In Berlin, das haben meine Leſer, hoff’ ich, ſehr deutlich eingeſehen, gehoͤrte mein Feldkeſſel zu Hauſe, den meine Mutter zu kennen nicht die Ehre hatte, und woruͤber die Frau v. G — hohnlachte, der aber mei - nes Vaters Mitgabe war. —
Nach Koͤnigsberg brachte uns ein Major und ſein Schweſterſohn, der als Junker beym Fuhrwerk ſtand, die uns beynahe zween Tage in Mitau ohne Noth verzoͤgerten, die Mittag und Abend in einsweg zu halten, weil eine Leichenpredigt vorfiel, ſich nicht lange bedach - ten, und die, wenn gleich ſie nicht erlaubten, ſich an gruͤnen Plaͤtzen zu verweilen, doch alle Augenblick einen Platz hatten, wo ſie entwe - der einen guten Labetrunk wußten, oder wo der Wirth eine gute Priſe Toback hielte, die Wirthin etwa ſelbſt huͤbſch war, oder eine huͤbſche Tochter im Vermoͤgen hatte. Jezt Extrapoſt, und wenn es meinen Leſern ge -A 2faͤllig4faͤllig iſt, ſo bis ans Ende. — Ob wir einen Droſſelpaſtor und ſein Schein und Seyn kennen oder nicht, und den ſiebenmahl ſie - ben beſondren Grafen; die Lindenkran - ke Predigerin und ihren Mann mit der Suͤnde wider den heiligen Geiſt; Gret - chen, die mit mir Oſtern auf Minchens Gra - be feyerte, und Paſtors Trinchen, welche die heilige Geiſtſtraſſe dreymahl auf und ab - gieng, und ſo viel andere gruͤne Stellen mehr. Was thuts? Extrapoſt, nicht wahr? wenn ſie gleich mehr koſtet, als ein rigaiſcher Fuhr - mann; ich mache mir nichts draus. —
Von Goͤttingen. Parnaß und Mu - ſen, wie es faͤllt.
Vortreflich fuͤr jeden, der Luſt und Liebe zum Ding’ hat, und doch ſo ziemlich ohn Jammer und Schad’, fuͤr den, der es nicht hat. Dieſe Akademie hat bey der Leztgeburth den Segen, wie Jakob vom Iſaak, ohne ihn durch rauch gemachte Haͤnde zu erliſten, ohne ihn durch ein ſchnoͤdes Linſengericht zu beſchoͤ - nigen. — So viel iſt gewis, Goͤttingen iſt ſo wenig die Kleinſte unter den teutſchen Uni - verſitaͤten, daß ſie vielmehr auf dem Wege iſt, die groͤßte zu werden, oder daß ſie es ſchon wuͤrklich iſt, den Grosvater in Koͤnigsbergin5in Ehren; allein giebts in Goͤttingen nicht auch Grosvaͤter? und wenn gar zum Aelter - Vater Hofnung waͤre? Ich kann den Ge - danken nicht bergen, ohne mich zum compe - tenten Richter aufzuwerfen: ob und in wie weit, eben der Umſtand, weil Goͤttingen jung von Jahren, vieles zu dieſem Fortſchritte bey - trage? Die Muſen werden im ewigen Fruͤh - linge der Jahre dargeſtellt. — Zwiſchen Majoraten, Lehnen, Stiftern und Univerſi - taͤten ein Unterſchied! Damit ich noch ein Kapfenſterchen aufſtoſſe; waͤr es nicht gut, wenn ſich die Univerſitaͤten in Zuͤchten und Ehren einverſtuͤnden, was ſie eigentlich erzie - hen wollten? Da koͤnnt’ eine erkohren wer - den, Profeſſores, academiſche Lehrer zu bil - den. Laßt uns Profeſſores machen, Bilder, die uns gleich ſind! Den andern Stief und rechten Schweſtern waͤre zu uͤberlaßen, mit der uͤbrigen ſtudirenden Jugend umzuſprin - gen, oder zu thun und zu laſſen, was jezt ge - than und gelaſſen wird. Kommen denn alle auf die Univerſitaͤt zu lernen, um wieder zu lehren? Da ſind ihrer viel, die nur ſelbſt wiſſen wollen. Zwiſchen einem Wißer ſchlecht - weg, zwiſchen einem Vielwißer, und zwiſchen einem Lehrer, welch ein Unterſchied! und dennA 3unter6unter der Rubrik, Lehrer, was ſteht da nicht alles? Schullehrer, Kirchenlehrer, iſt zwar der bekannteſte Lehrunterſchied; allein auch gewis der unbedeutendſte. O der un - ausſprechlichen Unterſchiede! Wie wird ein Juͤngling ſeinen Weg unſtraͤflich gehen? Die - ſe Welt iſt eine Schule, wo Lehren und Ler - nen abwechſelt, und faſt beſtaͤndig ſo, daß man zu gleicher Zeit lehrt und lernt, Docen - do diſcimus; ſonſt wuͤrd’ auch die edle Zeit verlohren gehn, die oft die beſten Koͤpf’ aufs Lehren verwenden. Es iſt indeßen, wahrlich, weit ſchwerer zu lehren, als zu lernen. Der Menſch hat ſehr was gelehriges; allein wenn er unterrichten ſoll, zeigt er uͤberall, daß Gott ſein Lehrer geweſen, und daß er, in Ruͤckſicht des Lehramts, das Bild Gottes verlohren. Wahrlich, daß es mit dem menſchlichen Ge - ſchlechte ſo wenig fortwill, daß es nicht von einer Stelle kommt, liegt am Lehrſtande. Das arme Menſchengeſchlecht, wie es da noch immer in ſeinem Blute liegt? und was thun unſere Gros - und Kleinſprecher? Sie beſtel - len einen ſchoͤnen eichenen Sarg, mit im Feur vergoldeten Griffen, um fuͤr ein Standes - maͤßiges Begraͤbnis Sorge zu tragen. Die meiſten Lehrer ſind Curatores funeris, Leichen -beſor -7beſorger. Gott, wann erſchallt die Stimme; ſie komme aus Oſten, Suͤden, Weſten, Nor - den, wenn ſie nur erſchallt: du ſolt leben!
Iſts alſo Gotteswerk zu unterrichten; ſo gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn ſie wachen uͤber eure Seele, ſo lange ſie nicht Irlehrer ſind! Ich glaube mit meinem Vater, daß der, welcher zur rechten Thuͤr in den Schafſtall gekommen, fein methodiſch ſeine Lektion gelernt, und kein Mietling iſt, auch andern die rechte Thuͤr zeigen und ein guter Hirte ſeyn koͤnne, der bekannt iſt den Seinen, und die Seinen kennet. Dies findet vorzuͤglich bey Univerſitaͤtslehrern ſtatt, ſo wie ſie jezt im Schwange gehen. Da hat je - der ſeine Lektion, die er ad unguem, bis auf den Nagel ſelbſt, weiß, und alſo auch lehren kann; indeſſen ſollte man es bey der Man - nigfaltigkeit der Lernenden und des Unter - richts nicht bey einem — Leiſten, ja wohl Leiſten, laſſen. Wuͤrd’ es nicht Fruͤchte brin - gen in Geduld, wenn man die Saat nach der erwuͤnſchten Erndte, den Unterricht nach der kuͤnftigen Anwendung, einrichten moͤchte? Jezt ſtehn die Studirende nicht viel ordentli - cher, als die Buͤcher in den meiſten Bibliothe - ken, nach der Groͤße, nach den Baͤnden, nachA 4dem8dem Schnitt, nach der Anwerbung. Es fehlt nur noch, nach dem Verleger und dem Druck - orte. Das Druckjahr, worauf am wenig - ſten geſehen wird, wuͤrde vielleicht ein Um - ſtand ſeyn, der nicht im mindeſten zu verwer - fen waͤre.
Der Profeſſor haͤngt jezo den Brodkorb bald zu hoch, bald zu niedrig, und wie oft vergeſſen nicht die Speiſemeiſter auf Univerſi - taͤten uͤber der Seele den Leib! Zanket nicht auf dem Wege, ſagte Joſeph zu ſeinen lieben Bruͤdern, da er ihnen den Zehrpfennig gab, und wahrlich dies ſollte die Loſung aller Uni - verſitaͤten ſeyn. Durchs Zanken wird zwar die Schale polirt; der Kern aber trocknet ein in dieſem fein geſchlifnen Gehaͤuſe!
Kann ich doch auf keine Univerſitaͤt kom - men, ohne mir ihren Ton eigen zu machen. Ein guter Ton! wenn die Angeber weniger quid eſt fragen, und alle Wiſſenſchaften zu Experimental-Wiſſenſchaften zu bringen be - muͤhet ſind, wie es jezt am Tage iſt. —
In einigen Dingen kann man Univerſi - taͤtsgebrauch laſſen. Da man einſieht, wie wenig man weiß, will man lieber irren, als unthaͤtig ſeyn. Wir ehren einen paradoxen Mann und bloͤßen unſer Haupt nicht vor ge -meiner9meiner Erkenntniß. Wir kleiden uns praͤch - tig und ſollen nur rein einhergehen. Ein Suͤnder, der Buſſe thut, iſt beſſer, als neun und neunzig, die der Buſſe nicht beduͤrfen. Ein faͤhiger Unwiſſender, er ſey wuͤrklich un - wiſſend, oder er koͤnne ſeine ſo genannte Ver - nunft gefangen nehmen, ſo oft ſie die Fenſter einwerfen will, iſt ein ſo ſchoͤnes Naturſtuͤck, als man nur, nachdem das Paradies einge - gangen, ſehen kann. —
Kein Examen in Goͤttingen. Wozu der Unrath, wenn gleich ein Grosvater dabey am Ruder war, wie erwuͤnſcht fiel der Blitz durch die Ritze! — Gute Hausmuͤtze, du konnteſt nicht gelegener, wie ein Eyd, das Ende alles Haders machen!
Den Fechtboden und das Reithaus nicht zu vergeſſen; wahrlich ein paar Vergiß - meinnicht in Goͤttingen! Wir ſind hier ge - bohrne Fechter und Reiter, ſagte mir der Koͤ - nigliche Rath beym Creyßrichter in Koͤnigs - berg, da der letzte eben eine denkwuͤrdige Schlaͤgerey mit allen ihren Punkten und Clau - ſeln referiret hatte. Kein Wunder, daß ich in Koͤnigsberg ſo ſchoͤne Vergißmeinnicht nicht fand!
A 5In10In Goͤttingen ſpielt’ ich auf Fechtboden und Reithaus Alexander, wiewohl ohne an jene jugendliche Ritterſpiele zu denken, deren vorgeſtecktes Kleinod Mine war. Berlin aber ſah ich vor mir; den Paradeplatz nem - lich in Berlin und in Potsdam, wo der Koͤ - nig, wie die Sonn’ auf ein Gelaͤnder Pfir - ſchen, wirkt; dann ſchien es, daß ſich ein Ge - danke in mir hob, der wollte und noch nicht konnte. Man muß ihm ſeine neun Monden Zeit laſſen! — Getauft ſoll er werden, wenn er zur Welt kommt. —
Ich ſtudirte die Mathematik. Sie, dacht’ ich, iſt zu allen Dingen nuͤtze. Sie iſt das Lineal, und lehrt, ſich bey allen Wiſſenſchaf - ten gerade halten. Selbſt Cicero maaß — — Doch hatt’ er nicht zu viel Mathematik in ſeinen Reden?
Zu viel Mathematik im Felde taugt nicht. Was meynen meine Leſer vom ciceroniani - ſchen Kriege?
Mein Vater war mit dem ganzen Gange meiner Studien, den ich ihm getreulich und ſonder Gefehrde vorlegte, zufrieden. Meine Mutter empfahl mir, große Maͤnner zu hoͤ - ren, die ſich hoͤren ließen, um ihren Aus - druck beyzubehalten, und ich lernte hier einenkennen,11kennen, der weder Hand noch Auge brauchte. Das Auge, pflegte mein Vater zu ſagen, hat Chriſtus ſelbſt bey ſeiner Bergpredigt ange - wandt. Es gehoͤret dem Prediger; die Hand aber dem Handwerker. Dieſer Redner ohne Aug’ und Hand fachte in mir keinen goͤttlichen Ruf zum Geiſtlichen auf, der ſich voͤllig ge - legt hatte, da ich keine Mine mehr hatte. Bey meiner erſten Predigt galt mir ihr ver - ſtohlner Blick und Nummer 5 mehr, als alle uͤbrige klingende Muͤnze von großer Anlage, von unvergleichlichen Kanzelgaben, von Kir - chenvaͤterlichem Anſtand. Minchen liebte mich nach der erſten Predigt mehr, als ehe - dem. Ich hatte mich zum Manne ihrer See - le gepredigt, und war vom Alexander bis zum lieben Jungen erniedrigt oder erhoͤht worden. —
Vergeblich erinnerte ich mich, daß mein Vater, wiewohl nach dem Brande, mich ver - ſichert hatte, daß ein Geiſtlicher der gluͤcklich - ſte Menſch in der Welt waͤre, und daß ſeine Seele in beſtaͤndigem Fruͤhling ſey, wo es nicht zu kalt, noch zu warm iſt. Fruͤhling iſt das Clima des Himmels; in der Hoͤlle iſt Winter und Sommer! — Herbſt wuͤrde alsdenn das Fegfeuer ſeyn! Be -ſtaͤndi -12ſtaͤndiger Fruͤhling, guter Vater? wenn es aber ein nordiſcher waͤre, wo man den Fruͤh - ling blos im Calender und in einer lebhaften Einbildung hat? Zwar in deinem Lande, wo man zeitig eine Pfeife in der freyen Luft raucht, den Wein bey der Quelle trinkt und lange Manſchetten traͤgt — Aber wo gehoͤrſt du zu Hauſe? — wo? Im Himmel! Guter Va - ter, da iſt aller Menſchen Vaterland. „ Din - „ ge der Zukunft ſind der Geiſtlichen Be - „ ſchaͤftigung. “ Das waͤre ja ein gefund - nes Eſſen fuͤr mich, der ich Jagdmuͤde bin, und wahrlich kein Linſengericht, das eine Erſt - geburt zu ſtehen kommt! Wie aber, wenn der Geiſtliche uͤber der andern Welt dieſe ver - gaͤſſe, nur an den Lohn daͤchte, ohne des Ta - ges Laſt und Hitze zu uͤbernehmen? Wenn er, den Purpur und die koͤſtliche Leinwand ſelbſt nicht abgerechnet, hier wie einer der ſie - ben Bruͤder des reichen Mannes herrlich und in Freuden lebte; wenn ers mit der Ewigkeit ſo machte, wie geitzige Leute, die aus Furcht, in ihrem Lande das Ihrige durch Handel und Wandel zu verlieren, die uͤberfluͤßigen Capi - talien in auswaͤrtige Banquen ſenden, oder ſie auf ſichere Hypotheken eintabuliren laßen, um ein recht gemaͤchliches Zinſenleben fuͤhrenzu13zu koͤnnen? Man ſehe ſich doch um, laͤßt ſich denn der Geiſtliche nicht weit lieber bey ſeinem Lehnspatron, als bey Abraham, Iſaak und Jakob, zu Tiſche bitten? Sich zerſtreu - en, heißt denn das leben? Es heißt, recht geflißentlich nicht leben, es heißt, das Leben fliehen, das ohne hin nicht leiden kann, daß man es ſauer anſieht. Zwar giebts Maͤnner, die, wie mein Vater, ein Rad gebrochen und im Wirthshauſe weilen, die, wie der Paſtor in — Droſſelfaͤnger, und wie der in L — Ehemaͤnner von Weibern ſind, die eine Lin - denkrankheit haben, aber —
Ich will es meinen Leſern nicht laͤnger vorhalten. Soldat, dachte ich, um mein Leben in die Schanze zu ſchlagen, um ſo zu ſtehen, wie Urias, wiewohl wider Wiſſen und Willen, ſtand, als der Koͤnig David ſein Weib zur Wittwe machen wollte. Welch ei - ne Kluft indeßen war zwiſchen dieſem Gedan - ken, und der Ausfuͤhrung! welch eine Veſte war einzunehmen! Ich verſteckte mich, wie meine Leſer es ſelbſt wißen, mit dieſem Ge - danken unter die Baͤume im Garten, und ſtellte mich geflißentlich ſo, damit meine Mut - ter mich am wenigſten ſehen moͤchte, deren Lo -ſung14ſung es war: wer ſeinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalbfell. —
Ich ſtudirte in Goͤttingen Kriegskunſt. Kriegskunſt? — Das war ein Wort fuͤr Mauchen. Die Kriegskunſt und Urias? aber du guter Mancher! Lernt man denn die Kriegskunſt fuͤr ſich, oder fuͤr andere, und ſteh’ ich denn mit dem Urias eben in einem Gliede? Wagen kann der Menſch ſich ſelbſt; umbringen muß er ſich nicht. —
Die Hoch und wohlgeordnete und eben ſo auch verordnete Bibliothek in Goͤttingen iſt nicht ein Schatz fuͤr Motten und Roſt, wor - nach hoͤchſtens die Diebe graben und ſtehlen. Sie iſt ein oͤffentliches Haus, wo jeder einen Zutritt hat. Die Bemerkung meines Vaters wie wahr! Eine Univerſitaͤt und keine Bib - liothek, iſt ein Weinhaus ohne Keller — da geh’ ich doch hundertmal lieber in einen Kel - ler, ſo finſter es auch drinn ausſieht, und ſo ſchwer herabzuſteigen er auch iſt, und trinke die Gabe Gottes friſch und kraͤftig, faſt wie an der Quelle, lieber, ſag’ ich, als daß ich in manchem praͤchtigen Auditorio lange geſtan - denen warmgewordenen Wein aus einem be - griffenen Geſchirr trinken ſollte. Das Ge - ſchirr mag patriarchaliſch, griechiſch, gothiſch,oder17oder modiſch gearbeitet ſeyn. Eine Univerſi - raͤt und eine Bibliothek ſind ſich ſo nahe ver - wandt, daß ich behaupten koͤnnte, eine Aca - demie ſey nichts weiter, als eine Bibliothek, wo es oft genug iſt, zu wißen, im Schranke linker Hand, da und da! Mit dieſem Ent - ſchluße kam ich in Koͤnigsberg an, und gieng nach Goͤttingen. Ich that nichts weiter, als Regiſter machen, welches ein ander Ding iſt, als Calender, pflegte mein Vater zu ſagen. — Das Motto uͤber eine Bibliothek dieſes Man - nes, der meinen Leſern bey ſeiner Buͤchermu - ſterung bekannt zu ſeyn die Ehre hat, wie richtig! Machet euch Freunde mit dein ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, ſie euch aufnehmen in die ewigen Huͤtten. —
Ich kann nicht aufhoͤren zu ſagen, was mein Vater geſagt hat. Mich wunderts, pflegte er vor dem Brande zu bemerken, daß man nicht das Vater unſer und ſeinen Namen vergißt, und mancher Profeſſor ſein Colle - gium. —
Außer der Mathematik ſtudirt ich mich ſelbſt. Wenn Newton entdeckt haͤtte, wie es mit der Welt von Anfang geweſen, und was es mit ihr, oder mit ihrem Ebenbilde,Bdem18dem Menſchen, fuͤr ein Ende haben werde; ſo waͤr’ es doch noch ein Erfinder geweſen; allein ſo gehts! Wenn die Menſchen ſich zeigen, kehren ſie wohl vor ihrer eigenen Thuͤr?
Seht, wie die Natur es zur Menſchen - kenntnis recht geflißentlich angelegt hat! Die Menſchen ſind geſellig, wie man ſagt. Wenn wir nach Menſchen auslaufen, wollen wir die meiſte Zeit nicht den Menſchen, ſondern dieſe oder jene That. Nur wenn man was Großes von Jemanden gehoͤrt, iſt man begie - rig, ihn zu ſehen, und wenn man ihn ſieht, ſieht man denn wohl den Menſchen? — Faſt nicht, ſondern ſeinen Geiſt, (ſein Geſpenſt,) die That, die ihn vergroͤßerte. Es iſt eine Erſcheinung! Ein Geſicht! Schurken dren - gen ſich vielleicht, große Leute zu ſehen, weil ſie ſich nicht vorſtellen koͤnnen, daß es ſolche Menſchen gebe. Der Edle ſieht im Spiegel.
Auch den Boͤsartigſten will man ſehen; vielleicht um ſeine Pfoſten zu ſichern, daß der Wuͤrgengel voruͤber gehe! Akademien ſind ſelbſt, um zu ſehen. Das Gehoͤr iſt ein Stuͤck vom Geſicht. Im Othem liegt die Liebe, in der Rede die Probe von Weisheit und Thor - heit. Rede und du biſt, hab’ ich ſchon ſonſtwo19wo behauptet; allein ſelten trauen wir der Rede, wenn wir Temperament und Gemuͤths - charakter kennen lernen wollen. Man haͤlt die Zunge fuͤr beſtochen, fuͤr gedungen. Sie iſt hoͤchſtens ein Hauszeuge. Eben darum der natuͤrliche Hang zur Phyſiognomik. Man will in den Augen ſehen, wie dem Menſchen ums Herz iſt. Freylich iſts ſchwer, von dem auswendigen Menſchen auf den inwendigen zu ſchluͤßen. Ich wuͤrde weit eher aus dem Kleide, aus dem Pferde, den Menſchen beur - theilen, als aus ſeinen Geſichtszuͤgen, und andern Schilden, die er vielleicht mit gutem Vorbedacht aushaͤngt, und vom beſten Stadt - mahler zeichnen laͤßt. Waͤre hier zur Gewis - heit zu kommen, wuͤrden die Folgen nicht eben ſo gefaͤhrlich ſeyn, als es die von der Gewis - heit unſerer Todesſtunde ſind? Ich gebe ſelbſt zu, Gottes Finger habe ins Geſicht dem Menſchen ſein Teſtimonium geſchrieben; wer kann aber Gottes Hand leſen? Da ſie auf Cains Stirn leſerlich werden ſollte, mußte ſie verſtaͤndlich gemacht und mit rother Tinte unterſtrichen werden. In der nemlichen Ruͤck - ſicht ſind wir ſo fuͤr Handlungen, fuͤrs entſte - hen ſehen, vor unſern Augen, fuͤrs goͤttliche Sprechen, wo Donner und Blitz eins iſt! —B 2„ Eher20„ Eher haͤtt’ ich das bedenken ſollen? “und wenn ichs bedacht haͤtte, geſtrenger Herr, bin ich denn nicht auf der Akademie? und ſollte man, ſo bald man der Sache naͤher tritt, nicht finden, daß ich auch hier handle, und nicht erzaͤhle! Hier iſt Vivat und Pe - reat, hoch und tief! — eine Serenade und eine Stunde im Anditorio.
Wollen Ew. Geſtrengigkeit alles mit Ei - nem von hohen Schulen? Wir haben ihnen die Abſonderung der Wiſſenſchaften, die Be - voͤlkerung derſelben zu danken, und ein ge - wißes Stellen in Reih und Glieder. Zwar weiß ich den Einwand dagegen; allein wird dieſer Maurbrecher unſerm Syſtem Schaden zufuͤgen? Freylich iſt alles in der Welt in der Gemeinheit, und freylich iſt noch die Fra - ge: ob es denn ſo gut ſey, daß alles und je - des aus der Gemeinheit geſetzt werde? Frey - lich kann man auch ſeine Lieblingswißenſchaft nicht ganz aus aller Gemeinheit bringen, da ſelbſt Leib und Seele in einander wirken; in - deßen iſt doch ein Tauſendkuͤnſtler gemeinhin ein ſchlechter Kuͤnſtler! — Der Schuſter kann dem Mahler nicht verbieten, einen Schuh zu treffen, und der Schneider nicht, wenn der Mahler ein Kleid fertiget; allein gemahlt iſtnicht21nicht gemacht! — Das Gemenge koͤnnte viel - leicht dem ſymboliſchen Erkenntnis foͤrderlich und dienſtlich ſeyn, wo man am Leitfaden der Aehnlichkeit zur Wahrheit kommt; allein bleibt denn auf dem gelehrten Marktplatz der Univerſitaͤt nicht noch eine Gelegenheit zu Symbolen uͤbrig, wenn gleich verſchiedene Abtheilungen vorhanden ſind? Muß ich denn gehen in den Garten, um ihn zu beurtheilen, und iſt hier nicht ein Ueberblick oft nuͤtzlicher, als ein Gang? — Alles iſt Symbol; Zahlen ſelbſt, wer ſollte das denken, ſind Symbolen der Groͤße! — Der Menſch iſts von Gott. Darum ſind wir ſo große Bilder-Liebhaber! — Den Kindern bringt man alles durch Bil - der bey, weil Bilder kleiner als die Natur in Lebensgroͤße ſind. Mit dem Bilde ſpielt man; allein wer kann es mit der Natur, ohne ſich die Finger zu verbrennen? — Je mehr der Begrif in die Sinne faͤllt, oder in dem Sinne liegt, je weniger Muͤhe machen die Worte. Je abſtrakter aber der Begrif, je ſchwieriger der Wortfang. Auf Univerſi - taͤten, wo auf allen Straßen abſtrahirt wird, ſcheint dieſe Gewohnheit zur andern Natur zu werden! — Selig ſind, die nicht ſehen und doch glauben. Die Probe bey der Ab -B 3ſtrak -22ſtraktion iſt geiſtiſch. Zwar iſt auch hier die Anſchauung die Probe; allein ſie bleibt ſo ſchwer, als das zu probirende Exempel ſelbſt, und noch ſchwerer. Leichter iſts, die Sphaͤ - ren-Muſik zu hoͤren, oder ein Dichter zu ſeyn, als abſtrakte Sachen anzuſchauen und an - ſchauend zu machen! — Nur Sonntagskin - der koͤnnen Geiſter ſehen, ſo wie Leibnitz, zum Beiſpiel, auf einem Baum das Principium indiſcernibilium. Zwar geben ſich auch et - liche mit Geiſterbeſchwoͤrungen ab; allein ich halte nichts von der Clavicula Salomonis, und wer weis es nicht, wie es dem D. Fauſt gegangen?
Der Fuß ſchlaͤft zuweilen ein, und wer kann alsdenn von hinnen! Man nennt dies Beſterben; wer ſagt aber, daß der Kopf be - ſtirbt, und doch beſtirbt er eben ſo, und aus eben der Urſache, wie der Fuß. Wir merken nicht ſo ſtark auf das, was den Organenbe - weger trift, als auf die Organe. Ungern laßen wir Etwas auf den Kopf kommen, den wir zur Schau tragen, fuͤr jeden, der Luſt und Liebe zu ſehen hat. Wir thun gegen alle Welt gros damit. Dem Mann der Hut, dem Weibe die Kinder. Den Hut koͤnnen wir mit leichter Muͤhe abnehmen; ſonſt wuͤr -den23den wir ihm die Wuͤrde eines Ehrenzeichens nicht einraͤumen. Es giebt Voͤlker, die das Haupt bloͤßen, wenn ſie mit Gott reden, und Voͤlker, die es decken. Die es bloͤßen, thun es bey Leibe nicht, um dem Kopf gegen Gott nichts zu vergeben; ſie wollen vielmehr zei - gen, daß auch der Kopf ein armer großer Suͤnder ſey. Voͤlker, die ihr Haupt decken, ſchoͤpfen aus der nemlichen Quelle. Sie ſchaͤmen ſich, vor Gott ihr Licht leuchten zu laßen, und kriechen unter die Baͤume im Garten. — — —
Sollte hie und da ein Kunſtrichter von meinem Kopf zu behaupten fuͤr bequem fin - den, daß er zuweilen beſterbe — ſo mag er wißen, wie man der Erde nicht anſehe, daß ſie ſpornſtreichs laufe. — Sieh da! — Ich reiſe Extrapoſt, und ſcheine nicht von der Stelle zu kommen! — Fuͤrs Kleinkauen bin ich nicht, guter Freund, ſo geſund es uͤbrigens deinem ſchwachen Magen ſeyn mag!
Alles, was iſt, hat Geiſt und Leib — Ich liebe von allem nur den Geiſt vom Buch, vom Trank, vom Eßen.
Wie weit, ſagte mir einſtmals ein fei - ner Juͤngling vor der Stunde, wie weit ſind noch unſere hohe Schulen vom Ziele! B 4wie24wie weit! — Alles iſt noch zu tapfer, anſtatt daß es verfeinert ſeyn ſollte. Je roher die Nation, je tapferer der Buͤrger! — Je mehr Renomiſt, je weniger Fleiß!
Aber, fieng ein andrer an, wiſſen ſie auch, daß ein Knaͤbchen, Milch und Blut im Geſicht (ſchon wollt ich Angeſicht ſagen, das gebuͤhrt keinem Knaͤbchen) wiſſen ſie auch, daß ein ſolches Buͤrſchgen mit aller ſeiner Wiſſen - ſchaft kein Kerl iſt? Ich nahm mich diesmal des andern an. Der Nutzen iſt beym Ge - ſchmack nur nebenher, ſagt’ ich. Sobald der Nutzendurſt, eigentlich Hunger, zu merken iſt, leb wohl, Geſchmack! Fein iſt der, der in der Anſchauung Vergnuͤgen findet; feſt, ſteif, klug, wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht zu den ſichtbaren Geſchoͤpfen gehoͤret, bedacht iſt. Nutzen iſt ein Gegenſtand des Nachden - kens, Feinheit iſt ein Dienſt der Sinne. Wenn aber gleich eine ſilberne Doſe weniger gefaͤllt, als eine von zerbrechlichem Porcellain, es ſey berliniſch, oder aus Dresden; was meynen Sie, hat man denn immer Zeit, eine Doſe zu warten? und iſts nicht unangenehm, wenn ſie bricht? Hat man denn nicht mehr in der Welt zu thun, als Geſchmack und extra feinen Geſchmack zu zeigen? Ein Bauer, der ſeinemilch -25milchgebende Kuh verkauft, um ſich eine Alon - ſche zu kaufen, oder eine brabanter Kante, oder einen Rubens, (ein Stuͤck von ihm) was mei - nen Sie?
Wer recht viel vor ſich gebracht hat, kann an Verfeinerungen denken. Wer ſein Feld gebaut, an den Garten, und wer ſein Haus in Dach und Fach berichtiget, an Verzierung in ſeinen Zimmern. Das Menſchengeſchlecht, in Wahr - heit, hat ſo wenig mehr zu verlieren, daß, wenn es noch lange mit zerbrechlichem Porcellain ſpielen wird, wenn es nicht bald anfaͤngt ſich zu beſinnen, und eine ſilberne Doſe, die was aushaͤlt, zu kaufen, wenn es nicht wieder auf Dauer, Staͤrke des Leibes und der Seele zu ſehen ſich entſchließt, nicht viel drum zu ge - ben iſt. Waͤre das menſchliche Geſchlecht mehr renomiſt, mehr ſtark, mehr teutſch, man koͤnnte eher was mit anheben.
Ja wohl, ſagte Herr v. G —, der dies - mal in der Stunde war, wer nicht ſeine drey Tag und Nacht auf der Jagd ſeyn, und dem Hirſch den Faͤnger entgegenſetzen kann, iſt we - der zum Groben noch zum Subtilen aufgelegt. Mehr wollt’ er nicht anbringen, um es mit dem Juͤngling, der, ſo fein er war, doch wohl Herz haben koͤnnen, nicht zur Jagd anzulegen.
B 5Ein26Ein Haus, pflegte mein Vater zu ſagen, das lange Niemand bewohnt hat, verliert ein gewiſſes Leben! — Was nur bewohnt iſt, lebt, oder iſt belebt. Es iſt ihm ein Leben einge - haucht. — So gehts mit den Wiſſenſchaften, ſagte Herr von G —, da ich bey einer Gelegen - heit die vaͤterliche Bemerkung mittheilte. Ich freue mich, daß ich auf ihn komme, um noch anfuͤhren zu koͤnnen, daß ich auch in Goͤttin - gen in ſeine Seele ſtudirte. Unſer Wirth hatte keinen Taubenſchlag, am wenigſten ein geſchmackreich gebautes Huͤnerhaͤuschen, kei - nen Garten; und wie konnte ſich Herr v. G — anders helfen, als daß er ſich drey Hunde zu - legte, die er Argos hieß? Sie hatten andere Namen; er aber firmelte ſie. Ich will nichts vom chriſtlichen Namen Satan ſagen, fieng er an, wie kann aber ein Hund Packan heiſ - ſen, wenn man in Koͤnigsberg vom Großva - ter examinirt iſt? Homer! ich kann dich anre - den, denn du lebſt, du biſt unſterblich! — Wie iſts moͤglich, dir ein beßres Opfer, ſelbſt in chriſtlichen Zeiten, zu bringen? Die dir an - grenzende Nachwelt ſchlug ſich deines Ge - burtsorts halber; ein curſcher Edelmann nennt ſeine Hunde Argos! Wer es empfinden kann, wie ſchoͤn es ſey, daß ein Buch aufs Le -ben27ben wirkt, was kehrt ſich der an die Packans ſeiner Zeit! —
In einem kleinen Garten kann fuͤglich nicht Natur ſeyn. Der Geſchmack liebt Mi - niatur! — Er beſteht in der Kunſt, etwas aus dem Großen ins Kleine zu bringen, um es uͤber - ſehbar zu machen. Er iſt ſo etwas menſchli - ches, als die Natur goͤttliches iſt! — Und hiemit, loͤbliche Univerſitaͤten, lebet wohl, le - bet wohl! Wir ſcheiden ſo, wie in dieſem Theil oft geſchieden werden wird! — Ihr habt keine Authentica habita Cod. ne filius pro patre &c. noͤthig, keinen Kranz, kein Gna - denzeichen — die ganze Fuͤlle der Gelehrſam - keit wohnt in euch leibhaftig!
In ſeinem ganzen Leben hatte mein Vater keinen laͤngern Brief geſchrieben, als den ich auf meinen berlinſchen von ihm erhielt. Ein gros Compliment fuͤr Koͤnig Friedrich, wenn er teutſch koͤnnte. Mein Vater ſuchte Rin - nen um abzulaufen, ſo voll war er — Stellenweis.
Ich habe zwar die Melodie noch behal - ten; allein den Text hab ich in dieſem ſo ge - nannten freyem Lande, daß ſich Gott erbarm! vergeſſen. Ein Hutmacher macht Cardinaͤle; allein kein Juvelier einen Koͤnig! — Ich willes28es nicht ſagen, daß es dir wie manchen Mah - lern gegangen, die das Pferd beſſer, als den Reiter treffen; allein wie ungern fand ich hie und da einen Abbruch zur Unzeit! Reden koͤmmt vom Reden. Thun vom Thun. Wei - ber eſſen ſich trunken. Maͤnner muͤſſen Po - kaͤle haben, wenn ſie warm an der Stirn wer - den ſollen! —
Auszug aus einem Briefe nach Koͤ - nigsberg.
Gern ſeh ich, daß du den Koͤnig ſehen wirſt! — Wenn er dich mit ſeinem Auge elec - triſirt, fuͤhl es, daß es ein koͤniglicher Funke ſey. Gruͤß den Koͤnig von mir. Das heißt, ſieh ihn fuͤr dich und fuͤr mich! Man glaubt gleich alles im Menſchen zu finden, was der andre ſagt. So kann man fuͤr gros und klein, klug und unklug gehalten werden, je nachdem man im Ruf iſt. — Es iſt gut, daß ſich die Koͤnige nur ſelten, und dann zu Pferde zeigen. Sie ſind gebohrne Reiter. Wandelten ſie un - ter uns, wie oft wuͤrde der allerunterthaͤnigſt treugehorſamſte Knecht ſein Uebergewicht em - pfinden! —
Fortſetzung des vorigen Briefes auf meine Epiſtel von Berlin.
Es giebt olympiſchen Reid oder Eifer -ſucht!29ſucht! der ſteht einem Koͤnige nicht uͤbel, viel - leicht iſt er uns allen nuͤtzlich. Dieſer Neid ſchadet dem andern nicht, ſondern iſt nur be - muͤht, ſich nicht vorkommen zu laſſen. Wir ſind alle faul von Natur, und brauchen Lei - denſchaften-Vorſpann, um weiter zu kom - men? —
Koͤnig! wo kommts her? Von koͤnnen! Kung, wie du weißt, heißt im Lettiſchen Herr. Nicht, als ob meine Achtung fuͤr Koͤnige eine Folge von der Meinung waͤre, die ich fuͤr die Perſon ſelbſt habe. Meine Achtung iſt ſo rein nicht, als ein mathematiſches Problem; du kannſt es nicht vergeſſen haben, daß ich von je her des Dafuͤrhaltens geweſen, der monar - chiſche Staat wuͤrde uns in mancherley Hin - ſicht zum Reiche Gottes fuͤhren. Wilde Baͤu - me haben Stacheln. Ungezaͤhmte Thiere fal - len den Menſchen, ihren Herrn, an! Und lehrts nicht die taͤgliche Erfahrung, daß ſich ein freyer Staat ſehr bald in kleine Fingerlange Koͤnig - reiche zergliedert; hier und dort und da faͤngt ſich ein Menſch zu verbreiten an! Da gehts ihm denn freylich wie dem menſchlichen Koͤr - per, der, wenn er in gewiſſe Jahre kommt, an Groͤße in der Breite, mit dem Verluſt der Kraͤfte und Wirkſamkeit zunimmt. Das Gan -ze30ze leidet bey ſolchen Kleinkoͤnigen; die Bey - lage hiezu iſt Curland und Semgallen. Man lobſinget den Alten, weil man im Wahn ſte - het: die Natur brauche ſich ab, werde alt! — Nicht alſo; noch heute kann Eden werden, im Gedicht und im Original. —
— Ich nehme dem Koͤnige Friedrich ſeine Schatzkammer nicht uͤbel. Wo eine Quali - taͤt iſt, da laß ich auch eine Quantitaͤt gelten. Das Geld iſt beym Privatmann ein ſchoͤnes Piedeſtal, und ein Koͤnig, der ſo wie er denkt, muß entweder alle Augenblick Schatzungen ausſchreiben, oder es machen, wie Friedrich — was iſt beſſer?
— Die Farbe des Verdienſtes iſt die Far - be der Schaamroͤthe, ſo, daß auch alle rothe Farbe von ihr ein faſt allgemeines Anſehn erhalten. Sie iſt von ihr ins Geſchrey ge - bracht. Purpur iſt die Schaamroͤthe auf ei - ner braunen Wange! — Unſer gute Herr - mann reißt beym letzten Vers des Liedes alle Zuͤge ſeines Poſitives auf, und die gewoͤhnli - chen Redner und Schreiber ſuchen mit einem epigrammatiſchen Gedanken zu ſchlieſſen. Mich ſchmerzt ſo was. Stich iſt Stich — Dein Brief ſchließt V. R. W. mit dem alten Vale! Vale! —
Ueber31Ueber das Spiel haͤtteſt du mehr ſchreiben ſollen. Es ſcheint mir wechſelſeitige Abma - chung, intereßirt ſeyn zu koͤnnen. Eigennutz und alles und jedes, wo das Wort eigen vor - kommt, iſt aus dem Stammhauſe Eigenliebe. Wer kann indeſſen in einer guten Geſellſchaft einen Menſchen ausſtehen, der ohne End und Ziel von ſich ſelbſt ſpricht; es waͤre denn, daß er ſein uͤberſtandnes Ungluͤck erzaͤhlt. Eben ſo iſt ein Eigennuͤtziger ein Greuel im Umgan - ge. Das Spiel ſcheinet erfunden zu ſeyn, den menſchlichen Neigungen, die man durch Lebensart zu unterdruͤcken verbunden iſt, zu Huͤlfe zu kommen. Wir wuͤrden es ſehr uͤbel nehmen, wenn der andre uns gefliſſentlich ge - winnen lieſſe. Der Gewinner muß indeſſen eben ſo viel Gluͤck, als Spielverſtand zeigen, wenn wir ihm das Recht zu gewinnen zuer - kennen ſollen; obgleich es auch gewiß iſt, daß Spieler dieſen gern, jenen hoͤchſt ungern ge - winnen laſſen, es beſitze jener gleich Gluͤck und Verſtand in der beſten Proportion. Du ver - ſtehſt mich von ferne. Unter dem Wort Spie - ler verſteh ich keinen, der aufs Spiel ausgeht, oder vielmehr auslaͤuft. Keinen Virtuoſo, ſondern einen Dilettante, um es dir deutli - cher, (das heißt oft uneigentlicher) zu geben. Bey32Bey Leuten, die keine Bewegung haben, er - ſetzt das Spiel dieſen Mangel. Es iſt See - lenbewegung, die noͤthiger iſt, als die koͤrper - liche; es iſt eine Abwechslung aller Leiden - ſchaften, aller Jahreszeiten haͤtt’ ich bald ge - ſagt; und zur Geſundheit gehoͤrt dieſe Ab - wechslung. —
Der Koͤnig ſpielt nicht; kein Koͤnig ſollte ſpielen. Spiel iſt Zeitvertreib, und wer kann des Morgens Karten miſchen, ohne das Unſchickliche zu fuͤhlen? Ich kenne noch kei - nen Violoniſten, der nicht ſelbſt einem treuen Kenner oder Liebhaber laͤſtig geworden, wenn er vor Mittage geſpielet!
Koͤnig Friedrich hat gern Leute, die Gluͤck haben. Wo Verſtand iſt, muß auch Wille ſeyn. Ein Entwurf will Ausfuͤhrung, ein Anfang Vollendung. — — — Man glaubt ſelbſt gluͤcklich zu werden, wenn man Gluͤck - lichen ſo nahe iſt, und wer beſchaͤftigt ſich nicht am liebſten mit Dingen, wo Gluͤck da - bey iſt. Drum ſpielt man Karten, drum ſetzt man in die Lotterie, drum geht man auf die Jagd, wenn man kein Koͤnig iſt, drum fuͤhrt man Krieg, wenn man Koͤnig iſt. — — Herr v. G. ſagt, alle Koͤnige ſind Spieler. —
Leb33Leb wohl, gib dem Kayſer, was des Kay - ſers, und Gotte, was Gottes iſt. Fuͤrchte Gott, ehre den Koͤnig; Lebe wohl! — Aus einem andern vaͤterlichen Briefe.
Deine Mutter ſchreibt dir viel und unfehl - bar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der ich war. Wenn man einmal in gewißen Jah - ren iſt, hat man ſich ſo ausprobirt, daß man lange vor Krankheit ſicher iſt. Da weis man den verſtimmten Clavis uͤber zu ſpringen, da haͤlt man eine Rede ohne R., wenn man das r nicht ausſprechen kann. So giengs mir; aber die Jahre traten ein, von denen es heißt: ſie gefallen uns nicht. Das erſtemal, daß ich klage. Stoͤhnen erleichtert den Schmerz, ſo wie der Aufſchrey das Schrecken. Was hilft es, daß du fruͤh aufſtehſt, und lange ſitzeſt, und dein Brod ißeſt mit Sorgen? Seinen Freunden giebt ers im Schlafe, im Tode. — Wer nach einer frohen Stunde den Tod ſchoͤn finden kann, das iſt ein Mann. Leben und Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im Tode? Wir legen blos das Kleid ab, das jedem zu enge iſt. Wir glauben vom Tode, ſo wie die Juͤnger von ihrem Herrn und Mei - ſter, er ſey ein Geſpenſt. — Ueber vierzigCJahre,34Jahre, wer wird von denen ſeyn, die jezt ſind! — Dieſen Augenblick kann man deine Seel abfordern, und was wird es ſeyn, das du an Zeit geſammlet haſt? — Ich habe mich lange umgeſehen, um von hinnen zu ziehen ins Vaterland! — ανέχου και απέχου. Lebe wohl!
