PRIMS Full-text transcription (HTML)
Titan
Zweiter Band.
Berlin,1801.In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff.

Zehnte Jobelperiode.

Roquairols advocatus diaboli der Feiertag der Freundſchaft.

53. Zykel.

Nicht nach den Kinderjahren, ſondern nach der Jünglingszeit würden wir uns am ſehn¬ ſüchtigſten umkehren, wenn wir aus dieſer ſo unſchuldig wie aus jenen herkämen. Sie iſt unſer Lebens-Feſttag, wo alle Gaſſen voll Klang und Putz ſind und um alle Häuſer gold¬ ne Tapeten hängen, und wo Daſeyn, Kunſt und Tugend uns noch als ſanfte Göttinnen mit Liebkoſungen locken, die uns im Alter als ſtrenge Götter mit Geboten rufen! Und in dieſer Zeit wohnt die Freundſchaft noch imTitan II. A2heiter ofnen griechiſchen Tempel, nicht wie ſpä¬ ter in einer engen gothiſchen Kapelle.

Herrlich und reich ſchimmerte jetzt um Al¬ bano das Leben mit Inſeln und Schiffen be¬ deckt; er hatte die ganze Bruſt voll Freund¬ ſchaft und Jugend, und durfte die drängende Kraft der Liebe, die auf Isola bella an einer Statue, am Vater zurückprallte, nun ungebän¬ digt und fröhlich auf einen Menſchen ſtürmen laſſen, der ihm völlig ſo erſchien, wie ihn der Jünglingstraum entwirft. Er konnte kei¬ nen Tag von Karl laſſen er deckte ihm ſeine Seele auf und ſein ganzes Leben (nur Lianens Name ſtieg tiefer in ſein Herz zu¬ rück) alle Vorbilder der Freundſchaft unter den Alten wollt 'er nachbilden und erneuern und alles thun und leiden für ſeinen Gelieb¬ ten ſein Daſeyn war jetzt ein Doppelchor, er trank jedes Glück mit zwei Herzen, ſein Le¬ ben ſchloß ein doppelter Himmel in lauter Äther ein.

Als er am andern Tage die befreundete feſte Geſtalt antraf, die ihm aus dem nächt¬ lichen Specktakelſtück der Geiſterwelt übrig ge¬3 blieben war, wie ein blaſſer Mond aus den weggelöſchten Sternen der Nacht; und als er ſie ſo kahlköpfig und bleich fand wie die feurige Ätnas-Rauchſäule am Tage grau auf¬ ſteigt : ſo ſah er gleichſam den vorigen Selbſt¬ mörder vor ſich ſtehen, freier, aber deſto wär¬ mer reicht 'er dem einſamen Weſen, das nach dem Sprunge über das Leben nur noch auf ſeinem Grabe wie auf einem fernen Eiland wohnte, die Hand hinüber. Andere ziehen ſie eben darum weg; der geſtörte Selbſtmörder, der das ſchöne feſte Leben durchriſſen, kehrt aus ſeiner Todesſtunde als ein fremder unheim¬ licher Geiſt zurück, dem wir nicht mehr trauen können, weil er in ſeiner Ungebundenheit jede Minute das wegwerfende Spiel mit der Men¬ ſchengeſtalt wieder treiben kann.

Daher ſah Albano im chaotiſchen Leben des Hauptmanns nur die Unordnung eines Weſens, das einpackt und auszieht. Als er das erſtemal in deſſen Sommerſtube trat, ſo hatt 'er freilich darin eine Bedienten - eine theatra¬ liſche Anziehſtube und ein Offizierszelt auf ein¬ mal vor ſich. Auf der Tafel lagen verworreneA 24Völkerſchaften von Büchern, wie auf einem Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das hippokratiſche Geſicht von der Redoute, und auf dem Hofkalender eine Piſtole das Bü¬ cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬ rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬ querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchſe, Fidibus, das naſſe Handtuch und die einge¬ trocknete Mundtaſſe das Glashaus der aus¬ gelaufenen Standuhr, und der Waſch - und der Schreibtiſch ſtanden offen, auf welchem letztern ich mit Erſtaunen umſonſt nach Unterlage und Streuſand ſuche der Pudermantel lehnte ſich in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬ tuch ritt auf dem Ofenſchirm, und das Hirſch¬ geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte aufs rechte und linke Ohr geſchoben Briefe und Viſitenkarten waren wie Schmetterlinge an die Fenſtervorhänge geſpießet. Ich wäre nicht fähig, darin ein Billet zu ſchreiben, ge¬ ſchweige einen Zykel.

Giebt es aber nicht ein ſonnenhelles freiflat¬ terndes Alter, wo man alles gerne ſieht, was reiſefertige Unruhe, Abbrechen der Zelte und5 Nomadenfreiheit verkündigt, und wo man mit Dank in einem Reiſewagen haushielte und darin ſchriebe und ſchliefe? Und hält man nicht in dieſen Jahren gerade eine ſolche Studentenſtube für geiſtiges Studentengut des Genies und je¬ des Chaos für ein infuſoriſches voll Leben? Man gönne meinem Helden dieſe irrende Zeit; es hielt ihn doch etwas Edles in ſeiner Natur zurück, aus einem Lobredner ein Nachahmer zu werden.

Wie nach einem weggeſchmolznen Nach¬ winter auf einmal die grüne Erdendecke in Blumen und Blüten hoch aufflattert, ſo fuhr in der warmen Luft der Freundſchaft und Phantaſie auf einmal Albanos Weſen üppig blähend und grünend aus. Karl hatte und kannte alle Zuſtände des Herzens, er erſchuf ſie ſpielend in ſich und andern, er war ein zweites Sanenland, das alle Klimate von Frankreich bis Nova Sembla beherbergt, und worin eben darum jeder ſeines findet; er war für andere alles, wiewohl für ſich nichts. Er konnte ſich in jeden Karakter werfen, wiewohl ihm eben darum zuweilen einkam, blos den be¬6 quemſten durchzuſetzen. Die Gurt - Bruſt - Schwanz - und Sattelriemen des höfiſchen, klein¬ ſtädtiſchen und bürgerlichen Lebens hatte ſein Buzephalus längſt abgeſprengt; und wenn ſich der Graf jeden Tag über den Sprach-Lauf¬ zaum des Lektors ärgerte, der alles richtig ſagte, Kanaſter ſtatt Knaſter, Juften ſtatt Juchten, funfzig ſtatt fufzig, und barbieren, (welches R ich ſelber für eine dumme Härte halte): ſo war Roquairol ein Freidenker bis zum renommiſtiſchen Freiredner, und ſprach nach ſeinem eignen Ausdruck, der zugleich das Bei¬ ſpiel war, von der Leber und vom Maule weg . Dem Grafen klebte zu ſeinem Ver¬ druß eine gewiſſe epiſche von Büchern anerzo¬ gene Sprach-Würde an. Sie überdachten und verwünſchten oft mit einander das erbärmliche Glazen-Leben, das man hätte, wenn man, wie der Lector, als ein wohlgewachſener Staatsbür¬ ger von Extrakzion dahin lebte, Konduite und einen ſaubern Anzug hätte, und hübſche nicht unebene Kenntniſſe von mehreren Fächern und zur Erholung ſeinen Tiſchwein und Geſchmack an treflichen Maler - und andern Meiſtern, und7 wenn man zu höhern Poſten avancirte, blos um von da aus zu noch höhern aufzuſteigen, und man ſo nach allem dieſen ſich friſiert und gewaſchen in den Sarg ſtreckte, damit doch die gigantiſche Körperwelt ihren Peſtizer auch der erhabenen Geiſterwelt einhändige. Nein, ſagte Albano, lieber wirf eine ſchwarze Berg¬ kette von Schmerzen ins platte Leben, damit nur eine Ausſicht daſteht und etwas Großes.

Aber Roquairol war nicht der, der er ihm ſchien; die Freundſchaft hat ihre Täuſchun¬ gen wie die Liebe und oft wenn er dieſen liebestrunknen hochherzigen Jüngling mit keu¬ ſchen Mädgenwangen und ſtolzer Männerſtirn, der ein ſolches Vertrauen auf ſeine wankende Seele ſetzte, und deſſen Herz ſo weit offen ſtand und an deſſen Phantaſie ſogar, er die Heiligkeit beneidete, lang anblickte: ſo rührte ihn die Täuſchung des Edeln bis zum Schmerz und ſein Herz drängte ſich vor und wollte ihm mit Thränen ſagen: Albano, ich bin deiner nicht werth. Aber dann verlier 'ich ihn; ſetzt' er allemal hinzu; denn er ſcheuete die moraliſche Orthodoxie und die Entſchiedenheit eines Man¬8 nes, der nicht wie ein Mädgen ſpielend zu er¬ zürnen und wieder zu gewinnen war.

Und doch kam der wichtige Tag für beide, wo ers that. Wie hätt 'er je der Phantaſie widerſtanden, da er nur durch Phantaſie wi¬ derſtand? Ich thu' ihm halb Unrecht; hö¬ ret den beſſern Engel, der ſeinen Mund auf¬ ſchloß.

Roquairol iſt ein Kind und Opfer des Jahr¬ hunderts. Wie die vornehmen Jünglinge un¬ ſerer Zeit ſo früh und ſo reich mit den Roſen der Freude überlaubt werden, daß ſie wie die Gewürz-Inſulaner den Geruch verlieren und nun die Roſen zum Sybariten-Polſter unter¬ betten, Roſenſyrup trinken und in Roſenöl ſich baden bis ihnen davon nichts zum Reiz mehr daſteht als die Dornen: ſo werden die mei¬ ſten und oft dieſelben von ihren philan¬ thropiſchen Lehrern anfangs mit den Früchten der Erkenntniß vollgefüttert, daß ſie bald nur die honigdicken Extrakte begehren, dann den Apfel-Wein und Birnmoſt davon, bis ſie ſich endlich mit den gebrannten Waſſern daraus zerſetzen. Haben ſie noch dazu wie Roquairol9 eine Phantaſie, die ihr Leben zu einem Naphtha¬ boden macht, aus welchem jeder Fußtritt Feuer zieht: ſo wird die Flamme, worein die Wiſſen¬ ſchaften geworfen werden, und die Verzehrung noch größer. Für dieſe Abgebrannten des Le¬ bens giebt es dann keine neue Freude und keine neue Wahrheit mehr und ſie haben keine alte ganz und friſch; eine vertrocknete Zukunft voll Hochmuth, Lebensekel, Unglauben und Wider¬ ſpruch liegt um ſie her. Nur noch der Flügel der Phantaſie zuckt an ihrer Leiche.

Armer Karl! Du thateſt noch mehr! Nicht blos die Wahrheiten, auch die Empfin¬ dungen antizipierte er. Alle herrliche Zuſtände der Menſchheit, alle Bewegungen, in welche die Liebe und die Freundſchaft und die Natur das Herz erheben, alle dieſe durchgieng er früher in Gedichten als im Leben, früher als Schauſpieler und Theaterdichter denn als Menſch, früher in der Sonnenſeite der Phan¬ taſie als in der Wetterſeite der Wirklichkeit; daher als ſie endlich lebendig in ſeiner Bruſt erſchienen, konnt 'er beſonnen ſie ergreifen, regieren, ertödten und gut ausſtopfen für10 die Eisgrube der künftigen Erinnerung. Die unglückliche Liebe für Linda de Romeiro, die ihn ſpäter vielleicht geſtählet hätte, öfnete ſo früh alle Adern ſeines Herzens und badete es warm im eignen Blute; er ſtürzte ſich in gute und böſe Zerſtreuungen und Liebeshändel, und ſtellte Hinterher alles auf dem Papier und Theater wieder dar, was er bereuete oder ſeg¬ nete; und jede Darſtellung höhlte ihn tiefer aus, wie der Sonne von ausgeworfenen Wel¬ ten die Gruben blieben. Sein Herz konnte die heiligen Empfindungen nicht laſſen, aber ſie waren eine neue Schwelgerei, höchſtens ein Stärkungsmittel (ein tonicum); und gerade von ihrer Höhe lief der Weg zu den Sümpfen der unheiligſten abſchüſſiger. Wie im dramati¬ ſchen Dichter engelreine und ſchmutzige Zuſtände nebeneinander ſtehen und folgen, ſo in ſeinem Leben; er fütterte wie in Curinam die Schweine mit Ananas; gleich den ältern Giganten, hatt' er hebende Flügel und kriechende Schlangenfüße.

Unglücklich iſt die weibliche Seele, die ſich in ein ſo großes mitten im Himmel aufgeſpanntes Gewebe verfliegt; und glücklich iſt ſie, wenn ſie11 ſich unvergiftet durchreiſſet und blos die Bie¬ nenflügel beſchmutzt. Aber dieſe allmächtige Phantaſie, dieſe ſtrömende Liebe, dieſe Weich¬ heit und Stärke, dieſe erobernde Beſonnenheit wird jede weibliche Pſyche mit Geſpinnſten über¬ ziehen, ſobald ſie nicht die erſten Fäden weg¬ ſchlägt. Könnt 'ich euch warnen, arme Mädgen, vor ſolchen Kunturs, die mit euch in ihren Krallen auffliegen! Der Himmel unſerer Tage hängt voll dieſer Adler. Sie lieben euch nicht, aber ſie glauben es; weil ſie wie die Seeligen in Muhammeds Paradies ſtatt der verlornen Liebes-Arme nur Fittiche der Phan¬ taſie haben. Sie ſind gleich großen Strömen nur am Ufer warm und in der Mitte kalt.

Bald Schwärmer, bald Libertin in der Liebe, durchlief er den Wechſel zwiſchen Aether und Schlamm immer ſchneller bis er beide ver¬ miſchte. Seine Blüten ſtiegen am lakierten Blumenſtabe des Ideals hinauf, der aber far¬ benlos im Boden verfaulte. Erſchreckt, aber glaubt es, er ſtürzte ſich zuweilen abſichtlich in die Sünde und Marter hinab; um ſich drun¬ ten durch die Wunden der Reue und Demuth12 den Schwur der Rückkehr tiefer einzuſchneiden; wie etwan die Aerzte (Darwin und Sydenham) behaupten, daß ſtärkende Mittel (China, Stahl, Opium) kräftiger wirken, wenn vorher, ſchwächende (Aderlas, Brechmittel ꝛc. ) ver¬ ſchrieben worden.

Aeuſſere Verhältniſſe hätten ihm vielleicht etwas helfen können und das Gelübde der Ar¬ muth hätt 'ihm die beiden andern erleichtert; hätte man ihn als Neger verkauft, ſein Geiſt wäre ein freier Weiſſer und ein Arbeitshaus ihm ein Purgatorium geworden. Daher ga¬ ben die erſten Chriſten den Beſeſſenen immer Geſchäfte, z. B. Kirchenausfegen*)Simons chriſtl. Alterthümer, von Murſinna ꝛc. p. 143 u. ſ. w. Aber das müßige Offiziersleben arbeitete ihn blos noch eitler und kecker aus.

