Druck von Carl Schultze in Berlin, Neue Friechsstrasse 47.
OTTO JAHN IN BONN IN ALTER LIEBE UND TREUE.
FÜNFTES BUCH. Die Begründung der Militärmonarchie.
Die Begründung der Militärmonarchie.
‘Wie er sich sieht so um und um, Kehrt es ihm fast den Kopf herum, Wie er wollt 'Worte zu allem finden? Wie er möcht' so viel Schwall verbinden? Wie er möcht 'immer muthig bleiben So fort und weiter fort zu schreiben? ’ (Goethe. )Röm. Gesch. III. 1[2][3]Die Oligarchie, die, als Sulla im J. 676 starb, unumschränkt den römischen Staat beherrschte, war durch Gewalt gegründet worden; sie bedurfte der Gewalt, um sich zu behaupten. Ihr ent - gegen stand nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgespro - chenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Führern, son - dern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im All - gemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammen - faſsten, aber doch in der That aus den verschiedenartigsten Gründen und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die sul - lanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da waren die Männer des positiven Rechts, die Politik weder mach - ten noch verstanden, denen aber Sullas willkürliches Schalten mit dem Leben und Eigenthum der Bürger ein Gräuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, während jede andere Opposition schwieg, lehn - ten die strengen Juristen gegen den Regenten sich auf und wurden zum Beispiel die cornelischen Gesetze, welche verschiedenen ita - lischen Bürgerschaften das römische Bürgerrecht aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso das Bürgerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgeho - ben durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Scla - verei während der Revolution. Da waren ferner die Ueberreste der alten liberalen Senatsminorität, welche in früheren Zeiten auf Concessionen an die Reformpartei und an die Italiker ge - drungen hatte und jetzt in ähnlicher Weise geneigt war die starr oligarchische Verfassung Sullas durch Zugeständnisse an die Po -1*4FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.pularen zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen, die ehrlich gläubigen bornirten Radicalen, die für die Schlagwör - ter des Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, daſs sie nicht für eine Sache, sondern für eine Phrase gefochten hat - ten. Die tribunicische Gewalt, die Sulla zwar nicht aufgehoben, aber doch ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleidet hatte, wirkte nur mit um so geheimniſsvollerem Zauber auf die Menge, weil das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der That ein leeres Gespenst war — hat doch der Name des Volks - tribuns noch über ein Jahrtausend später Rom revolutionirt. Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die die sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus sol - chen Ursachen gehörte der Opposition an die dichte und wohl - habende Bevölkerung der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen, die natürlich die Gewährung des latinischen Rechts im J. 665 (II, 230) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle rö - mische Bürgerrecht betrachtete und der Agitation einen willfäh - rigen Boden gewährte. Deſsgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichthum einfluſsreichen und durch ihre Zusammendrän - gung in der Hauptstadt noch besonders gefährlichen Freigelas - senen, die es nicht verschmerzen konnten durch die Restaura - tion wieder auf ihr früheres praktisch nichtiges Stimmrecht zurückgeführt worden zu sein. Deſsgleichen ferner die hohe Fi - nanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren zähen Groll und ihre nicht minder zähe Macht nach wie vor sich be - wahrte. Ebenso miſsvergnügt war die hauptstädtische Menge, die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung gährte in den von den sullanischen Confiscationen betroffenen Bürgerschaften, mochten sie nun, wie die Pompeia - ner, in beschränktem Besitz innerhalb desselben Mauerringes mit den sullanischen Colonisten und mit denselben in ewigem Hader leben, oder, wie zum Beispiel die Arretiner und Volaterraner, zwar noch im thatsächlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damo - klesschwert der vom römischen Volke über sie verhängten Con - fiscation sich befinden, oder endlich, wie dies besonders in Etru - rien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als Räuber in den Wäldern verkommen. Es war endlich in Gährung der ganze Familien - und Freigelassenenanhang, derje - nigen demokratischen Häupter, die in Folge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des Emigrantenthums5LEPIDUS UND SERTORIUS.theils an den mauretanischen Küsten umherirrten, theils am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung die - ser Zeit galt es den Ihrigen als Ehrensache für die flüchtigen Angehörigen die Rückkehr in die Heimath, für die todten wenig - stens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der Geächteten, die das Gesetz des Regenten zu politischen Parias herabgesetzt hatte (II, 326), hatten damit gleichsam von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende Ordnung sich zu empören. — Zu allen diesen oppositionellen Fractionen kam noch hinzu die ganze Masse der ruinirten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen war: die adlichen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als ihre Schulden; die sullanischen Lanzknechte, die der Macht - spruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Acker - bauer hatte umschaffen können und die nach der verpraſsten ersten Erbschaft der Geächteten sich sehnten eine zweite ähnliche zu thun, — sie alle warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben sein. Mit gleicher Nothwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und der Popularität bedürftigen Ta - lente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen verwehrte und die deſshalb in die Phalanx gewalt - sam sich einzudrängen und die Gesetze der oligarchischen Exclu - sivität und Anciennetät durch ihre Popularität zu brechen ver - suchten, als auch die gefährlicheren Männer, deren Ehrgeiz nach einem höheren Ziel strebte als die Geschicke der Welt innerhalb der collegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf der Advokatentribüne, dem einzigen von Sulla offen gelassenen Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Re - genten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Ju - risprudenz und der gewandten Rede lebhaft gegen die Restauration gestritten; und zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tul - lius Cicero (geb. 3. Jan. 648), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposi - tion gegen den Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent nichts weiter begehrte als den curulischen Stuhl damit sich ein - zuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf6FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Mann dieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeid - lich; indeſs für jetzt wenigstens war dieser Platz noch unbe - setzt. — Der Art war die Opposition, mit der das von Sulla ein - gesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem das - selbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen socialen und politischen Uebelstände dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit theils die Militärchefs in den Pro - vinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, theils in der Hauptstadt die Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und auſseritalischen Gesindels und der in Rom groſsentheils in factischer Freiheit lebenden Sclaven im Zaum zu halten, ohne Truppen zur Verfügung zu haben. Die Lage des Senats war wie die einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstands - mittel waren ansehnlich und nachhaltig und vor allen Dingen blieb, so lange die Opposition weder im Ziel noch im Weg einig und hauptlos in hundert Fractionen zerspellt war, die Re - gierung nothwendig im Vortheil. Daſs die Masse der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, abgeneigt, ja ihr feind - selig gesinnt war, lieſs sich nicht verkennen; aber eben so offen - bar war es der Regierung sehr wohl möglich, ihre feste Burg gegen die irre und wirre Masse noch auf lange hinaus zu be - haupten. Nur freilich muſste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Vertheidigung heranbringen; denn freilich für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der gröſste Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.