Das lezte Lebewohl! Der Herr ſetze ihn uͤber viel, dieſen lieben Getreuen uͤber wenig! — Er iſt eingegangen zu ſeines Herrn Freu - de! Amen! Amen! —
Ich kann nicht mehr, als Amen ſchrei - ben, obgleich es ſchon ſo lange her iſt, daß er mir dies lezte Lebewohl ſchrieb. — Um es au - thentiſch meinen Leſern mitzutheilen, ſchrieb ich es aus dem Original aus, das noch da vor mir liegt. Ich weiß es, daß einige mei - ner Leſer dem Herrn v. G. nachſagen werden, die Koͤnigin iſt weg, das Spiel iſt verlohren! Der Treflichſte in dieſem Buch iſt gefallen! — Meine Leſer haben ihn gehoͤrt und ich! ich hab ihn geſehen! — Noch ſeh ich dieſen Mann. Jede Falte in ſeinem Antlitz zeigte, wie gut er war! Wahrlich, die beſte Probe eines gu - ten Alten! — Iſts nicht wahr, daß die Fal - ten ſich nach den Lieblings Mienen des Men - ſchen formen, iſts nicht wahr, daß ſie da rei -fen,35fen, wo jene bluͤheten? O koͤnnt’ ich ihn dar - ſtellen! —
Ruhe ſanft, ſeltener Mann! Dein Se - gen war die Wolken - und Feurſaͤule, die mich gleitete auf meinen Wegen. Deinen Tod feyern heißt: deinem Beyſpiel folgen!
Er gieng mit der Sonn’ unter! Es blieb unentſchieden, wer ſchoͤner untergegangen! — In Abendroth gekleidet war die Wolke, die ihn zum Himmel nahm, ſchrieb meine Mutter.
Er ſtarb den 24. Junius des Abends um 9 Uhr in ſeiner Lieblingsſtunde. Jeder hat ſeine Zahl, die ihm am Herzen liegt, verſichert meine Mutter. So war dem hochgebohrnen Todtengraͤber ſieben ins Herz geritzt, die Zahl der Ruhe, die Sabbathszahl, die Zahl der Vollendung. Meines Vaters Liebling war die Zahl neun! Sie iſt neun, pflegt’ er zu ſa - gen und bleibt neun. Zweymahl neun iſt achtzehn. Acht und eins iſt neun, drey mahl neun iſt ſieben und zwanzig, ſieben und zwey iſt neun. Vier mahl neun iſt ſechs und dreyſ - ſig, ſechs und drey iſt neun. Es iſt die Zahl der Beſtaͤndigkeit! Es kann ſeyn, daß die im ewigen Fruͤhlinge ſich befindende neun Jung - fern den erſten Probirer auf dieſe Berechnung gebracht, oder die Berechnung auf die neunC 2Mu -36Muſen. Wer kennt nicht, wie mein Vater, die liebe treue neunte Zahl! — Meine Mut - ter ſchreibt, dieſe ſelbſtbeſtaͤndige Zahl blieb ihm auch treu bis in den Tod. Er ſtarb um neun Uhr Abends, ward neun und funfzig Jahr alt, neun Monate und neun Tage! —
Doch der Tod meines Vaters gehoͤrt zum Vierten Bande, der ſeinen Lebenslauf enthal - ten ſoll, den ich Bergab zu erzaͤhlen verſpro - chen habe.
So viel noch vorlaͤufig! Er ſtarb, wie er ledte, ſprach bis in den lezten Augenblick ſei - nes Lebens, wie Sokrates, ſein Freund!
Meine Mutter beſchloß ihren Brief: Cur - land war ſein Zoar, wo dieſer fromme Lot Gnade fand vor Gottes Augen. Sein Va - terland hab ich auch in ſeinem lezten Augen - blick nicht erfahren, ſo herzlich gern ich es auch, die fruͤhen Spargel und die Pfeife in der freyen Luft, und die langen Manſchetten an ſeinen Ort geſtellt, — in dieſer Welt ge - wußt haͤtte. Er hat uͤberwunden ſo manchen Hohn, der aͤrger iſt als andre Leiden dieſer Zeit, bey welchen wir in die Haͤnde Gottes fallen! — Je mehr Pfand, je mehr Wucher! Seine Melchiſedechs Predigt, wo Salz und Schmalz war, und ſo manche andere gewal -tig37tige Predigten, zeigen, daß er nicht von ſich ſelbſt geredet, und ſo ſang er auch nicht von ſich ſelbſt, da er bey der zweyten Strophe im zweyten Diſkant einfiel:
Er wird nicht in dem himmliſchen: heilig, heilig, heilig! einen falſchen Ton angeben, oder den Takt verlieren, dafuͤr ſteh ich! — Er wird mir aber danken, daß ich ihm Sang und Klang empfahl, um dort bey der Probe zu beſtehen. Das Wiſſen blaͤſet auf, aber die Liebe beſſert! —
Auch ſie ſingt ſchon, im hoͤhern Chor, ein himmliſches Halleluja! Ein heilig! heilig! heilig! desgleichen kein Ohr gehoͤret und in keines Menſchen Herz kommen, und Gott be - reitet hat denen, die ihn lieben! — Hier war ſie ein Lied, dort iſt ſie ein Pſalm Davids; hier ein Sonnabend, dort ein Sonntag, ein Sabbath; hier ward ſie geſaͤet in Schwach - heit, dort geht ſie auf in Kraft! Wohl dem, der ſo ſtirbt, wie ſie! Sie wartete auf ihren Tod, wie Simeon auf den Troſt Iſraels. Sie ſtarb wie Simeon: Herr! nun laͤßt du deine Magd in Frieden fahren!
C 3Mein38Das war nach Minens Tod ihr immer - waͤhrender Seufzer! Ach wenn werd ich da - hin kommen, daß ich Gottes Angeſicht ſchaue! Ich habe Luſt abzuſcheiden! Sie war getreu bis in den Tod, und wahrlich, wahrlich, ſie hat das Ende des Glaubens, der Seelen See - ligkeit, die Krone des Lebens, davon getra - gen. — Solch ein Weib ſtirbt nicht alle Tage! Wenn der hochgraͤfliche Todtengraͤber ſie haͤtt’ obſerviren koͤnnen, was haͤtte er drum gege - ben! Elias ſprach zu Eliſa: bitte, was ich dir thun ſoll, ehe ich von dir genommen wer - de. Eliſa ſprach: daß dein Geiſt bey mir ſey zwiefaͤltig. — Sollt’ ich mich truͤgen, wenn ich behaupte, daß viele dieſen Wunſch hinauf gethan? — Nun ſo moͤgen die Prophetenkin - der allen dieſen guten ſanften Biederſeelen das Zeugnis geben, das ſie Eliſen gaben: Der Geiſt Eliaͤ ruhet auf Eliſa, ruhet auf dieſen Wuͤnſchenden! Er ruhe wohl! —
Meine Leſer werden ſich mit leichter Muͤ - he erinnern, daß mein Vater in ſeiner Bibel, beym Hauptmann zu Capernaum und bey drey Oberſten Zeichen eingeleget, nicht min - der uͤberall, wo das Schwerd ſchlaͤgt, dasFaͤhn -39Faͤhnlein weht, Trompeten ſchallen, und wo Sold ausgetheilet wird. Eben ſo erinnerlich wird ihnen die Epiſtel am ein und zwanzigſten Sonntage nach Trinitatis ſeyn, die in der vaͤterlichen Bibel erſchrecklich begriffen war, und die ich meinen Leſern im erſten Theil, ſo wie ſie im Lutheriſchen altteutſchen lautet, woͤrtlich vorgeleſen. Sollte hie und da einem Capittelloſen dies in Vergeßen gerathen ſeyn; ſo ſey es mir erlaubt, ihn an meine Mutter zu erinnern, die, wenn ſie meinen Vater, mit dieſer Epiſtel angethan, zur Kanzel ſteigen ſah, zu ſagen die Gewohnheit hatte: heute geht er geſtiefelt und geſpornt, wie ein geiſt - licher Ritter, auf die Kanzel. Indeſſen war auch ſie, das gute Weib, von einer Praͤdilek - tion wegen gewißer Spruchſtellen nicht frey. Jeder Menſch hat nicht blos ſeine Lieblings - zahl, ſondern auch ſeinen Spruch. Der Lieb - ling meiner Mutter war: der Herr hats ge - geben, der Herr hats genommen. Wenn der Kelch noch nicht da war, mochte ſie viel - leicht gewuͤnſcht haben, er gehe voruͤber; al - lein wahrlich, ſie hat auch herzlich hinzugefuͤ - get: nicht wie ich will, ſondern wie du willt! Meine Mutter fand im dießeitigen Leben zwar Dornen und Diſteln; allein auch Veilchen,C 4Him40Himmelſchluͤßelchen und Krauſemuͤnze. Sie hatte mit Schmerzen ein Kind gebohren; al - lein dafuͤr hatte ſie auch einen Sohn. Dieſer hies zwar Alexander; allein er ſtudirte Theo - logie. Ihr Ehemann ſagte zwar nicht, wo fein Vaterland waͤre; indeßen war er doch rein und lauter in Lehr und Leben. Zwar konnte ſie eine Zeitlang keinen Menſchen aufs Kanapee noͤthigen, der Name Melchiſedech ward nicht anders als bey gedeckten Thuͤren ausgeſprochen, und ſelbſt alsdenn noch nur ins Ohr; indeßen ſchlug mein Vater doch durch eine einzige Predigt ſo viele Blutgierige und Falſche, und befreyte das Kanapee, das, wie ein verfluchtes Schloß, wuͤſte war, vom Fluch. — Ein Weib, wie meine Mutter, war mit allen Wegen Gottes kindlich zufrieden. — Wenn ſie unter den Iſraeliten geweſen, ſo haͤtte ſie nach keinen Wachteln verlangt, ob - gleich ſie ein Prieſterweib und aus dem Stamme Levi war. Mit Manna haͤtte ſie ſich begnuͤgt, ſo daß ihr nie ein Fleiſchtopf eingefallen waͤre. Sie war nicht wachtelluͤſtern. Viel fuͤr eine Paftorin! Da ich in meinem vierzehnten Jahr ohne Hofnung krank danieder lag, und mein Vater Licht! Licht! Licht! rief; ſang ſie mit einer Seelenfaßung:
Gott41Gott eilet mit den Seinen, daß ſie ſo gar meinen ungeſtimmten unmuſi - kaliſchen Vater dahin ſang, daß er ſelbſt bey der zwoten Strophe im zweyten Diskant ein - fiel, wie oben und unten erwehnt worden! —
Da mein Vater nach dem Brande verſi - cherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auf - trank, ſie nicht mehr verzehrt haͤtte, als er, und daß kein Lucius Plancius die andre Perle gerettet; war meine Mutter ſo Gott ergeben, daß ſie mitten in der Predigt ſang, mitten im Gewitter ſanft regnen ließ, und nur eins lag ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt haͤtte, eh ich ſtuͤrbe!! — Wie ſehr ich meine Mutter geliebt, iſt am Tage, und wenn ſelbſt mein Tod ſie nicht aus dem Lebensconcept bringen konnte; ich wuͤßte nicht, was ſonſt ſie zu unterbrechen im Stande geweſen? — Nichts, nichts konnte ſie ſcheiden von ihrer Faſſung, nicht Truͤbſal, nicht Angſt, nicht Tod, nicht Leben! Wahrlich ſie kam nie aus der Melodie, ſie hielte Takt, und konnte ſelbſt ihre Hausgenoſſen, ihre Corinther, wie ſie ſie in ihrem Condolenzſchreiben nannt, in Takt und Melodie ſetzen. — Minens Tod indeſſen brach - te ſie ſo ſehr vom Leben ab, daß ſie gern ſter - ben wollte.
C 5O42O des ſchoͤnen Baums im Garten Gottes! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich keinen Schlag mehr der herrlichen Na - tur, wovon ſonſt meine Seele genas! Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen, den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe lockt mich nicht wonniglich in die Abend - kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa - he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal - tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht: ſey geſegnet im Namen des Herrn! und dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh - lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern mit einer Hand voll Waſſer zu taufen pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie - ſter vorſtellet, wenn ſie ſich ehrfurchts - voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnetund43und fuͤr ſelbiges betet. Es ruͤhret mich nicht mehr, wenn dieſes kleine Geſtraͤuch ſo rings um die prieſterliche Linde ſteht, und mit deinem Geiſte lispelt, oder wenn es vielmehr, nach rußiſcher Art, mit einem Gospodi pumilu ſich buͤckt.
Wie ſchwer athme ich den Balſam des ſchoͤnen Morgens ein! Iſts mir doch nicht anders, als wenn ich Arzeney ein - naͤhme! Wie pflegte mich die Natur lieb zu haben! wie feſt an ſich zu druͤcken! — Lieb hatt’ ich ſie wieder! ich weinte oft fuͤr Freuden in ihren muͤtterlichen Ar - men! O ich habe eine liebe gute Mutter verlohren! — Wenn ich jezt etwas ſeh, iſts alles ungerathen! eitel! Da aͤrgert mich der Baum, der gerade wachſen koͤnnte, und aus Eitelkeit ſchief wird, um ſich in dem kleinen Gewaͤſſer zu be - ſpiegeln, das in einiger Entfernung blin - ket — und dort verdrießt mich das elen - de Kraut, das ſich auf der ſtolz herausge - wachſenen Wurzel der Eiche niederlaͤßt, und dieſen edlen Baum chikanirt, wie oft der Poͤbel große Maͤnner.
Zwar lieb ich mich abzuſondern; al - lein ich kann nicht ganz allein ſeyn! dasheißt,44heißt, im Finſtern. Licht iſt Geſellſchaft, pflegte unſer Seliger zu ſagen, und ich brenne ſelbſt Licht in der Nacht, als ob ichs beſſer wuͤßte, wie der liebe Gott, der gewiß mehr Licht am erſten Tage haͤtte ſchaffen koͤnnen, wenn es gut ge - weſen waͤre. Bey weitem bin ich nicht, was ich war. Eine Scheelſichtige bin ich!
