen, die im Harz ſo lieblich, klar und rein geſtimmt ſind.

13194

Nach dem Stand der Sonne war es Mit¬ tag, als ich auf eine ſolche Heerde ſtieß, und der Hirt, ein freundlich blonder junger Menſch, ſagte mir: der große Berg, an deſſen Fuß ich ſtaͤnde, ſey der alte, weltberuͤhmte Brocken. Viele Stun¬ den ringsum liegt kein Haus, und ich war froh genug, daß mich der junge Menſch einlud, mit ihm zu eſſen. Wir ſetzten uns nieder zu einem Dejeuner dinatoire, das aus Kaͤſe und Brod be¬ ſtand; die Schaͤfchen erhaſchten die Krumen, die lieben, blanken Kuͤhlein ſprangen um uns herum, und klingelten ſchelmiſch mit ihren Gloͤckchen, und lachten uns an mit ihren großen, vergnuͤgten Au¬ gen. Wir tafelten recht koͤniglich; uͤberhaupt ſchien mir mein Wirth ein echter Koͤnig, und weil er bis jetzt der einzige Koͤnig iſt, der mir Brod gege¬ ben hat, ſo will ich ihn auch koͤniglich beſingen.

Koͤnig iſt der Hirtenknabe,
Gruͤner Huͤgel iſt ſein Thron,
Ueber ſeinem Haupt die Sonne
Iſt die ſchwere, gold'ne Kron '.
195
Ihm zu Fuͤßen liegen Schafe,
Weiche Schmeichler, rothbekreuzt;
Cavaliere ſind die Kaͤlber,
Und ſie wandeln ſtolz geſpreizt.
Hofſchauſpieler ſind die Boͤcklein,
Und die Voͤgel und die Kuͤh ',
Mit den Floͤten, mit den Gloͤcklein,
Sind die Kammermuſizi.
Und das klingt und ſingt ſo lieblich,
Und ſo lieblich rauſchen d'rein
Waſſerfall und Tannenbaͤume,
Und der Koͤnig ſchlummert ein.
Unterdeſſen muß regieren
Der Miniſter, jener Hund,
Deſſen knurriges Gebelle
Wiederhallet in der Rund '.
Schlaͤfrig lallt der junge Koͤnig:
Das Regieren iſt ſo ſchwer,
Ach, ich wollt ', daß ich zu Hauſe
Schon bey meiner Koͤn'gin waͤr'!
196
In den Armen meiner Koͤn'gin
Ruht mein Koͤnigshaupt ſo weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!

Wir nahmen freundſchaftlich Abſchied, und froͤh¬ lich ſtieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, fuͤr die ich, in jeder Hinſicht, Reſpekt habe. Dieſen Baͤumen iſt naͤmlich das Wachſen nicht ſo ganz leicht ge¬ macht worden, und ſie haben es ſich in der Ju¬ gend ſauer werden laſſen. Der Berg iſt hier mit vielen großen Granitbloͤcken uͤberſaͤet, und die meiſten Baͤume mußten mit ihren Wurzeln dieſe Steine umranken oder ſprengen, und muͤhſam den Boden ſuchen, woraus ſie Nahrung ſchoͤpfen koͤnnen. Hier und da liegen die Steine, gleich¬ ſam ein Thor bildend, uͤber einander, und oben darauf ſtehen die Baͤume, die nackten Wurzeln uͤber jene Steinpforte hinziehend, und erſt am Fuße derſelben den Boden erfaſſend, ſo daß ſie in der197 freien Luft zu wachſen ſcheinen. Und doch haben ſie ſich zu jener gewaltigen Hoͤhe empor geſchwun¬ gen, und, mit den umklammerten Steinen wie zu¬ ſammengewachſen, ſtehen ſie feſter als ihre beque¬ men Collegen im zahmen Forſtboden des flachen Lan¬ des. So ſtehen auch im Leben jene großen Maͤn¬ ner, die durch das Ueberwinden fruͤher Hemmun¬ gen und Hinderniſſe ſich erſt recht geſtaͤrkt und be¬ feſtigt haben. Auf den Zweigen der Tannen klet¬ terten Eichhoͤrnchen und unter denſelben ſpazier¬ ten die gelben Hirſche. Wenn ich ſolch ein lie¬ bes, edles Thier ſehe, ſo kann ich nicht begrei¬ fen, wie gebildete Leute Vergnuͤgen daran finden, es zu hetzen und zu toͤdten. Solch ein Thier war barmherziger als die Menſchen, und ſaͤugte den ſchmachtenden Schmerzenreich der heiligen Genovefa.

Allerliebſt ſchoſſen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte Tannengruͤn. Eine natuͤrliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Ueberall ſchwel¬ lende Moosbaͤnke; denn die Steine ſind fußhoch198 von den ſchoͤnſten Moosarten, wie mit hellgruͤnen Sammetpolſtern, bewachſen. Liebliche Kuͤhle und traͤumeriſches Quellengemurmel. Hier und da ſieht man, wie das Waſſer unter den Steinen ſilberhell hinrieſelt und die nackten Baumwurzeln und Faſern beſpuͤlt. Wenn man ſich nach dieſem Treiben hinab beugt, ſo belauſcht man gleichſam die geheime Bil¬ dungsgeſchichte der Pflanzen und das ruhige Herz¬ klopfen des Berges. An manchen Orten ſprudelt das Waſſer aus den Steinen und Wurzeln ſtaͤrker hervor und bildet kleine Kaskaden. Da laͤßt ſich gut ſitzen. Es murmelt und rauſcht ſo wunderbar, die Voͤgel ſingen abgebrochene Sehnſuchtslaute, die Baͤume fluͤſtern wie mit tauſend Maͤdchen-Zungen, wie mit tauſend Maͤdchen-Augen ſchauen uns an die ſeltſamen Bergblumen, ſie ſtrecken nach uns aus die wunderſam breiten, drollig gezackten Blaͤt¬ ter, ſpielend flimmern hin und her die luſtigen Sonnenſtrahlen, die ſinnigen Kraͤutlein erzaͤhlen ſich gruͤne Maͤhrchen, es iſt Alles wie verzau¬ bert, es wird immer heimlicher und heimlicher,199 ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erſcheint ach, daß ſie ſo ſchnell wieder ver¬ ſchwindet!

Je hoͤher man den Berg hinauf ſteigt, deſto kuͤrzer, zwerghafter werden die Tannen, ſie ſcheinen immer mehr und mehr zuſammen zu ſchrumpfen, bis nur Heidelbeer - und Rothbeer-Straͤuche und Bergkraͤuter uͤbrig bleiben. Da wird es auch ſchon fuͤhlbar kaͤlter. Die wunderlichen Gruppen der Granitbloͤcke werden hier erſt recht ſichtbar; dieſe ſind oft von erſtaunlicher Groͤße. Das moͤgen wohl die Spielbaͤlle ſeyn, die ſich die boͤſen Geiſter ein¬ ander zuwerfen in der Walpurgis-Nacht, wenn hier die Hexen auf Beſenſtielen und Miſtgabeln einher¬ geritten kommen, und die abentheuerlich verruchte Luſt beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzaͤhlt, und wie es zu ſchauen iſt auf den huͤbſchen Fauſt¬ bildern des Meiſter Retzſch. Ja, ein junger Dich¬ ter, der auf einer Reiſe von Berlin nach Goͤttin¬ gen in der erſten Mainacht am Brocken vorbey ritt, bemerkte ſogar, wie einige belletriſtiſche Damen auf200 einer Bergecke ihre aͤſthetiſche Thee-Geſellſchaft hiel¬ ten, ſich gemuͤthlich die Abendzeitung vorlaſen, ihre poetiſchen Ziegenboͤckchen, die meckernd den Thee¬ tiſch umhuͤpften, als Univerſal-Genies prieſen, und uͤber alle Erſcheinungen in der deutſchen Literatur ihr Endurtheil faͤllten; doch, als ſie auch auf den Rat¬ kliff und Almanſor geriethen, und dem Verfaſſer alle Froͤmmigkeit und Chriſtlichkeit abſprachen, da ſtraͤubte ſich das Haar des jungen Mannes, Ent¬ ſetzen ergriff ihn ich gab dem Pferde die Sporen und jagte voruͤber.

In der That, wenn man die obere Haͤlfte des Brockens beſteigt, kann man ſich nicht erwehren, an die ergoͤtzlichen Blocksberg-Geſchichten zu denken, und beſonders an die große, myſtiſche, deutſche Na¬ tional-Tragoͤdie vom Docter Fauſt. Mir war im¬ mer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf klet¬ tere, und Jemand humoriſtiſch Athem ſchoͤpfe. Und ich glaube, auch Mephiſto muß mit Muͤhe Athem holen, wenn er ſeinen Lieblingsberg erſteigt; es iſt ein aͤußerſt erſchoͤpfender Weg, und ich war froh,201 als ich endlich das langerſehnte Brockenhaus zu Geſicht bekam.

Dieſes Haus, das, wie durch vielfache Abbil¬ dungen bekannt iſt, bloß aus einem Parterre beſteht, und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erſt 1800 vom Grafen Stollberg-Wernigerode erbaut, fuͤr deſſen Rechnung es auch, als Wirthshaus, ver¬ waltet wird. Die Mauern ſind erſtaunlich dick, we¬ gen des Windes und der Kaͤlte im Winter: das Dach iſt niedrig, in der Mitte deſſelben ſteht eine thurmartige Warte, und bei dem Hauſe liegen noch zwei kleine Nebengebaͤude, wovon das eine, in fruͤhern Zeiten, den Brockenbeſuchern zum Obdach diente.

Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine etwas ungewoͤhnliche, maͤhrchenhafte Em¬ pfindung. Man iſt nach einem langen, einſamen Umherſteigen durch Tannen und Klippen ploͤtzlich in ein Wolkenhaus verſetzt; Staͤdte, Berge und Waͤlder blieben unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zuſammengeſetzte, fremde Geſell¬202 ſchaft, von welcher man, wie es an dergleichen Orten natuͤrlich iſt, faſt wie ein erwarteter Genoſſe, halb neugierig und halb gleichguͤltig, empfangen wird. Ich fand das Haus voller Gaͤſte, und wie es einem klugen Manne geziemt, dachte ich ſchon an die Nacht, an die Unbehaglichkeit eines Strohla¬ gers; mit hinſterbender Stimme verlangte ich gleich Thee, und der Herr Brockenwirth war vernuͤnftig genug einzuſehen, daß ich kranker Menſch fuͤr die Nacht ein ordentliches Bett ha¬ ben muͤſſe. Dieſes verſchaffte er mir in einem engen Zimmerchen, wo ſchon ein junger Kauf¬ mann, ein langes Brechpulver in einem braunen Oberrock, ſich etablirt hatte. In der Wirthsſtube fand ich lauter Leben und Bewegung. Studenten von verſchiedenen Univerſitaͤten. Die Einen ſind kurz vorher angekommen und reſtauriren ſich, An¬ dere bereiten ſich zum Abmarſch, ſchnuͤren ihre Ranzen, ſchreiben ihre Namen in's Gedaͤchtnißbuch, erhalten Brockenſtraͤuße von den Hausmaͤdchen; da wird in die Wangen gekniffen, geſungen, geſprungen,203 gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fußweg, Proſit, Adieu. Einige der Abgehenden ſind auch etwas angeſoffen, und dieſe haben von der ſchoͤnen Ausſicht einen doppelten Genuß, da ein Betrunkener Alles doppelt ſieht.

Nachdem ich mich etwas rekreirt, beſtieg ich die Thurmwarte, und fand daſelbſt einen kleinen Herrn mit zwey Damen, einer jungen und einer aͤltlichen. Die junge Dame war ſehr ſchoͤn. Eine herrliche Geſtalt, auf dem lockigen Haupte ein helmartiger, ſchwarzer Atlashut, mit deſſen weißen Federn die Winde ſpielten, die ſchlanken Glieder von einem ſchwarzſeidenen Mantel ſo feſt umſchloſſen, daß die edlen Formen hervortraten, und das freie, große Auge ruhig hinabſchauend in die freie, große Welt.

Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an nichts als an Zauber - und Wundergeſchichten, und jede ſchoͤne Dame, die Straußfedern auf dem Kopfe trug, hielt ich fuͤr eine Elfen-Koͤnigin, und jede ſchoͤne Dame, bey der ich bemerkte, daß die Schleppe ihres Kleides naß war, hielt ich fuͤr eine Waſſer¬204 Nixe. Jetzt denke ich anders, ſeit ich aus der Na¬ turgeſchichte weiß, daß jene ſymboliſchen Federn von dem duͤmmſten Vogel herkommen, und daß die Schleppe eines Damenkleides auf ſehr natuͤrliche Weiſe naß werden kann. Haͤtte ich mit jenen Kna¬ ben-Augen die erwaͤhnte junge Schoͤne, in erwaͤhnter Stellung, auf dem Brocken geſehen, ſo wuͤrde ich ſicher gedacht haben: das iſt die Fee des Berges, und ſie hat eben den Zauber ausgeſprochen, wodurch dort unten Alles ſo wunderbar erſcheint. Ja, in hohem Grade wunderbar erſcheint uns Alles bey'm erſten Hinabſchauen vom Brocken, alle Seiten un¬ ſeres Geiſtes empfangen neue Eindruͤcke, und dieſe, meiſtens verſchiedenartig, ſogar ſich widerſprechend, verbinden ſich in unſerer Seele zu einem großen, noch unentworrenen, unverſtandenen Gefuͤhl. Ge¬ lingt es uns, dieſes Gefuͤhl in ſeinem Begriffe zu erfaſſen, ſo erkennen wir den Charakter des Ber¬ ges. Dieſer Charakter iſt ganz deutſch, ſowohl in Hinſicht ſeiner Fehler, als auch ſeiner Vorzuͤge. Der Brocken iſt ein Deutſcher. Mit deutſcher205 Gruͤndlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie ein Rieſen-Panorama, die vielen hundert Staͤdte, Staͤdtchen und Doͤrfer, die meiſtens noͤrdlich liegen, und ringsrum alle Berge, Waͤlder, Fluͤſſe, Flaͤchen, unendlich weit. Aber eben dadurch erſcheint Alles wie eine ſcharfgezeichnete, rein illuminirte Spezial¬ karte, nirgends wird das Auge durch eigentlich ſchoͤne Landſchaften erfreut; wie es immer geſchieht, daß wir deutſchen Compilatoren, wegen der ehrli¬ chen Genauigkeit, womit wir Alles und Alles hin¬ geben wollen, nie daran denken koͤnnen, das Ein¬ zelne auf eine ſchoͤne Weiſe zu geben. Der Berg hat auch ſo etwas Deutſchruhiges, Verſtaͤndiges, Tolerantes; eben weil er die Dinge ſo weit und klar uͤberſchauen kann. Und wenn ſolch ein Berg ſeine Rieſen-Augen oͤffnet, mag er wohl noch etwas mehr ſehen, als wir Zwerge, die wir mit unſern bloͤden Aeuglein auf ihm herum klettern. Viele wollen zwar behaupten, der Brocken ſey ſehr phi¬ liſtroͤſe, und Claudius ſang: Der Blocksberg iſt der lange Herr Philiſter! Aber das iſt Irrthum. 206Durch ſeinen Kahlkopf, den er zuweilen mit einer weißen Nebelkappe bedeckt, giebt er ſich zwar einen Anſtrich von Philiſtroͤſitaͤt; aber, wie bey manchen andern großen Deutſchen, geſchieht es aus purer Ironie. Es iſt ſogar notoriſch, daß der Brocken ſeine burſchikoſen, phantaſtiſchen Zeiten hat, zum Beiſpiel die erſte Mai-Nacht. Dann wirft er ſeine Nebelkappe jubelnd in die Luͤfte, und wird, eben ſo gut wie wir Uebrigen, recht echtdeutſch roman¬ tiſch verruͤckt.

