PRIMS Full-text transcription (HTML)
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EUROPÄISCHES VÖLKERRECHT.
ERSTER BAND.
STUTTGART,in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1821.
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Uebersetzung ist dieses Werk auf dem Ti - tel nicht genannt, obgleich es zuerst in fran - zösischer Sprache erschien, unter folgendem Titel:

  • Droit des gens moderne de l’Europe. Par Jean-Louis Klüber. Tome Ier et Tome II, avec un Supplément contenant une Bibliothèque choisie du droit des gens. à Stuttgart 1819. gr. in-8°. Beide Bände zusammen 624 Seiten.

Ein Schriftsteller übersetzt sich nicht, wenn er dieselben Ideen in verschiedenen Sprachen öffent - lich mittheilt. Die Gründe, warum es in der genannten Sprache erschien, sind in der Vorrede zu der französischen Ausgabe angegeben. Der Ver - fasser ahnte damals nicht, daſs eine teutsche Aus -[4] gabe nöthig seyn werde. Er ward, von verschiede - nen hohen Schulen Teutschlands her, des Gegen - theils belehrt. Er läſst es daher nun auch in teut - scher Sprache erscheinen; um so williger, da er, nach Pflicht und Neigung, der edlen teutschen Na - tion zunächst angehört und stets angehören will. Er giebt es selbst, weil jeder Andere nur eine Ue - bersetzung hätte liefern können. Daſs manches Neue hinzugekommen sey, wird hier einer Er - wähnung kaum bedürfen. *)Unter vielen andern, darf man nur folgende §§. verglei - chen: 2 c, 3 d, 22 d, 27 d und f, 31, 49 e, 66, 87 a und c, 105, 107 c, 115, 116 a und h, 133, und ebendaselbst c, d und e, 135 a, 137 c, 142 c und d, 146 a, 164 b, 176 a, und ebendaselbst c, 185, 186 a, 187 c und d, 204, 210 c, 213 b, d und e, 234, 255, und ebendaselbst b, 258, 259, 294 a.

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VORREDE IN DER FRANZÖSISCHEN AUSGABE.

Als der Verfasser dieses Werk begonn, durfte er vielleicht hoffen, etliche Gegenstände der eu - ropäischen VölkerrechtsWissenschaft in neues Licht zu stellen, ihr System zu vereinfachen, sie mit manchen Notizen und Bemerkungen zu bereichern, die dem Scharfblick seiner Vorgän - ger entgangen waren, und hinzuzufügen, was nach ihnen Erfahrung und Umstände darbieten konnten; doch hatte er einen mehr noch em - pfehlungswerthen und dringenderen Beweggrund. Er glaubte, in Hinsicht auf Diplomatie, das Ver - dienst verschiedener von seinen Landsleuten er - höhen zu können, wenn er sich bestrebte, zu dem Studium des positiven Völkerrechtes vor - züglich diejenigen seiner Zeitgenossen zu er -6Vorrede. muntern, die in dem Fall seyn möchten, sich einst Staatsgeschäften zu widmen. Zum wenig - sten schien ihm nicht überflüssig, in diesem Augenblick die Rechtsgelehrten eben so wohl als die Politiker auf die Nothwendigkeit die - ses Theils des Unterrichtes aufmerksam zu ma - chen.

So viel möglich das Ganze der Wissen - schaft zu umfassen, ihre Grundsätze klar und bestimmt zu entwickeln, sie zu erläutern durch historische sowohl als literärische Notizen, nütz - lich insbesondere denen, die einem tiefer ein - dringenden Studium sich widmen wollen, das war seine Absicht bei diesem Werk.

Das natürliche Völkerrecht war hiebei von grossem Gewicht. Da es einem System des unter den Staaten durch ausdrückliche oder stillschwei - gende Verträge festgesetzten Rechtes zur Grund - lage dienen soll, so kommt es hier zweifach in Betracht. Es füllt die Lücken aus, die nur zu oft in einem System des positiven Völker - rechtes sich zeigen, und so weit ist sein Ge - brauch wesentlich. Überdieſs dient es demsel - ben System als Bindemittel, indem nach ihm7Vorrede. die Grundsätze geordnet und an einander ge - reihet werden.

Wer dem Studium des heutigen europäi - schen Völkerrechtes sich widmet, würde verge - bens mit der Hoffnung sich schmeicheln, von jedem freien Volk, das diesen Theil des Erd - balls bewohnt, jeglichen Satz, er sey rechtlich oder geschichtlich, den die Theorie aufzustel - len oder zu bewahren nicht verfehlen darf, an - erkannt zu sehen. Der Verfasser eines Werkes wie dieses, ist oft verpflichtet sich schlechthin an Abstractionen zu halten, die aus sorgfältiger und unparteyischer Betrachtung des natürlichen Völkerrechtes, aus gewissen Verträgen, und aus manchen Gewohnheiten hervorgehen, die, wenn nicht von allen, doch von den meisten euro - päischen Staaten angenommen sind. Die aus einer solchen Vergleichung sich bildende allge - meine Theorie, kann daher in einem einzel - nen Fall nur so weit Anwendung finden, als sie hier mit dessen besondern Umständen sich verträgt. Da diese Theorie nie in der Art ge - gründet ist, daſs durch sie die besondern Be - ziehungen zurückgesetzt würden, die auf That - sachen oder particuläre Rechtsquellen sich stü -8Vorrede. tzen, so muſs ein Staatsmann überall zuerst die besondern Verhältnisse in das Auge fassen, wel - che zwischen den in Betracht kommenden Mäch - ten bestehen. Dieser Grundwahrheit ungeach - tet, sind die allgemeinen Grundsätze von gröſs - ter Wichtigkeit, und zu keiner Zeit sollte das Studium derselben, von denen, welche die di - plomatische Laufbahn wählen, vernachlässigt werden.

Unstreitig kann hier die Rede nur davon seyn, was, dem Rechtsgesetz zufolge, unter freien Völkern beobachtet werden soll. Aber verhelen kann man sich nicht, daſs es Fälle giebt, wo Uebermacht eines oder mehrerer Staaten, oder ausserordentliche Ereignisse, ge - bieterisch Schritte begünstigt haben, wofür man einen zureichenden Grund in dem Völkerrecht vergebens suchen würde. Indeſs ist darum nicht minder wichtig, die Rechte der Nationen zu kennen; denn was wirklich recht ist, wird zuverlässig einst als solches anerkannt werden; und überdieſs vermag keine Macht, durch will - kührliches Benehmen, der Würde des Völker - rechtes etwas zu vergeben. Dem Unrecht hul - digen, die zerstörenden Maximen einer solchen9Vorrede. Macht, gleichviel aus welchem Beweggrund, zu Grundsätzen erheben wollen, wovon man nur zu oft, vorzüglich bei neueren Schrift - stellern, Beispiele gesehen hat, würde in schwere Verantwortung gegen die Menschheit bringen.

Die Erschütterungen, welche unlängst den europäischen Staaten ein ViertelJahrhundert lang widerfahren sind, werden höchstwahr - scheinlich manche Aenderungen oder Modifica - tionen in den Grundsätzen des positiven Völ - kerrechtes zur Folge haben, deren Festsetzung man vergebens schon von dem wiener Congreſs erwartet hatte; doch hat man alle Ursache zu glauben, daſs diese Aenderungen weder so zahlreich noch so nah seyn werden, daſs dar - um die Bekanntmachung dieses Werkes zu ver - schieben wäre. Möge es dazu beitragen, den Zeitpunct ihres Daseyns zu beschleunigen, der nie so nah seyn wird, als der Vortheil der Menschheit und der Staaten es gebietet; viel - leicht irret der Verfasser, doch möchte er hof - fen dürfen, daſs dieses Werk hiezu als Einlei - tung dienen könne. Auch geschah es haupt - sächlich unter diesem Gesichtpunct, daſs sich10Vorrede. derselbe bestrebt hat, dem Seerecht, vorzüg - lich demjenigen der Neutralen, eine Entwi - ckelung und eine Aufmerksamkeit zu widmen, die seiner dermaligen Wichtigkeit angemes - sen ist.

Findet man den Verfasser, wie er ange - legentlich wünscht, untadelhaft in Hinsicht auf Wahrhaftigkeit, so werden Manche vielleicht stärkere Farben, einen minder didactischen Ton vermissen. Er gesteht, daſs ihn die Hoff - nung verläſst von diesen freigesprochen zu werden, wenn nicht die für einen Lehrbegriff so nothwendige Gedrängtheit, die Menge der Gegenstände, die mit dem geringsten Wort - aufwand abzuhandeln, und auf einem mög - lichst kleinen Raum zu entwickeln waren, vor ihren Augen ihn Entschuldigung finden lassen.

Nur allein die Erwägung einer sich weiter verbreitenden Nützlichkeit, hat den Verfasser veranlassen können sich einer Sprache zu be - dienen, die weder die seinige, noch diejenige seines Vaterlandes ist, und es nie seyn soll. Er bedient sich dieser Sprache, nicht sowohl11Vorrede. wie derjenigen der Franzosen, als vielmehr darum, weil nicht nur seine wissenschaftlich gebildeten Landsleute, sondern auch die mei - sten Diplomaten der übrigen zu Beobachtung des Völkerrechtes ebenmäsig verpflichteten eu - ropäischen Nationen, mit derselben vertraut sind. Dieses Geständniſs, diese Absicht, werden ihn entschuldigen, und ihm einiges Recht auf die Nachsicht derer geben, die jener Sprache mächtiger sind als er.

Eine grosse Anzahl literärischer Notizen ist hinzugefügt, viele Controversen der Publi - cisten sind angeführt worden. Wie ungern auch der Verfasserr hiezu sich entschloſs, so hat er doch geglaubt, sich dessen nicht über - heben zu dürfen, in einem Werk, das zu - gleich bestimmt ist dem Unterricht in einer Wissenschaft zur Grundlage zu dienen, in wel - cher es von hoher Wichtigkeit ist, die ver - schiedenen Meinungen und auch die Schriften zu kennen, aus denen man sein Wissen berei - chern kann. Dieser festen Ueberzeugung un - geachtet, bekennt er jedoch, daſs er des gröſsten Theils dieser Noten und Citationen sich würde enthalten haben, wenn er sich12Vorrede. bloſs Leser französischen Ursprungs gedacht hätte.

Er hat überdieſs geglaubt, als Anhang eine auserlesene Bibliothek für das Völker - recht hinzufügen zu müssen, um auf die ge - schwindeste und bequemste Art den bibliogra - phischen Bedürfnissen nicht nur der Anfän - ger, sondern auch der übrigen zu Hülfe zu kommen. Das alphabetische Verzeichniſs der Schriftsteller, am Schluſs des Buches, wird den Gebrauch dieser Bibliothek erleichtern.

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INHALT.

  • EINLEITUNG. Vorbereitender Theil.
  • I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, verwandte und Hülfwissenschaften, Methode des Völker - rechtes .§. 1 9.
  • II. Cap. Cultur-Geschichte und Literatur des Völ - kerrechtes .§. 10 19.
  • ERSTER THEIL. Die Staaten, überhaupt, und die europäischen insbesondere.
  • I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, und Vereini - gung der Staaten .§. 20 28.
  • II. Cap. Die europäischen Staaten .§. 29 35.
  • [14]
  • ZWEITER THEIL. Rechte der europäischen Staaten unter sich.
  • ERSTER TITEL. Unbedingte Rechte.
  • I. Cap. Recht der Selbsterhaltung .§. 36 44.
  • II. Cap. Recht der Unabhängigkeit .§. 45 88.
  • III. Cap. Recht der Gleichheit .§. 89 122.
  • ZWEITER TITEL. Bedingte Rechte.
  • ERSTER ABSCHNITT. Rechte in Absicht auf friedliche Verhältnisse.
  • I. Cap. Recht des Staatseigenthums .§. 123 140.
  • II. Cap. Recht der Verträge .§. 141 165.
  • III. Cap. Recht der Unterhandlungen, insonderheit durch Gesandte .§. 166 230.
  • ZWEITER ABSCHNITT. Rechte in Absicht auf feindliche Verhältnisse.
  • I. Cap. Recht des Kriegs .§. 231 278.
  • II. Cap. Recht der Neutralität .§. 279 316.
  • III. Cap. Recht des Friedens .§. 317 329.
  • ANHANG. Bibliothek für das Völkerrecht.
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EUROPÄISCHES VÖLKERRECHT.

EINLEITUNG. VORBEREITENDER THEIL.

ERSTES CAPITEL. BEGRIFF, ABTHEILUNG, QUELLEN, VERWANDTE UND HÜLFWISSENSCHAFTEN, METHODE DES VÖLRER - RECHTES.

§. 1. Begriff und Arten des Völkerrechtes.

Unabhängige Staaten führen als moralische Personen, in ihrem gegenseitigen Verhältniſs, den Namen freie Völker a). Der Inbegriff ihrer wechselseitigen vollkommenen Rechte, das Recht der Staaten im Verhältniſs zu einander, heiſst Völkerrecht (jus gentium, droit des gens, Staa - tenrecht, jus civitatum inter se). So weit diese Rechte aus der Natur ihrer gegenseitigen Verhält - nisse fliessen, ist das Völkerrecht natürliches oder allgemeines (jus gentium naturale s. universale): positives b) (jus gentium positivum, so fern es sich gründet auf Uebereinkunft, ausdrückliche16Einleitung. Vorbereitender Theil. oder stillschweigende c). Wissenschaftlich kann das positive Völkerrecht, sowohl eines einzelnen Staates, als auch mehrerer Staaten zusammen, namentlich der europäischen d), abgehandelt werden. Obgleich weder alle Völker einen allge - meinen Weltstaat (§§. 15, 24 u. f.), noch die eu - ropäischen insbesondere eine VölkerRepublik bilden, so ist doch gewiſs, daſs die letzten einan - der einen gewissen Inbegriff von Rechten einräu - men, und daſs sie, in dieser Hinsicht, sich in einer bestimmten Rechtsgemeinschaft befinden. Es ist also das Daseyn eines europäischen Völker - rechtes eben so einleuchtend, als die Nothwen - digkeit und Nützlichkeit seiner wissenschaftlichen Bearbeitung e).