Je mehr schlieſslich alles ankam auf die Persönlichkeit der leitenden Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daſs es genau genommen auf beiden Seiten an Führern fehlte. Die Poli - tik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Coteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; der geschlossene Familien - und Sodalitäteneinfluſs ist untrenn - bar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde der - selbe doch erst in dieser Epoche, wie er denn auch erst in ihr (zuerst 690) durch gesetzliche Repressivmaſsregeln weniger ge -7LEPIDUS UND SERTORIUS.hemmt als constatirt ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinn - ten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, thaten sich in He - tärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, so weit sie über - haupt an den politischen Vorgängen regelmäſsig sich betheiligte, bildete gleichfalls nach den Stimmbezirken geschlossene und fast militärisch organisirte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den ‚ Bezirkvertheilern‘ (divisores tribuum) ihre natürlichen Haupt - leute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Clubs alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Rath - manns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straſsenkrawall machten und die Rottenführer, die ihn lenkten — nur im Tarif un - terschieden sich die Associationen der Vornehmen und der Gerin - gen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloſs die Anklagen, die Hetärie leitete die Vertheidigung; sie gewann den an - gesehenen Advokaten, sie accordirte im Nothfall wegen der Frei - sprechung mit einem der Speculanten, die den einträglichen Handel mit Richterstimmen im Groſsen betrieben. Die Hetärie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Straſsen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und so zu sagen öffentlich; das Hetärienwesen war besser geordnet und besorgt als irgend ein Zweig der Staatsver - waltung; wenn auch, wie es unter civilisirten Gaunern üblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Ein - verständniſs nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch Nie - mand dessen ein Hehl und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht ihr Verhältniſs zu den Hetärien ihrer Clienten öffentlich und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzel - ner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politi - scher Don Quixote. An die Stelle der Parteien und des Parteien - kampfes traten die Clubs und deren Concurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrigue. Ein mehr als zweideutiger Charak - ter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später als Ueberläufer von Sulla zu Gnaden aufgenommen (II, 308), spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einfluſs - reichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler zwischen den senatorischen Fractionen und als staatsmännischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo keiner der politisch thätigen Männer sich über die Linie des Ge - wöhnlichen erhob; jedes auſserordentliche Talent hätte diese8FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.Factionenwirthschaft wie Spinneweben weggefegt; aber eben an politischen und militärischen Capacitäten war der bitterste Man - gel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen einzigen angesehenen Mann übrig gelassen als den alten klugen redegewandten Lucius Philippus Consul 663, der, früher popular gesinnt und Führer der Capitalistenpartei gegen den Senat, dann mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug um Dank und Lohn zu ernten übergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius Consul 674, Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Con - sul in Sullas Todesjahr 676, der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Aus - zeichnung unter Sulla gefochten hatte; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640 — 704), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Junius Bru - tus (Consul 677), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Consul 677) und andere solche Nullitäten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswerth der vornehmen Adlichen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Va - ter ein feingebildeter Mann und ein ehrlicher Aristokrat, aber von mäſsigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloſs ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fä - higer und erprobter Offizier und nicht einzig wegen seiner engen verwandtschaftlichen und collegialischen Beziehungen zu dem Regenten, sondern vor allem wegen seiner anerkannten Tüchtig - keit nach Niederlegung des Consulats im J. 675 nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emi - granten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere, der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher litte - rarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als Mensch ehrenwerth erschien. Allein als Staats - männer waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem äusseren Feind gegenüber bewährten Metellus und die Luculler sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick die eigentlich politischen Auf - gaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der9LEPIDUS UND SERTORIUS.Intriguen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken. Ihre politische Weisheit beschränkte sich darauf aufrichtig zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie und die Demagogie wie jede sich emancipirende Einzelgewalt herzlich zu hassen und muthig zu verwünschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit Weni - gem vorlieb. Was von Metellus in Spanien erzählt wird, daſs er nicht bloſs die wenig harmonische Leier der spanischen Gelegen - heitspoeten sich gefallen, sondern sogar wo er hinkam sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden Victorien unter Theater - donner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer sich kränzen lieſs, ist nicht besser beglaubigt als die meisten geschichtlichen Anekdoten; aber nichts desto weniger spiegelt sich darin der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluſs, sondern das Consulat und der Triumph und im Rath ein Ehren - platz errungen war. Es ist nicht ungewöhnlich, daſs, wer solches erlangt hat, von der politischen Bühne zurücktritt und in fürst - lichem Luxus untergeht. Waren doch selbst Männer wie Metellus und Lucius Lucullus schon als Feldherren nicht weniger bedacht auf die Erweiterung des römischen Gebietes als auf die der end - losen Wildprett -, Geflügel - und Dessertliste der römischen Gastro - nomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delicatessen; auch sie verdarben den besten Theil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Müſsiggang. Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen alles oligarchische Regi - ment beruht, waren der verfallenen und künstlich wieder herge - stellten römischen Oligarchie dieser Zeit abhanden gekommen; der Aristokratie dieser Zeit galt durchgängig ihr Cliquengeist als Patriotismus, ihre Eitelkeit als Ehrgeiz, ihre Bornirtheit als Con - sequenz. Wäre die sullanische Verfassung der Obhut von Män - nern anvertraut worden, wie sie wohl im römischen Cardinals - collegium und im venezianischen Rath der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob die Opposition so rasch vermocht haben würde sie zu gefährden; mit solchen Vertheidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Männern, die weder unbedingte Anfänger noch of - fene Gegner der sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf sich als der junge bei Sullas Tode neun - undzwanzigjährige Gnaeus Pompeius (geb. 29. Sept. 648). Es war das ein Unglück für den Bewunderten wie für die Bewunderer; aber es war natürlich. Gesund an Leib und Seele, ein tüchtiger10FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischaarenführer, war der Jüngling in einem Alter, das ihn noch von jedem Amt und vom Senat aus - schloſs, Imperator und Triumphator geworden und hatte nächst Sulla den ersten Platz in der öffentlichen Meinung, ja von dem läſslichen halb anerkennenden halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Groſsen sich erworben. Zum Unglück ent - sprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger, aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, das Ideal eines civili - sirten Unteroffiziers. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus ein vorzüglicher Soldat war er doch auch als Militär ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt ist es ihm eigen mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und wo möglich den entscheidenden Schlag erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit über den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat, versäumte er es den - noch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler pflichtmäſsig zu bewundern und zu beschenken. Seine Recht - schaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem be - trächtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus hält; er verschmähte es nicht in der üblichen senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich um deſswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den — relativ allerdings wohl gerechtfertigten — Ruhm der Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein ‚ ehrliches Gesicht‘ ward fast sprichwörtlich und noch nach seinem Tode galt er als ein würdiger und sittlicher Mann; in der That zeigte er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder und es gereicht ihm zur Ehre, daſs er zuerst von der barbarischen Sitte abging die gefangenen feindlichen Könige und Feldherren nach ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem ver - fehmten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hülfreich beigestanden hatten, mit groſser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen (II, 319); er war nicht grausam, wie man ihm vor -11LEPIDUS UND SERTORIUS.warf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weiſse im Auge; im bürgerlichen Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veran - lassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Ver - legenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr war. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die mit ihrer Selbststän - digkeit renommiren, ein lenksames Werkzeug in der Hand der - jenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freige - lassenen und Clienten, von denen er nicht fürchtete beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staats - mann. Unklar über sein Ziel, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im Kleinen wie im Groſsen kurzsichtig und rathlos pflegte er seine Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und wenn er täuschen wollte, nur mit dem Glauben Andere zu täuschen sich selber zu betrügen. Durch seine mili - tärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zuthun eine ansehnliche ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der sich die gröſsten Dinge hätten durch - führen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten und wenn sie den - noch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zu - thun durch das bloſse Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie in anderen Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steif - leinenste aller nachgemachten groſsen Männer. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war sullanischer Offizier und Anhänger der bestehenden Verfassung, und doch auch wieder in der Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze sena - torische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Consularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehässige halbe Opposition gemacht (II, 251. 297) und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden (II, 308) — Erinne - rungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die eminente Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, ent - zweite ihn innerlich ebenso sehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äuſserlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklom -12FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.menen Ruhmeshöhe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle er seine dürr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetisch - sten aller Heldengestalten selber verhöhnen, fing er an sich mit Alexander dem Groſsen zu vergleichen und sich für einen einzi - gen Mann zu halten, dem es nicht gezieme bloſs einer von den fünfhundert römischen Rathsherren zu sein. In der That war Niemand mehr geschaffen in ein aristokratisches Regiment als Glied sich einfügen zu lassen als er. Pompeius würdevolles Aeuſsere, seine feierliche Förmlichkeit, seine persönliche Tapfer - keit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative hätten ihm, wäre er zweihundert Jahre früher geboren worden, neben Manius Curius und Quintus Maximus einen ehrenvollen Platz gewinnen mögen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und der Masse der Bürgerschaft wie des Senats zu allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt rö - mische Mediocrität nicht am wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch hätte es eine klare und ansehnliche Stellung für ihn gegeben, wofern er damit sich genügen lieſs der Feldherr des Rathes zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt war. Es genügte ihm nicht, und so gerieth er in die verhängniſsvolle Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Be - ständig trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat, und wenn sie sich darbot, konnte er sich nicht entschlieſsen sie ein - zunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten und doch trat er selbst mit nicht bloſs affectirter Bescheidenheit überall auf als einer von vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem bloſsen Gedanken etwas Verfassungswidriges zu beginnen. Also beständig in gründlicher Spannung mit und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie, beständig gepeinigt von einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloſs ihm in ewigem inneren Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.
