Uebersetzung ist dieses Werk auf dem Ti - tel nicht genannt, obgleich es zuerst in fran - zösischer Sprache erschien, unter folgendem Titel:
Ein Schriftsteller übersetzt sich nicht, wenn er dieselben Ideen in verschiedenen Sprachen öffent - lich mittheilt. Die Gründe, warum es in der genannten Sprache erschien, sind in der Vorrede zu der französischen Ausgabe angegeben. Der Ver - fasser ahnte damals nicht, daſs eine teutsche Aus -[4] gabe nöthig seyn werde. Er ward, von verschiede - nen hohen Schulen Teutschlands her, des Gegen - theils belehrt. Er läſst es daher nun auch in teut - scher Sprache erscheinen; um so williger, da er, nach Pflicht und Neigung, der edlen teutschen Na - tion zunächst angehört und stets angehören will. Er giebt es selbst, weil jeder Andere nur eine Ue - bersetzung hätte liefern können. Daſs manches Neue hinzugekommen sey, wird hier einer Er - wähnung kaum bedürfen. *)Unter vielen andern, darf man nur folgende §§. verglei - chen: 2 c, 3 d, 22 d, 27 d und f, 31, 49 e, 66, 87 a und c, 105, 107 c, 115, 116 a und h, 133, und ebendaselbst c, d und e, 135 a, 137 c, 142 c und d, 146 a, 164 b, 176 a, und ebendaselbst c, 185, 186 a, 187 c und d, 204, 210 c, 213 b, d und e, 234, 255, und ebendaselbst b, 258, 259, 294 a.
Als der Verfasser dieses Werk begonn, durfte er vielleicht hoffen, etliche Gegenstände der eu - ropäischen VölkerrechtsWissenschaft in neues Licht zu stellen, ihr System zu vereinfachen, sie mit manchen Notizen und Bemerkungen zu bereichern, die dem Scharfblick seiner Vorgän - ger entgangen waren, und hinzuzufügen, was nach ihnen Erfahrung und Umstände darbieten konnten; doch hatte er einen mehr noch em - pfehlungswerthen und dringenderen Beweggrund. Er glaubte, in Hinsicht auf Diplomatie, das Ver - dienst verschiedener von seinen Landsleuten er - höhen zu können, wenn er sich bestrebte, zu dem Studium des positiven Völkerrechtes vor - züglich diejenigen seiner Zeitgenossen zu er -6Vorrede. muntern, die in dem Fall seyn möchten, sich einst Staatsgeschäften zu widmen. Zum wenig - sten schien ihm nicht überflüssig, in diesem Augenblick die Rechtsgelehrten eben so wohl als die Politiker auf die Nothwendigkeit die - ses Theils des Unterrichtes aufmerksam zu ma - chen.
So viel möglich das Ganze der Wissen - schaft zu umfassen, ihre Grundsätze klar und bestimmt zu entwickeln, sie zu erläutern durch historische sowohl als literärische Notizen, nütz - lich insbesondere denen, die einem tiefer ein - dringenden Studium sich widmen wollen, das war seine Absicht bei diesem Werk.
Das natürliche Völkerrecht war hiebei von grossem Gewicht. Da es einem System des unter den Staaten durch ausdrückliche oder stillschwei - gende Verträge festgesetzten Rechtes zur Grund - lage dienen soll, so kommt es hier zweifach in Betracht. Es füllt die Lücken aus, die nur zu oft in einem System des positiven Völker - rechtes sich zeigen, und so weit ist sein Ge - brauch wesentlich. Überdieſs dient es demsel - ben System als Bindemittel, indem nach ihm7Vorrede. die Grundsätze geordnet und an einander ge - reihet werden.
Wer dem Studium des heutigen europäi - schen Völkerrechtes sich widmet, würde verge - bens mit der Hoffnung sich schmeicheln, von jedem freien Volk, das diesen Theil des Erd - balls bewohnt, jeglichen Satz, er sey rechtlich oder geschichtlich, den die Theorie aufzustel - len oder zu bewahren nicht verfehlen darf, an - erkannt zu sehen. Der Verfasser eines Werkes wie dieses, ist oft verpflichtet sich schlechthin an Abstractionen zu halten, die aus sorgfältiger und unparteyischer Betrachtung des natürlichen Völkerrechtes, aus gewissen Verträgen, und aus manchen Gewohnheiten hervorgehen, die, wenn nicht von allen, doch von den meisten euro - päischen Staaten angenommen sind. Die aus einer solchen Vergleichung sich bildende allge - meine Theorie, kann daher in einem einzel - nen Fall nur so weit Anwendung finden, als sie hier mit dessen besondern Umständen sich verträgt. Da diese Theorie nie in der Art ge - gründet ist, daſs durch sie die besondern Be - ziehungen zurückgesetzt würden, die auf That - sachen oder particuläre Rechtsquellen sich stü -8Vorrede. tzen, so muſs ein Staatsmann überall zuerst die besondern Verhältnisse in das Auge fassen, wel - che zwischen den in Betracht kommenden Mäch - ten bestehen. Dieser Grundwahrheit ungeach - tet, sind die allgemeinen Grundsätze von gröſs - ter Wichtigkeit, und zu keiner Zeit sollte das Studium derselben, von denen, welche die di - plomatische Laufbahn wählen, vernachlässigt werden.
Unstreitig kann hier die Rede nur davon seyn, was, dem Rechtsgesetz zufolge, unter freien Völkern beobachtet werden soll. Aber verhelen kann man sich nicht, daſs es Fälle giebt, wo Uebermacht eines oder mehrerer Staaten, oder ausserordentliche Ereignisse, ge - bieterisch Schritte begünstigt haben, wofür man einen zureichenden Grund in dem Völkerrecht vergebens suchen würde. Indeſs ist darum nicht minder wichtig, die Rechte der Nationen zu kennen; denn was wirklich recht ist, wird zuverlässig einst als solches anerkannt werden; und überdieſs vermag keine Macht, durch will - kührliches Benehmen, der Würde des Völker - rechtes etwas zu vergeben. Dem Unrecht hul - digen, die zerstörenden Maximen einer solchen9Vorrede. Macht, gleichviel aus welchem Beweggrund, zu Grundsätzen erheben wollen, wovon man nur zu oft, vorzüglich bei neueren Schrift - stellern, Beispiele gesehen hat, würde in schwere Verantwortung gegen die Menschheit bringen.
Die Erschütterungen, welche unlängst den europäischen Staaten ein ViertelJahrhundert lang widerfahren sind, werden höchstwahr - scheinlich manche Aenderungen oder Modifica - tionen in den Grundsätzen des positiven Völ - kerrechtes zur Folge haben, deren Festsetzung man vergebens schon von dem wiener Congreſs erwartet hatte; doch hat man alle Ursache zu glauben, daſs diese Aenderungen weder so zahlreich noch so nah seyn werden, daſs dar - um die Bekanntmachung dieses Werkes zu ver - schieben wäre. Möge es dazu beitragen, den Zeitpunct ihres Daseyns zu beschleunigen, der nie so nah seyn wird, als der Vortheil der Menschheit und der Staaten es gebietet; viel - leicht irret der Verfasser, doch möchte er hof - fen dürfen, daſs dieses Werk hiezu als Einlei - tung dienen könne. Auch geschah es haupt - sächlich unter diesem Gesichtpunct, daſs sich10Vorrede. derselbe bestrebt hat, dem Seerecht, vorzüg - lich demjenigen der Neutralen, eine Entwi - ckelung und eine Aufmerksamkeit zu widmen, die seiner dermaligen Wichtigkeit angemes - sen ist.
Findet man den Verfasser, wie er ange - legentlich wünscht, untadelhaft in Hinsicht auf Wahrhaftigkeit, so werden Manche vielleicht stärkere Farben, einen minder didactischen Ton vermissen. Er gesteht, daſs ihn die Hoff - nung verläſst von diesen freigesprochen zu werden, wenn nicht die für einen Lehrbegriff so nothwendige Gedrängtheit, die Menge der Gegenstände, die mit dem geringsten Wort - aufwand abzuhandeln, und auf einem mög - lichst kleinen Raum zu entwickeln waren, vor ihren Augen ihn Entschuldigung finden lassen.
Nur allein die Erwägung einer sich weiter verbreitenden Nützlichkeit, hat den Verfasser veranlassen können sich einer Sprache zu be - dienen, die weder die seinige, noch diejenige seines Vaterlandes ist, und es nie seyn soll. Er bedient sich dieser Sprache, nicht sowohl11Vorrede. wie derjenigen der Franzosen, als vielmehr darum, weil nicht nur seine wissenschaftlich gebildeten Landsleute, sondern auch die mei - sten Diplomaten der übrigen zu Beobachtung des Völkerrechtes ebenmäsig verpflichteten eu - ropäischen Nationen, mit derselben vertraut sind. Dieses Geständniſs, diese Absicht, werden ihn entschuldigen, und ihm einiges Recht auf die Nachsicht derer geben, die jener Sprache mächtiger sind als er.
Eine grosse Anzahl literärischer Notizen ist hinzugefügt, viele Controversen der Publi - cisten sind angeführt worden. Wie ungern auch der Verfasserr hiezu sich entschloſs, so hat er doch geglaubt, sich dessen nicht über - heben zu dürfen, in einem Werk, das zu - gleich bestimmt ist dem Unterricht in einer Wissenschaft zur Grundlage zu dienen, in wel - cher es von hoher Wichtigkeit ist, die ver - schiedenen Meinungen und auch die Schriften zu kennen, aus denen man sein Wissen berei - chern kann. Dieser festen Ueberzeugung un - geachtet, bekennt er jedoch, daſs er des gröſsten Theils dieser Noten und Citationen sich würde enthalten haben, wenn er sich12Vorrede. bloſs Leser französischen Ursprungs gedacht hätte.
Er hat überdieſs geglaubt, als Anhang eine auserlesene Bibliothek für das Völker - recht hinzufügen zu müssen, um auf die ge - schwindeste und bequemste Art den bibliogra - phischen Bedürfnissen nicht nur der Anfän - ger, sondern auch der übrigen zu Hülfe zu kommen. Das alphabetische Verzeichniſs der Schriftsteller, am Schluſs des Buches, wird den Gebrauch dieser Bibliothek erleichtern.
Unabhängige Staaten führen als moralische Personen, in ihrem gegenseitigen Verhältniſs, den Namen freie Völker a). Der Inbegriff ihrer wechselseitigen vollkommenen Rechte, das Recht der Staaten im Verhältniſs zu einander, heiſst Völkerrecht (jus gentium, droit des gens, Staa - tenrecht, jus civitatum inter se). So weit diese Rechte aus der Natur ihrer gegenseitigen Verhält - nisse fliessen, ist das Völkerrecht natürliches oder allgemeines (jus gentium naturale s. universale): positives b) (jus gentium positivum, so fern es sich gründet auf Uebereinkunft, ausdrückliche16Einleitung. Vorbereitender Theil. oder stillschweigende c). Wissenschaftlich kann das positive Völkerrecht, sowohl eines einzelnen Staates, als auch mehrerer Staaten zusammen, namentlich der europäischen d), abgehandelt werden. Obgleich weder alle Völker einen allge - meinen Weltstaat (§§. 15, 24 u. f.), noch die eu - ropäischen insbesondere eine VölkerRepublik bilden, so ist doch gewiſs, daſs die letzten einan - der einen gewissen Inbegriff von Rechten einräu - men, und daſs sie, in dieser Hinsicht, sich in einer bestimmten Rechtsgemeinschaft befinden. Es ist also das Daseyn eines europäischen Völker - rechtes eben so einleuchtend, als die Nothwen - digkeit und Nützlichkeit seiner wissenschaftlichen Bearbeitung e).
§. 2.I) Jede obligatorische Beziehung eines Staates, in dieser Eigenschaft, entweder zu andern Staa - ten, oder zu seinen Bürgern, heiſst eine öf - fentliche. Der Inbegriff aller dieser obliga - torischen Beziehungen, bildet das öffentlicheKlüber’s Europ. Völkerr. I. 218Einleitung. Vorbereitender Theil. Recht überhaupt. Daher ist das Völkerrecht, auch das natürliche, ein Theil des öffentlichen Rech - tes a). Das natürliche Völkerrecht, das Recht der Einzelnen im Stande der Natur, zweckmäsig an - gewandt auf das Verhältniſs der Staaten unter sich b), gehört zu dem allgemeinen oder natürlichen öffentlichen Recht. Das wechselseitige obligato - rische Verhältniſs zwischen dem Staat, als solchem, und seinen Bürgern, wird bestimmt durch das Staatsrecht: dasjenige zwischen dem Staat, als solchem, und einzelnen Menschen ausserhalb derselben Staatsverbindung, durch das Privat - recht c). II) Das Völkerrecht begreift nur Zwang - rechte unter sich. Es fordert nur Legalität, nicht Moralität, nicht Schicklichkeit, nicht Klug - heit, nicht blosse Gebräuche ohne moralische Nothwendigkeit. Es ist also wesentlich ver - schieden, von Völker Moral d) (droit interne), deren Beobachtung ein Staat nur sich selbst schul - dig ist, von Convenienz (decorum gentium, règles de convenance), von Staatsklugheit e) (Politik), von Völkergebrauch (usus gentium, simple usa - ge); wiewohl diese in dem Völkerrecht nicht sel - ten erläuternd, immer wissenswerth sind.
Die Quellen des Völkerrechtes der europäi - schen Staaten, sind folgende. I) Verträge der Staaten unter sich, sowohl ausdrückliche a) als auch stillschweigende b). Die letzten gründen20Einleitung. Vorbereitender Theil. sich auf sprechende Handlungen der Interessen - ten c). Beide Arten von Verträgen, begründen zusammen das eigentlich so genannte Vertrag - recht der Völker. Ausdrückliche allgemeine Ver - träge der europäischen Staaten, giebt es nicht; aber oft ist wichtig, bald die Gleichheit, bald die Aehnlichkeit der Grundsätze wahrzunehmen, von welchen die Mächte bei ihren Verträgen aus - gegangen sind. Erst die neueste Zeit hat etliche Beispiele von Verträgen geliefert, zu deren Beob - achtung fast alle europäischen Staaten ausdrück - lich sich verpflichtet haben d). Rechte der Völ - ker, welche sich gründen auf stillschweigende Verträge oder Rechtsgewohnheiten, werden auch Herkommen oder Gewohnheitsrecht der Völker (jus gentium consuetudinarium) genannt. In dem Völkerrecht unterscheidet sich dieses nicht von Observanz, wohl aber von blossem Völkerge - brauch (§. 34 f.), womit ein Zwangrecht nicht verbunden ist e). Blosse Vermuthung kann un - ter unabhängigen Staaten kein Recht begründen, also auch keinen Vertrag f). Eben so wenig eine Fiction g), so fern ihr nicht durch Vertrag eine solche Wirkung beigelegt ist.
II) Eine zweite Quelle ist die Analogie; eine aus positiven völkerrechtlichen Bestimmun - gen, für ähnliche oder für entgegengesetzte Fälle (durch Argumente a simili aut a contrario, von Harmonie oder Disharmonie völkerrechtlicher Be - stimmungen), abgeleitete Handlungsvorschrift a). Nur subsidiarisch, wenn es an unzweifelhaften vertragmäsigen Bestimmungen fehlt, ist sie an - wendbar. Durch Analogie können nicht nur man - gelhafte, oder unvollständige vertragmäsige Be - stimmungen ergänzt, sondern sogar neue begrün - det werden. Auch kann sie als Auslegungsregel dienen b).
III) So oft weder Verträge noch Analogie für das Rechtsverhältniſs unter unabhängigen Staaten hinlängliche Bestimmung liefern, muſs dieselbe aus dem natürlichen Völkerrecht a) genommen werden. Auch ist dieses ein wichti -23I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. ges Hülfsmittel für Theorie und Lehrvortrag des positiven Völkerrechtes, und bei Anwendung des - selben.
Verjahrung, ein Erzeugniſs des positiven Privatrechtes, findet, ohne vertragmäsige Be - stimmung, unter unabhängigen Staaten nicht statt a). Wohl aber ist der Besitzstand (uti pos - sidetis, favor possessionis) zu achten b), bis man rechtmäsig zu den Waffen geschritten, oder der Streit auf völkerrechtliche Art beendigt ist. Blos - ser Staatsvortheil (StaatsInteresse, intérêt de l’é - tat), so genanntes ConvenienzRecht (droit de con - venance), hat nur politisches Gewicht c). Auch das Gleichgewicht d), das politische, eine unbe - stimmte Idee unter augenblicklichem Einfluſs der Convenienz, hat nicht die Natur einer völker - rechtlichen Entscheidungsquelle.
Das Völkerrecht, als Wissenschaft betrach - tet, ist ein Theil der Diplomatie, eines Inbe - griffs wissenschaftlich geordneter Kenntnisse und Grundsätze, für richtige und geschickte Betreibung öffentlicher Geschäfte unter Staaten a). Man lernt die Diplomatie bei dem Studium der so genann - ten politischen oder Staatswissenschaften, der Staa - tengeschichte b), besonders der drei letzten Jahr - hunderte, der Politik c), der Statistik d), der Staats - wirthschaft und National Oekonomie oder Gewerb - kunde e), der Kriegskunde f), sowohl Heerkunst (Taktik) als auch Heerleitung (Strategie), vorzüg - lich aber des Staats - und Völkerrechtes g), des na - türlichen und positiven, der politischen Negocia - tionsKunst h), und der StaatsPraxis i), mit In - begriff der Geheimschreibekunst k) (Chiffrir - und DechiffrirKunst). Fast allen diesen Wissenschaft - ten liegt die Geschichte zum Grunde, so viel das25I. Cap. Begriff, Abtheilung, Quellen, u. s. w. Empirische betrifft; dann die Wissenschaft von dem Staat, dieser als Idee betrachtet. Alle bezie - hen sich entweder auf Rechtmäsigkeit, oder auf Zweckmäsigkeit.
Hülfwissenschaften sind: Erdbeschreibung a) (Geographie), Urkundenlehre b) (Diplomatik), nebst der urkundlichen Zeitkunde c) (Chronolo - gie), Wappenkunde d) (Heraldik), Geschlecht - kunde e) (Genealogie), Auslegungskunst f) (Her - meneutik). Auch sind wichtig für den Diploma - ten: die fleisige Lesung politischer Zeitschrif - ten g), die Beobachtung der Staatsvorfälle, der Umgang mit Staatsbeamten, auch mit andern unterrichteten und ausgezeichneten Personen.
In dem Lehrvortrag des Völkerrechtes der europäischen Staaten, sind die Grundsätze nach einem einfachen systematischen Plan, aus Ver - trägen, ausdrücklichen und stillschweigenden, aus der Analogie, und aus der Natur der wech - selseitigen Staatenverhältnisse, kurz, bestimmt, und leicht faſslich zu entwickeln, und aus der Ge - schichte, so weit möglich, zu erläutern; beides28Einleitung. Vorbereitender Theil. ohne Vorurtheil, Hypothesensucht, Partei - und Sectengeist, ohne Miſsbrauch rationaler Formen und metaphysischer Speculationen. Die dogma - tisch-historische LehrMethode verdient den Vor - zug vor der bloſs dogmatischen, mehr noch vor der bloſs historischen, am meisten vor der bloſs raisonnirenden a). Reine Wahrheitsliebe, Unbefangenheit, Nüchternheit des Urtheils, ver - bunden mit edler, anständiger Freimüthigkeit, müssen überall vorherrschen. Controversen b) und Erläuterung durch merkwürdige Staatsvor - fälle c), bleiben hauptsächlich dem mündlichen Vortrag vorbehalten.
Bei den wichtigsten Gegenständen des Völ - kerrechtes, bei Rechtsverletzungen, Kriegen, Bündnissen, Absendung eigener, Aufnahme und Behandlung fremder Gesandten, war in der alten Welt, so weit man die Ereignisse nach Ursa - chen und Zusammenhang zu ergründen vermag, die Handlungsweise der Staaten so verschieden, so ungleich, daſs man weder in Fällen des Rechtsverhaltens auf ein deutliches Bewuſstseyn von Grundsätzen des Völkerrechtes, noch bei Rechtsverletzungen auf ein wider besseres Wis - sen begangenes Unrecht, immer mit Sicherheit schliessen kann. So wird dem Tadel der Israe - liten, wegen mancher Kriege und Erbfeindschaft, hauptsächlich die erhaltene höhere Vorschrift ent - gegengesetzt a). Aus klarer Einsicht des Rechtes und des wohlverstandenen Staatsvortheils, scheint das Rechtsverhalten der griechischen Staaten, in ihrem auswärtigen Verhältniſs, geflossen zu30Einleitung. Vorbereitender Theil. seyn b). Doch verräth wenigstens noch grössere Aufmerksamkeit auf das Völkerrecht, bei den Römern, zur Zeit der freien Republik, die An - ordnung eines eigenen Departements der aus - wärtigen Angelegenheiten, des Collegii der Fe - cialen; ein Ruhm, der durch die nachherige Handlungsweise der Regierung, schon während der innern bürgerlichen Kriege, mehr noch spä - ter durch Annahme eines Eroberungs - und Un - terjochungsSystems, sehr verdunkelt ward c).
Die Staatsereignisse in dem Zeitraum der Völkerwanderungen, verriethen eben so viel Un - kunde des Völkerrechtes, als rechtwidrigen Wil - len. In dem eigentlich so genannten Mittelal - ter, läſst das gegenseitige Benehmen der euro - päischen Völker, auf einen verminderten Grad von Rohheit und Rechtwidrigkeit sehliessen. Sehr wahrscheinlich, hat man dieses grossentheils dem Einfluſs der christlichen Religion auf Den - kungsart der Machthaber und auf öffentliche Mei - nung a) zu danken; zum Theil auch dem da -31II. Cap. CulturGeschichte und Literatur. maligen Ansehen der Päpste, und ihrem hierar - chischen System. Weniger mag, in dieser Hin - sicht, die lang und weit verbreitete Idee von einem allgemeinen Staatenbunde der christlichen Mächte b), gewirkt haben, da sie zunächst auf Unfrieden mit nichtchristlichen Staaten, haupt - sächlich in dem Zeitraum der Kreuzzüge, sich bezog.
Die Unterdrückung der päpstlichen Anmas - sungen über die weltlichen Regenten, haupt - sächlich seit der baseler Kirchenversammlung, kann für die AnfangsEpoche des positiven Völ - kerrechtes der europäischen Staaten gelten. Seit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts, ward der politische Verkehr der europäischen Staaten leb - hafter. Ereignisse, besonders in der Regierungs - zeit Carls V. und Heinrichs IV., und vorherr - schende Klugheit, veranlaſsten Staatsverträge. Die christlich-kirchliche Spaltung, das Handels - Interesse, die stehenden Kriegsheere, der lange,32Einleitung. Vorbereitender Theil. stark besuchte westphälische FriedensCongreſs, die beständigen Gesandschaften, die durch den häufigen Gebrauch der Buchdruckerkunst ver - mehrte Oeffentlichkeit der Staatsverhandlungen, weckten und unterhielten die Aufmerksamkeit der Cabinete auf die europäischen Staatenver - hältnisse. Folgen hievon waren: fast immer - währende Unterhandlungen, häufige und reich - haltige Staatsverträge, allgemeinere Anerken - nung des natürlichen Völkerrechtes, laute, mit Rechtsgründen unterstützte Beschwerden der Ver - letzten und Unterdrückten, öffentliche Verthei - digung dawider von Seite ihrer Gegner, die eben dadurch, daſs sie wenigstens den Schein des Rechtes für sich in Anspruch nahmen, das Daseyn eines Völkerrechtes anerkannten, und die durch Heurathen entstandene Verwandschaft fast aller Regentenhäuser in Europa, die sie fast alle gleichsam zu einer Familie vereinigt. Die französische Revolution, mit ihren Folgen, lieferte reichen Stoff zu Beobachtungen, Beleh - rung, Besorgnissen und Maasnehmungen. Die letzten Resultate dieses ereigniſsvollen Zeitraums, scheinen der Folgezeit vorbehalten zu seyn a).
Was vor Grotius für die Völkerrechts Wis - senschaft geschah, war Stückwerk, und auch dieses meist ohne feste Begründung. Aristoteles und Plato beschäftigten sich einigermaſsen mit dem rechtlichen Verhältniſs der Staaten. Die griechischen Geschichtschreiber, die römischen Philosophen, Rechtsgelehrten, Gesetzgeber, lie - fern wenige, zerstreute Bemerkungen darüber a). Sehr ungünstig für wissenschaftliche Ausbildung des Völkerrechtes, waren in dem Mittelalter, das Ansehen der unpassenden Aussprüche der Kirchenväter b), die überwiegende politische Wichtigkeit der Päpste, die abentheuerliche Grille von einem Dominio mundi und Imperio christia -Klübers Europ. Völkerr. I. 334Einleitung. Vorbereitender Theil. nitatis der römischen Kaiser, die Alleinherrschaft der scholastischen Philosophie c), der Mangel allgemeiner wissenschaftlicher Cultur und der Buchdruckerkunst, das Faustrecht. Einige Licht - funken für die Wissenschaft des Völkerrechtes, besonders für deren Befreiung aus dem Joch der Päpste, sprangen aus Reibungen zwischen der päpstlichen und weltlichen Macht; mehr noch, späterhin, aus Luther’s und Zwingli’s Reformation d). Doch nahm man, in streitigen Fällen, noch oft Zuflucht zu Grundsätzen des römischen und canonisch-päpstlichen Rechtes, zu Gutachten der Legisten und Decretisten, und selbst der Gottesgelehrten. Zwar erschienen et - liche gedruckte Schriften für das Völkerrecht, aber die Verfasser giengen von unrichtigen Be - griffen und Vordersätzen aus; wie Oldendorp (1539), Vasquez oder Vasquius (1572), und Winckler (1615), theils entwickelten, und ver - folgten sie ihre richtigen Ansichten nicht genug, wie Albericus Gentilis (1598) und Suarez (1613) e).
Die eigentliche Schöpfung dieser Wissen - schaft war dem scharfsinnigen, weltkundigen, gelehrten Hugo Grotius (de Groot) vorbehalten. In seinem Werk „ de jure belli et pacis “(1625), handelte er nicht nur das natürliche Völker - recht in seinem Zusammenhang gründlich ab, sondern er sammelte auch für das positive Völ - kerrecht, zu Erläuterung seiner Lehrsätze, viele Beispiele aus der ältern Zeit a). Weit verbrei - tete sich der Ruhm dieses Werkes; auch durch Uebersetzungen, Auszüge, compendiarische Dar - stellungen, Tabellen, und Commentare b). Das erste Lehrbuch des Völkerrechtes, nach seinem ganzen Umfang, lieferte (1650) Zouchaeus (Zou - chy), in gedrängter Kürze c); um dieselbe Zeit, wo sein Landsmann Hobbes eine besondere Be - arbeitung des Völkerrechtes für überflüssig er - klärte. Obgleich mittelbar, doch bedeutend, nützte dem Völkerrecht Samuel Freiherr von Pu - fendorf, durch seine treffliche, dreifache Bear - beitung des Naturrechtes der einzelnen Menschen (1660, 1672, 1673). Während er die Identität des letzten mit dem natürlichen Völkerrecht be - hauptete, bestritt er wenigstens das formale Da -36Einleitung. Vorbereitender Theil. seyn eines positiven Völkerrechtes. Die Gewohn - heiten der europäischen Völker, in Absicht auf Kriegsmanier und Unverletzbarkeit der Gesand - ten, erklärte er für willkührlich, und die in Völkerverträgen enthaltenen Stipulationen zwar für verbindlich, aber doch grossentheils für tem - porär oder vorübergehend; Recht oder Gesetz könnten diese Stipulationen nicht genannt wer - den, da sie vielmehr der Geschichte angehör - ten d). Dessen ungeachtet widmete er eigene Abschnitte dem Rechte des Kriegs, der Kriegs - verträge, der Friedensschlüsse, der Bündnisse. Seine Eigenheiten entgiengen nicht dem Wider - spruch anderer Gelehrten e), fanden aber auch Vertheidiger und Anhänger f). Eine Reihe von Lehr - und Handbüchern g), welche seitdem in dieser Periode erschienen, beweisen die immer steigende Theilnahme an dem Studium der Völ - kerrechtsWissenschaft. Für das positive Völker - recht, erschienen vorerst Sammlungen von Staats - verträgen und andern schriftlichen Staatsverhand - lungen h), nebst historischer Darstellung der Staatsverträge i).
