PRIMS Full-text transcription (HTML)
[V]
Leben und Schickſale, von ihm ſelbſt beſchrieben.
Dritter Theil, welcher deſſen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich von Anfang bis zur Blokade von Landau enthaͤlt.
Nebſt dem Bildniſſe des Verfaſſers.
Leipzig,in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.1796.
[VI][VII]
Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich.
Erſter Theil von Anfang deſſelben bis zur Blokade von Landau.
Nebſt dem Bildniſſe des Verfaſſers.
Leipzig,in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.1796.
[VIII][IX]

An den Leſer.

Da ich den unſeligen Feldzug des Herzogs von Braunſchweig gegen die Franzoſen in den Jahren 1792 und 93 mitgemacht, und hernach vom Monat September 1793 bis in den Februar 1795 mich in Frankreich herumgetrieben habe, ſo kann ſich der Leſer ſchon vorſtellen, daß ich ihm in der Fortſetzung meiner Lebensgeſchichte Manches liefere, das ihn eben ſowohl unterhal - ten, als uͤber gar Vieles belehren kann. Schon dieſes, und dann der Gedanke, daß der Theil des Publikums, welcher meine Jugendſtreiche, akademiſche Poſſen und andere Schwindeleyen nicht ohne Vergnuͤgen geleſen hat, auch das mit Intereſſe und Nutzen leſen werde, was einer allgemeinen und hoͤhern Aufmerkſamkeit werth iſt, mußte mich beſtimmen, meine Lebensge - ſchichte fortzuſetzen.

Freilich werden Manche es ungern ſehen, auch wohl gar uͤber mich zuͤrnen, daß ich bey der Erzaͤhlung meiner und anderer Begebenheiten, ihrer namentlich gedacht, und vielleicht einiges von ihnen erzaͤhlt oder uͤber ſie bemerkt habe, das ſie freilich gern ganz unberuͤhrt wiſſen moͤgten. Aber wozu dieß in einem Zeitpunkte, wo die Begebenheiten zuviel Intereſſe haben, um ſich nicht ſelbſt zu verrathen und zu charakteriſiren! XUnd wenn ſelbſt die Staatsſchriften von England, Frankreich und Deutſchland die Fehler ihrer Verfaſſung und Verwaltung gegenſeitig haar - ſcharf durchgehen, und die Handhaber derſelben, ſie moͤgen auf dem Throne oder im Felde wirken, zur oͤffentlichen Pruͤfung oft nicht zum ruͤhmlich - ſten aufſtellen wie wir dieß entweder in jenen Staatsſchriften ſelbſt, oder auszugsweiſe in un - ſern Zeitungen und Journalen: im Moniteur, im political Magazin, im Londner Chronikel, in Girtanners und Poſſelts Annalen, in Archenholzens Minerva, in der neueſten Geſchichte der Staaten und der Menſchheit, in der Klio, in den Beytraͤgen zur Geſchichte der franzoͤſiſchen Revolution und anderwaͤrts fin - den : ſo waͤre es thoͤrig, einem einzelnen Re - ferenten das verargen zu wollen, was der gan - zen Welt ſchon vor Augen liegt, aber nicht im - mer unpartheyiſch, und oft ſehr mangelhaft. Ueberdieß ſind die Begebenheiten, welche ich er - zaͤhle, groͤßtentheils alle ſo beſchaffen, daß nicht das geringſte falſche Licht auf die Perſonen fal - len kann, die ich genannt habe; und wenn ich die Emigranten und einige Andere ausnehme, deren ich eben nicht im Beſten gedenke, ſo bin ich uͤberzeugt, daß alle andere, Große und Min - dergroße, es mir durchaus nicht verargen koͤn - nen, daß ich mein Publikum mit dem, was ſie thaten, bekannt zu machen ſuche.

Kein Menſch hat mehr Urſache, recht zu thun, und die Regeln der Bravheit genauer zuXI befolgen, als der, welcher irgend eine Rolle auf dem Kriegstheater zu ſpielen hat: denn da wird alles, von Freund und Feind, auf die verſchie - denſte Art erklaͤrt, und der groͤßte Held bringt nur mit Muͤhe ſeinen ehrlichen Namen aus dem Fel - de. Im gegenwaͤrtigen Kriege iſt dieſe Wahr - heit ſehr ſichtbar geworden; und Maͤnner, de - ren Muth, Gerechtigkeitsliebe und militaͤriſche Talente noch im Fruͤhling 1792, gleichſam als ausgemacht angenommen, und allgemein aner - kannt waren, erſchienen ſchon in ſelbigem Jahre, nach der ungluͤcklichen Expedition nach Cham - pagne, in einem ſehr zweydeutigen Lichte, und alles, was ſie hernach im Felde noch thun konn - ten, war nicht im Stande, ſie von Vorwuͤrfen zu retten, welche der Ehre ſolcher Maͤnner aͤußerſt nachtheilig ſeyn mußten.

Man ſage nicht, daß das einmal erworbene Anſehen dieſer Verunglimpften hinlaͤnglich ſey, den Folgen nachheriger ſchiefer Urtheile vorzu - beugen: denn gegen Urtheile hilft kein Anſehen, welches ohnehin wechſelt, wie das, worauf es beruht; und die Nachwelt urtheilt allemal nach ſchon gefaͤllten Urtheilen; aber nach Urthei - len von Sachkundigen und Unpartheyiſchen. Denn welcher Vernuͤnftige wird den Trajanus fuͤr das halten, wofuͤr ihn Plinius in ſeinem Panegyrikus ausgiebt, oder Karl, den Sechs - ten, ſo nehmen, wie ihn die praͤkoniſirende Bio - graphie des Hn. von Schirach aufſtellt? Wahr -XII heit entſcheidet am Ende immer; und ſo nuͤtzet unverdientes Lob eben ſo wenig, als unverdien - ter Tadel ſchadet. Der ſelbſtſtaͤndige, billige Mann bleibt alſo um beyde unbekuͤmmert, und erwartet ſein Recht von der ſichtenden Nachwelt.

Ich glaube, Buͤcher von der Art, wie die Fortſetzung meiner Biographie iſt, ſind beſonders ſchicklich, unbefangne Leſer in den Stand zu ſetzen, richtig und ohne Gefahr, zu irren, uͤber manche Vorfaͤlle des Krieges gegen die Franzoſen ſich zu unterrichten, und viele Perſonen, welche daran Antheil hatten, nach Verdienſt zu wuͤrdigen.

Ich habe kein Intereſſe, jemanden zu loben, oder zu tadeln. Ich lebe zwar noch im Preu - ßiſchen: allein keine Seele, die in dieſen Staaten einiges Gewicht haͤtte, wird von mir, wegen Wohlthaten, geliebt, oder wegen Beleidigungen, gehaſſet. Ich ſtehe nicht in der geringſten Verbin - dung, und kann in einer einzigen Viertelſtunde allen meinen Verhaͤltniſſen mit den Preußen ein Ende machen. Ich habe alſo zu Lob und Tadel noch weniger Urſache, als der ehrliche Tacitus hatte, welcher (Hiſt. L I. C. II. ) bekennen mußte, daß zwar Galba, Otho und Vitellius ihm weder Gu - tes noch Boͤſes erwieſen haͤtten (nec beneficio nec injuria ſibi cognitos), daß er aber unter Veſpaſianus, Titus und Domitianus immer in Staatswuͤrden und Aemtern hoͤher geſtiegen ſey. Aber, ſezt er hinzu, da ich einmal aufrichtig zu ſeyn verſprochen habe, ſo muß ich jeden ohne Vorliebe, und ohne Haß nennen.

XIII

Ich finde zwar, daß man ſogar in oͤffentli - chen Schriften ausſprengt: der Kronprinz von Preußen laſſe mich einen Gehalt genießen, als eine Belohnung fuͤr meine Miſſion*)Unter andern geſchieht dieß im II. B. des Fran - zoͤſiſchen Freyheitskriegs, S. 25.: allein man ſprengt gar vieles aus! Freilich wenn es wahr waͤre, dann haͤtte das Publikum ein Recht bey mir vorauszuſetzen, daß ich von dieſem Prin - zen, und von der Armee, bey welcher er eine Zeitlang ein Kommando gefuͤhrt hat, vielleicht anders ſprechen moͤgte, als ich nach meiner Ueberzeugung haͤtte ſollen. Aber ich erklaͤre hie - mit ganz unbefangen, daß ich nicht die geringſte Penſion genieße, und daß ich auch ganz und gar keine Hoffnung habe, jemals von ſeiner Hoheit im geringſten unterſtuͤzt zu werden: vielleicht verſperrte ich mir durch eigne Schuld den Weg dazu.

Aber ob ich gleich noch immer uͤberzeugt bin, daß ich nach der Aufopferung deſſen, was ich hatte, indem ich mich blos um dem Kronprinzen zu dienen, und mich ſeiner Gnade zu empfehlen, in die Gefahr begab, mein Leben auf eine ſchimpf - liche Art zu verlieren, allerdings auf einige Unterſtuͤtzung zu hoffen das Recht hatte, ſo kann ich doch dieſem vortrefflichen Herrn die Schuld nicht beymeſſen, daß ich ohne die verſprochne Huͤlfe von ſeiner Seite bleibe, und dadurch ge - noͤthiget bin, Maͤnnern laͤſtig zu ſeyn, welcheXIV blos Menſchengefuͤhl veranlaßt, mich in allen Stuͤcken nach ihrem Vermoͤgen zu unterſtuͤtzen. Es giebt zwiſchen einem Fuͤrſten, wie der Prinz von Preußen iſt, und einem armen Teufel, wie ich bin, eine zu große Kluft: er kann ſich nicht ſo tief herablaſſen, um meine Lage kennen zu lernen, und ich kann mich bis zu ihm nicht erhe - ben, um ihn daruͤber zu belehren.

Ich habe mich alſo uͤber alle wirkliche und moͤgliche Verhaͤltniſſe hinausgeſezt, und gerade ſo erzaͤhlt, wie ich die Sachen ſelbſt erfahren habe, und hoffe, daß meine Leſer hiernach von allen meinen Nachrichten urtheilen werden.

Vielleicht macht man mir den Vorwurf, daß ich uͤberhaupt eine gewiſſe Neigung fuͤr das Sy - ſtem der Neufranken blicken laſſe, und zaͤhlt mich vielleicht auch zu jenen, welche bey den politiſchen Kanngießern unſers Vaterlandes unter dem ver - haßten Namen der Jakobiner oder Patrioten be - kannt ſind.

Ich geſtehe ganz offen und ohne alle Furcht, daß ich durch meine Erfahrungen gelernt habe, von dem Syſtem der franzoͤſiſchen Republik beſ - ſer und richtiger zu urtheilen, als mancher poli - tiſche Journaliſt, der aus Eigennutz, Haß oder Schreibſucht, blos raͤſonniren und ſchimpfen will. Ich habe von den Franzoſen in ihrem eignen Lande keine Ungerechtigkeit erlitten; und ob ich gleich ſchon in Landau als Emiſſaͤr der Preußen verdaͤchtig war, und hernach in Dijon und be - ſonders in Macon beynahe voͤllig uͤberfuͤhrt wurde,XV das Werkzeug eines verraͤtheriſchen Anſchlags gegen die Republik geweſen zu ſeyn, ſo wurde es mir doch nicht ſchwer gemacht, mich gewiſſer - maßen zu rechtfertigen, und wurde, wo nicht fuͤr voͤllig ſchuldlos erklaͤrt, doch ſofern losgeſprochen, daß ich meine Freyheit wieder erhielt.

Das Verfahren der Franzoſen gegen mich war alſo edel, und unedel waͤre es nun von mir, wenn ich von ihren Anſtalten gegen meine Ueber - zeugung ſchiefe Urtheile auftiſchen und Luͤgen ein - miſchen wollte, um die ohnehin ſchon ſo verkannte und verhaßte Nation noch verhaßter zu machen.

Und ſo viel von den oͤffentlichen Nachrichten, welche ich in meinem Werkchen liefere. Was die Geſchichte meiner eignen Angelegenheiten be - trifft, ſo hoffe ich, daß meine Leſer keine Lange - weile daran haben werden. Meine Lage beſtimmte mich, ſo zu handeln, wie ich handelte, und der billige Leſer wird ſich nicht wundern, wenn Lauk - hard, der ſeit 1775 in ſtaͤtem Wirrwarr des Uni - verſitaͤten - und Soldatenlebens geweſen iſt, nicht handeln konnte, wie er wuͤrde gehandelt haben, wenn ihm das Gluͤck eines ruhigen Lebens zu Theil geworden waͤre. Es giebt Lagen in der Welt, die man troz alles guten Willens wenig aͤndern, und noch weniger verbeſſern kann; und von dieſer Art iſt die meinige: das fuͤhle, das er - fahre ich alle Tage. Wozu waͤre nun mein Be - ſtreben, meine Geſinnungen zu verlaͤugnen, und eine Maske vorzunehmen, die mich unkenntlich machte?

XVI

Außer dieſem dritten Theile wird naͤchſtens noch einer erſcheinen, welcher meine Begeben - heiten in Frankreich, meinen Aufenthalt bey den Schwaben, und meine Ruͤckkehr nach Halle enthalten wird. Daß dieſer Theil der vorzuͤg - lichſte in Ruͤckſicht der Geſchichte, und der Laͤn - der - und Voͤlkerkunde ſeyn wird, verſteht ſich von ſelbſt; und wenn das Publikum bisher meine Biographie mit einiger Theilnahme geleſen hat; ſo hoffe ich, daß der Schluß derſelben keines Le - ſers Erwartung taͤuſchen wird.

Mit den Herren Recenſenten habe ich ganz und gar nichts zu ſchaffen. Die Herren ſind ja Kunſtrichter, oder wenigſtens wollen ſie es ſeyn: ich aber ſchreibe weder nach der Kunſt noch fuͤr die Kunſt: alſo . Wollen ſie ſich aber dem ohnerachtet mit mir zu thun machen, je nun, in Gottes Namen!

Meinen Freunden und Bekannten, deren ich viele habe, und worunter gewiß viele recht - ſchaffne Maͤnner ſind, empfehle ich meine Bio - graphie im beſten. Sie koͤnnen verſichert ſeyn, daß ſie dadurch, daß ſie den Abſatz derſelben be - foͤrdern helfen, mir einen weſentlichen Dienſt er - weiſen.

Geſchrieben zu Halle, den 29ten September, 1796.

[1]

Erſtes Kapitel.

Begebenheiten waͤhrend des Marſches von Halle bis Coblenz.

Am Ende des zweiten Bandes meiner Lebens - beſchreibung habe ich meinen Leſern berich - tet, daß ich eben damals, als ich jenen Band en - digte, beſtimmt war, mit dem Thaddenſchen Re - giment, worunter ich zu der Zeit noch diente, und mit den uͤbrigen Preußiſchen Truppen den beruͤhm - ten und beruͤchtigten Feldzug gegen die Neufranken mit zu machen: was ich nun ſeit jener Zeit, oder ſeit dem Fruͤhlinge des Jahres 1792 bis auf meine Zuruͤckkunft nach Halle im Herbſt 1795, merkwuͤr - diges mitgemacht und erfahren habe, ſoll den In - halt der Fortſetzung meiner Lebensgeſchichte aus - machen.

Es war wirklich ſchade, daß ich auf dem endlich mit Ernſt angetretenen Wege zu einer regelmaͤßi -Dritter Theil. A2gern und konſequentern Lebensart, worauf mich rechtſchaffene Freunde und eigenes Nachdenken uͤber meine diſſol〈…〉〈…〉 te Lage gefuͤhrt hatten, durch den Feld - zug aufgehalten und allen Verfuͤhrungen zu einem wuͤſten Leben, das mit Feldzuͤgen allemal verknuͤpft iſt, wieder preis gegeben wurde. So wollte es aber das Schickſal; und wenn meine Leſer dem ohnge - achtet ſehen, daß ich ich will nicht ſagen, beſſer doch nicht ſchlimmer geworden bin, als ich zu der Zeit war, da ich Halle verließ: ſo muͤſſen ſie, wenn ſie billig ſeyn wollen, doch ſchließen, daß ich noch nicht ganz verdorben, oder aller und jeder moraliſchen Empfindung und Beſinnung unfaͤhig geweſen ſey.

Niemand iſt dem Eigenlobe mehr Feind, als ich: ich fuͤhle zu ſehr meine eigene Unwuͤrdigkeit, und weiß, wie viel ich von der Achtung Anderer durch meine ehemalige Lebensart habe verlieren muͤſſen: ja, ich ſehe das Beſtreben, dieſe Achtung mir wie - der ganz zu erwerben, beynahe als einen Verſuch an, das Unmoͤgliche moͤglich zu machen. Ich habe daher alle Hofnung dazu auch laͤngſt aufgegeben. Aber, und nicht erſt von heute an, habe ich noch immer den feſten Vorſatz, mein Betragen ſo einzurichten, daß es keinen veranlaſſe, mich als einen Menſchen zu verſchreien, der die oͤffentlichen Sitten beleidige, und ſchwache Menſchenkinder durch ein boͤſes Bey - ſpiel zu boͤſen Handlungen verleite. Wie weit ich3 dieſes geleiſtet habe, und fernerhin zu leiſten im Stande ſeyn werde, moͤgen meine Leſer aus dieſer Fortſetzung ſelbſt abnehmen.

Mein Individuum iſt indeß immer das gering - ſte, was dieſes Werkchen dem Publikum intereſſant machen ſoll. Ich war Zuſchauer und Mitakteur, obgleich einer der geringſten, wenn gleich nicht ge - rade der kurzſichtigſten, auf einem Theater, worauf eine der merkwuͤrdigſten Tragikomoͤdien unſers Jahr - tauſends aufgefuͤhrt worden iſt. Freylich haben Andre da auch mitzugeſehn; aber da jeder ſeine eigene Art zu ſehen und zu bemerken hat, ſo will ich das, was ich geſehen, und wie ich es ge - ſehen habe, Ihnen, meine braven Leſer, nun herer - zaͤhlen; und ich hoffe, oder vielmehr, ich weiß es gewiß, daß Ihnen meine Erzaͤhlung, durch reellen Unterricht und durch reichen Stoff zum Vergleichen und Nachdenken, alle Muͤhe hinlaͤnglich erſetzen ſoll, die Sie Sich nehmen werden, mein Buch durchzu - leſen, oder wenn ich nicht aus Duͤnkel ſpreche durchzudenken.

Mein Abſchied aus Halle hat mir ſehr wehe ge - than: ich trennte mich zwar nicht, wie die mei - ſten Soldaten, von einer Frau, oder, was noch weher thun ſoll, von einem Maͤdchen; aber ich ver - ließ Freunde, welche es wahrlich gut mit mir meyn - ten, und die ihre Freundſchaft mir ſo oft und ſo4 thaͤtig bewieſen hatten. Wer den Werth der Freund - ſchaft nur leiſe fuͤhlt, und von einem wahren Freunde je geſchieden iſt, der kann ſich vorſtellen, mit wel - chen bittern Empfindungen ich Halle verlaſſen habe.

Ich hatte mich mit allem Noͤthigen, in ſofern ein Torniſter es faſſen kann, hinlaͤnglich verſehen; und durch die Bemuͤhungen des Herrn Bispink, deſſen große Verdienſte um mein moraliſches und oͤkonomiſches Weſen ſchon zum Theil aus dem zwey - ten Bande dieſes Werkchens bekannt ſind, war meine Boͤrſe in gutem Stande.

Den lezten Abend es war den 13ten Jun. 1792 brachte ich in Geſellſchaft einiger andern Bekannten noch recht vergnuͤgt bey Hn. Bispink zu: uͤber die Kirſchſuppe, die mir damals, als mein Leibeſſen, Madame Bispink vorſezte, haben her - nach unſere Koͤnigliche Prinzen, denen ich davon er - zaͤhlte, mehrmals mit mir geſpaßt.

Morgens den 14ten Junius zog unſer Regi - ment von Halle aus. Es ſchwebten allerley Em - pfindungen auf den Geſichtern der Soldaten: die wenigſten zogen freudig davon, doch ließen nur we - nige Thraͤnen erblicken; und die, welche ja naſſe Au - gen ſehen ließen, wurden von ihren Nachbarn be - ſtraft, die es fuͤr unanſtaͤndig halten wollten, daß der Soldat weine. Viele, gar viele Soldaten ha - ben aber Weiber: denn bey den Preußen iſt es nicht,5 wie bey den Oeſtreichern, wo der Soldat ſehr ſchwer zum Heurathen gelangt;*)Bey der jetzigen Neufraͤnkiſchen Armee giebt es auch wenig Verehligte; aber nicht, als ob es dem republikaniſchen Sol - daten verboten ſey, zu heurathen, ſondern weil man nur Le - dige, als andere, ausgehoben, und die Verheuratheten zu Hauſe gelaſſen hat. und wenn gleich, aus bekannten Urſachen, die meiſten verehligten Sol - daten ohne Erben bleiben: ſo haben doch auch man - che, beſonders die vom Lande, Kinder, und da haͤlt es denn hart, ſich von ihnen zu trennen. Wer keine Frau oder Kinder hat, hat doch eine Lieb - ſchaft, ſollte ſie auch von der unterſten Gattung und aus der Klaſſe derer ſeyn, die, nebſt den Soldaten unſrer Fuͤrſten, ein neuer launiger Schriftſteller zu den allerverdienteſten Staͤnden rechnet. **)In den Beytraͤgen zur Geſchichte der franzoͤſi - ſchen Revolution, iſt (Stuck 3. Seite 572) ein artiger bibliſch-politiſch-ekkleſiaſtiſch-oͤkonomiſcher Beweis zu finden: daß die Toͤchter der Freude, oder nach bibliſchem Ausdruck〈…〉〈…〉 die Huren, außer dem edlen Soldatenſtande, den verdienſtlichſten Stand ausmachen.Auch von ſolchen Liebſchaften trennt man ſich nicht gerne. Lauter Urſachen, warum unſre Soldaten mit ſchwe - rem Herzen ihre Garniſon verließen.

Vor dem Thore kam Hr. Bispink noch ein - mal zu mir, und brachte eine Flaſche Wein mit, welche wir ausleerten, oder vielmehr, welche ich in ſeiner Begleitung leerte, und darauf endlich von6 dieſem treuen Freunde mit allen Empfindungen ſchied, deren ich damals im Tumulte faͤhig war.

Unſer erſte Marſch war kurz, doch waren wir, als wir ins Quartier kamen, durchaus vom Regen naß, vergaßen aber dieſes kleinen Ungemachs bald, da die ſaͤchſiſchen Bauern uns nach ihrem Vermoͤgen gut bewirtheten.

Am andern Tage hatte ich ſchon einen Wort - wechſel mit einem ſaͤchſiſchen Kandidaten der Theo - logie. Dieſer ſollte eine halbe Stunde von unſerm Quartier fuͤr den daſigen Hr. Pfarrer auf den Sonn - tag predigen. Unterwegs war ihm der Durſt ange - kommen und ſo kehrte er in eine Schenke ein, wor - in ich mich gerade auch befand. Ich ſah ihm ſo - gleich am Aeußern an, daß er ein Kandidat des h. Predigtamts war, und ließ mich mit ihm in ein Geſpraͤch ein. Er ſagte mir, daß er nun ſchon uͤber ſechszehn Jahre Kandidat ſey, weil er kein Geld habe, um bey dem Konſiſtorium um Freunde zu werben, wo, wie beynahe uͤberall, Geld das Haupt - verdienſt ausmache, u. ſ. w.

Ich merkte, daß es in Sachſen gehen mag, wie in der lieben Pfalz, und daß man durch Geld ſich auch hier, wie aller Orten, den Weg in den Schaf - ſtall des Herrn oͤffnen muͤſſe. Beyher erzaͤhlte mir der Herr Kandidat, der auch zugleich Magiſter der Philoſophie war, worauf er ſich aber nicht viel7 einzubilden ſchien, daß die Herren Prediger in Sachſen gewaltig kommode Herren waͤren, welche immer fuͤr ſich von Kandidaten predigen ließen, und ſelbſt auf ihrem Loderſtuhle ruhig ſitzen blieben, und ihre Einkuͤnfte bey einem Glaſe Bier oder Wein, und einer Pfeife Tobak verzehrten.

Ich finde dieſes indeß recht gut; denn waͤren die Herren nicht ſo kommode: ſo wuͤrde mancher Kan - didat gar manchesmal ſchmale Biſſen eſſen muͤſſen, ſo aber wird er ſtattlich traktirt: und einige gute Mahlzeiten ſind doch immer werth, daß man da - fuͤr eine halbe Stunde ſalbadere.

Als wir den dritten Morgen fruͤh das Quartier verlaſſen wollten, hatte ich meine Uhr auf dem Stroh liegen laſſen. Meine Kameraden und ich ſuchten danach, und einer derſelben, Namens Schrader, dem ich ſonſt manchen Gefallen erzeigt hatte, fand ſie, gab ſie aber erſt wieder heraus, als ich ver - ſprochen hatte, dem Finder ein gutes Biergeld zu reichen. Das war allemal ein ſehr ſchlechtes Stuͤck - chen von einem Kameraden!

In Weimar hatte ich mein Logis bey einem Seiler, deſſen Vetter, ein Paſtor vom Lande, in die Stadt gekommen war, den Preußen mit zu zu - ſehen. Er ſpeiſete mit uns zu Mittage, und da er an mir, wie natuͤrlich, nichts anders vermuthete, als einen Soldaten von gemeinem Schlage: ſo fuhr8 er mit einem erbaulichen Sermon uͤber die Kraft des Gebetes, bey den Gefahren des Krieges, etwas feierlich heraus. Ich hoͤrte zwar anfangs gelaſſen zu, konnte mich aber endlich, als er zu theologiſch - plump ausfiel, nicht laͤnger halten, und ſtellte das Gebet in der gewoͤhnlichen Form als eine im - pertinente, unſinnige Vorſchrift auf, die man ſich er - dreiſtete, der Gottheit vorzuwinſeln oder haarklein vorzumalen: darauf griff ich das an, was man, meiner Meynung nach, ſehr irrig Vorſehung Gottes zu nennen pflegt. Der Hr. Paſtor ſtuzte ge - waltig, und verlohr gar die Sprache, als ich ei - nige Wort-Unterſchiede vorbrachte, auf die er wohl ſchwerlich je ſtudiert hatte.

Auf dem ganzen Marſche bis Gießen habe ich weiter nichts erfahren, das des Erwaͤhnens werth waͤre: wir wurden aller Orten, wohin wir kamen, ſehr gut aufgenommen und behandelt. Bey Wal - tershauſen, einem Gothaiſchen Staͤdtchen, ſahe ich die muntern und raſchen Zoͤglinge des Hn. Salz - mann, und ſprach mit einigen ihrer Lehrer, vor - zuͤglich mit meinem Freund, Hn. Guͤnther, den ich ehedem auf Univerſitaͤten gekannt hatte.

In Eiſenach machte ich eine ſehr ange〈…〉〈…〉 e Bekanntſchaft mit Hn. Rath Wolff, der mich dem Hn. Generalſuperintendent Schneider vorfuͤhr - te. In der Perſon dieſes wuͤrdigen Mannes fand9 ich einen Geiſtlichen, der einen wirklich, ſo lange man bey ihm iſt, die abſcheuliche Seite ſeines Stan - des vergeſſen macht. Ich habe wenig Maͤnner kennen gelernt, die mit Herrn Schneider zu vergleichen waͤren. Seine Gelehrſamkeit iſt be - kannt, und von ſeinem rechtſchaffenen Betragen zeugt die allgemeine Hochachtung und Liebe der Eiſenacher. Ich vermuthete, daß er, weil Herder ihm vorgezogen war, eben kein Freund von Herdern ſeyn koͤnnte: ich lenkte alſo das Geſpraͤch abſicht - lich auf dieſen Mann, und wurde gar angenehm uͤberraſcht, als ich Hn. Schneider mit Enthu - ſiasmus von den großen Verdienſten Herders reden hoͤrte. Nach Hn. Schneiders Zeugniß, worin freylich das ganze aufgeklaͤrtere Publikum einſtimmt, iſt Herder die Zierde unſers Vater - landes, der hellſte Kopf, der groͤßte Kenner des Guten und Schoͤnen, der lebhafteſte deutſche Stiliſt und der waͤrmſte Verfechter des Wahren, Guten und Schoͤnen. Weimar kann ſtolz ſeyn, in ihm einen der erſten Maͤnner unſrer Nation zu beſitzen. Wie geſagt, das, was Hr. Schneider von Herdern ſagte, hat mich uͤberraſcht; denn ich wußte, daß beyde einmahl in Wahl-Kolliſion ge - kommen waren: um deſto mehr aber mußte ich den Mann ſchaͤtzen, der des andern Verdienſte ſo un - partheiiſch wuͤrdigte. Uebrigens wird Hr. Schnei -10 ber gar wohl zufrieden ſeyn, daß er nicht die Wei - marſche, ſondern die Eiſenachſche Superintenden - ten-Stelle erhalten hat. Denn dieſe iſt eintraͤg - licher und bequemer; und der Superintendent zu Eiſenach kann in ſeiner Didces weit ungehinderter und freyer handeln, als der zu Weimar.

In Hersfeld, einer Heſſiſchen Stadt an der Ful - da, kam es zwiſchen einigen von unſern Soldaten und einigen Buͤrgern im Wirthshauſe zum Stern zu Haͤndeln, welche beynahe in Schlaͤgerey aus - artete. Die Buͤrger ſaßen am Tiſche, tranken ihr Bier, und beſprachen ſich uͤber die Zeitgeſchichte. Sie aͤußerten ihr Misvergnuͤgen uͤber das Verfah - ren ihres Herrn Landgrafen, der nun abermals ſeine Landeskinder, als Soldaten, zum Behufe des Fran - zoſenkriegs verhandelte, und fuͤr den Landbau und an - dere Gewerbe weiter nichts zuruͤckließe, als Kin - der, Weiber, Kruͤppel und Greiſe. Das fuͤhrte ſie immer weiter, und da kamen ſie darauf, daß man uͤberhaupt nicht Urſache haͤtte, die Franzoſen anzugreifen: dieſe haͤtten ja recht u. ſ. w. Unſre Soldaten, die freylich damals noch nicht ſo dachten, wie jezt, legten ſich drein, und behaupteten gerade - zu, daß die Franzoſen Spitzbuben, ſchlechte Kerls u. d. gl. ſeyen, daß man ſie vertilgen muͤſſe; und wer ihnen das Wort rede, ſey gleichfalls ein ſchlech - ter Kerl, ein Patriot. Dabey ſchlugen ſie ſie11 hatten alle eine Schnurre mit den Saͤbeln auf den Tiſch, daß die Splitter davon fuhren. Aber die Heſſen, die vor Soldaten ſich eben nicht fuͤrch - ten, verbaten ſich das Schimpfen; und als unſere Leute dennoch fortmachten, und ſogar einige Kruͤge und Glaͤſer zerſchmiſſen, griffen die Buͤrger zu, und es wuͤrde eine derbe Pruͤgeley geſezt haben, wenn nicht ein Offizier dazu gekommen waͤre, und den Friedensſtifter gemacht haͤtte. *)Es wundert mich daher ſehr, daß ein Goͤchhauſen in Eiſenach, in ſeiner abgeſchmackten Sudeley von Wanderungen, ſo viel Aufhebens macht von der Anhaͤnglichkeit der Heſſen an ihrem Landgrafen, und von der Billigung, womit ſie alles guthei - ßen ſollen, was er unternehme, u. ſ. w. um ſich vom Gegen - theile zu uberzeugen, darf man nur das erſte beſte Wirths - haus in Heſſenland beſuchen. Satyren oder Ironien von Goͤch - hauſens Art wen treffen die am ſchimpflichſten? Ein edler Mann verabſcheuet die Hohl - und Krummwege des〈…〉〈…〉 -〈…〉〈…〉 en.

In Nordeck wohnt der Kammerherr von Rhau auf einem Schloſſe, das einen hohen Berg bekroͤnt, und eine ganz vortrefliche Ausſicht hat. Ich beſuchte ihn, und beſſern Rheinwein, als ich hier trank, habe ich ſeitdem nicht wieder getrunken. Es war Nierſteiner von 1748. Gute Gaben aus den Haͤnden guter Menſchen erquicken doppelt.

Wir waren noch eine gute Stunde von Gießen, als ſchon Studenten und Buͤrger uns haufenweiſe entgegen zogen. Ohne Ruhm zu melden, muß ich ſa - gen, daß ich an dieſem Entgegenzuge vielen Antheil12 hatte: denn die guten Leute waren begierig, den Laukhard wieder einmal zu ſehen, der ehedem eine ſo eklatante Rolle in Gießen geſpielt hatte. Sie entdeckten mich bald, und nun war ich wie umringt. Ich konnte kaum vorwaͤrts: von allen Seiten ertoͤnte: Da iſt Laukhard! da iſt Laukhard! Unſre ganze Kompagnie kam in Unordnung; denn alles ſtuͤrzte hinein, um den alten Laukhard recht zu begaffen. Jeder hatte etwas anzubiethen, und wenn ich haͤtte wollen, wie ſie: ſo waͤre Laukhard wieder à la Gielsen geworden.

Unter den Neugierigen befand ſich auch Hr. Chaſte!, Lehrer der franzoͤſiſchen Sprache zu Gießen: er begleitete mich eine gute Strecke. Er war immer mein Freund geweſen, und glaubte, nichts boͤſes zu thun, wenn er die alte Freundſchaft wieder erneuerte. Koch, der ſeltſame Mann, fand dieſes, wie ich erſt vor kurzem auf meiner Ruͤckkehr nach Halle erfahren habe, ſehr unrecht, und tadelte den Hn. Chaſtel in bittern Vorwuͤrfen: daß er einen ſo gottloſen Kerl, als Laukhard ſey, habe begleiten koͤnnen: und ſeit dieſer Zeit iſt Koch dem ehrlichen Lektor nicht wieder gut geworden. Wohl ihm, daß, ſeit der jetzigen Regierung, Kochs Anſehn ſehr geſunken iſt, und daß Hr. von Ga - tzert ganz anders denkt und handelt, als Koch.

13

Wir maſchirten gerade durch Gießen, und ka - men auf die naͤchſten Doͤrfer zu liegen, wo wir den folgenden Tag Raſttag hatten.

Nachmittags kamen viele, wenigſtens uͤber drey - ßig Studenten zu mir ins Quartier, brachten Wein und Eßwaaren mit, und wir machten uns nach Herzensluſt einen frohen Tag. Ich mußte Ihnen verſprechen, ſie den folgenden Morgen in Gießen zu beſuchen, und hielt Wort, da ich immer gern einen Ort wiederſehe, der mir ehedem ſo viel ange - nehme und unangenehme Stunden gemacht hat.

Ich gieng alſo den andern Tag fruͤhe hinein, und fand, daß das gute Gießen nichts mehr und nichts weniger war, als Gießen. Die Straßen waren noch eben ſo ſchlecht gepflaſtert, eben ſo ſchmutzig, als ehedem; und die Buͤrger und Buͤrgerinnen, ſamt den jungen Burſchen und Maͤdchen, ſaßen noch, wie ſonſt, in den Bier - und Branteweinsſchenken: kurz, Alles war noch beym Alten.

Ich erkundigte mich nach der Beſchaffenheit der Univerſitaͤt; konnte aber nichts erbauliches heraus - bringen. Die Univerſitaͤt hatte an Studenten ſehr abgenommen, aber an Profeſſoren gewonnen, we - nigſtens der Zahl nach, wie in Halle, Leipzig, Jena und anderwaͤrts. Der Komment der Burſche hatte zwar jenes alte Rohe nicht mehr, wie ich es im erſten Theile dieſes Werkchens beſchrieben habe;14 er war aber doch eben auch nicht beſſer geworden: denn ehedem lebten die Herren Gießer wild, jezt leben ſie kindiſch. Kinderey iſt aber doch immer eben ſo ſchlimm, als Wildfaͤngerey.

Meine Lebensbeſchreibung war in Gießen flei - ßig geleſen worden. Da man vorausſezte, daß ich ſie zu ſeiner Zeit fortſetzen wuͤrde, ſo entdeckte man mir Anekdoten und ſkandaloͤſe Hiſtoͤrchen die Menge, und bat mich, dieſelben dereinſt mit anzubringen. Aber warum ſollte ich mein Buch von neuem zum Repertorium der Gießer Skandale machen? Es ſind, wie die Folge zeigen wird, ganz andere und weit wichtigere Berichte uͤbrig. Dann liegt ja auch dem lieben Publikum nicht viel daran, wenn es weiß, was die unbedeutende Frau Gemahlin dieſes oder jenes unbedeutenden Herrn zur Beruͤhmtma - chung ihres Mannes beytrug! Verzeihen Sie mir alſo meine Herren zu Gießen, daß ich von alle dem, was ſie mir ſo reichhaltig mittheilten, keinen Ge - brauch mache!

Von den Profeſſoren beſuchte ich nur die Herren Koͤſter und Roos: ich fand ſie gegen mich noch immer ſo gut geſinnt, wie es Maͤnnern anſteht, die ihre Bekannten nicht nach der Kleidung beurtheilen.

Mit Vergnuͤgen hoͤrte ich, daß die liebe Theo - logie an dem Doktor Bechtold fuͤr Gießen denn außer Gießen iſt Herr Bechtold wenig be -15 kannt eine Stuͤtze verlohren haͤtte. So war es zwar ſchon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzaͤhlt habe. Aber ſeit dieſer Zeit hat Hr. Bechtold ſich noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er ſchon ſo weit, daß er ganz frey erklaͤrte: alle Geheimniſſe, Sakra - mente, und alle ſogenannten uͤbernatuͤrlichen An - ſtalten Gottes zum Heile der Menſchen ſeyen Pro - dukte der Unwiſſenheit, Furcht, Herrſchſ〈…〉〈…〉 cht, oder der idealiſirenden Phantaſie; die Bibel ſey ein Buch, das die moraliſchen Einſichten der Men - ſchen durchaus nicht beſtimmen koͤnne: in den Fa - beln des Aeſopus und in Ovidius Verwandlungen fin - de man mehr Menſchenverſtand, und beſſere mora - liſche Maximen, als in den meiſten Gleichnißreden Jeſu: dieſer ſey zwar ein großer Lehrer fuͤr ſeine gleichzeitigen Juden geweſen; aber auch ein großer Schwaͤrmer u. d. gl. So weit iſt ſelbſt Bahrdt, als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech - told bleibt im ruhigen Beſitze ſeiner Aemter als Superintendent und als Profeſſor. So ſehr aͤndern ſich Menſchen und Zeiten!

Auf meiner Ruͤckreiſe im October 1795 ſprach ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen ein: es iſt der Vater meines Freundes, deſſen ich im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieſer Mann, welcher noch ganz feſt an Doctor Benners Notitia16 ſalutis haͤngt, erzaͤhlte mir die Fehden, welche er mit Bechtold ſchon gehabt haͤtte, und beklagte es ſehr, daß ein Mann, der ſonſt ein Mann nach dem Herzen Gottes geweſen waͤre, und die Abhandlung: Calvinianorum Deus a ſana ratione abhorrens ge - ſchrieben habe, nun ein voͤlliger Socinianer, wenn nicht gar noch was aͤrgeres geworden ſey.

Die ſkandaloͤſe Chronik machte ſich damals auch recht luſtig uͤber einen Geiſtlichen zu Gießen, wel - cher bey einem Leichenbegaͤngniſſe beſoffen auf die Kanzel geſtiegen war. Ich mag den Ehrenmann nicht nennen: in Gießen wiſſen aber die kleinen Kinder das Hiſtoͤrchen.

So ſehr der ſogenannte Komment auch abge - nommen hatte, ſo gab es doch noch Orden in Gie - ßen: ſogar der Orden der Amiciſten war noch da, hatte aber nicht mehr als drey Anhaͤnger, wovon der eine Senior, der andere Subſenior und der dritte Sekretaͤr war. Als wir aus Champagne zuruͤck waren, und im November 1793 bey Koblenz kan - tonnirten, ſchrieb der Hr. Landgraf von Darmſtadt an den Hn. General von Thadden: er habe meine Hiſtorie geleſen, und daraus erſehen, daß ich viele Wiſſenſchaft um daß Gießer Ordensweſen haben muͤßte; der Hr. General moͤchte mich daher uͤber einen und den andern Punkt befragen laſſen, u. ſ. w. Dieſes ließ Hr. v. Thadden durch17 unſern Auditeur denn thun, und ich benachrichtete den Fuͤrſten, ſo wie es meine Pflicht mit ſich brachte, von dem Verfall und der Beſchaffenheit der ganzen Gießer Univerſitaͤt, und fuͤgte einige unmaßgebli - che Vorſchlaͤge zu ihrer Verbeſſerung hinzu. Da - hin gehoͤrte vorzuͤglich die Entfernung der Quodam - modariorum der Pandediſtaxen und der Quackſalber, und die Anſtellung braver geſchickter Maͤnner zu Lehrern. Ich nahm mir auch die Freyheit, Sr. Durch - laucht manchen Vorſchlag zur Ausrottung der Or - den anzugeben. Aber ohne Zweifel hat man mei - nen Plan unausfuͤhrbar gefunden, und ihn als ein pium deſiderium hingelegt: denn noch im Herbſte 1795 waren die Orden in Gießen, und die Quodam - modarii dozirten noch nach wie vor. Was dieſe ſind, ſteht im I. B. S. 81.

Mein Hauptmann, Hr. von Mandelsloh, war, wegen eines Anfalls von Fieber, in Nordeck zuruͤckgeblieben; und als er einige Tage nachher uns durch Gießen folgte, klagte bey ihm der Muͤller im Einhorn: daß ich ihn in meinen Beytraͤgen zu D. Bahrdts Lebensgeſchichte einen groben, impertinen - ten Kerl genannt haͤtte. Er brachte aber die Klage in einem ſo groben Tone vor, daß Hr. von Man - delsloh ihm geradezu erklaͤrte: Wenn Laukhard Sie einen groben Kerl genannt hat, ſo hat er nichtDritter Theil. B18geirrt: ich ſah ſelten einen Menſchen von groͤßerer Impertinenz, wie Sie. Da war denn der grobe Muͤller abgewieſen, nach dem Spruͤchelchen: Wie man in den Wald hineinruft, ſo ſchallt es zuruͤck.

Von Gießen bis Koblenz hatten wir gute Quar - tiere und leichte Maͤrſche. Bey Limburg an der Lahn ſahe ich das erſtemal Emigranten: ſie waren praͤchtig bekleidet, auch ſtattlich beritten, und nann - ten ſich la gendarmerie françoi〈…〉〈…〉 e oder royale. Dieſe Gendarmerie beſtand groͤßtentheils aus Edelleuten, und viele von ihnen trugen das croix de ſaint Louis.

Zweytes Kapitel.

Koblenz. Manifeſt.

Wir kamen den 9ten Jul. 1793 in Koblenz an, und hier hoͤrte die Art von Subſiſtenz auf, welche wir bis dahin genoſſen hatten: denn bishiehin waren wir von Buͤrger und Bauer ernaͤhrt wor - den, und hatten kein Kommisbrod erhalten; jetzt aber erhielten wir dieſes, und mußten fuͤr unſre Subſiſtenz von nun an ſelbſt ſorgen.

Ich und noch drey Mann wurden in ein Haus einquartirt, worin weder Tiſch, noch Stuhl, noch Bank zu ſehen war. Der Hausherr war geſtorben,19 und deſſen Erben wohnten weit von Koblenz. Es war alſo unmoͤglich, da zu bleiben, zumal da auch weder Stroh noch Holz verhanden war. Ich lief alſo zum Hauptmann, und dieſer wirkte uns, frey - lich mit Muͤhe (denn die Herren zu Koblenz auf der Billetſtube waren gar ungeſchliffene, maſſive Herren) einen Zettel aus, nach welchem wir in ein Benediktiner Nonnenkloſter verlegt wurden.

Hier war es nun ganz ertraͤglich; und nachdem ich mir durch mein biſſel Latein die Gunſt des Hn. Wolff, als des Oekonomen des Kloſters, erworben hatte, reichte er mir vom aͤchten Moſelwein mehr als ich verlangte, wenn er ihn gleich den Uebrigen ſehr ſparſam mittheilte. Pecu〈…〉〈…〉 hauriat undam, ſagte er; aber doctus vina: oder Vinum da Docto; Laico de flumine cocto ganz nach der Kirchen - Oekonomie der katholiſchen Geiſtlichkeit, bey wel - cher pecus und laicus dem doctus und clericus gegen - uͤber ſteht.

Hr. Wolff war Prieſter, aber nicht der Beicht - vater des Kloſters, welcher, wie ich merkte, ein herrſchſuͤchtiger, ſtolzer Pfaffe war. Von den Wiſſenſchaften hielt Hr. Wolff wenig, und außer ſeinem Brevier und Meßbuch vergriff er ſich an kei - nem weiter. Vanitas vanitatum praeter amare Deum et bonum haultum vini bibere war ſo ſein Symbolum; und ſeine ganze Lebensart ſtimmte20 damit uͤberein. Die Franzoſen haßte er von gan - zem Herzen, ſowohl die Patrioten, weil ſie der h. Kirche ſich widerſezten, als die Emigrierten, weil ſie ein Wirthshaus, dem Kloſter gegen uͤber, in ein Bordel verwandelt hatten.

Ein Offizier unſeres Regiments, Hr. Graf von Einſiedel, der auch in dieſem Barbara - oder Baͤr - belkloſter logirte, wuͤnſchte meine Biographie zu leſen, und ich, um ihm zu willfahren, ſuchte dieſelbe bey dem Buchhaͤndler in Koblenz: denn es iſt nur Einer da. Der Buchhaͤndler, welcher nicht ein - mal ein Verzeichniß von ſeinem Buͤchervorrathe fuͤhrte, ſagte mir kurzum: daß er dergleichen Schrif - ten gar nicht fuͤhren duͤrfte, ſelbſt auch nicht fuͤhren moͤchte. Das ſeyen alles gottloſe, gefaͤhrliche Buͤ - cher, beſonders die von den Proteſtanten, oder wie er nach der damaligen Koblenzer Art ſagte, von den Un - katholiſchen. Was von dieſen komme, ſey gar nicht rathſam, unter die Leute zu bringen: die Welt ſey ohnehin pfiffig und arg genug! u. ſ. w.

Der Menſch raͤſonnirte beynahe, wie die Herren Verfaſſer der Cenſur-Edikte! Ich ließ ihn, und er - ſtaunte uͤber den Vorrath von den Buͤchern des Pater Cochem, Aloyſius Mertz und ſolcher mehr.

Da unſere Leute nicht ſo viel Geld hatten, als die franzoͤſiſchen Emigranten, von welchen ich21 bald reden werde, ſo konnten ſie nicht ſo viel ver - ſchleudern, als dieſe; und wir waren daher bey den eigennuͤtzigen Koblenzern gar niedrig angeſchrie - ben. Die Leute ſagten uns unverholen: Wir waͤren ſchrofe, garſtige Preußen, und haͤtten die franzoͤſiſche Eleganz ganz und gar nicht. Ein Kaufmann, in deſſen Laden ich mich uͤber die ſchlechte Beſchaffenheit ſeines Tobaks beſchwerte, ſagte mir gerade heraus: die Emigranten rauchten beynahe gar nicht; ſonſt wuͤrden die Koblenzer fuͤr guten Tobak gewiß geſorgt haben: dieſer da ſey fuͤr die deutſchen Voͤlker vollkommen gut: die haͤtten ohnehin nicht viel wegzuwerfen, und koͤnnten den theuren Tobak nicht bezahlen.

Ich hatte mich uͤber dieſe und andere Imperti - nenzen der Koblenzer eines Tages ſehr geaͤrgert, als ich bey meiner Zuhauſekunft alle Urſache fand, meine muntere Laune zuruͤck zurufen. Der Her - zog Friedrich von Braunſchweig, jezt re - gierender Fuͤrſt zu Oels, den ich ſchon im erſten Bande als einen der erſten Menſchen beſchrieben habe, und den jederman dafuͤr anerkennt, hatte fuͤr gut gefunden, mir auf einen lateiniſchen Brief gleichfalls lateiniſch zu antworten. Dieſen Brief fand ich in meinem Quartier, und war uͤber die edlen Geſinnungen dieſes ehrwuͤrdigen Fuͤrſten bey - nahe außer mir. Es iſt wirklich uͤberaus angenehm,22 wenn man erfaͤhrt, daß noch große Maͤnner ſich unſrer erinnern: man verſoͤhnt ſich dann wieder mit den Menſchen, und iſt uͤber den Schwaͤchling, der uns zu verachten meynt, nicht weiter boͤſe, ja, wir duͤnken uns alsdann viel zu gut, als daß wir ihn auch nur mit Verachtung beſtrafen ſollten. Dieß war jezt mein Fall. Der Herzog verſicherte mich nebenher: daß man mir den ganzen Feldzug hindurch, auf ſeine Veranſtaltung, doppelte Loͤh - nung reichen wuͤrde; und dieſe habe ich auch bis zu meinem Uebergang nach Frankreich im Herbſte 1793 richtig gezogen.

Hier ließ nun auch der Herzog von Braun - ſchweig, als Generaliſſimus der vereinigten Ar - meen, jenes Manifeſt an die Bewohner Frank - reichs ausgehen, welches ſo viel Laͤrmen weit und breit erregt, den Politikern ſo reichen und mannig - faltigen Stoff zum Raͤſonniren und Deraͤſonniren geliefert hat, und eine der Haupturſachen geworden iſt an dem Verfall des Koͤnigthums in Frankreich, an dem Ungluͤcke der Preußiſchen Armee, und an dem Tode des ungluͤcklichen Louis Capet und ſeiner Familie. Ich enthalte mich aller An - merkungen uͤber dieſe Schrift: denn ich bin kein Politiker, kein Ariſtokrat, kein Demokrat. Doch muß ich dem Leſer ein Geſpraͤch mittheilen, welches ich lange Zeit hernach mit einem Buͤrger in Landau23 Namens Brion, gefuͤhrt habe. Es enthaͤlt den Hauptgrund von der Entwickelung und Concentri - rung der National-Energie der Neufranken.

Haben ſie hier, fragte ich dieſen einſichtigen Mann, das Manifeſt des Herzogs von Braun - ſchweig damals auch angenommen und geleſen?

Brion: Allerdings! Man hat es hier zwar nicht annehmen wollen, als es ankam: Einige wollten es gar oͤffentlich verbrennen laſſen, wie hier und da ſchon geſchehen war;*)Das iſt, wie ich auf meiner Wanderung durch Frankreich er - fuhr, in Metz und auch in Strasburg geſchehen: im in - nern Frankreich hat man daruͤber gelacht. aber alle gutge - ſinnten Patrioten, welche der Sache tiefer auf den Grund ſahen, waren dafuͤr, daß das Manifeſt an - genommen und ſogar oͤffentlich angeſchlagen wer - den ſollte.

Ich: Und dazu konnten gutgeſinnte Patrioten rathen?

Brion: Allerdings: nicht um unſern Reſpekt gegen den Herrn Herzog zu beweiſen: denn der hat uns nichts zu befehlen, ſondern wegen der Fol - gen, die dieſes Manifeſt bey unſern Leuten unfehl - bar haben mußte.

Ich: Eben wegen der Folgen, duͤnkt mich, war es wohl nicht rathſam, das Ding oͤffentlich bekannt24 zu machen. *)Ich bitte meine Leſer, zu bedenken, daß ich zu der Zeit, als dieſe Unterredung vorfiel, in den Haͤnden der Franzoſen war, folglich den preußiſchen Ton nicht fuͤhren durfte.Wie, wenn die Leute erſchrocken waͤren, und ſich vor den angedrohten Strafen ge - fuͤrchtet hatten, und dann zum Kreuz gekrochen waͤren?

Brion: So kann doch auch nur ein Preußi - ſcher Korporal raͤſonniren! Eine Nation, wie un - ſere, ſollte ſich vor den Drohungen eines kleinen Reichsfuͤrſten, der nebenher General uͤber eine maͤßige Armee Preußen und Oeſtreicher war, fuͤrch - ten und nachgeben? Wenn ſo feige die Franzoſen haͤtten ſeyn koͤnnen, ſo verdienten ſie wahrlich, von einem Tyrannen tyranniſirt zu werden, der Beth - bruͤder, Verſchnittene und Huren zu Vollziehern ſeiner Befehle machte. Ich glaube nicht, daß der Herzog, der doch auch Menſchenverſtand haben wird, dieſes ſelbſt je erwartet habe. Dieſe Folge konnte man alſo durchaus nicht vorausſetzen, aber wohl andere und wichtigere.

Ich: Und die waͤren?

Brion: Nicht wahr, Freund, wenn einer, der Ihnen nicht eine Bohne zu befehlen hat, Befehle mit Gewalt aufdringen will, Was thun Sie?

Ich: Ich gehorche nicht.

25

Brion: Werden ſie nicht auch uͤber die Im - pertinenz des Befehlers erboßen, und alles aufbie - then, um ſeiner Uſurpation zu trotzen? *)Zwang erbittert die Schwaͤrmer immer, aber bekehrt ſie nie: ſagt Sekretaͤr Wurm in Kabale und Liebe von Schiller. Warum große Herren auf einige Wahrheiten der Natur nicht mehr Ruͤckſicht nehmen moͤgen! Uebertriebne Kunſt faͤllt doch durch und wird veraͤchtlich, oder empoͤrt.

Ich: Nicht anders!

Brion: Nun, ſo mußten alle Franzoſen das auch thun uͤber die Impertinenz und die Uſurpa - tion eines fremden Generals, der viel zu ſchwach, und noch weit von ihren Graͤnzen war; und ihrer ganzen Nation in einem ſo gebietheriſchen Tone Geſetze vorſchrieb, als wenn er wirklich mit ſeinen Soldaten zu Halberſtadt, oder mit ſeinen Leibeig - nen zu thun gehabt haͤtte. Iſt das nicht an dem?

Ich: Ja wohl aber

Brion: Ich verſtehe ſchon, wohin das Aber zielt: doch davon nachher. Unſere Ehre, wie un - ſer Recht, war durch dieſes widerſinnige und zweck - widrige Manifeſt vor der ganzen Welt compromit - tirt. Mußte nun nicht der feſte Vorſatz bey jedem braven Ehr - und Rechtliebenden Franzoſen rege wer - den, der Großſprecherey des Herzogs und der dar - auf folgenden Gewaltthaͤtigkeit aufs thaͤtigſte zu widerſtehen? Legte alſo nicht ſelbſt das Herzogliche Manifeſt den haltbarſten Grund zu dem thaͤtlichen26 Widerſtande, den er vom 20ten September 1792 an, immer empfunden hat?

Ich: Alſo war es ja wohl eben ſo unpolitiſch, als unmoraliſch, ſo ein Manifeſt an Frankreich er - gehen zu laſſen!

Brion: Das verſteht ſich von ſelbſt, wenn naͤmlich ſonſt, wie ich vermuthe, kein geheimer Grund das Manifeſt bewirkt hat. Denn waͤre der Herzog ohne alles Manifeſt, unter der bloßen Erklaͤrung, daß er die unterbrochene Ruhe in Frank - reich mit Huͤlfe aller Ruheliebenden Franzoſen, wiederherſtellen wollte, zu uns gekommen: ſo haͤtte man denken koͤnnen, daß aus ſeiner Unternehmung doch noch etwas Gutes fuͤr den armen bedraͤngten Buͤrger und Landmann entſpringen duͤrfte. Aber ſo erklaͤrte er geradehin, daß er kein Geſetz wolle gelten laſſen, als den unbedingten Willen Ludwigs des Sechszehnten; und da konnte wohl ein Diſtelkopf einſehen, daß man uns alsdann wieder unter das alſo und allgemein verhaßte Joch des Hofes, des Adels, der Pfaffen, der Finanziers und alles andern Lumpengeſindels gewaltſam zuruͤckpreſchen wuͤrde: und da haͤtte man ſollen ruhig ſitzen, oder gar noch huͤlfreiche Hand mit anlegen?

Ich: Wohl nicht aber

Brion: Jezt ein Wort auf Ihr Aber. Nicht wahr, Sie wollen ſagen, daß der Herzog auf den27 Anhang des Koͤnigs und des Adels gerechnet, und ſo gehofft habe, es werde ihm alles zurennen, ſobald er ſich ihnen nur naͤhere. Aber wenn er dieſes wirk - lich gedacht hat, ſo war er von der innern Be - ſchaffenheit Frankreichs und von dem regen und allgemeinen Willen des groͤßten Theils der Nation ſehr ſchlecht unterrichtet. Niemand war mit der Neuerung unzufrieden, als der Hof, der Adel, die Pfaffen und die Finanziers: alle andere Franzoſen, der Soldat, der Bauer, der Buͤrger, der Hand - werker und ſelbſt der Kaufmann groͤßtentheils wuͤnſchten die Revolution, und ſahen in derſelben die wohlthaͤtigſte Anſtalt fuͤr ſich und fuͤr ihr Va - terland. Was iſt aber der ganze Adel

Ich: der Adel iſt die Stuͤtze des Staats!

Brion: Der Adel Stuͤtze des Staats? dann muͤßte wohl auch ein Profeſſor, der keine Kollegia ließt, Stuͤtze der Univerſitaͤt ſeyn! Nein, nur der einſichtige und fleißige Buͤrger iſt dem Staate nuͤtz - lich, und folglich deſſen Stuͤtze. Einſichtig und nuͤtzlich ſind aber die Herren Adliche ſelten. Die meiſten von ihnen leben bloß von dem Erwerb der arbeitenden Klaſſe, und tragen zum gemeinen Be - ſten großentheils nicht einer Bohne werth bey. Ohne ſie alſo kann der Staat recht gut beſtehen; aber nicht ohne den Buͤrger und Bauer; ja, was dieſe verdienen, verzehren jene, und machen obendrein28 noch Schulden. Und wenn die gemeine Klaſſe der Nationen nur erſt ihr Vorurtheil, ich meyne die blinde Ehrfurcht fuͤr Pfaffen und Adel, ablegt: dann kann ſich der Pfaffe und der Edelmann nicht mehr ſtuͤtzen: er faͤllt von ſelbſt: er kann hoͤchſtens emigriren, kabaliren und Spektakel machen; aber thaͤtig ſich und Andern helfen kann er nicht. Der Herzog konnte alſo nur hoffen, daß der kleinſte Theil der Nation auf ſeine Seite treten wuͤrde: den maͤch - tigern Theil behielt er immer wider ſich. Alſo war es immer ſehr unklug, auch unter dieſer Vor - ausſetzung, ein Manifeſt nach Frankreich zu ſchicken, zumal ein ſolches.

So Buͤrger Brion in Landau. Einige von uns ſprachen ſchon damals in Koblenz nicht anders. Viele fanden den Ton darin zu derbe, und die Aeu - ßerungen des Verfaſſers zu voreilig.

Uebrigens iſt noch nicht ausgemacht, wer der ei - gentliche Verfaſſer davon ſey. Der Ton und die Denkungsart des Calonne iſt mehr als zu ſicht - bar darin. Was fuͤr Meynungen uͤber die Entſte - hung und die Abſicht dieſer beruͤchtigten Schrift, noch zu meiner Zeit, in Frankreich kurſirten, werde ich an Ort und Stelle anbringen. Der Gang der Zeit wird noch mehr daruͤber aufhellen. Bis dahin bleibt es auf Rechnung des Herzogs von Braun - ſchweig. Ein Fuͤrſt von ſo viel Einſicht und Ruh -29 me haͤtte nie einwilligen koͤnnen, daß etwas unter ſeinem Namen, vor aller Welt, diplomatiſch kur - ſire, das er nicht von Wort zu Wort gepruͤft und ge - billigt haͤtte.

Drittes Kapitel.

Franzoͤſiſche Emigranten.

In Koblenz bin ich mit einer großen Menge von den ausgewanderten Franzoſen ſo genau bekannt ge - worden, daß ich mich nicht enthalten kann, ihnen ein eigenes Kapitel zu widmen: dieſes ſchaͤndliche und ſchreckliche Ungeziefer kann noch immer nicht ge - nug an den Pranger geſtellt werden.

Diejenigen Deutſchen, welche dieſen Auswurf der Menſchheit, zur Zeit ihres Sardanapaliſchen Hochlebens, nicht geſehen haben, koͤnnen ſich ihre damalige Impertinenz leicht vorſtellen, wenn ſie nur die betrachten, mit der ein Ludwig der Acht - zehnte, ſamt Conſorten, durch wiederholte unſin - nige Manifeſte und Proclamationen, dem geſunden Menſchenverſtande jetzt noch immer troz biethen, auch nachdem alle Hoffnung fuͤr ſie verſchwunden, und ſie ſelbſt aufs aͤußerſte gedemuͤthigt und ver - aͤchtlich geworden ſind. Noch jezt ſind dieſe cy -30 devant abgeſchmackte Großſprecher, voll Dunkel und dummer Rachſucht.

Wie tief muß dieſen elenden Hof-Inſekten der alte diplomatiſche Hofſchlamm ankleben, und wie verpeſtet muß die Luft ehedem um ſie geweſen ſeyn, da ſie es jezt noch immer iſt! Die haͤrteſten Stoͤße des Schickſals haben ihre adlichen Halbſeelen noch nicht zur vernuͤnftigen Beſinnung bringen koͤnnen: und ſo wandern ſie, wie verdammte Scheuſale, zur exemplariſchen Belehrung fuͤr alle die, welche auf Vorrechte des Standes geſtuͤtzet, die Rechte der Menſchheit ihrer uſurpirten Convenienz auf - opfern, und alles wie Sklav behandeln moͤgten, was nicht zum Hof, zum Adel oder zur Soͤldne - rey gehoͤret.

Vielleicht meynen einige meiner Leſer, daß man doch nun der Emigrirten ſchonen muͤſſe, da ſie, von der ganzen Welt verlaſſen, die Strafe ihrer rachſuͤchtigen oder leichtglaͤubigen Entweichung aus ihrem Vaterlande nur gar zu ſehr fuͤhlen; und aus dieſem Grunde verdenkt es mir vielleicht Mancher, daß ich die aͤrgerliche, empoͤrende Beſchreibung ih - res Betragens vom Jahr 1792 jezt noch aufſtelle. Auch iſt der Grund, daß man den Geſtuͤrzten nicht noch mehr niederdruͤcken muͤſſe, ſtark genug, je - den, der Gefuͤhl hat, von der Verfolgung eines Elenden abzuhalten.

31

Allein, ſo wahr und ehrwuͤrdig das alles fuͤr jeden Ungluͤcklichen im allgemeinen iſt, ja, auch fuͤr manchen Emigrirten im beſondern, ſo wahr iſt es auch, daß die Haͤupter der Emigrirten, und deren erſter, thaͤtiger Anhang durchaus es nicht ver - dienen, unter dieſer menſchenfreundlichen Bemer - kung mitbegriffen zu werden. Ich muß mich naͤ - her daruͤber erklaͤren, um den Vorwurf abzulehnen, daß ich Gefallen an dem Ungluͤcke Anderer finde.

Ich will mich gar nicht auf die Verbrechen ein - laſſen, welche die ausgewanderten Herren und Pfaffen in Frankreich vorher begangen, und da - durch ſich ſowohl an ihrer Nation, als an dem ganzen Menſchengeſchlechte verſuͤndiget haben. Dieſe Verbrechen habe ich waͤhrend meines Aufent - halts in Frankreich von 1793 bis 1795 mehr als zu viel erfahren, und beſchreibe ſie in den Be - gebenheiten des Marquis von Vilen - çon dereinſt ausfuͤhrlich. Ich frage nur: Ob ein Haufen zuͤgelloſer, deſpotiſcher Menſchen befugt war, ſich den einhellig-reclamirten und viudicirten Vor - rechten, der rechtmaͤßigen Gewalt und den gemein - nuͤtzigen Anordnungen einer gerade durch ſie aufge - wiegelten Nation nicht nur rebelliſch zu widerſetzen, ſondern auch dann noch Anſpruch auf das Mitleid und den Beiſtand anderer Menſchen zu machen, nachdem ſie alles verſucht haben, und nach Moͤg -32 lichkeit noch verſuchen, ihr bedraͤngtes Vaterland der ſchrecklichen Verwuͤſtung preis zu geben, alle Maͤchte gegen daſſelbe aufzuhetzen, und ſo Land und Leute weit und breit den verheerenden Folgen eines der entſetzlichſten Kriege bloszuſtellen: und das Alles, um nur ihre uſurpirten und zum Ruin der Nation misbrauchten Vorrechte wieder zu〈…〉〈…〉 et - ten, und dann den alten Despotismus, mit Ein - ſtimmung aller Despotieluſtigen, ſo zu befeſtigen und zu verallgemeinen, daß Menſchenrecht bloß ein leeres Wort, und Fuͤrſtenwille die einzige Richt - ſchnur unſeres Frohnlebens forthin uͤberall gewor - den waͤre? Man bedenke dieß reiflich, und uͤber - ſehe die Folgen nicht, welche die von den Emi - grirten betriebene gewaltſame Unterdruͤckung der Franzoͤſiſchen National-Reform, fuͤr alle uͤbrigen Voͤlker gewiß auch gehabt haͤtte; und ſey alsdann denen noch hold, welche dieſe Unterdruͤckung haupt - ſaͤchlich zu bewirken ſtrebten.

Ueberdieß berechne man den ſchrecklichen Scha - den und das unzaͤhlige, mannigfaltige Elend, wel - ches die Sittenloſigkeit, die Luͤgen und die Auf - hetzerey der Emigrirten weit und breit geſtiftet ha - ben, und frage ſich ſelbſt, was eine Bande werth ſey, welche das Ungluͤck von Europa, vorzuͤglich von Deutſchland, am meiſten geſchaffen hat? Man muͤßte, duͤnkt mich, weder Menſch, noch Deut -33 ſcher ſeyn, wenn man ein Geſindel beguͤnſtigen wollte, welches das Alles verſchuldet hat, und ne - benher doch noch mit Verachtung auf uns Deutſche herabblickt, als auf plumpe, unbeholfene Men - ſchen, welche nicht fuͤr gut fanden, in Maſſe auf - zuſtehen, um uns fuͤr die Vindicirung ihrer adli - ſchen und pfaͤffiſchen Vorrechte die Haͤlſe brechen zu laſſen, und am Ende zum ſchuldigen Dank in ein Joch hinein zu kriechen, wie ein Calonne, Artois und Condé es fuͤr die ganze Welt angemeſſen ge - funden haͤtten.

Die Fuͤrſten das will, das muß ich noch ſagen welche dieſe cy-devant noch jezt aufneh - men und beguͤnſtigen, moͤgen immer auf ihrer Hut ſeyn: denn bey der geringſten unruhigen Begeben - heit wuͤrden dieſe unſtaͤten, herrſchſuͤchtigen Geiſter Parthey nehmen, und das Arge aͤrger machen hel - fen. Auch moͤgen ſie es nicht uͤberſehen oder uͤber - hoͤren, mit welcher Verachtung man jezt von Fuͤr - ſten ſpricht, welche den Emigrirten Vorſchub gelei - ſtet, und dadurch Frankreichs Unwillen gegen Deutſchland ſo gereizt haben, daß Deutſchland in Jahrhunderten es nicht vergeſſen wird: daß die Unklugheit vieler ſeiner Fuͤrſten all das Ach und Wehe mitverſchuldet hat, das ganz Deutſchland noch lange fuͤhlen wird.

Dritter Theil. C34

Und welcher einſichtige Unterthan koͤnnte Ach - tung und Zutrauen zu einem Fuͤrſten hegen, der Leute beguͤnſtiget oder gar um ſich hat, deren ge - kraͤnkter Stolz und Egoismus gegen alles, was Volk heißt, ewig Rache kochen und darum auch nicht aufhoͤren wird, die hoͤhern Staͤnde gegen die untern aufzuhetzen! Aſpekten von dieſer Art entzweyen immer mehr, heben alles Zutrauen, und laſſen fuͤr die Zukunft nicht viel Gutes erwarten.

Der Koͤnig in Preußen hat vollends keine Ur - ſache, dieſen Auswurf der Menſchheit zu hegen oder zu ſchuͤtzen: ſie haſſen ihn alle, und ſprechen mit der bitterſten Verachtung von ihm, ſeitdem der Separatfriede zwiſchen den Neufranken und ihm geſchloſſen iſt. Sie prophezeihen wie Schrif - ten von ihnen ausweiſen dem Hauſe Preußen noch obendrein, nach ihrer tollen Emigranten-Po - litik, viel Uebel und Niederlagen, welche es der - einſt von Oeſtreich zu befuͤrchten haben ſoll.

Nach dieſer Abſchweifung erlaubte man mir jezt, die geweſenen Franzoͤſiſchen Herren ſo zu beſchreiben, wie ich ſie gefunden habe.

Unſer General hatte zwar verbieten laſſen, mit den Emigranten zu ſprechen, oder uns ſonſt mit ihnen einzulaſſen: er glaubte naͤmlich, dieſe geſetz - loſen Herren moͤchten durch ihr Geld unſre Leute zur Deſertion auffodern, und ſie unter ihr Corps,35 welches Einige damals ſchon die franzoͤſiſche Spiz - buben-Armee nannten, verleiten. Das hatten die Herren auch ſchon gethan, und manchen, ſogar von den trieriſchen Soldaten, zu ſich herangekirrt.

Ich gieng aber doch ſchon den erſten Tag in ein Weinhaus, wo Franzoſen ihr Weſen trieben, und ließ mich mit ihnen in ein Geſpraͤch ein. Aber ab - geſchmaktere Großſprecher habe ich mein Tage nicht gefunden, und ich kann es noch immer nicht ſpitz kriegen, wie irgend ein Deutſcher fuͤr ſolche Franzoſen einige Achtung hat haben koͤnnen! Dieſe elenden Menſchen verachteten uns Deutſche mit unſrer Sprache und unſern Sitten aͤrger, als irgend ein Tuͤrk die Chriſten verachtet. Im Wirthshauſe machte die Haustochter beym Aufwarten ein Verſe - hen; und facrèe garce d'allemande (verfluchter deutſcher Nickel) Chien d'allemand, bête d'alle - mand, con de garce d'allemande waren die Eh - rentitel, die dieſe facrès bougres d'émigrés uns Deutſchen anhaͤngten. Unſre Sprache verſtanden ſie nicht, und mogten ſie auch nicht lernen: ſie nannten ſie jargon de cheval, de cochons Pferde - und Schweineſprache, u. ſ. f.

Ich ſagte einmal bey Gelegenheit einer ſchoͤnen Tobaksdoſe, daß ich nicht Geſchmack genug haͤtte, um von dem darauf gemalten Portraͤt zu urtheilen. Que dites-vous, Mr. erwiederte ein Emigrant,36 c'eſt aſſez que de favoir le françois pour avoir le gout juſte: un homme qui ſait notre langue ne peut jamais manquer d'eſprit. Das war doch ein ſehr anmaßliches Kompliment!

Und doch waren die Deutſchen herablaſſend ge - nug, dieſen Emigranten zu hofiren und ſie zu un - terſtuͤtzen. Daruͤber habe ich mich oft recht innig geaͤrgert, und aͤrgere mich noch, wenn ich bedenke, wie geringſchaͤtzig uns die Koblenzer, die Trierer und ſelbſt die Luxemburger gegen die Emigranten - Kanaille behandelten. Ich bediene mich hier frei - lich nicht ſehr edler Ausdruͤcke: aber wie das Ori - ginal, ſo deſſen Copie!

Die Emigranten hatten damals Geld noch voll - auf, und folglich das Mittel, ſich alles zu ver - ſchaffen, was ſie geluͤſtete. Aber ſie habens auch toll genug verſchleudert! Die koſtbarſten Speiſen und der edelſte Wein, der bey ihren Bacchanalen den den Fußboden herabfloß, waren fuͤr ſie nicht koſt - bar und edel genug. Fuͤr einen welſchen Hahn zahlten ſie fuͤnf große Thaler ohne Bedenken. Mancher Kuͤchenzettel, nicht eben eines Prinzen, oder Grafen, ſondern manches ſimpeln Markis oder Edelmanns, koſtete oft vier, fuͤnf und mehr Carolins. Die Leute ſchienen es ganz darauf an - zulegen, brav Geld zu zerſplittern: ſie zahlten ge - rade hin, was man verlangte. Ich ſagte einmal37 zu einem, daß er etwas zu theuer bezahle: le François ne rabat pas (der Franzoſe zieht nichts ab) erwiederte er, und gab ſein Geld.

Das ſchoͤne Rockenbrod, welches in Koblenz geba - cken wird, wollte den edlen Herren nicht behagen: ſie aßen daher lauter Weitzenbrod, und nur deſſen Rinde: die Krume kneteten ſie in Kuͤgelchen und benutzten ſie zu Neckwuͤrfen bey Tiſche. Andere warfen die Krume geradezu aus dem Fenſter. Dieſes Benehmen hat jedoch ſelbſt die Koblenzer geaͤrgert; und ich dachte mehrmals:

Exiget ah dignas ultrix Rhamnuſia poenas!

Oder: Nur Geduld! es wird ſchon eine Zeit kommen, wo ihr weder Krume noch Rinde haben werdet.

Das iſt auch bald hernach eingetroffen: denn ſchon auf der Retirade, im October 1792, haben die ſaubern Herren mehr Noth gelitten, als wir Preußen, wenn gleich auch wir rohen Weitzen da - mals abbruͤhten und aßen vor lauter Hunger, wie man dereinſt ſehen wird.

Die Emigranten waren alle luſtige Bruͤder und Windbeutel von der erſten Klaſſe. Den gan - zen Tag ſchaͤkerten ſie auf der Straße herum, ſangen, huͤpften und tanzten, daß es eine Luſt war, anzuſehn. Sie giengen alle praͤchtig gekleidet, und trugen ſchreckliche Saͤbel. Die Saͤbel wur -38 den groͤßtentheils in Koblenz verfertiget, und ſo hatten die daſigen Schwerdfeger Arbeit und Ver - dienſt genug.

Daß Leute von dieſer Art mir nicht gefielen, nicht gefallen konnten, iſt fuͤr ſich klar. Ich nannte ſie, wie ich ſie fand, die Peſt fuͤr unſer Vaterland in jeder Ruͤckſicht, phyſiſch, politiſch und moraliſch. Man widerſprach mir, berief ſich auf die Ausge - wanderten unter Ludwig, dem Vierzehnten, und ſchloß von den Vortheilen durch dieſe auf Vortheile durch jene. Ich verſezte, daß es mit jenen ge - ruͤhmten Vortheilen nur ſo und ſo ſtuͤnde; daß, deutſch zu ſprechen, auch jene Emigration fuͤr un - ſer Vaterland in mancher Ruͤckſicht eher ſchaͤdlich als nuͤtzlich geweſen ſey, und dieß wohl noch ſey. Allein auch zugegeben, aber noch lange nicht als Wahrheit eingeraͤumt, daß jene Hugenotten, welche nach dem Widerruf des Ediktes von Nantes nach Deutſchland gewandert ſind, fuͤr Deutſchland wirklich nuͤtzlich geweſen ſeyen, ſo waͤren doch jene Emigranten mit den jetzigen im geringſten nicht zu vergleichen. Jene wanderten aus, weil ſie muß - ten, weil ihr Gewiſſen ſie druͤckte, und ſie Sankt Cal - vins Lehre mit der des heiligen Vaters zu Rom nicht vertauſchen wollten. *)Daß ſie dieß gerade darum haͤtten thun muͤſſen, um der Lehre des St. Calvins nachzukommen, ſuchte vorzeiten darzuthunUebrigens fuͤgte ich hin -39 zu waren es doch meiſt ehrliche, kunſtvolle, betrieb - ſame, ſtille Leute, deren Sitten die Sitten unſrer Vor - fahren nicht ſo ſehr verderbten, als die der jetzigen unſere. *)Ich trete den ehemaligen Hugenotten nicht zu nahe, denn es iſt wirklich an dem, wie Geſchichtkundige wiſſen, daß man ſeit dem unſeligen Widerrufe des Nanteſer Edikts eine Epoche in der Geſchichte der Sitten mancher deutſcher Provinzen machen kann. Frivolitat, Luxus und Ausſchweifungen aller Art kamen mit vielen von den damals ausgewanderten Franzoſen nach Deutſchland: und da, wohin ihr Fuß nicht gekommen iſt, ſind die Sitten noch weit deutſcher, einfacher, biederer und liebenswuͤrdiger, als dort wo die Re〈…〉〈…〉 igi〈…〉〈…〉 s ihre franzoͤſiſchen Kuͤnſte, Gewandheit, Moden, Grillen und Poſſen mithinbrach - ten. Oeſtreich, Bayern, Schwaben, Weſtphalen und andere Laͤnder ſind freylich durch die fremden Sittenlehrer nicht viel feiner geworden, aber in Bayern z. B. iſt vielleicht auf einem Dorfe mehr achter Biederſinn und altdeutſche Tugend, als in mancher andern vor Feinheit ſtrozenden Provinz: es iſt naͤm - lich nicht alles Gold, was glaͤnzt. Denn laſſen ſie uns, fuhr ich fort, die Her - ren einmal recht anſchauen: und wir werden bekennen muͤſſen, daß ſie uns weiter nicht nuͤtzen, als daß ſie unſere Kaufleute, Gaſtwirthe, Huren u. dgl. reicher machen, aber auch alles Uebrige verpeſten und zu Grunde richten, was nur ihr Hauch beruͤhrt. Als ich dieſes und mehr anderes geſagt hatte, leg - ten ſich endlich mehrere von den Anweſenden in unſer Geſpraͤch, und da wurden denn allerley ſkan - daloͤſe Hiſtoͤrchen uͤber die Herren Emigrirten auf - getiſcht. Ich erſpare ſie bis zu den Begebenheiten des Marki von Vilcuçon.

*)das beruͤchtigte Avis aux réfugiés, welches man dem be - ruͤhmten Baylr zugeſchrieben hat.
*)40

Es iſt uͤberhaupt keine laͤppiſchere Kreatur auf Gottes Erdboden, als ein franzoͤſiſcher Emigrant dieſer Zeit. Stolz und aufgeblaſen, wie der Froſch in der Fabel, verachtet er alles, was nicht ſo wie er, Franzos und von Adel iſt. Die Preußiſchen Offiziere hatten gar nicht Urſache, den Emigranten gewogen zu ſeyn: denn dieſe haben ſehr oft erklaͤrt, daß der preußiſche Adel, wie uͤberhaupt der deutſche Adel eine nobleſſe de rotare ſey; eine nobleſſe - taide; daß ein preußiſcher Offizier fût il Colonel, noch lange nicht aſſez noble waͤre, pour étre Mous - quetaire dans la maiſon du roi*)Die ſogenannten Mousquetaires waren ehedem alle von Adel. Jetzt hat dieſer Popanz ein Ende. u. ſ. w. So ſprachen die Emigranten von unſern Offizieren, und doch buhlten dieſe um ihre Freundſchaft, und waren ſtolz auf die Ehre, mit ſolchen Meſſieurs um - zugehen. Ueberhaupt haͤtten unſre Deutſche ſich ſchaͤmen ſollen, daß ſie den franzoͤſiſchen Windbeu - teln ſo nachliefen, und wohl gar glaubten, daß ſie von einer naͤhern Verbindung mit ihnen Ehre haͤtten. Dieſes Geſindel verachtete ja uns, unſre Sprache und unſre Sitten, und wir haͤtten ſie ehren ſollen?

Ich habe mich allemal geſchaͤmt, wenn ich ſah, wie manch ſonſt braver, ehrwuͤrdiger deutſcher Mann dieſen veraͤchtlichen Poſſenkindern hofirte, und ſich41 alle Muͤhe gab, ihre Geberden u. d. gl. affenmaͤ - ßig nachzumachen. Die Franzoſen ich rede hier nur von den emigrirten verdienen unſern ganzen Abſcheu, unſere ganze Verachtung, und koͤnnen nicht einmal auf die Achtung einer Gaſſennymphe, ge - ſchweige auf die eines einſichtigen braven Mannes Anſpruch machen.

Unter den Emigrirten gab es jedoch einige, wel - che ſich mit ihrem Emigriren uͤbereilt hatten, und gern zuruͤck geweſen waͤren, wenn es ohne Gefahr und mit Ehren haͤtte geſchehen koͤnnen. Dahin ge - hoͤrte in Koblenz beſonders der ehemalige franzoͤſi - ſche Geſandte, Graf von Vergennes, welcher die heimlichen Anſtalten zu ſeiner Ruͤckkehr nach Frankreich endlich bloß darum aufgab, weil man ihm ſeine Privilegien weigerte. Ich habe den Be - dienten dieſes Grafen oft geſprochen, und einen Mann an ihm gefunden, welcher von den neufraͤn - kiſchen Angelegenheiten weit richtiger urtheilte, als alle Haͤupter und Unterſtuͤtzer der Emigrirten.

Unter andern vernuͤnftigen Aeußerungen dieſes Mannes war auch dieſe, daß nicht alle Ausgewan - derte willig und frey ihr Vaterland verlaſſen haͤtten. Stellen Sie ſich, ſagte er, an die Stelle des Edel - manns oder des Geiſtlichen, und fragen Sie ſich ſelbſt, was ſie unter aͤhnlichen Umſtaͤnden haͤtten thun koͤn - nen oder thun wollen? Die Prinzen, ein Conde,42 ein Artois, ein Monſieur fodern den Adel auf, auszuwandern, um die armée contrerévolutionnaire formiren zu helfen. Sie ſprechen von einem Ein - verſtaͤndniß des Hofes mit den Hauptmaͤchten Eu - ropens, und ſchildern die Wiederherſtellung der al - ten Verfaſſung, durch deren Huͤlfe, wie gewiß. Sie erklaͤren alle, welche ſich weigern, hieran Theil zu nehmen, als infam, als Verraͤther an dem Throne, und bedrohen ſie mit den ſchrecklichſten Strafen. Was ſoll der Adliche nun thun, zumal der im Dienſte des Hofes? Bleibt er zuruͤck, und gelingt das, was ihm als ſo leicht ausfuͤhrbar geſchildert wird: ſo wird er ein Opfer der Rache, wird, als ein Feind des Mo - narchen, entweder gefaͤnglich eingezogen, ſeines Standes, ſeines Poſtens und ſeiner Guͤter[fiska - liſch] beraubt, oder uͤber die Graͤnze gejagt; und er, wie ſeine Familie, iſt beſchimpft, arm und dem Schickſale preisgegeben. Dies Verhaͤltniß hat wirklich ſehr viel Adliche angetrieben, ihr Vaterland zu verlaſſen, und zwar ſolche, welche ſonſt immer bereit geweſen waͤren, zu bleiben, und auf die Vor - rechte ihrer Geburt Verzicht zu thun.

Mit den Geiſtlichen, fuhr er fort, hatte es eben dieſe Bewandniß. Ein Geiſtlicher, der im Lande bleiben wollte, mußte der Nation den Eid der Treue ablegen. Aber ſchon dieſer Eid machte, daß er von den rechtglaͤubigen Katholiken, deren43 es anfaͤnglich noch immer ſehr viele gab, als ein widerrechtlicher, unregelmaͤßiger Prieſter angeſe - hen wurde, deſſen geiſtliche Verrichtungen man als gotteslaͤſterliche Handlungen betrachtet, und ſie ſelbſt als Gottesſchaͤnder gemieden und, je nachdem unſer Staats-Looß gefallen waͤre, exemplariſch be - ſtraft haͤtte. Zwar gab es bey uns, wie in Ita - lien, Portugal und Spanien, ſehr viel Scheinka - tholiken; und ich ſelbſt war nur dem Namen nach katholiſch: meine Voreltern waren naͤmlich refor - mirt, muſten aber zum katholiſchen Glauben uͤberge - hen, um ihre politiſche Exiſtenz nicht zu verlieren: indeſſen blieb die reformirte Lehre in unſrer Fami - lie: wir haßten die Katholiken, und gingen doch in ihre Meſſe. So haben es viele Familien der Hugenotten gemacht. *)Daß er〈…〉〈…〉 recht hatte, habe ich 1794 zu Frankreich haͤu - fig erfahren. Wozu alſo Religionszwang! Ich wuͤrde jezt, da in Frankreich jeder ſeine Religion nach Gefallen haben kann, mich, wie viele Andere oͤffentlich als Refor - mirt erklaͤrt haben, wenn mich Voltaire nicht bekehrt haͤtte. Nun aber iſt mir alles gleich viel: Pabſt, Doktor Luther, Calvin, alles iſt mir eins! Ich glaube weder dem einen noch dem andern: ſie alle treiben Hoͤkerey mit Fratzen, und die Pfaffen aller Religionen ſind immer Pfaffen.

44

Laſſen wir jetzt, unterbrach ich ihn, die Pfaf - fen Pfaffen ſeyn: ich bin nur begierig auf die Folge Ihrer Bemerkung .

Ich ſagte, daß, wenn unſre emigrirten Pfaf - fen im Lande geblieben waͤren, man ſie wegen ih - res Eides auf die neue Conſtitution als irregu - laͤre, meineidige und gottloſe Pfaffen betrachtet haͤtte: und nun denken Sie deren Schickſal bey ei - nem Verfall der Conſtitution, oder auch nur bey ei - ner Herſtellung der alten Hierarchie in Frankreich! Es wuͤrde ihnen auf jeden Fall klaͤglich ergangen ſeyn. Nein, mein Herr, wenn ja jemand mit Recht Frankreich verlaſſen hat: ſo waren es die Pfaffen, welche ſich auf ihre Pfafferey ernaͤhren mußten. Die, welche den Nationaleid geſchworen haben, um unangefochten in ihrem Vaterlande blei - ben zu koͤnnen, ſind dennoch immer in Gefahr, und werden vielleicht noch von ihren eignen Patrioten abgeſezt.*)Gegen das Ende des Jahres 1793 iſt dieſe Prophezeihung eingetroffen

Nun ſehen Sie fuhr er fort daß nicht alle Edelleute, auch nicht alle Prieſter, ohne Noth und ans bloßem Haß gegen die Conſtitution, oder aus Stolz auf ihre Praͤrogativen, oder aus Leicht - ſinn fortgelaufen ſind. Viele haben wirklich Urſa - che dazu gehabt, und unter dieſen verdienen meh -45 rere unſer Mitleid. So dieſer fachkundige Mann.

Auf die Frage, warum man denn uͤberhaupt emigrirt ſey, erhielt ich groͤßtentheils von allen de - nen, die ich darum befragte, nur Achſelzucken zur Antwort; und wenn ich denn ſo meine Anmerkungen machte, und bewies: daß es doch weit leichter ge - weſen ſeyn wuͤrde, eine Gegenrevolution alsdann zu bewirken, wenn die Herren Prinzen, mit ihrem Anhange in Frankreich geblieben waͤren, gab man mir meiſtens Recht. Aus allen Geſpraͤchen aber ſah ich, daß die, freilich mit der politiſchen Lage von Europa ſehr unbekannten franzoͤſiſchen Prinzen, feſt darauf gerechnet hatten, daß alle Koͤnige und alle Maͤchte von ganz Europa zuſammen grei - fen, und ihnen alle Huͤlfe leiſten wuͤrden. Da nun dieſes ſofort nicht geſchah, ſo ſchimpften ſie und die uͤbrigen Emigrirten auch nicht ſchlecht auf die Hoͤfe unſrer Großen, und ſchrieben hernach all und jedes Ungluͤck, das die Verbuͤndeten erlitten, dieſer Saumſeligkeit zur Laſt. Auch hatten die Herren Prinzen auf eine weit ſtaͤrkere Emigration gehofft, und beyher ſogar geglaubt, daß die ſtehende Armee in Frankreich ſich auf ihre Seite ſchlagen wuͤrde, und was der Dinge mehr ſind, worauf ein Prinz rechnet, der wohl den Ton des Hofes, aber nicht den der Nation kennt, und dann die Welt,46 wie die Menſchen darin, als ſein Eigenthum be - trachtet.

Viertes Kapitel.

Noch von den Emigranten.

Schon ehe ich von Halle gieng, hatte ich mir von den Emigranten, ſo wie von der ganzen damaligen Lage der Dinge einen Begriff gemacht, welchen ich bis auf dieſe Stunde noch keinen Augenblick Urſache gehabt habe, zu veraͤndern. Die Emigranten ha - be ich gleich Anfangs jedoch wie ſichs von ſelbſt verſteht, mit Ausnahmen fuͤr Schufte und Erz - luͤgner gehalten, und habe ſie von Grund der Seele gehaßt und verachtet, weil ich uͤberzeugt bin, daß ſie die Haupturſache des jetzigen Krieges, und des vielen unbeſchreiblichen Ungluͤcks in Deutſchland geworden ſind.

Daß ſie ſchon lange die Blutegel geweſen wa - ren, welche ihren Landsleuten, den Einwohnern von Frankreich, das Blut ausſaugten, und eine ihren Regenten, auch dem allerſchwaͤchſten, ich meyne, einem Ludwig dem Funfzehnten, ſo treu und bis zum Enthuſiasmus ergebene Nation end - lich in Harniſch jagten, und folglich die Revolu -47 tion gewaltſam herbeyzogen iſt klar am Tage und bedarf keines Beweiſes: das geſtehen ſogar die Herren Girtanner und Conſorten, und dann muß es doch wohl ſo ſeyn. Die ſchaͤndlichen Menſchen Artois, Condé, Provence, Lamballe, Po - lignac und hundert andre traten die Nation ſo lan - ge mit Fuͤßen, bis dieſe endlich das fuͤrchterliche Joch abſchuͤttelte, und bis das Gebaͤude des Deſpotis - mus uͤber dieſe Unmenſchen ſelbſt zuſammenſtuͤrzte.

Nun rennten dieſe elenden Menſchen aus ihrem Lande und poſaunten in der ganzen Welt herum aus: Frankreichs Verfaſſung ſey zu Grunde gerich - tet: in Frankreich herrſche Anarchie; und wenn nicht alle Monarchen hier haͤlfen Einhalt thun: ſo ſtaͤnde ihnen das Naͤmliche bevor. Sie fanden hin und wieder Gehoͤr, und durch ihre ſcheuslichen Luͤgen und verdrehte Nachrichten zogen ſie mehrere Großen in ihre Parthey, bis endlich ihr Zweck er - reicht war, das iſt, bis ſie einen Krieg angezettelt hatten, welcher fuͤr ihr Vaterland und fuͤr ganz Europa ſo ſchrecklich geworden iſt.

Als ich in Koblenz war, fragte ich mehrmals nach den Angelegenheiten Ludwigs XVI. und der Regierung von Frankreich, bekam aber nirgends befriedigende Antwort.

Hier iſt mein Geſpraͤch mit Hn. Gronard von Caen!

48

Ich: Aber Herr Gronard, da Sie zugeben, daß die Bedruͤckung des Volks in Ihrem Lande die naͤchſte Urſache der Rebellion geweſen iſt: ſo ſagen Sie mir doch: ſah denn der Koͤnig das Ungewitter nicht vorher?

Grouard: Niemals!

Ich: Aber man hats ihm doch immer und derb genug vorhergeſagt.

Er: Und doch hat er es nimmer begreifen koͤnnen! Der hergebrachte Herrſcherſtolz, von Hoͤf - lingen unterſtuͤzt, haͤlt dergleichen fuͤr unmoͤglich. Und dann iſt der Koͤnig ein recht guter Mann, aber er iſt, wie alle Burbonniſchen Prinzen*)Er hatte recht: alle Burbonniſchen Prinzen, ſelbſt Heinrich IV. troz ſeiner Pan〈…〉〈…〉 airiſten, waren ſchwache Koͤpfe. Man leſe Eloge hiſtorique de l'Abbé Mably. ſchwach.

Ich: Aber ein ſchwacher Koͤnig, wohl verſtan - den ein Koͤnig, nicht ein Menſch, der ſchwach iſt, iſt allemal ein ſchlechter Koͤnig.

Er: (Zuckt die Achſeln.) Wahr, Freund! Der Koͤnig hat ſeine großen Fehler: aber er iſt wahrlich nicht Schuld an den Unordnungen: er haͤngt zu ſehr von ſeiner Gemahlin ab.

Ich: So? Er haͤngt von ſeiner Gemahlin ab? Und von wem haͤngt denn die ab?

49

Er: Von der Spielſucht, vom Stolz, von der Sucht, ſich Kreaturen zu machen, und vom Wie - ner Hofe.

Ich: Weiß man denn in Frankreich, daß Ma - dam Antoinette vom Wiener Hofe regiert wird?

Er: Leider zu gut! Auch ſind ſelbſt unſre Prinzen, beſonders Condé, daruͤber laͤngſt aͤrger - lich geweſen; allein ſie durften dem Unweſen nicht ſteuren.

Ich: Warum denn nicht? Was konnte Ihnen der Wiener Hof ſchaden oder nuͤtzen?

Er: Mehr, als Sie ſich vorſtellen. Sehn Sie, es iſt nicht von vorgeſtern, daß man eine Revolution in Frankreich befuͤrchtete. Brach dieſe aus, ſo mußte man einen Hinterhalt haben; und wer in ganz Europa war wohl beſſer im Stande, dieſen Hinterhalt zu leiſten, als eben Oeſtreich? Alſo war es, denk ich, immer klug, einer Perſon nachzugeben, welche das Haus Oeſtreich in das Intereſſe der franzoͤſiſchen Herren ziehen, und dar - in erhalten konnte. Es iſt auch gelungen: Oeſt - reich hat unſre Hof-Parthey zuerſt ergriffen.

Ich: Ja wohl; aber zu ſeinem eignen Scha - den, und zum Verderben des koͤniglichen Hauſes in Frankreich, wie die Zeit lehren wird.

Dritter Theil. D50

Er: Herr, reden Sie doch nicht ſo! Verbun - den mit Preußen und Oeſtreich werden wir bald mit de〈…〉〈…〉 e bellen fertig ſeyn.

Ich: Das wird ſich weiſen!

Ein andrer Emigrant hatte uns zugehoͤrt, und fiel ein: Ja ja, mein Herr, Monſieur Grouard hat Recht. Sie duͤrfen ja nicht glauben, daß die elenden Wichter in Frankreich (ces marauts de Fran - ce) uns was anhaben werden!

Ich: Sie geben ihren Landsleuten ſchoͤne Titel!

Emigrant: Ei, was Landsleute! Schurken ſind es, eingemachte Baͤrenhaͤuter (gueux fieffés) elendes Geſindel (canaille); und wer wollte da ſagen, das ſeyen Landsleute von Maͤnnern unſers Gleichen!

Der ſaubre Herr ließ ſich noch weiter mit der frechſten Ausgelaſſenheit uͤber gar viele ſchon da - mals beruͤhmte Maͤnner in der Nationalverſamm - lung aus, wie ein Troßbube: beſonders bekam der geweſene Herzog von Orléans, damals Egalité, ſeine derben Hiebe. In Abſicht dieſes freylich erz - abſcheulichen, elenden Menſchen, waren die Emi - granten an ſkandaloͤſen Hiſtoͤrchen und Schimpf - woͤrtern ganz unerſchoͤpflich.

Von der Koͤnigin habe ich keinen Emigranten gut ſprechen hoͤren: uͤberhaupt meynten ſie, ſchick - ten ſich die oͤſtreichiſchen Maͤdchen (Filles d'Autriche) nicht auf den franzoͤſiſchen Thron: und ſie fuͤhrten51 dabey das Beyſpiel der Anna von Oeſtreich, Ludwigs XIII. Gemalin an. Das Buͤchlein: Vie privée de la Reine de France und die Mémoire de M. Lamotte de Valois hatten auch einige geleſen, und geſtanden gern, daß das meiſte darin wahr ſey; doch aber ſollen auch viele Unrichtigkeiten mit un - tergelaufen ſeyn. *)Von einem Vie privée de Marie Antoniette, femme du dernier Paris in 12. (3 Theile) rede ich weiter unten.

Dadurch nun, daß die Emigranten die allerluͤ - genhafteſten Vorſtellungen von der Lage ihres Va - terlandes verbreiteten, ſind ſie eigentlich die rechten Stifter, die rechte fax und tuba des fuͤrchterlichen Krieges und aller ſeiner graͤuelvollen Folgen ge - worden. Man hat ihnen, leider, auf die unverant - wortlichſte Art geglaubt; und die abgeſchmackten Zeitungsſchreiber, beſonders der zu Wien, Bayreuth, Neuwied und Leipzig, haben die Luͤgen des elenden franzoͤſiſchen Hofgeſindels nachpoſaunt, und dadurch unſerm leichtglaͤubigen deutſchen Publikum eine Brille aufgeſetzt, die jezt viele Provinzen in tiefer Trauer verwuͤnſchen. Aber ich mag mich nicht laͤnger bey einer Sache aufhalten, welche, leider, mehr als zu bekannt iſt.

Von dem traurigen Sittenverderben, welches die Emigrirten in Deutſchland geſtiftet haben, bin ich auch Zeuge geworden. Hier in Koblenz, ſagte52 ein ehrlicher alter Trieriſcher Unteroffizier, giebts vom zwoͤlften Jahre an keine Jungfer mehr: die verfluchten Franzoſen haben hier weit und breit alles ſo zuſammen gekirrt, daß es Suͤnde und Schande iſt.

Das befand ſich auch in der That ſo: alle Maͤd - chen und alle noch etwas brauchbaren Weiber, ſelbſt viele alte Betſchweſtern nicht ausgenommen, wa - ren vor lauter Liebeley unausſtehlich.

Gerade gegen dem Kloſter uͤber, wo ich im Quartier lag, war ein Weinhaus, deſſen drey Toͤchter die Franzoſen haufenweiſe an ſich zogen. Ich gieng eines Tages auch mit einem Emigrirten hinein. Il y a la trois couplets, ſagte er, a peux re - freins. *)Das iſt eine ſehr feine Unflaͤterey, welche nur in dem Munde eines ſchluͤpfrigen Franzoſen witzig klingt.Als wir hinkamen, ſaßen die drey Haus - nymphen den Franzoſen auf dem Schooße, und hoͤrten ihren unſauberen Reden mit dem groͤßten Vergnuͤgen zu. Bald hernach fanden ſich noch mehr Dirnen ein, und es gieng da wenigſtens ſo arg her, als in der Talgfabrike oder in der Tran - pulle zu Berlin wohl nimmer: man gieng ab mit den Menſchern, und kam mit ihnen zuruͤck, mir nichts, dir nichts. Mein Begleiter, der ohne Zweifel glaubte, daß ich kein Geld haͤtte, um eine53 Buhldirne fuͤr ihr Verdienſt zu begnuͤgen, erbot ſich, dreißig ſous fuͤr mich zu zahlen: denn mehr, meynte er, wuͤrde eine ſolche Mamſell von einem pauvre pruſſien doch nicht verlangen. Der Ausdruck: pauvre pruſſien, wuͤrde mich im Munde eines Emigrirten ſehr geaͤrgert haben, aber wegen ſeiner Gutmuͤthig - keit lachte ich daruͤber, und nahm das Anerbieten nicht an.

Der General unſeres Regiments ließ alle Sol - daten vor dem Umgang mit den Koblenzer Mam - ſellen ernſtlich warnen: er wußte wohl, daß ſie von den ausgewanderten Franzoſen ſamt und ſon - ders mit einem Geſchenke begabt waren, welches er bey ſeinen Leuten nicht gerne haͤufig geſehen haͤtte. Indeſſen half doch die Warnung nicht gar viel; denn ich habe nachher bemerkt, daß viele mit der fran - zoͤſiſchen Krankheit aus Koblenz gezogen ſind: manche ſind hernach auch in den Lazarethen daran geſtorben. Dieſe Erfahrung hat aber manchen Ehe - mann tolerant gemacht. Denn nach der Zuruͤck - kunft nach Halle fanden ihrer mehrere ihre Fami - lie ohne ihr Zuthun vermehrt; druͤckten aber wegen des Aehnlichen in Coblenz und anderwaͤrts ein Auge zu, und behielten ihr Hauskreuz in Geduld.

In Coblenz muß die Patrouille die praktiſiren - den Verliebten, welche ſie in den Winkeln der Straßen antrift, anhalten, und auf die Haupt -54 wache abfuͤhren. Die Geiſtlichen ſind davon aus - genommen, fuͤr welche unter dieſen Umſtaͤnden eine Wache ein gar zu profaner Aufenthalt ſeyn wuͤrde. (Man denke!) Anfaͤnglich, wie man mir geſagt hat, wurden auch viele Franzoſen mit ihren feilen Liebchen dahin abgefuͤhrt, und troz ihres Fut - terns, Proteſtirens und Geldbietens bis an den Tag dort gehalten, und dann an die Polizey gemeldet. Da aber dieſe fuͤr gut fand, es mit den franzoͤſi - ſchen Herren nicht gar ſtrenge zu nehmen: ſo wur - den die Koblenzer Soldaten bald gewitzigt, ließen ſich bezahlen, und die Winkel-Mosjehs treiben, was ſie wollten; ja endlich wurden ſie gar ſelbſt ihre Spediteurs, und hatten an ihrer Caſerne, fuͤr einige Batzen, Waare von der Art nach Belieben.

Die Maͤdchen zu Coblenz reichten nicht hin fuͤr die Emigranten, und fuͤr die daſelbſt hernach haͤu - fig durchziehenden deutſchen Voͤlker: es kam daher von weit und breit viel Geſindel dorthin zuſammen, und theilte mit den Koblenzerinnen ihre verdienſtliche Arbeit. Anfaͤnglich giengen die lockern Thierchen ſchlecht gekleidet, warfen ſich aber, durch die Frei - gebigkeit der Franzoſen, bald ins Zeug, und er - hoͤheten hernach auch, wie billig, den Preis ihrer Reize, welche zwar an innerer Konſiſtenz durch den ſtarken Gebrauch ſehr verloren hatten, doch aber immer mit beſſern Lappen ausſtaffirt wurden.

55

So wie in Koblenz hatten es die Emigrirten an allen Orten gemacht, wohin ſie nur gekommen wa - ren. Der ganze Rheinſtrohm von Baſel bis Koͤlln iſt von dieſem Auswurf des Menſchengeſchlechts vergiftet und verpeſtet, und die Spuren der graͤu - lichen Zerruͤttung in den Sitten werden in jenen un - gluͤcklichen Gegenden noch lange erſchrecken. Es ergiebt ſich daher von ſelbſt, daß alle Landesherren, welche franzoͤſiſche Emigranten in ihren Laͤndern be - guͤnſtigten, ſich an ihren Unterthanen ſchaͤndlich und jaͤmmerlich verſuͤndigt haben. Freylich iſt es hart, Fluͤchtlingen einen Zufluchtsort zu verſagen: aber wenn das hart iſt, ſo iſt es im Gegentheil abſcheu - lich, ein Geſindel einniſten zu laſſen, welche das biſſel gute deutſche Sitten vollends zu Grunde rich - tete, und die infame Krankheit, welche man ſchon in den Rheingegenden Emigranten-Galante - rie nennt, allgemein machte und allen Staͤnden mittheilte. Haͤtte auch jeder ausgewanderte Fran - zoſe ganze Kaſten voll Gold mit nach Deutſchland gebracht, ſo waͤre das doch lange kein Erſatz fuͤr das Elend, worin ſie unſre deutſchen Weiber und Maͤdchen, und durch dieſe einen ſo großen Theil unſrer luͤſternen Jugend geſtuͤrzt haben. Man gehe nur an den Rhein und frage: und ich weiß, daß man uͤber die Antwort erſtaunen und erſchrecken wird. Schon allein in Koblenz fand man uͤber56 700 infizirte Weibsperſonen, als man ihnen nach - her unentgeldliche Heilung anboth.

Fuͤnftes Kapitel.

Noch einmal von den Emigranten.

Die Emigranten waren alle gewaltige Windbeutel und fuͤhrten einen Ton, wie ein Faͤhndrich von vor - geſtern, doch mit dem Unterſchiede, daß der Herr Faͤhndrich oft auch noch etwas Baurenflegeley mit ſeinem Junkerſtolz verbindet, die wenigſtens bey den Franzoſen nicht iſt, wie ich ihnen zum Ruhme nachſagen muß. Allein vom Stolz und von der Bengeley der jungen Faͤhndriche werde ich wei - ter unten Gelegenheit zu ſprechen haben: fuͤr jetzt habe ich mit den Emigranten zu thun.

Alſo dieſe waren ſtarke Windbeutel, prunkten und prahlten mit Sternen und Ordenskreuzen, oft unterſchobnen, und ſpielten den Groshans laͤcherlich unbeſchreiblich. Wenn man ſie reden hoͤrte, haͤtte man glauben ſollen, ſie haͤtten alle Reichthuͤ - mer der Welt, und waͤren aus den groͤßten und vornehmſten Familien in Frankreich. Mein Vetter der Duc, meine Baſe die Ducheſſe, mein Onkel der Comte, mein Schwager der Marquis u. ſ. w. lie -57 ßen die Leutchen jedesmal einfließen, wenn ein Fremder, auch nur ein ſehr geringer z. B. ein Kerl, wie ich, ihre Gelage beſuchte. Sie hatten es recht gern, wenn man ſich nach ihrer Familie, und nach ihren ſonſtigen Verhaͤltniſſen erkundigte: dann er - goſſen ſie ſich mit thraſoniſcher Beredſamkeit uͤber ihre und ihrer Vorfahren Heldenthaten: vergaßen denn auch die nicht, welche aus ihrem Stamme ehedem Biſchoͤfe, Praͤlaten und Aebte geweſen wa - ren. Ich habe oft lachen muͤſſen, wenn mir emigrirte Kaufleute erzaͤhlten, wie ihr Geſchlecht ehedem ſehr noble*)Das Wort noble bedeutet jetzt in der republikaniſchen Spra - che ſo viel als liederlich, veraͤchtlich u. ſ. w. Von dieſer merk - wuͤrdigen Veraͤnderung der Wortbedeutungen in Frankreich rede ich an einem andern Orte weitlaͤufiger. geweſen, hernach aber durch den großen Aufwand derer von ihnen, welche im Militaͤrſtande gedient haͤtten, zur Armuth herabgeſunken, und die Familie dadurch endlich genoͤthigt worden ſey, ſich der Kaufmannſchaft zu widmen, nur um Mittel zu fin - den, dem Hauſe ſeinen alten Glanz (ſon prémier lu - ſtre) wieder herzuſtellen. So ſtolz waren ſelbſt ver - loffene Kraͤmer aus Frankreich! Was mag wohl ein Kerl werth ſeyn, der hauptſaͤchlich arbeitet, um erſt reich zu werden, und dann als Edelmann wieder paradieren zu koͤnnen! Aber, leider, be - deutete adelich und geehrt in Frankreich ſonſt58 gleichviel, wenn gleich das eine das andere mei - ſtentheils wirklich aufhob. Dank ſey es der deut - ſchen Aufklaͤrung, daß adelich bey uns einen ganz anderen Begriff zu bezeichnen anfaͤngt! Man leſe den vierten Band von Friedrich Brack, und erbaue ſich zur Herzſtaͤrkung aller Edlen!