Ebenso wenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten Anhängern der Oligarchie gezählt werden. Er ist eine für diese Epoche ungemein charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre voranging, gehörte auch er zu dem Kreise der hohen römischen Aristokratie, hatte die gewöhnliche standesmäſsige Bildung erhalten und gleich Pom - peius unter Sulla im italischen Kriege mit Auszeichnung gefoch - ten. An geistiger Begabung, litterarischer Bildung und militäri - schem Talent weit zurückstehend hinter vielen seines Gleichen, überflügelte er sie durch seine grenzenlose Rührigkeit und durch13LEPIDUS UND SERTORIUS.die Beharrlichkeit, mit der er rang alles zu besitzen und alles zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Speculation. Güterkäufe während der Revolution begründeten sein Vermögen; aber er verschmähte keinen Erwerbszweig: er betrieb das Bau - geschäft in der Hauptstadt ebenso groſsartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unter - nehmungen in Compagnie; er machte in und auſser Rom, selbst oder durch seine Leute, den Banquier; er schoſs seinen Collegen im Senat Geld vor und unternahm es für ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszuführen oder Richtercollegien zu bestechen. Wählerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den sullanischen Aechtungen war ihm eine Fälschung in den Listen nachgewiesen worden, weſshalb Sulla sich von da an in Staats - geschäften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefälscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren Ländereien gewaltsam oder heimlich verdrängten. Uebrigens ver - mied er offene Collisionen mit der Criminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst bürgerlich und einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann von gewöhn - lichem senatorischen der Herr eines Vermögens, das nicht lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer auſserordentli - cher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (12 Mill. Thlr.) belief: er war der reichste Römer geworden und damit zugleich eine politische Gröſse. Wenn nach seiner Aeuſserung Niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies ver - mochte, kaum noch ein bloſser Bürger. In der That war Crassus Blick auf ein höheres Ziel gerichtet als auf den Besitz der gefüll - testen Geldkiste in Rom. Er lieſs es sich keine Mühe verdrieſsen seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Bürger der Hauptstadt wuſste er beim Namen zu grüſsen. Keinem Bittenden versagte er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel für ihn als Sprecher gethan: seine Rede war trocken, der Vor - trag eintönig, er hörte schwer; aber sein zäher Sinn, den keine Langeweile abschreckte, wie kein Genuſs ihn anzog, überwand die Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporirte er und so ward er ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger An - walt, dem es keinen Eintrag that, daſs ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und daſs er nicht bloſs durch sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden14FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rath war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den ‚ Freun - den‘ Geld ohne Zinsen auf beliebige Rückforderung vorzuschies - sen, machte eine Menge einfluſsreicher Männer von ihm abhängig, um so mehr da er als echter Geschäftsmann keinen Unterschied unter den Parteien machte, überall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfähig oder sonst brauch - bar war. Die verwegensten Parteiführer, die rücksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hüteten sich gegen Cras - sus aufzutreten; man verglich ihn dem Stier der Heerde, den zu reizen für keinen räthlich war. Daſs ein solcher und so ge - stellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuch - tet ein; und, anders als Pompeius, wuſste Crassus genau wie ein Banquier, worauf und womit er politisch speculirte. Seit Rom stand, war daselbst das Capital eine politische Macht; die Zeit war von der Art, daſs dem Golde wie dem Eisen alles zu - gänglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine Capitalisten - aristokratie daran hatte denken mögen die Oligarchie der Ge - schlechter zu stürzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die Blicke höher erheben als zu den Ruthenbündeln und dem ge - stickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sulla - ner und Anhänger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanz - mann, um einer bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen persönlichen Vortheil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intrigan - teste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein Speculant im gröſsten Maſsstab, nicht speculiren auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht dies Ziel zu errei - chen; aber er hatte ja schon manches groſsartige Gesellschafts - geschäft gemacht; es war nicht unmöglich, daſs auch hiefür ein passender Theilnehmer sich darbot. Es gehört zur Signatur der Zeit, daſs ein mittelmäſsiger Redner und Offizier, ein Politiker, der seine Rührigkeit für Energie, seine Begehrlichkeit für Ehr - geiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein colossales Vermö - gen und das kaufmännische Talent Verbindungen anzuknüpfen — daſs ein solcher Mann, gestützt auf die Allmacht der Coterien und Intriguen, den ersten Feldherren und Staatsmännern der Zeit sich ebenbürtig achten und mit ihnen um den höchsten Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt.
In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen Conservativen als unter den Popularen, hatten die Stürme der Revolution mit erschreckender Gründlichkeit aufgeräumt. Unter15LEPIDUS UND SERTORIUS.jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 — c. 681), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deſswegen im J. 663 verbannt (II, 219), sodann durch Sullas Sieg zurückgeführt in die Heimath; er war ein kluger Mann und ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Par - tei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter dem jungen Nachwuchs der zweiundzwanzigjährige Gaius Julius Caesar (geb. 12. Juli 654) von Freund und Feind die Blicke auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und Cinna — seines Vaters Schwester war Marius Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermählt — die muthige Weige - rung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings nach dem Befehl des Dictators gleich Pompeius seiner jungen Ge - mahlin den Scheidebrief zuzusenden; sein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugetheilten, von Sulla aber wieder aber - kannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten Aechtung; seine Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weibisch stutzer - haften Knaben Niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem ‚ Knaben im Unterrock‘, in dem mehr als ein Marius steckte — alles dies waren eben so viele Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei. Indeſs an Caesar konnten doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; die Demo - kratie brauchte Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im Staat berufen waren der Zügel der Partei und des Staats sich zu bemächtigen. Allein die ehemaligen Führer waren alle gefallen oder geächtet. Der einzige angesehene Mann, der offen auftrat als Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit, Marcus Aemilius Lepidus, war ein Lückenbüſser, ein Ueberläufer aus dem Lager der Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen die Farbe gewechselt hatte. Einst ein eifriger Optimat und stark be - theiligt bei den über die Güter der Geächteten angestellten Auc - tionen hatte er als Statthalter von Sicilien die Provinz so arg geplündert, daſs ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werthe. Zwar ein bekannter Name, ein vor - nehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition erworben, aber Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im Rathe noch im Felde verdiente an der Spitze zu stehen. Nichts desto weniger hieſs die Oppo -16FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.sition ihn willkommen; und dem neuen Demokratenführer gelang es nicht bloſs seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch seine Wahl zum Consul für 676 durchzusetzen, wobei übrigens auſser seinen in Sicilien erpreſsten Schätzen auch Pompeius albernes Bestreben bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen was er vermöge, ihm förderlich war. Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefun - den hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des Staats geworden war, so konnten baldige Bewegungen nicht wohl ausbleiben.
Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Die - ser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisirt — die fast schwär - merische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es — und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem kimbrischen, dem spanischen und dem italischen Krieg heimgebrachten ehren - vollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult, erregte er durch den natürlichen Fluſs und die treffende Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein un - gemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er na - mentlich in dem von den Demokraten so über die Maſsen elend und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glänzendem Contrast zu beweisen; anerkannter Maſsen war er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wüthen seiner Partei mit staatsmän - nischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloſs deſswegen, weil er gleich diesem im Krieg ein Auge eingebüſst hatte. Er erinnert in der That an den groſsen Phoenikier durch seine ebenso verschlagene als muthige Kriegführung, sein seltenes Talent den Krieg durch den Krieg zu organisiren, seine Gewandtheit fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie nach erlittenen Un - fällen. Man darf zweifeln, ob irgend ein römischer Staatsmann der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent mit Sertorius sich vergleichen läſst. Nachdem er vor Sullas Feldherren aus Spanien hatte weichen müssen (II, 319), hatte er17LEPIDUS UND SERTORIUS.an den spanischen und afrikanischen Küsten ein unstetes Aben - teurerleben geführt, bald im Bunde bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen Piraten und den Chefs der schwei - fenden Stämme Libyens. Selbst hierhin verfolgte ihn die sieg - reiche römische Restauration. Als er Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fürsten der Stadt zu Hülfe aus dem römischen Africa ein Corps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus ward von Sertorius völlig geschlagen und Tingis genommen. Auf das weithin erschallende Gerücht von solchen Kriegsthaten des römi - schen Flüchtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeb - lichen Unterwerfung unter die römische Oberhoheit thatsächlich ihre Unabhängigkeit behaupteten und jährlich mit den Statthal - tern des jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Africa, um ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt über die lusitanische Miliz zu übertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die Hülfsquellen des Landes kannte, beschloſs der Einladung Folge zu leisten und schiffte mit Zurücklassung eines kleinen Postens an der mauretanischen Küste nach Spanien sich ein (um 674). Die Meerenge die Spanien und Africa scheidet, war besetzt durch ein römisches von Cotta geführtes Geschwader; sich durchzu - schleichen war nicht möglich; so schlug Sertorius sich durch und gelangte glücklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten und auch von ‚ Römern‘ musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Theil Uebergetretene aus dem Heer des Pac - ciaecus oder römisch bewaffnete Africaner waren. Sertorius er - kannte es, daſs alles darauf ankam den losen Guerillaschwärmen einen festen Kern römisch organisirter und disciplinirter Truppen zu geben; er verstärkte zu diesem Ende seine mitgebrachte Schaar durch Aushebung von 4000 Fuſssoldaten und 700 Reitern und rückte mit dieser einen Legion und den Schwärmen der spani - schen Freiwilligen gegen die Römer vor. Am Beatis traf er auf den Statthalter des jenseitigen Spaniens Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den Aechtungen erprobte Hin - gebung an Sulla vom Unteroffizier zum Proprätor aufgerückt war; hier ward er völlig geschlagen; 2000 Römer deckten die Wahlstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der benachbar - ten Ebroprovinz Marcus