Der Frau Geh. Legationsraͤthin Friedrike Varnhagen v. Enſe widmet die achtundachtzig Gedichte ſeiner « Heimkehr » der Verfaſſer.
(1823 — 1824.)
1[2]Des Altars heil'ge Deck ', um eines DiebesScheuſel'ge Bloͤße liederlich gewunden!Der goldne Kelchwein des Gefuͤhls, geſoffenVon einem Trunkenbolde! Eine Roſe,Zu ſtolz, den Thau des Himmels zu empfangen,Herberge nun der giftgeſchwollnen Spinne!
(Aus einem ſpaniſchen Romane.)
(Aus einem ſpaniſchen Romane.)
Der Stoff dieſes Gedichtes iſt nicht ganz mein Eigenthum. Es entſtand durch Erinnerung an die rheiniſche Heimath. — Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziſkanerkloſter zu Duͤſſeldorf die erſte Dreſſur erhielt, und dort zuerſt Buchſtabiren und Stillſitzen lernte, ſaß ich oft neben einem an¬109 dern Knaben, der mir immer erzaͤhlte: wie ſeine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der erſten Sylbe und der Ort ſelbſt liegt im Geldern¬ ſchen) einſtmals mitgenommen, wie ſie dort einen waͤchſernen Fuß fuͤr ihn geopfert, und wie ſein eig¬ ner ſchlimmer Fuß dadurch geheilt ſey. Mit die¬ ſem Knaben traf ich wieder zuſammen in der ober¬ ſten Claſſe des Gymnaſiums, und als wir im Phi¬ loſophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben einander zu ſitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakel-Erzaͤhlung, ſetzte aber doch etwas ernſthaft hinzu: jetzt wuͤrde er der Muttergottes ein waͤchſernes Herz opfern. Ich hoͤrte ſpaͤter, er habe damals an einer ungluͤcklichen Liebſchaft labo¬ rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedaͤchtniß. — Im Jahr 1819, als ich in Bonn ſtudierte, und einmal, in der Gegend von Godesberg, am Rhein ſpatzieren ging, hoͤrte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder, wovon das vorzuͤglichſte den gedehnten Refrain hat „ Gelobt ſeyſt du, Maria! “und als die Prozeſſion110 naͤher kam, bemerkte ich unter den Wallfahrtern meinen Schulkameraden mit ſeiner alten Mutter. Dieſe fuͤhrte ihn. Er aber ſah ſehr blaß und krank aus.
Ich durfte dieſe Notiz nicht von dem Gedichte trennen, weil beyde zugleich entſtanden, ſchon ein¬ mal zuſammen abgedruckt worden, und dadurch gleichſam verwachſen ſind. Auf keinen Fall will ich irgend eine Vorneigung andeuten, eben ſo wenig, wie irgend eine Abneigung durch das vor¬ hergehende Gedicht ausgeſprochen werden ſoll. Die¬ ſes, Almanſor uͤberſchrieben, wird im Romane, dem es entlehnt iſt, von einem Mauren, einem unmu¬ thigen Bekenner des Islams, gedichtet und geſun¬ gen. „ Und wahrlich “— ſo ſpricht ein engliſcher Schriftſteller — „ wie Gott, der Urſchoͤpfer, ſtehe auch der Dichter, der Nachſchoͤpfer, partheylos er¬ haben uͤber allem Sektengeklaͤtſche dieſer Erde. “
1824.
[112]Nichts iſt dauernd, als der Wechſel; nichts beſtaͤn¬ dig, als der Tod. Jeder Schlag des Herzens ſchlaͤgt uns eine Wunde, und das Leben waͤre ein ewiges Ver¬ bluten, wenn nicht die Dichtkunſt waͤre. Sie gewaͤhrt uns, was uns die Natur verſagt: eine goldene Zeit, die nicht roſtet, einen Fruͤhling, der nicht abbluͤht, wol¬ kenloſes Gluͤck und ewige Jugend.