Mit dem Manifeſte des Herzogs von Braun - ſchweig waren die Herren gar nicht zufrieden: ſie wa - ren hier uͤberſehen, die ſich Goͤtter der Erde duͤnkten. Daß die Patrioten in Frankreich bald geſtuͤrzt wer - den wuͤrden, war bey ihnen wie gewiß. Nun fuͤrch - teten ſie, indem das Manifeſt nichts ausdruͤckliches von der Wiederherſtellung des Adels enthielt, ſie moͤgten an ihren cy devant Privilegien, Vorzuͤgen, Aemtern, Penſionen u. d. gl. verlieren, und wur - den dem Herzog deswegen gram. Der Aerger dar - uͤber vermochte ſo viel, daß auch in ihrem Namen ſie ein Manifeſt nach Frankreich ſchickten, welches wie der Augenſchein lehrt, ohne Zweifel von einem ſtolzen Edelmann und einem herrſchſuͤchtigen Pfaf - fen zuſammengeſtoppelt iſt. Ich habe niemals ei - nen Aufſaz geleſen, welcher ſo viel edelmaͤnniſche,〈…〉〈…〉 pertinente Poltronerie, und ſo viel tollen, pfaf - fiſchen Aberwitz enthalten haͤtte, als dieß Mani - feſt der Emigrirten. Der Wiſch verdient keine naͤ - here Erwaͤhnung. Der Henker hat das Ding hier und da in Frankreich verbrannt. Der Koͤnig von59 Sardinien heißt darin der Neſtor der Koͤnige! Guter Neſtor von Pylos, muſt du dich noch mit dem Viktor Amadeus von Sardinien vergleichen laſſen! Gorani kannte ihn beſſer. Er ſchildert ihn in ſeinen Nachrichten von Italien. Aber freilich geht es dem guten Viktor Amadeus, wie dem Neſtor:

quaerit ab omni Quisquis adelt ſocio, cur haec in tempora duret.
*)Iuvenalis Sat. X.
*)

Obgleich die Emigrirten alle ſchrecklich bra - marbaſirten, und ganz impertinent enthuſiaſtiſch fuͤr ihren Koͤnig, ihren Adel, und ihre Pfafferey ſpra - chen, ſo merkte man doch bald, daß manche gute Patrioten unter ihnen herumſchlichen. Wie konnte dieſes auch anders ſeyn! Es war ja ſo leicht, die Gaͤnge der Emigranten auszuſpaͤhen, und die Na - tional-Verſammlung oder vielmehr in derſelben jene, welche eigentlich die Stuͤtzen der Nation wa - ren, daruͤber zu belehren. Dieſer Gedanke mußte ſchon den einen und den andern von den Patrioten anreizen, ſich unter die wahren Emigranten zu miſchen, und durch Ausſpaͤhung ihrer donquiſchotti - ſchen Anſtalten dem Vaterlande zu nuͤtzen.

Zu Koblenz gaben die eigentlichen Emigrirten einige von dieſen an, unter andern den Grafen von Vinaiſal, Ritter der koͤniglichen Orden und Co -60 lonel bey der Maiſon du roi; ſodann den Marquis von Pontbruiant, Major-géneral. Mein Hauptmann war gerade damals, als man ſie ein - zog, auf der Hauptwache, und ich mußte hin, um mit dieſen Herren zu reden, und den Dolmetſcher vorzuſtellen. Der Graf war ein alter Wolluͤſtling, und daher ſchien er mir gleich eben kein ſtarker Pa - triot zu ſeyn: der Marquis war ein junger feuriger Mann, der mir als hoͤchſt verſchmizt vorkam. Um ihn auf die Probe zu ſtellen, nicht zu verra - then fing ich an, Emigrantenmaͤßig aufzuſchnei - den, und die großen Thaten anzufuͤhren, welche wir, vereint mit den Emigrirten, gegen die Pa - trioten verrichten wollten. Der Marquis machte zu meinem Geſchwaͤtze eine Mine, die mir mehr ſagte, als Worte je konnten; und ſeine ganze Ant - wort war: daß man wohl mehr Schwierigkeiten finden wuͤrde, als man glaubte. Von Mirabeau ſagte er: er iſt zwar unſer Feind, doch immer ein großer Kopf. Dieſe Sprache, im Munde eines Emigranten, zeigte mir den[Mann]; und gerne haͤtte ich ihm meine Gedanken mitgetheilt, aber die Furcht vor den Juden, wie Bahrdt zu ſagen pflegte, hielt mich zuruͤck. Beyde Herren ſind hernach nebſt andern entlaſſen; aber auch Beyde haben ſich nach ihrem Vaterlande zuruͤckbegeben: das hoͤrten wir bey Verdun.

61

Als der Herzog von Braunſchweig inne ward, was er leicht voraus haͤtte ſehen koͤnnen, daß ſich unter den Ariſtokraten Patrioten aufhielten, befahl er: Niemanden in Coblenz ein - oder auszulaſſen, ohne einen Paß entweder vom franzoͤſiſchen Kom - mandeur oder von dem Preußiſchen General Cour - biere. Allein dieſes half wenig: denn Paͤſſe wa - ren bald nachgemacht. Man griff daher zu andern Mitteln, und ließ alle in Coblenz befindliche Emi - granten namentlich aufſchreiben. Ich habe dieſes Geſchaͤft einige Male mitverrichtet. Die Emigran - ten gaben zwar, weil es einmal ſo ſeyn mußte, ihre und ihrer Weiber und Toͤchter Namen an: allein ſie wurden uͤber dieſes Aufſchreiben, als et - was, das ſie erniedrige, ſehr erboßt.

Bey dieſer Gelegenheit habe ich bemerkt, daß manche Franzoͤſiſche Schoͤnen mehr Einſicht ver - riethen, als mancher deutſche Offizier Lebens - art. Ein Graf naͤmlich deſſen Namen ich ver - geſſen bin logirte gerade gegen einem Hauſe uͤber, worin einige Offiziere unſeres Regiments ihr Quartier hatten. Dieſe Offiziere vigilirten, wie man in Halle ſpricht, oder nach einem andern Dialekt, glimmerten von fruͤh bis auf den Abend nach den beyden ſehr ſchoͤnen Toͤchtern dieſes Gra - fen. Als ich nun, meinem Auftrage gemaͤß, die62 Namen dieſer Familie verzeichnet hatte, fragte die eine Dame: wer ſind denn die Herren dort druͤ - ben im Fenſter?

Ich. Das ſind Offiziere von unſerm Regi - ment.

Dame. Das muͤſſen Leute ſeyn, die nicht zu leben wiſſen. Den ganzen Tag liegen ſie im Fenſter und gucken nach uns.

Ich. Ohne Zweifel, meine Damen, um Ihre Schoͤnheit zu bewundern.

Dame. So? Iſts denn vielleicht in Deutſch - land Mode, daß man nach dem Frauenzimmer mit Lorgnetten hinblickt, dann unter ſich lacht, und allerley poͤbelhafte Geberden macht, als wenn man, wer weiß, was laͤcherliches oder auffallen - des geſehen haͤtte? Nein wahrlich, das iſt grob und ſehr ſchlechte Lebensart.

Graf. Meine Tochter, wenn es dir nicht anſteht, von den Offizieren begafft zu werden, ſo bleib vom Fenſter weg.

Dame. Nein, Papa, den Herren zum Troz will ich und die Schweſter uns hinſtellen, und uns ſtundenlang begaffen laſſen. Die Leute werden vielleicht doch dadurch ſehen, daß wir ſie fuͤr Ge -〈…〉〈…〉 e halten.

63

Ich. Madame*)Das Wort Mademoiſelle war ganz verbannt, und nur noch in der Anrede an〈…〉〈…〉 Maͤdchen Mode. Jedes Frauenzim - mer, das nur ein wenig mehr war, als eine Kammerjungfer, hieß Madame verſteht ſich bey d〈…〉〈…〉 Em〈…〉〈…〉 n. In Frankreich iſt Mademoiſelle ohnehin jezt Ko〈…〉〈…〉 bande: denn alles heißt jezt dort Bu〈…〉〈…〉 ger oder Bu〈…〉〈…〉 gerin., thun Sie das nicht: die Herren denken ſonſt gar, Sie und Ihre Schweſter ſeyen in ſie verliebt.

Dame. (lachend) Ah, les bêtes, les bêtes! (Sie ſtellt ſich wirklich mit ihrer Schweſter ans Fenſter, lacht, und laͤßt ſich von den Offizieren nach Herzensluſt begaffen. Die Offiziere nehmen das fuͤr ein Zeichen der Gewogenheit, und ſpren - gen nun uͤberall aus: die franzoͤſiſchen Maͤdel mit den niedlichen Geſichtchen ſeyen verliebte Luder - chen.) Offiziere ſollten doch ſo poͤbelhaft weder handeln, noch ſprechen.

Das Aufzeichnen der Namen war auch frucht - los: alſo befahl der Herzog, daß ſich alle Emi - granten, ihre Kranken allein ausgenommen**)Unter den Emigranten waren ſehr viele durch und durch veneriſch., ſofort aus Coblenz und allen Orten, wo Preußen waͤren, wegbegeben ſollten. Einen aͤhnlichen Be - fehl gab auch der Kurfuͤrſt von Trier; aber der Be -64 fehl von dieſem haͤtte ohne den des Herzogs wenig gefruchtet. *)Der Befehl des Kurfuͤrſten war gedruckt, und aͤrgerte die Herren um ſo mehr, da er, aller Orten angeſchlagen, all - gemein zu leſen war. Dieß brachte einige von ihnen ſo ſehr in Harniſch, daß ſie geradesweges auf das Rathhaus liefen, und daſelbſt ſo viel Aufhebens daruͤber machten, daß man aus Furcht vor ihnen den Befehl endlich abriß. Ohne die ernſtliche Dazwiſchenkunft des Herzogs haͤtten ſie alſo ihr unweſen in Koblenz gewiß noch weiter getrieben.

Der ernſtliche Befehl des Herzogs machte gleichfalls viel Bewegung unter den Emigranten; aber vergebens. Selbſt die Herren Coblenzer woll - ten es hoͤchſt unbillig finden, daß man ſo viel brave, um das Trierland (durch ihre Verſchwen - dungen) ſo wohlverdiente Leute fortjagen wollte. Die Emigranten ſchwuren hoch und theuer, daß es hoͤchſt ſchimpflich ſey, von den Preußen vertrieben zu werden, aber jezt muͤſſe man ſich in die Zeit ſchicken. Sie ſchienen ſogar zu glauben, daß es eigentlich auf ſie haͤtte ankommen ſollen, ob deut - ſche Truppen uͤberhaupt, alſo ob auch wir Preu - ßen, in Koblenz ſeyn duͤrften oder nicht. Dieſer Wahn plagte ſie, weil ihnen der Kurfuͤrſt von Trier, als der Herr Vetter von ihren Prinzen, ſo - wohl in Civil - als Militaͤrſachen alle Gewalt uͤber - laſſen und beſtaͤtigt hatte. Sie waren eben darum in ihrer uͤbertriebnen Impertinenz anfaͤnglich ſoweit65 gegangen, daß ſie ſogar foderten: der Herzog ſolle den Rapport jeden Tag an ihre Prinzen einſchicken, wie wenn der Herzog von Braunſchweig Subalterngeneral des Artois oder des Pro - vence geweſen waͤre.

Nach langem Zaudern alſo denn der Befehl des Herzogs wurde nicht ſtraks befolgt zogen die Emigranten endlich aus Koblenz. Es waren ihrer mehrere tauſend. Der Abzug geſchahe des Nachts, weil ſie ſich ſchaͤmten, am hellen Tage eine Stadt zu verlaſſen, wo ſie ſo lange den Mei - ſter geſpielt hatten. Ihnen folgte vieles Lumpen - geſindel, beſonders weiblichen Geſchlechts, aus Koblenz nach. Sie nahmen ihren Weg nach Neu - wied, Limburg, Bingen und ſonſt wohin, wo vor - her ſchon alles von ihnen vergiftet worden war, und nun noch weit mehr vergiftet wurde.

Man haͤtte denken ſollen, die Koblenzer wuͤrden nach dem Abzuge der Franzoſen hoͤflicher gegen uns geworden ſeyn: aber ſie blieben grob, ja ſie wurden noch groͤber; denn ſie ſahen uns als die Urſache von der Entfernung von[Leuten] an, die zwar ihre Wei - ber und Toͤchter mit der veneriſchen Krankheit nach allen Graden angeſteckt, aber zur Schadloshaltung doch brav Geld in die Stadt und in die umliegende Gegend geſchleppt hatten.

Dritter Theil. E66

Die Geſchichte der Emigranten muß ich leider in der Folge noch mehrmals beruͤhren: und darum mags fuͤr dießmal hier davon genug ſeyn. Ich ſage nur noch: Wehe allen denen, welche ihren Aufent - halt in Deutſchlamd beguͤnſtigten!

Sechſtes Kapitel.

Begebenheiten in Koblenz und im Lager bey Koblenz.

Ich denn mein theures Individuum laſſe ich niemals aus den Augen: was waͤre das auch fuͤr eine Biographie von mir ſelbſt, wenn ich nicht im - mer auf dem Theater bliebe, oder doch hoͤchſtens nur dann und wann hinter die Kuliſſen traͤte? Alſo ich befand mich in Koblenz ganz gut, und da ich meinem Hauptmann und andern Offizieren als Dol - metſcher diente, ſobald man mit Franzoſen zu thun hatte, ſo war ich von allen Dienſten frey, und konnte meine Zeit nach Wohlgefallen anwenden. Meiſtens ſaß ich bey Emigranten im Weinhauſe oder bey einem gewiſſen Preußiſchen Feldjaͤger, welcher ein ganz heller Kopf und braver Mann war.

Eines Tages erlebte ich in Koblenz eine uner - wartete Schnurre. Ich kam fruͤh aus meinem67 Quartier und wollte aus einem Laden an der Moſel - bruͤcke Tobak holen. Eine Frau von wenigſtens 40 Jahren lag am Fenſter und rief mir zu: Wo - hin Mosjeh?

Ich: Tobak holen, Madam!

Sie: Ei, und das ſo eilig?

Ich: Allerdings, ich habe kein Korn mehr.

Sie: Kommen Sie doch ein wenig herein!

Ich thats, um zu ſehen, was Madame wollte: und da gieng unſer Geſpraͤch folgender Geſtalt fort.

Sie: Haben Sie denn keinen Schatz zu Koblenz?

Ich: Bewahre mich der Himmel vor den Koblen - zer Schaͤtzen: die Menſcher ſind ja alle veneriſch!

Sie: Das iſt auch wahr: aber es giebt doch noch welche, die nicht ſo ſind: das koͤnnen Sie mir glauben.

Ich: Ja wohl: aber wer noch nicht ganz und gar des Teufels iſt, haͤngt ſich nicht an einen Soldaten.

Sie: Warum denn nicht? Ich ſelbſt bin keine Feindinn von den Herren Preußen.

Ich ſtuzte, ſchaute der Dame ins Geſicht, und bemerkte, daß ſie beynahe keine Zaͤhne mehr hatte; folglich phyſiſch eben ſo haͤßlich war, als moraliſch: ich griff alſo nach der Thuͤre, und wollte fort, er - hielt aber nicht eher die Erlaubniß dazu, bis ich ihr verſprochen hatte, noch denſelben Tag zu ihr zuruͤck zu kommen. Ich hielt indeß mein Wort nicht,68 erzaͤhlte aber dieſen Vorfall einem Burſchen von unſerer Kompagnie, der gleich nachher hingegan - gen war, ſie aufzuſuchen, um die Stelle bey ihr einzunehmen, welche ſie mir zugedacht hatte. Der Burſche hat ſich, wie er mir eingeſtand, recht gut dabey befunden. So arg war die Delikateſſe der Koblenzer Damen abgeſtumpft!

Ueberhaupt war es ſehr leicht, bey den dortigen Damen und Mamſellen anzukommen: durch die Zuͤgelloſigkeit der Emigranten ſelbſt zuͤgellos ge - macht, trieben ſie ihre Frechheit und Unverſchaͤmt - heit ins Wilde. Eine Kaufmannstochter ich meyne hier das pockige Maͤdchen neben dem Bar - barakloſter ſagte ganz oͤffentlich, daß ſie ihre Jungferſchaft fuͤr 6 Carolins, oder 39 Thlr. an einen Franzoſen verkauft haͤtte: andere geſtanden eben ſo frey heraus, daß ſie ſo und ſo viele Lieb - haber unter den Emigrirten zugleich gehabt haͤt - ten. Nein, ſo verdorben waren die deutſchen Maͤd - chen ſonſt nie! Doch genug davon!

Nach ohngefaͤhr zwoͤlf Tagen ruͤckten wir in ein Lager, eine Stunde von Koblenz, wo der Koͤ - nig ſeine Armee muſterte. Bey dieſer Muſterung aͤußerten die groben franzoͤſiſchen Prinzen, daß dieſe Parade fuͤr Deutſche ſchon ganz gut ſey. Ich wundre mich, daß der Herzog von Braunſchweig, gegen welchen der Graf von69 Provence ſo geſprochen hat, dieſem Poltron nicht auf der Stelle eine derbe Ruͤckantwort gegeben hat: aber er ſtrafte ihn nur mit Verachtung. Man ſieht indeß, wie hoch dieſe Leutchen ſich und ihre Horde taxirten! Und doch waren eben ſie es mit, um derer willen wir uns zur Schlachtbank anſchick - ten!

Ueber den geringen Aufwand, den der Herzog machte, raͤſonnirten die Emigranten auch nicht we - nig. Sie meynten, er muͤſſe ein ſehr armer Teu - fel von Fuͤrſten ſeyn, daß er nicht mehr aufgehen ließe. Aber ſo urtheilten Menſchen, denen weiſe Sparſamkeit ganz fremde war, und die ihr Lob und ihre Groͤße in der unſinnigſten Verſchwendung ſuchten.

Der Marketender unſers Bataillons war ein Jude, der aber gar nicht anſtand, am Schabes Geld einzunehmen, Speck zu verhandeln, und was der ſieben Sachen mehr ſind, die das Moſai - ſche Geſetz den Juden unterſagt. Seine Toleranz gieng gar ſo weit, daß er nichts dawider hatte, wenn ſeine junge Ehehaͤlfte fuͤr ſechs Batzen auch einen Chriſten ihrer Reize genießen ließ. Dieſer Jude aus Neuwied hat uns indeß jaͤmmerlich ge - prellt; und zum Dank dafuͤr wurde ein Lied auf ihn anfaͤnglich ſchriftlich herumgetragen, hernach aber zu Frankfurt gedruckt, und ihm zum Schimpf70 oft vorgeſungen. Folgende Stelle zeugt von deſſen Gehalt:

Weil er (der Jude) uns alſo Menſcher haͤlt,
So denkt der Spitzbub eben,
Wir muͤßten ihm auch unſer Geld
Fuͤr ſchofle Waare geben.
Sein Bier entſetzlich ſauer iſt,
Sein Branntwein ſchmeckt, wie Pfuhl vom Miſt,
Sein Wein iſt wahrer Eſſig. u. ſ. w.

Ueberhaupt war man dießmal bey der Preußi - ſchen Armee fuͤr gute Marketen derey gar zu wenig beſorgt. Bey den Neufranken habe ich nachher dieſen Punkt weit beſſer gefunden: da hat man ordentlich angeſtellte Marketender; und ihr Ge - ſchaͤft (die Vivanderie) iſt ein Gegenſtand der Sorge des Kommiſſaͤrs. Die Waaren ſind alle taxirt, und niemand darf hoͤher verkaufen, als der geſezte Preis iſt. Man ſorgt dort auch fuͤr die Herbeyſchaffung aller benoͤthigten Waaren. Aber bey den Preußen bekuͤmmerte ſich dießmal keine Seele darum, ob ein Marketender da war, und wie er ſeine Sachen trieb. Da wurde denn der arme Soldat geſchunden, und geprellt zum Erbar - men. An dem ſchurkiſchen Patron von Neuwied haben wir die Probe mehr als zuviel gehabt. Bey unſrer jaͤmmerlichen Retirade aus Champagne iſt der Erzbetruͤger von den Franzoſen zwar ertappt,71 und rein ausgepluͤndert worden: allein dieß half der Prellerey im Ganzen nicht ab.

Ich ſagte dem Schuft einmal ſo meine Mey - nung, daß er das Bier fuͤr 12 Kreuzer verkaufte, und gab ihm die Titel, welche er verdiente. Da lief er hin zum Hn. von Mandelsloh, meinem Hauptmann, fand aber kein Gehoͤr, weil dieſer brave Mann recht wohl wußte, daß der Jude ein abgefeimter Schurke war. Alſo uͤberlief er gar den Obriſten von Hunt, welcher mir denn befehlen ließ, den ſchuftigen Juden ferner nicht mehr Schuft zu heißen. Aber wie konnte ich wider die Wahr - heit!

Im Lager bey Koblenz beſuchte mich auch Hr. Prediger Schellenberg aus Neuwied, Verfaſ - ſer einiger philologiſcher und paͤdagogiſcher Schrif - ten, und ein wuͤrdiger Schuͤler des braven Herrn Profeſſors Wolff zu Halle. Ich[habe] einige recht vergnuͤgte Stunden in Geſellſchaft dieſes ehr - lichen Freundes zugebracht. Hr. Schellenberg hatte ganz andre Gedanken von der franzoͤſiſchen Revo - lution, als ſein Landsmann, der Neuwieder Zei - tungsſchreiber, ein rechtes Pendant von dem Herrn von Schirach und von Aloyſius Hofmann zu Wieu. *)Siehe Kleinigkeiten aus der Brieftaſche Peter Roberts S. 210 u. 239 wie auch Beſchreibung der Univerſitaͤt zu Schildau

72

Bisher war das Wetter ziemlich gut geweſen, nun aber fieng es an, immer zu regnen, und das hat beynahe nicht nachgelaſſen, bis zum Winter - quartier.

An unſerm Preußiſchen Gelde haben wir den ganzen Krieg hindurch viel verloren. Wir wurden in Behmen und Sechſern bezahlt, und litten an den leztern immer. Der Behm galt z. B. im Trie - riſchen Kreuzer trieriſch; der gemeine Mann hatte daher 35 Kreuzer; an Sechſern aber nur 32 Kreuzer, denn der Sechſer galt dort nur 2 Kreuzer. Das ganze oder große Geld allein war ohne Ver - luſt; aber wer gab es uns! Die Herren Regiments - quartiermeiſter haben die Sechſer und Behmen im -*)nach Kantiſcher Lehrart verfaſſet, und allen Leibnizianern zum Troze herausgegeben von M. Franz Caſpar Cr〈…〉〈…〉 pus, Hiſtoriarum profeſſor et lib〈…〉〈…〉 orum Cenſor zu Schilda, worin von Herrn von Schirach und Aloyſius Hofmann, als ehemaligen Stockmeiſtern zu Schilda, viel Nachricht vor - koͤmmt. Der Neuwieder Zeitungsſchreiber, nebſt dem dortigen Poſtmeiſter,〈…〉〈…〉 den im〈…〉〈…〉 rtinenten Einfall gehabt haben, an den Praͤſidenten des National-Convents eine Schachtel mit einem Strick nach Paris zu ſchicken, und ihn aufzufodern, ſich daran zu hangen, bevor die damals anruͤckenden Oeſtreicher und Preußen Paris unterjochten. Daß dieſer Einfall einem Henkersgeſellen allerdings aͤhnlich ſieht, ſieht man gleich ein, aber auch, daß er ſehr erbittern mußte, und daß es folglich weit deutſch-patriotiſcher, oder uͤberhaupt kluͤger geweſen waͤre, ihn nicht auszufuͤhren. Wer weiß, ob dieſer Einfall nicht noch vorigen Herbſt auf das harte Schickſal der Neuwieder einigen Einfluß gehabt hat. Bubenſtreiche von der Art ſollten zur Zeit d〈…〉〈…〉 Krieges durch - aus nicht geſtattet werden.73 mer durch Juden und andre Helfershelfer fleißig einwechſeln laſſen, und dabey anſehnlich gewon - nen. Man hat das Unweſen wohl bemerkt, aber nicht geſteuert. Als daher im folgenden Winter bey Frankfurt am Mayn einem gewiſſen Herren Quartiermeiſter eine ſehr anſehnliche Summe ge - ſtohlen ward, ſagte ſelbſt ein General: er kann das ſchon verſchmerzen: hat er uns doch, wer weiß um wie viel, beſch en!

Frauenzimmer kamen ſehr haͤufig aus Koblenz, und beſuchten ihre Bekanntſchaften im Lager: vor - nehmere die Offiziere und gemeine die Soldaten. Da iſt es denn manchmal hergegangen, wie es konnte.

Einſtens kam auch ein Koblenzer Kanonikus zum Herrn Major von Wernsdorff, welcher mich kommen ließ, um da bey einem Glaſe Wein mit dem Hn. Kanonikus latein zu reden. Dieſer Hr. Kanonikus war ein wahrer Bon-vivant, der blos fuͤr ſeinen Bauch ſorgte, und auch nicht das geringſte auf Wiſſenſchaften oder Litteratur hielt. Si ſemel habemus praebendas, ſagte er, tunc non magis cogitamus de libri: quid enim bonum Cano - nico eſt, ſtudere? ſumus ſemel proviſi, et ſtudia ſinimus pendere in elavo. Sehr erbaulich! Doch wußte der Herr Kanonikus, daß Doktor Bahrdt ein Erzketzer und Atheiſt geweſen ſey, und machte große Augen, als ich ihm ſagte, daß Bahrdt,74 nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu glaͤubig geweſen waͤre. Als ich ihm dieß beweiſen wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem Vorwande: daß er einmal den feſten Vorſaz gefaßt habe, niemals, unter keinerley Umſtaͤnden, uͤber Religionsſachen zu ſtreiten. Bravo fuͤr alle Eſel in den Kirchen-Muͤhlen! Er hatte einen Be - kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief mitgeben wollte; aber der Brief iſt nicht geſchrie - ben worden: es war auch ſchon ſo recht: denn in Paris haͤtte ich ihn doch nicht abgeben koͤnnen. Was und wohin die vielen Blinden damals nicht alles dachten!

Von dem beruͤhmten und beruͤchtigten Eulo - gius Schneider erzaͤhlte er allerhand ſkandaloͤſe Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet, nichts weniger als ſkandaloͤs waren. Doch ich wußte recht gut, wie und wofuͤr ich die Erzaͤhlun - gen eines Koblenzer dickbaͤuchigen Kanonikus von einem Ketzer und Apoſtaten zu nehmen hatte*)Was ich uͤber Eulogius Schneider in Strasburg ſonſt erfahren habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzaͤhle ich in der Folge.

Das Volk im Trierlande iſt uͤberhaupt kein Volk, bey welchem ich leben moͤchte. Das ganze Land iſt katholiſch, und zwar recht jeſuitiſch-katholiſch; daher alle Ketzerey folglich auch alle Vernunft und75 Wahrheit, als die erſte und aͤrgſte darin wie Gift verhaßt iſt, und der Proteſtant gilt dort we - niger, als der Jude. Der Kurfuͤrſt hat zwar einige Anſtalten zur Verbeſſerung des Schulweſens tref - fen laſſen; aber die Buͤcher des Martin von Cochem und deſſen gleichen ſind noch immer die Hauptquel - len, woraus der Trierer ſeine Weisheit ſammelt. Daher ſind die Trierer abſcheulich aberglaͤubig, rennen in alle Meſſen und fuͤrchten ſich ſchrecklich vor Geſpenſtern, Kobolden und Hexen. Beyher ſind ſie alle grob und maſſiv im hoͤchſten Grade, und haben auch eine ihren derben Sitten ganz ange - meßne Sprache. Eich ſeyn, mer ben, dan hoſcht, eich hun, ehr ſan, ſe gihn*)Ich bin, wir ſind, du haſt, ich habe, ihr ſaget, ſie gehen. u. d. gl. iſt recht Trie - riſch. Ich habe ſogar Leute von Erziehung, und vornehme Frauenzimmer ſo ſprechen hoͤren. Derley grober Dialekt verſtellt aber gewiß den ſchoͤnen Mund einer Fraͤulein von Sparr, und einer Mamſell Vola. Sie ſollten ſich doch eine feinere Sprache angewoͤhnen rathe ich ohnmaßgeblich.

Ich hatte im Lager bey Luxemburg ein Lied ſo nach meiner Art auf die Trierer und das Trierland geſudelt, welches die Soldaten auswen - dig lernten, und auf dem Marſche herſangen. Ein gewiſſer Soldat, Schneider, hatte das Ding, das76 wirklich ein elendes Ding war, abgeſchrieben, und ſeiner Frau nach Halle geſchickt. Dieſe hatte es da einer Papierkraͤmerin uͤbergeben, und dieſe hatte es dort drucken-laſſen, aber ſo ſchnitzerhaft, daß man es kaum verſtehen konnte. Ich erſchrack ſehr, als ich das Ding gedruckt ſah, und mußte nachher ſogar bey einer Warnung hoͤren, daß ſelbſt der Kurfuͤrſt von Trier ſich in Gegenwart unſers Koͤniges dar - uͤber beſchwert habe. So kann ein elender Sudel, von gewinnſuͤchtigen Blaͤtter-Troͤdlern benutzt, Gelegenheit zu unangenehmen Auftritten geben! In Frankfurt am Mayn hat man es in die uͤber allen Glauben elende Sammlung ſogenannter preußiſcher Kriegslieder aufgenommen. Ich ſchaͤ - me mich noch, daß ich mich zur Baͤnkelſaͤngerey, wie Hr. Bispink dieſe meine Sudeley nachher ganz recht benannte, herabgelaſſen habe, da ich gar keine Anlage zum Versmachen in mir bemerke.

77

Siebentes Kapitel.

Marſch von Koblenz nach Trier.

Unſer Weg von Koblenz nach Trier war ſehr be - ſchwerlich: wir mußten uͤber Berg und Thaͤler, deren einige von unglaublicher Hoͤhe und Tiefe ſind. Die Sonnenhitze hat uns auf dieſem Marſche recht gemartert, aber deſto angenehmer waren uns die vielen Roͤhrbrunnen, mit dem ſchoͤnſten Waſſer, an dem dortigen Chauſſée.

Ich habe mich dann und wann nach den Ge - ſinnungen der Trierer in Ruͤckſicht der franzoͤſiſchen Haͤndel erkundiget, und jedesmal gefunden, daß ſie alles billigten, was die Franzoſen zu ihrer Selbſthuͤlfe vornahmen, und blos das tadelten, was in Abſicht der Pfafferey geſchehen war. So hatten doch die Leute, troz der großen Finſterniß, die ihre Augen benebelt hielt, eingeſehn, daß der Unterthan mit Recht verlangen koͤnne, nicht lebendig geſchunden zu werden. Eben dieſer Mey - nung waren ſogar Geiſtliche.

Auf dieſem Marſche beſuchten mich einige von meinen alten akademiſchen Freunden: ich war wirk - lich, wie im Himmel, als ich die lieben Bruͤder,78 den Hn. Amtsrath Heusner von Thronecken und den Hn. Pfarrer und Rektor Pfaͤnder von Trar - bach wieder um mich hatte. Letzterer war ehedem in Halle unter dem Beynamen Till Eulenſpie - gel bekannt, zu der Zeit naͤmlich, wo jeder Stu - dent einen Beynamen hatte, ohne dadurch beſchimpft zu ſeyn. Wir erinnerten uns beym Moſelwein an unſre Wanderſchaft im Lande der Philiſter, und erfreuten uns gar ſehr uͤber ſo manchen alten Auf - tritt. Die Schweſter des Hn. Amtsraths, ein ſchoͤnes bluͤhendes Maͤdchen, machte ſtarken Ein - druck auf einen unſrer Offiziere; und dieſer pflegte nachher noch oft, mit allem verliebten Enthuſias - mus, von ihr zu ſprechen.

Von dieſen Herren hoͤrte ich beyher, daß meine mir ehedem ſo liebe Thereſe geſtorben waͤre. Dieſe Nachricht war, wie ich unten melden werde, zwar falſch, aber das konnte ich damals nicht wiſ - ſen, und dachte mir alſo das gute Maͤdchen im Grabe, und war viele Tage niedergeſchlagen und traurig: denn ich machte mir den Vorwurf, daß der Grund ihres fruͤhen Todes vielleicht zum Theil in meinem Betragen gegen ſie gelegen ſey.

In Trier trafen wir wieder viele Emigranten an, die nun aber auch bald fort mußten. Trier war von dieſem Geſindel eben ſo, wie Koblenz vergiftet.

79

Daß ich uͤber dieſe Leute nicht zu viel geſagt habe, moͤgen meine Leſer nach Stellen beurtheilen, welche ich aus einer Apologie fuͤr die Stadt Koblenz und das Trieriſche Land nachher bemerkt habe, um meine Privatbehauptung durch ein oͤffentliches Dokument hier mitzubeſtaͤtigen. Die Apologie war dem Nationalkonvente von einem Buͤrger in Koblenz zugeſchrieben, und enthaͤlt, wie man gleich ſehen wird, noch manch andern wichti - gen Aufſchluß.

Koblenz heißt es darin hat den er - ſten Zunder zum Kriege gegeben. Es war der Sammelplatz der Koͤnigsfreunde und der Ariſtokra - ten: Monſieur und Graf Artois hatten hier ihr Hoflager aufgeſchlagen. Hier war die Zuſam - menkunft der ausgewanderten Adlichen, die nur zuſammentraten, um Frankreichs alte Regierungs - form wieder herzuſtellen, und die muthigen Ver - theidiger der Revolution zur Strafe zu ziehen.

Kaum war es bekannt, daß Monſieur und Graf Artois in Koblenz eingetroffen waͤren, ſo ſtroͤhmten die Ausgewanderten aus allen Gegenden in unglaublicher Menge dahin: Nur wenige Wo - chen, und ihre Anzahl belief ſich auf mehrere Tau - ſende. Nur wenige Monathe, und kaum ein Dachſtuͤbchen war mehr in Koblenz zu haben.

Von nun an war ſelbſt unſer Fuͤrſt kaum mehr80 Herr in ſeinem eignen Lande, er mußte ſich ge - wiſſermaßen leidend verhalten, ſo lange dieſe un - gebetenen Gaͤſte ihr Unweſen nicht zu weit trieben. Allein war wohl zu erwarten, daß dieſer Fall lange ausbleiben wuͤrde?

Buͤrger und Volksrepraͤſentanten, ihr kennet ja am beſten den Charakter dieſer elenden Hoch - verraͤther ihres Vaterlandes dieſe Wuͤſtlinge ohne Erziehung, ohne alles ſittliche Gefuͤhl, ohne Menſchengefuͤhl dieſen Auskehricht der Menſch - heit, dem jede Tugend laͤcherlich, und der Tugend - hafte und Rechtſchaffene ein Dummkopf iſt der nur das glaͤnzende Laſter als das erſte Idol anbe - tet deſſen Sinn und Streben einzig auf Be - friedigung ſeiner unbaͤndigen und abſcheulichen Lei - denſchaften, auf Tyranniſirung und Unterdruͤckung ſeines Mitbuͤrgers gerichtet iſt dem die unna - tuͤrlichſten Ausſchweifungen, die graͤßlichſten Bu - benſtuͤcke nur Spielwerk ſind! ... Ihr kennet die Prinzen, die durch ihre unſittliche Lebensart, ihre Verſchwendungsſucht und Schlemmerey ſich ſelbſt zu den verworfenſten Geſchoͤpfen herabſetzen, und wegen ihres Hanges zum Despotismus vom Fluch der Menſchheit gedruͤckt werden. Ihr wiſ - ſet, daß ihre Verachtung des ungeadelten aber nuͤtzlichen Buͤrgers, ihr dummdreiſter Stolz, der mit dem gaͤnzlichen Mangel reeller und ſolider Kennt -81 niſſe, den man uͤberall an ihnen wahrnahm, den ſeltſamſten Kontraſt machte daß ihre Vorliebe zu Ausſchweifungen jeder Art, ihre empoͤrende Immoralitaͤt, die alle ihre Handlungen bezeichnete, ihr Ingrimm und Blutdurſt gegen die ſogenannten Patrioten daß, mit einem Worte, dieß alles zuſammen genommen, ſie in den Augen eines jeden unbefangenen, rechtſchaffenen und Sittlichkeit-lie - benden Mannes zu den vollkommenſten Taugenicht - ſen brandmarkte.

So war das allgemeine Urtheil der Einwoh - ner von Koblenz und des Erzſtifts uͤber den groͤßten Theil der Ausgewanderten: Wie haͤtte ihr Betra - gen gegen dieſelben anders, als kalt, abgebrochen und zuruͤckhaltend ſeyn koͤnnen? *)Allgemeine? Freylich aller derer, welche Tugend hoͤher ſchaͤ - tzen als Gold, oder welche als Stube〈…〉〈…〉, Speiſewirthe, Weinſchenker, Geldwechsler, Wucherer, Kaufleute, Balbierer, Haarkraͤuſeler, Putzmacherinnen, Schuſter, Schneider, Kuppler, Luſtdirnen u. d. gl. von den Emigrirten nichts zu erwarten hatten. Bey welchen das Gegentheil von dieſem eintraf, die urtheilten und betrugen ſich anders, und zwar nach dem Grundſatz von Virus poſt numos. Wir haben es erfah - ren. Doch die franzoͤſiſche Nation denkt jezt wohl weniger an Koblenz noch, als an Pilnitz und Wien, oder an ein voll - guͤltiges, klingendes Suͤhnopfer von daher.

Zur Wiedervergeltung wurden wir dem Kur - fuͤrſten als Erzpatrioten geſchildert und ſo lange verleumdet und verſchrieen, bis es ihnen gelang,Dritter Theil. F82denſelben gegen ſeine eignen Unterthanen, insbeſon - dere aber gegen die Einwohner von Koblenz, mis - trauiſch zu machen.

Dieſes Mistrauen, das man tagtaͤglich mehr und mehr anzufachen nicht unterlaſſen hatte, ſtieg bis zum hoͤchſten Grade, als endlich die Staͤnde des Landes der Stimmung des Volkes beytraten.

Schon vorher hatten ſie dem Kurfuͤrſten ihren allgemeinen Entſchluß vorgelegt: daß keine Aus - gewanderte anders, als nach den Geſetzen der ſtreng - ſten Neutralitaͤt im Erzſtifte geduldet werden moͤg - ten .... Sobald ſie nachher wahrnahmen, daß der Hof in Behandlung der Ausgewanderten allzu - nachſichtig verfahre, und die Vorſchriften einer unverfaͤnglichen Neutralitaͤt nicht genau und feſt beobachte baten ſie in einer zweckmaͤßigen Vor - ſtellung den Kurfuͤrſten von neuem aufs dringend - ſte: von dem Wege der ſtrengſten Neutralitaͤt, als dem einzigen Mittel, die guten Geſinnungen und das friedfertige Benehmen der maͤchtigen franzoͤſiſchen Nation gegen das unmaͤchtige und wehrloſe Erzſtift fuͤr die Zukunft zu ſichern, nicht im mindeſten abzuweichen, noch weniger zu ge - ſtatten, daß von den Prinzen und ihren Anhaͤn - gern einige Maasregeln ergriffen oder ausgefuͤhrt werden moͤgten, welche von der Franzoͤſiſchen83 Nation zu feindſeligen Vorkehrungen ausgedeutet werden koͤnnten.

Und welchen Erfolg hatten ſowohl dieſe als die vielen nachfolgenden Vorſtellungen, deren jede, ſo wie die Gefahr des Landes ſtieg, immer frey - muͤthiger, dringender und flehender entworfen und uͤbergeben wurde?

Clemens (der Kurfuͤrſt von Trier) gehoͤrt nicht in jene Klaſſe der Regenten, die mit eindrin - gendem Blicke das Ganze einer Sache, mit ihren Verkettungen, ihren nahen und entfernten Ver - haͤltniſſen, ihren natuͤrlichen, wahrſcheinlichen und moͤglichen Folgen durchſchauen, und dieſemnach die zweckmaͤßigſten Maaßregeln ſelbſt ergreifen. Clemens legte die Sache ſeinem damaligen Mi - niſterio vor; und die Hauptperſon, die an der Spitze deſſelben ſtand, war im Solde der Prin - zen, war ihr erſter Anhaͤnger.

Ach, waͤre unſer Kurfuͤrſt durch kluge, ein - ſichtsvolle, ſeines Vertrauens wuͤrdige Maͤnner geleitet worden; ganz Europa wuͤrde ihm viel - leicht Ruhe und Gluͤck zu danken haben! Jener Krieg, einzig in ſeiner Art, wogegen die verderb - lichſten und moͤrderiſchten Kriege des Alterthums und der neuern Zeiten, als Knabenſpiele anzuſehen ſind, wuͤrde vielleicht im Keime erſtickt worden ſeyn.

84

Aber der nichtswuͤrdigſte, der verworfenſte aller Menſchen, der feilſte Sklave des Laſters und der Wolluſt, fand Gelegenheit, ſich des Vertrauens des Kurfuͤrſten in ſo hohem Grade und ſo ausſchlie - ßend zu bemaͤchtigen, daß er ſchnell von Stufe zu Stufe ſtieg und endlich den oͤberſten Poſten eines geheimen Staats - und Kabinetsminiſters erhielt.

Von nun an hatte die Wohlfahrt des Trie - riſchen Landes den Todesſtoß empfangen; von nun an wurde unſer Fuͤrſt auf alle Art unter al - len nur moͤglichen Larven aufs ſchaͤndlichſte betro - gen; von nun an darbte das verwaiste Verdienſt; beklagte der wahre Patriot das Schickſal ſeines Vaterlands!

Und wer iſt dieſer Schaͤndliche?

Duminique iſt ſein Name!

Dieſer elende Wicht, deſſen ganzes Verdienſt in einem geſchmeidigen Ruͤcken und in einer gelaͤu - figen Zunge beſteht, ſollte die Geißel des Trieriſchen Landes, ſollte die Geißel von ganz Europa wer - den!

Was konnte fuͤr einen ehemaligen Edelknaben erwuͤnſchter ſeyn, als die Ankunft der Prinzen? Was konnte dieſen kriechenden Wurm mehr kitzeln, als ihnen tagtaͤglich beym Aufſtehen die Cour zu ma - chen? Tagtaͤglich unter ihrem glaͤnzenden Gefolge einherzutreten? ſich zu ſonnen im Nimbus ihrer85 Herrlichkeit? mit Theil zu nehmen an ihren ſchwel - geriſchen Gaſtmalen und Feſten?

So was iſt ſchon allein fuͤr eine Sklavenſeele das non plus ultra des menſchlichen Gluͤcks. Aber welche blendende, welche bezaubernde Ausſicht both ihm zugleich die Zukunft dar, wenn es ihm ge - lingen ſollte, ſich in das Vertrauen der Prinzen einzuſtehlen, und ihre Gunſt in ſo hohem Grade zu feſſeln, daß er zur Ausfuͤhrung ihrer chimaͤri - ſchen Entwuͤrfe als Mitwerkzeug gebraucht wuͤrde!

Seine Parthie war auf der Stelle genommen. Von erſter Jugend auf, zu der Kunſt angefuͤhrt, ſich ja der Gnade ſeines Fuͤrſten auf alle nur moͤg - liche Weiſe zu verſichern es ja nie an ſklaviſchen Verbeugungen, kriechenden Ehrfurchtsbezeugungen und uͤbertriebnen Schmeicheleyen fehlen zu laſſen vor allem die ſchwache Seite des Fuͤrſten aus - zuſpaͤhen; ſeine Geſinnungen, Neigungen, Launen und Leidenſchaften zu ſtudiren, um ihnen zu lieb - koſen und nun endlich zu einem vollkommnen Hoͤfling gereift, was war leichter fuͤr einen Du - minique, als die Prinzen, beſonders den Artois, der als die Seele des in der Geburt begriffnen Rieſen - werks der Gegenrevolution anzuſehen war, in kur - zem ganz fuͤr ſich einzunehmen, ganz zu gewinnen, beſonders, da es ſein Poſten mit ſich brachte deſſen taͤglicher Geſellſchafter zu ſeyn; und da 86 um ja die Hauptſache nicht zu vergeſſen ihre Charaktere, ihre Geſinnungen, ihre ganze Denk - und Lebensart aufs harmoniſchte zuſammenſtimm - ten?

Duminique erſchwang ſich ohne Muͤhe zum Guͤnſtling des Artois. Er ſicherte den Prin - zen vor allem einen bequemen Aufenthalt, eine reichlich beſezte Tafel, und die damals nicht un - anſehnliche Kaſſe des Kurfuͤrſten zu ihrer Dispoſi - tion. Er ſpiegelte dem Leztern vor, daß die bruͤ - tende Gegenrevolution unmoͤglich mislingen koͤnnte daß in kurzem die Nationalverſammlung aus - einander geſprengt, und der Koͤnig und die koͤnig - liche Familie in ihre ehemaligen Rechte wieder ein - geſezt ſeyn wuͤrde machte ihn taub gegen die Stimme, die Wuͤnſche und die Beſorgniſſe des Volks; taub gegen die angehaͤuften Vorſtellungen, Bitten und Beſchwoͤrungen der Landſtaͤnde.

Hiebey blieb Duminique nicht ſtehen. Wurde die Gegenrevolution ausgefuͤhrt, welches unuͤberſehbare Gluͤck bluͤhte dem Lieblinge des Artois! Hatte er nicht Hoffnung, der erſte Miniſter Frankreichs zu werden? Und er ſollte nicht alle Kraͤfte anwenden, nicht alle Triebe und Raͤderwerke anſpannen, um dieſes große Werk in Gang zu bringen? Er ſollte nicht Himmel und Hoͤlle aufbiethen, um es zu vollenden?

87

Da war auch nicht ein Faͤſerchen in ſeinem ganzen konfiscirten Koͤrper, das nur in irgend eini - ger Verbindung mit ſeinem waͤſſrigen Gehirne ſtand, das nicht aufſtrozte und ſich anſtrengte um das Hirngeſpinnſt der Gegenrevolution aufzuſtutzen, und die Ausfuͤhrung derſelben nicht nur als moͤg - lich, ſondern als leicht den erſten Maͤchten Deutſch - lands vorzuſchildern.

Er war's, der in Verbindung mit dem Prin - zen von Naſſau, und dem beruͤchtigten Calonne, zum Vortheile der Prinzen, an allen Hoͤfen Eu - ropa's Subſidiengelder auszumitteln ſuchte, um ihre Anhaͤnger aufnehmen, beſolden und bewaffnen zu koͤnnen. Er war's, der im Namen und als Bevollmaͤchtigter der Prinzen, die Hoͤfe von Ber - lin, Wien und Petersburg bereiste, da - ſelbſt geheime Unterhandlungen eroͤffnete, alle nur moͤglichen Ueberredungskuͤnſte und Verſprechungen anwandte, um dieſe Hoͤfe fuͤr die Sache der Prin - zen zu gewinnen, und zu einer gemeinſamen Be - waffnung gegen Frankreich zu vermoͤgen.

Mit einem Worte: dieſer Schandbube war's, der zuerſt die unſelige Fackel zu dem Holzſtoße trug, der ganz Europa in lichte, alles verheerende Flammen ſetzen ſollte: dieſer Schandbube, der vielleicht in dieſem Augenblicke in allen Wolluͤſten ſich waͤlzt, und in den Armen ſeiner Luſtdirnen88 ſchwelgt indeß der irregefuͤhrte, betrogene Cle - mens ſeine Lagerſtaͤtte mit blutigen Thraͤnen nezt, mit blutigen Thraͤnen zu dem hoͤchſten Weſen um das Ende der angehaͤuften Leiden ſeiner ehemaligen Unterthanen flehet!

Buͤrger und Volksrepraͤſentanten, jezt ſpre - chet unſer Urtheil! Erwaͤget, daß wir, als un - maͤchtige und huͤlfloſe Opfer, mit Gewalt ins Ver - derben geſchleppt wurden da wir durch die Raͤnke, Kabalen und Machinationen eines treu - loſen, verabſcheuungswuͤrdigen Miniſters in den Abgrund des Verderbens geſtuͤrzt worden ſind da durch dieſen Abſchaum aller Schurken die Wohl - fahrt des Landes von Grund aus zertruͤmmert, und alle Huͤlfsquellen, um ſich endlich nach langen Jahren erholen und die ungeheuren Schulden, wo - mit das Land belaſtet iſt, tilgen zu koͤnnen, ver - trocknet ſind: entſcheidet Buͤrger und Volks - repraͤſentanten, welches Loos verdienen wir?

Das Loos der Selbſtherrſchung antwortet der Widerhall aus Gallien um durch kurzſichtige, ſchwache Fuͤrſten, und deren verſchmizte Miniſter nicht dereinſt wieder huͤlflos ins Verderben geſtuͤrzt und dann gleichguͤltig verlaſſen zu werden. Mieth - linge ſind und bleiben Miethlinge; und die Vor - mundſchaft hoͤrt auf, ſobald der Bevormuͤndete majorenn iſt, ja, majoremier, als ſein Vormundt,89 und doch dieſer, wie deſſen Sachwalter, es wa - gen, ganz nach ſyſtematiſchem Fuͤrſten-Egoismus zu des Muͤndels Untergang zu handeln.

Dieß war der Fall im Erzſtifte Trier. Die Staͤnde hier, von Clemens und Duminique nicht erhoͤrt, wendeten ſich an das Reichskammer - gericht, um ein Mandatum de abducendo milite Gallico gegen ihren Landesherrn auszuwirken. Sie ſchritten hier zur zweyten Inſtanz aus Noth, und waren dazu, nach der Reichsverfaſſung, be - rechtiget, indem dieſe den Unterthanen erlaubt, von den Austraͤgen der Fuͤrſten, troz ihres Privile - giums de non appellando, ſich an die Reichsge - richte um Huͤlfe wider ſie zu wenden. Was that nun Duminique! Man denke!

Gerade damals, 1790, ſtand Leopold II. auf der Kaiſerwahl; und da dieſe Wahl ſchon lange gedient hat, das Recht der Wahlherren uͤber das Recht des Gewaͤhlten und deſſen Untergebene kapi - tulationsmaͤßig hinauszuſetzen: ſo trug Kurtrier darauf an, daß das kurfuͤrſtliche Collegium dem kaiſerlichen Wahlkandidaten es zur Wahlbedingung machen moͤgte, Rekurſe von der eben erwaͤhnten Art abzuweiſen. Das Collegium ließ ſich bereit finden, und ſchon hieß es im 6ten § des 19ten Art. der Leopoldiſchen Wahlkapitulation: Wenn auch Landſtaͤnde und Unterthanen wider ihre Obrigkeiten90 in Privatſachen, welche die landesfuͤrſtliche Kam - mer betreffen, Klage fuͤhren: ſo ſollen und wollen wir (Kaiſer) dieſe bey ihren ordentlichen Landesge - richten entſcheiden laſſen, und (NB!) den Reichs - gerichten nicht geſtatten, uͤber ſolche Klagen, in lezter Inſtanz, wenn privilegia de non appellando vorhanden ſind, zu urtheilen.

Dieſem nach ſollte alſo der Landesherr und deſ - ſen Gerichte, in Sachen der Landesſtaͤnde und der Unterthanen gegen ihn, Beklagter und Richter zugleich ſeyn. Der Weg zum Rechte waͤre dem - nach geſperrt geweſen: denn welches Landesgericht haͤtte es wagen duͤrfen oder moͤgen, einem Landes - herrn, in deſſen Hand ihr Schickſal ſteht, Recht abzuſprechen? Die Landesherren haͤtten folglich das Recht erhalten, den Sultan ungehindert zu ſpielen, und den Fiskal zu machen fuͤr ihre Kam - mer nach Belieben, und doch von Rechtswegen. Der Zuſtand dieſer Laͤnder waͤre dadurch rechtlos, und Selbſthuͤlfe ihr erſtes Beduͤrfniß geworden. Dann aber gute Nacht Landfriede, und es lebe das Faͤuſtrecht!

Wohl indeſſen uns, daß Deutſchland in dem Reichs-Kammergerichte noch Maͤnner zaͤhlt, welche konſtitutionsmaͤßiger und konſequenter denken, als ein Duminique und ſeines Gleichen. Ich muß geſtehen erklaͤrte einer dieſes Areopags〈…〉〈…〉91 gen Kurtrior daß ich nicht begreife, wie man heutzutage auf dem Rechte, in eigner Sache Rich - ter zu ſeyn, und keinem Oberrichter davon Rechen - ſchaft geben zu wollen, beſtehen kann, und da - durch dem deutſchen Buͤrger ſein edelſtes Kleinod, gegen ſeinen Landesherrn, in jedem Falle, bey ei - nem Oberrichter Huͤlfe finden zu koͤnnen, ſo offen - bar entziehen will. Hieraus koͤnnen gerade in un - ſern Zeiten am allererſten und haͤufigſten Unruhen entſtehen.

So dieſer Edle! Ehrwuͤrdiger wird er, wenn man das weiter lieſt, was Schmelzer in der Ausgabe der erwaͤhnten Wahlkapitulation S. 153 ausfuͤhrlicher davon anfuͤhrt.

Aber nun weißt Du, lieber Deutſcher, welcher Hof und welcher Mann es war, der uns den Fran - zoſenkrieg hauptſaͤchlich zuzog: und dieß iſt hiſto - riſch - und politiſch-wichtig; Du ſiehſt, daß ich den Emigrirten nicht zu nahe trat; Und was mancher Fuͤrſ. oder Miniſter hinter dem Vor - hange, zum groͤßten Nachtheile ganzer Voͤlker zu - weilen durchſetze oder vorhabe daruͤber ſeufze und bedaure die Blindheit der Menſchen und Un - menſchen! Die Geſchichte aller Zeiten und Voͤlker meynt Schloͤzer iſt ja eine Leidensgeſchichte der von den verworfenſten, oft ſtupideſten Boͤſe - wichtern am Narrenſeil herumgefuͤhrten Nationen. 92Der Forſcher dieſer Graͤuelthaten laͤuft ja Gefahr, daß ihm daruͤber die ganze Menſchheit veraͤchtlich werde. Denn wer begreift es, daß ſich Millionen Menſchen von einzelnen Wuͤtrichen haben ſchlach - ten, von einzelnen Raͤubern haben pluͤndern laſſen! Die Feigheit dieſer Elenden iſt ja noch raͤthſelhaf - ter, als die Unmenſchlichkeit ihrer Tyrannen. *)S〈…〉〈…〉 allgem. Staatsrecht S. 103. So wahr iſt es naͤmlich, wenn der Dichter aus - ruft:

Unſelig Mittelding von Engel und von Vieh,
Du haſt Vernunft, o Menſch, und brauchſt ſie den -
noch nie!

Verzeihung fuͤr dieſe Epiſode!

Eine Stunde von Trier wurde unſer Lager auf - geſchlagen nahe an der Moſel, da, wo die Saar in dieſen Fluß einfaͤllt. In ganz Deutſchland, ſo weit ich wenigſtens darin herum geweſen bin, giebt es wohl keine ſchoͤnere Gegend, als da, wo hier unſer Lager ſtand; aber leider machte die ent - ſetzliche Hitze, daß wir den Anblick der ſchoͤnen Natur beynahe gar nicht genießen konnten. Ich erinnere mich nicht, von der Sonne jemals mehr gebrannt worden zu ſeyn, als damals; und wenn wir noch gutes Waſſer gehabt haͤtten, ſo haͤtten93 wir die Leiden der Hitze mindern koͤnnen. Aber da wurde alles Waſſer zum Kochen und Trinken aus der Moſel geholt, und dieſes war bis zum Eckel ſchlammig und unrein. Das Waſſer dieſes Fluſſes iſt an ſich ſchon ein ſchlechtes, garſtiges Waſſer, und wurde durch das ſtaͤte Pferdeſchwem - men, das Baden und Waſchen darin, noch mehr verdorben. Man denke ſich ein Waſſer, worauf der Pferdemiſt uͤberall herumſchwimmt; worin die Soldaten haufenweiſe ſich baden, und wo deren Weiber und Menſcher die ſchmutzigen Hemden aus - waſchen. Solches Waſſer kann niemand ohne großen Eckel trinken: und eben in dieſer Sauferey〈…〉〈…〉 vermehrt durch jene entſetzliche Hitze, liegt wohl die erſte Urſache von der fuͤrchterlichen Ruhr, wel - che ſo viele Menſchen in der preußiſchen Armee weggerafft hat.

In Trier bin ich einige Male geweſen, und habe mich nach dem Zuſtande der daſigen Univer - ſitaͤt erkundigt, ſie aber in einer ſehr traurigen Lage angetroffen. Ehemals ſtudierten hier Viele aus den oͤſtreichiſchen Niederlanden, aber ſeit der Verordnung Kaiſer Joſephs II, nach welcher alle Landeskinder kaiſerliche Akademieen beſuchen muͤſ - ſen, leidet Trier gar ſehr. Der Ton der Trieri - ſchen Studenten hat von dem gewoͤhnlichen Univer - ſitaͤten-Ton nicht das Mindeſte: die Leute beneh -94 men ſich wie kopfhaͤngeriſche Kloſterſchuͤler. Ich habe mit einigen dieſer Herren geſprochen, aber alles, was ſie ſagten, machte mir keine vortheil - hafte Idee von der antiquiſſima Trevirenſi. Da ich nach dem beruͤhmten Hn. von Hontheim fragte, wußten zwar einige ſo halb und halb den Namen Febronius, aber was Febronius eigentlich gelehrt habe, das wußten die guten Leutchen nicht. Doch welcher Prophet gilt in ſeinem Vaterlande! Und ſo konnte auch der große Febronius die kirchliche Aufklaͤrung ſeiner Landsleute wenig befoͤrdern. Wenn aber die Trierer durch den jetzigen Zeitton nicht geſcheuter geworden ſind, dann iſt an ihnen Hopfen und Malz verlohren. Indeß ich denke doch, ſie werden jezt nicht mehr ſo pfaffiſch und unwiſ - ſend ſeyn, als 1792.

Zum Beweiſe, daß das Trierland ein Haupt - pfaffenland ſonſt war, will ich nur anfuͤhren, daß in einem Bezirke von einer einzigen Stunde drey ſehr reiche Benediktiner Abteyen liegen. Dieſe wa - ren den Cuͤſtinianern eine ſehr willkommne Beute.

Im Lager bey Trier erhielt ich ein Liebesbrief - chen von einem Nymphchen aus Koblenz, mit der ich ſo zum Spaß und Zeitvertreib dort geſchaͤckert hatte, und die hernach wohl zehnmal zu mir ins Lager kam, und mir mit ihrer zudringlichen Zaͤrt - lichkeit ſehr laͤſtig ward. Das Maͤdchen muß nicht95 gewußt haben, wohin es ſich ſonſt wenden ſollte. Daß ich ihre Schreiberey ohne Antwort liegen ließe, verſteht ſich von ſelbſt.

Fuͤr unſre Seelen ſorgte man in dieſem Lager auch. Wir hatten naͤmlich lange keinen Gottes - dienſt gehabt, und die Herren Feldprediger der meiſten Regimenter hatten eben nicht ſehr darauf gedrungen. Aber nun ſollten auch unſre Seelen einmal wieder erquickt werden: und ſo mußten die Feldprediger an einem Sonnabend eine Predigt hal - ten, wobey man das Lied: Was Gott thut, das iſt wohl gethan abſang. Es war gegen Abend an einem hoͤchſt ſchwuͤlen Tage, und dieß machte, daß alle Soldaten alle Donnerwetter zuſammen - fluchten, daß man ſie um der ſakkermentſchen Pre - digt willen*)Ich muß in der Fortſetzung, wenn ich naͤmlich auf meinen Aufenthalt in Frankreich komme, eine noch derbere Sprache nachſprechen: alſo wird man mir auch dieſen Ausdruck, den ich aus dem Munde der Soldaten anfuͤhre, zu gute hal - ten. gezwungen haͤtte, ſich anzuziehen, und da in der groͤßten Hitze eine Stunde lang hin - zuſtehen. Die Predigten handelten von der Er - gebung in den goͤttlichen Willen, und man merkte es bald, daß ihre Kompoſition in die Hundstage fiel. Das war aber auch der erſte und der lezte Gottesdienſt fuͤr dieſen Feldzug.

96

An Singſang hat es uns auch nicht gefehlt: denn Hr. Doſt, ein Antiquar aus Halle, fiel auf den Gedanken, der Armee mit Geſangbuͤchern reli - gioͤſen Inhalts, und mit Kriegsliedern, wie auch mit einer hoͤchſt undeutſchen Ueberſetzung des braun - ſchweigiſchen Manifeſtes nachzuziehen. Die Ge - ſangbuͤcher habe ich nicht geſehen, wohl aber die in allem Betracht elenden Kriegslieder, welche er obendrein fuͤr die Arbeit unſers Feldpredigers La - fontaine ausgab, um den Wiſchen nur Kurs zu ſchaffen. Bey Luxemburg kaufte er ſich gar einen Eſel, lud dieſem ſeinen Singſang auf, und zog ſo mit nach la Lune und von da wieder zuruͤck, und ſchlief oft, wie er ſelbſt erzaͤhlt hat, mit ſeinem Brodtgefaͤhrten in den franzoͤſiſchen Schwein〈…〉〈…〉 aͤl - len. Zu Koblenz verkaufte er nachher ſein laſtbares Thier, ward krank, und kehrte um nach Halle, mit dem feſten Vorſatz, niemals wieder als geiſtlicher Makulaturtroͤdler einer Armee nachzuziehen. Jezt iſt er akademiſcher Liquermeiſter zu Halle.

Ich habe oft lachen muͤſſen uͤber die Geruͤchte, die man immer auspoſaunte und gern fuͤr baare Wahrheit gelten ließ. Bey Trier hoͤrten wir der - gleichen viele; und wenn ich mich dann, wie man ſpricht, an den Laden legte, und den Ungrund oder die Unmoͤglichkeit ſolcher Sagerey aufdeckte: ſo hieß es gleich: ich ſey ein Patriot. Aber ich freue97 mich in gewiſſer Ruͤckſicht noch, daß ich mich gleich von allem Anfang in Abſicht des Ganges dieſes trau - rigen Krieges nicht geirrt habe: einen Vorbeweis dazu findet man ſchon im II. B. S. 393 unten in der Anmerkung. Ich ſchloß damals und nachher immer nach Gruͤnden, welche mir meine geringe Kenntniß der Geſchichte an die Hand gab, und ſo mußte ich wohl richtig ſchließen: denn in der Po - litik, wie in der Natur, bringen aͤhnliche Urſachen auch aͤhnliche Wirkungen hervor; und die Men - ſchen im 14ten, 16ten und 18ten Jahrhunderte ſind ſich im Grunde gleich: man ſetze ſie alſo in gleiche Lagen, und ihre Handlungen werden auch gleich ſeyn.

Achtes Kapitel.

Emigranten-Heer. Luxemburg. Briefe. Spionen. Pluͤnderung.

Die Emigranten hatten ihr Heldenheer nun auch zuſammengeſtoppelt, und vereinigten ſich mit uns bey Trier. Wie ſtark ſie wirklich geweſen ſind, hat man nie mit Gewißheit ſagen koͤnnen: wenig - ſtens haben ſie ſich immer ſtaͤrker angegeben, als ſieDritter Theil. G98in der That waren. Sie ſelbſt haben die Menge ihrer Leute wohl nie recht gewußt wegen des ewigen Ab - und Zulaufens. Schon bey Trier riſſen ihre Soldaten haufenweiſe aus, und das nach Frank - reich, wo man ſie damals noch ohne weiteres auf - nahm: nachher haben ſie noch weit mehr verlohren: endlich nach dem Ruͤckzuge aus Champagne verliefen ſie ſich beynahe ganz ſo, daß ſie im Fruͤh - linge 1793 wieder ſo zu ſagen von neuem errichtet werden mußten.

Gegen die Mitte des Auguſtes brachen wir von Trier auf und lagerten uns nach einigen ſchweren Maͤrſchen bey dem Dorfe Montfort, welches wegen verſchiedner daherum vorgefallner merk - wuͤrdiger Bataillen bekannt iſt. Ich hatte hier Gelegenheit, die nahgelegene Stadt und Feſtung Luxembourg zu beſehen.

Das Volk in dieſer Gegend ſchien mit der oͤſt - reichiſchen Regierung eben nicht ſonderlich zufrieden zu ſeyn, und haſſet ſeine nahen Nachbaren, die Franzoſen weit weniger, als die Trierer: ſonſt aber ſind die Leute noch ſehr aberglaͤubiſch, grob und ungeſchliffen. Das Land an ſich iſt uͤbrigens vor - treflich und mit allem verſehen, was man zur Un - terhaltung des Lebens bedarf: unſere Lebensart ward daher jezt auch etwas beſſer und wohlfeiler, als bisher.

99

Die veneriſche Krankheit war hier ſehr im Gange. Sonderbar, daß man in katholiſchen Ge - genden der Liebe weit zuͤgelloſer froͤhnet, als in proteſtantiſchen. Aber die Natur will ihr Recht haben, und koͤmmt ſie erſt zur Reife, dann holt ſie das unbaͤndig nach, was vorher, als ſie noch un - reif war, die Kloſter-Aſcetik zwar zuruͤckhielt, aber nicht unterdruͤckte. Dieß gilt auch fuͤr aſce - tiſche Proteſtanten.

Naturam furca expellas, tamen usque recurret.

Bisher hatte man immer gehofft, das Mani - feſt des Herzogs von Braunſchweig wuͤrde eine gute Wirkung auf die Franzoſen haben, und uns der Muͤhe uͤberheben, in ihr Land ſelbſt einzudrin - gen. Dieſes war ſo zu ſagen, die allgemeine Er - wartung faſt aller Offiziere und Soldaten: denn dieſe alle waren ſchon jezt des Krieges muͤde.

Aber wie ſehr ſehen ſich die guten Leute in ihrer Erwartung betrogen, als ſie von der maͤchtigen Veraͤnderung hoͤrten, welche am 10ten Auguſt in Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieſes fuͤr Frankreichs und ſeines Koͤniges Schickſal ſo merkwuͤrdigen Tages zerſtoͤrte alle ihre Erwar - tungen; und nun hieß es: Jezt iſt kein Mittel: wir muͤſſen geradesweges nach Paris! die verfluch - ten Hunde, die Patrioten, muͤſſen aufgehaͤngt und geraͤdert werden. Das war nun ſchon ſo ge -100 wiß, wie Amen in der Kirche: mir aber fielen dabey immer die Nuͤrnberger ein, welche wie man ſagt, niemanden haͤngen, den ſie nicht erſt haben.

Hier erhielt ich auch Briefe aus Halle, wovon der eine mich ſehr erfreute, der andre aber auch deſto mehr aͤrgerte. Herr Bispink hatte mir naͤmlich auf einen Brief, den ich von Koblenz aus an ihn ſchickte, geantwortet, und das Schreiben dieſes edlen Freundes hatte eben den Stempel von redlicher Geſinnung, von welcher alle ſeine Handlun - gen gegen mich voll waren, und noch voll ſind. Es hat mir, ſo wie jeder Brief, den ich von ihm bekommen habe, einen recht guten Tag und recht frohe Stunden gemacht, und dieß noch aus dem Grunde, daß Hr. Bispink ſo gern mit mir ein - ſtimmte, wenn ich die Lage der Dinge und den Krieg gegen die Neufranken mit etwas andern Au - gen anſah, als man ihn damals anzuſehen gewoͤhnt war.

Der andre Brief war von einem Halliſchen Buͤrger. Es geſchah mir aber recht, daß ich auch einen ſolchen erhielt. Ich hatte lange vor meiner Abreiſe aus Halle in einer gewiſſen Kneipe*)S. Band II. S. 〈…〉〈…〉90. in Ge - ſellſchaft des mehrmals erwaͤhnten Bartolini Bekanntſchaft gemacht, und manchmal mit101 Jungfer Rieckchen, der Tochter im Hauſe, ge - ſchaͤkert. Bey meinem Abzuge mußte ich dem Maͤdchen verſprechen, dann und wann aus dem Felde an ſie zu ſchreiben; und das that ich aus dem Koblenzer Lager. Indeſſen aber hatte ſich ein gewiſſer Buͤrger aus Halle auch in derſelben Kneipe zuweilen eingefunden; und die guten Leute moch - ten glauben, das ſey ſo ein Stuͤck von Freyer fuͤr ihre Tochter. Als nun mein Brief ankam, und der Vater dieſe Correſpondenz inne ward, ſchrieb er mir in einem zwar nicht groben, aber doch etwas der - ben Tone, und verbot mir, ferner an ſeine Tochter zu ſchreiben, damit meine Briefe ihr an ihrem Gluͤcke nicht hinderlich werden moͤgten. Ich aͤrgerte mich anfangs ein wenig, nachher aber ließ ich es gut ſeyn. Allein nach unſerm Ruͤckzuge aus Cham - pangne ſchrieb mir Jungfer Rieckchen ſelbſt, ent - ſchuldigte die Grobheit ihres Vaters, und verſi - cherte mich, ich weiß nicht weſſen. Nun zog ich ſo unter der Hand einige Erkundigung ein, und ſiehe da, ich erfuhr, daß der praͤtendirte Herr Freyer abgegangen war, wie die Katze vom Taubenſchlag, und daß ich jezt gut genug ſeyn ſollte, meinen al - ten Platz in Jungfer Rieckchens Gunſt wieder einzunehmen. Das Ding gefiel mir nicht ſehr: ich antwortete alſo nicht, und der ganze Kohl hatte ein Ende.

102

Hier bey Luxemburg wurde ein Spion aufge - knuͤpft: man ſagte die Franzoſen haͤtten ihn abge - ſchickt, um unſer Lager auszuſpaͤhen.

Ich habe uͤber die Spionen und deren Beſtra - fung ſo meine ganz eignen Gedanken, und es koͤmmt mir vor, als wenn das Geſetz, welches die Spio - nen ſo geradeweg zum Strange verdammt, ſehr ungerecht ſey. Denn wenn man einen General, der ſich aller Kriegsliſte bedient, deßwegen nicht fuͤr unehrlich, und ihn noch weniger fuͤr ſtrangfaͤhig erklaͤrt, weil er durch Liſt dem Feinde zu ſchaden trachtet: warum ſoll man einen armen Teufel auf - knuͤpfen, der ſich zur heimlichen Entdeckung der Abſichten des Feindes bereden oder gebrauchen laͤßt? Man muß alles nur ſo einrichten, daß kein Spion uns durch Entdeckung deſſen, was er ſieht oder hoͤrt, ſchaden koͤnne: und dann hat die Spionerie keine boͤſe Folgen. Da gefaͤllt mir der franzoͤſiſche General Moncey, welcher die Neufranken in die - ſem Kriege gegen die Spanier anfuͤhrte, beſſer. Als dieſem 2 ſpaniſche Spionen vorgefuͤhrt wurden, ſagte der edle Mann zu ihnen: Hoͤrt ihr Leute, ich koͤnnte, wenn ich nach der gemeinen Art mit euch verfahren wollte, euch alle beyde gleich haͤngen laſſen; aber ich verachte einen Spion zu ſehr, als daß ich den - ken ſollte, aus ſeiner Hinrichtung Vortheil zu zie - hen. Geht hin zu eurem General und ſagt ihm,103 ich ſey 32000 Mann ſtark, und erwartete blos noch Verſtaͤrkung; ſobald ich die wuͤrde erhalten haben, wuͤrde ich ihn angreifen, ſchlagen, und dann Na - varra erobern. Das ſind meine Anſchlaͤge, welche euer General ohne Zweifel durch euch hat erfahren wollen. Nun koͤnnt ihr ſie ihm berichten, und ihm noch ſagen, daß wenn er kuͤnftig etwas von meinen Abſichten wiſſen wolle, er ſich nur an mich wen - den duͤrfe: ich wolle ihm allemal richtige Nachricht geben. Jezt packt euch! Ich glaube, daß der brave Moncey Recht hatte, wenigſtens handelte er edel, und es waͤre Schade, wenn dieſe edle Handlung vergeſſen wuͤrde. Es war freylich nur ein franzoͤſiſcher General; aber der Herzog von Braunſchweig hat, wie ich zu ſeiner Zeit erzaͤhlen werde, eine aͤhnliche edle Handlung ausgeuͤbt.

Von Luxemburg bis auf die franzoͤſiſche Graͤnze hatten wir noch zwey Maͤrſche, die aber gut ge - meſſen waren. Wir pluͤnderten unterwegs die Erb - ſen - und Kartoffel-Aecker, ob dieſe gleich noch im Kaiſerlichen lagen, und ruͤckten am 19ten Auguſt 1792 uͤber die Graͤnzen in Waͤlſchlotharingen ein.

Daß man uns den Tag vor unſerm Einmarſche in Frankreich es noch erlaubte, die in der Naͤhe des Lagers befindlichen Aecker der oͤſtreichiſchen Un - terthanen, wenn gleich ihr Landesherr mit uns verbuͤndet war, auszupluͤndern, war mir eine104 ſeltſame Erſcheinung. Um den Grund davon〈…〉〈…〉 - zufinden, legte ich mich auf Erkundigung, und hoͤrte: daß die Bewohner jener Gegend Neufraͤn - kiſch geſinnet ſeyen, ob ſie gleich Unterthanen des Kaiſers waͤren; und da waͤre es ſchon recht, daß man ſie etwas zuͤchtige und die Folgen des Krieges mitempfinden laſſe. Die Angabe dieſes Grundes ſchien mir damals nur ſo erſonnen; aber in der Folge habe ich gefunden, daß ſie nur gar zu ge - gruͤndet war. Auch die Unterthanen in dieſen Ge - genden litten vielen willkuͤhrlichen Druck, wie bey - nahe alle auf den Graͤnzen Frankreichs. Es war alſo natuͤrlich, daß das Entgegenſtreben dieſes Lan - des ſich zunaͤchſt auf alle die Graͤnznachbarn ver - breitete, welche den Grund des allgemeinen Auf - ſtandes in Frankreich durch eigne Erfahrung in ihrem Lande kennen gelernt hatten. Es konnte demnach nicht anders ſeyn, als daß man auch aͤhn - liche Wirkung da finden mußte, wo aͤhnliche Ur - ſache vorausgegangen war. Und wer ſteht uns da〈…〉〈…〉 r, daß dieß nicht noch weiter greifen wird! Den Krieg der Neufraͤnkiſchen Waffen kann man beendigen, aber nicht den Krieg ihres Syſtems. Dieß hat ſo viel unverſoͤhnliche Verbuͤndete, als es Deſpotiſch-Bedruͤckte giebt, und helle warme Menſchenfreunde, zumal in Laͤndern von Fuͤrſten, welche es behaglicher finden, den Schlendrian des105 Orientaliſchen und Longobardiſchen Deſpotismus unbekuͤmmert fortzuſetzen, ohne die fuͤr ihr eignes Intereſſe ſo wichtige Wahrheit einzuſehen: Daß kein Fuͤrſt groß, maͤchtig, gluͤcklich und ſicher ſeyn kann, wenn er nicht vernuͤnftige Voͤlker gerecht regiert. *)Man erwaͤge die XLVIIIte Seite der Vorrede zu der Sammlung erbaulicher Gedichte fuͤr alle die, welchen es Ernſt iſt, das Wohl ihrer Unterthanen, Unter - gebnen und Mitmenſchen nicht nach dem wankenden Tiger - und Fuchs-Geſetze des Staͤrkern oder Liſtigern zu untergraben, ſondern nach dem ewigfeſten und ewigheiligen Geſetze der Gerechtigkeit und der Menſchenliebe vaterlich und bruͤderlich zu foͤrdern, und dadurch Zutrauen, Ruhe und Menſchenwohl, ſowohl von Seiten der Obern als der Unterthanen, in Friede und Einigkeit gemeinſchaftlich zu begruͤnden und zu erhalten. Altona, 1796.

Neuntes Kapitel.

Einfall in Frankreich. Anfang alles Elendes.

Der 19te Auguſt war der Tag, an welchem wir in Frankreich einruͤckten: und dieſen Tag werde ich nicht vergeſſen, ſo lange mir die Augen aufſtehen. Als wir fruͤhe aus unſerm Lager aufbrachen, war das Wetter gelinde und gut; aber nach einem Marſche von zwey Meilen mußten wir Halt ma -106 chen, um die Kavallerie und Artillerie vorzulaſſen; und waͤhrend dieſes Halts fieng es an, jaͤmmerlich zu regnen. Der Regen war kalt und durchdrin - gend, ſo daß wir alle rack und ſteif wurden. End - lich brachen wir wieder auf, und poſtirten uns naͤchſt einem Dorfe, das Brehain la ville hieß, eine gute Meile von der deutſchen Graͤnze.

Der Regen waͤhrte ununterbrochen fort, und weil die Packpferde weit zuruͤckgeblieben waren, indem ſie wegen des gewaltig ſchlimmen Weges nicht voran konnten, ſo mußten wir unter freyem Himmel aushalten und uns bis auf die Haut durch - naͤſſen laſſen. Da haͤtte man das Fluchen der Offiziere und Soldaten hoͤren ſollen!

Endlich wurde befohlen, daß man einſtweilen fuͤr die Pferde furaſchiren und aus den naͤchſten Doͤrfern Holz und Stroh holen ſollte.

Das Getraide ſtand noch meiſtens im Felde, weil dieſes Jahr wegen des anhaltenden Regens die Ernte ſpaͤter, als gewoͤhnlich, gefallen war. Das Furaſchiren gieng ſo recht nach Feindes Art: man ſchnitt ab, riß aus und zertrat alles Getreide weit und breit, und machte eine Gegend, worauf acht bis zehn Doͤrfer ihre Nahrung auf ein ganzes Jahr ziehen ſollten, in weniger als einer Stunde zur Wuͤſteney.

107

In den Doͤrfern gieng es noch abſcheulicher her. Das unſerm Regimente zunaͤchſt liegende war das genannte Brehain la ville, ein ſchoͤnes, großes Dorf, worin ehedem ein ſogenannter Bailli du roi ſeine Reſidenz gehabt hatte. Um durch Laufen mich in Waͤrme zu ſetzen, lief ich mit vielen andern auch nach dieſem Dorfe, wo wir Stroh und Holz holen ſollten. Ehe aber dieſe Dinge genommen wurden, durchſuchten die meiſten erſt die Haͤuſer, und was ſie da anſtaͤndiges vorfanden, nahmen ſie mit, als Leinwand, Kleider, Lebensmittel und andere Sachen, welche der Soldat entweder ſelbſt brauchen, oder doch an die Marketender verkaufen kann. Was dazu nicht diente, wurde zerſchlagen oder ſonſt verdorben. So habe ich ſelbſt geſehen, daß Soldaten vom Regimente Woldeck in eben dieſem Dorfe ganze Service von Porcellan im Pfarrhofe und anderwaͤrts zerſchmiſſen: alles Toͤ - pferzeug hatte daſſelbe Schickſal. Aufgebracht uͤber dieſe Barbarey, ſtellte ich einen dieſer Leute zur Rede: warum er einer armen Frau, troz ihres bit - tern Weinens und Haͤnderingens, das Geſchirr zer - ſchmiſſen und ihre Fenſter eingeſchlagen habe? Aber der unbeſonnene, wuͤſte Kerl gab mir zur Antwort: was Sakkerment, ſoll man denn hier ſchonen? Sinds nicht verfluchte Patrioten? Die Kerls ſind ja eigentlich Schuld, daß wir ſo viel ausſtehen108 muͤſſen! Und damit giengs mit dem Ruiniren im - mer vorwaͤrts. Ich ſchwieg und dachte ſo mein Eignes uͤber das Wort: Patriot in dem Munde eines Soldaten.

Die Maͤnner aus dieſen Doͤrfern hatten ſich alle wegbegeben, und blos ihre Weiber zuruͤckgelaſſen, vielleicht, weil ſie glaubten, daß dieſe den ein - dringenden Feind eher beſaͤnftigen koͤnnten. Aber der rohe Soldat hat eben nicht viel Achtung fuͤr das ſchoͤne Geſchlecht uͤberhaupt, zumal bey Feind - ſeligkeiten, und es giebt wuͤſte Teufel unter dieſen Leuten, welche einem Frauenzimmer allen Drang anthun koͤnnen, die aber vor jedem Mannsgeſicht aus Feigheit gleich zum Kreuze kriechen. Ich habe davon einmal eine Probe geſehen bey Homburg an der Hoͤhe, in einem Dorfe. Es kam hier naͤmlich ein Offizier vom Regiment Hohenlohe in ein Haus, worein ich getreten war, um Waſſer zu trinken. Mit dem groͤßten Ungeſtuͤm foderte er Butter oder Kaͤſe, und als ihn das Maͤdchen verſicherte, daß ſie weder das eine, noch das andere haͤtte, ward er grob, und ſagte: Euer Haus ſollte man Euch anſtecken, ihr verfluchtes Patrioten-Grob! u. ſ. w. Dieß hoͤrte des Maͤdchens Bruder vor der Thuͤre, trat hinein und ſchaute dem Hn. Leutnant ins Geſicht: Herr, was raͤſonnirt Er da von Pa - trioten-Grob? Den Augenblick zur Thuͤr hinaus,109 oder ich ſchwuppe ihn hier herum, wie einen Tanz - baͤr! Dieß ſagte er, und der Hr. Leutnant ſchob ab, und ſagte kein Wort. Mich hatte er nicht be - merkt, denn ich ſaß hinterm Ofen. Dieß im Vor - beygehen!

Unſere Leute hatten auf den Doͤrfern die Schaf - huͤrden und Schweinſtaͤlle geoͤfnet; und ſo ſah man auf den Feldern viele Schaafe und Schweine herum laufen. Dieſe wurden, wie leicht zu denken ſteht, haufenweiſe aufgefangen und nach dem Lager ge - ſchleppt. Ich muß geſtehen, daß ich mich auch unter den Haufen der Raͤuber miſchte, und ein Schaaf, nach meinem Zelte brachte: ich dachte, wenn du's nicht nimmſt, ſo nimmt es ein anderer oder es verlaͤuft ſich: und dieſer Grund beſtimmte mich, an der allgemeinen Pluͤnderey Theil zu neh - men. Der rechte Eigenthuͤmer, dachte ich ferner, ge - winnt doch nichts, wenn auch ich ſein Eigenthum nicht beruͤhre; ja, ich werde alsdann noch oben - drein fuͤr einen Pinſel gehalten, der ſeinen Vortheil nicht zu benutzen wiſſe. Kurz, alle Imputabilitaͤt des Pluͤnderns gehoͤrt, wie mich duͤnkt, fuͤr die Aufſeher uͤber die Disciplin und den Lebensunterhalt: dieſe haben zunaͤchſt alles zu verantworten.

Das Haͤmmel - und Schweinefleiſch wurde ge - kocht, oder an den Saͤbel geſteckt, und ſo in der Flamme gebraten, und hernach ohne Brod und ohne110 Salz verzehrt; denn das Brod war uns auch aus - gegangen; und zwar hier zum erſtenmal fuͤhlten wir Brodmangel, der uns nach dieſer Zeit noch oft betroffen und bitter gequaͤlt hat, wie die Folge dieſer Erzaͤhlung ausweiſen wird.

Das Dorf Brehain la ville, und alle andre in deſſen Naͤhe, ſahen bald aus, wie Raͤu - berhoͤlen; ſelbſt das Dorf nicht ausgenommen, worin unſer Koͤnig logirte.

Endlich, als es bald dunkel war, kamen die Zelter an, worin wir uns durchnaß und uͤberaus beſudelt niederlegten, und auf dem naſſen Boden und Stroh eine garſtige Nacht hinbrachten. Die Burſche, welche auf der Wache waren, gingen des Nachts von ihrem Poſten in die Doͤrfer auf Beute.

Das abſcheuliche kaͤltende Wetter und das ſchlechte naſſe Lager hatten die Folge, daß ſchon am andern Tage gar viele Soldaten zuruͤck in die Spitaͤler gebracht werden mußten, weil ſie das Fieber hatten, und nicht mehr mitmarſchieren konnten.

Ob unſre Vorgeſezten das Rauben und Pluͤn - dern nicht verboten, und dieſem Unweſen nicht Ein - halt gethan haben? Allerdings haben das viele gethan, aber nicht alle, und die, welche es noch thaten je nun, die ſahen nicht alles, oder ſie111 wollten nicht alles ſehen. Es hieß: wir ſind ja einmal in Feindes Landen: wer etwas erwiſchen kann, dem iſts nicht groß zu verargen, zumal beym Mangel. Ueberdieß iſt's ja ein Wetter zum Kre - piren: wer kann da uͤber den Soldaten zuͤrnen, wenn er boͤſer Laune wird! u. ſ. w.

Die armen Leute in den Doͤrfern, welche ſich nun ihres Auskommens auf lange Zeit beraubt ſahen, ſchlugen die Haͤnde zuſammen und jammerten er - baͤrmlich: aber unſre Leute ließen ſich von dem Angſtgeſchrey der Elenden nicht ruͤhren, und lachten ihnen ins Geſicht, oder ſchalten ſie Patrioten und Spizbuben.

Ein Offizier von dem Regimente Romberg, hatte es ſogar gern geſehen, daß ſein Calefactor*)So heißen die Preußiſchen Offizierbediente. einem franzoͤſiſchen Bauer deſſen Pferd genommen hatte. Es gefiel ihm, und er nahm es gegen ein kleines Gratial zu den ſeinen. Er glaubte, das Pferd gehoͤre auch zu den Kriegsgeraͤthſchaften; und da nun befohlen ſey, daß man den franzoͤſiſchen Landleuten und uͤberhaupt allen dortigen Einwoh - nern alle Munition nehmen ſollte, ſo meynte er, koͤnnte er ja auch das Pferd mit dazu rechnen, und es behalten. Aber der Herzog von Braun - ſchweig ließ den Syllogismus des Hn. Leutnants112 nicht gelten, und zwang ihn, nicht nur das Pferd dem Bauer zuruͤck zu geben, ſondern er ließ ihn noch obendrein in die Wache ſtecken. Doch wurde die Logik mancher Herren dadurch nicht viel geaͤndert: denn in der Folge haben Einige noch gar manches Pferd auf dieſe Art ſich zugeeignet.

Wegen des Pluͤnderns hoͤrte ich noch am naͤm - lichen Tage zwey Offiziere es war ein Kapitaͤn und ein Major dieß mit einander reden:

Major: Aber, bey Gott, es iſt doch eine Schande, daß gleich am erſten Tage unſers Einmarſches ſolche Graͤuel veruͤbt werden!

Kapitaͤn: O verzeihen ſie, Hr. Obriſtwacht - meiſter, das iſt eben unſer Hauptvortheil, daß dieſes gleich geſchieht.

Major: Nun, laſſen ſie hoͤren, wie und warum!

Kapitaͤn: Sehn ſie, das geht heute vor, und zwar etwas ſtark, ich geſtehe es: aber nun macht das auch einen rechten Laͤrm in ganz Frankreich. Jeder ſpricht: ſo machens die Preußen! So pluͤn - dern die Preußen! So ſchlagen die Preußen den Leuten das Leder voll!

Major: Das iſt eben das Schlimme, daß man nun ſo in ganz Frankreich herumſchreyen wird! Das wird uns warlich wenig Ehre machen.

Kapitaͤn: Ey was Ehre! Es ſchreckt doch die113 Patrioten ab. Sie werden denken: Machen's die Preußen ſchon am erſten Tage ſo: was werden ſie noch thun, wenn ſie weiter kommen? Da wer - den die Spitzbuben deſto eher zum Kreuze kriechen.

Major: Meynen Sie? Nein, mein Lieber, es wird die Nation erbittern, und ſelbſt die wider uns aufbringen, die es bisher noch gut mit uns gemeynt haben. Und wirklich, das heißt doch nicht Wort halten!

Kapitaͤn: Wie ſo, Hr. Obriſtwachtmeiſter?

Major: Hat nicht der Herzog im neulichen Manifeſte den Franzoſen verſprochen, daß er als Freund kommen, und blos die Herſtellung der innern Ruhe zum Zweck haben wollte? Das heißt aber ſchoͤn als Freund kommen, wenn man die Doͤrfer auspluͤndert, die Felder abmaͤhet, und Leu - ten, die uns nichts gethan haben, das Fell aus - gerbt! Pfuy, Pfuy!

Kapitaͤn: Das iſt aber doch Kriegsmanier!

Major: Der Teufel hole dieſe Kriegsmanier! Ich ſage und bleibe dabey: das heutige Benehmen unſrer Truppen und ihr verdammtes Marodiren wird uns mehr ſchaden, als wenn wir eine Schlacht verloren haͤtten.

Kapitaͤn: Herr Obriſtwachtmeiſter, inner - halb drey Wochen iſt die ganze Patrioterey am Ende:Dritter Theil. H114in drey Wochen iſt Frankreich ruhig, und wir haben Friede. Wollen Sie wetten? Ich biethe 10 Louis - d'Or.

Major: Topp: wenn in drey Wochen Friede iſt, ſo haben Sie gewonnen!

Der Hauptmann ſchlug ein, und zahlte hernach bey Luxemburg auf dem Ruͤckzuge zehn Louis d'Or.

Der Herzog erfuhr die Pluͤndereyen nicht ſo bald, als er ſie gleich aufs ſchaͤrfſte unterſagen ließ. Allein was halfs! Anfangs folgte man; aber her - nach, beſonders auf dem Ruͤckzuge, gings, troz man - cher exemplariſcher Beſtrafung, oft ſehr arg.

Sogar Weiber ließen ſich beygehen, in die Doͤr - fer zu laufen und da zu marodiren. Wir hatten naͤm - lich einige ſolcher Kreaturen denn Kreaturen ſind es immer, und zwar von der allerverworfen - ſten Claſſe, welche ſich entſchließen, einer Armee nachzurennen: wer ihrem Unweſen nur je zuſah, weis gleich, warum. Alſo ſolche Kreaturen, groͤß - tentheils unverehlichte Menſcher, welche ſich an Soldaten gehenkt hatten und ſo mitzogen, maro - dirten derb, und dieß ſchon in den Trieriſchen und Luxemburgiſchen Doͤrfern und Feldern. Da be - fahl denn der Herzog, daß ſie kuͤnftighin jedesmal von den Profoſen der Regimenter gefuͤhrt werden ſollten.

115

Ein Preußiſcher Profos iſt aber eine gar traurige Perſonnage. Der Kaiſerliche Profos iſt ein ange - ſehener Mann, welchen die Soldaten und Offiziere ihren Herr-Vater heißen. Ich habe einige von dieſen kennen lernen, und beſonders an dem Hn. Vater des Regiments Terzi, welches im Winter 1795 in Freyburg ſtand, einen ſehr artigen feinen Mann gefunden, der etwas ſtudirt, und den Kopf auf dem rechten Fleck ſitzen hatte. So ein Profos hat auch gutes Traktament, und artige Kleidung. Hingegen ein Preußiſcher iſt gewoͤhnlich ein alter Invalide, der ſchlechten Sold erhaͤlt, und eine aus - gezeichnete Uniform traͤgt, grau mit gruͤner Gar - nitur; auch keinen Steckenjungen hat, der die Ge - fangnen ſchließe, oder die Stecken und Ruthen ſchneide u. dgl. das muß der preußiſche Profos alles ſelbſt thun. Daher iſt er auch bey jedem Sol - daten verachtet und verſpottet; keiner trinkt mit ihm, und er darf ſich nicht unterſtehen, in ein Wirths - haus, oder in eine Marketenderhuͤtte zu kommen, wo Soldaten ſind: ſogar die Packknechte wollen den Profos nicht um ſich leiden. So warf einſt unſer Packknecht Rohkohl unſern Profos bey Landau aus der Bierbude, mit dem Zuſatz: der Kerl will ſich unter honette Leute miſchen! Wenn man endlich weiß, daß auch die Packknechte von den Soldaten verachtet, und bey jeder Gelegenheit mis -116 handelt werden, ſo kann man ſich ſo ziemlich den Begriff machen, was der arme Profos bey den Preußen gelten muͤſſe.

Die Weiber, oder vielmehr die Menſcher der Armee wollten nun ſchlechterdings das Kommando der Profoſe nicht anerkennen, und widerſezten ſich ihnen aufs thaͤtigſte: kurz, ſie betrugen ſich ſo, daß man genoͤthigt war, das Kommando uͤber ſie einem Unteroffizier aufzutragen. Aber auch dieſe Anſtalt ging bald wieder ein, und die Nickel marodirten wieder, wo und wie ſie wollten.

Ich ſehe in Halle jezt noch oͤfters eine von dieſen Kreaturen, welche ehedem als ein rechter Teufelsbeſen alle Loͤcher und Hurenkeller durchkro - chen iſt. Dieſe hing ſich beym Ausmarſche nach Frankreich an einen Soldaten, und verdiente ſich durch ihre Induſtrie, welche ſie beſonders im Ma - rodiren bewies, ſo viel, daß ſie jezt eine vollſtaͤndige Wirthſchaft beſizt, und einen ihrer Galane hat heu - rathen koͤnnen. Daß ich dieſem abgefeimten Nickel nicht zu viel thue, will ich nur durch einen Vorfall erhaͤrten, wobey ich Zeuge war. Ich befand mich mit einem ſehr braven Offizier ohnweit Grand - pre in einem Dorfe, wo ich dieſes Menſch einem armen Maͤdchen von 10-12 Jahren die Schuͤrze und das Mieder mit Gewalt ausziehen ſah. Ich wollte abwehren, aber die Niedertraͤchtige hatte117 Unterſtuͤtzung von einigen Soldaten des Regiments von Woldek: ich rief daher den Offizier, welcher dieſe Natter mit derben Hieben zwang, dem Maͤd - chen, das jaͤmmerlich ſchrie, ſeine Sachen zuruͤckzu - geben.

Wie hier, ſo hat dieſe Verſchmizte ihr raͤube - riſches Handwerk faſt uͤberall getrieben, nebſt jenen andern, welches ſich denken laͤßt: und ſo koſtet es ihr noch keinen Heller, wenn ſie dieſen oder jenen Nebengalan mit Zeug zu Kleidungsſtuͤcken und dergleichen verſieht, oder nichts an ſich ſpahrt, um wenigſtens durch Kleider, Gang und Koketten - mine noch etwas zu gelten.

So alſo trieben es unſere Soldaten, ſo auch deren Weiber und Menſcher! Auftritte von dieſer Art waren daher nicht ſelten, und ich werde nicht ermangeln, ſie in der Folge gehoͤrigen Orts anzu - bringen, und dieß, damit man wiſſe, daß die Deutſchen in Frankreich das erſt thaten, was die aufgebrachten Franzoſen nachher in Deutſchland dafuͤr wieder thaten. Haͤtten die meiſten unſerer deutſchen Zeitungsſchreiber, Journaliſten und Al - manachsſchmierer das Betragen der Neufranken nach dem gleichartigen Betragen der Deutſchen etwas kaͤlter gewuͤrdiget und ſie anfaͤnglich nicht immer wie blinde Kanibalen zu tief herabge - ſezt: ſo haͤtten die meiſten unſrer deutſchen Fuͤr -118 ſten, wie ihre Miniſter, wohl etwas heller drein geſehn, und haͤtten dann es gewiß nie ſo weit kom - men laſſen, daß ſie, meiſt fluͤchtig, und nach dem Ruin ihrer Laͤnder, endlich ſich genoͤthigt ſehen, unter jeder, auch noch ſo nachtheiligen oder ſchimpf - lichen Bedingung, in aller fuͤrſtlichen Herablaſſung und Bloͤße, um Frieden gleichſam zu betteln bey denen, welche ſie vorhin, wer weis wie tief, ver - achteten. Und das waren denn die Fruͤchte von der verteutſchten Deutſchheit!

Ich bedaure, daß ſelbſt einer meiner Freunde, Hr. Braun, Pfarrer zu Oppenheim, in einem ziemlich dicken Buche, unter dem Titel: Das Betragen der Franzoſen in der Rheini - ſchen Pfalz die Neufranken aufs haͤßlichſte geſchildert hat. Ich will gern glauben, daß Hr. Braun, deſſen Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit mir bekannt iſt, ſeine Nachrichten von glaubwuͤr - digen Maͤnnern erhalten, und keine Erdichtungen eingemiſcht hat: dennoch blickt eine gewiſſe Ani - moſitaͤt gegen die Frankreicher, wie er die Franzo - ſen, nach Girtanner, nennt, aller Orten durch. *)Hr. Paſtor Braun hatte, wie mancher andere Prediger, auf Vorſchrift der Regierung, den Bauren-Aufſtand mitge - prediget. Er fand es daher, als die Neufranken die Pfalz occupirten, nicht heilſam, in Oppenheim zu bleiben, und fluͤch - tete uͤbereilt nach Hanau. Hier war ſeine Lage kuͤmmerlich, alſo nicht die heiterſte; und in dieſer Lage ſchrieb er das vor - hin erwaͤhnte Buch, nebſt jenen Briefen uͤber die Frankrei -119Das aber wuͤrde nicht geſchehen ſeyn, wenn Hr. Braun auch das vorhergegangene Benehmen der Deutſchen gegen die Frankreicher genauer gewußt oder gewuͤrdiget haͤtte. Da wuͤrde er nach dem Spruch des Horatius geſehen haben, wie Illiacos intra muros peccatur et extra, und dann haͤtte er gewiß minder ſtreng von Leuten geſchrieben, welche von den Deutſchen ja erſt auf mehr als eine Art arg gekraͤnkt waren. Ich haſſe zwar die franzoͤſiſchen Raͤuber und ihre Barbareien in der Pfalz ſo ſehr, als Hr. Braun: denn ich bin ja ſelbſt ein Pfaͤlzer: aber die Invaſion und die Raͤubereien der Deutſchen in Lotharingen und in Champagne kann ich auch nicht loben. Man muß jedem ſein Recht wiederfahren laſſen, dem Deut - ſchen und dem Franzoſen, und das darum, damit wir ſelbſt billiger und toleranter werden, und uns ſo gegenſeitig deſto eher wieder ausſoͤhnen. Wenn ich alſo dann und wann auf Hn. Brauns Buch Ruͤckſicht nehme, ſo wird der brave Mann dieß mir nicht verargen: denn es geſchieht gewiß nicht*)cher, welche Girtanner in ſeinen politiſchen Annalen und in den Revolutions-Charakteren geliefert hat. Ließt man damit ich das nebenher erinnere hier die Vorrede, ſo ſieht man, daß Girtanner recht gut wußte, wie ein hiſtoriſcher Schriftſteller ſeiner Art zu verfahren habe: ließt man aber ſeine Produkte in dieſem Fache ſelbſt, ſo ſieht man, daß der Koburgiſche Herr Hofrath die Hofmanier nicht unter der Wuͤrde eines Schweizers fand.120 aus Geringſchaͤtzung ſeiner Abſicht oder ſeiner Arbeit, ſondern blos, um den uͤbertriebnen, gehaͤſ - ſigen Eindruck etwas zu mildern, welchen ſein aufgeſtelltes Gemaͤlde bey allen nicht recht unter - richteten Leſern vielleicht gemacht hat.

Zehntes Kapitel.

Beſitznehmung von Longwy.

Am 20ten Auguſt hatten wir ſchoͤnes Wetter: allein wir wurden doch erſt gegen Abend voͤllig trocken, weil wir den Tag vorher gar zu naß ge - worden waren.

Der Herzog befahl, erſt Brod herbey zuſchaf - fen, ehe das Lager aufgebrochen werden ſollte; und dieſes hinderte uns, fruͤh aufzubrechen.

Als wir das Lager geraͤumt hatten, lag alles voll Schafshaͤute und Kaldaunen von Schafen und Schweinen, welche den Tag vorher geſchlachtet waren; eben ſo verhielt es ſich mit den Federn von den geraubten Huͤnern und Gaͤnſen.

An eben dieſem Tage forderte der Herzog von Braunſchweig mit einer nicht ſtarken Avantgarde121 die Feſtung Longwy auf. Dieſes Staͤdtchen iſt ſehr artig gebaut, und hat treffliche große Haͤuſer und einige ſchoͤne oͤffentliche Gebaͤude. Die Be - feſtigungswerke ſind von dem beruͤhmten Vauban. Longwy iſt betraͤchtlicher als Verdun, ob es gleich viel kleiner iſt.

Bey der erſten Auffoderung weigerte ſich der Kommandant, das Staͤdtchen aufzugeben; als aber das grobe Feuren hinzukam, da drang die Buͤrger - ſchaft auf die Uebergabe, damit das Oertchen nicht ganz zerſchoſſen werden moͤgte: und ſo kam dieſe Feſtung in die Haͤnde der Preußen. Longwy haͤtte ſich zu der Zeit ohnehin ſchwerlich ſo lange halten koͤnnen, bis Entſatz gekommen waͤre. Die Ueber - gabe dieſes Platzes, und der Feſtung Verdun ha - ben indeß eigentlich viel Ungluͤck uͤber die deutſchen Armeen verhaͤngt: denn waͤren die Franzoſen hier nur ſtandhafter geblieben, und haͤtten ſie uns mehr dabey beſchaͤftiget, ſo waͤren wir nicht ſo weit vor - gedrungen, und haͤtten wenigſtens beſſere Anſtalten fuͤr unſre Erhaltung getroffen.

Wir hatten unſer Lager an einem ſchoͤnen Ge - hoͤlze, aber innerhalb 8 Tagen war das ganze Holz zuſammengehauen, und verbrannt. Es hatte ehe - mals zu einer Abtey gehoͤrt.

In die umliegenden Doͤrfer wurden zwar Sal - vegarden gelegt: dieſes aber hinderte nicht, daß122 auch ſie nicht rein ausgepluͤndert wurden. Die Felder wurden obendrein weit und breit furaſchirt.

Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, als wir bey Longwy ſtanden, ſchlecht: es regnete ohne Un - terlaß; und der Boden, welcher in Lotharingen oh - nehin uͤberall ſteif und leimigt iſt, war beinahe ganz ungangbar: er hing ſich an, wohin man nur trat. Die Lebensmittel waren hier ſehr theuer, und das Brod, welches die franzoͤſiſchen Bauern uns zu - ſchleppten, muſte faſt mit Geld aufgewogen wer - den.

Dem wuͤrdigen Herrn von Hunt, Obriſten un - ſers Regiments, muß ich es hier nachruͤhmen, daß er bey uns gute Mannszucht hielt in Ruͤckſicht auf das Furaſchiren. Es wurde uns ſchlechterdings nicht geſtattet, die Felder auszupluͤndern, oder in den Doͤrfern auf Beute auszugehen. Der Herr Major von Wedel trug das Seinige auch redlich bey, den armen Landleuten Schonung zu verſchaf - fen: Beyde hatten mehrere gutdenkende Offiziere dabey zu Gehuͤlfen. Andre Regimenter nahmen das Ding doch ſo genau nicht; und die Felder ſind den - noch geleert worden, obgleich ein und das andre Regiment keine Kartoffel, Moͤhre u. d. gl. beruͤh - ren durfte.

Unſer Hauptmangel war an gutem Waſſer. In dieſen Gegenden iſt das Waſſer uͤberhaupt123 ſchlecht; und die elende Koſt mit dem Mangel an gutem Getraͤnke verbunden, dann das traurige Wetter, nebſt der anhaltenden Kaͤlte, vermehrten die Krankheiten ohne Aufhoͤren: tagtaͤglich brachte man von unſern Kameraden mehrere ins Lazareth nach Longwy, von welchen aber nur wenige zuruͤck gekommen ſind.

Die Emigrirten hatten unter andern uns vorge - ſchwazt, daß die Franzoſen vor lauter politiſchem Trubel den Ackerbau faſt gar nicht mehr betrieben. Daß aber dieſes eine offenbare Luͤge war, habe ich ſelbſt bald geſehen, wie alle unſre Leute. Das ganze Land in Lotharingen, und in dem kleinen Laͤndchen Clermontois, ja ſogar in dem armen un - fruchtbaren Champagne zeigte das Gegentheil: Der Ackerbau bluͤhte hier ſichtbar; die Gaͤrten wa - ren gut angelegt, und die Doͤrfer verriethen den Fleiß und den Wohlſtand ihrer Bewohner.

Ich habe mich mit Lotharingern mehrmals un - terhalten, und mit Vergnuͤgen vernommen: daß ſie durch die Revolution von jeder Seite durchaus gewonnen haͤtten. Die ſchrecklichen Abgaben, ſag - ten ſie, waͤren nicht mehr; jezt koͤnnten ſie auch an ſich denken, bauen, Andern aushelfen, ihres Le - bens, wie ihrer Arbeit froh werden, einen Noth - pfennig erſparen; die vielen Acciſen haͤtten aufge - hoͤrt; das grobe Wild verwuͤſtete ihre Fruchtfelder124 nicht weiter: kurz, ſie fuͤhlten jezt, daß ſie Men - ſchen waͤren, und nicht mehr Sklaven des Edel - manns und der Prieſter. etc. etc.

Man muß, duͤnkt mich, bey einer Revolution nicht die vornehmen Kaſten der Staͤdter, noch weni - ger, die Kaufleute, Juden, Wucherer, beſoldete Gelehrte, und Dienſtleute, am allerwenigſten dieje - nigen fragen, welche blos vom alten Syſteme, von den Vorurtheilen, dem Aberglauben und von dem Luxus der Nation ſich zu naͤhren vorher gewohnt waren. Dieſe Leute ſind alle nicht in der Lage, ei - nen richtigen Begriff von der Staatsaͤnderung an - zugeben: denn ſie haben dabey verlohren, und ihr Verluſt hindert ſie, den Gewinn des Ganzen gehoͤ - rig zu wuͤrdigen. Man frage den Landmann, den Handwerker, der noͤthige Sachen macht; kurz, die erwerbende Klaſſe, nicht die verzehrende, nicht den Hoͤfling, den Prieſter, den Friſeur oder das Mode - maͤdchen: und man wird von der Revolution rich - tiger urtheilen lernen. Dabey aber denke man ja beſtaͤndig, daß man eine Revolution vor Augen ha - be, und daß bey einer Revolution, beſonders wenn ſie von allen Seiten her durch in - und auslaͤndiſche Angriffe beſtuͤrmt wird, gar viel Abſcheuliches und Grauſendes vorfallen muͤſſe. Dieß nebenher!

Die Lotharinger ſind im Ganzen groͤber, als die andern Franzoſen, daher fuͤhren dieſe auch aller -125 hand Spruͤchwoͤrter von den Lotharingern. Doch ſind die Leute gutmuͤthig. Ehemals war dieſes Volk gar ſehr orthodox oder jeſuitiſch-katholiſch, und trieb alle Art von Aberglauben. Als wir aber dahin kamen, war ihre Einſicht ganz anders, und die Leute betrachteten das Pfaffenhandwerk eben nicht mehr, als eine unter dem unmittelbaren Schutz des heiligen Geiſtes ſtehende Innung.