Domitius Calvinus um dem weiteren Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen und bald erschien (675) auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, den Sulla sandte, um den unbrauchbaren Fufidius im südlichen SpanienRöm. Gesch. III. 218FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.abzulösen. Aber es gelang doch nicht des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von Sertorius Unterfeldherrn, dem Quaestor Lucius Hirtuleius nicht bloſs Calvinus Heer ver - nichtet und er selbst getödtet, sondern auch Lucius Mallius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Collegen zu Hülfe mit drei Legionen die Pyrenäen überschritten, von demselben tapfern Führer vollständig geschlagen. Mühsam rettete Mallius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Ueber - fall der aquitanischen Völkerschaften sein ganzes Gepäck ein - büſste. Im jenseitigen Spanien drang zwar Metellus in das lusi - tanische Gebiet ein; allein es gelang Sertorius während der Be - lagerung von Longohriga (unweit der Tajomündung) eine Ab - theilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Räumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Corps des Thorius und that dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsäglichen Abbruch im klei - nen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfälliger Taktiker, war in Verzweiflung über diesen Gegner, der die Ent - scheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Com - municationen ihm abschnitt und beständig ihn von allen Seiten umschwärmte. — Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen erfocht, waren um so bedeutsamer, als sie nicht bloſs durch die Waffen errungen wurden und nicht bloſs militärischer Natur waren. Die Emigrirten als solche wa - ren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Führer war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Tact trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottier der gegen Rom empörten Lusitaner auf als römischer Feldherr und Statthalter von Spanien*Wenigstens die Grundzüge dieser Organisationen müssen in die Jahre 674. 675. 676 fallen, wenn gleich die Ausführung ohne Zweifel zum guten Theil erst den späteren Jahren angehört.. Er fing an aus den Häuptern der Emi - gration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder steigen und in römischen Formen die Geschäfte leiten und die Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein römi - sches und besetzte die Offizierstellen ohne Ausnahme mit Römern. Den Spaniern gegenüber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und sonstige Unterstützung von ihnen ein -19LEPIDUS UND SERTORIUS.mahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemüht war die Provinzialen an Rom und persönlich an sich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht; nach der auch hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriege - rischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier zu ihrem mit Begeisterung geliebten römischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in diesen Spa - niern zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht auch den Aber - glauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana durch die weiſse Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen. Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen muſsten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im Allge - meinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel. Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Sol - daten an sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle unsäglicher Uebelstände und Quälereien verstopft ward. Für die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Aca - demie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und die Toga tragen lernten — eine merkwürdige Maſsregel, die keineswegs bloſs den Zweck hatte von den Verbündeten die in Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiſseln in möglichst scho - nender Form zu nehmen, sondern vor allem eine Steigerung war des groſsen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokrati - schen Partei die Provinzen allmählich zu romanisiren. Es war der erste Anfang dazu die Romanisirung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emi - granten zu bewerkstelligen, sondern durch die Latinisirung der Provinzialen selbst. Die Optimaten in Rom spotteten über den elenden Emigranten, den Ausreiſser aus der italischen Armee, den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluſs des spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuſs, 2000 Bogen - schützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure2*20FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.Uebermacht hatte Sertorius nicht bloſs sich in einer Kette von glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den gröſsten Theil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz war Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietstheile; hier hatten alle Völkerschaften, die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr. Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon fingen auch hier die Völkerschaften an sich zu regen und zusammengerottete Haufen bedrohten die Alpenpässe. Die See endlich gehörte ebenso sehr den Insurgenten als der legitimen Regierung, da die Verbündeten jener, die Corsaren, in den spanischen Gewässern fast ebenso mächtig waren wie die rö - mischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (Ivica gegenüber zwischen Valencia und Cartagena) richtete Sertorius ihnen eine feste Station ein, wo sie theils den römischen Schif - fen auflauerten die den römischen Seestädten und dem Heer ihren Bedarf zuführten, theils den Insurgenten die Waaren ab - nahmen oder lieferten, theils ihren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Daſs diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken tru - gen, war in hohem Grade besorgniſserregend, zumal in einer Zeit, wo überall im römischen Staat so viel Brennstoff aufge - häuft war.
In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod (676). So lange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erhe - ben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, ent - schiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten, so wie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höch - sten Beamten des Reichs allenfalls als vorübergehende Miſsge - schicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daſs entweder die Opposition nicht wagen werde zum offenen Kampfe zu schreiten oder daſs, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie zum drittenmale dieselbe herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heiſssporne in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien, drängten zum Losschlagen; Lepidus selbst ging darauf ein mit dem ganzen Eifer des Renegaten[und] mit der ihm persönlich eigenen Leichtfertigkeit. Einen Augenblick schien es, als solle21LEPIDUS UND SERTORIUS.an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten entflammte, auch der Bürgerkrieg sich entzünden; indeſs Pompeius Einfluſs und die Stimmung der sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition das Leichenbegängniſs des Regenten ruhig vorüber - gehen zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen Revolution. Täglich hallte der Markt der Hauptstadt wieder von Anklagen gegen den ‚ karrikirten Ro - mulus‘ und seine Schergen. Der Umsturz der sullanischen Ver - fassung, die Wiedereinsetzung der Volkstribunen in den vorigen Stand, die Zurückführung der gesetzwidrig Verbannten, die Rückgabe der confiscirten Ländereien wurden von Lepidus und seinen Anhängern offen als das Ziel ihrer Bestrebungen bezeich - net. Mit den Geächteten wurden Verbindungen angeknüpft; Mar - cus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sicilien (II, 318), fand sich ein in der Hauptstadt. Die Söhne der sulla - nischen Hochverräther, auf denen die Restaurationsgesetze mit unerträglichem Drucke lasteten, und überhaupt die namhafteren marianisch gesinnten Männer wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von Sullas Tode und Lepidus Plänen aus Asien heim - gekehrt war, aber nachdem er den Charakter des Führers und der Bewegung genauer kennen gelernt hatte, vorsichtig sich zu - rückzog. Unter den expropriirten etrurischen Grundeigenthü - mern ward eine bald weit sich verzweigende Verschwörung gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt. In der Hauptstadt ward auf Lepidus Rechnung in den Weinhäusern und den Bordellen gezecht und geworben. Alles dies geschah unter den Augen der Re - gierung. — Der Consul Catulus und die verständigeren Optimaten drangen auf entschiedenes Einschreiten, allein die schlaffe Senats - majorität konnte sich nicht entschlieſsen den unvermeidlichen Kampf zu beginnen. Man begnügte sich die beiden Consuln eid - lich zu verpflichten die Waffen nicht gegen einander zu kehren und sie zu veranlassen rasch in die ihnen angewiesenen Provin - zen abzugehen. Es war nicht möglich kopfloser zu verfahren; um vor dem Straſsenlärm Ruhe zu haben gab man dem Empörer ein Heer. Lepidus verlieſs die Hauptstadt, aber statt in das narbo - nensische Gallien sich zu begeben, wie er sollte, machte er unter - wegs in Etrurien Halt*Vermuthlich geschah dies unter dem Vorwand, daſs die sullanische und rüstete daselbst zum Kampfe, höh -22FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.nisch erklärend, daſs der geleistete Eid nur für das laufende Jahr ihn binde. Jetzt setzte der Senat die Orakelmaschine in Bewegung, um ihn zur Rückkehr zu bestimmen und übertrug ihm die Lei - tung der bevorstehenden Consulwahlen; allein Lepidus wich aus und während die Boten deſswegen kamen und gingen und über Vergleichsvorschläge verhandelt ward, schwoll seine Mannschaft zu einem Heer an. Endlich im Anfang des Jahrs 677 erging an Lepidus der bestimmte Befehl des Senats ungesäumt zurückzu - kehren; trotzig weigerte sich der Proconsul und forderte seiner - seits die Erneuerung der ehemaligen tribunicischen Gewalt und die Wiedereinsetzung der gewaltthätig Vertriebenen in ihr Bürger - recht und ihr Eigenthum, überdies für sich die Wiederwahl zum Consul für das laufende Jahr, das heiſst die Tyrannis in gesetz - licher Form. Damit war der Krieg erklärt. Die Senatspartei konnte auſser auf die sullanischen Veteranen, deren bürgerliche Existenz durch Lepidus bedroht ward, zählen auf das dem Catu - lus für seine Provinz bewilligte und noch in Italien stehende Heer. Auf die dringenden Mahnungen der Einsichtigeren, na - mentlich des Philippus, ward die Vertheidigung der Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien stehenden Hauptmacht der Demo - kratenpartei vom Senat dem Proconsul Catulus übertragen, wäh - rend Gnaeus Pompeius mit einem andern Haufen ausrückte, um seinem ehemaligen Schützling das Pothal zu entreiſsen, das dessen Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Während Pom - peius rasch seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn eng in Mutina einschloſs, erschien Lepidus vor der Hauptstadt, um wie einst Marius sie mit stürmender Hand für die Revolution zu erobern. Das rechte Tiberufer gerieth ganz in seine Gewalt und er konnte sogar den Fluſs überschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt ward die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein in derselben siegte Catulus; Lepidus muſste zurückweichen nach Etrurien, während eine andere Abtheilung unter Lepidus Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf. Damit war der Aufstand im Wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen siche - ren Geleits nachträglich auf Befehl des Pompeius getödtet. Eben - so ward Alba nach langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Führer gleichfalls hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten gedrängt, lieferte am etrurischen Ge -*Verfassung dem Consul verbiete während seines Amtsjahres Italien zu ver - lassen.23LEPIDUS UND SERTORIUS.stade noch ein Treffen, nur um den Rückzug sich zu erfechten und schiffte sodann in den Hafen Cosa nach Sardinien sich ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr abzuschneiden und mit den spanischen Insurgenten in Verbindung zu treten hoffte. Allein der Statthalter der Insel leistete ihm kräftigen Widerstand und er selbst starb nicht lange nach seiner Landung an der Schwind - sucht (677), womit in Sardinien der Krieg zu Ende war. Ein Theil seiner Soldaten verlief sich; der gewesene Prätor Marcus Perpenna begab sich mit starker Mannschaft und voller Kasse nach Ligurien und von da nach Spanien zu den Sertorianern.