Die Bahn war gebrochen, zu vollständiger und systematischer Bearbeitung des gesammten Völkerrechtes. Dem natürlichen Völkerrecht ward diese, lichtvoll, zu Theil von dem ord - nenden Forschungsgeist des berühmten Christian Freiherrn von Wolff a) (1749 u. 1750). Da er auf vermuthete Einwilligung der Völker, und sogar auf die Fiction eines allgemeinen oder38Einleitung. Vorbereitender Theil. gröſsten Welt - oder Völkerstaates, Zwangrechte freier Völker gründen wollte, so wird das Be - dauern gemindert, daſs er nicht auch dem posi - tiven Völkerrecht seine schriftstellerische Thä - tigkeit gewidmet hat. Desto fleissiger sorgte für dieses, abgesondert von dem natürlichen, der emsige und geradsinnige Joh. Jacob Moser, in mehreren Schriften, während seiner langen literärischen Laufbahn (1732 — 1781). Mehr einfach und deutlich als systematisch, mehr hi - storisch als philosophisch, aber ohne Rückhalt, trachtete er auch diesem Theil des öffentlichen Rechtes nützlich zu werden b). Neben und nach ihm, ward von Andern, besonders von dem scharfsinnigen Kant c), überzeugend be - wiesen, wie sehr positives Völkerrecht, bei der Unzulänglichkeit des natürlichen, dem Interesse der Staaten gemäſs sey.
Nach Moser, erwarb sich, seit 1785, aus - gezeichnete Verdienste um das positive euro -39Cap. II. Cultur Geschichte und Literatur. päische Völkerrecht, Georg Friedrich von Mar - tens, durch Lehrbücher und andere Schriften, durch Sammlungen von Staatsverträgen und Staatsgrundgesetzen, und durch Lehrvorträge a). Sehr bereichert ward das Völkerrecht in diesem Zeitraum, durch Lehrbücher b) und ausführli - chere Werke c), durch Sammlungen von Staats - verträgen d), welche in mehreren Staaten, auch einzeln, bald nach ihrer Abschliessung in offi - ciellen Abdrücken erscheinen, durch Sammlun - gen von Staatsschriften, durch gesandschaftliche Memoires, und durch einzelne Abhandlungen, besonders über See - und Handelsrecht, über das Recht der Neutralen, über Gesandschaft - recht. Auch ward gesorgt für Casuistik e), und für den historischen Theil des positiven Völker - rechtes der europäischen Staaten, durch eigene Werke, worin die neuern Welthändel erzählt und erläutert sind f), und durch politische Zeit - schriften. Es erschienen eigene Repertorien über die Staatsverträge g). Das gesammte Völker - recht erhielt (1785) eine eigene, sehr schätz - bare Literatur von Died. Heinr. Ludw. Frei - herrn von Ompteda, wozu im Jahr 1817, C. A. von Kamptz eine reichhaltige Ergänzung und Fortsetzung lieferte.
Auf ihren jetzigen Standpunct ward die VölkerrechtsWissenschaft erhoben, durch die Sit -41II. Cap CulturGeschichte und Literatur. tenverfeinerung und den zunehmenden Verkehr der europäischen Staaten, durch den Einfluſs der neuern Kriegskunst auf das gegenseitige Ver - hältniſs derselben, durch vermehrte Thätigkeit der Machthaber, durch Vervielfältigung der po - litischen Unterhandlungen, insbesondere mittelst beständiger Gesandschaften, durch Cultur der Wissenschaften überhaupt, insonderheit des na - türlichen Völkerrechtes, der Staatengeschichte, und der übrigen verwandten und Hülfwissen - schaften, durch literärische Fruchtbarkeit rechts - und geschichtkundiger Männer, politischer Ge - schäftmänner, Beobachter und Sammler a), durch Begünstigung der Preſsfreiheit in mehreren Staa - ten, durch allgemeinere Theilnahme an Staats - vorfällen, durch akademischen Lehrvortrag. Wie die Kraft der Ereignisse Seyn und Nicht - seyn der Staaten unwiderstehlich bestimmt, also wirkt mächtig der Geist der Zeit, die öffentli - che Meinung, auf Ausbildung und Anwendung völkerrechtlicher Grundsätze.
Zahlreich, gehaltvoll, unentbehrlich, sind schon jetzt die literärischen Hülfsmittel zu dem42Einleitung. Vorbereitender Theil. Völkerrecht. Mehr noch werden sie es werden, mit neuen Staatsvorfällen und vertragmäsigen Bestimmungen, mit fortschreitender wissenschaft - licher Cultur und literärischer Thätigkeit. Wich - tig ist und bleibt demnach, die Bibliographie oder Bücherkunde dieses Theils der Rechtswis - senschaft a). Ganz vorzüglich dient, zu Beur - theilung völkerrechtlicher Schriften, die Biogra - phie oder Schriftstellerkunde b). Sie entwickelt die innern und äussern Umstände, welche auf Grundsätze und Aeusserungen der Schriftsteller können eingewirkt haben, ihre Talente, Cha - rakter, Religion, Erziehung, wissenschaftliche Bildung, Vaterland, Wohnort, Dienstverhältniſs, den Schauplatz ihrer practischen Thätigkeit.
Der Büchervorrath für das Völkerrecht läſst sich auf folgende Art ordnen a). I) Ge - schichte des Völkerrechtes; literärische und bio - graphische Hülfsmittel; verwandte und Hülfwis - senschaften. II) Quellen, Staatsverträge und StaatsActen. III) Lehrbücher, und Handbücher oder ausführlichere systematische Werke, über das Völkerrecht, auch das teutsche. IV) Werke43Cap. II. CulturGeschichte und Literatur. über einzelne Haupttheile des Völkerrechtes. V) Sammlungen von Aufsätzen über verschiedene Materien. VI) Monographien (Dissertationen und Tractate). VII) Deductionen, Gutachten, und Rechtsfälle. VIII) Lexicographische Werke. IX) Schriften für Geschichte und Erläuterung der Staatsverträge. X) Gesandschaftliche und andere historische Memorires. XI) Werke für die Geschichte der neueren Welthändel, und politische Zeitschriften.
Bilden einzelne Menschen und Familien, auf einem bestimmten Landesbezirk, eine bür - gerliche Gesellschaft, unter gemeinschaftlicher Obergewalt, zu allseitiger Sicherheit, so heiſst ihre Verbindung Staat a). In dieser Vereini - gung, werden sie als moralische Person betrach - tet, und Volk (Nation) genannt b); dieses auch, nebst ihrem Oberhaupt, im Verhältniſs zu an - dern Staaten (§. 1). Die Staatsgesellschaft, eine Schutzanstalt, entsteht, rechtlich betrachtet, nur durch Verträge, ausdrückliche oder stillschwei - gende c), wozu die moralische Nothwendigkeit eines Sicherheitsbundes antreibt.
45I. Th. Die Staaten, überh. etc. I. Cap. Begriff, etc.Staatshoheit oder Souverainetät a) in dem weitern Sinn, ist der Inbegriff aller Rechte, welche einem unabhängigen Staat in Hinsicht auf den Staatszweck zustehen. Hierunter sind begriffen: 1) die politische Unabhängigkeit (Sou - verainetät im engern Sinn), das Recht politischer Persönlichkeit oder Selbstständigkeit, im Ver - hältniſs zu jedem andern Subject; 2) die Staats - gewalt (im engern Sinn), die Gewalt zu dem Zweck des Staates. — In dem engern oder völ - kerrechtlichen Sinn, versteht man unter Souve - rainetät bloſs die Unabhängigkeit eines Staates von dem Willen anderer Staaten. In diesem Sinn, heiſst souverainer Staat derjenige, welcher, wie auch seine innere Verfassung seyn mag, für sich selbst und ohne fremden Einfluſs die Staats - hoheitsrechte auszuüben berechtigt ist b). Selbst - ständigkeit solcher Art fordert das Völkerrecht46I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. von einem Staat, der, als moralische unabhän - gige Person, im Verhältniſs zu andern Staaten auf die Rechte politischer Persönlichkeit oder Unabhängigkeit Anspruch macht c). — Unmit - telbar bezieht sich die Souverainetät auf den Staat, mittelbar auf das regierende Subject, welchem von dem Staat die Ausübung derselben übertragen ist. Wer zur Vertretung und Ver - waltung eines unabhängigen Staates berufen ist, heiſst Souverain. Ihm gebührt die Majestät, die erhabenste Würde, die Vertretung des Staa - tes, in dessen Verhältniſs nach Aussen, die Staatsregierung, die Ausübung der Staatsgewalt im Innern für den Zweck des Staates. So fern entweder in der Vertretung oder in der Regie - rung des Staates, oder in beiden, dem Staats - oberhaupt positive Schranken gesetzt sind, heiſst dieses ein verfassungsmäsiger (constitutioneller) Souverain.
Da die völkerrechtliche Souverainetät eines Staates, einzig bestimmt wird durch dessen Un - abhängigkeit von dem Willen eines jeden Aus - wärtigen in Ausübung seiner Hoheitsrechte; so ist die Berechtigung dazu nicht abhängig von dem Alter des Staates, von der Art seiner Grund - verfassung oder Staatsform, von seiner Verwal - tungsart, von dem Maas seiner politischen Macht a), von der Art der Thronfolge, von dem Titel des Staates oder seines Regenten, von dem FamilienVerhältniſs des Staatsoberhauptes, von dem Umfang des Staatsgebietes, von der Grösse seiner Bevölkerung, von dem Stand der inländischen Cultur in jeder Beziehung, von Religion, Gewerbe und Verkehr der Bewohner. Aus demselben Grund wird die Souverainetät48I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. nicht aufgehoben, durch Verhältnisse, worin der Staat etwa zu andern Staaten steht in Hinsicht auf Kirchengewalt, Vermittlung b), Gewährleistung c) (Garantie), Bündnisse (Allianzen und Staatenbund), Schutzverhältniſs d), Lehnpflicht e), Zinspflicht, Subsidien, und selbst in Hinsicht auf Stiftung f) oder ConstitutionsVerleihung g). Auch Dienst - h) und untergeordnete Besitzverhältnisse, worin etwa der Regent eines souverainen Staates für seine Person, oder dessen Familie, zu einem andern souverainen Staat sich befindet, sind ohne Nachtheil für die Unabhängigkeit desjeni - gen Staates, welchem er vorsteht.
Erworben wird die Souverainetät von einem Staat, entweder ursprünglich, bei der ersten Gründung des Staates, oder nachher, durch rechtmäsige Aufhebung der bisherigen Unterwür - figkeit a). Zu ihrer rechtlichen Gültigkeit bedarf es, bei untadelhaftem Besitz, weder einer Aner - kennung noch einer Garantie von Seite anderer Mächte. Doch kann der Klugheit gemäſs seyn, sich Anerkennung b), ausdrückliche c) oder still - schweigende d), und Garantie e) zu verschaffen. Dagegen ist Anerkennung, nicht bloſs des einst - weiligen Besitzstandes, sondern der Unabhängig -Klüber’s Europ. Völkerr. I. 450I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. keit eines in widerrechtlicher Empörung begriffe - nen Volkes, oder eines Usurpators, Beleidigung des rechtmäsigen Souverains, so lang dieser seine Oberherrschaft über jenes nicht aufgegeben hat, oder dieselbe rechtlich als aufgegeben muſs be - trachtet werden f). Die Souverainetät erreicht ihr Ende, durch Untergang des Staatsgebietes, durch Auflösung der Staatsverbindung, durch Einverleibung oder unterwürfige Vereinigung des Staates, oder eines Theils desselben, mit einem andern Staat g).
Ist ein Staat in der Ausübung eines oder mehrerer wesentlicher Hoheitsrechte abhängig von der Obergewalt eines andern Staates, in Anse - hung der übrigen wesentlichen Hoheitsrechte aber unabhängig, so wird er, in Hinsicht auf jene Art von Unterordnung, in dem Völkerrecht bezeichnet mit dem Namen abhängiger oder halbsouverainer Staat, état mi-souverain a). 52I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. Das Maas und die Art der Abhängigkeit eines sol - chen Staates, ist zu beurtheilen nach den vertragmä - sigen Bestimmungen des concreten Falles. Meist bezieht sich die Abhängigkeit auf die äussern Ho - heitsrechte, deren Ausübung dem andern Staat ganz oder zum Theil gebührt.
Wie weit einem halbsouverainen Staat die Ausübung völkerrechtlicher Befugnisse, nament - lich des Gesandschaftrechtes, zustehe, im Ver - hältniſs nicht nur zu demjenigen Staat, dessen Obergewalt er in gewisser Art anzuerkennen hat, sondern auch zu andern Staaten, hängt ab theils von dem Maas und der Art seiner Unabhängig - keit, theils von besonderer Uebereinkunft. In dem europäischen Völkerrecht kommen abhän - gige Staaten unmittelbar nur so weit in Betracht, als ihnen im Verhältniſs zu andern Staaten das Recht politischer Persönlichkeit, und vermöge derselben das Recht zusteht zu unmittelbaren Verhandlungen mit souverainen oder halbsouve - rainen Staaten a). — Ist die Souverainetät eines Staates streitig b), so entscheidet, bis zu ausge - machter Sache, bei denen Staaten, welche an dem Streit nicht Theil nehmen, meist der Be - sitzstand.
53I. Cap. Begriff, SouverainetäsVerhältnisse, u. s. w.Bloſs privilegirten Provinzen und Städten eines Staates, welchen, unter der Hoheit des letz - ten a), nur die Ausübung bestimmter Vorrechte und Regierungsrechte zukommt, fehlt politische Persönlichkeit oder Selbstständigkeit, im Ver - hältniſs zu souverainen Staaten; selbst dann, wenn der Inbegriff ihrer privilegirten Rechte den Namen einer untergeordneten Landeshoheit (jus territorii subordinati s. subalterni, superio - ritas territorialis subalterna s. pactitia) verdiente, oder führte b). Sie sind daher nicht befugt zu unmittelbarem Gebrauch des Völkerrechtes c).
Mehrere Staaten können vereinigt seyn a) (unio civitatum), auf zweifache Art: entweder unter gemeinschaftlicher Oberherrschaft, oder durch Gesellschaftrecht zu einem StaatenSystem b). Die nähere Bestimmung und der Rechtsgrund ergeben sich aus dem Vereinigungsvertrag (pac - tum unionis).
Die Vereinigung unter gemeinschaftlicher Oberherrschaft hebt die individuelle Unabhän - gigkeit der vereinigten Staaten nicht auf, wenn sie nur persönlich ist c), d. h. beschränkt auf die Person des gemeinschaftlichen Regenten, es sey temporär oder immerwährend; desgleichen, wenn sie dinglich ist, d. h. die Staaten selbst unter sich, und zwar nach gleichem Recht (coordinirt) ver - einigt sind d). Anders, wenn die Vereinigung55I. Cap. Begriff, SouverainetätsVerhältnisse, u. s. w. dinglich mit so ungleichem e) Rechte ist, daſs sie entweder den einen Staat der Oberherrschaft des andern unterordnet, oder gar für den einen Staat eine Einverleibung (Incorporation) in sich schlieſst, d. h. den einen Staat, mit Vernichtung jeder Art von politischer Selbstständigkeit, in ei - nen Bestandtheil des andern verwandelt (unio in - aequalis incorporativa). Da indeſs die Vereini - gung nach ungleichem Recht, Grade zuläſst, so ist denkbar, daſs dem einen der ungleich verei - nigten Staaten nicht alle Souverainetät entzogen sey, so daſs er z. B. noch zu der Classe der so genannten halbsouverainen Staaten (§. 24) gerech - net werden könne.
Die dingliche Vereinigung, begründet die Eintheilung der Staaten, in einfache und zusam - mengesetzte. Sie unterscheidet sich wesentlich von der Zusammenschmelzung oder Verwandlung mehrerer Staaten in einen f).
Sind souveraine Staaten durch Gesellschaft - recht, nicht unter gemeinschaftlicher Obergewalt, für einen bestimmten Zweck bleibend vereinigt, so bilden sie ein StaatenSystem a), einen Staa - tenbund (StaatenSocietät, System vereinigter oder verbündeter Staaten, Systema civitatum foederata - rum seu achaicarum). Wenn gleich so vereinigte Staaten, andern mit ihnen nicht vereinigten Staa - ten gegenüber, zusammen in das Verhältniſs ei - ner unabhängigen moralischen Person, einer völ -58I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. kerrechtlichen GesammtMacht, treten, so ge - schieht dieses doch unbeschadet der individuel - len Souverainetät jedes einzelnen, und es kann ihre Vereinigung, wie auch die Gemeinschaft in ihrem Innern eingerichtet seyn mag, nicht be - trachtet werden wie ein Societäts -, Völker - oder Bundesstaat b). — Demnach kommt bei einem StaatenSystem in Betracht, die völkerrechtliche Beziehung, 1) des Staatenbundes, und zwar so - wohl gegen die Bundesstaaten, als auch gegen fremde Staaten und StaatenSysteme; 2) der einzel - nen Bundesstaaten, und zwar theils zu dem Bund, theils unter sich ausserhalb der Bundesverhält - nisse, theils gegen fremde (zu diesem Staatenbund nicht gehörige) Staaten und StaatenSysteme.
Die Zahl der souverainen Staaten von Euro - pa, das Staatsgebiet, die Volksmenge, die politi - sche Macht derselben, ist von jeher grossen Ver - änderungen unterworfen gewesen; in der neuern Zeit am meisten am Ende des achtzehnten und am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Jetzt ist der ganze, einer Beherrschung fähige Flächenin - halt von Europa, unter folgende souveraine Staa - ten, theils monarchische theils republikanische, vertheilt. I) Monarchische Staaten, nach alphabe - tischer Ordnung: 1) Kaiserthümer: Oestreich a), Ruſsland, Türkei oder ottomanische Pforte; 2) Königreiche: Baiern, Dänemark, Frankreich, das vereinigte Reich Groſsbritannien und Irland (le royaume-uni de la Grande-Bretagne et de l’Irlande), Hannover, das Königreich der Nieder - lande, das vereinigte Königreich Portugal, (Brasi - lien) und der beiden Algarbien b), Polen, Preus - sen, Sachsen, Sardinien, Schweden und Norwe - gen, das Königreich beider Sicilien, Spanien, Wir - temberg; 3) Groſsherzogthümer: Baden, Hes - sen, Luxemburg, MecklenburgSchwerin, Mecklen - burgStrelitz, Sachsen WeimarEisenach, Toscana; 4) Kurfürstenthum: Hessen; 5) Herzogthü -60I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. mer: AnhaltBernburg, AnhaltCöthen, AnhaltDes - sau, Braunschweig, Holstein (- Glückstadt) und Lauenburg, HolsteinOldenburg c), Lucca, Mo - dena nebst Reggio und Mirandola, Massa nebst dem Fürstenthum Carrara, Nassau, Parma nebst Piacenza und Guastalla, SachsenCoburg, Sachsen - Gotha, SachsenHildburghausen, SachsenMeinin - gen; 6) Fürstenthümer: HohenzollernHechingen, HohenzollernSigmaringen, Lichtenstein, Lippe - (- Detmold), Schaumburg (- Lippe), ReuſsGreitz, ReuſsSchleitz, ReuſsLobenstein, ReuſsEbersdorf, SchwarzburgRudolstadt, SchwarzburgSondershau - sen, Waldeck, HessenHomburg; 7) der Kirchen - staat (Statto della Chiesa, patrimonium Petri) d). II) Republikanische Staaten: die schweizer Canto - ne, die freien Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck, die freie Stadt Frankfurt, die freie Stadt Cracau nebst ihrem Gebiet e), die kleine sehr alte Republik San Marino f).
Die Staatsform der vorhin genannten souve - rainen Staaten ist verschieden a). Alle monarchi - schen Staaten, den Kirchenstaat ausgenommen, sind jetzt Erbstaaten (regna hereditaria, états hé - réditaires ou successifs), Staaten, in welchen erbliche Thronfolge staatsgrundgesetzlich festgesetzt ist b). Mit Ausnahme des Kirchenstaates, giebt es in Eu - ropa keine souveraine Wahlstaaten mehr, wie ehehin das teutsche Reich, Polen, die Insel Malta,62I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. bis in das Jahr 1798 Sitz des Groſsmeisters des JohanniterOrdens, und in dem teutschen Reich die (halbsouverainen) geistlichen Wahlstaaten c), Staaten, deren Wahlregent verfassungsmäsig ein Geistlicher war. Auch besteht kein monarchischer Ernennungsstaat (état monarchique nominatif) mehr, welches von 1806 bis in das Jahr 1810 der fürstlich-primatische Staat, von 1810 bis in das Jahr 1815 das Groſsherzogthum Frankfurt war d). Ein Erbwahlreich ist der türkische Staat e). Ein Theil der monarchischen Staaten, hat land - oder reichsständische Verfassung. Die jetzigen repu - blikanischen Staaten (§. 29) sind Demokratieen, theils reine, theils repräsentative. Ein Theil der oben genannten souverainen Staaten ist vereinigt zu zwei StaatenSystemen (§. 28); dem teutschen Bund f) (confédération germanique), der aus monarchischen Staaten und freien Städten, und der schweizerischen Eidgenossenschaft g) (confé - dération suisse), welche aus republikanischen Staaten besteht, nur mit Ausnahme des Fürsten - thums Neufchatel h).
Lehnbar ist jetzt a) keiner der oben genann - ten souverainen Staaten. Dagegen stehen manche derselben in eigener Beziehung zu andern Staaten, durch Bundes - oder ProtectionsVerhältnisse, durch das Recht der Eroberung, durch Stiftung, oder durch ConstitutionsVerleihung. Nicht alle ge -nies -65II. Cap. Die europ. Staaten. sen königliche Ehren b) (honneurs royaux). Aber in allen monarchischen Staaten, den Kirchenstaat ausgenommen, ist der Titel und die Würde des Staates (dignitas realis) dem persönlichen Titel und der Würde des Regenten gleich. Die Staats - gebiete sind fast durchgehends geschlossene (ter - ritoria clausa). Der StaatsReligionsCharakter, das Verhältniſs der in dem Staat angenommenen kirchlichen Lehrbegriffe und ihrer Bekenner c), hat jetzt selten mehr völkerrechtliche Beziehung, es sey denn vermöge der mit dem päpstlichen Stuhl von verschiedenen Staaten geschlossenen Concordate d), oder der in manchen Staatsver - trägen in Beziehung auf eine bestimmte Religions - Partei enthaltenen Stipulationen e). Die Eigen - schaft eines PatrimonialStaates, das heiſst, daſs der Regent nach Eigenthumsrecht über den Staat verfügen könne, ist in Europa durch Staatsgrund - gesetze nirgend festgesetzt f).
In völkerrechtlichem Sinn, ist kein Unterschied zwischen grossen und kleinen a), oder zwischen mächtigen und mindermächtigen souverainen Staaten. Wohl aber kommt die Verschiedenheit der Machtverhältnisse, besonders der militairi - schen, sehr in Betracht, wenn von politischer Wichtigkeit der einzelnen Staaten die Rede ist. Doch fehlt es auch hier an gehöriger Grundlage zu einer festen und durchgreifenden Abtheilung der Staaten; gewiſs ist die oben angeführte, so wie die von einigen gewählte, in Staaten der ersten, zwei - ten, dritten und vierten Ordnung b), ganz will - kührlich und unbestimmt. — Die Kriegsmacht der meisten souverainen Staaten von Europa, ist bloſs für Landkriege eingerichtet; bei verschiede - nen jedoch für Land - und Seekriege. Die ersten sind blosse Landmächte, die letzten sind Land - und Seemächte zugleich. Diese werden auch vor - zugweise Seemächte genannt, wenn ihre Haupt - macht auf den Seekrieg sich bezieht c). Souve -68I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. raine Staaten, die zwar an die See grenzen, aber keine Kriegsflotte, sondern etwa nur einzelne Kriegsschiffe, Fregatten, oder Galeeren, zu Be - schützung ihrer Küsten und Handelsschiffe, unter - halten, sind bloſs Land - und Seestaaten. — Nur auf geographische und nachbarliche Verhältnisse, bezieht sich die Abtheilung in östliche, südliche, westliche und nordische Mächte.
Die vormaligen abhängigen oder halbsouve - rainen Staaten in Teutschland und in Italien a), haben sich theils in souveraine Staaten verwandelt, theils sind sie souverainen Staaten einverleibt oder gänzlich untergeordnet worden. Das letzte gilt69II. Cap. Die europäischen Staaten. auch von den Herzogthümern Curland und Sem - gallen, welche unter russischen Scepter gekom - men sind b). Die völkerrechtlichen Verhältnisse der Hospodare in den Fürstenthümern Moldau und Wallachei c) scheinen noch nicht vollständig festgesetzt zu seyn. So war es auch, bis in das Jahr 1814, mit den im Jahr 1806 von Napoleon neu constituirten Fürstenthümern Lucca und Piombino, Neufchatel, Benevento, und Ponte - corvo. Lucca und Piombino waren als franzö - sische Reichsmannlehen verliehen, aber mit aller Proprietät, und so daſs der Besitzer dem Kaiser von Frankreich die Pflichten eines guten und treuen Unterthans (d’un bon et fidèle sujet) eid - lich versprechen muſste d). Dasselbe galt von Neufchatel, von Benevento, und von Ponte-corvo. Alle drei waren zwar mit aller Proprietät und Souverainetät („ en toute propriété et souverai - neté “), und die beiden letzten überdem als un - mittelbare Lehen der Krone Frankreich („ comme fiefs immédiats de la couronne “) verliehen, es sollte aber der jedesmalige Besitzer eines dieser drei Fürstenthümer schwören, „ dem Kaiser der „ Franzosen als guter und treuer Unterthan (en „ bon et loyal sujet) zu dienen “e). Einen wah - ren halbsouverainen Staat bilden, seit 1815, die Vereinigten Staaten der jonischen Inseln, wegen der Schutz - und SouverainetätsRechte, welche Groſsbritannien über sie auszuüben hat f).
70I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb.Das gegenseitige politische Verhältniſs der souverainen Staaten von Europa, beruht nicht auf einer Vereinigung zu einem StaatenSystem, auch nicht zu einer so genannten VölkerRepublik a), noch weniger zu einem grossen Weltstaat b), über - haupt nicht auf allgemeinen ausdrücklichen Ver - trägen. Für die christlichen Staaten ward, in dem Mittelalter, nähere Theilnahme an ihrem wechselseitigen politischen Verhältniſs veranlaſst, durch die Einheit des kirchlichen Lehrbegriffs72I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. und Rituals, durch die Anerkennung eines ge - meinschaftlichen geistlichen Oberhauptes der Kir - che und des von diesem ausgegangenen allgemei - nen hierarchischen Systems, durch den gemein - schaftlichen Unfrieden gegen die nichtchristlichen Staaten, und die in dieser Beziehung dem römisch - teutschen Kaiser eingeräumte weltliche Oberge - walt, hauptsächlich in dem Zeitraum der Kreuz - züge, auch durch die Blutsfreundschaft und Ver - schwägerung der RegentenFamilien.