Die Stadt Goͤttingen, beruͤhmt durch ihre Wuͤrſte und Univerſitaͤt, gehoͤrt dem Koͤnig von Hannover, und enthaͤlt 999 Feuerſtellen, diverſe Kirchen, eine Entbindungsanſtalt, eine Stern¬ warte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Rathskeller, wo das Bier ſehr gut iſt. Der[vor¬ beyfließende] Bach heißt „ die Leine “und dient des Sommers zum Baden; das Waſſer iſt ſehr kalt, und an einigen Orten ſo breit, daß Luͤder wirklich115 einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬ uͤber ſprang. Die Stadt ſelbſt iſt ſchoͤn, und ge¬ faͤllt einem am beſten, wenn man ſie mit dem Ruͤcken anſieht. Sie muß ſchon ſehr lange ſtehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fuͤnf Jahren dort immatrikulirt und bald drauf konſiliirt wurde, hatte ſie ſchon daſſelbe graue, altkluge Anſehen, und war ſchon vollſtaͤndig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Diſſertazionen, Thee¬ danſants, Waͤſcherinnen, Compendien, Tauben¬ braten, Guelfenorden, Promozionskutſchen, Pfei¬ fenkoͤpfen, Hofraͤthen, Juſtizraͤthen, Relegazions¬ raͤthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬ haupten ſogar, die Stadt ſey zur Zeit der Voͤl¬ kerwanderung erbaut worden, jeder deutſche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar ſeiner Mitglieder darin zuruͤckgelaſſen, und davon ſtamm¬ ten all die Vandalen, Frieſen, Schwaben, Teuto¬ nen, Sachſen, Thuͤringer u. ſ. w., die noch heut zu Tage in Goͤttingen, hordenweis, und geſchieden durch Farbe der Muͤtzen und der Pfeifenquaͤſte,116 uͤber die Weenderſtraße einherziehen, auf den blu¬ tigen Wahlſtaͤtten der Raſenmuͤhle, des Ritſchen¬ krugs und Bovdens ſich ewig unter einander her¬ umſchlagen, in Sitten und Gebraͤuchen noch im¬ mer wie zur Zeit der Voͤlkerwanderung dahin¬ leben, und theils durch ihre Duces, welche Haupt¬ haͤhne heißen, theils durch ihr uraltes Geſetzbuch, welches Comment heißt und in den legibus bar¬ barorum eine Stelle verdient, regiert werden.
Im Allgemeinen werden die Bewohner Goͤttin¬ gen's eingetheilt in Studenten, Profeſſoren, Phi¬ liſter und Vieh; welche vier Staͤnde doch nichts weniger als ſtreng geſchieden ſind. Der Viehſtand iſt der bedeutendſte. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Profeſſo¬ ren hier herzuzaͤhlen, waͤre zu weitlaͤuftig; auch ſind mir in dieſem Augenblick nicht alle Studen¬ tennamen im Gedaͤchtniſſe, und unter den Pro¬ feſſoren ſind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der goͤttinger Philiſter muß ſehr groß ſeyn, wie Sand, oder beſſer geſagt, wie117 Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich ſie des Mor¬ gens, mit ihren ſchmutzigen Geſichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademiſchen Gerichtes aufgepflanzt ſah, ſo mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur ſo viel Lumpenpack er¬ ſchaffen konnte.
Ausfuͤhrlicheres uͤber die Stadt Goͤttingen laͤßt ſich ſehr bequem nachleſen in der Topographie der¬ ſelben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬ gen den Verfaſſer, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligſten Verpflichtungen hege, ſo kann ich doch ſein Werk nicht unbe¬ dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falſchen Meinung, als haͤtten die Goͤttingerinnen allzugroße Fuͤße, nicht ſtreng genug widerſpricht. Ja, ich habe mich ſogar ſeit Jahr und Tag mit einer ernſten Widerlegung dieſer Meinung beſchaͤff¬ tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬ hoͤrt, die ſeltenſten Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderſtraße ſtundenlang die Fuͤße der voruͤbergehenden Damen ſtudiert, und in118 der grundgelehrten Abhandlung, ſo die Reſultate dieſer Studien enthaͤlt, ſpreche ich 1° von den Fuͤßen uͤberhaupt, 2° von den Fuͤßen bey den Al¬ ten, 3° von den Fuͤßen der Elephanten, 4° von den Fuͤßen der Goͤttingerinnen, 5° ſtelle ich Alles zuſammen, was uͤber dieſe Fuͤße auf Ullrichs Gar¬ ten ſchon geſagt worden, 6° betrachte ich dieſe Fuͤße in ihrem Zuſammenhang, und verbreite mich bey dieſer Gelegenheit auch uͤber Waden, Knie u. ſ. w., und endlich 7°, wenn ich nur ſo großes Papier auftreiben kann, fuͤge ich noch hinzu einige Kupfertafeln mit dem Facſimile goͤttingſcher Da¬ menfuͤße. —
Es war noch ſehr fruͤh, als ich Goͤttingen verließ, und der gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und traͤumte wie gewoͤhnlich: er wandle in einem ſchoͤnen Garten, auf deſſen Beeten lau¬ ter weiße, mit Citaten beſchriebene Papierchen wachſen, die im Sonnenlichte lieblich glaͤnzen, und von denen er hier und da mehrere pfluͤckt, und muͤhſam in ein neues Beet verpflanzt, waͤh¬119 rend die Nachtigallen mit ihren ſuͤßeſten Toͤnen ſein altes Herz erfreuen.
Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine zum Andern ſagte: „ Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er iſt ein Lumpenkerl, denn geſtern wußte er nicht mal, wie der Ge¬ nitiv von Mensa heißt. “ So unbedeutend dieſe Worte klingen, ſo muß ich ſie doch wieder erzaͤh¬ len, ja, ich moͤchte ſie als Stadt-Motto gleich auf das Thor ſchreiben laſſen; denn die Jungen piepſen wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenſtolz der hochgelahrten Georgia Auguſta.
Auf der Chauſſee wehte friſche Morgenluft, und die Voͤgel ſangen gar freudig, und auch mir wurde allmaͤhlig wieder friſch und freudig zu Muthe. Eine ſolche Erquickung that Noth. Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenſtall herausgekommen, roͤmiſche Caſuiſten hatten mir den Geiſt wie mit einem grauen Spinnweb uͤberzogen, mein Herz war120 wie eingeklemmt zwiſchen den eiſernen Paragraphen ſelbſtſuͤchtiger Rechtsſyſteme, beſtaͤndig klang es mir noch in den Ohren wie „ Tribonian, Juſtinian, Hermogenian und Dummerjahn, “und ein zaͤrtliches Liebespaar, das unter einem Baume ſaß, hielt ich gar fuͤr eine Corpusjuris-Ausgabe mit verſchlunge¬ nen Haͤnden. Auf der Landſtraße fing es ſchon an lebendig zu werden. Milchmaͤdchen zogen voruͤber; auch Eſeltreiber mit ihren grauen Zoͤglingen. Hin¬ ter Weende begegneten mir der Schaͤfer und Do¬ ris. Dieſes iſt nicht das idylliſche Paar, wovon Geßner ſingt, ſondern es ſind wohlbeſtallte Univer¬ ſitaͤtspedelle, die wachſam aufpaſſen muͤſſen, daß ſich keine Studenten in Bovden duelliren, und daß keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬ nien vor Goͤttingen Quarantaine halten muͤſſen, von einem ſpekulirenden Privatdozenten eingeſchmug¬ gelt werden. Schaͤfer gruͤßte mich ſehr kollegialiſch; denn er iſt ebenfalls Schriftſteller, und hat meiner in ſeinen halbjaͤhrigen Schriften oft erwaͤhnt; wie er mich denn auch außerdem oft citirt hat, und ‚121 wenn er mich nicht zu Hauſe fand, immer ſo guͤtig war, die Citation mit Kreide auf meine Stuben¬ thuͤr zu ſchreiben. Dann und wann rollte auch ein Einſpaͤnner voruͤber, wohlbepackt mit Studen¬ ten, die fuͤr die Ferienzeit, oder auch fuͤr immer wegreiſten. In ſolch einer Univerſitaͤtſtadt iſt ein beſtaͤndiges Kommen und Abgehn, alle drey Jahre findet man dort eine neue Studentengeneration, das iſt ein ewiger Menſchenſtrom, wo eine Se¬ meſterwelle die andere fortdraͤngt, und nur die alten Profeſſoren bleiben ſtehen in dieſer allgemeinen Bewegung, unerſchuͤtterlich feſt, gleich den Pyra¬ miden Egyptens — nur daß in dieſen Univerſitaͤts - Pyramiden nicht immer Weisheit verborgen iſt.
