PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II][III]
Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.
Erſter Band.
[figure]
Stuttgart. Verlag derJ. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger.
[IV]

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

[V]

Vorwort.

Einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollſtändige Ueberſetzung ſeiner Arbeiten jeder auch noch ſo geſchmackvollen Abkürzung der - ſelben vorzieht. Bouguers und La Condamines mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Teilnahme geleſen; und da jeder Reiſende gewiſſermaßen den Zuſtand der Wiſſenſchaften ſeiner Zeit, oder vielmehr die Geſichtspunkte darſtellt, welche von dem Zuſtande des Wiſſens ſeiner Zeit abhängen, ſo iſt das wiſſenſchaftliche Intereſſe um ſo lebendiger, als die Epoche der Darſtellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darſtellung des Ge - ſchehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmiſche Reſultate begründet werden, in beſonderen einzelnen Zugaben über ſtündliche Barometer - veränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intenſität der magnetiſchen Erdkraft zuſammengedrängt. Die Abſonderung ſolcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Ueberſetzung des Original - textes der Reiſe Anlaß geben können. Dieſe Betrachtung war auch geeignet, mich bald mit dem Unternehmen zu verſöhnen, einem größeren Kreiſe gebildeter Leſer, die bisher mehr mit der Natur als mit ſcientifiſchem Wiſſen befreundet waren, einen etwas abgekürzten Text der Reiſe in die Tropen - gegenden des neuen Kontinents darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich ſetze gern hinzu ange - erbter Freundſchaft meinen Arbeiten eine ſo lange und ſorg - fältige Pflege geſchenkt hat, hat mich aufgefordert, dieſe neue Ausgabe, welche einem vielſeitig unterrichteten Gelehrten,VI Herrn Bibliothekar Profeſſor Dr. Hauff anvertraut iſt, nicht bloß, ſo viel mein Uralter und meine geſunkenen Kräfte es erlauben, zu revidieren, ſondern auch mit Zuſätzen und Be - richtigungen zu bereichern. Es iſt mir eine Freude, dieſer Aufforderung zu entſprechen. Die Naturwiſſenſchaft iſt, wie die Natur ſelbſt, in ewigem Werden und Wechſel begriffen. Seit der Herausgabe des erſten Bandes der Reiſe ſind jetzt fünfundvierzig Jahre verfloſſen. Die Berichtigungen müßten alſo zahlreich ſein: in geognoſtiſcher Hinſicht wegen Bezeich - nung der Gebirgsformationen und der metamorphoſierten Ge - birge, des wohlthätigen Einfluſſes der Chemie auf die Geo - gnoſie, wie in allem, was anbetrifft die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die Urſache der verſchiedenen Krümmung monatlicher Iſothermen (nach Doves meiſterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlaßte Erweiterung des Kreiſes wiſſenſchaftlicher Anregung kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwickelungsgange phyſiſcher Forſchungen wie in dem der politiſchen Inſtitutionen iſt Stillſtand durch un - vermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen Rückſchrittes geknüpft.

Es würde mir dazu eine innige Freude ſein, noch zu er - leben, wie die Unternehmer es hoffen, daß meine in den Jahren freudig aufſtrebender Jugend ausgeführte Reiſe, deren einer Genoſſe, mein teurer Freund, Aimé Bonpland, be - reits, im hohen Alter, dahingegangen iſt, in unſerer eigenen ſchönen Sprache von demſelben deutſchen Volke mit einigem Vergnügen geleſen werde, welches mehr denn zwei Menſchen - alter hindurch mich in meinen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglückt und ſelbſt meinen ſpäteſten Arbeiten durch ſeine parteiiſche Teilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat.

Berlin, 26. März 1859.

Alexander von Humboldt.

[VII]

Vorrede des Herausgebers.

Die in den Jahren 1799 bis 1804 in Geſellſchaft von Bonpland unternommene Reiſe in das tropiſche Amerika hat Humboldts Ruhm frühe begründet. Mit den überſchwenglich reichen Ergebniſſen derſelben beginnt für zahlreiche Zweige der Naturforſchung recht eigentlich eine neue Epoche. Das Reiſe - werk, in dem er ſeine in der Neuen Welt geſammelten Beob - achtungen niederzulegen gedachte, war aber in ſo großartigem Maßſtab angelegt, daß es nur unter den glücklichſten äußeren Umſtänden vollendet werden konnte. Dieſe Gunſt der Ver - hältniſſe hat demſelben gefehlt, und mehrere Abteilungen des großen Werkes konnten nicht zu Ende geführt werden. Das erſtaunliche aſtronomiſche, hydrographiſche, geographiſche, me - teorologiſche, geologiſche, ethnographiſche, zoologiſche, botaniſche Material, das im Werk ſelbſt nicht mehr hatte an die Reihe kommen können, iſt nun allerdings auf anderen Wegen in die Wiſſenſchaft übergegangen, und ſo beſteht der Hauptverluſt, der mehr die gebildete Welt im allgemeinen als die Wiſſen - ſchaft ſelbſt betrifft, darin, daß auch derjenige Teil, der die eigentliche Reiſebeſchreibung geben ſollte, die Relation histo - rique, Bruchſtück geblieben iſt.

Dieſe Reiſebeſchreibung erſchien vom Jahre 1814 an in drei Quartbänden in franzöſiſcher Sprache. Die Umſtände, unter denen Humboldt dieſelbe in Paris ausarbeitete, machen es begreiflich, daß er dazu die Sprache wählte, welche in neuerer Zeit als Organ des wiſſenſchaftlichen wie des diplo - matiſchen Verkehrs in gewiſſem Grade an die Stelle der latei - niſchen getreten iſt. Dieſes vortreffliche Buch kann mit Recht eines der ſchönſten Denkmale des deutſchen Geiſtes heißen,VIII und jeder Deutſche, der dasſelbe kennt und zu ſchätzen weiß, muß ſich wundern, daß es nicht längſt in einer ſeiner würdigen Weiſe der deutſchen Litteratur einverleibt worden iſt, der es trotz ſeines fremden Gewandes ſeinem innerſten Grunde nach angehört. Dieſer auffallende Umſtand erklärt ſich aber aus dem widrigen Schickſal, welches das Buch erfahren.

In den Jahren 1815 bis 1829 erſchien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollſtändige deutſche Ueberſetzung jener drei Bände der Relation historique in ſechs Bänden. Dieſelbe iſt aber in ſprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er ſelbſt in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutſchland ſelten vorkommt, und ſomit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte ſich dadurch in hohem Grade abgeſtoßen; er mochte, wie er ſelbſt ſchreibt, dieſes Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutſchen Geſtalt ſeines ſchönen Werkes auszuſöhnen, daß ſeitdem verſchiedene deutſche Auszüge und Bearbeitungen der Reiſebeſchreibung er - ſchienen ſind, die bequemerweiſe nur jene Ueberſetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahlloſe Sprachſünden, Mißver - ſtändniſſe und Irrtümer herübernahmen. So ſehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunſtaltet, aber wenigſtens äußerlich voll - ſtändig iſt, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmſten Reiz rauben, indem ſie die Form ganz zerſtören, und eben damit auch die wahrhaft künſt - leriſche Anordnung desſelben kaum noch in Spuren erkennen laſſen. Humboldts Reiſebeſchreibung und ein poetiſches Werk, nicht zu übertragen, ſondern auszuziehen und umzuarbeiten, iſt ungefähr gleich verſtändig. Das Buch iſt ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunſtwerk.

Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum - boldt über die Art der deutſchen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an dieſen unter anderem folgendes:

Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwiſſenſchaft wird Ihre Reiſebeſchreibung für jeden Ge - ſchichtſchreiber eines dieſer Zweige eine wichtige Quelle bleiben,IX daneben aber die geſundeſte Nahrung, das trefflichſte An - regungsmittel für die zum Studium irgend einer Erfahrungs - wiſſenſchaft beſtimmte Jugend. Wenn ich mir vergegen - wärtige, was ich ſelbſt als Jüngling dieſem Werke ſchuldig geworden bin, ſo erkenne ich ſeinen Wert aufs lebhafteſte; aber auf dem Standpunkt meiner gegenwärtigen litterariſchen Erfahrung erkenne ich auch, in welchem Verhältnis es zu der immer wachſenden Menge derjenigen ſteht, welche ſich dilet - tantiſch mit der Wiſſenſchaft beſchäftigen, welche ſich gern bilden mögen, wenn noch ein anderer Genuß dabei iſt, als der ernſte, welcher aus dem Gefühl innerer Veredelung ent - ſpringt. Werden dieſe vom großen Namen des Verfaſſers noch ſo ſehr angezogen, ſo ſehen ſie ſich durch das bedeutende Volumen des Werkes an der Schwelle abgewieſen, und wagen ſie ſich dennoch hinein, ſo werden ſie bald gewahr, daß ſie nur über Maſſen ſtrenger Wiſſenſchaft hinweg den Schritten des Reiſenden durch die großartigſte Natur folgen könnten. Und doch iſt nach meiner Ueberzeugung in dieſem Werke ein allgemein zugängliches Buch enthalten, dem in unſerer Zeit, die auf Diffuſion des Naturwiſſens durch den Körper der Geſellſchaft ausgeht, an bildender Kraft kaum etwas gleich käme. Die Zeiten ſind vorbei, wo ganze bisher unbekannte Stücke Natur dem Seefahrer in die Hände fielen, wo ganze Idyllen, wie Tahiti, entdeckt wurden, wo der Reiſende nur zu erzählen brauchte, was er geſehen, um die Wißbegierde zu vergnügen und die Einbildungskraft zu entzünden. Von der Breite der Natur hat ſich der Geiſt der Tiefe zugewendet, und da die unwiſſenſchaftliche Neugier der immer mehr ins Detail dringenden Forſchung nicht folgen kann, ſo begreift ſich, daß heutige Reiſebeſchreibungen nicht den Reiz haben und den Einfluß üben können wie früher, wenn es der Reiſe - beſchreiber nicht verſteht, durch das zu wirken, was in den jetzigen Geiſtern an die Stelle der brennenden Neugier nach neuen Naturprodukten, nach neuen Ländern und Völkern ge - treten iſt. Seit es keine Naturwunder im früheren Sinne mehr gibt, ſind es vor allem die Gedanken der Natur in ihren Bildungen, die Geſetze in ihren Bewegungen, was die produktiven und die rezeptiven Kräfte, die Forſcher und dieX Dilettanten, die das Wort Suchenden und die an das Wort Glaubenden beſchäftigt. Alexander v. Humboldt iſt einer der erſten, nach Rang und Zeit, welche die Naturwiſſenſchaft in die ſo fruchtbare Laufbahn gewieſen haben, die ſie ſeit einigen Menſchenaltern verfolgt. Und neben ſo Vielem und Großem hat er auch ein Reiſewerk geſchaffen, wie es recht eigentlich dem Weſen und Bedürfnis der heutigen Kultur entſpricht. Es gewährt einerſeits wahren Kunſtgenuß durch die trefflichen Schilderungen einer gewaltigen Natur und der Menſchheit in einem ihrer merkwürdigſten Bruchſtücke; andererſeits feſſelt und befreit es zugleich den Geiſt durch Ideen. Während der Leſer auch im gemeinen Sinne Neues in Menge erfährt, während es keineswegs an den kleinen und großen Vorfällen fehlt, welche die Einbildungskraft beſchäftigen und die Neugier reizen, ſieht er faſt bei jedem Schritt einen jener umfaſſenden Gedanken, von welchen die heutige Wiſſenſchaft beherrſcht wird, entſtehen oder ſich beſtätigen, und er lernt an hundert leben - digen Beiſpielen, wie die wahre Naturwiſſenſchaft zuſtande kommt. Ich wüßte nichts, was anregender und bildender wäre. Für den general reader iſt das Buch, wie es vor - liegt, nicht beſtimmt; es ließe ſich ihm aber ſehr leicht zugäng - lich machen, und müßte dann als treffliches Bildungsmittel in den weiteſten Kreiſen wirken.

Schon vor Jahren beſchäftigte A. v. Humboldt der Ge - danke, dieſes ſein Buch, auf das er, neben dem Essai sur l’état politique de la Nouvelle Espagne, ſelbſt ſehr viel hielt, endlich in einer deutſchen Ausgabe aus dem hier ange - deuteten Geſichtspunkt unter ſeinen Auſpizien erſcheinen zu laſſen. Als aber die Sache ernſtlich zur Sprache kam, hatte er, faſt ein Achtziger, bereits das große Unternehmen des Kosmos begonnen, und ſo verſtand es ſich von ſelbſt, daß er die Uebertragung fremden Händen überlaſſen mußte. Der Plan der neuen Ausgabe wurde in den letzten Jahren zwiſchen ihm und dem Herausgeber im allgemeinen und einzelnen feſt - geſtellt; er konnte ſich noch ſelbſt von der Art der formellen und materiellen Behandlung überzeugen, auch alle wünſchens - werten Anordnungen treffen, indem ihm ein Teil des Manu - ſkriptes gedruckt vorgelegt wurde, und er ſchrieb ſofort dieXI Vorrede, die eine ſeiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war, ſo daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die erſten ſchönen Zeiten ſeiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben ſchied.

Das Buch iſt reich an allem, was die Einbildungskraft feſſeln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen tropiſcher Landſchaften wie einzelner Gewächſe dieſer wunder - vollen Länder, an den belebteſten Auftritten aus dem Tier - leben, an den ſcharfſinnigſten Beobachtungen über die geiſtigen und geſelligen Verhältniſſe der Raſſen, welche in Südamerika neben - und durcheinander wohnen. Erſt durch Humboldt iſt das eigentliche Weſen des eingeborenen Amerikaners nach Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die Beſchreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden und ihrer Laſter iſt in die ganze Reiſebeſchreibung mit großer Kunſt eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu einer ſo eigentümlichen und außerordentlichen Erſcheinung, daß ſich in ihm mit der Schärfe und Unbeſtechlichkeit der Urteilskraft eine ſo bedeutende künſtleriſche Begabung paart. Durch dieſelbe Kunſt der Darſtellung, wodurch er uns mit dem Antlitz und der Gebärdung der tropiſchen Natur ſo ver - traut macht, werden auch ſeine wiſſenſchaftlichen Erörterungen ſo klar und anſchaulich, daß ſie ſelbſt wie organiſche Natur - bildungen erſcheinen, was ſie ja auch im Grunde ſind. Zu allen Vorzügen des Buches kommt für den ernſten Leſer noch der unſchätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge - danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der ſie unſeren Sonden zugänglich iſt, und daß er ſo, wie ſchon oben ausgeſprochen worden, überall unmittelbar zuſieht, wie die wahre Wiſſenſchaft zuſtande kommt. Nach meiner Er - fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all - gemein Unterrichteten das eigentliche Weſen, die Geneſis, die Entwickelung und die Grenzen des Naturwiſſens klarer machte, als die Art und Weiſe, wie Humboldt in ſeiner Reiſe - beſchreibung ſo viele große und kleine, aber für das in einen höheren Geſichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erſchei - nungen beſpricht, wie die Meeresſtrömungen, die VerteilungXII der Gewächſe nach der Meereshöhe, die Erdbeben, die Theorie des tropiſchen Regens, die Urſachen der Kontraſte zwiſchen den Klimaten benachbarter Orte, die hydrographiſchen Ver - hältniſſe des Landſtriches zwiſchen Orinoko und Rio Negro, die Milch des Kuhbaumes und die Milch der Gewächſe, welche das Kautſchuk geben, die ſchwarzen und die weißen Waſſer in Guyana, die Plage der Moskiten, das Pfeilgift der Indianer, die Wintervorräte erdeeſſender Otomaken, die Fabel vom ver - goldeten Mann (el dorado), und hundert andere Gegen - ſtände, an denen der junge Forſcher ſeinen ungemeinen Scharf - ſinn geübt, und die jetzt längſt in den Schatz der Wiſſenſchaft aufgenommen ſind und vertraute Elemente unſerer Natur - anſchauung bilden.

Sollte nun aber das zunächſt ohne Rückſicht auf das größere Publikum geſchriebene Werk in den hier berührten Beziehungen gemeinnützlich werden, ſo war es den Bedürf - niſſen derer anzupaſſen, welche ſich im Sinne unſerer Zeit über die Geſchichte des Kampfes zwiſchen Geiſt und Natur im allgemeinen unterrichten möchten. So kamen denn der Verfaſſer und der jetzige Herausgeber überein, das Buch als litterariſches Produkt möglichſt unverſehrt zu erhalten, nirgends auszugsweiſe zu verfahren, ſondern im ganzen überall dem Texte treu zu bleiben und nur die kürzeren und längeren ſtreng wiſſenſchaftlichen Exkurſe und Abhandlungen, die ins einzelne gehenden mineralogiſchen und geologiſchen, chemiſchen, phyſiologiſchen, pharmazeutiſchen, mediziniſchen, ſtatiſtiſchen, nationalökonomiſchen u. ſ. w. Erörterungen abzulöſen und von den Anmerkungen nur die beizubehalten, welche dem erwähnten Zwecke förderlich ſein konnten.

Der Herausgeber.

[1]

Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden.

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 1[2][3]

Erſtes Kapitel.

Vorbereitungen. Abreiſe von Spanien. Aufenthalt auf den Kanariſchen Inſeln.

Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Welt - meer anordnet, durch welche die Kenntnis des Erdballes erweitert und die phyſiſchen Wiſſenſchaften gefördert werden, ſo ſtellt ſich ihrem Vorhaben keinerlei Hindernis entgegen. Der Zeit - punkt der Abfahrt und der Plan der Reiſe können feſtgeſtellt werden, ſobald die Schiffe ausgerüſtet und die Aſtronomen und Naturforſcher, welche unbekannte Meere befahren ſollen, gewählt ſind. Die Inſeln und Küſten, deren Produkte die Seefahrer kennen lernen ſollen, liegen außerhalb des Bereiches der ſtaatlichen Bewegungen Europas. Wenn längere Kriege die Freiheit zur See beſchränken, ſo ſtellen die kriegführenden Mächte gegenſeitig Päſſe aus; der Haß zwiſchen Volk und Volk tritt zurück, wenn es ſich von der Förderung des Wiſſens handelt, das die gemeine Sache aller Völker iſt.

Anders, wenn nur ein Privatmann auf ſeine Koſten eine Reiſe in das Innere eines Feſtlandes unternimmt, das Europa in ſein Syſtem von Kolonieen gezogen hat. Wohl mag ſich der Reiſende einen Plan entwerfen, wie er ihm für ſeine wiſſenſchaftlichen Zwecke und bei den ſtaatlichen Verhältniſſen der zu bereiſenden Länder der angemeſſenſte ſcheint; er mag ſich die Mittel verſchaffen, die ihm fern vom Heimatland auf Jahre die Unabhängigkeit ſichern; aber gar oft widerſetzen ſich unvorhergeſehene Hinderniſſe ſeinem Vorhaben, wenn er eben meint es ausführen zu können. Nicht leicht hat aber ein Reiſender mit ſo vielen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt als ich vor meiner Abreiſe nach dem ſpaniſchen Amerika. Gern wäre ich darüber weggegangen und hätte meine Reiſebeſchrei - bung mit der Beſteigung des Piks von Tenerifa begonnen,4 wenn nicht das Fehlſchlagen meiner erſten Pläne auf die Rich - tung meiner Reiſe nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten - den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige Schilderung dieſer Vorgänge, die für die Wiſſenſchaft von keinem Belang ſind, von denen ich aber wünſchen muß, daß ſie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums ſich häufig mehr an die Perſon des Reiſenden als an ſeine Werke heftet, ſo ſind auch die Umſtände, unter denen ich meine erſten Reiſepläne entworfen, ganz ſchief aufgefaßt worden. 1Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in ſechs Bänden, das unter dem ſeltſamen Titel: Reiſe um die Welt und in Südamerika, von A. v. Humboldt, erſchienen bei Vollmer in Hamburg, niemals Kenntnis genommen habe. Dieſe in meinem Namen verfaßte Reiſebeſchreibung ſcheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der erſten Klaſſe des franzöſiſchen Inſtitutes geleſen, zuſammen - geſchrieben zu ſein. Um das Publikum aufmerkſam zu machen, hielt es der Kompilator für angemeſſen, einer Reiſe in einige Länder des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer Reiſe um die Welt zu geben.

Von früher Jugend auf lebte in mir der ſehnliche Wunſch, ferne, von Europäern wenig beſuchte Länder bereiſen zu dürfen. Dieſer Drang iſt bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieſes vor uns liegt wie ein ſchrankenloſer Horizont, wo uns nichts ſo ſehr anzieht als ſtarke Gemütsbewegungen und Bilder phyſiſcher Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachſen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in beiden Indien ſteht, ſpäter in einem fern von der Meeresküſte gelegenen, durch ſtarken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben - digen Schilderungen der Reiſenden kennen, haben ganz beſonderen Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umriſſene be - ſticht unſere Einbildungskraft; Genüſſe, die uns nicht erreichbar ſind, ſcheinen uns weit lockender, als was ſich uns im engen Kreiſe des bürgerlichen Lebens bietet. Die Luſt am Botani - ſieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Geſellſchaft eines berühmten Mannes, Georg Forſters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook auf ſeiner zweiten Reiſe um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiſeplänen, die ich ſchon mit achtzehn Jahren5 gehegt, Geſtalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die ſchönen Länder des heißen Erdgürtels zog, ſo war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander - leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig - faltigen Naturprodukten reiche Natur zu ſehen, die Ausſicht, Erfahrungen zu ſammeln, welche die Wiſſenſchaften förderten. Meine Verhältniſſe geſtatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich ſo lebhaft beſchäftigten, und ich hatte ſechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzuſtellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereiſen und die Kette der Hochalpen zu unterſuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verſchie - denen Zeiten mit Inſtrumenten von verſchiedener Konſtruktion arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die genaueſten und dabei auf dem Transport dauerhafteſten er - ſchienen; ich fand Gelegenheit, Meſſungen, die nach den ſtrengſten Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte ſo ſelbſtändig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich gefaßt ſein mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereiſt, aber die vulkaniſchen Striche in Neapel und Sizilien nicht beſuchen können. Ungern hätte ich Europa verlaſſen, ohne Veſuv, Stromboli und Aetna geſehen zu haben; ich ſah ein, um zahlreiche geologiſche Erſcheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufaſſen, mußte ich mich mit den Erſcheinungen, wie noch thätige Vulkane ſie bieten, näher bekannt gemacht haben. Ich entſchloß mich daher im Novem - ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Joſephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch - zog mit Leopold von Buch, von dem ſeitdem ein treffliches Werk über Lappland erſchienen iſt, mehrere Teile des Salz - burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen und den Landſchaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, ſah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reiſe nach Neapel aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenſchaftlicher Kunſtfreund, der bereits die Küſten Illyriens und Griechenlands als Altertums - forſcher beſucht hatte, mir den Vorſchlag gemacht, ihn auf6 einer Reiſe nach Oberägypten zu begleiten. Der Ausflug ſollte nur acht Monate dauern; geſchickte Zeichner und aſtronomiſche Werkzeuge ſollten uns begleiten, und ſo wollten wir den Nil bis Aſſuan hinaufgehen und den zwiſchen Tentyris und den Katarakten gelegenen Teil des Saïd genau unterſuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen Plänen nie ein außertropiſches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehen, Länder zu beſuchen, die in der Geſchichte der Kultur eine ſo bedeutende Rolle ſpielen. Ich nahm den Vor - ſchlag an, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich bei der Rückkehr nach Alexandrien allein durch Syrien und Paläſtina weiterreiſen dürfte. Sofort richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir ſpäter zu gute kam, als es ſich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexikaner mit denen der Völker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe Ausſicht, mich nach Aegypten einzuſchiffen, da nötigten mich die eingetretenen politiſchen Verhältniſſe, eine Reiſe aufzugeben, die mir ſo großen Genuß verſprach. Im Orient ſtanden die Dinge ſo, daß ein einzelner Reiſender gar keine Ausſicht hatte, dort Studien machen zu können, welche ſelbſt in den ruhigſten Zeiten von den Regierungen mit mißtrauiſchem Auge angeſehen werden.

Zur ſelben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreiſe in die Südſee unter dem Befehl des Kapitäns Baudin im Werk. Der urſprüngliche Plan war großartig, kühn, und hätte verdient, unter umſichtigerer Leitung ausgeführt zu werden. Man wollte die ſpaniſchen Beſitzungen in Südamerika von der Mündung des Rio de la Plata bis zum Königreich Quito und der Landenge von Panama beſuchen. Die zwei Korvetten ſollten ſofort über die Inſelwelt des Stillen Meeres nach Neu - holland gelangen, die Küſten desſelben von Vandiemensland bis Nuytsland unterſuchen, bei Madagaskar anlegen und über das Kap der guten Hoffnung zurückkehren. Ich war nach Paris gekommen, als man ſich eben zu dieſer Reiſe zu rüſten begann. Der Charakter des Kapitäns Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzuflößen; der Mann hatte meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Braſilien gebracht, und der Wiener Hof war dabei mit ihm ſchlecht zufrieden geweſen; da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine ſo weite Reiſe unternehmen und ein ſo ſchönes Stück der Welt hätte kennen lernen können, ſo entſchloß ich mich, auf gutes Glück die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubnis,7 mich mit meinen Inſtrumenten auf einer der Korvetten, die nach der Südſee gehen ſollten, einzuſchiffen, und machte nur zur Bedingung, daß ich mich von Kapitän Baudin trennen dürfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux, der bereits Perſien und einen Teil von Nordamerika beſucht hatte, und Bonpland, dem ich mich anſchloß, und der mir ſeitdem aufs innigſte befreundet geblieben, ſollten die Reiſe als Naturforſcher mitmachen.

Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer ſo großen und ehrenvollen Unternehmung teilnehmen zu dürfen, da brach der Krieg in Deutſchland und in Italien von neuem aus, ſo daß die franzöſiſche Regierung die Geld - mittel, die ſie zu der Entdeckungsreiſe angewieſen, zurückzog und dieſelbe auf unbeſtimmte Zeit verſchob. Mit Kummer ſah ich alle meine Ausſichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beſchloß ich nur ſo bald als möglich, wie es auch ſei, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unter - nehmen, das meinen Unmut zerſtreuen könnte.

Ich wurde mit einem ſchwediſchen Konſul, Skiöldebrand, bekannt, der dem Dei von Algier Geſchenke von ſeiten ſeines Hofes zu überbringen hatte und durch Paris kam, um ſich in Marſeille einzuſchiffen. Dieſer achtungswerte Mann war lange auf der afrikaniſchen Küſte angeſtellt geweſen, und da er bei der algeriſchen Regierung gut angeſchrieben war, konnte er für mich auswirken, daß ich den Teil der Atlaskette bereiſen durfte, auf den ſich die bedeutenden Unterſuchungen von Des - fontaines nicht erſtreckt hatten. Er ſchickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka gingen, und er verſprach mir, mich auf dieſem Wege nach Aegypten zu befördern. Ich beſann mich keinen Augenblick, eine ſo gute Gelegenheit zu benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reiſe nach Frankreich entworfen, ſofort ausführen zu können. Bis jetzt hatte kein Mineralog die hohe Bergkette unterſucht, die in Marokko bis zur Grenze des ewigen Schnees aufſteigt. Ich konnte darauf rechnen, daß ich, nachdem ich in den Alpenſtrichen der Berberei einiges für die Wiſſenſchaft gethan, in Aegypten bei den bedeutenden Gelehrten, die ſeit einigen Monaten zum Inſtitut von Kairo zuſammengetreten waren, dasſelbe Entgegenkommen fand, das mir in Paris in ſo reichem Maße zu teil geworden. Ich ergänzte raſch meine Sammlung von Inſtrumenten und ver -8 ſchaffte mir die Werke über die zu bereiſenden Länder. Ich nahm Abſchied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei - ſpiel meine Geiſtesrichtung hatte beſtimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entſchluſſes, Europa zu verlaſſen; eine geheime Stimme ſagte uns, daß wir uns wiederſehen würden. Dieſe Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und ſie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entſchluß, mich nach Algier und Aegypten einzuſchiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men - ſchenleben regiert, ich ſah bei der Rückkehr vom Amazonenſtrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Feſtland von Afrika betreten zu haben.

Die ſchwediſche Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen ſollte, wurde zu Marſeille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um dieſe Zeit dahin, und eilten um ſo mehr, da wir während der Reiſe immer beſorgten, zu ſpät zu kommen und das Schiff zu ver - ſäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächſt bevorſtanden.

Skiöldebrand war ſo ungeduldig als wir, ſeinen Beſtim - mungsort zu erreichen. Wir beſtiegen mehrmals im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont ſichtbar wurde, ſetzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, erſahen wir aus den Zeitungen, daß die ſchwediſche Fregatte, die uns überführen ſollte, in einem Sturm an den Küſten von Portugal ſtark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müſſen, um ausgebeſſert zu werden. Privatbriefe beſtätigten die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas ſo hieß die Fregatte vor dem Frühjahr nicht nach Marſeille kommen konnte.

Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unſere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuſe, die Bougainville auf ſeiner Reiſe um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüſtete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des beſondern Wohlwollens des berühmten See - fahrers zu erfreuen gehabt. Nur ſchwer vermöchte ich zu9 ſchildern, was ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerſon auf die Inſeln der Südſee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen ſich ein Schmerzgefühl in alle unſere Empfindungen miſcht.

Wir hielten immer noch am Gedanken feſt, uns an die afrikaniſche Küſte zu begeben, und dieſer zähe Entſchluß wäre uns beinahe verderblich geworden. Im Hafen von Marſeille lag zur Zeit ein kleines raguſaniſches Fahrzeug, bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies ſchien uns eine günſtige Gelegenheit; wir kamen ja auf dieſe Weiſe in die Nähe von Aegypten und Syrien. Wir wurden mit dem Kapitän wegen des Ueberfahrtspreiſes einig; am folgenden Tage ſollten wir unter Segel gehen, aber die Abreiſe verzögerte ſich glücklicher - weiſe durch einen an ſich ganz unbedeutenden Umſtand. Das Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen ſollte, war in der großen Kajütte untergebracht. Wir verlangten, daß zur Bequemlichkeit der Reiſenden und zur ſicheren Unter - bringung unſerer Inſtrumente das Notwendigſte vorgekehrt werde. Allermittelſt erfuhr man in Marſeille, daß die tune - ſiſche Regierung die in der Berberei niedergelaſſenen Franzoſen verfolge, und daß alle aus franzöſiſchen Häfen ankommenden Perſonen ins Gefängnis geworfen würden. Durch dieſe Kunde entgingen wir einer großen Gefahr; wir mußten die Aus - führung unſerer Pläne verſchieben und entſchloſſen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns im nächſten Frühjahr, wenn anders die politiſchen Zuſtände im Orient es geſtatteten, in Cartagena oder in Cadiz einſchiffen zu können.

Wir reiſten durch Katalonien und das Königreich Valencia nach Madrid. Wir beſuchten auf dem Wege die Trümmer Tarragonas und des alten Sagunt, machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montſerrat, deſſen hochaufragende Gipfel von Einſiedlern bewohnt ſind, und der durch die Kon - traſte eines kräftigen Pflanzenwuchſes und nackter, öder Fels - maſſen ein eigentümliches Landſchaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch aſtronomiſche Rechnung die Lage mehrerer für die Geographie Spaniens wichtiger Punkte zu beſtimmen; ich maß mittels des Barometers die Höhe des Centralplateaus und ſtellte einige Beobachtungen über die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Ergebniſſe dieſer Beobachtungen ſind für ſich erſchienen, und ich verbreite mich hier nicht weiter über die Natur -10 beſchaffenheit eines Landes, in dem ich mich nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von ſo vielen unter - richteten Männern bereiſt worden iſt.

Zu Madrid angelangt, fand ich bald Urſache mir Glück dazu zu wünſchen, daß wir uns entſchloſſen, die Halbinſel zu beſuchen. Der Baron Forell, ſächſiſcher Geſandter am ſpaniſchen Hofe, kam mir auf eine Weiſe entgegen, die meinen Zwecken ſehr förderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten mine - ralogiſchen Kenntniſſen das regſte Intereſſe für Unterneh - mungen zur Förderung der Wiſſenſchaft. Er bedeutete mir, daß ich unter der Verwaltung eines aufgeklärten Miniſters, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Ausſicht habe, auf meine Koſten im Inneren des ſpaniſchen Amerikas reiſen zu dürfen. Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, beſann ich mich keinen Augenblick, dieſen Gedanken zu ergreifen.

Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vor - geſtellt. Der König nahm mich äußerſt wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gründe, die mich bewogen, eine Reiſe in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu unternehmen, und reichte dem Staatsſekretär eine darauf bezügliche Denk - ſchrift ein. Der Ritter d’Urquijo unterſtützte mein Geſuch und räumte alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Miniſter handelte hierbei deſto großmütiger, da ich in gar keiner per - ſönlichen Beziehung zu ihm ſtand. Der Eifer, mit dem er fortwährend meine Abſichten unterſtützte, hatte keinen anderen Beweggrund als ſeine Liebe zu den Wiſſenſchaften. Es wird mir zur angenehmen Pflicht, in dieſem Werke der Dienſte, die er mir erwieſen, dankbar zu gedenken.

Ich erhielt zwei Päſſe, den einen vom erſten Staats - ſekretär, den anderen vom Rat von Indien. Nie war einem Reiſenden mit der Erlaubnis, die man ihm erteilte, mehr zugeſtanden worden, nie hatte die ſpaniſche Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewieſen. Um alle Bedenken zu beſeitigen, welche die Vizekönige oder Generalkapitäne, als Vertreter der königlichen Gewalt in Amerika, hinſichtlich des Zweckes und Weſens meiner Beſchäftigungen erheben könnten, hieß es im Paß der primera secretaria de estado: ich ſei ermächtigt, mich meiner phyſikaliſchen und geodätiſchen Inſtru - mente mit voller Freiheit zu bedienen; ich dürfe in allen ſpaniſchen Beſitzungen aſtronomiſche Beobachtungen anſtellen, die Höhen der Berge meſſen, die Erzeugniſſe des Bodens ſammeln und alle Operationen ausführen, die ich zur Förde -11 rung der Wiſſenſchaft vorzunehmen gut finde . Dieſe Befehle von ſeiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereigniſſe Don d’Urquijo vom Miniſterium hatte abtreten müſſen. Ich meinerſeits war bemüht, dieſe ſich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abſchriften des von mir geſammelten Materials über die Geographie und Statiſtik der Kolonieen, das dem Mutterlande von einigem Wert ſein konnte. Dem von mir vor meiner Abreiſe gegebenen Verſprechen gemäß übermachte ich dem naturhiſtoriſchen Kabinett zu Madrid mehrere geologiſche Samm - lungen. Da der Zweck unſerer Reiſe ein rein wiſſenſchaftlicher war, ſo hatten Bonpland und ich das Glück, uns das Wohl - wollen der Koloniſten wie der mit der Verwaltung dieſer weiten Landſtriche betrauten Europäer zu erwerben. In den fünf Jahren, während deren wir den neuen Kontinent durch - zogen, ſind wir niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet. Mit Freude ſpreche ich es hier aus: unter den härteſten Ent - behrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur haben wir uns nie über menſchliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.

Verſchiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen ſollen, noch länger in Spanien zu verweilen. Abbé Cavanilles, ein Mann gleich geiſtreich wie mannigfaltig unterrichtet, Née, der mit Hänke die Expedition Malaſpinas als Botaniker mit - gemacht und allein eine der größten Kräuterſammlungen, die man je in Europa geſehen, zuſammengebracht hat, Don Caſimir Ortega, Abbé Pourret und die gelehrten Verfaſſer der Flora von Peru, Ruiz und Papon, ſtellten uns ihre reichen Samm - lungen zur unbeſchränkten Verfügung. Wir unterſuchten zum Teil die mexikaniſchen Pflanzen, die von Seſſe, Mociño und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das naturhiſtoriſche Muſeum zu Madrid gelangt waren. In dieſer großen Anſtalt, die unter der Leitung Clavijos ſtand, des Herausgebers einer gefälligen Ueberſetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologiſchen Suiten aus den Kordilleren; aber Prouſt, der ſich durch die große Ge - nauigkeit ſeiner chemiſchen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns intereſſante Nachweiſungen über verſchiedene mineraliſche Subſtanzen Ameri - kas. Mit bedeutendem Nutzen hätten wir uns wohl noch länger mit den Naturprodukten der Länder beſchäftigt, die das Ziel unſerer Forſchungen waren, aber es drängte uns zu12 ſehr, von der Vergünſtigung, die der Hof uns gewährt, Ge - brauch zu machen, als daß wir unſere Abreiſe hätten verſchieben können. Seit einem Jahre war ich ſo vielen Hinderniſſen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein ſehn - lichſter Wunſch endlich in Erfüllung gehen ſollte.

Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reiſten durch einen Teil von Altkaſtilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Coruña, wo wir uns nach der Inſel Cuba einſchiffen ſollten. Der Winter war ſtreng und lang geweſen, und jetzt genoſſen wir auf der Reiſe der milden Frühlingstemperatur, die ſchon ſo weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen iſt. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die maleriſchen Land - ſchaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felſen mit Ciſtus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über - zogen. Man iſt froh, wenn man die kaſtiliſche Hochebene hinter ſich hat, welche faſt ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß iſt. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich ſelbſt anſtellen konnte, beſteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit ſekun - dären Gebirgsbildungen, Sandſtein, Gips, Steinſalz, Jurakalk bedeckt iſt; das Klima von Kaſtilien iſt weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert ſich, daß unter der Breite von Kalabrien, Theſſalien und Kleinaſien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes iſt umgeben von einer tiefgelegenen, ſchmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha - märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinſame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfroſt zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieſer Zone 17 bis 20°, und durch den Verein von Verhältniſſen, die hier nicht aufgezählt werden können, iſt dieſer glückliche Landſtrich der vornehmſte Sitz des Gewerbfleißes und der Geiſtesbildung geworden.

Kommt man im Königreich Valencia von der Küſte des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kaſtilien herauf, ſo meint man, tief im Lande, in weithin geſtreckten ſchroffen Abhängen die alte Küſte der Halbinſel vor ſich zu13 haben. Dieſes merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geſchichtliche Zeugniſſe, welche darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß durch den Ausbruch der Waſſer aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der ſüdliche Teil Europas zerriſſen und vom Mittelmeer verſchlungen worden iſt. Nimmt man an, dieſe Sagen ſeien keine geologiſchen Träume, ſondern beruhen wirk - lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, ſo hätte die ſpaniſche Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerſtanden, bis die Waſſer durch die zwiſchen den Säulen des Herkules ſich bildende Meerenge abfloſſen, ſo daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich ſank und einerſeits Niederägypten, andererſeits die fruchtbaren Ebenen von Tarra - gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieſes Meeres zuſammenhängt, deſſen Daſein von ſo bedeutendem Einfluß auf die früheſten Kulturbewegungen der Menſchheit war, iſt von ganz beſonderem Intereſſe. Man könnte denken, Spanien, das ſich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darſtellt, verdanke ſeine Erhaltung ſeinem hochge - legenen Boden; ehe man aber auf ſolche theoretiſche Vor - ſtellungen Gewicht legt, müßte man erſt die Bedenken beſeitigen, die ſich gegen die Durchbrechung ſo vieler Dämme erheben, müßte man wahrſcheinlich zu machen ſuchen, daß das Mittel - meer einſt in mehrere abgeſchloſſene Becken geteilt geweſen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Inſel Kandia an - gedeutet ſcheinen. Die Löſung dieſe Probleme ſoll uns hier nicht beſchäftigen, wir beſchränken uns darauf, auf den auf - fallenden Kontraſt in der Geſtaltung des Landes am öſtlichen und am weſtlichen Ende Europas aufmerkſam zu machen. Zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meer erhebt ſich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn ſie zwiſchen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, ſich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darſtellen würde. Es iſt höchſt anziehend, auf die Urſachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unſeres Planeten umgeſtaltet worden ſein mag; ſicherer iſt es aber, ſich an diejenigen Seiten der Erſcheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Meſſung des Forſchers zugänglich ſind.

Zwiſchen Aſtorga und Coruña, beſonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die ſekundären Gebirgs - bildungen verſchwinden mehr und mehr, und die Uebergangs -14 gebirgsarten, die ſie ablöſen, verkünden die Nähe des Urgebirges. Wir ſahen anſehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandſtein, den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und Grauwackenſchiefer aufführen. Ich weiß nicht, ob dieſe Formation, die im ſüdlichen Europa nicht häufig vorkommt, auch in anderen Strichen Spaniens aufgefunden worden iſt. Eckige Bruchſtücke von lydiſchem Stein, die in den Thälern am Boden liegen, ſchienen uns darauf zu deuten, daß die Grauwacke dem Uebergangsſchiefer aufgelagert iſt. Bei Coruña ſelbſt erheben ſich Granitgipfel, die bis zum Kap Ortegal fortſtreichen. Dieſe Granite, welche einſt mit denen in Bre - tagne und Wales in Zuſammenhang geſtanden haben mögen, ſind vielleicht die Trümmer einer von den Fluten zertrümmerten und verſchlungenen Bergkette. Schöne große Feldſpatkriſtalle ſind für dieſes Geſtein charakteriſtiſch, Zinnſtein iſt darin ein - geſprengt, und von den Galiciern wird darauf ein mühſamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben.

In Coruña angelangt, fanden wir den Hafen von zwei engliſchen Fregatten und einem Linienſchiff blockiert. Dieſe Fahrzeuge ſollten den Verkehr zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen in Amerika unterbrechen; denn von Coruña, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot (Correo maritimo) nach der Havana aus, und alle zwei Monate ein anderes nach Buenos Ayres oder der Mündung des La Plata. Ich werde ſpäter den Zuſtand der Poſten auf dem neuen Kontinent genau beſchreiben; hier nur ſo viel, daß ſeit dem Miniſterium des Grafen Florida Blanca der Dienſt der Landkuriere ſo gut eingerichtet iſt, daß einer in Paraguay oder in der Provinz Jaen de Bracamoros nur durch ſie ziemlich regelmäßig mit einem in Neumexiko oder an der Küſte von Neukalifornien korreſpondiern kann, alſo ſo weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Kap der guten Hoffnung iſt. Ebenſo gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in Aragonien zur Poſt gibt, nach Chile oder in die Miſſionen am Orinoko, wenn nur der Name des Corregimiento oder Bezirkes, in dem das betreffende india - niſche Dorf liegt, genau angegeben iſt. Mit Vergnügen verweilt der Gedanke bei Einrichtungen, die für eine der größten Wohlthaten der Kultur der neueren Zeit gelten können. Die Einrichtung der Kuriere zur See und im inneren Lande hat das Band zwiſchen den Kolonieen unter ſich und mit dem Mutterlande enger geknüpft. Der Gedankenaustauſch wurde15 dadurch beſchleunigt, die Beſchwerden der Koloniſten drangen leichter nach Europa und die Staatsgewalt konnte hin und wieder Bedrückungen ein Ende machen, die ſonſt aus ſo weiter Ferne nie zu ihrer Kenntnis gelangt wären.

Der Miniſter hatte uns ganz beſonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo empfohlen, der ſeit kurzem die Ober - aufſicht über die Seepoſten hatte. Dieſer Offizier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Coruña mit der Ein - richtung neuer Werfte beſchäftigt. Er bot alles auf, um uns den Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der Korvette1Nach dem ſpaniſchen Sprachgebrauch war der Pizarro eine leichte Fregatte (Fregata lijera). Pizarro einzuſchiffen, die nach der Havana und Mexiko ging. Dieſes Fahrzeug, das die Poſt für Juni an Bord hatte, ſollte mit der Alcudia ſegeln, dem Paketboot für den Mai, das wegen der Blockade ſeit drei Wochen nicht hatte auslaufen können. Der Pizarro galt für keinen guten Segler, aber durch einen glücklichen Zufall war er vor kurzem auf ſeiner langen Fahrt vom Rio de la Plata nach Coruña den kreuzenden engliſchen Fahrzeugen entgangen. Clavijo ließ an Bord der Korvette Einrichtungen treffen, daß wir unſere Inſtrumente aufſtellen und während der Ueberfahrt unſere chemiſchen Verſuche über die atmoſphä - riſche Luft vornehmen konnten. Der Kapitän des Pizarro erhielt Befehl, bei Tenerifa ſo lange anzulegen, daß wir den Hafen von Orotava beſuchen und den Gipfel des Piks beſteigen könnten.

Die Einſchiffung verzögerte ſich nur zehn Tage, dennoch kam uns der Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen einzulegen, die wir in den ſchönen, noch von keinem Naturforſcher betretenen Thälern Galiciens geſammelt; wir unterſuchten die Tange und Weichtiere, welche die Flut von Nordweſt her in Menge an den Fuß des ſteilen Felſens wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules ſteht. Dieſer Turm, auch der eiſerne Turm genannt, wurde im Jahre 1788 reſtauriert. Er iſt 30 m hoch, ſeine Mauern ſind 1,46 m dick, und nach ſeiner Bauart iſt er unzweifelhaft ein Werk der Römer. Eine in der Nähe der Fundamente gefundene Inſchrift, von der ich durch Herrn de Labordes Gefälligkeit eine Abſchrift beſitze, beſagt, der Turm ſei von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt Aqua Flavia (Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heißt der16 eiſerne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechiſchen oder phöniziſchen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, ſei von griechiſchen Kolonieen bevölkert ge - weſen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in ſeiner Geographie von Spanien hätten ſich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in dieſen Landſtrichen nie - dergelaſſen. 1Die Phönizier und die Griechen beſuchten die Küſten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das ſie von hier wie von den Kaſſiteridiſchen Inſeln bezogen.

Die Höhen von Ferrol und Coruña ſind an derſelben Bai gelegen, ſo daß ein Schiff, das bei ſchlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein ſolcher Vorteil iſt unſchätzbar in Strichen, wo die See faſt beſtändig hoch geht, wie zwiſchen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta - brum der alten Geographen. Ein enger, von ſteilen Granit - felſen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet ſich kein zweiter Ankerplatz, der ſo merkwürdig weit ins Land hineinſchnitte. Dieſer enge, ge - ſchlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, ſieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingeriſſen. In der Neuen Welt, an der Küſte von Neuandaluſien, hat die Laguna del Opisco, der Biſchofsſee , genau dieſelbe Geſtalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendſten geologiſchen Erſchei - nungen wiederholen ſich auf den Feſtländern an weit entlegenen Punkten, und der Forſcher, der Gelegenheit gehabt, verſchiedene Weltteile zu ſehen, erſtaunt über die durchgehende Gleich - förmigkeit im Ausſchnitt der Küſten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zuſammentreffen derſelben Urſachen mußte allerorten dieſelben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man - nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organiſation der Pflanzen und Tiere eine gewiſſe Uebereinſtimmung in Bau und Geſtaltung entgegen.

Auf der Ueberfahrt von Coruña nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim weißen Signal , in der Bai, die nach d’Anville der portus magnus der Alten war, mittels17 einer Thermometerſonde mit Ventilen einige Beobachtungen über die Temperatur der See und über die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten. Ueber der Bank zeigte das Inſtrument an der Meeresfläche 12,5 bis 13,3° der hundertteiligen Skale, während ringsumher, wo das Meer ſehr tief war, der Thermometer bei 12,8° Luft - temperatur auf 15 bis 15,3° ſtand. Der berühmte Franklin und Jonathan Williams, der Verfaſſer des zu Philadelphia erſchienenen Werkes Thermometric Navigation , haben zu - erſt die Phyſiker darauf aufmerkſam gemacht, wie abweichend ſich die Temperaturverhältniſſe der See über Untiefen geſtalten, ſowie in der Zone warmer Waſſerſtröme, die aus dem Meer - buſen von Mexiko zur Bank von Neufundland und hinüber an die Nordküſten von Europa ſich erſtreckt. Die Beobachtung, daß ſich die Nähe einer Sandbank durch ein raſches Sinken der Temperatur an der Meeresfläche verkündet, iſt nicht nur für die Phyſik von Wichtigkeit, ſie kann auch für die Sicher - heit der Schiffahrt von großer Bedeutung werden. Allerdings wird man über dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen: aber Beobachtungen, wie ich ſie im Verlauf dieſer Reiſebeſchreibung anführen werde, thun zur Genüge dar, daß ein Temperaturwechſel, den die unvollkommenſten Inſtrumente anzeigen, die Gefahr verkündet, lange bevor das Schiff über die Untiefe gelangt. In ſolchen Fällen mag die Abnahme der Meerestemperatur den Schiffer veranlaſſen, zum Senkblei zu greifen in Strichen, wo er ſich vollkommen ſicher dünkte. Auf die phyſiſchen Urſachen dieſer verwickelten Erſcheinungen kommen wir anderswo zurück. Hier ſei nur erwähnt, daß die niedrigere Temperatur des Waſſers über den Untiefen großenteils daher rührt, daß es ſich mit tieferen Waſſerſchichten miſcht, welche längs der Abhänge der Bank zur Meeresfläche aufſteigen.

Eine Aufregung des Meeres von Nordweſt her unter - brach unſere Verſuche über die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen ſo hoch, weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in deſſen Folge die eng - liſchen Schiffe ſich hatten von der Küſte entfernen müſſen. Man wollte die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man ſchiffte alsbald unſere Inſtrumente, unſere Bücher, unſer ganzes Gepäck ein; aber der Weſtwind wurde immer ſtärker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten den Auf - ſchub, um an unſere Freunde in Deutſchland und FrankreichA. v. Humboldt, Reiſe. I. 218zu ſchreiben. Der Augenblick, wo man zum erſtenmal von Europa ſcheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man ſich noch ſo beſtimmt vergegenwärtigt, wie ſtark der Verkehr zwiſchen beiden Welten iſt, wie leicht man bei den großen Fortſchritten der Schiffahrt über den Atlantiſchen Ozean gelangt, der, der Südſee gegenüber, ein nicht ſehr breiter Meeresarm iſt, das Gefühl, mit dem man zum erſtenmal eine weite Seereiſe an - tritt, hat immer etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von früher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Weſen, an denen unſer Herz hängt, im Begriff, gleichſam den Schritt in ein neues Leben zu thun, ziehen wir uns unwillkürlich in uns ſelbſt zuſammen und über uns kommt ein Gefühl des Alleinſeins, wie wir es nie empfunden.

Unter den Briefen, die ich kurz vor unſerer Einſchiffung ſchrieb, befand ſich einer, der für die Richtung unſerer Reiſe und den Verlauf unſerer ſpäteren Forſchungen ſehr folgereich wurde. Als ich Paris verließ, um die Küſte von Afrika zu beſuchen, ſchien die Entdeckungsreiſe in die Südſee auf mehrere Jahre verſchoben. Ich hatte mit Kapitän Baudin die Ver - abredung getroffen, daß ich, wenn er wider Vermuten die Reiſe früher antreten könnte und ich davon Kenntnis bekäme, von Algier aus in einen franzöſiſchen oder ſpaniſchen Hafen eilen wolle, um die Expedition mitzumachen. Im Begriff in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt dieſes Ver - ſprechen. Ich ſchrieb Kapitän Baudin, wenn die Regierung ihn auch jetzt noch den Weg um Kap Horn nehmen laſſen wolle, ſo werde ich mich bemühen, mit ihm zuſammenzutreffen, in Montevideo, in Chile, in Lima, wo immer er in den ſpaniſchen Kolonieen anlegen möchte. Treu dieſer Zuſage, änderte ich meinen Reiſeplan, ſobald die amerikaniſchen Blätter im Jahre 1801 die Nachricht brachten, die franzöſiſche Expe - dition ſei von Havre abgegangen, um von Oſt nach Weſt die Welt zu umſegeln. Ich mietete ein kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Inſel Cuba nach Portobelo und von da über die Landenge an die Küſte der Südſee. Infolge einer falſchen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich über 3600 km in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereiſen wollen. Erſt in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des beſtändigen Sekretärs der erſten Klaſſe des Inſtitutes, daß Kapitän Baudin um das Kap der guten Hoffnung gegangen und die Weſt - und Oſtküſte Amerikas gar19 nicht berührt habe. Nicht ohne ein Gefühl von Wehmut ge - denke ich einer Expedition, die mehrfach in mein Leben ein - greift, und die kürzlich von einem Gelehrten1Peron, der nach langen ſchmerzlichen Leiden im 35. Jahre der Wiſſenſchaft entriſſen wurde. beſchrieben worden iſt, den die Menge der Entdeckungen, welche die Wiſſenſchaft ihm dankt, und der aufopfernde Mut, den er auf ſeiner Laufbahn unter den härteſten Entbehrungen und Leiden bewieſen, gleich hoch ſtellen.

Ich hatte auf die Reiſe nach Spanien nicht meine ganze Sammlung phyſikaliſcher, geodätiſcher und aſtronomiſcher Werk - zeuge mitnehmen können; ich hatte die Dubletten in Mar - ſeille in Verwahrung gegeben und wollte ſie, ſobald ich Gelegenheit gefunden hätte, an die Küſte der Berberei zu gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen laſſen. In ruhigen Zeiten iſt Reiſenden ſehr zu raten, daß ſie ſich nicht mit allen ihren Inſtrumenten beladen; man läßt ſie beſſer nachkommen, um nach einigen Jahren diejenigen zu erſetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport gelitten haben. Dieſe Vorſicht erſcheint beſonders dann geboten, wenn man zahlreiche Punkte durch rein chronometriſche Mittel zu beſtimmen hat. Aber während eines Seekrieges thut man klug, ſeine Inſtrumente, Handſchriften und Sammlungen fortwäh - rend bei ſich zu haben. Wie wichtig dies iſt, haben traurige Erfahrungen mir bewieſen. Unſer Aufenthalt zu Madrid und Coruña war zu kurz, als daß ich den meteorologiſchen Apparat, den ich in Marſeille gelaſſen, hätte von dort kommen laſſen können. Nach unſerer Rückkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denſelben nach der Havana zu ſchicken, aber ohne Erfolg; weder dieſer Apparat, noch die achromatiſchen Fernröhren und der Thermometer von Arnold, die ich in London beſtellt, ſind mir in Amerika zugekommen.

Getrennt von unſeren Inſtrumenten, die ſich am Bord der Korvette befanden, brachten wir noch zwei Tage in Coruña zu. Ein dichter Nebel, der den Horizont bedeckte, verkündete endlich die ſehnlich erwartete Aenderung des Wetters. Am 4. Juni abends drehte ſich der Wind nach Nordoſt, welche Windrichtung an der Küſte von Galicien in der ſchönen Jahres - zeit für ſehr beſtändig gilt. Am fünften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine engliſche Eskadre ſei vom Wacht -20 poſten Siſarga ſignaliſiert worden und ſcheine nach der Mün - dung des Tajo zu ſegeln. Die Leute, welche unſere Korvette die Anker lichten ſahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver - gehen, ſeien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, deſſen Los wir teilen müßten, auf dem Wege nach Liſſabon. Dieſe Prophe - zeiung beunruhigte uns um ſo mehr, als wir in Madrid Mexikaner kennen gelernt hatten, die ſich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeſchifft hatten, jedesmal aber faſt unmittel - bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruña fährt, iſt lang und ſchmal; da er ſich gegen Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge machen, von denen drei ſo gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer äußerſt langſam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, ſchwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung ſehr nahe an die Klippen trieb, an denen ſich das Meer mit Ungeſtüm bricht. Unſere Blicke hingen am Schloß St. Antonio, wo damals der unglückliche Malaſpina als Staatsgefangener ſaß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu beſuchen, welche dieſer bedeutende Forſcher mit ſo vielem Erfolg bereiſt hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei einem minder traurigen Gegenſtande verweilt.

Um ſechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruña als Leucht - turm dient, und auf dem man ſeit den älteſten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieſes Feuers ſteht in ſchlechtem Verhältnis mit dem ſchönen, ſtattlichen Bauwerk; es iſt ſo ſchwach, daß die Schiffe es erſt gewahr werden, wenn ſie bereits Gefahr laufen zu ſtranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See ſehr unruhig und der Wind bedeu - tend friſcher. Wir ſteuerten gegen Nordweſt, um nicht den engliſchen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in dieſen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr ſahen wir das Licht in einer Fiſcherhütte von Siſarga, das letzte, was uns von der Küſte von Europa zu Geſicht kam. Mit der zu - nehmenden Entfernung verſchmolz der ſchwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un - willkürlich blieben unſere Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em - pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft beſitzt, eine weite21 Seereiſe angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn ſo ein leuchtender Punkt in finſterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küſte des Heimatlandes bezeichnet!

Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir ſegelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellſegeln gebaut war. Um ſechs Uhr morgens wurde das Schlingern ſo heftig, daß die kleine Bramſtenge brach. Der Unfall hatte indeſſen keine ſchlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in ſo ſtark befahrenen Strichen wie die Küſten von Portugal der Gefahr auszuſetzen, auf engliſche Schiffe zu ſtoßen. Die erſten drei Tage zeigte ſich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unſere Mannſchaft, die ſich auf kein Gefecht einlaſſen konnte.

Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelſen, die dieſes Vor - gebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den Berg Corcu - bion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Kap Finisterre iſt niedriger als das Land umher, aber die Toriñona iſt auf hoher See 76,5 km weit ſichtbar, woraus folgt, daß die höchſten Gipfel derſelben nicht unter 582 m hoch ſein können.

Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Maſten ein engliſches Konvoi ſignaliſiert, das gegen Südoſt an der Küſte hinſteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unſerem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Dieſe Vorſicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeſchrieben iſt, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwaſſers zu beobachten oder an der Teilung der aſtronomiſchen In - ſtrumente die Zahlen abzuleſen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, iſt man unter dieſen Umſtänden ſchon um ſechs Uhr abends außer Thätig - keit geſetzt. Dies war für mich um ſo verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konſtitution nie ſeekrank wurde, und ſo oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.

Eine Fahrt von der ſpaniſchen Küſte nach den Kanarien22 und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es iſt weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebniſſe meiner magnetiſchen und meteorologiſchen Verſuche in dieſem Meeres - ſtriche mit.

Am 9. Juni, unter 39° 50′ der Breite und 16° 10′ weſtlicher Länge vom Meridian der Pariſer Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu ſpüren, welche von den Azoriſchen Inſeln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanariſchen Inſeln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudſchen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinſten Aenderungen in der Richtung und Geſchwindigkeit der Strö - mungen bemerken. Zwiſchen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Oſt getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Oſt ¼ Südoſt, aber in der Nähe der Meerenge wurde ſie genau Oſt. Kapitän Macintoſh und einer der gebildetſten Seefahrer unſerer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver - änderungen beobachtet, welche in dieſer Bewegung des Waſſers zu verſchiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht ſelten vor, daß Schiffer, welche die Kanariſchen Inſeln beſuchen, ſich an der Küſte von Lancerota befinden, während ſie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand ſich auf ſeiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angeſicht der Inſel Ferro um weiter nach Oſt, als ſeine Rechnung ihm ergab.

Gemeinhin erklärt man die Strömung, die ſich zwiſchen den Azoriſchen Inſeln, der Südküſte von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Waſſer des Atlan - tiſchen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Oſten erhalte. De Fleurieu behauptet ſogar in den An - merkungen zur Reiſe des Kapitän Marchand, der Umſtand, daß das Mittelmeer durch die Verdunſtung mehr Waſſer verliere, als die Flüſſe einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge ſei 2700 km weit auf offener See zu ſpüren. Bei aller Hoch - achtung, die ich einem Seefahrer ſchuldig bin, deſſen mit Recht ſehr geſchätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir geſtattet ſein, dieſen wichtigen Gegenſtand aus einem weit allgemeineren Geſichtspunkte zu betrachten.

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Wirft man einen Blick auf das Atlantiſche Meer, oder das tiefe Thal, das die Weſtküſten von Europa und Afrika von den Oſtküſten des neuen Kontinents trennt, ſo bemerkt man in der Bewegung der Waſſer entgegengeſetzte Richtungen. Zwiſchen den Wendekreiſen, namentlich zwiſchen der afrikani - ſchen Küſte am Senegal und dem Meere der Antillen geht die allgemeine, den Seefahrern am längſten bekannte Strö - mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieſelbe wird mit dem Namen Aequinoktialſtrom bezeichnet. Die mittlere Geſchwindigkeit derſelben unter verſchiedenen Breiten iſt ſich im Atlantiſchen Ozean und in der Südſee ungefähr gleich. Man kann ſie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, ſomit auf 0,18 bis 0,21 m in der Sekunde ſchätzen. 1Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemiſphären anzuſtellen Gelegenheit gehabt, mit denen zuſammengeſtellt, die in den Werken von Cook, Lapérouſe, d’Entrecaſteaux, Vancouver, Ma - cartney, Kruſenſtern und Marchand gegeben ſind, und danach ſchwankt die Geſchwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den Tropen zwiſchen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, ſomit zwiſchen 0,096 und 0,384 m in der Sekunde.Die Geſchwindig - keit, mit der die Waſſer in dieſen Strichen nach Weſten ſtrömen, iſt etwa ein Vierteil von der der meiſten großen europäiſchen Flüſſe. Dieſe der Umdrehung des Erdballes ent - gegengeſetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä - nomen wahrſcheinlich nur inſofern zuſammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftſchichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen, in Paſſatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoktialſtrom iſt die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Paſſatwinde verſetzt wird, und lokale Schwankungen im Zuſtande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geſchwindigkeit der Strömung.

Im Kanal, den der Atlantiſche Ozean zwiſchen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die Paſſatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd - Weſt unterbrochen werden, iſt die Richtung des Aequinoktial - ſtromes weniger konſtant. Der afrikaniſchen Küſte zu werden die Schiffe nach Südoſt fortgetrieben, während der Aller - heiligenbai und dem Vorgebirge St. Auguſtin zu, denen die24 Schiffe, die nach der Mündung des La Plata ſteuern, nicht gern nahe kommen, der allgemeine Zug der Waſſer durch eine beſondere Strömung maskiert iſt. Letztere Strömung iſt vom Kap St. Roch bis zur Inſel Trinidad fühlbar, ſie iſt gegen Nordweſt gerichtet mit einer Geſchwindigkeit von 32 bis 48 cm in der Sekunde.

Der Aequinoktialſtrom iſt, wenn auch ſchwach, ſogar jen - ſeits des Wendekreiſes des Krebſes unter 26 und 28° der Breite fühlbar. Im weiten Becken des Atlantiſchen Ozeans, 3150 bis 3600 km von der afrikaniſchen Küſte, beſchleunigt ſich der Lauf der europäiſchen Schiffe, welche nach den An - tillen gehen, ehe ſie in die heiße Zone gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 18. bis 35. Grad, zwiſchen den Pa - rallelkreiſen von Tenerifa und Ceuta, unter 46 und 48° der Länge, bemerkt man keine konſtante Bewegung; denn eine 655 km breite Zone trennt den Aequinoktialſtrom, der nach Weſt geht, von der großen Waſſermaſſe, die nach Oſt ſtrömt und ſich durch auffallend hohe Temperatur auszeichnet. Auf dieſe Waſſermaſſe, bekannt unter dem Namen Golfſtrom (Gulf-stream), ſind die Phyſiker ſeit 1776 durch Franklins und Sir Charles Blagdens ſchöne Beobachtungen aufmerkſam geworden. Da in neuerer Zeit amerikaniſche und engliſche Seefahrer eifrig bemüht ſind, die Richtung desſelben zu er - mitteln, ſo müſſen wir weiter ausholen, um einen allgemeinen Geſichtspunkt für das Phänomen zu gewinnen.

Der Aequinoktialſtrom treibt die Waſſer des Atlantiſchen Ozeans an die Küſten der Moskitoindianer und von Hon - duras. Der von Süd nach Nord geſtreckte neue Kontinent hält dieſe Strömung auf wie ein Damm. Die Gewäſſer er - halten zuerſt die Richtung nach Nordweſt, gelangen durch die Meerenge zwiſchen Kap Catoche und Kap St. Antonio in den Meerbuſen von Mexiko, und folgen den Krümmungen der mexikaniſchen Küſte von Veracruz zur Mündung des Rio del Norte, und von da zur Mündung des Miſſiſſippi und den Untiefen weſtwärts von der Oſtſpitze von Florida. Nach dieſer großen Drehung nach Weſt, Nord, Oſt und Süd nimmt die Strömung wieder die Richtung nach Nord und drängt ſich mit Ungeſtüm in den Kanal von Bahama. Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27° der Breite, eine Ge - ſchwindigkeit von 360 km in 24 Stunden, alſo von 1,60 m in der Sekunde beobachtet, obgleich gerade ein ſehr ſtarker Nordwind wehte. Beim Ausgang des Kanals von Bahama,25 unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt ſich der Golf - ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig - keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge - irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen - den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er - höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 km, unter 28½° Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge - ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 km. Die Gewäſſer des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum 17,5° warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges.

Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41° 25′ der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er ſich auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone, die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis 22,5°. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank ſind um 9,4° kälter als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um kälter als26 der Strom. Dieſe Zonen können ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene Wärmequelle oder einen Grund der Wärmeerniedrigung hat, und beide Momente be - ſtändig fortwirken. 1Wenn es ſich von der Meerestemperatur handelt, hat man ſorgfältig vier ganz geſonderte Erſcheinungen zu unterſcheiden: 1) die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche unter verſchiedenen Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Waſſerſchichten; 3) den Einfluß der Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Tem - peratur der Strömungen, die mit konſtanter Geſchwindigkeit die Gewäſſer der einen Zone durch die ruhenden Gewäſſer der anderen hindurchführten.

Von der Bank von Neufundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den Azoren bleibt der Golfſtrom nach Oſt oder Oſt-Süd-Oſt gerichtet. Noch immer wirkt hier in den Gewäſſern der Stoß nach, den ſie 4500 km von da in der Meerenge von Florida, zwiſchen der Inſel Cuba und den Un - tiefen der Schildkröteninſeln, erhalten haben. Dieſe Ent - fernung iſt das Doppelte von der Länge des Laufes des Amazonenſtromes von Jaen oder dem Paß von Manſeriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inſeln Corvo und Flores, der weſtlichſten der Gruppe der Azoren, nimmt die Strömung eine Meeresſtrecke von 720 km in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rückreiſe aus Südamerika nach Europa dieſe beiden Inſeln aufſuchen, um ihre Länge zu berichtigen, ſo gewahren ſie immer deutlich den Zug des Waſſers nach Südoſt. Unter 33° der Breite rückt der tropiſche Aequinoktial - ſtrom dem Golfſtrom ſehr nahe. In dieſem Striche des Welt - meeres kann man an einem Tage aus den Gewäſſern, die nach Weſt laufen, in diejenigen gelangen, die nach Südoſt oder Oſt-Süd-Oſt ſtrömen.

Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida ſeine Richtung gegen die Meerenge von Gibraltar, die Inſel Ma - deira und die Gruppe der Kanarien. Die Pforte bei den Säulen des Herkules beſchleunigt ohne Zweifel den Zug des Waſſers gegen Oſt. Und in dieſem Sinne mag man mit Recht behaupten, die Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlan - tiſcher Ozean zuſammenhängen, äußere ihren Einfluß auf weite Ferne; ſehr wahrſcheinlich würden aber, auch wenn die Meer - enge nicht beſtünde, Fahrzeuge, die nach Tenerifa ſegeln, den -27 noch nach Südoſt getrieben, und zwar infolge eines An - ſtoßes, deſſen Urſprung man an den Küſten der Neuen Welt zu ſuchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen ſich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man ſich Rechenſchaft von dem Wechſel in ihrer Geſchwindigkeit, warum ſie bald abnimmt, wie zwiſchen dem Kanal von Ba - hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächſt, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanariſchen Inſeln, ſo kann man nicht darüber im Zweifel ſein, daß dieſelbe Urſache, welche die Gewäſſer im Meerbuſen von Mexiko herumdreht, ſie auch bei der Inſel Madeira in Bewegung ſetzt.

Südlich von letztgenannter Inſel läßt ſich die Strömung in ihrer Richtung nach Südoſt und Süd-Süd-Oſt gegen die Küſte von Afrika zwiſchen Kap Cantin und Kap Bojador ver - folgen. In dieſen Strichen ſieht ſich ein Schiff bei ſtillem Wetter nahe an der Küſte, wenn es ſich nach der nicht be - richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Iſt die Oeffnung bei Gibraltar die Urſache der Bewegung des Waſſers, warum hat denn die Strömung ſüdlich von der Meerenge nicht die entgegengeſetzte Richtung? Im Gegenteil aber geht ſie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erſt gerade nach Süd und dann nach Südweſt. Kap Blanc, nach Kap Verd das am weiteſten ſich hinausſtreckende Vorgebirge, ſcheint Einfluß auf dieſe Richtung zu äußern, und unter der Breite desſelben miſchen ſich die Waſſer, deren Bewegung wir von der Küſte von Honduras bis zur afrikaniſchen verfolgt haben, mit dem großen tropiſchen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer weſtwärts von den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewäſſer ſchon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Inſel Ferro kommen die Schiffe ſüdwärts bis zum Wendekreiſe des Krebſes, ehe ſie ſich nach der Schätzung oſtwärts von ihrer wahren Länge befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropiſchen Stromes und der Paſſatwinde nach den Jahreszeiten ſich verſchiebt, ſo zeigt ſich auch der Golfſtrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Dieſe Schwankungen ſind beſonders auffallend vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,28 ebenſo zwiſchen dem 48. Grad weſtlicher Länge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechſelnden Winde in der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eiſes am Nord - pol, von wo in den Monaten Juli und Auguſt eine bedeutende Maſſe ſüßen Waſſers nach Süden abfließt, erſcheinen als die vornehmſten Urſachen, aus welchen ſich in dieſen hohen Breiten Stärke und Richtung des Golfſtromes verändern.

Wir haben geſehen, daß zwiſchen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewäſſer des Atlantiſchen Ozeans mittels Strömungen fortwährend im Kreiſe umhergeführt worden. Angenommen, ein Waſſerteilchen gelange zu derſelben Stelle zurück, von der es ausgegangen, ſo läßt ſich nach dem, was wir bis jetzt von der Geſchwindigkeit der Strömungen wiſſen, berechnen, daß es zu ſeinem 17100 km langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes abſähe, gelangte in drei - zehn Monaten von den Kanariſchen Inſeln an die Küſte von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbuſen von Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild - kröteninſeln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufundland. Die Geſchwindigkeit der rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küſte von Afrika iſt ſchwer zu ſchätzen; nimmt man ſie im Mittel auf 31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, ſo ergeben ſich für dieſe letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches ſind die Wirkungen des langſamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewäſſer des Ozeans herumführt. Das Waſſer des Ama - zonenſtromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa 45 Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela odorata, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieſer ameri - kaniſche Baum wächſt nur unter den Tropen oder in den zu - nächſt angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küſte von Terra Firma oder Honduras abgeriſſen worden. Die Beſchaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenſcheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem der unterſeeiſchen Wälder herrührte, welche durch alte Erd - umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet worden ſind. Wäre der Cedrelaſtamm, ſtatt bei Tenerifa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt,29 ſo wäre er wahrſcheinlich rings um den ganzen Atlantiſchen Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropiſchen Stromes wieder in ſein Heimatland gelangt. Dieſe Ver - mutung wird durch einen älteren Fall unterſtützt, deſſen Abbé Viera in ſeiner allgemeinen Geſchichte der Kanarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Inſel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa gehen ſollte, auf die hohe See getrieben, als ſich niemand von der Mannſchaft an Bord befand. Der Zug der Gewäſſer von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küſte von Guyana bei Caracas ſtrandete.

Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunſt noch wenig ent - wickelt war, bot der Golfſtrom dem Geiſte eines Chriſtoph Kolumbus ſichere Anzeichen vom Daſein weſtwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem unbekannten Menſchenſtamme angehörten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den Azoriſchen Inſeln ans Land geworfen. Ungefähr um dieſelbe Zeit fand Kolumbus Schwa - ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieſer Inſel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö - mung und den Weſtwinden angeſchwemmt worden waren. Dieſe Leichname und dieſe Rohre machten den genueſiſchen Seemann aufmerkſam; er erriet, daß beide von einem gegen Weſt gelegenen Feſtlande herrühren mußten. Wir wiſſen jetzt, daß in der heißen Zone die Paſſatwinde und der tropiſche Strom ſich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um - drehung der Erde widerſetzen. Erzeugniſſe der Neuen Welt können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden Früchte verſchiedener Bäume der Antillen an den Küſten der Inſeln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Kanarier, dieſe Früchte kommen von der bezauberten Inſel St. Borondon, die nach den See - mannsmärchen und nach gewiſſen Sagen weſtwärts in einem Striche des Ozeans liegen ſollte, der beſtändig in Nebel ge - hüllt ſei.

Mit dieſer Ueberſicht der Strömungen im Atlantiſchen Meere wollte ich hauptſächlich darthun, daß der Zug der Ge - wäſſer gegen Südoſt, von Kap St. Vincent zu den Kanari - ſchen Inſeln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung iſt, in der ſich die Oberfläche des Ozeans an ſeinem Weſtende be - findet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golf -30 ſtromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südweſt nach Nordoſt gegen die Küſten von Europa gerichtet iſt. Dieſe Abteilung des Stromes wird ſehr reißend, wenn der Wind lange aus Weſt geblaſen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor - überſtreicht, wirft er alle Jahre an die Weſtküſten von Ir - land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdſtrich Amerikas eigentümlich ſind. Am Strande der He - briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verſchiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Feſtlande. Die Strömung treibt nicht ſelten wohl erhaltene Fäſſer mit fran - zöſiſchem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben dieſen Beiſpielen von den weiten Wanderungen der Gewächſe ſtehen andere, welche die Ein - bildungskraft beſchäftigen. Die Trümmer des engliſchen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der ſchottiſchen Küſte gefunden. In denſelben Strichen kommen zuweilen verſchiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Weſtwind lange angehalten, ſo entſteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küſten von Grönland und Labrador bis nord - wärts von Schottland gerade nach Oſt-Süd-Oſt gerichtet iſt. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikaniſche Wilde vom Stamme der Es - kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verſchlagen, mittels der Strömung zu den orkadi - ſchen Inſeln. Dieſer letztere Fall verdient um ſo mehr Auf - merkſamkeit, als man daraus zugleich erſieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be - wegung der Gewäſſer des Ozeans ein Mittel werden konnte, um die verſchiedenen Menſchenſtämme über die Erde zu ver - breiten.

Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfſtromes, ſowie über die Fortſetzung desſelben gegen die Küſten von Europa und Afrika wiſſen, iſt die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verſchiedenen Richtungen über das Atlan - tiſche Meer gefahren ſind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten weſentlich beitragen kann, ſo wäre es von ſo großem Belang für die praktiſche Seemanns - kunſt, als wiſſenſchaftlich von Intereſſe, wenn Schiffe mit31 vorzüglichen Chronometern im Meerbuſen von Mexiko und im nördlichen Ozean zwiſchen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zum Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abſtande ſich der Golfſtrom in den verſchiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der verſchiedenen Winde ſüdlich von der Mündung des Miſſiſſippi und oſtwärts von den Vorgebirgen Hatteras und Codd hält. Dieſelben könnten zu unterſuchen haben, ob der große Strom von Florida be - ſtändig am öſtlichen Ende der Bank von Neufundland hin - ſtreicht, und unter welchem Parallel zwiſchen dem 32. und 40. Grad weſtlicher Länge die Gewäſſer, die von Oſt nach Weſt ſtrömen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am nächſten gerückt ſind. Die Löſung der letzteren Frage iſt deſto wichtiger, als die meiſten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückkehren, die bezeichneten Striche befahren. Neben der Richtung und Geſchwindigkeit der Strömungen könnte ſich eine ſolche Expedition mit Beobachtungen über die Meeres - temperatur, über die Linien ohne Abweichung, die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der magnetiſchen Kraft beſchäftigen. Beobachtungen dieſer Art erhalten einen hohen Wert, wenn der Punkt, wo ſie angeſtellt werden, aſtronomiſch beſtimmt iſt. Auch in den von Europäern am ſtärkſten be - ſuchten Meeren, weit von jeder Küſte, kann ein unterrichteter Seemann der Wiſſenſchaft wichtige Dienſte leiſten. Die Ent - deckung einer unbewohnten Inſelgruppe iſt von geringerem Intereſſe, als die Kenntnis der Geſetze, welche um eine Menge vereinzelter Thatſachen das einigende Band ſchlingen.

Denkt man den Urſachen der Strömungen nach, ſo er - kennt man, daß ſie viel häufiger vorkommen müſſen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewäſſer des Meeres können durch gar mancherlei in Bewegung geſetzt werden, durch einen äußeren Anſtoß, durch Verſchiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch das zeitweiſe Schmelzen des Polareiſes, end - lich durch das ungleiche Maß der Verdunſtung unter ver - ſchiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieſer Urſachen zum ſelben Effekt zuſammen, bald bringen ſie entgegengeſetzte Effekte hervor. Schwache, aber beſtändig in einem ganzen Erdgürtel wehende Winde, wie die Paſſatwinde, bedingen eine Bewegung vorwärts, wie wir ſie ſelbſt bei den ſtärkſten Stürmen nicht beobachten, weil dieſe auf ein kleines Gebiet beſchränkt ſind. Wenn in einer großen Waſſermaſſe die Waſſer -32 teilchen an der Oberfläche ſpezifiſch verſchieden ſchwer werden, ſo bildet ſich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Waſſer am kälteſten iſt, oder am meiſten ſalzſaures Natron, ſchwefelſauren Kalk und ſchwefelſaure oder ſalzſaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den Wendekreiſen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis der hundertteiligen Skale. Dies ergibt ſich aus zahlreichen Be - obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in dieſen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° ſinkt, ſo kann das Waſſer einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Waſſers ſo nahe gerückten Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Exiſtenz ſolcher kalten Waſſerſchichten in niederen Breiten weiſt ſomit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; ſie weiſt ferner darauf hin, daß die Salze, welche das ſpezifiſche Gewicht des Waſſers verändern, im Ozean ſo verteilt ſind, daß ſie die von der Verſchiedenheit im Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die Waſſerteilchen je nach der Breite eine verſchiedene Geſchwindig - keit haben, ſo ſollte man vorausſetzen, daß jede von Süd nach Nord gehende Strömung zugleich nach Oſt, die Gewäſſer dagegen, die vom Pol zum Aequator ſtrömen, nach Weſt ab - lenken müßten. Man ſollte ferner glauben, daß dieſe Neigung den tropiſchen Strom bis zu einem gewiſſen Grade einerſeits verlangſamen, andererſeits dem Polarſtrome, der ſich im Juli und Auguſt, wenn das Eis ſchmilzt, unter der Breite der Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein - ſtellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautiſche Beobachtungen, die ich zu beſtätigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers verglich, widerſprechen dieſen theoretiſchen An - nahmen. In beiden Hemiſphären weichen die Polarſtröme, wenn ſie merkbar ſind, ein wenig nach Oſt ab, und nach unſerer Anſicht iſt der Grund dieſer Erſcheinung in der Be - ſtändigkeit der in hohen Breiten herrſchenden Weſtwinde zu ſuchen. Ueberdies bewegen ſich die Waſſerteilchen nicht mit derſelben Geſchwindigkeit wie die Luftteilchen, und die ſtärkſten Meeresſtrömungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m in der Sekunde zurück; es iſt demnach höchſt wahrſcheinlich, daß das Waſſer, indem es durch verſchiedene Breiten geht, die denſelben entſprechende Geſchwindigkeit annimmt, und daß33 die Umdrehung der Erde ohne Einfluß auf die Richtung der Strömungen bleibt.

Der verſchiedene Druck, dem die Meeresfläche infolge der wechſelnden Schwere der Luft unterliegt, erſcheint als eine weitere Urſache der Bewegung, die beſonders ins Auge zu faſſen iſt. Es iſt bekannt, daß die Schwankungen des Baro - meters im allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei auseinander liegenden, im ſelben Niveau befindlichen Punkten eintreten. Wenn am einen dieſer Punkte der Barometer einige Linien tiefer ſteht als am anderen, ſo wird ſich dort das Waſſer in - folge des geringeren Luftdruckes erheben, und dieſe örtliche Anſchwellung wird andauern, bis durch den Wind das Gleich - gewicht der Luft wiederhergeſtellt iſt. Nach Vauchers Anſicht rühren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die ſogenannten Seiches , eben davon her. In der heißen Zone können die ſtündlichen Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresfläche hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdruckes ent - ſpricht, zwiſchen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das Queckſilber am höchſten ſteht; aber dieſe Schwingungen, wenn ſie überhaupt merkbar ſind, können keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge haben.

Ueberall wo eine ſolche durch die Ungleichheit im ſpezi - fiſchen Gewicht der Waſſerteile entſteht, bildet ſich ein doppelter Strom, ein oberer und ein unterer, die entgegengeſetzte Rich - tungen haben. Daher iſt in den meiſten Meerengen wie in den tropiſchen Meeren, welche die kalten Gewäſſer der Polar - regionen aufnehmen, die ganze Waſſermaſſe bis zu bedeutender Tiefe in Bewegung. Wir wiſſen nicht, ob es ſich ebenſo ver - hält, wenn die Vorwärtsbewegung, die man nicht mit dem Wellenſchlage verwechſeln darf, Folge eines äußeren Anſtoßes iſt. De Fleurieu führt in ſeinem Bericht über die Expedition der Iſis mehrere Thatſachen an, die darauf hinweiſen, daß das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig iſt, als die Phy - ſiker gewöhnlich annehmen. Ohne hier auf eine Unterſuchung einzugehen, mit der wir uns in der Folge zu beſchäftigen haben werden, bemerken wir nur, daß, wenn der äußere An - ſtoß ein andauernder iſt, wie bei den Paſſatwinden, durch die gegenſeitige Reibung der Waſſerteilchen die Bewegung not - wendig von der Meeresfläche ſich auf die tieferen Waſſer - ſchichten fortpflanzen muß. Eine ſolche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer beim Golfſtrom ſchon lange an; auf dieA. v. Humboldt, Reiſe. I. 334Wirkungen derſelben ſcheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten, welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, ſogar mitten in den Sandbänken an den Nordküſten der Vereinigten Staaten. Dieſer ungeheure Strom warmen Waſſers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be - deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis von ſeiner urſprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Maſſe und der Umſtand, daß das Waſſer ein ſchlechter Wärmeleiter iſt, machen, daß die Ab - kühlung nicht raſcher erfolgt. Wenn ſich ſomit der Golfſtrom auf dem Boden des Atlantiſchen Ozeans ein Bett gegraben hat, und wenn ſeine Gewäſſer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung ſind, ſo müſſen ſie auch in ihren unteren Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter derſelben Breite Meeresſtriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Dieſe Fragen ſind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels des Senkbleies mit Thermometer zu löſen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den Kanariſchen Inſeln gerate man in die Strö - mung und dieſelbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe nach Südoſt. Auf unſerer Fahrt von Coruña nach Süd - amerika machte ſich der Einfluß dieſes Zuges der Waſſer noch weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung ſehr ungleich; ſie betrug täglich im Mittel 54 km, das heißt unſere Korvette wurde in ſechs Tagen um 133 km gegen Oſt abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar ſchnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in dieſen Strichen das Maximum der Geſchwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer - enge ſelbſt entſpricht, ſondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Kap Vincent zieht. Dieſe Linie läuft von der Gruppe der Azoriſchen Inſeln bis zum Kap Cantin parallel mit der Richtung der Gewäſſer. Es iſt ferner zu bemerken, und der Umſtand iſt für die Phyſiker, die ſich mit der Be - wegung der Flüſſigkeiten beſchäftigen, nicht ohne Intereſſe, daß in dieſem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite von 540 bis 655 km, nicht die ganze Waſſermaſſe dieſelbe Geſchwindigkeit, noch dieſelbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen ſich an der Oberfläche ſchmale Streifen, kleinen Bächen gleich, in denen das Waſſer mit einem für das Ohr35 des geübten Schiffers wohl hörbaren Geräuſch hinſtrömt. Am 13. Juni, unter 34° 36′ nördlicher Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge ſolcher Strombetten. Wir konnten die Richtung derſelben mit dem Kompaß aufnehmen, die einen liefen nach Nordoſt, andere nach Oſt-Nord-Oſt, trotzdem, daß der allgemeine Zug der See, wie die Vergleichung der Schätzung mit der chronometriſchen Länge angab, fortwährend nach Südoſt ging. Sehr häufig ſieht man eine ſtehende Waſſer - maſſe von Waſſerfäden durchzogen, die nach verſchiedenen Rich - tungen ſtrömen; ſolches kann man täglich an der Oberfläche unſerer Landſeen beobachten, aber ſeltener bemerkt man ſolch partielle Bewegungen kleiner Waſſerteile infolge lokaler Ur - ſachen mitten in einem Meeresſtrome, der ſich über ungeheure Räume erſtreckt und ſich immer in derſelben Richtung, wenn auch nicht mit bedeutender Geſchwindigkeit fortbewegt. Die ſich kreuzenden Strömungen beſchäftigen unſere Einbildungs - kraft, wie der Wellenſchlag, weil dieſe Bewegungen, die den Ozean in beſtändiger Unruhe erhalten, ſich zu durchdringen ſcheinen.

Wir fuhren am Kap Vincent, das aus Baſalt beſteht, auf mehr als 360 km Entfernung vorüber. Auf 67,5 km erkennt man es nicht mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Nähe des Kaps, ſoll, wie die Steuerleute behaupten, auf 117 km in See ſichtbar ſein. Verhält es ſich wirklich ſo, ſo iſt die Foya 1363 m hoch, alſo 225 m höher als der Veſuv. Es iſt auffallend, daß die portugieſiſche Regierung kein Feuer auf einem Punkte unter - hält, nach dem ſich alle vom Kap der guten Hoffnung und vom Kap Horn kommenden Schiffe richten müſſen; nach keinem anderen Punkte wird mit ſo viel Ungeduld ausgeſchaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm des Herkules und am Kap Spichel ſind ſo ſchwach und ſo wenig weit ſicht - bar, daß man ſie gar nicht rechnen kann. Dazu wäre das Kapuzinerkloſter, das auf Kap Vincent ſteht, ganz der ge - eignete Platz zu einem Leuchtturm mit ſich drehendem Feuer, wie zu Cadiz und an der Garonnemündung.