So ſtand es in ſeiner Bruſt, als er an Al¬ banos ſeine kam Liebe ſchwelgeriſch aufja¬ gend, aber blos um mit ihr zu ſpielen mit einem unwahren Herzen, deſſen Gefühl mehr lyriſches Gedicht als wahres dichtes Weſen iſt 13 unfähig, wahr, ja kaum falſch zu ſein, weil jede Wahrheit zur poetiſchen Darſtellung artete und dieſe wieder zu jener leichter vermögend, auf der Bühne und auf dem tragiſchen Schreibe¬ pult die wahre Sprache der Empfindung zu treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer nachmachen konnte, aber keinen Tanz gleich¬ gültig, verſchmähend und keck gegen das aus¬ geſchöpfte ſtofloſe Leben, worin alles Feſte und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und Wahrheiten, zerſchmolzen herumſchwammen mit ruchloſer Kraft vermögend, alles zu wa¬ gen und zu opfern, was ein Menſch achtet, weil er nichts achtete, und immer nach ſei¬ nem eiſernen Schutzheiligen umblickend, nach dem Tode an ſeinen Entſchlüſſen verzagend und ſogar in ſeinen Irthümern ſchwankend aber doch nur des Stimmhammers, und nicht der Stimmgabel der feinſten Moralität beraubt und mitten im Brauſen der Leiden¬ ſchaft ſtehend im hellen Lichte der Beſonnenheit, wie der Waſſerſcheue ſeinen Wahnſinn kennt und davor warnt.

Nur Ein guter Engel war nicht mit den14 andern entflohen, die Freundſchaft. Zur Liebe konnte ſich ſein ſo oft aufgeblähtes und zuſam¬ mengefallenes Herz ſchwer aufheben; aber die Freundſchaft hatt 'er noch nicht verſchwendet. Seine Schweſter hatt' er bisher befreundet ge¬ liebt, ſo brüderlich, ſo ungehemmt, ſo wach¬ ſend! Und jetzt tritt ihm Albano glänzend-ge¬ waffnet entgegen!

Anfangs ſpielt 'er auch mit ihm lügend wie mit ſich, in der Redoute und im Tartarus. Er merkte bald, daß ihn der ländliche Jüng¬ ling vor eignen Strahlen falſch und geblendet ſehe; aber er wollte lieber den Irrthum wahr¬ machen als benehmen. Die Menſchen und er gleichen der Quelle der Sonne neben dem Tempel des Jupiter Ammon, die am Morgen nur kalt war, Mittags lau, Abends warm, Mitternachts heiß; von den Tageszeiten hieng er nun ſo ſehr ab wie der rüſtige geſunde Albano ſo wenig, der ſich daher vorſtellte, ein großer Mann ſei den ganzen Tag vom Aufſte¬ hen bis zum Niederlegen gros, wie die Heral¬ diker dem Adler immer die Schwingen aus¬ ſpreizen daß er ſelten am Morgen und mei¬15 ſtens abends zu Albano gieng, wenn die ganze Girandole ſeiner Kräfte und Gefühle brannte in dem Weingeiſt, den er vorher aus Flaſchen zugegoſſen.

Aber kennt ihr die Arzenei des Beiſpiels, die Heilkraft der Bewunderung und der ſeelen¬ ſtärkenden Achtung? Es iſt ſchändlich von mir (ſagte Roquairol); iſt er nicht ſo gläu¬ big und offen und bieder? Nein, die ganze Welt will ich belügen, nur ſeine Seele nicht! Solche Naturen wollen die Verheerung der Menſchheit durch Treue, gegen Einen vergüten. Die Menſchheit iſt ein Sternbild, in welchem Ein Stern oft die Hälfte des Bildes malet.

Von dieſer Stunde an ſtand ſein Entſchluß der herzlichſten Beichte und Buße feſt; und Al¬ ban, vor welchem das Leben noch nicht in ei¬ nen Brei der Verweſung zerlief, ſondern ſich feſt und ſcharf und organiſch zergliederte und der nicht wie Karl klagte, daß ihn nichts recht erpacke und alles nur luftig umſpühle, dieſer ſollte deſſen kranken Wünſchen Jugend wieder¬ bringen und mit dem unwandelbaren Sinn des reinen Jünglings und mit der Gefahr der Freund¬16 ſchaft wollte Roquairol ſich zwingen, dieſem das Wort der fruchttragenden Bereuung zu halten, das er ſich ſelber zu oft gebrochen.

Laſſet uns ihm folgen in den Tag, wo er alles ſagt.

54. Zykel.

Einſt kam Albano ſchon Vormittags zum Hauptmann, wo dieſer ſonſt nach ſeiner Sprache noch ein von geſtern herabgebranntes Licht¬ ſtümpfgen auf Stacheln war; aber heute ſtand er brauſend-arbeitend wechſelnd am Pia¬ noforte und am Schreibepult und war wie ein verdorrtes Infuſionsthiergen ſchon ſo früh der Rege und Alte, weil Wein genug aufgegoſſen war, nämlich viel. Voll Entzückung lief er dem willkommnen Freunde zu. Albano bracht 'ihm von Falterle die kindiſchen Blätter der Liebe ( denn der Exerzizienmeiſter hatte nicht den Muth gehabt, ſie ins Feuer zu werfen), die er aus Blumenbühl an das unbekannte Herz ge¬ ſchrieben. Karl wäre darüber bis zu Thränen gerührt geworden, wär' er's nicht ſchon vor der Ankunft geweſen. Der Graf mußte da blei¬ ben den ganzen Tag und alles verſäu¬men17men es war ſein erſter unordentlicher Tag komiſch wars, wie ſich der ſonſt ſo unbändige, aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬ ſtrengungen dienſtbare Jüngling gegen die kurze Meerſtille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬ gen eine Sünde ſträubte.

Indeſſen wars himmliſch; der tiefliegende Kindertag, der ihn ſonſt beflügelte, wenn das Haus voll Gäſte war und er wo er nur wollte, kam wieder herauf; die Geſpräche ſpiel¬ ten und beſchenkten mit allem, was uns hebt und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten und im trunknen Tanz. Genialiſche Menſchen haben ſo viele Feſttage als andere Werkeltage und daher ertragen jene ſo ſchwer einen Trivial - und Schlendrians-Schalttag und vollends an ſolchen Jünglingstagen! Wenn ihm Karl tragiſche Gewitterwolken aus Shakeſpear, Göthe, Klinger, Schiller vorführte und ſich das Leben koloſſaliſch im dichteriſchen Vergrößerungsſpie¬ gel beſchauete: ſo ſtanden alle ſchlafenden Rie¬ ſen ſeines Innern auf, ſein Vater kam und ſeine Zukunft, ſelber ſein Freund ſtand neu wie aus jener glänzenden phantaſtiſchen Kinderzeit her¬Titan II. B18ausgehoben da, wo er ſich ihn in dieſen Rol¬ len vorgeträumt, und in den innern Heldenzug wurde ſogar die Wolke, die durch den Himmel ſchwamm, und die über den Markt wegmar¬ ſchirende Wach-Truppe eingeſchichtet. Zu groß erſchien ihm der Freund, weil er wie alle Jüng¬ linge noch von Schauſpielern und Dichtern glaubte, daß ſie wie die Bergleute immer die Metalle in den Leib bekommen, in denen ſie arbeiten. Wie oft ſagten beide in der Jüng¬ lings-Metapher: das Leben iſt ein Traum und wurden blos froher und wacher dadurch! Der Greis ſagt es anders. Und die ſchwarze Todespforte, an welche Karl ſo gern hinführte, wurde vor dem Jünglingsauge eine Glasthür, hinter welcher das helle goldne Zeitalter des verſpäteten Herzens in unermeßlichen Auen lag.

Mädgen, bekenn 'ich da ihre Geſpräche zerſtückter, faktiſcher, und weniger berauſchend ſind erſtehen ſtatt eines ſolchen Eden-Parks einen hübſchen holländiſchen Garten gut zuge¬ ſchnitten von Krebs - und Damesſcheeren, und (nachmit -) täglich dargereicht von der ſchwar¬ zen Stunde, die ihnen auf dem Kaffee - oder19 Theebrette das ſchmale ſchwarze Brett einiger übeln Nachreden, ein paar neue daſitzende Shalws, einen wohlgewachſenen Menſchen, der mit einem Teſtamente oder Trauſchein vorbei¬ geht, und letztlich die Hofnung des häuslichen Referats ſervirt. Kommt zu den Jüng¬ lingen zurück!

Gegen Abend bekam der Hauptmann ein rothes Billet. Es iſt ganz gut! ſagt 'er zur Überbringerin und nickte. Wird nichts daraus Madam! (ſagt' er, ſich gegen Albano keh¬ rend. ) Bruder, wahre Dich nur gegen Eheweiber. Schnappe einmal zum Spaße nach einem rothen Schminkläppgen von ihnen: flugs ſchieben ſie Dir die Angelhaken in die Rückenhaut*)Anſpielung auf die Art, Fröſche mit einem Stückchen rothen Tuch zu angeln.. Der Haken ſieben ſind in meiner allein, wie Du ſie da ſiehſt, ſeßhaft. Das unſchuldige Kind Albano! Es nahm es für etwas moraliſch-Großes, die Freundſchaft von ſieben Eheweibern auf einmal zu behaup¬ ten und wäre froh in Karls Fall geweſen; erB 220konnte das Schlimme nicht finden, daß die Freundinnen wie die Römer, der Viktoria (näm¬ lich uns) gern die Flügel abſchneiden, damit die Gottheit nicht weiter fliege.

An einem ſchönen Tag iſt nichts ſo ſchön als ſein Sonnenuntergang; der Graf ſchlug vor, ins Abendroth hinauszureiten und auf der Höhe nach der Sonne zu ſchauen. Sie trabten durch die Straßen; Karl zog bald vor einer ſchönen Naſe, bald vor einem großen Augen¬ paar, bald vor durchſichtigen Stirnlocken den großen ſchiefſitzenden Hut ab. Sie flogen in die Lindenallee, die ſich mit einer bunten Lam¬ bris von Spazier ſitzerinnen feſtlich putzte. Ein großes feurig durchblickendes Weib ſchritt im rothen Shawl und gelben Kleide durch das weibliche Blumenbeet hoch wie die Blumengöt¬ tin; es war die Konzipientin des rothen Blat¬ tes; ſie war aber aufmerkſamer auf den ſchö¬ nen Grafen als auf ihren Freund. An allen Wänden und Bäumen blühte das Roſenſpalier des Abendroths. Sie brauſeten die weiſſe Straße nach Blumenbühl hinauf an beiden Seiten ſchlug das goldgrüne Meer des Früh¬21 lings die lebendigen Wellen eine geflügelte Welt ruderte darin und die Vögel tauchten ſich tief in die Blumen unter hinter den Freun¬ den brannte die Sonne, und vor ihnen lag die Blumenbühler Höhe ganz roſenroth. Oben wandten ſie die Pferde gegen die Sonne, die hinter den Kuppeln und Rauchſäulen der ſtolz¬ brennenden Stadt in fernen hellen Gärten ruhte. Nahe gerückt lag die erleuchtete Erde um ſie her und Albano konnte die weiſſen Statuen auf Lianens Dach lebendig unter dem blühen¬ den Gewölk erröthen ſehen. Er drängte ſein Pferd an das fremde, um die Hand auf Karls Achſel zu drücken; und ſo ſahen ſie ſchweigend zu, wie die liebevolle Sonne die goldne Wol¬ kenkrone ablegte und mit dem flatternden Laub¬ gewinde um die heiſſe Stirn ins Meer hinun¬ terzog. Und als es dämmerte auf der Erde und glühte am Himmel und Albano ſich hin¬ über neigte und ſeinen Freund ans brennende Herz herüberzog: ſo ſtieg das Abendgeläute in Blumenbühl herauf und dort drunten, ſagte Karl mit ſanfter Stimme und kehrte ſich hin, liegt Dein friedlich Blumenbühl wie ein22 ſtiller Kirchhof deiner Kindertage. Wie ſind die Kinder glücklich, Albano, ach, wie ſind die Kinder glücklich! Sind wirs nicht? (antwortete er mit freudigen Thrä¬ nen) Karl, wie oft ſtand ich auf den Höhen an Abenden wie dieſer und ſtreckte inbrünſtig meine kindiſchen Hände aus nach Dir und nach der Welt. Nun hab 'ichs ja alles. Wahrlich du haſt nicht Recht. Aber er, am brauſenden Ohrenklingen vergangner wei¬ ter Zeiten krank, blieb taub gegen das Wort und ſagte: nur die Wiegenlieder, nur die zu¬ rücktönenden Wiegenlieder, ſchläfern die Seele ein, wenn ſie heiß geweinet hat.

Stiller und langſamer ritten ſie zurück. Al¬ bano trug eine neue Welt der Liebe und der Wonne in der Bruſt; und der Jüngling, noch nicht ein Schuldner der Vergangenheit, ſondern ein Gaſt der Gegenwart ſank, vom langen Jubel des Tags ſüß abgeſpannt, in helldunkle Träume unter, gleichſam ein hoher Raubvogel ſtill auf entzückt-offnen Schwingen hängend.

Wir wollen die ganze Nacht bei Ratto bleiben. ſagte Karl in der Stadt.

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55. Zykel.

Sie ſtiegen in Ratto's italieniſchen Keller hinunter. Das Haus kam anfangs nach dem Anblicke der weiten Natur dem Grafen wie ein Felſenſtück darüber gewälzt vor wiewohl ja jedes Stockwerk unter architektoniſchen Laſten liegt , aber das ſchwere Gefühl des unterir¬ diſchen Zwingers vergas ſich bald und ſonder¬ bar klang in die welſche Grube das hohe Raſ¬ ſeln der Wagen herein. Der Hauptmann be¬ ſtellte einen Punch royal Wenn er ſo fortfährt in ſeiner guten Feuerordnung und im¬ mer ein volles Gefäß im Hauſe hat als Löſch¬ anſtalt und die Schlangenſpritzen probirt: ſo kann mein Buch nie der Vorwurf treffen, daß man darin wie im Grandiſon zuviel Thee konſumire, eher zuviel ſtarkes Getränk geht auf.