Aus den Myrthenlauben bey Rauſchenwaſſer ſah ich zwey hoffnungsvolle Juͤnglinge hervorrei¬ ten. Ein Weibsbild, das dort ſein horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landſtraße das Geleit, klaͤtſchelte mit geuͤbter Hand die ma¬ geren Schenkel der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reuter ihr hinten, auf die breite Spon¬122 taneitaͤt einige Galanterien mit der Peitſche uͤber¬ langte, und ſchob ſich alsdann gen Bovden. Die Juͤnglinge aber jagten nach Noͤrten, und johlten gar geiſtreich, und ſangen gar lieblich das Roſſini¬ ſche Lied: „ Trink Bier, liebe, liebe Liſe! “ Dieſe Toͤne hoͤrte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Saͤnger ſelbſt verlor ich bald voͤllig aus dem Geſichte, ſintemal ſie ihre Pferde, die im Grunde einen deutſch-langſamen Charakter zu ha¬ ben ſchienen, gar entſetzlich anſpornten und vor¬ waͤrtspeitſchten. Nirgends wird die Pferdeſchin¬ derey ſtaͤrker getrieben als in Goͤttingen, und oft, wenn ich ſah, wie ſolch eine ſchweißtriefende, lahme Kracke, fuͤr das bischen Lebensfutter, von unſern Rauſchenwaſſerrittern abgequaͤlt ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬ ziehen mußte, ſo dachte ich auch: „ O du armes Thier, gewiß haben deine Voraͤltern im Paradieſe verbotenen Hafer gefreſſen! “
Im Wirthshauſe zu Noͤrten traf ich die bey¬ den Juͤnglinge wieder. Der eine verzehrte einen123 Heringſalat, und der andere unterhielt ſich mit der gelbledernen Magd, Fuſia Canina, auch Trittvo¬ gel genannt. Er ſagte ihr einige Anſtaͤndigkei¬ ten, und am Ende wurden ſie Hand-gemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die ein¬ gepackten blauen Hoſen, die in geſchichtlicher Hin¬ ſicht ſehr merkwuͤrdig ſind, wieder heraus und ſchenkte ſie dem kleinen Kellner, den man Colibri nennt. Die Buſſenia, die alte Wirthin, brachte mir unterdeſſen ein Butterbrod, und beklagte ſich, daß ich ſie jetzt ſo ſelten beſuche; denn ſie liebt mich ſehr.
Hinter Noͤrten ſtand die Sonne hoch und glaͤnzend am Himmel. Sie meinte es recht ehr¬ lich mit mir und[erwaͤrmte] mein Haupt, daß alle unreife Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirthshausſonne in Nordheim iſt auch nicht zu verachten; ich kehrte hier ein, und fand das Mittageſſen ſchon fertig. Alle Gerichte waren ſchmackhaft zubereitet, und wollten mir beſſer beha¬ gen, als die abgeſchmackten akademiſchen Gerichte,124 die ſalzloſen, ledernen Stockfiſche mit ihrem al¬ ten Kohl, die mir in Goͤttingen vorgeſetzt wur¬ den. Nachdem ich meinen Magen etwas beſchwich¬ tigt hatte, bemerkte ich in derſelben Wirthsſtube einen Herrn mit zwey Damen, die im Begriff waren abzureiſen. Dieſer Herr war ganz gruͤn ge¬ kleidet, trug ſogar eine gruͤne Brille, die auf ſeine rothe Kupfernaſe einen Schein wie Gruͤnſpan warf, und ſah aus, wie der Koͤnig Nebukadnezar in ſeinen ſpaͤtern Jahren ausgeſehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Thiere des Waldes, nichts als Salat aß. Der Gruͤne wuͤnſchte, daß ich ihm ein Hotel in Goͤttingen empfehlen moͤchte, und ich rieth ihm, dort von dem erſten beſten Studenten das Hotel de Bruͤhbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitlaͤuftige Dame, ein rothes Quadrat¬ meilen-Geſicht mit Gruͤbchen in den Wangen, die wie Spucknaͤpfe fuͤr Liebesgoͤtter ausſahen, ein langfleiſchig herabhaͤngendes Unterkinn, das eine ſchlechte Fortſetzung des Geſichtes zu ſeyn ſchien,125 und ein hochaufgeſtapelter Buſen, der mit ſteifen