In Longwy ſah ich ein Leichenbegaͤngniß, wo - bey der Sarg von ſechs Frauenzimmern in drunter - her gezogenen Tuͤchern, ohngefaͤhr einen Schuh hoch uͤber der Erde getragen wurde. Ich erkundigte mich uͤber dieſe ſeltne Beſtattung und erfuhr, daß die Leiche eine Jungfer*)Was wir Deutſche Jungfer heißen, neunen die Franzoſen fille, Tochter, Maͤdchen. Eine e〈…〉〈…〉 ge〈…〉〈…〉 tliche Jungfer nennen ſie vierge, oder pucelle. Aber ſelten bedienen ſie ſich die - ſes Ausdrucks. Die ſogenannte Mutter Gottes hieß ſonſt la vierge, per eminentiam, und die Jéanne d'Arc hieß die Pucelle per eminentiam. ſey: dieſe wuͤrde nur von Jungfern getragen, wie Weiber von Weibern, Maͤnner von Maͤnnern und ledige Mannsleute von ledigen Burſchen: das ſey ſo ihre Gewohnheit, und die naͤchſten Verwandten und Bekannten des Ver - ſtorbenen verrichteten dieſen traurigen Dienſt. Ich ſah auch, daß die ſchoͤnen Traͤgerinnen wirklich weinten.

126

Mein Hauptmann ſchickte mich einigemal nach Longwy, um allerhand fuͤr ihn einzukaufen. Ich benuzte dieſe Gelegenheit, mich auch hier nach der neuen Lage der Dinge in Frankreich zu erkundigen, und hoͤrte, ſobald die Leute vertraut wurden, mehr, als ich erwartete. Das Hans des geweſenen Kommandanten von Longwy und das Gemeinhaus (Maiſon Commune) wurden zu Lazarethen einge - richtet, ſahen aber ſchon bald nachher aus, wie die Moͤrdergruben.

Ich weis nicht, wer anders, als das alte bar - bariſche Vorurtheil, ſeinem Feinde alles moͤgliche Boͤſe zuzufuͤgen, und die uͤbertriebene Furcht, die - ſes vom Feinde bewerkſtelligt zu ſehen, das Geruͤcht von Vergiften, auch waͤhrend dieſes Krieges, ver - breitet haben mag. Mehr als einmal habe ich es bey uns aͤußern hoͤren, und ſah ſehr viele ſich aͤngſt - lich danach richten. Daß es bey dem Eindringen der Franzoſen in unſere Gegenden vielleicht von ihren kurzſichtigen deutſchen Anhaͤngern auch bey ihnen in Gang gebracht ſey, laͤßt ſich denken; und man hoͤrte es, als ſie in die Pfalz eindrangen. Bey uns wenigſtens war es hier gang und gaͤbe, und viele unſerer Leute waren ſehr auf ihrer Hut, wenn ihnen ein Franzoſe etwas Gekochtes anbot: denn vor den ungekochten franzoͤſiſchen Kuͤhen, Scha - fen, Schweinen, Gaͤnſen, Huͤnern und Feldfruͤch -127 ten hat ſich keiner gefuͤrchtet: jeder hat ſie zurechte gemacht, und hernach mit dem beſten Appetit ver - zehrt.

Eines Tages nahm mich, als Dolmetſcher, Hr. von Soyazinsky, unſer Oberleutnant, mit nach einem Dorfe, wo er die Schutzwache machen ſollte. Wir traten in ein Haus, wo ſich der Haus - herr zwar anfangs verlaͤugnen ließ, hernach aber erſchien, als ich die Frau im Namen des Leut - nants verſicherte, daß er ſich nicht zu fuͤrchten haͤtte, und daß wir ihn nicht im geringſten kraͤnken, viel - mehr uͤberall ſchuͤtzen wuͤrden. Unſer gutes Be - nehmen erwarb uns endlich Zutrauen, und der Wirth, nebſt ſeiner Frau, welche in mich, als ihren Vermittler, viel Vertrauen ſetzten, reichten mir Brodſuppe und Speck. Ich both meinen hungri - gen Kameraden davon an, aber ſie dankten, weil ſie fuͤrchteten, die Speiſen moͤgten vergiftet ſeyn: ſie riethen mir ſogar, ja nicht davon zu koſten, denn es ſey den Patrioten auf keinen Fall zu trauen. Aber ich unbekuͤmmert, und als die Leute her - nach ſahen, daß mir wohl blieb, ſo verzehrten ſie, was ich uͤbrig gelaſſen hatte. Man hat ſogar von Vergiften der Brunnen radotirt; aber wer koͤnnte das veranſtalten! Kein mineraliſches Gift, auch in noch ſo großer Quantitaͤt in einen Brun - nen geworfen, kann, wie ich gehoͤrt habe, das128 Waſſer inficiren; und wie viel Pflanzengift muͤßte man haben, um einen Brunnen voll Waſſer ſchaͤdlich zu machen! Gift, in einen Brunnen ge - worfen, ſoll vielmehr das Waſſer verbeſſern. Freilich, wenn man vorzeiten an die Juden wollte, gab man ihnen das Brunnenvergiften Schuld. Aber was that man vorzeiten nicht alles!

Die franzoͤſiſchen Magazine zu Longwy waren recht gut verſehen: da ſie nun in die Haͤnde der Preußen fielen, ſo ließ der Herzog uns einigemal Tobak, Brantewein, geſalznes Fleiſch, Speck u. dgl. daraus reichen. Aber, leider, wurde der Wille dieſes vortrefflichen Mannes nur halb aus - gefuͤhrt: denn manches, was zum Austheilen mit - beſtimmt war, wurde an die Marketender verkauft, und zwar von Herren, welche die Aufſicht uͤber die Magazine fuͤhren ſollten. Die Marketender ver - kauften alles uns armen Teufeln hernach wieder fuͤr ſchwere Muͤnze.

Noch mehr habe ich mich geaͤrgert, als ich ſehen mußte, daß Struͤmpfe, welche der Herzog auch unter die Soldaten vertheilt wiſſen wollte, theils in den Haͤnden der Offiziere blieben, theils nach Luxemburg an Kaufleute verhandelt wurden. Das war doch auf jeden Fall unanſtaͤndig; und ich wundre mich ſehr, daß es nicht zu den Ohren des Herzogs gekommen iſt, der in ſolchen Faͤllen kei -129 nen Spaß zu verſtehen pflegt. Alle Offiziere, welche davon hoͤrten, haben die Koͤpfe geſchuͤttelt mit einem: pfuy Teufel!

Unſre Herren Hauptleute fanden um dieſe Zeit auch ein Mittel, ſich Milch zum Kaffee zu verſchaffen, welche wegen der haͤufig geſchlachteten Kuͤhe nun ſelten und theuer war. Sie ſchafften Ziegen dazu an. Dieſe Thierchen fraßen Heu, Stroh u. dgl. ; und ſehr viele ſind mit nach Deutſch - land gekommen. Vielleicht dankt mancher Offizier der Ziegenmilch ſein Leben. Mein Hauptmann hatte deren zwey, welche er erſt im Winterquar - tiere zu Nied verkaufte, weil er nun keinen wei - tern Gebrauch davon machen konnte.

Eilftes Kapitel.

Einnahme von Verdun.

Wir brachen nach einem ohngefaͤhr zehntaͤgigen Aufenthalte aus dem Lager bey Longwy auf, und marſchierten queerfeld ein auf Verdun zu. Der Boden war ſehr feiſte, hing an, und wir ſahen aus, wer weis wie! Schon bey Luxemburg hatte die Preußiſche Reinlichkeit ein Ende: jeder puzte ſich,Dritter Theil. I130wie er fuͤr gut fand, und niemand ſagte was, wenn auch einer einhertrat, wie es ging.

Unterwegs hier ſah ich die ehemals beruͤhmte Abtey Chatillon, welche die Nation damals ſchon verkauft und die Guͤter dazu, die gar betraͤchtlich waren, unter die Nachbarn vertheilt hatte. Die Abtey ſelbſt nebſt der Kirche wurde ſchon zuſam - mengeriſſen und aus den Steinen und dem Bau - holze wurden Haͤuſer und Scheunen erbaut.

Unſre Maͤrſche von Longwy nach Verdun wa - ren ſehr ſtark, das Wetter war heiß und daher ſind ſogar einige Soldaten hier liegen geblieben, und ge - ſtorben.

Eine Stunde von Verdun ſah ich einen Auftritt, der mich gar nicht erbaute. Ein Offizier, der ar - gen Durſt haben mogte, foderte von einem Weibe, welches zur Thuͤre heraus ſah, Waſſer zum Trin - ken. Das Weib hatte keins, und ſagte das mit Bedauren. Verfluchte Hexe, ſchrie der Offizier, hole dich der Teufel, mit allen Patrioten; und ſchlug ihr mit ſeinem Stock ins Geſicht, daß das Blut heraus ſprang. Im naͤmlichen Dorfe verging ſich auch ein Unteroffizier, von unſrer Kompagnie, Namens Wernike, an einem Maͤdchen durch Ohr - feigen, weil es ihm nicht ſchnell genug Waſſer her - ausbrachte. Maͤnner ſah man in dieſen Doͤr - fern beynahe gar nicht.

131

Der Herzog ließ, nachdem wir unſer Lager vor Verdun aufgeſchlagen hatten, auch dieſe Stadt ſo - fort zur Uebergabe auffodern: allein hier wuͤrde er weit mehr Widerſtand gefunden haben, als bey Longwy, wenn anders der brave Beaurepaire nach ſeinen patriotiſchen Empfindungen haͤtte handeln koͤnnen. Beaurepaire erklaͤrte gleich anfangs: Er koͤnne mit dem Herzog ſich nicht einlaſſen, noch weniger die Stadt uͤbergeben; denn eine Feſtung ſey das Eigenthum nicht derjenigen Buͤrger allein, welche ſie bewohnten, ſondern der ganzen Nation, und duͤrfe daher blos im Falle der hoͤchſten Noth dem Feinde uͤbergeben werden.

Nach dieſer deutlichen Erklaͤrung ließ der Her - zog auf einem Weinberge, gerade der Citadelle ge - genuͤber, Schanzen aufwerfen, und die Stadt be - ſchießen. Dieſes hatte die Folge, daß einiger Brand entſtand; und nun foderten die Buͤrger, oder vielmehr der Buͤrgerausſchuß, daß Beaurepaire die Stadt durchaus oͤffnen ſollte.

Als Beaurepaire ſah, daß fuͤr ihn nichts mehr zu thun ſey, erklaͤrte er, daß wenigſtens er frey ſterben wolle, und erſchoß ſich in Beyſeyn mehrerer Buͤrger und Offiziere.

Dieſe heldenmuͤthige Aufopferung des braven Commendanten brachte die Verduͤner nicht zur Be -132 ſinnung; und ſo wurde die Stadt von dem nachher auch emigrirten Nyont, den Preußen uͤbergeben.

Es gab unter unſern Offizieren Einige, welche meynten, daß man Beaurepaire's Koͤrper auf den Schindanger werfen muͤſſe: aber zur Ehre aller uͤbri - gen muß ich ſagen, daß alle edeldenkende unter ih - nen laut bekannten, daß der Tod dieſes wirklich großen Mannes, auf welchen man anwenden kann, was Lucanus von Cato ſagt: Victrix cauſſa Diis placuit, ſed victa Catoni, Mitleid, Bewundrung, und, im aͤhnlichen Falle, Nachahmung verdiente. Beaurepaire wur - de demnach ganz ehrlich begraben, und iſt hernach zu Paris auf dem Nationaltheater apotheoſirt wor - den.

Alſo wurde Verdun von den Preußen beſezt, und die franzoͤſiſche Garniſon, welche, wie die zu Longwy, groͤßtentheils aus damals noch ungeuͤb - ten Nationalgarden beſtand, erhielt freyen Abzug.

Herr von Mandelsloh, mein Hauptmann, ſchickte mich gleich am folgenden Tage nach Ver - dun, und ich begab mich recht gern dahin, weil ich begierig war, dieſe alte, beruͤhmte Stadt naͤher kennen zu lernen.

Verdun liegt an der Maas, welche dadurch fließt, und war ehemals des deutſchen Reiches. Aber Heinrich II, jener erzorthodoxe katholiſche133 Koͤnig, welcher ſich mit den Proteſtanten in Deutſchland verbunden hatte, ob er gleich die Pro - teſtanten in Frankreich verfolgte, riß Metz, Toul und Verdun, die drey beſten Staͤdte im damaligen Lotharingen, von Deutſchland ab, und behielt ſie nachher im Friedensſchluß. Carl V. hat ſich uͤber keinen ſeiner Ungluͤcksfaͤlle mehr geaͤrgert, als uͤber die Trennung dieſer drey Bisthuͤmer vom Reiche. In den Hugenotten-Kriegen iſt Verdun von den Ketzern belagert, und nach einer alten Sage von der heiligen Jungfrau ſichtbarlich beſchuͤzt wor - den. Seitdem hat aber die heilige Jungfrau ent - weder ihre Wunderkraft verlohren, oder ſie iſt ſelbſt eine Ketzerin geworden: denn die Franzoſen ma - chens mit ihr und ihrer ganzen heiligen Sippſchaft doch wahrlich aͤrger, als es die Ketzer, ſelbſt die Manichaͤer und die beruͤchtigten Ikonoklaſten oder Bilderſtuͤrmer, nimmermehr gemacht haben. Aber ſo iſt es! Wenn die Sonne der Vernunft hoͤher heraufſteigt, ſinken die Nebel einer verpfafften Phantaſie; und die Producte von dieſer verſchwin - den, ſobald der Glaube an ſie laͤcherlich wird. Nur Geduld: die Zeit giebt alles!

Die Feſtungswerke von Verdun ſind eben nicht ſehr betraͤchtlich: deswegen hat man Longwy und Thionville, nach unſerm Heimgehen, mehr befe - ſtiget, aber Verdun liegen laſſen, weil es von ei -134 nigen Bergen kommandirt wird, von welchen her es leicht zu beſchießen iſt.

Die Stadt ſelbſt hat mir ſehr, und ihre Ein - wohner noch mehr gefallen. Es waren gute offene Leute. Ich machte einſt, beym Zuruͤckgehen, vor dem Thore Bekanntſchaft mit einer gewiſſen Ju - liette Jally, der Tochter eines Rothgießers, und dieſe bath mich, wenn ich wieder in die Stadt kaͤ - me, ſie zu beſuchen. Ich that dieſes gleich den folgenden Tag, und hatte ein rechtes Feſt. Jally, ein lebhafter muntrer Mann, wußte es ſeiner Toch - ter noch Dank, daß ſie mich hingebeten hatte. Mamſell Juliette war ebenfalls munter, aber mit allem Anſtand. Ueberhaupt waren die Frauenzim - mer in Verdun geſittete Geſchoͤpfe, jedoch ohne Ziererey oder aͤngſtliche Mumen-Etikette. Aus - nahmen giebt es uͤberall, alſo auch hier.

Verdun ſtand ehedem in Kirchenſachen unter dem Erzbiſchofe von Trier. Koͤnig Heinrich hatte zwar die vorhin erwaͤhnten Bisthuͤmer der weltlichen Juris - diktion des deutſchen Reichs entriſſen, aber ſie doch unter der geiſtlichen Bormaͤßigkeit der deutſchen Erzbiſchoͤfe gelaſſen, z. B. Strasburg unter Mainz, Verdun, Metz und Toul unter Trier, und Cam - bray unter Mecheln. Aber bey der Revolution er - klaͤrten die Franzoſen, daß ihre Biſchoͤfe ferner nicht mehr unter Erzbiſchoͤfen, am wenigſten unter aus -135 laͤndiſchen, ſtehen ſollten; und da erklaͤrte denn auch der Hr. Kurfuͤrſt zu Trier, daß er die konſti - tutionellen Biſchoͤfe in Frankreich nicht fuͤr recht - maͤßige Seelenhirten halten koͤnnte: denn die ehe - maligen, nach den Geſetzen des geiſtlichen Rechts ordinirten Herren waren meiſtens ausgewandert. Die Franzoſen kehrten ſich aber ſo wenig hieran, als an die Bulle des Papſtes von 1792, wodurch er alle konſtitutionellen Biſchoͤfe fuͤr unrechtmaͤßig - und apoſtatiſch erklaͤrte. Die neuen Biſchoͤfe wur - den eingeſezt, und verwalteten ihr Amt nach der Vorſchrift der Nation. Es ſind von dieſen Bi - ſchoͤfen mehrere Hirtenbriefe herausgekommen, von welchen ich ſelbſt einige geleſen habe. Sie betrafen die Einrichtung und Verbeſſerung des Schulunter - richts, und waren durchaus der Wichtigkeit dieſes Gegenſtandes angemeſſen. Theologiſche Fratzen, wie man dieſe anderwaͤrts, ſelbſt bey Proteſtanten, in neuern Religionsverfuͤgungen noch antrifft, wa - ren ſchon damals in Frankreich veraͤchtlich. Auf - helfen will man da die Menſchen und veredeln, nicht noch mehr herabſetzen und verhunzen.

Geiſtliche gad es zu der Zeit in Frankreich noch aller Orten, aber keine Moͤnche und keine Nonnen mehr. Die vielen Kloͤſter in Verdun waren zer - ſtoͤhrt, und bey der Raͤumung derſelben iſt, wie man mir erzaͤhlt hat, und wie ich ganz gern glaube,136 großer Unfug getrieben worden. Man hat hier und da die heiligen Bilder zerſchmiſſen und ſogar der geweihten Hoſtien nicht geſchont.

Unſer Koͤnig erlaubte den ausgewanderten oder vertriebenen Moͤnchen, ihre Kloͤſter wieder zu be - ziehen; aber ſie bezohen ſie nicht, wahrſcheinlich, weil ſie befuͤrchteten, ſie moͤgten abermals ver - jagt werden, und dann das Lezte aͤrger finden, als das Erſte.

Von dem Zuſtande der Religion und den Schick - ſalen der Pfafferey in Frankreich ſpreche ich wei - terhin ausfuͤhrlich, und laſſe hier dieſe Dinge ruhen.

Wir fanden auch in Verdun recht gut verſehene Magazine an Heu, Stroh, Mehl, Wein, Speck, Brandtewein, Erbſen, Kaͤſe u. ſ. w.; ferner vielen Vorrath an Kleidungsſtuͤcken und Pferdegeſchirr. Von dieſen Vorraͤthen haben unſere Leute ſich man - ches zugeeignet, beſonders von den Lebensmitteln. Dieſe wurden unter die Soldaten vertheilt, und von dem hier vorgefundnen Mehle haben wir lange Kommißbrod gegeſſen. Aber dieſes Kommißbrod, welches aus geſchrotenem Waizen gebacken ward, wollte unſern Leuten nicht recht behagen: es ſtaͤnde nicht ſo gut wider, ſagten ſie, als das deutſche; und dann ſchmecke es zu weichlich.

137

Da ich ſehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun geſchickt wurde, ſo hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr mich manches aus dem Magazine mitzunehmen. Oft habe ich meine Zeltburſche mit Schnapps und Wein verſehen, und einmal habe ich ſogar einen ſchoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die goldne Treſſe darauf allein mehr werth war. Ich dachte, nimmſt du ihn nicht, ſo nimmt ihn ein An - derer; und nach dieſer Regel beſtimmte ich damals manche individuelle Handlung.

Es iſt uͤberhaupt um noch einmal davon zu ſpre - chen im Kriege eine ganz eigne Sache um das Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Beſitze deſ - ſelben bleiben wuͤrde, wenn man ihm daſſelbe ließe, ſo waͤre es oft ein Schuftſtreich, es wegzunehmen. Aber da man gewiß vorausſetzen kann, daß es doch Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen laſſen, ſo daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer Haͤßlichkeit. Und das iſt im Kriege ſehr oft der Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moraliſten dieß nicht werden gelten laſſen: aber es kaͤme auf eine Probe an, was ſelbſt ſie thun wuͤrden, wenn ſie ſich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß ſich in die Lage des Handelnden verſetzen: und wenn138 er das nicht kann, ſo wird er immer raͤſonniren, wie der Blinde von der Farbe.

Nach dem Buͤcherweſen erkundigte ich mich in Verdun, wie in Longwy, und hoͤrte faſt nichts weiter ſchaͤtzen, als die Nationalblaͤtter, nebſt Ma - bly, Voltaire, Rouſſeau und andern, wel - che gegen den Deſpotismus und die Pfafferey ge - ſchrieben haben.

Auf die eifrigen Vertheidiger der Freiheit hat man hier auch ſtark Jagd gemacht, und unter an - dern den Praͤſidenten des Diſtrikts von Varenne, einem kleinen, etwan vier Stunden von Verdun ge - legnen Staͤdtchen, gefaͤnglich hingeſezt. Das Ver - brechen dieſes wuͤrdigen Mannes beſtand meiſt darin, daß er ſein Vermoͤgen hingab, um einige Anſtalten durchzuſetzen, fuͤr welche er ehemals in Paris geſtimmt hatte. Der Herzog ließ ihn an - faͤnglich ſehr hart an, aber George, ſo hieß der Praͤſident, benahm ſich ſo edel und freymuͤthig, daß der Herzog ſelbſt endlich ſchwieg. Die Emi - granten haͤtten ihn gern zernichtet, und gaben ihm Schuld, daß er an der Arretirung ihres fluͤchtigen Koͤniges zu Varennes Theil gehabt habe: aber die Preußen ſchuͤzten den George, und er wurde bald darauf ausgewechſelt.

Die gefangnen Franzoſen ſaßen auf der Ci - tadelle, wo man ſehr leicht mit ihnen ſprechen139 konnte. Ich benuzte dieſe Gelegenheit, und fand, daß die Leute den Muth noch gar nicht verlohren hatten. Les ennemis ſe retireront, et nous voilà libres, riefen ſie und pfiffen eins dazu.

Der Verfaſſer der Briefe eines Preußiſchen Augenzeugen, welcher eben ſo, wie ich, den Feldzug des Herzogs von Braunſchweig mitgemacht hat, erwaͤhnet im erſten Packt einer ſehr ſchoͤnen Kauf - mannsfrau in Verdun. Dieſe Dame habe ich auch mehrmals geſehen, welches ſehr leicht war, da ſie gewoͤhnlich am Fenſter paradirte. Sie war, wie mich duͤnkt, und wie ſie auch vielen andern vorge - kommen iſt, eine vollendete Schoͤnheit, aber auch eine tuͤchtige Kokette. Anfangs flatterten unſere jungen Offizierchen um ſie herum, aber bald fan - den ſich recht große junge Herren ich ſage, junge Herren bey der Madame ein, und die Offizierchen fuhren ab. Wie herablaſſend Ma - dame geweſen ſey weis ich nicht, ſie hatte aber recht viel Preußiſches Gold. Ihr Mann hat als Kaufmann das Ding ſo genau nicht genommen.

Andre Frauenzimmer in Verdun waren auch nicht unerbittlich, ob ich gleich ihnen uͤberhaupt zur Ehre nachſagen muß, daß unter ihnen viele Sittſamkeit herrſchte.

140

Zwoͤlftes Kapitel.

Das ſogenannte Drecklager.

Im Lager bey Verdun hatten wir noch immer ſo halb und halb zu leben, aber von nun an litten wir auch Elend und Mangel, bis wir auf die deutſche Graͤnze zuruͤckkamen. Unſer Erzſpizbube von Jude war endlich dem Hn. Major von Wedel als ein in - famer Betruͤger bekannt geworden; und dieſer brave Offizier jagte ihn denn vom Bataillon, und nahm einen andern Juden an, welcher uns bey Verdun die vierzehn Tage uͤber, die wir ohngefaͤhr da ſtehen blieben, beſſer verſah, und nicht ſo arg betrog, als der erwaͤhnte.

Wir brachen von Verdun mitten im Regen auf, und marſchierten den erſten ganzen Tag im Regen fort. Unſer Brod hatten wir groͤßtentheils im La - ger liegen laſſen, weil wir ohnehin genug belaſtet waren, und durch den abſcheulichſten Koth waten muſten.

Den zweyten Tag kamen wir der franzoͤſiſchen Armee, oder vielmehr einem Korps derſelben nahe. Wir marſchirten zwar den ganzen Tag, aber ſo jaͤmmerlich, daß wir jedesmal eine halbe Stunde141 vorwaͤrts machten, und hernach wieder eine Stunde, auch wohl laͤnger, im Kothe herum ſtille lagen, wie die Schweine. Ich wurde, ſo wenig mich ſonſt Strapatzen niederbeugen, auf dieſem elenden Marſche ſo unmuthig, daß ich meine Lage verwuͤnſchte, und gewiß, waͤre ich nicht ſo erſchoͤpft geweſen, zu den Franzoſen uͤbergangen waͤre, ſo ſehr ich die Deſertion ſonſt auch haſſe.

Endlich erreichten wir ein Dorf, l'Entrée ge - nannt, worin der Koͤnig ſein Hauptquartier nahm, und wobey wir unſer Lager aufſchlagen ſollten. Aber unſre Packpferde waren aus Furcht vor den Fran - zoſen zuruͤckgeblieben, und wir mußten nun da un - ter dem freyen Himmel liegen bleiben bis Nachts zwoͤlf Uhr. Wir machten freilich Feuer an und holten dazu aus dem Dorfe l'Entrée heraus, was wir in der finſtern Nacht von Holz finden konnten Stuͤhle, Baͤnke, Tiſche und anderes Geraͤthe. Aber dieſe Feuer, ſo hoͤllenmaͤßig ſie auch ausſahen, waren doch nicht hinlaͤnglich, uns gegen den fuͤrch - terlichen Wind, und den abſcheulichen Regen zu ſichern.

Dieſer Regen fing ſogleich an, als wir die Zelter aufgerichtet, und uns auf die blanke Erde denn Stroh konnten wir in der Nacht doch nicht holen hineingelegt hatten, und er wurde ſo heftig, daß das Waſſer von allen Seiten in die Zelter eindrang142 und uns alle durchnezte. Niemand konnte liegen bleiben, noch weniger ſchlafen: man ſezte ſich alſo auf die Torniſter und Patrontaſchen, und je - der fluchte auf ſein Schickſal. Man denke uns in dieſer Gruppe! Sogar hoͤrte man die graͤßlichſten Laͤſterungen auf Gott, und ſein Regenwetter. Es iſt Strafe Gottes, ſagten die Vernuͤnftigern: Gott hat keinen Gefallen an unſerm Kriege! Er will nicht, daß wir ſein Werk in Frankreich ſtoͤhren ſollen: die Revolution iſt ſein Werk, die Patrioten thun ſeinen Willen, und die Emigranten ſind Spizbuben: es hole ſie alle der Teufel!

Unſre Munition an Pulver wurde ſelbige Nacht groͤßtentheils naß, und zum Schießen unbrauchbar. Einige warfen auch ſchon bey ihrem Ausmarſche aus dieſem Lager ihre Patronen weg, und ließen ſich hernach bey der Retirade, als wir ſogar mehrere Pulverwagen verbrannten, andere geben.

Endlich ward es Tag, und die Soldaten kro - chen aus ihren Zeltern, wie die Saͤue aus ihren Staͤllen, ſahen auch aus, wie dieſe Thiere, wenn ſie aus Staͤllen kommen, welche in ſechs Wochen nicht gereinigt ſind. Der Koth, worin man ſofort patſchen mußte, wenn man aus den Zeltern heraus trat, lief gleich in die Schuhe: denn er war duͤnn und tief, woruͤber denn einige Soldaten dumpf brummten, andre laut fluchten, alle aber darin143 uͤbereinkamen, daß dieſes abſcheuliche Lager ſofort Drecklager heißen ſollte.

Nun wurde befohlen, oder vielmehr angeſagt, daß Stroh ſollte gelangt werden. Stroh holen hieß aber damals, den ungedroſchnen Weizen Roggen waͤchſt in Champagne nicht, wenig - ſtens hab ich keinen geſehn: in Lotharingen war Rog - gen anzutreffen Alſo man holte den ungedroſch - nen Waizen aus den Scheunen, warf ihn, wer weis, wie hoch, ins Zelt, und legte ſich dann auf ihn hin. Dieſes konnte um ſo viel leichter geſchehen, da einem jeden erlaubt war, ſo viel Stroh d. i. Waizen zu nehmen, als er gerade wollte, oder konnte. Da nun auch die Kavalleriſten ihre Furaſche aus den Scheunen der Bauren holten; auch die Pack - und andre Pferde daraus verſehen wurden, ſo kann man leicht denken, daß in den Doͤrfern, in deren Naͤhe unſer Lager ſtand, nichts uͤbrig blieb, als Jammer und Leere. In l'Entrée war nach drey Stunden keine Waizengarbe mehr anzutreffen. Und das gieng eben ſo in den uͤbrigen Doͤrfern. Daß alle Haͤuſer obendrein rein ausgepluͤndert wurden, verſteht ſich von ſelbſt.

Ich haͤtte bey dieſem Stroh - oder Garbenholen beynahe den Hals zerbrochen: denn ich fiel in einer Scheune von einem hohen Geruͤſte, jedoch ohne Schaden. Das Schickſal hat mich noch immer144 ſo ziemlich geſchont, wie man in der Folge einige auffallende Beiſpiele davon ſehen wird, aber viel - leicht, um mich noch einmal weit haͤrter mitzuneh - men. Indeß mori nolo, ſagt ein Philoſoph,〈…〉〈…〉 ed me mortuum eſſe, nihil curo; und der Mann hatte wohl recht. Warum ſollte ich es denn fuͤr ein Gluͤck halten, daß ich in l'Entrée den Hals nicht brach in Landau oder Mâcon nicht guillotinirt wurde, oder daß mich der Franzoſe in Lyon wie die Folge lehren wird nicht niederſtach? Ich ſehe das noch nicht recht ein: aber ſo viel iſt gewiß, daß wenn einer von dieſen Faͤllen mich weggerafft haͤtte, ich nachher mancher truͤben und kummervollen Stunde uͤberhoben geblieben waͤre.

Ich habe in dieſem Sumpflager oͤfters an einen Vorfall gedacht, der mir in Gießen ſchon ſechs - zehn Jahre vorher begegnet war. Ich hatte naͤm - lich einſt den armen Eulerkapper mitperirt, und war auf dem Ruͤckſprung, weil Eulerkapper mich verfolgte, in eine Miſtgrube gefallen, und ab - ſcheulich beſudelt. Damals lachte ich recht ſehr uͤber meinen komiſchen Zufall, und ruͤhmte mich deſſelben hernach mehrmals. Jezt aber war ich mismuthig, da man mich zwang, in Champagne im Kothe herum zu patſchen!

Die Bauren in l'Entrée hatten ihre Kirche abgetragen, und neues Holz zur Erbauung einer145 andern herbeygeſchafft. Dieſes neue Holz, ſamt dem alten holte man ins Lager und verbrannte es, mit unter auch Kanzel und Orgelgeſchniz, Kruzi - fixe u. dgl. Dabey wurde nun brav gelacht und Spaß getrieben, und noch jezt ſprechen die Solda - ten vom franzoͤſiſchen Kirchenholz im Drecklager.

Die Lebensmittel waren hier entſezlich rar und theuer: ich zwar fuͤr meine Perſon litt von hier an die beyden Naͤchte bey der Kanonade nur aus - genommen bis nach Grandpré zuruͤck, keinen eigentlichen Mangel, bey weitem naͤmlich den nicht, welchen andre Soldaten ertragen mußten. Ich hatte bey der Kompagnie einen guten Freund an dem Furierſchuͤtzen Lutze, welchen ich ſeit lan - ger Zeit als einen ehrlichen Mann kannte. *)Er iſt noch in dieſem Kriege durch einen klugen Streich von den Soldaten losgekommen, und hat Recht gehabt: man hatte ihn auch durch Pfiffe dazu gebracht.Die - ſer gab mir, als die Lebensmittel ſeltner wurden, den Anſchlag, mich zu ihm ins Zelt zu legen, weil er als Furierſchuͤtze doch immer eher im Stande ſey, etwas herbeyzuſchaffen, als die andern. Ich that das, und Lutze hat mich, ſo lange ich bey ihm im Zelte war, oder vielmehr, ſo oft er da war denn auf der unſeligen Retirade mußte erDritter Theil. K146oft fuͤnf bis ſechs Tage abweſend ſeyn immer mit allerley Lebensmitteln und andern Sachen, als Tobak u. dgl. verſehen, und ſelten ſich dafuͤr zahlen laſſen; wenigſtens gab er allemal das umſonſt her, was er umſonſt bekommen hatte. Ich halte es fuͤr Pflicht, dem ehrlichen Lutze dieſe Freundſchaft nachzuruͤhmen, und ihm dafuͤr hier oͤffentlich zu danken. Schade nur, daß ich manch braven Manne nur blos woͤrtlich danken muß, dem ich ſonſt nichts vergelten kann; und daß Andre, fuͤr die ich gern alles gethan, ja mein Leben gewagt haͤtte, nichts mehr fuͤr mich thun. Aber ſo geht es gemeiniglich, und ich kenne die Menſchen zu gut, als daß ich mich daruͤber weiter wundern ſollte.

Der Mangel an Lebensmitteln konnte auch durch die wirklich große Menge von Kuͤhen, welche man den Landleuten dortherum genommen und der Armee nachgetrieben hatte, nicht ſehr erleichtert werden. Was war auch ein halb Pfund elendes, altes Kuhfleiſch fuͤr den Soldaten, der kaum in drey Tagen fuͤr einen Tag Brod hatte? Da mußte er ja doch hungern! Zudem wurde das beſte Vieh von den angeſezten Treibern an die Bauren, welche von weitem herbeyſchlichen, ver - kauft. Ich kenne einen gewiſſen Treiber dieſer Art, vom Regiment Thadden, Namens H von147 R bey Kalbe, einen ſonſt kreuzdummen Eſel, welcher ſich durch dieſen Handel ein artig Suͤmmchen erworben hat. Der ſchon mehrmals genannte fatale Jude hat auf dieſe Art auch Vieh - handel getrieben. Das beſte Fleiſch, wie auch al - les Schwein - und Hammelfleiſch war uͤbrigens fuͤr die Offiziere und ihre Bediente: davon bekam der Soldat nichts.

Ich kann nicht begreifen, wie man damals ein ſo abſurdes Geruͤcht, als das war, was man von der Annaͤherung des armen Ludwigs XVI. aus - ſprengte, fuͤr wahr halten konnte: und doch war es lange Zeit, ſchon von Verdun her, allgemein, und wurde ſogar von den Offizieren geglaubt, die großen ausgenommen, welche recht gut wußten, daß Lud - wig Capet zu Paris, ſeit ſeiner Flucht, in ei - ner ſchrecklichen Sklaven-Lage gehalten wurde.

Ich widerſprach ſolchen Geruͤchten immer, gab ſie hoͤchſtens fuͤr erdichtet zu unſerm Troſte aus, und wendete alle meine Beredſamkeit an, meine Kameraden, auch unſre Offiziere, welche ſich gern mit mir abgaben, von der augenſcheinlichen Abſurditaͤt ſolcher Geſchwaͤtze zu uͤberzeugen. Aber ſtatt meinen Gruͤnden Gehoͤr zu geben, nannten mich Viele einen Patrioten oder Jakobiner, und meynten, daß ich bald ſehen wuͤrde, wie die Fran - zoſen ſich trollen ſollten. Doch fand ich auch da -148 mals ſchon mehrere, ſogar unter den gemeinen Sol - daten, welche nichts Gutes mehr erwarteten, und mehr Ungluͤck als Gluͤck prophezeihten.

Bisher waren wir in der Waͤſche noch ziemlich rein geblieben: aber nun, da ſich nicht mehr wa - ſchen ließ, da ſogar das Leinenzeug im Torniſter vermoderte, fanden ſich auch ſehr unangenehme Thierchen, dieſe ſchreckliche Plage des Soldaten im Felde, bey uns unertraͤglich ein. Selbſt die Offi - ziere konnten ihnen nicht mehr entgehen, und lern - ten nun auch erſt recht das volle Elend des Kriegs erkennen.

Aber nichts nahm unſere Leute aͤrger mit, als der Durchfall, der allgemeine Durchfall, und dann die darauf folgende fuͤrchterliche Ruhr. Delikate Leſer wuͤrde es aufbringen, und ihren Eckel rege machen, wenn ich uͤber dieſen Gegenſtand alles ſa - gen wollte. Aber fuͤr delikate Leſer iſt dieſer Theil meiner Schrift nicht, ſondern fuͤr Maͤnner, deren Abſicht es iſt, das Elend unſrer Feldzuͤge gegen die Neufranken in ſeiner wahren Geſtalt kennen zu lernen: und dieſe ſuchen nur Wahrheit, auch ekel - hafte Wahrheit, wenn ſie nur Reſultate daraus ziehen koͤnnen. Alſo die Abtritte, wenn ſie gleich taͤglich friſch gemacht wurden, ſahen jeden Morgen ſo moͤrderiſch aus, daß es jedem uͤbel und elend werden mußte, der nur hinblickte: alles war149 voll Blut und Eiter, und einigemal ſah man ſo - gar Ungluͤckliche darin umgekommen. Eben ſo lagen viele blutige Exkremente im Lager herum von denen, welche aus nahem Drange nicht an den entfernten Abtritt hatten kommen koͤnnen.

Ich bin verſichert, daß nicht drey Achtel der ganzen Armee von dem fuͤrchterlichen Uebel der Ruhr damals frey waren, als wir das Sumpfla - ger verließen. Die Leute ſahen alle aus, wie Lei - chen, und hatten kaum Kraͤfte, ſich fortzuſchleppen; und doch klagten nur wenige uͤber Krankheit aus Furcht vor den Lazarethen, oder vor jenen Mord - loͤchern, worin man die Erkrankten ſchleppte, und worin ſo viele viele um ihr trauriges Leben noch trauriger gekommen ſind. Es wurden alſo nur die dahin gebracht, welche gar nicht mehr fort konnten; und deren war eine ſehr große Menge.

150

Dreyzehntes Kapitel.

Unſer Marſch nach den Hoͤhen von La Lune oder Balmy.

Aus dem Sumpflager hatten wir ohngefaͤhr noch 16 Stunden nach La Lune, wobey die bekannte Kanonade vorfiel, jene naͤmlich, welche das Ziel unſrer Hel - denthaten in Frankreich geweſen iſt: denn nach die - ſer Zeit bis auf unſern Separat-Frieden iſt gegen die Franzoſen auf franzoͤſiſchen Boden von uns beynahe nichts mehr gethan worden; und was die Kaiſerlichen darauf thaten, iſt eben auch nicht weit her.

Wir machten dieſen Weg, troz unſrer ausge - maͤrkelten Koͤrper, in wenig Tagen, und hatten immer mit Mangel zu kaͤmpfen, weil der Feind uns hier in der Naͤhe war, und kein Marketender uns zu folgen ſich getraute. Einige Weiber und Men - ſcher zogen zwar mit, aber die hatten leider ſelbſt nichts, konnten alſo auch nichts verkaufen.

Am 19ten September mußten wir Nachmittags noch ſpaͤt aufbrechen, und vorwaͤrts marſchiren bis Nachts um 9 Uhr; und hernach brachten wir ohne151 Zelter, und beynahe ohne Infanteriewachen die Nacht unter offnem Himmel zu.

Auf dem Wege dahin ſagte ein Offizier zum an - dern: Hoͤre Bruder, Morgen giebts was! die Franzoſen werden angegriffen; und wenn ſie nur ſtehen, ſo ſind ſie Morgen Abend alle in un - ſrer Gewalt. Sch auch! fing ein Soldat aus dem Trupp an ſeht ihr nur zu, daß ſie Euch nicht kriegen; Sie kriegt ihr gewiß nicht! Darauf fing der Offizier an zu fluchen, und wollte mit Gewalt wiſſen, wer ſo geſprochen haͤtte, um ihn zu beſtrafen; da aber Niemand die - ſen verrieth, ſo ſchwur er bey ſeiner hohen Ehre, und daß ihn der Teufel in tauſend Fetzen zerreißen ſollte, wenn Morgen die Spizbuben nicht alle ent - weder todt oder gefangen waͤren!

Der Wind braußte dieſe Nacht fuͤrchterlich, und es war gewaltig kalt. Waldung war dort in der Naͤhe nicht: wir liefen alſo ſchaarenweiſe in die Doͤrfer, und hohlten, was wir vorfanden, Stuͤhle, Tiſche, Bettſtellen, Faͤſſer, Thuͤren, Wagen, Karren; kurz, wir ſchleppten, was von Holz uns in die Haͤnde fiel, ins Lager, und machten Feuer wie in der Hoͤlle. In den Doͤrfern ſelbſt wurde Feuer in die Bauerhoͤfe getragen, und man zuͤndete mit Strohfackeln in den Scheunen und Staͤllen herum.

152

Was von Vieh noch uͤbrig war, wurde mitge - ſchleppt, und im Lager in Toͤpfen und Keſſeln, die man gleichfalls in den Doͤrfern gelangt hatte, ge - kocht und verzehrt. Unter allen zeichneten ſich die Soldaten vom Regimente Romberg als brave Beutemacher und Koͤche aus.

Einer unſrer Offiziere, der Hr. Major von Maſſow, wollte dem graͤulichen Pluͤndern und Anzuͤnden ſteuren, aber ſeine Bemuͤhungen waren fruchtlos: man ſtellte ihm vor, daß eben jezt, den Tag vor einem wahrſcheinlichen Angriffe auf den Feind, ein ſcharfes Verfahren wider die Beute - macher am unrechten Orte ſeyn wuͤrde.

So dachten alle: denn ich ſahe die Generale ſelbſt ganz ruhig am Feuer ſitzen, und den Solda - ten, als ſie ihre geraubten Huͤner u. ſ. w. zurecht machten, zuſehen, ohne ein Wort daruͤber zu ſagen. In ſolchen Tagen kann man ihnen das auch gar nicht zumuthen, ob ich gleich uͤberzeugt bin, daß die wenigſten von ihnen dieſe Graͤuel billigten.

Mehrere Doͤrfer ſind in dieſer garſtigen Nacht durch den Brand ſehr beſchaͤdiget worden, und eins derſelben ſtand noch in vollen Flammen, als wir den andern Morgen um 9 Uhr vorbeymaſchierten.

Vorfaͤlle von dieſer Art, welche unſerm Mili - taͤr eben keine Ehre machen, berichte ich ſehr un - gern: aber ich muß einmal ſchreiben, was ich geſe -153 hen habe; und dann ſollen meine Berichte auch zum Einſchaͤrfen des wichtigen Satzes dienen: daß man von Menſchen nicht mehr erwarten muͤſſe, als ſie nach ihrer Lage leiſten koͤnnen; daß man folglich bil - lige Urtheile faͤllen muͤſſe von Freund und von Feind; daß man alſo auch jene Nachrichten, welche Herr Girtanner, Herr Paſtor Braun und andre uͤber die Franzoſen ſo reichlich in Deutſchland ver - breitet haben, wuͤrdigen muͤſſe, wie ſie nur gewuͤr - diget werden koͤnnen nach der Natur einer Armee, welche in allerley Umſtaͤnde geraͤtht, und daher al - lerley thun muß, was freilich mit den Regeln der Moral, und den Geſetzen nicht uͤbereinſtimmt. Doch davon weiter unten in einem eignen Kapitel, indem dieſe Sache gar ſehr wichtig iſt.

Sobald der Tag anbrach, wurde abmarſchiert. Es hatte erſt geſchienen, als wenn das Wetter ſich halten wuͤrde, aber gegen 7 Uhr fing es heftig an zu regnen, und wir wurden bis auf die Haut naß. Dennoch ging der Zug weiter bis gegen die Hoͤhen von Dampierre, worauf Dumouriez ſich poſtirt hatte; und hier fiel die bekannte Kanonade vor, von welcher, glaube ich, Nachricht genug gege - ben iſt.

Warum wir bey dieſer Kanonade keinen Vortheil erhielten, iſt handgreiflich. Der Feind hatte mehr Volk, mehr und beſſeres Geſchuͤtz und eine weit beſ -154 ſere Stellung als wir: beſonders machte eine Bat - terie an einer Windmuͤhle, wenn dieſe gleich von unſerm Geſchuͤtz und auffliegenden Pulverkarren zuſammen geſchmiſſen wurde, es voͤllig unmoͤglich, den Feind mit Infanterie anzugreifen.

Der Verfaſſer der Briefe eines Preußiſchen Augenzeugen uͤber dieſen Feldzug, ſagt im zweyten Packt, S. 88 und 89 etwas von todtblaſſen Ge - ſichtern an Haupt - und Unterleuten waͤhrend dieſer Kanonade; vom Buͤcken vor Kanonenkugeln, und dergleichen: und dieſes hat der Recenſent dieſer Briefe in dem Magazin der neueſten Kriegsbege - benheiten (I. B. S. 267.) ſehr uͤbel aufgenommen, und verſichert bey ſeiner Ehre*)Daraus ſieht man ſchon, daß der Recenſent ein Offizier iſt. Aber nicht alles, was auf Ehre verſichert wird, iſt darum wahr. Man denke an die hohen Verſicherungen der ausge - wanderten franzoͤſiſchen Prinzen, Generale, Edelleute, Prie - ſter u. dgl. ! : daß Er (auf ſeinem Poſten) weder Buͤcken noch Blaͤſſe, ſondern alten aͤchten Preußiſchen Muth gefunden habe. Alle Soldaten, ſezt er hinzu, waren luſtig, und freuten ſich ſogar, den ſo lange verfolgten (?) Feind endlich einmal in Schlachtordnung aufmar - ſchirt zu ſehen. Alles avancirte mit frohem Muthe und der feſten Ueberzeugung, den Feind zu ſchla - gen, und alles murrte, da Halt kommandirt155 wurde. Auch den Tag, als die Armee auf die Hoͤhen neben Valmy anmarſchirte, erwartete und wuͤnſchte Offizier und Soldat mit Vergnuͤgen eine Bataille, und alles war misvergnuͤgt, da man, ohne etwas unternommen zu haben, ein Lager be - zog. Es wuͤrde ewige Schande uͤber Preußiſche Truppen bringen, wenn es auch nur halb wahr ſeyn koͤnnte, was der Verfaſſer davon aufgezeich - net hat.

Wie aber, wenn es wirklich ganz wahr iſt? Oder ſoll darum etwas nicht wahr ſeyn, weil es mit der lieben Ehre nicht ſo recht beſteht? Dann ließe ſich unſer ganze Feldzug nach Champagne rein wegdemonſtriren, und gar viel Anderes, was doch weltkundig wahr iſt. Der Ehrenritterliche Recenſent wird demnach einſehen: daß Zuvielbe - weiſen mit Recht Nichtsbeweiſen heißt. Ueber - dieß iſt Wahrheit doch auch gut Ding, welcher man nicht zu nahe treten muß, wenn ſie Zeugen zu Tau - ſenden hat; und wenn die arge Welt auf das Ver - tuſchen und erkuͤnſteltes Selbſtlob wenig noch achtet.

Alſo, was das Erblaſſen und das Buͤcken be - trift, ſo verſichere ich den Herrn gegenſeitig zur Ehre der Wahrheit: daß ich auf meinem Stand - punkte eben das geſehn und bemerkt habe, was der Verfaſſer der Briefe daruͤber erzaͤhlt hat. Ich kann156 ihm namentlich die Offiziere nennen, die ihren Trupp zum Buͤcken ſogar ermahnten. *)Ob das Regiment Weimar eben dieß gethan habe, weiß ich nicht; aber Peltier ſagt es in ſeinem Dernier tableau de Paris. Man ſehe den II. B. des angefuͤhrten Magazins S. 85. Wenn keine ſich nirgends gebuͤckt haͤtten; woher dann dieſe Nachricht?Und wer koͤnnte Offiziere und Andere tadeln, die nach dem Geſetze der Sparſamkeit, Klugheit und wahren vernuͤnftigen Tapferkeit, wie auch nach dem na - tuͤrlichen Selbſterhaltungstriebe, ausweichbaren Gefahren ausweichen, um Sich ſich, den Ihrigen und dem Staate, der doch die Menſchen zum Sol - datwerden, und was zu deren Unterhalte und Be - waffnung gehoͤrt, hergeben muß, zu erhalten? Dieß zu thun, denk 'ich, iſt Pflicht; und es gethan haben, koͤnnte alſo uͤber Preußiſche Truppen ewige Schande nur dann bringen, wenn die Ehre der Preußen es mit ſich braͤchte, nicht nach weiſer zweck - maͤßiger Tapferkeit, ſondern nach unweiſer Toll - kuͤhnheit jeder, auch ausweichbaren, Gefahr ſich preis zu geben. Menſchen ſind doch keine Fuͤrſten-Nie - ten?

Fuͤr das Erblaſſen ſpricht ſchon unſre vorherge - gangene elende Lage, die allein hinreichend geweſen waͤre, auch dem tapferſten und geuͤbteſten Soldaten, zu deſſen Wollen doch auch das Koͤnnen hinzu -157 kommen muß, den Muth zu laͤhmen, und ihn, wenn auch nicht zur Verzweiflung, doch zum Ver - zagen und Erblaſſen zu ſtimmen, zumal im Ange - ſichte einer toſenden feindlichen Kanonade. Unſere Leute waren ja meiſtens ſchon krank; alle waren ermattet und bis auf die Haut durchnaͤſſet; der groͤßte Theil hatte ſeit dem Mittage des vorigen Tages nichts gegeſſen; weit uͤber die Haͤlfte denn aus dem ſiebenjaͤhrigen Kriege zaͤhlen wir nicht viel brauchbare Soldaten mehr trat hier zum erſten Male vor feindliche Kanonen: iſt es nun uͤberhaupt glaublich, daß ſolche Leute unter ſolchen Umſtaͤnden ſich des nahen Feindes freuen, mit fro - hem Muthe gegen ihn avanciren, und uͤber ein kommandirtes Halt murren werden? Das wird ſich ſchwerlich jemand einbilden, der da weiß, wel - chen Eindruck neue und große Gefahren auf unge - wohnte und ſonſt ſchon leidende Gemuͤther machen. Auf dem Anmarſche gegen den Feind wurden erſt die Gewehre geladen, welche vorher immer ku - gelleer geblieben waren: und waͤhrend dieſes La - dens konnte man die Todtenblaͤſſe auf den meiſten Geſichtern nicht der Soldaten allein, ſondern auch der Offiziere, deutlich bemerken. Die Aengſtlich - keit gieng ſo weit, daß, wer Spielkarten bey ſich hatte, ſie wegwarf, aus Furcht, der liebe Gott moͤgte nun ihn ſtrafen wegen eines ſo gottloſen Ge -158 raͤthes, als eine Spielkarte iſt. etc. etc. etc. Wenn vielleicht der Herr Recenſent, als geuͤbter Offizier, muthig war: ſo gereicht ihm das zur Ehre, ob es gleich nicht ſehr ruͤhmlich iſt, den Muth Anderer auf Koſten der Wahrheit laut zu ruͤhmen, um ſeinen eignen ſo nebenher mitzuruͤhmen.

Recenſent will nicht einmal zugeben, daß der Verfaſſer der Briefe Soldat war: er will ihn nur mit zu der Equipage der Armee gerechnet wiſſen: und das ſoll man jedem ſeiner gefaͤllten Urtheile an - ſehen!! Sehr hoͤflich von einem Offiziere; aber auch ſehr natuͤrlich fuͤr einen Offizier, vielleicht vom Regimente Romberg, der es dann frey - lich unverdaulich finden mußte, daß der Verfaſſer der Briefe die Leute dieſes Regiments nicht zum erbaulichſten anfuͤhrte, und gar von Bauchphiloſo - phen unter demſelben etwas fallen ließ. Aber wer kann wider die Wahrheit, zumal, wenn Tauſende als Zeugen fuͤr ſie da ſind!

Soll man aber gefaͤllten Urtheilen es anſehn koͤnnen, ob jemand wirklich Soldat ſey, oder ob er zur Equipage der Armee gehoͤre: ſo koͤnnte Re - cenſent ſelbſt Gefahr laufen, vielleicht auch zur Equipage mitgerechnet zu werden. Denn was und wie qualifizirt dazu, er uͤber den Feldzug von 1792 urtheile, lehrt der Augenſchein im II. B. S. 68 u. ff. Ich will einiges zur Probe anfuͤhren.

159

Nach S. 73 im II. B. der erſten Ausgabe, ha - ben die franzoͤſiſchen Prinzen den Operationsplan (fuͤr den erſten Feldzug) entworfen, und der Her - zog von Braunſchweig hat bloß die Ausfuͤhrung verſucht. Wenn er gleich ſelbſt uͤberzeugt war, nicht nach Paris zu kommen, ſo mußte er doch im - mer das Gegentheil laut behaupten, ſo lange der entworfene Plan durchgeſezt werden ſollte. Alſo war der Herzog der exequirende General der franzoͤſiſchen Prinzen! Alſo wollte er bloß die Ausfuͤhrung von etwas verſuchen, das Andere ent - worfen, er aber weder gebilliget, noch fuͤr moͤglich gehalten hat naͤmlich nach Paris zu kommen! Alſo machte er den militaͤriſchen Marktſchreyer und Renomiſten! Quot verba, tot abſurda! Recenſent giebt auf dieſe Art dem Kupferſtiche ja noch Ge - wicht, worauf die franzoͤſiſchen Prinzen, Generale und Biſchoͤfe, mit Laternen in der Hand, dem Preu - ßiſchen Heere vorleuchten; das Heer ſchon bis uͤber die Knoͤchel im Sumpfe wanket, mit Manifeſten, Ludwigskreuzen und Roſenkraͤnzen auf dem Ruͤcken, und welchem der Anfuͤhrer mit verbundenen Augen und gezucktem Degen nachreitet, mit den Worten vor dem Munde: Marſch, nach Paris!

Was die Manifeſte anbelangt, heißt es S. 75, ſo braucht man den großen Mann nur zu kennen, um zu wiſſen, daß er ſeinen Namen unterſchrieb,160 und ſie verlachte, ſich ihrer aber als ein Mittel be - diente, um zu wirken, weil 40000 Stimmen ſag - ten auf dieſe Art muͤſſe gewirkt werden, und ſo wuͤrde die Wirkung ihren Zweck nicht verfehlen. Alſo handelte der große Mann hier wieder nach der Auctoritaͤt Anderer und nach Mehrheit, vergaß daruͤber reifliche Selbſtpruͤfung und Erforſchung durch Emiſſaire u. dgl. und bediente ſich eines Mittels auf fremde Rechnung, das er auf eigne verlachte. Schade um die Profanierung des hoch - beruͤhmten Namens!

Der Zweck der Kanonade, faͤhrt unſer Herr S. 87 fort, war, der Franzoͤſiſchen Armee ſich ein - mal gegen uͤber zu zeigen, um zu ſehen, in wie ferne die Ausſage der Emigrirten: daß der groͤßte Theil (der franzoͤſiſchen Armee) uͤbergehen wuͤrde, wahr ſey oder nicht. Um dieſem Zeigen mehr Nachdruck zu geben, ſtellte der Herzog ihr allent - halben Truppen entgegen. (S. 88.) So blieb man dem Feinde gegen uͤber ſtehen, und hoffte ver - gebens auf den Uebergang der Franzoͤſiſchen Trup - pen. Der Glaube der Emigrirten daran war ſo ſtark, daß einige aus dem Gefolge des Koͤnigs nur noͤthig zu haben waͤhnten, ſich zu zeigen, und des - halb auf der Chauſſee vorritten, und mit ihren weißen Tuͤchern winkten ... (S. 89.) Allein keine Seele kam! Die entſcheidende Begebenheit161 alſo, die mit ſo vieler Gewißheit von den Emigrir - ten vorher verkuͤndet ward, worauf der ganze Plan der Campagne und alle bisherigen Schritte calculirt waren, war geſcheitert, und ſo der ganze Feldzug mit einem Male zu Waſſer geworden.

Ewige Schande uͤber das Vercalculiren nach dem Calcul unſers Recenſenten! Hatten denn die Fran - zoſen in Landau, als ſie den Trompeter, welchen Fuͤrſt von Hohenlohe im Vorbeygehen an ſie ab - ſchickte, erſchoſſen, nicht ſchon handgreiflich genug bewieſen, daß die Emigrirten Erzluͤgner wa - ren?*)Der franzoͤſiſche Freyheitskrieg an dem Oberrhein, der Saar und der Moſel I. B. S. 13. Dieß Werkchen verdient vor vielen aͤhnlichen den Vorzug. Nein der Verfaſſer der Briefe cal - culirte wahrlich weit richtiger, und der ganze Er - folg hat ſeinem Calcul entſprochen. Bey der Equi - page gab es alſo einen, der unbefangener und rich - tiger vorherſah und urtheilte, als Mancher an der Spitze. Aeſopus und Plautus waren indeß auch keine Centurionen, und ſagten doch manch wahres und brauchbares Wort, auch noch fuͤr un - ſere Zeiten. Und waͤre der Hr. Recenſent ein Julius Caͤſar, ſo haͤtte er dennoch ſehr geirrt, daß er dem Glauben an die Behauptung und denDritter Theil. L162Plan der Exprinzen und ihres Anhangs mehr zu - ſchreibt, als unſere Ehre und eine geſunde und ehr - liche Politik es je haͤtten erlauben koͤnnen oder er muͤßte recht auffallend haben zeigen wollen: daß der Glaube im Politiſchen eben ſo wenig ſelig ma - che, als im Theologiſchen, und daß eben diejenigen, die man im Herrſcherduͤnkel fuͤr die erſten Stuͤtzen des Staates haͤlt, oft gerade die lezten ſind, und, wenn ſie ihn gleich am meiſten untergraben, doch am wenigſten recht kennen.

Haͤtten, ſagt ein geuͤbter Seher unſrer Zei - ten*)Genius der Zeit, 1795. Jun, S. 25〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉, die Fuͤrſten, Miniſter und Raͤthe, welche die neuern Begebenheiten Europas herbeigezogen haben, weniger ihren Einſichten getrauet, weniger ihren Leidenſchaften und Vorurtheilen Gehoͤr gege - ben, und dagegen mehr die Geſchichte, mehr die Menſchen, und inſonderheit mehr die Werke des unſterblichen Friedrichs ſtudiert: ſo wuͤrden ſie nicht ſagen duͤrfen: ſie haͤtten nicht vorausſehen koͤnnen, was in der Folge geſchehen iſt. Daß ſie es vor - ausſehen konnten, iſt unlaͤugbar, da es voraus - geſehen iſt. Vorwuͤrfe deshalb helfen freilich nichts mehr, da geſchehene Dinge ſich nicht aͤndern laſſen; aber die Fehler zu bemerken, iſt ſehr heilſam, um Regenten zu uͤberzeugen, welchen Irrthuͤmern ſie163 ausgeſezt ſind, wenn ſie ihre Miniſter allein hoͤ - ren. So wahr iſt die Bemerkung eines vernuͤnfti - gen Mannes: Daß in unſern Zeiten die groͤßte Weisheit nicht in den Kabinettern geweſen iſt, und daß Buͤcher-Gelehrte den Lauf der Dinge beſſer be - urtheilt und richtiger vorausgeſehen haben, als die handelnden Staatsmaͤnner.

Bis dahin, faͤhrt Recenſent S. 89 fort, und meynt bis zur Kanonade, hatte die Politik den Krieg allein gefuͤhrt; jezt erſt trat die Kriegskunſt wieder in ihre Rechte. S. 90. Durch jene Spekulation war die Armee in der traurigſten Lage. S. 91. Ich habe keine Worte fuͤr das Ge - maͤlde unſeres Ruͤckzuges! In dieſer ſchrecklichen Lage konnte nicht die Frage ſeyn: Wie heraus - kommen? ſondern alles kam nur auf das Her - auskommen ſelbſt an. S. 92. Es blieb nur das uͤbrig, den Feind ſelbſt zu gewinnen. Daher entſtanden jene Unterhandlungen, die der Welt ſoviel Kopfbrechens gemacht haben. Der Herzog hatte durch eine Unterredung die franzoͤſi - ſchen Generale ſo fuͤr ſich eingenommen, daß ſie feſt glaubten, wir wuͤrden die Oeſtreicher verlaſ - ſen, und ihre Parthey ergreifen: und in dieſer Hoffnung gingen ſie einen ſtillſchweigenden Waffen - ſtillſtand mit den Preußen ein, wofuͤr ihnen die Zuruͤckgabe von Verdun verſprochen ward. In164 dieſem Waffenſtillſtand waren jedoch die Oeſtreicher und Emigrirten nicht mitbegriffen; und als der Ruͤckzug geſchah, ſuchten die Franzoſen ſelbige allenthalben, um ſie anzugreifen und zu Grunde zu richten. Dieſe aber brachen immer einen Tag fruͤher auf, und ſo wurden ſie von der Preußiſchen Armee masquirt. S. 93. Alles, außer der Raͤumung von Verdun und Longwy, beruhte indeß nur auf muͤndlichen Vertraͤgen: und ſo wie man uͤber die Graͤnze war, nahm man die Masque ab, und die Feindſeligkeiten fingen wieder an.

So alſo trieben es die Preußen? Ihre Kriegs - kunſt, wie ihre Politik behaͤlfe ſich alſo mit Mas - ken? Ein muͤndlicher Vertrag waͤre ihnen nicht eben ſo heilig, als ein ſchriftlicher? Dann haͤtten ja diejenigen ſo groß Unrecht nicht, die das punica fides mit der boruſſica jezt vertauſchen wollen!

Doch genug, um den Leſern ſelbſt es zu uͤber - laſſen, weit von beyden ſie bey der Equipage der Armee ſuchen wuͤrden, den Verfaſſer der Briefe, oder den Recenſenten derſelben in dem Magazin? Der Verfaſſer der Briefe iſt ſeiner Wahrheit und Wahrhaftigkeit, ſowohl in hiſtoriſcher als politi - ſcher Ruͤckſicht, auch bey der Nachwelt ſicher ge - nug, um keiner weitern Rechtfertigung vor ſeinen Zeitgenoſſen gegen einen hofierenden Recenſen〈…〉〈…〉 noch zu beduͤrfen. Sein Hauptverdienſt iſt, daß165 er den Geiſt des Krieges und deſſen naͤchſter Theil - nehmer unter Soldaten, Buͤrger und Bauer ge - treu ſchildert, und alles, was hierauf Bezug hat, und ſoweit ſein Bemerkungskreis reichte, offenher - zig vorerzaͤhlt, dann aber den Standpunkt und die Grundſaͤtze mit edler Freymuͤthigkeit angiebt, nach welchen man das Erzaͤhlte bald a priori, bald a poſteriori, entweder einzeln oder im Zuſammen - hange, nach Urſache und Wirkung, oder nach Grund und Folge ſelbſt uͤberſehen kann. Das Hi - ſtoriſche diente ihm alſo zum Vehikel des Politi - ſchen; und dadurch unterhielt und belehrte er den gemeinen Leſer, wie den hoͤhern.

Ob der Recenſent, wie die Hn. Mitverfaſſer des Magazins, ſich dieſes Verdienſtes auch ruͤh - men koͤnnen, das moͤgen Andere entſcheiden. Doch haben ſie das Verdienſt vor ihm voraus, daß ſie mehr, als er, das Taktiſche des Feldzuges be - merkten, und alſo mehr fuͤr den Soldaten, aber auch weniger, als er, fuͤr den Weltbuͤrger ſchrie - ben. Ganz in ſeiner Manier iſt indeß der zweyte Aufſatz im III. Bande S. 19*)Naͤmlich der Krieg der Griechen gegen die Perſer, in Ver - gleich mit dem jetzigen der Alliirten gegen Frankreich. Dieß war ein Wort ganz fuͤr den Macht - und Schwach -〈…〉〈…〉 unſerer Zeit! , der auch in kos - mopolitiſcher Ruͤckſicht allein mehr werth iſt, als166 die ganze Haͤlfte aller uͤbrigen. Indeß einem jeden das Seine; und was ich von beyden hier nebenher bemerkte, ſey ſalvo meliori bemerkt. Beyde inter - eſſiren mich nur in ſofern, als ſie, wie ich, eine Sache behandeln, auf deren wahre und richtige Darſtellung es fuͤr die Zukunft, in praktiſcher Ruͤck - ſicht, viel ankommt. Uebrigens moͤgen beyde ſich ſelbſt weiter wuͤrdigen und vertheidigen: ich kehre zu meiner Geſchichte zuruͤck, und hoffe wegen die - ſes Nebenſprunges um ſo eher Nachſicht, da er zu - gleich eine ganz eigne Anſicht des Feldzuges von 1792 dem Leſer eroͤffnet.

Unſern Koͤnig ſah ich hier in Begleitung einiger Generale, mitten unter den feindlichen Kugeln hin - reiten, und freute mich eben ſo ſehr uͤber das herr - liche Beyſpiel, welches dieſer muthvolle Monarch ſeinen Soldaten gab, als ich mich uͤber folgendes aͤußerſt dummes und abgeſchmacktes Geſpraͤch zweyer alter Unteroffiziere aͤrgerte. Ich will ſie A und B nennen:

A. Siehſt du den Alten*)In Sachſen und anderwaͤrts ſpricht man vom Regenten mit komplimentvollern Ausdrucken: da ſagt man: der gnaͤdigſte Kurfuͤrſt, Ihre Durchlaucht der Landgraf, Ihre Erzbiſchoͤfliche Gnaden u. ſ. w. Hingegen der Preuße ſagt ſchlechtweg: der Alte und legt auf dieſe Benennung doch mehr, als der Sachſe, der Heſſe und der Maynzer auf ſeine prunkvollen Titulaturen. dort?

167

B. Seh'n wohl: ſchau, wie die Kugeln ihm um den Kopf fliegen!

A. Wenn er nur nicht getroffen wird!

B. Narre, denkſt du denn, daß er das koͤnne?

A. Warum nicht? Wenn ihm eine Kugel an den Kopf faͤhrt, iſt er weg.

B. Ah, warum nicht gar! Eine eiſerne Ku - gel trifft den Koͤnig nicht.

A. Und wie das?

B. Schau, Bruder, das will ich dir ſagen: ich bin ein alter Soldat, und hab den ſiebenjaͤhri - gen Krieg mitgemacht; du kannſt mir alſo glauben, daß ich's verſtehe. Ein gekroͤntes Haupt wird von keinem Bley oder Eiſen getroffen: das faͤllt weg, und wenn der Koͤnig gerade unter die Batterie dort ritte!

A. Aber es ſind doch ſchon, wie man ſo hoͤrt, Koͤnige vom Feinde erſchoſſen worden.

B. Ja, wohl Bruder, aber das waren auch andre Kugeln; es waren Kugeln von Silber! Und ſiehſt du, Bruder, wenn die Franzoſen unſern Al - ten treffen wollen, ſo muͤſſen ſie ſilberne Kartaͤtſchen einladen, und dann wird er bald weg ſeyn.

A. Wenn das ſo iſt, dann hat der Alte gut dahin reiten!

B. Freilich wohl! Zudem haben die Koͤnige von Preußen das Privilegium, daß ihnen weder168 Hieb noch Schuß ſchaden kann. Deßwegen hat der alte Fritz im ſiebenjaͤhrigen Krieg oft ganze Haͤnde voll Bleykugeln aus ſeinen Ficken geholt, und die Kanonenkugeln mit dem Hut aufgefangen.

A. Hoͤre Bruder, du kannſt Recht haben! Drum gehn die Koͤnige in Preußen wohl auch nur noch allein ins Feld: ſie wuͤrden aber wohl huͤbſch zu Hauſe bleiben, wenn ſie ſich vorm Todtſchießen fuͤrchten muͤſten. Dann wuͤrden ſie's machen, wie der Kaiſer, der Koͤnig in Spanien und die andern Koͤnige. Die bleiben alle huͤbſch zu Hauſe, und laſſen ihre Leute fuͤr ſich todt, krum oder lahm ſchießen.

Durch ſolche abſurde aberglaͤubige Ideen entkraͤf - tet ein ſolcher Maͤhrchentroͤdler ein Beiſpiel von Tapferkeit, welches der Koͤnig ſeinem Heere giebt, und das fuͤr ſich ganz unwiderſtehlich wirken wuͤrde.

169

Vierzehntes Kapitel.

Begebenheiten nach der Kanonade bey Valmy.

Es iſt hier der Ort nicht, zu beweiſen, daß der da - malige franzoͤſiſche General Dumouriez weder uns noch ſeiner Nation ganz gewogen war. Daruͤber mag der Leſer in andern Buͤchern Auskunft ſuchen. Dumouriez haͤtte uns noch am Tage der Kanonade viel ſchaden koͤnnen, wenn er gewollt haͤtte: das iſt eine Wahrheit, welche unſre eignen Befehlsha - ber gerne eingeſtanden, und die auch aus der Natur unſrer Lage deutlich genug erhellet.

Nach einem wechſelſeitigen Feuer von ohnge - faͤhr vier Stunden wurde abmarſchiert, und wir zogen uns auf verſchiedne Huͤgel, welche wir be - ſezten. Der Koͤnig nahm ſein Quartier auf dem Vorwerke La Lune, welches vorher einem Emigrir - ten gehoͤrt hatte, damals aber ſchon an Bauren verkauft war.

Unſer Verluſt an Todten und Bleſſirten belief ſich auf 166 Mann: freilich ein ganz geringer Ver - luſt bey einer vierſtuͤndigen Kanonade, aber alle - mal groß genug, bey einer Kanonade, welche nach170 dem Zeugniß aller verſtaͤndigen Kriegsmaͤnner, ganz ohne alle Hoffnung eines Sieges oder reellen Vor - theils, unternommen war. Dieſen Verluſt wird der vorhin zurechtgewieſene Recenſent unmoͤglich laͤugnen koͤnnen; und nun moͤgte ich wiſſen, wie er ihn mit der von ihm angegebnen Abſicht der Ka - nonade reimen wolle. Schon die Kanonade ſelbſt widerſpricht ihr: denn welcher Kluge ſchießt auf Leute, auf deren Heruͤberkunft er wartet?

Die Verwundeten wurden auf ein Vorwerk ge - bracht, wo ſie wegen der elenden Pflege ſchon mei - ſtens in der erſten Nacht unter den heftigſten Qua - len hinſturben. Gar wenige von allen bey La Lune verwundeten Soldaten ſind mit dem Leben, und kein einziger iſt mit geraden Gliedern davon gekom - men. Das iſt freilich ſchrecklich, aber daran war auch meiſtens unſre mediziniſche Anſtalt Schuld, welche bey keiner Armee elender ſeyn kann, als ſie damals bey unſrer war. Das machte aber, weil man ſteif und feſt geglaubt hatte, die Franzoſen wuͤrden uns keinen Finger entzwey ſchießen. Man hatte ſich aber verrechnet, und das garſtig! Ich werde in einem eignen Kapitel von den Graͤu - eln der mediziniſchen Pflege unſrer braven Krieger in dieſem Feldzuge reden, unpartheiiſch zwar, aber doch ſo, wie ich dieſe Graͤuel ſelbſt geſehen habe.

Es war entſetzlich kalt den Abend nach der Ka -171 nonade: der Wind ging ſcharf, und mit Regen vermiſcht und wir muſten da unter freiem Him - mel ſtehen, bis den andern Tag gegen Abend, aus Furcht, Dumouriez moͤgte ſich ſeines Vortheils bedienen, und uns angreifen. Zum Feuermachen fehlte es an Holz, alſo lief man in die hinten liegen - den Doͤrfer, und holte da, was man von Holz vor - fand, hieb die Baͤume im Felde nieder, und machte große Feuer. Unſer Bataillon war ſo gluͤcklich, einige Wagen Brennholz zu erbeuten, welche fuͤr die franzoͤſiſche Armee beſtimmt waren.

Der Hunger quaͤlte uns alle: denn unſer Brod war ſchon lange verzehrt; und wenn man ſo unter freiem Himmel in Kaͤlte und Naͤſſe kampiren muß, hat man immer mehr Appetit, als in der warmen Stube. Eben ſo fehlte es uns an Waſſer: die Naͤhe des Feindes ließ es nicht zu, es herbey zu holen, und ſo litten wir auch gewaltigen Durſt. Einige Burſche, welche mehr Herz hatten, als andre, gin - gen aber doch hin und holten welches, das ſie her - nach theuer genug verkauften. Einmal wurde ein ſolcher Trupp Waſſerholer von einer feindlichen Patrouille aufgefangen, entging ihr aber wieder, weil die Finſterniß ſie beguͤnſtigte.

Gegen Tag ſorgte der Himmel ſelbſt fuͤr Waſ - ſer: denn es regnete gewaltig, und die Graͤben fuͤllten ſich. Da aber haͤtte man die durchnaͤßten,172 hungrigen und ſchmutzigen Soldaten hinrennen und trinken, oder vielmehr ſaufen ſehen ſollen!

Als es Tag wurde, verbreitete ſich Angſt und Schrecken in der ganzen Armee von neuem: jeder - man vermuthete, daß nun abermals ein neuer Angriff auf die Franzoſen wuͤrde gemacht werden. Ich fuͤr mein Theil glaubte das nicht, und war in dieſer Ruͤckſicht ruhig, ob ich es gleich nicht fuͤr un - moͤglich hielt, daß der Feind uns angreifen koͤnnte: und dann verſprach ich uns nichts weniger, als ei - nen gluͤcklichen Ausgang der Sache. Aber die Herren Franzoſen poſtirten ſich blos vortheilhafter und verſchanzten ſich nur noch beſſer, als den Tag vorher.

Jezt lief, wer laufen konnte und wollte, in die Doͤrfer, und holte Holz d. i. Thuͤren, Wagen, Faͤſſer, Leitern, Breter, Tiſche, Stuͤhle, kurz, was man an Holzwerk finden und fortbringen konnte. Die Baͤume, beſonders die ſchoͤnen Pappeln an den Wegen denn Champagne hat nur wenig Obſt - baͤume wurden weit und breit niedergehauen, um durch hinlaͤngliche Feuer einem zahlreichen Volke, das in Wind und Wetter unter freiem Him - mel ſtand, und noch immer einen Angriff befuͤrch - tete, hinlaͤngliche Waͤrme zu verſchaffen. Gegen Abend zuͤndeten die Oeſtreicher ein Doͤrfchen an, nachdem ſie daſſelbe erſt voͤllig gepluͤndert hatten. 173Das arme Doͤrfchen brannte bald ganz und gar nieder, weil der Wind unaufhoͤrlich braußte.

Dieſer Tag war zwar unſer Brodtag, aber wir hofften vergeblich auf Speiſe: unſre Brodwagen waren aus Furcht vor den Franzoſen zuruͤckgeblie - ben, und kamen erſt ſpaͤt am Abend. Der Hunger quaͤlte uns jedoch nicht ſo ſehr, als die immerwaͤh - rende Furcht uns aͤngſtigte, der Feind moͤgte uns angreifen. Ich ſuchte auf alle Art meinen Kame - raden dieſe Furcht zu benehmen, und nicht ohne Er - folg; und nachdem ſie mit der Zeit ſahen, daß ich Recht hatte, hielten ſie mich von nun an fuͤr einen Propheten, und fragten mich in Zukunft uͤber alle Vorfaͤlle, welche ſie befuͤrchteten oder wuͤnſchten.

Gegen Abend ſtießen die Oeſtreicher zu uns. Man hatte, ich weis nicht, warum? ausgeſprengt, daß ihre verſpaͤtete Ankunft eigentlich Schuld an unſerm ſchlechten Erfolg bey der Kanonade geweſen ſey: So raͤſonnirten ſogar viele Offiziere: aber jezt weis man das anders.

Gegen ſechs Uhr ſchlugen wir endlich unſre Zelter auf, erhielten Brod, und ruheten nun von den großen Strapatzen aus. Ich habe niemals erquickender geſchlafen, als dieſe Nacht. Lutze ver - ſorgte unſer Zelt am andern Tage mit guten V〈…〉〈…〉 - tualien, und ſo waren wir in unſerm Zelte, waͤh - rend die meiſten andern weiter nichts hatten als174 ihr Biſſel Kommißbrod, auf einige Tage geborgen. Ich muß es nochmals wiederholen, daß ich dem braven Lutze manche Saͤtigung verdankte, wo die uͤbrigen, ſogar die Offiziere, hungern muſten.

Am dritten Tage nach der Kanonade aͤnderten wir die Stellung unſers Lagers.

Als der Brodtag wieder kam, war kein Brod da. Man gab vor, die Wagen koͤnnten nicht vor - waͤrts wegen des entſetzlichen Kothes; und da wir den Weg, welchen die Wagen von Grandprée kommen mußten, ſehr wohl kannten, ſo beruhigten ſich die Leute. Die wahre Urſache aber war, daß die Franzoſen viele Wagen weggenommen hatten, und die andern ſich nun nicht getrauten, vorwaͤrts zu fahren, und alſo liegen blieben. Man hatte zwar in den umliegenden Doͤrfern alles ausge - pluͤndert, und daſelbſt allerley Eßwaaren noch vor - gefunden: allein das war doch fuͤr eine ſolche Menge wie nichts! Wenige hatten etwas erhaſcht, und die meiſten hatten gar nichts.

Es wurde daher bey der Parole man denke doch an die Fuͤrſorge! befohlen, Waizen zu dreſchen, ihn bis zum Zerplatzen zu ſieden mit Butter und Speck zu ſchmaͤlzen, und dann zu eſſen. Das war nun ſo ein Stuͤck von Parole - befehl, deren es in der Art mehrere gab ein〈…〉〈…〉 ausfuͤhrlicher Befehl!

175

Waizen war zwar noch in den Doͤrfern, aber wo ſollte man den dreſchen? Der Koth war Knie - tief, und darin driſcht ſichs gar uͤbel! Und woher ſollte man Speck, Butter und Salz nehmen, wel - ches alles in der ganzen Armee nicht zu haben war? Kein Marketender war da, ſogar der Jude war bey Grandprée zuruͤckgeblieben: wer alſo ſollte uns da das Noͤthige zum Schmaͤlzen beſorgen? Einige ſotten jedoch Waizenkoͤrner und aßen ſie ohne Salz und Schmalz vor lauter Hunger hinein. Optimum ciborum condimentum fames!

Es gab zwar dort herum auf einigen Aeckern noch Kartoffeln, welche man auch holte und kochte: aber leider war dieſes eine gar zu geringe Huͤlfe! die Aecker waren gar bald leer, und zudem waren die Kartoffeln von der Art derer, die man in Deutſch - land dem Viehe giebt: ſie vermehrten auch noch die damals alles zerſtoͤrende Ruhr.

Selbſt im koͤniglichen Hauptquartiere zu Hans war Mangel uͤber Mangel: auch da war kein Brod, und an Leckerſpeiſen war vollends gar nicht zu den - ken. Dieſer Mangel ward indeß dem franzoͤſiſchen Generale bekannt, welcher dann friſches Obſt und andre Dinge ins Hauptquartier ſchickte, um we - nigſtens den Koͤnig von Preußen, ſeinen Feind, und deſſen hohe Generalitaͤt vor Hunger zu ſichern. Dieſer Zug von Edelmuth vermehrte bey unſern176 Soldaten die gute Idee, welche ſie ſeit der Kano - nade von den Franzoſen ſchon hatten. Von nun an hoͤrte man auch faſt allgemein auf, ſie Spiz - buben, Racker, dumme Jungen u. dgl. zu ſchelten.

Man hatte auch von allen Orten her ſo viel Vieh zuſammen getrieben, als man nur konnte, und da er - hielt denn freylich der Soldat auch Fleiſch, aber mageres elendes ſtatt des Brods: und Brod muß der Soldat haben, wenn er nicht hungern, oder an Nebenſpeiſen nicht erkranken ſoll.

Als am 27ten endlich das Brod ankam der 25te und 26te war ausgefallen ſo befahl der Koͤnig, daß die Kompagnien dereinſt, aber doch bald, die ausgefallnen Brodtage den Soldaten bezahlen ſollten, oder vielmehr, er verſprach, ſie ſelbſt zu bezahlen. Aber dieſe Zahlung blieb aus! Ohne Zweifel hat der gutmuͤthige Monarch, der das Elend ſeiner Soldaten, welche uͤber 59 Stunden ohne alle Speiſe ſeyn mußten, wohl ſelbſt fuͤhlte, dieſen armen Leuten einen kleinen Erſatz an Gelde fuͤr dieſen Hunger beſtimmt: Aber wo das Geld blieb iſt eine andre Frage. Ohne Muͤhe ſieht man ein, daß ein ſolcher Betrug leicht zu begehen war: aber eben ſo leicht ſieht man ein, daß ein Betrug von der Art unter allen Schurkereien die allerſchaͤndlichſte, obgleich nicht die ungewoͤhn - lichſte iſt.

177

Am allerlaͤcherlichſten war der Parolebefehl wegen der Kreide. In Champagne giebt es ihrer viel, und nachdem man auf einem Huͤgel, recht ſchoͤne entdeckt hatte, mußten Leute hin, ſie auszugraben, und nun wurde befohlen, daß man dieſe Kreide unter die Soldaten vertheilen ſollte, mit dem Zuſatz: Se. Majeſtaͤt, der Koͤnig, ſchenke dieſe Kreide den Soldaten! In Champagne, dort bey Hans, war freylich der Ort, wo man Hoſen und Weſten mit Kreide weißen ſollte! Ja, wenn der Herr Jeſus da geweſen waͤre, und aus Kreide haͤtte Brod machen wollen!

Funfzehntes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Der Herzog von Braunſchweig machte gleich ei - nige Zeit nach der Kanonade einen Waffenſtillſtand mit dem General der Franzoſen, Kraft deſſen alle Hoſtilitaͤten vor der Hand unterbleiben ſollten.

Unſre Vorpoſten fanden waͤhrend dieſer Zeit aller Orten Zettel, welche die franzoͤſiſchen Pa -Dritter Theil. M178trouillen ausſtreuten, um unſre Leute zur Deſertion aufzumuntern. Ich werde hier mit des Leſers Er - laubniß einen ſolchen Zettel in deutſcher Sprache ſie waren deutſch und franzoͤſiſch mittheilen, und das vorzuͤglich deswegen, weil ich in der Folge ein Mehreres von der Lage der deutſchen De - ſerteurs in Frankreich erwaͤhnen muß. Ich ſchreibe zwar nicht gerne ab, weil das das Anſehen hat, als wollte man mit fremden Sachen die Bogen fuͤllen, aus Mangel an eignen: aber dann und wann iſts doch auch noͤthig, daß man ſchon gedruckte Dinge nochmals herſetze. Die Zettel hatten folgenden Inhalt: An die Oeſtreichiſchen und Preußiſchen Soldaten. Kameraden,

Eure Offiziere hintergehen euch immer, erzaͤh - len euch nichts als Unwahrheiten von dem Kriege, welchen wir wider den Kaiſer und den Koͤnig von Preußen fuͤhren. Vernehmet hiemit die wahre Urſache deſſelben!

Es ſind nunmehro drey Jahre verfloſſen, ſeit - dem die Franken, muͤde ihres Elendes und der un - aufhoͤrlichen Drangſale, welche der Adel und die Hofſchranzen ſie fuͤhlen ließen, und entſchloſſen, ſich zu raͤchen, die Waffen ergriffen, und feyerlich179 erklaͤrt haben: daß ſie keinen Adelſtand mehr dul - den wollen, und daß ſie, weil alle Menſchen Bruͤ - der und Kinder der naͤmlichen Mutter ſind, alle gleich ſeyn, und die Freyheit haben wollen, ſich nach ihrem Gutduͤnken zu regieren. Sie haben ihre Regierungsverfaſſung veraͤndert und ihrem Koͤnig die Macht benommen, ihnen Boͤſes zu thun. Zu gleicher Zeit hat man in allen Kantons des franzoͤſiſchen Reichs Maͤnner ernannt, deren Be - ſtimmung es iſt, ihnen gute Geſetze zu machen. Dieſe Buͤrger haben ſich verſammelt und erklaͤrt, daß die Franzoſen frey ſind, daß ſie alle gleich ſind, daß ein jeder nach ſeinem Verdienſte und ſei - nen Talenten zu allen Aemtern und Ehrenſtellen, ſowohl in der Armee, als in der Kirche und den Gerichtshoͤfen gelangen koͤnne: Sie haben die Fel - der von aller Knechtſchaft freygeſprochen: Sie ha - ben alle Auflagen, welche die Armuth druͤcken, aufgehoben: Sie haben die Kriegszucht angenehm gemacht, den Sold der Soldaten erhoͤht, und den Kriegsdienſt mit Vergnuͤgen und Ehre verbunden: Sie haben, mit einem Worte, ſo viel Gutes ge - ſtiftet, als ihnen moͤglich war. Alle Franzoſen, nur die Edelleute ausgenommen, waren mit dieſer Veraͤnderung zufrieden. Dieſe Edelleute ſind aus dem Reiche gegangen, und haben ſich bisher in den benachbarten Laͤndern aufgehalten. Sie haben180 alles gethan, was ſie konnten, um die auslaͤndi - ſchen Fuͤrſten zu Feinden der Franzoſen und ihres Vaterlands zu machen. Der Koͤnig von Frank - reich, welcher den Adel liebt, und unzufrieden iſt, einen Theil ſeiner Macht verlohren zu haben, kei - ne Taxen mehr auflegen und die Soldaten nicht mehr ſchlagen laſſen zu koͤnnen, hat gleich alles Moͤgliche gethan, die uͤbrigen Koͤnige zu vermoͤgen, uns den Krieg anzukuͤndigen. Der Kaiſer und der Koͤnig von Preußen haben die Waffen wider uns ergriffen, und wollen uns ſchlagen, um den Adel wieder herzuſtellen, und den Koͤnig wieder in den Stand zu ſetzen, alles zu thun, was er will. Sie ſind beſorgt, daß ihre Voͤlker es eben ſo, wie die Franzoſen machen, und gleich ihnen, Freiheit und Gleichheit verlangen moͤgen. Sie ſollen uns in - deſſen nicht hindern, andre Nationen an unſerm Gluͤcke Theil nehmen zu laſſen. Wir ſind Nie - manden feind.

Die Franzoſen ſind Bruͤder aller derer, welche frey ſeyn wollen, wie ſie. Es haͤngt von euch ab, uns nachzuahmen, und das iſt es, wozu wir euch einladen.

Unſere Nationalverſammlung, die aus recht - ſchaffenen Maͤnnern beſteht, welche wir ernannt haben, unſere Geſetze zu machen, will, daß alle oͤſtreichiſche und preußiſche Soldaten, welche ihren181 Dienſt verlaſſen, und nach Frankreich kommen, ſo lange ſie leben, einen Gehalt von 100 Livres ge - nießen, welcher ſich bis auf 500 Livres vermehren kann. So, wie einige derſelben ſterben, ſollen die uͤbrigen dabey gewinnen; und im Fall einer verhei - rathet iſt, ſoll die Wittwe nach ſeinem Tode den Gehalt genießen.

Sehet, Kameraden, wie wir die Soldaten behandeln, welche zu uns kommen, um unſre Frey - heit zu vertheidigen, und ſich derſelben mit uns zu erfreuen. Kommt alſo hin nach Frankreich, ins Land der Gleichheit und der Freude. Verlaßt die Edelleute und die Koͤnige, fuͤr welche ihr, wie eine Heerde Schafe, zur Schlachtbank geht, und kommt zu uns, euren Bruͤdern, ein Gluͤck zu ſu - chen, welches der Menſchen wuͤrdig iſt! Wir ſchwoͤ - ren es euch, daß wir euch hernach helfen wollen, eure Weiber, eure Kinder, eure Bruͤder, eure Schweſtern aus der Sklaverey zu retten, und ihr ſollt mit uns den Ruhm theilen, allen Voͤlkern von Europa die Freiheit zu ſchenken.

Dieſe Zettel, ob ſie gleich im Lager und in der ganzen Armee ſtark zirkelten, machten doch nur ſchwa - chen Eindruck, und verleiteten nicht viel Soldaten zur Deſertion: wenigſtens ſind von unſerm Regi - mente kaum 30 Mann in Frankreich vermißt wor - den. Das kam aber aus der ganz natuͤrlichen Ur -182 ſache, weil jederman glaubte, der Friede ſey im Werke, und darum denn hoffte, bald wieder zu Hauſe bey den Seinigen zu ſeyn. Haͤtten die guten Leute damals ſchon wiſſen ſollen, daß ſie erſt noch einige Jahre herumziehen muͤßten, ſo will ich das Leben verwetten, das Drittel der Armee waͤre bey Hans ausgeriſſen. Man ſah dieß im Jahre 1793 bey der Retirade, im Herbſt! Doch davon zu ſei - ner Zeit!

Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, die wir bey Hans im Lager ſtanden, abſcheulich: es regnete ohne Unterlaß, und dabey war es ſehr kalt. Alle Tage mußte friſches Stroh, oder vielmehr ungedroſchner Waizen aus den Doͤrfern geholt werden, wodurch denn alle Doͤrfer im Umkreiſe weit und breit leer wurden. Das Waſſer lief immer in die Zelter, und machte das Lagerſtroh zu Miſt: Alſo fri - ſches!

Sollte nach Waſſer oder Holz gegangen, oder das elende Kommißfleiſch gekocht werden, ſo zankte man ſich erſt eine halbe Stunde in den Zeltern her - um, wer gehen ſollte? an wen die Reihe waͤre? denn das Waſſer ſowohl, als das Holz muſte eine gute halbe Stunde vom Lager gelangt werden; und bis dorthin muſte man bis an die Knie im Kothe kneten. Feuer zum Kochen war ſehr ſchwer anzu - machen, weil man, nach geſchloßnem Waffenſtill -183 ſtande, kein duͤrres Holz aus den Doͤrfern mehr nehmen durfte, folglich mit gruͤnem Weiden - und Pappelholz ſich behelfen muſte. Dieſer Umſtand machte, daß, als das Brod ankam, die Burſche in zwey Tagen gar kein Kochfeuer machen wollten.

Die Preußiſche Reinlichkeit hatte zwar ſchon laͤngſt aufgehoͤrt: aber bey Hans haͤtte man die Herren Preußen, die ſonſt ſo gepuzten Preußen, Offiziere und Soldaten, ſchauen ſollen! Die weiſ - ſen Weſten und Hoſen waren uͤber und uͤber voll Schmutz, und noch obendrein vom Rauche gelb und ruſig: die Kamaſchen ſtarrten von Koth, die Schi〈…〉〈…〉 waren groͤßtentheils zerfezt, ſo daß man - che ſie mit Weiden zuſammen binden mußten: die Roͤcke zeigten allerley Farben von weiſſem, gelbem und rothem Lehm, die Huͤte hatten keine Form mehr, und hingen herab, wie die Nachtmuͤtzen; endlich die graͤßlichen Baͤrte denn wer dachte da ans Raſiren! gaben den Burſchen das leidige An - ſehen wilder Maͤnner. Kurz, wenn die Hottentotten zu Felde ziehen, ſo muͤſſen ihre Soldaten reinlicher ausſehn, als damals wir. Die Gewehre waren voll Roſt, und wuͤrden gewiß verſagt haben, wenn man haͤtte ſchießen wollen.

Der Herzog von Braunſchweig hatte indeſſen immer Unterhandlungen mit dem General Dumou - riez, wobey Hr. von Mannſtein als Geſchaͤfts -184 traͤger gebraucht wurde. Als ich von dieſen Unter - handlungen hoͤrte, machte ich einmal in Beyſeyn einiger Offiziere Bemerkungen daruͤber, und ſagte auf die Aeußerung eines gewiſſen Hr. Leutnants: Daß der General Dumouriez um Schonung baͤte ganz hitzig, daß die Reihe, um Schonung zu bit - ten, jezt an uns waͤre daß unſer Karren ſo tief im Kothe ſtaͤcke, daß wir Muͤhe haben wuͤr - den, ihn nur halbweg mit Ehren heraus zu ziehen u. ſ. w. Der Offizier hinterbrachte dieſe und andre meiner Aeußerungen meinem Hauptmann, und dieſer brave Offizier warnte mich nur unter vier Augen vor aͤhnlichen Aeußerungen. Er wollte, ſagte er, mit mir zwar nicht diſputiren, ob ich Recht oder Unrecht haͤtte; aber geſezt auch, ich haͤtte Recht, ſo waͤre doch hier der Ort nicht, ſo zu ſpre - chen, da ohnehin die Leute ſchwierig und deſperat waͤren.

Meines Hauptmanns Rede war ſehr vernuͤnf - tig: aber es geht einem doch auch hart ein, eine Wahrheit, eine intereſſante Wahrheit, die uns zu - naͤchſt angeht, bey ſich zu verbergen, und Lum - pereien mit anzuhoͤren, uͤber die man nicht lachen kann, weil ſie unſer Gefuͤhl empoͤren, um ſo mehr, da das Uebel, das aus dieſen Lumpereien ent - ſpringt, uns ſelbſt niederbeugt. Wenn einer z. B. uͤber 20 Jahre Hn. Schirachs politiſches Journal185 oder die Neuwieder Zeitungsſudelei u. dgl. nach - lieſt wenn naͤmlich dieſe und aͤhnliche Wiſche nicht alle ſammt und ſonders dann laͤngſt verlacht und vergeſſen ſind ſo wird er freilich uͤber die große Dummheit und Unverſchaͤmtheit dieſer Skri - bler lachen: aber jezt, wer bedenkt, daß dieſe Schreier zum allgemeinen Elende ſo vieler Laͤnder und Menſchen, und zum phyſiſchen und morali - ſchen Verderben unſers lieben Vaterlandes auch ihr verfluchtes Schaͤrflein beygetragen, und geblendete Gruͤzkoͤpfe noch mehr verblendet haben, der kann die Wiſche von Neuwied, die des Hn. Schirach und von Goͤchhauſen nicht ohne Eckel und Abſcheu in die Hand nehmen. Ich bedaure daher auch je - den ehrlichen Mann, der dieſe Schmiralien leſen muß, und geſtehe gern, daß ich lieber Pater Ko - chems Legende, Oswalds Unterhaltungen und den Kaiſer Oktavianus leſen wollte, als die politi - ſchen Siebenſachen eines Schirach, Goͤchhauſen, Reichards in Gotha, und anderer ihres Gelichters.

Ich habe dringende Wahrheiten nie ganz in Petto halten koͤnnen, und da ich immer nicht gleich - geſinnte Menſchen um mich hatte, ſo wurde ich bald als ein Patriot, bald als ein Jakobiner, dann als Demokrat, und wer weis, was noch alles, ausgeſchrieen. Aber geſchadet hat mir mein freies Gerede niemals: denn im Preußiſchen Heere ſind186 Maͤnner genug, die auch wiſſen, wo Barthel Moſt holt; und bey dieſen, und durch dieſe, war ich im - mer ſicher.

Es iſt ganz gewiß, daß der Herzog von Braun - ſchweig, nothgedrungen, den erſten Vorſchlag zum Waffenſtillſtand gethan hat. Dumouriez nahm dieſen Vorſchlag aus Gefaͤlligkeit gegen uns an, und hatte, wie mich duͤnkt, hinlaͤngliche Urſache dazu. Er konnte naͤmlich hoffen, daß der Koͤnig von Preußen Friede mit den Franzoſen machen wuͤrde, und ſo hatte die Republik denn Frank - reich war damals ſchon eine einen maͤchtigen Feind vom Halſe. In dieſer Abſicht ſchickte er eine Erklaͤrung ins Preußiſche Lager, worin er mit den beſten Gruͤnden und ſtarker maͤnnlicher Bered - ſamkeit die Vortheile darlegte, den Preußen aus dem Frieden mit Frankreich ziehen koͤnnte. Ob man aber Dumouriez's Gruͤnde fuͤr guͤltig anſah, oder nicht, kann ich nicht ſagen: genug, der Her - zog ſchickte, ohne auf des franzoͤſiſchen Generals Vorſtellungen zu achten, demſelben am 28ten September abermals ein Manifeſt, welches zwar den gebieteriſchen Ton des Koblenzer Aufſatzes nicht fuͤhrte, doch aber noch immer die Herſtellung Lud - wigs XVI. und des erblichen Koͤnigthums erwaͤhnte.

Und dieſem Manifeſte, welches zu gar nichts nuͤtzen konnte, iſt denn auch der tragiſche Ruͤckzug187 der Deutſchen, der Einfall des Cuͤſtine in die dießſeitigen Rheinlaͤnder und das daraus entſtandene Elend ſo vieler Tauſenden von Menſchen zuzurech - nen!

Es iſt unbegreiflich, wie ein Fuͤrſt, ein ſo hell - ſehender Fuͤrſt, als der Herzog von Braunſchweig iſt, es uͤberſah, daß er mit einem Feinde zu thun hatte, den er mit Gewalt nicht mehr zwingen konnte: und daß Er, troz unſrer jaͤmmerlichen Lage, es den - noch wagte, dieſem Feinde eine abermalige Kriegs - erklaͤrung zuzuſchicken! Ich mag dieſen Punkt, deſſen Reſultate von ſelbſt in die Augen fallen, nicht weiter verfolgen, glaube aber immer, daß dieſes Manifeſt dem weiſen Fuͤrſten neuerdings extor - quirt iſt.

Dumouriez indeß nahm das Manifeſt auf, wie er mußte. Er erklaͤrte in einem Briefe an den General Mannſtein: daß nun aller Waffen - ſtillſtand aufgehoben ſey, und daß die Feindſelig - keiten ihren Anfang wieder nehmen muͤßten. Der General Mannſtein, ein kluger, erfahrner Mann, fuͤhlte ſchon im Voraus die traurigen Folgen einer abermaligen Feindſeligkeit, und ſuchte daher den General der Franzoſen auf jede glimpfliche Art zu beſaͤnftigen: allein Dumouriez blieb unerbittlich, bis endlich der Hr. Graf von Kalkreuth nach ſeiner ihm ganz eignen Klugheit durch ſeine uͤber -188 zeugende und gewandte Beredſamkeit bey Duͤ - mouriez und den uͤbrigen fraͤnkiſchen Heerfuͤh - rern ſo viel bewirkte, daß man die Preußen ab - ziehen ließ.

Es ſtand wahrlich bey den franzoͤſiſchen Gene - ralen, ob ſie die Preußen abziehen laſſen, oder ob ſie dieſelben gefangen nehmen wollten. Warum ſie das lezte nicht thaten, oder wenigſtens den Ruͤckzug nicht noch mehr erſchwerten, iſt mir ein Raͤthſel, welches aber zu ſeiner Zeit vielleicht noch geloͤßt werden duͤrfte. Hr. Graf von Kalkreuth koͤnnte den beſten Schluͤſſel dazu hergeben. Nie - mals aber iſt die Preußiſche Armee und ihr guter Koͤnig in groͤßerer Gefahr geweſen; als am 29ten September, 1792.

Sechszehntes Kapitel.

Jaͤmmerlicher Abzug aus Frankreich.

Am 29ten September, alſo an eben dem Tage man merke das Dringende! wo der Herr Graf von Kalkreuth mit Dumouriez Traktaten ge - macht hatte, brach unſre Armee ſchon auf, und ruͤckte zuruͤck, oder vielmehr ſie aͤnderte nur ihre Po -189 ſition ruͤckwaͤrts, und am 30ten gings wirklich zuruͤck.

Das Wetter war Anfangs recht gut, naͤmlich vom 29ten an: allein am dritten October fiel wieder das Regenwetter ein, und nahm kein Ende, ſo lange wir noch in Frankreich uns ſchleppten.

Man hatte in der ganzen Armee ausgeſprengt: der Friede mit Frankreich ſey gewiß, und die Fran - zoſen haͤtten ſich gegeben d. i. den alten Deſpotis - mus wieder angenommen; wir haͤtten alſo in Frank - reich nichts weiter zu ſchaffen, und waͤren darum jezt auf dem Wege nach Hauſe. Mir kam das Ding gleich ſpaniſch vor, weil ich nicht begreifen konnte, wie eine Nation, welche einen 10ten Auguſt und einen 2ten, 3ten und 4ten September mit Schrecken gehabt und gefoͤrdert hatte, ſich haͤtte geben koͤnnen, zumal da die Armee, welche ſie hatte demuͤthigen wollen, damals ſelbſt gedemuͤ - thiget, und ihr alſo nicht mehr fuͤrchterlich war, auch es nicht mehr werden konnte. Ich theilte meine Bedenklichkeiten einigen Maͤnnern im Regi - mente mit, welche auch Selbſtdenken gelernt hat - ten, und dieſe gaben mir, nachdem ich ihnen alle meine Gruͤnde vorgelegt hatte, Recht. Beſonders erinnere ich mich der guten und geraden Einſicht des Herrn Leutnants von Drygalsky, der ſchon, ehe wir aus dem Lager bey Hans aufbrachen,190 einen Einfall der Franzoſen in Deutſchland mit mir gleichſam als gewiß vermuthete. Es wurde uns zwar ſtark widerſprochen, aber, leider; bald er - fuhr man, daß wir uns nicht geirrt hatten. Ueber - haupt muß man bemerken, daß der Preußiſche Offizier ſich es erlaubt, uͤber dergleichen oͤffent - liche Gegenſtaͤnde ſelbſt frey zu denken, und ſich nicht ſcheut, ſeine Gedanken auch zu ſagen, geſezt auch, er vermuthe eben nicht viel Gutes. Der Oeſtreicher iſt hierin anders geſinnt: der glaubt ſteif und feſt, ſein gnaͤdigſter Kaiſer muͤſſe halter gewinnen: der ſey halter unuͤberwindlich! Und ſo was macht ſicher und lehrt nicht raffiniren!

Den vierten Oktober war ein ganz abſcheulicher Marſch. Wir waren ſchon ſehr fruͤhe aufgebrochen, aber der jaͤmmerliche Weg hinderte das Geſchuͤtz, vorwaͤrts zu kommen: alſo mußten wir den gan - zen Tag, bis in die ſpaͤte Nacht unterwegs bleiben, und uns von dem unaufhoͤrlichen kalten Regen bis auf die Haut netzen laſſen. Spaͤt in der Nacht, ohngefaͤhr nach zehn Uhr, kamen wir auf dem Platze bey Beſancy an, wo wir unſer Lager ſchlagen ſollten, oder vielmehr, es kam nur ein großer Theil unſrer Armee dort an: denn gar ſehr viele waren zuruͤck geblieben, theils weil ſie nicht mehr fortkonn - ten, theils auch, weil ſie ſich in der ſtockfinſtern Nacht verirrt hatten.

191

Hier ſah ich ein graͤßliches Schauſpiel. Der Packknecht des Hn. Leutnants von Baſchwitz war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen, und dort eingeſchlafen. Ein Offizier vom Regimente Woldeck ritt eben auch da durch, und ſein Pferd trat dem armen Kerl auf die Bruſt, daß ihm das Blut zum Munde herausquoll. Wahrſcheinlich hatte der Offizier dieſen Unfall nicht bemerket. Der Packknecht wurde unter unaufhoͤrlichem Jammern eine Strecke vorwaͤrts getragen, um ihm Huͤlfe zu ſchaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen, worauf man Kranke haͤtte legen koͤnnen. Man ſezte ihn alſo ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege liegen, wo er wahrſcheinlich geſtorben iſt; wenig - ſtens hat man ihn nicht mehr geſehen.

Ein anderes Ungluͤck traf auf demſelben Marſche einen Artilleriſten, dem beyde Beine durch das Umwerfen einer Kanone zerſchmettert wurden: auch dieſer iſt im Kothe liegen blieben, und geſtorben.

Den Tag nach dieſem ſcheußlichen Marſche war Ruhetag: man mußte naͤmlich Halt machen, um den zuruͤckgebliebnen Leuten Zeit zu laſſen, ſich wie - der zu ſammeln. Hier ſah man das erſte Mal Viele ohne Gewehr und Patrontaſche ankommen. Die armen Leute hatten ſchon vollauf Muͤhe, nur ihren Koͤrper fortzuſchleppen, warfen alſo die Waffen weg, unter deren Laſt ſie ſonſt haͤtten erliegen muͤſ -192 ſen. Einige ſchmiſſen ſogar ihre Torniſter fort. Der Koͤnig ſelbſt hat auf dieſem jaͤmmerlichen Ruͤck - zuge allen Soldaten, die er durch Hunger, Kaͤlte, Regen und Ruhr abgemattet, und wie Skelette geſtaltet, einzeln unterwegs autraf, den Rath ge - geben, ihr Gewehr wegzuwerfen, mit dem Zuſatz: er wollte ihnen ſchon wieder andere ſchaffen. Eben dieſes riethen den abgematteten Kriegern alle Ge - nerale und Offiziere, in deren Buſen noch Menſch - lichkeit rege war.

An dieſem Ruhetage nahm Hr. von Man - delsloh mich mit in das Dorf Beſancy, um einigen Vorrath aufzuſuchen, der jezt aͤußerſt ſelten geworden war. Ich war hier ſo gluͤcklich, das Haus eines ehrlichen Bauers, durch des Hn. von Mandelsloh nachdruͤckliches Verwenden, gegen die Anfaͤlle der Soldaten vom Regimente Woldeck vor der Pluͤnderung, und deſſen Scheune vor dem Furaſchiren zu ſchuͤtzen; und dieſes verſuͤßte mir nachher die Beſchwerlichkeit des aͤußerſt kothigen Weges, wenn ich ſo gieng und dachte an das: homo homini lupus.

Der Soldat im Lager iſt gewoͤhnlich lebhaft und munter: er ſingt, und treibt ſonſt allerley, um die Zeit hinzubringen, und das Laͤſtige ſich zu vergeſſen. Aber in den Laͤgern, welche wir, be - ſonders auf dem Ruͤckzuge aus Frankreich, auf -193 ſchlugen, herrſchte Todtenſtille: kein lautes Wort hoͤrte man, wenn nicht hie und da einer fluchte, oder mit ſeinem Kameraden zankte. Freundlicher Zuſpruch war ganz außer Mode.

Von da marſchirten wir einige Tage hinter ein - ander, oder vielmehr wir wateten durch Waſſer und Koth bis auf den 9ten October. Wegen der gewaltigen Wege und des beynahe immer anhal - tenden Regens konnte man nur ganz kleine Maͤrſche von 3, 4 hoͤchſtens 5 Stunden machen, und doch brach man jedesmal mit dem Tage, oft auch noch vor Tage auf, und marſchirte bis zur ſinkenden Nacht. Kamen wir dann endlich an den Ort, wo das Lager ſeyn ſollte, ſo wurden die Zelter auf - geſtellt, freylich nicht ſo, wie bey der Revuͤe zu Magdeburg oder zu Berlin, ſondern, wie man nur konnte. Oft legten ſich die Soldaten aus mehrern Zelten zuſammen in Eins, und ließen die andern unaufgeſchlagen im Kothe liegen.

Waren die Zelter aufgeſchlagen, ſo giengs in die Doͤrfer nach Stroh und Holz, und nach Futter fuͤr die Pferde: beyher wurde mitgenommen, was noch da war, und die entflohnen Einwohner nicht vergraben oder verſteckt hatten. Alle Doͤrfer, bey denen die Armee geſtanden hatte, wurden wuͤſt und oͤde. Fand man in den Gaͤrten noch Gemuͤſe, ſo mach -Dritter Theil. N194ten die hungernden Soldaten ſie ſich zu Nutze und kochten ſie zum Kommißfleiſch. In dieſen Gegen - den giebt es ſtarke Bienenzucht: aber die Bienen - ſtoͤcke, welche in den Doͤrfern, die wir paſſirten, an - zutreffen waren, wurden alle verdorben und beraubt. Manche Soldaten wurden dabey oft ſo von den Bienen zerſtochen, daß ſie ganz unkenntliche Larven hatten. Der Anblick dieſer im Geſicht und an den Haͤnden dickgeſchwollner Bienenſtuͤrmer hat Manche lachen gemacht.

Das Elend wurde taͤglich groͤßer: die Wege wur - den immer ſchlechter, und die Mannſchaft, wie die Pferde, matter und kraͤnker. Von Hans an bis nach Luxembourg war der Marſch der Preußen mit todten Pferden wie angefuͤllt: alle fuͤnf Schritte lag ſo ein Thier, entweder ſchon todt oder doch dem Tode nahe. Manche hatte man auch, weil ſie gar nicht mehr ziehen konnten, laufen laſſen und ſie dem Hungertode preis gegeben. Vielleicht ha - ben nach unſerm Abzuge die Bauren ſie aufgefan - gen oder aus Mitleid getoͤdtet. Es war wirklich ein ſchrecklicher Anblick, ſo viel armes Vieh daherum liegen zu ſehen, das zum Theil noch lebte, und uͤber deren Koͤrper Wagen, andre Pferde und Men - ſchen quatſchten. Aber fuͤr Pferde durfte man damals kein Mitleid haben: man konnte es nicht 'mal fuͤr Menſchen!

195

Die Kranken mir ſchaudert noch die Haut, wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke, welches unſre armen Kranken auf dieſer verfluchten Retirade uͤberſtehen mußten! Die Kranken alſo mehrten ſich jeden Tag, ſo, daß endlich kaum Fuhren genug zu haben waren, ſie wegzubringen. Das Uebel, welches unſer Heer ſo ſchrecklich zer - ſtoͤrte, war, wie wir wiſſen, beſonders die Ruhr: es lagen aber auch ſehr viele an Gicht und andern arthri - tiſchen Zufaͤllen. Die Ruhr mehrte ſich durch den Nothgenuß des unreifen Obſtes und Weins.

Unſre Laͤger ſahen bey unſerm Aufbruch auch hier noch immer aus, wie Begraͤbnißſtaͤtten, oder wie Spitalhoͤfe. Die eckelhaften blutigen Exkre - mente machten einen ſcheußlichen, und die da und dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbaͤrm - lich Ringenden einen ſchrecklichen Anblick. Jeden Tag hatte ich den deutlichſten Beweis fuͤr meinen alten Satz: daß der Menſch nach unſrer jetzi - gen buͤrgerlichen Einrichtung eigentlich wie beſtimmt ſey, laſterhaft und ungluͤcklich zu werden, und daß wenigſtens gewiſſe Vorſchriften der Mo - ralphiloſophie ſich jezt oft nicht anwenden laſſen, folglich jezt nichts weniger, als allgemein ſind. *)Was Rouſſeau in dieſer Ruͤckſicht, den Kuͤnſten und Wiſ - ſenſchaften zur Laſt gelegt hat, iſt bekannt: aber die Englaͤnde - rin, M. Wollſtone[c]raft, ſah tiefer und〈…〉〈…〉. Die

196

Wie viel laſterhafte Menſchen und wie viel Elende und Ungluͤckliche hat der jetzige Krieg gegen die Franzoſen nicht ſchon gemacht! Und doch iſt der Krieg ſelbſt, laut aller Buͤcher uͤber theologiſche und philoſophiſche Moral, von Hugo Grotins bis auf Goͤchhauſens hochadliche Schriften, kein Laſter fuͤr ſich, ja, er muß wohl noch eine edle Hand - lung ſeyn nach den hohen und vielen Lobſpruͤchen, die wir in unſern Dedikationen, Gedichten und Predigten auf die Helden antreffen. Die Laſter und das Elend, welches der Krieg mit ſich bringt, ſind freylich Accidenze, wie die Herren Jeruſa - lem, Herder, Iſelin und andre große Maͤnner ſprechen. Aber es ſind doch Accidenze, welche aus dem Weſen des Kriegs ſelbſt fließen, folglich davon unzertrennlich ſind. Da nun der Krieg nicht nur nicht unerlaubt, ſondern ſogar in gewiſſen[vo]llen Pflicht iſt (nach Grotins und Paf - fendorf): ſo muß man oft aus Pflicht etwas un - ternehmen, wovon Elend und Laſter unzertrennlich*)Gedanken und Aeußerungen dieſes philoſophiſchen Weibes verdienen in mehr als einer Ruͤckſicht die Beachtung aller Maͤnner, wel - chen Menſchempohl warm am Herzen liegt. Man findet ſie in der Rettung der Rechte des Weibes, mit Be - merkungen uͤber politiſche und moraliſche Gegenſtaͤnde, Aus dem Engl. mit Anmerkungen von Salzmann. Man ſehe nur die erſten Kapitel des I. Bandes durch, um ſelbſt zu ſehen, ob ich zuviel ſage.197 ſind, ja, wodurch beyde vermehrt und da, wo ſie noch nicht ſind, nothwendig erzeugt werden. Folg - lich hat die Natur, oder das, was ſonſt dieſe gegen - waͤrtige Einrichtung der Dinge gemacht hat, ſehr uͤbel fuͤr das menſchliche Geſchlecht geſorgt, indem ſie uns Pflichten auferlegt, deren Erfuͤllung Elend und Laſter verbreitet, und uns zur Erfuͤllung andrer Pflichten, und zum Genuß der gemeinſchaftlichen Guͤter unfaͤhig macht. Das ſind freylich abſcheu - liche Wahrheiten, aber es ſind doch Wahrheiten, welche ſich leider bey der Betrachtung ſolcher ab - ſcheulicher Gegenſtaͤnde, wie der Krieg iſt, von ſelbſt aufdringen. Ich will ſie nicht weiter ausfuͤhren, und wuͤnſche alle meinen Leſern, daß ſie durch eigne Erfahrung nie davon moͤgen uͤberzeugt werden. *)Um die Wichtigkeit dieſes Wunſches, nach der ganzen Abſcheu - lichkeit des Krieges, naͤher kennen zu lernen, leſe man den II. B. des goldnen Romans: Tra[ſ]imor, S. 157 u. ff. : dann den Aufſatz uͤber den Krieg im II. Th. der Briefe uͤber die wichtigſten Gegenſtaͤnde der Menſchheit, S. 147 ff. Wen hier nicht ſchaudert und dieß nicht antreibt, mit ganzer Seele in meinen Wunſch einzuſtimmen, iſt mehr als Unmenſch.Kants philoſophiſcher Entwurf zum ewigen Frie - den waͤre freilich das beſte Praͤſervativ dawider: aber dieſer philoſophiſche Erloͤſer der Welt prediget jezt noch in der Wuͤſte.

Die Todten, welche im Lager geſtorben waren, ſind dort liegen blieben, und man uͤberließ ihr198 Begraͤbniß den Franzoſen, welche allemal uͤber die Stellen uns nachzogen, wo unſre Laͤger geſtanden waren. Dieſe, ob ſie gleich als Franzoſen unſre Feinde haͤtten ſeyn ſollen, hatten doch als gutmuͤ - thige Menſchen, Mitleid mit unſerm Elende, und bedaurten die armen Ungluͤcklichen, die ſo jaͤmmer - lich um ihr Leben kommen mußten. Als ich im J. 1794 im Sommer, auf Robespierre's Be - fehl, zu Mâcon im Gefaͤngniß ſaß, ſprach ich mit einem Chaſſeur, welcher zur Zeit unſrer Reti - rade bey der Armee des Generals Duͤmouriez geweſen, und unſrer Armee mitnachgezogen war. Dieſer verſicherte mich, und ich konnte es gar leicht glauben, daß ſie mehrmals Halbtodte angetroffen haͤtten, zuruͤckgelaſſen von den Preußen in ihren Laͤgern. Daß man wirklich Todte unbegraben liegen ließ, entſchuldiget unſere damalige Lage: daß man aber auch unvermoͤgende lebendige Menſchen dahinliegen ließ, war doch ſchrecklich und grauſam! Der Koͤnig hat von dieſer Barbarey gewiß nichts gewußt, vielleicht wußten es nicht einmal die hohen Generale: aber einzelne Offiziere haͤtten es wiſſen muͤſſen, und dieſe haͤtte man zu ſchwerer Verant - wortung ziehen ſollen. Doch wo kein Klaͤger iſt, da iſt auch kein Richter; und wer verklagt gern ſeinen Hauptmann? Daß indeß dieſer Anblick den Franzoſen gedient hat, ſich in ihrem199 Abſcheu gegen alles, was Monarch und Monarchie heißt, noch mehr zu befeſtigen, laͤßt ſich denken, und der Chaſſeur erzaͤhlte mir ſehr viel davon.

Auf den Wagen, worauf die Kranken transpor - tirt wurden, fehlte es an aller Bequemlichkeit: die armen Leute wurden drauf geworfen, wenn ſie ſich nicht ſelbſt noch helfen konnten, wie man die Kaͤlber auf die Karren wirft, und damit war es dann gut. Niemand bekuͤmmerte ſich, ob ſo ein Kranker etwas unter dem Leibe oder dem Kopfe hatte, ob er bedeckt war, oder nicht: denn die, welche ſich um dergleichen haͤtten bekuͤmmern ſollen, wa - ren meiſtens ſelbſt krank, und hatten kaum Kraͤfte genug, ſich fortzuſchleppen. Starb einer unterwegs, ſo warf man ihn von dem Wagen auf die Seite, und ließ ihn unbegraben liegen. Oft warf man noch Lebende mit herunter, die dann aufs jaͤmmer - lichſte im Schlamme verrecken mußten*)Verrecken iſt freilich ein ſehr unedles Wort: es paſſet aber vollkommen, die Todesart unſrer Bruder auf dem Ruͤckzuge aus Frankreich zu bezeichnen. Quid ſumus! . Meine Leſer muͤſſen hier nicht an Uebertreibung denken: ich wuͤrde, wenn ich auch noch abſcheulicher ſchil - derte, doch lange nicht genug ſagen .**)Man ſehe auch noch: Geſchichte der Deutſchen in Frank - reich, von Naue, B. II. S. 191..

200

Auf allen Doͤrfern blieben Kranke zuruͤck, die denn meiſtentheils aus Mangel an Pflege und Nahrung jaͤmmerlich umkamen.

Siebzehntes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Den 8ten Oktober mußte der Befehl gegeben wer - den, die Doͤrfer in der Gegend auszupluͤndern. Viele unſrer Leute glaubten, das ſey die Folge ei - nes geringen Angriffs der Franzoſen auf die Oeſt - reicher, und meynten, daß man auf dieſe Art je - nes Unrecht (man denke doch!) durch Pluͤnderung der armen Bauren raͤchen wollte. Allein dieſer Gedanke war falſch: denn blos der große Mangel an Nahrung fuͤr Menſchen und Vieh, und beſon - ders fuͤr das Hauptquartier, noͤthigte den Herzog von Braunſchweig, dieſen ſonſt menſchenfreundlich denkenden Fuͤrſten, die Auspluͤnderung von etwa neun Doͤrfern zu befehlen, welche auch durch meh - rere Bataillons Jufauterie und Huſaren ausge - fuͤhrt wurde.

Der Herzog hatte zwar befohlen, daß man ſtrenge Mannszucht halten, und beym Pluͤndern niemand beleidigen ſollte. Aber man bedenke, ob201 ein ſolcher Befehl wohl, als zur rechten Zeit gege - ben, angeſehen werden koͤnne? Einem Soldaten, welcher pluͤndern ſoll, welcher in Feindes Landen zu ſeyn glaubt, welcher ſeit zwey Monaten alles Elend ausgeſtanden hat, und darum vor lauter Erbitterung grollſinnig einherſchleicht, dem will man befehlen, beym Pluͤndern menſchlich zu ſeyn? Aber die Herren waren es auch nicht im gering - ſten: die Pferde, Ochſen, Schweine, Huͤner, Gaͤnſe, kurz, alles, was man nur von Vieh fin - den konnte, ſogar Hunde, trieb man zuſammen. Dann nahm man aus den Doͤrfern, was nur noch zu nehmen war, beſonders den ungedroſchnen Wai - zen fuͤr die Pferde, und pruͤgelten die Bauren[und] die Weiber, welche nicht noch entflohen waren, gar jaͤmmerlich. Es waren aber zn der Zeit wenige noch entflohen, weil ſie glaubten, Preußen und ihre Nation habe einen friedlichen Traktat abge - ſchloſſen, und erſtere zoͤgen als ihre Freunde jezt zuruͤck. Man hat fuͤr gewiß verſichert, daß bey dieſer Pluͤnderung mehrere Bauren todtgeſchlagen oder todtgehauen ſeyen; und ich mag dieſes gar nicht in Zweifel ziehen: ich weis, wie ſehr unſer Volk litt, und wie ſehr es eben darum gegen die Franzoſen, die ein großer Theil noch immer als die Urheber alles ihres Ungluͤcks anſah, aufge - bracht war.

202

Alle Furage; alles Gemuͤſe u. ſ. w. wurde am Hauptquartier zu Conconvoix in Empfang genom - men. Daruͤber entſtand ein graͤuliches Murren, beſonders unter den Huſaren, welche nun nichts fuͤr ihre Pferde zu fuͤttern hatten: dieſes Murren aber legte ſich, als man ihnen verſprach, ſie den andern Tag abermals pluͤndern zu laſſen.

Es war wirklich ſonderbar anzuſehen, wenn ein Bauer, dem ſein Pferd oder ſeine Ochſen, Kuͤhe u. ſ. w. genommen waren, ins Lager kam, und ſich beſchwerte. Man befahl ihm, das ent - wendete Stuͤck Vieh aufzuſuchen, fuͤhrte ihn aber nicht dahin, wo er es haͤtte treffen koͤnnen; und traf er es von ungefaͤhr, ſo ſchwur gleich ein Hu - ſar oder ſonſt jemand Stein und Bein zuſammen, daß ſich der Bauer irrte, und dann mußte dieſer abfahren, auch wohl, wenn er ſich nicht gleich fuͤgte, noch eine Tracht Hiebe mit nach Hauſe nehmen. Doch muß ich dem Herzog und dem Ge - neral Kalkreuth nachruͤhmen, daß ſie entwen - detes Vieh einigemal wirklich haben zuruͤckgeben laſſen.

Am 9ten Oktober wurde alſo abermals gepluͤn - dert oder, wie man es nannte, furaſchiert. Mir iſt nicht ſelten der Gedanke eingefallen, daß, wenn die Franzoſen das dortige flache Land auf fuͤnf Meilen im Umkreiſe zerſtoͤrt und die Doͤrfer203 abgebrannt haͤtten, die Preußiſche Armee in die aͤußerſte Hungersnoth gerathen waͤre.

Um dieſe Zeit fing man auch an, die Munitions - wagen zu verbrennen und die Kanonen einzugra - ben. Viele unſrer Offiziere haben, vor uͤbertrieb - ner Ehrbegierde, dieſes zwar nirgends gern einge - ſtanden, und ich habe ſelbſt einige dreuſt behaupten hoͤren, daß die Preußen niemals Kanonen einge - graben haͤtten, und daß es Laͤſterung ſey, ihnen dergleichen Schuld zu geben. Aber dieſer Einrede ungeachtet, muß ich hier bekennen, und jeder Au - genzeuge wird es mit mir bekennen, daß dieſe Sage ihre Richtigkeit hat. Eben in der Gegend von Conconvoix wurde eine Haubitze verſenkt und hernach mit todten Koͤrpern uͤberdeckt, damit das Grab der Haubitze fuͤr ein Grab menſchlicher Leich - name angeſehen, und von den Franzoſen nicht un - terſucht werden moͤgte. In der Folge ſind aber, um einer Peſt vorzubeugen, von den Franzoſen alle Leichen der Preußen in tiefe Loͤcher vergraben worden; und da haben ſie denn alles eingegrabne Geſchuͤtz entdeckt und zu ihrem Gebrauch umge - goſſen.

Die meiſten Soldaten leerten auch ihre Patron - taſchen aus, und warfen die Patronen weg; und dieſes war ihnen um ſo weniger zu verdenken, da ſchon alles Pulver durch die anhaltende Naͤſſe204 ganz verdorben, und unwirkſam geworden war. Ich ſelbſt habe meine Munition weggeworfen, und bin bis Monthabaner ohne alle Munition gegangen.

Am 10ten kamen wir bey Lauremont ins Lager, aber man konnte hier kein Stroh bekom - men, uns drauf zu legen: die Doͤrfer waren ſchon vorher durch die Kavallerie von allem Stroh be - raubt worden. Wir mußten daher auf der bloßen naſſen Erde in den Zeltern herum liegen; und da es noch obendrein die Nacht ſtark regnete, und das Waſſer auch hier wieder in unſre Zelter eindrang, ſo brachten wir abermals eine ganz abſcheuliche Nacht hier zu.

Die Maͤrſche an den folgenden Tagen waren alle gleich abſcheulich: die Pferde ſtuͤrzten ſchreck - lich zuſammen, und konnten das Geſchuͤtz nicht mehr fortbringen. Da man aber daſſelbe nicht alle vergraben wollte, ſo mußten die Kavalleriſten ihre Pferde dazu hergeben. Dieß geſchah, und die Reuter, welche hatten abſitzen muͤſſen, warfen nun ihre Gewehre auch weg: und ſo ſah man Ka - rabiner, Piſtolen, Saͤttel und Kuͤraßierſaͤbel haͤu - fig im Kothe herumliegen.

Am 13ten Oktober war ein noch ſchrecklicherer Marſch. Wir konnten kaum in einer Stunde 200 Schritte vorwaͤrts kommen: ſo ganz abſcheulich war der Weg, und ſo ſehr hielt uns die Artiller[ie]205und Bagage auf. Als wir bis auf den Abend ge - gangen, oder vielmehr gekrochen waren, erreich - ten wir endlich die Stelle, wo wir lagern ſollten. Aber kaum hatten wir abgelegt, als wir ſofort Order bekamen, vorwaͤrts zu marſchiren. Der kaiſerliche General Hohenlohe hatte ſeinen Ab - marſch von Stenay verfruͤht, und dadurch unſre rechte Flanke entbloͤßt.

Man marſchirte fort bis des Nachts um eilf Uhr, oder vielmehr, die Leute tappten herum in der ſtockfinſtern Nacht, bis man endlich in einem Hochwalde Halt machte. Hier ſtanden wir nun bis den 17ten ohne Zelter, weil die Bagage un - moͤglich hatte vorwaͤrts koͤnnen. Kaum waren einige elende Zelter fuͤr den Koͤnig und die Prinzen aufzubringen. Es regnete dieſe ganze Zeit uͤber erbaͤrmlich, und unſre Armee befand ſich in den klaͤglichſten Umſtaͤnden. Die hohen Eichbaͤume wurden abgeſaͤgt, geſpalten und verbrannt. Die Feuer waren zwar auch hier hoͤlliſch groß, doch aber kaum hinlaͤnglich, uns zu erwaͤrmen. Ich entſinne mich nicht, jemals in einer elendern Lage geweſen zu ſeyn.

Wir fanden auf den Feldern einige Kartoffeln, welche denen, die ſie fanden, zur Nahrung dien - ten. Aus den Doͤrfern wurden auch noch einige Lebensmittel herbeygeſchafft: auch ſchlachtete man206 das noch vorhandene Vieh, und theilte das Fleiſch unter die Soldaten.

Es wurde waͤhrend unſers Stillſtands im Walde alles angewandt, das Geſchuͤtz und die Wagen fortzubringen: man ließ noch mehr Kavalleriſten ab - ſitzen, und ihre Pferde vor die Kanonen ſpannen.

Ein Korporal kam hier ganz krumm nach dem koͤniglichen Zelte, und ſah wegen ſeiner Ruhr aus, wie ein Gerippe. Der Koͤnig ſtand da, und ſah mit mitleidig-gebeugtem Blick dem uͤbergroßen Elende ſeines Volkes zu. Als er den Unteroffizier erblickte, ſagte er zu ihm: Wie gehts, Alter?

Unteroffizier. Wie Sie ſehen, Ihre Ma - jeſtaͤt, ſchlecht!

Koͤnig. Ja wohl, ſchlecht! daß Gott er - barm! (lange Pauſe) Die Spitzbuben!

Unteroff. Ja wohl, die Spitzbuben, die Patrioten!

Koͤnig. Ey was, Patrioten! Die Emigran - ten, das ſind die Spitzbuben, die mich und euch ins Elend ſtuͤrzen. Aber ich wills ihnen ſchon ge - denken!

So ſah alſo der gutmuͤthige Koͤnig jezt beſſer ein, wer ihn misleitet hatte. Er hatte das naͤm - liche ſchon dem Monſieur (dem Grafen von Provence) und dem General Clairfait zu Hauſe geſagt. Ihr habt, waren ſeine Worte, mich alle207 beyde hintergangen: dießmal will ich euch noch aus der Noth helfen, worin ihr ſtecket, aber ihr ſollt an mich denken. *)〈…〉〈…〉angefuͤhrten Buche, S. 〈…〉〈…〉.

Dieſe Geſinnung des Koͤnigs, welche nur zu gut gegruͤndet war, ward nun auch die der gan - zen Armee, und jeder Preuße haßte alle Emigrir - ten mit dem groͤßten Recht von der Welt. Ihren luͤgenhaften und herrſchſuͤchtigen Vorſtellungen hatten wir all unſer Elend urſpruͤnglich zu dan - ken.

[Verdun] wurde indeſſen am 14ten Oktober dem General Kellermann von uns wieder uͤber - geben. Ob die Franzoſen die dabey gemachten Bedingniſſe gehalten haben, iſt eine Frage, die Hr. von Beulwitz in dem Magazin der neueſten Kriegsbegebenheiten in Ruͤckſicht der Kranken ver - neinet. Ich halte die Nachrichten dieſes braven Offiziers, den ich ſelbſt kenne, und deſſen Recht - ſchaffenheit ich eben ſo ſehr, als ſeine Kenntniſſe ſchaͤtze, fuͤr wichtig, und eben daher will ich in ei - nem der folgenden Kapitel meine Bemerkungen dar - uͤber anbringen.

Den 17ten October brachen wir aus dem Walde von Chatillon einer ehemals ſchoͤnen, jezt aber gaͤnzlich zerſtoͤrten Abtey auf, und mar -208 ſchirten vorwaͤrts auf Longwy zu. Auch dieſer Marſch war, wie alle vorhergehende und folgende, abſcheulich.

Das Gewehr, welches unſre Kavalleriſten wegge - worfen hatten, machten ſich an dieſem Tage die zuſam - mengerotteten Bauren zu Nutze, fielen unſern Nach - trab an, ſchoſſen einen Huſaren todt, und nahmen an - dere noch gefangen. Die Bauren wollten ſich wegen ihrer ausgepluͤnderten Doͤrfer, und wegen ihres geraubten Viehes raͤchen. Ces mâtins de pruſſiens, riefen ſie, payeront de leurs têtes nos vache et nos oignons; und damit ſchoſſen ſie los. Die Arriere - garde der Preußen kam dadurch in große Unordnung. So ſehr war unſer Muth und Anſehn geſunken, daß elende Lotharinger Bauren uns angreifen und zerſtreuen konnten. Aber die franzoͤſiſchen Huſaren befreyten unſre Gefangne aus den Haͤnden ihrer Bauren, und ſchickten ſie uns zuruͤck. Dieſer Umſtand iſt zwar an ſich geringfuͤgig, er dient aber doch, die traurige Lage zu beweiſen, worin ſich da - mals unſere Armee befand. Haͤtten die Franzoſen uns damals ernſtlich angegriffen, als wir im Walde bey Charillon ſtanden, ich glaube, wir waͤren verlohren geweſen.

Daß aber ſelbſt die Franzoſen unſere damalige Lage genau gekannt haben, erhellet aus Folgendem. Eine Heſſiſche Patrouille wurde von einer Franzoͤ -209 ſiſchen attakirt. Die Heſſen wehrten ſich verzwei - felt, doch wurde ihr Offizier, Hr. Leutnant von Lindau, gefangen. Der General Dillon ſchickte dieſen Braven an den Landgrafen zuruͤck, mit einem Schreiben, welches ich, ſeiner Merkwuͤrdigkeit we - gen, hier einruͤcke:

Ich habe die Ehre, Sr. Durchlaucht, dem Landgrafen von Heſſen-Caſſel, den Leutnant Lin - dau zuruͤckzuſchicken. Aus dem Zeugniß, das ich dieſem Offizier habe geben laſſen, werden Sie erſehen koͤnnen, daß die allezeit große, allezeit großmuͤthige franzoͤſiſche Nation eine ſchoͤne That zu ſchaͤtzen weis, und auch an ihren Feinden Tapferkeit hoch - ſchaͤzt. Ich ergreife dieſe Gelegenheit, Sr. Durch - laucht einige Gedanken vorzulegen, welche Ver - nunft und Menſchenliebe eingeben. Sie koͤnnen nicht in Abrede ſeyn, daß eine ganze zuſammenge - nommene Nation das Recht habe, ſich diejenige Regierungsform, die ſie fuͤr rathſam haͤlt, zu geben, und daß folglich kein Privatwille, den Willen der Nation hemmen koͤnne. Die freye und auf ewig ganz unabhaͤngige franzoͤſiſche Nation, hat ihre Rechte wieder an ſich genommen, und ihre Regie - rungsform abaͤndern wollen: das iſt in wenig Wor - ten der Inbegriff desjenigen, was in Frankreich vor - geht. Sr. Durchlaucht von Heſſen-Caſſel habenDritter Theil. O210auch ein Corps Truppen nach Frankreich gefuͤhrt. Als Fuͤrſt opfern Sie ihre Unterthanen fuͤr eine Sache auf, die Sie nichts angeht, und als Krieger muͤſſen Sie die Lage einſehen, worin Sie ſich izt befinden. Sie iſt gefaͤhrlich fuͤr ſie: Sie ſind umringt: ich rathe Ihnen, Morgen fruͤh den Ruͤckweg nach ihrem Lande anzutreten, und das franzoͤſiſche Gebiet zu raͤumen. Ich will Ihnen die Mittel verſchaffen, ſicher an den franzoͤſiſchen Armeen vorbeyzukommen, die ſich verſchiedner Poſten, wo Sie durch muͤſſen, bemaͤchtiget hat. Dieſer Antrag iſt freymuͤthig: ich verlange eine kategoriſche und foͤrmliche Ant - wort. Die franzoͤſiſche Republik entſchuldigt ei - nen Irrthum: Sie weis aber auch einen Einbruch in ihr Gebiet und die Pluͤnderung deſſelben, ohne Erbarmen zu raͤchen.

Dillon

N. S. Ich ſende Ihnen dieſen Brief durch mei - nen Generaladjutanten Gobert, der auf Ihre Antwort warten wird. Ihre Beſchleunigung iſt dringend nothwendig: ich bin im Begriff, zu mar - ſchiren.

Dieſes Schreiben beweiſet hinlaͤnglich, daß Dillon die uͤble Lage der deutſchen Voͤlker genau kannte. Das Schreiben war aber in einem Tone abgefaßt, welcher einem Fuͤrſten, wie der Hr. Landgraf von Heſſen iſt, unmoͤglich gefallen211 koͤnnte. Nachdem alſo deſſen Inhalt durch einen Zufall bekannt geworden war, ſo wurde auf Be - fehl des Landgrafen ausgeſprengt: es ſey er - dichtet, oder doch wenigſtens nicht in die Haͤnde Sr. Durchlaucht gekommen, noch weniger aber habe er es beantwortet. General Dillon erfuhr dieſes, und ließ nun unter ſeiner Buͤrg - ſchaft das Schreiben, nebſt der Antwort, welche auf Befehl des Hn. Landgrafen darauf gegeben, und freylich eines auf ſeine Fuͤrſten-Ehre hoͤchſt eiferſuͤchtigen Mannes wuͤrdig war, durch den Druck und durch Zuſchreiben an Preußiſche Gene - rale bekannt machen.

Ich uͤberlaſſe es meinen Leſern, die hieher ge - hoͤrigen Anmerkungen ſelbſt zu machen einmal uͤber unſre damalige Lage, dann uͤber den offnen und edlen Republikaner-Sinn, und endlich uͤber die di - plomatiſchen Kunſtgriffe des Duͤnkels, der Macht und des Schlendrians.

212

Achtzehntes Kapitel.

Fortſetzung. Ankunft auf deutſchen Boden.

Es war ſchon, ehe wir die Standquartiere verlie - ßen, befohlen worden, daß man beſonders fuͤr gutes Schuhwerk der Soldaten ſorgen, und hinlaͤnglich dazu mitnehmen ſollte, um die abgehenden gleich wieder erſetzen zu koͤnnen. Aber unſre Herren hatten ſo fuͤr ſich auskalkulirt, daß der ganze Krieg wohl nur ein Vierteljahr dauern koͤnnte, und waren eben darum auch in Befolgung dieſes Befehls ſehr nach - laͤßig geweſen. Die Folgen der Fahrlaͤßigkeit in einem ſo aͤußerſt wichtigen Punkte zeigten ſich bald. In der ganzen Armee fingen die Schuhe, bey dem ſcheußlichen Ruͤckzuge aus Champagne, auf einmal ſo an zu reißen, daß beynahe kein einziger Soldat gutes Schuhwerk noch hatte. Sogar die Offiziere trugen zerrißne Stiefeln, und die armen Packknechte gingen vollends gar barfuß.

Es war ſchaͤndlich anzuſehen, wie die Preußen da ohne Schuhe durch den Koth zerrten und ihre Fuͤße an den ſpitzigen Steinen blutruͤnſtig aufriſ - ſen. Viele hatten ihre zerrißnen Schuhe auf die Gewehre gehaͤngt, andere trugen ſie in〈…〉〈…〉,213 manche hatten Lappen und Heu um die Fuͤße ge - wickelt, um ſie vor den kleinen ſcharfen Steinen zu ſichern.

Freilich wurde befohlen, daß alle Soldaten, welche das Schuhmacher-Handwerk verſtuͤnden, und deren es bey allen Regimentern giebt, arbei - ten, und die zerrißnen Schuhe wieder ausbeſſern ſollten. Aber da war was auszubeſſern! Es fehlte ja bey den meiſten an Leder, Hanf und Pech! Ueberdieß denke man ſich einen Schuſter, der im Schlamme und in der Kaͤlte arbeiten ſoll! Unſer Hauptmann gab zwar ſein eignes Zelt fuͤr die Schuh - macher her, und ließ ſie darunter arbeiten, nur damit ſie Platz haben ſollten; und doch fehlten in unſrer Kompagnie die Schuhe eben ſo ſehr als in andern. Der Feldwebel Gruneberg hatte im - mer ſeine wahre Noth, wenn er die Wache kom - mandiren ſollte: von vier Mann hatten allemal drey keine Schuhe, und konnten doch barfuß nicht aufziehen! Marſchiren durfte man wohl barfuß, aber nicht barfuß auf die Wache ziehen!

Der ſchlechte Zuſtand des Schuhweſens machte mehr ſcharfe meuteriſche Reden bey der Armee rege; als ſelbſt der Hunger. Die Soldaten klagten laut; und brachen in Aeußerungen aus, welche zu jeder andern Zeit waͤren beſtraft worden; aber auf einem Ruͤckzuge, wie unſer Ruͤckzug aus Frankreich war214 mußten unſre Offiziere ſchon ſchweigen, und die Leute murren und ſchimpfen laſſen nach Belieben.

Bey der oͤſtreichſchen Armee war es eben nicht beſſer: da hatten die meiſten auch keine Schuhe, und liefen barfuß. Auch die Herren Emigrirten mußten barfuß mit hermpatſchen, eben jene große Herren, welchen kurz vorher die Koblenzer, Worm - ſer, Bingner und andere Schuſter die Schuhe nicht leicht und niedlich genug machen konnten!

Wie die Schuhe, ſo war auch die ganze uͤbrige Montur: ein Haufen herumziehender Zigeuner ſieht eben ſo reinlich und ſo ganz aus, als damals wir Preußen. Man beſang uns ſogar in einem Schimpfliede.

Ich habe oft in deutſchen Buͤchern geleſen, daß die franzoͤſiſchen Volontaͤrs oder Sanscuͤlotten, elend ſeyen gekleidet geweſen: das iſt ſehr wahr: aber kein Deutſcher haͤtte uͤber den ſchlechten Auf - zug der fraͤnkiſchen Volontaͤrs ſpotten ſollen, da die Herren Preußen ja auch zigeunermaͤßig genug aus Frankreich zogen, und die Herren Oeſtreicher und Meſſieurs les Emigrés nicht minder. Hierin waren wir ihnen einſt ja gleich; aber wann in ih - ren Thaten? Und Thaten machen den Mann; nicht die Kleidung.

Doch es iſt Zeit, meine Erzaͤhlung fortzuſetzen. Alſo

215

Nachdem wir den 18ten geraſtet hatten d. i. ſtille gelegen waren, weil alle unſre Wagen im Kothe waren ſtecken blieben, ſo brachen wir am 19ten wieder auf, und ſchleppten uns noch zwey gute Stunden ins Lager dicht bey Longwy. Man hatte die ſchlechten Zelter weggeworfen, und Brod - und Bagagewagen zuruͤckgelaſſen; und doch wa - ren kaum ſo viel Pferde da, als erfodert wurden, die wenigen Wagen weiter zu bringen, die uns noch uͤbrig waren.

Der Flecken Longuion war von den Kaiſerlichen, ſo wie alle andre Oerter ihres Durchmarſches in ſelbiger Gegend, aufs abſcheulichſte gepluͤndert worden. Auch hatten einige unwuͤrdige Menſchen dieſer ſtolzen Armee, die aber ihren Stolz mehr durch Aufſchneiderey und Haͤrte gegen Wehrloſe, als durch Siege uͤber den bewaffneten Feind zu naͤh - ren gewohnt iſt, ſich an den Einwohnern vergrif - fen, und ſie aufs ſchaͤndlichſte mishandelt. Sie hatten auch Feuer angelegt, und ſelbſt die Eiſen - huͤtten zu Longuion in Brand geſteckt.

Ich muß es nochmals erinnern, was nicht zu oft erinnert werden kann, daß man die von den deutſchen, beſonders von den oͤſtreichiſchen, und nachher von den engliſchen Truppen, und die von dem Auswurf aller Nationen, von der Armee der Emigrirten, begangnen Graͤuel vor Augen haben216 muͤſſe, wenn man von dem Betragen der Franzo - ſen in der Pfalz und anderwaͤrts ein richtiges Ur - theil faͤllen will. Und doch iſt an dieſem richtigen Urtheil fuͤr jezt, wie fuͤr die Zukunft, uͤberall ſehr viel gelegen, ſowohl in Ruͤckſicht auf den National - duͤnkel, als in Ruͤckſicht auf die Moralitaͤt nach dieſer oder jener Regierungsform.

Bey Longuion war die Paſſage weit abſcheu - licher noch, als alle abſcheuliche Paſſagen, welche wir bisher gehabt hatten. Der Koth ging bis an die Knie, und hin und wieder mußte man durch Wieſen gehen, welche wie ein See unter Waſſer ſtanden. Todte Pferde und todte Menſchen lagen in Menge unten an einem Berge, uͤber welchen der Marſch gieng: denn da hatte man die ganz Todten und die halb Todten von den Wagen herabgewor - fen, um dieſe zu erleichtern. Es wurden hier abermals viele Wagen verbrannt, weil man ſie durch den Moraſt nicht bringen konnte.

Gegen Nacht kamen wir endlich muͤde und hungrig bey Longwy an. Ich hatte hier ſo meine eignen Betrachtungen, welche ich meinen Kame - den mittheilte. Heute, ſagte ich, iſt der 19te Oktober: am 23ten September haben wir Longwy in Beſitz genommen, und hofften damals ſo leicht, wie Longwy, ganz Frankreich zu erobern: und ſchon jezt muͤſſen wir Longwy zuruͤckgeben, und217 haben Spott und Schande und unerſezlichen Scha - den von unſerm Einmarſch in Frankreich! So ſehr hat ſich unſer Stolz und Manifeſten-Anſpruch in acht Wochen demuͤthigen muͤſſen! Ich bedaure hie - bey keinen mehr, als unſern gutmuͤthigen Koͤnig wegen der vielen Opfer, die er an Geld, Men - ſchen und Vieh den Emigrirten gebracht hat, nicht nur ohne Nutzen fuͤr jezt, ſondern auch mit, wer weis, wie noch langem Verluſt fuͤr die Zukunft. Ach, Preußens Ehre geht mir nahe, und vielleicht zittern wir bald vor denen, die ſonſt vor uns zit - terten!! So ſprach ich damals, und bald hieß es im ganzen Regiment: Laukhard iſt ein Patriot, ein Franzoſe! Und doch hat die Folge wird es zeigen es wohl ſchwerlich jemand mit den Preu - ßen beſſer und ehrlicher gemeynt, als Laukhard.

Es geht aber uͤberhaupt ſo! die Leidenſchaften der Menſchen wollen geſchmeichelt ſeyn, ſonſt iſt es nicht recht. Wer einem Kranken ſagt, daß er ſterben werde, daß er gefaͤhrlich danieder liege, macht ſich den Kranken und deſſen Freunde zu Fein - den. Selbſt Locke, der große Locke ward boͤſe uͤber ſeinen Arzt, als er ihm ſagte, daß er nicht 24 Stunden mehr leben wuͤrde. Es kann wahr ſeyn, ſagte der Philoſoph; aber mir haͤtte er es doch nicht ſagen ſollen. Ueberhaupt

218
Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, ſo
mußt du
Schmeicheln! Sprichſt du zum Adel, zu Fuͤrſten, zu
Koͤnigen: allen
Mußt du Geſchichten erzaͤhlen, worin als wirklich er -
ſcheinet,
Was ſie wuͤnſchen!
*)Horen I. B. S. 3.
*)

Freilich was ſie wuͤnſchen! denn gerade dieſes glau - ben ſie am erſten, und ſind dadurch am leichteſten zu beruͤcken. Dieß lehrt die neuere Geſchichte, leider, bis zu Thraͤnen. Die Emigrirten, ganz in die empfohlne Hofkunſt eingeweiht, ſtellten den großen Herren die Eroberung und Unterdruͤckung Frankreichs ſo leicht, und ſo bald thunlich vor, daß es ihnen gelang, den gutmuͤthigen Koͤnig von Preu - ßen und den Kaiſer in den ſchrecklichen Krieg zu verwickeln, der eben jenes Elend uͤber Deutſchland brachte, welches ehemals ein aͤhnlicher Krieg des Darius und Xerxes uͤber Perſien und uͤber - haupt uͤber ganz Aſien gebracht hat. Man kann leicht darthun, daß die Eroberung von Perſien durch Alexander den Großen eine Folge der Unternehmungen der alten Perſiſchen Tyrannen ge - gen die Freyheit der Griechen war: und ſo wiſſen unſre Herren gar nicht, was ſie wollen, wenn ſie219 drauf beſtehen, Frankreich einen Koͤnig jezt wieder aufzudringen. Das freye Griechenland wuͤrde Perſien niemals erobert haben; aber ein Griechi - ſcher Koͤnig konnte dieſes thun, und that es. Wird einſt Frankreich einen Alexander haben, ſo iſt Deutſchland ſeine Eroberung! Dieß merke man ſich in Wien und in Regensburg.

Man wird daher, nach ſo vielen harten Erfah - rungen, doch endlich einmal klug werden, und ein - ſehen, daß die ariſtokratiſirenden politiſchen Kann - gießer, die nach Emigrantenart alles, Groß und Klein, gegen Frankreich aufhezen, die aͤrgſten Feinde der Großen, und ihrer Unterthanen waren, und noch ſind, und daß die braven Maͤnner, welche den Großen und dem Publikum die Augen oͤffnen wollten, allerdings als ihre erſten und wahren Freunde einer Buͤrgerkrone werth ſind. Es koͤmmt hiebey nichts an auf gehaͤſſige Namen von Patrio - ten, Demokraten, Jakobinern u. dgl. : es koͤmmt nur auf Wahrheit an, und dieſe Wahrheit wer ſagte ſie? Ein Schirach, ein Girtanner, ein Goͤch - hauſen, ein Jung, ein Reichard in Gotha; oder ? Doch ich will nur weiter erzaͤhlen!

Am 20ten war Ruhetag, und wir erhielten aus dem Magazin von Longwy Fleiſch, Wein, Brannt - wein und Zwieback. Das war denn wieder zum erſtenmal gehoͤrig gegeſſen, und gelabt!

220

Hier wurden auch die Soldaten wieder munter: denn nun hieß es: noch einen Marſch, und wir ſind aus Frankreich! Die guten Leute bildeten ſich ein, daß, wenn ſie nur aus Frankreich waͤren, alles Elend gleich ein Ende haben wuͤrde, und bedach - ten nicht, daß der Same zu unbeſchreiblichem Un - gluͤck, welches in der Folge auf unſer liebes Va - terland fallen mußte, ſchon ausgeſtreut war, und ſchon Keime gewonnen hatte.

Mein Hauptmann ſchickte mich nach Longwy, um einiges fuͤr ihn bey einem Tiſcher machen zu laſſen. Ich ſuchte in dem dort angelegten Preu - ßiſchen Lazarethe einen meiner Freunde, fand ihn aber nicht, aber das Lazareth hatte ich Gelegen - heit genauer zu beobachten. Ich werde in einem eig - nen Kapitel von dem unbeſchreiblichen Elende reden, das in den Preußiſchen Lazarethen damals herrſchte, und laße alſo hier weg, was ich in der Moͤrder - grube zu Longwy geſehn habe.

Der Tiſcher war ein geſcheider Mann, und ſprach von den Angelegenheitn der Zeit recht artig und beſcheiden; aber ſein Schwager, ein Gerber, welchem die Preußen ſein Leder genommen und nicht bezahlt hatten, raͤſonnirte bitter und ſchalt auf die Preußen derb, noch derber aber auf die Oeſt - reicher. Ich remonſtrirte dem Menſchenkinde, daß es unklug ſey auf die Preußen zu ſchimpfen,221 da ſie noch Longwy in Beſiz haͤtten. Wie, er - widerte er, was haben die Preußen in Beſitz? Aus Gnade und Barmherzigkeit laſſen wir ſie hier durch, und da duͤrfen ſie ſich nicht dick machen! Ich will den ſehen, der einem Franzoſen ein Haar kruͤmmen ſollte: der wuͤrde ſchoͤn ankommen, waͤr es auch Ener Braunſchweig ſelbſt. Es iſt nicht mehr, wie's vor ſechs Wochen war. Ich merkte, daß der Mann Recht hatte, und zuckte die Achſeln.

Sontags den 21ten October verließen wir das Lager bey Longwy, und marſchirten aus dem franzoͤſiſchen Gebiete ab.

Ehe ich dieſes Kapitel ſchließe, will ich den Leſer noch auf eine Bemerkung aufmerkſam machen und die die iſt: daß gerade zu der Zeit, als die ver - buͤndete Armee ihre Operationen gegen Frankreich betrieb, die franzoͤſiſche Nation ihre monarchiſche Staatsform in eine republikaniſche veraͤnderte, und daß eben dieſe Veraͤnderung im Manifeſte des Herzogs von Braunſchweig, und in dem Anfall der deutſchen Armee auf Frankreich, ihren Grund gehabt hat; daß folglich eben die Mittel, welche dienen ſollten, dem Koͤnige, Ludwig XVI. ſeine alte deſpotiſche Gewalt wieder zu erringen, gerade dieſe Gewalt zernichtet, und den Grund zur nach - herigen Hinrichtung dieſes Fuͤrſten gelegt haben.

222

Hieraus folgt nun unwiderſprechlich, daß eben der Krieg der fremden Potentaten gegen Frankreich die Freyheit dieſes Reichs gegruͤndet hat, daß folg - lich dieſe Freyheit ſo lange beſtehen muß, als der Krieg waͤhret: denn im Kriege liegt ja ihre Ent - ſtehung, oder der zureichende Grund ihres erſten Daſeyns. Da nun, wie aus der Geſchichte aller Zeiten erhellt, die Freiheit im Kriege (〈…〉〈…〉-〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉, wie Plutarchus ſagt) alle - mal Enthuſiasmus iſt, Enthuſiasmus aber ent - weder erſt mit ſeinen Helden zu Grunde geht, wie dort mit Leonidas und ſeinen braven Bruͤdern bey Thermopylaͤ, oder ſeinen Feind muthig beſiegt, wie im Miltiades bey Marathon: ſo iſt es nicht nur eine gefaͤhrliche Sache, den Krieg mit einem freygewordenen Volke fortzuſetzen, wie die Bege - benheiten von 1792, 93, 94, 95 und 96, nebſt der Geſchichte der Griechen, Schweizer, Niederlaͤn - der und Nordamerikaner beweiſen, ſondern es iſt auch ſelbſt fuͤr das Intereſſe der Koͤnige eine hoͤchſt - abſurde, zweckwidrige Sache: denn eben dadurch, daß man das freye Volk bekriegt, macht man es aufmerkſamer, einiger, muthiger, trotziger, folg - lich tapferer, kraͤftiger, ſelbſtſtaͤndiger, und zum Widerſtande faͤhiger die andern Folgen nicht einmal mitzuzaͤhlen, wie da ſind, daß die Herren Potentaten ſich vergebens erſchoͤpfen, ſich der Be -223 ſchimpung und Verachtung preisgeben, dadurch ſelbſt bey ihren Unterthanen immer mehr an Anſehn verlieren, laͤcherlich werden, ja, nach und nach bey ihnen den Gedanken und den Muth erregen, es der bekriegten aber freyen Nation nachzumachen, und ſich von der oft beſchimpfenden und widerſin - nigen Vormundſchaft eines Menſchen zu befreyen, der wohl leicht ſelbſt mehr als ſie eines Vormunds zuweilen noch beduͤrfte. u. dgl.

Frankreich hat das alles klar und maͤchtig be - wieſen, wenn gleich einige politiſche Queerſeher haben ihres Gleichen weis machen wollen: daß Belladonna und die Guillotine die franzoͤſiſchen Soldaten habe die Gefahren verachten und den Feind uͤberall tapfer angreifen machen. Aber wehe uͤber das Hirn dieſer armſeligen politiſchen Schlu - cker! Tyranney ſoll tapfer machen!! Braver Moncey, und du ehrwuͤrdiger Dampier, edler Beaurepaire, und all ihr wuͤrdigen Vertheidiger eures Vaterlandes gegen ſo viel Feinde, Ihr, deren Blut fuͤr das hohe Kleinod der Freyheit verſprizt iſt, Ihr alſo habt euer Leben aufgeopfert aus Furcht vor der Guillotine? Das koͤnnen nur die Philo - ſophen, die Hoͤflinge und die Miniſter zu Schilda glauben! Aber ein Menſch, der Menſchenverſtand hat, und nur etwas hiſtoriſche Kenntniſſe beſizt, hat hier andre Gedanken: er denkt, daß Druck und Drang224 von inkompetenten oder deſpotiſchen Richtern noth - wendig Freyheitsſinn erzeugt; daß Krieg dieſen Freyheitsſinn vermehrt, und bis zum Enthuſias - mus erhebt, und daß dann eine freye Nation we - nigſtens ſo lange frey ſeyn muß, als der Krieg waͤhrt, oder als ſie noch befuͤrchten kann, daß man ihr die Freyheit rauben wolle. Dieſes iſt eine goldne Wahrheit, die allen wahren Weiſen laͤngſt eingeleuchtet hat, und endlich auch noch denen in England einleuchten wird, von welchen Cicero weißagt, wenn er ſpricht: Eventus ſtu torum ma - giſter. Man hat das ja ſchon geſehen!

Was hoffte man nicht alles im Jul, 1792! Man hoffte, daß Frankreich ſich ſofort geben d. i. den Koͤnig als ſuveraͤn wieder anerkennen wuͤrde. Man ruͤckte deswegen ſo ſchlecht vorbereitet an. Allein je naͤher die Gefahr fuͤr Frankreich erſchien, deſto mehr hob ſich jener Freyheitsſinn, der den Republi - kanern allein eigen iſt. Die graͤßlichſten Blut - ſcenen machten den Anfang. Man denke an den 10ten Auguſt! Die Alliirten erobern Longwy und Verdun, und ſiehe da in Paris den Auftritt vom 2ten September! Endlich erklaͤrt ſich, die Nation fuͤr frey, und ſetzt ihren Koͤnig gaͤnzlich ab, und das gerade damals, als man zu einem ent - ſcheidend ſeyn ſollenden Treffen Anſtalt machte. Ergo hat ja der Krieg ſelbſt, und zwar der Krieg225 allein, den Gedanken der Nation rege gemacht: wir wollen frey ſeyn, und fuͤr unſre Freyheit leben oder ſterben!

Neunzehntes Kapitel.

Anmerkungen uͤber eine Relation des Hn. Hauptmanns von Beulwitz.

Als die Feſtung Verdun den Franzoſen wieder uͤbergeben wurde, ſo blieb noch ein preußiſches Lazareth daſelbſt zuruͤck, und Herr von Beulwitz, damals von dem Schenkiſchen Bataillon, erhielt das Kommando uͤber dieſes Spital. Was er da hat ausſtehen muͤſſen, hat er ganz artig beſchrieben und unter dem Titel: Mein Aufenthalt in Verdun im Herbſte 1792: ein kleiner Beytrag zur Dar - ſtellung des damaligen franzoͤſiſchen Nationalkarak - ters in dem Magazin der neuſten Kriegsbegeben - heiten (B. III S. 226-277 und B. IV. S. 241 -312.) aufgeſtellt.

Hr. von Beulwitz hat in Verdun viel er - fahren, aber daß er die uͤble Behandlung, welche ihm von dem dortigen aufgebrachten Jan Hagel widerfahren iſt, benuzt, um den damaligen fran -Dritter Theil. P226zoͤſiſchen Nationalkarakter danach zu ſchildern, daran thut er wirklich zuviel. Ich muß mich naͤher er - klaͤren.

Die Preußen hatten bey ihrem Aufenthalte in Verdun zwar keine groben Exzeſſe in der Stadt veruͤbt, aber auf dem Lande, in den Weinbergen, Gaͤrten und Feldern hatten ſie ſich etwas ſehr un - ſaͤuberlich benommen, und hier und da recht deutliche Spuren ihrer Beutemacherey hinter - laſſen. Dieſes und dann auch das, was in der Stadt ſchon vorgieng, machte die Preußen eben nicht ſehr beliebt. Es iſt auch uͤberhaupt der Na - tur der Sache gemaͤß, daß man den Feind unſers Volkes nicht liebt, zumal wenn er allerley unter - nimmt, woraus man ſehen kann, daß er unberufen den Herrn ſpielen und Geſetze geben will. Ver - dun war ganz paſſiv geweſen vor der Ankunft der Preußen. Das Syſtem des Mirabeau hatte ruhigen Eingang gefunden, und man hatte gar nicht noͤthig gehabt, jemanden pour la loi, wie man ſagte, einzuſtecken, oder gar hinzurichten, wie in Metz und an andern Orten. Nachdem aber der Koͤnig von Preußen Verdun weg hatte, ſo zerſtoͤrte er zwar die Einrichtung nicht voͤllig, aber er gab doch ſo viel Befehle aus eigner Macht, daß man wohl ſahe, er wolle einſtweilen Ludwigs XVI. Stelle einnehmen. Es war vieles vorgefallen, womit die Buͤrgerſchaft227 eben nicht ſehr zufrieden ſeyn konnte. Man hatte in Verdun einige Buͤrger eingeſteckt, und ſie mit Stockſchlaͤgen regalirt, weil ſie die weiße Kokarde nicht hatten tragen wollen, und geſagt hatten: qu'il n'étoit pas encore, ſoir pour tous les jour! Schon genug, um in Verdun nicht gut Preußiſch ſeyn zu koͤnnen!

Außer dieſem muß man nicht vergeſſen, daß Verdun wegen der ſchnellen Uebergabe durch Nyont an die Preußen, gar uͤbel bey dem Konvente ange - ſchrieben war, und daß nun gleichſam das Intereſſe der Buͤrger es erfoderte, durch Haͤrte gegen den Feind ihren Patriotismus zu beweiſen. Dieſen Umſtand fuͤhrt Hr. von Beulwitz ſelbſt an, und er verdient es. Man weiß ja, daß gleich nach dem Ausmarſche der Preußen aus Frankreich das Sy - ſtem ſchaͤrfer ward und daß die Guillotine gleich mehr zu thun bekam. Es war damals zwar noch kein Robespierriſcher Rigorismus, doch aber konnte es ſchon jemanden zu ſchaffen machen, wenn man ihn wegen eines Einverſtaͤndniſſes mit dem Feinde der Republik anklagte oder in Verdacht hatte.

Daher geſchah es denn, daß der Poͤbel in Verdun die zuruͤckgebliebenen Preußen beleidigte, und daß Maͤnner, welche haͤtten helfen und ſchuͤtzen ſollen, dazu ſtillſchwiegen, aus Furcht, als Ariſtokraten und Beguͤnſtiger der Feinde angeſehen zu werden.

228

Hr. von Beulwitz iſt groͤßtentheils vom Poͤbel und von den Sanscuͤlottes beleidigt wor - den: aber der Poͤbel iſt aller Orten Poͤbel, zu Ber - lin und zu Frankfurt am Mayn, wie zu Verdun und zu Paris. Man denke nur, wie der Jan Hagel zu Frankfurt die Klubbiſten von Maynz behandelt hat! Alſo wegen des Poͤbels waͤren wir aufs Reine.

Hr. von Beulwitz ſagt am angefuͤhrten Orte S. 229: die Einwohner von Verdun haͤtten ſich erdreiſtet, noch bey Anweſenheit der Preußi - ſchen Truppen, die Nationalkokarden aufzuſtecken. Aber das war doch wohl keine Beleidigung fuͤr die Preußen! Dieſe muſten ja Verdun der franzoͤſiſchen Konſtitution wieder uͤberlaſſen, und folglich hatten die Einwohner auch das Recht, die Kokarden wie - der zu tragen, woran man den Anhaͤnger der Kon - ſtitution erkennt, und dieß gleich, ſobald die Herr - ſchaft der Konſtitution wieder eintrat.

Er klagt ſehr uͤber den Maire der Stadt, Ci - toyen Câret Fils. Ich glaube gern, daß Caret nicht allzuhoͤflich gegen ihn geweſen iſt: aber ſein Betragen hatte in dem Betragen der Preußen gegen ihn ſeinen hinlaͤnglichen Grund. Caret war ſehr uͤbel behan - delt worden: man hatte ihm ſogar mit 50 Stock - ſchlaͤgen gedroht, wenn er nicht denjenigen herbey - ſchaffen wuͤrde, welcher einige Tage nach der Ein - nahme einen Preußiſchen Offizier des Abends auf229 der Straße erſchoſſen hatte. Man denke ſich deut - ſche Feinde und einen franzoͤſiſchen Maire, und urtheile dann, was dieſer Mann waͤhrend der An - weſenheit der Preußen habe ausſtehen muͤſſen, und wie ſehr Widerwillen und Rachſucht in ihm muͤſſe gekocht haben!

Ich will gern glauben, daß die preußiſchen Kranken und beſonders Hr. von Beulwitz, von den durchmarſchierenden Volontaͤrs und andern Truppen oft ſind angetaſtet worden. Aber iſt das wohl ein Wunder? Die Leute waren damals alle hoͤchſt aufgebracht; und dann muß ich geſtehen, daß das Andenken an das Coblenzer Manifeſt, und der Anblick der Doͤrfer und der Staͤdte, wodurch dieſe Leute eben gekommen waren, und welche die Deutſchen kurz vorher ruinirt hatten, ſehr unvor - theilhaft fuͤr die Preußen auf ſie wirken mußte. Die Sache iſt klar, und bedarf keiner weitern Er - oͤrterung.

Ueber die Deſertion kann ich mich nicht wun - dern, vielmehr wundere ich mich, daß nicht noch weit mehr Preußen deſertirt ſind. Ihre dama - lige Lage war eben nicht ſehr erbaulich, und da ſie dieſe durchs Weglaufen verbeſſern konnten, ſo iſt das eben nicht unnatuͤrlich.

Den Witz des General Lingueville findet Hr. von Beulwitz beleidigend. Lingueville hatte zu230 ihm geſagt: es ſchiene ihm, daß das nicht mehr die alten Preußen waͤren, welche ſich ehedem ſo be - ruͤhmt gemacht haͤtten. Der Aide de camp erwie - derte: O ja, mein General, es ſind wohl noch die alten Preußen, aber es ſind nicht mehr die al - ten Franzoſen! Lingueville's Rede iſt nicht belei - digend, und die Antwort des Adjutanten enthaͤlt ja ein wahres Lob auf die Preußen! Sollte das Hr. von Beulwitz nicht gefuͤhlt haben?

Die 13 Emigrirte, welche im Spital zu Ver - dun gefunden wurden, verlohren hernach ihr Leben (nach S. 249) auf der Guillotine. Da man die - ſes leicht vermuthen konnte, indem man die ſchar - fen Geſetze der franzoͤſiſchen Nation gegen die Emi - grirten kannte, ſo haͤtte man dieſe armen Teufel fortſchaffen ſollen, und ſie dadurch dem Tode ent - ziehen. Es ſind gar viel Emigrirte durch die Nach - laͤßigkeit der deutſchen Truppen den Franzoſen in die Haͤnde gefallen, und haben als Hochverraͤther an ihrer Nation ihr Ende auf dem Blutgeruͤſte ge - funden.

Dem General Dupuch laͤßt Hr. von Beul - witz alle Gerechtigkeit wiederfahren, wird aber boͤſe, daß der Kommiſſaͤr Chuppi, der Sohn eines Schuſters (wie wenn der Sohn eines Schu - ſters nicht eben ſo gut, wenn nach neuerer Erfah - rung nicht noch beſſer, eine militaͤriſche Stelle be -231 kleiden koͤnnte, als ein Herr von!) dem General zugeordnet worden iſt. Wenn ich nicht ſehr irre, ſo iſt Dupuch ſchon 1793 hingerichtet worden, we - gen Verraͤtherey: da war es denn doch ſehr rath - ſam, ihm einen Mann zuzuordnen, welcher, wie Hr. von Beulwitz ſelbſt geſteht, voller Eifer fuͤr die entſtehende Republik gluͤhte.

Die Guillotine nennt auch Hr. von Beul - witz S. 255 die Mutter der franzoͤſiſchen Repu - blik. O ſancta ! Er erzaͤhlt, daß wenigſtens 15 Minuten waͤren erfodert worden zu den Vorbe - reitungen zum Kopfabſchlagen. Ich habe nachher gewiß weit mehr guillotiniren ſehen, als Hr. von Beulwitz: aber ſo viel Zeit koſtete das Anbin - den etc. nie: das Haar wird auch nicht immer ab - geſchnitten. Das Beil ſoll auch den Kopf niemals haben ganz abgeſchlagen: der mußte nachher noch mit einem Meſſer abgekrazt werden. Vielleicht war das in Verdun ſo; aber die Koͤpfe, die ich in Lyon und anderwaͤrts habe abſchlagen ſehen, fuhren ſchnell genug in den Kaſten, und brauchten nicht erſt mit Meſſern abgemetzelt zu werden.

Daß auch damals die Sanscuͤlottes nicht ſo ganz ohne alle Diſciplin waren, beweiſet die Genug - thuung, welche Hr. von Beulwitz wegen einer Beleidigung erhielt, die er S. 259 ff. beſchreibt. So erhielte er auch ſeine geſtohlnen Pferde wieder,232 und die Diebe wurden hinlaͤnglich beſtraft. Nicht ſo immer bey uns!

Ueberhaupt iſt der ganze ſonſt ſchaͤtzbare, und ſchoͤn geſchriebne Aufſatz des Hn. von Beulwitz nichts weniger als ein Beytrag zur Darſtellung des damaligen Nationalkarakters der Franzoſen. Dieſen Nationalkarakter darf man in einer Stadt nicht ſuchen, welche erſt ſeit einigen Tagen vom Feinde geraͤumt iſt, und worin ein feindlicher Offi - zier auf Kommando zuruͤck bleibt. Haͤtte Hr. von Beulwitz ſich die Muͤhe genommen, die Geſin - nungen der Buͤrger fuͤr ihre eigne Sache zu unter - ſuchen, ſo wuͤrde er uns vielleicht einen fruchtba - rern und vollſtaͤndigern Beytrag haben liefern koͤn - nen, als jezt, da er gerade nur das Betragen der Franzoſen gegen ihn und ſeine Leute ſchildert. Das iſt ſonnenklar, und daher halten die gruͤnd - lichen und beſcheidnen Bemerkungen eines gefan - genen preußiſchen Offiziers aus Dijon, welche Hr. von Beulwitz zu widerlegen zwar unter - nimmt, aber nicht widerlegt, noch immer ihren Werth. Kurz, haͤtten wir die Franzoſen humaner und ſanfter behandelt, haͤtten wir ihre Felder nicht verheert, ihre Doͤrfer nicht verwuͤſtet und ihre Leute nicht mishaudelt, ſo wuͤrde wahrſcheinlich auch Hr. von Beulwitz ein beſſeres Schickſal in Verdun gehabt haben.

233

Uebrigens bekenne ich, daß ich dieſe wenigen Anmerkungen uͤber den Aufſatz des Hn. Haupt - manns blos deswegen gemacht habe, um ihm zu beweiſen, daß ich ihn fuͤr das halte, was er iſt, fuͤr einen braven, rechtſchaffnen und getreuen Offi - zier, der eben ſo liebenswuͤrdig wegen ſeines vor - trefflichen Herzens, als ſchaͤtzbar wegen ſeiner Talente und Kenntniſſe iſt. Selbſt ſein Aufſatz iſt ſeiner wuͤrdig, gereicht aber der franzoͤſiſchen Na - tion mehr zur Ehre als zur Schande, und beweißt, daß der Hauptmann ein billiger und einige Ti - raden ausgenommen auch ein unpartheiiſcher Richter iſt, ganz von einem andern Karakter, als der elende Hr. von Schirach und alle andern Skri - bler und Sudler von der politiſchen Apokalypſe und Hermandade.

Noch eine kleine Nutzanwendung aus dem Vor - hergehenden fuͤr Soldaten und ihre Befehlshaber moͤgte hier nicht am unrechten Orte ſtehen. Naͤm - lich:

1) Im Gluͤcke ſeinen Feind nie zu mishandeln, um im Ungluͤcke von ihm das wieder zu erwarten, was im Gluͤcke wir ihm leiſteten: denn das Heute mir, Morgen dir, iſt das Stichblatt aller menſch - lichen Dinge, zumal der politiſchen; und wie man in den Wald hineinruft, ſo ſchallt es zuruͤck.

2) Aufhetzerey gegen den Feind durch Mani -234 feſte, Predigten, Zeitungen, Gedichte, Schim - pferey u. dgl. bezahlt der Feind mit gleicher Muͤn - ze, und beyde Theile erſchweren ſich dadurch die Erreichung deſſen, warum ſie kriegen den Frie - den.

3) Alle Garniſon - und Feldpredigten ſollten durchaus militaͤriſch-praktiſch ſeyn, und das Hauptthema der chriſtlichen Moral nach Vernunft und Erfahrung einſchaͤrfen, um zur Zeit des Krie - ges den Menſchen und die Menſchlichkeit uͤber den Nationalen und die Politik nie zu uͤberſehen. Man gewinnt hiedurch auf der einen Seite das doppelt, was man auf der andern vielleicht nur im Scheine verliert. Denn Zahn um Zahn, auch außer Reih 'und Glied, erbittert, und der Erbitterte denkt nicht daran: daß man Andern das thun und nicht thun ſolle, was man von ihnen in der Art ſich wieder wuͤnſcht. Die Rheingegenden, zumal Frankfurt doch, die weitere Entwicklung iſt ja hand - greiflich!

235

Zwanzigſtes Kapitel.

Ankunft auf deutſchem Boden. Lager bey Luxemburg.

Unſre Armee kam den 21ten Oktober auf deutſchen Boden zuruͤck, aber auch hier hatte das Elend und die Noth noch kein Ende. Wir lagerten uns in den Koth, und zwar ohne Lagerſtroh, und doch ſollten wir hier auf Ordre ſtehen bleiben!

Am erſten Ruhetage, den 22ten, deſertirten einige Soldaten vom Regiment Woldeck. Man ſetzte ihnen nach, weil man ihre Spur wußte, aber die Nachſetzenden mogten ſich wohl etwas zu weit verlaufen haben, und uͤber die Graͤnze gekommen ſeyn. Genug, ſie ſtießen auf eine franzoͤſiſche Patrouille, welche ſie angriff und gefangen nahm. Einer von ihnen kam dabey ums Leben, und die andern wurden nach Longwy, welches den folgen - den Tag gaͤnzlich geraͤumt wurde, uͤberbracht, aber bald zuruͤckgeſchickt, jedoch mit dem Vermel - den des franzoͤſiſchen Generals: daß man kuͤnftig, wenn wieder ſo ein anomaliſches Verfolgen der Deſerteurs ſtatt haben ſollte, die Nachſetzer nicht als Preußen, ſondern als Stoͤhrer der allgemeinen236 Sicherheit und Ruhe anſehen, und als ſolche be - handeln wuͤrde. Das war freilich derbe, und dient als Wink uͤber die Qualitaͤt unſeres Ruͤckzugs.

Unſer Lager ſtand dicht an einem Dorfe, wo - hin wir giengen, um uns Kartoffeln, Birnen und andere Lebensmittel einzukaufen: denn im Lager war noch immer Mangel an allem, ſogar an Brod. Der Pfarrer des Dorfes hatte beſonders gute Bir - nen, die er ſelbſt ausgab, und das Geld dafuͤr einnahm. Ich gieng hin, konnte aber wegen der Menge nicht zum Herrn gelangen. Als mir nun die Zeit lang ward, rief ich ihm auf latein zu, er moͤgte mir doch auch Obſt geben fuͤr Geld und gute Worte. Mein Latein that treffliche Dienſte: denn Seine Hochwuͤrden gaben mir nicht nur Birnen und Kartoffeln genug und ohne Geld, ſondern ſpeiſten mich noch obendrein mit Speck und Weißbrod, und traͤnkten mich mit Wein. Das war ein herrlicher Tag fuͤr mich, desgleichen ich ſeit langer Zeit nicht gehabt hatte! Der geiſtliche Herr ſprach viel mit mir, auch uͤber die Religion, und meynte, die Franzoſen muͤßten allerdings zu Grunde gehen, da ſie keine rechten Prieſter mehr haͤtten, und ein Land ohne kanoniſch geweihte Prieſter nicht beſtehen koͤnnte. Navita de ventis!

Auch in dieſem Lager war das Wetter abſcheu - lich, denn es regnete beynahe noch immer ohne Un -237 terlaß: aber der Gedanke, daß wir doch wieder auf deutſchem Boden waͤren, verſuͤßte den Meißten alles Elend, und ſtellte ihre Munterkeit einigermaßen wieder her. Man hoͤrte wieder frohere Geſpraͤche, und die armen Teufel von Soldaten freuten ſich, daß ſie bald wieder in ihre Heimat kehren wuͤrden. Mir ſchien dieſe Hoffnung ſchlecht gegruͤndet, ob es mir gleich nicht ganz unglaublich vorkam, daß der Koͤnig von Preußen mit den Franzoſen habe Frieden machen koͤnnen. Ihre Nachſicht mit uns auf unſerm Ruͤckmarſche ſchien mir dieß zu beſtaͤti - gen. Man wollte damals ſogar die Artikel dieſes geheimen Friedens wiſſen, aber es ging hier wie aller Orten: die politiſchen Kanngießer wiſſen alles, nur das nicht, was die Hauptſache iſt, und ſehen vor lauter Baͤumen den Wald nicht.

Den 24ten kamen wir bey Luxemburg an, wo wir bis den 29ten ſtehen blieben. Hier erholten wir uns wenigſtens wieder mit Eſſen und Trinken, obgleich das Wetter auch hier ſchrecklich und ab - ſcheulich war. Wir waren indeß an das ſchlimme Wetter ſchon gewoͤhnt, und da wir hier in dieſem Lager hinlaͤnglich zu eſſen haben konnten und hatten, ſo waren wir wenigſtens wieder munterer als vorher.

Die Luxemburger brachten uns allerley Viktua - lien, auch Branntwein und Wein ins Lager, und ich hatte Gelegenheit, einigemal in dieſe ſchoͤne Stadt zu238 wandern, und mir daſelbſt einen guten Tag zu machen. Bisher hatten die Soldaten wenig kaufen koͤnnen, weil nichts zu kaufen da war, und ſo konnten ſie ihre Loͤhnung aufſparen, und hatten daher alle Geld mehr als gewoͤhnlich. Aber im Lager bey Luxemburg war das Geld bald alle; indeß man hatte Erſatz dafuͤr. Es iſt eine herrliche Sache, wenn man ſich nach ausgeſtandner großer Noth und Mangel endlich einmal wieder ſaͤtigen und pflegen kann!

In dieſem Lager wurde nun auch die Nachricht allgemein bekannt, daß der General Cuͤſtine in Deutſchland eingefallen waͤre, und Maynz erobert haͤtte. Daraus ſchloſſen nun die Verſtaͤndigern, daß der Krieg noch kein Ende haben wuͤrde; und unſer ganzes Volk wurde mit Schreck und Entſetzen er - fuͤllt: die Fortſetzung des Krieges, beſonders ei - nes Krieges gegen die Franzoſen, war in den Au - gen der kluͤgern Preußen nun das hoͤchſte Uebel.

Ehe ich weiter gehe, moͤgte ich hier fragen: ob es nicht rathſamer geweſen waͤre, wenn die Preußen damals die Niederlande beſezt, und dieſe gegen Duͤmouriez thaͤtiger beſchuͤzt haͤtten, als her - nach die Kaiſerlichen es konnten? Das deutſche Reich war zwar von Cuͤſtine angegriffen, aber der Einfall, den man von Duͤmouriez zum Vor - aus ſehen konnte, war, wegen der Naͤhe an Frank -239 reich, wichtiger, als die Gefahr, welche Deutſchland bedrohte. Doch hier iſt der Ort nicht, dieſe Sache politiſch und militaͤriſch zu unterſuchen! Mir koͤmmt es aber noch immer ſo vor, daß wenn es damals ſchon entſchieden war, den Kriegsplan gegen Frank - reich noch fortzuſetzen, man die Niederlande beſſer haͤtte beſchuͤtzen muͤſſen.

In Luxemburg hatte ich eines Tages einen Zank mit einem Kaiſerlichen Unteroffizier, einem recht argen, politiſchen Kanngießer, welcher gradezu im Weinhauſe behauptete: die Preußen haͤtten falſch geſpielt. Unſer Streit erhizte ſich ſo, daß wir bald handgemein geworden waͤren wenn ich gleich recht gut wußte, daß unſere Leute eben das von den Oeſtreichern behaupteten. Schon damals alſo waren die Gemuͤther der Oeſtreicher und der Preu - ßen, durch gegenſeitige Beſchuldigung und Verdacht, von einander entfernt, und dieſe Animoſitaͤt hat ſich hernach immer noch vermehrt. Die Vermuthung einſichtiger Maͤnner, daß eine Allianz zwiſchen dem Hauſe Oeſtreich und Preußen nicht Beſtand haben koͤnnte, beſtaͤtigte ſich alſo ſchon damals mehr als zu ſehr.

Fuͤr meine Perſon hatte ich indeß hier ziemlich gute Zeit: denn ich hatte Geld, und konnte mir das Noͤthige einkaufen. Mein rechtſchaffener Bis - pink hatte mir durch einen Soldaten-Boten auch240 Waͤſche geſchickt, und ſo war ich im Stande, mich hier zu reinigen, und wenigſtens ſauberer zu kleiden, als ſo mancher Andere, der vor Schmutz und Un - geziefer ſta[rr]te.

Am 29ten October brach endlich unſre Armee von Luxemburg auf. Es war eben wieder ein ab - ſcheulicher Tag, kalt und naß, wie wir ſo viele ſchon gehabt hatten. Die Zelter ließ man groͤßten - theils liegen, weil ſie ganz unbrauchbar geworden waren, und was man davon noch mitnahm, muſte man doch hernach bald wegwerfen, weil alles ver - morſcht war. Die Zeltſtangen wurden alle nebſt den Kaͤmpirpfaͤhlen und anderm Geraͤthe rein ver - brannt; auch manche Keſſel u. dgl. wurden weg - geworfen.

Der Weg von Luxemburg bis Trier war ſo elend, als irgend einer in Frankreich geweſen war. Un - terwegs lagen wir zwar in den Doͤrfern und durften uns nicht mehr in Schlamm und Waſſer auf dem freyen Felde herumſudeln: aber da wir immer gar zu dicke gelegt wurden, ſo fehlte alle Bequemlich - keit. Anch konnte man, da jene Doͤrfer von allem Vorrath entbloͤßt waren, nur ſelten einmal Kartoffeln bekommen.

In Trier langte unſer Regiment erſt Nachmittags um vier Uhr an: es war aber nicht moͤglich, fuͤr alle Soldaten Quartiere in dieſer Stadt aufzubrin -241 gen: es draͤngte ſich hier gar zu viel Volk zuſam - men. Alle Kompagnien waren in dem traurigſten Zuſtande, und erſt am folgenden Tage ſammelten ſie ſich gehoͤrig: ſehr viele Burſche waren wegen ihres elenden Schuhwerks zuruͤckgeblieben, und andre konnten wegen des Durchfalls, und andrer Krankheiten ſich nur mit Muͤhe voranſchleppen.

Ich ſelbſt kam erſt den andern Tag Nachmittags zur Kompagnie. Ich hatte ohngefaͤhr drey Maͤrſche ohne Schuhe barfuß gehen muͤſſen, und ſo waren meine Fuͤße verdorben, und ſehr aufgeſchwollen. Ich machte daher auf einem kaiſerlichen Dorfe Quartier bey einer alten Witwe, deren Tochter mich ſehr gut verpflegte. Die Alte konnte nicht mehr fort, die guten Leute verlangten fuͤr alles nicht mehr, als 4 Behmen. Sie wuͤrden mir auch dieſe laſſen, ſagten ſie, wenn ſie nicht Oehl in Trier holen muͤßten*)Die Acciſe ſollte da im Oeſtreichiſchen herum alles vertheuern: und ſo halfen ſich die armen Leute auch hier durch Contrebandiren im Auslande. Die guten Leute!

Meine Fuͤße wurden immer ſchlimmer, und ich mußte mich von Trier bis Binningen, einem ohn - weit Koblenz gelegnen Badiſchen Staͤdtchen, mit fahren laſſen. Der ganze Ruͤckmarſch durchs Trier - land war eben ſo elend und noch elender, als unſerDritter Theil. Q.242Hinmarſch geweſen war. Sogar geſellte ſich jezt noch der Spott der Einwohner zu dem Elende, welches uns druͤckte. Es iſt wirklich eine penible Sache fuͤr einen Soldaten, in einem Trupp zu ſeyn, der beſiegt, oder mit einer langen Naſe, vom Feinde zuruͤckkommt: er muß ſogar vom Janhagel Spott einſtecken; und der Janhagel im Trierlande wußte ſeine Grobheiten ſo ſatyriſch und ſo beißend einzurichten, daß er dem Jan Hagel in unſern flie - genden Blaͤttern nichts nachgab.

Vinningen iſt ein ſchoͤner Flecken an der Moſel, wo der beſte Moſelwein waͤchſt. Der Ort iſt ganz lutheriſch; und eben deswegen ſind die Einwohner, weil alles rundum mit Katholiken beſezt iſt, in einer uͤblen Lage. Sie muͤſſen immer in ihrem Neſte konzentrirt bleiben: niemand heurathet ihre Maͤdel, und niemand zieht zu ihnen: deswegen iſt auch das ganze Vinningen eitel Schwager, Schwaͤ - gerinn, Schwiegervater und Schwiegermutter.

Ich dachte, wir wuͤrden hier Raſttag halten, da aber der Abmarſch gleich auf den andern Tag be - fohlen wurde, ich indeß noch nicht gehen konnte, ſo mußte ich mich zu den Kranken und Maroden geſellen, welche die Menge in mehrern Schiffen nach Nenwied gefahren wurden. Hier wollte ich meinen Freund, den Hn. Magiſter Schellenberg, beſuchen, er war aber verreiſet.

243

Ich traf hier einen Aventurier aus meiner Ge - gend an, den Sohn des verſtorbenen Amtmanns Rupp von Jugenheim ohnweit Mainz. Dieſer Menſch lief ſchon mehrere Jahre in ganz Deutſch - land herum, gab ſich allerhand Namen und Wuͤrden, und betrog und prellte, wo er nur konnte. Seine Prellereien betrafen nicht allein Gaſtwirthe und Kauf - leute; ſondern auch vornehme Maͤnner, ſogar Fuͤr - ſten. Auf meiner lezten Ruͤckreiſe nach Halle er - fuhr ich, daß er endlich wegen eines großen Betru - ges, wobey große Maͤnner kompromittirt waren, eingeſteckt ſey. Damals war Herr Rupp, als kurpfaͤlziſcher Regierungsrath in Neuwied, und zehrte auf gute Rechnung.

Von Neuwied ging ich uͤber Koblenz allein nach Faltern immer zu Fuße, wenn gleich jaͤmmerlich, weil die Kranken von hier aus keinen Wagen weiter hatten, und ich mich nicht dazu verſtehen wollte, mich in die Moͤrdergrube zu Koblenz, das iſt, ins Lazareth, zu legen.

244

Ein und zwanzigſtes Kapitel.

Beſchreibung der Feldlazarethe.

Die unendlichen Krankheiten, beſonders die Ruh - ren, welche unſer ungluͤckliches Militaͤr auf dieſem unſeligen Feldzuge befielen, machten die Anlegung vieler Feldlazarethe noͤthig. Zu Grandpré, Verdun, Longwy, Chatillon, Luxemburg, Trier, Coblenz, Weſel, Neuwied, Uſin - gen, Frankfurt am Mayn, Hoͤchſt, Hom - burg, Friedberg, Gieſſen und noch an viel mehr Orten waren preußiſche Feldlazarethe, welche alle mit Kranken vollgeſtopft waren. Ich habe mehrere dieſer Moͤrdergruben ſelbſt beobachtet, und was ich da geſehen habe, will ich dem Leſer ehrlich mittheilen, jedoch mit dem Bedinge, daß der zu delikate Leſer dieſes Kapitel uͤberſchlage.

Ich hoͤrte, daß mein Freund, der Unteroffizier Koggel, zu Longwy im Lazarethe krank laͤge: ich wollte ihn alſo beſuchen, und ging hin und hinein, ohne von der Schildwache angehalten oder nur uͤber etwas befragt zu werden. Dieſes ließ mich gleich anfangs nicht viel Ordnung im Lazarethe ſelbſt er -245 warten. Aber wie entſezte ich mich, als ich gleich beym Eingange alles von Exkrementen blank ſah, und nicht einmal ein Fleckchen finden konnte, um unbeſudelt hinzutreten. Der gemeine Abtritt reichte fuͤr ſo viele ruhrhaften Kranken unmoͤglich zu, auch fehlte es den meiſten an Kraͤften, ihn zu erreichen, und Nachtſtuͤhle ſah ich beynahe gar nicht. Die Ungluͤcklichen ſchlichen alſo nur bis vor die Stube, und machten dann alles hin, wo und wie ſie konnten. Es iſt abſcheulich, daß ich ſagen muß, daß ich ſo - gar todte Koͤrper in dieſem Unflate liegen ſah.

Ich ſchluͤpfte ſchnell durch ins erſte beſte Zim - mer, aber da draͤngte ſich mir auch ſogleich ein ſolch abſcheulicher mephytiſcher Geſtank entgegen, daß ich haͤtte moͤgen in Ohnmacht ſinken. Es war der Duft viel aͤrger, als wenn man ein Privet aus - raͤumt, oder uͤber einen vollen Schindanger des Sommers geht. An Raͤuchern dachte man gar nicht; auch wurden die Fenſter niemals geoͤffnet, und wo hie und da eine Scheibe fehlte, da ſtopfte man die Oeffnung mit Stroh und Lumpen zu.

Das Lager der Kranken war dem Vorigen ganz angemeſſen: die meiſten lagen auf bloßem Stroh, wenige auf Strohſaͤcken, und viele lagen gar auf dem harten Boden. An Decken und andere zur Reinlichkeit dienliche Dinge war vollends nicht zu denken. Die armen Leute mußten ſich mit246 ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da dieſe ganz voll Ungeziefer waren, ſo wurden ſie von die - ſem beynahe lebendig gefreſſen.

Ich ſtund da, und wußte nicht, was ich vor Mitleid und Aerger ſagen ſollte. Ich fragte end - lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier außer ein biſſel Kommißbrod nichts vorfalle. An Arzney fehlte es beynahe ganz!

Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier Koggel ſehen, aber weder Feldſcheer noch Kran - kenwaͤrter konnte mir ſagen, in welchem Zimmer ich ihn treffen koͤnnte. So ſehr fehlte es an aller beſondern Aufſicht! Sogar hoͤrte ich einen ſagen: Wen hier der Teufel holt (er wollte ſagen: wer hier ſtirbt), iſt geliefert: kein Guckuck fraͤgt wei - ter nach ihm. *)Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote. In der Gegend von Mans〈…〉〈…〉 ld erfaͤhrt eine Mutter mehrerer Kinder, ihr Mann ſey im Lazarethe verſtorben. Nicht mehr im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt ſie ihre Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verſtorbenen. Dieſer durch Mitleid geruͤhrt, und aus Freundſchaft gegen den als todt Erſa ollnen, erbietet ſich, ſie zu heurathen, und dann mit ihr fuͤr ihre Kinder zu ſorgen. Man ſchreibt um den Todtenſchein, erhaͤlt ihn, und die Heurath geht vor ſich. Ueber Jahr und Tag ſteht die Mutter an der Waſchwanne, hoͤrt Yochen an der Thur, geht hin, und Gott, mit welcher Beſtuͤrzung! erblickt ihren als todtbeſcheinigten Mann an einer Kruͤcke als Kruppel. Biſt du's? Iſt's dein Geiſt? Er war's hoͤrt, was vorgegangen war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 n voll

247

Voll Eckel und Abſcheu gieng ich fort, und ver - wuͤnſchte das Schickſal der Krieger, welche bey einer eintretenden Krankheit oder Verwundung in ſolche Mordloͤcher geſteckt, und ſo ſchlecht verpflegt werden, daß ſie ihr Achtgroſchen-Leben elender aufgeben muͤſſen, als das elendeſte Vieh.

Aber bald bedachte ich, daß dort in Longwy vielleicht die Noth ſelbſt eine ſolche elende Lage der armen Leute noͤthig machte. Ich wußte, daß der Koͤnig Befehl gegeben hatte, die Kranken gut zu behandeln, und fuͤr ihre Wiederherſtellung, und wenn es des Monats 1000 Thaler mehr koſten ſollte, gehoͤrig zu ſorgen. Ich beſchloß daher, mehrere Feldlazarethe zu unterſuchen, um ein rich - tiges Urtheil daruͤber faͤllen zu koͤnnen.

Ich that dieß ſchon in Trier; aber da ſah ich noch mehr Graͤuel! Die Lazarethe waren eben ſo ſchmutzig, die Pflege eben ſo elend, und die Lager - ſtaͤtten eben ſo abſcheulich, als in Longwy. Außer -*)〈…〉〈…〉Arbeit zu ſich rufen, umarmt ihn mit Thraͤnen und lan - ger ſtummer Ruͤhrung, koͤmmt endlich zu Worten, dankt ihm wegen des guten, chriſtlichen Werkes an ſeiner Frau und Kin - dern, wuͤnſcht ihm Gluͤck zu dem Beſitz ſeines guten Weibes, thut Verzicht auf ſie, und bittet: man wolle ihn als Kruͤp - pel, ſein Leben bey ihnen hinbringen und ihnen in ihren Hausarbeiten nach Vermoͤgen helfen laſſen. Herzlich gern! Und ſo leben dieſe Guten in Fried und Einigkeit jezt beyſammen. Ich weiß der Beyſpiele von dieſer Art mehrere: und nun denke man! nein, man fuͤhle!248 dem mußten noch vom 30ten bis zum 31ten Okto - ber mehr als 280 Kranke in Trier unter freyem Himmel auf der Gaſſe liegen bleiben: in den Hoſpi - taͤlern war fuͤr ſie kein Platz mehr, und niemand wollte ſie in die Haͤuſer aufnehmen, weil es allge - mein hieß: die Preußen haͤtten die Peſt. Es kre - pirten, ja, es krepirten dieſe Nacht mehr als 30 auf der Gaſſe. Seht Menſchen, ſoviel gelten Eu - res Gleichen im Kriege!

Die andern Lazarethe, die ich weiter ſah, wa - ren alle von dieſer Art. Woher koͤmmt aber die - ſes ſchreckliche Uebel, wodurch der Koͤnig, oder vielmehr der Staat, ſo viel Leute verliert? Denn in dieſem Feldzuge ſind ſehr wenig Preußen vor dem Feinde geblieben, aber mehrere Tauſend ſind in den Hoſpitaͤlern verreckt, deren meiſte man ge - wiß haͤtte retten koͤnnen, wenn man ihnen gehoͤrige Pflege haͤtte koͤnnen oder wollen angedeihen laſſen?

Der Hauptfehler der Preußiſchen Lazarethe iſt, wie mich duͤnkt, in der Anlage ſelbſt zu ſuchen. Die Aufſeher ſind lauter Leute vom Militaͤr, ohne angemeßne Erfahrung und Kenntniſſe, und meiſt lauter ſolche, die ſich da bereichern wollen. Ihre Beſoldung iſt ſchlecht, und doch kommen ſie, wenn ſie auch nicht lange darin ſind, und blutarm hin - einkamen, allemal mit vollem Beutel heraus. Es muß alſo an der Subſiſtenz der Kranken defrandirt249 und die ganze Einrichtung ſo konfus und unordent - lich gemacht oder gefuͤhrt werden, daß man die Defraudation nicht ſo leicht entdecken kann.

Bey dergleichen Einrichtungen pflegt alles zu - ſammenzuhaͤngen, und fuͤr den gemeinſchaftlichen Vortheil gemeinſchaftliche Sache zu machen. Sel - ten findet ſich ein Mann von Rechtſchaffenheit, der ſeinen Einfluß zur Verbeſſerung thaͤtig machen moͤgte; und wenn er ſich findet, ſo wird er bald unterdruͤckt. Hr. von Soyacziusky, Leutnant bey unſerm Regimente, wollte einige gute Anſtal - ten in Frankfurt fuͤr das Lazareth durchſetzen, aber er hatte ſo viel Verdruß dabey, daß ſeine ohnehin ſchwache Geſundheit noch mehr dadurch litt, und er bald verſtarb. Er beſuchte uns einſt bey Maynz. Nun, Herr Leutnant, fragte ich ihn, wie ſchlaͤgt Ihnen das Lazareth zu? Ach, war die Antwort, die Fickfackereien, die ich da ſehen muß, und nicht hindern kann, bringen mich noch um!

Dem Koͤnige wird freilich genug angerechnet; aber fuͤr die Kranken wird das wenigſte verwendet. Ich habe geſehen, daß Feloſcheere und Kranken - waͤrter den Wein fortſoffen, der fuͤr die Kranken beſtimmt war, und die guten Eſſenzen ſelbſt ver - ſchluckten. Zwey Menſcher in Koblenz, welche den Feldſcheerern zur Liebſchaft dienten, verkauf - ten den Reis aus dem Hoſpital, und die Kranken250 muͤßten hungern. Zu Frankfurt am Mayn kaufte man Reis, Graupen, gedoͤrrtes Obſt u. dgl. im Spital ſehr wohlfeil. So war es auch in Gießen.

Um nun den Betrug nicht ſo ſehr ſichtbar zu ma - chen, geht alles myſterioͤs und unordentlich in den Lazarethen zu.

Die Krankenwaͤrter ſind Soldaten, welche bey den Kompagnieen nicht mehr fortkoͤnnen, alte ſteife Kruͤppel, die ſich zum Krankenwaͤrter ſchicken, wie das fuͤnfte Rad am Wagen. Dieſe, deren theil - nehmender Menſchenſinn durch den militaͤriſchen Korporalsſinn abgeſtumpft iſt, laſſen den armen Kranken eine Pflege angedeihen, daß es eine Schande iſt. Daß ſie ſich mit den Feldſcheerern und den andern Meiſtern, die in den Lazarethen etwas anzuordnen haben, allemal einverſtehen, verſteht ſich von ſelbſt! denn auf die geringſte Vor - ſtellung des Feldſcheers oder eines andern Vorge - ſezten, wuͤrde der Herr Krankenwaͤrter weggejagt. Ein Oberkrankenwaͤrter, wie ich ſie in den franzoͤ - ſiſchen Hoſpitaͤlern zu Dijon und anderwaͤrts ge - funden habe, iſt gar nicht da.

Fuͤr Reinlichkeit, dieſes erſte Hauptſtuͤck der Krankenpflege, worauf mehr ankommt, als ſelbſt auf die mediziniſche Verpflegung, wird ſo wenig geſorgt, daß ich Kranke weiß, denen die Hemder an dem Leibe verfault, und ſie ſelbſt von den Laͤu -251 ſen dergeſtalt zugerichtet worden ſind, daß ſie tiefe Loͤcher am Leibe hatten. Freilich ſollen die Kran - kenwaͤrter entweder ſelbſt waſchen, oder waſchen laſſen, aber das geſchieht nicht. Ferner ſehen die Stuben aus, wie die Spelunken; und der mephy - ſiſche Geſtank verpeſtet die Luft aufs abſcheulichſte. Wer in eine ſolche Krankenſtube hereintritt, ver - liehrt den Appetit zum Eſſen wenigſtens auf einen Tag.

Die Feldſcheere, oder wie man ſie ſeit einigen Jah - ren nennen ſoll, die Chirurge, ſind meiſtens Leute, welche gar wenig von ihrem Handwerke inne haben, und daher das Elend in den Spitaͤlern durch ihre Unwiſſenheit und Unerfahrenheit noch vergroͤßern. Fuͤr die Beſetzung der Regimenter durch Oberchi - rurgen iſt ziemlich gut geſorgt, ob es gleich auch da Leute giebt, welche nicht viel mehr wiſſen, als jeder gemeine Bartkratzer. Die Generalchir[ugi]ſind Maͤnner von Einſicht und Verdienſt; aber die gemeinen oder Kompagniechirurgen ſind gr〈…〉〈…〉 theils elende Stuͤmpfer, die bey ihren Lehrherrn nicht mehr gelernt haben, als raſiren und aderlaſ - ſen, beydes elend genug noch obendrein. Wer freilich ſein Brod ſonſt verdienen kann, und nicht fuͤr das kindiſche Vergnuͤgen iſt, in Uniform ein - herzuſchreiten, und ein Spießding an ſeiner Pfu - ſcherſeite her〈…〉〈…〉 ſchleppen, wird ſich huͤten,〈…〉〈…〉?252 den geringen Gehalt, den ſo ein Menſch zieht, den beſchwerlichen Feldſcheerdienſt bey einer Kom - pagnie zu uͤbernehmen. Herr Thede hat dieſer Leute Elend und Unwiſſenheit lebhaft genug geſchil - dert; und dieſer Schilderung wird jeder gern bey - ſtimmen, der unſre Herren nur ein wenig naͤher kennen lernt.

Bey unſerm Regimente zeichnete ſich beſonders einer durch Unwiſſenheit, Grobheit, Naſchhafrig - keit, Unreinlichkeit und Faulheit aus. Man war von dem großen Elende dieſes Freundes unterrich - tet, und doch blieb er vor wie nach, was er war!

In die Feldlazarethe nimmt man zwar dann und wann die geſchickteſten, welche man noch bey den Regimentern findet, aber eben dadurch ent - bloͤßet man die Regimenter ihrer brauchbarſten Wundaͤrzte. Was kann aber Einer von dieſer Art allein ausrichten, ſobald ihm alle uͤbrigen Mit - offizianten entgegen ſind, oder entgegen handeln!

Ob man aber gleich, der Regel nach, nur brauch - bare Aerzte in die Feldlazarethe nehmen ſollte, ſo geht doch hier auch ſehr vieles nach Gunſt, und ſo werden ſehr viel elende, unwiſſende, traurige Wichte angeſtellt.

Die Oberchirurgi, welche die Aufſicht uͤber die Lazarethe fuͤhren, koͤnnen theils jeden Kranken nicht253 ſelbſt unterſuchen und behandeln, wegen der Menge, theils ſind ſie dazu zu kommode oder zu delikat. Sie ſchauen daher nur dann und wann, und zwar nur ſo obenhin, in die Krankenſtuben, laſſen ſich vom Feldſcheer, ſehr oft auch nur von dem Kranken - waͤrter referiren, verordnen dann ſo was hin im All - gemeinen, werfen um ſich reſpectabel zu machen mit einigen fehlerhaften lateiniſchen Woͤrtern und Phraſen umher, uͤberlaſſen hierauf alles den Unterchirurgen, und gehen in Offiziersgeſell - ſchaften, l'Hombre zu ſpielen, oder ſich ſonſt zu vergnuͤgen.

Mir ſind ganz ſchaͤndliche Beyſpiele bekannt geworden, wie ſelbſt Oberchirurgi die mediziniſche Pflege deswegen vernachlaͤßigten, weil ſie das Geld, das fuͤr Arzney, Eſſig, Wein u. dgl. be - ſtimmt war, an die Offiziere, die in den Lazarethen als Inſpektoren angeſtellt waren, verſpielt hatten, und folglich dieſe Sachen nicht mehr kaufen konnten. Die Offiziere haͤtten freilich nach ihrer Pflicht darauf inquiriren, und den Chirurgus zur Herbeyſchaffung der Arzney anhalten ſollen: aber eben ſie hatten ja das Geld gewonnen, welches ſie, im Fall das Ding zur Sprache gekommen waͤre, haͤtten herausgeben muͤßen: ſie ſchwiegen alſo, und die armen Leute waren geprellt.

254

Zwey und zwanzigſtes Kapitel.

Noch uͤber das Elend in den Feldlazarethen.

Meine Leſer muͤſſen es zu gute halten, daß ich von den preußiſchen Feldlazarethen etwas mehr an - bringe, als man ſonſt in dieſer Biographie erwar - tet haͤtte. Ich bin Soldat geweſen, und habe das Elend mit angeſehen, welches meine Bruͤder in dieſen ſcheußlichen Mordkluͤften ertragen muß - ten. Ich moͤgte alſo gerne, ſo viel als in meinen Kraͤften ſteht, zur Verbeſſerung dieſes abſcheulichen und ſchrecklichen Unweſens beytragen. Vielleicht lieſt e〈…〉〈…〉 wan ein Mann von Gutſinn und Einfluß meine Schrift, und lernt daraus dieſe Gattung menſchliches Elendes naͤher kennen, und hilft es viel - leicht bey einem kuͤnftigen Feldzuge lindern. Viel - leicht leſen einige, die dereinſt uͤber Lazarethe die Aufſicht fuͤhren oder in denſelben als Feldſcheere oder Krankenwaͤrter dienen ſollen, dieſes Buch und lernen ſich ſchaͤmen, und ihre Schuldigkeit, welche nirgends heiliger ſeyn kann, als hier, beſſer beobach - ten. Und wenn dieſes ſeyn ſollte, ſo haͤtte ich fuͤr leidende und von den Ihrigen verlaßne Menſchen255 mehr Nutzen geſtiftet, als mancher Poſtillen - ſchmierer, oder Geiſter - und Dogmen-Kraͤmer.

So ungeſchickt die preußiſchen Feldſcheerer ge - woͤhnlich zu ſeyn pflegen, ſo wenige ſind noch oben - drein in den Spitaͤlern angeſtellt: zwey, drey ſol - cher aͤskulapiſchen Buͤffel ſollen eine Anzahl von 200, 300 und mehrerer ſchwerkranker Perſonen pflegen, wie dieſes in dem jetzigen Kriege gar oft der Fall war.

Ich kam einſt nach Bingen am Rhein ins dortige Hoſpital, um die bey der Belagerung von Maynz Bleſſirten und Krankgewordenen aufzuneh - men. Auch hier lief mir die Galle gar aͤrgerlich uͤber. Da lagen Leute, die ſchon ſeit vier und mehr Tagen hieher gebracht, und noch nicht verbunden waren. Dem einen war der Arm, dem andern der Fuß entzwey geſchoſſen, u. ſ. w. und die Leute jammerten, daß einem die Bruſt vor Theilnahme beklommen〈…〉〈…〉 rd. Aber die Herren Feldſcheere und die buͤbiſchen Krankenwaͤrter ſprachen den armen Leu - ten nur mit Fluͤchen und Verwuͤnſchungen zu. Kann ich was dafuͤr, hoͤrte ich einen Feldſcheer fragen, daß Ihr bleſſirt ſeyd? Ich wollte daß dem Teu - fel die Kugel in den A gefahren waͤre, ſo haͤtte ich jezt keine Scheererey mit Euch. Ich will Euch ſchon verbinden; aber warten muͤßt Ihr! Sak - kerment, ich habe mehr zu thun! Und damit256 ging der Bube zur Thuͤr hinaus. Ich ſagte zum Kran - kenwaͤrter Muͤller, vom Halliſchen Regimente: das ſey doch abſcheulich: ob denn das ſo geſchehen duͤrfte? Er antwortete mir: die Feldſcheere waͤren nun ein - mal nicht anders, beſonders dieſer; der ſitze den ganzen Tag im Wirthshauſe zum wilden Mann und trinke. Ich gleich hin, und fand den un - menſchlichen Firlefanz wirklich bey einer Flaſche Wein. Ich ſezte mich ihm gegenuͤber, und redete ihn an. Herr Chirurgus, ſagte ich, wie koͤnnen Sie aber die armen Leute ſo unverbunden liegen laſſen? die Kerls jammern einen ja in der Seele!

Er. Hab heute ſchon Sechſe verbunden; will auch einen Augenblick Ruhe haben!

Ich. Aber wenn ihre Kranken ſo ſchrecklich leiden, und obendrein den kalten Brand befuͤrchten muͤſſen: ſo muͤßten ſie, denk ich, bis ſie ihnen Huͤlfe geſchafft haben, gar nicht an Ruhe denken!

Er. So? Wer nicht warten will, mag hin - laufen!

Ich. Ja, wenn das die armen Leute koͤnnten, dann wollt 'ich's Ihnen verdenken, wenn ſie nicht laͤngſt aus dem Mordloche gelaufen waͤren!

Er. Mordloch? Herr, das iſt zuviel geſprochen! Wenn ich das dem Offizier ſage, kommt der Herr in Arreſt: verſteht mich der Herr?

257

Ich. O ja, ich verſtehe den Herrn, und ſehe wohl, daß der Herr eben ſo boͤsartig als unwiſſend iſt: verſteht mich der Herr auch?

Er. Tauſend Sakkerment: ich glaube gar, der Herr will mich tuſchiren! Weiß der Herr, wer ich bin?

Ich. O ja, ich weiß und ſehe, daß der Herr weiter nichts iſt, als ein gefuͤhlloſer Bartkratzer. Wenn uns die Franzoſen unſre Feldſcheere vorgeſchla - gen haͤtten, um unſere Truppen durch ſie zu ruini - ren, ſo haͤtten ſie uns keine angemeßnere geben koͤnnen, als der Herr iſt.

Er. (aufſtehend) Nun, ins drey Na - men, der Hacke will ich ſchon einen Stiehl machen, oder mein Name ſoll nicht ehrlich ſeyn! Ich gehe hin, und ſags dem Offizier: der ſoll mir ſchon Sa - tisfaktion ſchaffen!

Er gieng wirklich, aber dabey blieb es auch. Ich indeß blieb ruhig: denn ich traute keinem Offi - zier zu, daß er dem Unmenſchen Recht haͤtte geben ſollen. Nun, was fuͤhlen meine Leſer? Doch erſt noch weiter!

Da man in Verpflegung der Lazarethkranken ſchon ohnehin ſehr oͤkonomiſch zu Werke geht, und da noch obendrein jeder von dieſer Subſiſtenz das Seine ziehen will, ſo kann man leicht denken, daß die Diaͤt der armen Kranken ſehr ſchlecht ſeyn muß. Dritter Theil. R258An zweckmaͤßige Einrichtung der Speiſen wird gar nicht gedacht, noch weniger an deren zweckmaͤßige Vertheilung. Etwas elende Bruͤhe, Bruͤhe groͤß - tentheils, die kaum ein Windſpiel freſſen moͤgte, iſt die Suppe, worin dann und wann ein biſſel Graupen, Mehl, Gruͤtze oder Brod gethan wird. Die Krankenwaͤrter wiſſen alles ſchon ſo einzurichten, daß nicht Ein Auge Fett darauf zu ſehen iſt, und daß die Bruͤhe ausſieht und ſchmeckt, wie die elen - deſte Gauche.

Das Fleiſch in den Lazarethen iſt ſchon das elen - deſte, das man finden kann, und nicht ſelten ſtinkt es ſchon und hat Maden gezogen. Dieſes elende Luder wird nun auf die elendeſte Art zurecht ge - macht, ganz unſauber in die Keſſel geworfen, und oft kaum halb gar gekocht. Eben ſo ſteht es mit dem Zugemuͤſe: und was fuͤr Zugemuͤſe? Ein we - nig Reis und Gerſte, nebenbey auch Ruͤben, Kar - toffeln, Linſen, Erbſen, Bohnen u. dgl. fuͤr tod - kranke Menſchen!

Wer in den Lazarethen nichts zuzuſetzen hat, muß drin krepiren iſt ein ſo b[ek]annter Satz bey der preußiſchen Armee, daß jeder Soldat entweder durch eigne Erfahrung, oder doch durch die Erfahrung vieler Anderer davon uͤberzeugt iſt, und an deſſen Wahrheit im geringſten nicht zweifelt. Das mag aber doch eine treffliche Einrichtung ſeyn, wo der259 kranke Feldſoldat Geld haben muß, um im Lazarethe, wo ſeine Geſundheit, die er fuͤr ſeinen Herrn zugeſezt hat, hergeſtellt werden ſoll, nicht Hungers zu krepi - ren! Ich kenne Feldſcheere, welche ſich Geld ge - ben ließen, damit ſie dem gebenden Kranken die noͤthige Huͤlfe leiſten moͤgten, und welche den, der nichts geben konnte, liegen und krepiren ließen.

Aufſicht uͤber die Kranken ſelbſt fehlt eben ſo, wie die uͤber die Feldſcheere und Krankenwaͤrter. Sie koͤnnen beynahe thun, was ſie wollen. Daher ſaufen ſie denn Branntwein, freſſen Haͤringe und was ſie ſonſt haben koͤnnen, und machen durch dieſe uͤble Diaͤt die wenige Huͤlfleiſtung an ſich noch vol - lends vergeblich.

Von den vorfallenden Diebereyen in den Laza - rethen mag ich gar nicht reden. Genug, wer et - was hineinbringt, muß wohl darauf Acht haben, daß es ihm nicht von den Krankenwaͤrtern oder von den andern Kranken gemauſet wird.

So ſehen die Feldlazarethe der Preußen aus: aber die der Oeſtreicher ſind um kein Haar beſſer! Auch da herrſcht der naͤmliche Geiſt, die naͤmliche Unordnung, der naͤmliche Mangel. Und hier - aus laͤßt ſich nun erklaͤren, warum ſo viele Men - ſchen in den Hoſpitaͤlern ſo elend umkommen, und warum die Armeen durch dieſe Mordloͤcher ſo ſchreck - lich leiden!

260

Ich bin weit entfernt, den Monarchen und de - ren Generalitaͤt Mangel an Fuͤrſorge fuͤr die armen Kranken Schuld zu geben. Ich kenne die Befehle, wenigſtens des Koͤnigs von Preußen, in dieſer Hinſicht, und weiß, daß dieſer gutmuͤthige Fuͤrſt nichts vaͤterlicher wuͤnſcht, als Huͤlfe fuͤr Leidende. Die Schuld faͤllt auf die allein, oder gewiß vor - zuͤglich, welchen der Koͤnig die Sorge fuͤr die Hoſpi - taͤler in vollem Zutra[u]en aufgetragen hat: Wie ſchaͤndlich aber wird dieſes Zutrauen misbraucht! Der Koͤnig kann die Lazarethe unmoͤglich ſelbſt nachſehen, und muß ſich auf Andre verlaſſen und dieſe Andere ? Hier iſt eine Thatſache, welche viel Licht uͤber dieſen Umſtand verbreiten kann.

In Gießen war ein Hoſpital fuͤr die Preußen angelegt, in welchem es eben ſo kauderwaͤlſch zu - gieng, als in den uͤbrigen anderwaͤrts. Dem Hn. Profeſſor Muͤller wurde aufgetragen, eine Nach - richt von dem Zuſtande dieſes Hoſpitals dem Publi - kum vorzulegen. Herr Muͤller, ein ſonſt gelehr - ter Mann und gluͤcklicher Arzt, ließ ſich, Gott weiß, von wem, die Augen blenden, und verfer - tigte eine Nachricht, worin er, gegen ſeine eigene beſſere Einſicht denn er muͤßte ja ſonſt blind ge - weſen ſeyn! die Einrichtung des Gießer Hoſpi - tals lobte, und demſelben Vorzuͤge zuſchrieb, welche nie irgend ein preußiſches Hoſpital gehabt hat.

261

Herr Muͤller mag mir dieſe Kritik nicht uͤbel nehmen! Ich verehre ſeine Kenntniſſe, und ſchaͤtze ſein Herz; aber eben dieſen Kenntniſſen und dieſem guten Herzen haͤtte er die Schande nicht zufuͤgen muͤſſen, eine Relation auszuſtellen, die nichts we - niger als wahr war, und die ihn bey jedem Beſſer - unterrichteten damals ſehr zweydeutig erſcheinen ließ. Es haͤtte ihn doch befremden muͤſſen, daß man ihm zumuthete, als Profeſſor der Arzneykunde ein Zeugniß uͤber eine Anſtalt auszuſtellen, die er ſchon tadeln mußte als Mann mit nur geſunden Augen! Und doch lobte er ſie als Profeſſor der Me - dicin, folglich als Mann in ſeinem Fache; kom - promittirte ſich aber dadurch nicht wenig, und ſchadete mehr als tauſend und uͤbertauſend Ungluͤck - lichen.

Dieſes wird Hr. Muͤller jezt vielleicht ſelbſt einſehen. Denn wenn zum Beyſpiel der Koͤnig durch einen Zufall, der freilich ſelten, aber doch nicht ganz unmoͤglich geweſen ſeyn mag, von der heilloſen Zucht in den Lazarethen gehoͤrt haͤtte, ſo haͤtte es ja geſchehen koͤnnen, daß er gewiſſe Leute zur Verantwortung ziehen ließ. Dieſe gewiſſen Leute konnten aber das Teſtimonium eines Hn. Muͤllers, Profeſſors der Medicin zu Gießen, vorzeigen; der Monarch konnte dem Relator glau - ben und ſo war ein Hauptweg, dem Unweſen zu262 ſteuren, abermals verſperrt. Und wenn auch der Fall nicht eintratt, aber jemand ſonſt willens war, das Oberkriegskollegium auf die Maͤngel der Lazarethe merkſam zu machen: ſo mußte er als kluger Mann es unterlaſſen, weil er vorausſehen konnte, daß Muͤllers Zeugniß gegen alle Be - ſchwerden deckte, und gleichſam der Schutzbrief aller Theilnehmer war und blieb, es ungehindert forthin zu treiben, wie vorher. Wenn Hr. Muͤl - ler das alles bedenkt, ſo geht er vielleicht in ſich, und bekennt, daß er damals, wer weiß aus wel - chen Urſachen, eine ungegruͤndete Nachricht von unſern Lazarethen gegeben und ſich dadurch am menſchlichen Geſchlecht groͤblich verſuͤndiget habe.

Sed Medici non poſſunt diccre verum, ſagt Juvenalis, und dabey wird es auch in dieſem Falle leider wohl bleiben!

Wenn aber einige Aerzte die Wahrheit nicht gern bekennen, ſo bekennt ſie ein Anderer, wenn gleich in einer andern Ruͤckſicht; und ſo einen finden wir an dem Verfaſſer der Schilderung der jetzigen Reichsarmee, nach ihrer wahren Geſtalt. *)Nebſt Wi[r]ken uͤber Deutſchlands kuͤnftiges Schickſal. 〈…〉〈…〉bey Peter Hammer, 1796.Auch dieſer klagt ſehr uͤber das Elend in den Lazarethen auch bey den Reichstruppen. 263Man fuͤrchtet ſich bey dieſen, ſchreibt er S. 186 ff., vor den Spitaͤlern eben ſo ſehr, wie bey den Preu - ßen und Oeſtreichern, und das aus demſelben Grunde, weil man denkt, daß ein Menſch, der in ſo ein Kurirloch geſchleppt wird, allemal auch, bey einer ſonſt unbedeutenden Krankheit, Gefahr laufe, nimmermehr wieder herauszukommen.

Es iſt doch ſchrecklich, fuͤgt er hinzu, daß man fuͤr das Leben und die Geſundheit der Menſchen ſo we - nig Sorge traͤgt, und vornehmlich ſolcher Men - ſchen, die man ſo noͤthig hat im Kriege! Aber der Soldat iſt bey uns, und ſogar von ſeinen eignen Vorgeſezten meiſt uͤberall zu ſehr verachtet, als daß man im Ernſte fuͤr ihn und ſeine Erhaltung ſorgen ſollte.

Die Schuld davon liegt einmal an ſehr vielen Soldaten ſelbſt, und dann an unſerer hergebrachten, militaͤriſchen Verfaſſung. Was nirgends taugen will, laͤuft zu den Soldaten, oder wird ihnen zur Zuͤch - tigung uͤbergeben. *)Bey der Reichsarmee, die keine beſtimmten Cantons u. dgl. hat, wie die Sachſen und Preußen. Selten beſſern ſich dieſe Leute, ja, ſie werden durch den Umgang mit noch Mehreren ihres Gleichen gewoͤhnlich aͤrger, beſonders im Felde, wo ihnen, um die Ueberlaͤuferey durch Strenge nicht zu foͤrdern, manches uͤberſehen wird, was man in der Garniſon ſtreng ahnden wuͤrde. 264Sie betragen ſich alſo oft nicht wie Menſchen, ſon - dern wie unvernuͤnftiges, wildes Vieh, treten ihre Menſchenwuͤrde mit Fuͤßen, und erregen bey ihren Vorgeſetzten ſehr oft den Wunſch, ihrer mit guter Manier je eher je lieber los zu werden.

Faͤllt nun einer von dieſen in eine Krankheit, oder wird er verwundet, und dann dem Lazarethe zur Kur uͤbergeben: wie kann ſo ein Menſch bey jeman - den den Wunſch rege machen, ihn wieder zu ſeiner Geſundheit zu verhelfen, oder ihn zu heilen? Wer weiß, wie ſehr lange ſchon er ſeinen Vorgeſezten oder den Chirurgen zur Laſt geweſen iſt, um ihm das ewige Leben nicht laͤngſt zu wuͤnſchen! Dieſe alſo haͤtten die ſchlechte Behandlung, die ihnen in den Lazarethen widerfaͤhrt, großentheils ſelbſt verſchul - det, und faͤnden dann, daß es geht, wie mans treibt zur Warnung fuͤr ſich auf die Zukunft, und zum Beyſpiel fuͤr Andere auf immer.

Eine andere Urſache der ſchlechten Behandlung der Soldaten in den Lazarethen liegt in unſrer her - gebrachten militaͤriſchen Verfaſſung. Unſere mei - ſten Soldaten ſind wie paſſive Maſchinen, Soͤld - ner, oder auf altdeutſch, Landknechte, beſtimmt, um nach den Winken ihrer Fuͤrſten Laͤnder zu er - obern oder Andern erobern zu helfen, oder zur Er - ringung irgend einer Donquixotiade von Helden - ſchaft Leib und Leben aufzuopfern. Sie ſind alſo265 großentheils Menſchen, welche dumm oder nieder - traͤchtig genug ſind, auf ihre perſoͤnliche Subſiſtenz Verzicht zu thun, und ſich gegen einen Blutſold als ein ſachliches Werkzeug zu verdingen, die Rechte anderer Voͤlker willkuͤhrlich zu verletzen und dadurch den Deſpotismus mitzuverbreiten, oder auf den Thron zu heben, oder in ihrem eignen Vaterlande ihn fernerhin zu ſichern. *) O lebte Tacitus noch, und ſaͤhe jezt eine Deutſche Armee, vor der Rom ſonſt zitterte, er wuͤrde ausrufen: Schande fuͤr Deutſchland! Das ſind keine Teutonen mehr: Die fech - ten um Sold, nicht mehr fuͤr Freyheit und Vaterland! Man ſehe Leben und Thaten des Freyherrn Quin - etius Heymeran von Flaming II. Th. S. 261. Berlin bey Voß. Bey der Verdingung der Truppen ei - nes Staats (oder eines Furſten) an einen andern, gegen einen nicht gemeinſchaftlichen Feind (z. B. der Heſſen, Braunſchwei - ger und Hannoveraner gegen Nordamerika u. ſ. w.) werden die Unterthanen als nach Belieben zu handhabende Sachen gebraucht und verbraucht (und nicht behandelt als ſelbſtſtaͤndige Perſonen nach unveraͤußerlichen Rechten. ) So Kane im philoſ. Entwurf zum ewigen Frieden, S. 8Ein Menſch aber, der auf ſeine Menſchenrechte, Wuͤrde, Pflicht und Beſtimmung Verzicht thut, der nicht wie der jetzige Franzoſe, als aktiver Vaterlaͤnder, bloß zu den Waffen greift, um ſeine Nation und deren Rechte gegen jeden ungerechten Machtanfall zu vertheidi - gen, der wirft ſich in den Koth: und wer kann ihn achten?

Hiezu koͤmmt, daß die Oberleute den Mann, der ſtirbt, oder als Kruͤppel verabſchiedet und aufs266 Herumbetteln fortgeſchickt wird, nicht zu erſetzen verbunden ſind, und alſo ſich wenig oder gar nicht darum bekuͤmmern, wenn ein Soldat, nach dem ſchoͤnen und gewoͤhnlichen Ausdruck vieler Herren Offiziere, verreckt, krepirt, vom Teufel geholt wird; oder als ein unverſorgter Kruͤppel zur Schande des Herrn und des Korps, dem er ge - dient hat, im Lande herumfaͤhrt, bettelt oder ſtiehlt und in allen Schenken uͤber ſeinen Dienſt flucht, und auf ſeine ehemaligen Vorgeſezte derbe los - zieht.

Was der angefuͤhrte ſcharfſinnige Verfaſſer, fuͤr eine gewiſſe Klaſſe von Leſern, vielleicht zuviel oder zu wenig angiebt, wird man dereinſt in einer klei - Schrift uͤber die wahre Wuͤrdigung des Soldaten und des Soldatenſtandes durch eine genauere Beſtimmung berichtiget finden: ich fand aber dem ohngeachtet fuͤr gut, ſeine Mey - nung uͤber die Urſache der ſchlechten Behandlung der Soldaten in den Lazarethen hier mit ſeinen eig - nen Worten ganz anzufuͤhren, um auf die Quellen dieſes großen Uebels diejenigen von jeder Seite mehr merken zu machen, deren Pflicht oder Wunſch es mit ſich bringt, dieſe Quellen fuͤr die Zukunft entweder zu reinigen oder zu verſtopfen. Findet man in des Verfaſſers Meynung Einiges, was auf dieſe oder jene Art hiezu dienen kann: ſo war es der Muͤhe267 werth, ſie hier mitaufzuſtellen, und ich bin der Nachſicht ſachkundiger Leſer ohne Weiteres wohl gewiß; irre ich aber in dem einen oder andern: ſo veranlaßte ich wenigſtens eine genauere und aus - gebreitetere Pruͤfung einer Sache, an deren richti - ger Behandlung dem Fuͤrſten als Fuͤrſten eben ſo viel liegen muß, wie ſeinen Unterthanen als Men - ſchen.

Jezt finde ich nur noch noͤthig, noch eine Erin - nerung zu dem vorigen hinzuzufuͤgen, und dieſe be - ſteht darin: daß man jede Sache, die man nach Belieben und ohne vielen Aufwand leicht und bald haben kann, eben darum meiſt gleichguͤltig behan - delt*) Wenn die Fuͤrſten ſpielen, ich meyne, Krieg fuͤhren, ſagt ir - gendwo Friedrich der Zweite, ſo ſind die Menſchen ihre Niethen; und wenn dieſe zu Hunderttauſenden verloren gehen, ſo werden weder die Menſchen, noch die Fuͤrſten kluͤger. Sie ſpie - len immer von neuem; und von neuem fehlts me an Niethen. So machte Friedrich d. G. als Philoſoph ſelbſt auf ein Menſchenſpiel aufmerkſam, das er, als Koͤnig, nicht min - der tapfer mitſpielte! Schilderung der Reichs - armee, S. 195. Allein das Menſchengeſchlecht, ſagt Kant im III. Th. der Lebenslaͤufe nach aufſtei - gender Linie, S. 432, ſucht alles auf dem unrechten Wege, und das kommt, weil es nicht zuſammenhaͤlt: da es nicht Gott (dem Urheber der Moral) treu iſt, wie kann es Menſchen den Urhebern der Politik treu ſeyn? Gott hat alles dabey ge - than und den Menſchen den Trieb der Geſelligkeit ſo gar tief ins Herz gelegt; allein noch ſtoßen ſie ſich von einander. Wie ſehr in weitem Felde liegt nicht alles, und wie nahe koͤnnt 'es lie - gen, wenn Gottes Wille geſchaͤhe! Wohl denn uns, wenn der Wille einiger Menſchen es dereinſt nicht mehr hindert, daß alle. Und dieß ſcheint mir eine von den Haupt -268 urſachen mit zu ſeyn, warum man ſich die Geſund - heit der Soldaten, zumal der fernerhin fuͤr ihren Beruf unbrauchbaren; ſo wenig ernſtlich angelegen ſeyn laͤßt. Ob man aber hieran politiſch und mo - raliſch recht thue, moͤgen die entſcheiden, welche wiſſen, wie ſehr viel bey jedem Militaͤr darauf an - komme, die unbrauchbargewordenen Krieger ſtaͤts ſo zu behandeln, daß die noch brauchbaren an ihnen nicht lernen, ſich fein klug zu ſchonen, und alles das zu meiden, wodurch ſie eben ſo ungluͤcklich wer - den koͤnnen, als ihre abgenuzten traurigen Vor - bilder.

Drey und zwanzigſtes Kapitel.

Faltern, Monthabauer, Limburg u. ſ. w.

In Faltern hatte ich ein gutes Quartier, aber eine ſehr ſchlimme Nacht. Ich lag mit einem Scharf - ſchuͤtzen, Namens Seydling, bey einem bra - ven Schloͤſſer, der uns mit gutem Eſſen und Wein*)Menſchen Gottes Willen thun! Man erwaͤge die Note auf der XXI. S. in der Vorrede zu der Sammlung erbau - licher Gedichte u. ſ. w.269 labte, und dann ein gutes Bette beſteigen ließ. Der Schuͤtze hatte die Ruhr im hoͤchſten Grade, wollte aber, weil er die abſcheulichen Feldlazarethe kannte, in keins derſelben. Des Nachts kam ihm das Stuhlgehen an: da er aber ein ſehr aberglaͤu - biger Menſch war, ſo fuͤrchtete er ſich vor Geſpen - ſtern, und getraute ſich nicht, die Treppe herab in den Hof allein zu gehen. Er weckte mich alſo, und bat, daß ich ihn doch begleiten moͤgte. Ich that es, wiewohl etwas unwillig, uͤber ſeine kindiſche Furcht. Kaum aber waren wir wieder im Bette, als mein Seydling von neuem noͤthig fand, auf den Hof zu gehen: ich ſchlug ihm die Begleitung ab, und ſchalt ſeine pinſelige Furcht, die einem Soldaten gar uͤbel anſtehe. Aber der gute Kerl machte lieber ſeine Nothdurft in die Kammer, wor - in wir lagen, als daß er hinab gegangen waͤre. Zur Strafe fuͤr dieſe Unart ließ ich ihn lange nicht wieder ins Bette, und drohte ihm, ihn zu verkla - gen, wenn er am folgenden Morgen nicht gleich alles wieder rein machte. Er verſprachs und hielt Wort.

Fruͤh um halb Sechſe wurde ſchon Marſch ge - ſchlagen: denn es war Befehl zum Aufbruch ge - kommen: die Franzoſen hatten unſre Leute aus Limburg gejagt, und man befuͤrchtete, ſie moͤgten weiter herunter dringen. In Limburg waren zwar270 mehrere Preußen geblieben, aber ſie hatten doch auch gezeigt, daß ſie ſich nicht ungerochen uͤber - fallen laſſen. In Frankreich haͤtte ſo ein Ueberfall boͤſe Folgen haben koͤnnen, aber in Deutſchland war er nicht ſo gefaͤhrlich. Die Huſaren waren an dem Ueberfalle Schuld geweſen, weil ſie nicht hin - laͤnglich patrouillirt hatten: aber auch dieſe ver - theidigten ſich nachher brav. Die Franzoſen legten den Limburgern eine kleine Brandſchatzung auf, und zogen ab.

Unſer Regiment marſchirte den 10ten Novem - ber nach Monthabauer, einem ganz mit Pfaffen und Kloͤſtern angefuͤllten trieriſchen Staͤdtchen; ich aber konnte wegen meiner Fuͤße nicht nachkommen, mußte daher in einem Dorfe, Neuhaͤuſel, uͤber Nacht bleiben, und mir da ganz allein bey einem armen Grobſchmidt Quartier machen. Der Grob - ſchmidt und ſeine Frau waren brave Leute, die mir viel Gutes thaten und mich wegen meiner ſehr an - geſchwollnen Fuͤße herzlich und theilnehmend be - daurten.

Den folgenden Tag ſchlich ich nach Montha - bauer, wo man mich noch gar nicht vermißt hatte: ſo ſehr war man noch der Unordnung gewohnt.

Hier trug man ſich damals mit einer ſchaͤnd - lichen Geſchichte. Ein Emigrant hatte ſich laͤngſt vorher mit einem Maͤdchen aus der Stadt, von271 guter Herkunft, bekannt und beliebt gemacht. Die Vertraulichkeit gieng ſo weit, daß das Maͤdchen endlich ſchwanger ward. Der Emigrant ein franzoͤſiſcher Graf war unterdeſſen mit ſeinen Spießgeſellen mit nach Champagne gezogen; und ſo war die Gute der Schande und der Verzweif - lung uͤberlaſſen. Schon vor uns war er aber mit den uͤbrigen Emigrirten nach Koblenz zuruͤckgekom - men, wo er wahrſcheinlich auch huͤbſche Bekannt - ſchaften mag gehabt haben. Als das Maͤdchen ſeine Ruͤckkehr dahin erfuhr, machte ſie ſich auf, und erinnerte ihn an ſein Verſprechen, ſie zu heu - rathen. Aber der Niedertraͤchtige hatte dazu jezt keine Ohren, jagte ſie fort, und verfolgte ſie noch mit Schimpfreden. Die Ungluͤckliche getraute ſich nun ihren Eltern und Bekannten nicht mehr unter die Augen zu kommen, und begab ſich nach An - dernach zu ihrer Mutter Schweſter. Dieſe nahm ſie aber nicht auf, ſondern drohete ihr noch oben - drein, ſie einſtecken zu laſſen, wenn ſie ſich unter - ſtehen wuͤrde, noch eine Stunde in Andernach zu bleiben: ſie ſey eine Vettel, welche die Familie beſchimpfe u. ſ. w. Nun gerieth das arme Maͤd - chen in Verzweiflung, und erſaͤufte ſich im Rhein. Man fand ihren Koͤrper einige Tage hernach weit unter Andernach: ſie war ſeit ſechs Monaten ſchwanger. Dieſe und aͤhnliche Begebenheiten272 haben nicht wenig beygetragen, die ſchon damals ſo verhaßten Emigranten noch verhaßter zu machen.

Als wir den folgenden Tag von Monthabauer weg und naͤher nach Koblenz zu ruͤckten, wurden die Schuhe aller Regimenter nachgeſehen von eini - gen vom Koͤnige dazu beſtimmten Majoren, welche allen Oberſten, Majoren und Hauptleuten erklaͤren mußten, daß Se. Majeſtaͤt durchaus verlangten, daß den Leuten gute Schuhe gegeben werden ſoll - ten, welches nun eher geſchehen koͤnnte, als vor kurzem. Aber auch dieſer gewiß ernſtlich und gut - gemeynte Befehl iſt doch auch nur zum Theil be - folgt worden: denn ſo lange ich wenigſtens bey der Armee geweſen bin, hat man fuͤr Schuhe und Montirung nicht ſo geſorgt, als man haͤtte ſollen und koͤnnen: und daß auch dieſes waͤhrend der fol - genden Feldzuͤge nicht geſchehen ſey, habe ich nach - her von Andern erfahren.

Die Regimenter wurden ſehr aus einander ge - zogen, und in die Gegenden an der Lahne in Kan - tonnirung gelegt. Das Dorf, worin unſre Kom - pagnie lag, hieß Edelborn. Weit und breit habe ich nichts roheres und aberglaͤubigers ange - troffen, als die gemeinen trieriſchen Bauren, und doch liebten ſie ihren Erzbiſchof nicht, und waren der neufraͤnkiſchen Revolution gar gewogen. Da wir hier eine Zeitlang blieben, ſo konnten die,273 welche Freunde der Reinlichkeit waren, ihre Sa - chen wieder in guten Stand ſetzen. Bey Ems wurde der Lahnpaß ſtark beſezt, weil man da einen Ueberfall von Seiten der Franzoſen befuͤrchtete.

Cuͤſtine hatte indeſſen, zur Schadloshaltung ſeiner Nation, nicht nur jenſeits des Rheins ge - hauſet; er hatte auch Frankfurt weggenommen, die Saline bey Friedberg zu Nauheim gepluͤndert, und dem Fuͤrſten von Weilburg ſtarke Kontribution aufgelegt: aber die Bauren und Buͤrger waren uͤber - all verſchont worden, und eben dieſe Schonung machte, daß dieſe Leute die Franzoſen eben nicht fuͤr gar zu ſchlimm hielten. Damit aber der Fort - gang der fraͤnkiſchen Waffen nicht noch weiter um ſich reißen moͤgte, beſchloß unſer Koͤnig, ſobald es moͤglich ſeyn wuͤrde, die Gaͤſte uͤber den Rhein zu - ruͤck zu treiben, und ihnen die beſezten Plaͤtze wie - der wegzunehmen. Aber unſere Leute waren zu muͤde, zu ſehr abgemattet; man mußte alſo Halt machen, und ſie ruhen laſſen; auch mußte friſche Munition herbeygeſchafft werden: denn die, welche wir mitgenommen hatten, war, wie ich mehrmals geſagt habe, voͤllig verdorben.

Endlich am 25ten November brachen wir auf und zogen nach der Lahn zu auf der Frankfurter Straße. Die Wege waren hier zwar gut, dasDritter Theil. S274Wetter aber kalt und die Luft rauh und voll Schnee. Auf dieſem Marſche haben wir abermals ſehr viel ausgeſtanden, und nicht wenig Noth gelitten an Le - bensmitteln. Es ſollte aber einmal vorwaͤrts ge - hen; und ſo geſtattete man uns nicht einmal einen Raſttag.

Den 29ten kamen wir vor Homburg an der Hoͤhe, mußten aber, weil alles ſich dahin zuſam - men gedraͤngt hatte, die Nacht unter freyem Him - mel zubringen. Es war ſehr kalt und windig, und Holz fehlte: man gieng daher in die nahen Doͤrfer, holte heraus, was von Holz da war, und machte ſtarke Feuer. Eins dieſer Doͤrfer, welches mit franzoͤſiſchen Koloniſten beſezt iſt, und dem Land - graf von Heſſen-Homburg gehoͤrt, wurde bey die - ſer Gelegenheit ſehr uͤbel mitgenommen.

Am 30ten November erhielt unſer Regiment in Homburg Quartier, und ich bey dem Schulmeiſter der franzoͤſiſchen Kolonie. Dieſer Mann war, wie beynahe alle franzoͤſiſchen Koloniſten, aus angeerb - tem Widerwillen gegen den ehemaligen franzoͤſiſchen Thron, ganz enthuſiaſtiſch fuͤr die neue Verfaſſung Frankreichs eingenommen. Als er merkte, daß ich derſelben auch nicht abgeneigt war, ſo hatte ich ſeine ganze Gunſt. Fruͤh am andern Tage kam ein Bekannter des Schulmeiſters, ein Schuſter, der mich mit zum Fruͤhſtuͤck nahm, und mir ver -275 ſprach, daß er mich, wenn ich Luſt haͤtte, ins Land der Freyheit zu treten, ſicher und unentgeld - lich nach Frankfart bringen wollte, von woher ich gar leicht uͤber den Rhein, und wohin es mir be - liebte, weiter kommen koͤnnte. Ich weiß wahrlich nicht recht zu ſagen, warum ich dieſes gewiß gut gemeynte Anerbieten damals nicht annahn: ich glaube, daß ich es noch angenommen haͤtte, wenn wir laͤnger in Homburg geblieben waͤren: denn da - mals war ich des ganzen Soldatenlebens wegen der Soldaten-Graͤuel recht herzlich muͤde. Allein noch in ſelbiger Nacht um 10 Uhr wurde Marſch befohlen, und wir brachen wirklich nach Frankfurt auf.

Vier und zwanzigſtes Kapitel.

Einnahme von Frankfurt am Mayn. Folgen davon.

Der Herzog eroberte am 2ten December die Stadt Frankfurt am Mayn. Ich habe dieſer Wiederero - berung nicht mitbeygewohnt; ich uͤberlaſſe es alſo meinen Leſern, die davon noch nicht aͤcht unterrich - tet ſeyn moͤgen, anderwaͤrts ſelbſt Auskunft daruͤber276 einzuholen. Einer Bemerkung kann ich mich je - doch hier nicht enthalten.

Cuͤſtine, deſſen ſonderbares Benehmen man durch van Heldens Briefe in Girtanners poli - tiſchen Annalen ziemlich kennen lernt, hat dem Nationalkonvente zu Paris eine falſche, meiſt un - gegruͤndete Nachricht von dem Betragen der Frank - furter Buͤrger gemacht, indem er ſie beſchuldigte, daß ſie, waͤhrend der Wiedereroberung, drey Ba - taillons Franzoſen mit gewiſſen, dazu beſonders gemachten Meſſern ermordet haͤtten. Das that Cuͤſtine, um ſein Verſehen der Frankfurter Buͤr - gerſchaft zuzuſchieben. Aber obgleich der Bericht des Cuͤſtine hier und da falſch iſt, ja, obgleich van Helden und einige ſeiner Offiziere, durch ihren Unwillen uͤber Cuͤſtine, und die Lage ihrer Gefangenſchaft, vielleicht auch durch ihre Unwiſſen - heit in dieſem Punkte beſtimmt, Cuͤſtinen wider - ſprachen, und die Frankfurter zu rechtfertigen ſchie - nen: ſo iſt doch auch gewiß, daß der Bericht, wel - chen die Frankfurter zu ihrer Vertheidigung an den Konvent nachſchickten, auch nicht ganz richtig iſt, und es ſind, wie mir ſelbſt Frankfurter Augenzeugen erzaͤhlt haben, und ich erſt noch vor kurzem auf dem Weidenhofe zu Frankfurt hoͤrte, viele Barba - reyen ſelbſt von Buͤrgern, folglich nicht allein von Handwerksburſchen, gegen die Franzoſen veruͤbt wor -277 den. Auch habe ich von der damaligen Frankfur - ter Beſatzung Einige in Frankreich geſprochen, welche eben dieſes verſicherten: und ſo laͤßt ſich die Furcht erklaͤren, in welcher die Frankfurter ſeit jener Zeit vor einem neuen Beſuche der Republikaner ſchwebten, wie auch die ſtarke Kontribution, welche dieſe nachher eintrieben. Hieraus mag denn jeder Nichtſoldat lernen, daß es zur Zeit des Krieges ſehr klug iſt, den Feind nie zu inſultiren oder zu reizen, weder durch Handlungen, noch durch Worte, geſchrieben oder geſprochen.

Unſer Bataillon wurde nur gebraucht, um die Franzoſen bey Eſchersheim wegzutreiben, wo ſie noch um zwey Uhr Nachmittags Stand hielten. Bey dieſer Aktion haben wir einen Kanonier und vier Mann eingebuͤßt. Die Franzoſen ließen uns das Dorf bald uͤber: denn ein paniſcher Schrecken ſchien ſie ergriffen zu haben.

Nun war Frankfurt wieder im Beſitz der Deut - ſchen, und unſer Regiment ruͤckte Abends um 10 Uhr in Vibel, wo wir 14 Tage ſtehen blieben.

Frankfurt war, ſo lange die Franzoſen darin waren, von dieſen wenig oder gar nicht gekraͤnkt worden; und wenn Cuͤſtine, zur Entſchaͤdigung fuͤr unſere Invaſion nach Frankreich, nicht eine ſo ſtarke Contribution gefodert haͤtte, ſo wuͤrde die Stadt noch Vortheile von ſeiner Gegen-Invaſion278 gehabt haben. Aber dennoch war gleich nach der Wie - dereinnahme auf einmal alles wieder deutſch, was vorher franzoͤſiſch in Frankfurt geweſen war! Sogar die Markoͤrs auf den dortigen Kaffeehaͤuſern ma〈…〉〈…〉 kir - ten auf deutſch; die Mamſellen hießen Jungfern, ohne es jedoch immer zu ſeyn; aus Toilette ward Putztiſch, aus Pique Schipp〈…〉〈…〉, aus Coͤttr Herz und aus Carreaux Eckſtein u. ſ. w. Dieſes laͤp - piſche Zeug ſollte, wie viel Anderes von eben der Art, Beweis des deutſchen Patriotismus ſeyn, und die Frankfurter trieben es, bis ſie endlich ſelbſt Preußiſche Offiziere franzoͤſiſch ſprechen hoͤren, wo ſie ſich denn ſchaͤmten, und die Jungfer wieder in Mamſell umtauften u. ſ. w.

Die Frankfurter Zeitungen, beſonders die Reichs - Ober-Poſtamts-Zeitung denn in dem Einen Frankfurt kommen mehrere heraus waren waͤh - rend des Aufenthalts der Franzoſen in Frankfurt ganz auf ihrer Seite, und nahmen alles dienſtwil - lig auf, was Cuͤſtine, van Helden, und an - dre dem Publikum mittheilen wollten. Es ſtehen daher auch ſelbſt von Cuͤſtine und Boͤhmer viele grelle Aufſaͤtze in dieſen Zeitungen, beſonders das beruͤchtigte Proklama an den Landgrafen von Heſſen-Kaſſel, worin er aufs gehaͤſſigſte benannt und angegriffen wird. Die Herren Zeitungsſchrei - ber waren aber keineswegs von den Franzoſen ge -279 zwungen worden, ſo oder ſo zu ſchreiben; Cuͤſtine hatte ihnen vielmehr ausdruͤcklich ſagen laſſen: daß, wenn man ſeine Aufſaͤtze nicht fuͤr wahr hielte, oder ſonſt Anſtand naͤhme, ſie einzuruͤcken, man ſie im - merhin hinlegen koͤnnte. Sobald aber die Preußen Frankfurt inne hatten, lautete das Ding aus einem andern Tone: die Zeitungsſchreiber erklaͤrten ein - hellig in ihren erſten Blaͤttern, daß ſie von den Franzoſen gezwungen, und aus Furcht vor der Guillotine (ohe!) eins und's andre gegen ihre Ueber - zeugung und gegen ihren deutſchen Patriotismus gerade als wenn ein deutſcher Zeitungsſchreiber deutſchen Patriotismus haben koͤnnte! in ihre oͤffentlichen Blaͤtter aufgenommen haͤtten, welches den Neufranken zu favoriſiren ſchiene: nun aber, da dieſe Tyranney aufhoͤrte, wuͤrden ſie ſich auch als wahre deutſche Patrioten zeigen u. ſ. w.

Wer aber die Zeitungsſchreiber nur von Ferne kennt, der weiß gar wohl, daß dieſes ſaubere Volk ſammt und ſonders allemal den angeſtimmten Ton nachſtimmt, und daß es ihnen um nichts weniger zu thun iſt, als um Wahrheit und Publizitaͤt. Wenn aber uͤbrigens die Verbreitung der groͤbſten und gefaͤhrlichſten Luͤgen zu Gunſten der deutſchen Armeen, und ſchaamloſes, haͤmiſches Herabſetzen der feindlichen Beweiſe des deutſchen Patriotis - mus ſind, ſo muß ich den Frankfurter Zeitungs -280 ſchreibern das Lob zugeſtehen, daß ſie große Patrio - ten ſind.

Ich befand mich indeſſen ganz ertraͤglich im Flecken Vilbel, gieng einigemal nach Frankfurt, meine Verwandten und Freunde dort zu beſuchen, und genoß bey dieſen Gelegenheiten allemal ein Vergnuͤgen, welches mir ſeit meines Abſchiedes aus Halle ganz unbekannt geworden war. Mit meinem Wirthe in Vilbel hatte ich manches Ge - ſpraͤch, politiſchen Inhalts, erfuhr aber kein Wort zum Nachtheil der Franzoſen: uͤberhaupt wurde damals das Betragen derſelben allgemein geruͤhmt. Sie giengen mit den Landleuten friedlich um, fluch - ten und ſchalten nicht, foderten nichts umſonſt, und zahlten alles mit baarem Gelde. Freilich haͤtten ſie die Herren, die Pfaffen, Edelleute und Fuͤrſten mitgenommen; aber die meiſten Bauren und Buͤr - ger waren Vielen von eben dieſen Herren ſchon lange nicht gut, und freuten ſich, daß auch ſie einmal gezuͤchtiget wuͤrden.

Cuͤſtine hatte auf der beruͤhmten Salzſiederey Nauheim eine ſehr große Menge Salz vorgefun - den, und beſchloſſen, es zu verkaufen, um durch deſſen Ertrag die franzoͤſiſche Republik dafuͤr in etwas zu entſchaͤdigen, daß der Landgraf von Heſ - ſen, dem eben dieſes Salzwerk gehoͤrt, in Frank - reich miteingefallen war, und ſich in die Angele -281 genheiten einer Nation miſchte, die ihn eben ſo wenig angiengen, als die National-Reform in Po - len. Cuͤſtine traf alſo die Verfuͤgung, daß nur Heſſiſche Unterthanen das Salz gegen einen Schein von ihren Schulzen, daß ſie wirklich Heſſen waͤ - ren, fuͤr die Haͤlfte des gewoͤhnlichen Preiſes er - hielten. Ich habe keinen Bauer dieſes Benehmen Cuͤſtine's je tadeln hoͤren, aber in kleinern und groͤßern Schriften nannte man es Salzdiebe - rey! Sonderbar aber, daß die Vaͤter aller dieſer Schriften nachher nicht auch ein Woͤrtchen fallen ließen von Landdieberey, und an Sachſens Schick - ſal im ſiebenjaͤhrigen Kriege gar nicht mehr dach - ten, noch weniger an die hergebrachte Verfahrungs - art aller Kriegfuͤhrenden Maͤchte, nach welcher ſie ſich berechtigt duͤnken, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Gleich nach der Einnahme von Frankfurt ließ der Prinz von Hohenlohe die Gebirgsfeſtung Koͤ - nigſtein angreifen: das Staͤdtchen unten am Fuße litt gar ſehr bey dem Bombardement, aber die Fe - ſtung ſelbſt nichts: dieſe mußte erſt lange nachher durch Hunger zur Uebergabe gezwungen werden.

Nirgends hatte man die Franzoſen beſſer und freudiger aufgenommen, als in den Maynziſchen Dorfſchaften am Mayn. Man muß naͤmlich wiſ - ſen, daß die dortigen Leute gewaltig ſteif noch282 paͤpſteln, dabey aber von der wahren Beſchaffen - heit der Neufraͤnkiſchen Haͤndel gar nicht unterrich - tet waren. Sie glaubten daher, die jetzigen Fran - zoſen wuͤrden das Spiel bey ihnen wieder ſpielen, was die ehemaligen dort herum ſpielten, wenn ſie Krieg im Reiche fuͤhrten, d. i. alle Ketzer zur Roͤ - miſchen Religion zwingen. Alſo ſahen ſie im Geiſte ſchon das ganze Darmſtaͤdter, Weilburger und Anderer Land, an welches ſie graͤnzen, zum wah - ren Glauben durch die Franzoſen gezwungen. Als aber die garſtigen Leute bey ihrer Dahinkunft ſich um nichts weniger bekuͤmmerten, als um die ver - ſchiedenen Abſtiche im An - und Ausputzen der Ge - hirn-Idole: ſo ſah man veraͤchtlich von ihnen weg, haßte ſie, und dieß um ſo mehr, je greller ihnen ihre Pfaffen den Graͤuel der Neufraͤnkiſchen Ein - richtung beſchrieben und verdammten.

Der Paſtor von Wickert, einem Dorfe zwey Stunden von Maynz, hatte ſich hierin vorzuͤglich ausgezeichnet. Er hatte in der chriſtlichen Lehre unter andern auch die große Wahrheit abgehandelt, daß man ohne Beichte nicht ſelig werden koͤnne, daß aber die Beichte bey einem ordentlich geweihten Prieſter geſchehen muͤſſe, weil, wer bey einem apoſtatiſchen oder gar unrecht geweihten beichte, ein Sakrilegium begienge, und dann, wenn er ſtuͤrbe, geradezu zur Hoͤlle hinabfuͤhre, und ewig283 verdammt wuͤrde. Nachdem er dieſe wichtige Wahrheit ausfuͤhrlich bewieſen hatte, ſo fragte er die Kinder alſo, und dieß (man bewundere ſeine Tau - ben-Einfalt und Schlangen-Klugheit!) in Gegen - wart einiger Franzoſen:

Paſtor. Sage mir mein Sohn, haben denn die jetzigen Franzoſen ordentliche Prieſter?

Junge. Das weiß ich nicht.

Paſtor. Nein, mein Kind, die haben ſie nicht: denn ihre Prieſter ſind nicht von rechten Bi - ſchoͤfen geweiht, folglich ſind ſie Beliaskinder und keine Prieſter. Was ſind alſo ihre Sakramente?

Junge. Gotteslaͤſterung und Gottesſchaͤn - dung.

Paſtor. Schoͤn, mein Kind! Wenn alſo ein Franzos ſeinem Prieſter beichtet, was begeht er?

Junge. Eine Todtſuͤnde.

Paſtor. Recht ſo! Wenn nun ſo ein Franzos ſtirbt, wo faͤhrt er hin?

Junge. Zum Teufel in die Hoͤlle.

Paſtor. Wofuͤr ſind denn die Franzoſen zu halten?

Junge. Fuͤr boͤſe Chriſten, fuͤr Ketzer.

Paſtor. Ja, wollte Gott, daß ſie nichts aͤrgers, als boͤſe Chriſten, als Ketzer waͤren! Sie ſind noch viel mehr: Sie ſind verruchte, exkom - municirte und uͤberteufelte Teufel, die ſich an der284 heiligen Kirche verſuͤndigt, das Evangelium ver - laͤngnet, die Sakramente geſchaͤndet, die Heiligen gelaͤſtert und ſogar die Mutter Gottes verſpottet haben. Aber ſie werden ihren Lohn ſchon bekom - men: der Herr wird ſie ausrotten, wie die Rotte Core u. ſ. w.

Einige franzoͤſiſche Soldaten, Deutſche von Geburt, hatten dieſe Poſſen mitangehoͤrt, und ſie ihren Kameraden wieder erzaͤhlt. Dieſe wurden uͤber des Pfaffen unbeſonnene Frechheit raſend, lie - fen hin ins Pfarrhaus, und wuͤrden den geiſtlichen Herrn da gleich hergenommen haben, wenn dieſer nicht gleich nach der Kirche zu einem aͤchtgeweihten Saufbruder nach Wallau gegangen waͤre. Sie paßten ihm daher im Felde auf, und ſtellten ihn, als er zuruͤckkam, zur Rede. Der Herr Paſtor, von Wein erhizt, ward aber grob, und erklaͤrte, daß er von dem, was er an heiliger Staͤtte lehrte, keiner gottloſen Rotte, wie ſie und alle Franzoſen waͤren, Rechenſchaft zu geben haͤtte. Die Unglaͤu - bigen ergriffen ihn indeß, und wackelten ihn, troz ſeiner uͤberſeligen Rechtglaͤubigkeit, wacker herum. Da aber nur wenige Franzoſen damals in Wickert lagen, ſo wurden die Thaͤter bald entdeckt, und von ihrem Offizier mit Priſon beſtraft. Wahr - ſcheinlich wollte der Offizier einen Bauernaufſtand verhindern: denn dieſe ſind, um in ſolchen Faͤllen285 ſtill zu ſitzen, von den Privilegien ihrer Pfaffen zu gut unterrichtet; und die Pfaffen ermangeln noch weniger, den loͤblichen Satz des Kirchenrechts: ſi quis ſuadente diabolo percuſſerit clericum, und wie es weiter heißt, zu ihrem Vortheil fein huͤbſch zu erklaͤren.

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.

Die Winterquartiere oder Quaſiwinterquartiere.

Die Preußiſchen Truppen wurden dort in der ganzen Gegend am Mayn und am Gebuͤrge in die Winterquartiere verlegt. Unſer Regiment bezog Hoͤchſt, Nied und Griesheim: unſre Kompagnie lag in Nied ganz allein mit den Beckerknechten, und ich hatte meine Wohnung bey einem recht bra - ven Manne, dem Fiſcher Rhein. Dieſer Mann war proteſtantiſch, und konnte gar kein Ende finden, wenn er von den Bedruͤckungen anfing, womit man im Maynziſchen die Proteſtanten verfolgt haͤtte. Es geht, wie ich merkte, in dieſem Laͤndchen eben ſo arg zu, wie in der Pfalz oder auch wohl noch aͤrger. Jeder ſchlechte Kerl, der nur katholiſch iſt, gelangt dort zu Aemtern und Ehren, und kein Proteſtant,286 und waͤre er noch ſo ehrlich und noch ſo geſchickt, wird je befoͤrdert.

Ich wunderte mich ſehr uͤber dieſes Unweſen, und erwiederte: daß ja doch der Kurfuͤrſt, ſelbſt in Maynz, Proteſtanten angeſtellt habe. Aber Rhein ſtach mir den Staar: Man wollte, ſagte er, to - lerant ſcheinen; daher hat man Einige, aber doch nur ſolche Proteſtanten angeſtellt, welche Aufſehen gemacht hatten und das gerade nur in Maynz. An allen andern Orten, fuͤgte er hinzu, ſey und bleibe der Katholik im Alleinbeſitz aller Gunſt und aller Rechte, und der Proteſtant habe immer das Nachſehen. Das moͤgte, fuhr Rhein fort, noch hingehen: daß man aber allemal dem Katholiken Recht giebt, wenn er gleich handgreiflich Unrecht hat, und daß der Proteſtant beym ſonnenklarſten Rechte dennoch allemal verlieren muß, das iſt ab - ſcheulich. Rhein hat mir mehrere Faͤlle dieſer Art mitgetheilt, welche ich indeß hier uͤbergehe. Derglei - chen Dinge aber beweiſen hinlaͤnglich, daß man ſich eben nicht ſehr wundern muͤſſe, wenn die Fran - zoſen in der Pfalz und im Maynzerlande bey den Proteſtanten mehr Eingang gefunden haben, als bey den Katholiken: denn wer iſt wohl gern wegen ſeiner Meynungen, Religion u. dgl. in ſeiner buͤr - gerlichen Exiſtenz zuruͤckgeſezt und geneckt?

287

Dieſen Umſtand belieben doch die ja in Acht zu nehmen, welche, aus der groͤßern Anhaͤnglich - keit der dortigen Proteſtanten an die Franzoſen, haben folgern wollen: der Proteſtantismus an ſich fuͤhre zum Aufruhr, wenigſtens mehr als der Katholicismus. Dieß heißt Urſache und Wir - kung verwechſeln, und jemanden das Brandloͤſchen uͤbelnehmen, deſſen Haus wir erſt ſelbſt in Brand ſteckten! Doch hieruͤber dereinſt ausfuͤhrlicher in einer andern Schrift; oder man vergleiche Frank - furt und Maynz in dieſer Ruͤckſicht vor der Hand ſo, wie es in der Vorrede zu der mehrmals er - waͤhnten Sammlung erbaulicher Gedichte S. LXXXV geſchehen iſt. Und dann: was war Frankreich?

Daß Ein Theil der Katholiken am Rhein dem alten Staatsſyſteme damals treuer blieb, machte weniger ihr Kirchenſyſtem, als die vielen, reichlich und bequem naͤhrenden Praͤbenden, oder Faulthiers - ſtellen, deren heilige Fruͤchte ſie entweder ſelbſt ſchon zogen, oder fuͤr ihre Bruͤder, Vetter u. dgl. zum Troſte ganzer Familien erwarteten. Man ſah dieß ja aus den Hauptgruͤnden mit, welche man oͤffentlich an den Tag gab, um die Leute da herum von dem Franzoſen-Syſteme abzuhalten. Schafft ihr, hieß es darin, euren Kurfuͤrſten, das hohe Domkapitel, den Adel, die Kloͤſter u. dgl.288 ab: was ſoll, was kann aus all den Tauſenden werden, welche von denſelben Brod, Ehre und Be - dienung haben?*)Wie wenn die alle alles das, womit ſie ſo herriſch groß thun, nicht erſt ſelbſt von uns hatten! ſagte mir einſt ein katho - liſcher Kaufmann, der ſich uͤber den Trubel des Rheiniſchen Na - tional-Convents mit mir unterhielt. Was aus all den Tauſenden werden ſoll? fuhr er fort: je nun, was aus den uͤbrigen wird, die ohne Praͤbenden, Bedienungen und Hofbrod ihr Auskommen im Schweiße ihres Angeſichts verdienen. Fuͤr dieſe kann man unbeſorgt ſeyn: aber nicht ſo fuͤr das Auskommen der einigen Hunderte, die ihr Herrenweſen auf Koſten des Schwei - ßes von mehreren Tauſenden treiben! Doch, wie geſagt, davon zu einer andern Zeit!

Am 6ten Jaͤnner 1793 ſchlugen die Preußen die Franzoſen bey Hochheim, und von dieſer Zeit an wurde Hochheim von unſern Truppen beſezt. Die gefangnen Franzoſen wurden mit Trommeln und Pfeifen durch die Doͤrfer und Staͤdte bis nach Frankfurt gebracht; und dem Jan Hagel ſtand es aller Orten frey, dieſe Gefangnen mit Schreyen und Schimpfen zu inſultiren. Die Frankfurter, eine aͤußerſt neugierige und faſelhafte Nation, zogen ih - nen zu mehrern Tauſenden entgegen, und beglei - teten ſie mit unbaͤndigem Geſchrey und Jubel bis in die Stadt. Einige ſchmiſſen ſogar mit Steinen und Koth auf ſie. **)Das Geruͤcht von der Mishandlung dieſer und meiſt aller nachherigen franzoͤſiſchen Kriegsgefangnen iſt nicht nur bis zu ihrer Armee, ſondern auch bis zu allen Departements, dieIch war ſelbigen Tag ge -289 rade in Frankfurt bey meinem Freunde, dem Herrn Dambmann, und aͤrgerte mich recht ſehr uͤber den Unfug, den der vornehme und geringere Frankfur - ter Poͤbel an den Kriegsgefangnen begieng. Hr. Dambmann, Hr. Hofrath Stiehl, Hr. Prediger Suſſenbeth und mein Vetter, der Kaufmann Dietſch, erwieſen mir damals ſehr viele Freundſchaft, und dieſes machte, daß ich Frankfurt den Winter uͤber von Nied aus fleißig beſucht habe. Dank noch einmal den guten Seelen!

In Nied lernte ich zwey ſchnurrige Menſchen kennen, den katholiſchen Schulmeiſter, und einen Schneider, der zugleich Branntweinbrenner war. Der erſte war ehedem Huſar geweſen, hatte nach - her fromme Gedanken bekommen, und war Einſied - ler geworden. Als aber der Kurfuͤrſt alle Einſie - deleyen aufhob, gieng auch ſeine Klauſe zu Ende. Seine Landsleute die Nieder-Bauren, nahmen ihn zum Schulmeiſter an, er behielt aber troz des Be - fehls des Vikariats ſeinen Habit oder die Kutte bey. Der andre war proteſtantiſcher Religion und ein guter Freund des Schulmeiſters, und beyde arbei -**)ich nachher beſucht habe, gedrungen. Die Wirkung davon laͤßt ſich denken und mich duͤnkt, man hat ſie erfahren, und er - faͤhrt ſie noch. Aber wahrlich, die Franzoſen ſind gutmuͤthig und groß; und dieß wird die Nachwelt gerechter erkennen, als viele von uns.Dritter Theil. T290teten ſchon lange gemeinſchaftlich an der Vereinigung der Proteſtanten und Katholiken. Sie ſitzen daher, wenn ſie ſonſt nichts zu thun haben, beyſammen, unterſuchen die Unterſcheidungslehren beyder Kir - chen, und ſchließen bey jeder: Man koͤnne ſie ohne Schaden fahren laſſen, und muͤſſe dieſes thun, um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verſchaf - fen.

Ich habe einigemal ihren Diſputationen bey - gewohnt und bemerkt, daß ſie allemal damit en - digten, daß das Korpus der Lehren, ſo wie dieſe jezt waͤren, ſchlechterdings nicht die Lehre der wah - ren oder der katholiſchen Kirche ſeyn koͤnnte: dieſe ſey allgemein, das heißt, habe lauter ſolche Lehren, welche von jederman ohne Unterſchied angenom - men, und nur von Narren oder Boͤſewichtern ver - worfen werden koͤnnten. Dieß ſey ſo die Religion des ehrlichen Mannes, und darin faͤnde ſich kein Papſt, keine Transſubſtantiation, keine Beichte, keine Meſſe u. dgl. das ſeyen lanter Zuſaͤtze, die niemand baͤnden, geſezt auch, ſie ſeyen wahr: denn es koͤnne in der Theologie manches wahr ſeyn, das doch bey weitem nicht zur Religion gehoͤrte.

Die Leute raͤſonnirten ſo unrecht nicht, aber daran thaten ſie unrecht, daß ſie die Katholiken mit den Proteſtanten vereinigen wollten. Da ſie mit dieſem Vereinigungsplane ſchon lange um -291 giengen, ſo mußten ſie nothwendig den Pfaffen, ſowohl der Katholiken als der Proteſtanten, oft vor den Kopf ſtoßen, und daher hatte beſonders der gute Schulmeiſter Haͤndel mit den geiſtlichen Her - ren zu Hoͤchſt. Als die Franzoſen dahin kamen, waren beyde recht froh, und dachten, nun ſey es Zeit, ihren Plan auszufuͤhren. Sie warfen ſich alſo oͤffentlich zu Apoſteln der chriſtlichen Freyheit auf, und wollten wenigſtens in ihrem Zirkel Eine Heerde unter Einen Hirten zuwegebringen. Aber die baldige Retirade der Franzoſen machte ihrem Apoſtolat ein Ende; ſie hofften aber dennoch immer daß noch in Zukunft etwas zu machen ſeyn duͤrfte. Ich war anfaͤnglich bey beyden gut gelitten, weil ich auf die Franzoſen nicht ſchimpfte, und auch, wie ſie, alle theologiſche Kazbalgereien fuͤr Lumpen - dinge erklaͤrte. Als ich aber anfing, uͤberhaupt unvortheilhaft von ihrer heiligen Grille zu ſprechen, ſo ſank ich bey ihnen ſehr, und ſie wurden viel zuruͤckhaltender. Das war mir auch nicht ſehr unangenehm: denn nun durfte ich ihre langen Predigten von der Religionsvereinigung, und der Katholiſation der Chriſtenheit nicht mehr ſo anhoͤren, als zuvor.

Das Regiment von Thadden hatte noch immer beſſere Winterquartiere, als die meiſten andern. Zu Wickert, Wallau, Delkenheim, Mos -292 bach, Wisbaden und an allen Orten von Hochheim bis nach Hoͤchſt war alles ſo ſtark uͤber - legt, daß in einem Hauſe oft 20, 30 und mehrere Mann Quartier hatten. Unſer Dienſt war indeß ſehr geringe, wenn man die laͤſtigen Commandos, die nach Hochheim gegeben wurden, und die ich ſelbſt viermal mitgemacht habe, davon ausnimmt. Bey dieſen Umſtaͤnden erholten ſich unſre Soldaten auch nach und nach und gelangten wieder zu ihrer ehemaligen Munterkeit.

Die Buͤrger zu Halle, durch Privatbriefe, welche in unzaͤhlbarer Menge, wegen der Poſtfreyheit, dahin geſchrieben wurden, von dem Elende und dem Mangel der Soldaten unterrichtet, ließen ſich durch eine Gutmuͤthigkeit von beſonderer Art be - wegen, dem Regimente von Thadden, welches ſchon ſeit 1665, alſo ſchon uͤber 122 Jahre, in ihrer Stadt in Garniſon gelegen hatte, ein Praͤſent von Branntwein, Speck und Tobak zu ſchicken. Der Wille an ſich war gut und loͤblich; nicht ſo das Werk: denn der Branntwein war verdorben, weil er in unreine Gefaͤße gefuͤllt war, und der Tobak war ſcheußlich: der Speck aber war zu genießen. Beſſer haͤtten die Hallenſer immer gethan, wenn ſie den Soldaten das zuſammengebrachte Geld ge - ſchickt haͤtten. Wenigſtens waͤren dann weder ſie,293 noch wir geprellt worden; und an Fuhrlohn haͤtte man vieles erſpart.

Ein luſtiger Bruder machte auf dieſes Geſchenk ein Gedicht in Knittelverſen, welches ſogar gedruckt wurde. Es war aber ein ſehr maſſives Ding, wel - ches unter der Aufſchrift: Dankſagung der Soldaten vom Thaddiſchen Regiment an die halliſchen Philiſter lauter Sar - kasmen auf die Hallenſer enthielt. Ich wuͤrde mich ſchaͤmen, hier auch nur eine Strophe davon anzu - fuͤhren. Es kam bald nach Halle, und erregte, als etwas ganz Unerwartetes, nicht wenig Auf - ſehen. Ein gewiſſer Mann in Halle verfiel auf mich, und gab meine Wenigkeit in einer Klage an unſern General geradezu als Verfaſſer an. Ich weiß nicht, was den guten Mann berechtigt haben mag, ſich als Sprecher fuͤr Halle aufzuwerfen! Allein da man bey den Soldaten eben nicht gewohnt iſt, einer ſolchen Sache wegen, Unterſuchung an - zuſtellen, ſo wurde die Klage hingelegt, und blieb ohne alle Ruͤckſicht. Die Hallenſer haben es indeß recht gut gemeynt, und dieſer guten Meynung we - gen gebuͤhrt ihnen aller Dank der Soldaten, und auch der meinige: denn auch ich habe Antheil an ihren Gaben gehabt. Ich erklaͤre ihnen daher, daß ich das Pasquill denn das iſt es allemal nicht gemacht habe, und das mag ihnen genug ſeyn.

294

Erſt auch in Vilbel konnte ich wieder einmal an meinen redlichen Bispink ſchreiben. Seit unſers Einmarſches in Frankreich war mir auch dieſe, mir ſonſt ſo angenehme, Beſchaͤftigung, ihm und einigen andern erprobten Freunden, welche ſich aber jezt leider auf ſehr wenige beſchraͤnken, von meinen Umſtaͤnden Nachricht zu geben, gaͤnzlich vergangen. Hr. Bispink antwortete mir bald wie - der, ſchickte mir auch wieder Geld, Kleidungs - ſtuͤcke und Waͤſche. Ich habe ſeit dieſer Epoche bis auf meinen Uebergang nach Frankreich ſehr oft an dieſen Braven geſchrieben, und hatte keine an - genehmere Beſchaͤftigung, als ſeine Briefe zu le - ſen, und einige fuͤr ihn aufzuſetzen. Er unterhielt mich mit Nachrichten uͤber die gelehrte Welt, theilte mir manche Gedanken - und Troſtreiche Stelle aus aͤltern und neuern Schriftſtellern mit, und ließ es an guten und bruͤderlichen Winken ſelten erman - geln.

295

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Die Luͤgen uͤber unſre und der Franzoſen Lage wurden ſo allgemein bey uns, daß man alle Tage widerſprechende Nachrichten hoͤrte, welche von kurzſichtigen muͤßigen Koͤpfen erfunden, und von andern eben ſo verſchraubten Maͤhrchenbruͤtern ver - breitet, und geglaubt wurden. Ich widerſezte mich immer, ſo viel an mir war, dieſen elenden Erdich - tungen, und ſuchte meinen Bekannten nach meiner Einſicht, wahrere und gruͤndlichere Vorſtellungen von den verſchiednen Verhaͤltniſſen beyzubringen, welche ich damals zwiſchen uns und den Franzoſen bemerkte. Da ich bey dieſen Gelegenheiten man - ches Wort zu Gunſten der Neufranken, ihrer Kon - ſtitution und des Muthes ihrer Soldaten fallen ließ, ſo wurde ich auch jezt wieder allgemein Patriot ge - nannt, und fuͤr einen Anhaͤnger der Franzoſen aus - geſchrieen. Aber, wie ich ſchon oben ſagte, meine Vorgeſezten, beſonders der Hr. Major von Wedel und der Hr. Hauptmann von Mandelsloh wa - ren einſichtige, brave Maͤnner, welche ſelbſt ein -296 ſahen, daß unſre Lage ſo gut eben nicht, und die der Franzoſen bey weitem nicht ſo ſchlimm war, als man ſie in den Zeitungen ausſchrie. Sie ermahn - ten mich daher, nur behutſamer im Reden zu ſeyn, und jedesmal zu unterſuchen, mit wem ich zu ſchaf - fen haͤtte. Dieſer Rath war klug, und ich habe ihn auch meiſtens befolgt; aber dann und wann riß mich das Feuer der Diſpuͤte, und meine Ueberzeu - gung dennoch ſo hin, daß ich ſogar in Wirthshaͤu - ſern oͤffentlich die Parthey der Franzoſen nahm: doch habe ich meiner Freymuͤthigkeit wegen bey den Preußen eben keine unangenehme Folgen empfun - den. Die preußiſchen Offiziere, ich wiederhole es, haben uͤberhaupt mehr Einſicht und Freymuͤthigkeit, als die der anderen Truppen. Ich kenne deren viele, und beſonders habe ich den jungen Grafen von Herzberg auf dieſem Feldzuge kennen lernen, welcher damals (1792) noch Generaladjutant bey dem Regiment von Schoͤnfeld war. Es giebt wohl wenig junge Maͤnner, welche mit ſo vieler Einſicht und wirklich gelehrten Kenntniſſen, einen ſo liebenswuͤrdigen Karakter verbinden, als dieſer. Er iſt ein großer Kenner der Geſchichte in ihrem ganzen Umfange, aus welcher er ſehr treffende praktiſche Schluͤſſe auf die neuen Begebenheiten zu ziehen weiß. Mit innigſtem Vergnuͤgen hoͤrte ich ihn die ehemaligen republikaniſchen Vorfaͤlle in297 Griechenland, Rom, der Schweiz, Holland und Amerika mit den neuen Auftritten der fraͤnkiſchen Revolution vergleichen, dieſe vollſtaͤndig aus jenen erklaͤren, und richtige Prognoſtika fuͤr die Zukunft aufſtellen. Außer der Geſchichte und der Mathe - mathik, welche ſein Lieblingsſtudium iſt, hat ſich der Herr Graf auch in den alten und neuen Spra - chen und in der ſchoͤnen Litteratur umgeſehen; aber ſein edler Karakter, ſein aͤußerſt humanes, libe - rales Weſen und ſeine Theilnahme an allen Schick - ſalen ſeiner Bruͤder macht, daß man in ihm nicht den geſchickten Offizier, ſondern den wuͤrdigen guten Menſchen ſieht, liebt und verehrt. In Ge - ſellſchaft und im Geſpraͤche mit dieſem biedern deut - ſchen Manne vergaß ich mehr als einmal auf den beſchwerlichſten Maͤrſchen von Koblenz nach Frank - furt, daß es mir uͤbel gieng.

Unter anderm Troß, welcher, um etwas zu verdienen, der Armee nachgezogen war, befand ſich auch eine Bande Marionettenſpieler, welche dort herum den hohen und niedern Poͤbel mit Fra - tzen amuͤſirte. Das Meiſterſtuͤck dieſer Bande, deren Director der Sohn des ehemaligen Maynzi - ſchen Hofraths Schott war, war eine Farce, betitelt: der betrogne Cuͤſtinus (Cuͤſtine). In dieſem Dinge beging Cuͤſtine mit ſeinem Be - dienten, dem Hanswurſt, allerhand Graͤuel! Da298 ſah man Morden, Brennen, Sengen, Nothzuͤch - ten, ſchwangern Weibern den Bauch aufſchneiden u. ſ. f. Hierauf erſchien ihm ein Engel, und er - mahnte ihn, Buße zu thun, und den Roſenkranz zu beten: Cuͤſtine aber laͤßt den Engel zur Thuͤre hinausſchmeißen: eben dieſes wiederfaͤhrt dem Tode. Endlich kommt der Teufel, macht burr, burr, und zerreißt den Cuͤſtine in tauſend Fetzen. Dieſes elende Zeug, und mehreres von derſelben Art, deſſen Gegenſtand aber allemal die Franzoſen wa - ren, wurde in Frankfurt, Hoͤchſt, Roͤdelheim und an andern Orten haͤufig geſpielt, und von Herren und Damen, von Mamſellen und Huren beklatſcht und belacht, bis endlich einige Herren Generale, worunter auch Hr. von Thadden war, das Unanſtaͤndige dieſer oͤffentlichen Beſchimpfung eines feindlichen Generals und ſeiner Nation fuͤhl - ten, und den Spaß verboten. Die Marionetten - ſpieler ließen nun den Cuͤſtinus, und legten ſich aufs Zotenreißen, welches ihnen nicht minder ein - brachte.

Seitdem wir Koblenz und Verdun verlaſſen, zum erſtenmal verlaſſen hatten, hatten unſre Leute, ſo wie unſre Offiziere, ſich um das liebe Frauen - zimmer wenig bekuͤmmern koͤnnen, aber jezt, nach - dem ſie ſich nach und nach erholt hatten, regte ſich auch das Geſchlechts-Beduͤrfniß wieder bey ihnen,299 und dazu fanden ſie in und um Frankfurt Nahrung genug. Dem Hochweiſen Magiſtrate dieſer Reichs - ſtadt muß man es zwar nachruͤhmen, daß er die Hurerey unter dem Schutz der Geſetze nicht ſo er - laubt, wie z. B. Berlin, wo noch 1792 eine Ver - ordnung, die Lohnhuren betreffend, herauskam: aber demohnerachtet hat es in Frankfurt an feilen Schweſtern niemals gefehlt. Seit der Emigran - tenzeit war auch dort in der ganzen Gegend das Sittenverderben ſehr[eingeriſſen] und das Frauen - zimmer, welches ohnehin in den Rheingegenden fuͤrchterlich verliebt iſt, hatte nun alle Schaam und Scheu abgelegt, und war fuͤr jeden. Frankfurt war beſonders der Sammelplatz feiler Menſcher von hohem Kaliber und niedrer Ordnung, wie man ſie haben wollte, von ſechs Kreuzern an bis zu ſechs Thalern Rheiniſch. Auf den Doͤrfern liefen auch Nymphchen dieſer Art in Menge herum, welche meiſt aus dem Darmſtaͤdtiſchen hinkamen: ſelbſt Baurenweiber und Baurenmaͤdel machten ſich kein groß Gewiſſen daraus, einem luͤſternen Kerl aus der Noth zu helfen.

Aus dieſem liederlichen Weſen entſtanden nun haͤufige veueriſche Krankheiten, welche bisher lange unbekannt bey uns geweſen waren, und gaben den Feldſcheeren, welche ſich ſeither nur mit der Ruhr und dem Durchfall beſchaͤftiget hatten, neue Arbeit.

300

Bey keinem Stande iſt das Spruͤchwort: ein ander Staͤdtchen, ein ander Maͤdchen, mehr wahr, als bey den Soldaten: wo[nur] 100 Mann vier Tage liegen, giebt es gewiß ſchon 25 Soldaten - ſchaͤtzchen, freilich lauter leichte, verdorbne Waare, aber doch auch mitunter ſolche, welche wohl auf etwas Beſſeres, als auf einen Kerl in der Uniform, haͤtten Anſpruch machen koͤnnen. In den Rhein - gegenden hatten die Emigranten, und nach ihnen die Patrioten, das ſchoͤne Geſchlecht ſchon vorbe - reitet und zugeſtuzt, und ſo war es unſern Leuten gar leicht, Liebſchaft anzuzetteln, wo ſie nur woll - ten. Die Herren Hauptleute ſehen dergleichen un - gern: denn es hindert gewoͤhnlich die Deſertion, wenn es auch nicht dieſelbe gleich zuweilen befoͤr - dert, indem Burſche und Liebchen mit einander ab - fahren. Bey den Preußen iſt das indeß der Fall nicht ſo oft, wie bey den Oeſtreichern: denn bey dieſen haͤlt das Heurathen haͤrter. Daher laufen auch weit mehr Oeſtreicher mit ihren Liebchen von dannen, als Preußen. In den Ordonanzhaͤuſern kann man den Beweis davon augenſcheinlich finden.

Aber warum ſollte der Soldat ſich nicht auch einen Zeitvertreib mit dem Frauenzimmer ma - chen, da er große Herren es nicht beſſer machen ſieht, ſogar ganz große Herren! In Frankfurt laufen noch auf die Stunde Hiſtoͤrchen von allerley301 Art herum, worunter auch einige nicht ſehr erbau - liche ſind, beſonders die von einer gewiſſen reichen und ſchoͤnen Mamſell, welche aus bloßer Eitelkeit denn weder Liebe noch Eigennutz konnte ſie be - wogen haben, die traurigen Reſte einer ruͤſtigen Konſtitution zu genießen alſo aus bloßer Eitel - keit einem jungen, reichen und ſchoͤnen Liebhaber, mit dem ſie verſprochen war, und von dem ſie aufs zaͤrtlichſte geliebt wurde, Hoͤrner aufſezte. Ob man alle Frauenzimmer durch Wolluſt verfuͤhren koͤnne, weiß ich nicht: daß aber alle der Eitelkeit und dem Eigennutz weichen, davon belehrt uns, au - ßer der alten und neuen Geſchichte, die taͤgliche Erfahrung.

Daß die verliebten Spaͤße unſern Herren die Beutel derb geleert haben, verſteht ſich von ſelbſt. Den Schoͤnen zu gefallen, mußten Baͤlle gegeben und andre Luſtigkeiten angeſtellt werden; und da - mals durfte kein Hr. Offizier, wie zu Halle, mit 12 gl. zu Balle kommen: das Ding koſtete un - gleich mehr. Wer uͤberhaupt dort herum brilliren wollte, mußte ſchwer Geld haben.

Die Herren Regimentsquartiermeiſter muͤſſen oͤfters den Offizieren aushelfen, wenn die Kaſſe leer iſt. Der koͤnigliche Befehl will freylich, daß ſie keinem Offizier etwas vorausgeben, und wenn ſie es thun, ſie ſich hernach nicht an den Gehalt302 des Offiziers halten ſollen. Dennoch koͤnnen die Herren Regimentsquartiermeiſter ihren Regiments - Offizieren allemal, ohne Gefahr angefuͤhrt zu wer - den, Geld vorſtrecken. Freylich muͤſſen ſie ihre Leute kennen: denn mancher Offizier wuͤrde ſich des koͤniglichen Privilegiums bedienen, einige Wo - chen in Arreſt gehen, und den Quartiermeiſter prel - len. Aber ein ehrliebender Offizier thut ſo was nicht, und der Quartiermeiſter iſt ſeiner Zahlung wegen in Sicherheit. Da aber doch die Sache immer gefotzwidrig iſt, ſo wiſſen die Herren ſich[auc]h gegen die Gefahr der Verantwortung dadurch zu ſichern, daß ſie ſehr ſtarken Abzug machen, ſo oft ſie Geld verſchießen: denn eigentliche Intereſſe moͤgen ſie doch nicht fodern.

Ein Offizier wurde von Hn. Ruff zu Hoͤchſt zu einem Ball nach Frankfurt eingeladen. Der Offizier hatte nicht ſo viel Geld, als hiezu erfo - dert wurde, er ſchickte alſo ſeinen Bedienten zum Regimentsquartiermeiſter, welcher zwey Stunden davon war. Er hatte ihm eine Quittung auf 20 Thaler mitgegeben, und der Bediente brachte ihm 3 Fridrichsd'Or, oder damals 17 Thlr. 6 gl. Ich war eben in der Schnallenfabrike, wo Hr. Ruff Factor iſt, als der Bediente zuruͤckkam. Nun das geht noch, ſagte der Offizier, heute zieht mir der Quartiermeiſter doch nur 2 Thlr. 18 gl. an 20303 ab: neulich hat er mir, hols der Teufel, 4 Thlr. an 20 abgezogen.

Es verſteht ſich, daß durch dieſe Oekonomie die oͤkonomiſchen Umſtaͤnde mancher Offiziere ſich merk - lich verſchlimmern, die der Quartiermeiſter ſich aber ſehr beſſern. Wenn daher leztere einmal eine Schlappe bekommen, ſo bedaurt ſie keine Seele.

Da ich in jener Gegend vorzeiten ſehr bekannt geweſen war, ſo kamen viele Leute zu mir, und unter dieſen manche, welche blos die Neugierde an - trieb, einen Menſchen zu ſehen, welcher bisher die Rolle eines Aventuͤriers geſpielt hatte, und dieſe Rolle vielleicht noch laͤnger und bedeutender in Zu - kunft ſpielen wuͤrde. Daß mir dieſe Beſuche alle - mal hoͤchſt unangenehm waren, wiſſen die, welche mich kennen. Von meinen neuen Bekanntſchaften, die ich waͤhrend meines Aufenthalts zu Ried machte, war mir keine lieber, als die mit Hn. Ruff, Factor der beruͤhmten Schnallenfabrik zu Hoͤchſt: ein junger einſichtsvoller Mann, der mir ſehr viel angenehme Stunden gemacht hat. Er hat mir auch einen Vorſchlag gethan, der vielleicht zu mei - nem Gluͤck haͤtte ausſchlagen koͤnnen, aber ich traute meinen Kraͤften zu wenig, als daß ich ihm haͤtte folgen moͤgen.

Dem Herrn Amtmann Keil von Roͤdelheim, dem Hn. R. Rath Buff, dem Bruder der durch304 den Tod des armen Werthers ſo beruͤhmten Lotte*)Madam Charlotte Wilhelmine Kaͤſtner, gebohrne Buff in Wetzlar. und dem Hn. Jung, Pfarrer zu Praun - heim, danke ich hier nochmals oͤffentlich fuͤr die Freundſchaft, die ſie mir, ihrem alten Univerſitaͤts - kumpan, erwieſen haben. Ich hatte ſie in Gießen und Halle ſehr genau gekannt, und freue mich, daß es ihnen wohl geht. Wer beſonders eine Frau hat, wie Hr. Keil, kann ſich Gluͤck wuͤnſchen.

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Die Hinrichtung des armen Ludwigs XVI ver - breitete, ſobald ſie bekannt wurde, und das wurde ſie ſehr bald, in der ganzen Armee anfaͤnglich Schreck und Unwillen gegen ein Volk, welches ſo - gar ſeinen Koͤnig haͤtte hinrichten koͤnnen. Nun, hieß es, kann es den Franzoſen nicht mehr gut ge - hen, nun muß Gottes Zorn und Rache ſie verfol - gen: man wird das bald genug ſehen! In allen305 Geſellſchaften, in allen Wirthshaͤuſern und Schen - ken wurde von nichts geſprochen, als von der ab - ſcheulichen Hinrichtung des armen Koͤnigs von Frankreich. Aber jemehr man von dieſer unge - woͤhnten Trauerſcene ſprach, jemehr man das Grau - ſende derſelben ruminirte, deſto mehr verſchwand das Graͤßliche derſelben, und die ruhige Unterſu - chung daruͤber folgte auf die Deklamationen. Viele meynten, die Franzoſen muͤßten doch wohl Urſache gehabt haben, ſo was vorzunehmen: es muͤßten doch auch geſcheide und gewiſſenhafte Leute in Paris ſeyn.

Waͤhrend dieſer Epoche war ich einſt im Schwan, einem Gaſthofe zu Hoͤchſt, mit Herrn Ruff. Das Geſpraͤch kam von Ludwig XVI. auf die je hinge - richteten Koͤnige. Ich ſprach, daß ihrer nur drey bekannt waͤren, welche durch das Geſetz ſeyen hin - gerichtet worden: Agis von Lacedaͤmon, Carl I. von Großbritannien und Ludwig XVI von Frank - reich. Tauſend Monarchen ſeyen zwar ermordet worden nach dem bekannten Spruch des Juve - nalis:

Ad generum Cereris ſine caede et ſanguine pauci Deſcendunt reges, et ſicca morte tyranni;*)Sat. X.
Dritter Theil. U306

mir ſey aber doch kein Exempel von geſetzlich hingerichteten Koͤnigen weiter bekannt, als von den drey angegebnen. Was den Lacedaͤmonier be - langt, fuhr ich fort, ſo war der ein Unterthan der Geſetze, und folglich auch der Poͤnalverordnungen. Seine Hinrichtung war zwar hoͤchſt ungerecht, denn Agis war unſchuldig, aber es war doch keine Frage in jener Republik: ob man den Vorſteher derſelben, welchem man ſehr uneigentlich den Namen Koͤnig gab, hinrichten koͤnnte, ſobald er nach den Geſetzen des Todes ſchuldig waͤre erkannt worden. Zu Lacedaͤmon wurde Agis durch ein altes Geſetz verurtheilt, und nicht durch eine Ver - ordnung, welche erſt bey einer Volksrevolution waͤre gemacht worden.

Koͤnig Carl I. in England, wurde zwar un - ter gerichtlicher Form getoͤdtet, aber die, welche ſich uͤber ihn zu ſprechen erkuͤhnten, waren nicht die engliſche Nation: es waren die Anhaͤnger des Cromwels, und ſeiner Parthey. Die Nation hatte dieſe Faction nicht als eine Vertreterinn ihrer Rechte aufgeſtellt, folglich konnte dieſelbe auch nicht das Todesurtheil uͤber Carl I. ſprechen; ihr Spruch war folglich ungerecht; und ſo ſchul - dig dieſer Prinz auch ſeyn mogte, ſo war〈…〉〈…〉 ſeine Ermordung eine grauſame Ungerechtigkeit, und ein ſchroͤcklicher Eingriff in die Rechte des engliſchen307 Volkes. Aber mit Ludwig XVI, fuhr ich weiter fort, ſcheint mir das Ding ein ganz anderes Be - wandniß zu haben. Der Nationalkonvent oder die Nationalverſammlung vertrat wirklich die ganze Nation, und hatte folglich das Recht, Geſetze zu machen, ohne jemand, ſelbſt den Koͤnig nicht ausgenommen, um Rath zu fragen. Dieſes Ge - ſetz, daß das Volk, durch die Nationalverſamm - lung repraͤſentirt, eine Aenderung in der Regie - rungsform machen koͤnnte, hatte ſelbſt der Koͤnig angenommen und ſanktionirt. Von nun an war alſo die Suveraͤnitaͤt des Koͤnigs aufgehoben d. i. er wurde dem Geſetz, oder allen aus dem Rechte der Natur und der Menſchheit hergeleiteten und herzuleitenden unmittelbaren Regeln des oͤffent - lichen Guvernements unterworfen.

Ludwig XVI. war alſo damals, was eigent - lich jeder wahre Koͤnig nur ſeyn ſollte, geſetzlicher Verwalter der Nationalkraft nach dem National - willen, oder nach den Geſetzen, welche die Nation ſelbſt entworfen und gutgeheißen hatte. Verwal - tete er nun ſein Ober-Staatsamt nach dem allge - meinen Staatswillen, ſo that er ſeine Pflicht, und war des Gehorſams, der Ehre und ſeiner Beſol - dung bey der franzoͤſiſchen Nation ſicher und werth: denn〈…〉〈…〉 erfuͤllte er den National-Contrakt und war das, was er nach demſelben der Nation zu308 ſeyn, feyerlich geſchworen hatte. Handelte er aber dawider, beſoldete er nach der Civilliſte, wie man ihn beſchuldiget, die rebelliſchen Emigrirten, und war er mit den Feinden der Nation gegen die Na - tion ſogar einverſtanden: ſo war er der erſte, der den National-Contract brach, der ſich ſelbſt ſei - ner Vorzuͤge nach demſelben, verluſtig machte, der als der aͤrgſte Meineidige und Hochverraͤther an der Nation dieſer fuͤr ſeine geſetzwidrige Hand - lungen verantwortlich blieb; der alſo den Natio - nal-Repraͤſentanten es zur Pflicht machte, ihn vor ihr Gericht zu ziehen, die Nation vor ihm zu ſichern, ſeine Handlungen zu unterſuchen und ſeine Vergehungen, nach dem Nationalwillen, zu be - ſtrafen.

Ich weiß zwar recht wohl, ſezte ich hinzu, daß 1789 ein Geſetz in Frankreich gemacht iſt, nach welchem der Koͤnig unverletzbar ſeyn ſollte: allein dieſes Geſetz koͤnnte allemal, wie jedes andere, ge - aͤndert und abgeſchafft werden, ſobald die Nation, als die eigentliche und rechtmaͤßige Geſetzgeberin, einſah, daß es dem oͤffentlichen oder allgemeinen Wohl zuwider war. Hieraus ergiebt ſich nun von ſelbſt, daß Ludwig XVI. vor das Gericht des Nationalkonvents gehoͤrte, und die einzige Frage waͤre noch aufzuloͤſen: ob er wirklich Staatsver - brechen begangen habe, welche den Tod verdienten,309 um auch ſeine Hinrichtung vollkommen zu recht - fertigen. Ich will dem armen Ludwig keine Ver - brechen Schuld geben, denn ich habe die Akten ſeines Prozeſſes nicht geleſen*)Man wolle es nicht aus der Acht laſſen, daß ich dieß im Winter 1793 vortrug: folglich von dem noch nicht Gebrauch machen konnte, was ich nachher in Frankreich uͤber Ludwig XVI. erfuhr.: aber behaupten muß ich, daß der Konvent das forum competens war, wovon er gerichtet werden mußte; und da dieſer die Nation vertrat: ſo wiſſen die, welche von einer Appellation an das Volk reden, nicht recht, was ſie wollen.

Ueberhaupt: ob ein Volk ſeinen Souverain rich - ten koͤnne, fuͤgte ich zum Schluß hinzu, ſcheint ſogar zu den deſpotiſchen Zeiten der roͤmiſchen Kai - ſer kein Problem geweſen zu ſeyn. Der roͤmiſche Senat, oder die Repraͤſentanten des roͤmiſchen Volkes erklaͤrten den Claudius Nero fuͤr einen Feind des Vaterlands und beſtimmten ihn zum Tode. Nero entgieng der geſetzlichen Hinrichtung durch eine Entleibung. Man ſehe den Suero -〈…〉〈…〉 ius uͤber Nero. Veſpaſianus, Nero's Nachfolger, billigte dieſes Verfahren des roͤmiſchen Senats, welches ſein Sohn Domitianus bey - nahe ſelbſt erfahren haͤtte. Die Deutſchen haben310 Karl, den Dicken, abgeſezt, und kein Kluger hat es misbilliget. Die Daͤnen foderten von ihrem Chriſtiern dem Zweyten Rechenſchaft, und ſezten ihn ab. Kurz, die Geſchichte, wie der geſunde Menſchenverſtand lehrt, daß bey jeder wohl und rechtmaͤßig eingerichteten Menſchenregierung der Regent ſeinen Untergebnen verantwortlich blei - ben muß, indem es wider die Pflicht eines jeden und aller ſeyn wuͤrde, ſich unbedingt und wider das natuͤrliche Recht zur Freyheit jemanden zur will - kuͤhrlichen Behandlung ohne alle Ruͤckſprache zu unterwerfen*)So ſprach ich damals, und daß ich recht geſprochen habe, lehrt jezt auch der Antimachiavel, oder uͤber die Graͤnzen des buͤrgerlichen Gehorſams, von Pro - feſſor Jakob, (Halle in der Renaerſchen Buchhandlung, zweyte Aufl. 1796.) nebſt deſſen Auszug aus Sidneys Be - trachtungen uͤber die Regierungsformen (Erfurt, bey Bollmer, 1795.).

Ich ließ mich damals noch weitlaͤufiger uͤber dieſe wichtige und zu der Zeit ſehr intereſſante Materie aus. Ein Offizier von der Kavallerie, ein Ritt - meiſter, ſaß in einiger Entfernung von mir und ſchien eben auf meine Reden nicht ſehr zu merken. Einige Tage hernach kam ein Reuter und bat mich, zu ſeinem Herrn nach Roͤdelheim zu kommen. Hier fand ich meinen Rittmeiſter, den ich nicht nennen will, um ihn nicht in den Verdacht der Jakobinerey311 zu bringen, nebſt noch einigen andern Offizieren. Dieſen Herren mußte ich mein ganzes Syſtem, ſo wie ich mir es damals geformt hatte, weitlaͤufig bey einem Glaſe Rheinwein erklaͤren. Sie ſchie - nen mit meiner Behauptung und Auseinanderſetzung zufrieden, nur warnten ſie mich, behutſam damit zu ſeyn: denn von preußiſcher Seite, meynten ſie, muͤſſe man ſich wenigſtens noch immer ſtellen, als wenn man ſchrecklich boͤſe auf die Buben waͤre, welche ihren Koͤnig hingerichtet haͤtten u. ſ. w.

Unſere Armee hatte, wie ich ſchon geſagt habe, an allem entſetzlichen Verluſt gelitten, beſonders an Mannſchaft. Der Verfaſſer der Briefe uͤber unſern Feldzug berechnet den Verluſt eines einzigen Regiments (Packt 4. S. 136 ff. ) und giebt ihn vom 14ten Jul 1792 bis den[1]ten Maͤrz 1793 auf 369 Todte an. Dieſes Regiment hatte aber, wie ich weiß, unter allen beynahe noch am wenigſten gelitten. Geht man nun die ganze preußiſche Ar - mee gegen die Neufranken durch, ſo kann man ſich ohngefaͤhr einen Begriff von dem ungeheuren Ver - luſte machen, welchen dieſe Armee innerhalb zehn Monaten gelitten hat.

Man mußte daher ſchlechterdings die Regimen - ter wieder ſuchen vollzaͤhlig zu machen, und dazu wurden die jungen Leute von den Depots genom - men. Dieſe Depots ſind, ſo zu ſagen, die Pflanz -312 ſchulen der Regimenter, und dienen zugleich zum Unterbringen der Soldaten, welche nicht mehr die - nen koͤnnen. Dieſe Einrichtung war vor der Re - gierung des jetzigen Koͤnigs unbekannt, und hat ſo - wohl ihre Vortheile, als ihre Nachtheile.

Die Depots reichten nicht hin, den Regimen - tern alle abgegangne Mannſchaft zu verſchaffen, doch aber erſezten ſie den Abgang ziemlich. Bey - her iſt es aber auch unbeſchreiblich, welch ſchlech - tes Zeug von den Depots zu den Regimentern ge - ſchickt wurde. Daß man im Kriege annimmt, was man haben kann, iſt eine alte bekannte Sache. Dieſe Leute werden dann bey den Depots gar nicht ſo gezogen, wie es eigentlich der Dienſt erfodert: ſie exerziren ſchlecht, und ſind an Disciplin wenig gewoͤhnt. Kommen ſie nun zu den Regimentern, ſo wollen ſie das Depotsweſen fortſetzen, und da man das nicht zugeben kann und ſie ſchaͤrfer haͤlt, ſo reiſſen ſie aus, und laufen dahin.

Recht eifrig ſorgte unſer Koͤnig fuͤr anſtaͤndige Kleidung des Heeres, und fuͤr Wiederanſchaffung aller verdorbiter und zu Grunde gegangner Geraͤth - ſchafren. Auch wurden die Pferde wieder erſezt, welche theils auf dem Feldzuge geblieben, theils den Winter uͤber ſo zahlreich nachkrepirt waren.

Schade war es fuͤr unſere Leute, daß die neue Montur gerade erſt den Tag vor dem Abmarſch313 ausgegeben wurde: denn die alte konnte man doch nicht mitnehmen, und zum vortheilhaften Anbrin - gen war keine Zeit mehr: man mußte ſie alſo an die Juden verkaufen, wie man nur konnte.

Als unſre Leute wieder gekleidet, und mit ihrem Zubehoͤr hinlaͤnglich verſehen waren, ſo ſchien es, daß ſie wieder neuen Muth bekommen hatten. Nun ſind wir gekleidet, hieß es, jezt koͤnnen wir die Franzoſen nur wieder angreifen. Aber die Kluͤgern unter uns meynten, daß die neuen Roͤcke auch wie - der alt werden wuͤrden, und daß man die Gewehre wohl abermals von ſich werfen koͤnnte. Das Ende eben des Jahres 1793 hat dieſe traurige Weißagung wahr gemacht.

Man vergebe mir, wenn ich hier der Regen - deckel erwaͤhne! Man hat bey der Armee Maſchi - nen von Leder, womit man die Schloͤſſer an den Gewehren bey ſchlechtem Wetter bedecken, und doch ſchießen kann. Sie ſind eine Erfindung eines preußiſchen Offiziers, womit ſich dieſer bey dem verſtorbenen Koͤnige ſehr beliebt gemacht haben ſoll. Aber dieſe Maſchinen haben ſo viel Unbequemes, daß man ſich derſelben bisher noch nicht bedient hat, auch wahrſcheinlich niemals bedienen wird; und doch mußten dieſes Jahr uͤberall neue gegeben wer - den, weil die alten alle zerbrochen oder verlohren waren. Das hat ſehr viel Geld gekoſtet und doch314 nichts geholfen. Der Burſche, welcher der - gleichen unnuͤtzes Geraͤthe mit herumſchleppen muß, iſt nur geplagt, und es waͤre, ſelbſt nach dem Ge - ſtaͤndniß aller Offiziere, beſſer, dieſe Dinge gar nicht mehr zu haben.

Ich muß meine Leſer um Verzeihung bitten, daß ich von unſern Winterquartieren ſo viel und doch ſo wenig vollſtaͤndig erzaͤhlt habe: Ich weiß das alles recht gut ſelbſt: weiß, was ich ausließ, weis auch, was ich noch mehr haͤtte auslaſſen koͤn - nen. Da ich aber kein Zeitungsſchreiber bin, ſo liegt mir die Pflicht der Vollſtaͤndigkeit nicht ob, und als mein eigner Memoriſt habe ich die Wahl, welche Begebenheit ich der Erzaͤhlung werth halte, und welche nicht. Es iſt hier gar vieles relativ.

Ich hatte dieſen Winter uͤber keine Noth gelit - ten: einmal hatte ich durch die Großmuth des Her - zogs Friedrich von Braunſchweig doppeltes Traktament, und dann hatte Hr. Bispink mich reichlich mit Gelde verſehen, wobey er, weil die Poſt in Halle kein baares Geld zur Armee annahm, eben ſo viel Muͤhe, als Koſten gehabt hat. Der Leſer wird noch in der Folge ſehen, daß ich auf der ganzen Erde niemandes Schuldner mehr bin, als dieſes rechtſchaffnen Mannes.

Mein beſter Zeitvertreib dieſen Winter uͤber, in der immer gut geheizten Stube meines Wirthes,315 war Leſen und Schreiben: lezteres beſtand in aller - hand Aufſaͤtzen, welche ich an meinen rechtſchaff - nen Bispink ſchickte, und welche er unter den Materialien ſeiner eignen Lebensgeſchichte, nebſt den Bahrdtianis, unter der Ueberſchrift: Laucar - diana noch aufhebt. Es iſt eine herzerquickende Sache, etwas aufs Papier zu ſetzen, was ein uns theurer abweſender Freund leſen wird; und ein noch groͤßeres Vergnuͤgen iſt es, es dereinſt, nach uͤberſtandenen tauſend Gefahren, ſelbſt wieder zu leſen. Fuͤr meine Leſerey ſorgte Hr. Factor Ruff: er gab mir Buͤcher, ſo gut er ſie hatte und er hatte recht gute . Auch borgte er fuͤr mich einige, welche er nicht hatte, z. B. David Hume's Geſchichte von England. Die - ſes koſtbare Werk habe ich den Winter uͤber fleißig geleſen, und nicht wenig geſcheides daraus gelernet. Darf ich hier eine Anmerkung machen, Leſer, uͤber das Lernen aus der Geſchichte?

Man arbeitet heut zu Tage an hiſtoriſchen Sy - ſtemen, und unter andern an einem, welches von dem Gedanken ausgeht: daß das Menſchenge - ſchlecht immer und immer in ſeiner Kultur und Verbeſſerung vorwaͤrts ſchreite, u. ſ. w. Die - ſes hat beſonders der franzoͤſiſche Buͤrger Coudor - cet zu behaupten und zu beweiſen geſucht, und nach Kants Idee unter den Deutſchen zu gleicher Zeit316 Hr. Poͤlitz. Herzerhebend ſind freylich ſolche Ver - ſuche immer; aber wohl leicht auch mehr idealiſch, als hiſtoriſch wahr.

Durch ſie wird die Geſchichte weiter nichts als eine Darſtellung des minder kultivirten Menſchen - geſchlechts; und je weiter man in derſelben zuruͤck - geht, deſto gothiſcher erſcheint dieſes. Es findet folglich keine andre Vergleichung der aͤltern Zeiten mit den neuern Statt, als die, welche ſich von dem Geringern zum Groͤßern machen laͤßt. Es fallen folglich alle analogiſchen Schluͤſſe weg, welche man von den alten Begebenheiten auf das machen kann, was unter unſern Augen vorgeht: denn wir ſind mehr kultivirt, als man ſonſt war, haben mehr Gewandheit der Kraͤfte u. ſ. w. Allein eben die analogiſchen Schluͤſſe von alten Begebenheiten auf neuere ſind die Philoſophie der Geſchichte, die wahre aͤchte hiſtoriſche Weisheit, und ohne ſie iſt die Ge - ſchichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken - ner blos zu kritiſchen Unterſuchungen. Dieſes ſcheint mir aus dem Syſtem des Condorcet und des Hn. Poͤlitz zu folgen: es macht die Geſchichte und ihr genaueres Studium uͤberfluͤßig, und zwingt den Geſchichtsſchreiber, nur fuͤr das Vergnuͤgen ſei - ner Leſer zu ſorgen. Kurz, die Begebenheiten wer - den einer allgemeinen Idee nachgemodelt, und er - halten eine waͤchſerne Naſe.

317

Die Geſchichte beweiſet uͤberdieß den ewigen Zirkel der Dinge. Kultur und Barbarey folgen aufeinander wechſelsweiſe, zum Beweiſe des gro - ßen Satzes: daß nichts neues geſchehe unter der Sonne! Daher iſt ſie auch die ergiebigſte Quelle aller moraliſchen und politiſchen Bemerkungen, und der rechte magiſche Spiegel, woraus der den - kende Kopf weiſſagen kann fuͤr die Zukunft. Doch wo gerathe ich hin! Ich will meine Begebenheiten erzaͤhlen, und ſchweife in Behauptungen aus, die mir die Ungnade der Herren Recenſenten, welche ſich nun einmal fuͤr gedachte Syſteme erklaͤrt haben, nothwendig zuziehen muͤſſen.

Acht und zwanzigſtes Kapitel.

Unſer Zug uͤber den Rhein.

Den 21ten Maͤrz brachen wir endlich auf, und marſchirten abwaͤrts, um den Rhein bey Caub zu paſſiren. In Wisbaden, wo wir Raſttag hielten, lernte ich den Hn. R. Rath Neidhardt kennen, einen trefflichen Mann, und gelehrten Philologen, welcher ſich mehr mit der griechiſchen und roͤmi - ſchen Litteratur, als mit der Juriſterey abgiebt, und doch im Rufe eines großen Rechtsgelehrten318 ſteht, weil er die kauderwaͤlſchen Geſetze des dort noch immer geltenden juſtinianiſchen Geſetzbuchs oder Geſetzkompilation, nach Vernunft und Billig - keit anzuwenden weiß. Dieſer brave Mann hat mir einen recht guten Tag gemacht.

Von Wisbaden bis Caub muß man eine Strecke von Heſſenland durchwandern, wo auch das Elend des Landmannes allen Glauben uͤberſteigt, und wo die Leute an nichts genug haben, als an Holz. Hr. von Goͤchhauſen weiß in ſeinen Wanderungen*)Meine Wanderungen durch die Rhein - und Mayngegenden im Februar, 1794. S. 57. ff. und ſonſt hin und wieder, gar vieles von der Liebe der Heſſen gegen ihren Landgrafen aufzutiſchen: Aber das iſt mit der gnaͤdigen Erlaubniß des Herrn Exleutnants auch nicht von ferne wahr. Die Heſſen dort, wo ich war, klagten einhellig alle uͤber Bedruͤckungen und insbeſondere uͤber das uͤbertriebne Soldaten - weſen; und wenn man je in einem Lande uͤber den Landesfuͤrſten frey raͤſonniren kann, ohne von Buͤr - ger oder Bauer beeintraͤchtigt zu werden Ein heſſiſcher Amtmann handelt freylich nach dem: manus manum fricat! ſo iſt es in Heſſenland.

Hr. von Goͤchhauſen haben wahrſcheinlich den heſſiſchen Buͤrger S. 62., der vielleicht ein Jaͤ -319 gerburſche war, in einer Kneipe angetroffen, und ihm, damit er Dero gnaͤdiges ariſtokratiſches Queer - gewaͤſche geduldig anhoͤren moͤgte, tuͤchtig mit Schnapps aufwichſen laſſen. Da hat denn der ſchlaue Burſch gemerkt, was bey Seiner Gnaden ſaß, und hat, wie billig, in den Ton miteingeſtimmt, den Seine Gnaden angaben. Ich muß aber die Ehre haben, zu ſagen, daß noch im vorigen Jahre, nach dem Frieden der Heſſen mit den Franzoſen, ein ge - wiſſer Mann durch Heſſen reißte, und in einer Schenke ohnweit Hersfeld einkehrte, wo er einige Kruͤge Bier geben ließ, welche er mit zwey Buͤr - ger aus Heſſenland trank, und dabey einen ganz demokratiſchen und obendrein noch ſarkaſtiſchen Ton abſichtlich anſtimmte. Den Augenblick ſtimmten beyde Heſſen ein, und hielten ihrem Landgrafen ſolche Elogen, bey denen dem Hn. Exleutnant die Ohren, auf Ehre, gegellt haͤtten. Wenn ich bald wieder durch Heſſen reiſe, will ich des Hn. von Goͤchhauſens Wanderungen mitnehmen, und dann giebts in den heſſiſchen Gaſthoͤfen gewiß was zu lachen u. ſ. w.

Caub iſt eine alte roſtige Stadt, und gehoͤrt dem Kurfuͤrſten von Pfalzbaiern. Sie iſt beruͤhmt wegen ihrer Schiefergruben und beſonders wegen des dortigen guten Weinwuchſes. Die Einwohner zu Caub ſind aber grobe, ungeſchliffene Menſchen,320 ſprechen eine Sprache, aͤrger als die Hundsruͤcker, und haſſen einander gar maͤchtig wegen der Ver - ſchiedenheit ihres Glaubens. Die Preußen, welche bey Lutheranern einquartiert waren, hatten es gut: diejenigen aber, welche bey Katholiken lagen, wurden von dieſen als Ketzer angeſehen und ſchlecht behandelt. Es giebt aber unter den Weibsleuten zu Caub, wie uͤberhaupt dort in den gebuͤrgigen Gegenden, ganz artige Geſichter.

Bey Bacharach war eine Schiffbruͤcke uͤber den Rhein geſchlagen, die wir paſſirten. Eine an - dere war bey St. Goar, aber wegen der Franzoſen konnten wir dieſe zum Uebergehen nicht benutzen. Auch haͤtten ſie uns bey Bacharach den Weg ver - ſperren koͤnnen, wenn ſie aufmerkſam genug gewe - ſen waͤren. Aber unſer Gluͤck wollte, daß ſie in den Gebuͤrgen die Paͤſſe nicht beſezten, durch welche unſer Zug nothwendig gehen mußte: und ſo kamen wir binnen einigen Tagen gluͤcklich auf die Hoͤhen jenſeits des Rheins.

Bacharach iſt eben, wie Caub, eine uralte ſchmutzige Stadt, und eben ſo beruͤhmt wegen ih - res vortrefflichen Rheinweins. Gleich neben der Stadt ſtand vorzeiten die Reſidenz der alten Pfalz - grafen am Rhein, und eine Strecke unten, mitten im Fluß, ſteht auf einer Inſel ein Wachtthurm, welcher den Namen, die Pfalz, noch fuͤhrt, und321 ſonſt der Wittwenſitz der Pfalzgraͤfinnen war. Der verſtorbene Heidelberger Rektor Andreaͤ hat eine leſenswuͤrdige Abhandlung, Baccararum palatinum geſchrieben, worin der Liebhaber der Alterthuͤmer und der Naturgeſchichte manches zu ſeinem Unter - richte und Vergnuͤgen finden kann.

Ich kann mir es noch nicht recht erklaͤren, war - um die Franzoſen uns ſo ganz ungehindert uͤber den Rhein gehen, und bis Kreuznach und Strom - berg vorruͤcken ließen. Es war wohl blos Sorglo - ſigkeit ihrer Anfuͤhrer, und gar zu großes Zutrauen des Generals Neuwinger auf ſeine Schanze bey Kreuznach und auf die Poſtirungen bey Stromberg und Bingen. Bey Stromberg und Bingen koſtete es den Preußen wenig Muͤhe, die Franzoſen weg - zujagen: ein paniſcher Schreck hatte ſie einmal be - fallen.

Der Leutnant Govin vom Bataillon Schenk, jezt Wedel, den ich von Halle aus perſoͤnlich kannte, verlohr ohnweit Stromberg ſein Leben. Er haͤtte ſich durch die Flucht oder durch Ergebung an die Franzoſen retten koͤnnen, aber er wehrte ſich, bis er der Uebermacht erlag. Selbſt der Feind hat von dieſem jungen Helden mit Achtung und Be - wunderung geſprochen. Ich erzaͤhlte lange hernach die bewieſene Tapferkeit dieſes Offiziers in Gegen -Dritter Theil. X322wart eines franzoͤſiſchen Hauptmanns in Lion, und der ſagte: Une belle mort, vraiment! mais plus belle encore, s'il, avoit peri pour une meilleure cauſe, oder: Wahrlich, das war ein ſchoͤner Tod; aber er wuͤrde ſchoͤner ſeyn, wenn der Offizier fuͤr eine beſſere Sache geſtorben waͤre gerade wie es von dem Tode des Catiliana heißt: pulcherrima equidem morte, ſi pro patria occubuiſſet: Doch dieſes ohne Vergleich! Catiliana war ein Feind ſeines Va - terlandes; Govin ein getreuer Verfechter der Ehre ſeines Koͤnigs!

Bey Kreuznach an der Nahe oder Nohe wichen die Franzoſen bald, ſo ſehr ſich auch Neuwinger bemuͤhte, ſie zum Stehen zu bringen. Er ſelbſt wurde gar ſehr und gefaͤhrlich mit Saͤbelhieben verwundet, und fiel ſo in unſre Haͤnde. Unſre Huſaren konnten dieſes Generals Tapferkeit und un - erſchrocknen Muth nicht genug ruͤhmen, meynten aber doch, wenn er ein Franzoſe geweſen waͤre, ſo haͤtte er wohl ſo brav nicht gethan, aber ein Deutſcher, das waͤre eine andre Sache! Die guten Huſaren lernten aber noch vor dem Ende der dießjaͤhrigen Kampagne auch die Franzoſen kennen!

Neuwinger wurde nach Stromberg gebracht, und daſelbſt ſogar wider ſeinen Willen verbunden und recht gut beſorgt. Unſer Koͤnig, der jede Tu - gend ſchaͤzt, er finde ſie an Freund oder Feind, be -323 fahl, daß man den braven Neuwinger, das waren ſeine eignen Worte, eben ſo behandeln ſollte, als wenn Er es waͤre. Cuͤſtine hat dieſen Mann hernach zu Paris angeſchwaͤrzt, und beſon - ders den Verluſt der Kreuznacher Schanze ihm zuge - ſchoben; aber ſelbſt der Konvent hat Neuwin - gern das Verdienſt um ihr Vaterland eingeraͤumt.

Unſer Regiment hatte den 28ten Maͤrz in Strom - berg Ruhetag. Stromberg iſt eine alte, unanſehn - liche Stadt, worin man a[n]〈…〉〈…〉ellem Tage den Hals brechen kann: ſo bergig, klippig und uneben iſt alles. Das dabey ſtehende alte Schloß, woſelbſt ſich die Franzoſen poſtirt hatten, war ehedem der Siz des Fuſt von Stromberg, welchen mein Landsmann, der Hofgerichts-Rath Meier, durch ein treffliches Schauſpiel unſterblicher gemacht hat, als eine gewiſſe hiſtoriſche Sudeley den braven Her - mann Riedeſel je machen kann. Doch zum Schreiben dicker Baͤnde gehoͤrt oft weit weniger Genie, als zu Einer Scene in einem guten Drama.

Waͤhrend unſers Aufenthalts in Stromberg haͤtte ich meinen Bruder ſprechen koͤnnen, welcher nur eine halbe Stunde davon, zu Seyffersbach, Pfarrer iſt. Aber wenn meine Leſer wiſſen, was ich von meinem Verhaͤltniſſe gegen ihn im andern Bande dieſes Werkchens geſagt habe, ſo koͤnnen ſie die Urſache leicht errathen, warum ich weder zu324 ihm ging, noch ihm von meiner Naͤhe Nachricht geben ließ. Ich zweifle nicht, daß man mir dieſes inoffizioͤſe Benehmen[vergeben] wird.

Die von einem paniſchen Schrecken ergriffnen Franzoſen fluͤchteten ſich von Kreuznach nach Al - zey zu: bey Wendelsheim, eben dem Orte, wo ich gebohren bin, holten unſre Huſaren ſie ein, und jagten ſie weiter. Es liegen dort herum viele Franzoſen, aber auch mehr als ein Preuße be - graben.

Ich uͤbergehe alle Vorfaͤlle, wodurch wir Mei - ſter des ganzen Rheinſtroms in ſo kurzer Zeit ge - worden ſind: ſie ſind hinlaͤnglich beſchrieben, und in allen Zeitungen ſo ſehr auspoſaunt worden, daß ſelbſt Preußen, die dem ganzen Kazenjagen beygewohnt hatten, laͤchelten, wenn man Kleinigkeiten z. B. die Bagatelle bey Odernheim, den winzigen Anfall auf dem Rindertanz ohnweit Steinbockenheim, das Plackern bey Flonheim u. dgl. fuͤr große ſignaliſirte Viktorien ausgab. Man muß aus dergleichen Dingen nicht viel Aufhebens machen, weil ſie es nicht verdienen, indem ſie nichts entſcheiden, und doch immer Menſchen koſten.

Die Franzoſen zogen ſich in aller Eile zuruͤck, und warfen auch noch mitunter ihre Gewehre und anderes Geraͤthe weg. Sie waren ſchlecht ange -325 fuͤhrt, hatten keinen Plan*)Die Beweiſe davon findet man in Duͤmouriez's Leben, und dann noch viel anderes zum Aufſchluß uͤber das Misgluͤck der Franzoſen in ihrem erſten Feldzuge am Rhein. und konnten auf alle Faͤlle nichts verlieren. Blieb ihnen nur Maynz, oder konnten ſie es dereinſt entſetzen, ſo mußten die Preußen alle wieder uͤber den Rhein, und die Fran - zoſen waren wieder Meiſter des Stroms und des ganzen Landes.

Unſer Regiment, welches zu keiner eigentlichen Attake gekommen war, ob es gleich, wie die an - dern alle, dem Feinde mitnachrennen mußte, kam den 30ten Maͤrz nach Framersheim, wo wir uͤber Nacht blieben. In dieſem Orte iſt mein Vetter Laukhard Pfarrer, eben der, welcher ehedem mit Doctor Bahrdt zu Heidesheim in Verbindung ge - ſtanden war. Ich war recht froh, dieſen ehrlichen Mann, der ſich immer als mein Freund bewieſen hatte, wieder zu umarmen. Er lebt recht gluͤcklich mit einer ſchoͤnen, ehrwuͤrdigen und vernuͤnftigen Frau, welche den Beyfall aller unſrer Compagnie - Offiziere, beſonders meines Hauptmanns, des Hn. von Mandelsloh, in allen Ehren erhalten hat. Sie ſtrafte mich im Scherze, daß ich in meinen Bey - traͤgen zu D. Bahrdts Lebensbeſchreibung ihren Vater, den Superintendenten von Duͤrkheim,326 Bahrts Vorfahr, Lucerner genannt haͤtte, da doch ſein Name Luerne geweſen waͤre. Als ich ihr aber ſagte, daran ſey nicht ich, ſondern der Kor - rektor Schuld, ſo gab ſie ſich zufrieden. Sie be - wirthete meinen Hauptmann, deſſen Compagnie - Offiziere und mich ſehr vornehm und koͤſtlich.

In Framersheim hatte ich ehedem mehrmals ge - predigt, und da ich fixweg perorirte, was ich in einem alten oder neuen Kanzeltroͤſter auswendig ge - lernt hatte, dabey auch ſtattlich auf die Kanzel ſchlug, und nicht aus dem Buche ablas, ſo hatte ich mich bey den Leuten dort in nicht uͤblen Credit geſezt. Als ſie nun hoͤrten, daß ich bey den Preußen ſey, und in ihrem Orte Quartier habe, kamen ſie hau - fenweiſe zu mir, begaften mich, und wunderten ſich hoͤchlich: daß ein ſo grauſam, ſo abſcheulich und eutſetzlich gelehrter Menſch koͤnnte Soldat ſeyn! Ein alt Muͤtterchen druͤckte mir herzlich die Hand, und ſagte: ach lieber Herre, was hat er mei'm Hans Kaſchper erſchrecklich huͤbſch Leichpredig ge - hall! Eich dank ehm noch tauſendmol devor. Ich bin auch bey dieſen guten Leuten recht vergnuͤgt geweſen.

327

Neun und zwanzigſtes Kapitel.

Was vor der Belagerung von Maynz herging.

Der Koͤnig hatte zu Alsheim am Alt-Rhein, ohn - weit Gundersblum, ſein Quartier genommen, nach - dem ſich der franzoͤſiſche General Houchard end - lich auch von Alzey wegretirirt hatte: denn nun hielt man ſich vor den Franzoſen ganz ſicher. Al - lein es ſtand noch ein Haufen bey Oppenheim, wel - cher zu Cuͤſtines Armee gehoͤrte, und in der Nacht vom 30 zum 31ſten Maͤrz durchbrechen und eine An - zahl von Koſtbarkeiten aus Maynz nach Landau bringen wollte. Als ſie vollends erfuhren, daß der Koͤnig von Preußen ſein nur ſchwach beſeztes Haupt - quartier in Alsheim habe, ſo wurden ſie voll Muth, und beſchloſſen, daſſelbe anzugreifen, und den Koͤ - nig gefangen zu nehmen. Dieſe Abſicht haͤtten ſie auch erreichen koͤnnen, wenn nicht Merlin, der Repraͤſentant, dem General Blou das Kom - mando genommen haͤtte. Dadurch naͤmlich ent - ſtand Zwiſt unter den Nationalgarden und Linien - truppen, wie die franzoͤſiſchen Truppen damals328 und noch lange hernach hießen; und dieſer Zwiſt verdarb den ganzen Plan. So ſtark die Franzoſen anfaͤnglich auch marſchiert waren, ſo laß wurden ſie jezt und ließen ſich auch noch zu einer Kanonade gegen eine in aller Eile bey Hangen-Wohlheim aufgeworfnen Batterie verleiten, und drangen nicht vor. Sie hatten aber auch nicht Raum, ſich aus - zudehnen, und wichen ſehr bald nach Maynz zuruͤck, ob ſie gleich 8000 Mann ſtark geweſen ſeyn ſollen, da gewiß noch keine 2000 Preußen, alles mitgerech - net, gegen ſie da waren.

Bey dieſem gefaͤhrlichen Anfall bewies ſich un - ſer Koͤnig, wie ſich ein Koͤnig beweiſen muß, der Soldaten im Kriege anfuͤhrt. Bey der Nachricht, daß er uͤberfallen ſey, erblaßte er zwar etwas, und ſagte: Hm, hm, das iſt doch des Teufels! Aber ſogleich gab er Befehle zur Vertheidigung, und zwar ſo treffend, und anwendbar, daß ſeine Anſtal - ten den erwuͤnſchten Erfolg haben mußten. Das Regiment Wolfrath, oder die braunen Huſaren haben ſich bey dieſer Gelegenheit beſonders gut aus - gezeichnet: Die Franzoſen aber haben auch nicht viel Verluſt gehabt.