Seit unſerer Abfahrt von Coruña und bis zum 36. Breiten - grad hatten wir außer Meerſchwalben und einigen Delphinen faſt kein lebendes Weſen geſehen. Umſonſt ſahen wir uns nach Tangen und Weichtieren um. Am 11. Juni aber hatten wir ein Schauſpiel, das uns höchlich überraſchte, das wir aber ſpäter in der Südſee häufig genoſſen. Wir gelangten in einen36 Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Meduſen bedeckt war. Das Schiff ſtand beinahe ſtill, aber die Weich - tiere zogen gegen Südoſt, viermal raſcher als die Strömung. Ihr Vorüberzug währte beinahe drei Viertelſtunden, und dann ſahen wir nur noch einzelne Individuen dem großen Haufen, wie wandermüde, nachziehen. Kommen dieſe Tiere vom Grunde des Meeres, das in dieſen Strichen wohl mehrere tauſend Meter tief iſt? oder machen ſie in Schwärmen weite Züge? Wie man weiß, lieben dieſe Weichtiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem Waſſerſpiegel, welche Kapitän Vobonne im Jahre 1832 nordwärts von der Inſel Porto Santo geſehen haben will, wirklich vorhanden ſind, ſo läßt ſich annehmen, daß dieſe ungeheure Maſſe von Meduſen dorther kam, denn wir befanden uns nur 126 km von jenen Klippen. Wir erkannten neben der Medusa aurita von Baſter und der M. pelagica von Bosc mit acht Ten - takeln (Pelagia denticulata, Peron) eine dritte Art, die ſich der M. hysocella nähert, die Vandelli an der Mündung des Tajo gefunden hat. Sie iſt ausgezeichnet durch die braun - gelbe Farbe und dadurch, daß die Tentakeln länger ſind als der Körper. Manche dieſer Meerneſſeln hatten 10 cm im Durchmeſſer; ihr faſt metalliſcher Glanz, ihre violett und purpurn ſchillernde Färbung hob ſich vom Blau der See äußerſt angenehm ab.

Unter den Meduſen fand Bonpland Bündel der Dagysa notata, eines Weichtieres von ſonderbarem Bau, das Sir Joſeph Banks zuerſt kennen gelehrt hat. Es ſind kleine gallertartige Säcke, durchſichtig, walzenförmig, zuweilen viel - eckig, 3 mm lang, 0,5 bis 0,7 mm im Durchmeſſer. Dieſe Säcke ſind an beiden Enden offen. An der einen Oeffnung zeigt ſich eine durchſichtige Blaſe mit einem gelben Fleck. Dieſe Cylinder ſind der Länge nach aneinander geklebt wie Bienen - zellen und bilden 16 bis 21 cm lange Schnüre. Umſonſt verſuchte ich die galvaniſche Elektrizität an dieſen Weichtieren; ſie brachte keine Zuſammenziehung hervor. Die Gattung Dagysa, die zur Zeit von Cooks erſter Reiſe zuerſt aufgeſtellt wurde, ſcheint zu den Salpen zu gehören. Auch die Salpen wandern in Schwärmen, wobei ſie ſich zu Schnüren anein - ander hängen, wie wir bei der Dagysa geſehen.

Am 13. Juni morgens unter 34° 33′ Breite ſahen wir wieder bei vollkommen ruhiger See große Haufen des letzt - erwähnten Tieres vorbeitreiben. Bei Nacht machten wir die37 Beobachtung, daß alle drei Meduſenarten, die wir gefangen, nur leuchteten, wenn man ſie ganz leicht anſtieß. Dieſe Eigenſchaft kommt alſo nicht der von Forskael in ſeiner Fauna Aegyptiaca beſchriebenen Medusa noctiluca allein zu, die Gmelin mit der Medusa pelagica Löflings vereinigt, obgleich ſie rote Tentakeln und braune Körperwarzen hat. Legt man eine ſehr reizbare Meduſe auf einen Zinnteller und ſchlägt mit irgend einem Metall an den Teller, ſo wird das Tier ſchon durch die leichte Schwingung des Zinnes leuchtend. Gal - vaniſiert man Meduſen, ſo zeigt ſich zuweilen der phosphoriſche Schein im Moment, wo man die Kette ſchließt, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht unmittelbar be - rühren. Die Finger, mit denen man es berührt, bleiben ein paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehäuſe der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Körper einer Meduſe und leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, ſo erſcheint der Schimmer wieder, wenn man mit der trockenen Hand über das Holz fährt. Iſt derſelbe wieder verſchwunden, ſo läßt er ſich nicht noch einmal hervorrufen, wenn auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig iſt. Wie wirkt in dieſem Falle die Reibung oder der Stoß? Die Frage iſt ſchwer zu beantworten. Ruft etwa eine kleine Temperaturerhöhung den Schein hervor, oder kommt er wieder, weil man die Oberfläche erneuert und ſo die Teile des Tieres, welche den Phosphorwaſſerſtoff entbinden, mit dem Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft in Berührung bringt? Ich habe durch Verſuche, die im Jahre 1797 veröffentlicht worden, dar - gethan, daß Scheinholz in reinem Waſſerſtoff und Stickſtoff nicht mehr leuchtet, und daß der Schein wiederkehrt, ſobald man die kleinſte Blaſe Sauerſtoff in das Gas treten läßt. Dieſe Thatſachen, deren wir in der Folge noch mehrere an - führen werden, bahnen uns den Weg zur Erklärung des Meerleuchtens und des beſonderen Umſtandes, daß das Er - ſcheinen des Lichtſchimmers mit dem Wellenſchlag in Zuſammen - hang ſteht.

Zwiſchen Madeira und der afrikaniſchen Küſte hatten wir gelinde Winde oder Windſtille, wodurch ich mich bei den magnetiſchen Verſuchen, mit denen ich mich bei der Ueberfahrt beſchäftigte, ſehr gefördert ſah. Wir wurden nicht ſatt, die Pracht der Nächte zu bewundern; nichts geht über die Klar - heit und Heiterkeit des afrikaniſchen Himmels. Wir wunderten uns über die ungeheure Menge Sternſchnuppen, die jeden38 Augenblick niedergingen. Je weiter wir nach Süden kamen, deſto häufiger wurden ſie, beſonders bei den Kanariſchen Inſeln. Ich glaube auf meinen Reiſen die Beobachtung gemacht zu haben, daß dieſe Feuermeteore überhaupt in manchen Land - ſtrichen häufiger vorkommen und glänzender ſind als in an - deren. Nie ſah ich ihrer ſo viele als in der Nähe der Vulkane der Provinz Quito und in der Südſee an der vulkaniſchen Küſte von Guatemala. Der Einfluß, den Oertlichkeit, Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternſchnuppen zu haben ſcheinen, trennt dieſe Klaſſe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrſcheinlich dem Weltraume außerhalb unſeres Luft - kreiſes angehören. Nach den übereinſtimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erſcheinen in Europa viele Sternſchnuppen nicht mehr als 58470 m über der Erde. Man hat ſogar eine gemeſſen, die nur 27280 m hoch war. Es wäre zu wünſchen, daß dergleichen Meſſungen, die nur annähernde Reſultate ergeben können, öfters wiederholt würden. In den heißen Landſtrichen, beſonders unter den Tropen, zeigen die Sternſchnuppen einen Schweif, der noch 12 bis 15 Sekunden fortleuchtet; ein andermal iſt es, als platzten ſie und zerſtieben in mehrere Lichtfunken, und im allgemeinen ſind ſie viel weiter unten in der Luft als im nördlichen Eu - ropa. Man ſieht ſie nur bei heiterem, blauem Himmel, und unter einer Wolke iſt wohl noch nie eine beobachtet worden. Häufig haben die Sternſchnuppen ein paar Stunden lang eine und dieſelbe Richtung, und dies iſt dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Luſſac und ich Lichterſcheinungen beobachtet, die denen, welche mich bei meinem langen Aufenthalt in Mexiko und Quito be - ſchäftigten, ſehr ähnlich waren. Das Weſen dieſer Meteore hängt vielleicht ab von der Beſchaffenheit von Boden und Luft, gleich gewiſſen Erſcheinungen von Luftſpiegelung und Strahlenbrechung an der Erdoberfläche, wie ſie an den Küſten von Kalabrien und Sizilien vorkommen.

Wir bekamen auf unſerer Fahrt weder die Inſeln De - ſiertas noch Madeira zu Geſicht. Gerne hätte ich die Länge dieſer Inſeln berichtigt und von den vulkaniſchen Bergen nord - wärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De Borda be - richtet, man ſehe dieſe Berge auf 90 km, was nur auf eine Höhe von 806 m hinwieſe; wir wiſſen aber, daß nach neueren Meſſungen der höchſte Gipfel von Madeira 1573 m hoch iſt. Die kleinen Inſeln Deſiertas und Salvages, auf denen man39 Orſeille und Mesembryanthemum crystallinum ſammelt, haben nicht 390 m ſenkrechter Höhe. Es ſcheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Beſtimmungen hinzu - weiſen, weil ſich mittels einer Methode, deren in dieſer Reiſe - beſchreibung öfter Erwähnung geſchieht und deren ſich Borda, Lord Mulgrave, de Roſſel und Don Cosme Churruca auf ihren Reiſen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinſtrumenten nimmt, mit hin - länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit ſich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Inſel befindet.

Als wir 180 km oſtwärts von Madeira waren, ſetzte ſich eine Schwalbe auf die Marsſtange. Sie war ſo müde, daß ſie ſich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchſchwalbe (Hi - rundo rustica, Lin.). Was mag einen Vogel veranlaſſen, in dieſer Jahreszeit und bei ſtiller Luft ſo weit zu fliegen? Bei d’Entrecaſteaux Expedition ſah man gleichfalls eine Rauch - ſchwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, ſie komme eben aus Europa. Wir befuhren dieſe Striche im Juni, und ſeit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf - gerührt. Ich betone den letzteren Umſtand, weil kleine Vögel, ſogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verſchlagen werden, wie wir es in der Südſee, weſtwärts von der Küſte von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Inſel Lanzarote, einer der ſieben großen Kanarien, anzulegen, um ſich zu erkundigen, ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einſchlagen ſollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich faſt immer zweimal des Tages beſtimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir ſchon unter 29° 26′ der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs und ſteuerte gegen Oſt. Da zeigte ſich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er - ſchien. Um 5 Uhr, bei niedriger ſtehender Sonne, lag die Inſel Lanzarote ſo deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges meſſen konnte, der majeſtätiſch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten,40 der in der Nacht vom 1. September 1730 ſo große Ver - heerungen angerichtet hat.

Die Strömung trieb uns ſchneller gegen die Küſte, als wir wünſchten. Im Hinfahren ſahen wir zuerſt die Inſel Fuerteventura, bekannt durch die vielen Kamele,1Dieſe Kamele, die zum Feldbau dienen und deren Fleiſch man im Lande zuweilen eingeſalzen ißt, lebten hier nicht vor der Eroberung der Inſeln durch die Béthencourts. Im 16. Jahrhundert hatten ſich die Eſel auf Fuerteventura dergeſtalt vermehrt, daß ſie verwildert waren und man Jagd auf ſie machen mußte. Man ſchoß ihrer mehrere tauſend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde auf Fuerteventura ſind von berberiſcher Raſſe und aus - gezeichnet ſchön. die darauf leben, und bald darauf die kleine Inſel Lobos im Kanal zwiſchen Fuerteventura und Lanzarote. Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der Mond beſchien die vulkaniſchen Gipfel von Lanzarote, deren mit Aſche bedeckte Abhänge wie Silber ſchimmerten. Antares glänzte nahe der Mondſcheibe, die nur wenige Grad über dem Horizont ſtand. Die Nacht war wunderbar heiter und friſch. Obgleich wir nicht weit von der afrikaniſchen Küſte und der Grenze der heißen Zone waren, zeigte der hundertteilige Thermometer nicht mehr als 18°. Es war, als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmaſſe vermehrte. Zum erſtenmal konnte ich an einem zweizölligen Sextanten von Troughton mit ſehr feiner Teilung den Nonius ableſen, ohne mit einer Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unſerer Reiſegefährten waren Kanarier; gleich allen Einwohnern der Inſel prieſen ſie enthuſiaſtiſch die Schönheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan ſchwere Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das ſchöne Sternbild des Skorpion. Wir ſahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren wahrſcheinlich Fiſcher, die ſich zur Fahrt rüſteten. Wir hatten auf der Reiſe fortwährend in den alten ſpaniſchen Reiſebeſchreibungen geleſen, und dieſe ſich hin und her be - wegenden Lichter erinnerten uns an die, welche Pedro Gutierez, ein Page der Königin Iſabella, in der denkwürdigen Nacht, da die Neue Welt entdeckt wurde, auf der Inſel Guanahani ſah.

Am 17. morgens war der Horizont neblig und der Himmel leicht umzogen. Deſto ſchärfer traten die Berge von Lanzarote in ihren Umriſſen hervor. Die Feuchtigkeit erhöht41 die Durchſichtigkeit der Luft und rückt zugleich ſcheinbar die Gegenſtände näher. Dieſe Erſcheinung iſt jedem bekannt, der Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der Anden ſieht, hygrometriſche Beobachtungen anzuſtellen. Wir liefen, mit dem Senkblei in der Hand, durch den Kanal zwiſchen den Inſeln Alegranza und Montaña Clara. Wir unterſuchten den Archipel kleiner Eilande nörd - lich von Lanzarote, die ſowohl auf der ſonſt ſehr genauen Karte von de Fleurieu, als auf der Karte, die zur Reiſe der Fregatte Flora gehört, ſo ſchlecht gezeichnet ſind. Die auf Be - fehl des Herrn de Caſtries im Jahre 1786 veröffentlichte Karte des Atlantiſchen Ozeans hat dieſelben irrigen Angaben. Da die Strömungen in dieſen Strichen ausnehmend raſch ſind, ſo mag die für die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier ſtehen, daß die Lage der fünf kleinen Inſeln Alegranza, Clara, Gracioſa, Roca del Eſte und Infierno nur auf der Karte der Kanariſchen Inſeln von Borda und im Atlas von Tofiño genau angegeben iſt, welcher letztere ſich dabei an die Beobachtungen von Don Joſe Varela hielt, die mit denen der Fregatte Bouſſole ziemlich übereinſtimmen.

Inmitten dieſes Archipels, den Schiffe, die nach Tenerifa gehen, ſelten befahren, machte die Geſtaltung der Küſten den eigentümlichſten Eindruck auf uns. Wir glaubten uns in die Euganeiſchen Berge im Vicentiniſchen oder an die Ufer des Rheins bei Bonn verſetzt (Siebengebirge). Die Geſtal - tung der organiſchen Weſen wechſelt nach den Klimaten, und dieſe erſtaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Ver - teilung der Pflanzen und Tiere ſeinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die vielleicht früher gebildet worden, als die Urſachen, von welchen die Abſtufung der Klimate abhängt, in Wirkſamkeit getreten, ſind in beiden Hemiſphären die näm - lichen. Die Porphyre, welche glaſigen Feldſpat oder Horn - blende einſchließen, die Phonolithe (Werners Porphyrſchiefer), Grünſteine, Mandelſteine und Baſalte zeigen faſt ſo konſtante Formen wie die einfachen kriſtalliniſchen Körper. Auf den Kanarien wie in der Auvergne, im böhmiſchen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am ſymmetriſchen Bau der Berge, an den geſtutzten, bald einzeln ſtehenden, bald zu Gruppen vereinigten Kegeln, an den Plateaus, die an beiden Enden mit einer runden niedrigen Kuppe gekrönt ſind.

Der ganze weſtliche Teil von Lanzarote, den wir in der42 Nähe ſahen, hat ganz das Anſehen eines in neueſter Zeit von vulkaniſchem Feuer verwüſteten Landes. Alles iſt ſchwarz, dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fern - rohr Baſalt in ziemlich dünnen, ſtark fallenden Schichten. Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder den Schlacken - und Aſchenhügeln, welche am Fuße des Vul - kanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berſtenden Boden emporgeſtiegen ſind. Nach Abbé Viera wurde auch im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Inſel völlig um - gewandelt. Der Große Vulkan , deſſen wir oben erwähnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temanfaya heißt, verheerte das fruchtbarſte und beſtangebaute Gebiet; neun Dörfer wurden durch die Lavaſtröme völlig zerſtört. Ein heftiges Erdbeben war der Kataſtrophe vorangegangen, und gleich ſtarke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher ge - ſpürt. Letztere Erſcheinung iſt um ſo auffallender, je ſeltener ſie nach einem Ausbruche iſt, wenn einmal nach dem Ausfluß der geſchmolzenen Stoffe die elaſtiſchen Dämpfe durch den Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen Vulkanes iſt ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach den Höhenwinkeln, die ich in verſchiedenen Abſtänden genom - men, ſcheint ſeine abſolute Höhe nicht viel über 580 m zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inſeln Alegranza une Clara ſind kaum 95 bis 134 m hoch. Man wundert ſich, daß Gipfel, die ſich auf hoher See ſo impoſant darſtellen, nicht höher ſein ſollen. Aber nichts iſt ſo unſicher als unſer Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns Gegenſtände ganz nahe am Horizont erſcheinen. Einer Täu - ſchung derart iſt es zuzuſchreiben, wenn vor den Meſſungen de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der Magelhaensſchen Meerenge und des Feuerlandes bei den See - fahrern für ungemein hoch galten.

Die Inſel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei der Ankunft der Spanier zeichneten ſich die Bewohner vor den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus. Sie hatten Häuſer aus behauenen Steinen, während die Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen wohnten. Auf Lanzarote herrſchte zu jener Zeit ein ſeltſamer Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt. 1In Tibet iſt übrigens die Vielmännerei nicht ſo häufig, als man glaubt, und von der Prieſterſchaft mißbilligt.Eine43 Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der Rechte des Familienhauptes wechſelten. Der eine Ehemann ward als ſolcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt, ſofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das Hausgeſinde zurück. Es iſt zu bedauern, daß wir von den Geiſtlichen im Gefolge Johanns von Béthencourt, welche die Geſchichte der Eroberung der Kanarien geſchrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem ſo ſonderbare Bräuche herrſchten. Im 15. Jahrhundert be - ſtanden auf der Inſel Lanzarote zwei kleine voneinander unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geſchieden waren, dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben.

Wegen des Windes mußten wir zwiſchen den Inſeln Alegranza und Montaña Clara durchfahren. Da niemand am Bord der Korvette je in dieſem Kanal geweſen war, ſo mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organiſche Subſtanz von ſo ſonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange nicht wußten, ob wir ſie für einen Zoophyten oder für eine Tangart halten ſollten. Auf einem bräunlichen, 8 cm langen Stiel ſitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie ſind hellgrün, lederartig und geſtreift wie die Blätter der Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche iſt mit ſteifen, weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung ſind ſie konkav und ineinander geſchachtelt. Wir konnten keine Spur von willkührlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem Galvanismus verſuchten. Der Stiel iſt nicht holzig, ſondern beſteht aus einem hornartigen Stoff, gleich der Achſe der Gorgonen. Da Stickſtoff und Phosphor in Menge in verſchiedenen kryptogamiſchen Gewächſen nachgewieſen ſind, ſo wäre nichts dabei herausgekommen, wenn wir auf chemiſchem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieſer organiſche Körper dem Pflanzen - oder dem Tierreiche angehöre. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern ſehr nahe kommt, ſo ſtellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das Gewächs bedeckt iſt, kommen bei vielen anderen Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es friſch aus der See unter dem Mikroſkop unterſucht wurde, nicht die drüſigen Körper in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gat - tungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber44 wie oft findet man Tange, die vermöge ihrer Entwickelungs - ſtufe in ihrem durchſichtigen Parenchym noch keine Spur von Körnern zeigen.

Ich hätte dieſe Einzelheiten, die in die beſchreibende Na - turgeſchichte gehören, hier übergangen, wenn ſich nicht am Fukus mit weinblattähnlichen Blättern eine phyſiologiſche Erſcheinung von allgemeinerem Intereſſe beobachten ließe. Unſer Seetang hatte, an Madreporen befeſtigt, 68 m tief im Meeresboden vegetiert, und doch waren ſeine Blätter ſo grün wie unſere Gräſer. Nach de Bouguers Verſuchen1In 60 m Tiefe kann der Fukus nur von einem Lichte be - leuchtet geweſen ſein, das 203mal ſtärker iſt als das Mondlicht, alſo gleich der Hälfte des Lichtes, das eine Talgkerze auf 32 cm Entfernung verbreitet. Nach meinen direkten Verſuchen wird aber das Lepidium saticum beim glänzenden Lichte zweier Argandſchen Lampen kaum merkbar grün. wird das Licht, das durch 58,5 m Waſſer hindurchgeht, im Verhältnis von 1 zu 1477,8 geſchwächt. Der Tang von Alegranza iſt alſo ein neuer Beweis für den Satz, daß Gewächſe im Dunkeln vege - tieren können, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln eingeſchloſſenen Keime mancher Liliengewächſe, der Embryo der Malven, der Rhamnoiden, der Piſtazie, der Miſtel und des Zitronenbaums, die Zweige mancher unterirdiſcher Pflanzen, endlich die Gewächſe, die man in Erzgruben bringt, wo die umgebende Luft Waſſerſtoff oder viel Stickſtoff enthält, ſind grün ohne Lichtgenuß. Dieſe Thatſachen berechtigen zu der Annahme, daß der Kohlenwaſſerſtoff, der das Parenchym dunkler oder heller grün färbt, je nachdem der Kohlenſtoff in der Verbindung vorherrſcht, ſich nicht bloß unter dem Einfluß der Sonnenſtrahlen im Gewebe der Gewächſe bildet.

Turner, der ſo viel für die Familie der Tange geleiſtet hat, und viele andere bedeutende Botaniker ſind der Anſicht, die Tange, die man an der Meeresfläche findet, und die unter dem 23. und 25. Grad der Breite und dem 35. der Länge ſich dem Seefahrer als eine weite überſchwemmte Wieſe dar - ſtellen, wachſen urſprünglich auf dem Meeresgrunde und ſchwim - men an der Oberfläche nur im ausgebildeten Zuſtande, nachdem ſie von den Wellen losgeriſſen worden. Iſt dem wirklich ſo, ſo iſt nicht zu leugnen, daß die Familie der Seealgen große Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben feſthält, daß Farbloſigkeit die notwendige Folge des Mangels an Licht iſt;45 denn wie ſollte man vorausſetzen können, daß ſo viele Arten von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und Blättern auf Geſtein unmittelbar unter der Meeresfläche ge - wachſen ſind?

Nach den Angaben eines alten portugieſiſchen Wegweiſers meinte der Kapitän des Pizarro ſich einem kleinen Fort nördlich von Teguiſe, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu befinden. Man hielt einen Baſaltfelſen für ein Kaſtell, man ſalutierte es durch Aufhiſſen der ſpaniſchen Flagge und warf das Boot aus, um ſich durch einen Offizier beim Komman - danten des vermeintlichen Forts erkundigen zu laſſen, ob die Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für einen Teil der Küſte von Lanzarote gehalten, die kleine Inſel Gracioſa ſei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeſchreiblich iſt das Gefühl des Naturforſchers, der zum erſtenmal einen außereuropäiſchen Boden betritt. Die Aufmerkſamkeit wird von ſo vielen Gegenſtänden in Anſpruch genommen, daß man ſich von ſeinen Empfindungen kaum Rechenſchaft zu geben vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Natur - körper vor ſich zu haben, und in der Aufregung erkennt man häufig Dinge nicht wieder, die in unſeren botaniſchen Gärten und naturgeſchichtlichen Sammlungen zu den gemeinſten ge - hören. An 200 m vom Ufer ſahen wir einen Mann mit der Angelrute fiſchen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die Flucht und verſteckte ſich hinter einem Felſen. Die Matroſen hatten Mühe, ſeiner habhaft zu werden. Der Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einſamen, jedoch zuweilen von Kapern beſuchten Orte, das Landen des Bootes, alles hatte dem armen Fiſcher Angſt eingejagt. Wir erfuhren von ihm, die kleine Inſel Gracioſa, an der wir gelandet, ſei von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, ge - trennt. Er erbot ſich, uns in den Hafen los Colorados zu führen, wo wir uns hinſichtlich der Blockade von Tenerifa erkundigen könnten; da er aber zugleich verſicherte, ſeit mehre - ren Wochen kein Fahrzeug auf offener See geſehen zu haben, ſo beſchloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu ſteuern.

Das kleine Stück der Inſel Gracioſa, das wir kennen gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei46 Neapel zwiſchen Portici und Torre del Greco. Die Felſen ſind nackt, ohne Bäume und Gebüſche, meiſt ohne Spur von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceo - larien, kamen hin und wieder auf dem Baſalt vor. Laven, die nicht mit vulkaniſcher Aſche bedeckt ſind, bleiben Jahr - hunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrika - niſchen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trocken - heit die Entwickelung der kryptogamiſchen Gewächſe.

Mit Sonnenuntergang ſchifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel, aber der Wind war zu ſchwach, als daß wir unſeren Weg nach Tenerifa hätten fortſetzen können. Die See war ruhig; ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont und ließ alle Gegenſtände größer erſcheinen. In ſolcher Einſam - keit, ringsum ſo viele unbewohnte Eilande, ſchwelgten wir lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die ſchwarzen Berge von Gracioſa zeigten 160 bis 200 m hohe ſenkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche fielen, gaben der Landſchaft einen ſchwermütigen Charakter. Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes ſtiegen Baſaltfelſen aus dem Waſſer auf. Ihr Daſein mahnte uns an die weit entlegene Zeit, wo unterſeeiſche Vulkane neue Inſeln emporhoben oder die Feſtländer zertrümmerten. Alles umher verkündete Verwüſtung und Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die Küſte von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwiſchen zwei mit zerſtreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog ſich ein kleiner bebauter Landſtrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbſt die Wüſte belebt ſich, ſobald man den Spuren der arbeitſamen Menſchen - hand begegnet.

Wir verſuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Kanal zwiſchen Alegranza und Montaña Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um an der Nordſpitze von Gracioſa ans Land zu gehen. Da der Wind ſehr flau wurde, ſo trieb uns die Strömung nahe zu einem Riff, an dem ſich die See ungeſtüm brach, und das die alten Karten als Infierno bezeichnen. Als wir das Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor uns hatten, ſahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe Lavakuppe iſt, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken, die den Koks oder der ſchwammigen Maſſe der entſchwefel - ten Steinkohle ähnlich ſind. Wahrſcheinlich iſt die Klippe In -47 fierno,1Ich bemerke hier, daß dieſe Klippe ſchon auf der berühmten venezianiſchen Karte des Andrea Bianco angegeben iſt, daß aber mit dem Namen Infierno, wie auch auf der älteſten Karte des Pici - gano, Tenerifa bezeichnet iſt, wahrſcheinlich weil die Guanchen den Pik als den Eingang der Hölle anſahen. welche die neueren Karten Roca del Oeste (weſtlicher Fels) nennen, durch das vulkaniſche Feuer emporgehoben. Sie kann ſogar früher weit höher geweſen ſein; denn die neue Inſel der Azoren, die zu wiederholten Malen aus dem Meere geſtiegen, in den Jahren 1638 und 1719, war 115 m hoch2Im Jahre 1720 war die Inſel auf 31 bis 36 km ſichtbar. In denſelben Strichen iſt im Jahre 1811 wieder eine Inſel er - ſchienen. geworden, als ſie im Jahre 1728 ſo gänzlich verſchwand, daß man da, wo ſie geſtanden, das Meer 146 m tief fand. Meine Anſicht vom Urſprung der Baſaltkuppe Infierno wird durch ein Ereignis beſtätigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derſelben Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temanfaya erhoben ſich vom Meeres - boden zwei pyramidale Hügel von ſteiniger Lava, und ver - ſchmolzen nach und nach mit der Inſel Lanzarote.

Da der ſchwache Wind und die Strömung uns aus dem Kanal von Alegranza nicht herauskommen ließen, beſchloß man, während der Nacht zwiſchen der Inſel Clara und der Roca del Oeste zu kreuzen. Dies hätte beinahe ſehr ſchlimme Folgen für uns gehabt. Es iſt gefährlich, ſich bei Windſtille in der Nähe dieſes Riffes aufzuhalten, gegen das die Strö - mung ausnehmend ſtark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Strömung gewahr zu werden. Die nahe vor uns ſenkrecht aus dem Waſſer aufſteigenden Fels - maſſen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Korvette gehorchte dem Steuer faſt nicht mehr und jeden Augenblick fürchtete man zu ſtranden. Es iſt ſchwer begreiflich, wie eine einzelne Baſaltkuppe mitten im weiten Weltmeer das Waſſer in ſolche Aufregung verſetzen kann. Dieſe Er - ſcheinungen, welche die volle Aufmerkſamkeit der Phyſiker verdienen, ſind übrigens den Seefahrern wohl bekannt; ſie treten in der Südſee, namentlich im kleinen Archipel der Galapagosinſeln, in furchtbarem Maßſtabe auf. Der Tem - peraturunterſchied zwiſchen der Flüſſigkeit und der Felsmaſſe vermag den Zug der Strömung zu ihnen hin nicht zu er -48 klären, und wie ſollte man es glaublich finden, daß ſich das Waſſer am Fuße der Klippen in die Tiefe ſtürzt, und daß bei dieſem fortwährenden Zug nach unten die Waſſerteilchen den entſtehenden leeren Raum auszufüllen ſuchen? 1Mit Verwunderung lieſt man in einem ſonſt ganz nützlichen, unter den Seeleuten ſehr verbreiteten Buche, in der neunten Aus - gabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, in - folge der Maſſenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug ſchwer von der Küſte weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von dieſer ſelbſt angezogen.

Am 18. morgens wurde der Wind etwas friſcher, und ſo gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal ſehr nahe, und jetzt bemerkten wir im Geſtein große Spalten, durch welche wahrſcheinlich die Gaſe entwichen, als die Baſaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren die kleinen Inſeln Alegranza, Montaña Clara und Gracioſa aus dem Geſicht. Sie ſcheinen nie von Guanchen bewohnt geweſen zu ſein und man beſucht ſie jetzt nur, um Orſeille dort zu ſammeln; dieſe Pflanze iſt übrigens weniger geſucht, ſeit ſo viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen Europa koſtbare Farbſtoffe liefern. Montaña Clara iſt be - rühmt wegen der ſchönen Kanarienvögel, die dort vorkommen. Der Geſang dieſer Vögel wechſelt nach Schwärmen, wie ja auch bei uns der Geſang der Finken in zwei benachbarten Landſtrichen häufig ein anderer iſt. Auf Montaña Clara gibt es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren nicht ſo öde iſt als die Küſte, die wir geſehen. Der Name Alegranza kommt her von La Joyeuſe , wie die erſten Er - oberer der Kanarien, zwei normänniſche Barone, Jean de Béthencourt und Gadifer de Salle, die Inſel benannten. Es war der erſte Punkt, wo ſie gelandet. Nach einem Aufent - halt von einigen Tagen auf der Inſel Gracioſa, von der wir ein kleines Stück geſehen, beſchloſſen ſie ſich der benachbarten Inſel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia, dem Häuptling der Guanchen, ſo gaſtfreundlich empfangen, wie Cortez im Palaſt Montezumas. Der Hirtenkönig, der keine anderen Schätze hatte als ſeine Ziegen, wurde ſo ſchmäh - lich verraten, wie der mexikaniſche Sultan.

Wir fuhren an den Küſten von Lanzarote, Lobos und Fuerteventura hin. Die zweite ſcheint früher mit den anderen zuſammengehangen zu haben. Dieſe geologiſche Hypotheſe49 wurde ſchon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner, Juan Galindo, aufgeſtellt. Er war ſogar der Anſicht, König Juba habe nur ſechs Kanariſche Inſeln genannt, weil zu ſeiner Zeit drei derſelben nur eine gebildet. Ohne auf dieſe unwahrſcheinliche Hypotheſe einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inſeln Junonia, die Inſeln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria der Alten erklärt.

Da der Horizont dunſtig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik de Teyde nicht anſichtig werden. Iſt der Vulkan wirklich 3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometriſche Meſſung an - gibt, ſo muß ſein Gipfel auf 80 km zu ſehen ſein, das Auge am Meeresſpiegel angenommen und die Refraktion gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der Pik im Kanal zwiſchen Lanzarote und Fuerteventura, der nach Varelas Karte 20′ oder gegen 225 km davon entfernt iſt, je geſehen worden ſei. Der Punkt ſcheint indeſſen durch einige Offiziere der königlich ſpaniſchen Marine entſchieden worden zu ſein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffs - tagebuch in Händen gehabt, in dem ſtand, der Pik von Tene - rifa ſei in 250 km Entfernung beim ſüdlichen Vorgebirge von Lanzarote, genannt Pichiguera, geſehen worden, und zwar er - ſchien der Gipfel unter einem ſo großen Winkel, daß der Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte noch 40,5 km weiter weg geſehen werden können. Das war im September, gegen Abend, bei ſehr feuchtem Wetter. Rechnet man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, ſo finde ich, daß man, um die Erſcheinung zu erklären, eine Refraktion gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die ge - mäßigte Zone nicht außerordentlich viel iſt. Nach den Beob - achtungen des Generals Roy ſchwanken in England die Re - fraktionen zwiſchen 1 / 20 und , und wenn es wahr iſt, daß ſie an der Küſte von Afrika dieſe äußerſten Grenzen erreichen, woran ich ſehr zweifle, ſo könnte unter gewiſſen Umſtänden der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km geſehen werden.

Seeleute, die häufig dieſe Striche befahren und über die Urſachen der Naturerſcheinungen nachdenken, wundern ſich, daß der Pik de Teyde und der der Azoren1Die Höhe dieſes Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m, nach Ferrer 2413, nach Tofiño 2457, aber dieſe Maße ſind nur zuweilen in ſehrA. v. Humboldt, Reiſe. I. 450großer Entfernung zum Vorſchein kommen, ein andermal in weit größerer Nähe nicht ſichtbar ſind, obgleich der Himmel klar erſcheint und der Horizont nicht dunſtig iſt. Dieſe Um - ſtände verdienen die Aufmerkſamkeit des Phyſikers um ſo mehr, als viele Fahrzeuge auf der Rückreiſe nach Europa mit Un - geduld des Erſcheinens dieſer Berge harren, um ihre Länge danach zu berichtigen, und ſie ſich weiter davon entfernt glauben, als ſie in Wahrheit ſind, wenn ſie ſie bei hellem Wetter in Entfernungen, wo die Sehwinkel ſchon ſehr bedeutend ſein müßten, nicht ſehen können. Der Zuſtand der Atmoſphäre hat den bedeutendſten Einfluß auf die Sichtbarkeit ferner Gegenſtände. Im allgemeinen läßt ſich annehmen, daß der Pik von Tenerifa im Juli und Auguſt, bei ſehr warmem, trockenem Wetter, ziemlich ſelten ſehr weit geſehen wird, daß er dagegen im Januar und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige Stunden vor einem ſtarken Regen in außerordentlich großer Entfernung zu Geſicht kommt. Die Durchſichtigkeit der Luft ſcheint, wie ſchon oben bemerkt, in erſtaunlichem Maße erhöht zu werden, wenn eine gewiſſe Menge Waſſer gleichförmig in derſelben verbreitet iſt. Zudem darf man ſich nicht wundern, wenn man den Pik de Teyde ſeltener ſehr weit ſieht als die Gipfel der Anden, die ich ſo lange Zeit habe beobachten können. Der Pik iſt nicht ſo hoch als der Teil des Atlas, an deſſen Abhang die Stadt Marokko liegt, und nicht wie dieſer mit ewigem Schnee be - deckt. Der Piton oder Zuckerhut, der die oberſte Spitze des Piks bildet, wirft allerdings vieles Licht zurück, weil der aus dem Krater ausgeworfene Bimsſtein von weißlicher Farbe iſt; aber dieſer kleine abgeſtutzte Kegel mißt nur ein Zwanzigteil der ganzen Höhe. Die Wände des Vulkanes ſind entweder mit ſchwarzen, verſchlackten Lavablöcken oder mit einem kräf - tigen Pflanzenwuchs bedeckt, deſſen Maſſe um ſo weniger Licht1annähernde Schätzungen. Der Kapitän des Pizarro, Don Manuel Cagigal, hat mir aus ſeinem Tagebuch bewieſen, daß er den Pik der Azoren auf 166 km Entfernung geſehen hat, zu einer Zeit, wo er ſeiner Länge wenigſtens bis auf 2 Minuten gewiß war. Der Vulkan wurde in Süd Oſt geſehen, ſo daß der Irrtum in der Länge auf die Schätzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluß haben konnte. Indeſſen war der Winkel, unter dem der Pik der Azoren erſchien, ſo groß, daß Cagigal der Meinung iſt, der Vulkan müſſe auf mehr als 180 oder 190 km zu ſehen ſein. Der Abſtand von 166 km ſetzt eine Höhe von 2789 m voraus.51 zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten getrennt ſind, die einen größeren Umfang haben als die be - leuchteten Teile.

Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abge - ſehen von Piton, zu den Bergen gehört, die man, wie Bouguer ſich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ ſieht, weil ſie das Licht auffangen, das von der äußerſten Grenze des Luftkreiſes zu uns gelangt, und wir ihr Daſein nur gewahr werden, weil das Licht in der ſie umgebenden Luft und das, welches die Luftteilchen zwiſchen dem Berge und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verſchiedener Intenſität ſind. 1Aus den Verſuchen desſelben Beobachters geht hervor, daß, wenn dieſer Unterſchied für unſere Organe merkbar werden und der Berg ſich deutlich vom Himmel abheben ſoll, das eine Licht wenig - ſtens um ein Sechzigteil ſtärker ſein muß als das andere.Entfernt man ſich von der Inſel Tenerifa, ſo bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange poſitiv ſichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und ſich vom Himmel hell abhebt; da aber dieſer Kegel nur 156 m hoch und an der Spitze 78 m breit iſt, ſo hat man neuerdings die Frage auf - geworfen, ob er bei ſo unbedeutender Maſſe auf weiter als 180 km ſichtbar ſein kann, und ob es nicht wahrſcheinlicher iſt, daß man in See den Pik erſt dann als ein Wölkchen über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Baſis des Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu 200 m an, ſo findet man, daß der kleine Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erſcheint. Dieſer Winkel iſt groß genug, um einen Gegenſtand ſichtbar zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als an der Baſis breit, ſo dürfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner ſein, und der Gegenſtand machte doch noch einen Eindruck auf unſere Organe; aus mikrometriſchen Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die Grenze der Sichtbarkeit iſt, wenn die Gegenſtände nach allen Richtungen von gleichem Durchmeſſer ſind. Man erkennt in einer weiten Ebene einzelne Baumſtämme mit bloßem Auge, obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenſtandes, der ſich dunkel - farbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die52 andere bis zur Grenze des Luftmeeres fortläuft, ſo folgt daraus, daß, je weiter man vom Gegenſtande wegrückt, deſto kleiner der Unterſchied wird zwiſchen dem Lichte der umgebenden Luft und dem Lichte der vor dem Berge befindlichen Luftſchichten. Daher kommt es, daß nicht ſehr hohe Berggipfel, wenn ſie ſich über dem Horizont zu zeigen anfangen, anfangs dunkler erſcheinen als Gipfel, die man auf ſehr große Entfernung ſieht. Ebenſo hängt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird, nicht allein vom Zuſtande der unteren Luftſchichten ab, auf die unſere meteorologiſchen Beobachtungen beſchränkt ſind, ſondern auch von der Durchſichtigkeit und der phyſiſchen Beſchaffenheit der höheren Regionen; denn das Bild hebt ſich deſto beſſer ab, je ſtärker das Licht in der Luft, das von den Grenzen der Atmoſphäre herkommt, urſprünglich iſt, oder je weniger Verluſt es auf ſeinem Durchgange erlitten hat. Dieſer Umſtand macht es bis zu einem gewiſſen Grade er - klärlich, warum bei gleich heiterem Himmel, bei ganz gleichem Thermometer - und Hygrometerſtand nahe an der Erdoberfläche, der Pik auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt ſind, das eine Mal ſichtbar iſt, das andere Mal nicht. Wahrſcheinlich würde man ſogar den Vulkan nicht häufiger ſehen können, wenn die Höhe des Aſchenkegels, an deſſen Spitze ſich die Krateröffnung befindet, ein Vierteil der ganzen Berghöhe wäre, wie es beim Veſuv der Fall iſt. Die Aſche, zu Pulver zerriebener Bimsſtein, wirft das Licht nicht ſo ſtark zurück als der Schnee der Anden. Sie macht, daß der Berg bei ſehr großem Abſtand ſich nicht hell, ſondern weit ſchwächer dunkelfarbig abhebt. Sie trägt ſo zu ſagen dazu bei, die An - teile des in der Luft verbreiteten Lichtes, deren veränderliche Unterſchiede einen Gegenſtand mehr oder weniger deutlich ſicht - bar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit Granit - ſand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren,1Los Pajonales, von paja, Gras. So heißt die Zone der grasartigen Gewächſe, welche unter der Region des ewigen Schnees liegt. die goldgelb ſind, treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als Gegenſtände, die man negativ ſieht; aber nach der Theorie beſteht eine gewiſſe Grenze, jenſeits welcher dieſe letzteren ſich beſtimmter vom Blau des Himmels abheben.

Bei den koloſſalen Berggipfeln von Quito und Peru, die über die Grenze des ewigen Schnees hinausragen, wirken alle53 günſtigen Umſtände zuſammen, um ſie unter ſehr kleinen Winkeln ſichtbar zu machen. Wir haben oben geſehen, daß der abgeſtumpfte Gipfel des Piks von Tenerifa nur gegen 580 m Durchmeſſer hat. Nach den Meſſungen, die ich im Jahre 1803 zu Riobamba angeſtellt, iſt die Kuppe des Chim - borazo 298 m unter der Spitze, alſo an einer Stelle, die 2533 m höher liegt als der Pik, noch 1312 m breit. Ferner nimmt die Zone des ewigen Schnees ein Vierteil der ganzen Berghöhe ein, und die Baſis dieſer Zone iſt, von der Südſee geſehen, 6700 m breit. Obgleich aber der Chimborazo um zwei Drittel höher iſt als der Pik, ſieht man ihn doch wegen der Krümmung der Erde nur 172,5 km weiter. Wenn er im Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glänzt ſein Schnee ſo ſtark, daß man glauben ſollte, er müßte ſehr weit in der Südſee ſichtbar ſein. Glaubwürdige Schiffer haben mich verſichert, ſie haben ihn bei der Klippe Muerto, ſüdweſtlich von der Inſel Puna, auf 211,5 km ge - ſehen. So oft er noch weiter geſehen worden, ſind die An - gaben unzuverläſſig, weil die Beobachter ihrer Länge nicht ge - wiß waren.

Das in der Luft verbreitete Licht erhöht, indem es auf die Berge fällt, die Sichtbarkeit derer, die poſitiv ſichtbar ſind; die Stärke desſelben vermindert im Gegenteil die Sicht - barkeit von Gegenſtänden, die, wie der Pik von Tenerifa und der der Azoren, ſich dunkelfarbig abheben. Bouguer hat auf theoretiſchem Wege gefunden, daß nach der Beſchaffenheit unſerer Atmoſphäre Berge negativ nicht weiter als auf 157 km geſehen werden können. Die Erfahrung und dieſe Bemerkung iſt wichtig widerſpricht dieſer Rechnung. Der Pik von Tenerifa iſt häufig auf 162, 171, ſogar auf 180 km geſehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichinſeln hat man den Gipfel des Mauna-Roa1Der Mauna-Roa auf den Sandwichinſeln iſt nach Marchand über 5063 m hoch, nach King 5022 m, aber dieſe Meſſungen ſind, trotz ihrer zufälligen Uebereinſtimmung, keineswegs auf zuverläſſigem Wege erzielt. Es iſt eine ziemlich auffallende Erſcheinung, daß ein Berggipfel unter 19° Breite, der wahrſcheinlich über 4870 m hoch iſt, von Schnee ganz entblößt wird. Die ſtarke Abplattung des Mauna-Roa, der Meſa der alten ſpaniſchen Karten, ſeine vereinzelte Lage im Weltmeer und die Häufigkeit gewiſſer Winde, die, durch den aufſteigenden Strom abgelenkt, in ſchiefer Richtung wehen,54 und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee darauf lag, dicht am Horizont auf 238 km geſehen. Dies iſt bis jetzt das auf - fallendſte bekannte Beiſpiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und was noch merkwürdiger iſt, es handelt ſich dabei von einem Gegenſtand, der nur negativ ſichtbar iſt.

Ich glaubte dieſe Bemerkungen am Ende dieſes Kapitels zuſammenſtellen zu ſollen, weil ſie ſich auf eines der wichtig - ſten Probleme der Optik beziehen, auf die Schwächung der Lichtſtrahlen bei ihrem Durchgang durch die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktiſchen Nutzen ſind. Die Vulkane Tenerifas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha, der Pik von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mauna-Roa und der St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresſtrecken oder auf den Küſten der Kontinente, und dienen ſo dem Seefahrer, der die Mittel nicht hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu beſtimmen, gleichſam als Bojen im Fahrwaſſer. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieſer natürlichen Bojen zuſammenhängt, iſt für die Sicherheit der Schiffahrt von Belang.

1mögen die vornehmſten Urſachen ſein. Es läßt ſich nicht wohl an - nehmen, daß ſich Kapitän Marchand in der Schätzung des Abſtandes, in dem er am 10. Oktober 1791 den Gipfel des Mauna-Roa ſah, bedeutend geirrt habe. Er hatte die Inſel Owaihi erſt am 7. abends verlaſſen, und nach der Bewegung der Gewäſſer und den Mondbeobachtungen am 19. betrug die Entfernung wahrſcheinlich ſogar mehr als 238 km. Ueberdies berichtet ein erfahrener See - mann, de Fleurieu, daß der Pik von Tenerifa ſelbſt bei nicht ganz klarem Wetter auf 157 bis 162 km zu ſehen ſei.

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Zweites Kapitel.

Aufenthalt auf Tenerifa. Reiſe von Santa Cruz nach Orotava. Beſteigung des Piks.

Von unſerer Abreiſe von Gracioſa an war der Horizont fortwährend ſo dunſtig, daß trotz der anſehnlichen Höhe der Berge Canarias (Isla de la gran Canaria) die Inſel erſt am 19. abends in Sicht kam. Sie iſt die Kornkammer des Ar - chipels der glückſeligen Inſeln , und man behauptet, was für ein Land außerhalb der Tropen ſehr auffallend iſt, in einigen Strichen erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im Juni. Canaria iſt noch nie von einem unterrichteten Mineralogen beſucht worden; ſie ver - diente es aber um ſo mehr, als mir ihre in parallelen Ketten ſtreichenden Berge von ganz anderem Charakter ſchienen als die Gipfel von Lanzarote und Tenerifa. Nichts iſt für den Geologen anziehender als die Beobachtung, wie ſich an einem beſtimmten Punkte die vulkaniſchen Bildungen zu den Ur - gebirgen und den ſekundären Gebirgen verhalten. Sind ein - mal die Kanariſchen Inſeln in allen ihren Gebirgsgliedern er - forſcht, ſo wird ſich zeigen, daß man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer Hebung durch unterſeeiſche Feuer - ausbrüche zugeſchrieben hat.

Am 19. morgens ſahen wir den Berggipfel Naga (Punta de Naga, Anaga oder Nago), aber der Pik von Tenerifa blieb fortwährend unſichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwiſchte alle Umriſſe. Als wir uns der Reede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, daß der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war ſehr unruhig, wie faſt immer in dieſen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war ſo dicht, daß man kaum auf ein paar Kabellängen ſah. Aber eben da man anfing den Platz zu56 ſalutieren, zerſtreute ſich der Nebel völlig, und da erſchien der Pik de Teyde in einem freien Stück Himmel über den Wolken, und die erſten Strahlen der Sonne, die für uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vorderteil der Korvette, um dieſes herrlichen Schauſpieles zu genießen, da ſignaliſierte man vier engliſche Schiffe, die ganz nahe an unſerem Hinterteile auf der Seite lagen. Wir waren an ihnen vorbeigeſegelt, ohne daß ſie uns bemerkt hatten, und derſelbe Nebel, der uns den Anblick des Piks entzogen, hatte uns der Gefahr entrückt, nach Europa zurückgebracht zu werden. Wohl wäre es für Naturforſcher ein großer Schmerz geweſen, die Küſte von Tenerifa von weitem geſehen zu haben, und einen von Vulkanen zerrütteten Boden nicht betreten zu dürfen.

Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro näherte ſich ſo viel möglich dem Fort, um unter den Schutz desſelben zu kommen. Hier auf dieſer Reede, als zwei Jahre vor unſerer Ankunft die Engländer zu landen verſuchten, riß eine Kanonenkugel Admiral Nelſon den Arm ab (im Juli 1797). Der Generalſtatthalter der Kanariſchen Inſeln1Don Andrès de Perlasca. ſchickte an den Kapitän der Korvette den Befehl, alsbald die Staatsdepeſchen für die Statthalter der Kolonieen, das Geld an Bord und die Poſt ans Land ſchaffen zu laſſen. Die engliſchen Schiffe ent - fernten ſich von der Reede; ſie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd gemacht, das wenige Tage vor uns von Coruña abgegangen war. Es hatte in den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen müſſen, und mehrere Paſſagiere, die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Tenerifa fuhren, waren gefangen worden.

Die Lage dieſer Stadt hat große Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem beſuchteſten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten iſt die Hitze aus denſelben Urſachen ſehr groß; aber von außen erſcheint Santa Cruz trübſeliger. Auf einem öden, ſandigen Strande ſtehen blendend weiße Häuſer mit platten Dächern und Fenſtern ohne Glas vor einer ſchwarzen ſenkrechten Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein hübſcher Hafendamm aus gehauenen Steinen und der öffentliche, mit Pappeln beſetzte Spaziergang bringen die ein - zige Abwechſelung in das eintönige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt ſich der Pik weit weniger maleriſch aus als im57 Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegenſatz zwiſchen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Phy - ſiognomie des Vulkanes. Von den Palmen - und Bananen - gruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lor - beeren und Pinien iſt das vulkaniſche Geſtein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie ſogar Völker, welche unter dem ſchönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im öſtlichen Teil von Tenerifa eine der glückſeligen Inſeln gefunden zu haben meinten. Die Oſtküſte dagegen, an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Un - fruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks iſt nicht öder als das Vorgebirge aus baſaltiſcher Lava, das der Punta de Naga zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Geſteines eben erſt den Grund zu einſtiger Dammerde legen. Im Hafen von Orotava erſcheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von mehr als 16½°, während auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 36′ beträgt. 1Die Spitze des Vulkanes iſt von Orotava etwa 16,5 km, von Santa Cruz 44 km entfernt.

Trotz dieſem Unterſchied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum ſo weit über den Horizont aufſteigt als der Veſuv, vom Molo von Neapel aus geſehen, ſo iſt dennoch der Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede zum erſtenmal ſieht, äußerſt großartig. Wir ſahen nur den Zuckerhut; ſein Kegel hob ſich vom reinſten Himmelsblau ab, während ſchwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsſtein, von den erſten Sonnenſtrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmäh - lich ging dieſer Schimmer in das blendendſte Weiß über, und es ging uns wie den meiſten Reiſenden, wir meinten, der Pik ſei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können.

Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungu - ragua, ſich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten beſetzt iſt, wie der Antiſana und der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa iſt, trotz ſeiner Kegelgeſtalt, einen großen Teil des Jahres in Dunſt gehüllt, und zuweilen ſieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erſchei -58 nung erklärt ſich ohne Zweifel daraus, daß er weſtwärts von einem großen Feſtlande und ganz iſoliert im Meere liegt. Die Schiffer wiſſen recht gut, daß ſelbſt die kleinſten, niedrigſten Eilande die Wolken anziehen und feſthalten. Ueberdies er - folgt die Wärmeabnahme über den Ebenen Afrikas und über der Meeresfläche in verſchiedenem Verhältnis, und die Luft - ſchichten, welche die Paſſatwinde herführen, kühlen ſich immer mehr ab, je weiter ſie gegen Weſt gelangen. Die Luft, die über dem heißen Wüſtenſande ausnehmend trocken war, ſchwängert ſich raſch, ſobald ſie mit der Meeresfläche oder mit der Luft, die auf dieſer Fläche ruht, in Berührung kommt. Man ſieht alſo leicht, warum die Dünſte in Luftſchichten ſicht - bar werden, die, vom Feſtland weggeführt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der ſie ſich mit Waſſer geſättigt hatten. Zudem hält die bedeutende Maſſe eines frei aus dem Atlanti - ſchen Meere aufſteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind der hohen See zutreibt.

Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaub - nis von ſeiten des Statthalters, ans Land gehen zu dürfen. Ich nutzte die Zeit, um die Länge des Hafendammes von Santa Cruz zu beſtimmen und die Inklination der Magnet - nadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu 18° 33′ 10″ an. Dieſe Beſtimmung weicht um 3 bis 4 Bogenminuten von derjenigen ab, die ſich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingré, Borda, Vancouver und La Peyrouſe ergibt. Guenot hatte übrigens gleichfalls 18° 33′ 36″ gefunden und der unglückliche Kapitän Blight 18° 34′ 30″. Die Genauigkeit meines Ergebniſſes wurde drei Jahre darauf bei der Expedition des Ritters Kruſenſtern beſtätigt; man fand für Santa Cruz 16° 12′ 45″ weſtlich von Greenwich, folglich 18° 33′ 0″ weſtlich von Paris. Dieſe Angaben zeigen, daß die Längen, welche Kapitän Cook für Tenerifa und das Kap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit weſtlich ſind. Derſelbe Seefahrer hatte im Jahre 1799 die magnetiſche Inklination gleich 61° 52′ gefunden. Bon - pland und ich fanden 62° 24′, was mit dem Reſultat über - einſtimmt, das de Roſſel bei d’Entrecaſteaux Expedition im Jahre 1791 erhielt. Die Deklination der Nadel ſchwankt um mehrere Grade, je nachdem man ſie auf dem Hafendamm oder an verſchiedenen Punkten nordwärts längs des Geſtades beob - achtet. Dieſe Schwankungen können an einem von vulkani - ſchem Geſtein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit59 Gay-Luſſac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des Veſuvs und im Inneren des Kraters die Intenſität der magne - tiſchen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird.

Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um ſich nach politiſchen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, ſtiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde ſogleich zur Korvette zurückgeſchickt, weil die auf der Reede ſehr gefährliche Brandung es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erſte, was uns zu Geſicht kam, war ein hochgewachſenes, ſehr gebräuntes, ſchlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anſtändigerem Auf - zug; ſie beſtürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In dieſem von Europäern ſo ſtark beſuchten Hafen iſt die Ausſchweifung diszipliniert. Die Capitana iſt von ihresgleichen als Anführerin gewählt, und ſie hat große Gewalt über ſie. Sie läßt nichts geſchehen, was ſich mit dem Dienſt auf den Schiffen nicht verträgt, ſie fordert die Matroſen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden ſich an ſie, wenn man fürchtet, daß ſich einer von der Mann - ſchaft verſteckt habe, um auszureißen.

Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Erſticken heiß vor, und doch ſtand der Thermometer nur auf 25°. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man ſich unbehaglich, ſo oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerſtoff enthält als die Luft am Lande, wie man irrtümlich behauptet hat, ſondern weil ſie weniger mit den Gasgemiſchen geſchwängert iſt, welche die tieriſchen und Pflanzenſtoffe und die Dammerde, die ſich aus ihrer Zerſetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche ſich der chemiſchen Analyſe entziehen, wirken gewaltig auf unſere Organe, zumal wenn ſie nicht ſchon ſeit längerer Zeit denſelben Reizen ausgeſetzt geweſen ſind.

Santa Cruz de Tenerifa, das Añaza der Guanchen, iſt eine ziemlich hübſche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir iſt die Menge von Mönchen und Weltgeiſtlichen, welche die Reiſenden in allen Ländern unter ſpaniſchem Zepter ſehen zu müſſen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beſchreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerſchaft abends zuſammenkommt,60 um der Kühle zu genießen, und das berühmte 10 m hohe Denkmal aus karrariſchem Marmor, geweiht unſerer lieben Frau von Candelaria, zum Gedächtnis ihrer wunderbaren Er - ſcheinung zu Chimiſay bei Guimar im Jahre 1392. Der Hafen von Santa Cruz iſt eigentlich ein großes Karawanſerai auf dem Wege nach Amerika und Indien. Faſt alle Reiſe - beſchreibungen beginnen mit einer Beſchreibung von Madeira und Tenerifa, und wenn die Naturgeſchichte dieſer Inſeln der Forſchung noch ein ungeheures Feld bietet, ſo läßt dagegen die Topographie der kleinen Städte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava faſt nichts zu wünſchen übrig.

Die Empfehlungen des Madrider Hofes verſchafften uns auf den Kanarien, wie in allen anderen ſpaniſchen Beſitzungen, die befriedigendſte Aufnahme. Vor allem erteilte uns der Generalkapitän die Erlaubnis, die Inſel zu bereiſen. Der Oberſt Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregiments, nahm uns in ſeinem Hauſe auf und überhäufte uns mit Höflichkeit. Wir wurden nicht müde, in ſeinem Garten im Freien ge - zogene Gewächſe zu bewundern, die wir bis jetzt nur in Treib - häuſern geſehen hatten, den Bananenbaum, den Melonenbaum, die Poinciana pulcherrima und andere. Das Klima der Kanarien iſt indeſſen nicht warm genug, um den echten Platano arton mit dreieckiger, 186 bis 212 mm langer Frucht, der eine mittlere Temperatur von etwa 24° verlangt und ſelbſt nicht im Thale von Caracas fortkommt, reif werden zu laſſen. Die Bananen auf Tenerifa ſind die, welche die ſpa - niſchen Koloniſten Camburis oder Guineos und Domi - nicos nennen. Der Camburi, der am wenigſten vom Froſt leidet, wird ſogar in Malaga mit Erfolg gebaut;1Die mittlere Temperatur dieſer Stadt beträgt nur 18°. aber die Früchte, die man zuweilen zu Cadiz ſieht, kommen von den Kanarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier Tagen machen. Die Muſa, die allen Völkern der heißen Zone bekannt iſt, und die man bis jetzt nirgends wild ge - funden hat, variiert meiſt in ihren Früchten, wie unſere Apfel - und Birnenbäume. Dieſe Varietäten, welche die meiſten Bo - taniker verwechſeln, obgleich ſie ſehr verſchiedene Klimate verlangen, ſind durch lange Kultur konſtant geworden.

Am Abend machten wir eine botaniſche Exkurſion nach dem Fort Paſo Alto längs der Baſaltfelſen, welche das Vor - gebirge Naga bilden. Wir waren mit unſerer Ausbeute ſehr61 ſchlecht zufrieden, denn die Trockenheit und der Staub hatten die Vegetation ſo ziemlich vernichtet. Cacalia Kleinia, Eu - phorbia canariensis und verſchiedene andere Fettpflanzen, welche ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem ſie wachſen mahnten uns durch ihren Habitus daran, daß dieſe Inſeln Afrika angehören, und zwar dem dürrſten Striche dieſes Feſtlandes.

Der Kapitän der Korvette hatte zwar Befehl, ſo lange zu verweilen, daß wir die Spitze des Piks beſteigen könnten, wenn anders der Schnee es geſtattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der engliſchen Schiffe dürften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fünf Tagen rechnen. Wir eilten demnach, in den Hafen von Orotava zu kommen, der am Weſtabhang des Vulkanes liegt, und wo wir Führer finden ſollten. In Santa Cruz konnte ich niemand auf - finden, der den Pik beſtiegen gehabt hätte, und ich wunderte mich nicht darüber. Die merkwürdigſten Dinge haben deſto weniger Reiz für uns, je näher ſie uns ſind, und ich kannte Schaffhauſer, welche den Rheinfall niemals in der Nähe ge - ſehen hatten.

Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la Laguna, die 682 m über dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir konnten dieſe Höhen - angabe nicht verifizieren, denn wegen der Brandung hatten wir in der Nacht nicht an Bord gehen können, um Barometer und Inklinationskompaß zu holen. Da wir vorausſahen, daß wir bei unſerer Beſteigung des Piks ſehr würden eilen müſſen, ſo war es uns ganz lieb, daß wir Inſtrumente, die uns in unbekannteren Ländern dienen ſollten, hier keiner Gefahr aus - ſetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf läuft an der rechten Seite eines Baches oder Barranco hin, der in der Regenzeit ſchöne Fälle bildet; er iſt ſchmal und vielfach ge - wunden. Nach meiner Rückkehr habe ich gehört, Herr von Perlasca habe hier eine neue Straße anlegen laſſen, auf der Wagen fahren können. Bei der Stadt begegneten uns weiße Kamele, die ſehr leicht beladen ſchienen. Dieſe Tiere werden vorzugsweiſe dazu gebraucht, die Waren von der Douane in die Magazine der Kaufleute zu ſchaffen. Man ladet ihnen gewöhnlich zwei Kiſten mit Havanazucker auf, die zuſammen 450 kg wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13 Zentner oder 52 kaſtiliſche Arrobas ſteigern. Auf Tenerifa ſind die Kamele nicht ſehr häufig, während ihrer auf Lanzarote und62 Fuerteventura viele Tauſende ſind. Dieſe Inſeln liegen Afrika näher und kommen daher auch in Klima und Vegetation mehr mit dieſem Kontinent überein. Es iſt ſehr auffallend, daß dieſes nützliche Tier, das ſich in Südamerika fortpflanzt, dies auf Tenerifa faſt nie thut. Nur im fruchtbaren Diſtrikt von Adexe, wo die bedeutendſten Zuckerrohrpflanzungen ſind, hat man die Kamele zuweilen Junge werfen ſehen. Dieſe Laſttiere, wie die Pferde, ſind im 15. Jahrhundert durch die normänniſchen Eroberer auf den Kanarien eingeführt worden. Die Guanchen kannten ſie nicht, und dies erklärt ſich wohl leicht daraus, daß ein ſo gewaltiges Tier ſchwer auf ſchwachen Fahrzeugen zu transportieren iſt, ohne daß man die Guanchen als die Ueberreſte der Bevölkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben braucht, ſie gehören einer anderen Raſſe an als die Weſtafrikaner.

Der Hügel, auf dem die Stadt San Chriſtobal de la Laguna liegt, gehört dem Syſtem von Baſaltgebirgen an, die, unabhängig vom Syſtem neuerer vulkaniſcher Gebirgsarten, einen weiten Gürtel um den Pik von Tenerifa bilden. Der Baſalt von Laguna iſt nicht ſäulenförmig, ſondern zeigt nicht ſehr dicke Schichten, die nach Oſt unter einem Winkel von 30 bis 40° fallen. Nirgends hat er das Anſehen eines Lava - ſtromes, der an den Abhängen der Piks ausgebrochen wäre. Hat der gegenwärtige Vulkan dieſe Baſalte hervorgebracht, ſo muß man annehmen, wie bei den Geſteinen, aus denen die Somma neben dem Veſuv beſteht, daß ſie infolge eines unter - ſeeiſchen Ausbruches gebildet ſind, wobei die weiche Maſſe wirk - lich geſchichtet wurde. Außer einigen baumartigen Euphorbien, Cacalia Kleinia und Fackeldiſteln (Kaktus), welche auf den Kanarien, wie im ſüdlichen Europa und auf dem afrikaniſchen Feſtlande verwildert ſind, wächſt nichts auf dieſem dürren Ge - ſtein. Unſere Maultiere glitten jeden Augenblick auf ſtark ge - neigten Steinlagern aus. Indeſſen ſahen wir die Ueberreſte eines alten Pflaſters. Bei jedem Schritt ſtößt man in den Kolonieen auf Spuren der Thatkraft, welche die ſpaniſche Nation im 16. Jahrhundert entwickelt hat.

Je näher wir Laguna kamen, deſto kühler wurde die Luft, und dies thut um ſo wohler, da es in Santa Cruz zum Er - ſticken heiß iſt. Da widrige Eindrücke unſere Organe ſtärker angreifen, ſo iſt der Temperaturwechſel auf dem Rückweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man nähere ſich der Mündung eines Schmelzofens. Man hat dieſelbe63 Empfindung, wenn man an der Küſte von Caracas vom Berge Avila zum Hafen von Guayra niederſteigt. Nach dem Geſetz der Wärmeabnahme machen in dieſer Breite 682 m Höhe nur 3 bis Temperaturunterſchied. Die Hitze, welche dem Reiſenden ſo läſtig wird, wenn er Santa Cruz de Tenerifa oder Guayra betritt, iſt daher wohl dem Rückprallen der Wärme von den Felſen zuzuſchreiben, an welche beide Städte ſich lehnen.

Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrſcht, macht die Stadt für die Kanarier zu einem köſtlichen Aufenthalts - orte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume krönen, iſt die Hauptſtadt von Tenerifa wirklich ungemein freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meh - reren Reiſeberichten glauben ſollte, an einem See. Das Regen - waſſer bildet hier periodiſch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der überall in der Natur vielmehr einen früheren Zuſtand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge hat, zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes aus - getrocknetes Becken iſt. Laguna iſt in ſeinem Wohlſtand herab - gekommen, ſeit die Seitenausbrüche des Vulkanes den Hafen von Garachico zerſtört haben und Santa Cruz der Haupt - handelsplatz der Inſeln geworden iſt; es zählt nur noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in ſechs Klöſtern. Manche Reiſende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung be - ſtehe aus Kuttenträgern. Die Stadt iſt mit zahlreichen Wind - mühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in dieſem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das Korn hieß auf Tenerifa tano, auf Lanzarote triffa; die Gerſte hieß auf Kanaria aramotanoque, auf Lanzarote ta - mosen. Geröſtetes Gerſtenmehl (gofio) und Ziegenmilch waren die vornehmſten Nahrungsmittel dieſes Volkes, über deſſen Ur - ſprung ſo viele ſyſtematiſche Träumereien ausgeheckt worden ſind. Dieſe Nahrung weiſt beſtimmt darauf hin, daß die Guanchen zu den Völkern der Alten Welt gehörten, wohl ſelbſt zur kaukaſiſchen Raſſe, und nicht, wie die anderen Atlanten,1Ich laſſe mich hier auf keine Verhandlung über die Exiſtenz der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil ſie von der übrigen Menſchheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde. zu64 den Volksſtämmen der Neuen Welt; die letzteren kannten vor der Ankunft der Europäer weder Getreide, noch Milch, noch Käſe.

Eine Menge Kapellen, von den Spaniern ermitas ge - nannt, liegen um die Stadt Laguna. Umgeben von immer - grünen Bäumen auf kleinen Anhöhen, erhöhen dieſe Kapellen, wie überall, den maleriſchen Reiz der Landſchaft. Das Innere der Stadt entſpricht dem Aeußeren durchaus nicht. Die Häuſer ſind ſolid gebaut, aber ſehr alt, und die Straßen öde. Der Botaniker hat übrigens nicht zu bedauern, daß die Häuſer ſo alt ſind. Dächer und Mauern ſind bedeckt mit Semper - vivum canariense und dem zierlichen Trichomanes, deſſen alle Reiſende gedenken; die häufigen Nebel geben dieſen Ge - wächſen Unterhalt.

Anderſon, der Naturforſcher bei Kapitän Cooks dritter Reiſe, gibt den europäiſchen Aerzten den Rat, ihre Kranken nach Tenerifa zu ſchicken, keineswegs aus der Rückſicht, welche manche Heilkünſtler die entlegenſten Bäder wählen läßt, ſondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmäßigkeit des Klimas der Kanarien. Der Boden der Inſeln ſteigt amphi - theatraliſch auf und zeigt, gleich Peru und Mexiko, wenn auch in kleinerem Maßſtab, alle Klimate, von afrikaniſcher Hitze bis zum Froſte der Hochalpen. Santa Cruz, der Hafen von Orotava, die Stadt desſelben Namens und Laguna ſind vier Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe dar - ſtellen. Das ſüdliche Europa bietet nicht dieſelben Vorteile, weil der Wechſel der Jahreszeiten ſich noch zu ſtark fühlbar macht. Tenerifa dagegen, gleichſam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereiſen von Spanien, hat ſchon ein gut Teil der Herrlichkeit aufzuweiſen, mit der die Natur die Länder zwiſchen den Wendekreiſen ausgeſtattet. Im Pflanzen - reich treten bereits mehrere der ſchönſten und großartigſten Geſtalten auf, die Bananen und die Palmen. Wer Sinn für Naturſchönheit hat, findet auf dieſer köſtlichen Inſel noch kräf - tigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der Welt ſcheint mir geeigneter, die Schwermut zu bannen und einem ſchmerz - lich ergriffenen Gemüte den Frieden wiederzugeben, als Tenerifa und Madeira. Und ſolches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die reine Luft, ſondern vor allem das Nichtvorhandenſein der Sklaverei, deren Anblick einen in beiden Indien ſo tief empört, wie überall, wohin europäiſche Koloniſten ihre ſogenannte Aufklärung und ihre Induſtrie ge - tragen haben.

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Im Winter iſt das Klima von Laguna ſehr neblig und die Einwohner beklagen ſich häufig über Froſt. Man hat in - deſſen nie ſchneien ſehen, woraus man ſchließen ſollte, daß die mittlere Temperatur der Stadt über 18,7° (15° R.) beträgt, das heißt mehr als in Neapel. Für ſtreng kann dieſer Schluß nicht gelten; denn im Winter hängt die Erkältung der Wolken weniger von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der augenblicklichen Erniedrigung der Wärme, der ein Ort vermöge ſeiner beſonderen Lage ausgeſetzt iſt. Die mittlere Temperatur der Hauptſtadt von Mexiko iſt z. B. nur 16,8° (13,5° R.), und doch hat man in hundert Jahren nur ein einziges Mal ſchneien ſehen, während es im ſüdlichen Europa und in Afrika noch an Orten ſchneit, die über 19° mittlere Temperatur haben.

Wegen der Nähe des Meeres iſt das Klima von Laguna im Winter milder, als es nach der Meereshöhe ſein ſollte. Herr Brouſſonet hat ſogar, wie ich mit Verwunderung hörte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava, Brotfruchtbäume (Artocarpus incisa) und Zimtbäume (Laurus cinnamomum) angepflanzt. Dieſe köſtlichen Ge - wächſe der Südſee und Oſtindiens wurden hier einheimiſch, wie auch in Orotava. Sollte dieſer Verſuch nicht beweiſen, daß der Brotfruchtbaum in Kalabrien, auf Sizilien und in Granada fortkäme? Der Anbau des Kaffeebaumes iſt in La - guna nicht in gleichem Maße gelungen, wenn auch die Früchte bei Tegueſte und zwiſchen dem Hafen von Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrſcheinlich ſind örtliche Verhältniſſe, vielleicht die Beſchaffenheit des Bodens und die Winde, die in der Blütezeit wehen, daran ſchuld. In anderen Ländern, z. B. bei Neapel, trägt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Früchte, obgleich die mittlere Tem - peratur kaum über 18° der hundertteiligen Skale beträgt.

Auf Tenerifa iſt die mittlere Höhe, in der jährlich Schnee fällt, noch niemals beſtimmt worden. Solches iſt mittels barometriſcher Meſſung leicht auszuführen, es iſt aber bis jetzt faſt in allen Erdſtrichen verſäumt worden; und doch iſt dieſe Beſtimmung von großem Belang für den Ackerbau in den Kolonieen und für die Meteorologie, und ganz ſo wichtig als das Höhenmaß der unteren Grenze des ewigen Schnees. Ich ſtelle die Ergebniſſe meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Ueberſicht zuſammen.

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 566

Dieſe Tafel gibt nur das Durchſchnittsverhältnis, das heißt die Erſcheinungen, wie ſie ſich im ganzen Jahre zeigen. Beſondere Lokalitäten können Ausnahmen herbeiführen. So ſchneit es zuweilen, wenn auch ſehr ſelten, in Neapel, Liſſa - bon, ſogar in Malaga, alſo noch unter dem 37. Grad der Breite, und wie ſchon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko fallen ſehen, die 2286 m über dem Meere liegt. Dies war ſeit mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereignis trat gerade am Tage ein, da die Jeſuiten vertrieben wurden, und wurde daher vom Volke natürlich dieſer Gewalt - maßregel zugeſchrieben. Noch ein auffallenderes Beiſpiel bietet das Klima von Valladolid, der Hauptſtadt der Provinz Michoacan. Nach meinen Meſſungen liegt dieſe Stadt unter 19° 42′ der Breite nur 1950 m hoch; dennoch waren daſelbſt wenige Jahre vor unſerer Ankunft in Neuſpanien die Straßen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt.

Auch auf Tenerifa hat man an einem Orte über Eſperanza de la Laguna, dicht bei der Stadt dieſes Namens, in deren Gärten Brotbäume wachſen, ſchneien ſehen. Dieſer außer - ordentliche Fall wurde Brouſſonet von ſehr alten Leuten er - zählt. Die Erica arborea, die Mirica Faya und Arbutus callycarpa litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im Freien waren, kamen dadurch um. Dieſe Beobachtung iſt für die Pflanzenphyſiologie von Wichtigkeit. In heißen Ländern ſind die Gewächſe ſo kräftig, daß ihnen der Froſt weniger ſchadet, wenn er nur nicht lange anhält. Ich habe auf der Inſel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut geſehen, wo der hundertteilige Thermometer auf , ja zu - weilen faſt auf den Gefrierpunkt fällt. In Italien und67 Spanien gehen Orangen - und Dattelbäume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Im allge - meinen macht man beim Garten - und Landbau die Bemerkung, daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und ſo - mit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich ſind, als ſolche, die in einem Erdreich wachſen, das ihnen nur wenig Nahrungsſäfte bietet. 1Die Schwäche der Lebenskraft zeigt ſich auch an den Maul - beerbäumen, die auf magerem ſandigen Boden in der Nähe des Baltiſchen Meeres gezogen werden. Die Spätfröſte thun ihnen weit weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt ein Froſt von unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume nicht um. Dieſe Bäume, die weniger empfindlich ſind als Zitronen, erfrieren nach Galeſio erſt bei 16° der hundertteiligen Skale.

Zwiſchen der Stadt Laguna und dem Hafen von Oro - tava und der Weſtküſte von Tenerifa kommt man zuerſt durch ein hügeliges Land mit ſchwarzer thoniger Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkriſtalle findet. Wahrſchein - lich reißt das Waſſer dieſe Kriſtalle vom anſtehenden Geſtein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eiſenhaltige Flözſchichten den Boden der geologiſchen Unterſuchung. Nur in einigen Schluchten kommen ſäulenförmige, etwas gebogene Baſalte zu Tag, und darüber ſehr neue, den vulkaniſchen Tuffen ähnliche Mengſteine. In denſelben ſind Bruchſtücke des unterliegenden Baſaltes eingeſchloſſen, und wie verſichert wird, finden ſich Verſteinerungen von Seetieren darin; ganz dasſelbe kommt im Vicentiniſchen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reiſenden aller Nationen mit Begeiſterung ſprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landſchaften geſehen, wo die Natur großartiger iſt, reicher in der Entwickelung organiſcher Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die ſchönen Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich geſtehen, nirgends ein ſo mannigfaltiges, ſo anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmaſſen ſo harmoniſches Gemälde vor mir gehabt zu haben.

Das Meeresufer ſchmücken Dattelpalmen und Kokosnuß - bäume; weiter oben ſtechen Bananengebüſche von Drachen - bäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlan - genleib vergleicht. Die Abhänge ſind mit Reben bepflanzt,68 die ſich um ſehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte Orangenbäume, Myrten und Cypreſſen umgeben Kapellen, welche die Andacht auf freiſtehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall ſind die Grundſtücke durch Hecken von Agave und Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamiſche Gewächſe, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Waſſer - quellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt iſt, genießt man in dieſem Landſtrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag ſich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Be - völkerung der Küſte iſt hier ſehr ſtark; ſie erſcheint noch größer, weil Häuſer und Gärten zerſtreut liegen, was den Reiz der Landſchaft noch erhöht. Leider ſteht der Wohlſtand der Be - wohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältnis. Die das Land bauen, ſind meiſt nicht Eigen - tümer desſelben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnsſyſtem, das ſo lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner Blüte gelangen.

Von Tegueſte und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, berühmt durch ſeinen trefflichen Malvaſier, iſt die Küſte wie ein Garten angebaut. Ich möchte ſie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur iſt die Weſtſeite von Tenerifa unendlich ſchöner wegen der Nähe des Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Anſicht bietet. Der Anblick dieſes Berges iſt nicht allein wegen ſeiner impo - ſanten Maſſe anziehend; er beſchäftigt lebhaft den Geiſt und läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkaniſchen Kräfte nachdenken. Seit Tauſenden von Jahren iſt kein Lichtſchimmer auf der Spitze des Piton geſehen worden, aber ungeheure Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweiſen die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöſchenden Feuers. Der Anblick eines Feuerſchlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat indeſſen etwas Niederſchlagen - des. Die Geſchichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane wieder zerſtören, was ſie in einer langen Reihe von Jahr - hunderten aufgebaut. Inſeln, welche die unterirdiſchen Feuer über die Fluten emporgehoben, ſchmücken ſich allmählich mit reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden dieſe neuen Länder durch dieſelben Kräfte zerſtört, durch die ſie vom Boden des Ozeans über ſeine Fläche gelangt ſind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts ſind als Schlacken - und Aſchenhaufen,69 einſt ſo fruchtbar als die Gelände von Tacoronte und Sauzal. Wohl den Ländern, wo der Menſch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht mißtrauen darf!

Auf unſerem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die hübſchen Dörfer Matanza und Victoria. Dieſe beiden Namen findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen neben - einander; ſie machen einen widrigen Eindruck in einem Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. Matanza bedeutet Schlachtbank, Blutbad, und ſchon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft worden. In der Neuen Welt weiſt er gewöhnlich auf eine Niederlage der Eingeborenen hin; auf Tenerifa bezeichnet das Wort Matanza den Ort, wo die Spanier von denſelben Guanchen geſchlagen wurden, die man bald darauf auf den ſpaniſchen Märkten als Sklaven verkaufte.

Ehe wir nach Orotava kamen, beſuchten wir den bota - niſchen Garten nicht weit vom Hafen. Wir trafen da den franzöſiſchen Vizekonſul Legros, der oft auf der Spitze des Piks geweſen war und an dem wir einen vortrefflichen Führer fanden. Er hatte mit Kapitän Baudin eine Fahrt nach den Antillen gemacht, durch die der Pariſer Pflanzengarten an - ſehnlich bereichert worden iſt. Ein furchbarer Sturm, den Ledru in ſeiner Reiſe nach Puertorico beſchreibt, zwang das Fahrzeug, bei Tenerifa anzulegen, und das herrliche Klima der Inſel brachte Legros zum Entſchluß, ſich hier niederzulaſſen. Ihm verdankt die gelehrte Welt Europas die erſten genauen Nachrichten über den großen Seitenausbruch des Piks, den man ſehr uneigentlich den Ausbruch des Vulkanes von Cha - horra nennt. 1Am 8. Juni 1798.

Die Anlage eines botaniſchen Gartens auf Tenerifa iſt ein ſehr glücklicher Gedanke, da derſelbe ſowohl für die wiſſen - ſchaftliche Botanik als für die Einführung nützlicher Gewächſe in Europa ſehr förderlich werden kann. Die erſte Idee eines ſolchen verdankt man dem Marquis von Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Manne, der Poivre an die Seite geſtellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu för - dern, von ſeinem Vermögen den edelſten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Koſten ließ er den Hügel von Durasno, der amphitheatraliſch aufſteigt, abheben, und im Jahre 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der Anſicht, daß die Kanarien, vermöge des milden Klimas70 und der geographiſchen Lage, der geeignetſte Punkt ſeien, um die Naturprodukte beider Indien zu akklimatiſieren, um die Gewächſe aufzunehmen, die ſich allmählich an die niedrigere Temperatur des ſüdlichen Europas gewöhnen ſollen. Aſiatiſche, afrikaniſche, ſüdamerikaniſche Pflanzen gelangen leicht in den Garten bei Orotava, und um den Chinabaum1Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwiſchen 1950 und 2925 m Meereshöhe an Orten wachſen, wo der Thermometer bei Tag zwiſchen 9 und 10°, bei Nacht zwiſchen 3 und ſteht. Die orangegelbe Quinquina (Cinchona lancifolia) iſt weit weniger em - pfindlich als die rote (C. oblongifolia). in Sizilien, Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerſt in Durasno oder Laguna anbauen und dann erſt die Schößlinge der kanariſchen China nach Europa verpflanzen. In beſſeren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Feſſeln ſchlägt, kann der Garten von Tenerifa auch für die ſtarken Pflanzen - ſendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Dieſe Gewächſe gehen häufig, ehe ſie unſere Küſten erreichen, zu Grunde, weil ſie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salz - waſſer geſchwängerte Luft atmen müſſen. Im Garten von Orotava fänden ſie eine Pflege und ein Klima, wobei ſie ſich erholen könnten. Da die Unterhaltung des botaniſchen Gartens von Jahr zu Jahr koſtſpieliger wurde, trat der Marquis den - ſelben der Regierung ab. Wir fanden daſelbſt einen geſchickten Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorſtehers des königlichen Gartens zu Kew. Der Boden ſteigt in Terraſſen auf und wird von einer natürlichen Quelle bewäſſert. Man hat die Ausſicht auf die Inſel Palma, die wie ein Kaſtell aus dem Meere emporſteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgeſteckt, mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnés Systema vegeta - bilium genommen ſchienen. Dieſe Anordnung der Gewächſe nach den Klaſſen des Sexualſyſtems, die man leider auch in manchen europäiſchen Gärten findet, iſt dem Anbau ſehr hin - derlich. In Durasno wachſen Proteen, der Gujavabaum, der Jambuſenbaum, die Chirimoya aus Peru,2Annona Cherimolia, Lamarck. Mimoſen und Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von meh - reren ſchönen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gou - verneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat71 und die ſeitdem auf den ſüdamerikaniſchen Küſten wild ge - worden ſind.

Wir kamen ſehr ſpät in den Hafen von Orotava,1Puerto de la Cruz. Der einzige ſchöne Hafen der Kanarien iſt der von San Sebaſtiano auf der Inſel Gomera. wenn man anders dieſen Namen einer Reede geben kann, auf der die Fahrzeuge unter Segel gehen müſſen, wenn der Wind ſtark aus Nordweſt bläſt. Man kann nicht von Orotava ſprechen, ohne die Freunde der Wiſſenſchaft an Cologan zu erinnern, deſſen Haus von jeher den Reiſenden aller Nationen offen ſtand. Mehrere Glieder dieſer achtungswerten Familie ſind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan iſt bei gründlichen, mannigfaltigen Kenntniſſen der feurigſte Patriot. Man iſt freudig überraſcht, auf einer Inſel - gruppe an der Küſte von Afrika der liebenswürdigen Geſellig - keit, der edlen Wißbegierde, dem Kunſtſinn zu begegnen, die man ausſchließlich in einem kleinen Teile von Europa zu Hauſe glaubt.

Gern hätten wir einige Zeit in Cologans Hauſe ver - weilt und mit ihm in der Umgegend von Orotava die herr - lichen Punkte San Juan de la Rambla und Rialexo de Abaxo beſucht. Aber auf einer Reiſe wie die, welche ich angetreten, kommt man ſelten dazu, der Gegenwart zu genießen. Die quälende Beſorgnis, nicht ausführen zu können, was man den anderen Tag vorhat, erhält einen in beſtändiger Unruhe. Lei - denſchaftliche Natur - und Kunſtfreunde ſind auf der Reiſe durch die Schweiz oder Italien in ganz ähnlicher Gemütsverfaſſung; da ſie die Gegenſtände, die Intereſſe für ſie haben, immer nur zum kleinſten Teil ſehen können, ſo wird ihnen der Ge - nuß durch die Opfer verbittert, die ſie auf jedem Schritt zu bringen haben.

Bereits am 21. morgens waren wir auf dem Wege nach dem Gipfel des Vulkanes. Legros, deſſen zuvorkommende Ge - fälligkeit wir nicht genug loben können, der Sekretär des franzöſiſchen Konſulats zu Santa Cruz und der engliſche Gärtner von Durasno teilten mit uns die Beſchwerden der Reiſe. Der Tag war nicht ſehr ſchön, und der Gipfel des Piks, den man in Orotava faſt immer ſieht, von Sonnenauf - gang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehüllt. Ein einziger Weg führt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginſter - ebene und das Malpays, derſelbe, den Pater Feullée, Borda,72 Labillardière, Barrow eingeſchlagen, und überhaupt alle Rei - ſenden, die ſich nur kurze Zeit in Tenerifa aufhalten konnten. Wenn man den Pik beſteigt, iſt es gerade, wie wenn man das Chamounithal oder den Aetna beſucht: man muß ſeinen Führern nachgehen und man bekommt nur zu ſehen, was ſchon andere Reiſende geſehen und beſchrieben haben.

Der Kontraſt zwiſchen der Vegetation in dieſem Striche von Tenerifa und der in der Umgegend von Santa Cruz überraſchte uns angenehm. Beim kühlen, feuchten Klima war der Boden mit ſchönem Grün bedeckt, während auf dem Wege von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Hülſen hatten, aus denen bereits der Samen gefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der kräftige Pflanzenwuchs den geologiſchen Beobachtungen hinderlich. Wir kamen an zwei kleinen glockenförmigen Hügeln vorüber. Beobachtungen am Veſuv und in der Auvergne weiſen darauf hin, daß dergleichen runde Erhöhungen von Seitenausbrüchen des großen Vulkanes herrühren. Der Hügel Montanita de la Villa ſcheint wirk - lich einmal Lava ausgeworfen zu haben; nach den Ueber - lieferungen der Guanchen fand dieſer Ausbruch im Jahre 1430 ſtatt. Der Oberſt Franqui verſicherte Borda, man ſehe noch deutlich, wo die geſchmolzenen Stoffe hervorgequollen, und die Aſche, die den Boden ringsum bedecke, ſei noch nicht fruchtbar. 1Ich entnehme dieſe Notiz einer intereſſanten Handſchrift, die jetzt in Paris im Dépôt des cartes de la Marine aufbewahrt wird. Sie führt den Titel: Résumé des opérations de la campagne de la Boussole (1776), pour déterminer les positions géogra - phiques des côtes d’Espagne et de Portugal sur l’Océan, d’une partie des côtes occidentales de l’Afrique et des îles Canaries, par le chevalier de Borda. Es iſt dies die Handſchrift, von der de Fleurieu in ſeinen Noten zu Marchands Reiſe ſpricht und die mir Borda zum Teil ſchon vor meiner Abreiſe mitgeteilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht veröffentlichte Beobachtungen daraus aus - gezogen.Ueberall, wo das Geſtein zu Tage ausgeht, fan - den wir baſaltartigen Mandelſtein (Werner) und Bimsſtein - konglomerat, in dem Rapilli oder Bruchſtücke von Bimsſtein eingeſchloſſen ſind. Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von Pauſilipp und mit den Puzzolanſchichten, die ich im Thale von Quito, am Fuße des Vulkanes Pichincha, gefunden habe. Der Mandelſtein hat langgezogene Poren, wie die oberen Lavaſchichten des Veſuv. Es ſcheint dies darauf73 hinzudeuten, daß eine elaſtiſche Flüſſigkeit durch die geſchmol - zene Materie durchgegangen iſt. Trotz dieſen Uebereinſtim - mungen muß ich noch einmal bemerken, daß ich in der ganzen unteren Region des Piks von Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavaſtrom, überhaupt keinen vulkaniſchen Aus - bruch geſehen habe, der ſcharf begrenzt geweſen wäre. Regen - güſſe und Ueberſchwemmungen wandeln die Erdoberfläche um, und wenn zahlreiche Lavaſtröme ſich vereinigen und über eine Ebene ergießen, wie ich es am Veſuv im Atrio dei Cavalli geſehen, ſo verſchmelzen ſie ineinander und nehmen das An - ſehen wirklich geſchichteter Bildungen an.