Spitzen und vielzackig feſtonirten Kraͤgen, wie mit Thuͤrmchen und Baſtionen umbaut war, und einer Feſtung glich, die gewiß eben ſo wenig wie jene anderen Feſtungen, von denen Philipp von Mace¬ donien ſpricht, einem mit Gold beladenen Eſel widerſtehen wuͤrde. Die andere Dame, die Frau Schweſter, bildete ganz den Gegenſatz der eben beſchriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kuͤhen, ſo ſtammte dieſe von den magern. Das Geſicht nur ein Mund zwiſchen zwey Ohren, die Bruſt troſtlos oͤde wie die Luͤneburger Haide; die ganze, ausgekochte Geſtalt glich einem Freytiſch fuͤr arme Theologen. Beyde Damen fragten mich zu gleicher Zeit: ob im Hotel de Bruͤhbach auch ordentliche Leute logirten. Ich bejahte es mit gutem Ge¬ wiſſen, und als das holde Kleeblatt abfuhr, gruͤßte ich nochmals zum Fenſter hinaus. Der Sonnen¬ wirth laͤchelte gar ſchlau und mochte wohl wiſſen, daß der Carzer von den Studenten in Goͤttingen Hotel de Bruͤhbach genannt wird.
126Hinter Nordheim wird es ſchon gebirgig und hier und da treten ſchoͤne Anhoͤhen hervor. Auf dem Wege traf ich meiſtens Kraͤmer, die nach der Braunſchweiger Meſſe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, faſt haͤuſer¬ hohes, mit weißem Leinen uͤberzogenes Behaͤltniß auf dem Ruͤcken trug. Darin ſaßen allerley ein¬ gefangene Singvoͤgel, die beſtaͤndig piepſten und zwitſcherten, waͤhrend ihre Traͤgerinnen luſtig da¬ hinhuͤpften und ſchwatzten. Mir kam es gar naͤrriſch vor, wie ſo ein Vogel den andern zu Markte traͤgt.
In pechdunkler Nacht kam ich an zu Oſterode. Es fehlte mir der Appetit zum Eſſen und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war muͤde wie ein Hund und ſchlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach Goͤttingen zuruͤck, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich ſtand in einer Ecke des juriſtiſchen Saals, durchſtoͤberte alte Diſſerta¬ zionen, vertiefte mich im Leſen, und als ich auf¬ hoͤrte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß127 es Nacht war, und herabhaͤngende Kriſtall-Leuch¬ ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke ſchlug eben zwoͤlf, die Saalthuͤre oͤffnete ſich lang¬ ſam, und herein trat eine ſtolze, gigantiſche Frau, ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhaͤngern der juriſtiſchen Facultaͤt. Das Rieſen¬ weib, obgleich ſchon bejahrt, trug dennoch im Ant¬ litz die Zuͤge einer ſtrengen Schoͤnheit, jeder ihrer Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬ mis, Schwert und Wage hielt ſie nachlaͤſſig zu¬ ſammen in der einen Hand, in der andern hielt ſie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬ wandes, an ihrer rechten Seite ſprang windig hin und her der duͤnne Hofrath Ruſticus, der Lykurg Hannovers, und deklamirte aus ſeinem neuen Geſetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬ pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere servente, der geheime Juſtizrath Cujacius, und riß beſtaͤndig juriſtiſche Witze, und lachte ſelbſt daruͤber ſo herzlich, daß ſogar die ernſte Goͤttin ſich mehr¬128 mals laͤchelnd zu ihm herabbeugte, mit der großen Pergamentrolle ihm auf die Schulter klopfte, und freundlich fluͤſterte: „ Kleiner, loſer Schalk, der die Baͤume von oben herab beſchneidet! “ Jeder von den uͤbrigen Herren trat jetzt ebenfalls naͤher und hatte etwas hin zu bemerken und hin zu laͤcheln, etwa ein neu ergruͤbeltes Syſtemchen, oder Hypo¬ theschen, oder aͤhnliches Mißgebuͤrtchen