§. 2.
a)Das Wort Volk (Nation) wird in dreifachem Sinn genommen, in dem metapolitischen, staatsrechtlichen, und völkerrecht - lichen. Vergl. unten, §. 20, und J. Th. Roth’s Archiv für das Völkerrecht, Heft I, S. 1 12.
a)
b)Von Einigen auch droit politique oder jus politicum, von Andern freiwilliges oder willkührliches VR., jus gentium vo - luntarium, jus foederum, usus gentium, genannt.
b)
c)Ueber die Abtheilung des VR. sind die Meinungen verschie - den. Einige nehmen ausser dem natürlichen, drei Arten des positiven VR. an; willkührliches d. h. freiwilliges (volunta - rium), conventionelles (pactitium), und GewohnheitsVölker - recht (consuetudinarium). Das letzte kann für wahres Völ - kerrecht nur dann gelten, wenn es nicht auf blossem Völker - gebrauch, sondern auf stillschweigenden Verträgen beruht. Der ersten Art fehlt der wesentliche Charakter eines Zwang - rechtes. Andere unterscheiden überhaupt: 1) bloſs natür - liches Völkerrecht; 2) modificirtes natürliches VR., welches auf der vermutheten Einwilligung polizirter Völker beruhe;3) Ge -17I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. 3) GewohnheitsVR. ; 4) VertragVR. D. H. L. Frhrn. v. Omp - teda’s Literatur des VR., S. 8 ff. v. Kamptz neue Literatur des VR., S. 28 f. Noch Andere theilen das VR. in 1) na - türliches oder philosophisches, dieses in nothwendiges oder ursprüngliches (necessarium s. primarium) und freiwilliges (voluntarium s. secundarium); 2) willkührliches oder positi - ves. C. G. Günther’s europ. Völkerrecht in Friedenszeiten, Th. I, S. 4 ff. Noch andere Eintheilungen ebendas. S. 22 f.
c)
d)Das positive VR. der europäischen Staaten, nennen Einige practisches europäisches VR., jus gentium europaearum prac - ticum. Der osmanische Staat erkennt dasselbe nicht durch - gehends; wohl aber, auſserhalb Europa, die Vereinigten Staa - ten von Nordamerika, zufolge ihrer ausdrücklichen Erklä - rung, und der Regent von Brasilien, jetzt König des verei - nigten Königreichs Portugal, Brasilien, und der beiden Al - garbien. Vergl. Günther a. a. O. Th. I, S. 27 f. u. 31, Note *. De Martens recueil des principaux traités, T. IV, p. 196 et suiv. Von dem VR. des teutschen Bundes, s. Klüber’s öf - fentliches Recht des teutschen Bundes, §. 9. Von dem teut - schen Völkerrecht zur Zeit des teutschen Reichs, s. Schriften unten im Anhang, §. 28.
d)
e)G. F. v. Martens Progr. v. der Existenz eines positiven euro - päischen Völkerrechts und dem Nutzen dieser Wissenschaft. Gött. 1787, und in J. C. Koppe’s niedersächs. Archiv für die Jurisprudenz, Bd. I, (1788. 8. ), S. 82 95. Schriften von der Nothwendigkeit und dem Nutzen des VR., s. bei v. Kamptz a. a. O., S. 29 f.
e)

§. 2. Verhältniſs des VR. zu dem Staatsrecht, zu der VölkerMo - ral, Convenienz, und Staatsklugheit, und zu dem Völker - gebrauch.

I) Jede obligatorische Beziehung eines Staates, in dieser Eigenschaft, entweder zu andern Staa - ten, oder zu seinen Bürgern, heiſst eine öf - fentliche. Der Inbegriff aller dieser obliga - torischen Beziehungen, bildet das öffentlicheKlüber’s Europ. Völkerr. I. 218Einleitung. Vorbereitender Theil. Recht überhaupt. Daher ist das Völkerrecht, auch das natürliche, ein Theil des öffentlichen Rech - tes a). Das natürliche Völkerrecht, das Recht der Einzelnen im Stande der Natur, zweckmäsig an - gewandt auf das Verhältniſs der Staaten unter sich b), gehört zu dem allgemeinen oder natürlichen öffentlichen Recht. Das wechselseitige obligato - rische Verhältniſs zwischen dem Staat, als solchem, und seinen Bürgern, wird bestimmt durch das Staatsrecht: dasjenige zwischen dem Staat, als solchem, und einzelnen Menschen ausserhalb derselben Staatsverbindung, durch das Privat - recht c). II) Das Völkerrecht begreift nur Zwang - rechte unter sich. Es fordert nur Legalität, nicht Moralität, nicht Schicklichkeit, nicht Klug - heit, nicht blosse Gebräuche ohne moralische Nothwendigkeit. Es ist also wesentlich ver - schieden, von Völker Moral d) (droit interne), deren Beobachtung ein Staat nur sich selbst schul - dig ist, von Convenienz (decorum gentium, règles de convenance), von Staatsklugheit e) (Politik), von Völkergebrauch (usus gentium, simple usa - ge); wiewohl diese in dem Völkerrecht nicht sel - ten erläuternd, immer wissenswerth sind.

a)Das öffentliche Recht theilt sich ab, in Staatsrecht und Völ - kerrecht. Einige begreifen beides unter dem Namen Staats - recht, und unterscheiden dann auswärtiges und inneres Staats - recht; das erste ist Völkerrecht.
a)
b)Dieses hat ihm bei Einigen die Benennung Privat-Völker - recht verschafft. Crome’s und Jaup’s Zeitschrift: Germanien, Bd. II (Giesen 1809. 8. ), S. 231 f.
b)19I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w.
c)Vergl. unten, §. 141, Note c, und §. 259, Note a. Einige rechnen auch das obligatorische Verhältniſs eines Staates zu einzelnen Menschen, die nicht seine Unterthanen sind, als sol - chen, zu dem Völkerrecht. Man s. aber v. Ompteda a. a. O. I. 6 u. 7, Note b. Auch der Rechtszustand zwischen dem Staat und einzelnen Unterthanen desselben, gehört, so weit er auf Privatverhältnisse sich bezieht, zu dem Privatrecht; wie derjenige, welcher sich gründet auf Privatverhältnisse mit einzelnen Menschen, die nicht seine Unterthanen sind. Vergl. unten, §. 141, Note c.
c)
d)Ueber das Verhältniſs zwischen Moral und Politik, s. die Schriften bei v. Kamptz a. a. O., S. 97 f.
d)
e)Was in dem wechselseitigen Verkehr der Privatpersonen Klug - heit heiſst, wird in demjenigen der Staaten Politik genannt. Diese ächte Politik darf nicht verwechselt werden mit der Kunst, Ränke zu schmieden, und mit jener Trugsucht, die auf Kosten der Gerechtigkeit und Billigkeit nur eigenem Vor - theil fröhnt. Hier waltet Arglist, verwerflich bei Regenten nicht minder als bei Privatpersonen. Nur eine wahre Politik giebt es; diejenige, die sich nie entfernt von den ewigen Ge - setzen der Gerechtigkeit, welche die Unabhängigkeit, das Eigenthum, und alle Rechte Anderer ehrt, welche gewissen - haft die schützenden und verhütenden Formen beobachtet. Es ist dieselbe, deren Anwendung die heilige Allianz (Sainte - Alliance) gebietet, die zu Paris am 26. Sept. 1815 durch die Monarchen von Oestreich, Ruſsland und Preuſsen persönlich geschlossen ward, und welcher fast alle christlichen Staats - regierungen von Europa beigetreten sind. Man s. unten, §. 146 u. 329.
e)

§. 3. Quellen des VR. der europäischen Staaten. 1) Verträge.

Die Quellen des Völkerrechtes der europäi - schen Staaten, sind folgende. I) Verträge der Staaten unter sich, sowohl ausdrückliche a) als auch stillschweigende b). Die letzten gründen20Einleitung. Vorbereitender Theil. sich auf sprechende Handlungen der Interessen - ten c). Beide Arten von Verträgen, begründen zusammen das eigentlich so genannte Vertrag - recht der Völker. Ausdrückliche allgemeine Ver - träge der europäischen Staaten, giebt es nicht; aber oft ist wichtig, bald die Gleichheit, bald die Aehnlichkeit der Grundsätze wahrzunehmen, von welchen die Mächte bei ihren Verträgen aus - gegangen sind. Erst die neueste Zeit hat etliche Beispiele von Verträgen geliefert, zu deren Beob - achtung fast alle europäischen Staaten ausdrück - lich sich verpflichtet haben d). Rechte der Völ - ker, welche sich gründen auf stillschweigende Verträge oder Rechtsgewohnheiten, werden auch Herkommen oder Gewohnheitsrecht der Völker (jus gentium consuetudinarium) genannt. In dem Völkerrecht unterscheidet sich dieses nicht von Observanz, wohl aber von blossem Völkerge - brauch (§. 34 f.), womit ein Zwangrecht nicht verbunden ist e). Blosse Vermuthung kann un - ter unabhängigen Staaten kein Recht begründen, also auch keinen Vertrag f). Eben so wenig eine Fiction g), so fern ihr nicht durch Vertrag eine solche Wirkung beigelegt ist.

a)Sammlungen der Staatsverträge sind unten, in dem Anhang zu diesem Werk, §. 5 ff. angeführt. In den meisten europäi - schen Staaten werden die neuen Staatsverträge jedesmal durch besondere amtliche Abdrücke, auch durch die Staats - oder Regierungsblätter, Gesetzsammlungen u. d., bekannt gemacht.
a)
b)Huld. ab Eyben diss. de jure inter et intra gentes scripto et21I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. non scripto. Giess. 1661, und in dessen Operib. I. 13 sqq. J. W. Hoffmann diss. de observantia gentium. Vitob. 1736. rec. Francof. ad Viadr. 1758. 4. A. F. Reinhardt von den Wirkungen der stillschweigenden Einwilligung zwischen freien Völkern; in dessen Samml. jurist. philosoph. und krit. Aufsätze (1775), St. V, S. 307 ff. v. Kamptz neue Lit., §. 240 f. Von dem Beweise, den Eigenschaften, und der Wirkung des Herkommens, s. Klüber’s öffentliches Recht des teutschen Bun - des, §. 58 ff. In einer Menge von europäischen Staatsver - trägen, zeigt sich über viele Gegenstände so groſse Ueberein - stimmung, daſs einer dem andern sichtbar zum Muster ge - dient hat, daſs folglich jener bei diesem zuweilen als Erklä - rungsmittel dienen kann.
b)
c)Erfordernisse dieser stillschweigenden Handlungen und des Herkommens; s. Günther a. a. O. I. 18. 28 ff. J. J. Burlamaqui principes ou élémens du droit politique (à Lausanne 1784. 8. ), P. I, ch. I, §. 11 et 12. Schmalz europ. Völkerrecht, S. 45.
c)
d)Z. B. der Acte final du congrès de Vienne, die heilige Allianz (Sainte-Alliance), und der wiener Allianz-Vertrag wider Buo - naparte und seine Anhänger, vom 25. März 1815.
d)
e)Bloſser Völkergebrauch ist die Sitte, diplomatischen Agenten am Schluſs ihrer Sendung (§. 225), und Unterhändlern nach Abschlieſsung eines Staatsvertrags, Geschenke zu machen. So auch die ehemalige Sitte, den fremden Gesandten freie Zeh - rung zu geben (§. 170 b). Andere Beispiele unten, §. 34, 35, 49, 90, 113 122, 136, 139 a, 228 c, 239, 243 ff.
e)
f)Etliche verstehen unter Herkommen oder Gewohnheitsrecht der Völker, einen so genannten vermutheten Vertrag (con - ventio praesumta). Von Martens Einl. in das positive euro - päische VR., §. 2 f., 40, 59 u. 60. Die Einwilligung in eine solche HandlungsNorm sey zu vermuthen von jedem Volk, das zu der Classe gesitteter Völker, gezählt werden wolle. Gro - tius de jure belli et pacis, proleg. §. 17. Wolf jur. gent., in praefat. De Vattel, droit des gens, prélimin. §. 21. Gün - ther a. a. O. Th. I, §. 4. Auf diese präsumtive Einwilli - gung aller civilisirten Völker, gründen sie ein Recht, das ei - nige Neuere modificirtes natürliches VR. nennen. v. Ompteda a. a. O. I. 9. Das ganze VR. baut auf vermuthete Einwil - ligung der Völker, der ungenannte Verfasser des Buchs De jure generis humani vel divisi in gentes, etc. (Stuttg. 1811. 8. ), p. 59.
f)22Einleitung. Vorbereitender Theil.
g)Wie das römische Recht in der Fiction bei Quasi-Contracten, nehmen Etliche Einwilligung der Völker zu gewissen Gewohn - heiten an, weil dieselbe ihrem Interesse gemäſs sey. Man s. aber Günther a. a. O. I. 17.
g)

§. 4. 2 ) Analogie.

II) Eine zweite Quelle ist die Analogie; eine aus positiven völkerrechtlichen Bestimmun - gen, für ähnliche oder für entgegengesetzte Fälle (durch Argumente a simili aut a contrario, von Harmonie oder Disharmonie völkerrechtlicher Be - stimmungen), abgeleitete Handlungsvorschrift a). Nur subsidiarisch, wenn es an unzweifelhaften vertragmäsigen Bestimmungen fehlt, ist sie an - wendbar. Durch Analogie können nicht nur man - gelhafte, oder unvollständige vertragmäsige Be - stimmungen ergänzt, sondern sogar neue begrün - det werden. Auch kann sie als Auslegungsregel dienen b).

a)Klüber’s öffentl. Recht des teutschen Bundes, §. 61 64.
a)
b)Die Induction ist anders nichts als ein analogisches Product.
b)

§. 5. 3 ) Natürliches Völkerrecht.

