PRIMS Full-text transcription (HTML)
Titan
Vierter Band.
Berlin,1803.In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff.

Vorrede.

Dieſer Band beſchließet den ganzen Ti¬ tan, ohne weitere komiſche Anhänge, zu welchen der Verfaſſer ſchon ſonſt noch Zeit und Stoff genug zu finden ſcheuet und hofft. Aufgeweckte Köpfe mögen vielleicht die gewöhnlichen gelehrten Ur¬ theile darüber ſelber für die ordentlichen komiſchen Anhänge zum Werke nehmen. Freilich iſt am poetiſchen Schmetterlings - Flügel der bunte loſe Staub oft am Ende näher beſehen wahres Ge¬ fieder. Meiningen, im Dezemb. 1802.

J. P. F. Richter.

Inhalt

Inhalt des vierten Bandes.

Sechs und zwanzigſte Jobelperiode. 101 103 Zykel.
  • Die Reiſe die Quelle Rom das ForumSeite 1
Sieben und zwanzigſte Jobelperiode. 104 107 Zykel.
  • Peterskirche Rotunda Coliſeo Brief an Schoppe der Krieg Gaſpard der Korſe Verwicklung mit der Fürſtin die Krankheit Gaſpards Bruder Peterskuppel und Abſchied 36
Acht und zwanzigſte Jobelperiode. 108 110 Zykel.
  • Brief aus Peſtiz Mola die Him¬ melfahrt eines Mönchs Neapel Iſchia die neue Göttergabe 95
Neun und zwanzigſte Jobelperiode. 111 115 Zykel.
  • Julienne die Inſel Sonnenunter¬ gang Neapel Veſuv Linda's Brief Streit Abreiſe 142
Dreißigſte Jobelperiode. 116 119 Zykel.
  • Tivoli Streit Isola bella die Kinderſtube die Liebe Abreiſe. Seite 211
Ein und dreißigſte Jobelperiode. 129 126 Zykel.
  • Peſtiz Schoppe Eheſcheu Ar¬ kadien Idoine Verwicklung. 257
Zwei und dreißigſte Jobelperiode. 127 130 Zykel.
  • Roquairol 357
Drei und dreißigſte Jobelperiode. 131 136 Zykel.
  • Albano und Linda Schoppe und das Portrait das Wachskabinet das Dual das Tollhaus Leibge¬ ber 416
Vier und dreißigſte Jobelperiode. 137 139 Zykel.
  • Schoppe's Entdeckungen Liane die Kreuzkapelle Schoppe und der Ich und der Oheim. 482
Fünf und dreißigſte Jobelperiode. 140 146 Zykel.
  • Siebenkäs Beichte des Oheims Brief von Albano's Mutter das Kron-Rennen Echo und Schwa¬ nengeſang der Geſchichte. 511
Sechs
[1]

Sechs und zwanzigſte Jobelperiode.

Die Reiſe die Quelle Rom das Forum.

101. Zykel.

So lange die Nacht dauerte, ſchimmerten Albano's Traumbilder mit den Sternbildern fort, und erſt vor dem hellen Morgen erloſchen ſie alle. Gaſpard ſagte ihm lächelnd, er ſey auf dem Wege nach Italien. Unerwartet ge¬ faſſet empfing er die Nachricht ſeiner Auswan¬ derung; er fragte bloß, wo ſein Schoppe ſey. Als er hörte, er habe nicht mit gewollt: rückte ihm die Lindenſtadt plötzlich über die Berge und Thäler nach und ſein letzter Freund ſtandTitan IV. A2mitten auf dem Markte, ganz allein, mit ſich ſelber im Mockirſpiele begriffen, um ein treues ſtarkes Herz zu ſtillen, das verſchmerzen will und lieben. An dieſem Freunde, den Albano nicht aus ſeiner Seele ließ, zog er ſich wie an einer Jupiters-Kette die ganze Bühne und Welt ſeiner Vergangenheit nach und jeder traurige Ort kam dicht an ihn. Ungeſehen rollten die Städte, die Länder vor ihm vorbei. Die Wellen, die der Schmerz um uns auf¬ treibt, ſtehen hoch zwiſchen uns und der Welt und machen unſer Schiff einſam mitten im Ha¬ fen voll Schiffe. Schaudernd kehrt 'er ſich von jeder ſchönen Jungfrau weg; ſie erinnerte ihn wie eine Klage an die erblaßte; ewig auf¬ gedeckt zog Lianens bleiches Angeſicht wie eine Leiche in Italien*)Die Leiche gehet aufgedeckt zum Begräbniß, ihre Begleiter folgen vermummt. auf dem unendli¬ chen Weg zum Grabe und nur unkenntliche Geſtalten mit Larven giengen hinter ihr leben¬ dig. So iſt der Menſch und ſein Schmerz; zum Widerſpiele des Schiffziehens, wo die Le¬3 bendigen den Todten mitſchleppen, nimmt der Todte die Lebendigen mit und zieht ſie weit nach in ſein kaltes Reich.

Durch die Zeit wurde allmählig ſein Schmerz entwickelt, nicht entkräftet. Sein Leben war ihm eine Nacht geworden, wo der Mond un¬ ter der Erde iſt und er glaubte nicht daran, daß Luna allmählig mit einem wachſenden Licht - Bogen wiederkehre. Keine Freuden, nur Tha¬ ten dieſe entfernten Sterne der Nacht waren jetzt ſein Ziel. Er hielt es für Un¬ recht, die Thränen, die oft mitten im fremden Geſpräche aus ihm drangen, darum vor dem Vater zurückzuhalten, weil dieſer keinen Theil an ihnen nahm; doch zeigt 'er ihm durch die Kraft ſeiner Geſpräche und Entſchlüſſe noch den ſtarken Jüngling. Nur der Vorwurf, den er ſich über ſeine Schuld an Lianens Tod gemacht, hatte ſich in den Frieden aufge¬ löſet, den ihm Idoine gegeben, ob er gleich jetzt ihre Erſcheinung nur für einen wachen Fiebertraum von Lianen hielt.

Sein Vater ſchwieg ganz über Idoinens Auftritt ſo wie über alle unangenehme Erinne¬A 24rungen, er ſprach aber viel von Italien und von dem Kunſt-Gewinn, den Albano da erbeu¬ ten werde, zumal durch die vorausgehende Ge¬ ſellſchaft der Fürſtin, des Kunſtrathes und des deutſchen Herrn, die man bald einholen könne. Der Sohn wandte ſich endlich mit der kühnen Erkundigung an ihn, ob er wirklich noch eine Schweſter habe, und erzählte die Geſchichte mit dem Kahlkopf. Es könnte wohl ſeyn, (ſagte Gaſpard unangenehm ſpaßhaft,) daß du noch mehr Brüder und Schweſtern hätteſt als ich wüßte. Aber was ich weiß, iſt, daß deine Zwillingsſchweſter Severina in dieſem Jahre in ihrem Kloſter geſtorben iſt. Wofür hältſt denn du die Nacht-Geſchichte? Beinah für einen Traum, verſetzt 'er. Zufäl¬ lig kam ſeine Hand hier in die Taſche und traf zu ſeinem Erſtaunen auf den halben Ring, den die Schweſter ihm geſchenkt. Das Wunder¬ bare trat dicht unter ſeine Sinne und jene Schauer-Nacht gieng ſchnell und kalt durch ſeinen Mittag. Er und der Vater beſahen die Enden des zerſchnittenen Rings, an deren jedem ein abgeriſſener Namenszug aufhörte. 5 Es giebt aber nichts Wunderbares ſagte der Ritter. Woher wiſſen wir alsdann, daß es etwas Natürliches giebt? ſagte Albano. Das Wunder, (verſetzte Gaſpard,) oder die Geiſterwelt wohnt nur im Geiſte. Wir müſſen uns, (fuhr jener fort,) auch bei den ge¬ meinſten optiſchen Kunſtſtücken auf etwas an¬ deres als auf die Auflöſung des Trugs der Phantaſie in einen Trug der Sinnen freuen, weil uns ſonſt nach der Auflöſung das Zau¬ berwerk mehr gefallen müßte als vorher. Das ſind die Stillen und Pole der menſchlichen Natur, worüber die ewigen Polarwolken hän¬ gen. Unſere Landkarten vom Wahrheits - und Geiſterreiche ſind die Landkartenſteine, welche Ruinen und Dörfer abbilden; dieſe ſind er¬ logen, aber doch ähnlich. Der Geiſt, ewig unter Körper gebannt, will Geiſter. Un¬ gefähr ſo meint' ich auch, ſagte Gaſpard.

Albano drang aber beſtimmter auf deſſen Urtheil über den Kahlkopf und die Schweſter. Von etwas anderem, (ſagte der Ritter ganz verdrüßlich,) für mich iſt's ein ſehr unangeneh¬ mes Geſpräch. Nimm die Welt nach deiner6 Weiſe und ſey ruhig! Lieber Vater, fragte Albano betroffen, klären Sie mich ir¬ gend einmal beſtimmt darüber auf? So¬ bald ich kann, ſagte kurz der Ritter, mit ſo ſcharfen und ſtechenden Blicken auf den Sohn, daß dieſer ihnen wie Pfeilen ausweichend den Kopf eilig aus dem Wagen hinausbeugte: als er erſt merkte, daß ihn der Vater gar nicht meine; denn noch blickte er ſo ſcharf in der vo¬ rigen Richtung fort, als ſey er nahe daran, in ſeine alte Erſtarrung zu fallen.

Gaſpard's Wort über das Inwohnen der Geiſterwelt im Geiſte und ſein Blick und der Gedanke an ſein Erſtarren gaben für Albano der Stunde und der Stille romantiſche Schauer. Drunten am Ufer des Stroms ſtanden zuſam¬ mengelaufne Menſchen und einer eilte wie flie¬ hend oder anſagend aus dem Haufen. Ein ferner Knabe warf ſich auf einem Hügel nie¬ der und legte das Ohr an die Erdkugel, um ihren rollenden Wagen etwan recht zu hören. Im Dorfe, wo ſie Mittag hielten, läutete es unaufhörlich. Ihr Wirth war zugleich ein Müller; das Toben der Wellen und Räder7 füllte das ganze Haus; und Kanarienvögel lärmten noch durch den Lärm hindurch.

Es giebt Augenblicke, wo die beiden Wel¬ ten, die irdiſche und die geiſtige, nahe an ein¬ ander vorüberſtreifen und wo Erdentag und Himmelsnacht ſich in Dämmerungen berühren. Wie die Schatten der himmliſchen Glanzwolken über die Blüthen und Ernten der Erde weglau¬ fen: ſo wirft überall der Himmel auf die ge¬ meine Fläche der Wirklichkeit ſeine leichten Schatten und Wiederſcheine. So fand es jetzt Albano. Der Ring und das ſchwärmeriſche Wort ſeines kalten Vaters hatten ihn wie Blitze geblendet. Unten an der Hausthüre fand er ein Mädchen, das ein Waarenlager von Zitronen vor ſich trug. Plötzlich und un¬ angenehm brach das Geläute ab; er blickte zum Glockenthurm und ein weiſſer Geier ſaß auf der Fahne. Bald kam der Glocken-Zie¬ her ſelber, um etwas zu trinken, und fieng mit ſtarkem, und doch nicht übel gemeintem Flu¬ chen auf den Kammerherrn an, der ihn ſeit drei Wochen läuten laſſe und dem er bloß wünſche, daß ſolcher wie Er ſelber im vorigen8 Jahre, nur drei Tage lang ordentlich hinter der ſeeligen Tochter nachläuten müßte. Er er¬ mahnte den Müller, von den Zitronen zu kaufen, weil's gute wären, ſaftig, von dünner Rinde und Er und der Pfarrbube *)So heiſſet z. B. in Ungarn der Diakonus. kennten ſie von dem Begräbniß des gnädigen Fräuleins her und in 14 Tagen brauch ' Er doch für die geſammte Geiſtlichkeit welche, als Brautvater! Wie ſind hier die Sit¬ ten? fragte Albano.

Wenn nehmlich jemand ſtirbt, (ſagte der Küſter ſehr ehrerbietig und freundlich,) ſo be¬ kommt der Pfarrer und meine Wenigkeit eine Zitrone und ſo auch die Leiche. Wird aber jemand getrauet, ſo bekommt die Geiſtlich¬ keit und ſo auch die Braut dergleichen. Das iſt aber bei uns ſo Sitte, mein gnädigſter Herr!

Albano gieng in den nahen Garten am Haus, in welchen die aufgedeckten Mühlenrä¬ der ihre Silberfunken warfen und welcher vom Glanze und Getöſe des offnen Waſſers wie ver¬9 ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬ den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬ nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬ rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht 'er, in das Zitronenland und in die niedrigen Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬ ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen; nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand, und ſie wurde nicht erquickt.

Er blickte umher und glaubte in einer frem¬ den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne Wolken lange Hügel-Reihen funkelten be¬ wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern, aus den bunten Bäumen wurden glühende Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬ pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬ ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet. Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬10 Wildniß gekommen; darin hüpfte ungeſehen, ungehört eine reine lichte Quelle aus der Erde auf die Erde der Sturm drauſſen war ſtill, nur die Quelle hörte man, Die Heilige iſt mir nahe, (ſagte ſein Herz,) iſt die Quelle nicht ihr Bild, nicht ihrer ewigen Thränen Ebenbild, dringt ſie nicht aus der Erde her¬ auf, wo ſie wohnt? Auf einmal ſah er in ſeiner Hand als hab 'es ihm eine fremde darein gelegt die Zeichnung von Linda's Kopf, welche Liane mit ſterbenden Händen ge¬ macht und gegeben hatte; aber ſeine Phantaſie drückte gewaltſam dem Bilde die Ähnlichkeit mit der Zeichnerin auf, er ſah Lianens ſanftes Ge¬ ſicht ſo klar auf dem Blatt.

Er gieng wieder hinaus in die glänzende Welt. Wie arm bin ich! (rief er.) Ich ſehe Sie auf der goldnen Wolke, die von der Abend¬ ſonne nach dem Morgen zieht, ich ſehe Sie in der kalten Quelle im Thal und auf dem Mond und auf der Blume ich ſehe Sie überall; und Sie ruht nur an Einem Ort. O wie arm! Und er blickte zum Himmel und eine einzige lange Wolke zog darin eilig weiter.

11

102. Zykel.

So flogen die Tage mit ihren Städten und Landſchaften vorüber und in Albano's Leben ſpiegelte ſich wie in einem Gedichte die Welt. Eine Kraft nach der andern, die ganze ge¬ beugte Ernte ſeines Innern ſtand allmählig wieder auf und grünte tropfend; aber zu glei¬ cher Zeit erſtarkte auch der Dorn des Schmer¬ zes. Während ſein Auge und Geiſt ſich mit der Welt und jeder Beute der Kenntniß er¬ füllte: ſo wohnte das böſe Geſpenſt der Pein in der Ruine und drang hervor, wenn das Herz allein war und ergriff es.

Er berührte Wien, wo er ſich gefallen las¬ ſen mußte, einigen vornehmen Freunden Ga¬ ſpard's vorgeſtellt zu werden, der ihm erſt hier entdeckte, daß er nicht zu den Cavalleros del Turone gehöre, ſondern ein öſterreichiſcher Vlies¬ ritter ſey. Mir iſt es hier, (ſagte Albano,) ſo ſonderbar bekannt, woher kommt das? Von irgend einer ähnlichen Stadt, (ſagte Ga¬ ſpard,) wer viel reiſet, kommt aus ähnlichen Städten in ähnliche. Täglich wurd 'ihm der Vater lieber und verſtändlicher; und doch nicht12 vertrauter und näher; nach einem warmen Tage und vertrauten Geſpräche mit Gaſpard ſtand man in der nächſten Zuſammenkunft darauf wieder im Vorzimmer ſeiner Bekannt¬ ſchaft; wie bei ſtrengen Mädchen fieng nach jedem Wonnemondstag der geſchmolzene Mai¬ froſt wieder von neuem einzufallen an. Das Alter achtet die Liebe, aber ungleich der Ju¬ gend wenig die Zeichen der Liebe. Indeß behielt Albano den Stolz, daß er ſich dem Vater ganz und mit allen Verſchiedenheiten ſehen ließ, ohne den Sommer vor dem Winter zu verſtecken.

Von Tag zu Tag fand Gaſpard Briefe an ſich auf den Poſten, beſonders von Peſtiz, wie Albano auſſen an den Poſt-Lettern erſah; denn es wurden ihm keine gegeben. Er wünſchte immer mehr, der Fürſtinn nachzukommen, die nur noch eine Tagereiſe von ihnen voraus hatte. Sie ſahen ſchon die Rieſen des Winters, die Schweizer - und Tyroler Alpen, im Lager; die Götterſöhne ſtanden, mit Lauwinen und Kata¬ rakten und Wintern bewaffnet, Wache um das göttliche Land, wo Götter und Menſchen ein¬13 ander wechſelſeitig nachahmten. Wie oft blickte Albano, wenn abends die Sonne ſich glühend mit den beſchneieten Alpenhöhen vermiſchte, ſchmerzlich ergriffen nach dieſen Thronen hin, die er einmal ganz anders, viel goldner, ſo hoffend und ſo glaubend, von Isola bella an¬ geſchauet. Die Höhen deiner Vergangen¬ heit, ſagt 'er ſich, ſind auch weiß und keine Alphörner tönen mehr droben unter ſonnenhel¬ len Tagen und du biſt tief im Thal!

Sie kamen noch vor dem Volksfeſte einer verſpäteten Weinleſe vorüber. Der Ritter er¬ kundigte ſich nach allem mit der Wißbegierde eines Weinhändlers und mit der Kenntniß eines Winzers. So botaniſirte er überall auf der Erde nach jedem Gräsgen und Kraut der Er¬ kenntniß. Albano verwunderte ſich darüber, da er bisher geglaubt, Gaſpard ſuche und lange nach nichts als nach den Paris - und Heſperi¬ den-Äpfeln der Kunſt, weil er alle andre Früchte und ihr Fleiſch und ihren Kern in ſei¬ nem Stande weder zum Genieſſen noch zum Säen brauchen konnte.

Sie verſanken in die Tiefen der Tyroler Ge¬14 bürge. Die Höhen ſtanden ſchon ins feſte weiſſe Leichentuch des Winters gehüllt und durch die Thäler gieng nur der kalte Sturm lebendig hin und her. Albano's Sehnen nach dem milden Lande der Jugend wuchs zwiſchen den Stür¬ men und Alpen immer höher; und Rom's Bild breitete ſich koloſſaliſch aus, je länger es ſich ihm näherte. Gaſpard ließ die Reiſe auf Flü¬ geln gehen, um den Regenwolken des Herbſtes vorzukommen.

In einer dunkeln Reiſe-Nacht arbeiteten ſie ſich gleichſam durch das Gebürge hindurch, gleich ihrem Gefährten, dem Adigo-Strom, der einen Rieſen-Felſen aufreiſſet und in die milde Ebene ſtürzt und darin ſanft weiter tau¬ melt. Die Sonne erſchien und Italien.

Es hatte geregnet, eine laue Luft flatterte von den Zypreſſenhügeln durch das Thal und durch die Wein-Gehenke der Maulbeerbäume her und hatte ſich zwiſchen Blüthen und den Früchten der Pomeranzen durchgedrängt der Adigo ſchien wie eine geringelte Rieſenſchlange auf der vielfarbigen Landſchaft an den Land¬ häuſern und Olivenwäldern zu ruhen und Re¬15 genbogen an einander zu ſetzen. Das Leben ſpielte im Äther nur Sommervögel ſchweif¬ ten in dem leichten Blau nur der Venus¬ wagen der Freude rollte über die ſanften Hügel.

Albano's volle Seele ergoß ſich gleichſam in das breite Bette, das ihn von der milden Ebene zu der prächtigen Roma führte! Wenn wir rückwärts reiſen, (ſagte Gaſpard,) ſo erinnere dich an deinen Eintrit. Sie hielten in einem Dorfe mit großen ſteinernen Häuſern. Albano ſah das warme auſſerhäusliche Leben um ſich an, den unbedeckten Kopf, die nackte Bruſt und die blitzenden Augen der Männer das große Schaaf mit Seidenwolle das ſchwarze kleine muntre Schwein und den ſchwarzen Truthahn als er plötzlich vom Balkon herab einen deutſchen Gruß und ſeinen Namen hörte.

Es war die Fürſtin, ihre Wagen ſtanden ſeitwärts, Bouverot und Fraiſchdörfer bei ihr. Wie dringt es balſamiſch durchs Herz, im frem¬ den Lande, und ſey es das ſchönſte, den Bru¬ der, die Schweſter des rauhern wiederzufinden, gleichſam in der zweiten Welt den verwandten16 Erdenſohn! Auch der Adigo, der vorher ihn im wilden Gebürge unter dem Namen Etſch begleitet hatte, folgte ihm mit dem ſchönern in die Ebene nach. Die Fürſtin ſchien ihm, er wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬ worden in Geſtalt und Blick, und er warf ſich ſeinen frühern Irrthum vor. Aber er begieng einen ſpätern; über ihre ſtark gezeichnete Phy¬ ſiognomie ſtiegen hinter Wien die welſchen ſchärfern empor und die ſchreienden Farben, worein ſie ſich gern kleidete, wurden von den italieniſchen überſchrieen. Ein fremder Boden iſt ein Redouten - und Brunnenſaal, wo nur menſchliche Verhältniſſe und keine politiſche walten und in der Fremde iſt man ſich am wenigſten Fremdling alles berührte ſich freundlich, wie fremde Hände ſich ſuchen und faſſen unter dem Steigen von Bergen. Wie verehrend ſah Albano die Fürſtinn an! Denn er dachte: ſie wollte die Erblaßte mitnehmen in das heilende Eden. O die Heilige würde ja an dieſem Morgen glücklich ſeyn und wei¬ nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit. Dann that es ſeines, aber nicht vor Seelig¬keit;17keit; und ſo ſind die Feuerwerke des Lebens, wie die andern, immer an und auf Waſſer gebauet. Da wurde in ihm der Schwur feier¬ lich vor dem ſchönen Todtenhaupte Lianens abgelegt: ich will der Freund ihrer Freundin recht ſeyn! Eine neue Rolle des Lebens ſpielt der Menſch am wärmſten und beſten; über unſern Antrittspredigten ſchwebt der hei¬ lige Geiſt brütend mit Taubenflügeln nur ſpäter liegen die Eier kalt. Albano, noch in keine Freundſchaft eingeweiht als in die männ¬ liche, betete die weibliche an wie ein aufſtei¬ gendes Geſtirn und für dieſe fand er, wie für die männliche, weit mehr Opfer-Kräfte in ſei¬ ner warmen Seele aufbewahrt, als für die Liebe. In der Freundſchaft iſt der Mann wie in der Liebe die Frau, und umgekehrt ; nehmlich mehr den Gegenſtand ſuchend als die Empfindung für ihn.

Mit neuen vollen Segeln und Wimpeln in geſchmückten ſingenden Schiffen mit gün¬ ſtigen Seitenwinden flog die muntere Fahrt durch Städte und Auen.

Nichts hängt über einen langen Reiſe-KorſoTitan IV B18eine ſchönere Frucht - und Blumenſchnur hin für einen Wagen, der vorausgeht als ein Paar Wagen, die nachkommen. Welche Ge¬ meinſchaft der Freude und Gefahr im Nacht¬ quartier! Welches Beſprechen der Marſchroute! Welche Freude über die nach - und vorfahren¬ den Avanturen, nehmlich über die Berichte da¬ von! Und wie liebt einer den andern!

Nur gegen Bouverot bewies Albano eine feſte Kälte; aber der Ritter war freundlich. Albano, mehr unter Büchern als unter Men¬ ſchen aufgewachſen, wunderte ſich oft, daß ihm in jenen die Verſchiedenheit der Meinungen ſo leicht vorübergieng, die ihn unter dieſen ſo ſcharf anfiel. Am Ende fragt 'ihn einmal ſein Vater: Warum benimmſt du dich gegen Herrn v. Bouverot ſo fremd? Nichts erbittert mehr als ein beſonnenes ſtilles Haſſen, das leiden¬ ſchaftlichſte weit weniger. Weil es mein Geſetz iſt, (antwortete er,) die ewige Unwahr¬ heit der Menſchen in ihren Verbindungen zu fliehen und zu haſſen. Aus bloßer Humanität ſich Ungleichen gleich ſtellen, einem irgend einer Abſicht wegen ein freundliches Geſicht machen,19 ſo ſeyn gegen jemand, daß man es ihm nicht auf der Stelle herausſagen darf, das iſt wohl ganze Knechtſchaft und verwirrt den Reinſten. Wer nichts lieben will als ſein Ebenbild, (verſetzte Gaſpard,) hat außer ſich nichts zu lieben. Von Bouverot (ſetzt' er lachend hin¬ zu,) iſt doch ein braver Wirth und Reiſe-Kom¬ pagnon. Albano, der ſogar Menſchen wi¬ derſtehen konnte, die er verehrte, fragte nichts nach ſeinem Vater, ſondern fand den deutſchen Herrn nur deſto verächtlicher.

Dieſer, ganz zu Hader und Handel gebo¬ ren, hatte ſich nehmlich tiefe Fußſtapfen im Schnee des Ritters und der Fürſtinn wel¬ che beide, wie alle lange Reiſende, ungemein geizig waren dadurch gebahnt, daß er alle Wirthe und Welſche das Patto berichtigend überſah und überliſtete, und daß er ſogar die Kunſt verſtand, zur rechten Zeit tief-grob zu ſeyn, indeß er vom Wirthe ſich umkehrend ge¬ gen die Fürſtinn wieder ein Mann von Welt war wie Fontenelle oder irgend ein Franzoſe, der in ſolchen Fällen länger rechnet und flucht, als zehrt. Der Vliesritter, der, wie er geſtand,B 220nie ſo wohlfeil gereiſet, bedeckte ihn daher mit dem Lorbeer, der hier überall wuchs, und ſah ſo heiter aus wie niemals. Nur dem Sohne war der kalte, zornige, grobe Menſch ein Vul¬ kan, der Schlamm und Waſſer auswirft. Rei¬ tet einem gekrönten Haupte oder einem klaſſi¬ ſchen Autor, der auch eines iſt, eine Meile vor und überhaupt Leuten, die Geld haben und nicht ſchonen, und erkargt ihnen nur täglich einige Goldſtücke, nie werdet ihr beide Häup¬ ter froher oder dankbarer geſehen haben, als in dieſem Fall!

Überall wollte Albano ausſteigen, und in große Ruinen und in den Glanz der entfallnen Kleinodien treten, welche den Welteroberern auf dem Wege nach Rom von den Triumph¬ wagen verloren gegangen. Aber der Ritter rieth ihm an, ſeine Augen und Begeiſterung zu ſparen und aufzuheben für Rom. Wie ſchlug ſein Herz, als ſie endlich in der wüſten Campagna, die voll Lava-Würfe um den Horſt der römiſchen Adler, dieſer über die Welt getriebnen Sturmvögel, lag, auf der Flamini¬ ſchen Straße rollten! Aber er und Gaſpard21 fühlten ſich wunderbar-beklommen den ſte¬ henden See einer ſchwülen Schwefelluft glaubt 'man zu durchwaten, die ſein Vater den Schwe¬ felhütten zu Baccano zuſchrieb er lechzete nach dem Schnee auf den fernen Bergen der Himmel war ſchwarzblau und ſtill ein¬ zelne hohe Wolken flogen pfeilſchnell durch die ſtille Wüſte ein Mann in der Ferne ſetzte eine ausgegrabene Urne wieder hin und betete, ängſtlich gen Himmel blickend, ſeinen Roſen¬ kranz Albano wandte ſich nach den Gebür¬ gen, denen die Abendſonne, wie aufgelöſet in ſtechendem Glanz, zuſank. Auf einmal ließ der Ritter den Poſtillon halten, der heftig die Arme, da es unter dem Wagen noch fortrollte, gen Himmel warf und rief: Heilige Mutter Gottes, ein Erdbeben! Aber Gaſpard berührte den ſonnentrunknen Sohn und ſagte zeigend: ecco Roma! Albano blickte hin und ſah in tiefer Ferne die Kuppel der Peterskirche im Sonnenglanz. Die Sonne gieng unter, die Erde bebte noch einmal, aber in ſeinem Geiſte war nichts als Rom.

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103. Zykel.

Eine halbe Stunde nach dem Erdſtoße wi¬ ckelte ſich der Himmel in Meere ein, und warf ſie ſtück - und ſtromweiſe herunter. Die nackte Campagna und Heide verdeckte der Regenman¬ tel Gaſpard war ſtill der Himmel ſchwarz der große Gedanke ſtand einſam in Albano, daß er dem Blut - und Throngerüſt der Menſch¬ heit, dem Herzen einer erkalteten Helden-Welt, der ewigen Roma zueile; und als er auf dem Ponte molle hörte, daß er jetzt über die Tiber gehe: ſo war ihm, als ſey die Vergangenheit von den Todten auferſtanden und er ſchiffe im zurücklaufenden Strome der Zeit; unter den Strömen des Himmels hört 'er die alten ſieben Bergſtröme rauſchen, die einſt von Rom's Hü¬ geln kamen und mit ſieben Armen die Welt aus dem Boden aufhoben.

Endlich rückte das breitſtehende Sternbild der Bergſtadt Gottes in Nächte auseinander, Städte mit ſparſamen Lichtern lagen hinauf und hinab und die Glocken, (für ihn Sturm¬23 glocken,) ſchlugen vier Uhr*)Zehn Uhr., als der Wagen durch das Triumphthor der Stadt, die Porta del Popolo, rollte: ſo riß der Mond ſeinen ſchwarzen Himmel auf und goß aus der Wol¬ ken-Kluft den Glanz eines ganzen Himmels hernieder; da ſtand der ägyptiſche Obeliskus des Thors wolkenhoch in der Nacht und drei Straßen liefen glänzend auseinander. So biſt du (ſagte ſich Albano, als ſie im langen Corso nach der zehnten Region fuhren,) wirklich im Lager des Kriegsgottes; hier, wo er das Heft des ungeheuern Kriegsſchwerdtes faßte, und mit der Spitze die drei Wunden in drei Welt¬ theile machte. Guß und Glanz durchflogen die weiten, breiten Straßen zuweilen kam er plötzlich vor Gärten vorbei und in breite Stadtwüſten und Marktplätze der Vergangen¬ heit. Das Rollen der Wagen unter dem Rau¬ ſchen des Regens glich dem Donner, deſſen Tage dieſer Heldenſtadt ſonſt heilig waren, gleichſam der donnernde Himmel der donnern¬ den Erde eingemummte Geſtalten mit klei¬24 nen Lichtern ſchlichen durch die finſtern Straßen oft ſtand ein langer Pallaſt mit Säulen-Reihen im Feuer des Mondes, oft eine graue einſame Säule, oft eine einzelne hohe Fichte, oder eine Statue hinter Zypreſſen. Einmal, da weder Regen noch Mondlicht war, gieng der Wagen um die Ecke eines großen Hauſes, auf deſſen Dache eine blühende lange Jungfrau mit ei¬ nem aufblickenden Kinde an der Hand, eine kleine Handleuchte bald gegen eine weiſſe Sta¬ tue, bald gegen das Kind ſelber richtete und ſo wechſelnd die ganze Gruppe beleuchtete. Mitten in das erhobene Gemüth drang die freundliche Geſellſchaft und brachte ihm manche Erinnerungen mit; beſonders war ihm ein rö¬ miſches Kind eine ganz neue und mächtige Idee.

Sie ſtiegen endlich aus bei dem Fürſten di Lauria, Gaſpard's Schwiegervater und altem Freund. Nah 'an ſeinem Pallaſt lag der Cam¬ po vaccino (das alte Forum,) und auf die breiten Treppen und die drei Wunder-Gebäude des Kapitols ſchien der helle Mond; in der Ferne ſtand das Coliseo. Zögernd gieng Al¬25 bano in das erleuchtete Haus, wovor der Wa¬ gen der Fürſtin ſtand, und wandte ſchwer das Auge von dieſen Höhen der Welt, wovon einſt ein leichtes Wort, wie eine Schneeflocke lange rollte und ewig wuchs, bis es in einem frem¬ den Lande eine Stadt erdrückte mit der Schlag¬ lauwine.

Die Fürſtinn mit ihrer Geſellſchaft ſah er¬ freuet die neue kommen. Der alte Fürſt Lau¬ ria empfing höflich und zurückhaltend ſeinen Enkel. Seine unzähligen Bedienten redeten faſt alle Sprachen Europa's durch einander. Al¬ bano fragte ſogleich den Ritter nach ſeinem Lehrer Dian, dieſem auf den Römer geimpf¬ ten Griechen; aber gerade an das Menſchlichſte hatte, wie immer die Großen, Gaſpard nicht gedacht. Man ſchickte in deſſen nahe Wohnung; er war nicht zu Hauſe.

Man ſpeiſete. Der Fürſt bewirthete ſogleich mit ſeinem Lieblings-Schaugericht, mit dem politiſchen Weltlauf, und gab das Neueſte von der franzöſiſchen Revolution. Zeitungen waren ihm Ewigkeiten, Nouvellen Antiken; er hielt alle Blätter Europa's und daher zu jedem den26 deutſchen, den ruſſiſchen, den engliſchen, den pohlniſchen Bedienten, der es ihm überſetzte. Bei ſeiner ſatiriſchen Kälte gegen alle Men¬ ſchen und Sachen erſchien der politiſche und welſche Eifer ſtärker, womit er gegen den Rit¬ ter die Franzoſen beſchirmte, der ſie gelaſſen verachtete und ſich nach ſeiner Weiſe ſogar in ſchlechten Wortſpielen auslaſſend den alten Rö¬ mern das Forum und den neuern das Campo vaccino, und eben ſo den alten Galliern das Marsfeld und den neuern ein Märzfeld ein¬ gab.

Albano glaubte, ſo nah 'am Forum geb' es keinen Scherz und jedes Wort müſſe groß ſeyn in dieſer Stadt. Der kalte Lauria ſprach warm für Gallien, wie ein Miniſter nur Völker, nicht Individuen achtend, und ſeine Meinung gefiel dem Jüngling.

Da lenkte die Fürſtinn den Strom auf Rom's hohe Kunſt. Fraiſchdörfer zerlegte den Koloß in Glieder und wog ſie auf der engſten Waage. Bouverot ſtach den Rieſen in hiſtori¬ ſches Kupfer. Die Fürſtinn ſprach mit vieler Wärme, aber ohne Bedeutung. Gaſpard ſchmolz27 alle ein, gleichſam zu einem korinthiſchen Erz, und umfaßte alle, ohne gefaſſet zu werden. Auf ſeiner kalt, über ſtark aufdringenden Le¬ bensquelle ließ er die Welt wie eine Kugel ſpielen und ſchweben.