Ueber Lepidus also hatte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch die gefährliche Wendung des sertorianischen Krie - ges zu Zugeständnissen genöthigt, die den Buchstaben wie den Geist der sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechter - dings nothwendig ein starkes Heer und einen fähigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu ver - stehen, daſs er diesen Auftrag wünsche oder vielmehr fordere. Die Zumuthung war stark. Es war schon übel genug, daſs man die - sen geheimen Gegner in dem Drange der lepidianischen Revolu - tion wieder zu einem auſserordentlichen Commando hatte gelan - gen lassen; aber noch viel bedenklicher war es mit Beseitigung aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein Amt bekleidet hatte, eine der mächtigsten ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in der Art zu übertra - gen, daſs an die Niederlegung derselben in der gesetzlichen Jah - resfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Rücksicht, alle Ursache diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Jünglings seine Sonderstellung zu verewigen allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht. Zunächst fehlte es ihr durchaus an einem für den schwierigen spanischen Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Consuln des Jahres bezeigte Lust sich mit Ser - torius zu messen und man musste es hinnehmen, was Lucius Philippus in voller Rathversammlung sagte, daſs unter allen an - gesehenen Senatoren nicht einer fähig und willig sei in einem ernsthaften Kriege zu commandiren. Vielleicht hätte man dennoch hierüber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man kei - nen fähigen Candidaten hatte, die Stelle mit irgend einem Lücken - büſser ausgefüllt, wenn Pompeius den Befehl bloſs gewünscht und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert hätte. Catulus Weisungen das Herr zu entlassen hatte er bereits überhört; es war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Auf -24FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.nahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte Niemand berechnen — gar leicht konnte die Schale der Ari - stokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloſs sich die Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmanns mit der höchsten Amts - gewalt sich handelte, verfassungsmässig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die proconsula - rische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging, vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 über die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu thun, wo zwar eine förmliche Insurrection nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; in Folge dessen Pompeius den Cantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbstständigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpen - straſse über den cottischen Berg (Mont Genèvre I, 400) eine kürzere Verbindung zwischen dem Pothal und dem Keltenlande hergestellt. Ueber diese Arbeit verfloſs die gute Jahreszeit; erst spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen. — Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jensei - tige Provinz entsandt um Metellus in Schach zu halten und war selbst bemüht seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen Pro - vinz zu verfolgen und sich auf Pompeius Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hiel - ten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt schon mitten im Winter war das feste Contrebia (südöst - lich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt; er lieſs sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vor - schreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die römische Flotte vertheidigt wurden, und der Districte der Indi - geten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pom - peius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu ge - wöhnen, den Winter hindurch bivouakiren lieſs, war am Ende des J: 677 das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Ge - walt von Sertorius abhängig geworden und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze sei - ner Macht. Selbst die Besorgniſs, die das frische römische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee25LEPIDUS UND SERTORIUS.hervorrief, hatte für dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbststän - diges Commando über die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius Eintreffen in Spanien von seinen Soldaten genöthigt sich unter die Befehle seines fähigeren Collegen zu stellen. Für den Feldzug des J. 678 verwandte Sertorius gegen Metellus wieder das Corps des Hirtuleius, während Perpenna mit einem starken Heer am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius, wenn er, Metellus die Hand zu reichen, in südlicher Richtung und, der Ver - pflegung seiner Truppen wegen an der Küste entlang, marschiren würde, den Uebergang über den Ebro zu wehren. Zu Perpennas Unterstützung diente zunächst das Corps des Gaius Herennius, sodann weiter landeinwärts Sertorius selbst, der am oberen Ebro vorläufig die Unterwerfung einzelner römisch gesinnter Districte nachholte und zugleich sich dort bereit hielt nach den Umstän - den Perpenna oder Hirtuleius zu Hülfe zu eilen. Auch diesmal war seine Absicht jeder Hauptschlacht auszuweichen und den Feind durch kleine Kämpfe und Abschneiden der Zufuhr aufzu - reiben. Indeſs Pompeius erzwang nicht bloſs gegen Perpenna den Uebergang über den Ebro, sondern schlug auch bei Valentia (Valencia) den Herennius vollständig aufs Haupt und bemäch - tigte sich dieser wichtigen Stadt. Es war Zeit, daſs Sertorius sel - ber erschien und die Ueberlegenheit seiner Truppenzahl und seines Genies gegen die gröſsere Tüchtigkeit der römischen Sol - daten in die Wagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar südlich von Valencia), die sich für Pompeius erklärt hatte und deſshalb von Sertorius belagert ward, concentrirte der Kampf sich längere Zeit. Pompeius strengte sich aufs Aeuſserste an sie zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abtheilungen ein - zeln überfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der groſse Kriegsmann, eben da er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die Belagerten eingeladen hatte dem Ab - fangen der Belagerungsarmee zuzuschauen, plötzlich vollständig ausmanövrirt und muſste, um nicht selber umzingelt zu werden, der Einnahme und Einäscherung der verbündeten Stadt und der Abführung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus zuschauen — ein Ereigniſs, das eine Reihe schwankend gewor - dener Städte im mittleren und östlichen Spanien wieder an Sertorius festzuhalten bestimmte. Glücklicher focht inzwischen Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feld -26FÜEFTES BUCH. KAPITEL. I.herren persönlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch ver - wundet ward, schlug er diesen und zwang ihn das eigentlich römi - sche Gebiet zu räumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser Sieg gestattete Metellus im nächsten Feldzug (679) den Marsch nach dem diesseitigen Spanien anzutreten, um in der Gegend von Valentia mit Pompeius sich zu vereinigen und mit ihm gemein - schaftlich der feindlichen Hauptarmee die Schlacht anzubieten. Zwar warf sich Hirtuleius mit einem eiligst zusammengerafften Heer bei Segovia ihm in den Weg; allein er ward nicht bloſs ge - schlagen, sondern auch selbst mit seinem Bruder getödtet — ein unersetzlicher Verlust für die Sertorianer. Die Vereinigung der beiden römischen Feldherren war danach nicht länger zu hindern; aber während Metellus gegen Valentia heranzog, eilte Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lor - beeren wo möglich allein zu gewinnen, dem feindlichen Haupt - heer die Schlacht zu liefern. Mit Freuden ergriff Sertorius die Gelegenheit mit dem Feinde zu schlagen, bevor Metellus eintraf und Hirtuleius Tod ruchbar ward. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward Pom - peius auf dem rechten Flügel geschlagen und selbst schwer ver - wundet vom Schlachtfelde weggetragen; zwar siegte Afranius mit dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein während der Plünderung von Sertorius überrascht ward auch er gezwun - gen zu weichen. Hätte Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius Heer wäre vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte Corps des Perpenna niedergerannt und dessen Lager genommen; es war nicht möglich die Schlacht gegen beide Heere zugleich aufzunehmen. Die Vereinigung der beiden Armeen, die danach nicht länger zu verbergende Gewiſs - heit, daſs die hirtuleische Armee nicht mehr war, das plötzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den Ser - torianern und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam, verlief in Folge dieses Umschwungs der Dinge sich der gröſste Theil der sertorianischen Soldaten. Indeſs die Entmuthigung verflog so rasch wie sie gekommen war; die weiſse Hindin, die die militärischen Plane des Feldherrn bei der Menge vertrat, war bald populärer als je; in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend, südlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt, Ser - torius mit einer neuen Armee den Römern entgegen, während die sertorianischen Kaper den Römern die Zufuhr von der Seeseite erschwerten und bereits im römischen Lager der Mangel sich27LEPIDUS UND SERTORIUS.bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf. Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein tapferer Schwager und Quästor Gaius Memmius getödtet; dagegen überwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zu - rück, wobei er selbst im tapfern Kampf eine Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf das sertorianische Heer. — Rö - mischer Seits durfte man mit den Erfolgen dieses Feldzugs zu - frieden sein. Das südliche und mittlere Spanien war in Folge der Vernichtung der hirtuleischen Armee und der Schlachten am Xu - car und Guadalaviar vom Feinde befreit und durch die Besetzung der keltiberischen Städte Segobriga (zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud) durch Metellus dauernd ge - sichert. Der Kampf concentrirte sich fortan am oberen und mitt - leren Ebro, wo Calagurris, Osca, Ilerda und an der Küste Tar - raco die Hauptwaffenplätze der Sertorianer wurden. Obwohl beide römische Feldherren sich wacker geschlagen hatten, so war es doch wesentlich nicht Pompeius, sondern Metellus, dem man das Errungene verdankte.