Ich ſuchte gleich die ſchoͤne Dame in ein Ge¬ ſpraͤch zu verflechten; denn Naturſchoͤnheiten ge¬ nießt man erſt recht, wenn man ſich auf der Stelle daruͤber ausſprechen kann. Sie war nicht geiſtreich, aber aufmerkſam ſinnig. Wahrhaft vor¬ nehme Formen. Ich meine nicht die gewoͤhnliche, ſteife, negative Vornehmheit, die uns genau ſagt, was unterlaſſen werden muß; ſondern jene ſelt¬ nere, freie, poſitive Vornehmheit, die uns genau ſagt, was wir thun duͤrfen, und die uns, bey aller Unbefangenheit, die hoͤchſte geſellige Sicherheit207 giebt. Ich entwickelte, zu meiner eigenen Ver¬ wunderung, viele geographiſche Kenntniſſe, nannte der wißbegierigen Schoͤnen alle Namen der Staͤdte, die vor uns lagen, ſuchte und zeigte ihr dieſelben auf meiner Landkarte, die ich uͤber den Steintiſch, der in der Mitte der Thurmplatte ſteht, mit echter Dozenten-Miene ausbreitete. Manche Stadt konnte ich nicht finden, vielleicht weil ich mehr mit den Fingern ſuchte, als mit den Augen, die ſich unterdeſſen auf dem Geſicht der holden Dame orientirten, und dort ſchoͤnere Partieen fanden, als Schierke und Elend. Dieſes Geſicht ge¬ hoͤrte zu denen, die nie reizen, ſelten entzuͤcken, und immer gefallen. Ich liebe ſolche Geſichter, weil ſie mein ſchlimmbewegtes Herz zur Ruhe laͤ¬ cheln. Die Dame war noch unverheirathet, ob¬ gleich ſchon in jener Vollbluͤthe, die zum Eheſtande hinlaͤnglich berechtigt. Aber es iſt ja eine taͤgliche Erſcheinung, juſt bey den ſchoͤnſten Maͤdchen haͤlt es ſo ſchwer, daß ſie einen Mann bekom¬ men. Dies war ſchon im Alterthum der Fall,208 und, wie bekannt iſt, alle drey Grazien ſind ſitzen geblieben.

In welchem Verhaͤltniß der kleine Herr, der die Damen begleitete, zu denſelben ſtehen mochte, konnte ich nicht errathen. Es war eine duͤnne, merkwuͤrdige Figur. Ein Koͤpfchen, ſparſam be¬ deckt mit grauen Haͤrchen, die uͤber die kurze Stirn bis an die gruͤnlichen Libellen-Augen reichten, die runde Naſe weit hervor tretend, dagegen Mund und Kinn ſich wieder aͤngſtlich nach den Ohren zu¬ ruͤck ziehend. Dieſes Geſichtchen ſchien aus einem zarten, gelblichen Tone zu beſtehn, woraus die Bildhauer ihre erſten Modelle kneten; und wenn die ſchmalen Lippen zuſammen kniffen, zogen ſich uͤber die Wangen einige tauſend halbkreisartige, feine Faͤltchen. Der kleine Mann ſprach kein Wort, und nur dann und wann, wenn die aͤltere Dame ihm etwas Freundliches zufluͤſterte, laͤchelte er wie ein Mops, der den Schnupfen hat.

Jene aͤltere Dame war die Mutter der juͤnge¬ ren, und auch ſie beſaß die vornehmſten Formen. 209Ihr Auge verrieth einen krankhaft-ſchwaͤrmeriſchen Tiefſinn, um ihren Mund lag ſtrenge Froͤmmigkeit, doch ſchien mir's, als ob er einſt ſehr ſchoͤn gewe¬ ſen ſey, und viel gelacht und viele Kuͤſſe empfangen und viele erwiedert habe. Ihr Geſicht glich einem Codex palympſeſtus, wo, unter der neuſchwarzen Moͤnchsſchrift eines Kirchenvater-Textes, die halber¬ loſchenen Verſe eines altgriechiſchen Liebes-Dichters hervorlauſchen. Beyde Damen waren mit ihrem Begleiter dieſes Jahr in Italien geweſen, und erzaͤhlten mir allerley Schoͤnes von Rom, Florenz und Venedig. Die Mutter erzaͤhlte viel von den Raphaelſchen Bildern in der Peterskirche; die Tochter ſprach mehr von der Oper im Theater Fenice. Beyde waren entzuͤckt von der Kunſt der Improviſatoren. Nuͤrnberg war der Damen Va¬ terſtadt; doch von deſſen alterthuͤmlichen Herrlich¬ keiten wußten ſie mir wenig zu ſagen. Die hold¬ ſelige Kunſt des Meiſtergeſangs, wovon uns der gute Wagenſeil die letzten Klaͤnge erhalten, iſt er¬ loſchen, und die Buͤrgerinnen Nuͤrnbergs erbauen14210ſich an welſchem Stegreif-Unſinn und Kapaunen - Geſang. O Sanct Sebaldus, was biſt du jetzt fuͤr ein armer Patron!

Derweilen wir ſprachen, begann es zu daͤmmern; die Luft wurde noch kaͤlter, die Sonne neigte ſich tiefer, und die Thurmplatte fuͤllte ſich mit Studen¬ ten, Handwerksburſchen und einigen ehrſamen Buͤr¬ gerleuten, ſammt deren Frauen und Toͤchtern, die Alle den Sonnen-Untergang ſehen wollten. Es iſt ein erhabener Anblick, der die Seele zum Gebet ſtimmt. Wohl eine Viertelſtunde ſtanden Alle ernſt¬ haft ſchweigend, und ſahen, wie der ſchoͤne Feuer¬ ball im Weſten allmaͤhlig verſank; die Geſichter wurden vom Abendroth angeſtrahlt, die Haͤnde fal¬ teten ſich unwillkuͤhrlich; es war, als ſtaͤnden wir, eine ſtille Gemeinde, im Schiffe eines Rieſendoms, und der Prieſter erhoͤbe jetzt den Leib des Herrn, und von der Orgel herab ergoͤſſe ſich Paleſtrina's ewiger Choral.

Waͤhrend ich ſo in Andacht verſunken ſtehe, hoͤre ich, daß neben mir Jemand ausruft: Wie211 iſt die Natur doch im Allgemeinen ſo ſchoͤn! Dieſe Worte kamen aus der gefuͤhlvollen Bruſt meines Zimmergenoſſen, des jungen Kaufmanns. Ich ge¬ langte dadurch wieder zu meiner Werkeltags-Stim¬ mung, war jetzt im Stande, den Damen uͤber den Sonnen-Untergang recht viel Artiges zu ſagen, und ſie ruhig, als waͤre nichts paſſirt, nach ihrem Zim¬ mer zu fuͤhren. Sie erlaubten mir auch, ſie noch eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde ſelbſt drehte ſich unſre Unterhaltung um die Sonne. Die Mutter aͤußerte: die in Nebel verſinkende Sonne habe ausgeſehen wie eine rothgluͤhende Roſe, die der galante Himmel herab geworfen in den weit¬ ausgebreiteten, weißen Brautſchleier ſeiner gelieb¬ ten Erde. Die Tochter laͤchelte und meinte, der oͤftere Anblick ſolcher Naturerſcheinungen ſchwaͤche ihren Eindruck. Die Mutter berichtigte dieſe falſche Meinung durch eine Stelle aus Goͤthes Reiſebrie¬ fen, und die Rede kam auf Goͤthes Werke. Kei¬ ner meiner aͤſthetiſchen Collegen wuͤrde ſich hier die Gelegenheit rauben laſſen, uͤber letztere ein lang212 und breites Geſpraͤch einzuflechten. Aber ich ſchreibe nicht gerne was unwahr iſt, und wir haben wirklich nicht lange uͤber Goͤthe geſprochen, indem ich, aus Furcht, daß ich mich, wie ein deutſcher Literatus, am Lieblingsthema feſtſchwatzen moͤchte, das Geſpraͤch auf andre Gegenſtaͤnde lei¬ tete, und ſo kamen wir auf roͤmiſche Vaſen, An¬ gorakatzen, Lord Byron, Makaroni, tuͤrkiſche Shawls u. ſ. w. Die aͤltere Dame liſpelte ſehr huͤbſch einige Sonnenuntergangsſtellen aus Byrons Gedichten. Der juͤngern Dame, die kein Engliſch verſtand, und jene Gedichte kennen lernen wollte, empfahl ich die Ueberſetzungen meiner ſchoͤnen, geiſtreichen Landsmaͤnnin, der Baronin Eliſe von Hohenhauſen; bey welcher Gelegenheit ich nicht ermangelte, wie ich gegen junge Damen zu thun pflege, uͤber Byrons Gottloſigkeit, Liebloſigkeit, Troſtloſigkeit, und der Himmel weiß was noch mehr, zu eifern.

Nach dieſem Geſchaͤfte ging ich noch auf dem Brocken ſpazieren; denn ganz dunkel wird es dort213 nie. Der Nebel war nicht ſtark, und ich betrach¬ tete die Umriſſe der beyden Huͤgel, die man den Hexen-Altar und die Teufels-Kanzel nennt. Ich ſchoß meine Piſtolen ab, doch es gab kein Echo. Ploͤtzlich aber hoͤre ich bekannte Stimmen und fuͤhle mich umarmt und gekuͤßt. Es waren meine Lands¬ leute, die Goͤttingen vier Tage ſpaͤter verlaſſen hat¬ ten, und bedeutend erſtaunt waren, mich ganz allein auf dem Blocksberge wieder zu finden. Da gab es ein Erzaͤhlen und Verwundern und Verab¬ reden, ein Lachen und Erinnern, und im Geiſte waren wir wieder in unſerem gelehrten Sibirien, wo die Cultur ſo groß iſt, daß die Baͤren in den Wirthshaͤuſern angebunden werden, und die Zobel dem Jaͤger guten Abend wuͤnſchen.