Villa de Orotava macht ſchon von weitem einen guten Eindruck durch die Fülle der Gewäſſer, die auf den Ort zu - eilen und durch die Hauptſtraßen fließen. Die Quelle Aqua mansa, in zwei großen Becken gefaßt, treibt mehrere Mühlen und wird dann in die Weingärten des anliegenden Geländes geleitet. Das Klima in der Villa iſt noch kühler als am Hafen, da dort von morgens zehn Uhr an ein ſtarker Wind weht. Das Waſſer, das ſich bei höherer Temperatur in der Luft aufgelöſt hat, ſchlägt ſich häufig nieder, und dadurch wird das Klima ſehr neblig. Die Villa liegt etwa 312 m über dem Meere, alſo 390 m niedriger als Laguna; man bemerkt auch, daß dieſelben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat ſpäter blühen.

Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am ſteilen Abhang eines Hügels; die Straßen ſchienen uns öde, die Häuſer, ſolid gebaut, aber trübſelig anzuſehen, gehören faſt durchaus einem Adel, der für ſehr ſtolz gilt und ſich ſelbſt anſpruchsvoll als dozo casas bezeichnet. Wir kamen an einer ſehr hohen, mit einer Menge ſchöner Farne bewachſenen Waſſer - leitung vorüber. Wir beſuchten mehrere Gärten, in denen die Obſtbäume des nördlichen Europas neben Orangen, Granat - bäumen und Dattelpalmen ſtehen. Man verſicherte uns, letztere tragen hier ſo wenig Früchte als in Terra Firma an der Küſte von Cumana. Obgleich wir den Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiſeberichten kannten, ſo ſetzte uns ſeine ungeheure Dicke dennoch in Erſtaunen. Man be - hauptet, der Stamm dieſes Baumes, der in mehreren ſehr alten Urkunden erwähnt wird, weil er als Grenzmarke eines Feldes diente, ſei ſchon im 15. Jahrhundert ſo ungeheuer dick geweſen wie jetzt. Seine Höhe ſchätzten wir auf 16 bis 19,5 m; ſein Umfang nahe über den Wurzeln beträgt 14,6 m. Weiter74 oben konnten wir nicht meſſen, aber Sir Georg Staunton hat gefunden, daß 3,25 m über dem Boden der Stamm noch 3,66 m im Durchmeſſer hat, was gut mit Bordas Angabe übereinſtimmt, der den mittleren Umfang zu 10,93 m angibt. Der Stamm teilt ſich in viele Aeſte, die kronleuchterartig auf - wärts ragen und an den Spitzen Blätterbüſchel tragen, ähnlich der Yucca im Thale von Mexiko. Durch dieſe Teilung in Aeſte unterſcheidet ſich ſein Habitus weſentlich von dem der Palmen.

Unter den organiſchen Bildungen iſt dieſer Baum, neben der Adanſonia oder dem Baobab am Senegal, ohne Zweifel einer der älteſten Bewohner unſeres Erdballs. Die Baobab werden indeſſen noch dicker als der Drachenbaum von Villa d’Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 11 m Durch - meſſer haben, wobei ſie nicht höher ſind als 16 bis 20 m. 1Adanſon wundert ſich, daß die Baobab nicht von anderen Reiſenden beſchrieben worden ſeien. Ich finde in der Sammlung des Grynäus, daß ſchon Aloyſio Cadomoſto vom hohen Alter dieſer ungeheuren Bäume ſpricht, die er im Jahre 1504 geſehen, und von denen er ganz richtig ſagt: eminentia altitudinis non quadrat magnitudini. Cadam. navig. c. 42. Am Senegal und bei Praya auf den Kapverdiſchen Inſeln haben Adanſon und Staunton Adan - ſonien geſehen, deren Stamm 18,2 bis 19,5 m im Umfang hatte. Den Baobab mit 11 m Durchmeſſer hat Golberry im Thale der zwei Gagnack geſehen.Man muß aber bedenken, daß die Adanſonia, wie die Ochroma und alle Gewächſe aus der Familie der Bombaceen, viel ſchneller wächſt2Ebenſo verhält es ſich mit den Platanen (Platanus occi - dentalis), die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemeſſen hat und die 6,5 m über dem Boden noch 5,1 m im Durchmeſſer hatten. Die Taxus, die Kaſtanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypreſſen, die Bombax, die Mimoſen, die Cäſalpinien, die Hymenäen und die Drachenbäume ſind, wir mir ſcheint, die Ge - wächſe, bei denen in verſchiedenen Klimaten Fälle von ſo außer - ordentlichem Wachstum vorkommen. Eine Eiche, die zugleich mit galliſchen Helmen im Jahre 1809 in den Torfgruben im Departe - ment der Somme beim Dorfe Yſeux, 31,5 km von Abbeville, ge - funden wurde, gibt dem Drachenbaum von Orovata in der Dicke nichts nach. Nach der Angabe von Traullée hatte der Stamm der Eiche 4,5 m Durchmeſſer. als der Drachenbaum, der ſehr langſam zu - nimmt. Der in Herrn Franquis Garten trägt noch jedes Jahr Blüten und Früchte. Sein Anblick mahnt lebhaft an75 die ewige Jugend der Natur ,1Aristoteles de longit. vitae. cap. 6. die eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben iſt.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, iſt eine merkwürdige Erſcheinung in Beziehung auf die Wande - rung der Gewächſe. Auf dem Kontinent von Afrika2Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt ſeiner nicht einmal unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von der Agave und der Yukka ſpricht. Die Geſtalt des Drachenbaumes kommt verſchiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der guten Hoffnung, in China und auf Neuſeeland zu; aber in der Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derſelben; denn die Dracaena borealis d’Aitons iſt eine Convallaria, deren Habitus ſie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut be - kannte adſtringierende Saft kommt nach unſeren Unterſuchungen an Ort und Stelle von verſchiedenen amerikaniſchen Pflanzen, die nicht derſelben Gattung angehören, unter denen ſich einige Lianen be - finden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöſtern Zahnſtocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt ſind, und die man uns ſehr anpries, weil ſie das Zahnfleiſch konſervieren ſollten. iſt er nirgends wild gefunden worden, und Oſtindien iſt ſein eigent - liches Vaterland. Auf welchem Wege iſt der Baum nach Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt? Iſt ſein Daſein ein Beweis dafür, daß in ſehr entlegener Zeit die Guanchen mit anderen, mit aſiatiſchen Völkern in Verkehr geſtanden haben?

Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem ſchmalen ſteinigen Pfade durch einen ſchönen Kaſtanienwald (el Monte de Castaños) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachſen iſt. Der Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt iſt, ſtechen angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense, das in dieſer Höhe ſehr häufig vorkommt. Wir machten unter einer ſchönen Tanne Halt, um uns mit Waſſer zu verſehen. Dieſer Platz iſt im Lande unter dem Namen Pino del Dor - najito bekannt; ſeine Meereshöhe beträgt nach Bordas baro - metriſcher Meſſung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle Ausſicht auf das Meer und die ganze Weſtſeite der Inſel. Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, ſprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer76 hinein, es fiel auf 15,4°. An 200 m davon iſt eine andere ebenſo klare Quelle. Nimmt man an, daß dieſe Gewäſſer ungefähr die mittlere Wärme des Ortes, wo ſie zu Tage kommen, anzeigen, ſo findet man als abſolute Höhe des Platzes 1013 m, die mittlere Temperatur der Küſte zu 21° und unter dieſer Zone eine Abnahme der Wärme um einen Grad auf 181 m angenommen. Man dürfte ſich nicht wundern, wenn dieſe Quelle etwas unter der mittleren Lufttemperatur bliebe, weil ſie ſich wahrſcheinlich weiter oben am Pik bildet, und vielleicht ſogar mit den kleinen unterirdiſchen Gletſchern zu - ſammenhängt, von denen weiterhin die Rede ſein wird. Die oben erwähnte Uebereinſtimmung der barometriſchen und der thermometriſchen Meſſung iſt deſto auffallender, als im all - gemeinen, wie ich anderwärts ausgeführt,1So hat Hunter in den Blauen Bergen auf Jamaika die Quellen immer kälter gefunden, als ſie nach der Höhe, in der ſie zu Tage kommen, ſein ſollten. in Gebirgsländern mit ſteilen Hängen die Quellen eine zu raſche Wärmeabnahme anzeigen, weil ſie kleine Waſſeradern aufnehmen, die in ver - ſchiedenen Höhen in den Boden gelangen, und ſomit ihre Temperatur das Mittel aus den Temperaturen dieſer Adern iſt. Die Quellen des Dornajito ſind im Lande berühmt; als ich dort war, kannte man auf dem Wege zum Gipfel des Vulkanes keine andere. Quellenbildung ſetzt eine gewiſſe Regel - mäßigkeit im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkaniſchem Boden verſchluckt das löcherige, zerklüftete Geſtein das Regenwaſſer und läßt es in große Tiefen ver - ſinken. Deshalb ſind die Kanarien größtenteils ſo dürr, trotzdem daß ihre Berge ſo anſehnlich ſind und der Schiffer fortwährend gewaltige Wolkenmaſſen über dem Archipel ge - lagert ſieht.

Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht ſich der Weg bergan, aber durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten (Barrancos) verdienen dieſen Namen nicht. Geologiſch betrachtet, iſt die ganze Inſel Tenerifa nichts als ein Berg, deſſen faſt eiförmige Grundfläche ſich gegen Nordoſt verlängert, und der mehrere Syſteme vulkaniſcher, zu ver - ſchiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweiſen hat. Was man im Lande für beſondere Vulkane anſieht, wie der Chahorra oder Montaña Colorada und die Urca, das ſind nur Hügel, die ſich an den Pik lehnen und ſeine77 Pyramide maskieren. Der große Vulkan, deſſen Seitenaus - brüche mächtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indeſſen nicht genau in der Mitte der Inſel, und dieſe Eigentümlichkeit im Bau erſcheint weniger auffallend, wenn man ſich erinnert, daß nach der Anſicht eines ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater im Piton die Hauptrolle bei den Umwälzungen der Inſel Tenerifa geſpielt hat.

Auf die Region der baumartigen Heiden, Monte Verde genannt, folgt die der Farne. Nirgends in der gemäßigten Zone habe ich Pteris, Blechnum und Asplenium in ſolcher Menge geſehen; indeſſen hat keines dieſer Gewächſe den Wuchs der Baumfarne, die in Südamerika, in 975 bis 1170 m Höhe, ein Hauptſchmuck der Wälder ſind. Die Wurzel der Pteris aquilina dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung; ſie zerreiben ſie zu Pulver und miſchen ein wenig Gerſtenmehl darunter. Dieſes Gemiſch wird geröſtet und heißt Gofio; ein ſo rohes Nahrungsmittel iſt ein Beweis dafür, wie elend das niedere Volk auf den Kanarien lebt.

Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, ſehr dürren Schluchten (cañadas) durchzogen. Ueber der Region der Farne kommt man durch ein Gehölz von Wacholderbäumen (cedro) und Tannen, das durch die Stürme ſehr gelitten hat. An dieſem Ort, den einige Reiſende la Caravela nennen, will Edens1Die Reiſe wurde im Auguſt 1715 gemacht. Carabela heißt ein Fahrzeug mit lateiniſchen Segeln. Die Tannen vom Pik dienten früher als Maſtholz und die königliche Marine ließ im Monte Verde ſchlagen. kleine Flammen geſehen haben, die er nach den phyſi - kaliſchen Begriffen ſeiner Zeit ſchwefligen Ausdünſtungen zuſchreibt, die ſich von ſelbſt entzünden. Es ging immer aufwärts bis zum Felſen Gayta oder Portillo; hinter dieſem Engpaß, zwiſchen zwei Baſalthügeln, betritt man die große Ebene des Ginſters (los Llanos del Retama). Bei Lapérouſes Expedition hatte Manneron den Pik bis zu dieſer etwa 2730 m über dem Meere gelegenen Ebene gemeſſen, er hatte aber wegen Waſſermangels und des üblen Willens der Führer die Meſſung nicht bis zum Gipfel des Vulkanes fortſetzen können. Das Ergebnis dieſer zu zwei Dritteilen vollendeten Operation iſt leider nicht nach Europa gelangt, und ſo iſt das Geſchäft von der Küſte an noch einmal vorzunehmen.

Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um78 über die Ebene des Ginſters zu kommen, die nichts iſt als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,8°, das heißt 3,7° mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieſer höhere Wärmegrad kann nur von der Strah - lung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hoch - ebene herrühren. Wir litten ſehr vom erſtickenden Bimsſtein - ſtaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der Ebene ſtehen Büſche von Retama, dem Spartium nubi - genum d’Aitons. Dieſer ſchöne Strauch, den de Martinière1Einer der Botaniker, die auf Lapérouſes Seereiſe umkamen. in Languedoc, wo Feuermaterial ſelten iſt, einzuführen rät, wird 3 m hoch, er iſt mit wohlriechenden Blüten bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geſchmückt. Die dunkelbraunen Ziegen des Piks gelten für Leckerbiſſen; ſie nähren ſich von den Blättern des Spartium und ſind in dieſen Einöden ſeit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat ſie ſogar nach Madeira verpflanzt, wo ſie geſchätzter ſind, als die Ziegen aus Europa.

Bis zum Felſen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des Ginſters iſt der Pik von Tenerifa mit ſchönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weiſt auf Ver - wüſtungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu beſteigen, deſſen Feuer ſo lange erloſchen iſt, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsſtein bedeckte Ebene betreten, ſo nimmt die Landſchaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt ſtößt man auf un - geheure Obſidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum iſt öd und ſtill; ein paar Ziegen und Kaninchen ſind die einzigen Bewohner dieſer Hochebene. Das unfrucht - bare Stück des Piks mißt über 200 qkm, und da die unteren Regionen, von ferne geſehen, in Verkürzung erſcheinen, ſo ſtellt ſich die ganze Inſel als ein ungeheurer Haufen ver - brannten Geſteins dar, um den ſich die Vegetation nur wie ein ſchmaler Gürtel zieht.

Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir durch enge Schründe und kleine, ſehr alte, vom Regenwaſſer ausgeſpülte Schluchten zuerſt auf ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen ſollten. Dieſer Platz, der mehr als 2982 m über der Küſte liegt, heißt79 Estancia de los Ingleses,1Dieſe Benennung war ſchon zu Anfang des vorigen Jahr - hunderts im Brauch. Edens, der alle ſpaniſchen Wörter verdreht, wie noch heute die meiſten Reiſenden, nennt ſie Stancha; es iſt Bordas Station des rochers, wie aus den daſelbſt beobachteten Barometerhöhen hervorgeht. Dieſe Höhen waren nach Cordier im Jahre 1803 527 mm, und nach Borda und Varela im Jahre 1776 528 mm, während der Barometer zu Orotava bis auf 2,22 mm ebenſo hoch ſtand. ohne Zweifel, weil früher die Engländer den Pik am häufigſten beſuchten. Zwei über - hängende Felſen bilden eine Art Höhle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu dieſem Orte, der bereits höher liegt als der Gipfel des Canigou, kann man auf, Maultieren ge - langen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand erreichen zu können glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es Sommer war und der ſchöne afrikaniſche Himmel über uns, hatten wir doch in der Nacht von der Kälte zu leiden. Der Thermometer fiel auf . Unſere Führer machten ein großes Feuer von dürren Zweigen der Retama an. Ohne Zelt und Mäntel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Geſteins, und die Flammen und der Rauch, die der Wind beſtändig gegen uns hertrieb, wurden uns ſehr läſtig. Wir hatten noch nie eine Nacht in ſo be - deutender Höhe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, daß wir einſt in Städten wohnen würden, die höher liegen als die Spitze des Vulkanes, den wir morgen vollends beſteigen ſollten. Je tiefer die Temperatur ſank, deſto mehr bedeckte ſich der Pik mit dicken Wolken. Bei Nacht ſtockt der Zug des Stromes, der den Tag über von den Ebenen in die hohen Luftregionen aufſteigt, und im Maße, als ſich die Luft ab - kühlt, nimmt auch ihre das Waſſer auflöſende Kraft ab. Ein ſehr ſtarker Nordwind jagte die Wolken; von Zeit zu Zeit brach der Mond durch das Gewölk und ſeine Scheibe glänzte auf tief dunkelblauem Grunde; im Angeſicht des Vulkanes hatte dieſe nächtliche Szene etwas wahrhaft Großartiges. Der Pik verſchwand bald gänzlich im Nebel, bald erſchien er un - heimlich nahe gerückt und warf wie eine ungeheure Pyramide ſeinen Schatten auf die Wolken unter uns.

Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trüben Schein einiger Kienfackeln nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Beſteigung an der Nordoſtſeite, wo der Abhang80 ungemein ſteil iſt, und wir gelangten nach zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das ſeiner iſolierten Lage wegen Alta Vista heißt. Hier halten ſich auch die Neveros auf, das heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee ſuchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt ſind als die, welche man den Reiſenden gibt, gehen bis zur Alta Viſta und die Neveros müſſen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen. Ueber dieſem Punkte beginnt das Malpays, wie man in Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entblößten und mit Lavabruchſtücken bedeckten Landſtrich nennt.

Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle zu beſehen, die in 3367 m Höhe liegt, alſo unter der Grenze des ewigen Schnees in dieſer Breite. Wahrſcheinlich rührt die Kälte, die in dieſer Höhle herrſcht, von denſelben Urſachen her, aus denen ſich das Eis in den Gebirgsſpalten des Jura und der Pyrenäen erhält, und über welche die Anſichten der Phyſiker noch ziemlich auseinander gehen. 1In den meiſten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George, zwiſchen Niort und Rolle, bildet ſich an den Kalkſteinwänden ſelbſt im Sommer eine dünne Schicht durchſichtigen Eiſes. Pictet hat die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der Luft der Höhle nicht unter 2 bis ſteht, ſo daß man das Frieren des Waſſers einer örtlichen, ſehr raſchen Verdunſtung zuzu - ſchreiben hat.Die natürliche Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene ſenkrechten Oeff - nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis ſcheint ſich hier durch ſeine ſtarke Anhäufung zu halten, und weil der Prozeß des Schmelzens durch die bei raſcher Verdunſtung erzeugte Kälte verlangſamt wird. Dieſer kleine unterirdiſche Gletſcher liegt an einem Orte, deſſen mittlere Temperatur ſchwerlich unter beträgt, und er wird nicht, wie die eigent - lichen Gletſcher der Alpen, vom Schneewaſſer geſpeiſt, das von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters füllt ſich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen - ſtrahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, ſo iſt die Sonnenwärme nicht imſtande, den Behälter zu leeren. Die Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt alſo nicht ſowohl ab von der abſoluten Höhe der Felsſpalte und der mittleren81 Temperatur der Luftſchicht, in der ſie ſich befindet, als von der Maſſe des Schnees, der hineinkommt, und von der ge - ringen Wirkung der warmen Winde im Sommer. Die im Inneren eines Berges eingeſchloſſene Luft iſt ſchwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Teſtaccio in Rom ſieht, deſſen Temperatur von der der umgebenden Luft ſo bedeutend abweicht. Wir werden in der Folge ſehen, daß am Chimborazo ungeheure Eismaſſen unter dem Sande liegen, und zwar, wie auf dem Pik von Tenerifa, weit unter der Grenze des ewigen Schnees.

Bei der Eishöhle (Cueva del Hielo) ſtellten bei Lapé - rouſes Seereiſe Lamanon und Mongès ihren Verſuch über die Temperatur des ſiedenden Waſſers an. Sie fanden dieſelbe 88,7°, während der Barometer auf 508 mm ſtand. Im Königreich Neugranada, bei der Kapelle Guadeloupe in der Nähe von Santa Fé de Bogota, ſah ich das Waſſer bei 89,9° unter einem Luftdruck von 510 mm ſieden. Zu Tam - bores, in der Provinz Popayan, fand Caldas 89,5° für die Temperatur des ſiedenden Waſſers bei einem Barometerſtand von 505,6 mm. Nach dieſen Ergebniſſen könnte man ver - muten, daß bei Lamanons Verſuch das Waſſer das Maximum ſeiner Temperatur nicht ganz erreicht hatte.

Der Tag brach an, als wir die Eishöhle verließen. Da beobachteten wir in der Dämmerung eine Erſcheinung, die auf hohen Bergen häufig iſt, die aber bei der Lage des Vul - kanes, auf dem wir uns befanden, beſonders auffallend her - vortrat. Eine weiße, flockige Wolkenſchicht entzog das Meer und die niedrigen Regionen der Inſel unſeren Blicken. Die Schicht ſchien nicht über 1560 m hoch; die Wolken waren ſo gleichmäßig verbreitet und lagen ſo genau in einer Fläche, daß ſie ſich ganz wie eine ungeheure mit Schnee bedeckte Ebene darſtellen. Die koloſſale Pyramide des Piks, die vul - kaniſchen Gipfel von Lanzarote, Fuerteventura und Palma ragten wie Klippen aus dem weiten Dunſtmeere empor. Ihre dunkle Färbung ſtach grell vom Weiß der Wolken ab.

Während wir auf den zertrümmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei wir oft die Hände zu Hilfe nehmen mußten, beobachteten wir eine merkwürdige optiſche Erſcheinung. Wir glaubten gegen Oſt kleine Raketen in die Luft ſteigen zu ſehen. Leuchtende Punkte, 7 bis über dem Horizont, ſchienen ſich zuerſt ſenkrecht aufwärts zu bewegen, aber all - mählich ging die Bewegung in eine wagerechte OszillationA. v. Humboldt, Reiſe. I. 682über, die acht Minuten anhielt. Unſere Reiſegefährten, ſogar die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erſcheinung, ohne daß wir ſie darauf aufmerkſam zu machen brauchten. Auf den erſten Blick glaubten wir, dieſe ſich hin und her bewegenden Lichtpunkte ſeien die Vorläufer eines neuen Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Beſteigung des Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angeſehen hatten; aber die Täuſchung dauerte nicht lange, und wir ſahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünſte vergrößerten Bilder verſchiedener Sterne waren. Die Bilder ſtanden perio - diſch ſtill, dann ſchienen ſie ſenkrecht aufzuſteigen, ſich zur Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Dieſe Bewegung dauerte eine bis zwei Sekun - den. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der ſeitlichen Verrückung genau zu meſſen, aber den Lauf des Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erſchien nicht doppelt durch Luftſpiegelung und ließ keine leuchtende Spur hinter ſich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Trough - tonſchen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich ſehen, daß die Oszillation beſtändig gegen denſelben Punkt hinging, nämlich gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenſcheibe er - ſcheinen ſollte, und daß, abgeſehen von der Deklinations - bewegung des Sternes, das Bild immer an denſelben Fleck zurückkehrte. Dieſe ſcheinbaren ſeitlichen Refraktionen hörten auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich ver - ſchwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in der Dämmerung beobachteten, verſuche aber keine Erklärung der auffallenden Erſcheinung, die ich ſchon vor zwölf Jahren in Zachs aſtronomiſchem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung der Dunſtbläschen infolge des Sonnenaufgangs, die Miſchung verſchiedener, in Temperatur und Dichtigkeit ſehr von einander abweichenden Luftſchichten haben ohne Zweifel zu der Verrückung der Geſtirne in horizontaler Rich - tung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches ſind wohl die ſtarken Schwankungen der Sonnenſcheibe, wenn ſie eben den Horizont berührt; aber dieſe Schwankungen betragen ſelten mehr als zwanzig Sekunden, während die ſeitliche Bewegung der Sterne, wie wir ſie auf dem Pik in mehr als 3507 m Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken und auffallender war als alle Erſcheinungen, die man bis83 jetzt als Wirkungen der Brechung des Sternlichtes angeſehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und die ganze Nacht in 4092 m Höhe auf dem Rücken der Anden, in Antiſana, konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phänomen übereingekommen wäre.

Ich wünſchte in ſo bedeutender Höhe wie die, welche wir am Pik von Tenerifa erreicht hatten, den Moment des Sonnen - aufganges genau zu beobachten. Kein mit Inſtrumenten ver - ſehener Reiſender hatte noch eine ſolche Beobachtung angeſtellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer, deſſen Gang mir ſehr genau bekannt war. Der Himmelsſtrich, wo die Sonnenſcheibe erſcheinen ſollte, war dunſtfrei. Wir ſahen den oberſten Rand um 4 Uhr 48′ 55″ wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend iſt, der erſte Lichtpunkt der Scheibe berührte unmittelbar die Grenze des Horizontes; wir ſahen demnach den wahren Horizont, das heißt einen Strich Meers auf mehr als 152,5 km Entfernung. Die Rechnung ergibt, daß unter dieſer Breite in der Ebene die Sonne um 5 Uhr 1 Minute 50 Sekunden, oder 11 Minuten 51,3 Sekunden ſpäter als auf dem Pik hätte anfangen ſollen aufzugehen. Der beobachtete Unterſchied betrug 12 Minuten 55 Sekunden, und dies kommt ohne Zweifel von der Ungewißheit hinſichtlich der Refraktionsverhältniſſe für einen Abſtand vom Zenith, wofür keine Beobachtungen vorliegen. 1In der Rechnung wurden für 91° 54′ ſcheinbaren Abſtandes vom Zenith 57′ 7″ Refraktion angenommen. Die Sonne erſcheint bei ihrem Aufgang auf dem Pik von Tenerifa um ſo viel früher, als ſie braucht, um einen Bogen von 54′ zurückzulegen. Für den Gipfel des Chimborazo nimmt dieſer Bogen nur um 41′ zu. Die Alten hatten ſo übertriebene Vorſtellungen von der Beſchleuni - gung des Sonnenaufganges auf dem Gipfel hoher Berge, daß ſie behaupteten, die Sonne ſei auf dem Berg Athos 3 Stunden früher ſichtbar, als am Ufer des Aegeiſchen Meeres. (Strabo, Buch VII.) Und doch iſt der Athos nach Delambre nur 1390 m hoch.

Wir wunderten uns, wie ungemein langſam der untere Rand der Sonne ſich vom Horizont zu löſen ſchien. Dieſer Rand wurde erſt um 4 Uhr 56 Minuten 56 Sekunden ſichtbar. Die ſtark abgeplattete Sonnenſcheibe war ſcharf begrenzt; es zeigte ſich während des Aufganges weder ein doppeltes Bild noch eine Verlängerung des unteren Randes. Der Sonnen - aufgang dauerte dreimal länger, als wir in dieſer Breite84 hätten erwarten ſollen, und ſo iſt anzunehmen, daß eine ſehr gleichförmig verbreitete Dunſtſchicht den wahren Horizont ver - deckte und der aufſteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Oſten beobachtet, kann man die Langſamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl einer ungewöhnlich ſtarken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuſchreiben; denn, wie Le Gentil es täglich in Pondichéry und ich öfters in Cumana beobachtet haben, erniedrigt ſich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftſchicht unmittelbar auf der Meeresfläche ſich erhöht.

Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, iſt äußerſt ermüdend. Der Abhang iſt ſteil und die Lavablöcke wichen unter unſeren Füßen. Ich kann dieſes Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen ver - gleichen, jenen Haufen von Rollſteinen, welche am unteren Ende der Gletſcher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik haben aber ſcharfe Kanten und laſſen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug die Faulheit und der üble Wille unſerer Führer viel dazu bei, uns das Aufſteigen ſauer zu machen; ſie glichen weder den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, daß ſie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unſere kanariſchen Führer waren träg zum Verzweifeln; ſie hatten tags zuvor uns be - reden wollen, nicht über die Station bei den Felſen hinauf - zugehen; ſie ſetzten ſich alle zehn Minuten nieder, um aus - zuruhen; ſie warfen hinter uns die Handſtücke Obſidian und Bimsſtein, die wir ſorgfältig geſammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes geweſen war.

Nach dreiſtündigem Marſch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt; aus ihrem Mittelpunkte ſteigt der Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren erſteres viermal höher iſt als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Piks zu 3710 m an, ſo liegt die Rambleta 3546 m über dem Meere. Hier befinden ſich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen Naſenlöcher des Piks (Narices del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Geſtein dringen85 hier in Abſätzen warme Waſſerdünſte; wir ſahen den Ther - mometer darin auf 43,2° ſteigen; Labillardière hatte acht Jahre vor uns dieſe Dämpfe 53,7° heiß gefunden, ein Unter - ſchied, der vielleicht nicht ſowohl auf eine Abnahme der vul - kaniſchen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechſel in der Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe ſind ge - ruchlos und ſcheinen reines Waſſer. Kurz vor dem großen Ausbruch des Veſuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay-Luſſac und ich, daß das Waſſer, das in Dampfform aus dem Inneren des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann übrigens der kühnen Hypotheſe mehrerer Phyſiker nicht bei - ſtimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mün - dungen eines ungeheuren Deſtillierapparates, deſſen Boden unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten ſein ſollen. Seit man die Vulkane ſorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunder - baren ſich in geologiſchen Büchern weniger bemerkbar macht, fängt man an, den unmittelbaren beſtändigen Zuſammenhang zwiſchen dem Meere und den Herden des vulkaniſchen Feuers mit Recht ſtark in Zweifel zu ziehen. 1Dieſe Frage iſt mit großem Scharfſinn von Breislack in ſeiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Aſche aus - werfen ſah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orléans vom Atlanti - ſchen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall anſehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über 74 km von der Meeresküſte läge; aber die Hypotheſe, nach der das Meerwaſſer von den Vulkanen aufgeſogen, deſtilliert und zerſetzt würde, ſcheint mir ſehr zweifelhaft.Dieſe durchaus nicht auffallende Erſcheinung erklärt ſich wohl ſehr einfach. Der Pik iſt einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir ſelbſt fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonnell und Armſtrong haben im Jahre 1806 im Malpays eine ſehr ſtarke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieſer Quelle geſpeiſt wird. Alles weiſt alſo darauf hin, daß der Pik von Tenerifa, gleich den Vulkanen der Anden und der Inſel Luzon, im Inneren große Höhlungen hat, die mit atmoſphäriſchem Waſſer gefüllt ſind, das einfach durchgeſickert iſt. Die Waſſerdämpfe welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausſtoßen, ſind nichts als dieſes ſelbe Waſſer, das durch die Wände, über die es fließt, erhitzt wird.

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Wir hatten jetzt noch den ſteilſten Teil des Berges, der die Spitze bildet, den Piton, zu erſteigen. Der Abhang dieſes kleinen, mit vulkaniſcher Aſche und Bimsſteinſtücken bedeckten Kegels iſt ſo ſchroff, daß es faſt unmöglich wäre, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht einem alten Lavaſtrom nachginge, der aus dem Krater gefloſſen ſcheint und deſſen Trümmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Dieſe Trümmer bilden eine verſchlackte Felswand, die ſich mitten durch die loſe Aſche hinzieht. Wir erſtiegen den Piton, indem wir uns an dieſen Schlacken anklammerten, die ſcharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie ſie ſind, uns nicht ſelten in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Hügel zu erſteigen, deſſen ſenkrechte Höhe kaum 175 m beträgt. Der Veſuv, der dreimal niedriger iſt als der Vulkan von Tenerifa, läuft in einen faſt dreimal höheren Aſchenkegel aus, der aber nicht ſo ſteil und zugänglicher iſt. Unter allen Vulkanen, die ich beſucht, iſt nur der Jorullo in Mexiko noch ſchwerer zu beſteigen, weil der ganze Berg mit loſer Aſche bedeckt iſt.

Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt iſt, wie bei Ein - tritt des Winters, ſo kann die Steilheit des Abhanges den Reiſenden in die größte Gefahr bringen. Legros zeigte uns die Stelle, wo Kapitän Baudin auf ſeiner Reiſe nach Tene - rifa beinahe ums Leben gekommen wäre. Mutig hatte er gegen Ende Dezembers 1797 mit den Naturforſchern Advenier, Mauger und Riedlé die Beſteigung des Gipfels des Vul - kanes unternommen. In der halben Höhe des Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum Glück machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, daß er nicht noch weiter mit beſchleunigter Geſchwindigkeit hinabflog. Wie man mir verſichert, iſt ein Reiſender, der den mit feſtem Raſen bedeckten Abhang des Col de Balme hinabgerollt war, erſtickt gefunden worden.

Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, daß wir kaum Platz fanden, bequem niederzuſitzen. Wir ſtanden vor einer kleinen kreisförmigen Mauer aus por - phyrartiger Lava mit Pechſteinbaſis; dieſe Mauer hinderte uns in den Krater hinabzuſehen. 1La Caldera oder der Keſſel des Piks. Der Name erinnert an die Oules der Pyrenäen.Der Wind blies ſo heftig aus Weſt, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. 87Es war acht Uhr morgens und wir waren ſtarr vor Kälte, obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt ſtand. Seit lange waren wir an eine ſehr hohe Temperatur ge - wöhnt, und der trockene Wind ſteigerte das Froſtgefühl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche ſich durch die Hautausdünſtung um uns her bildete, fortwährend wegführte.

Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meiſten anderen Vulkane, die ich beſucht, z. B. mit dem des Veſuvs, des Jorullo und Pichincha, keine Aehnlichkeit. Bei dieſen behält der Piton ſeine Kegelgeſtalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang iſt im ſelben Winkel ge - neigt und gleichförmig mit einer Schicht ſehr fein zerteilten Bimsſteines bedeckt; hat man die Spitze dieſer drei Vulkane erreicht, ſo blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes. Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen ſind ganz anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne ſtellt ſich dieſe Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgeſtutzten Kegel dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieſes eigentümliche Bau - werk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch kein Menſch bis zum Krater dieſes Vulkanes gekommen iſt. Beim Pik von Tenerifa iſt der Kamm, der wie eine Bruſt - wehr um den Krater läuft, ſo hoch, daß er gar nicht zur Caldera gelangen ließe, wenn ſich nicht gegen Oſt eine Lücke darin befände, die von einem ſehr alten Lavaerguß herzu - rühren ſcheint. Durch dieſe Lücke ſtiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptiſch iſt; die große Achſe läuft von Nordweſt nach Südoſt, etwa Nord 35° Oſt. Die größte Breite der Oeffnung ſchätzten wir auf 97 m, die kleinſte auf 65 m. Dieſe Angaben ſtimmen ziemlich mit den Meſſungen von Verguin, Verela und Borda; nach dieſen Reiſenden meſſen die zwei Achſen 78 und 58 m. 1Cordier, der den Gipfel des Piks 4 Jahre nach mir beſucht hat, ſchätzt die große Achſe auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang.

Man ſieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht allein von der Höhe und der Maſſe des Berges abhängt, deſſen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite ſteht ſogar ſelten im Verhältnis mit der Intenſität des vulkaniſchen Feuers oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Veſuv, der gegen88 den Pik von Tenerifa nur ein Hügel iſt, hat der Krater einen fünfmal größeren Durchmeſſer. Bedenkt man, daß ſehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenſpalten, ſo könnte man verſucht ſein anzunehmen, daß, je niedriger die Vulkane ſind, ihre Krater, bei gleicher Kraft und Thätigkeit, deſto größer ſein müßten. Allerdings gibt es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur ſehr kleine Oeff - nungen haben, und man könnte es als ein geologiſches Geſetz hinſtellen, daß die koloſſalſten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben, wenn ſich nicht in den Kordilleren mehrere Beiſpiele1Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Meſſungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und 1365 m. des gegenteiligen Verhaltens fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatſachen anzuführen, welche einſt auf das, was man den äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen könnten. Dieſer Bau iſt ſo mannigfaltig als die vulkaniſchen Erſcheinungen ſelbſt, und will man ſich zu geologiſchen Vor - ſtellungen erheben, die der Größe der Natur würdig ſind, ſo muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muſter des Veſuv, des Stromboli und des Aetna gebaut wären.

Die äußeren Ränder der Caldera ſind beinahe ſenkrecht; ſie ſtellen ſich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus geſehen. Wir ſtiegen auf den Boden des Kraters auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen Spalten zu ſpüren, aus denen Waſſerdampf mit einem eigen - tümlichen Sumſen ſtrömte. Einige dieſer Luftlöcher oder Spalten befinden ſich außerhalb des Kraterumfanges, am äußeren Rand der Brüſtung, welche den Krater umgibt. Ein in dieſelben gebrachter Thermometer ſtieg raſch auf 68 und 75°. Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber wir konnten das Inſtrument erſt anſehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze der des ſiedenden Waſſers gleich war. Man könnte glauben, dieſe Dämpfe, die ſtoßweiſe hervorkommen, enthalten Salz - ſäure oder Schwefelſäure; läßt man ſie aber an einem kalten Körper ſich verdichten, zeigen ſie keinen beſonderen Geſchmack,89 und die Verſuche mehrerer Phyſiker mit Reagentien beweiſen, daß die Fumarolen des Piks nur reines Waſſer aushauchen; dieſe Erſcheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des Jorullo übereinſtimmt, verdient deſto mehr Aufmerkſam - keit, als Salzſäure in den meiſten Vulkanen in großer Menge vorkommt und Vauquelin ſogar in den porphyrähnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzſäure gefunden hat.

Ich habe an Ort und Stelle die Anſicht des inneren Kraterrandes gezeichnet, wie er ſich darſtellt, wenn man durch die gegen Oſt gelegene Lücke hinabſteigt. Nichts merkwürdiger als dieſe Aufeinanderlagerung von Lavaſchichten, die Krüm - mungen zeigen, wie der Alpenkalkſtein. Dieſe ungeheuren Bänke ſind bald wagerecht, bald geneigt und wellenförmig ge - wunden, und alles weiſt darauf hin, daß einſt die ganze Maſſe flüſſig war, und daß mehrere ſtörende Urſachen zu - ſammenwirkten, um jedem Strom ſeine beſtimmte Richtung zu geben. An der oben umlaufenden Mauer ſieht man das ſeltſame Aſtwerk, wie man es an der entſchwefelten Stein - kohle beobachtet. Der nördliche Rand iſt der höchſte; gegen Südweſt erniedrigt ſich die Mauer bedeutend und am äußerſten Rand iſt eine ungeheure verſchlackte Lavamaſſe angebacken. Gegen Weſt iſt das Geſtein durchbrochen, und durch eine weite Spalte ſieht man den Meereshorizont. Vielleicht hat die Ge - walt der elaſtiſchen Dämpfe im Moment, wo die im Krater aufgeſtiegene Lava überquoll, hier durchgeriſſen.

Das Innere des Trichters weiſt darauf hin, daß der Vulkan ſeit Jahrtauſenden nur noch aus ſeinen Seiten Feuer geſpieen hat. Dieſe Behauptung gründet ſich nicht darauf, weil ſich am Boden der Caldera keine großen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten könnte. Die Phyſiker, die die Natur ſelbſt beobachtet haben, wiſſen, daß viele Vulkane in der Zwiſchenzeit zweier Ausbrüche ausgefüllt und faſt erloſchen ſcheinen, daß ſich dann aber im vulkaniſchen Schlund Schichten ſehr rauher, klingender und glänzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhöhungen, Auftreibungen durch die elaſtiſchen Dämpfe, kleine Schlacken - und Aſchenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Piks von Tenerifa zeigt keines dieſer Merkmale; ſein Boden iſt nicht im Zuſtand ge - blieben, wie ein Ausbruch ihn zurückläßt. Durch den Zahn der Zeit und den Einfluß der Dämpfe ſind die Wände ab - gebröckelt und haben das Becken mit großen Blöcken ſteiniger Lava bedeckt.

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Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, deſſen Hauptthätigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Veſuv, wechſelt die Tiefe des Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pik von Tenerifa dagegen ſcheint die Tiefe ſeit langer Zeit ſich gleich geblieben zu ſein. Edens ſchätzte ſie im Jahre 1715 auf 37 m, Cordier im Jahre 1803 auf 35,5. Nach dem Augenmaß hätte ich geglaubt, daß der Trichter nicht einmal ſo tief wäre. In ſeinem jetzigen Zu - ſtand iſt er eigentlich eine Solfatara; er iſt ein weites Feld für intereſſante Beobachtungen, aber impoſant iſt ſein Anblick nicht. Großartig wird der Punkt nur durch die Höhe über dem Meeresſpiegel, durch die tiefe Stille in dieſer hohen Region, durch den unermeßlichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges überblickt.

Die Beſteigung des Vulkanes von Tenerifa iſt nicht nur dadurch anziehend, daß ſie uns ſo reichen Stoff für wiſſen - ſchaftliche Forſchung liefert; ſie iſt es noch weit mehr dadurch, daß ſie dem, der Sinn hat für die Größe der Natur, eine Fülle maleriſcher Reize bietet. Solche Empfindungen zu ſchildern, iſt eine ſchwere Aufgabe; ſie regen uns deſto tiefer auf, da ſie etwas Unbeſtimmtes haben, wie es die Unermeß - lichkeit des Raumes und die Größe, Neuheit und Mannig - faltigkeit der uns umgebenden Gegenſtände mit ſich bringen. Wenn ein Reiſender die hohen Berggipfel unſeres Erdballes, die Katarakten der großen Ströme, die gewundenen Thäler der Anden zu beſchreiben hat, ſo läuft er Gefahr, den Leſer durch den eintönigen Ausdruck ſeiner Bewunderung zu er - müden. Es ſcheint mir den Zwecken, die ich bei dieſer Reiſe - beſchreibung im Auge habe, angemeſſener, den eigentümlichen Charakter zu ſchildern, der jeden Landſtrich auszeichnet. Man lehrt die Phyſiognomie einer Landſchaft deſto beſſer kennen, je genauer man die einzelnen Züge auffaßt, ſie unterein - ander vergleicht und ſo auf dem Wege der Analyſis den Quellen der Genüſſe nachgeht, die uns das große Natur - gemälde bietet.

Die Reiſenden wiſſen aus Erfahrung, daß man auf der Spitze ſehr hoher Berge ſelten eine ſo ſchöne Ausſicht hat und ſo mannigfaltige maleriſche Effekte beobachtet als auf Gipfeln von der Höhe des Veſuvs, des Rigi, des Puy de Dome. Koloſſale Berge wie der Chimborazo, der Antiſana oder der Montblanc haben eine ſo große Maſſe, daß man die mit reichem Pflanzenwuchs bedeckten Ebenen nur in großer91 Entfernung ſieht und ein bläulicher Duft gleichförmig auf der ganzen Landſchaft liegt. Durch ſeine ſchlanke Geſtalt und ſeine eigentümliche Lage vereinigt nun der Pik von Tenerifa die Vorteile niedrigerer Gipfel mit denen, wie ſehr bedeutende Höhen ſie bieten. Man erblickt auf ſeiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der über die höchſten Berge der benachbarten Inſeln hinaufreicht, man ſieht auch die Wälder von Tenerifa und die bewohnten Küſtenſtriche ſo nahe, daß noch Umriſſe und Farben in den ſchönſten Kontraſten hervortreten. Es iſt, als ob der Vulkan die kleine Inſel, die ihm zur Grundlage dient, erdrückte; er ſteigt aus dem Schoße des Meeres dreimal höher auf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn ſein ſeit Jahrhunderten halb erloſchener Krater Feuergarben auswürfe wie der Stromboli der äoliſchen Inſeln, ſo würde der Pik von Tenerifa dem Schiffer in einem Um - kreis von mehr als 1170 km als Leuchtturm dienen.

Wir lagerten uns am äußeren Rande des Kraters und blickten zuerſt nach Nordweſt, wo die Küſten mit Dörfern und Weilern geſchmückt ſind. Vom Winde fortwährend hin und her getriebene Dunſtmaſſen zu unſeren Füßen boten uns das mannigfaltigſte Schauſpiel. Eine ebene Wolkenſchicht zwiſchen uns und den tiefen Regionen der Inſel, dieſelbe, von der oben die Rede war, war da und dort durch die kleinen Luftſtröme durchbrochen, welche nachgerade die von der Sonne erwärmte Erdoberfläche zu uns heraufſandte. Der Hafen von Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gärten und Wein - berge um die Stadt wurden durch eine Oeffnung ſichtbar, welche jeden Augenblick größer zu werden ſchien. Aus dieſen einſamen Regionen blickten wir nieder in eine bewohnte Welt; wir ergötzten uns am lebhaften Kontraſt zwiſchen den dürren Flanken des Piks, ſeinen mit Schlacken bedeckten ſteilen Ab - hängen, ſeinen pflanzenloſen Plateaus, und dem lachenden Anblick des bebauten Landes; wir ſahen, wie ſich die Ge - wächſe nach der mit der Höhe abnehmenden Temperatur in Zonen verteilten. Unter dem Piton beginnen Flechten die verſchlackten, glänzenden Laven zu überziehen; ein Veilchen,1Viola cheiranthifolia. das der Viola decumbens nahe ſteht, geht am Abhang des Vulkanes bis zu 3390 m Höhe, höher nicht allein als die anderen krautartigen Gewächſe, ſondern ſogar höher als die Gräſer, welche in den Alpen und auf dem Rücken der Kor -92 dilleren unmittelbar an die Gewächſe aus der Familie der Kryptogamen ſtoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüſche ſchmücken die kleinen, von den Regenſtrömen eingeriſſenen und durch die Seitenausbrüche verſtopften Thäler; unter der Re - tama folgt die Region der Farne und auf dieſe die der baum - artigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erd - beerbäumen liegen zwiſchen den Heidekräutern und den mit Reben und Obſtbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner Teppich breitet ſich von der Ebene der Ginſter und der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattel - palmen und Muſen, deren Fuß das Weltmeer zu beſpülen ſcheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieſer Pflanzen - karte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die Pflanzengeographie der Inſel Tenerifa.

Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der Küſte einem ſo nahe gerückt ſcheinen, dazu trägt die erſtaunliche Durchſichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Häuſer, die Baumſtämme, das Takelwerk der Schiffe, wir ſahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den leb - hafteſten Farben glänzen. Dieſe Erſcheinung iſt nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuſchreiben, ſie deutet auf eine eigen - tümliche Beſchaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter allen Zonen erſcheint ein Gegenſtand, der ſich auf dem Meeres - ſpiegel befindet und von dem die Lichtſtrahlen in wagerechter Richtung ausgehen, weniger lichtſtark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges ſieht, wohin die Waſſerdämpfe durch Luftſchichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterſchiede werden vom Einfluß der Klimate be - dingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Fluſſes glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko ſieht. Je reiner und heiterer die Luft iſt, deſto vollſtändiger löſen ſich die Waſſerdämpfe auf und deſto weniger wird das Licht bei ſeinem Durchgang geſchwächt. Wenn man von der Südſee her auf die Hochebene von Quito oder Antiſana kommt, ſo wundert man ſich in den erſten Tagen, wie nahe gerückt Gegenſtände erſcheinen, die 31 bis 36 km entfernt ſind. Der Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftſäulen, welche fortwährend über den benachbarten afrikaniſchen Ebenen93 aufſteigen und die die Weſtwinde raſch herbeiführen, verleiht der Luft der Kanariſchen Inſeln eine Durchſichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, ſondern viel - leicht ſogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückſtehen. Auf dieſer Durchſichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landſchaften unter den Tropen; ſie hebt den Glanz der Farben der Gewächſe und ſteigert die magiſche Wirkung ihrer Har - monieen und ihrer Kontraſte. Wenn eine große, um die Gegen - ſtände verbreitete Lichtmaſſe in gewiſſen Stunden des Tages die äußeren Sinne ermüdet, ſo wird der Bewohner ſüdlicher Klimate durch moraliſche Genüſſe dafür entſchädigt. Schwung und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entſprechen der Durchſichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält dieſe Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überſchreiten; ich berufe mich auf die Reiſenden, welche jene durch die Wunder des Gedankens und der Kunſt verherrlichten Länder geſehen haben, die glücklichen Himmelsſtriche Griechenlands und Italiens.

Umſonſt verlängerten wir unſeren Aufenthalt auf dem Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen Archipel der glückſeligen Inſeln1Von allen kleinen Kanariſchen Inſeln iſt nur die Roca del Eſte vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu ſehen. Sie liegt 3,5° ab, Salvage dagegen nur 1′. Die Inſel Madeira, die 29′ entfernt iſt, wäre nur dann zu ſehen, wenn ihre Berge über 5850 m hoch wären. würden überſehen können. Wir ſahen zu unſeren Füßen Palma, Gomera und die große Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang dunſtfrei geweſen waren, hüllten ſich bald wieder in dichte Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgeſetzt, über - ſieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes ein Stück Erdoberfläche von 115000 qkm, alſo ſo viel als ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft iſt die Frage auf - geworfen worden, ob man von dieſer ungeheuren Pyramide die afrikaniſche Küſte ſehen könne. Aber die nächſten Striche dieſer Küſte ſind 49′ im Bogen, oder 252 km entfernt; da nun der Geſichtshalbmeſſer des Horizontes des Piks 47, beträgt, ſo kann Kap Bojador nur ſichtbar werden, wenn man ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wiſſen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei Kap Bojador ſind, ſowie der Pik ſüdlich von dieſem Vorgebirge, den die Seefahrer Peñon grande nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zu -94 gänglicher, ſo ließen ſich dort ohne Zweifel bei gewiſſen Wind - richtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beob - achten. Lieſt man die Berichte ſpaniſcher und portugieſiſcher Schriftſteller über die Exiſtenz der fabelhaften Inſel San Borondon oder Antilia, ſo ſieht man, daß in dieſen Strichen vorzüglich der feuchte Weſt-Süd-Weſtwind Luftſpiegelungen zur Folge hat;1 La refraction de para todo. Wir haben ſchon oben bemerkt, daß die amerikaniſchen Früchte, welche das Meer häufig an die Küſten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächſe der Inſel San Borondon gehalten wurden. Dieſes Land, das nach der Volksſage von einem Erzbiſchof und ſechs Biſchöfen regiert wurde, und das, nach Pater Feijoos Anſicht, das auf einer Nebel - ſchicht projizierte Bild der Inſel Ferro iſt, wurde im 16. Jahr - hundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geſchenkt, als dieſer ſich zur Eroberung desſelben rüſtete. indeſſen wollen wir nicht mit Viera glauben, daß durch das Spiel der irdiſchen Refraktion die Inſeln des grünen Vorgebirges, ja ſogar die Appalachen in Amerika den Bewohnern der Kanarien ſichtbar werden können .

Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden, war für die Jahreszeit ſehr bedeutend. Der hundertteilige Thermometer2Nach Odonnell und Armſtrong ſtand auf dem Gipfel des Piks am 2. Auguſt 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im Schatten auf 13,8°, in der Sonne auf 20,5°; Unterſchied oder Wirkung der Sonne: 6,7°. zeigte entfernt vom Boden und von den Fu - marolen, die heiße Dämpfe ausſtoßen, im Schatten 2,7°. Der Wind war Weſt, alſo dem entgegengeſetzt, der einen großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die über den glühenden Wüſten Afrikas aufſteigt. Da die Tem - peratur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beob - achtung, 22,8° war, ſo nahm die Wärme auf 183 m Höhe um einen Grad ab. Dieſes Ergebnis ſtimmt vollkommen mit dem überein, was Lamanon und Sauſſure auf den Spitzen des Piks und des Aetna, obwohl in ſehr verſchiedenen Jahres - zeiten, beobachtet haben. 3Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, ob - gleich die Temperatur des Piks um von der von uns beob - achteten abwich. Am Aetna fand Sauſſure die Abnahme gleich 175 m. Die ſchlanke Geſtalt dieſer Berge bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luft - ſchichten faſt ſenkrecht übereinander beobachten kann, und in95 dieſer Beziehung gleichen die Beobachtungen, die man bei der Beſteigung des Vulkanes von Tenerifa macht, denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es iſt in - deſſen zu bemerken, daß die See wegen ihrer Durchſichtigkeit und wegen der Verdunſtung weniger Wärme den hohen Luft - regionen zuſendet als die Ebenen; daher iſt es auf vom Meere umgebenen Berggipfeln im Sommer kälter als auf Bergen mitten im Lande; dieſes Moment hat aber nur geringen Ein - fluß auf die Abnahme der Luftwärme, da die Temperatur der tiefen Regionen in der Nähe des Meeres gleichfalls eine niedrigere iſt.

Anders verhält es ſich mit dem Einfluſſe der Wind - richtung und der Geſchwindigkeit des aufſteigenden Stromes; letzterer erhöht nicht ſelten die Temperatur der höchſten Berge in erſtaunlichem Grade. Am Abhang des Antiſana im König - reich Quito ſah ich in 5530 m Höhe den Thermometer auf 19° ſtehen; Labillardière beobachtete am Kraterrand des Pik von Tenerifa 18,7°, wobei er alle erdenkliche Vorſicht ge - braucht hatte, um den Einfluß zufälliger Urſachen auszu - ſchließen. Da die Temperatur der Reede von Santa Cruz zur ſelben Zeit 28° war, ſo betrug der Unterſchied zwiſchen der Luft an der Küſte und der auf dem Pik 9,3° ſtatt 20°, die einer Wärmeabnahme von einem Grad auf 183 m ent - ſprechen. Ich finde im Schiffstagebuch von d’Entrecaſteaux Expedition, daß damals in Santa Cruz der Wind Süd-Süd - Oſt war. Vielleicht wehte derſelbe Wind ſtärker in den hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in ſchiefer Richtung die warme Luft vom nahen Feſtlande der Spitze des Piton zu. Labil - lardières Beſteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 ſtatt, und in den Schweizer Alpen hat man die Beobachtung ge - macht, daß der Temperaturunterſchied zwiſchen Berg und Tief - land im Herbſt geringer iſt als im Sommer. Alle dieſe Schwankungen im Maß der Temperaturabnahme haben auf die Meſſungen mittels des Barometers nur inſofern Einfluß, als die Abnahme in den dazwiſchenliegenden Schichten nicht gleichförmig iſt, und von der arithmetiſchen gleichmäßigen Progreſſion, wie die angewandten Formeln ſie annehmen, ab - weicht.

Wir wurden auf dem Gipfel des Piks nicht müde, die Farbe des blauen Himmelsgewölbes zu bewundern. Ihre Intenſität im Zenith ſchien uns gleich 41° des Cyanometers. Man weiß nach Sauſſures Verſuchen, daß dieſe Intenſität96 mit der Verdünnung der Luft zunimmt, und daß dasſelbe Inſtrument zur ſelben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39° und auf der Spitze des Montblanc 40° zeigte. Dieſer Berg iſt um 1052 m höher als der Vulkan von Tenerifa, und wenn trotz dieſem Unterſchied auf erſterem das Himmels - blau nicht ſo dunkel iſt, ſo rührt dies wohl von der Trocken - heit der afrikaniſchen Luft und der Nähe der heißen Zone her.

Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um ſie auf der Fahrt nach Amerika chemiſch zu zerlegen. Die Flaſche war ſo gut verſchloſſen, daß, als wir ſie nach zehn Tagen öffneten, das Waſſer mit Gewalt hineindrang. Nach mehreren Ver - ſuchen mit Salpetergas in der engen Röhre des Fontanaſchen Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hundertteile weniger Sauerſtoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieſes Reſultat, da die Methode jetzt für ziemlich unzuver - läſſig gilt. Der Krater des Piks hat ſo wenig Tiefe und die Luft darin erneuert ſich ſo leicht, daß ſchwerlich mehr Stickſtoff darin iſt als an der Küſte. Wir wiſſen überdem aus Gay-Luſſacs und Theodor Sauſſures Verſuchen, daß die Luft in den höchſten Luftregionen wie in den tiefſten 0,21 Sauerſtoff enthält. 1Im März 1805 fingen Gay-Luſſac und ich beim Hoſpiz auf dem Mont Cenis in einer ſtark elektriſch geladenen Wolke Luft auf und zerlegten ſie im Voltaſchen Eudiometer. Sie enthielt keinen Waſſerſtoff und nicht um 0,002 weniger Sauerſtoff als die Pariſer Luft, die wir in hermetiſch verſchloſſenen Flaſchen bei uns hatten.

Wir ſahen auf dem Gipfel des Piks keine Spur von Pſora, Lecidium oder anderen Kryptogamen, kein Inſekt flatterte in der Luft. Indeſſen findet man hier und da ein hautflüg - liges Inſekt an den Schwefelmaſſen angeklebt, die von ſchwef - liger Säure feucht ſind und die Oeffnungen der Fumarolen auskleiden. Es ſind Bienen, die wahrſcheinlich die Blüten des Spartium nubigenum aufgeſucht hatten und vom Winde ſchief aufwärts in dieſe Höhe getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem Gipfel des Mont Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kälte zu Grunde, während die Bienen auf dem Pik geröſtet werden, wenn ſie unvorſichtig den Spalten, an denen ſie ſich wärmen wollten, zu nahe kommen.

Trotz dieſer Wärme, die man am Rande des Kraters unter den Füßen ſpürt, iſt der Aſchenkegel im Winter mehrere97 Monate mit Schnee bedeckt. Wahrſcheinlich bilden ſich unter der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den Gletſchern in der Schweiz, die beſtändig eine niedrigere Tem - peratur haben als der Boden, auf dem ſie ruhen. Der heftige kalte Wind, der ſeit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fuße des Piton Schutz zu ſuchen. Hände und Geſicht waren uns erſtarrt, während unſere Stiefeln auf dem Boden, auf den wir den Fuß ſetzten, verbrannten. In wenigen Minuten waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir ſo mühſam er - klommen, und dieſe Geſchwiṅdigkeit war zum Teil unwillkür - lich, da man häufig in der Aſche hinunterrutſcht. Ungern ſchieden wir von dem einſamen Orte, wo ſich die Natur in ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die Kanariſchen Inſeln noch einmal beſuchen zu können, aber aus dem Plane wurde nichts, wie aus ſo vielen, die wir damals entwarfen.

Wir gingen langſam durch das Malpays; auf loſen Lava - blöcken tritt man nicht ſicher auf. Der Station bei den Felſen zu wird der Weg abwärts äußerſt beſchwerlich; der dichte kurze Raſen iſt ſo glatt, daß man ſich beſtändig nach hinten über - beugen muß, um nicht zu ſtürzen. Auf der ſandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22,5°, und dies ſchien uns nach dem Froſt, der uns auf dem Gipfel geſchüttelt, eine erſtickende Hitze. Wir hatten gar kein Waſſer; die Führer hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvaſier, den wir der freundlichen Vorſorge Cologans verdankten, heimlich ge - trunken, ſondern ſogar die Waſſergefäße zerbrochen. Zum Glück war die Flaſche mit der Kraterluft unverſehrt geblieben.

In der ſchönen Region der Farne und der baumartigen Heiden genoſſen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke Wolkenſchicht hüllte uns ein; ſie hielt ſich in 1170 m Höhe über der Niederung. Während wir durch dieſe Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erſcheinung zu beobachten, die uns ſpäter am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen iſt. Kleine Luftſtröme trieben Wolkenſtreifen mit verſchiedener Geſchwindigkeit nach entgegengeſetzten Richtungen. Dies nahm ſich aus, als ob in einer großen ſtehenden Waſſermaſſe kleine Waſſerſtröme ſich raſch nach allen Seiten bewegten. Dieſe teilweiſe Bewegung der Wolken rührt wahrſcheinlich von ſehr verſchiedenen Urſachen her, und man kann ſich denken, daß der Anſtoß dazu ſehr weit herkommen mag. Man kann den Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens ſuchen, die mehrA. v. Humboldt, Reiſe. I. 798oder weniger Wärme ſtrahlen, in einem auf irgend einem chemiſchen Prozeß beruhenden Temperaturunterſchied, oder end - lich in einer ſtarken elektriſchen Ladung der Dunſtbläschen.

In der Nähe der Stadt Orotava trafen wir große Schwärme von Kanarienvögeln. 1Fringilla Canaria. La Caille erzählt in ſeiner Reiſe - beſchreibung nach dem Kap, auf der Inſel Salvage fänden ſich dieſe Vögel in ſo ungeheurer Menge, daß man in einer gewiſſen Jahres - zeit nicht umhergehen könne, ohne Eier zu zertreten.Dieſe in Europa ſo wohl - bekannten Vögel waren ziemlich gleichförmig grün, einige auf dem Rücken gelblich; ihr Schlag glich dem der zahmen Ka - narienvögel, man bemerkt indeſſen, daß die, welche auf der Inſel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzarote gefangen werden, einen ſtärkeren und zugleich harmoniſcheren Schlag haben. In allen Himmelsſtrichen hat jeder Schwarm derſelben Vogelart ſeine eigene Sprache. Die gelben Kanarienvögel ſind eine Spielart, die in Europa ent - ſtanden iſt, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Tenerifa in Käfigen ſahen, waren in Cadiz und anderen ſpaniſchen Häfen gekauft. Aber der Vogel der Kanariſchen Inſeln, der von allen den ſchönſten Geſang hat, iſt in Europa unbekannt, der Capirote, der ſo ſehr die Freiheit liebt, daß er ſich niemals zähmen ließ. Ich bewunderte ſeinen weichen, melodiſchen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe genug zu Geſicht bekommen, um zu beſtimmen, welcher Gattung er angehört. Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitän Cook auf Tenerifa geſehen haben will, ſo exiſtieren ſie nur in Reiſeberichten, die einander abſchreiben. Es gibt auf den Kanarien weder Papageien noch Affen, und obgleich erſtere in der Neuen Welt bis Nordkarolina wandern, ſo glaube ich doch kaum, daß in der Alten über dem 28. Grad nördlicher Breite welche vorkommen.

Wir kamen, als der Tag ſich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten daſelbſt die unerwartete Nachricht, daß der Pizarro erſt in der Nacht vom 24. zum 25. unter Segel gehen werde. Hätten wir auf dieſen Aufſchub rechnen können, ſo wären wir entweder länger auf dem Pik geblieben,2Da viele Reiſende, welche bei Santa Cruz de Tenerifa an - legen, die Beſteigung des Piks unterlaſſen, weil ſie nicht wiſſen, wie viel Zeit man dazu braucht, ſo ſind die folgenden Angaben wohl nicht unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Eng -99 oder hätten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden Tag durchſtreiften wir die Umgegend von Orotava und genoſſen des Umgangs mit Cologans liebens - würdiger Familie. Da fühlten wir recht, daß der Aufenthalt auf Tenerifa nicht bloß für den Naturforſcher von Intereſſe iſt; man findet in Orotava Liebhaber von Litteratur und Muſik, welche den Reiz europäiſcher Geſellſchaft in dieſe fernen Himmelsſtriche verpflanzt haben. In dieſer Beziehung haben die Kanariſchen Inſeln mit den übrigen ſpaniſchen Kolonieen, Havana ausgenommen, wenig gemein.

Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem ländlichen Feſte in Herrn Littles Garten bei. Dieſer Han - delsmann, der den Kanarien bei der letzten Getreideteurung bedeutende Dienſte erwieſen, hat einen mit vulkaniſchen Trüm - mern bedeckten Hügel angepflanzt und an dieſem köſtlichen Punkt einen engliſchen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aus - ſicht auf die Pyramide des Piks, auf die Dörfer an der Küſte und die Inſel Palma hat, welche die weite Meeresfläche be - grenzt. Ich kann dieſe Ausſicht nur mit der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinſichtlich der Groß - artigkeit der Maſſen und der Fülle des Pflanzenwuchſes ſteht Orotava über beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkanes auf einmal ein eigentümliches Schauſpiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel die Spanier eingeführt hatten, obgleich er an ſich uralt iſt, hatten die Hirten die Johannisfeuer angezündet. Die zerſtreuten Lichtmaſſen, die vom Winde gejagten Rauchſäulen hoben ſich an den Seiten des Piks vom Dunkelgrün der Wälder ab. Freudengeſchrei drang aus der Ferne zu uns herüber, und ſchien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen einſamen Orten unterbrach.

Die Familie Cologan beſitzt ein Landhaus näher an der2länder ſich der Maultiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Beſteigung des Piks und zur Rückkehr in den Hafen 21 Stunden; nämlich von Orotava zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felſenſtation 6, von da nach der Caldera . Für die Rück - kehr rechne ich 9 Stunden. Es handelt ſich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt, keineswegs von der, die man auf die Unterſuchung der Produkte des Piks oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tage gelangt man von Santa Cruz de Tenerifa nach Orotava.100 Küſte als das eben beſchriebene. Der Name, den ihm der Eigentümer gegeben, bezeichnet den Eindruck, den dieſer Landſitz macht. Das Haus La Paz hatte zudem noch beſonderes In - tereſſe für uns. Borda, deſſen Tod wir bedauerten, hatte hier bei ſeiner letzten Reiſe nach den Kanarien gewohnt. Auf einer kleinen Ebene in der Nähe hat er die Standlinie zur Meſſung der Höhe des Piks abgeſteckt. Bei dieſer trigono - metriſchen Meſſung diente der große Drachenbaum von Oro - tava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter Reiſender eine neue genauere Meſſung des Vulkanes mittels aſtrono - miſcher Repetitionskreiſe vornehmen, ſo müßte er die Stand - linie nicht bei Orotava, ſondern bei Los Silos, an einem Orte, Bante genannt, meſſen; nach Brouſſonet iſt keine Ebene in der Nähe des Piks ſo groß wie dieſe. Wir botaniſierten bei La Paz und fanden in Menge das Lichen roccella auf baſaltiſchem, von der See beſpülten Geſtein. Die Orſeille der Kanarien iſt ein ſehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von Tenerifa als von den unbe - wohnten Inſeln Salvage, Gracioſa, Alegranza, ſogar von Canaria und Hierro.

Am 24. Juni morgens verließen wir den Hafen von Orotava; in Laguna ſpeiſten wir beim franzöſiſchen Konſul. Er hatte die Gefälligkeit, die Beſorgung der geologiſchen Sammlungen zu übernehmen, die wir dem Naturalienkabinett des Königs von Spanien übermachten. Als wir vor der Stadt auf die Reede hinausblickten, ſahen wir zu unſerem Schreck den Pizarro, unſere Korvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir, er laviere mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die engliſchen bei Tenerifa ſtationierten Schiffe waren verſchwunden, und wir hatten keinen Augenblick zu verlieren, um aus dieſen Strichen wegzukommen. Wir ſchifften uns allein ein; unſere Reiſegefährten waren Kanarier geweſen, die nicht mit nach Amerika gingen.

Ehe wir den Archipel der Kanarien verlaſſen, werfen wir einen Blick auf die Geſchichte des Landes.

Vergeblich ſehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den erſten ſchriftlichen Urkunden über die Ausbrüche des Piks von Tenerifa um. Dieſe Seefahrer hielten ſich ängſtlich an die Küſten, ſie liefen jeden Abend in eine Bai und ankerten, und ſo konnten ſie nichts von einem Vulkan wiſſen, der 252 km vom Feſtland von Afrika liegt. Hanno berichtet indeſſen von leuchtenden Strömen, die ſich in101 das Meer zu ergießen ſchienen; jede Nacht haben ſich auf der Küſte viele Feuer gezeigt, und der große Berg, der Götter - wagen genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die bis zu den Wolken aufgeſtiegen. Aber dieſer Berg, nordwärts von der Inſel der Gorilla,1Auf dieſer Inſel ſah der karthagenienſiſche Feldherr zum erſten - mal eine große menſchenähnliche Affenart, die Gorilla. Er be - ſchreibt ſie als durchaus behaarte Weiber, und als höchſt bösartig, weil ſie ſich mit Nägeln und Zähnen wehrten. Er rühmt ſich, ihrer drei die Haut abgezogen zu haben, um ſie mitzunehmen. Goſſelin verlegt die Inſel der Gorilla an die Mündung des Fluſſes Nun, aber nach dieſer Annahme müßte der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elefanten weiden ſah, unter 35½° Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika. bildete das Weſtende der Atlaskette, und es iſt zudem ſehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem vulkaniſchen Ausbruch herrührten, oder von dem bei ſo vielen Völkern herrſchenden Brauch, die Wälder und das dürre Gras der Savannen anzuzünden. In neueſter Zeit waren ja auch die Naturforſcher, welche die Expedition unter Konteradmiral d’Entrecaſteaux mitmachten, ihrer Sache nicht gewiß, als ſie die Inſel Amſterdam mit dickem Rauch bedeckt ſahen. Auf der Küſte von Caracas ſah ich mehrere Nächte hintereinander rötliche Feuerſtreifen von brennendem Graſe, die ſich täuſchend wie Lavaſtröme aus - nahmen, die von den Bergen herabkamen und ſich in mehrere Arme teilten.

Obgleich in den Reiſetagebüchern des Hanno und des Scylax, ſo weit ſie uns erhalten ſind, keine Stelle vorkommt, die ſich mit einigem Schein von Recht auf die Kanariſchen Inſeln beziehen ließe, iſt es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Karthager und auch die Phönizier den Pik von Tererifa ge - kannt haben. 2Einer der angeſehenſten deutſchen Gelehrten, Heeren, hält die glückſeligen Inſeln Diodors von Sizilien für Madeira und Porto Santo.Zu Platos und Ariſtoteles Zeit waren dunkle Gerüchte davon zu den Griechen gedrungen, nach deren Vor - ſtellung die ganze Küſte von Afrika jenſeits der Säulen des Herkules von vulkaniſchem Feuer verheert war. 3Aristoteles, Mirab. Auscultat. Solinus ſagt vom Atlas: vertex semper nivalis lucet nocturnis ignibus; aber dieſer Atlas iſt gleich dem Berge Meru der Hindu ein aus richtigen Begriffen und mythiſchen Fiktionen zuſammengeſetztes Ding, und lag nichtDie Inſeln der102 Seligen, die man anfangs im Norden, jenſeits der Riphäiſchen Gebirge bei den Hyperboreern,1Die Vorſtellung vom Glück, der hohen Kultur und dem Reichtum der Bewohner des Nordens hatten die Griechen, die indi - ſchen Völker und die Mexikaner miteinander gemein. ſpäter ſüdwärts von Cyre - naica geſucht hatte, wurden nach Weſten verlegt, dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glückſelige Inſeln nannte, war lange ein ſchwankender Begriff, wie der Name Dorado bei den erſten Eroberern Amerikas. Man verſetzte das Glück an das Ende der Welt, wie man den lebhafteſten Geiſtesgenuß in einer idealen Welt jenſeits der Grenzen der Wirklichkeit ſucht.

Es iſt nicht zu verwundern, daß vor Ariſtoteles die griechiſchen Geographen keine genaue Kenntnis von den Kana - riſchen Inſeln und ihren Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach Weſt und Nord die See befuhr, die Karthager, fanden ihren Vorteil dabei, wenn ſie dieſe entlegenen Landſtriche in den Schleier des Geheimniſſes hüllten. Der karthagiſche Senat duldete keine Auswanderung einzelner und erſah dieſe Inſeln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politiſchen Unfälle; ſie ſollten für die Karthager ſein, was der freie Boden von Amerika für die Europäer bei ihren bürgerlichen und religiöſen Zwiſtigkeiten geworden iſt.

Die Römer wurden erſt achtzig Jahre vor Octavians Regierung näher mit den Kanariſchen Inſeln bekannt. Ein bloßer Privatmann wollte den Gedanken verwirklichen, den der karthagiſche Senat in weiſer Vorſicht gefaßt. Nach ſeiner Niederlage durch Sylla ſucht Sertorius, müde des Waffen - lärms, eine ſichere, ruhige Zufluchtsſtätte. Er wählt die glückſeligen Inſeln, von denen man ihm an den Küſten von Bätika eine reizende Schilderung entwirft. Er ſammelt ſorg - fältig, was ihm von Reiſenden an Nachrichten zukommt; aber in den wenigen Stücken dieſer Nachrichten, die auf uns ge - kommen ſind, und in den umſtändlicheren Beſchreibungen des Seboſus und des Juba iſt niemals von Vulkanen und vul - kaniſchen Ausbrüchen die Rede. Kaum erkennt man die Inſel3auf einer der heſperiſchen Inſeln, wie Abbé Viera und nach ihm verſchiedene Reiſende annehmen, die den Pik von Tenerifa be - ſchreiben. Die folgenden Stellen laſſen keinen Zweifel hierüber: Herodot IV, 184; Strabo XVII; Mela III, 10; Plinius V, 1; Solinus I, 24, ſogar Diodor von Sizilien III. 103 Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückſeligen Inſeln beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vul - kan damals kein Feuer geſpieen habe, wenn ſich aus dem Stillſchweigen von Schriftſtellern etwas ſchließen ließe, von denen wir nichts beſitzen als Bruchſtücke und trockene Namen - verzeichniſſe. Umſonſt ſucht der Phyſiker in der Geſchichte Urkunden über die älteſten Ausbrüche des Piks; er findet nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der das Wort Echeyde 1Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn (De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Dieſe Ableitung iſt höchſt zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr Wert, als ſie bei den orientaliſchen Völkern haben, ſo findet man Dyris faſt ganz in Daran, wie die arabiſchen Geographen den öſtlichen Teil des Atlasgebirges nennen. zugleich die Hölle und den Vulkan von Tenerifa bedeutete.

Die älteſte ſchriftliche Nachricht von der Thätigkeit des Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem An - fang des 16. Jahrhunderts. Sie findet ſich in der Reiſe - beſchreibung2Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hi - spanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intue - antur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram ex - cedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio ad terras incognitas c. 8. des Aloyſio Cadamoſto, der im Jahre 1505 auf den Kanarien landete. Dieſer Reiſende war nicht ſelbſt Zeuge eines Ausbruches, er verſichert aber beſtimmt, der Berg brenne fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer ſei von Chriſten geſehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa lebten. Der Pik befand ſich alſo damals nicht im Zuſtand der Ruhe wie jetzt, denn es iſt ſicher, daß kein Reiſender und kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von weitem ſichtbaren Rauch, geſchweige denn Flammen, hat ent - ſteigen ſehen. Es wäre vielleicht zu wünſchen, daß der Schlund104 der Caldera ſich wieder öffnete, die Seitenausbrüche würden damit weniger heftig und die ganze Inſelgruppe hätte weniger von Erdbeben zu leiden.

Ich habe zu Orotava die Frage beſprechen hören, ob an - zunehmen ſei, daß der Krater des Piks im Laufe der Jahr - hunderte wieder in Thätigkeit treten werde. In einer ſo zweifelhaften Sache kann man ſich nur an die Analogie halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahre 1611 der Krater des Veſuvs im Inneren mit Gebüſch bewachſen. Alles ver - kündete die tiefſte Ruhe, und dennoch warf derſelbe, der ſich in ein ſchattiges Thal verwandeln zu wollen ſchien, zwanzig Jahre ſpäter Feuerſäulen und ungeheure Maſſen Aſche aus. Der Veſuv wurde im Jahre 1631 wieder ſo thätig, als er im Jahre 1500 geweſen war. So könnte möglicherweiſe auch der Krater des Piks ſich eines Tages wieder umwandeln. Er iſt jetzt eine Solfatare, ähnlich der friedlichen Solfatare von Pozzuoli; aber ſie iſt auf der Spitze eines noch thätigen Vulkanes gelegen.

Die Ausbrüche des Piks waren ſeit zweihundert Jahren ſehr ſelten, und ſolche lange Pauſen ſcheinen charakteriſtiſch für ſehr hohe Vulkane. Der kleinſte von allen, der Strom - boli, iſt faſt in beſtändiger Thätigkeit. Beim Veſuv ſind die Ausbrüche ſchon ſeltener, indeſſen häufiger als beim Aetna und dem Pik von Tenerifa. Die koloſſalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi und der Tunguragua ſpeien kaum ein - mal im Jahrhundert Feuer. Bei thätigen Vulkanen ſcheint die Häufigkeit der Ausbrüche im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe und der Maſſe derſelben zu ſtehen. So ſchien auch der Pik nach zweiundneunzig Jahren erloſchen, als im Jahre 1792 der letzte Ausbruch durch eine Seitenöffnung im Berg Chahorra erfolgte. In dieſem Zeitraum hat der Veſuv ſech - zehnmal Feuer geſpieen.

Ich habe anderswo ausgeführt, daß der ganze gebirgige Teil des Königreichs Quito anzuſehen iſt, als ein ungeheurer Vulkan von 14175 qkm Oberfläche, der aus verſchiedenen Kegeln mit eigenen Namen, Cotopaxi, Tunguragua, Pichincha, Feuer ſpeit. Ebenſo ruht die ganze Gruppe der Kanariſchen Inſeln gleichſam auf einem untermeeriſchen Vulkan. Das Feuer brach ſich bald durch dieſe, bald durch jene der Inſeln Bahn. Nur Tenerifa trägt in ſeiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater auf der Spitze, die in jahr - hundertlangen Perioden aus ihren Seiten Lavaſtröme ergießt. 105Auf den anderen Inſeln haben die verſchiedenen Ausbrüche an verſchiedenen Stellen ſtattgefunden, und man findet dort keinen vereinzelten Berg, an den die vulkaniſche Thätigkeit gebunden wäre. Die von uralten Vulkanen gebildete Baſalt - rinde ſcheint dort allerorten unterhöhlt, und die Lavaſtröme, die auf Lanzarote und Palma ausgebrochen ſind, kommen geologiſch durchaus mit dem Ausbruch überein, der im Jahre 1301 auf der Inſel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte.

Es folgt hier die Liſte der Ausbrüche, deren Andenken ſich bei den Geſchichtsſchreibern der Inſel ſeit der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten hat.

Jahr 1558. Am 15. April. Zur ſelben Zeit wurde Tenerifa zum erſtenmal von der aus der Levante eingeſchleppten Peſt verheert. Ein Vulkan öffnet ſich auf der Inſel Palma, nahe einer Quelle im Partido de los Llanos. Ein Berg ſteigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet ſich ein Krater, der einen 195 m breiten und über 4,8 km langen Lavaſtrom ergießt. Die Lava ſtürzt ſich ins Meer, und durch die Er - hitzung des Waſſers gehen die Fiſche in weitem Umkreiſe zu Grunde. 1Dieſelbe Erſcheinung wiederholte ſich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina auf dem Meeresboden ausbrach. Das kalcinierte Skelett eines Haifiſches wurde im erloſchenen, mit Waſſer gefüllten Krater gefunden.

Jahr 1646. Am 13. November thut ſich ein Schlund auf der Inſel Palma bei Tigalate auf; zwei andere bilden ſich am Meeresufer. Die Laven, die ſich aus dieſen Spalten ergießen, machen die berühmte Quelle Foncaliente oder Fuente Santa verſiegen, deren Mineralwaſſer Kranke ſogar aus Europa herbeizog. Nach einer Volksſage wurde dem Aus - bruch durch ein ſeltſames Mittel Einhalt gethan. Das Bild unſerer lieben Frau zum Schnee wurde aus Santa Cruz an den Schlund des neuen Vulkanes gebracht, und alsbald fiel eine ſo ungeheure Maſſe Schnee, daß das Feuer dadurch er - loſch. In den Anden von Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, daß die Thätigkeit der Vulkane durch vieles einſickerndes Schneewaſſer geſteigert wird.

Jahr 1677. Dritter Ausbruch auf der Inſel Palma. Der Berg Las Cabras wirft aus einer Menge kleiner Oeff - nungen, die ſich nacheinander bilden, Schlacken und Aſche aus.

Jahr 1704. Am 31. Dezember. Der Pik von Tenerifa106 macht einen Seitenausbruch in der Ebene Los Infantes, ober - halb Icore, im Bezirk Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705 thut ſich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, 4,5 km von Icore auf. Die Lava iſt ſo ſtark, daß ſie das ganze Thal Fasnia oder Areza ausfüllt. Dieſer zweite Schlund hört am 13. Januar zu ſpeien auf. Ein dritter bildet ſich am 2. Februar in der Cañada de Arafo. Die Lava in drei Strömen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Meloſar durch einen Felsgrat aufgehalten, der einen unüber - ſteiglichen Damm bildet. Während dieſer Ausbrüche ſpürt die Stadt Orotava, die nur ein ſchmaler Damm von den neuen Schlünden trennt, ſtarke Erdſtöße.

Jahr 1706. Am 5. Mai. Ein weiterer Seiten - ausbruch des Piks von Tenerifa. Der Schlund bricht auf ſüdlich vom Hafen von Garachico, damals dem ſchönſten und beſuchteſten der Inſel. Die volkreiche, wohlhabende Stadt hatte eine maleriſche Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei Lavaſtröme zerſtörten ſie in wenigen Stunden; kein Haus blieb ſtehen. Der Hafen, der ſchon im Jahre 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwaſſer viel Erdreich hineingeführt, wurde ſo ausgefüllt, daß die ſich auftürmenden Laven in der Mitte ſeines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings um Garachico, wurde das Erdreich völlig umgewandelt. Aus der Ebene ſtiegen Hügel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmaſſen wurden durch die häufigen Erdſtöße der Dammerde und des Pflanzenwuchſes beraubt und blieben nackt ſtehen. Nur die Fiſcher ließen nicht vom heimatlichen Boden. Mutig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten ſie wieder ein Dörfchen auf Schlackenhaufen und dem verglaſten Geſtein.

Jahr 1730. Am 1. September. Eine der furcht - barſten Kataſtrophen zerſtört den Landungsplatz der Inſel Lanzarote. Ein neuer Vulkan bildet ſich bei Temanfaya. Die Lavaſtröme und die Erdſtöße, welche den Ausbruch begleiten, zerſtören eine Menge Dörfer, worunter die alten Flecken der Guanchen Tingafa, Macintafe und Guatisca. Die Stöße dauern bis 1736 fort, und die Bewohner von Lanzarote flüchten ſich großenteils auf die Inſel Fuerteventura. Während dieſes Ausbruches, von dem ſchon im vorigen Kapitel die Rede war, ſieht man eine dicke Rauchſäule aus der See auf - ſteigen. Pyramidaliſche Felſen erheben ſich über der Meeres -107 fläche, die Klippen werden immer größer und verſchmelzen allmählich mit der Inſel ſelbſt.

Jahr 1798. Am 9. Juni. Seitenausbruch des Piks von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge,1Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch ſtatt - fand, heißt Chazajañe. an einem völlig unbebauten Orte, ſüdlich von Icod beim Dorfe Guia, dem alten Iſora. Dieſer Berg, der ſich an den Pik anlehnt, galt von jeher für einen erloſchenen Vulkan. Er beſteht zwar aus feſten Gebirgsarten, verhält ſich aber doch zum Pik wie der Monte Roſſo, der im Jahre 1661 aufſtieg, oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Veſuv. Der Ausbruch des Chahorra währte drei Monate und ſechs Tage. Die Lava und die Schlacken wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen. Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der Stunde zurück. Da dieſer Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, ſo war der Eindruck des - ſelben bei den Einwohnern noch ſehr lebhaft. Ich ſah bei Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo Cologan hat dieſe Oeffnungen, acht Tage nachdem ſie aufgebrochen, beſucht und die Haupterſcheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufſatz beſchrieben, von dem er mir eine Abſchrift mitteilte, um ſie meiner Reiſebeſchreibung einzu - verleiben. Seitdem ſind dreizehn Jahre verfloſſen; Bory St. Vincent iſt mir mit der Veröffentlichung des Aufſatzes zuvorgekommen, und ſo verweiſe ich den Leſer auf ſein inter - eſſantes Werk: Essai sur les îles fortunées. Ich beſchränke mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der ſehr anſehnliche Felsſtücke aus den Oeffnungen des Chahorra emporgeſchleudert wurden. Cologan zählte während des Falles der Steine 12 bis 15 Sekunden,2Cologan bemerkt, der Fall habe ſogar über 15 Sekunden ge - dauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte, bis er auffiel. das heißt er fing im Mo - ment zu zählen an, wo ſie ihre höchſte Höhe erreicht hatten. Aus dieſer intereſſanten Beobachtung geht hervor, daß die Fels - ſtücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geſchleudert wurden.

Alle in dieſer chronologiſchen Ueberſicht verzeichneten Aus - brüche gehören den drei Inſeln Palma, Tenerifa und Lanzarote108 an. Wahrſcheinlich ſind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen Inſeln auch von vulkaniſchem Feuer heimgeſucht worden. Nach mir mitgeteilten unbeſtimmten Notizen läge mitten auf der Inſel Ferro ein erloſchener Vulkan und ein anderer auf der großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig zu erfahren, ob ſich an der Kalkformation von Fuerteventura oder am Granit und Glimmerſchiefer von Gomera Spuren des unterirdiſchen Feuers zeigen.

Die rein ſeitliche vulkaniſche Thätigkeit die Piks von Tenerifa iſt geologiſch um ſo merkwürdiger, als ſie dazu bei - trägt, die Berge, die ſich an den Hauptvulkan anlehnen, iſoliert erſcheinen zu laſſen. Allerdings kommen beim Aetna und beim Veſuv die großen Lavaſtröme auch nicht aus dem Krater ſelbſt, und die Maſſe geſchmolzener Stoffe ſteht meiſt im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe, in der ſich die Spalte bildet, welche die Lava auswirft. Aber beim Veſuv und Aetna endet ein Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Aſche auswirft. Beim Pik von Tenerifa iſt ſolches ſeit Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798 blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat ſich nicht geſenkt, während nach Leopold von Buchs ſcharfſinniger Bemerkung beim Veſuv die größere oder geringere Tiefe des Kraters faſt ein untrügliches Zeichen iſt, ob ein neuer Aus - bruch bevorſteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einſt ge - ſchmolzenen Felsmaſſen des Piks, wie die Baſalte und Mandel - ſteine ſich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben, wie die Gewächſe an den ſteilen Abhängen des Vulkanes ver - teilt ſind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanariſchen Inſeln zukommt.

Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdſtrichs bedecken kryptogamiſche Gewächſe zuerſt die ſteinige Erdrinde. Auf die Flechten und Mooſe, deren Laub ſich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heißen Erdſtrichs und zwiſchen den Tropen ſelbſt. Allerdings findet man dort, was auch manche Reiſende ſagen mögen, nicht allein auf den Bergen, ſondern auch an feuchten, ſchattigen Orten Funarien, Dicranum - und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieſer Gat - tungen befinden ſich mehrere, die zugleich in Lappland, auf dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika109 vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und Mooſen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den Felſenküſten von Peru ſind es die Saftpflanzen, die den Grund zur Dammerde legen, Gewächſe, deren mit unzähligen Oeffnungen und Hauptgefäßen verſehene Blätter der um - gebenden Luft das darin aufgelöſte Waſſer entziehen. Sie wachſen in den Ritzen des vulkaniſchen Geſteins und bil - den gleichſam die erſte vegetabiliſche Schicht, womit ſich die Lavaſtröme überziehen. Ueberall wo die Laven verſchlackt ſind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Baſalt - kuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt ſich die Vege - tation ungemein langſam darauf, und es vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buſchwerk darauf wächſt. Nur wenn die Lava mit Tuff und Aſche bedeckt iſt, verliert ſich auf vul - kaniſchen Eilanden die Kahlheit, die ſie in der erſten Zeit nach ihrer Bildung auszeichnet, und ſchmücken ſie ſich mit einer üppigen glänzenden Pflanzendecke.