Ungeachtet der eingetretenen kirchlichen Trennung, ward jene nähere Theilnahme den - noch unterhalten und vermehrt, durch allseiti - ges Aufstreben zu höherer, geistiger und geselli - ger Cultur, durch vermehrtes Handels - und FamilienInteresse, durch östere Kriege, durch fast immerwährende Kriegsrüstung, durch von Zeit zu Zeit sichtbar gewordene Vergrösserungs - Absicht einzelner Machthaber, und durch das73II. Cap. Die europäischen Staaten. hieraus entstandene fast allgemeine System der Eifersucht und des Miſstrauens, verbunden mit sorgsamem Streben, in dem politischen Verkehr nicht aus den Schranken des äussern Anstandes und der Humanität zu treten, noch ungestraft treten zu lassen. Nicht nur hat dieses Anlaſs gegeben zu Bildung gewisser politischen Theo - rien, welche nicht immer ohne Einfluſs auf die Ereignisse geblieben sind a), sondern es hat sich auch nicht selten eine Macht festgesetzt b); ja es hat sich, wie verabredet, allmählig, unter den europäischen Staaten von christlichem Glau - bensbekenntniſs eine ziemlich allgemeine Ueber - einstimmung gebildet, nicht nur in der öffent - lichen Handlungsweise, sondern auch in gewis - sen VertragStipulationen. Fast allgemein wird jetzt diese Uebereinstimmung, wenn auch nicht durchgehends als strenges Recht c), doch als europäische Völkersitte, zuweilen mit der Kraft moralischer Nothwendigkeit, betrachtet, und un - ter manchen Staaten ist sie selbst der Form nach in strenges Recht übergegangen, so weit man sie durch ausdrückliche oder stillschweigende Ver - träge sanctionirt hat. Auf solche Weise von un - sichtbaren Banden umschlungen, betrachten sich die christlichen Mächte von Europa jetzt wie Ge - nossen eines sittlichen Vereins d), dem sich nun auch der einzige nichtchristliche Staat in Europa, die osmanische Pforte, einigermasen nähern zu74I. Th. Die Staaten, überhaupt, u. die europ. insb. wollen scheint e). Selbst einige aussereuropäi - sche Staaten, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika, haben sich, durch die That und ausdrücklich, für den Beitritt zu dieser Genossen - schaft erklärt f). Ueberall ist jedoch von jener Völkersitte, das natürliche und positive völker - rechtliche Verhältniſs der einzelnen Staaten zu unterscheiden (§. 2, 3 u. 31).
Es giebt Rechte, welche jedem Staat im Verhältniſs zu andern Staaten schon darum zu - stehen, weil er Staat ist, das heiſst, vermöge seiner freien moralischen Persönlichkeit. Der Inbegriff dieser Urrechte des Staates, ist das unbedingte oder absolute (thetische) Völkerrecht (I. Titel). Andere Rechte gebühren ihm nur unter Voraussetzung gewisser Verhältnisse (II. Ti - tel), entweder freundschaftlicher (1. Abschnitt), oder feindlicher (2. Abschnitt). Diese Rechte, de - ren Daseyn einen besondern Entstehungsgrund76II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. voraussetzt, sind Gegenstand des bedingten oder hypothetischen Völkerrechtes. Beide Arten von Rechten sind Bedingungen der Individualität des Staates, und er ist befugt dieselben durch Zwang zu vertheidigen. Sie hören nicht auf, bei einer Veränderung der Mitglieder des Staates a); denn die Gesammtheit der Staatsbürger ist das Sub - ject dieser Rechte, nicht ein Einzelner.
Ein Staat ist eine Gesellschaft; eine freie Gesellschaft, weil er aus einzelnen Personen und Familien besteht, welche ohne die Staatsverbin - dung in natürlicher Freiheit leben würden, und welche in dieser sich selbst ihren Zweck gesetzt haben. Er ist also, im Verhältniſs zu jedem andern Staat, eine moralische Person in natür - licher Freiheit. Da dieses von jedem Staat gilt, so verhalten sich alle Staaten in ihrem Recht zu ein - ander, wie physische Personen in dem Stande na - türlicher Freiheit. Sonach stehen dieselben Rech - te, welche das Vernunftgesetz dem Einzelnen gegen den Einzelnen einräumt, auch dem Staat gegen den Staat zu. Da indeſs der Staat, als moralische Person, von dem Einzelnen, als einer physischen Person, specifisch verschieden ist, so bedingt der unterscheidende Begriff des Staates noch77I. Cap. Recht der Selbsterhaltung. besondere Rechte für den Staat, als Zusatz zu den allgemeinen Rechten des Einzelnen gegen den Einzelnen.
Demnach hat jeder Staat, wie der einzelne freie Mensch, ein vollkommenes Recht auf Selbst - erhaltung a). Es bezieht sich dieses Recht 1) auf rechtlichen Fortbestand des Staates, nach Ver - fassung, nach Verwaltung, und nach dem gan - zen Inbegriff seiner Mitglieder, vereinigt und einzeln; 2) auf den Erwerb äusserer Gegenstände; 3) auf den Gebrauch jeder Art natürlicher und erworbener Rechte, des Staates sowohl, als auch seiner Mitglieder; 4) auf guten Namen, auf Anerkennung seiner Rechtlichkeit.
a)Vermöge des Rechtes auf Selbsterhaltung, ist jeder Staat befugt, gerechte Sicherheitsmittel jeder Art, zu dem Schutz seiner Rechte anzu - schaffen, in Bereitschaft zu halten, und anzu - wenden, nicht nur vertheidigungsweise, sondern auch zu Abwendung möglicher Rechtsverletzun - gen, und zu Genugthuung wegen erlittener. Dahin gehört 1) die Verhütung der Entvölke - rung des Staatsgebietes, insbesondere durch Ver -78II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. hinderung der Auswanderung a), und der An - nehmung fremder Staatsdienste b). Das Recht hiezu hann jedoch beschränkt seyn, im Verhält - niſs zu den eigenen Unterthanen durch das Staats - recht c), im Verhältniſs zu andern Staaten durch Verträge d).
Zu den Sicherheitsmitteln, welche auf Selbst - erhaltung abzwecken, gehört vorzüglich 2) die Ausübung des Wehr - und Waffenrechtes, so weit dasselbe nicht durch Verträge beschränkt ist a). 79I. Cap. Recht der Selbsterhaltung. Vermöge dieses Rechtes, ist ein Staat befugt zu Kriegsrüstung aller Art, namentlich zu Anschaf - fung, Einrichtung und Unterhaltung von Kriegs - mannschaft, Kriegsflotten, Geschütz und ande - rem Waffenvorrath, zu Befestigung sowohl im Innern des Landes, als auch an den Grenzen, zu Heerschau, Heerlager, und Volksbewaffnung, zu SubsidienTractaten und andern Kriegsbündnis - sen. Ungeachtet keinem Staat eine Zwangpflicht obliegt, in Absicht auf Bereitung und Gebrauch solcher Sicherheitsmittel einem andern Rede zu stehen b), so kann doch das eigene StaatsInter - esse die moralische Pflicht auflegen, einer andern Macht, von ihr gefragt oder ungefragt, deſshalb Erklärung zu geben. Die Verweigerung einer solchen, oder die Ertheilung einer zweideutigen, oder selbstgenügsamen, auf anständige Anfrage, hat gewöhnlich Miſstrauen und Gegenrüstungen, wo nicht Thätlichkeiten und Krieg, zur Folge.
In der Regel (in thesi), gehört zu den er - laubten Sicherheitsmitteln nicht, die Verhinde - rung des gerechten Anwachsens der Macht eines andern Staates a). Nur unter der, aus den je - desmaligen Umständen (in hypothesi) zu beur - theilenden, Voraussetzung einer daher drohen - den Rechtsverletzung, kann sie ausnahmweise gerechtfertigt werden b). Wird bei dem Aus - bruch eines Kriegs darauf sich bezogen, so muſs hienach beurtheilt werden, ob sie als wirklich rechtfertigende, (justa belli causa, raison justifi - cative), oder als bloſs anrathende Ursache des Kriegs (causa belli suasoria, simple motif) gel - ten könne. Die Geschichte, vergleichen mit der Rechtstheorie, stellt sie meist in der letzten Ei - genschaft dar c).
Schon darum hat das so genannte System des Gleichgewichtes a) (bilanx s. trutina gentium, balance du pouvoir, équilibre politique, systême de contre-poids), ohne Verträge keinen völker - rechtlichen Grund b). Unterschieden von dem rechtlichen Gleichgewicht, dem Suum cuique, ist dieses vermeintliche System des politischen Gleich - gewichtes gebaut auf die Idee von Macht und Uebermacht. Da aber hiebei nicht bloſs die je - desmalige Kriegsmacht und Volksmenge, son - dern auch NationalCharakter, Cultur und Reich - thum, Lage und Umfang des Staatsgebietes, Men - ge und Stärke der Allianzen, Staatsform und Per - sönlichkeit des Regenten, überhaupt der ganze Inbegriff der geistigen und körperlichen Kräfte der Staaten in Betrachtung kommt, und eine gleiche Vertheilung der Länder nach ihrem po - litischem Gewicht (lex agraria gentium) nie er - folgt, oder zu hoffen ist, so bleibt jenes so ge - nannte System, rechtlich und politisch betrach - set, eine unbestimmte Idee c). Dessen ungeach - tet haben Eifersucht, Miſstrauen und Convenienz schon mehrmal Staatsregierungen veranlaſst, in einzelnen Fällen die Behauptung aufzustellen, von Erhaltung oder Herstellung eines Gleichge - wichtes in Europa, im Norden, im Westen, im Orient, in Teutschland, in Italien, zur See, aufKlüber’s Europ. Völkerr. I. 682II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. dem festen Lande, in der Schiffahrt und Hand - lung. Theoretiker sogar, haben das Austreten aus demselben, als gerechte Ursache zum Krieg betrachtet d). Dagegen ist ausser Zweifel, daſs jede Macht befugt sey, sich jedem ungerechten Streben nach Oberherrschaft, Vergrösserung, Ue - bermacht oder UniversalMonarchie e) zu wider - setzen.
Ein Staat ist berechtigt, jede Rechtsverle - tzung, unmittelbare oder mittelbare, welche ihm droht in Absicht auf seine Selbsterhaltung, auf Fortbestand, Erwerb äusserer Gegenstände, Ge - brauch seiner Rechte, und guten Namen, abzu - wenden, und wegen erlittener Verletzung dieser Rechte sich vollständige Genugthuung zu ver - schaffen. In dieser Hinsicht werden bisweilen öffentliche Gerüchte, geschriebene und gedruckte Aeusserungen und Thathandlungen, welche der Ehre eines andern Staates oder der Person sei - nes Regenten nachtheilig sind, von den Staats - regierungen, bald aus eigener Bewegung, bald auf deſshalb geführte Beschwerde, öffentlich miſsbilligt, und gegen die Urheber, Theilneh - mer und Verbreiter geahndet a), eben so als wären sie gegen den eigenen Staat oder Regen - ten gerichtet b), auch werden deſshalb dem beleidigten Staat miſsbilligende und entschuldi - gende Erklärungen gemacht.
Da die Pflicht der Selbsterhaltung für den85I. Cap. Recht der Selbsterhaltung. Verpflichteten höher ist als jede andere, so kann als Rechtsverletzung nicht geahndet werden, wenn bei evidenter, dringender Noth des Staa - tes, in dem Fall unvermeidlicher Collision zwi - schen vollkommenen Pflichten gegen andere Staaten und seiner Selbsterhaltung (status gen - tis extraordinarius, casus extremae necessitatis), eine Staatsregierung, sich für entbunden haltend von dem strengen Rechtsgesetz, die letzte vor - zieht, und so von der Nothgunst (favor neces - sitatis, ratio status scil. extraordinarii, raison d’état) Gebrauch macht a), die von einigen so - gar Nothrecht (jus necessitatis) genannt wird. Dieser Fall des Nothgebrauchs unterscheidet sich wesentlich von dem übel so benannten Conve - nienzRecht b), das auf bloſse Vortheile oder Be - quemlichkeit gegründet wird. Nicht nur muſs das Nothrecht mit äusserster Schonung ausge - übt werden, sondern es gebührt auch dem Staat, der darunter leidet, nach Möglichkeit Entschä - digung c).
Als freie moralische Person (§. 57) ist je - der Staat sich selbst Zweck, nicht Mittel für Zwecke anderer Staaten. Hieraus folgt für jeden Staat das Recht der Unabhängigkeit von frem - dem Willen, ein Recht politischer Persönlich - keit oder Selbstständigkeit, oder das Recht für und durch sich selbst zu bestehen. Ihn gerecht nur nach eigenem Willen handeln zu lassen, kann er von jedem andern Staat mit Zwang fordern. Die Anerkennung dieser Selbstbestim - mung des Willens, kann nur dann mit Recht verweigert werden, wenn der Staat noch kein rechtmäſsiges Daseyn erlangt hat a). Doch ist hievon unterschieden die Weigerung, ein be - stimmtes Individuum als rechtmäsigen Regenten eines unstreitig souverainen Staates anzuerken - nen, welche auf besondern Gründen beruhen kann.
Vermöge seiner Unabhängigkeit, ist einStaat berechtigt zu allen Handlungen, welche nach87II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. einem Grundsatz geschehen, mit dessen allge - meiner practischen Gültigkeit die Unabhängig - keit aller andern Staaten bestehen kann a). Diese Befugniſs des Staates zu rechtlicher Wirksam - keit, kann von ihm benutzt werden zu Grün - dung, zu Erhaltung, und zu Erweiterung sei - ner eigenen Rechte und der Rechte anderer Staaten. Insbesondere kann er sich derselben bedienen zu Vervollkommnung seines Zustan - des, durch Vermehrung der geistigen, sittlichen und wirthschastlichen Cultur seiner Einwohner, durch erlaubte Vergrösserung seines Gebietes b), durch Vermehrung der Volksmenge.
Aus dem Rechte der Unabhängigkeit oder politischen Selbstständigkeit, flieſst für jeden Staat das Recht, die Niemand gehörigen Sachen oder Dinge auf dem Erdboden nicht nur zu gebrau - chen, und zwar eben sowohl zur Nothdurft und Bequemlichkeit, als zum Vergnügen, sondern auch dieselben für sich aufzubewahren und sich ausschliessend zuzueignen, so fern ein Alleinbe -88II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. sitz derselben physisch möglich ist a). So weit dieser unmöglich, oder nicht wirklich ist, be - steht noch jetzt unter den europäischen Staaten die dem allseitigen Recht entsprechende allsei - tige Pflicht, keinen Staat in dem Gebrauch die - ses Urrechtes zu hindern; eine Pflicht, welche einige, ohne Noth b), haben gründen wollen, nicht auf ein Recht das allen Staaten gemein ist, sondern auf eine ursprüngliche Gemein - schaft der Dinge (communio primaeva), die bald als eine wirkliche, oder positive c), bald als eine negative d), bald als eine privative e), dargestellt worden ist.
Die Unabhängigkeit des Staates kommt auch der Person seines Repräsentanten, dem Regen -89II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. ten, zu statten. Daher ist, in Hinsicht auf auswärtige Verhältnisse, die Rechtmäsigkeit sei - ner Regentenwürde nicht abhängig von einer Inauguration, von einer Krönung a), oder von der Anerkennung anderer Staaten (§. 23). Noch weniger gebührt diesen, ohne besondern Rechts - titel, ein Entscheidungsrecht bei streitiger Thron - folge in Erbreichen b), oder die Besetzung des Throns in Wahlreichen c). Doch ist in Erb - reichen die Bestimmung der streitigen Thron - folge, in der neuern Zeit oft ein Gegenstand von Verträgen bald desjenigen Staates, den es zu - nächst betrifft, mit andern Mächten, bald gar nur dritter Mächte unter sich, gewesen d). Auch sind in Wahlreichen, die Regentenwahlen nicht sel - ten ein Gegenstand mittelbarer oder unmittel - barer Einmischung fremder Mächte gewesen e).
Die Meldung (Notification) des Regierungs - antritts eines neuen Regenten an andere Staaten, und der letzten Glückwunsch oder GegenCom - pliment hierauf, beides entweder bloſs schrift - lich, oder zugleich durch einen oder mehrere Gesandte, ist europäische Völkersitte, aber nicht nothwendig a). Das letzte gilt auch von der Exterritorialität oder Unabhängigkeit des wirk - lichen Regenten eines souverainen Staates, wel - cher als solcher in einem fremden Staatsgebiet friedlich sich aufhält b), für ihn c), sein Gefolge, seine Wohnung und Mobilien. Er ist für sich und sein Gefolge befreit von der Gerichtbarkeit des inländischen Staates, und man gestattet ihm daselbst die Ausübung der CivilGerichtbarkeit über sein Gefolge d), Befreiung von Wege -, Thor - und Brückengeld, von der Zollfreiheit der für seinen, auch wohl seiner Familie, Ge - brauch bestimmten Waaren e). Besitzungen ei - nes Regenten in fremdem Staatsgebiet, sind da - selbst, in der Regel, der inländischen Staatsho - heit unterworfen f).
Ueber dingliche PrivatStreitigkeiten souve - rainer Regenten unter sich a), ist die Gericht - barkeit der gehörigen richtenden Staatsbehörde (z. B. das forum rei sitae, hereditatis, arresti) gegründet, so fern beide Theile hier nur als Privatpersonen in Betrachtung kommen; es wer - den aber Streitigkeiten dieser Art nicht selten als völkerrechtliche behandelt b). Das letzte gilt auch von PrivatStreitigkeiten der Verwandten eines Souverains, die als Regenten, oder durch Vermählung c), Aufenthalt, Gutsbesitz, oder An - sprüche, in besonderem Verhältniſs zu einem andern Staat sich befinden; wiewohl der Staat keine Verwandten hat, und hier, ausser dem Rechte der Fürsprache, dem Staat nur dann eine Einmischung gebührt, wenn eine wahre völkerrechtliche Verletzung droht, oder einge - treten ist. Die Privat Verwandtschaft - und Höf - lichkeitsverhältnisse eines Regenten zu andern Staaten oder deren Regenten, können, ihrer Na - tur nach, die politische Unabhängigkeit eines Staates oder seines Regenten weder mindern noch aufheben.
Unabhängig ist ein Staat, in Absicht auf ursprüngliche Bestimmung und nachherige Aen - derung seiner Verfassung (StaatsConstitution), sowohl Staatsform als auch Regierungs - oder Verwaltungsform. Einmischung eines andern Staates in dergleichen Angelegenheiten a), so bald sie mehr in sich schlieſst, als Anbietung seiner guten Dienste oder Vermittlung, ist nur dann zulässig, wenn sie sich gründet auf ein von ihm erworbenes Recht, oder durch den Nothgebrauch entschuldigt werden kann (§. 44). Sogar von einer Partei bei innern Streitigkeiten über die Staatsverfassung zu Hülfe gerufen, darf ein fremder Staat sich nicht einmischen, ohne94II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. besondere Gründe dieser Art b); wohin inson - derheit der Fall einer geleisteten Garantie der Staatsverfassung gehört c).
Am wenigsten begründen eine Einmischung des einen Staates in die Angelegenheiten des an - dern, blosse Nachbarschaft, Freundschaft, Ver - wandschaft der beiderseitigen Regenten, Conve - nienz. Unruhestiftung zwischen dem Regenten und den Unterthanen, Anstiftung oder Begünsti - gung einer rechtwidrigen Empörung, wären gro -95II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. be Beleidigung a). Dagegen ist, in dem Fall eines Zwistes, und noch mehr einer Revolution, einer Aufkündigung des Gehorsams von Seite ei - nes Landestheils, oder einer Entthronung des Regenten, einstweilige Anerkennung des Besitz - standes nicht Beleidigung des andern Theils, auf jeden Fall unverfänglich für dessen Rechte b). Sind die streitenden Theile ausgesöhnt, etwa durch Verzichtleistung des einen, oder durch dessen Anerkennung der Rechte des andern Theils, oder hört der Streit auf durch den Tod des Prätendenten c), so sind fremde Staaten schul - dig, die Resultate der Beilegung des Streites anzuerkennen.
Dieselbe Unabhängigkeit gebührt jedem Staat in Absicht auf die Staatsregierung oder Ausübung der Staatsgewalt, das heiſst, des Inbegriffs der in - nern Hoheitsrechte in dem ganzen Staatsgebiet, und über alle Unterthanen, beständige und tem - poräre. Die höchste Oberaufsicht, das Recht fortwährender Aufmerksamkeit auf Alles, was96II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. auf den Zweck des Staates Einfluſs haben kann, welches beobachtend jeder Anordnung und Vorschrift vorausgehen, und deren Vollziehung und Erfolg begleiten muſs, gebührt jedem Staat, auch in Beziehung auf das, was fremde Staa - ten oder deren Unterthanen in Beziehung auf ihn und seine Angehörigen unternehmen; doch innerhalb der gehörigen Schranken a).
Die Gesetze des Staates sind anwendbar auch auf Unterthanen anderer Staaten, so weit sie in dem diesseitigen Staatsgebiet sich aufhal - ten, oder Handlungen, insbesondere Rechtsge - schäfte vornehmen a), oder Vermögen besitzen; es sey denn, daſs Staatsverträge ihnen in dieser Hinsicht Befreiung von der persönlichen oder dinglichen Unterthänigkeit einräumen b). Blosse Verschiedenheit des Privatrechtes der beidersei - tigen Staaten, berechtigt nicht zu einer Befrei - ung dieser Art. Wohl aber begründet eine un - gleiche beschwerende Behandlung fremder Un - terthanen, im Verhältniſs zu einheimischen, z. B. bei Concursen, Erbschaften u. d., die Retorsion dieser Behandlung von Seite des andern Staa - tes c). Auch Privilegien für eigene oder fremde Unterthanen, müssen Fremde in dem Staatsge - biete des Ertheilers achten d).
a) Wo -97II. Cap. Recht der Unabhängigkeit.Selbst in fremdem Staatsgebiet können, unter gewissen Voraussetzungen, Staatsgesetze wirksam seyn. So fern nicht verbietende Gesetze des fremden Staates entgegen stehen, ist dieses der Fall, 1) bei Gesetzen über die Form der in dem diesseitigen Staatsgebiet vorgenommenen Rechtsgeschäfte, z. B. der Testamente, Verträge,Klüber’s Europ. Völkerr. I. 798II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. der gerichtlichen Verhandlungen, so weit davon Gültigkeit der Handlung abhängt, und diese auch in fremdem Gebiet Wirkung haben soll a); 2) bei Gesetzen über den Stand, die Fähigkeit oder Unfähigkeit diesseitiger Unterthanen zu Rechtsgeschäften, z. B. ihre Volljährigkeit, Con - tract - und Testamentfähigkeit, Eidesmündigkeit, Adelstand u. d., welche auch dort, wo der Han - delnde als Fremder zu betrachten ist, seine Hand - lungsfähigkeit oder seinen Stand bestimmen b); 3) wenn fremden Staatsunterthanen durch Ver - träge, Gesetze, oder Privilegien das Recht ver - liehen ist, nach den Gesetzen ihres oder eines andern fremden Landes auch in dem diesseiti - gen Staate gerichtet zu werden c); 4) wenn die Interessenten, ohne Ueberschreitung der Gren - zen ihrer Autonomie, durch ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag fremden Staatsgesetzen sich unterworfen haben, in welchem Fall diese die Natur einesVertragrechtes annehmen d); 5) bei Kriegsschiffen in fremdem Seegebiet, welchen nach allgemeinem Herkommen die Ausübung der Gerichtbarkeit nach den Gesetzen ihres Staates über ihre Gerichtpflichtigen zukommt e); 6) wenn ein Staat eigene Unterthanen aus Auftrag ei - nes auswärtigen Staates bestraft, wegen in des - sen Staatsgebiet begangener Verbrechen (§. 63 u. f.).
Die höchste vollziehende oder ExecutivGe - walt des Staates, die Befugniſs, zu Ausführung und Anwendung der, dem Staatszweck gemäſs festgesetzten Normen, die nöthige Anordnung zu machen a), müssen auch fremde Staaten und de -100II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. ren Angehörige in so weit sich gefallen lassen, als ihre Verhältnisse eine oberherrliche Einwirkung des andern Staates begründen, und ihnen durch Verträge keine Ausnahme eingeräumt ist.
Unabhängig von andern Staaten, ist ein sou - verainer Staat auch in Ansehung der Justizho - heit a). Die Befugniſs zu gesetzmäſsiger Ver - fahrungsweise in allen Angelegenheiten der so genannten freiwilligen Gerichtbarkeit oder Ge - richtbarkeit in nichtstreitigen Sachen (Rechts - Polizei, jurisdictio civilis voluntaria), gebührt ihm in dem ganzen Staatsgebiet, über Güter und Personen; doch über fremde Personen nur so weit, als sich dieselbe bloſs auf obrigkeitliche Be - glaubigung ihrer Rechtsgeschäfte bezieht b). Wie - wohl kein Staat diese Gerichtbarkeit ausserhalb seines Gebietes gültigerweise auszuüben ver - mag c), so werden doch die innerhalb dessel - ben von seinen Staatsbehörden gesetzmäsig vor - genommenen, dahin gehörigen Handlungen, we - nigstens der Form nach, fast allgemein auch in dem Ausland für gültig betrachtet, so fern nicht daselbst Staatsgesetze die Autorität einer inlän -101II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. dischen Behörde zur nothwendigen Bedingung ihrer Gültigkeit machen d).
Zu der bürgerlichen Gerichtbarkeit in strei - tigen Rechtsachen (jurisdictio civilis contentiosa), ist ein Staat gegen Unterthanen fremder Staaten dann nicht berechtigt, wenn zugleich der frem - de Staat, als solcher, bei der Rechtsache ein unmittelbares Interesse hat, mithin dieselbe aus dem inländischen Privat - oder Staatsrecht nicht zu entscheiden ist a). Eben so, wenn den Frem - den Exterritorialität in dem Staatsgebiet einge - räumt ist, wie fremden Souverainen, Gesandten, und ihrem Gefolge, und fremden Truppen, oder wenn ihnen unter sich eigene Richter ihrer Na - tion bewilligt sind, wie die Consuln, nach man -102II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. chen Handelsverträgen b). Dagegen ist jene Ge - richtbarkeit gegründet in Rechtshändeln fremder Unterthanen, als Kläger oder Wiederbeklagter, gegen Einheimische c). Zu einem Vorzug in dem Rechtsverfahren oder Gerichtstand, sind die Fremden in diesem Fall nicht berechtigt d), so fern nicht Staatsverträge oder Privilegien einen solchen festsetzen e): wohl aber zu völlig unpar - teyischer, unverzögerter Rechtspflege, deren Ver - weigerung ihren Staat zu Intercession, Retorsion, und selbst zu Gewaltthätigkeiten berechtigen würde f).
Die Justizhoheit eines Staates, mithin auch die Wirksamkeit der bei seinen Gerichten er -103II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. gangenen Decrete und Rechtsprüche, schränkt sich ein auf die Grenzen seines Gebietes. Aber die Rechtshängigkeit einer Streitsache, wenn solche durch Klage des Fremden, oder durch dessen befugte Einlassung auf die wider ihn erhobene Klage vor dem gehörigen Richter be - gründet ist, und eben so die Wirksamkeit in einer solchen Rechtsache ergangener rechtskräf - tiger Erkenntnisse des gehörigen Richters, sollte, wie diejenige rechtsgültiger Verträge, insbeson - dere eines Compromisses auf Schiedsrichter, in jedem andern Staat anerkannt werden. In sol - chem Fall, sollte also auch auswärts die Ein - rede des schon rechtshängigen oder rechtskräf - tig entschiedenen Rechtstreites wirksam seyn a), und die Vollziehung des rechtskräftigen Erkennt - nisses nicht verweigert werden b). Es wird dieses von mehrern Staaten anerkannt c), zum Theil vermöge besonderer Verträge d). Dage - gen enthalten manche Staatsgesetze e) andere Bestimmungen; und auch ohne solche, hat man hie und da entgegengesetzte Grundsätze beob - achtet f).