III) So oft weder Verträge noch Analogie für das Rechtsverhältniſs unter unabhängigen Staaten hinlängliche Bestimmung liefern, muſs dieselbe aus dem natürlichen Völkerrecht a) genommen werden. Auch ist dieses ein wichti -23I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. ges Hülfsmittel für Theorie und Lehrvortrag des positiven Völkerrechtes, und bei Anwendung des - selben.

a)Oben §. 1. Schriften davon, unten in dem Anhang, §. 26 u. f.
a)

§. 6. Ueber Verjährung, Besitzstand, Staatsvortheil, Gleichgewicht.

Verjahrung, ein Erzeugniſs des positiven Privatrechtes, findet, ohne vertragmäsige Be - stimmung, unter unabhängigen Staaten nicht statt a). Wohl aber ist der Besitzstand (uti pos - sidetis, favor possessionis) zu achten b), bis man rechtmäsig zu den Waffen geschritten, oder der Streit auf völkerrechtliche Art beendigt ist. Blos - ser Staatsvortheil (StaatsInteresse, intérêt de l’é - tat), so genanntes ConvenienzRecht (droit de con - venance), hat nur politisches Gewicht c). Auch das Gleichgewicht d), das politische, eine unbe - stimmte Idee unter augenblicklichem Einfluſs der Convenienz, hat nicht die Natur einer völker - rechtlichen Entscheidungsquelle.

a)Günther a. a. O. I. 35. Note*. Neyron principes du droit des gens européen, §. 292 sqq. J. R. Kugler diss. vindiciae juris nat. et gent. contra usucapionem. Argent. 1779. 4. Leop. F. Fredersdorf’s Versuch, ob die Usucapion unter freien Völ - kern statt finde? Braunschw. 1785. 8. Anders, de Real in s. Science du gouvernement, T. V, ch. 4, Sect. 5. Schrif - ten über diese Controvers, in v. Ompteda’s Lit. II. 512. u. in v. Kamptz neuer Lit., §. 150. Von der ImmemorialPrä - scription unter unabhängigen Staaten, s. C. E. Wächter diss. de modis tollendi pacta inter gentes (Stuttg. 1779. 4. ), §. 39 43.
a)24Einleitung. Vorbereitender Theil.
b)Schmalz europ. Völkerrecht, S. 208 210.
b)
c)J. J. Moser’s Beiträge zum europ. VR. in Friedenszeiten, I. 8. Günther I. 33. Von dem römischen und canonischen Recht, ebendas. I. 35. Die Systeme von Abrundung (Arrondirung) und von natürlichen und militärischen Grenzen, welche nicht selten aufgestellt wurden, beruhen fast immer auf blosser Con - venienz. Unbestimmtheiten zulassend, die der Stärkere zum Nachtheil des Schwächeren zu benutzen weiſs, sind sie ohne Grenzen.
c)
d)Hievon unten, §. 42.
d)

§. 7. Verwandte Wissenschaften.

Das Völkerrecht, als Wissenschaft betrach - tet, ist ein Theil der Diplomatie, eines Inbe - griffs wissenschaftlich geordneter Kenntnisse und Grundsätze, für richtige und geschickte Betreibung öffentlicher Geschäfte unter Staaten a). Man lernt die Diplomatie bei dem Studium der so genann - ten politischen oder Staatswissenschaften, der Staa - tengeschichte b), besonders der drei letzten Jahr - hunderte, der Politik c), der Statistik d), der Staats - wirthschaft und National Oekonomie oder Gewerb - kunde e), der Kriegskunde f), sowohl Heerkunst (Taktik) als auch Heerleitung (Strategie), vorzüg - lich aber des Staats - und Völkerrechtes g), des na - türlichen und positiven, der politischen Negocia - tionsKunst h), und der StaatsPraxis i), mit In - begriff der Geheimschreibekunst k) (Chiffrir - und DechiffrirKunst). Fast allen diesen Wissenschaft - ten liegt die Geschichte zum Grunde, so viel das25I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. Empirische betrifft; dann die Wissenschaft von dem Staat, dieser als Idee betrachtet. Alle bezie - hen sich entweder auf Rechtmäsigkeit, oder auf Zweckmäsigkeit.

a)Eine andere Definition giebt Jos. Max. Frhr. v. Liechten - stern, in s. Abh. über den Begriff der Diplomatie und die nothwend. Eigenschaften des Diplomatikers (Diplomaten); in Ebendess. Anzeiger des cosmographischen Büreau (2. Aufl. Wien 1814. 8. ), S. 105 111.
a)
b)Man s. die in dem Anhang, §. 35 39, angeführten Schriften.
b)
c)So heiſst der Inbegriff von Grundsätzen, nach welchen ein Staat gegründet, eingerichtet, und regiert werden soll; also, die Lehre von dem Zweck der Staatsverbindung, und von den Mitteln, denselben zu erreichen. Der Weg in das Gebiet der Politik (Staatslehre, Staatskunst, Lehre der Staatsweisheit oder Staatsklugheit, Politique, Science de gouvernement, Political - Philosophy), ist zu nehmen durch die Gebiete der Pflichten - lehre, des Naturrechtes der einzelnen Menschen, und des all - gemeinen Staatsrechtes. Man vergl. oben, §. 2, Note d, und Schmalz europ. Völkerr., S. 6 ff. u. 43. Lehrbücher der Politik, von Achenwall, Rössig, Behr, A. H. Müller, Lu - den, Ge. v. Seckendorf. Auſser diesen noch Schriften von Macchiavelli, Mazarini, Joh. v. Müller, L. Muratori, J Craig, u. a. Ueberhaupt s. man Joh. Wilh. Placidus (Peter - sen) Literatur der Staatslehre. I. Abth. Strasburg (Stuttgart) 1798. 8. Vorzüglich die Staatswissenschaften haben zwei Seiten, eine juristische und eine politische. J. F. Reitemeier über das Studium der Staatswissenschaft (Berl. 1791. 8. ), S. 12 ff.
c)
d)Lehrbücher von Meusel (1817), Milbiller, Mannert, Sprengel, und Werke von Toze, Crome, Randel, Ockhart, Hassel, Liechtenstern, u. a. Ueberhaupt s. man J. G. Meusel’s Literatur der Statistik. Bd. I u. II. Leipz. 1806 u. 1807. 8. u. A. F. Lueder’s Kritik der Statistik u. Politik. Gött. 1812. 8.
d)
e)Werke von Ad. Smith, v. Heynitz, Niemann, Playfair, Sar - torius, Lauderdale, C. J. Kraus, Say, L. H. Jacob, Simonde de Sismondi, Lueder, Ganilh, Ch. v. Schlözer, Canard, Leop. 26Einleitung. Vorbereitender Theil. Krug, F. B. Weber, Th. Schmalz, Dutens, Hufeland, Lotz, A. H. Müller, v. Cölln, A. W. v. Leipziger, H. Storch, Harl, u. a.
e)
f)Werke von Feuquieres, Lloid, Venturini, Jos. Theobald, Heinr. v. Bülow, Aug. Wagner, Aster, Erzherzog Carl von Oestreich, Rogniat. Die Strategie, von J. v. X. München 1818. 8.
f)
g)Die vorzüglichsten Werke über das Völkerrecht, sind unten in dem Anhang genannt. Diejenigen über das Staatsrecht der verschiedenen Staaten von Europa, werden angeführt in Püt - ter’s Literatur des teutschen Staatsrechtes, und in Klüber’s neuer Literatur des t. Staatsrechtes. Auch s. man die unten, §. 30, Note a, angef. Schriften.
g)
h)Man s. die Werke von Vera et de Cuniga, de Callieres, de la Sarraz du Franquesnay, Pecquet, Digges, Mably, u. a., welche unten §. 168 angeführt sind.
h)
i)Schriften, unten §. 111, Note a.
i)
k)Klüber’s Kryptographik. Mit Kupfern. Tübingen 1809. gr. 8.
k)

§. 8. Hülfwissenschaften.

Hülfwissenschaften sind: Erdbeschreibung a) (Geographie), Urkundenlehre b) (Diplomatik), nebst der urkundlichen Zeitkunde c) (Chronolo - gie), Wappenkunde d) (Heraldik), Geschlecht - kunde e) (Genealogie), Auslegungskunst f) (Her - meneutik). Auch sind wichtig für den Diploma - ten: die fleisige Lesung politischer Zeitschrif - ten g), die Beobachtung der Staatsvorfälle, der Umgang mit Staatsbeamten, auch mit andern unterrichteten und ausgezeichneten Personen.

a)Werke von Büsching, Normann, Fabri, Gaspari, Stein, Malte-Brun, u. a.
a)27I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w.
b)Lehr und Handbücher von Gatterer, Gruber, Schönemann, Mereau, von Schmidt genannt Phiseldeck, Mabillon, le Moine et Batheney, u. a. F. A. Huch’s Literatur der Diplo - matik. Erlangen 1792. 8.
b)
c)D. H. Hegewisch Einleitung in die Chronologie. Altona 1811. 8. F. Schoell élémens de chronologie historique. Paris 1812. 2 vol. in 18°.
c)
d)Lehrbücher von Reinhard und Gatterer. Gröſsere Werke sind: P. F. Speneri opus heraldicum. T. I. 1680. T. II. 1690. fol. (J. C. Siebenrees) Erläuterungen der Heraldik, nach Gat - terer. Nürnb. 1789. Fol. J. C. Gatterer’s practische Heral - dik. Gött. 1791. 8.
d)
e)Lehrbücher von Will und Gatterer. Stammtafeln von Hüb - ner, Biedermann, Pütter, Koch, Gebhardi, Voigtel. Zu Frankfurt bei Varrentrapp erschien von 1742 bis 1805, jähr - lich in zwei Octav-Bänden: Genalogisches Reichs - und Staats - Handbuch; im J. 1811 erschien wieder ein erster Theil dessel - ben. Man s. auch G. Hassel’s allgem. europäisches Staats - und Adreſs-Handbuch. Weimar Th. I. 1816. Th. II. 1817. 8.
e)
f)Schriften von Eckhard, Conradi, Wittich, Sammet, Zacha - riä. Man s. auch Pütter’s Literatur des t. Staatsrechtes, Th. III, S. 304. Klüber’s Literatur des t. Staatsr., §. 287.
f)
g)Ein Verzeichniſs unten im Anhang, §. 39.
g)

§. 9. Methode.

In dem Lehrvortrag des Völkerrechtes der europäischen Staaten, sind die Grundsätze nach einem einfachen systematischen Plan, aus Ver - trägen, ausdrücklichen und stillschweigenden, aus der Analogie, und aus der Natur der wech - selseitigen Staatenverhältnisse, kurz, bestimmt, und leicht faſslich zu entwickeln, und aus der Ge - schichte, so weit möglich, zu erläutern; beides28Einleitung. Vorbereitender Theil. ohne Vorurtheil, Hypothesensucht, Partei - und Sectengeist, ohne Miſsbrauch rationaler Formen und metaphysischer Speculationen. Die dogma - tisch-historische LehrMethode verdient den Vor - zug vor der bloſs dogmatischen, mehr noch vor der bloſs historischen, am meisten vor der bloſs raisonnirenden a). Reine Wahrheitsliebe, Unbefangenheit, Nüchternheit des Urtheils, ver - bunden mit edler, anständiger Freimüthigkeit, müssen überall vorherrschen. Controversen b) und Erläuterung durch merkwürdige Staatsvor - fälle c), bleiben hauptsächlich dem mündlichen Vortrag vorbehalten.

a)Schriften in v. Ompteda’s Lit. II. 379. v. Kamptz neue Lit. §. 1 ff., 26 u. 30 ff.
a)
b)v. Kamptz a. a. O. §. 53.
b)
c)Von dem Werth der Beispiele, s. Moser’s Versuch des neue - sten europ. VR. I. 28. Ueber politische Erfahrungen; in der Minerva, Sept. 1813, S. 487 498.
c)29II. Cap. CulturGeschichte und Literatur.

ZWEITES CAPITEL. CULTURGESCHICHTE UND LITERATUR DES VÖLKER - RECHTES.

A) Cultur Geschichte.

§. 10. I) Gebrauch des Völkerrechtes in Europa. Aeltere Periode.

Bei den wichtigsten Gegenständen des Völ - kerrechtes, bei Rechtsverletzungen, Kriegen, Bündnissen, Absendung eigener, Aufnahme und Behandlung fremder Gesandten, war in der alten Welt, so weit man die Ereignisse nach Ursa - chen und Zusammenhang zu ergründen vermag, die Handlungsweise der Staaten so verschieden, so ungleich, daſs man weder in Fällen des Rechtsverhaltens auf ein deutliches Bewuſstseyn von Grundsätzen des Völkerrechtes, noch bei Rechtsverletzungen auf ein wider besseres Wis - sen begangenes Unrecht, immer mit Sicherheit schliessen kann. So wird dem Tadel der Israe - liten, wegen mancher Kriege und Erbfeindschaft, hauptsächlich die erhaltene höhere Vorschrift ent - gegengesetzt a). Aus klarer Einsicht des Rechtes und des wohlverstandenen Staatsvortheils, scheint das Rechtsverhalten der griechischen Staaten, in ihrem auswärtigen Verhältniſs, geflossen zu30Einleitung. Vorbereitender Theil. seyn b). Doch verräth wenigstens noch grössere Aufmerksamkeit auf das Völkerrecht, bei den Römern, zur Zeit der freien Republik, die An - ordnung eines eigenen Departements der aus - wärtigen Angelegenheiten, des Collegii der Fe - cialen; ein Ruhm, der durch die nachherige Handlungsweise der Regierung, schon während der innern bürgerlichen Kriege, mehr noch spä - ter durch Annahme eines Eroberungs - und Un - terjochungsSystems, sehr verdunkelt ward c).

a)J. D. Michaelis mosaisches Recht, Th. I, §. 19 ff. u. 61. Schriften bei v. Kamptz a. a. O. S. 54.
a)
b)v. Ompteda a. a. O. I. 141 ff. v. Kamptz a. a. O. S. 54 ff.
b)
c)v. Ompteda a. a. O. I. 142 ff. 3787. Schriften bei v. Kamptz a. a. O. S. 56. Die unten im Anhang, §. 35, angef. Historie des anciens traités, par Mr. Barbeyrac.
c)
§. 11. Mittlere Periode.