Einen Augenblick konnte man in Rom der Hoffnung sich hingeben dem Ziele nah zu sein. Die sertorianische Armee war verschwunden; die römischen Truppen drangen tief in das Bin - nenland ein und belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am obern Duero. Allein während sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten die Contingente der insurgir - ten Gemeinden sich abermals; Sertorius entschlüpfte aus der Festung und stand doch wieder als Feldherr an der Spitze einer Armee, als das ereigniſsreiche Jahr 679 zu Ende ging. Abermals muſsten die Römer die Winterquartiere beziehen mit der trost - losen Aussicht auf die unendliche Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit. Allein es war nicht möglich dieselben in dem von Freund und Feind entsetzlich verheerten unteren Ebrothal zu wählen; Pompeius nahm sie in dem Gebiet der Vaccaeer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien. Verstärkt durch zwei frische aus Italien nachgesandte Legionen begannen die beiden Feldher - ren im Frühjahre 680 abermals ihre Operationen. Schlachten wurden eigentlich nicht mehr geliefert; Sertorius beschränkte sich durchaus auf den Guerilla - und Belagerungskrieg. Metellus unterwarf im südlichen Spanien die noch mit Sertorius haltenden Ortschaften und führte, um die Quelle der Aufstände zu ver - stopfen, überall die gesammte männliche Bevölkerung mit sich28FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.fort. Einen schwereren Stand hatte Pompeius in der Ebropro - vinz; Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das er belagerte, ward von Sertorius entsetzt; ebenso ward er vor Calagurris (Ca - lahorra am oberen Ebro) von Sertorius geschlagen und genö - thigt diese Gegenden zu verlassen, obwohl sich Metellus zur Be - lagerung dieser Stadt mit ihm vereinigt hatte. In ähnlicher Weise ward, nachdem Metellus in seiner Provinz, Pompeius in Gallien überwintert hatte, der Feldzug 681 geführt; doch gewann Pom - peius in diesem Jahr nachhaltigere Erfolge und bestimmte eine beträchtliche Anzahl Gemeinden von der Insurrection zurück - zutreten.
Acht Jahre währte also der sertorianische Krieg und noch war weder hüben noch drüben ein Ende abzusehen. Unbeschreib - lich litt unter demselben der Staat. Die Blüthe der italischen Ju - gend ging in den aufreibenden Strapazen des spanischen Krieges zu Grunde. Die öffentlichen Kassen entbehrten nicht bloſs die spa - nischen Einnahmen, sondern hatten auch für die Besoldung und Verpflegung der spanischen Heere jährlich sehr ansehnliche Sum - men nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wuſste. Daſs Spanien verödete und verarmte, und die so schön daselbst sich entfaltende römische Civilisation einen schweren Stoſs er - hielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert ge - führten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veran - lassenden Insurrectionskrieg. Selbst die Städte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten unsägliche Noth zu erdulden; die an der Küste gelegenen muſsten durch die römi - sche Flotte mit dem Nothwendigen versehen werden und die Lage der treuen binnenländischen Gemeinden war beinahe verzwei - felt. Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, theils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuſs und zu Pferde, an Getreide und Geld, theils durch die drückende Last der Winterquartiere, die in Folge der Miſsernte 680 sich ins Unerträgliche steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genöthigt zu den römischen Ban - quiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrückende Schulden - last sich aufzubürden. Feldherren und Soldaten führten den Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen an Talent weit überlegenen Gegner, auf einen langweilig zähen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer erfochtener wenig glänzender Erfolge; es ward behauptet, daſs Pompeius damit umgehe sich aus Spanien abberufen und ir - gend anderswo ein erwünschteres Commando sich übertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem29LEPIDUS UND SERTORIUS.Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte Schläge und werthlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen höchst unregelmäſsig gezahlt ward; Pompeius berichtete im Win - ter 680 / 1 an den Senat, daſs seit zwei Jahren der Sold im Rück - stand sei und das Heer sich aufzulösen drohe, wenn der Senat nicht Rath schaffe; worauf denn endlich die benöthigten Summen kamen. Einen ansehnlichen Theil dieser Uebelstände hätte die römische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es über sich hätte gewinnen können den spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu führen. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der Feldherren, daſs ein so überlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem für den Insurrections - und Corsaren - krieg so überaus günstigen Boden aller numerischen Ueberlegen - heit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und Jahre fortzuführen vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, daſs viel - mehr die sertorianische Insurrection sich mit andern gleichzei - tigen Aufständen verschlingen und dadurch ihre Gefährlichkeit steigern zu wollen schien. Eben damals ward auf allen Meeren mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufständischen Sclaven, in Makedonien mit den Völkerschaften an der unteren Donau, in Kleinasien abermals mit König Mithradates gefochten. Ob Sertorius mit den italischen und makedonischen Feinden Roms Verbindungen angeknüpft hat, läſst sich nicht bestimmt sagen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in be - ständigem Verkehr stand; mit den Piraten hatte er schon früher offenes Bündniſs gemacht und mit dem pontischen König, mit welchem er längst durch Vermittelung der an dessen Hof verwei - lenden römischen Emigranten Einverständnisse unterhalten hatte, schloſs er jetzt einen förmlichen Allianztractat, in dem Sertorius dem König die kleinasiatischen Clientelstaaten, nicht aber die rö - mische Provinz Asia abtrat, überdies ihm einen zum Führer sei - ner Truppen geeigneten Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der König dagegen ihm 40 Schiffe[und] 3000 Ta - lente (5 Mill. Thlr.) zu überweisen sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch Hannibal von Osten und Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal, meinte man, könne, nachdem er wie sein Vorfahr Spanien durch sich selbst bezwun - gen, eben wie dieser mit den Streitkräften Spaniens in Italien und gar leicht früher als Pompeius dort eintreffen, um, wie einst30FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.
Indeſs dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug um das Riesenunter - nehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spa - nien verlieſs, an dessen Landes - und Volkseigenthümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genöthigt der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswerthes Führer - geschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald wieder bis auf eine Handvoll Leute sich ver - laufend; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten un - botmäſsig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Corps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natürlich im sertorianischen Heer sehr schwach vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Vetera - nen rieb der Krieg allmählich auf und auch die zuverlässigsten Gemeinden fingen an, ermüdet von der Plackerei durch die Rö - mer und der Miſshandlung durch die sertorianischen Offiziere, Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswerth, daſs Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er lieſs keine Gelegenheit vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und war jeden Augenblick bereit gegen die Zusicherung in seiner Heimath friedlich leben zu dürfen, sei - nen Commandostab niederzulegen. Allein die politische Ortho - doxie weiſs nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts, nicht seitwärts; unvermeidlich muſste er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward. Wie Hannibals wurden auch seine kriegerischen Erfolge nothwendig immer geringer; man fing an sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen: er sei nicht mehr der alte, hieſs es, er verbringe den Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreiſser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, wo so manche Offiziere, namentlich Perpenna nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feind - lichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt31LEPIDUS UND SERTORIUS.war. Sertorius entzog auf diese Inzichten hin die Hut seiner Per - son den römischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdächtigen selbst schritt er mit furchtbarer, aber nothwendiger Strenge ein und verurtheilte, ohne wie sonst Rath - männer zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den Freunden, hieſs es in den Kreisen der Miſsvergnügten, sei er ge - fährlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwörung entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, muſste flüchtig werden oder bluten, aber nicht alle wurden verrathen und die übrigen Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen neuen An - trieb sich zu eilen. In Osca ward auf Perpennas Veranstaltung dem Feldherrn ein glänzender Sieg berichtet, den seine Truppen erfochten. Bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna veranstal - teten festlichen Mahlzeit erschien auch Sertorius, begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum Bacchanal; wüste Reden flogen über den Tisch und es schien, als wenn einige der Gäste Gelegenheit suchten einen Wortwech - sel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurück und schien den Lärm überhören zu wollen. Da klirrte eine Trink - schale auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, der neben Sertorius lag, führte den ersten Streich gegen ihn und da dieser sich umwandte und sich aufzu - richten versuchte, stürzte er sich über ihn und hielt ihn nieder, bis die übrigen Tischgäste, sämmtlich Theilnehmer der Ver - schwörung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der gröſsten, wo nicht der gröſste Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein Mann, der unter glücklicheren Umständen vielleicht der Regene - rator seines Vaterlandes geworden sein würde, durch den Ver - rath der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimath zu führen verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten, genialsten, bedauernswerthesten unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht.
Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Mörder zu thun. Nach Sertorius Tode machte Perpenna als der höchste unter den römischen Offizieren der spanischen Armee Ansprüche auf den Oberbefehl. Man fügte sich, aber miſstrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein und32FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publi - cation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Theil der Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich und auch die zurückgebliebenen beschlich die Ahnung, daſs mit Sertorius Tode der Geist und das Glück von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch die elend geführten und muthlosen Insurgentenhaufen vollständig zersprengt und unter anderen Of - fizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslie - ferung der Correspondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Männer in Italien compromittirt haben würde, suchte der Elende sich das Leben zu erkaufen; indeſs Pompeius befahl die Papiere ungelesen zu verbrennen und überantwortete ihn so wie die übri - gen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emi - granten verliefen sich und gingen gröſstentheils in die maureta - nischen Wüsten oder zu den Piraten. Einem Theil derselben er - öffnete bald darauf das plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig unterstützte, die Rückkehr in die Heimath; diejeni - gen aber von ihnen, die an dem Morde des Sertorius theilge - nommen hatten, starben mit Ausnahme eines einzigen sämmtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und überhaupt die meisten Städte, die im diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten, öffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Thore; nur Uxama (Osma), Clunia und Calagurris muſsten mit den Waffen be - zwungen werden. Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhöhte Metellus den schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius lohnend und strafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbstständigkeit ver - lor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenäen sich zusammengefunden hatte, be - wog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwärts der Pyrenäen bei Lugudunum (St. Bertrand im Dep. Haute-Garonne) als die Gemeinde der ‚ Zusammengelaufenen‘ (convenae) an. Auf der Paſshöhe der Pyrenäen wurden die römischen Siegeszeichen errichtet; am Ende des Jahres 683 zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die Straſsen der Hauptstadt, um den Dank der Nation für die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis auf dem Capitol darzubringen. Noch über das Grab hinaus schien Sullas Glück mit seiner Schöpfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfähigen und schlaf - fen Wächter. Die Opposition im Staat hatte durch die Unfähig -33LEPIDUS UND SERTORIUS.keit und Vorschnelligkeit ihres Führers, die Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Die Niederlagen derselben, obwohl weit mehr das Werk eigener Verkehrtheit und Zerfahren - heit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebenso viele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die curulischen Stühle befestigt.
Als nach Unterdrückung der den Staat in seiner Existenz bedrohenden cinnanischen Revolution es der restaurirten Senats - regierung möglich ward der inneren und äuſseren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Lö - sung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten In - teressen zu verletzen und gegenwärtige Unbequemlichkeiten zu künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwickelung der spanischen Angelegenheiten war es schlechterdings nothwendig, theils die Barbaren in Thrakien und den Donauländern, die Sulla bei seinem Marsch durch Ma - kedonien nur oberflächlich hatte züchtigen können (II, 287), nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhältnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch zu re - guliren, theils den überall, namentlich aber in den östlichen Ge - wässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk zu legen, theils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhält - nisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im J. 670 mit König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte (II, 286) und von dem der Vertrag mit Murena 673 (II, 320) wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines nothdürftig für den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das Verhältniſs der Römer zu König Tigranes von Armenien, mit dem sie doch factisch Krieg geführt hatten, war in diesem Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes35DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.darin die stillschweigende Erlaubniſs gefunden sich in den Besitz der römischen Clientelstaaten Kappadokien, Kilikien, Syrien zu setzen, und demgemäſs gehandelt. Wenn dieselben nicht als preisgegeben erscheinen sollten, war es nothwendig in Güte oder Gewalt mit dem neuen Groſskönig Asiens sich abzufinden. — Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung in Italien und Spanien und deren Ueberwältigung durch die se - natorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das äuſsere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behörde es geführt oder auch nicht geführt hat.
Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen Maſsregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefähr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfügte. — Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck theils die barbarischen Stämme botmäſsig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland vom schwarzen bis zum adriatischen Meere durchstreiften und unter denen namentlich die Besser (im groſsen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Räubern als Räuber verrufen waren, theils die namentlich im dalmatinischen Littoral sich bergenden Corsaren zu vernichten. Wie gewöhnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fünf Legionen hiezu gesammelt ward. In Dalmatien führte der ge - wesene Prätor Gaius Cosconius den Befehl, der das Land nach allen Richtungen durchzog und die Festung Salonae nach zweijähriger Belagerung erstürmte. In Makedonien versuchte der Proconsul Appius Claudius (676 — 678) zunächst sich an der makedonisch - thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Ka - rasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaf - ten und metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht er - reicht; die beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte mit den zahlreichen und tapfern Gebirgsbewohnern decimirten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679 — 681) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht un - bedeutenden Militäraufstand bewogen die schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich nach der ma - kedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren Dar -3*36FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.daner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682. 683) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama oder Philippopolis (Adrianopel) und zwang sie der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen Sadalas und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kal - latis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden ab - hängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäſsiger Theil der Provinz Makedonien.
Aber weit nachtheiliger als die immer doch auf einen ge - ringen Theil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die Einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisirte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Producte aus - noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangel an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine groſse Anzahl angesehener Römer wurde von den Corsaren auf - gebracht und muſste mit schweren Summen sich ranzioniren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten be - stimmten römischen Truppenabtheilungen fingen an ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die frei - lich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere ver - schwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Corsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie entweder mit groſsen Summen sich loszu - kaufen oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mi - thradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Pi - raten ausgeraubt wurden (670), so kann man sich denken, wie es dann ging, wenn weder eine römische Flotte noch ein römi - sches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel37DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1700000 Thlr.) weggeführt worden sein. Apollon, heiſst es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daſs er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden Insel - und Küstenplätzen wan - derte die gesammte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daſs sie ein bis zwei Tagemärsche von der Küste gelegene Ortschaften überfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im grie - chischen Osten erliegen, stammt groſsentheils aus diesen ver - hängniſsvollen Zeiten. Das Corsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Pe - loponnes — in der Flibustiersprache dem ‚ goldenen Meer‘ — von dem groſsen Zug des italisch-orientalischen Sclaven - und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sclavenfänger, die ‚ Krieg, Handel und Piraterie‘ ebenmäſsig neben einander betrieben; es war ein Corsarenstaat mit einem eigen - thümlichen Gemeingeist, mit einer festen sehr respectablen Or - ganisation, mit einer eigenen Heimath und den Anfängen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der That fan - den auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kre - tischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Par - teien, alles was elend und verwegen war — und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zu - sammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und des Verbrechens an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb des - sen das Verbrechen wie so oft vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feig - heit und Unbotmäſsigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ord -38FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.nung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Noth und Gewalt, in den allein das unverbrüchliche Zusammenstehen, der kame - radschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und die Ge - wandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft ge - schrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestoſsen hatte, so lieſs sich darüber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen die Welt unter sich zu theilen. Die Corsaren wenigstens fühlten je - dem legitimen Staate sich ebenbürtig; von ihrem Räuberstolz, ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Bandi - tenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerech - ten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hieſs ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz gewiſs war, so nahmen auch sie es als ein Recht in Anspruch jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu dürfen. Ihre militärisch - politische Organisation war namentlich seit dem mithradatischen Krieg fest geschlossen. Ihre Schiffe, gröſstentheils ‚ Mauskähne‘, das heiſst kleine offene schnellsegelnde Barken, nur zum kleine - ren Theil Zwei - und Dreidecker, waren jetzt regelmäſsig in Ge - schwader vereinigt und fuhren unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Ka - meraden, mochte er auch völlig unbekannt sein, weigerte kein Piratencapitän den erbetenen Beistand; der mit einem derselben abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unwei - gerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefügte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimath war das Meer, von den Säulen des Herkules bis in die syrischen und aegyptischen Ge - wässer; die Zufluchtsstätten, deren sie daneben für sich und ihre schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, ge - währten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstraſse des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Südküste Kleinasiens. Der lykische Städtebund daselbst und die pamphylischen Gemein - den hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 in Kilikien bestehende römische Station reichte zur Beherrschung der weitläuftigen Küste39DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft über Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als ächter Groſskönig um das Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den Kili - kern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Corsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloſs besaſsen sie hier überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch wei - ter landeinwärts in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes hatten sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen, auch wohl in gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtstätte fanden. Namentlich gab es solche Corsarenschlösser in groſser Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Pi - raten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deſs - halb ihre hauptsächlichsten Schiffbaustätten und Arsenale sich be - fanden. Es war nicht zu verwundern, daſs an diesen geordneten Militärstaat sich eine feste Clientel von Seestädten anschloſs, die mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund be - stimmter Verträge Handelsverkehr eröffneten und der Aufforde - rung der römischen Statthalter Schiffe gegen sie zu stellen nicht nachkamen; wie denn zum Beispiel die nicht unbeträchtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werf - ten Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Markt - platz feilzubieten. — Eine solche Seeräuberschaft war eine poli - tische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische König Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestützt hatte (II, 61). Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs Mithradates von Pontos so wie der römischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küsten - plätzen gebieten. Es läſst sich nicht sagen, wie weit die innere politische Entwickelung dieses schwimmenden Staates bereits ge - diehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekönigthums, das bereits sich ansässig zu machen beginnt und aus dem unter günstigen Verhältnissen wohl ein dauernder Staat sich hätte entwickeln mögen.