Die CriminalGewalt, ein Theil der Justizhoheit im weitern Sinn, das Recht, nicht nur peinliche Straf - gesetze zu geben, sondern auch die Strafgerech -105II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. tigkeitspflege anzuordnen und auszuüben, steht jedem Staat zu, aber nur in dem eigenen Staats - gebiet. Die gerichtliche oder polizeiliche Ver - folgung peinlicher Incu〈…〉〈…〉 ten oder Verbrecher, mit bewaffneter (Nacheile) oder unbewaffne - ter Hand, in fremdem Staatsgebiet a), die Er - greifung und Verhaftung derselben in solchem b), ihre bewaffnete Durchführung c), überhaupt ir - gend eine Handlung der peinlichen Gerichtbar - keit in fremdem Staatsgebiet, auch das Strei - fen d), kann ohne besondere Erlaubniſs, oder ohne allgemeine Bewilligung der dortigen Re - gierung mittelst Staatsvertrags, nicht statt fin - den e).
In der Regel ist[e]in Staat befugt, Verbre - chen zu strafen, die ausserhalb seines Gebietes sind begangen worden a), noch zu fordern, daſs andere Staaten solches thun sollen. In dieser Hinsicht sind jedoch folgende Fälle zu unterschei - den. I) Ist eine Rechtsverletzung begangen aus - serhalb eines Staatsgebietes, das heiſst, an einem Ort, wo keine Staatsgewalt herrscht, z. B. von einem Seeräuber auf offener See, so ist kein Staat dieselbe als Verbrechen zu bestrafen befugt; denn es ist hier kein Verhältniſs der Handlung zu den Gesetzen irgend eines Staates. Wohl aber kann der Staat, welcher selbst, oder dessen Un - terthan dadurch beleidigt ist, sich deſshalb Ge - nugthuung nehmen b), wenn er Gelegenheit dazu findet an einem Ort, wo keine Staatsgewalt, oder seine eigene herrscht. Zu einer Genugthuung ist aber hier derjenige Staat nicht berechtigt, welcher selbst, oder dessen Unterthan nicht beleidigt ist.
II) Rechtsverletzungen, welche innerhalb unsers Staatsgebietes sind begangen worden, von Einheimischen oder Fremden, 1) gegen Unter - thanen anderer Staaten, ist unser Staat nach sei - nen Strafgesetzen zu bestrafen befugt und ver - pflichtet; denn der Beleidigte stand unter seinem Schutz, und der Verbrecher als temporärer Un - terthan unter seinen Strafgesetzen. Ohne Ver - stoſs wider die Unabhängigkeit unsers Staates, kann ein anderer Staat, gleichviel ob ihm der Verbrecher angehört oder nicht, dessen Ausliese - rung zur Bestrafung nicht verlangen. Ist die Rechts - verletzung 2) gegen einen andern Staat, als solchen, begangen, z. B. durch Nachprägung seiner Münzen, Verschwörung, Schmähschriften, ehrenrührige bild - liche Darstellungen u. d., so ist unser Staat ver - pflichtet, demselben, auf Verlangen, Genug - thuung zu verschaffen, so weit eine solche mög - lich ist: Strafe kann er aber deſshalb, da der Be - leidigte nicht unter seinem Schutz steht, nur dann verfügen, wenn seine Strafgesetze auch wider diese Art von Vergehen gerichtet sind, und wenn darin eine solche Verletzung der durch das Völ - kerrecht garantirten Sicherheit, als Verbrechen wider den eigenen Staat betrachtet wird a).
108II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten.III) Ist die Rechtsverletzung in einem frem - den Staatsgebiet begangen, von Auswärtigen oder von Unterthanen unsers Staates, 1) gegen Aus - wärtige, oder gegen Unterthanen unsers Staates, so ist unser Staat verpflichtet, dem Beleidigten, auf Verlangen, Entschädigung zu verschaffen, so weit es rechtlich in seiner Macht steht: zu Bestra - fung ist er aber, weil der Beleidigte an dem Or - te der Rechtsverletzung nicht unter seinem Schutz, und der Beleidiger nicht unter seinen Strafgese - tzen stand, nicht berechtigt a). Ausnahmweise kann er den Beleidiger, der sein Unterthan ist, und in dem fremden Staatsgebiet bloſs unter der Strafgewalt des dortigen Staates steht, nur in zwei Fällen strafen; entweder aus Auftrag dieses Staa - tes, und dann nach dessen Gesetzen, oder kraft eigener Strafgesetze b), wenn dergleichen wider auswärts begangene Rechtsverletzungen dieser Art109II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. gegeben sind c). Ist die Rechtsverletzung in frem - dem Staatsgebiet 2) gegen unsern Staat, als sol - chen, begangen, so kann dieser Genugthuung fordern von dem Beleidiger, nicht nur in jedem andern, sondern auch in dem eigenen Staatsge - biet; Strafe kann er aber gegen ihn, wenn er nicht sein eigener Unterthan und ein eigenes Strafgesetz für den Fall vorhanden ist, nicht ver - fügen, noch anderswo ohne besondere dortige Strafgesetze für diesen Fall verlangen, da er nicht unter dem Schutz des fremden Staates steht, ob - gleich er die natürlichen Rechte des Beleidigten gegen den Beleidiger ausüben darf, sowohl in sei - nem Staatsgebiet, als auch an solchen Orten, wo keine Staatsgewalt herrscht. IV) Ist die Rechts - verletzung auf der Staatsgrenze begangen, so ist die Gerichtbarkeit beider Staaten begründet, und es gilt die Prävention d).
I) Ohne Verträge ist kein Staat berechtigt, von einem andern Staate zu fordern, daſs dieser ausserhalb seines Gebietes begangene Verbrechen bestrafe. Daher kann auch der Staat, in dessen Gebiet ein Verbrechen begangen ward, wenn er den ihm zur Auslieferung angebotenen Verbre - cher von demjenigen Staat, in dessen Gebiet derselbe ergriffen ward, nicht annehmen will, von diesem Staat nicht verlangen, daſs derselbe den Verbrecher bestrafe a). II) Ist dasselbe Verbrechen in mehrern Staatsgebieten strafbar, so verpflichtet die in dem einen Staat erfolgte Abolition, Begnadigung, oder Bestrafung b), den andern Staat nicht, das Verbrechen unun - tersucht oder ungestraft zu lassen.
III) Nur offenbare Schuldlosigkeit des An - geschuldigten, offenbare Incompetenz der Ge - richte des andern Staates, übertriebene Härte, oder wahre Nichtigkeit ihres Verfahrens, kann111I. Cap. Recht der Unabhängigkeit. einen andern Staat berechtigen, sich solcher Angeschuldigten, die auf seinen Schutz Anspruch haben, durch gütliche Vorstellung, allenfalls auch mit Zwang, anzunehmen. IV) Unwirk - sam in dem eigenen Staatsgebiet, sind die von Gerichten eines fremden Staates gesprochenen CriminalUrtheile, in Absicht auf Person, Ver - mögen und bürgerliche Ehre des Verurtheilten, Namentlich gilt dieses von der erkannten Ver - mögensConfiscation und Verbannung; und auch der erkannte Verlust der Titel, Ehrenzeichen, und andern Ehrenvorzüge, beschränkt sich auf die von dem verurtheilenden Staat verliehenen oder hestätigten.
V) Ohne Verträge, ist kein Staat verpflichtet zu Auslieferung eigener Unterthanen an fremde Gerichte, zu dem Zweck der Untersuchung und Bestrafung, wegen ausserhalb oder innerhalb sei - nes Staatsgebietes begangenerVerbrechen a); selbst dann nicht, wenn schon die Untersuchung dort angefangen, oder das Urtheil gesprochen wäre. In manchen Staaten ist die Auslieferung sogar durch Gesetze verboten b). Eben so wenig ist ein Staat ohne Verträge schuldig, Fremde, wegen in seinem, oder in fremdem Gebiet begangener Verbrechen, ei - nem andern Staat auszuliefern c). Aber durch Ver - träge haben manche Staaten sich dazu verpflichtet d), vorzüglich durch Cartel in Ansehung der Deserteure112II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. und entflohenen Milizpflichtigen, auch wohl der Schleichhändler e). Und selbst ohne Verträge, sind manche Staaten hierin sehr willfährig, besonders kleinere im Verhältniſs zu grössern f). In Ab - sicht auf Landstreicher (Vagabunden), ist eine Verpflichtung zu wechselseitiger Uebernahme der - selben bisweilen durch Verträge festgesetzt g).
Ohne Verträge, ist kein Staat berechtigt,für113II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. für seine Unterthanen, in Hinsicht auf ihren Aufenthalt, ihr Gewerbe, oder ihr Vermögen in dem Gebiet eines andern Staates, Befreiung von dessen Polizeigewalt zu verlangen. Den allge - meinen PolizeiVerfügungen sind daher auch Frem - de während ihres Aufenthaltes und für ihr Ge - werbe oder Vermögen in dem Staatsgebiet, un - terworfen a). Obgleich in einem Uebertretungs - fall, von einer inländischen Staatsbehörde wider solche Fremde, welchen Exterritorialität bewilligt ist, wie den Gesandten, Strafe nicht verfügt wer - den darf, so berechtigt doch bestimmte, zumal beharrliche Weigerung des Fremden, durch po - lizeigemäses Verhalten die innere Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu befördern, nicht nur zu Beschwer - deführung bei der Regierung des Exterritorialen, sondern auch zu Aufkündigung der Exterritoria - lität.
Dieselbe Unabhängigkeit genieſst jeder Staat auch in Ansehung der Finanzhoheit. Daher müs - sen Unterthanen eines fremden Staates, in AbsichtKlüber’s Europ. Völkerr. I. 8114II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. auf ihren Aufenthalt, Gewerbe, oder Vermögen in einem andern Staat, sich dessen Finanzverfü - gungen gefallen lassen. Sie sind daselbst, für den ihnen zu gut kommenden Staatsschutz, nach ih - rem Verhältniſs in dem fremden Staatsgebiet, der Besteuerung unterworfen, den ordentlichen und ausserordentlichen, directen und indirecten, Per - sonal - und RealSteuern. Doch geniessen in man - chen Staaten die Fremden, entweder gesetz - oder vertragmäsig, auf gewisse Zeit Befreiung von be - stimmten Steuern. Auch ist in den meisten Han - delsverträgen, den Unterthanen des einen Staates in dem Gebiete des andern, Abgabengleichheit entweder mit den eigenen Unterthanen, oder mit den Angehörigen der am meisten begünstigten Nation bewilligt. Ausserdem wäre eine Ungleich - heit nicht wider das Völkerrecht; wiewohl dieselbe Anlaſs zu Retorsion geben könnte. Die auswärti - gen Güterbesitzer (Forenses) sollten überall in dem Lande wo sie bloſs Güter besitzen, mit Personal - Steuern, und in dem Lande, wo sie ihren Wohn - sitz haben, in Ansehung ihrer auswärtigen Grund - besitzungen mit RealSteuern verschont werden a).
Die Unabhängigkeit des Staates begründet den115II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. freien Gebrauch des Strassen - und GeleiteRegals, und des CommerzRegals a), des Rechtes auf Lei - tung und Benutzung aller Arten des Handels zu dem Staatszweck. Kein Staat ist befugt zu hin - dern, daſs ein anderer Staat in seinem Land - und Seegebiet durch Einrichtungen und gesetzliche Be - stimmungen zweckmäsig wirke für Leitung und Beförderung des Handels, auch des ausländischen, so daſs bei diesem, wo möglich, die Bilanz zum Vortheil des Inlandes ausfalle. Hiezu sollen un - ter anderem dienen: die Ausübung der Handels - Polizei, Gesetzgebung und Gerichtbarkeit, die Schliessung vortheilhafter Handels - und Schiffahrt - verträge mit andern Staaten b), Bestimmungen über Ein -, Aus - und Durchfuhr der Handelswaa - ren, der Land - und Wasserzoll von ein -, aus - und durchgehenden Waaren, sowohl Producten als auch Manufacturen, Messen und Märkte, Han - delsPrivilegien (jus emporii) für Gemeinheiten, Gesellschaften und Einzelne, der Vorkauf (jus propolii), die Lagerhaus - oder Niederlagegerech - tigkeit, die Wagegerechtigkeit, das Kranrecht, die Stapelgerechtigkeit zu gezwungener temporärer Feilbietung aller, oder bestimmter Waaren, der Strassenzwang, der Umschlag oder das Stationen - recht c) (droit de relâche et d’échelle), das Recht des Alleinhandels (Monopolien), die Errichtung der Kaufmannsgilden und Krämerinnungen, der Giro -, Deposital - oder UmsatzBanken, der Zet -116II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. tel -, Wechsel - oder CirculationsBanken, der Cre - ditCassen, der Pfand - oder Leihhäuser (Lom - bards), die Aufsicht und Gesetzgebung über das Assecuranz -, Bodmerei - und GroſsAventüreWesen (contrats à la grosse aventure), die Bestimmung des Verhältniſses der Fremden in Hinsicht auf den inländischen Handel d), die Begünstigung einer Nation vor der andern e), die Erwerbung eigener Staatsdienstbarkeiten zum Vortheil des Handels f), u. d. m.
Diese Handelsberechtigung eines unabhängi - gen Staates erstreckt sich auf jede Art des Handels; auf öffentlichen und PrivatHandel; auf Land - und Seehandel a); auf Groſs - und Kleinhandel; auf ProductenHandel, Fabrik - und ManufacturHan -118II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. del, Geld - und Wechselhandel, Assecuranz -, GroſsAventüre - und BodmereiHandel; auf Han - del für eigene Rechnung (PropreHandel) und für Fremde, wie der Commissions -, Speditions - und Frachthandel; auf inländischen Handel, TransitoHandel und Handel nach dem Ausland, es sey dieser ökonomischer (mit inländischen Materialien) oder Zwischenhandel; endlich auch auf den Handel mit Nebenländern und mit den Colonien eines europäischen Staates in fremden Welttheilen, so weit diese Colonien zu seinem Land - und Seegebiet gehören b). Den meisten Colonien wird der Handel nur mit dem Haupt - staat c), bisweilen nur mit einer von diesem octroirten grossen Handelsgesellschaft d), etli - chen auch mit aussereuropäischen Völkern, we - nigen mit etlichen oder allen europäischen Staa - ten gestattet e). Auch der TransitoHandel durch das Colonialgebiet, kann jedem andern Staat, der nicht durch Vertrag dazu berechtigt ist, ver - sagt werden f).
Ausser dem, daſs jeder Staat in seinem Land - und Seegebiet über den Handel zu verfügen hat, steht demselben auch die natürliche Handelsfreiheit zu, das Recht mit andern Staaten und deren Un - terthanen, selbst oder durch seine Unterthanen, nach beiderseitigem Willen Handel zu treiben. Diesem Recht steht gegenüber die Pflicht eines jeden dritten Staates, die gegenseitig Handel trei - benden Staaten in der Ausübung dieses Rechtes nicht zu stören, so fern er durch solche an seinen Hoheits - oder Vertragrechten nicht gekränkt wird. Namentlich gilt dieses von dem Handel und der Handelsschifffahrt nach fremden Welttheilen, ins - besondere nach Indien a). Auch sind die ehema - ligen ungegründeten Ansprüche auf Alleinhandel, von Seite Portugals nach Ostindien, von Seite Spa - niens nach Westindien b), nunmehr wenigstens stillschweigend aufgegeben. Dagegen ist jeder Staat befugt, durch Verträge seiner natürlichen Handelsfreiheit auch hier Schranken zu setzen. So haben zuweilen europäische Mächte, zum Vor - theil anderer europäischen Staaten, auf den Han - del nach Indien ganz oder zum Theil verzichtet c);121II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. und bisweilen hat ein aussereuropäischer Staat sich gegen eine europäische Macht zu ausschliessendem Handel mit derselben verpflichtet d). — Von dem Handel, besonders dem Seehandel der Neu - tralen, in Kriegszeiten, wird unten gehandelt (Th. II, Tit. 2, Abschn. 2, Cap. 1 u. 2); und eben so von Handelsverträgen (Th. II, Tit. 2, Abschn. 1, Cap. 2).
In Gemäſsheit des pariser Friedens von 1814 a), beschäftigten auf dem wiener Congreſs die acht Mächte, welche diesen Frieden unter - zeichnet hatten, sich eifrig mit Maasregeln zu vollständiger und allgemeiner Abschaffung des af - rikanischen Sclaven - oder Negerhandels b) (traite des nègres d’ Afrique). In dem pariser Tractat vom 20 Nov. 1815 c), verpflichteten sich hierauf Oestreich, Ruſsland, Groſsbritannien, Preussen und Frankreich, nachdem sie allerseits schon, jeder in seinen Staaten, ihren Unterthanen und Colonien jede Theilnahme an dem Negerhandel ohne Einschränkung verboten hatten, ihre Bemü - hungen abermal dahin zu vereinigen, daſs den von ihnen auf dem wiener Congreſs ausgespro - chenen Grundsätzen ein endlicher Erfolg zu Theil werde. Zu dem Ende machten sie sich anhei - schig, durch ihre Gesandten an den Höfen von London und Paris, ohne Zeitverlust die wirksam - sten Maasregeln zu verabreden, um die gänzli - che und definitive Abschaffung eines so gehässigen, durch die Gesetze der Religion und der Natur so laut gemiſsbilligten Gewerbes zu bewirken. Hier - auf wurden Verträge geschlossen, wegen gänzli - cher und definitiver Abschaffung des Negerhan - dels d).
Dieselbe Unabhängigkeit der Staaten findet statt bei dem Regal der Münze. Bei Bestimmung des inländischen Münzfusses und des Zahlwerthes auswärtiger Münzen, bei dem gänzlichen Verbot der letzten in den öffentlichen Cassen und in dem inländischen Verkehr, so auch der Ausfuhr inlän -124II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. discher Münzen und des rohen Goldes und Silbers, kann jeder Staat bloſs auf eigenes Interesse Rück - sicht nehmen a), wenn nicht etwa Verträge Aus - nahmen in Ansehung der Fremden festsetzen b), oder man sich, bei ungleicher beschwerender Behandlung der Auswärtigen im Verhältniſs zu Einheimischen, der Retorsion aussetzen will. Ta - lion, Repressalien, und andere gewaltsame Maas - regeln müſste der Staat sich gefallen lassen, wenn er sich eine Rechtsverletzung anderer Staaten oder ihrer Unterthanen erlaubte, durch Nach - prägung ihrer Münze, oder Prägung geringhalti - ger Münze unter ihrem Stempel c), durch ver - tragwidrige Nöthigung fremder Staaten oder ihrer Unterthanen, geringhaltige Münzen, Papiergeld und andere Münzzeichen nach ihrem vollen Nenn - werth (al Pari) anstatt vollwichtiger Metallmünze anzunehmen d), und durch Verfügung anderer unrechtlicher Finanzoperationen e). In Staatsver - trägen wird, in dieser Hinsicht, die Enthaltung von Recht〈…〉〈…〉 verletzung fremder Unterthanen, bis - weilen ausdrücklich bedungen f).
Das Institut der Posten, dieses unschätzba - re Verkehrmittel aller civilisirten Nationen, ob - gleich an sich unabhängig von andern Staaten, wird von benachbarten Staaten für ihr gemein - schaftliches Interesse an den Grenzen in Verbindung gesetzt,[durch] Combinations - u. a. Postverträge a). Da der Zweck Einheit der Anstalt auf einem gros - sen Raum gebietet, so überlassen gewöhnlich klei - nere Staasen dieselbe durch Verträge, unter ih - rer Aufsicht, Gesetzgebung, Polizei und Gericht - barkeit, entweder benachbarten grössern Staaten, oder einem PrivatUnternehmer der Post in meh -126II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. rern angrenzenden Staatsgebieten b). Selten hat jetzt ein Staat das Postrecht als Staatsdienstbarkeit in fremdem Gebiet c). Durch Annehmung der Briefe, Packete, und Effecten auf die Post, auch von und nach dem Ausland, verpflichtet sich die Post, und mit ihr der Staat, unter dessen Au - ctorität dieselbe betrieben wird, zu Handhabung des Briefgeheimnisses, der Unverletzbarkeit der der Post anvertrauten Briefe, Packete und Ef - fecten d), dem geraden Gegentheil des so genann - ten Postgeheimnisses (secret de la poste), der heimlichen Eröffnung derselben ausserhalb des dringenden Nothfalles e). Bei erlittenem Schaden durch gewaltsame Beraubung der Posten, oder durch Schuld der Postbeamten, können fremde Staaten oder deren Unterthanen auf gleiche Genug - thuung und Entschädigung Anspruch machen, wie die eigenen f).
Das Recht der Bergwerke, an sich unabhän - gig von dem Willen fremder Staaten, wird auch unterirdisch begrenzt durch die Staatsgrenze auf der Erdoberfläche. Es kann in einem bestimmten Bezirk mehrern Staaten gemeinschaftlich a), und einem Staat in dem Gebiet des andern als Staats - dienstbarkeit b) zustehen. Das letzte gilt auch von dem Forst - und JagdRegal c). In mehrern Staaten bestehen gesetzliche Einschränkungen oder128II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. Verbote des Holzverkaufs ausser Landes, in Ab - sicht auf Brenn - und Nutzholz, namentlich zu dem Schiffbau. Die Wildfolge, die Verfolgung des angeschossenen Wildes in fremdes Gebiet oder Jagdrevier, kann nur durch Verträge gerechtfertigt werden d),
Ganz vorzüglich bewährt sich die Unabhän - gigkeit der Staaten in dem freien, ausschliessen - den Gebrauch des WasserRegals; nach seinem ganzen Umfang a), in dem eigenen See - und Fluſs - gebiet (§. 129 f.), so fern nicht durch Vertrag ei - nem andern Staat ein Recht auf dessen völligen oder theilweisen Nichtgebrauch b), ausschliessen - den Gebrauch oder Mitgebrarch c) eingeräumtist.129II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. ist. Nicht widerrechtlich wäre selbst das gänz - liche Verbot der Durchfahrt fremder Schiffe auf inländischen Strömen, Flüssen, Seen und Canälen, der Durchfahrt auf dem Meer unterhalb der Canonen, des Einlaufens und Aufenthaltes in den Häfen und auf der Rhede des Staates. Doch wird alles dieses den Schiffen freundschaftlicher Mächte, ausserhalb der geschlossenen Häfen, jetzt nicht leicht versagt, gegen Entrichtung der eingeführten Zölle d) des Hafengeldes für den Aufenthalt in dem Hafen, des Grundgeldes (groundage) für auf den Strand gesegelte Schiffe, des Tonnengeldes e), und anderer Abgaben, auch mit Beobachtung des etwa geltenden Stapelrechtes und Umschlags oder Stationenrechtes (§. 69); nur bedürfen Kriegs - schiffe, den Fall der Noth oder eines Vertrags aus - genommen, an den meisten Orten jedesmal beson - derer Erlaubniſs. Gemildert oder aufgehoben sind meist die in dem Mittelalter so häufigen, strengen Verbote, Fremden Schiffe zu bauen oder zu verkaufen f).
Ein so genanntes Strandrecht a) (Grundruhr, jus littoris, droit de varech), ein Recht, die schiff - brüchigen, oder aus Noth über Bord geworfenen Güter sich zuzueignen, wäre wider das natürliche Völkerrecht; denn jene Güter werden, durch den Schiffbruch oder das Auswerfen zu Erleich - terung des Schiffes, nicht verlassenes oder Nie - mand gehöriges Gut (res derelictae aut nullius). Auch wird ein solches Recht jetzt nur noch aus - geübt gegen Seeräuber, Schleichhändler, und Schiffer in verbotenen Fluſs - oder Seegegenden, an den dänischen Ufern der Elbe b), und retor - sionsweise. Durch Gesetze und Staatsverträge c) ist es vielfältig ausdrücklich abgeschafft. Dage - gen ist an den meisten Orten durch Gesetze und Verträge das Recht der Bergung (jus bona nau - fragorum colligendi, droit de sauvement) ein - geführt und bestimmt; nach welchem die geret - teten, geworfenen oder schiffbrüchigen, Güter gewisse Zeit, meist Jahr und Tag, aufzubewah - ren, und den unterdessen sich meldenden Eigen - thümern herauszugeben sind, gegen Entrichtung des Bergegeldes (Bergelohn, pecunia servaticia), welches gewöhnlich besteht in einem verhältniſs - mäsigen Theil des Werthes der geretteten Gü - ter d).
Bei Ausübung des Regals der IndustrieCon - cessionen für nützliche Unternehmungen, Gewer -133II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. be, Handlungen und Befugnisse, die wegen des[StaatsInteresse] der Willkühr eines Jeden nicht überlassen werden a), kann ein Staat ausschlies - send die Inländer begünstigen, oder den Aus - wärtigen und Fremden minder vortheilhafte Be - dingungen bewilligen. Den Inländern kann er verbieten, von andern Staaten Concessionen die - ser Art anzunehmen, solche zu unterstützen, oder auf irgend eine Art daran Theil zu neh - men, z. B. in ausländische Handels - und an - dere Gesellschaften zu treten, für auswärtige Zahlen - oder Classenlotterien und WettComtoire zu sammeln, oder darein zu setzen b); aus - wärts Fabriken anzulegen und zu betreiben, u. d.
In Absicht auf das LandesschutzRegal, darf, ohne Verträge, kein Staat den andern beschrän - ken in Festsetzung und Ausübung seines Wil - lens, ob und welchen Auswärtigen, und unter welchen Bedingungen, er das Indigenat, die Aufnahme zu Landesunterthanen, und das Staats - bürgerrecht bewilligen a), ob und unter wel - chen Bedingungen er Auswärtigen inländischen, und Inländern ausländischen Gutsbesitz b), oder anderes auswärtiges unterthanschaftliches Ver -134II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. hältniſs c) gestatten, ob und wie weit er Frem - den, durchreisenden und andern, die sich für bestimmte oder unbestimmte Zeit erlaubterweise in dem Staatsgebiet aufhalten, für die Zeit ihres Aufenthaltes den temporären Landesschutz erthei - len will d).
Durch Aufnahme fremder Staatsangehörigen zu Unterthanen, handelt ein Staat nicht widerrecht - lich, so fern Anlockung oder Verleitung derselben zur Auswanderung a), gegen das Verbot ihres Staates, oder gar gewaltsame Wegnehmung der - selben b), damit nicht verbunden ist. Wenn dagegen einem Staat unverwehrt ist, seine in fremden Staaten befindlichen Unterthanen, welche ihrer Unterthanpflicht noch nicht entlassen, oder widerrechtlich ausgewandert sind, zur Rückkehr aufzufordern, so ist derselbe doch nicht befugt, öffentliche Bekanntmachung seiner Avocatorien in andern Staaten, oder Auslieferung jener Un - terthanen zu verlangen, am wenigsten aber dieselben mit Gewalt aus dem fremden Staats - gebiet abzuholen, gleichviel ob sie daselbst schon naturalisirt sind, oder nicht c).
Vermöge des LandesdienstRegals ist jeder Staat befugt, von seinen Unterthanen ausschlies - send Staatsdienste, dem Staatszweck gemäſs, zu136II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. verlangen. Von seinem Willen hängt daher ab, ob und wie fern seine Unterthanen in einem andern Staat Hof -, Civil - oder MilitärDienste leisten dürfen. Manche Staaten setzen hierin der natürlichen Freiheit ihrer Unterthanen keine positiven Grenzen; doch bleibt ihnen, und üben sie die Befugniſs aus, in dem Nothfall dieselben zurückzurufen, vorzüglich in Kriegszeiten aus den MilitärDiensten der feindlichen Macht. Andere gestatten ihren Unterthanen nicht, ohne ihre besondere Erlaubniſs in fremde Staatsdienste zu treten, oder darin zu bleiben a); eine Einschrän - kung, welche jedoch aufhört mit einer recht - mäsigen gänzlichen Trennung des Unterthans von dem Staat.