Die Staatsereignisse in dem Zeitraum der Völkerwanderungen, verriethen eben so viel Un - kunde des Völkerrechtes, als rechtwidrigen Wil - len. In dem eigentlich so genannten Mittelal - ter, läſst das gegenseitige Benehmen der euro - päischen Völker, auf einen verminderten Grad von Rohheit und Rechtwidrigkeit sehliessen. Sehr wahrscheinlich, hat man dieses grossentheils dem Einfluſs der christlichen Religion auf Den - kungsart der Machthaber und auf öffentliche Mei - nung a) zu danken; zum Theil auch dem da -31II. Cap. CulturGeschichte und Literatur. maligen Ansehen der Päpste, und ihrem hierar - chischen System. Weniger mag, in dieser Hin - sicht, die lang und weit verbreitete Idee von einem allgemeinen Staatenbunde der christlichen Mächte b), gewirkt haben, da sie zunächst auf Unfrieden mit nichtchristlichen Staaten, haupt - sächlich in dem Zeitraum der Kreuzzüge, sich bezog.

a)Tyge Rothe’s Wirkung des Christenthums auf den Zustand der Völker in Europa. Aus dem Dänischen. Copenhagen 1775 1782. Th. I IV. 8. Schmalz europ. Völkerrecht, S. 14 ff.
a)
b)Grotius de J. B. et P. lib. II. c. 15. §. 12. Leibnitz in prae - fat. ad. Cod. jur. gent. diplomat. J. P. Ludewig diss. de jure reges appellandi, c. II. §. 6.; auch in dessen Opusc. miscell. I. 45.
b)
§. 12. Neuere Periode.

Die Unterdrückung der päpstlichen Anmas - sungen über die weltlichen Regenten, haupt - sächlich seit der baseler Kirchenversammlung, kann für die AnfangsEpoche des positiven Völ - kerrechtes der europäischen Staaten gelten. Seit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts, ward der politische Verkehr der europäischen Staaten leb - hafter. Ereignisse, besonders in der Regierungs - zeit Carls V. und Heinrichs IV., und vorherr - schende Klugheit, veranlaſsten Staatsverträge. Die christlich-kirchliche Spaltung, das Handels - Interesse, die stehenden Kriegsheere, der lange,32Einleitung. Vorbereitender Theil. stark besuchte westphälische FriedensCongreſs, die beständigen Gesandschaften, die durch den häufigen Gebrauch der Buchdruckerkunst ver - mehrte Oeffentlichkeit der Staatsverhandlungen, weckten und unterhielten die Aufmerksamkeit der Cabinete auf die europäischen Staatenver - hältnisse. Folgen hievon waren: fast immer - währende Unterhandlungen, häufige und reich - haltige Staatsverträge, allgemeinere Anerken - nung des natürlichen Völkerrechtes, laute, mit Rechtsgründen unterstützte Beschwerden der Ver - letzten und Unterdrückten, öffentliche Verthei - digung dawider von Seite ihrer Gegner, die eben dadurch, daſs sie wenigstens den Schein des Rechtes für sich in Anspruch nahmen, das Daseyn eines Völkerrechtes anerkannten, und die durch Heurathen entstandene Verwandschaft fast aller Regentenhäuser in Europa, die sie fast alle gleichsam zu einer Familie vereinigt. Die französische Revolution, mit ihren Folgen, lieferte reichen Stoff zu Beobachtungen, Beleh - rung, Besorgnissen und Maasnehmungen. Die letzten Resultate dieses ereigniſsvollen Zeitraums, scheinen der Folgezeit vorbehalten zu seyn a).

a)J. G. Büsch Grundriſs einer Geschichte der merkwürdigsten Welthändel neuerer Zeit (4. Ausg. von G. G. Bredow. Hamb. 1810. gr. 8.), S. 42 ff. An enquiry into the Foundation and history of the law of nations in Europa, from the time of the Greeks and Romans to the age of Grotius; by Robert Ward. Lond. 1795. T. I. II. 8. Nic. Vogt’s histor. Darstellung des europ. Völkerbundes. Frankf. Th. I. 1808. 8. Robertson’sGe -33II. Cap. CulturGeschichte und Literatur. Geschichte Kaiser Carls V., Th. I, S. 172. Man s. auch die Einleitung in A. H. L. Heeren’s Handbuch der Geschichte des europäischen StaatenSystems. Ueber den Einfluſs der fran - zösischen Revolution, insbesondere der Eroberungssucht und der Usurpationen Napoleon’s Buonaparte, auf Politik und Völkerrecht, s. man Benjamin Constant de Rebecque, de l’esprit de conquête et de l’usurpation, dans leurs rapports avec la civilisation européenne. (Sine loco) 1814. 8. Teutsch übersetzt unter folg. Titel: Ueber Eroberungsgeist und Usur - pation, im Verhältniſs zur neu-europäischen Bildung; von B. Constant. 1814. 8. De la restauration politique de l’Eu - rope et de la France; par M. de Flassan. Paris 1814. 8. Ans. v. Feuerbach, die Weltherrschaft, das Grab der Mensch - heit. München 1814. 8. C. H. K. A. v. Kamptz Beiträge zum Staats - und Völkerrecht, Bd. I, S. 95 112.
a)
§. 13. II) Wissenschaftliche Bearbeitung des VR. Vor Grotius.

Was vor Grotius für die Völkerrechts Wis - senschaft geschah, war Stückwerk, und auch dieses meist ohne feste Begründung. Aristoteles und Plato beschäftigten sich einigermaſsen mit dem rechtlichen Verhältniſs der Staaten. Die griechischen Geschichtschreiber, die römischen Philosophen, Rechtsgelehrten, Gesetzgeber, lie - fern wenige, zerstreute Bemerkungen darüber a). Sehr ungünstig für wissenschaftliche Ausbildung des Völkerrechtes, waren in dem Mittelalter, das Ansehen der unpassenden Aussprüche der Kirchenväter b), die überwiegende politische Wichtigkeit der Päpste, die abentheuerliche Grille von einem Dominio mundi und Imperio christia -Klübers Europ. Völkerr. I. 334Einleitung. Vorbereitender Theil. nitatis der römischen Kaiser, die Alleinherrschaft der scholastischen Philosophie c), der Mangel allgemeiner wissenschaftlicher Cultur und der Buchdruckerkunst, das Faustrecht. Einige Licht - funken für die Wissenschaft des Völkerrechtes, besonders für deren Befreiung aus dem Joch der Päpste, sprangen aus Reibungen zwischen der päpstlichen und weltlichen Macht; mehr noch, späterhin, aus Luther’s und Zwingli’s Reformation d). Doch nahm man, in streitigen Fällen, noch oft Zuflucht zu Grundsätzen des römischen und canonisch-päpstlichen Rechtes, zu Gutachten der Legisten und Decretisten, und selbst der Gottesgelehrten. Zwar erschienen et - liche gedruckte Schriften für das Völkerrecht, aber die Verfasser giengen von unrichtigen Be - griffen und Vordersätzen aus; wie Oldendorp (1539), Vasquez oder Vasquius (1572), und Winckler (1615), theils entwickelten, und ver - folgten sie ihre richtigen Ansichten nicht genug, wie Albericus Gentilis (1598) und Suarez (1613) e).

a)v. Ompteda’s Lit. I. 139 161. v. Kamptz neue Lit. 26. 56. Günther a. a. O. I. 2 f. H. G. Scheidemantel’s allgem. Staats - recht (Jena 1775. 8. ), S. 13 ff.
a)
b)Jean Barbeyrac traité de la morale des pères de l’église. à Amsterd. 1728. 4. J. J. Schmauss neues Systema des Rechts der Natur (Gött. 1754. 8. ), S. 73 97.
b)
c)Schmauss a. a. O. S. 97 ff.
c)
d)Mart. Hübneri orat. de immortalibus Mart. Lutheri in impe -35II. Cap. Cultur Geschichte und Literatur. ria meritis. Hafn. 1761. 4. J. W. Placidus (Petersen) Lite - ratur der Staatslehre, I. Abth., S. 160 ff.
d)
e)v. Ompteda a. a. O. I. 163 170.
e)
§. 14. Von Grotius bis Wolff.

Die eigentliche Schöpfung dieser Wissen - schaft war dem scharfsinnigen, weltkundigen, gelehrten Hugo Grotius (de Groot) vorbehalten. In seinem Werk de jure belli et pacis (1625), handelte er nicht nur das natürliche Völker - recht in seinem Zusammenhang gründlich ab, sondern er sammelte auch für das positive Völ - kerrecht, zu Erläuterung seiner Lehrsätze, viele Beispiele aus der ältern Zeit a). Weit verbrei - tete sich der Ruhm dieses Werkes; auch durch Uebersetzungen, Auszüge, compendiarische Dar - stellungen, Tabellen, und Commentare b). Das erste Lehrbuch des Völkerrechtes, nach seinem ganzen Umfang, lieferte (1650) Zouchaeus (Zou - chy), in gedrängter Kürze c); um dieselbe Zeit, wo sein Landsmann Hobbes eine besondere Be - arbeitung des Völkerrechtes für überflüssig er - klärte. Obgleich mittelbar, doch bedeutend, nützte dem Völkerrecht Samuel Freiherr von Pu - fendorf, durch seine treffliche, dreifache Bear - beitung des Naturrechtes der einzelnen Menschen (1660, 1672, 1673). Während er die Identität des letzten mit dem natürlichen Völkerrecht be - hauptete, bestritt er wenigstens das formale Da -36Einleitung. Vorbereitender Theil. seyn eines positiven Völkerrechtes. Die Gewohn - heiten der europäischen Völker, in Absicht auf Kriegsmanier und Unverletzbarkeit der Gesand - ten, erklärte er für willkührlich, und die in Völkerverträgen enthaltenen Stipulationen zwar für verbindlich, aber doch grossentheils für tem - porär oder vorübergehend; Recht oder Gesetz könnten diese Stipulationen nicht genannt wer - den, da sie vielmehr der Geschichte angehör - ten d). Dessen ungeachtet widmete er eigene Abschnitte dem Rechte des Kriegs, der Kriegs - verträge, der Friedensschlüsse, der Bündnisse. Seine Eigenheiten entgiengen nicht dem Wider - spruch anderer Gelehrten e), fanden aber auch Vertheidiger und Anhänger f). Eine Reihe von Lehr - und Handbüchern g), welche seitdem in dieser Periode erschienen, beweisen die immer steigende Theilnahme an dem Studium der Völ - kerrechtsWissenschaft. Für das positive Völker - recht, erschienen vorerst Sammlungen von Staats - verträgen und andern schriftlichen Staatsverhand - lungen h), nebst historischer Darstellung der Staatsverträge i).

a)J. M. Schröckh’s Abbildung und Lebensbeschreibungen be - rühmter Gelehrten, Bd. II, S. 257 376. v. Ompteda a. a. O. I. 172. 175 248. v. Kamptz a. a. O. S. 45 f. Damalige Staatsverträge wurden zu jener Zeit selten durch den Druck bekannt.
a)
b)Meister’s biblioth. jur. nat. I. 199 sqq. G. C. Gebaueri nova juris nat. historia, p. 23 sqq. Glafey’s Geschichte des Rechts der Vernunft, S. 111. C. H. L. Pölitz comm. cit. unten in dem Anhang, §. 1.
b)37II. Cap. CulturGeschichte und Literatur.
c)v. Ompteda I. 252 265. Von Hobbes, s. ebend. 249.
c)
d)Ebendas. I. 270 283. J. G. Mzusel’s hist. liter. bibliogr. Magazin (1788), I. 27 ff. II. 22 ff. III. 306.
d)
e)Dahin gehören: Rachel, Dürr, Uffelmann, Nic. Becmann, Menzer, Alberti, Pompeji, Zentgrav, Werlhof, Ludewig, Leirnitz, Strimesius, u. a. v. Ompteda I. 276 289. Meu - sel II. 42 ff. 47 f. Der angef. Rachel gründete, 1676, das positive Völkerrecht bestimmt auf ausdrückliche und still - schweigende Verträge. Er unterschied zugleich die Vertrag - rechte einzelner Völker, von einem gemeinschaftlichen positi - ven Völkerrecht, das aus Rechtsgewohnheiten hervorgehe.
e)
f)Z. B. Christian. Thomasius. v. Ompteda I. 293 f.
f)
g)Von Joh. Wolfg. Textor 1680, Christi. Thomasius 1688 und 1705, Joh. Jac. Müller 1694, Joh. Heinr. Mollenbeck 1695, Joh. Friedr. Hombergk zu Vach 1721, Ad. Friedr. Glafey 1723, Joh. Friedr. Schneider 1729, Heinr. Köhler 1735, Joh. Sigism. Stapf 1735, Lorenz Reinhard 1736, Joh. Ad. Ick - stadt 1740.
g)
h)Von J. C. Lünig, 1694 u. 1702; Leibnitz, 1695 u. 1700; Jac. Bernard oder Mötjens, 1700; Du Mont, 1726 1731, mit den Supplementen von Barbeyrac und Rousset, 1739; Joh. Jac. Schmauss 1730, u. a. Register über diese und andere Sammlungen, von Pet. Georgisch, 1740 1744.
h)
i)Von St. Priest 1735, und von Barbeyrac 1739.
i)
§. 15. Von Wolff bis jetzt.