Im großen Zimmer wurde eine Abendmahlzeit gehalten. Ein langer Tiſch mit zwey Reihen hungriger Studenten. Im Anfang gewoͤhnliches Univerſitaͤts-Geſpraͤch: Duelle, Duelle und wieder Duelle. Die Geſellſchaft beſtand meiſtens aus Hal¬ lenſern, und Halle wurde daher Hauptgegenſtand214 des Geſpraͤchs. Die Fenſterſcheiben des Hofraths Schuͤtz wurden exegetiſch beleuchtet. Dann erzaͤhlte man, daß die letzte Cour bey dem Koͤnig von Cy¬ pern ſehr glaͤnzend geweſen ſey, daß er einen natuͤrli¬ chen Sohn erwaͤhlt, daß er ſich eine lichtenſteinſche Prinzeſſin an's linke Bein antrauen laſſen, daß er die Staatsmaitreſſe abgedankt, und daß das ganze geruͤhrte Miniſterium vorſchriftmaͤßig geweint habe. Ich brauche wohl nicht zu erwaͤhnen, daß ſich die¬ ſes auf Halleſche Bierwuͤrden bezieht. Hernach ka¬ men die zwey Chineſen auf's Tapet, die ſich vor zwey Jahren in Berlin ſehen ließen, und jetzt in Halle zu Privat-Dozenten der chineſiſchen Aeſthetik abgerichtet werden. Nun wurden Witze geriſſen. Man ſetzte den Fall: ein Deutſcher ließe ſich in China fuͤr Geld ſehen; und zu dieſem Zweck wurde ein Anſchlag-Zettel geſchmiedet, worin die Manda¬ rinen Tſching-Tſching-Tſchung und Hi-Ha-Ho begutachteten, daß es ein echter Deutſcher ſey, worin ferner ſeine Kunſtſtuͤcke aufgerechnet wurden, die hauptſaͤchlich in Philoſophiren, Tabackrauchen und215 Geduld beſtanden, und worin noch ſchließlich bemerkt wurde, daß man um zwoͤlf Uhr, welches die Fuͤtte¬ rungſtunde ſey, keine Hunde mitbringen duͤrfe, in¬ dem dieſe dem armen Deutſchen die beſten Brocken weg zu ſchnappen pflegten. Ein junger Burſchen¬ ſchafter, der kuͤrzlich zur Purifikazion in Berlin gewe¬ ſen, ſprach viel von dieſer Stadt; aber ſehr einſeitig. Er hatte Wiſotzki und das Theater beſucht; beide beurtheilte er falſch. Schnell fertig iſt die Ju¬ gend mit dem Wort u. ſ. w. Er ſprach von Garderobe-Aufwand, Schauſpieler - und Schauſpie¬ lerinnen-Skandal u. ſ. w. Der junge Menſch wußte nicht, daß, da in Berlin uͤberhaupt der Schein der Dinge am meiſten gilt, was ſchon die allge¬ meine Redensart man ſo duhn hinlaͤnglich an¬ deutet, dieſes Scheinweſen auf den Brettern erſt recht floriren muß, und daß daher die Intendanz am meiſten zu ſorgen hat fuͤr die Farbe des Barts, womit eine Rolle geſpielt wird, fuͤr die Treue der Coſtuͤme, die von beeidigten Hiſtorikern vorge¬ zeichnet, und von wiſſenſchaftlich gebildeten Schnei¬216 dern genaͤht werden. Und das iſt nothwendig. Denn truͤge mahl Maria Stuart eine Schuͤrze, die ſchon zum Zeitalter der Koͤnigin Anna gehoͤrt, ſo wuͤrde gewiß der Banquier Chriſtian Gumpel ſich mit Recht beklagen, daß ihm dadurch alle Illuſion verloren gehe; und haͤtte mahl Lord Bur¬ leigh aus Verſehen die Hoſen von Heinrich IV angezogen, ſo wuͤrde gewiß die Kriegsraͤthin von Steinzopf, geb. Lilienthau, dieſen Anachronismus den ganzen Abend nicht aus den Augen laſſen. Solche taͤuſchende Sorgfalt der General-Inten¬ danz erſtreckt ſich aber nicht bloß auf Schuͤrzen und Hoſen, ſondern auch auf die darin verwickel¬ ten Perſonen. So ſoll kuͤnftig der Othello von einem wirklichen Mohren geſpielt werden, den Profeſſor Lichtenſtein ſchon zu dieſem Behufe aus Afrika verſchrieben hat; in Menſchenhaß und Reue ſoll kuͤnftig die Eulalia von einem wirklich verlau¬ fenen Weibsbilde, der Peter von einem wirklich dummen Jungen, und der Unbekannte von einem wirklich geheimen Hahnrey geſpielt werden, die man217 alle drey nicht erſt aus Afrika zu verſchreiben braucht; in der Macht der Verhaͤltniſſe ſoll ein wirklicher Schriftſteller, der ſchon mahl ein paar Maulſchellen bekommen, die Rolle des Helden ſpie¬ len; in der Ahnfrau ſoll der Kuͤnſtler, der den Jaromir giebt, ſchon wirklich einmal geraubt, oder doch wenigſtens geſtohlen haben; die Lady Macbeth ſoll von einer Dame geſpielt werden, die zwar, wie es Tiek verlangt, von Natur ſehr liebe¬ voll iſt, aber doch mit dem blutigen Anblick eines meuchelmoͤrderiſchen Abſtechens einigermaßen ver¬ traut iſt; und endlich, zur Darſtellung gar beſon¬ ders ſeichter, witzloſer, poͤbelhafter Geſellen ſoll der große Angeli engagirt werden, der große An¬ geli, der ſeine Geiſtesgenoſſen jedesmal entzuͤckt, wenn er ſich erhebt in ſeiner wahren Groͤße, hoch, hoch, jeder Zoll ein Lump! Hatte nun obenerwaͤhnter junger Menſch die Verhaͤltniſſe des Berliner Schauſpiels ſchlecht begriffen, ſo merkte er noch viel weniger, daß die Spontiniſche Janitſcha¬ ren-Oper, mit ihren Pauken, Elephanten, Trompe¬218 ten und Tamtams, ein heroiſches Mittel iſt, um unſer erſchlafftes Volk kriegeriſch zu ſtaͤrken, ein Mittel, das ſchon Plato und Cicero ſtaatspfiffig empfohlen haben. Am allerwenigſten begriff der junge Menſch die diplomatiſche Bedeutung des Bal¬ lets. Mit Muͤhe zeigte ich ihm, wie in Hoguets Fuͤßen mehr Politik ſitzt als in Bucholz Kopf, wie alle ſeine Tanztouren diplomatiſche Verhand¬ lungen bedeuten, wie jede ſeiner Bewegungen eine politiſche Beziehung habe, ſo z. B. daß er unſer Kabinet meynt, wenn er, ſehnſuͤchtig vorgebeugt, mit den Haͤnden weitausgreift, daß er den meynt, wenn er ſich hundertmal auf einem Fuße herumdreht ohne vom Fleck zu kommen, daß er die kleinen Fuͤrſten meynt, wenn er wie mit ge¬ bundenen Beinen herumtrippelt, daß er das Euro¬ paͤiſche Gleichgewicht bezeichnet, wenn er wie ein Trunkener hin und herſchwankt, daß er einen Con¬ greß andeutet, wenn er die gebogenen Arme knaͤul¬ artig in einander verſchlingt, und endlich daß er unſern allzugroßen Freund im Oſten darſtellt,219 wenn er in allmaͤhliger Entfaltung ſich in die Hoͤhe hebt, in dieſer Stellung lange ruht, und ploͤtzlich in die erſchrecklichſten Spruͤnge ausbricht. Dem jungen Manne fielen die Schuppen von den Augen, und jetzt merkte er, warum Taͤnzer beſſer honorirt werden als große Dichter, warum das Ballet beym diplomatiſchen Corps ein unerſchoͤpfli¬ cher Gegenſtand des Geſpraͤchs iſt, und warum oft eine ſchoͤne Taͤnzerin noch privatim von dem Miniſter unterhalten wird, der ſich gewiß Tag und Nacht abmuͤht, ſie fuͤr ſein politiſches Syſtem¬ chen empfaͤnglich zu machen. Bey'm Apis! wie groß iſt die Zahl der exoteriſchen und wie klein die Zahl der eſoteriſchen Theaterbeſucher! Da ſteht das bloͤde Volk und gafft und bewundert Spruͤnge und Wendungen, und ſtudiert Anatomie in den Stellungen der Lemiere, und applaudirt die Entre¬ chats der Roͤhniſch, und ſchwatzt von Grazie, Harmonie und Lenden und keiner merkt, daß er in getanzten Chiffern das Schickſal des deut¬ ſchen Vaterlandes vor Augen hat.

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Waͤhrend ſolcherley Geſpraͤche hin und her flo¬ gen, verlor man doch das Nuͤtzliche nicht aus den Augen, und den großen Schuͤſſeln, die mit Fleiſch, Kartoffeln u. ſ. w. ehrlich angefuͤllt waren, wurde fleißig zugeſprochen. Jedoch das Eſſen war ſchlecht. Dieſes erwaͤhnte ich leichthin gegen meinen Nach¬ bar, der aber, mit einem Accente, woran ich den Schweizer erkannte, gar unhoͤflich antwortete: daß wir Deutſchen wie mit der wahren Freiheit, ſo auch mit der wahren Genuͤgſamkeit unbekannt ſeyen. Ich zuckte die Achſeln und bemerkte: daß die eigentlichen Fuͤrſtenknechte und Leckerkram-Verfertiger uͤberall Schweizer ſind und vorzugsweiſe ſo genannt werden, und daß uͤberhaupt diejetzigen ſchweizeriſchen Freiheits¬ helden, die ſo viel Politiſch-Kuͤhnes in's Publikum hineinſchwatzen, mir immer vorkommen, wie Haſen, die auf oͤffentlichen Jahrmaͤrkten Piſtolen abſchie¬ ßen, alle Kinder und Bauern durch ihre Kuͤhnheit in Erſtaunen ſetzen, und dennoch Haſen ſind.

Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht boͤſe gemeint, es war ein dicker Mann, folglich ein221 guter Mann, ſagt Cervantes. Aber mein Nach¬ bar von der andern Seite, ein Greifswalder, war durch jene Aeußerung ſehr piquirt; er betheuerte, daß deutſche Thatkraft und Einfaͤltigkeit noch nicht erloſchen ſey, ſchlug ſich droͤhnend auf die Bruſt, und leerte eine ungeheure Stange Weißbier. Der Schweizer ſagte: Nu! Nu! Doch, je beſchwich¬ tigender er dieſes ſagte, deſto eifriger ging der Greifswalder in's Geſchirr. Dieſer war ein Mann aus jenen Zeiten, als die Laͤuſe gute Tage hatten und die Friſeure zu hungern fuͤrchteten. Er trug herabhaͤngend langes Haar, ein ritterliches Barett, einen ſchwarzen, altdeutſchen Rock, ein ſchmutziges Hemd, das zugleich das Amt einer Weſte verſah, und darunter ein Medaillon mit einem Haarbuͤſchel von Bluͤchers Schimmel. Er ſah aus wie ein Narr in Lebensgroͤße. Ich mache mir gern einige Bewegung beym Abendeſſen, und ließ mich daher von ihm in einen patriotiſchen Streit verflechten. Er war der Meynung, Deutſchland muͤſſe in 33 Gauen getheilt werden. Ich hingegen behauptete:222 es muͤßten 48 ſeyn, weil man alsdann ein ſyſte¬ matiſcheres Handbuch uͤber Deutſchland ſchreiben koͤnne, und es doch nothwendig ſey, das Leben mit der Wiſſenſchaft zu verbinden. Mein Greifswalder Freund war auch ein deutſcher Barde, und, wie er mir vertraute, arbeitete er an einem National - Heldengedichte zur Verherrlichung Hermanns und der Hermannsſchlacht. Manchen nuͤtzlichen Wink gab ich ihm fuͤr die Anfertigung dieſes Epos. Ich machte ihn darauf aufmerkſam, daß er die Suͤmpfe und Knuͤppelwege des teutoburger Waldes ſehr ono¬ matopoͤiſch durch waͤßrige und holprige Verſe an¬ deuten koͤnne, und daß es eine patriotiſche Feinheit waͤre, wenn er den Varus und die uͤbrigen Roͤmer lauter Unſinn ſprechen ließe. Ich hoffe, dieſer Kunſtkniff wird ihm, eben ſo erfolgreich wie andern Berliner Dichtern, bis zur bedenklichſten Illuſion gelingen.

An unſerem Tiſche wurde es immer lauter und traulicher, der Wein verdraͤngte das Bier, die Punſch-Bowlen dampften, es wurde getrunken,223 ſmollirt und geſungen. Der alte Landesvater und herrliche Lieder von W. Muͤller, Ruͤckert, Uhland u. ſ. w. erſchollen. Schoͤne Methfeſſelſche Melo¬ dien. Am allerbeſten erklangen unſeres Arndt's deutſche Worte: Der Gott, der Eiſen wachſen ließ, der wollte keine Knechte! Und draußen brauſte es, als ob der alte Berg mitſaͤnge, und einige ſchwankende Freunde behaupteten ſogar, er ſchuͤttle freudig ſein kahles Haupt und unſer Zim¬ mer werde dadurch hin und her bewegt. Die Flaſchen wurden leerer und die Koͤpfe voller. Der Eine bruͤllte, der Andere fiſtulirte, ein Dritter de¬ klamirte aus der Schuld , ein Vierter ſprach Latein, ein Fuͤnfter predigte von der Maͤßigkeit, und ein Sechster ſtellte ſich auf den Stuhl und dozirte: Meine Herren! Die Erde iſt eine runde Walze, die Menſchen ſind einzelne Stiftchen dar¬ auf, ſcheinbar arglos zerſtreut; aber die Walze dreht ſich, die Stiftchen ſtoßen hier und da an und toͤnen, die einen oft, die andern ſelten, das giebt eine wunderbare, complizirte Muſik, und224 dieſe heißt Weltgeſchichte. Wir ſprechen alſo erſt von der Muſik, dann von der Welt und endlich von der Geſchichte; letztere aber theilen wir ein in Poſitiv und ſpaniſche Fliegen Und ſo ging's weiter mit Sinn und Unſinn.

Ein gemuͤthlicher Mecklenburger, der ſeine Naſe im Punſchglaſe hatte, und ſelig laͤchelnd den Dampf einſchnupfte, machte die Bemerkung: es ſey ihm zu Muthe, als ſtaͤnde er wieder vor dem Theater-Buͤffet in Schwerin! Ein Anderer hielt ſein Weinglas wie ein Perſpektiv vor die Augen und ſchien uns aufmerkſam damit zu betrachten, waͤhrend ihm der rothe Wein, uͤber die Backen, ins hervortretende Maul hinablief. Der Greifs¬ walder, ploͤtzlich begeiſtert, warf ſich an meine Bruſt und jauchzte: O, verſtaͤndeſt Du mich, ich bin ein Liebender, ich bin ein Gluͤcklicher, ich werde wieder geliebt, und Gott verdamm 'mich! es iſt ein gebildetes Maͤdchen, denn ſie hat volle Bruͤſte, und traͤgt ein weißes Kleid und ſpielt Clavier! Aber der Schweizer weinte, und kuͤßte zaͤrtlich225 meine Hand und wimmerte beſtaͤndig: O Baͤbeli! O Baͤbeli!

In dieſem verworrenen Treiben, wo die Teller tanzen und die Glaͤſer fliegen lernten, ſaßen mir gegenuͤber zwey Juͤnglinge, ſchoͤn und blaß wie Marmorbilder, der Eine mehr dem Adonis, der Andere mehr dem Apollo aͤhnlich. Kaum bemerk¬ bar war der leichte Roſenhauch, den der Wein uͤber ihre Wangen hinwarf. Mit unendlicher Liebe ſahen ſie ſich einander an, als wenn Einer leſen koͤnnte in den Augen des Andern, und in dieſen Augen ſtrahlte es, als waͤren einige Lichttropfen hinein gefallen aus jener Schaale voll lodernder Liebe, die ein frommer Engel dort oben von einem Stern zum andern hinuͤber traͤgt. Sie ſprachen leiſe, mit ſehnſuchtbebender Stimme, und es waren traurige Geſchichten, aus denen ein wunderſchmerz¬ licher Ton hervor klang. Die Lore iſt jetzt auch todt! ſagte der Eine und ſeufzte, und nach einer Pauſe erzaͤhlte er von einem Halleſchen Maͤdchen, das in einen Studenten verliebt war, und als die¬15226ſer Halle verließ, mit Niemand mehr ſprach, und wenig , und Tag und Nacht weinte, und immer den Canarienvogel betrachtete, den der Geliebte ihr einſt geſchenkt hatte. Der Vogel ſtarb, und bald darauf iſt auch die Lore geſtorben! ſo ſchloß die Erzaͤhlung, und beyde Juͤnglinge ſchwiegen wie¬ der und ſeufzten, als wollte ihnen das Herz zer¬ ſpringen. Endlich ſprach der Andere: Meine Seele iſt traurig! Komm mit hinaus in die dunkle Nacht! Einathmen will ich den Hauch der Wolken und die Strahlen des Mondes. Genoſſe meiner Wehmuth! ich liebe Dich, Deine Worte toͤnen wie Rohrgefluͤſter, wie gleitende Stroͤme, ſie toͤnen wie¬ der in meiner Bruſt, aber meine Seele iſt traurig! Nun erhoben ſich die beyden Juͤnglinge, Einer ſchlang den Arm um den Nacken des Andern, und ſie verließen das toſende Zimmer. Ich folgte ihnen nach und ſah, wie ſie in eine dunkle Kammer tra¬ ten, wie der Eine, ſtatt des Fenſters, einen gro¬ ßen Kleiderſchrank oͤffnete, wie Beide vor demſel¬ ben, mit ſehnſuͤchtig ausgeſtreckten Armen, ſtehen227 blieben und wechſelweiſe ſprachen. Ihr Luͤfte der daͤmmernden Nacht! rief der Erſte, wie erqui¬ ckend kuͤhlt Ihr meine Wangen! Wie lieblich ſpielt Ihr mit meinen flatternden Locken! Ich ſteh 'auf des Berges wolkigem Gipfel, unter mir liegen die ſchlafenden Staͤdte der Menſchen, und blinken die blauen Gewaͤſſer. Horch! dort unten im Thale rau¬ ſchen die Tannen! Dort uͤber die Huͤgel ziehen, in Nebelgeſtalten, die Geiſter der Vaͤter. O, koͤnnt' ich mit Euch jagen, auf dem Wolkenroß, durch die ſtuͤrmiſche Nacht, uͤber die rollende See, zu den Sternen hinauf! Aber ach! ich bin beladen mit Leid und meine Seele iſt traurig! Der andere Juͤngling hatte ebenfalls ſeine Arme ſehnſuchtsvoll nach dem Kleiderſchrank ausgeſtreckt, Thraͤnen ſtuͤrz¬ ten aus ſeinen Augen, und zu einer gelbledernen Hoſe, die er fuͤr den Mond hielt, ſprach er mit wehmuͤthiger Stimme: Schoͤn biſt du, Tochter des Himmels! Holdſelig iſt deines Antlitzes Ruhe! Du wandelſt einher in Lieblichkeit! Die Sterne folgen deinen blauen Pfaden im Oſten. Bey dei¬228 nem Anblick erfreuen ſich die Wolken, und es lichten ſich ihre duͤſtern Geſtalten. Wer gleicht dir am Himmel, Erzeugte der Nacht? Beſchaͤmt, in deiner Gegenwart, ſind die Sterne, und wenden ab die gruͤnfunkelnden Augen. Wohin, wenn des Morgens dein Antlitz erbleicht, entfliehſt du von deinem Pfade? Haſt du gleich mir deine Halle? Wohnſt du im Schatten der Wehmuth? Sind deine Schweſtern vom Himmel gefallen? Sie, die freudig mit dir die Nacht durchwallten, ſind ſie nicht mehr? Ja, ſie fielen herab, o ſchoͤnes Licht, und du verbirgſt dich oft, ſie zu betrauern. Doch einſt wird kommen die Nacht, und du, auch du biſt vergangen, und haſt deine blauen Pfade dort oben verlaſſen. Dann erheben die Sterne ihre gruͤnen Haͤupter, die einſt deine Gegenwart be¬ ſchaͤmt, ſie werden ſich freuen. Doch jetzt biſt du gekleidet in deiner Strahlenpracht und ſchauſt herab aus den Thoren des Himmels. Zerreißt die Wol¬ ken, o Winde, damit die Erzeugte der Nacht her¬ vor zu leuchten vermag, und die buſchigen Berge229 erglaͤnzen und das Meer ſeine ſchaͤumenden Wogen rolle in Licht!

Ein wohlbekannter, nicht ſehr magerer Freund, der mehr getrunken als gegeſſen hatte, obgleich er auch heute Abend, wie gewoͤhnlich, eine Porzion Rindfleiſch verſchlungen, wovon ſechs Gardelieute¬ nants und ein unſchuldiges Kind ſatt geworden waͤren, dieſer kam jetzt in allzugutem Humor, d. h. ganz en Schwein, vorbeygerannt, ſchob die bey¬ den elegiſchen Freunde etwas unſanft in den Schrank hinein, polterte nach der Hausthuͤre, und wirthſchaftete draußen ganz moͤrderlich. Der Laͤrm im Saal wurde auch immer verworrener und dum¬ pfer. Die beyden Juͤnglinge im Schranke jammer¬ ten und wimmerten, ſie laͤgen zerſchmettert am Fuße des Berges; aus dem Hals ſtroͤmte ihnen der edle Rothwein, ſie uͤberſchwemmten ſich wechſelſeitig, und der Eine ſprach zum Andern: Lebe wohl! Ich fuͤhle, daß ich verblute. Warum weckſt du mich, Fruͤhlingsluft? Du buhlſt und ſprichſt: ich bethaue dich mit Tropfen des Himmels. Doch die Zeit230 meines Welkens iſt nahe, nahe der Sturm, der meine Blaͤtter herabſtoͤrt! Morgen wird der Wan¬ derer kommen, kommen der mich ſah in meiner Schoͤnheit, ringsum wird ſein Auge im Felde mich ſuchen, und wird mich nicht finden. Aber Alles uͤbertobte die wohlbekannte Baßſtimme, die draußen vor der Thuͤre, unter Fluchen und Jauch¬ zen, ſich gottlaͤſterlich beklagte: daß auf der ganzen dunkeln Weenderſtraße keine einzige Laterne brenne, und man nicht einmal ſehen koͤnne, bey wem man die Fenſterſcheiben eingeſchmiſſen habe.

Ich kann viel vertragen die Beſcheidenheit erlaubt mir nicht, die Bouteillen-Zahl zu nennen und ziemlich gut conditionirt gelangte ich nach meinem Schlafzimmer. Der junge Kaufmann lag ſchon im Bette, mit ſeiner kreideweißen Nachtmuͤtze und ſafrangelben Jacke von Geſundheits-Flanell. Er ſchlief noch nicht und ſuchte ein Geſpraͤch mit mir anzuknuͤpfen. Er war ein Frankfurt-am - Mayner, und folglich ſprach er gleich von den Juden, die alles Gefuͤhl fuͤr das Schoͤne und Edle231 verloren haben, und die engliſchen Waaren 25 Prozent unter dem Fabrikpreiſe verkaufen. Es ergriff mich die Luſt, ihn etwas zu myſtifiziren; deshalb ſagte ich ihm: ich ſey ein Nachtwandler, und muͤſſe im Voraus um Entſchuldigung bitten, fuͤr den Fall, daß ich ihn etwa im Schlafe ſtoͤren moͤchte. Der arme Menſch hat deshalb, wie er mir den andern Tag geſtand, die ganze Nacht nicht geſchlafen, da er die Beſorgniß hegte, ich koͤnnte mit meinen Piſtolen, die vor meinem Bette lagen, im Nachtwandler-Zuſtande ein Malheur anrichten. Im Grunde war es mir nicht viel beſ¬ ſer als ihm gegangen, ich hatte ſehr ſchlecht geſchla¬ fen. Wuͤſte, beaͤngſtigende Phantaſie-Gebilde. Ein Clavier-Auszug aus Dante's Hoͤlle. Am Ende traͤumte mir gar, ich ſaͤhe die Auffuͤhrung einer juri¬ ſtiſchen Oper, die Falcidia geheißen, erbrechtlicher Text von Gans, und Muſik von Spontini. Ein tol¬ ler Traum. Das roͤmiſche Forum leuchtete praͤchtig, Serv. Aſinius Goͤſchenus als Praͤtor auf ſeinem Stuhle, die Toga in ſtolze Falten werfend, ergoß232 ſich in polternden Recitativen, Marcus Tullius El¬ verſus, als Prima Donna legataria, all' ſeine holde Weiblichkeit offenbarend, ſang die liebeſchmelzende Bravour-Arie quicunque civis romanus, ziegelroth ge¬ ſchminkte Referendarien bruͤllten als Chor der Un¬ muͤndigen, Privat-Dozenten, als Genien in fleiſch¬ farbigen Trikot gekleidet, tanzten ein antejuſtinianei¬ ſches Ballet und bekraͤnzten mit Blumen die zwoͤlf Tafeln, unter Donner und Blitz ſtieg aus der Erde der beleidigte Geiſt der roͤmiſchen Geſetzgebung, Poſaunen, Tamtam, Feuerregen, cum omni causa.

Aus dieſem Laͤrmen zog mich der Brockenwirth, indem er mich weckte, um den Sonnen-Auf¬ gang anzuſehen. Auf dem Thurm fand ich ſchon einige Harrende, die ſich die frierenden Haͤnde rie¬ ben, Andere, noch den Schlaf in den Augen, tau¬ melten herauf: endlich ſtand die ſtille Gemeinde von geſtern Abend wieder ganz verſammelt, und ſchweigend ſahen wir: wie am Horizonte die kleine, carmoiſinrothe Kugel empor ſtieg, eine winterlich daͤmmernde Beleuchtung ſich verbreitete, die Berge233 wie in einem weißwallenden Meere ſchwammen, und bloß die Spitzen derſelben ſichtbar hervor tra¬ ten, ſo daß man auf einem kleinen Huͤgel zu ſtehen glaubte, mitten auf einer uͤberſchwemmten Ebene, wo nur hier und da eine trockene Erdſcholle her¬ vortritt. Um das Geſehene und Empfundene in Worten feſt zu halten, zeichnete ich folgendes Gedicht:

Heller wird es ſchon im Oſten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere ſchwimmen.
Haͤtt 'ich Siebenmeilenſtiefel,
Lief ich mit der Haſt des Windes,
Ueber jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.
Von dem Bettchen, wo ſie ſchlummert,
Zoͤg 'ich leiſe die Gardinen,
Leiſe kuͤßt' ich ihre Stirne,
Leiſe ihres Mund's Rubinen.
234
Und noch leiſer wollt 'ich fluͤſtern
In die kleinen Liljen-Ohren:
Denk' im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.

Indeſſen, meine Sehnſucht nach einem Fruͤh¬ ſtuͤck war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen Damen einige Hoͤflichkeiten geſagt, eilte ich hinab, um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es that Noth; in meinem Magen ſah es ſo nuͤchtern aus, wie in der Goslarſchen Stephans-Kirche. Aber mit dem arabiſchen Trank rieſelte mir auch der warme Orient durch die Glieder, oͤſtliche Ro¬ ſen umdufteten mich, ſuͤße Bulbul-Lieder erklangen, die Studenten verwandelten ſich in Kameele, die Brockenhaus-Maͤdchen, mit ihren Congrevſchen Blicken, wurden zu Houris, die Philiſter-Naſen wurden Minarets u. ſ. w.

Das Buch, das neben mir lag, war aber nicht der Koran. Unſinn enthielt es freilich genug. Es war das ſogenannte Brockenbuch, worin alle235 Reiſende, die den Berg erſtiegen, ihre Namen ſchreiben, und die Meiſten noch einige Gedanken, und in Ermangelung derſelben, ihre Gefuͤhle hinzu notiren. Viele druͤcken ſich ſogar in Verſen aus. In dieſem Buche ſieht man, welche Greuel entſte¬ hen, wenn der große Philiſter-Troß bey gebraͤuchli¬ chen Gelegenheiten, wie hier auf dem Brocken, ſich vorgenommen hat, poetiſch zu werden. Der Pal¬ laſt des Prinzen von Pallagonia enthaͤlt keine ſo große Abgeſchmacktheiten wie dieſes Buch, wo be¬ ſonders hervor glaͤnzen die Herren Acciſe-Einneh¬ mer mit ihren verſchimmelten Hochgefuͤhlen, die Comptoir-Juͤnglinge mit ihren pathetiſchen Seelen - Erguͤſſen, die altdeutſchen Revolutions-Dilettanten mit ihren Turn-Gemein-Plaͤtzen, die Berliner Schullehrer mit ihren verungluͤckten Entzuͤckungs - Phraſen u. ſ. w. Herr Johannes Hagel will ſich auch mal als Schriftſteller zeigen. Hier wird des Sonnen-Aufgangs majeſtaͤtiſche Pracht beſchrieben; dort wird geklagt uͤber ſchlechtes Wetter, uͤber ge¬ taͤuſchte Erwartungen, uͤber den Nebel, der alle236 Ausſicht verſperrt. Benebelt herauf gekommen und benebelt hinunter gegangen! iſt ein ſtehender Witz, der hier von Hunderten nachgeriſſen wird. Eine Carolina ſchreibt: daß ſie bey dem Erſteigen des Berges naſſe Fuͤße bekommen. Ein naives Hannchen hat dieſe Klage im Sinn, und ſchreibt lakoniſch: auch ich bin bey der Geſchichte naß ge¬ worden. Das ganze Buch riecht nach Kaͤſe, Bier und Tabak; man glaubt einen Roman von Clau¬ ren zu leſen.

Waͤhrend ich nun beſagtermaßen Kaffee trank und im Brockenbuche blaͤtterte, trat der Schweizer mit hochrothen Wangen herein, und voller Begei¬ ſterung erzaͤhlte er von dem erhabenen Anblick, den er oben auf dem Thurm genoſſen, als das reine, ruhige Licht der Sonne, Sinnbild der Wahrheit, mit den naͤchtlichen Nebelmaſſen gekaͤmpft, daß es ausgeſehen habe wie eine Geiſterſchlacht, wo zuͤrnende Rieſen ihre langen Schwerdter ausſtrecken, gehar¬ niſchte Ritter, auf baͤumenden Roſſen, einher jagen, Streitwagen, flatternde Banner, abentheuerliche237 Thierbildungen aus dem wildeſten Gewuͤhle hervor tauchen, bis endlich Alles in den wahnſinnnigſten Verzerrungen zuſammen kraͤuſelt, blaſſer und blaſſer zerrinnt, und ſpurlos verſchwindet. Dieſe demago¬ giſche Natur-Erſcheinung hatte ich verſaͤumt, und ich kann, wenn es zur Unterſuchung kommt, eidlich verſichern: daß ich von nichts weiß, als vom Ge¬ ſchmack des guten braunen Kaffee's. Ach, dieſer war ſogar Schuld, daß ich meine ſchoͤne Dame vergeſſen, und jetzt ſtand ſie vor der Thuͤr, mit Mutter und Begleiter, im Begriff den Wagen zu beſteigen. Kaum hatte ich noch Zeit, hin zu eilen[und] ihr zu verſichern, daß es kalt ſey. Sie ſchien unwillig, daß ich nicht fruͤher gekommen; doch ich glaͤttete bald die mißmuͤthigen Falten ihrer ſchoͤnen Stirn, indem ich ihr eine wunderliche Blume ſchenkte, die ich den Tag vorher, mit hals¬ brechender Gefahr, von einer ſteilen Felſenwand gepfluͤckt hatte. Die Mutter verlangte den Namen der Blume zu wiſſen, gleichſam als ob ſie es un¬ ſchicklich faͤnde, daß ihre Tochter eine fremde, unbe¬238 kannte Blume vor die Bruſt ſtecke denn wirk¬ lich, die Blume erhielt dieſen beneidenswerthen Platz, was ſie ſich gewiß geſtern auf ihrer einſamen Hoͤhe nicht traͤumen ließ. Der ſchweigſame Beglei¬ ter oͤffnete jetzt auf einmal den Mund, zaͤhlte die Staubfaͤden der Blume und ſagte ganz trocken: ſie gehoͤrt zur achten Claſſe.