In dem Mittelalter übte der Fiscus allgemein a) 137II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. das Heimfallsrecht (Fremdlingsrecht, jus albina - gii, droit d’aubaine) aus, das Recht, nach wel - chem der ganze inländische Nachlaſs der im Lande verstorbenen Fremden, dem Fiscus heim - fällt, mit Ausschluſs aller Testament - und Ver - tragerben und der auswärtigen Intestaterben b). In der neuern Zeit ward es fast überall aufge - hoben, durch Gesetze oder Herkommen, häufig auch durch Staatsverträge, besonders mit Frank - reich c). Die französische NationalVersammlung erklärte dasselbe für eine Schande der Mensch - heit, und schaffte es allgemein ab d). Seitdem gilt, so viel man weiſs, in allen europäischen Staaten der Grundsatz, daſs das Heimfallsrecht nur retorsionsweise von dem StaatsFiscus gegen diejenigen Staaten auszuüben sey, welche sich desselben gegen den eigenen Staat bedienen würden e). Bei dem Nachlaſs solcher Frem - den, welchen der Staat Naturalisation bewilligt hat, sollte es da, wo es etwa noch besteht, nicht ausgeübt werden f); ausgenommen als Retorsion gegen solche Staaten, die sich desselben auch in diesem Fall bedienen.
Von inländischem Vermögen, welches in das Ausland geschafft wird, erhebt der Fiscus a) nicht selten eine letzte Steuer, in zwei verschie - denen Fällen: 1) die Nachsteuer (Nachschoſs, gabella s. census emigrationis, droit de retraite ou gabelle d’émigration), welche von dem, bei oder nach der freiwilligen Auswanderung eines Unterthans aus dem Staatsgebiet gezogenen Ver - mögen desselben zu bezahlen ist, und 2) das Abzugsgeld (Abschoſs, census hereditatis vel legati, droit de détraction), welches von dem aus dem Nachlaſs eines Unterthans durch Erbrecht in das Ausland kommenden Vermögen, nach einem be - stimmten Verhältniſs zu entrichten ist b). Beide,140II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. auch bisweilen zusammen unter dem Namen Detract (jus detractus) begriffen, sind in der neuern Zeit in manchen Staaten durch Gesetze allgemein abgeschafft c), in vielen sind sie ent - weder allgemein auf Retorsion beschränkt d), oder mit einzelnen Staaten durch Verträge gegenseitig aufgehoben, wenigstens beschränkt e). Dagegen kann die Verfügung einer VermögensConfisca - tion f), auf auswärtiges Vermögen nicht gezogen werden (§. 65).
Die Selbstbestimmung seines Willens gebührt jedem Staat auch bei Ausübung des Rechtes, Aemter, Titel, Ehrenzeichen, Rang und Stan - deserhöhung zu ertheilen. Namentlich gilt die - ses nicht nur von der Zulassung oder Ausschlies - sung fremder Unterthanen, in Absicht auf die genannten Vortheile a), sondern auch von der Ernennung zu Hof - und Staatsämtern, von der Versetzung, Zuruhesetzung, Suspension, Dienst - entlassung und Cassation der Hof - und Staats - diener. Doch können Gründe der Politik eine Staatsregierung bestimmen, von ihren eigenen Maasnehmungen dieser Art andern Höfen Nach - richt zu ertheilen b), oder wohl gar von diesen positive oder negative Handlungen bei ihrer Ausü - bung oben gedachter Rechte zu begehren c), deren Verweigerung jedoch als Rechtsverletzung in der Regel nicht zu betrachten ist. Auch können in manchen, wenn gleich souverainen Staaten,142II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. Gebrauch, Politik, und politische Machtverhält - nisse gewisse Schranken setzen, bei Ertheilung wirklicher und TitularChargen, der Decoratio - nen und Standeserhöhungen; zumal wenn man Rücksicht nimmt auf öffentliche Achtung und Hof - Etiquette, auch eigene Rangverhältnisse mit an - dern Staaten d).
Seinen eigenen Unterthanen kann jeder Staat verbieten, unbedingt, oder ohne seine besondere Bewilligung, Vortheile der vorhin genannten Art, und Pensionen a) von andern Staaten an - zunehmen b) (§. 81). Auch wäre derselbe nach natürlichem Völkerrecht nicht verpflichtet, die an solche Personen, welche nicht in unterthan - schaftlichem Verhältniſs zu ihm stehen, von an - dern Staaten verliehenen Aemter, Titel, Deco - rationen, Rang und Standeserhöhung in seinem Staatsgebiet anzuerkennen c). Aber die Erwä - gung des eigenen StaatsInteresse, hat diese An - erkennung zu europäischer Völkersitte erhoben, wovon nur in solchen Fällen Ausnahmen vor - kommen, wo nothwendige Voraussetzungen in143II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. dem Recht der Ertheilung d) oder Annehmung streitig sind.
In Absicht auf das Erziehungs - und Unter - richtRegal a) steht es in dem freien Willen eines jeden Staates, ob und wie weit er Aus wärtige an inländischen, und Inländer an aus - wärtigen Erziehungs - und Unterrichtanstalten b), Industrie -, Kunst - und gelehrten Gesellschaften will Theil nehmen lassen, auch die in dem Ausland ertheilten akademischen Würden in sei - nem Staatsgebiet anerkennen, und die Einfuhr auswärtiger Druckschriften gestatten will c).
Vermöge der Unabhängigkeit seiner Kir - chenhoheit, ist kein Staat verpflichtet, sich von einem andern irgend einen kirchlichen Lehrbe - griff, die Duldung einer bestimmten Glaubens - partei, oder die äussere Religionsübung (ausser der einfachen Hausandacht) für die in seinem Staats - gebiet sich aufhaltenden Unterthanen des andern Staates aufdringen zu lassen. Selbst das in der römisch-katholischen Kirche, nach dem darin angenommenen Grundsatz der Einheit (des Pon - tificats), regierende Oberhaupt, ist in seiner kirchlichen Wirksamkeit von Rechtswegen überall der Staatsgewalt untergeordnet a), so weit nicht Concordate (§. 31) Ausnahmen festsetzen. Da - gegen ist auch, in der Regel, kein Staat be - rechtigt, der Religionsbeschwerden einer Glau - benspartei in dem Gebiet eines andern Staates sich zwangweise anzunehmen b), oder in frem -dem145II. Cap. Recht der Unabhängigkeit. dem Staatsgebiet gelegenes Kirchengut sich zu - zueignen c).
Jedem Staat gebührt die Lehnhoheit, auch über die in seinem Staatsgebiet befindlichen Activ - und Passiv-Lehen anderer Staaten, so fern diesen nicht, ganz oder zum Theil, Befreiung davon, durch Vertrag bewilligt ist. Befindet der Vassall selbst, in Absicht auf das Lehn sich in dem Besitz der Souverainetät überhaupt, so gebührt ihm auch die Lehnhoheit a). In dem Wehr - und Waffenrecht b), namentlich in Absicht auf Gestattung des TruppenDurchmarsches c) und der Werbung (§. 272) in seinem Gebiet, und in dem Gebrauch des äussersten Rechtes (jus eminens s. ratio status scil. extraordinarii), selbstKlüber’s europ. Völkerr. I. 10146II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte der europ. Staaten. gegen die Person und das Eigenthum auswärtiger Staatsunterthanen d), ist kein Staat schuldig, sich von andern Staaten willkührliche Einschränkungen gefallen zu lassen.
Die natürliche Gleichheit der Staaten, eine Folge ihrer Unabhängigkeit, ist das dritte Ur - recht derselben. Sie besteht in dem Recht eines jeden Staates, zu fordern, daſs die Rechte an - derer Staaten nicht gröſser, die Pflichten der - selben nicht geringer seyen, als die seinigen, in ihrem gegenseitigen Verhältniſs. Weil in diesem Verhältniss alle Staaten das Recht der freien moralischen Persönlichkeit geniessen, so147 muſs jeder von ihnen alle Rechte haben, welche unbedingt daraus fliessen. Es gebühren also von Natur allen Staaten gleiche Rechte, die rechtliche Gleichheit. Da das natürliche gegen - seitige Verhältniſs der Staaten überall dasselbe, mithin wesentlich ist, so wird jene Gleichheit durch zufällige Eigenschaften eines Staates nicht gemindert, noch aufgehoben; nicht durch Ver - hältnisse des Alters, der Volksmenge, des Staats - gebietes, der Macht, der Staatsform, des Re - gentenTitels, der Cultur jeder Art a), des An - sehens, der von andern Staaten erhaltenen Eh - renbezeugungen, u. d. Insbesondere gestattet die rechtliche Gleichheit nicht die Anmassung eines Vorranges, einer Oberherrschaft, der Gericht - barkeit, des Strafrechtes, gegen andere Staaten.
Die rechtliche Gleichheit äussert ihre Wir - kung in der Regel auch in dem Ceremoniel der Staaten unter sich, das heiſst, in dem Inbegriff der Förmlichkeiten bei ihrem gegenseitigen Be -148II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. nehmen. Dieses Ceremoniel findet statt, theils bei körperlicher Gegenwart der Souveraine und ihrer Stellvertreter, theils in ihrer Abwesenheit, wo in schriftlichen Verhandlungen das Canzlei - Ceremoniel der Souveraine, ihrer Staatsbehörden und Gesandten, in Betracht kommt. Besondere Arten von beiden, sind das Schiff - oder See - Ceremoniel, und das KriegsCeremoniel. Nur ein kleiner Theil des Ceremoniels beruht auf vertragmäsiger Uebereinkunft, das meiste hinge - gen entweder auf blosser Willkühr, oder auf blossem Gebrauch a). Das letzte, wie sorgfältig auch darüber pflegt gehalten zu werden, ist kein eigentlicher Gegenstand des Völkerrechtes b). Von weit geringerem Umfang, als das Ceremo - nielWesen überhaupt, ist daher das Ceremoniel - Recht der Staaten unter sich, wiewohl das letzte in Schriften c) gewöhnlich nicht streng genug abgesondert wird von dem übrigen Ceremoniel. Das gesandschaftliche oder diplomatische Cere - monielRecht kommt unten vor, bei dem Gesand - schaftrecht, aber das übrige Völker - oder Staa - tenCeremoniel findet hier seine Stelle, so weit eine Gleichheit oder Ungleichheit darin erscheint.
Durch freie Uebereinkunft kann selbst ein souverainer Staat, im Verhältniſs zu einem oder mehreren andern, der ursprünglichen Gleichheit der Rechte zum Theil entsagen. Nicht selten geschieht dieses in Hinsicht auf Vorzug, Rang, Staats - und RegentenTitel, und andere Gegen - stände des Völker - oder StaatenCeremoniels. So haben manche europäische Staaten andern gewisse Vorzüge (Prärogative) eingeräumt, Auszeichnun -150II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. gen vor ihnen. Besonders gehören hieher die königlichen Ehren (honores regii, honneurs royaux), ein Inbegriff conventioneller Ehrenbe - zeugungen, welche in Europa als die höchsten betrachtet werden, die ein Staat von einem an - dern empfangen kann a). Nicht bloſs der Rang vor allen andern unabhängigen Staaten, denen königliche Ehren nicht zustehen, und manche Ceremonielrechte, z. B. die Königskrone, der Brudertitel, sondern auch das Recht Gesandte vom ersten Range (Botschafter, Ambassadeurs) zu schicken, wird dahin gerechnet. Nicht allein kaiserliche und königliche Staaten, auch groſs - herzogliche, die ehemaligen kurfürstlichen des teutschen Reichs, und verschiedene grössere Re - publiken b), geniessen königliche Ehren; doch die letzten meist mit gewissen Einschränkungen.
Zu den Vorzügen, wodurch ein Theil der natürlichen Gleichheit freiwillig aufgegeben wird, gehört auch die Einräumung des Vorranges, (Präcedenz, Proëdria, Protostasia, Précédence, Pas, Préséance), eines Vorzugs in der von meh - reren zu beobachtenden Ordnung a). Aus der Natur des gegenseitigen Verhältnisses freier Staaten, ist eine bestimmte Rangordnung derselben nicht abzuleiten b), vielmehr ist nach der Natur die - ser Verhältnisse jede Stelle oben, das heiſst, es giebt in persönlichen und schriftlichen Ver - handlungen keine obere und keine untere Stelle, keinen vorzüglichen oder Ehrenplatz. Nur durch Verträge, ausdrückliche oder stillschweigende, kann unter freien Staaten eine Rangordnung festgesetzt werden c).
Daher können Streitigkeiten über den Vor - rang, oder über die Gleichheit in dem Rang, nur auf dieselbe Art, wie jeder andere Streit unter freien Völkern, beigelegt werden a); doch sollte während des Streites, überall dem fehlerfreien Besitzstand Achtung widerfahren b). Verwerf - lich aber ist, was man hie und da als Entschei - dungsgründe des Vorranges angeführt hat c): Alter der Unabhängigkeit des Staates, Alter des Regentenhauses, oder der königlichen Würde, frühere Annahme des Christenthums, grössere Macht oder Uebermacht des Staates, Zahl und Grösse der zu einem Staat vereinigten Länder, Staats - und Regierungsform, höhere Staats - und Regenten Titel, Vielheit und Grösse der Kriegs - thaten, höhere geistige und sittliche Cultur, Schutz -, Lehn - oder Zinsverhältnisse über an - dere unabhängige Staaten, hohe Würde der an -153III. Cap. Recht der Gleichheit. gehörigen Vassallen, Verdienste um den Papst und die katholische Kirche, u. d. m.
Eine allgemeine Rangordnung der euro - päischen Staaten hat nie bestanden a). Die verschiedenen päpstlichen Rangordnungen für die katholischen Staaten, vorzüglich diejenige des Papstes Julius II. von 1504 b), eine An - massung der Päpste, wobei meist der Besitz - stand auf den Kirchenversammlungen, dem ehe - maligen Mittelpunct der Rangverhältnisse christ - licher Staaten, zum Grunde gelegt ward, sind nie allgemein anerkannt worden, nicht einmal auf den Concilien und in der päpstlichen Ca - pelle. Eben so wenig kam die auf dem wiener Congreſs beabsichtigte Bestimmung des Ranges unter den europäischen Mächten, zu Stande c). Wohl aber haben hin und wieder vertragmäsige154II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. Bestimmungen statt gehabt, in Absicht auf den individuellen Rang einzelner europäischen Staaten.
So haben 1) die katholischen Souveraine, selbst der römisch-teutsche Kaiser, geglaubt, dem Papst, als dem (angeblichen) Statthalter Christi und dem geistlichen Oberhaupt der ka - tholischen Kirche, den persönlichen Vorrang,155III. Cap. Recht der Gleichheit. ohne Nachtheil ihrer weltlichen Rechte, einräu - men zu müssen a). Als weltlicher souverainer Regent, befand sich der Papst auch gegen man - che evangelische Souveraine, vorzüglich solche, denen königliche Ehren nicht zustehen, in dem Besitz des Vorranges: nie aber gegen Ruſsland und die Pforte. 2) Dem römisch-teutschen Kaiser, ward von allen christlichen Mächten in Europa der Vorrang eingeräumt b). Da - gegen hatte derselbe, auch als Beherrscher sei - ner Erbstaaten (seit 1804 Kaiser von Oestreich), mit der osmanischen Pforte völlige Ranggleich - heit festgesetzt c).
Die meisten jetzigen gekrönten Häupter von Europa behaupten, in der Regel, die Gleichheit des Ranges unter sich a); und wenn einige, vorzüglich Frankreich b), Spanien c), und in der neuern Zeit Ruſsland d), wahr - scheinlich jetzt auch Oestreich e), einen durch - gängigen Vorrang, vor allen oder einzelnen,156II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. in Anspruch genommen haben f), so hat es selten an Widerspruch gefehlt. Doch hatte Frankreich, unter Napoleon’s Regierung, von mehreren Königen, besonders solchen, die durch seine Bemühung die Königswürde erlangt hatten, willige Anerkennung des von ihm behaupteten Vorranges erlangt. Einige dringen zwar auf allgemeine Gleichheit, besonders in schriftlichen Auſsätzen, räumen jedoch ausnahmweise bei ge - wissen Gelegenheiten einigen Mächten den Vor - rang ein, wie Portugal und Sardinien den Kro - nen Frankreich, Spanien und Groſsbritannien g), und Dänemark der Krone Frankreich h).
Von der Pforte liessen für ihre Gesandten bei derselben, sich den Rang versprechen, Frank - reich für seine Botschafter vor den Botschaftern Spaniens und der andern Könige a), und nach - her Ruſsland für seine Gesandten der zweiten Classe unmittelbar nach dem Gesandten des rö - misch-teutschen Kaisers, wenn dieser ebenfalls von der zweiten Classe ist, wenn er aber von einer höhern oder niedern Classe wäre, unmit - telbar nach dem Botschafter von Holland, und,158II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. in dessen Abwesenheit, von Venedig b). Für das teutsche Bundesverhältniſs, sind in der Bun - desActe c) die Könige in folgender Ordnung genannt: Baiern, Sachsen d), Hannover e), Wir - temberg.
1) Diejenigen monarchischen Souveraine mit königlichen Ehren, welche weder den kaiser - lichen noch den königlichen Titel führen, räu - men allen Kaisern und Königen den Vorrang ein a). In der teutschen BundesActe b), ist der Rang der Groſsherzoge und des Kurfürsten von Hessen definitiv noch nicht bestimmt, ins - besondere ausserhalb der Bundesversammlung. 2) Die monarchischen Souveraine ohne könig - liche Ehren, weichen im Rang denen, welche159III. Cap. Recht der Gleichheit. solche Ehren geniessen. Der Rang derer, wel - che Mitglieder des teutschen Bundes sind, soll von der Bundesversammlung definitiv festgesetzt werden, jedoch nur in Hinsicht auf ihre Stimm - ordnung in derselben, ohne Einfluſs auf ihren Rang überhaupt und auf ihren Vortritt ausser den Verhältnissen der Bundesversammlung c). 3) Halbsouveraine oder abhängige Staaten ste - hen, in der Regel, den ganz souverainen in dem Range nach d).
1) Die Republiken räumen, in der Regel, den wirklichen Kaisern und Königen den Vor - rang ein a); aber in Ansehung der meisten übri - gen monarchischen Souveraine, ist ihr Rangver - hältniſs weniger bestimmt b). 2) Auf Friedens - und andern Congressen, geniessen gewöhnlich die Gesandten der vermittelnden Mächte den Vorrang vor denjenigen der streitenden Theile, selbst dann, wenn sie von geringerer Classe sind. 160II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. 3) Bei wechselseitigen Besuchen der Souveraine, giebt gewöhnlich der Wirth dem Gast den Vor - rang, wenn beide von gleicher Rangclasse sind c). Dasselbe gilt in der Regel auch von Besuchen der Gesandten d).
Für diejenigen Staaten, unter welchen ein bestimmter Rang festgesetzt ist, hat der Gebrauch nach und nach eine gewisse Ordnung der Rang - plätze eingeführt. I) In schriftlichen Aufsätzen, besonders in Staatsverträgen, wenn eine Ordnung unter mehreren benannten Staaten oder derenStell -161III. Cap. Recht der Gleichheit. Stellvertretern in Betrachtung kommt, hat 1) in dem Context, vorzüglich in dem Eingang, der zuerst genannte Staat den ersten, der nächstfol - gende den zweiten, der weiter folgende den drit - ten Platz, u. s. w. 2) Die Unterschrift geschieht nicht selten auf zwei Columnen a). Auf der he - raldisch rechten Columne (dem Leser zur Linken), ist die oberste Stelle der erste Platz; auf der he - raldisch linken Columne, ist die oberste Stelle der zweite Platz; auf der rechten, ist die zweite Stelle der dritte Platz; auf der linken, ist die zweite Stelle der vierte Platz, u. s. w.
II) Bei persönlicher Zusammenkunft, z. B. Besuchen, Conserenzen, Congressen, Processio - nen, unterscheidet man zuvörderst 1) in dem Sitzen, die Oberstelle oder den Ehrenplatz (la place d’honneur), und nach diesem den Vorsitz (la préséance). An einer viereckigen, oder run - den, auf allen Seiten besetzten Tafel, sind im - mer die letzten Plätze dem ersten gegenüber, der erste wird aber meist dem Eingang gegenüber ge - wählt. Dann wechselt die Sitzordnung, von dem ersten Platz an gerechnet, immer von der Rech - ten zur Linken a). In dem Gehen und Stehen, ist die Oberhand (la main ou main d’honneur) Klüber’s Europ. Völkerr. I. 11162II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. die rechte Hand, wenn der Geehrtere dem Andern zur Rechten b) geht oder steht, und der Vortritt oder Vorrang (le pas), wenn der Geehrtere einen Schritt vor dem Andern, der ihm links zur Seite geht, die Treppe hinauf und in die Zimmer geht c).
Sodann ist 3) in der LinealOrdnung, d. h. wenn Einer sich hinter dem Andern befindet, bald der vorderste Platz der erste, der folgende der zweite, u. s. w. a); bald ist der hinterste Platz der erste, der nächste vor diesem der zweite b), u. s. w.; bald ist a) unter zweien der vordere Platz der erste; b) unter dreien der mittlere Platz der erste, der vordere der zweite, der hintere der dritte; c) unter vieren der vorderste Platz der vierte, der folgende der zweite, der auf diesen folgende der erste, und der hintere der dritte; d) unter fünfen der mittlere der erste, vor diesem der zweite, hinter ihm der dritte, der vorderste der vierte, der hin - terste der fünfte; e) unter sechsen und mehreren eben so, nach Verhältniſs.
163III. Cap. Recht der Gleichheit.4) In der Seiten - oder LateralOrdnung a), d. h. wenn in gerader Linie, immer Einer an der Seite des Andern sich befindet, ist bald der äus - serste Platz, auf der rechten oder linken Seite der erste, der folgende der zweite b), u. s. w.; bald ist a) unter zweien die Stelle zur rechten Hand die erste; b) unter dreien die mittlere die er - ste, die zur Rechten die zweite, die zur Lin - ken die dritte; c) unter vieren der entfernteste Platz rechter Hand der zweite, der folgende der erste, diesem zur Linken zuerst der dritte, dann der vierte; d) unter fünfen ist der erste in der Mitte, diesem zunächst auf der Rechten der zweite, auf der Linken der dritte, dann weiter auf der Rechten der vierte, auf der Lin - ken der fünfte; e) unter sechsen und mehreren eben so, abwechselnd nach der Entfernung von dem mittlern oder Ehrenplatz c).
Ist der Rang der Staaten gleich, oder strei - tig, so finden, wenn die Gelegenheit wo Rang in Frage kommt unvermeidlich ist, verschiedene Auswege statt, bei welchen die Rechte und An - sprüche der Interessenten auf ihrem Werth oder Unwerth beruhen. Dahin gehören folgende Fälle. 1) Die Interessenten erklären, daſs jede Stelle als die obere anzusehen, und der augenblickliche Vorgang für ihre allseitigen Rechte und Ansprüche unverfänglich sey. 2) Es wird irgend eine Ab - wechslung festgesetzt. Diese kann statt finden, in einzelnen Fällen, nach der Zeit, nach dem persönlichen oder Regierungsalter der Souveraine, nach den verschiedenen Theilen des Ceremoniels, nach dem Loos a), u. d. In Staatsverträgen pfle - gen die grössern Mächte, und so auch unter sich die minder grossen, zu Behauptung ihrer Rang - gleichheit, in der Benennung der Paciscenten in dem Eingang und Inhalt, und in der Unter - schrift zu wechseln (das „ Alternat “); so daſs jede von ihnen in demjenigen Exemplar, welches für sie bestimmt, und in ihrer Canzlei ausgefertigt ist, den ersten Platz einnimmt b). Indeſs sind auch wegen dieser Abwechslung oder Nichtab - wechslung bisweilen beruhigende, vorbehaltende, verwahrende, oder widersprechende Erklärungen erfolgt c); oder es hat jeder Theil dem andern165III. Cap. Recht der Gleichheit. eine von ihm allein unterzeichnete Urkunde zu - gestellt d).
Zu den erwähnten Auswegen gehören ferner. 3) Beobachtung des Incognito, durch Anneh - mung eines geringeren Titels a). 4) Beobach - tung gewisser Förmlichkeiten, bei welchen der Rang unentschieden bleibt b). 5) Gleichförmig - keit c), oder 6) Aufhebung d) des Ceremoniels für sämmtliche Interessenten. 7) Nachgeben, mit Verwahrung seiner Rechte, oder gegen Em - pfang eines Reverses. 8) In Absicht auf Gesandte,166II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. giebt es überdieſs noch verschiedene andere Aus - wege e), z. B. a) Sendung eines Gesandten von einer andern Classe als der Classe desjenigen, mit welchem der Rangstreit vorwaltet; b) Aus - bleiben oder Abwechslung in dem Erscheinen bei solchen Gelegenheiten, wo der Rang in Betrach - tung kommt f); c) gleichzeitiger Einzug von ver - schiedenen Seiten her, und AudienzErtheilung an verschiedenen Tagen; d) schriftliche Unterhand - lung, mit Vermeidung förmlicher Zusammen - künfte; e) Bestimmung der Rangordnung durch die Zeit der Ankunft in dem Ort, oder in dem ConferenzSaal g).
9) Auf dem wiener Congreſs (1815) unter - warfen, bei Unterzeichnung feierlicher Urkunden, der Friedensschlüsse und anderer Staatsverträge, die Bevollmächtigten von Oestreich, Russland, Frankreich, Spanien, Groſsbritannien, Schweden, Dänemark und Preussen, sich mehrmal derjeni - gen Ordnung, welche der Zufall des französischen Alphabetes ihren Staaten angewiesen hatte a). In dem auf diesem Congreſs errichteten Rang Regle - ment für die diplomatischen Agenten gekrönter Häupter, Art. 7, ist festgesetzt, daſs in Urkunden und Verträgen zwischen mehreren (mehr als zwei) Mächten, unter welchen Abwechslung (das Alternat) gilt (§. 104), das Loos unter den Gesandten über die Ordnung entscheiden soll, welche in den Unter - zeichnungen zu befolgen sey b). Damit ist je - doch der Gebrauch nicht aufgehoben, daſs jeder Theil, in den von ihm selbst ausgefertigten Exem - plaren, sich selbst zuerst nennt, und auch zuerst unterzeichnet c). Nur für die Unterzeichnung der übrigen Theile, wenn mehr als zwei Contra - henten sind, in jenen Exemplaren, und in sol -168II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. chen Fällen, wo nur eine Urkunde (documen - tum unicum) von mehreren Mächten gemein - schaftlich ausgefertigt wird, soll das Loos entschei - den d).
Vermöge der natürlichen Gleichheit der Staa - ten, begründet der Titel oder die Würde, welche ein Staat sich selbst, oder seinem Regenten, oder beiden beilegt, an sich keinen Vorzug vor andern Staaten. So wenig ein Staat, nach seiner natürli - chen Freiheit, in der Wahl eines solchen Titels eingeschränkt ist, eben so wenig ist derselbe be - fugt, von andern Staaten zu fordern, daſs sie den von ihm gewählten Titel anerkennen, oder ihm geben sollen a). Wohl aber kann eine Einschrän - kung jener, oder eine Befugniſs dieser Art, durch Verträge festgesetzt werden. Daher ist bei An - nehmung eines höhern Titels, gewöhnlich die er - ste Sorge der Souveraine, dessen Anerkennung bei andern Mächten, wo nicht schon vorher b), doch unmittelbar nachher c) zu erwirken. Diese169III. Cap. Recht der Gleichheit. Anerkennung geschieht bisweilen unter der aus - drücklichen Bedingung, daſs damit kein Vorrang eingeräumt werde d), Auch wird die Unverfäng - lichkeit des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs ge - wisser Titel, zu Zeiten ausdrücklich festgesezt e).