Die Bahn war gebrochen, zu vollständiger und systematischer Bearbeitung des gesammten Völkerrechtes. Dem natürlichen Völkerrecht ward diese, lichtvoll, zu Theil von dem ord - nenden Forschungsgeist des berühmten Christian Freiherrn von Wolff a) (1749 u. 1750). Da er auf vermuthete Einwilligung der Völker, und sogar auf die Fiction eines allgemeinen oder38Einleitung. Vorbereitender Theil. gröſsten Welt - oder Völkerstaates, Zwangrechte freier Völker gründen wollte, so wird das Be - dauern gemindert, daſs er nicht auch dem posi - tiven Völkerrecht seine schriftstellerische Thä - tigkeit gewidmet hat. Desto fleissiger sorgte für dieses, abgesondert von dem natürlichen, der emsige und geradsinnige Joh. Jacob Moser, in mehreren Schriften, während seiner langen literärischen Laufbahn (1732 1781). Mehr einfach und deutlich als systematisch, mehr hi - storisch als philosophisch, aber ohne Rückhalt, trachtete er auch diesem Theil des öffentlichen Rechtes nützlich zu werden b). Neben und nach ihm, ward von Andern, besonders von dem scharfsinnigen Kant c), überzeugend be - wiesen, wie sehr positives Völkerrecht, bei der Unzulänglichkeit des natürlichen, dem Interesse der Staaten gemäſs sey.

a)v. Ompteda a. a. O. I. 320 ff. Schmauss a. a. O. S. 336 354.
a)
b)Lebensgeschichte Joh. Jac. Moser’s, von ihm selbst beschrie - ben. Frankf. u. Leipz. Th. I III. Dritte, stark verm. Aufl. 1777. Th. IV. 1783. 8. Cph. Weidlich’s Nachrichten von jetzt lebenden Rechtsgel. Th. VI, S. 1 119. v. Ompteda a. a. O. I. 352. J. G. Meusel’s Lexicon von 1750 bis 1800 ver - storbener Schriftsteller, Bd. IX, S. 293 ff.
b)
c)Imman. Kant’s metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre (Königsb. 1797. 8. ), §. 53 ff.
c)
§. 16. Fortsetzung.

Nach Moser, erwarb sich, seit 1785, aus - gezeichnete Verdienste um das positive euro -39Cap. II. Cultur Geschichte und Literatur. päische Völkerrecht, Georg Friedrich von Mar - tens, durch Lehrbücher und andere Schriften, durch Sammlungen von Staatsverträgen und Staatsgrundgesetzen, und durch Lehrvorträge a). Sehr bereichert ward das Völkerrecht in diesem Zeitraum, durch Lehrbücher b) und ausführli - chere Werke c), durch Sammlungen von Staats - verträgen d), welche in mehreren Staaten, auch einzeln, bald nach ihrer Abschliessung in offi - ciellen Abdrücken erscheinen, durch Sammlun - gen von Staatsschriften, durch gesandschaftliche Memoires, und durch einzelne Abhandlungen, besonders über See - und Handelsrecht, über das Recht der Neutralen, über Gesandschaft - recht. Auch ward gesorgt für Casuistik e), und für den historischen Theil des positiven Völker - rechtes der europäischen Staaten, durch eigene Werke, worin die neuern Welthändel erzählt und erläutert sind f), und durch politische Zeit - schriften. Es erschienen eigene Repertorien über die Staatsverträge g). Das gesammte Völker - recht erhielt (1785) eine eigene, sehr schätz - bare Literatur von Died. Heinr. Ludw. Frei - herrn von Ompteda, wozu im Jahr 1817, C. A. von Kamptz eine reichhaltige Ergänzung und Fortsetzung lieferte.

a)J. St. Pütter’s Geschichte der Universität Göttingen, Th. II, §. 109. Cph. Weidlich’s biographische Nachrichten, Th. III und IV.
a)
b)Auſser denen Lehrbüchern, worin das Naturrecht und das40Einleitung. Vorbereitender Theil. allgemeine Völkerrecht zusammen abgehandelt werden (v. Ompteda II. 383 ff. ), gehören hieher, die Lehrbücher von H. F. Kahrel 1750; J. J. Burlamaqui 1751 u. 1784; J. F. L. Schrodt 1768 u. 1780; de la Maillardiere 1775; G. Achen - wall 1775; Lauriz Nörregaard 1776; C. G. Günther 1777; P. J. Neyron 1783; G. F. v. Martens 1785, 1789, 1796, 1801, 1820; P. T. Köhler 1790; C. U. D. v. Eggers 1796; F. Saalfeld 1809; von einem Ungenannten (De jure gentium et cosmopo - litico) 1811; Th. Schmalz 1817; Jul. Schmelzing 1818 u. f.
b)
c)Von A. F. Glafey 1752; G. de Real 1754; E. de Vattel 1758 (gröſstentheils französische Umarbeitung des Wolffischen Wer - kes, in leichterem und angenehmerem Vortrag); J. J. Burla - maqui und de Felice 1766 1768; C. G. Günther 1787 u. 1792, unvollendet; G. de Rayneval 1803; J. B. Gondon d’Assoni 1808; C. U. D. v. Eggers 1809 u. 1810.
c)
d)Allgemeine, von F. A. W. Wenck 1781, 1788 u. 1796, und G. F. v. Martens 1791 1820. Von besondern Sammlungen für einzelne Staaten, unten, in dem Anhang zu diesem Buche.
d)
e)G. F. v. Martens, 1800 u. 1802.
e)
f)Von J. J. Schmauss, 1741 u. 1747; Mably 1747 (1748, 1761, 1764, 1773, 1776, 1792, 1794); C. F. Hempel 1751 1755; J. C. Adelung 1762 1769; G. Achenwall 1756 (1761, 1767, 1779); J. G. Meusel 1775 (1782, 1788, 1800, 1817); L. T. Spittler 1793 (1807); J. G. Büsch 1781 (1783, 1796, fort - gesetzt von G. G. Bredow 1810); C. W. Koch 1796 u. 1797, vermehrt und fortgesetzt von F. Schöll 1817 u. 1818; M. C. Sprengel 1797; J. G. Eichhorn 1803 u. 1804, (1817); C. D. Voss 1801 ff. ; F. Ancillon 1803 1805; G. F. v. Martens 1807; A. C. Wedekind 1808; A. H. L. Heeren 1809 u. 1811; Flassan 1809 (1811); L. v. Dresch 1815; F. Saalfeld 1816; Paolo-Chagni 1817.
f)
g)Von C. F. Hempel 1751 1755, und von G. F. v. Martens 1801.
g)
§. 17. Jetziger Standpunct.

Auf ihren jetzigen Standpunct ward die VölkerrechtsWissenschaft erhoben, durch die Sit -41II. Cap CulturGeschichte und Literatur. tenverfeinerung und den zunehmenden Verkehr der europäischen Staaten, durch den Einfluſs der neuern Kriegskunst auf das gegenseitige Ver - hältniſs derselben, durch vermehrte Thätigkeit der Machthaber, durch Vervielfältigung der po - litischen Unterhandlungen, insbesondere mittelst beständiger Gesandschaften, durch Cultur der Wissenschaften überhaupt, insonderheit des na - türlichen Völkerrechtes, der Staatengeschichte, und der übrigen verwandten und Hülfwissen - schaften, durch literärische Fruchtbarkeit rechts - und geschichtkundiger Männer, politischer Ge - schäftmänner, Beobachter und Sammler a), durch Begünstigung der Preſsfreiheit in mehreren Staa - ten, durch allgemeinere Theilnahme an Staats - vorfällen, durch akademischen Lehrvortrag. Wie die Kraft der Ereignisse Seyn und Nicht - seyn der Staaten unwiderstehlich bestimmt, also wirkt mächtig der Geist der Zeit, die öffentli - che Meinung, auf Ausbildung und Anwendung völkerrechtlicher Grundsätze.

a)Vergl. C. A. v. Kamptz neue Literatur des Völkerrechts, §. 1 16.
a)

B) Literatur.

§. 18. Bibliographie und Biographie.

Zahlreich, gehaltvoll, unentbehrlich, sind schon jetzt die literärischen Hülfsmittel zu dem42Einleitung. Vorbereitender Theil. Völkerrecht. Mehr noch werden sie es werden, mit neuen Staatsvorfällen und vertragmäsigen Bestimmungen, mit fortschreitender wissenschaft - licher Cultur und literärischer Thätigkeit. Wich - tig ist und bleibt demnach, die Bibliographie oder Bücherkunde dieses Theils der Rechtswis - senschaft a). Ganz vorzüglich dient, zu Beur - theilung völkerrechtlicher Schriften, die Biogra - phie oder Schriftstellerkunde b). Sie entwickelt die innern und äussern Umstände, welche auf Grundsätze und Aeusserungen der Schriftsteller können eingewirkt haben, ihre Talente, Cha - rakter, Religion, Erziehung, wissenschaftliche Bildung, Vaterland, Wohnort, Dienstverhältniſs, den Schauplatz ihrer practischen Thätigkeit.

a)Die Schriften sind unten genannt, in dem Anhang, §. 2.
a)
b)Die biographischen Werke sind angegeben, in dem Anhang, §. 3.
b)
§. 19. Bibliothek für das Völkerrecht.

Der Büchervorrath für das Völkerrecht läſst sich auf folgende Art ordnen a). I) Ge - schichte des Völkerrechtes; literärische und bio - graphische Hülfsmittel; verwandte und Hülfwis - senschaften. II) Quellen, Staatsverträge und StaatsActen. III) Lehrbücher, und Handbücher oder ausführlichere systematische Werke, über das Völkerrecht, auch das teutsche. IV) Werke43Cap. II. CulturGeschichte und Literatur. über einzelne Haupttheile des Völkerrechtes. V) Sammlungen von Aufsätzen über verschiedene Materien. VI) Monographien (Dissertationen und Tractate). VII) Deductionen, Gutachten, und Rechtsfälle. VIII) Lexicographische Werke. IX) Schriften für Geschichte und Erläuterung der Staatsverträge. X) Gesandschaftliche und andere historische Memorires. XI) Werke für die Geschichte der neueren Welthändel, und politische Zeitschriften.

a)Nach dieser Ordnung, sind die wichtigsten Schriften verzeich - net, unten in dem Anhang, welcher eine Bibliothek für das Völkerrecht enthält.
a)
[44]

ERSTER THEIL. DIE STAATEN, überhaupt, und die europäischen insbesondere.

ERSTES CAPITEL. BEGRIFF, SOUVERAINETÄTSVERHÄLTNISSE, UND VER - EINIGUNG DER STAATEN.

§. 20. Begriff und Entstehung der Staaten.

Bilden einzelne Menschen und Familien, auf einem bestimmten Landesbezirk, eine bür - gerliche Gesellschaft, unter gemeinschaftlicher Obergewalt, zu allseitiger Sicherheit, so heiſst ihre Verbindung Staat a). In dieser Vereini - gung, werden sie als moralische Person betrach - tet, und Volk (Nation) genannt b); dieses auch, nebst ihrem Oberhaupt, im Verhältniſs zu an - dern Staaten (§. 1). Die Staatsgesellschaft, eine Schutzanstalt, entsteht, rechtlich betrachtet, nur durch Verträge, ausdrückliche oder stillschwei - gende c), wozu die moralische Nothwendigkeit eines Sicherheitsbundes antreibt.

45I. Th. Die Staaten, überh. etc. I. Cap. Begriff, etc.
a)Klüber’s öffentliches Recht des teutschen Bundes, §. 1 4.
a)
b)Ebendaselbst, §. 192 u. 194.
b)
c)Anti-Leviathan (Gött. 1807. 8. ), S. 49 ff. Andere denken sich den Staat als NaturProduct, und erklären dessen Entste - hung durch NaturNothwendigkeit. Rousseau du contract so - cial, liv. I, ch. 5 et 6; liv. III, ch. 16. Principe fondamental du droit des souverains (à Genève 1788. gr. 8.), T. 1, p. 13 et suiv., vergl. jedoch mit T. II, p. 85, wo ein QuasiContract angenommen wird. Hugo’s Naturrecht, §. 318 ff. Fries phi - losophische Rechtslehre, S. 76 ff. Man s. jedoch Klüber a. a. O., §. 2.
c)

§. 21. Souverainetät.

Staatshoheit oder Souverainetät a) in dem weitern Sinn, ist der Inbegriff aller Rechte, welche einem unabhängigen Staat in Hinsicht auf den Staatszweck zustehen. Hierunter sind begriffen: 1) die politische Unabhängigkeit (Sou - verainetät im engern Sinn), das Recht politischer Persönlichkeit oder Selbstständigkeit, im Ver - hältniſs zu jedem andern Subject; 2) die Staats - gewalt (im engern Sinn), die Gewalt zu dem Zweck des Staates. In dem engern oder völ - kerrechtlichen Sinn, versteht man unter Souve - rainetät bloſs die Unabhängigkeit eines Staates von dem Willen anderer Staaten. In diesem Sinn, heiſst souverainer Staat derjenige, welcher, wie auch seine innere Verfassung seyn mag, für sich selbst und ohne fremden Einfluſs die Staats - hoheitsrechte auszuüben berechtigt ist b). Selbst - ständigkeit solcher Art fordert das Völkerrecht46I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. von einem Staat, der, als moralische unabhän - gige Person, im Verhältniſs zu andern Staaten auf die Rechte politischer Persönlichkeit oder Unabhängigkeit Anspruch macht c). Unmit - telbar bezieht sich die Souverainetät auf den Staat, mittelbar auf das regierende Subject, welchem von dem Staat die Ausübung derselben übertragen ist. Wer zur Vertretung und Ver - waltung eines unabhängigen Staates berufen ist, heiſst Souverain. Ihm gebührt die Majestät, die erhabenste Würde, die Vertretung des Staa - tes, in dessen Verhältniſs nach Aussen, die Staatsregierung, die Ausübung der Staatsgewalt im Innern für den Zweck des Staates. So fern entweder in der Vertretung oder in der Regie - rung des Staates, oder in beiden, dem Staats - oberhaupt positive Schranken gesetzt sind, heiſst dieses ein verfassungsmäsiger (constitutioneller) Souverain.

a)Summitas imperii, summa potestas, summum imperium, su - prematus, potentatus. In dem welauer Tractat 1657, Art. 5, wird die Souverainetät so ausgedrückt: Ducatum Prussiae Elector possidebit jure supremi dominii, cum summa atque absoluta potestate . Schmauss corp. jur. gent. acad. I. 654. Souverainer Fürst, princeps summa vel suprema potestate, ist derjenige, welchem die Ausübung der Souverainetät zusteht. Oestreich wollte in dem westphälischen FriedensInstrument genannt seyn: Princeps per se absolutus et liber . Von dem Streit hierüber, s. de Meiern Acta Pacis Westph., V. 507 540. Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Souverainetät, s. Klübers öffentl. Recht des teutschen Bundes, §. 176, Note b.
a)
b) Un Souverain n’est tenu de rendre compte de sa conduite47I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. qu à Dieu et à son épée . Von dem Sinn dieser Redensart, s. de Real science du gouvernement, T. IV, ch. 2, Sect. 2, §. 11. Oestreichs Erklärung auf dem westphälischen Friedens Congreſs 1648, bei v. Meiern l. c. V. 513 sq.
b)
c)Grotius de J. B. et P. lib. I. c. 3. §. 6 sq. Pufendorf de J. N. et G. lib. VII. c. 6. Schriften von der Unabhängigkeit der Völker, s. bei v. Ompteda II. 484 f. Abhandlung von der Souverainetät überhaupt, und der rheinischen Bundes - fürsten insbesondere, in Winkopp’s rheinischem Bund, XXXI. 1. XLIX. 75. 79. L. III. 184. 289. Abh. von der Souverainetät des Staates und der Souverainetät des Fürsten, ebendas. III. 383. Fr. Ancillon über Souverainetät und Staatsverfassungen. Berlin 1815. 8. Institutions politiques, par le baron de Biel - feld, T. I. (à la Haye 1740. 4. ), p. 29.
c)

§. 22. Ihre Unabhängigkeit von manchen innern und äussern Verhältnissen.

Da die völkerrechtliche Souverainetät eines Staates, einzig bestimmt wird durch dessen Un - abhängigkeit von dem Willen eines jeden Aus - wärtigen in Ausübung seiner Hoheitsrechte; so ist die Berechtigung dazu nicht abhängig von dem Alter des Staates, von der Art seiner Grund - verfassung oder Staatsform, von seiner Verwal - tungsart, von dem Maas seiner politischen Macht a), von der Art der Thronfolge, von dem Titel des Staates oder seines Regenten, von dem FamilienVerhältniſs des Staatsoberhauptes, von dem Umfang des Staatsgebietes, von der Grösse seiner Bevölkerung, von dem Stand der inländischen Cultur in jeder Beziehung, von Religion, Gewerbe und Verkehr der Bewohner. Aus demselben Grund wird die Souverainetät48I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. nicht aufgehoben, durch Verhältnisse, worin der Staat etwa zu andern Staaten steht in Hinsicht auf Kirchengewalt, Vermittlung b), Gewährleistung c) (Garantie), Bündnisse (Allianzen und Staatenbund), Schutzverhältniſs d), Lehnpflicht e), Zinspflicht, Subsidien, und selbst in Hinsicht auf Stiftung f) oder ConstitutionsVerleihung g). Auch Dienst - h) und untergeordnete Besitzverhältnisse, worin etwa der Regent eines souverainen Staates für seine Person, oder dessen Familie, zu einem andern souverainen Staat sich befindet, sind ohne Nachtheil für die Unabhängigkeit desjeni - gen Staates, welchem er vorsteht.

a)Darauf gründete Leibnitz die Hypothese von einem Unter - schied zwischen Supremat und Potentat, der aber bloſs factisch ist. Man s. dessen Abh. Caesarinus Fürstenerius de jure su - prematus ac legationis principum imperii (1677. 8. ), c. 10 12. p. 40 57.
a)
b)Beispiel der französischen MediationsActe für die Constitutio - nen der 19 schweizer Cantone, und ihren Staatenbund, v. 19. Febr. 1803, in dem Code politique (à Paris 1809. gr. 8.), p. 417 515.
b)
c)Vergl. den folg. §.
c)
d)Erklärungen K. Napoleon’s, als Protectors des rheinischen Bundes, in der BundesActe, Art. 1, 2, 3, 4, 7, 17 26; in einer Erklärung an die teutsche Reichsversammlung v. 1. Aug. 1806; und in einem Schreiben an den Fürsten Primas v. 11. Sept. 1806. Klüber’s Staatsr. des Rheinbundes, §. 79. Dan - zig ward, seiner Unabhängigkeit unbeschadet, unter königlich - preuſsische und sächsische Protection gestellt, in den tilsiter Friedensschlüssen 1807, Art. 6. u. Art. 19. Die Stadt Cra - cau, nebst ihrem Gebiet, ward für eine freie, unabhängige und völlig neutrale Stadt, unter Ruſslands, Oestreichs und Preussens Schutz, erklärt, in der SchluſsActe des wiener Con -gres -49I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. gresses, Art. 6. Klüber’s Acten des wiener Congresses, Bd. VI, S. 22, u. Bd. V, S. 158. Das Schutzverhältniſs eines sou - verainen Staates zu einem andern, verpflichtet ihn bloſs, sich so zu benehmen, daſs der Schutzherr, in einem vorkommenden Fall, sich nicht als entledigt von der Schirmpflicht betrachten könne.
d)
e)H. G. Scheidemantel diss. de nexu feudali inter gentes. Jen. 1767. 4. J. A. H. Thalwitzer diss. de obligatione utriusque Siciliae Regis tributum annuum ex nexu clientelari Pontifici Romano ulterius praestandi. Vitemb. 1790. 4.
e)
f)K. Napoleon’s Fundation des Königreichs Westphalen, in Ge - mäſsheit der tilsiter Friedensschlüsse, durch die Constitution v. 15. Nov. 1807, in dem angef. Code politique, p. 589, und in dem Rhein. Bund, XII. 472. Von dem Herzogthum War - schau und der Stadt Danzig, s. die tilsiter Friedensschlüsse, Art. 5 u. 6, u. Art. 15 u. 19.
f)
g)Von solchen Verhältnissen überhaupt, sehe man de Real a. a. O. T. IV, ch. 2, sect. 3, §. 17.
g)
h)Rheinische BundesActe v. 12. Jul. 1806, Art. 7. Vergl. Win - kopp’s rhein. Bund, IV. 147. IX. 445. VI. 408.
h)

§. 23. Erwerb, Anerkennung, Garantie, Ende der Souverainetät.

Erworben wird die Souverainetät von einem Staat, entweder ursprünglich, bei der ersten Gründung des Staates, oder nachher, durch rechtmäsige Aufhebung der bisherigen Unterwür - figkeit a). Zu ihrer rechtlichen Gültigkeit bedarf es, bei untadelhaftem Besitz, weder einer Aner - kennung noch einer Garantie von Seite anderer Mächte. Doch kann der Klugheit gemäſs seyn, sich Anerkennung b), ausdrückliche c) oder still - schweigende d), und Garantie e) zu verschaffen. Dagegen ist Anerkennung, nicht bloſs des einst - weiligen Besitzstandes, sondern der Unabhängig -Klüber’s Europ. Völkerr. I. 450I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. keit eines in widerrechtlicher Empörung begriffe - nen Volkes, oder eines Usurpators, Beleidigung des rechtmäsigen Souverains, so lang dieser seine Oberherrschaft über jenes nicht aufgegeben hat, oder dieselbe rechtlich als aufgegeben muſs be - trachtet werden f). Die Souverainetät erreicht ihr Ende, durch Untergang des Staatsgebietes, durch Auflösung der Staatsverbindung, durch Einverleibung oder unterwürfige Vereinigung des Staates, oder eines Theils desselben, mit einem andern Staat g).

a)Moser’s Versuch des neuesten europ. Völkerrechts, Th. VI, S. 126 ff. Günther’s Völkerrecht, I. 76 f.
a)
b)L. G. Magen diss. de eo quod circa imperantem agnoscen - dum est juris gentium, etc. Giess. 1748. 4. J. C. W. v. Steck von Erkennung der Unabhängigkeit einer Nation und eines Staats; in dessen Versuchen über verschiedene Materien politischer und rechtl. Kenntnisse (Berl. 1783. 8. ), S. 49 ff.
b)
c)Beispiele, in dem münsterischen Fr. zwischen Spanien und den verein. Niederl. v. 1648, Art. 1, Friede zu Kaingard vom 10 / 21 Jul. 1774, Art. 3. Pariser Friede von 1783, Art. 1. Aner - kennung des Königreichs Westphalen, von Ruſsland, in dem tilsiter Fr. 1807, Art. 18 20, und von Preuſsen in dem til - siter Fr. 1807, Art. 6 9. Preuſsens Anerkennung des rhei - nischen Bundes, ebendas. Art. 4. Russische und preuſsische Anerkennung der neuen Könige von Neapel und Holland, ebendas. Art. 14 u. Art. 3. Oestreichische Anerkennung der Königswürde und Souverainetät von Baiern und Wirtemberg, und Napoleon’s Königswürde von Italien, in dem presburger Fr. 1805, Art. 5, 7, 14. Oestreich und Frankreich erkannten die Unabhängigkeit der helvetischen und der batavischen Re - publik, ebendas. Art. 18. In dem wiener Fr. 1809, Art. 15, erkannte Oestreich alle Veränderungen, die in Spanien, in Portugal, und in Italien statt gehabt haben, oder statt haben könnten. Beispiele von den Königreichen Hannover und der Niederlande, von der Schweiz, von dem Königreich beider Sici -51I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. lien, in dem Acte final du congrès de Vienne, art. 26, 65, 7〈…〉〈…〉 et 104. Von San Marino, s. §. 29 f.
c)
d)Münster Fr. 1648, Art. 53. Beispiele in dem Acte final du congrès de Vienne, z. B. art. 1, 6, 17, 53, 65 ff., 98, 99, 101 u. 103.
d)
e)AllianzTractat zwischen Frankreich und der Schweitz v. 1777, Art. 4. Tractat zwischen Frankreich und den vereinigten Staa - ten von Nordamerika von 1778, Art. 11. Russische Garantie der Intregität der rheinischen Bundesstaaten, in dem tilsiter französisch-russischen Frieden v. 1807, Art. 25. Wechselsei - tige StaatenGarantie in den Tractaten Frankreichs mit Baiern, Wirtemberg und Baden, vom J. 1805. Klüber’s Staatsr. des Rheinbundes, §. 135. Frankreich garantirt, in dem presbur - ger Fr. 1805, Art. 17, und in dem wiener Fr. 1809, Art. 14, die Integrität der Besitzungen des Hauses Oestreich. Verschie - dene andere Beispiele, in Klüber’s Acten des wiener Congres - ses, Bd. I, Heft I, S. 96; Heft 2, S. 90, 93 u. 95; Bd. VI, S. 545 f.; Bd. IV, S. 429 u. 456; Bd. II, S. 281.
e)
f)Beispiele von den vereinigten Niederlanden, von Portugal, von den vereinigten Staaten von Nordamerika. Günther’s Völkerrecht, I. 78 86. Vergl. auch de Steck observatt. subseciv. cap. 14. u. Schmalz europ. Völkerrecht, S. 36 f.
f)
g)de Vattel droit des gens, L. I, ch. 16, §. 194. Man vergl. unten §. 27.
g)

§. 24. Abhängige oder halbsouveraine Staaten.

Ist ein Staat in der Ausübung eines oder mehrerer wesentlicher Hoheitsrechte abhängig von der Obergewalt eines andern Staates, in Anse - hung der übrigen wesentlichen Hoheitsrechte aber unabhängig, so wird er, in Hinsicht auf jene Art von Unterordnung, in dem Völkerrecht bezeichnet mit dem Namen abhängiger oder halbsouverainer Staat, état mi-souverain a). 52I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. Das Maas und die Art der Abhängigkeit eines sol - chen Staates, ist zu beurtheilen nach den vertragmä - sigen Bestimmungen des concreten Falles. Meist bezieht sich die Abhängigkeit auf die äussern Ho - heitsrechte, deren Ausübung dem andern Staat ganz oder zum Theil gebührt.

a)Nach Hertius, QuasiRegnum, nach Neyron, État du second ordre; und dessen Regent, nach de Real, Prince-sujet.
a)

§. 25. Ihr völkerrechtliches Verhältniſs. Streitige Souverainetät.

Wie weit einem halbsouverainen Staat die Ausübung völkerrechtlicher Befugnisse, nament - lich des Gesandschaftrechtes, zustehe, im Ver - hältniſs nicht nur zu demjenigen Staat, dessen Obergewalt er in gewisser Art anzuerkennen hat, sondern auch zu andern Staaten, hängt ab theils von dem Maas und der Art seiner Unabhängig - keit, theils von besonderer Uebereinkunft. In dem europäischen Völkerrecht kommen abhän - gige Staaten unmittelbar nur so weit in Betracht, als ihnen im Verhältniſs zu andern Staaten das Recht politischer Persönlichkeit, und vermöge derselben das Recht zusteht zu unmittelbaren Verhandlungen mit souverainen oder halbsouve - rainen Staaten a). Ist die Souverainetät eines Staates streitig b), so entscheidet, bis zu ausge - machter Sache, bei denen Staaten, welche an dem Streit nicht Theil nehmen, meist der Be - sitzstand.

53I. Cap. Begriff, SouverainetäsVerhältnisse, u. s. w.
a)Aeltere Beispiele bei Günther a. a. O. I. 120 ff. Die Repu - blik Polen war durch den Allianz-Tractat mit Ruſsland von 1793, Art. 6 8 u. 11, ein halbsouverainer Staat geworden. de Martens recueil, V. 222. So auch die Carthaginenser, als sie nach dem zweiten punischen Krieg den Römern ver - sprachen, ohne ihre Einwilligung keinen Krieg zu führen. Neuere Beispiele s. unten §. 33.
a)
b)Von so genannten streitigen souverainen Staaten, s. Günther a. a. O. Th. I, S. 110 ff. Ueber Prätensionen der ver - schiedenen Staaten von Europa, s. man Cph. Herm. Schwe - ders theatrum praetensionum et controversiarum illustrium. Leipz. 1712. Zweite Ausg. vermehrt von A. F. Glafey. Leipz. 1727. fol. Les intérêts présens et les prétentions des puissan - ces de l’Europe, fondés sur les traités depuis la paix d’Utrecht inclusivement, et sur les preuves de leurs droits particuliers; par Jean Rousset. à la Haye 1740. T. I III. 4. Klüber’s öffentl. Recht des teutschen Bundes, §. 82 f.
b)

§. 26. Privilegirte Provinzen und Städte.

Bloſs privilegirten Provinzen und Städten eines Staates, welchen, unter der Hoheit des letz - ten a), nur die Ausübung bestimmter Vorrechte und Regierungsrechte zukommt, fehlt politische Persönlichkeit oder Selbstständigkeit, im Ver - hältniſs zu souverainen Staaten; selbst dann, wenn der Inbegriff ihrer privilegirten Rechte den Namen einer untergeordneten Landeshoheit (jus territorii subordinati s. subalterni, superio - ritas territorialis subalterna s. pactitia) verdiente, oder führte b). Sie sind daher nicht befugt zu unmittelbarem Gebrauch des Völkerrechtes c).

a)Vergl. Klüber’s öffentliches Recht des teutschen Bundes, §. 101.
a)54I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb.
b)Nettelbladt’s Erörterungen einiger Lehren des t. Staatsr., S. 371 ff. Ebendess. Sammlung kleiner jurist. Abhandl. (1792. 8. ), S. 139. Moser von der Landeshoheit überhaupt, Cap. XI. Pütter’s hist. Entwickel. der Staatsverfass. des t. Reichs, III. 290. de Ludolf T. I. obs. 33. Strube’s rechtl. Bedenken, II. 195 ff. Klüber a. a. O. §. 102 ff. 188 ff. Schriften in Pütter’s Lit. des t. Staatsr. III. §. 1623. u. in Klüber’s neuer Lit. des t. Staatsr., S. 693.
b)
c)Baiern, Baden und Hessen haben dieses, in Absicht auf die ihnen unterworfenen Standesherren, ausdrücklich erklärt. Klüber’s Staatsrecht des rheinischen Bundes, §. 198. Von der Stadt Podgorze, s. man die SchluſsActe des wiener Con - gresses, Art. 8.
c)

§. 27. Vereinigung mehrerer Staaten: 1) unter Einem Regenten.

Mehrere Staaten können vereinigt seyn a) (unio civitatum), auf zweifache Art: entweder unter gemeinschaftlicher Oberherrschaft, oder durch Gesellschaftrecht zu einem StaatenSystem b). Die nähere Bestimmung und der Rechtsgrund ergeben sich aus dem Vereinigungsvertrag (pac - tum unionis).

Die Vereinigung unter gemeinschaftlicher Oberherrschaft hebt die individuelle Unabhän - gigkeit der vereinigten Staaten nicht auf, wenn sie nur persönlich ist c), d. h. beschränkt auf die Person des gemeinschaftlichen Regenten, es sey temporär oder immerwährend; desgleichen, wenn sie dinglich ist, d. h. die Staaten selbst unter sich, und zwar nach gleichem Recht (coordinirt) ver - einigt sind d). Anders, wenn die Vereinigung55I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. dinglich mit so ungleichem e) Rechte ist, daſs sie entweder den einen Staat der Oberherrschaft des andern unterordnet, oder gar für den einen Staat eine Einverleibung (Incorporation) in sich schlieſst, d. h. den einen Staat, mit Vernichtung jeder Art von politischer Selbstständigkeit, in ei - nen Bestandtheil des andern verwandelt (unio in - aequalis incorporativa). Da indeſs die Vereini - gung nach ungleichem Recht, Grade zuläſst, so ist denkbar, daſs dem einen der ungleich verei - nigten Staaten nicht alle Souverainetät entzogen sey, so daſs er z. B. noch zu der Classe der so genannten halbsouverainen Staaten (§. 24) gerech - net werden könne.

Die dingliche Vereinigung, begründet die Eintheilung der Staaten, in einfache und zusam - mengesetzte. Sie unterscheidet sich wesentlich von der Zusammenschmelzung oder Verwandlung mehrerer Staaten in einen f).

a)Schriften von der Vereinigung der Staaten, s. in Pütter’s Literatur des t. Staatsr. III. 134. Klüber’s neue Literatur des t. Staatsr. §. 928. Vergl. auch Pufendorf de J. N. et G. lib. VII. c. 5. §. 16 sq. Martini positiones de jure civitatis, c. XII. §. 407. Schrodt jur. publ. univ. P. III. c. 4. §. 8. Pütteri instit. jur. publ. germ. §. 76. Ebendess. Beiträge, Th. I, Abh. 2. (Pet. Ant. Frhrn. von Franck’s) Beweis, daſs dem erzstiftischen Domkapitel von Trier die landesherrliche Zwi - schenregierung in dem mit dem Erzstift auf ewig vereinigten Fürstenthum Prüm, bei gehindertem oder erledigtem erz - bischöflichen Stuhl, ausschlieſslich zustehe (1781. fol.), §. 5 13. u. §. 20 27, wo diese Materie durch viele Beispiele aus der europäischen Staatengeschichte erläutert ist. Von56I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. dem Königreich Sachsen, s. v. Römer’s kursächs. Staatsr. Th. I, S. 106 176.
a)
b)Folgender Abriſs, nach des Verfassers Ansicht, gewährt eine schnelle Uebersicht der verschiedenen UnionsArten. Unio civitatum, sive perpetua sit sive temporaria, fit jure I) vel societatis (systema civitatum foederatarum), II) vel imperii, h. e. sub eodem imperante. Haec est: 1) vel personalis; 2) vel réalis, jure a) sive aequali, b) sive inaequali, ita ut haec sit α) vel inaequalis proprie sic dicta, β) vel incorporativa.
b)
c)So das Groſsherzogthum Luxemburg mit dem Königreich der Niederlande, nach dem Acte final du congrès de Vienne, du 9 juin 1815, art. 67 et 71. Traité du Roi des Pays-Bas avec l’Autriche, la Russie, la Grande-Bretagne et la Prusse, du 31. mai 1815, art. 3 et 6; in Klüber’s Acten des wiener Con - gresses, Bd. VI, S. 171 u. 173. Klüber’s Uebersicht der diplo - mat. Verhandlungen des wiener Congr., S. 161.
c)
d)Von dieser Art ist die Vereinigung 1) zwischen Ruſsland und Polen, nach dem Acte final du congrès de Vienne, art. 1. und nach den Tractaten Ruſslands mit Oestreich und Preuſsen, vom 3. Mai 1815, in Klüber’s Acten des wiener Congresses, Bd. V, S. 124, u. Bd. VI, S. 100; Politisches Journal v. 1815, S. 483 ff., v. 1816, S. 99 u. 114 ff. ; 2) zwischen Norwegen und Schweden, seit 1814. Polit. Journal v. 1815, S. 62 ff., 138 ff., 226 ff., 419 ff. u. 516 ff. seit 1819 führen die in Norwegen geschlagenen Münzen den Titel: König von Norwe - gen und Schweden, so wie auf den in Schweden geschlagenen Münzen Norwegen vorgesetzt wird; 3) zwischen Neapel und Sicilien, unter dem Namen des Königreichs beider Sicilien, vermöge des ThronfolgeGesetzes Carls III. v. 6. Oct. 1759, der SchluſsActe des wiener Congresses, Art. 104, und der Procla - mationen Ferdinands IV. v. 8. u. 12. Dec. 1816, in v. Mar - tens recueil, Supplém. VIII. 275; 4) zwischen Portugal, Brasilien und den beiden Algarbien, nach einem Patent des Prinzen Regenten von Portugal, datirt aus Rio-Janeiro vom 16. Dec. 1815, in dem Journal des débats du 22 février 1816. 5 ) Auch gehören hieher verschiedene Staaten, welche unter dem Scepter des Kaisers von Oestreich vereinigt sind. 6) Von der Union der vereinigten Staaten der jonischen Inseln, sehe man unten, §. 33, Note f.
d)
e)Von der ungleichen RealVereinigung s. Mevius consil. post -57I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. hum., cons. V, n. 67 sqq. Olenschlager’s Erläuterung der goldenen Bulle K. Carls IV, S. 66 u. 357. Auf dem wie - ner Congreſs wurden nach gleichem Recht mit den Staaten des Königs von Sardinien auf immer vereinigt (unio realis aequa - lis perpetua), die Staaten welche früher die Republik Genua gebildet hatten, und die Bezirke der ehemaligen Feudi impé - riali die mit der ligurischen Republik waren vereinigt wor - den. Acte final du congrès de Vienne, art. 85 89. Acten des wiener Congresses, Bd. VI, S. 77, 182, 194 u. 202.
e)
f)So wurden im J. 1815 die Vereinigten Niederlande (Holland) und die vormaligen belgischen Provinzen zusammengeschmol - zen, unter dem Namen Königreich der Niederlande. Acte final du congrès de Vienne, art. 65 et 73. Der angef. Traité du Roi des Pays-Bas etc. v. 31. Mai 1815, Art. 1, nebst dem Anhang zu dem 8. Art., in Klüber’s Acten des wiener Congr., Bd. VI, S. 168 u. 175 ff. Von der beständigen RealUnion des schwedischen Finnlandes mit dem russischen Reich, s. man das kaiserl. Manifest vom 20. März 1808, in v. Martens re - cueil, Supplém. V. 9. 23. Vereinigung der Herrschaft Jever mit dem Herzogthum Oldenburg im J. 1818 (nicht 1813), in v. Marten’s recueil, Supplém. VII. 296. Von den Herzog - thümern Curland und Semgallen, unten §. 33, Note b. Von Gerisau, unten §. 29, Note f.
f)

§. 28. 2) zu einem StaatenSystem.

Sind souveraine Staaten durch Gesellschaft - recht, nicht unter gemeinschaftlicher Obergewalt, für einen bestimmten Zweck bleibend vereinigt, so bilden sie ein StaatenSystem a), einen Staa - tenbund (StaatenSocietät, System vereinigter oder verbündeter Staaten, Systema civitatum foederata - rum seu achaicarum). Wenn gleich so vereinigte Staaten, andern mit ihnen nicht vereinigten Staa - ten gegenüber, zusammen in das Verhältniſs ei - ner unabhängigen moralischen Person, einer völ -58I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. kerrechtlichen GesammtMacht, treten, so ge - schieht dieses doch unbeschadet der individuel - len Souverainetät jedes einzelnen, und es kann ihre Vereinigung, wie auch die Gemeinschaft in ihrem Innern eingerichtet seyn mag, nicht be - trachtet werden wie ein Societäts -, Völker - oder Bundesstaat b). Demnach kommt bei einem StaatenSystem in Betracht, die völkerrechtliche Beziehung, 1) des Staatenbundes, und zwar so - wohl gegen die Bundesstaaten, als auch gegen fremde Staaten und StaatenSysteme; 2) der einzel - nen Bundesstaaten, und zwar theils zu dem Bund, theils unter sich ausserhalb der Bundesverhält - nisse, theils gegen fremde (zu diesem Staatenbund nicht gehörige) Staaten und StaatenSysteme.

a)Polybius historiar. lib. II. c. 4. Praschius de rep. Achaica. C. G. Heyne progr. de eod. arg. Gött. 1783. Bynrershoer quaest. jur. publ. lib. 2. c. 24. Burlamaqui principes du droit politique, P. II, ch. 1, §. 43 sqq. Pütter’s Beiträge, I. 24. Sam. de Pufendorf diss. de systematibus civitatum; in s. Dis - sert. acad. select. (Upsal. 1677. u. Francof. 1678. 12. ), p. 210; auch in dessen Politica inculp. p. 226. Joach. Erdm. Schmidt diss. de civitatis origine civitatumque systemate. Jen. 1745. J. C. Wieland diss. de systemate civitatum. Lips. 1777, u. in s. Opusc. acad. Fasc. I. (1790. 8. ) n. 2. Sainte-Croix des an - ciens gouvernemens fédératiſs. Comparaison de la ligue des Achéens, des Suisses et des Provinces-unies, par M. J. Meer - mann, à la Haye 1784. 4. E. A. Zinserling le système fédé - ratif des Anciens, mis en parallèle avec celui des Modernes. à Heidelb., Strasb. et Paris 1809. 8. F. W. Tittmann über den Bund der Amphictionen. Berlin 1812. 8.
a)
b)Günther’s Völkerr. I. 140. G. H. v. Berg’s Abhandlungen zur Erläuterung der rhein. BundesActe, Th. I, S. 6 f.
b)59II. Cap. Die europäischen Staaten.

ZWEITES CAPITEL. DIE EUROPÄISCHEN STAATEN.

§. 29. Heutige souveraine Staaten in Europa.

Die Zahl der souverainen Staaten von Euro - pa, das Staatsgebiet, die Volksmenge, die politi - sche Macht derselben, ist von jeher grossen Ver - änderungen unterworfen gewesen; in der neuern Zeit am meisten am Ende des achtzehnten und am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Jetzt ist der ganze, einer Beherrschung fähige Flächenin - halt von Europa, unter folgende souveraine Staa - ten, theils monarchische theils republikanische, vertheilt. I) Monarchische Staaten, nach alphabe - tischer Ordnung: 1) Kaiserthümer: Oestreich a), Ruſsland, Türkei oder ottomanische Pforte; 2) Königreiche: Baiern, Dänemark, Frankreich, das vereinigte Reich Groſsbritannien und Irland (le royaume-uni de la Grande-Bretagne et de l’Irlande), Hannover, das Königreich der Nieder - lande, das vereinigte Königreich Portugal, (Brasi - lien) und der beiden Algarbien b), Polen, Preus - sen, Sachsen, Sardinien, Schweden und Norwe - gen, das Königreich beider Sicilien, Spanien, Wir - temberg; 3) Groſsherzogthümer: Baden, Hes - sen, Luxemburg, MecklenburgSchwerin, Mecklen - burgStrelitz, Sachsen WeimarEisenach, Toscana; 4) Kurfürstenthum: Hessen; 5) Herzogthü -60I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. mer: AnhaltBernburg, AnhaltCöthen, AnhaltDes - sau, Braunschweig, Holstein (- Glückstadt) und Lauenburg, HolsteinOldenburg c), Lucca, Mo - dena nebst Reggio und Mirandola, Massa nebst dem Fürstenthum Carrara, Nassau, Parma nebst Piacenza und Guastalla, SachsenCoburg, Sachsen - Gotha, SachsenHildburghausen, SachsenMeinin - gen; 6) Fürstenthümer: HohenzollernHechingen, HohenzollernSigmaringen, Lichtenstein, Lippe - (- Detmold), Schaumburg (- Lippe), ReuſsGreitz, ReuſsSchleitz, ReuſsLobenstein, ReuſsEbersdorf, SchwarzburgRudolstadt, SchwarzburgSondershau - sen, Waldeck, HessenHomburg; 7) der Kirchen - staat (Statto della Chiesa, patrimonium Petri) d). II) Republikanische Staaten: die schweizer Canto - ne, die freien Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck, die freie Stadt Frankfurt, die freie Stadt Cracau nebst ihrem Gebiet e), die kleine sehr alte Republik San Marino f).

a)Der östreichische Kaiserstaat begreift in sich, auſser dem Erzherzogthum Oestreich, die Königreiche Böhmen, Galizien, Ungarn, Illyrien (gebildet durch ein Patent vom 3. Aug. 1816), Sclavonien, Croatien, Dalmatien, das lombardisch-venetia - nische Königreich (gebildet durch ein Patent vom 7. April 1815, in Klüber’s Acten des wiener Congresses, Bd. VII, S. 303), u. s. w.
a)
b)Durch ein Patent, datirt aus Rio-Janeiro vom 16. Dec. 1815, erhob der König von Portugal den brasilianischen Staat zu der Würde eines Königreichs von Brasilien. Zugleich befahl er, daſs die Königreiche Portugal, beide Algarbien, und Bra - silien künftig ein einziges Königreich bilden sollten, unter dem Namen vereinigtes Königreich Portugal, Brasilien, und bei - ler Algarbien.
b)61II. Cap. Die europäischen Staaten.
c)Durch den Acte final du congrès de Vienne, art. 34, ward dem Herzog von Oldenburg die groſsherzogliche Würde be - willigt; aber der jetzige Administrator des Herzogthums hat zeither hievon keinen Gebrauch gemacht. Klüber’s Uebersicht der diplomatischen Verhandlungen des wiener Congresses, S. 162. Vergl. unten, §. 107 c. Von den Titeln der teut - schen Souveraine überhaupt, s. man Klüber’s öffentl. Recht des teutschen Bundes, §. 107 u. f.
c)
d)Die Souverainetät der in diesem Verzeichniſs nicht angeführ - ten Herrschaft (Herrlichkeit) Kniphausen, dem Grafen von Bentinck gehörig, wird in diesem Augenblick von dem Her - zog Administrator von Oldenburg verwaltet. Klüber’s Acten des wiener Congresses, Bd. III, S. 355.
d)
e)Von Cracau, oben §. 22, Note d.
e)
f)Die Unabhängigkeit der Republik San Marino, welche von dem Kirchenstaat umgeben ist, ward im Jahr 1817 von dem Papst in einem Breve von Neuem anerkannt. Die Verei - nigten Staaten der jonischen Inseln (États-Unis des îles Jo - niennes) gehören jetzt zu den halbsouverainen Staaten. Man s. unten, §. 33. Durch einen Beschluſs der helvetischen Tagsatzung, ward Gerisau oder Gersau in der Schweiz, für einen Bestandtheil des Cantons Schwytz erklärt. Diese Ver - einigung kam im Jahr 1817 zu Stande.
f)

§. 30. Ihre Staatsform.

Die Staatsform der vorhin genannten souve - rainen Staaten ist verschieden a). Alle monarchi - schen Staaten, den Kirchenstaat ausgenommen, sind jetzt Erbstaaten (regna hereditaria, états - réditaires ou successifs), Staaten, in welchen erbliche Thronfolge staatsgrundgesetzlich festgesetzt ist b). Mit Ausnahme des Kirchenstaates, giebt es in Eu - ropa keine souveraine Wahlstaaten mehr, wie ehehin das teutsche Reich, Polen, die Insel Malta,62I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. bis in das Jahr 1798 Sitz des Groſsmeisters des JohanniterOrdens, und in dem teutschen Reich die (halbsouverainen) geistlichen Wahlstaaten c), Staaten, deren Wahlregent verfassungsmäsig ein Geistlicher war. Auch besteht kein monarchischer Ernennungsstaat (état monarchique nominatif) mehr, welches von 1806 bis in das Jahr 1810 der fürstlich-primatische Staat, von 1810 bis in das Jahr 1815 das Groſsherzogthum Frankfurt war d). Ein Erbwahlreich ist der türkische Staat e). Ein Theil der monarchischen Staaten, hat land - oder reichsständische Verfassung. Die jetzigen repu - blikanischen Staaten (§. 29) sind Demokratieen, theils reine, theils repräsentative. Ein Theil der oben genannten souverainen Staaten ist vereinigt zu zwei StaatenSystemen (§. 28); dem teutschen Bund f) (confédération germanique), der aus monarchischen Staaten und freien Städten, und der schweizerischen Eidgenossenschaft g) (confé - dération suisse), welche aus republikanischen Staaten besteht, nur mit Ausnahme des Fürsten - thums Neufchatel h).

a)G. F. v. Marten’s Sammlung der wichtigsten Reichsgrund - gesetze, Erbvereinigungen, Capitulationen, Familienverträge u. s. f., welche zur Erläuterung des Staatsrechts und der prag - matischen Geschichte der vornehmsten europäischen Staaten dienen. Th. I. Dänemark, Schweden, Groſsbritannien. Gött. 1794. gr. 8. Ebendess. Abriſs des Staatsrechts der vornehm - sten europäischen Staaten. Th. I, Abth. 1, Dänemark, Schwe - den, Groſsbritannien. Gött. 1794. gr. 8. De la Croix Verfas - sung der vornehmsten europäischen und der vereinigten ame - rikanischen Staaten. Aus dem Französischen, mit Berichti -63II. Cap. Die europäischen Staaten. gungen. Leipz. 1792 1797. Th. I V. gr. 8. Die Con - stitutionen der europäischen Staaten, seit den letzten 25 Jahren. Altenb. u. Leipz. Bd. I u. II. 1817. Bd. III. 1820. (Noch ein vierter Band soll erscheinen.) 8. Con - stitutions des différens peuples, ou textes de tous les Actes constitutionnels en vigueur, avec des discours historiques et politiques sur les principes qui en font la base; par MM. Benj. de Constant, Esmenard, Jay, le comte Lanjuinais, Letel - lier, Grégoire, Thérémin, etc. (Sollte 1818 zu Paris in 7 Bänden erscheinen.) L. v. Dresch Betrachtungen über die Hauptstaaten des europäischen StaatenSystems. Tübingen. I. Betrachtung, der teutsche Bund. 1817. 8.
a)
b)Auch Ruſsland ist jetzt eine Erbmonarchie, nach Erstgeburt - recht. Beweis, daſs Peters I. Thronfolgeordnung unter Pe - ter II. (1727) confiscirt worden; in Schlözers Briefwechsel, Heft XIII. (1797), S. 61 67. Curtius über das russ. Succes - sionsGesetz; in Dohm’s Materialien zur Statistik, III. Liefe - rung, S. 248. Hupels Versuch über die Staatsverfassung des russ. Reichs, S. 248. SuccessionsActe K. Pauls I. u. seiner Gemahlin, von ihm als Groſsfürsten errichtet am 4. Jan. 1788, u. an seinem Krönungstage am 16. Apr. 1797 bestätigt; in den Verordnungen Sr. K. M. Pauls I. (St. Petersb. 1797. 4. ), S. 245 249.
b)
c)Diese geistlichen Wahlstaaten, nur diejenigen des Kurfür - sten ReichsErzkanzlers (seit 1806 fürstlich-primatischer Staat genannt) ausgenommen, wurden secularisirt, vermöge des lünéviller Friedens v. 1801, Art. 7, und des regensburger ReichsDeputationsHauptschlusses v. 25. Febr. 1803. Vergl. de Pradt, les quatre concordats, T. Ier, ch. 6.
c)
d)Rheinische BundesActe, Art. 12. Der fürstlich-primatische WahlStaat ward in einen Erbstaat verwandelt, unter dem Titel Groſsherzogthum Frankfurt, durch einen Tractat zwi - schen Napoleon und dem Fürsten Primas, zu Paris 19. Febr. 1810, in dem Rhein. Bund, XLVIII. 406, und durch ein Er - nennungsDecret Napoleon’s für den ViceKönig von Italien, Eugen Napoleon, und dessen männliche Nachkommen, datirt Paris 1. März 1810, in d. Polit. Journal 1810, März, S. 304. Aufgelöset ward das Groſsherzogthum Frankfurt, durch den Acte final du congrès de Vienne.
d)
e)J. G. Meusel’s Lehrb. der Statistik (3. Ausg. 1804), S. 547. 64I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. Für ein Patrimonium des Musti erklärt diesen Staat, Neyron in s. principes du droit des gens, §. 94. Vergl. übrigens G. Achenwall diss. de regnis mixtae successionis. Goett. 1762. 4.
e)
f)Grundvertrag des teutschen Bundes, unterzeichnet zu Wien am 8. Jun. 1815. SchluſsActe des wiener Congresses v. 9. Jun. 1815, und BundesActe oder Grundvertrag des teutschen Bun - des v. 8. Jun. 1815; mit vielen Anmerkungen u. s. w. von J. L. Klüber. Zweite Aufl. Erlangen 1818. 8. SchluſsActe der über Ausbildung und Befestigung des teutschen Bundes zu Wien gehaltenen Conferenzen, vom 15. Mai 1820.
f)
g)Convention des cantons formant la Confédération Helvétique, signée à Zurich le 29. déc. 1813; in v. Martens recueil, Sup - plém. T. V. p. 659. Diese Uebereinkunft ward als Grundlage des helvetischen StaatenSystems anerkannt, in dem Acte final du congrès de Vienne, art. 75 et suiv., und in der Déclaration des puissances signataires du traité de paix de Paris du 30 mai 1814, sur les affaires de la Suisse, datirt aus Wien vom 20. März 1815; in Klüber’s Acten des wiener Congresses, Bd. V, S. 310 318. Acte d’alliance conclu le 16 août 1814 entre les can - tons de la Confédération Suisse, et acte d’acceptation de la diète, du 8. Sept. 1814, in de Martens recueil, Supplém. VI. 68. VIII. 161. Bundesvertrag der 22 Cantone der Schweiz, v. 7. Aug. 1815, ebendas. VIII. 137, und in dem Manuel du droit public de la Suisse, T. II, p. 3.
g)
h)Auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika, welche sich für Beobachtung der Grundsätze des europäischen Völkerrech - tes erklärt haben (§. 1, Note d), bilden ein StaatenSystem. Von den Vereinigten Staaten der Jonischen Inseln, s. §. 33.
h)

§. 31. Und andere öffentliche Verhältnisse.

Lehnbar ist jetzt a) keiner der oben genann - ten souverainen Staaten. Dagegen stehen manche derselben in eigener Beziehung zu andern Staaten, durch Bundes - oder ProtectionsVerhältnisse, durch das Recht der Eroberung, durch Stiftung, oder durch ConstitutionsVerleihung. Nicht alle ge -nies -65II. Cap. Die europ. Staaten. sen königliche Ehren b) (honneurs royaux). Aber in allen monarchischen Staaten, den Kirchenstaat ausgenommen, ist der Titel und die Würde des Staates (dignitas realis) dem persönlichen Titel und der Würde des Regenten gleich. Die Staats - gebiete sind fast durchgehends geschlossene (ter - ritoria clausa). Der StaatsReligionsCharakter, das Verhältniſs der in dem Staat angenommenen kirchlichen Lehrbegriffe und ihrer Bekenner c), hat jetzt selten mehr völkerrechtliche Beziehung, es sey denn vermöge der mit dem päpstlichen Stuhl von verschiedenen Staaten geschlossenen Concordate d), oder der in manchen Staatsver - trägen in Beziehung auf eine bestimmte Religions - Partei enthaltenen Stipulationen e). Die Eigen - schaft eines PatrimonialStaates, das heiſst, daſs der Regent nach Eigenthumsrecht über den Staat verfügen könne, ist in Europa durch Staatsgrund - gesetze nirgend festgesetzt f).

a)Die Lehnverpflichtung Neapel’s und Parma’s gegen den päpst - lichen Stuhl, wird nicht mehr anerkannt, von Neapel seit 1788, von Parma seit der im Jahr 1796 im oberen Theil von Italien statt gehabten Staatsumwälzung, und nach der durch die SchluſsActe des wiener Congresses statt