Schoppe ſaß im welſchen Souterain. Er liebte den Hauptmann nicht, weil ſein unver¬ ſöhnliches Auge an ihm zwei ihm herzlich un¬ leidliche Fehler auswitterte, das chroniſche Ge¬ ſchwür der Eitelkeit und ein unheiliges Schlem¬ men und Praſſen in Gefühlen. Karl gab die24 Abneigung zurück; die heißeſten Wellen ſeines Enthuſiasmus ſetzten ſogleich vor des Titular¬ bibliothekars Geſichte Eisſpieße an. Nur heute nicht! Er trank ſo hinlänglich vom Königs¬ puntſch wovon ein Paar Gläſer durch alle Köpfe des Briareus oder der lernäiſchen Schlange durchbrennen konnten , daß er dann alles ſagte, ſogar das Fromme. Bei Gott! (ſagt 'er, ſich im Bethesda-Teich durch Her¬ ausſchöpfen heilend) da es doch Lumperei mit dem Beſſerwerden iſt, ſo ſollte man ſich etwas vor die Stirn drücken, damit der gehetzte Geiſt nur einmal loskäme von ſeinen Wunden und Sünden. Von Sünden? (ſagte Schoppe) Läuſe und Bandwürmer der beſſern Art wer¬ den allerdings aus meinem Gebiet auswan¬ dern, wenn ich mich kalt mache; aber die ſchlimmen trägt mein innerer Menſch gewiß mit hinauf. Beim Henker! wer ſagt Euch denn, daß dort der ganze hieſige Armeſünders¬ Kirchhof auf einmal als eine unſichtbare Kir¬ che voll Märtyrer und Sokrateſſe einziehen werde und jedes Bedlam als eine Loge zum hohen Licht? Ich dachte heute ans andere25 Leben, als ich eine Frau auf dem Markte mit fünf Schweinchen ſah, die ſie jedes mit einem Strick am Bein, vor ſich her treiben wollte, die ihr aber wie elektriſche Strah¬ lenbüſchel auseinander fuhren; jetzt ſchon, ſagt' ich, mit unſern wenigen Kräften und Wünſchen, die das kultivirende Säkulum im quintuplo ſtellte, geht es uns ſchon ſo erbärm¬ lich wie der Frau mit ihrer Kuppel, wenn wir nun vollends zehn und mehr neue Ferkel (da die zweite Welt wie ein Amerika doch neue Objekte und Wünſche bringen muß) an den Strick bekommen, wie will da der Ephorus amthieren? Auf größere unbeſchreibliche Nöthen, Lehnsfrevel und Oppoſizionen mach ' ich mich da gefaßt. Aber Roquairol war in ſeiner rothen Lohe; er ſetzte ſich über Schoppe und ſich hinweg und läugnete die Unſterblich¬ keit geradezu, um Schoppen zu parodiren: ein einziger Menſch, (ſagt' er), glaubte ſeinet we¬ gen allein ſchwerlich die Unſterblichkeit; aber da er mehrere ſieht, hat er Mitleiden und hält es der Mühe werth und glaubt, die zweite Welt iſt ein monte testaceo aus Menſchen¬26 Scherben. Der Menſch kann Gott und dem Teufel künftig nicht näher kommen, als ers hier ſchon that; wie ein Wirthshausſchild iſt ſein Revers ſo bemahlt wie ſein Avers Aber wir brauchen die künſtliche Zukunft zur Ge¬ genwart; wenn wir noch ſo ſtill ſchweben über unſerem Schlamm, ſo zappeln wir noch im¬ mer wie ſtillliegende Karpfen, mit den poeti¬ ſchen Floſſen und Flügeln. Daher müſſen wir den künftigen Paradieſesgarten ſo herrlich an¬ legen, daß nur Götter hineinpaſſen, aber ſo wie in Fürſtengärten, keine Hunde. Lumpe¬ rei iſts! Wir ſchneiden uns verklärte Leiber zu, die den Soldatenröcken gleichen; Taſchen und Knopflöcher fehlen; welche Freuden können ſie denn faſſen? Alban ſah ihn ſtaunend an. Weißt Du, Albano, was ich meine? Juſt das Gegentheil. So leicht wird der Phantaſie alles, auch Laune.

Jetzt wurd 'er hinausgerufen. Er kam zu¬ rück mit einem rothen Billet. Er warf die Halsbinde um à la Hamlet war er da ge¬ ſeſſen und ſagte zu Albano, in einer Stunde flieg' er zurück. Unter der Schwelle ſtockt 'er27 noch ſinnend, ob er weg ſolle; dann lief er raſch die Treppe hinan.

In Albano floß der Freudenbecher, worein der ganze Tag zugeſchüttet hatte, mit dem glän¬ zenden Schaume einer ſchalkhaften Laune über. Beim Himmel! Die Scherzhaftigkeit ſtand ihm ſo lieblich wie eine Rührung und er gieng oft lange, ohne Sprechen, ſchalkhaft-lächelnd um¬ her, wie ſchlummernde Kinder lächeln, wenn, wie man ſagt, mit ihnen Engel ſpielen.

Roquairol kam wieder mit ſonderbar em¬ pörten Augen; er hatte wild in ſein Herz hin¬ eingeſtürmt; er war ſchlecht geweſen, um zu verzweifeln und unten auf dem Abgrund knieend dem Freunde ſein Leben zu bekennen. Dieſer ſo willkührliche Menſch lag unwillkührlich auf den Windmühlen-Flügel ſeiner Phantaſie ge¬ flochten und wurde bald von der Windſtille ge¬ feſſelt, bald vom Sturme umgeſchleudert, den er zu durchſchneiden glaubte. Er wurde nach dem Beiſpiele der Feuerfreſſer, jetzt ein Feuer¬ ſäufer, in der unruhigen Erwartung, daß Schoppe weiche. Dieſer wich endlich trotz Al¬ banos Bitte mit der Antwort: kaufet die Zeit,28 ſagte der Apoſtel, das heiſſet aber, friſtet euer Leben länger; das iſt die Zeit. Dazu fodern nun die beſten Kaufbuden der Zeit, die Apotheken, daß der Menſch nach dem Punch royal zu Bette gehe und unmäßig ſchwitze.

Wie wurd 'es jetzt anders! Da ihm Ze¬ ſara freudig um den Hals fiel da der Ju¬ gend-Rauſch zu Liebesmelodieen wurde, wie der Regen in der Höhle zu Derbyſhire von ferne zu Harmonien da dem Grafen ſüß, wie man ſich ſchlummernd verblutet, das ganze Innere, ſein ganzes voriges Leben von der Lippe floß und alle Plane des künftigen, ſogar die ſtolze¬ ſten (nur der zärteſte nicht) und da er ſich, wie (nach der Burignon) Adam im Unſchulds - Stand, ſo kryſtallen-durchſichtig vor das be¬ freundete Auge ſtellte, nicht aus Schwäche ſon¬ dern aus altem Drang und im Glauben, ſo müſſe der Freund ſeyn: ſo traten dem unglück¬ lichen Roquairol helle Thränen der liebevoll¬ ſten Bewunderung über die ungeſchminkte Rein¬ heit und über die energiſche, gläubige, noch in nichts ſchwankende Natur und über den faſt zum Lächeln reizenden naiven hohen Ernſt des29 rothwangigen Jünglings in die Augen. Er ſchluchzete an dieſer freudetrunknen Bruſt und Albano wurde weich, weil er dachte, er ſei es zu wenig und ſein Freund ſo ſehr.

Hinaus, hinaus! ſagte Karl; und das war lange Albano's Wunſch. Es ſchlug Ein Uhr, als ſie auf der engen Kellertreppe die Sterne des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des Schachtes blitzen ſahen. Wie friſch quoll die eingeathmete Nacht über die heiſſen Lippen! Wie feſt bauete ſich über die flüchtigen Zeltgaſ¬ ſen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren feſten Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬ weiterte ſich das feurige Auge Albanos an den Rieſenmaſſen des dämmernden Frühlings, an dem unter dem durchſichtigen Mantel der Nacht ſchlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬ linge des Tags, flatterten ſchon um ihre lieben Blumen und ſogen aus den Blüten und trugen Weihrauch für den Morgen ein, eine ſchlaf¬ trunkne Lerche fuhr zuweilen in den ſtillen Him¬ mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle, über die dunkeln Auen und Stauden war ſchon der Thau gegoſſen, deſſen Juwelenmeer vor30 der Sonne entbrennen ſollte und in Norden wehten die Purpur-Wimpel der Aurora, die gen Morgen ſchifte. Erhebend faßte der Gedanke den Jüngling an, daß nun dieſelbe Minute Millionen kleine und lange Leben meſſe und den Gang der Minirraupe und den Flug der Sonne und daß jetzt dieſelbe Zeit durchlebet werde vom Wurm und von Gott, von Welten zu Welten, überall. O Gott, rief er, wie herrlich iſts, daß man iſt!

Karl klebte blos mit dem hängenden ſchwe¬ ren Gefieder des Nachtvogels an den heitern Geſtirnen um ihn: wohl Dir, ſagt 'er, daß Du ſo ſeyn kannſt und daß die Sphinx in dei¬ ner Bruſt noch ſchläft. Du weißt nicht, was ich will. Ich kannte einen Elenden, der ſie recht gut ſchildern konnte. In der Bruſthöhle des Menſchen, ſagt' er, liegt das Unge¬ heuer mit aufgehobenem Madonnengeſicht auf ſeinen vier Tatzen und lächelt eine Zeitlang umher und der Menſch mit. Plötzlich ſpringt es auf, gräbt die Krallen in die Bruſt, zer¬ ſchlägt ſie mit dem Löwenſchweif und den har¬31 ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und überall rinnt Blut an der zerritzten Bruſthöh¬ le. Auf einmal legt es ſich blutig wieder hin und lächelt wieder fort mit dem ſchönen Ma¬ donnenangeſicht. O er ſah ganz blutlos aus, der Elende, weil das Thier ſo von ihm zehrte und durſtig an ſeinem Herzen leckte.

Gräulich! (ſagte Albano) und doch ver¬ ſteh 'ich Dich nicht ganz. Der Mond hob jetzt ſich und eine finſter an ſeinen Seiten gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬ nen Sturmwind nach, der ſie unter die Sterne jagte. Karl fuhr wilder fort: Anfangs hatt' es der Elende noch gut, er hatte noch derbe Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und Tugenden; aber als das Unthier immer ſchnel¬ ler lächelte und zerriß und er immer ſchneller Luſt und Pein, Gutes und Böſes wechſelte; und als Gottesläſterungen und Rothbilder in ſeine Gebete krochen und er ſich weder bekeh¬ ren noch verſtocken konnte: da lag er in öder Verblutung in der lauen, grauen, trocknen Nebel-Maſſe des Lebens da und ſtarb ſo durch das Leben fort.

32

Warum weineſt Du? Kennſt Du den Elenden? Nein, ſagte Albano mild. Ich bins! Du? ſchrecklicher Gott, Du nicht! O, ich bins; und wenn Du mich auch verachteſt, Du wirſt was ich ... Nein, mein Unſchuldiger, ich ſag 'es nicht. Sieh, jetzt ſteht die Sphinx wieder auf. O bete mit mir, hilf mir, daß ich nicht ſündigen muß, nur nicht muß. Ich muß ſaufen, ich muß verführen, ich muß heucheln ich heuchle jetzt Zeſara ſah das ſtarre Auge, das bleiche zerriſſene Geſicht und ſchüttelte lie¬ bend-entrüſtet ihn mit beiden Armen und ſtam¬ melte gerührt: das iſt beim Allmächtigen nicht wahr; Du biſt ja ſo ſanft und blas und un¬ glücklich unſchuldig.

Roſenangeſicht (ſagte Karl), ich ſcheine Dir rein und hell wie der dort droben*)Der Mond., aber er wirft wie ich den langen Schatten gegen den Himmel hinauf. Zeſara ließ ihn los, ſah lange nach dem erhabnen dunklen wie einLei¬33Leichenzug um das Elyſium haltenden Tartarus und drückte bittere Thränen weg, die über die Erinnerung floſſen, daß er darin ſeinen erſten Freund gefunden, der ſich jetzt neben ihm auf¬ löſe. Da brach der Nachtwind eine von der Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und Albano zeigte ſtumm auf die Niederbrechende; Karl rief erſchrocken: ja, das bin ich! Ach Karl, hab 'ich Dich denn heute verloren? ſagte der ſchuldloſe Freund mit unendlichem Schmerz und die ſchönen Sterne des Frühlings fielen wie ziſchende Funken in ſeine Wunde.

Vor dieſem Worte löſete ſich Karls ge¬ ſpanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬ liger Geiſt kam über ihn und gebot ihm, die reine Seele nicht zu quälen mit ſeiner, ihr nicht den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich und jede Eigenſucht ſtumm zu opfern. Sanft legt 'er ſich an des Freundes Herz und mit zauberiſch leiſen Worten und voll Demuth und ohne Feuerbilder ſagt' er ihm ſein ganzes Herz und daß es nicht böſe ſey, ſondern nur unglück¬ lich und ſchwach und daß er nur ſo herzlich - aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihmTitan II. C34denke, habe ſeyn müſſen wie gegen Gott und daß er ſchwöre bei der Stunde des Todes, zu werden wie er, ihm ewig alles zu bekennen, ſich zu heiligen an ihm Ach ich wurde nur noch ſo wenig geliebt! beſchloß er. Und Albano, der liebestrunkne, glühende Menſch, der gute Menſch, der an ſich die heiligen Über¬ treibungen der Reue kannte und der dieſe Be¬ kenntniſſe für jene hielt, kehrte begeiſtert in den alten Bund zurück mit Liebe ohne Maaß. Du biſt ein warmer Menſch! (ſagte Karl) Warum liegen denn die Menſchen immer wie die Todten auf den, Bernhardus-Berg*)Die unbekannten Erfrornen werden von den Mönchen unbegraben an einander jeder an die Bruſt des andern angelehnt. ein¬ ander erfroren an der Bruſt, mit ſteifem Aug ', mit ſtarren Armen? O warum kameſt Du ſo ſpät zu mir? Ich wäre anders ge¬ worden. Warum kam jene**)Linda de Romeiro. ſo früh? Dort im Dorfe drunten an der engen niedri¬ gen Kirchthüre, da ſah ich Sie zuerſt, durch35 die mein Leben zur Mumie ward. Wahrlich ich ſpreche jetzt gefaſſet. Man trug vor mir her, als ich heraus ſpatzieren gieng, einen lei¬ chen-weiſſen Jüngling auf einer Bahre in den Tartarus; es war nur eine Statue, aber ſie war das Ebenbild meiner Zukunft. Ein böſer Genius ſagte zu mir: liebe die Schöne, die ich Dir zeige. Sie ſtand an der Kirchthüre von Kirchleuten umzingelt, die ſich über die Kühnheit wunderten, womit ſie mit beiden Händen eine ſilbergraue züngelnde Schlange annahm und wog. Wie eine kühne Göttin ſenkte ſie die feſte ebene Stirn, das ſchwarze Auge, die Roſenblüthen ihres Angeſichts auf den von der Natur platt getretnen Otterkopf und ſpielte damit dicht an ihrem Herzen. Kleopatra! ſagt 'ich, obwohl ein Knabe. Auch ſie verſtand es ſchon, blickte ruhig und kalt von der Schlange auf und gab ſie zu¬ rück und wandte ſich um. O an meine junge Bruſt warf ſie die erkältende Leben-freſſende Viper. Aber wahrlich jetzt iſts vorbei und ich ſpreche ruhig. Nur in den Stunden, Alba¬ no, wo mir aus jener Nacht meine blutigenC 236 Kleider, die meine gute Schweſter aufgeho¬ ben, zu Geſichte kommen, da leid 'ich mehr und frage: armer gutmeinender Knabe, war¬ um wurdeſt Du denn älter? Aber wie ge¬ ſagt, es iſt ganz vorbei. Zu Dir, nur zu Dir ſpreche ein beſſerer Genius: liebe die Schöne, die ich Dir zeige!

Aber welche Welt von Gedanken flog jetzt auf einmal Albano zu! Er martert (dacht ' er,) mit dem alten Argwohne über Romeiro fort ich will Herz gegen Herz öffnen und es dem guten Bruder ſagen, daß ich ja ſeine Schweſter ewig liebe. Seine Wangen glühten, ſein Herz flammte, er ſtand prieſter¬ lich vor dem Altare der Freundſchaft mit der ſchönſten Gabe, mit der Aufrichtigkeit. O jetzt, Karl, ſagt' er, wäre ſie wohl anders gegen Dich mein Vater reiſet mit ihr und Du wirſt ſie ſehen. Er gieng Hand in Hand ſchneller mit ihm einer dunklen Baum¬ gruppe zu, um im Schatten die zart-erröthen¬ de Seele zu öffnen. Nimm mein theuerſtes Geheimniß hin, (fieng er an) aber ſprich nicht davon und nicht mit mir erräthſt37 Du es nicht, mein erſter Bruder? die Seele nicht, die ich ſo lange liebte wie Dich? Leiſe, leiſe ſetzte er dazu: Deine Schweſter? und ſank ihm auf den Mund, um die erſten Laute wegzuküſſen.