Das Kind muß einen Namen haben! Warum Winkelzuͤge? Freude an der Na - tur iſt das Probatum eſt eines guten Gewiſſens. Eine feurige Kohlenſamm - lerin, eine Aufhetzerin, iſt die Natur dem, der es mit dem Gewiſſen verdorben hat. Den Zorn kann man beſprechen; allein den Schmerz nicht.
Das Thraͤnenſchwere Veilchen gefaͤllt meinem Auge am meiſten, weil ſich gleich und gleich gern geſellen, und wenn uns beyden der Tropfen entblinkt, ſehn wir gen Himmel, der am beſten weiß, was uns nuͤtzet. Da zitterte geſtern ein Tro - pfen auf einem Vergißmeinnicht, und der in meinem Auge bebte, eben ſo lange, bis mein Auge zugleich mit dieſem blau - en Bluͤmchen entbunden war, und beyde Tropfen zuſammenfloſſen zu den Fuͤßendes45des ſchoͤnen Vergißmeinnicht. Mine, Mine, Mine! Ich vergeſſe dich nicht, ich vergeſſe dich nicht! —
Welke gelbe Blaͤtter, das iſt meine Wonne, wenn ſie abfallen, ich leſe und hoͤre Gottes Wort; allein ich lege keine Sylbe bey! und je mehr ich mich faſſen will; je aͤrger iſts. So gehts mit den Leidenſchaften, ſagte dein Vater, je mehr man druͤckt, je elaſtiſcher ſind ſie! — Ich, die ich keine Fliege auf dem Ruͤcken liegen ſehen konnte, wenn ſie ans Fenſter prall - te, und ſich den Kopf ſtieß! Ich, die ich ihr aufhalf, obſchon ſie mich oft aus der Melodie ſumſete, habe unſchuldig Blut verrathen. O Mine! Iſts Wun - der, daß mir der Bluͤtenſchnee wie ein Leichentuch vorkommt! O wenn wird es von mir heiſſen: ich liege und ſchlafe ohne Kummer! Wie lange ſoll ich noch fragen: Huͤter, iſt die Nacht ſchier hin? Wenn ruft Gott der Herr in mein Chaos: es werde Licht, und es wird Licht? Wenn fing ich im hoͤhern Chor: der Tag ver - treibt die finſtre Nacht?
Das46Das war die anhaltende traurige Lage meiner Mutter, um Minens Willen! — Ge - ſchieht das am gruͤnen Holz — Die gute Bußfertige! In ihrem Troſtſchreiben, das ich in ſeiner Laͤnge und Breite mitgetheilt, ſo wie ſie es in verſchiedenen Abſaͤtzen, die ſonſt ihre Weiſe nicht waren, an mich erlaſſen, war nichts in der erſten Hitze geſchrieben. Sie blieb ſo, bis in ihren Tod! — Wer lebt ſo, wie er glaubt? pflegte ſie zu fragen, und da - rauf „ das thaten nur die Apoſtel „ zu ant - worten. Wahrlich! ſie lebte, wie ſie glaubte. Sie that, was ſie ſagte. Sie redete leben - dig, ſie handelte, wenn ſie ſprach. Jezt war ſie nicht mehr die Sanftflieſſende! — All Au - genblick ſchlug ſie Wellen. Sie lag nicht ſtill auf einer Seite. Sie riß das Deckbette.
Etwas uͤber das Gewiſſen.
Man ſey noch ſo fromm, noch ſo gut, wer hat nicht ein Wort, dem er nicht auswiche, wie meine Mutter, wiewohl meines Vaters halber: Melchiſedech. — Wer hat nicht eine Handlung, an die er ungern denkt, und wer kann auch bey der ſorgfaͤltigſten Bemuͤhung, ein unbeflecktes Gewiſſen zu behalten, beydesvor47vor Gott und den Menſchen, fuͤr allen Scha - den ſtehen? Zwey Dinge ſind uns noth, Ge - wiſſen und Ruf. Dieſer des Naͤchſten, jenes unſertwegen. Das Gewiſſen aber verdient, nach der Meynung eines Weiſen des Alter - thums, mehr Ruͤckſicht als der Ruf. Dieſer kann truͤgen; jenes nie. Beym Ruf faͤllſt du in der Menſchen Haͤnde; beym Gewiſſen in die Hand Gottes. Ich halte dafuͤr, daß es zweyerley Gewiſſensarten gebe, ohne dem neu - en gewiſſen Geiſt, den wir als eine Frucht ei - nes guten Gewiſſens von Gott erwarten koͤn - nen, ohne dem goͤttlichen Diplom des Gewiſ - ſens zu nahe zu treten, und auch ohne auf der andern Seite die Diſtinktionen von Vor - und Nachgewiſſen u. ſ. w. unguͤltig zu ma - chen. Es iſt ein Lebens - und Sterbens-Ge - wiſſen. Auch der redlichſte Richter findet, ehe er von ſeinem Obern unterſucht werden ſoll, noch Maͤngel, ohne auf A B C-Schniz - zer, die nur ein Reviſionsknaͤbchen ruͤgen kann, Ruͤckſicht zu nehmen. Auf die Frage, was iſt die Freyheit? antwortete jener Weiſe: ein gut Gewiſſen. Wer iſt aber, der ſich nicht zuweilen, wie ich mit meinen Soldatengedan - ken, meiner Mutter halben, unter die Baͤume im Garten verſteckt und von Feigenblaͤtternſich48ſich Schuͤrzen macht? Auch Julius Druſus, der in einem durchloͤcherten Hauſe wohnte, und welcher das Anerbieten eines Kuͤnſtlers, vor fuͤnf Talente dieſen Flickbau zu uͤberneh - men, mit den Worten ablehnte: daß er zehn geben wolle, um ſein ganzes Haus aller Au - gen darzuſtellen; auch er wird doch, bey al - len guten Zeugniſſen ſeines Lebensgewiſſens, ein dunkles Kaͤmmerchen gehabt haben, wo ihm ein hereingeſchlagener Funke ein ungebe - tener Gaſt geweſen waͤre!
Am Sonnabend uͤberdenkt jeder gute Haushalter die Woche; am letzten Tage im Jahr, das Jahr; im Sterben das Leben! Es iſt gleichviel, ob ich es hier oder wo anders erzaͤhle. Ich habe einen Deſerteur — in — — erſchieſſen ſehen, der, ſeiner angebohrnen Frey - heit halber, ſich nicht uͤberzeugen konnte, von Rechts wegen ein Mann des Todes zu ſeyn. Selbſt die ſpitzfindigſten Rechtslehrer ent - ſchuldigen hiemit die Flucht aus dem Ge - faͤngniſſe, und in einem gelehrten theologi - ſchen Werklein, das ich geleſen, wird von ei - nem Caſuiſten behauptet, daß ein Miſſethaͤter, der auf den Tod ſaͤße, mit gutem Gewiſſen, wenn er dazu Gelegenheit haͤtte, entfliehen koͤnnte. Es liegt wuͤrklich etwas menſchlichesdrinn49drinn, daß die Flucht aus dem Gefaͤngniſſe die Strafe nicht vergroͤſſert, die auf den Miſſethaͤter wartete, wenn er nicht geflohen waͤre. Mit der Deſertion iſts ſo eine Sache. Es koͤmmt alles auf den Contrakt an, den der Soldat eingehet. Unſerm waren von den Capitulationspunkten nicht ein einziger gehal - ten, und doch ſollt er des Todes ſterben. Bit - ter und geſetzt, wie ein Maͤrtyrer, gieng er zum Richtplatz. Die Maͤrtyrer haben alle den Todesgang, als waͤre nichts, Welt auf, Welt ab, ihrer werth. — Die Geiſtlichen hat - ten ſich muͤde und matt bemuͤht, unſerm Ver - urtelten zu beweiſen, daß er alle zehn Gebote, und des D. Luthers Auslegung oben ein, bis auf jedes Comma und Punkt, uͤbertreten haͤt - te; allein er blieb dabey, er ſterbe unſchuldig. Nun ſagte einer der vornehmſten unter den Ehrwuͤrdigen Herren, ſo waͤre ſeine Behaup - tung, unſchuldig zu ſeyn, eine Todſuͤnde: denn, ſetzte er hinzu, wenn wir alles und jedes ge - than haben, was wir zu thun ſchuldig ſind, bleiben wir doch unnuͤtze Knechte, und des Galgens werth. Da der Deſerteur aber die - ſem Manne, der die Sache beym rechten En - de angegriffen zu haben glaubte, ſeinen Platz anbot, hieß es, daß ſie ſo nicht gewettet haͤt -Dten. —50ten. — Kurz, weder Kaiphas, noch Pilatus, weder das geiſtliche, noch das weltliche Ge - richt, konnte ihn von ſeiner Maͤrtyrer Den - kungsart abbringen. Der Tag des Todes er - ſchien, und auch der gieng ihm auf, wie alle andere, auſſer daß er, der Luft wegen, die er, wie er ſagte, lange nicht genoſſen, ein Glas Wein fruͤhſtuͤckte. Es ward zum Todesgang getrommelt. Fuͤrchterlich! — er gieng ihn, da er ſich blos wegen der boͤſen Luft praͤcavi - ren zu duͤrfen glaubte, getroſt. Unterwegs fiel ihm ein Bettler ins Auge! halt! ſchrie er — ich habe geſuͤndiget! Gott erbarme ſich mein, nach ſeiner groſſen Barmherzigkeit! Sagt’ ich nicht, fieng der Geiſtliche an, der ihm das Geleite gab, kommt Zeit, kommt Rath — Der Maͤrtyrer kam ſo aus der Faſ - ſung, daß er kaum weiter konnte. Der com - mandirende Officier, der an der armen Seele des Deſerteurs wahren Theil nahm, bewilligte ihm Zeit und Raum zur Buſſe, und war eben im Begriff, ihm den Soldateneid vorleſen zu laſſen, der Geiſtliche, die zehn Gebote mit ihm nochmahls kuͤrzlich durchzugehn, und, wo es die Zeit zulieſſe, auch noch die uͤbrigen Hauptſtuͤcke des chriſtlichen Glaubens, als es ſich ergab, daß der verſtockte Suͤnder uͤberſein51ſein Capitalverbrechen noch eben ſo, wie zu - vor, dachte. Der Bettler hatt’ ihn an eine Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar, fieng er an, war ich in Noth; allein mußt’ ich darum dem armen alten Kerl das Brod nehmen? Er hatte vor fuͤnf Jahren einem al - ten Bettler ein Brod genommen. (Um mei - ne Leſer nicht aufzuhalten) der Bettler, dem unſer Laͤufer begegnete, mochte nun entwe - der eine Aehnlichkeit haben, mit dem, wel - chem er das Brod genommen, wie denn alle Bettler ſich gleich ſind, oder es mochte das Gewiſſen, welches, wie man ſagt, auch ſeine fuͤnf Sinnen hat, bey dieſer Gelegenheit auf die ſo alten ſchon reponirten und beſtaͤubten Akta gefallen ſeyn; kurz, dieſer kleine Vorfall brachte ihn zum Bekenntniß, ein armer groſ - ſer Suͤnder zu ſeyn, und das Leben verwuͤrkt zu haben. Nicht immer machen dem Men - ſchen die ſchaͤdlichſten gefaͤhrlichſten Dinge den groͤßten Schmerz. Wer iſt am Zahnweh ge - ſtorben, und wer kann dieſen Schmerz ohne zu murren ertragen? Einer der Cameraden, den dieſer Vorfall ruͤhrte, bot dem armen großen Suͤnder einen Theil von ſeinem Sol - de an, um das Gewiſſen zu ſtillen, er nannt’ es aus gutem Herzen, dem Gewiſſen wasD 2zu52zu verbeiſſen geben; allein der Laͤufer ver - bats: gib es, wenn du, ohne ſelbſt zu bet - teln, es miſſen kannſt, in deinem eigenen Na - men. Ich will nicht prahlen! — Das Ge - wiſſen eines Sterbenden iſt ſo leicht nicht be - friedigt — ſagt’ er nach einiger Zeit. Der arme Camerad gab es, und hatte acht gan - zer Tage, Buß - und Bettage, das heißt: er konnte in acht Tagen keinen Tropfen Bier trinken. Es war von ſeinem Solde. Der Prediger hatte kein Geld bey ſich. Der Stabs - officier hatte Familie, und die Subalternen waren noch Billardparthien ſchuldig. —
Das Gebet des Bußfertigen war kurz! herzbrechend! Er hatte ein Weib und zwey Kinder in den Staaten eines andern Herrn, und hatte im beſoffnen, oder welches gleich viel iſt, im zu guten Muth, Handgeld genom - men. Seine Capitulationsjahre waren ab - gelaufen. Weib und Kind wollten ſeine Schwiegereltern nicht ziehen laſſen, und alſo — Solch einen Schuß, der dieſem Armen das Herz bohrte! Gott laß ihn mich nie mehr hoͤ - ren! — Seinem Weibe ließ er noch durch ſeinen Freund, der ihm den Becher kalten Waſſers auf dem Richtplatz reichte, zur Pflicht ma - chen, allen alten Bettlern, die ſo ausſaͤhen,wie53wie der, der ihm begegnet, und dem der Cam - rad ſeinen Sold, ſein taͤglich Brod gebrochen, ein ganzes Brod zu geben, auch wollte er, daß ſeine Kinder und Kindeskinder es thaͤten, immerdar. — — Das iſt mein letzter Wille, ſagte er, und hiemit gab er ſeinem Camera - den die Hand! der den Bettler, der Wittwe zur Regel, abzeichnete und ihn traf. — Leb wohl! Du warſt ein ehrlicher Junge, und ſo ſtirbſt du auch. — Der Camerad durfte des grauſamen Herrn Faͤhnrichs wegen nicht wei - nen, deſto mehr hielt er aus. Es war auch ein Auslaͤnder! — Die Nutzanwendung.
Mine war das alles meiner Mutter, was der Bettler dem Laͤufer. Sie war aͤlter, als der Laͤufer. Es fiel ihr alſo ſo manches ge - nommene Brod ein! — Der Hauptdiebſtal war Mine. Noth hin, Noth her. — Das Sterbensgewiſſen iſt nicht ſo leicht zu befrie - digen. Bis auf die Curlaͤnderin lag alles ſchwer auf ihr. Eine verſtimmte Pfeife, ſchreibt ſie, verdirbt die ganze Orgel. Bey mir iſt mehr, als eine, in Unordnung. Was bey manchem Rath iſt, iſt bey mir Unrath.
Meine Mutter gieng in Gedanken in ein Cartheuſerkloſter, und ſah’ es ein, daß derD 3Menſch54Menſch auch bey den beſten Geſinnungen un - moͤglich mir nichts dir nichts ſterben koͤnne. Wer kann wiſſen, wie oft er fehle?