In ſeinem gegenwärtigen Zuſtand zeigt die Inſel Tenerifa oder das Chinerfe1Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption Tſchineriffe, Tenerifa gemacht. der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräſer. Dieſe Zonen liegen am ſteilen Abhang des Piks wie Stockwerke über - einander und haben 1462 m ſenkrechte Höhe, während 15° weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu 2530 bis 2725 m abſoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, ſo rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis2Obgleich der Pik von Tenerifa ſich nur in den Winter - monaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die ſeiner Breite entſprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz ſchneefrei iſt, ſo könnte dies nur von der freien Lage des Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufſteigender ſehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Aſche des Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unſerer Kenntniſſe laſſen ſich dieſe Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwiſchen dem 20. und dem 45. Grad iſt die Kurve des ewigen Schnees durch keine direkte Meſſung beſtimmt worden, und da ſich durch die wenigen Punkte, welche uns unter , 20°, 45°, 62° und 71° nörd - und die Kälte110 der umgebenden Luft ihnen unüberſteigliche Grenzen ſetzen; vielmehr laſſen die verſchlackten Laven des Malpays und der2licher Breite bekannt ſind, unendlich viele Kurven ziehen laſſen, ſo kann die Beobachtung nur ſehr mangelhaft durch Rechnung ergänzt werden. Ohne es beſtimmt zu behaupten, kann man als wahr - ſcheinlich annehmen, daß unter 28° 17′ die Schneegrenze über 3700 m liegt. Vom Aequator an, wo der Schnee mit 4794 m, alſo etwa in der Höhe des Montblanc beginnt, bis zum 20. Breite - grad, alſo bis zur Grenze des heißen Erdſtriches, rückt der Schnee nur 195 m herab; läßt ſich demnach annehmen, daß weiter und in einem Klima, das faſt noch durchaus als ein tropiſches er - ſcheint, der Schnee ſchon 780 m tiefer ſtehen ſollte? Selbſt voraus - geſetzt, der Schnee rückte vom 20. bis zum 45. Breitegrad in arith - metiſcher Progreſſion herab, was den Beobachtungen widerſpricht, ſo finge der ewige Schnee unter der Breite des Piks erſt bei 3995 m über der Meeresfläche an, ſomit 1072 m höher als in den Pyre - näen und in der Schweiz. Dieſes Ergebnis wird noch durch andere Betrachtungen unterſtützt. Die mittlere Temperatur der Luftſchicht, mit der der Schnee im Sommer in Berührung kommt, iſt in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem Aequator ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 28½° ſei die Tem - peratur gleich Null, ſo ergibt ſich nach dem Geſetz der Wärme - abnahme, auf 191 m einen Grad gerechnet, daß der Schnee in 4011 m über einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von 21°, wie ſie der Küſte von Tenerifa zukommt, liegen bleiben muß. Dieſe Zahl ſtimmt faſt mit der, welche ſich bei der Annahme einer arith - metiſchen Progreſſion ergibt. Einer der Hochgipfel der Sierra de Nevada de Granada, der Pico de Veleta, deſſen abſolute Höhe 3470 m beträgt, iſt beſtändig mit Schnee bedeckt; da aber die untere Grenze des Schnees nicht gemeſſen worden iſt, ſo trägt dieſer Berg, der unter 37° 10′ der Breite liegt, zur Löſung des vorliegenden Problemes nichts bei. Durch die Lage des Vulkanes von Tenerifa mitten auf einer nicht großen Inſel kann die Kurve des ewigen Schnees ſchwerlich hinaufgeſchoben werden. Wenn die Winter auf Inſeln weniger ſtreng ſind, ſo ſind dagegen auch die Sommer weniger heiß, und die Höhe des Schnees hängt nicht ſowohl von der ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mitt - leren Wärme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee ſchon bei 2925 m oder ſelbſt etwas tiefer, was bei einem unter 37½° der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend er - ſcheint. In der Nähe des Polarkreiſes, wo die Sommerhitze durch den fortwährend aus dem Meere aufſteigenden Nebel gemildert wird, zeigt ſich der Unterſchied zwiſchen Inſeln oder Küſten und dem inneren Lande höchſt auffallend. Auf Island z. B. iſt auf dem Oſterjöckull, unter 65° der Breite, die Grenze des ewigen Schnees111 dürre, zerriebene Bimsſtein des Piton die Gewächſe nicht an den Kraterrand gelangen.

Die erſte Zone, die der Reben, erſtreckt ſich vom Meeresufer bis in 390 bis 580 m Höhe; ſie iſt die am ſtärkſten bewohnte und die einzige, wo der Boden ſorgfältig bebaut iſt. In dieſer tiefen Lage, im Hafen von Orotava und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält ſich der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag auf 15 bis 17°; im Sommer ſteigt die Hitze nicht über 25 oder 26°, iſt alſo um 5 bis geringer als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und St. Petersburg eintritt. Dies ergibt ſich aus den Beobach - tungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere Temperatur der Küſte von Tenerifa ſcheint wenigſtens 21° (16,8° R.) zu ſein, und ihr Klima ſteht in der Mitte zwiſchen dem von Neapel und dem des heißen Erdſtrichs. Auf der Inſel Madeira ſind die mittleren Temperaturen des Januar und des Auguſt, nach Heberden, 17,7° und 28,8°, in Rom dagegen 5,6° und 26,1°. Aber ſo ähnlich ſich die Klimate von Madeira und Tenerifa ſind, kommen doch die Gewächſe der erſteren Inſel im allgemeinen in Europa leichter fort als die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava z. B. erfriert in Marſeille, wie de Candolle beobachtet hat, während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira nicht ſo lange als auf Tenerifa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baum - artiger Euphorbien, Meſembryanthemumarten, die vom Kap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet ſind, die Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächſe,2in 840, in Norwegen dagegen, unter 67°, fern von der Küſte in 1170 m Höhe, und doch ſind hier die Winter ungleich ſtrenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island. Nach dieſen Angaben erſcheint es als wahrſcheinlich, daß Bouguer und Sauſſure im Irrtum ſind, wenn ſie annehmen, daß der Pik von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter 28° 17′ der Breite ergeben ſich für dieſe Grenze wenigſtens 3800 m, ſelbſt wenn man ſie zwiſchen dem Aetna und den Bergen von Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieſer Punkt wird voll - ſtändig ins reine gebracht werden, wenn einmal der weſtliche Teil des Atlas gemeſſen iſt, wo bei Marokko unter 31½° Breite ewiger Schnee liegt.112 die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den ſaftigen Blättern und der blaugrünen Färbung den Typus der Vege - tation Afrikas tragen. In dieſer Zone werden der Dattel - baum, der Bananenbaum, das Zuckerrohr, der indiſche Feigen - baum, Arum colocasia, deſſen Wurzel dem gemeinen Volke ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europäiſchen Obſtarten, der Weinſtock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von Ende März bis Anfang Mai geſchnitten, und man hat mit dem Anbau des Tahitiſchen Brotbaumes, des Zimtbaumes von den Molukken, des Kaffeebaumes aus Arabien und des Kakaobaumes aus Amerika gelungene Verſuche ge - macht. Auf mehreren Punkten der Küſte hat das Land ganz den Charakter einer tropiſchen Landſchaft. Chamärops und der Dattelbaum kommen auf der fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Küſte von Genua und in der Provence bei Antibes unter 39 bis 44° der Breite ganz gut fort; einige Dattelbäume wachſen ſogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer Temperatur von 2,5° unter dem Ge - frierpunkt aus. Wenn aber dem ſüdlichen Europa nur erſt ein geringer Teil von den Schätzen zugeteilt iſt, welche die Natur in der Region der Palmen ausſtreut, ſo iſt die Inſel Tenerifa, die unter derſelben Breite liegt wie Aegypten, das ſüdliche Perſien und Florida, bereits mit denſelben Pflanzen - geſtalten geſchmückt, welche den Landſchaften in der Nähe des Aequators ihre Großartigkeit verleihen.

Bei der Muſterung der Sippen einheimiſcher Gewächſe ver - mißt man ungern die Bäume mit zartgefiederten Blättern und die baumartigen Gräſer. Keine Art der zahlreichen Familie der Senſitiven iſt auf ihrer Wanderung zum Archipel der Kanarien gedrungen, während ſie auf beiden Kontinenten bis zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika iſt die Schranckia uncinata Willdenows1Mimosa horridula, Michaux. bis hinauf in die Wälder von Virginien verbreitet; in Afrika wächſt die Acacia gummifera auf den Hügeln bei Mogador, in Aſien, weſtwärts vom Kaſpiſchen Meer, hat v. Biberſtein die Ebenen von Chyrvan mit Acacia stephaniana bedeckt geſehen. Wenn man die Pflanzen von Lanzarote und Fuerteventura, die der Küſte von Marokko am nächſten liegen, genauer unterſuchte, könnten ſich doch unter ſo vielen Gewächſen der afrikaniſchen Flora leicht ein paar Mimoſen finden.

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Die zweite Zone, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von Tenerifa; es iſt dies auch die Region der Quellen, die aus dem immer friſchen, feuchten Raſen ſprudeln. Herrliche Wälder krönen die an den Vulkan ſich lehnenden Hügel. Hier wachſen vier Lorbeerarten,1Laurus indica, L. foetens, L. nobilis und L. Til. Zwi - ſchen dieſen Bäumen wachſen Ardisia excelsa, Rhamnus glandu - losus, Erica arborea, Erica Texo. eine der Quercus Turneri aus den Bergen Tibets naheſtehende Eiche,2Quercus canariensis, Broussonet. die Visnea Mocanera, die Myrica Faya der Azoren, ein einheimiſcher Olivenbaum (Olea excelsa), der größte Baum in dieſer Zone, zwei Arten Sideroxylon mit ausnehmend ſchönem Laub, Arbutus callycarpa und andere immergrüne Bäume aus der Familie der Myrten. Winden und ein vom europäiſchen ſehr verſchiedener Epheu (Hedera canariensis) überziehen die Lorbeerſtämme, und zu ihren Füßen wuchern zahlloſe Farne,3Woodwardia radicans, Asplenium dalmatum, A. cana - riense, A. latifolium, Nothalaena subcordata, Trichomanes canariensis, T. speciosus und Davallia canariensis. von denen nur drei Arten4Zwei Acrostichum und das Ophyoglossum lusitanicum. ſchon in der Region der Reben vorkommen. Auf dem mit Mooſen und zartem Gras überzogenen Boden prangen überall die Blüten der Campanula aurea, des Chrysanthemum pinnatifidum, der Mentha canariensis und mehrerer ſtrauchartiger Hypericumarten. 5Hypericum canariense. H. floribundum und H. glandu - losum. Pflanzungen von wilden und geimpften Kaſtanien bilden einen weiten Gürtel um das Gebiet der Quellen, welches das grünſte und lieblichſte von allen iſt.

Die dritte Zone beginnt in 1750 m abſoluter Höhe, da, wo die letzten Gebüſche von Erdbeerbäumen, Myrica Faya und des ſchönen Heidekrautes ſtehen, das bei den Eingeborenen Texo heißt. Dieſe 780 m breite Zone beſteht ganz aus einem mächtigen Fichtenwald, in dem auch Brouſſonets Juni - perus Cedro vorkommt. Die Fichten haben ſehr lange, ziem - lich ſteife Blätter, deren zuweilen zwei, meiſt aber drei in einer Scheide ſtecken. Da wir die Früchte nicht unterſuchen konnten, wiſſen wir nicht, ob dieſe Art, die im Wuchs der ſchottiſchen Fichte gleicht, ſich wirklich von den achtzehn Fich - tenarten unterſcheidet, die wir bereits in der Alten WeltA. v. Humboldt, Reiſe. I. 8114kennen. Nach der Anſicht eines berühmten Botanikers, deſſen Reiſen die Pflanzengeographie Europas ſehr gefördert haben, de Candolle, unterſcheidet ſich die Fichte von Tenerifa ſowohl von der Pinus atlantica in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo,1Pinus halepensis. Nach de Candolles Bemerkung hieße dieſe Fichte, die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreich und Spanien gegen das Mittelmeer, in Italien, in Kleinaſien und in der Berberei vorkommt, beſſer Pinus mediterranea. Sie iſt der herrſchende Baum in den Fichtenwäldern des ſüdöſtlichen Frank - reichs, wo ſie von Gouan und Gérard mit der Pinus sylvestris verwechſelt worden iſt. die dem Becken des Mittel - ländiſchen Meeres angehört und nicht über die Säulen des Herkules hinauszugehen ſcheint. Die letzten Fichten fanden wir am Pik etwa in 2340 m Höhe über dem Meer. In den Kordilleren von Neuſpanien, im heißen Erdſtrich, gehen die mexikaniſchen Fichten bis zu 3900 m Höhe. So ſehr auch die verſchiedenen Arten einer und derſelben Pflanzen - gattung im Bau übereinkommen, ſo verlangt doch jede zu ihrem Fortkommen einen beſtimmten Grad von Wärme und Verdünnung der umgebenden Luft. Wenn in den gemäßigten Landſtrichen und überall, wo Schnee fällt, die konſtante Boden - wärme etwas höher iſt als die mittlere Lufttemperatur, ſo iſt anzunehmen, daß in der Höhe des Portillo die Wurzeln der Fichten ihre Nahrung aus dem Boden ziehen, in dem in einer gewiſſen Tiefe der Thermometer höchſtens auf 9 bis 10° ſteigt.

Die vierte und fünfte Zone, die der Retama und der Gräſer, liegen ſo hoch wie die unzugänglichſten Gipfel der Pyrenäen. Es iſt dies der öde Landſtrich der Inſel, wo Haufen von Bimsſtein, Obſidian und zertrümmerter Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen laſſen. Schon oben war von den blühenden Büſchen des Alpenginſters (Spartium nubigenum) die Rede, welche Oaſen in einem weiten Aſchen - meer bilden. Zwei krautartige Gewächſe, Scrophularia gla - brata und Viola cheiranthifolia, gehen weiter hinauf bis ins Malpays. Ueber einem von der afrikaniſchen Sonne aus - gebrannten Raſen bedeckt die Cladonia paschalis dürre Strecken; die Hirten zünden ſie häufig an, wobei ſich dann das Feuer ſehr weit verbreitet. Dem Gipfel des Pik zu arbeiten Ur - ceolarien und andere Flechten an der Zerſetzung des ver -115 ſchlackten Geſteines, und ſo erweitert ſich auf von Vulkanen verheerten Eilanden Floras Reich durch die nie ſtockende Thätigkeit organiſcher Kräfte.

Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Tenerifa, ſo ſehen wir, daß die ganze Inſel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbäumen und Fichten erſcheint, der kaum an ſeinen Rändern von Menſchen urbar gemacht iſt, und in der Mitte ein nacktes ſteiniges Gebiet umſchließt, das weder zum Acker - bau noch zur Weide taugt. Nach Brouſſonets Bemerkung läßt ſich der Archipel der Kanarien in zwei Gruppen teilen. Die erſte begreift Lanzarote und Fuerteventura, die zweite Tenerifa, Canaria, Gomera, Ferro und Palma. Beide weichen im Habitus der Vegetation bedeutend voneinander ab. Die oſtwärts gelegenen Inſeln, Lanzarote und Fuerteventura, haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; ſie ſind faſt quellen - los, und dieſe Eilande haben noch mehr als die anderen den Charakter vom Kontinent getrennter Länder. Die Winde wehen hier in derſelben Richtung und zu denſelben Zeiten; Euphorbia mauritanica, Atropa frutescens und Sonchus arborescens wuchern im loſen Sand und dienen wie in Afrika den Kamelen als Futter. Auf der weſtlichen Gruppe der Kanarien iſt das Land höher, ſtärker bewaldet, beſſer von Quellen bewäſſert.

Auf dem ganzen Archipel finden ſich zwar mehrere Ge - wächſe, die auch in Portugal,1Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pik von Tenerifa das ſchöne Satyrium diphyllum (Orchis cordata, Willd. ) erkannt, die Link in Portugal gefunden. Die Kanarien haben nicht die Dicksonia Culcita, den einzigen Baumfarn, der unter 39° der Breite vorkommt, wohl aber Asplenium palmatum und Myrica Faya mit der Flora der Azoren gemein. Letzterer Baum findet ſich in Portugal wild, Hofmannsegg hat ſehr alte Stämme geſehen, es bleibt aber zweifelhaft, ob er in dieſem Teil unſeres Kontinentes einheimiſch oder eingeführt iſt. Denkt man über die Wanderungen der Gewächſe nach und zieht man in Betracht, daß es geologiſch möglich iſt, daß Portugal, die Azoren, die Kanarien und die Atlas - kette einſt durch nunmehr im Meer verſunkene Länder zuſammen - gehangen haben, ſo erſcheint das Vorkommen der Myrica Faya im weſtlichen Europa zum mindeſten ebenſo auffallend, als wenn die Fichte von Aleppo auf den Azoren vorkäme. in Spanien, auf den Azoren und im nordweſtlichen Afrika vorkommen, aber viele Arten und ſelbſt einige Gattungen ſind Tenerifa, Porto Santo und116 Madeira eigentümlich, unter anderen Mocanera, Plocama, Bosea, Canarina, Drusa, Pittosporum. Ein Typus, der ſich als ein nördlicher anſprechen läßt, der der Kreuzblüten,1Von den wenigen Cruciferen in der Flora von Tenerifa führen wir an: Cheiranthus longifolius, Ch. frutescens, Ch. scoparis, Erysimum bicorne, Crambe strigosa, C. laevigata. iſt auf den Kanarien ſchon weit ſeltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Süden, im tropiſchen Landſtrich beider Kontinente, wo die mittlere Lufttemperatur über 22° iſt, verſchwinden die Kreuzblüten faſt gänzlich.

Eine Frage, die für die Geſchichte der fortſchreitenden Entwickelung des organiſchen Lebens auf dem Erdball von großer Bedeutung erſcheint, iſt in neuerer Zeit viel beſprochen worden, nämlich, ob polymorphe Gewächſe auf vulkaniſchen Inſeln häufiger ſind als anderswo? Die Vegetation von Tenerifa unterſtützt keineswegs die Annahme, daß die Natur auf neu - gebildetem Boden die Pflanzenformen weniger ſtreng feſthält. Brouſſonet, der ſich ſo lange auf den Kanarien aufgehalten, verſichert, veränderliche Gewächſe ſeien nicht häufiger als im ſüdlichen Europa. Wenn auf der Inſel Bourbon ſo viele polymorphe Arten vorkommen, ſollte dies nicht vielmehr von der Beſchaffenheit des Bodens und des Klimas herrühren, als davon, daß die Vegetation jung iſt?

Wohl darf ich mir ſchmeicheln, mit dieſer Naturſkizze von Tenerifa einiges Licht über Gegenſtände verbreitet zu haben, die bereits von ſo vielen Reiſenden beſprochen worden ſind; indeſſen glaube ich, daß die Naturgeſchichte dieſes Archi - pels der Forſchung noch ein weites Feld darbietet. Die Leiter der wiſſenſchaftlichen Entdeckungsfahrten, wie ſie England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland zu ihrem Ruhme unternommen, haben meiſt zu ſehr geeilt, von den Kanarien wegzukommen. Sie dachten, da dieſe Inſeln ſo nahe bei Europa liegen, müßten ſie genau beſchrieben ſein; ſie haben vergeſſen, daß das Innere von Neuholland geologiſch nicht unbekannter iſt als die Gebirgsarten von Lanzarote und Go - mera, Porto Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereiſen Jahr für Jahr ohne beſtimmten Zweck die beſuchteſten Länder Europas. Es wäre wünſchenswert, daß einer und der andere, den echte Liebe zur Wiſſenſchaft beſeelt und dem die Verhält - niſſe eine mehrjährige Reiſe geſtatten, den Archipel der Azoren, Madeira, die Kanarien, die Inſeln des grünen Vorgebirges117 und die Nordweſtküſte von Afrika bereiſte. Nur wenn man die Atlantiſchen Inſeln und das benachbarte Feſtland nach denſelben Geſichtspunkten unterſucht und die Beobachtungen zuſammenſtellt, gelangt man zur genauen Kenntnis der geo - logiſchen Verhältniſſe und der Verbreitung der Tiere und Ge - wächſe.

Bevor ich die Alte Welt verlaſſe und in die Neue über - ſetze, habe ich einen Gegenſtand zu berühren, der allgemeineres Intereſſe bietet, weil er ſich auf die Geſchichte der Menſchheit und die hiſtoriſchen Verhängniſſe bezieht, durch welche ganze Volksſtämme vom Erdboden verſchwunden ſind. Auf Cuba, St. Domingo, Jamaika fragt man ſich, wo die Ureinwohner dieſer Länder hingekommen ſind; auf Tenerifa fragt man ſich, was aus den Guanchen geworden iſt, deren in Höhlen ver - ſteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung ent - gangen ſind. Im 15. Jahrhundert holten faſt alle Handels - völker, beſonders aber die Spanier und Portugieſen, Sklaven von den Kanarien, wie man ſie jetzt von der Küſte von Guinea holt. 1Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber ſprechen von Fahrten, welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben ſollen, um Guanchenſklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da dieſe Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten.Die chriſtliche Religion, die in ihren An - fängen die menſchliche Freiheit ſo mächtig förderte, mußte der europäiſchen Habſucht als Vorwand dienen. Jedes Indi - viduum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweiſen geſucht, daß der Neger ein Mittelding zwiſchen Menſch und Tier iſt; der gebräunte Guanche und der afrikaniſche Neger wurden auf dem Markte zu Sevilla miteinander verkauft, und man ſtritt nicht über die Frage, ob nur Menſchen mit ſchwarzer Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen ſollen.

Auf dem Archipel der Kanarien beſtanden mehrere kleine, einander feindlich gegenüber ſtehende Staaten. Oft war die - ſelbe Inſel zwei unabhängigen Fürſten unterworfen, wie in der Südſee und überall, wo die Kultur noch auf tiefer Stufe ſteht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieſelbe arg - liſtige Politik, wie jetzt auf den Küſten von Afrika: ſie leiſteten den Bürgerkriegen Vorſchub. So wurde ein Guanche Eigentum des anderen, und dieſer verkaufte jenen den Euro - päern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und töteten118 ſich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien durch den Sklavenhandel, durch die Menſchenräuberei der Pi - raten, beſonders aber durch lange blutige Zwiſte bereits ſtarke Verluſte erlitten, als Alonſo de Lugo ſie vollends eroberte. Den Ueberreſt der Guanchen raffte im Jahre 1494 größten - teils die berühmte Peſt, die ſogenannte Modorra hin, die man den vielen Leichen zuſchrieb, welche die Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen laſſen. Wenn ein halb wildes Volk, das man um ſein Eigentum gebracht, im ſelben Lande neben einer civiliſierten Nation leben muß, ſo ſucht es ſich in den Gebirgen und Wäldern zu iſolieren. Inſel - bewohner haben keine andere Zuflucht, und ſo war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts ſo gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es iſt ein tröſtlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht immer verſchmäht haben, ſich mit den Eingeborenen zu ver - miſchen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern ſchlechtweg Isleños heißen, haben triftige Gründe, eine ſolche Miſchung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geſchlechts - folge verwiſchen ſich die charakteriſtiſchen Merkmale der Raſſen, und da die Nachkommen der Andaluſier, die ſich auf Tenerifa niedergelaſſen, ſelbſt von ziemlich dunkler Geſichtsfarbe ſind, ſo kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der Raſſen nicht merkbar verändert worden ſein. Es iſt That - ſache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Raſſe mehr lebt, und ſonſt ganz wahrheitsliebende Reiſende ſind im Irrtum, wenn ſie glauben, bei der Beſteigung des Piks ſchlanke, ſchnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben. Allerdings wollen einige kanariſche Familien vom letzten Hirten - könig von Guimar abſtammen, aber dieſe Anſprüche haben wenig Grund; ſie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn einer aus dem Volke, der brauner iſt als ſeine Landsleute, Luſt bekommt, ſich um eine Offiziersſtelle im Dienſte des Königs von Spanien umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel ſeines Ruhmes erſtiegen hatte, war es Brauch, die ſanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in unſerer Zeit die Unſchuld der Bewohner von Tahiti geprieſen hat. Bei beiden Bildern iſt das Kolorit glänzender als wahr. Wenn die Völker, erſchöpft durch geiſtige Genüſſe, in der Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor ſich119 ſehen, ſo finden ſie einen eigenen Reiz in der Vorſtellung, daß in weit entlegenen Ländern, beim Dämmerlicht der Kultur, in der Bildung begriffene Menſchenvereine eines reinen, un - geſtörten Glückes genießen. Dieſem Gefühl verdankt Tacitus zum Teil den Beifall, der ihm geworden, als er den Römern, den Unterthanen der Cäſaren, die Sitten der Germanen ſchilderte. Dasſelbe Gefühl gibt den Beſchreibungen der Reiſenden, die ſeit dem Ende des verfloſſenen Jahrhunderts die Inſeln des Stillen Ozeans beſucht haben, den unbeſchreib - lichen Reiz.

Die Einwohner der zuletzt genannten Inſeln, die man wohl zu ſtark geprieſen hat und die einſt Menſchenfreſſer waren, haben in mehr als einer Beziehung Aehnlichkeit mit den Guanchen von Tenerifa. Beide ſehen wir unter dem Joche eines feudalen Regimentes ſeufzen, und bei den Guanchen war dieſe Staatsform, welche ſo leicht Kriege herbeiführt und ſie nicht enden läßt, durch die Religion geheiligt. Die Prieſter ſprachen zum Volk: Achaman, der große Geiſt, hat zuerſt die Edlen, die Achimenceys, geſchaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugeteilt. Nach den Edeln hat Achaman das gemeine Volk geſchaffen, die Achicaxnas; dieſes jüngere Ge - ſchlecht nahm ſich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das höchſte Weſen erwiderte, das Volk ſei dazu da, den Edeln dienſtbar zu ſein, und habe kein Eigentum nötig. Eine ſolche Ueberlieferung mußte den reichen Vaſallen der Hirtenkönige ungemein behagen; auch ſtand dem Faycan oder Oberprieſter das Recht zu, in den Adelſtand zu erheben, und ein Geſetz verordnete, daß jeder Achimencey, der ſich herbei - ließe, eine Ziege mit eigenen Händen zu melken, ſeines Adels verluſtig ſein ſollte. Ein ſolches Geſetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des homeriſchen Zeitalters. Es befremdet, wenn man ſchon bei den Anfängen der Kultur die nützliche Beſchäftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit Verachtung gebrandmarkt ſieht.

Die Guanchen waren berühmt durch ihren hohen Wuchs; ſie erſchienen als die Patagonen der Alten Welt und die Ge - ſchichtſchreiber übertrieben ihre Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reiſen dem Volksſtamm am Südende von Amerika eine koloſſale Körpergröße zuſchrieb. Mumien von Guanchen habe ich nur in den europäiſchen Kabinetten geſehen; zur Zeit meiner Reiſe waren ſie auf Tene - rifa ſehr ſelten; man müßte ſie aber in Menge finden, wenn120 man die Grabhöhlen, die am öſtlichen Abhang des Piks zwi - ſchen Arico und Guimar in den Fels gehauen ſind, berg - männiſch aufbrechen ließe. Dieſe Mumien ſind ſo ſtark ver - trocknet, daß ganze Körper mit der Haut oft nicht mehr als 3 bis 3,5 kg wiegen, das heißt ein Dritteil weniger, als das Skelett eines gleich großen Individuums, von dem man eben das Muskelfleiſch abgenommen hat. Die Schädelbildung ähnelt einigermaßen der der weißen Raſſe der alten Aegypter, und die Schneidezähne ſind auch bei den Guanchen ſtumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber dieſe Zahnform iſt rein künſtlich und bei genauerer Unterſuchung der Kopfbildung der alten Guanchen haben geübte Anatomen1Blumenbach, Decas quinta collectionis craniorum diver - sarum gentium illustrium. gefunden, daß ſie im Jochbein und im Unterkiefer von den ägyptiſchen Mumien bedeutend abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, ſo findet man Ueberbleibſel aromatiſcher Kräuter, unter denen immer das Chenopodium ambrosioides vorkommt; zuweilen ſind die Leichen mit Schnüren geſchmückt, an denen kleine Scheiben aus gebrannter Erde hängen, die als Zahlzeichen gedient zu haben ſcheinen und die mit den Quippos der Perua - ner, Mexikaner und Chineſen Aehnlichkeit haben.

Da im allgemeinen die Bevölkerung von Inſeln den um - wandelnden Einflüſſen, wie ſie Folgen der Wanderungen ſind, weniger ausgeſetzt iſt, als die Bevölkerung der Feſtländer, ſo läßt ſich annehmen, daß der Archipel der Kanarien zur Zeit der Karthager und Griechen vom ſelben Menſchenſtamm be - wohnt war, den die normänniſchen und ſpaniſchen Eroberer vorfanden. Das einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen kann, iſt ihre Sprache; leider ſind uns aber davon nur etwa hundertfünfzig Worte aufbe - halten, die zum Teil dasſelbe in der Mundart der verſchiedenen Inſeln bedeuten. Außer dieſen Worten, die man ſorgfältig geſammelt, hat man in den Namen vieler Dörfer, Hügel und Thäler wichtige Sprachreſte vor ſich. Die Guanchen, wie Basken, Hindu, Peruaner und alle ſehr alten Völker, be - nannten die Oertlichkeiten nach der Beſchaffenheit des Bodens, den ſie bebauten, nach der Geſtalt der Felſen, deren Höhlen ihnen als Wohnſtätten dienten, nach den Baumarten, welche die Quellen beſchatteten.

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Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber ſeit die Sprachforſcher durch Hornemanns Reiſe und durch die ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Marsden und Ventura auf die Berbern aufmerkſam geworden ſind, die, gleich den ſlavi - ſchen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver - breitet ſind, hat man gefunden, daß in der Sprache der Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir führen folgende Beiſpiele an:

Himmel,guanchiſchTigo,berberiſchTigot.
Milch,Aho,Acho.
Gerſte,TemaſenTomzeen.
Korb,CarinasCarian.
Waſſer,AenumAnan.

Ich glaube nicht, daß dieſe Sprachähnlichkeit ein Beweis für gemeinſamen Urſprung iſt; aber ſie deutet darauf hin, daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr ſtanden mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler und Garamanten verſchmolzen ſind und das vom Oſtende des Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oaſe von Siuah und Audſchila ſich ausbreitet. Die Eingeborenen der Kanarien nannten ſich Guanchen, von Guan, Menſch, wie die Tunguſen ſich Pye und Donky nennen, welche Worte dasſelbe bedeuten, wie Guan. Indeſſen ſind die Völker, welche die Berberſprache ſprechen, nicht alle desſelben Stammes, und wenn Scylax in ſeinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be - ſchreibt, ſo erinnert dies an die körperlichen Eigenſchaften der kanariſchen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philoſophiſchem Ge - ſichtspunkte unterſucht, deſto mehr zeigt ſich, daß keine ganz allein ſteht; dieſen Anſchein würde auch die Sprache der Guanchen1Nach Vaters Unterſuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge - legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon, bei den Guanchen aguyan; Menſch bei den Peruanern cari, bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Inſel Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorſchein, das der Name noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha -122 nismus und ihrem grammatiſchen Bau etwas wüßte, Elemente, welche von größerer Bedeutung ſind als Wortform und Gleich - laut. Es verhält ſich mit gewiſſen Mundarten wie mit den organiſchen Bildungen, die ſich in der Reihe der natürlichen Familien nirgends unterbringen laſſen. Sie ſtehen nur ſchein - bar ſo vereinzelt da; der Schein ſchwindet, ſobald man eine größere Maſſe von Bildungen überblickt, wo dann die ver - mittelnden Glieder hervortreten.

Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt, Aegypten ſehen, ſind vielleicht der Anſicht, das Geſchlecht Typhons und die Guanchen ſtehen in Zu - ſammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen die Tibbu und Tuarik der Wüſte gehören. 1Hornemanns Reiſe von Kairo nach Murzuk.Es genügt hier aber an der Bemerkung, daß eine ſolche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwiſchen der Berberſprache und dem Kopti - ſchen, das mit Recht für ein Ueberbleibſel des alten Aegyptiſchen gilt, unterſtützt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, ſtammt von Spaniern und zu einem ſehr kleinen Teil von Normannen ab. Obgleich dieſe beiden Volksſtämme drei Jahrhunderte lang demſelben Klima ausgeſetzt geweſen ſind, zeichnet ſich der letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Nor - mannen wohnen im Thal Teganana zwiſchen Punta de Naga und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dam - pierre kommen in dieſem Bezirke noch ziemlich häufig vor. Die Kanarier ſind ein redliches, mäßiges und religiöſes Volk; zu Hauſe zeigen ſie aber weniger Betriebſamkeit als in fremden Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeiſt treibt dieſe Inſu - laner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es ſpa - niſche Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortſchritte des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat kaum 160000 Einwohner, und der Isleños ſind vielleicht in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat.

1eines Berberſtammes iſt. (Vater, Unterſuchungen über Amerika, S. 170.) Die guanchiſchen Worte alcorac, Gott, und almo - garon, Tempel, ſcheinen arabiſchen Urſprunges, wenigſtens be - deutet in letzterer Sprache almoharram heilig.

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An Wein werden auf Tenerifa geerntet 20000 bis 24000 Pipes, worunter 5000 Malvaſier; jährliche Ausfuhr von Wein 8000 bis 9000 Pipes; Geſamtgetreideernte des Archipels 54000 Fanegas zu 50 kg. In gemeinen Jahren reicht dieſe Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die großenteils von Mais, Kartoffeln und Bohnen (Frijoles) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und der Baumwolle iſt von geringem Belang, und die vornehmſten Handelsartikel ſind Wein, Branntwein, Orſeille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung, die Tabakspacht eingerechnet, 240000 Piaſter.

Auf nationalökonomiſche Erörterungen über die Wichtig - keit der Kanariſchen Inſeln für die Handelsvölker Europas laſſe ich mich nicht ein. Ich beſchäftigte mich während meines Aufenthaltes zu Caracas und in der Havana lange mit ſtati - ſtiſchen Unterſuchungen über die ſpaniſchen Kolonieen, ich ſtand in genauer Verbindung mit Männern, die auf Tenerifa be - deutende Aemter bekleidet, und ſo hatte ich Gelegenheit, viele Angaben über den Handel von Santa Cruz und Orotava zu ſammeln. Da aber mehrere Gelehrte nach mir die Kanarien beſucht haben, ſtanden ihnen dieſelben Quellen zu Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken, die vor dem meinigen erſchienen ſind, genau ver - zeichnet ſteht. Ich beſchränke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schilderung, die ich vom Archipel der Kanarien entworfen, geſchloſſen ſein mag.

Es ergeht dieſen Inſeln, wie Aegypten, der Krim und ſo vielen Ländern, welche von Reiſenden, welche in Kontraſten Wirkung ſuchen, über das Maß geprieſen oder heruntergeſetzt worden ſind. Die einen ſchildern von Orotava aus, wo ſie ans Land geſtiegen, Tenerifa als einen Garten der Heſperiden; ſie können das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen Anbau nicht genug rühmen; andere, die ſich in Santa Cruz aufhalten mußten, ſahen in den glückſeligen Inſeln nichts als ein kahles, dürres, von einem elenden, geiſtesbeſchränkten124 Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, daß die Natur auf dieſem Archipelagus, wie in den meiſten gebirgigen und vulkaniſchen Ländern, ihre Gaben ſehr ungleich verteilt hat. Die Kanariſchen Inſeln leiden im allgemeinen an Waſſermangel; aber wo ſich Quellen finden, wo künſtlich bewäſſert wird oder häufig Regen fällt, da iſt auch der Boden ausnehmend frucht - bar. Das niedere Volk iſt fleißig, aber es entwickelt ſeine Thätigkeit ungleich mehr in fernen Kolonieen als auf Tenerifa ſelbſt, wo dieſelbe auf Hinderniſſe ſtößt, die eine kluge Ver - waltung allmählich aus dem Wege räumen könnte. Die Aus - wanderung wird abnehmen, wenn man ſich entſchließt, das unangebaute Grundeigentum des Staates unter der Ein - wohnerſchaft zu verteilen, die Ländereien, welche zu den Majo - raten der großen Familien gehören, zu verkaufen und allmäh - lich die Feudalrechte abzuſchaffen.

Die gegenwärtige Bevölkerung der Kanarien erſcheint allerdings unbedeutend, wenn man ſie mit der Bevölkerung mancher europäiſchen Völker vergleicht. Die Inſel Madeira, deren fleißige Bewohner einen faſt von Pflanzenerde ent - blößten Felſen bebauen, iſt ſiebenmal kleiner als Tenerifa, und doch doppelt ſo ſtark bevölkert; aber die Schriftſteller, die ſich darin gefallen, die Entvölkerung der ſpaniſchen Kolonieen mit ſo grellen Farben zu ſchildern und den Grund davon in der kirchlichen Hierarchie ſuchen, überſehen, daß überall ſeit der Regierung Philipps V. die Zahl der Einwohner in mehr oder minder raſcher Zunahme begriffen iſt. Bereits iſt auf den Kanarien die Bevölkerung relativ ſtärker als in beiden Kaſtilien, in Eſtremadura und in Schottland. Alle Inſeln zuſammengerückt ſtellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebenteil weniger Flächeninhalt hat als die Inſel Korſika und doch gleich viel Einwohner zählt.

Obgleich die Inſeln Fuerteventura und Lanzarote, die am ſchlechteſten bevölkert ſind, Getreide ausführen, während Tene - rifa gewöhnlich nicht zwei Dritteile ſeines Bedarfes erzeugt, ſo darf man doch daraus nicht den Schluß ziehen, daß auf letzterer Inſel die Bevölkerung aus Mangel an Lebensmitteln nicht zunehmen könnte. Die Kanariſchen Inſeln ſind noch auf lange vor den Uebeln der Uebervölkerung bewahrt, deren Ur - ſachen Malthus ſo ſicher und ſcharfſinnig entwickelt hat. Das Elend des Volkes iſt um vieles gelindert worden, ſeit der Kartoffelbau eingeführt iſt und man angefangen hat, mehr Mais als Gerſte und Weizen zu bauen.

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Die Bewohner der Kanarien ſind ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und ein Inſelvolk zugleich. Will man ſie richtig beurteilen, muß man ſie nicht nur in ihrer Heimat ſehen, wo ihr Fleiß auf gewaltige Hemmniſſe ſtößt; man muß ſie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem Rücken der Anden, auf den glühenden Ebenen der Philip - pinen, überall wo ſie, einſam in unbewohnten Ländern, Ge - legenheit finden, die Kraft und die Thätigkeit zu entwickeln, welche der wahre Reichtum des Koloniſten ſind.

Die Kanarier gefallen ſich darin, ihr Land als einen Teil des europäiſchen Spaniens zu betrachten, und ſie haben auch wirklich die kaſtilianiſche Litteratur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfaſſer des Penſador), Viera, Yriarte und Be - tancourt ſind in Wiſſenſchaft und Litteratur mit Ehren ge - nannt; das kanariſche Volk beſitzt die lebhafte Einbildungs - kraft, die den Bewohnern von Andaluſien und Granada eigen iſt, und es iſt zu hoffen, daß die glückſeligen Inſeln, wo der Menſch wie überall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinſt einen eingeborenen Dichter finden, der ſie würdig beſingt.

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Drittes Kapitel.

Ueberfahrt von Tenerifa an die Küſte von Südamerika. Ankunft in Cumana.

Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa Cruz und ſchlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte ſtark aus Nordoſt und das Meer ſchlug infolge der Gegen - ſtrömungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanariſchen Inſeln, auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem Geſicht. Nur der Pik zeigte ſich von Zeit zu Zeit in Blinken, wahrſcheinlich weil der in der hohen Luft - region herrſchende Wind dann und wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erſtenmal empfanden wir, welchen leb - haften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des heißen Erdgürtels, wo die Natur ſo reich, ſo großartig und ſo wundervoll auftritt, auf unſer Gemüt macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch ſchieden wir von der Inſel, als hätten wir lange dort gelebt.

Unſere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem öſtlichſten Hafen von Terra Firma, war ſo ſchön als je eine. Wir ſchnitten den Wendekreis des Krebſes am 27., und ob - gleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir doch den 4050 km langen Weg von der Küſte von Afrika zur Küſte der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir fuhren auf 225 km weſtwärts am Vorgebirge Bojador, am weißen Vorgebirge und an den Inſeln des grünen Vorgebirges vorüber. Ein paar Landvögel, die der ſtarke Wind auf die hohe See verſchlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten wir nicht unſere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt, ſo wären wir verſucht geweſen zu glauben, wir ſeien ganz nahe an der afrikaniſchen Küſte.

Unſer Weg war derſelbe, den ſeit Kolumbus erſter Reiſe alle Fahrzeuge nach den Antillen einſchlagen. Vom Parallel127 von Madeira bis zum Wendekreis nimmt dabei die Breite raſch ab, während man an Länge faſt nichts zulegt; hat man aber die Zone des beſtändigen Paſſatwindes erreicht, ſo fährt man von Oſt nach Weſt auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den ſpaniſchen Seefahrern el Golfo de las Damas heißt. Wie alle, welche dieſe Striche befahren, machten auch wir die Beobachtung, daß, je weiter man gegen Weſten rückt, der Paſſat, der anfangs Oſt-Nord-Oſt war, immer mehr Oſt - wind wird.

Hadley1Daß fortwährend ein oberer Luftſtrom vom Aequator zu den Polen und ein unterer von den Polen zum Aequator geht, dies iſt, wie Arago dargethan hat, ſchon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierüber entwickelte der berühmte engliſche Phyſiker in einer Rede vom Jahre 1686. Ich glaube, fügt er hinzu, daß ſich mehrere Erſcheinungen in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus Polarſtrömen erklären laſſen. Hadley führt dieſe intereſſante Stelle nicht an; andererſeits nimmt Hooke, wo er auf die Paſſatwinde ſelbſt zu ſprechen kommt, Galileis un - richtige Theorie an, nach der ſich die Erde und die Luft mit ver - ſchiedener Geſchwindigkeit bewegen ſollen. hat in einer berühmten Abhandlung die Theorie des Paſſats entwickelt, wie ſie gemeiniglich angenommen iſt, aber die Erſcheinung iſt eine weit verwickeltere, als die meiſten Phyſiker glauben. Im Atlantiſchen Ozean iſt die Länge wie die Abweichung der Sonne von Einfluß auf die Richtung und die Grenzen der Paſſatwinde. Dem neuen Kontinent zu gehen ſie in beiden Halbkugeln 8 bis über den Wendekreis hinauf, während in der Nähe von Afrika die veränderlichen Winde weit über den 28. oder 27. Grad hinunter herrſchen. Es iſt im Intereſſe der Meteorologie und der Schiffahrt zu bedauern, daß die Veränderungen, denen die Luftſtrömungen unter den Tropen im Stillen Ozean unterliegen, weit weniger bekannt ſind als das Verhalten derſelben Ströme in einem engeren Meeresbecken, wo die nicht weit auseinander liegenden Küſten von Guinea und Braſilien ihre Einflüſſe geltend machen. Die Schiffer wiſſen ſeit Jahrhunderten, daß im Atlantiſchen Ozean der Aequator nicht mit der Linie zuſammenfällt, welche die Paſſatwinde aus Nordoſt und die aus Südoſt ſcheidet. Dieſe Linie liegt, nach Hadleys richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad nördlicher Breite, und wenn ihre Lage daher rührt, daß die Sonne in der nördlichen Halbkugel länger ver - weilt, ſo weiſt ſie darauf hin, daß die Temperaturen der128 beiden Halbkugeln1Nimmt man mit Aepinus an, daß die ſüdliche Halbkugel nur um 1 / 14 kälter iſt als die nördliche, ſo ergibt die Rechnung für die nördliche Grenze des Oſt-Süd-Oſt-Paſſats 28′. ſich verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft über der Südſee die Rede iſt, werden wir ſehen, daß weſtwärts von Amerika der Südoſtpaſſat nicht ſo weit über den Aequator hinausreicht als im Atlantiſchen Ozean. Der Unterſchied in der Luftſtrömung dem Aequator zu vom einen und vom anderen Pol her kann ja nicht unter allen Längengraden derſelbe ſein, das heißt auf Punkten der Erdkugel, wo die Feſtländer ſehr verſchieden breit ſind und ſich mehr oder minder weit gegen die Pole erſtrecken.

Es iſt bekannt, daß auf der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von Acapulco nach den Philippinen, die Matroſen faſt keine Hand an die Segel zu legen brauchen. Man fährt in dieſen Strichen, als ginge es auf einem Fluſſe hinunter, und es iſt zu glauben, daß es kein gewagtes Unter - nehmen wäre, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter weſtwärts aber, an der Küſte von St. Marta und im Meerbuſen von Mexiko weht der Wind ſehr ſtark und macht die See ſehr unruhig. 2Die ſpaniſchen Seeleute nennen die ſehr ſtarken Paſſatwinde in Cartagena los brisotes de la Santa Marta und im Meer - buſen von Mexiko las brizas pardas. Bei letzteren Winden iſt der Himmel grau und umwölkt.

Je weiter wir uns von der afrikaniſchen Küſte entfernten, deſto ſchwächer wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und dieſe Windſtillen wurden regelmäßig durch elektriſche Erſcheinungen unterbrochen. Schwarze, dichte, ſcharf umriſſene Wolken zogen ſich im Oſt zuſammen; man konnte meinen, es ſei eine im Anzug und man werde die Mars - ſegel einreffen müſſen, aber nicht lange, ſo erhob ſich der Wind wieder, es fielen einige ſchwere Regentropfen und das Ge - witter verzog ſich, ohne daß man hatte donnern hören. Es war intereſſant, währenddeſſen die Wirkung ſchwarzer Wolken zu beboachten, die einzeln und ſehr tief durch den Zenith liefen. Man ſpürte, wie der Wind allmählich ſtärker oder ſchwächer wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunſt - bläschen ſich näherten oder entfernten, ohne daß die Elektro - meter mit langer Metallſtange und brennendem Docht in den unteren Luftſchichten eine Aenderung in der elektriſchen Span -129 nung anzeigten. Mittels ſolcher kleinen, mit Windſtillen wechſelnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und Juli von den Kanariſchen Inſeln nach den Antillen oder an die Küſten von Südamerika. Im heißen Erdſtrich löſen ſich die meteorologiſchen Vorgänge äußerſt regelmäßig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denk - würdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-Weſt blies. Welch bedeutende Störung im regelmäßigen Lauf der Luftſtrömungen muß man annehmen, um ſich von einem ſolchen Gegenwind Rechenſchaft zu geben, der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Baro - meters in ſeiner ſtündlichen Schwankung geſtört haben wird!

Einige ſpaniſche Seefahrer haben neuerlich einen anderen Weg nach den Antillen und zur Küſte von Terra Firma als den von Chriſtoph Kolumbus zuerſt eingeſchlagenen zur Sprache gebracht. Sie ſchlagen vor, man ſolle nicht gerade nach Süd ſteuern, um den Paſſat aufzuſuchen, ſondern auf einer Dia - gonale zwiſchen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und Breite zugleich vorrücken. Dieſer Weg, der die Fahrt abkürzt, da man den Wendekreis etwa 20° weſtwärts vom Punkte ſchneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich ſchneiden, iſt von Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeſchlagen worden. Dieſer erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf dieſem ſchiefen Wege mehrere Tage vor der franzöſiſchen Flotte nach St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider Hofes mit ſeinem Geſchwader im Hafen von Ferrol hatte ein - laufen und ſich dort eine Zeitlang aufhalten müſſen.

Dieſes neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erſt unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, ſo läuft man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südweſt blaſen. Beim alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man ſicher iſt, in den Paſſat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes in den ſpaniſchen Kolonieen ſah ich mehrere Kauffahrer an - kommen, die aus Furcht vor Kapern den ſchiefen Weg ein - geſchlagen hatten und ausnehmend raſch herübergekommenA. v. Humboldt, Reiſe. I. 9130waren; nur nach wiederholten Verſuchen wird man ſich beſtimmt über einen Punkt ausſprechen können, der zum mindeſten ſo wichtig iſt als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator ſchneiden ſoll.

Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im tropiſchen Weltmeer. Während der Paſſatwind ſtark blies, ſtand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24°, bei Nacht zwiſchen 22 und 22,5°. Um den Reiz dieſer glücklichen Erd - ſtriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küſten von Chile nach Europa geſegelt haben. Welcher Abſtand zwiſchen den ſtürmiſchen Meeren in nördlichen Breiten und dieſen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrſcht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den ſpaniſchen Küſten ſo kurz und ſo angenehm wäre als die Reiſe aus der Alten in die Neue Welt, ſo wäre die Zahl der Europäer, die ſich in den Kolonieen niedergelaſſen, lange nicht ſo groß, als ſie jetzt iſt. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den ſelt - ſamen Namen Golfo de las Yeguas. 1Der Meerbuſen der Stuten.Koloniſten, die an die See nicht gewöhnt ſind, und lange einſam in den Wäldern von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten ſich vor dem See - ſtrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenklich iſt. Sie verſchieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt ſcheint, und meiſt überraſcht ſie der Tod, während ſie ſich zur Rückreiſe rüſten.

Nördlich von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ſtießen wir auf große Bündel ſchwimmenden Tangs. Es war die tropiſche Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40° nörd - licher und ſüdlicher Breite auf dem Geſtein unter dem Meeres - ſpiegel wächſt. Dieſe Algen ſchienen hier, wie ſüdweſtlich von der Bank von Neufundland, das Vorhandenſein der Strö - mungen anzuzeigen. Die Seeſtriche, wo viel einzelner Tang vorkommt, und die mit Seegewächſen bedeckten Strecken, welche Kolumbus mit großen Wieſen vergleicht und die der Mann -131 ſchaft der Santa Maria unter 42° der Länge Schrecken ein - jagten, ſind nicht miteinander zu verwechſeln. Durch die Vergleichung vieler Schiffstagebücher habe ich mich überzeugt, daß es im Becken des nördlichen Atlantiſchen Ozeans zwei ſolcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die nichts mitein - ander zu thun haben. Die größte derſelben1Phöniziſche Fahrzeuge ſcheinen in 30 Tagen Schiffahrt und mit dem Oſtwind zum Grasmeer gekommen zu ſein, das bei Spaniern und Portugieſen Mar de Sargazo heißt. Ich habe anderswo dargethan, daß dieſe Stelle im Buche des Ariſtoteles De Mirabilibus ſich nicht wohl, wie eine ähnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die Küſte von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, daß das mit Gras bedeckte Meer, das die phöniziſchen Schiffe in ihrem Laufe aufhielt, das Mar de Sargazo war, ſo braucht man nicht anzunehmen, daß die Alten im Atlantiſchen Meer über den 30. Grad weſtlicher Länge vom Meridian von Paris hin - ausgekommen ſeien. liegt etwas weſtlich vom Meridian von Fayal, einer der Azoriſchen Inſeln, zwiſchen 35 und 36° der Breite. Die Meerestemperatur be - trägt in dieſem Strich 16 bis 20°, und die Nordoſtwinde, die dort zuweilen ſehr ſtark ſind, treiben ſchwimmende Tang - inſeln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum 20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückfahren, kommen über dieſe Fukus - bank, die nach den ſpaniſchen Schiffern von den Kleinen An - tillen und von den Kanariſchen Inſeln gleich weit entfernt iſt; die Ungeſchickteſten können danach ihre Länge berichtigen. Die zweite Fukusbank iſt wenig bekannt; ſie liegt unter 22 und 26° der Breite, 148 km weſtlich vom Meridian der Bahamainſeln, und iſt von weit geringerer Ausdehnung. Man ſtößt auf ſie auf der Fahrt von den Caycosinſeln nach den Bermuden.

Allerdings kennt man Tangarten mit 260 m langen Stengeln,2Fucus giganteus, Forster, oder Laminaria pyrifera, La - mouroux. und dieſe Kryptogamen der hohen See wachſen ſehr raſch; dennoch iſt kein Zweifel darüber, daß in den oben beſchriebenen Strichen die Tange keineswegs am Meeresboden haften, ſondern in einzelnen Bündeln auf dem Waſſer ſchwim - men. In dieſem Zuſtand können dieſe Gewächſe nicht viel länger fortvegetieren als ein vom Stamm abgeriſſener Baumaſt. Will man ſich Rechenſchaft davon geben, wie es kommt, daß132 bewegliche Maſſen ſich ſeit Jahrhunderten an denſelben Stellen befinden, ſo muß man annehmen, daß ſie vom Geſtein 73 bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nach - wuchs fortwährend wieder erſetzt, was die tropiſche Strömung wegreißt. Dieſe Strömung führt die tropiſche Seetraube in hohe Breiten, an die Küſten von Norwegen und Frankreich, und die Algen werden ſüdwärts von den Azoren keineswegs vom Golfſtrom zuſammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es wäre zu wünſchen, daß die Schiffer in dieſen mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei aus - würfen; man verſichert, holländiſche Seeleute haben mittels Leinen aus Seidenfäden zwiſchen der Bank von Neufundland und der ſchottiſchen Küſte eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt iſt, los - geriſſen werden, darüber iſt man noch nicht im klaren. Wir wiſſen nur nach den ſchönen Beobachtungen von Lamouroux, daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen ausnehmend feſt am Geſtein hängen, dagegen nach dieſer Zeit oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation ſtockt, ſehr leicht abzureißen ſind. Fiſche und Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen wohl auch dazu beitragen, ſie von ihren Wurzeln zu löſen.

Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit fliegenden Fiſchen1Exocoetus volitans. bedeckt; ſie ſchnellten ſich 4,5, ja 6 m in die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich ſcheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenſtand zu berühren, von dem die Reiſenden ſo viel ſprechen, als von Delphinen und Haifiſchen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle dieſe Dinge bieten den Phyſikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn ſie ſich ganz beſonders damit beſchäftigen. Die Natur iſt eine unerſchöpfliche Quelle der Forſchung, und im Maß, als die Wiſſenſchaft vorſchreitet, bietet ſie dem, der ſie recht zu befragen weiß, immer wieder eine neue Seite, von der er ſie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwähnte der fliegenden Fiſche, um die Naturkundigen auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblaſe aufmerkſam zu machen, die bei einem 172 mm lange Fiſch 95 mm lang und 25 mm breit iſt und Kubikzoll Luft enthält. Die Blaſe nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres133 ein, und trägt ſomit wahrſcheinlich dazu bei, daß es ſo leicht iſt. Man könnte ſagen, dieſer Luftbehälter diene ihm viel - mehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Verſuche, die Provenzal und ich angeſtellt, beweiſen, daß dieſes Organ ſelbſt bei den Arten, die damit verſehen ſind, zu der Bewegung an die Waſſerfläche herauf nicht durchaus notwendig iſt. Bei einem jungen 13 cm langen Exocötus bot jede der Bruſt - floſſen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche von 26 qcm dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nerven - ſtränge, die zu den zwölf Strahlen dieſer Floſſen verlaufen, faſt dreimal dicker ſind als die Nerven der Bauchfloſſen. Wenn man die erſteren Nerven galvaniſch reizt, ſo gehen die Strahlen, welche die Haut der Bruſtfloſſen tragen, fünfmal kräftiger auseinander, als die der anderen Floſſen, wenn man ſie mit denſelben Metallen galvaniſiert. Der Fiſch kann ſich aber auch 6,5 m weit wagerecht fortſchnellen, ehe er mit der Spitze ſeiner Floſſen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat dieſe Be - wegung und die eines flachen Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft, ganz richtig zuſammengeſtellt. So ausnehmend raſch die Bewegung iſt, kann man doch deutlich ſehen, daß das Tier während des Sprunges die Luft ſchlägt, das heißt, daß es die Bruſtfloſſen abwechſelnd ausbreitet und einzieht. Dieſelbe Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeſkorpion auf den japaniſchen Flüſſen, der gleichfalls eine große Schwimmblaſe hat, während ſie den meiſten Seeſkorpionen, die nicht fliegen, fehlt. 1Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche. Die Exocötus können, wie die meiſten Kiementiere, ziemlich lange und mittels derſelben Organe im Waſſer und in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Waſſer den darin enthaltenen Sauerſtoff entziehen. Sie bringen einen großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlaſſen ſie das Meer, um den gefräßigen Goldbraſſen zu entgehen, ſo begegnen ſie in der Luft den Fregatten, Albatroſſen und anderen Vögeln, die ſie im Fluge erſchnappen. So werden an den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais,2Cavia Capybara L. wenn ſie vor den Krokodilen aus dem Waſſer flüchten, am Ufer die Beute der Jaguare.

Ich bezweifle indeſſen, daß ſich die fliegenden Fiſche allein134 um der Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Waſſer ſchnellen. Gleich den Schwalben ſchießen ſie zu Tauſenden fort, gerade aus und immer gegen die Richtung der Wellen. In unſeren Himmelsſtrichen ſieht man häufig am Ufer eines klaren, von der Sonne beſchienenen Fluſſes einzeln ſtehende Fiſche, die ſomit nichts zu fürchten haben können, ſich über die Waſſerfläche ſchnellen, als machte es ihnen Vergnügen, Luft zu atmen. Warum ſollte dieſes Spiel nicht noch häufiger und länger bei den Exocötus vorkommen, die vermöge der Form ihrer Bruſtfloſſen und ihres geringen ſpezifiſchen Ge - wichtes ſich ſehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forſcher auf, zu unterſuchen, ob andere fliegende Fiſche, z. B. Exocoetus exiliens, Trigla vocitans und T. hirundo auch ſo große Schwimmblaſen haben wie der tropiſche Exocötus. Dieſer geht mit dem warmen Waſſer des Golfſtromes nach Norden. Die Schiffsjungen ſchneiden ihm zum Spaß ein Stück der Bruſtfloſſen ab und behaupten, dieſe wachſen wieder, was mir mit den bei anderen Fiſchfamilien gemachten Beob - achtungen nicht zu ſtimmen ſcheint.

Zur Zeit, da ich von Paris abreiſte, hatten die Verſuche, welche Dr. Brodbelt in Jamaika mit der Luft in der Schwimm - blaſe des Schwertfiſches angeſtellt, einige Phyſiker zur An - nahme veranlaßt, daß unter den Tropen dieſes Organ bei den Seefiſchen reines Sauerſtoffgas enthalte. Auch ich hatte dieſe Vorſtellung, und ſo war ich überraſcht, als ich in der Luftblaſe des Exocötus nur 0,04 Sauerſtoffgas auf 0,94 Stickſtoff und 0,02 Kohlenſäure fand. Der Anteil des letzteren Gaſes, der mittels der Abſorption durch Kalkwaſſer in gra - duierten Röhren gemeſſen wurde,1Anthrakometer, gekrümmte Röhren mit einer großen Kugel. ſchien konſtanter als der des Sauerſtoffs, von dem einige Exemplare faſt noch einmal ſo viel zeigten. Nach Biots, Configliachis und Delaroches intereſſanten Beobachtungen muß man annehmen, daß der von Brodbelt ſezierte Schwertfiſch in großen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fiſche bis zu 94 % Sauerſtoff in ihrer Schwimmblaſe zeigen.

Am 1. Juli, unter 17° 42′ der Breite und 34° 21′ der Länge ſtießen wir auf die Trümmer eines Wrackes. Wir konnten einen Maſtbaum ſehen, der mit ſchwimmendem Tang überzogen war. In einem Strich, wo die See beſtändig ruhig iſt, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben. 135Vielleicht daß dieſe Trümmer aus den nördlichen ſtürmiſchen Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung, welche die Waſſer des Atlantiſchen Meeres in der nördlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das Schiff zu Grunde gegangen.

Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans, wo die Karten die Bank des Maalſtromes verzeichnen; mit Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Ge - fahr auszuweichen, deren Vorhandenſein ſo zweifelhaft iſt, als das der Inſeln Fonſeco und Santa Anna. 1Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inſeln an, die nichts als eingebildete Gefahren ſind: die Inſeln Garca und Santa Anna, weſtlich von den Azoren, die Grüne Inſel (unter 14° 52′ Breite, 28° 30′ Länge) und die Inſel Fonſeco (unter 13° 15′ Breite, 57° 10′ Länge). Wie kann man an die Exiſtenz von vier Inſeln in von Tauſenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von ſo vielen kleinen Riffen und Untiefen, die ſeit hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden ſind, ſich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die all - gemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrſcheinlichkeit ſich annehmen läßt, daß zwiſchen Europa und Amerika eine auf 4 bis 5 km ſichtbare Inſel werde entdeckt werden, ſo könnte man ſie einer ſtrengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die ſeit dreihundert Jahren jährlich das Atlan - tiſche Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung der Fahrzeuge in verſchiedenen Strichen berückſichtigte. Befände ſich der Maalſtrom, nach van Keulens Angabe, unter 16° Breite und 39° 30′ Länge, ſo wären wir am 4. Juli darüber wegge - fahren.Es wäre wohl klüger geweſen, den Kurs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von ſogenannten wachenden Klippen, die zum Teil allerdings vorhanden ſind, größtenteils aber ſich von optiſchen Täuſchungen herſchreiben, die auf der See häufiger ſind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen Punkte iſt meiſt wie aufs Geratewohl angegeben; ſie waren von Schiffern geſehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten, und meiſt kann man ſicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zuſteuert, wo ſie auf den Karten angegeben ſind. Als wir dem vor - geblichen Maalſtrom nahe waren, konnten wir am Waſſer keine andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nord - weſt, die uns nicht ſo viel in Länge zurücklegen ließ, als wir136 gewünſcht hätten. Die Stärke dieſer Strömung nimmt zu, je näher man dem neuen Kontinente kommt; ſie wird durch die Bildung der Küſten von Braſilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die Gewäſſer des Orinoko und des Amazonen - ſtromes, wie manche Phyſiker behaupten.

Seit unſerem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des ſüdlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unſeren Blicken aufſtiegen. Ein ſonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Ueber - gang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und endlich verſchwinden ſieht. Nichts mahnt den Reiſenden ſo auffallend an die ungeheure Entfernung ſeiner Heimat, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der großen Sterne, einige zerſtreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchſtraße wetteifern, Strecken, die ſich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigen - tümliche Phyſiognomie. Dieſes Schauſpiel regt ſelbſt die Einbildungskraft von Menſchen auf, die den phyſiſchen Wiſſen - ſchaften ſehr fern ſtehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken, wie man eine ſchöne Landſchaft oder eine großartige Ausſicht bewundert. Man braucht kein Botaniker zu ſein, um ſchon am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdſtrich zu erkennen, und wer auch keine aſtronomiſchen Kenntniſſe hat, wer von Flamſteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt, daß er nicht in Europa iſt, wenn er das ungeheure Stern - bild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensſchen Wolken am Horizont aufſteigen ſieht. Erde und Himmel, allem in den Aequinoktialländern drückt ſich der Stempel des Fremd - artigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren ſeit einigen Tagen mit Dunſt erfüllt. Erſt in der Nacht vom 4. zum 5. Juli, unter 16° Breite, ſahen wir das ſüdliche Kreuz zum erſten - mal deutlich; es war ſtark geneigt und erſchien von Zeit zu Zeit zwiſchen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es einem Reiſenden geſtattet iſt, von ſeinen perſönlichen Empfindungen zu ſprechen, ſo darf ich ſagen, daß ich in dieſer Nacht einen der Träume meiner früheſten Jugend in Er - füllung gehen ſah.

137

Wenn man anfängt geographiſche Karten zu betrachten und Schilderungen der Seefahrer zu leſen, ſo fühlt man für gewiſſe Länder und gewiſſe Klimate eine Art Vorliebe, von der man ſich in reiferem Alter keine Rechenſchaft zu geben vermag. Eindrücke derart äußern einen nicht unbedeutenden Einfluß auf unſere Entſchlüſſe, und wie inſtinktmäßig ſuchen wir Gegenſtänden, die ſchon ſo lange eine geheime Anziehungs - kraft für uns gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beſchäftigte, nicht um Aſtronomie zu treiben, ſondern nur um die Sterne kennen zu lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menſchen, die ein ſitzendes Leben lieben, ganz fremd iſt. Der Hoffnung entſagen zu ſollen, jemals jene herrlichen Sternbilder am Südpol zu erblicken, das ſchien mir ſehr hart. Im ungeduldigen Drange, die Aequatorialländer kennen zu lernen, konnte ich nicht die Augen zum Sterngewölbe aufſchlagen, ohne an das ſüdliche Kreuz zu denken und mir die erhabenen Verſe Dantes vorzuſagen, welche ſich nach den berühmteſten Auslegern auf jenes Stern - bild beziehen:

Jo mi volsi a man destra e posi mente
All altro polo, e vidi quattro stelle,
Non viste mai fuor ch alla prima gente.
Goder parea lo ciel di lor fiammelle,
O settentrional vedovo sito,
Poi che privato se di mirar quelle!
1
Rechts an des andern Poles Firmament
Boten ſich dar vier Sterne meinen Blicken,
Die nur dem erſten Paar zu ſchaun vergönnt.
Ihr Schimmer ſchien den Himmel zu entzücken:
O mitternächt’ger Bogen, ſo verwaiſt,
(Nach Kannegießers Ueberſetzung)
1

Unſere Freude beim Erſcheinen des ſüdlichen Kreuzes wurde lebhaft von denjenigen unter der Mannſchaft geteilt, die in den Kolonieen gelebt hatten. In der Meereseinſamkeit begrüßt man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange Zeit getrennt geweſen. Bei den Portugieſen und Spaniern ſteigert ſich dieſe gemütliche Teilnahme noch durch138 beſondere Gründe; religiöſes Gefühl zieht ſie zu einem Stern - bild hin, deſſen Geſtalt an das Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Väter in den Einöden der Neuen Welt auf - gepflanzt.

Da die zwei großen Sterne, welche Spitze und Fuß des Kreuzes bezeichnen, ungefähr dieſelbe Rektaſzenſion haben, ſo muß das Sternbild, wenn es durch den Meridian geht, faſt ſenkrecht ſtehen. Dieſer Umſtand iſt allen Völkern jenſeits des Wendekreiſes und in der ſüdlichen Halbkugel bekannt. Man hat ſich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den ver - ſchiedenen Jahreszeiten das ſüdliche Kreuz aufrecht oder geneigt iſt. Es iſt eine Uhr, die ſehr regelmäßig etwa vier Minuten im Tage vorgeht, und an keiner anderen Sterngruppe läßt ſich die Zeit mit bloßem Auge ſo genau beobachten. Wie oft haben wir unſere Führer in den Savannen von Venezuela oder in der Wüſte zwiſchen Lima und Truxillo ſagen hören: Mitternacht iſt vorüber, das Kreuz fängt an ſich zu neigen! Wie oft haben wir uns bei dieſen Worten an den rührenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an der Quelle des Fächerpalmenfluſſes zum letztenmal miteinander ſprechen und der Greis beim Anblick des ſüdlichen Kreuzes ſie mahnt, daß es Zeit ſei zu ſcheiden!

Die letzten Tage unſerer Ueberfahrt waren nicht ſo günſtig, als das milde Klima und die ruhige See uns hoffen ließen. Nicht die Gefahren der See ſtörten uns in unſerem Genuſſe, aber der Keim eines bösartigen Fiebers entwickelte ſich unter uns, je näher wir den Antillen kamen. Im Zwiſchendeck war es furchtbar heiß und der Raum ſehr beſchränkt. Seit wir den Wendekreis überſchritten, ſtand der Thermometer auf 34 bis 36°. Zwei Matroſen, mehrere Paſſagiere und, was ziem - lich auffallend iſt, zwei Neger von der Küſte von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen, die epidemiſch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kräftigſten, delirierten ſchon am zweiten Tage und die Kräfte lagen völlig danieder. Bei der Gleichgültigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt wird, was mit der Füh - rung des Schiffes und der Schnelligkeit der Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitän nicht daran, gegen die Ge - fahr, die uns bedrohte, die gemeinſten Mittel vorzukehren. Es wurde nicht geräuchert, und ein unwiſſender, phlegmatiſcher galiciſcher Wundarzt verordnete Aderläſſe, weil er das Fieber139 der ſogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuſchrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten vergeſſen, beim Einſchiffen uns ſelbſt damit zu verſehen; unſere Inſtrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unſere Ge - ſundheit, und wir hatten unbedachterweiſe vorausgeſetzt, daß es an Bord eines ſpaniſchen Schiffes nicht an peruaniſcher Fieberrinde fehlen könne.

Am 8. Juli genas ein Matroſe, der ſchon in den letzten Zügen lag, durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl wert iſt. Seine Hängematte war ſo befeſtigt, daß zwiſchen ſeinem Geſicht und dem Deck keine 26 cm Raum blieben. In dieſer Lage konnte man ihm unmöglich die Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den ſpaniſchen Schiffen hätte das Allerheiligſte mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze Mannſchaft dabei ſein müſſen. Man ſchaffte daher den Kranken an einen luftigen Ort bei der Luke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergeſtellt hatte. Hier ſollte er liegen bis zu ſeinem Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer übermäßig heißen, ſtockenden, mit Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere, fortwährend erneuerte gebracht, ſo kam er allmählich aus ſeiner Betäubung zu ſich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwiſchendeck fort - geſchafft worden, fing die Geneſung an, und wie denn in der Arzneikunde dieſelben Thatſachen zu Stützen der entgegen - geſetzteſten Syſteme werden, ſo wurde unſer Arzt durch dieſen Fall von Wiedergeneſung in ſeiner Anſicht von der Entzün - dung des Blutes und von der Notwendigkeit des Eingreifens durch Aderläſſe, abführende und aſtheniſche Mittel aller Art beſtärkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieſer Behandlung zu ſehen und ſehnten uns mehr als je nach dem Augenblick, wo wir die Küſte Amerikas betreten könnten.

Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute um 12′ von der Länge abgewichen, die mir mein Chrono - meter angab. Dieſer Unterſchied rührte weniger von der all - gemeinen Strömung her, die ich den Rotationsſtrom ge - nannt habe, als von dem eigentümlichen Zuge des Waſſers nach Nordweſt, von der Küſte von Braſilien gegen die Kleinen Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Inſel Guadeloupe abgekürzt wird. 1Im Atlantiſchen Meere iſt ein Strich, wo das Waſſer immer milchig erſcheint, obgleich die See dort ſehr tief iſt. Dieſe merk -Am 12. Juli glaubte ich an -140 kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht ſein werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10° 46′ der Breite und 60° 54′ weſtlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be - ſtätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten beſſer, wo ſich die Korvette befand, als wo das Land lag, dem unſer Kurs zuging und das auf den franzöſiſchen, ſpani - ſchen und engliſchen Karten ſo verſchieden angegeben iſt. Die aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera ſich ergebenden Längen waren damals noch nicht be - kannt gemacht.

Die Steuerleute verließen ſich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; ſie lächelten zu der Be - hauptung, daß bald Land in Sicht kommen müſſe, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen ſechs Uhr morgens hörte, man ſehe von den Maſten ein ſehr hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete ſehr ſtark und die See war ſehr un - ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles deutete auf ungeſtümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro hatte beabſichtigt, durch den Kanal zwiſchen Tabago und Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unſere Korvette ſehr langſam wendete, ſo fürchtete er, gegen Süden unter den Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir waren allerdings unſerer Länge ſicherer als der Breite, da ſeit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11° 6′ 50″, ſomit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokoſtrom ſeine Gewäſſer in den Ozean ergießt, mag in dieſen Strichen immerhin den Zug der Strömungen ſteigern; wenn man aber behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko habe das Meerwaſſer eine andere Farbe und ſei weniger ge - ſalzen, ſo iſt dies ein Märchen der Küſtenpiloten. Der Ein - fluß der mächtigſten Ströme Amerikas, des Amazonenſtromes,1würdige Erſcheinung zeigt ſich unter der Breite der Inſel Dominica und etwa unter 57° der Länge. Sollte an dieſem Punkt, noch öſt - licher als Barbados, ein verſunkenes vulkaniſches Eiland unter dem Meeresſpiegel liegen?141 des La Plata, des Orinoko, des Miſſiſſippi, des Magdalenen - ſtromes, iſt in dieſer Beziehung in weit engere Grenzen ein - geſchloſſen, als man gemeiniglich glaubt.

Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhöhen hin - länglich bewies, daß das hohe Land, das am Horizont auf - ſtieg, nicht Trinidad war, ſondern Tabago, ſteuerte der Kapitän dennoch nach Nord-Nord-Weſt fort, um letztere Inſel aufzu - ſuchen, die ſogar auf Bordas ſchöner Karte des Atlantiſchen Ozeans 5 Minuten zu weit ſüdlich geſetzt iſt. Man ſollte kaum glauben, daß an Küſten, welche von allen Handels - völkern beſucht werden, ſo auffallende Irrtümer in der Breite ſich jahrhundertelang erhalten könnten. Ich habe dieſen Gegen - ſtand anderswo beſprochen, und ſo bemerke ich hier nur, daß ſogar auf der neueſten Karte von Weſtindien von Arrow - ſmith, die im Jahre 1803, alſo lange nach Churrucas Beob - achtungen erſchienen iſt, die Breiten der verſchiedenen Vor - gebirge von Tabago und Trinidad um 6 bis 11 Minuten falſch angegeben ſind.

Durch die Beobachtung der Sonnenhöhe um Mittag wurde die Breite, wie ich ſie nach Douwes Verfahren er - halten, vollkommen beſtätigt. Es blieb kein Zweifel mehr über den Schiffsort den Inſeln gegenüber, und man beſchloß, um das nördliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwiſchen dieſer Inſel und La Granada durchzugehen und auf einen Hafen der Inſel Margarita loszuſteuern. In dieſen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unſerem Glück war die See ſehr unruhig, und ein kleiner engliſcher Kutter überholte uns, ohne uns nur anzurufen. Bonpland und mir war vor einem ſolchen Unfall weniger bange, ſeit wir ſo nahe am amerikaniſchen Feſt - land ſicher waren, daß wir nicht nach Europa zurückgebracht wurden.

Der Anblick der Inſel Tabago iſt höchſt maleriſch. Es iſt ein ſorgfältig bebauter Felsklumpen. Das blendende Weiß des Geſteines ſticht angenehm vom Grün zerſtreuter Baum - gruppen ab. Sehr hohe cylindriſche Fackeldiſteln krönen die Bergkämme und geben der tropiſchen Landſchaft einen ganz eigenen Charakter. Schon ihr Anblick ſagt dem Reiſenden, daß er eine amerikaniſche Küſte vor ſich hat, denn die Kaktus gehören ausſchließlich der Neuen Welt an, wie die Heidekräuter der Alten. Der nordöſtliche Teil der Inſel Tabago iſt der gebirgigſte, nach den Höhenwinkeln, die ich mit dem Sextanten142 genommen, ſcheinen indeſſen die höchſten Gipfel an der Küſte nicht über 270 bis 290 m hoch zu ſein. Am ſüdlichen Vor - gebirge ſenkt ſich das Land und läuft in die Sandſpitze aus, die nach meiner Rechnung unter 10° 20′ 13″ der Breite und 62° 47′ 30″ der Länge liegt. Wir ſahen mehrere Felſen über dem Waſſerſpiegel, an denen ſich die See mit Ungeſtüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60° nach Südoſt fallen. Es wäre zu wünſchen, daß ein geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der Küſte von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiſte und die ehemalige, durch Strömungen, Erderſchütterungen und Vulkane auseinander geriſſene Bergkette unterſuchte.

Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die kleine Inſel St. Giles gelaufen, als man vom Maſtkorb ein feindliches Geſchwader ſignaliſierte. Wir wendeten ſogleich und die Paſſagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermögen in Waren geſteckt hatten, die ſie in den ſpaniſchen Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geſchwader ſchien ſich nicht zu rühren, und es zeigte ſich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für Segel angeſehen hatte.

Wir fuhren über die Untiefe zwiſchen Tabago und La Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermo - meter nur 23°, während er oſtwärts auf hoher See unter derſelben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6° ſtand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur des Waſſers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten an - gegeben iſt. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind ſchwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, deſto mehr klärte ſich der Himmel auf. In dieſer und in den folgenden Nächten fielen ſehr viele Sternſchnuppen; gegen Nord zeigten ſie ſich nicht ſo häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küſte wir jetzt hinzufahren anfingen. Dieſe Verteilung weiſt darauf hin, daß dieſe Meteore, über deren Weſen wir noch ſo ſehr im unklaren ſind, zum Teil von örtlichen Urſachen ab - hängig ſein mögen.

Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Inſel Chacachacarreo ſehen, das weſtlichſte der Eilande zwiſchen dem Vorgebirge Paria und dem nordweſtlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von der Küſte, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr,143 daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb. Durch den Zug des Waſſers, das aus der Boca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entſteht eine Gegenſtrömung. Man warf das Senkblei aus und fand 66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, ſehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundſätzen hätten wir in der Nähe einer von ſehr hohen, ſteil aufſteigenden Gebirgen ge - bildeten Küſte keine ſo geringe Meerestiefe erwartet. Wir loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden überall erhöhten Meeresgrund, deſſen Umriß das Streichen der ehemaligen Meeresküſte zu bezeichnen ſcheint. Die Tem - peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, ſomit 1,5 bis niedriger als auf hoher See, das heißt jenſeits der Ränder der Bank.

Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus ſelbſt ſo be - nannt,1Im Auguſt 1598. liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4′ 5″ der Länge. Es erſchien uns um ſo höher, da ſeine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Anſehen der Berge von Paria, ihre Farbe und beſonders ihre meiſt runden Umriſſe ließen uns vermuten, daß die Küſte aus Granit be - ſtehe; die Folge zeigte aber, wie ſehr man ſich, ſelbſt wenn man ſein Leben lang in Gebirgen gereiſt iſt, irren kann, wenn man über die Beſchaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urteilt.

Wir benutzten eine Windſtille, die ein paar Stunden an - hielt, um die Intenſität der magnetiſchen Kraft beim Cabo de tres puntas genau zu beſtimmen. Wir fanden ſie größer als auf hoher See oſtwärts von Tabago, im Verhältnis von 257 zu 229. Während der Windſtille trieb uns die Strö - mung raſch nach Weſt. Ihre Geſchwindigkeit betrug 13,5 km in der Stunde; ſie nahm zu, je näher wir dem Meridian der Teſtigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufſteigen. Als der Mond unterging, bedeckte ſich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder ſtärker und es ſtürzte ein Platzregen nieder, wie ſie dem heißen Erd - ſtrich eigen ſind und wir auf unſeren Zügen im Binnenlande ſie ſo oft durchgemacht haben.

Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete ſich raſch aus, ſeit wir uns nahe an der Küſte von Terra Firma befanden; der Thermometer ſtand bei Nacht regelmäßig144 zwiſchen 22 und 23°, bei Tage zwiſchen 24 und 27°. Die Kongeſtionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber ſo ziemlich am Ziele unſerer Fahrt, und ſo hofften wir alle Kranke geneſen zu ſehen, wenn man ſie an der Inſel Margarita oder im Hafen von Cumana, die für ſehr geſund gelten, ans Land bringen könnte.

Dieſe Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngſte Paſſagier bekam das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein junger Aſturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen Witwe. Mehrere Umſtände machten den Tod des jungen Mannes, aus deſſen Geſicht viel Gefühl und große Gutmütig - keit ſprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerſtreben zu Schiffe gegangen; er hatte ſeine Mutter durch den Ertrag ſeiner Arbeit unterſtützen wollen, aber dieſe hatte ihre Liebe und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht, daß ihr Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, ſein Glück machen könnte. Der unglückliche junge Mann verfiel raſch in Be - täubung, redete dazwiſchen irre und ſtarb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder ſchwarze Erbrechen rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken ſo furchtbar ſchnell dahin. Ein anderer, noch jüngerer Aſturier wich keinen Augen - blick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auf - fallend iſt, die Krankheit nicht. Er wollte mit ſeinem Lands - mann nach San Jago de Cuba gehen und ſich dort von ihm im Hauſe des Verwandten einführen laſſen, auf den ſie ihre ganze Hoffnung geſetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund überlebte, ſich ſeinem tiefen Schmerze überließ und die unſeligen Ratſchläge verwünſchte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlaſſen daſtand.

Wir ſtanden beiſammen auf dem Verdeck in trüben Ge - danken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrſchte, hatte ſeit einigen Tagen einen bösartigen Charakter angenommen. Unſere Blicke hingen an einer ge - birgigen, wüſten Küſte, auf die zuweilen ein Mondſtrahl durch die Wolken fiel. Die leiſe bewegte See leuchtete in ſchwachem phosphoriſchem Schein; man hörte nichts als das eintönige Geſchrei einiger großen Seevögel, die das Land zu ſuchen145 ſchienen. Tiefe Ruhe herrſchte ringsum am einſamen Orte; aber dieſe Ruhe der Natur ſtand im Widerſpiel mit den ſchmerzlichen Gefühlen in unſerer Bruſt. Gegen 8 Uhr wurde langſam die Totenglocke geläutet; bei dieſem Trauerzeichen brachen die Matroſen ihre Arbeit ab und ließen ſich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die an die Zeiten mahnt, wo die erſten Chriſten ſich als Glieder einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Men - ſchen im Gefühl gemeinſamen Unglückes einander näher bringt. In der Nacht ſchaffte man die Leiche des Aſturiers auf das Verdeck, und auf die Vorſtellung des Prieſters wurde er erſt nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der römiſchen Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schickſal des jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen friſch und geſund geſehen hatten.

Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich dieſes bösartige oder ataktiſche Fieber ſei, und wenn die langen Windſtillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana ver - zögerten, ſo mußte man beſorgen, daß es viele Opfer fordern könnte. An Bord eines Kriegsſchiffes oder eines Transport - ſchiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Ein - druck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichen - zug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner Mannſchaft, wo zwiſchen Menſchen, die dasſelbe Reiſeziel haben, ſich nähere Beziehungen knüpfen. Die Paſſagiere auf dem Pizarro ſpürten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit, beſchloſſen aber doch, das Fahrzeug am nächſten Landungsplatz zu verlaſſen und die Ankunft eines anderen Poſtſchiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko fortzuſetzen. Sie betrachteten das Zwiſchendeck des Schiffes als einen Herd der Anſteckung, und obgleich es mir keines - wegs erwieſen ſchien, daß das Fieber durch Berührung an - ſtecke, hielt ich es doch durch die Vorſicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es ſchien mir wünſchenswert, Neuſpanien erſt nach einem längeren Aufenthalt an den Küſten von Vene - zuela und Paria zu beſuchen, wo der unglückliche Löffling nur ſehr wenige naturgeſchichtliche Beobachtungen hatte machen können. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Ge - wächſe, die Boſe und Bredemeyer auf ihrer Reiſe in Terra Firma geſammelt und die eine Zierde der Gewächshäuſer zu Schönbrunn und Wien ſind, auf ihrem heimatlichen BodenA. v. Humboldt, Reiſe. I. 10146zu ſehen. Es hätte uns ſehr wehe gethan, in Cumana oder Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Natur - forſchern ſo wenig betretenen Landes zu betreten.

Der Entſchluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den Verfolg unſerer Reiſen. Statt einige Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an den Caſſiquiare und an die Grenze der portugieſiſchen Be - ſitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieſer unſerer Reiſerichtung, daß wir während eines ſo langen Aufenthaltes in den Aequinoktialländern ſo geſund blieben.

Bekanntlich ſchweben die Europäer in den erſten Monaten, nachdem ſie unter den glühenden Himmel der Tropen verſetzt worden, in ſehr großer Gefahr. Sie betrachten ſich als akkli - matiſiert, wenn ſie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera - cruz oder Cartagena überſtanden haben. Dieſe Meinung iſt nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beiſpielen fehlt, daß Leute, die bei der erſten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Fähigkeit ſich zu akklimatiſieren ſcheint im umgekehrten Verhältnis zu ſtehen mit dem Unterſchied zwiſchen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der des Geburtslandes des Reiſenden oder Koloniſten, der das Klima wechſelt, weil die Lufttemperatur den mächtigſten Ein - fluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert. Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede ſind mehr gefährdet, wenn ſie auf die Inſeln oder nach Terra Firma kommen, als ein Spanier, ein Italiener und ſelbſt ein Bewohner des ſüdlichen Frankreichs. Für die nordiſchen Völker beträgt der Unter - ſchied in der mittleren Temperatur 19 bis 21°, für die ſüd - lichen nur 9 bis 10. Wir waren ſo glücklich, die Zeit, in der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft, im ausnehmend heißen, aber ſehr trockenen Klima von Cu - mana zu verleben, einer Stadt, die für ſehr geſund gilt. Hätten wir unſeren Weg nach Veracruz fortgeſetzt, ſo hätten wir leicht das Los mehrerer Paſſagiere des Paketbootes Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die Havana kam, als eben das ſchwarze Erbrechen auf Cuba und an der Oſtküſte von Mexiko ſchreckliche Verheerungen anrichtete.

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Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge St. Joſeph, waren wir von einer Menge ſchwimmenden Tanges umgeben. Die Stengel desſelben hatten die ſonder - baren, wie Blumenkelche und Federbüſche geſtalteten Anhänge, wie ſie Don Hypolito Ruiz auf ſeiner Rückkehr aus Chile beobachtet und in einer beſonderen Abhandlung als die Ge - ſchlechtsorgane des Fucus natans beſchrieben hat. Ein glück - licher Zufall ſetzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu berichtigen, die ſich nur einmal der Naturforſchung darge - boten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefiſcht hatte, waren durchaus identiſch mit den Exemplaren, die wir der Gefälligkeit der gelehrten Verfaſſer der peruaniſchen Flora verdankten. Als wir beide unter dem Mikroſkop unterſuchten, fanden wir, daß dieſe angeblichen Befruchtungswerkzeuge, dieſe Piſtille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus der Familie der Ceratophyten ſeien. Die Kelche, welche Ruiz für Piſtille hielt, entſpringen aus hornartigen, abgeplatteten Stielen, die ſo feſt mit der Subſtanz des Fukus zuſammen - hängen, daß man ſie gar wohl für bloße Rippen halten könnte; aber mit einem ſehr dünnen Meſſer gelingt es, ſie abzulöſen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten Stiele ſind anfangs ſchwarzbraun, werden aber, wenn ſie ver - trocknen, weiß und zerreiblich. In dieſem Zuſtande brauſen ſie mit Säuren auf, wie die kalkige Subſtanz der Sertularia, deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südſee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropiſchen Seetraube dieſelben Anhängſel gefunden, und eine ſehr ſorg - fältige Unterſuchung überzeugte uns, daß ſich hier ein Zoo - phyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumſtamm umſchlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten be - ſchriebenen Organe ſind über 4 mm lang, und ſchon dieſe Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Piſtille nicht auf - kommen laſſen ſollen.

Die Küſte von Paria zieht ſich nach Weſt fort und bildet eine nicht ſehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenförmigen Umriſſen. Es dauerte lange, bis wir die hohe Küſte der Inſel Margarita zu ſehen bekamen, wo wir ein - laufen ſollten, um hinſichtlich der engliſchen Kreuzer, und ob es gefährlich ſei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzu - ziehen. Sonnenhöhen, die wir unter ſehr günſtigen Umſtänden genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals ſelbſt die148 geſuchteſten Seekarten waren. Am 15. morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66° 1′ 15″ der Länge befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Inſel St. Margarita, während wir nach der verkleinerten Karte des Atlantiſchen Ozeans über das weſtliche ſehr hohe Vorgebirge der Inſel, das unter 66° 0′ der Länge geſetzt iſt, bereits hätten hinaus ſein ſollen. Die Küſten von Terra Firma wurden vor Fi - dalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufügen, vor meinen aſtronomiſchen Beobachtungen in Cumana, ſo un - richtig gezeichnet, daß für die Schiffahrt daraus hätten Ge - fahren erwachſen können, wenn nicht das Meer in dieſen Strichen beſtändig ruhig wäre. Ja die Fehler in der Breite waren noch größer als die in der Länge, denn die Küſte von Neuandaluſien läuft weſtwärts vom Cabo de tres puntas 67 bis 90 km weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahre 1800 erſchienenen Karten angegeben iſt.

Gegen 11 Uhr morgens kam uns ein ſehr niedriges Ei - land zu Geſicht, auf dem ſich einige Sanddünen erhoben. Durch das Fernrohr ließ ſich keine Spur von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder ſtanden cylind - riſche Kaktus wie Kandelaber. Der faſt pflanzenloſe Boden ſchien ſich wellenförmig zu bewegen infolge der ſtarken Brechung, welche die Sonnenſtrahlen erleiden, wenn ſie durch Luft - ſchichten hindurchgehen, die auf einer ſtark erhitzten Fläche aufliegen. Die Luftſpiegelung macht, daß in allen Zonen Wüſten und ſandiger Strand ſich wie eine bewegte See aus - nehmen.

Das flache Land, das wir vor uns hatten, ſtimmte ſchlecht zu der Vorſtellung, die wir uns von der Inſel Mar - garita gemacht. Während man beſchäftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne ſie in Uebereinſtimmung bringen zu können, ſignaliſierte man vom Maſt einige kleine Fiſcherboote. Der Kapitän des Pizarro rief ſie durch einen Kanonenſchuß herbei; aber ein ſolches Zeichen dient zu nichts in Ländern, wo der Schwache, wenn er dem Starken be - gegnet, glaubt ſich nur auf Vergewaltigungen gefaßt machen zu müſſen. Die Boote ergriffen die Flucht nach Weſten zu, und wir ſahen uns hier in derſelben Verlegenheit, wie bei unſerer Ankunft auf den Kanarien vor der kleinen Inſel Gracioſa. Niemand an Bord war je in der Gegend am Land geweſen. So ruhig die See war, ſo ſchien doch die Nähe eines kaum ein paar Fuß hohen Eilandes Vorſichtsmaßregeln149 zu erheiſchen. Man ſteuerte nicht weiter dem Lande zu, und da das Senkblei nur 5,5 bis 7,3 m Waſſer anzeigte, warf man eilends den Anker aus.

Küſten, aus der Ferne geſehen, verhalten ſich wie Wolken, in denen jeder Beobachter die Gegenſtände erblickt, die ſeine Einbildungskraft beſchäftigen. Da unſere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den Karten, die uns zur Hand waren, im Widerſpruch ſtanden, ſo verlor man ſich in eitlen Mutmaßungen. Die einen hielten Sandhaufen für Indianer - hütten und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen mußte; andere ſahen die Ziegenherden, welche im dürren Thale von San Juan ſo häufig ſind; ſie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in Wolken gehüllt ſchienen. Der Kapitän beſchloß, einen Steuermann ans Land zu ſchicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Waſſer zu laſſen, da das Boot auf der Reede von Santa Cruz durch die Brandung ſtark gelitten hatte. Da die Küſte ziemlich fern war, konnte die Rückfahrt zur Korvette ſchwierig werden, wenn der Wind abends ſtark wurde.

Als wir uns eben anſchickten, ans Land zu gehen, ſah man zwei Piroguen an der Küſte hinfahren. Man rief ſie durch einen zweiten Kanonenſchuß an, und obgleich man die Flagge von Kaſtilien aufgezogen hatte, kamen ſie doch nur zögernd herbei. Dieſe Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus einem Baumſtamm, und in jeder befanden ſich achtzehn In - dianer von Stamme der Guaykari (Guayqueries), nackt bis zum Gürtel und von hohem Wuchs. Ihr Körperbau zeugte von großer Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein Mittel - ding zwiſchen braun und kupferrot. Von weitem, wie ſie unbeweglich daſaßen und ſich vom Horizont abhoben, konnte man ſie für Bronzeſtatuen halten. Dies war uns um ſo auf - fallender, da es ſo wenig dem Begriff entſprach, den wir uns nach manchen Reiſeberichten von der eigentümlichen Körper - bildung und der großen Körperſchwäche der Eingeborenen ge - macht hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die Grenzen der Provinz Cumana nicht zu überſchreiten, wie auffallend die Guayqueries äußer - lich von den Chaymas und den Kariben verſchieden ſind. So nahe alle Völker Amerikas miteinander verwandt ſcheinen, da ſie ja derſelben Raſſe angehören, ſo unterſcheiden ſich doch die Stämme nicht ſelten bedeutend im Körperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln Hautfarbe, im Blick,150 aus dem bei den einen Seelenruhe und Sanftmut, bei anderen ein unheimliches Mittelding von Trübſinn und Wild - heit ſpricht.

Sobald die Piroguen ſo nahe waren, daß man die Indianer ſpaniſch anrufen konnte, verloren ſie ihr Mißtrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, ſei die Inſel Coche, die immer unbewohnt geweſen und an der die ſpaniſchen Schiffe, die aus Europa kommen, gewöhnlich weiter nördlich zwiſchen derſelben und der Inſel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar einen Lotſen einzunehmen. Unbe - kannt in der Gegend, waren wir in den Kanal ſüdlich von Coche geraten, und da die engliſchen Kreuzer ſich damals häufig in dieſen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer für ein feindliches Fahrzeug angeſehen. Die ſüdliche Durch - fahrt hat allerdings bedeutende Vorteile für Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; ſie hat weniger Waſſertiefe als die nördliche, weit ſchmälere Durchfahrt, aber man läuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man ſich nahe an den Inſeln Lobos und Moros del Tunal hält. Der Kanal zwiſchen Coche und Margarita wird durch die Untiefen am nordweſtlichen Vorgebirge von Coche und durch die Bank an der Punta de Mangles eingeengt.

Die Guaykari gehören zum Stamm civiliſierter In - dianer, welche auf den Küſten von Margarita und in den Vorſtädten von Cumana wohnen. Nach den Kariben des ſpaniſchen Guyana ſind ſie der ſchönſte Menſchenſchlag in Terra Firma. Sie genießen verſchiedener Vorrechte, da ſie ſeit der erſten Zeit der Eroberung ſich als treue Freunde der Kaſtilianer bewährt haben. Der König von Spanien nennt ſie daher auch in ſeinen Handſchreiben ſeine lieben, edlen und getreuen Guaykari . Die Indianer, auf die wir in den zwei Piroguen geſtoßen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht verlaſſen. Sie wollten Bauholz in den Cedro - wäldern1Cedrela odorata, Linné. holen, die ſich vom Kap San Joſe bis über die Mündung des Rio Carupano hinaus erſtrecken. Sie gaben uns friſche Kokosnüſſe und einige Fiſche von der Gattung Choetodon, deren Farben wir nicht genug bewundern konnten. Welche Schätze enthielten in unſeren Augen die Kähne der151 armen Indianer! Ungeheure Vijaoblätter1Heliconia bihai. bedeckten Bananen - büſchel; der Schuppenpanzer eines Tatou,2Armadill, Dasypus, Cachicamo. die Frucht der Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäiſchen Kabinetten zu den gemeinſten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil ſie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das längſterſehnte Ziel er - reicht hatten.

Der Patron einer der Piroguen erbot ſich an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotſe zu dienen. Der Mann empfahl ſich durch ſein ganzes Weſen; er war ein ſcharfſinniger Beobachter und hatte ſich in lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimiſchen Ge - wächſen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erſte Indianer, dem wir bei unſerer Landung begegneten, der Mann war, deſſen Bekanntſchaft unſeren Reiſezwecken äußerſt förderlich wurde. Mit Vergnügen ſchreibe ich in dieſer Er - zählung den Namen Carlos del Pino nieder, ſo hieß der Mann, der uns 16 Monate lang auf unſeren Zügen längs der Küſten und im inneren Lande begleitet hat.

Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche verließen, beſtimmte ich die Länge des öſtlichen Vorgebirges der Inſel und fand ſie 66° 11′ 53″. Weſtwärts ſteuernd hatten wir bald die kleine Inſel Cubagua vor uns, die jetzt ganz öde iſt, früher aber durch Perlenfiſcherei berühmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus und Ojedas Reiſen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden iſt. Zu An - fang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Meſſen in Augs - burg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Waſſer hatte, ſo mußte man es an der benachbarten Küſte aus dem Man - zanaresfluſſe holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum, beſchuldigte, daß es Augenentzündungen verurſache. Die Schriftſteller jener Zeit ſprechen alle vom Reichtum der erſten Anſiedler und vom Luxus, den ſie getrieben; jetzt erheben ſich Dünen von Flugſand auf der unbewohnten Küſte und der Name Cubagua iſt auf unſeren Karten kaum verzeichnet.

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In dieſem Striche angelangt, ſahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im Weſten der Inſel Margarita majeſtätiſch am Horizont aufſteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in 81 km Entfernung nahmen, mögen dieſe Gipfel 970 bis 1170 m abſolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chro - nometer liegt Kap Macanao unter 66° 47′ 5″ Länge. Ich nahm die Felſen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die ſehr niedrige Landzunge, die nach Weſt fortſtreicht und ſich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Oſtſpitze der Inſel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitſekunden ab.

Der Wind war ſehr ſchwach; der Kapitän hielt es für ratſamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er ſcheute ſich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, ſchien dieſe Vorſicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzu - zünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän des Poſtſchiffes wurde ein Bein weggeriſſen und er ſtarb wenige Tage darauf in Cumana.

Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der indianiſche Lotſe unterhielt uns von den Tieren und Gewächſen ſeines Landes. Wir hörten zu unſerer großen Freude, wenige Meilen von der Küſte ſei ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landſtrich, wo empfindliche Kälte herrſche, und auf den Ebenen kommen zwei ſehr verſchiedene Krokodile1Crocodilus acutus und C. Bava. vor, ferner Boa, elektriſche Aale2Gymnotus electricus, Temblador. und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beſchreibung der Geſtalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten erkennen, welche die Kreolen ſo benennen. Wir dachten nicht daran, daß dieſe Tiere über ungeheure Landſtriche zerſtreut ſind und hofften, ſie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Natur - kundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten ſoll.

Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne,153 maleriſche Küſte vor uns. Die Berge von Neuandaluſien begrenzten, halb von Wolken verſchleiert, nach Süden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloß erſchien zwiſchen Gruppen von Kokosbäumen. Um neun Uhr morgens, 41 Tage nach unſerer Abfahrt von Coruña, gingen wir im Hafen vor Anker. Die Kranken ſchleppten ſich auf das Verdeck, um ſich am Anblick eines Landes zu laben, wo ihre Leiden ein Ende finden ſollten.

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Viertes Kapitel.

Erſter Aufenthalt in Cumana. Die Ufer des Manzanares.

Wir waren am 16. Juli mit Tagesanbruch auf dem Ankerplatz, gegenüber der Mündung des Rio Manzanares, angelangt, konnten uns aber erſt ſpät am Morgen ausſchiffen, weil wir den Beſuch der Hafenbeamten abwarten mußten. Unſere Blicke hingen an den Gruppen von Kokosbäumen, die das Ufer ſäumten und deren über 20 m hohe Stämme die Landſchaft beherrſchten. Die Ebene war bedeckt mit Büſchen von Caſſien, Capparis und den baumartigen Mimoſen, die gleich den Pinien Italiens ihre Zweige ſchirmartig ausbreiten. Die gefiederten Blätter der Palmen hoben ſich von einem Himmelsblau ab, das keine Spur von Dunſt trübte. Die Sonne ſtieg raſch zum Zenith auf; ein blendendes Licht war in der Luft verbreitet und lag auf den weißlichen Hügeln mit zerſtreuten cylindriſchen Kaktus und auf dem ewig ruhigen Meere, deſſen Ufer von Alcatras,1Ein brauner Pelikan von der Größe des Schwanes. Peli - canus fuscus, Linné. Reihern und Flamingo bevölkert ſind. Das glänzende Tageslicht, die Kraft der Pflanzenfarben, die Geſtalten der Gewächſe, das bunte Ge - fieder der Vögel, alles trug den großartigen Stempel der tropiſchen Natur.

Cumana, die Hauptſtadt von Neuandaluſien, liegt 4,5 km vom Landungsplatz oder der Batterie de la Boca, bei der wir ans Land geſtiegen, nachdem wir über die Barre des Manzanares gefahren. Wir hatten über eine weite Ebene2El Salado. zu gehen, die zwiſchen der Vorſtadt der Guaykari und der Küſte liegt. Die ſtarke Hitze wurde durch die Strahlung des zum Teil pflanzenloſen Bodens noch geſteigert. Der hundert -155 teilige Thermometer, in den weißen Sand geſteckt, zeigte 37,7°. In kleinen Salzwaſſerlachen ſtand er auf 30,5°, während im Hafen von Cumana die Temperatur des Meeres an der Oberfläche meiſt 25,2 bis 26,3° beträgt. Die erſte Pflanze, die wir auf dem amerikaniſchen Feſtland pflückten, war die Avicennia tomentosa (Mangle prieto), die hier kaum 60 cm hoch wird. Dieſer Strauch, das Seſuvium, die gelbe Gom - phrena und die Kaktus bedecken den mit ſalzſaurem Natron geſchwängerten Boden; ſie gehören zu den wenigen Pflanzen, die, wie die europäiſchen Heiden, geſellig leben, und dergleichen in der heißen Zone nur am Meeresufer und auf den hohen Plateaus der Anden vorkommen. Nicht weniger intereſſant iſt die cumaniſche Avicennia durch eine andere Eigentümlichkeit: dieſe Pflanze gehört dem Geſtade von Südamerika und der Küſte von Malabar gemeinſchaftlich an.

Der indianiſche Lotſe führte uns durch ſeinen Garten, der viel mehr einem Gehölz als einem bebauten Lande glich. Er zeigte uns als Beweis der Fruchtbarkeit des Klimas einen Käſebaum (Bombax heptaphyllum), deſſen Stamm im vierten Jahre bereits gegen 75 cm Durchmeſſer hatte. Wir haben an den Ufern des Orinoko und des Magdalenenfluſſes die Beobachtung gemacht, daß die Bombax, die Karolineen, die Ochromen und andere Bäume aus der Familie der Malven ausnehmend raſch wachſen. Ich glaube aber doch, daß die Angabe des Indianers über das Alter des Käſebaumes etwas übertrieben war; denn in der gemäßigten Zone, auf dem feuchten und warmen Boden Nordamerikas zwiſchen dem Miſſiſſippi und den Alleghanies werden die Bäume in zehn Jahren nicht über 32 cm dick, und das Wachstum iſt dort im allgemeinen nur um ein Fünfteil raſcher als in Europa, ſelbſt wenn man zum Vergleich die Platane, den Tulpenbaum und Cupressus disticha wählt, die zwiſchen 3 und 4,5 m dick werden. Im Garten des Lotſen am Geſtade von Cumana ſahen wir auch zum erſtenmal einen Guama1Inga spuria. Die weißen Staubfäden, 60 bis 70 an der Zahl, ſitzen an einer grünlichen Blumenkrone, haben Seidenglanz und an der Spitze einen gelben Staubbeutel. Die Blüte der Guama iſt 4 cm lang. Dieſer ſchöne Baum, der am liebſten an feuchten Orten wächſt, wird zwiſchen 15,5 und 19,5 m hoch. voll Blüten, deren zahlreiche Staubfäden ſich durch ihre ungemeine Länge und ihren Silberglanz auszeichnen. Wir gingen durch die156 Vorſtadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit kleinen, ganz neuen Häuſern von ſehr freundlichem Anſehen beſetzt ſind. Dieſer Stadtteil war infolge des Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unſerer Ankunft zerſtört hatte, eben erſt neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor - kommen, begegneten uns überall die Spuren dieſer ſchreck - lichen Kataſtrophe; neue Gebäude erhoben ſich auf den Trüm - mern der alten.

Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die Päſſe zu überreichen, die das Staatsſekretariat uns ausgeſtellt. Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die von jeher Züge des baskiſchen Volkscharakters waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde, hatte er ſich als Schiffskapitän in der königlichen Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der merkwürdigſten und traurigſten Vorfälle in der Geſchichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwiſchen Spanien und England ſchlugen ſich zwei Brüder des Statthalters Emparan bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf war ſo furchtbar, daß beide Schiffe faſt zugleich ſanken. Nur ein ſehr kleiner Teil der beiderſeitigen Mannſchaft wurde ge - rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander kurz vor ihrem Tode zu erkennen.

Der Statthalter von Cumana äußerte ſich ſehr zufrieden über unſeren Entſchluß, uns eine Zeitlang in Neuandaluſien aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in ſeinen Gebirgen und an den Ufern ſeiner zahlreichen Ströme der Naturforſchung das reichſte Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimiſchen Pflanzen gefärbte Baumwolle und ſchöne Möbel ganz aus einheimiſchen Hölzern; er intereſſierte ſich lebhaft für alle phyſiſchen Wiſſenſchaften und fragte uns zu unſerer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß die Luft unter dem ſchönen tropiſchen Himmel weniger Stick - ſtoff (azotico) enthalte als in Spanien, oder ob, wenn ſich das Eiſen hierzulande raſcher oxydiere, dies allein von der größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an - zeige. Dem Reiſenden kann der Name des Vaterlandes,157 wenn er ihn auf einer fernen Küſte ausſprechen hört, nicht lieblicher in den Ohren klingen, als uns hier die Worte Stickſtoff, Eiſenoxyd, Hygrometer. Wir wußten, daß wir, trotz der Befehle des Hofes und der Empfehlung eines mäch - tigen Miniſters, bei unſerem Aufenthalt in den ſpaniſchen Kolonieen mit zahlloſen Unannehmlichkeiten zu kämpfen haben würden, wenn es uns nicht gelang, bei den Regenten dieſer ungeheuren Landſtrecken beſondere Teilnahme für uns zu wecken. Emparan war ein zu warmer Freund der Wiſſen - ſchaft, um es ſeltſam zu finden, daß wir ſo weit hergekommen, um Pflanzen zu ſammeln und die Lage gewiſſer Oertlichkeiten aſtronomiſch zu beſtimmen. Er argwöhnte keine anderen Be - weggründe unſerer Reiſe als die in unſeren Päſſen angegebenen, und die öffentlichen Beweiſe von Achtung, die er uns während unſeres langen Aufenthaltes in ſeinem Regierungs - bezirke gegeben, haben Großes dazu beigetragen, uns überall in Südamerika eine freundliche Aufnahme zu verſchaffen.

Am Abend ließen wir unſere Inſtrumente ausſchiffen und fanden zu unſerer großen Befriedigung keines beſchädigt. Wir mieteten ein geräumiges, für die aſtronomiſchen Beobachtun - gen günſtig gelegenes Haus. Man genoß darin, wenn der Seewind wehte, einer angenehmen Kühle; die Fenſter waren ohne Scheiben, nicht einmal mit Papier bezogen, das in Cumana meiſt ſtatt des Glaſes dient. Sämtliche Paſſagiere des Pizarro verließen das Schiff, aber die vom bösartigen Fieber Befallenen genaſen ſehr langſam. Wir ſahen welche, die nach einem Monat, trotz der guten Pflege, die ihnen von ihren Landsleuten geworden, noch erſchrecklich blaß und mager waren. In den ſpaniſchen Kolonieen iſt die Gaſtfreundſchaft ſo groß, daß ein Europäer, käme er auch ohne Empfehlung und ohne Geldmittel an, ſo ziemlich ſicher auf Unterſtützung rechnen kann, wenn er krank in irgend einem Hafen ans Land geht. Die Katalonier, Galicier und Biscayer ſtehen im ſtärkſten Verkehr mit Amerika. Sie bilden dort gleichſam drei geſonderte Korporationen, die auf die Sitten, den Ge - werbfleiß und den Handel der Kolonieen bedeutenden Einfluß haben. Der ärmſte Einwohner von Siges oder Vigo iſt ſicher, im Hauſe eines kataloniſchen oder galiciſchen Pulpero (Krämer) Aufnahme zu finden, ob er nun nach Chile oder nach Mexiko oder auf die Philippinen kommt. Ich habe die rührendſten Beiſpiele geſehen, wie für unbekannte Menſchen ganze Jahre lang unverdroſſen geſorgt wird. Man kann158 hören, Gaſtfreundſchaft ſei leicht zu üben in einem herrlichen Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die einheimiſchen Gewächſe wirkſame Heilmittel liefern, und der Kranke in ſeiner Hängematte unter einem Schuppen das nötige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlaſt, welche die Ankunft eines Fremden, deſſen Gemütsart man nicht kennt, einer Familie verurſacht, für nichts rechnen? und die Beweiſe gefühlvoller Teilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die während einer langen, ſchweren Wiedergeneſung nimmer ermüdet, ſoll man von dem allen abſehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß, vielleicht mit Ausnahme einiger ſehr volkreichen Städte, ſeit den erſten Niederlaſſungen ſpaniſcher Anſiedler in der Neuen Welt die Gaſtfreundſchaft nicht merkbar abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, daß dies allerdings anders werden muß, wenn einmal Bevölkerung und Induſtrie in den Kolo - nieen raſcher zunehmen, und wenn ſich auf der Stufe geſell - ſchaftlicher Entwickelung, die man als vorgeſchrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die kaſtilianiſche Offenheit allmählich verliert.

Unter den Kranken, die in Cumana ans Land kamen, befand ſich ein Neger, der einige Tage nach unſerer Ankunft in Raſerei verfiel; er ſtarb in dieſem kläglichen Zuſtande, obgleich ſein Herr, ein faſt ſiebzigjähriger Mann, der Europa verlaſſen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfes von Kalifornien, eine neue Heimat zu ſuchen, ihm alle er - denkliche Pflege hatte zu teil werden laſſen. Ich erwähne dieſes Falles, um zu zeigen, daß zuweilen Menſchen, die im heißen Erdſtrich geboren ſind, aber in einem gemäßigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüſſen der tropiſchen Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Menſch von achtzehn Jahren, ſehr kräftig und auf der Küſte von Guinea geboren. Durch mehrjährigen Aufenthalt auf der Hochebene von Kaſtilien hatte aber ſeine Konſtitution den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für die Bewohner nördlicher Länder ſo gefährlich macht.

Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört einer geologiſch ſehr intereſſanten Bildung an. Da mir aber ſeit meiner Rückkehr nach Europa einige Reiſende mit der Beſchreibung von Küſtenſtrichen, die ſie nach mir beſucht, zuvorgekommen ſind, ſo beſchränke ich mich hier auf Bemer - kungen, die außerhalb des Kreiſes ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual ſtreicht159 von Oft nach Weſt vom Gipfel Impoſible bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer ſehr fernen Zeit ſcheint das Meer dieſen Gebirgsdamm von der Felſen - küſte von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco iſt durch einen Einbruch des Meeres entſtanden, und ohne Zweifel ſtand damals an der Südküſte das ganze mit ſalzſaurem Natron getränkte Land, durch das der Manzanares läuft, unter Waſſer. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana läßt dieſe Thatſache ſo unzweifelhaft erſcheinen, als daß die Becken von Paris, Oxford und Wien einſt Meerboden geweſen. Das Meer zog ſich langſam zurück und legte das weite Geſtade trocken, auf dem ſich eine Hügel - gruppe erhebt, die aus Gips und Kalkſtein von der neueſten Bildung beſteht.

Die Stadt Cumana legt ſich an dieſe Hügel, die einſt ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stück der Ebene nordwärts von der Stadt heißt der kleine Strand (Playa chica); ſie dehnt ſich gegen Oſt bis zur Punta Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit Gomphrena flava bedecktes Thal den Punkt, wo einſt der Durchbruch der Ge - wäſſer ſtattfand. Dieſes Thal, deſſen Eingang durch kein Außenwerk verteidigt wird, erſcheint als der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meiſten ausgeſetzt iſt. Der Feind kann in voller Sicherheit zwiſchen der Punta Arenas del Barigon und der Mündung des Manzanares durchgehen, wo die See 73 bis 91 und weiter nach Südoſt ſogar 159 m tief iſt. Er kann an der Punta Delgada landen und das Fort San Antonio und die Stadt Cumana im Rücken angreifen, ohne daß er vom Feuer der weſtlichen Batterieen auf der Playa chica an der Mündung des Stromes und beim Cerro Colorado etwas zu fürchten hätte.

Der Hügel aus Kalkſtein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Inſel im ehemaligen Golf betrachten, iſt mit Fackel - diſteln bedeckt. Manche davon ſind 10 bis 13 m hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeſte kronleuchterartig geteilter Stamm nimmt ſich höchſt ſeltſam aus. Bei Mani - quarez an der Punta Araya maßen wir einen Kaktus, deſſen Stamm über 1,54 m Umfang hatte. Ein Europäer, der nur die Fackeldiſteln unſerer Gewächshäuſer kennt, wundert ſich, daß das Holz dieſes Gewächſes mit dem Alter ſehr hart wird, daß es jahrhundertelang der Luft und Feuchtigkeit widerſteht, und daß es die Indianer von Cumana vorzugs -160 weiſe zu Rudern und Thürſchwellen verwenden. Nirgends in Südamerika kommen die Gewächſe aus der Familie der Nopaleen häufiger vor als in Cumana, Coro, Curaçao und auf der Inſel Margarita. Nur dort könnte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der Kaktus ſchreiben, die nicht in Hinſicht auf Blüten und Früchte, aber nach der Form des gegliederten Stammes, nach der Zahl der Gräten und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten bilden. Wir werden in der Folge ſehen, wie dieſe Gewächſe, die für ein heißes, trockenes Klima, wie das Aegyptens und Kaliforniens, charakteriſtiſch ſind, immer mehr verſchwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt.

Die Kaktusgebüſche ſpielen auf dürrem Boden in Süd - amerika dieſelbe Rolle wie in unſeren nördlichen Ländern die mit Binſen und Hydrocharideen bewachſenen Brüche. Ein Ort, wo ſtachlichte Kaktus von hohem Wuchs in Reihen ſtehen, gilt faſt für undurchdringlich. Solche Stellen, Tunales genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Gürtel nackt iſt, ſie ſind ebenſoſehr von den Stämmen gefürchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unſeren einſamen Spaziergängen verſuchten wir es manchmal in den Tunal einzudringen, der die Spitze des Schloßberges krönt und durch den zum Teil ein Fußweg führt. Hier ließe ſich der Bau dieſes ſonderbaren Gewächſes an Tauſenden von Exemplaren beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht überraſcht, denn in dieſem Klima gibt es faſt keine Dämmerung. Unſere Lage war dann deſto bedenklicher, da der Cascabel oder die Klapperſchlange, der Coral und andere Schlangen mit Giftzähnen zur Legezeit ſolche heiße trockene Orte aufſuchen, um ihre Eier in den Sand zu legen.

Das Schloß San Antonio liegt auf der weſtlichen Spitze des Hügels, aber nicht auf dem höchſten Punkt; es wird gegen Oſten von einer nicht befeſtigten Höhe beherrſcht. Der Tunal gilt hier und überall in den ſpaniſchen Nieder - laſſungen für ein nicht unwichtiges militäriſches Verteidigungs - mittel. Wo man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzubringen und ihr Wachstum zu befördern, wie man auch die Krokodile in den Waſſergräben der feſten Plätze hegt. In einem Klima, wo die organiſche Natur eine ſo gewaltige Triebkraft hat, zieht der Menſch fleiſchfreſſende Reptilien und mit furchtbaren Stacheln bewehrte Gewächſe zu ſeiner Verteidigung herbei.

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Das Schloß San Antonio, wo man an Feſttagen die Flagge von Kaſtilien aufzieht, liegt nur 58,5 m über dem Waſſerſpiegel des Meerbuſens von Cariaco. Auf ſeinem kahlen Kalkhügel beherrſcht es die Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfährt, höchſt maleriſch da. Es hebt ſich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur Schneeregion aufſteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau verſchmilzt. Geht man vom Fort San Antonio gegen Südweſt herab, ſo kommt man am Abhang desſelben Felſens zu den Trümmern des alten Schloſſes Santa Maria. Dies iſt ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kühlen Seewindes und der Ausſicht auf den Meerbuſen zu genießen. Die hohen Berggipfel der Inſel Margarita erſcheinen über der Felſenküſte der Landenge von Araya; gegen Weſten mahnen die kleinen Inſeln Caracas, Picuito und Boracha an die Kataſtrophe, durch welche die Küſte von Terra Firma zerriſſen worden iſt. Dieſe Eilande gleichen Feſtungs - werken, und da die Sonne die unteren Luftſchichten, die See und das Erdreich ungleich erwärmt, ſo erſcheinen ihre Spitzen infolge der Luftſpiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der großen Vorgebirge der Küſte. Mit Vergnügen verfolgt man bei Tage dieſe wechſelnden Erſcheinungen; bei Einbruch der Nacht ſieht man dann, wie die in der Luft ſchwebenden Ge - ſteinmaſſen ſich wieder auf ihre Grundlage niederſenken, und das Geſtirn, das der organiſchen Natur Leben verleiht, ſcheint durch die veränderliche Beugung ſeiner Strahlen den ſtarren Fels vom Fleck zu rücken und dürre Sandebenen wellenförmig zu bewegen.

Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwiſchen dem Schloſſe San Antonio und den kleinen Flüſſen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des erſteren Fluſſes gebildete Delta iſt ein fruchtbares Land, bewachſen mit Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewächſen, die in den Gärten oder Charas der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes Gebäude aufzuweiſen, und bei der Häufigkeit der Erdbeben wird ſie ſchwerlich je welche haben. Starke Erdſtöße kommen zwar im ſelben Jahre in Cumana nicht ſo häufig vor als in Quito, wo doch prächtige, ſehr hohe Kirchen ſtehen; aber die Erdbeben in Quito ſind nur ſcheinbar ſo heftig, und infolge der eigentümlichen Beſchaffenheit des Bodens und der Art der Bewegung ſtürzt kein Gebäude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Städten, dieA. v. Humboldt, Reiſe. I. 11162weit von den Schlünden thätiger Vulkane liegen, wird die Reihe ſchwacher Erdſtöße nach Ablauf vieler Jahre leicht durch größere Kataſtrophen unterbrochen, die in ihren Wirkungen denen einer ſpringenden Mine ähnlich ſind. Wir werden öfters Gelegenheit haben, auf dieſe Erſcheinungen zurückzukommen, zu deren Erklärung ſo viele eitle Theorieen erſonnen worden ſind, und für die man eine Klaſſifikation gefunden zu haben glaubte, wenn man ſenkrechte und wagerechte Bewegungen, ſtoßende und wellenförmige Bewegungen annahm. 1Dieſe Einteilung ſchreibt ſich ſchon aus der Zeit des Poſi - donius her. Es iſt die succussio und die inclinatio des Seneca (Quaestiones naturales Lib. VI, c. 21). Aber ſchon der Scharf - ſinn der Alten machte die Bemerkung, daß die Art und Weiſe der Erdſtöße viel zu veränderlich iſt, als daß man ſie unter ſolche ver - meintliche Geſetze bringen könnte. (Plato bei Plutarch, De placit, Philos. L. III, c. 15.)

Die Vorſtädte von Cumana ſind faſt ſo ſtark bevölkert als die alte Stadt. Es ſind ihrer drei: Die der Serritos auf dem Wege nach der Playa chica, wo einige ſchöne Tama - rindenbäume ſtehen, die ſüdöſtlich gelegene, San Francisco genannt, und die große Vorſtadt der Guaykari oder der Guaygueries. Der Name dieſes Indianerſtammes war vor der Eroberung ganz unbekannt. Die Eingeborenen, die denſelben jetzt führen, gehörten früher zu der Nation der Guaraunos, die nur noch auf dem Sumpfboden zwiſchen den Armen des Orinoko lebt. Alte Männer verſicherten mich, die Sprache ihrer Vorfahren ſei eine Mundart der Guaraunoſprache ge - weſen, aber ſeit hundert Jahren gebe es in Cumana und auf Margarita keinen Eingeborenen vom Stamme mehr, der etwas anderes ſpreche als kaſtilianiſch.

Das Wort Guaykari verdankt, gerade wie die Worte Peru und Peruaner, ſeinen Urſprung einem bloßen Miß - verſtändniſſe. Als die Begleiter des Kolumbus an der Inſel Margarita hinfuhren, auf deren Nordküſte noch jetzt der am höchſten ſtehende Teil dieſer Nation wohnt, ſtießen ſie auf einige Eingeborene, die Fiſche harpunierten, indem ſie einen mit einer ſehr feinen Spitze verſehenen, an einen Strick ge - bundenen Stock gegen ſie ſchleuderten. Sie fragten ſie in haytiſcher Sprache, wie ſie hießen; die Indianer aber meinten, die Fremden erkundigen ſich nach den Harpunen aus dem harten, ſchweren Holz der Macanapalme und antworteten:163 Guaike, Guaike, das heißt: ſpitziger Stock. Die Guaykari, ein gewandtes, civiliſiertes Fiſchervolk, unterſcheiden ſich jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoko, die ihre Hütten an den Stämmen der Morichepalme aufhängen.

Die Bevölkerung von Cumana iſt in der neueſten Zeit viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 ſchätzten ſie Anſiedler, die in nationalökonomiſchen Unterſuchungen wenig Beſcheid wiſſen, auf 20000 Seelen, wogegen königliche bei der Landesregierung angeſtellte Beamte meinten, die Stadt ſamt den Vorſtädten habe nicht 12000. Depons gibt in ſeinem ſchätzbaren Werke über die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28000 Einwohner; andere geben im Jahre 1810 30000 an. Wenn man bedenkt, wie langſam die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem Lande, ſondern in den Städten, ſo läßt ſich bezweifeln, daß Cumana bereits um ein Dritteil volkreicher ſein ſollte als Veracruz, der vornehmſte Hafen des großen Königreiches Neuſpanien. Es läßt ſich auch leicht darthun, daß im Jahre 1802 die Bevölkerung kaum über 18000 bis 19000 Seelen betrug. Es waren mir verſchiedene Notizen über die ſtatiſtiſchen Verhältniſſe des Landes zur Hand, welche die Regierung hatte zuſammenſtellen laſſen, als die Frage verhandelt wurde, ob die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine Perſonalſteuer erſetzt werden könnten, und ich darf mir ſchmeicheln, daß meine Schätzung auf ziemlich ſicheren Grundlagen ruht.

Eine im Jahre 1792 vorgenommene Zählung ergab für die Stadt Cumana, ihre Vorſtädte und die einzelnen Häuſer auf 4 5 km in der Runde nur 10740 Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarrete, verſichert, daß man ſich bei dieſer Zählung höchſtens um ein Dritteil oder ein Vierteil geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen Taufregiſter, ſo macht ſich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber ſind allerdings ſehr frucht - bar, beſonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken im Lande noch unbekannt ſind, ſo iſt doch die Sterblichkeit unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil ſie in völliger Verwahrloſung aufwachſen und die üble Gewohnheit haben, unreife, unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der Geburten beträgt im Durchſchnitt 520 bis 600, was auf eine Bevölkerung von höchſtens 16800 Seelen ſchließen läßt. Man kann verſichert ſein, daß ſämtliche Indianerkinder getauft und in das Taufregiſter der Pfarre eingetragen ſind, und nimmt164 man an, die Bevölkerung ſei im Jahre 1800 26000 Seelen ſtark geweſen, ſo käme auf 43 Köpfe nur eine Geburt, wäh - rend ſich die Geburten zur Geſamtbevölkerung in Frankreich wie 28 zu 100 und in den tropiſchen Strichen von Mexiko wie 17 zu 100 verhalten.

Vermutlich wird ſich die indianiſche Vorſtadt allmählich bis zum Landungsplatz ausdehnen, da die Fläche, auf der noch keine Häuſer oder Hütten ſtehen, höchſtens 700 m lang iſt. Dem Strande zu iſt die Hitze etwas weniger drückend als in der Altſtadt, wo wegen des Zurückprallens der Sonnen - ſtrahlen vom Kalkboden und der Nähe des Berges San Antonio die Temperatur der Luft ungemein hoch ſteigt. In der Vor - ſtadt der Guaykari haben die Seewinde freien Zutritt, der Boden iſt Thon und damit, wie man glaubt, den heftigen Stößen der Erdbeben weniger ausgeſetzt, als die Häuſer, die ſich an die Felſen und Hügel am rechten Ufer des Manza - nares lehnen.

Bei der Mündung des kleinen Fluſſes Santa Catalina iſt der Saum des Ufers mit ſogenannten Wurzelträgern1Rhizophora Mangle. be - ſetzt; aber dieſe Manglares ſind nicht groß genug, um der Salubrität der Luft in Cumana Eintrag zu thun. Im übrigen iſt die Ebene teils kahl, teils bedeckt mit Büſchen von Sesu - vium portulacastrum, Gomphrena flava, Gomphrena myrti - folia, Talinum cuspidatum, Talinum cumanense und Por - tulaca lanuginosa. Unter dieſen krautartigen Gewächſen erheben ſich da und dort die Avicennia tomentosa, die Scoparia dulcis, eine ſtrauchartige Mimoſe mit ſehr reizbaren Blättern, beſonders aber Caſſien, deren in Südamerika ſo viele vorkommen, daß wir auf unſeren Reiſen mehr als dreißig neue Arten zuſammengebracht haben.

Geht man zur indiſchen Vorſtadt hinaus und am Fluß gegen Süd hinauf, ſo kommt man zuerſt an ein Kaktusgebüſch und dann an einen wunderſchönen Platz, den Tamarindenbäume, Braſilienholzbäume, Bombax und andere durch ihr Laub und ihre Blüten ausgezeichnete Gewächſe beſchatten. Der Boden bietet hier gute Weide, und Melkereien, aus Rohr erbaut, liegen zerſtreut zwiſchen den Baumgruppen. Die Milch bleibt friſch, wenn man ſie nicht in der Frucht des Flaſchenkürbis - baumes, die ein Gewebe aus ſehr dichten Holzfaſern iſt, ſondern in poröſen Thongefäßen von Maniquarez aufbewahrt. Infolge165 eines in nördlichen Ländern herrſchenden Vorurteiles hatte ich geglaubt, in der heißen Zone geben die Kühe keine ſehr fette Milch; aber der Aufenthalt in Cumana, beſonders aber die Reiſe über die weiten mit Gräſern und krautartigen Mimoſen bewachſenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt, daß ſich die Wiederkäuer Europas vollkommen an das heißeſte Klima gewöhnen, wenn ſie nur Waſſer und gutes Futter finden. Die Milchwirtſchaft iſt in den Provinzen Neuanda - luſien, Barcelona und Venezuela ausgezeichnet, und häufig iſt die Butter auf den Ebenen der heißen Zone beſſer als auf dem Rücken der Anden, wo für die Alppflanzen die Tem - peratur in keiner Jahreszeit hoch genug iſt und ſie daher weniger aromatiſch ſind als auf den Pyrenäen, auf den Bergen Eſtremaduras und Griechenlands.

Den Einwohnern Cumanas iſt die Kühlung durch den Seewind lieber als der Blick ins Grüne, und ſo kennen ſie faſt keinen anderen Spaziergang als den großen Strand. Die Kaſtilianer, denen man nachſagt, ſie ſeien im allgemeinen keine Freunde von Bäumen und Vogelſang, haben ihre Sitten und ihre Vorurteile in die Kolonieen mitgenommen. In Terra Firma, Mexiko und Peru ſieht man ſelten einen Eingeborenen einen Baum pflanzen allein in der Abſicht, ſich Schatten zu ſchaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der großen Haupt - ſtädte weiß man in dieſen Ländern ſo gut wie nichts von Alleen. Die dürre Ebene von Cumana zeigt nach ſtarken Regengüſſen eine merkwürdige Erſcheinung. Der durchnäßte, von den Sonnenſtrahlen erhitzte Boden verbreitet jenen Biſam - geruch, der in der heißen Zone Tieren der verſchiedenſten Klaſſen gemein iſt, dem Jaguar, den kleinen Arten von Tiger - katzen, dem Cabiaï,1Cavia capybara, Linné. dem Galinazogeier,2Vultur aura, Linné. dem Krokodil, den Vipern und Klapperſchlangen. Die Gaſe, die das Vehikel dieſes Aroms ſind, ſcheinen ſich nur in dem Maße zu ent - wickeln, als der Boden, der die Reſte zahlloſer Reptilien, Würmer und Inſekten enthält, ſich mit Waſſer ſchwängert. Ich habe indianiſche Kinder vom Stamme der Chaymas 4 cm lange und 15 mm breite Scolopender oder Tauſendfüße aus dem Boden ziehen und verzehren ſehen. Wo man den Boden aufgräbt, muß man ſtaunen über die Maſſen organiſcher Stoffe, die wechſelnd ſich entwickeln, ſich umwandeln oder zer -166 ſetzen. Die Natur erſcheint in dieſen Himmelsſtrichen kraft - voller, fruchtbarer, man möchte ſagen mit dem Leben ver - ſchwenderiſcher.

Am Strande und bei den Melkereien, von denen eben die Rede war, hat man, beſonders bei Sonnenaufgang, eine ſehr ſchöne Ausſicht auf eine Gruppe hoher Kalkberge. Da dieſe Gruppe im Hauſe, wo wir wohnten, nur unter einem Winkel von erſcheint, diente ſie mir lange dazu, die Ver - änderungen in der irdiſchen Refraktion mit den meteoro - logiſchen Erſcheinungen zu vergleichen. Die Gewitter bilden ſich mitten in dieſer Kordillere, und man ſieht von weitem, wie die dicken Wolken ſich in ſtarken Regen auflöſen, während in Cumana ſechs bis acht Monate lang kein Tropfen Regen fällt. Der höchſte Gipfel der Bergkette, der ſogenannte Bri - gantin, nimmt ſich hinter dem Brito und dem Tetaraqual höchſt maleriſch aus. Sein Name rührt her von der Geſtalt eines ſehr tiefen Thales an ſeinem nördlichen Abhang, das dem Inneren eines Schiffes gleicht. Der Gipfel des Berges iſt faſt ganz kahl und abgeplattet, wie der Gipfel des Mauna - Roa auf den Sandwichinſeln; es iſt eine ſenkrechte Wand, oder, um mich des bezeichnenderen Ausdruckes der ſpaniſchen Schiffer zu bedienen, ein Tiſch, eine Meſa. Dieſe eigentüm - liche Bildung und die ſymmetriſche Lage einiger Kegel, die den Brigantin umgeben, brachten mich anfänglich auf die Vermutung, daß dieſe Berggruppe, die ganz aus Kalkſtein beſteht, Glieder der Baſalt - oder Trappformation enthalten möchte.

Der Statthalter von Cumana hatte im Jahre 1797 mutige Männer ausgeſchickt, die das völlig unbewohnte Land unter - ſuchen und einen geraden Weg nach Neubarcelona über den Gipfel der Meſa eröffnen ſollten. Man vermutete mit Recht, dieſer Weg werde kürzer und für die Geſundheit der Reiſen - den nicht ſo gefährlich ſein als der längs der Küſte, den die Kuriere von Caracas einſchlagen; aber alle Bemühungen, über die Bergkette zu kommen, waren fruchtlos. In dieſen Län - dern Amerikas, wie in Neuholland1Die Blauen Berge in Neuholland, die Berge von Carmarthen und Landsdown ſind bei hellem Wetter auf 67,5 km nicht mehr ſichtbar. Nimmt man den Höhenwinkel zu einem halben Grad an, ſo hätten dieſe Berge etwa 1200 m abſoluter Höhe. im Weſten von Sydney, bietet nicht ſowohl die Höhe der Kordilleren als die Geſtal -167 tung des Geſteines ſchwer zu beſiegende Hinderniſſe. Durch das von den Gebirgen im Inneren und dem ſüdlichen Abhang des Cerro de San Antonio gebildete Längenthal fließt der Manzanares. In der ganzen Umgegend von Cumana iſt dies der einzige ganz bewaldete Landſtrich; er heißt die Ebene der Charas,1Chacra, verdorben Chara, heißt eine von einem Garten umgebene Hütte. wegen der vielen Pflanzungen, welche die Einwohner ſeit einigen Jahren den Fluß entlang verſucht haben. Ein ſchmaler Pfad führt vom Hügel von San Fran - cisco durch den Forſt zum Kapuzinerhoſpiz, einem höchſt an - genehmen Landhauſe, das die aragoneſiſchen Mönche für alte entkräftete Miſſionäre, die ihres Amtes nicht mehr walten können, gebaut haben. Gegen Oſt werden die Waldbäume immer kräftiger und man ſieht hier und da einen Affen,2Der gemeine Machi oder Heulaffe. die ſonſt in der Gegend von Cumana ſehr ſelten ſind. Zu den Füßen der Capparis, Bauhinien und des Zygophyllum mit goldgelben Blüten breitet ſich ein Teppich von Bromelien3Chihuchihue, aus der Familie der Ananas. aus, deren Geruch und deren kühles Laub die Klapperſchlangen hierher ziehen.

Der Manzanares hat ſehr klares Waſſer und zum Glück nichts mit dem Madrider Manzanares gemein, der unter ſeiner prächtigen Brücke noch ſchmäler erſcheint. Er entſpringt, wie alle Flüſſe Neuandaluſiens, in einem Striche der Savannen (Llanos), der unter dem Namen der Plateaus von Jonoro, Amana und Guanipa bekannt iſt und beim indianiſchen Dorfe San Fernando die Gewäſſer des Rio Juanillo aufnimmt. Man hat der Regierung öfter, aber immer vergeblich, den Vorſchlag gemacht, beim erſten Ipure ein Wehr bauen zu laſſen, um die Ebene der Charas künſtlich zu bewäſſern, denn der Boden iſt trotz ſeiner ſcheinbaren Dürre ausnehmend frucht - bar, ſobald Feuchtigkeit zu der herrſchenden Hitze hinzukommt. Die Landleute, die im allgemeinen in Cumana nicht wohl - habend ſind, ſollten nach und nach die Auslagen für die Schleuſe erſetzen. Bis das Projekt in Ausführung kommt, hat man Schöpfräder, durch Maultiere getriebene Pumpen und andere ſehr unvollkommene Waſſerwerke angelegt.

Die Ufer des Manzanares ſind ſehr freundlich, von Mimoſen, Erythrina, Ceiba und anderen Bäumen von rieſen -168 haftem Wuchs beſchattet. Ein Fluß, deſſen Temperatur zur Zeit des Hochwaſſers auf 22° fällt, während der Thermo - meter an der Luft auf 30 bis 33° ſteht, iſt eine unſchätzbare Wohlthat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furcht - bare Hitze herrſcht und man den Trieb hat, mehrere Male des Tags zu baden. Die Kinder bringen ſo zu ſagen einen Teil ihres Lebens im Waſſer zu; alle Einwohner, ſelbſt die weib - lichen Glieder der reichſten Familien, können ſchwimmen, und in einem Lande, wo der Menſch dem Naturſtande noch ſo nahe iſt, hat man ſich, wenn man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluß heute kühler ſei als geſtern. Man hat verſchiedene Bademethoden. So beſuchten wir jeden Abend einen Zirkel ſehr achtungswerter Perſonen in der Vorſtadt der Guaykari. Da ſtellte man bei ſchönem Mondſchein Stühle ins Waſſer; Männer und Frauen waren leicht gekleidet, wie in manchen Bädern des nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar Stunden im Fluſſe ſitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten ſich nach Landesſitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom ſtarken Regenfall in den be - nachbarten Diſtrikten, beſonders aber vom Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf machen. Durch die Bavas oder kleinen Krokodile, die jetzt ſehr ſelten ſind und den Menſchen nahe kommen, ohne anzugreifen, ließ ſich die Geſellſchaft durchaus nicht ſtören. Dieſe Tiere ſind 1 bis 1,3 m lang; wir haben nie eines im Manzanares geſehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei Nacht im Fluſſe heraufkommen und die Badenden erſchrecken, wenn ſie durch ihre Luftlöcher Waſſer ſpritzen.

Der Hafen von Cumana iſt eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa aufnehmen könnte. Der ganze Meerbuſen von Cariaco, der 67 km lang und 11 bis 15 km breit iſt, bietet vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küſte von Peru kann nicht ſtiller und ruhiger ſein als das Meer der Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorge - birge Codera bis zur Landſpitze von Paria. Von den Stürmen bei den Antilliſchen Inſeln ſpürt man nie etwas in dieſem Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer be - fährt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana iſt eine Untiefe, Baxo del Morro roxo, die von Weſt nach Oſt 1754 m lang iſt und ſo ſteil abfällt, daß man dicht dabei iſt, ehe man ſie gewahr wird.

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Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be - ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er - ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver - ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu - ſammenzufaſſen.

Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama - rinden -, Kokosnuß - und Dattelſtämme erheben ſich über die Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten, die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende, kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen. In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger Gebirgszug hin. Dies ſind die hohen Kalkalpen von Neu - andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil - dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu - tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln, die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer - buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer - gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana, während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter170 ſich bilden, ſich zuſammenziehen und in fruchtbaren Regen - güſſen ſich entladen ſieht. So zeigen denn an dieſen Küſten, wie am Fuße der Anden, Himmel und Erde ſcharfe Gegen - ſätze von Heiterkeit und Bewölkung, von Trockenheit und gewaltigen Waſſergüſſen, von völliger Kahlheit und ewig neu ſproſſendem Grün. Auf dem neuen Kontinent unterſcheiden ſich die Niederungen an der See von den Gebirgsländern im Inneren ſo ſcharf wie die Ebenen Unterägyptens von den hochgelegenen Plateaus Abeſſiniens.

Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küſten - ſtrich von Neuandaluſien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, daß die Erdbeben dort wie hier gleich häufig ſind, und daß die Natur für dieſe Erſcheinungen beidemal dieſelben Grenzen einzuhalten ſcheint. Wir ſelbſt haben in Cumana ſehr ſtarke Erdſtöße geſpürt, eben war man daran, die vor kurzem eingeſtürzten Gebäude wieder aufzurichten, und ſo hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die Vorgänge bei der furchtbaren Kataſtrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Dieſe Angaben werden um ſo mehr Intereſſe haben, da die Erdbeben bisher weniger aus phyſiſchem und geologiſchem Geſichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer ſchrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für das allgemeine Wohl ins Auge gefaßt worden ſind.

Es iſt eine an der Küſte von Cumana und auf der Inſel Margarita ſehr verbreitete Meinung, daß der Meerbuſen von Cariaco ſich infolge einer Zertrümmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die Erinnerung an dieſe gewaltige Umwälzung hatte ſich unter den Indianern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erhalten, und wie erzählt wird, ſprachen die Eingeborenen bei der dritten Reiſe des Chriſtoph Kolumbus davon, wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Be - wohner der Küſten von Paria und Cumana durch neue Erd - ſtöße erſchreckt. Das Meer ſtürzte über das Land her, und das kleine Fort, das Jakob Caſtellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gänzlich zerſtört. Zugleich bildete ſich eine un - geheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des Meerbuſens dieſes Namens, und eine gewaltige Maſſe Salz - waſſer, mit Asphalt vermiſcht, ſprang aus dem Glimmer - ſchiefer hervor. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren die Erdbeben ſehr häufig, und nach den Ueberlieferungen, die ſich in Cumana erhalten haben, überſchwemmte das Meer öfter171 den Strand und ſtieg 30 bis 39 m hoch an. Die Einwohner flüchteten ſich auf den Cerro de San Antonio und auf den Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloſter San Francisco ſteht. Man glaubt ſogar, infolge dieſer häufigen Ueberſchwemmungen habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Abhang desſelben liegt.

Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da ſich wegen der beſtändigen Verheerungen der Termiten oder weißen Ameiſen in den Archiven keine Urkunde befindet, die über 150 Jahre hinaufreicht, ſo weiß man nicht genau, wann dieſe früheren Erdbeben ſtattgefunden haben. Man weiß nur, daß näher unſerer Zeit das Jahr 1766 für die Anſiedler das ent - ſetzlichſte und zugleich für die Naturgeſchichte des Landes merk - würdigſte geweſen iſt. Seit 15 Monaten hatte eine Trocken - heit geherrſcht, wie ſie zuweilen auch auf den Inſeln des Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerſtört wurde. Das Gedächtnis dieſes Tages wird alljährlich mit einem Gottes - dienſt und einer feierlichen Prozeſſion begangen. In wenigen Minuten ſtürzten ſämtliche Häuſer zuſammen. An verſchie - denen Orten der Provinz that ſich die Erde auf und ſpie nach Schwefel riechendes Waſſer aus. Dieſe Ausbrüche waren beſonders häufig auf einer Ebene, die ſich gegen Caſanay, 9 km öſtlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen tierra hueca, hohler Boden, bekannt iſt, weil ſie überall von warmen Quellen unterhöhlt zu ſein ſcheint. Während der Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer Häuſer erſt, als ſich die Erdbeben nur noch alle Monate wiederholten. Hier auf der Küſte traten damals dieſelben Erſcheinungen ein, die man auch im Königreich Quito un - mittelbar nach der großen Kataſtrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Während ſich der Boden beſtändig wellen - förmig bewegte, war es, als wollte ſich die Luft in Waſſer auflöſen. Durch ungeheure Regengüſſe ſchwollen die Flüſſe an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Hütten die ſtärkſten Erdſtöße nichts anhaben, feierten nach einem uralten Aberglauben durch feſtlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorſtehende Wiedergeburt.

Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem anderen ſehr merkwürdigen im Jahre 1794, die Stöße bloße wagerechte, wellenförmige Bewegungen; erſt172 am Unglückstage des 14. Dezember 1797 ſpürte man in Cu - mana zum erſtenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier Fünfteile der Stadt wurden damals völlig zerſtört, und der Stoß, der von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Exploſion einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging dem heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung vor - aus, ſo daß die meiſten Einwohner ſich auf die Straßen flüchten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cu - mana allgemein, die verheerendſten Erdbeben werden durch ganz ſchwache Schwingungen des Bodens und durch ein Sauſen angekündigt, und Leuten, die an ſolche Vorfälle ge - wöhnt ſind, entgeht ſolches nicht. In dieſem verhängnis - vollen Augenblicke hört man überall den Ruf: Misericordia! tembla, tembla!1Erbarmen! ſie (die Erde) bebt! ſie bebt! und es kommt ſelten vor, daß ein blinder Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird. Die Aengſt - lichſten achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend ſcharfen Ge - ruch haben und gewöhnt ſind im Boden zu wühlen, verkünden die Nähe der Gefahr durch Unruhe und Geſchrei. Wir laſſen es dahingeſtellt, ob ſie das unterirdiſche Getöſe zuerſt hören, weil ſie näher am Boden ſind, oder ob etwa Gaſe, die der Erde entſteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres mög - lich iſt, läßt ſich nicht leugnen. Als ich mich in Peru auf - hielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit dieſen Erſcheinungen zuſammenhängt und der ſchon öfters vorgekommen war. Nach ſtarken Erdſtößen wurde das Gras auf den Savannen von Tucuman ungeſund; es brach eine Viehſeuche aus und viele Stücke ſcheinen durch die böſen Dünſte, die der Boden aus - ſtieß, betäubt oder erſtickt worden zu ſein.

In Cumana ſpürte man eine halbe Stunde vor der großen Kataſtrophe am 14. Dezember 1797 am Kloſterberg von San Francisco einen ſtarken Schwefelgeruch. Am ſelben Orte war das unterirdiſche Getöſe, das von Südoſt nach Süd - weſt fortzurollen ſchien, am ſtärkſten. Zugleich ſah man am Ufer des Manzanares, beim Hoſpiz der Kapuziner und im Meerbuſen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden ſchlagen. Wir werden in der Folge ſehen, daß letztere in nicht vulkaniſchen Ländern ſo auffallende Erſcheinung in173 den aus Alpenkalk beſtehenden Gebirgen bei Cumanacao, im Thale des Rio Bordones, auf der Inſel Margarita und mitten in den Savannen oder Llanos von Neuandaluſien ziemlich häufig iſt. In dieſen Savannen ſteigen Feuergarben zu bedeutender Höhe auf; man kann ſie ſtundenlang an den dürrſten Orten beobachten, und man verſichert, wenn man den Boden, dem der brennbare Stoff entſtrömt, unterſuche, ſei keinerlei Spalte darin zu bemerken. Dieſes Feuer, das an die Waſſerſtoffquellen oder Salſe in Modena und an die Irrlichter unſerer Sümpfe erinnert, zündet das Gras nicht an, wahrſcheinlich weil die Säule des ſich entbindenden Gaſes mit Stickſtoff und Kohlenſäure vermengt iſt und nicht bis zum Boden herab brennt. Das Volk, das übrigens hierzu - lande nicht ſo abergläubiſch iſt als in Spanien, nennt dieſe rötlichen Flammen ſeltſamerweiſe die Seele des Tyrannen Aguirre ; Lopez d’Aguirre ſoll nämlich, von Gewiſſensbiſſen gefoltert, im Lande umgehen, das er mit ſeinen Verbrechen befleckt. 1Wenn das Volk in Cumana und auf der Inſel Margarita von el tirano ſpricht, ſo iſt immer der ſchändliche Lopez d’Aguirre gemeint, der im Jahre 1560 ſich am Aufſtand Fernandos de Guz - man gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Urſua, beteiligte und ſich nachher ſelbſt traidor, Verräter, nannte.

Durch das große Erdbeben von 1797 iſt die Untiefe an der Mündung des Rio Bordones in ihrem Umriß verändert worden. Aehnliche Hebungen ſind bei der völligen Zerſtörung Cumanas im Jahre 1766 beobachtet worden. Die Punta Delgada an der Weſtküſte des Meerbuſens von Cariaco wurde damals bedeutend größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entſtand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden des Fluſſes durch elaſtiſche Flüſſigkeiten zerriſſen und empor - gehoben wurde.

Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die ver - ſchiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieſes Werkes entſprechend, ſuchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Geſichtspunkte zu bringen, und alles, was mit dieſen ſchrecklichen und zugleich ſo ſchwer zu erklärenden Vorgängen zuſammenhängt, in einen Rahmen zuſammenzufaſſen. Wenn Naturforſcher, welche die Schweizer Alpen oder die Küſten von Lappland beſuchen, unſere Kennt - nis von den Gletſchern und dem Nordlicht erweitern, ſo läßt174 ſich von einem, der das ſpaniſche Amerika bereiſt hat, erwarten, daß er ſein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben ge - richtet haben werde. Jeder Strich des Erdballes liefert der Forſchung eigentümliche Stoffe, und wenn wir nicht hoffen dürfen, die Urſachen der Naturerſcheinungen zu ergründen, ſo müſſen wir wenigſtens verſuchen, die Geſetze derſelben kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatſachen das Gemeinſame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen und Zufälligen zu unterſcheiden.

Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stöße eintreten, ſcheinen in Cumana nichts Periodiſches zu haben. Man hat ſie nach achtzig, nach hundert, und manch - mal nach nicht dreißig Jahren ſich wiederholen ſehen, während an der Küſte von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die jedesmal durch die gänzliche Zerſtörung der Stadt bezeichnet werden, unverkennbar mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit ein - treten. Daß die Einwohner ſelbſt an einen ſolchen Typus glauben, iſt auch vom beſten Einfluß auf die öffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbfleißes. Man nimmt allge - mein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieſelben Urſachen wieder mit derſelben Gewalt wirken können; aber dieſer Schluß iſt nur dann richtig, wenn man die Erdſtöße als lokale Erſcheinungen auffaßt, wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der großen Erſchütterungen ausgeſetzt iſt, einen beſonderen Herd annimmt. Ueberall, wo ſich neue Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man Leute, die nicht bauen wollen, äußern, auf die Zerſtörung Liſſabons am 1. November 1755 ſei bald eine zweite, gleich ſchreckliche gefolgt, am 31. März 1761.

Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima ſehr verbreiteten Meinung1Aristoteles, Meteorologica Lib. II. Seneca, Quaest. natur. Lib. VI, c. 12. ſtehen die Erdbeben und der Zu - ſtand der Luft vor dem Eintreten derſelben ſichtbar in Zu - ſammenhang. An der Küſte von Neuandaluſien wird man ängſtlich, wenn bei großer Hitze und nach langer Trockenheit der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine, wolkenloſe Himmel ſich bis zu 6, über dem Horizont mit einem rötlichen Duft überzieht. Dieſe Vorzeichen ſind in - deſſen ſehr unſicher, und wenn man ſich nachher alle Vorgänge im Luftkreiſe zur Zeit der ſtärkſten Erderſchütterungen ver -175 gegenwärtigt, ſo zeigt ſich, daß heftige Stöße ſo gut bei feuchtem als trockenem Wetter, ſo gut bei ſtarkem Winde als bei drückend ſchwüler ſtiller Luft eintreten können. Nach den vielen Erdbeben, die ich nördlich und ſüdlich vom Aequator, auf dem Feſtland und in Meeresbecken, an der Küſte und in 4870 m Höhe erlebt, will es mir ſcheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorhergehende Zuſtand der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu thun hätten. Dieſer Anſicht ſind auch viele gebildete Männer in den ſpa - niſchen Kolonieen, deren Erfahrung ſich, wo nicht auf ein größeres Stück der Erdoberfläche, ſo doch auf eine längere Reihe von Jahren erſtreckt. In europäiſchen Ländern da - gegen, wo Erdbeben im Verhältnis zu Amerika ſelten vor - kommen, ſind die Phyſiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das zufällig zur ſelben Zeit erſcheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in Italien an einen Zuſammenhang zwiſchen dem Sirocco und den Erdbeben, und in London ſah man das häufige Vor - kommen von Sternſchnuppen und jene Südlichter, die ſeitdem von Dalton öfters beobachtet worden ſind, als die Vorläufer der Erdſtöße an, die man vom Jahre 1748 bis zum Jahre 1756 ſpürte.

An den Tagen, wo die Erde durch ſtarke Stöße er - ſchüttert wird, zeigt ſich unter den Tropen keine Störung in der regelmäßigen ſtündlichen Schwankung des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hiervon über - zeugt; auf dieſen Umſtand ſind die Phyſiker um ſo mehr auf - merkſam zu machen, als man auf San Domingo in der Stadt Kap Français unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den Waſſerbarometer um 66 mm will haben fallen ſehen. 1Dieſes Fallen entſpricht nur 4 mm Queckſilber.So erzählt man auch, bei der Zerſtörung von Oran habe ſich ein Apotheker mit ſeiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Kataſtrophe zufällig auf ſeinen Barometer geſehen und bemerkt habe, daß das Queckſilber auffallend ſtark falle. Ich weiß nicht, ob dieſer Behauptung Glauben zu ſchenken iſt; da es faſt unmöglich iſt, während der Stöße ſelbſt die Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, ſo muß man ſich begnügen, auf den Barometer vor und nach dem Vorfall zu ſehen. Im gemäßigten Erdſtrich äußern die Nordlichter nicht immer Einfluß auf die Deklination der Magnetnadel und die176 Intenſität der magnetiſchen Kraft; ſo wirken vielleicht auch die Erdbeben nicht gleichmäßig auf die uns umgebende Luft.

Es iſt ſchwerlich in Zweifel zu ziehen, daß in weiter Ferne von den Schlünden noch thätiger Vulkane der durch Erdſtöße geborſtene und erſchütterte Boden zuweilen Gaſe in die Luft ausſtrömen läßt. Wie ſchon oben angeführt, brachen in Cumana aus dem trockenſten Boden Flammen und mit ſchweflichter Säure vermiſchte Dämpfe hervor. An anderen Orten ſpie ebendaſelbſt der Boden Waſſer und Erdpech aus. In Riobamba bricht eine brennbare Schlammmaſſe, Moya genannt, aus Spalten, die ſich wieder ſchließen, und türmt ſich zu anſehnlichen Hügeln auf. 31 km von Liſſabon, bei Colares, ſah man während des furchtbaren Erdbebens vom 1. November 1755 Flammen und eine dicke Rauchſäule aus der Felswand bei Alvidras, und nach einigen Augenzeugen aus dem Meere ſelbſt hervorbrechen. Der Rauch dauerte mehrere Tage und wurde deſto ſtärker, je lauter das unter - irdiſche Getöſe war, das die Stöße begleitete.

In die Atmoſphäre ausſtrömende elaſtiſche Flüſſigkeiten können lokal auf den Barometer wirken, freilich nicht durch ihre Maſſe, die im Verhältnis zur ganzen Luftmaſſe ſehr un - bedeutend iſt, ſondern weil ſich, ſobald ein großer Ausbruch erfolgt, wahrſcheinlich ein aufſteigender Strom bildet, der den Luftdruck vermindert. Ich bin geneigt, anzunehmen, daß bei den meiſten Erdbeben der erſchütterte Boden nichts von ſich gibt, und daß, wenn wirklich Gaſe und Dämpfe ausſtrömen, dies weit nicht ſo oft vor den Stößen als während derſelben und hernach ſtattfindet. Aus dieſem letzteren Umſtand erklärt ſich eine Erſcheinung, die ſchwerlich abzuleugnen iſt, ich meine den rätſelhaften Einfluß, den die Erdbeben im tropiſchen Amerika auf das Klima und den Eintritt der naſſen und der trockenen Jahreszeit äußern. Wenn die Erde erſt im Moment der Er - ſchütterung ſelbſt eine Veränderung in der Luft hervorbringt, ſo ſieht man ein, warum ſo ſelten ein auffallender meteoro - logiſcher Vorgang als Vorbote dieſer großen Umwälzungen in der Natur erſcheint.

Für die Annahme, daß bei den Erdbeben in Cumana elaſtiſche Flüſſigkeiten durch die Erdoberfläche zu entweichen ſuchen, ſcheint das furchtbare Getöſe zu ſprechen, das man während der Erdſtöße auf der Ebene der Charas am Rande der Brunnen vernimmt. Zuweilen werden Waſſer und Sand über 6,5 m hoch emporgeſchleudert. Aehnliche Erſcheinungen177 entgingen ſchon dem Scharfſinn der Alten nicht, die in den Ländern Griechenlands und Kleinaſiens wohnten, wo es ſehr viele Höhlen, Erdſpalten und unterirdiſche Ströme gibt. Das gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten dieſelben Vorſtellungen über die Urſachen der Erdbeben und über die Mittel, durch welche der Menſch, der ſo leicht das Maß ſeiner Kräfte vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe mildern zu können meint. Was ein großer römiſcher Natur - forſcher vom Nutzen der Brunnen und Höhlen ſagt,1In puteis est remedium, quale et crebri specus praebent: conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis, quae minus quatiuntur, crebris ad eluviem cuniculis cavata (Plin. L. II, c. 82). Noch gegenwärtig glaubt man in der Hauptſtadt von St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erd - ſtöße ſchwächen. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die Er - klärung, die Seneca von den Erdbeben gibt (Natur. quaest. Lib. VI, c. 4 bis 31), den Keim alles deſſen enthält, was in unſerer Zeit über die Wirkung elaſtiſcher, im Inneren des Erdballes einge - ſchloſſener Dämpfe geſagt worden iſt. wieder - holen in der Neuen Welt die unwiſſendſten Indianer in Quito, wenn ſie den Reiſenden die Guaicos oder Höhlen am Pi - chincha zeigen.

Das unterirdiſche Getöſe, das bei Erdbeben ſo häufig vorkommt, iſt meiſt außer Verhältnis mit der Kraft der Erd - ſtöße. In Cumana geht es denſelben immer zuvor, während man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den An - tillen, nachdem die Stöße längſt aufgehört haben, einen Donner wie vom Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Klaſſe dieſer Erſcheinungen, und die merkwürdigſte von allen iſt das monatelang fortwährende unterirdiſche Donnerrollen, ohne daß dabei die geringſte Wellenbewegung des Bodens zu ſpüren wäre.

In allen den Erdbeben ausgeſetzten Ländern ſieht man als die Veranlaſſung und den Herd der Erdſtöße den Punkt an, wo, wahrſcheinlich infolge einer eigentümlichen Anordnung der Geſteinſchichten, die Wirkungen am auffallendſten ſind. So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San An - tonio, beſonders aber der Hügel, auf dem das Kloſter San Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Maſſe Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man vergißt, daß die Geſchwindig - keit, mit der ſich die Schwingungen auf große Entfernung,A. v. Humboldt, Reiſe. I. 12178ſogar über das Becken des Ozeans fortpflanzen, deutlich dar - auf hinweiſt, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberfläche ſehr weit entfernt iſt. Ohne Zweifel aus dem - ſelben Grunde ſind die Erdbeben nicht an gewiſſe Gebirgs - arten gebunden, wie manche Phyſiker behaupten, ſondern alle ſind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überſchreiten, nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerſchiefer der Halbinſel Araya, den Urgebirgsſchiefer von Tepecuacuilco in Mexiko, die ſekundären Kalkſteine des Apennins, Spaniens und Neuandaluſiens, end - lich die Trappporphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen dieſen Orten wird der Boden häufig durch die heftigſten Stöße erſchüttert; aber zuweilen werden in der - ſelben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem unüberwindlichen Hindernis für die Fortpflanzung der Be - wegung. So ſah man ſchon in den ſächſiſchen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen, die ſie empfunden, erſchrocken aus - fahren, während man an der Erdoberfläche nichts davon ge - ſpürt hatte.

Wenn nun auch in den weitentlegenſten Ländern die Ur - gebirge, die ſekundären und die vulkaniſchen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen des Erdballes in gleichem Maße teilnehmen, ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß in einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtrich gewiſſe Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B. wurden vor der großen Kataſtrophe im Jahre 1797 die Erd - beben nur längs der aus Kalk beſtehenden Südküſte des Meerbuſens von Cariaco bis zur Stadt dieſes Namens ge - ſpürt, während auf der Halbinſel Araya und im Dorfe Mani - quarez der Boden an denſelben Bewegungen keinen Teil nahm. Die Bewohner dieſer Nordküſte, die aus Glimmerſchieſer be - ſteht, bauten ihre Hütten auf unerſchütterlichem Boden; ein 5,8 bis 7,8 km breiter Meerbuſen lag zwiſchen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und ver - wüſteten Ebene. Mit dieſer auf die Erfahrung von Jahr - hunderten gebauten Sicherheit iſt es vorbei; mit dem 14. De - zember 1797 ſcheinen ſich im Inneren der Erde neue Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge aus Glimmerſchiefer iſt ſeinerſeits zum Mittel - punkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen179 im Dorfe Maniquarez der Boden ſtark erſchüttert, während man an der Küſte von Cumana der tiefſten Ruhe genießt, und doch iſt der Meerbuſen von Cariaco nur 110 bis 150 m tief.

Man will beobachtet haben, daß auf dem Feſtlande wie auf den Inſeln die Weſt - und Südküſten den Stößen am meiſten ausgeſetzt ſeien. Dieſe Beobachtung ſteht im Zu - ſammenhang mit den Ideen hinſichtlich der Lage der großen Gebirgsketten und der Richtung ihrer ſteilſten Abhänge, wie ſie ſich ſchon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenſein der Kordillere von Caracas und die Häufig - keit der Erdbeben an den Oſt - und Nordküſten von Terra Firma, im Meerbuſen von Paria, in Carupano, Cariaco und Cumana beweiſen, wie wenig begründet jene Anſicht iſt.

In Neuandaluſien, wie in Chile und Peru, gehen die Erdſtöße den Küſten nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieſer Umſtand weiſt, wie wir bald ſehen werden, darauf hin, daß die Urſachen der Erdbeben und der vulkaniſchen Ausbrüche in engem Verbande ſtehen. Würde der Boden an den Küſten deshalb ſtärker erſchüttert, weil dieſe die am tiefſten gelegenen Punkte des Landes ſind, warum wären dann in den Savannen oder Prairieen, die kaum 16 oder 20 m über dem Meeresſpiegel liegen, die Stöße nicht ebenſo oft und ebenſo ſtark zu fühlen?

Die Erdbeben in Cumana ſind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet, und man hat ſogar vermutet, ſie könnten mit den vulkaniſchen Erſcheinungen in den Kordilleren der Anden in einigem Zuſammenhang ſtehen. Am 11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung, durch die, trotz der ſehr ſchwachen Bevölkerung des Landes, gegen 40000 Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häuſer begraben wurden, in Erdſpalten ſtürzten oder in den plötzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur ſelben Zeit wurden die Bewohner der öſtlichen Antillen durch Erdſtöße erſchreckt, die erſt nach 8 Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guade - loupe Bimsſteine, Aſche und Wolken von Schwefeldämpfen ausſtieß. Auf dieſen Ausbruch vom 29. September, während - deſſen man lange anhaltendes unterirdiſches Brüllen hörte, folgte am 14. Dezember das große Erdbeben von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat ſeitdem ein neues Beiſpiel ſolcher auffallenden Wechſelbe - ziehungen geliefert. Er hatte ſeit 1718 kein Feuer mehr ge - ſpieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gänz -180 liche Zerſtörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor dieſem Ausbruch und ſtarke Bodenſchwingungen wurden ſo - wohl auf den Inſeln als an den Küſten von Terra Firma geſpürt.

Man hat längſt die Bemerkung gemacht, daß die Wirkun - gen großer Erdbeben ſich ungleich weiter verbreiten als die Erſcheinungen der thätigen Vulkane. Beobachtet man in Italien die Umwälzungen des Erdbodens, betrachtet man die Reihe der Ausbrüche des Veſuv und des Aetna genau, ſo entdeckt man, ſo nahe auch dieſe Berge bei einander liegen, kaum Spuren gleichzeitiger Thätigkeit. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß bei den beiden letzten Erdbeben von Liſſabon1Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim erſteren Erdbeben überſchwemmte das Meer in Europa die Küſten von Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inſeln Antigua, Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewöhn - lich nur 640 bis 746 mm hoch ſteigt, ſtieg das Waſſer in der Bucht von Carlisle 6,5 m hoch. Es wurde zugleich tintenſchwarz , ohne Zweifel, weil ſich der Asphalt, der im Meerbuſen von Cariaco, wie bei der Inſel Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vor - kommt, mit dem Waſſer vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung des Waſſers 6 Stunden vor dem erſten Stoß, den man in Liſſabon ſpürte, beobachtet. In Cadiz ſah man auf 36 km weit aus der offenen See einen 20 m hohen Waſſerberg anrücken; er ſtürzte ſich auf die Küſte und zerſtörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die 56 m hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen von Callao überſchwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontarioſee ſeit Oktober 1755 eine ſtarke Aufregung des Waſſers beobachtet. Dieſe Erſcheinungen weiſen darauf hin, daß auf ungeheure Strecken hin unterirdiſche Verbindungen be - ſtehen. Bei der Zuſammenſtellung der meiſt weit auseinander liegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala völlig zerſtört wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerkung zu machen, als ob ſich eine Wirkung langſam den Kordilleren entlang geäußert hätte, bald von Nord nach Süd, bald von Süd nach Nord. Ich gebe hier vier dieſer auffallenden Zeitpunkte:MexikoPeru(Breite 13° 32′ Nord)(Breite 12° 6′ Süd)30. Nov. 1577,17. Juni 1578,4. März 1679,17. Juni 1678,12. Febr. 1689,10. Okt. 1688,27. Sept. 1717,8. Febr. 1716. das Meer bis in die Neue Welt hinüber in Auf -181 ruhr geriet, z. B. bei der Inſel Barbados, die über 5400 km von der Küſte von Portugal liegt.

Verſchiedene Thatſachen weiſen darauf hin, daß die Erd - beben und die vulkaniſchen Ausbrüche1Dieſer urſachliche Zuſammenhang, den ſchon die Alten er - kannten, beſchäftigte die Geiſter nach der Entdeckung von Amerika wieder ſehr lebhaft. Dieſe Entdeckung vergnügte nicht allein die Neugier der Menſchen durch neue Naturprodukte, ſie erweiterte auch ihre Vorſtellungen von der phyſiſchen Beſchaffenheit der Länder, von den Spielarten des Menſchengeſchlechtes und von den Wande - rungen der Völker. Man kann die Beſchreibungen der älteſten ſpaniſchen Reiſenden, namentlich die des Jeſuiten Acoſta, nicht leſen, ohne jeden Augenblick freudig zu ſtaunen, wie mächtig der Anblick eines großen Feſtlandes, die Betrachtung einer wunder - vollen Natur und die Berührung mit Menſchen von anderer Raſſe auf die Geiſtesentwickelung in Europa gewirkt haben. Der Keim ſehr vieler phyſikaliſcher Wahrheiten iſt in den Schriften des 16. Jahrhunderts niedergelegt, und dieſer Keim hätte Früchte ge - tragen, wäre er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erſtickt worden. in engem urſachlichen Zuſammenhang ſtehen. In Paſto hörten wir, die ſchwarze dicke Rauchſäule, die im Jahre 1797 ſeit mehreren Monaten dem Vulkan in der Nähe dieſer Stadt entſtiegen war, ſei zur ſelben Stunde verſchwunden, wo 270 km gegen Süd die Städte Riobamba, Hambato und Tacunga durch einen unge - heuren Stoß über den Haufen geworfen wurden. Setzt man ſich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Hügel, die ſich durch die Schlacken - und Aſchenauswürfe bilden, ſo fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Veſuv beobachtet, während der Berg glühende Schlacken auswarf; wir waren im Jahre 1802 Zeugen desſelben Vor - ganges geweſen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des Pichincha ſtanden, aus dem übrigens eben nur ſchweflig ſaure Dämpfe aufſtiegen.

Alles weiſt darauf hin, daß das eigentlich Wirkſame bei den Erdbeben darin beſteht, daß elaſtiſche Flüſſigkeiten einen Ausweg ſuchen, um ſich in der Luft zu verbreiten. An den Küſten der Südſee pflanzt ſich dieſe Wirkung oft faſt1Ich geſtehe, wenn die Erdſtöße nicht gleichzeitig ſind, oder doch kurz nacheinander erfolgen, ſo erſcheint die angebliche Fortpflanzung der Bewegung ſehr zweifelhaft.182 augenblicklich 2700 km weit, von Chile bis zum Meerbuſen von Guayaquil, fort, und zwar ſcheinen, was ſehr merkwürdig iſt, die Erdſtöße deſto ſtärker zu ſein, je weiter ein Ort von den thätigen Vulkanen abliegt. Die mit Flözen von ſehr neuer Bildung bedeckten Granitberge Kalabriens, die aus Kalk beſtehende Kette des Apennins, die Grafſchaft Perigord, die Küſten von Spanien und Portugal, die von Peru und Terra Firma liefern deutliche Belege für dieſe Behauptung. Es iſt als würde die Erde deſto ſtärker erſchüttert, je weniger die Bodenfläche Oeffnungen hat, die mit den Höhlungen im Inneren in Verbindung ſtehen. In Neapel und Meſſina, am Fuß des Cotopaxi und des Tunguragua fürchtet man die Erdbeben nur, ſolange nicht Rauch und Feuer aus der Mün - dung der Vulkane bricht. Ja, im Königreich Quito brachte die große Kataſtrophe von Riobamba, von der oben die Rede war, mehrere unterrichtete Männer auf den Gedanken, daß das unglückliche Land wohl nicht ſo oft verwüſtet würde, wenn das unterirdiſche Feuer den Porphyrdom des Chimbo - razo durchbrechen könnte und dieſer koloſſale Berg ſich wieder in einen thätigen Vulkan verwandelte. Zu allen Zeiten haben analoge Thatſachen zu denſelben Hypotheſen geführt. Die Griechen, die, wie wir, die Schwingungen des Bodens der Spannung elaſtiſcher Flüſſigkeiten zuſchrieben, führten zur Bekräftigung ihrer Anſicht an, daß die Erdbeben auf der Inſel Euböa gänzlich aufgehört haben, ſeit ſich auf der Ebene von Lelante eine Erdſpalte gebildet.

Wir haben verſucht, am Schluß dieſes Kapitels die all - gemeinen Erſcheinungen zuſammenzuſtellen, welche die Erd - beben unter verſchiedenen Himmelsſtrichen begleiten. Wir haben gezeigt, daß die unterirdiſchen Meteore ſo feſten Ge - ſetzen unterliegen, wie die Miſchung der Gaſe, die unſeren Luftkreis bilden. Wir haben uns aller Betrachtungen über das Weſen der chemiſchen Agenzien enthalten, die als Urſachen der großen Umwälzungen erſcheinen, welche die Erdoberfläche von Zeit zu Zeit erleidet. Es ſei hier nur daran erinnert, daß dieſe Urſachen in ungeheuren Tiefen liegen, und daß man ſie in den Erdbildungen zu ſuchen hat, die wir Urgebirge nennen, wohl gar unter der erdigen, oxydierten Kruſte, in Tiefen, wo die halbmetalliſchen Grundlagen der Kieſelerde, der Kalkerde, der Soda und der Pottaſche gelagert ſind.

Man hat in neueſter Zeit den Verſuch gemacht, die Er - ſcheinungen der Vulkane und Erdbeben als Wirkungen des183 Galvanismus aufzufaſſen, der ſich bei eigentümlicher Anord - nung ungleichartiger Erdſchichten entwickeln ſoll. Es läßt ſich nicht leugnen, daß häufig, wenn im Verlauf einiger Stunden ſtarke Erdſtöße aufeinander folgen, die elektriſche Spannung der Luft im Augenblick, wo der Boden am ſtärkſten erſchüttert wird, merkbar zunimmt; um aber dieſe Erſcheinung zu erklären, braucht man ſeine Zuflucht nicht zu einer Hypotheſe zu nehmen, die in geradem Widerſpruch ſteht mit allem, was bis jetzt über den Bau unſeres Planeten und die Anordnung ſeiner Erdſchichten beobachtet worden iſt.

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Fünftes Kapitel.

Die Halbinſel Araya. Salzſümpfe. Die Trümmer des Schloſſes Santiago.

Die erſten Wochen unſeres Aufenthaltes in Cumana ver - wendeten wir dazu, unſere Inſtrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botaniſieren und die Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die Mannigfaltig - keit der Gegenſtände, die uns zumal in Anſpruch nahmen, ließ uns nur ſchwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden. Wenn unſere ganze Umgebung den lebhafteſten Reiz für uns hatte, ſo machten dagegen unſere Inſtrumente die Neugier der Einwohnerſchaft rege. Wir wurden ſehr oft durch Beſuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht Leute vor den Kopf ſtoßen, die ſo ſeelen - vergnügt durch einen Dollond die Sonnenflecken betrachteten, oder zwei Gaſe in der Röhre des Eudiometers ſich verzehren, oder auf galvaniſche Berührung einen Froſch ſich bewegen ſahen, ſo mußte man ſich wohl herbeilaſſen, auf oft ver - worrene Fragen Auskunft zu geben und ſtundenlang die - ſelben Verſuche zu wiederholen.

So ging es uns fünf ganze Jahre, ſo oft wir uns an einem Orte aufhielten, wo man in Erfahrung gebracht hatte, daß wir Mikroſkope, Fernröhren oder elektromotoriſche Apparate beſitzen. Dergleichen Auftritte wurden meiſt deſto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Beſucher von Aſtronomie und Phyſik hatten, welche Wiſſenſchaften in den ſpaniſchen Kolonieen den ſonderbaren Titel: neue Philoſophie , nueva filosofia, führen. Die Halbgelehrten ſahen mit einer gewiſſen Geringſchätzung auf uns herab, wenn ſie hörten, daß ſich unter unſeren Büchern weder das Spectacle de la nature vom Abbê Pluche, noch der Cours de physique von185 Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Bomare befanden. Dieſe drei Werke und der Traité d’économie politique von Baron Bielfeld ſind die bekannteſten und ge - achtetſten fremden Bücher im ſpaniſchen Amerika von Caracas und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur dann für gelehrt, wenn man die Ueberſetzungen derſelben recht oft citieren kann, und nur in den großen Haupt - ſtädten, in Lima, Santa Fé de Bogota und Mexiko, fangen die Namen Haller, Cavendiſh und Lavoiſier an jene zu ver - drängen, deren Ruf ſeit einem halben Jahrhundert populär geworden iſt.

Die Neugierde, mit der die Menſchen ſich mit den Himmels - erſcheinungen und verſchiedenen naturwiſſenſchaftlichen Gegen - ſtänden abgeben, äußert ſich ganz anders bei altciviliſierten Völkern als da, wo die Geiſtesentwickelung noch geringe Fort - ſchritte gemacht hat. In beiden Fällen finden ſich in den höchſten Ständen viele Perſonen, die den Wiſſenſchaften ferne ſtehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern iſt die Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, ſondern entſpringt aus dem lebendigen Triebe, ſich zu belehren; ſie äußert ſich ſo arglos und naiv, wie ſie in Europa nur in früher Jugend auftritt.

Erſt am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe aſtro - nomiſcher Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Länge, wie ſie Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande, wo der Himmel beſtändig rein und klar iſt, mehrere Nächte ſternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf und es wurde mir ſchwer, korreſpondierende Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verſchiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unſere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Be - ſteigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer ſtarken Temperaturwechſeln ausgeſetzt geweſen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt ſich als Geſamtreſultat, daß der große Platz von Cumana unter 10° 27′ 52″ der Breite und 66° 30′ 2″ der Länge liegt. Die Beſtimmung der Länge gründet ſich auf den Uebertrag der Zeit, auf Monddiſtanzen, auf die Sonnen -186 finſternis vom 28. Oktober 1799 und auf zehn Immerſionen der Jupitertrabanten, verglichen mit in Europa angeſtellten Beobachtungen. Sie weicht nur um ſehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch rein chronometriſche Mittel gefunden. Unſere älteſte Karte des neuen Kontinentes, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiſer Karls des Fünften, ſetzt Cumana unter 30′ Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite abweicht und einen halben Grad von der, die Jefferys in ſeinem im Jahre 1794 herausgegebenen Amerikaniſchen Steuermann angibt. Dreihundert Jahre lang zeichnete man die ganze Küſte von Paria zu weit ſüd - lich, weil in der Nähe der Inſel Trinidad die Strömungen nach Norden gegen und die Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Süd zu ſein glauben, als ſie wirklich ſind.

Am 17. Auguſt machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den Einwohnern viel zu ſchaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines ſtarken Erdſtoßes, denn nach der Volks - phyſik ſtehen alle ungewöhnlichen Erſcheinungen in unmittel - barem Zuſammenhang. Die farbigen Kreiſe um den Mond ſind in den nördlichen Ländern weit ſeltener als in der Pro - vence, in Italien und Spanien. Sie zeigen ſich, und dies iſt auffallend, beſonders bei reinem Himmel, wenn das gute Wetter ſehr beſtändig ſcheint. In der heißen Zone ſieht man faſt jede Nacht ſchöne prismatiſche Farben, ſelbſt bei der größten Trockenheit; oft verſchwinden ſie in wenigen Minuten mehreremal, ohne Zweifel, weil obere Luftſtrömungen den Zuſtand der feinen Dünſte, in denen das Licht ſich bricht, verändern. Zuweilen habe ich zwiſchen dem 15. Grad der Breite und dem Aequator ſogar um die Venus kleine Höfe geſehen; man konnte Purpur, Orange, und Violett unter - ſcheiden; aber um Sirius, Canopus und Achernar habe ich niemals Farben geſehen.

Während der Mondhof in Cumana zu ſehen war, zeigte der Hygrometer große Feuchtigkeit an; die Waſſerdünſte ſchienen aber ſo vollkommen aufgelöſt, oder vielmehr ſo elaſtiſch und gleichförmig verbreitet, daß ſie der Durchſichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem Gewitterregen hinter dem Schloſſe San Antonio auf. Wie er am Horizont erſchien, ſah man zwei Kreiſe, einen großen, weißlichen von 44° Durchmeſſer und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glänzte und 43′ breit war. Der Himmelsraum zwiſchen beiden Kronen war187 dunkelblau. Bei 40° Höhe verſchwanden ſie, ohne daß die meteorologiſchen Inſtrumente die geringſte Veränderung in den niederen Luftregionen anzeigten. Die Erſcheinung hatte nichts Auffallendes außer der großen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umſtand, daß nach Meſſungen mit einem Ramsden - ſchen Sextanten die Mondſcheibe nicht ganz in der Mitte der Höfe ſtand. Ohne die Meſſung hätte man glauben können, dieſe Exzentrizität rühre von der Projektion der Kreiſe auf die ſcheinbare Konkavität des Himmels her. Die Form der Höfe und die Farben, welche in der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es, von den Phyſikern von neuem in den Kreis der Beobachtungen ge - zogen zu werden. In Mexiko habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den Farben des Regen - bogens über das Himmelsgewölbe und gegen die Mondſcheibe hin zuſammenlaufen ſehen; dieſes merkwürdige Meteor er - innert an das von Cotes im Jahre 1716 beſchriebene.

Wenn unſer Haus in Cumana für die Beobachtung des Himmels und der meteorologiſchen Vorgänge ſehr günſtig gelegen war, ſo mußten wir dagegen zuweilen bei Tage etwas anſehen, was uns empörte. Der große Platz iſt zum Teil mit Bogengängen umgeben, über denen eine lange hölzerne Galerie hinläuft, wie man ſie in allen heißen Län - dern ſieht. Hier wurden die Schwarzen verkauft, die von der afrikaniſchen Küſte herüberkommen. Unter allen euro - päiſchen Regierungen war die von Dänemark die erſte und lange die einzige, die den Sklavenhandel abgeſchafft hat, und dennoch waren die erſten Sklaven, die wir aufgeſtellt ſahen, auf einem däniſchen Sklavenſchiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Menſchenpflicht, Nationalehre und den Geſetzen des Vaterlandes im Streite liegt, läßt ſich durch nichts in ſeinen Spekulationen ſtören.

Die zum Verkauf ausgeſetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosöl, um ſich den Körper damit einzureiben und die Haut glänzend ſchwarz zu machen. Jeden Augenblick erſchienen Käufer und ſchätzten nach der Beſchaffenheit der Zähne Alter und Geſundheitszuſtand der Sklaven; ſie riſſen ihnen den Mund auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geſchieht. Dieſer entwürdigende Brauch ſchreibt ſich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt, die Cervantes nach langer Gefangenſchaft bei den Mauren in einem ſeiner188 Theaterſtücke1El trado de Argel. vom Verkauf der Chriſtenſklaven in Algier entwirft. Es iſt ein empörender Gedanke, daß es noch heu - tigestags auf den Antillen ſpaniſche Anſiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem Glüheiſen zeichnen, um ſie wieder zu erkennen, wenn ſie entlaufen. So behandelt man Menſchen, die anderen Menſchen die Mühe des Säens, Ackerns und Erntens erſparen. 2La Bruyère, Charactères cap. XI.

Je tieferen Eindruck der erſte Verkauf von Negern in Cumana auf uns gemacht hatte, deſto mehr wünſchten wir uns Glück, daß wir uns bei einem Volke und auf einem Kontinent befanden, wo ein ſolches Schauſpiel ſehr ſelten vorkommt und die Zahl der Sklaven im allgemeinen höchſt unbedeutend iſt. Dieſelbe betrug im Jahre 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona nicht über 6000, während man zur ſelben Zeit die Geſamtbevölkerung auf 110000 ſchätzte. Der Handel mit afrikaniſchen Sklaven, den die ſpaniſchen Geſetze niemals begünſtigt haben, iſt jetzt völlig bedeutungslos auf Küſten, wo im 16. Jahrhun - dert der Handel mit amerikaniſchen Sklaven ſchauerlich lebhaft war. Macarapan, früher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und beſonders Neucadiz, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals für Kontore gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der im Alter von 22 Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahre 1542 an den Küſten von Bordones, Cariaco und Paria Raubzüge mit, bei denen unglückliche Eingeborene weggeſchleppt wurden. Er erzählt ſehr naiv und oft mit einem Gefühlsausdruck, wie er bei den Geſchichtſchreibern jener Zeit ſelten vorkommt, von den Grauſamkeiten, die er mit angeſehen. Er ſah die Sklaven nach Neucadiz bringen, wo ſie mit dem Glüheiſen auf Stirne und Armen gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus dieſem Hafen wurden ſie nach Hayti oder San Domingo geſchickt, nachdem ſie mehrmals die Herren gewechſelt, nicht weil ſie verkauft wurden, ſondern weil die Soldaten mit Würfeln um ſie ſpielten.

Unſer erſter Ausflug galt der Halbinſel Araya und jenen ehemals durch den Sklavenhandel und die Perlenfiſcherei viel -189 berufenen Landſtrichen. Am 19. Auguſt gegen 2 Uhr nach Mitternacht ſchifften wir uns bei der indiſchen Vorſtadt auf dem Manzanares ein. Unſer Hauptzweck bei dieſer kleinen Reiſe war, die Trümmer des alten Schloſſes von Araya zu beſehen, die Salzwerke zu beſuchen und auf den Bergen, welche die ſchmale Halbinſel Maniquarez bilden, einige geo - logiſche Unterſuchungen anzuſtellen. Die Nacht war köſtlich kühl, Schwärme leuchtender Inſekten1Elater noctilucus. glänzten in der Luft, auf dem mit Seſuvium bedeckten Boden und in den Mimoſen - büſchen am Fluß. Es iſt bekannt, wie häufig die Leucht - würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa ſind; aber ihr maleriſcher Eindruck iſt gar nicht zu vergleichen mit den zahlloſen zerſtreuten, ſich hin und her bewegenden Licht - punkten, welche im heißen Erdſtrich der Schmuck der Nächte ſind, wo einem iſt, als ob das Schauſpiel, welches das Himmelsgewölbe bietet, ſich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.

Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas kamen, ſahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuſelter Rauch ſtieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondſcheibe einen rötlichen Schein. Es war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauſchenden, eintönigen Muſik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikaniſchen Völker von ſchwarzer Raſſe iſt ein uner - ſchöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohſinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und muſiziert der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausſchläft. Hüten wir uns, über dieſe Sorgloſigkeit, dieſen Leichtſinn hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent - behrung und Schmerz verſüßt.

Die Barke, in der wir über den Meerbuſen von Cariaco fuhren, war ſehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren unſere Organe ſo empfindlich für den kleinſten Temperatur - wechſel, daß wir vor Froſt nicht ſchlafen konnten. Zu unſerer Verwunderung ſahen wir, daß der hundertteilige Thermo - meter auf 21,8° ſtand. Dieſer Umſtand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt iſt, verdient von den Phyſiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt,190 auf dem Gipfel der Montagne Pelée auf Martinique1Der Berg iſt nach verſchiedenen Angaben zwiſchen 1300 und 1435 m hoch. haben er und ſeine Begleiter vor Froſt gebebt, obgleich die Wärme noch 21½° betrug. In der anziehenden Reiſebeſchreibung des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurück - legen mußte, lieſt man, daß er zwiſchen dem 10. und 12. Grad ſüdlicher Breite weit mehr vom Froſt als vom Hunger gelitten. 2Die Mannſchaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen durchnäßt; wir wiſſen aber, daß unter dieſer Breite die Temperatur des Meerwaſſers nicht unter 23° ſein kann, und daß die durch Ver - dunſtung entſtehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur ſelten über 25° ſteigt, nur unbeträchtlich iſt.Im Januar 1803, bei unſerem Aufent - halt in Guayaquil, ſahen wir die Eingeborenen ſich über Kälte beklagen und ſich zudecken, wenn der Thermometer auf 23,8° fiel, während ſie bei 30,5° die Hitze erſtickend fanden. Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die ent - gegengeſetzten Empfindungen von Froſt und Hitze zu erzeugen, weil an dieſen Küſten der Südſee die gewöhnliche Luft - temperatur 28° beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der ſich die Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmeſtoff ändert, ſpielt bei dieſen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem Boden, kühlt ſich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23,8° fällt, der Delucſche Hygrometer auf 50 bis 52° ſtehen bleibt; dagegen ſteht er auf 37 bei einer Temperatur von 30,5°. In Cumana hört man bei ſtarken Regengüſſen in den Straßen ſchreien: Que hielo! estoy emparamado! 3 Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken der Berge! Das provinzielle Wort emparamarse läßt ſich nur durch lange Umſchreibung wiedergeben. Paramo, peruaniſch Puna, iſt ein Name, den man auf allen Karten des ſpaniſchen Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüſte noch eine lande , ſondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten Bäumen bewachſenen, den Winden ausgeſetzten Landſtrich, wo es beſtändig naßkalt iſt. In der heißen Zone liegen die Paramos ge - wöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Pa - ramo und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet, und doch fällt191 der dem Regen ausgeſetzte Thermometer nur auf 21,5°. Aus allen dieſen Beobachtungen geht hervor, daß man zwiſchen den Wendekreiſen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei Tage faſt beſtändig über 27° iſt, bei Nacht das Bedürfnis fühlt, ſich zuzudecken, ſo oft bei feuchter Luft der Thermometer um 4 bis 5½° fällt.

Gegen 8 Uhr morgens ſtiegen wir an der Landſpitze von Araya bei der Neuen Saline ans Land. Ein einzelnes Haus ſteht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die ſich ſeit der Zerſtörung des Forts St. Jakob die Verteidigung dieſer Küſte beſchränkt. Der Salineninſpektor bringt ſein Leben in einer Hängematte zu, in der er den Arbeitern ſeine Befehle erteilt, und eine Lancha del rey (königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana ſeine Lebensmittel zu. Man wundert ſich, daß bei einem Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und anderen Seemächten Eiferſucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Land - ſpitze von Araya ein paar armſelige indianiſche Fiſcherhütten.

Man überſieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des Schloſſes St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalk - gebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont be - grenzt. Wie reich die Halbinſel Araya an Kochſalz iſt, wurde ſchon Alonſo Niño bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus, Ojedas, und Amerigo Veſpuccis Fußſtapfen dieſe Länder be - ſuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern des Erdballes am wenigſten Salz verbrauchen, weil ſie faſt allein von Pflanzenkoſt leben, ſcheinen doch bereits die Guay -3mit dem Worte Nevado, peruaniſch Ritticapa, verwechſeln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg be - deutet. Dieſe Begriffe ſind für die Geologie und die Pflanzen - geographie ſehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berg - gipfel gemeſſen iſt, eine richtige Vorſtellung von der geringſten Höhe erhält, zu der ſich die Kordilleren erheben, wenn man die Worte Paramo und Nevado aufſucht. Da die Paramos faſt be - ſtändig in kalten, dichten Nebel gehüllt ſind, ſo ſagt das Volk in Santa Fé und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Pa - ramo hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als wäre man auf dem Rücken der Anden.192 kari im Thon - und Salzboden der Punta Arenas ge - graben zu haben. Selbſt die jetzt die neuen genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirges Araya, waren ſchon in der früheſten Zeit im Gange. Die Spanier, die ſich zuerſt auf Cubagua und bald nachher auf der Küſte von Cumana niedergelaſſen hatten, beuteten ſchon zu Anfang des 16. Jahr - hunderts die Salzſümpfe aus, die ſich als Lagunen nordweſt - lich vom Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine ſtändige Bevölkerung hatte, machten ſich die Holländer den natürlichen Reichtum des Bodens zu nutze, den ſie für ein Gemeingut aller Nationen anſahen. Heut - zutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke, und die Schiffahrtskunſt iſt ſo weit fortgeſchritten, daß die Cadizer Handelsleute mit geringen Koſten ſpaniſches und portugie - ſiſches Salz 8500 km weit in die öſtliche Halbkugel ſenden können, um Montevideo und Buenos Ayres mit ihrem Be - darf für das Einſalzen zu verſorgen. Solche Vorteile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Induſtrie in den Kolonieen war damals noch ſo weit zurück, daß das Salz von Araya mit großen Koſten nach den Antillen, nach Cartagena und Portobelo verſchifft wurde. Im Jahre 1605 ſchickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach Punta Araya, mit dem Befehl, daſelbſt auf Station zu liegen und die Holländer mit Gewalt zu vertreiben. Dieſe fuhren nichtsdeſtoweniger fort, heimlich Salz zu holen, bis man im Jahre 1622 bei den Salzwerken ein Fort errichtete, das unter dem Namen Castillo de Santiago oder Real Fuerza de Araya berühmt geworden iſt.

Dieſe großen Salzſümpfe ſind auf den älteſten ſpaniſchen Karten bald als Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der ſeinen Orbis novus im Jahre 1633 ſchrieb und ſehr gute Nachrichten von dieſen Küſten hatte, ſagt ſogar aus - drücklich, die Lagune ſei von der See durch eine über der Fluthöhe gelegene Landenge getrennt geweſen. Im Jahre 1726 zerſtörte ein außerordentliches Ereignis die Saline von Araya und machte das Fort, das über eine Million harter Piaſter gekoſtet hatte, unnütz. Man ſpürte einen heftigen Windſtoß, eine große Seltenheit in dieſen Strichen, wo die See meiſt nicht unruhiger iſt als das Waſſer unſerer Flüſſe; die Flut drang weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzſee in einen mehrere Meilen langen Meerbuſen verwandelt. Seitdem hat man nördlich von der193 Hügelkette, welche das Schloß von der Nordküſte der Halb - inſel trennt, künſtliche Behälter oder Kaſten angelegt.

Der Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen Cumana und Barcelona zwiſchen 9000 und 10000 Fanegas, jede zu 16 Arrobas oder 4 Zent - nern. Dieſer Verbrauch iſt ſehr beträchtlich, und es ergeben ſich dabei, wenn man 50000 Indianer abrechnet, die nur ſehr wenig Salz verzehren, 30 kg auf den Kopf. In Frank - reich rechnet man, nach Necker, nur 6 bis 7 kg, und der Unterſchied rührt daher, daß man ſo viel Salz zum Ein - ſalzen braucht. Das geſalzene Ochſenfleiſch, Taſajo genannt, iſt im Handel von Barcelona der vornehmſte Ausfuhrartikel. Von 9000 bis 10000 Fanegas Salz, welche die beiden Pro - vinzen zuſammen liefern, kommen nur 3000 vom Salzwerk von Araya; das übrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos, Piritu und im Golfo triſte aus Meerwaſſer gewonnen. In Mexiko liefert der einzige Salzſee Peñon Blanco jährlich über 250000 Fanegas unreines Salz.

Die Provinz Caracas hat ſchöne Salzwerke bei den Klippen los Roques; das früher auf der kleinen Inſel Tor - tuga gelegene iſt auf Befehl der ſpaniſchen Regierung zerſtört worden. Man grub einen Kanal, durch den das Meer zu den Salzſümpfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den Kleinen Antillen Kolonieen haben, beſuchen dieſe unbewohnte Inſel, und der Madrider Hof fürchtete in ſeiner argwöhniſchen Politik, das Salzwerk von Tortuga möchte Veranlaſſung zu einer feſten Niederlaſſung werden, wodurch dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorſchub geleiſtet würde.

Die Salzwerke von Araya werden erſt ſeit dem Jahre 1792 von der Regierung ſelbſt betrieben. Bis dahin waren ſie in den Händen indianiſcher Fiſcher, die nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofür ſie der Regierung nur die mäßige Summe von 300 Piaſtern bezahlten. Der Preis der Fanega war damals 4 Realen;1In dieſer Reiſebeſchreibung ſind alle Preiſe in harten Piaſtern und Silberrealen, reales de plata, ausgedrückt. Acht Realen gehen auf einen harten Piaſter oder 105 Sous franzöſiſchen Geldes. aber das Salz war ſehr unrein, grau, und enthielt ſehr viel ſalzſaure und ſchwefel - ſaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von ſeiten der Arbeiter äußerſt unregelmäßig betrieben wurde, ſo fehlteA. v. Humboldt, Reiſe. I. 13194es oft an Salz zum Einſalzen des Fleiſches und der Fiſche, das in dieſen Ländern für den Fortſchritt des Gewerbfleißes von großem Belang iſt, da das indianiſche niedere Volk und die Sklaven von Fiſchen und etwas Taſajo leben. Seit die Provinz Cumana unter der Intendanz von Caracas ſteht, beſteht die Salzregie, und die Fanega, welche die Guaykari für einen halben Piaſter verkauften, koſtet anderthalb Piaſter. Für dieſe Preiserhöhung leiſtet nur geringen Erſatz, daß das Salz reiner iſt, und daß die Fiſcher und Koloniſten es das ganze Jahr im Ueberfluß beziehen können. Die Salinen - verwaltung von Araya brachte im Jahre 1799 dem Schatze 8000 Piaſter jährlich ein. Aus dieſen ſtatiſtiſchen Notizen geht hervor, daß die Salzbereitung in Araya, als Induſtrie - zweig betrachtet, von keinem großen Belang iſt.

Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem Salzthon überein, der in Berchtesgaden und in Südamerika in Zipaquira mit dem Steinſalz vor - kommt. Das ſalzſaure Natron iſt in dieſem Thon nicht in ſichtbaren Teilchen eingeſprengt, aber ſein Vorhandenſein läßt ſich leicht bemerklich machen. Wenn man die Maſſe mit Regenwaſſer netzt und der Sonne ausſetzt, ſchießt das Salz in großen Kriſtallen an. Die Lagune weſtlich vom Schloß Santiago zeigt alle Erſcheinungen, wie ſie von Lepechin, Gmelin und Pallas in den ſibiriſchen Salzſeen beobachtet worden ſind. Sie nimmt übrigens nur das Regenwaſſer auf, das durch die Thonſchichten durchſickert und ſich am tiefſten Punkte der Halbinſel ſammelt. Solange die Lagune den Spaniern und Holländern als Salzwerk diente, ſtand ſie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun dieſe Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer im Jahre 1726 eingebrochen war, einen Faſchinendamm anlegte. Nach großer Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune 3 bis 4 Kubikfuß große Klumpen kriſtalliſierten, ſehr reinen ſalzſauren Natrons herauf - gefördert. Das der brennenden Sonne ausgeſetzte Salzwaſſer des Sees verdunſtet an der Oberfläche; in der geſättigten Löſung bilden ſich Salzkruſten, ſinken zu Boden, und da Kriſtalle von derſelben Zuſammenſetzung und der gleichen Ge - ſtalt einander anziehen, ſo wachſen die kriſtalliniſchen Maſſen von Tag zu Tage an. Man beobachtet im allgemeinen, daß das Waſſer überall, wo ſich Lachen im Thonboden gebildet haben, ſalzhaltig iſt. Im neuen Salzwerk bei den Batterien195 von Araya leitet man allerdings das Meerwaſſer in die Kaſten, wie in den Salzſümpfen im mittäglichen Frankreich; aber auf der Inſel Margarita bei Pampadar wird das Salz nur dadurch bereitet, daß man ſüßes Waſſer den ſalzhaltigen Thon auslaugen läßt.

Das Salz, das in Thonbildungen enthalten iſt, darf nicht verwechſelt werden mit dem Salz, das im Sande am Meeresufer vorkommt und das an den Küſten der Normandie ausgebeutet wird. Dieſe beiden Erſcheinungen haben, aus geologiſchem Geſichtspunkt betrachtet, ſo gut wie nichts mit - einander gemein. Ich habe ſalzhaltigen Thon am Meeres - ſpiegel, bei Punta Araya, und in 3900 m Höhe in den Kordilleren von Neugranada geſehen. Wenn derſelbe am erſtgenannten Orte unter einer Muſchelbreccie von ſehr neuer Bildung liegt, ſo tritt er dagegen bei Iſchl in Oeſterreich als mächtige Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls jünger als die Exiſtenz organiſcher Weſen auf der Erde, doch ſehr alt iſt, wie die vielen Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert ſind. Wir wollen nicht in Zweifel ziehen, daß das reine1Das von Wielicka und Peru. oder mit ſalzhaltigem Thon vermengte Steinſalz2Das von Hallein, Iſchl und Zipaquira. der Niederſchlag eines alten Meeres ſein könne, alles weiſt aber darauf hin, daß es ſich unter Naturverhältniſſen gebildet hat, die ſehr bedeutend abweichen mußten von denen, unter welchen die jetzigen Meere infolge allmählicher Verdunſtung hier und da ein paar Körner ſalzſauren Natrons im Uferſande nieder - ſchlagen. Wie der Schwefel und die Steinkohle ſehr weit auseinander liegenden Formationen angehören, kommt auch das Steinſalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in einem mit ſehr neuem Muſchelſandſtein bedeckten Salzthon (Punta Araya), bald in einem Gips vor, der jünger iſt als die Kreide.

Das neue Salzwerk von Araya beſteht aus fünf Be - hältern oder Kaſten, von denen die größten eine regelmäßige Form und 87,4 a Oberfläche haben. Die mittlere Tiefe be - trägt 21 cm. Man bedient ſich ſowohl des Regenwaſſers, das ſich durch Einſickerung am tiefſten Punkt der Ebene ſam - melt, als des Meerwaſſers, das durch Kanäle hereingeleitet wird, wenn der Wind die See an die Küſte treibt. Dieſes Salzwerk iſt nicht ſo günſtig gelegen wie die Lagune. Das196 Waſſer, das in die letztere fällt, kommt von ſtärker geneigten Abhängen und hat ein größeres Bodenſtück ausgelaugt. Die Indianer pumpen mit der Hand das Meerwaſſer aus einem Hauptbehälter in die Kaſten. Leicht ließe ſich indeſſen der Wind als Triebkraft benützen, da der Seewind fortwährend ſtark auf die Küſte bläſt. Man hat nie daran gedacht, weder die bereits ausgelaugte Erde wegzuſchaffen, noch Schachte im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzuſuchen, die reicher an ſalzſaurem Natron ſind. Die Salzarbeiter klagen meiſt über Regenmangel, und beim neuen Salzwerk ſcheint es mir ſchwer auszumitteln, welches Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewaſſers kommt. Die Eingeborenen ſchätzen es auf ein Sechsteil des ganzen Ertrages. Die Verdunſtung iſt ſehr ſtark und wird durch den beſtändigen Luftzug ge - ſteigert; das Salz wird aber auch am 18. bis 20. Tage, nachdem man die Behälter gefüllt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. Auguſt um 3 Uhr nachmittags) die Temperatur des Salzwaſſers in den Kaſten 32,5°, während die Luft im Schatten 27,2° und der Sand an der Küſte in 16 cm Tiefe 42,5° zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und ſahen ihn zu unſerer Ueberraſchung nur auf 23° ſteigen. Dieſe niedrige Temperatur rührt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinſel Araya und die Inſel Mar - garita umgeben, und an deren Abfällen ſich tiefere Waſſer - ſchichten mit den oberflächlichen vermiſchen.

Obgleich das ſalzſaure Natron auf der Halbinſel Araya nicht ſo ſorgfältig bereitet wird als in den europäiſchen Salz - werken, iſt es dennoch reiner und enthält weniger ſalzſaure und ſchwefelſaure Erden. Wir wiſſen nicht, ob dieſe Reinheit dem Anteil von Salz, den das Meer liefert, zuzuſchreiben iſt; denn wenn auch die Menge der im Meerwaſſer gelöſten Salze höchſt wahrſcheinlich unter allen Himmelsſtrichen dieſelbe iſt,1Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Länder, wo ſich Polargletſcher bilden. Dieſes Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres erinnert an die noch weit größere Gleichförmigkeit der Ver - teilung des Sauerſtoffes im Luftmeer. In beiden Elementen wird das Gleichgewicht in der Löſung oder im Gemenge durch Strö - mungen hergeſtellt und erhalten. ſo weiß man doch nicht, ob auch das Verhältnis zwiſchen dem ſalzſauren Natron, der ſalzſauren und ſchwefelſauren Bittererde und dem ſchwefelſauren und kohlenſauren Kalk ſich gleich bleibt.

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Nachdem wir die Salinen beſehen und unſere geodätiſchen Arbeiten beendigt hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer indianiſchen Hütte bei den Trümmern des Schloſſes von Araya die Nacht zuzubringen. Unſere Inſtrumente und unſeren Mundvorrat ſchickten wir voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Re - verberation des Bodens erſchöpft waren, ſpürten wir in dieſen Ländern nur abends und in der Morgenkühle Eßluſt. Wir wandten uns nach Süd und gingen zuerſt über die kahle mit Salzthon bedeckte Ebene, und dann über zwei aus Sandſtein beſtehende Hügelketten, zwiſchen denen die Lagune liegt. Die Nacht überraſchte uns, während wir einen ſchmalen Pfad ver - folgten, der einerſeits vom Meer, andererſeits von ſenkrechten Felswänden begrenzt iſt. Die Flut war im raſchen Steigen und engte unſeren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am Fuße des alten Schloſſes von Araya angelangt, lag ein Natur - bild mit einem melancholiſchen, romantiſchen Anſtrich vor uns, und doch wurde weder durch die Kühle eines finſteren Forſtes, noch durch die Großartigkeit der Pflanzengeſtalten die Schön - heit der Trümmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen, dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und Mimoſen be - wachſen, und gleichen nicht ſowohl einem Werke von Menſchen - hand, als vielmehr Felsmaſſen, die in den älteſten Umwälzun - gen des Erdballes zertrümmert worden.

Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau - ſpieles zu genießen und den Untergang der Venus zu beob - achten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwiſchen dem Gemäuer des Schloſſes erſchien; aber der Mulatte, der uns als Führer diente, wollte verdurſten und drang lebhaft in uns, umzu - kehren. Er hatte längſt gemerkt, daß wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, ſprach er beſtändig von Tigern und Klapperſchlangen. Giftige Rep - tilien ſind allerdings beim Schloſſe Araya ſehr häufig, und erſt vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez zwei Jaguare erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren ſie nicht viel kleiner als die oſtindiſchen Tiger. Ver - geblich führten wir unſerem Führer zu Gemüt, daß dieſe Tiere an einer Küſte, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung bieten, keinen Menſchen anfallen; wir mußten nachgeben und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelſtunden über einen von der ſteigenden Flut bedeckten Strand gegangen, ſtieß der Neger zu uns, der unſeren Mund -198 vorrat getragen hatte; da er uns nicht kommen ſah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er führte uns durch ein Gebüſch von Fackeldiſteln zu der Hütte einer indianiſchen Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gaſt - freundſchaft aufgenommen, die man in dieſen Ländern bei Menſchen aller Kaſten findet. Von außen war die Hütte, in der wir unſere Hängematten befeſtigten, ſehr ſauber; wir fanden daſelbſt Fiſche, Bananen u. dgl., und, was im heißen Landſtrich über die ausgeſuchteſten Speiſen geht, vortreffliches Waſſer.

Des anderen Tages bei Sonnenaufgang ſahen wir, daß die Hütte, in der wir die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleiner Wohnungen am Ufer des Salzſees gehörte. Es ſind dies die ſchwachen Ueberbleibſel eines anſehnlichen Dorfes, das ſich einſt um das Schloß gebildet. Die Trümmer einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachſen. Nachdem im Jahre 1762 das Schloß von Araya, um die Unterhaltungskoſten der Beſatzung zu erſparen, gänz - lich zerſtört worden war, zogen ſich die in der Umgegend angeſiedelten Indianer und Farbigen allmählich nach Mani - quarez, Cariaco und in die indianiſche Vorſtadt von Cu - mana. Nur wenige blieben aus Anhänglichkeit an den Heimatsboden am wilden, öden Ort. Dieſe armen Leute leben vom Fiſchfang, der an den Küſten und auf den Untiefen in der Nähe äußerſt ergiebig iſt. Sie ſchienen mit ihrem Los zufrieden und fanden die Frage ſeltſam, warum ſie keine Gärten hätten und keine nutzbaren Gewächſe bauten. Unſere Gärten, ſagten ſie, ſind drüben über der Meerenge; wir bringen Fiſche nach Cumana und verſchaffen uns dafür Ba - nanen, Kokosnüſſe und Manioc. Dieſe Wirtſchaft, die der Trägheit zuſagt, iſt in Maniquarez und auf der ganzen Halb - inſel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner be - ſteht in Ziegen, die ſehr groß und ſchön ſind. Sie laufen frei umher, wie die Ziegen auf dem Pik von Tenerifa; ſie ſind völlig verwildert und man zeichnet ſie wie die Maul - tiere, weil ſie nach Ausſehen, Farbe und Zeichnung nicht zu unterſcheiden wären. Die wilden Ziegen ſind hellbraun und nicht verſchiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Koloniſt auf der Jagd eine Ziege ſchießt, die er nicht als ſein Eigen - tum erkennt, ſo bringt er ſie ſogleich dem Nachbar, dem ſie gehört. Zwei Tage lang hörten wir als von einer ſelten vorkommenden Niederträchtigkeit davon ſprechen, daß einem199 Einwohner von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und daß wahrſcheinlich eine Familie in der Nachbarſchaft ſich gütlich damit gethan habe. Dergleichen Züge, die für große Sittenreinheit beim gemeinen Volke ſprechen, kommen häufig auch in Neumexiko, in Kanada und in den Ländern weſtlich von den Alleghanies vor.

Unter den Farbigen, deren Hütten um den Salzſee ſtehen, befand ſich ein Schuhmacher von kaſtilianiſchem Blute. Er nahm uns mit dem Ernſt und der Selbſtgefälligkeit auf, die unter dieſen Himmelsſtrichen faſt allen Leuten eigen ſind, die ſich für beſonders begabt halten. Er war eben daran, die Sehne ſeines Bogens zu ſpannen und Pfeile zu ſpitzen, um Vögel zu ſchießen. Sein Gewerbe als Schuſter konnte in einem Lande, wo die meiſten Leute barfuß gehen, nicht viel eintragen; er beſchwerte ſich auch, daß das europäiſche Pulver ſo teuer ſei und ein Mann wie er zu denſelben Waffen greifen müſſe wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des Dorfes; er wußte, wie ſich das Salz durch den Einfluß der Sonne und des Vollmondes bildet, er kannte die Vor - zeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo ſich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie alle Koloniſten von Chile bis Kalifornien, in heiße und kalte1Reizende und ſchwächende, ſtheniſche oder aſtheniſche nach Browns Syſtem. einteilte. Er hatte die geſchichtlichen Ueberlieferungen des Landes geſammelt, und gab uns intereſſante Notizen über die Perlen von Cubagua, welchen Luxusartikel er höchſt weg - werfend behandelte. Um uns zu zeigen, wie bewandert er in der heiligen Schrift ſei, führte er wohlgefällig den Spruch Hiobs an, daß Weisheit höher zu wägen iſt, denn Perlen. Seine Philoſophie ging nicht über den engen Kreis der Lebens - bedürfniſſe hinaus. Ein derber Eſel, der eine tüchtige Ladung Bananen an den Landungsplatz tragen könnte, war das höchſte Ziel ſeiner Wünſche.

Nach einer langen Rede über die Eitelkeit menſchlicher Herrlichkeit zog er aus einer Ledertaſche ſehr kleine und trübe Perlen und drang uns dieſelben auf. Zugleich hieß er uns, es in unſere Schreibtafel aufzuzeichnen, daß ein armer Schuſter von Araya, aber ein weißer Mann und von edlem kaſtiliſchem Blute, uns etwas habe ſchenken können, das drüben über dem Meer für eine große Koſtbarkeit gelte. Ich komme dem Ver -200 ſprechen, das ich dem braven Manne gab, etwas ſpät nach und freue mich, dabei bemerken zu können, daß ſeine Uneigen - nützigkeit ihm nicht geſtattete, irgend eine Vergütung anzu - nehmen. An der Perlenküſte ſieht es allerdings ſo armſelig aus, wie im Gold - und Diamantenland , in Choco und Braſilien; aber mit dem Elend paart ſich hier nicht die zügel - loſe Gewinnſucht, wie ſie durch Schätze des Mineralreiches erzeugt wird.

Die Perlenmuſchel iſt auf den Untiefen, die ſich vom Kap Paria zum Kap Vela erſtrecken, ſehr häufig. Die Inſel Margarita, Cubagua, Coche, Punta Araya und die Mündung des Rio la Hacha waren im 16. Jahrhundert berühmt, wie im Altertum der Perſiſche Meerbuſen und die Inſel Ta - probane. 1Strabo Lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus, Polyhistor. c. 68; beſonders Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, c. 45.Es iſt nicht richtig, was mehrere Geſchichtſchreiber behaupten, daß die Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben ſollen. Die Spanier, die zuerſt an Terra Firma landeten, ſahen bei den Wilden Hals - und Armbänder, und bei den civiliſierten Völkern in Mexiko und Peru waren Perlen von ſchöner Form ungemein geſucht. Ich habe die Baſaltbüſte einer mexikaniſchen Prieſterin bekannt gemacht,2Humboldt, Atlas pittoresque Tafel 1 und 2. deren Kopfputz, der auch ſonſt mit der Calantica der Iſisköpfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen beſetzt iſt. Las Caſas und Benzoni erzählen, und zwar nicht ohne Ueber - treibung, wie grauſam man mit den Indianern und Negern umging, die man zur Perlenfiſcherei brauchte. In der erſten Zeit der Eroberung lieferte die Inſel Coche allein 1500 Mark Perlen monatlich. Der Quint, den die königlichen Beamten vom Ertrag an Perlen erhoben, belief ſich auf 15000 Dukaten, nach dem damaligen Wert der Metalle und in Betracht des ſtarken Schmuggels eine ſehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 ſcheint ſich der Wert der nach Europa geſendeten Perlen im Jahresdurchſchnitt auf mehr als 800000 Piaſter belaufen zu haben. Um zu ermeſſen, von welcher Bedeutung dieſer Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua ſein mochte, muß man bedenken, daß zur ſelben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen Piaſter lieferten201 und daß die Flotte Ovandos für unermeßlich reich galt, weil ſie gegen 2600 Mark Silber führte.

Die Perlen waren deſto geſuchter, da der aſiatiſche Luxus auf zwei gerade entgegengeſetzten Wegen nach Europa ge - drungen war, von Konſtantinopel her, wo die Paläologen reich mit Perlen geſtickte Kleider trugen, und von Granada her, wo die mauriſchen Könige ſaßen, an deren Hof der ganze aſiatiſche Prunk herrſchte. Die oſtindiſchen Perlen waren geſchätzter als die weſtindiſchen; indeſſen kamen doch die letzteren in der erſten Zeit nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in Spanien wurde die Inſel Cubagua das Ziel zahlreicher Handelsunternehmungen. Benzoni erzählt, was einem gewiſſen Ludwig Lampagnano begegnete, dem Karl der Fünfte das Privilegium erteilt hatte, mit fünf Caravelen an die Küſte von Cumana zu gehen und Perlen zu fiſchen. Die Anſiedler ſchickten ihn mit der kecken Antwort heim, der Kaiſer gehe mit etwas, das nicht ſein gehöre, allzu freigebig um; es ſtehe ihm nicht das Recht zu, über Auſtern zu verfügen, die auf dem Meeresboden leben.

Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts nahm die Perlen - fiſcherei raſch ab, und nach Laets Angabe1Insularum Cubaguae et Coches quondam magna fuit dignitas, quum unionum captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama. Laet. Nov. Orbis p. 669. Dieſer ſorgfältige Kompilator ſagt, wo er von der Punta Araya ſpricht, weiter, das Land ſei dergeſtalt in Vergeſſenheit geraten, ut vix ulla alia Americae meridionalis pars hodie obscurior sit . hatte ſie im Jahre 1633 längſt aufgehört. Durch den Gewerbfleiß der Venediger, welche die echten Perlen täuſchend nachmachten, und den ſtarken Gebrauch der geſchnittenen Diamanten2Das Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erſt im folgenden Jahrhundert. wurden die Fiſchereien in Cubagua weniger einträglich. Zugleich wurden die Perlen - muſcheln ſeltener, nicht, wie man nach der Volksſage glaubt, weil die Tiere vom Geräuſch der Ruder verſcheucht wurden, ſondern weil man im Unverſtand die Muſcheln zu Tauſenden abgeriſſen und ſo ihrer Fortpflanzung Einhalt gethan hatte. Die Perlenmuſchel iſt noch von zarterer Konſtitution als die meiſten anderen kopfloſen Weichtiere. Auf der Inſel Ceylon, wo in der Bucht von Condeatchy die Perlenfiſcherei ſechs -202 hundert Taucher beſchäftigt und der jährliche Ertrag über eine halbe Million ſteigt, hat man das Tier vergeblich auf andere Küſtenpunkte zu verpflanzen geſucht. Die Regierung geſtattet die Fiſcherei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die Muſchelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um ſich eine Vorſtellung davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter dieſem Tiergeſchlecht aufräumen, muß man bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über 35000 Muſcheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erſt im vierten Jahre an zum Vorſchein zu kommen. In 10000 Muſcheln iſt oft nicht eine wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fiſcher auf der Bank bei der Inſel Margarita die Muſcheln Stück für Stück; auf Ceylon ſchüttet man die Tiere auf und läßt ſie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen hängen, wäſcht man die Haufen tieriſchen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen den Sand auswäſcht, der Gold - oder Zinngeſchiebe oder Diamanten enthält.

Gegenwärtig bringt das ſpaniſche Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbuſen von Panama und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita iſt die Fiſcherei aufgegeben, wie an der kaliforniſchen Küſte. 1Es wundert mich, auf unſeren Reiſen nirgends gehört zu haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwaſſermuſcheln gefunden worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio in den peruaniſchen Flüſſen in großer Menge vor.Man glaubt in Cumana, die Perlenmuſchel habe ſich nach zwei - hundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt,2Im Jahre 1812 ſind bei Margarita einige Verſuche gemacht worden, die Perlenfiſcherei wieder aufzunehmen. und man fragt ſich, warum die Perlen, die man jetzt in Muſcheln findet, die an den Fiſchnetzen hängen bleiben,3Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen ſolche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis iſt ein Piaſter für das Dutzend. ſo klein ſind und ſo wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier ſehr ſchöne bei den Indianern fand, die doch ſchwerlich da - nach tauchten. Dieſe Frage iſt deſto ſchwerer zu beantworten, da wir nicht wiſſen, ob etwa Erdbeben die Beſchaffenheit des Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in203 untermeeriſchen Strömen auf die Temperatur des Waſſers oder auf die Häufigkeit gewiſſer Weichtiere, von denen ſich die Muſcheln nähren, Einfluß geäußert haben.

Am 20. morgens führte uns der Sohn unſeres Wirtes, ein ſehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch das Rückprallen der Sonnenſtrahlen vom Sand ſtieg der Thermometer auf 31,3°. Die Säulenkaktus, die am Wege ſtehen, geben der Landſchaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unſer Führer ſetzte ſich, ehe er 5 km weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines ſchönen Tamarindenbaumes bei den Caſas de la Vela wollte er ſich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht ab - zuwarten. Ich hebe dieſen Charakterzug hervor, da er einem überall entgegentritt, ſo oft man mit Indianern reiſt, und zu den irrigſten Vorſtellungen von der Körperverfaſſung der ver - ſchiedenen Menſchenraſſen Anlaß gegeben hat. Der kupfer - farbige Eingeborene, der beſſer als der reiſende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsſtriches gewöhnt iſt, beklagt ſich nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld iſt keine Lockung für ihn, und hat er ſich je einmal durch Gewinnſucht verführen laſſen, ſo reut ihn ſein Entſchluß, ſo - bald er auf dem Wege iſt. Derſelbe Indianer aber, der ſich beklagt, wenn man ihm beim Botaniſieren eine Pflanzenbüchſe zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die raſcheſte Strömung und rudert ſo 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er ſich zu den Seinigen zurückſehnt. Will man die Muskelkraft der Völker richtig ſchätzen lernen, muß man ſie unter Umſtänden beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen beſtimmt werden.

Wir beſahen in der Nähe die Trümmer des Schloſſes Santiago, das durch ſeine ausnehmend feſte Bauart merk - würdig iſt. Die Mauern aus behauenen Steinen ſind 1,6 m dick; man mußte ſie mit Minen ſprengen; man ſieht noch Mauerſtücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen. Unſer Führer zeigte uns eine Ziſterne (el aljibe), die 10 m tief iſt und, obgleich ziemlich ſchadhaft, den Bewohnern der Halbinſel Araya Waſſer liefert. Dieſe Ziſterne wurde im Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demſelben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im Rundbogen geſchloſſen iſt, ſo bleibt das Waſſer darin friſch204 und ſehr gut. Konferven, die den Kohlenwaſſerſtoff zerſetzen und zugleich Würmern und Inſekten zum Aufenthalt dienen, bilden ſich nicht darin. Jahrhundertelang hatte man geglaubt, die Halbinſel Araya habe gar keine Quellen ſüßen Waſſers, aber im Jahre 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem vergeblichen Suchen doch ſolches gefunden.

Als wir über die kahlen Hügel am Vorgebirge Cirial gingen, ſpürten wir einen ſtarken Bergölgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die Bergölquellen liegen, deren ſchon die erſten Beſchreibungen dieſer Länder erwähnen. Das Töpfergeſchirr von Maniquarez iſt ſeit unvordenklicher Zeit berühmt, und dieſer Induſtriezweig iſt ganz in den Händen der Indianerweiber. Es wird noch gerade ſo fabriziert wie vor der Eroberung. Dieſes Verfahren iſt einerſeits eine Probe vom Zuſtand der Künſte in ihrer Kindheit, und andererſeits von der Starrheit der Sitten, die allen eingeborenen Völkern Amerikas als ein Charakterzug eigen iſt. In 300 Jahren konnte die Töpferſcheibe keinen Eingang auf einer Küſte finden, die von Spanien nur 30 bis 40 Tagereiſen zur See entfernt iſt. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorſtellung davon, daß es ein ſolches Werkzeug gibt, und ſie würden ſich des - ſelben bedienen, wenn man ihnen das Muſter in die Hand gäbe. Die Thongruben ſind 2,75 km öſtlich von Maniquarez. Dieſer Thon iſt das Zerſetzungsprodukt eines durch Eiſenoxyd rot gefärbten Glimmerſchiefers. Die Indianerinnen nehmen vorzugsweiſe ſolchen, der viel Glimmer enthält. Sie formen mit großem Geſchick Gefäße von 60 cm bis 1 m Durchmeſſer mit ſehr regelmäßiger Krümmung. Da ſie den Brennofen nicht kennen, ſo ſchichten ſie Strauchwerk von Desmanthus, Caſſia und baumartiger Capparis um die Töpfe und brennen ſie in freier Luft. Weiter weſtwärts von der Thongrube liegt die Schlucht der Mina (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung ſollen venezianiſche Goldſchürfer dort Gold aus dem Glimmerſchiefer gewonnen haben. Dieſes Metall ſcheint hier nicht auf Quarzgängen vorzukommen, ſondern im Geſtein eingeſprengt zu ſein, wie zuweilen im Granit und Gneis.

Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagd - partie auf Cubagua kamen. Die Hirſche von der kleinen Art ſind auf dieſem unbewohnten Eilande ſo häufig, daß man täglich drei und vier ſchießen kann. Ich weiß nicht, wie die Tiere hinübergekommen ſind; denn Laet und andere Chroniſten des Landes, die von der Gründung von Neucadiz berichten,205 ſprechen nur von der Menge Kaninchen auf der Inſel. Der Venado auf Cubagua gehört zu einer der vielen kleinen amerikaniſchen Hirſcharten, die von den Zoologen lange unter dem allgemeinen Namen Cervus Americanus zuſammenge - geworfen wurden. Er ſcheint mir nicht identiſch mit der Biche des Savanes von Guadeloupe oder dem Guazuti in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell iſt auf dem Rücken rotbraun, am Bauche weiß; es iſt gefleckt, wie beim Axis. In den Ebenen am Cari zeigte man uns, als eine große Seltenheit in dieſen heißen Ländern, eine weiße Spielart. Es war eine Hirſchkuh von der Größe des euro - päiſchen Rehes und von äußerſt zierlicher Geſtalt. Albinos kommen in der Neuen Welt ſogar unter den Tigern vor. Azara ſah einen Jaguar, auf deſſen ganz weißem Fell man nur hier und da gleichſam einen Schatten von den runden Flecken ſah.

Für den merkwürdigſten, man kann ſagen für den wun - derbarſten aller Naturkörper auf der Küſte von Araya gilt beim Volke der Augenſtein, Piedra de los ojos. Dieſes Gebilde aus Kalkerde iſt in aller Munde; nach der Volks - phyſik iſt es ein Stein und ein Tier zugleich. Man findet es im Sande, und da rührt es ſich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt es auf eine ebene Fläche, z. B. auf einen Zinn - oder Fayence-Teller, ſo bewegt es ſich, ſobald man es durch Zitronenſaft reizt. Steckt man es ins Auge, ſo dreht ſich das angebliche Tier um ſich ſelbſt und ſchiebt jeden fremden Körper heraus, der zufällig ins Auge geraten iſt. Auf der neuen Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns ſolche Augenſteine zu Hunderten und die Eingeborenen machten uns den Verſuch mit dem Zitronenſaft eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns ſelbſt von der Wirkſamkeit des Mittels überzeugten. Wir ſahen als - bald, daß dieſe Steine die dünnen, poröſen Deckel kleiner ein - ſchaliger Muſcheln ſind. Sie haben 2 bis 8 mm Durchmeſſer; die eine Fläche iſt eben, die andere gewölbt. Dieſe Kalkdeckel brauſen mit Zitronenſaft auf und rücken von der Stelle, indem ſich die Kohlenſäure entwickelt. Infolge ähnlicher Reaktion bewegt ſich zuweilen das Brot im Backofen auf wagerechter Fläche, was in Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlaß gegeben hat. Die Piedras de los ojos wirken, wenn man ſie ins Auge ſchiebt, wie die kleinen Perlen und ver - ſchiedene runde Samen, deren ſich die Wilden in Amerika206 bedienen, um den Thränenfluß zu ſteigern. Dieſe Erklärungen waren aber gar nicht nach dem Geſchmack der Einwohner von Araya. Die Natur erſcheint dem Menſchen deſto größer, je geheimnisvoller ſie iſt, und die Volksphyſik weiſt alles von ſich, was einfach iſt.

Oſtwärts von Maniquarez an der Südküſte liegen nahe aneinander drei Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito. In dieſer Gegend be - ſteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerſchiefer, und aus dieſer Gebirgsart entſpringt bei Punta de la Brea, aber 26 m vom Ufer, eine Naphthaquelle, deren Geruch ſich weit in die Halbinſel hinein verbreitet. Man mußte bis zum halben Leibe ins Waſſer gehen, um die intereſſante Erſcheinung in der Nähe zu beobachten. Das Waſſer iſt mit Zostera bedeckt, und mitten in einer ſehr großen Bank dieſes Gewächſes ſieht man einen freien runden Fleck von 1 m Durchmeſſer, auf dem einzelne Maſſen von Ulva lactuca ſchwimmen. Hier kommen die Quellen zu Tage. Der Boden des Meerbuſens iſt mit Sand bedeckt, und das Bergöl, das, durchſichtig und von gelber Farbe, der eigentlichen Naphtha nahe kommt, ſprudelt ſtoß - weiſe unter Entwickelung von Luftblaſen hervor. Stampft man den Boden mit den Füßen feſt, ſo ſieht man die kleinen Quellen wegrücken. Die Naphtha bedeckt das Meer über 320 m weit. Nimmt man an, daß das Fallen der Schichten ſich gleich bleibt, ſo muß der Glimmerſchiefer wenige Meter unter dem Sande liegen.

Der Salzthon von Araya enthält feſtes, zerreibliches Bergöl. Dieſes geologiſche Verhältnis zwiſchen ſalzſaurem Natron und Erdpech kommt in allen Steinſalzgruben und bei allen Salzquellen vor, aber als ein höchſt merkwürdiger Fall erſcheint das Vorkommen einer Naphthaquelle in einer Urge - birgsart. Alle bis jetzt bekannten gehören ſekundären Forma - tionen an, und dieſer Umſtand ſchien für die Annahme zu ſprechen, daß alles mineraliſche Harz Produkt der Zerſetzung von Pflanzen und Tieren oder des Brandes der Steinkohlen ſei. Auf der Halbinſel Araya aber fließt die Naphtha aus dem Urgebirge ſelbſt, und dieſe Erſcheinung wird noch bedeu - tender, wenn man bedenkt, daß in dieſem Urgebirge der Herd des unterirdiſchen Feuers iſt, daß man am Rande brennender Krater zuweilen Naphthageruch bemerkt, und daß die meiſten heißen Quellen Amerikas aus Gneis und Glimmerſchiefer hervorbrechen.

207

Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgeſehen, beſtiegen wir ein Fiſcherboot, um nach Cumana zurückzukehren. Nichts zeigt ſo deutlich, wie ruhig die See in dieſen Strichen iſt, als die Kleinheit und der ſchlechte Zu - ſtand dieſer Kähne, die ein ſehr hohes Segel führen. Der Kahn, den wir ausgeſucht hatten, weil er noch am wenigſten beſchädigt war, zeigte ſich ſo leck, daß der Sohn des Steuer - mannes fortwährend mit einer Tutuma, der Frucht der Cres - centia cujete, das Waſſer ausſchöpfen mußte. Es kommt im Meerbuſen von Cariaco, beſonders nordwärts von der Halbinſel Araya, nicht ſelten vor, daß die mit Kokosnüſſen beladenen Piroguen umſchlagen, wenn ſie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenſchlag ſteuern. Vor ſolchen Unfällen fürchten ſich aber nur Reiſende, die nicht gut ſchwimmen können; denn wird die Pirogue von einem indianiſchen Fiſcher mit ſeinem Sohne geführt, ſo dreht der Vater den Kahn wieder um und macht ſich daran, das Waſſer hinauszuſchaffen, während der Sohn ſchwimmend die Kokosnüſſe zuſammenholt. In weniger als einer Viertelſtunde iſt die Pirogue wieder unter Segel, ohne daß der Indianer in ſeinem unerſchöpflichen Gleichmut eine Klage hätte hören laſſen.

Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rückkehr vom Orinoko noch einmal beſuchten, haben nicht vergeſſen, daß ihre Halbinſel einer der Punkte iſt, wo ſich am früheſten Kaſtilianer niedergelaſſen. Sie ſprechen gern von der Perlenfiſcherei, von den Ruinen des Schloſſes Santiago, das, wie ſie hoffen, einſt wieder aufgebaut wird, überhaupt von dem, was ſie den ehe - maligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man erſt ſeit 2000 Jahren kennt, für neue Erfindung; in den europäiſchen Niederlaſſungen erſcheint ein Ereignis, das 300 Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinaufreicht, als ungemein alt. Dieſer Mangel an alter Ueber - lieferung, der den jungen Völkern in den Vereinigten Staaten wie in den ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitzungen eigen iſt, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Pein - liches für den Reiſenden, der ſich dadurch um den höchſten Genuß der Einbildungskraft gebracht ſieht, er äußert auch ſeinen Einfluß auf die mehr oder minder ſtarken Bande, die den Koloniſten an den Boden feſſeln, auf dem er wohnt, an die Geſtalt der Felſen, die ſeine Hütte umgeben, an die Bäume, in deren Schatten ſeine Wiege geſtanden.

Bei den Alten, z. B. bei Phöniziern und Griechen,208 gingen Ueberlieferungen und geſchichtliches Bewußtſein des Volkes vom Mutterlande auf die Kolonieen über, erbten dort von Geſchlecht zu Geſchlecht fort und äußerten fortwährend den beſten Einfluß auf Geiſt, Sitten und Politik der An - ſiedler. Das Klima in jenen erſten Niederlaſſungen über dem Meere war vom Klima des Mutterlandes nicht ſehr verſchieden. Die Griechen in Kleinaſien und auf Sizilien entfremdeten ſich nicht den Einwohnern von Argos, Athen und Korinth, von denen abzuſtammen ihr Stolz war. Große Ueberein - ſtimmung in Sitte und Brauch that das Ihrige dazu, eine Verbindung zu befeſtigen, die ſich auf religiöſe und politiſche Intereſſen gründete. Häufig opferten die Kolonieen die Erſt - linge ihrer Ernten in den Tempeln der Mutterſtädte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer auf den Altären von Heſtia erloſchen war, ſo ſchickte man von hinten in Jonien nach Griechenland und ließ es aus den Prytaneen wieder holen. Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Mäotis, erhielten ſich die alten Ueberliefe - rungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die gleich mächtig zur Einbildungskraft ſprechen, hafteten an den Ko - lonieen ſelbſt. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutz - gottheiten, ihren lokalen Mythenkreis; ſie hatten, was den Dichtungen der früheſten Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm ſelbſt über das Mutterland Glanz verbreitete.

Dieſer und noch mancher andern Vorteile entbehren die heutigen Anſiedelungen. Die meiſten wurden in einem Land - ſtrich gegründet, wo Klima, Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landſchaft ganz anders ſind als in Europa. Wenn auch der Anſiedler Bergen, Flüſſen, Thälern Namen beilegt, die an vaterländiſche Landſchaften erinnern, dieſe Namen verlieren bald ihren Reiz und ſagen den nachkommenden Ge - ſchlechtern nichts mehr. In fremdartiger Naturumgebung er - wachſen aus neuen Bedürfniſſen andere Sitten; die geſchicht - lichen Erinnerungen verblaſſen allmählich, und die ſich erhalten, knüpfen ſich fortan gleich Phantaſiegebilden weder an einen beſtimmten Ort, noch an eine beſtimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagios und des Cid Campeador iſt bis in die Ge - birge und Wälder Amerikas gedrungen; dem Volke kommen je zuweilen dieſe glorreichen Namen auf die Zunge, aber ſie ſchweben ſeiner Seele vor wie Weſen aus einer idealen Welt, aus dem Dämmer der Fabelzeit.

209

Der neue Himmel, das ganz veränderte Klima, die phy - ſiſche Beſchaffenheit des Landes wirken weit ſtärker auf die geſellſchaftlichen Zuſtände in den Kolonieen ein, als die gänz - liche Trennung vom Mutterlande. Die Schiffahrt hat in neuerer Zeit ſolche Fortſchritte gemacht, daß die Mündungen des Orinoko und Rio de la Plata näher bei Spanien zu liegen ſcheinen, als einſt der Phaſis und Tarteſſus von den griechiſchen und phöniziſchen Küſten. Man kann auch die Bemerkung machen, daß ſich in gleich weit von Europa ent - fernten Ländern Sitten und Ueberlieferungen desſelben im gemäßigten Erdſtrich und auf dem Rücken der Gebirge unter dem Aequator mehr erhalten haben als in den Tiefländern der heißen Zone. Die Aehnlichkeit der Naturumgebung trägt in gewiſſem Grade dazu bei, innigere Beziehungen zwiſchen den Koloniſten und dem Mutterlande aufrecht zu erhalten. Dieſer Einfluß phyſiſcher Urſachen auf die Zuſtände jugendlicher ge - ſellſchaftlicher Vereine tritt beſonders auffallend hervor, wenn es ſich von Gliedern desſelben Volksſtammes handelt, die ſich noch nicht lange getrennt haben. Durchreiſt man die Neue Welt, ſo meint man überall da, wo das Klima den Anbau des Getreides geſtattet, mehr Ueberlieferungen, einem leben - digeren Andenken an das Mutterland zu begegnen. In dieſer Beziehung kommen Pennſylvanien, Neumexiko und Chile mit den hochgelegenen Plateaus von Quito und Neuſpanien über - ein, die mit Eichen und Fichten bewachſen ſind.

Bei den Alten waren die Geſchichte, die religiöſen Vor - ſtellungen und die phyſiſche Beſchaffenheit des Landes durch unauflösliche Bande verknüpft. Um die Landſchaften und die alten bürgerlichen Stürme des Mutterlandes zu vergeſſen, hätte der Anſiedler auch dem von ſeinen Voreltern über - lieferten Götterglauben entſagen müſſen. Bei den neueren Völkern hat die Religion, ſo zu ſagen, keine Lokalfarbe mehr. Das Chriſtentum hat den Kreis der Vorſtellungen erweitert, es hat alle Völker darauf hingewieſen, daß ſie Glieder einer Familie ſind, aber eben damit hat es das Nationalgefühl geſchwächt; es hat in beiden Welten die uralten Ueber - lieferungen des Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigentümlich angehören. Völker von ganz verſchiedener Herkunft und völlig abweichender Mundart haben damit ge - meinſchaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die Miſſionen in einem großen Teil des neuen Feſtlandes die Grundlagen der Kultur gelegt worden ſind, ſo haben ebenA. v. Humboldt, Reiſe. I. 14210damit die chriſtlichen kosmogoniſchen und religiöſen Vorſtel - lungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen Erinnerungen erhalten.

Noch mehr: die amerikaniſchen Kolonieen ſind faſt durch - aus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geſchlechter kaum eine Spur ihres Daſeins hinterlaſſen haben. Nord - wärts vom Rio Gila, an den Ufern des Miſſouri, auf den Ebenen, die ſich im Oſten der Anden ausbreiten, gehen die Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatemala und in Mexiko ſind allerdings Trümmer von Gebäuden, hiſtoriſche Malereien und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geſchichte der Inka und der mexikaniſchen Fürſten haben. Der Eingeborene hat ſeine Sprache, ſeine Tracht und ſeinen Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches der Quippu und der ſymboliſchen Malereien, durch die Ein - führung des Chriſtentums und andere Umſtände, die ich anderswo auseinandergeſetzt, ſind die geſchichtlichen und reli - giöſen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Anderer - ſeits ſieht der Anſiedler von europäiſcher Abkunft verächtlich auf alles herab, was ſich auf die unterworfenen Völker be - zieht. Er ſieht ſich in die Mitte geſtellt zwiſchen die frühere Geſchichte des Mutterlandes und die ſeines Geburtslandes, und die eine iſt ihm ſo gleichgültig wie die andere; in einem Klima, wo bei dem geringen Unterſchied der Jahreszeiten der Ablauf der Jahre faſt unmerklich wird, überläßt er ſich ganz dem Genuſſe der Gegenwart und wirft ſelten einen Blick in vergangene Zeiten.

Aber auch welch ein Abſtand zwiſchen der eintönigen Geſchichte neuerer Niederlaſſungen und dem lebensvollen Bilde, das Geſetzgebung, Sitten und politiſche Stürme der alten Kolonieen darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen verſchieden gefärbte geiſtige Bildung machte nicht ſelten die Eiferſucht der Mutterländer rege. Durch dieſen glücklichen Wetteifer gelangten Kunſt und Litteratur in Jonien, Groß - griechenland und Sizilien zur herrlichſten Entwickelung. Heut - zutage dagegen haben die Kolonieen weder eine eigene Ge - ſchichte noch eine eigene Litteratur. Die in der Neuen Welt haben faſt nie mächtige Nachbarn gehabt, und die geſellſchaft - lichen Zuſtände haben ſich immer nur allgemach umgewandelt. Des politiſchen Lebens bar, haben dieſe Handels - und Acker -211 bauſtaaten an den großen Welthändeln immer nur paſſiven Anteil genommen.

Die Geſchichte der neuen Kolonieen hat nur zwei merk - würdige Ereigniſſe aufzuweiſen, ihre Gründung und ihre Trennung vom Mutterlande. Das erſtere iſt reich an Er - innerungen, die ſich weſentlich an die von den Koloniſten bewohnten Länder knüpfen; aber ſtatt Bilder des friedlichen Fortſchrittes des Gewerbfleißes und der Entwickelung der Geſetzgebung in den Kolonieen vorzuführen, erzählt dieſe Ge - ſchichte nur von verübtem Unrecht und von Gewaltthaten. Welchen Reiz können jene außerordentlichen Zeiten haben, wo die Spanier unter Karls V. Regierung mehr Mut als ſittliche Kraft entwickelten, und die ritterliche Ehre, wie der kriegeriſche Ruhm durch Fanatismus und Golddurſt befleckt wurden? Die Koloniſten ſind von ſanfter Gemütsart, ſie ſind durch ihre Lage den Nationalvorurteilen enthoben, und ſo wiſſen ſie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werte zu ſchätzen. Die Männer, die ſich damals ausge - zeichnet, ſind Europäer, ſind Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Koloniſten ſind ſie Fremde, denn drei Jahr - hunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzulöſen. Unter den Konquiſtadoren waren ſicher rechtſchaffene und edle Männer, aber ſie verſchwinden in der Maſſe und konnten der allgemeinen Verdammnis nicht entgehen.

Ich glaube hiermit die hauptſächlichſten Urſachen ange - geben zu haben, aus denen in den heutigen Kolonieen die Nationalerinnerungen ſich verlieren, ohne daß andere, auf das nunmehr bewohnte Land ſich beziehende würdig an ihre Stelle träten. Dieſer Umſtand, wir können es nicht genug wiederholen, äußert einen bedeutenden Einfluß auf die ganze Lage der Anſiedler. In der ſtürmevollen Zeit einer ſtaat - lichen Wiedergeburt ſehen ſie ſich auf ſich ſelbſt geſtellt, und es ergeht ihnen wie einem Volke, das es verſchmähte, ſeine Geſchichtsbücher zu befragen und aus den Unfällen vergan - gener Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu ſchöpfen.

[212]

Sechſtes Kapitel.

Die Berge von Neuandaluſien. Das Thal von Cumanacoa. Der Gipfel des Cocollar. Miſſionen der Chaymasindianer.

Unſerem erſten Ausflug auf die Halbinſel Araya folgte bald ein zweiter längerer und lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Miſſionen der Chaymasindianer. Gegen - ſtände von mannigfaltiger Anziehungskraft ſollten uns dort in Anſpruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Wäldern bedecktes Land; wir ſollten ein Kloſter beſuchen, das im Schatten von Palmen und Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heißen Erdſtrich, köſtlicher Kühle genießt. In den benachbarten Bergen gibt es dort Höhlen, welche von Tauſenden von Nachtvögeln bewohnt ſind, und was noch lebendiger zur Einbildungskraft ſpricht als alle Wunder der phyſiſchen Welt, jenſeits dieſer Berge lebt ein vor kurzem noch nomadiſches Volk, kaum aus dem Naturzuſtand getreten, wild, jedoch nicht barbariſch, geiſtesbeſchränkt, nicht weil es lange verſunken war, ſondern weil es eben nichts weiß. Zu dieſen ſo mächtig anziehenden Gegenſtänden kamen noch geſchichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria ſah Kolumbus zuerſt das Feſtland; hier laufen die Thäler aus, die bald von den kriegeriſchen, menſchenfreſſenden Kariben, bald von den civiliſierten Handelsvölkern Europas verwüſtet wurden. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts wurden die un - glücklichen Einwohner auf den Küſten von Carupano, Maca - rapan und Caracas behandelt, wie zu unſerer Zeit die Ein - wohner der Küſte von Guinea. Bereits wurden die Antillen angebaut und man führte dort die Gewächſe der Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keiner ordentlichen und planmäßigen Niederlaſſung. Die Spanier beſuchten die Küſte nur, um ſich mit Gewalt oder im Tauſchhandel Sklaven,213 Perlen, Goldkörner und Farbholz zu verſchaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers meinte man dieſe unerſättliche Habſucht in eine höhere Sphäre zu heben. So hat jedes Jahrhundert ſeine eigene geiſtige und ſitt - liche Farbe.

Der Handel mit den kupferfarbigen Eingeborenen führte zu denſelben Unmenſchlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieſelben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die Kriege unter den Ein - geborenen häufiger; die Gefangenen wurden aus dem inneren Lande an die Küſte geſchleppt und an die Weißen verkauft, die ſie auf ihren Schiffen feſſelten. Und doch waren die Spanier damals und noch lange nachher eines der civiliſier - teſten Völker Europas. Ein Abglanz der Herrlichkeit in der in Italien Kunſt und Litteratur blühten, hatte ſich über alle Völker verbreitet, deren Sprache dieſelbe Quelle hat wie die Sprache Dantes und Petrarcas. Man ſollte glauben, in dieſer mächtigen geiſtigen Entwickelung, bei ſolch erhabenem Schwung der Einbildungskraft hätten ſich die Sitten ſänftigen müſſen. Aber jenſeits der Meere, überall, wo der Golddurſt zum Mißbrauch der Gewalt führt, haben die europäiſchen Völker in allen Abſchnitten der Geſchichte denſelben Charakter entwickelt. Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der Neuen Welt mit einer Grauſamkeit auf, wie man ſie nur den finſterſten Jahrhunderten zutrauen ſollte. Man wundert ſich aber nicht ſo ſehr über das entſetzliche Bild der Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Seg - nungen, einer menſchlicheren Geſetzgebung noch jetzt auf den Weſtküſten von Afrika vorgeht.

Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten Grundſätzen auf Terra Firma längſt auf - gehört; aber die Konquiſtadoren ſetzten ihre Streifzüge ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der die amerikaniſche Bevölkerung herabbrachte, dem Nationalhaß immer friſche Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Kultur erſtickte. Endlich ließen Miſſionäre unter dem Schutze des weltlichen Armes Worte des Friedens hören. Es war Pflicht der Re - ligion, daß ſie der Menſchheit einigen Troſt brachte für die Greuel, die in ihrem Namen verübt worden; ſie führte für die Eingeborenen das Wort vor dem Richterſtuhle der Könige, ſie widerſetzte ſich den Gewaltthätigkeiten der Pfründenin - haber, ſie vereinigte umherziehende Stämme zu den kleinen214 Gemeinden, die man Miſſionen nennt und die der Ent - wickelung des Ackerbaues Vorſchub leiſten. So haben ſich all - mählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwickelung jene großen mönchiſchen Niederlaſſungen gebildet, jenes merkwürdige Regiment, das immer darauf hinausgeht, ſich abzuſchließen, und Länder, die vier - und fünfmal größer ſind als Frankreich, den Mönchsorden unterwirft.

Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver - gießen Einhalt zu thun und den erſten Grund zur geſellſchaft - lichen Entwickelung zu legen, ſind in der Folge dem Fortſchritt derſelben hinderlich geworden. Die Abſchließung hatte zur Folge, daß die Indianer ſo ziemlich blieben, was ſie waren, als ihre zerſtreuten Hütten noch nicht um das Haus des Miſ - ſionärs beiſammen lagen. Ihre Zahl hat anſehnlich zuge - nommen, keineswegs aber ihr geiſtiger Geſichtskreis.

Sie haben mehr und mehr von der Charakterſtärke und der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen menſchlicher Entwickelung die edlen Früchte der Unabhängigkeit ſind. Man hat alles bei ihnen, ſogar die unbedeutendſten Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen Regel unterworfen, und ſo hat man ſie gehorſam gemacht, zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt iſt meiſt ge - ſicherter, ihre Sitten ſind milder geworden; aber der Zwang und das trübſelige Einerlei des Miſſionsregimentes laſtet auf ihnen und ihr düſteres, verſchloſſenes Weſen verrät, wie un - gern ſie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Mönchszucht innerhalb der Kloſtermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger, indeſſen mag ſie immerhin hier und da Leidenſchaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen lindern, der geiſtigen Vertiefung förderlich ſein; aber in die Wildniſſe der Neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des bürgerlichen Lebens angewendet, muß ſie deſto verderblicher wirken, je länger ſie andauert. Sie hält von Geſchlecht zu Geſchlecht die geiſtige Entwickelung nieder, ſie hemmt den Ver - kehr unter den Völkern, ſie weiſt alles ab, was die Seele erhebt und den Vorſtellungskreis erweitert. Aus allen dieſen Urſachen zuſammen verharren die Indianer in den Miſſionen in einem Zuſtande von Unkultur, der Stillſtand heißen müßte, wenn nicht auch die menſchlichen Vereine denſelben Geſetzen gehorchten, wie die Entwickelung des menſchlichen Geiſtes überhaupt, wenn ſie nicht Rückſchritte machten, eben weil ſie nicht fortſchreiten.

215

Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unſerem Ausflug zu den Chaymasindianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neuandaluſien auf. Man hatte uns geraten, wegen der ſehr beſchwerlichen Wege unſer Gepäck möglichſt zu beſchränken. Zwei Laſttiere reichten auch hin, unſeren Mundvorrat, unſere Inſtrumente und das nötige Papier zum Pflanzentrocknen zu tragen. In derſelben Kiſte waren ein Sextant, ein Inklinationskompaß, ein Apparat zur Er - mittelung der magnetiſchen Deklination, Thermometer und ein Sauſſureſcher Hygrometer. Auf dieſe Inſtrumente be - ſchränkten wir uns bei kleineren Ausflügen immer. Mit dem Barometer mußte noch vorſichtiger umgegangen werden als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, daß kein In - ſtrument dem Reiſenden mehr Laſt und Sorge macht. Wir ließen ihn in den fünf Jahren von einem Führer tragen, der uns zu Fuß begleitete, aber ſelbſt dieſe ziemlich koſtſpielige Vorſicht ſchützte ihn nicht immer vor Beſchädigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Flut im Luftmeere genau beobachtet, das heißt die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen täglich regelmäßig ſteigt und fällt, ſahen wir ein, daß wir das Relief des Landes mittels des Baro - meters würden aufnehmen können, ohne korreſpondierende Beobachtungen in Cumana zu Hilfe zu nehmen. Die größten Schwankungen im Luftdruck betragen in dieſem Klima an der Küſte nur 2 bis 2,6 mm, und hat man ein einziges Mal, an welchem Orte und zu welcher Stunde es ſei, die Queck - ſilberhöhe beobachtet, ſo laſſen ſich mit ziemlicher Wahrſchein - keit die Abweichungen von dieſem Stande das ganze Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es ergibt ſich daraus, das im heißen Erdſtrich durch den Mangel an korreſpondierenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entſtehen können, die mehr als 24 bis 30 m ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es ſich von geologiſchen Aufnahmen, oder vom Einfluß der Höhe auf das Klima und die Verteilung der Gewächſe handelt.

Der Morgen war köſtlich kühl. Der Weg oder vielmehr der Fußpfad nach Cumanacoa führt am rechten Ufer des Manzanares hin über das Kapuzinerhoſpiz, das in einem kleinen Gehölze von Gayacbäumen und baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten wir auf dem Hügel von San Francisco in der kurzen Morgen - dämmerung eine weite Ausſicht über die See, über die mit216 goldgelb blühender Bava1Zygophyllum arboreum, Jacq. bedeckte Ebene und die Berge des Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere gerückt ſchien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel iſt dunkler, ihre Umriſſe erſcheinen ſchärfer, ihre Maſſen treten deutlicher hervor, ſolange nicht die Durchſichtigkeit der Luft durch die Dünſte beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern und im Maße, als die Luft ſich zu erwärmen beginnt, in die Höhe ſteigen.

Beim Hoſpiz Divina Paſtora wendet ſich der Weg nach Nordoſt und läuft 9 km über einen baumloſen Landſtrich, der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus, Büſche des ciſtusblätterigen Tribulus und die ſchöne purpur - farbige Euphorbie, die in Havana unter dem ſeltſamen Namen Dictamno real gezogen wird, ſondern auch Avicennia, Allionia, Peruvium, Thalinum und die meiſten Portulaceen, die am Golf von Cariaco vorkommen. Dieſe geographiſche Verteilung der Gewächſe weiſt, wie es ſcheint, auf den Umriß der alten Küſte hin und ſpricht dafür, daß, wie oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einſt eine durch einen Meeresarm vom Feſtlande getrennte Inſel bildeten.

Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Oſt nach Weſt ſtreicht. Hier be - ginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchſes. Alles erhält einen großartigeren, male - riſcheren Charakter. Der quellenreiche Boden iſt nach allen Richtungen von Waſſerfäden durchzogen. Bäume von rieſiger Höhe, mit Schlinggewächſen bedeckt, ſteigen aus den Schluchten empor; ihre ſchwarze, von der Sonnenglut und vom Sauer - ſtoff der Luft verbrannte Rinde ſticht ab vom friſchen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende Blätter nicht ſelten mehrere Fuß lang ſind. Es iſt nicht anders, als ob unter den Tropen die paraſitiſchen Mono - kotyledonen die Stelle des Mooſes und der Flechten unſerer nördlichen Landſtriche verträten. Je weiter wir kamen, deſto mehr erinnerten uns die Geſteinsmaſſen ſowohl nach Geſtalt als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landſchaften. In dieſen amerikaniſchen Alpen wachſen noch in bedeutenden217 Höhen Helikonien, Coſtus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Cannaarten, die in der Nähe der Küſte nur niedrige, feuchte Orte aufſuchen. So kommt es, daß die heiße Erdzone und das nördliche Europa die intereſſante Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beſtändig mit Waſſerdampf erfüllten Luft, wie auf einem vom ſchmelzenden Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt.

Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwiſchen Cueſta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei, die von Meſtizen bewohnt ſind. Jede Hütte liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume, Zucker - rohr und Mais einfriedigt. Man müßte ſich wundern, wie klein dieſe Flecke urbar gemachten Landes ſind, wenn man nicht bedächte, daß ein mit Piſang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsſtoff liefert, als die gleiche mit Getreide beſtellte Fläche. In Europa bedecken unſere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerſte, Roggen, weite Landſtrecken; überall, wo die Völker ſich von Cerealien nähren, ſtoßen die bebauten Grundſtücke notwendig aneinander. Anders in der heißen Zone, wo der Menſch ſich Gewächſe aneignen konnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In dieſen geſegneten Landſtrichen entſpricht die unermeßliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthitze und der Feuchtigkeit der Luft. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume, Manioc, Yams, und Mais ſtehen, ernährt reichlich eine zahl - reiche Bevölkerung. Daß die Hütten einſam im Walde zer - ſtreut liegen, wird für den Reiſenden ein Merkmal der Ueber - fülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin.

Dieſe Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land - ſtrichen erinnern von ſelbſt daran, welch inniger Verband zwiſchen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem geſellſchaftlichen Fortſchritt beſteht. So groß die Fülle der Lebensmittel iſt, die dieſer Reichtum des Bodens, die ſtrotzende Kraft der organiſchen Natur hervorbringt, dennoch wird die Kulturentwickelung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichförmigen Klima kennt der Menſch kein anderes dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. Nur wenn dieſes Bedürfnis ſich geltend macht, fühlt er ſich zur Arbeit getrieben, und man ſieht leicht ein, warum ſich im Schoße des Ueber - fluſſes, im Schatten von Bananen - und Brotfruchtbäumen,218 die Geiſtesfähigkeiten nicht ſo raſch entwickeln als unter einem ſtrengen Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unſer Geſchlecht in ewigem Kampfe mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von ackerbautreibenden Völkern be - wohnten Länder, ſo ſieht man, daß die bebauten Grundſtücke durch Wald voneinander getrennt bleiben oder unmittelbar aneinander ſtoßen, und daß ſolches nicht nur von der Höhe der Bevölkerung, ſondern auch von der Wahl der Nahrungs - gewächſe bedingt wird. In Europa ſchätzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heißeſten und feuchteſten Striche von Südamerika, ſcheinen ſehr ſtark bevölkerte Provinzen beinahe wüſte zu liegen, weil der Menſch zu ſeinem Lebensunterhalt nur wenige Morgen bebaut.

Dieſe Umſtände, die alle Aufmerkſamkeit verdienen, geben ſowohl der phyſiſchen Geſtaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein eigenes Gepräge; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Weſen etwas Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur paßt, deren urſprüngliche Phyſiognomie durch die Kunſt noch nicht verwiſcht iſt. Ohne Nachbarn, faſt ohne allen Ver - kehr mit Menſchen, erſcheint jede Anſiedlerfamilie wie ein vereinzelter Volksſtamm. Dieſe Vereinzelung hemmt den Fort - ſchritt der Kultur, die ſich nur in dem Maße entwickeln kann, als der Menſchenverein zahlreicher wird und die Bande zwiſchen den einzelnen ſich feſter knüpfen und vervielfältigen; die Ein - ſamkeit entwickelt aber auch und ſtärkt im Menſchen das Ge - fühl der Unabhängigkeit und Freiheit; ſie nährt jenen Stolz, der von jeher die Völker von kaſtilianiſchem Blute ausge - zeichnet hat.

Dieſelben Urſachen, deren mächtiger Einfluß uns weiter - hin noch oft beſchäftigen wird, haben zur Folge, daß dem Boden, ſelbſt in den am ſtärkſten bevölkerten Ländern des tropiſchen Amerika, der Anſtrich von Wildheit erhalten bleibt, der in gemäßigten Klimaten ſich durch den Getreidebau ver - liert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Völker weniger Raum ein; die Herrſchaft des Menſchen reicht nicht ſo weit; er tritt nicht als unumſchränkter Gebieter auf, der die Bodenoberfläche nach Gefallen modelt, ſondern wie ein flüchtiger Gaſt, der in Ruhe des Segens der Natur genießt. In der Umgegend der volkreichſten Städte ſtarrt der Boden noch immer von Wäldern oder iſt mit einem dichten Pflanzen - filz überzogen, den niemals eine Pflugſchar zerriſſen hat. Die219 wildwachſenden Pflanzen beherrſchen noch durch ihre Maſſe die angebauten Gewächſe und beſtimmen allein den Charakter der Landſchaft. Allem Vermuten nach wird dieſer Zuſtand nur äußerſt langſam einem anderen Platz machen. Wenn in unſeren gemäßigten Landſtrichen es beſonders der Getreidebau iſt, der dem urbaren Lande einen ſo trübſelig eintönigen An - ſtrich gibt, ſo erhält ſich, aller Wahrſcheinlichkeit nach, in der heißen Zone ſelbſt bei zunehmender Bevölkerung die Groß - artigkeit der Pflanzengeſtalten, das Gepräge einer jungfräu - lichen, ungezähmten Natur, wodurch dieſe ſo unendlich an - ziehend und maleriſch wird. So werden denn, infolge einer merkwürdigen Verknüpfung phyſiſcher und moraliſcher Urſachen, durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächſe drei wichtige Momente vorzugsweiſe beſtimmt: das geſellige Beiſammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raſchere oder lang - ſamere Fortſchritt der Kultur, und die Phyſiognomie der Landſchaft.

Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, deſto mehr zeigte uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anſtieg. Die Baumſtämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer Liane, 2,6 bis 3,25 m hoch und bildet über dem Wege Ge - winde, die ſich im Luftzuge ſchaukeln. Gegen 3 Uhr nach - mittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, Quetepe genannt, die etwa 370 m über dem Meere liegt. Es ſtehen hier einige Hütten an einer Quelle, deren Waſſer bei den Eingeborenen als ſehr kühl und geſund berühmt iſt. Wir fanden das Waſſer wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5° der hundertteiligen Skale, während der Thermometer an der Luft auf 28,7° ſtand. Die Quellen, die von benachbarten höheren Bergen herabkommen, geben häufig eine zu raſche Abnahme der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des Waſſers an der Küſte von Cumana 26° an, ſo folgt daraus, wenn nicht andere lokale Urſachen auf die Temperatur der Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe ſich erſt in mehr als 680 m abſoluter Höhe ſo bedeutend abkühlt. Da hier von Quellen die Rede iſt, die in der heißen Zone in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen, ſo ſei bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommer - temperatur von der durchſchnittlichen des ganzen Jahres be - deutend abweicht, die Einwohner in der heißeſten Jahreszeit ſehr kaltes Quellwaſſer trinken können. Die Lappen bei Umeo220 und Sörſele, unter dem 65. Breitegrad, erfriſchen ſich an Quellen, deren Temperatur im Auguſt kaum 2 bis über dem Frierpunkt ſteht, während bei Tage die Luftwärme im Schatten auf 26 oder 27° ſteigt. In unſeren gemäßigten Landſtrichen, in Frankreich und Deutſchland, iſt der Abſtand zwiſchen der Luft und den Quellen niemals über 16 bis 17°, und unter den Tropen ſteigt er ſelten auf 6 bis . Man gibt ſich leicht Rechenſchaft von dieſen Erſcheinungen, wenn man weiß, daß die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der unterirdiſchen Quellen faſt ganz übereinkommt mit der mittleren Jahrestemperatur der Luft, und daß dieſe von der mittleren Sommerwärme deſto mehr abweicht, je mehr man ſich vom Aequator entfernt. Die magnetiſche Inklination war in Quetepe 40,7° der hundertteiligen Skale, der Cyanometer gab das Blau des Himmels im Zenith nur zu 14° an, ohne Zweifel weil die Regenzeit ſeit mehreren Tagen begonnen und die Luft bereits Waſſerdunſt aufge - nommen hatte.

Auf einem Sandſteinhügel über der Quelle hatten wir eine prachtvolle Ausſicht auf das Meer, das Vorgebirge Ma - canao und die Halbinſel Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete ſich zu unſeren Füßen bis zum Ozean hinab; die Baumwipfel mit Lianen behangen, mit langen Blütenbüſcheln gekrönt, bildeten einen ungeheuren grünen Teppich, deſſen tiefdunkle Färbung das Licht in der Luft noch glänzender erſcheinen ließ. Dieſer Anblick ergriff uns um ſo mehr, da uns hier zum erſtenmal die Vegetation der Tropen in ihrer Maſſenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem Hügel von Quetepe, unter den Stämmen von Malpighia corolloboefolia mit ſtark lederartigen Blättern, in Gebüſchen von Polygala montana, brachen wir die erſten Melaſtomen, namentlich die ſchöne Art, die unter dem Namen Melastoma rufescens beſchrieben wor - den. Dieſer Ausſichtspunkt wird uns lange im Gedächtnis bleiben; der Reiſende behält die Orte lieb, wo er zuerſt ein Pflanzengeſchlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild wachſend geſehen.

Weiter gegen Südweſt wird der Boden dürr und ſandig; wir erſtiegen eine ziemlich hohe Berggruppe, welche die Küſte von den großen Ebenen oder Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieſer Berggruppe, durch den der Weg nach Cumanacoa läuft, iſt pflanzenlos und fällt gegen Nord und Süd ſteil ab. Er führt den Namen Impoſible,221 weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf dieſem Gebirgskamm eine Zu - fluchtsſtätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stun - denwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge des Ortes zu beſtimmen.

Die Ausſicht auf dem Impoſible iſt noch ſchöner und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgeſtutzten Gipfel des Brigantin, deſſen geographiſche Lage genau zu kennen ſo wichtig wäre, den Landungsplatz und die Reede von Cumana ſehen. Die Felſen - küſte von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Be - ſonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man Laguna grande oder Laguna del Obispo nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken ſteht durch einen ſchmalen Kanal, durch den nur ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbuſen von Cariaco in Verbindung. In dieſem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, könnten mehrere Geſchwader nebeneinander ankern. Es iſt ein völlig einſamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahr - zeuge beſuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unſer Blick ver - folgte die Windungen des Meeresarmes, der ſich wie ein Fluß durch ſenkrechte kahle Felſen ſein Bett gegraben hat. Dieſer merkwürdige Anblick erinnert an die phantaſtiſche Landſchaft, die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde ſeines berühmten Bildniſſes der Joconda1Mona Liſa, Gattin des Francesco del Giocondo. angebracht hat.

Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beob - achten, in dem die Sonnenſcheibe den Meereshorizont berührte. Die erſte Berührung fand ſtatt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sekun - den, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit. Dieſe Beobachtung, die für die Theorie der irdiſchen Strahlen - brechung nicht ohne Belang iſt, wurde auf dem Gipfel des Berges in 577 m abſoluter Höhe angeſtellt. Mit dem Unter - gang der Sonne trat eine ſehr raſche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten ſcheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötz - lich von 25,2° auf 21,3°. Wurde dieſe auffallende Abkühlung etwa durch einen aufſteigenden Strom bewirkt? Die Luft war indeſſen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken.

222

Die Nacht brachten wir in einem Hauſe zu, wo ein Militärpoſten von acht Mann unter einem ſpaniſchen Unter - offizier liegt. Es iſt ein Hoſpiz, das neben einem Pulver - magazin liegt und wo der Reiſende alle Bequemlichkeit findet. Dasſelbe Kommando bleibt 5 bis 6 Monate lang auf dem Berge. Man nimmt dazu vorzugsweiſe Soldaten, die Chacras oder Pflanzungen in der Gegend haben. Als nach der Ein - nahme der Inſel Trinidad durch die Engländer im Jahre 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, flüchteten ſich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre wertvollſte Habe in Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Impoſible aufgeſchlagen. Man war entſchloſſen, bei einem plötzlichen feindlichen Ueberfall nach kurzem Widerſtand das Schloß San Antonio aufzugeben und die ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zuſammenzuziehen, der als der Schlüſſel der Llanos anzuſehen iſt. Die kriegeriſchen Ereig - niſſe, deren Schauplatz nach der ſeitdem eingetretenen poli - tiſchen Umwälzung dieſe Gegend wurde, haben bewieſen, wie richtig jener erſte Plan berechnet war.

Der Gipfel des Impoſible iſt, ſo weit meine Beobachtung reicht, mit einem quarzigen, verſteinerungsloſen Sandſtein bedeckt. Die Schichten desſelben ſtreichen hier wie auf dem Rücken der benachbarten Berge ziemlich regelmäßig von Nord - Nord-Oſt nach Süd-Süd-Weſt. Dieſe Richtung iſt auch im Urgebirge der Halbinſel Araya und längs der Küſte von Venezuela die häufigſte. Am nördlichen Abhang des Impo - ſible, bei Peñas Negras, kommt aus dem Sandſtein, der mit Schieferthon wechſellagert, eine ſtarke Quelle zu Tage. Man ſieht an dieſem Punkte von Nordweſt nach Südoſt ſtreichende, zerbrochene, faſt ſenkrecht aufgerichtete Schichten.

Die Llaneros, das heißt die Bewohner der Ebenen, ſchicken ihre Produkte, namentlich Mais, Leder und Vieh über den Impoſible in den Hafen von Cumana. Wir ſahen raſch hinter - einander Indianer oder Mulatten mit Maultieren ankommen. Der einſame Ort erinnerte mich lebhaft an die Nächte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die rötlichen, halb in ungeheure Rauchwolken gehüllten Flam - men gewährten das großartigſte Schauſpiel. Die Einwohner zünden die Wälder an, um die Weiden zu verbeſſern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erſtickt, das hier - zulande ſchon ſelten genug iſt. Häufig entſtehen auch un -223 geheure Waldbrände durch die Unvorſichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zügen die Feuer, an denen ſie gekocht haben, nicht auslöſchen. Durch dieſe Zufälle ſind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume ſeltener ge - worden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an verſchiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zu - genommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, ſondern auch weil er nicht mehr ſo ſtark bewaldet iſt als zur Zeit der Eroberung.

Ich ſtand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu beſtimmen. Es war Mitternacht; ich ſtarrte vor Kälte, wie unſer Führer, und doch ſtand der Thermometer noch auf 19,7°. In Cu - mana ſah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf dem Impoſible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 503 m über dem Meeresſpiegel. Bei der Caſa de la Polvora beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; ſie war gleich 40,5°. Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten Zeit betrug 233; die Intenſität der magnetiſchen Kraft hatte ſomit zwiſchen der Küſte und dem Berge zugenommen, was vielleicht von eiſenſchüſſigem Geſtein herrührte, das die auf dem Alpenkalk gelagerten Sandſteinſchichten enthalten mochten.

Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Impoſible auf. Der Weg abwärts iſt für die Laſttiere ſehr gefährlich; der Pfad iſt meiſt nur 40 cm breit und läuft beiderſeits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man ſehr zweckmäßig beſchloſſen, von San Fernando bis an den Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war ſogar zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuße des Impoſible begonnen, und das ſchwie - rigſte Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit geriet aus einer der Urſachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortſchrittsprojekten in den ſpaniſchen Kolonieen nichts wird. Verſchiedene Civilbehörden nahmen das Recht in Anſpruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abſtellte.

Wenn man vom Impoſible herabkommt, ſieht man den Alpenkalk unter dem Sandſtein wieder zum Vorſchein kommen. Da die Schichten meiſt nach Süd und Südoſt fallen, ſo kommen am Südabhang des Berges ſehr viele Quellen zu224 Tage. In der Regenzeit werden dieſe Quellen zu reißenden Bergſtrömen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit ſilberglänzenden Blättern niederſtürzen.

Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig vorkommt, iſt ein den europäiſchen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz und iſt ſeit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cascarilla oder Quinquina von Neuandaluſien berühmt ge - worden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; ſeine wechſelſtändigen Blätter ſind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine ſehr dünne, blaßgelbe Rinde iſt ein ausgezeichnetes Fieber - mittel; dieſelbe hat ſogar mehr Bitterkeit als die Rinden der echten Cinchonen, aber dieſe Bitterkeit iſt nicht ſo unange - nehm. Die Cuspa wird mit ſehr gutem Erfolg als wein - geiſtiger Extrakt und als wäſſeriger Aufguß ſowohl in Wechſel - fiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen anſehnlichen Vorrat davon geſchickt, und nach den kürzlichen Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militär - ſpital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für faſt ebenſo wirkſam erklärt, als die Quinquina von Santa Fé. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe ſie vor letzterer den Vorzug, daß ſie bei Kranken mit geſchwächtem Unterleib den Magen weniger angreife.

Als wir aus der Schlucht, die ſich am Impoſible hin - abzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Flüſſe laufen, die man leicht durch - watet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeſte und den ſchlanken Stamm an den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder ſumpfig iſt, mehr oder weniger ſilberfarbige Blätter treibt. Wir ſahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieſer Bäume waren unter Büſchen von Dorſtenia verſteckt, die nur feuchte, ſchattige Orte liebt. Mitten im Walde, an den Ufern des Rio Erdeño, findet man, wie am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangen - bäume mit großen ſüßen Früchten wild wachſend. Es ſind wahrſcheinlich Ueberbleibſel einiger Conucas oder indianiſchen Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in dieſen Landſtrichen nicht zu den urſprünglich hier heimiſchen Ge - wächſen gerechnet werden, ſo wenig als der Piſang, der Me - lonenbaum, der Mais, der Manioc und ſo viele andere nutz -225 bare Gewächſe, deren eigentliche Heimat wir nicht kennen, obgleich ſie den Menſchen ſeit uralter Zeit auf ſeinen Wan - derungen begleitet haben.

Wenn ein eben aus Europa angekommener Reiſender zum erſtenmal die Wälder Südamerikas betritt, ſo hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor ſich. Alles, was er ſieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche berühmte Schriftſteller an den Ufern des Miſſiſſippi, in Florida und in anderen gemäßigten Ländern der Neuen Welt entworfen haben. Bei jedem Schritte fühlt er, daß er ſich nicht an den Grenzen der heißen Zone befindet, ſondern mitten darin, nicht auf einer der Antilliſchen Inſeln, ſondern auf einem gewaltigen Kontinent, wo alles rieſenhaft iſt, Berge, Ströme und Pflanzen - maſſen. Hat er Sinn für landſchaftliche Schönheit, ſo weiß er ſich von ſeinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechen - ſchaft zu geben. Er weiß nicht zu ſagen, was mehr ſein Staunen erregt, die feierliche Stille der Einſamkeit, oder die Schönheit der einzelnen Geſtalten und ihre Kontraſte, oder die Kraft und Fülle des vegetabiliſchen Lebens. Es iſt als hätte der mit Gewächſen überladene Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwickelung. Ueberall verſtecken ſich die Baum - ſtämme hinter einem grünen Teppich, und wollte man all die Orchideen, die Pfeffer - und Pothosarten, die auf einem einzigen Heuſchreckenbaum oder amerikaniſchen Feigenbaum1Ficus gigantea. wachſen, ſorgſam verpflanzen, ſo würde ein ganzes Stück Land damit bedeckt. Durch dieſe wunderliche Aufeinanderhäufung erweitern die Wälder, wie die Fels - und Gebirgswände, das Bereich der organiſchen Natur. Dieſelben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor und ſchwingen ſich, mehr als 30 m hoch, vom einen zum anderen. So kommt es, daß, da die Schmarotzergewächſe ſich überall durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr läuft, Blüten, Früchte und Laub, die verſchiedenen Arten angehören, zu verwechſeln.

Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieſer Wöl - bungen, durch die man kaum hin und wieder den blauen Himmel ſieht. Er ſchien mir um ſo tiefer indigoblau, da das Grün der tropiſchen Gewächſe meiſt einen ſehr kräftigen, ins Bräunliche ſpielenden Ton hat. Zerſtreute Felsmaſſen waren mit einem großen Baumfarn bewachſen, der ſich vom Poly - podium arboreum der Antillen weſentlich unterſcheidet. HierA. v. Humboldt, Reiſe. I. 15226ſahen wir zum erſtenmal jene Neſter in Geſtalt von Flaſchen oder kleinen Taſchen, die an den Aeſten der niedrigſten Bäume aufgehängt ſind. Es ſind Werke des bewundernswürdigen Bautriebes der Droſſeln, deren Geſang ſich mit dem heiſeren Geſchrei der Papageien und Aras miſchte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt ſind, flogen nur paarweiſe, während die eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen. Man muß in dieſen Ländern, beſonders in den heißen Thälern der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß zuweilen das Geſchrei dieſer Vögel das Brauſen der Berg - ſtröme, die von Fels zu Fels ſtürzen, übertönt.

Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde heraus. Ein ſchmaler Fußpfad führt auf mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsſtrich hätten unter ſolchen Umſtänden Gräſer und Riedgräſer einen weiten Wieſen - teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Waſſerpflanzen mit pfeilförmigen Blättern, beſonders von Cannaarten, unter denen wir die prachtvollen Blüten der Coſtus, der Thalien und Helikonien erkannten. Dieſe ſaftigen Gewächſe werden bis m hoch, und wo ſie dicht beiſammen ſtehen, könnten ſie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr - liche Bild eines Wieſengrundes und eines mit Blumen durch - wirkten Raſens iſt den niederen Landſtrichen der heißen Zone faſt ganz fremd und findet ſich nur auf den Hochebenen der Anden wieder.

Bei San Fernando war die Verdunſtung unter den Strahlen der Sonne ſo ſtark, daß wir, da wir ſehr leicht gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird. Nichts kann zierlicher ſein als dieſe baumartige Grasart. Form und Stellung der Blätter geben ihr ein Anſehen von Leichtig - keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontraſtiert. Der glatte, glänzende Stamm der Jagua iſt meiſt den Bachufern zugeneigt und ſchwankt beim leiſeſten Luftzuge hin und her. So hoch auch das Rohr1Arundo Donax. im mittäglichen Europa wächſt, ſo gibt es doch keinen Begriff vom Ausſehen der baumartigen Gräſer, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung ſprechen227 laſſen, ſo möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge - ſtalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei - ſenden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn.

Die oſtindiſchen Bambu, die Calumets des hauts1Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina. der Inſel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht ſogar die rieſenhaften Arundinarien an den Ufern des Miſſiſſippi, gehören derſelben Pflanzengruppe an. In Amerika ſind aber die Bambuarten nicht ſo häufig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen und auf den großen unter Waſſer ſtehen - den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo fehlen ſie faſt ganz, wogegen ſie im Nordweſten, in Neu - granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte Wälder bilden. Der weſtliche Abhang der Anden erſcheint als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend iſt, wir haben ſie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge - legenen Landſtrichen, ſondern auch in den hohen Thälern der Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen.

Der Weg mit dem Bambugebüſch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer ſchmalen, von ſehr ſteilen Kalkſteinwänden umgebenen Ebene liegt. Es war die erſte Miſſion; die wir in Amerika betraten. 2In den ſpaniſchen Kolonieen heißt Mision oder Pueblo de Mision eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Miſſionär, der Ordensgeiſtlicher iſt, den Gottesdienſt verſieht. Die indianiſchen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern ſtehen, heißen Pueblos de Doctrina. Man unterſcheidet noch weiter den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianiſchen Ge - meinde, und den Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen oder Farbigen bewohnten Dorfes.Die Häuſer oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer ſind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten geraden Straßen ſchneiden ſich unter rechten Win - keln; die ſehr dünnen, unſoliden Wände beſtehen aus Letten und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernſte ſchweigſame Weſen der Einwohner, die ausnehmende Rein - lichkeit in den Häuſern, alles erinnert an die Gemeinden der mähriſchen Brüder. Jede indianiſche Familie baut draußen vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco de la communidad. In dieſem arbeiten die Erwachſenen beider Geſchlechter morgens und abends je eine Stunde. In228 den Miſſionen, die der Küſte zu liegen, iſt der Gemeinde - garten meiſt eine Zucker - oder Indigoplantage, welcher der Miſſionär vorſteht, und deren Ertrag, wenn das Geſetz ſtreng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur An - ſchaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem großen Platze mitten im Dorfe ſtehen die Kirche, die Woh - nung des Miſſionärs und das beſcheidene Gebäude, das pomp - haft Casa del Rey, königliches Haus , betitelt wird. Es iſt ein förmliches Karawanſerai, wo die Reiſenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt iſt. Die Casas del Rey findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen, und man könnte meinen, ſie ſeien eine Nachahmung der nach dem Geſetze Manco-Capacs errichteten Tambos in Peru.

Wir waren an die Ordensleute, die den Miſſionen der Chaymasindianer vorſtehen, durch ihren Syndikus in Cumana empfohlen. Dieſe Empfehlung kam uns deſto mehr zu ſtatten, als die Miſſionäre, ſei es aus Beſorgnis für die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchiſche Zucht der zudring - lichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Ver - ordnung feſthalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes ſich länger als eine Nacht in einem indianiſchen Dorfe auf - halten darf. Will man in den ſpaniſchen Miſſionen ange - nehm reiſen, ſo darf man ſich meiſt nicht allein auf den Paß des Madrider Staatsſekretariates oder der Civilbehörden ver - laſſen, man muß ſich mit Empfehlungen geiſtlicher Behörden verſehen; am wirkſamſten ſind die der Guardiane der Klöſter und der in Rom reſidierenden Ordensgenerale, vor denen die Miſſionäre weit mehr Reſpekt haben als vor den Biſchöfen. Die Miſſionen bilden, ich ſage nicht nach ihren urſprünglichen kanoniſchen Satzungen, aber thatſächlich eine ſo ziemlich un - abhängige Hierarchie für ſich, die in ihren Anſichten ſelten mit der Weltgeiſtlichkeit übereinſtimmt.

Der Miſſionär von San Fernando war ein ſehr bejahrter, aber noch ſehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende Körperrundung, ſein guter Humor, ſein Intereſſe für Gefechte und Belagerungen ſtimmten ſchlecht zu der Vorſtellung, die man ſich im Norden vom ſchwärmeriſchen Trübſinn und dem beſchaulichen Leben der Miſſionäre macht. So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen Tages geſchlachtet werden ſollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unſere Hänge -229 matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien. Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch ſo lebhaft intereſſieren.

Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er ſah die Miſſion gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere Inſtrumente, unſere Bücher und getrockneten Pflanzen ſah, konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge - nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt - lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir ſie nach Landes - ſitte ſchlachten ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel ſtieß. So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaſter gekoſtet, und dies galt für ſehr viel. Am ſelben Tage hatte der Miſ - ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre - ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge - ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preiſe ſteht.

Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr - hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers - brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die230 Zahl der Familien iſt auf hundet geſtiegen, und der Miſſionär machte gegen uns die Bemerkung, daß der Brauch, die jungen Leute im 13. oder 14. Jahre zu verheiraten, zu dieſer raſchen Zunahme der Bevölkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, daß die Chaymasindianer ſo früh altern, als die Europäer gewöhnlich glauben. Das Regierungsweſen in dieſen india - niſchen Gemeinden iſt übrigens ſehr verwickelt; ſie haben ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und dieſe Beamten ſind lauter kupferfarbige Eingeborene. Die Schützencompagnie hat ihre Fahnen und übt ſich mit Bogen und Pfeilen im Zielſchießen; es iſt die Bürgerwehr des Landes. Solch kriegeriſche Anſtalten unter einem rein mön - chiſchen Regiment kamen uns ſehr ſeltſam vor.

In der Nacht vom 5. September und am anderen Morgen lag ein dicker Nebel, und doch waren wir nur 195 m über dem Meeresſpiegel. Bevor wir aufbrachen, maß ich geometriſch den großen Kalkberg, der 1560 m ſüdlich von San Fernando liegt und nach Norden ſteil abfällt. Sein Gipfel iſt nur 419 m höher als der große Dorfplatz, aber kahle Felsmaſſen, die ſich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm etwas ſehr Großartiges.

Der Weg von San Fernando nach Cumana führt über kleine Pflanzungen durch ein offenes feuchtes Thal. Wir wateten durch viele Bäche. Im Schatten ſtand der Thermo - meter nicht über 30°, wir waren aber unmittelbar den Sonnen - ſtrahlen ausgeſetzt, weil die Bambu am Wege nur wenig Schutz gewähren und wir hatten ſtark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch das Dorf Arenas, das von Indianern des - ſelben Stammes wie die von San Fernando bewohnt iſt; aber Arenas iſt keine Miſſion mehr; die Eingeborenen ſtehen unter einem Pfarrer und ſind nicht ſo nackt und kultivierter als jene. Ihre Kirche iſt im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf einem ſchmalen Fries ſind Gürtel - tiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere der Neuen Welt abgebildet.

In dieſem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine phyſiologiſche Merkwürdigkeit iſt, und der Fall macht Eindruck auf die Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Geſetzen der organiſchen Natur vollkommen entſpricht. Der Mann hat einen Sohn mit ſeiner eigenen Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das Kind, um es zu beruhigen, zu ſich ins231 Bett und drückte es an die Bruſt. Lozano, damals zweiund - dreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er Milch gab, aber infolge der Reizung der Bruſtwarze, an der das Kind ſaugte, ſchoß die Milch ein. Dieſelbe war fett und ſehr ſüß. Der Vater war nicht wenig erſtaunt, als ſeine Bruſt ſchwoll, und ſäugte fortan das Kind fünf Monate lang zwei -, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerk - ſam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde aus - zubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir ſahen das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desſelben leben noch, und ſie verſicherten uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hauſe, als wir die Miſſionen bereiſten, beſuchte uns aber in Cumana. Er kam mit ſeinem Sohne, der ſchon 13 bis 14 Jahre alt war. Bonpland unterſuchte die Bruſt des Vaters genau und fand ſie runzlig, wie bei Weibern, die geſäugt haben. Er bemerkte, daß beſonders die linke Bruſt ſehr ausgedehnt war, und Lozano erklärte dies aus dem Umſtande, daß niemals beide Brüſte gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausführliche Beſchreibung des Falles nach Cadiz geſchickt.

Es kommt bei Menſchen und Tieren nicht gar ſelten vor, daß die Bruſt männlicher Individuen Milch enthält, und das Klima ſcheint auf dieſe mehr oder weniger reichliche Abſon - derung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten er - zählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corſica; noch in neueſter Zeit war in Hannover ein Bock, der jahre - lang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der ver - meintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reiſen - den auch auf, daß die Männer Milch in den Brüſten haben. 1Man hat ſogar alles Ernſtes behauptet, in einem Teile Bra - ſiliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern geſäugt.Es iſt indeſſen höchſt unwahrſcheinlich, daß ſolches bei einem ganzen Volksſtamm in irgend einem der heutigen Reiſenden unbekannten Landſtrich Amerikas beobachtet worden ſein ſollte, und ich kann verſichern, daß der Fall gegenwärtig in der Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in Arenas, deſſen Geſchichte wir ſoeben erzählt,232 iſt nicht vom kupferfarbigen Stamm der Chaymas, er iſt ein Weißer von europäiſchem Blut. Ferner haben Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, daß Milch in den Brüſten der Männer beim niederen ruſſiſchen Volke weit häufiger vor - kommt, als bei ſüdlicheren Völkern, und die Ruſſen haben nie für ſchwächlich und weibiſch gegolten.

Es gibt unter den mancherlei Spielarten unſeres Ge - ſchlechtes eine, bei der der Buſen zur Zeit der Mannbarkeit einen anſehnlichen Umfang erhält. Lozano gehörte nicht dazu, und er verſicherte uns wiederholt, erſt durch die Reizung der Bruſt infolge des Saugens ſei bei ihm die Milch gekommen. Dadurch wird beſtätigt, was die Alten beobachtet haben: Männer, die etwas Milch haben, geben ihrer in Menge, ſobald man an den Brüſten ſaugt. 1Aristoteles, Historia animalium Lib. III, c. 20.Dieſe ſonderbare Wir - kung eines Nervenreizes war den griechiſchen Schäfern bekannt; die auf dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die Euter mit Neſſeln, um die Milch her - beizulocken.

Ueberblickt man die Lebenserſcheinungen in ihrer Ge - ſamtheit, ſo zeigt ſich, daß keine ganz für ſich allein ſteht. In allen Jahrhunderten werden Beiſpiele erzählt von jungen, nicht mannbaren Mädchen oder von bejahrten Weibern mit eingeſchrumpften Brüſten, welche Kinder ſäugten. Bei Männern kommt ſolches weit ſeltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei oder drei Fälle finden können. Einer wird vom veroneſiſchen Anatomen Alexander Benedictus an - geführt, der am Ende des 15. Jahrhunderts lebte. Er er - zählt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter ſein Kind, um es zu beſchwichtigen, an die Bruſt gedrückt. Sofort ſchoß die Milch ſo ſtark ein, daß der Vater ſein Kind allein ſäugen konnte. Andere Beiſpiele werden von Santorellus, Feria und Robert, Biſchof von Cork, berichtet. Da die meiſten dieſer Fälle ziemlich entlegenen Zeiten angehören, iſt es von In - tereſſe für die Phyſiologie, daß die Erſcheinung zu unſerer Zeit beſtätigt werden konnte. Sie hängt übrigens genau mit dem Streit über die Endurſachen zuſammen. Daß auch der Mann Brüſte hat, iſt den Philoſophen lange ein Stein des Anſtoßes geweſen, und noch neuerdings hat man geradezu behauptet: Die Natur habe die Fähigkeit zu ſäugen dem einen233 Geſchlecht verſagt, weil dieſe Fähigkeit gegen die Würde des Mannes wäre.

In der Nähe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, faſt kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt ſich von außen ſehr trübſelig aus. Die Bevölkerung iſt kaum 2300 Seelen ſtark; zur Zeit des Paters Caulin im Jahre 1753 betrug ſie nur 600. Die Häuſer ſind ſehr niedrig, unſolid und, drei oder vier ausge - nommen, ſämtlich aus Holz. Wir brachten indeſſen unſere Inſtrumente ziemlich gut beim Verwalter der Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswürdigen, geiſtig ſehr regſamen Manne. Er hatte uns eine geräumige bequeme Wohnung einrichten laſſen; wir blieben vier Tage hier und er ließ ſich nicht abhalten, uns auf allen unſeren Ausflügen zu begleiten.

Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegründet, als er von einem Kriegszuge zurückkam, den er an die Mündung des Guarapiche unternommen, um eine von franzöſiſchen Freibeutern begonnene Niederlaſſung zu zerſtören. Die Stadt hieß anfangs San Baltazar de las Arias, aber der indiſche Name verdrängte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de Leon, den man noch häufig auf unſeren Karten ſieht, in Vergeſſenheit gebracht hat.

Als wir den Barometer öffneten, ſahen wir zu unſerer Ueberraſchung das Queckſilber kaum 15,6 mm tiefer ſtehen als an der Küſte und doch ſchien das Inſtrument in ganz gutem Stande. Die Ebene, oder vielmehr das Plateau, auf dem Cumanacoa ſteht, liegt nicht mehr als 204 m über dem Meeresſpiegel, und dies iſt drei - oder viermal weniger, als man in Cumana glaubt, weil man dort von der Kälte in Cumanacoa die übertriebenſten Vorſtellungen hat. Aber der klimatiſche Unterſchied zwiſchen zwei ſo nahen Orten rührt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als von örtlichen Verhältniſſen, wozu wir rechnen, daß die Wälder ſehr nahe, die niedergehenden Luftſtröme, wie in allen ein - geſchloſſenen Thälern, häufig, die Regenniederſchläge und die Nebel ſehr ſtark ſind, wodurch einen großen Teil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ge - ſchwächt wird. Da die Wärmeabnahme unter den Tropen und Sommers in der gemäßigten Zone ungefähr gleich iſt, ſo ſollte der geringe Höhenunterſchied von 195 m nur einen234 Unterſchied in der mittleren Temperatur von 1 bis 1½° verurſachen; wir werden aber bald ſehen, daß derſelbe über beträgt. Dieſes kühle Klima fällt um ſo mehr auf, da es noch in der Stadt Cartago, in Tomependa am Ufer des Amazonenſtromes und in den Thälern von Aragua, weſtwärts von Caracas, ſehr heiß iſt, lauter Orte, die in 390 bis 935 m abſoluter Meereshöhe liegen. In der Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Wärme (Iſothermen) nicht immer dem Aequator oder der Erdoberfläche parallel, und darin beſteht eben die große Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieſer Linien zu ermitteln und durch alle von örtlichen Ur - ſachen bedingte Abweichungen hierdurch die konſtanten Geſetze der Wärmeverteilung zu erfaſſen.

Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa 11,5 km. Am erſteren Orte regnet es faſt nie, während an letzterem die Regenzeit 6 bis 7 Monate dauert. Die trockene Jahreszeit währt in Cumanacoa von der Winter - bis zur Sommer-Tag - und Nachtgleiche. Strichregen ſind im April, Mai und Juni ziemlich häufig; ſpäter wird es wieder ſehr trocken, vom Sommerſolſtitium bis Ende Auguſt; nunmehr tritt die eigentliche Regenzeit ein, die bis zum November anhält und in der das Waſſer in Strömen vom Himmel gießt. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das eine Mal am 16. April, das andere Mal am 27. Auguſt durch den Zenith, und aus dem eben Angeführten geht her - vor, daß dieſe beiden Durchgänge mit dem Eintreten der großen Regenniederſchläge und der ſtarken elektriſchen Ent - ladungen zuſammenfallen.

Unſer erſter Aufenthalt in den Miſſionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht war der Himmel mit ſchweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen, und nur durch Ritzen im Gewölk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen anſtellen. Der Thermometer ſtand auf 18,5 bis 20°, und dies iſt in der heißen Zone und für das Gefühl des Reiſenden, der von der Küſte herkommt, bedeutend kühl. In Cumana ſah ich die Temperatur bei Nacht niemals unter 21° ſinken. Der Delucſche Hygrometer zeigte in Cumanacoa 85°, und, was auffallend iſt, ſobald das Gewölk ſich zerſtreute und die Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Inſtru - ment auf 55° zurück. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der ſtarken Verdunſtung nur langſam zu und noch um 10 Uhr war ſie nicht über 21°. Am heißeſten iſt es von235 Mittag bis 3 Uhr, wo dann der Thermometer auf 26 bis 27° ſteht. Zur Zeit der größten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian, zog faſt regelmäßig ein Gewitter auf, das auch zum Ausbruch kam. Dicke, ſchwarze, ſehr niedrig ziehende Wolken löſten ſich in Regen auf; dieſe Güſſe dauerten 2 bis 3 Stunden, und während derſelben fiel der Thermometer um 5 bis . Gegen 5 Uhr hörte der Regen ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorſchein und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um 8 oder 9 Uhr abends waren wir ſchon wieder in eine dicke Wolken - ſchicht gehüllt. Dieſer Witterungswechſel erfolgt, wie man uns verſicherte, durchaus geſetzmäßig monatelang einen Tag wie den anderen, und doch läßt ſich nicht der geringſte Luft - zug ſpüren. Nach vergleichenden Beobachtungen muß ich annehmen, daß es in Cumanacoa bei Nacht um 2 bis 3, bei Tage um 4 bis kühler iſt als in Cumana. Dieſe Unterſchiede ſind ſehr bedeutend, und wenn man ſtatt meteoro - logiſcher Inſtrumente nur ſein Gefühl befragte, ſo würde man ſie für noch bedeutender halten.

Die Vegetation auf der Ebene um die Stadt iſt ſehr einförmig, aber infolge der großen Feuchtigkeit der Luft un - gemein friſch. Ihre Haupteigentümlichkeiten ſind ein baum - artiges Solanum, das 13 m hoch wird, die Urtica baccifera und eine neue Art der Gattung Guettarda. Der Boden iſt ſehr fruchtbar und er wäre auch leicht zu bewäſſern, wenn man von den vielen Bächen, deren Quellen das ganze Jahr nicht verſiegen, Kanäle zöge. Das wichtigſte Erzeugnis iſt der Tabak, und nur dieſem verdankt es die kleine, ſchlecht gebaute Stadt, wenn ſie einen gewiſſen Ruf hat. Seit der Einführung der Pacht (Estanco real de Tabaco) im Jahre 1779 iſt der Tabaksbau in der Provinz Cumana faſt ganz auf Cumanacoa beſchränkt, wie er in Mexiko nur in den zwei Diſtrikten Orizaba und Cordova geſtattet iſt. Das Pacht - ſyſtem iſt ein beim Volke äußerſt verhaßtes Monopol. Die ganze Tabaksernte muß an die Regierung verkauft werden, und um dem Schmuggel zu ſteuern, oder vielmehr nur ihn einzuſchränken, ließ man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufſeher ſtreifen durch das Land; ſie zerſtören jede Anpflanzung, die ſie außerhalb der zum Bau angewieſenen Diſtrikte finden, und geben die Unglücklichen an, die es wagen, ſelbſtgemachte Cigarren zu rauchen. Dieſe Aufſeher ſind meiſt236 Spanier und faſt ebenſo grob wie die Menſchen, die in Europa dieſes Handwerk treiben. Dieſe Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Haß zwiſchen den Kolonieen und dem Mutterlande zu ſchüren.

Nach dem Tabak von der Inſel Cuba und dem vom Rio Negro hat der von Cumana am meiſten Arom. Er über - trifft allen aus Neuſpanien und der Provinz Varinas. Wir teilen einiges über den Bau desſelben mit, weil er ſich weſent - lich vom Tabaksbau in Virginien unterſcheidet. Schon der Umſtand, daß im Thale von Cumanacoa die Gewächſe aus der Familie der Solaneen ſo ausnehmend ſtark entwickelt ſind, beſonders die vielen Arten von Solanum arborescens, von Aquartia und Cestrum weiſen darauf hin, daß hier der Boden für den Tabaksbau ſehr geeignet ſein muß. Die Aus - ſaat wird im September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was aber für den Ausfall der Ernte nicht ſo gut iſt. Die Wurzelblätter zeigen ſich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit großen Helikonien - und Bananenblättern, um ſie der unmittelbaren Einwirkung der Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar ſchnell aufſchießt, ſorgfältig aus. Der Tabak wird ſofort einen und einen halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut ge - lockerten Boden verſetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen 1 bis 1,3 m voneinander geſteckt; man jätet ſie fleißig und köpft den Hauptſtengel mehrmals, bis bläulich grüne Flecken auf den Blättern als Wahrzeichen der Reife ſich zeigen. Im vierten Monat fängt man an ſie abzunehmen, und dieſe erſte Ernte iſt in wenigen Tagen vorüber. Beſſer wäre es, die Blätter nacheinander abzunehmen, ſo wie ſie trocken werden. In guten Jahren ſchneiden die Pflanzer den Stock, wenn er 1,3 m hoch iſt, ab, und der Wurzelſchoß treibt ſo raſch neue Blätter, daß ſie ſchon am 13. oder 14. Tage ge - erntet werden können. Dieſe haben ſehr lockeres Zellgewebe; ſie enthalten mehr Waſſer, mehr Eiweiß und weniger von dem ſcharfen, flüchtigen, im Waſſer ſchwer löslichen Stoff, an den die eigentümlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden ſcheint.

Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den Spaniern de cura seca heißt. Man hängt die Blätter an Cocuizafaſern1Agave Americana. auf, löſt die Rippen237 ab und dreht ſie zu Strängen. Der zubereitete Tabak ſollte im Juni in die königlichen Magazine geſchafft werden, aber aus Faulheit und weil ſie dem Bau des Mais und des Manioc mehr Aufmerkſamkeit ſchenken, machen die Leute den Tabak ſelten vor Auguſt fertig. Begreiflich verlieren die Blätter an Arom, wenn ſie zu lange der feuchten Luft aus - geſetzt bleiben. Der Verwalter läßt den Tabak 60 Tage unberührt in den königlichen Magazinen liegen; dann ſchneidet man die Bündel auf, um die Qualität zu prüfen. Findet der Verwalter den Tabak gut zubereitet, ſo bezahlt er dem Pflanzer für die Aroba von 12,5 kg 3 Piaſter. Dasſelbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone für 12½ Piaſter wieder verkauft. Der faule (potrido) Tabak, d. h. der noch einmal gegärt hat, wird öffentlich verbrannt, und der Pflanzer, der von der königlichen Pacht Vorſchüſſe erhalten hat, kommt unwiderruflich um die Früchte ſeiner langen Arbeit. Wir ſahen auf dem großen Platze Haufen von 500 Arobas vernichten, aus denen man in Europa ſicher Schnupf - tabak gemacht hätte.

Der Boden von Cumanacoa eignet ſich für dieſen Kul - turzweig ſo ausgezeichnet, daß der Tabak überall, wo der Same Feuchtigkeit findet, wild wächſt. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Höhle von Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Diſtrikten von Aricagua und San Lorenzo, wird übrigens nur die Tabaksart mit großen ſitzenden Blättern, der ſogenannte virginiſche Tabak,1Nicotiana Tabacum. gebaut. Ganz unbekannt iſt der Tabak mit geſtielten Blät - tern,2Nicotiana rustica. der eigentliche Yetl der alten Mexikaner, den man in Deutſchland ſonderbarerweiſe türkiſchen Tabak nennt.

Wäre der Tabaksbau frei, ſo könnte die Provinz Cumana einen großen Teil von Europa damit verſehen; ja, andere Diſtrikte ſcheinen ſich für die Erzeugung dieſer Kolonialware ganz ſo gut zu eignen wie das Thal von Cumanacoa, wo der übermäßige Regen nicht ſelten dem Arom der Blätter Eintrag thut. Gegenwärtig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratkilometer beſchränkt iſt, beträgt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12000, und der Ausfall wird aus dem ſpaniſchen Guyana gedeckt. In der Gegend238 von Cumanacoa geben ſich im Durchſchnitt nur 1500 Perſonen mit dem Tabaksbau ab, lauter Weiße; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas laſſen ſich durch Ausſicht auf Gewinn ſelten dazu verlocken, auch hält es die Pacht nicht für ge - raten, denſelben Vorſchüſſe zu machen.

Beſchäftigt man ſich mit der Geſchichte unſerer Kultur - pflanzen, ſo ſieht man mit Ueberraſchung, daß vor der Er - oberung der Gebrauch des Tabaks über den größten Teil von Amerika verbreitet war, während man die Kartoffel weder in Mexiko, noch auf den Antillen kannte, wo ſie doch in gebirgigen Lagen ſehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal ſchon im Jahre 1559 Tabak gebaut, während die Kartoffel erſt am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahr - hunderts in den europäiſchen Ackerbau überging. Letzteres Gewächs, das für das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft ſo bedeutſam geworden iſt, hat ſich auf beiden Kontinenten weit langſamer verbreitet als ein Produkt, das nur für einen Luxusartikel gelten kann.

Das wichtigſte Produkt nach dem Tabak iſt im Thale von Cumanacoa der Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine Ware, die im Handel noch geſchätzter iſt als der Indigo von Caracas; er kommt an Glanz und Fülle der Farbe oft dem Indigo von Guate - mala nahe. Aus letzterer Provinz iſt der Samen von Indigo - fera Anil, die neben Indigofera tinctoria gebaut wird, zu - erſt auf die Küſte von Cumana gekommen. Da im Thale von Cumanacoa ſehr viel Regen fällt, ſo gibt eine 1,3 m hohe Pflanze nicht mehr Farbſtoff als eine dreimal kleinere in den trockenen Thälern von Aragua, weſtlich von der Stadt Caracas.

Alle Indigofabriken, die wir geſehen, ſind nach demſelben Plane eingerichtet. Zwei Weichküpen, in denen das Kraut faulen ſoll, ſtehen nebeneinander. Jede mißt 1,5 qm und iſt 75 cm tief. Aus dieſen oberen Kufen läuft die Flüſſigkeit in die Stampfkaſten, zwiſchen denen die Waſſer - mühle angebracht iſt. Der Baum des großen Rades läuft zwiſchen dieſen Kaſten durch, und an ihm ſitzen an langen Stielen die Löffel zum Stampfen. Aus einer weiten Ab - ſeiheküpe kommt der farbhaltige Bodenſatz in die Trocken - kaſten und wird daſelbſt auf Brettern aus Braſilholz aus - gebreitet, die mittels kleiner Rollen unter Dach gebracht werden können, wenn unerwartet Regen eintritt. Dieſe239 geneigten, ſehr niedrigen Dächer geben den Trockenkaſten von weitem das Anſehen von Treibhäuſern. Im Thale von Cumanacoa verläuft die Gärung des Krautes, das man faulen läßt, ungemein raſch. Sie währt meiſt nicht länger als 4 bis 5 Stunden. Dies kann nur von der Feuchtigkeit des Klimas herrühren und daher, daß während der Entwicke - lung der Pflanze die Sonne nicht ſcheint. Ich glaube auf meinen Reiſen die Bemerkung gemacht zu haben, daß je trockener das Klima iſt, die Kufe um ſo langſamer arbeitet und die Stengel zugleich deſto mehr Indigo auf der niederſten Oxydationsſtufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Kubikfuß locker aufgeſchichteten Krautes 18 bis 20 kg trockenen Indigo geben, kommt die Flüſſigkeit erſt nach 20, 30 oder 35 Stunden in die Stampfe. Wahrſcheinlich er - hielten die Einwohner von Cumanacoa mehr Farbſtoff aus dem Kraute, wenn ſie dasſelbe länger in der erſten Kufe weichen ließen. Ich habe während meines Aufenthaltes in Cumana den etwas ſchweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur Vergleichung in Schwefelſäure aufgelöſt, und die Auflöſung des erſteren ſchien mir weit ſatter blau.

Trotz der ausgezeichneten Beſchaffenheit der Produkte und der Fruchtbarkeit des Bodens iſt der Landbau in Cu - manacoa noch völlig in der Kindheit. Arenas, San Fer - nando und Cumanacoa bringen in den Handel nur 1500 kg Indigo, der im Lande 4500 Piaſter wert iſt. Es fehlt an Menſchenhänden und die ſchwache Bevölkerung nimmt durch die Auswanderung in die Llanos täglich ab. Dieſe uner - meßlichen Savannen nähren den Menſchen reichlich, weil ſich das Vieh dort ſo leicht vermehrt, während der Indigo - und Tabaksbau viel Sorge und Mühe macht. Der Ertrag des letzteren iſt deſto unſicherer, da die Regenzeit bald länger, bald kürzer dauert. Die Pflanzer ſind von der königlichen Pacht, die ihnen Vorſchüſſe macht, völlig abhängig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber Nahrungs - gewächſe als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den Vorſchlag gemacht, auf königliche Koſten 500 Neger an - zuſchaffen und ſie den Pflanzern abzugeben, die imſtande wären, in 2 oder 3 Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jährliche Tabaksernte auf 15000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele Grund - eigentümer ſich gegen dieſes Projekt ausſprechen hören. Es240 ſtand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewiſſen Reihe von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Frei - heit ſchenken würde; deſto bedenklicher ſchien es, zumal nach den entſetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklaven - bevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weiſe Politik hat nicht ſelten dieſelben Folgen, wie die edelſten und ſeltenſten Regungen der Gerechtigkeit und Menſchenliebe.

Die mit Höfen und Indigo - und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von Cumanacoa iſt von Bergen umgeben, die beſonders gegen Süd höher anſteigen und für den Phyſiker und den Geologen gleich intereſſant ſind. Alles weiſt darauf hin, daß das Thal ein alter Seeboden iſt; auch fallen die Berge, welche einſt das Ufer desſelben bildeten, dem See zu ſenkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß. Beim Graben von Hausfundamenten ſtieß man bei Cumanacoa auf Schichten von Geſchieben, mit kleinen zweiſchaligen Mu - ſcheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger Perſonen ſind ſogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen ge - funden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg wogen. Die Indianer hielten ſie, wie noch heute das Volk in Europa, für Rieſenknochen, während die Halbgelehrten im Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles Ernſtes verſicherten, es ſeien Naturſpiele und keiner großen Beachtung wert. Dieſe Leute beriefen ſich bei ihrer Behaup - tung auf den Umſtand, daß menſchliche Gebeine im Boden von Cumanacoa ſehr raſch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am Allerſeelentag läßt man Schädel aus den Kirch - höfen an der Küſte kommen, wo der Boden mit Salzen ge - ſchwängert iſt. Die vermeintlichen Rieſenknochen wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach um - geſehen; aber nach den foſſilen Knochen, die ich aus anderen Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau unterſucht worden, gehörten die rieſigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrſcheinlich einer ausgeſtorbenen Elefantenart an. Es kann befremden, daß dieſelben in ſo geringer Höhe über dem gegenwärtigen Waſſerſpiegel gefunden worden; denn es iſt ſehr merkwürdig, daß die foſſilen Reſte von Maſtodonten und Elefanten, die ich aus den tropiſchen Ländern von Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien241 am Rio Luxan1Das virginiſche Megatherium iſt der Megalonyx Jefferſons. Alle dieſe ungeheuren Knochen, die man auf den Ebenen der Neuen Welt, nördlich oder ſüdlich vom Aequator gefunden, gehören nicht der heißen, ſondern der gemäßigten Zone an. Andererſeits macht Pallas die Bemerkung, daß in Sibirien, alſo auch nördlich vom Wendekreis, foſſile Knochen in den gebirgigen Landesteilen gar nicht vorkommen. Dieſe eng miteinander verknüpften That - ſachen ſcheinen den Weg zur Auffindung eines wichtigen geologiſchen Geſetzes zu bahnen. und in Virginien, große Maſtodonten am Ohio und foſſile Elefanten am Susquehanna vorkommen), ſondern auf den in 195 bis 450 m Höhe gelegenen Hoch - ebenen erhoben wurden.

Als wir dem ſüdlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, ſahen wir den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibſel eines alten Küſten - ſtrichs, ſteigt mitten im Walde empor. Weiter nach Weſt, beim Cerro del Cuchivano, erſcheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben auseinander geriſſen. Die Spalte iſt über 290 m breit und von ſenkrechten Felſen umgeben. Tief beſchattet von den Bäumen, deren verſchlungene Zweige nicht Raum haben, ſich auszubreiten, nahm ſich die Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entſtandene Grube. Ein Bach, der Rio Juagua, läuft durch die Spalte, die ungemein maleriſch iſt und Risco del Cuchivano heißt. Der kleine Fluß ent - ſpringt 32 km weit gegen Südweſt am Fuße des Brigantin und bildet ſchöne Fälle, ehe er in die Ebene von Cumanacoa ausläuft.

Wir beſuchten öfters einen kleinen Hof, Conuco de Ber - mudez, dem Erdſpalt von Cuchivano gegenüber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak und mehrere Arten von Baumwollenbäumen, beſonders die, deren Wolle nanking - gelb iſt, und die auf der Inſel Margarita ſo häufig vorkommt. Der Eigentümer ſagte uns, der Erdſpalt ſei von Jaguaren bewohnt. Dieſe Tiere bringen den Tag in Höhlen zu und ſchleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da ſie reichliche Nahrung haben, werden ſie bis 2 m lang. Ein ſolcher Tiger hatte im verfloſſenen Jahre ein zum Hof gehöriges Pferd ver - zehrt. Er ſchleppte ſeine Beute bei hellem Mondſchein über die Savanne unter einen ungeheuer dicken Ceibabaum. Vom Winſeln des verendenden Pferdes erwachten die Sklaven imA. v. Humboldt, Reiſe. I. 16242Hofe. Sie rückten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit Spießen und Machetes1Große Meſſer mit ſehr langen Klingen, ähnlich den Jagd - meſſern. In der heißen Zone geht man nicht ohne Machete in den Wald, ſowohl um die Lianen und Baumäſte abzuhauen, die einem den Weg ſperren, als um ſich gegen wilde Tiere zu ver - teidigen.. Der Tiger lag auf ſeiner Beute und ließ ſie ruhig herankommen; er erlag erſt nach langem hartnäckigem Widerſtand. Dieſer Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde erhielten, zeigt, daß der große Jaguar2Felis Onça, Linné, die Buffon panthère oillée nennt und in Afrika zu Hauſe glaubt. Wir werden ſpäter Gelegenheit haben, auf dieſen für die Zoologie und Tiergeographie wichtigen Punkt zurückzukommen. von Terra Firma, wie der Jaguarete in Paraguay und der eigentliche aſiatiſche Tiger, vor dem Men - ſchen nicht fliehen, wenn ihm dieſer zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn nicht ſcheu macht. Die Zoologen wiſſen jetzt, daß Buffon die größte amerikaniſche Katzenart ganz falſch beurteilt hat. Was der berühmte Schriftſteller von der Feigheit der Tiger der Neuen Welt ſagt, gilt nur von den kleinen Oceloten, oder Pantherkatzen, und wir werden bald ſehen, daß am Orinoko der echte amerikaniſche Jaguar ſich zuweilen ins Waſſer ſtürzt, um die Indianer in ihren Pirogen anzugreifen.

Dem Hofe Bermudez gegenüber liegen die Oeffnungen zweier geräumigen Höhlen im Erdſpalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit ſchlagen Flammen daraus empor, die man bei Nacht ſehr weit ſieht. Die benachbarten Berge ſind dann davon beleuchtet, und nach der Höhe der Felſen, über welche dieſe brennenden Dünſte hinaufreichen, wäre man verſucht, zu glauben, daß ſie mehrere hundert Fuß hoch werden. Beim letzten großen Erdbeben in Cumana war dieſe Erſcheinung von einem unterirdiſchen dumpfen, anhaltenden Getöſe be - gleitet. Sie kommt vorzüglich in der Regenzeit vor, und die Beſitzer der dem Berge Cuchivano gegenüber liegenden Pflan - zungen verſichern, die Flammen zeigen ſich ſeit dem Dezember 1797 häufiger.

Auf einer botaniſchen Exkurſion nach Rinconada ver - ſuchten wir vergeblich in die Spalte einzudringen. Wir hätten die Felſen, die in ihrem Schoße die Urſachen dieſes merk -243 würdigen Feuers zu bergen ſchienen, gerne näher unterſucht; aber die üppige Vegetation, die ineinander geſchlungenen Lianen und Dornſträucher ließen uns nicht vorwärts kommen. Zum Glück nahmen die Bewohner des Thals lebhaften An - teil an unſeren Forſchungen, nicht ſowohl weil ſie ſich vor einem vulkaniſchen Ausbruch fürchteten, als weil ſie ſich in den Kopf geſetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte eine Goldgrube. Es half nichts, daß wir ihnen auseinander - ſetzten, warum wir an Gold im Muſchelkalk nicht glauben könnten; ſie wollten einmal wiſſen, was der deutſche Berg - mann vom Reichtum des Erzgangs halte . Seit Karls V. Zeit und ſeit die Welſer, die Alſinger und Sailer in Coro und Caracas als Statthalter geſeſſen, hat ſich in Terra Firma im Volk der Glaube an das beſondere bergmänniſche Ge - ſchick der Deutſchen erhalten. Wohin ich in Südamerika kam, überall, ſobald man erfuhr, wo ich her ſei, zeigte man mir Muſter von Erzen. In den Kolonien iſt jeder Franzoſe ein Arzt, jeder Deutſche ein Bergmann.

Die Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum erſten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unſeren Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht be - treten, ſo merkten wir, daß Tiger in der Nähe waren, ſowohl an einem friſch zerriſſenen Stachelſchwein, als am Geſtank ihres Kotes, der dem der europäiſchen Katze gleicht. Zur Vorſicht gingen die Indianer nach dem Hof zurück und brachten Hunde von ſehr kleiner Raſſe mit. Man behauptet, wenn man dem Jaguar auf ſchmalem Pfad begegne, ſpringe er zuerſt auf den Hund los, nicht auf den Menſchen. Wir ſtiegen nicht am Ufer des Baches, ſondern an der Felswand über dem Waſſer hinauf. Man geht an einem 65 bis 100 m tiefen Abgrund hin auf einem ganz ſchmalen Vorſprung, wie auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum großen Gletſcher. Wird der Vorſprung ſo ſchmal, daß man nicht mehr weiß, wohin man den Fuß ſetzen ſoll, ſo ſteigt man zum Bach hinunter, watet durch oder läßt ſich von einem Sklaven hinübertragen und klimmt an der anderen Bergwand weiter. Das Niederklettern iſt ziemlich mühſelig, und man darf ſich nicht auf die Lianen verlaſſen, die wie große Stricke von den Baumgipfeln niederhängen. Die Ranken - und Schmarotzergewächſe hängen nur locker an den Aeſten, die ſie umſchlingen; ihre Stengel haben zuſammen ein ganz anſehn -244 liches Gewicht, und wenn man auf abſchüſſigem Boden ſich mit dem Körper an Lianen hängt, läuft man Gefahr, eine ganze grüne Laube niederzureißen. Je weiter wir kamen, deſto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten die Baumwurzeln, die in die Spalten zwiſchen den Schichten hineingewachſen waren, das Kalkgeſtein zerſprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Canna, die Helikonen mit ſchönen purpurnen Blüten, die Coſtus und andere Gewächſe aus der Familie der Amomeen werden hier 2,6 bis 3,25 m hoch. Ihr helles, friſches Grün, ihr Seidenglanz und ihr ſtrotzendes Fleiſch ſtechen grell ab vom bräunlichen Ton des Baumfarns mit dem zartgefiederten Laub. Die Indianer hieben mit ihren großen Meſſern Kerben in die Baumſtämme und machten uns auf die Schönheit der roten und goldgelben Hölzer aufmerk - ſam, die einſt bei unſeren Möbelſchreinern und Drehern ſehr geſucht ſein werden. Sie zeigten uns ein Gewächs mit zu - ſammengeſetzter Blüte, das 6,5 m hoch iſt (Eupatorium laevigatum, Lamarck), die ſogenannte Roſe von Belveria (Brownea racimosa), berühmt wegen ihrer herrlichen purpur - roten Blüten, und das einheimiſche Drachenblut, eine noch nicht beſchriebene Art Kroton, deren roter, adſtringierender Saft zur Stärkung des Zahnfleiſches gebraucht wird. Sie unterſchieden die Arten von dem Geruch, beſonders aber durch Kauen der Holzfaſern. Zwei Eingeborene, denen man das - ſelbe Holz zu kauen gibt, ſprechen, meiſt ohne ſich zu beſinnen, denſelben Namen aus. Wir konnten übrigens von den ſcharfen Sinnen unſerer Führer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie ſoll man zu Blättern, Blüten oder Früchten gelangen, die auf Stämmen wachſen, deren erſten Aeſte 16,20 m über dem Boden ſind? Mit Ueberraſchung ſieht man in dieſer Schlucht die Baumrinde, ſogar den Boden mit Mooſen und Flechten überzogen. Dieſe Kryptogamen ſind hier ſo häufig wie im Norden. Die feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht begünſtigen ihre Entwickelung, und doch beträgt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht 19°.

Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir unter - ſuchen ſollten, iſt nichts als ein Loch, das man in eine der ſchwarzen, an Schwefelkies reichen Mergelſchichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf der rechten Seite des Rio Juagua, an einem Punkt, wohin man vorſichtig klettern muß, weil der Bach hier über 2,5 m tief iſt. Der245 Schwefelkies iſt hell goldgelb, und man ſieht ihm nicht an, daß er Kupfer enthält. Die Mergelſchicht, in der er vor - kommt, ſtreicht über den Bach hinüber. Das Waſſer ſpült die metalliſch glänzenden Körner aus, und deshalb glaubt das Volk, der Bach führe Gold. Man erzählt, nach dem großen Erdbeben im Jahre 1766 habe das Waſſer des Juagua ſo viel Gold geführt, daß Männer, die weit hergekommen, und von denen man nicht gewußt, wo ſie zu Hauſe ſeien , Gold - wäſchen angelegt hätten; ſie ſeien aber bei Nacht und Nebel verſchwunden, nachdem ſie eine Menge Gold geſammelt. Es braucht keines Beweiſes, daß dies ein Märchen iſt; die Kieſe in den Quarzgängen des Glimmerſchiefers ſind allerdings ſehr oft goldhaltig; aber nichts berechtigt bis jetzt zur Annahme, daß der Schwefelkies im Mergelſchiefer des Alpenkalks gleich - falls Gold enthalte. Einige direkte Verſuche auf naſſem Wege, die ich während meines Aufenthaltes in Caracas angeſtellt, thun dar, daß der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig iſt. Unſeren Führern behagte mein Unglaube ſehr ſchlecht; ich hatte gut ſagen, aus dieſer angeblichen Goldgrube könnte man höchſtens Alaun und Eiſenvitriol gewinnen; ſie laſen nichtsdeſtoweniger heimlich jedes Stückchen Schwefelkies auf, das ſie im Waſſer glänzen ſahen. Je ärmer ein Land an Erzgruben iſt, deſto leichter wird es in der Einbildung der Einwohner, die Schätze aus dem Schoße der Erde zu holen. Wie viele Zeit haben wir auf unſerer fünfjährigen Reiſe verloren, um auf das dringende Verlangen unſerer Wirte Schluchten zu unterſuchen, in denen ſchwefelkieshaltige Schichten ſeit Jahrhunderten den ſtolzen Namen Minas de oro führen! Wie oft ſahen wir lächelnd zu, wenn Leute aller Stände, Beamte, Dorfgeiſtliche, ernſte Miſſionäre mit un - ermüdlicher Geduld Hornblende oder gelblichen Glimmer zer - ſtießen, um mittels Queckſilber das Gold auszuziehen! Die leidenſchaftliche Gier, mit der man nach Erzen ſucht, er - ſcheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken.

Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua unter - ſucht, gingen wir weiter in der Schlucht hinauf, die ſich wie ein enger, von ſehr hohen Bäumen beſchatteter Kanal fort - zieht. Nach ſehr beſchwerlichem Marſche und ganz durch - näßt, weil wir ſo oft über den Bach gegangen waren, langten wir am Fuße der Höhlen des Cuchivano an, aus246 denen man vor einigen Jahren die Flammen hatte brechen ſehen. 1560 m hoch ſteigt ſenkrecht eine Felswand auf. In einem Landſtrich, wo der üppige Pflanzenwuchs überall den Boden und das Geſtein bedeckt, kommt es ſelten vor, daß ein großer Berg in ſenkrechtem Durchſchnitte ſeine Schichten zeigt. Mitten in dieſem Durchſchnitte, leider dem Menſchen unzugänglich, liegen die Spalten, die zu zwei Höhlen führen. Sie ſollen von denſelben Nachtvögeln bewohnt ſein, die wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen.

Wir ruhten am Fuße der Höhlen aus. Hier ſah man die Flammen hervorkommen, welche in den letzten Jahren häufiger geworden ſind. Unſere Führer und der Pächter, ein verſtändiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohlbekannter Mann, verhandelten nach der Weiſe der Kreolen über die Gefahr, der die Stadt Cumanacoa ausgeſetzt wäre, wenn der Cuchivano ein thätiger Vulkan würde, se veniesse a re - ventar. Es ſchien ihnen unzweifelhaft, daß ſeit dem großen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahre 1797 Neu - Andaluſien vom unterirdiſchen Feuer immer mehr unterhöhlt werde. Sie brachten die Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden ſchlagen ſehen, und die Stöße, die man jetzt an Orten empfindet, wo man früher nichts von Erdbeben wußte. Sie erinnerten daran, daß man in Maca - rapan ſeit einigen Monaten öfters Schwefelgeruch ſpüre. Auf dieſe und ähnliche Erſcheinungen, die uns damals in ihrem Munde auffielen, gründeten ſie Prophezeiungen, die faſt ſämt - lich in Erfüllung gegangen ſind. Entſetzliche Zerſtörungen haben im Jahre 1812 in Caracas ſtattgefunden, zum Beweis, welche gewaltige Unruhe im Nordoſten von Terra Firma in der Natur herrſcht.

Was iſt wohl aber die Urſache der feurigen Erſcheinungen, die man am Cuchivano beobachtet? Ich weiß wohl, daß man zuweilen die Luftſäule, die über der Mündung brennender Vulkane aufſteigt, in hellem Lichte glänzen ſieht. Dieſer Lichtſchein, den man von brennendem Waſſerſtoffgas herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig ſchien. Ich weiß, daß die Alten erzählen, auf dem Mons Albanus bei Rom, dem heutigen Monte Cavo, ſei zuweilen bei Nacht Feuer ge - ſehen worden; aber der Mons Albanus iſt ein erſt in neuerer Zeit erloſchener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli aus -247 warf,1Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Li - vius XXV, 7. während der Cuchivano ein Kalkberg iſt in einer Gegend, wo weit und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa daraus erklären, daß das Waſſer, wenn es mit den Kieſen im Mergelſchiefer in Be - rührung kommt, zerſetzt wird? Iſt das Feuer, das aus den Höhlen des Cuchivano kommt, brennendes Waſſerſtoffgas? Das Waſſer, das durch den Kalkſtein ſickert und durch die Schwefelſchichten zerſetzt wird, und die Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die ſchweflig ſauren Dämpfe, die man zuweilen in den Savannen ſpürt: zwiſchen all dem ließe ſich leicht ein Zuſammenhang denken; es iſt auch nicht zu bezweifeln, daß, wenn ſich bei der ſtarken Affinität zwiſchen dem Eiſenoxyd und den Erden bei hoher Temperatur Waſſer über Schwefelkieſen zerſetzt, die Entbindung von Waſſerſtoffgas erfolgen kann, welche mehrere neuere Geo - logen eine ſo wichtige Rolle ſpielen laſſen. Aber bei vul - kaniſchen Ausbrüchen tritt weit konſtanter ſchweflichte Säure auf als Waſſerſtoff, und der Geruch, den man zuweilen bei ſtarken Erdſtößen verſpürt, iſt vorzugsweiſe der Geruch von ſchweflichter Säure. Ueberblickt man die vulkaniſchen Er - ſcheinungen und die Erdbeben im ganzen, bedenkt man, in welch ungeheuren Entfernungen ſich die Stöße unter dem Meeresboden fortpflanzen, ſo läßt man bald Erklärungen fallen, die von unbedeutenden Schichten von Schwefelkies und bituminöſem Mergel ausgehen. Nach meiner Anſicht können die Stöße, die man in der Provinz Cumana ſo häufig ſpürt, ſo wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeſchrieben werden, als die Stöße, welche die Apenninen erſchüttern, As - phaltadern oder brennenden Erdölquellen. Alle dieſe Er - ſcheinungen hängen von allgemeineren, faſt hätte ich geſagt, tiefer liegenden Urſachen her, und der Herd der vulkaniſchen Wirkungen iſt nicht in den ſekundären Gebirgsbildungen, aus denen die äußere Erdrinde beſteht, ſondern in ſehr bedeutender Tiefe unter der Oberfläche in den Urgebirgsarten zu ſuchen. Je weiter die Geologie fortſchreitet, deſto mehr ſieht man ein, wie wenig man mit den Theorieen ausrichtet, die ſich auf wenige, rein örtliche Beobachtungen gründen.

Nach Meridianhöhen des ſüdlichen Fiſches, die ich in der Nacht vom 7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter248 10° 16′ 11″ der Breite; die Angabe der geſchätzteſten Karten iſt alſo um ¼ Grad unrichtig. Die Neigung der Magnet - nadel fand ich gleich 42,60° und die Intenſität der mag - netiſchen Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intenſität war demnach um neun Schwingungen oder 1 / 25 geringer als in Ferrol.

Am 12. ſetzten wir unſere Reiſe nach dem Kloſter Caripe, dem Hauptort der Chaymasmiſſionen, fort. Wir zogen der geraden Straße den Umweg über die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel höher ſind als der Jura. Der Weg läuft zuerſt oſtwärts 13,5 km über die Hochebene von Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Süd ab. Wir kamen durch das kleine indianiſche Dorf Aricagua, das, von bewaldeten Hügeln umgeben, ſehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf, und wir hatten über vier Stunden zu ſteigen. Dieſes Stück des Weges iſt ſehr angreifend; man ſetzt 22mal über den Pututucuar, ein reißendes Bergwaſſer voll Kalkſteinblöcken. Hat man auf der Cueſta del Cocollar 650 m Meereshöhe erreicht, ſo ſieht man zu ſeiner Ueber - raſchung faſt keine Wälder oder auch nur große Bäume mehr. Man geht über eine ungeheure, mit Gräſern bewachſene Hoch - ebene. Nur Mimoſen mit halbkugeliger Krone und 1 bis 1,3 m hohem Stamme unterbrechen die öde Einförmigkeit der Savannen. Ihre Aeſte ſind gegen den Boden geneigt oder breiten ſich ſchirmartig aus. Ueberall, wo Abhänge oder halb mit Erde bedeckte Geſteinmaſſen ſich zeigen, breitet die Cluſia oder der Cupey mit den großen Nymphäenblüten ſein herr - liches Grün aus. Die Wurzeln dieſes Baumes haben zu - weilen 24 cm Durchmeſſer und gehen oft ſchon 5 m über dem Boden vom Stamme ab.

Nachdem wir noch lange bergan geſtiegen waren, kamen wir auf einer kleinen Ebene zum Hato del Cocollar. Es iſt dies ein Hof, der 793 m hoch ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieſer Einſamkeit blieben wir drei Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigentümer,1Don Matthias Yturburi, ein geborener Biscayer. der vom Hafen von Cumana an unſer Begleiter geweſen war. Wir fanden daſelbſt bei der reichen Weide Milch, vortreffliches Fleiſch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag ſtieg der hundertteilige Thermo - meter nicht über 22 oder 23°, kurz vor Sonnenuntergang fiel er auf 19, und bei Nacht zeigte er kaum 14°. Bei Nacht war249 es daher um kühler als an der Küſte, was, da die Hochebene des Cocollar nicht ſo hoch liegt als die Stadt Caracas, wiederum auf eine ausnehmend raſche Wärmeabnahme hinweiſt.

So weit das Auge reicht, ſieht man auf dem hohen Punkte nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der ſchein - baren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend viele ſehr intereſſante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea coccinea, die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa, der im Lande berühmt iſt, weil ſeine Blätter, wenn man ſie zwiſchen den Fingern zerreibt, einen köſtlichen, aromatiſchen Geruch von ſich geben. Was uns aber am meiſten am ein - ſamen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach. Er ſchien ſich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erſt unter die Tropen gekommen, ſich nicht genug wundern konnten über die friſche Frühlingsluft, deren man nach Sonnenunter - gang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern, wo der Menſch die Gaben der Natur noch voll zu ſchätzen weiß, preiſt der Grundeigentümer das Waſſer ſeiner Quelle, den geſunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es keine ſchädlichen Inſekten gibt, wie wir in Europa uns der Vorzüge unſeres Wohnhauſes oder des maleriſchen Effektes unſerer Pflanzungen rühmen.

Unſer Wirt war mit einer Mannſchaft, die an der Küſte des Meerbuſens von Paria Holzſchläge für die ſpaniſche Marine einrichten ſollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen Mahagoni -, Cedrela - und Braſilholzwäldern, die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme aus - zuſuchen, ſie im Groben ſo zuzuhauen, wie man ſie zum Schiffs - bau braucht, und ſie jährlich auf die Werfte von Caraques bei Cadiz zu ſchicken. Aber weiße, nicht akklimatiſierte Männer mußten der anſtrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der ungeſunden Luft der Wälder erliegen. Dieſelben Lüfte, welche mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer ge - ſchwängert ſind, führen auch den Keim der Auflöſung in die Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der königlichen Marine die Aufſeher der neuen Anſtalt weg und die Bucht, der die erſten Spanier wegen des trübſeligen, wilden Ausſehens der Küſte den Namen Golfo triste 250gegeben, wurde das Grab der europäiſchen Seeleute. Unſer Wirt hatte das ſeltene Glück, dieſen Gefahren zu entgehen; nachdem er den größten Teil der Seinigen hatte hinſterben ſehen, zog er weit weg von der Küſte auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarſchaft, im ungeſtörten Beſitze eines Savannenſtriches von 22 km, genießt er hier der Unabhängig - keit, wie die Vereinzelung ſie gewährt, und der Heiterkeit des Gemüts, wie ſie ſchlichten Menſchen eigen iſt, die in reiner, ſtärkender Luft leben.

Nichts iſt dem Eindruck majeſtätiſcher Ruhe zu vergleichen, den der Anblick des geſtirnten Himmels an dieſem einſamen Ort in einem hinterläßt. Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus über die Prärieen, die bis zum Horizont fortſtreichen, über die grün bewachſene, ſanft gewellte Hochebene, ſo war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoko, als ſähen wir weit weg das geſtirnte Himmelsgewölbe auf dem Ozean ruhen. Der Baum, unter dem wir ſaßen, die leuchtenden Inſekten, die in der Luft tanzten, die glänzenden Sternbilder im Süden, alles mahnte uns daran, wie weit wir von der Heimaterde waren. Und wenn nun, inmitten dieſer fremd - artigen Natur, aus einer Schlucht herauf das Schellengeläute einer Kuh oder das Brüllen des Stieres zu unſeren Ohren drang, dann ſprang mit einmal der Gedanke an die Heimat in uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter, weiter Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüberriefen und uns mit Zauberkraft aus einer Hemiſphäre in die andere ver - ſetzten. So wunderbar beweglich iſt die Einbildungskraft des Menſchen, die ewige Quelle ſeiner Freuden und ſeiner Schmerzen.

In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi - quiri zu beſteigen. So heißt der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur einen Gebirgsſtock bildet, welcher bei den Eingeborenen früher Sierra de los Tageres hieß. Man macht einen Teil des Weges auf Pferden, die frei in den Savannen laufen, zum Teil aber an den Sattel gewöhnt ſind. So plump ihr Ausſehen iſt, klettern ſie doch ganz flink den ſchlüpfrigſten Raſen hinauf. Wir machten zuerſt bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkſtein, ſondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandſteines kommt. Ihre Temperatur war 21°, alſo um 1,5° geringer als die der Quelle von Quetepe; der Höhenunterſchied beträgt aber auch gegen 428 m. Ueberall, wo der Sandſtein zu Tage kommt, iſt der Boden251 eben und bildet gleichſam kleine Plateaus, die wie Stufen übereinander liegen. Bis zu 1365 m und ſogar darüber iſt der Berg, wie alle in der Nachbarſchaft, nur mit Gräſern bewachſen. In Cumana ſchreibt man den Umſtand, daß keine Bäume mehr vorkommen, der großen Hitze zu; vergegen - wärtigt man ſich aber die Verteilung der Gewächſe in den Kordilleren der heißen Zone, ſo ſieht man, daß die Berg - gipfel in Neu-Andaluſien lange nicht zu der oberen Baumgrenze hinaufreichen, die in dieſer Breite mindeſtens 3120 m hoch liegt. Ja, der kurze Raſen zeigt ſich auf dem Cocollar ſtellen - weiſe ſogar ſchon bei 680 m über dem Meer, und man kann auf demſelben bis zu 1950 m Höhe gehen; weiter hinauf, über dieſem mit Gräſern bedeckten Gürtel, befindet ſich auf dem Menſchen faſt unzugänglichen Gipfeln ein Wäldchen von Cedrela, Javillo1Hura crepitans, aus der Familie der Euphorbien. Dieſer Baum wird ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwiſchen Kap Codera und Caracas maß Bonpland Kufen aus Javilloholz, die 5 m lang und 2,5 m breit waren. Dieſe Kufen aus einem Stück dienen zur Aufbewahrung des Guarapo oder Zuckerrohrſaftes und der Melaſſe. Die Samen des Javillo ſind ein ſtarkes Gift, und die Milch, die aus dem Blütenſtengel quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenſchmerz verurſacht, wenn zufällig auch nur ein ganz klein wenig davon zwiſchen die Augenlider kam. und Mahagonibäumen. Nach dieſen lokalen Verhältniſſen muß man annehmen, daß die Bergſavannen des Cocollar und Turimiquiri ihre Entſtehung nur der verderb - lichen Sitte der Eingeborenen verdanken, die Wälder anzu - zünden, die ſie in Weideland verwandeln wollen. Jetzt, da Gräſer und Alppflanzen ſeit dreihundert Jahren den Boden mit einem dicken Filz überzogen haben, können die Baum - ſamen ſich nicht mehr im Boden befeſtigen und keimen, ob - gleich Wind und Vögel ſie fortwährend von entlegenen Wäl - dern in die Savannen herübertragen.

Das Klima auf dieſen Bergen iſt ſo mild, daß beim Hofe auf dem Cocollar der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, ſogar das Zuckerrohr gut fortkommen. Trotz aller Behaup - tungen der Einwohner an der Küſte iſt unter dem 10. Grad der Breite auf Bergen, die kaum höher ſind als der Mont Dore und der Puy de Dome, niemals Reif geſehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri nehmen an Güte ab, je höher ſie liegen. Ueberall, wo zerſtreute Felsmaſſen Schatten bieten, kommen Flechten und verſchiedene europäiſche Mooſe252 vor. Melastoma xanthostachis und ein Strauch (Palicourea rigida), deſſen große, lederartige Blätter im Wind wie Perga - ment rauſchen, wachſen hier und da in der Savanne. Aber die Hauptzierde des Raſens iſt ein Liliengewächs mit gold - gelber Blüte, die Marica martinicensis. Man findet ſie in den Provinzen Cumana und Caracas meiſt erſt in 780 970 m Höhe. Die Gebirgsarten des Turimiquiri ſind ein Alpen - kalk, ähnlich dem bei Cumanacoa, und ziemlich dünne Schich - ten Mergel und quarziger Sandſtein. Im Kalkſtein ſind Klumpen von braunem Eiſenoxyd und Spateiſen eingeſprengt. An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, daß der Sandſtein dem Kalk nicht nur aufgelagert iſt, ſondern daß beide nicht ſelten in Wechſellagerung vorkommen.

Man unterſcheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die ſpitzen Piks oder Cucuruchos, die dicht bewaldet ſind, und wo es viele Tiger gibt, auf die man wegen des großen und ſchönen Fells Jagd macht. Den run - den begraſten Gipfel fanden wir 1378 m hoch. Von dieſem Gipfel läuft nun nach Weſt ein ſteiler Felskamm aus, der 1,8 km von jenem durch eine ungeheure Spalte unterbrochen iſt, die gegen den Meerbuſen von Cariaco hinunterläuft. An der Stelle, wo der Kamm hätte weiter laufen ſollen, erheben ſich zwei Bergſpitzen aus Kalkſtein, von denen die nördliche die höhere iſt. Dies iſt der eigentliche Cucurucho de Tu - rimiquiri, der für höher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die der Küſte von Cumana zuſteuern, ſo wohl be - kannt iſt. Nach Höhenwinkeln und einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen Gipfel zogen, maßen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn 680 m höher als unſeren Standort, ſo daß ſeine abſolute Höhe über 2047 m beträgt.

Man genießt auf dem Turimiquiri einer der weiteſten und maleriſchten Ausſichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem, die parallel von Oſt nach Weſt ſtreichen und Längenthäler zwiſchen ſich haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwaſſern ausgeſpülter Thäler unter rechtem Winkel münden, ſo ſtellen ſich die Seiten - ketten als Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegel - förmiger Höhen dar. Bis zum Impoſible ſind die Berghänge meiſt ziemlich ſanft; weiterhin werden die Abfälle ſehr ſteil und ſtreichen hintereinander fort bis zum Ufer des Meer - buſens von Cariaco. Die Umriſſe dieſer Gebirgsmaſſen er -253 innern an die Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die ſich darin findet, iſt das Thal von Cumanacoa. Es iſt, als ſähe man in einen Trichter hinunter, auf deſſen Boden unter zerſtreuten Baumgruppen das indianiſche Dorf Aricagua er - ſcheint. Gegen Nord hob ſich eine ſchmale Landzunge, die Halbinſel Araya, braun vom Meere ab, das, von den erſten Sonnenſtrahlen beleuchtet, ein glänzendes Licht zurückwarf. Jenſeits der Halbinſel begrenzte den Horizont das Vorgebirge Macanao, deſſen ſchwarzes Geſtein gleich einem ungeheuren Bollwerk aus dem Waſſer aufſteigt.

Der Hof auf dem Cocollar am Fuße des Turimiquiri liegt unter 10° 9′ 32″ der Breite. Die Inklination der Magnetnadel fand ich gleich 42° 10′. Die Nadel ſchwang 220mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden Braun - eiſenſteinmaſſen mögen die Intenſität der magnetiſchen Kraft um ein weniges ſteigern.

Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Miſſion San Antonio hinunter. Der Weg führt anfangs über Sa - vannen, die mit großen Kalkſteinblöcken überſät ſind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei ſehr ſteile Berggräte überſtiegen, hat man ein ſchönes Thal vor ſich, das, 22,5 km lang, faſt durchaus von Oſt nach Weſt ſtreicht. In dieſem Thale liegen die Miſſionen San Antonio und Guana - guana. Erſtere iſt berühmt wegen einer kleinen Kirche aus Backſteinen, in erträglichem Stil, mit zwei Türmen und doriſchen Säulen. Sie gilt in der Umgegend für ein Wunder. Der Guardian der Kapuziner wurde mit dieſem Kirchenbau in nicht ganz zwei Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus ſeinem Dorfe dabei verwendet hatte. Die Säulenkapitäle, die Geſimſe und ein mit Sonnen und Arabesken gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermiſchtem Thon model - liert. Wundert man ſich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinſten griechiſchen Stil1In Skeleftar bei Torneo. S. Buch, Reiſe in Norwegen. anzutreffen, ſo überraſchen einen dergleichen erſte Kunſtverſuche noch mehr in einem Erdſtrich, wo noch alles den Stempel menſchlicher Urzuſtände trägt und von den Europäern erſt ſeit etwa vierzig Jahren der Grund zukünftiger Kultur gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz mißbilligte es, daß in Miſſionen mit ſolchem Luxus gebaut werde, und zum großen Leidweſen der Mönche wurde die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio ſind254 weit entfernt, ſolches gleichfalls zu beklagen; ſie ſind insgeheim mit dem Spruche des Statthalters vollkommen einverſtanden, weil er ihrer natürlichen Trägheit behagt. Sie machen ſich ebenſowenig aus architektoniſchen Ornamenten als einſt die Eingeborenen in den Jeſuitenmiſſionen in Paraguay.

Ich hielt mich in der Miſſion San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu ſehen und ein paar Sonnenhöhen zu nehmen. Der große Platz liegt 430 m über Cumana. Jenſeits des Dorfes durchwateten wir die Flüſſe Colorado und Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar ent - ſpringen und weiter unten, oſtwärts, ſich vereinigen. Der Colorado hat eine ſehr ſtarke Strömung und wird bei ſeiner Mündung breiter als der Rhein; der Guarapiche iſt, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, über 90 m tief. An ſeinen Ufern wächſt eine ausnehmend ſchöne Grasart, die ich zwei Jahre ſpäter, als ich den Magdalenenſtrom hinauffuhr, ge - zeichnet habe. Der Halm mit zweizeiligen Blättern wird 5 bis 6,5 m hoch. Unſere Maultiere konnten ſich durch den dicken Moraſt auf dem ſchmalen ebenen Weg kaum durch - arbeiten. Es goß in Strömen vom Himmel; der ganze Wald erſchien infolge des ſtarken anhaltenden Regens wie ein Sumpf.

Gegen Abend langten wir in der Miſſion Guanaguana an, die ſo ziemlich in derſelben Höhe liegt wie das Dorf San Antonio. Es that ſehr not, daß wir uns trockneten. Der Miſſionär nahm uns ſehr herzlich auf. Es war ein alter Mann, der, wie es ſchien, ſeine Indianer ſehr verſtändig be - handelte. Das Dorf ſteht erſt ſeit dreißig Jahren am jetzigen Fleck, früher lag es weiter nach Süden und lehnte ſich an einen Hügel. Man wundert ſich, mit welcher Leichtigkeit man die Wohnſitze der Indianer verlegt. Es gibt in Südamerika Dörfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal den Ort gewechſelt haben. Den Eingeborenen knüpfen ſo ſchwache Bande an den Boden, auf dem er wohnt, daß er den Befehl, ſein Haus abzureißen und es anderswo wieder aufzubauen, gleichmütig aufnimmt. Ein Dorf wechſelt ſeinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblätter und Helikonenblätter gibt, iſt die Hütte in wenigen Tagen wieder fertig. Dieſen gewaltſamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune eines friſch aus Spanien angekommenen Miſſionärs, der meint, die Miſſion ſei dem Fieber ausgeſetzt oder liege nicht luftig genug. Es iſt vor - gekommen, daß ganze Dörfer mehrere Stunden weit verlegt255 wurden, bloß weil der Mönch die Ausſicht aus ſeinem Hauſe nicht ſchön oder weit genug fand.

Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geiſtliche, der ſchon ſeit dreißig Jahren in den Wäldern Amerikas lebte, äußerte gegen uns, die Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, müßten zuerſt zum Bau des Miſſions - hauſes, dann zum Kirchenbau und endlich für die Kleidung der Indianer verwendet werden. Er verſicherte in wichtigem Ton, von dieſer Ordnung dürfe unter keinem Vorwand ab - gegangen werden. Nun, die Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichteſten Kleider tragen, können gut warten, bis die Reihe an ſie kommt. Die geräumige Wohnung des Padre war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unſerer Ueberraſchung, daß das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge Kaminen wie mit Türmchen geziert war. Sie ſollten, belehrte uns unſer Wirt, ihn an ſein ge - liebtes Heimatland, und in der tropiſchen Hitze an die ara - goneſiſchen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen Baumwolle für ſich, für die Kirche und für den Miſſionär. Der Ertrag gilt als Gemeindeeigentum, und mit den Gemeinde - geldern werden die Bedürfniſſe des Geiſtlichen und die Koſten des Gottesdienſtes beſtritten. Die Eingeborenen haben höchſt einfache Vorrichtungen, um den Samen von der Baumwolle zu trennen. Es ſind hölzerne Cylinder von ſehr kleinem Durchmeſſer, zwiſchen denen die Baumwolle durchläuft, und die man wie Spinnräder mit dem Fuße umtreibt. Dieſe höchſt mangelhaften Maſchinen leiſten indeſſen gute Dienſte, und man fängt in den anderen Miſſionen an, ſie nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke über Mexiko, ausein - andergeſetzt, wie ſehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den Transport in den ſpaniſchen Ko - lonien erſchwert, wo alle Waren auf Maultieren in die See - häfen kommen. Der Boden iſt in Guanaguana ebenſo frucht - bar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls ſeinen indianiſchen Namen behalten hat. Eine Almuda (7030 qm) trägt in guten Jahren 25 30 Fanegas Mais, die Fanega zu 50 kg. Aber hier wie überall, wo der Segen der Natur die Entwickelung der Induſtrie hemmt, macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Menſch denkt daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechſeln. Die In - dianer in Guanaguana erzählten mir als etwas Ungewöhn - liches, im verfloſſenen Jahre ſeien ſie, ihre Weiber und Kinder256 drei Monate lang al monte geweſen, d. h. ſie ſeien in den benachbarten Wäldern umhergezogen, um ſich von ſaftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baum - früchten zu nähren. Sie ſprachen von dieſem Nomadenleben keineswegs wie von einem Notſtand. Nur der Miſſionär hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf ganz verlaſſen ſtand und die Gemeindegenoſſen, als ſie aus den Wäldern wieder heimkamen, weniger lenkſam waren als zuvor.

Das ſchöne Thal von Guanaguana läuft gegen Oſt in die Ebenen von Punzere und Terecen aus. Gerne hätten wir dieſe Ebenen beſucht, um die Quellen von Bergöl zwiſchen den Flüſſen Guarapiche und Areo zu unterſuchen; aber die Regenzeit war förmlich eingetreten, und wir hatten täglich vollauf zu thun, um die geſammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere führt entweder über San Felix, oder über Caycara und Guayuta, wo ſich ein Hato (Hof für Viehzucht) der Miſſionäre befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der Indianer, große Schwefelmaſſen, nicht in Gips oder Kalkſtein, ſondern in geringer Tiefe unter der Fläche des Bodens in Thonſchichten. Dieſes auffallende Vor - kommen ſcheint Amerika eigentümlich; wir werden demſelben im Königreich Quito und in Neu-Granada wieder begegnen. Vor Punzere ſieht man in den Savannen Säckchen von Seiden - gewebe an den niedrigſten Baumäſten hängen. Es iſt dies die seda silvestre oder einheimiſche wilde Seide, die einen ſchönen Glanz hat, aber ſich ſehr rauh anfühlt. Der Nacht - ſchmetterling, der ſie ſpinnt, kommt vielleicht mit denen in den Provinzen Guanaxuato und Antioquia überein, die gleich - falls wilde Seide liefern. Im ſchönen Walde von Punzere kommen zwei Bäume vor, die unter den Namen Curucay und Canela bekannt ſind; erſterer liefert ein von den Piajes oder indianiſchen Zauberern ſehr geſuchtes Harz, der zweite hat Blätter, die nach echtem Ceylonzimt riechen. Von Punzere läuft der Weg über Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlaſſung von Kanariern iſt, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und man muß in einer Piroge über dieſen Fluß ſetzen, wenn man zu den berühmten Bergölquellen von Buen Paſtor gehen will. Man beſchrieb ſie uns als kleine Schachte oder Trichter, die ſich von ſelbſt im ſumpfigen Boden gebildet haben. Dieſe Erſcheinung erinnert an den Asphaltſee oder Chapapote257 auf der Inſel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Paſtor nur 64 km entfernt iſt.

Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekämpft, den Guarapiche hinunter in den Golfo triste zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die Thäler von Guanaguana und Caripe ſind durch eine Art Damm oder Grat aus Kalkſtein, der unter dem Namen Cuchilla de Guanaguana weit und breit berühmt iſt, voneinander ge - trennt. 1Im ganzen ſpaniſchen Amerika bedeutet cuchilla, Meſſer - klinge, einen Bergkamm mit ſehr ſteilen Abhängen.Wir fanden den Uebergang beſchwerlich, weil wir damals noch nicht in den Kordilleren gereiſt waren, aber ſo gefährlich, als man ihn in Cumana ſchildert, iſt er keines - wegs. Allerdings iſt der Weg an mehreren Stellen nur 38 oder 40 cm breit; der Bergſattel, über den er wegläuft, iſt mit kurzem, ſehr glattem Raſen bedeckt, die Abhänge zu beiden Seiten ſind ziemlich jäh, und wenn der Reiſende fiele, könnte er auf dem Graſe 220 bis 260 m hinunterrollen. Indeſſen ſind die Bergſeiten vielmehr nur ſtarke Böſchungen als eigentliche Abgründe, und die Maultiere hierzulande haben einen ſo ſicheren Gang, daß man ſich ihnen ruhig anvertrauen kann. Ihr Benehmen iſt ganz wie das der Saumtiere in der Schweiz und in den Pyrenäen. Je wilder ein Land iſt, deſto fein - fühliger und ſchärfer witternd wird der Inſtinkt der Haus - tiere. Spüren die Maultiere eine Gefahr, ſo bleiben ſie ſtehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die Ohren auf und ab; man ſieht, ſie überlegen, was zu thun ſei. Sie kommen langſam zum Entſchluß, aber derſelbe fällt immer richtig aus, wenn er frei iſt, das heißt, wenn ihn der Reiſende nicht unvorſichtigerweiſe ſtört oder übereilt. Wenn man in den Anden ſechs, ſieben Monate auf entſetzlichen Wegen durch die von den Bergwaſſern zerriſſenen Gebirge zieht, da ent - wickelt ſich die Intelligenz der Reitpferde und Laſttiere auf wahrhaft erſtaunliche Weiſe. Man kann auch die Gebirgs - bewohner ſagen hören: Ich gebe Ihnen nicht das Maultier, das den bequemſten Schritt hat, ſondern das vernünftigſte, la mas racional. Dieſes Wort aus dem Munde des Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das Syſtem, das in den Tieren nur belebte Maſchinen ſieht, wohl beſſer als alle Beweisführung der ſpekulativen Philoſophie.

Auf dem höchſten Punkt des Kammes oder der CuchillaA. v. Humboldt, Reiſe. I. 17258von Guanaguana angelangt, hatten wir eine intereſſante Fern - ſicht. Wir überſahen mit einem Blick die weiten Prärieen oder Savannen von Maturin und am Rio Tigre, den Spitz - berg Turimiquiri und zahlloſe parallel ſtreichende Bergketten, die von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordoſt öffnet ſich das Thal, in dem das Kloſter Caripe liegt. Sein Anblick iſt um ſo einladender, als es bewaldet iſt und ſo von den kahlen, nur mit Gras bewachſenen Bergen umher freundlich abſticht. Wir fanden die abſolute Höhe der Cuchilla gleich 1068 m; ſie liegt alſo 641 m über dem Miſſionshaus von Guanaguana.

Steigt man auf ſehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, ſo betritt man bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden iſt mit Moos und einer neuen Art Droſera bedeckt, die im Wuchs der Droſera unſerer Alpen gleicht. Je näher man dem Kloſter Caripe kommt, deſto dichter wird der Wald, deſto üppiger die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, ſogar die Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an geweſen waren. Die Kalkſteinſchichten werden dünner; ſie bilden Mauern, Geſimſe und Türme wie in Peru, im Pappen - heimſchen und bei Oicow in Galizien. Es iſt nicht mehr Alpenkalk, ſondern eine Formation, welche jenem übergelagert iſt, analog dem Jurakalk.

Der Weg von der Cuchilla herab iſt bei weitem nicht ſo lang als der hinauf. Wir fanden, daß das Thal von Caripe 390 m höher liegt als das Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei Becken; das eine iſt köſtlich kühl, das andere als furchtbar heiß ver - rufen. Solchen Kontraſten begegnet man in Mexiko, in Neu - Granada und Peru häufig, aber im Nordoſten von Süd - amerika ſind ſie ſelten. Unter allen hochgelegenen Thälern in Neu-Andaluſien iſt auch nur das von Caripe1Abſolute Höhe des Kloſters 803 m. ſehr ſtark bewohnt. In einer Provinz mit ſchwacher Bevölkerung, wo die Gebirge weder eine ſehr bedeutende Maſſe, noch ausge - dehnte Hochebenen haben, findet der Menſch wenig Anlaß, aus den Ebenen wegzuziehen und ſich in gemäßigteren Ge - birgsſtrichen niederzulaſſen.

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Siebentes Kapitel.

Das Kloſter Caripe. Die Höhle des Guacharo. Nachtvögel.

Eine Allee von Perſeabäumen führte uns zum Hoſpiz der aragoneſiſchen Kapuziner. Bei einem Kreuze aus Braſil - holz mitten auf einem großen Platze machten wir Halt. Das Kreuz iſt von Bänken umgeben, wo die kranken und ſchwachen Mönche ihren Roſenkranz beten. Das Kloſter lehnt ſich an eine ungeheure, ſenkrechte, dicht bewachſene Felswand. Das blendend weiße Geſtein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann ſich kaum eine maleriſchere Lage denken; ſie erinnerte mich lebhaft an die Thäler der Graf - ſchaft Derby und an die höhlenreichen Berge von Muggen - dorf in Franken. An die Stelle der europäiſchen Buchen und Ahorne treten hier die großartigeren Geſtalten der Ceiba und der Praga - und Iraſſepalmen. Unzählige Quellen brechen aus den Bergwänden, die das Becken von Caripe kreisförmig umgeben und deren gegen Süd ſteil abfallende Hänge 320 m hohe Profile bilden. Dieſe Quellen kommen meiſt aus Spalten oder engen Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die ſie ver - breiten, befördert das Wachstum der großen Bäume, und die Eingeborenen, welche einſame Orte lieben, legen ihre Conucos längs dieſer Schluchten an. Bananen und Melonenbäume ſtehen hier um Gebüſche von Baumfarn. Dieſes Durch - einander von kultivierten und wilden Gewächſen gibt dieſen Punkten einen eigentümlichen Reiz. An den nackten Berg - ſeiten erkennt man die Stellen, wo Quellen zu Tage kommen, ſchon von weitem an den dichten Maſſen von Grün, die an - fangs am Geſtein zu hängen ſcheinen und ſich dann den Windungen der Bäche nach ins Thal hinunterziehen.

Wir wurden von den Mönchen im Hoſpiz mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Der Pater Guardian war nicht zu Hauſe; aber er war von unſerem Abgange von260 Cumana in Kenntnis geſetzt und hatte alles aufgeboten, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hoſpiz hat einen inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die ſpaniſchen Klöſter. Dieſer geſchloſſene Raum war ſehr bequem für uns, um unſere Inſtrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen im Kloſter zahlreiche Geſellſchaft: junge, vor kurzem aus Europa angekommene Mönche ſollten eben in die Miſſionen verteilt werden, während alte, kränkliche Miſſionäre in der ſcharfen, geſunden Gebirgsluft von Caripe Geneſung ſuchten. Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der ſich eine ziemlich anſehnliche Bücherſammlung befand. Ich fand hier zu meiner Ueberraſchung neben Feijos Teatro critico und den Erbau - lichen Briefen auch Abbé Nollets Traité de l’électricité . Der Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung iſt, ſollte man da meinen, ſogar in den Wäldern Amerikas zu ſpüren. Der jüngſte Kapuziner von der letzten Miſſion1Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines Geiſtlichen ſtehen, nennt man in den ſpaniſchen Kolonieen Miſſion auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem ſpaniſchen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den Philippinen die Niederlaſſungen der Ordensgeiſtlichen zu ergänzen. Daher der Ausdruck: in Cadix eine neue Miſſion holen. hatte eine ſpaniſche Ueberſetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte dieſes Werk in der Einſamkeit zu ſtudieren, in der er fortan für ſeine übrige Lebenszeit ſich ſelbſt überlaſſen ſein ſollte. Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einſam am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wiſſenstrieb wach und rege bleibt; aber ſo viel iſt ſicher und gereicht dem Geiſte des Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unſerem Aufenthalte in den Klöſtern und Miſſionen Amerikas nie eine Spur von Unduldſamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe wußten wohl, daß ich im proteſtantiſchen Deutſchland zu Hauſe war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen, irgend eine unbeſcheidene Frage, irgend ein Verſuch, eine Kontroverſe anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der Gaſtfreundſchaft, welche die Mönche mit ſo viel Herzlichkeit und Offenheit übten, auch nur den geringſten Eintrag. Wir werden weiterhin unterſuchen, woher dieſe Duldſamkeit der Miſſionäre rührt und wie weit ſie geht.

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Das Kloſter liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hieß. Seine Meereshöhe iſt ungefähr dieſelbe wie die der Stadt Caracas oder des bewohnten Striches in den Blauen Bergen von Jamaika. Auch iſt die mittlere Tem - peratur dieſer drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, ſo ziemlich dieſelbe. In Caripe fühlt man das Bedürfnis, ſich nachts zuzudecken, beſonders bei Sonnenaufgang. Wir ſahen den hundertteiligen Thermometer um Mitternacht zwiſchen 16 und 17½° ſtehen, morgens zwiſchen 19 und 20°. Gegen ein Uhr nachmittags ſtand er nur auf 21 bis 22,5°. Es iſt dies eine Temperatur, bei der die Gewächſe der heißen Zone noch wohl gedeihen; gegenüber der übermäßigen Hitze auf den Ebenen bei Cumana könnte man ſie eine Frühlingstemperatur nennen. Das Waſſer, das man in poröſen Thongefäßen dem Luftzuge ausſetzt, kühlt ſich in Caripe während der Nacht auf 13° ab. Ich brauche nicht zu bemerken, daß ſolches Waſſer einem faſt eiskalt vorkommt, wenn man in einem Tage entweder von der Küſte oder von den glühenden Savannen von Terezen ins Kloſter kommt und daher gewöhnt iſt, Flußwaſſer zu trinken, das meiſt 25 bis 26° warm iſt.

Die mittlere Temperatur des Thales von Caripe ſcheint, nach der des Monats September zu ſchließen, 18,5° zu ſein. Nach den Beobachtungen, die man in Cumana gemacht, weicht unter dieſer Zone die Temperatur des Septembers von der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere Temperatur von Caripe iſt gleich der des Monats Juni zu Paris, wo übrigens die größte Hitze 10° mehr be - trägt als an den heißeſten Tagen in Caripe. Da das Kloſter nur 780 m über dem Meere liegt, ſo fällt es auf, wie raſch die Wärme von der Küſte an abnimmt. Wegen der dichten Wälder können die Sonnenſtrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieſer iſt feucht und mit einem dicken Gras - und Moos - filz bedeckt. Bei anhaltend nebelichter Witterung iſt von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu ſpüren und gegen Einbruch der Nacht wehen friſche Winde von der Sierra del Guacharo ins Thal herunter.

Die Erfahrung hat ausgewieſen, daß das gemäßigte Klima und die leichte Luft des Ortes dem Anbau des Kaffee - baumes, der bekanntlich hohe Lagen liebt, ſehr förderlich ſind. Der Superior der Kapuziner, ein thätiger, aufgeklärter Mann, hat in ſeiner Provinz dieſen neuen Kulturzweig eingeführt. Man baute früher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die262 ſtarke Hitze verlangt, lieferte hier ſo wenig Farbſtoff, daß man es aufgab. Wir fanden im Gemeindeconuco viele Küchen - kräuter, Mais, Zuckerrohr und fünftauſend Kaffeeſtämme, die eine reiche Ernte verſprachen. Die Mönche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal ſo viel zu haben. Man ſieht auch hier wieder, wie die geiſtliche Hierarchie überall, wo ſie es mit den Anfängen der Kultur zu thun hat, in derſelben Richtung ihre Thätigkeit entwickelt. Wo die Klöſter es noch nicht zum Reich - tum gebracht haben, auf dem neuen Kontinente wie in Gallien, in Syrien wie im nördlichen Europa, überall wirken ſie höchſt vorteilhaft auf die Urbarmachung des Bodens und die Ein - führung fremdländiſcher Gewächſe. In Caripe ſtellt ſich der Gemeindeconuco als ein großer, ſchöner Garten dar. Die Eingeborenen ſind gehalten, jeden Morgen von ſechs bis zehn Uhr darin zu arbeiten. Die Alkaden und Alguazile von indianiſchem Blute führen dabei die Aufſicht. Es ſind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock tragen dürfen und vom Superior des Kloſters angeſtellt werden. Sie legen auf jenes Recht ſehr großes Gewicht. Ihr pedantiſcher, ſchweigſamer Ernſt, ihre kalte, geheimnisvolle Miene, der Eifer, mit dem ſie in der Kirche und bei den Gemeinde - verſammlungen repräſentieren, kommt den Europäern höchſt luſtig vor. Wir waren an dieſe Züge im Charakter des Indianers noch nicht gewöhnt, fanden ſie aber ſpäter gerade ſo am Orinoko, in Mexiko und Peru bei Völkern von ſehr verſchiedenen Sitten und Sprachen. Die Alkaden kamen alle Tage ins Kloſter, nicht ſowohl um mit den Mönchen über Angelegenheiten der Miſſion zu verhandeln, als unter dem Vorwande, ſich nach dem Befinden der kürzlich angekommenen Reiſenden zu erkundigen. Da wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Beſuche häufiger, als die Geiſtlichen gerne ſahen.

Solange wir uns in Caripe und in den anderen Miſ - ſionen der Chaymas aufhielten, ſahen wir die Indianer überall milde behandeln. Im allgemeinen ſchien uns in den Miſſionen der aragoneſiſchen Kapuziner grundſätzlich eine Ordnung und eine Zucht zu herrſchen, wie ſie leider in der Neuen Welt ſelten zu finden ſind. Mißbräuche, die mit dem allgemeinen Geiſte aller klöſterlichen Anſtalten zuſammenhängen, dürfen dem einzelnen Orden nicht zur Laſt gelegt werden. Der Guardian des Kloſters verkauft den Ertrag des Gemeinde - conuco, und da alle Indianer darin arbeiten, ſo haben auch alle gleichen Teil am Gewinn. Mais, Kleidungsſtücke, Acker -263 geräte, und, wie man verſichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen verteilt. Dieſe Mönchsanſtalten haben, wie ich ſchon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der Mähriſchen Brüder; ſie fördern die Entwickelung in der Bil - dung begriffener Menſchenvereine, und in den katholiſchen Ge - meinden, die man Miſſionen nennt, wird die Unabhängigkeit der Familien und die Selbſtändigkeit der Genoſſenſchaftsglieder mehr geachtet als in den proteſtantiſchen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel.

Am berühmteſten iſt das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man ſo großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt eine Höhle, aus der ein Strom entſpringt und in der Tauſende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß ans Land geſetzt, ſo hört er zum Ueberdruſſe vom Augenſtein von Araya, vom Landmanne in Arenas, der ſein Kind ge - ſäugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilo - meter lang ſein ſoll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerk - würdigkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die alltäglichen Vor - kommniſſe ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine Fettgrube nennen, liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern etwa 13 km vom Kloſter gegen Weſt-Süd-Weſt. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, be - gleitet von den indianiſchen Alkaden und den meiſten Ordens - männern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad führte zuerſt anderthalb Stunden lang ſüdwärts über eine lachende, ſchön beraſte Ebene, dann wandten wir uns weſtwärts an einem kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht drei Viertelſtunden lang aufwärts bald im Waſſer, das nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Felswand, auf ſehr ſchlüpfrigem, moraſtigem Boden. Zahlreiche Erd - fälle, umherliegende Baumſtämme, über welche die Maultiere nur ſchwer hinüber kommen, die Rankengewächſe am Boden machen dieſes Stück des Weges ſehr ermüdend. Wir waren überraſcht, hier, kaum 970 m über dem Meere, eine Kreuz -264 blüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie ſelten Arten dieſer Familie unter den Tropen ſind; ſie haben gleichſam einen nordiſchen Typus, und auf dieſen waren wir hier auf dem Plateau von Caripe, in ſo geringer Meeres - höhe, nicht gefaßt.

Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt iſt, ſieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Waſſer eingegraben, und man geht unter einem Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht. Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß und bei der letzten Biegung ſteht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für Augen, die mit der maleriſchen Szenerie der Hochalpen ver - traut ſind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derby - ſhire geſehen, wo man, in einem Nachen ausgeſtreckt, unter einem 60 cm hohen Gewölbe über einen unterirdiſchen Fluß ſetzt. Ich hatte die ſchöne Höhle von Treſhemienſhiz in den Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Fran - ken, die große Grabſtätten ſind für die Gebeine von Tigern, Hyänen und Bären, die ſo groß waren, wie unſere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabänderlichen Ge - ſetzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren Geſtaltung der Berge, ſelbſt in den gewaltſamen Verände - rungen, welche die äußere Rinde unſeres Planeten erlitten hat. Nach dieſer großen Einförmigkeit konnte ich glauben, die Höhle von Caripe werde im Ausſehen von dem, was ich derart auf meinen früheren Reiſen beobachtet, eben nicht ſehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwar - tung weit. Wenn einerſeits alle Höhlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was die unorganiſche Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit - einander haben, ſo gibt andererſeits der großartige tropiſche Pflanzenwuchs der Mündung eines ſolchen Erdenlochs einen ganz eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo öffnet ſich im ſenkrechten Profil eines Felſens. Der Eingang iſt nach Süd gekehrt; es iſt eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, alſo bis auf ein Fünfteil ſo hoch als die Kolonnade des Louvre. Auf dem Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume. Der Mamei und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern ſtrecken ihre Aeſte gerade gen Himmel, während die des Courbaril265 und der Erythrina ſich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit ſaftigen Stengeln, Oxalis und Orchideen von ſeltſamem Bau1Ein Dendrobium mit goldgelber, ſchwarzgefleckter, 8 cm langer Blüte. wachſen in den dürrſten Fels - ſpalten, während vom Winde geſchaukelte Rankengewächſe ſich vor dem Eingange der Höhle zu Gewinden verſchlingen. Wir ſahen in dieſen Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum erſtenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Blüte eine über 10 cm lange fleiſchige Röhre hat. Es iſt mit dem Eingange der Höhlen, wie mit der Anſicht der Waſſerfälle; der Hauptreiz beſteht in der mehr oder weniger großartigen Umgebung, die den Charakter der Landſchaft beſtimmt. Welcher Kontraſt zwiſchen der Cueva de Caripe und den Höhlen im Norden, die von Eichen und düſteren Lärchen beſchattet ſind!

Aber dieſe Pflanzenpracht ſchmückt nicht allein die Außen - ſeite des Gewölbes, ſie dringt ſogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erſtaunen ſahen wir, daß 6 m hohe prächtige Helikonien mit Piſangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die Erde ſäumten. Die Vegetation zieht ſich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsſpalten in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrſcht, und ſie hört erſt 30 bis 40 Schritte vom Eingange auf. Wir maßen den Weg mittels eines Strickes und waren gegen 140 m weit gegangen, ehe wir nötig hatten die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt ſo weit ein, weil die Höhle nur einen Gang bildet, der ſich in derſelben Richtung von Südoſt nach Nordweſt hinein - zieht. Da wo das Licht zu verſchwinden anfängt, hört man das heiſere Geſchrei der Nachtvögel, die, wie die Ein - geborenen glauben, nur in dieſen unterirdiſchen Räumen zu Hauſe ſind.

Der Guacharo hat die Größe unſerer Hühner, die Stimme der Ziegenmelker und Proknias, die Geſtalt der geierartigen Vögel mit Büſcheln ſteifer Seide um den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der Picae (Spechte), ſo iſt dieſer merkwürdige Vogel unter die Passeres zu ſtellen, deren Gattungen faſt unmerklich ineinander übergehen. Ich habe ihn im zweiten Band meiner Observations de zoologie et d’anatomie comparée in einer eigenen Abhandlung unter266 dem Namen Steatornis (Fettvogel) beſchrieben. Er bildet eine neue Gattung, die ſich von Caprimulgus durch den Um - fang der Stimme, durch den ausnehmend ſtarken, mit einem doppelten Zahn verſehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwiſchen den vorderen Zehengliedern weſentlich unter - ſcheidet. In der Lebensweiſe kommt er ſowohl den Ziegen - melkern als den Alpenkrähen1Corvus Pyrrhocorax. nahe. Sein Gefieder iſt dunkel graublau, mit kleinen ſchwarzen Streifen und Tupfen; Kopf, Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, ſchwarz geſäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tages - licht nicht ertragen, ſie ſind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders bei Mondſchein. Es iſt ſo ziemlich der einzige körnerfreſſende Nachtvogel, den wir bis jetzt kennen; ſchon der Bau ſeiner Füße zeigt, daß er nicht jagt, wie unſere Eulen. Er frißt ſehr harte Samen, wie der Nuß - häher (Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer niſtet auch in Felsſpalten und heißt der Nachtrabe . Die Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Inſekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtſchmetter - lingen nach, von denen die Ziegenmelker ſich nähren. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu ſehen, daß ihre Lebensweiſe ganz verſchieden ſein muß.

Schwer macht man ſich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im dunkeln Inneren der Höhle machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen vergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende durchdringende Geſchrei des Guacharo hallt wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Neſter der Vögel, indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie ſtaken 20 bis 23 m hoch über unſeren Köpfen in trichter - förmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Kopalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in anderen Zweigen267 der Höhle niſteten. Die Banden löſten einander im Schreien ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerſtören die meiſten Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel tot, wobei die Alten, als wollten ſie ihre Brut verteidigen, mit furchtbarem Geſchrei den Indianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell iſt ſtark mit Fett durchwachſen, und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwiſchen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körner - freſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt ſind und ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mäſten der Gänſe und des Viehs. Man weiß, wie ſehr dasſelbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil ſie nicht wie der Guacharo von Früchten, ſondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der Fetternte (cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt, bauen ſich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Ein - gang und im Vorhof der Höhle. Wir ſahen noch Ueberbleibſel derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getöteten Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieſes Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder - öl (manteca oder aceite) bekannt; es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos. Es iſt ſo rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. In der Kloſterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältnis. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaſchen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Dieſer Induſtriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sam - meln des Taubenfetts1Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba migratoria. in Carolina, von dem früher mehrere tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo - fettes iſt in Caripe uralt und die Miſſionäre haben nur die268 Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianiſchen Familie Namens Morocoymas behaupten von den erſten An - ſiedlern im Thale abzuſtammen und als ſolche rechtmäßige Eigentümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Monopol des Fetts, aber infolge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem der Miſ - ſionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchen - licht zu liefern; das übrige, ſo behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechts - anſprüche der Morocoymas, noch über den Urſprung der von den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es erſchiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte, die ſie anſtellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie im Schoße der europäiſchen Kultur, beſtimmt ſich das öffent - liche Recht danach, wie ſich das Verhältnis zwiſchen dem Starken und dem Schwachen, zwiſchen dem Eroberer und dem Unter - worfenen geſtaltet.

Das Geſchlecht des Guacharo wäre längſt ausgerottet, wenn nicht mehrere Umſtände zur Erhaltung desſelben zu - ſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Indianer ſelten weit in die Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen zu niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; ſie lebten da mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zuſagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem ſelt - ſamen Namen Guacharoſamen (semilla del Guacharo) ein vielberufenes Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt ſie ſorg - fältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und anderen tief gelegenen Fieberſtrichen zukommen.

Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entſpringt. Derſelbe iſt 9 bis 10 m breit. Man ver - folgt das Ufer, ſolange die Hügel aus Kalkinkruſtationen dies geſtatten; oft, wenn ſich der Bach zwiſchen ſehr hohen Stalaktitenmaſſen durchſchlängelt, muß man in das Bett ſelbſt hinunter, das nur 60 cm tief iſt. Wir hörten zu unſerer269 Ueberraſchung, dieſe unterirdiſche Waſſerader ſei die Quelle des Rio Caripe, der wenige Meilen davon, nach ſeiner Ver - einigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria, für Pirogen ſchiffbar wird. Am Ufer des unterirdiſchen Baches fanden wir eine Menge Palmholz; es ſind Ueberbleibſel der Stämme, auf denen die Indianer zu den Vogelneſtern an der Decke der Höhle hinaufſteigen. Die von den Narben der alten Blatt - ſtiele gebildeten Ringe dienen gleichſam als Sproſſen einer aufrecht ſtehenden Leiter.

Die Höhle von Caripe behält, genau gemeſſen, auf 472 m dieſelbe Richtung, dieſelbe Breite und die anfängliche Höhe von 20 bis 23 m. Ich kenne auf beiden Kontinenten keine zweite Höhle von ſo gleichförmiger, regelmäßiger Geſtalt. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß ſie über das vordere Stück hinausgingen, das ſie allein jährlich zum Fett - ſammeln beſuchen. Es brauchte das ganze Anſehen der Patres, um ſie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden raſch unter einem Winkel von 60° anſteigt und der Bach einen kleinen unterirdiſchen Fall bildet. Dieſe von Nachtvögeln be - wohnte Höhle iſt für die Indianer ein ſchauerlich geheimnis - voller Ort; ſie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Menſch, ſagen ſie, ſoll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beſchienen ſind. Zu den Guacharos gehen, heißt ſo viel, als zu den Vätern verſammelt werden, ſterben. Daher nahmen auch die Zauberer, Piajes, und die Giftmiſcher, Imorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den oberſten der böſen Geiſter, Ivorokiamo, zu beſchwören. So gleichen ſich unter allen Himmelsſtrichen die älteſten Mythen der Völker, vor allen ſolche, die ſich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Böſen beziehen. Die verſchiedenſten und darunter die roheſten Sprachen haben gewiſſe Bilder miteinander gemein, weil dieſe unmittelbar aus dem Weſen unſeres Denk - und Empfindungsvermögens fließen. Finſternis wird allerorten mit der Vorſtellung des Todes in Verbindung gebracht. Die Höhle von Caripe iſt der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die unter kläglichem Geſchrei über dem Waſſer flattern, mahnen an die ſtygiſchen Vögel.

Da wo der Bach den unterirdiſchen Fall bildet, ſtellt ſich das dem Höhleneingang gegenüberliegende, grün bewachſene270 Gelände ungemein maleriſch dar. Man ſieht vom Ende eines geraden, 467 m langen Ganges darauf hinaus. Die Stalak - titen, die von der Decke herabhängen und in der Luft ſchweben - den Säulen gleichen, heben ſich von einem grünen Hinter - grunde ab. Die Oeffnung der Höhle erſcheint um die Mitte des Tages auffallend enger als ſonſt, und wir ſahen ſie vor uns im glänzenden Lichte, das Himmel, Gewächſe und Geſtein zumal widerſtrahlen. Das ferne Tageslicht ſtach ſo grell ab von der Finſternis, die uns in dieſen unterirdiſchen Räumen umgab. Wir hatten unſere Gewehre faſt aufs Geratewohl ab - geſchoſſen, ſo oft wir aus dem Geſchrei und dem Flügel - ſchlagen der Nachtvögel ſchließen konnten, daß irgendwo recht viele Neſter beiſammen ſeien. Nach mehreren fruchtloſen Ver - ſuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu ſchießen, die, vom Fackelſchein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz unbekannt geweſen war. Wir erkletterten nicht ohne Beſchwerde die Erhöhung, über die der unterirdiſche Bach herunterkommt. Wir ſahen da, daß die Höhle ſich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 13 m hoch iſt und nordoſtwärts in ihrer urſprünglichen Richtung, parallel mit dem großen Thale des Caripe, fortſtreicht.

In dieſer Gegend der Höhle ſetzt der Bach eine ſchwärz - lichte Erde ab, die große Aehnlichkeit hat mit dem Stoffe, der in der Muggendorfer Höhle in Franken Opfererde heißt. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob dieſe feine, ſchwam - mige Erde durch Spalten im Geſteine, die mit dem Erd - reiche außerhalb in Verbindung ſtehen, hereinfällt, oder ob ſie durch das Regenwaſſer, das in die Höhle dringt, herein - geflößt wird. Es war ein Gemiſch von Kieſelerde, Thonerde und vegetabiliſchem Detritus. Wir gingen in dickem Kote bis zu einer Stelle, wo uns zu unſerer Ueberraſchung eine unterirdiſche Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Vögel zum Futter für ihre Jungen in die Höhle bringen, keimen überall, wo ſie auf die Dammerde fallen, welche die Kalkinkruſtationen bedeckt. Vergeilte Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Teil 60 cm hoch. Es war un - möglich, Gewächſe, die ſich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe und ganzem Habitus völlig umgewandelt hatten, ſpezifiſch zu unterſcheiden. Dieſe Spuren von Organiſation im Schoße der Finſternis reizten gewaltig die Neugier der Eingeborenen, die ſonſt ſo ſtumpf und ſchwer anzuregen ſind. 271Sie betrachteten ſie mit ſtillem, nachdenklichem Ernſte, wie er ſich an einem Orte ziemte, der für ſie ſolche Schauer hat. Dieſe unterirdiſchen, bleichen, formloſen Gewächſe mochten ihnen wie Geſpenſter erſcheinen, die vom Erdboden hierher ge - bannt waren. Mich aber erinnerten ſie an eine der glück - lichſten Zeiten meiner frühen Jugend, an einen langen Auf - enthalt in den Freiberger Erzgruben, wo ich über das Vergeilen der Pflanzen Verſuche anſtellte, die ſehr verſchieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war oder viel Waſſerſtoff und Stick - ſtoff enthielt.

Mit aller ihrer Autorität konnten die Miſſionäre die Indianer nicht vermögen, noch weiter in die Höhle hinein - zugehen. Je mehr die Decke ſich ſenkte, deſto gellender wurde das Geſchrei der Guacharos. Wir mußten uns der Feigheit unſerer Führer gefangen geben und umkehren. Man ſah auch überall ſo ziemlich das Nämliche. Ein Biſchof von St. Thomas in Guyana ſcheint weiter gekommen zu ſein als wir; er hatte vom Eingange bis zum Punkte, wo er Halt machte, 812 m gemeſſen, und die Höhle lief noch weiter fort. Die Erinnerung an dieſen Vorfall hat ſich im Kloſter Caripe erhalten, nur weiß man den Zeitpunkt nicht genau. Der Biſchof hatte ſich mit dicken Kerzen aus weißem ſpaniſchen Wachs verſehen; wir hatten nur Fackeln aus Baumrinde und einheimiſchem Harze. Der dicke Rauch ſolcher Fackeln in engem, unter - irdiſchem Raume thut den Augen weh und macht das Atmen beſchwerlich.

Wir gingen dem Bache nach wieder zur Höhle hinaus. Ehe unſere Augen vom Tageslichte geblendet wurden, ſahen wir vor der Höhle draußen das Waſſer durch das Laub der Bäume glänzen. Es war, als ſtünde weit weg ein Gemälde vor uns und die Oeffnung der Höhle wäre der Rahmen dazu. Als wir endlich heraus waren, ſetzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der Anſtrengung aus. Wir waren froh, daß wir das heiſere Geſchrei der Vögel nicht mehr hörten und einen Ort hinter uns hatten, wo ſich mit der Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und der Stille paart. Wir konnten es kaum glauben, daß der Name Höhle von Caripe bis jetzt in Europa völlig unbekannt geweſen ſein ſollte. Schon wegen der Guacharos hätte ſie berühmt werden ſollen; denn außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man dieſe Nachtvögel bis jetzt nirgends angetroffen.

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Die Miſſionäre hatten am Eingange der Höhle ein Mahl zurichten laſſen. Piſang - und Vijaoblätter, die ſeidenartig glänzen, dienten uns nach Landesſitte als Tiſchtuch. Wir wurden trefflich bewirtet, ſogar mit geſchichtlichen Erinnerungen, die ſo ſelten ſind in Ländern, wo die Geſchlechter einander ablöſten, ohne eine Spur ihres Daſeins zu hinterlaſſen. Wohlgefällig erzählten uns unſere Wirte, die erſten Ordens - leute, die in dieſe Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria zu gründen, haben einen Monat lang in der Höhle hier gelebt und auf einem Steine bei Fackellicht das heilige Meßopfer gefeiert. Die Miſſionäre hatten am ein - ſamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Häupt - lings der Tuapocan, der am Ufer des Rio Caripe ſein Lager aufgeſchlagen.

So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco erkundigten, wir hörten nie, daß man in der Höhle des Guacharo je Knochen von Fleiſch - freſſern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfreſſern gefunden hätte, wie ſie in den Höhlen Deutſchlands und Ungarns oder in den Spalten des Kalkſteines bei Gibraltar vorkommen. Die foſſilen Knochen der Megatherien, Elefanten und Maſto - donten, welche Reiſende aus Südamerika mitgebracht, gehören ſämtlich dem aufgeſchwemmten Lande in den Thälern und auf hohen Plateaus an. Mit Ausnahme des Megalonyx,1Der Megalonyx wurde in den Höhlen von Green-Briar in Virginien gefunden, 6750 km vom Megatherium, dem er ſehr nahe ſteht und das ſo groß war wie ein Nashorn. eines Faultieres von der Größe eines Ochſen, das Jefferſon be - ſchrieben, kenne ich bis jetzt auch nicht einen Fall, daß in einer Höhle der Neuen Welt ein Tierſkelett gefunden worden wäre. Daß dieſe zoologiſche Erſcheinung hier ſo ausnehmend ſelten iſt, erſcheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, daß es in Frankreich, England und Italien auch eine Menge Höhlen gibt, in denen man nie eine Spur von foſſilen Knochen entdeckt hat.

Die intereſſanteſte Beobachtung, welche der Phyſiker in den Höhlen anſtellen kann, iſt die genaue Beſtimmung ihrer Temperatur. Die Höhle von Caripe liegt ungefähr unter 10° 10″ der Breite, alſo mitten im heißen Erdgürtel und 986 m über dem Spiegel des Waſſers im Meerbuſen von Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft273 im Inneren durchaus zwiſchen 18,4° und 18,9° der hundert - teiligen Skala. Die äußere Luft hatte 16,2°. Beim Ein - gange der Höhle zeigte der Thermometer an der Luft 17,6°, aber im Waſſer des unterirdiſchen Baches bis hinten in der Höhle 16,8°. Dieſe Beobachtungen ſind von großer Be - deutung, wenn man ins Auge faßt, wie ſich zwiſchen Waſſer, Luft und Boden die Wärme ins Gleichgewicht zu ſetzen ſtrebt. Ehe ich Europa verließ, beklagten ſich die Phyſiker noch, daß man ſo wenig Anhaltspunkte habe, um zu beſtimmen, was man ein wenig hochtrabend die Temperatur des Erd - inneren heißt, und erſt in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolge an der Löſung dieſes großen Problemes der unter - irdiſchen Meteorologie gearbeitet. Nur die Steinſchichten, welche die Rinde unſeres Planeten bilden, ſind der unmittel - baren Forſchung zugänglich, und man weiß jetzt, daß die mittlere Temperatur dieſer Schichten ſich nicht nur nach der Breite und der Meereshöhe verändert, ſondern daß ſie auch je nach der Lage des Ortes im Verlaufe des Jahres regel - mäßige Schwingungen um die mittlere Temperatur der be - nachbarten Luft beſchreibt. Die Zeit iſt ſchon fern, wo man ſich wunderte, wenn man in anderen Himmelsſtrichen in Höhlen und Brunnen eine andere Temperatur beobachtete als in den Kellern der Pariſer Sternwarte. Dasſelbe Inſtrument, das in dieſen Kellern 12° zeigt, ſteigt in unterirdiſchen Räumen auf Madeira bei Funchal auf 16,2°, im St. Joſephsbrunnen in Kairo auf 21,2°, in den Grotten der Inſel Cuba auf 22 bis 23°. Dieſe Zunahme iſt ungefähr proportional der Zu - nahme der mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis.

Wir haben eben geſehen, daß in der Höhle des Guacharo das Waſſer des Baches gegen kühler iſt als die umgebende Luft im unterirdiſchen Raume. Das Waſſer, ob es nun durch das Geſtein ſickert oder über ein ſteiniges Bette fließt, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Geſteines oder des Bettes an. Die Luft in der Höhle dagegen ſteht nicht ſtill, ſie kommuniziert mit der Atmoſphäre draußen. Und wenn nun auch in der heißen Zone die Schwankungen in der äuße - ren Temperatur ſehr unbedeutend ſind, ſo bilden ſich den - noch Strömungen, durch welche die Luftwärme im Inneren periodiſche Veränderungen erleidet. Demnach könnte man die Temperatur des Waſſers, alſo 16,8°, als die Boden - temperatur in dieſen Bergen betrachten, wenn man ſicher wäre,A. v. Humboldt, Reiſe. I. 18274daß das Waſſer nicht raſch von benachbarten höheren Bergen herabkommt.

Aus dieſen Betrachtungen folgt, daß, wenn man auch keine ganz genauen Reſultate erhält, ſich doch in jeder Zone Grenzzahlen auffinden laſſen. In Caripe, unter den Tropen, iſt in 975 m Meereshöhe die mittlere Temperatur der Erde nicht unter 16,8°; dies geht aus der Meſſung der Temperatur des unterirdiſchen Waſſers hervor. So läßt ſich nun aber auch beweiſen, daß dieſe Temperatur des Bodens nicht höher ſein kann als 19°, weil die Luft in der Höhle im September 18,7° zeigt. Da die mittlere Luftwärme im heißeſten Monat 19,5° nicht überſteigt, ſo würde man ſehr wahrſcheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der Höhle über 19° ſteigen ſehen. Dieſe Ergebniſſe, wie ſo manche andere, die wir in dieſer Reiſebeſchreibung mitteilen, mögen für ſich betrachtet von geringem Belang ſcheinen; ver - gleicht man ſie aber mit den kürzlich von Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarzirkel angeſtellten Beob - achtungen, ſo verbreiten ſie Licht über den Haushalt der Natur im großen und über den beſtändigen Wärmeaustauſch zwiſchen Luft und Boden zu Herſtellung des Gleichgewichtes. Es iſt kein Zweifel mehr, daß in Lappland die feſte Erdrinde eine um 3 bis höhere, mittlere Temperatur hat als die Luft. Bringt die Kälte, welche in den Tiefen des tropiſchen Meeres infolge der Polarſtröme fortwährend herrſcht, im heißen Erd - ſtriche eine merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Iſt dieſe Temperatur dort niedriger als die der Luft? Das wollen wir in der Folge unterſuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Kordilleren mehr Beobachtungen zuſammengebracht haben werden.

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Achtes Kapitel.

Abreiſe von Caripe. Berg und Wald Santa Maria. Die Miſſion Catuaro. Hafen von Cariaco.

Raſch verfloſſen uns die Tage, die wir im Kapuziner - kloſter in den Bergen von Caripe zubrachten, und doch war unſer Leben ſo einfach als einförmig. Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht ſtreiften wir durch die benachbarten Wälder und Berge, um Pflanzen zu ſammeln, deren wir nie genug beiſammen haben konnten. Konnten wir des ſtarken Regens wegen nicht weit hinaus, ſo beſuchten wir die Hütten der Indianer, den Gemeindeconuco oder die Verſammlungen, in denen die Alkaden jeden Abend die Arbeiten für den fol - genden Tag austeilen. Wir kehrten erſt ins Kloſter zurück, wenn uns die Glocke ins Refektorium an den Tiſch der Miſ - ſionäre rief. Zuweilen gingen wir mit ihnen frühmorgens in die Kirche, um der Doctrina beizuwohnen, das heißt dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es iſt ein zum wenigſten ſehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten über Dogmen zu verhandeln, zumal wenn ſie des Spaniſchen nur in geringem Grade mächtig ſind. Andererſeits verſtehen gegen - wärtig die Ordensleute von der Sprache der Chaymas ſo gut wie nichts, und die Aehnlichkeit gewiſſer Laute verwirrt den armen Indianern die Köpfe ſo ſehr, daß ſie ſich die wunder - lichſten Vorſtellungen machen. Ich gebe nur ein Beiſpiel. Wir ſahen eines Tages, wie ſich der Miſſionär große Mühe gab, darzuthun, daß infierno, die Hölle, und invierno, der Winter, nicht dasſelbe Ding ſeien, ſondern ſo verſchieden wie Hitze und Froſt. Die Chaymas kennen keinen anderen Winter als die Regenzeit, und unter der Hölle der Weißen dachten ſie ſich einen Ort, wo die Böſen furchtbaren Regengüſſen aus - geſetzt ſeien. Der Miſſionär verlor die Geduld, aber es half alles nichts; der erſte Eindruck, den zwei ähnliche Konſonanten276 hervorgebracht, war nicht mehr zu verwiſchen; im Kopfe der Neophyten waren die Vorſtellungen Regen und Hölle, invierno und infierno, nicht mehr auseinander zu bringen.

Nachdem wir faſt den ganzen Tag im Freien zugebracht, ſchrieben wir abends im Kloſter unſere Beobachtungen und Be - merkungen nieder, trockneten unſere Pflanzen und zeichneten die, welche nach unſerer Anſicht neue Gattungen bildeten. Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der ſo angenehm als für unſer Unternehmen förderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Wälder ungeheure Waſſermaſſen an die Luft abgeben, aſtronomiſchen Beobach - tungen nicht günſtig. Ich blieb nachts oft lange auf, um den Augenblick zu benutzen, wo ſich ein Stern vor ſeinem Durchgang durch den Meridian zwiſchen den Wolken zeigen würde. Oft zitterte ich vor Froſt, obgleich der Thermometer nie unter 16° fiel. Es iſt dies in unſerem Klima die Tages - temperatur gegen Ende Septembers. Die Inſtrumente blieben mehrere Stunden im Kloſterhofe aufgeſtellt, und faſt immer harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Foma - haults und Denebs im Schwan ergaben für Caripe 10° 10′ 14″ Breite, wonach es auf der Karte von Caulin um 18′, auf der von Arrowſmith um 14′ unrichtig eingezeichnet iſt.

Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der einzige, den wir im Thale von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit, Schwermut und Lieblichkeit, beides zuſammen iſt der Charakter der Landſchaft. Inmitten einer ſo gewaltigen Natur herrſcht in unſerem Inneren nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einſamkeit dieſer Berge wundert man ſich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem Schritte erhält, als darüber, daß die verſchiedenſten Klimate ſo viele Züge miteinander gemein haben. Auf den Hügeln, an die das Kloſter ſich lehnt, ſtehen Palmen und Baumfarne; abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, ſchallt das ein - tönige Geheul der roten Brüllaffen durch die Luft, das dem fernen Brauſen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieſer unbekannten Töne, dieſer fremdartigen Geſtalten der Gewächſe, alle dieſer Wunder einer Neuen Welt, läßt doch die Natur den Menſchen allerorten eine Stimme hören, die in vertrauten Lauten zu ihm ſpricht. Der Raſen am Boden, das alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln, der Bach, der über die geneigten Kalkſteinſchichten niederſtürzt,277 das harmoniſche Farbenſpiel von Waſſer, Grün und Himmel, alles ruft dem Reiſenden wohlbekannte Empfindungen zurück.

Die Naturſchönheiten dieſer Berge nahmen uns völlig in Anſpruch, und ſo wurden wir erſt am Ende gewahr, daß wir den guten gaſtfreundlichen Mönchen zur Laſt fielen. Ihr Vorrat von Wein und Weizenbrote war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dortzulande bei Tiſche nur als Luxusartikel gelten, ſo machte es uns doch ſehr verlegen, daß unſere Wirte ſie ſich ſelbſt verſagten. Bereits war unſere Brotration auf ein Vierteil herabgekommen. und doch nötigte uns der furchtbare Regen, unſere Abreiſe noch einige Tage zu verſchieben. Wie unendlich lang kam uns dieſer Aufſchub vor! Wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Re - fektorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reiſenden, die darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den koptiſchen Klöſtern Oberägyptens ihren Mund - vorrat entwendet.

Endlich am 22. September brachen wir auf mit Maul - tieren, die unſere Inſtrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöſtlichen Abhang der Kalkalpen von Neu - Andaluſien, die wir als die große Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieſer Kette beträgt nicht leicht über 1170 bis 1360 m, und ſie läßt ſich in dieſer wie in geologiſcher Hinſicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht ſehr hoch ſind, ſo iſt der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch ſehr beſchwerlich, ja ſogar gefährlich. Beſonders berüchtigt iſt in dieſer Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Miſſionäre hinauf müſſen, wenn ſie ſich von Cumana in ihr Kloſter Caripe be - geben. Oft, wenn wir dieſe Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, die wir nacheinander beſucht, verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der geringſten Meereshöhe nicht ſelten die unzugänglichſten ſind.

Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerſt über eine Hügelkette, die nordoſtwärts vom Kloſter liegt. Der Weg führte immer bergan über eine weite Savanne auf die Hochebene Guardia de San Auguſtin. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 1069 m abſoluter Höhe, etwas höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Sa - vannen oder natürlichen Wieſen, die den Kloſterkühen eine278 treffliche Weide bieten, ſind völlig ohne Baum und Buſch - werk. Es iſt dies das eigentliche Bereich der Monokotyledo - nen, denn aus dem Graſe erhebt ſich nur da und dort eine Agave1Agave americana. (Maguey), deren Blütenſchaft über 8,5 m hoch wird. Auf der Hochebene von Guardia ſahen wir uns wie auf einen alten, vom langen Aufenthalt des Waſſers wagerecht geebneten Seeboden verſetzt. Man meint noch die Krümmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorſpringenden Landzungen, die ſteilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf dieſen früheren Zuſtand ſcheint ſelbſt die Verteilung der Gewächſe hinzu - deuten. Der Boden des Beckens iſt eine Savanne, während die Ränder mit hochſtämmigen Bäumen bewachſen ſind. Es iſt wahrſcheinlich das höchſt gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern, daß ein Land - ſtrich, wo man eines gemäßigten Klimas genießt, und der ſich ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, völlig unbewohnt iſt.

Von dieſer Ebene geht es fortwährend abwärts bis zum indianiſchen Dorfe Santa Cruz. Man kommt zuerſt über einen jähen glatten Abhang, den die Miſſionäre ſeltſamerweiſe das Fegefeuer nennen. Er beſteht aus verwittertem, mit Thon bedecktem Schieferſandſtein und die Böſchung ſcheint furcht - bar ſteil; denn infolge einer ſehr gewöhnlichen optiſchen Täuſchung ſcheint der Weg, wenn man oben auf der Anhöhe hinunterſieht, unter einem Winkel von mehr als 60° geneigt. Beim Hinabſteigen nähern die Maultiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, ſenken das Kreuz und rutſchen aufs Geratewohl hinab. Der Reiter hat nichts zu befahren, wenn er nur den Zügel fahren läßt und dem Tiere keinerlei Zwang anthut. An dieſem Punkte ſieht man zur Linken die große Pyramide des Guacharo. Dieſer Kalkſteinkegel nimmt ſich ſehr maleriſch aus, man verliert ihn aber bald wieder aus dem Geſicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem Namen Mon - taña de Santa Maria bekannt iſt. Es geht nun ſieben Stunden lang in einem fort abwärts, und kaum kann man ſich einen entſetzlicheren Weg denken; es iſt ein eigentlicher chemin des échelles , eine Art Schlucht, in der während der Regenzeit die wilden Waſſer von Fels zu Fels abwärts ſtürzen. Die Stufen ſind 0,6 bis 1 m hoch, und die armen Laſttiere meſſen erſt den Raum ab, der erforderlich iſt, um die Ladung zwiſchen den Baumſtämmen durchzubringen, und279 ſpringen dann von einem Felsblock auf den anderen. Aus Beſorgnis, einen Fehltritt zu thun, bleiben ſie eine Weile ſtehen, als wollten ſie die Stelle unterſuchen, und ſchieben die vier Beine zuſammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Tier den nächſten Steinblock, ſo ſinkt es bis zum halben Leibe in den weichen ockerhaltigen Thon, der die Zwiſchenräume der Steine ausfüllt. Wo dieſe fehlen, finden Menſchen - und Tierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieſelben ſind oft 53 cm dick und gehen nicht ſelten hoch über dem Boden vom Stamme ab. Die Kreolen vertrauen der Gewandtheit und dem glücklichen Inſtinkt der Maultiere ſo ſehr, daß ſie auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir ſtiegen lieber ab, da wir Anſtrengung weniger ſcheuten als jene, und gewöhnt waren, langſam vorwärts zu kommen, weil wir immer Pflanzen ſammelten und die Gebirgsarten unterſuchten. Da unſer Chronometer ſo ſchonend behandelt werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl.

Der Wald, der den ſteilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, iſt einer der dichteſten, die ich je ge - ſehen. Die Bäume ſind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten dunkelgrünen Laube herrſcht beſtändig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unſeren Tannen -, Eichen - und Buchenwäldern. Es iſt als könnte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Waſſer aufnehmen, das der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und anderen Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünſten. Zu den aromatiſchen Ge - rüchen, welche Blüten, Früchte, ſogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbſt bei nebligem Wetter ſpürt. Wie in den Wäldern am Orinoko ſieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge faßt, häufig Dunſtſtreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenſtrahlen durch die dicke Luft dringen. Unter den majeſtätiſchen Bäumen, die 40 bis 42 m hoch werden, machten uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerkſam, der ein weißliches, flüſſiges, ſtarkriechendes Harz gibt. Die indianiſchen Völkerſchaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einſt damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zuſammenziehenden Ge - ſchmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 3 bis 3,25 m dicken Hymenäaſtämmen nahmen unſere Aufmerkſam - keit am meiſten in Anſpruch: das Drachenblut (Croton san -280 guifluum), deſſen purpurbrauner Saft an der weißen Rinde herabfließt; der Farn Calahuala, der nicht derſelbe iſt wie der in Peru, aber faſt ebenſo heilkräftig, und die Iraſſe -, Macanilla -, Corozo - und Pragapalmen. Letztere gibt einen ſehr ſchmackhaften Palmkohl , den wir im Kloſter Caripe zuweilen gegeſſen. Von dieſen Palmen mit gefiederten, ſtach - ligen Blättern ſtachen die Baumfarne äußerſt angenehm ab. Einer derſelben, Cyathea speciosa, wird über 11,5 m hoch, eine ungeheure Größe für ein Gewächs aus dieſer Familie. Wir fanden hier und im Thale von Caripe fünf neue Arten Baumfarne; zu Linnés Zeit kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Kontinenten.

Man bemerkt, daß die Baumfarne im allgemeinen weit ſeltener ſind als die Palmen. Die Natur hat ihnen ge - mäßigte, feuchte, ſchattige Standorte angewieſen. Sie ſcheuen den unmittelbaren Sonnenſtrahl, und während der Pumos, die Corypha der Steppen und andere amerikaniſche Palmen - arten die kahlen, glühend heißen Ebenen aufſuchen, bleiben die Farne mit Baumſtämmen, die von weitem wie Palmen ausſehen, dem ganzen Weſen kryptogamer Gewächſe treu. Sie lieben verſteckte Plätze, das Dämmerlicht, eine feuchte, gemäßigte, ſtockende Luft. Wohl gehen ſie hie und da bis zur Küſte hinab, aber dann nur im Schutze dichten Schattens.

Dem Fuße des Berges von Santa Maria zu wurden die Baumfarne immer ſeltener, die Palmen häufiger. Die ſchönen Schmetterlinge mit großen Flügeln, die Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten ſich; alles deutete darauf, daß wir nicht mehr weit von der Küſte und einem Landſtrich waren, wo die mittlere Tagestemperatur 28 bis 30° der hundertteiligen Skale beträgt.

Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Güſſe, bei denen zuweilen 2 bis 2,6 mm Regen an einem Tage fällt. Die Sonne beſchien hin und wieder die Baum - wipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geſchützt waren, erſtickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne, die Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirges, und das klägliche Geheul der Araguatos, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang ſo oft gehört hatten, verkündete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum erſtenmal Gelegenheit, dieſe Heulaffen in der Nähe zu ſehen. Sie gehören zur Gattung Aluate (Stentor, Geoffroy), deren verſchiedene Arten von den Zoologen lange281 verwechſelt worden ſind. Während die kleinen amerikaniſchen Sapaju, die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches dünnes Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen, den Aluaten und Marimonda, auf einer großen Knochen - trommel. Ihr oberer Kehlkopf hat ſechs Taſchen, in denen ſich die Stimme fängt, und wovon zwei, taubenneſtförmige, große Aehnlichkeit mit dem unteren Kehlkopf der Vögel haben. Der den Araguaten eigene klägliche Ton entſteht, wenn die Luft gewaltſam in die knöcherne Trommel einſtrömt. Ich habe dieſe den Anatomen nur ſehr unvollſtändig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und die Beſchreibung nach meiner Rückkehr nach Europa bekannt gemacht. 1Observations de zoologie. Bedenkt man, wie groß bei den Aluatos die Knochenſchachtel iſt und wie viele Heulaffen in den Wäldern von Cumana und Guyana auf einem einzigen Baume beiſammen ſitzen, ſo wundert man ſich nicht mehr ſo ſehr über die Stärke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen.

Der Araguato, bei den Tamanacasindianern Aravata, bei den Maypures Marave genannt, gleicht einem jungen Bären. Er iſt vom Scheitel des kleinen, ſtark zugeſpitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelſchwanzes 1 m lang; ſein Pelz iſt dicht und rotbraun von Farbe; auch Bruſt und Bauch ſind ſchön behaart, nicht nackt wie beim Mono colorado oder Buffons Alouate roux, den wir auf dem Wege von Cartagena nach Santa Fé de Bogota genau beobachtet haben. Das Ge - ſicht des Araguato iſt blauſchwarz, die Haut desſelben fein und gefaltet. Der Bart iſt ziemlich lang, und trotz ſeines kleinen Geſichtswinkels von nur 30° hat er in Blick und Geſichtsausdruck ſo viel Menſchenähnliches als die Marimonda (Simia Belzebuth) und der Kapuziner am Orinoko (S. chiro - potes). Bei den Tauſenden von Araguaten, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und Guyana zu Geſicht ge - kommen, haben wir nie, weder an einzelnen Exemplaren noch an ganzen Banden, einen Wechſel im Rotbraun des Pelzes an Rücken und Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterſchiedene Spielarten ſchienen mir überhaupt bei den Affen nicht ſo häufig zu ſein, als die Zoologen annehmen, und bei den geſellig lebenden Arten ſind ſie vollends ſehr ſelten.

Der Araguato bei Caripe iſt eine neue Art der Gattung Stentor, die ich unter dem Namen Simia ursina bekannt282 gemacht habe. Ich habe ihn lieber ſo benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar deſto mehr, da die Griechen be - reits einen ſtark behaarten Affen unter dem Namen Arktopi - thekos kannten. Derſelbe unterſcheidet ſich ſowohl vom Uarino (Simia Guariba) als vom Alouate roux (S. Seni - culus). Blick, Stimme, Gang, alles an ihm iſt trübſelig. Ich habe ganz junge Araguaten geſehen, die in den Hütten der Indianer aufgezogen wurden; ſie ſpielen nie wie die kleinen Sagoine, und Lopez del Gomara ſchildert zu Anfang des 16. Jahrhunderts ihr ernſtes Weſen ſehr naiv, wenn er ſagt: Der Aranata de los Cumaneſes hat ein Menſchen - geſicht, einen Ziegenbart und eine gravitätiſche Haltung (honrado gesto). Ich habe anderswo die Bemerkung ge - macht, daß die Affen deſto trübſeliger ſind, je mehr Menſchen - ähnlichkeit ſie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr ſich die Geiſteskräfte bei ihnen zu ent - wickeln ſcheinen.

Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzuſehen, wie ſie zu dreißig, vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verſchlungenen wagerechten Aeſten über den Weg zogen. Während dieſes neue Schauſpiel uns ganz in Anſpruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von Caripe zuzogen. Sie waren völlig nackt, wie meiſtens die Eingeborenen hierzulande. Die ziemlich ſchwer beladenen Weiber ſchloſſen den Zug; die Männer, ſogar die kleinſten Jungen, waren alle mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie zogen ſtill, die Augen am Boden, ihres Weges. Wir hätten gern von ihnen erfahren, ob es noch weit nach der Miſſion Santa Cruz ſei, wo wir übernachten wollten. Wir waren völlig erſchöpft und der Durſt quälte uns furchtbar. Die Hitze wurde drückender, je näher das Gewitter kam, und wir hatten auf unſerem Wege keine Quelle gefunden, um den Durſt zu löſchen. Da die Indianer uns immer si Padre, no Padre zur Antwort gaben, meinten wir, ſie verſtehen ein wenig Spaniſch. In den Augen der Eingeborenen iſt jeder Weiße ein Mönch, ein Pater; denn in den Miſſionen zeichnet ſich der Geiſtliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch ſei, zuſetzten, ſie erwiderten offenbar aufs Geratewohl si oder no, und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Dies war uns um ſo verdrießlicher, da ihr Lächeln und ihr Gebärdenſpiel verrieten, daß ſie uns gern283 gefällig geweſen wären, und der Wald immer dichter zu werden ſchien. Wir mußten uns trennen; die indianiſchen Führer, welche die Chaymasſprache verſtanden, waren noch weit zurück, da die beladenen Maultiere bei jedem Schritt in den Schluchten ſtürzten.

Nach mehreren Stunden beſtändig abwärts über zerſtreute Felsblöcke ſahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Gras - flur vor uns, die ſich in der Regenzeit friſch begrünt hatte. Links ſahen wir in ein enges Thal hinein, das ſich dem Guacharogebirge zu zieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt iſt. Der Blick ſtreifte über die Baumwipfel weg, die 260 m tief unter dem Wege ſich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Ge - ſtalt und den gefiederten Blättern Praga - und Iraſſepalmen erkannten. Vollends maleriſch wird die Landſchaft dadurch, daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nörd - licher, dem Meerbuſen von Cariaco zugekehrter Abhang iſt ſteil und bildet eine Felsmauer, ein faſt ſenkrechtes Profil, über 970 m hoch. Dieſe Wand iſt ſo ſchwach bewachſen, daß man die Linien der Kalkſchichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra iſt abgeplattet und nur am Oſtende erhebt ſich, gleich einer geneigten Pyramide, der majeſtätiſche Pik Guacharo. Seine Geſtalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finſteraarhorn). Da die meiſten Berge mit ſteilem Abhange höher ſcheinen, als ſie wirklich ſind, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß man in den Miſſionen der Meinung iſt, der Guacharo überrage den Turimiquiri und den Brigantin.

Die Savanne, über die wir zum indianiſchen Dorfe Santa Cruz zogen, beſteht aus mehreren ſehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke übereinander liegen. Dieſe geologiſche Er - ſcheinung, die in allen Erdſtrichen vorkommt, ſcheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Waſſerbecken übereinander lagen und ſich ineinander ergoſſen. Der Kalkſtein geht nicht mehr zu Tage aus; er iſt mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letzten - mal ſahen, fanden wir Neſter von Eiſenerz darin, und, wenn wir recht geſehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es maß 18 cm im Durchmeſſer. Dieſe Beobachtung iſt um ſo intereſſanter, als wir ſonſt in284 dieſem Teile von Südamerika nirgends einen Ammoniten ge - ſehen haben. Die Miſſion Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daſelbſt an, halb verdurſtet, da wir faſt acht Stunden kein Waſſer gehabt hatten. Der Thermometer zeigte 26°; wir waren auch nur noch 370 m über dem Meere. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man Häuſer des Königs nennt, und die, wie ſchon oben bemerkt, den Reiſenden als Tambo oder Karawanſerai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir ſetzten des anderen Tages, 23. September, unſeren Weg zum Meerbuſen von Cariaco hinunter fort. Jen - ſeits Santa Cruz fängt der dichte Wald von neuem an. Wir fanden daſelbſt unter Melaſtomenbüſchen einen ſchönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (Polybotria) bildet.

Von der Miſſion Catuaro aus wollten wir oſtwärts über Santa Roſalia, Caſanay, San Joſef, Carupano, Rio Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unſerem großen Verdruß, daß der ſtarke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unſere friſch geſammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Kakaopflanzer ſollte uns von Santa Roſalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geſchäften nach Cumana müſſe. So beſchloſſen wir denn, uns in Cariaco einzuſchiffen und gerade über den Meerbuſen, ſtatt zwiſchen der Inſel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurückzufahren.

Die Miſſion Catuaro liegt in ungemein wilder Um - gebung. Hochſtämmige Bäume ſtehen noch um die Kirche her und die Tiger freſſen bei Nacht den Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geiſtlichen, einem Mönche von der Kongregation der Obſervanten, dem die Kapuziner die Miſſion übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, faſt übertrieben lebhafter Mann; er unter - hielt uns beſtändig von dem Prozeß, den er mit dem Guardian ſeines Kloſters führte, von der Feindſchaft ſeiner Ordensbrüder, von der Ungerechtigkeit der Alkaden, die ihn ohne Rückſicht auf ſeine Standesvorrechte ins Gefängnis geworfen. Trotz dieſer Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, ſich mit metaphyſiſchen Fragen, wie er es nannte, zu befaſſen. Er wollte meine Anſicht hören über den freien Willen, über die285 Mittel, die Geiſter von ihren Körperbanden frei zu machen, be - ſonders aber über die Tierſeelen, lauter Dinge, über die er die ſeltſamſten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit ſich durch Wälder durchgearbeitet hat, iſt man zu Spekulationen derart wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Miſſion Catuaro alles ungewöhnlich, ſogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwiſchen den weltlichen und geiſtlichen Behörden Anlaß ge - geben. Dem Guardian der Kapuziner ſchien es zu vornehm für einen Miſſionär und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einſprache gethan und auch ſeinen Willen gegen die Mönche durchgeſetzt. Ich erwähne dergleichen an ſich unbedeutende Vorfälle nur, weil ſie einen Blick in die innere Verwaltung der Miſſionen werfen laſſen, die keineswegs immer ſo friedlich iſt, als man in Europa glaubt.

Wir trafen in der Miſſion Catuaro den Corregidor des Diſtriktes, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen ſollten. In dieſem wenig betretenen Lande iſt die Vegetation in der Regenzeit ſo üppig, daß ein Mann zu Pferde auf den ſchmalen, mit Schling - pflanzen und verſchlungenen Baumäſten bedeckten Fußſteigen faſt nicht durchkommt. Zu unſerem großen Verdruß wollte der Miſſionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco be - gleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit ſeinen Faſeleien über die Tierſeelen und den menſchlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz anderen, traurigeren Gegenſtande zu unterhalten. Den Unab - hängigkeitsbeſtrebungen, die im Jahre 1798 in Caracas bei - nahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Auf - regung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tode verurteilt worden, und unſer Wirt, der Seel - ſorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm ſeinen geiſtlichen Beiſtand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlaſſen mußten, über die Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bös - artigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Raſſe daraus erwachſen, daß ſie als Sklaven unter Chriſten leben!

Gegenüber dem Code noir der meiſten anderen Völker, welche Beſitzungen in beiden Indien haben, iſt die ſpaniſche286 Geſetzgebung unſtreitig ſehr mild. Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in Verhältniſſen, daß die Gerechtigkeit, weit entfernt ſie im Leben kräftig ſchützen zu können, nicht einmal imſtande iſt, die Barbareien zu be - ſtrafen, durch die ſie ums Leben kommen. Leitet man eine Unterſuchung ein, ſo ſchreibt man den Tod des Sklaven ſeiner Kränklichkeit zu, dem heißen, naſſen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die aber gar nicht tief und durchaus nicht gefährlich geweſen. Die bürgerliche Behörde iſt in allem, was die Hausſklaverei angeht, machtlos, und wenn man rühmt, wie günſtig die Geſetze wirken, nach denen die Peitſche die und die Form haben muß und nur ſo viel Streiche auf einmal gegeben werden dürfen, ſo iſt das reine Täuſchung. Leute, die nicht in den Kolonieen oder doch nur auf den Antillen gelebt haben, ſind meiſt der Meinung, da es im Intereſſe des Herrn liege, daß ſeine Sklaven ihm erhalten bleiben, müſſen ſie deſto beſſer behandelt werden, je weniger ihrer ſeien. Aber in Cariaco ſelbſt, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, tötete ein Pflanzer, der nur acht Neger hatte, ihrer ſechs durch unmenſchliche Hiebe. Er zerſtörte mutwillig den größten Teil ſeines Vermögens. Zwei der Sklaven blieben auf der Stelle tot, mit den vier anderen, die kräftiger ſchienen, ſchiffte er ſich nach dem Hafen von Cumana ein, aber ſie ſtarben auf der Ueberfahrt. Vor dieſer abſcheulichen That war im ſelben Jahre eine ähnliche unter gleich empörenden Umſtänden begangen worden. Solche furchtbare Unthaten blieben ſo gut wie unbeſtraft; der Geiſt, der die Geſetze macht, und der, der ſie vollzieht, haben nichts miteinander gemein. Der Statt - halter von Cumana war ein gerechter, menſchenfreundlicher Mann; aber die Rechtsformen ſind ſtreng vorgeſchrieben und die Gewalt des Statthalters geht nicht ſo weit, um Miß - bräuche abzuſtellen, die nun einmal von jedem europäiſchen Koloniſationsſyſtem untrennbar ſind.

Der Weg durch den Wald von Catuaro iſt nicht viel anders als der vom Berge Santa Maria herab; auch ſind die ſchlimmſten Stellen hier ebenſo ſonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die Bergwaſſer aus - geſpülten, mit feinem, zähem Thon gefüllten Furche dahin. Bei den jähſten Abhängen ſenken die Maultiere das Kreuz und rutſchen hinunter; das nennt man nun Saca-Manteca, weil der Kot ſo weich iſt wie Butter. Bei der großen Gewandtheit der einheimiſchen Maultiere iſt dieſes Hinabgleiten287 ohne alle Gefahr. Der Weg führt über die Felsſchichten herab, die am Ausgehenden Stufen von verſchiedener Höhe bilden, und ſo iſt es auch hier ein wahrer chemin des échelles . Weiterhin, wenn man zum Walde heraus iſt, kommt man zum Berge Buenaviſta. Er verdient den Namen, denn von hier ſieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit Pflanzungen, Hütten und Gruppen von Kokospalmen bedeckten Ebene. Weſt - wärts von Cariaco breitet ſich der weite Meerbuſen aus, den eine Felsmauer vom Ozean trennt; gegen Oſt zeigen ſich, gleich blauen Wolken, die hohen Gebirge von Areo und Paria. Es iſt eine der weiteſten, prachtvollſten Ausſichten an der Küſte von Neu-Andaluſien.

Wir fanden in Cariaco einen großen Teil der Einwohner in ihren Hängematten krank am Wechſelfieber. Dieſe Fieber werden im Herbſt bösartig und gehen in Ruhren über. Be - denkt man, wie außerordentlich fruchtbar und feucht die Ebene iſt, und welch ungeheure Maſſe von Pflanzenſtoff hier zerſetzt wird, ſo ſieht man leicht, warum die Luft hier nicht ſo geſund ſein kann wie über dem dürren Boden von Cumana. Nicht leicht finden ſich in der heißen Zone große Fruchtbarkeit des Bodens, häufige, lange dauernde Waſſerniederſchläge, eine ungemein üppige Vegetation beiſammen, ohne daß dieſe Vor - teile durch ein Klima aufgewogen würden, das der Geſundheit der Weißen mehr oder weniger gefährlich wird. Aus denſelben Urſachen, welche den Boden ſo fruchtbar machen und die Ent - wickelung der Gewächſe beſchleunigen, entwickeln ſich auch Gaſe aus dem Boden, die ſich mit der Luft miſchen und ſie ungeſund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben, auf die Ver - knüpfung dieſer Erſcheinungen zurückzukommen, wenn wir den Kakaobau und die Ufer des Orinoko beſchreiben, wo es Flecke gibt, an denen ſich ſogar die Eingeborenen nur ſchwer akkli - matiſieren. Im Thale von Cariaco hängt übrigens die Un - geſundheit der Luft nicht allein von den eben erwähnten all - gemeinen Urſachen ab; es machen ſich dabei auch lokale Ver - hältniſſe geltend. Es wird nicht ohne Intereſſe ſein, den Landſtrich, der die Meerbuſen von Cariaco und von Paria von - einander trennt, näher zu betrachten.

Vom Kalkgebirge des Brigantin und Cocollar läuft ein ſtarker Aſt nach Nord und hängt mit dem Urgebirge an der Küſte zuſammen. Dieſer Aſt heißt Sierra de Meapire; der Stadt Cariaco zu führt er den Namen Cerro grande de Cariaco. Er ſchien mir im Durchſchnitt nicht über 290 bis288 390 m hoch; wo ich ihn unterſuchen konnte, beſteht er aus dem Kalkſtein des Uferſtriches. Mergel - und Kalkſchichten wechſeln mit anderen, welche Quarzkörner enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu ſeinem beſonderen Studium macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgs - kamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, ſüdliche, aus ſekundären Gebirgsbildungen beſteht, während die andere, nördliche, Urgebirge iſt. Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire ſieht man das Gebirge einerſeits nach dem Meer - buſen von Paria, andererſeits nach dem von Cariaco ſich abdachen. Oſtwärts und weſtwärts vom Kamme liegt ein niedriger, ſumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortſtreicht, und nimmt man an, daß die beiden Meerbuſen dadurch entſtanden ſind, daß der Boden durch Erdbeben zerriſſen worden iſt und ſich geſenkt hat, ſo muß man vorausſetzen, daß der Cerro de Meapire dieſen gewaltſamen Erſchütterungen widerſtanden hat, ſo daß der Meerbuſen von Paria und der von Cariaco nicht zu einem verſchmelzen konnten. Wäre dieſer Felsdamm nicht da, ſo beſtünde wahrſcheinlich auch die Landenge nicht. Vom Schloſſe Araya bis zum Kap Paria würde die ganze Gebirgs - maſſe an der Küſte eine ſchmale, Margarita parallel laufende, viermal längere Inſel bilden. Dieſe Anſichten gründen ſich nicht nur auf unmittelbare Unterſuchung des Bodens und die Schlüſſe aus der Reliefbildung desſelben; ſchon ein Blick auf die Umriſſe der Küſten und die geognoſtiſche Karte des Landes muß auf dieſelben Gedanken bringen. Die Inſel Margarita hat, wie es ſcheint, früher mit der Küſtenkette von Araya durch die Halbinſel Chacopata und die Karibiſchen Inſeln Lobo und Coche zuſammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgs - kamm Meapire zuſammenhängt.

Im gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſieht man die feuchten Ebenen, die oſt - und weſtwärts vom Kamme ſtreichen und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Cariaco heißen, ſich fortwährend in das Meer hinaus verlängern. Das Meer zieht ſich zurück, und dieſe Verrückung der Küſte iſt beſonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältniſſe des Bodens darauf hinweiſen, daß die Meerbuſen von Cariaco und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, ſo läßt ſich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das Land ſich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahre 1791 eine Batterie, die ſogenannte Boca, dicht am Meere289 gebaut, im Jahre 1799 ſahen wir ſie weit im Lande liegen. An der Mündung des Rio Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht ſich das Meer noch raſcher zurück. Dieſe lokale Erſcheinung rührt wahrſcheinlich von Anſchwemmungen her, deren Zunahmeverhältniſſe noch nicht gehörig beobachtet ſind.

Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Landenge zwiſchen den Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, ſo kommt man gegen Oſt an den großen See Putacuao, der mit dem Rio Areo in Verbindung ſteht und 18 bis 23 km breit iſt. Das Gebirgsland um dieſes Becken iſt nur den Eingeborenen bekannt. Hier kommen die großen Boa vor, welche die Chaymasindianer Guainas nennen, und denen ſie einen Stachel unter den Schwanze andichten. Geht man von der Sierra de Meapire nach Weſt hinunter, ſo betritt man zuerſt einen hohlen Boden (tierra hueca), der bei dem großen Erdbeben des Jahres 1766 in zähes Erdöl gehüllten Asphalt auswarf; weiterhin ſieht man eine Unzahl warmer ſchwefelwaſſerſtoffhaltiger Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma, deſſen Ausdünſtungen zum Teil die Ungeſundheit des Klimas von Cariaco veranlaſſen. Die Eingeborenen glauben, der Boden ſei deshalb hohl, weil die warmen Waſſer ſich hier aufgeſtaut haben, und nach dem Schall des Hufſchlags ſcheinen ſich die unterirdiſchen Höhlungen von Weſt nach Oſt bis Caſanay, 5,8 bis 7,9 km weit zu erſtrecken. Ein Flüßchen, der Rio Azul, läuft durch dieſe Ebenen. Sie ſind zerklüftet infolge von Erdbeben, die hier einen beſonderen Herd haben und ſich ſelten bis Cumana fortpflanzen. Das Waſſer des Rio Azul iſt kalt und hell; er entſpringt am weſtlichen Abhange des Meapire, und man glaubt, er ſei deshalb ſo ſtark, weil das Gewäſſer des Putacuaoſees auf der anderen Seite des Ge - birgszuges durchſickere. Das Flüßchen und die ſchwefelwaſſer - ſtoffhaltigen Quellen ergießen ſich zuſammen in die Laguna de Campona. So heißt ein weites Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfällt, die nordweſtlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbuſens liegen. Uebelriechende Dünſte ſteigen fortwährend vom ſtehenden Sumpf - waſſer auf. Sie riechen nach Schwefelwaſſerſtoff und zugleich nach faulen Fiſchen und zerſetzten Vegetabilien.

Die Miasmen bilden ſich im Thale von Cariaco gerade wie in der römiſchen Campagna; aber durch die tropiſche Hitze wird ihre verderbliche Kraft geſteigert. Durch die Lage derA. v. Humboldt, Reiſe. I. 19290Laguna von Campoma wird der Nordweſt, der ſehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt Cariaco höchſt gefährlich. Sein Einfluß unterliegt deſto weniger einem Zweifel, da die Wechſelfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen Miasmen iſt, immer häufiger in Nerven - fieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der Nordküſte des Meerbuſens von Cariaco kleine Pflanzungen beſitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit ſiech in ihren Hänge - matten. Dieſe Fieber nehmen den Charakter remittierender bösartiger Fieber an, wenn man ſich, erſchöpft von langer Arbeit und ſtarker Hautausdünſtung, dem feinen Regen aus - ſetzt, der gegen Abend häufig fällt. Die Farbigen, beſonders aber die Kreolenneger, widerſtehen den klimatiſchen Einflüſſen mehr als irgend ein anderer Menſchenſchlag. Man behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von Scoparia dulcis, ſelten mit Cuſpare, d. h. mit der Chinarinde von Angoſtura.

Im ganzen iſt bei den Epidemieen in Cariaco die Sterb - lichkeit geringer, als man erwarten ſollte. Wenn das Wechſel - fieber mehrere Jahre hintereinander einen Menſchen befällt, ſo greift es den Körper ſtark an und bringt ihn herunter; aber dieſer Schwächezuſtand, der in ungeſunden Gegenden ſo häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch iſt es merk - würdig, daß hier, wie in der römiſchen Campagna, der Glaube herrſcht, die Luft ſei in dem Maße ungeſünder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen, die dieſen Ebenen entſteigen, haben indeſſen nichts gemein mit jenen, die ſich bilden, wenn man einen Wald niederſchlägt und nun die Sonne eine dicke Schicht abgeſtorbenen Laubes erhitzt; bei Cariaco iſt das Land kahl und ſehr ſparſam be - waldet. Soll man glauben, daß friſch aufgewühlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden be - deckt? Zu dieſen örtlichen Urſachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe Meeresufer iſt mit Manglebäumen, Avicennien und anderen Baumarten mit adſtringierender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner ſind mit den ſchädlichen Aus - dünſtungen dieſer Gewächſe bekannt, und man fürchtet ſie deſto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Waſſer ſtehen, ſondern abwechſelnd naß und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil ſie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen tieriſch-vegetabiliſchen, an291 Gerbſtoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meere zuſammenhängt, ließe ſich leicht erweitern und ſo dem ſtehen - den Waſſer ein Abfluß verſchaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland häufig betreten, verſichern ſogar, der Durchſtich brauchte gar nicht tief zu ſein, da das kalte, klare Waſſer des Rio Azul ſich auf dem Boden des Sees befindet und man beim Nachgraben aus den unteren Schichten trinkbares, geruch - loſes Waſſer erhält.

Die Stadt Cariaco iſt mehrere Male von den Kariben verheert worden. Die Bevölkerung hat raſch zugenommen, ſeit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes zuwider, nicht ſelten dem Handel mit fremden Kolonieen Vor - ſchub geleiſtet haben. Sie hat ſich in zehn Jahren verdoppelt und betrug im Jahre 1800 über 6000 Seelen. Die Ein - wohner treiben ſehr fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle iſt ſehr ſchön und es werden mehr als 10000 Zentner er - zeugt. Die leeren Hülſen der Baumwolle werden ſorgſam verbrannt; wirft man ſie in den Fluß, wo ſie faulen, ſo er - zeugen ſie Ausdünſtungen, die man für ſchädlich hält. Der Bau des Kakaobaumes hat in letzter Zeit ſehr abgenommen. Dieſer köſtliche Baum trägt erſt im achten bis zehnten Jahre. Die Frucht iſt ſchwer in Magazinen aufzubewahren, und nach Jahresfriſt geht ſie an , wenn ſie noch ſo ſorgfältig ge - trocknet worden iſt. Dieſer Nachteil iſt für den Koloniſten von großem Belang. Auf dieſen Küſten iſt je nach der Laune eines Miniſteriums und dem mehr oder minder kräftigen Widerſtande der Statthalter der Handel mit den Neutralen bald verboten, bald mit gewiſſen Beſchränkungen geſtattet. Die Nachfrage nach einer Ware und die Preiſe, die ſich nach der Nachfrage beſtimmen, unterliegen daher dem raſcheſten Wechſel. Der Koloniſt kann ſich dieſe Schwankungen nicht zu nutze machen, weil ſich der Kakao in den Magazinen nicht hält. Die alten Kakaoſtämme, die meiſt nur bis zum vierzigſten Jahre tragen, ſind daher nicht durch junge erſetzt worden. Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254000 im Thale von Cariaco und am Ufer des Meerbuſens. Gegenwärtig zieht man andere Kulturzweige vor, welche gleich im erſten Jahre einen Ertrag liefern und deren Produkte nicht nur nicht ſo lange auf ſich warten laſſen, ſondern auch leichter auf - zubewahren ſind. Solche ſind Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbnis unterliegen wie der Kakao und ſich auf -292 bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort - ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be - ſtimmend mitgewirkt, wenn ſie jetzt dieſem und jenem Kultur - zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be - gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe, welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger, beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die einen raſchen Ertrag geben.

Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein - träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa - milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten. Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde, Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig - tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer, deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich, und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas293 ein und häufen ſich dafür weſtwärts auf unberührtem, erſt kürzlich urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neuandaluſien allein erzeugte im Jahre 1799 18000 bis 20000 Fanegas Kakao (zu 40 Piaſtern die Fanega in Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Inſel Trinidad geſchmuggelt wurden. Der Kakao von Cumana iſt ohne allen Vergleich beſſer als der von Guayaquil.

Die in Cariaco herrſchenden Fieber nötigten uns zu unſerem Bedauern, unſeren Aufenthalt daſelbſt abzukürzen. Da wir noch nicht recht akklimatiſiert waren, ſo rieten uns ſelbſt die Koloniſten, an die wir empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele Leute kennen, die durch eine gewiſſe Leichtigkeit des Benehmens, durch umfaſſenderen Ideenkreis und, darf ich hinzuſetzen, durch entſchiedene Vorliebe für die Regierungsform der Vereinigten Staaten verrieten, daß ſie viel mit dem Auslande in Verkehr geſtanden. Hier hörten wir zum erſtenmal in dieſem Himmels - ſtriche die Namen Franklin und Waſhington mit Begeiſterung ausſprechen. Neben dem Ausdrucke dieſer Begeiſterung be - kamen wir Klagen zu hören über den gegenwärtigen Zuſtand von Neuandaluſien, Schilderungen, oft übertriebene, des natür - lichen Reichtumes des Landes, leidenſchaftliche, ungeduldige Wünſche für eine beſſere Zukunft. Dieſe Stimmung mußte einem Reiſenden auffallen, der unmittelbarer Zeuge der großen politiſchen Erſchütterungen in Europa geweſen war. Noch gab ſich darin nichts Feindſeliges, Gewaltſames, keine beſtimmte Richtung zu erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unſicherheit, die, bei den Völkern wie beim einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der voreilig ſich entwickelnden Kultur erſcheint. Seit die Inſel Trinidad eine engliſche Kolonie geworden iſt, hat das ganze öſtliche Ende der Provinz Cumana, zumal die Küſte von Paria und der Meerbuſen dieſes Namens ein ganz anderes Geſicht bekommen. Fremde haben ſich da niedergelaſſen und den Bau des Kaffeebaumes, des Baumwollenſtrauches, des tahitiſchen Zuckerrohres ein - geführt. In Carupano, im ſchönen Thale des Rio Caribe, in Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenüber dem Puerto d’Eſpaña auf Trinidad hat die Bevölkerung ſehr ſtark zugenommen. Im Golfo triste iſt der Boden ſo frucht - bar, daß der Mais jährlich zwei Ernten und das 380. Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlaſſungen hat dem Handel mit fremden Kolonieen Vorſchub geleiſtet, und ſeit dem Jahre294 1797 iſt eine geiſtige Umwälzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterlande noch lange nicht verderblich geworden wäre, hätte nicht das Miniſterium fort und fort alle Intereſſen gekränkt, alle Wünſche mißachtet. Es gibt in den Streitig - keiten der Kolonieen mit dem Mutterlande, wie faſt in allen Volksbewegungen, einen Moment, wo die Regierungen, wenn ſie nicht über den Gang der menſchlichen Dinge völlig ver - blendet ſind, durch kluge, fürſichtige Mäßigung das Gleich - gewicht herſtellen und den Sturm beſchwören können. Laſſen ſie dieſen Zeitpunkt vorübergehen, glauben ſie durch phyſiſche Gewalt eine moraliſche Bewegung niederſchlagen zu können, ſo gehen die Ereigniſſe unaufhaltſam ihren Gang und die Trennung der Kolonieen erfolgt mit deſto verderblicherer Ge - waltſamkeit, wenn das Mutterland während des Streites ſeine Monopole und ſeine frühere Gewalt wieder eine Zeitlang hatte aufrecht erhalten können.

Wir ſchifften uns morgens ſehr früh ein, in der Hoff - nung, die Ueberfahrt über den Meerbuſen von Cariaco in einem Tage machen zu können. Das Meer iſt hier nicht unruhiger als unſere großen Landſeen, wenn ſie vom Winde ſanft bewegt werden. Es ſind vom Landungsplatze nach Cu - mana nur 22,5 km. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Rücken hatten, gingen wir weſtwärts am Fluſſe Carenicuar hin, der ſchnurgerade wie ein künſtlicher Kanal durch Gärten und Baumwollenpflanzungen läuft. Der ganze, etwas ſumpfige Boden iſt aufs ſorgſamſte angebaut. Während unſeres Auf - enthaltes in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen der Kaffeebau eingeführt. Wir ſahen am Fluſſe indianiſche Weiber ihr Zeug mit der Frucht des Parapara (Sapindus saponaria) waſchen. Feine Wäſche ſoll dadurch ſehr mitgenommen werden. Die Schale der Frucht gibt einen ſtarken Schaum und die Frucht iſt ſo elaſtiſch, daß ſie, wenn man ſie auf einen Stein wirft, drei -, viermal 2 bis 3 m hoch aufſpringt. Da ſie kugelicht iſt, verfertigt man Roſenkränze daraus.

Kaum waren wir zu Schiffe, ſo hatten wir mit widrigen Winden zu kämpfen. Es regnete in Strömen und ein Ge - witter brach in der Nähe aus. Scharen von Flamingos, Reihern und Kormoranen zogen dem Ufer zu. Nur der Al - katras, eine große Pelikanart, fiſchte ruhig mitten im Meer - buſen weiter. Wir waren unſer achtzehn Paſſagiere, und auf der engen, mit Rohrzucker, Piſangbüſcheln und Kokosnüſſen überladenen Piroge (Fancha) konnten wir unſere Inſtrumente295 und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des Fahr - zeuges ſtand kaum über Waſſer. Der Meerbuſen iſt faſt überall 82 bis 91 m tief, aber am öſtlichen Ende bei Cura - guaca findet das Senkblei 22,5 km weit nur 5,5 bis 7,3 m. Hier liegt der Baxo de la Cotua, eine Sandbank, die bei der Ebbe als Eiland über Waſſer kommt. Die Pirogen, die Lebensmittel nach Cumana bringen, ſtranden manchmal daran, aber immer ohne Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und ſcholkt. Wir fuhren über den Strich des Meerbuſens, wo auf dem Boden der See heiße Quellen entſpringen. Es war gerade Flut und daher der Temperaturwechſel weniger merkbar; auch fuhr unſere Piroge zu nahe an der Südküſte hin. Man ſieht leicht, daß man Waſſerſchichten von ver - ſchiedener Temperatur antreffen muß, je nachdem die See mehr oder minder tief iſt, oder je nachdem die Strömungen und der Wind die Miſchung des warmen Quellwaſſers und des Waſſers des Golfes befördern. Dieſe heißen Quellen, die, wie behauptet wird, auf 380 bis 460 a die Temperatur der See erhöhen, ſind eine ſehr merkmürdige Erſcheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria weſtwärts über Irapa, Aguas calientes, den Meerbuſen von Cariaco, den Brigantin und die Thäler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, ſo findet man auf einer Strecke von mehr als 675 km eine ununterbrochene Reihe von warmen Quellen.

Der widrige Wind und der Regen nötigten uns, bei Pericantral, einem kleinen Hofe auf der Südküſte des Meer - buſens, zu landen. Dieſe ganze ſchön bewachſene Küſte iſt faſt ganz unbebaut; man zählt kaum 700 Einwohner und außer dem Dorfe Mariguitar ſieht man nichts als Pflanzungen von Kokosbäumen, die die Oelbäume des Landes ſind. Dieſe Palme wächſt in beiden Kontinenten in einer Zone, wo die mittlere Jahrestemperatur nicht unter 20° beträgt. Sie iſt wie der Chamärops im Becken des Mittelmeeres eine wahre Küſtenpalme . Sie zieht Salzwaſſer dem ſüßen Waſſer vor und kommt im Inneren des Landes, wo die Luft nicht mit Salzteilchen geſchwängert iſt, lange nicht ſo gut fort als auf den Küſten. Wenn man in Terra Firma oder in den Miſ - ſionen am Orinoko Kokosnußbäume weit von der See pflanzt, wirft man ein ſtarkes Quantum Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Kokosnüſſe gelegt werden. Unter den Kulturgewächſen haben nur noch das Zuckerrohr, der Bananenbaum, der Mammei und der Avocatier, gleich296 dem Kokosnußbaum, die Eigenſchaft, daß ſie mit ſüßem oder mit Salzwaſſer begoſſen werden können. Dieſer Umſtand be - günſtigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der Küſte gibt zwar einen etwas ſalzigen Saft, derſelbe eignet ſich aber, wie man glaubt, beſſer zur Branntweindeſtillation als der Saft aus dem Binnenlande.

Im übrigen Amerika wird der Kokosnußbaum meiſt nur um die Höfe gepflanzt, und zwar um der eßbaren Frucht willen; am Meerbuſen von Cariaco dagegen ſieht man eigent - liche Pflanzungen davon. Man ſpricht in Cumana von einer Hacienda de coco, wie von einer Hacienda de caña oder cacao. Auf fruchtbarem, feuchtem Boden fängt der Kokos - baum im vierten Jahre an reichlich Früchte zu tragen; auf dürrem Lande dagegen erhält man vor dem zehnten Jahre keine Ernte. Der Baum dauert nicht über 80 bis 100 Jahre aus, und er iſt dann im Durchſchnitt 21 bis 26 m hoch. Dieſes raſche Wachstum iſt deſto auffallender, da andere Palmen, z. B. der Moriche (Mauritia flexuosa) und die Palma de Sombrero (Coripha tectorum), die ſehr lange leben, im ſechzigſten Jahr oft erſt 4,5 bis 5,8 m hoch ſind. In den erſten dreißig bis vierzig Jahren trägt am Meerbuſen von Cariaco ein Kokosbaum jeden Monat einen Büſchel mit 10 bis 14 Früchten, von denen jedoch nicht alle reif werden. Man kann im Durchſchnitt jährlich auf den Baum 100 Nüſſe rechnen, die acht Flascos1Der Flasco zu 70 bis 80 Pariſer Kubikzoll. Oel geben. Der Flasco gilt zwei einen halben Silberreal oder 32 Sous. In der Provence gibt ein dreißigjähriger Oelbaum zwanzig Pfund oder ſieben Flascos Oel, alſo etwas weniger als der Kokosbaum. Es gibt im Meerbuſen von Cariaco Hacienden mit 8000 bis 9000 Kokosbäumen; ihr maleriſcher Anblick erinnert an die herr - lichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia, wo auf 20 qkm über 70000 Palmſtämme bei einander ſtehen. Der Kokosbaum trägt nur bis zum dreißigſten bis vierzigſten Jahre reichlich, dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjähriger Stamm iſt zwar nicht ganz unfruchtbar, bringt aber ſehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird ſehr viel Kokosnußöl ge - ſchlagen; es iſt klar, geruchlos und ein gutes Brennmaterial. Der Handel damit iſt ſo lebhaft als auf der Weſtküſte von Afrika der Handel mit Palmöl, das von Elays guineensis kommt. Dieſes iſt ein Speiſeöl. In Cumana ſah ich mehr297 als einmal Pirogen ankommen, die mit 3000 Kokosnüſſen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jähr - liches Einkommen von Piaſtern (14 Franken 5 Sous), da aber auf den Haciendas de coco Stämme von verſchiede - nem Alter durcheinander ſtehen, ſo wird bei Schätzungen durch Sachverſtändige das Kapital nur zu 4 Piaſtern angenommen.

Wir verließen den Hof Pericantral erſt nach Sonnen - untergang. Die Südküſte des Meerbuſens in ihrem reichen Pflanzenſchmuck bietet den lachendſten Anblick, die Nordküſte dagegen iſt felſig, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens und des ſeltenen Regens, der zuweilen 15 Monate ausbleibt, wachſen auf der Halbinſel Araya (wie in der Wüſte Canound in Indien) 15 bis 25 kg ſchwere Patillas oder Waſſer - melonen. In der heißen Zone iſt die Luft etwa zu 9 / 10 mit Waſſerdunſt geſättigt und die Vegetation erhält ſich dadurch, daß die Blätter die wunderbare Eigenſchaft haben, das in der Luft aufgelöſte Waſſer einzuſaugen. Wir hatten auf der engen, überladenen Piroge eine recht ſchlechte Nacht und be - fanden uns um 3 Uhr morgens an der Mündung des Rio Manzanares. Wir waren ſeit mehreren Wochen an den An - blick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finſtere Wälder ge - wöhnt, und ſo fielen uns jetzt die Naturverhältniſſe von Cu - mana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Maſſe des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf.

Bei Sonnenaufgang ſahen wir Tamurosgeier (Vultur aura) zu vierzigen und fünfzigen auf den Kokosnußbäumen ſitzen. Dieſe Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zuſammen wie die Hühner, und ſie ſind ſo träge, daß ſie, lange ehe die Sonne untergeht, aufſitzen und erſt wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits über dem Horizont ſteht. Es iſt, als ob die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären. Die Mimoſen und Tamarinden ſchließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25 bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang, und ſie öffnen ſie am Morgen erſt, wenn die Scheibe bereits eben - ſo lange am Himmel ſteht. Da ich Sonnenauf - und Unter - gang ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luft - ſpiegelung und der irdiſchen Refraktion zu verfolgen, ſo konnte ich auch die Erſcheinungen des Pflanzenſchlafes fortwährend im Auge behalten. Ich fand ſie gerade ſo in den Steppen, wo der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens unterbrochen wird. Die ſogenannten Sinnpflanzen und andere Schotengewächſe mit feinen zarten Blättern empfinden, ſcheint298 es, da ſie den Tag über an ein ſehr ſtarkes Licht gewöhnt ſind, abends die geringſte Abnahme in der Stärke der Licht - ſtrahlen, ſo daß für dieſe Gewächſe, dort wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenſcheibe ganz verſchwunden iſt. Aber wie kommt es, daß in einem Erdſtriche, wo es faſt keine Dämmerung gibt, die erſten Sonnenſtrahlen die Blätter nicht um ſo ſtärker aufregen, da durch Abweſenheit des Lichtes ihre Reizbarkeit geſteigert worden ſein muß? Läßt ſich viel - leicht annehmen, daß die Feuchtigkeit, die ſich durch die Er - kaltung der Blätter infolge der nächtlichen Strahlung auf dem Parenchym niederſchlägt, die Wirkung der erſten Sonnen - ſtrahlen hindert? In unſeren Himmelsſtrichen erwachen die Schotengewächſe mit reizbaren Blättern ſchon ehe die Sonne ſich zeigt, in der Morgendämmerung.

About this transcription

TextReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents
Author Alexander von Humboldt
Extent317 images; 106802 tokens; 15929 types; 733702 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents Erster Band Alexander von Humboldt. Hermann Hauff (ed.) . XII, 298 S. CottaKrönerStuttgart1859.

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BBAW BBAW, Hu 44336

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Geographie; Wissenschaft; Geographie; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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