Aber Karl, im Aufruhr des Entzückens und der Liebe wie eine Erde bei dem Aufgange des Frühlings, bändigte ſich nicht; er preßte ihn an ſich; er ließ ihn los; er umfaßte ihn wieder, er weinte ſeelig, er drückte Albanos Augen zu und ſagte neu-verſchwiſtert: Bruder! Vergeblich wollte Albano mit der Hand jede andere Sylbe auf ſeinen Lippen erdrücken. Er fieng vor dem betroffenen Jüngling der un¬ ter der einſamen und poetiſchen Bücherwelt eine höhere Zartheit gewonnen als die Wirklichkeit des Umgangs lehrt Lianen abzumalen an, wie ſie dulde und handle, wie ſie für ihn ſorge und rede und ſogar verarme, um ſeine Schul¬ den zu tilgen; wie ſie ihn nie hart tadle, ſon¬ dern nur mild bitte, und alles das nicht aus künſtlicher Duldung, ſondern aus heiſſer ächter Liebe und wie doch das noch kaum das Bei¬ werk ihres Bildes ſey. Er war in ſeiner reinern38 Begeiſterung als ihn dieſer Abend zugelaſſen, darum ſo ſeelig, weil er ſeine Schweſter unter allen Menſchen am meiſten und uneigennützig¬ ſten und am freieſten von poetiſcher Schwelge¬ rei und Willkühr lieben konnte ordentlich dadurch geſtärkt, daß er einmal aus reiner hei¬ liger Liebe jauchzen dürfe, zog die Hände wie¬ der frei gemacht heraus, die bisher wie Milos ſeine im Baum des Glücks und Lebens, den er zerreiſſen wollte, eingeklemmt gefangen waren; er athmete friſche Lebensluſt und Muth und der Plan ſeiner innern Vollendung war jetzt durch neues Glück und ſchönes Bewußtſeyn hold geründet.

Der Mond ſtand hoch, die Wolken waren vertrieben, und nie gieng der Morgenſtern zwei Menſchen heller auf.

39

Elfte Jobelperiode.

Stickrahmen Anglaiſe cereus serpens mu¬ ſikaliſche Phantaſieen.

56. Zykel.

Freudig trug Roquairol am erſten Abende, da er ſeinen Vater verreiſet wußte, zum Freunde die Bitte, zur Mutter mitzugehen. Albano er¬ röthete zauberiſch über jene feurige Nacht zum erſtenmale, die ihm das älteſte Geheimniß abge¬ drungen; denn bisher hatten beide in den ge¬ meinen Stunden des Lebens das Heiligthum nicht wieder berührt. Nur der Hauptmann konnte leicht und gern von Linda ſo wie von jedem Verluſte ſprechen.

Liane erblickte ihren Bruder den regie¬ renden Schöpfer ihrer weichſten Stunden allezeit mit herzlichſter Freude, ob er gleich mei¬40 ſtens etwas haben wollte, wenn er kam; vor Freude trug ſie ihm das Buch, woraus ſie der ſtickenden Mutter vorgeleſen, in der Hand ent¬ gegen. Sie und die Mutter hatten den ganzen Tag heiter und einſam mit gegenſeitigem Ab¬ löſen in Sticken und Leſen verlebt; ſo oft der Miniſter verreiſte, waren ſie zugleich von Un¬ friede und Viſiten-Chariwari frei. Wie ge¬ rührt erkannte Albano das Morgenzimmer wie¬ der, aus dem er das erſtemal das theuere Mäd¬ gen nur als Blinde in der Ferne zwiſchen Waſ¬ ſerbogen ſtehen ſehen! Die gute Liane nahm ihn unbefangener auf, als er es durch Karls Einwei¬ hung in ſeine Wünſche bleiben konnte. Welche paradieſiſche Miſchung von unberechneter Scheu und überfließender Freundlichkeit, Stille und Feuer, von Blödigkeit und Anmuth der Bewe¬ gung, von ſcherzender Güte, von ſchweigendem Wiſſen! Dafür gebührt ihr der herrliche Beiname Virgils, die jungfräuliche. In unſern Tagen der weiblichen Krachmandeln, der akademiſchen Kraftfrauen, der Hopstänze und Doublirmarſch¬ ſchritte im platten Schuh kommt der virgilia¬ niſche Titel nicht oft vor. Nur zehn Jahre41 lang (vom 14ten an gezählt) kann ich ihn ei¬ nem Mädchen geben; ſpäter wird es manirier¬ ter. Dreizehn und ſiebzehn Jahre zugleich iſt gewöhnlich ein ſolches holdes Weſen alt.

Warum wareſt Du ſo reizend-unbefangen, zarte Liane, als weil Du wie die Bourignon nicht einmal wußteſt, was zu fliehen war und weil Deine heilige Schuldloſigkeit noch das ver¬ dächtige Ausſpähen der entlegenſten Abſichten, das an die Erde gebückte Behorchen des kom¬ menden Feindes und alle kokette Manifeſte und Ausrüſtungen ausſchloß? Die Männer waren Dir noch gebietende Väter und Brüder; und darum erhobeſt Du zu ihnen noch nicht ſtolz, ſondern ſo freundlich das treue Au¬ genpaar!

Und mit dieſem gütigen Blick und mit ih¬ rem Lächeln deſſen Fortdauer oft auf männ¬ lichen Geſichtern, aber nicht auf jungfräu¬ lichen die Titelvignette der Falſchheit iſt nahm ſie unſern edeln Jüngling an, aber ihn nicht allein.

Sie ſetzte ſich an den Stickrahmen; und die Mutter ſchiffte den Grafen bald in das42 kühle Weltmeer allgemeiner Geſpräche ein, in das nur zuweilen der Sohn eine grüne warme Inſel herauf trieb. Alban ſah zu, wie Liane ihre muſiviſchen Blumenſtücke wachſen ließ; wie die kleine weiſſe Hand auf dem ſchwarzen At¬ lasgrunde (Froulays Thorax ſoll an ſeinem Geburtstage die Blumen anziehen) lag, und wie ihre reine Stirn, von gekräuſelten Haaren durchſichtig überwebt, ſich vorbückte und wie ſich ihr Angeſicht, wenn ſie ſprach oder wenn ſie neue ſeidene Farben ſuchte, mit dem höhern Feuer der Arbeit im Auge und auf der Wange beſeelet aufrichtete. Karl ſtreckte ihr zuweilen haſtig die Hand entgegen. Sie reichte ihre wil¬ lig hinüber, er legte ſie zwiſchen ſeine beiden und wandte ſie um, ſah in die inwendige, drückte ſie mit beiden und die Geſchwiſter lä¬ chelten einander liebreich an. Und da lächelte Albano allemal treuherzig aus den Geſprächen mit der Mutter mit herein. Aber armer Held! Schon an ſich iſts herkuliſche Arbeit, neben ei¬ ner feinen müßig zu ſitzen, neben Sticken, Mi¬ niaturmalen u. ſ. w.; aber vollends mit dei¬ nem Geiſte, der ſo viele Seegel nebſt einem43 Paar Stürmen hinter drein hat, unthätig ne¬ ben dem Stickrahmen zu ankern und nicht et¬ wan ein Herkules zu ſeyn, (das wäre leicht,) welcher ſpinnt, ſondern einer, der nur ſpinnen ſieht und das vor dem großen Frühling und Sonnenuntergange drauſſen und noch dazu neben der wortkargen Mutter (überhaupt iſts ſchon neben jeder eine Unmöglichkeit, ein er¬ hebliches Geſpräch mit der Tochter einzulei¬ ten) das ſind ſchwere Sachen.

Er ſah ſcharf gegen die geſtickte Flora nie¬ der: Mich ſchmerzt nichts ſo ſehr ſagte er, weil er überall philoſophierte und weil ihn alles Vergebliche auf der Erde peinlich be¬ klemmte als das ſo viele tauſend künſtliche Zierrathen auf der Welt umſonſt geſchaffen werden, ohne daß ſie je ein Auge trifft und genießet. Mir kann es ordentlich nahe ge¬ hen, wenn das grüne Blättchen hier nicht beſonders angeſehen wird. Mit derſelben Trauer über fruchtloſe ungenoſſene Pflanzun¬ gen der Mühe hielt er oft ſein Auge nahe an den Tapeten-Baumſchlag, an geblümte Zeuge, an architektoniſche Verzierungen.

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Liane konnt 'es für einen maleriſchen Ta¬ del des überladenen Näh-Gartens nehmen, den ſie blos ihrem Vater zu Liebe ſo voll ſäete denn Froulay, aus den Zeiten gebürtig, wo man noch mit dem Kleide die Treſſen beſetzte, knöpfte gern ein kleines Seiden-Herbarium an den Leib ; aber ſie ſagte nichts als lächelnd das: Nun das Blättchen iſt dem böſen Schick¬ ſal ja entgangen, es iſt angeſchaut.

Was thut Vergehen und Vergeblichkeit? (nahm Roquairol voll Gleichgültigkeit gegen den Lektor, der eben hereintrat, das Wort und voll Gleichgültigkeit gegen die Meinung der Mutter, der wie dem Vater ihn nur die Bitten der Schweſter zuweilen unterwarfen) Genug, wenn etwas iſt. Über der Wüſte ſingen die Vögel und ziehen die Sterne und kein Menſch ſieht die Pracht. Wahrlich überall geht in und auſſer dem Menſchen mehr ungeſehen vorüber als geſehen. Die Natur ſchöpft aus ewigen Meeren und erſchöpft ſich nicht; wir ſind auch eine Natur und ſollen ſchöpfen und ausgie¬ ßen und nicht immer bekümmert dem wäſſern¬ den Nutzen jedes Strichregens und Regenbo¬45 gens nachrechnen. Sticke nur fort, Schwe¬ ſter! beſchloß er ironiſch.

Die Prinzeſſin kommt heute! ſagte der Lektor und entzückt über die Hofnung küßte Liane der Mutter die Hand. Sie ſah oft und vertraulich von der Stickerei zu dem Hofmann auf, der ſehr einheimiſch zu ſeyn ſchien, aber als ein feiner Mann, eben ſo geehrt und eh¬ rend war, als ſteh 'er zum erſtenmale da.

Die Anmeldung der Prinzeſſin ſetzte den Hauptmann in eine reizende gelenke Freude; eine weibliche Rolle war ihm zur Geſellſchaft ſo nöthig wie den Franzoſen zur Oper, und eine Frau, die da war, unterſtützte ihn ſo ſehr im Doziren, wie Kant ein Knopf, der fehlte*)Er ſoll lehrend immer auf die leere Knopf - Stätte eines Studenten geſehen haben; und wurde irre, als dieſer ſie beſetzt hatte.. Er nahm, um ſeine Schweſter von den Blu¬ men abzuführen, einer Statue auf dem Spie¬ geltiſche den rothen Flor ab und warf ihm, wie ein kleines Morgenroth, den Lilien auf dem Geſicht der Stickerin über; da giengen die46 Thüren auf und Julienne herein Liane ver¬ wickelte ſich in die kleine Morgenröthe unter dem Abheben derſelben im Entgegeneilen. Albano reichte ihr mechaniſch die Hand zum Empfange des Schleiers und ſie gab ihm dieſen und einen weiten lieben Blick dazu o wie glänzte ſeiner trunken!

Julienne brachte ein Gefolge von Scherzen mit. Der Hauptmann, der wie ein Feuerwer¬ ker, ſeinem Feuer alle Formen und Farben ge¬ ben konnte, verſtärkte ſie mit ſeinen; und ſeine Schweſter ſäete gleichſam die Blumen, mit wel¬ chen die Zephyretten der Scherze ſpielen konn¬ ten. Julienne ſagte faſt zum Ja Nein und zum Nein Ja. Nur gegen die Miniſterin war ſie ernſt und nachgiebig, ein Zeichen, daß auf ihrer Diſputir-Arena unter den Sandkörnern noch die Goldkörner lagen, indeß für Philoſo¬ phen die Arena der Preis und der Boden iſt, zugleich das Schlacht -, März - und elyſiſche Feld. Den Grafen fixirte ſie leidenſchaftlich ſo kühn als nur Fürſtinnen dürfen und pflegen; und als er ihr wieder ins braune Auge blitzte, ſchlug ſie es nicht nieder, ſondern ſie erinnerte47 ihn an ihren alten Beſuch in Blumenbühl und fragte nach den Seinigen. Er machte jetzt gern etwas, das ſo feurig war wie ſein Inneres Lobeserhebungen. Es iſt gegen den feinſten Ton, Perſonen Sachen darf man mit Heftigkeit zu loben oder zu tadeln. Indem er mit dankbarer Erinnerung ſeine Schweſter Ra¬ bette malte: verſank Julienne ſo ernſt und tief in ſein Auge, daß ſie auffuhr und den Lektor nach den Touren der Anglaiſe fragte, die er in der Redoute vorgetanzt. Als er ſein Beſtes gethan im Nachſchildern: ſagte ſie, ſie habe kein Wort verſtanden, man müſſ 'es lieber exekutiren.

Und hiemit werden plötzlich ſämmtliche Le¬ ſerinnen von mir auf einen Hausball von zwei Paaren geführt. Sehet die Seelenſchweſtern neben einander wie zwei Flügel an Einer Taube harmoniſch auf und nieder fliegen. Al¬ bano hatte erwartet, Julienne werde ſich durch feuriges vielgelenkes Geflatter von dem ſtillen Schweben ihrer Freundin unterſcheiden; aber beide walleten gleich Wellen leicht neben und in einander und keine Regung war zu viel und keine zu ſchnell.

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Daher wünſcht 'ich ſo oft, die Mädchen tanzten völlig und immer wie die Grazien und die Horen nämlich blos mit einander, nicht mit uns Herren. Der jetzige Bund der weib¬ lichen Wellenlinie mit dem männlichen Schwal¬ benzickzack ſowohl in der Bekleidung als in der Bewegung verſchönert den Tanz nicht beträchtlich.

Liane nahm eine neue ätheriſche Geſtalt an, wie etwan ein Engel unter dem Zurückflie¬ gen in den Himmel ſeine holde irdiſche weg¬ legt. Für die weibliche Schönheit iſt der Tanz¬ boden, was für unſere das Pferd iſt, auf bei¬ den entfaltet ſich der gegenſeitige Zauber und nur ein Reiter holet eine Tänzerin ein. Glück¬ licher Albano! der du kaum von der dargebo¬ tenen Hand Lianens die Fingerſpitzen anzufaſ¬ ſen wagſt mit deinen! du bekommſt genug. Und ſiehe nur dieſes freundliche Mädchen an, deſſen Augen und Lippen die Charis ſo lachend für den Tanz erheitert, und das doch wieder ſo rührend erſcheinet, weil es ein wenig erblaſ¬ ſet! Wie verſchieden von jenen launiſchen oder ungelenken Stiefſchweſtern, die, mit dem hal¬ben49ben Kato von Uttika auf dem faltigen oder geſpannten Geſichte, hopſen, abfallen und ſchleifen. Julienne flieht freudig hin und her und es iſt ſchwer zu ſagen, vor weſſen Augen ſie am liebſten flattere, vor Lianens oder Al¬ bano's.

Als es vorbei war: wollt 'es Julienne wie¬ der von vornen anfangen Liane ſah ihre Mutter an und bat ſogleich ihre Freundin lieber um Abkühlung. Es iſt Vorwand! Eine Freundin iſt gern einſam mit der Freundin; bei¬ de hatten ſich vor andern nur mit Herzen unter dem Schleier lieb und trachteten nach der dunk¬ len Laube, wo er fallen durfte. Liane hatte ordentlich eine liebende Ungeduld, bis ſie mit ihrer Nebenſeele, ihrem Zwillingsherzen zeu¬ genfreie Minuten im Mai - und Abendgarten hatte pflücken können. Sie kamen verändert zurück, voll weichen Ernſtes. Die ſchönen We¬ ſen waren ſich vielleicht im Innerſten und im Stillen ſo ähnlich wie im Tanze und mehr als es ſchien.

Und ſo gieng vor dem Jüngling ein ſchön¬ geſtirnter Abend vorbei! Haltet ihm aber zuTitan II. D50gute, daß er dieſen Blüthenſtrauß ſo feſt drückte und faſſete, bis er einige Stacheln darin her¬ ausfühlte. Sein Herz, deſſen Liebe neben dem fremden ſchmerzlich wuchs, mußte dieſes, ohne ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und ferner finden. Ihre Liebe war Menſchenliebe ihr Lächeln galt jedem guten Auge ſie war ſo heiter in Lilar kam ſie leicht in Rüh¬ rung und in allgemeine Betrachtungen; hier aber nicht freilich ſah ſie recht theilnehmend auf den wild-liebenden Bruder hin, der ſeit jener Beicht-Nacht gleichſam mit Eichenwur¬ zeln ſich um den Liebling ſtrickte; aber ihre halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im Trug des Wiederſcheins auf deſſen Freund nach¬ glänzen. Das Alles ſagte ſich der Be¬ ſcheidne. Aber was er im vollen Maaße der Entzückung genoſſen hatte, war die ſo ſtei¬ gende, helle, zarte, ſtäte Liebe ſeines Seelen¬ bruders.

57. Zykel.

Ueber Lianens ſtille Geſinnung und Zeſa¬ rens Zukunft werd 'ich nie Muthmaßungen an¬ ſtellen, ob ich ſie gleich vor ihrem Abdruck wie¬51 der wegſtreichen könnte. Ich erinnere mich, was wir herausbrachten, wenn ich und andere auf Hafenreffers offizielle Berichte über Sachen von Belang vorher die Hände deckten und nun mit bloßer Phantaſie entwickeln wollten, wie es möchte gegangen ſeyn es war nicht brauchbar. Und natürlich! Schon an und für ſich haben die Weiber und ſpaniſchen Häuſer, viele Thüren und wenige Fenſter und es iſt in ihr Herz leichter zu kommen als zu ſchauen. Vollends Mädchen! Ich meine, da die Frauen ſowohl phyſiognomiſch als mora¬ liſch beſtimmter, kecker entwickelt und gezeichnet ſind: ſo will ich lieber zehn Mütter als zwei Töchter errathen, und mithin abkopiren. Die körperlichen Portraitmaler klagen eben ſo.

Wer die Nacht beobachtet, findet, daß ſie die Zweifel und Sorgen, die er den Abend vor¬ her über die Heldin ſeines Lebens aufgefangen, meiſtens bis gegen den Morgen hin todtge¬ macht. Albano ſchlug am Frühlingsmorgen die Augen im Leben wie in einem Siegeswa¬ gen auf und die friſchen Roſſe ſtampften davor und er durfte ihnen nur den Zügel laſſen.

D 252

Er ſtieg mit ſeinem Freund bei Lianen aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der Miniſter war noch nicht zurück. Himmel! wie neu und blüthen-jung war ihre Geſtalt und doch wechſellos ihr Betragen! Warum kann ich, dacht 'er, nur ihre Bewegungen, nicht alle ihre Züge auswendig, warum kann ich dieſes Antlitz nicht bis auf das kleinſte Lächeln wie eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn abdrücken, damit ſie in ewiger Gegenwart vor mir ſchwebe? Darum, Lieber, ſchöne und junge Geſtalten ſind eben dem Gedächtniß wie dem Pinſel ſchwer und alte, ſchroffe, männliche beiden leichter. Wieder mit Freuden und Seufzern füllete er ſich durch ihr Schauen und ſie wurden größer durch den nahen Gar¬ ten, worein ſich der Junius mit ſeiner Abend¬ pracht lagerte o wenn ihm nur Eine Minute käme, wo ſeine ganze Seele begeiſtert reden dürfte! Drauſſen lag der junge feurige Früh¬ ling wie ein Antinous im Garten und ſonnete ſich und der Mond ſtand, ungeduldig auf die ſchöne Juniusnacht, ſchon unter dem Morgen¬ thor und traf noch den lebendigen Tag und die53 zögernde Sonne an. Aber die Mutter ſchlug dem fragenden Blicke Lianens den Son¬ nenuntergang ab, des ungeſunden Se¬ rein wegen*)Die Zeit des Sonnenuntergangs, welche die ſüdlichen Länder ſo ſehr fliehen. . Albano mit dem Herzen voll Männerblut fand dieſen mütterlichen Verhack um die kindliche Geſundheit ſehr klein.

Der Thorſchluß ſeines heutigen Edens hätte ſich nun in der nächſten Minute eingeläutet, wäre der Hauptmann und der cereus ser¬ pens nicht geweſen.

Jener kam vom welſchen Dache herab ge¬ laufen und verkündigte, der cereus blühe die¬ ſen Abend um zehn Uhr auf, ſage der Gärt¬ ner, und er bleibe da, und du mit ſagt 'er zu Albano. Alles, was nur die doppelten Gränzen der ſchonenden Zartheit gegen Schwe¬ ſter und Freund zuließen, ſetzt' er liebend ins Spiel um dieſen zu erfreuen. Liane bat ihn ſel¬ ber, das Blühen abzuwarten; ſie war ſo ent¬ zückt über das nahe! Ihre Seele hieng, wie Bienen und Thau, an Blumen. Schon ihr54 Freund, der fromme Spener, der ein trunknes Auge auf dieſe lebendigen Arabesken an Got¬ tes Throne heftete, hatte ſie mit dieſen ſtum¬ men immer ſchlafenden Kindern des Unendlichen befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit das Schickſal kalte Wolken geworfen und die nun gleich Rouſſeau andere Blumen als die der Freude ſuchten, und die in Thälern und auf Felſen ſich ermüdeten und bückten, um zu ſammeln und zu vergeſſen und von der ge¬ ſtorbnen Pomona zu flüchten zur jungen Flora? Der Generalbas und das Latein, womit Hermes Mädchen zerſtreuen will, wei¬ chen hier der weiten bunten Bilderſchrift der Natur, der reichen Botanik.

Eine namenloſe Zärtlichkeit für Liane kam in Albano's Seele am kleinen vierſitzigen E߬ tiſch ihm war als ſey er ihr jetzt näher und ihr Verwandter und doch faßte er die Ver¬ wandte nicht, wenn ſie die Mutter aus jedem Ernſt, worein dieſe verſank, mit Scherzen zu¬ rück lockte. Drauſſen riefen die Nachtigallen55 die Menſchen in die ſchöne Nacht; und keiner ſchmachtete mehr als er hinaus.

Für Seelenaugen iſt das Himmelblau, was für körperliche das Erdengrün, nämlich eine innige Stärkung. Als Zeſara endlich aus den Ketten des Zimmers, aus dieſem geiſtigen Hausarreſt, los und ledig hinaustrat unter das freie Reich des Himmels und aller Sterne und auf den[magiſchen] Statuen-Olymp, nach welchem er ſo oft ſehnſüchtig aufgeblickt: ſo ſchlug die gewaltſam zuſammengezogne Bruſt elaſtiſch auseinander, wie rückten die Sternbil¬ der des Lebens in hellere Formen zuſammen, wie waltete der Frühling und die Nacht!

Der alte Gärtner, der blos aus dankbarer Anhänglichkeit ans ſeelengute leutſeelige Fräu¬ lein mit ſeltener Mühe dem cereus serpens ſolche Früh-Blüthen abgenöthigt hatte, ſtand ſchon als ſcheinbarer Beobachter der Blumen, in der That aber aufs größte Lob aufſehend, mit einem braunen, gezackten, punktirten und ernſten Geſichte droben, das mit keinem Lächeln zum Lobe ausfoderte.

Liane dankte dem Gärtner, ehe ſie an den56 Blüthen war; dann lobte ſie dieſe und ſeine Mühe. Der alte Mann wartete blos, bis je¬ der andere von der Geſellſchaft auch erſtaunet war, darauf gieng er ſchläfrig mit dem feſten Glauben fort zu Bette, Liane werd 'ihn morgen ſchon ſo bedenken, daß er zufrieden ſeyn müſſe.

Der ausländiſche Nektarduft, der in fünf weiſſen gleichſam mit braunem Blätterwerk be¬ kränzten Kelchen perlte, ergriff die Phantaſie. Die Wohlgerüche aus dem Frühling eines heiſ¬ ſern Welttheils zogen ſie in entlegne Träume hin. Liane ſtrich mit leiſem Finger, wie man über Augenlieder gleitet, nur über die kleinen Duft-Vaſen, ohne das volle Gärtchen von zar¬ ten Staubfäden, das ſich im Kelche drängte, raubend anzuſtreifen: Wie lieblich, wie ſo gar zart (ſagte ſie kindlich-froh). Wie fünf kleine Abendſterne! Warum kommen ſie nur Nachts, die lieben ſcheuen Blumen? Karl ſchien eine brechen zu wollen. O laſſ ' ſie leben (bat ſie) morgen ſind ſie ohnehin todt. Karl! ſo welkt ſo viel. ſetzte ſie lei¬ ſer dazu. Alles! ſagt' er barſch. Aber die Mutter hatt 'es wider Lianens Willen ge¬57 hört: Solche Sterbe-Gedanken, (ſagte ſie) lieb' ich an der Jugend nicht, ſie lähmen ihr die Flügel. Und dann (verſetzte Liane, es mädchenhaft-umkehrend) bleibt ſie eben; wie der Kranich in Kleiſts Fabel, dem man die Flügel brach, damit er nicht fortzog mit den übrigen ins warme Land.

Dieſer heitere bunte Schleier des tiefen Ernſtes war unſerem Freunde nicht durchſichtig genug. Aber ſpäter hatte das gute Mädchen Mühe ſo auszuſehen, wie die ſorgſame Mut¬ ter es wollte. Die betäubende Vorſtecklilie der Erde, der Mond und das ganze blendende Pantheon des Sternenhimmels und die mit Nacht-Lichtern durchbrochne Stadt und die majeſtätiſchen hohen ſchwarzen Alleen und auf Fluren und Bächen das milchblaſſe Lunens - Silber, womit ſich die Erde in einen Abend¬ ſtern einſpann und die Nachtigallen aus fer¬ nen Gärten rührte denn das nicht jedes Herz allmächtig an, daß es weinend ſeine Sehnſucht bekennen wollte? Und das weichſte, das jetzt unter den Sternen ſchlug, hätte vermocht, den Schleier ganz über ſich zu ziehen? Beinahe! 58Sie hatt 'es vor der Mutter gewohnt, die Thräne eh' ſie wuchs, ſo zu ſagen mit dem Auge abzutrocknen.

Sonderbar erſchien ſie in der nächſten Mi¬ nute dem Grafen. Die Mutter ſprach mit dem Sohn. Liane ſtand, fern von jenem, mit halb¬ verwandtem, vom Monde ein wenig entfärb¬ tem Geſicht neben einer weiſſen Statue der heil. Jungfrau und blickte in die Nacht. Auf einmal ſchauete und lächelte ſie an, gleich¬ ſam als erſchien 'ihr ein lebendiges Weſen im Aether-Abgrund und die Lippe wollte reden. Erhabner und rührender war ihm noch keine Erdengeſtalt begegnet; das Geländer, in das er griff, gieng hin und her (aber er ſelber regte es) und ſeine ganze Seele rief: heute, jetzt lieb' ich die Himmliſche am höchſten, am innigſten. So ſagt 'er neulich auch, und ſo wird er öfter ſagen; kann der Menſch mit den un¬ zähligen Wogen der Liebe Höhenmeſſungen an¬ ſtellen und auf diejenige zeigen, die am mei¬ ſten ſtieg? So glaubt der Menſch ſtets, wo er auch ſtehe, in der Mitte des Himmels zu ſtehen.

Ach in dieſer Minute wurd 'er wieder über¬59 raſcht, aber eben mit einem Ach. Liane gieng zur Mutter und als ſie an der Hand der Ge¬ fälligen ein kleines Schaudern fühlte, drang ſie in ſie, aus der Nachtluft zu gehen und gab nicht eher nach, als bis ſie mit ihr die Zauber¬ ſtätte verließ.

Die Freunde blieben zurück. Nach Alba¬ no's Rechnung wär 'es freilich nicht zu viel geweſen, hätte man ſich in dieſer offenherzigen Zeit, worin unſere heiligern vom gemeinen Tage bedeckten Gedanken ſich wie Steine of¬ fenbaren, bis gegen Morgen auf dem Dache aufgehalten. Beide giengen eine Zeitlang ſchweigend auf und ab. Endlich hielt ſie der Rauchaltar der fünf Blumen feſt. Albano faßte zufällig die nahe Statue mit beiden Händen und ſagte: an hohen Orten will man gern etwas hinabſtürzen ſogar ſich oft. Und hinein in die Welt, in weite ferne Län¬ der möcht' ich mich auch ſtürzen, ſo oft ich in das Nachtroth dort ſchaue und ſo oft ich unter Orangerie-Blüthen komme, wie unter dieſe. Bruder, wie iſt Dir? Der Himmel und die Erde breiten ſich ſo aus: warum ſoll60 denn der Geiſt ſo zuſammenkriechen? Mir iſt eben ſo, (ſagt 'er,) und im Kopf hat der Geiſt überhaupt mehr Gelaß als im Herzen. Aber hier gieng er zart-errathend auf ſchönen Umwegen zur zufälligen Eröffnung über, war¬ um ſeine Schweſter ſo bald hinuntergeeilet.

Bis zum Eigenſinn, (sagt 'er,) treibe ſie die Aufmerkſamkeit für die Mutter das letztemal merkte ſie, daß die Mutter das Er¬ blaſſen unter dem Tanze ſehe, ſofort hörte ſie auf nur ihm zeige ſie das ganze Herz und jeden Blutstropfen und alle unſchuldigen Thrä¬ nen dariu beſonders glaube ſie etwas von der Zukunft, was ſie der Mutter ſorgſam ver¬ decke. Sie lächelte vorhin für ſich, (ſagte Albano und legte auf ſeine Augen Karls Hand,) als ſähe ſie ein Weſen aus der Schleier-Welt droben. Haſt Du das, (verſetzte Karl) auch geſehen? Und dann regte ſie die Lippe? O Freund, Gott weiß, was ſie bethört; aber das iſt gewiß, ſie glaubt feſt, ſie ſterbe künftiges Jahr. Albano ließ ihn nicht weiter ſprechen, zu hef¬ tig aufgeregt drückte er ſich an des Freundes61 Bruſt, ſein Herz ſchlug wild und er ſagte: O Bruder, bleibe ſtets mein Freund!

Sie giengen hinab. Im Zimmer, das an Lianens ihres ſtieß, fanden ſie ihr Pianoforte offen. Wahrlich das wars, was dem Grafen fehlte. In der Leidenſchaft (ſogar im bloßen Feuer des Kopfes) greift man weniger nach der Feder als nach der Saite; und nur in ihr gelingt das muſikaliſche Phantaſiren beſſer, als das poetiſche, Albano ſetzte ſich indem er dem Tonmuſe dankte, daß es vier und vier¬ zig Ausweichungen gebe mit dem Vorhaben an die Taſten, nun eine muſikaliſche Feuer¬ trommel zu rühren und wie ein Sturm in die ſtille Aſche zu brauſen und ein helles Funken - Heer von Tönen aufzujagen. Er thats auch, und gut genug und immer beſſer; aber das Inſtrument ſträubte ſich. Es war für eine weibliche Hand gebauet und wollte nur in weiblichen Tönen, mit Lauten-Klagen reden als eine Freundin mit einer Freundin.

Karl hatt 'ihn nie ſo ſpielen gehört und erſtaunte über die Fülle. Aber die Urſache war, der Lektor war nicht da; vor gewiſſen Men¬62 ſchen und darunter gehörte dieſer gefriert die ſpielende Hand, ſo daß man nur in einem Paar Blechhandſchuhen hin und her arbeitet; und zweitens, vor einer Menge ſpielt ſich's leich¬ ter als vor Einem, weil dieſer beſtimmt vor der Seele haftet, jene aber zerfloſſen. Und noch dazu, beglückter Albano! Du weißt, wer dich hört. Die Morgenluft der Hofnung um¬ flattert dich in Tönen das wilde Jugend¬ leben ſchreitet mit rüſtigen Gliedern und lauten Schritten vor Dir auf und ab das Mond¬ licht, von keinem irrdiſchen groben Lichte verun¬ reinigt, heiligt das tönende Zimmer. Lia¬ nens letzte Geſänge liegen vor dir aufgeſchla¬ gen und der anrückende Mondſchein kann dich ſie bald leſen laſſen und die Nachtigal in der Mutter nahem Zimmer kämpfet, wie von der Tuba ins Feld gerufen, mit deinen Tönen.

Liane trat mit ihrer Mutter erſt ſpät her¬ ein, weil das heftige Ton-Getümmel für beide etwas Hartes und Peinigendes hatte. Er konnte beide ſeitwärts am untern Fenſter ſitzen ſehen und wie Liane die Hand der Mutter hielt. Karl gieng in weiten Schritten nach ſeiner63 Sitte auf und ab und ſtand zuweilen an ihm ſtill. Albano trat in dieſer Nähe der ſtillen Seele bald aus der harmoniſchen Wildniß in mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬ nige Töne ſich wie Grazien und eben ſo leicht verbunden hold bewegen. Der künſtliche Wir¬ war enharmoniſcher Irrlichter iſt nur der Vor¬ läufer der melodiſchen Charitinnen; und nur dieſe allein ſchmiegen ſich an die weicheren See¬ len an. Ihm war bis zur Täuſchung als ſprech 'er laut mit Lianen; und wenn die Töne immer wie Liebende daſſelbe wiederholten vor Innigkeit und Luſt: meinte er nicht Lianen, und ſagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb ich Dich? Fragt' er ſie nicht, was klageſt Du, was weineſt Du? Und ſagt 'er nicht zu ihr: blick in dies ſtumme Herz und flieh' es nicht, o Reine, Fromme, Meine?

Wie erröthet der Gute, als plötzlich der liebkoſende Freund ihm die Hände um die Au¬ gen legte, die bisher ungeſehen im Dunkel, vor Liebe übergefloſſen waren! Karl trat hef¬ tig zur Schweſter und ſie nahm ſelber ſeine Hand und ſagte Worte der Liebe. Dann flüch¬64 tete ſich Albano in die brauſende Wildniß ſo lange, bis die Augen getrocknet waren für den beleuchteten Abſchied langſam ließ er die Wiege unſers Herzens ausſchwanken und ſchloß ſo mild 'und leiſe und verſtummte ein wenig und ſtand langſam auf. O in dieſer jungen ſtummen Bruſt lebte alles, womit die herrlichſte Liebe ſegnen kann!

Sie ſchieden ernſt. Niemand ſprach über die Töne Liane ſchien verklärt Albano wagt 'es in dieſer Geiſterſtunde des Herzens nicht, mit einem Auge, das ſich ſo kurz vorher geſtillet hatte, lang' auf ihren milden blauen zu ruhen. Ihre gerührte Seele drückte ſie wie Mädchen pflegen, blos am Bruder durch eine heiſſere Umarmung aus. Und dem hei¬ ligen Jüngling konnte ſie ſcheidend den Ton und den Blick nicht verhehlen, den er nie vergiſſet.

Er erwachte oft in dieſer Nacht und wußte nicht, was ſein Weſen ſo ſeelig wiege ach der Ton war es, der durch den Schlummer nachklang, und das liebe Auge, das ihn noch in Träumen anblickte.

Zwölf¬65

Zwölfte Jobelperiode.

Froulays Geburtstag und Projekte Extrablatt Rabette die Harmonika die Nacht der fromme Vater die Wundertreppe die Er¬ ſcheinung.

58. Zykel.

Glücklicher Albano! du wäreſt es nicht ge¬ blieben, hätteſt du am Geburtstage des Mini¬ ſters das gehöret, was er da vorbrachte!

Schon ſeit geraumer Zeit war Froulay voll bedenklicher gewitterhafter Zeichen und jede Minute konnte mußte man fürchten der Donnerſchlag aus ihm fahren; er war nämlich munter und mild. So drohet auch bei phlegma¬ tiſchen Kindern große Munterkeit Ausbruch der Pocken. Da er Hausvater war und Deſpot die Griechen hatten für beides nur das WortTitan II. E66Deſpot : ſo erwartete man von ihm als ehe¬ lichem Wettermacher*)Tempestiarii oder Wettermacher hießen im Mit¬ telalter die Hexenmeiſter, welche Ungewitter er¬ regen konnten. Man brauchte in Kirchen Wet¬ tergebete gegen ſie; und andere Hexenmeiſter, die jenen entgegenarbeiteten., er werde die gewöhn¬ lichen Stürme und Ungewitter für die Familie beſorgen. Eheliche Gewittermaterie zum blo¬ ßen Trüben der Ehe kann nie fehlen, wenn man bedenkt, wie wenig ſogar zum Scheiden derſelben gehöret, z. B. bei den Juden blos daß die Frau zu laut ſchreie, das Eſſen an¬ brenne, ihre Schuhe am Platze der männlichen laſſe u. ſ. w.. Noch dazu war manches da, worüber gut zu donnern war; z. B. Liane, an welcher man die Miſſethat des Bruders heim¬ ſuchen konnte, weil dieſer hartnäckig wegblieb und um keine Gnade bat. Man iſt immer gern auf Frau, Tochter und Sohn zugleich un¬ gehalten und lieber ein Land - als Strichregen; Ein Kind kann leichter eine ganze Familie ver¬ ſalzen als verſüßen.

67

Aber Froulay verblieb der lächelnde Jo¬ hannes. Ja trieb ers nicht die Beweiſe hab 'ich ſoweit damit, daß er, da die Toch¬ ter der Prinzeſſin einmal beim Abſchiede um den Hals fiel, anſtatt ihr mit blitzenden Augen vor¬ zuhalten, wie man Vertraulichkeiten bei Höhern nur annehmen, nicht erwiedern, und ſich eben da nicht vergeſſen müſſe, wo ſie ſich vergeſ¬ ſen und anſtatt ernſt zu fragen, ob ſie ihn je in ſeiner wärmſten Liebe gegen den Fürſten wider die déhors habe verſtoßen ſehen daß er, ſag' ich, anſtatt dieſes hagelnd und ſtürmend zu thun, dieſesmal blos in die ſchönen Worte aus¬ brach: Kind, Du meinſt es zu gut mit Dei¬ ner vornehmen Freundin; frage Deine Mut¬ ter, ſie weiß auch was freundſchaftliche liaisons ſind.

Blos Liane obwohl ſo oft von dieſer Meerſtille hintergangen war voll unſäglicher Hofnung und Freude über den häuslichen Frie¬ den und glaubte Beſtand, zumal in der Nähe des väterlichen Geburtstages, dieſer Olympiade und Normalzeit, wornach das Haus vieles rechnete. Das ganze Jahr lauerte der MiniſterE 268auf dieſen Tag, um am Morgen, wenn die Wünſche kamen, das ſichtbare Vergeſſen deſſel¬ ben nicht zu vergeſſen, ſondern darüber zu er¬ ſtaunen, die Geſchäfte machens, ſagt 'er und um Abends, wenn die Gäſte kamen der Geſchäfte wegen dinir' er nie, ſagt 'er er¬ ſtaunen zu laſſen. Er war wechſelnd der An¬ beter und der Bilderſtürmer der Etiquette, ihre Miniſterial - und Oppoſizionspartei, wie es ge¬ rade ſein Schimmer gebot.

Liane drang ſo lange in den Bruder, bis er den Vater mit etwas zu erfreuen verſprach; er machte dazu ein Familienſtückchen, worein er die ganze Beicht-Nacht zwiſchen ſich und Al¬ bano einſchob, nur daß er Albano in eine Schweſter verkehrte. Gern lernte Liane noch dieſe Rolle für den Geburtstag ein, ob ſie gleich die blühende Weſte lieferte.

Der Miniſter nahm die Weſte, den Haupt¬ mann und deſſen Komödienzettel des abendli¬ chen Spiels wider Vermuthen gütig auf; da er ſonſt wie einige Väter deſto lauter knur¬ te, je öfter ihn die Kinder ſtreichelten. Er tanzte69 wie ein Polacke*)Die pohlniſchen Tänzer tragen immer eine Peitſche unter dem Pelze, damit die Tänzerin durch die Schläge entſchuldigt iſt, wenn ſie mit ihm fehlet. Oberſchleſ. Monatsſchrift, 1ſtes St. Jul. 1788. ganz aufgeräumt mit ſei¬ ner Familie dahin und verſteckte die Peitſche feſt unter den Pelz. Es gieng ihm jetzt nichts Schlimmers im Kopfe herum als blos die Frage, wo das Liebhabertheater am beſten, ob im Sa¬ lon de lecture oder ob im Salon der bains do¬ mestiques aufzuſchlagen; denn beide Säle wa¬ ren ganz von einander und von andern Zim¬ mern durch die Namen unterſchieden.

Der Tag kam. Albano, deſſen Einladung Karl ertrotzen müſſen, weil der Miniſter ſeinen Stolz haſſete aus Stolz, brachte leider den Ton in ſeiner Seele mit, den ihm das letztemal Liane nach Hauſe gegeben. Seine Hofnung hatte bisher von dieſem Tone gelebt. O ver¬ denkts ihm nicht! Das luftige Nichts eines Seufzers trägt oft eine Schäferwelt oder einen Orkus auf dem Ephemeren-Flügel. Alles Wich¬70 tige iſt wie ein Fels auf einen Punkt zu ſtel¬ len, wo es ein Kinderfinger drehen kann.

Aber der Ton war verklungen. Liane wußt 'es gar nicht anders, als daß man unter der Viſitengemeinde deren moraliſche Pneu¬ matophobie*)Geiſterſcheu. ſie nicht einmal ganz kannte vor jede betende Empfindung den Kirchenfächer halten müſſe.

Logen, Parterre und Groſchengallerie wur¬ den faſt um die gewöhnliche Schauſpielszeit mit ſtiftsfähigen Gratulanten verziert und aus¬ gefüllt. Der deutſche Herr ragte ſehr hervor durch den reichen Trotz ſeiner Verhältniſſe. Von der Viſitenkompagniegaſſe kann im Durch¬ gehen nur angemerkt werden, daß in ihr und im antiphlogiſtiſchen Syſtem der Sauerſtoff die Hauptrolle ſpielte, welchen aber weniger die Lunge abſchied als das Herz.

Als der Vorhang auseinander gieng und Roquairol jene Nacht der Vergebung und Ent¬ zückung noch feuriger wieder vorbeiführte als ſie geweſen war; als dieſe träumeriſche Nach¬71 äffung erſt die rechte Wirklichkeit ſchien: wie glühend und tief brannt 'er ſich dadurch in ſei¬ nes Freundes Seele ein! (Guter Albano! Dieſe Kunſt, ſein eigner révenant, ſein Vexir - und After-Ich zu werden, und die Prachtausgabe des eignen Lebens nachzudrucken, hätte Dir klei¬ nere Hofnungen verſtatten ſollen!) Der Graf mußte in der ernſthafteſten Sozietät, die je um ihn ſaß, ausbrechen in ein unſchickli¬ ches Weinen. Und warum legte Karl Al¬ bano's Worte in jener Nacht der zauberiſch¬ gerührten Liane in den Mund und machte die Liebe durch ſo viele Reize groß bis zum Schmerz?

Selber der deutſche Herr gab Lianen, die¬ ſem weiſſen Schwan, der erröthend durch das Abendroth des Phöbus ſchwamm, mehrere laute und dem Grafen verdrüßliche Zeichen des Beifalls. Der Miniſter war hauptſächlich froh, daß das alles zu ſeiner Ehre vorfalle und daß die Pointe des letzten Aktes, ihm noch einen ganz beſondern epigrammatiſchen Lorbeerkranz auf den Scheitel werfen müſſe.

Er überkam den Kranz. Das Kinder¬72 paar wurde von der anweſenden Erlanger Litte¬ raturzeitung und von der bellettriſchen ſehr günſtig rezenſirt und mit Kronen überdeckt, mit edlen Märtyrerkronen. Der deutſche Herr hatte und brauchte das laute Recht, die Krönung und den Kronwagen anzuführen. Niedriger Menſch! warum dürfen deine Käfer-Augen über die hei¬ ligen Roſen, welche die Rührung und die Ge¬ ſchwiſter-Liebe auf Lianens Wangen pflanzt, nagend kriechen? Aber wie noch viel mun¬ terer wurde der alte Herr ſo daß er mit den älteſten Damen badinirte , als er den Ritter ſein Intereſſe an Lianen nicht phan¬ taſtiſch oder ſentimentaliſch, ſondern durch ſtil¬ les ſtetes Nähern und verſtändige Aufmerkſam¬ keit, durch Scherze und Blicke und kluges An¬ reden und endlich durch etwas Entſcheidendes herrlich an den Tag geben ſah? Der deut¬ ſche Herr zog nämlich den alten in ein Kabinet hinein und beide kehrten heftig-belebt daraus zurück.

Die einſame ins eigne Herz verſenkte Liane flüchtete vom Giftbaum des Lorbeers weg zur erquickenden Mutter. Liane hatte mitten in73 den ſtürmiſchen Mühlengängen täglicher Aſſem¬ bleen eine leiſe Stimme und ein zartes Ohr be¬ halten und der Tumult hatte ſie eingezogen und faſt ſcheu gelaſſen.