Der Stamm Levi vermehrte bey dieſer Selbſtpruͤfung ihre Seelenleiden. Es war die Kohle auf ihrem Haupte, welche die andern noch mehr aufgluͤhete. Wer viel empfieng, von dem wird viel gefordert. So viel Mund, ſo viel Pfund, ſagte ſie! — Zwar empfand ſie leibhaftig, daß ſie ihrem Naͤchſten nicht Waſ - ſer und Luft verkauft, daß ſie kein verirrtes Schaaf in ihren Stall getrieben, und dem Nabot keine Spanne Acker abgegraͤnzet, daß ſie keine Taubenkraͤmerin, keine Kaͤuferin im Tempel, geweſen. Geben war ihr ſeliger, als nehmen; indeſſen heulte doch die ganze Or - gel! —
Jacobs Ausruf: er lebt, ich will hin, ihn zu ſehen, hatte ein großes Zeichen, und ſo auch alle Stellen, wo Tod und Todtenge - beine vorkamen. Die Lebenszeichen wurden zwar nicht verworfen, dazu war ſie zu ſanft; allein ſie wurden ſo in die Bibel geſteckt, daß ihr Haupt nicht zu ſehen war. Es hatte ſich geneiget. —
Mein Vater ſagte, es ſind alte verdiente Officier, die man zu Commandanten macht. Ein55Ein dergleichen Commandantenpoſtchen hatte auch ihr ehemaliger Liebling: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Der Inhalt der liebſten, ja einzigen Geſpraͤche, wa - ren die vier letzten Dinge: Tod, Auferſte - hung der Todten, juͤngſtes Gericht, En - de der Welt. Alle, die ſie ſonſt gekannt hatten, fanden jetzt bey ihr eine ſo groſſe Veraͤnderung, als zwiſchen Tod und Leben, zwiſchen Wachen und Schlafen, und ſie ver - barg ſie auch nicht, wie ehemals, den Na - men Melchiſedech. Thuͤr und Thor ſtand of - fen bey ihm. Jeder ſahe den Unterſchied, wie Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zu - gegangen; allein alle Augenblick hatte ſie ei - nen ſchweren Namen im Munde. Mein Va - ter wollt’ ihr aushelfen; allein ſie verbats. Der Tod iſt weit ſchwerer, als dieſe kauder - welſche Namen, ſagte ſie, und mein Vater ſchwieg bedenklich. —
Tertullianus und Theophylactus in Eh - ren, fieng ſie an, welche die Paradoxie gehabt, daß die Geſchichte vom reichen Mann und ar - men Lazarus, eine bloße Parabel ſey; die gu - ten Herren! haben gewiß keine Mine in ihrem Dorfe gehabt, und keinen Sohn, der Minen liebte und keinen Gewißensſcrupel MinensD 4Todes56Todes halber, ſonſt waͤren ſie gewis ſo ortho - dox geweſen, die Erzaͤhlung vom reichen Mann und armen Lazarus fuͤr das zu halten, was ſie iſt, fuͤr reine gediegene Wahrheit. Hat denn Adrichomius ſich nicht anheiſchig ge - macht, des reichen Mannes Haus in Jeruſa - lem zu zeigen jedem, wer es ſehen will? Ich thue drum keinen Schritt, fuͤgte meine Mut - ter hinzu, und eben ſo wenig mag ich das Huſten Chriſti ſehen, das man irgendwo vorzeigt. —
Das heilige Grab aber, das Grab Chriſti, v! wie gern haͤtte meine Mutter dies geſehen! Sie nannt’ es ein geiſtliches Bad, einen geiſt - lichen Geſundbrunnen, und wunderte ſich nicht, daß ſo viele Seelenkranke, ſo viele Pil - grimme dahin wallfahrten! Mein Vater, der hiebey indeſſen ſeinen Ritterlichen Geſinnun - gen ihren Lauf lies, hatte ſo wenig wider die - ſe Reiſe etwas einzuwenden, daß meine Mut - ter wegen ſeiner Reiſefertigkeit zuweilen faſt auf den Gedanken gefallen waͤre, ob nicht im heiligen Lande ſein Vaterland ſey, wenn die langen Manſchetten ihr nicht im Wege ge - ſtanden. Vater und Mutter reiſeten alſo die Woche ein bis zweymal aus heilige Grab, und legten ſich, ſo oft ſie ſich auf dieſen Wegmachten,57machten, ſo pilgermuͤde, ſo gottſelig nieder, daß ich wetten wollte, kein frommer Grabes - wanderer hat eine beßere Nacht gehabt, als ſie. Des Morgens waren ſie zwar immer in — ohne daß ſie einen Tuͤrken geſehen; was thut aber der Tuͤrke zur Sache? —
Wie ich mich verirre, ohne daß ich dieſe Reiſe nach dem gelobten Lande mitmache! Da bin ich wieder bey den vier lezten Din - gen! —
Wer meiner Mutter einen Liebesdienſt er - weiſen wollte, mußte von dieſen vier lezten Dingen mit ihr ſprechen. Wenn es auf ſie angekommen waͤre, haͤtte ſie noch gern wenig - ſtens ein leztes Ding daruͤber gewuͤnſcht, um noch mehr druͤber reden zu koͤnnen, wenn nicht die fuͤnf, eine herzbrechende Zahl, drauf gefol - get. Mein Vater ſagte ihr, von den vier Theilen Europens, von den vier Weltgegen - den, von den vier Jahreszeiten, von den vier Altern des Menſchen, von den vier Tempera - menten und vier Elementen, laͤßt ſich leichter reden, als von den vier lezten Dingen; allein meine Mutter lies ſich nicht abwendig machen. Die vierte Zahl war ihr Liebling worden. Es hat zwar, ſagte ſie, kein Auge geſehen, kein Ohr gehoͤret, und iſt in keines MenſchenD 5Herz58Herz kommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; wenn es aber gleich ſchwer iſt, von einer Sache zu ſprechen, die kein Auge geſehen, kein Ohr gehoͤrt, und die in keines Menſchen Herz kommen; ſo haben wir doch Moſen und die Propheten, und im neuen Te - ſtament die Geſchichte vom reichen Mann und armen Lazarus, wo man, des Tertullianus und des Theophylaktus unerachtet, mehr von den Hauptlezten Dingen hoͤrt, als uns Ver - nunft und alle fuͤnf Sinne zu lehren im Stan - de ſind. Die Meynung der Pſychopannychi - ten, als ob die Seelen noch in der Welt her - um wanken, und andere dergleichen Meynun - gen, wie abgeſchnitten! Luc. 16. ſtand der Text meiner Mutter, der keinen Commandan - tenpoſten, ſondern ein hervorſtehendes Zeichen hatte; und ſollt’ er nicht? — Eine Cocarde am Hut, ſagte ein Einfaͤlliſt, ein neumodi - ſcher Candidat, den meine Mutter auf dieſe Zeichen aufmerkſam machen wollte; allein dieſes Buͤrſchgen ward gerupft, obgleich er noch mit ſeiner theologiſchen Scherpe und Ringkragen, ſo wie er eben geprediget, oder auf der Wache geweſen war, da ſtand. Un - moͤglich haͤtt er uͤbler wegkommen koͤnnen, wenn er einer der fuͤnf Gemuͤths oder Ge -bluͤts59bluͤts Bruͤder des reichen Mannes geweſen waͤre!
Der Tod iſt Proſa, ſagte mein Mutter, der Himmel Poeſie. Darf ich weiter in den Text? — Kuͤrzen heißt nicht veruntreuen. Ich will mit Fleiß bey der Extrapoſt bleiben, damit Niemand meiner Mutter den Vorwurf mache: ſie haͤtte ins Gelach hineingeredet. Meine Leſer kennen ſie noch nicht in der To - deslaune, die auch proſaiſch war, wie der Tod. Ueber Luc. 16.
Es kommt, fieng ſie zu ihren Corinthern an, alles von Gott, Gluͤck und Ungluͤck, Le - ben und Tod, wie Syrach im eilften Capitel und deſſen vierzehnten Vers ſchreibt. Abra - ham war ein reicher Mann. Er wuͤrde ge - wis mit keinem curſchen von Adel getauſcht haben, und der Koͤnig Salomo, dem der Reichthum im Poſtſcript zufiel, wie reich war er nicht! Was iſt vom ehrbaren Rathsher - ren Joſeph von Arimathia zu ſagen, der, ſo reich er war, doch auf das Reich Gottes war - tete, und der vornehmſte Todtengraͤber gewe - ſen, der je gelebt hat! Wie leicht faͤllt aber beym Reichen die Frage vor: Wer iſt der Herr? Wer laͤßt ſich durch Gottes Guͤte zur Buße leiten? Wer ſagt nicht zu ſeinem Pal -laſt60laſt wie Nebucadnezar: dies iſt die groſſe Ba - bel, die ich erbauet habe, zum Koͤniglichen Hauſe, zu Ehren meiner Herrlichkeit; und bey Gelegenheit ſeiner vollen Scheuren: du haſt nun einen guten Vorrath auf viele Jah - re, liebe Seele, habe nun Ruhe, iß, trink’ und habe guten Mut. — Wie leicht kleidet man ſich in Purpur und koͤſtlichen Leinwand. Des dreygliedrigen Candidaten — Man - ſchetten koͤnnten unter uns kleiner und fei - ner ſeyn.
Was wird ſeyn, du Praſſer, du Vielfraß, du Saufaus, was wird ſeyn, daß du alle Tage herrlich und in Freuden gelebt haſt? O ihr, die ihr euch weit vom lezten Tage ach - tet, die ihr auf elfenbeinern Lagern ſchlaft, und Ueberfluß treibet mit euren Betten, die ihr die Laͤmmer aus der Heerde eßet, und die gemaͤſteten Kaͤlber, die ihr Wein aus den — Schaalen trinket und ſalbet euch mit Balſam, und bekuͤmmert euch nichts um den Schaden Joſephs, was iſts, was ihr gelebt habt? Wir wollen uns mit dem beſten Wein und Salben fuͤllen, laßet uns die Mayen - blumen nicht verſaͤumen! Weisheit im zwey - ten Capitel, der ſechſte und ſiebente Vers. Eur Morgenſegen, Eur: das Walt, iſt: Wohlher!61her! laſſet uns wohl leben, weil es da iſt, und unſers Leibes brauchen, weil er jung iſt! Eur Benedicite, Eur: Aller Augen: kommt her, laßt uns Wein hohlen und voll ſaufen, und ſoll morgen ſeyn, wie heute, und noch viel mehr. Wehe! wehe! Es wird nicht lange ſo ſeyn, der Reiche ſtarb und ward begraben, und als er nun in der Hoͤlle und in der Quaal war, hob er ſeine Augen auf und ſahe Abra - ham von ferne, und Lazarum in ſeinem Schoos — die Engel waren ſeine Seelentraͤ - ger! Seiner Seele war es nicht anzuſehen, daß der Leib voll Schwaͤren, und daß die Hunde ſeine Wundaͤrzte geweſen. Gerades Weges, ohne allen Umweg, kam er an ſeinen Ort, ſo wie der reiche Mann an den Seini - gen! Was der Tod nicht machen kann! Welche Kluft iſt zwiſchen beyden befeſtiget! Lange war der dißeitige Wall ſo gros nicht. — Die Sterbens-Geſchichte meiner Mutter ſelbſt.
Das Ableben meines Vaters war Oehl fuͤr dieſe Lampe, die fuͤr die Ewigkeit brannte. Auch der Tod des Herrn v. G —, lieferte ei - nen Oehlbeytrag. Dieſer ſtarb ploͤzlich in unſrer Kirche und kann ich, wenn es verlangtwird,62wird, noch Red und Antwort von ſeinem Hin - tritt ertheilen! — Der Hochgebohrne Todten - graͤber hat ſo viel Leichenbegaͤngnis in dieſe Lebenslaͤufe gebracht, daß ich faſt vermuthe, mancher Kunſtrichter werde ſich auch eine Spruchſtelle merken, und ihr kein Comman - dantenzeichen beylegen. Laßt die Todten die Todten begraben! — Kann ſeyn, hab ich aber nicht Minens Tod zu feyren? —
Nach meines Vaters Tode lagen meiner Mutter ein großer Theil Amtsgeſchaͤfte auf, womit ſie den benachbarten Herrn Confrater nicht beſchweren wollte, welcher ſich ſonſt der heiligen Nothdurft der verwayſeten Gemeine annahm. Oeffentlicher Amtsverrichtungen konnte ſie ſich freylich nicht unterziehen; weil die Weiber, wie ſie ſich von ſelbſt beſchied, ſchweigen muͤßen in der Gemeine; dagegen war ſie, wo ein Chriſt nur irgend ein geiſtli - cher Prieſter ſeyn kann, dieſer Prieſter mit Leib und Seele. Sie ſetzte den Unterricht mit den Catechumenen fort, ſie zeichnete die Beicht - kinder an, ermahnte und troͤſtete ſie, nachdem es der Seelenzuſtand wollte. Die vier lezten Dinge wußten die Kinder, wie das Vater un - ſer. Vorzuͤglich beſuchte meine Mutter die Kranken. Ehre den Arzt, ſagte ſie, da meinVater63Vater kein Wort auf ihr beſtaͤndiges: der Brief gab, ſondern wider die Aerzte decla - mirte; in Wahrheit, ſie ehrte die Aerzte, es ſind Leibesſorger, pflegte ſie zu ſagen. Ob - gleich ſie den Arzt, und unter ihnen, den D. Saft ehrte; ſpendete ſie dennoch, wenn es die Gelegenheit gab, Hausmittel aus, denen ſie indeßen wider die Meynung meines Va - ters bey weitem nicht ſo viel, als einem ſaft - ſchen Recept zutraute. Sie war ſehr fuͤr al - les Geſchriebene, und ſtand jedem ſaftſchen ſchwarz auf weiß den Rang zu. Die Seelen - cur gieng bey ihr uͤber alles. Heyrathen rechnete ſie in gewißer Hinſicht auch zu See - lenmitteln. In allen Seelenkuren war ſie ſo gluͤcklich, daß das ganze Kirchſpiel zu ihr ein ſo unumſchraͤnktes Zutrauen hatte, daß die Gemeine (den Adel nehm’ ich aus, der zum Theil’ ſein Geſpoͤtte mit ihr trieb) ſie ſehr gern in die Stelle ihres Mannes zum Predigtamt berufen haͤtte, wenn nicht das Geſchlecht ihr entgegen geweſen waͤre. Selbſt von der Noth - taufe hatte ſie ihre beſondere Meinungen, wo - bey die Herren Diaconi, Paſtores, Praͤpoſiti und Superintendenten, gewis nicht den Kuͤr - zern zogen. —
Was64Was jene weiſe Frau zum Feldhauptmann Joab ſagte, da er Abel beſtuͤrmte: Vor Zei - ten ſprach man: wer fragen will, der frage zu Abel, und ſo giengs wohl aus, das galt von meiner Mutter und ihrem Ra - the, den ſie keinem entzog, der ihn begehrte. Das Paſtorat blieb wie gewoͤhnlich lange er - ledigt, und meine Mutter hatte alſo Gelegen - heit, ihre Gaben in mancherley Art unter die Kirchſpielsleute zu bringen. Da zerſprang ein Felſenherz, welches vieljaͤhrige Bosheit gehaͤrtet hatte; da taute der Froſt, wie vom Maͤrzſchein auf, wenn ſie ermahnte, wenn ſie lehrte. Zwar hatt’ ein benachbarter von Adel ſich uͤber ſie gar luſtig ausgelaßen, daß ſie ihm wie ein fluͤgellahmer Storch vorkaͤme, der den Winter zuruͤckgeblieben; allein dies war ihr kein Stein des Anſtoßes, kein Fels der Aergernis. Rache war nie ihre Sache, wie ſie ſagte. Man fand das kunſtloſe Al - terthum, wenn man ſie ſahe. Ihre ſehr treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie war keine Blendlaterne, die von allen Seiten zugezogen iſt, ſondern eine glaͤſerne Lampe, die uͤberall Licht zeigt, wo man ſieht. — Eine Fackel war ſie nicht, und wollt’ es auch nicht ſeyn. Ein Dorfmaͤdchen, das eine Haupt -dichterin65dichterin der Gegend war, ſagte, daß ihre Worte die Herzen, wie die Morgenſonne die Blumen, oͤfnete, daß ſie da ſtuͤnden, wie die Blumenkelche. — Seht, ſo hat die Natur ſelbſt ihre Kunſt. Es iſt ein ſehr bekanntes Spruͤchwort: wie die Natur ſpielt!
Einſt traͤumte meiner Mutter, daß Min - chen ſie auf ein himmliſches Vocal-Concert einladen lies, bey welchem mein Vater, der wahrlich dißeitig auch ſelbſt nach dem Bran - de nicht ſehr muſikaliſch war, und nur den zweyten Diſkant verſucht hatte, eine Haupt - ſtimme uͤbernehmen wuͤrde. Ehe ſie antwor - ten konnte, war das Geſicht verſchwunden. Dieſe Einladung blieb ſehr lebhaft in ihrer Seele. Des Tages auf dieſen Traum gieng meine Mutter, die Seelenbeſorgerin! zu einer Kranken (es war die Mutter des armen klei - nen Jungen, der ſeinen Milchtopf zerbrochen hatte, und dem Minchen aus der Noth half, indem ſie behauptete, daß ſie ſchnell zugegan - gen, und da waͤre der Topf hin geweſen) Sie hatte eine hitzige Krankheit; ein laͤndlicher Univerſalnamen aller Krankheiten. O meine Lehrerin, ſchrie ihr die hitzig kranke zu, ich bin dieſe Nacht zu Gaſte bey Minchen gebe - ten, auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abra -Eham,66ham, Iſaac und Jakob zu Tiſche ſitzen wer - de. Gewis werd’ ich auch meinen Sieben - jaͤhrigen finden, der den Milchtopf zerbrach. Der liebe wird himmliſch gros geworden und ſchoͤn ausgewachſen ſeyn! Meynen ſie nicht, liebe Frau Paſtorin? Meine Mutter hatte die Einladung auf Manna ſo getroffen, daß ſie nicht antworten konnte. Nach ihrer Er - hohlung entdeckte ſie der Kranken ihre Einla - dung auf Geſang — ich habe aber nicht zuge - ſagt, ſagte meine Mutter, und warum, die Kranke? weil das Geſicht die Antwort nicht abwartete. Gut, fuhr die Kranke fort; ſo werd ich die Antwort mitnehmen. Amen! ſagte meine Mutter, um ein himmliſches Wort zu gebrauchen. Halleluja! die Kranke, und nun ward eine Todesſtille, als ob beyde ſich zu dieſer Einladung vorbereiteten. Nach ei - ner Weile kamen ſie wieder, wo ſie ſtehen ge - blieben, und die Kranke konnte ſich nicht drein finden, daß meine Mutter auf Geſang, ſie aber auf Manna geladen ſey, wobey meine Mutter ihr ins Geleiſe half. Seht nur, gute Nachbarin! da kann ja waͤhrend dem Singen, ſagte ſie, auf Blaͤttern vom Baum des Er - kenntnißes Gutes und Boͤſes, und vom Baum des Lebens, Manna herumgetragen werden. Wenn67Wenn die Blaͤtter gros ſind, ſagte die Kran - ke — Meſſer und Gabel und Teller, fuhr die Kranke fort — Weg damit, verſetzte meine Mutter. In der Auferſtehung werden ſie weder freyen, noch ſich freyen laſſen, ſondern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Him - mel. Die Kranke reichte meiner Mutter die Hand, und mit ihr den Tod. Mit einem Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie wußt’ es, daß er eingetreten war und gieng heim. Die Nachbarin ſtarb in wenigen Stun - den, um bey Minen Geſang und Manna nicht zu verſaͤumen. Meine Mutter ward krank, ohne daß ſie und D. Saft wußten, was ihr fehle. Sie ſtarb an der Einbildung, wenn ich mich nicht irre, an der mehr Leute ſterben, als man glauben ſollte. Daß viele daran krank ſind, iſt eine ohnedem bekannte Sache. Sie hatte, wie der Graf — in Preußen, das himmliſche Heimweh, nur mit dem Unter - ſchiede, daß es beym Grafen eine lange zeh - rende, bey meiner Mutter eine hitzige Krank - heit war. Ein Lied war ein Springwaſſer, das ihr zuweilen Kuͤhlung bot, und mit wel - cher Inbrunſt ſang ſie! Ihr Troſt war ohne allen Aufwand — Sie ſah nicht in die Son - ne. Der Mond war ihr Planet, der PlanetE 2eines68eines Planeten. Wer kann in die Sonne ſe - hen! ſagte ſie. Der Mond hat ſo was menſch - liches. Laß ſie, die Hochweiſen Herren, nur immerhin behaupten, fuhr ſie fort, den Baum des Erkenntniſſes gutes und boͤſes ſchon in dieſer Welt gefunden zu haben; es iſt wahr - lich eine Schlange, die ſie verleitete. Die Regeln koͤnnen zwar ſchlechte Dichter vom Parnaß, oder beßer vom Sinai, zuruͤck hal - ten, haben ſie aber je einen gemacht? Die Weisheit dieſer Welt, was iſt ſie beym Licht der reinen Wahrheit? Werdet wie die Kin - der. Wenn andere lehren: ziehet die Kinder - ſchue aus, lehrt uns wahre Weisheit: ziehet ſie an — und noch bis jezt, fuhr meine Mut - ter fort, hab’ ich mich beym lieben Mond und bey den Kinderſchuen wohl befunden. Was ſie uͤber ihr Herz bringen konnte, das konnte ſie auch mit der Vernunft raͤumen. Das Herz ſpielt auch wuͤrklich weniger Streiche, als die Vernunft. Die Vernunft iſt eine Ge - meinuhr, jeder ſchiebt ihren Zeiger; das Herz trag ich bey mir. Je weniger der Menſch der Vernunft und dem Schickſal Bloͤßen uͤber ſich giebt; je unuͤberwindlicher, je ſtaͤrker iſt er. Wenn ich ſchwach bin, bin ich ſtark, konnte meine Mutter ſagen. Ihr Portraitwar69war weibliche Schwachheit, im Arm maͤnn - licher Staͤrke. Vater und Sohn koͤnnen an einem Tage taufen laſſen. Ein Pomeranzen - baum hat Bluͤthe und Fruͤchte.
In Betref ihrer Krankheit; ſo verſtellte ſie nicht ihre Geberde. Schon bey meines Vaters Leben hatte ſie eine alte Prieſterwitt - we, anſtatt einer Diakonin zu ſich genom - men, und von ihr hab ich empfangen, was ich meinen Leſern erzaͤhle, und zwar ſo, als waͤr ich Augenzeuge geweſen. Auf meine Suͤnde wider Mine ſteht Gewiſſensbiß in der vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft zu ſagen, die lezte aber, ſetzte ſie hinzu, wird heiter ſeyn. Es nagte und plagte ſie noch heftig, wenn gleich ſie bis auf die vorletzte Stunde uͤberwunden zu haben glaubte. Sie ſagte in einer ſchweren Stunde der Anfech - tung, in Ruͤckſicht der ſchon erkaͤmpften und ſie jetzt wieder fliehenden Ruhe auf eine ſchreck - liche Weiſe: wie gewonnen ſo zerronnen; in - deſſen wurden ihre Haͤnde bald, bald, wieder geſtaͤrkt, die ſtrauchelnden Knie erquickt und der zerbrochene Rohrſtab geleimt — ihre blut - rothe Schuld war dann wieder Schneeweiß. Geſchieht das am gruͤnen Holz, geſchieht das an Minen, die auch noch vor ihrem EndeE 3man -70manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter, die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie - derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! — Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie, auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam ſeit dem Handſchla - ge nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin - ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen.
Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger, als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela - ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge - nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie - ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihrver -71verliehene Gabe der Prophezeihung inne ward? Nur das weiß ich, daß ſie viel Auf - ſehn gemacht haben wuͤrde, wenn ſie dieſe Be - geiſterung eher verſpuͤrt haͤtte. Sie ſagte der Frau v. —, ſie wuͤrde einen Sohn zur Welt bringen, und doch gieng die Frau v. — nur im fuͤnften Monat. Sie wußte wer Paſtor werden wuͤrde, und ſagte dieſem und jenem Dinge, woruͤber dieſer und jener erſtaunte. Selbſt von den fetten und magern Kuͤhen der kuͤnftigen Jahre ließ ſie Worte fallen, die man - chen Kornjuden haͤtten bereichern koͤnnen, wenn dergleichen ihren Worten getraut. Wenn ſie ſich eine Wuͤnſchelruthe gebrochen, wuͤrde ſie alles Metall in ganz Curland und Semgallen auspunktirt haben. — Zuweilen kam ich auf den Gedanken, daß es ein Erb - ſtuͤck von ihrer ſeligen Mutter geweſen. Eine Blitzfrau! Die verknuͤpfteſten Raͤthſel, die intricateſten franzoͤſiſchen Schloͤſſer, ohne Die - trich gleich offen. — Sie haͤtte einem Super - intendenten was zu rathen aufgeben koͤnnen, von Rahelsgeſichtsfarbe, zum Beyſpiel, und von der Seifkugel des Pontius Pilatus.
Unten noch ein Raͤthſel, das ich loͤſen zu koͤnnen wuͤnſchen wuͤrde. Hier noch die An - merkung, daß der Candidat mit den langenE 4Man -72Manſchetten meines Vaters Platz erhalten — ich glaube meine Leſer haben, unerachtet des dreygliedrigen Segens, und der langen Manſchetten, die eherhin nicht von koͤſtlicher Leinwand waren, nichts dagegen.
Nicht eins aus dem Kirchſpiele konnte ſich behelfen, ohne von meiner Mutter Abſchied zu nehmen, und keines gieng von ihr ohne Andachtsroͤthe (wie die Prieſterwittwe ſich ausdruͤckt) auf den Wangen. Man brachte die Kinder zu ihr, damit ſie ſie einſegnen moͤch - te, und geſegnete Weiber befragten ſie, obs ein Sohn oder Tochter waͤre? Ueber mich, ſagte ſie, wollte ſie nicht den prophetiſchen Zuͤgel ſchieſſen laſſen, ſo gern ich eine Probe ihrer Kunſt aus der erſten Hand gehabt haͤtte. — —
Auſſer der Lehre von den vier letzten Din - gen, war ſie jetzt uͤber die Lehre von den En - geln unerſchoͤpflich worden. Der Spruch, erſte Corinther im eilften Capitel der zehnte Vers: Das Weib ſoll eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen, war ein Text, woruͤber ſie ſich ausließ, wiewohl ohne ihn zu zeichnen. Sie zeichnete uͤberhaupt jetzt keine Spruchſtellen mehr. Da ſie indeſſen, auch ſelbſt als Prophetin, orthodox blieb, und die Kinder, ſo man zu ihr brachte, nur zwey -gliedrig73gliedrig ſegnete; ſo blieb es bey der gewoͤhnli - chen Erklaͤrung, nach welcher Haube das Gegentheil von Hut anzeiget. Dieſer deutet Freiheit an, jene Unterwerfung unter den Willen des Mannes, und ſollen alſo die Wei - ber Schleyerhauben tragen, um die Engel durch Gelegenheiten zur Untreue nicht zu be - truͤben. Die gute Predigerwittwe fand dieſe Erklaͤrung ſo uͤberſchwenglich, daß ich ihr zum Andenken ſie hier einruͤcke! Wie mag dieſe Spruchſtelle doch ihr Ehegatte ſeliger erklaͤret haben? Vermuthlich legte er ſie durch heidni - ſche Aufpaſſer in den Verſammlungen der Chriſten aus.
Die Engel ſind die treuſten Geſchoͤpfe, die Gott geſchaffen hat, ſie ſind rein und ſelig — —
Die Auslegung, daß die Weiber darum Hauben zu tragen angewieſen worden, damit ſie die Engel nicht anſehen moͤchten, um ſie zu begehren, war meiner Mutter ein Stein des Anſtoſſes. — — Sie uͤberlegte alles mit ih - rem Schutzengel, und war ſo ſehr der Mey - nung, daß jedem Menſchen ein Gefehrter zu - geordnet waͤre, der ihn in der Jugend und im Alter begleite, daß ſie nichts davon abwenden konnte. In den Jahren, ſagte ſie, wenn der Menſch im eigentlichen Sinn Menſch iſt, wieE 5ſelten74ſelten iſt er da eines Engels werth? Die En - gel ſind nicht unſere Diener, wiewohl etliche des Dafuͤrhaltens geweſen, ſondern unſere Vormuͤnder, unſere Curatores. Wie muß es ſie verdrießen, daß eine Geſtalt, die der erſte Adam und der zweyte Adam getragen, ſo ver - nachlaͤßiget wird! Aus der goͤttlichen Uniform, o! was iſt aus ihr worden! Die Engel lernen von uns die Auswickelung eines Geiſtes, den Einfluß des Geiſtes in den Koͤrper, und dieſes in jenen! Sie ſehen, was es mit einem ſublu - nariſchen Koͤrper fuͤr eine Bewandtniß habe, und wie er einem Geiſte ſtehet. Sie ſehen die Ungemaͤchlichkeiten, die ein Eigenthum vor einer Miethe, ein eigenes Haus vor einem ge - heurten habe. — O was iſt vom Menſchen zu lernen! Vielleicht iſt in ihm aus jedem Haupt - Weltſtuͤck etwas! — Er iſt die Welt im Regi - ſter! Man kann ſie bey ihm nachſchlagen — und wenn er ſtirbt! welcher neue Unterricht! Die Trennung, das Ueberbleibſel auſſer der Seele, das Hemde vom Menſchen, von koͤſt - licher Leinwand. — Wir ſind alſo, ihrer Vor - mundſchaft unbeſchadet, ihre Lehrer! Hier ſind wir Engel und Menſchen in einer Perſon! Wer ſagt, daß wir ſterben, druͤckt ſich unei - gentlich aus. Wir ſind unſterblich —
Kind -75Kindlich große Mutter! du ſchlecht und rechtes Weib! ſelig biſt du, ſelig, dreymahl ſelig iſt dein Kind, das Chriſtus unter ſeine Juͤnger zum Muſter ſtellte. Jeſus rief ein Kind, und ſtellte es mitten unter ſie und ſprach: Wahrlich ich ſage euch, es ſey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, ſo wer - det ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer ſich nun ſelbſt erniedriget, wie dies Kind, der iſt der groͤßte im Himmelreich! Selig iſt, der ein Kind wird, um dieſes Kinderfreundes willen!
Gern haͤtt’ ich meinen Leſern ein Engelge - ſpraͤch meiner Mutter mitgetheilt, welches wir andere Leute ein Selbſtgeſpraͤch zu nen - nen gewohnt ſind, das auf dem Theater ein Staatsfehler iſt — indeſſen beſprach ſie ſich mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unſere Seele kennen wir nicht, und wollen die Engel - natur begruͤnden? ſagte ein Schriftgelehrter in der Gegend. Wir wiſſen in unſerm eignen Hauſe nicht, wer Koch und Kellner iſt, und wollen alle Einwohner jener Sterne zu Ge - vattern bitten? Allein meine Mutter wider - legte ihn nicht. Oft brach ſie, ſchreibt die Paſtorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß, das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu ver -ſtehen,76ſtehen, daß ſie mit ihrem Schutzgeiſte bekannt zu werden Gelegenheit gehabt. Sonſt wuͤßt ich auch nicht, wo ſie alles her haͤtte von den ſieben fetten und ſieben magern Kuͤhen kuͤnf - tiger Jahre? Ob Soͤhnchen oder Toͤchterchen? und wer Paſtor werden wuͤrde? —
Es war in der Gegend eine Frau v — B — von ſehr bekannter Einſicht. Sie hatte nie Kinder gehabt. Man ſagt, viele Kinder ſchwaͤchen die Weiber an Leib und Seele, und wenn man manche alte Jungfer daruͤber zu Rathe zieht, ſie ſey Durchlauchten, Hochge - bohrnen, Hochwohlgebohrnen, oder buͤrger - lichen Standes, findet man zu dieſer Anmer - kung Beſtaͤtigung. — Ihre Neider behaupte - ten, ſie waͤre keine Frau, ſondern ein Mann; obgleich ihr verſtorbener Gemahl nie daruͤber Klage gefuͤhret. Dieſe Frau war eine Juͤn - gerin vom ſeligen Herrn v. G —, ohne daß er es dazu anlegte. Sie hatte wider manches Scrupel, und trat dem Herrn v. G — in al - len ſeinen Meynungen bey, ohne zu beden - ken, ob ihre Scrupel dadurch gehoben waͤren, oder nicht? Nach der Zeit fieng ſie ſelbſt an, aus Buͤchern zu ſchoͤpfen. Das ſind nie Quel - len fuͤr Weiber! Bey ihnen kommt aller Glau - be durch die Predigt, und ſiehe da! Sie hattevon77von der Exiſtenz der Seele nach dem Tode ſol - che Hirngeſpinſte zur Welt gebracht, daß es ihr beſſer geweſen waͤre, wenn ſie Kinder ge - habt haͤtte, wenn ſie ihr gleich nicht gerathen waͤren. Hirngeſpinſte ſind oft ſchaͤdlicher, als ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß ſie kei - nem dieſe Meynungen mittheilte, ſondern al - les mit ſich ſelbſt berichtigte. Sie hatte eine grobe Stimme, ſonſt aber war ſie fein; aus - genommen Naſe und Augen, die ungewoͤhn - lich groß waren — und doch war etwas Fraͤu - liches in beyden Stuͤcken. Daß ſie nicht zu unſerm Kirchſpiel gehoͤrte, muß ich noch be - merken. Der Prediger, der ihr angewieſener Seelenhirte war, ſchien keine Seelenweide zu verſtehen, am wenigſten die Gabe zu haben, Scrupel zu heben, und alles wieder auf gut Weideland zu treiben. Dieſe Fr. v — hatte fuͤr meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er durch das zehnjaͤhrige Interregnum von der fuͤr ihn gefaßten guten Meynung viel verlohr. Wo ſie nur von einem Zeichen hoͤrte, erſchien ſie, und immer im Amazonenhabit. Sie war eine gebohrne Amazonin. An Schwedenborg, den Geiſterſeher, hat ſie oͤfters Briefe erlaßen, auch an einige — — Jezt hoͤrte ſie vom be - nachbarten Phoenomen. Liebe Frau Pa -ſtorin! 78ſtorin! ich komme zu ſehen, wie ſie ſich befinden, — beßer als je! Das hoͤr ich! und nun alles einſylbig: Je nun, mag, nun denn! Ach! Sieh doch! und dergleichen. Die Frau v — hatte meine Mutter fuͤr eine einfaͤltige gute Frau gehalten. Sie war we - gen ihres Singens weit und breit bekannt. Die Frau v — ſang gar nicht. Sie war fuͤr keine Muſik. Meine Mutter kannte die Frau v — wegen ihrer Heterodoxie, und merkte ſo - gleich, daß es auf ein Zeichen wuͤrde angeſe - hen ſeyn. Sie fertigte ſie indeßen ſo kurz und gut, als Vater Abraham den reichen Mann, ab, da er ſeiner fuͤnf Bruͤder halber eine Erſcheinung begehrte. Hoͤren ſie Mo - ſen und die Propheten nicht, ſo werden ſie auch nicht glauben, wenn Jemand von den Todten auferſtuͤnde. Mit der Nachricht, wer Paſtor werden wuͤrde, war der Frau v — am wenigſten gedient, und da ſie aus zwey bekannten Dingen, ein drittes unbekanntes herauszubringen gar wohl ver - ſtand, nicht minder gar wohl wußte, daß das Gluͤck allem Außerordentlichen zur Seite gien - ge; ſo ward ſie ſo wenig uͤberzeugt, als die Phariſaͤer und Sadducaͤer und Schriftgelehr - ten. Meine Mutter hatte indeßen etwas imGeſicht,79Geſicht, was der Frau v — auffiel. Die Fe - ſtigkeit, mit der meine Mutter alles behan - delte, machte die Frau v — auch ohne erhal - tenes Zeichen aufmerkſam. — Sie nahm die Aßignation auf Moſen und die Propheten an, und bat ſich die Erlaubnis aus, kuͤnftigen Sonntag wieder zu kommen. Wenn man den Loͤwen vorgeworfen werden ſoll, ſtirbt der groͤ - ßer, und iſt mehr als Maͤrtyrer, der ſich ih - nen gelaſſen anbietet, als der ſie reitzt. — Die Frau v — zog ihre Straſſe, und da ſie wohl einſahe, daß meine Mutter nicht lange mehr hier wallen wuͤrde, entſchloß ſie ſich et - was auszufuͤhren, wofuͤr ſie bis dahin zuruͤck - gebebet. — Sie kam. Noch ein klein Gelaͤute zuvor, wegen des Sonntags. Seit der Zeit, daß meine Mutter eine Prophetin worden, war ſie des Sonntags mehr, als ſonſt, in die - ſem Prophetenelement; obgleich ſie ſonſt ſo ſehr fuͤr den Sonnabend war. Sie kam, hab ich ſchon geſagt. Beyde ſahen es ſich an, daß ſie heute auſſerordentlich waͤren. Es war bey beyden Sonntag — ich will die Paſtor - wittwe ſich ſelbſt uͤberlaſſen. —
Ich wuͤnſchte wohl mit ihnen ganz allein zu ſeyn, fieng die Frau v — an. „ Kann nicht ſeyn „ antwortete meine Mutter. Gott iſt beyuns,80uns, und meinen Schutzengel kann ich nicht gehen heiſſen. — Bleib, Lieber! Dieſes kurze: Bleib, Lieber! zu etwas, das die Frau v — nicht ſahe, wuͤrde ſie ſonſt zum Lachen gebracht haben; jetzt wandelte ſie kein Lachen an. Auch dieſe meine Collegin, fuhr die Se - lige fort, darf nicht von mir. Sie hat mein Herz, und weiß meine ganze Sterbensge - ſchichte. Nach einigen Erhohlungsaugenblik - ken verſicherte die Frau v —, daß ſie eine Bitte an die Selige haͤtte, die ſie wohl uͤber - dacht. — Im Namen Gottes, erwiederte die Selige. Ich glaube, fuhr die Frau v — fort, an Gott den Vater, allmaͤchtigen Schoͤ - pfer Himmels und der Erden, und ehre in tiefſter Demuth alle die Wege, die er mit den armen Menſchen, ſeinen Geſchoͤpfen, einge - ſchlagen, um ſie zur Erkenntnis der Wahrheit zu bringen — ich glaube — doch unterbrach ſie ſich ſelbſt, ſie wiſſen was ich glaube. Ich weiß, ſagte die Selige mit aller Ueberzeugung, und legte eben hiedurch ein Zeichen von ihrer Uebernatur ab: denn mir kam es vor, daß die Frau v — ſelbſt nicht recht wußte, was ſie glaubte. Gern, ich leugne es nicht, haͤtte ich ſie den zweyten und dritten Artikel des chriſtli - chen Glaubens beten gehoͤrt. — So beſchwoͤrich81ich denn, rief die Frau v — b — mit einer Mark - und Beinſtimme, ſo beſchwoͤr ich dei - nen Geiſt bey dem ewigen Anſchauen Gottes, und bey allen Hofnungen der Seligkeit, daß, wenn es zur Ehre des Geiſtes der Geiſter und mit Bewilligung deines Gleitengels ſeyn kann, der hier iſt, ohne daß ich ihn ſehe, daß du mir drey Tage nach deiner Aufloͤſung erſcheineſt — ich werde in meinem Hauſe rechter Hand im weiſſen Cabinet deiner warten. Alle gute Geiſter loben Gott den Herrn! — Die Selige antwortete auf ſo viel Kreutzblitze mit einer Gelaſſenheit, die man nicht beſchreiben kann. Eure Rede ſey: Ja, ja, nein, nein, was druͤ - ber iſt, iſt vom Uebel! Laßt mich! — Sie winkte uns abe! — ich „ (das heißt die alte Paſtor - wittwe) zitterte von dannen: denn ich fuͤhlte, daß ein unſichtbares Geſchoͤpf in der Naͤhe ſey, das mit der Seligen conferiren wollte; die Wahrheit zu ſagen, ich hoͤrte ein Rauſchen, als eines ſanften Windes, als einer atlaße - nen Schleppe. Die Frau v — gieng mit der ehrfurchtsvollſten Gebehrde von dannen! Sa - muel konnte nicht ehrfurchtsvoller ſagen: rede Herr, dein Knecht hoͤret! Wir kamen ins blaue Stuͤbchen, das ich tauſendmahl geſehen, und jetzt war wir ſo, als ob ich es zum erſtenmahlFſaͤhe.82ſaͤhe. Es kam mir vor, als ſaͤh’ ich uͤberall Kreutzer! Mich umgeſehen haͤtt ich nicht um tauſende. Die Frau v — ſah mich mit ihren groſſen Augen ſtarr an! — und eigentlich be - merkt ich, wie ſie eine Todesangſt faßte. Die Aengſten hoben ſie; was ſchweben heißt, konn - te man an ihr ſehen. Dies nahm zuſehends zu; auch ſie konnte ſich nicht mehr umſehen. Wie es zugieng, weiß ich nicht; allein ein ploͤtz - licher Sturm riß die Fenſterladen von ihren Eiſen; alles bebte im Zimmer. Alles, was einen Klang im Zimmer hatte, gab einen Laut. Schrecklich — Weh! war es nicht; allein nicht viel auseinander. — Die Haͤhne kraͤheten auf eine Art, als wenn eins verrathen und ver - kauft werden ſollte! — Im Sturm waren Worte zu hoͤren. — Wer konnte ſie verneh - men? Die hochgelahrte Frau v — b — rang die Haͤnde, und konnte ſich auf den Knien nicht halten! Was! wie iſt mir? — Da - mals, und auch nach der Zeit, glaubte die zeichenbegierige Frau v —, daß die Unterre - dung der Prophetin mit ihrem Schutzgeiſt auf den Geiſt der Frau v. gewuͤrkt haͤtte. Etwas gieng in Wahrheit vor, was es aber war, mag Gott wiſſen, und der Prophetin Schutz - geiſt. Die Prophetin klingelte! So was vonKlin -83Klingeln hab ich nie gehoͤrt. Die hochgelahr - te Frau v — b — hatte ſo wenig Herz herein zu gehen, daß ſie mich bat, ich moͤchte hoͤren, was ſie wollte; und da ich vorgieng, hielt ſie mich zuruͤck, weil ſie nicht bleiben, nicht gehen wollte. Da eben giengen die Glocken unſerer Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach - ließ, brachte ſie uns ſo nahe, daß ſie uns recht ins Ohr ſchrien: Bedenke, Menſch, das Ende! Es war eben ein bluͤhendes junges Maͤdchen, die nur ſeit drey Tagen krank ge - weſen, verſchieden. Gott habe ſie ſelig! Die Frau v — b — that, ehe wir noch zu der Se - ligen giengen, eben ſo feyerlich, als ihre Be - ſchwoͤrung war, Verzicht auf die Erſcheinung der Prophetin, als eines von den Todten, und da wir voll von dieſem Verzicht zur Seligen kamen; ſo hab ich nie erfahren, wie die Con - ferenz abgelaufen, und wie ſie ſich mit dem Schutzgeiſt berathen? Gern