des eige¬ nen Koͤpfchens. Durch die geoͤffnete Saalthuͤre traten auch noch mehrere fremde Herren herein, die ſich als die andern großen Maͤnner des illuſtren Ordens kundgaben, meiſtens eckige, laurende Ge¬ ſellen, die mit breiter Selbſtzufriedenheit gleich drauf los definirten und diſtinguirten und uͤber jedes Titelchen eines Pandektentitels disputirten. Und immer kamen noch neue Geſtalten herein, alte Rechtsgelehrten, in verſchollenen Trachten, mit weißen Alongeperucken und laͤngſt vergeſſenen Geſichtern, und ſehr erſtaunt, daß man ſie, die Hochberuͤhmten des verfloſſenen Jahrhunderts, nicht ſonderlich regardirte; und dieſe ſtimmten nun ein,129 auf ihre Weiſe, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lauter, die hohe Goͤttin um¬ rauſchte, bis dieſe die Geduld verlor, und in einem Tone des entſetzlichſten Rieſenſchmerzes ploͤtz¬ lich aufſchrie: „ Schweigt! ſchweigt! ich hoͤre die Stimme des theuren Prometheus, die hoͤhnende Kraft und die ſtumme Gewalt ſchmieden den Schuld¬ loſen an den Marterfelſen, und all Euer Geſchwaͤtz und Gezaͤnke kann nicht ſeine Wunden kuͤhlen und ſeine Feſſeln zerbrechen! “ So rief die Goͤttin, und Thraͤnenbaͤche ſtuͤrzten aus ihren Augen, die ganze Verſammlung heulte wie von Todesangſt er¬ griffen, die Decke des Saales krachte, die Buͤcher taumelten herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte Muͤnchhauſen aus ſeinem Rahmen hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und kreiſchte immer wilder, — und fort, aus dieſem draͤn¬ genden Tollhauslaͤrm rettete ich mich in den hiſto¬ riſchen Saal, nach jener Gnadenſtelle, wo die hei¬ ligen Bilder des belvederiſchen Apoll's und der9130mediceiſchen Venus neben einander ſtehen, und ich ſtuͤrzte zu den Fuͤßen der Schoͤnheitsgoͤttin, in ih¬ rem Anblick vergaß ich all das wuͤſte Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzuͤckt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochge¬ benedeiten Leibes, griechiſche Ruhe zog durch meine Seele, und uͤber mein Haupt, wie himm¬ liſchen Seegen, goß ſeine ſuͤßeſten Lyraklaͤnge Phoͤ¬ bus Apollo.
Erwachend hoͤrte ich noch immer ein freundli¬ ches Klingen. Die Heerden zogen auf die Weide und es laͤuteten ihre Gloͤckchen. Die liebe, gol¬ dene Sonne ſchien durch das Fenſter und beleuch¬ tete die Schildereyen an den Waͤnden des Zim¬ mers. Es waren Bilder aus dem Befreyungs¬ kriege, worauf treu dargeſtellt ſtand, wie wir alle Helden waren, dann auch Hinrichtungs-Scenen aus der Revolutionszeit, Ludwig XVI. auf der Guillo¬ tine, und aͤhnliche Kopfabſchneidereyen, die man gar nicht anſehen kann, ohne Gott zu danken, daß man ruhig im Bette liegt, und guten Kaffee trinkt131 und den Kopf noch ſo recht comfortabel auf den Schultern ſitzen hat. Auch hingen noch an der Wand Abeillard und Heloiſe, einige franzoͤſiſche Tu¬ genden, naͤmlich leere Maͤdchengeſichter, worunter ſehr kalligraphiſch la prudence, la timidité, la pitié etc. geſchrieben war, und endlich eine Ma¬ donna, ſo ſchoͤn, ſo lieblich, ſo hingebend fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu geſeſ¬ ſen hat, aufſuchen und zu meinem Weibe machen moͤchte. Freylich, ſo bald ich mal mit dieſer Ma¬ donna verheirathet waͤre, wuͤrde ich ſie bitten, allen fernern Umgang mit dem heiligen Geiſte aufzugeben, indem es mir gar nicht lieb ſeyn moͤchte, wenn mein Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬ genſchein, oder irgend eine andre Verzierung gewoͤnne.
Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inſchriften auf den Fenſterſcheiben geleſen, und alles im Wirthshauſe berichtigt hatte, verließ ich Oſterode.
Dieſe Stadt hat ſo und ſo viel Haͤuſer, ver¬ ſchiedene Einwohner, worunter auch mehrere See¬ len, wie in Gottſchalk's „ Taſchenbuch fuͤr Harzrei¬132 ſende” genauer nachzuleſen iſt. Ehe ich die Land¬ ſtraße einſchlug, beſtieg ich die Truͤmmer der uralten Oſteroder Burg. Sie beſtehen nur noch aus der Haͤlfte eines großen, dickmaurigen, wie von Krebs¬ ſchaͤden angefreſſenen Thurms. Der Weg nach Clausthal fuͤhrte mich wieder bergauf, und von ei¬ ner der erſten Hoͤhen ſchaute ich nochmals hinab in das Thal, wo Oſterode mit ſeinen rothen Daͤchern aus den gruͤnen Tannenwaͤldern hervor guckt, wie eine Moosroſe. Die Sonne gab eine gar liebe, kindliche Beleuchtung. Von der erhaltenen Thurm¬ haͤlfte erblickt man hier die imponirende Ruͤckſeite. Es liegen noch viele andre Burgruinen in die¬ ſer Gegend. Der Hardenberg bey Noͤrten iſt die ſchoͤnſte. Wenn man auch, wie es ſich gebuͤhrt, das Herz auf der linken Seite hat, auf der libe¬ ralen, ſo kann man ſich doch nicht aller elegiſchen Gefuͤhle erwehren, bey'm Anblick der Felſenneſter jener privilegirten Raubvoͤgel, die auf ihre ſchwaͤch¬ liche Nachbrut bloß den ſtarken Appetit vererbten. Und ſo ging es auch mir dieſen Morgen. Mein133 Gemuͤth war, je mehr ich mich von Goͤttingen entfernte, allmaͤhlig aufgethaut, wieder wie ſonſt wurde mir romantiſch zu Sinn, und wandernd dichtete ich folgendes Lied:
Nachdem ich eine Strecke gegangen, traf ich zuſammen mit einem reiſenden Handwerksburſchen, der von Braunſchweig kam, und mir als ein dor¬ tiges Geruͤcht erzaͤhlte: der junge Herzog ſey auf dem Wege nach dem gelobten Lande von den Tuͤr¬ ken gefangen worden, und koͤnne nur gegen ein gro¬ ßes Loͤſegeld frei kommen. Die große Reiſe des Herzogs mag dieſe Sage veranlaßt haben. Das135 Volk hat noch immer den traditionell fabelhaften Ideengang, der ſich ſo lieblich ausſpricht in ſeinem „ Herzog Ernſt. “ Der Erzaͤhler jener Neuigkeit war ein Schneidergeſell, ein niedlicher, kleiner jun¬ ger Menſch, ſo duͤnn, daß die Sterne durchſchim¬ mern konnten, wie durch Oſſian's Nebelgeiſter, und im Ganzen eine volksthuͤmlich barocke Miſchung von Laune und Wehmuth. Dieſes aͤußerte ſich be¬ ſonders in der drollig ruͤhrenden Weiſe, womit er das wunderbare Volkslied ſang: „ Ein Kaͤfer auf dem Zaune ſaß, ſumm, ſumm! “ Das iſt ſchoͤn bey uns Deutſchen; Keiner iſt ſo verruͤckt, daß er nicht einen noch Verruͤckteren faͤnde, der ihn ver¬ ſteht. Nur ein Deutſcher kann jenes Lied nach¬ empfinden, und ſich dabey todtlachen und todtweinen. Wie tief das Goetheſche Wort in's Leben des Volks gedrungen, bemerkte ich auch hier. Mein duͤnner Weggenoſſe trillerte ebenfalls zuweilen vor ſich hin: „ Leidvoll und freudvoll, Gedanken ſind frei! “ Solche Corruption des Textes iſt bey'm Volke etwas Gewoͤhnliches. Er ſang auch ein Lied, wo136 „ Lottchen bey dem Grabe ihres Werthers “trauert. Der Schneider zerfloß vor Sentimentalitaͤt bey den Worten: „ Einſam wein 'ich an der Roſen¬ quelle, wo uns oft der ſpaͤte Mond belauſcht! Jam¬ mernd irr' ich an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne zugerauſcht. “ Aber bald darauf ging er in Muthwillen uͤber, und erzaͤhlte mir: „ Wir ha¬ ben einen Preußen in der Herberge zu Caſſel, der eben ſolche Lieder ſelbſt macht; er kann keinen ſeli¬ gen Stich naͤhen; hat er einen Groſchen in der Taſche, ſo hat er fuͤr zwey Groſchen Durſt, und wenn er im Thran iſt, haͤlt er den Himmel fuͤr ein blaues Camiſol, und weint wie eine Dachtraufe, und ſingt ein Lied mit der doppelten Poeſie! “ Von[letzterem] Ausdruck wuͤnſchte ich eine Erklaͤrung, aber mein Schneiderlein, mit ſeinen Ziegenhainer Beinchen, huͤpfte hin und her und rief beſtaͤndig: „ Die doppelte Poeſie iſt die doppelte Poeſie! “ End¬ lich brachte ich es heraus, daß er doppelt gereimte Gedichte, namentlich Stanzen, im Sinne hatte. — Unterdeß, durch die große Bewegung und durch137 den contrairen Wind, war der Ritter von der Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬ ſirte: „ Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine nehmen! “ Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬ ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬ ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬ ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: „ Da bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬ rode! “
Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬ nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer, und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬ fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes, oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und138 der gruͤnen Erde harmoniſch correſpondirendes Co¬ lorit, ſo daß alle Farben einer Gegend wie leiſe Muſik ineinander ſchmelzen, und jeder Natur-An¬ blick krampfſtillend und gemuͤthberuhigend wirkt. — Der ſelige Hoffmann wuͤrde die Wolken buntſcheckig bemalt haben. — Eben wie ein großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigſten Mitteln die groͤßten Effekte hervor zu bringen. Da ſind nur eine Sonne, Baͤume, Blumen, Waſſer und Liebe. Freilich, fehlt letztere im Herzen des Be¬ ſchauers, ſo mag das Ganze wohl einen ſchlechten Anblick gewaͤhren, und die Sonne hat dann blos ſo und ſo viel Meilen im Durchmeſſer, und die Baͤume ſind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfaͤden claſſifizirt, und das Waſſer iſt naß. — **! —
Ein kleiner Junge, der fuͤr ſeinen kranken Oheim im Walde Reiſig ſuchte, zeigte mir das Dorf Lerrbach, deſſen kleine Huͤtten, mit grauen Daͤchern, ſich uͤber eine halbe Stunde durch das Thal hinziehen. „ Dort, “ſagte er, „ wohnen dumme Kropf-Leute und weiße139 Mohren. “— mit letzterem Namen werden die Albi¬ nos vom Volke benannt. Der kleine Junge ſtand mit den Baͤumen in gar eigenem Einverſtaͤndniß; er gruͤßte ſie wie gute Bekannte, und ſie ſchienen rauſchend ſeinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie ein Zeiſig, ringsum antworteten zwitſchernd die an¬ dern Voͤgel, und ehe ich mich deſſen verſah, war er mit ſeinen nackten Fuͤßchen und ſeinem Buͤndel Reiſig in's Walddickigt fortgeſprungen. Die Kin¬ der, dacht 'ich, ſind juͤnger als wir, koͤnnen ſich noch erinnern, wie ſie ebenfalls Baͤume oder Voͤ¬ gel waren, und ſind alſo noch im Stande, dieſel¬ ben zu verſtehen; unſereins aber iſt ſchon alt und hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und ſchlechte Verſe im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder recht lebhaft in's Gedaͤchtniß. In dieſes nette Bergſtaͤdtchen, welches man nicht fruͤher erblickt, als bis man davor ſteht, gelangte ich, als eben die Glocke zwoͤlf ſchlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen. Die lieben Knaben, faſt alle140 rothbaͤckig, blauaͤugig und flachshaarig, jubelten und jauchzten, und weckten in mir die wehmuͤthig heitere Erinnerung, wie ich einſt ſelbſt, als ein kleines Buͤbchen,