Wir lagen indeſſen in guter Ruhe in den Doͤr - fern, und erfuhren erſt den andern Tag, in wel - cher Gefahr unſer Koͤnig geweſen war. Gott, was waͤre das ein Ungluͤck geweſen, ſagte ein Offizier329 ganz laut, wenn der Koͤnig waͤre gefangen worden! Ein alter Major erwiederte hierauf: Wer weiß auch, Herr Leutnant, obs ein großes Ungluͤck geweſen waͤre! Waͤre der Koͤnig gefangen und nach Lan - dau gebracht worden, ſo haͤtte der Krieg in kurzem ein Ende. Wer weiß, ob die Fortdauer deſſelben nicht noch tauſend Elend uͤber Deutſchland und uͤber die ganze Welt bringt! Der gute Mann hatte nicht uͤbel geſprochen.

Den 31ten bezogen wir Kantonnirungsquartiere, und unſer Regiment kam in Oppenheim zu liegen. Oben auf dem Berge wurden von drey Regimen - tern die Zelter aufgeſchlagen, aber nicht belegt: nur eine Wache blieb bey dieſem Scheinlager.

Man denkt leicht, daß ich ſehr zufrieden war, nach Oppenheim zu kommen, wo ich mehrere Be - kannte, und Freunde hatte, beſonders den Herrn Pfarrer Braun, den ich ehedem in Halle unter meine ganz ſpeciellen Freunde zaͤhlen konnte. Der brave Mann kam unſerm Regimente, blos um mich zu ſprechen, bis beynahe Gundersblum entgegen, und bat mich aufs dringendſte, gleich bey meinem Eintritt in ſeinen Wohnort ihn zu beſuchen. Das konnte ich erſt den andern Tag, aber das war denn auch ein Feſttag fuͤr mich, wie ich dort deren meh - rere gehabt habe! Durch Pfarrer Brauu lernte ich auch den Herrn Inſpektor Abbeg von Lam -330 pertsheim kennen. Wenn mehrere Maͤnner, wie dieſe beyde, in der Pfalz waͤren, ich ſoͤhnte mich, wie ich glaube, mit der reformirten Geiſtlichkeit dort am Rhein ganz wieder aus. Ich wuͤßte nicht, was ich darum gaͤbe, daß Paſtor Braun das Betragen der Franzoſen Doch wir ſind und blei - ben deswegen doch Freunde.

Weil ich ſo nahe an meinem Geburtsorte war, wollte ich einmal dahin gehen und meine gute Mut - ter beſuchen. Es war zwar aufs ſchaͤrfſte verboten, jemand aus den Kantonuirungsquartieren heraus zu laſſen weiter als eine halbe Stunde: allein mein Hauptmann wirkte mir die Erlaubniß, meine Mut - ter zu beſuchen, bey dem General Wolfframs - dorf aus, und ich lief noch in der Nacht, ſo daß ich gegen zwey Uhr in Wendelsheim ankam. Ich hatte den Schulmeiſter Forcher herausgepocht, um von dieſem zu erfahren, wo meine Mutter wohl wohnte. Dieſe ehrliche Haut und mein ehemali - ger Kumpan bey meinen Jugendſtreichen war herz - lich froh, daß er mich wieder ſah, und begleitete mich zu meiner Mutter. Die gute Alte konnte an - faͤnglich vor Thraͤnen nicht reden, als ſie aber der Sprache wieder maͤchtig ward, bewies ſie mir ihre Freude uͤber meinen Beſuch durch tauſend Manie - ren. Auch meine alte Tante lebte noch. Man er - ſtickte mich beynahe mit Fragen; und wenn ich alles331 haͤtte erzaͤhlen und erklaͤren ſollen, was man wiſ - ſen wollte, ich glaube, ich haͤtte 14 Tage bleiben muͤſſen.

Meine Mutter hatte meine Lebensgeſchichte ge - leſen, und da war ihr denn beſonders aufgefallen, daß ich da ſo oͤffentlich hingeſchrieben haͤtte, daß mein Vater nach ſeinem Tode ſpuken ginge. Ich machte ihr begreiflich, daß die Schande dieſes Maͤhrchens gar nicht auf den braven Vater fiele: denn dieſer ginge eben ſo wenig ſpuken, als Sa - muel, Lazarus, der Juͤngling zu Nain, oder ſelbſt Chriſtus der Herr jemals nach ihrem Tode geſpukt haͤtten: kein vernuͤnftiger glaube an Geſpenſter: die Schande falle vielmehr auf den Pfarrer Schoͤnfeld zu Wendelsheim, welcher aus Feind - ſchaft gegen ſeinen wuͤrdigen Vorfahr und aus Dummheit ſolche naͤrriſche Spukerey ausgebruͤtet haͤtte. Hiermit ſchien die gute Frau ſich zu beruhi - gen. Bey dieſer Gelegenheit erkundigte ich mich auch nach unſern alten Dorfgeſpenſtern, und hoͤrte zu meiner großen Erbauung, daß der Schlapp - ohr, der alte Schulz Hahn, das Muhkalb, der feurige Mann, der Sanktornus und alle andre Ge - ſpenſter ihr Unweſen noch immer ſo gut trieben, als vorzeiten; ja, bey der Invaſion der Franzoſen ſollte der Schlappohr ſogar am hellen Tage ſicht -332 bar geweſen ſeyn. So finſter iſt's noch in der Pfalz, ſelbſt unter Proteſtanten!

Meines Vaters Bibliothek, und alle ſeine Brief - ſchaften hatte mein Bruder ſich zugeeignet, doch hatte er meiner Mutter verſprechen muͤſſen, im Fall ich dereinſt das eine oder das andere davon haben wollte, er mir es verabfolgen laſſen wuͤrde. Uebri - gens habe ich mich ſehr gefreut, daß ich meine Alte in gutem Wohlſtande und ohne alle Sorgen der Nahrung antraf. Gebe der Himmel, daß es ihr gut gehen mag, bis an ihr Ende!

Meinen ehrlichen Stuber zu Flonheim habe ich auf dem Ruͤckwege beſucht, und von ſeinen Toͤchtern, beſonders von Mamſel Dortchen, ge - waltige Vorwuͤrfe hoͤren muͤſſen, weil ich einmal geſchrieben hatte, daß das Pfaͤlzer Frauenzimmer dem Weinſaufen ſtracks ergeben ſey.

Meine alte, damals ſchon 87jaͤhrige Tante beglei - tete mich wohl eine gute halbe Stunde, und weinte bittere Thraͤnen, als ſie mich verließ: ſie hat mich hernach in Alzey nochmals beſucht. Ich vergebe herzlich gern der guten Tante, daß ſie mich ſo ſchlecht erzogen hat: ihre Affenliebe gegen mich hat ſie dazu verleitet.

Mein Vater hatte ehedem dem Grafen Em - merich von Leiningen-Gundersblum 800 Gulden Rheiniſch geliehen. Der Graf hatte ſich333 hernach erſchoſſen, und ſein Herr Nachfolger, Graf Friedrich, wurde auf Betrieb ſeines Vet - ters, des Herrn Grafen, hernach Fuͤrſten von Lei - ningen-Dachsburg, der Regierung unfaͤhig erklaͤrt, und als ein Wahnſinniger eingeſperrt. Unter den Verbrechen, deren man ihn beſchuldigte, war beſonders, daß er die heil. Jungfrau, im Wilden Mann zu Oppenheim, eine Hure genannt, und vom Kaiſer veraͤchtlich geſprochen haͤtte. Die wahre Urſache der Regierungsunfaͤhigerklaͤrung aber war, daß Graf Friedrich eine Rheingraͤfin von Grumbach heurathen wollte, und der Herr Graf von Leiningen-Dachsburg dann Nachkommen und Verluſt der Erbſchaft befuͤrchtete. Daher wuſte er die Sache ſo einzuleiten, beſonders durch Vor - ſprache ſeines Freundes, des Kurfuͤrſten von der Pfalz, daß der Graf eingeſteckt wurde, und bald darauf, Gott weiß, an welcher Krankheit, oder an welchem Traͤnkchen im Gefaͤngniß ſtarb.

Mein Vater wendete ſich ſchon damals an den neuen Regenten von Gundersblum, welcher als Erbe die Schulden des Grafen Emmerich haͤtte zahlen muͤſſen: aber er erhielt kein Geld, weil Ruͤhl, eben der Ruͤhl, welcher die h. Salbungs - Flaſche fuͤr die Koͤnige von Frankreich zu Rheims 1794 zerbrochen und ſich 1795 zu Paris erſchoſſen hat, ihm bedeutete, daß die beyden Grafſchaften,334 Gundersblum und Heidesheim, noch im Proceß laͤ - gen, und ſein Herr eher nichts bezahlen koͤnnte, bis er im rechtlichen Beſitz derſelben ſeyn wuͤrde. Endlich verlohr der Fuͤrſt denn er hatte ſich be - fuͤrſten laſſen ſeinen Rechtshandel gegen die ſo - genannten Linanges d'Italie, welche nun Herren zu Gundersblum und Heidesheim wurden. Mein Va - ter foderte jezt von dieſen ſein Geld, und da ers nicht erhielt, verklagte er ſie zu Wetzlar: aber in Wetzlar bleiben alle Proceſſe haͤngen, wie bekannt iſt. Meine Mutter ſezte den Proceß, der ihr viel koſtete, freilich fort, ſie gewann aber nichts, das heißt, ſie konnte die mandata ſine clauſula oder die Befehle ohne Kraft, nicht wirkſam machen. Daher wen - dete ſie ſich nun durch mich an die Preußen und wuͤrde auch ohnfehlbar ihr Geld, welches ſich nun ſeit 1760 mit den Intereſſen auf eine ziemliche Summe belaͤuft, erhalten haben, wenn die Preu - ßen jenſeits des Rheins alles haͤtten ruhig machen koͤnnen. Aber ſo war auch auf dieſem Wege fuͤr ſie keine Huͤlfe.

Indeſſen iſt das Geld doch noch nicht verloren: denn bleiben die Gegenden jenſeits des Rheins in den Haͤnden der braven Franzoſen, wie es im - mer wahrſcheinlicher wird, ſo muͤſſen, nach dem Geſetz der Republik, alle Schulden der cy-devant - Herren richtig bezahlt werden, weil ſie keine Guͤter335 durchaus nicht eher publiciren laſſen, als bis alle darauf haftende Schulden bezahlt ſind.

Eine wahre Freude machte mir auch Hr. Si - mon, Pfarrer zu Dahlheim bey Oppenheim, durch ſeinen Beſuch mit ſeiner ſchoͤnen braven Schweſter. Dieſes iſt noch einer von den wenigen ſoliden Maͤn - nern in der Pfalz, welche das Herz haben, anders zu denken, als es in der Augſpurgiſchen Konfeſſion, oder im Katechismus ſteht. Ehedem war Simon einer meiner vertrauteſten Freunde, und wuſte um alle meine Hiſtorien, ohne ſie jemals zu meinem Nachtheile zu benutzen. Ich habe ihn auch in Dahl - heim beſucht, und recht ſelige Stunden bey ihm zugebracht.

Eines Tages ſaß ich in einem Hauſe der Apo - theke gegen uͤber, als ein Menſch, den ich nach ſeinem Anzuge fuͤr einen Pfaffen hielt, heraus kam. Zwey gutgekleidete Maͤnner ſtanden auf der Gaſſe, und einer davon fing an: Seht doch da, wer iſt das?

B. Ei, kennen Sie den nicht!

A. Nein: mein Seel ', ich kenn' ihn nicht.

B. Sonderbar! Der iſt ja doch weit und breit bekannt genug: Das iſt ja der Magiſter Weit - maul von Udenheim!

A. Iſt das der Magiſter Weitmaul, von dem Laukhard ſo viel ſchreibt?

336

B. Freilich: aber Laukhard haͤtte von dem Ge - neralwindſack noch mehr ſagen ſollen: der Kerl haͤtt 'es verdient. Es iſt doch ein Generalwindbeutel und des heiligen roͤmiſchen Reichs Obermaͤhrchen - traͤger. Die Herren gingen weiter, und un - terhielten ſich wahrſcheinlich noch von den Wind - beuteleien des Magiſters Weitmaul.

Wenn meine Leſer ſich aus dem erſten Theile dieſes Werkchens noch erinnern, daß Wagner, Pfarrer zu Udenheim, ohnweit Maynz, ſonſt Ma - giſter Weitmaul im ganzen Lande zubenahmt, mein Hauptantagoniſt ehedem war, ſo koͤnnen ſie leicht denken, daß dieſer kurze Dialog mich nicht wenig ergoͤzt habe. In der Pfalz hat von mei - ner ganzen Geſchichte nichts mehr gefallen, als das, was ſich von und uͤber Magiſter Weitmaul darin befindet. So war er: und ſo ſind einmal die Pfaͤlzer!

337

Dreißigſtes Kapitel.

Klubbiſten-Jagd jenſeit des Rheins.

Das Wort Klubbiſt, ſo fern ich es brauche, hat eine zweyfache Bedeutung. Ich merke dieſes an, wegen der kuͤnftigen Vollſtaͤndigkeit des deut - ſchen Woͤrterbuchs. Einmal im engern Verſtande bedeutet es ein Mitglied irgend eines Klubbs d. i. einer zur Verbreitung der franzoͤſiſchen Grundſaͤtze von Freyheit und Gleichheit errichteten Volksgeſell - ſchaft. Im weitern Sinne bezeichnet es jeden, der dem neufraͤnkiſchen Syſteme hold iſt, oder ein Vertheidiger irgend eines Menſchenrechts. Im lezten Sinne hat alſo das Wort Klubbiſt mit den Woͤrtern Demokrat, Jacobiner, und andern aͤhn - lichen, beynahe gleiche Bedeutung.

Wir lernten dieſes Wort, das in England jedes Mitglied einer geſchloßnen Geſellſchaft ebenfalls anzeigt, erſt am Rheine kennen, nachdem wir vom Maynzer Klubb naͤhere Nachricht einzogen. Wie verhaßt die Klubbiſten bey den Preußen groͤßten - theils geweſen ſind, laͤßt ſich leicht denken.

Dritter Theil. Y338

Ich bin uͤberzeugt, es wuͤrde unſerm guten Koͤ - nige niemals eingefallen ſeyn, Jagd auf Klubbiſten zu machen, wenn nicht uͤbelgeſinnte, herrſchſuͤch - tige, Rachekochende, haͤmiſche Menſchen, deren es dort uͤber dem Rhein nur gar zu viele giebt, auf eine recht teufliſche Art ihre Mitbuͤrger und Lands - leute denunziirt haͤtten.

Man weiß, daß gleich nach Cuͤſtine's An - kunft in Maynz die ganze dortige Gegend Kur - pfalz ausgenommen durch den Repraͤſentant Merlin und ſeine Anhaͤnger, beſonders durch Georg Forſter, zur Theilnahme an einer neuen Verfaſſung entweder beredet oder gezwungen wurde. Man mußte, man mogte wollen oder nicht, zur Freyheitsfahne ſchwoͤren, Freyheitsbaͤume errichten, und ſich bis dahin dem neuen Syſteme gemaͤß or - ganiſiren. Ich verabſcheue dieſe praͤcipitirte Or - ganiſation ſo ſehr, als der aͤrgſte Ariſtokrat, und weiß, daß eben dieſe viel Ungluͤck uͤber jene Laͤnder gebracht hat, und daß beſonders Ge - org Forſters hitzige Afterpolitik vorzuͤglich Schuld am Verderben ſo Vieler geweſen iſt. Die - ſer ſonderbare und uͤberreife Mann ſchien ordentlich zur Geiſel der Maynzer und uͤberhaupt der Rhein - laͤnder gebohren zu ſeyn. Es gab unter den Klub - biſten in Maynz wirklich große Maͤnner, aber auch raſende! Die Vornehmen der leztern waren Ge -339 org Forſter, Wilhelm Boͤhmer, Pape und noch einige, welche durch ihre Freyheitswuth, alles unter und uͤber kehrten, und dem ganzen Lan - de großes Elend zuzogen. Doch das alles gehoͤrt nicht hieher, und darum ſey es verſchoben.

Man hatte dem Koͤnige den Wiſch eines Mayn - zer Klubbiſten gezeigt, mit der Ueberſchrift: An Friedrich Wilhelm Hohenzollern. Der guͤtige Monarch lachte daruͤber, und legte das unſinnige, kindiſche Geſchwaͤtz ruhig auf den Tiſch. Aber nach - her hat man dem Koͤnige ſtaͤrker zugeſezt, und auf alle Weiſe geſucht, ihn wider die Klubbiſten aufzu - bringen. Von allen Seiten her kamen Libelle und Denunziationen, welche entweder an den Koͤnig ſelbſt, oder an unſre Generale gerichtet waren. Die Herren Grafen, Fuͤrſten, Edelleute, Dom - pfaffen u. dgl. in der dortigen weiten Gegend er - mangelten nicht, ſeiner Majeſtaͤt vorzuſtellen, wie die infamen Kerls, die Klubbiſten, die Rechte der Fuͤrſten zernichtet und allerhand demokratiſchen Unfug getrieben haͤtten. Sie foderten daher im Namen aller deutſchen Fuͤrſten den Koͤnig auf, die beleidigte Hoheit zu raͤchen. Der Koͤnig, umgeben von rechtſchaffnen, einſichtigen Maͤnnern, verſi - cherte Anfangs, daß er ſich mit dergleichen Unterſu - chungen nicht befaſſen koͤnnte. Aber die Herren verlangten ja auch keine geſetzliche Unterſu -340 chung, ſondern faktiſche militaͤriſche Pro - ceduren!

Sie ſteckten ſich daher, nebſt ihrem ariſtokrati - ſchen Anhange, hinter die preußiſchen Offiziere, ja, ſogar hinter Unteroffiziere und Soldaten, und ließen die Demokraten oder die Klubbiſten (denn das war ihnen alles eins) gegen alle Form Rechtens, nach welcher auch der aͤrgſte Boͤſewicht erſt gehoͤrt, und dann nach den Geſetzen gerichtet werden muß, militaͤriſch aͤngſtigen und verfolgen. Wie barba - riſch man hiebey verfahren ſey, moͤgen einige Bey - ſpiele von der erſten Jagd auf die armen Klubbi - ſten in der Pfalz lehren.

Der Loͤwenwirth in Wendelsheim, Namens Brandenburger, wurde wegen ſeines Reich - thums und Anſehens damals zum Maire erwaͤhlt, als Georg Forſter und ſeine Kommiſſarien dort herum Freyheitsbaͤume errichten ließen. Brandenburger beredete ſich nun mit dem damali - gen Schulzen Hahn, und verſprach, ſo viel es moͤglich ſeyn wuͤrde, fuͤr das Intereſſe des Grafen zu ſorgen, weil man doch nicht wiſſe, was aus der Sache werden wuͤrde. Das war nicht ſehr ja - kobiniſch. Als aber am Charfreytage, den 29ſten Maͤrz, die braunen Huſaren dort ankamen, de - nunziirten einige Bauren, welche den Branden - burger ſchon lange haßten, bey dem Huſaren-Leut -341 nant: der Leutnant aber, welcher mehr zu thun ha - ben mogte, befahl den Bauren, ſich zum Teufel zu ſcheeren. Er ritt darauf nach Erbesbudesheim, und ließ einen Wachtmeiſter mit ohngefaͤhr zwoͤlf Mann im Dorfe, um zu patrouilliren. Die Schlin - gel von Bauren wendeten ſich nun an den Wacht - meiſter und dieſer man denke doch! erklaͤrte das Haus des Brandenburgers fuͤr pluͤnderungs - faͤhig, und nahm ihn ſelbſt in Verhaft. Man fing wirklich an zu pluͤndern, aber nicht ſowohl die Hu - ſaren, als vielmehr die Bauren, bis endlich ein redlicher Huſar, der gerechter und menſchlicher dachte, als ſein Herr Schlingel von Wachtmeiſter, ſeinen Saͤbel zog, und bey hundert tauſend Schock Teufel verſicherte, daß er dem erſten, beſten den Kopf ſpalten wuͤrde, der noch einen Fuß zum Pluͤndern ins Haus ſetzen wuͤrde. Wer war froher, als die Frau des Brandenburgers: ſie hat mir das alles ſelbſt erzaͤhlt. Sie druͤckte und kuͤßte den ehrwuͤrdigen Huſaren, und bath ihn, ihren Mann doch zu befreyen, der ſchon nach Budesheim NB! von Bauren abgefuͤhrt war. Der Huſar beſann ſich kurz, und bath den Wachtmeiſter, ihn nach Bu - desheim zu ſchicken, wohin eben doch eine Ordo - nanz rei[z]en muͤßte. Ungern, aber doch willigte der Wachtmeiſter ein, weil ihn ſeine Uebereilung ſchon reuete, und der Huſar verſprach, reinen342 Mund zu halten. Dieſer ritt fluchs dahin. Kurz darauf kamen noch andere Huſaren ins Dorf, und pluͤnderten den Keller des Brandenburgers noch mehr. Freilich konnten ſie allein nicht viel Wein trinken, aber die Bauren halfen ihnen, und was nicht geſoffen wurde, trugen dieſe nach Hauſe, ſo daß Brandenburger an ſeinem Weinlager wenig - ſtens 200 Thaler Schaden gelitten hat. Man leſe weiter, und erſtaune!

Brandenburger wurde nach Budesheim, eine halbe Stunde von Wendelsheim gebracht, und da als ein Erzjakobiner in die Haͤnde eines preu - ßiſchen Huſarenoffiziers abgeliefert. Er war faſt halb todt von den vielen Schlaͤgen und Stoͤßen, die ihm die Bauren unterwegs gegeben hatten: denn dieſe glaubten gewiß, daß er wenigſtens ge - henkt werden muͤßte. Er beſchwerte ſich bey dem Offizier, welcher ihm mit zorniger Stimme ant - wortete: Halt's Maul, verfluchter Patriot, oder ich laſſe dich gleich aufknuͤpfen! Weißt du Spiz - bube, daß ich dich kann in Stuͤcken zerhauen laſſen, wenn ich will?

Brandenburger ſchwieg.

Offizier: Rede, Hunzfott! Glaubſt du, Kanaille, daß ich dich kann haͤngen laſſen, wenn ich will?

343

Brandenburger: Herr Offizier, ich bin unſchuldig. Laſſen ſie mich zum Koͤnig fuͤhren, laſſen Sie meine Sache unterſuchen! Ich weiß, daß ich fuͤr unſchuldig erklaͤrt werden muß! Ich habe nichts gethan, das einer ſolchen barbariſchen Behandlung wuͤrdig waͤre.

Offizier: Der Kerl raͤſonnirt noch! Den ſoll ja das heilige Wetter erſchlagen! Allons Unter - offiziere, Stoͤcker los!

Die Unteroffiziere gehorchten, und fiengen an loszuſchlagen, als gerade der ehrliche Huſar, und der katholiſche Pfarrer des Ortes, Herr Hoff - mann,*)O koͤnnt 'ich dieſem Biedermanne eine Ehrenſaͤule errichten! Ich habe ſeiner im erſten Theile, als eines Feindes des Aber - glaubens, gedacht: hier ſehen wir ihn als edlen Menſchen - retter! nebſt dem erwaͤhnten Schulzen Hahn hereintraten. Der Pfarrer, durch die barbariſche Pruͤgeley aufgebracht, trat mit entſchloßnem Muthe den Offizier an, und ſagte zu ihm: Aber Herr Leutnant, was machen Sie da? Koͤnnen Sie es verantworten, daß Sie einen unſchuldigen Mann zerpruͤgeln laſſen?

Offizier: Wer iſt der Herr?

Hoffmann: Ich bin der katholiſche Geiſtli - che von hier. Ich habe heute verſchiedene preu - ßiſche hohe Offiziere bey mir zu Hauſe gehabt 344 das waren Maͤnner von Empfindung und Men - ſchenliebe.

Offizier: Herr, was will Er aber hier?

Hoffmann: Einen Unſchuldigen retten, welcher

Offizier: (erboßt) Himmel tauſend Saker - ment: iſt der Spizbub 'da nicht ein Klubbiſt, ein Patriot, ein verfluchter, verdammter, ein ein ? (ſpukt aus.)

Hoffmann: Herr Schulz, reden Sie! Welches Zeugniß geben Sie dem Brandenburger?

Schulz Hahn: Herr Leutnant, ich bezeuge vor Gott, daß Brandenburger unſchuldig iſt: man hat ihn mit Gewalt zum Maire gemacht, und als Maire hat er nichts gethan, was dem Intereſſe un - ſers Rheingrafen zuwider waͤre: mit einem Wort, ich und er waren einverſtanden, bis die Sache auf einen oder andern Weg gehen wuͤrde.

Offizier: (beſchaͤmt) Unteroffiziers, geht nur!

Hoffmann: Sehen Sie, Herr Leutnant, wie Sie Sich uͤbereilten! Wenn das der Koͤnig, oder nur ihr General wuͤßte! Sie, als Kriegsmann, ſollten bloß im Fall der Noth die exekutive Gewalt unterſtuͤtzen helfen, und handeln gegen die konſti - tituve Gerechtigkeit! Brandenburger iſt kein Unter - gebner von Ihnen, und doch behandeln Sie ihn345 militaͤriſch exekutiviſch! Brandenburger iſt un - ſchuldig, und doch beſtrafen Sie ihn ohne Verhoͤr und Vertheidigung! Heißt das nicht die ariſtokra - tiſche oder monarchiſche Anarchie mit der demokra - tiſchen vertauſchen wollen? Das iſt der Wille ih - res Monarchen gewiß nicht. Ihr Monarch iſt guͤ - tig und gerecht: Sie aber, als der Diener ſeiner Macht, zeigen ihn als einen gekroͤnten Wuͤrg-En - gel, der Gewalt vor Recht ergangen wiſſen wolle. Als Mann von Delikateſſe fuͤr die Ehre ihres Mo - narchen, ſollten Sie vorſichtiger und gerechter ver - fahren, zumal in ſo politiſch-kritiſchen Tagen, wo die Diener der Monarchen die Klugheit haben ſoll - ten, die an ihnen geruͤgten Fehler eher zu vermei - den als ſie zu wiederholen. Was wuͤrde Ihr Koͤ - nig ſagen, was uͤber Sie verfuͤgen, wenn die ganze Dorfſchaft ihn mit einer Klage gegen Sie anginge und auf Genugthuung beſtaͤnde? Doch es mag darum ſeyn: wir wollen nicht klagen; aber wir wuͤn - ſchen zu wiſſen: Iſt Brandenburger jezt frey?

Offizier: (unwillig immer auf - und abge - hend) Er kann in's Dreyteufels Namen ſich an den Galgen ſcheeren!

Hoffmann: Kommt Kinder! (zum Huſaren) Komm alter braver Schnurrbart! Komm, trink ein Glaß Wein mit mir! Du biſt ehrwuͤrdiger, mehr Menſch, als mancher General und Erzbiſchof!

346

Man muß wiſſen, daß der ehrliche Hahn, ſobald er erfahren hatte, daß Brandenburger nach Budesheim in Verhaft gebracht ſey, dahin lief, und, weil er ſich nicht traute, den Offizier allein anzu - gehen, den Pfarrer Hoffmann bath, ſich des ar - men Unſchuldigen anzunehmen. Dieſer rechtſchaffne Mann war auch ſofort dazu erboͤtig. Unterwegs begegnete ihnen der alte Huſar, welcher ihnen er - zaͤhlte, was in Wendelsheim vorgefallen war.

Brandenburger kam zu Hauſe, und fand ſeinen Keller ausgeleert. Er uͤberreichte nachher eine Bittſchrift dem Grafen von Kalkreuth, worin er ſich uͤber die barbariſche Art beſchwerte, womit man ihn und ſein Haus behandelt hatte. Der Ad - jutant des Grafen gab ihm aber die troͤſtende Ant - wort: Es iſt Krieg!

In Flonheim wurde Diel, ebenfalls ein beguͤ - terter Gaſtwirth, als Klubbiſt angegeben, von den Preußen gepruͤgelt, beraubt, und ſeine huͤbſche Frau auf die ſchaͤndlichſte Art misbraucht.

In Woͤllſtein, einem ſchoͤnen großen Flecken, war die Unterſuchung gegen die Klubbiſten noch ſchaͤrfer. Dieſer Flecken gehoͤrt theils dem Kurfuͤr - ſten von Maynz, theils dem Fuͤrſten von Naſſau - Saarbruͤcken. Viele von den Buͤrgern hatten, theils aus Unwiſſenheit, theils verleitet, theils, um groͤ - ßern Uebeln zu[ent]gehen, an der Klubbiſterey Theil347 genommen, wurden nun angegeben, und von den Ariſtokraten und Preußen aufs ſchroͤcklichſte mis - handelt. Einer wurde auf der Stelle mit Stock - ſchlaͤgen ermordet, und drey andere ſturben einige Tage nach der Huroniſchen Behandlung.

Aehnliche Auftritte gab es in der Rheingraf - ſchaft, im Weilburgiſchen, Speyriſchen u. ſ. w.

Die winzigen Monarchen in der Pfalz den einzigen Fuͤrſten von Naſſau-Weilburg aus - genommen die Fuͤrſten von Leiningen, von Uſingen, der Biſchof von Speier, die Beamten des Kurfuͤrſten von Maynz, die Rheingrafen zu Greh - weiler und Grumbach, und noch viele ſolcher Sul - tane jenſeits des Rheins machten nun, unter dem Schutz der Preußen, Jagd auf Klubbiſten, verfolgten und draͤngten ſie bis aufs Blut. Nur noch einige Beyſpiele von den vielen, welche zu beſchreiben waͤren bis zum Entſetzen.

Mein Freund, der redliche Pfarrer Leopold von Ungſtein bey Duͤrkheim an der Haard, ein Mann, deſſen heller Kopf ſchon daraus abzuneh - men iſt, daß er, als lutheriſcher Pfarrer, das Herz gehabt hat, ſein Maͤdchen zu heurathen, ob es gleich katholiſch war, hatte bey dem Einfall des Cuͤſtine in Deutſchland, und der darauf erfolg - ten Revolution in der Pfalz, verſchiedne Grund - ſaͤtze geaͤußert, welche Goͤchhauſen und Compagnie348 fuͤr Jakobinismus oder Illuminaterey ausgeben. Er hatte ſeinen Bauren ſelbſt auf der Kanzel gera - then, ſich in die Zeit aus Klugheit zu ſchicken, und das ſogenannte ferment démocratique zu lei - ſten, um ſchon einen Fremden nicht mit Gewalt, zu ihrem groͤßern Nachtheil, zum Maire zu be - kommen, oder ſich feindſeligen Handlungen nicht laͤnger auszuſetzen, oder gar von Haus und Hof vertrieben zu werden, u. dgl. So lange Cuͤſtine jene Gegenden behauptete, ging es gut, und Leo - pold hatte keine Anfechtung; aber kaum waren die Preußen da, ſo foderte der Großinquiſitor des Fuͤrſtenthums Leiningen, Hr. Kleveſahl, Su - perintendent zu Duͤrkheim, ehemals zu meiner Zeit Profeſſor der Philoſophie in Gießen, wo ihm die Studenten, wegen ſeiner großen Armſelig - keit, den Beynamen Bararraphus gaben, der Nach - folger des Doctors Bahrdt, der aber gerade ſo neben Bahrdten unter den Superintendenten zu Duͤrkheim paradirt, wie ein Schirach neben Poſ - ſelt oder ein Brumbey neben Schulz, ehedem in Gielsdorf. Kleveſahl, ein grober, aufgebla - ſener, unwiſſender und katechismusmaͤßiger Pfaffe, von welchem ich noch einiges anfriſchen werde, denn ich ſelbſt habe das pecus campi in ſeinem Hauſe ge - ſehen alſo Meiſter Kleveſahl, der Großinqui - ſitor, foderte, daß nun der Jakobinismus des349 Pfarrers Leopold ſollte unterſucht werden. Leo - pold aus Furcht, verkannt und eingeſteckt zu wer - den denn der ſanftmuͤthige Großinquiſitor Kle - veſahl hatte hierauf angetragen fluͤchtete nach Landau zu dem damaligen Kommendanten Gillot, welcher ihn aufnahm, und mit Paͤſſen nach Stras - burg verſah. Ehe er aber dorthin abging, erhielt er von ſeiner guten Frau ein Schreiben, daß ſie mit dem Fuͤrſten geredet, und dieſer ihr verſprochen habe, ihren Mann wenigſtens nicht einzuſtecken. Leopold kam nun zuruͤck, wurde aber ſuſpendirt, und ſein Proceß gieng an. Er mußte Kaution ſtel - len. Der Pfarrer Braun von Duͤrkheim erhielt den Auftrag, die geiſtlichen Verrichtungen in Ungſtein ad interim zu uͤbernehmen. Leopold wendete ſich an den Herzog von Braunſchweig, und dieſer menſchenfreundliche Fuͤrſt brachte es end - lich dahin, daß man ihn wieder einſezte. Der Proceß hat ihm aber mehrere tauſend Gulden ge - koſtet!

Pfarrer Chelius von Ilbesheim war auch mit unter denen, welche ſich zum Syſteme der Neufranken gleich anfangs bekannt hatten. Er war ſelbſt ein Vertrauter des Generals Wimpfen und Georg Forſters. Bey der Ankunft der Preußen packte er auf, und gieng nach Landau und von da nach Strasburg, wo er die Stelle eines350 Kriegskommiſſaͤrs uͤbernahm. Sein Haus wurde gepluͤndert und ſeine Frau, ein junges huͤbſches Weib, aufs aͤrgſte mishandelt. Kaum ließ man ihr ſo viel, daß ſie ſich decken und nach Alzey fluͤch - ten konnte. Hier nahm ſich Herr Walther, der Alzeyer reformirte Pfarrer, ihrer au, ließ ſie bey ſich wohnen und pflegte ihrer wie Bruder. Wahr - ſcheinlich iſt ſie nach der ſchimpflichen Retirade der Deutſchen aus jenen Gegenden, wieder zu ihrem Mann gekommen, und wahrſcheinlich haben die Franzoſen ſich gegen meinen Freund, den recht - ſchaffnen Walther, gut benommen wegen der Sorge fuͤr die Frau eines Mannes, der ſein Gluͤck ihrem Syſteme opferte.

Pfarrer Heres von Bechtheim, ein Vertrau - ter Bahrdts, und der dortige Amtmann Suſſe - miehl, einer von den wenigen Juriſten in der Pfalz, die das Hirn nicht erfroren haben, waren auch unter den Klubbiſten: Suſſemiehl hatte ſogar die Lieferung fuͤr Cuͤſtine uͤbernommen. Sie giengen beyde nach Frankreich, nahmen aber ihre Weiber mit. Was ſie hinterlaſſen mußten, fiel den Pluͤnderern in die Haͤnde.

Wer den Hirten hat, hat die Heerde, dieß iſt die Maxime, deren Befolgung das Befremden mindert: warum auf dem Lande am Rhein gerade die anſehnlichſten Klubbiſten Pfarrer waren, oder351 Amtleute und Wirthe. Daß aber proteſtantiſche Pfarrer, und uͤberhaupt Proteſtanten, wie oben beruͤhrt iſt, am erſten und meiſten demokratiſirten, lag theils an dem tiefen Gefuͤhl, wie deſpotiſch man ſie immer und uͤberall behandelte, und dann an der groͤßern Gewandtheit und Klugheit, ſich in Zeit, Ort und Perſonen zu ſchicken, welche Ge - wandtheit man um ſo mehr lernet, jemehr man ge - neckt, und je aͤrger einem das Auskommen er - ſchwert wird. Alle Graßfreſſende Thiere, wie Gaͤnſe, Schafe und Kuͤhe, ſind dumm und traͤge; aber der Fuchs iſt ſchlau, weil er wacker raffiniren muß, um ſein Federvieh ergiebig zu haſchen. Wer von Groͤſus Schaͤtzen reichlich hat, deſſen Einſicht und Gewandtheit ſteht der Einſicht und der Ge - wandtheit der aus Noth, wegen der uͤbrigen chriſt - lichverſperrten Nahrungswege, herumſchachernden Iſraeliten gemeinhin nach. Freilich, was gar keine Anlage hat, bleibt meiſt, was es iſt; und daher ſchreibt ſich das einzige Verdienſt des Vege - tirens bey ſo vielen armſeligen proteſtantiſchen Pfar - rern in der Pfalz auf ihren noch armſeligern Pfar - ren, die nur einem Taugenichts oder Dummkopf ſchmecken koͤnnen.

Die weitern Gruͤnde, warum auch manch ſonſt heller, braver Rheinlaͤnder demokratiſirt hat, ent - haͤlt ein Stuͤck von dem Geſpraͤche, welches ich352 mit Hn. Koͤſter, Pfarrer zu Niederfaulheim, ei - nem Vetter von mir, deſſen ich im I. Th. gedacht habe, fuͤhrte, als er mich waͤhrend der Blokade von Maynz beſuchte. Was bewog ſie denn, fragte ich ihn, den Neufraͤnkiſchen Grundſaͤtzen beyzu - treten?

Koͤſter: Nicht ihr Glanz, auch nicht ihre Neuheit, eben ſo wenig ihre Kuͤhnheit und Groͤße: aber, wenn es unſern Fuͤrſten erlaubt war, ſich durch die Flucht zu retten: warum ſollte es uns nicht erlaubt ſeyn, uns durch Klugheit zu ret - ten? Und blos Klugheit war es, daß ich und tau - ſend Andere uns lieber fuͤgten, als uns unnuͤtzer Weiſer necken, oder gar ohne Sack und Pack fort - jagen ließen. Freilich, wenn wir, wie unſre Herren, Geld und Credit genug gehabt haͤtten, um nach ergriffner Flucht unſer Brod und unſere Be - quemlichkeit uͤberall zu finden; und waͤren uns, wie ihnen, Land und Leute zu Gebot geſtanden, um unſere Wohnungen und unſern gewoͤhnten Wohl - ſtand aus ihrem Beutel und Ertrag dereinſt wieder herzuſtellen: o dann waͤre es fuͤr die Meiſten Thor - heit geweſen, ſich durch Flucht nicht eben ſo zu retten, wie ſie. Aber hier, lieber Vetter, lag der Knoten, und Schande wars fuͤr die Klubbiſten - Profoſe, daß ſie auf dieſen Knoten ſo wenig Ruͤck - ſicht nahmen! Retten mußten wir uns einmal ſelbſt,353 ſo gut es gieng: denn unſere Herren ließen uns im Stich, und hatten an unſern Schutz vorher bey - nahe gar nicht gedacht, ſo daß es einem maͤßigen Haufen Franzoſen eine Kleinigkeit war, eine Haupt - reichsfeſtung, die Feſtung Maynz, nebſt der an - graͤnzenden Gegend, ohne vielen Widerſtand in Beſitz zu nehmen. Wir waren wie eine res dere - licta, und die iſt, wie die Juriſten ſagen, primo occupantis. Die Franzoſen, als feindliche Erobe - rer, maßten ſich, zum Erſatz fuͤr die Invaſion in ihr Gebieth, des Heldenrechts an, hoben die Her - ren-Verfaſſung auf, und fuͤhrten eine neue, nach ihrer in Frankreich, ein: und nun hatten wir nur die Alternative: entweder als durch Eroberung in Beſitz genommenes Volk uns unter der Gewalt und den Verfuͤgungen der neuen Beſitzer zu fuͤgen*)Hierin hatte mein Vetter, nach dem, was ſo geſchieht, wohl nicht Unrecht; und ein Weſtpreuße kann den Beweis dafuͤr a poſteriori, der Zeit nach, wegen einer Parallele von der Fuͤgung der Unterthanen in Polen unter der neuemgefuͤhrten Verfaſſung fuͤr Sudpreußen nicht gut leugnen, oder er muͤßte denken, wie der Verfaſſer von der Unterſuchung uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Theilung Polens. (Warſchau, 1795.) Denn die Franzoſen hatten nach dem Kriegsrechte oder nach dem Rechte des Staͤrkern Recht, damals als Eroberer daß in den Rheingegenden zu thun, was Preußen nachher in Polen that; und wie Preußen mit Gewalt ſich Ge - horſam in Suͤdpreußen erzwang, ſo erzwangen ihn ſich die Franzoſen in dem neuacquirirten Rheindepartement. Aber ge -,Dritter Theil. Z354oder als ſtandhafte Anhaͤnger der Herren-Verfaſ - ſung uns als Rebellen zur Schanzarbeit abfuͤhren zu laſſen, oder unſer Vermoͤgen fuͤr die Republik konfiscirt werden zu ſehen, und dann als Bettler auszuwandern. Haͤtte alſo Keiner ſich fuͤgen ſollen oder wollen: ſo waͤren alle beraubt und vertrieben worden; und was haͤtte einem Landesherrn an ei - nem verwuͤſteten und Menſchenleeren oder verarm - ten Lande dann noch groß liegen koͤnnen! Fuͤgte man ſich aber, und nahm man neueingefuͤhrte Stellen an: da blieb man bey dem Seinigen, ver - huͤtete Anarchie, beugte der Beſetzung der oͤffent - lichen Stellen durch raubgierige Boͤſewichter oder Unkundige der Landesſitten u. dgl. vor, hielt die oͤffentliche Ordnung, ungeſtoͤhrte Geſchaͤftig - keit und den davon abhaͤngenden Wohlſtand auf - recht: und Volk und Fuͤrſt waren gerettet, wenn es den leztern gelang, ihr occupirtes Land zu via - diciren.

*)rade die Preußen waren es, welche an den Klubbiſten und an - dern neuorganiſirten gehorſamen Unterthanen des Neufraͤnki - ſchen Rheindepartements eben den erzwungenen oder freiwillig geleiſteten Gehorſam beſtrafen halfen, den ſie in Suͤdpreußen mit Gewalt noch erzwingen, und, wenn ſie ihn erreicht ſehen, gutheißen und loben. Wo iſt hier politiſche Konſequenz! Was ſagen hier die, welche vor lauter lieber Deutſchheit, ihres poͤbelhaften und unſinnigen Schnatterns uͤber Frankreich kein E〈…〉〈…〉 e finden koͤnnen!
*)355

Sie koͤnnen fuhr mein Vetter fort, den ich nicht unterbrach, weil alles, was er vortrug, ſich hoͤren ließ, mir ſagen: Die Rheinlaͤnder hat - ten kein Recht, ihre pa〈…〉〈…〉 ta publica aufzuheben, oder das Band zu loͤſen, wodurch ſie an ihren Herren und dem Reiche gebunden waren: und hierin ſollen Sie Recht haben, wenn Sie eine dauerhafte, unge - zwungene und freywillige Hebung oder Loͤſung die - ſes Bandes, ohne hinlaͤngliche Urſache und gegen - ſeitige Einwilligung, meynen; aber nicht, wenn das Gegentheil auch nur des erſten Punktes, we - nigſtens auf ein ad interim, ſtatt hat. Und, lieber Vetter, wie konnte man fodern, daß wehrloſe Un - terthanen das haͤtten hindern oder unwirkſam ma - chen ſollen, was ihre wehrhaften Herren ſelbſt nicht konnten, oder wenigſtens nicht thaten? Was ver - diente der Hirt, der erſt Woͤlfe herbeylockte, oder ſorglos ſie herankommen ließe, dann davon liefe, und nachher es den Schafen verargen wollte, daß ſie eine gute Seite mit den Woͤlfen gemacht und da - durch ſich gerettet haͤtten, und nicht ſich den Woͤlfen ſo und ſo lange widerſezt haͤtten, bis ſie von ihnen alle zerriſſen oder zerſtreut geweſen waͤren? Wer Anhaͤnglichkeit und Gehorſam von Unterthanen fo - dern will, muß ſie vor der Lage huͤten, worin ih - nen beydes unmoͤglich wird; und ſtraft er hernach dennoch, ſo verfaͤhrt er nach dem Harpienſyſtem,356 und iſt mehr als Tyrann. Ich hoffe, lieber Vet - ter, Sie und Vernunft und Recht auf meiner Seite zu haben, und nun moͤgt 'ich wohl wiſſen, wie unſere Herren ihre Regentenklugheit bey der Mit - und Nachwelt retten werden, oder jene des Ge - gentheils uͤberfuͤhren, welche das gewoͤhnlichlinki - ſche Benehmen der Fuͤrſten, oder vielmehr ihrer Raͤthe und Miniſter, zumal in dieſer Zeit, als Grunds genug anfuͤhren, warum man den Herren - ſtand ganz und gar abſchaffen ſolle, um fuͤr ſeine Sicherheit auf alle Zeiten und auf alle Faͤlle ſelbſt zu ſorgen, und dieſe Sorge nicht denen zu uͤber - laſſen, welche in Friedenszeiten den großen Herrn ſpielen und ſich fuͤttern und hofiren laſſen, zur Zeit der Gefahr aber davon laufen, ihre Unterthanen preisgeben, und ſie hernach noch gar ſtrafen, wenn ſie ſich, nach dem Rechte der Selbſt - und Noth - huͤlfe, waͤhrend der Zeit ihrer Verlaſſenheit, hal - fen, ſo gut es ging!

Ich: Als Paſtor wiſſen Sie, was die Mieth - linge im Evangelio ſagen wollen; und das ſind die Herren mit dem Krummſtabe beynahe immer: dieſe alſo moͤgten immerhin abfahren. Fuͤr die uͤbrigen aber iſt eine vernuͤnftige Conſtitution, auf deren Exekution die Nation durch Volksſtaͤnde aufmerk - ſam mitwacht, noch ein Mittelweg.

357

Paſtor: Conſtitution? Du lieber Gott: wir hatten gar eine doppelte: eine des Landes und eine des Reiches; und doch was halfen ſie!

Ich: Und eben, weil ſie nichts halfen, beduͤr - fen wir einer wirkſamern und angemeßnern; und dieſe, hoffe ich, wird die Zeit herbeyfuͤhren: nur Geduld!

Als ich ihn fragte: ob er nicht gehofft oder ge - fuͤrchtet haͤtte, daß wir oder jemand anders uͤber kurz oder lang das Land reinigen und alles auf den alten Fuß zuruͤckbringen wuͤrden, ſagte er: das wohl, aber gewiß nicht auf lange. Sie kennen die Franzoſen: ihr Enthuſiasmus hat keine Graͤnzen, und ihr Enthuſiasmus geht jezt auf Freyheit oder Tod. Sie wiſſen aus der Geſchichte, daß ein Volk frey iſt, ſobald es frey ſeyn will. Und nun ein Volk, wie die Franzoſen! Vetter, ſie ſind wie die Kie - ſel: jemehr Schlaͤge, deſto mehr Funken! Geben Sie Acht: ſie laͤutern ſich, concentriren ſich, kom - men zuruͤck und ſtuͤrmen halb Europa!

Genug, Koͤſter, ein heller einſichtiger Mann, ſah damals ſchon ein, daß die Franzoſen wieder vordringen und alles zerſtoͤren wuͤrden, was die Preußen und Oeſtreicher dort auch machen moͤgten. Er hatte ſich aber in die Zeit geſchickt. Weil er al - ſo gefuͤrchtet hatte, es moͤgten ihm wegen ſeiner Klubbiſterey, denn ſo hieß, wie ich ſchon geſagt358 habe, aller Schein von Anhaͤnglichkeit am franzoͤ - ſiſchem Syſteme, Haͤndel gemacht werden, ſo ver - traute er ſich dem General von Wolfframsdorf, erklaͤrte ihm alle Umſtaͤnde, und dieſer ſonſt eben gegen Klubbiſten nicht gutgeſinnte Offizier, ſagte ihm: er moͤgte nur ruhig ſeyn, er habe ganz und gar nichts zu befuͤrchten.

Ich weiß nicht, ob ich meine Behauptung, daß Hr. von Wolfframsdorf ein Feind der Klub - biſten geweſen ſey, beweiſen ſoll. Ein Beyſpiel iſt mir bekannt, welches ihm eben nicht viel Ehre macht. Hier iſt es!

Als der ungluͤckliche Kanonikus Winkelmann, geweſener Maire zu Worms, deſſen traurige Ge - ſchichte hinlaͤnglich bekannt iſt, durch Oppenheim gefuͤhrt wurde, ſo wurde er dem General Wolff - rammsdorff, welcher da das Kommando hatte, vorgeſtellt. Dieſer fuhr den guten, wuͤrdigen Winkelmann, den jeder Vernuͤnftige bedaurte, wie raſend an, und bediente ſich der niedrigſten Ausdruͤcke, ſprach von verfluchten franzoͤſiſchen Pa - trioten, die gehenkt, geraͤdert u. ſ. w. werden muͤß - ten. Und doch hatte der Koͤnig dem ungluͤcklichen Winkelmann Schutz verſprochen! Solche ei - genmaͤchtige, geſetzwidrige Auftritte ſind empoͤrend, und reizen den Feind allemal noch mehr gegen uns ſelbſt. Ich verſtehe gar nicht, was fuͤr Urſache359 man gehabt haben mag, den Feind und deſſen con - ſtituirten Anhang durch unedle Behandlungen ſei - ner Gefangnen, durch niedriges Schimpfen und kleinliches Spotten, noch mehr aufzubringen! Die uͤblen Folgen von dieſem Benehmen hat man leider auch bald empfunden. Mich wundert, daß mein guter Braun auch hierauf keine Ruͤckſicht genommen hat! Doch es iſt Zeit, daß ich meine andere Erzaͤhlung fortſetze!

Ein und dreyßigſtes Kapitel.

Belagerung der Feſtung Maynz.

Wenn ich dieſes Kapitel ſo uͤberſchreibe, ſo bin ich keinesweges geſonnen, eine vollſtaͤndige Be - ſchreibung von der Belagerung dieſer Feſtung zu lie - fern: das iſt ſchon von Andern geſchehen, freilich immer ſo oder ſo, und ſelten ausfuͤhrlich, und noch ſeltner zuverlaͤßig. Ich fuͤr mein Theil erzaͤhle hier, was mich betrifft; und uͤber die Begebenhei - ten ſelbſt mache ich nur hie und da Anmerkungen, welche dem Leſer, wie ich hoffe, nicht misfallen werden, wenn er ſonſt Einſicht und Kenntniß von militaͤriſchen Operationen hat.

360

Ich habe einmal einen ganz naͤrriſchen Grund - ſatz, nach welchem ich uͤberall und in allen Stuͤcken zu Werke gehe. Ich glaube naͤmlich, daß jeder Menſch, dem die Natur Augen, Ohren und Naſe gegeben hat, darum mit ſeinen Augen auch ſehen, mit ſeinen Ohren auch hoͤren, und mit ſeiner Naſe auch riechen muͤſſe, und daß er fremder Sinne nicht noͤthig habe, wenn ſeine eignen noch in brauchbarem Stande ſind. Gern rede ich mit Maͤnnern von Erfahrung und Kenntniſſen, aber das iſt auch alles: ich laſſe mir von Keinem etwas aufbinden oder auf - dringen. Ich weiß, daß die groͤßten Feldherren von Agamemnon an bis auf den Herzog von Braunſchweig und den Prinzen von Co - burg gewaltige Schnitzer begangen haben im Krie - ge, Schnitzer, woruͤber ſich jezt der geringſte Kor - poral wundert. Daher habe ich folgenden Grund - ſatz niemals als unumſtoͤßlich annehmen koͤnnen: Was dieſer oder jener große General that, das war recht gethan: Denn ſonſt muͤßte ich ja auch die Belagerung von Maynz fuͤr ein Meiſterſtuͤck halten; und das war ſie doch wohl nicht!

Was die Herren Philoſophen betrift, die allein weiſe ſind, wie ſie meynen: ſo bin ich uͤberzeugt, daß Marcus Tullius recht hat, wenn er ſpricht: es ſey nichts ſo abgeſchmackt, das nicht361 dieſer oder jener Philoſoph behauptet habe. Und die Theologen! Wahr und wahrhaftig, kaͤme Chriſtus zuruͤck, er machte es den meiſten von ih - nen, wie ehedem den Schriftgelehrten und Phari - ſaͤern; und ſie, verwaͤrfe er ihre ſymboliſchen Buͤ - cher, kreuzigten ihn ohne Erbarmen von neuem! Ich gehe demnach meinen Gang fuͤr mich unbe - kuͤmmert um den gebahnten Gang Dieſes oder Jenes, er heiße Held, Philoſoph, Theolog, Sul - tan oder Papſt. Iſt mein Gang nicht der rechte Gang: je nun, ſo iſt er wenigſtens der Gang, den ich mir wohlbedaͤchtig waͤhlte, und dieß weil Freyheit und Selbſtſtaͤndigkeit das hoͤchſte Gut auf der Welt ſind, oder zu ſeyn ſcheinen.

Wir ruͤckten am 14ten April ins Lager vor Maynz, welches aber nur von weitem, jenſeits des Rheins, uͤber eine ſtarke Stunde, beynahe ge - gen zwey Stunden, eingeſchloſſen wurde. Es war an einem Sonntage; und der Poͤbel, groß und klein, aus der ganzen dortigen Gend kam heran, uns und unſer Lager zu beſehen. Unter dieſen waren viele meiner Bekannten, welche ſich bemuͤhten, mir ihre Anhaͤnglichkeit und Freundſchaft zu beweiſen.

Lange ſtanden wir ziemlich ruhig. Man machte zwar hie und da einige Schanzen zur Vertheidigung, hatte aber noch kein Geſchuͤtz, um einiges von Er - folg gegen die Feſtung vorzunehmen.

362

Das preußiſche Hauptquartier der Belagerung war in Marienborn, und Herr Graf von Kalk - reuth fuͤhrte das Oberkommando uͤber die ganze Belagerung. In Maynz kommandirte d'Oyré, ein Mann von vielen militaͤriſchen Kenntniſſen und zweckmaͤßiger Thaͤtigkeit. Dieſer Mann hat ſich gegen das Ende des Jahres 1794, durch Hn. Bis - pinks Vermittelung, um mich ſelbſt ſehr verdient gemacht, wie ich in der Folge erzaͤhlen werde. Der Repraͤſentant Merlin von Thionville denn es giebt noch einen von Douay war nach Maynz geſchickt worden, um da das Intereſſe der Franken - Republik zu beſorgen. Dieſer Merlin iſt ein fataler Rabuliſt, welcher gern alles nach ſeinem Kopf geformt haͤtte, wenn nur d'Oyré die Haͤnde dazu haͤtte bieten wollen. Er ſchien ganz gewaltig patriotiſch geſinnt zu ſeyn, und war doch, wie es ſcheint, die Haupturſache, daß Maynz ſo bald erobert oder vielmehr uͤbergeben wurde.

Die Maynzer-Beſatzung war damals 18000 Mann ſtark. Dieſes war wirklich fuͤr eine Aus - dehnung, wie damals die Maynzer Werke ſie hat - ten, wozu noch Caſtel und die Petersaue, eine Rheininſel, und noch verſchiedne andre Inſeln zu der Zeit gehoͤrten, viel zu ſchwach. Cuͤſtine hatte hier einen argen Fehler begangen, daß er ſich mit ſeinem Korps, welches nach Germersheim zog363 nicht in Maynz warf. Den Deutſchen war es uͤbri - gens zu verzeihen, daß ſie im Anfang der Bela - gerung nur langſam zu Werke giengen: es fehlte ihnen an Allem an Geſchuͤtz und an Mann - ſchaft. Damals, als wir anruͤckten, war unſre Belagerungsarmee am linken Rheinufer hoͤchſtens 16000 Mann ſtark. Freilich kamen hernach, aber ziemlich ſpaͤt erſt, die Koͤnigl. Garden, mehrere Bataillons kaiſerlicher Truppen, dann Darmſtaͤd - ter und Pfaͤlzer dazu, wodurch denn 37000 Mann herauskamen.

An Reuterey hatten wir wirklich zu wenig: das Reuterregiment des Herzogs von Weimar, die Saͤchſiſchen Dragoner und Huſaren waren jen - ſeits des Rheins; und dieſe Kavallerie reichte, wie mich duͤnkt, nicht hin, beſonders da die Saͤchſi - ſchen Huſaren ihr Handwerk noch nicht recht ver - ſtanden. Man nehme mir das nicht uͤbel, und die Herren werden jezt wohl ſelbſt einſehen, daß ſich Huſaren nicht ſofort aus Dragonern machen laſſen, und daß zu einer aͤhnlichen Organiſation etwas mehr noͤthig ſey, als der Pelz und der Saͤbel. Deswegen hat man nachher noch Huſaren von Wurmſer hinzugenommen.

Das Wetter war waͤhrend der ganzen Belage - rung groͤßtentheils gut und den Schanzarbeiten guͤnſtig, welche denn auch ſtark betrieben wurden. 364Zu dieſen Arbeiten brauchte man Soldaten und die Bauren aus der dortigen ganzen Gegend. Es iſt, duͤnkt mich, fuͤr dieſen Punkt im Kriegsweſen noch ſehr viel zu verbeſſern, und der Vorſchlag Eines der Mitarbeiter an dem Magazin der neuſten Kriegsbegebenheiten, ein ſtehendes Korps Arbeiter zu errichten, ſcheint mir nicht ſehr Unrecht: denn ſowohl die Soldaten, als die Bauren ſchicken ſich zu ſolchen Arbeiten gar ſchlecht.

Der Soldat arbeitet uͤberhaupt nicht gern. Wenn ich haͤtte arbeiten wollen, ſpricht er, waͤre ich nicht Soldat geworden. Und wahrlich, ein Graben, woran 150 Mann zwey volle Tage ar - beiten, kann in Einem gar fuͤglich durch 30 oder 40 ordentliche Schaffer fertig werden.

Die Bauren ſind bey militaͤriſchen Werken eben - falls ſchlechte Arbeiter. Einmal ſind die Leute im - mer gezwungen, und da ſchicken ſie Kreti und Pleti, Kinder, Weiber, Maͤdchen, kurz alles, was nur gehen kann. Bey der Arbeit ſelbſt wird entweder geflucht, oder gekackelt und wenig oder nichts aus - gefuͤhrt.

Es ſcheint auch nicht ſehr billig zu ſeyn, den armen Bauren, welche ohnehin ihre liebe Noth mit Lieferungen, Fuhren u. dgl. haben, auch noch die Laſt der Schanzarbeiten aufzulegen. Man be - denke, wie der arme Landmann bedraͤngt wird,365 wenn ſo ein Ungewitter in ſeiner Naͤhe ſchwebt, be - ſonders die, welche auf 6, 8, 10 bis 12 Stunden von einer belagerten Feſtung zu Hauſe ſind. Soll - ten ſie aber demohngeachtet doch arbeiten, ſo ſollte man den armen Leuten wenigſtens Tagelohn geben. Ich habe bey Maynz und bey Landau arme Leute arbeiten ſehen, welche in 24 Stunden nichts eſſen konnten, weil ihr Vorrath alle war, und ſie keinen Kreuzer Geld hatten.

Daß man die armen Bauren bey ſolchen Arbei - ten auch noch mishandelt, davon bin ich ſelbſt Zeuge geweſen: dumme, unverſtaͤndige Korporaͤle, und unmuͤndige Offiziere ſchlugen die armen Leute, daß es eine Schande war.

Barbariſch iſt es vollends, daß man Landleute da arbeiten laͤßt, wo Gefahr iſt, verwundet oder erſchoſſen zu werden. Gefaͤhrliche Arbeiten muͤſſen blos dem Soldaten, der einmal fuͤr dergleichen ge - faͤhrliche Poſten beſoldet wird, uͤberlaſſet w〈…〉〈…〉: aber auch dieſer muͤßte nebenher dafuͤr belohnt wer - den. Ueberhaupt aber ſcheint der erwaͤhnte Vorſchlag zur Errichtung eines eignen militaͤriſchen Arbeiter - korps vom groͤßten Nutzen, beſonders bey Belage - rungen zu ſeyn.

Daß wir, waͤhrend der ganzen Belagerung, ſehr ſtark geplagt wurden, laͤßt ſich denken. Tag fuͤr Tag beynahe im Dienſte, und Nacht fuͤr Nacht366 faſt in die Schanzen: das war〈…〉〈…〉 reilich hart, aber wegen der uͤberall zu ſchwachen Belagerungsarmee nothwendig.

Einſtens es war in der Nacht vom 8 9ten Junius fiel es dem Prinzen Louis, Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen, ein, ei - nige Schanzen auf der Anhoͤhe oberhalb Zahlbach zu demoliren. Die Franzoſen bedienten ſich der - ſelben, die Gegend um Bretzenheim unſicher zu machen, fuͤhrten aber alle Abend ihre Kanonen her - aus. Dieſes wußte der Prinz nicht, und ihm war es doch eigentlich darum zu thun, die Kanonen zu vernageln, oder wegzufuͤhren, und dann die Schan - zen zu zerſtoͤren. Ich befand mich mit unter der Zahl der mitgenommenen Arbeiter. Wir griffen die Schanzen an, jagten die Beſatzung, welche nichts weniger erwartete, als einen Anfall dieſer Art, heraus, und machten dann alles der Erde gleich. Da wir ſehr nahe unter den franzoͤſiſchen Kanonen waren, ſo ſchadeten uns dieſe wenig. Dieſer Coup hat der militaͤriſchen Geſchicklichkeit und noch mehr dem Muthe des Prinzen Ehre ge - macht. Es war ſchon Tag, als wir abzogen, und wir wuͤrden uͤbel weggekommen ſeyn, wenn nicht erfahrne Offiziere, beſonders der Herr Major von Griesheim, die ſchicklichſten Anſtalten zur Re - tirade zu treffen gewußt haͤtte. Aber ſchon den367 andern Morgen um 9 Uhr bewieſen uns die flinken Franzoſen, daß wir uns vergebens bemuͤht hatten: ihre Kanonen donnerten um dieſe Zeit ſchon wieder aus den friſch aufgeworfenen Schanzen.

Zwey und dreyßigſtes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Unter den vielen Beſuchen, welche ich im Lager bey Maynz erhielt, war auch ein ſehr unerwar - teter, naͤmlich der von meinem Bruder. Man ſtellt ſich vor, daß unſre Zuſammenkunft eben nicht herzlich war: man denke an das, was ich im zwey - ten Theil uͤber unſre bruͤderliche Liebe geſagt habe. Mein Bruder, um ſich mit mir nicht vis-à-vis zu ſetzen, hatte noch einen Herrn und einige Frauen - zimmer mitgebracht, worunter auch ſeine Liebſchaft war, mit welcher er ſich, wie ich ihm nicht ver - denken kann, mehr abgab, als mit mir. Wir ſprachen blos uͤber Angelegenheiten der Zeit, und vermieden alles, was uns auf unſre Familienange - legenheiten haͤtte leiten koͤnnen.

Mein Bruder beſchwerte ſich unter andern ſehr uͤber das barbariſche Betragen des Oberſten Sze -368 kuly in ſeiner Gegend, und auf dem Hundsruͤck. Er hatte meinen Bruder mit Hieben gedroht, hatte ſelbſt die Bauren und andre Leute gepruͤgelt, und von nichts als von Patrioten radotirt. Dieſer toll - kuͤhne Mann, dem man das Fleiſcherhandwerk ſei - ner Vorfahren noch anſah, nahm, wo er konnte, beſchenkte damit ſeine Leute, und fuͤhrte unter deren dadurch willigem Beyſtand Einiges aus, das ihm Ruf erwarb, ſchickte aber auch Man denke ſich den unruhigen und ruhmſuͤchtigen Renommiſten zu Pferde! den Zeitungsſchreibern das ſelbſt zu, was er durch ihre Luͤgentrompete uͤber ſeine Tha - ten und ſich auspoſaunt wiſſen wollte. Er erwarb ſich alſo einigen Soldaten-Ruf; aber den Ruhm der Menſchlichkeit erwarb er ſich nicht. Ich kenne einen vornehmen preußiſchen Offizier, welcher keine große Thaten gethan hat, weil ihm die Gelegen - heit dazu abgieng, und weil da, wo er wirkſam ſeyn ſollte, die Ueberlegenheit des Feindes ihn hin - derte, etwas von Belang auszufuͤhren. Helden - thaten ruͤhmten alſo die Zeitungen an ihm nicht, aber alle Landleute und Staͤdter ſegnen ihn uͤberall, wo er mit ſeinen Leuten geweſen iſt: und dieſer Edle heißt Thadden.

Mein Bruder verließ mich nach einem Beſuche von einer halben Stunde, und verſprach, den fol - genden Tag wieder zu kommen. Ich hoffte nicht,369 ihn wieder zu ſehen, und doch hielt er Wort: ich hatte aber die Anſtalt getroffen, daß man in mei - nem Zelte ſagen mußte, ich ſchliefe, und duͤrfte jezt nicht geweckt werden. Er mogte merken, daß dieſes abſichtlich geſagt wurde, und fuͤhrte ſich ab. Nach dieſer Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehoͤrt. Auch meine gute Mutter, die mich bald hernach auch im Lager bey Maynz beſuchte, er - waͤhnte ſeiner mit keinem Worte: Sie wußte unſer Verhaͤltniß. Es iſt ſehr traurig fuͤr mich, daß ich ſo iſolirt in der Welt ſeyn muß! Doch Tu ne cede inalis, ſed contra audentior ito! Iſt gleich meine ganze Verwandtſchaft, ſo zu ſagen, fuͤr mich wie todt, ſo giebt es doch noch Maͤnner, die es ſchmerzt, wenn mir es uͤbel geht, und die ſich mehr als bruͤderlich freuen wuͤrden, wenn wahres dauerhaftes Gluͤck fuͤr mich noch moͤg - lich waͤre. Das aber iſt immer Troſt fuͤr mich, und erleichtert mir die kummervollen Augenblicke, welche mir die Betrachtung meiner Schickſale und meiner verduͤſternden Verirrungen verurſacht, und welche weit haͤufiger ſeyn wuͤrden, wenn ich nicht mit Fleiß, und ſo gut es gehen will, alle, leider, nichts fruchtende Betrachtungen entfernte, wodurch die Seele nur kraͤnker wird. Ich habe durch vieler - ley Zufaͤlle, die mich betroffen haben, und in ſehrDritter Theil. Aa370verſchiednen Lagen, doch ſo viel gelernt, daß der Menſch nimmermehr ganz ungluͤcklich iſt, wenn er nur nicht ſelbſt den Urſachen des ihn druͤcken - den Uebels nachſpuͤhrt. Denn finden wir die Ur - ſache davon in uns, ſo werden wir nothwendig mit uns ſelbſt unzufrieden, und dann gute Nacht Ru - he auf geraume Zeit: finden wir ſie an Andern, ſo fuͤllt ſich unſer Herz mit Zorn, Rachgierde und an - dern unangenehmen Gefuͤhlen, und wir ſind eben - falls ungluͤcklich. Dieß iſt eine von meinen[e - bens-Maximen], die freilich ihr Schiefes hat und etwas egoiſtiſch iſt; aber der Gerade geht ohne Kruͤcken, und nur der Beinbruͤchige bedarf ihrer, um durchzukommen, ſo gut es geht. Genug, fuͤr Patienten von meiner Art hatte jener wohl recht, welcher ſagte:

Ich hab mein 'Sach auf Nichts geſtellt; Drum kann mir's auch nicht fehlen.

In der Folge mehr uͤber dieſen Gegenſtand.

Die preußiſche, ſonſt ſo hochberuͤhmte, Genauig - keit im Dienſte hat bey Maynz ein gewaltiges Ar - gument gegen ſich bekommen durch den Ueberfall bey Marienborn. Die Sache iſt bekannt; alſo nur einige Bemerkungen!

Da das ganze Feld von Maynz bis an Marien - born voll hohes Getraides war, und da folglich Spionen, ohne bemerkt zu werden, ganz nahe her -371 anſchleichen konnten, ſo haͤtte man ſowohl am Tage als beſonders bey der Nacht, vom Chauſſee-Hauſe an bis nach Bretzenheim eine ſtarke Wachtlinie zie - hen ſollen, und daſelbſt fleißig patrouilliren. Aber freilich, man fuͤrchtete keinen Ausfall, und zog daher auch ſogar ein Piket, welches gleich von An - fang der Blokade in die Kapelle zwiſchen Marien - born und Bretzenheim geſtellt war, als unnoͤthig und uͤberfluͤßig ein. Jederman, der von dieſem Ueberfall gehoͤrig unterrichtet iſt, und nur einige taktiſche Kenntniſſe hat, muß geſtehen, daß dabey von unſrer Seite eine arge Nachlaͤßigkeit begangen iſt, wenn man auch annimmt, daß man ſich durch keine Art von Furcht von der Sicherheit abbringen ließ, worin man in Abſicht der Franzoſen und ih - rer Thaͤtigkeit ſtand. Denn Furcht und Wachſam - keit iſt im Kriege, zumal bey einer Belagerung, die Mutter der Sicherheit fuͤr ſich und ſeine Plane. Um dieſen Fehler von uns abzuwaͤlzen, heißt es im I. B. des Magazius der neueſten Kriegsbe - gebenheiten S. 60: Der kommandirende Gene - ral, Graf von Kalkreuth befahl, daß eine verhaͤltnißmaͤßige Anzahl Bauren in dieſer Nacht vorangehen und das Getraide abmaͤhen ſollten; den Kavallerie-Feldwachten wurde ſogleich ange - deutet, dieſe Leute ohne Geraͤuſch paß〈…〉〈…〉 und repaſ - ſiren zu laſſen, damit kein feindliches Feuer NB! auf372 ſie gezogen wuͤrde. Die feindlichen Kolonnen (wel - che zum Ausfall beſtimmt waren) wurden nun bey finſtrer Nacht fuͤr dieſe Arbeiter gehalten, und ſo gelang es ihnen, unſere aͤußere Vorpoſten unentdeckt zu paſſiren.

Jederman ſieht, daß hier ein Galimathias geſchrieben iſt: Denn wenn Kalkreuth wollte, daß Bauren das Getraide abmaͤhen ſollten: ſo hat er fuͤr dieſe Bauren gewiß auch eine militaͤriſche Bedeckung verordnet: denn auch auf ſie mußte Acht gegeben werden, damit keiner von ihnen, oder nicht jemand anders als Spion durch und in die Feſtung hereinſchliche. Dieſe Bedeckung blieb dann gewiß in der Naͤhe der Bauren, und war al - ſo im Stande, heranſchleichende feindliche Kolon - nen von ihnen zu unterſcheiden, und auf den er - ſten Anblick alles zu allarmiren. Ließ man aber die Bauren ohne alle Bedeckung hinziehen, ſo war das ein neuer Fehler, der den andern ſo wenig ent - ſchuldiget, daß er ihn vielmehr verdoppele.

Die Vorpoſten ſahen die Franzoſen auch nicht fuͤr Bauren an, ſondern fuͤr Soldaten, aber fuͤr Freunde, weil ſie NB! das Feldgeſchrey wußten, und es ordentlich angaben. Die Franzoſen ſind daher auch bis in Marienborn vorgedrungen, ohne daß man ihrer gewahr wurde; und wenn ſie nur nicht ſo voreilig geweſen waͤren, ſo haͤtten ſie〈…〉〈…〉,373 als man wohl denken moͤgte, ihr Vorhaben ausfuͤh - ren, und die Generale, Kalkreuth, Wolff - ramsdorf und Mannſtein, nebſt dem Prin - zen Louis, aufheben koͤnnen. Laßt uns doch lieber geſtehen, daß wir auch Menſchen waren, und hier einen recht derben militaͤriſchen Schnitzer gemacht haben. Ich mag den aͤrgerlichen Vorfall nicht weiter analyſiren. In allen Kriegen ſind aͤhn - liche vorgefallen, und die groͤßten Helden aller Zeiten waren von ſolchen Fehlern nicht frey. Uebri - gens hat man die Wichtigkeit dieſes Ueberfalls da - durch zu verringern geſucht, daß man unſern Ver - luſt, der doch immer betraͤchtlich war, als ganz unbedeutend angab.

Der bey dieſem Vorgang von den Franzoſen als Wegweiſer gebrauchte Gerichtsſchreiber Lutze von Oberolm wurde aufgefangen, und einige Tage nachher am Chauſſeehauſe aufgeknuͤpft. Er ging mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit zum Tode, und ſchlng den Beyſtand des katholiſchen Pfarrers von Oberolm aus. Merlin hatte ihn mit Gewalt zum Wegweiſen gezwungen, wie dieß nachher ſelbſt mehrere Franzoſen ausſagten: und doch henkte man ihn als Spion! Die Franzoſen in Maynz haͤtten ſich in dieſer Ruͤckſicht raͤchen koͤnnen, aber ſie handelten menſchlich. Sie hatten einen Main - zer Profeſſor, der, wie ich meyne, Schaber374 hieß, als wirklichen Spion ertappt, und doch ſteck - ten ſie ihn blos ein, um ſich vor ihm, waͤhrend der Belagerung, zu ſichern. Er ſaß uͤberdieß ſo leidlich, daß er, waͤhrend er ſaß, ſo ein Ding von Tagebuch uͤber die Mainzer Belagerung ſchrieb, und es nachher, nach der Uebergabe herausgab. Indeß wie die Henne, ſo das Ey elend! Der arme Lutze hinterließ eine Frau mit fuͤnf Kin - dern.

Unſere militaͤriſche Strenge hielt aber nicht uͤberall gleichen Schritt: denn als ein gewiſſer Leutnant auf dem rechten Rheinufer, wohin er auf die Maynſpitze kommandirt war, das Ungluͤck hatte, daß die Franzoſen ihn in einer Redoute uͤberfielen, und die Kanonen vernagelten, nachdem ſie die Beſatzung theils getoͤdtet, theils verjagt hatten, und als man dieſen Ueberfall dem Leut - nant vorzuͤglich Schuld gab, weil man einſah, daß bey groͤßerer Wachſamkeit dergleichen ſo leicht nicht haͤtte geſchehen koͤnnen denn die Preußen merkten die Franzoſen nicht eher, als bis dieſe ſchon voͤllig in der Schanze waren ſo wurde er deswegen nur mit vier Wochen Arreſt beſtraft! Eben dieſer Herr Leutnant erhielt hernach, als er bey einer ganz unbedeutenden Gelegenheit ſeine un - bedeutende Schuldigkeit nicht ganz verſaͤumte, den preußiſchen Orden pour le mérite, der freilich mul -375 titudine compotum laude fruſtratur, wie Livius uͤber die ſpolia opima ſich ausdruͤckt.

Weil ich doch hier von Orden rede, ſo will ich zugleich der Medaillons gedenken, welche bey Maynz anfingen ausgetheilt zu werden. Es wa - ren goldene und ſilberne Denkmuͤnzen, mit der Aufſchrift: Verdienſt um den Staat, und ſollten jenen Unteroffizieren und Soldaten zu Theil werden, welche ſich beſonders auszeichnen wuͤrden. Die Oeſtreicher hatten ſchon ſeit dem Tuͤrkenkriege, wo Kaiſer Joſeph II. das Ding aufbrachte, der - gleichen Medaillen, aber mit vermehrtem Trakta - ment: allein bey den Preußen bleibt ein ſo bezier - ter Achtgroſchen-Mann, wie einſt ein Soldat ſich daruͤber ausdruͤckte, immer ein Achtgroſchen-Mann wie vorher: da ſoll blos die Ehre gelten, und das Verdienſt belohnen.

Ueberhaupt haben dieſe Medaillons wenig ge - nuzt, aber durch erregte Eiferſucht und Uneinig - keit deſto mehr geſchadet. Es war dieſes ganz na - tuͤrlich. Mancher oder vielmehr die meiſten erhiel - ten die Medaillen aus Gunſt; weil ſie bey den Of - fizieren gut ſtunden, ihnen kalefakterten, u. dgl. wie der Majors-Bediente, der bald nachher doch zum Henker lief. Dieſer Umſtand brachte indeß ſo viel zu Wege, daß die bemedaillirten Burſche von den Uebrigen verachtet und gehaßt wurden. 376Man gab dem Dinge ſogar allerhand unedle Bey - namen; und noch jezt in Halle mokiren ſich ſogar die Soldatenweiber daruͤber. So hoͤrte ich noch neulich eine zu ihrem Kinde auf dem Arme ſagen, als gerade ein Bemedaillirter ihr voruͤber ging: Sieh Frizchen, auch ein Kamerad mit einem Pfennig zur Semmel!

In Frankreich gab man ehedem das Zeichen des langen Dienſtes, und das war mit gewiſſen Vortheilen verknuͤpft. Ein ſolcher Ancien militaire denn ſo hießen die mit dem Zeichen beehrten Sol - daten durfte mit dem Stock nicht mehr geſchla - gen werden, ſo ſehr dieſes damals auch noch bey den Franzoſen graſſirte. Aber bey den Preußen ſah ich Einige, troz ihrem ſilbernen Medaillon, dennoch tuͤchtig durchpruͤgeln: ſogar Unteroffiziere mit dem goldnen Pfennig erhielten nach Umſtaͤnden ihre derben Fuchtel. Der Orden pour le mérite und das Medaillon ſind demnach keinesweges Be - weis, daß der, welcher ſie traͤgt, wirklich Ver - dienſt beſitze: ſie zeigen blos an, daß er, wer weiß wodurch, die Gunſt ſeiner Vorgeſezten gehabt ha - be. Auch will Mancher von dieſen durch den Schimmer ſeiner Untergebnen ſelbſt gern mitſchim - mern.

Lange hatte unſer Bataillon auf der linken Rheinſeite geſtanden; und ruͤckte den 17ten Jun377 auf die andre Seite ins Lager ohnweit Biſchofs - heim, wo der damalige Oberſte von Ruͤchel das Oberkommando hatte. Hier war unſer Dienſt weit ſchwerer und gefaͤhrlicher, als auf der linken Seite. Doch, ich wuͤrde wohl unrecht thun, wenn ich die Vorfaͤlle alle erzaͤhlen wollte, von welchen ich hier Augenzeuge geweſen bin. Leſer vom kriegeriſchen Handwerk moͤgen das alles anderswo ſuchen; und die uͤbrigen werden ſich mit dem begnuͤgen, was ich der allgemeinen Aufmerkſamkeit werth halte. Eine vollſtaͤndige, aber unpartheyiſche Beſchrei - bung der Maynzer Belagerung haben wir ohnehin wohl ſchwerlich je zu erwarten. Ich ſprach noch im verwichnen Sommer mit einem Ingenieur-Offizier der Oeſtreicher, und dieſer Mann, welcher mir Kenner zu ſeyn ſchien, verſicherte mich, daß auch aus der allergenaueſten Angabe aller Operationen gegen Maynz wenig zu lernen, und noch weniger Ehre zu ernten ſey: denn es ſeyen unzaͤhlige Fehler vorgefallen, welche bey andern Gelegenheiten ſehr viel Ungluͤck uͤber die Belagerer haͤtten bringen koͤn - nen u. ſ. w. Ganz Unrecht ſchien mir der Inge - nieur nicht zu haben: denn wenn ich ſo uͤberlege, wie man gegen die Feſtung verfuhr, ſo duͤnkt mich ſelbſt, daß man manche mislungne Verſuche haͤtte ausfuͤhren koͤnnen, wenn man die Sache ſelbſt nur beſſer eingeleitet haͤtte.

378

Man wollte z. B. einmal ein tranchée eroͤffnen, woruͤber ein emigrirter Ingenieur die Aufſicht hatte. Man beorderte eine gewaltige Menge Arbeiter, und eine eben ſo ſtarke Bedeckung, hatte aber ſo elende Anſtalten zur Verſammlung der Arbeiter ge - troffen, daß die kaiſerliche Bedeckung die Preußi - ſche fuͤr Franzoſen in der finſtern Nacht anſah, und auf ſie feuerte. Die Preußen erwiederten das Feuer, und die Franzoſen, dadurch aufmerkſam gemacht, begruͤßten beyde mit Kartaͤtſchen und kleinen Kugeln. Hiedurch ward die Verwirrung allgemein: die Arbeiter ſchmiſſen das Schanzzeug, und die Burſche die Gewehre weg; viele verloren Hut und Saͤbel, und alles lief, um ſich zu retten. Fruͤh holten die Franzoſen das deutſche Schanz - zeug, und die weggeworfnen Flinten und Patron - taſchen. Dergleichen Dinge ſind mehrmals vor - gefallen.

379

Drey und dreyßigſtes Kapitel.

Noch uͤber die Maynzer Belagerung.

Wir hatten unter andern ſchlimmen Poſten auch die ſogenannte Leimgrube, dicht an einer Rhein - inſel, zu beſetzen Dieſe Grube wurde von unſern Leuten bald die Mordgrube genannt, weil alle Ta - ge Mehrere daſelbſt erſchoſſen wurden: denn auf der Inſel, welche nur durch einen ſchmalen Kanal davon getrennt war, ſtunden die Franzoſen, und ſobald ſich nur einer von uns uͤber den aufgeworf - nen Damm mit dem Kopfe erhob, ſchoſſen ſie ſo gewiß, daß ſie ihm allemal das Hirn zerſchmet - terten. In dieſem Mordloch liegen viele von den Unſrigen begraben: von unſerm Bataillon allein buͤßten mehr als 30 Mann ihr Leben da ein.

Die Franzoſen waren, wie geſagt, nur durch einen ſchmalen Kanal von unſerm Poſten getrennt, und ſonach konnte man gegenſeitig alles hoͤren, was auf dieſer oder jener Seite geſprochen wurde, wenn man nur vernehmlich ſprach. Merkten nun die Deutſchen, daß auch Deutſche unter den Franzoſen waren, ſo gieng ſofort das Geſchimpfe an, wel - ches zuweilen viele Stunden immer im naͤmlichen380 Tone fortgieng, endlich bloß zum Spaße. Ich will fuͤr gewiſſe Leſer einen ſolchen Schimpfdialog hier anfuͤhren, nur um zu zeigen, daß auch die kuͤhnſten Ideen ohne Wirkung bleiben, ſobald ſie familiaͤr werden, zumal Ideen vom Feinde.

Preuße. Hoͤr du, ſakkermentſcher Patriot, wirſt du bald die Schwerenoth kriegen?

Franzoſe. Elender Tyrannenknecht, ſag, wird dich dein Korporal bald lahm oder todtpruͤ - geln muͤſſen?

Pr. Du verfluchter Koͤnigsmoͤrder!

Fr. Du niedertraͤchtiger Sklav!

Pr. Ihr Spizbuben habt euren Koͤnig ermor - det, und dafuͤr muͤßt ihr alle zum Teufel fahren.

Fr. Wenn ihr keine Hunzfoͤtter waͤret, ſo wuͤrdet ihr es allen Tyrannen eben ſo machen! Wenn ihr das thaͤtet, ſo waͤret ihr noch Menſchen, ſo aber ſeyd ihr Tyrannenſklaven, und verdient alle Pruͤgel, die ihr bekommt.

Pr. Ihr habt noch alle eure Strafe vor euch. Die ganze Chriſtenheit wird euch angreifen, und eure gottloſe Thaten beſtrafen.

Fr. Laß ſie doch kommen, die ganze Chri - ſtenheit mit dem ganzen Heer des Teufels und mit der Armee des Erzengels Michael: wir fuͤrchten uns nicht!

381

Pr. Aber Maynz muͤßt ihr hergeben: das ſoll euch der Teufel nicht danken.

Fr. Laß auch Maynz zum Teufel fahren: glaubt ihr denn, wir ſcheeren uns um ſo ein Ra - ckerneſt, wie Maynz iſt? Da ſteckt noch alles voll Pfafferey und Adel. Aber ſo leicht ſollt ihrs doch noch nicht kriegen.

Pr. Wenn ihr nur euren Koͤnig nicht umge - bracht haͤttet

Fr. Kamerad, ſey kein Narr! Es iſt nun ein - mal ſo, und weils einmal ſo iſt, daß wir keinen Koͤnig mehr haben, ſo wollen wir auch dafuͤr ſor - gen, daß weder euer Koͤnig, noch der Kaiſer, noch der Teufel uns einen wieder geben ſoll.

Pr. Aber wo kein Koͤnig iſt, da ſind auch keine Soldaten

Fr. O du armer Kerl du, wie raͤſonnirſt du ſo dumm! Ja freilich, ſolche Soldaten giebt es dann nicht, wie du und deines Gleichen. Ihr ſeyd Sklaven, leibeigne Knechte, die einen Tyran - nen uͤber ſich haben muͤſſen, der ihnen kaum halb ſatt zu eſſen giebt, und ſie pruͤgeln, ſpiesruthen - laufen und krummſchließen laͤßt, wenns ihm ein - faͤllt. Solche Soldaten ſind wir nicht; wir ſind freye Leute, republikaniſche Krieger.

Pr. Das iſt aber bey uns anders; wir haben einen Herrn, dem wir gehorchen muͤſſen.

382

Fr. Weil ihr gehorchen wollt. u. ſ. w.

Solche Geſpraͤche fielen oft zwiſchen unſern Leuten und den Deutſchen unter den Franzoſen vor, und man hatte ſeinen Spaß daran und lachte dar - uͤber. Aehnliche und noch derbere Ausdruͤcke uͤber Tyrannen und Tyrannenſklaven u. dgl. haben uns unſre Zeitungsſchreiber, Journaliſten und andere Zeitſchriftſteller in ihren Auszuͤgen aus den Volks - und Conventsverhandlungen der Franzoſen, wie auch aus den Invectiven der engliſchen Oppoſitions - parthey aufgehoben: und was hats geſchadet! Der Menſch, im Durchſchnitt, iſt eine paſſive Ge - wohnheitsmaſchine, der endlich ſo lange es ihm bey heiler Haut nur halbweg ertraͤglich geht ſich an Mordſcenen und den Zeitungsberichten daruͤber gewoͤhnt, ohne davon nur noch menſchlich geruͤhrt zu werden: warum denn nicht auch an Schimpfen und Brandmarken! Man muß die Menſchen gar wenig kennen, wenn man glaubt, daß Schrift - ſteller auf ſie bis zum Aufſtand wirken koͤnnen: dieß iſt nur der Erfolg von dem Harpienſyſtem der Fuͤr - ſten oder ihrer Finanzminiſter. Eberhard und Tieftrunk haben recht, wenn ſie ſagen: Fuͤrſten ſeyd gerecht: und eure Throne ſtehen unerſchuͤt - terlich!

Wie geſagt, unſre Soldaten lachten uͤber die Invectiven der Franzoſen, und reizten ſie oft dazu,383 blos nur zum Spaß. Als endlich die oͤftere Wie - derholung das Intereſſe daran ſchwaͤchte, wurden ſie gegenſeitig ſanfter, und nannten ſich zulezt gar Kamerad oder Bruder. Sie machten oft ſogar Kartel unter ſich, verſprachen, ſich nicht zu ſchie - ßen, und traten ſodann auf die Verſchanzung, wo ſie ſich ganz freundſchaftlich mit einander unter - hielten.

Einmal hatte ein Soldat von unſerm Regiment mit den Franzoſen auf der Inſel, auch auf die er - waͤhnte Art, Kartel gemacht. Waͤhrend deſſelben ſtellten wir den Weg durch das Waſſer wieder her, der ganz unbrauchbar geworden war, und die Fran - zoſen brachen ihr Wort nicht, ſondern ließen uns unter ihren Augen den Weg ohne Hinderniß aus - beſſern.

Hr. von Ruͤchel verſprach einmal einem Bur - ſchen einen Thaler, wenn er den Franzoſen, nach Koſtheim zu, den bloßen Hintern weiſen wollte. Herr von Ruͤchel war damals von Wein etwas beſcheniert. Der Burſche ſagte ganz kalt: Gern verdiente ich den Thaler: aber es ſchickt ſich doch nicht, den Feind ſo zu behandeln. Herr von Ruͤchel, ſtatt das zu fuͤhlen, ſuchte fluchs einen andern, welcher fuͤr den Thaler, den Hintern ent - bloͤßen, ihn den Franzoſen hinweiſen, und dazu rufen mußte: Hier leckt mich im A , ihr hunz -384 foͤttiſchen Patrioten! kommt her, leckt! Von dieſem unanſtaͤndigen Verfahren hat man ſogar in Frankreich geſprochen. Auch iſt es richtig, daß man durch dergleichen mehr ſich als den Feind be - ſchimpft.

Anekdoten von dieſer und weit aͤrgerer Art wer - den wir gewiß bald aus Frankreich mehr als zuviel erhalten. Ich weiß, daß Franzoſen bey der Rhein - armee ſich ein eignes Geſchaͤft daraus gemacht haben, ſich allenthalben nach dem Betragen der Oeſtreicher und der Preußen zu erkundigen, und in ein eignes Buch das einzutragen, was zur Charakteriſtik von beyden dient. Ich habe ein Buch dieſer Art in Haͤnden gehabt; und koͤmmt es heraus: wehe Manchem!

Unter andern mislungenen Verſuchen auf die Feſtung war auch die Errichtung gewiſſer ſchwim - mender Batterien, wozu, ich weiß nicht, welcher unerfahrne Menſch, den Anſchlag gegeben hatte. Selbſt unſre Offiziere erklaͤrten das ganze Unter - nehmen fuͤr ein unausfuͤhrliches Hirngeſpinſt: allein einige Herren waren davon eingenommen (embêtés wuͤrde ich auf franzoͤſiſch ſagen) und es mußte we - nigſtens ins Werk geſezt werden. Aber leider, es gieng ſchief: das ganze Ding fuhr den Rhein hin - ab, und wurde von den Franzoſen an der Bruͤcke aufgefangen. Sechs und ſiebzig Mann und meh -385 rere Offiziere wurden gefangen. Die Franzoſen behandelten alle recht artig, nahmen ihnen nichts, als ihre Waffen, ließen aber den Offizieren die Degen, und nachdem ſie alle gut bewirthet hatten, brachten ſie dieſelben den andern Tag wieder zu den Preußen. Ein Offizier von uns wollte, daß man die franzoͤſiſchen Soldaten, welche die gefangnen Preußen aus der Feſtung gebracht hatten, behal - ten und zu Kriegsgefangnen machen moͤgte: aber der brave General Kalkreuth widerſezte ſich die - ſem undankbaren und aͤußerſt unanſtaͤndigen Vor - ſchlag.

Ehe ich meine Erzaͤhlung von der Maynzer Be - lagerung ſchließe, muß ich noch etwas von der Huren - wirthſchaft im Lager anfuͤhren. Daß dahin von allen Orten her feile Dirnen heranſchlichen, ver - ſteht ſich von ſelbſt: das iſt in den Standlagern nicht anders. Schon zur Zeit des dreyßigjaͤhrigen Krieges ſagte jemand:

Commoda germanis ſcortorum copia caſtris Praebet militibus gaudia clara piis. *)Pius und dumm galt dem Dichter damals, in Beziehung auf die Deutſchen, fuͤr eins. Er macht ihnen Vorwuͤrfe, daß ſie den damaligen Krieg gegen ihr eignes Intereſſe haͤtten fuͤh - ren helfen, und ſagt, um ihr inkonſiſtentes und paſſives We - ſen bildlich zu ruͤgen: Ducimur ut nervis alienis mobile lignum.
Dritter Theil. Bb386

Eben ſo war es in dieſem Kriege bey Maynz. Bey unſerm Regimente gab es eine ordentliche Huren - wirthſchaft, das heißt, ein ordentliches Bordelzelt, worin ſich vier Dirnen aufhielten, welche, um doch einen Vorwand zu haben, Kaffee ſchenkten, und dann jedem zu Dienſte waren. Sie hatten ſich foͤrmlich taxirt, und

Lieschen, die ſchoͤnſte, galt 45 Kreuzer, Hannchen 24 Baͤrbelchen 12 Die alte Katherine 8

Ein Pfaffe aus der dortigen Gegend beſuchte mich eines Tages, und da ich von ſeiner Orthodoxie uͤberzeugt war, ſo wollte ich doch auch eine Probe machen, ob er das donum continentiae haͤtte. Ich fuͤhrte ihn alſo ins Bordelzelt, und wir fingen an*)Von den Deutſchen zu unſrer Zeit heißt es im III. St. des Neuen grauen Ungeheuers S. 129: Hoher Sinn und Freyheit liegen nicht in unſerm Charakter, wohl aber kleinliche Schmeicheley und niedrige Rachſucht. Der Deutſche iſt uͤberall veraͤchtlich geworden: der Franzoſe nennt ihn lourd Allemand, der Englaͤnder German dogg, der Ruſſe Iwan Iwanowitſch, und der Italiaͤner hat eine laͤcherliche Ma[r]ke, die il Tedesco heißt. Warum? weil in allen dieſen Laͤndern der Deutſche ſich zu jedem Geſchaͤfte brauchen ließ, wozu auch der unehrlichſte Eingebohrne zuviel Ehre hatte. Alle Voͤlker haben etwas fuͤr die Freyheit ge - than, nur der Deutſche nicht: im Gegentheil, wo es auf Un - terdruͤckung ausging, waren deutſche Lohnknechte die Werk - zeuge in Amerika, u. ſ. w.387 zu zechen. Nachdem ſein Kopf nur etwas heroiſch geworden war, ward ſchoͤn Lieschen ſeine einzige Unterhaltung: er ſchaͤkerte mit ihr auf die unan - ſtaͤndigſte Art in Beyſeyn der Soldaten, welche ſich uͤber den unverſchaͤmten Pfaffen theils aͤrger - ten, theils freuten. Endlich ging er fort, und Lieschen folgte ihm ins nahe Getraide. Da hatt 'ich denn neuen Zunder fuͤr meinen Haß gegen die gleisneriſche Froͤmmigkeit aller orthodoxen Pfaffen, welche, wenn ſie die Orthodoxie nicht erheucheln, meiſt durch die Bank eben ſo große Ignoranten, als Suͤnder ſind, nur daß ſie den Schein ſcheinheiliger vermeiden.

Loripedem rectus derideat, aethiopem albus: Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes!

Unſer Oberſte, der Herr von Hunt, machte endlich dem Skandal des Bordelzeltes ein Ende, und jagte die Menſcher fort: ſie zogen darauf zu den Saͤchſiſchen Dragonern, wo ſie ihr Weſen weiter trieben. Bey den andern Regimentern wa - ren die Bordelzelte nicht minder. Ich war, damit ich doch auch wieder etwas von mir erzaͤhle, die ganze Zeit der Maynzer Belagerung uͤber munter und geſund, und freute mich meines Daſeyns erſt recht, als ich ſah, daß unſere Leute die Franzoſen von Tag zu Tag naͤher kennen und hoͤher achten lernten. Meine Zeit, die ich vom Dienſte uͤbrig388 hatte, vertrieb ich mit Buͤcherleſen und in der Ge - ſellſchaft meiner Freunde, deren ich eine Legion in jener Gegend habe. Alle Tage hatte ich Zuſpruch, aber nicht allemal war mir der Zuſpruch erfreulich. Viele kamen nur aus Neugierde, um den Kerl zu ſehen, welcher ſo mancherley Ebentheur beſtanden hatte. Solche Menſchen ſind wirklich unertraͤglich, aber ich wußte auch allemal ihre Neugierde mit Sarkasmen abzuſpeiſen: mit Pfaffen ſprach ich von der Pfafferey nach meiner Art; mit Juriſten kommendirte ich uͤber die Hure Jurisprudenz, und den Medizinern erklaͤrte ich das goldne Spruͤch - lein:

Qui quondam medicus, nunc eſt veſpillo
Diaules;
Quod veſpillo facit, fecerat id medicus.

Hiedurch ſcheuchte ich die Eulen von mir. Aber allemal war mir es herzlich lieb, wenn ich ſo ei - nen alten ehrlichen Bruder wieder zu ſehen bekam, wie z. B. Herrn Stuber von Koͤnigsſtetten. Das Schickſal dieſes Mannes geht mir noch jezt ſehr nahe. Seine Frau naͤmlich ward, wie er mir im Sommer 1795, als ich bey den Schwaben Korporal war, ſchrieb, wegen der Buͤbereyen und Bedruͤckungen der Kaiſerlichen tiefſinnig. Das mag doch ein großes, großes Elend ſeyn!

389

Leſer, welche hier einige Bemerkungen uͤber die endlich erfolgte Uebergabe der Feſtung Maynz an die Preußen, uͤber das Benehmen des Repraͤ - ſentanten Merlin von Thionville und des Gene - rals d'Oyré u. ſ. w. erwarten, koͤnnen ſie finden in den Briefen eines preußiſchen Augenzeugen uͤber den Feldzug des Herzogs von Braunſchweig gegen die Neufranken; und in dieſen vorzuͤglich: denn was die andern Herren uͤber dieſen Punkt geſagt haben, iſt, ſo weit ich ihre Schreiberey bis jezt kenne, ſchief und partheiiſch.

Genug, Maynz wurde den 23ten Jul 1793 an die Deutſchen uͤbergeben; aber, wahrlich, dieſe Uebergabe war nicht ſo ſehr die Folge der Deut - ſchen Tapferkeit, oder der Noth der Franzoſen; als vielmehr Folge gewiſſer geheimer Unterhand - lungen, bey denen Merlin vorzuͤglich intereſſirt war. Das Geſetz ſeiner Republik erlaubt erſt dann die Uebergabe einer Feſtung, wenn es ihr an den Lebensmitteln mangelt, oder wenn der Feind eine brauchbare Breſche geſchoſſen hat. Keins von bey - den war in Maynz der Fall, und doch ließ Mer - lin es fahren. Merlin hatte alſo offenbar ge - gen das Geſetz geſuͤndiget; und daher nachher ſeine Schwindeley und Luͤgen in ſeinen Berichten uͤber Maynzens Uebergabe; daher das Entfernthalten der militaͤriſchen Geißeln, d'Oyré, Duͤpont390 und anderer, wie auch der buͤrgerlichen Geißel, oder der Klubbiſten, welchen leztern er den ſo feier - lich verſprochnen Nationalſchutz nicht einmal in der Kapitulation foͤrmlich bewirkt hatte, und dieß, um ſich gegen ihre Beſchwerden uͤber ſeine Unterſchleife, geheime Unterhandlungen u. dgl. vor Robespierre zu ſichern. Es wird bald die Zeit kommen, wo wir uͤber alles das naͤhern Aufſchluß nach Belegen erhalten werden: ich weiß das gewiß, und gehe darum weiter.

Man hatte unter den Preußen ausgeſprengt, daß die Eroberung von Maynz die lezte That dieſer Armee ſeyn ſollte. Ich glaubte das nicht, und zog mir durch meine Remonſtrationen, wie ge - woͤhnlich, allerley Vorwuͤrfe und Verdruß zu. Eben ſo viel Verdruß machten mir meine Kritiken uͤber eine gewiſſe poetiſche Sudeley, Preußiſche Bravourlieder oder Bravourgeſaͤnge genannt: ich glaube, der Verfaſſer hieß Reichard. Dummeres Zeug kann man ſchwerlich je finden: das ganze Ding war eine jaͤmmerliche Dichterey von Schimpfwoͤrtern und Drohungen uͤber und an die Franzoſen. Der Autor hatte mehrere Exemplare an unſre Offiziere geſchickt, mit der Bitte, das Sudelzeug zur Aufmunterung und A〈…〉〈…〉 zung des Muths gegen den Feind herum zu geben. Ich ſahe dem elenden Wiſch, der ohngefaͤhr das in Ver -391 ſen war, was Goͤchhauſens Wiſche in Proſa ſind, bald, wie man ſpricht, auf den Magen, und kri - tiſirte es derb. Da hieß es denn: ja, ſo machts Laukhard! u. ſ. w. Aber zum guten Gluͤck, wie Laukhard es hier machte, machten es alle Kluge.

Wie barbariſch man die Klubbiſten behandelt habe, gleich nach unſrer Ankunft in die Rheinge - genden, davon ſprach ich oben. Mich grauet noch immer bey jedem Andenken an dieſen Adels - Pfaf - fen - und Soldaten-Robespierismus in Deutſch - land. Wer die Kannibaliſchen Graͤuelſcenen, die dabey vorfielen, naͤher betrachten will, findet ſie in den erſten Kapiteln der Ruͤckerinnerungen auf einer Reiſe durch einen Theil von Deutſchland in dem zweyten Stuͤck des Neuen grauen Ungeheuers, und in den Bittſchriften im I. B. von den Annalen der leidenden Menſch - heit.

Daß es unter dieſen Ungluͤcklichen Maͤnner gab, wie vorzeiten Griechenland und Rom ſie zur allge - meinen Bewunderung aufſtellte, und daß es ihnen nicht an Muth fehlte, ihre und aller Menſchen Rechte ungeſcheut, auch vor einer Regierung, in deren grauſender Gewalt ſie waren, laut zu be - haupten, zeigen folgende Belege. *)Jede Regierung, welche die Gerechtigkeit gerecht verwaltet, darf die Publicitaͤt und folglich die Aushebung und Mitthei -

392

I. An die Kurfuͤrſtl. Maynziſche Regierung in Erfurt.

Wahrheit gegen Freund und Feind! (Schiller. )

Daß unſere, bey verſchiedenen Gelegenheiten einer hohen Kommiſſion gegen das Benehmen des Hn. Generals und hieſigen Feſtungskommandan -*)lung wichtiger Aktenſtuͤcke nicht ſcheuen. Geſchieht ihr zu - viel: wohlan das Publikum hat auch Augen und Ohren fuͤr ſie. Auch der groͤßte Boͤſewicht ſteht unter dem Schutz der Ge - ſetze; und wer Recht und Unrecht nach Rachſucht und Laune behandelt, verdient keine Schonung. Dadurch hat der Un - recht-L[ei]dende, nach den Geſetzen des natuͤrlichen Rechts - und Billigkeitsgefuͤhls uns gleich auf ſeiner Seite. Smith be - weißt es in ſeiner Theorie der moraliſchen Empfindungen, und Home in ſeinen Grundſaͤtzen der Kritik. Warum ſteht man beym Behandeln der Menſchen auch nach buͤrgerlichen Geſetzen, uͤberhaupt ſo wenig auf die natuͤrlichen! Dadurch verliehrt man auch bey der anſcheinendgerechteſten Sache den Beyfall der[B]illigen, und emport: und eben dieß hat mir dieſe Belege verſchafft. Daß ſie durch keine gemeinen Haͤnde gegangen ſind, geben die Umſtaͤnde. Die Zeit wird mehr leh - ren. Ulvian rieth nicht umſonſt, lieber zehn Schuldige zu entſchuldigen, als einen[Un]ſchuldigen zu verdammen: und was zuviel geſchieht, iſt uͤber die Schuld, und fallt dem Rich - ter anheim. Ueberhaupt frage ich mir: handelte die Main - zer und Trieriſche Regierung klug, daß ſie in ihrer eignen Sa - che ſolche und ſoviel Bloͤßen gab, oder geben ließ, wie wir hier ſie ſehen? Waͤre es nicht Pflicht fuͤr Recht und Wuͤrde geweſen auch von allen nachtheiligen Folgen ei - ner aufgewiegelten Rachſucht die Gegengei[ß]eln abgeſehn durch das nachherige Benehmen gegen die Klubiſten deren vor - herige Klagen und Sch〈…〉〈…〉 gen uͤber die〈…〉〈…〉 Juſtiz - verfaſſung und Verwaltung[geiſtlichen]〈…〉〈…〉vor dem na -393 ten, Freiherrn von Knorr, in Anſehung unſerer Verwahrung vorgetragene Beſchwerden ſo ganz un - unterſucht, ſo ungeglaubt und ohne Wirkung ſeyn wuͤrden: konnten wir nicht denken, obſchon es be - greiflich iſt, daß Wir gegen einen hieſigen Hn. General kein Recht bekommen koͤnnen: wir wiſſen naͤmlich, daß bey dergleichen Faͤllen die Perſonen, nicht die Sache, in Anſchlag genommen werden, weil es ſo herkoͤmmlich iſt.

*)hen und fernen Publikum zu widerlegen? Hat ſie jezt die Wahrheit dieſer Klagen nicht vielmehr oͤffentlich beſtaͤtigt? Oder haben die geiſtlichen Gerichtsſtellen ein kirchliches und uͤbernatuͤrliches Privilegium, der burgerlichen und natuͤrlichen Gerechtigkeit Hildebrandiſch zu trotzen? Kurz, ich wuͤnſchte, daß irgend ein ſachkundiger Mainzer oder Trierer, zur Ehre der allgemeinen Gerechtigkeit, dieſe Fragen ehrlich, kalt und unpartheyiſch pruͤfe und dadurch das Publikum in den Stand ſetze, ſelbſt zu entſcheiden, auf weſſen Seite hier mehr Wahr - heit und Recht ſey. Sonſt ſind wir befugt zu denken: wer ſchweigt, ſagt, ja! und dann Ach und Wehe uͤber eine Ju - ſtiz, die am Pranger ſtehen bleibt! Dann fragte man noch, wie es kam, daß die Neufranken, troz ihres ſeltſamen Betra - gens, dennoch in dortiger Gegend ſoviel Anhang fanden, und vorzuͤglich unter den dortigen hellen Koͤpfen, die jede Unord - nung um ſo balder wegwuͤnſchen mußten, je lebhafter, druͤ - ckender und entehrender ſie ſie fuhlten, ſowohl fuͤr ſich als fuͤr Andere, und dieß ohne Hoffnung des Beſſerwerdens auf dem Wege Rechtens. Herren, die das nun tadeln, belieben erſt zu uͤberlegen: ob der mehr fehle, der den Grund zu einem Abfall und Aufſtand deſpotiſch le〈…〉〈…〉 t, oder der durch die Folgen dieſes Grundes wie im Strudel mitfortgeriſſen wird, und es fuͤr ſich nicht heilſam oder gar unmoͤglich findet, gegen den Strohm an zu ſchwimmen? Wer ſein Haus vor Brand ſichern will, muß nicht ſelbſt Feuerbraͤnde hineinwerfen, zumal bey vielem und ausgedoͤrrtem Holze nicht. Auch Bienen ha - ben ihre Stachel; und nun ergiebt ſich die Anwendung von ſelbſt.
*)394

Wir ſind auf die ungerechteſte Art arretirt, auf eine unmenſchliche Weiſe und zwar ſo mishandelt worden, wie es in Afrika und bei Oſt - und Weſt - Indiens Wilden zu geſchehen pflegt. Das Alles noch nicht genug! Entweder auf Geheiß oder doch gewiß mit vollem Vorwiſſen einer Maynzer Regie - rung mußten wir (26 Wochen lang) eine Kerker - Einſperrung auf Ehrenbreitſtein ausſtehen, die ſonſt Verbrechern erſter Klaſſe, und in menſchlichen Verfaſſungen nicht einmal zu Theil wird. Von einigen Einzelnen von uns wurde laut und mit ei - nem durch ſolche Grauſamkeit empoͤrten Gefuͤhle, beſtimmt gefodert, daß man uns den Prozeß ma - chen moͤchte, um eines Lebens los zu werden, wel - ches mit jedem Tage haͤrter, ja, ein erneuerter Tod war. Aber keine Antwort, keine Abaͤnde - rung der ſchauderhaften Lage das war die Folge.