Es ist hiemit ausgesprochen und ward zum Theil schon be - reits früher (II, 60) bezeichnet, wie die Römer auf ‚ ihrem Meere‘ die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutz -40FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.herrschaft über die Aemter bestand wesentlich in der militairischen Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte Verthei - digung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mün - del unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die unter - thänigen Gemeinden. Statt daſs Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei centralisirt hätte, lieſs der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die eben hier gar nichts auszurichten war, gänzlich fallen und überlieſs es jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Clientelstaat sich der Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daſs Rom, wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souverain gebliebenen Clientelstaaten Gut und Blut ausschlieſslich bestritten hätte, lieſs man die italische Kriegs - marine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den ein - zelnen Kaufstädten requirirten Schiffen oder noch häufiger mit den überall organisirten Strandwachen, wo dann in beiden Fällen alle Kosten und Beschwerden die Unterthanen trafen. Die Provin - zialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der römische Statt - halter die für die Küstenvertheidigung ausgeschriebenen Requisi - tionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah, an - gewiesen wurden für einen von den Seeräubern gefangenen vor - nehmen Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652, verkümmerte sicher in der Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht gänzlich in den duseligen Vorstellungen von nationaler Gröſse be - fangen war, der hätte wünschen müssen von der Rednerbühne auf dem Markte die Schiffsschnäbel herabreiſsen zu dürfen, um wenig - stens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen See - siege sich gemahnt zu finden. — Indeſs that doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte überzeu - gen können, welche Gefahren die Vernachlässigung des Flotten - wesens mit sich bringe, verschiedene Schritte um dem Uebel ernst - lich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in den Seestädten eine Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog Krieg mit Mithradates anzufangen und der Statthalter von Kilikien Gnaeus Dolabella sich ganz unfähig erwies. Deſshalb beschloſs im J. 675 der Senat einen der Consuln nach Kilikien zu senden; das Loos traf den tüchtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und41DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.wandte sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der klein - asiatischen Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Entrepots dienten. Die Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olym - pos, Korykos, Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fürst selbst den Tod. Hierauf wandte sich Servilius gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauhen Kilikiens am nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwäldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten Felsen und tiefgeschnittenen Thälern bewohnten — eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstätten der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die erste römische Armee über den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Räuberstadt, auf der Höhe eines schwer zugänglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollständig überschauend und beherrschend. Der dreijährige Feldzug (676 — 678), aus dem Publius Servilius für sich und seine Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine groſse Anzahl von Corsaren und Corsarenschiffen geriethen durch den - selben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, daſs die Piraterie doch damit keineswegs unter - drückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden, namentlich nach der ältesten Herberge der Corsaren des Mittel - meers (II, 60), nach Kreta zog. Nur umfassend und einheitlich durchgeführte Repressivmaſsregeln oder vielmehr nur die Ein - richtung einer stehenden Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhülfe gewähren.
In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Ver - hältnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den Königen von Pontos und Armenien bestand, lieſs nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff König Tigranes von Armenien in der rücksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren Staat in dieser Zeit auch durch innere Unruhen im tiefsten Ver - fall darniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaf - ten zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Kor - duene (nördliches Kurdistan) und das atropatenische Medien42FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.(Aderbidjan) aus parthischen in armenische Lehnkönigreiche ver - wandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene we - nigstens vorübergehend gleichfalls gezwungen in die armenische Clientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die süd - liche groſsentheils wüste Hälfte scheint nicht in festem Besitz des neuen Groſskönigs gewesen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht unterthänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osroene übergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem südlichen Mesopotamien hieher verpflanzte und hier ansässig machte, um durch ihn den Euphratübergang und die groſse Handelsstraſse zu beherrschen*Das Reich von Edessa, dessen Gründung die einheimischen Chroniken um 620 setzen (II, 57), kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Groſsen in der Gegend von Edessa, Kallirrhoe, Karrhae (Plin. h. n. 5, 20, 85. 21, 86. 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, daſs Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie sei - nem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemächtigen. Vermuthlich ist dies so zu verstehen, daſs die Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstraſsen zu eröffnen und auf diesen feste Durch - gangszölle zu erheben (Strabon 16, 748), dem Groſskönig als eine Art von Zollcontroleuren dienen und an der Euphratpassage für ihn und für sich Zölle erheben sollten. Diese osroenischen Araber (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius überwand (Plut. Pomp. 39).. Aber Tigranes be - schränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner An - griffe und erlitt, wehrlos wie es war, vernichtende Schläge von dem übermächtigen Nachbar. Die östlichste Landschaft Me - litene riſs Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenüberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratübergang mit der groſsen kleinasiatisch-arme - nischen Handelsstraſse in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rückten sodann seine Heere in das eigentliche Kappado - kien ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (spä - ter Kaesareia) und elf anderer griechisch geordneter Städte weg nach Armenien. Nicht mehr Umstände machte der Groſskönig mit dem in voller Auflösung begriffenen Seleukidenreiche. Hier herrschte im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stra - tons Thurm (Kaesareia) der Judenfürst Alexandros Janneas, der im Kampfe mit den syrischen, ägyptischen und arabischen Nach -43DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.barn und mit den Reichsstädten seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die gröſseren Städte Syriens, Gaza, Stratons Thurm, Ptolemais, Beroea versuchten sich bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten; vor allen die Hauptstadt Antiochia war so gut wie selbstständig. Damaskos und die Libanosthäler hatten sich dem nabataeischen Fürsten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeräuber oder die Römer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gälte es das Königthum allen zum Spott und zum Aergerniſs zu machen, beharrlich fort unter einander zu hadern, ja, während alles von diesem gleich dem Hause des Laios zu ewigem Zwiste verfluchten Geschlechte abtrünnig ward, sogar Ansprüche auf den durch den erblosen Abgang König Alexanders II. erledigten Thron von Aegypten zu erheben. So fand König Tigranes hier leichtes Spiel. Das östliche Kilikien ward ohne Schwierigkeit von ihm unterworfen und die Bürgerschaf - ten von Soloi und anderen Städten eben wie die kappadokischen nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft mit Ausnahme der tapfer vertheidigten Stadt Seleu - keia an der Mündung des Orontes und der gröſste Theil von Phoenike mit den Waffen bezwungen; um 680 ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon war der Judenstaat ernstlich bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiochia ward eine der Residenzen des Groſskönigs; schon von dem Jahre 671, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, an wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Groſs - königs Magadates. Die Zeit der Könige von Ninive, der Salma - nassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Be - völkerung der syrischen Küste wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenländische Groſsstaaten sich auf die Land - schaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von an - geblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syri - schen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon geführt hatten, so muſsten jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Korduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen Stadtbürger, mit ihrer ge - sammten Habe bei Strafe der Confiscation alles dessen, was sie44FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi - denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Gröſse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums auf das Machtwort des neuen Groſssultans aus der Erde springen. Die neue ‚ Tigranesstadt‘, Tigranokerta, in der südlichsten Land - schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen*Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem der nördlichen Zuflüsse des Tigris., ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen Palast - Garten - und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Groſskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind - heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge - gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weiſsen halb pur - purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho - hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und stand, von vier ‚ Königen‘ in Sclavenart begleitet und bedient. — Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be - gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un - ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm - tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren - gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in groſser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten. — Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein. Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück - zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im - mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst45DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichem Wege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator von Bithynien im J. 679 starb[und] als der letzte seines Stam - mes — denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hieſs unächt — sein Reich im Testament den Römern vermachte, nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land - schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter - blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan - dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf - lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan - gen; und auch er hatte in seinem Testament*Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von Alexander I. († 666) oder Alexander II. († 673) herrühre, wird gewöhn - lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu - länglich; denn Cicero (de l. agr. 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, daſs Aegypten im J. 666, sondern daſs es in oder nach diesem Jahr an Rom ge - fallen sei; und wenn man daraus, daſs Alexander I. im Ausland, Alexan - der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, daſs die in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daſs Alexan - der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le - tronne inscr. de l'Egypte 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daſs der zweite Alex - ander der letzte ächte Spröſsling der Lagiden war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproſs der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un - bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. — Ob das Testament ächt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be - sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor. zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe - nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete