PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II][III]
Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.
Erſter Band.
[figure]
Stuttgart. Verlag derJ. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger.
[IV]

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

[V]

Vorwort.

Einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollſtändige Ueberſetzung ſeiner Arbeiten jeder auch noch ſo geſchmackvollen Abkürzung der - ſelben vorzieht. Bouguers und La Condamines mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Teilnahme geleſen; und da jeder Reiſende gewiſſermaßen den Zuſtand der Wiſſenſchaften ſeiner Zeit, oder vielmehr die Geſichtspunkte darſtellt, welche von dem Zuſtande des Wiſſens ſeiner Zeit abhängen, ſo iſt das wiſſenſchaftliche Intereſſe um ſo lebendiger, als die Epoche der Darſtellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darſtellung des Ge - ſchehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmiſche Reſultate begründet werden, in beſonderen einzelnen Zugaben über ſtündliche Barometer - veränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intenſität der magnetiſchen Erdkraft zuſammengedrängt. Die Abſonderung ſolcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Ueberſetzung des Original - textes der Reiſe Anlaß geben können. Dieſe Betrachtung war auch geeignet, mich bald mit dem Unternehmen zu verſöhnen, einem größeren Kreiſe gebildeter Leſer, die bisher mehr mit der Natur als mit ſcientifiſchem Wiſſen befreundet waren, einen etwas abgekürzten Text der Reiſe in die Tropen - gegenden des neuen Kontinents darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich ſetze gern hinzu ange - erbter Freundſchaft meinen Arbeiten eine ſo lange und ſorg - fältige Pflege geſchenkt hat, hat mich aufgefordert, dieſe neue Ausgabe, welche einem vielſeitig unterrichteten Gelehrten,VI Herrn Bibliothekar Profeſſor Dr. Hauff anvertraut iſt, nicht bloß, ſo viel mein Uralter und meine geſunkenen Kräfte es erlauben, zu revidieren, ſondern auch mit Zuſätzen und Be - richtigungen zu bereichern. Es iſt mir eine Freude, dieſer Aufforderung zu entſprechen. Die Naturwiſſenſchaft iſt, wie die Natur ſelbſt, in ewigem Werden und Wechſel begriffen. Seit der Herausgabe des erſten Bandes der Reiſe ſind jetzt fünfundvierzig Jahre verfloſſen. Die Berichtigungen müßten alſo zahlreich ſein: in geognoſtiſcher Hinſicht wegen Bezeich - nung der Gebirgsformationen und der metamorphoſierten Ge - birge, des wohlthätigen Einfluſſes der Chemie auf die Geo - gnoſie, wie in allem, was anbetrifft die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die Urſache der verſchiedenen Krümmung monatlicher Iſothermen (nach Doves meiſterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlaßte Erweiterung des Kreiſes wiſſenſchaftlicher Anregung kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwickelungsgange phyſiſcher Forſchungen wie in dem der politiſchen Inſtitutionen iſt Stillſtand durch un - vermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen Rückſchrittes geknüpft.

Es würde mir dazu eine innige Freude ſein, noch zu er - leben, wie die Unternehmer es hoffen, daß meine in den Jahren freudig aufſtrebender Jugend ausgeführte Reiſe, deren einer Genoſſe, mein teurer Freund, Aimé Bonpland, be - reits, im hohen Alter, dahingegangen iſt, in unſerer eigenen ſchönen Sprache von demſelben deutſchen Volke mit einigem Vergnügen geleſen werde, welches mehr denn zwei Menſchen - alter hindurch mich in meinen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglückt und ſelbſt meinen ſpäteſten Arbeiten durch ſeine parteiiſche Teilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat.

Berlin, 26. März 1859.

Alexander von Humboldt.

[VII]

Vorrede des Herausgebers.

Die in den Jahren 1799 bis 1804 in Geſellſchaft von Bonpland unternommene Reiſe in das tropiſche Amerika hat Humboldts Ruhm frühe begründet. Mit den überſchwenglich reichen Ergebniſſen derſelben beginnt für zahlreiche Zweige der Naturforſchung recht eigentlich eine neue Epoche. Das Reiſe - werk, in dem er ſeine in der Neuen Welt geſammelten Beob - achtungen niederzulegen gedachte, war aber in ſo großartigem Maßſtab angelegt, daß es nur unter den glücklichſten äußeren Umſtänden vollendet werden konnte. Dieſe Gunſt der Ver - hältniſſe hat demſelben gefehlt, und mehrere Abteilungen des großen Werkes konnten nicht zu Ende geführt werden. Das erſtaunliche aſtronomiſche, hydrographiſche, geographiſche, me - teorologiſche, geologiſche, ethnographiſche, zoologiſche, botaniſche Material, das im Werk ſelbſt nicht mehr hatte an die Reihe kommen können, iſt nun allerdings auf anderen Wegen in die Wiſſenſchaft übergegangen, und ſo beſteht der Hauptverluſt, der mehr die gebildete Welt im allgemeinen als die Wiſſen - ſchaft ſelbſt betrifft, darin, daß auch derjenige Teil, der die eigentliche Reiſebeſchreibung geben ſollte, die Relation histo - rique, Bruchſtück geblieben iſt.

Dieſe Reiſebeſchreibung erſchien vom Jahre 1814 an in drei Quartbänden in franzöſiſcher Sprache. Die Umſtände, unter denen Humboldt dieſelbe in Paris ausarbeitete, machen es begreiflich, daß er dazu die Sprache wählte, welche in neuerer Zeit als Organ des wiſſenſchaftlichen wie des diplo - matiſchen Verkehrs in gewiſſem Grade an die Stelle der latei - niſchen getreten iſt. Dieſes vortreffliche Buch kann mit Recht eines der ſchönſten Denkmale des deutſchen Geiſtes heißen,VIII und jeder Deutſche, der dasſelbe kennt und zu ſchätzen weiß, muß ſich wundern, daß es nicht längſt in einer ſeiner würdigen Weiſe der deutſchen Litteratur einverleibt worden iſt, der es trotz ſeines fremden Gewandes ſeinem innerſten Grunde nach angehört. Dieſer auffallende Umſtand erklärt ſich aber aus dem widrigen Schickſal, welches das Buch erfahren.

In den Jahren 1815 bis 1829 erſchien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollſtändige deutſche Ueberſetzung jener drei Bände der Relation historique in ſechs Bänden. Dieſelbe iſt aber in ſprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er ſelbſt in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutſchland ſelten vorkommt, und ſomit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte ſich dadurch in hohem Grade abgeſtoßen; er mochte, wie er ſelbſt ſchreibt, dieſes Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutſchen Geſtalt ſeines ſchönen Werkes auszuſöhnen, daß ſeitdem verſchiedene deutſche Auszüge und Bearbeitungen der Reiſebeſchreibung er - ſchienen ſind, die bequemerweiſe nur jene Ueberſetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahlloſe Sprachſünden, Mißver - ſtändniſſe und Irrtümer herübernahmen. So ſehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunſtaltet, aber wenigſtens äußerlich voll - ſtändig iſt, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmſten Reiz rauben, indem ſie die Form ganz zerſtören, und eben damit auch die wahrhaft künſt - leriſche Anordnung desſelben kaum noch in Spuren erkennen laſſen. Humboldts Reiſebeſchreibung und ein poetiſches Werk, nicht zu übertragen, ſondern auszuziehen und umzuarbeiten, iſt ungefähr gleich verſtändig. Das Buch iſt ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunſtwerk.

Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum - boldt über die Art der deutſchen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an dieſen unter anderem folgendes:

Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwiſſenſchaft wird Ihre Reiſebeſchreibung für jeden Ge - ſchichtſchreiber eines dieſer Zweige eine wichtige Quelle bleiben,IX daneben aber die geſundeſte Nahrung, das trefflichſte An - regungsmittel für die zum Studium irgend einer Erfahrungs - wiſſenſchaft beſtimmte Jugend. Wenn ich mir vergegen - wärtige, was ich ſelbſt als Jüngling dieſem Werke ſchuldig geworden bin, ſo erkenne ich ſeinen Wert aufs lebhafteſte; aber auf dem Standpunkt meiner gegenwärtigen litterariſchen Erfahrung erkenne ich auch, in welchem Verhältnis es zu der immer wachſenden Menge derjenigen ſteht, welche ſich dilet - tantiſch mit der Wiſſenſchaft beſchäftigen, welche ſich gern bilden mögen, wenn noch ein anderer Genuß dabei iſt, als der ernſte, welcher aus dem Gefühl innerer Veredelung ent - ſpringt. Werden dieſe vom großen Namen des Verfaſſers noch ſo ſehr angezogen, ſo ſehen ſie ſich durch das bedeutende Volumen des Werkes an der Schwelle abgewieſen, und wagen ſie ſich dennoch hinein, ſo werden ſie bald gewahr, daß ſie nur über Maſſen ſtrenger Wiſſenſchaft hinweg den Schritten des Reiſenden durch die großartigſte Natur folgen könnten. Und doch iſt nach meiner Ueberzeugung in dieſem Werke ein allgemein zugängliches Buch enthalten, dem in unſerer Zeit, die auf Diffuſion des Naturwiſſens durch den Körper der Geſellſchaft ausgeht, an bildender Kraft kaum etwas gleich käme. Die Zeiten ſind vorbei, wo ganze bisher unbekannte Stücke Natur dem Seefahrer in die Hände fielen, wo ganze Idyllen, wie Tahiti, entdeckt wurden, wo der Reiſende nur zu erzählen brauchte, was er geſehen, um die Wißbegierde zu vergnügen und die Einbildungskraft zu entzünden. Von der Breite der Natur hat ſich der Geiſt der Tiefe zugewendet, und da die unwiſſenſchaftliche Neugier der immer mehr ins Detail dringenden Forſchung nicht folgen kann, ſo begreift ſich, daß heutige Reiſebeſchreibungen nicht den Reiz haben und den Einfluß üben können wie früher, wenn es der Reiſe - beſchreiber nicht verſteht, durch das zu wirken, was in den jetzigen Geiſtern an die Stelle der brennenden Neugier nach neuen Naturprodukten, nach neuen Ländern und Völkern ge - treten iſt. Seit es keine Naturwunder im früheren Sinne mehr gibt, ſind es vor allem die Gedanken der Natur in ihren Bildungen, die Geſetze in ihren Bewegungen, was die produktiven und die rezeptiven Kräfte, die Forſcher und dieX Dilettanten, die das Wort Suchenden und die an das Wort Glaubenden beſchäftigt. Alexander v. Humboldt iſt einer der erſten, nach Rang und Zeit, welche die Naturwiſſenſchaft in die ſo fruchtbare Laufbahn gewieſen haben, die ſie ſeit einigen Menſchenaltern verfolgt. Und neben ſo Vielem und Großem hat er auch ein Reiſewerk geſchaffen, wie es recht eigentlich dem Weſen und Bedürfnis der heutigen Kultur entſpricht. Es gewährt einerſeits wahren Kunſtgenuß durch die trefflichen Schilderungen einer gewaltigen Natur und der Menſchheit in einem ihrer merkwürdigſten Bruchſtücke; andererſeits feſſelt und befreit es zugleich den Geiſt durch Ideen. Während der Leſer auch im gemeinen Sinne Neues in Menge erfährt, während es keineswegs an den kleinen und großen Vorfällen fehlt, welche die Einbildungskraft beſchäftigen und die Neugier reizen, ſieht er faſt bei jedem Schritt einen jener umfaſſenden Gedanken, von welchen die heutige Wiſſenſchaft beherrſcht wird, entſtehen oder ſich beſtätigen, und er lernt an hundert leben - digen Beiſpielen, wie die wahre Naturwiſſenſchaft zuſtande kommt. Ich wüßte nichts, was anregender und bildender wäre. Für den general reader iſt das Buch, wie es vor - liegt, nicht beſtimmt; es ließe ſich ihm aber ſehr leicht zugäng - lich machen, und müßte dann als treffliches Bildungsmittel in den weiteſten Kreiſen wirken.

Schon vor Jahren beſchäftigte A. v. Humboldt der Ge - danke, dieſes ſein Buch, auf das er, neben dem Essai sur l’état politique de la Nouvelle Espagne, ſelbſt ſehr viel hielt, endlich in einer deutſchen Ausgabe aus dem hier ange - deuteten Geſichtspunkt unter ſeinen Auſpizien erſcheinen zu laſſen. Als aber die Sache ernſtlich zur Sprache kam, hatte er, faſt ein Achtziger, bereits das große Unternehmen des Kosmos begonnen, und ſo verſtand es ſich von ſelbſt, daß er die Uebertragung fremden Händen überlaſſen mußte. Der Plan der neuen Ausgabe wurde in den letzten Jahren zwiſchen ihm und dem Herausgeber im allgemeinen und einzelnen feſt - geſtellt; er konnte ſich noch ſelbſt von der Art der formellen und materiellen Behandlung überzeugen, auch alle wünſchens - werten Anordnungen treffen, indem ihm ein Teil des Manu - ſkriptes gedruckt vorgelegt wurde, und er ſchrieb ſofort dieXI Vorrede, die eine ſeiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war, ſo daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die erſten ſchönen Zeiten ſeiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben ſchied.

Das Buch iſt reich an allem, was die Einbildungskraft feſſeln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen tropiſcher Landſchaften wie einzelner Gewächſe dieſer wunder - vollen Länder, an den belebteſten Auftritten aus dem Tier - leben, an den ſcharfſinnigſten Beobachtungen über die geiſtigen und geſelligen Verhältniſſe der Raſſen, welche in Südamerika neben - und durcheinander wohnen. Erſt durch Humboldt iſt das eigentliche Weſen des eingeborenen Amerikaners nach Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die Beſchreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden und ihrer Laſter iſt in die ganze Reiſebeſchreibung mit großer Kunſt eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu einer ſo eigentümlichen und außerordentlichen Erſcheinung, daß ſich in ihm mit der Schärfe und Unbeſtechlichkeit der Urteilskraft eine ſo bedeutende künſtleriſche Begabung paart. Durch dieſelbe Kunſt der Darſtellung, wodurch er uns mit dem Antlitz und der Gebärdung der tropiſchen Natur ſo ver - traut macht, werden auch ſeine wiſſenſchaftlichen Erörterungen ſo klar und anſchaulich, daß ſie ſelbſt wie organiſche Natur - bildungen erſcheinen, was ſie ja auch im Grunde ſind. Zu allen Vorzügen des Buches kommt für den ernſten Leſer noch der unſchätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge - danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der ſie unſeren Sonden zugänglich iſt, und daß er ſo, wie ſchon oben ausgeſprochen worden, überall unmittelbar zuſieht, wie die wahre Wiſſenſchaft zuſtande kommt. Nach meiner Er - fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all - gemein Unterrichteten das eigentliche Weſen, die Geneſis, die Entwickelung und die Grenzen des Naturwiſſens klarer machte, als die Art und Weiſe, wie Humboldt in ſeiner Reiſe - beſchreibung ſo viele große und kleine, aber für das in einen höheren Geſichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erſchei - nungen beſpricht, wie die Meeresſtrömungen, die VerteilungXII der Gewächſe nach der Meereshöhe, die Erdbeben, die Theorie des tropiſchen Regens, die Urſachen der Kontraſte zwiſchen den Klimaten benachbarter Orte, die hydrographiſchen Ver - hältniſſe des Landſtriches zwiſchen Orinoko und Rio Negro, die Milch des Kuhbaumes und die Milch der Gewächſe, welche das Kautſchuk geben, die ſchwarzen und die weißen Waſſer in Guyana, die Plage der Moskiten, das Pfeilgift der Indianer, die Wintervorräte erdeeſſender Otomaken, die Fabel vom ver - goldeten Mann (el dorado), und hundert andere Gegen - ſtände, an denen der junge Forſcher ſeinen ungemeinen Scharf - ſinn geübt, und die jetzt längſt in den Schatz der Wiſſenſchaft aufgenommen ſind und vertraute Elemente unſerer Natur - anſchauung bilden.

Sollte nun aber das zunächſt ohne Rückſicht auf das größere Publikum geſchriebene Werk in den hier berührten Beziehungen gemeinnützlich werden, ſo war es den Bedürf - niſſen derer anzupaſſen, welche ſich im Sinne unſerer Zeit über die Geſchichte des Kampfes zwiſchen Geiſt und Natur im allgemeinen unterrichten möchten. So kamen denn der Verfaſſer und der jetzige Herausgeber überein, das Buch als litterariſches Produkt möglichſt unverſehrt zu erhalten, nirgends auszugsweiſe zu verfahren, ſondern im ganzen überall dem Texte treu zu bleiben und nur die kürzeren und längeren ſtreng wiſſenſchaftlichen Exkurſe und Abhandlungen, die ins einzelne gehenden mineralogiſchen und geologiſchen, chemiſchen, phyſiologiſchen, pharmazeutiſchen, mediziniſchen, ſtatiſtiſchen, nationalökonomiſchen u. ſ. w. Erörterungen abzulöſen und von den Anmerkungen nur die beizubehalten, welche dem erwähnten Zwecke förderlich ſein konnten.

Der Herausgeber.

[1]

Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden.

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 1[2][3]

Erſtes Kapitel.

Vorbereitungen. Abreiſe von Spanien. Aufenthalt auf den Kanariſchen Inſeln.

Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Welt - meer anordnet, durch welche die Kenntnis des Erdballes erweitert und die phyſiſchen Wiſſenſchaften gefördert werden, ſo ſtellt ſich ihrem Vorhaben keinerlei Hindernis entgegen. Der Zeit - punkt der Abfahrt und der Plan der Reiſe können feſtgeſtellt werden, ſobald die Schiffe ausgerüſtet und die Aſtronomen und Naturforſcher, welche unbekannte Meere befahren ſollen, gewählt ſind. Die Inſeln und Küſten, deren Produkte die Seefahrer kennen lernen ſollen, liegen außerhalb des Bereiches der ſtaatlichen Bewegungen Europas. Wenn längere Kriege die Freiheit zur See beſchränken, ſo ſtellen die kriegführenden Mächte gegenſeitig Päſſe aus; der Haß zwiſchen Volk und Volk tritt zurück, wenn es ſich von der Förderung des Wiſſens handelt, das die gemeine Sache aller Völker iſt.

Anders, wenn nur ein Privatmann auf ſeine Koſten eine Reiſe in das Innere eines Feſtlandes unternimmt, das Europa in ſein Syſtem von Kolonieen gezogen hat. Wohl mag ſich der Reiſende einen Plan entwerfen, wie er ihm für ſeine wiſſenſchaftlichen Zwecke und bei den ſtaatlichen Verhältniſſen der zu bereiſenden Länder der angemeſſenſte ſcheint; er mag ſich die Mittel verſchaffen, die ihm fern vom Heimatland auf Jahre die Unabhängigkeit ſichern; aber gar oft widerſetzen ſich unvorhergeſehene Hinderniſſe ſeinem Vorhaben, wenn er eben meint es ausführen zu können. Nicht leicht hat aber ein Reiſender mit ſo vielen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt als ich vor meiner Abreiſe nach dem ſpaniſchen Amerika. Gern wäre ich darüber weggegangen und hätte meine Reiſebeſchrei - bung mit der Beſteigung des Piks von Tenerifa begonnen,4 wenn nicht das Fehlſchlagen meiner erſten Pläne auf die Rich - tung meiner Reiſe nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten - den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige Schilderung dieſer Vorgänge, die für die Wiſſenſchaft von keinem Belang ſind, von denen ich aber wünſchen muß, daß ſie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums ſich häufig mehr an die Perſon des Reiſenden als an ſeine Werke heftet, ſo ſind auch die Umſtände, unter denen ich meine erſten Reiſepläne entworfen, ganz ſchief aufgefaßt worden. 1Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in ſechs Bänden, das unter dem ſeltſamen Titel: Reiſe um die Welt und in Südamerika, von A. v. Humboldt, erſchienen bei Vollmer in Hamburg, niemals Kenntnis genommen habe. Dieſe in meinem Namen verfaßte Reiſebeſchreibung ſcheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der erſten Klaſſe des franzöſiſchen Inſtitutes geleſen, zuſammen - geſchrieben zu ſein. Um das Publikum aufmerkſam zu machen, hielt es der Kompilator für angemeſſen, einer Reiſe in einige Länder des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer Reiſe um die Welt zu geben.

Von früher Jugend auf lebte in mir der ſehnliche Wunſch, ferne, von Europäern wenig beſuchte Länder bereiſen zu dürfen. Dieſer Drang iſt bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieſes vor uns liegt wie ein ſchrankenloſer Horizont, wo uns nichts ſo ſehr anzieht als ſtarke Gemütsbewegungen und Bilder phyſiſcher Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachſen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in beiden Indien ſteht, ſpäter in einem fern von der Meeresküſte gelegenen, durch ſtarken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben - digen Schilderungen der Reiſenden kennen, haben ganz beſonderen Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umriſſene be - ſticht unſere Einbildungskraft; Genüſſe, die uns nicht erreichbar ſind, ſcheinen uns weit lockender, als was ſich uns im engen Kreiſe des bürgerlichen Lebens bietet. Die Luſt am Botani - ſieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Geſellſchaft eines berühmten Mannes, Georg Forſters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook auf ſeiner zweiten Reiſe um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiſeplänen, die ich ſchon mit achtzehn Jahren5 gehegt, Geſtalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die ſchönen Länder des heißen Erdgürtels zog, ſo war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander - leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig - faltigen Naturprodukten reiche Natur zu ſehen, die Ausſicht, Erfahrungen zu ſammeln, welche die Wiſſenſchaften förderten. Meine Verhältniſſe geſtatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich ſo lebhaft beſchäftigten, und ich hatte ſechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzuſtellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereiſen und die Kette der Hochalpen zu unterſuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verſchie - denen Zeiten mit Inſtrumenten von verſchiedener Konſtruktion arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die genaueſten und dabei auf dem Transport dauerhafteſten er - ſchienen; ich fand Gelegenheit, Meſſungen, die nach den ſtrengſten Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte ſo ſelbſtändig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich gefaßt ſein mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereiſt, aber die vulkaniſchen Striche in Neapel und Sizilien nicht beſuchen können. Ungern hätte ich Europa verlaſſen, ohne Veſuv, Stromboli und Aetna geſehen zu haben; ich ſah ein, um zahlreiche geologiſche Erſcheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufaſſen, mußte ich mich mit den Erſcheinungen, wie noch thätige Vulkane ſie bieten, näher bekannt gemacht haben. Ich entſchloß mich daher im Novem - ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Joſephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch - zog mit Leopold von Buch, von dem ſeitdem ein treffliches Werk über Lappland erſchienen iſt, mehrere Teile des Salz - burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen und den Landſchaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, ſah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reiſe nach Neapel aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenſchaftlicher Kunſtfreund, der bereits die Küſten Illyriens und Griechenlands als Altertums - forſcher beſucht hatte, mir den Vorſchlag gemacht, ihn auf6 einer Reiſe nach Oberägypten zu begleiten. Der Ausflug ſollte nur acht Monate dauern; geſchickte Zeichner und aſtronomiſche Werkzeuge ſollten uns begleiten, und ſo wollten wir den Nil bis Aſſuan hinaufgehen und den zwiſchen Tentyris und den Katarakten gelegenen Teil des Saïd genau unterſuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen Plänen nie ein außertropiſches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehen, Länder zu beſuchen, die in der Geſchichte der Kultur eine ſo bedeutende Rolle ſpielen. Ich nahm den Vor - ſchlag an, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich bei der Rückkehr nach Alexandrien allein durch Syrien und Paläſtina weiterreiſen dürfte. Sofort richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir ſpäter zu gute kam, als es ſich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexikaner mit denen der Völker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe Ausſicht, mich nach Aegypten einzuſchiffen, da nötigten mich die eingetretenen politiſchen Verhältniſſe, eine Reiſe aufzugeben, die mir ſo großen Genuß verſprach. Im Orient ſtanden die Dinge ſo, daß ein einzelner Reiſender gar keine Ausſicht hatte, dort Studien machen zu können, welche ſelbſt in den ruhigſten Zeiten von den Regierungen mit mißtrauiſchem Auge angeſehen werden.

Zur ſelben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreiſe in die Südſee unter dem Befehl des Kapitäns Baudin im Werk. Der urſprüngliche Plan war großartig, kühn, und hätte verdient, unter umſichtigerer Leitung ausgeführt zu werden. Man wollte die ſpaniſchen Beſitzungen in Südamerika von der Mündung des Rio de la Plata bis zum Königreich Quito und der Landenge von Panama beſuchen. Die zwei Korvetten ſollten ſofort über die Inſelwelt des Stillen Meeres nach Neu - holland gelangen, die Küſten desſelben von Vandiemensland bis Nuytsland unterſuchen, bei Madagaskar anlegen und über das Kap der guten Hoffnung zurückkehren. Ich war nach Paris gekommen, als man ſich eben zu dieſer Reiſe zu rüſten begann. Der Charakter des Kapitäns Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzuflößen; der Mann hatte meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Braſilien gebracht, und der Wiener Hof war dabei mit ihm ſchlecht zufrieden geweſen; da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine ſo weite Reiſe unternehmen und ein ſo ſchönes Stück der Welt hätte kennen lernen können, ſo entſchloß ich mich, auf gutes Glück die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubnis,7 mich mit meinen Inſtrumenten auf einer der Korvetten, die nach der Südſee gehen ſollten, einzuſchiffen, und machte nur zur Bedingung, daß ich mich von Kapitän Baudin trennen dürfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux, der bereits Perſien und einen Teil von Nordamerika beſucht hatte, und Bonpland, dem ich mich anſchloß, und der mir ſeitdem aufs innigſte befreundet geblieben, ſollten die Reiſe als Naturforſcher mitmachen.

Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer ſo großen und ehrenvollen Unternehmung teilnehmen zu dürfen, da brach der Krieg in Deutſchland und in Italien von neuem aus, ſo daß die franzöſiſche Regierung die Geld - mittel, die ſie zu der Entdeckungsreiſe angewieſen, zurückzog und dieſelbe auf unbeſtimmte Zeit verſchob. Mit Kummer ſah ich alle meine Ausſichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beſchloß ich nur ſo bald als möglich, wie es auch ſei, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unter - nehmen, das meinen Unmut zerſtreuen könnte.

Ich wurde mit einem ſchwediſchen Konſul, Skiöldebrand, bekannt, der dem Dei von Algier Geſchenke von ſeiten ſeines Hofes zu überbringen hatte und durch Paris kam, um ſich in Marſeille einzuſchiffen. Dieſer achtungswerte Mann war lange auf der afrikaniſchen Küſte angeſtellt geweſen, und da er bei der algeriſchen Regierung gut angeſchrieben war, konnte er für mich auswirken, daß ich den Teil der Atlaskette bereiſen durfte, auf den ſich die bedeutenden Unterſuchungen von Des - fontaines nicht erſtreckt hatten. Er ſchickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka gingen, und er verſprach mir, mich auf dieſem Wege nach Aegypten zu befördern. Ich beſann mich keinen Augenblick, eine ſo gute Gelegenheit zu benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reiſe nach Frankreich entworfen, ſofort ausführen zu können. Bis jetzt hatte kein Mineralog die hohe Bergkette unterſucht, die in Marokko bis zur Grenze des ewigen Schnees aufſteigt. Ich konnte darauf rechnen, daß ich, nachdem ich in den Alpenſtrichen der Berberei einiges für die Wiſſenſchaft gethan, in Aegypten bei den bedeutenden Gelehrten, die ſeit einigen Monaten zum Inſtitut von Kairo zuſammengetreten waren, dasſelbe Entgegenkommen fand, das mir in Paris in ſo reichem Maße zu teil geworden. Ich ergänzte raſch meine Sammlung von Inſtrumenten und ver -8 ſchaffte mir die Werke über die zu bereiſenden Länder. Ich nahm Abſchied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei - ſpiel meine Geiſtesrichtung hatte beſtimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entſchluſſes, Europa zu verlaſſen; eine geheime Stimme ſagte uns, daß wir uns wiederſehen würden. Dieſe Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und ſie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entſchluß, mich nach Algier und Aegypten einzuſchiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men - ſchenleben regiert, ich ſah bei der Rückkehr vom Amazonenſtrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Feſtland von Afrika betreten zu haben.

Die ſchwediſche Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen ſollte, wurde zu Marſeille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um dieſe Zeit dahin, und eilten um ſo mehr, da wir während der Reiſe immer beſorgten, zu ſpät zu kommen und das Schiff zu ver - ſäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächſt bevorſtanden.

Skiöldebrand war ſo ungeduldig als wir, ſeinen Beſtim - mungsort zu erreichen. Wir beſtiegen mehrmals im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont ſichtbar wurde, ſetzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, erſahen wir aus den Zeitungen, daß die ſchwediſche Fregatte, die uns überführen ſollte, in einem Sturm an den Küſten von Portugal ſtark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müſſen, um ausgebeſſert zu werden. Privatbriefe beſtätigten die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas ſo hieß die Fregatte vor dem Frühjahr nicht nach Marſeille kommen konnte.

Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unſere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuſe, die Bougainville auf ſeiner Reiſe um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüſtete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des beſondern Wohlwollens des berühmten See - fahrers zu erfreuen gehabt. Nur ſchwer vermöchte ich zu9 ſchildern, was ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerſon auf die Inſeln der Südſee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen ſich ein Schmerzgefühl in alle unſere Empfindungen miſcht.

Wir hielten immer noch am Gedanken feſt, uns an die afrikaniſche Küſte zu begeben, und dieſer zähe Entſchluß wäre uns beinahe verderblich geworden. Im Hafen von Marſeille lag zur Zeit ein kleines raguſaniſches Fahrzeug, bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies ſchien uns eine günſtige Gelegenheit; wir kamen ja auf dieſe Weiſe in die Nähe von Aegypten und Syrien. Wir wurden mit dem Kapitän wegen des Ueberfahrtspreiſes einig; am folgenden Tage ſollten wir unter Segel gehen, aber die Abreiſe verzögerte ſich glücklicher - weiſe durch einen an ſich ganz unbedeutenden Umſtand. Das Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen ſollte, war in der großen Kajütte untergebracht. Wir verlangten, daß zur Bequemlichkeit der Reiſenden und zur ſicheren Unter - bringung unſerer Inſtrumente das Notwendigſte vorgekehrt werde. Allermittelſt erfuhr man in Marſeille, daß die tune - ſiſche Regierung die in der Berberei niedergelaſſenen Franzoſen verfolge, und daß alle aus franzöſiſchen Häfen ankommenden Perſonen ins Gefängnis geworfen würden. Durch dieſe Kunde entgingen wir einer großen Gefahr; wir mußten die Aus - führung unſerer Pläne verſchieben und entſchloſſen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns im nächſten Frühjahr, wenn anders die politiſchen Zuſtände im Orient es geſtatteten, in Cartagena oder in Cadiz einſchiffen zu können.

Wir reiſten durch Katalonien und das Königreich Valencia nach Madrid. Wir beſuchten auf dem Wege die Trümmer Tarragonas und des alten Sagunt, machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montſerrat, deſſen hochaufragende Gipfel von Einſiedlern bewohnt ſind, und der durch die Kon - traſte eines kräftigen Pflanzenwuchſes und nackter, öder Fels - maſſen ein eigentümliches Landſchaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch aſtronomiſche Rechnung die Lage mehrerer für die Geographie Spaniens wichtiger Punkte zu beſtimmen; ich maß mittels des Barometers die Höhe des Centralplateaus und ſtellte einige Beobachtungen über die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Ergebniſſe dieſer Beobachtungen ſind für ſich erſchienen, und ich verbreite mich hier nicht weiter über die Natur -10 beſchaffenheit eines Landes, in dem ich mich nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von ſo vielen unter - richteten Männern bereiſt worden iſt.

Zu Madrid angelangt, fand ich bald Urſache mir Glück dazu zu wünſchen, daß wir uns entſchloſſen, die Halbinſel zu beſuchen. Der Baron Forell, ſächſiſcher Geſandter am ſpaniſchen Hofe, kam mir auf eine Weiſe entgegen, die meinen Zwecken ſehr förderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten mine - ralogiſchen Kenntniſſen das regſte Intereſſe für Unterneh - mungen zur Förderung der Wiſſenſchaft. Er bedeutete mir, daß ich unter der Verwaltung eines aufgeklärten Miniſters, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Ausſicht habe, auf meine Koſten im Inneren des ſpaniſchen Amerikas reiſen zu dürfen. Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, beſann ich mich keinen Augenblick, dieſen Gedanken zu ergreifen.

Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vor - geſtellt. Der König nahm mich äußerſt wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gründe, die mich bewogen, eine Reiſe in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu unternehmen, und reichte dem Staatsſekretär eine darauf bezügliche Denk - ſchrift ein. Der Ritter d’Urquijo unterſtützte mein Geſuch und räumte alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Miniſter handelte hierbei deſto großmütiger, da ich in gar keiner per - ſönlichen Beziehung zu ihm ſtand. Der Eifer, mit dem er fortwährend meine Abſichten unterſtützte, hatte keinen anderen Beweggrund als ſeine Liebe zu den Wiſſenſchaften. Es wird mir zur angenehmen Pflicht, in dieſem Werke der Dienſte, die er mir erwieſen, dankbar zu gedenken.

Ich erhielt zwei Päſſe, den einen vom erſten Staats - ſekretär, den anderen vom Rat von Indien. Nie war einem Reiſenden mit der Erlaubnis, die man ihm erteilte, mehr zugeſtanden worden, nie hatte die ſpaniſche Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewieſen. Um alle Bedenken zu beſeitigen, welche die Vizekönige oder Generalkapitäne, als Vertreter der königlichen Gewalt in Amerika, hinſichtlich des Zweckes und Weſens meiner Beſchäftigungen erheben könnten, hieß es im Paß der primera secretaria de estado: ich ſei ermächtigt, mich meiner phyſikaliſchen und geodätiſchen Inſtru - mente mit voller Freiheit zu bedienen; ich dürfe in allen ſpaniſchen Beſitzungen aſtronomiſche Beobachtungen anſtellen, die Höhen der Berge meſſen, die Erzeugniſſe des Bodens ſammeln und alle Operationen ausführen, die ich zur Förde -11 rung der Wiſſenſchaft vorzunehmen gut finde . Dieſe Befehle von ſeiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereigniſſe Don d’Urquijo vom Miniſterium hatte abtreten müſſen. Ich meinerſeits war bemüht, dieſe ſich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abſchriften des von mir geſammelten Materials über die Geographie und Statiſtik der Kolonieen, das dem Mutterlande von einigem Wert ſein konnte. Dem von mir vor meiner Abreiſe gegebenen Verſprechen gemäß übermachte ich dem naturhiſtoriſchen Kabinett zu Madrid mehrere geologiſche Samm - lungen. Da der Zweck unſerer Reiſe ein rein wiſſenſchaftlicher war, ſo hatten Bonpland und ich das Glück, uns das Wohl - wollen der Koloniſten wie der mit der Verwaltung dieſer weiten Landſtriche betrauten Europäer zu erwerben. In den fünf Jahren, während deren wir den neuen Kontinent durch - zogen, ſind wir niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet. Mit Freude ſpreche ich es hier aus: unter den härteſten Ent - behrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur haben wir uns nie über menſchliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.

Verſchiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen ſollen, noch länger in Spanien zu verweilen. Abbé Cavanilles, ein Mann gleich geiſtreich wie mannigfaltig unterrichtet, Née, der mit Hänke die Expedition Malaſpinas als Botaniker mit - gemacht und allein eine der größten Kräuterſammlungen, die man je in Europa geſehen, zuſammengebracht hat, Don Caſimir Ortega, Abbé Pourret und die gelehrten Verfaſſer der Flora von Peru, Ruiz und Papon, ſtellten uns ihre reichen Samm - lungen zur unbeſchränkten Verfügung. Wir unterſuchten zum Teil die mexikaniſchen Pflanzen, die von Seſſe, Mociño und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das naturhiſtoriſche Muſeum zu Madrid gelangt waren. In dieſer großen Anſtalt, die unter der Leitung Clavijos ſtand, des Herausgebers einer gefälligen Ueberſetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologiſchen Suiten aus den Kordilleren; aber Prouſt, der ſich durch die große Ge - nauigkeit ſeiner chemiſchen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns intereſſante Nachweiſungen über verſchiedene mineraliſche Subſtanzen Ameri - kas. Mit bedeutendem Nutzen hätten wir uns wohl noch länger mit den Naturprodukten der Länder beſchäftigt, die das Ziel unſerer Forſchungen waren, aber es drängte uns zu12 ſehr, von der Vergünſtigung, die der Hof uns gewährt, Ge - brauch zu machen, als daß wir unſere Abreiſe hätten verſchieben können. Seit einem Jahre war ich ſo vielen Hinderniſſen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein ſehn - lichſter Wunſch endlich in Erfüllung gehen ſollte.

Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reiſten durch einen Teil von Altkaſtilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Coruña, wo wir uns nach der Inſel Cuba einſchiffen ſollten. Der Winter war ſtreng und lang geweſen, und jetzt genoſſen wir auf der Reiſe der milden Frühlingstemperatur, die ſchon ſo weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen iſt. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die maleriſchen Land - ſchaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felſen mit Ciſtus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über - zogen. Man iſt froh, wenn man die kaſtiliſche Hochebene hinter ſich hat, welche faſt ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß iſt. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich ſelbſt anſtellen konnte, beſteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit ſekun - dären Gebirgsbildungen, Sandſtein, Gips, Steinſalz, Jurakalk bedeckt iſt; das Klima von Kaſtilien iſt weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert ſich, daß unter der Breite von Kalabrien, Theſſalien und Kleinaſien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes iſt umgeben von einer tiefgelegenen, ſchmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha - märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinſame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfroſt zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieſer Zone 17 bis 20°, und durch den Verein von Verhältniſſen, die hier nicht aufgezählt werden können, iſt dieſer glückliche Landſtrich der vornehmſte Sitz des Gewerbfleißes und der Geiſtesbildung geworden.

Kommt man im Königreich Valencia von der Küſte des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kaſtilien herauf, ſo meint man, tief im Lande, in weithin geſtreckten ſchroffen Abhängen die alte Küſte der Halbinſel vor ſich zu13 haben. Dieſes merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geſchichtliche Zeugniſſe, welche darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß durch den Ausbruch der Waſſer aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der ſüdliche Teil Europas zerriſſen und vom Mittelmeer verſchlungen worden iſt. Nimmt man an, dieſe Sagen ſeien keine geologiſchen Träume, ſondern beruhen wirk - lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, ſo hätte die ſpaniſche Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerſtanden, bis die Waſſer durch die zwiſchen den Säulen des Herkules ſich bildende Meerenge abfloſſen, ſo daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich ſank und einerſeits Niederägypten, andererſeits die fruchtbaren Ebenen von Tarra - gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieſes Meeres zuſammenhängt, deſſen Daſein von ſo bedeutendem Einfluß auf die früheſten Kulturbewegungen der Menſchheit war, iſt von ganz beſonderem Intereſſe. Man könnte denken, Spanien, das ſich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darſtellt, verdanke ſeine Erhaltung ſeinem hochge - legenen Boden; ehe man aber auf ſolche theoretiſche Vor - ſtellungen Gewicht legt, müßte man erſt die Bedenken beſeitigen, die ſich gegen die Durchbrechung ſo vieler Dämme erheben, müßte man wahrſcheinlich zu machen ſuchen, daß das Mittel - meer einſt in mehrere abgeſchloſſene Becken geteilt geweſen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Inſel Kandia an - gedeutet ſcheinen. Die Löſung dieſe Probleme ſoll uns hier nicht beſchäftigen, wir beſchränken uns darauf, auf den auf - fallenden Kontraſt in der Geſtaltung des Landes am öſtlichen und am weſtlichen Ende Europas aufmerkſam zu machen. Zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meer erhebt ſich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn ſie zwiſchen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, ſich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darſtellen würde. Es iſt höchſt anziehend, auf die Urſachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unſeres Planeten umgeſtaltet worden ſein mag; ſicherer iſt es aber, ſich an diejenigen Seiten der Erſcheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Meſſung des Forſchers zugänglich ſind.

Zwiſchen Aſtorga und Coruña, beſonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die ſekundären Gebirgs - bildungen verſchwinden mehr und mehr, und die Uebergangs -14 gebirgsarten, die ſie ablöſen, verkünden die Nähe des Urgebirges. Wir ſahen anſehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandſtein, den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und Grauwackenſchiefer aufführen. Ich weiß nicht, ob dieſe Formation, die im ſüdlichen Europa nicht häufig vorkommt, auch in anderen Strichen Spaniens aufgefunden worden iſt. Eckige Bruchſtücke von lydiſchem Stein, die in den Thälern am Boden liegen, ſchienen uns darauf zu deuten, daß die Grauwacke dem Uebergangsſchiefer aufgelagert iſt. Bei Coruña ſelbſt erheben ſich Granitgipfel, die bis zum Kap Ortegal fortſtreichen. Dieſe Granite, welche einſt mit denen in Bre - tagne und Wales in Zuſammenhang geſtanden haben mögen, ſind vielleicht die Trümmer einer von den Fluten zertrümmerten und verſchlungenen Bergkette. Schöne große Feldſpatkriſtalle ſind für dieſes Geſtein charakteriſtiſch, Zinnſtein iſt darin ein - geſprengt, und von den Galiciern wird darauf ein mühſamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben.

In Coruña angelangt, fanden wir den Hafen von zwei engliſchen Fregatten und einem Linienſchiff blockiert. Dieſe Fahrzeuge ſollten den Verkehr zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen in Amerika unterbrechen; denn von Coruña, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot (Correo maritimo) nach der Havana aus, und alle zwei Monate ein anderes nach Buenos Ayres oder der Mündung des La Plata. Ich werde ſpäter den Zuſtand der Poſten auf dem neuen Kontinent genau beſchreiben; hier nur ſo viel, daß ſeit dem Miniſterium des Grafen Florida Blanca der Dienſt der Landkuriere ſo gut eingerichtet iſt, daß einer in Paraguay oder in der Provinz Jaen de Bracamoros nur durch ſie ziemlich regelmäßig mit einem in Neumexiko oder an der Küſte von Neukalifornien korreſpondiern kann, alſo ſo weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Kap der guten Hoffnung iſt. Ebenſo gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in Aragonien zur Poſt gibt, nach Chile oder in die Miſſionen am Orinoko, wenn nur der Name des Corregimiento oder Bezirkes, in dem das betreffende india - niſche Dorf liegt, genau angegeben iſt. Mit Vergnügen verweilt der Gedanke bei Einrichtungen, die für eine der größten Wohlthaten der Kultur der neueren Zeit gelten können. Die Einrichtung der Kuriere zur See und im inneren Lande hat das Band zwiſchen den Kolonieen unter ſich und mit dem Mutterlande enger geknüpft. Der Gedankenaustauſch wurde15 dadurch beſchleunigt, die Beſchwerden der Koloniſten drangen leichter nach Europa und die Staatsgewalt konnte hin und wieder Bedrückungen ein Ende machen, die ſonſt aus ſo weiter Ferne nie zu ihrer Kenntnis gelangt wären.

Der Miniſter hatte uns ganz beſonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo empfohlen, der ſeit kurzem die Ober - aufſicht über die Seepoſten hatte. Dieſer Offizier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Coruña mit der Ein - richtung neuer Werfte beſchäftigt. Er bot alles auf, um uns den Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der Korvette1Nach dem ſpaniſchen Sprachgebrauch war der Pizarro eine leichte Fregatte (Fregata lijera). Pizarro einzuſchiffen, die nach der Havana und Mexiko ging. Dieſes Fahrzeug, das die Poſt für Juni an Bord hatte, ſollte mit der Alcudia ſegeln, dem Paketboot für den Mai, das wegen der Blockade ſeit drei Wochen nicht hatte auslaufen können. Der Pizarro galt für keinen guten Segler, aber durch einen glücklichen Zufall war er vor kurzem auf ſeiner langen Fahrt vom Rio de la Plata nach Coruña den kreuzenden engliſchen Fahrzeugen entgangen. Clavijo ließ an Bord der Korvette Einrichtungen treffen, daß wir unſere Inſtrumente aufſtellen und während der Ueberfahrt unſere chemiſchen Verſuche über die atmoſphä - riſche Luft vornehmen konnten. Der Kapitän des Pizarro erhielt Befehl, bei Tenerifa ſo lange anzulegen, daß wir den Hafen von Orotava beſuchen und den Gipfel des Piks beſteigen könnten.

Die Einſchiffung verzögerte ſich nur zehn Tage, dennoch kam uns der Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen einzulegen, die wir in den ſchönen, noch von keinem Naturforſcher betretenen Thälern Galiciens geſammelt; wir unterſuchten die Tange und Weichtiere, welche die Flut von Nordweſt her in Menge an den Fuß des ſteilen Felſens wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules ſteht. Dieſer Turm, auch der eiſerne Turm genannt, wurde im Jahre 1788 reſtauriert. Er iſt 30 m hoch, ſeine Mauern ſind 1,46 m dick, und nach ſeiner Bauart iſt er unzweifelhaft ein Werk der Römer. Eine in der Nähe der Fundamente gefundene Inſchrift, von der ich durch Herrn de Labordes Gefälligkeit eine Abſchrift beſitze, beſagt, der Turm ſei von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt Aqua Flavia (Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heißt der16 eiſerne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechiſchen oder phöniziſchen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, ſei von griechiſchen Kolonieen bevölkert ge - weſen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in ſeiner Geographie von Spanien hätten ſich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in dieſen Landſtrichen nie - dergelaſſen. 1Die Phönizier und die Griechen beſuchten die Küſten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das ſie von hier wie von den Kaſſiteridiſchen Inſeln bezogen.

Die Höhen von Ferrol und Coruña ſind an derſelben Bai gelegen, ſo daß ein Schiff, das bei ſchlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein ſolcher Vorteil iſt unſchätzbar in Strichen, wo die See faſt beſtändig hoch geht, wie zwiſchen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta - brum der alten Geographen. Ein enger, von ſteilen Granit - felſen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet ſich kein zweiter Ankerplatz, der ſo merkwürdig weit ins Land hineinſchnitte. Dieſer enge, ge - ſchlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, ſieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingeriſſen. In der Neuen Welt, an der Küſte von Neuandaluſien, hat die Laguna del Opisco, der Biſchofsſee , genau dieſelbe Geſtalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendſten geologiſchen Erſchei - nungen wiederholen ſich auf den Feſtländern an weit entlegenen Punkten, und der Forſcher, der Gelegenheit gehabt, verſchiedene Weltteile zu ſehen, erſtaunt über die durchgehende Gleich - förmigkeit im Ausſchnitt der Küſten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zuſammentreffen derſelben Urſachen mußte allerorten dieſelben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man - nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organiſation der Pflanzen und Tiere eine gewiſſe Uebereinſtimmung in Bau und Geſtaltung entgegen.

Auf der Ueberfahrt von Coruña nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim weißen Signal , in der Bai, die nach d’Anville der portus magnus der Alten war, mittels17 einer Thermometerſonde mit Ventilen einige Beobachtungen über die Temperatur der See und über die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten. Ueber der Bank zeigte das Inſtrument an der Meeresfläche 12,5 bis 13,3° der hundertteiligen Skale, während ringsumher, wo das Meer ſehr tief war, der Thermometer bei 12,8° Luft - temperatur auf 15 bis 15,3° ſtand. Der berühmte Franklin und Jonathan Williams, der Verfaſſer des zu Philadelphia erſchienenen Werkes Thermometric Navigation , haben zu - erſt die Phyſiker darauf aufmerkſam gemacht, wie abweichend ſich die Temperaturverhältniſſe der See über Untiefen geſtalten, ſowie in der Zone warmer Waſſerſtröme, die aus dem Meer - buſen von Mexiko zur Bank von Neufundland und hinüber an die Nordküſten von Europa ſich erſtreckt. Die Beobachtung, daß ſich die Nähe einer Sandbank durch ein raſches Sinken der Temperatur an der Meeresfläche verkündet, iſt nicht nur für die Phyſik von Wichtigkeit, ſie kann auch für die Sicher - heit der Schiffahrt von großer Bedeutung werden. Allerdings wird man über dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen: aber Beobachtungen, wie ich ſie im Verlauf dieſer Reiſebeſchreibung anführen werde, thun zur Genüge dar, daß ein Temperaturwechſel, den die unvollkommenſten Inſtrumente anzeigen, die Gefahr verkündet, lange bevor das Schiff über die Untiefe gelangt. In ſolchen Fällen mag die Abnahme der Meerestemperatur den Schiffer veranlaſſen, zum Senkblei zu greifen in Strichen, wo er ſich vollkommen ſicher dünkte. Auf die phyſiſchen Urſachen dieſer verwickelten Erſcheinungen kommen wir anderswo zurück. Hier ſei nur erwähnt, daß die niedrigere Temperatur des Waſſers über den Untiefen großenteils daher rührt, daß es ſich mit tieferen Waſſerſchichten miſcht, welche längs der Abhänge der Bank zur Meeresfläche aufſteigen.