Der KaiserTitel ward von jeher für den höch - sten gehalten. Doch betrachten jetzt die Könige solchen, an sich, nicht als einen gültigen Grund zu Behauptung irgend eines Vorzugs a). Den KaiserTitel (Imperator, Caesar) führten zuerst die alten römischen, nach ihnen die byzantini - schen und die römisch-teutschen Kaiser. Der Sultan der Osmanen legte diesen Titel (Padi - schah) sich ebenfalls bei b). Desgleichen Ruſs - land 1721 c), Frankreich 1804 d), und Oest - reich 1804 e). Auch haben noch in der neuern Zeit manche Könige, bei gewissen Gelegenheiten, sich des KaiserTitels bedient f).
Nach dem kaiserlichen, wird der KönigsTi - tel allgemein als der höchste betrachtet. Die Kö - nigswürde ertheilten ehehin die alten römischen, die byzantinischen und die römisch-teutschen Kai - ser a), auch der Papst b). Aber nicht nur schon in dem Mittelalter c), sondern auch vorzüglich in der neuern Zeit, nahmen mehrere souveraine Fürsten den KönigsTitel aus eigener Macht an, und krönten sich mit eigener Hand d). Mit der Anerkennung des Kaiser - und KönigsTitels, ist gemeiniglich auch die Bewilligung des Majestäts - Titels verbunden. Diesen Titel erhielten ehehin die römisch-teutschen Kaiser ausschliessend, seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts aber nach und nach alle Könige, nicht nur von Geringern, sondern auch von Kaisern und Königen e). Dem türkischen Kaiser, geben die meisten von ihnen nur den Titel Hoheit f) (Hautesse). Einem ExKö - nig wird, von freundschaftlichen Mächten, die fort - währende Anerkennung seines Königs - und Maje - stätsTitels nicht versagt; doch in der Regel nur in der Eigenschaft eines Titular Königs g). Die GroſsHerzoge und der Kurfürst von Hessen (§. 173III. Cap. Recht der Gleichheit. 29), obgleich sie königliche Ehren geniessen (§. 91), erhalten nicht den MajestätsTitel (§. 110), man nennt sie Königliche Hoheit (Altesse Royale.)
Das Prädicat Kaiserliche Hoheit (Altesse im - périale) erhalten Prinzen und Prinzessinnen von kaiserlicher Abkunft a), Das Prädicat Königliche Hoheit (Altesse royale) geniessen jezt nicht nur Prinzen und Prinzessinnen von königlichem Ge - blüte, sondern auch die Groſsherzoge b). Auch der Kurfürst von Hessen, der einzige, welcher den KurfürstenTitel fortführt, hat dasselbe ange - nommen. Dagegen erhalten jetzt die von Groſs - herzogen abstammenden Prinzen und Prinzessin - nen, so wie auch manche Prinzen und Prinzes - sinnen, die zwar aus dem Hause eines jetzigen Königs, aber nicht von einem König abstam - men c), den Titel Hoheit d) (Altesse). — Durch - laucht (Altesse Sérénissime) werden die souverai - nen Herzoge und Fürsten titulirt. — Die Repu - bliken werden, von monarchischen Souverainen, in dem Context bloſs Sie, Vos oder Vous angere - det e). — Alle gekrönten Häupter geben einan - der den Bruder Titel (mon frère, notre oder vo -175III. Cap. Recht der Gleichheit. tre bon frère), und auch die Groſsherzoge erhal - ten solchen von ihnen f). Auch die Titel Freund, Allürter und Nachbar (ami, allié, voisin), des - gleichen die Verwandschaft Titel (titres de paren - té), z. B. Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Oheim, Muhme, Neffe, Vetter, Schwager, im Teutschen auch Gevatter und Gevatterin, so wie Ew. Liebden, sind unter Souverainen in der Cour - toisie nicht ungewöhnlich g). — Der Papst er - hält, wenigstens von katholischen Souverainen, die Titel Heiligster Vater (Sanctissime Pater, tres-saint Père) und Ew. Heiligkeit (vestra Sanc - titas, votre Sainteté). — Die Pforte heiſst die erhabene h) (la sublime Porte, la fulgida Porta). — Der malteser Groſsmeister erhielt von andern Souverainen gewöhnlich den Titel Altesse Éminen - tissime, von seinen Unterthanen, Éminence Séré - nissime, von den Malteser-Rittern Éminence.
Den Titel von Gottes Gnaden (Dei gratia, par la grâce de Dieu) führen alle monarchischen Souveraine, in feierlichen Auſsätzen von offener Form, und in Staats - oder Canzleischreiben a). Desgleichen das Prädicat Wir (Nos, Nous), des - sen im Französischen auch die Gesandten und Kriegsbefehlhaber, in den unter ihrem Namen aus - gefertigten Pässen und andern offenen Schriften, sich bedienen b). — Theils durch altes Herkom - men, theils durch päpstliche Verleihung, führen etliche gekrönte Häupter noch anerkannte religiö - se Titel c). So heissen: der König von Frank -reich177III. Cap. Recht der Gleichheit. reich allerchristlichste Majestät (Rex christianissi - mus, Roi très-chrétien, Sa M. T. C.), der König von Spanien seit 1496, katholische Majestät (Rex catholicus, Roi catholique, M. C.), der König von Portugal seit 1748 allergetreueste, oder vielmehr allergläubigste Majestät (Rex fidelissimus, Roi très - fidèle), der König von Ungarn seit 1758 aposto - lische Majestät (Rex apostolicus, Roi apostoli - que); doch nur so, daſs diese Titel ihnen von Andern gegeben werden. Den Titel Beschützer des Glaubens (Defensor fidei) führt der König von Groſsbritannien, seit 1521, in seinem grossen Titel. — Der römisch-teutsche Kaiser nannte sich Semper augustus oder — im Teutschen, nach fal - scher Uebersetzung — allzeit Mehrer des Reichs d). — Manche Souveraine führen, ausser den, bis - weilen sehr reichhaltigen, wirklichen Länder - und FamilienTiteln, auch Prätensions Titel, des - gleichen Titel von ehemaligen Besitzungen, wenn gleich sie auf solche keinen Anspruch mehr ma - chen e) (Gedächtniſstitel), welches bisweilen Wi - derspruch und verwahrende Erklärungen veran - laſst. — In manchen Staaten führen die vermuth - lichen Thronfolger, die Kron - und Erbprinzen, eigene Titel f).
In dem diplomatischen CanzleiStyl a) (Style diplomatique) sind manche Regeln und Verschie - denheiten eingeführt, welche auf das angenomme - ne Titel - und Rangverhältniss der Staaten sich be - ziehen, und deren Vernachlässigung in dem Fall unterbleibender oder nicht hinlänglicher Entschul - digung oder Verbesserung, wenigstens als Canz - leifehler selten ohne Folge ist b). Sie zeigen sich, mehr oder weniger, in jeder Art diplomatischer Aufsätze oder Staatsschriften c) (actes diplomati - ques); nicht nur in solchen Aufsätzen, die wenig - stens ihrer Form nach bloſs für die zunächst in - teressirten Mächte oder Personen bestimmt sind, wie theils die förmlichen Schreiben d), die Staats - oder CanzleiSchreiben (lettres de conseil ou de chancellerie), die Cabinet - oder Handschreiben (lettres de cabinet), die eigenhändigen Schreiben (lettres de main propre) e), theils die nicht in179III. Cap. Recht der Gleichheit. Briefform abgefaſsten Erlasse, die blossen Pro - Memoria f), Denkschreiben oder Mémoires, No - ten, VerbalNoten, CircularNoten, Memoriale, Berichte oder Rapports, Rescripte, Decrete, Sig - naturen, Resolutionen, Instructionen, Vollmach - ten, Protestationen, u. d.; sondern auch in den - jenigen Aufsätzen, die gewöhnlich schon ihrer Form nach zugleich für das Publicum bestimmt sind, wie Staatsverträge oder Traités, Deductio - nen, Exposés des motifs, Mémoires raisonnés, Manifeste, Patente (lettres patentes), Pässe, Sau - vegarden, und andere Staatsaufsätze (actes publics) dieser Art.
Das Recht der Gleichheit erstreckt sich auch auf die Sprache, welcher die Staaten in ihren ge - genseitigen Verhandlungen sich bedienen a). Oh - ne Zweifel ist jeder Staat berechtigt zu ausschlies - sendem, activem und passivem Gebrauch der sei - nigen, und jeder andern Sprache, nicht nur in dem mündlichen b), sondern auch in dem schrift - lichen Verkehr mit andern Staaten. Wollen, in dem Fall einer Verschiedenheit der Sprachen, die interessirten Staaten über den gemeinschaftlichen181III. Cap. Recht der Gleichheit. Gebrauch einer Sprache sich nicht vereinigen, so bedient jeder sich seiner eigenen, oder einer an - dern beliebigen Sprache, mit oder ohne Ueberse - tzung in der Sprache des andern, oder in einer dritten, z. B. der lateinischen c). Die Verträge werden dann urschriftlich in mehreren Sprachen abgefaſst d).
Dieser Unbequemlichkeit auszuweichen, hat man nicht selten eine dritte Sprache gewählt. Bis auf das achtzehnte Jahrhundert diente gewöhn -183III. Cap. Recht der Gleichheit. lich hiezu die lateinische a), seitdem meist die französische, deren Gebrauch ohnedieſs in der neuern Zeit, an Höfen und in diplomatischen Ver - handlungen, in Europa ziemlich allgemein gewor - den ist b). Sogar Staaten von gleicher Landes - sprache, haben sich schon der französischen in Verträgen unter sich bedient c). In neuern Zei - ten hat man bei alleinigem Gebrauch der franzö - sischen Sprache in einem Staatsvertrag, einer nach - theiligen Schluſsfolge bisweilen durch eine verwah - rende Clausel vorzubeugen gesucht d). Da die osmanische Pforte durch einen Vertrag sich nur dann für vollkommen verpflichtet erachtet, wenn derselbe in ihrer Gemeinsprache abgefaſst ist, und die andern Staaten zu dem Gebrauch der türki - schen Sprache sich nicht bequemen wollen, so werden die Verträge der Pforte mit europäischen Staaten, immer in mehreren Sprachen aufgesezt e).
Zu Bezeugung der Achtung, Höflichkeit, Freundschaft oder Zuneigung gegen andere Staa - ten, deren Regenten und ihre Familien, sind un - ter den christlichen Staaten von Europa verschie - dene Handlungen üblich, welche in der Regel zwar auf Willkühr beruhen, wozu aber doch Staatsklugheit und VölkerMoral nicht selten ver - pflichten a). Dahin gehören: 1) die Benachrich - tigung (Notification) von dem RegierungsAntritt (§. 49), von Vermählung, Schwangerschaft, Ge - burts - und Todesfällen in der RegentenFamilie, und von andern erfreulichen oder unangenehmen Staats - und FamilienBegebenheiten; und die da - rauf erfolgten Glückwünsche oder Bezeugungen des Beileids b) (Condolenz). 2) Feierlicher Em - pfang, festliche Unterhaltung und Bewirthung besuchender Souveraine, oder ihrer Verwandten, vorzüglich sofern sie nicht das Incognito beobach - ten c). 3) Begrüssung und Bewirthung durch - oder vorbeireisender Souveraine d). 4) Oeffent - liche Freudenbezeugung bei angenehmen, und Trauer bei unangenehmen Ereignissen e), wohin selbst gewisse religiöse Höflichkeit gehört, z. B. Absingung des Te Deum, feierliche Exequien, Fürbitte in der Kirche oder Einschliessung in das Kirchengebet f). 5) Das Gevatterbitten g).
186II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten.6) Die Geschenke a) sind unter Staaten und ihren Regenten theils ganz willkührlich, theils üb - lich, entweder zu bestimmter Zeit b), oder bei gewissen Gelegenheiten, z. B. bei Vermählungen, Schwangerschaft, Entbindung, Gevatterschaft, Be - suchen c), auch die Gegengeschenke d), insonder - heit nach Empfang eines Ritterordens, die Ueber - sendung des eigenen Ritterordens. Die bedunge - nen oder vertragmäsigen Geschenke und Gegenge - schenke, welche besonders in Verträgen mit der Pforte und afrikanischen Staaten vorkommen e), sind Leistungen aus Zwangpflicht, mithin keine wahren Geschenke. 7) Selbst die Vermählungen187III. Cap. Recht der Gleichheit. der Souveraine, nebst den dabei üblichen Ceremo - nien, gehören in so weit hieher, als Staatsursa - chen die vorzüglichen Bestimmungsgründe sind, wofern sie nicht gar durch Verträge bedungen wer - den f). In der Regel gilt jedoch auch hier freie Selbstbestimmung des Willens, namentlich auch in Absicht auf den Stand des von dem Souverain gewählten Ehegatten, so daſs hier von einer Miſs - heurath und ihren Folgen, besonders in Ansehung der Ebenbürtigkeit und SuccessionsFähigkeit der Rinder, die Rede nicht seyn kann g), so fern nicht eine rechtmäsige Bestimmung entgegen - steht h).
Das SeeCeremoniel (cérémonial maritime) be - steht in bestimmten Ehrenbezeugungen, welche auf der See fahrende oder stationirte Schiffe an - dern Schiffen von bestimmter Art, oder in der Nähe befindlichen Häfen, Festungen, Schanzen, Batterien, Schlössern, oder Personen von hohem Rang erweisen, und welches ihnen zum Theil erwiedert wird. Es gilt bald als Merkmal der Unterwerfung, bald als Anerkennung der Ober - herrschaft über das Schiff oder den Seebezirk,189III. Cap. Recht der Gleichheit. bald nur als Bezeugung freiwilliger, conventio - neller, oder gesetzlich vorgeschriebener Höflich - keit a). Verletzung dieses Ceremoniels hat bis - weilen Gewaltthätigkeiten, und selbst Krieg ver - anlaſst b).
In dieser dreifachen Beziehung, sind fol - gende Arten des Schiffgruſses (salut en mer) üb - lich. 1) Das Flaggenstreichen (salut du pavil - lon), indem man, als Merkmal der Anerken - nung der Oberherrschaft, die Flagge umfaſst und an ihren Stab zieht, daſs sie nicht mehr wehen kann, oder wenn man dieselbe herunterneigt, oder, zum Zeichen der Unterwerfung, ganz ab - nimmt; der höchste Grad des SeeCeremoniels a). 190II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. 2) Das Segelstreichen (die Losung, salut des voi - les), das Heranziehen der MarsSegel, vorzüglich des groſsen, an ihre Masten b). 3) Die Lösung der Canonen (salut du canon), der ordentliche oder eigentlich so genannte Schiffgruſs, eine be - stimmte Anzahl Canonenschüsse, mehr oder we - niger, mit losem Kraut oder scharf geladen (salut sans boulet ou à boulet, das letzte meist nur gegen gekrönte Häupter), je nach dem Grade der Ehren - bezeugung. Kriegsschiffe grüssen gewöhnlich in ungleicher Zahl der Schüsse — 5, 7, 9, u. s. w. auſs höchste 21 c) —, Ruderschiffe oder Galee - ren in gleicher Zahl. In Betrachtung kommt hier, in welcher Entfernung, von wem, und mit wieviel EhrenSchüssen gegrüſst, ob und mit wie - viel geantwortet werden muſs. Die Antwort ge - schieht, in der bestimmten Anzahl Schüsse, ent - weder Schuſs um Schuſs d), oder erst nach geen - digtem Gruſs.
Ausserdem gehört noch hieher 4) das Vivat - rufen (salut de la voix), durch ein ein -, drei -, fünf - oder siebenmaliges Lebehoch (vive le ....); es erfolgt nach Lösung der Canonen, oder auch wenn diese nicht statt haben kann oder darf a). 5) Das Abfeuern des kleinen Gewehrs (salut de la mousqueterie), indem man eine oder drei Salven aus dem kleinen Gewehr giebt. Es ist üblich bei gewissen Festen und Feierlichkeiten, und geschieht vor Lösung der Canonen. 6) Aus - serdem sind noch Merkmale der Höflichkeit, daſs das Schiff sich unter den Wind legt, daſs es einen oder mehrere Offiziere an Bord des andern sendet, oder unter dessen Flagge kommt b). Erwiedert werden, kann der Gruſs nur durch Canonenschüsse c) und Vivatrufen; doch antwor - tet zuweilen eine Festung auch durch das Auf - stecken eines Wimpels (flamme).
Jede Macht ist, vermöge ihrer Unabhängig - keit, berechtigt das SeeCeremoniel zu bestimmen, welches 1) die ihr angehörigen Schiffe, sowohl in ihrem Seegebiet als auch auf offener See, na - mentlich auch gegen fremde Schiffe, beobachten sollen, und welchem 2) fremde Schiffe gegen die einheimischen, und die Schiffe dritter Mäch - te sich unterwerfen müssen, wenn sie sich in derselben Seegebiet einfinden wollen a), gleich - viel ob sie Handelsschiffe sind, oder Kriegsschif - fe, und in diesem Fall Linienschiffe oder Fre - gatten, einzeln oder vereinigt in Escadren oder Flotten. In dieser zweifachen Hinsicht erfolgt die Bestimmung theils durch gesetzliche Vor - schrift oder besondere Instructionen b), theils durch Verträge c). In dem zweiten Fall ver - langt man meist den Gruſs durch Canonenschüs - se und Flaggenstreichen gegen die eigenen Kriegs - schiffe, Häfen, Festungen und Schlösser; worauf in der Regel mit Canonenschüssen geantwortet wird. Bei streitiger Oberherrschaft über einen Seebezirk, wie in den vier Meeren, welche Groſsbritannien umgeben d), wird auch die Ver -pflich -193II. Cap. Recht der Gleichheit. pflichtung zu dem Seegruſs bestritten. Auch verlangen zuweilen groſse Seemächte gegen min - dermächtige, wenigstens für ihre Admiralschiffe, Befreiung vom Seegruſs, oder auf das Mindeste, daſs man diese zuerst grüſse e). Einem Sou - verain, Prinzen vom Geblüte, Botschafter, Ad - miral u. d. werden, wenn er in dem Hafen er - scheint oder vorüberfährt, desgleichen bei dem Leichenbegängniſs des Souverains, Admirals u. s. w. (honneurs funèbres), und bei Freudenfesten, be - stimmte Ehrenbezeugungen erwiesen f).
Auf offener See, befinden sich die SchiffeKlüber’s Europ. Völkerr. I. 13194II. Th. I. Tit. Unbedingte Rechte d. europ. Staaten. aller Mächte gegenseitig in dem Zustand natür - licher Unabhängigkeit und Gleichheit. Daher ist, ohne Verträge, keine Macht berechtigt, von fremden Schiffen für die ihrigen irgend eine Eh - renbezeugung daselbst zu fordern a). Dem zu - folge haben mehrere Mächte sogar durch Ver - träge den Schiffgruſs auf offener See, entweder ganz b) oder zum Theil c), abgeschafft. Ande - re hingegen beharren auch hier fest bei der äl - tern Sitte des Salutirens, zum Theil so streng, daſs sie dessen Weigerung oder unvollständige Bewirkung, nach fruchtloser Aufforderung durch einen Schuſs mit losem Kraut, mit Scharfschüs - sen ahnden.
Wenn Verträge a) nichts bestimmen über das Ceremoniel auf offener See, so wird meist folgender Gebrauch befolgt. Kauffartheischiffe geben Kriegsschiffen den Gruſs durch Canonen - schüsse, Segelstreichen und Flaggenstreichen; doch wird ihnen, wenn sie in vollem Lauf sind,195III. Cap. Recht der Gleichheit. zuweilen ein Theil dieses Gruſses erlassen. Was Kriegsschiffe betrifft, so wird 1) wenn sie von gleichem Rang sind, entweder die Begrüssung ganz unterlassen, oder es grüſst dasjenige zu - erst, welches sich unter dem Winde befindet b). 2) Das von niederem Rang, giebt dem von hö - herem den Gruſs. 3) So auch ein einzelnes Kriegsschiff, der ihm begegnenden Escadre oder Flotte, und eine HülfsEscadre der Hauptflotte. In allen diesen Fällen, erfolgt die Erwiederung oder der Gegengruſs durch Canonenschüsse. Einige grosse Seemächte, besonders Groſsbritan - nien, fordern für ihre Admiralschiffe von Kriegs - schiffen anderer Mächte den Gruſs nicht nur durch Ehrenschüsse, sondern auch durch Flag - genstreichen. Dieselbe Forderung machten, bis auf die neueste Zeit, alle Kriegsschiffe gekrön - ter Häupter an die Kriegsschiffe der Republi - ken c).
Als freie moralische Person hat jeder Staat, gleich einzelnen Personen in natürlicher Frei - heit, im Verhältniſs zu andern Staaten, auch bedingte oder hypothetische Rechte (§. 36). Diese sind, 1) in friedlicher Hinsicht: die Rech - te des Eigenthums, der Verträge, insonderheit in Beziehung auf den Handel, und der Unter - handlung mit andern Staaten, insbesondere durch Gesandte (1. Abschnitt); 2) in Absicht auf erlit - tene Rechtsverletzung oder Beleidigung, von Sei - te anderer Staaten: das Recht, sich Genug - thuung zu verschaffen durch Selbsthülfe, im äus -197I. Cap. Recht des Staatseigenthums. sersten Fall durch Krieg, und so, daſs die strei - tigen Verhältnisse beigelegt werden, in dem We - ge der Gewalt, des Rechtes, oder der Güte, und das Recht, bei Streitigkeiten anderer Mäch - te, neutral zu bleiben (2. Abschnitt).
Jeder Staat hat nicht nur das Recht der Oberherrschaft (imperium s. potestas publica), den Inbegriff der oberherrlichen Rechte zu dem Zweck des Staates a), sondern er ist auch fähig, Eigenthum zu erwerben und zu besitzen (capax dominii, §. 47). Staatseigenthumsrecht (jus in patrimonium reip. ) ist die Befugniſs des Staates, alle Auswärtigen (Staaten und Einzel - ne) von der Zueignung und dem Gebrauch des Staatsgebietes und der darin befindlichen Sachen auszuschliessen b). Gegenstände dieses Staats - eigenthumsrechtes sind: nicht nur 1) das Ver - mögen der staatsbürgerlichen Gesammtheit, das Staatsvermögen oder Staatsgut in dem eigentli - chen Sinn c) (patrimonium reip. publicum), ein Inbegriff von Sachen, deren Eigenthum dem Staat zusteht, so daſs ihr eigenthümlicher Ge - brauch, nach Art des Privateigenthums, aus - schliessend für den Staatszweck bestimmt ist; sondern auch 2) das Vermögen der Privatperso - nen, als solcher, das Privatvermögen (patrimo - nium privatum), welches als mögliches Mittel für198II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. den Staatszweck, unter dem Schutz des Staates, auch gegen Auswärtige, steht d); und 3) selbst die innerhalb des Staatsgebietes befindlichen herren - losen Sachen (adespota). Die letzten sind als nicht occupirt anzusehen, nur in Ansehung des Staates und seiner Bürger: in Hinsicht auf alle Auswärtigen, sind sie fremd oder occupirt e).
Ein Staat erwirbt, Niemand gehörige Sachen (res nullius) durch Occupation oder Bemächti - gung (originarie): Sachen eines andern durch199I. Cap. Recht des Staatseigenthums. Vertrag (derivative), nicht aber durch Verjäh - rung gegen solche, welche diese anzuerkennen durch positive Bestimmungen nicht verpflichtet sind. Zu der rechtlichen Occupation wird er - fordert, daſs die Sache eines ausschliessenden Besitzes fähig, und Niemand gehörig sey a), daſs der Staat die Absicht habe ihr Eigenthum zu erwerben, und daſs er wirklich Besitz da - von ergreife, d. h. dieselbe, mit Ausschlies - sung Anderer, in seine physische Gewalt bringe. Das letzte geschieht durch eine solche Einwir - kung mit seinen Kräften auf die Sache, daſs sie ihm nicht mehr kann entzogen werden, ohne ihm zugleich das Product seiner rechtlichen Kraftäusserung zu entziehen b).
Die blosse Absicht zur Occupation, der blos - se Ideal - oder MentalBesitz, ist nicht hinrei - chend; also auch nicht die frühere Erklärung jener Absicht a), sondern nur die frühere wirk - liche Ausübung des Erwerbungsrechtes, welche200II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. jedem Andern die Pflicht auflegt, sich des Ge - brauchs der occupirten Sache zu enthalten b). Die Occupation eines unbewohnten, Niemand gehörigen Theils des Erdbodens, erstreckt sich daher weiter nicht, als die geschehene eigenthüm - liche Besitznehmung klar ist. Als Zeichen die - ser Besitzergreifung und der Fortdauer des ei - genthümlichen Besitzes, dienen alle äussern Merk - male, wodurch einem Andern die schon gesche - hene Zueignung der Sache, und deren Fort - dauer c), bekannt werden kann.
Die rechtlichen Wirkungen des Eigenthums stehen auch einem Staat über sein Staatsvermö - gen zu; also ausschliessend nicht nur das ei - genthümliche Besitz - und Genuſsrecht, sondern auch das Verfügungs - oder ProprietätsRecht. Unabhängig von andern Staaten, kann er dar - über verfügen, durch Einrichtungen für eigene Zwecke, durch jede Art von Uebereinkunft mit Einheimischen oder Auswärtigen, durch Ver - pfändung, Veräusserung, oder Aufgebung (De - reliction). Auch findet sich bei ihm die recht - liche Möglichkeit, durch Accession zu erwerben.
Das Staatseigenthumsrecht bezieht sich auf das ganze Staatsgebiet (Territorium), auf den - jenigen Theil des Erdbodens nebst Zugehör, worüber dem Staat das Recht der Oberherr - schaft mit unabhängiger ausschliessender Wirk - samkeit zusteht. Der Regent des Staates heiſst darum, weil er als Oberherr über diesen Lan - desbezirk zu gebieten hat, regierender Herr oder Landesherr (dominus territorii). Nicht bloſs das Staats - und Privatvermögen, sondern auch die herrenlosen Sachen (adespota) inner -203I. Cap. Recht des Staatseigenthums. halb dieses Bezirkes (§. 124), stehen physisch und moralisch zur ausschliessenden oberherr - lichen Verfügung desselben Staates. Da nun alle Sachen in dem Staatsgebiet zu einer von diesen drei Arten der Sachen gehören, so gilt die Re - gel, daſs jede in dem Gebiet eines Staates be - findliche Sache, auch der Oberherrschaft dessel - ben unterworfen sey (quicquid est in territorio, etiam est de territorio), bis das Gegentheil er - wiesen ist a). Demnach gehört zu dem Staats - gebiet nicht bloſs derjenige Bezirk, welchen das Volk wirklich bewohnt, sondern auch der ganze Land - und Wasserbezirk, welcher von der Staats - grenze umschlossen ist, mit Allem was darin sich befindet, es sey von Natur, oder durch mensch - lichen Fleiſs, oder durch Zufall.
Das Gebiet eines Staates besteht theils aus festem Lande (Landgebiet), theils aus Wasser (Wassergebiet). Beide zusammen können als Haupt - und Nebenland unterschieden seyn, je nach -204II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. dem sie als Hauptwohnsitz des Staates betrachtet werden, oder nicht. Fehlt gleich dem Haupt - und Nebenland gewöhnlich der geographische Zusam - menhang, so sind doch, im Verhältniſs zu Aus - wärtigen, die Rechte des Staates in Ansehung beider der Regel nach dieselben a). Auch lie - gen bisweilen, als Zugehörungen (Pertinenzen) des Staatsgebietes, einzelne TerritorialStücke in fremdem Staatsgebiet b). In Hinsicht auf das in dem Staatsgebiet befindliche Wasser, gehören zu dem Fluſsgebiet, alle Ströme, Flüsse, Bäche und Canäle c), auch die Grenzflüsse, ganz oder zum Theil (§. 133), wenn nicht schon das dies - seitige Ufer die Staatsgrenze macht. Bei Ver - änderung des Fluſslaufs, bleibt das Eigenthum oder Miteigenthum des verlassenen Fluſsbettes, wie vor der Veränderung d).
Zu dem Seegebiet eines Staates gehören die - jenigen Seebezirke, welche eines ausschliessen - den Besitzes fähig sind, und über welche der Staat die Oberherrschaft durch Occupation oder Vertrag erworben und beibehalten hat. Von dieser Art sind: 1) diejenigen Theile des Welt -205I. Cap. Recht des Staatseigenthums. meeres, welche an das eigene Landgebiet gren - zen, wenigstens (der jetzt fast allgemein an - genommenen Meinung nach) so weit, als sie mit Canonenschüssen von der Küste aus kön - nen bestrichen werden a) (nächstangrenzendes Meer, mare proximum s. vicinum); 2) die - jenigen Theile des Weltmeeres, welche sich in das eigene Landgebiet hinein ausbreiten, so weit sie von beiden Ufern mit Canonen können bestrichen, oder der Eingang den Schiffen kann verwehrt werden b) (Meerbusen, Bay, Bucht, Golfo, Sinus); 3) diejenigen Theile des Welt - meeres, wo das Meerwasser zwischen zwei Län - dern durchflieſst und zwei Meere verbindet, so weit jene Theile vom Ufer aus mit Canonen sich bestreichen lassen, oder die Ein - und Aus - fahrt den Schiffen kann verwehrt werden (Meer - enge, Canal, Strasse, Sund, Bosporus).
Von der angezeigten Art sind ferner: 4) die - jenigen grössern Meerbusen, Meerengen und angrenzenden Meere, welche, obgleich sie von dem Ufer aus mit Canonen nicht ganz können bestrichen werden, dennoch als beherrscht von andern Staaten anerkannt sind a) (mare clau - sum); 5) diejenigen Theile des Weltmeeres an dem Landgebiet, wo den Schiffen durch die Natur oder Kunst mehr oder weniger Sicher - heit gegen Sturm verschafft wird, so weit man den Schiffen nach Willkühr den Eingang oder Aufenthalt wehren kann b) (Rheden, Hafen);207I. Cap. Recht des Staatseigenthums. 6) die von dem Staatsgebiet umgebenen Seen (Landseen, lacus), so fern nicht auch der Be - herrscher eines andern daran grenzenden Land - gebietes Theil daran hat c), nebst den kleineren Seen, Teichen und Lachen.
Von den genannten occupirten Meeren oder Abtheilungen des Meeres, den so genannten Par - ticular Meeren, ist zu unterscheiden die offene See, das offene, weite oder grosse Weltmeer, der Ocean (Mare exterum s. universum, Ocea - nus), welcher die verschiedenen Welttheile des Erdbodens mit einander verbindet, und idea - lisch in vier grosse oder Hauptmeere getheilt wird, in das Eismeer, den indischen Ocean, den amerikanischen oder westlichen Ocean, das Süd - oder stille Meer (Mare pacificum oder Mar del Zur); von welchen das erste und dritte die Küsten von Europa berühren. Die physische Un - möglichkeit, sich der offenen See mit Ausschlies -sung209I. Cap. Recht des Staatseigenthums. sung Anderer fortwährend zu bemächtigen, und dieselbe mit einem, die Fortdauer des erlangten eigenthümlichen Besitzes aussprechenden Merk - mal zu versehen, verbunden mit der völker - rechtlichen Unwirksamkeit eines blossen Mental - oder Ideal Besitzes (§. 126), legt allen Staaten die Pflicht auf, die offene See für unbesitzbar, mithin fortdauernd als Niemand gehörig, und eben darum für frei von Eigenthum und Ober - herrschaft (mare liberum) anzuerkennen a). Sie sind folglich gegenseitig verpflichtet, ein - ander an dem Gebrauch derselben nicht zu hin - dern b). Wenn es indeſs an sich jedem Staat wie an Macht, also auch an Recht fehlt, Ei - genthum und Oberherrschaft über die offene See zu behaupten, so wäre doch deren Einräu - mung durch Vertrag, von Seite der Interessen - ten, aller oder einzelner, ganz oder theilweise, denkbar c). Doch würde dieses nur die Ein - willigenden verpflichten, und auch diese nur gegen den andern contrahirenden Theil.
Ein Staatsgebiet hat meist bestimmte Gren - zen. Man unterscheidet bei diesen, die natür - lichen (limites naturales s. occupatorii), z. B. Wasser, das Ufer, der Thalweg, oder auch die Mitte eines Flusses, Gebirge, Thäler, wüste Plätze, Steppen, Klippen, Felsen, Küsten, Sand - bänke, Inseln, und die künstlichen (limites ar - tificiales), z. B. Steine, Pfähle, Säulen, Ge - bäude, Brücken, gezeichnete Bäume oder Fel - sen, Strassen, Erdhaufen, Landgraben und Landwehren, befestigte schwimmende Tonnen, u. d. a). Auf dem Meer ist eine vertragmäsige ungefähre Raumbestimmung nach Graden der Länge und Breite denkbar, mittelst der mathe - matischen Geographie, in Verbindung mit der Sternkunde. Bisweilen ist dieselbe festgesetzt212II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. nach CanonenSchuſsweite, oder nach einer be - stimmten Anzahl Seemeilen, von einer Insel oder Küste an gerechnet b). Auf Grenzflüssen und Landseen ist, wenn auch das entgegengesetzte Ufer occupirt ist, im Zweifel die Mitte dersel - ben, mit Einschluſs der von der Mitte durch - schnittenen Inseln, die Staatsgrenze c). Statt dessen hat man in neuerer Zeit auf Flüssen bis - weilen den Thalweg zur Grenzbestimmung ge - wählt d), das heiſst, die (wandelbare) Fahr - bahn der thal - oder abwärtsfahrenden Schiffer, oder vielmehr die Mitte dieser Fahrbahn; des - gleichen auf Brücken, die Mitte derselben. Nicht selten werden die Staatsgrenzen durch eigene Verträge (foedera finium, traités de limites ou de barrière) genau bestimmt e), und darüber ei - gene GrenzCharten errichtet f). Zu Verhütung oder Beilegung der Grenzirrungen, so auch zu Veränderung der Grenzen, dienen Grenzbesich - tigungen und GrenzCommissionen g), auch Beweis - führung durch Zeugen und Urkunden jeder Art h).
Vermöge des Staatseigenthumsrechtes steht dem Staat, mit Ausschluſs aller Auswärtigen, die Befugniſs zu, das Staatsgebiet nicht nur zu besitzen und zu gebrauchen, sondern auch darüber zu verfügen, und dasselbe durch Ac - cession zu vermehren. Der Staat ist dem - nach berechtigt, 1) Sachen, welche durch äus - serlich wirkende Ursachen zu dem Staatsgebiet hinzukommen (Accessionen), mit demselben als Staatseigenthum zu verbinden; gleichviel, ob der Zuwachs erfolgt durch Anspülung (alluvio), oder durch Anwurf (appulsio, coalitio), oder durch Bildung einer Insel in seinem Wasser - gebiet a). Der Staat hat 2) das Recht, das215I. Cap. Recht des Staatseigenthums. Staatsgebiet für eigene Zwecke einzurichten, na - mentlich durch Anlegung von Festungen, Hä - fen, Brücken und Straſsen, durch Leitung oder Aenderung des Lauſs der Flüsse, u. d., selbst dann, wenn solches in seinen Folgen nachthei - lig seyn könnte für andere Staaten b).
Aus dem unabhängigen Staatseigenthums - recht, flieſst ferner 3) die Befugniſs, alle Aus - wärtigen, namentlich fremde Staaten und de - ren Angehörige, nicht nur von der Occupa - tion herrnloser Sachen (adespotorum) in dem Staatsgebiet (§. 124), und von dem Nothge - brauch des letzten a), sondern auch von jeder Art seines unschädlichen Gebrauchs b), von Durchreise, Aufenthalt, Verkehr, Erwerb und Niederlassung in demselben c) auszuschliessen, oder solche nur unter gewissen Bedingungen oder Einschränkungen zu erlauben, insbeson - dere gegen Legitimation und bestimmte Ab - gaben, und daſs ein Auswärtiger bei einem vorübergehenden Aufenthalt in dem Lande als216II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. temporärer Unterthan zu behandeln, den in - ländischen Staatsgesetzen unterworfen, auch ge - gen seinen Nachlaſs daselbst das Heimfalls - oder Fremdlingsrecht auszuüben sey. Wenn in ein - zelnen Staaten Politik, StaatsInteresse, oder Hu - manität, in der Ausübung dieser Befugnisse Nachsicht oder Ungleichheit gegen manche Aus - wärtige veranlassen, so kann solches als Recht von diesen, und eine gleiche Behandlung von Andern, ohne Vertrag nicht in Anspruch ge - nommen werden d), selbst nicht aus dem Grunde der Nachbarschaft e). Gewaltsam angemaſster Gebrauch, wäre Verletzung des Territoriums, und könnte als Rechtsverletzung geahndet wer - den f).
Nach der jetzigen Praxis der europäischen Staaten, wird 1) in friedlichen Verhältnissen des Staates, unverdächtigen Fremden der Ein - laſs in das Staatsgebiet, für Durchreise und an - dern temporären Aufenthalt, nicht leicht er - schwert a); doch oft unter Beobachtung mehr oder minder strenger Förmlichkeiten b), und unter der Bedingung, daſs sie der PolizeiAuf - sicht und den auf sie anwendbaren Gesetzen des Landes unterworfen seyen. 2) Dagegen werden TruppenDurchmärsche, Ein - u. Durchfahrt der Militär Transportschiffe, und Durchführung der Verbrecher mit bewaffneter Escorte, anders nicht218II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. erlaubt, als nach vorhergegangener Requisition und Bewilligung c). 3) Auch werden, nach der eigenen Meinung von dem StaatsBedürfniſs oder Vortheil, bald Freiheit bald Einschränkungen des Verkehrs, insbesondere Handelssperre oder Freiheit, ganz oder theilweise, active oder pas - sive, verfügt, auch wohl durch Staatsverträge bedungen d). Namentlich gilt dieses von der Zulassung fremder Post - und Handelsschiffe, wel - che überall leichter eingelassen werden, als Kriegs - schiffe, die ausser offenbarer Seegefahr entweder gar nicht, oder nur in geringer Anzahl in das Seegebiet einlaufen dürfen e). 4) In Absicht auf inländischen Gütererwerb und Güterbesitz, wer - den Auswärtige bald gar nicht, bald mehr oder weniger eingeschränkt f), am meisten da wo strenge IndigenatGesetze gelten (§. 79). 5) End - lich wird fremden Souverainen, während ihres temporären Aufenthaltes im Lande, meist Ex - territorialität eingeräumt g).
Auch ist 4) jeder Staat befugt, in seinem Gebiet StaatsServituten zum Vortheil anderer Staaten zu übernehmen. StaatsServitut a) heiſst ein, auf besondern Rechtstitel gegründetes Recht eines Staates, oder Staatenbundes, wodurch zu dessen Vortheil, die Freiheit eines andern Staa - tes oder Staatenbundes, in desselben Gebiet, un - abhängig von seiner Staats - oder Bundeshoheit eingeschränkt wird. Activ ist diejenige, welche der eine Theil in dem Gebiet des andern aus - zuüben, passiv diejenige, welche er in seinem220II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. Gebiet von dem andern zu dulden hat b). Eine solche Dienstbarkeit kann einem europäischen Staat gegen einen Staat in oder ausser Europa, und umgekehrt, zustehen. Es fehlt weder an ältern noch an neuern Beispielen von StaatsSer - vituten c).
1) Bei StaatsServituten, müssen beide Theile unabhängige Staaten seyn a). 2) Die Unab - hängigkeit des Berechtigten, in Ansehung sei - ner Befugniſs, von dem belasteten Staate, ist wesentlicher Charakter einer StaatsServitut b). 3) Alle Staatsdienstbarkeiten sind, auf beiden Seiten, dinglich c). 4) Nicht nur Hoheitsrech - te, sondern auch Privatrechte, verbunden mit der Staatshoheit darüber, können Gegenstand der StaatsServituten seyn d). Hingegen sind bloſse Privatrechte, wenn sie gleich einem auswärtigen Regenten, oder einer fremden landesherrlichen Kammer zustehen, z. B. Grundeigenthum, Ren - ten, Triftgerechtigkeit, unterworfen der inlän - dischen Staatshoheit, nie StaatsServitut e). 5) Rech - te, auch hoheitliche, und Befreiungen, welche das Staatsrecht eines einzelnen Staates, einzelnen Unterthanen, oder einer gewissen PersonenClas - se, in dem Staatsgebiet beilegt, gehören nicht in die Reihe der StaatsServituten f).
6) Eine StaatsServitut muſs immer auf ei - nen besondern Rechtstitel gegründet seyn a). Da - her ist die Regel oder Rechtsvermuthung jedes - mal für den einheimischen Staat b). 7) Und jede StaatsServitut ist, als Ausnahme von der Regel, einschränkend zu erklären c). 8) Sie erreicht ihr Ende, durch aufhebende Verträge, Untergang der Sache, Consolidation, Ablauf der festgesetzten Zeit d).
Aus dem Staatseigenthumsrecht flieſst ferner, 5) die Befugniſs, nicht nur das ganze Eigen - thum über einen Landestheil, sondern auch ein besonderes in dem Eigenthum begriffenes Recht zu veräussern, oder auch 6) einen Theil seines Staatseigenthums einem andern Staat zu verpfän - den. So fern endlich 7) ein Staat einen Theil seines Staatseigenthums, z. B. eine Insel, auf - giebt oder verläſst (Dereliction), hört solcher auf ein Theil seines Staatsgebietes zu seyn, und wird Niemand gehörig (res nullius). Ein an - derer Staat kann hierauf solchen durch Occupa - tion sich eigenthümlich zueignen, und seiner Oberherrschaft unterwerfen a). Doch wird zu Aufhebung des Staatseigenthums eine deutliche, ausdrückliche oder stillschweigende, Erklärung erfordert. Da blosse Vermuthung des Einen, für Willenserklärung des Andern nicht gelten kann, so könnte jene eine Dereliction, einen Verlust des Staatseigenthums, nicht begründen, am wenigsten einen Verlust durch Verjährung b).
a) Gro -225II. Cap. Recht der Verträge.Vermöge der Unabhängigkeit seines Wil - lens, ist ein Staat befugt, seinen Urrechten und erworbenen Rechten nach Willkühr zu entsagen, oder Einschränkungen zu setzen. Die auf sol - che Art gegründeten Rechte und Pflichten, heis - sen willkührliche oder positive. Ihre einzige Quelle sind freie, wirkliche Willenserklärungen, ausdrückliche oder stillschweigende, schriftliche oder mündliche a). Blosse Vermuthungen oder Muthmassungen können unter Staaten nur Wahr -Klüber’s Europ. Völkerr. I. 15226II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. scheinlichkeit, nie Gewiſsheit, am wenigsten Zwangrechte begründen; und erdichtete Einwil - ligung (consensus fictus) ist nach dem Völker - recht nicht denkbar.
Will ein Staat, aus der an ihn gerichte - ten versprechenden Willenserklärung eines andern Staates, ein Recht erwerben, so muſs er die Er - klärung annehmen. In solchem Fall entsteht, durch die wechselseitig erklärte Einwilligung über denselben Gegenstand, zwischen beiden ein Ver - trag b), ein Völkervertrag (pactum gentium publicum, traité public des gens), so und auch Staatsvertrag im weitern Sinn benannt, weil die Contrahenten freie Völker oder Staaten sind c).
So werden gegenseitig, unter unabhängi - gen Staaten, positive Rechte und Pflichten fest - gesetzt. Halbsouveraine oder abhängige Staaten (§. 33), haben meist ein eingeschränktes Recht, Staatsverträge zu schliessen d); und selbst un - abhängige Staaten können ihrer Befugniſs, Ver - träge zu schliessen, durch Bündnisse mit ein - zelnen Mächten Schranken setzen. Einer Staats - regierung untergeordnete Individuen und Cor - porationen, z. B. Städte, und selbst Land - oder Reichsstände, können mit auswärtigen Staaten nur Privatverträge schliessen, unter Aufsicht ih - res Staates e).
Rechtsgültig werden Völkerverträge geschlos - sen, 1) nur von dem Stellvertreter des Staates gegen Auswärtige a) (welches in der Regel das regierende Subject ist), von ihm unmittelbar oder durch Bevollmächtigte, und 2) nur auf eine der Staatsgrundverfassung angemessene Weise b). Der von einem Bevollmächtigten geschlossene228II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. Staatsvertrag ist gültig, wenn jener die Grenzen seiner offenen c) Vollmacht nicht überschritten hat. Einer nachfolgenden Genehmigung (Ra - tification) bedarf ein solcher Vertrag nur dann, wenn sie in der offenen Vollmacht, oder in dem Vertrag vorbehalten ist; welches letzte jetzt in der Regel zu geschehen pflegt d), nur Kriegsverträge der Kriegsbefehlhaber (arrangemens militaires) und andere durch augenblickliches Bedürfniſs gebotene Verträge ausgenommen. Die von dem einen Theil erfolgte Genehmigung, verpflichtet den andern nicht, auch von seiner Seite zu ratificiren e). Der Tag der Unter - zeichnung des Vertrags, auch wenn die vor - behaltene Genehmigung später erfolgt wäre f), bestimmt im Zweifel den Anfangspunct seiner Gültigkeit. Eine blosse Sponsion, ein ausserhalb der Grenzen seiner Macht von Jemand, wäre er auch der Stellvertreter des Staates oder dessen Bevollmächtigter, für den Staat gegebenes Ver - sprechen, bedarf zu ihrer Verbindlichkeit der Genehmigung des Staates g). Sehr streitig ist, ob und unter welchen Umständen ein von dem Regenten mit dem Feind, während er sich in dessen Gefangenschaft befand, für den Staat ge - schlossener Vertrag, für diesen unverbindlich, oder höchstens als Sponsion zu betrachten sey h)?
Auch gehört zur Gültigkeit eines Völker -231II. Cap. Recht der Verträge. vertrags wechselseitige, freie Einwilligung der dabei wesentlich interessirten Staaten, ausdrück - liche oder stillschweigende (§. 3). Blosse Un - terhandlungen (Tractaten), vorbereitende ge - genseitige Erklärungen über Bestimmungen eines zu schliessenden Vertrags, sind, ihrer Natur nach, unverbindlich. Auch fehlt wahre Ein - willigung in dem Fall eines wesentlichen Irr - thums eines oder beider Contrahenten, oder des Betrugs eines von beiden, so fern dadurch allein die Willenserklärung des andern bestimmt wor - den ist; nicht aber bei einer Verletzung wegen Ungleichheit des Geldwerthes der ausgetauschten Gegenstände a). — Wechselseitig ist die Ein - willigung, so bald das Versprechen des einen Theils von dem andern angenommen ist. Form und Zeit dieser Annahme sind gleichgültig, wenn sie nicht durch den Inhalt des Vertrags besonders bedingt sind b). Die Annahme kann geschehen vor und nach dem Versprechen, nur nicht nach dessen rechtsgültiger Zurücknahme; ferner, in der Form einer gemeinschaftlich entworfenen und unterzeichneten Urkunde, einer Erklärung und Gegenerklärung c), eines Reverses, eines nach Uebereinkunft an Staatsunterthanen erlas - senen Edictes, Befehls, Patentes, Verordnung d), u. d. — Für frei gilt jede Einwilligung, wel - che nicht durch unrechtmäsigen Zwang abgenö - thigt worden ist; also auch diejenige, welche erwirkt ward durch solchen Zwang, der zum232II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. Schutz eines angegriffenen Rechtes, so weit es nöthig, angewandt ward e). Der ungerechte Zwang, wodurch ein Dritter den versprechen - den Staat einzuwilligen nöthigte, macht den Ver - trag nur dann ungültig, wenn der das Ver - sprechen annehmende Theil zu der unrechtmä - sigen Handlung des Dritten wissentlich mitgewirkt hat f).
Endlich gehört noch zur Gültigkeit eines Vertrags, die Möglichkeit der Erfüllung des gegebenen Versprechens a). Nach physischen und nach Rechtsgesetzen, muſs die zugesagte Leistung möglich seyn. Jenen wäre ein Ver - sprechen zuwider, zu dessen Erfüllung die phy - sische Macht des Versprechenden in jeder Hin - sicht nicht hinreicht. Rechtlich unmöglich hin - gegen wäre eine Leistung, welche zu verspre - chen ein Staat darum nicht befugt ist, weil durch sie die Rechte eines Dritten würden ver - letzt werden b). Wohl aber ist ein Staat be - fugt, seine Dienstleistung (bona officia) zu ver - sprechen, daſs eine dritte Macht sich zu be - stimmten Leistungen verstehe. Bei einer Un - möglichkeit der versprochenen Leistung, ist der versprechende Theil dem andern zur Entschädi - gung verpflichtet, wenn die Unmöglichkeit die - sem, nicht aber jenem, zur Zeit des geschlos - senen Vertrags unbekannt war c); so auch, wenn sie nachher von dem Versprechenden veranlaſst worden ist. Für eine rechtliche Unmöglichkeit der Leistung, kann der offenbare Nachtheil al - lein nicht gelten, welcher durch die Leistung dem versprechenden Staat zuwachsen würde; selbst dann nicht, wenn sie ihn mit Umsturz seines politischen Daseyns, seiner Unabhängig -234II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. keit, oder seiner Verfassung, bedrohte d). Nicht erst durch eine wirkliche Leistung, erhält ein Vertrag seine Rechtsgültigkeit.
Der Staatszweck eines jeden Volkes fordert, unter gewissen Umständen, Verträge mit andern Staaten. Völkerverträge sind demnach rechtlich nothwendig. Da nun vernünftigerweise kein Staat geneigt seyn könnte, mit andern Staaten Ver - träge zu schliessen, folglich kein Vertrag mög - lich wäre, wenn jedem Staat rechtsgültig frei stünde, sein vertragmäsig gegebenes Versprechen235II. Cap. Recht der Verträge. nach einseitigem Willen zurückzunehmen; so muſs die Heiligkeit a), die unverbrüchliche Hal - tung der Völkerverträge (sanctitas pactorum gen - tium publicorum), durch den Staatszweck ge - botener Grundsatz eines jeden Volkes seyn b). Heilig sind sie für den Staat, für den ganzen Staat; denn im Namen des ganzen Staates wer - den sie geschlossen. Nur mit dem ganzen Staat hört demnach, im Zweifel, ihre Verbindlichkeit auf (pacta aeterna et realia); nicht mit der gleich - zeitigen Staatsverfassung oder Person des regie - renden Subjectes. Der ewige Staat spricht durch jeden Regenten c). Wer behauptet, daſs die Verbindlichkeit eines einzelnen Völkervertrags, oder einer einzelnen Stipulation desselben, ein - geschränkt sey auf die physische Person des Re - genten (pactum personale), oder auf die Regen - ten aus einem bestimmten Stamm d), oder auf eine bestimmte Staatsverfassung, muſs den Be - weis der von ihm behaupteten Einschränkung übernehmen e).
Gegenstand der Völkerverträge kann Alles seyn, Handlung oder Sache, worüber ein Staat zu verfügen hat. Die Art und die Bedingungen der Verfügung, hängen von dem Willen der Con - trahenten ab. Die Verträge können daher sehr verschieden seyn. Sie können geschlossen wer - den, von den Regenten persönlich, wie im Jahr 1815 die heilige Allianz a), oder von ihren Be - vollmächtigten, ausdrücklich oder stillschweigend, unbedingt oder (resolutiv oder suspensiv) bedingt,237II. Cap. Recht der Verträge. mit Zweckbestimmung (sub modo), mit Zeitbe - stimmung (ex die, oder in diem), mit einseitig oder gegenseitig versprochener Leistung, unent - geltlich oder gegen Vergeltung b), wiederruflich oder unwiederruflich, welches letzte im Zwei - fel zu vermuthen ist. Auch unterscheidet man Haupt - und Nebenverträge (pacta principalia et minus principalia, accessoria, adjecta, subsidia - ria); desgleichen Präliminär - (Interims -, vorläu - fige oder provisorische, conventiones praeparato - riae s. praeliminares) und DefinitivVerträge c).
Enthält ein Vertrag mehrere Versprechen (zusammengesetzter Vertrag, pactum composi - tum), so pflegen solche in mehrere Artikel ver - theilt zu werden, die unter sich bald in mate - riellem Zusammenhang stehen, bald nicht (ar - ticuli connexi, vel non connexi). Manche die - ser Artikel enthalten Hauptbestimmungen (Haupt - Artikel, articuli principales); der Inhalt anderer besteht aus Nebenbestimmungen (NebenArtikel, articuli accessorii s. minus principales). Alle diese verschiedenen Artikel können dem Haupt - Instrument theils eingerückt, theils als Zusatz oder Anhang beigefügt seyn, bald in der Form eines Nebenvertrags (convention additionnelle), bald als abgesonderte oder Separat Artikel a). 239II. Cap. Recht der Verträge. Für den Inhalt mancher Völkerverträge, oder mancher SeparatArtikel, wird bisweilen eine, we - nigstens temporäre Geheimhaltung festgesetzt (ge - heime Verträge, traités séparés et secrets, gehei - me und SeparatArtikel b), articles secrets). Diese werden offene Artikel (articles patents), so bald die Zeit der Geheimhaltung abgelaufen ist.
In manchen Völkerverträgen, werden bloſs vorübergehende (transitorische) Leistungen ver - sprochen. Diese heissen daher im eingeschränk - tern Sinn Verträge (accords, conventions, pactes, arrangemens). In andern sind die versprochenen Leistungen fortdauernd. Diese werden über - haupt Bündnisse a) (foedera, alliances, ligues) genannt, weil die contrahirenden Theile sich zu einem gemeinschaftlichen Zweck verbinden, mithin ein Gesellschaftvertrag (pactum sociale) 240II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. zum Grunde liegt. Die Bündnisse sind bald immerwährende (perpetua, auch aeterna), bald temporäre (temporaria), je nachdem die Lei - stungen für immer, wenigstens auf unbestimmte Zeit, oder nur für bestimmte Zeit zugesagt sind. Ungleich ist ein Bündniſs (foedus inaequale), wenn dadurch ein Bundesgenoſs, und nur die - ser, zum Vortheil des andern, in der Ausübung eines oder mehrerer Rechte seiner Unabhängig - keit eingeschränkt wird b).
Nach Verschiedenheit des Zwecks, führen die Bündnisse besondere Benennungen. Sie sind theils FriedensBündnisse, theils KriegsBündnisse. Zu den ersten gehören die so genannten Freund - schaftBündnisse (traités d’amitié), wodurch nicht nur gewissenhafte Erfüllung aller Zwangpflich - ten zugesagt oder bekräftigt wird, sondern auch die auf gegenseitiges freundliches Benehmen sichbe -241II. Cap. Recht der Verträge. beziehenden Humanitäts Pflichten zu Zwangpflich - ten erhoben werden, und die HandelsBündnisse, wodurch die Handelsverhältnisse gegenseitig be - stimmt werden, nebst den MünzConventionen, wodurch vorzüglich die Beobachtung eines be - stimmten Münzfusses festgesetzt wird. Durch KriegsBündnisse wird Beistand versprochen ge - gen äussere Feinde. Sie heissen im engsten Sinn Allianzen a); zu gemeinschaftlicher Vertheidigung gegen feindliche Angriffe, SchutzBündnisse oder DefensivAllianzen; zu dem Zweck eines gemein - schaftlichen Angriffs, TrutzBündnisse oder Of - fensivAllianzen b); NeutralitätsVerträge, wenn für den Fall eines Kriegs Neutralität, einseitig oder gegenseitig, bedungen wird, entweder zwi - schen dritten nicht kriegführenden Mächten, oder zwischen einer oder mehreren kriegführenden und einer oder mehreren nicht kriegführenden Mächten; SubsidienTractate, wenn einem Contra - henten für den Kriegszweck Beistand, eingeschränkt auf bestimmte Quantität und Qualität, von dem andern versprochen wird; GrenzBündnisse (foe - dera limitum custodiendorum, traités de bar - rière), wenn die Bewachung und Vertheidigung der Staatsgrenzen der Gegenstand ist c).
Zu Sicherung, Erweiterung, oder Ein - schränkung der natürlichen Handelsfreiheit der Völker, werden, besonders seit dem XVI. Jahr - hundert, nicht selten Handelsverträge a) von eu - ropäischen Staaten geschlossen, theils unter sich, theils mit aussereuropäischen Mächten. Der ge - wöhnliche Zweck dieser Verträge ist: Freiheit, Sicherheit, und Leichtigkeit des Handels und der seinetwegen zu treibenden Schiffahrt. Bald243II. Cap. Recht der Verträge. wird darin gesorgt für Freiheit und Beschützung des Handels der Angehörigen eines bestimmten Staates; bald werden gewisse Leistungen fest - gesetzt, wodurch die natürliche Freiheit einge - schränkt oder erweitert wird. Einige Handels - verträge haben das Ansehen von gesellschaftlichen Verbindungen, wie der ehemalige hanseatische Bund; andere sind im Grund anders nichts als eine Art von Freundschaftverträgen. Die bei - den Hauptgesichtpuncte der neuern Handelsver - träge betreffen den Handel unter friedlichen und feindlichen Verhältnissen, und zwar die letzten theils unter den Contrahenten selbst, theils zwi - schen einem von ihnen und einer dritten Macht, theils zwischen dritten Mächten.
In Absicht auf friedliche Verhältnisse, be - treffen die Hauptbestimmungen der Handelsver - träge die Aus -, Ein - und Durchfuhr der Han - delswaaren und ihrer verschiedenen Arten, die Handelsabgaben, insbesondere die Zölle, die Rechte, Freiheiten und Pflichten der Staatsange - hörigen, welche des Handels wegen in dem Ge - biet des andern Staates sich aufhalten, in An - sehung ihres Gewerbes und Gerichtstandes, ih - rer Religionsübung, Abgaben, Arrest -, Nach - steuer - und Abzugsgeldfreiheit, der Rechte ihres Nachlasses, des Strandrechtes, u. d. m. Ueber Sinn und Umfang der nicht selten vorkommen - den Clausel, „ daſs die handelnden Angehörigen „ des einen contrahirenden Staates, in dem Ge - „ biete des andern den eigenen Unterthanen “, oder „ den Angehörigen der am meisten begün - „ stigten Nation sollen gleich gehalten werden “, ist hin und wieder gestritten worden a).
Für den Fall eintretender feindlicher Ver - hältnisse a), und zwar unter den Contrahenten, pflegt bestimmt zu werden: die Freiheit des fortwährenden Aufenthaltes der wechselseitigen handelnden Staatsangehörigen in dem feindlichen Staatsgebiet, oder die Nothwendigkeit ihres Ab - zugs innerhalb bestimmter Frist, von einem ge - wissen Zeitpunct an gerechnet, und die Bedin - gungen beider, die Rechte in Ansehung der Be - schlagnehmung ihrer Güter, u. d. Für den Fall des Kriegs eines der Contrahenten mit einer dritten Macht, pflegen die NeutralitätsRechte des Handels der Staatsangehörigen des andern Con - trahenten bestimmt zu werden, besonders wel - che Waaren als neutral, und welche als Kriegs - Contrebande behandelt werden sollen, ob, wann, und wie die Handelsschiffe des neutralen Con - trahenten auf offener See der Visitation der Kriegsschiffe des kriegführenden Contrahenten sollen unterworfen seyn, unter welchen Bedin - gungen sie in dessen Seegebiet von Embargo frei seyn sollen, das Verhalten des neutralen Contrahenten in eigenem Seegebiet, gegen die Schiffe nicht nur des kriegführenden Contrahen - ten, sondern auch seines Feindes, u. d. m. b) 246II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. Selbst für den Fall eines Kriegs zwischen drit - ten Mächten, werden bisweilen durch Vertrag gewisse Grundsätze festgestellt, nach welchen die Contrahenten die Freiheit und Neutralität des Handels ihrer Staatsangehörigen auf offener See, allenfalls mit bewaffneter Macht, behaupten wollen.
Ein an sich gültiger Vertrag, begründet für den Contrahenten ein Zwangrecht, nicht nur von seinem Mitcontrahenten vollständige Er - füllung des Versprechens, sondern auch von je - dem zu Widerspruch nicht befugtem Dritten zu fordern, daſs er die Erfüllung des Vertrags nicht hindere. Zu Ausübung dieses Zwangrechtes, be - darf es weder einer Bestätigung, noch einer Er - neuerung, Wiederherstellung, oder Verstärkung des Vertrags. Nützlich kann jedoch die Bestä - tigung eines Vertrags seyn, wenn über dessen Gültigkeit, oder über die Fortdauer derselben, Streit oder Zweifel vorwaltet, oder zu besorgen wäre a). Die Versicherung, welche monarchi - sche Regenten nach ihrer Thronbesteigung an -247II. Cap. Recht der Verträge. dern Mächten oft zu ertheilen pflegen, daſs sie die mit ihren Staaten bestehenden Verträge ge - hörig erfüllen würden, ist eine Förmlichkeit, welche wenigstens einer allgemeinen Freund - schaftversicherung gleich zu achten ist. Bis - weilen liegt bei der Bestätigung eines ältern Vertrags, bloſs die Absicht zum Grunde, seine fortdauernde Gültigkeit bei den jetzigen Contra - henten in frischem Andenken zu erhalten. Ist ein Vertrag in einem spätern so bestätigt, „ als „ ob er von Wort zu Wort dem neuen Vertrag „ eingerückt wäre b) “, so wird darum jener noch nicht nach seinem ganzen Inhalt ein Theil des letzten, sondern es wird dadurch, im Zweifel, die Anerkennung der Gültigkeit des ersten, bloſs für die Contrahenten des letzten eine Vertrag - bedingung c).
Die Erneuerung der Verträge (renovatio pactorum) ist eine Verlängerung ihrer Gültig - keit über denjenigen Zeitpunct hinaus, mit wel - chem diese ihr Ende erreichen würde a). Bei der Erneuerung treten dieselben Erfordernisse ein, wie bei der ursprünglichen Errichtung des Vertrags. Vermuthet wird sie nie, aber sie kann nicht nur ausdrücklich geschehen, sondern auch stillschweigend, durch wissentliche Fort - setzung der Leistung und Annahme der Ver - tragpflichten über den gedachten Zeitpunct hin - aus b). Sie kann sich beziehen auf den ganzen Vertrag, oder nur auf einzelne Artikel oder Sti - pulationen desselben c). — Soll ein Vertrag, dessen Gültigkeit schon aufgehört hat, wieder Kraft erhalten, so ist eine Wiederherstellung (re - stitutio) desselben nöthig. Diese, von einigen auch Erneuerung benannt, geschieht nicht selten in Friedensschlüssen bei solchen Verträgen, die durch den Krieg ihr Ende erreicht hatten d). Soll die Erneuerung oder die Wiederherstellung nicht bloſs die HauptContrahenten, sondern auch die NebenContrahenten, z. B. die Garants, ver - pflichten, so wird auch deren Einwilligung er - fordert.
249II. Cap. Recht der Verträge.Zu möglichster Entfernung der Besorgniſs einer Nichterfüllung, kann auch ein Völkerver - trag Verstärkung (Corroboration) erhalten durch Sicherungsverträge (pacta cautionis), welche, als hinzukommende Nebenverträge, für den Fall ei - ner Verletzung des Vertragrechtes ein Hülfs - recht begründen a). Die Sicherheit wird ge - leistet, entweder von Contrahenten selbst, oder von einer dritten Macht. Die gewöhnlichsten Sicherungsverträge sind jetzt: Pfand, Geisel, Ga - rantie. Die Verstärkung durch Versprechungs - Eide der Contrahenten, ist seit dem siebenzehn - ten Jahrhundert kaum Einmal vorgekommen b). Conventionelle Geldstrafe und Bürgschaft werden bei Verträgen der Staaten unter sich, jetzt nicht250II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. leicht vorkommen, und die ehemaligen Con - servatoren (warrant, guarandi), angesehene Un - terthanen, Schutzverwandte oder Vassallen, wel - che durch Zusage ihres bewaffneten Beistandes gegen ihren eigenen contrahirenden Regenten, Schutz - oder Lehnherrn, für dessen Versprechen Gewähr leisteten c), sind seit dem Ende des Mittelalters ausser Gebrauch d). Dasselbe gilt von der Verpflichtung zu dem Kirchenbann e) (excommunicatio major), zu dem Einlager (ob - stagium), zu Schelmschelten, Schandgemälden, und andern veralteten ConventionalStrafen f).
Zur Sicherheit völkerrechtlicher Stipulatio - nen, dient bisweilen ein Pfand a), welches der versprechende Theil einsetzt. Es besteht meist in Landestheilen b), verbunden mit Uebergabe an den andern Contrahenten (eigentliches Pfand, Faustpfand), und mit eingeräumtem, mehr oder252II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. weniger eingeschränktem Gebrauch desselben. Einräumung eines Pfandrechtes ohne Uebergabe (Hypothek), ist selten c). — Geissel (obsides), Staatsangehörige, die zu Sicherung eines Ver - tragrechtes einem andern Staat in Verwahrung gegeben, oder zum Zweck des Kriegs gewaltsam genommen werden d), sind von jeher üblich gewesen. Die gewaltsame Nehmung pflegt nur im Kriege zu geschehen e), und wird nicht sel - ten Anlaſs, daſs Repressalien gebraucht, insbe - sondere daſs Gegengeissel genommen werden. Die freiwillige Gebung, kommt am meisten vor bei Kriegsverträgen und Friedensschlüssen f). Strengeres Verfahren gegen sie, als der Zweck der Verwahrung fordert, wäre widerrechtlich g); nur mit ihrer Freiheit haften sie.
Ein sehr gewöhnlicher Sicherungsvertrag ist die Garantie a), in dem engern Sinn; ein Völ - kervertrag, wodurch ein Staat verspricht, einem andern Staat Hülfe zu leisten, auf den Fall, wenn diesem eine Rechtsverletzung der bestimm - ten Art b) von einer dritten Macht drohen, oder zugefügt würde. Die Garantie wird geleistet, immer in Beziehung auf eine dritte Macht, von deren Seite eine Rechtsverletzung möglich wäre. Denkbar ist sie demnach als Sicherheitsmittel für jedes Rechtsverhältniſs, in welchem zwei oder mehrere Mächte, ausser dem Garant, unter sich stehen können c), namentlich in Ansehung ih - rer TerritorialBesitzungen, ihrer Souverainetät und Unabhängigkeit, der Staatsverfassung, der Thronfolge, u. d. d). Am häufigsten findet sie sich bei Friedensschlüssen e). Die Schliessung des GarantieVertrags beruht auf freiem Willen des Garants und derjenigen Macht, welcher sie versprochen wird. Versprochen kann sie wer -254II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. den, nicht nur derjenigen Macht, deren Rechts - verhältniſs garantirt wird, sondern auch für diese einer dritten Macht f). Auch kann die Pflicht, mit jener Macht auf ihr Verlangen den Garantie - Vertrag zu schliessen, Gegenstand eines Vertrags des Garants mit einer dritten Macht seyn. Ein - willigung desjenigen, wider welchen Garantie versprochen wird, ist nicht nöthig; doch kann nützlich seyn, daſs die Garantie ihm bekannt werde.
Ist der GarantieVertrag bestimmt zu der Sicherung eines Vertrags, so ist derselbe stets ein Hülf - oder Nebenvertrag (pactum accesso - rium), selbst wenn er dem Hauptvertrag ein - verleibt wäre a). Dann kann die Garantie ge -256II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. leistet werden, nicht nur von einer dritten Macht ausser den HauptContrahenten, sondern auch von einem HauptContrahenten dem andern, gegen einen oder mehrere ihrer MitContrahenten b). In dem letzten Fall, ist die Garantie entweder einseitig, oder wechselseitig c). Die wechsel - seitige ist gleich oder ungleich; das letzte, wenn die von dem einen Theil geleistete Garantie, von grösserem Umfang ist als diejenige des an - dern Theils d).
Die Garantien sind bald allgemein, bald particulär, je nachdem alle Rechte der be - stimmten Art, oder alle Besitzungen eines Staa - tes, so auch alle Stipulationen eines Vertrags, garantirt werden, oder nur ein Theil dersel - ben a). Einige werden für beständig, andere nur auf gewisse Zeit übernommen b). In dem Fall einer drohenden oder wirklichen Verletzung des garantirten Gegenstandes, ist der Garant, auf erhaltene Aufforderung c), verpflichtet, die versprochene Hülfe zu leisten d); doch nur so weit, als der die Garantie anrufende Theil zur Selbsthülfe berechtigt ist e), und in jedem Fall ohne Nachtheil der Rechte eines Dritten f) (salvo jure tertii). Zu mehr als der versprochenen Hülfleistung, ist der Garant weder berechtigt noch verpflichtet. Vermag er durch Leistung der versprochenen Hülfe, den Verlust des ga - rantirten Gegenstandes nicht abzuwenden, so ist er, da Garantie keine Bürgschaft in sich schlieſst, zu Entschädigung nicht verpflichtet g). Eben so wenig ist er berechtigt, einer Aufhebung, Erweiterung, oder Aenderung des garantirten Vertrags, durch Einwilligung beider, sich zu widersetzen; er ist aber nach einer Abänderung, so weit diese den garantirten Gegenstand we - sentlich berührt, zur vorigen Garantie fernerhinKlüber’s Europ. Völkerr. I. 17258II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. nicht verbunden, und auch auf spätere Zusätze des Vertrags erstreckt sich seine Garantie im Zweifel nicht. Die Garantie erreicht ihr Ende, auf dieselbe Art wie andere Völkerverträge h). Der garantieberechtigte Staat hat ein pflichtmäsiges Verhalten zu beobachten, dafern er der durch die Garantie erlangten Rechte nicht verlustig wer - den will i).
Ausser den genannten SicherungsVerträgen,259II. Cap. Recht der Verträge. concurriren dritte Mächte bisweilen noch auf an - dere Weise bei Schliessung der Völkerverträge. Eine dritte Macht kann 1) zu Schliessung eines Vertrags, insbesondere zu Eröffnung der Unter - handlungen, bei den interessirten Mächten sich verwenden, mittelst Anwendung so genannter gu - ter Dienste (bona officia, bons offices). Diese werden geleistet, aus eigenem Antrieb, auf Er - suchen eines oder beider Theile, oder in Folge eines gegebenen Versprechens a). Ihre Annah - me kann, wenn sie aus eigenem Antrieb an - gewandt oder angeboten werden, allerseits ver - weigert werden; doch nicht, wenn die Annah - me durch Vertrag zugesagt ist b). Ihre Er - bittung oder Annahme, giebt noch kein Recht auf Vermittlung c). 2) Mittler (mediator, pa - rarius, médiateur) ist diejenige Macht, wel - che in der Unterhandlung eines Vertrags bei - den Theilen durch Rath und That Beistand lei - stet d). Obgleich die Mediation sowohl durch eigenen Antrieb, als auch durch Ersuchen eines oder beider Theile, und selbst einer dritten Macht, veranlaſst werden kann, so findet sie doch anders nicht statt, als mit Einwilligung beider Theile und des Mittlers. Nach allerseits angenommener Mediation, ist unparteyisches Wohlwollen die erste Pflicht des Mittlers e). In der Regel wird ihm das Recht eingeräumt, den Conferenzen beider Theile beizuwohnen, und sich eben so wohl mit Nachdruck, als mit260II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. Glimpf zweckmäsig zu verwenden. Aber die Vermittlung giebt ihm kein Recht, seine An - träge mit Gewalt durchzusetzen. Zu einer Ga - rantie des vermittelten Vertrags, giebt die Ver - mittlung weder Recht noch Pflicht f).
Zuweilen wird dritten Mächten Theilneh - mung an einem Völkervertrag, als Haupt - oder Neben Contrahenten, gestattet, oder wenigstens bedungen a). Erklärt sich die dritte Macht be - reit zu der Theilnahme, so geschieht dieses entweder in dem Vertrag selbst, oder nachher261II. Cap. Recht der Verträge. in der Form eines Beitritts (Accession). In dem letzten Fall, pflegt eine Beitritt - oder Ac - cessionsActe von der einen, und eine Acceptations - Urkunde von der andern Seite ausgesertigt zu werden b). In beiden Fällen wird zu der Theil - nehmung die Einwilligung oder Genehmigung der dritten Macht erfordert; es sey nun daſs solche zu den Stipulationen, zu allen oder ein - zelnen, nothwendig war, oder daſs die Theil - nehmung bloſs aus Gründen der Politik erbeten und angenommen ward c). Zwang zu dem Bei - tritt d), könnte nur statt finden, sofern er recht - mäsig wäre.
Auch erfolgt zu Zeiten die Einschliessung einer dritten Macht a), besonders einer alliir - ten, in einen Vertrag, namentlich in einen Frie - densschluſs, indem derselbe für gemeinschaftlich mit ihr erklärt wird b); selbst ohne vorher - gegangene oder nachfolgende, ausdrückliche Er - klärung ihrer Einwilligung c), und ohne einen von ihr einem oder beiden Paciscenten zu dieser Einschliessung gegebenen Auftrag d). — Der Widerspruch einer Macht gegen einen von an - dern Mächten, und vielleicht von ihr selbst ge - schlossenen Vertrag, geschieht bisweilen durch eine feierliche Verwahrungs - oder Protestations - Urkunde, auf welche meist eine GegenProtesta - tion folgt e). Die rechtliche Wirkung solcher Erklärungen, hängt ab von dem rechtlichen Grund oder Ungrund des Widerspruchs.
Der zweifelhafte Sinn eines Völkervertrags kann authentische Auslegung erhalten, nur durch übereinstimmende Erklärung der Contrahenten, oder, an ihrer Stelle, von dem, welchem sie das Recht der Auslegung durch Compromiss über -264II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. tragen haben. Selbst die Entscheidung der strei - tigen Vorfrage, ob der Sinn zweifelhaft sey? kann nur auf demselben Weg der Güte oder des conventionellen Rechtes erlangt werden. Die unmittelbare Auslegung der Contrahenten, kann in jeder Form statt haben, in welche ein Völ - kervertrag eingekleidet seyn darf, insbesondere in einem NachReceſs oder ErläuterungsVertrag a). Ein Dritter, welchem die Auslegung nach Grün - den des Rechtes, von beiden Theilen übertragen ist, hat die allgemeinen Regeln der Wissenschaft von grammatischer und logischer Auslegung an - zuwenden b).
Die rechtliche Wirksamkeit der Völkerver - träge hört auf a): 1) durch wechselseitige Ein - willigung der Interessenten b); 2) nach einsei - tigem, voraus bedungenem Wiederruf c); 3) bei einer Zeitbestimmung, nach Ablauf des festge - setzten Zeitraums d); 4) bei einer Zweckbe - stimmung, nach Erreichung des Zwecks; 5) bei einer auflösenden Bedingung, nach dem Eintritt265II. Cap. Recht der Verträge. derselben; 6) bei eintretender physischer oder moralischer Unmöglichkeit der Wirksamkeit des Vertrags e).
Auch hört die rechtliche Wirksamkeit der Völkerverträge auf, 7) bei wesentlicher Ver - änderung solcher Umstände, deren Daseyn für die Wirksamkeit des Vertrags, nach dem Wil - len beider Theile, als nothwendig vorausgesetzt war a) (clausula rebus sic stantibus); gleichviel, ob die Voraussetzung ausdrücklich, oder ver - möge der Natur des Vertrags stillschweigend gemacht war b). 8) Durch Treulosigkeit des267II. Cap. Recht der Verträge. einen Theils, wenn er die Erfüllung dieses oder eines andern Vertrags verweigert, wird der an - dere Theil frei von der Verbindlichkeit zur Ge - genleistung c). Hat dieser, in Hinsicht auf die Erfüllung des Vertrags, schon Leistungen ge - macht, oder Anstalten dazu entweder getroffen oder unterlassen, so gebührt ihm auch deſshalb Schadenersatz. 9) Durch vollständige, von den Contrahenten beabsichtigte Erfüllung der vertrag - mäsigen Verbindlichkeiten, erreicht der Vertrag zwar sein Ende, aber die durch ihn bestimm - ten Folgen dauern, in Hinsicht auf die Con - trahenten unter sich, rechtsgültig fort, unabhän - gig von etwa späterhin eintretenden Veränderun - gen der Umstände.
Das Interesse eines jeden Staates erfordert, von Zeit zu Zeit, mit andern Staaten Unter - handlungen (Negociationen) zu pflegen, nicht bloſs um Verträge vorzubereiten und zu schlies - sen, sondern auch um über die rechtlichen und politischen Verhältnisse zu andern Staaten zu wachen. Das Recht eines Staates zu sol - chen Unterhandlungen, ist begründet durch seine Unabhängigkeit (§. 46). Die Ausübung desselben gebührt dem Stellvertreter des Staates gegen Auswärtige; wiewohl dieser hiebei, in dem Verhältniſs zu dem eigenen Staat, durch dessen Grundverfassung zu gewissen Einschrän - kungen verpflichtet seyn kann.
Dieses Recht zu unterhandeln kann aus -270II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. geübt werden, sowohl mündlich bei persönlicher Zusammenkunft, als auch schriftlich, mit Beob - achtung des diplomatischen CanzleiStyls (§. 112). Die mündlichen und die schriftlichen Unter - handlungen können statt haben, entweder un - mittelbar zwischen den Stellvertretern der bei - derseitigen Staaten gegen Auswärtige, oder mit - telbar durch Bevollmächtigte derselben. Die letzten können Staatsbehörden seyn, welche mit fortwährendem oder besonderem Auftrag für die in Frage stehenden Unterhandlungen versehen sind, oder auch einzelne Personen, bevollmäch - tigt von dem Regenten für Unterhandlungen mit andern Staaten, als Gesandte oder diplomatische Agenten a). — Der Ort der Unterhandlungen ist, in dem Fall einer Zusammenkunft, bald in dem Gebiet einer der unterhandelnden Mächte, es sey nun in der Haupt - oder ResidenzStadt, oder an einem andern Ort, bald auf der Grenze beider Staaten b), bald in dem Gebiet einer dritten Macht.
Abgesehen von den Zwangpflichten, welche271III. Cap. Recht d. Unterhandl., ins. durch Gesandte. einem politischen Unterhändler obliegen, und davon, daſs es sehr oft nicht in seiner Macht steht, über die Umstände Meister zu wer - den, ist auch in diplomatischen Unterhandlun - gen die Ueberlegenheit nicht zu verkennen, wel - che Genie, Wissenschaft, Geschäft - und Men - schenkenntniſs, Klugheit, Geistesgegenwart, Ge - wandtheit, Weltbildung, persönliches Ansehen, und Liebenswürdigkeit verschaffen a). Vernunft und Erfahrung dienen vereinigt zu Bildung ge - wisser Regeln, theils in Hinsicht auf die per - sönlichen Eigenschaften, welche man bei einem geschickten Unterhändler vorauszusetzen berech - tigt ist, theils in Ansehung seines Verhaltens in dem Lauf der Unterhandlungen. Mittelst Zu - sammenstellung dieser Regeln, läſst sich eine Art von System der politischen Unterhandlungs - kunst b) darstellen.
Gesandter (legatus, ministre public, envoyé, agent politique ou diplomatique, agent de re - lations extérieures) heiſst ein Staatsbeamter, wel - cher zu Verhandlungen des Staates mit einem andern Staat bevollmächtigt ist a). Der In - begriff der Rechte, welche in Hinsicht auf ge - sandschaftliche Verhandlungen einem Staat zu -stehen,273III. Cap. Recht d. Unterhandl., ins. durch Gesandte. stehen, heiſst Gesandschaftrecht b) (jus legationum, droit de légation ou d’ambassade).
In Hinsicht auf den Staat, welcher ihn sen - det, vereinigt ein Gesandter in seiner Person zwei Eigenschaften. Er ist Staatsbeamter (of - ficialis publicus, administer reip., fonctionnaire public) des Staates, welcher ihn sendet, und dessen Mandatar in Ansehung des ihm ertheilten275III. Cap. Recht d. Unterhandl., ins. durch Gesandte. gesandschaftlichen Auftrags. In der letzten Ei - genschaft handelt er, im Namen des Staates, mit demjenigen an welchen er gesendet ist a). Die erste Eigenschaft wird, in der Regel, als fortwährend betrachtet, die andere, ein beson - derer Auftrag, als vorübergehend. Daher sind die gesandschaftliche Würde und Function, selbst diejenigen eines ordentlichen Gesandten, nebst dem damit verbundenen Gehalt b), wiederruf - lich.
Ein Gesandter unterscheidet sich von einem Commissär, welchem der Regent einen Auftrag für nicht ‒ diplomatische Geschäfte ertheilt hat, z. B. für inländische Staatsgeschäfte, für Streit - gegenstände, für Grenz -, Schiffahrt -, Liquida - tions - u. d. g. Angelegenheiten a). Desgleichen, von Deputirten, welche von Unterthanen, in - sonderheit Gemeinheiten, abgeordnet werden, an ihren Regenten, oder an inländische Staats - behörden, unter ausserordentlichen Umständen auch wohl an Auswärtige. Agenten für Privat - geschäfte eines Staates, oder seines Regenten, wenn gleich mit dem Titel Resident oder Le - gationsrath bekleidet, können auf die Rechte diplomatischer Agenten keinen Anspruch machen, namentlich nicht auf gesandschaftliche Vorrechte, Befreiungen, und Ceremoniel b).
Noch mehr gilt dieses von geheimen Ab - gesandten (émissaires cachés ou secrets), die ein Staat in das Gebiet eines andern Staates schickt; denn nicht nur führen sie daselbst keinen öf - fentlichen gesandschaftlichen Charakter, sondern es wird sogar die Thatsache ihrer Sendung und deren Absicht allgemein verheimlicht a). Zu Zeiten werden aber auch Unterhändler von ei - ner Staatsregierung ingeheim an einen Souverain oder dessen Ministerium abgeordnet, und bei ihm accreditirt b) (envoyés confidentiels, né - gociateurs secrets). Diese nehmen bisweilen in dem Fortgang der Unterhandlung einen öffent - lichen gesandschaftlichen Charakter an c). — Von einem Gesandten in dem eigentlichen Sinn, unterscheidet sich auch der Abgesandte, wel - chen ein Staat an einen andern Staat zwar mit Aufträgen in Staatsgeschäften, aber ohne gesand - schaftlichen Charakter sendet, wenn gleich die Thatsache der Sendung nicht verheimlicht wird d). Man wählt hiezu nicht nur hohe und niedere278II. Th. II. Tit. BedingteRechte; in friedl. Verhältn. Staatsbeamte, z. B. Staatsminister, Admirale, Generale, Räthe jeder Classe, LegationsSecretäre ohne Gesandschaft, sondern auch Prinzen vom Regentenhause, und andere Personen von hohem Stande e).
Auch die Consuln haben in der Regel nicht279III. Cap. Recht d. Unterhandl., ins. durch Gesandte. gesandschaftlichen, wenn gleich öffentlichen Cha - rakter. Doch fehlt es nicht an Beispielen, daſs ihnen zugleich gesandschaftliche Angelegenheiten übertragen, und sie zu dem Ende accreditirt worden sind, es sey nun interimistisch oder für beständig a). Ihrer eigentlichen Bestimmung nach sind sie HandelsAgenten, welche ein Staat b) in fremden Handelsplätzen oder Seehäfen be - stellt, um daselbst sein HandelsInteresse zu wah - ren, insbesondere den Handelsleuten und Schif - fern ihrer Nation Beistand zu leisten c). Es giebt Consuln (ParticulärConsuln), in Seestäd - ten zuweilen auch Commissaires de la marine genannt, ViceConsuln, welche den Consuln bei - gegeben sind, und GeneralConsuln, diese für mehrere Handelsplätze, und