Die ſchöne Seele errieth ſelten etwas eine ſchöne Seele ausgenommen ; ſo leicht ihr Ebenbild, ſo ſchwer ihr Gegenbild. Bouve¬ rots Annäherungen ſchienen ihr die gewöhnli¬ chen Vor - und Seitenpas der männlichen Höf¬ lichkeit; und ſein Ritter-Zölibat erlaubte ihr nicht, ihn ganz zu verſtehen: prangen nicht die Lilien der Unſchuld früher als die Roſen der Scham, wie die Purpurfarbe anfangs nur bleich färbt und erſt ſpäter roth anglüht, wenn ſie vor der Sonne liegt? Sie hielt ſich die¬ ſen Abend der Mutter nahe, weil ſie an ihr einen ungewöhnlichen Ernſt wahrnahm.

Als Froulay das Geburtstag-Kränzchen, worin mehr Stacheln und Stiele als Blumen ſteckten, oder das Dornenkrönchen von ſeinem Kopfe heruntergethan hatte und in der Nacht¬ mütze unter ſeiner Familie ſtand: macht 'er ſich an das Geſchäft, worauf er den ganzen Abend geſonnen hatte. Täubchen (ſagt' er zur Toch¬74 ter) und entlehnte einen guten Ausdruck aus der Baſtille*)So nannten ihre Schließer die Gefangnen. Täubchen, laſſe mich und Guillemette allein. Er entblößte jetzt das Ober-Gebiß durch ein eignes Grinſen und ſagte, er hab 'ihr wie er hoffe etwas Angeneh¬ mes zu hinterbringen. Sie wiſſen (fuhr er fort) was ich dem deutſchen Herrn ſchuldig bin Er meinte nicht Dank, ſondern Geld und Rückſicht.

Man will es ſehr preiſen an der Familie der Quinzier**)Alexand. ab Al. V. 4., daß ſie nie Gold beſeſſen; ich führe ohne tauſend andere Familien aufzuſtellen, von denen daſſelbe zu beſchwören iſt nur die Froulayſche an. Ge¬ wiſſe Familien haben wie Spiesglas durchaus keine chemiſche Verwandtſchaft mit dieſem Me¬ tall, wenn ſie auch wollten; wahrlich Frou¬ lay wollte; er ſah ſehr auf ſeinen Vortheil (auf etwas anderes nicht), er ſetzte (obwohl nur in Kolliſionsfällen) gern Gewiſſen und Ehre bei Seite; aber er brachte es zu nichts als zu gro¬75 ßen Ausgaben und großen Projekten, blos weil er das Geld nicht als Endzweck des Geizes, ſondern nur als Mittel des Ehrgeizes und der Thätigkeit ſucht. Sogar für einige Gemälde, die Bouverot für den Fürſten in Italien ge¬ kauft, war er jenem noch den Kaufſchilling ſchuldig, den er von der Kammer erhoben. Durch ſeine Schuldbriefe ſtand er wie durch Zirkelbriefe in ausgebreiteten Verbindungen. Er hätte gern ſeinen Ehekontrakt in einen Schuldbrief umgeſchrieben und mit der Mini¬ ſterin wenigſtens die innigſte Gemeinſchaft der Güter gehabt; denn unter den jetzigen Umſtänden gränzten Scheidung und Konkurs nachbarlich an einander ; aber wie geſagt, manche Menſchen haben bei den beſten Kral¬ len wie der Adler des römiſchen Königs*)Um ſich von dem Adler des Kaiſers zu unter¬ ſcheiden, der in beiden Fängen etwas hält. nichts darin.

Er fuhr fort: Jetzt höret dieſe Gêne viel¬ leicht auf. Haben Sie bisher Beobachtungen über ihn gemacht? Sie ſchüttelte. Ich,76 (verſetzt 'er,) ſchon lange und ſolche, die mich wahrhaft ſoulagirten; j'avois le nez bon quant à cela er hat reelle Neigung für meine Liane.

Die Miniſterin konnte keinen Verfolg er¬ rathen und bat ihn mit verdecktem Erſtaunen, zur angenehmen Sache zu kommen. Komiſch rang auf ſeinem Geſicht der freundliche Schein mit der Erwartung, er werde ſich ſogleich er¬ boßen müſſen; er verſetzte: Iſt Ihnen das keine? Der Ritter meint es ernſthaft. Er will ſich jetzt mit ihr heimlich verloben; nach drei Jahren tritt er aus dem Orden und ihr Glück iſt gemacht. Vous étes je l'espere pour cette fois un peu sur mes interêts, ils sont les vôtres.

Ihr ſo ſchnell und tief getroffenes Mutter¬ herz weinte und konnte kaum verhüllet werden. H. v. Froulay! (ſagte ſie nach einiger Faſ¬ ſung) ich verberge mein Erſtaunen nicht. Eine ſolche Ungleichheit in den Jahren in den Neigungen in der Religion*)Bouverot war katholiſch.

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Das iſt des Ritters Sache, nicht unſere, verſetzt 'er erquickt von ihrer entrüſteten Ver¬ wirrung und warf wie das Wetter in ſeiner Kälte nur feinen ſpitzen Schnee, keinen Hagel. Was Lianens Herz anlangt, dieſes bitt' ich Sie eben zu ſondiren. O dieſes fromme Herz? Sie perſifliren! Posito! deſto lieber wird das fromme Herz ſich fügen, um das Glück des Vaters zu machen, wenn ſie nicht die größte Egoiſtin iſt. Ich möchte die gehorſame Tochter nicht gern zwingen. N'épuisés pas ce chapitre; mon coeur est en presse. Es wird ihr das Leben koſten, das ohnehin an ſo ſchwachen Fäden hängt. Dieſe Erwähnung ſchlug allezeit Zorn¬ feuer aus ſeinem Kieſel: tant mieux, (ſagt ' er) ſo bleibt es bei der Verlobung! hätt' ich bald geſagt sacre ! Und wer iſt daran Schuld? So gehts mir mit dem Haupt¬ mann auch; anfangs verſprechen meine Kin¬ der alles, dann werden ſie nichts. Aber, Madame, (indem er ſich ſchnell und giftig zu¬ ſammenfaßte und ſtatt ſeiner Lippen und Zäh¬ ne blos die Gehörwerkzeuge eines ſchlafenden78 Schooßhundes mäßig drückte,) Sie allein wiſ¬ ſen ja alles durch Ihren Einfluß auf Liane zu dreſſiren und zu redreſſiren. Sie gehorcht Ihnen vielleicht noch eher als mir. Ich werde dann nicht bei dem Ritter kompromittirt. Die Vortheile detaillir 'ich nicht weiter. Seine Bruſt wurde hier ſchön erwärmt unter dem Geierfell der Entrüſtung.

Aber die edle Frau ſtand jetzt unwil¬ lig auf und ſagte: Herr von Froulay! Bis jetzt ſprach ich nicht von mir Nie werd ' ich es rathen, oder billigen, oder zulaſſen; ich werde das Gegentheil thun. H. v. B. iſt meiner Liane nicht würdig.

Der Miniſter hatte während der Rede mehrmals mit der Lichtſcheere ohne Noth über den Wachslichtern zugeſchnappt und nur die Flammenſpitze geköpft; die fixe Luft des Zorns ſtrich jetzt die Roſen ſeiner Lippen (wie die chemiſche die botaniſchen) blau an. Bon! (verſetzt 'er. ) Ich verreiſe; Sie können darüber reflechiren aber ich gebe mein Eh¬ renwort, daß ich nie in irgend eine andere Parthie konſentire, und wäre ſie (wobei er die79 Frau ironiſch anſah) noch anſehnlicher*)Er meinte eine mit dem armen Lektor. als die eben projektirte entweder das Mädchen gehorcht, oder ſie leidet decidés! Mais je me fie à l'amour que vous portés au pere, et à la fille; vous nous rendrés tous assés contens. Und dann zog er fort nicht als Ge¬ witter ſondern als Regenbogen, den er aus der achten Farbe allein verfertigte, aus der ſchwar¬ zen und zwar mit den Augenbraunen.

Nach einigen mit der Mutter und Toch¬ ter zürnenden Tagen reiſete er als Luigi's Ge¬ ſchäftsträger nach Haarhaar zur fürſtlichen Braut. Die bedrängte Mutter vertrauete ih¬ rem älteſten und einzigen Freunde, dem Lektor, das trübe Geheimniß. Beide hatten jetzt ein reines Verhältniß der Freundſchaft gegen ein¬ ander, das in Frankreich durch die höhere Ach¬ tung für die Weiber häufiger iſt. In den er¬ ſten Jahren der miniſterialiſchen Zwangsehe, die nicht mit Morgenthau ſondern mit Mor¬ genreif anbrach, flatterte vielleicht der Dämme¬ rungsvogel, Amor, ihnen nach; aber ſpäter80 vertrieben die Kinder dieſe Sphinx. Über die Mutter wird oft die Gattin verſchmerzt. Sie nahm daher mit der ihr eignen kalten und kla¬ ren Stärke alles Schwankende in ihrem Ver¬ hältniß gegen Auguſti auf immer weg; und er machte ihr die Feſtigkeit durch die ſeinige leich¬ ter, weil er bei mehr Ehr - als Weiber-Liebe über kein Flechtwerk röther wurde, als über das eines Korbes und irrig glaubte, ein Em¬ pfänger habe ſich ſo zu ſchämen wie eine Empfängerin.

Der Lektor konnte vorausſehen, daß ſie auch nach ihrer Eheſcheidung die ſie nur Lianens wegen verſchob ſchon darum unver¬ bunden bleiben werde, um ihrer Tochter ein Al¬ lodialgut, Kloſterdorf, für deſſen Vorbehaltung ſie nun 21 Jahre lang den Sturmbalken und Sichelwagen und Doppelhaken des alten Mi¬ niſters blosgeſtanden, nicht zu entziehen. Ob ſie einem ſo feſten und zarten Manne, der in nichts von ihr abwich als in der Welt-Kälte gegen poſitive Religion, nicht ihre theuere Liane ſelber ſchweigend zudenke, iſt eine an¬ dere und ſchönere Frage. Eine ſolche Wechſel¬gabe81gabe wäre einer ſolchen Mutter und Freundin würdig, die aus ihrem Herzen wußte, daß Zart - und Ehrgefühl zuſammen einer geliebten Seele ein feſteres Glück bereiten als die Genie¬ liebe, dieſer Wechſel von fliegender Hitze und fliegender Kälte, dieſes Feuer, das wie das elek¬ triſche ſtets zweimal zertrümmert, bei dem An¬ fliegen und bei dem Abſpringen. Der Lektor ſelber warf jene Frage nicht auf; denn er machte nie unſichere, kecke Plane; und wel¬ cher wär 'es mehr geweſen als der einer ſol¬ chen Verbindung bei ſeiner Armuth oder bei ei¬ nem ſolchen Schwiegervater in einem Lande, wo wie in Churſachſen ein ſo wohlthätiges Ge¬ ſetz ( für die Eltern) ſogar eine vieljährige Ehe, die kein elterlicher Conſens geſchloſſen, wieder abbeſtellen kann?

Mit naſſen Augen zeigte die Miniſterin ihm die neuen Sturmwolken, die wieder über ſie und ihre Liane heraufſtiegen. Sie konnte auf ſein feines Auge für die Welt, auf ſeine ſtumme Lippe und auf ſeine gewandte Hand für Geſchäfte bauen. Er ſagte wie immer das hab 'er alles vorausgeſehen; bewies ihrTitan II. F82aber, daß Bouverot ſein Ritterkreuz ſchon aus Habſucht nie gegen den Ehering vertau¬ ſchen werde, welche Abſichten er auch auf Lianen nähre. Er ließ ſie, ſo weit es die Schonung für ihre wunden Verhältniſſe vertrug, es erra¬ then, bis zu welchem Grade von Bereitwillig¬ keit für Bouverots Wünſche gerade Lianens zerbrechliches Leben den Miniſter locken könne, um es abzuernten, bevor es abblühe. Denn Froulay brachte Zumuthungen gegen die Ehre behender die Kehle hinab als Verletzungen ſei¬ ner Eitelkeit, wie der Waſſerſcheue leichter der¬ be Brocken als Flüſſiges. Doch klang das al¬ les der Miniſterin nicht ſo unmoraliſch-hart als Leſer aus den mittlern Ständen denken möchten; ich berufe mich auf die vernünftigern aus den höhern.

Auguſti und die Miniſterin ſahen, man müßte in der Abweſenheit des Miniſters doch etwas für Liane thun; und beide trafen wun¬ derbar im Projekte zuſammen. Liane muß aufs Land in dieſer ſchönen Zeit ſie muß ihre Geſundheit rüſten für die Kriege der Zu¬ kunft ſie muß den Beſuchen des Ritters ent¬83 zogen ſeyn, die nun der Geburtstag vervielfäl¬ tigen wild der Miniſter muß ſogar ge¬ gen den Ort nichts einzuwenden haben. Und wo kann dieſer liegen? Blos unter dem Dache des Direktors Wehrfritz, der den deutſchen Herrn nicht ausſtehen kann, weil er ſein vergiftendes Verhältniß zum Fürſten weiß. Aber freilich ſind vorher noch andere Berge zu überſteigen als der nach Blumenbühl.

Selber der Leſer muß jetzt über einen nie¬ drigen hinüber; und der iſt ein kurzes komi-tra¬ giſches Extrablatt

über den grünen Markt mit Töchtern. Folgendes iſt gewiß: jeder Inhaber einer ſehr ſchönen oder ſehr reichen Tochter verwahrt gleichſam einen Pit unter dem Dach, der ihm ſelber unbrauchbar iſt und den er erſt nach lan¬ gem Ruhen einem Regenten*)Ich meine nicht (wie es etwa aus dem Ver¬ kaufen ſcheint) Pit den Miniſter, ſondern Pit den Diamanten, den der Vater des jetzigen dem Herzog Regenten von Frankreich verhandelte und für deſſen Splitter er noch 12000 Dukaten bekam. verkaufenF 284muß. Genau und merkantiliſch geſprochen ſind Töchter eigentlich kein Handelsartikel denn die elterlichen Großavanturhändler kann nie¬ mand mit jenen Trödlerinnen und Ständel¬ oder Fratſchlerweibern vermengen, deren Tran¬ ſitohandel man nicht gern nennt ſondern eine Aktie, mit der man in einer Südſee ge¬ winnt, oder eine Scholle, womit man das Grundſtück ſymboliſch (scotatione) übergiebt. Je ne vends que mes paysages et donne les figures par dessus le marché*)Ich verkaufe bloß die Landſchaften und gebe die Figuren zum Kauf darein., ſagte Claude Lorraine, wie ein Vater und konnt 'es leicht, weil er durch andere die Figuren in ſeine Landſchaften malen ließ ; eben ſo wer¬ den nur die Ritterſitze in den Kauf - oder Ehe¬ kontrakt geſetzt und die Braut, die auf jenen ſitzt, darein gegeben. Eben ſo höher hinauf iſt eine Prinzeſſin blos ein blühender Zweig, den ein fürſtlicher Sponſus nicht der Früchte wegen, ſondern weil ſich ein Bienenſchwarm85 von Land und Leuten daran angelegt, ab¬ nimmt und nach Hauſe trägt.

Hat ein Vater wie unſer Miniſter nicht viel, ſo kann er die Kinder, wie die Ägyp¬ ter die Eltern (nämlich die Mumien davon) als Schuld - und Fauſtpfänder oder Reichs¬ pfandſchaften, die man nicht einlöſet, einſetzen.

Jetzt hat ſich der Kaufmannsſtand, der ſonſt nur fremde Produkte vertrieb, auch dieſes Handelszweigs bemächtigt; mich dünkt aber, er hätte in ſeinem untern Kaufgewölbe Spiel¬ raum genug, eigennützig und verdammt zu werden, ohne die Treppe hinaufzuſteigen zur Tochter. In Guinea darf nur der Adel han¬ deln; bei uns iſt ihm faſt aller Handel, au¬ ßer dem kleinen mit den Töchtern und den übri¬ gen wenigen Dingen, die auf den eignen Gü¬ tern wachſen, abgeſchnitten und verwehrt; da¬ her hält er ſo feſt auf dieſe Handelsfreiheit und die Nobleſſe ſcheint hier ein für dieſen zarten Handelszweig verbundne Hanſa zu ſeyn; ſo daß man gewiſſermaßen den erhabnen Stand mit dem erhabnern im eigentlichen Sinn vergleichen mag, den in Rom verkäufliche86 Leute beſteigen mußten*)Plaut. Bach. Act. 4. Scen. 7. 4. 16. 17., um beſehen zu werden.

Es iſt eine gemeine Einwendung ſogenann¬ ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen Verhandlungen die Liebe ſehr ſperren oder gar ſprengen; indeß ihr wohl nichts ſo ſehr vorar¬ beitet als eben dies. Denn iſt nur der Handel geſchloſſen und vom Buchhalter (dem Pfarrer) ins Hauptbuch eingetragen: ſo tritt ja die Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und verſorgen darf, nämlich die ſchöne Zeit nach der Heirath, die allgemein in Frankreich und Italien und allmählig auch in Deutſchland als die ſchicklichere angenommen wird, wo ein weib¬ liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬ wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬ nezianiſche, aus einem merkantiliſchen ein ero¬ bernder. Auch den Gemahl ſelber unterbricht das kurze Handlungsgeſchäft ſo wenig nach - als vorher in ſeiner Liebe; nur tritt jetzt wie in Nürnberg dem Juden eine alte Frau un¬ ſerem immer eine junge nach. Ja oft faſſet der87 eheliche Handels-Mann ſelber Neigung für das heimgeführte Subjekt welches ein ungemeines Glück und wie Moſes Mendelsſohn mit dem ſeidnen Waaren-Bündel unter dem Arm ſeine Briefe über die Empfindungen ausſann, ſo meditiren beſſere Männer unter dem Han¬ del Liebesbriefe an den Handelszweig und han¬ deln mit der Jungfrau wie Kaufleute in Meſſina*)7ter Theil der neuen Sammlung der Reiſe¬ beſchreibungen. mit der heiligen in Compagnie; aber freilich ſolche profitable Verbindungen der Liebe mit Geſchäften bleiben ſeltene Vögel und ſind wenig zu prätendiren.

Das Vorige ſchrieb ich für Eltern, die gern ſcherzen mit kindlichem Glück; ich will jetzt aus ihrem und meinem Scherz Ernſt ma¬ chen. Ich frage euch erſtlich über euer Recht, moraliſchen freien Weſen die Neigungen oder gar den Schein derſelben vorzuſchreiben, und durch Eine Machthandlung den giftigen Blei - Zepter über ein ganzes freies Leben auszuſtrek¬ ken. Eure zehn Lehrjahre des Lebens mehr88 machen ſo wenig einen Unterſchied in der ge¬ genſeitigen Freiheit als Talent oder ſein Man¬ gel. Warum befehlt ihr denn Töchtern nicht eben ſo gut Freundſchaft auf Lebenslang? Warum übt ihr bei der zweiten Ehe nicht daſ¬ ſelbe Recht? Aber ihr habt eben keines zu ver¬ werfen, ausgenommen in der minorennen Zeit, wo das Kind noch keines hat, zu wählen. Oder fodert ihr für die Erziehung zur Freiheit beim Abſchiede als Ehrenſold das Opfer der Freiheit? Ihr thut als hättet ihr erzogen, ohne ſelber erzogen zu ſeyn, indeß ihr blos eine ſchwere geerbte Schuld, die ihr an eure Eltern nie bezahlen könnt, an eure Kinder abtragt; und ich kenne hierin nur Einen unbe¬ zahlten Gläubiger, den erſten Menſchen, und nur Einen inſolventen Schuldner, den letzten. Oder ſchützet ihr euch noch mit dem barbari¬ ſchen unmoraliſchen römiſchen Vorurtheil, das Kinder als weiße Neger der Eltern feilbietet, weil die frühere erlaubte Gewalt über das nicht-moraliſche Weſen ſich hinter der Allmäh¬ ligkeit ſeiner Entwicklung unbemerkt als eine über das moraliſche herüberſchleicht?

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Dürft ihr aus Liebe Kinder zu ihrem Glück, ſo dürfen ſie ſpäter eben ſo gut aus Dankbar¬ keit euch zu eurem zwingen. Aber was iſt denn das Glück, wofür ſie ihr ganzes Herz mit allen ſeinen Träumen wegwerfen ſollen? Mei¬ ſtens eures; eure Beleuchtung und Bereiche¬ rung, eure Feind - und Freundſchaften ſollen ſie mit dem Opfer des Innerſten büßen und kaufen. Dürft ihr eure ſtillen Vorausſetzungen zum Glück einer Zwangsehe laut bekennen, z. B. die Entbehrlichkeit der Liebe in der Ehe, die Hofnung eines Todesfalles, die vielleicht dop¬ pelte Untreue ſowohl gegen den ehelichen Käu¬ fer als gegen den außer-ehelichen Geliebten? Ihr müſſet Sünderinnen*)Ich ſpreche mehr von Töchtern, weil dieſe die gewöhnlichſten und größten Opfer ſind; die Söhne ſind unblutige Meßopfer. vorausſetzen, um nicht Räuber zu ſeyn.

Thut mir nicht dar, daß Neigungsehen oft ſchlecht und Zwangsehen oft gut genug ausge¬ fallen, wie an Hernhutern, Germanen und Orientalern zu erſehen. Nennt mir ſonſt lieber90 alle barbariſche Völker und Zeiten her, worin, weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬ rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet als einen glücklichen Mann. Niemand ſteht nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz wird endlich ſprachlos; neue Wunden ſchwä¬ chen das Bluten der älteſten. Ferner: am Mißgeſchick der Neigungs-Ehen iſt eben ihr Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬ ten Schuld. Ferner: jede Zwangs-Ehe iſt ja meiſtens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬ lich: die beſten Ehen ſind im mittlern Stand, wo mehr die Liebe, und die ſchlechteſten in den hö¬ hern, wo die Rückſicht bindet; und ſo oft in dieſen ein Fürſt blos mit ſeinem Herzen wählte, ſo erhielt er eines und er verlor und betrog es nie.

Welches iſt denn nun die Hand, in welche ihr ſo oft die ſchönſte, feinſte, reichſte, aber wi¬ derſträubende preſſet? Gewöhnlich eine ſchwarze, alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche oder ſteigende Libertins haben zu viel Kennt¬ niß, Sättigung und Freiheit, um ſich an¬ dere Weſen zu ſtehlen als die herrlichſten; die91 minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬ heim. Aber wie niedrig iſt ein Mann, der ver¬ laſſen vom eignen Werth, blos vom fremden Machtgebot beſchützt, ſein Glück bezahlend mit einem geſtohlnen, nun die unbeſchirmte Seele von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬ ges kaltes Leben wegſchleppen und ſie in ſeine Arme wie in froſtige Schwerter drücken und ſie darin ſo nahe an ſeinem Auge blutend erblei¬ chen und zucken ſehen kann! Der Mann von Ehre giebt ſchon erröthend, aber er nimmt nicht erröthend; und der beſſere Löwe, der thie¬ riſche, ſchonet das Weib*)Plin. H. N. VIII. 16.; aber dieſe Seelen¬ einkäufer erpreſſen vom bezwungnen Weſen noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit.

Mutter des armen Herzens, das du durch Unglück beglücken willſt, höre du mich! Ge¬ ſetzt deine Tochter härte ſich ab gegen das auf¬ gedrungene Elend: haſt du ihr nicht den reichen Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht und ihr daraus die glückſeeligen Inſeln der Liebe genommen und alles was auf ihnen92 blüht, die ſchönen Tage, wo man ſie betritt und das ewige frohe Umſehen nach ihnen, wenn ſie ſchon tief im Horizonte mit ihren blü¬ henden Gipfeln liegen? Mutter, war dieſe frohe Zeit in deiner Bruſt, ſo nimm ſie der Tochter nicht; und war ſie dir grauſam entzo¬ gen, ſo denk 'an deinen bitterſten Schmerz und erb' ihn nicht fort.

Geſetzt ferner, ſie macht den Entführer ih¬ rer Seele glücklich, rechne nun, was ſie für den Liebling derſelben geweſen wäre und ob ſie dann nichts verdiene als den zu ihr von Einer Gefängnißthüre auf immer eingeſchloſſenen Ker¬ kermeiſter zu ergötzen? Aber ſo gut iſt's ſelten; du wirſt ein doppeltes Mißgeſchick auf deine Seele häufen, den langen Schmerz der Tochter, das Erkalten des Gatten, der ſpä¬ ter die Weigerungen fühlt und rügt. Du haſt die Zeit verſchattet, wo der Menſch am erſten Morgenſonne braucht, die Jugend. O macht lieber alle andere Tageszeiten des Le¬ bens trübe, ſie ſind ſich alle ähnlich, das dritte, und das vierte und fünfte Jahrzehend nur bei Sonnenaufgang laſſet es nicht ins Le¬93 ben regnen; nur dieſe einzige, nie umkehrende, unerſetzliche Zeit verfinſtert nicht.

Aber wie, wenn du nicht blos Freuden, Verhältniſſe, eine glückliche Ehe, Hofnungen, eine ganze Nachkommenſchaft für deine Plane und Befehle opferteſt, ſondern das Weſen ſel¬ ber*)Und das iſt durchaus wahrſcheinlich. D. Eduard Hill berechnete, daß in England jährlich 8000 an der unglücklichen Liebe am gebrochnen Herzen, wie die Engländerinnen rührend ſa¬ gen ſterben. Beddoes erweiſet, daß die vegetabiliſche Koſt und dieſe lieben gerade dieſe Weſen die Schwindſucht nähre und daß die weiblichen ſich zu dieſer neigen. Noch dazu fallen die Zeiten der Sehnſucht, die ſchon ohne Fehlſchlagen, wie das Heimweh zeigt, eine ver¬ giftend-herumziehende Bleikugel iſt, in die Ju¬ gend ein, wo der Same der Bruſtkrankheiten am leichteſten aufgeht. O manche fallen in der Ehe unter falſchen Auslegungen vor dem Todes¬ engel, dem ſie vor ihr das Schwert geſchärft und gegeben., das du zwingſt? Wer kann dich recht¬ fertigen oder deine Thränen trocknen, wenn die94 beſte Tochter denn gerade dieſe wird gehor¬ chen, ſchweigen und ſterben, wie den Mönchen von La Trappe ihr Kloſter niederbrennt, ohne daß einer das Gelübde des Schweigens bricht*)Forſters Anſichten. I B. wenn ſie, ſag 'ich, wie eine Frucht halb vor der Sonne halb im Schatten, nach außen hin blüht und nach innen kalt erbleicht, wenn ſie, ihrem entſeelten Herzen nachſterbend, dir end¬ lich nichts mehr verhehlen kann, ſondern Jahre lang die Bläſſe und die Schmerzen des Unterganges mitten im Aufgange des Lebens herumträgt und wenn du ſie nicht tröſten darfſt, weil du ſie zerſtöret haſt und dein Ge¬ wiſſen den Namen Kindermörderin nicht ver¬ ſchweigt und wenn nun endlich das ermü¬ dete Opfer vor deinen Thränen daliegt und das ringende Weſen ſo bang und früh, ſo matt und doch lebensdurſtig, vergebend und klagend mit brechenden und ſehnſüchtigen Blicken pein¬ lich-verworren und ſtreitend in den bodenloſen Todesfluß mit den blühenden Gliedern unter¬ ſinkt: o ſchuldige Mutter am Ufer, die du ſie95 hineingeſtoßen, wer will dich tröſten? Aber eine ſchuldloſe würde ich rufen und ihr das ſchwere Sterben zeigen und ſie fragen: ſoll dein Kind auch ſo untergehen?

59. Zykel.

Es war ein romantiſcher Tag für Zeſara, ſogar von außen; Sonnenfunken und Regen¬ tropfen ſpielten blendend durch den Himmel. Er hatte einen Brief von ſeinem Vater aus Madrid bekommen, der auf den gedrohten Tod ſeiner Schweſter endlich das ſchwarze Sie¬ gel der Gewißheit drückte und worin nichts An¬ genehmes war als die Nachricht, daß Don Gaſpard mit der Gräfin de Romeiro, deren Vormundſchaft er nun ſchließe, in dem Herbſte (dem italieniſchen Frühling) nach Italien gehe. Zwei Töne waren ihm aus der Tonleiter der Liebe geriſſen, er erfuhr nie, wie man einen Bruder liebe und eine Schweſter. Das Zu¬ ſammentreffen ihrer Sterbenacht mit der Tar¬ tarus-Nacht, dieſes ganze Einkrallen in die heiligen Bilder und Wünſche ſeines Herzens em¬ pörte ſeinen Geiſt und er fühlte zornig, wie ohnmächtig eine ganze antaſtende Welt Lia¬96 nens Bild in ihm wegzurücken ſuche; und fühl¬ te wieder ſchmerzlich, daß eben dieſe Liane ſel¬ ber an ihr nahes Vergehen glaube.

So fand ihn eine unerwartete Einladung von der Miniſterin ſelber Sonnen¬ funken und Regentropfen ſpielten auch in ſei¬ nem Himmel. Er flog; im Vorzimmer ſtand der Engel, der die ſechs apokalyptiſchen Siegel erbrach Rabette. Sie war ihm ent¬ gegen gelaufen aus Scheu vor der Geſellſchaft und hatt 'ihn früher umarmt als er ſie. Wie gern ſah er ins bekannte redliche Angeſicht! Mit Thränen hört' er den Namen Bruder, da er heute eine Schweſter verloren!

Die Urſache ihrer Erſcheinung war dieſe: als der Direktor das letztemal bei der Mi¬ niſterin war; hatte dieſe mit leichter verdeck¬ ter Hand ſeiner Tochter zur Kenntniß des leeren Stadtlebens und zur Veränderung ihr Haus geöffnet, um künftig an ſeines für ihre klopfen zu dürfen. Er ſagte, er ſpe¬ dir 'ihr den weiblichen Wildfang mit Freuden. Und da ihm in Blumenbühl Rabette Nein, dann Ja, dann Nein, dann Ja geantwortetund97und ſie mit der Mutter noch vor Mitter¬ nacht eine Reichskammergerichts-Reviſion, einen Münzprobazions-Tag über alles gehalten hat¬ te, was ein Menſch vom Land anziehen kann in der Stadt: ſo packte ſie dort auf und hier ab.

Ach ich fürchte mich drinnen, (ſagte ſie zu Albano,) ſie ſind alle zu geſcheut und ich bin nun ſo dumm! Er fand außer dem Fa¬ milienkleebat noch die Prinzeſſin und die kleine Helena aus Lilar, dieſes ſchöne Medaillon ei¬ nes ſchönen Tages für ſein gerührtes Herz. Un¬ beſchreiblich ergriff ihn Lianens weibliche Annä¬ herung an Rabette, gleichſam als theil 'er ſie