Eine Aufregung des Meeres von Nordweſt her unter - brach unſere Verſuche über die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen ſo hoch, weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in deſſen Folge die eng - liſchen Schiffe ſich hatten von der Küſte entfernen müſſen. Man wollte die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man ſchiffte alsbald unſere Inſtrumente, unſere Bücher, unſer ganzes Gepäck ein; aber der Weſtwind wurde immer ſtärker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten den Auf - ſchub, um an unſere Freunde in Deutſchland und FrankreichA. v. Humboldt, Reiſe. I. 218zu ſchreiben. Der Augenblick, wo man zum erſtenmal von Europa ſcheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man ſich noch ſo beſtimmt vergegenwärtigt, wie ſtark der Verkehr zwiſchen beiden Welten iſt, wie leicht man bei den großen Fortſchritten der Schiffahrt über den Atlantiſchen Ozean gelangt, der, der Südſee gegenüber, ein nicht ſehr breiter Meeresarm iſt, das Gefühl, mit dem man zum erſtenmal eine weite Seereiſe an - tritt, hat immer etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von früher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Weſen, an denen unſer Herz hängt, im Begriff, gleichſam den Schritt in ein neues Leben zu thun, ziehen wir uns unwillkürlich in uns ſelbſt zuſammen und über uns kommt ein Gefühl des Alleinſeins, wie wir es nie empfunden.

Unter den Briefen, die ich kurz vor unſerer Einſchiffung ſchrieb, befand ſich einer, der für die Richtung unſerer Reiſe und den Verlauf unſerer ſpäteren Forſchungen ſehr folgereich wurde. Als ich Paris verließ, um die Küſte von Afrika zu beſuchen, ſchien die Entdeckungsreiſe in die Südſee auf mehrere Jahre verſchoben. Ich hatte mit Kapitän Baudin die Ver - abredung getroffen, daß ich, wenn er wider Vermuten die Reiſe früher antreten könnte und ich davon Kenntnis bekäme, von Algier aus in einen franzöſiſchen oder ſpaniſchen Hafen eilen wolle, um die Expedition mitzumachen. Im Begriff in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt dieſes Ver - ſprechen. Ich ſchrieb Kapitän Baudin, wenn die Regierung ihn auch jetzt noch den Weg um Kap Horn nehmen laſſen wolle, ſo werde ich mich bemühen, mit ihm zuſammenzutreffen, in Montevideo, in Chile, in Lima, wo immer er in den ſpaniſchen Kolonieen anlegen möchte. Treu dieſer Zuſage, änderte ich meinen Reiſeplan, ſobald die amerikaniſchen Blätter im Jahre 1801 die Nachricht brachten, die franzöſiſche Expe - dition ſei von Havre abgegangen, um von Oſt nach Weſt die Welt zu umſegeln. Ich mietete ein kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Inſel Cuba nach Portobelo und von da über die Landenge an die Küſte der Südſee. Infolge einer falſchen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich über 3600 km in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereiſen wollen. Erſt in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des beſtändigen Sekretärs der erſten Klaſſe des Inſtitutes, daß Kapitän Baudin um das Kap der guten Hoffnung gegangen und die Weſt - und Oſtküſte Amerikas gar19 nicht berührt habe. Nicht ohne ein Gefühl von Wehmut ge - denke ich einer Expedition, die mehrfach in mein Leben ein - greift, und die kürzlich von einem Gelehrten1Peron, der nach langen ſchmerzlichen Leiden im 35. Jahre der Wiſſenſchaft entriſſen wurde. beſchrieben worden iſt, den die Menge der Entdeckungen, welche die Wiſſenſchaft ihm dankt, und der aufopfernde Mut, den er auf ſeiner Laufbahn unter den härteſten Entbehrungen und Leiden bewieſen, gleich hoch ſtellen.

Ich hatte auf die Reiſe nach Spanien nicht meine ganze Sammlung phyſikaliſcher, geodätiſcher und aſtronomiſcher Werk - zeuge mitnehmen können; ich hatte die Dubletten in Mar - ſeille in Verwahrung gegeben und wollte ſie, ſobald ich Gelegenheit gefunden hätte, an die Küſte der Berberei zu gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen laſſen. In ruhigen Zeiten iſt Reiſenden ſehr zu raten, daß ſie ſich nicht mit allen ihren Inſtrumenten beladen; man läßt ſie beſſer nachkommen, um nach einigen Jahren diejenigen zu erſetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport gelitten haben. Dieſe Vorſicht erſcheint beſonders dann geboten, wenn man zahlreiche Punkte durch rein chronometriſche Mittel zu beſtimmen hat. Aber während eines Seekrieges thut man klug, ſeine Inſtrumente, Handſchriften und Sammlungen fortwäh - rend bei ſich zu haben. Wie wichtig dies iſt, haben traurige Erfahrungen mir bewieſen. Unſer Aufenthalt zu Madrid und Coruña war zu kurz, als daß ich den meteorologiſchen Apparat, den ich in Marſeille gelaſſen, hätte von dort kommen laſſen können. Nach unſerer Rückkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denſelben nach der Havana zu ſchicken, aber ohne Erfolg; weder dieſer Apparat, noch die achromatiſchen Fernröhren und der Thermometer von Arnold, die ich in London beſtellt, ſind mir in Amerika zugekommen.

Getrennt von unſeren Inſtrumenten, die ſich am Bord der Korvette befanden, brachten wir noch zwei Tage in Coruña zu. Ein dichter Nebel, der den Horizont bedeckte, verkündete endlich die ſehnlich erwartete Aenderung des Wetters. Am 4. Juni abends drehte ſich der Wind nach Nordoſt, welche Windrichtung an der Küſte von Galicien in der ſchönen Jahres - zeit für ſehr beſtändig gilt. Am fünften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine engliſche Eskadre ſei vom Wacht -20 poſten Siſarga ſignaliſiert worden und ſcheine nach der Mün - dung des Tajo zu ſegeln. Die Leute, welche unſere Korvette die Anker lichten ſahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver - gehen, ſeien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, deſſen Los wir teilen müßten, auf dem Wege nach Liſſabon. Dieſe Prophe - zeiung beunruhigte uns um ſo mehr, als wir in Madrid Mexikaner kennen gelernt hatten, die ſich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeſchifft hatten, jedesmal aber faſt unmittel - bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruña fährt, iſt lang und ſchmal; da er ſich gegen Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge machen, von denen drei ſo gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer äußerſt langſam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, ſchwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung ſehr nahe an die Klippen trieb, an denen ſich das Meer mit Ungeſtüm bricht. Unſere Blicke hingen am Schloß St. Antonio, wo damals der unglückliche Malaſpina als Staatsgefangener ſaß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu beſuchen, welche dieſer bedeutende Forſcher mit ſo vielem Erfolg bereiſt hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei einem minder traurigen Gegenſtande verweilt.

Um ſechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruña als Leucht - turm dient, und auf dem man ſeit den älteſten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieſes Feuers ſteht in ſchlechtem Verhältnis mit dem ſchönen, ſtattlichen Bauwerk; es iſt ſo ſchwach, daß die Schiffe es erſt gewahr werden, wenn ſie bereits Gefahr laufen zu ſtranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See ſehr unruhig und der Wind bedeu - tend friſcher. Wir ſteuerten gegen Nordweſt, um nicht den engliſchen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in dieſen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr ſahen wir das Licht in einer Fiſcherhütte von Siſarga, das letzte, was uns von der Küſte von Europa zu Geſicht kam. Mit der zu - nehmenden Entfernung verſchmolz der ſchwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un - willkürlich blieben unſere Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em - pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft beſitzt, eine weite21 Seereiſe angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn ſo ein leuchtender Punkt in finſterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küſte des Heimatlandes bezeichnet!

Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir ſegelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellſegeln gebaut war. Um ſechs Uhr morgens wurde das Schlingern ſo heftig, daß die kleine Bramſtenge brach. Der Unfall hatte indeſſen keine ſchlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in ſo ſtark befahrenen Strichen wie die Küſten von Portugal der Gefahr auszuſetzen, auf engliſche Schiffe zu ſtoßen. Die erſten drei Tage zeigte ſich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unſere Mannſchaft, die ſich auf kein Gefecht einlaſſen konnte.

Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelſen, die dieſes Vor - gebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den Berg Corcu - bion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Kap Finisterre iſt niedriger als das Land umher, aber die Toriñona iſt auf hoher See 76,5 km weit ſichtbar, woraus folgt, daß die höchſten Gipfel derſelben nicht unter 582 m hoch ſein können.

Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Maſten ein engliſches Konvoi ſignaliſiert, das gegen Südoſt an der Küſte hinſteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unſerem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Dieſe Vorſicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeſchrieben iſt, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwaſſers zu beobachten oder an der Teilung der aſtronomiſchen In - ſtrumente die Zahlen abzuleſen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, iſt man unter dieſen Umſtänden ſchon um ſechs Uhr abends außer Thätig - keit geſetzt. Dies war für mich um ſo verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konſtitution nie ſeekrank wurde, und ſo oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.

Eine Fahrt von der ſpaniſchen Küſte nach den Kanarien22 und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es iſt weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebniſſe meiner magnetiſchen und meteorologiſchen Verſuche in dieſem Meeres - ſtriche mit.

Am 9. Juni, unter 39° 50′ der Breite und 16° 10′ weſtlicher Länge vom Meridian der Pariſer Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu ſpüren, welche von den Azoriſchen Inſeln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanariſchen Inſeln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudſchen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinſten Aenderungen in der Richtung und Geſchwindigkeit der Strö - mungen bemerken. Zwiſchen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Oſt getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Oſt ¼ Südoſt, aber in der Nähe der Meerenge wurde ſie genau Oſt. Kapitän Macintoſh und einer der gebildetſten Seefahrer unſerer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver - änderungen beobachtet, welche in dieſer Bewegung des Waſſers zu verſchiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht ſelten vor, daß Schiffer, welche die Kanariſchen Inſeln beſuchen, ſich an der Küſte von Lancerota befinden, während ſie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand ſich auf ſeiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angeſicht der Inſel Ferro um weiter nach Oſt, als ſeine Rechnung ihm ergab.

Gemeinhin erklärt man die Strömung, die ſich zwiſchen den Azoriſchen Inſeln, der Südküſte von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Waſſer des Atlan - tiſchen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Oſten erhalte. De Fleurieu behauptet ſogar in den An - merkungen zur Reiſe des Kapitän Marchand, der Umſtand, daß das Mittelmeer durch die Verdunſtung mehr Waſſer verliere, als die Flüſſe einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge ſei 2700 km weit auf offener See zu ſpüren. Bei aller Hoch - achtung, die ich einem Seefahrer ſchuldig bin, deſſen mit Recht ſehr geſchätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir geſtattet ſein, dieſen wichtigen Gegenſtand aus einem weit allgemeineren Geſichtspunkte zu betrachten.

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Wirft man einen Blick auf das Atlantiſche Meer, oder das tiefe Thal, das die Weſtküſten von Europa und Afrika von den Oſtküſten des neuen Kontinents trennt, ſo bemerkt man in der Bewegung der Waſſer entgegengeſetzte Richtungen. Zwiſchen den Wendekreiſen, namentlich zwiſchen der afrikani - ſchen Küſte am Senegal und dem Meere der Antillen geht die allgemeine, den Seefahrern am längſten bekannte Strö - mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieſelbe wird mit dem Namen Aequinoktialſtrom bezeichnet. Die mittlere Geſchwindigkeit derſelben unter verſchiedenen Breiten iſt ſich im Atlantiſchen Ozean und in der Südſee ungefähr gleich. Man kann ſie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, ſomit auf 0,18 bis 0,21 m in der Sekunde ſchätzen. 1Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemiſphären anzuſtellen Gelegenheit gehabt, mit denen zuſammengeſtellt, die in den Werken von Cook, Lapérouſe, d’Entrecaſteaux, Vancouver, Ma - cartney, Kruſenſtern und Marchand gegeben ſind, und danach ſchwankt die Geſchwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den Tropen zwiſchen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, ſomit zwiſchen 0,096 und 0,384 m in der Sekunde.Die Geſchwindig - keit, mit der die Waſſer in dieſen Strichen nach Weſten ſtrömen, iſt etwa ein Vierteil von der der meiſten großen europäiſchen Flüſſe. Dieſe der Umdrehung des Erdballes ent - gegengeſetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä - nomen wahrſcheinlich nur inſofern zuſammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftſchichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen, in Paſſatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoktialſtrom iſt die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Paſſatwinde verſetzt wird, und lokale Schwankungen im Zuſtande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geſchwindigkeit der Strömung.