Es aͤrgert mich jedesmal, wenn ich ſehe, daß man auch Gottes liebe Blumen, eben ſo wie uns, in Caſten getheilt hat, und nach aͤhnlichen Aeußer¬ lichkeiten, nemlich nach Staubfaden-Verſchiedenheit. Soll doch mal eine Eintheilung ſtattfinden, ſo folge man dem Vorſchlage Theophraſt's, der die Blumen mehr nach dem Geiſte, naͤmlich nach ihrem Geruch, eintheilen wollte. Was mich betrifft, ſo habe ich in der Naturwiſſenſchaft mein eignes Syſtem, und demnach theile ich Alles ein: in dasjenige, was man eſſen kann, und in dasjenige, was man nicht eſſen kann.

Jedoch, der aͤltern Dame war die geheimni߬ volle Natur der Blumen nichts weniger als ver¬239 ſchloſſen, und unwillkuͤhrlich aͤußerte ſie: daß ſie von den Blumen, wenn ſie noch im Garten oder im Topfe wachſen, recht erfreut werde, daß hinge¬ gen ein leiſes Schmerzgefuͤhl, traumhaft beaͤngſti¬ gend, ihre Bruſt durchzittere, wenn ſie eine abge¬ brochene Blume ſehe da eine ſolche doch eigent¬ lich eine Leiche ſey, und ſo eine gebrochene, zarte Blumenleiche ihr welkes Koͤpfchen recht traurig herab haͤngen laſſe, wie ein todtes Kind. Die Dame war faſt erſchrocken uͤber den truͤben Wiederſchein ihrer Bemerkung, und es war meine Pflicht, denſelben mit einigen Voltaireſchen Verſen zu verſcheuchen. Wie doch ein Paar franzoͤſiſche Worte uns gleich in die gehoͤrige Convenienzſtim¬ mung zuruͤck verſetzen koͤnnen! Wir lachten, Haͤnde wurden gekuͤßt, huldreich wurde gelaͤchelt, die Pferde wieherten und der Wagen holperte, langſam und beſchwerlich, den Berg hinunter.

Nun machten auch die Studenten Anſtalt zum Abreiſen, die Ranzen wurden geſchnuͤrt, die Rechnungen, die uͤber alle Erwartung billig aus¬240 fielen, berichtigt, die empfaͤnglichen Hausmaͤdchen, auf deren Geſichtern die Spuren gluͤcklicher Liebe, brachten, wie gebraͤuchlich iſt, die Brockenſtraͤu߬ chen, halfen ſolche auf die Muͤtzen befeſtigen, wur¬ den dafuͤr mit einigen Kuͤſſen oder Groſchen hono¬ rirt; und ſo ſtiegen wir Alle den Berg hinab, indem die Einen, wobey der Schweizer und Greifs¬ walder, den Weg nach Schierke einſchlugen, und die Andern, ungefaͤhr zwanzig Mann, wobey auch meine Landſleute und ich, angefuͤhrt von einem Wegweiſer, durch die ſogenannten Schneeloͤcher hinab zogen nach Ilſenburg.

Das ging uͤber Hals und Kopf. Halleſche Studenten marſchiren ſchneller als die oͤſtreichiſche Landwehr. Ehe ich mich deſſen verſah, war die kahle Partie des Berges mit den darauf zerſtreu¬ ten Steingruppen ſchon hinter uns, und wir ka¬ men durch einen Tannenwald, wie ich ihn den Tag vorher geſehen. Die Sonne goß ſchon ihre feſtlich¬ ſten Strahlen herab und beleuchtete die humoriſtiſch buntgekleideten Burſchen, die ſo munter durch das241 Dickigt drangen, hier verſchwanden, dort wieder zum Vorſchein kamen, bey Sumpfſtellen uͤber die quergelegten Baumſtaͤmme liefen, bey abſchuͤſſigen Tiefen an den rankenden Wurzeln kletterten, in den ergoͤtzlichſten Tonarten empor johlten, und eben ſo luſtige Antwort zuruͤck erhielten von den zwitſchernden Waldvoͤgeln, von den rauſchenden Tannen, von den unſichtbar plaͤtſchernden Quellen und von dem ſchallenden Echo. Wenn frohe Ju¬ gend und ſchoͤne Natur zuſammen kommen, ſo freuen ſie ſich wechſelſeitig.

Je tiefer wir hinab ſtiegen, deſto lieblicher rauſchte das unterirdiſche Gewaͤſſer, nur hier und da, unter Geſtein und Geſtrippe, blinkte es hervor, und ſchien heimlich zu lauſchen, ob es an's Licht treten duͤrfe, und endlich kam eine kleine Welle entſchloſ¬ ſen hervor geſprungen. Nun zeigt ſich die gewoͤhn¬ liche Erſcheinung: ein Kuͤhner macht den Anfang, und der große Troß der Zagenden wird ploͤtzlich, zu ſeinem eigenen Erſtaunen, von Muth ergriffen, und eilt, ſich mit jenem Erſten zu vereinigen. Eine16242Menge anderer Quellen huͤpften jetzt haſtig aus ihrem Verſteck, verbanden ſich mit der zuerſt her¬ vorgeſprungenen, und bald bildeten ſie zuſammen ein ſchon bedeutendes Baͤchlein, das in unzaͤhligen Waſſerfaͤllen, und in wunderlichen Windungen, das Bergthal hinab rauſcht. Das iſt nun die Ilſe, die liebliche, ſuͤße Ilſe. Sie zieht ſich durch das geſegnete Ilſethal, an deſſen beyden Seiten ſich die Berge allmaͤhlig hoͤher erheben, und dieſe ſind, bis zu ihrem Fuße, meiſtens mit Buchen, Eichen und gewoͤhnlichem Blattgeſtraͤuche bewachſen, nicht mehr mir Tannen und anderm Nadelholz. Denn jene Blaͤtterholzart wird vorherrſchend auf dem Unterharze, wie man die Oſtſeite des Brockens nennt, im Gegenſatz zur Weſtſeite deſſelben, die der Oberharz heißt, und wirklich viel hoͤher iſt, und alſo auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhoͤlzer.

Es iſt unbeſchreibbar, mit welcher Froͤhlichkeit, Naivitaͤt und Anmuth die Ilſe ſich hinunter ſtuͤrzt uͤber die abentheuerlich gebildeten Felsſtuͤcke, die ſie243 in ihrem Laufe findet, ſo daß das Waſſer hier wild empor ziſcht oder ſchaͤumend uͤberlaͤuft, dort aus allerley Steinſpalten, wie aus tollen Gießkannen, in reinen Boͤgen ſich ergießt, und unten wieder uͤber die kleinen Steine hintrippelt, wie ein mun¬ teres Maͤdchen. Ja, die Sage iſt wahr, die Ilſe iſt eine Prinzeſſin, die lachend und bluͤhend den Berg hinab laͤuft. Wie blinkt im Sonnenſchein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im Winde ihre ſilbernen Buſenbaͤnder! Wie funkeln und blitzen ihre Diamanten! Die hohen Buchen ſtehen gleich ernſten Vaͤtern, die verſtohlen laͤchelnd dem Muthwillen des lieblichen Kindes zuſehen; die weißen Birken bewegen ſich tantenhaft vergnuͤgt, und doch zugleich aͤngſtlich uͤber die gewagten Spruͤnge; der ſtolze Eichbaum ſchaut drein wie ein verdrießlicher Oheim, der das ſchoͤne Wetter bezah¬ len muß; die Voͤgelein in den Luͤften jubeln ihren Beyfall, die Blumen am Ufer fluͤſtern zaͤrtlich: O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb Schweſter¬ chen! aber das luſtige Maͤdchen ſpringt unauf¬244 haltſam weiter, und ploͤtzlich ergreift ſie den traͤu¬ menden Dichter, und es ſtroͤmt auf mich herab ein Blumenregen von klingenden Strahlen und ſtrah¬ lenden Klaͤngen, und die Sinne vergehen mir vor lauter Herrlichkeit, und ich hoͤre nur noch die floͤ¬ tenſuͤße Stimme:

Ich bin die Prinzeſſin Ilſe,
Und wohne im Ilſenſtein;
Komm mit nach meinem Schloſſe,
Wir wollen ſelig ſeyn.
Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well ',
Du ſollſt deine Schmerzen vergeſſen,
Du ſorgenkranker Geſell!
In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Bruſt,
Da ſollſt du liegen und traͤumen
Von alter Maͤhrchenluſt.
245
Ich will dich kuͤſſen und herzen,
Wie ich geherzt und gekuͤßt
Den lieben Kayſer Heinrich,
Der nun geſtorben iſt.
Es bleiben todt die Todten,
Und nur der Lebendige lebt;
Und ich bin ſchoͤn und bluͤhend,
Mein lachendes Herze bebt.
Und bebt mein Herz dort unten,
So klingt mein kriſtallenes Schloß,
Es tanzen die Fraͤulein und Ritter,
Es jubelt der Knappentroß.
Es rauſchen die ſeidenen Schleppen,
Es klirren die Eiſenſpor'n,
Die Zwerge trompeten und pauken,
Und fiedeln und blaſen das Horn.
Doch dich ſoll mein Arm umſchlingen,
Wie er Kayſer Heinrich umſchlang;
Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet 'erklang.
246

Unendlich ſelig iſt das Gefuͤhl, wenn die Er¬ ſcheinungswelt mit unſerer Gemuͤthswelt zuſammen¬ rinnt, und gruͤne Baͤume, Gedanken, Vogelge¬ ſang, Wehmuth, Himmelsblaͤue, Erinnerung und Kraͤuterduft ſich in ſuͤßen Arabesken verſchlingen. Die Frauen kennen am beſten dieſes Gefuͤhl, und darum mag auch ein ſo holdſelig unglaͤubiges Laͤcheln um ihre Lippen ſchweben, wenn wir mit Schulſtolz unſere logiſchen Thaten ruͤhmen, wie wir Alles ſo huͤbſch eingetheilt in objektiv und ſub¬ jektiv, wie wir unſere Koͤpfe apothekenartig mit tauſend Schubladen verſehen, wo in der einen Vernunft, in der andern Verſtand, in der dritten Witz, in der vierten ſchlechter Witz, und in der fuͤnften gar nichts, naͤmlich die Idee, enthalten iſt.

Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich faſt nicht bemerkt, daß wir die Tiefe des Ilſethales ver¬ laſſen, und wieder bergauf ſtiegen. Dies ging ſehr ſteil und muͤhſam, und Mancher von uns kam au¬ ßer Athem. Doch wie unſer ſeliger Vetter, der zu Moͤlln begraben liegt, dachten wir im voraus an's247 Bergabſteigen, und waren um ſo vergnuͤgter. End¬ lich gelangten wir auf den Ilſenſtein.

Das iſt ein ungeheurer Granitfelſen, der ſich lang und keck aus der Tiefe erhebt. Von drey Seiten umſchließen ihn die hohen, waldbedeckten Berge, aber die vierte, die Nordſeite, iſt frei und hier ſchaut man das unten liegende Ilſenburg und die Ilſe, weit hinab in's niedere Land. Auf der thurmartigen Spitze des Felſens ſteht ein großes, eiſernes Kreuz, und zur Noth iſt da noch Platz fuͤr vier Menſchenfuͤße.

Wie nun die Natur, durch Stellung und Form, den Ilſenſtein mit phantaſtiſchen Reizen geſchmuͤckt, ſo hat auch die Sage ihren Roſenſchein daruͤber ausgegoſſen. Gottſchalk berichtet: Man erzaͤhlt, hier habe ein verwuͤnſchtes Schloß geſtanden, in welchem die reiche, ſchoͤne Prinzeſſin Ilſe gewohnt, die ſich noch jetzt jeden Morgen in der Ilſe bade; und wer ſo gluͤcklich iſt, den rechten Zeitpunkt zu treffen, werde von ihr in den Felſen, wo ihr Schloß ſey, gefuͤhrt und koͤniglich belohnt! An¬248 dere erzaͤhlen von der Liebe des Fraͤuleins Ilſe und des Ritters von Weſtenberg eine huͤbſche Ge¬ ſchichte, die einer unſerer bekannteſten Dichter ro¬ mantiſch in der Abendzeitung beſungen hat. Andere wieder erzaͤhlen anders: es ſoll der altſaͤch¬ ſiſche Kayſer Heinrich geweſen ſeyn, der mit Ilſe, der ſchoͤnen Waſſer-Fee, in ihrer verzauberten Fel¬ ſenburg die kayſerlichſten Stunden genoſſen. Ein neuerer Schriftſteller, Herr Niemann, Wohlgeb., der ein Harzreiſebuch geſchrieben, worin er die Gebirgshoͤhen, Abweichungen der Magnetnadel, Schulden der Staͤdte und dergleichen mit loͤblichem Fleiße und genauen Zahlen angegeben, behauptet indeß: Was man von der ſchoͤnen Prinzeſſin Ilſe erzaͤhlt, gehoͤrt dem Fabelreiche an. So ſprechen alle dieſe Leute, denen eine ſolche Prinzeſ¬ ſin niemals erſchienen iſt, wir aber, die wir von ſchoͤnen Damen beſonders beguͤnſtigt werden, wiſſen das beſſer. Auch Kayſer Heinrich wußte es. Nicht umſonſt hingen die altſaͤchſiſchen Kayſer ſo ſehr an ihrem heimiſchen Harze. Man blaͤttere nur in249 der huͤbſchen Luͤneburger Chronik, wo die guten, alten Herren, in wunderlich treuherzigen Holzſchnitten, ab¬ conterfeyt ſind, wohlgeharniſcht, hoch auf ihrem ge¬ wappneten Schlachtroß, die heilige Kayſerkrone auf dem theuren Haupte, Scepter und Schwerdt in feſten Haͤnden; und auf den lieben, knebelbaͤrtigen Geſich¬ tern kann man deutlich leſen, wie oft ſie ſich nach den ſuͤßen Herzen ihrer Harz-Prinzeſſinnen und dem traulichen Rauſchen der Harzwaͤlder zuruͤck¬ ſehnten, wenn ſie in der Fremde weilten, wohl gar in dem zitronen - und giftreichen Welſchland, wohin ſie und ihre Nachfolger ſo oft verlockt wurden von dem Wunſche, roͤmiſche Kayſer zu heißen, einer echtdeutſchen Titelſucht, woran Kayſer und Reich zu Grunde gingen.

Ich rathe aber Jedem, der auf der Spitze des Ilſenſteins ſteht, weder an Kayſer und Reich, noch an die ſchoͤne Ilſe, ſondern bloß an ſeine Fuͤße zu denken. Denn als ich dort ſtand, in Gedanken verloren, hoͤrte ich ploͤtzlich die unterirdiſche Muſik des Zauberſchloſſes, und ich ſah, wie ſich die Berge250 ringsum auf die Koͤpfe ſtellten, und die rothen Ziegeldaͤcher zu Ilſenburg anfingen zu tanzen, und die gruͤnen Baͤume in der blauen Luft herum flo¬ gen, daß es mir blau und gruͤn vor den Augen wurde, und ich ſicher, vom Schwindel erfaßt, in den Abgrund geſtuͤrzt waͤre, wenn ich mich nicht, in meiner Seelennoth, an's eiſerne Kreuz feſtge¬ klammert haͤtte. Daß ich, in ſo mißlicher Stel¬ lung, dieſes letztere gethan habe, wird mir gewiß niemand verdenken.

251

Die Harzreiſe iſt und bleibt Fragment, und die bunten Faͤden, die ſo huͤbſch hineinge¬ ſponnen ſind, um ſich im Ganzen harmoniſch zu verſchlingen, werden ploͤtzlich, wie von der Scheere der unerbittlichen Parze, abgeſchnitten. Vielleicht verwebe ich ſie weiter in kuͤnftigen Lie¬ dern, und was jetzt kaͤrglich verſchwiegen iſt, wird alsdann vollauf geſagt. Am Ende kommt es auch auf Eins heraus, wann und wo man etwas ausgeſprochen hat, wenn man es nur uͤber¬ haupt einmal ausſpricht. Moͤgen die einzelnen Werke immerhin Fragmente bleiben, wenn ſie nur in ihrer Vereinigung ein Ganzes bilden. Durch ſolche Vereinigung mag hier und da das Mangel¬ hafte ergaͤnzt, das Schroffe ausgeglichen und das Allzuherbe gemildert werden. Dieſes wuͤrde viel¬ leicht ſchon bey den erſten Blaͤttern der Harzreiſe der Fall ſeyn, und ſie koͤnnten wohl einen minder ſauren Eindruck hervorbringen, wenn man am derweitig erfuͤhre, daß der Unmuth, den ich ge¬ gen Goͤttingen im Allgemeinen hege, obſchon er252 noch groͤßer iſt als ich ihn ausgeſprochen, doch lange nicht ſo groß iſt wie die Verehrung, die ich fuͤr einige Individuen dort empfinde. Und warum ſollte ich es verſchweigen, ich meyne hier ganz be¬ ſonders jenen viel theueren Mann, der ſchon in fruͤhern Zeiten ſich ſo freundlich meiner annahm, mir ſchon damals eine innige Liebe fuͤr das Stu¬ dium der Geſchichte einfloͤßte, mich ſpaͤterhin in dem Eifer fuͤr daſſelbe beſtaͤrkte, und dadurch mei¬ nen Geiſt auf ruhigere Bahnen fuͤhrte, meinem Lebensmuthe heilſamere Richtungen anwies, und mir uͤberhaupt jene hiſtoriſchen Troͤſtungen berei¬ tete, ohne welche ich die qualvollen Erſcheinungen des Tages nimmermehr ertragen wuͤrde. Ich ſpreche von Georg Sartorius, dem großen Ge¬ ſchichtsforſcher und Menſchen, deſſen Auge ein klarer Stern iſt in unſerer dunklen Zeit, und deſſen gaſtliches Herz offen ſteht fuͤr alle fremde Leiden und Freuden, fuͤr die Beſorgniſſe des Bett¬ lers und des Koͤnigs, und fuͤr die letzten Seufzer untergehender Voͤlker und ihrer Goͤtter.

253

Ich kann nicht umhin, hier ebenfalls anzudeu¬ ten: daß der Oberharz, jener Theil des Harzes, den ich bis zum Anfang des Ilſethals beſchrieben habe, bey weitem keinen ſo erfreulichen Anblick wie der romantiſch maleriſche Unterharz gewaͤhrt, und in ſeiner wildſchroffen, tannendunklen Schoͤn¬ heit gar ſehr mit demſelben kontraſtirt; ſo wie ebenfalls die drey, von der Ilſe, von der Bode und von der Selke gebildeten Thaͤler des Unterharzes gar anmuthig unter einander kontraſtiren, wenn man den Charakter jedes Thales zu perſonifiziren weiß. Es ſind drey Frauengeſtalten, wovon man nicht ſo leicht zu entſcheiden vermag, welche die Schoͤnſte ſey.

Von der lieben, ſuͤßen Ilſe und wie ſuͤß und lieblich ſie mich empfangen, habe ich ſchon geſagt und geſungen. Die duͤſtere Schoͤne, die Bode, empfing mich nicht ſo gnaͤdig, und als ich ſie im ſchmiededunklen Ruͤbeland zuerſt erblickte, ſchien ſie gar muͤrriſch und verhuͤllte ſich in einen ſilber¬ grauen Regenſchleyer; aber mit raſcher Liebe warf ſie ihn ab, als ich auf die Hoͤhe der Roßtrappe254 gelangte, ihr Antlitz leuchtete mir entgegen in ſonnigſter Pracht, aus allen Zuͤgen hauchte eine koloſſale Zaͤrtlichkeit, und aus der bezwunge¬ nen Felſenbruſt drang es hervor wie Sehnſucht¬ ſeufzer und ſchmelzende Laute der Wehmuth. Min¬ der zaͤrtlich, aber froͤhlicher zeigte ſich mir die ſchoͤne Selke, die ſchoͤne, liebenswuͤrdige Dame, deren edle Einfalt und heitre Ruhe alle ſentimen¬ tale Familiaritaͤt entfernt haͤlt, die aber doch durch ein halbverſtecktes Laͤcheln ihren neckenden Sinn verraͤth; und dieſem moͤchte ich es wohl zu¬ ſchreiben, daß mich im Selkethale gar mancherley kleines Ungemach heimſuchte, daß ich, indem ich uͤber das Waſſer ſpringen wollte, juſt in die Mitte hineinplumpſte, daß nachher, als ich das naſſe Fußzeug mit Pantoffeln vertauſcht hatte, einer derſelben mir abhanden, oder vielmehr ab¬ fuͤßen kam, daß mir ein Windſtoß die Muͤtze entfuͤhrte, daß mir Wald-Dorne die Beine zerfetzten, u. leider ſ. w. Doch all dieſes Unge¬ mach verzeihe ich gern der ſchoͤnen Dame, denn255 ſie iſt ſchoͤn. Und jetzt ſteht ſie vor meiner Ein¬ bildung mit all ihrem ſtillen Liebreiz, und ſcheint zu ſagen: wenn ich auch lache, ſo meyne ich es doch gut mit Ihnen, und ich bitte Sie, beſingen Sie mich. Die herrliche Bode tritt ebenfalls hervor in meiner Erinnerung, und ihr dunkles Auge ſpricht: du gleichſt mir im Stolz und im Schmerze, und ich will, daß du mich liebſt. Auch die ſchoͤne Ilſe kommt herangeſprungen, zierlich und bezau¬ bernd in Miene, Geſtalt und Bewegung; ſie gleicht ganz dem holden Weſen, das meine Traͤume beſeligt, und ganz, wie Sie, ſchaut ſie mich an, mit unwiderſtehlicher Gleichguͤltigkeit und doch zu¬ gleich ſo innig, ſo ewig, ſo durchſichtig wahr Nun, ich bin Paris, die drey Goͤttinnen ſte¬ hen vor mir, und den Apfel gebe ich der ſchoͤnen Ilſe.

Es iſt heute der erſte May, wie ein Meer des Lebens ergießt ſich der Fruͤhling uͤber die Erde, der weiße Bluͤthenſchaum bleibt an den Baͤumen haͤngen, ein weiter, warmer Nebelglanz verbrei¬256 tet ſich uͤberall, in der Stadt blitzen freudig die Fenſterſcheiben der Haͤuſer, an den Daͤchern bauen die Spatzen wieder ihre Neſtchen, auf der Straße wandeln die Leute und wundern ſich, daß die Luft ſo angreifend und ihnen ſelbſt ſo wunder¬ lich zu Muth iſt, die bunten Vierlanderinnen bringen Veilchenſtraͤußer, die Waiſenkinder, mit ihren blauen Jaͤckchen und ihren lieben, unehlichen Geſichtchen, ziehen uͤber den Jungfernſtieg und freuen ſich, als ſollten ſie heute einen Vater wie¬ derfinden, der Bettler an der Bruͤcke ſchaut ſo vergnuͤgt, als haͤtte er das große Loos gewonnen, ſogar den ſchwarzen, noch ungehenkten Makler, der dort mit ſeinem ſpitzbuͤbiſchen Manufaktur¬ waaren-Geſicht einherlaͤuft, beſcheint die Sonne mit ihren toleranteſten Strahlen, ich will hin¬ auswandern vor das Thor.

Es iſt der erſte May, und ich denke deiner, du ſchoͤne Ilſe oder ſoll ich dich Agnes nen¬ nen, weil dir dieſer Name am beſten gefaͤllt? ich denke deiner, und ich moͤchte wieder zuſehen257 wie du leuchtend den Berg hinablaͤufſt. Am lieb¬ ſten aber moͤchte ich unten im Thale ſtehen und dich auffangen in meine Arme. Es iſt ein ſchoͤ¬ ner Tag! Ueberall ſehe ich die gruͤne Farbe, die Farbe der Hoffnung. Ueberall, wie holde Wunder, bluͤhen hervor die Blumen, und auch mein Herz will wieder bluͤhen. Dieſes Herz iſt auch eine Blume, eine gar wunderliche. Es iſt kein beſchei¬ denes Veilchen, keine lachende Roſe, keine reine Lilie, oder ſonſtiges Bluͤmchen, das mit artiger Lieblichkeit den Maͤdchenſinn erfreut, und ſich huͤbſch vor den huͤbſchen Buſen ſtecken laͤßt, und heute welkt und morgen wieder bluͤht. Dieſes Herz gleicht mehr jener ſchweren, abentheuerlichen Blume aus den Waͤldern Braſiliens, die, der Sage nach, alle hundert Jahre nur einmal bluͤht. Ich erin¬ nere mich, daß ich als Knabe eine ſolche Blume ge¬ ſehen. Wir hoͤrten in der Nacht einen Schuß, wie von einer Piſtole, und am folgenden Mor¬ gen erzaͤhlten mir die Nachbarskinder, daß es ihre Aloe geweſen, die mit ſolchem Knalle ploͤtz¬17258lich aufgebluͤht ſey. Sie fuͤhrten mich in ihren Garten, und da ſah ich, zu meiner Verwunderung, daß das niedrige, harte Gewaͤchs, mit den naͤr¬ riſch breiten, ſcharfgezackten Blaͤttern, woran man ſich leicht verletzen konnte, jetzt ganz in die Hoͤhe geſchoſſen war, und oben, wie eine goldne Krone, die herrlichſte Bluͤthe trug. Wir Kinder konnten nicht mahl ſo hoch hinaufſehen, und der alte, ſchmunzelnde Chriſtian, der uns lieb hatte, baute eine hoͤlzerne Treppe um die Blume herum, und da kletterten wir hinauf, wie die Katzen, und ſchauten neugierig in den offnen Blumenkelch, wor¬ aus die gelben Strahlenfaͤden und wildfremden Duͤfte mit unerhoͤrter Pracht hervordrangen.

Ja, Agnes, oft und leicht kommt dieſes Herz nicht zum Bluͤhen; ſo viel ich mich erinnere, hat es nur ein einziges Mal gebluͤht, und das mag ſchon lange her ſeyn, gewiß ſchon hundert Jahr. Ich glaube, ſo herrlich auch damals ſeine Bluͤthe ſich entfaltete, ſo mußte ſie doch aus Mangel an Sonnenſchein und Waͤrme elendiglich verkuͤmmern,259 wenn ſie nicht gar von einem dunklen Winterſturme gewaltſam zerſtoͤrt worden. Jetzt aber regt und draͤngt es ſich wieder in meiner Bruſt, und hoͤrſt du ploͤtzlich den Schuß Maͤdchen! erſchrick nicht! ich hab 'mich nicht todt geſchoſſen, ſondern meine Liebe ſprengt ihre Knospe, und ſchießt empor in ſtrahlenden Liedern, in ewigen Dithyramben, in freu¬ digſter Sangesfuͤlle.

Iſt dir aber dieſe hohe Liebe zu hoch, Maͤd¬ chen, ſo mach 'es dir bequem, und beſteige die hoͤl¬ zerne Treppe, und ſchaue von dieſer hinab in mein bluͤhendes Herz.

Es iſt noch fruͤh am Tage, die Sonne hat kaum die Haͤlfte ihres Weges zuruͤckgelegt, und mein Herz duftet ſchon ſo ſtark, daß es mir betaͤu¬ bend zu Kopfe ſteigt, daß ich nicht mehr weiß wo die Ironie aufhoͤrt und der Himmel anfaͤngt, daß ich die Luft mit meinen Seufzern bevoͤlkere, und daß ich ſelbſt wieder zerrinnen moͤchte in ſuͤße Atome, in die unerſchaffene Gottheit; wie ſoll das erſt gehen, wenn es Nacht wird, und die Sterne260 am Himmel erſcheinen, die ungluͤckſel'gen Sterne, die dir ſagen koͤnnen

Es iſt der erſte May, der lumpigſte Laden¬ ſchwengel hat heute das Recht ſentimental zu wer¬ den, und dem Dichter wollteſt du es verwehren?

[261]

Die Nordſee.

1825.

Erſte Abtheilung.

[262]

Uneigennuͤtzig zu ſeyn in Allem, am uneigennuͤtzig¬ ſten in Liebe und Freundſchaft, war meine hoͤchſte Luſt, meine Maxime, meine Ausuͤbung, ſo daß jenes freche, ſpaͤtere Wort Wenn, ich dich liebe, was gebt's dich an? mir recht aus der Seele geſprochen iſt.

(Aus Goͤthes « Dichtung und Wahrheit » vierzehntes Buch.)

[263]

I. Huldigung.

Ihr Lieder! Ihr meine guten Lieder!
Auf, auf! und wappnet Euch!
Laßt die Trompeten klingen,
Und hebt mir auf den Schild
Dies junge Maͤdchen,
Das jetzt mein ganzes Herz
Beherrſchen ſoll, als Koͤnigin.
Heil dir! du junge Koͤnigin!
Von der Sonne droben
Reiß 'ich das ſtrahlend rothe Gold,
Und webe d'raus ein Diadem
Fuͤr dein geweihtes Haupt.
264
Von der flatternd blauſeid'nen Himmelsdecke,
Worin die Nachtdiamanten blitzen,
Schneid' ich ein koſtbar Stuͤck,
Und haͤng 'es dir, als Kroͤnungsmantel,
Um deine koͤnigliche Schulter.
Ich gebe dir einen Hofſtaat
Von ſteifgeputzten Sonetten,
Stolzen Terzinen und hoͤflichen Stanzen;
Als Laͤufer diene dir mein Witz,
Als Hofnarr meine Phantaſie,
Als Herold, die lachende Thraͤne im Wappen,
Diene dir mein Humor.
Aber ich ſelber, Koͤnigin,
Ich kniee vor dir nieder,
Und huld'gend, auf rothem Sammetkiſſen,
Ueberreiche ich Dir
Das bischen Verſtand,
Das mir, aus Mitleid, noch gelaſſen hat
Deine Vorgaͤngerin im Reich.
265

II. Abenddaͤmmerung.

Am blaſſen Meeresſtrande,
Saß ich gedankenbekuͤmmert und einſam.
Die Sonne neigte ſich tiefer, und warf
Gluͤhrothe Streifen auf das Waſſer,
Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Fluth gedraͤngt,
Schaͤumten und rauſchten naͤher und naͤher
Ein ſeltſam Geraͤuſch, ein Fluͤſtern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sauſen,
Dazwiſchen ein wiegenliedheimliches Singen
Mir war als hoͤrt 'ich verſcholl'ne Sagen,
Uralte, liebliche Maͤhrchen,
Die ich einſt, als Knabe,
Von Nachbarskindern vernahm,
Wenn wir am Sommerabend,
266
Auf den Treppenſteinen der Hausthuͤr,
Zum ſtillen Erzaͤhlen niederkauerten,
Mit kleinen, horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen;
Waͤhrend die großen Maͤdchen,
Neben duftenden Blumentoͤpfen,
Gegenuͤber am Fenſter ſaßen,
Roſengeſichter,
Laͤchelnd und mondbeglaͤnzt.
267

III. Sonnenuntergang.

Die gluͤhend rothe Sonne ſteigt
Hinab in's weitaufſchauernde,
Silbergraue Weltmeer;
Luftgebilde, roſig angehaucht,
Wallen ihr nach, und gegenuͤber,
Aus herbſtlich daͤmmernden Wolkenſchleyern,
Ein traurig todtblaſſes Antlitz,
Bricht hervor der Mond,
Und hinter ihm, Lichtfuͤnkchen,
Nebelweit, ſchimmern die Sterne.
Einſt am Himmel, glaͤnzten,
Ehlich vereint,
268
Luna, die Goͤttin, und Sol, der Gott,
Und es wimmelten um ſie her die Sterne,
Die kleinen, unſchuldigen Kinder.
Doch boͤſe Zungen ziſchelten Zwieſpalt,
Und es trennte ſich feindlich
Das hohe, leuchtende Eh'paar.
Jetzt, am Tage, in einſamer Pracht,
Ergeht ſich dort oben der Sonnengott,
Ob ſeiner Herrlichkeit
Angebetet und vielbeſungen
Von ſtolzen, gluͤckgehaͤrteten Menſchen.
Aber des Nachts,
Am Himmel, wandelt Luna,
Die arme Mutter
Mit ihren verwaiſten Sternenkindern,
Und ſie glaͤnzt in ſtummer Wehmuth,
Und liebende Maͤdchen und ſanfte Dichter
Weihen ihr Thraͤnen und Lieder.
269
Die weiche Luna! Weiblich geſinnt,
Liebt ſie noch immer den ſchoͤnen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewoͤlk,
Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich,
Und moͤchte ihm aͤngſtlich rufen: Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir
Aber der trotzige Sonnengott,
Bey dem Anblick der Gattin, ergluͤht 'er
In doppeltem Purpur,
Vor Zorn und Schmerz,
Und unerbittlich eilt er hinab
In ſein fluthenkaltes Wittwerbett.
Boͤſe, ziſchelnde Zungen
Brachten alſo Schmerz und Verderben
Selbſt uͤber ewige Goͤtter.
Und die armen Goͤtter, oben am Himmel
270
Wandeln ſie, qualvoll,
Troſtlos unendliche Bahnen,
Und koͤnnen nicht ſterben,
Und ſchleppen mit ſich
Ihr ſtrahlendes Elend.
Ich aber, der Menſch,
Der niedriggepflanzte, der Tod-begluͤckte,
Ich klage nicht laͤnger.
271

IV. Die Nacht am Strande.

Sternlos und kalt iſt die Nacht,
Es gaͤhrt das Meer;
Und uͤber dem Meer ', glatt auf dem Bauch',
Liegt der ungeſtaltete Nordwind,
Und heimlich, mit aͤchzend gedaͤmpfter Stimme,
Wie'n ſtoͤrriger Griesgram, der gutgelaunt wird,
Schwatzt er in's Waſſer hinein,
Und erzaͤhlt viel tolle Geſchichten,
Rieſenmaͤhrchen, todtſchlaglaunig,
Uralte Sagen aus Norweg,
Und dazwiſchen, weitſchallend, lacht er und heult er
Beſchwoͤrungslieder der Edda,
Graue Runenſpruͤche,
So dunkeltrotzig und zaubergewaltig,
Daß die weißen Meerkinder
272
Hochaufſpringen und jauchzen,
Uebermuth-berauſcht.
Derweilen, am flachen Geſtade,
Ueber den fluthbefeuchteten Sand,
Schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,
Das wilder noch als Wind und Wellen;
Wo er hintritt,
Spruͤhen Funken und kniſtern die Muſcheln,
Und er huͤllt ſich feſt in den grauen Mantel,
Und ſchreitet raſch durch die wehende Nacht;
Sicher geleitet vom kleinen Lichte,
Das lockend und lieblich ſchimmert,
Aus einſamer Fiſcherhuͤtte.
Vater und Bruder ſind auf der See,
Und mutterſeelallein blieb dort
In der Huͤtte die Fiſchertochter,
Die wunderſchoͤne Fiſchertochter.
Am Heerde ſitzt ſie
Und horcht auf des Waſſerkeſſels
273
Ahnungſuͤßes, heimliches Summen,
Und ſchuͤttet kniſterndes Reiſig in's Feuer,
Und blaͤßt hinein,
Daß die flackernd rothen Lichter
Zauberlieblich wiederſtrahlen
Auf das bluͤhende Antlitz,
Auf die zarte, weiße Schulter,
Die ruͤhrend hervorlauſcht
Aus dem groben, grauen Hemde,
Und auf die kleine, ſorgſame Hand,
Die das Unterroͤckchen feſter bindet,
Um die feine Huͤfte.
Aber ploͤtzlich, die Thuͤr ſpringt auf,
Und es tritt herein der naͤchtige Fremdling;
Lieb ſicher ruht ſein Auge
Auf dem weißen, ſchlanken Maͤdchen,
Das ſchauernd vor ihm ſteht,
Gleich einer erſchrockenen Lilje;
Und er wirft den Mantel zur Erde,
Und lacht und ſpricht:
18274
Siehſt du, mein Kind, ich halte Wort,
Und ich komme, und mit mir kommt
Die alte Zeit, wo die Goͤtter des Himmels
Niederſtiegen zu Toͤchtern der Menſchen,
Und die Toͤchter der Menſchen umarmten,
Und mit ihnen zeugten
Zeptertragende Koͤnigsgeſchlechter
Und Helden, Wunder der Welt.
Doch ſtaune, mein Kind, nicht laͤnger
Ob meiner Goͤttlichkeit,
Und ich bitte dich, koche mir Thee mit Rum,
Denn draußen war's kalt,
Und bey ſolcher Nachtluft
Frieren auch wir, wir ewigen Goͤtter,
Und kriegen wir leicht den goͤttlichſten Schnupfen,
Und einen unſterblichen Huſten.
275

V. Poſeidon.

Die Sonnenlichter ſpielten
Ueber das weithinrollende Meer;
Fern 'auf der Rehde glaͤnzte das Schiff,
Das mich zur Heimath tragen ſollte;
Aber es fehlte an gutem Fahrwind,
Und ich ſaß noch ruhig auf weißer Duͤhne,
Am einſamen Strand,
Und ich las das Lied vom Oduͤſſeus,
Das alte, ewig junge Lied,
Aus deſſen meerdurchrauſchten Blaͤttern
Mir freudig entgegenſtieg
Der Athem der Goͤtter,
Und der leuchtende Menſchenfruͤhling,
Und der bluͤhende Himmel von Hellas.
276
Mein edles Herz begleitete treulich
Den Sohn des Laërtes, in Irrfahrt und Drangſal,
Setzte ſich mit ihm, ſeelenbekuͤmmert,
An gaſtliche Heerde,
Wo Koͤniginnen Purpur ſpinnen,
Und half ihm luͤgen und gluͤcklich entrinnen
Aus Rieſenhoͤhlen und Nymphenarmen,
Folgte ihm nach in kuͤmeriſche Nacht,
Und in Sturm und Schiffbruch,
Und duldete mit ihm unſaͤgliches Elend.
Seufzend ſprach ich: Du boͤſer Poſeidon,
Dein Zorn iſt furchtbar,
Und mir ſelber bangt
Ob der eignen Heimkehr.
Kaum ſprach ich die Worte
Da ſchaͤumte das Meer,
Und aus den weißen Wellen ſtieg
Das ſchilfbekraͤnzte Haupt des Meergotts,
Und hoͤhniſch rief er:
277
Fuͤrchte dich nicht, Poetlein!
Ich will nicht im gringſten gefaͤhrden
Dein armes Schiffchen,
Und nicht dein liebes Leben beaͤngſt'gen
Mit allzubedenklichem Schaukeln.
Denn Du, Poetlein, haſt nie mich erzuͤrnt,
Du haſt kein einziges Thuͤrmchen verletzt
An Priamos heiliger Veſte,
Kein einziges Haͤrchen haſt du verſengt
Am Aug 'meines Sohns Poluͤphemos,
Und Dich hat niemals rathend beſchuͤtzt
Die Goͤttin der Klugheit, Pallas Athene.
Alſo rief Poſeidon
Und tauchte zuruͤck in's Meer;
Und uͤber den groben Seemannswitz
Lachten unter dem Waſſer
Amphitrite, das plumpe Fiſchweib,
Und die dummen Toͤchter des Nereus.
278

VI. Erklaͤrung.

Herangedaͤmmert kam der Abend,
Wilder toſte die Fluth,
Und ich ſaß am Strand, und ſchaute zu
Dem weißen Tanz der Wellen,
Und meine Bruſt ſchwoll auf wie das Meer,
Und ſehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh
Nach dir, du holdes Bild,
Das uͤberall mich umſchwebt,
Und uͤberall mich ruft,
Ueberall, uͤberall,
Im Sauſen des Windes, im Brauſen des Meers,
Und im Seufzen der eigenen Bruſt.
Mit leichtem Rohr ſchrieb ich in den Sand:
Agnes, ich liebe Dich!
279
Doch boͤſe Wellen ergoſſen ſich
Ueber das ſuͤße Bekenntniß,
Und loͤſchten es aus.
Zerbrechliches Rohr, zerſtiebender Sand,
Zerfließende Wellen, Euch trau 'ich nicht mehr!
Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,
Und mit ſtarker Hand, aus Norwegs Waͤldern
Reiß ich die hoͤchſte Tanne,
Und tauche ſie ein
In des Aetnas gluͤhenden Schlund, und mit ſolcher
Feuergetraͤnkten Rieſenfeder
Schreib' ich an die dunkle Himmelsdecke:
Agnes, ich liebe Dich!
Jedwede Nacht lodert alsdann
Dort oben die ewige Flammenſchrift,
Und alle nachwachſende Enkelgeſchlechter
Leſen jauchzend die Himmelsworte:
Agnes, ich liebe Dich!
280

VII. Nachts in der Cajuͤte.

Das Meer hat ſeine Perlen,
Der Himmel hat ſeine Sterne,
Aber mein Herz, mein Herz,
Mein Herz hat ſeine Liebe.
Groß iſt das Meer und der Himmel,
Doch groͤßer iſt mein Herz,
Und ſchoͤner als Perlen und Sterne
Leuchtet und ſtrahlt meine Liebe.
Du kleines, junges Maͤdchen,
Komm an mein großes Herz;
Mein Herz und das Meer und der Himmel
Vergehn vor lauter Liebe.
281
An die blaue Himmelsdecke,
Wo die ſchoͤnen Sterne blinken,
Moͤcht 'ich preſſen meine Lippen,
Preſſen wild und ſtuͤrmiſch weinen.
Jene Sterne ſind die Augen
Meiner Liebſten, tauſendfaͤltig
Schimmern ſie und gruͤßen freundlich,
Aus der blauen Himmelsdecke.
Nach der blauen Himmelsdecke,
Nach den Augen der Geliebten,
Heb 'ich andachtsvoll die Arme,
Und ich bete und ich flehe:
Holde Augen, Gnadenlichter,
O, beſeligt meine Seele,
Laßt mich ſterben und erwerben
Euch und Euren ganzen Himmel!
282
Aus den Himmelsaugen droben,
Fallen zitternd lichte Funken
Durch die Nacht, und meine Seele
Dehnt ſich liebeweit und weiter.
O, Ihr Himmelsaugen droben!
Weint Euch aus in meine Seele,
Daß von lieben Sternenthraͤnen
Ueberfließet meine Seele.
Eingewiegt von Meereswellen,
Und von traͤumenden Gedanken,
Lieg 'ich ſtill in der Kajuͤte,
In dem dunkeln Winkelbette.
Durch die off'ne Luke ſchau 'ich
Droben hoch die hellen Sterne,
Die geliebten, ſuͤßen Augen
Meiner ſuͤßen Vielgeliebten.
283
Die geliebten, ſuͤßen Augen,
Wachen uͤber meinem Haupte,
Und ſie klingen und ſie winken
Aus der blauen Himmelsdecke.
Nach der blauen Himmelsdecke
Schau 'ich ſelig lange Stunden,
Bis ein weißer Nebelſchleyer
Mir verhuͤllt die lieben Augen.
An die bretterne Schiffswand,
Wo mein traͤumendes Haupt liegt,
Branden die Wellen, die wilden Wellen.
Sie rauſchen und murmeln
Mir heimlich in's Ohr:
Bethoͤrter Geſelle!
Dein Arm iſt kurz, und der Himmel iſt weit,
Und die Sterne droben ſind feſtgenagelt,
Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,
Das Beſte waͤre, du ſchliefeſt ein.
284
Es traͤumte mir von einer weiten Haide,
Weit uͤberdeckt von weißem, weißem Schnee,
Und unter'm weißen Schnee lag ich begraben,
Und ſchlief den einſam kalten Todesſchlaf.
Doch droben aus dem dunkeln Himmel ſchauten
Herunter auf mein Grab die Sternenaugen,
Die ſuͤßen Augen! und ſie glaͤnzten ſieghaft
Und ruhig heiter, aber voller Liebe.
285

VIII. Sturm.

Es wuͤthet der Sturm,
Und er peitſcht die Well'n,
Und die Wellen, wuthſchaͤumend und baͤumend,
Thuͤrmen ſich auf, und es wogen lebendig
Die weißen Waſſerberge,
Und das Schifflein erklimmt ſie
Haſtig muͤhſam,
Und ploͤtzlich ſtuͤrzt es hinab
In ſchwarze, weitgaͤhnende Fluthabgruͤnde
O Meer!
Mutter der Schoͤnheit, der Schaumentſtiegenen!
Großmutter der Liebe! ſchone meiner!
Schon flattert, leichenwitternd,
286
Die weiße, geſpenſtiſche Moͤve,
Und wetzt an den Maſtbaum den Schnabel,
Und lechzt, voll Fraßbegier, nach dem Mund,
Der vom Ruhm deiner Tochter ertoͤnt
Und lechzt nach dem Herzen,
Das dein Enkel, der kleine Schalk,
Zum Spielzeug erwaͤhlt.
Vergebens mein Bitten und Flehn!
Mein Rufen verhallt im toſenden Sturm,
Im Schlachtlaͤrm der Winde;
Es braußt und pfeift und praſſelt und heult
Wie ein Tollhaus von Toͤnen!
Und zwiſchendurch hoͤr 'ich vernehmbar
Lockende Harfenlaute,
Sehnſuchtwilden Geſang,
Seelenſchmelzend und ſeelenzerreißend
Und ich erkenne die Stimme.
Fern an ſchottiſcher Felſenkuͤſte,
Wo das graue Schloͤßlein hinausragt
287
Ueber die brandende See,
Dort am hochgewoͤlbten Fenſter,
Steht eine ſchoͤne, kranke Frau,
Zartdurchſichtig und marmorblaß,
Und ſie ſpielt die Harfe und ſingt,
Und der Wind durchwuͤhlt ihre langen Locken,
Und traͤgt ihr dunkles Lied '
Ueber das weite, ſtuͤrmende Meer.
288

IX. Meeresſtille.

Meeresſtille! Ihre Strahlen
Wirft die Sonne auf das Waſſer,
Und im wogenden Geſchmeide
Zieht das Schiff die gruͤnen Furchen.
Bey dem Steuer liegt der Bootsmann,
Auf dem Bauch, und ſchnarchet leiſe.
Bey dem Maſtbaum, ſeegelflickend,
Kauert der betheerte Schiffsjung.
Hinter'm Schmutze ſeiner Wangen
Spruͤht es roth, wehmuͤthig zuckt es
Um das breite Maul, und ſchmerzlich
Schau'n die großen, ſchoͤnen Augen.
289
Denn der Capitaͤn ſteht vor ihm,
Tobt und flucht und ſchilt ihn: Spitzbub.
Spitzbub! einen Hering haſt du
Aus der Tonne mir geſtohlen!
Meeresſtille! Aus den Wellen
Taucht hervor ein kluges Fiſchlein,
Waͤrmt das Koͤpfchen in der Sonne,
Plaͤtſchert luſtig mit dem Schwaͤnzchen.
Doch die Moͤve, aus den Luͤften,
Schießt herunter auf das Fiſchlein,
Und den raſchen Raub im Schnabel
Schwingt ſie ſich hinauf in's Blaue.
19290

X. Seegeſpenſt.

Ich aber lag am Rande des Schiffes,
Und ſchaute, traͤumenden Auges,
Hinab in das ſpiegelklare Waſſer,
Und ſchaute tiefer und tiefer
Bis tief, im Meeresgrunde,
Anfangs wie daͤmmernde Nebel,
Jedoch allmaͤhlig farbenbeſtimmter,
Kirchenkuppel und Thuͤrme ſich zeigten
Und endlich, ſonnenklar, eine ganze Stadt,
Alterthuͤmlich niederlaͤndiſch,
Und menſchenbelebt.
291
Bedaͤchtige Maͤnner, ſchwarzbemaͤntelt,
Mit weißen Halskrauſen und Ehrenketten
Und langen Degen und langen Geſichtern,
Schreiten, uͤber den wimmelnden Marktplatz,
Nach dem treppenhohen Rathhauſ ',
Wo ſteinerne Kayſerbilder
Wacht halten mit Zepter und Schwerdt.
Unferne, vor langen Haͤuſer-Reih'n
Mit ſpiegelblanken Fenſtern,
Stehn pyramidiſch beſchnittene Linden,
Und wandeln ſeidenrauſchende Jungfrau'n,
Ein guͤlden Band um den ſchlanken Leib,
Die Blumengeſichter ſittſam umſchloſſen
Von ſchwarzen, ſammtnen Muͤtzchen,
Woraus die Lockenfuͤlle hervordringt.
Bunte Geſellen, in ſpaniſcher Tracht,
Stolziren voruͤber und nicken.
Bejahrte Frauen,
In braunen, verſchollnen Gewaͤndern,
Geſangbuch und Roſenkranz in der Hand,
Eilen, trippelnden Schritts,
292
Nach dem großen Dome,
Getrieben von Glockengelaͤute
Und rauſchendem Orgelton.
Mich ſelbſt ergreift des fernen Klangs
Geheimnißvoller Schauer,
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth
Beſchleicht mein Herz,
Mein kaumgeheiltes Herz;
Mir iſt als wuͤrden ſeine Wunden
Von lieben Lippen aufgekuͤßt,
Und thaͤten wieder bluten,
Heiße, rothe Tropfen,
Die lang und langſam niederfall'n
Auf ein altes Haus dort unten
In der tiefen Meerſtadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholiſch menſchenleer iſt,
Nur daß am untern Fenſter
Ein Maͤdchen ſitzt,
Den Kopf auf den Arm geſtuͤtzt,
Wie ein armes, vergeſſenes Kind
Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!
293
So tief, ſo tief alſo
Verſteckteſt du dich vor mir,
Aus kindiſcher Laune,
Und konnteſt nicht mehr hinauf,
Und ſaßeſt fremd unter fremden Leuten,
Fuͤnfhundert Jahre lang,
Derweilen ich, die Seele voll Gram,
Auf der ganzen Erde dich ſuchte,
Und immer dich ſuchte,
Du Immergeliebte,
Du Laͤngſtverlorene,
Du Endlichgefundene,
Ich hab 'dich gefunden und ſchaue wieder
Dein ſuͤßes Geſicht,
Die klugen, treuen Augen,
Das liebe Laͤcheln
Und nimmer will ich dich wieder verlaſſen,
Und ich komme hinab zu dir,
294
Und mir ausgebreiteten Armen
Stuͤrz' ich hinab an dein Herz
Aber zur rechten Zeit noch
Ergriff mich beym Fuß der Capitaͤn,
Und zog mich vom Schiffsrand,
Und rief, aͤrgerlich lachend:
Doktor, ſind Sie des Teufels?
295

XI. Reinigung.

Bleib 'Du in deiner Meerestiefe,
Wahnſinniger Traum,
Der du einſt ſo manche Nacht
Mein Herz mit falſchem Gluͤck gequaͤlt haſt
Und jetzt, als See-Geſpenſt,
Sogar am hellen Tag' mich bedroheſt
Bleib 'Du dort unten, in Ewigkeit,
Und ich werfe noch zu dir hinab
All meine Schmerzen und Suͤnden
Und die Schellenkappe der Thorheit,
Die ſo lange mein Haupt umklingelt,
Und die kalte, gleißende Schlangenhaut
Der Heucheley,
Die mir ſo lang' die Seele umwunden,
Die kranke Seele,
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Die gottverleugnende, engelverleugnende,
Unſelige Seele
Hoiho! Hoiho! Da kommt der Wind!
Die Segel auf! Sie flattern und ſchwell'n;
Ueber die ſtillverderbliche Flaͤche
Eilet das Schiff,
Und es jauchzt die befreyte Seele.
297

XII. Frieden.

Hoch am Himmel ſtand die Sonne,
Von weißen Wolken umwogt,
Das Meer war ſtill.
Und ſinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
Traͤumeriſch ſinnend, und halb im Wachen
Und halb im Schlummer, ſchaute ich Chriſtus,
Den Heiland der Welt.
Im wallend weißen Gewande
Wandelt 'er rieſengroß
Ueber Land und Meer;
Es ragte ſein Haupt in den Himmel,
Die Haͤnde ſtreckte er ſegnend
Ueber Land und Meer;
Und als ein Herz in der Bruſt
Trug er die Sonne,
298
Die rothe, flammende Sonne,
Und das rothe, flammende Sonnenherz
Goß ſeine Gnadenſtrahlen
Und ſein holdes, liebſeliges Licht,
Erleuchtend und waͤrmend,
Ueber Land und Meer.
Glockenklaͤnge zogen feyerlich
Hin und her, zogen wie Schwaͤne,
Am Roſenbande, das gleitende Schiff,
Und zogen es ſpielend an's gruͤne Ufer,
Wo Menſchen wohnen, in hochgethuͤrmter,
Ragender Stadt.
O Friedenswunder! Wie ſtill die Stadt!
Es ruhte das dumpfe Geraͤuſch
Der ſchwatzenden, ſchwuͤlen Gewerbe,
Und durch die reinen, hallenden Straßen
Zogen Menſchen, weißgekleidete,
Palmzweig-tragende,
Und wo ſich Zwey begegneten,
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Sahn ſie ſich an, verſtaͤndnißinnig,
Und ſchauernd, in Liebe und ſuͤßer Entſagung,
Kuͤßten ſie ſich auf die Stirne,
Und ſchauten hinauf
Nach des Heilands Sonnenherzen,
Das freudig verſoͤhnend ſein rothes Blut
Hinunterſtrahlte,
Und dreymalſelig ſprachen ſie:
Gelobt ſey Jeſu Chriſt!
Haͤtteſt du doch dies Traumbild erſonnen,
Was gaͤbeſt du d'rum,
Geliebteſter!
Der du in Kopf und Lenden ſo ſchwach,
Und im Glauben ſo ſtark biſt,
Und die Dreyfaltigkeit ehreſt in Einfalt,
Und den Mops und das Kreuz und die Pfote
Der hohen Goͤnnerin taͤglich kuͤſſeſt,
Und dich hinaufgefroͤmmelt haſt
Zum Hofrath und dann zum Juſtizrath,
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Und endlich zum Rathe bey der Regierung,
In der frommen Stadt,
Wo der Sand und der Glauben bluͤht,
Und der heiligen Sprea geduldiges Waſſer
Die Seelen waͤſcht und den Thee verduͤnnt
Haͤtteſt du doch dies Traumbild erſonnen,
Geliebteſter!
Du truͤgeſt es, hoͤheren Ortes, zu Markt,
Dein weiches, blinzelndes Antlitz
Verſchwaͤmme ganz in Andacht und Demuth,
Und die Hocherlauchte,
Verzuͤckt und wonnebebend,
Saͤnke betend mit dir auf's Knie,
Und ihr Auge, ſelig ſtrahlend,
Verhieße dir eine Gehaltzulage
Von hundert Thalern Preußiſch Courant,
Und du ſtammelteſt haͤndefaltend:
Gelobt ſey Jeſu Chriſt!

Anmerkung.

Obſchon ich mich bey der Correctur dieſes Bandes unſaͤglich abmuͤhte, ſo ſind doch gewiß viele Errata ſtehen geblieben, und ich wuͤrde ſie auch gern nachtraͤglich ver¬ beſſern, wenn ich ſie nur in dieſem Augenblick gleich auf¬ zufinden wuͤßte. Zufaͤllig ſehe ich eben auf S. 123, Z. 7 v. u. ſteht erwaͤmte ſtatt: erwaͤrmte. Auf S. 217, Z. 8 v. u. ſteht Angeli ſtatt: Wurm. Ehrlich geſtanden, Erſteren habe ich niemals geſehen und die gewiß ſehr bedeutende Namensverwechſelung iſt zu¬ faͤllig. S. 53, Z. 4 v. ob. ſteht Bettlerwort ſtatt: Bettelwort. Letzteres iſt der beſſere Ausdruck. Die uͤbrigen Verbeſſerungen ſollen nachgeliefert werden im zweiten Theile der Reiſebilder, welcher noch außerdem recht viel Huͤbſches enthalten wird, z. B. abgebrochene Er¬ zaͤhlungen, halbe Anſichten der Hauptſtaͤdte Nord-Deutſch¬ land's, ſogar Bemerkungen uͤber polniſche Waͤlder und deutſche Literatur u. ſ. w. Saumſeligen Freunden, die noch immer Mſpte von mir zuruͤckhalten und viel¬ leicht von gedruckten Bitten ſtaͤrker geruͤhrt werden, als von geſchriebenen, wird recht liebevoll angedeutet: daß Briefe und Paquete, mit der Aufſchrift an Heinrich Heine, Dr. Jur., per Adreſſe der Herren Hoffmann und Campe in Hamburg jederzeit richtig an mich befoͤr¬ dert werden.

Gedruckt in der Langhoffſchen Buchdruckerei in Hamburg.

About this transcription

TextReisebilder
Author Heinrich Heine
Extent317 images; 32984 tokens; 9035 types; 230438 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReisebilder Erster Theil Heinrich Heine. . [3] Bl., 300 S., [1] Bl. Hoffmann und CampeHamburg1826.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 4637-1http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=615501567

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:21Z
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ShelfmarkSBB-PK, 19 ZZ 4637-1
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