Es iſt wahr, daß wir hier (in Erfurt) viel we - niger hart, als auf Ehrenbreitſtein, gehalten wer - den; es iſt aber auch wahr, daß erſt hier wir legal erfuhren, daß wir unter der Rubrik von Franzoͤſiſchen Geißeln verwahrt werden ſollten*)Erſt den 1ten Nov. 1794. Von nun an erhielten ſie taͤglich 6 Groſchen, da ſie vorhin NB! nach Abzug der Aufwartungs - und andern Koſten, taͤglich nur 1 Gr. 9 Pf. erhalten hatten. So ſchwer halt es, Gerechtigkeit und Menſchlichkeit in Pfaf - fen-Staaten zu finden. Wie billig rief Friedrich der395 Wir wiſſen nicht, was fuͤr ein Reglement fuͤr die Be - handlung der Geißeln exiſtire; aber das wiſſen wir, daß ſie nicht als Verbrecher behandelt werden duͤrfen: wir wiſſen, was das Voͤlkerrecht hier feſtſetzet: wir fuͤhlen es leider zu ſehr, daß man es uns hart ent - gelten macht, daß wir Grundſaͤtzen anhiengen, die man unſers Wiſſens mit Grundſaͤtzen noch nicht widerlegt hat nur es uns entſetzlich hart fuͤhlen macht, daß Umſtaͤnde, die Wir nicht herbey - lockten Eroberungen, gemacht von einer Na - tion, die ſelbige bekannte und mit Gut und Blut vertheidigte uns nicht nur zum Bekenntniß ſol - cher Grundſaͤtze auffoderten, ſondern uns ſelbſt noͤthigten, zu deren Ausuͤbung zu ſchreiten, weil wir damals die Auswanderung nicht waͤhlen moch - ten, wenn gleich die Eroberer ſie uns frei ließen. Und warum ließ der Wiedereroberer uns nicht eben das Recht einer freien Auswanderung, das ſonſt in jeder Ruͤckſicht ein Naturrecht iſt, und hier wegen des Reciproken noch viele Billigkeit haͤtte erhalten ſollen.

Daß wir gar kein Verbrechen begangen hatten, indem wir voͤllig geſetzlich und nach der*)Große ein Wehe uͤber ſie aus! Dahlberg, der edle Dahlberg haͤtte gern geholfen; aber es ſtand nicht bey ihm, Menſchen - und Voͤlkerrecht zu ehren.396 Grundverfaſſung Frankreichs gehandelt hatten, das wußten wir; ja, wir wußten es, daß kein unpar - theiiſcher Rechtsgelehrter uns etwas zur Laſt legen wuͤrde, daß ſelbſt mit Recht uns kein Hinderniß zu unſerer etwan zu erfolgenden Auswanderung in den Weg gelegt werden konnte. Allein wir wußten auch, daß bey einer etwan erfolgenden Uebergabe der Feſtung Maynz die kalte, unpartheiiſche und rachloſe Gerechtigkeit uns nicht zu Theil werden wuͤrde. Unter dieſen Umſtaͤnden wurden Geißeln von Maynz Leute, die ſich als Anhaͤnger der vorigen Herrſchaft bekannten nach Frankreich geſchickt, die in allem Betracht, aber auch einzig nur fuͤr die Ungerechtigkeit, die man an uns begehen wuͤrde, haften muͤſſen. Die Franken nahmen die von uns ergriffne, gerechte Maaßregel auf die Geißeln an, und haben ſo Sanction der Sache ge - geben.

Dieſes und das Grundgeſetz ihrer Verfaſſung: daß die ganze Nation die Rechte und Sicher - heit eines jeden ihrer Buͤrger gegen auswaͤrtige Angriffe mit all der Macht vertheidigen werde, die die Nation in Haͤnden hat, laͤßt uns, die wir geſetzlich Buͤrger dieſer Nation ſind, ungezwei - felt hoffen, daß wir einſt die gebuͤhrende Genug - thuung erhalten werden und muͤſſen. Es ſind demnach weit hoͤhere Gruͤnde, als die Gegen -397 geißeln in Frankreich, die uns mit Muth beleben, um ſtandhaft jeder Mißhandlung entgegen zu ſte - hen. Es kommt freilich darauf an, ob die Nation die noͤthige Kraft in Haͤnden behalten wird; ihren gedachten Grundſaͤtzen den Na[c]hdruck zu geben. Sollte dieß nicht der Fall ſeyn: was wohl[m]oͤg - lich, aber nicht ſehr wahrſcheinlich〈…〉〈…〉 ſo〈…〉〈…〉 den wir ein Opfer unſerer Grundſaͤtze w[erd]en〈…〉〈…〉 Und hierin liegt eine Staͤrke, die uͤber Miß〈…〉〈…〉 lungen weit erhebt!

Es wuͤrde ungerechter Vorwurf und daher große Beleidigung ſeyn, wenn wir alles Zutrauen auf Ihre Gerechtigkeits - und Billigkeits-Liebe aufge - ben, und uns den Gedanken erlauben wollten; als wenn Sie den Ausgang[d]es Kriegs zur Norm ge - ſezt haͤtten, wie wir jezt und kuͤnftig behandelt w[e]r - den ſollen: nein, ſo ſpielt man nicht mit Gerech - tigkeit, wenn man uns gleich mehrmale[n]ſagte: wir moͤchten nur nicht vergeſſen, daß der Krieg noch nicht geendigt ſey! wie wenn wir je auf die - ſen Ausgang gepocht haͤtten wie wenn Maͤu - ner keine Staͤrke anderswoher nehmen koͤnnten; als vom Ohngefaͤhr! Wir ſind vielmehr ſehr in die traurige Vermuthung verſezt, und in dieſer be - ſtaͤrkt, daß der gegenwaͤrtige Krieg einem Duelle auf Tod und Leben gleiche, der, leider, vielleicht398 keine zeitliche Auseinanderſetzung vermuthen laͤßt.

Die Hn. Kommiſſarien Strecker und von Piper ſind Zeugen, wie ſich obgedachter Hr. Gene - ral theils bei Gelegenheit des Abnehmens der Bret - ter von zwei Fenſtern, theils bei einer andern Ge - legenheit benahm, damals naͤmlich, als diejeni - gen von uns, welche nach Vorſchrift des Arztes Molken zur Kur tranken, um taͤgliche Bewegung zu dieſem Behufe in freier Luft anſuchten: denn dieſes Anſuchen, auch wiederhohlt, wurde abge - ſchlagen, und ſogar geſagt: Arreſtanten gehoͤre keine Kur: wenn es auf ihn angekommen waͤre, ſo haͤtte er ſie nicht erlaubt. Die Hn. Kommiſ - ſarien wiſſen es, wie unbillig, wie hart, wie un - gerecht, wie allein-machthaberiſch ſich der Hr. General bei der Klagſache Levers darſtellte: dieſe Herren und wir alle wiſſen es, daß der Hr. General mehrmals ſagte: und ich thue es nicht! Es geſchieht nicht, weil Ich nicht will!

Wir ſind weit entfernt, Maaßregeln zu ta - deln oder laͤſtig zu finden, die nicht nur zu unſerer Verwahrhaltung, ſondern auch dazu genommen werden, daß wir keine muͤndliche oder ſchriftliche Unterredung mit hieſigen Einwohnern oder andern Teutſchen, ohne die gehoͤrige Einſchraͤnkung und399 Aufſicht, haben duͤrfen, weil fuͤr den leztern Fall die Klugheit es raͤtht, uns nicht zu trauen und zu befuͤrchten, daß wir noch jezt, wie ehemals unter der Franken-Regierung, unſere Grundſaͤtze laut an Tag geben moͤchten. So willig wir uns Befehlen und Einſchraͤnkungen unterwerfen, die mit der Vernunft und den obigen Zwecken verein - barlich ſind, ſo ſehr fuͤhlen wir die Haͤrte und Un - gerechtigkeit ſolcher Einſchraͤnkungen, die ſichtbar - lich nur zu unſerer Plage und Herabwuͤrdigung da ſind. Das Phyſiſche unſerer Lage iſt in ſehr vie - len Ruͤckſichten hart; und wenn auch Gemuͤthsſtaͤrke alles uͤbertragen macht: ſo kann ſie doch das Ge - fuͤhl der Leiden nicht unterdruͤcken, am wenigſten dann, wenn Willkuͤhr nur ſprechen darf und ein Heer zweckloſer Neckereien auf uns ſtuͤrmt, deren Ende und Zahl nicht abzuſehen iſt, weil Laune keine Graͤnzen hat. Doch zur Sache!

Bei unſrer Ankunft (auf den Petersberg bei Erfurt) wurde eine Separation in verſchiedene Zim - mer und Lagerſtaͤtten mit Einigen von uns gemacht, die nur ihren Grund in der ganz leidenſchaftlichen Empfehlung des Ehrenbreitſteiner Komman - danten hatte. Eben dieſer Empfehlung hatten wir es zu danken, daß wir zu Hirſchfeld, wo uns das hieſige Militaͤr von der Preußiſchen Es - korte uͤbernahm, ein Hundequartier erhielten, das400 wegen ſeiner Enge denn kaum konnten wir auf - recht darin ſtehen, und nur krumm darin liegen ein wahres Marter-Lager war, von außen mit Brettern und Wachen ſo verrammelt und beſezt, als wenn wir Verbrecher von der verworfenſten Klaſſe geweſen waͤren. Auch von daher kam es, daß der hieſige Hr. General eine ſchoͤne Quant[i]taͤt Ketten dem hieſigen Hn. Obriſten von Taufen - berg nach Hirſchfeld mitzunehmen befahl, mit dem Bedeuten, uns ſolche bei dem geringſten Anſtand anlegen zu laſſen. Sehr wahrſcheinlich wuͤrden wir mit einer ſolchen Grauſamkeit heimgeſchickt wor - den ſeyn, wenn nicht der Preußiſche Obriſtleutnant, Hr. von Schwerin, deſſen Andenken wir wegen ſeiner ungeheuchelten Menſchenfreundlichkeit auf immer verehren werden, es nicht hintertrieben haͤtte, durch die Vorſtellung: daß wir Menſchen, vernuͤnftigen Gehorſams gewohnt, aber unge - wohnt einer erniedrigenden Behandlung waͤren. Selbſt dieſer Herr von Schwerin rieth uns, daß im Fall wir Mißhandlungen zu ertragen haben ſoll - ten, wir uns geradezu an das Koͤnigliche Preußi - ſche Gouvernement in Mainz wenden moͤchten: denn er wuͤßte, daß man uns von dort aus mit aller Schonung behandelt wiſſen wolle; und es ſey gewiß, daß unſer auf Ehrenbreitſtein ausgeſtan - denes Elend unbekannt geblieben ſey: ſonſt haͤtte401 man demſelben abgeholfen: man moͤchte das nur nicht auf Rechnung des Koͤniglichen Preußiſchen Gouvernements ſchreiben.

Die ſorgfaͤltige Verbretterung der Fenſter bei der ungewoͤhnlichen Hoͤhe im dritten Stock dahier bei uͤberall bis an den Abtritt ausgeſtellten Wachen; noch mehr das Verbot, welches zwei Monate und noch daruͤber dauerte, niemals nahe an einem Fen - ſter zu ſtehen, oder auf Stuͤhle zu treten, um durch die geoͤffneten obern Fenſter ſehen zu koͤnnen; fer - ner das beſtaͤndige und laͤſtige Begleiten einer Schildwache auf den Abtritt, wo doch gerade vor demſelben ein Poſten ſteht, der alles beobachten kann: was waren dieſe Reglements anders, als Erſinnungen, uns wehe zu thun! Doch, die bei unſrer Ankunft uns durch den Auditeur vorgele - ſene Inſtruction ſie ſey abgefaßt, von wem ſie wolle ſagt es nur in andern Worten, daß wir alle die damals ſchon gegebnen Reglements als Gnade als Wohlthaten und Beguͤnſtigungen an - ſehen muͤßten, und man erwarte es von uns, daß wir durch gutes Betragen beweiſen wuͤrden, daß wir dieſe Wohlthat zu ſchaͤtzen wuͤßten.

Wir haben dieſe, wie noch mehr andere Ernie - drigungen gefuͤhlt und ſie gehoͤrig gewuͤrdigt. Nein, Gnade und Wohlthaten nehmen MaͤnnerDritter Theil. C c402von unſrer Denkart nicht an: es muß ihnen alles wenigſtens mit dem Namen von Recht gegeben werden: denn man verſuche es wenigſtens an uns Unterſchriebene, ob wir aus Gnade leben wol - len.

Als wir uns aͤußerten: daß es dem groͤßten Theil von uns hart falle, das monatliche Aufwar - tegeld zu bezahlen: ſo eroͤffnete der Hr. General die Thuͤr, als wenn er fortgehen wollte, ſprach aber an der Thuͤrſchwelle ſtehend und halb zur Wache ſich wendend: die Kleinigkeit muͤßt ihr bezahlen: auf Ehrenbreitſtein habt ihr den Profos und Steckenjung auch zahlt (bezahlt)! Freilich, ſollten die gegenwaͤrti - gen Soldaten hoͤren und wiſſen, daß wir Leute waͤ - ren, die ſchon von Profos und Stockjungen be - dient worden! Der Hr. Obriſt von Ame - lungs aͤußerte bei Gelegenheit nach ſeiner Ma - nier das heißt, in einem auffallenden, gebiete - riſchen Ton : daß wir, um das Barbiergeld zu ſparen, die Baͤrte ſollten wachſen laſſen: das ſchicke ſich ohnehin beſſer fuͤr Arreſtanten, u. dgl.

Dieſe und noch einige folgende Vorgaͤnge .... zeigen klar: daß das hieſige Militaͤr in dem Wahne ſtehe, oder etwan die Weiſung habe, uns zum Theil als Verbrecher zu behandeln. Un - ter dieſen Umſtaͤnden fodern wir, daß man mit ei -403 ner Inquiſition vorſchreite, ohne eben damit die Vorfrage einzuraͤumen: ob wir hier kompetende Richter anerkennen muͤſſen.

Da endlich die Bewegung in freier Luft und zugleich die Entbretterung eines Fenſters in jedem Zimmer, und zwar lezteres unter der Bedingung geſtattet wurde, daß ſaͤmtliche Geißeln fuͤr ihr Geld eiſerne Stangen vor dieſe zwei Fenſter machen ließen: ſo fing man an, nebſt dieſem Lebensgenuß uns noch den Zuſammentritt aus beiden Zimmern zu zulaſſen und die laͤcherliche Begleitung nach dem Abtritt einzuſtellen. Mehrere von uns beſchaͤf - tigten ſich mit Muſik, und die gewoͤhnliche Abends - erholung war eine Art Konzert. Dieß dauerte fort, bis Lever ſeine Beſchwerden wegen erlit - tener mehrerer Kraͤnkungen am 19ten vorigen Mo - nats uͤbergab. Eine hohe Regierung wird aus dem Inhalt dieſer Beſchwerden, und aus den beigefuͤg - ten Beweiſen, die an die Kurfuͤrſtliche Regierung in Mainz geſtellt war, erſehen haben, daß Kraͤn - kungen von der Art nur von Leuten koͤnnen ertra - gen werden, die entweder des Hudelns gewohnt ſind, oder denen Vertheidigung zum Verbrechen an - gerechnet wird, und die in dieſer Hinſicht das Schweigen dem lauten, aber vergeblichen Anruf der Gerechtigkeit vorziehen. Im Vorbeigehen wird hier erinnert, daß Lever auf vier Vorſtel -404 lungen, worin er ſich immer auf Schutz und An - wendung geſetzlicher Ordnung berief, noch keine Antwort erhalten hat.

Der Hr. General ſchickte den hieſigen Hn. Au - diteur, nebſt mehrern Offizieren, um ſeinen An - ſtalten ein drohendes Gewicht zu geben, in die bey - den Zimmer, Num. I und 2, und ließ nach Ab - leſung der Leverſchen Schrift umfragen: ob wir Antheil an Levers Schrift und Sache naͤhmen? Metternich ſprach im Zimmer Num. I zuerſt, und ſagte: ſo ſehr er auch zweifle, ob er unter die - ſen Umſtaͤnden und vom Hn. General der nur die Verwahrung zu beſorgen, aber keine Juris - diction uͤber uns auszuuͤben hatte, wie er vor eini - gen Wochen ſelbſt erklaͤrte, als er dem Lever ſechs Bogen von ſeinen Schriften und Auszuͤgen aus Tieftrunk, Ardinghello, Dahlberg u. a. konfisciren ließ gefragt werden koͤnne: ſo trage er doch kein Bedenken, ſeine Meynung zu aͤußern, und erklaͤre: daß, wenn Lever ſeine angefuͤhrten Beſchwerden beweiſe, er deſſen An - ſuchen um Genugthuung unterſtuͤtze. Uebrigens ſey es unter Geißeln herkoͤmmlich, daß Unterneh - mungen, die einer allein, oder mehrere Einzelne in ihrer Sache machten, auch bloß auf Rechnung der Unternehmer geſchrieben werden muͤßten. Der Meynung Metternichs traten die uͤbrigen mit405 ihren Unternehmungen bei. Es ward in wenig Ta - gen von dem Hn. General ſelbſt Levern ange - deutet: daß er bei den naͤchſten zwei Spatziergaͤngen zu Hauſe bleiben, und ſtark bewacht werden ſollte. Dieſe Ankuͤndigung des Hn. Generals geſchah in einer Hitze, die ihn auch noch zu dem Befehle ver - leitete, den er auf der Stelle der Wache gab: Ich ſage euch, den Lever nur ſtreng bewacht, wenn die andern ſpatzieren gehen, und in Zukunft nur rauhe Worte gegeben! Auch wurde dem Hn. Offizier von der Inſpection angedeutet, bei der ge - ringſten lauten Aeußerung des einen oder des an - dern, denſelben ſogleich ins Stockhaus zu fuͤhren und kreuzweiſe ſchließen zu laſſen!!!

Wir aͤußerten bald dem Inſpections-Offizier, dem Hn. Faͤhndrich Buchholz: daß, im Fall Lever nicht mit den uͤbrigen zum Ausgang zuge - laſſen wuͤrde, auch wir uͤbrige nicht ausgehen wuͤr - den. Das hatte die Folge, daß in 13 auf einan - der folgenden Tagen kein Ausgang geſtattet wurde.

Die im Zimmer N. I. machten deshalb eine Vorſtellung an den Hn. General, worin ſie ſich auf das an die fraͤnkiſchen Kommiſſarien ausgeſtellte Zeugniß beriefen, in deſſen Gemaͤßheit der woͤ - chentliche Spatziergang wenigſtens zweimal zuge - ſtanden ſey, und foderten den Hn. General auf,406 baldige Abhuͤlfe in dieſem, wie noch in einigen andern Punkten, zu treffen, damit ſie nicht genoͤ - thigt ſeyn moͤchten, ihre Klage lauter werden zu laſſen. Der Hr. General erklaͤrte: dieſe Schrift ſey zwar ſehr ſpitzfindig abgefaßt; doch habe ſie viel Schein von Wahrheit und Gerechtigkeit!!! Alle in dieſem Zimmer, nur Metternich nicht, waren unterſchrieben: lezterer wollte naͤmlich, man ſolle noch eine kurze Zeit warten, und dann nicht zu einem Palliativ, ſondern zu einem Mittel grei - fen, welches auf gaͤnzliche Befriedigung oder gaͤnz - liche Unterdruͤckung unſerer Foderungen gehe: denn es war damals ſchon alle vorhin gehabte Gemein - ſchaft in beiden Zimmern unterſagt Schildwa - chen mußten wieder auf den Abtritt begleiten die in jedem Zimmer Verwahrten wurden allein zur Bewegung ausgefuͤhrt die abendliche Unterhal - tung mit Muſik war geſtoͤhrt der Geſang fran - zoͤſiſcher Lieder war unterſagt ... Rompel hatte auch in der Sache Levers, ſo wie uͤberhaupt ge - gen einige harte Verfuͤgungen zu laut und zu frei - muͤthig geſprochen; daher ihm auch die Separation mit zu Theil geworden ſeyn mag.

Als am dritten Morgen nach der obigen uͤber - gebenen Vorſtellung der Hr. Offizier ankuͤndigte, daß man ſich bereit halten ſolle, nach etwan einer halben Stunde ausgehen zu koͤnnen, ſo〈…〉〈…〉407 Metternich: daß er nicht ausgehe, und ſo lange nicht ausgehen wuͤrde, bis vorerſt gewiſſe Dinge ins Reine gebracht waͤren. Der Hr. Offizier, der uͤber dieſe Aeußerung vermuthlich Rapport gemacht hatte, kam in einer halben Stunde wieder, und ſagte zu Metterich in dem einen, und zu Le - vern und Rompel in dem andern Zimmer: daß ſie ſich ſogleich ankleiden ſollten, um anders - wohin gebracht zu werden. Auf die Frage: wo - hin denn? antwortete derſelbe: daß wir das ſchon erfahren wuͤrden: er habe keine Erlaubniß, es zu ſagen. So wurden nun wir Drey in die untere Kaſerne, in eben das Quartier gebracht, wo meh - rene von uns ſich ſchon die Verwahrung neben zwei angeblichen Spionen gefallen laſſen mußten: und eben hier ſind wir noch.

Wir haben hier nicht weniger, wohl mehr Ge - maͤchlichkeit, und ein geſunderes Quartier von zwei Zimmern, als oben im Kloſterbau. Nur tra - fen wir beim Eintritt eine ziemliche Menge Floͤhe an, die wie Ameiſen an uns herumkrochen, und noch jezt uns viel Ungemaͤchlichkeit verurſachen. Die ſo auffallende, diktatoriſche Wegfuͤhrung von uns hat vermuthlich, mit noch einer Doſis Anſtiftung nach dem bekannten Calumniare audacter: ſemper aliquid haeret, zu einem ſehr allgemein gewordenen Geſpraͤche in der Stadt Anlaß gegeben: daß Met -408 ternich und Boͤhmer vor der Hauptwache Stockſchlaͤge bekommen haͤtten, und ein Dritter noch zu Spiezruthen verurtheilt waͤre, weil dieſe und noch andere haͤtten durchbrechen wollen.

Was hieruͤber die Buͤrger und angeſehene Maͤn - ner in der Stadt und in Hochheim geſprochen, und wie Einige derſelben ihre Meynung gegen den Hn. General geaͤußert haben, wird noch zur Zeit ver - ſchwiegen. Wir beklagten uns bei dem erſten Beſuch des Hn. Commiſſarius von Piper uͤber die unbillige Separation, uͤber die Art, wie ſie ge - ſchehen, und vorzuͤglich, daß die Willkuͤhr des Hn. Generals hier und zwar eigenmaͤchtig zu ſeiner an uns ſelbſtgenommenen Satisfaction entſchieden habe; daß dieſe Separation uns dem Publikum in ein gehaͤſſiges Licht habe ſtellen muͤſſen, und baten um eine rechtliche Unterſuchung, worin uns ge - ſtattet werden moͤchte, eine faktiſche Darſtellung unſerer Kraͤnkungen zu uͤbergeben.

Dieſe Darſtellung waͤre nun hiermit gegeben; nur muͤſſen wir noch bemerken, daß die ſtrenge Aufſicht auf Druckſchriften, die wir zur Lectuͤre oder zum Ankauf verlangen, und die doch als kaͤuf - liche oder gangbare Waare geduldet werden, nur fuͤr den Herrn, der die Cenſur daruͤber hat, ermuͤ - dend und ſonſt ganz ohne Zweck iſt. Der einzige Fall, der eine vernuͤnftige Billigung dieſer Vor -409 ſicht denkbar macht, iſt, wenn man glaubt, wir wuͤrden unſern Aufenthalt je wieder in einem Lande nehmen, wo Alleinherrſchaft die Grundverfaſſung waͤre, und da moͤchten wir aus Buͤchern Grund - ſaͤtze entlehnen, die mit ſolchen Verfaſſungen un - vereinbarlich ſind. Allein dieſe Vorausſetzung iſt wohl, wo nicht fuͤr Alle, doch fuͤr den bei weitem groͤßern Theil ganz ungegruͤndet: und die, welche koͤnnten hier bleiben wollen, wuͤrden die ſogenann - ten verbothenen Schriften ohnehin wohl nicht leſen.

Auch glauben wir, daß unſere neulich an den Hn. General uͤbergebne Denkſchrift in Anſehung der uns geſtatteten, aber wirklich laͤſtigen Bewe - gung in der freien Luft, hier einen Platz verdiene: ſie folgt alſo hier woͤrtlich.

P. P.

Wir haben Ihnen ſchon einmal melden laſſen, daß wir Unterſchriebne durch einen Revers, worin einer fuͤr alle, und alle fuͤr einen zu haften verſpra - chen, Sie ſicher zu ſtellen, und uns von einem Zwange bei dem Spatziergange zu befreien gedach - ten, der uns mehr laͤſtig, als die Erholung guͤn - ſtig ſeyn kann. Wir verbuͤrgen auf alles, was uns heilig iſt, daß ein ſolcher Revers in Paris nicht nur angenommen, ſondern eben die Kraft haben wuͤrde, welche das gegebne Ehrenwort der franzoͤ - ſchen Militaͤr-Geißeln hier in Erfurt hat.

410

Entweder iſt es Ernſt, oder es ſoll dem Publi - kum nur ſo was gezeigt werden, was uns als ge - faͤhrliche Waghaͤlſe darſtellt, wenn man gewoͤhn - lich vier, auch zuweilen fuͤnf Poſten ausſtellt, wo noch der Korporal und der Offizier von der Inſpe - ction zugleich gegenwaͤrtig ſind, und dieß alles auf einem bis auf drei Ausgaͤnge an ſich ſchon ganz geſperrten Platz, den Umfang der Feſtung noch unerwogen.

Da kein Verdacht erdichtet werden kann, als habe einer von uns je einen Schritt zu ſeiner Be - freiung und Flucht gewagt, troz aller Auslegungen unſerer Handlungen: ſo koͤnnen wir in keinem die - ſer Faͤlle die Rolle uͤbernehmen, die man uns et - wan vor dem Publikum will ſpielen laſſen.

Da ferner der Platz der hieſigen Kaſerne ein wahrer Keſſel iſt, ohne reine Luft, wenn kein Wind wehet; da er auf der einen Seite zum Aus - klopfen der Deckbetten, und folglich den Floͤhen gewidmet, auch mit Kindern angefuͤllt, und ohne Ausſicht, alſo in keinem Fall geeignet iſt, Erho - lung da zu haben: ſo muͤſſen wir uns unter dieſen Umſtaͤnden alles weitere Ausgehen verbitten. Kann uns daher unter Ausſtellung des obigen Reverſes, und unter Begleitung eines Ober - oder Unteroffi -411 ziers nicht geſtattet werden, auf der hieſigen Fe - ſtung uͤberall, wo ſonſt Leute gehen duͤrfen, auch die freye Luft durch einen ſogenannten Spatzier - gang zu genießen: ſo werden wir nicht mehr wuͤn - ſchen, vor die Thuͤre gelaſſen zu werden.

Dieſes alles glauben wir aus dem Geſichts - punkte vorſtellen zu duͤrfen, da unſer Begehren ſich in weit engern Schranken haͤlt, als man dieſe ei - gentlich gegen Geißeln zu beobachten pflegt.

Wir hoffen nicht, daß man uns vorwerfen werde: Andere haͤtten mit eben dem und mit noch Wenigerm fuͤrlieb genommen, und naͤhmen noch damit fuͤrlieb: denn das Betragen Anderer kann fuͤr uns keine Regel werden.

Petersberg d. 14ten Jul, 1794. Metternich, Rompel, Lever.

Der Herr General ließ uns hierauf ſagen: daß die Geſtattung unſeres Geſuchs von ihm nicht abhaͤnge; daß er unſere Vorſtellung der hohen Kommiſſion vorlegen werde, und dieſelbe dann weiter nach Mainz geſchickt werden muͤſſe, um daruͤber Verhaltungen abzuwarten.

412

Wir werden das wohl abwarten; wuͤnſchen aber, daß die Mainzer Regierung, oder wer ſonſt unſere Sache verwaltet, einmal aus dem Irrthum komme, als koͤnne man ſich gegen Gefangene, die nach ihrer Verfaſſung und Grundſaͤtzen wohl belei - diget, niemals aber deswegen ſtraͤflich vor dem teutſchen Richterſtuhle werden koͤnnen, alles erlau - ben, in ſofern man bei dem auch aufgereizten und nicht klar und unpartheiiſch ſehenden Publikum nur Recht erhaͤlt.

Wir koͤnnen keinen andern Weg zur Ausglei - chung der vorhandenen Irrungen und zu einer er - traͤglichen Lage fuͤr uns angeben, als daß man uns erlaube, monatlich einen getreuen Rapport an das fraͤnkiſche pouvoir exécutif abzuſchicken, worin wir getreu und wahr unſere Lage darſtellen wollen, ſo daß eine hohe Kommiſſion ſelbſt die aͤchte Eigen - ſchaft des Rapports nicht verkennen wird. Wenn von daher die Behandlung, die uns hier zu Theil wird, gebilliget, ja, wenn Winke von daher ge - geben werden ſollten, daß man ſie noch mehr ſchaͤr - fen moͤge: ſo werden wir uns dieſer Nothwendig - keit ohne Murren unterwerfen. Wir ſind ſo feſt entſchloſſen, auf dieſem Geſuch ſtehen zu bleiben, als wir umwankelbar ſind, keinen Fuß auf franzoͤ - ſiſchen Boden zu ſetzen, wenn es einmal zur Geißel - Auswechſelung kommen ſollte, bis wir hinlaͤngliche413 Genugthuung fuͤr alle ausgeſtandene Mißhandlun - gen und Ungerechtigkeiten werden erhalten haben.

Feſte Petersberg bei Erfurt, den 18ten Jul, 1794.

Lever. Metternich. Rompel.

An Hn. Coadjutor, Freyherrn von Dahlberg in Erfurt.

Wenn wir Unterſchriebene uns die Freyheit neh - men, Ew. die anliegende, der hieſigen Regie - rung uͤbergebene Denk - und Beſchwerde-Schrift zu uͤberreichen: ſo haben wir dabey den einzigen Zweck, die Sache zu Dero hohem Wiſſen gelangen zu laſſen.

Wenn die franzoͤſ. Republik ihre Exiſtenz be - hauptet: ſo iſt nichts gewiſſer, als daß unſere in Teutſchland erlittene Mißhandlungen einſt zur Sprache und zur endlichen Genugthuung kommen werden: und in dieſer Ruͤckſicht ſchein: es allerdings noͤthig, daß unſere Lage auch den reſpektiven hohen Stellen dahier foͤrderſamſt bekannt werde. Wir ſind weit entfernt, Hoch-Ihnen mit irgend einer Bitte beſchwerlich zu fallen. Was auch Hochden - ſelben Menſchen - und Gerechtigkeits-Liebe in der414 Sache etwan zu thun rathen mag: ſo wuͤnſchen wir doch mit allem verſchont zu werden, was nur einer einſtweiligen Ausmittelung gleich ſieht. Nichts kann unſern Zuſtand dahier dauerhaft ertraͤglich ma - chen, als die Gewaͤhrung des in der Anlage ge - machten Antrags. Wir ſind u. ſ. w.

Petersberg, den 18ten Jul, 1794.

Lever. Metternich. Rompel.

II. An die hohe Regierungs-Commiſſion in Erfurt.

Ich mache die Anfrage, ob ich auf meine Denkſchrift vom 20ten, auf den Nachtrag vom 23ten und auf die Beweisſchrift vom 25ten vorigen Monats Gerechtigkeit, in ſpecie den anverlangten geſezlichen Schutz gegen die Drohungen, Mishand - lungen und Neckereyen des Hn. Generals von Knorr erhalten werde oder nicht? Im leztem Fall wird mir das Recht, an den Hn. Coadjutor und an das koͤnigl. Preußiſche Gouvernement in Maynz eine verſchloßne Vorſtellung abſchicken zu duͤrfen, nicht verſagt werden. Wird auch dieſes nicht geſtattet oder verhindert, ſo behalte ich mir die Gerechtigkeit und Billigkeit auf jene Zeit vor,415 wo, um grad aus durchdringen zu koͤnnen, mich keine kuͤnſtliche Kluft von Schranken oder Schlag - baͤumen hindern wird; wo keine Einlaßzetteln, keine Denkſchrift und Vorſtellungen noͤthig ſeyn werden, um Menſchen mit zwey Worten ihrer Pflichten zu erinnern: Seyd gerecht!

Feſte Petersberg bey Erfurt, den 11ten Jul, 1794.

Lever, aus Worms.

III. Churfuͤrſtliche Mainziſche Regierung!

Schon im December vorigen Jahrs uͤbergab ich eine Denkſchrift an die kurfuͤrſtl. M. Regierung, worin ich, wenigſtens fuͤr jezt, ſoviel von meinem ſequeſtrirten Eigenthum verlangte, als ich zu den unnachlaͤßlichſten Beduͤrfniſſen brauchte. Ich glaubte, Gruͤnde dargelegt zu haben, die nicht aus der Luft gegriffen waren. Ich hatte noch den gu - ten Glauben, daß Geſezlichkeit doch noch wohl be - ſtehen koͤnne, obſchon das Verfahren gegen mich und andere bey unſrer Gefangennehmung zu Mainz, und nachher waͤhrend unſrer Gefangenſchaft auf Ehrenbreitſtein, Koͤnigſtein und Erfurt mich uͤber - zeugen mußte, daß baare Rache uns bisher ver - folgte.

416

Ich hatte es der Unterſtuͤtzung meiner Mitge - faugnen zu danken, daß ich auf Ehrenbreitſtein kein Opfer des Hungers und der Nacktheit gewor - den bin: es war kein geringes Stuͤck von Grau - ſamkeit, daß man meinem Geſchwiſter aufs ſchaͤrf - ſte unterſagte, mich mit Geld zu unterſtuͤtzen .... Soviel aber die Pflicht der Selbſterhaltung mir zu gebieten ſcheint, andere ſcheinbar erlaubte Verſuche zu dieſem Zwecke zu machen, als da iſt ſuppli - cando wegen einer Zulage einzukommen, ſo ſehr wuͤrde das wider die naͤmliche Selbſterhaltung ſtrei - ten: denn ein durch Herabwuͤrdigung erhaltenes Leben iſt lange nicht von dem Werth, als der Tod, der der Entehrung trozt.

Nicht ich kann und darf den Wahn beſtaͤrken, als wenn es Menſchen gezieme, um Gnade zu kriechen, und Menſchenwuͤrde zum Fußſchemel der Willkuͤhr zu entheiligen da, wo Rechte und Ge - ſetze entſcheiden ſollten. Das Betragen der Tau - ſende und Millionen, die anders handeln, kann fuͤr mich kein geltendes Beyſpiel ſeyn, da ich dem Himmel ſey's gedankt! aus jenen Ver - haͤltniſſen ausgetreten bin, und[nun] nach den Grundſaͤtzen der Menſchenwuͤrde handeln muß ....

Petersberg, den 27ten Jun, 1794.

Metternich, Franzoͤſ. Geißel.

417

IIII. Churfuͤrſtliche Hochpreisliche Regierung zu Erfurt!

Endlich iſt das ſchon lang gefaͤllte Strafurthel gegen Metternich vollzogen: er ſizt bey Waſſer und Brodt ſeit geſtern Nachmittag fuͤnf Uhr auf drey Tage im Stockhauſe, zwar ſeit einigen Tagen un - paͤßlich, aber noch muthig genug, um dieſes Un - gemach zu erdulden. *)Zur Ahndung des vorigen Aufſatzes, welchen die Mainzer Re - gierung, als zugellos und wider Ihre Wuͤrde, ihm〈…〉〈…〉 iſſen zuruckgeben ließ. Und doch hatte eben dieſe Regierung ſich im Dezember 1793 ungeahn et ſagen laſſen: Daß an ihr der Ruf der deutſchen Gerechtigkeit ſcheitere, weil ſie bey den grauſamſten Mißhandlungen der arretirten Geißeln, und bey mehrmaligem Anrufen mehrerer Mitglieder um Gerechtig - keit, ſie ſchwiege und nichts entſchiede, nichts linderte. Auf Ehrenbreitſtein ſchrieb Metternich: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, und wenns der Tod iſt! Ich trotze allen Grau - ſamkeiten, ſelbſt dem Tode, wenn man Muth genug hat, die Haͤnde in dieſer Abſicht nach mir auszuſtrecken! Lever ſchrieb: Er koͤnne das Maximum der vorſichtigen Weisheit, womit auch deutſche Regierungen ſich auszeichnen wollten, nicht ergruͤnden, und er wundre ſich ſehr, daß wenn die Klubbiſten die großen Verbrecher waͤren, wie ſie der Mainzer und andere Zeitungsſchreiber dem Publikum beſchrieben, ſein Kopf noch auf ſeinem Rumpf ſtehe, und man mit der Inquiſition nicht ſchleunigſt vorfahre! Die ihm angetragne Hundekoſt hat er nach ſeinen Grundſaͤtzen mit ge - buͤhrender Verachtung ausgeſchlagen, weil ſie die Menſchheit ſchaͤndet, und den Karakter eines freyen Buͤrgers entehrt.

Dritter Theil. Dd418

Noch vor wenig Jahren war man bey derglei - chen Strafen nicht ſo ſtreng in Mainz. Selbſt der Falſchmuͤnzer Hazfeld der Herr Vetter des Friedrich Carls erhielt dort ſeine ſtandesmaͤßige Verpflegung im Arreſt: aber der fraͤnkiſche Staats - buͤrger ſoll in ſeinem engern Arreſt nur Brodt und Waſſer haben! Freilich iſt dieſer nur Menſch, und jener von hohem Adel! Da liegt der Hund begra - ben, ſagt Wieland.

Waͤren unſere Pro-Memorien, Denk - und Schlußſchriften vom 18ten, 21ten und 25ten Jun, vom 18ten Jul, vom 22ten und 27ten Auguſt, und vom 17ten und 22ten September l. J. nach Mainz, wie man vorgiebt, wirklich eingeſchickt, und dort, wie die Gerechtigkeit es fodert, nach der Gerech - tigkeit gewuͤrdigt worden; ſo wuͤrden unſere neuere Beſchwerden nicht erfolgt ſeyn, und dann auch nicht das Straf-Dekret.

Es iſt ein bekannter Rechtsſatz, daß mein Gegner kein Richter in meiner Sache ſeyn kann, noch weniger die Erzfeinde der franzoͤſiſchen Re - publik, ich meyne die Mainzer Pfaffen. Gerech - tigkeit iſt alles, was wir zu fodern berechtigt ſind; und wo Recht iſt, muß auf der andern Seite auch Pflicht ſeyn: das lehrte mich die Schule. Ge - rechtigkeit iſt alles, was wir zum leztenmal fodern. Den unter uns treffe die Rache der beleidigten419 Menſchheit, der die Wuͤrde des Menſchen vergißt,*)Zielt auf Mentß, den Verfaſſer des Buͤrgerfreund[s]zur Zeit der Cuſtiniade, und auf Boͤhmer, der ſich erklart hatte, in Deutſchland bleiben zu wollen, der Collegen denun -[z]iirt und eine Unterſuchungs-Commi[ſ]ſion verlangt, aber nicht erhalten hatte. die beſchwornen Grundſaͤtze der Freiheit in der Ge - fangenſchaft verlaͤugnet, die menſchliche Hoheit ent - heiliget und ſich vor einem politiſchen Phantom ernie - driget, indem er das die Schoͤpfung entehrende Wort Gnade in ſeinen Mund aufnimmt und das er - bettelt, was jeder gerechte Regent nach den Ge - ſetzen im Wege Rechtens zu geben ſchuldig iſt.

Wir ſind Weltbuͤrger, Republikaner, franzoͤ - ſiſche Geißeln, nicht von jenen Viehmenſchen, die ein deutſcher Dichter beſingt**)Ihr, die zum Viehmenſchen entwuͤrdiget, Unmenſchen, ihr trotzet noch jezt? Ihr[K]raft, wo ein Gedank 'ertoͤnt, Und erzwingt fuͤhlloſen Gehorſam? Mit Waffen in den Kampf Fuͤr Freyheit und fuͤr Recht! Naht Buͤrger, naht; bebt Miethlingsſchwarme, Entflieht, oder ſterbt! und von denen man fuͤhlloſen Gehorſam erzwingen kann. Dem Geſetz der Vernunft und dem allgemeinen Voͤlkerrecht, das auch die ungeſitteſten Voͤlker in Afrika zu ver - ehren anfangen, ſind wir Gehorſam, aber nicht den Menſchen ſchuldig.

Voß.

420

Wo der Weg zur unpartheyiſchen Juſtiz ganz verſperrt iſt, da tritt das Recht der Selbſthuͤlfe und der Nothwehr ein: und das iſt hier der Fall, der dem hellſehenden Publikum ausfuͤhrlich vorge - legt werden wird. Ich erwarte alles und fuͤrchte nichts, beſtehe aber ein fuͤr allemal auf mein Recht.

Petersberg d. 24ſten Sept. 1794. Lever, franzoͤſ. Buͤrger u. Geißel. *)Regierungsrath Streker nahm dieſe Unterſchrift der Gei - ßeln in der Mitte des Monats Maͤrz noch uͤbel auf, und gab Levern ſeine Briefe an die neufraͤnkiſchen Volksrepraͤſentan - ten Merlin und Hausmann, nebſt denen an Hn. Grafen von Kalkreuth mit dem Verweis zuruͤck: daß es Arreſtan - ten nicht gebuͤhre, ſo zu ſchreiben. Als er einige Tage dar - auf die Atteſte der Geißeln nach Frankreich foderte, fragte ihn Lever: Ob man ſich fraͤnkiſche Geißeln unterſchreiben duͤrfe? Ja, freylich, antwortete er, das ſind Sie ja! Da ſtand nun der inkonſequente Hofmann und Doctor der Rechte!

V. An die Churmainziſche Regierungs-Commiſſion in Erfurt.

Als ich, um mir durch mich ſelbſt eine Unter - ſtuͤtzung zu verſchaffen, ein Adagio oder Klagen der Klubiſten zu Ehrenbreitſtein nebſt Variationen421 fuͤr die Floͤte verfertigte, wurde mir dieſe Arbeit von dem ehemaligen Commiſſarius, Hn. Regie - rungsrath Streker, in derben Ausdruͤcken ver - wieſen, und bedeutet: man habe ſolches nach Mainz eingeſchickt. Ich habe dies mein Eigen - thum nie zuruͤck erhalten.

Als Metternich in der naͤmlichen Abſicht eine Abhandlung uͤber Holz-Erſparniß fuͤr Prof. Grens Journal der Phyſik bearbeitete, und ſie der Commiſſion uͤbergab, erhielt er ſie mit der Er - klaͤrung zuruͤck: daß die Churfuͤrſtl. Regierung in Mainz hierauf erklaͤrt habe, wie es Arreſtanten nicht gebuͤhre, Abhandlungen zu ſchreiben und ſolche in Druck zu geben. *)Die hoͤchſten Gerichtsſtellen in Preußen denken anders, den - ken menſchlicher. Es iſt weltkundig, daß D. Bahrdt waͤh - rend ſeiner einjaͤhrigen Gefangenſchaft auf der Citadelle〈…〉〈…〉 Magdeburg mit Erlaubniß der Regierung ſeine Lebens - und ſelbſt ſeine Gefaͤngniß-Geſchichte ſchrieb, wie auch, außer Alvaro und Ala Lama, das Wort, deutſch geſprochen mit dem Ritter von Zimmermann. Das alles war fuͤr Bahrdts Oekonomie und mehr zur Un - terhaltung als Belehrung, und doch goͤnnten die hoͤchſten Ge - richtsſtellen in Preußen das eine dem Verfaſſer, und das andere dem Publikum, ohne die mindeſte Beſchraͤnkung der Publicitaͤt und der Preſſe. Und eine Churmainziſche Regie - rung, die ſoviel von Patriotismus ſpricht, eine erzbiſchoͤfliche, die auch keine Spur von Chriſtus-Sinn zu haben ſcheint, haͤlt eine aͤußerſt gemeinnuͤtzige Abhandlung fuͤr eine Arbeit, die einem Arreſtanten nicht gebuͤhre? Gott behuͤte uns fuͤr ſolche Convenienz-Richter!!! Ein Mehreres, was hiehin ge - hoͤrt, findet man in der Vorrede zu der Sammlung er - baulicher Gedichte S. 82. ff.

422

Darf man fragen: welcher Lehrer des Men - ſchen - und Voͤlker-Rechts hat je behauptet, daß Geißeln Arreſtanten im eigentlichen Ver - ſtande ſeyen? Und warum werden wir Arreſtan - ten genannt, wenn wir Wahrheit ſchreiben und Gerechtigkeit fodern, aber franzoͤſiſche Geißeln, wenn man ein Atteſtat von uns nothwendig hat, um es nach Paris ſchicken zu koͤnnen? Das iſt ei - gentlich das Spiel, welches man nach dem einge - drungenen Syſtem von Convenienz mit uns ſeit ei - nem Jahr geſpielt hat und noch ferner ſpielen will. Das iſt das fuͤrchterliche Reſultat jenes politiſchen Grundſatzes, welchen allgemein bekannte Manifeſte in ganz Europa verkuͤndiget haben Wer nicht mit uns iſt, iſt gegen uns. Die Zahl der leztern beſteht aber aus Millionen Menſchen und wird man merke dies wohl! bei der mit Gewalt unterdruͤckten Wahrheit, und bey den fortdauern - den Leiden der Menſchheit unermeßlich werden.

Die Behauptung: Arreſtanten oder Geißeln ge - gebuͤhre es nicht, ihr Schickſal durch ihre Talente ſelbſt zu erleichtern Abhandlungen zu ſchreiben Wahrheiten durch die Publicitaͤt zu verbreiten die Cultur der Nation und die Vervollkommnung der Wiſſenſchaften zu befoͤrdern, iſt gegen die Menſchheit, gegen Vernunft und Recht, und be -423 gruͤndet ſich nur in dem grand Rien der Politik zu Ende des 18ten Jahrhunderts.

Wo die Wahrheit freyen Lauf hat, da nehmen die Kenntniſſe und Einſichten der Menſchen taͤglich zu: wo ſie aber als Monopol taxirt und verkauft wird, und wo nur gewiſſe hoͤchſtprivilegiirte Leute die Wahrheit allein ſagen duͤrfen, da ſinken die Wiſſenſchaften, die Menſchheit iſt gedruͤckt, und Aberglaube und Barbarey fangen wieder an, das Volk zu beherrſchen und elend zu machen, aber zum Nachtheil der Fuͤrſten ſelbſt, wie dies die Geſchichte der Menſchheit uͤberzeugend darthut. Der gute Fuͤrſt hat nie Urſache, die Wahrheit zu ſcheuen, und je freiern Lauf er ihr laͤßt, deſto ſicherer weiß er ſich, und zeigt, daß er Einſicht und guten Wil - len genug hat, das Wohl ſeiner Untergebnen zu ſchaͤtzen und zu foͤrdern. Aber der ſchlechte, der kurzſichtige! etc. etc. *)In der mir mitgetheilten Abſchrift ſtand hier am Rande: Was an ſich offenbar iſt, und wenns noch ſo einleuchtend dargeſtellt wuͤrde, kann auf die gutmuͤthigſten Fuͤrſten, zumal wenn ſie zu wenig ſelbſtſtaͤndig ſind, nicht wirken, ſobald ein Anhang von herrſchſuͤchtigen, heuchelnden, oder ſchwaͤrmen -

Aufm Petersberg an Erfurt, im Sept. 1794. Lever, franzoͤſ. Geißel aus Worms.

424

Vier und dreyßigſtes Kapitel.

Marſch von Maynz nach dem Gebuͤrge.

Den 27ten Jul, Nachmittags, brachen wir von Mainz auf, marſchierten die Nacht durch, und kamen den andern Morgen, fruͤh um 8 Uhr, nach Alzey. Es war damals ſehr heißes Wetter, und daher fand der General von Mannſtein, wel - cher unſre Kolonne anfuͤhrte, fuͤr gut, uns des Nachts gehen und am Tage ruhen zu laſſen. Es war nicht ſehr dunkel und guter Weg, wie die Wege in der Pfalz uͤberhaupt ſind; und ſo war dieſe Anſtalt heilſam und loͤblich.

In Alzey beſuchte ich meinen Freund, den ſchon oben erwaͤhnten Pfarrer Walther, einen ſehr lie -*)den Obſcurations-Klubbiſten ihnen den Geſichtspunkt verruͤckt, oder den Geſichtskreis vernebelt, um die Majeſtaͤt ihrer Phan - taſie der Majeſtaͤt des Staates ganz ſachte, aber recht dichte anzuſchmiegen, und nolens volens die eine durch die andere vor den Augen der ganzen vernuͤnftigen Welt ſchrecklich zu proſtituiren. Hr. Zimmermann in Hannover, Hr. Gru - ner in Jena, Hr. Jung in Marburg, Hr. Reichard in Gotha und Hr. von Goͤchhauſen in E〈…〉〈…〉 nach wuͤrden uͤber die Beweggruͤnde dieſer hochheiligen Majeſtaͤten in Cognito und Incognito, die beſte Auskunft geben koͤnnen, wenn's der Muͤhe werth waͤre, ſich um die Collegen und Raͤthe eines E〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉, des Unausſprechlichen, auch nur einen Augen - blick zu bekuͤmmern. 425benswuͤrdigen Geiſtlichen. Als ich wieder in mein Quartier zum Juden kam, hoͤrte ich, daß ein Maͤdchen ſchon zweymal da geweſen waͤre, welches mich in den Ochſen haͤtte rufen ſollen, wo ein Herr mit mir zu ſprechen wuͤnſchte. Ich lief hin, und fand in der obern Stube meine mir ewig theure Thereſe! Das edelmuͤthige Maͤdchen war allein; ſie kam mir entgegen, und nahm mich bey der Hand. Ich konnte kein Wort herausbringen. Gott, ſagte ſie endlich, was habe ich Ihnen gethan, daß ſie, in Ihrer Lebensgeſchichte, mich und meine Schwachheit gegen Sie, der Welt ſo oͤffentlich be - kannt gemacht haben? Habe ich, hat meine Liebe das um Sie verdient?

Ich: Sie ſind ja nicht mit Namen genennt!

Thereſe: Was thut mein Familien-Name zur Sache! Sie haͤtten mich jezt immer auch nen - nen koͤnnen: Jedermann weiß doch, wen Sie mit Thereſen meynen! Ihr Buch iſt hier in jedermans Haͤnden, und wohin ich komme, ließt man mir die Stellen uͤber mich daraus vor. Doch, was hilfts! ich habe Ihnen vergeben.

Ich: Gute, edle Thereſe!

Thereſe: Sie ſind ungluͤcklich, aber wahr - lich nicht durch meine Schuld: wenn ich Sie haͤtte gluͤcklich machen koͤnnen: Sie waͤren es gewiß;426 aber ach, Sie haben Sich und mich auf immer ungluͤcklich gemacht!

Nein, ich kann, ich will dieſen Punkt nicht wei - ter beruͤhren: Er zerreißt! Thereschen war immer noch, wie ehedem, im Jahr 1775, das gut - muͤthige, treuherzige, ſanfte Maͤdchen. Ihr Ge - ſicht war nicht viel veraͤndert, doch waren die Zuͤge auf demſelben ſchwermuͤthiger, und die Farbe et - was blaͤſſer. Sie wohnte damals noch in ihrem Geburtsorte. Ihr Vater, der redliche Amtmann, war laͤngſt geſtorben, und nach deſſen Tode hatte ſie manche Freier gehabt, wie ich von andern hoͤrte Thereschen ſelbſt ruͤhmte ſich der Freiereyen nie - mals hatte ſie aber alle abgewieſen. Warum? Das weiß ich nicht. Genug von der Unvergeß - lichen!

Gegen Abend beſuchte mich auch meine alte Tante, mit welcher ich aber nicht viel ſprechen konnte, weil wir bald marſchieren mußten.

Im Wirthshauſe zu Alzey hoͤrte ich viele ſcan - daloͤſe Hiſtoͤrchen von dem geheimen Rath von Koch, ſonſt genannt der große Mogul, und von ſeinem Schwager, dem R. Rath Schlemmer. Solche Leute muß man in einem Lande anſtellen, wie Koch und Schlemmer in Alzey, Schweikart in Kreuznach, Albertino in Bacharach, Fa - bel in Grehweiler, Vola in Flonheim, und wie427 das juriſtiſche Geſindel in der Pfalz, dort uͤberm Rhein, mehr heißt, wenn man Volksaufſtand be - foͤrdern will. Dergleichen Schufte koͤnnen den Unterthanen alle Liebe zu ihrer Herrſchaft und ihren Beamten fein huͤbſch beybringen. Die Leute in der Pfalz raͤſonnirten entſetzlich, und lobten bey - nahe oͤffentlich das Revolutionsſyſtem der Franzo - ſen. Daher ſahen auch die Preußen alle Pfaͤlzer fuͤr Patrioten an; aber die guten Preußen wußten nicht, wo der Schuh die armen Pfaͤlzer druͤckte: und hienach haͤtten ſie ſich doch erkundigen ſollen, ehe ſie zugriffen, ſchlugen und pluͤnderten. Gebe nur der Himmel, daß die Neufraͤnkiſche Ver - faſſung auch auf die gute Pfalz einen guten Einfluß haben moͤge! Und wenn nur die Juſtizverwaltung beſſer, die Duldung gemeiner, und Tyranney der Miniſter, der Pfaffen und des Adels zerſtoͤrt wird, ſo iſt das reichlicher Erſatz fuͤr all das Ungluͤck und den Schaden, den die Franzoſen zur Wieder - vergeltung dem Lande zufuͤgten. Herr Paſtor Braun iſt hier gewiß meiner Meynung.

Wir brachen, wie geſagt, auch hier des Abends auf und marſchierten in der Nacht. Unſer Batail - lon kam nach Kerzernheim, wo der Geiſtliche Herr mein Vetter iſt. Sein Hauslehrer war ein Can - didat, zu Tuͤbingen im Kloſter erzogen, der mich wegen der Ketzereyen in meiner Lebensgeſchichte428 vornahm, und mir haarſcharf beweiſen wollte, daß nur die in der h. Schrift geoffenbarte Lehre die einzige wahre Religion ausmache. Als ich nun bey dem Worte Religion und h. Schrift das anmerkte, was jeder Kluge und Sachkundige dabey nicht uͤberſieht: ſo fuhr er ſchnell auf, und ſagte mir recht barſch: Herr, ich habe Sie ſonſt be - daurt, und habe Mitleid gehabt mit Ihren Schick - ſalen, aber jezt wuͤrde ich mich an Gott und an der geſunden Vernunft verſuͤndigen, wenn ich noch ferner gut von Ihnen denken wollte. Sie verdie - nen Ihr Schickſal: (heftiger) Ja, wahrlich, Sie verdienen es, und ich goͤnne es Ihnen von Grund meiner Seele. Ich bedaurte den kuͤnftigen Leh - rer der chriſtlichen Sanftmuth und Duldung, der, wie die meiſten Pfaffen, den lieben Gott, und die geſunde Vernunft fuͤr einerley mit ſeinen Traͤumen, Phantaſien und Einfaͤllen gehalten wiſſen wollte. Sonſt ſchien mir der Herr Kandidat kein Feind des Frauenzimmers zu ſeyn, und fleißig mit der Mam - ſell Tochter des Pfarrers zu ſympathiſiren.

Auf dem Marſch von Tiefenthal nach Forſt, am 28ten Jul, hatte ich bei Neuleiningen das Un - gluͤck, in der ſtockfinſtern Nacht, meinen rechten Fuß zu vertreten, und mußte daher auf einem Bauerkarren gefahren werden. Ein barmherziger Bruder von Deidesheim gab mir recht guten Spiri -429 tus, und in drey Tagen war mein Fuß wieder hergeſtellt. Dieſe Moͤnche ſtehen dort in der Ge - gend in ſehr großem Anſehn, und ſind mit Recht beliebt, wenn anders Moͤnche beliebt ſeyn ſollen. Sie ſind gut fundirt, und wenden ihr meiſtes Ein - kommen auf die Pflege der Kranken, die in ihr Spital ohne Anſehen, ſelbſt der Religion, aufge - nommen werden, nur nicht die Veneriſchen, wahr - ſcheinlich, weil dieſe Krankheit den Herren unbe - kannt oder ein Graͤuel iſt.

Forſt iſt ein ſehr ſchoͤnes Dorf, wo ein Wein waͤchſt, der ſelbſt dem Nierſteiner oder Hochheimer nicht viel nachgiebt, wenigſtens iſt er der beſte in der ganzen dortigen Gegend. Von Forſt aus be - ſuchte ich meine Freunde in Duͤrkheim an der Haart, den Hn. R. Rath Laukhard, den Hn. Pfarrer Braun und mehrere. Ich ſah auch da den vor - hinerwaͤhnten Superintendenten Kleveſahl, der ſich ſo weit herabließ, daß er mich armen preußi - ſchen Musketier eines Geſpraͤches wuͤrdigte. Er war noch wie ehedem in Gießen, wohlgemaͤſtet, ſtolz, grob, unwiſſend und intolerant. Ich ſprach mit ihm in Beyſeyn des Marcheſe Luccheſini, ſo wie man mit einem Pfaffen von Kleveſahls Art ſpre - chen muß: und der Hr. Marcheſe ſagte mir hernach, daß er ſich uͤber meine Freymuͤthigkeit gefreut habe. Der abſurde Wicht ſprach unter andern von ſeinem430 Vorfahr, dem D. Bahrdt und ſchimpfte: ich nahm, wie natuͤrlich, Bahrdts Parthey, ruͤhmte ſeine guten Seiten und ſeine Verdienſte; und mo - kirte mich ſofort uͤber die Dummkoͤpfe, die Into - leranz, Unwiſſenheit und Stolz gleich ſtark verbin - den, und ſo dem Menſchengeſchlechte immerhin ſchaden.

In Forſt lernte ich einen ſehr intereſſanten Mann kennen, den Rektor Simon von Neuſtadt an der Haart. Wenn mehr ſolche Schulleute in der Pfalz waͤren, ſo muͤßte das Schulweſen in ſelbi - gen Gegenden weit beſſer ſtehen. Hr. Simon iſt ein geſchickter Philologe, ein heller Kopf, und da - bey ein junger Mann von reinen, gefaͤlligen Sitten. Ueber die franzoͤſiſchen Angelegenheiten waren wir, nach Pſychologie und Geſchichte, ganz einerley Meynung. Hr. Simon machte mir wegen der Beſchreibung, die ich im I. B. meiner Lebensge - ſchichte von der Univerſitaͤt zu Heidelberg habe, und beſonders wegen der Anekdoten von D. Hed - daͤus einige Vorwuͤrfe. Er beſchrieb mir den Ehrenmann als einen ſehr toleranten, braven, hell - denkenden Gelehrten. Aber ſo gern ich erkanntes Unrecht zuruͤcknehme, ſo kann ichs doch hier nicht: Denn noch im October 1795, wo ich durch Heidel - berg kam, fand ich bey neuer und genauer Erkun - digung, die Sagen von Heddaͤus Intoleranz431 und kalviniſtiſcher Rechthaberey und beſonders von ſeiner Impertinenz gegen die Lutheraner noch im - mer in ungeſegnetem Andenken.

Man hatte mich auch, wie ich in Forſt hoͤrte, und wie man mir hernach in Heidelberg beſtaͤtigte, wegen meiner Aeußerungen uͤber die Pfaͤlziſche Re - formirte Geiſtlichkeit, und beſonders uͤber die Hei - delbergiſche Quaſi-Univerſitaͤt bey dem Herzog von Braunſchweig verklagen und fuͤr die Injurien Genugthuung fodern wollen. Die Her - ren trugen das Geſchaͤft dem ehrlichen Kirchenrath Mieg auf, der aber die ganze Sache nicht nur ablehnte, ſondern auch ſelbſt ganz widerrieth. Er hatte gemeynt: ich haͤtte ſie bey dem Publikum be - langt, und nun muͤßten ſie auch hier ihre Sache ausmachen, dabey aber nicht vergeſſen, daß Lauk - hard repliciren wuͤrde, und daß das Lezte alsdann aͤrger werden koͤnnte, als das Erſte. Der Unſchul - dige koͤnne ſich mit ſeiner Unſchuld troͤſten, und der Schuldige mit einem, Vater, ich habe geſuͤndi - get! beſſern! Die Herren koͤnnen froh ſeyn, daß noch Einer unter ihnen ſo geſcheid war, als Herr Mieg: denn wenn ſie geklagt haͤtten, ſo wuͤrden ſie durch neue Thatſachen nur noch mehr ſeyn be - ſchimpft und belacht worden. Der Herzog von Braunſchweig iſt uͤberdieß viel zu klug, als daß er eine Klage von dieſer Art haͤtte annehmen und432 eine Unterſuchung daruͤber verfuͤgen ſollen. Genug, ich bin nicht verklagt, und bey meiner Durchreiſe durch Heidelberg, im October 1795, auch nicht angehalten oder befehdet worden. Das zeigt denn doch noch von einigem bon ſens der Herren Heidel - berger; und ſo moͤgen ſie fuͤr dießmal, troz allem, was ich von neuem uͤber ſie in Petto herumtrage, in Frieden ſeyn und bleiben. Aber eins muß ich hier aufs Reine bringen, weil ich verbunden bin, die Ehre eines braven jungen Mannes zu retten, der meinetwegen in der Pfalz als eine Frau Baſe oder Klatſchſchweſter verſchrieen iſt.

Man glaubt daſelbſt durchgaͤngig ich hab's wohl an zwanzig Orten gehoͤrt Herr Winkel - blech aus Arnsheim, der von 1790 bis auf den Herbſt 1791 in Halle ſtudiert, und da meinen Unterricht benuzt hatte, habe mir die Nachrichten von der Heidelberger Univerſitaͤt und von der Pfaͤl - zer Pfafferey mitgetheilt. Man hat dieſes uͤberall ausgeſprengt, und der gute Winkelblech iſt deswegen ſehr ins ſchwarze Buch gekommen. Man hat ihm gedroht, ihn bey dem Kirchenrath deshalb zu belangen. Aber ich erklaͤre hier oͤffentlich, daß die Quelle, woraus ich jene Nachrichten geſchoͤpft habe, ganz und gar nicht Hr. Winkelblech iſt; vielmehr hat dieſer, wenn ich manchmal ſo im trau - lichen Geſpraͤche uͤber die Pfaͤlzer Bonzen und uͤber433 die antiquiſſima Rupertina loszog, ſich im Ernſte erhizt, und die Apologie ſowohl der Bonzen, als der Gelehrten-Zunft zu Heidelberg uͤbernommen. Kurz, ich habe, was ich erzaͤhlte, theils ſelbſt erlebt, theils von Leuten gehoͤrt, die Glauben ver - dienen, die ich aber den Herren in der Pfalz nicht noͤthig habe bekannt zu machen. Uebrigens ver - ſpreche ich den Herren damit ſie doch ſehen, daß auch mir das Suum Cuique noch heilig ſey das, was ich von wirklicher Verbeſſerung der Schulen in der Pfalz, beſonders durch einige Schuͤler des Profeſſors Wolff zu Halle, geſehen und erfahren habe, dereinſt treufleißig anzugeben.

In Forſt mußten wir Viktoriſiren, oder das Gewehr einigemal losſchießen, weil ein General unſrer Verbuͤndeten einigen Vortheil uͤber den Feind gewonnen hatte. Die Siege waren groͤßtentheils unbedeutend, und ſo war denn auch das Viktori - ſiren unbedeutend, und des Pulvers nicht werth. Die Franzoſen mokirten und erboßten ſich allemal daruͤber, und ihre Ehrbegierde wiegelte ſie reger gegen uns auf; bey uns aber erregte es Verdruß und Murren, weil die Soldaten hernach ihre Ge - wehre fuͤr nichts und wieder nichts putzen mußten. Man ſollte billig bis auf den Frieden warten, undDritter Theil. Ee434dann zuſehen, ob die Goͤttin Viktoria uns oder dem Feinde guͤnſtiger geweſen ſey.

Vosne velit, an me regnare hera, quidve ferat fors, Virtute experiamur, ſagt Pyrrhus von Epirus beym Eunius.

In Frankreich habe ich hernach oft die bitter - ſten Sarkasmen uͤber das Viktoriſiren der Verbuͤn - deten hoͤren muͤſſen, und konnte ſie nicht widerle - gen, weil die Citoyens immer die wohlgegruͤndete Bemerkung machten, daß ein und der andre winzige Vortheil uͤber den Feind immer eine Kleinigkeit bleibe, ſo lange man nicht dauerhaften Nutzen dar - aus ziehen koͤnnte: und von dieſer Art waͤren die Vortheile der kombinirten Maͤchte nie geweſen. Wie geſagt, man haͤtte billig bis zum Frieden, oder bis zur gaͤnzlichen Entkraͤftung der Franzoſen warten ſollen. Jezt ſchoſſen wir heute Voctoria, und in kurzer Zeit wußten wir vor Angſt und Schre - cken nicht zu bleiben!

In Forſt hatte der Zoͤllner, welcher auch Kraͤ - mer war, und Wein ſchenkte, eine lutheriſche Bi - bel. Er durfte ſie zwar nicht oͤffentlich zeigen, denn ſonſt wuͤrden ihm die Pfaffen Forſt gehoͤrt dem Biſchof von Speier ihre ſchwere Hand ge - wiß haben fuͤhlen laſſen. Der Mann war aͤchtka - tholiſch, doch war ihm die lutheriſche Bibel des - wegen lieb, weil er die ganze Franzoͤſiſche Revo -435 lution darin fand, und zwar in der Offenbarung Johannis und dem Propheten Ezechiel vorzuͤglich. Unſre Soldaten hatten ihm geſagt, daß ich ſo ein Stuͤck von einem Studierten ſey: er machte mir alſo ſeine Weisheit bekannt, und fragte mich um mein Gutachten. Da ich ihm aber nach meiner Einſicht antwortete, erboßte er heftig, und ſagte mir gerade ins Geſicht: daß er gar nicht verſtuͤnde, wie man ſo einen gottloſen Freygeiſt bey der Armee leiden koͤnnte! Dann koͤnnte freilich Gott der Herr kein Gluͤck und Seegen geben, wenn dergleichen ab - ſcheuliche Menſchen, die gar nichts glaubten, und die Bibel fuͤr ein heilloſes Schwaͤrmerbuch hielten, bey dem Heere geduldet wuͤrden! Ich ſchmun - zelte, und ließ ihn nach dem praktiſchen Spruch:

Vergebens bleicht man einen Mohren,
Vergebens ſtraft man einen Thoren:
Der Mohr bleibt ſchwarz, der Thor bleibt dumm.
Sie beſſern, iſt nicht meine Sache.
Ich laß die Narren ſeyn, und lache:
Das iſt mein Privilegium.
436

Fuͤnf und dreyßigſtes Kapitel.

Niederkirchen. Maykammer.

Nach acht Tagen veraͤnderten wir das Kantonni - rungsquartier, und unſer Bataillon kam nach Nie - derkirchen, einem Speieriſchen Dorfe, wo ich mein Lager bey einem Schuſter bekam, welcher ein ſehr poſſirlicher Menſch war. Seine Frau zankte und noͤrgelte den ganzen Tag, er aber lachte nur, wenn ſie ihre Stimme fuͤrbaß hoͤren ließ. Daruͤber er - boßte das Weib gewoͤhnlich ſo ſehr, daß ſie dem guten Kerl in die Haare fiel. Geſchah dieſes, ſo packte er ſie an, und fuͤhrte ſie, mir nichts dir nichts, ordentlich zur Hausthuͤre heraus, und ſchloß dieſe dann zu. Warte Karnudi, du ſollſt nicht wieder 'rein! war alles, was er hinzufuͤgte. Darauf ſezte er ſich an ſeine Arbeit, und machte nicht eher auf, als bis die Tochter, ein Maͤdchen von 17 Jahren, ans Fenſter kam und im Namen der Mutter Beſſerung und Gehorſam verſprach. Das ging alle Tage ſo, und einigemal paſſirte es gar zu Mitternacht.

Von hier aus beſuchte ich dann und wann den Pfarrer Leopold zu Ungſtein. Dieſer bekannte437 mir, daß er die ſogenannte Genugthuungslehre nir - gends beſſer erklaͤrt geleſen haͤtte, als in dem Bahrdti - ſchen Roman Paſtor Rindvigius. Das mag wohl ſeyn in Beziehung auf den Hn. Pfarrer: aber mich duͤnkt, daß das Dogmatiſiren in einem Buche, wie Rindvigius iſt der ſchon deswegen dem D. Bahrdt zuzuſchreiben waͤre, weil darin einer Autonianiſchen Chrie Meldung geſchieht wenig guten Eindruck machen muͤſſe. Spotten uͤber Thorheiten und Fratzen thut in Romanen vor - treffliche Wirkung, ſo wie das durch Handlung mo - tivirte Aufſtellen moraliſcher Wahrheiten: aber Dogmata laſſen ſich da nicht recht behandeln. Loͤffler that es an einem ſchicklichern Orte.

Auch hier erhielt ich Geld von meinem recht - ſchaffnen Bispink, welcher mich, wie man weiß, den ganzen Feldzug uͤber, mit Geld und andern Nothwendigkeiten immer bruͤderlich verſehen hat. Seinem Briefe waren mehrere Recenſionen meiner Biographie beygeſchloſſen, welche ich, ſo ſehr mich die Herren in Jena und Goͤttingen herunterge - macht hatten, doch mit Wohlgefallen durchlas. Ich konnte mir dieſes leicht vorher denken, ſagte es am Ende des zweyten Bandes ja auch vorher, und hatte nun das Vergnuͤgen, zu ſehen, wie die Erfahrung mein Urtheil uͤber den Ton und den Cha - rakter der meiſten Zunftgelehrten beſtaͤtigte. Daß438 ich nicht ruhmſuͤchtig bin, denk 'ich, wird man meiner ganzen Lebensgeſchichte anſehen: und ſo will ich mich allen Witzkumpans mit ihren flet - ſchenden Zaͤhnen und Federn auch hier ganz erge - benſt neuerdings auf Diskretion ergeben, und ihre Recenſionen ohne alle Gegenruͤge ruhig mit ins Ma - culatur wandern laſſen. Uebrigens danke ich den Herren, vorzuͤglich dem in der allgemeinen Litera - tur-Zeitung, den ich ſchon in Gießen an ſeiner Tatze laͤngſt erkannte, daß ſie es der Muͤhe werth gefunden haben, die Aufmerkſamkeit auf meine Wenigkeit per fas et nefas vermehren zu helfen, und will ihnen nur noch ſagen, daß man herzlich gelacht hat, als ich ihre Recenſionen im Wirths - hauſe zu Duͤrkheim einer Geſellſchaft von Offizie - ren und andern Kriegsbedienten vorlas. Kaltes Blut und guter Ton, meynte man, ſey nicht die Sache aller Gelehrten.

Den 14ten Auguſt ruͤckte unſer Bataillon nach Maykammer, eine gute Stunde von Edinghofen, wo damals das Koͤnigl. Hauptquartier ſtand, wel - ches vorher in Duͤrkheim geweſen war. Wir bra - chen Abends auf, marſchierten durch Renſtadt und kamen fruͤh gegen 4 Uhr in Maykammer an.

Es war gerade das Feſt der Himmelfahrt Ma - riaͤ. Ich ging in die Kirche, blos zum Zeitver - treib, und um die huͤbſchen Geſichter der dortigen439 katholiſchen Maͤdchen anzuſehen, welche bey der Andacht〈…〉〈…〉 innehmender werden ſollen. Ueberhaupt hat jene Gegend auffallend ſchoͤne Maͤdchen, ſchoͤ - nere wirklich als Sachſen. Die Pfalz, beſonders am Gebuͤrge, Schwaben und der Breisgau zeigen Geſichter, wie man ſie in Sachſen ſelten antrifft. Ich Maͤdchen bin aus Schwaben, Schwarzbraun iſt mein Geſicht dieß hat gewiß jemand geſchrieben, der wohl nie ein huͤbſches Schwabenmaͤdchen geſehen hat. Die Schoͤ - nen in Schwaben haben gewiß keine ſchwarzbraune Geſichter. Man frage nur unſre Herren Offiziere und Soldaten. Dort oben am Gebuͤrge hat - ten die Anbeter des Schoͤnen noch den Vortheil, daß die Emigranten dahin nicht ſo wie an andre Orte gekommen waren; folglich waren die Maͤd - chen noch unverdorben, und unſre Leute riskirten doch nicht, von ihnen gleich ins Lazareth zu wan - dern, wie dieſes der Fall gar oft an andern Orten geweſen iſt. Sonſt ſind die Maͤdchen dort herum, wie uͤberhaupt in allen Weinlaͤndern, jovialiſch, intereſſant, nehmen nichts uͤbel, haſſen alle Cere - monien, und ſind durchaus keine Freundinnen von den Maͤnnern. Sie haben im lezten Stuͤcke große Vorzuͤge vor den Maͤdchen in Sachſen, und ver - dienen die Achtung, und die Liebe der Maͤnner in weit hoͤherm Grade, als dieſe. Ein ſaͤchſiſches440 Maͤdchen haͤngt ſich leicht an jeden, der ihren Ei - gennutz und ihre Putzſucht befriedigen kann: fuͤr Geld und ſchoͤnen Putz ſind die meiſten feil; aber ein Maͤdchen aus der Pfalz oder aus Schwaben von denen rede ich freilich nicht, welche von den franzoͤſiſchen Peſtkindern, den Emigranten, ver - giftet ſind liebt ihren Hans um Seinetwillen. Dort denkt man noch immer: ein braver Kerl ſey eines guten Maͤdchens werth: in Sachſen aber, und da herum, ſoll das Maͤdchen blos dem gehoͤ - ren, der brav geben kann: auro conciliatur amor. Hier iſt Liebe Kunſt; dort Natur.

Ich ging alſo in die Kirche, und ſah dem Spe - ctakel der Proceſſion, und der Weihe der Kraͤuter und Blumen zu, welche an dieſem Tage fuͤr das ganze Jahr zur Verjagung der Geſpenſter, Hexen und alles Zaubers, wie auch der Krankheiten und andrer Uebel geweihet werden. Waͤhrend des Hoch - amts oder der feierlichen Meſſe, praͤſentirten die Bauren einigemal die Gewehre in der Kirche, nah - men ſie nach Tempos bey Fuß, knieten nieder nach Tempos, zogen die Huͤte nach Tempos ab, und ſezten ſie eben ſo regelmaͤßig wieder auf: Alles waͤhrend der Meſſe! Endlich beſtieg der Kaplan die Kanzel, und ich erwartete nun auch eine aͤhn - liche Predigt, voll katholiſcher Salbung, das heißt, eine magere, jaͤmmerliche Abhandlung, uͤber die441 unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt. Allein ich fand auf eine ſehr angenehme Art, daß ich hierin geirrt hatte. Der junge Geiſtliche ſprach kein Wort von der allerſeligſten Jungfrau, ſondern hielt mit vielem Anſtand und Beredſamkeit eine Pre - digt uͤber die Troſtgruͤnde, welche der Leidende aus der Hoffnung eines kuͤnftigen beſſern Lebens ſchoͤpfen koͤnnte. Er ſchraͤnkte ſich blos auf die Ungluͤckli - chen ein: denn die Gluͤcklichen, ſagte er, ſehnen ſich nach dem Ziele ihres Daſeyns nicht, und be - wies, daß dem mancher Troſtgrund fehlen muͤßte, welcher an der Unſterblichkeit ſeiner Seele, und an dem kuͤnftigen Leben zweifelte. Ich muß geſtehen, daß der Mann ſeine Sachen recht ſchoͤn machte; und dieſes Bekenntniß von meiner Seite muß um ſo unpartheiiſcher ſcheinen, da ich ſchon ſeit langer Zeit Gruͤnde zu haben glaube, auf alles Ultra - mundaniſche nicht ſo recht zu rechnen, und das Meiſte davon der Ungenuͤgſamkeit der Menſchen, und ihrer kaufmaͤnniſchſpielenden Phantaſie zuzu - ſchreiben.

Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo mehrere Buͤrger ſich verſammelten. Ich ruͤhmte hier den Hn. Kaplan oͤffentlich, fand aber, daß die Leute nicht ſehr mit ihm zufrieden waren, und hoͤrte, daß ſein Herr Pfarrer ihm gar nicht guͤn - ſtig ſey. Den Bauren predigte der Mann nichts442 von alten Heiligen-Geſchichten, Legenden u. dgl. und dem Pfarrer misfiel er deswegen, weil einige vornehme und einſichtsvolle Katholiken, ſogar auch Proteſtanten, ſeine Predigten vorzogen. Alles dieſes empfahl mir den Mann noch mehr, und ich ſuchte nun ſeine Bekanntſchaft, welche gar leicht zu machen war, da er alle Tage ins Feld ſpatzie - ren geht und ein ſehr leutſeliger Mann iſt. Er hatte ſchon vorher von mir gehoͤrt, und nahm mich geradesweges mit auf ſeine Stube, zeigte mir ſeine Bibliothek, und ſprach recht vernuͤnftig ſowohl uͤber litteraͤriſche Gegenſtaͤnde, als uͤber die Angelegen - heiten der Zeit. Er war der erſte katholiſche Geiſt - liche, den ich ſagen hoͤrte, daß er noch viel Gutes von der Franzoͤſiſchen Revolution auch fuͤr die Re - ligion erwarte. Unter ſeinen Buͤchern fand ich Zollikofers und Spaldings Predigten, auch Niemeyers Karakteriſtik, u. dgl.

Um dieſe Zeit kamen viele Geſandten im Haupt - quartier zu Edinghofen an, welche aber zum Theil in Maykammer logirten, weil es an Platz in Eding - hofen fehlte. Die Naͤhe des Hauptquartiers iſt fuͤr die Armee allemal eine fatale Sache. Sie ver - theuert die Lebensmittel gar ſehr, denn wer etwas zu verkaufen hat, traͤgt es hin, wo die Leute Geld genug geben koͤnnen; und der arme Soldat kann mit ſeinem wenigeren Gelde zu Hauſe bleiben. In443 Maykammer war z. B. Milch genug, aber wir hatten große Muͤhe, etwas zu bekommen, weil ſie alle ins Hauptquartier getragen wurde. Das war eine von den Urſachen, warum wir hier viele Noth litten.

Eine andere Urſache ſchrieb ſich vom Brode her. Ich weiß nicht, welcher gottloſe Daͤmon den Vor - ſchlag gethan haben mag, dem Soldaten 6 Pfund Brod, welches doch nur auf drey Tage reichen ſollte, auf vier Tage zu langen. Den Abgang auf den vierten Tag wollte man mit etwas Reis erſetzen. Wir bekamen auch Reis, hatten aber nun nicht hinlaͤnglich Brod. Daruͤber wurde ſtark gemurrt und geflucht, und der Erfinder dieſer An - ſtalt in den Abgrund der Hoͤlle verwuͤnſcht. Wahr - ſcheinlich war der Urheber einer von dem Kriegs - kommiſſariate, welcher bey dem Reishandel ſeine Beutel ſpicken wollte. Und doch fraͤgt man noch, warum wir vis-à-vis der Franzoſen die Fluͤgel haͤn - gen ließen! Der Soldat muß ſich ſatt eſſen, ſonſt iſts aus mit ihm: und wenn er vollends merkt, daß man ihm das verkuͤrzen will, was man ihm ſchuldig iſt, ſo faͤngt er an zu knurren, welches man ihm um ſo weniger verdenken kann, da der - gleichen Verfuͤgungen nicht vom Koͤnige, ſondern von gewiſſen Schurken abhaͤngen, die ſich auf ſeine und ſeiner Soldaten Koſten bereichern wollen.

444

Die Geſandten ließen ſehr viel aufgehen, und beſonders die der franzoͤſiſchen Prinzen, welche, nebſt ihren Leuten, eine unbaͤndige Ueppigkeit ſehen ließen. Sie hatten ihre Maͤtreſſen mit; und ihre Bediente ſchlichen den Bauermaͤdeln nach, kamen aber einigemal in Kolliſion mit unſern Soldaten, und der Buckel wurde ihnen derbe ausgegerbt.

Was die Geſandten eigentlich wollten? Je nun, man wollte einen Plau machen, wie von nun an, die Franzoſen angegriffen, geſchlagen und hernach regiert werden ſollten: auch, wie man Frank - reich beſchraͤnken, und ein gut Stuͤck davon reißen wollte u. dgl. Man hatte aber die Rechnung auch hier, wie im vorigen Jahre, ohne den Wirth gemacht!

Eines Tages ſaß ich in einem gewiſſen Dorfe vor der Thuͤre und rauchte mein Pfeifchen. Ein recht großer Herr ritt voruͤber, gruͤßte mich, ſprach mit mir wir kannten uns ſchon lange und da es heiß war, bath er um Milch. Ich rief die Hausfrau, und dieſe, weil es ein Herr mit einem Stern war, erboth ſich, ſogleich welche herzugeben. Der Herr ſtieg ab, und gieng in die Stube. Die Hausfrau war recht derbe, ich meyne im Phyſiſchen; der Herr ſchaͤkerte mit ihr immer traulicher, und be - fahl mir denn endlich, ſein Pferd ins Wirthshaus zu fuͤhren, und mir da auf ſeine Rechnung eine Bouteille445 vom Allerbeſten geben zu laſſen. Ich verſtand den Wink, und fuͤhrte mich ab. Lange hernach kam der Herr ins Wirthshaus, lachte ſchelmiſch, fragte mich: ob wir wohl Schwaͤger ſeyn moͤgten, zahlte die Zeche, gab mir noch einen Laubthaler und da - hin ritt er. Ich fragte hernach die Gefaͤllige: wie ihr der Herr mit dem Stern gefallen haͤtte? Sie konnte des Lobens und Ruͤhmens kein Ende finden: da wars ein ſchoͤner, allerliebſter Herr! u. ſ. w. Endlich ruͤhmte ſie ſich ſogar der Vertraulichkeit, womit er ſie beehrt haͤtte, u. dgl. So ſind die Weiber! meiſt eitle Dinger, und was ihrer Eitel - keit ſchmeichelt, iſt ihnen willkommen. Was alſo Wunder, daß eine Bauerfrau, ſogar eine katho - liſche, die Umarmungen eines hohen, mit einem großen Stern prangenden Herrn fuͤr hohe Ehre ſchaͤzte, zumal da der Herr obendrein nicht geizig war!

Ein andermal nahm mir ein aͤhnlicher Herr ein Buch aus der Hand, worin ich vor dem Wirths - hauſe zu Maykammer las. Es war Bahrdts Nachlaß, unter dem Titel: Anekdoten und Charakterzuͤge aus der wahren Geſchichte, fuͤr Liebhaber des Vademekums und ernſthafte Leſer. Ich war gerade an der Stelle, wo es heißt: Waͤre der Haͤuſeler unſeres gottſeligen Ludwigs ein Chapeau geweſen: ſo haͤtte der Herr Jeſus die Ehre446 gehabt, von ihm zu einer Erſcheinung vorgefuͤhrt zu werden. Eine Hure (die Maintenon) hielt ſich aber an ihres Gleichen (an die h. Jungfrau.) Was ihm die Pfaffen ſagten, glaubte er u. ſ. w. S. 35. Der Herr las das gleich auch, lachte laut auf, und fragte, was ich vor das Buch ha - ben wollte. Ich antwortete, daß es mir jezt noch nicht feil ſey, daß er es aber in einigen Tagen ha - ben koͤnnte: denn ich haͤtte mir vorgenommen, es dem Kaplan zu leihen. Ey was, erwiederte er, ich behalt 'es, das iſt ein exellentes Buch! Hier nehm' er: und ſofort warf er mir zwey Thaler hin, und galoppirte mit dem Buche weiter. Dieſes Buch iſt nachher im Hauptquartier geleſen und be - lacht worden: ſogar dem Koͤnige hat der Prinz Louis daraus vorgeleſen. Und ſo kommt man - chesmal durch einen Zufall etwas vor die Ohren der Fuͤrſten, und ſtiftet da vielleicht Gutes. Man nehme dieß merkwuͤrdige Buͤchlein zur Hand; und meine Leſer werden ſich uͤber dieſen Zufall freuen, wie ich.

Einen recht feſtlichen Tag hatte ich, als mich der jezt regierende Herzog von Pfalzzweybruͤcken, damals noch Pfalzgraf Maximilian, oder Prinz Max zu ſich kommen ließ. Er logirte in Maykammer. Dieſer menſchenfreundliche Fuͤrſt iſt ganz das Gegentheil von ſeinem verſtorbenen447 Bruder, dem Herzog. Dieſer war, was wir wiſſen, ein Freund der Jaͤger, der Jagdhunde, der Frauenzimmer, der Katzen und der Eulen, aber ein Feind ſeiner Unterthanen, und eben dadurch eine der Haupturſachen des Partheygeiſtes, der das arme Zweybruͤcker Land ſo elend gemacht hat.

Herzog Maximilian ſagte mir, daß er von mir gehoͤrt habe, und mich gern perſoͤnlich kennen moͤgte. Ich mußte mich niederſetzen, Wein trin - ken und erzaͤhlen. Ich erzaͤhlte ohne Winkelzuͤge, ganz frey, und ruͤgte alles gerade heraus, was ich an dem Pfaͤlziſchen Weſen zu tadeln fand. Ich weiß es, fuhr ich fort, daß ich mit dem kuͤnftigen Kurfuͤrſten von Pfalzbayern rede, und eben des - wegen rede ich frey. Gott gebe, daß Ew. Durch - laucht die Wunden heilen moͤgen, welche ein anar - chiſch-ariſtokratiſch-pfaffiſch-deſpotiſches Regie - rungsſyſtem dem guten Vaterlande geſchlagen hat! Der Herzog laͤchelte, wendete ſich etwas zur Seite, kehrte dann wieder freundlich zu mir, und ſagte: Wenn die Vorſehung mich dereinſt regieren laͤßt, ſo ſollen Sie gewiß nicht mehr ſo bitter zu klagen fin - den. Man muß wiſſen, daß der Herzog mit Leuten, die er ſeiner Unterredung wuͤrdiget, nicht par Er oder Ihr ſpricht. Das thun nur die, welche die Menſchheit und ſich in Andern nicht zu ehren wiſſen, z. B. ein Kleveſahl, Superin -448 tendent zu Duͤrkheim an der Haart, und dann ge - woͤhnlich alle kurzſichtige, ſtolze und neugebackne Edelleute. Der edle Fuͤrſt unterhielt ſich lange mit mir, und nachdem ich mich beurlaubt hatte, erhielt ich von ſeiner Hand folgendes Billet, mit einem Goldſtuͤck: C'eſt pour ſoulager un peu Votre ſituation que je Vous prie de recevoir ce petit pré - ſent. Si un jour Vous trouvez que je puis Vous être utile, comptez ſur l'amitié de Votre Ma - ximilien. *)Um Ihre Lage ein wenig zu erleichtern, bitte ich Sie, dieſe Kleinigkeit anzunehmen. Kann ich Ihnen dereinſt nuͤtzlich wer - den, ſo rechnen Sie auf die Freundſchaft Ihres Maximi - lians.

Als ich nachher nach Lindau kam, ſo konnten ſelbſt die Republikaner, ſelbſt der vortreffliche Brion, ſich nicht enthalten, den Edelmuth und die Gefaͤlligkeit gegen Jederman zu ruͤhmen, welche der Pfalzgraf waͤhrend ſeines Aufenthalts in dieſer Stadt er war Oberſter des Regiments cy devant Alſace durchgaͤngig bewieſen hatte.

449

Sechs und dreyßigſtes Kapitel.

Bisthum Speier. D. Bahrdt.

Es iſt allemal meine Gewohnheit, wenn ich durch ein Land komme, mich nicht ſowohl um deſſen Produkte, und die Kleidungen der Einwohner zu bekuͤmmern, als vielmehr nach der Art der Regie - rung zu fragen, und dann uͤber den Wohl - oder Wehſtand eines Landes mein Urtheil zu faͤllen.

Die Produkte ſtehen in allen geographiſchen Notizen, aber von den Regierungen ſchweigen die Herren Geographen ſehr weislich; doch wiſſen wir die Namen, und die Geburtstage, u. dgl. von allen Hoͤchſt-Dero aus hundert und neun und neunzig Taſchenkalendern und großen, dick - leibigten genealogiſchen Handbuͤchern.

Ich hatte mir ſchon ſeit dem vorigen Jahre ei - nen Hauptſatz ſo aus der Erfahrung gebildet, nach welchem ich ſo zu ſagen a priori d. i. ohne weiter ins Einzelne zu gehen, von der Beſchaffenheit der Landes-Regierungen urtheilte. Mein Oberſatz war dieſer: Wenn in einem Lande das franzoͤſiſche Syſtem leicht Eingang findet, ſo taugt die Regie -Dritter Theil. Ff450rung dieſes Landes nicht viel. War nun das Land gar katholiſch, ſo folgerte ich, daß die Regierung vollends gar nichts taugen muͤſſe, und dieß deß - wegen, weil ſich dieſe Leute, nur durch die hoͤchſte Noth gedrungen, entſchließen koͤnnen, ihrem hei - ligen Glauben Eintrag zu thun, und ſich zu einem zu bekennen, der jenen ganz aufhebt.

Das war nun leider der Fall im Bisthum Speier, welches bisher von keiner Ketzerey war beſudelt worden, wohin die Reichsſtadt Speier ausge - nommen, wo aber der Biſchof nichts zu ſagen hat die Lehre des Luthers und des Calvins, welche doch das ganze umliegende Land, die ganze Pfalz und den Elſaß infizirt hatte, nicht hatte dringen koͤnnen. Und doch iſt da der franzoͤſiſche Freyheits - baum ohne alle Muͤhe gepflanzt worden!

Ich fragte nach den Urſachen, und hier ſind ſie.

Der vorige Biſchof war zugleich Kardinal der roͤmiſchen Kirche, und ein inniger Freund des Kurfuͤrſten von der Pfalz, und war, wie dieſer, ein Freund der Pracht und des Aufwands. Das Land iſt klein, traͤgt alſo nicht viel, und doch trieb der Herr Biſchof einen Staat, wie ein Kurfuͤrſt! Er hielt Soldaten, ſtellte Parforçejagden an und das in einem Lande, wo es beynahe nur Haſen und Rebhuͤner giebt unterhielt Komoͤdianten, ließ Opern ſpielen, und verſchwendete anſehnliche Sum -451 men an Gebaͤuden und nichtseintragenden Berg - werken. Uebrigens waren ſeine Eminenz ſehr or - thodox und haßten daher auch Dero ketzeriſchen Weihbiſchof Seelmann, einen Mann, der wie Hontheim das katholiſche Kirchenweſen zu beſ - ſern ſuchte. *)Bahrdts Ketzeralmanach Art. Seelmann.

Bey dieſer Haushaltung wurde nun der Land - mann und der Staͤdter nicht nur gewaltig bedruͤckt, ſondern es mußten auch anſehnliche Schulden ge - macht werden. Man borgt aber den Herren Bi - ſchoͤfen nicht anders, als wenn das Domkapitel einwilliget, um ſich an dieſes, als eine moraliſche Perſon, halten zu koͤnnen, auf den Fall, daß die phyſiſche Perſon ſeiner Biſchoͤflichen Gnaden als inſolvent abfaͤhrt. Und ſo war viel geborgt.

Nach dem Tode dieſes Kardinals kam der da - malige Domdechant, Graf von Styrum, an die Regierung. Dieſer hatte das Unweſen unter der vorigen Regierung eingeſehn, und machte gleich Anſtalten, die alten Schulden abzutragen. Neue Auflagen waren das Mittel dazu. Anfaͤnglich machte man den Bauren und Buͤrgern weis, die Auflagen ſollten nur ſo lange waͤhren, als noch Schulden auf dem Lande hafteten: aber die Schul -452 den wurden nicht nur nicht abgetragen, ſondern noch anſehnlich vermehrt; und die Auflagen blie - ben. Beyher wurden von Seiten des Stifts große Proceſſe mit den Unterthanen gefuͤhrt, welche dann, wie ſichs fuͤr dieſe Gegenden verſteht, allemal zum Nachtheil der leztern entſchieden wurden.

Außerdem klagten die Speieriſchen Leute gar ſehr daruͤber, daß der Hr. Biſchof alle Aemter mit Auslaͤndern, und groͤßtentheils mit ſolchen beſezte, welche vom Pfaͤlziſchen und Maynziſchen Hofe empfohlen wuͤrden. An dieſen Hoͤfen wolle naͤmlich der Hr. Biſchof gern hoch angeſehen ſeyn, ſuche alſo ſo viel von den daſigen Lieblingen unter - zubringen, als er koͤnne. Alle Hofbedienungen, alle Civilſtellen und andre waͤren demnach mit Aus - laͤndern beſezt. Um aber doch auch von ſeinen Un - terthanen Einige zu Brod zu verhelfen, ſchenke der Hr. Biſchof von Zeit zu Zeit dem Kurfuͤrſten von der Pfalz ſo und ſo viel junges Bauervolk zu Soldaten. Aus der Pfalz nehme man uͤberfluͤßige Kammerdiener, Jaͤger, Advokaten u. dgl. ins Land, und verſorge ſie ſtattlich. Damit aber die Volks - menge nicht zu groß werde, ſo ſchicke man arbeit - ſame Landeskinder des geringern Standes weg, und laſſe ſie bey fremden Fuͤrſten die Muskete tragen. Wer ſich im Speieriſchen unterſtehe, außer der Ehe zur Bevoͤlkerung beyzutragen, der muͤſſe entweder453 eine große Geldbuße abtragen, oder ohne Barm - herzigkeit zu Mannheim Soldat werden. Aus Sankt Martin iſt auf dieſe Art ein Burſche mit Gewalt nach Mannheim geſchleppt worden, weil es ſich fand, daß das Maͤdchen, mit welchem er verlobt war, vor der prieſterlichen Einſegnung ſchwanger ging. Er war der einzige Sohn einer alten Wittwe, welche er ernaͤhren mußte, und welche jezt, da ihr ihre Stuͤtze fehlt, betteln geht.

Hier zu Lande beſteht auch noch die allerliebſte Verordnung, wie in allen katholiſchen Sultaneyen jenſeits des Rheins, daß zwey Perſonen, welche die Ehe vor der Ehe treiben, einander nachher nicht eher heurathen duͤrfen, bis ſie die Diſpenſation mit ſchwerem Gelde erkauft haben. Ich ſprach we - gen dieſer erzdummen, laͤppiſchen Verordnung mit dem Oberkellner von Speier, und bewies ihm, daß man vielmehr ſorgen ſollte, daß ſolche Leute je eher je lieber zuſammen kaͤmen. Aber der Hr. Oberkellner erwiederte: dieſes Geſetz ſey gegeben, um Leute, welche ſich einander liebten, und ſich zu verbinden daͤchten, deſtomehr von aller Unzucht abzuhalten, weil ſie bedenken muͤßten, daß die Folgen der An - ticipation ihrer Verbindung Hinderniſſe in den Weg legten. Ah was, fing der Schreiber des Hn. Oberkellners an, die Paͤpſte haben ſo ein dummes Geſetz eingefuͤhrt, weil ſie wußten, daß derley454 Faͤlle oft genug kommen wuͤrden, und daß ſie alſo brav Geld fuͤr Strafen und Diſpenſationen ſchnei - den koͤnnten!

Ein biſchoͤflicher Beamter ſizt weit feſter, als einer, der unter einem Fuͤrſten ſteht. Der prin - cens ſecularis wie es in der kauderwaͤlſchen Sprache heißt, kann ſeine Spitzbuben zum Teufel jagen, wenn er will; aber der geiſtliche Fuͤrſt muß doch erſt das liebe hochwuͤrdige Domkapitel zu Rathe ziehen: und da hat denn ein ſolcher Blutegel im - mer ſchon Freunde, und folglich das Privilegium, zu ſchinden und zu rauben bis an ſein Ende.

Da alle Unterthanen des Hochſtifts leibeigen ſind man denke ſich die Leibeigenſchaft unter ei - nem Biſchof mit den alten Kirchengeſetzen und dem Geiſte des Chriſtenthums vereinbar! ſo iſt ih - nen nicht nur uͤberall verboten, ins Ausland zu heurathen, ſondern ſie duͤrfen nicht einmal ſich an einem andern Orte niederlaſſen, wenn er gleich eben biſchoͤflich iſt. Nur mit ſchwerem Gelde kann die Erlaubniß dazu erlangt werden.

Ueberdieß iſt das ganze Hochſtift voller Pfaffen und Edelleute, welche ihre Tyrauney uͤben nach Herzensluſt. Ueberhaupt haben die Pfaffen und die Adelichen in den Bisthuͤmern mehr Gewalt und mehr Anſehen, als in andern Laͤndern. Die adeli - chen Familien ſind allemal mit dieſem oder jenem455 Dommherrn, oft auch mit dem Herrn Biſchof ſelbſt vervettert oder verſchwaͤgert, und da koͤnnen ſie denn thun, was ſie wollen; und die Pfaffen vol - lends ſind unter pfaͤffiſcher Regierung allmaͤch - tig! Man hoͤre und richte!

Ohnweit Bruchſal, der Reſidenz des Fuͤrſtbi - ſchofs, war ein Pfarrer, welcher mit dem Muͤller des Ortes, wegen vertauſchter Kleien, proceſſirte. Die Sache, ſo unwichtig ſie auch war, artete in einen Injurienproceß aus, und beyde Partheien ließen ſich durch ihre Advokaten derb und weidlich ſchimpfen. Einige Zeit hernach begegnete der Pfarrer dem Muͤller auf der Straße, und fing an heftig zu ſchelten. Der Muͤller vom Pfaffen aufs aͤußerſte gebracht, gab ihm einen Stoß, daß er ruͤcklings hinſtuͤrzte. Es kamen Leute dazu, und der Muͤller wurde arretirt, entfloh aber nach - her, und kam gluͤcklich nach Karlsruhe. Nun wurde ſein ganzes Vermoͤgen konfiscirt, ſeine Frau und Kinder ins Elend geſtuͤrzt, und er des Landes verwieſen alles nach Anwendung des: ſiquis ſuadente diabolo u. ſ. w. Dem Pfaffen ge - ſchah nichts!

Man kann im Speieriſchen fragen wo man will: wem das oder jenes ſchoͤne Gut, Schloß, Haus u. ſ. w. gehoͤre; und die Antwort iſt allemal; dem456 Herrn von, dem Kloſter, dem Praͤlaten, dem Pfaffen. u. ſ. f.

Nachdem ich dieſe Kundſchaften eingezogen hatte, ſo fand ich einen neuen Grund, jenen er - waͤhnten Hauptſatz fuͤr wahr und richtig zu hal - ten: aber nicht allein ihn ſelbſt, ſondern auch ſei - nen ſchlichtweg umgekehrten, naͤmlich: wo die Regierungsform ſchlecht und unzweckmaͤßig und fuͤr den Unterthanen druͤckend iſt, da muß das fran - zoͤſiſche Syſtem Beyfall finden. Warum z. B. iſt man im Speieriſchen, das doch ſo erzkatholiſch iſt, ſo gut patriotiſch, und warum iſt man im Badi - ſchen, das proteſtantiſch iſt, mit der fuͤrſtlichen Re - gierung ſo zufrieden, daß man ſich ganz und gar keine Veraͤnderung wuͤnſchet?

Antwort: weil der Markgraf von Baden ein Fuͤrſt iſt, der ſeine Unterthanen liebt, fuͤr ihr Wohl ſorgt, und ſie nicht ausſaugt. Das iſt das ganze Geheimniß, ein Geheimniß, das jeder Fuͤrſt praktikabel finden koͤnnte, wenn er nur wollte, oder wenn das Intereſſe der politiſchen Unter-Vam - pyrs es nicht hinderte. Ich habe auf meiner Reiſe im Herbſte 1795, in Durlach mit einigen Buͤrgern recht frey und unbefangen uͤber die Ange - legenheiten der Zeit geſprochen, und nirgends hoͤrte ich freyere Urtheile als da; und doch bezeigten alle, wie ſie da waren, eine unerſchuͤtterliche Anhaͤng -457 lichkeit an ihrem Fuͤrſten. Die Badenſer haſſen alle Tyranney, und lieben ihren Herrn doch auf - richtig. 〈…〉〈…〉Oderint, dum metuant iſt gewiß ein ſcheuslicher, und dem Regenten ſelbſt gefaͤhrlicher Grundſatz, zumal heutzutage. Die freyen Grund - ſaͤtze thun's wahrlich nicht: die machen keinen Auf - ruhr; ja, gerade ſie halten ihn, nach der Engli - ſchen Kunſtpolitik, durch die Oppoſitionsparthey, in England zuruͤck. Und wird wohl jemand von den Pocken angeſteckt, der keinen Stoff dazu im Koͤrper hat? Man gehe doch ins Gothaiſche, oder Braunſchweigiſche und predige da das Freyheits - ſyſtem von nun an bis in Ewigkeit: die Gothaer und Braunſchweiger werden zuhoͤren, ſelbſt miteinſtim - men und doch ihren Herzogen treu bleiben. Aber in Heſſen, und in andern paralytiſchen Laͤndern und Laͤndchen moͤgten freilich jene Grundſaͤtze zuͤn - den, nicht fuͤr ſich, ſondern nach dem Stoff, den die Regierung ſelbſt dazu hergiebt.

Und daß viele Regierungen dieß thuen, und uͤberhaupt, damit man ſehe, daß ich von den uͤber - rheiniſchen Gegenden nichts erdichte oder zuviel ſage, ſo will ich ein Zeugniß beybringen, dem man nicht widerſprechen wird. Es iſt eine getreue Ab - ſchrift von (NB. nur) einigen patriotiſchen Wuͤn - ſchen, welche die ſaͤmtliche Buͤrgerſchaft der Stadt Weilburg dem regierenden Fuͤrſten zu Naſſau-Weil -458 burg vorlegte, als Cuͤſtine 1792 von ihm die Brandſchatzung foderte.

Je mehr ſagt die Buͤrgerſchaft es in den jetzigen Zeiten gewoͤhnlich zu werden ſcheint, die Bande zwiſchen Regenten und Unterthanen zu er - ſchuͤttern; je mehr das Beyſpiel zu aͤhnlichen Unternehmungen aufzufodern ſcheint, deſto mehr wird es Pflicht zwiſchen Regenten und Untertha - nen, ſolchen gewaltſamen Ausbruͤchen und ihren betruͤbten Folgen durch wechſelſeitige Auf - richtigkeit in Zeiten vorzubeugen. Jeder Weil - burger und jeder redliche Unterthan iſt von dem tiefſten Schmerz uͤber das Ew. Durchlaucht, bey dem Ueberfall der Franken, widerfahrne Ungluͤck, aber auch mit gerechtem Unwillen gegen diejenigen (Miniſter und Raͤthe) durchdrungen, die es wagen mogten, gegen die Stimme aller Klug - heit Hoͤchſtdieſelben zu vermoͤgen, ſich ohne Anlaß, durch Abſchickung der Kreiskompagnie nach Mainz, zu einem Feind einer maͤchtigen Na - tion, noch dazu in dem Augenblick, aufzuwerfen, als dieſelbe aufrichtige Proben ihrer nachbarlichen Geſinnung abgelegt hatte, und dadurch das ganze Land den traurigen Folgen eines verheerenden Kriegs bloszuſtellen Folgen, die man ſich da - mals um ſo ſchrecklicher vorſtellen mußte, als man von der ſtrengen Mannszucht bey den franzoͤſiſchen459 Armeen, und ihrer großmuͤthigen Behandlung der feindlichen Unterthanen noch keine Probe hatte. *)Alſo waren die Franzoſen anfaͤnglich brav, braver, als die luͤgenhaften Zeitungsſudler; und daß die Franzoſen das nicht blieben, an wem lag das?

Von Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht angeſtamm - ter Herzensguͤte und vaͤterlichen Geſinnungen ge - gen das Land voͤllig uͤberzeugt, ſind wir weit ent - fernt, Ihnen zu einer Zeit Vorwuͤrfe zu machen, wo uns vielmehr die Nothwendigkeit zu thaͤtiger Huͤlfe auffodert: Allein eben dieſe vaͤterliche Geſinnungen machen uns ſo kuͤhn, unſre Klage ge - gen eine Klaſſe von Menſchen vorzutragen, die wir nicht anders, als fuͤr die Quelle ſowohl dieſes, als des meiſten andern Ungluͤcks anſehen koͤnnen.

Waͤhrend dem der groͤßte Theil der Untertha - nen im Schweiß ſeines Angeſichts ſich abmuͤden muß, ſein Leben kuͤmmerlich hinzubringen; waͤh - rend dem vorzuͤglich in unſrer Stadt alle fleißige Buͤrger uͤber Mangel der Nahrung und des Ver - dienſtes und uͤber die immer zunehmende Steige - rung der noͤthigſten Lebensbeduͤrfniſſe ſeufzen, ſehen wir einen Haufen muͤßiger Edelleute ſich um Ew. Durchlaucht lagern, das Mark und den Schweiß des Landes durch ungeheure Beſol -460 dungen und Penſionen wegfreſſen, ſich ſchnell be - reichern, das Geld aus dem Lande ziehen, und zu unnuͤtzen, die Kraft des Landes uͤberſteigenden Prachtanfwand, zu einer Menge Unterbedienun - gen, Equipagen u. dgl. Gelegenheit geben, ohne doch nur im geringſten dem Staat nuͤtz - lich zu ſeyn.

Nicht zufrieden hiermit, maßen ſie ſich noch an, diejenige Klaſſe, die ſie doch ernaͤhren muß, mit Verachtung anzuſehen, unwuͤrdig zu behan - deln, durch ihren eitlen (verdienſtloſen) Stolz jederman zu empoͤren, und dieſe feinen Grundſaͤtze dem Heere ihrer Untergebnen und Anhaͤnger mitzu - theilen. Beyſpiele hiervon koͤnnen wir, erforder - lichen Falls, in Menge anfuͤhren.

Das Militaͤr, dafuͤr da, die Ordnung im Staate zu erhalten, war unter dieſer Zucht in ei - nen Haufen ſittenloſer Menſchen ausgeartet, der nicht nur ungeſcheut alle Schaamhaftigkeit bey Seite ſetzen, die Sitten der Unſchuld und vorzuͤg - lich der Dienſtboten zu verderben, ſondern auch je - den, der nicht zum Hof gehoͤrt, mit Verachtung und Grobheit zu behandeln, ſich berechtigt hielt, und ungeſtraft, ja, auf ausdruͤcklichen Befehl wuͤrdige Diener und Buͤrger aufs auffallendſte in -461 ſultiren durfte. *)Herr Leutnant, hoͤrt 'ich einſt einen Oberſten ſagen, man muß ſich gegen ſeinen Brodherrn dankbar betragen, alſo auch artig. Und wiſſen Sie, wer unſer eigentliche Brodherr iſt? Der Buͤrger und der Landmann: denn was uns unſer Koͤnig, als Titulaͤr-Brodherr, giebt, giebt ihm der Landmann und der Buͤrger fuͤr uns zuerſt. Alſo forthin nie wieder weder Buͤrger noch Bauer inſultirt!Daneben ſcheute man ſich nicht, ohne Noth Juͤnglinge, die einzige Stuͤtze ihrer al - ten abgelebten Eltern, dem Pflug zu entreißen, die Capitulation zu uͤberſchreiten, die ſich hieruͤber Be - ſchwerende mit Pruͤgeln zu beſtrafen und uͤber - haupt die Leute wie Thiere zu behandeln.

Wir enthalten uns uͤbrigens aller Anmerkun - gen uͤber die großen und mancherley Bedruͤckungen und ſchreienden Ungerechtigkeiten ſolcher Leute, welche zu weiter nichts dienten, als alte Wunden wieder aufzureißen, und den Unwillen gegen dieſe groͤßten Feinde des Vaterlands weiter anzufachen. Man verzeihe uns dieſe harte Aeußerung des nur zulange zuruͤckgehaltenen Unwillens gegen Leute, die unſern geliebten Landesvater und das ganze Land, ohne eine nur ſcheinbare Nothwendigkeit, gegen die Stimme aller Klugheit, vielleicht blos aus Rachſucht gegen eine große Nation, die ihre nichtigen Privilegien zerſtoͤhrte, in die augenſchein - lichſte Gefahr des gaͤnzlichen Verderbens gefuͤhrt haben, die eine Kette um denſelben ziehen, da -462 mit er nicht einmal die Stimme eines aͤchten Pa - trioten hoͤren moͤge, und die von jeher in allen Laͤn - dern, wo ſie Fuß gefaßt haben, die Geißel der Voͤlker geweſen ſind.

Meine Leſer werden hieran genug haben, oder wer mehr davon leſen moͤgte, der leſe die kleinen politiſchen Schriften, welche uͤber eben dieß Thema, wie uͤberhaupt uͤber die ganze Regierungskunſt, bey Macklot in Carlsruhe heraus ſind: und ich bin verſichert, man wird einſehen, daß ich uͤber die politiſche Lage der jenſeitigen Rheingegenden eher zu wenig, als zuviel geſagt habe. Was fuͤr Ein - fluß auf das Ach und Wehe der dortigen katholi - ſchen Gegenden das Regiment der hoͤhern und nie - dern Pfafferey, nebſt dem Monachismus, gehabt habe, zeigen Metternichs Reden, und Meuths Buͤrgerfreund. Nirgends in Deutſchland hat der kirchliche und politiſche Deſpotismus aͤrger gewuͤ - thet, als jenſeit des Rheins: gebe der Himmel, daß Frankreichs Exorzismus ihn endlich vertreibe!

Jezt muß ich noch Einiges von D. Bahrdt hier ſagen, oder vielmehr von ſeinen Verdienſten um jene Gegenden. Dieſer Mann hat, wie man weiß, eine Zeitlang in Duͤrkheim als Superinten - dent geſtanden, und hatte in Heidesheim ein Phi - lanthropin. Wer Bahrdten gekannt hat, der weiß, wie liberal er zu reden pflegte, und wie463 gern er ſeine beſſere Einſicht jederman ohne Ruͤck - halt mittheilte. Noch jezt ſind die Spuren dieſer Mittheilung in jenen Laͤndern ſichtbar, nicht nur unter Proteſtanten, ſondern ſogar auch unter Ka - tholiken. Ich weiß und kenne ſelbſt viele, welche dem Doktor die Richtung ihrer Aufmerkſamkeit auf die wahren und erſten Elemente der hoͤhern und ed - lern Humanitaͤt danken, ihm, wie ihrem Vater, noch jezt kindlich gewogen ſind, und ſeine wirklich großen Verdienſte ſchaͤtzen. Moͤgten dieſe Edlen ihre Achtung fuͤr die Verdienſte dieſes Mannes durch Unterſtuͤtzung ſeiner Kinder, welche nicht ſo ſehr durch den Leichtſinn ihres Vaters, als viel - mehr durch ſeine Aufopferung fuͤr die Wahrheit, ſich in duͤrftigen Umſtaͤnden befinden, ſichtbar ma - chen! Bahrdt war immer auch bey allen ſeinen Schwaͤchen ein Mann, auf den unſre Nation mit Recht ſtolz iſt. Was Flecken war, vermodert, ſagt Buͤrger, aber die Verdienſte bleiben ewig! Genug, haͤtte Bahrdt laͤnger in der Pfalz bleiben, und mehr und ungehinderter da wirken koͤnnen, haͤtte ein Ruͤhl ihn nicht gehaßt, und haͤtte der Weihbiſchof von Scheben ihn nicht ver - folgt, ſo wuͤrde die Pfalz durch Ihn und durch ſeine Bemuͤhungen merklich gewonnen haben. Man haͤtte durch ihn an Einſicht zugenommen, waͤre toleranter geworden, haͤtte den Amtleuten genauer464 auf die Finger ſehen lernen, haͤtte ſie dadurch ge - noͤthiget, ehrlicher und menſchlicher zu ſeyn; dieß haͤtte eine gerechtere Behandlung der Unterthanen nach ſich gezogen, haͤtte mehr Zufriedenheit mit der Regierung bewirkt, und man waͤre ohne Frey - heitsbaͤume frey geworden nach einer geſetzmaͤßigen und vernuͤnftigen Behandlung. Aber Maͤnner, welche durch Verbreitung einer beſſern Einſicht hie - zu beytragen, belegt man mit Schimpfnamen, will ſie nicht: alles ſoll militaͤriſch gehen; und dann gehts, wie dort druͤben am Rhein! Bahrdt ward verketzert, verfolgt, vertrieben, ſtarb in Duͤrftig - keit; und Kleveſahl, ſein Nachfolger, ein duͤ - ſterer, intoleranter Gruͤtzkopf, iſt reich, angeſehn, bey ſeines Gleichen, und lebt gluͤcklich! Nun dann ſo bitte du fuͤr uns, du liebe, heilige Dummheit!

Dem Fuͤrſtbiſchof von Speier muß ich indeß noch nachruͤhmen, daß er alle Erbauungsbuͤcher, wo - durch der Aberglaube befoͤrdert wird, in ſeinem Stift verboten hat. Namentlich ſind hier die Legende, der große und der kleine Baumgarten des Paters Martin von Cochem, die goldene Andacht zum Herzen Jeſu, und andere ſolche Fratzenbuͤcher verbo - ten und die Pfaffen angewieſen worden, das Schaͤd - liche und Unanſtaͤndige von derley Andachten oͤffent - lich auf der Kanzel vorzutragen, und dieſen Vor -465 trag oͤfters zu wiederholen. Der Katechismus des Abts Felbiger hat aber doch nicht ohne Unru - hen eingefuͤhrt werden koͤnnen: die Moͤnche hatten den Leuten weis gemacht: das ſey ein nach Ketze - rey ſchmeckendes Buch! Daß in dem ganzen Bisthum praͤchtig gezierte Kirchen und viele Kloͤſter, nebſt andern Stiftungen fuͤr den geiſtlichen Stand ſich befinden, bedarf keiner Erwaͤhnung.

Sieben und dreyßigſtes Kapitel.

Patrioten-Jagd im Speieriſchen. Anſtalten gegen die Franzoſen.

Sobald die Franzoſen aus dem Speieriſchen Di - ſtrikt Merlin von Thionville und Georg For - ſter hatten dieſes Land jenſeits des Rheins zu ei - nem Diſtrikt formirt und organiſirt weggezogen waren, erhob ſich ein gewaltiger Sturm gegen alle Franzoͤſiſchgeſinnte, oder Patrioten. Man kann leicht denken, daß bey dem Daſeyn der Franzoſen manches von den Einwohnern war gethan und ge - ſprochen worden, welches der alten Obrigkeit, be - ſonders den Beamten, den Pfaffen und dem Adel nicht gefallen konnte. Als daher die FranzoſenDritter Theil. Gg466weg waren, dachte man, ſie wuͤrden in alle Ewig - keit nicht wieder kommen, und man fing an, ihre verlaßnen Anhaͤnger auf das grimmigſte zu verfol - gen. Ich muß dergleichen Dinge anbringen, weil die Patriotenjagd allerdings eine Haupturſache je - ner Verwuͤſtungen geweſen iſt, womit im Anfange des Jahres 1794 die Franzoſen jene Gegenden heim - ſuchten.

Der Magiſtrat der Reichsſtadt Speier zeigte ſich ganz beſonders wuͤthend gegen die armen Pa - trioten. Es giebt wohl ſchwerlich in der ganzen deutſchen Anarchie ein elenderes Gouvernement, als in den Reichsſtaͤdten, beſonders in den kleinen unbedeutenden: da geht es abſcheulich her! Dieſe fuͤhren zwar den Titel einer freyen Stadt des h. R. Reichs; aber die Buͤrger darin ſind eben ſo frey, als etwan ein Schuſter oder Schneider zu Venedig auf den ſtolzen Namen eines Republikaners An - ſpruch machen kann. Die Nobili ſind Herren zu Ve - nedig; in den Reichsſtaͤdten ſind es die Patricier und die dem Rath einverwebte Familien: der Poͤ - bel iſt Sklav, und denkt doch, wie frey er ſey! Zu Frankfurt am Mayn geſtattet man den Frem - den alle Freyheit; zu Worms, Speier u. ſ. w. hat der Fremde kaum das Recht, Luft zu ſchoͤpfen: warum? Zu Frankfurt denkt man gut merkanti - liſch, und kann ohne Fremde nicht ſchachern; zu467 Speier lebt man fuͤr ſich, und verachtet alles, was nicht aus Speier iſt.

Als demnach die Herren zu Speier wieder in Aktivitaͤt waren, und das ganze Frankenſyſtem auf immer, wie ſie waͤhnten, vernichtet ſahen, fielen ſie gar moͤrderlich uͤber die her, welche den Franzoſen guͤnſtig geweſen waren, oder geweſen zu ſeyn ſchienen. Dieſe wurden nun eingezogen, und ihre Guͤter ſequeſtrirt, mehr als 230 an der Zahl!!

Damals lagen die vom Korps des Prinzen von Condé in Speier: es waren aber gerade zum Un - gluͤck die ſogenannten ſchwarzen Maykaͤfer d. h. die Soldaten des Kardinals von Rohan, darun - ter, eine zuſammengelaufene ſchaͤndliche Canaille, deren Offiziere lauter Emigrirte waren. Selbſt die Oeſtreicher und Preußen konnten das verdammte Geſindel durchaus nicht leiden. Dieſe Buben ver - uͤbten nun, auf Anſtiften ihrer Anfuͤhrer und des elenden ariſtokratiſchen Geſindels in Speier, allen Muthwillen an den ſogenannten Patrioten. Sie pluͤnderten ihre Haͤuſer, mishandelten ihre Anver - wandte, indeß die Ungluͤcklichen ſelbſt in den ſchaͤnd - lichſten Loͤchern ſchmachten mußten.

Der Magiſtrat ließ es aber bey dem bloßen Ein - ſperren nicht bewenden, ſondern er befahl noch, daß die Patrioten die oͤffentlichen Arbeiten verrich - ten ſollten: und dabey hatten dann Unteroffiziere468 von der Robanſchen Bande die Aufſicht. Da wur - den denn die armen Leute aufs haͤrteſte und ſchimpf - lichſte mishandelt, muſten hart arbeiten und er - hielten nichts, als Pruͤgel, Waſſer und Brod. Die Wuth der ariſtokratiſchen Kanaille ging ſo weit, daß ſie ſogar den Unteroffizieren Geld und Wein gaben, damit ſie dieſen oder jenen recht mis - handeln und ſchlagen moͤgten.

Ich kenne einen gewiſſen Loͤw, von dem ich weiterhin mehr ſagen werde, der ſich als Sergeant bey der Kondéiſchen Horde Beſſel nannte. Die - ſer wurde von einem Speieriſchen Advokaten auf - gefodert, einen Kaufmann, der gleich damals zur Schanzarbeit verdammt war, gegen ein Geſchenk tuͤchtig durchzupruͤgeln.

Aber fragte Beſſel, warum ſoll ich denn den Mann durchpruͤgeln?

Advokat: Das iſt einer von den Hauptſpitz - buben, ein rechter Patriot

Beſſel: Ja, dann muͤßte ich ja die andern wohl alle durchpruͤgeln: die ſind ja auch Pa - trioten!

Advokat: Wohl wahr: aber der da iſt der Hauptſpitzbube.

Beſſel: Mein Herr, Sie ſcheinen mir ein be - ſonderes Intereſſe an den Pruͤgeln fuͤr dieſen Kauf - mann zu haben.

469

Advokat: Das eben nicht

Beſſel: (〈…〉〈…〉) Man hat doch manches - mal ſo ſeine beſondern Ruͤckſichten: es thut ja nichts zur Sache: wenn ich ſehe; daß Sie gegruͤndete Urſache haben, dem Manne eine Tracht Schlaͤge zu goͤnnen: nun ja

Advokat: O, die hab 'ich laͤngſt!

Beſſel: Nun?

Advokat: Der Spitzbube hat mich graͤulich beleidigt.

Beſſel: Wie ſo?

Advokat: Er hat eine huͤbſche Tochter, und iſt reich. Ich hielt um die Tochter an, um Geld zu bekommen, damit ich mir ein Amt kaufen koͤnnte.

Beſſel: Und der Kaufmann verſagte ſie Ih - nen?

Advokat: Nicht allein das: er ſagte mir noch ins Geſicht, ich haͤtte nichts gelernt und ſey ein Taugenichts; und einem ſolchen koͤnne er ſeine Tochter nicht geben.

Beſſel: Dafuͤr moͤgten Sie ihn nur durch - pruͤgeln ſehen?

Advokat: Ja, rechtſchaffen, lieber Herr Sergeant, nur derbe, derbe! Hier iſt etwas fuͤr ihre Muͤhe. (will ihm Geld geben.)

470

Beſſel: Ey, du infamer Schlingel, kannſt du mir ſo was zumuthen? Warte! Warte! (Er haut ihn durch, und giebt ihm einen Tritt vor den Hintern.) Da haſt du deinen Lohn, niedertraͤch - tiger Buͤffel!

Der Advokat kam Abends in eine Geſellſchaft von Rohaniſchen Offizieren, erzaͤhlte ihnen den Vorfall, und dieſe denunz[i]irten den Sergeanten Beſſel als einen Freund und Goͤnner der Patrioten bey ſeinem Major. Fruͤh ließ der Major Beſſeln kommen, klozte ihn an, und ſprach:

Beſſel: was hat Er geſtern mit dem Advo - katen vorgehabt?

Beſſel: (unerſchrocken) Ich habe dem Nichts - wuͤrdigen die Haut ausgegerbt, Herr Major!

Major: Warum aber?

Beſſel: Der Kerl wollte mir Geld geben, daß ich einen Gefangnen pruͤgeln ſollte.

Major: Was waͤre denn daran gelegen ge - weſen, wenn Er einen Spitzbuben von Patrioten gepruͤgelt haͤtte?

Beſſel: Aber, mein Gott, um ſo eines in - famen Bengels Willen, welcher mich mit Geld be - ſtechen will, ſoll ich einen Gefangnen mishandeln? Thue das, wer da will, ich nicht; Gott ſtrafe mich, ich nicht!

471

Major: Iſt ſchon gut, geh Er nur! Ich hab's ihm lange angemerkt, daß Er dem verfluch - ten Lumpengeſindel hold iſt. Das macht, Er iſt in Preußen geweſen, da ſind die meiſten ſo! Aber es wird ſich ſchon eine Gelegenheit zeigen, ihm ſeine Patrioterey fuͤhlbar zu machen. Denke Er an Mich!

Wirklich ſuchte der Major, (es war ein Prinz von Montbuiſſou) an dem guten Beſſel Urſache, und ließ ihn bald hernach 48 Stunden krumm ſchließen.

Dergleichen Barbareyen uͤbte der Magiſtrat zu Speier aus, und ließ ſie ausuͤben, ohne daß es irgend einem Zeitungsſudler eingefallen waͤre, ſei - nen Schildbuͤrgern davon Nachricht zu geben.

Im ganzen Bisthum Speier wurde die Patrio - tenjagd aͤußerſt ſtreng betrieben, und beynahe in allen Doͤrfern wurden Leute eingeſteckt, und ihre Haͤuſer der Wuth der ſchmuzigen Ariſtokraten preis - gegeben. Viele Bauren waren bey dieſer Gelegen - heit weit wuͤthender, als ſelbſt die Preußen und Oeſtreicher, welche denn doch nach und nach ein - ſahen, daß die Leute bey ihren Umſtaͤnden unmoͤg - lich anders hatten handeln koͤunen.

Der Herzog von Braunſchweig machte endlich dem abſcheulichen Unweſen der Patriotenjagd ein Ende, und verbot, denen weiter nachzuſpuͤren472 welche, zur Zeit der franzoͤſiſchen Domination, derſelben das Wort geſprochen hatten. Aber was half das denen, die einmal ſchon eingezogen und in Verh〈…〉〈…〉 waren! Dieſe mußten ihr elendes Leben im Ker〈…〉〈…〉 hinziehen, Schuldige und Unſchuldige, ſogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden zuſammengeſchleppt, aufeinander gehaͤuft, und wie Todte der Vergeſſenheit uͤbergeben, ſchrieen ſie endlich, nach vier Monaten, um das erſte Gebot der Gerechtigkeit fuͤr Gefangene um Un - terſuchung und Verhoͤr. Ihre Geſundheit war durch die elende Arreſtantenkoſt, durch den Mangel an Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und durch die noch zehnmal haͤrtern Qualen des Kum - mers um Weib und Kinder und zerruͤttete Nah - rung langſam zernagt: und nun die anſteckenden Seuchen bey der durch die zuſammengeſperrte Menge vergifteten Luft! Ihr Zuſtand war mehr als ſchrecklich, aber der Gedanke an den Zuſtand ihrer verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung die Haͤnde wund rangen und vergebens nach ihren Naͤhrern ſeufzten, war noch ſchrecklicher. Und doch nach vier Monaten noch immer kein Verhoͤr! Die Gerechtigkeit, ſchrieen ſie, iſt die erſte Stuͤtze des Staats. Gerechtigkeit gehoͤrt nicht allein dem Schuldigen zur Strafe, ſie gehoͤrt vorzuͤglich dem Unſchuldigen zum Schutze. Aber ohne Unterſu -473 chung, ohne Verhoͤr, ohne Vertheidigung iſt keine Gerechtigkeit moͤglich: ohne Unterſuchung, ohne Urtheil leiden, iſt nicht gerecht leiden. Dem Schul - digen kann die Gerechtigkeit ſeine erduldeten Qualen an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will ſie den Unſchuldigen fuͤr die Plagen der Gefangen - ſchaft, fuͤr den Verluſt des Vermoͤgens und der Nahrung, fuͤr den noch groͤßern Verluſt der Ge - ſundheit und fuͤr alle namenloſe Leiden ſeiner gan - zen Familie entſchaͤdigen? So ſchrieen ſie; aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub!

Und nun wundern Sie ſich gewiß nicht mehr, meine Leſer, daß die Franzoſen, nachdem ſie zu Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die Deutſchen zuruͤckgejagt, und die Rheinlaͤnder wie - der in Beſitz genommen hatten, nun auch raubten; pluͤnderten und die ariſtokratiſchen Einwohner mis - handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran - zoſen von dem unmenſchlichen Verfahren der Deut - ſchen gegen die Vertheidiger und Anhaͤnger des Freyheitsſyſtems genau unterrichtet waren, und dadurch aͤußerſt aufgebracht ſo verfuhren. Nun fraͤgt ſichs, wer denn hauptſaͤchlich an dem Un - gluͤcke Schuld war; und die Antwort iſt nicht ſchwer. Im Kriege ich wiederhole es iſt nichts mehr zu empfehlen, als ein vernuͤnftiges Betragen gegen den Feind, und deſſen Anhaͤnger. 474Wer dieſes hintanſezt, ſchadet ſich ſelbſt am mei - ſten. Spotten, Schimpfen und Verfolgen iſt nicht nur fuͤr ſich ſchon unanſtaͤndig, ſondern es erbit - tert den Feind noch mehr, und macht, daß er ſich aufs haͤrteſte raͤchet, ſobald er nur kann. Und wer ſteht fuͤr das Nichtkoͤnnen! Freilich dachte man da - mals, die Franzoſen koͤnnten nun und nimmermehr zuruͤckkehren, und handelte dieſer ſtolzen Voraus - ſetzung gemaͤß: aber ganz auf ſich deutſch ich meyne: altgothiſch-plump. Ueberhaupt waren die Deutſchen, zu Anfange dieſes Krieges, in der Staatswiſſenſchaft noch am weiteſten zuruͤck. Gute Staatskundige fuͤr einzelne Laͤnder, fuͤr Oeſtreich, fuͤr Preußen oder Sachſen hatten ſie wohl, aber Staatsmaͤnner fuͤr ganz Deutſchland, wie den jezt exulirenden Riem, hatten wir wenig. Deutſch - land wuͤrde, ſagte ſchon 1792 der Verfaſſer der Briefe eines Englaͤnders uͤber den gegen - waͤrtigen Zuſtand der deutſchen Litteratur, (S. 14) in die allergroͤßte Verwirrung gerathen, wenn auf einmal alle Fuͤrſten einig wuͤrden: ſich der einzel - nen Regierungen zu begeben, und ein einziges Reich aus den zerſtuͤckelten Provinzen zu bilden: es wuͤrde kein eluziger da ſeyn, der Kenntniß genug haͤtte, ein ſolches Ganze einzurichten. Ich habe nicht einmal die Idee zu einer ſolchen Einrichtung in ir - gend einem deutſchen politiſchen Schriftſteller ge -475 funden. Und dennoch ſcheint es allein dieſe Idee zu ſeyn, von welcher man ausgehen muß, wenn je ein Syſtem der deutſchen Staaten zu Stande kommen, und die einzelnen Fuͤrſten ſich nicht mehr durch unverſtaͤndigen Eigennutz ſelbſt zu Grun - de richten ſollen. In Deutſchland bringt die kleinſte Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her - vor. Das haben wir in dieſem Kriege, leider, gefuͤhlt, ohne aber endlich eben ſo klug geworden zu ſeyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutſchland in ſta - tiſtiſcher Ruͤckſicht haͤtten uͤberſehen, wuͤrdigen und einrichten koͤnnen: wo ſollten wir die Staats - maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht - und Kraftverhaͤltniß gegen Deutſchland genau ab - gewogen, und dadurch Deutſchlands Gewinn oder Verluſt von daher beſtimmt haͤtten! Wir hatten ſie nicht, und darum machten wir, nach unſerm dum - men und plumpen Stolz, unſere Rechnung uͤberall ohne den Wirth. Unſere Zeche ſieht aber jezt enorm und blutig genug danach aus! *)Die Wahrheit dieſer Behauptung erhaͤlt Beſtaͤtigung durch folgende Anekdote. Der Kurfuͤrſt von Koͤlln geht vor einigen Tagen wie man in Halle jezt erzaͤhlt einfach geklei - det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht, und macht ihm alſo auch nicht die ſonſt gewoͤhnlichen Hon - neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt

476

Indeſſen hatte der Herzog von Braun - ſchweig einige Vortheile bey Trippſtadt um Pir - maſens uͤber die Franzoſen erfochten, auch einige gefangen gemacht. Zwey und ſechszig kamen durch Maykammer. Ich habe niemals offnere und feſtere Geſichter geſehen, als die dieſer Gefangnen. Sie ſangen, tanzten und ſprangen, als wenn ſie zur Hochzeit gehen ſollten. An der Wache mußten ſie Halt machen. Ich naͤherte mich und redete einen von ihnen an. Du ſprichſt franzoͤſiſch? fragte er zur Antwort: du biſt wohl gar ein Franzoſe!

Ich. Nein, ich bin ein Deutſcher: viele Deutſche ſprechen franzoͤſiſch.

Er. (reicht mir die Hand) Willkommen Ka - merad! Aber waͤrſt du ein Franzoſe, ein Emigrant, ein foutu chien d'ariſtocrate: ſieh an (er hob einen Stein auf) mit dieſem Stein zermalmte ich dir dein Gehirn.

*)aufmerkſam, und bittet, das Gewehrpraͤſentiren nicht zu ver - geſſen, im Falle ſie in das naͤmliche Thor zuruckkommen ſoll - ten. Die Wache ſpricht daruͤber, und einer von ihr ſagt: Was doch die Kurfuͤrſten hier wohl machen moͤgen! Erſt neulich war der von Trier hier, und jezt der von Koͤlln. Dieſer, der nicht weit davon, aber außer den Augen der Wache, eine Anlage betrachtete, hoͤrt das, tritt hervor und ſagt: Ihr lieben Leute, Ihr wißt doch, daß die Kurfuͤrſten am Rhein viele dumme Streiche gemacht haben: und darum〈…〉〈…〉 en ſie jezt die Univerſitaͤt, um kluge zu lernen.
*)477

Ich. Und das haͤtteſt du das Herz, hier zu thun?

Er. Allerdings! Ein Emigrant muß mir kre - piren, wo ich ihn nur finde: das ſind die Boͤſe - wichter, die unſer und Euer Vaterland ins Verder - ben geſtuͤrzt haben.

Hierauf ſangen alle das bekannte Lied, deſſen Refrain jedesmal iſt:

Dans ſon la Carmagnole:
Vive le Son
Du Canon!

Selbſt ein Goͤchhauſen geſteht in ſeinen Wan - derungen den unbezwinglichen Muth, der franzoͤ - ſiſchen Gefangnen; und iſt ein um ſo unpartheii - ſcherer Zeuge, da er bey den Franzoſen ganz und gar nichts Gutes zu finden gewohnt iſt. Aber per - ſoͤnliche Unerſchrockenheit war, wie ich ganz zuver - laͤſſig weiß, in den Augen des blinden Goͤchhau - ſen niemals eine Tugend.

Sehr bedenklich fuͤr uns hielt jeder Kenner die in jener Gegend befindliche Bergkette, welche der Feind immer durchbrechen konnte, weil wir nicht im Stande waren, dieſes ungeheure Gebuͤrge ganz zu beſetzen, und weil die Franzoſen beſſer Beſcheid darin wußten, als wir. Deshalb wurde ſo viel, als man konnte, fuͤr die Verhinderung eines Durch - bruchs geſorgt; und da zu dieſem Behufe immer478 ſtarke Kommandos ins Gebuͤrge geſchickt werden mußten, ſo wurde der Dienſt hier ſehr erſchwert. Man that aber alles gern, weil man immer mit der baldigen Uebergabe von Landau und mit guten Winterquartieren im Elſaß ſchmeichelte.

Viele von unſern Offizieren waren hier neuer - dings von dem gaͤnzlichen Ruin der Franzoſen ſo gewiß, daß ſie ſogar Wetten anſtellten, daß in ſo und ſo viel Zeit die Deutſchen in Paris ſeyn, Lud - wig XVII einſetzen, die Glieder des Nationalkon - vents aufhaͤngen, den Adel herſtellen, und den Pfaffen ihre alte Pfafferey wieder verſchaffen wuͤr - den. Die Einnahme von Toulon durch die Eng - laͤnder, und die Rebellion in Lyon, der Tod der Repraͤſentanten le Pelletier, Chailler und Marat, die Fortſchritte der ſogenannten armée royale in der Vendée und mehrere ſolche Begeben - heiten waren die Anlage zu dieſer Rechnung.

Aber nun kam die Trauerpoſt von der Hinrich - tung der Koͤnigin Antoinette, des Generals Cuͤſtine und vieler andrer, auf welche man ge - rechnet hatte; die Schlappe der Englaͤnder bey Duͤnkirchen, und die Fortſchritte der Franzoſen in den Niederlanden, nebſt denen gegen die Spanier und Sardinier: dieſe unangenehme Nachrichten ſchlugen unſern Muth ſehr wieder nieder, ſo, daß479 man ſogar verbot, davon zu reden: aber je mehr man dieß verbot, deſto mehr geſchah es und ſo wur - den dieſe unangenehmen Dinge immer bekannter.

Acht und dreyßigſtes Kapitel.

Belagerung von Landau.

Wir zogen den 18ten September ins Lager bey Landau, und ſchloſſen es jezt rund um vollends ein. Dieſer Platz iſt eine von den Feſtungen, wel - che der beruͤhmte Vauban angelegt hat: ſie iſt treff - lich verwahrt, hat ein Fort und ein Hornwerk, und kann ſich unter Waſſer ſetzen, welches aber die Ingenieurs in Landau dießmal nicht fuͤr noͤthig fanden.

Ohnerachtet Landau ſchon ſeit langer Zeit von den Deutſchen blokirt war, ſo hatte man doch zu einer ernſthaften Belagerung ſich wenig angeſchickt. Es waren noch keine Schanzen aufgeworfen: aber wozu haͤtten auch dieſe nuͤtzen ſollen, da man kein Geſchuͤtz hatte! Es iſt ganz unbegreiflich, wie man nur den Gedanken hat faſſen koͤnnen, das mit Feſtungen gleichſam angefuͤllte und ganz umzingelte Frankreich ohne hinlaͤngliches Geſchuͤtz anzugreifen.

480

Schon im Sommer hatte der General Wurm - ſer, welcher in der dortigen Gegend ſein Weſen trieb, mit dem franzoͤſiſchen General Gillot un - terhandelt, und von ihm die Uebergabe der Feſtung erwartet; aber vergebens. Eben ſo gieng es un - ſerm Kronprinzen auch mit dem neuen Landauer Kommandanten Laubadere. Dieſer war als ein guter, ehrlicher Republikaner bekannt, und eben darum ließ ihn der Kronprinz anfaͤnglich nur ein - mal aufbieten.

Die Stadt war ſo eingeſchloſſen, daß nichts herein, nichts heraus konnte, und da man ſich vor - ſtellte, daß die Garniſon und die Buͤrgerſchaft nicht gut mit Proviant verſehen waͤren, ſo hoffte man, daß die Uebergabe ſich hoͤchſtens bis gegen das Ende des Novembers verziehen koͤnnte, und erwartete nichts weniger, als daß die Republika - ner die Feſtung entſetzen wuͤrden.

Inzwiſchen veruͤbten die Oeſtreicher in den dort - herumliegenden Franzoͤſiſchen Oertern alle moͤgli - chen Graͤuel. In Langenkandel und an mehrern Orten bey Landau ſind ihre Barbareyen uͤber allen Glauben gegangen. In dem erſten Orte ermorde - ten ſie ein kleines Maͤdchen, weil es in ſeiner Ein - falt gerufen hatte: Es lebe die Republik. Einem Schulmeiſter hackten ſie beyde Haͤnde ab, weil er ein Vertheidiger der Patrioterey war. Eine Frau481 ſamt ihrem Kinde, das ſie an der Bruſt ſaͤugte, verlohr das Leben, weil ſie den Unmenſchen Menſchlichkeit predigte. etc. etc. Als ich nach Landau und Strasburg kam, fand ich aller Orten Zettel angeſchlagen, worauf dergleichen Graͤuel - thaten angezeigt waren, um deren willen die Na - tion gegen dieſe Veraͤchter aller Rechte aufgerufen wurde.

Ich bin voͤllig uͤberzeugt: daß der Kaiſer der - gleichen Graͤuel nicht allein nicht billigt, ſondern daß er ſie aufs ſchaͤrfſte ahnden wuͤrde, wenn ſie ihm bekannt waͤren. Aber wie dringt die Stimme der Unſchuld und der bedraͤngten Menſchheit zu den Ohren der Monarchen! Und wie iſt es moͤg - lich, daß Unmenſchlichkeiten verhindert werden, wenn man ſie oͤffentlich predigt, wenn man die Franzoſen d. h. alle Einwohner dieſes Landes als den Auswurf der Menſchheit beſchreibt, gegen den man von aller Verbindlichkeit los ſey? So war es der Fall im vorigen Jahrhunderte bey den Verfol - gungen der Hugenotten: aber dieſe waren unbe - waffnete Leute, außer Stande, ſich zu wehren; allein die Franzoſen jezt, konnten das ihnen ange - thane Unrecht raͤchen, und haben es auch an ihren Henkern, aber leider auch an den unſchuldigen Be -Dritter Theil. Hh482wohnern jener Laͤnder, wohin ſie gedrungen ſind, maͤchtig und ſtrenge genug geraͤcht.

In der oͤſtreichiſchen Armee giebt es, außer den Kroaten, noch anderes Volk, welches Frey - korps ausmacht, und als ſolche glauben, es ſtehe ihnen alles frey. Dieſes Volk iſt aller Orten, bey Freund und Feind, ſogar bey ihren eignen Leuten, verhaßt und verachtet. Die Unthaten der Herren von Ottonelli, von Mahony, von Michalowitz und von andern ſind ſo verſchrieen, als die Hel - denſtuͤckchen des bayeriſchen Huͤſels oder des Cartouches. Nirgends haben ſich die Franzoſen ſo arg betragen, als dieſe, die ſogar bey Freunden und Bundesgenoſſen ihres Herren ſich betrugen, als haͤtte man ſie auf Exekution hingelegt. Mich wundert nur, daß Reichard in Gotha, Goͤchhau - ſen, Girtanuer und Braun nicht auch die Graͤuel - ſcenen von dieſen zu Kupferſtichen gewaͤhlt haben! Ich werde weiterhin von dem ſcheußlichen Betra - gen dieſer Quaſi-Soldaten mehr erzaͤhlen, und verweiſe bis dahin auf eine Schrift, betitelt: Die Reichsarmee in ihrer wahren Geſtalt, worin auch einiges von dieſen Freykorps vorkoͤmmt.

Dieſen Kroaten hatte man einen Dukaten fuͤr jeden Franzoſenkopf verſprochen, den ſie einliefern wuͤrden. Das Verſprechen ſelbſt war ſchon abſcheu - lich an ſich; denn es ſezte einen Krieg ad intern〈…〉〈…〉 -483 cionem voraus, und machte ſchonende Menſchlich - keit gegen die, die ſich ergaben, oder die vor Ver - wundung nicht mehr ſchaden konnten, unmoͤglich: aber was kuͤmmert ſich ein Kroat um Menſchlich - keit, zumal wenn ſeine Vorgeſezten ſelbſt ſo un - menſchlich ſind, ihn, der ſich auf eigne Fauſt er - naͤhren muß, gegen einen Blutſold zu Unmenſch - lichkeiten aufzufodern! Um dieſen Sold treufleißig zu verdienen, toͤdteten die Kroaten hie und da Bau - ren, weckten ſie des Nachts auf, um nach dieſem oder jenem zu fragen; und wenn die Ungluͤcklichen ihre Thuͤr oder Fenſter oͤffneten, um ihnen Aus - kunft zu geben, ſo ergriffen ſie dieſelben, ſchnitten ihnen den Kopf ab, und ließen ihn als einen San - kuͤllottenkopf ſich bezahlen. Und nun wollen wir noch fragen, lieben Leſer, warum ſo viele Barbareyen von den Franzoſen in Deutſchland her - nach begangen wurden?

Der Pfarrer zu Nußdorff, eine halbe Stunde von Landau, hat ſich auch ſehr an ſeiner Gemeinde verſuͤndiget. Dieſer Menſch war, wie alle Pfaf - fen in ganz Frankreich, der neuen Einrichtung feind, ob er gleich lutheriſch war: es aͤrgerte ihn ſein Ver - luſt des Dezems und der Sporteln. Es mogten auch mehrere von ſeinen Bauren etwas hart und derb mit ihm geſprochen haben. Er zeigte alſo dieſe bey den deutſchen Offizieren an, und die armen484 Leute wurden aufs groͤbſte mishandelt, wenn gleich Nußdorff nicht zu Deutſchland gehoͤrt, und es demnach hoͤchſt ungerecht war, hier Jagd auf Pa - trioten zu machen. Alle Einwohner mußten ja, vermoͤge ihres gemeinſchaftlichen National-Geſetzes, Patrioten ſeyn! Der Herr Pfarrer ließ auch eine goldne Lilie uͤber das Zifferblatt am Kirchthurme anbringen, welche aber freilich nicht lange figurirt hat. Die kaiſerlichen und preußiſchen Offiziere kehrten bey dieſem theologiſchen Altflicker gern und fleißig ein wegen ſeiner huͤbſchen Schwaͤgerinnen. Wie es ihm bey der Ruͤckkunft der Franzoſen er - gangen ſey, laͤßt ſich denken.

Als wir um Landau ſtunden, waren eben die Trauben zeitig. Da es nun dortherum gar viele Weinberge giebt, ſo konnten ſich unſre Leute recht daran ergoͤtzen. Dieß thaten ſie: aber die Wein - berge wurden auch ſo mitgenommen, daß, wenn die Einwohner mit der Weinleſe, oder dem Herb - ſten, wie man dort ſagt, nicht geeilt haͤtten, ſie auch keinen Tropfen Wein ins Faß bekommen haͤt - ten. Die Soldaten machten Exkurſionen bis bey - nahe vor Landau, und trafen da mehrmals Nym - phen aus dieſer Stadt an. Dieß Hinlaufen der Frauenzimmer nach den Weinbergen dauerte noch fort, als ich ſchon in Landau war, bis endlich der General Laubadere es gaͤnzlich unterſagte.

485

Der Koͤnig machte indeſſen Anſtalt zu ſeiner Abreiſe nach Berlin: die polniſchen Haͤndel noͤthig - ten ihn, ſich an Oerter zu verfuͤgen, wo er denſel - ben naͤher ſeyn konnte. Er iſt auch wirklich den 30ten September von uns abgefahren.

Hier im Lager lernte ich den bekannten Magiſter Heller kennen, welcher Verfaſſer von allerley kleinen Schriften mit und ohne Namen iſt. Man nennt ihn dort herum Hr. Profeſſor: warum? Das weis ich ſelbſt nicht. Er ſagte zu mir, daß wir mit einander bekannt werden muͤßten, weil unſre Fatalitaͤten viel Aehnliches haͤtten. Bey ei - nem Glaſe Wein legten wir denn einander eine all - gemeine Beichte ab. Hr. Heller lebt zu Fran - kenthal, wo er in allerley Dingen Unterricht giebt, und ſich ſo durchbringt. Er hat da ein blutarmes Maͤdchen geheurathet, mit welchem er, wie er ſagte, ganz gut lebt. D[ie]Schweizer Kantons haben ihm ſchon einigemal fuͤr ein Gedicht auf ſie ein Praͤſent gemacht: er hoffte eben auch ein Praͤſent vom un - ſerm Koͤnige und beverſificirte denſelben. Aber der Koͤnig ſah mehr auf Polen; und der Dichter erhielt nichts. Das war aber auch ſchon recht: denn nichts iſt verdaͤchtiger und gerade darum nichts elen - der, als das Lob der Dichter und der Verſifexe; und wer nur durch ſie denkt beruͤhmt zu werden, hat gewiß nichts lobenswuͤrdiges an ſich. Die486 ganze Welt kennt den poetiſchen Schnickſchnack, und weis, warum die Dichterlinge loben. Von Horatius, dem groͤßten und feinſten aller Paraſi - ten an, bis auf die Herren N. N. hat keiner ſeinen Held unſterblich gemacht. Die Namen, welche uͤber den Oden z. B. des Horatius ſtehen, thun ſchon lange gar nichts mehr zur Sache: wir be - wundern die Schoͤnheit des Gedichtes, und kuͤm - mern uns wenig um den, auf welchen es gemacht iſt. Blos die Geſchichte kann loben oder tadeln: denn ob wir gleich ſehr elende Wichte in der Welt ſind, ſo haben wir doch noch das Gute an uns, daß allgemeine Saͤtze keinen Eindruck auf uns ma - chen: wenigſtens keinen bleibenden; und daß wir nicht eher geruͤhrt werden, oder glauben, bis wir den Beweis irgend einer allgemeinen Behauptung aus einzelnen Thatſachen ſelbſt ſammeln und faſſen. Ein Fuͤrſt thut darum ſehr klug, wenn er ſich nie bedichten oder beſingen laͤßt, und noch kluͤger, wenn er ſeine Lobhaͤnſe nicht belohnt: denn ſonſt ſtuͤrmt dieſes Sillben-Geſindel auf ihn zu, und belobt ihn dergeſtalt, daß er ſich endlich fuͤr untadelhaft haͤlt, und fuͤr wahres Verdienſt Augen und Empfindung verliehrt.

Ich fuͤr meine Perſon befand mich im Lager ſo ziemlich wohl. Ich hatte beynahe taͤglich Beſuch von Bekannten aus der der daſigen weiten und brei -487 ten Gegend, und von dieſen erfuhr ich die ganze Litaney von allem, was ſeit meiner Abweſenheit aus der Pfalz, vorgefallen war, aber ich erfuhr ſelten etwas erfreuliches. Alles war ſo beym Alten geblieben, und wenn ja der eine und der andre etwas hatte beſſern wollen, ſo hatte er es ſofort zu thun mit den Pfaffen, Edelleuten und Beamten, welche ihn an allen Unternehmungen hinderten. Alle hoff - ten eine Generalreforme nach dem Ende des Krie - ges. Gebe ſie der Himmel!

Alle Tage hoͤrten wir, daß die Franzoſen da und dort vor den Deutſchen wichen, und nun ſa - hen die meiſten nichts ſicherer entgegen, als Lan - daus Einnahme, und der Eroberung von ganz El - ſaß. Einige radotirten ſchon von Strasburgs wirk - licher Einnahme! Dieſe Nachricht verbreitete ſich deswegen, weil wirklich in Strasburg ein Kom - plot exiſtirte, welches die Feſtung den Deutſchen in die Haͤnde ſpielen wollte. Die vornehmſten Mitglieder des Komplots waren mehrere von der Strasburger Municipalitaͤt, und einige reiche Ju - den. Aber Eulogius Schneider, der da - mals oͤffentlicher Anklaͤger war, entdeckte durch ſeine Emiſſaͤrs den Anſchlag: die Verſchwornen wurden eingezogen und fanden ihr Ende auf der Guillotine. Dabey war auch der geweſene Maire, Hr. von Dietrichs.

488

Den Weg der Verraͤtherey hat man in keinem Kriege mehr eingeſchlagen, als in dem gegenwaͤr - tigen: ein wahres Zeichen, daß man ſich zu ſchwach fand, der verachteten Nation ins Angeſicht zu wi - derſtehen. Gegen uns haben die Franzoſen ſich ſel - ten der Verraͤther oder der Spionen bedient. Doch fand ſich bey Landau ein reformirter Kandidat, welcher wegen ſeines artigen Benehmens die Gnade des Herzogs von Braunſchweig auf eine vorzuͤgliche Art genoſſen hatte. Dieſer zeichnete aus eignem Antrieb den Plan der ganzen Stellung des Deut - ſchen Heeres ab, und ſchickte ihn in die Feſtung. Die Sache wurde entdeckt und der Kandidat arre - tirt. Er hatte allerdings ſo nach dem Herkom - men, den Tod verdient, aber der Koͤnig und der Herzog verwandelte die Todesſtrafe in Baugefan - genſchaft.

Neun und dreyßigſtes Kapitel.

Ich werde endlich noch gar geheimer Geſandter.

Ich habe in der ganzen bisherigen Erzaͤhlung keine Rolle von Bedeutung geſpielt, und hatte nur ſel - ten Gelegenheit, dem Leſer von meinem kleinen Ich etwas zu ſagen, das ſeiner Aufmerkſamkeit werth489 geweſen waͤre. Man kann daher das, was ich bis jezt geliefert habe, mehr fuͤr hiſtoriſche Bruch - ſtuͤcke uͤber den Feldzug und die Operationen, wel - chen ich beygewohnt habe, anſehen, als fuͤr meine eigne Geſchichte. Von nun an aber erzaͤhle ich hauptſaͤchlich wieder von mir, und da man immer an ſich mehr Intereſſe nimmt, als an allem, was uns umgiebt, ſo hoffe ich, daß meine Nachrich - ten von nun an fuͤr den Leſer intereſſanter ſeyn werden, beſonders fuͤr diejenigen meiner Leſer, welche In - tereſſe an mir finden; und die Anzahl dieſer iſt, wie ich zu meiner Beruhigung weiß, nicht gering.

Die Veraͤnderung meiner Lage, welche hier bey Landau vorging, hat auf alle meine nachherigen Schickſale Einfluß gehabt, und wird ihn wahr - ſcheinlich auch auf meine zukuͤnftigen haben, ſo daß ich unverzeihlich handeln wuͤrde, wenn ich nicht alles, was dahin einſchlaͤgt, genau und um - ſtaͤndlich beſchreiben wollte. Man wird mir alſo verzeihen, wenn ich hier gegen meine bisherige Ge - wohnheit, weitlaͤufiger werde, und Kleinigkeiten anfuͤhre, ſobald dieſe meine Geſchichte in ein hel - leres Licht ſtellen.

Ich war unſern Prinzen und den großen Ge - neralen ſchon lange dem Namen nach bekannt, aber viele von ihnen hatten auch ſchon mehrmals mit mir geſprochen. Ich muß oͤffentlich geſtehen, daß490 ich von dieſen Herren immer human und freundlich bin behandelt worden, und kann mich insbeſondre ruͤhmen, daß der Prinz Louis von Preußen, der Herzog von Weimar, die Generale, Prinz von Hohenlohe und deſſen Vetter, der Prinz von Hohenlohe, Oberſter bey Wolfframsdorff, die Hn. Generale von Mannſtein, von Kalk - reuth und mehr andere mir ganz beſonders gut begegnet ſind.

Der Prinz von Hohenlohe, ich meyne den damaligen Oberſten bey dem Regiment von Wolff - ramsdorff, hatte in Duͤrkheim gehoͤrt, daß ich mit dem Buͤrger Dentzel, Volksrepraͤſentant, und zu der Zeit in Miſſion bey der Rheinarmee, ehemals bekannt geweſen ſey. Dieſe Nachricht war ihm aufgefallen, und er beſchloß, deswegen mit mir zu ſprechen.

Ich war eben auf einer Schanze, als man mir ſagte, der Prinz von Hohenlohe wolle mich ſpre - chen. Da ich ſeine Art, Leute zu behandeln kannte, ſo lief ich mit Freuden hin, wie ich war. Ihre Durchlaucht, ſagte ich, muͤſſen mir verzeihen, daß ich komme, wie ich war, als ich hoͤrte, daß Sie mich ſprechen wollten. Ich konnte mich nicht uͤber - winden, durch Anziehen und Putzen einen Augen - blick zu verlieren. Das war recht, mein Lieber,491 erwiederte der Prinz, nur herein: bey mir muß man keine Komplimente machen.

Ich trat ins Zelt, und fand da mehr Geſell - ſchaft, welche recht munter war. Ich mußte mit Taback rauchen, und Wein trinken, welchen der Prinz ganz trefflich hatte, da er ein Liebhaber von gutem iſt. Der Prinz war, wie immer, ſehr aufgeraͤumt, und erzaͤhlte einige Anekdoten vom alten Koͤnig, z. B. daß er ſelbſt mehrmals laͤchelnd bek[a]nnt haͤtte, wie er ſich in ſeiner Jugend vor den Hexen gefuͤrchtet habe, daß er aber nachher bald von dieſer thoͤrigen Vorſtellung abgekommen ſey u. dgl. Unſer Geſpraͤch fiel bald auf die Franzo - ſen, und ich freute mich recht uͤber die geſunden Urtheile des Prinzen: er war ſelbſt ehemals in Frank - reich geweſen, hatte da ganzer zehn Jahre gedient, und verſtand alſo den Handel beſſer, als mancher Andere. Endlich fragte er mich, was ich von den franzoͤſiſchen Angelegenheiten daͤchte? Aber ehe ich antworten konnte, fiel ein Offizier von unſerm Regimente laͤcheld ein: ah, Gnaͤdigſter Herr, den da muͤſſen Sie nicht fragen: das iſt ein Patriot!

Prinz: So? Iſt's wahr, Laukhard?

Ich: Verzeihn Sie, Monſeigueur! ich bin kein Patriot, im gehaͤſſigen Sinn: ich liebe den Koͤnig, und die Deutſchen, aber ich liebe auch die Men - ſchen, und muß daher oft anders denken, als die492 zu denken gewohnt ſind, welche nichts ſehen und hoͤren wollen, als Fuͤrſten und Sklaven.

Pr: Schoͤn, das iſt brav! Aber glaubt Er denn, daß die Franzoſen jezt auf dem lezten Loche blaſen?

Ich: Nein, das glaube ich nicht. Die Fran - zoſen haben noch zu viele Huͤlfsmittel, ſich zu be - haupten, und es wird noch ſchwer halten, ſie zu bezwingen, geſchweige denn, ihre Macht ganz und gar zu tilgen.

Pr: Er hat doch die roͤmiſche Hiſtorie ſtudiert, Laukhard?

Ich: Ja, gnaͤdigſter Herr!

Pr: Nun, ſo weis Er ja auch, daß die Sol - daten, welche an der Wohlfahrt des Vaterlandes zweifelten, geſtraft wurden.

Ich: Ey, gnaͤdigſter Herr, ich zweifle an der Wohlfahrt des Vaterlandes gar nicht; ich wuͤnſche und hoffe, daß es Deutſchland und beſonders Preu - ßen recht gut gehen moͤge: aber ich kann doch auch nicht behaupten, was unmoͤglich, und was un - wahrſcheinlich iſt: und von dieſer Art waͤre die gaͤnzliche Niederlage der Franzoſen durch uns.

Pr: Laſſen wir das jezt. Es denkt ein jeder, was er will; man muß nur ein ehrlicher Mann ſeyn. Aber à propos Laukhard, ich habe gehoͤrt, Er kenne den Repraͤſentant zu Landau, den Dentzel?

493

Ich: Ja, Ihre Durchlaucht, den kenne ich ſchon ſeit vielen Jahren.

Pr: Genau?

Ich: So ziemlich: wir haben manchesmal mit einander gezecht, und ſonſt Abentheuer beſtanden. Ich glaube gar, daß wir noch Vetter ſind.

Pr: Was iſt denn das fuͤr ein Mann?

Ich: Gnaͤdigſter Herr, in der Lage, worin ich und Dentzel uns befanden, habe ich ſeinen Ka - rakter nicht kennen lernen: ich habe mich auch nicht einmal drum bekuͤmmert. Es iſt, ſoviel ich weis, ein unternehmender Kopf, und ſonſt kein falſcher Kerl.

Pr: Je nun, wir ſprechen vielleicht ein ander - mal mehr davon. Jezt getrunken und luſtig!

Es wurde getrunken aus großen Glaͤſern ſcharf, und die Zotologie wurde ziemlich herumgeholt. Gegen Abend ging ich in mein Zelt, und fand eben einen Brief von meinem redlichen Bispink, welcher das Vergnuͤgen dieſes Tages kroͤnte.

Gleich am folgenden Morgen ſchickte der Hr. Hauptmann von Nieweſchuͤtz, welcher die Kom - pagnie des Prinzen damals kommandirte, zu mir, und ließ mich holen. Dieſer edle Mann, der mir ſehr viel Freundſchaft in der kurzen Zeit, die wir noch zuſammen waren, erwieſen hat, traktirte mich mit Malaga; und nach einem langen Geſpraͤche uͤber dieſen und jenen Gegenſtand aus den Wiſſen -494 ſchaften, worin ſich der Hauptmann ruͤhmlich um - geſehen hat, wurde das Geſpraͤch, ganz unmerk - lich wieder auf Deutzel gelenkt. Ich ſagte ihm, was ich wußte. Hoͤren Sie, ſagte der Haupt - mann, Sie koͤnnen ihr Gluͤck machen: der Prinz wird mit Ihnen ſprechen, und dann machen Sie Ihre Sachen klug. Ich ſtuzte, und drang in den Hauptmann, ſich naͤher zu erklaͤren; aber er ſagte, daß er nichts mehr ſagen koͤnne: ich ſollte nur klug ſeyn. Ich verſprach ihm, mich allen Be - fehlen des Prinzen zu unterziehen.

Ich war kaum wieder bey meiner Kompagnie, als ich aufs neue gerufen wurde. Es war zum Prinzen Louis von Preußen, welcher hinter der Brandwache auf mich wartete. Hier hatte ich fol - gende merkwuͤrdige Unterredung.

Prinz Louis: Guten Tag, Laukhard! ich hab 'ein Wort mit Ihm zu ſprechen.

Ich: Bin immer Ew. Hoheit zu Dienſten!

Pr: Eh bien; aber jezt fodre ich keinen Dienſt im eigentlichen Sinn: ich fodre was, das Uns und Ihm großen Vortheil bringen ſoll. Er kennt Dentzel zu Landau?

Ich: Ja, Ihre Koͤnigliche Hoheit.

Pr: Glaubt Er wohl, dem Manne beyzu - kommen?

Ich: Ich verſtehe Sie nicht ganz.

495

Pr: Ich werde mich erklaͤren. Seh Er, Den - zel iſt Répréſentant do peuple bey der franzoͤſiſchen Rheinarmee: der Mann hat alſo vielen Einfluß, der dann erſt recht ſichtbar ſeyn wird, wenn von der Uebergabe der vor uns liegenden Feſtung die Rede ſeyn ſoll. Dieſe Uebergabe kann nicht lange mehr anſtehen allein ſie wird und muß auf alle Faͤlle noch viel Blut koſten: wir haben alſo einen Plan erdacht, wie wir ohne Blutvergießen zu un - ſerm Zweck gelangen koͤnnten.

Ich: Das waͤre ja herrlich!

Pr: Ja, ſieht Er: Und dazu ſoll er nun helfen!

Ich: Und wenn ich mein Leben dabey aufopfern ſollte, gern!

Pr: Schoͤn! So ſpricht ein braver Soldat. Laukhard, es iſt beſchloſſen, Ihn nach Landau zu ſchicken.

Ich: (betroffen) Nach Landau, mich?

Pr: Ja, Ihn nach Landau, lieber Laukhard. Sieht Er: Er kennt den Repraͤſentant Dentzel: dieſer vermag alles: kann Er ihn gewinnen, ſo iſt ſein und unſer Gluͤck gemacht.

Ich: Aber auch mein Ungluͤck, Ihre Hoheit, wenn ich entdeckt werde.

Pr: Ah, Er muß ſich nicht fuͤrchten! pardieu, die Franzoſen werden Ihm den Hals nicht brechen!

496

Ich: Aber die Franzoſen ſind Vokativuſſe, Ihre Hoheit: die Kerls ſpaßen eben nicht viel.

Pr: Ueberleg Er die Sache, lieber Laukhard! Findet Er, daß es nicht geht, à la bonne heure, ſo haben wir geſpaßt, und alles bleibt entre nous; findet Er aber, daß Er Muth genug hat, die Ge - fahr nicht zu achten, und ſein Gluͤck zu befoͤrdern, ſo entſchließe Er ſich, und ſage mir Beſcheid. Adieu! Aber alles bleibt noch unter uns! (geht ab)

Ich ſchlich unruhig und muͤrriſch ins Lager zu - ruͤck: tauſend Ideen, tauſend Grillen liefen mir durch den Kopf, und ich war doch nicht im Stande, einen feſten Entſchluß zu faſſen. Die Sache ſchien mir zu wichtig.

Einmal war es mir freilich erwuͤnſcht, endlich einmal eine Gelegenheit zu bekommen, mich mit Ehren von den Soldaten loszuwickeln. Bisher naͤmlich hatte ich das Laͤſtige und Druͤckende dieſes Standes mehr als zu viel erfahren und empfunden. Davon kam ich alſo weg, wenn ich den Vorſchlag Seiner Hoheit annahm: und dann hatte ich mit Herren zu thun, welche mir eine Laufbahn eroͤffnen konnten, worauf ich wenigſtens eher und beſſer fuͤr mich ſorgen konnte, als bey den Soldaten. Herr Bispink hatte mir zwar, als wir vor Maynz ſtanden, angetragen, daß er mich, ſobald ich nur einwilligte, von dem Regimente entweder loskau -497 fen, oder einen Rekruten von meiner Groͤße fuͤr mich ſtellen wollte. Er hatte dieſen lezten Punkt mit dem Hn. von Patzensky, Hauptmann bey unſerm Depot in Halle, ſchon beſprochen; auch uͤber die ganze Sache an unſern Feldprediger, Hn. Lafontaine geſchrieben, und ihn um ſeine Ver - mittelung erſucht. Aber ich konnte mich durchaus nicht uͤberwinden, eine Guͤte von dieſer Art von einem Manne anzunehmen, der mich ſchon lange mehr als bruͤderlich unterſtuͤzt hatte, und die ich ihm vielleicht nie haͤtte vergelten koͤnnen. Ich lehnte alſo ſein Anerbieten unter dem Vorwande ab: daß der Krieg gegen die Franzoſen mich zu ſehr inter - eſſirte, als daß ich nicht wuͤnſchen ſollte, ihm bis zu Ende mitbeyzuwohnen, u. ſ. w. Im Grunde aber hatte ich des Soldatenlebens herzlich ſatt; und ſo war es mir lieb, hier endlich eine Gelegenheit vor mir zu ſehen, meinen Abſchied durch eine ekla - tante Dienſtleiſtung ſelbſt zu verdienen. Da - durch erwuͤrbe ich mir, dachte ich damals, auch zugleich ein Recht auf eine ſorgenloſe Exiſtenz im Preußiſchen, und waͤre nicht genoͤthigt, mich auf eine prekaͤre Lebensart dereinſt irgendwo einzulaſſen. Freilich war viel Gefahr bey der ganzen Unterneh - mung, allein wenn ſie gelang, ſo war auch viel Vortheil auf meiner Seite zu erwarten.

Dritter Theil. Ii498

Auf der andern Seite mogte ich den Vorſchlag auch deswegen nicht verwerfen, weil ich dadurch Urſache werden konnte, daß eine blutige Belage - rung in eine friedliche Uebergabe verwandelt wuͤrde, wodurch das Leben vieler Menſchen, ſowohl bey den Unſrigen als bey den Franzoſen gewann.

Freilich haͤtte ich den Salto mortale niemals ge - wagt, wenn ich den Geiſt der Nation ſchon damals ſo gekannt haͤtte, wie ich ihn bald darauf kennen lernte, und welcher vorzuͤglich dahin geht, daß dem Feinde nicht eine Spanne breit Platz in der Repu - blik eingeraͤumt werde, oder bleibe. Das erſte Grundgeſetz der Nation iſt die Untheilbarkeit des Reichs: dieſe muß erhalten oder die Nation muß vernichtet werden. Aber ich kannte die Franzoſen damals von dieſer Seite eben ſo wenig, als der Koͤnig von Preußen und alle koaliſirten Maͤchte ſie auch noch nicht kannten, und Viele, leider! noch immer nicht zu kennen ſcheinen.

Aber die Gefahr, welcher ich mich nothwendig ausſetzen mußte, ſchreckte mich immer nicht wenig. Ich hatte gehoͤrt, daß die Franzoſen einige Tage vorher einen Emigrirten, welcher von den Kaiſer - lichen deſertirt war, in Landau aber als franzoͤſi - ſcher Fluͤchtling erkannt wurde, ohne langen Pro - ceß hatten todtſchießen laſſen. Was einem Spion und einem Emiſſaͤr gebuͤhrte, war mir lange be -499 kannt: ich hatte die Praxis davon bey Luxemburg, und bey Maynz geſehen. Ueberdieß verdammten meine eignen Grundſaͤtze die mir zugedachte Un - ternehmung: auch erinnerte ich mich recht lebhaft an das, was Pyrrhus ehedem zu den Roͤmern ſagte:

Non cauponantes bellum, ſed belligerantes, Ferro, non auro vitam cernamus utrique.

Spionerey habe ich uͤberhaupt immer fuͤr etwas ſehr unanſtaͤndiges gehalten, und Verraͤtherey fuͤr das abſcheulichſte Verbrechen. Denn was kann fuͤrchterlicheres gedacht werden, als der Misbrauch des Vertrauens, welches das Vaterland auf uns ſezt, und was iſt ſchaͤndlicher, als der Gewinn, den wir von dem verkauften Intereſſe unſrer Nation ziehen? Daher kamen mir auch jene Generale, welche dem Intereſſe ihrer Nation untreu geworden waren, beſonders ein Lafayette und ein Duͤmouriez, als die abſcheulichſten Menſch vor. Und dennoch ſollte ich mich in die augenſcheinlichſte Gefahr ſtuͤr - zen? Dennoch gegen meine eigne Ueberzeugung handeln, weil ich mir dadurch Nutzen ſchaffen konnte, wenn ich mit heiler Haut davon kam?

Was das lezte, oder die Ueberzeugung von Recht und Unrecht betrifft, ſo waͤre das die geringſte Frage geweſen: denn ich hatte Beyſpiele genug zu meiner Rechtfertigung. Der Eigennutz iſt das500 große Triebrad der menſchlichen Handlungen: da - von zeugt die Geſchichte aller Zeiten und aller Voͤl - ker; und alle wahre Biographien ſind davon der klaͤrſte Beweis. Ein Herr Philoſoph kennt und ruͤhmt die Wahrheit, und iſt uͤberzeugt, daß dieſe, verbunden mit einer ihr wuͤrdigen Lebensart, die hoͤchſte Wuͤrde des Menſchen ausmacht: er lehrt dieſes in allen ſeinen Buͤchern; und ſeine Hand - lungen ſind gewoͤhnlich das Gegentheil von ſeiner Lehre. Auch der groͤßte Philoſoph kalkulirt meiſten - theils à la Pitt, und iſt Kaufmann auf Geld, Ehre und Gewiſſen, wie dieſer. Mit den Herren Mo - raliſten konnte ich alſo bald fertig werden.

Aber die Gefahr, welcher ich mich unterziehen ſollte, lag mir mehr im Sinne. Ich mußte be - fuͤrchten, daß Dentzel meinen Antrag mit Ver - achtung verwarf, und mich in Unterſuchung neh - men ließ. Auch liefen taͤglich Deſerteurs nach Lan - dau uͤber: konnte die Sache nun nicht durch ſo ei - nen dahin gebracht und verrathen werden? Und wo blieb dann Laukhard? Dieſe Gedanken bekuͤm - merten mich Tag und Nacht, und raubten mir alle Ruhe.

501

Vierzigſtes Kapitel.

Fortſetzung des vorigen.

Den Tag nach meiner Unterredung mit dem Prinzen Louis kam der Adjutant des Kronprinzen zu mir, nahm mich mit hinter die Brandwache, und fragte mich: ob ich dem Antrag des Prinzen Louis nachgedacht haͤtte? Ich bejahte.

Adjutant: Nun, was denkt Er davon?

Ich: Ich denke, daß es ein ſehr gefaͤhrliches und halsbrechendes Stuͤck Arbeit iſt.

Adj: Weiter nichts?

Ich: Das aber doch fuͤr mich und fuͤr uns alle nuͤtzlich werden koͤnnte.

Adj: Das auf alle Faͤlle nuͤtzlich werden muß: denn geſezt auch, Er richtet nichts aus, ſo lernen wir doch die Geſinnungen der Leute kennen, und das iſt ſchon viel: verſteht Er mich?

Ich: O ja, ich verſtehe Sie wohl! Alſo wenn ich nichts ausrichte, ſo ſehen die Preußen, daß auf dieſe Art dem Repraͤſentanten nicht beyzukommen war, und nehmen ihre Maaßregeln auf eine andere Art. Ich zahle indeß mit meinem Leben, und die Herren haben einen Maßſtaab ihrer Unterneh - mungen mehr: Allerliebſt!

502

Adj: Ey, lieber Laukhard, ich meyne das nicht ſo! Wenn Er auch nichts ausrichtet, ſo iſt Er deswegen doch noch nicht verlohren. Er muß nur ſeine Sachen geſcheid anfangen; und kommt Er wieder aus Landau zu uns, ſo iſt ſein Gluͤck auf alle Faͤlle gemacht.

Ich: Ja, wenn die Feſtung durch mich in unſre Haͤnde kommt!

Adj: Und wenn das auch nicht geſchieht: Er iſt auf alle Faͤlle gedeckt, und ſeiner Belohnung ſicher. Das waͤre ſchoͤn, die Uebergabe der Fe - ſtung zur Bedingung ſeiner Belohnung zu machen! Er wird auf alle Faͤlle koͤniglich belohnt, und auf immer vor Armuth und Noth in Sicherheit geſezt. Aus einem Mann, wie Er iſt, muß noch einmal was in der Welt werden: pardieu!

Ich: Alles gut, Herr Adjutant, aber das Ding bleibt immer kuͤtzlich.

Adj: Freilich wohl! Aber was iſt Er denn, Laukhard? Iſt Er nicht Soldat, und muß ein bra - ver Soldat nicht vor die Kanonen gehen?

Ich: Natuͤrlich!

Adj: Iſt Er noch nicht vor den Kanonen ge - weſen?

Ich: O ja, ſchon mehr als einmal.

Adj: Hat Er da ſich wohl gefuͤrchtet und ge - aͤngſtet?

503

Ich: Herr Adjutant, wenn mir ein Andrer dieſe Frage vorlegte, ich weiß nicht, ich

Adj: Ich ſchmiß ihm hinter die Ohren, nicht wahr? Das iſt recht geſprochen, mein Lieber: ſo hoͤr 'ichs gern. Nun ſieht Er, wenn Er ohne Furcht vor die Kanonen ging, wo Er doch nicht viel thun konnte, warum wollte Er jezt eine Gele - genheit vorbey laſſen, wo weniger Gefahr iſt, und wo Er Viel thun kann?

Dieſer Grund beſtimmte mich beynahe: ich ſagte dem Adjutanten, daß ich fuͤr den Kronprinzen alles zu wagen und alles zu thun bereit waͤre. Er moͤgte alſo Seiner Hoheit meinen Entſchluß melden, und Sie verſichern, daß ich nur ihren Befehl erwartete.

Es war mir, wie es ſich verſteht, verboten worden, dieſe kuͤtzliche Sache irgend jemanden be - kannt zu machen; aber dieß foderte ſchon meine eigne Sicherheit. Ich hatte nicht einmal das Herz, ſie meinem Hauptmann anzuvertrauen: dieſer fragte auch ganz und gar nicht, was die großen Herren mit mir geſprochen haͤtten.

Es war bey der Kompagnie ein Franzoſe, Na - mens Gautier, ein eingemachter Windbeutel, der beynahe kein Wort deutſch wußte. Aber en révanche friſirte und raſirte er, wie ein Meiſter, und war immer guter Dinge. Seines jovialiſchen Weſens und ſeiner Schnurren wegen war er bey jederman,504 ſogar bey den vornehmſten Offizieren, wohl gelit - ten, welche ihn ſo zu ſagen zum Haͤnschen brau - chen wollten, die er aber ſelbſt nicht ſelten tuͤchtig haͤnſelte.

Dieſer Gautier hatte bey den ehemaligen Na - tionalgarden in Frankreich gedient, kannte die Ge - nerale Lafayette, Duͤmouriez, Anſelme und andre, hatte die Preußen aus Champagne verfolgen helfen, und war im Fruͤhling des Jahres 1793 bey Trier deſertirt. Weil er nun ſehr viel zu erzaͤhlen wußte, ſo machte ich mir gern mit ihm zu ſchaffen. Sonſt war er auch ein ehrlicher Kerl, mit welchem ſichs gut umgehen ließ.

Den Abend, als der Adjutant des Kronprinzen bey mir geweſen war, ſaß ich in der Marketeuder - Huͤtte, und dachte uͤber mein Schickſal ernſthaft nach. Gautier naͤherte ſich mir traulich, und fragte mich, warum ich ſo trauig ausſaͤhe? Ich ſagte ihm, der Kopf thaͤte mir wehe: er war aber mit meiner Entſchuldigung nicht zufrieden, und ſagte mir gerade heraus, daß er glaube, die Un - zufriedenheit mit meiner Lage verurſache nur Nach - denken. Nun, ſagte ich, wenn auch das waͤre!

Er: Je nun, ſo mußt du deine Lage aͤndern.

Ich: Ja, aber wie?

Er: Hoͤre, Bruder, ich kenne dich, du wirſt mich nicht verrathen.

505

Ich: Nein, bey Gott, das thue ich nicht.

Er: Nun, ſo hoͤre! Schon lange waͤre ich gern wieder bey den Franzoſen geweſen

Ich: Du? Du biſt ja von ihnen deſertirt; und wenn ſie dich jezt haſchen, ſo ſchießen ſie dich todt!

Er: Wenn ich vorgebe, die Preußen haͤtten mich aufgefangen, und mit Gewalt unter ihre Leute geſteckt: ſo bin ich frey. Und da du immer gut von den Patrioten geſprochen haſt: wie waͤr's, wenn wir beyde nach Landau gingen?

Ich: Bruder, Bruder, was mutheſt du mir da zu! Bedenke, wenn ſo was heraus kaͤme! Nein, nimmermehr! Laß uns abbrechen; kein Wort hievon weiter!

Er: Du verraͤthſt mich doch nicht?

Ich: Sey unbeſorgt: ich werde alles verſchwei - gen.

Die ganze Sache war mir indeß bedenklich, und wenn ich ſo haͤtte handeln wollen, wie es die Klugheit hier fuͤr meine kuͤnftige Sicherheit foderte, ſo haͤtte ich den Gautier angeben muͤſſen: denn es war nichts ſicherer zu vermuthen, als daß er, ſobald er meine Deſertion vernahm, auch fortlaufen wuͤrde: und was hatte ich da zu befuͤrchten! Aber ich wollte ſein Zutrauen nicht misbrauchen, und ſchwieg. Er hat hernach doch fortlaufen wollen, iſt aber un -506 gluͤcklicher Weiſe erhaſcht worden. Erſt bey der Retirade ging er zuruͤck nach Frankreich; aber nach welcher Gegend weiß ich nicht.

Ein und vierzigſtes Kapitel.

Meine Inſtruction vom Kronprinzen.

Am 25ten September wurde ich aufs Piket nach Nußdorf geſchickt. Hier hatten die Leute gerade Herbſt oder Weinleſe, welche ſie, nach Obigem, nothwendiger Weiſe ſchon ſo fruͤhe anfangen muß - ten, weil ſonſt die deutſchen Soldaten auch keine Beere in den Weinbergen gelaſſen haͤtten. Unſre Leute gingen ſchaarenweiſe hinein, und holten ganze Brodſaͤcke voll Trauben, welches ihnen um ſo we - niger verboten war, da man die Trauben als ein Praͤſervativ gegen die Ruhr anſah.

Ich war kaum in Nußdorf, ſo kam ſchon ein Bote aus dem Lager mit dem Befehl, daß ich ſo - gleich zuruͤckkommen ſollte. Ich lief nach meiner Kompagnie, und fand da jemand, der mich nach dem Zelte des Kronprinzen begleitete. Der Kron - prinz empfing mich, nach ſeiner edlen Gewohnheit, freundlich, druͤckte mir die Hand, und fragte mich: ob ich dem Vorſchlag nachgedacht haͤtte? Ich be - jahete dieſes, und verſicherte Seine Hoheit, daß507 ich alles fuͤr die Ehre und den Vortheil der preußi - ſchen Waffen thun wuͤrde. Ich habe ſchon viel Gutes durch meinen Vetter (den Prinzen Louis, Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen) von Ihm gehoͤrt, lieber Laukhard, und hatte mir vorgenommen, fuͤr ſeine Loslaſſung von den Sol - daten zu ſorgen. Nun zeigt ſich aber eine Gelegen - heit, wobey Er dem Staate noch nuͤtzlich ſeyn kann, und bey dieſer denke ich auch Sein Gluͤck zu ma - chen. Er iſt frey: von dieſem Augenblick an iſt Er kein Soldat mehr. Jezt erklaͤre Er, ob Er das noch thun will, wovon die Rede iſt?

Ich: Ja, Gnaͤdigſter Herr: ich werde mein Moͤglichſtes thun, den Auftrag Ew. Koͤnigl. Ho - heit puͤnktlich auszufuͤhren.

Kronprinz: Nun wohl, in Gottes Namen! Er ſoll ſehen, daß ich nicht undankbar bin, und, daß ich Wort halte. Morgen fruͤh um 7 Uhr komme Er zu mir, dann ſoll Er Seine Inſtruktion haben.

Ich ging: der Adjutant folgte mir, und gab mir einen Louisd'or; um mir mit meinen Kamera - den, wie er ſagte, einen guten Tag zu machen. Als ich ihm aber vorſtellte, daß es nothwendig Aufſehen machen muͤßte, wenn ich heute luſtig lebte, und die Nacht zum Feinde uͤberginge, ſo gab er mir Recht, und ich ging mismuthig nach der Kompagnie.

508

Wir hatten einen Burſchen, welcher gar nichts verſchweigen konnte. Dieſen nahm ich mit zum Marketender, war aber immer ſtill und unruhig. Auf ſein Befragen, was mir denn waͤre, ant - wortete ich: daß er mir ja doch nicht helfen koͤnnte.

Er: Wer weiß auch, Bruder!

Ich: Nein, du kannſt mir nicht helfen, aber wenn du mich nicht verrathen willſt, ſo kann ich dir wohl ſagen, was mir eigentlich iſt.

Er: Gott ſtrafe mich, Bruder, wenn ich ein Wort ſage!

Ich: Sieh, du weißt, daß ich immer gut pa - triotiſch war!

Er: Ja, mein Seel ', du haſt oft geſchwazt, wie ein Franzos.

Ich: Nun ſchau, das Ding hat der Kronprinz erfahren, und laͤßt nun Unterſuchung anſtellen. Er meynt gar, ich habe mit den Patrioten zu Neu - ſtadt unter der Decke geſteckt.

Er:〈…〉〈…〉 deshalb ſind die Herren immer bey dir geweſen!

Ich: Freilich! Glaub nur, das Ding geht mir hoͤlliſch im Kopf herum. Aber daß du ja nichts ausplauderſt!

Er: Der Teufel ſoll mich holen, Bruder! Nein, was ich weiß, erfaͤhrt kein Menſch: da ſoll mir lieber die Zunge erlahmen.

509

Ich hatte dem Menſchen den Unterricht von meiner Lage blos in der Abſicht gegeben, daß er das Ding unter den Soldaten verbreiten ſollte, und hatte mich nicht betrogen: denn ehe eine Stunde verging, wußte die ganze Kompagnie, daß ich der Patrioterey wegen angeklagt ſey, und nun ſchwere Strafe zu erwarten haͤtte. Einige behaupteten, ich muͤßte Gaſſen laufen, andre aber, welche das Ding beſſer wiſſen wollten, ſagten, daß ich gar koͤnnte gehenkt werden, wenigſtens muͤßte ich zeitlebens in die Karre. Ich hoͤrte die laͤppiſchen Urtheile, und freute mich baß daruͤber. Denn nun fand das Vor - geben von meiner Deſertion Glauben; und kam dann ein wirklicher Deſerteur von uns nach mir nach Landau, ſo war ich vor ihm auch da ſicher. Mein Hauptmann wußte das alles, ſprach aber mit mir nicht ein Wort davon.

Die Nacht brachte ich ſehr unruhig hin: fruͤh ſchrieb ich noch einen Brief an Hn. Bispink, worin ich ihm meldete, daß man etwas Wichtiges mit mir vorhabe, woruͤber ich ihm, ſobald es ſich thun ließe, naͤhern Aufſchluß geben wollte: nur moͤgte er bis dahin meinetwegen ganz unbekuͤmmert ſeyn. Allein Hr. Bispink hatte ſchon einem Regimentsbothen etwas fuͤr mich mitgegeben; und nun hatte ihm mein Hauptmann zu ſeiner Beruhi - gung einige Auskunft mitgetheilt. Auch vorher510 hatte ſchon ein Unteroffizier von unſrer Compagnie, Namens Jakob, ihm geſchrieben: ich haͤtte ihm aufgetragen, dem Hn. Bispink zu melden, daß ich die Nacht vom 26 27ten Sept. von der Piketwache nach Landau deſertiren wuͤrde, u. ſ. w. Dieſen Kunſtgriff hatte der Unteroffizier zwar nur ergriffen, um Hn. Bispinks Guͤte auf meine Rechnung zu benutzen; aber gerade weil ein Unteroffizier ihm dieß gemeldet hatte, deutete er meine Deſertion ganz richtig, jedoch mit vielem Befremden. Nichts hat mich nachher mehr geſchmerzt, als daß ich die - ſen braven Mann meinetwegen ſo lange in Unge - wißheit laſſen mußte.

Um 7 Uhr ging ich zum Prinzen von Hohen - lohe, der mich erſt mit Malaga traktirte, und her - nach zum Kronprinzen fuͤhrte. Hier erhielt ich meine Inſtruction. Da es meinen Leſern gleich viel gelten kann, worin die Natur dieſer Inſtruction beſtanden habe, ſo werden ſie ſich begnuͤgen, wenn ich ihnen ganz kurz melde, daß mein Auftrag da - hin ging, die Feſtung Landau ohne militaͤriſche An - griffe an die Preußen zu bringen, und zwar durch Geld. Ob ich gleich viel Vertrauen auf den Muth und die Ehrlichkeit der Republikaner hatte, ſo wußte ich doch auch, daß Geld alles vermag, und daß der Dichter recht ſagt:

511
Aurum per medios ire ſatellites
Et perrumpere amat ſaxa, potentius
Ictu fulmineo: concidit Auguris
Argive domus ob lucrum
Demerſa excidio: dividit urbium
Portas vir macedo, et ſubruit aemulos
Reges muneribus.

Und da man eine ſehr große Summe beſtimmt hatte, um zum Ziele zu gelangen, ſo verzweifelte ich nicht ganz an dem guten, das heißt, gewuͤnſch - ten Ausgang meines Auftrags.

Der Kronprinz ſprach weitlaͤufig, uͤber zwey gute Stunden, waͤhrend ich mit ihm fruͤhſtuͤckte, uͤber die Angelegenheiten, welche mich zunaͤchſt an - gingen, und dann uͤber das Allgemeine. Alle ſeine Urtheile waren richtig und beſtimmt, und man merkte wohl, daß er ſich in den oͤffentlichen Ge - ſchaͤften fleißig umgeſehen hatte. Beſonders hat mich der herablaſſende, ſanftmuͤthige, von allem Stolz entfernte Karakter dieſes Fuͤrſten entzuͤckt. Wir ſehen uns gewiß noch vor Weinachten wie - der, ſagte er zu mir, und dann reiſet Er mit mir nach Berlin, und geht dann nach Halle, wenn Er will. Der treffliche Prinz konnte nicht voraus ſe - hen, daß ich von damals an 18 Monate in der Ge - walt der Franzoſen wuͤrde bleiben und unter ſtaͤter Todesgefahr herumirren muͤſſen.

512

Nachdem ich uͤber den ganzen Inhalt meiner geheimen Sendung unterrichtet war, empfahl ich mich, und ging. Der Prinz von Hohenlohe be - gleitete mich, und haͤndigte mir eine Hand voll Gold ein, wovon ich in Landau leben ſollte. Ich ging mit dem Prinzen nach ſeinem Zelte, wo er mir ein Billet einhaͤndigte, welches ich an den Hn. Major von Wedel, der damals unſer Bataillon kom - mandirte, abgeben ſollte.

Dieſer rechtſchaffne Mann ſah mich ſehr mitlei - dig an, als er das Billet geleſen hatte, und ſagte woͤrtlich weiter nichts, als: wenns dann ſo ſeyn muß, ſo mag es ſo ſeyn! Guter Laukhard, Er geht dieſen Abend nach Nußdorff; es wird Ihn nie - mand aufhalten: das uͤbrige werd 'ich ſchon be - ſtellen.

Den Tag uͤber hielt ich mich ſehr ruhig: gegen Abend ging ich aus dem Lager mit Sack und Pack: denn ich gab vor: ich muͤßte jemand auf dem Piket abloͤſen. Man ließ mich ohne Umſtaͤnde paſſiren. In Nußdorf fand ich meinen Hauptmann, den Hn. von Mandelsloh, welcher durch den Hn. Ma - jor von Wedel von allem unterrichtet war. Er zog mich auf die Seite: ich weiß alles ſagte er, alſo brauchen wir nicht viel Erklaͤrung. Jezt geh Er nur nach der untern Wache, und bleib Er da, bis ich komme.

513

Unſre Leute hatten eben einen Keller aufgewittert, worin noch Wein war, und holten dieſen in großen Haͤfen auf die Wache, wo er unmaͤßig geſoffen wurde: ich aber hatte nicht das Herz, einen Tro - pfen mitzutrinken, ging daher in ein Nebenhaus, wo ich nur eine Moſ〈…〉〈…〉 brockel machen ließ. Von meinen Sachen wollte ich nichts mitnehmen, als meine Waͤſche und einen hebraͤiſchen Pſalter, welchen mir Herr Bispink auf mein Bitten geſchickt hatte. Ich habe dieſen Pſalter hernach auf meinen Turen durch Frankreich immer mit herumgetragen, und erſt bey meiner[Zuruͤckkunft] aus dieſem Lande einem Freunde geſchenkt. Die hebraͤiſche Sprache hat mir immer gefallen, nicht wegen des in derſelben verfaßten alten Teſtaments, wo freilich manche huͤbſche Urkunde, vermiſcht mit unzaͤhligen Fra - tzen und Thorheiten vorkommt, ſondern wegen der großen Simplicitaͤt derſelben.

Gegen 12 Uhr des Nachts kam Hr. von Man - delsloh, mein Hauptmann und noch ein Major von dem Regiment von Wolffmansdorff. Lauk - hard kann mit uns gehen, ſagte der Hauptmann: er kann Ordonnanz machen: wir wollen ein wenig die Poſten viſitiren. Ich legte meine Taſche ab, nahm nichts als Torniſter und Seitengewehr, und[begleitete die]Herren. Wir gingen gerade zumDritter Theil. Kk514Dorf hinaus auf die Landauer Straße, und mei - nem braven, mitleidigen Hauptmann war das Herz ſo beklommen, daß er kaum reden konnte. Der Major fuͤhrte alſo das Wort, und ſprach ſehr viel uͤber die Schuldigkeit des Soldaten, ſein Le - ben fuͤr ſeinen Herrn zu wagen. Ich fand dieſes Geſpraͤch fuͤr mich damals eben nicht ſehr paſ - ſend, und remonſtrirte ſo lange, bis der Major mir zugab: daß der Soldat erſt dann ſein Leben nach Recht und Pflicht wagen muͤſſe, wenn er ſelbſt einſehe, daß ſein Herr fuͤr eine durchaus ge - rechte Sache mit den Waffen auftrete. Auch wollte der Hr. Major nicht zugeben, daß ein Herr eben darum gehalten ſey, ſeinen Soldaten die Ur - ſachen anzugeben, warum er Krieg anfange, oder warum er dieſem oder jenem Huͤlfsvoͤlker gebe. Allein ich verſezte, daß der Soldat, der ohne zu wiſſen, warum, in den Krieg ziehen muͤſſe, nie - mals mit ſoviel Muth und Zutrauen fechte, als der, welcher von der Gerechtigkeit und Nothwen - digkeit des Krieges uͤberzeugt ſey.

Major: Ja gut; aber wer, beym Henker, kann denn jedem Soldaten das vordemonſtriren?

Ich: Es iſt gar nicht noͤthig, daß man jeden gemeinen Soldaten, oder auch nur jeden Offizier von den Urſachen des Krieges uͤberzeuge: das muß einigemal oͤffentlich geſchehen, und dann wird es515 ſich bis zum Tambour und zum Packknecht bald und pfeilſchnell verbreiten.

Major: Aber wie ſoll denn die oͤffentliche An - zeige geſchehen?

Ich: Einmal durch ein Manifeſt an die Armee, worin die Gruͤnde, welche den Fuͤrſten zum Krieg bewegen, enthalten waͤren. Dieſe muͤßten genau und deutlich aus einandergeſezt und ſo dargeſtellt werden, daß ſie allgemein einleuchteten, und dann an ſich ſchon ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie auch Eindruck auf den Soldaten machen koͤnnten: Bey jeder Kom - pagnie muͤßten eins oder zwey Exemplare vertheilt werden, und dann lernten die Soldaten ſie, nach ihrer bekannten Neugierde in ſolchen Dingen, gewiß bald auswendig. Hernach hat man ja auch die Herren Feldprediger, die doch mit ihren gewoͤhnli - chen Predigten wenig Nutzen ſtiften. Dieſe Her - ren muͤßte man anhalten, uͤber die Pflicht, ta - pfer, beherzt und treu zu ſeyn, oͤfters Reden zu hal - ten: die Beweggruͤnde dieſer Reden muͤßten nicht hergenommen werden aus der Bibel, oder aus der allgemeinen Pflicht, ſeinem Eyde treu zu ſeyn, ſondern aus der Natur des jedesmaligen Krieges, und aus den Urſachen, warum man gerade jezt Krieg fuͤhren wolle. Freilich muͤßten die meiſten Herren Feldprediger alsdann mehr ſtudiren, als ſie jezt thun; auch muͤßten die Gruͤnde nicht nach516 der gewoͤhnlichen Herrſcher-Diplomatik riechen, ſondern gerecht, und wahr ſeyn, ſo daß ein〈…〉〈…〉 - cher Mann ſie ehrlich vortragen, und von ihrer mo - tivirten Darſtellung das erwarten koͤnnte, was Viele nach dem hergebrachten Herrſcherwahn entweder von dem Nimbus ihrer Macht, oder von der Rhe - torik des Korporalſtocks ſich verſprechen, aber ge - woͤhnlich ſo finden, wie bisher. Auch der ge - meinſte Mann iſt mehr als Maſchine, zumal jezt unter der Gegenfeile der Franzoſen. Die Zeit wird mich rechtfertigen.

Major: Er kann recht haben, Laukhard, aber die Kriegsplane duͤrfen doch niemals bekannt gemacht werden.

Ich: Das verſteht ſich allein: die Urſachen, warum man Krieg fuͤhrt und die Art, wie man ihn fuͤhrt oder fuͤhren will, ſind ſehr verſchieden. Jene muͤſſen jedem Soldaten genau bekannt ſeyn d. h. jeder Soldat, der halbwege Nachdenken hat, muß einſehen, daß er fuͤr die gerechte Sache ins Feld zieht: aber die Plane darf nur der Feld - herr wiſſen. u. ſ. w.

Unter dieſem Geſpraͤche kamen wir eine gute Strecke von Nußdorff ab. Es begegnete uns eine Patrouille, welche uns berichtete, daß in der Tiefe alles ruhig ſey. Nun, ſagte Hr. von Mandels - loh, ſo begleiten wir unſern Laukhard noch eine517 Strecke. Die Franzoſen werden uns nicht gleich haſchen. Es war herrliches Wetter und licht - heller Mondſchein. Wir gingen ſachte weiter. Endlich ermahnte ich die Herren ſelbſt, zuruͤckzuge - hen, indem man nicht wiſſen koͤnne, was hie oder da aufſtoße, oder im Hinterhalte laure. Die Her - ren ſahen die Nothwendigkeit, zuruͤckzukehren, ſelbſt ein, gaben mir noch manch nuͤtzlichen Rath, wuͤnſchten mir gute Verrichtung und damit Gott empfohlen. Der lezte Handdruck meines biedern Hauptmanns war herzig, aber noch herziger ſein Antrag, hier noch mitumzukehren, wofern ich in meinem Entſchluſſe nur das mindeſte wankte, oder ihn bereute. Allein meine Antwort war eben ſo kurz als entſchloſſen dieſe: Ein ehrlicher Mann haͤlt Wort, und wenns ſein Leben koſten ſollte!

Zwei und vierzigſtes Kapitel.

Mein Uebergang zu den Franzoſen.

Kaum war ich dreißig Schritte vorwaͤrts gegan - gen, als eine franzoͤſiſche Patrouille von drey Dra - gonern auf mich zukam, und mir ihr qui vive? (wer da?) zurief. Ich gab mich ſofort fuͤr einen preußiſchen Deſerteur an. Sois le bien venu! rief518 ein Dragoner: komm naͤher! Aber Kerl, Du ſprichſt franzoͤſiſch: biſt wohl gar ein Franzoſe?

Ich: Warum nicht gar: ich bin ein Deutſcher!

Drag: Aber ſacré mâtin,*)Sacré mâtin, chien, ſacrée garce, ſacripie, ſacré ſoutage, ſacrée merderie, und tauſend andere Floskeln ſind die Wuͤrze fuͤr die republikaniſche Sprache des gemeinen Volks in Frankreich. Im Jahr 1793 und 1794 waren dieſe Floskeln mit ein Beweis des〈…〉〈…〉 hten robespierriſchen Patriotis - mus. Ich liefre weiterhin uͤber dieſe unanſtaͤndige Verbraͤ -〈…〉〈…〉 ung der franzoͤſiſchen Sprache ein eignes Kapitel. Du ſprichſt ja fran - zoͤſiſch: wo haſt Du das gelernt?

Ich: Meint Ihr denn, daß die Deutſchen nicht auch franzoͤſiſch koͤnnen?

Drag: Vi[v]e la Nation! Kamerad, Du mußt Du ſagen! fouttre! Du biſt bey Republikanern; die ſagen alle Du. Alſo Du biſt kein Franzos?

Ich: Nein! ich hab's ja ſchon geſagt.

Drag: Gut! Du biſt ein braver Junge, daß Du deinen Tyrannen verlaſſen haſt. (d'Avoir foutu le camp à ton tyran) Aber wo ſind denn Deine Kameraden?

Ich: Was fuͤr Kameraden?

Drag: Sacré mâtin, ich habe doch welche ſprechen hoͤren!

Ich: Ich habe ſo fuͤr mich getrallert.

Drag: Nein: es waren mehrere Stimmen. Ich muß wohl nachſuchen.

519

Zwey Dragoner ſprengten wirklich fort, und ſuchten, ob noch jemand in der Naͤhe waͤre. Man ſtelle ſich meine Angſt vor: denn es war ja leicht, ſehr leicht moͤglich, daß mein Hauptmann und der Major erhaſcht, und eingebracht wurden, und dann war Laukhard geliefert. Ein Dragoner blieb in - zwiſchen bey mir, und ſprach ſehr freundlich. End - lich nach langem Hin - und Herſuchen kamen die bey - den andern zuruͤck, und verſicherten, daß doch nichts da waͤre: es muͤßte vielleicht eine feindliche Patrouille geweſen ſeyn. Nach meiner Zuruͤckkunft nach Halle erfuhr ich von dem Hn. Hauptm. von Mandelsloh, daß ihnen die Dragoner wirklich auf den Hals gekommen waͤren, daß ſie ſich aber in die Weinberge verſteckt haͤtten, um nicht ent - deckt zu werden. Sie waren beyde unbewaffnet, hatten nichts als ihre Degen, und waͤren da ohne Umſtaͤnde gezwungen geweſen, ſich nach Landau fuͤhren zu laſſen. Gut nur, daß dieſes nicht ge - ſchehen iſt!

Meine Dragoner fuͤhrten mich auf die kleine Schanze vor dem deutſchen Thore, wo ein Haupt - mann und ein Leutnant das Kommando hatten, und wo 50 Mann zur Wache waren. Der Haupt - mann war froh, daß ich mit ihm reden konnte er war vom zweyten Bataillon La Correze und unterhielt ſich mit mir die ganze Nacht. Der Leut -520 nant ſaß da, und las in der franzoͤſiſchen Ueber - ſetzung des Fraͤuleins von Sternheim. Die Sol - daten legten mir hundert Fragen vor, welche ich beantworten mußte, die ich aber ſo beantwortete, wie es mir zutraͤglich ſchien. Ich bediente mich hier der Ausdruͤcke, Monſieur, Meſſieurs, avoir la grace, la bonté, de ermettre u. dgl. aber der Hauptmann bath mich, alle Freyheitstoͤdtende Ausdruͤcke (termes〈…〉〈…〉 erticides) nicht mehr zu gebrauchen. Du biſt jezt, ſagte er, im Lande der Freyheit, mußt alſo auch reden, wie ein freyer Mann.

Ich: Das iſt wohl wahr: aber Dir z. B. bin ich doch Reſpekt ſchuldig.

Er: Gerade ſo viel als ich Dir. Bin ich Dein Herr? Oder hab 'ich Dir zu befehlen?

Ich: Du biſt aber doch Hauptmann!

Er: Und Du biſt Menſch, und das iſt hinlaͤng - lich, um frey zu ſeyn, und von Niemanden abzu - haͤngen. Aber ich merke lieber Freund, Du haſt noch keinen Begriff von der Freyheit. Wenn Dir's nicht zuwider iſt, ſo will ich Dir hieruͤber einige Auskunft geben. Sag mir einmal, darfſt Du ſteh - len?

Ich: Bewahre! Stehlen darf Niemand.

Er: Warum nicht?

Ich: Weils nicht recht iſt.

Er: Gut: woher weißt Du, daß es nicht recht iſt?

521

Ich: Weil es der Vernunft und dem natuͤrli - chen Geſetz zuwider iſt.

Er: Das iſt nicht richtig geſprochen: Es muß heißen: weil es dem geſchriebnen Geſetz zuwider iſt. Verſtehſt Du mich?

Ich: O ja, aber das Naturgeſetz muß doch die Grundlage aller geſchriebnen Geſetze ſeyn.

Er: Das gehoͤrt alleweile nicht hieher, ſo wahr es ſonſt iſt. Das Naturrecht bildet keine Geſell - ſchaft: wo aber Geſellſchaft iſt, da giebt es poſi - tive Geſetze, und es muß ſie geben: und was dieſe befehlen, das iſt recht und erlaubt und was ſie ver - bieten, iſt unrecht, und nicht erlaubt. Jezt will ich Dir auch ſagen, was Freyheit iſt. Freyheit heißt das Vermoͤgen, blos nach ſolchen Geſetzen zu leben, welche vernuͤnftig und dem gemeinen We - ſen nuͤtzlich ſind. Sklaverey hingegen heißt von Geſetzen abhaͤngen, welche abſurd, unbillig, un - gerecht u. ſ. w. ſind. Haſt Du mich verſtanden?

Ich: O ja, ich bitte, nur fortzufahren.

Er: Du ſiehſt alſo, daß Freyheit keine Geſetz - loſigkeit iſt, und nichts weniger mit ſich bringt, als das Vermoͤgen, willkuͤhrlich zu handeln, oder ſeinen beſondern Willen dem allgemeinen Willen vorzuziehen: jeder muß ſich dem allgemeinen Wil - len unterwerfen.

522

Ich: Was verſtehſt Du unter allgemeinem Willen?

Er: Darunter verſtehe ich den Willen der Na - tion, auf dieſe oder jene Art als Nation zu exiſti - ren. Die Modifikation dieſer Exiſtenz macht den Grund aller Geſetze aus: ſie iſt die Grundlage der oͤffentlichen Ruhe, und darf folglich von keinem einzelnen Mitgliede uͤbertreten, veraͤndert, oder verdreht werden. Nun glaube ich, haſt Du eini - gen Begriff von der Freyheit, welche die Franzo - ſen einfuͤhren wollen.

Ich: Aber ſeyd Ihr denn jezt frey?

Er: Wie man es nehmen will. Unſre geſetz - gebende Macht hat die Nothwendigkeit eingeſehen, Geſetze und Verordnungen zu machen, welche mit der vernuͤnftigen Freyheit der Buͤrger nicht beſtehen koͤnnen. Dergleichen Verordnungen haben wir viele.

Ich: Alſo ſeyd Ihr ja nicht frey!

Er: Hoͤre, Freund, wenn Du das Fieber haſt, und wirklich Koͤnig biſt: biſt Du da frey? Antwort: nein! Frankreich hat jezt das Fieber: Frankreich liegt im ſchrecklichſten Paroxismus, deſſen Kriſis ſich fuͤrchterlich aͤußert: und nun uͤberlege, ob da die friedliche Lage der Freyheit in vollem Maaße, ſo wie wir ſie wuͤnſchen, und mit der Zeit haben werden, jezt ſchon Statt haben koͤnne?

Ich: Da Ihr aber dieſe ſchreckliche Kriſen, die - ſen Paroxismus zum voraus ſehen konntet, warum finget Ihr Eure Revolution an?

Er: Dieſer Paroxismus iſt nicht ganz Folge der Revolution. Warum kamen Eure Fuͤrſten, uns523 zu ſtoͤhren, und dadurch unſern Zuſtand zu ver - ſchlimmern und zu verlaͤngern? Warum mußten unſre Großen, unſer Capet, unſre Adlichen, unſre Pfaffen Rebellion und Blutvergießen ſtiften, unter der Hand unterhalten und dadurch die Revolutions - geſetze, die tribunaux révol[u]tionnaires, die Gillo - tine, die Fuͤſeliaden und andre ſcheusliche Auftritte nothwendig machen? Die Revolution an ſich war an dem großen Ungluͤck, das unſer Land betroffen hat, und das wahrſcheinlich noch einen großen Theil von Europa niederdruͤcken wird, nicht allein Schuld.

Ich: Du bekennſt alſo doch, daß die Revolu - tion gelegentlich großes Ungluͤck uͤber Frankreich gebracht hat: alſo iſt ſie gegen Eure Erwartung anders ausgefallen, als ſie ſollte.

Er: Ganz und gar nicht. Man hat, wenig - ſtens haben geſcheide Koͤpfe dieſe Folgen groͤßten - theils voraus geſehn. Aber es mußte einmal bre - chen. Wir ſind nicht allein fuͤr uns da; wir muͤſ - ſen auch auf unſre Nachkommen bedacht ſeyn. Ein Volk iſt anzuſehen, wie Ein Koͤrper, der viele Jahrhunderte lebt. Wenn daher an dieſem Koͤrper brandartige Glieder ſind, ſo muß man dieſe weg - ſchaffen, geſezt auch, es muͤſſe friſches Fleiſch mit abgeſchnitten werden.

Ich: Ich verſtehe Dich: Du meynſt den Adel

Er: Nicht den Adel allein; ich meyne alle die, welche an der unrechtmaͤßigen Obergewalt unſrer Tyrannen Theil hatten, und ihre Buͤbereyen unter dem Schutz der willkuͤhrlichen Einrichtung eines524 Einzigen veruͤbten. Und dieſe waren vorzuͤglich die Pfaffen, die Edelleute, die Paͤchter, die Mono - poliſten und anderes unzaͤhliges Geſindel, welches nun zerſtoͤhrt und zertruͤmmert iſt.

Ich: Und Ihr fuͤrchtet Euch nicht, daß alles dieſes wieder hergeſtellt werden koͤnne? Ihr be - denkt nicht, daß Ihr alsdann noch weit mehr ge - druͤckt ſeyn werdet, als Ihr es jemals unter Euren Ludwigen waret?

Er: Eben weil wir dieſes denken, bieten wir alles auf, um jenem vorzubeugen, feſt entſchloſſen, entweder Alles zu verlieren oder Alles zu gewinnen: ein Mittelweg iſt fuͤr uns ſchon unmoͤglich gewor - den, und dieß vorzuͤglich durch das Verſehen Eurer Fuͤrſten. Dieß ſieht der groͤßere und edlere Theil unſerer Nation lange ein; und darum bemuͤhen ſich Eure Fuͤrſten zu ihrem eignen Ruin ſehr thoͤrigt, uns wieder zu irgend einer Art von willkuͤhrlicher Tyranney zuruͤckzubringen.

Ich: Man iſt aber im Kriege niemals wegen des Erfolges ſicher: es koͤnnte doch geſchehen, daß die vereinigte Macht ſo vieler Fuͤrſten endlich eine allgemeine Veraͤnderung in Eurem jetzigen Syſteme hervorbraͤchten. Denn erſtlich

Bisher hatten alle Soldaten geſchwiegen, und aufmerkſam zugehoͤrt; aber bey meiner lezten Aeuße - rung fingen alle an zu murren, und ein ganz junger Volontaͤr ſagte mir in recht barſchem Ton: Du ſollſt ſehen, Citoyon, daß alle Koͤnige und alle Pfaffen und alle Edelleute nicht im Stande ſeyn werden, uns zu beſiegen. Frey wollen wir blei -525 ben, oder ſterben. Ja das wollen wir, riefen alle. Wer uns beſiegen will, fuhr der Volontaͤr fort, muß unſer ganzes Volk ausrotten, aber das ſoll und kann weder der Teufel, noch der Papſt, noch ſonſt ein Tyrann! Ich fand nicht fuͤr gut, den Volontaͤrs die Moͤglichkeit einer gaͤnzlichen Nieder - lage von ihrer Seite weiter zu zeigen, und ver - ſicherte ſie, daß ich ſelbſt nichts ſehnlicher wuͤnſchte, als daß das angefangne gute Werk Beſtand haben und alle ſeligen Fruͤchte bringen moͤgte, welche Frankreich davon erwartete. Ich nehme Dir's nicht uͤbel, verſezte der Volontaͤr, daß Du ſo ſprichſt, wie Du geſprochen haſt: Du kommſt von den Tyran - nen her, und wie kann man in der Sklaverey ler - nen, vernuͤnftig und frey zu denken!

Der Hauptmann fragte mich, ob ich Hunger haͤtte. Ich verneinte es. Nun trinken wirſt Du doch eins, nicht wahr? Kameraden, fuhr er fort, indem er ſich zu den Soldaten wendete, geh doch einer, wer will, hin und hole eine Feldflaſche voll Wein!

Ich habe noch eine hier, ſchrie ein Volontaͤr: die ſteht Dir zu Willen. *)Man bemerke, daß man in Frankreich nicht mehr〈…〉〈…〉 à votre ſervice, ſondern à la volari〈…〉〈…〉Er brachte ſie, und wir fingen an zu trinken.

Ich mußte mich beſonders uͤber das anſtaͤndige Betragen dieſer Leute wundern. Es herrſchte un - ter ihnen die trefflichſte Ordnung, und die ſtrengſte Diſciplin. Ganz anders hatte man uns die fran -526 zoͤſiſche Zucht vorgeſchildert: da waren es Leute, welche von gar keiner Subordination wuͤßten; die thaͤten, was ſie wollten, die auf den Befehl ihres Offiziers nicht hoͤrten und was des albernen Vor - gebens mehr war. Allein hier ſahe ich zum erſten - mal, gegen meine Erwartung, wie es wenigſtens im Dienſte ſo ordentlich bey den Franzoſen zuging, als es bey den Preußen je zugehen kann. Ich werde in der Folge von der Subordination und dem patriotiſchen Dienſteifer der Franzoſen noch mehr reden, und einige ſpecielle, ſehr intereſſante, That - ſachen davon anbringen. Hier bemerke ich nur noch ſo viel, daß im Dienſt alle Subordination im aller - ſtrengſten Verſtande ausgeuͤbt wird, und daß doch dabey der Offizier nicht im geringſten den Tyran - nen machen kann. Ich weiß es noch gar gut, daß man bey den Preußen einen gewaltigen Unterſchied zwiſchen guten und boͤſen Offizieren macht; aber in Frankreich iſt dieſer Unterſchied nicht ein - mal denkbar. Hier findet gar keine Willkuͤhr ſtatt: uͤberall herrſcht und entſcheidet das Geſetz. Das Geſetz kennen alle: alle finden es gut und nothwen - wendig; und ſo beeifert ſich jeder, dem Geſetz zu gehorchen. Aber unter dem Geſetz ſteht der Offi - zier ſo gut, als der Volontaͤr: was das Geſetz vorſchreibt erkennen beyde fuͤr Recht und Pflicht; und uͤber dieß hinaus vermag die Willkuͤhr nichts. Was kuͤmmert's alſo den Soldaten in Frankreich, ob ſein kommandirender Offizier ein Iſegrimm oder ein Engel iſt! Der Soldat muß ſeine Pflicht thun: davon kann ihn der Offizier nicht freyſprechen; und527 als Patriot im aͤchten Wortverſtand thut er ſie gern. Erlaubte Dinge duͤrfen ihm uͤbrigens nicht verbo - ten, und unerlaubte nicht geſtattet werden: und damit iſt's alle.

Die Strenge der preußiſchen Diſciplin, vor - zuͤglich in Weſel, muß den Franzoſen uͤberhaupt ſcheuslich genug beſchrieben ſeyn: denn hier fragten ſie mich fleißig, wie viel Hiebe der preußiſche Sol - dat taͤglich bekomme? Ob denn ihr Kommißbrod in der That uͤber allen Glauben ſchlecht ſey? u. ſ. w. Ich mußte die ganze Nacht herhalten und plau - dern; aber ich that das gern, indem ſchon hier mir manches Vorurtheil verſchwand, welches ich in Abſicht der Franzoſen noch hatte.

Fruͤh ſagte mir der Hauptmann ſeinen Namen, bath mich, ihn zu beſuchen, wenn er abgeloͤßt ſeyn wuͤrde, und darauf ließ er mich durch einen Vo - lontaͤr, aber ohne Gewehr, zum General Laubadere, dem Volksrepraͤſentanten Dentzel und dem Kriegs - kommiſſarius, deſſen Namen ich vergeſſen bin, ab - fuͤhren. Wie ich dieſe Leute gefunden, wie meine Miſſion abgelaufen, in welche Gefahren und Ge - genden ſie mich getrieben, kurz, wie es mir 18 Monate hindurch in Frankreich ergangen; was ich da gehoͤrt und geſehen; wie die Nation ſich ver - aͤndert und von neuem organiſirt habe im Buͤrger - lichen, Militaͤriſchen, Wiſſenſchaftlichen, Oeko - nomiſchen, Merkantiliſchen und Moraliſchen; wie und wodurch ich aus Frankreich befreyet, was fuͤr Schickſale mich auf meiner Reiſe nach Deutſch - land, und bey den Schwaͤbiſchen Kraistruppen be -528 troffen; wie ich auch von dieſen losgekommen und endlich wieder nach Halle zu meinem ehrlichen, b〈…〉〈…〉 e - dern Bispink gewandert bin; was ich da jezt treibe das alles iſt ſchon beſchrieben, und er - ſcheint naͤchſtens im folgenden Bande.

Ende des dritten Theils.

Verbeſſerungen der Druckfehler.

Seite 10 Zeile 11: ausarteten. 21 18: zu rufen. 24 3: haͤtten. 30 1: Dunkel. 32 2: der ſchrecklichſten 52 14: à deux. 58 9: uberſehen, ſie, die ſich. = 11: Nur. 59 4: G〈…〉〈…〉 ani kannte dieſen. 96 20: Lig〈…〉〈…〉 urmeiſter. 186 16: welche Preußen. 192 25: Laͤ〈…〉〈…〉 tige zu 195 2: all des Elend. 197 14: allen. 221 15: und die iſt. 223 12: ihres Gleichen haben. = 14: die Gefahren habe. 227 5: encore ſoir pour tous les Jours. 230 15: armen Leute. 231 17: ganz abg[e]ſchlagen haben. 266 14: in einer kleinen. 280 20: gezuͤchtigt worden waren. 300 13: dergleichen gern. = 15: wenn es dieſelbe auch gleich 319 13: Buͤrge〈…〉〈…〉 n. 321 2: Baccaracum. 323 15: Maper. 335 6: Dieſer. 336 3: Er iſt. 383 21: beſche〈…〉〈…〉 iret. 388 11: kommentirte.

About this transcription

TextF. C. Laukhards Leben und Schicksale
Author Friedrich Christian Laukhard
Extent540 images; 100217 tokens; 15108 types; 697416 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationF. C. Laukhards Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben Dritter Theil, welcher dessen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen während des Feldzugs gegen Frankreich von Anfang bis zur Blokade von Landau enthält Friedrich Christian Laukhard. . XVI, 528 S. FleischerLeipzig1796.

Identification

SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:3https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20H%20L%20BI%20V%2C%205269%3A3

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:59Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkGöttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:3
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.