Im Kanal, den der Atlantiſche Ozean zwiſchen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die Paſſatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd - Weſt unterbrochen werden, iſt die Richtung des Aequinoktial - ſtromes weniger konſtant. Der afrikaniſchen Küſte zu werden die Schiffe nach Südoſt fortgetrieben, während der Aller - heiligenbai und dem Vorgebirge St. Auguſtin zu, denen die24 Schiffe, die nach der Mündung des La Plata ſteuern, nicht gern nahe kommen, der allgemeine Zug der Waſſer durch eine beſondere Strömung maskiert iſt. Letztere Strömung iſt vom Kap St. Roch bis zur Inſel Trinidad fühlbar, ſie iſt gegen Nordweſt gerichtet mit einer Geſchwindigkeit von 32 bis 48 cm in der Sekunde.

Der Aequinoktialſtrom iſt, wenn auch ſchwach, ſogar jen - ſeits des Wendekreiſes des Krebſes unter 26 und 28° der Breite fühlbar. Im weiten Becken des Atlantiſchen Ozeans, 3150 bis 3600 km von der afrikaniſchen Küſte, beſchleunigt ſich der Lauf der europäiſchen Schiffe, welche nach den An - tillen gehen, ehe ſie in die heiße Zone gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 18. bis 35. Grad, zwiſchen den Pa - rallelkreiſen von Tenerifa und Ceuta, unter 46 und 48° der Länge, bemerkt man keine konſtante Bewegung; denn eine 655 km breite Zone trennt den Aequinoktialſtrom, der nach Weſt geht, von der großen Waſſermaſſe, die nach Oſt ſtrömt und ſich durch auffallend hohe Temperatur auszeichnet. Auf dieſe Waſſermaſſe, bekannt unter dem Namen Golfſtrom (Gulf-stream), ſind die Phyſiker ſeit 1776 durch Franklins und Sir Charles Blagdens ſchöne Beobachtungen aufmerkſam geworden. Da in neuerer Zeit amerikaniſche und engliſche Seefahrer eifrig bemüht ſind, die Richtung desſelben zu er - mitteln, ſo müſſen wir weiter ausholen, um einen allgemeinen Geſichtspunkt für das Phänomen zu gewinnen.

Der Aequinoktialſtrom treibt die Waſſer des Atlantiſchen Ozeans an die Küſten der Moskitoindianer und von Hon - duras. Der von Süd nach Nord geſtreckte neue Kontinent hält dieſe Strömung auf wie ein Damm. Die Gewäſſer er - halten zuerſt die Richtung nach Nordweſt, gelangen durch die Meerenge zwiſchen Kap Catoche und Kap St. Antonio in den Meerbuſen von Mexiko, und folgen den Krümmungen der mexikaniſchen Küſte von Veracruz zur Mündung des Rio del Norte, und von da zur Mündung des Miſſiſſippi und den Untiefen weſtwärts von der Oſtſpitze von Florida. Nach dieſer großen Drehung nach Weſt, Nord, Oſt und Süd nimmt die Strömung wieder die Richtung nach Nord und drängt ſich mit Ungeſtüm in den Kanal von Bahama. Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27° der Breite, eine Ge - ſchwindigkeit von 360 km in 24 Stunden, alſo von 1,60 m in der Sekunde beobachtet, obgleich gerade ein ſehr ſtarker Nordwind wehte. Beim Ausgang des Kanals von Bahama,25 unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt ſich der Golf - ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig - keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge - irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen - den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er - höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 km, unter 28½° Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge - ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 km. Die Gewäſſer des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum 17,5° warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges.

Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41° 25′ der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er ſich auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone, die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis 22,5°. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank ſind um 9,4° kälter als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um kälter als26 der Strom. Dieſe Zonen können ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene Wärmequelle oder einen Grund der Wärmeerniedrigung hat, und beide Momente be - ſtändig fortwirken. 1Wenn es ſich von der Meerestemperatur handelt, hat man ſorgfältig vier ganz geſonderte Erſcheinungen zu unterſcheiden: 1) die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche unter verſchiedenen Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten; 3) den Einfluß der Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Tem - peratur der Strömungen, die mit konſtanter Geſchwindigkeit die Gewäſſer der einen Zone durch die ruhenden Gewäſſer der anderen hindurchführten.

Von der Bank von Neufundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den Azoren bleibt der Golfſtrom nach Oſt oder Oſt-Süd-Oſt gerichtet. Noch immer wirkt hier in den Gewäſſern der Stoß nach, den ſie 4500 km von da in der Meerenge von Florida, zwiſchen der Inſel Cuba und den Un - tiefen der Schildkröteninſeln, erhalten haben. Dieſe Ent - fernung iſt das Doppelte von der Länge des Laufes des Amazonenſtromes von Jaen oder dem Paß von Manſeriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inſeln Corvo und Flores, der weſtlichſten der Gruppe der Azoren, nimmt die Strömung eine Meeresſtrecke von 720 km in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rückreiſe aus Südamerika nach Europa dieſe beiden Inſeln aufſuchen, um ihre Länge zu berichtigen, ſo gewahren ſie immer deutlich den Zug des Waſſers nach Südoſt. Unter 33° der Breite rückt der tropiſche Aequinoktial - ſtrom dem Golfſtrom ſehr nahe. In dieſem Striche des Welt - meeres kann man an einem Tage aus den Gewäſſern, die nach Weſt laufen, in diejenigen gelangen, die nach Südoſt oder Oſt-Süd-Oſt ſtrömen.

Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida ſeine Richtung gegen die Meerenge von Gibraltar, die Inſel Ma - deira und die Gruppe der Kanarien. Die Pforte bei den Säulen des Herkules beſchleunigt ohne Zweifel den Zug des Waſſers gegen Oſt. Und in dieſem Sinne mag man mit Recht behaupten, die Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlan - tiſcher Ozean zuſammenhängen, äußere ihren Einfluß auf weite Ferne; ſehr wahrſcheinlich würden aber, auch wenn die Meer - enge nicht beſtünde, Fahrzeuge, die nach Tenerifa ſegeln, den -27 noch nach Südoſt getrieben, und zwar infolge eines An - ſtoßes, deſſen Urſprung man an den Küſten der Neuen Welt zu ſuchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen ſich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man ſich Rechenſchaft von dem Wechſel in ihrer Geſchwindigkeit, warum ſie bald abnimmt, wie zwiſchen dem Kanal von Ba - hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächſt, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanariſchen Inſeln, ſo kann man nicht darüber im Zweifel ſein, daß dieſelbe Urſache, welche die Gewäſſer im Meerbuſen von Mexiko herumdreht, ſie auch bei der Inſel Madeira in Bewegung ſetzt.

Südlich von letztgenannter Inſel läßt ſich die Strömung in ihrer Richtung nach Südoſt und Süd-Süd-Oſt gegen die Küſte von Afrika zwiſchen Kap Cantin und Kap Bojador ver - folgen. In dieſen Strichen ſieht ſich ein Schiff bei ſtillem Wetter nahe an der Küſte, wenn es ſich nach der nicht be - richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Iſt die Oeffnung bei Gibraltar die Urſache der Bewegung des Waſſers, warum hat denn die Strömung ſüdlich von der Meerenge nicht die entgegengeſetzte Richtung? Im Gegenteil aber geht ſie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erſt gerade nach Süd und dann nach Südweſt. Kap Blanc, nach Kap Verd das am weiteſten ſich hinausſtreckende Vorgebirge, ſcheint Einfluß auf dieſe Richtung zu äußern, und unter der Breite desſelben miſchen ſich die Waſſer, deren Bewegung wir von der Küſte von Honduras bis zur afrikaniſchen verfolgt haben, mit dem großen tropiſchen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer weſtwärts von den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewäſſer ſchon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Inſel Ferro kommen die Schiffe ſüdwärts bis zum Wendekreiſe des Krebſes, ehe ſie ſich nach der Schätzung oſtwärts von ihrer wahren Länge befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropiſchen Stromes und der Paſſatwinde nach den Jahreszeiten ſich verſchiebt, ſo zeigt ſich auch der Golfſtrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Dieſe Schwankungen ſind beſonders auffallend vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,28 ebenſo zwiſchen dem 48. Grad weſtlicher Länge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechſelnden Winde in der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eiſes am Nord - pol, von wo in den Monaten Juli und Auguſt eine bedeutende Maſſe ſüßen Waſſers nach Süden abfließt, erſcheinen als die vornehmſten Urſachen, aus welchen ſich in dieſen hohen Breiten Stärke und Richtung des Golfſtromes verändern.

Wir haben geſehen, daß zwiſchen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewäſſer des Atlantiſchen Ozeans mittels Strömungen fortwährend im Kreiſe umhergeführt worden. Angenommen, ein Waſſerteilchen gelange zu derſelben Stelle zurück, von der es ausgegangen, ſo läßt ſich nach dem, was wir bis jetzt von der Geſchwindigkeit der Strömungen wiſſen, berechnen, daß es zu ſeinem 17100 km langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes abſähe, gelangte in drei - zehn Monaten von den Kanariſchen Inſeln an die Küſte von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbuſen von Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild - kröteninſeln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufundland. Die Geſchwindigkeit der rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küſte von Afrika iſt ſchwer zu ſchätzen; nimmt man ſie im Mittel auf 31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, ſo ergeben ſich für dieſe letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches ſind die Wirkungen des langſamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewäſſer des Ozeans herumführt. Das Waſſer des Ama - zonenſtromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa 45 Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela odorata, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieſer ameri - kaniſche Baum wächſt nur unter den Tropen oder in den zu - nächſt angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küſte von Terra Firma oder Honduras abgeriſſen worden. Die Beſchaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenſcheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem der unterſeeiſchen Wälder herrührte, welche durch alte Erd - umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet worden ſind. Wäre der Cedrelaſtamm, ſtatt bei Tenerifa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt,29 ſo wäre er wahrſcheinlich rings um den ganzen Atlantiſchen Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropiſchen Stromes wieder in ſein Heimatland gelangt. Dieſe Ver - mutung wird durch einen älteren Fall unterſtützt, deſſen Abbé Viera in ſeiner allgemeinen Geſchichte der Kanarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Inſel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa gehen ſollte, auf die hohe See getrieben, als ſich niemand von der Mannſchaft an Bord befand. Der Zug der Gewäſſer von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küſte von Guyana bei Caracas ſtrandete.

Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunſt noch wenig ent - wickelt war, bot der Golfſtrom dem Geiſte eines Chriſtoph Kolumbus ſichere Anzeichen vom Daſein weſtwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem unbekannten Menſchenſtamme angehörten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den Azoriſchen Inſeln ans Land geworfen. Ungefähr um dieſelbe Zeit fand Kolumbus Schwa - ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieſer Inſel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö - mung und den Weſtwinden angeſchwemmt worden waren. Dieſe Leichname und dieſe Rohre machten den genueſiſchen Seemann aufmerkſam; er erriet, daß beide von einem gegen Weſt gelegenen Feſtlande herrühren mußten. Wir wiſſen jetzt, daß in der heißen Zone die Paſſatwinde und der tropiſche Strom ſich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um - drehung der Erde widerſetzen. Erzeugniſſe der Neuen Welt können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden Früchte verſchiedener Bäume der Antillen an den Küſten der Inſeln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Kanarier, dieſe Früchte kommen von der bezauberten Inſel St. Borondon, die nach den See - mannsmärchen und nach gewiſſen Sagen weſtwärts in einem Striche des Ozeans liegen ſollte, der beſtändig in Nebel ge - hüllt ſei.

Mit dieſer Ueberſicht der Strömungen im Atlantiſchen Meere wollte ich hauptſächlich darthun, daß der Zug der Ge - wäſſer gegen Südoſt, von Kap St. Vincent zu den Kanari - ſchen Inſeln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung iſt, in der ſich die Oberfläche des Ozeans an ſeinem Weſtende be - findet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golf -30 ſtromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südweſt nach Nordoſt gegen die Küſten von Europa gerichtet iſt. Dieſe Abteilung des Stromes wird ſehr reißend, wenn der Wind lange aus Weſt geblaſen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor - überſtreicht, wirft er alle Jahre an die Weſtküſten von Ir - land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdſtrich Amerikas eigentümlich ſind. Am Strande der He - briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verſchiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Feſtlande. Die Strömung treibt nicht ſelten wohl erhaltene Fäſſer mit fran - zöſiſchem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben dieſen Beiſpielen von den weiten Wanderungen der Gewächſe ſtehen andere, welche die Ein - bildungskraft beſchäftigen. Die Trümmer des engliſchen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der ſchottiſchen Küſte gefunden. In denſelben Strichen kommen zuweilen verſchiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Weſtwind lange angehalten, ſo entſteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küſten von Grönland und Labrador bis nord - wärts von Schottland gerade nach Oſt-Süd-Oſt gerichtet iſt. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikaniſche Wilde vom Stamme der Es - kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verſchlagen, mittels der Strömung zu den orkadi - ſchen Inſeln. Dieſer letztere Fall verdient um ſo mehr Auf - merkſamkeit, als man daraus zugleich erſieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be - wegung der Gewäſſer des Ozeans ein Mittel werden konnte, um die verſchiedenen Menſchenſtämme über die Erde zu ver - breiten.

Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfſtromes, ſowie über die Fortſetzung desſelben gegen die Küſten von Europa und Afrika wiſſen, iſt die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verſchiedenen Richtungen über das Atlan - tiſche Meer gefahren ſind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten weſentlich beitragen kann, ſo wäre es von ſo großem Belang für die praktiſche Seemanns - kunſt, als wiſſenſchaftlich von Intereſſe, wenn Schiffe mit31 vorzüglichen Chronometern im Meerbuſen von Mexiko und im nördlichen Ozean zwiſchen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zum Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abſtande ſich der Golfſtrom in den verſchiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der verſchiedenen Winde ſüdlich von der Mündung des Miſſiſſippi und oſtwärts von den Vorgebirgen Hatteras und Codd hält. Dieſelben könnten zu unterſuchen haben, ob der große Strom von Florida be - ſtändig am öſtlichen Ende der Bank von Neufundland hin - ſtreicht, und unter welchem Parallel zwiſchen dem 32. und 40. Grad weſtlicher Länge die Gewäſſer, die von Oſt nach Weſt ſtrömen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am nächſten gerückt ſind. Die Löſung der letzteren Frage iſt deſto wichtiger, als die meiſten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückkehren, die bezeichneten Striche befahren. Neben der Richtung und Geſchwindigkeit der Strömungen könnte ſich eine ſolche Expedition mit Beobachtungen über die Meeres - temperatur, über die Linien ohne Abweichung, die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft beſchäftigen. Beobachtungen dieſer Art erhalten einen hohen Wert, wenn der Punkt, wo ſie angeſtellt werden, aſtronomiſch beſtimmt iſt. Auch in den von Europäern am ſtärkſten be - ſuchten Meeren, weit von jeder Küſte, kann ein unterrichteter Seemann der Wiſſenſchaft wichtige Dienſte leiſten. Die Ent - deckung einer unbewohnten Inſelgruppe iſt von geringerem Intereſſe, als die Kenntnis der Geſetze, welche um eine Menge vereinzelter Thatſachen das einigende Band ſchlingen.

Denkt man den Urſachen der Strömungen nach, ſo er - kennt man, daß ſie viel häufiger vorkommen müſſen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewäſſer des Meeres können durch gar mancherlei in Bewegung geſetzt werden, durch einen äußeren Anſtoß, durch Verſchiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch das zeitweiſe Schmelzen des Polareiſes, end - lich durch das ungleiche Maß der Verdunſtung unter ver - ſchiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieſer Urſachen zum ſelben Effekt zuſammen, bald bringen ſie entgegengeſetzte Effekte hervor. Schwache, aber beſtändig in einem ganzen Erdgürtel wehende Winde, wie die Paſſatwinde, bedingen eine Bewegung vorwärts, wie wir ſie ſelbſt bei den ſtärkſten Stürmen nicht beobachten, weil dieſe auf ein kleines Gebiet beſchränkt ſind. Wenn in einer großen Waſſermaſſe die Waſſer -32 teilchen an der Oberfläche ſpezifiſch verſchieden ſchwer werden, ſo bildet ſich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Waſſer am kälteſten iſt, oder am meiſten ſalzſaures Natron, ſchwefelſauren Kalk und ſchwefelſaure oder ſalzſaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den Wendekreiſen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis der hundertteiligen Skale. Dies ergibt ſich aus zahlreichen Be - obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in dieſen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° ſinkt, ſo kann das Waſſer einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Waſſers ſo nahe gerückten Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Exiſtenz ſolcher kalten Waſſerſchichten in niederen Breiten weiſt ſomit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; ſie weiſt ferner darauf hin, daß die Salze, welche das ſpezifiſche Gewicht des Waſſers verändern, im Ozean ſo verteilt ſind, daß ſie die von der Verſchiedenheit im Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die Waſſerteilchen je nach der Breite eine verſchiedene Geſchwindig - keit haben, ſo ſollte man vorausſetzen, daß jede von Süd nach Nord gehende Strömung zugleich nach Oſt, die Gewäſſer dagegen, die vom Pol zum Aequator ſtrömen, nach Weſt ab - lenken müßten. Man ſollte ferner glauben, daß dieſe Neigung den tropiſchen Strom bis zu einem gewiſſen Grade einerſeits verlangſamen, andererſeits dem Polarſtrome, der ſich im Juli und Auguſt, wenn das Eis ſchmilzt, unter der Breite der Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein - ſtellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautiſche Beobachtungen, die ich zu beſtätigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers verglich, widerſprechen dieſen theoretiſchen An - nahmen. In beiden Hemiſphären weichen die Polarſtröme, wenn ſie merkbar ſind, ein wenig nach Oſt ab, und nach unſerer Anſicht iſt der Grund dieſer Erſcheinung in der Be - ſtändigkeit der in hohen Breiten herrſchenden Weſtwinde zu ſuchen. Ueberdies bewegen ſich die Waſſerteilchen nicht mit derſelben Geſchwindigkeit wie die Luftteilchen, und die ſtärkſten Meeresſtrömungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m in der Sekunde zurück; es iſt demnach höchſt wahrſcheinlich, daß das Waſſer, indem es durch verſchiedene Breiten geht, die denſelben entſprechende Geſchwindigkeit annimmt, und daß33 die Umdrehung der Erde ohne Einfluß auf die Richtung der Strömungen bleibt.

Der verſchiedene Druck, dem die Meeresfläche infolge der wechſelnden Schwere der Luft unterliegt, erſcheint als eine weitere Urſache der Bewegung, die beſonders ins Auge zu faſſen iſt. Es iſt bekannt, daß die Schwankungen des Baro - meters im allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei auseinander liegenden, im ſelben Niveau befindlichen Punkten eintreten. Wenn am einen dieſer Punkte der Barometer einige Linien tiefer ſteht als am anderen, ſo wird ſich dort das Waſſer in - folge des geringeren Luftdruckes erheben, und dieſe örtliche Anſchwellung wird andauern, bis durch den Wind das Gleich - gewicht der Luft wiederhergeſtellt iſt. Nach Vauchers Anſicht rühren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die ſogenannten Seiches , eben davon her. In der heißen Zone können die ſtündlichen Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresfläche hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdruckes ent - ſpricht, zwiſchen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das Queckſilber am höchſten ſteht; aber dieſe Schwingungen, wenn ſie überhaupt merkbar ſind, können keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge haben.

Ueberall wo eine ſolche durch die Ungleichheit im ſpezi - fiſchen Gewicht der Waſſerteile entſteht, bildet ſich ein doppelter Strom, ein oberer und ein unterer, die entgegengeſetzte Rich - tungen haben. Daher iſt in den meiſten Meerengen wie in den tropiſchen Meeren, welche die kalten Gewäſſer der Polar - regionen aufnehmen, die ganze Waſſermaſſe bis zu bedeutender Tiefe in Bewegung. Wir wiſſen nicht, ob es ſich ebenſo ver - hält, wenn die Vorwärtsbewegung, die man nicht mit dem Wellenſchlage verwechſeln darf, Folge eines äußeren Anſtoßes iſt. De Fleurieu führt in ſeinem Bericht über die Expedition der Iſis mehrere Thatſachen an, die darauf hinweiſen, daß das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig iſt, als die Phy - ſiker gewöhnlich annehmen. Ohne hier auf eine Unterſuchung einzugehen, mit der wir uns in der Folge zu beſchäftigen haben werden, bemerken wir nur, daß, wenn der äußere An - ſtoß ein andauernder iſt, wie bei den Paſſatwinden, durch die gegenſeitige Reibung der Waſſerteilchen die Bewegung not - wendig von der Meeresfläche ſich auf die tieferen Waſſer - ſchichten fortpflanzen muß. Eine ſolche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer beim Golfſtrom ſchon lange an; auf dieA. v. Humboldt, Reiſe. I. 334Wirkungen derſelben ſcheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten, welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, ſogar mitten in den Sandbänken an den Nordküſten der Vereinigten Staaten. Dieſer ungeheure Strom warmen Waſſers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be - deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis von ſeiner urſprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Maſſe und der Umſtand, daß das Waſſer ein ſchlechter Wärmeleiter iſt, machen, daß die Ab - kühlung nicht raſcher erfolgt. Wenn ſich ſomit der Golfſtrom auf dem Boden des Atlantiſchen Ozeans ein Bett gegraben hat, und wenn ſeine Gewäſſer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung ſind, ſo müſſen ſie auch in ihren unteren Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter derſelben Breite Meeresſtriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Dieſe Fragen ſind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels des Senkbleies mit Thermometer zu löſen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den Kanariſchen Inſeln gerate man in die Strö - mung und dieſelbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe nach Südoſt. Auf unſerer Fahrt von Coruña nach Süd - amerika machte ſich der Einfluß dieſes Zuges der Waſſer noch weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung ſehr ungleich; ſie betrug täglich im Mittel 54 km, das heißt unſere Korvette wurde in ſechs Tagen um 133 km gegen Oſt abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar ſchnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in dieſen Strichen das Maximum der Geſchwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer - enge ſelbſt entſpricht, ſondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Kap Vincent zieht. Dieſe Linie läuft von der Gruppe der Azoriſchen Inſeln bis zum Kap Cantin parallel mit der Richtung der Gewäſſer. Es iſt ferner zu bemerken, und der Umſtand iſt für die Phyſiker, die ſich mit der Be - wegung der Flüſſigkeiten beſchäftigen, nicht ohne Intereſſe, daß in dieſem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite von 540 bis 655 km, nicht die ganze Waſſermaſſe dieſelbe Geſchwindigkeit, noch dieſelbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen ſich an der Oberfläche ſchmale Streifen, kleinen Bächen gleich, in denen das Waſſer mit einem für das Ohr35 des geübten Schiffers wohl hörbaren Geräuſch hinſtrömt. Am 13. Juni, unter 34° 36′ nördlicher Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge ſolcher Strombetten. Wir konnten die Richtung derſelben mit dem Kompaß aufnehmen, die einen liefen nach Nordoſt, andere nach Oſt-Nord-Oſt, trotzdem, daß der allgemeine Zug der See, wie die Vergleichung der Schätzung mit der chronometriſchen Länge angab, fortwährend nach Südoſt ging. Sehr häufig ſieht man eine ſtehende Waſſer - maſſe von Waſſerfäden durchzogen, die nach verſchiedenen Rich - tungen ſtrömen; ſolches kann man täglich an der Oberfläche unſerer Landſeen beobachten, aber ſeltener bemerkt man ſolch partielle Bewegungen kleiner Waſſerteile infolge lokaler Ur - ſachen mitten in einem Meeresſtrome, der ſich über ungeheure Räume erſtreckt und ſich immer in derſelben Richtung, wenn auch nicht mit bedeutender Geſchwindigkeit fortbewegt. Die ſich kreuzenden Strömungen beſchäftigen unſere Einbildungs - kraft, wie der Wellenſchlag, weil dieſe Bewegungen, die den Ozean in beſtändiger Unruhe erhalten, ſich zu durchdringen ſcheinen.

Wir fuhren am Kap Vincent, das aus Baſalt beſteht, auf mehr als 360 km Entfernung vorüber. Auf 67,5 km erkennt man es nicht mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Nähe des Kaps, ſoll, wie die Steuerleute behaupten, auf 117 km in See ſichtbar ſein. Verhält es ſich wirklich ſo, ſo iſt die Foya 1363 m hoch, alſo 225 m höher als der Veſuv. Es iſt auffallend, daß die portugieſiſche Regierung kein Feuer auf einem Punkte unter - hält, nach dem ſich alle vom Kap der guten Hoffnung und vom Kap Horn kommenden Schiffe richten müſſen; nach keinem anderen Punkte wird mit ſo viel Ungeduld ausgeſchaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm des Herkules und am Kap Spichel ſind ſo ſchwach und ſo wenig weit ſicht - bar, daß man ſie gar nicht rechnen kann. Dazu wäre das Kapuzinerkloſter, das auf Kap Vincent ſteht, ganz der ge - eignete Platz zu einem Leuchtturm mit ſich drehendem Feuer, wie zu Cadiz und an der Garonnemündung.

Seit unſerer Abfahrt von Coruña und bis zum 36. Breiten - grad hatten wir außer Meerſchwalben und einigen Delphinen faſt kein lebendes Weſen geſehen. Umſonſt ſahen wir uns nach Tangen und Weichtieren um. Am 11. Juni aber hatten wir ein Schauſpiel, das uns höchlich überraſchte, das wir aber ſpäter in der Südſee häufig genoſſen. Wir gelangten in einen36 Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Meduſen bedeckt war. Das Schiff ſtand beinahe ſtill, aber die Weich - tiere zogen gegen Südoſt, viermal raſcher als die Strömung. Ihr Vorüberzug währte beinahe drei Viertelſtunden, und dann ſahen wir nur noch einzelne Individuen dem großen Haufen, wie wandermüde, nachziehen. Kommen dieſe Tiere vom Grunde des Meeres, das in dieſen Strichen wohl mehrere tauſend Meter tief iſt? oder machen ſie in Schwärmen weite Züge? Wie man weiß, lieben dieſe Weichtiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem Waſſerſpiegel, welche Kapitän Vobonne im Jahre 1832 nordwärts von der Inſel Porto Santo geſehen haben will, wirklich vorhanden ſind, ſo läßt ſich annehmen, daß dieſe ungeheure Maſſe von Meduſen dorther kam, denn wir befanden uns nur 126 km von jenen Klippen. Wir erkannten neben der Medusa aurita von Baſter und der M. pelagica von Bosc mit acht Ten - takeln (Pelagia denticulata, Peron) eine dritte Art, die ſich der M. hysocella nähert, die Vandelli an der Mündung des Tajo gefunden hat. Sie iſt ausgezeichnet durch die braun - gelbe Farbe und dadurch, daß die Tentakeln länger ſind als der Körper. Manche dieſer Meerneſſeln hatten 10 cm im Durchmeſſer; ihr faſt metalliſcher Glanz, ihre violett und purpurn ſchillernde Färbung hob ſich vom Blau der See äußerſt angenehm ab.

Unter den Meduſen fand Bonpland Bündel der Dagysa notata, eines Weichtieres von ſonderbarem Bau, das Sir Joſeph Banks zuerſt kennen gelehrt hat. Es ſind kleine gallertartige Säcke, durchſichtig, walzenförmig, zuweilen viel - eckig, 3 mm lang, 0,5 bis 0,7 mm im Durchmeſſer. Dieſe Säcke ſind an beiden Enden offen. An der einen Oeffnung zeigt ſich eine durchſichtige Blaſe mit einem gelben Fleck. Dieſe Cylinder ſind der Länge nach aneinander geklebt wie Bienen - zellen und bilden 16 bis 21 cm lange Schnüre. Umſonſt verſuchte ich die galvaniſche Elektrizität an dieſen Weichtieren; ſie brachte keine Zuſammenziehung hervor. Die Gattung Dagysa, die zur Zeit von Cooks erſter Reiſe zuerſt aufgeſtellt wurde, ſcheint zu den Salpen zu gehören. Auch die Salpen wandern in Schwärmen, wobei ſie ſich zu Schnüren anein - ander hängen, wie wir bei der Dagysa geſehen.

Am 13. Juni morgens unter 34° 33′ Breite ſahen wir wieder bei vollkommen ruhiger See große Haufen des letzt - erwähnten Tieres vorbeitreiben. Bei Nacht machten wir die37 Beobachtung, daß alle drei Meduſenarten, die wir gefangen, nur leuchteten, wenn man ſie ganz leicht anſtieß. Dieſe Eigenſchaft kommt alſo nicht der von Forskael in ſeiner Fauna Aegyptiaca beſchriebenen Medusa noctiluca allein zu, die Gmelin mit der Medusa pelagica Löflings vereinigt, obgleich ſie rote Tentakeln und braune Körperwarzen hat. Legt man eine ſehr reizbare Meduſe auf einen Zinnteller und ſchlägt mit irgend einem Metall an den Teller, ſo wird das Tier ſchon durch die leichte Schwingung des Zinnes leuchtend. Gal - vaniſiert man Meduſen, ſo zeigt ſich zuweilen der phosphoriſche Schein im Moment, wo man die Kette ſchließt, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht unmittelbar be - rühren. Die Finger, mit denen man es berührt, bleiben ein paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehäuſe der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Körper einer Meduſe und leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, ſo erſcheint der Schimmer wieder, wenn man mit der trockenen Hand über das Holz fährt. Iſt derſelbe wieder verſchwunden, ſo läßt er ſich nicht noch einmal hervorrufen, wenn auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig iſt. Wie wirkt in dieſem Falle die Reibung oder der Stoß? Die Frage iſt ſchwer zu beantworten. Ruft etwa eine kleine Temperaturerhöhung den Schein hervor, oder kommt er wieder, weil man die Oberfläche erneuert und ſo die Teile des Tieres, welche den Phosphorwaſſerſtoff entbinden, mit dem Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft in Berührung bringt? Ich habe durch Verſuche, die im Jahre 1797 veröffentlicht worden, dar - gethan, daß Scheinholz in reinem Waſſerſtoff und Stickſtoff nicht mehr leuchtet, und daß der Schein wiederkehrt, ſobald man die kleinſte Blaſe Sauerſtoff in das Gas treten läßt. Dieſe Thatſachen, deren wir in der Folge noch mehrere an - führen werden, bahnen uns den Weg zur Erklärung des Meerleuchtens und des beſonderen Umſtandes, daß das Er - ſcheinen des Lichtſchimmers mit dem Wellenſchlag in Zuſammen - hang ſteht.

Zwiſchen Madeira und der afrikaniſchen Küſte hatten wir gelinde Winde oder Windſtille, wodurch ich mich bei den magnetiſchen Verſuchen, mit denen ich mich bei der Ueberfahrt beſchäftigte, ſehr gefördert ſah. Wir wurden nicht ſatt, die Pracht der Nächte zu bewundern; nichts geht über die Klar - heit und Heiterkeit des afrikaniſchen Himmels. Wir wunderten uns über die ungeheure Menge Sternſchnuppen, die jeden38 Augenblick niedergingen. Je weiter wir nach Süden kamen, deſto häufiger wurden ſie, beſonders bei den Kanariſchen Inſeln. Ich glaube auf meinen Reiſen die Beobachtung gemacht zu haben, daß dieſe Feuermeteore überhaupt in manchen Land - ſtrichen häufiger vorkommen und glänzender ſind als in an - deren. Nie ſah ich ihrer ſo viele als in der Nähe der Vulkane der Provinz Quito und in der Südſee an der vulkaniſchen Küſte von Guatemala. Der Einfluß, den Oertlichkeit, Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternſchnuppen zu haben ſcheinen, trennt dieſe Klaſſe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrſcheinlich dem Weltraume außerhalb unſeres Luft - kreiſes angehören. Nach den übereinſtimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erſcheinen in Europa viele Sternſchnuppen nicht mehr als 58470 m über der Erde. Man hat ſogar eine gemeſſen, die nur 27280 m hoch war. Es wäre zu wünſchen, daß dergleichen Meſſungen, die nur annähernde Reſultate ergeben können, öfters wiederholt würden. In den heißen Landſtrichen, beſonders unter den Tropen, zeigen die Sternſchnuppen einen Schweif, der noch 12 bis 15 Sekunden fortleuchtet; ein andermal iſt es, als platzten ſie und zerſtieben in mehrere Lichtfunken, und im allgemeinen ſind ſie viel weiter unten in der Luft als im nördlichen Eu - ropa. Man ſieht ſie nur bei heiterem, blauem Himmel, und unter einer Wolke iſt wohl noch nie eine beobachtet worden. Häufig haben die Sternſchnuppen ein paar Stunden lang eine und dieſelbe Richtung, und dies iſt dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Luſſac und ich Lichterſcheinungen beobachtet, die denen, welche mich bei meinem langen Aufenthalt in Mexiko und Quito be - ſchäftigten, ſehr ähnlich waren. Das Weſen dieſer Meteore hängt vielleicht ab von der Beſchaffenheit von Boden und Luft, gleich gewiſſen Erſcheinungen von Luftſpiegelung und Strahlenbrechung an der Erdoberfläche, wie ſie an den Küſten von Kalabrien und Sizilien vorkommen.

Wir bekamen auf unſerer Fahrt weder die Inſeln De - ſiertas noch Madeira zu Geſicht. Gerne hätte ich die Länge dieſer Inſeln berichtigt und von den vulkaniſchen Bergen nord - wärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De Borda be - richtet, man ſehe dieſe Berge auf 90 km, was nur auf eine Höhe von 806 m hinwieſe; wir wiſſen aber, daß nach neueren Meſſungen der höchſte Gipfel von Madeira 1573 m hoch iſt. Die kleinen Inſeln Deſiertas und Salvages, auf denen man39 Orſeille und Mesembryanthemum crystallinum ſammelt, haben nicht 390 m ſenkrechter Höhe. Es ſcheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Beſtimmungen hinzu - weiſen, weil ſich mittels einer Methode, deren in dieſer Reiſe - beſchreibung öfter Erwähnung geſchieht und deren ſich Borda, Lord Mulgrave, de Roſſel und Don Cosme Churruca auf ihren Reiſen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinſtrumenten nimmt, mit hin - länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit ſich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Inſel befindet.

Als wir 180 km oſtwärts von Madeira waren, ſetzte ſich eine Schwalbe auf die Marsſtange. Sie war ſo müde, daß ſie ſich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchſchwalbe (Hi - rundo rustica, Lin.). Was mag einen Vogel veranlaſſen, in dieſer Jahreszeit und bei ſtiller Luft ſo weit zu fliegen? Bei d’Entrecaſteaux Expedition ſah man gleichfalls eine Rauch - ſchwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, ſie komme eben aus Europa. Wir befuhren dieſe Striche im Juni, und ſeit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf - gerührt. Ich betone den letzteren Umſtand, weil kleine Vögel, ſogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verſchlagen werden, wie wir es in der Südſee, weſtwärts von der Küſte von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Inſel Lanzarote, einer der ſieben großen Kanarien, anzulegen, um ſich zu erkundigen, ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einſchlagen ſollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich faſt immer zweimal des Tages beſtimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir ſchon unter 29° 26′ der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs und ſteuerte gegen Oſt. Da zeigte ſich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er - ſchien. Um 5 Uhr, bei niedriger ſtehender Sonne, lag die Inſel Lanzarote ſo deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges meſſen konnte, der majeſtätiſch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten,40 der in der Nacht vom 1. September 1730 ſo große Ver - heerungen angerichtet hat.

Die Strömung trieb uns ſchneller gegen die Küſte, als wir wünſchten. Im Hinfahren ſahen wir zuerſt die Inſel Fuerteventura, bekannt durch die vielen Kamele,1Dieſe Kamele, die zum Feldbau dienen und deren Fleiſch man im Lande zuweilen eingeſalzen ißt, lebten hier nicht vor der Eroberung der Inſeln durch die Béthencourts. Im 16. Jahrhundert hatten ſich die Eſel auf Fuerteventura dergeſtalt vermehrt, daß ſie verwildert waren und man Jagd auf ſie machen mußte. Man ſchoß ihrer mehrere tauſend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde auf Fuerteventura ſind von berberiſcher Raſſe und aus - gezeichnet ſchön. die darauf leben, und bald darauf die kleine Inſel Lobos im Kanal zwiſchen Fuerteventura und Lanzarote. Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der Mond beſchien die vulkaniſchen Gipfel von Lanzarote, deren mit Aſche bedeckte Abhänge wie Silber ſchimmerten. Antares glänzte nahe der Mondſcheibe, die nur wenige Grad über dem Horizont ſtand. Die Nacht war wunderbar heiter und friſch. Obgleich wir nicht weit von der afrikaniſchen Küſte und der Grenze der heißen Zone waren, zeigte der hundertteilige Thermometer nicht mehr als 18°. Es war, als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmaſſe vermehrte. Zum erſtenmal konnte ich an einem zweizölligen Sextanten von Troughton mit ſehr feiner Teilung den Nonius ableſen, ohne mit einer Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unſerer Reiſegefährten waren Kanarier; gleich allen Einwohnern der Inſel prieſen ſie enthuſiaſtiſch die Schönheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan ſchwere Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das ſchöne Sternbild des Skorpion. Wir ſahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren wahrſcheinlich Fiſcher, die ſich zur Fahrt rüſteten. Wir hatten auf der Reiſe fortwährend in den alten ſpaniſchen Reiſebeſchreibungen geleſ