Albano bewahrte, mit allen unzufrieden, ſeine Begeiſterung, den unterirdiſchen Göttern der Vergangenheit um ihn her nach alter Sitte opfernd, nehmlich mit Schweigen. Wohl hätt 'er reden wollen und können, aber anders, in Oden, mit dem ganzen Menſchen, mit Strö¬ men, die aufwärts ſtiegen und wüchſen. Im¬ mer ſehnſüchtiger ſah er an die Fenſter nach dem Mond im reinen Regenblau und nach ein¬ zelnen Säulen des Forum's; drauſſen glänzte ihm die größte Welt. Endlich ſtand er zür¬ nend und ſchmachtend auf und ſchlich hinunter in die dämmernde Herrlichkeit und trat vor das Forum; aber die Mondnacht, die Deko¬ rationsmahlerinn, die mit unförmlichen Stri¬ chen arbeitet, macht' ihm faſt die Bühne un¬ kenntlich.

Welch 'eine öde, weite Ebene, hoch von Rui¬ nen, Gärten, Tempeln umgeben, mit geſtürzten28 Säulen-Häuptern und mit aufrechten einſa¬ men Säulen und mit Bäumen und einer ſtum¬ men Wüſte bedeckt! Der aufgewühlte Schutt aus dem ausgegoſſenen Aſchenkrug der Zeit und die Scherben einer großen Welt umherge¬ worfen! Er gieng vor drei Tempel-Säulen*)Des Jupiter tonans., die die Erde bis an die Bruſt hinuntergezogen hatte, vorbei und durch den breiten Triumph - Bogen des Septimius Severus hindurch, rechts ſtanden verbundne Säulen ohne ihren Tempel, links an einer Chriſten-Kirche die tief in den Bodenſatz der Zeit getauchte Säulenreihe eines alten Heidentempels, am Ende der Siegesbo¬ gen des Titus, und vor ihm in der öden wal¬ digen Mitte ein Springwaſſer in ein Granit¬ becken ſich gieſſend.

Er gieng dieſer Quelle zu, um die Ebene zu überſchauen, aus welcher ſonſt die Donner¬ monate der Erde aufzogen, aber wie über eine ausgebrannte Sonne gieng er darüber, welche finſtere todte Erden umhängen. O der Menſch, der Menſch-Traum! rief's unaufhörlich um29 ihn. Er ſtand an der Granitſchaale gegen das Coliſeo gekehrt, deſſen Gebürgsrücken hoch in Mondlicht ſtand, mit den tiefen Klüften, die ihm die Senſe der Zeit eingehauen ſcharf ſtanden die zerriſſenen Bogen von Nero's gold¬ nem Hauſe wie mörderiſche Hauer darneben. Der palatiniſche Berg grünte voll Gärten und auf zerbrochnen Tempel-Dächern nagte der blühende Todtenkranz aus Epheu, und noch glühten lebendige Ranunkeln um eingeſenkte Kapitäler. Die Quelle murmelte geſchwätzig und ewig, und die Sterne ſchaueten feſt her¬ unter mit unvergänglichen Strahlen auf die ſtille Wahlſtatt, worüber der Winter der Zeit gegangen, ohne einen Frühling nachzuführen die feurige Weltſeele war aufgeflogen und der kalte zerſtückte Rieſe lag umher, auseinanderge¬ riſſen waren die Rieſen-Speichen des Schwung¬ rads, das einmal der Strom der Zeiten ſelber trieb. Und noch dazu goß der Mond ſein Licht wie ätzendes Silberwaſſer auf die nackten Säulen, und wollte das Coliſeo und die Tem¬ pel und alles auflöſen in ihre eignen Schat¬ ten!

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Da ſtreckte Albano die Arme in die Lüfte, als könnt 'er damit umfaſſen und zerflieſſen wie mit Armen eines Stroms, und rief aus: o ihr großen Schatten, die ihr einſt hier ſtrit¬ tet und lebtet, ihr blickt herab vom Himmel, aber verachtend, nicht trauernd, denn euer gros¬ ſes Vaterland iſt euch nachgeſtorben! Ach, hätt' ich auf der nichtigen Erde voll alter Ewigkeit, die ihr groß gemacht, nur eine That eurer werth gethan! Dann wär 'es mir ſüß und erlaubt, mein Herz zu öffnen durch eine Wunde und zu vermiſchen das irdiſche Blut mit dem geheiligten Boden und aus der Grä¬ ber-Welt wegzueilen zu euch Ewigen und Un¬ vergänglichen! Aber ich bin es nicht werth!

Hier kam plötzlich auf der via sacra ein lan¬ ger, tief in den Mantel gewickelter Mann da¬ her an die Fontaine, warf, ohne umzublicken, den Hut hin und hielt den pechſchwarzen, lo¬ ckigen, faſt ſteilrechten Hinterkopf unter den Was¬ ſerſtrahl. Aber kaum erblickte er, ſich aufwärts kehrend, das Profil des in ſeine Bilder verſunk¬ nen Albano: ſo fuhr er tropfend auf ſtarrte den Grafen an ſtaunte warf die Arme31 hoch in die Luft ſagte: amico? Albano ſah ihn an. Der Fremde ſagte: Albano! Mein Dian! rief Albano; ſie nahmen ſich heftig und weinten vor Liebe.

Dian begriff es gar nicht; er ſagte italie¬ niſch: Ihr ſeyd es aber ja nicht, Ihr ſehet alt aus. Er glaubte ſo lange deutſch zu ſprechen, bis er hörte, daß Albano italieniſch antwortete. Beide thaten und bekamen nur Fragen. Al¬ bano fand den Baumeiſter blos bräuner, aber den Blitz der Augen und jede Kraft im alten Glanz. Mit drei Worten erzählt 'er ihm die Reiſe und die Begleitung. Wie bekommt Euch Rom? fragte Dian heiter. Wie das Leben, (verſetzte ſehr ernſthaft Albano,) es macht zu weich und zu hart. Ich erkenne hier gar nichts wieder (fuhr er fort); gehören jene Säulen dem herrlichen Friedenstempel? Nein, (ſagte Dian,) dem Konkordientempel; von jenem ſteht dort nichts als das Gewölbe. Wo iſt Saturnus Tempel? fragte Albano. In der St. Adrians-Kirche begraben; (ſagte Dian, und ſetzte eilend hinzu) neben¬ an ſtehen die zehn Säulen von Antonins Tem¬32 pel drüben Titus Thermen hinter uns der palatiniſche Berg und ſo weiter. Nun er¬ zählt mir!

Sie giengen das Forum auf und ab, zwi¬ ſchen den Bogen des Titus und Severus. Al¬ bano war zumal neben dem Lehrer, der ihn in der Kinderzeit ſo oft hieher geführt noch voll vom Strome, der über die Welt gezogen war und das alles bedeckende Waſſer ſank nur lang¬ ſam. Er fuhr fort und ſagte: Heute als er den Obeliskus erblickt, ſey ihm der leiſe, zarte Schein des Mondes ordentlich unpaſſend für die Rieſenſtadt verſchienen; eine Sonne hätt 'er lieber auf ihrer weiten Fahne blitzen ſehen; aber jetzt ſey der Mond die rechte Leichenfackel neben dem Alexander, der zuſammenfällt nur angerührt. Mit dergleichen Gefühlen kommt der Künſtler nicht weit, (ſagte Dian,) auf ewige Schönheiten ſchau' er, rechts und links. Wo iſt (fragte Albano fort,) der alte Curtius-See die Rednerbühne die pila horatia der Tempel der Veſta der Venus, und aller jener einſamen Säulen? Und wo iſt das marmorne Forum ſelber? (ſagte33(ſagte Dian,) dreißig Spannen tief liegt's un¬ ter dem Fuß. Wo iſt das große freie Volk, der Senat aus Königen, die Stimme der Redner, der Zug auf das Kapitolium? Begraben unter den Scherbenberg. O Dian, wie kann ein Menſch, der in Rom einen Vater, eine Geliebte verliert, eine einzige Thräne ver¬ gieſſen und beſtürzt um ſich ſehen, wenn er hierhertritt, vor dieſes Schlachtfeld der Zeit, und hineinſchauet ins Gebeinhaus der Völ¬ ker? Dian, hier wünſchte man ein eiſer¬ nes Herz, denn das Schickſal hat eine eiſerne Hand!

Dian, der ſich nirgends ungerner als auf ſolchen tragiſchen, gleichſam ins Meer der Ewig¬ keit hineinhängenden Klippen aufhielt, ſprang immer mit einem Scherze davon; wie die Grie¬ chen miſchte er Tänze ins Trauerſpiel: man¬ ches konſervirt ſich, Freund! (ſagt 'er,) dort in der Adrians-Kirche werden Euch noch von drei Männern die Knochen gewieſen, die im Feuer geweſen. Das iſt eben (verſetzte Albano,) das fürchterliche Spiel des Schick¬ ſals, daß es mit den zu Sklaven geſchor¬Titan IV. C34nen Mönchen die Höhen der alten Großen be¬ ſetzt.

Neue Räder treibt der Strom der Zeit, (ſagte Dian,) dort liegt Raphael zweimal be¬ graben*)Der Leib im Pantheon, der Kopf in der heil. Luka-Kirche.. Was macht Chariton und die Kin¬ der? Sie blühen fort, ſagte Albano, aber in traurigem Ton. Himmel! (rief Dian mit allem Vater-Schrecken,) es iſt doch ſo? Dian! ſagte Albano ſanft. Kommt noch (ſagte Dian,) Liane oft zu Chariton? Und was macht denn die Hol¬ de? Leiſe verſetzte Albano: ſie iſt todt. Was, todt? Unmöglich! Froulay's Toch¬ ter, Albano? Die Gold-Roſe? O ſprecht! rief er. Albano nickte bejahend. Nun du gutes Mädchen, (klagt 'er mit Thränen in den ſchwarzen Augen,) ſo freundlich, ſo liebreizend, ſo feine Zeichnerinn! Wie ging's aber zu? Habt Ihr denn das holde Kind gar nicht gekannt? Einen Frühling lang (ſagte ſchnell Albano). Mein guter Dian, ich will jetzt zum Vater zu¬35 rück und antworte nicht mehr. O mei¬ netwegen! Ich muß aber mehr erfahren, beſchloß Dian. Und ſo ſtiegen ſie ſchweigend und eilend über Schutt und Säulentorſos und keiner gab auf die große Rührung des andern Acht.

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Sieben und zwanzigſte Jobelperiode.

Peterskirche Rotunda Coliſeo Brief an Schoppe der Krieg Gaſpard der Korſe Verwicklung mit der Fürſtinn die Krank¬ heit Gaſpard's Bruder Peterskuppel und Abſchied.

104. Zykel.

Rom iſt wie die Schöpfung ein ganzes Wun¬ der, das ſich allmählig in neue Wunder zer¬ gliedert, in das Coliſeo, in das Pantheon, die Peterskirche, in Raphael u. ſ. w.

Mit dem Durchgang durch die Peterskirche fieng der Ritter den ſchönen Lauf durch die Un¬ ſterblichkeit an. Die Fürſtinn ließ ſich von der Kunſt mit dem Männer-Kreiſe verbinden. Da37 Albano mehr von Gebäuden, als von jedem andern Kunſtwerk ergriffen wurde: ſo ſah er mit heiligem Herzen von weiten das lange Kunſt-Gebürg, das wieder Hügel trug ſo trat er vor die Ebene, um welche zwei unge¬ heuere Kolonnaden wie Korſo's laufen, ein Volk von Statuen tragend; in der Mitte ſteigt der Obeliskus und zu ſeiner Rechten und Linken ein ewiges Waſſer auf und von den hohen Stufen ſchauet die ſtolze Kirche der Welt, in¬ nen mit Kirchen beſetzt, auf ſich einen Tempel gen Himmel reichend, auf die Erde herunter. Aber wie waren in der Nähe ihre Säulen und ihre Felſenwand ungeheuer aufgeſtiegen und flohen den Blick!

Er trat in die Zauberkirche, die der Welt Seegen, Fluch, Könige und Päbſte gab, mit dem Bewußtſeyn, daß ſie wie das Weltge¬ bäude ſich immer mehr erweitere und entferne, je länger man in ihr iſt. Auf zwei Kinder von weiſſem Marmor, die eine Weih-Muſchel von gelbem hielten, giengen ſie hin, die Kin¬ der wuchſen durch das Nahen, bis ſie Rieſen waren. Endlich ſtanden ſie am Hauptaltar und38 deſſen hundert ewigen Lampen welch eine Stille! Über ſich das Himmelsgewölbe der Kuppel, auf vier innern Thürmen ruhend, um ſich eine überwölbte Stadt, von vier Straßen, worin Kirchen ſtanden. Am größeſten wurde der Tempel durch Gehen; und wenn ſie um eine Säule traten, ſo lag ein neuer vor ihnen und heilige Rieſen ſchaueten ernſt herab. Hier wurde dem Jüngling nach langer Zeit das große Herz gefüllt: in keiner Kunſt (ſagt 'er zu ſeinem Vater,) wird die Seele ſo gewal¬ tig vom Erhabnen angefaſſet, als in der Bau¬ kunſt; in jeder andern ſteht der Rieſe in ihr und in den Tiefen der Seele, aber hier ſteht er außer und dicht vor ihr. Dian, dem alle Bilder deutlicher waren, als abſtrakte Ideen, ſagte: er hat vollkommen Recht. Fraiſch¬ dörfer verſetzte: das Erhabene ſtecke auch hier nur im Kopfe, denn die ganze Kirche ſtehe doch in etwas größerem, nehmlich in Rom und un¬ ter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfän¬ den. Auch klagt' er, daß dem Erhabnen der Platz in ſeinem Kopfe ſehr verengt werde durch die unzähligen Schnörkel und Monumente, die39 der Tempel zugleich mit ſich in ihn hineintreibe. Gaſpard ſagte, alles mit einem großen Sinne neh¬ mend: ſteht nur einmal das Erhabne wirklich da, ſo verſchlingt und vertilgt es eben ſeiner Natur nach alle kleinen Zierden um ſich her. Er führte zum Beweiſe den Münſterthurm und die Natur ſelber an, die durch ihre Gräſer und Dörfer nicht kleiner werde.

Die Fürſtinn genoß unter ſo vielen Kunſt¬ verſtändigen ſchweigend.

Das Erſteigen der Kuppel rieth Gaſpard ei¬ nem regen - und wolkenloſen Tage aufzuheben, um die Welt-Königinn Roma auf und von dem rechten Throne zu ſchauen; er ſchlug da¬ für ſehr eifrig den Beſuch des Pantheons vor, weil er es gern ſchnell hinter den Eindrücken der Peterskirche wollte folgen laſſen. Sie gien¬ gen dahin. Wie einfach und groß thut ſich die Halle auf! Acht gelbe Säulen tragen ihre Stirn, und majeſtätiſch wie das Haupt des Homeriſchen Jupiters, wölbt ſich ſein Tempel! Es iſt die Rotonda oder das Pantheon. O der Niedrigen, (rief Albano,) die uns neue Tempel geben wollen! Hebt die alten40 aus dem Schutte höher, ſo habt ihr genug ge¬ bauet*)Die Pantheons-Halle ſcheint zu niedrig, weil einen Theil ihrer Stufen der Schutt verbirgt.. Sie traten hinein; da wölbte ſich ein heiliges, einfaches, freies Weltgebäude mit ſeinen hinaufſtrebenden Himmelsbogen um ſie, ein Odeum der Sphärentöne, eine Welt in der Welt! Und oben**)27 Fuß hat die Dach-Öfnung im Durchmeſſer. leuchtete die Au¬ genhöhle des Lichts und des Himmels herab und das ferne Flug-Gewölk ſchien die hohe Wölbung zu berühren, über die es wegſchoß! Und um ſie her ſtanden nichts als die Tem¬ pel-Träger, die Säulen! Der Tempel al¬ ler Götter vertrug und verbarg die kleinlichen Altäre der ſpätern.

Gaſpard befragte Albano über ſein Gefühl. Dieſer zog die größere Peterskirche vor. Der Ritter billigte es und ſagte: daß überall der Jüngling gleich den Völkern das Erhabene beſſer empfinde und leichter finde als das Schöne, und daß der Geiſt des Jünglings41 vom Starken zum Schönen reife, wie der Kör¬ per deſſelben vom Schönen zum Starken; in¬ deß zieh 'er ſelber das Pantheon vor. Wie könnten auch Neuere (ſagte der Kunſtrath Fraiſchdörfer,) etwas bauen, außer einige Ber¬ niniſche Thürmlein? Dafür (ſagte der verletzte Land-Baumeiſter Dian, der den Kunſt¬ rath verachtete, weil dieſer niemals eine gute Figur machte, als in der äſthetiſchen Richter¬ ſtube als Richter, nie in dem Ausſtellungsſaal als Mahler,) ſind wir Neuern ohne Widerrede in der Kritik ſtärker, wenn wir auch in der Praxis ſammt und ſonders Lumpe ſind. Bouverot merkte an: die korinthiſchen Säu¬ len könnten höher ſeyn. Der Kunſtrath ſagte: er wiſſe doch nichts dieſer ſchönen Halbkugel ähnlicheres, als eine viel kleinere, die er im Herkulanum in Aſche ausgedrückt gefunden vom Buſen einer ſchönen Flüchtlingin. Der Ritter lachte und Albano trat unwillig zur Fürſtinn.

Sie fragte er um ihre Stimme über bei¬ de Tempel. Hier Sophokles, dort Shakes¬ pear; aber den Sophokles faſſ 'ich leichter; 42verſetzte ſie und blickt' ihm mit neuen Augen in das neue Angeſicht. Denn die überirdiſche Erleuchtung durch das Zenith des Himmels, nicht durch einen dunſtigen Horizont ver¬ klärte ihr das ſchöne bewegte Geſicht des Jüng¬ lings; und ſie ſetzte voraus, der Heiligenſchein der Kuppel hebe auch ihre Geſtalt. Da er ihr antwortete: ſehr gut! Aber in Shakeſpear ſteckt auch Sophokles, aber in Sophokles nicht Shakeſpear und auf der Peterskirche ſteht Angelo's Rotonda! ſo gieng plötzlich das hohe Gewölk, wie durch den Schlag einer Hand aus dem Äther, entzwei und die entrückte Sonne ſchauete, wie das Auge der durch den alten Himmel ziehenden Venus, die ſonſt auch hier ſtand, aus hoher Tiefe mild herein da füllte ein heiliger Glanz den Tempel und brannte auf dem Porphyr des Bodens und Albano ſah betroffen und entzückt umher und ſagte mit lei¬ ſer Stimme: wie iſt jetzt alles ſo verklärt an dieſer heiligen Stelle! Raphael's Geiſt geht in der Mittagsſtunde aus ſeinem Grabe und al¬ les, was ſein Wiederſchein berührt, erglänzt göttlich! Die Fürſtinn ſah ihn zärtlich an43 und er legte leicht ſeine Hand auf ihre und ſagte wie überwältigt: Sophokles!

Am nächſten mondhellen Abende darauf be¬ ſtellte Gaſpard Fackeln, damit das Coliſeo mit ſeinem Rieſen-Kreis zuerſt im Feuer vor ihnen ſtände. Dem Ritter, der nur allein mit dem Sohne düſter im düſtern Werke, wie zwei Gei¬ ſter der alten Zeit, umhergehen wollte, drang ſich noch die Fürſtinn auf, aus zu lebhaftem Wunſch, mit dem edlen Jüngling große Mi¬ nuten und wohl gar ihr Herz und ſeines zu theilen. Die Weiber begreifen nicht genug, daß die Idee, wenn ſie den männlichen Geiſt er¬ füllt und erhebt, ihn dann vor der Liebe ver¬ ſchließe und die Perſonen verdränge, indeß bei Weibern alle Ideen leicht zu Menſchen wer¬ den.

Sie giengen über das Forum auf der via sacra zum Coliſeo, deſſen hohe zerſpaltene Stirn unter dem Mondlicht bleich herniederſchauete. Sie ſtanden vor den grauen Felſenwänden, die ſich auf vier Säulenreihen übereinander hinauf¬ baueten und die Flammen ſchoſſen hinauf in die Bogen der Arkaden, hoch oben das grüne44 Geſträuch vergüldend; und tief in die Erde hatte ſich das ſchöne Ungeheuer ſchon mit ſei¬ nen Füßen eingegraben. Sie traten hinein, und ſtiegen am Gebürge voll Felſenſtücke von einem Sitze der Zuſchauer zum andern; Ga¬ ſpard wagte ſich nicht zum ſechsten oder höch¬ ſten, wo ſonſt die Männer ſtanden, aber Al¬ bano und die Fürſtinn. Da ſchauete dieſer über die Klippen auf den runden grünenden Krater des ausgebrannten Vulkans herunter, der einſt auf einmal neuntauſend Thiere verſchlang und der ſich mit Menſchenblut löſchte der Flam¬ menſchein fuhr in das Geklüft und ins Geniſte des Epheus und Lorbeers und unter die gros¬ ſen Schatten des Mondes, die wie Abge¬ ſchiedne ſich in den Höhlen aufhielten, in Süden, wo die Ströme der Jahrhunderte und der Barbaren hereingedrungen waren, ſtanden einzelne Säulen und geſchleifte Arkaden Tempel und drei Palläſte hatte der Rieſe mit ſeinen Gliedern genährt und gefüttert und noch ſchauete er lebendig mit ſeinen Wunden in die Welt.

Welch 'ein Volk! (ſagte Albano) Hier45 ringelte ſich die Rieſenſchlange fünfmal um das Chriſtenthum Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo ſonſt der Koloſſus des Sonnengottes ſtand Der Stern des Nordens*)Der Polſtern ſteht wie andere nördliche Stern¬ bilder in Süden tiefer. ſchimmert geſenkt durch die Fenſter und der Drache und die Bären bücken ſich. Welch 'eine Welt iſt vorüber! Die Fürſtinn ant¬ wortete: daß zwölftauſend Gefangne dieſes Theater baueten und daß noch weit mehrere darauf bluteten. O die Bau-Gefangnen ha¬ ben wir auch, (ſagt' er,) aber für Feſtungen; und das Blut flieſſet auch noch, aber mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne ſie die Zukunft gebähren.

Die Fürſtinn gieng weg, um einen Lorbeer¬ zweig und blühenden Güldenlack zu brechen. Albano verſank ins Sinnen der Herbſtwind der Vergangenheit gieng über die Stoppeln auf dieſer heiligen Höhe ſah er die Sternbil¬ der, Roms grüne Berge, die ſchimmernde Stadt,46 die Ceſtius-Pyramide, aber alles wurde zur Vergangenheit und auf den zwölf Hügeln wohnten, wie auf Gräbern, die alten hohen Geiſter und ſahen ſtreng in die Zeit, als wä¬ ren ſie noch ihre Könige und Richter.

Zum Andenken der Stelle und der Zeit! ſagte die kommende Fürſtinn, ihm den Lorbeer und die Blume gebend. Du Gewaltige, ein Koliſeo iſt dein Blumentopf, dir iſt ja nichts zu groß und nichts zu klein! ſagte er und brachte die Fürſtinn in einige Verwirrung, bis ſie merkte, daß er die Natur meine. Sein gan¬ zes Weſen ſchien neu und ſchmerzlich bewegt und wie fern entrückt er ſah nach dem Va¬ ter hinab und ſuchte ihn auf er blickte ihn ſcharf an und drückte heftig ſeine Hand und ſprach dieſen Abend über nichts mehr.

105. Zykel.

Albano wurde wie eine Welt von Rom wunderbar verändert. Nachdem er ſo mehrere Wochen zwiſchen Roma's Ruinen und Schö¬ pfungen gelagert war nachdem er aus Ra¬47 phaels kryſtallenem Zauberbecher getrunken, deſſen erſte Züge nur kühlen, wenn die letzten ein welſches Feuer durch alle Adern führen nachdem er den Bergſtrom Michel Angelo's bald als Katarakte, bald als Ätherſpiegel ge¬ ſehen nachdem er ſich vor den letzten größten Nachkommen Griechenlands gebeugt und ge¬ heiligt hatte, vor deſſen Göttern, die mit ruhigem heitern Antlitz in die unharmoniſche Welt her¬ einblicken und vor dem vatikaniſchen Sonnen¬ gott, welcher zürnt über die Proſa der Zeit, über dieſe niedrige Pythoniſche Schlange, die ſich immer wieder verjüngt nachdem er lange ſo vor dem Vollmond der Vergangenheit im Glanze geſtanden: ſo überzog ſich auf einmal ſeine ganze innere Welt und wurde ein einzi¬ ges Gewölk. Er ſuchte Einſamkeit er hörte auf zu zeichnen und Muſik zu treiben er ſprach wenig mehr von Roms Herrlichkeit Nachts, wo der tägliche Regen aufhörte, be¬ ſucht 'er allein die großen Trümmer der Erde, das Forum, das Coliſeo, das Kapitolium er wurde heftiger, ungeſelliger, ſchärfer ein tief eingeſenkter Ernſt waltete auf der hohen48 Stirn und durch das Auge brannte ein düſte¬ rer Geiſt.

Gaſpard ſchickte unbemerkt ſeinen Blick al¬ len geheimen Entfaltungen des Jünglings nach. Ein bloßer Nachſchmerz über Liane ſchien ſein Zuſtand nicht zu ſeyn. Im nordiſchen Winter wäre dieſe Wunde nur zugefroren und nicht zugeheilt; aber hier, im Tempel der Welt, wo Götter begraben liegen, ſtärkte ſich ein edles Herz und ſchlug für ältere Gräber. Die Für¬ ſtinn, die unter dem Deckmantel des Vaters dem Sohne nachjagte, ſuchte er weniger als den alten kalten Lauria und den feurigen Dian.

In derſelben Zeit ſehnt 'er ſich ſchmerzlich nach ſeinem Schoppe; an dieſer Bruſt, dacht' er, hätte das Geheimniß der ſeinigen den rech¬ ten Ort und Troſt gefunden. Es war ihm als hab 'er ſeit dieſer Abweſenheit in Einem fort mit ihm zuſammengelebt und ſich feſter verbrü¬ dert. So wohnen und ſchmelzen die Geiſter im unſichtbaren Lande zuſammen; und wenn ſich die Leiber im ſichtbaren wieder begegnen, fin¬ den die Herzen ſich bekannter wieder. Leiderhört ' 49hört 'er, ſo viel auch ſein Vater Briefe aus Peſtiz bekam, keinen Laut von dem Freunde über die Berge herüber, den er in den dunkeln Verhältniſſen einer wunderbaren verwirrenden Leidenſchaft zurückgelaſſen. Er rechnete Schop¬ pen, deſſen Haß und Zank gegen alles Brief¬ ſchreiben er kannte, das Schweigen nicht an; aber ſein eignes Herz konnt' es nicht verlän¬ gern und er ſchrieb ſo an ihn:

Wir wurden ſchlafend von einander geris¬ ſen, Schoppe! Jene Zeit hat ſich bedeckt und bleibt es. Sehr wach wollen wir uns wieder erblicken. Von Dir weiß ich nichts; wenn mir Rabette nicht ſchreibt, muß ich die brennende Ungeduld bis zu unſerer Zuſammenkunft im Sommer umhertragen und leiden. Was iſt von mir zu ſchreiben? Ich bin verändert bis ins Innerſte hinab und von einer hineingrei¬ fenden Rieſenhand. Wenn die Sonne über den Scheitelpunkt der Länder zieht, ſo hüllen ſie ſich alle in ein tiefes Gewölk '; ſo bin ich jetzt unter der höchſten Sonne und bin eingehüllt. Wie im Rom, im wirklichen Rom, ein MenſchTitan IV. D50nur genießen und vor dem Feuer der Kunſt weich zerſchmelzen könne, anſtatt ſich ſcham¬ roth aufzumachen und nach Kräften und Tha¬ ten zu ringen, das begreif 'ich nicht. Im ge¬ malten, gedichteten Rom, darin mag die Muße ſchwelgen; aber im wahren, wo Dich die Obe¬ lisken, das Coliſeo, das Kapitolium, die Tri¬ umphbogen unaufhörlich anſehen und tadeln, wo die Geſchichte der alten Thaten den gan¬ zen Tag wie ein unſichtbarer Sturmwind durch die Stadt fortrauſchet und Dich drängt und hebt, o wer kann ſich unwürdig und zuſehend hinle¬ gen vor die herrliche Bewegung der Welt? Die Geiſter der Heiligen, der Helden, der Künſt¬ ler gehen dem lebendigen Menſchen nach und fragen zornig: was biſt Du? Ganz anders gehſt Du aus dem Vatikan des Raphaels und über das Kapitolium herunter, als Du aus ir¬ gend einer Deutſchen Bildergallerie und einem Antikenkabinet heraustrittſt. Dort ſiehſt Du auf allen Hügeln alte ewige Herrlichkeit, jede Römerinn iſt mit Geſtalt und Stolz noch ihrer Stadt verwandt, der Transteveriner iſt der Sparter und Du findeſt ſo wenig einen Rö¬51 mer als einen Juden ſtumpf; indeß Du in Peſtiz faſt unduldſam werden mußt ſchon ge¬ gen den Kontraſt der bloßen Geſtalt. Sogar der ruhige Dian behauptet, die häßlichen Mas¬ ken der Alten ſähen wie die deutſchen Gaſſen - Geſichter und ihre Faunen und andere Thier¬ götter wie edlere Hof-Geſichter aus; ihre Ko¬ pirbilder Alexanders, der Philoſophen, der römiſchen Tyrannen wären, ſo ſcharf und pro¬ ſaiſch ſie ſich auch von ihren poetiſchen Statüen der Götter abſchnitten, den jetzigen Idealen der Mahler gleich.

Thut es da genug, mit Augen voll Bewun¬ derung und gefalteten Händen um die Rieſen zu ſchleichen und dann welk und klein zu ihren Füßen zu verſchmachten? Freund, wie oft pries ich in den Tagen des Unmuths die Künſtler und Dichter glücklich, die ihre Sehnſucht doch ſtillen dürfen durch frohe leichte Schöpfun¬ gen, und welche durch ſchöne Spiele die gros¬ ſen Todten feiern, Archimimen der Helden¬ zeit. Und doch ſind dieſe ſchwelgeriſchen Spiele nur das Glockenſpiel am Blitzableiter; es giebt etwas Höheres, Thun iſt Leben, darinD 252regt ſich der ganze Menſch und blüht mit allen Zweigen. Es iſt nicht von den bangen engen Kleinthaten auf der Ruder - und auf der Ruhebank der Zeit die Rede. Noch ſtehet an der Krönungs¬ ſtadt des Geiſtes ein Thor offen, das Opferthor, das Janusthor. Wo iſt denn weiter auf der Erde die Stelle, als auf dem Schlachtfeld, wo alle Kräfte, alle Opfer und Tugenden eines gan¬ zen Lebens, in Eine Stunde gedrängt, in gött¬ licher Freiheit zuſammenſpielen mit tauſend Schweſter-Kräften und Opfern? Wo ſind denn allen Kräften, von dem ſchnellſten Scharf¬ blick an bis zu allen körperlichen Fertigkeiten und Abhärtungen, von der höchſten Großmuth und Ehre an bis auf die weichſte Thräne herab, von jeder Verachtung des Körpers an bis zur tödtlichen Wunde hinauf ſo alle Schran¬ ken aufgethan für einen wetteifernden Bund? Wiewohl eben darum der Spielraum aller Göt¬ ter auch dem Larventanz aller Furien frei ſteht. Nimm nur den Krieg höher, wo die Geiſter, ohne Verhältniß des Gewinnſtes zum Verluſt, nur aus Kraft der Ehre und des Zwecks, ſich dem Schickſal verdingen, daß es unter ihren53 Körpern die Leichen ausleſe und das Loos des Sieges aus den Gräbern ziehe. Zwei Völ¬ ker gehen auf die Schlacht-Ebene, die tragi¬ ſche Bühne eines höhern Geiſtes, um ohne perſönlichen Haß die Todesrollen gegen einan¬ der zu ſpielen ſtill und ſchwarz liegt die Ge¬ witterwolke auf dem Schlachtfeld die Völ¬ ker ziehen hinein in die Wolke und alle ihre Donner ſchlagen und düſter und allein brennt die Todesfackel über ihr es wird endlich Licht und zwei Ehrenpforten ſtehen aufgebauet, die Todespforte und das Siegesthor, und das Heer hat ſich getheilt und iſt durch beide gezo¬ gen, aber durch beide mit Kränzen. Und wenn es vorüber iſt, ſtehen die Todten und die Lebendigen erhaben in der Welt, weil ſie das Leben nicht geachtet hatten. Wenn aber der große Tag noch größer werden, wenn dem Geiſte das Köſtlichſte kommen ſoll, was das Leben heiligen kann: ſo ſtellt Gott einen Epaminondas, einen Kato, einen Guſtav Adolph vor das geheiligte Heer und die Freiheit iſt zugleich die Fahne und die Palme o ſeelig wer dann lebt oder ſtirbt für den54 Kriegs-Gott und für Friedens-Göttinn zugleich.

Laſſe mich das nicht durch Sprechen entwei¬ hen. Nimm aber hier mein leiſes feſtes Wort und leg 'es in Deine Bruſt zurück, daß ich mir, ſobald Galliens wahrſcheinlicher Freiheitskrieg anhebt, meine Rolle durchaus nehme in ihm, für ihn. Abhalten kann mich nichts, auch nicht mein Vater. Dieſer Entſchluß gehört zu mei¬ ner Ruhe und Exiſtenz. Aus Ehrgeiz ergreif' ich ihn nicht; obwohl aus Ehrliebe gegen mich ſelber. Schon in meinen frühern Jahren konnt 'ich nie das platte Lob einer ewigen häuslichen Glückſeeligkeit genießen, was gewiß eher Wei¬ bern als Männern geziemt. Freilich Deine Stärke oder Gemüthsweiſe, alles Große ruhig aufzunehmen und die Welt ſtill in einen innern Traum zu zerſchmelzen, hat wohl niemand. Du ſchaueſt die Abendwolken an und hernach die Milchſtraße und ſagſt kalt: Gewölk! Kommſt Du aber doch nicht zu tief in dieſes Gefühl, in dieſe kalte Gruft hinunter? Zwar will das Gift dieſes Gefühls einen überall und gerade in Rom, dieſem Kirchhof ſo ferner Völker, ſo55 entgegengeſetzter Jahrhunderte, ſüßer als ir¬ gendwo verzehren; aber wüßteſt Du vom Ver¬ gänglichen ohne den Nebenſtand des Unver¬ gänglichen und wo wohnt der Tod als im Le¬ ben? Laſſe verſtieben und verſiegen! es giebt doch drei Unſterblichkeiten, wiewohl Du die erſte, die überirdiſche, nicht glaubſt die un¬ terirdiſche (denn das All kann verſtäuben, aber nicht ſein Staub;) und die ewigwirkende darin; die, daß jede That viel gewiſſer eine ewige Mutter wird als eine ewige Tochter iſt. Und dieſer Bund mit dem Univerſum und mit der Ewigkeit macht der Ephemere Muth, in ihrer Flug-Minute das Blüthenſtäubchen wei¬ ter zu tragen und auszuſäen, das im nächſten Jahrtauſend vielleicht als Palmenwald daſteht.

Ob ich mich meinem Vater entdecke, iſt mir noch zweifelhaft, weil ich es noch darüber bin, ob ich ſeine bisherigen Äuſſerungen gegen die Neufranken für ſcharfen Ernſt zu nehmen habe oder nur für die ſcherzhafte Kälte, womit er ſonſt gerade ſeine Gottheiten Homer, Ra¬ phael, Cäſar, Shakeſpear aus Ekel gegen den nachſprecheriſchen Götzendienſt, den der Pö¬56 bel der wahren Hoheit wie der falſchen erwei¬ ſet, im Munde führet. Grüße meinen bra¬ ven mannhaften Wehrfritz und erinner 'ihn an unſer Bundesfeſt am Zeitungstage der nieder¬ geriſſenen Baſtille. Lebe wohl und bleibe bei mir!

Albano.

An dem Abende dieſes Briefes gieng er mit ſeinem Vater in eine Conversatione im Pa¬ lazzo Colonna; hier fanden ſie die ſchwarz¬ marmorne Gallerie voll Antiken und Gemälde aus einem Kunſt - und Geſellſchaftszimmer in einen Fechtboden verkehrt, alle Arme und Zun¬ gen der Römer waren in Bewegung und Kampf über die neueſten Entwicklungen der galliſchen Revoluzion, und die meiſten für ſie. Es war damals, wo faſt ganz Europa einige Tage lang vergaß, was es aus der politiſchen und poetiſchen Geſchichte Frankreichs Jahrhunderte lang gelernt hatte, daß daſſelbe leichter eine vergrößerte als eine große Nazion werden könnte. Der Ritter allein gab ſich lieber den Kunſtwerken als dem leeren Gefechte ſeiner Nachbarſchaft hin; endlich aber hört 'er von57 weitem, wie Albano, gleich allen damaligen Jünglingen, der Himmels-Königinn, der Freiheit, jauchzend nachzog, unter den ewi¬ gen Freien und ewigen Sklaven mitgehend nach der damaligen Gleichheit: da trat er nä¬ her und merkte nach ſeiner Weiſe an: die Re¬ voluzion ſey etwas ſehr Großes; er finde indeß an großen Werken, z. B. an einem Coliſeo, Obeliskus, an dem Flor einer Wiſſenſchaft, an dem Kriege, an der Höhe der Aſtronomie, der Phyſik weniger als andere zu bewundern, denn bloß die Menge in der Zeit oder im Raume ſchaff' es, eine beträchtliche Vielheit kleiner Kräfte. Aber nur große achte man*)Die Summe und das Syſtem elektriſcher, gal¬ vaniſcher, chemiſcher, anatomiſcher Erfahrun¬ gen, die Taktik, ein corpus juris u. ſ. w. kön¬ nen uns wol in Erſtaunen ſetzen, aber die Menſchheit ſelber erſcheint nicht größer durch Rieſengebäude, die von Millionen Elephan¬ tenameiſen zuſammengetragen werden; allein wenn Ein Elephant ein Gebäude trägt, wenn ein Individuum irgend eine Kraft in neuen Gra¬. In58 der Revoluzion ſeh 'er mehr jene als dieſe Freiheit werde an Einem Tage ſo wenig ge¬ wonnen als verloren; wie ſchwache Individuen im Rauſche gerade ihr Gegentheil wären, ſo geb' es auch wol einen Rauſch der Menge durch die Menge.

Bouverot verſetzte darauf: das iſt ganz meine Meinung auch. Albano antwortete recht ſichtbar nur ſeinem Vater weil er den deutſchen Herrn tief verachtete und ihn ganz unwürdig des Genuſſes hoher Kunſtwerke hielt, wofür er vornehmen Geſchmack mitgebracht, obwohl keinen Sinn und ſagte: lieber Vater, die 12000 Juden entwarfen nicht das Coliſeo, das ſie baueten, aber die Idee war doch ir¬ gendeinmal ganz in Einem Menſchen, im Veſpa¬ ſian; und ſo muß überall den konzentriſchen*)den und Verhältniſſen zeigt, Newton die ma¬ thematiſche Anſchauung, Raphael die bildende, Ariſtoteles, Leſſing, Fichte den Scharfſinn, oder ein anderes die Güte, die Feſtigkeit, den Witz u. ſ. w.: dann gewinnt die Menſchheit und ihre Schranken rücken hinaus. 59 Richtungen kleiner Kräfte irgend eine große vorſtehen und wär 'es Gott ſelber. Da¬ hin, (ſagte Gaſpard,) wo alles Göttliche ver¬ legt wird, magſt Du es denn auch verſetzen. Bouverot lächelte. Der galliſche Rauſch (verſetzte Albano heftig,) iſt doch wahrlich kein zufälliger, ſondern ein Enthuſiasmus in der Menſchheit und Zeit zugleich gegründet, wo¬ her denn ſonſt der allgemeine Antheil? Sie können vielleicht ſinken, aber um höher zu flie¬ gen. Durch ein rothes Meer des Bluts und Kriegs watet die Menſchheit dem gelobten Lande entgegen und ihre Wüſte iſt lang; mit zerſchnittenen nur blutig-klebenden Händen klimmt ſie wie die Gemſenjäger empor. Die Gemſenjäger ſelber (ſagte der Ritter,) thun das mehr, wenn ſie von der Alpe her¬ ab wollen; indeß ſind ſolche Hoffnungen rei¬ zend und wir wollen gern ihre Erfüllung wün¬ ſchen. Signor Conte (ſetzte Bouverot da¬ zu,) nannte ſehr gut den Aufſtand einen Rauſch. Man ſchläft ihn aus; aber am Morgen iſt manches zerbrochen und zu bezahlen. Rauſch? (ſagte Albano.) Welches Beſte iſt60 nicht im Enthuſiasmus geſchehen, und welches Schlechteſte nicht in der Kälte? Welches, Herr von Bouverot? Ja es giebt einen grä߬ lichen, grimmigen Seelen-Froſt, ſo wie einen ähnlichen phyſiſchen, der wie die größte Hitze ſchwarz und blind und wund macht*)In Grönland macht die heftige Kälte ſchwarz und blind.; ſo et¬ was wie die franzöſiſche Tragödie, kalt und doch grauſam.

Du näherſt Dich dem Tragiſchen, Sohn. (unterbrach ihn Gaſpard und ſchützte den deut¬ ſchen Herrn.) Wir dürfen von den Franzoſen recht viel politiſche Sagazität erwarten, zumal in der Noth; das iſt ihre Stärke. Darin kom¬ men ſie den Weibern bei. Auch ſind ſie wie die Weiber entweder ungemein zart, ſittlich und human, wenn ſie gut ſind, oder wie dieſe eben ſo grauſam und roh, wenn ſie außer ſich kom¬ men. Es läſſet ſich weiſſagen, daß ſie in einem Freiheitskriege, wenn er ausbräche, an Tapferkeit es allen Partheien zuvorthun wer¬ den. Das wird ſehr blenden, da doch nichts61 ſeltener iſt als ein feiges Volk. Man lernt die Kriegstapferkeit gemäßigt ſchätzen, wenn man ſieht, daß die römiſchen Legionen gerade als ſie feil, ſchlecht, ſklaviſch und zur Hälfte Frei¬ gelaſſene waren, nehmlich unter dem Triumvi¬ rat, muthiger ſtritten als vorher. Für den un¬ bedeutenden Mordbrenner Katilina ſtritten und ſtarben die Bürger bis auf den letzten Mann und nur Sklaven wurden gefangen.

Dieſe Rede drückte ein heißes Siegel auf Albano's Mund; es ſchien ordentlich als er¬ rathe ihn der Vater und mache ſich die alte Freude, wie ein Schickſal einen Enthuſiasmus zu erkälten und Erwartungen Lügen zu ſtrafen, ſogar trübe. Der beleidigte, ſich ſelber aus¬ brennende Geiſt blieb nun feſt vor Gaſpard und Bouverot zugedeckt.

Aber ſeinem Dian zeigt 'er alles am Mor¬ gen darauf; er wußte, wie dieſer mit dem Ar¬ me eines Künſtlers und Jünglings zugleich die Freiheitsfahne trug und ſchwang, und darum brach er vor ihm das dunkle Siegel ſeines bis¬ herigen Trübſinns auf. Er geſtand dem ge¬ liebteſten Lehrer den großgewachſenen Vorſatz,62 ſobald der unheilige Krieg gegen die galliſche Freiheit, der jetzt ſeine Pechkränze in allen Straßen der Stadt Gottes aushieng, in Flam¬ men ſchlage, an die Seite der Freiheit zu tre¬ ten und früher zu fallen als ſie. Wahrlich, Ihr ſeyd ein wackerer Menſch (ſagte Dian). Hätte ich mir nicht Kind und Kegel aufge¬ halſet, bei Gott! ich zöge ſelber mit. Der Alte wie dergleichen, ſieht viel und hört ſchlecht. Wittern ſoll er nichts und ſeine Beſtie von Ba¬ rigello auch nicht. Den Kunſtrath Fraiſch¬ dörfer meint' er, den er mit Künſtler-Eigen¬ ſinn ewig verabſcheuete, weil der Kunſtrath ſchlechter mahlte und beſſer kritiſirte als er. Dian, Euer Wort iſt ſchön geſagt, ja wohl macht das Alter phyſiſch und moraliſch weit¬ ſichtig für ſich und taub gegen den andern (ſagte Albano). Hab 'ich gut geſprochen, Al¬ bano? Aber wahrlich ſo iſt die Sache, ſagt' er, ſehr erfreuet bei ſeinem Mißtrauen in ſeine Sprache, über das Lob ihrer Schönheit.

Nach einiger Zeit ſagte der Ritter, gleich als ſehe er durch das Siegel hindurch, einige Wor¬ te, die den Jüngling auf allen Seiten griffen:63 Es giebt (ſagt 'er,) einige wackere Naturen, die gerade auf der Gränze des Genies und des Talentes ſtehen, halb zum thätigen, halb zum idealiſchen Streben ausgerüſtet dabei von brennendem Ehrgeize. Sie fühlen alles Schöne und Große gewaltig, und wollen es aus ſich wieder erſchaffen, aber es gelingt ih¬ nen nur ſchwach; ſie haben nicht wie das Ge¬ nie Eine Richtung nach dem Schwerpunkt, ſon¬ dern ſtehen ſelber im Schwerpunkte, ſo daß die Richtungen einander aufheben. Bald ſind ſie Dichter, bald Mahler, bald Muſiker; am mei¬ ſten lieben ſie in der Jugend körperliche Ta¬ pferkeit, weil ſich hier die Kraft am kürzeſten und leichteſten durch den Arm ausſpricht. Da¬ her macht ſie früher alles Große, was ſie ſehen, entzückt, weil ſie es nach zu ſchaffen denken, ſpäter aber ganz verdrüßlich, weil ſie es doch nicht vermögen. Sie ſollten aber einſehen, daß gerade ſie, wenn ſie ihren Ehrgeiz früh einzulen¬ ken wiſſen, das ſchönſte Loos vielartiger und harmoniſcher Kräfte gezogen; ſowohl zum Ge¬ nuſſe alles Schönen, als zur moraliſchen Aus¬ bildung und zur Beſonnenheit ihres Weſens64 ſcheinen ſie recht beſtimmt zu ſeyn, zu ganzen Menſchen; wie etwan ein Fürſt ſeyn muß, weil dieſer für ſeine allſeitige Beſtimmung allſeitige Richtungen und Kenntniſſe haben muß.

Sie ſtanden gerade, als er dies ſagte, auf dem Aventiniſchen Berge, vor ſich die Ceſtius - Pyramide, dieſes Epitaphium des Ketzer-Got¬ tesackers, worin ſo mancher unausgebildete Künſtler und Jüngling ſchläft, und nahe dabei der hohe Scherben-Berg*)Wohin ſeit Servius Tullius Zeit alle Scher¬ ben geworfen werden. (monte testaccio), wovor Albano immer mit einem ekeln kahlen Gefühl ſchaaler Ödheit vorbeigieng. Der Stoß der väterlichen Ideen gegen ſeine und die Ver¬ wandtſchaft des Scherben-Bergs mit dem Frem¬ den-Kirchhof machten, daß Albano mehr ſich als dem Vater antwortete, mit einem geſchmol¬ zenen Eiſen-Tropfen des Unwillens im Auge: ein ſolcher namenloſer Töpfer-Berg iſt im Gan¬ zen auch die Geſchichte der Völker. Aber man möchte ſich doch lieber auf der Stelle tödtenals65als erſt nach einem langen Leben ſich ſo nahmen - und thatenlos in die Menge eingraben.

Seit ſeiner Einigkeit mit ſich ſelber wurd 'er glücklicher; mit Eifer that er ſich ſchon jetzt zum Werk, ſeiner Natur gemäß, die wie im Saa¬ menkorn, Stamm und Wurzel aus Einer Saa¬ menſpitze trieb, Gedanken und Thaten.

Er warf alles andere Treiben weg und ſtu¬ dirte alte und neue Kriegskunſt, wozu ihm Dian die Bücher und das Muſeum borgte und lieferte. Mit nahmenloſer Entzückung und Erhebung durchlief er wieder die Sonnenkar¬ ten der römiſchen Geſchichte, hier auf dem aus¬ gebrannten Sonnenkörper ſelber und oft, wenn er ihre Entzündungen gezeichnet las, ſtand er eben in den Kratern, wo ſie aufgegangen waren.

Dian gab noch dazu ſeine Kenntniß des kleinen Dienſtes und ſich gern zu körperlichen Übungen her; wenn er ihn vorher zu dem Got¬ tesdienſte unter Raphaels-Kunſthimmel hin¬ aufgezogen, wo Grazien wie Sternbilder im hohen Äther gehen; denn bei Dian war Leib und Seele Ein Guß, der weichſte AugennerveTitan IV. E66und härteſte Armmuskel Ein Band. Zuletzt führt 'er, da ihm ein Wort viel ſauerer wurde als eine That und da er lieber den ganzen Leib als die Zunge regte, dem Grafen einen redneriſchen Kriegs-Genoſſen zu, einen korſi¬ ſchen Jüngling, lebendig wie aus lauter Mark des Lebens geformt.

Beide Jünglinge liebten und übten ſich eine Zeitlang in romantiſcher Freiheit, ohne einan¬ der nur die Nahmen abzufragen. Sie fochten, laſen, ſchwammen. Der Korſe vergötterte faſt Albano's Geſtalt, Kraft, Kopf und Muth, und goß ſein ganzes Herz in eines, das er nicht ganz faßte; wie viele Mädchen nirgends als in der Liebe, ſo zeigte er nirgends als im Kriegsſpiele Seele und Sinn. Albano's helles Gold ſpiegelte gefällig die fremde Geſtalt zu¬ rück, ohne wie Glas dabei die eigne zu ver¬ nichten.

Einſt wurde des Korſen Gluth eine Flamme, die das ganze eigne Leben dem Freunde be¬ leuchtet zeigte und ſeinen einzigen Zweck und Durſt, nehmlich den nach Franzoſen-Blut, den er (ſagt er,) im kommenden Kriege zu67 löſchen hoffe. Wär 'ihm Albano ähnlich ge¬ weſen, ſo hätten ſie ſich wie kämpfende Hirſche in die Geweihe tödtlich verwickelt; denn die ſtörriſche, unbiegſame Tapferkeit des Korſen mehr eine ſinnliche, ſo wie Albano's ſeine mehr eine geiſtige litt kein Gegenwort. Gleich ſeiner Klaſſe begehrte er auf ſeine Rede ein recht ſtarkes Zuwort von Albano; aber dieſer ſagte: das iſt eben das Große im Kriege, daß man ohne leidenſchaftliche Erbitterung, ohne perſönliche Feindſchaft alles kann und wagt, was der Schwächling nur durch ſie ver¬ mag; wahrlich es wäre edler, in der Schlacht einen Geliebten als einen Gehaßten zu töd¬ ten. Tolle Chimären! (ſagte der Korſe zornig) wie? Du willſt die Franzoſen tödten und ſie doch lieben? Albano's Großſinn warf jede bange Larve ab und ſagte: mit Einem Wort, ich ſtreite einſt für die Gallier mit. Du, Falſcher? (ſagte der Korſe) Unmöglich! Gegen mich? Nein, (verſetzte Albano,) ich bitte Gott, daß wir uns in jener Stunde nie begegnen. Und ich will ihn recht an¬ flehen, (ſagte der Korſe,) daß wir uns nichtE 268mehr treffen als einmal mit dem Bajonet. Adio! So ſchied er entrüſtet von ihm und kam nicht wieder.

106. Zykel.

Unähnlich andern Vätern war Gaſpard ge¬ gen Albano ſeit dem erſten Kriege über den Krieg noch wie ſonſt, ja faſt beſſer; mit ſeiner alten Achtung für jede ſtarke Individualität nahm er es heiter auf, daß ſo merklich des Jünglings Sonne in die Zeichen des Sommers trat und über die Erde ſowohl höher ſtieg als wärmer.

Er gab ihm den nächſten Beweis dadurch, daß er unter den allmähligen Anſtalten zur Rückreiſe nach Peſtiz ihm einen ganz unerwar¬ teten Wunſch der Trennung bejahte. Nehm¬ lich Albano, der jetzt wie Epheu mit allen Blü¬ then und Zweigen immer feſter um und in alle Denkmähler der heroiſchen Vergangenheit gieng, wollte nicht von Rom ſcheiden, ohne Neapel geſehen zu haben. Zu ſeiner Sehnſucht kam noch Dian's Begeiſterung für dies Tochterland ſeines Vaterlandes, für deſſen Glanz des Him¬69 mels und der Erde, für deſſen griechiſche Trüm¬ mer, die der Baumeiſter den römiſchen vorzog. In Rom (hatte Dian geſagt,) habt Ihr nur Vergangenheit, hingegen in Neapel tapfere Gegenwart ich begleit 'Euch hin und her und wir gehen zuſammen nach Haus. Denn eigentlich verſteht Ihr Euch doch nicht recht auf das Schöne, ſondern auf die Natur, auf das Heroiſche und den Effekt. Da iſt Neapel der Ort. Der Ritter willigte obgleich durch Albano's Erheiterung der ganze Zweck der Rei¬ ſe ſchon gewonnen war ohne Zögern in den Zuſatz einer zweiten unter der Bedingung, daß er nicht länger als einen Monat nachbleibe.

Aber dieſer Zeit, wo ſich ſeine innere Welt ſo harmoniſch ſtimmen durfte, kamen feindliche Mißtöne immer näher, die er in der Ferne noch für Wohllaut hielt. Aus ſeinem unbe¬ ſtimmten Verhältniß mit der Fürſtinn entwi¬ ckelte ſich langſam der Mißlaut; weil jedes unbeſtimmte mit Weibern ſich endlich hart ent¬ ſcheidet, ſeltener zu Liebe als zu Haß.

Die Fürſtinn that und litt bisher alles, um ihm noch früher gefährlich zu werden als verſtänd¬70 lich. Sie ſpielte Lianen ſo gut ſie wußte nach und nahm den Nonnenſchleier einer religiöſen Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe hervor, obgleich genialiſche Weiber meiſtens ungläubig ſind wie genialiſche Männer gläu¬ big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Vergangenheit und gab die Geſchichte derer, die für ſie geſtorben waren, oder doch ver¬ ſchmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als reuig; nur das Verhältniß mit ſeinem Vater ließ ſie ſchonend hinter einem rührenden Leichen¬ ſchleier auferſtehen, und ahmte überhaupt dem Sohne in der Achtung für den Ritter nach, den ſie innerlich bitter haßte. Wenn Albano ſtundenlang die Gegenwart vergaß und ſtarr ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunſt blickte und ihr auf den Bergen ſeiner Welt Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar brannten, ſo begleitete ſie ihn geduldig auf dieſem Kunſt-Wege und hielt nur wo ſie konn¬ te, vor Stellen an, wo man einige Ausſicht in die Gegenwart hatte.

Er wurde täglich ihr wärmerer Freund, ohne ſie nur zu errathen. Nur ein Mann 71 keine Frau kann eine fremde Liebe gänzlich überſehen; die lang überſehene wird dann ſel¬ ten oder nie eine erwiederte. Albano war zu zart, um in der Geliebten ſeines Vaters und in der Frau eines Andern und in einer Freun¬ din ſeiner eignen Geliebten dieſen Wunſch einer Unſchicklichkeit vorauszuſetzen. Auch ſetzt 'er auf ſeinen Werth immer ein eben ſo kleines Vertrauen als auf ſein Recht ein großes.

Sie zweifelte, aber verzweifelte nicht an ei¬ ner wärmern Geſinnung. Ein Weib hofft ſo lange als ein zweites nicht mit hofft. Albano's nächtliche Beſuche des Kapitol's und Koli¬ ſeo's wurden von nachgeſchickten Augen im¬ mer ſeines edlen Karakters würdig befunden. Täglich lieber wurd 'ihr der feſte Jüngling durch ſein neues Aufblühen und durch ſeine männliche Entwickelung. Zuweilen hoffte ſie ſtark, von ſeiner freundſchaftlichen Redlichkeit und von jener heroiſchen Schwermuth beſtochen, die ihr ſonſt aus keiner Ferne und Nähe zu er¬ klären war. Dieſes ihr ungewohnte Auf - und Niederſteigen auf ihren Wellen erſchütterte ihre Geſundheit und ihren Karakter und ſie wurde72 wider Willen der Liane ähnlicher, mit deren Taubengefieder ſie ſich anfangs nur weiß ſchmü¬ cken wollen der glänzende Sonnenregenbo¬ gen wurde ein Mondregenbogen ſie warf mit ihren ſtarken Kräften die Hälfte ihres vo¬ rigen Selbſtes weg, die Putz -, Kunſt - und Ge¬ fallſucht und ſie wurde heftig getroffen, wenn eine Römerin mit ſüdlicher Lebhaftigkeit oft hinter dem vorbeigehenden Grafen ausrief: wie ſchön er iſt! Schwer wurde ſie für ihr früheres muthwilliges Luſtſpiel mit fremden Herzen und Leiden gezüchtigt durch das eigne; aber in ſolchen dunkeln Tagen wurzelt eben die Liebe mehr, wie man Bäume am beſten an wolkigen impft.

Albano merkte ihre Veränderung; die rei¬ zende Schwermuth ihres ſonſt kräftigen Ge¬ ſichts, dieſer Niederſchein ihres ſtillen Nebels, bewegte ihn zur theilnehmenden Frage über ihr Glück. Sie antwortete immer ſo verwor¬ ren und verwirrend zuweilen ſogar bei Al¬ bano's Scharfſinn mit dem Glauben an deſſen Verſtellung und Bosheit daß ſie ihn in den ſonderbarſten Irrthum führte.

73

Nehmlich bei ſo großer Gewißheit, daß ein Erdſchatte durch ihr ganzes jetziges Leben gehe und nicht rücke, mußt 'er den Weltkörper dazu ſuchen; dieſer ward ihm Gaſpard, den ſie, wie er glaubte, noch liebe. Er führte dieſe Ver¬ muthung leicht durch alle ihre frühern Geſprä¬ che und Blicke hindurch; es war ſo natür¬ lich, daß die früher durch einen Thron Ge¬ trennten ſich jetzt im ſchönen Lande der freien Verhältniſſe wieder zuſammenſehnten; noch dazu hatte der Ritter nach ſeiner unerbittlichen Ironie ihren Schein, ihn zu ſuchen, auch mit Schein, nehmlich mit Ernſt aufgenommen und ſich daher immer zu ihrem Genuſſe des Sohnes als Zukoſt geſetzt und einen Nachwinter in den Frühling verlegt; dieſen doppelten Schein rief ſich Albano zurück als doppelte Wahrheit.

Da trat das Schickſal plötzlich unter ſeine neuen Schlüſſe ſein Vater wurde bedenk¬ lich krank an einem entnervenden Frühlingsfie¬ ber unter dem Scirocco-Wind. Nimm kei¬ nen beſondern Theil (ſagte Gaſpard zu ihm) weder an meinen Leiden noch Äuſſerungen; ich habe in ſolchem Zuſtande eine Erweichung74 deren ich mich nachher ſchäme und doch nicht erwehre. Albano wurde von manchen un¬ erwarteten Herzens-Ausbrüchen des kran¬ ken Mannes bis zur wärmſten Liebe be¬ wegt. Wenn die Ruinen eines Tempels weh¬ müthig begeiſtern, dacht 'er, warum ſollen es mich nicht noch mehr die Ruinen einer großen Seele? Es giebt Menſchen, voll koloſſaliſcher Überreſte, gleich der Erde ſelber; in ihrem tie¬ fen ſchon erkalteten Herzen liegen verſteinerte Blumenbilder einer ſchönern Zeit; ſie gleichen nordiſchen Steinen, auf welchen Abdrücke in¬ diſcher Blumen ſtehen.

Die Krankheit grub unter ſich. Gaſpard blieb ohne Theilnahme an ſich ſelber; nur ſeine Geſchäfte, nicht ſein Ende, bekümmerten ihn. Mit ſeinem Schwiegervater Lauria hielt er ge¬ heime Unterredungen, um auf ſein Leben das ſchwarze Gerichtsſiegel ſchließend zu drücken. Ein Eilbote mußte fertig ſtehen, um nach ſei¬ nem Todesaugenblick mit einem Brief zu Linda zu fliegen, ſein Sohn ſollte einen ſelber erbre¬ chen und einen verſiegelten an die Fürſtinn übergeben. Sehr hart und gebietend benahm75 er ſich gegen dieſen, als er von ihm den Eid begehrte, ſogleich nach ſeinem Tode nach Pe¬ ſtiz abzureiſen. Denn da Albano, der ſo gern Neapel ſah und dem alle dieſe den väterlichen Tod vorausſetzenden Bedingungen ſchwer an¬ kamen, zögernd weigerte: ſo ſagte Gaſpard: das ſey ſo recht menſchlich und üblich, fremde Schmerzen ungemein zu beklagen und redlich mitzufühlen, ſie aber ohne Anſtand zu ſchär¬ fen, ſobald das Geringſte gethan werden ſolle. Albano gab das Wort und den Eid; und zeigt 'es ihm nie mehr, wenn er weinte aus Kin¬ desliebe.

Unerwartet erſchien vor dieſem Kranken¬ bette Gaſpards nächſter und früheſter Anver¬ wandter, ſein Bruder. Albano ſtand dabei, als das ſeltſame Weſen ankam und den Todt¬ kranken anſprach und zwei ſtarre gläſerne Au¬ gen, als wären ſie eingeſetzte, weit von dem wegdrehte, womit es redete ſo phantaſtiſch und doch voll kalter Welt gegen den ſterben¬ den Bruder mit hängender Geſichtshaut auf bedeutenden Geſichtsknochen ein aufgerichte¬ ter falber Währwolf, erſt aus der thieriſchen76 Haut in die menſchliche getrieben gleich dem Würgengel, ein Würgmenſch und doch ohne Leidenſchaft. Es ſtreckte nach Albano die lange Hand aus, aber dieſer, von etwas Un¬ nennbarem abgeſtoßen, konnte ſie nicht anfas¬ ſen. Dieſer Bruder ſagte, er komme von Pe¬ ſtiz übergab zwei Briefe daraus, einen an Gaſpard, einen für die Fürſtinn und fieng an, einiges über ſeine Reiſen zu ſagen, was ungemein ſcharfſinnig, phantaſtiſch, gelehrt, unglaublich und oft recht unverſtändig ſchien. Einmal ſagte Albano: das iſt geradezu un¬ möglich. Er fieng die Erzählung wieder an, machte ſie noch unglaublicher und betheuerte, es ſey ſo in der That. Darauf gieng er fort, wie er ſagte, nach Griechenland und nahm vom ſterbenden Bruder den kühlſten Abſchied.

Gaſpard ſagte jetzt zu Albano: er möge nach ſeinem Tod dieſen Sonderling, wenn er ihm nahe komme, recht wägen oder lieber meiden, da er nie ein wahres Wort ſage, blos aus reiner Freude an reiner Lüge ohne Eigen¬ nutz; noch mehr, (fuhr er fort,) weiche dem tiefen tödtlichen Skorpionſtachel Bouverot's77 aus, ſo wie ſeinem betrügeriſchen Spiel. Al¬ bano wunderte ſich über die Anſicht dieſer An¬ rede, (freudig über die moraliſche Schärfe,) da er bisher ganz andere Geſinnungen für Bou¬ verot im Vater anzutreffen geglaubt.

Am Tage darauf fand er den Vater ſchon wieder auf der Treppe aus der Gruft. Der Eilbote wurde abgedankt alle Briefe zurück¬ gefodert der Fürſt Lauria ſtand heiter da : bloß eine fremde Krankheit hat meine geheilt ſagte der Vater. Der Brief, den ihm der Bru¬ der aus Peſtiz gebracht, hatte die Nachricht enthalten, daß ſein alter Freund, der daſige Fürſt, der letzten Stunde ſchnell zueile, weil man ſeine Waſſerſucht bloß für Embonpoint gehalten und ihn verſäumet habe. Ich hoffe, (ſagte Gaſpard,) durch meinen Antheil ſo heilſam erſchüttert zu ſeyn, daß ich noch früh genug die Reiſe zur letzten Stunde der Freund¬ ſchaft zu machen vermag. Er ſetzte dazu, daß dann dieſe Reiſe wieder Bahn zu Albano's ſei¬ ner nach Neapel mache.

Da kam die Fürſtinn in der Beſtürzung über den Brief, der ihres Gemahles Gefahr und78 ihre Abreiſe anſagte. Gaſpard antwortete mit einem verlangenden Winke zur Einſamkeit, den er dem Sohne gab. Sie blieben lange allein. Endlich kam die Fürſtinn verändert wieder und bat ihn faſt ſtotternd, heute ſie in die Opera seria zu begleiten. Sie war bewegt und verlegen, ihre Augen ſchimmernd, ihre Züge begeiſtert; auch den Vater fand er auf¬ geregt, aber wie geſtärkt.

Hier ſchoß ihm ein langer Mittagsſtrahl durch den ganzen bisherigen Irrwald, nehmlich die beſtätigte Vermuthung der Liebe ſeines Va¬ ters, die jetzt durch die annahende Löſung der Ehekette der Fürſtinn und in der kränklichen Erweichung ſtärker ausgebrochen ſey; daher Gaſpard's Brief an die Fürſtinn, daher ihr Beiſammenbleiben in Rom und auf dem Wege dahin u. ſ. w.

Nie liebte Albano ſeinen ſtarken Vater mehr als nach dieſer Entdeckung einer zärtern Geſin¬ nung; und gegen die Fürſtinn wurde nun ſein Herz aus einem Freunde auf einmal ein Sohn. Da er ohnehin von den fünf Treffern der menſchlichen Erb-Liebe nur einen, den Vater,79 (keine Mutter, keinen Bruder, keine Schweſter und kein Kind,) gewonnen: ſo war er ſo neu ent¬ zückt über den Gewinn einer Mutter. Was die Achtung thun, die Wärme ſprechen und die Hoffnung verrathen durfte, das ließ er zu.

Es war eine Nacht, wo in Rom ſchon wie¬ der der Frühling Blumen durch die Wolken des Winters warf. Im Schauſpielhauſe gab man Mozarts Tito. Wie nimmt den Men¬ ſchen auf fremdem Boden das vaterländiſche Lied dahin, das ihm nachgezogen! Die Lerche, die über römiſchen Ruinen gerade ſo ſingt wie über deutſchen Feldern, iſt die Taube, die uns mit ihrem bekannten Geſang den Ölzweig aus dem Vaterland bringt. Bis hieher hatte Albano auf dem Alpenwege über Ruinen, das Auge ſtraff nur durch die künftige Kriegs - Laufbahn blicken laſſen und es ſelten gen Him¬ mel gehoben, wo die verklärte Liane war und hatte gewaltſam jede Thräne darin zerſtäubt. Aber jetzt hatte der kranke Vater den Vorhang des unterirdiſchen Bettes aufgezogen, wo ihre Hülle ſchlief. Nun drang auf einmahl der helle Strom der Töne, der durch ſeine Jugendländer,80 in ſeinen Paradieſen gegangen war, über die Gebürge herüber und rauſchte mit den alten Wellen herab ſo nahe an ihm. Anfangs wehrte ſich ſein Geiſt gegen die alte eingeſchlafne Zeit, die im Schlummer ſprach; aber als endlich die Töne, die Liane ſelber einſt vor ihm geſpielet und geſungen hatte, über die Bahre der Ge¬ bürge herüber kamen und ſich herunter hiengen als glänzende Teppiche der goldnen Tage; als er daran dachte, welche Stunden er und Liane hier geſunden hätten aber nicht fanden: da lief der ſchwarze Gram wie ein böſer ausplün¬ dernder Genius die Tonleiter hinauf und Al¬ bano ſah ſeinen entſetzlichen Verluſt hell im Himmel ſtehen. Da kehrt 'er das Auge nicht gegen die Fürſtinn, aber in der Weihe der Töne drückt' er die Hand, an der einſt die Verklärte hatte in dieſe Gefilde kommen ſollen. Spät ſagte er: ich werde mich im reichen Neapel immer ſehnen nach meiner einzigen Freundin und den Glücklichen beneiden, der ſie begleiten darf. Sie kam in große Bewegung über dieſe neue Nachricht von ſeinem trennen¬ den Abweg, und in eine noch größere überſeine81ſeine leidenſchaftliche Veränderung, die ſie mit der reichſten Ausſteuer für ihre zarteſten Hoff¬ nungen, aus ihrer Abreiſe und ſogar aus ih¬ res Gemahls bevorſtehender herzuleiten wußte. Aber ſie verbarg die größere Bewegung hinter die kleinere. Beide ſchieden mit gegenſeitigen Freuden und Irrthümern aus einander. Al¬ bano wurde immer ſeeliger durch den geneſen¬ den Vater; die Fürſtinn wurd 'es durch den wärmern Sohn, und ihr Leben ſtieg aus dem Kriegsſchiff in ein fliegendes Friedensſchiff über. So kamen beide immer dichter an den Vor¬ hang, deſſen Gemählde ſie für die Bühne ſel¬ ber hielten, um deſto mehr zu ſtaunen, wenn er aufgieng.

107. Zykel.

Im Ritter war das vertrocknete Bette des Lebens wieder reichlich angequollen durch die Erſchütterungen ſeines Herzens; eben weil er in geſunden Tagen ſich gleich Bergen durch Eis und Moos zuſammenhielt, ſo ſtellte in kranken, ſchien es, eine rechte innere Bewe¬ gung leichter die alte Kraft und Ruhe wiederTitan IV. F82her. Er rüſtete ſich zum Reiſen, das am be¬ ſten ſeinen eigenſinnigen Körper auf - und nachbauete. Die Fürſtinn verſchob das ihrige von Tag zu Tag, bloß in der feſten, feurigen Erwartung, Albano werde ihr das ſchönſte Endwort ihres ganzen Lebens mitgeben auf den Weg. In Albano war die Sehnſucht nach Spanien aufgewacht im blühenden Land, und Neapel, hofft 'er, werde ſie ſtillen. Der Frühling dämmerte ſchon in Rom und gieng auf in Neapel die Nächte durchſang die Nachtigal und der Menſch und die Man¬ delbäume blühten überall. Aber es ſchien als ob die drei Menſchen mit dem Reiſen auf ein¬ ander warteten. Konnte die Fürſtinn von dem Herzen eilen, auf welchem ihr Daſeyn blühte und wurzelte, ſie gleich einem abgeriſſenen Ros¬ marienzweige, deſſen Wurzeln zugleich mit de¬ nen eines keimenden Waizenkorns doppelt in die Erde greifen? Auch Albano wollte nicht die Stunde beſchleunigen, die ihn zugleich von dem Vater und der Freundinn in ferne Erd-Ecken warf, jene in den Nachwinter, ihn in den Vor - und Nachfrühling; gerade jetzt am wenig¬83 ſten; ſein Geiſt hatte ſich durch den Entſchluß zum Kriege befriedigt und verſöhnt mit ſich, ſein Portici war glänzend aufgebauet auf dem verſchütteten Herkulanum ſeiner Vergangenheit.

Ein Brief von Peſtiz entſchied der todt¬ kranke Fürſt ſchrieb an die Fürſtinn und bat um das Wiederſehen der Brief war ein Feuer, das den gemeinſchaftlichen Boden und wer darauf ſtand auseinander ſprengte die drei Verbündeten faßten den Schluß, an Ei¬ nem Tage abzureiſen, an Einem Morgen, ſo daß Eine Morgenröthe ihr Gold zugleich in drei Reiſewagen würfe.

Noch etwas begehrte die Fürſtinn am Abend vor der Abreiſe, am Morgen Albano's Beglei¬ tung auf die Peterskuppel; ſie wollte Rom noch einmal in die ſcheidende Seele faſſen, wenn es Morgenroth und Morgenglanz bedeckten. Auch Albano wollte gern den Moſt einer feu¬ rigen Stunde trinken, der ſich zu einem ewigen Wein für das ganze Leben aufhellt; denn er wußte nicht, daß die lebhafte Fürſtinn noch lebhafter durch Italien nach langem Har¬ ren auf das ſchönſte Wort von ihm, endlichF 284zornig ſich in eine Abſchiedsſtunde wagte, in der es ihm entfahren ſollte.

Früh vor Sonnenaufgang, wo in Rom noch mehrere einſchlafen als aufſtehen, holte er ſie ab; nur ihre treue Haltermann begleitete ſie. Von der durchwachten Nacht glühte ſie noch und ſchien ſehr bewegt. Rom ſchlief noch; zu¬ weilen begegneten ihnen Wagen und Familien, die eben ihre Nacht beſchließen wollten. Der Himmel ſtand kühl und blau über dem däm¬ mernden Morgen, dem friſchen Sohn der ſchö¬ nen Nacht.

Der weite Zirkus vor der Peterskirche war einſam und ſtumm, wie die Heiligen auf den Säulen; die Fontainen ſprachen; noch ein Sternbild erloſch über dem Obeliskus. Sie giengen die Wendeltreppe von anderthalb hun¬ dert Stufen auf das Dach der Kirche und ka¬ men aus einer Gaſſe von Häuſern, Säulen, klei¬ nen Kuppeln und Thürmen durch vier Thüren in die ungeheuere Kuppel, in eine gewölbte Nacht unten in der Tiefe ruhte der Tempel wie ein weites finſteres einſames Thal mit Häuſern und Bäumen, ein heiliger Abgrund,85 und ſie giengen nahe vor den muſiviſchen Rie¬ ſen, den farbigen breiten Wolken am Himmel des Doms vorbei. Während ſie in der hohen Wölbung ſtiegen, blinkte immer röther Auro¬ rens Goldſchaum an den Fenſtern und Feuer und Nacht ſchwammen im Gewölb 'in ein¬ ander.

Sie eilten höher und blickten hinaus, da ſchon ein einziger Lebensſtrahl wie aus einem Auge hinter dem Gebürg in die Welt zückte um den alten Albaner rauchten hundert glü¬ hende Wolken, als gebähre ſein kalter Krater wieder einen Flammentag und die Adler flo¬ gen mit goldnen in die Sonne getauchten Flü¬ geln langſam über die Wolken. Plötzlich ſtand der Sonnengott auf dem ſchönen Ge¬ bürg, er lichtete ſich auf im Himmel und riß das Netz der Nacht von der bedeckten Erde weg; da brannten die Obelisken und das Co¬ liſeum und Rom von Hügel zu Hügel, und auf der einſamen Campagna funkelte in vielfachen Windungen die gelbe Rieſenſchlange der Welt, die Tiber alle Wolken zerliefen in die Tie¬ fen des Himmels und goldnes Licht rann von86 Tuskulum und von Tivoli, und von Reben¬ hügeln in die vielfarbige Ebene, an die zer¬ ſtreueten Villen und Hütten, in die Zitronen - und Eichenwälder im tiefen Weſten wurde wieder das Meer wie am Abend, wenn es der heiße Gott beſucht, voll Glanz, immer von ihm entzündet und ſein ewiger Thau.

In der Morgenwelt lag unten das große ſtille Rom ausgebreitet, keine lebendige Stadt, ein einſamer ungeheuerer Zaubergarten der al¬ ten verborgnen Heldengeiſter, auf zwölf Hügel gelegt. Der menſchenloſe Luſtgarten der Gei¬ ſter ſagte ſich durch die grünen Wieſen und Zypreſſen zwiſchen den Palläſten an und durch die breiten offnen Treppen und Säulen und Brücken, durch die Ruinen und hohen Spring¬ brunnen und den Adonisgarten, und die grü¬ nen Berge und Götter-Tempel; die breiten Gänge waren ausgeſtorben; die Fenſter waren vergittert; auf den Dächern blickten ſich die ſteinernen Todten feſt an nur die glänzen¬ den Springwaſſer waren rege und eine einzige Nachtigall ſeufzete als ſterbe ſie zuletzt.

Das iſt groß (ſagte endlich Albano), daß87 unten alles einſam iſt und man keine Gegen¬ wart ſieht. Die allen Heldengeiſter können in der Leere ihr Weſen treiben und durch ihre al¬ ten Bogen und Tempel ziehen und oben an den Säulen mit dem Epheu ſpielen.

Nichts (verſetzte die Fürſtinn) mangelt der Pracht als dieſe Kuppel, die wir auf dem Ka¬ pitolium gar dazu ſähen. Aber nie werd 'ich dieſe Stelle vergeſſen.

Was wär 'es ſonſt mit Allem (ſagt' er). Ohnehin gehen die flachen Gegenden des Le¬ bens ohne Merkmal vorüber, aus mancher lan¬ gen Vergangenheit ſchlägt kein Echo zurück, weil kein Berg die breite Fläche ſtöhrt! Aber Rom und dieſe Stunde neben Ihnen leben ewig in uns.

Albano, (ſagte ſie) warum muß man ſich ſo ſpät finden, und ſo früh trennen? Dort geht Ihr Weg neben der Tiber her, Gott gebe in kein verſchlingendes Meer!

Und dort geht Ihrer über die hellen Ber¬ ge (ſagt 'er). Sie nahm ſeine Hand, denn ſein Ton war ſo bewegt und bewegend. Gött¬ lich leuchtete die Welt von den dunkeln Früh¬88 lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor, und die Horen-Glocken tönten herauf die Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬ hen das Leben wurde weit und hoch wie die Ausſicht ſein Auge ſtand unter der Thräne, aber keiner trüben, ſondern unter jener, wo es wie das Weltauge unter dem Waſſer ſonnig glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne Welt verzehrt. Er drückte ihre Hand, ſie ſeine. Fürſtinn, Freundinn, (ſagt' er) wie acht 'ich Sie! Nach dieſer heiligen Stunde trennen wir uns ich möchte ihr ein unver¬ gängliches Zeichen geben und meinem Vater ein kühnes Wort ſagen, das mich und meine Achtung ausſpräche und das wol manche Räth¬ ſel löſete.

Sie ſchlug das Auge nieder und ſagte bloß: dürfen Sie wagen? O verbieten Sie es nicht! (ſagte er.) So manches Götterglück gieng durch eine zaghafte Stunde verloren. Wenn ſoll denn der Menſch ungewöhnlich handeln als in ungewöhnlichen Lagen? Sie ſchwieg, den Morgenlaut ſeiner Liebe erwar¬ tend und beide giengen im fortgeſetzten Hand¬89 druck von der hohen Stelle herab. Alban's Weſen war eine bebende Flamme. Die Für¬ ſtinn begriff nicht, warum er noch dieſen Früh¬ lingston verſchiebe; er errieth ſie eben ſo we¬ nig, ungeübt die Weiber und deren halbe ab¬ getheilte Wörter zu leſen, dieſe Bildergedichte, halb Geſtalt und nur halb Wort. Gleich¬ ſam als wäre ein Adler aus ſeinem Morgen¬ glanz herabgeflogen und hätte als ein Raub - Genius die Flügel über ſeine Augen geſchla¬ gen: ſo hatt 'ihn der leuchtende Morgen ſo ſehr verblendet, daß er wagen wollte, jetzt in der Abſchiedsſtunde zwiſchen ſeinem Vater und der Fürſtinn der Mittler durch Ein Wort zu werden, das beiden die Scheidewand zwiſchen ihrer Liebe wegzöge. Vieles wandt' ihm ſeine Zartheit dagegen ein, aber gegenüber einem wichtigen Ziele verabſcheute er nichts ſo ſehr als zagende Vorſicht; und Wagen hielt er für einen Mann ſo viel werth als Gewinnen.

Die Fürſtinn, mißverſtehend, doch nicht mi߬ trauend, folgte ihm in des Vaters Haus, mit einer Erwartung kühner als ſeine , er be¬ kenne vielleicht gar dem Ritter die Liebe gegen90 ſie. Sie fanden den Vater allein und ſehr ernſt. Albano fiel ihm, wiewohl er deſſen Abneigung gegen körperliche Herzenszeichen kannte, um den Hals mit den halb erſtickten Worten des Wunſches: Vater! Eine Mutter! Zu die¬ ſem kindlichen Verhältniß hatte ſich ſein bishe¬ riges gehoben und gereinigt. Gott, Graf! rief die Fürſtinn über Albano beſtürzt und ent¬ rüſtet. Der zornfunkelnde Ritter ergriff voll Entſetzen eine Piſtole, ſagte: unglückliches aber ehe man nur wußte, auf wen von drei Menſchen er ſie abdrücken wolle, faßte ihn ſeine Starrſucht und hielt wie eine umwindende Schlange ihn in der mörderiſchen Lage gefan¬ gen. Graf, verſtand ich Euch? ſagte die Fürſtinn wegwerfend gegen ihn, gleichgültig gegen den verſteinerten Feind. O Gott, (ſagte Albano, von der väterlichen Geſtalt be¬ wegt,) ich verſtand wol niemand. Das konnte (ſagte ſie) nur ein Unwürdiger. Lebt wohl. Mög 'ich niemals Euch mehr begeg¬ nen! Dann gieng ſie.

Albano blieb, unbekümmert ob er nicht ſel¬ ber mit der Piſtole gemeint ſey, bei dem Kran¬91 ken, der einer vornehmen Männer-Leiche ge¬ genüber entgegenſtarrte, die man eben zu ſchmin¬ ken beſchäftigt war. Allmählig rang ſich das Leben wieder aus dem Winter auf und der Ritter ſetzte, wie Starrſüchtige müſſen, die mit dem Worte Unglückliches angefangne Anre¬ de ſo fort: Weib, von wem biſt du Mutter? Er kam zu ſich und ſah wach umher; aber ſchnell rann wieder die Lava des Zorns durch ſeinen Schnee: Unglücklicher, wovon war die Rede? Albano entdeckte ihm mit gerader un¬ ſchuldiger Seele, daß er bei dem wahrſcheinli¬ chen Tode des Fürſten auf eine Vereinigung zwiſchen beiden und auf das Glück, eine Mut¬ ter zu erhalten, ſich die Hoffnung gemacht.

Ihr junges Volk bildet euch immer ein, man könne keine ächte Liebe haben, ohne ſie nach auſſen zu treiben und auf jemand zu rich¬ ten, verſetzte Gaſpard und fieng an, hart zu lachen und das ſentimentaliſche Mißver¬ ſtändniß ſehr komiſch zu finden; aber Albano fragte ihn nun ſehr ernſt nach dem Urſprunge des ſeinigen. Gaſpard gab ihm dieſen. Neu¬ lich in ſeiner Krankheit hatt 'er bei der erſten92 Nachricht von des Fürſten naher Abblüthe ei¬ nen erbitterten Kampf mit der Fürſtinn, welche in deſſen Todesfalle eine Regentſchaft oder Vormundſchaft begehre, ſchon wegen der Möglichkeit eines Fürſtenhut-Erben. Der Rit¬ ter ſagt' ihr gerade zu, dieſe Möglichkeit ſey eine Unmöglichkeit und er werde, mit neuen ihr unbekannten Beweiſen ſie ohne Weiteres an¬ greifen. Er gab ihr geradezu zu verſtehen, daß er ſogar gegen den Fall gerüſtet ſey, wo ein augenſcheinlicher Beweis des Gegentheils (ein Erbprinz) ihm entgegengeſtellet würde. Die Fürſtinn verſetzte erbittert, ſie errathe nicht, war¬ um er für die Haarhaarſche Linie und Erbfolge ſich im Geringſten mehr bekümmere und ſorge als für die Hohenflieſſer. Er brachte ſie bis zu Thränen; denn er konnte ohne Schonung ihr die grauſamſten Worte wie Wiederhaken tief ins Herz werfen; er hatte die vollendete Ent¬ ſchloſſenheit eines Staatsmannes, der wie ein großer Raubvogel, das Opferthier, das er nicht bezwingen oder ſchleppen kann, an einen Ab¬ grund treibt und mit den Flügeln hinunter¬ ſchlägt, um es drunten beſiegt zu finden. Ein93 Leben, das ſo wie es fortrückt, gleich den fort¬ rückenden Gletſchern, alte Leichen aufdeckt! So wie der Glückliche ſeine Liebe eines Individu¬ ums wärmend über die Menſchheit ausbreitet, ſo hält der Menſchenfeind den ſtechenden Brenn¬ oder Froſtpunkt ſeiner weiten Kälte gegen die Menſchheit auf Einen großen Feind allein, in¬ deß vorher jede kleinere Beleidigung dem Ein¬ zelnen vergeben, und nur der geſammten Menſch¬ heit angeſchrieben wurde.

Das war alſo jene geheime Unterredung, deren Spuren Albano für ſchönere Bewegun¬ gen genommen hatte als des Haſſes. Als Du nun (ſagte der Ritter jetzt gerade heraus, um mit der ſchneidenden Frechheit ſein Hochgefühl zu ſtrafen,) die kurz - und dunkelgefaßte An¬ rede: Eine Mutter! hielteſt, mußt 'ich Dich für den Vater nehmen, und daraus magſt Du leicht das Übrige erklären. Vater, (ſagt' er) das war ſchreiend unrecht gegen jeden ; und ſchied mit drei heiſſen Wunden, vom Drei¬ zack des Schickſals geriſſen. Beim Abſchiede erinnerte ihn Gaſpard, ſein Wort der monat¬ lichen Zurückkunft zu halten, und fügte noch94 ſcherzend bei: der Alte, den man drüben ſchminke, ſey ein deutſcher Herr, womit er ehedem wohl den Spaß getrieben, ihn eilig zu bekehren*)S. Titan I. S. 33..

Noch in dieſer Stunde reiſete Albano mit ſeinem Dian aus dem erleuchteten Rom. Auf den Höhen und auf der Peterskuppel wogte herunter ſchwebend der blaue Himmel und lan¬ ge Schatten ſchliefen noch mit Thauperlen um¬ kränzt, auf den Blumen; aber der ſeelige Mor¬ gen war weit zurückgeflohen aus dem harten Tage. Beide begegneten vor dem Thore einer Kreis-Menge, die um einen ſchönen Ermor¬ deten ſtand und ſtatt unwillig über den Mör¬ der, freudig über die Geſtalt wiederholte: quanto è bello!**)Wie ſchön iſt er! und Albano dachte daran, wie oft man hinter ihm geſagt: quanto è bello!

95

Acht und zwanzigſte Jobelperiode.

Brief aus Peſtiz Mola die Himmelfarth eines Mönchs Neapel Iſchia die neue Göt¬ tergabe.

108. Zykel.

Ein kleines Licht in unſerm Zimmer kann uns gegen das Blenden des ganzen himmelbreiten Blitzes ſchirmen; ſo braucht es in uns eine ein¬ zige fortleuchtende Idee und Tendenz, damit uns der ſchnelle Flammen - und Licht-Wechſel von auſſen nicht betäube. Hätte Albano nicht ein weit zu ſehendes Ziel, einen Obeliskus in ſeiner Lebensbahn vor ſeinem Auge behalten: wie lange würde ihn die letzte Szene mit ih¬ ren durcheinandergreifenden Schmerzen verwirret96 haben! Jetzt glich er den angezündeten Öl - und Lorbeerblättern um ihn, deren Flammen ſo gut grünen wie ſie ſelber.

Dian, der fremde Schmerzen wegtrieb, weil er leicht beweglich bald aus einem Zuſchauer derſelben ein Mitſpieler wurde, machte Albano und ſich durch ſeine feurige Theilnahme an je¬ der ſchönen Geſtalt, an jeder Ruine, an jeder kleinen Freude heiter. Er hatte die ſchöne ſel¬ tene Gabe, auf Reiſen froh zu ſeyn, jede Blu¬ me zu brechen, aber keine Diſtel; indeß der größere Theil mit der Schlafmütze unter dem Hute, von Stazion zu Stazion unter dem Fah¬ ren gährend und im murrenden Kriege mit je¬ dem Geſichte ganze Paradieſe wie Vorhöllen durchziehet.

In den leeren pontiniſchen Sümpfen, wor¬ in nur Büffel gedeihen und die Menſchen er¬ bleichen, ſuchte Dian alles und auch ſeine Brief¬ taſche hervor, um über das letzte Fiſchwaſſer des Kirchenſtaats aus Petrus-Nachfiſchern, zu kommen, ohne tödtlich einzuſchlafen. Da ſtieß er mit einem neu-griechiſchen Fluch auf einen Brief an Albano, der in einen von Charitonein¬97eingeſchloſſen geweſen und den er in Rom in der Eile der Abreiſe zu geben vergeſſen; aber er lachte bald darüber und fand es gut, daß man in dieſem Teufelsthal etwas gegen den Schlaf zu leſen habe.

Es war folgender von Rabette:

Herzlieber Bruder, man möchte wohl wis¬ ſen, ob Du noch ein Bischen an Deine Blu¬ menbühler denkſt, da Du in dem prächtigen Italien gewiß ganz in Deinem Essée biſt, daß Du in unſer aller Herzen lebſt, das weißt Du längſt, und Du ſollteſt nur wiſſen, wie lange wir alle bei Deinem Abſchied um Dich geweinet haben, ſowohl die Mutter als ich, und ein Gewiſſer*)Roquairol. denkt jetzunder ganz anders von Dir als vordem. In dieſem Winter fiel viel vor. Die Miniſterin hat ſich von ihrem Ge¬ mahl geſchieden und lebt auf ihrem Gute, zu¬ weilen in Arkadien bei der Prinzeſſe Idoine, unſer Fürſt iſt an der Waſſerſucht gefährlich krank und kann der Vater ein Stück ArbeitTitan IV. G98von der Landſchaft dabei kriegen, wie er ſagt. Dein Schoppe iſt auf ein paar Monate ver¬ reiſet mit Zurücklaſſung eines Briefs an Dich, den er dem Vater anvertrauet. Er hielt ſich letztlich bei uns auf in Deiner Stube und be¬ ſuchte fleißig die Gräfinn Romeiro. Es iſt Schade für ihn, denn er meints gut, aber der Magiſter Wehmeier und wir alle im Orte ſind überzeugt, daß er in Kurzen toll wird und er glaubts auch und ſagt, er beſtelle deshalb ſchon ſein Haus. Was die Gräfinn Romeiro anlangt, ſo iſt ſie mit der Prinzeß*)Julienne. abgerei¬ ſet, kein Menſch weiß aber wohin, man ſagt, der Fürſt hab 'ihr zu deutliche attentions be¬ wieſen und ſie ſey lieber fort nach Spanien. Andere reden von Griechenland, aber mich ver¬ ſichert der Gewiſſe, ſie ſey nach Rom zu ihrem Vormund, das wirſt Du nun beſſer wiſſen als ich. Der Gewiſſe unternahm alles Menſchmög¬ liche, ſie zu gewinnen, theils durch Briefe, theils ſelber, umſonſt, keinen guten Blick konnt' er er¬ langen, ſo oft er ſie auch bei cour anredete. 99Das alles hab 'ich (wirſt Du es glauben?) aus ſeinem Munde, denn er iſt wieder oft bei mir und vertraut mir ſein ganzes Herz. Mei¬ nes aber halt' ich feſt zuſammen, daß nur kein Blutströpfchen daraus quillt, und Gott allein ſieht, wie es darin hergeht und weint. Ach Albano, ein armes Mädchen, das geſund iſt, muß viel ausſtehen eh 'es ſterben kann. Oft kann mein Auge nicht länger trocken bleiben und ich ſage dann, ſein Reden thu es, was doch theils auch wahr iſt. Dir aber zeig' ich das dessous des cartes. Nie, nimmer kann ich mehr die Sei¬ nige werden, denn er hat nicht redlich an mir gehandelt, ſondern ganz ruchlos und er weiß es auch. Es wird ihm auch kein Kuß geſtat¬ tet und ich ſag ihm, er möge das nur nicht ums Gottes willen für eine coquette Manier halten, ihn an mich zu ziehen. Die guten El¬ tern wiſſen nicht recht was ſie aus unſerem Umgang machen ſollen und ich fürchte, der Vater bricht los, dann hab ich ſehr bittere Tage. Aber ſoll ich das arme kranke blaſſe Gemüth auch von mir verſtoßen, ſoll die glü¬ hende Seele wie Rauch verduftend gen Him¬G 2100mel ſteigen und ſich consumiren? Wem will nicht das Herz zerſpringen, wenn er bei einem Festin iſt und ſie ſeinetwegen ſogleich beleidigt nach Hauſe zurückfährt, wie neulich geſchah und er mir im vollen Toben ſagte: gut, gut, Linda, einmal wird Dir doch um mich Dein Auge naß. Da weiß ich ja, daß er nichts Gu¬ tes meint und ich ſchone ihn aus Angſt davor, ſollen denn die zwei Geſchwiſter in ihrer Blü¬ the untergehen? Er wäre ihr längſt nachge¬ reiſet, wenn er nicht täglich hoffte, ſie komme wieder. Ach könnt 'ich mein liebendes Herz aus meiner Bruſt ausreiſſen und in ihre einſetzen ſtatt des andern, damit ſie ihn recht liebte mit meiner ganzen Liebe, Albano ich wollt es gerne thun. Das Papier geht aber auf dieſer Seite zu Ende und die Mutter will auf die andere einen Gruß ſchreiben. Lebe wohl, das wünſcht Deine treue Schweſter Rabette.

Wie geht es meinem theuerſten Sohn? Iſt er glücklich, noch fromm, und geſund? Denkt er ſeiner treuen Pflegeeltern noch? Das fragt101 und wünſcht im Namen des Vaters, und in ih¬ rem eignen ſeine treue Mutter Albine v. W.

P. S. Auch der alte Lehrer Wehmeier grüßet ſeinen Liebling in fernen Landen; und wir alle freuen uns auf ſeine Wiederkehr. A.

P. S. Bruder, ich muß auch ein P. S. machen, Schoppe hat die Bewußte gemahlt, und auch daraus entſtanden Scenen. Aber ein Mehres Mündlich. Die Prinzeſſe Idoine fuhr dieſen Winter oft zu unſerer. R.

Da Briefe ſich mehr nach dem Orte, wo ſie geboren, als nach dem, wo ſie abgegeben wer¬ den, richten: ſo kommt oft, was als Saame abgieng, ſchon keimend und mit Wurzeln an nach dem langen Wege und umgekehrt Blüthen als trockner Saame; und jedes Blatt iſt eine Doppel¬ geburt von zwei fernen Zeiten, der ſchreibenden und der leſenden. So wurde jetzt Albano unter dieſem hellern Himmel, auf dieſem Boden einer102 größern Vorzeit und mit dem Geiſte voll neuer Triebfedern weniger von Rabettens Brief, durch welchen die nordiſchen Winternebel zo¬ gen, erreicht und verfinſtert. Die redliche Ra¬ bette, die linde Albine, kamen ihm nur ſanft über die fremden Berge und Lüfte nach und legten an ſeine heiſſe Stirn die kühlende Hand; ſein alter Schoppe ſtand in alter Würde vor ihm und Liane ſchwebte wieder durch das hohe Blau. Gegen den verwitterten Roquairol fühlt 'er nicht einmal Mitleid, ſondern eine harte Geringſchätzung; und Linda's ſtandhafter Sinn war recht nach ſeinem, wie der ſtolze Blick und Gang der Römerinnen. Jetzt dacht' er über Manches heiterer als ſonſt und wünſchte ſogar, einmal jener Heroine ins Zauber-Geſicht zu ſchauen.

In Fondi ſieng der neapolitaniſche Welt¬ garten an und ſie fuhren auf dem Wege nach Mola, in immer dichtere Blüthen und Blu¬ men. In fliegenden Blättern vielleicht an ſeinen Vater, noch wahrſcheinlicher an ſeinen Schoppe ſprach ſich ſein Glück und ſeine Seele aus; ſie bewahrte gleichſam einige ent¬103 fallne Orangenblüthen des ſchnell durchflognen Edens auf. Hier ſind ſie:

Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir am Himmelfahrtstag in Mola an, der eingebohrne Dian war eben ſo überwunden von der grü¬ nenden Herrlichkeit, die er lange nicht geſehen, wie ich und ich glaub 'ihm noch nicht, daß es um Neapel ſchöner blühe und dufte. Ich gieng gar nicht in die Stadt, denn die Sonne hieng ſchon gegen das Meer. Um mich quillt der Blumenrauch aus Zitronenwäldern und Jes¬ min - und Narziſſen-Auen zu meiner Lin¬ ken wirft der blaue Apennin ſeine Quellen von Berg zu Berg und zu meiner Rechten dringt das gewaltige Meer an die gewaltige Erde an und die Erde ſtreckt den feſten Arm aus und hält eine glänzende Stadt*)Gaeta., mit Gärten be¬ hangen, weit ins Wogen-Gewimmel hinein und ins unergründliche Meer ſind hohe Inſeln als unergründliche Berge**)Die Inſel Iſchia mit dem Berg Epomeo, ſo hoch wie der Veſuv Kapri u. ſ. w. hinein geworfen 104 tief in Süden und Oſten greift ein ſchimmerndes Nebelland, die Küſte von Sorento, wie ein ge¬ krümmter Jupiters-Arm, um das Meer und hinter dem fernen Neapel ſteht der Veſuvius mit ei¬ ner Wolke im Himmel unter dem Mond. Fall 'auf Deine Kniee, Glückſeeliger, (ſagte Dian) vor der koſtbaren Weite! O Gott, warum nicht ernſtlich es thun? Wer kann denn im Abendſcheine das ungeheuere Wellen-Reich anſchauen, wie dort das Regen ſich in der Ferne ſtillt und nur glänzt und endlich blau und golden mit dem Himmel verſchwebt, und wie hier die Erde das weiche ſchwebende Feuer mit ihren langen Ländern in einen roſigen fe¬ ſten Erdſchatten einſchlieſſet, wer kann den Feuerregen des unendlichen Lebens, den weben¬ den Zauberkreis aller Kräfte im Waſſer, im Himmel auf der Erde erblicken, ohne niederzu¬ knieen vor dem unendlichen Natur-Geiſte und zu ſagen: wie biſt du mir ſo nahe, Unaus¬ ſprechlicher! O hier iſt er in der Nähe und Ferne, die Seeligkeit und die Hoffnung ſchim¬ mert von der Nebel-Küſte her, und auch aus den nahen Quellen, die das Gebürge in das105 Meer heruntergieſſet und in der weißen Blüthe über meinem Haupt. O rufet denn nicht dieſe Sonne von brennenden Wellen umflattert, und das Blau droben und drüben und die erglü¬ henden Menſchen-Länder, die Welten in der Welt, rufet nicht dieſe Ferne das Herz und alle ſeine ſtolzen Wünſche heraus. Will es nicht ſchaffen und in die Ferne greifen und ſeine Le¬ bensblüthe vom höchſten Gipfel des Himmels reiſſen? Wenn es aber ſich umſieht auf ſeinen Boden, auch da wieder iſt der Gürtel der Ve¬ nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell grünt der hohe Myrtenbaum neben ſeiner klei¬ nen dunkeln Myrte, die Orange ſchimmert im hohen kalten Graſe und oben duftet ihre Blü¬ the, der Waizen weht mit breiten Blättern zwiſchen dem Mandel - und Narziſſen-Schmel¬ ze und ferne iſt die Zypreſſe und die Palme ſtolz; alles iſt Blume und Frucht, Frühling und Herbſt. Soll ich hin, ſoll ich her, das fragt das Herz in ſeinem Glück.

So gieng mir die Sonne unter die Wellen hinab die rothen Küſten flohen unter ihre Nebel die Welt erloſch von Land zu Land, von ei¬106 ner Inſel zur andern der letzte Goldſtaub auf den Höhen wurde verweht und die Ge¬ betglocken der Klöſter führten das Herz über die Sterne hinauf.

O wie war meines ſo froh und ſo ſehnend, zugleich ein Wunſch und ein Feuer, und in meinem Innerſten ſprach ein Dankgebet fort, dafür, daß ich war und bin auf dieſer Erde.

Nie vergeſſ 'ich das! Wenn wir das Leben wegwerfen als zu klein gegen unſere Wünſche: gehören nicht dieſe zu jenem und kamen von ihm? Wenn die bekränzte Erde ſolche Blüthen - Ufer, ſolche Sonnen-Gebürge um uns zieht, will ſie damit Unglückliche einſchließen? War¬ um iſt unſer Herz enger als unſer Auge, war¬ um erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke, die doch ſelber unter unermeßlichen Sternen ſteht? Iſt nicht jeder Morgen ein Frühlings¬ anfang und jede Hoffnung? Was ſind die dich¬ teſten Lebensſchranken anders als ein Rebenge¬ länder, zum Reifen der Weingluth aufgebauet? Und da das Leben ſich immer in Viertel zerhackt, warum ſollen es lauter letzte ſeyn, nicht eben ſo oft erſte, auf welche ein voll¬107 ſtrahlender Mond nachfolgt? O Gott, ſagt' ich, als ich durch die grünende Welt zurückgieng, die am nächſten Morgen eine glühende wird, nie laſſe mich deine Ewigkeit irgend einer Zeit leihen, ausgenommen der ſeeligſten; die Freude iſt ewig, aber nicht der Schmerz, denn du haſt ihn nicht geſchaffen.

Freund, ſagte Dian unterwegs zu mir, da ich ihm meine innigſte Bewegung nicht recht verhüllen konnte, wie kann Euch erſt ſeyn, wenn Ihr nach Neapel zurückſchauet etwan auf der Überfahrt nach Iſchia! denn man merkt's ſehr, daß Ihr in Nordland geboren ſeyd. Lieber, ſagt 'ich, jeder wird mit ſei¬ nem Norden oder Süden gleich geboren, ob in einem äuſſern dazu das macht wenig.

So weit ſein Blatt über Mola. Aber eine wunderbare Begebenheit ſchien ihn über die letzte Verſicherung deſſelben noch dieſe Nacht beim Worte zu nehmen. Im Hofe des Gaſthauſes ſammleten ſich viele Schiffer und Andere, alle ſtritten heftig über eine Meinung und die mei¬108 ſten ſagten immer: es iſt doch heute Himmel¬ fahrt und Wunder hat Er auch gethan. Him¬ melfahrt? dachte Albano und erinnerte ſich ſeines Geburtstages, der an dieſem Feſte oft fiel. Dian kam herauf und erzählte lachend, das Volk drunten erwarte die Himmelfahrt ei¬ nes Mönchs, der ſie in dieſer Nacht verſpro¬ chen, und viele glaubten ihm darum, weil er ſchon ein Wunderwerk gethan, nehmlich einem Todten auf zwei Stunden die Sprache gege¬ ben vor ganz Mola. Beide wurden eins, das Werk mit anzuſehen. Die Menge ſchwoll an der verſprochene Menſch kam nicht, der ſie zu dem Orte der Auffahrt leiten ſollte alles wurde zornig mehr als ungläubig endlich ſpät in der Nacht erſchien eine Maske und gab mit einem Wink der Hand das Zeichen ihr zu folgen. Alles ſtrömte nach, auch Albano und ſein Freund. Der reine Mond ſchien friſch aus blauen Lüften, der weite Garten der Gegend ſchlief in ſeinen Blüthen, aber alles duftete, die ſchlummernden und die wachen Blumen.

Die Maske führte die Menge an die Rui¬ nen von Zizero's Haus oder Thurm und zeigte109 aufwärts. Oben auf der Mauer ſtand ein zit¬ ternder Menſch. Albano fand ſein Geſicht im¬ mer bekannter. Endlich ſprach der Menſch: ich bin ein Vater des Todes der Vater des Lebens ſey mir gnädig. Wie es mit mir geht, weiß ich nicht Unter Euch (ſetzt 'er auf einmal in fremder, nehmlich in ſpaniſcher, Sprache dazu) ſteht einer, dem ich auf Jsola bella am Charfreitage erſchien und den Tod einer Schweſter kundthat; er reiſe fort nach Jschia, dort trifft er ſeine Schweſter an.

Ergriffen und ergrimmend mußte Albano dieſe Worte hören, die Geſtalt des Vaters des Todes auf jener Inſel ſah er jetzt recht klar auf der Ruine; und deſſen Verſprechen, ihm an einem Charfreitage zu erſcheinen, fiel ihm wieder ein. Er ſuchte ſich jetzt an der Ruine hinaufzuarbeiten, um den Mönch zu packen. Ein Molaner rief, da er die fremde Sprache hörte, der Mönch ſpricht mit dem Teufel. Der Himmelfahrer ſagte nichts darwider er zitterte heftiger aber das Volk ſuchte den, der es geſagt, und ſchrie: der mit der Maske ſey es, denn der ſey nicht mehr zu finden. 110Endlich bat der Mönch bebend, ſie möchten ſtill ſeyn, wenn er verſchwinde, und für ihn beten, und nie ſeinen Körper ſuchen. Albano war ihm jetzt, von Dian ungeſehen, nahe hin¬ ter dem Rücken. Da kam hoch im dunkeln Blau ein Zug Wachteln langſam geflogen. Der Mönch hob ſich ſchnell und wankend auf zerſtreuete die Vögel rief in dunkler Ferne: betet und ſchwand in die weiten Lüfte dahin.

Das Volk rief und jauchzete und betete zum Theil, viele glaubten jetzt, der Teufel ſey im Spiel. Unter den Zuſchauern lag ein Menſch mit dem Geſicht auf der Erde und rief immer: Gott ſey mir gnädig! Aber niemand brachte ihn zu einer Erklärung. Dian, heimlich ein wenig übergläubig, ſagte: hier ſteh 'ihm der Verſtand ſtill. Aber Albano erklärte, ſchon lange zucke und ziehe ein Geiſter-Komplott an ſeinem Lebensvorhang, allein irgend ein¬ mal greif' er gewiß glücklich durch den Vor¬ hang durch, und er ſey feſt entſchloſſen, ſo¬ gleich von Neapel nach Iſchia überzugehen, um ſeine Schweſter zu ſuchen. Wahrlich, (ſetzt '111er dazu,) in dieſem Mutterlande der Wunder¬ phantaſie und jeder Größe glaubt man ſo leicht ſchöne gebende Wunder des Schickſals, wie in Norden entſetzliche raubende Wunder der Gei¬ ſter.

Dian war auch für den frühſten Beſuch der Inſel Iſchia, weil ſonſt (ſetzt 'er dazu), wenn Albano in Neapel ſeine Briefe übergeben hätte und in die Ricevimenti hinein oder auf den Poſilippo und den Veſuv hinaufgerathen wäre, dann kein Wegkommen ſeyn würde.

Am Tage darauf giengen ſie von Mola ab. Das ſchöne Meer deckte ſich an ihrem Wege auf und zu und nur der goldne Himmel ver¬ hüllte ſich nie. Neapels Freudenbecher berauſch¬ te ſchon von Fernen mit ſeinem Dufte und Geiſte. Albano warf trunkne Blicke auf die campania felice, auf das Coliseo im Kapua und auf den weiten Garten voll Gärten und ſogar auf die rauhe appiſche Straße, die ihr alter Nahme ſanfter machte.

Aber er ſeufzete nach der Inſel Iſchia, die¬ ſem Arkadien des Meers, und dieſer Wunder¬ ſtelle, wo er eine Schweſter finden ſollte. Sie112 konnten nicht eher als Sonnabends in der Vor¬ nacht wenn anders Wachen und glänzendes Leben eine iſt, beſonders eine welſche Sonn¬ abends-Nacht in Aversa ankommen. Al¬ bano beſtand darauf, in der Nacht fortzurei¬ ſen nach Neapel. Dian wollte noch ungern. Zufällig ſtand ein ſchönes etwan vierzehnjähri¬ ges Mädchen im Poſthauſe, ſehr betrübt über die verfehlte Poſt, und entſchloſſen, noch dieſe Nacht nach Neapel zu gehen, um am heiligen Sonntag noch früh genug nach Iſchia zu kom¬ men, wo ihre Eltern waren. Aus Santa Agata (ſagte ſie) komme ſie her, heiße aber nur Agata, und nicht Santa. Wahrſchein¬ lich ihr alter Spaß, ſagte Dian, war aber nun bei ſeinem Umſchweben jeder ſchönen Form ſelber recht zur Nachtreiſe aufgelegt, damit man die Schwarzäugige, die freudig und hell in fremdes Augenfeuer blickte, fortbringen könnte. Sie nahm es luſtig an, und ſchwatzte vertraut wie ein Naturforſcher viel vom Epo¬ meo und Veſuv und weiſſagte ihnen unzählige Freuden auf der Inſel und zeigte überall eine verſtändige Beſonnenheit weit über ihr Alter. Endlich113Endlich flogen ſie alle unter die hellen Sterne in die ſchöne Nacht hinaus.

109. Zykel.

Albano fährt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe ſo fort:

Eine helle Nacht ohne Gleichen! Die Sterne allein erhellten ſchon die Erde und die Milchſtraße war ſilbern. Eine einzige mit Weinblüthen durchflochtene Allee führte der Prachtſtadt zu. Überall hörte man Menſchen, bald nahes Reden, bald fernes Singen. Aus ſchwarzen Kaſtanienwäldern auf mondhellen Hügeln riefen die Nachtigallen einander zu. Ein armes ſchlafendes Mädchen, das wir mit¬ genommen, hörte das Tönen bis in den Traum hinab und ſang nach und blickte, wenn es ſich damit geweckt, verwirrt und ſüßlächelnd umher, mit dem ganzen Ton und Traum noch in der Bruſt. Singend rollte auf einem dünnen leichten Wagen mit zwei Rä¬ dern, ein Fuhrmann auf der Deichſel ſtehend luſtig vorüber. Weiber trugen in der Kühle ſchon große Körbe voll Blumen nach der Stadt:Titan IV. H114 in den Fernen neben uns dufteten ganze Paradieſe aus Blumenkelchen; und das Herz und die Bruſt ſogen zugleich den Liebestrank der ſüßen Luft. Der Mond war hell wie eine Sonne an den hohen Himmel heraufgezo¬ gen und der Horizont wurde von Sternen ver¬ goldet und am ganzen wolkenloſen Himmel ſtand die düſtere Wolkenſäule des Veſuv's in Oſten allein.

Tief in der Nacht nach zwei Uhr rollten wir in und durch die lange Prachtſtadt, worin noch der lebendige Tag fortblühte. Heitere Menſchen füllten die Straßen die Balkons warfen ſich Geſänge zu auf den Dächern blühten Blumen und Bäume zwiſchen Lampen und die Horen-Glöckchen vermehrten den Tag und der Mond ſchien zu wärmen. Nur zuwei¬ len ſchlief ein Menſch zwiſchen den Säulengän¬ gen gleichſam an ſeinem Mittagsſchlafe. Dian, aller Verhältniſſe kundig, ließ an einem Hauſe auf der Süd - und Meerſeite halten, und gieng tief in die Stadt, um durch alte Bekannte die Abfahrt nach der Inſel zu be¬ richtigen, damit man gerade bei Sonnenauf¬115 gang aus dem Meere herüber die herrliche Stadt mit ihrem Golf und ihren langen Küſten am reichſten auffaſſete. Die Iſchia¬ nerinn wickelte ſich in ihren blauen Schleier gegen Mücken und entſchlief am ſchwarzſandi¬ gen Ufer.

Ich gieng allein auf und ab, für mich gab's keine Nacht und kein Haus. Das Meer ſchlief, die Erde ſchien wach. Ich ſah in dem eiligen Schimmer (der Mond ſank ſchon dem Poſi¬ lippo zu,) an dieſer göttlichen Gränzſtadt der Waſſerwelt, an dieſem aufſteigenden Gebürg von Palläſten hinauf bis wo das hohe Sant 'Elmo-Schloß weiß aus dem grünen Strauße blickt. Mit zwei Armen umfaſſete die Erde das ſchöne Meer, auf ihrem rechten, auf dem Poſilippo trug ſie blühende Weinberge weit in die Wellen und auf dem linken hielt ſie Städte und umſpannte ſeine Wogen und ſeine Schiffe und zog ſie an ihre Bruſt heran. Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Kapri am Ho¬ rizont im Waſſer und bewachte die Pforte des Golfs. Hinter der Stadt rauchte im Äther derH 2116Vulkan und zuweilen ſpielten Funken zwiſchen den Sternen.

Jetzt ſank der Mond hinter die Ulmen des Poſilips hinab, die Stadt verfinſterte ſich, das Getöſe der Nacht verklang, Fiſcher ſtiegen aus, löſchten ihre Fackeln und legten ſich ans Ufer, die Erde ſchien einzuſchlafen, aber das Meer aufzuwachen. Ein Wind von der Sorrentini¬ ſchen Küſte trieb die ſtillen Wellen auf hel¬ ler ſchimmerte Sorrento's Sichel vom Monde zurück und vom Morgen zugleich wie ſilberne Fluren Veſuv's Rauchſäule wurde abgeweht und vom Feuerberg zog ſich eine lange reine Morgenröthe über die Küſte hinauf wie über eine fremde Welt.

O es war der dämmernde Morgen, voll von jugendlichen Ahnungen! Spricht nicht die Landſchaft, der Berg, die Küſte gleich ei¬ nem Echo deſto mehr Sylben zur Seele, je fer¬ ner ſie ſind? Wie jung fühlt 'ich die Welt und mich und der ganze Morgen meines Le¬ bens war in dieſen gedrängt!

Mein Freund kam alles war berichtigt die Schiffer angekommen Agata wurde117 zur Freude geweckt und wir ſtiegen ein, als die Morgenröthe die Gebürge entzündete, und aufgebläht von Morgenlüften flog das Schiff¬ chen ins Meer hinaus.

Ehe wir noch um das Vorgebürg des Po¬ ſilippo herumſchifften, warf der Krater des Ve¬ ſuv's den glühenden Sohn, die Sonne, lang¬ ſam in den Himmel und Meer und Erde ent¬ brannten. Neapels halber Erdgürtel mit mor¬ genrothen Palläſten, ſein Marktplatz von flat¬ ternden Schiffen, das Gewimmel ſeiner Land¬ häuſer an den Bergen und am Ufer hinauf und ſein grünender Thron von S. Elmo, ſtan¬ den ſtolz zwiſchen zwei Bergen, vor dem Meere.

Da wir um den Poſilippo kamen, ſtand Iſchia's Epomeo wie ein Rieſe des Meers in der Ferne, mit einem Wald umgürtet und mit kahlem weiſſen Haupt. Allmählig erſchienen auf der unermeßlichen Ebene die Inſeln nach einander wie zerſtreuete Dörfer und wild dran¬ gen und wateten die Vorgebürge in das Meer. Jetzt that ſich gewaltiger und lebendiger als das vertrocknete vereinzelte ſtarre Land, das Waſſerreich auf, deſſen Kräfte alle, von den118 Strömen und Wellen an bis zum Tropfen, zu¬ ſammengreifen und ſich zugleich bewegen. Allmächtiges und doch ſanftes Element! Grim¬ mig ſchießeſt du auf die Länder und verſchlingſt ſie und mit deinen aushölenden Polypenarmen liegſt du an der ganzen Kugel. Aber du bän¬ digſt die wilden Ströme und zerſchmilzeſt ſie zu Wellen, ſanft ſpieleſt du mit deinen kleinen Kindern, den Inſeln, und ſpieleſt an der Hand, die aus der leichten Gondel hängt, und ſchickſt deine kleinen Wellen, die vor uns ſpielen, dann uns tragen, und dann hinter uns ſpielen.

Als wir vor dem kleinen Niſita vorbei ka¬ men, wo einſt Brutus und Kato nach Zäſar's Tod Schutzwehr ſuchten als wir vor dem zauberiſchen Baja und dem Zauberſchloſſe, wo einſt drei Römer die Theilung der Welt be¬ ſchloſſen, und vor dem ganzen Vorgebürge vor¬ übergiengen, wo die Landhäuſer der großen Römer ſtanden, und als wir nach dem Berge von Cuma hinabſahen, hinter welchem Szipio Afrikanus in ſeinem Linternum lebte und ſtarb: ſo ergriff mich das hohe Leben der alten Großen und ich ſagte zu meinem Freunde: Welche119 Menſchen waren das! Kaum erfahren wir es gelegentlich im Plinius oder Zizero, daß einer von ihnen dort ein Landhaus hat, oder daß es ein ſchönes Neapel giebt, mitten aus dem Freudenmeer der Natur wachſen und tragen ihre Lorbeer ſo gut wie aus dem Eis¬ meere Deutſchlands und Englands, oder aus Ara¬ biens Sand in Wüſten und in Paradieſen ſchlu¬ gen ihre ſtarken Herzen gleich fort und für dieſe Weltſeelen gab es keine Wohnung, außer die Welt. Nur bei ſolchen Seelen ſind Em¬ pfindungen faſt mehr werth als Thaten, ein Römer konnte hier groß vor Freude weinen! Dian, ſage, was kann der neuere Menſch dafür, daß er ſo ſpät lebt hinter ihren Ruinen?

Jugend und Ruinen, einſtürzende Vergan¬ genheit und ewige Lebensfülle bedeckten das miſeniſche Geſtade und die ganze unabſehliche Küſte an die zerbrochnen Aſchenkrüge todter Götter, an die zerſtückten Tempel Merkurs, Dianens, ſpielte die fröhliche leichte Welle und die ewige Sonne alte einſame Brückenpfei¬ ler im Meer, einſame Tempelſäulen und Bo¬ gen ſprachen im üppigen Lebensglanze das120 ernſte Wort die alten heiligen Nahmen der elyſäiſchen Felder, des Avernus, des todten Meers wohnten noch auf der Küſte Felſen - und Tempeltrümmer lagen unter einander auf der bunten Lava alles blühte und lebte, das Mädchen und die Schiffer ſangen die Berge und die Inſeln ſtanden groß im jungen feurigen Tage Delphine zogen ſpielend ne¬ ben uns ſingende Lerchen wirbelten ſich im Äther über ihre engen Inſeln heraus und aus allen Enden des Horizonts kamen Schiffe herauf und flogen pfeilſchnell dahin. Es war die göttliche Überfülle und Vermiſchung der Welt vor mir, brauſende Saiten des Lebens waren über den Saitenſteg des Veſuv's und Poſilip's herüber bis an den Epomeo geſpannt.

Plötzlich donnerte es Einmal durch den blauen Himmel über das Meer her. Das Mädchen fragte mich: warum werdet Ihr bleich? es iſt nur der Veſuv. Da war ein Gott mir nahe, ja Himmel, Erde und Meer traten als drei Gottheiten vor mich von einem göttlichen Morgenſturm wurde das Traumbuch des Lebens rauſchend aufgeblättert121 und überall las ich unſere Träume und ihre Auslegungen.

Nach einiger Zeit kamen wir an ein lan¬ ges den Norden verſchlingendes Land, gleich¬ ſam der Fuß eines einzigen Bergs, es war ſchon das holde Iſchia und ich ſtieg ſeelig-trunken aus und da erſt dacht 'ich an das Verſprechen daß ich da eine Schweſter finden ſollte.

110. Zykel.

Bewegt, gleichſam feierlich betrat Albano das kühle Eiland, es war ihm als wehten ihm die Lüfte immer die Worte zu: der Ort der Ruhe. Agata bat ſie beide, bei ihren Eltern zu wohnen, deren Haus am Ufer, nicht weit vom Vorſtädtchen*)Borgo d'Jschia., liege. Als ſie über die Brücke giengen, die den grünen mit Häuſern umwundenen Fels mit dem Ufer und dem Städt¬ chen zuſammenhängt: ſo zeigte ſie freudig in Oſten das einzelne Haus. Wie ſie ſo langſam giengen und ſich der hohe runde Felſen und die Häuſerreihe im Waſſer abſpiegelte und wie auf den flachen Dächern die ſchönen Wei¬122 ber, welche die Feier-Lampen für den Abend ordneten, zu einander ämſig herüberſprachen und wie ſie die wiederkommende Agata grü߬ ten und fragten und wie alle Geſichter ſo heiter waren, alle Geſtalten ſo zierlich und ſel¬ ber die ärmſte in Seide und wie die leben¬ digen Knaben kleine Kaſtaniengipfel niederzo¬ gen und wie der alte Vater der Inſel, der hohe Epomeo, vor ihnen ganz in Weinlaub und Frühlingsblumen gekleidet ſtand, aus de¬ ren ſüßem Grün nur zerſtreuete weiſſe Luſthäu¬ ſer beglückter Berganwohner ſchaueten: ſo war es Albano als ſey ihm das läſtige Gepäcke des Lebens in die Wellen entfallen und die aufrech¬ te Bruſt ſauge weit den kühlen von Elyſium her wehenden Äther ein; über dem Meere drüben lag die vorige ſtürmiſche Welt mit ih¬ ren heißen Küſten.

Agata führte beide ins elterliche Haus am öſtlichen Abhang des Epomeo und rief ſogleich im lauten frohlockenden Empfang eben ſo laut: Das ſind zwei brave Herren, die ins Haus wollen. Der Vater ſagte ſofort: Willkom¬ men, Exzellenzen! Ihr ſollt gern die Zimmer123 behalten, wenn auch nachher viele Badgäſte kommen. Ihr findet nirgends beſſeres Quar¬ tier. Ich war ſonſt nur ein Dreher in der Fayence-Fabrik; aber ſeit acht Jahren bin ich ein Winzer und kann etwas geben. Wenn war denn irgend ein Dezember und März*)Er meint die Traube, die dreimal des Jahres da gewonnen wird, im Dezember, März und Auguſt. beſſer als diesmal? Befehlt, Exzellenzen! Plötzlich weinte Agata; die Mutter hatt 'ihr das Begräbniß der jüngſten Schweſter berich¬ tet, zu deſſen Feier, nach der Sitte der Inſel, heute ein Freuden-Abend angeordnet war, weil man einander zur ewigen ſeeligmachenden Beſtätigung einer Kindes-Unſchuld durch den Tod Glück zu wünſchen pflegte. Der Alte wollte erſt recht ins Erzählen eingehen, als Dian ſei¬ nen Albano bat, nach ſo langer Seelen - und Körperbewegung ſchlummern zu gehen bis Sonnenuntergang, wo er ihn wecke. Agata wies ihm ſein kühles Zimmer an und er gieng hinauf.

124

Hier vor dem kühlenden See-Zephyr war das Einſchlummern ſchon der Schlummer, und das nachklingende Träumen ſchon der Schlaf. Sein Traum war ein unaufhörliches Lied, das ſich ſelber ſang: der Morgen iſt eine Roſe, der Tag eine Tulpe, die Nacht iſt eine Lilie und der Abend iſt wieder ein Morgen.

Er träumte endlich ſich in einen langen Schlaf hinab. Spät, im Dunkeln, ſchlug er verjüngt wie ein Adam im Paradies das Auge auf, aber er wußte nicht, wo er war. Er hörte fernes ſüßes Tönen, unbekannte Blüthendüfte durchſchwammen die Luft er ſah hinaus, der dunkle Himmel war mit gold¬ nen Sternen wie mit feurigen Blüthen beſtreuet an der Erde, auf dem Meere ſchwebten Lichter-Heere und in tiefer Ferne hieng eine helle Flamme mitten im Himmel feſt. Ein un¬ bekannter Traum verwirrte noch die wirkliche Bühne mit einer verſchwundenen, und Albano gieng durch das ſtille menſchenleere Haus fort¬ träumend heraus ins Freie wie in eine Gei¬ ſterinſel.

125

Hier zogen ihn Nachtigallen zuerſt mit Tö¬ nen in die Welt herein. Er fand den Namen Iſchia wieder, und ſah nun, daß das Schloß auf dem Felſen und die lange Dächer-Gaſſe der Ufer-Stadt voll brennender Lampen ſtand. Er gieng auf die erleuchtete von Menſchen umlagerte Stelle der Töne zu, und fand eine ganz in Freudenfeuern ſtehende Kapelle. Einer Madonna und ihrem Kinde in der Niſche wurde unter dem geſchwätzigen Rauſche der Freude und Andacht eine Nachtmuſik vorgeſpielt. Hier fand er ſeine Wirthsleute wieder, die ihn alle im Jubel ganz vergeſſen hatten, und Dian ſagte: ich hätt 'Euch ſchon geweckt, die Nacht und die Luſt währt noch lange.

Hört und ſeht doch dort den göttlichen Vesuvio, der das Feſt ſo recht gut mitfeiert, rief Dian, der ſich ſo tief in die Wellen der Freude eintauchte, als irgend ein Iſchianer. Albano ſah hinüber nach der hoch im Ster¬ nenhimmel webenden Flamme, die wie ein Gott den großen Donner unter ſich hatte, und die Nacht hatte das miſeniſche Vorgebürg wie eine Wolke neben dem Vulkan aufgerichtet. Neben126 ihnen brannten tauſend Lampen auf dem kö¬ niglichen Pallaſte der nahen Inſel Prozita.

Indem er über das Meer hinblickte, deſſen Küſten in die Nacht verſunken waren und das unermeßlich und finſter als eine zweite Nacht dahin lag: ſo ſah er zuweilen einen zerfließen¬ den Glanz darüber ſchweifen, der immer brei¬ ter und heller floß. Auch zeigte ſich eine ferne Fackel in der Luft, deren Lodern lange Feuer - Furchen durch die flimmernden Wellen zog. Es kam eine Barke näher mit eingezognem Segel, weil der Wind vom Lande gieng. Weibliche Geſtalten erſchienen auf ihr, worunter eine nach dem Veſuv gewandte von königlichem Wuchs, an deren rothem Seidenkleide der Fackelſchein lang herunterfloß, das Auge feſt hielt. Wie ſie näher ſchifften und das helle Meer unter den ſchlagenden Rudern auf beiden Seiten aufbrannte: ſo ſchien eine Göttinn zu kommen, um welche das Meer mit entzückten Flammen ſchwimmt und die es nicht weiß. Alle ſtiegen ln einiger Ferne ans Land, wo beſtellte Die¬ ner, wie es ſchien, dazu gewartet hatten, um alles zu erleichtern. Von der langen Geſtalt127 nahm eine kleine mit einer Doppellorgnette verſehene einen kurzen Abſchied und gieng mit einem anſehnlichen Gefolge fort. Die rothge¬ kleidete zog einen weißen Schleier über das Geſicht und gieng, von zwei Jungfrauen be¬ gleitet, ernſt und einer Fürſtinn ähnlich, der Stelle zu, wo Albano und die Töne waren.

Albano ſtand nahe an ihr, zwei große ſchwarze Augen mit Feuer gefüllt und mit in¬ nigem Ernſt auf dem Leben ruhend ſtrahlten durch den Schleier, der die ſtolze gerade Stirn und Naſe verrieth. In der ganzen Erſcheinung war für ihn etwas Bekanntes und doch Gros¬ ſes, ſie kam ihm als eine Feenköniginn vor, die vorlängſt ſich mit einem himmliſchen Angeſicht über ſeine Wiege lächelnd und begabend her¬ eingebückt und die nun der Geiſt mit alter Lie¬ be wieder erkennt. Er dachte wohl an einen Nahmen, den ihm Geiſter genannt, aber dieſe Gegenwart ſchien hier nicht möglich. Sie hef¬ tete ihr Auge mit Wohlgefallen und Aufmerk¬ ſamkeit auf das Spiel zweier Jungfrauen, welche niedlich in Seide gekleidet, mit Gold beſetzten ſeidnen Schürzen zur Tamburine ei¬128 ner Dritten anmuthig mit verſchämt geſenktem Haupte und geſenkten Augen tanzten; die bei¬ den andern von der Fremden mitgebrachten Jungfrauen und Agata ſangen mit italieniſcher halber Stimme ſüß zur holden Luſt. Es ge¬ ſchieht alles (ſagte ein alter Mann zur Frem¬ den,) in der That zur Ehre der heil. Jungfrau und des heil. Nikola. Sie nickte langſam ein ernſtes Ja.

Da ſtand plötzlich Luna, vom Opferfeuer des Veſuv's umſpielet, drüben am Himmel, als die ſtolze Göttinn des Sonnengottes, nicht bleich ſondern feurig, gleichſam eine Donnergöttinn über dem Donner des Bergs und Albano rief unwillkürlich: Gott, der große Mond! Schnell hob die Fremde den Schleier zurück und ſah ſich bedeutend nach der Stimme wie nach einer bekannten um; als ſie den fremden Jüngling lange angeblickt, wandte ſie ſich nach dem Monde über dem Veſuv.

Aber Albano war von einem Gott erſchüt¬ tert, und von einem Wunder geblendet; er ſah hier Linda de Romeiro. Als ſie den Schleier hob, ſtrömte Schönheit und Glanz aus einerauf129aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Far¬ ben, liebliche Linien und ſüße Fülle der Jugend ſpielten wie ein Blumenkranz um eine Götter¬ ſtirn, mit weichen Blüthen um den heiligen Ernſt und mächtigen Willen auf Stirn und Lippe, und um die dunkle Gluth des großen Auges. Wie hatten die Bilder über ſie gelo¬ gen und dieſen Geiſt und dieſes Leben ſo ſchwach ausgeſprochen!

Als wollte die Zeit die glänzende Erſchei¬ nung würdig umgeben, ſo ſchön ſpielten Him¬ mel und Erde mit allen Strahlen des Lebens in einander liebesdurſtig flogen Sterne wie Himmelsſchmetterlinge ins Meer der Mond war über die ungeſtüme Erdflamme des Veſuv's weggezogen und bedeckte mit ſeinem zarten Licht die frohe Welt, das Meer und die Ufer der Epomeo ſchwebte mit ſeinen verſilberten Wäl¬ dern und mit der Einſiedelei ſeines Gipfels hoch im Nacht-Blau darneben lebten die ſingenden, tanzenden Menſchen mit ihren Gebeten und ih¬ ren Feſt-Raketen, die ſie in die Höhe warfen. Da Linda lange über das Meer nach dem Veſuv geſehen: redete ſie den ſtillen Al¬Titan IV. I130bano, um ſeinem Ausruf zu antworten und ihr ſchnelles anblickendes Umwenden nach ihm gut zu machen, ſelber an: ich komme vom Veſuv, (ſagte ſie,) aber er iſt eben ſo erha¬ ben in der Nähe als in der Ferne, was ſo ſelten iſt. Ganz fremd und geiſtermäßig klang es ihm, daß er dieſe Stimme wirklich hörte. Mit ſehr bewegter verſetzt 'er: aber in dieſem Lande iſt ja alles groß, ſogar das Kleine durch das Große dieſe kleine Menſchenfreu¬ de hier zwiſchen dem ausgebrannten Vulkan*)Die Inſel Iſchia ſelber. und dem brennenden alles iſt eins und dar¬ um recht und ſo göttlich. Zugleich an - und weggezogen, ihn nicht kennend, obwohl vor¬ hin von ſeiner Stimmen-Ähnlichkeit mit Ro¬ quairol getroffen, ſeinen einfachen Worten gern nachdenkend, blickte ſie länger als ſie merkte das redliche, aber trotzige und warme Auge des Jünglings an; antwortete nichts, wandte ſich langſam ab und ſah wieder ſtill den Spie¬ len zu.

Dian, der ſchon lange die ſchöne Fremde131 angeſehen, fand endlich in ſeinem Gedächtniß ihren Nahmen und kam zu ihr mit der halb ſtolzen halb verlegnen Miene der Künſtler ge¬ gen den Stand. Sie kannte ihn nicht wieder. Der Grieche Dian, (ſagte Albano,) edle Grä¬ finn! Verwundert über des Grafen Erken¬ nung ſagte ſie zu dieſem: ich kenne Sie nicht. Meinen Vater kennen Sie, (ſagte Albano,) den Ritter von Ceſara. O dio! rief die Spanierinn erſchrocken, wurde eine Lilie, eine Roſe, eine Flamme, ſuchte ſich zu faſſen und ſagte: wie ſonderbar! Eine Freundinn von Ihnen, die Prinzeſſinn Julienne, iſt auch hier.

Das Geſpräch floß jetzt ebener. Sie ſprach von ſeinem Vater und drückte als Mündel ihre Dankbarkeit aus: es iſt eine mächtige Na¬ tur, die ſich vor allem Gemeinen bewahrt, ſagte ſie, ſogleich gegen die vornehme Sitte ſchon theilnehmend von Perſonen ſprechend. Den Sohn beglückte das Lob auf einen Vater, er erhöhte es und fragte in froher Erwartung wie ſie ſeine Kälte nehme.

Kälte? (ſagte ſie lebhaft,) das Wort,I 2132haſſ 'ich recht; wenn einmal ein ſeltener Menſch einen ganzen Willen hat und keinen halben und auf ſeiner Kraft beruht und nicht wie ein Schaalthier ſich an jedes andere klebt: ſo heis¬ ſet er kalt. Iſt die Sonne in der Nähe nicht auch kalt? Der Tod iſt kalt, (rief Al¬ bano ſehr bewegt, weil er oft ſelber mehr Kraft als Liebe zu haben glaubte,) aber eine erha¬ bene Kälte, eine erhabene Quaal kann es wohl geben, die mit Adlersklaue das Herz in die Hö¬ he entführt, aber es zerreiſſet mitten im Him¬ mel und vor der Sonne.

Sie ſah ihn groß an: Ihr ſprecht ja wie ein Weib; (ſagte ſie) das allein hat ohne die Macht der Liebe nichts zu wollen und zu thun; aber es war artig. Dian, zu allgemeinen Betrachtungen verdorben und nur zu indivi¬ duellen tüchtig, unterbrach ſie mit Fragen über einzelne Kunſtwerke in Neapel; ſie theilte ſehr offen ihre eigenthümliche Anſicht mit, obwohl ziem¬ lich entſcheidend. Albano dachte zuerſt an ſeinen zeichnenden Freund Schoppe und fragte nach ihm: bei meiner Abreiſe (ſagte ſie) war er noch in Peſtiz, ob ich gleich nicht begreife, was133 ein ſo ungemeines Weſen da will es iſt ein gewaltiger Menſch, aber verworren und nicht klar. Er iſt ſehr Ihr Freund. Was macht (fragte Dian halb ſcherzend) mein alter Gönner, der Lektor Auguſti? Sie ant¬ wortete kurz und faſt über deſſen vertrauliches Fragen empfindlich: es geht ihm gut am Hofe. Wenigen Naturen (wandte ſie ſich über Auguſti fortfahrend an Albano) geſchieht ſo viel Unrecht des Urtheils als ſolchen einfa¬ chen, kühlen, konſequenten wie der ſeinigen. Albano konnte nicht ganz Ja ſagen; aber er erkannte in ihrer Achtung für die fremdeſte Ei¬ genthümlichkeit froh die Schülerin ſeines Va¬ ters, der ein Gewächs nicht nach der glatten oder rauhen Rinde, ſondern nach der Blüthe ſchätzte. Nie zeichnet der Menſch den eignen Karakter ſchärfer als in ſeiner Manier, einen fremden zu zeichnen. Aber Linda's hohe Of¬ fenherzigkeit dabei, die feingebildeten Weibern ſo oft abgeht als kräftigen Männern Feinheit und Hülle, ergriff den Jüngling am ſtärkeſten und er glaubte zu ſündigen, wenn er nicht ſeine große natürliche gegen ſie verdoppelte.

134

Sie rief ihre Jungfrauen zum Fortgehen. Dian gieng fort. Dieſe ſind mir nöthiger, (ſagte ſie zu Albano) als ſie es ſcheinen. Sie habe nehmlich, erzählte ſie, etwas von der Augen¬ krankheit*)Taggeſicht (Hemeralopie) iſt gewöhnlich in heiſſen Ländern; der ſtärkſte Grad iſt, Nachts, ſogar gegen Licht blind zu ſeyn und erſt am Morgen wieder ſehend. vieler Spanierinnen, Nachts unend¬ lich kurzſichtig zu ſeyn. Er bat, ſie begleiten zu dürfen, und es geſchah; er wollte ſie führen ihrer Anmerkung wegen, ſie verbat's.

Unter dem Gehen ſtand ſie oft ſtill, um nach der ſchönen Flamme des Veſuvs zu bli¬ cken. Er ſteht (ſagte Albano) in dieſem Hir¬ tengedicht der Natur als eine tragiſche Muſe da und hebt alles wie ein Krieg die Zeit. Glauben Sie das vom Krieg? ſagte ſie. Entweder große Menſchen, (verſetzte er) oder große Zwecke muß ein Menſch vor ſich haben, ſonſt vergehen ſeine Kräfte, wie dem Magnet die ſeinigen, wenn er lange nicht nach den rech¬ ten Welt-Ecken gekehrt gelegen. Wie135 wahr! (ſagte ſie.) Was ſagen Sie zu ei¬ nem galliſchen Krieg? Er bekannte ſeinen Wunſch für deſſen Entſtehung und die eigne Theilnahme daran. Er konnte, ſogar auf Ko¬ ſten ſeiner Zukunft, gegen ſie nichts ſeyn als offenherzig. Seelig ſeyd Ihr Männer, (ſagte ſie) Ihr grabt Euch durch den Lebens-Schnee durch und trefft endlich die grüne Saat darun¬ ter an. Das kann keine Frau. Ein Weib iſt doch ein dummes Ding der Natur. Ich ehre ein Paar Häupter der Revoluzion, beſonders das politiſche Kraft-Ungeheuer, den Mira¬ beau, ob ich ihn gleich nicht lieb haben kann.

Unter dieſen Reden ſtiegen ſie am Epomeo auf. Agata begleitete die beiden Geſpielinnen ihrer frühern Zeit mit voller Zunge und hun¬ grigem Ohre für ſo viele gegenſeitige Neuig¬ keiten. Da er jetzt neben der ſchönen Jung¬ frau gieng und zuweilen in das Angeſicht blick¬ te, das durch die geiſtige Kraft noch ſchöner wurde, zugleich Blume, Blüthe und Frucht, ſtatt daß ſonſt umgekehrt der Kopf durch das Geſicht gewinnt: ſo richtete er ſtrenge über ſein bisheriges Betragen gegen dieſes edle Weſen;136 ob er gleich wie ſie aus Zartheit über das bis¬ herige Gaukelſpiel mit ihrem Nahmen ſo wie über das Wunder des heutigen Begegnens ſchwieg. Still giengen ſie in der ſeltnen Nacht und Gegend. Auf einmal blieb ſie auf einer Höhe ſtehen, um welche der Brautſchatz der Natur nach allen Seiten in Bergen aufge¬ häufet war. Sie blickten im Glanze umher, der Schwan des Himmels, der Mond, wogte fern vom Veſuve im hohen Äther die Rie¬ ſenſchlange der Erde, das Meer, ſchlief feſt in ihrem von Pol zu Pol reichenden Bette die Küſten und Vorgebürge dämmerten nur wie Mitternachts träume Klüfte voll Baumblü¬ then floſſen über von ätheriſchem Thau aus Licht und unten in Thälern ſtanden finſtere Rauchſäulen auf heiſſen Quellen und verwall¬ ten oben in Glanz hoch lagen überall er¬ leuchtete Kapellen und tief um das Ufer dunkle Städte die Winde ſtanden ſtill, die Roſen¬ düfte und die Myrtendüfte zogen allein weich und lau umfloß die blaue Nacht die ent¬ zückte Erde, um den warmen Mond wich der Äther aus und er ſank liebestrunken mitten aus137 dem Himmel immer größer auf den ſüßen Er¬ denfrühling herein der Veſuv ſtand jetzt ohne Flamme und ohne Donner, weiß von Sand oder Schnee, in Morgen im dunk¬ lern Blau waren die Goldkörner der feurigen Sterne weit auseinander geſäet.

Es war die ſeltene Zeit, wo das Leben den Durchgang durch eine überirdiſche Sonne hat. Albano und Linda begegneten ſich mit heiligen Augen und die Blicke löſeten ſich wieder ſanft auseinander; ſie ſchaueten in die Welt und in das Herz und ſprachen nichts aus. Linda kehrte ſich ſanft um und gierig ſtill weiter.

Da rief auf einmal eines der nachgehenden geſchwätzigen Mädchen aus: es kommt wahr¬ lich ein Erdbeben, ich fühl 'es recht, gute Nacht! Es war Agata. Gott geb' ei¬ nes, ſagte Albano. O warum? ſagte Lin¬ da eifrig aber leiſe. Alles was die unend¬ liche Mutter will und giebt, iſt mir heute kind¬ lich-lieb, ſogar der Tod gehören wir nicht mit zu ihrer Unſterblichkeit? ſagt 'er. Ja, das darf in der Freude der Menſch fühlen und138 glauben, nur im Schmerze ſprech' er nicht von Unſterblichkeit, in ſolcher Seelenohnmacht iſt er ihrer nicht würdig.

Albano's Geiſt ſtand hier von der Fürſten¬ bank auf, um die hohe Verwandte zu grüßen und ſagte: Unſterbliche! und wär 'es ſonſt niemand! Sie lächelte ſtill und gieng fort. Sein Herz war ein beſchriebenes Asbeſtblatt ins Feuer geworfen, brennend, nicht verbren¬ nend, das ganze vorige Leben loſch weg, das Blatt glänzte feurig und rein für Lin¬ da's Hand.

Als ſie die letzte Anhöhe erreichten, worun¬ ter Linda's und Juliennens Wohnung lag und ſie neben einander zur Trennung ſtanden, da rief plötzlich unten das Mädchen: ein Erdbe¬ ben! Aus der Hölle heran rollte ein Don¬ nerwagen in den unterirdiſchen Wegen ein breiter Blitz ſchlug die Flügel am reinen Him¬ mel unter den Sternen auf und zu die Er¬ de und die Sterne zitterten und aufgeſchreckte Adler flogen durch die hohe Nacht. Albano hatte die Hände der wankenden Linda ergrif¬139 fen. Ihr Angeſicht war vor dem Monde zu einer blaſſen Götter-Statue aus Marmor ver¬ blüht. Es war ſchon vorbei; nur einige Sterne der Erde ſchoſſen noch aus dem feſten Himmel ins Meer und wunderbare Wolken zogen un¬ ten ringsherum auf. Bin ich nicht recht furcht¬ ſam? ſagte ſie weich. Albano ſchauete ihr le¬ bendig und heiter wie ein Sonnengott im Mor¬ genroth ins Angeſicht und drückte ihre Hände. Sie wollte ſie heftig wegziehen. Gieb ſie mir ewig! ſagte er heftig. Kühner Menſch, (ſagte ſie verwirrt,) wer biſt Du? Kennſt Du mich? Wenn Du biſt wie ich, ſo ſchwöre und ſage, ob Du immer wahr geweſen? Albano ſah gen Himmel, ſein Leben wurde ge¬ wogen, Gott war nahe bei ihm, er antwortete ſanft und feſt: Linda, immer! Ich auch! ſagte ſie und neigte ſchamhaft das ſchöne Haupt an ſeine Bruſt, hob es aber ſo¬ gleich wieder auf mit den großen feuchten Augen und ſagte ſchnell: gehen Sie jetzt! Früh Morgens kommen Sie, Albano! Adio, adio!

Die Mädchen kamen herauf, Albano gieng140 hinab, die Bruſt gefüllt mit Lebenswärme, mit Lebensglanz die Natur wehte mit friſchern Düften aus den Gärten her das Meer rauſchte unten wieder und auf dem Veſuv brannte eine Amors-Fackel, ein Freudenfeuer durch den Nacht-Himmel zogen noch einige Adler nach dem Mond wie nach einer Sonne und an das Himmels-Gewölbe war die Himmelsleiter aus goldnen Sproſſen von Ster¬ nen gelehnt.

Da Albano ſo einſam in der Seeligkeit gieng, aufgelöſet in die Wonne der Liebe, in den Duft der Thäler, in den Glanz der Hö¬ hen, träumend, ſchwebend: ſo ſah er Zugvö¬ gel über das Meer gegen den Apennin nach Deutſchland fliegen, wo Liane gelebt. Heili¬ ge droben, (rief ſein Herz,) du wollteſt dies Glück, erſcheine und ſegne es! Unerwartet ſtand er vor einer Kapellen-Niſche, worin die heilige Jungfrau ſtand. Der Mond verklärte die blaſſe Statue die Jungfrau belebte ſich unter dem Glanze und wurde Lianen ähnli¬ cher er knieete hin und heiß gab er Gott die Dankgebete und Lianen die Thränen. Als141 er aufſtand, girrten in Träumen Turteltauben und ſchlug eine Nachtigall, die heißen Quel¬ len dampften ſchimmernd, und er hörte das frohe Singen der fernen Menſchen herauf.

142

Neun und zwanzigſte Jobelperiode.

Julienne die Inſel Sonnenuntergang Nea¬ pel Veſuv Linda's Brief Streit Ab¬ reiſe.

111. Zykel.

Nach einer langen Nacht wehte der friſche Morgen, wo Albano die Schätze des ſeeligſten Traums, die vom Monde geöffneten Blumen des Glücks, vor der Sonne wiederfinden ſollte. Ihm jauchzete das Leben, da er die geſtrigen Höhen, die vom Firniß des Lichtes überzogen glänzten, wieder beſtieg; nicht zu einem Ro¬ ſenfeſt, ſondern zu allen Blumen - und Erndte¬ feſten auf einmal, zu Myrten - und Lilienfe¬ ſten, zu Ährenleſen und Blüthenleſen gieng die143 Sonne über den glücklichen Boden hervor, und wie ein Pfau mit ſeinem ſchleppenden Regen¬ bogen in einen Blüthenbaum hineinfliegt, ſo hob ſich der junge Tag farbenſchwer und mit Gärten beladen und voll Wiederſcheine auf die blauen Höhen und lachte kindlich in die Welt. Albano ſah jetzt von ſeiner Höhe unten das Zauberſchloß, worein ſich geſtern die mächtige Zauberinn verloren.

Er kam unten an. Ein ſingendes Mädchen auf dem blumenvollen Dache, das auf ihn ge¬ wartet zu haben ſchien, zeigte unter dem Fort¬ ſingen ſich herüberbeugend, ihm das nahe Zim¬ mer unter ihr, in das er gehen ſollte. Er trat hinein; es war einſam durch die Fenſter aus geöltem Papier quoll ein wunderliches Mor¬ genlicht auf die hölzerne Stubendecke wa¬ ren Figuren aus dem Herkulanum gemahlt in einer kampaniſchen Vaſe ſtanden gelbe Schmetterlingsblumen und Myrtenblüthen und zogen einen ſüßen Duftkreis um ſich her. Die ſonderbare Umgebung umſchloß ihn immer enger, da er gar einige Bilder und Geräthe fand, die ihm bekannt vorkamen. Endlich erblickte144 er beſtürzt auf dem Tiſche einen halben Ring. Er nahm ſeinen halben hervor, den er im gothiſchen Zimmer in jener Geiſternacht von der angeblichen Schweſter bekommen und den er für den Zufall der Vergleichung immer bei ſich trug. Er drückte die Halbzirkel in einan¬ der plötzlich ſchloſſen ſie einfaſſend ſich zu einem feſten Ringe zu Gott! dacht 'er, was greift wieder ins Leben!

Da wurde haſtig die Thür geöffnet und die Prinzeſſinn Julienne eilte lächelnd und weinend herein und rief, ihm zufliegend: o mein Bru¬ der! Mein Bruder! Julienne, (ſagt 'er ernſt und innig,) biſt Du endlich meine Schwe¬ ſter wirklich? O lange genug iſt ſie es, verſetzte ſie und ſah ihn zärtlich und ſeelig an und lächelte ins Weinen. Dann umarmte ſie ihn wieder, und ſah ihn wieder an und ſagte: Du ſchöner Albano-Bruder! So lange bin ich wie ein Mond um Dich herumgezogen und mußte kälter und weiter bleiben wie er; nun will ich Dich auch ausnehmend liebhaben, ſo recht zurücklieben und vorwärts dazu! Allmächtiger, (brach Albano weinend aus,da145da er ſich ſo plötzlich von einem gebenden Arm aus der Wolke umſchlungen fand,) das alles giebſt Du mir auf einmal jetzt? Ach, (rief Julienne lebhaft,) weint 'ich nur auch vor lauter Freude! Aber ich eſſe mein bit¬ teres Stück Schmerz mit dazu! Lieber Bruder, Luigi ſchreibt mir geſtern aus Peſtiz, ich ſollte zurückeilen, ſonſt erleb' er ſchwerlich meine Wie¬ derkunft. Dacht 'ich das bei der Abreiſe? So ſoll ich, was ich mit der einen Hand einnehme, mit der andern ausgeben. Albano ſchwieg dazu, weil er am Fürſten keinen Antheil neh¬ men konnte. Deſto mehr erquickt' er ſich mit friſcher klarer Freude, am offnen wehenden Orient der früheſten Lebenstage, an dem Bli¬ cke auf dieſe junge reine Blume, die gleichſam in und aus der hellen friſchen Quelle ſeiner Kindheit wuchs und ſpielte.

Aber Himmel! erkläre mir (fieng Albano an) wie alles zugieng. Jetzt, weiß ich, hebt das Fragen an (verſetzte ſie). Die oſten¬ ſible Hauptſumme ſollſt Du kurz haben fragſt Du nach mehr, willſt Du ins Geheimbuch gu¬ cken, ſo ſchlag 'ichs zu und ſage Dir einigeTitan IV. K146Lügen vor. Im nächſten Oktober, wohl eher, kommt alles ans Licht. Zu allererſt! Meine Mutter war und bleibt wahrlich rein und hei¬ lig bei dieſer Verwandtſchaft, bei dem allmäch¬ tigen Gott!

Welch ein Räthſel! (ſagt 'er.) Biſt Du die Tochter meines Vaters? Iſt Luigi mein Bruder? Iſt meine todte Schweſter Severina Deine Schweſter? fragt' er.

Julienne. Frage den Oktober!

Albano. Ach Schweſter!

Julienne. O Bruder! Traue der Tochter Melchiſedeks. Ferner: ich war wohl die erſchei¬ nende Schweſter, die der Menſch mit dem kah¬ len Kopfe Dir in Lilar zuführte; ich konnte nicht, ich mußte Dich haben, eh 'Du ins Aus¬ land entflogſt. Das Alter, das ich damals im Spiegel hatte, war wie Du ſiehſt nur vom Kunſtſpiegel*)Es giebt metamorphotiſche Spiegel, die junge Geſichter veraltet darſtellen. gemacht.

Albano. Wahrlich, ich dachte damals an niemand als an Dich. Nur wie kommt ein147 Menſch wie der Kahlkopf und wie der Vater des Todes der mir ſo unbegreiflich in Mola vorausgeſagt, daß ich Dich finden würde

Julienne. Das iſt unmöglich Meinen Nahmen nannt 'er?

Albano. Bloß dieſer fehlte. Der Pater iſt übrigens nach aller Wahrſcheinlichkeit mit dem Kahlkopf Ein Menſch. Er fuhr dabei gen Himmel.

Julienne. Da bleib 'er ja und der An¬ dere mit. Geht und ficht mich oder Dich dieſer dunkle Zauber-Bund etwas an, der in ſeinen falſchen Wundern bisher immer durch ſeltſame wahre unterbrochen wurde? Ich kam damals in Lilar unſchuldig dazu und verhütete vielleicht etwas Fürchterliches.

Albano. Bei Gott, ich muß fragen. Was iſt denn ſein Zweck, wer ſein Leiter, ſein Obe¬ rer?

Julienne. Vermuthlich der Vater der Grä¬ finn, denn der lebt noch unbekannt und unge¬ ſehen, hör 'ich, obgleich Dein Vater Vormund iſt. Erſtaune, wenn Du zu Hauſe biſt und laſſe die Räthſel, die ſich ja für uns beide ſchonK 2148ſo freudig entwickeln und erwarte die Okto¬ bertage.

Albano. Aber eins, geliebte Schweſter, verſage mir doch nicht ein klares Wort über mein und Dein wunderbares Verhältniß zur edlen Gräfinn! Nur das!

Julienne. Hat Dir's denn ſchon mein Herz verſagt? Die Herrliche! Wohl ihr und mir und Dir! Dein erſtes Wort der Lie¬ be die Götter ſetzten dies nun ſo feſt ſollte das Merkwort zu dem meinigen an Dich werden, erſt von der Geliebten durfteſt Du die Schweſter empfangen. Was Gaukler und Gei¬ ſter dazu und davon thaten, das weiß niemand beſſer als der Oktober; was ſoll ich erſt lange zwiſchen Lüge und Meineid ausleſen? Ich that bloß alles, euch beide nur vor einan¬ der hinzuſtellen; das Übrige wußt 'ich voraus. Nichts gelang lauter erwürgender Wirrwarr alles gieng bergan ich ſah theuere Men¬ ſchen*)Ihn und Liane. in einem unſeeligen Frühling entſetzli¬ che Schmerzen ſäen, und dabei ſo voll Hoff¬149 nungen lächeln und konnte ihre unglücklichen Hände nicht halten ich, die ſo gewiß allen Jammer voraus wußte. O du fromme reine Seele droben! ſagte ſie auf einmal mit zit¬ ternder Lippe zum Himmel hinauf die Ge¬ ſchwiſter umfaßten ſich ſanft und weinten ſtill über das unſchuldige Opfer.

Nein, (ſagte Albano ſehr warm,) kein Höllenbund konnte uns ſcheiden, wäre Sie nur bei mir geblieben oder doch auf der Erde. Sieh Albano, (ſagte Julienne, ihre frohern Lebensgeiſter wieder zuſammenrufend und öff¬ nete alle dunkele Fenſter,) wie der Morgen - Hügel auf und ab prangt und wallet! Las¬ ſe mich ausreden! Recht zum größten Glück erfuhr ich im Winter, daß Du nach Neapel gedächteſt. Linda war ſchon einmal da gewe¬ ſen, und ihre Mutter in den hieſigen Bädern. Mir (ſagt 'ich zu ihr) thäten Iſchia's Bä¬ der ſo wohl als einer, reiſe mit, den triſten Vormund in Rom wollen wir gar nicht berüh¬ ren und beſuchen. Sie willigte leicht ein. Deiner wurde natürlich nicht gedacht, vorher aber oft genug in Briefen und ſonſt, wo ich150 Dich immer unmäßig lobte. Und nun nous voici donc. Geſtern erhielt ich in Neapel den traurigen Brief meines Bruders. Von Deiner Ankunft wußt' ich noch nichts. Ich ließ die Gräfinn allein zu Deinem Ton-Feſt gehen und eilte mit dem ſchweren Herzen heim. Da ſie freudig kam, that ſie ihres auf und ſagte mir alles und dann ich ihr alles. Ach, Gott Lob, (ſetzte ſie ihm an den Hals fallend dazu,) daß wir nun endlich im Elyſium ausgeſtiegen ſind und daß uns der morſche Charons-Kahn nicht hat erſaufen laſſen. Aber für ganz Europa, auch für Deinen Dian, bleibet auf un¬ ſerer Verwandtſchaft das Sekretsinſiegel daran, merke! Er mußte noch einige Fragen thun; ſie antwortete immer aufgeweckt, der Oktober, der Oktober! bis ſie auf einmal wie erwachend ausrief: o wie kann ich das ſo luſtig ſagen? aber ohne ſich darüber zu erklären.

Jetzt will ich Dich, wie ichs bisher machte, zur Gräfinn bringen, aber über einen kürzern Weg! ſagte ſie, nahm ſeine Hand, führte ihn hinaus, öffnete das Zimmer gegenüber, wo Linda wohnte, und ſagte: ich ſtelle Dir mei¬151 nen Bruder vor. Hoch erröthend gieng ihnen die edle Geſtalt entgegen und umarmte ohne ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬ bano wiederfand, wurde ſie ſo betroffen, daß ſie die Hand zurückzuziehen ſuchte, die er küßte; denn ſie hatte geſtern kaum nur dämmernd ſein ſchönes Auge und ſeine edle Stirn und den Mund der Liebe geſehen; und dieſer blühende Menſch ſtand, von doppelter Rührung beſeelt, ſo hell und ſtill und ernſt vor ihr, voll edler, rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an ſeines gefallen; wenigſtens ihre Hand gab ſie ihm in ſeine wieder und wünſchte ihm Glück zu die¬ ſem Morgen. Die nahe Antwort: und zum geſtrigen Abend, konnt 'er nicht über die Lippe bringen, aus eigner verſchämter Scheu, Lob zu geben wie zu nehmen. Endlich iſt der dritte Mann zum Reiſe-Kollegium gefunden (ſagte Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen gleich fort, nach Peſtiz mußt Du mit, Albano. ' Ich mit, Schweſter? (ſagt 'er) ich wollte ei¬ nen Monat bleiben, in einige Tage aber iſt der Beſuch des Veſuvs, Herkulanums und Neapels zuſammengedrängt. Er wunderte152 ſich nachher ſelber über den ſüßen Gehorſam unter die ſchönen Befehle der Liebe, da er ſonſt zu ſagen pflegte: befiehl mir, zu befehlen: ſo gehorch' ich nicht. Ich begleite meine Freundinn, (ſagte Linda,) ſo gern ich nach Grie¬ chenland gegangen wäre, dem ich ſchon zwei¬ mal ſo nahe bin.

Noch in dieſer Nacht flieg 'ich fort, (ſagt' er) ich will nur wachen, ſehen, leben, lieben. Julienne fieng ſchon mit Schweſter-Sorgen für ſeine Geſundheit und ſeine Zwecke an getheilt zwiſchen zwei Brüder, hätte ſie ſich gern, wär 'es nur möglich, beiden zugleich ge¬ opfert. Ischia hat der gute Menſch auch noch nicht genoſſen, (ſagte ſie) das muß er heute haben.

Albano fühlte bei dieſer neuen weiblichen Liebe, das Weib ſey das Herz in der ſchönſten Geſtalt. In ihm klang ein Freudenlied: welch 'ein Tag liegt vor dir, und welche Jahre! Vom Überhang der doppelten Liebes-Blüthen ſüß umſchlungen und eingeſponnen, ſah er das Leben und die Erde voll Duft und Licht über den Morgenthau der Jugend war nun153 eine Sonne heraufgeführt und die dunkeln Tro¬ pfen ſtrahlten durch alle Gärten hinauf und hinab.

Er warf endlich einen Blick auf den Ort, der ihn umgab; Niobe's Gruppe, der Genius von Turin, Amor und Pſyche, ſtanden abge¬ goſſen da, aus dem Kabinette eines Künſtlers in Neapel entlehnt die Wände waren mit ſeltenen Gemählden geſchmückt, worunter der nieſende Schoppe war. Dieſer allein drang mit der nordiſchen Vergangenheit heftig in ſein erweichtes Herz und er ſagte der Geliebten ſein Gefühl. Sie ziehen (ſagte ſie) der Kunſt die Freundſchaft vor, denn das Portrait iſt das Schlechteſte in meiner Sammlung; aber das Original verdient wohl alle Achtung.

Sie gieng ins Kabinet und holte ein Mi¬ niaturbild von ſich ſelber, das ſie nach türki¬ ſcher Sitte darſtellt, eingeſchleiert und nur Ein Auge aufgedeckt. Wie neben der Schleier-Däm¬ merung das offne Seelen-Auge lebendig blickte und traf! Wie die Flamme ihrer Macht die Hülle der Milde durchbrannte! Linda nannte den Meiſter des herrlichen Bildes, eben dieſen154 Schoppe und ſetzte dazu: er habe geſagt, hier müſſe der Meiſter aus Gegengefälligkeit ſelber ein Werk loben, das ihn ſo partheiiſch und kräftig lobe, wie noch kein anderes Werk von ihm. Sie erklärte dieſe Verſchiedenheit ſeines Pinſels aus einer Urſache, die er ihr ſelber faſt wörtlich geſagt: er habe nehmlich in ſeiner frü¬ heſten Jugend ihre Mutter ſo lange geliebt, als er ſie geſehen und hernach niemand weiter und darum hab 'er, da ſie ihr ähnlich ſey, ſie con amore gemahlt und wirklich etwas zu lei¬ ſten geſucht.

O redlicher alter Menſch! ſagte Albano, und konnte ſich kaum der Thränen aus Augen, die ſo oft glücklich waren, erwehren; aber nur aus heiligem Freundſchafts-Schmerz. Denn es fuhr nun durch ihn wie ein Wetterſtrahl durch den hellſten Himmel die durch alles, durch Schoppens Tagebuch und Linda's Worte und Rabettens Brief gewiſſe Vermuthung, daß Linda die Seele ſey, die der ſonderbare Menſch verborgen geliebt. Ein ſcharfer Schmerz ſchnitt eilig aber tief durch ſeine Stirn; und er über¬ wand ſich bloß durch ſeine jetzige jüngere Fri¬155 ſche des Geiſtes, durch neu geſammelte Kraft und Gewalt und durch den freien Gedanken, daß ein Freund dem Freunde wohl und leicht die Geliebte, aber nicht die Liebende ge¬ ben und opfern könne oder dürfe.

Julienne ſagte: ein Wunder iſt's nur, daß der Bruder zwiſchen zwei ſolchen Phantaſten wie dieſer Schoppe und Roquairol nicht ſelber einer geworden. Ein flüchtiger Krieg brach aus. Linda ſagte: Schoppe iſt nur eine ſüdliche Natur im Kampfe mit dem nordiſchen Klima. Eigentlich mit dem Leben ſelber, ſagte Albano. Julienne blieb dabei: ich lie¬ be überall Regel im Leben; bei beiden iſt man nie ruhig und à son aise, ſondern nur à leur aise. Sie fragte ihn geradezu über Roquairol. Er war einmal mein Freund und ich ſpreche nicht mehr von ihm; ſagt 'Albano, dem des zernichteten Lieblings folternde Liebe gegen Linda und ſelber deſſen Verwandtſchaft mit Liane die Zunge band. Linda gieng mit dem bloßen Urtheile eines überſpannten Schwäch¬ lings leicht und ohne beſonderes Gedenken ſeiner Liebe gegen ſie oder ihres Abſcheues vor ihm156 darüber hin; ſie vergaß in der Ferne eben ſo kalt jeden, der ihrem Innern widrig war, als ſie in der Nähe ihn heftig davon ſtieß.

Julienne entfernte ſich, um die Anſtalten zur kleinen Tag - und Inſelreiſe zu treffen. Al¬ bano ſchickte ein Blatt an Dian als Marſch¬ route nach Neapel; Linda ſagte über Julienne: ein tief - und feſt gegründetes Gemüth! Das Stamm und Zweige nur in lauter kleine duftende Blüthen einhüllt, ſetzt 'er hinzu. Und gerade, was ſie in Büchern und Geſprä¬ chen haſſet, die Poeſie, die treibt ſie recht in Thaten. Individualität iſt überall zu ſchonen und zu ehren als Wurzel jedes Guten. Sie ſind auch ſehr gut, ſetzte ſie mit ſanfter Stim¬ me dazu. Wahrlich, jetzt bin ichs, (ſagt' er,) denn ich liebe recht; und nur ein vollendetes Weſen kann man recht lieben und ganz unei¬ gennützig!

So muß das Sonnenbild vollendet und rund auffallen, um zu brennen. Oder ei¬ nes, das man dafür hält (ſagte ſie). Ich bin was ich bin und werde ſchwerlich an¬ ders. Wenn nur der Menſch einmal einen Wil¬157 len hat, der durch das Leben geht, nicht von Minute zu Minute, von Menſch zu Menſchen wechſelt das iſt die Hauptſache. Lin¬ da, (rief Albano,) ich höre meine Seele es giebt Wörter, welche Thaten ſind, Ihre ſind's. Wenn ſie ſo ihre Seele ausſprach, verſchwand vor ſeinem bezauberten Geiſte die ſchöne Ge¬ ſtalt, wie die goldne Saite verſchwindet, wenn ſie zu tönen anfängt. Von der Vergangenheit verwundet und beſtraft für ſeine oft harte Kraft hauchte er ob ihn gleich jetzt das Leben, die Welt und ſelber das Land kühner, heller, fe¬ ſter und heiſſer gemacht die uniſonen Äolsſaiten, dieſer vieltönigen Seele, nur mit leiſem Athem an. Aber wie mußte ſie ein Mann bezaubern, zugleich ſo mächtig und ſo zart ein ſanftes Sternbild aus nahen Son¬ nen ein ſchöner Kriegsgott mit der Lyra eine Sturmwolke voll Aurora ein muthiger, heiſſer Jüngling, der ſo redlich dachte! Aber ſie ſagte es nicht, ſondern liebte bloß wie er.

Er warf einen zufälligen Blick auf ihre kleine Tiſch-Bibliothek. Lauter Franzoſen! ſagte ſie; er fand den Montaigne, das Leben158 der Guyon, den Contrat social nnd zuletzt Mdme Stael, ſur l'influence des passions. Er hatte dieſe geleſen und ſagte, wie ihm die Ar¬ tikel über die Liebe, die Partheien und die Ei¬ telkeit unendlich gefallen und überhaupt ihr deutſches, oder ſpaniſches Feuerherz, aber nicht ihre franzöſiſche kahle Philoſophie, am wenig¬ ſten ihre unmoraliſche Selbſtmordſucht. Lie¬ ber Gott, (rief Linda,) iſt nicht das Leben ſel¬ ber ein langer Selbſtmord? Albano, alle Männer ſind doch irgendwo Pedanten, die gu¬ ten in der ſogenannten Moralität, und Sie beſonders kantiſche Maximen, breite weite Fächer, Prinzipien müſſen ſie alle haben. Ihr ſeyd alle geborne Deutſche, recht deutſche Deutſche, Sie auch, Freund. Hab 'ich Recht? ſetzte ſie ſanft dazu, als begehre ſie ein Ja.

Nein! (ſagte Albano.) Sobald einmal ein Menſch etwas recht ernſtlich und ausſchlieſſend treibt und verlangt: ſo heiſſet er ein Phantaſt oder Pedant. O die ewigen Leſer und Leſerinnen! rief Julienne, hereintretend, über ſein Buch in der Hand aus. Nie hat die Prinzeſſinn eine Vorrede und eine Note gele¬159 ſen, (ſagte Linda,) wie ich noch keine wegge¬ laſſen. Weiber, die Vorreden und Noten leſen, ſind bedeutende; bei Männern wäre höch¬ ſtens das Gegentheil wahr. Wir können reiſen, alles iſt fertig, ſagte Julienne.

112. Zykel.

Wie wehte drauſſen als ſie in die feſtli¬ che Welt kamen das kühle Himmelsblau herab ſtatt der Erdenlüfte! Wie glänzte die Welt und der Tag und die Zukunft! Wie ſchäumte im Lebenskelche der Liebestrank, für jeden der drei Menſchen aus zwei berauſchen¬ den Mitteln gemacht, glänzend über!

Sie folgten dem Wege nach dem Gipfel des Epomeo, aber in ausweichender Freiheit und in einem Wechſel der Natur, der nirgends wei¬ ter auf der Erde ſo iſt. Sie begegneten Thä¬ lern mit Lorbeern und Kirſchen, mit Roſen und Primeln zugleich. Es kamen kühle Schluch¬ ten mit reifen Orangen und Äpfeln ausgefüllt, neben heiſſen Felſen von Aloe und Granaten und an die Gipfel des Kirſch - und Apfelbaums rührten oben die Wein - und Orangenblüthen. In den blühenden Klüften ſchlugen ſichere160 Nachtigallen und aus den Ritzen ſchoſſen gift¬ loſe Schlangenköpfe ans Licht Zuweilen kam ein Kloſter in einem Zitronenwäldchen, zuwei¬ len ein weißes Haus am Weingarten, bald eine kühle Grotte, bald ein Kohlgarten neben rothen Klee, bald eine kleine Aue voll weißer Roſenblumen und Narziſſen, und überall ein Menſch, der ſingend, tanzend und anredend vorübergieng. Wechſelnd deckten Höhen und Gärten das Land und das Waſſer auf und zu und lange ſchimmerte oft das weite ferne Meer und ſeine Wolken-Küſte wie ein zweiter Him¬ mel durch die grünen Zweige nach.

Sie kamen dem Hauſe des Einſiedlers auf dem Gipfel immer näher, auf bunten goldnen Schwungfedern des Lebens ſich wiegend. Sie ſagten einander zuweilen ein freudiges Wort, aber nicht um ſich mitzutheilen, ſondern weil das Herz nicht anders konnte und ein Wort nichts war als ein freudiger Seufzer. Sie ſtan¬ den endlich auf dem Erden-Thron und blickten wie von der Sonne herunter. Rings um ſie war das Meer gelagert, ins Blau des Hori¬ zonts verſchmolzen von Kapua her zog inder161der Tiefe der weiße Apennin um den Veſuv und herüber auf der langen Küſte Sorrento's fort und vom Pauſilip an verfolgten die Län¬ der das Meer bis über Mola und Terracina auf der geöffneten Welt-Fläche erſchien alles, die Vorgebürge, die gelben Krater-Ränder auf den Küſten und die Inſeln rings umher, die der verhüllte fürchterliche Gott unter dem Meere aus ſeinem Feuerreich an die Sonne ge¬ trieben und das holde Iſchia, mit ſeinen kleinen Städten an den Ufern und mit ſeinen kleinen Gärten und Kratern, ſtand wie ein grü¬ nendes Schiff im großen Meer und ruhte auf zahlloſen Wogen.

Da verſchwanden drunten die Größen der Erde, nur die Erde allein war groß und die Sonne mit ihrem Himmel war's. O wie ſind wir glücklich! ſagte Albano. Ja, ihr waret glücklich dort, wer wird es nach euch ſeyn? Sich auf dem Baum des Lebens wiegend, auf welchen ſchon ſein Kindes-Auge ſo früh und ſehnſüchtig geblickt, ſagt 'er alles was ihn erhob und ergriff: daran erkenn' ich die All¬ gewaltige, zornig und flammend ſteigt ſie ausTitan IV. L162dem Meersboden herauf, pflanzt ein brennen¬ des Land und dann theilt ſie wieder lächelnd an ihre Kinder Blumen aus; ſo ſey der Menſch, Vulkan dann Blume. Was ſind da¬ gegen (ſagte Julienne) alle Winterluſtbarkei¬ ten des deutſchen Wonnemonds! Iſt das nicht eine kleinere Schweiz nur in einem größern Genferſee? Die Gräfinn, durch ihr Spa¬ nien einheimiſcher in ſolchen Reizen, hielt ſich meiſtens ſtill. Der Menſch (ſagte ſie) iſt die Oreade und Hamadryade oder ſonſt eine Gott¬ heit und beſeelet Wald und Thal und den Men¬ ſchen ſelber beſeelet wieder ein Menſch.

Der Einſiedler erſchien und ſagte, ihr her¬ aufgeſandtes Mahl ſey längſt angekommen; er lobte ſeine Höhe mit: oft (ſagt 'er und machte Julienne lachen,) raucht mein Berg wie der Veſuv und Badgäſte ſehen herauf und fürchten etwas, es iſt aber, weil ich mein Brod hier oben backe. Sie lagerten ſich im ſchattigen Freien. Man mußte immer wieder auf die lieblichen verkleinerten Inſeln hinabſehen, die mit ihren in Gärten geſäeten Gärten, mit ihren mit Herbſten durchflochtenen Frühlingen ſo ganz163 und nahe lag, ein großer Familiengarten, wo die Menſchen alle beiſammen wohnen, weit nicht Länder ſich mit Ländern verwirren, und die Bienen und die Lerchen fliegen nicht weit über den Garten des Meeres hinaus. Gleich offnen ſtillen Blumen waren die drei Seelen neben einander, duftend fliegt der Blumenſtaub hin und her, neue Blumen zu erzeugen. Linda verſank ganz in ihr großes tiefes Herz; der Liebe ungewohnt, wollte ſie ſie darin anſchauen und genießen, indeß kein Wort Albano's ihr entfloh, denn es gehörte zur Liebe im Herzen. Von Milde übergoſſen und ſinnend war ſie da, mit dem großen Auge halb unter dem nieder¬ gehenden Augenlied nach ihrer Sitte immer lange ſchweigend wie lange ſprechend. Wie der Diamant eben ſo glänzt wie der Thautropfe, nur aber mit feſter Kraft und auch ohne Sonne: war ihr Herz dem weichſten in jeder weiblichen Milde und Reine gleich und übertraf es nur an Stärke. Entzückt ſah Julienne es an, wenn ſie etwa nach einem kindlichen Vergeſſen Al¬ bano's, weil ihr Rede-Strom ſie von einer Welt in die andere geriſſen plötzlich und mitL 2164unbefangener Freude mit ihrer feingeformten Hand zu des Jünglings ſeiner zurückkehrte, dem ihr Händedruck nichts kleineres war als eine zärtere Umarmung.

Sie nahmen den nähern Rückweg gegen Al¬ bano's Wohnung herab, die immer in ihrem Reben-Geniſte zu ihnen heraufſah. Man war noch ſo kurz bei einander am Morgen rei¬ ſete Albano. Er ſollte von Portici aus ſchrei¬ ben, ein Bote den Brief holen und er bringt mir auch einen, ſagt 'er; gewiß nicht! ſagte Linda. Albano bat. Sie wird ſich ſchon ändern und ſchreiben, ſagte Julienne. Sie verneinte. Allmählig liefen Schattenfurchen neben den ſchwarzen Lavaſtrömen den Berg hinab, und in den Pappeln fiengen Nachtigal¬ len ſchon ihre melodiſche Dämmerung an. Sie kamen Albano's Hauſe nahe; Dian lief entzückt der Prinzeſſinn entgegen. Albano bat ihn, ohne beide gefragt zu haben, eine Barke zu ſchaffen, damit man den Abend genieße. Gerade zu ge¬ waltſamen Anträgen der Freude ſagen die Mäd¬ chen am liebſten das Ja. Dian war ſogleich165 mit einer zur Hand; mit ſeiner Freude hieng er ſchnell an jeder fremden.

Sie ſtiegen alle ein, und fuhren unter die Sonnenblumen, die jeder Sonnenſtrahl auf die Wellen-Beete immer dichter pflanzte. Albano vergaß im jetzigen Feuer, gewohnt an die Sitten des warmen Landes, wo der Liebende vor der Mutter ſpricht und ſie von ihm mit der Tochter, wo die Liebe keinen Schleier trägt, nur der Haß und das Geſicht und wo die Myrte in jedem Sinne die Einfaſſung der Felder iſt ſich einen Augenblick vor Dian und nahm Linda's Hand; ſchnell entriß ſie ihm ſie, der Mäd¬ chen Sitte treu, die den Arm verſchenkt und den Finger und Fingerhut verweigert. Aber ſie ſah ihn ſanft an, wenn ſie abgeſchlagen.

Sie kamen auf ihrer Fahrt von Oſten nach Norden wieder vor dem Felſen mit den Häu¬ ſern und vor den Gaſſen der Ufer-Vorſtadt vorüber. Alles war froh und freundlich al¬ les ſang, was nicht ſchwatzte die Dächer waren mit Webſtühlen ſeidner Bänder beſetzt und die Weberinnen ſprachen und ſangen zu¬ ſammen von Dach zu Dach. Julienne konnte166 kaum das Auge von dieſem ſüdlichen Vereine ablaſſen. Sie zogen weiter ins Meer, und die Sonne gieng ihm näher zu. Die Wellen und die Lüfte ſpielten mit einander, jene wehend, dieſe wogend Himmel und Meer wurden zu Einem Blau gewölbt und in ihrer Mitte ſchwebte, frei wie ein Geiſt im All, das leichte Schiff der Liebe. Der Umkreis der Welt wurde ein goldner geſchwollner Ährenkranz voll glühender Küſten und Inſeln Gondeln flo¬ gen ſingend ins Weite und hatten ſchon Fackeln für die Nacht bereit zuweilen zog hinter ih¬ nen ein fliegender Fiſch ſeinen Bogen in der Luft, und Dian ſang ihnen ihre bekannten vorübergleitenden Lieder nach. Dort ſeegel¬ ten ſtolz und langſam große Schiffe her, mit rothem und blauem Helmbuſch gleich dem Him¬ mel flatternd, und als Sieger dem Hafen zu. Überall war Lebens-Moſt ausgegoſſen und arbeitete brauſend So ſpielte eine gött¬ liche Welt um den Menſchen! O hier an dieſer großen Stelle, (ſagte Albano,) wo alles Platz hat, die Paradieſe und die ſchwarzen Or¬ kus-Ufer aus Lava und das weiche Meer167 und Veſuv's graues Gorgonenhaupt und die ſpielenden Menſchen und die Blüthen und alles hier wo man glühen muß wie eine Lava dürfte man da nicht ſich gleich der heißen Lava umher in die Wellen begraben in ſeiner Gluth, wenn man wüßte, es könne et¬ was vergehen von dieſer Stunde, nur etwas von Andenken davon, oder ein Pulsſchlag für ein Herz? Wäre das nicht beſſer? Viel¬ leicht ſagte Linda. Julienne wurde durch die weiche Freude vor das ferne Krankenbette ihres Bruders gezogen und ſagte lächelnd: kann man es nicht wie die ſchöne Sonne drüben machen, und unter die Wellen gehen und doch wiederkommen? Schauet doch ihrem Unter¬ gange recht zu, nirgends iſt er auf der Erde ſo.

Die Sonne ſtand ſchon zu einem großen Goldſchild gewachſen vom Himmel gehalten über den Ponziſchen Inſeln und vergoldete das Blau derſelben die weiße Krone aus Felſen - Stacheln, Kapri, lag in Gluth und von Sor¬ rento's bis Gaeta's Küſten war den Welt - Mauern dämmerndes Gold angeflogen die168 Erde rollte mit ihrer Axe wie mit einer Spiel¬ welle nahe an der Sonne und ſchlug aus ihr Strahlen und Töne ſeitwärts lagerte ſich verſteckt der Rieſen-Bote der Nacht auf das Meer, der unendliche Schatte des Epomeo.

Jetzt berührte die Sonne ihr Meer und ein goldner Blitz zitterte durch den naſſen Äther umher und ſie wiegte ſich auf tauſend feu¬ rigen Wellen-Flügeln und ſie zuckte und hieng liebesbrünſtig, liebeglühend an dem Meere und das Meer ſog brennend alle ihre Gluth Da warf es, als ſie vergehen wollte, die Decke eines unendlichen Glanzes über die erblaſſende Göttinn Dann wurd 'es ſtill auf der Welt eine bewegliche Abendröthe überfloß mit Roſen-Öl alle Wogen die hei¬ ligen Untergangs-Inſeln ſtanden verklärt die fernſten Küſten traten heran und zeigten ihr Roth der Entzückung auf allen Höhen hien¬ gen Roſenkränze der Epomeo glühte bis zum Äther hinauf und auf dem ewigen Wol¬ kenbaum, der aus dem hohlen Veſuv aufwäch¬ ſet, verglomm im Gipfel der letzte dünne Glanz.

169

Sprachlos wandten ſich die Menſchen von dem Weſten nach dem Ufer um. Die Schiffer fiengen wieder an zu ſprechen. Mache, (bat Linda ihre Freundinn leiſe,) daß Dein Bruder ſich immer nach Abend wendet. Sie erfüllte die Bitte, ohne deren Grund ſogleich zu erra¬ then. Immer ſah Linda in ſein ſchön beglänz¬ tes Angeſicht. Bitt 'ihn wieder, (ſagte ſie zum zweitenmal,) es dämmert zu ſehr und meine kranken Augen ſehen ohne Licht ſo übel. Es geſchah nicht; denn ſie ſtiegen ſogleich ans Ufer. Die Erde zitterte ihnen, da ſie ſie betra¬ ten, als ein Sangboden der ſeeligen Stunde nach. Albano war in ſprachloſer Rührung auf das geliebte Angeſicht geheftet, das er bald wie¬ der verlaſſen ſollte: ich ſchreibe Ihnen, ſagte ſie unaufgefodert mit einem ſo rührenden Wi¬ derrufe der vorigen Drohung, daß er ſich, wär' er nicht unter fremden Augen geweſen, dank¬ trunken auf ihre Hand, an ihr edles Herz ge¬ ſtürzet hätte. Das Scheiden und das Ende ei¬ nes harmoniſchen Tages wurde ſchwer, worin der Ton jeder einzelnen Minute wieder ein Dreiklang geweſen. Jetzt ſchied Dian ſchon. 170 Nicht einmal die Roſen des Abends (ſagte Julienne) ſind ohne Dornen. Abgebrochen, iſt überall das Beſte; wir wollen nach Hauſe, ſagte Linda. Albano bat, daß er begleiten dürfe. Wozu? ſagte Linda. Leiſe ſetzte ſie ihrer Augen wegen dabei: ich kann Euch kaum mehr ſehen indeß kommt nur, ich hö¬ re doch. Schöne Veränderliche! ſagte Julienne. Ich verändere mich, (ſagte ſie,) aber kein Anderer nur bis zur Kapelle, Al¬ bano, Ihr ſchiffet morgen früh fort, Nicht einmal, heute noch vielleicht, ſagte er.

Indem ſie nun ſo langſam und immer lang¬ ſamer den Berg hinangiengen und die Nachti¬ gallen ſchlugen und die Myrtenblüthen dufte¬ ten und die lauen Lüfte flatterten und oben die ganze zweite Welt wie eine verſchleierte Nonne durch die Silber-Gitter der Sternbilder heilig ſchauete: ſo überfloß jedes Herz von treuer Liebe, und der Bruder und die Schweſter und die Geliebte nahmen wechſelnd einander die Hand.

Auf einmal ſtand Linda an der Stelle der geſtrigen Vereinigung und ſagte: hier ſoll171 Er gehen, Julienne! und zog ſchnell ihre Hand aus ſeiner und ſtreichelte leicht über ſeine Locken und ſeine Wange, und dann über ſein Auge und fragte: Wie? in einen Traum verirrt. Gleich, (ſagte Julienne,) aber auf den italieniſchen Winter muß man doch, um nur heimzukommen, gar warten, auf den Mond. Da fiel der Bruder der zarten Schweſter, welche ihm dadurch die längere Gegenwart und der Freundinn das Wiederſe¬ hen durch die ſtärkere Beleuchtung zubereiten wollte, an das Herz und rief mit Thränen aus: O Schweſter, wie viel haſt Du nicht für mich gethan, eh 'ich etwas thun oder Dir danken konnte, Du reichſt mir ja alles, jedes Glück, die höchſte Seeligkeit, o wie biſt Du! Der Mond iſt da! (rief ſie) nun reiſe glück¬ lich und ſcheide!

Wie ein ſilberner Tag war der Mond auf die Gebürge heraufgetreten und die verklärte Geliebte ſah des Geliebten blühendes Angeſicht wieder. Er nahm ihre Hand und ſagte: lebe wohl, Linda! ſie ſahen ſich lange an, die Augen voll Seelen und ſie wurden ſich frem¬172 der und höher da drückte er, ohne zu wis¬ ſen wie, die erhabene Jungfrau wie ein ſeeli¬ ger Geiſt eine Frühlingsſonne, ſich an das Herz und er berührte das Heiligthum ihres Ange¬ ſichts mit dem ſeinigen und wie Morgenröthen zweier Welten ſchmolzen ihre Lippen zuſammen. Linda ſchloß die Augen und küßte zagend und nur ein einziges Leben und Glück rollte und glühte zwiſchen zwei Herzen und Lippen. Ju¬ lienne umſchlang leiſe die Umarmung mit ihrer und begehrte kein anderes Glück. Darauf ſchie¬ den alle, ohne wieder zu ſprechen, oder ſich umzuſehen.

113. Zykel.

Albano flog mit der neuen Haſtigkeit, die jetzt in ſeinen Handlungen regierte, ſchon un¬ ter dem kühlen Morgenſtern von dem glückli¬ chen Boden davon. Er ſagte dem Baumeiſter Dian ſein ganzes Glück, weil er wußte, wie ſehr der Mann noch ein Jüngling für die Lie¬ be blieb: bravo! (antwortete Dian.) Wer kann ohne Liebe in Italien auskommen? Un¬ ſer einer wenigſtens nicht. Hoffentlich iſt Euere173 prächtige Juno gegen Euch nicht ſo ſtolz wie gegen andere Leute: dann mag's wohl ein Göt¬ terleben geben.

In den Morgenlüften, von Sonne und Woge angeſtrahlt, ſchwebt 'er gleitend auf dem blauen Spiegel-Meer zwiſchen zwei Himmeln, und ſein Auge war ſeelig, wenn es nach dem Olymp, Epomeo, zurückſah, und war ſeelig, wenn es wieder auf die hinauf und hinabſchim¬ mernden Küſten, auf den langen ausgelegten Markt der Erde blickte.

Als ſie unter den ſchwimmenden Palläſten, den Schiffen, vorbei an die ſtehenden kamen: trafen ſie das Volk im Taumel eines Heiligen - Feſtes. Er vergrub gezwungen den blauen Tag und das Meer in Tempeln in Bilderſälen in vierten Stockwerken, wo nach der Sitte ei¬ nige Große wohnten, an welche er von ſeinem Vater Briefe abgab und ſchöner in der un¬ terirdiſchen finſtern Gaſſe, die ſich durch den blühenden Poſilippo wölbt.

Nur die Ausſicht, daß er in der erſten näch¬ ſten Einſamkeit mit dem entrückten Herzen re¬ den werde, beruhigte ſeinen immer aus der Ge¬174 genwart fliehenden Geiſt. Abends beſtiegen ſie die ſchönſte Höhe über Neapel, das Kamaldo¬ lenſer Kloſter, wo er unter den Freuden der Ausſicht in grauer Ferne hinter dem Poſilippo den hohen Epomeo ſtehen ſah. Er hielt ſich nicht länger, ſondern fieng, an einer dichter umblühten Stelle, die er ſich dazu ausſuchte, dieſen Brief an Linda an:

Endlich, edle Seele, kann ich zu Dir reden und Deine Inſel wieder ſchauen, wiewohl nur als eine aufgerichtete ſonnenrothe Abendwolke am Horizont. Linda, Linda, o daß ich Dich habe und hatte! Dauert denn der zweitägige Götter - Traum noch herüber ins kalte Heute? Du biſt jetzt ſo fern und ſtumm und ich höre kein Ja. Als ich in Rom auf der Peterskuppel in den blauen Morgenhimmel ſah und das Leben um mich brauſend ſchwoll, wie die Lüſte mich umwehten: ſo war mir als müßt 'ich mich in ein fliegendes Königsſchiff werfen und ein Ufer ſuchen, das unter dem tiefſten Sternbild grünt; als müßt' ich wie eine Kaskade hinabflattern durch den Himmel und mich drunten durch das ſteinige175 Leben reiſſen, dringend und zerſtörend und tra¬ gend. Und ſo iſt mir jetzt wieder und noch ſtärker; ich möchte zu Dir hinüberfliegen und ſagen: Du biſt mein Ruhm, mein Lorbeerkranz, meine Ewigkeit, aber ich muß Dich verdienen; ich kann nichts für Dich thun, außer für mich. In der alten Zeit waren geliebte Jünglinge groß, Thaten waren ihre Grazien und der Pan¬ zer ihr Feierkleid. Heute als ich auf den Golf von Baja und auf die Ruinen hinüberſah, wo die Gärten und Palläſte der großen Römer noch mit Trümmern oder Nahmen liegen; und als ich die alten trotzigen Rieſen ſtehen ſah mitten in Blumen und Orangen und in lauen Duftlüften, davon erquickt, aber nicht erweicht, mit der Hand den ſchweren Dreizack hebend, der drei Welttheile bewegte und mit der mar¬ kigen Bruſt entgegentretend dem Winter in Norden, der Gluth in Afrika und jeder Wun¬ de: da fragte mein ganzes Herz: biſt du ſo? O Linda, kann der Mann anders ſeyn? Der Löwe geht über die Erde, der Adler geht durch den Himmel und der König dieſer Könige habe ſeine Bahn auf der Erde und in dem Himmel176 zugleich. Noch war und that ich nichts; aber wenn noch das Leben ein leerer Nebel iſt, kannſt Du ihn überſteigen, oder feſtgreifen und zerſchlagen? Willſt Du einmal, Du Ura¬ nide, einen Mann lieben, ſo tret 'ich vor kei¬ nem zurück. Aber Worte ſind an Thaten nur Sägeſpähne von der Herkuleskeule, wie Schop¬ pe ſagt. Sobald der Krieg und die Freiheit auf einander ſtoßen, ſo will ich Dich im Sturm der Zeit verdienen und Dir Thaten mitbringen und die unſterbliche Liebe.

Hier ſteh 'ich auf der göttlichen Höhe des Kloſtergartens und blicke in ein grünes Him¬ melreich ohne Gleichen hinab. Die Sonne iſt ſchon über den Golf hinüber und wirft ihre Roſenfeuer unter die Schiffe und ein ganzes Ufer voll Palläſte und voll Menſchen brennt roth durch die langen ausgebreiteten Stras¬ ſen unter mir rollt das Feſtgetümmel ſchon her¬ auf, und die Dächer ſind voll geſchmückter Men¬ ſchen und voll Muſik, Balkons und Gondeln erwarten die göttliche Nacht zu den Geſängen. Und hier bin ich allein und bin doch ſo glück¬ lich und ſehne mich ohne den Schmerz. Aberwär ' 177wär 'ich vor vier Tagen, Linda, wo ich Dich noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier geſtanden und hätte angeſehen dieſen Abend das goldne Meer das heitere Portici, das Sonne und Meer mit Flammen anſpühlen den herrlichen Veſuv mit goldgrünen Myrten umwunden und mit dem grauen Aſchen-Haupt voll Sonnengluth und hinter mir die grüne Ebene voll Wolken aus Blüthenſtaub, die aus Gärten ſteigen und in Gärten regnen und den ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte, dieſe in Licht und Leben ſchwimmende Welt: dann, Linda, hätte ohne Dich durch die warme Seeligkeit ein kalter Schmerz gezückt und im goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit Trauer-Larven gegangen.

O Linda, wie haſt Du meine Welt gerei¬ nigt und erweitert und ich bin nun überall glücklich. Du haſt den ſchweren ſcharfen Pflug des Lebens, der mühſam an der Ernte arbeitet, in einen leichten Griffel und Pinſel verwandelt, der umherſpielt bis er eine Götter-Geſtalt er¬ ſchafft. Sah 'ich heute nicht jeden Tempel und jeden Hügel froher, wie von Dir vergoldet undTitan IV. M178jede Schönheit, ſie mochte an der Statue, auf der Leinwand, oder auf der ſingenden Lippe oder auf den Gipfeln blühen, prangte und duf¬ tete üppiger und dann flog ich von der kleinen Blume auf zur blühenden Linda?

Wie herrſchet die dunkle Gewalt hinter der Wolke! Verſiegelte Befehle giebt ſie uns mit, damit wir ſie auf einer ſpäten fremden Stelle erbrechen. Gott, erſt auf Iſchia's Epomeo mußt 'ich meinen öffnen, da gieng ein Augen¬ blick über das Leben und gebahr die Ewigkeit, der Schmetterling brachte die Göttinn!

Der Abend geht unter und ich muß ſchwei¬ gen. Wüßt 'ich nur, wie der Deinige iſt! Mein Leben beſteht jetzt aus zwei Stunden, Deinen und meinen, und ich kann nicht mehr mit mir allein leben. Dieſer Tag ſey Dir doch reich und mild entwichen und Dein Abend wie meiner! Die Sonne röthet nur noch den Veſuv, die Inſeln verglühen langſam im dun¬ keln Meer, ich ſchaue nun ohne mit Dir zu ſprechen, den großen Abend an, aber o Gott ſo anders als in Rom! Seelig werd' ich mein Auge nur an Deine auslöſchende Inſel im179 Glanz-Getümmel des Abendroths heften und lange noch hinſehen, wenn ſchon Epomeo's Gi¬ pfel in der Nacht verwittert; und dann werd 'ich heiter in das mit Lichtern umſtellte Grab der Farben unter mir ſchauen frohe Geſän¬ ge werden durch die Dämmerung ziehen die Sterne werden liebreich ſchimmern und ich werde ſagen: ich bin allein und ſtill, aber unausſprechlich ſeelig, denn Linda hat mein Herz und ich weine nur aus Liebe, weil ich an ihres denke, und trunken werd' ich durch den Blüthenrauch des Bergs hinuntergehen.

Er kam langſam nach Neapel zu ſeinem Freunde Dian zurück, alle Feſt-Luſt, die ihm begegnete, das ganze Odeum der Wonne, in welchem das klingende Rad der Leier ſchwin¬ delnd umrollte, ſchien ihm bloß ſein Nachklang zu ſeyn, indeß ſonſt erſt den äußern ſinnli¬ chen Saiten des Menſchen die innern nachklin¬ gen. Er wollte nur immer weiter, und noch wenn es gienge dieſe Nacht auf den Weg nach dem Veſuv, für ihn gab es jetztM 2180nur Eine Tagszeit. Das wärmere Klima ſammt der Liebe und dem Mai ſchienen alle Frühlings¬ winde ſeiner Kräfte zu wecken, ſie wehten un¬ geſtüm, ihm ſelber ſogar bewußt; nur vor der Geliebten war er, noch wund von der Vergan¬ genheit, bloß ein Zephyr, der die ſtäubende Blüthe ſchont.

Am andern Tage wollt 'er nun den Veſuv beſteigen und am Morgen darauf ſeinen Dian in Portici erwarten, wenn er vorher auf dem Vulkan die Sonne hatte aufgehen ſehen.

114. Zykel.

Seine Reiſe beſchrieb er ſeiner Geliebten:

In der Hütte des Einſiedlers auf dem Veſuv.

Warum liegt nicht der Menſch auf den Knieen und betet die Welt an, die Berge, das Meer, das All? Wie erhebt es den Geiſt, daß er iſt und daß er die ungeheuere Welt denkt und ſich! O Linda, ich bin noch voll von dem Morgen; auch wohne ich noch auf der er¬ habnen Hölle. Geſtern reiſete ich am Morgen mit meinem Bartolomeo durch den reichen vol¬181 len Gartenweg nach dem heitern Portici, das ſich an den Rieſen anſchmiegt wie Katana an den Ätna. Immer dieſelbe große durch dies erhabene Land ziehende epiſche griechiſche Ver¬ ſchmelzung des Ungeheuern mit dem Heitern, der Natur mit den Menſchen, der Ewigkeit mit der Minute. Landhäuſer und eine lachende Ebene gegenüber der ewigen Todesfackel zwiſchen al¬ ten heiligen Tempelſäulen geht ein luſtiger Tanz, der gemeine Mönch und der Fiſcher die Gluth - Blöcke des Bergs thürmen ſich als Schutzwehr um Weingärten und unter dem lebendigen Por¬ tici wohnt das hohle todte Herkulanum ins Meer ſind Lavaklippen gewachſen, und in die Blumen ſchwarze Sturmbalken geworfen. Das Steigen war anfangs meiner Seele Erquickung, der lange Berg wurde der vollen Wolke ein Ableiter. Spät Nachts im ewigen Steigen kamen wir ohne Genuß der Abendſonne, durch deren rothen Glanz auf der Aſche wir ſchnell waten mußten, hier beim Einſiedler an; der Mond war noch nicht herauf, Deine Inſel noch unſichtbar. Oft donnerte es unter dem Fußboden der Stube. Da wurd 'ich auf ein¬182 mal vom Einſiedler ſchön an meinen alten Schoppe erinnert, indem er mir erzählte, daß einmal ein hinkender Reiſende mit einem Wolfs¬ hund hierüber geſagt: im Veſuv ſey der Stall der unaufhörlich polternden Donnerpferde. Das war nach Allem gewiß nur Schoppe.

In der Mitternacht, meine Linda, als der Mond über dem Apennin herüber war und mit einem entzückten langen Silberblick vom Himmel ſah und ich an Dich dachte, ſtand ich auf und gieng leiſe hinaus, um wieder zu ſe¬ hen, wo Du wohneſt, meine Linda. Drauſſen war es überall ſtill, ich hörte gleichſam die Er¬ de auf ihrer Bahn im Himmel donnern die Schatten der Lindenbäume um mich ſchliefen feſt auf dem grünen Raſen Veſuv's Rauch ſtieg empor in die reine Luft über das dampfende Meer hin glänzte wunderlich der Mond, und mühſam ſucht 'und fand ich end¬ lich den einſamen Berg Deiner Inſel, hoch ins Blau gezogen, ſilbern blühend unter den Ster¬ nen um ihn her, eine ſchimmernde Tempelzinne für mein Herz. Dort wohnt und ſchlum¬ mert Sie auf dem Thabor, eine Verklärte des183 Elyſiums! ſagte ich mir. Um mich war Aſche der Jahrhunderte, Stille des Sargs, und nur zuweilen ein Poltern, als werfe man auf jenen den Grabhügel ich war weder im Land des Todes noch der Unſterblichkeit Die Länder wurden Wolken Neapel und Portici lagen verdeckt das weite Himmels¬ blau umfieng mich ein hoher Nachtwind bog die Rauchſäule des Vulkans nieder und führte ſie wechſelnd-beglänzt in langen Wolken durch den reinen Äther fort. Da ſah ich nach Iſchia, und ſah gen Himmel, o Linda, ich bin aufrichtig, hör' es, daß ich die fromme Liane, die Dich ſo unendlich liebte, bat, jetzt um Dich zu ſchweben und Dir das Glück zu bereiten, das ſie Dir ſonſt ſo gönnte. Auf einmal wurden die Donner des Berges ganz ſtill, die Sterne blitzten heller; da ſchauderte mich die Stille und das Leben und ich gieng in die Hütte zurück, aber lange noch weint 'ich vor Entzückung über den bloßen Gedanken, daß Du glücklich würdeſt.

Der Morgen gieng auf; und mitten in ſei¬ nem dunkeln Winter traten wir die Reiſe nach184 der Feuer-Schlucht und Rauchpforte an. Wie in einer abgebrannten dampfenden Stadt gieng ich neben Höhlen um Höhlen, neben Bergen um Berge vorbei, und auf dem zitternden Boden einer ewig arbeitenden Pulvermühle dem Pul¬ verthurm zu. Endlich fand ich den Schlund die¬ ſes Feuerlands, ein großes glühendes Dampf - Thal wieder mit einem Berg eine Landſchaft von Kratern, eine Werkſtätte des jüngſten Tags voll zerbrochner Welt-Stücken, gefrorner geborſtener Höllenflüſſe ein ungeheuerer Scherbenberg der Zeit aber unerſchöpflich, unſterblich wie ein böſer Geiſt, und unter dem kalten reinen Himmel ſich ſelber zwölf Donner¬ monate gebährend.

Dunkelröther ſteigt auf einmal der breite Dampf, wilder gehen die Donner in einander, heißer raucht die ſchwere Höllen-Wolke plötzlich fährt Morgenluft herein und ſchleppt den flammenden Vorhang den Berg hinab Da ſtand die helle gütige Sonne auf dem Apennin, und der Somma und Ottayano und Veſuv blühten im Friedens-Glanz und die Welt gieng langſam nach der Sonne auf185 mit Gebürgen, Inſeln und Küſten. Der Ring der Schöpfung lag auf dem Meere vergoldet vor mir und wie die Zauberſtäbe der Strah¬ len die Länder berührten, ſo fuhren ſie leben¬ dig empor. Und der alte Königs-Bruder des Veſuv's, der Ätna, ſaß auf ſeinem goldnen Thron und ſchauete über ſein Land und Meer. Und wie Schnee rollte von den Gebürgen der lichte Tag in das Meer herunter, in Glanz zerrinnend und floß über das weite glückliche Kampanien und in dunkle Kaſtanien-Thäler. Und die Erde wurde unabſehlich und die Sonne zog im weiten Strahlen-Netz die ſü߬ gefangne Welt im ſchönſten Äther weiter.

O Linda, da prangte Deine Inſel ausge¬ breitet, ſtolz gelagert im Meer mit herun¬ terflieſſendem Morgenrothe, ein hochmaſtiges Kriegsſchiff und ein Adler, der Vogel des Donnergottes, flog in die ſeelige Weite, als trag 'er mein Herz in ſeiner Bruſt zu Deinem Epomeo hin. O ich möchte ihm nach, ſagte mein Geiſt. Der heiſſe Boden that Don¬ nerſchläge und der Rauch umhüllte mich. 186 Ich möchte ſterben, damit ich dem Adler nach¬ flöge und jetzt in Iſchia wäre ....

Hier hielt die heftig erregte Seele ſich innen. Er gieng oder glitt den Abhang nach Portici herab. In einem gegenſeitig vorher feſtgeſetzten Hauſe glaubt 'er ſeinen Freund wiederzufinden. Aber er fand weder Dian noch den erwarteten Brief von Linda. Entkräftet von Gehen, Wa¬ chen und Glühen fiel er im kühlen, ſtillen Zim¬ mer in einen Traumſchlaf. Da er erwachte, ſtand die Mitternacht des italieniſchen Tags um ihn, die Sieſta alles ruhte unter dem heiſſen ſtillen Lichte im Himmel war keine Lerche die grünen Sonnenſchirme neben ſei¬ nem Fenſter, die Fichten, ſtanden ungeregt in der Erde und nur die Pappeln wiegten leiſe die neugebohrne Blüthe des Weins, die in ihren Armen lag und der Epheu, der von Gipfeln hieng, ſchwankte ein wenig. Solche Schat¬ tenzweige ſpielten einſt in Lilar in Chariton's Zimmer, als er Lianen erwartete und damals an Italien dachte. Der große ebene einfa¬187 che Garten von Portici nach Neapel, ein von Wellen umſpültes Garten-Gewebe von Dör¬ fern, Baumwäldchen und Landhäuſern, führte ſein Auge über Blüthen nach ſeinem Paradies im Meer. Dieſe einſame ſtille Zeit voll Sehnſucht erweichte unendlich ſein ſchönes Herz. Er endigte ſo den abgebrochnen Brief:

In Portici.

O meine Linda! Ich bin Dir wieder nä¬ her, aber die Ferne zwiſchen uns wird mir hier in der Stille ſo weit! O Linda, ich liebe Dich mit Schmerzen, in der Nähe, in der Ferne o mit welchen verlör 'ich Dich erſt? War¬ um bin ich denn Deiner Liebe ſo gewiß? Oder ſo ungewiß? Leiſe ſpricht Dein Herz zu mir. Leiſe Muſik und Liebe iſt einer entfernten gleich, und die ferne auch wieder der leiſen. hat mich der erhabne Säulenſtuhl des Donner¬ gottes neben mir ſo ſehr erſchüttert, oder denk' ich zu lebhaft an das hohle todte Herkulanum unter mir, wo Eine Stadt Ein Sarg iſt: wei¬ nend und beklommen ſeh 'ich über das Meer an die ſtille Inſel, worauf Du wohnſt. O daß es ſo lange wird, bis wir uns ſehen, daß188 Du nicht gleich jeden Gedanken aus meinem Herzen ſchöpfſt und ich aus Deinem! Warum ſtellt mir das Ausbleiben Deines Briefs auf einmal größere Schmerzen, ach die größten vor die Seele? Warum denk' ich die tiefſten Schmer¬ zensſtriche auf unſerer Stirn, die Runzeln des Lebens ſind nur kleine Linien aus dem unge¬ heuern Bauriß, den der Weltgeiſt zieht, unbe¬ kümmert, welche Stirnen und Freuden ſeine Glückslinie ſchmerzhaft durchſchneide? Wenn dieſe Linie einmal durch unſere Liebe gienge O vergieb den voreilenden Schmerz, in dieſem Leben, dem Wechſel zwiſchen Strichgewittern und Sonnenblicken, iſt er wohl erlaubt ....

Hier unterbrach ihn die Freude und Dian in Begleitung eines Iſchianers, der einen Brief von Linda brachte, um ſeinen mitzuneh¬ men. Er las ihn heftig und gab ſeinem noch die Worte wie eine Freudenthräne mit: Über¬ morgen komm 'ich auf die Inſel. Was iſt die Erde gegen ein Herz? Du biſt mächtig, Du hältſt mein ganzes blühendes Daſeyn em¬189 por in den Himmel und es ſtürzt auf Dich, wenn es ſtürzt. Lebe wohl! Ich fürchte wahr¬ lich weder das heiſſe Öhl noch die Flamme der Pſyche. Hier iſt Linda's Brief:

Wir beide leben ſehr ſtill, ſeit der artige Flüchtling auf Bergen und in Palläſten umher¬ ſchwärmt. Wir ſprachen faſt zu viel von ihm und ließen uns noch dazu die ſchwatzende Agata holen, um gar von ſeiner Reiſe zu erfahren. Ihre Julie iſt voll Seegen und Hülfe für Lin¬ da. Noch nie ſah 'ich eine ſo klare, beſtimmte, ſcharf durchblickende und doch kalte Natur, die nur gebend liebt, mehr als liebend giebt. Sie wird zwar nie die Schmerzen fühlen, die Ve¬ nus Urania ihren Erwählten ſchenkt; aber ſie iſt eine gebohrne Mutter und eine gebohrne Schweſter; und ich frage ſie zuweilen, warum haſt Du nicht alle Brüder und alle Waiſen?

Seit dem Erdbeben bin ich etwas kränklich. Ich habe es vielleicht nicht gewohnt, zu lieben und ſo zu ſterben. Ich nehme ein philoſophiſches Buch denn Dichter greifen mich jetzt zu hef¬190 tig an und glaub 'ihm noch zu folgen, wenn ich ſchon längſt weggeflogen bin über das Meer. Ich leſe jetzt das Leben der herrli¬ chen Guyon, dieſe weiß wie man liebt die¬ ſer göttliche Affekt gegen das Göttliche, dieſes Selbſt-Verlieren in Gott, dieſes ewige Leben und Beſtehen in Einer großen Idee dieſe wachſende Heiligung durch die Liebe und die wachſende Liebe durch die Heiligung! Mir ent¬ ſinkt das Buch, ich ſchließe die Augen, ich träume und weine und liebe Dich. O Albano, komme früher. Was willſt Du jetzt an Ber¬ gen und Ruinen ſuchen? Kommen wir nicht wieder? Aber ihr zerſtreueten Männer! Nur die Weiber lieben, es ſey Gott oder Euch lei¬ der. Die Guyon, die heilige Therese, die et¬ was proſaiſche Bourignon, liebten Gott wie kein Mann (außer der heilige Fenelon), der Mann geht mit dem höchſten Weſen nicht viel beſſer als mit dem ſchönſten um. Albano, haſt Du eine andere Sehnſucht als ich, begehrſt Du mehr auf der Erde als mich, mehr im Pa¬ radies als mich: ſo ſag' es, damit ich aufhöre und ſterbe. Wahrlich, wenn Du Deine Schwe¬191 ſter umarmeſt: ſo bin ich eiferſüchtig und möchte Deine Schweſter ſeyn, und Dein Freund Schop¬ pe und Dein Vater und alles was Du liebſt, und Dein Ich, wenn Du es liebteſt und Dein ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich, Dein Ich im Du.

Ich will Euch einiges von meiner Geſchichte erzählen. Still gieng ich lange über die Erde ich ſah die Höfe, die Nazionen und Länder und fand, daß die meiſten Menſchen nur Leute ſind. Was gieng es mich an? Man ſage gar von nichts, das iſt bös, ſondern nur, das iſt dumm und denke nicht mehr daran. Was ich nicht liebe, exiſtirt für mich auch nicht und anſtatt lange zu haſſen oder zu verachten, hab 'ichs vergeſſen. Ich wurde für ſtolz und phan¬ taſtiſch geſcholten und konnt' es niemand recht machen. Aber ich bewahrte und nährte mein Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬ den, ſonſt erliſcht das heilige Feuer des Lebens und Gott ſtirbt ohne Auferſtehung. Ich ſah die Männer und fand immer bloß den Unter¬ ſchied unter ihnen, daß die einen fein, verſtän¬ dig und zart waren ohne Enthuſiasmus und192 Gemüth, die andern ſehr herzlich und enthuſi¬ aſtiſch mit bornirter Rohheit, alle aber ſelbſt¬ ſüchtig; wiewohl ſie, wenn ihr Herz voll und nicht im Abnehmen iſt, eben wie der volle Mond die wenigſten Flecken zeigen. Neben den Leh¬ ren meiner großen Mutter, neben Ihrem gros¬ ſen Vater beſtand Keiner. Ihren Roquairol konnte man weder lieben noch haſſen noch ach¬ ten noch fürchten, wiewohl ſehr nahe an alles dieſes zuſammen kommen.

Es machte viel auch, daß ich immer reiſete; Reiſen erhält oft kälter. Wenn ich nach der Küſte ſehe und denke, daß ein großer Römer bald in Baja, bald in Deutſchland, bald in Gallien bald in Rom war, und daß ihm die Erde eine große Stadt wurde: ſo begreif 'ich leicht, daß ihm die Menſchen zu Maſſen wur¬ den. Reiſen iſt Beſchäftigung, was uns Wei¬ bern immer fehlet. Die Männer haben immer zu thun und ſchicken die Seele auswärts, die Weiber müſſen den ganzen Tag daheim bei ih¬ rem Herzen bleiben. In der Schweiz legt' ich mir (ſo wie die Prinzeſſinn Idoine) eine kleine Ökonomie an und ich weiß, wie man überkleine193kleine Ziele, die man täglich erreicht, ſich über das Hohe tröſtet, das wie ein Gottes-Thron in der Höhe liegt.

Da kam ich gerade in dieſer ſtillen Wo¬ che des Lebens an den Eisſee in Montanvert. An pittoresken Bergen, Ebenen, Klüften hatt 'ich mich in Spanien ſatt geſehen, und an Eis¬ bergen in der Schweiz. Aber ein Eismeer in dieſer Höhe, ein einſames uraltes blaugrünes Meer von rothen Felſen umſtanden, eine breite Wüſte voll reger aufſtehender Wellen im Sturm, die ein plötzlicher Tod, ein Meduſenhaupt ſo mitten im Leben ſtarr und feſt gemacht! Es ſchlug ein Gewitter, mir ſonſt furchtbar, da¬ mals mit Flammen den Berg herauf, ich merkt' es kaum, meine Seele hieng ſinnend an der Stille eines verſteinerten Sturms, an der Ruhe des Eiſes! Ich erſchrack, weinte ungewöhn¬ lich den Berg herab und in derſelben Woche legt 'ich das ökonomiſche Spielwerk bei Seite und reiſete fort.

Ich machte aber keine Wettergebete, ſondern wohnte drunten ohne Klage in der Regenſchlucht eines dunkeln kalten Daſeyns. Da brachte michTitan IV. N194das Schickſal auf den Epomeo und da wollten die Götter, daß es ſich änderte.

Aber nun muß es ſo bleiben. Wenn ein ſeltenes Weſen zu einem ſeltenen Weſen geſagt hat: Du biſt's! ſo ſind ſie nur durch und für einander. Die Pſyche mit der Lampe wird es nicht fühlen, wenn die Lampe ihre Locken und ihre Hand und Herz ergreift und verbrennt, während ſie ſeelig den ſchlummernden Amor anſchauet; aber wenn der entſchlüpfende heiſſe Öhltropfe aus der Lampe den Gott berührt und er aufwacht und ihr zornig entfliegt auf ewig auf ewig. Ach du arme Pſyche! Was hilft dir der Tod im aufgelöſ'ten Eismeer? Hat denn noch kein Mann den Schmerz der verlohrnen Liebe empfunden, damit er wiſſe, wie noch tauſendmal härter er eine Frau ver¬ heere? Welcher hat denn Treue, die rechte, die keine Tugend und keine Empfindung iſt, ſon¬ dern das Feuer ſelber, das den Kern der Exi¬ ſtenz ewig belebt und erhält?

Ich bin krank, Albano, ſonſt weiß ich nicht, wie ich zu dieſen triſten Ideen komme. Ich bin ſo ruhig im Innerſten; ich habe nur die195 Saiten, nicht die Stimmung gezeigt. Wir ſol¬ len nicht auf die Zukunft wirken und ſehen, ſondern auf die nächſte Gegenwart. Erſchiene je die Zeit, ich habe weder Reue noch Ge¬ duld , je die Zeit, wo Du mich nicht mehr und recht liebteſt: ach ich würde ſtiller, ſtärker, kürzer ſeyn als jetzt, und was giebt es weiter als entweder für den Geliebten ſterben oder durch ihn?

Komme bald, Holder! Es iſt ſehr ſchön um uns, es hat geregnet, alle Welt jubiliret und ſieht die Sonnen-Tropfen und hat ſich einen Himmels-Trank geſammlet; auch ich habe für Dich Taſſen und Vaſen in der Eile hinausge¬ ſtellt. Komme, ich will Dir das Öhlblatt und den Myrtenzweig bringen und um das Haupt Roſen und Violen winden. Komme, ich dachte ſonſt nicht, daß ich ſo oft nach dem Poſilippo ſehen würde. L.

N. S. Auch die Nebenbuhlerinn ſieht nach dem Poſilippo und freuet ſich auf Dein Wiederſehen. Doch übereile nichts. Adio, caro. I.

N 2196

Albano fand in dieſem Karakter eine ſtille Rechtfertigung und Erfüllung aller Foderungen, die er früher bei Lianens Leben immer an ein geliebtes Weſen machen mußte; er nahm aber in der Unſchuld ſeiner Liebe nicht wahr, daß gerade dieſem Weſen die in ſeinem Briefe re¬ gierende Sehnſucht nach Krieg und Thaten nicht gefallen könne.

Er beſuchte nun die unterirdiſche Stadt in ihrem Gottesacker, gleichſam neben der Ceſtius - Pyramide des Vulkans. Dian gieng mit ihm das Herkulanum als ein antiquariſches Lexikon durch, um ihm die ganze Haushaltung der Al¬ ten bis zum Mahlen hinauf aufzublättern; aber Albano war bewegter als ſein Freund von die¬ ſer mitten in der Gegenwart wohnenden Ver¬ gangenheit, von den ſtillen Häuſern und nächt¬ lichen Gaſſen und von den häufigen Spuren der fliehenden Verzweiflung. Wären denn nicht dieſe Leute alle jetzt doch todt ohne den Veſuv? fragt 'ihn Dian heiter im heitern Lande. Ich frag' Euch lieber (fuhr er fort,) ob ein Baumeiſter, wenn er aus dieſer Kunſt¬ kammer oder Kunſtſtadt gekommen, in Eurem197 Deutſchland noch viel Luſt haben kann, nach der größten Ruine der Erde die erbärmlichen winzigen für Eure Fürſtengärten anzugeben? Sie ſahen in einem dunkeln Vorhaus eben eine irdene Maske an, die man in Gräber ſtell¬ te, mit Lampen wie Augen darhinter. Da blickte ihn Albano ſtarr an und ſagte: ſind wir nicht blitzende Larven aus Erde am Grab? Pfui, die häßliche Idee! ſagte Dian.

Noch lange drauſſen im lebendigen Sonnen¬ ſchein giengen ihm dunkle Gedanken nach, neben dem glänzenden Portici ſtand der Veſuv als Schei¬ terhaufen und der Todesengel darauf. Er dachte an Hamiltons Weiſſagung, daß das ſchöne Iſchia einſt auf der Mine eines Erdbebens ſterbe. Selber Linda's Brief betrübte ihn mit dem bloßen Gemählde ihres möglichen Verluſts.

In Neapel beſah er noch einige Merkwür¬ digkeiten; dann ſchifft 'er ſich am andern Mor¬ gen nach dem Eden der Wellen ein.

115. Zykel.

Und als ſie ſich wieder ſahen und wieder faßten: waren ſie entzückter und verbundner,198 als es jedes glückliche Herz vorausgeſehen. Lin¬ da ſaß ſtill und ſanft, ſah den ſchönen Jüng¬ ling an und ließ ihn und die Schweſter erzäh¬ len, die ſich oft unterbrach, um beide zu küs¬ ſen. Er ſprach ſehr erfreuet über Linda's Brief; Männer machen überall mehr aus dem Geſchrie¬ benen, als Weiber. Linda ſprach gleichgültig: Ach was! Iſt's geſchrieben und geleſen, ſo ſey es vergeſſen. In Ihren iſt zuweilen auch ein nordiſches Faux-brillant. Die Grä¬ finn (ſagte Julienne,) lobt niemand ins Geſicht, als ſich. Linda ertrug mit eigner Gutmüthig¬ keit den Spott. Albano, ihr oft gefallend und mißfällig, wo ers nicht wußte, vergab der Lie¬ be ſo leicht. Der Freundſchaft vergiebt die be¬ leidigte Eitelkeit ſchwerer.

Zwar doch! (holte Julienne plötzlich unter dem Schleier der Luſtigkeit zu einer ernſten Re¬ de aus,) Dein Emigrir-Projekt nach Frank¬ reich iſt ein Faux-brillant. Kannſt Du denn glauben, daß man es Dir zuläſſet, daß eine Prinzeſſinn-Schweſter von Hohenflies dem Bru¬ der Päſſe zu einem demokratiſchen Feldzuge unterſchreibt? Nimmermehr! Und gar kein199 Menſch, der Dich liebt! Albano lächelte, wurde aber am Ende ernſt. Linda war ſtill und ſenkte das Auge. Zeige mir (ſagte er ſanft wie nur mit halbem Ernſt und Scherz) auf der Landkarte eine beſſere Laufbahn! Ei¬ nen böſern Laufgraben? (ſagte ſie ſpielend.) Wohl kaum! Nun ſchattete ſie mit ariſtokra¬ tiſchen, weiblichen und fürſtlichen Farben zu¬ gleich, mit dreifarbigen Farbenerden alle Flam¬ men, Rauchwolken und Wellen ab, womit der Monte nuovo der Revoluzion aus dem Grunde aufgeſtiegen war. Und ſetzte dazu: lieber ein müßiger Graf als das! Er wurde roth. Von jeher war ihm das weibliche Binden der männlichen Kraft, das liebende Krummſchlies¬ ſen zu Blumen herab, das ungerechte Umſchmie¬ den des Liebes-Rings Galeeren-Ring zum ſo aufſchreckend und verhaſſet; in einer Welt, die nur eine Meßwoche und ein Maskenball iſt, nicht einmal Meß - und Maskenfreiheit zu behalten, iſt ſtark, hatte einmal Schoppe ge¬ ſagt und er nie vergeſſen, weil es aus ſeiner Seele in ſie kam. Schweſter, Du biſt entwe¬ der nicht mein Bruder, oder ich Deine Schwe¬200 ſter nicht, (ſagt 'er,) ſonſt verſtänden wir uns leichter. Linda's Hand zuckte in ſeiner, und ihr Auge gieng langſam zu ihm auf und ſchnell nieder. Julienne ſchien vom Vorwurfe des Geſchlechts betroffen zu ſeyn. Albano dachte an die Zeit, wo er ein Herz aus Wachs zer¬ drückte mit einem aus Eiſen und ſagte, heller und kälter: Julienne, ich will gern kein Nein zu Dir ſagen, wenn Du es nur für kein Ja anſiehſt. Er könnte, fiel ihm ein, ſeinen Widerſpruch leicht hinter die Zukunft verſtecken, da ja noch kein Krieg in Europa entſchieden war; aber er fand das nicht ehrlich und ſtolz genug. Quäle nicht! ſagte Linda zu ihr. Ja wohl, (ſagte Julienne aufſpringend,) ich darf ja nur an das und an das denken was weiß ich! und ſah ſehr ernſthaft aus. Noch zwei Tage (ſetzte ſie dazu und ſuchte aus dem Ernſt zu kommen,) können wir auf der Inſel wie Götter, ja wie Göttinnen, ver¬ leben; wiewohl zu einem Gott taug' ich allen¬ falls, nur zu keiner Göttinn; dieſe muß länger ſeyn; ich bin nur die Folie der Gräfinn aus unendlicher Güte. Denn Juliennens Geſtalt201 verlohr durch die Nachbarſchaft der majeſtäti¬ ſchen Linda.

Aber der Krieg der liebenden Menſchen hatte ſich durch keinen Frieden geſchloſſen und blieb daher in ſeinen Waffen. Wie der Veſuv glü¬ hende Steine, ſo wirft der Menſch ſeine Vor¬ würfe ſo lange in ſich empor und erhebt und verſchlingt ſie wechſelnd, bis endlich eine glück¬ lichere Richtung ſie über den Rand hinaus¬ treibt.

In Albano arbeitete wohl die Frage, was Linda's Schweigen zum kleinen Kriege über und wider den großen bedeute; allein er legte ſie nicht vor. Der Unabänderlichkeit ſeines Ent¬ ſchluſſes ſich bewußt, war er milder gegen die Schweſter, die er, glaubt 'er, doch einmal ſehr damit verwunden würde. So war er durch den kalten und warmen Wechſel des Lebens ſanft geworden, wie ein Edelſtein durch ſchnelles Er¬ glühen und Abkühlen ſich in Arzenei verwan¬ delt.

Schnell und ſchön giengen die letzten Freu¬ dentage über die Inſel hinüber, die nach dem Regen wie ein deutſcher Garten grünte. Die202 weiche kühle Luft die Myrten - und die Oran¬ gendüfte einzelne Glanzwolken am warmen Himmel der Zauberrauch der Küſten die goldne Sonne am Morgen und am Abend und die Liebe und die Jugend ſchmückten und krönten die einzige Zeit. Hoch brannte auf der blühenden Erde die Opferflamme der Liebe in den blauen ſtillen Himmel. Wie zwei Spiegel vor einander ſtehen und der eine den andern und ſich und die Welt abmahlt und der andere alles dies und auch die Gemählde und den Mahler: ſo ruhten Albano und Linda vor ein¬ ander, Seele in Seele ziehend und mahlend. Wie der Montblanc herrlich ſich im ſtillen Che¬ derſee hinabſpiegelt in einen blaſſern Himmel: ſo ſtand Albano's ganzer feſter lichter Geiſt in Linda's ihrem. Sie ſagte: er ſey ein Redlicher und Edler zugleich und habe, was ſo ſelten ſey, einen ganzen Willen; nur woll 'er, wie oft die Männer, noch mehr lieben als er liebe, und daher merk' er ſeine ſtille Erbſünde vor Selbſtſucht nicht genug. Gegen nichts ſträubt 'er ſich zorniger und aufgebrachter, als gegen den letztern Tadel und er vergab ihn niemand203 als der Gräfinn. Er widerlegte ſie ſo ſtark er konnte; aber ihre Meinung wurde durch die beſte Vertilgung nur eine Scheinleiche und trat ihm in der nächſten Stunde wieder lebendig entgegen.

Mit ſich wurd 'er durch ſie näher bekannt als mit ihr ſelber. Er nannte ſie die Uranide, weil ſie ihm wie der Himmel zugleich ſo nahe und ſo fern erſchien; und ſie hatte nichts ge¬ gen dieſen vollen Lorbeerkranz. Es giebt eine himmliſche Unergründlichkeit, die den Menſchen göttlich und die Liebe gegen ihn unendlich macht; ſo ließen die Alten die Freundſchaft der Tochter der Nacht und des Erebus ſeyn. Wenn Alba¬ no ſo über den weiten reichen Geiſt Linda's hin¬ ſah ſie, zugleich ihrer Liebe lebend, und jede fremde beſchirmend und doch gleichſam vom Wiſſens-Durſte trunken zugleich ein Kind, ein Mann und eine Jungfrau oft hart und kühn mit der Zunge, für und gegen Religion und Weiblichkeit und doch voll der zärteſten kindlichſten Liebe gegen beide glühend zer¬ ſchmelzend vor dem Geliebten und ſchnell er¬ ſtarrend bei kaltem Anrühren ohne alle Ei¬204 telkeit, weil ſie immer vor dem Throne einer göttlichen Idee ſtand und der Menſch nie eitel iſt vor Gott, aber ſich alles zutrauend und vor niemand demüthig, ohne doch ſich oder andere zu vergleichen voll männlicher kecker Auf¬ richtigkeit und voll Achtung für Gewandtheit und liſtigen Welt-Verſtand ſo ohne Eigen¬ nutz und kindlich über Frohe froh, ohne beſon¬ dere Sorge und Achtung für Menſchen ſo unbeſtändig und unbiegſam, jenes in Wünſchen, dieſes im Wollen aber ewig ihr Auge und Leben gegen die Sonne und den Mond des geiſtigen Reichs, gegen Würde und Liebe ge¬ richtet, gegen das eigne und gegen ein gelieb¬ tes Herz: wenn Albano das Alles vor ſich ſpielen und weben ſah, ſo lebt' er gleichſam auf dem einfachen, und doch unabſehlichen, dem beweglichen und doch allgewaltigen Mee¬ re, deſſen Gränze bloß der klare Himmel iſt, der keine hat.

An dem Himmel der drei Liebenden erſchien endlich die Morgenröthe des Reiſe-Tages. Es wurde von beiden Freundinnen beſtimmt, daß Albano ſie nur bis Neapel, wo ihre Leute ih¬205 rer warteten, begleiten dann ſie in Rom einmal zufällig dann auf Isola bella zum letztenmale zufällig finden dürfte; eine ſehr unfreundliche Unterwürfigkeit unter den Welt - Schein, auf welche aber Linda ſo ſtark als Ju¬ lienne drang und zu welcher ſelber Albano, durch ſeine Geburt mehr zum Standes-Zwange abgehärtet als ein bürgerlicher Jüngling von gleicher Seele leicht das ſchmerzliche Ja unter dem ſchweren Schleier aller Verhältniſſe her¬ gab. Julienne entſchied über alle kleinern Maa߬ regeln; ſie war auf der ganzen Reiſe die Ge¬ ſchäftsträgerin der Gräfinn geweſen, die, wie ſie ſagte, nicht Kopf genug habe, um ſich einen Hut darauf zu kaufen, ſo raſch, geldvergeſſen und träumend ſey ſie. Die Schweſter war ſo munter und ganz hergeſtellt, ſagte aber, alle fünf und dreißig heiße Quellen der Inſel hät¬ ten nicht halb ſo viel für ihre Geneſung gethan, als eben ſo viele Freudenthränen, die ſie zum Glück vergoſſen habe.

Sonderbar erſchien alles um ſie am Reiſe - Morgen; ein helles warmes Gewölk 'vertropfte ſilbern die Sonne ſchien zwiſchen zwei Ber¬206 gen darein die entzückten Eiländer ſangen ein neues Volkslied unter der Regen-Ernte oder Tropfen-Leſe indeß ihre Freunde eilig von den Wellen aus ihrem Freuden-Kreiſe weg¬ gezogen wurden. Agata ſtand, um ſich zu küh¬ len, mit einer Schlange in der Hand am Ufer und Albano fühlte dabei einen Schmerz, den er ſich nicht zu erklären wußte. Jetzt warf der Epomeo den Wolken-Himmel aus einander und glänzende Wolken-Stücke zogen langſam ihnen voraus, nach dem Apennin dem Norden zu, dem Wohnhimmel der Nebel und ſchnell und leicht glitten die Schatten des Himmels über die wimmelnden Wellenſpitzen.

Immer (ſagte Albano nach der nach We¬ ſten zurückſchwimmenden Inſel blickend,) be¬ ſtehe mit deinem Berg; nie reiße ein Unglück das ſchönſte Blatt aus dem Buche der Seeli¬ gen! Wie wird es mit uns allen ſeyn, (ſagte Linda,) wenn wir einmal wiederkommen und den ſchönen Boden wieder ſuchen? Da erblickten ſie einen hochgewölbten Regen¬ bogen, der halb auf der Inſel und halb auf den Wellen ſtand, die ihn wie einen gewölbten207 bunten Waſſerſtrahl auf das Ufer auszuwerfen ſchienen. Wir werden (ſagte Julienne ent¬ zückt) durch den Bogen des Friedens einge¬ hen. Bei dieſem Worte verſchwand der Re¬ gen und der Farbenkranz; und allein die Sonne glänzte hinter ihnen.

Durch den Fackeltanz der Wellen lief die Fahrt. Die Fernen glänzten und dampften herrlich. Warum ergreifen die Fernen ſo mächtig die Seele, obgleich aus denſelben Far¬ ben wie die Nähe gemahlt? ſagte Albano. Das iſt eben die Frage, ſagte Dian. Ge¬ waltig lag das Meer wie ein Ungeheuer an den Küſten über ihren ganzen Weg nach Rom hin, ausgeſtreckt und hob die Schuppen von Wellen auf und nieder. Albano ſagte: Da ich auf dem Veſuv das Gebürg 'anſah und das Meer: ſo dacht' ich daran, wie klein und falſch theilet der enge Menſch die zwei Koloſſen der Erde in kleine benannte Glieder entzwei und thut als reiche nicht daſſelbe Meer um die ganze Erde.

Seine Freundinnen konnten, zu innig und trübe bewegt, nichts antworten und vor den208 fremden Augen ſtanden ihnen keine Worte, kaum Blicke frei. Als Albano wieder das Schlachtfeld der Zeit, die Ruinen-Küſte nä¬ her ſah, die den Mann ewig faſſen und heben die alten Tempel und Thermen, wie alte Schiffe auf dem Lande ſterbend hier einen niedergedrückten Rieſentempel, dort eine Stadt¬ gaſſe unten auf dem Meersboden*)Bei Baja. die heiligen Gedächtnißſäulen und Leuchtthürme vo¬ riger Größe leer und ausgelöſcht neben der ewig jungen Schönheit der alten Natur: ſo vergaß er die Nachbarſchaft ſeiner eignen Ver¬ gänglichkeit und ſagte zu Linda, deren Auge er dahin gerichtet: vielleicht errath 'ich, was Sie jetzt denken, daß die Ruinen der zwei grö߬ ten Zeiten, der griechiſchen und römiſchen, uns nur an eine fremde Vergangenheit erinnern, indeß andere Ruinen uns nur gleich der Muſik an die eigne mahnen, das dachten Sie viel¬ leicht. Wir denken hier gar nichts, (ſagte Julienne,) es iſt genug, wenn wir weinen, daßwir209wir fort müſſen. Wahrlich, die Prinzeſſinn hat Recht, ſagte Linda und ſetzte wie unmu¬ thig über Albano und alles dazu: und was iſt das Leben weiter als eine gläſerne Himmels¬ pforte? Sie zeigt uns das Schönſte und jedes Glück, aber ſie iſt doch nicht offen.

Durch Zufälle fremder Umgebung waren ſie gezwungen, ſich mit kaltem Scheine zu verlas¬ ſen und nach der Gewohnheit des neckenden Schickſals eine große Vergangenheit mit einer kleinen Gegenwart zu beſchließen.

Albano reiſete ſo ſchnell ſein Sinn es ver¬ mochte über die erhabne Welt um ihn her. Als er in Mola ankam, hört 'er die ſeltſame Nachricht, daß man in Gaeta eine ganze le¬ derne Kleidung mit einer Maske weit im Meere ſchwimmend gefunden, die des aufgefahrnen Mönchs ſeine geweſen ſeyn müſſe und bei wel¬ cher man nichts ſo unbegreiflich gefunden als die Leerheit ohne einen todten Leib. In Mola verduftete endlich die ſchöne Iſchias-In¬ ſel, die hohe Himmelsburg und der ſteigende Pol bedeckte unter andern ſüdlichen Sternbil¬ dern auch dieſes warme, das mit GlücksſonnenTitan IV. O210ſo lange über ihm geſchimmert; und der letzte Stern des kurzen Frühlings gieng hinab.

Das iſt das Leben, das iſt das Glück. Wie der ſpielende Mond, beſteht es aus erſten und letzten Vierteln und langſam nimmt es zu und langſam ab, in ſeiner Hoffnung, in ſeiner Furcht ; ein kurzer Blitz iſt der Vollmond der innerſten Entzückung, eine kurze Unſichtbar¬ keit der Neumond der innerſten Öde; und immer hebt das leichte Spiel wie der Mond ſeinen Kreis von neuem an.

211

Dreißigſte Jobelperiode.

Tivoli Streit Isola bella die Kinderſtube die Liebe Abreiſe.

116. Zykel.

Albano trat wieder bei dem Fürſten Lauria ab, der bisher in einem ſolchen Zuſtrom neuer Begebenheiten geſchwommen war, daß er die Abweſenheit kaum innen geworden und ſich über die Wiederkunft wundern wollte. Es war unterdeſſen der deutſche Krieg gegen Frankreich feſtgeſetzt worden. Dieſe Bothſchaft trug er ſeinem Enkel voll von der freudigen Erwar¬ tung entgegen, welche große Szenen ein ſol¬ cher Kampf entfalten müſſe. Auch Albano wur¬ de lange mit ihm von dieſem hohen StromeO 2212gezogen, eh 'er daran dachte, daß dieſe Nachricht anders und niederſchlagender auf ſeine Schwe¬ ſter wirken würde als auf ihn. Aber das he¬ roiſche Feuer, in welches er ſich mit dem poli¬ tiſchen Lauria hineinſprach, ſpielte ihm einen leichten Sieg über die ſchweſterliche Liebe vor.

Er wollte den Freundinnen ſeine Ankunft ſagen, als er vom Fürſten vernahm, daß bei¬ de, wie er von der Fürſtinn Altieri, bei der ſie wohnten, gehört, ſchon nach Tivoli gegangen. Wie glücklich reiſete er, die freundliche Ab¬ ſicht dieſer Zwiſchenreiſe errathend, aus dem von Liebe und Frühling ſtrahlenden Rom und ſah eben ſo heiter nach der Zukunft, wo ſein Leben ſich blühend auseinanderſchlug, als nach Tivoli, wo er zwei Herzen an eines zu drü¬ cken hoffte.

Er fand, da er in der Stadt Tivoli ankam, die feurigen Mädchen ſchon entwichen nach der Kaskade. Wie ein Menſch im Tempe-Thal oder vor dem Genferſee nur im unachtſamen Traum am Ufer vor den Waſſerbildern des Himmels und der Erde vorübergeht, weil ihn die blühenden Urbilder rings umher umfangen213 und entzünden: eben ſo glitten die Felſen der bevölkerten Landſchaft und der runde Veſta's - Tempel und die in einander flieſſenden Thäler vom römiſchen Thore an bis zum Tempel, dieſe glänzenden Reihen glitten nur als Traum - und Waſſerbilder vor dem Herzen vorüber, worin eine Geliebte lebendig blühte und mit der Fülle einer Welt eine Welt verdrängte.

Er irrte unter dem Gewühle der Ausſichten umher, ohne die ſchönſte zu finden, als ihn ein kurzer blaßgelber reichgekleideter Menſch mit eingeſchrumpftem Geſichte erblickte und mit dem ſeidnen Arm auf den Weg zur Kaskade zeigte ungefragt ſagend: wenn er die Damen ſuche, ſo ſeyen ſie bei der großen Kaskade.

Albano ſchwieg, gieng weiter, ſah zwei und erkannte Linda an ihrer hohen Geſtalt. End¬ lich ſahen, fanden, umfaßten ſich die drei Men¬ ſchen und der herrliche Waſſerſturm wehte in die Entzückung. Linda ſagte zärtliche Worte der Liebe und glaubte ſtumm zu ſeyn, denn das ſchöne Gewitter aus Strömen zerriß die zarten Sylben wie Schmetterlinge. Sie hatten ſich nicht gehört und ſtanden, ſchmachtend nach214 ihren Lauten, umrungen von fünf Donnern, mit weinenden Augen voll Liebe und Freude vor einander. Heilige Stelle, wo ſchon ſo viele tauſend Herzen heilig brannten und ſeelig wein¬ ten und ſagen mußten: das Leben iſt groß! Heiter und feſt glänzt in der Sonne oben die Stadt über dem Waſſer-Krater dahin ſtolz ſchauet Veſta's zerriſſener Tempel, mit Mandelblüthe bekränzt, von ſeinem Felſen auf die Strudel nieder, die an ihm graben und ihm gegenüber ſpielet der ſtrudelnde Anio alles auf einmal vor, was Himmel und Erde Gros¬ ſes hat, den Regenbogen, den ewigen Blitz und den Donner, Regen, Nebel und Erdbeben.

Sie gaben ſich Zeichen zu gehen und das ſtillere Thal zu ſuchen. Wie klangen ihnen dar¬ in die Worte: Bruder, Schweſter, Linda, wie neue Menſchenlaute im Paradies! Hier, ehe ſie den Hügel voll neuer Waſſerſtürze, Blitze und Farben beſtiegen, ſuchten ſie ſich ihre Reiſen und ihre Nachrichten einander zu erzählen. Ju¬ lienne berichtete die frohe, ihr Bruder, der Fürſt, gebe wieder Hoffnung der Geneſung, ſeitdem er wachend, wie er betheuere, ſeinen todten Vater ge¬215 ſehen, der ihm längeres Leben verſprochen. Die ſchöne Linda blühte im Paradies wie eine verhüllte Göttinn, die ihren Geliebten auf der Erde lan¬ ge ſuchte und endlich gefunden hat. Sie nahm oft ſeine Hand und drückte ſie wider ihre Au¬ gen und Lippen und liſpelte kaum hörbar, wenn er mit ihr oder Juliennen ſprach: Lieber! Freundlicher Menſch! Über die Gegend ſchwieg ſie; denn über jede ſprach ſie erſt, wenn ſie aus ihr gekommen war.

Julienne, über die brüderliche Geneſung ſo froh, fieng allerlei Scherze an, ſagte, daß ſie bedauere, aus Neapel ihrem Ludwig ein ver¬ gebliches Spezifikum gegen ſein Übel geſandt zu haben und fragte endlich Albano: kennſt Du nicht einen Jüngling Nahmens Cardito, er will Dich kennen? Er ſagte nein, er¬ zählte aber, ein kleiner ſtämmiger Menſch hab 'ihn hier zu kennen geſchienen und zur Kaskade gewieſen. Julienne fuhr auf und ſagte, es ſey entſchieden der Haarhaariſche Prinz, der auf Luigi's Tod und Thron ſo boshaft hoffe, er wohne in Tivoli im Hauſe des Herzogs von Modena und gehe gewißlich als ihrer aller216 Spion umher. Um ſich ſelber nach dieſem ge¬ haßten Mißlaut wieder auszuſtimmen, ſetzte ſie die Frage über Cardito fort und ſagte: es iſt ein ſehr ſchöner derber Korſe (der Prinz iſt ja die lebendige Ungeſtalt) und er kündigt Dir ganz ernſthaft den Krieg an.

Den ſoll er wahrlich haben, ſagte Albano, der nun alles begriff; und alles erzählte. Cardito war jener Korſe, mit dem er früher ſich über den galliſchen Krieg entzweiet hatte. Bruder, das iſt noch Dein Ernſt? ſagte Ju¬ lienne mit gedehntem Akzent. Jetzt beſon¬ ders! ſagt 'er entſchieden, um den Streit ſo¬ gleich auszuſchließen. Heftig drückte Linda ſeine Hand in ihre Augen, als wolle ſie ſie damit bedecken. Nun, ſo verhandle Deinen Prozeß mit mir, ſo vernünftig Du kannſt, und laſſe Deine Rechtsgründe hören, aber laſſ' uns erſt auf den Hügel, damit man dabei auch etwas ſieht, ſagte die Schweſter.

Auf dem Hügel vor dem Grün des bli¬ tzenden Thals, wo überall der Strom wie ein verwundeter Adler mit dem Flügel an der Erde ſchlug vor den auf die Blumen herunter¬217 blitzenden drei Kaskatellen fieng Albano be¬ wegt und begeiſtert an: ich habe nur Einen Grund, liebe Schweſter ich bin noch nichts ich bin kein Dichter, kein Künſtler, kein Philo¬ ſoph, ſondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich habe aber Kräfte zu manchem, warum ſoll ichs nicht ſagen? Wahrlich wenn ein Da Vinci alles iſt, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬ chelieu, ob er gleich den politiſchen Thron be¬ hauptet, doch noch den poetiſchen beſteigen will: ſoll ein anderer mit kleinern Wünſchen nicht entſchuldigt ſeyn? Und bei Gott! ei¬ gentlich will ein Menſch doch alles weiden, denn er kann nicht anders, er ſehnet und treibt ſich dazu hin und das innige verſteckte Herz weint Blutstropfen, die keine Menſchenhand ab¬ trocknet, nur die hohen Eiſenſchranken der Noth¬ wendigkeit halten ihn auf Schweſter, Linda, was hab 'ich denn noch gethan auf der Erde?

Dieſe Frage; und dieſe iſt genug vor Gott, ſagte Julienne, bewegt von der wund¬ ſtolzen Beſcheidenheit des Jünglings und von ſeiner ſchönen Stimme, welche zornig ſo klang wie gerührt. Worte! was ſind Worte? (ſagt '218er.) O man ſchämt ſich wohl freilich, daß man etwas früher nur denken und ſagen muß, eh' man's thut, obgleich der dürftige Menſch nicht anders kann, ſondern jede That wie eine Sta¬ tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬ delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht überall um uns Thaten, ſtatt der Worte und Wünſche? Hab 'ich nicht auch einen Arm, ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere und ſoll mit einem morſchen mürben ſpaniſch - oder deutſchen Grafenleben aus der Welt ge¬ hen? O meine Linda, ſtreite Du für mich!

Ich bin (ſagte ſie, ſcharf nach der großen Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬ niederſtürmte,) nicht von vielen oder beredten Worten und verſtehe Sie auch nicht ganz. Ich muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬ heiten überſetzen und vermag es nicht allzeit. Bei Ihren Worten, Graf, denk 'ich mir gar nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der iſt von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, ſo mit dem Herzen alles vergeſſend, wie wir, ſo konzentrirt in Eine Idee des Lebens ſind die Männer nie. Ach und ſo wenig iſt der Menſch219 dem Menſchen, ein Menſchen-Bild iſt ihm mehr und jede kleine Zukunft!

Auch Du Brutus? ſagte Albano betrof¬ fen. Würden Sie (fuhr er ſich faſſend fort) dem Elyſiums-Leben auf Ischia eine Ewigkeit für einen Mann geben? Würden Sie ihn als Jüngling ins Kloſter der ſeeligſten Ruhe ſchi¬ cken? Gewiß nur als Greis. Jenes hieſſe den Baum mit dem Gipfel in die finſtere Erde pflanzen.

Das iſt wieder der Deutſche (ſagte ſie); nur immer recht Betriebſamkeit. Die ruhigen Neapolitaner, die Völker am Apennin, an den Pyrenäen, am Ganges, in Otaheiti, voll Ge¬ nuß und Beſchauung, ſind dieſem Spanier ein Greuel. Ich dächte, wenn ein Menſch nur für ſich etwas würde, nicht für andere; das reichte zu. Was große Thaten ſind, das kenn 'ich gar nicht; ich kenne nur ein großes Leben; denn jenen Ähnliches vermag jeder Sünder.

Wahrlich, das iſt wahr (ſagt 'er); es giebt nichts erbärmlicheres als einen Menſchen, der ſich durch dies oder das zeigen will, was ihm ſelber groß, ſelten und ohne Verhältniß zu ſei¬220 nem Weſen vorkommt, und ihm daher gar nicht angehört. Jede Natur treibt ihre eigne Frucht und kann es nicht anders; aber ihr Kind kann ihr niemals groß erſcheinen, ſondern immer nur klein oder gerecht. Iſt's anders, ſo iſt ihr eine ganz fremde Frucht an den Zweig ge¬ hangen.

Albano! wie wahr! Aber Ihr hattet ſonſt nie einen halben Willen, wie iſt's? ſagte Lin¬ da. Jetzt auch nicht! ſagt 'er ohne Härte. Man iſt am ſanfteſten, wo man am ſtärkſten iſt mit dem Entſchluß. Er ſuchte nun ſeine eig¬ nen Worte das Ohl und den Wind für ſein Feuer recht zu ſparen und zu meiden; um ſo mehr, weil Worte doch gegen nichts helfen ſondern vielmehr das fremde Gefühl anſtatt aus-nur anblaſen; wurd' er noch der häufigen Fälle eingedenk, wo er Linda mit ei¬ nem einzigen Worte bei aller Unſchuld zur Flamme aufgetrieben. Sie ſtanden, und er ſchauete hin über das göttliche Land, als Lin¬ da, nach einem ſtummen Blicken in ſein Ange¬ ſicht, ungeachtet ihres ſcheinbar-ruhigen Phi¬ loſophirens, auf einmal heftig ſeine Hand an¬221 faßte und rief: Nein, Du darfſt nicht, bei meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen bei der heiligen Jungfrau bei dem Allmächti¬ gen! Du darfſt, Du ſollſt nicht! Einen Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬ aufhaltſam entbrannt aufſteht und begieng 'ihn eine Göttinn aus Liebe und böte ſie dafür eine Welt von Paradieſen, es iſt der Raub ſeiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja, daß es Liebe iſt, aber deſpotiſche, zugleich Frei¬ heit übende und raubende, das erbittert ihn nur noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums wird ſpäter das Gewitter der Leidenſchaft. Linda wiederholte: Du darfſt nicht. Er ſah' ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, deſſen ſüd¬ liche Heftigkeit doch mehr einem Enthuſiasmus glich als einem Zorn und ſagte feſt: O Lin¬ da, ich werde wohl dürfen und wollen! Nein, ich ſage nein! rief ſie.

Bruder! ſieng die Schweſter an. O Schweſter, (rief er,) ſprich ſanft, ich bin ein Mann und habe heftige Fehler. Ihn zog der erhabene Krieg des Waſſers mit der Erde und mit Felſen, das Durcheinanderſtürmen der222 blitzenden Regengeſtirne umher wie an Flügeln in die Wirbel die große Kaskatella warf aus hohen Bäumen ihren Wolkenbruch her¬ aus, und aus dem Himmel ohne Donner ſtäubte eine ſchimmernde Welt und in Oſten zeigte ſich fern das Meer im dunkeln Schlaf und die untergehende Sonne drang glänzend in den Glanz herein.

Gewiß werd 'ich ſanft reden, (ſagte die Prinzeſſinn, die viel empfindlicher und nach¬ klingender als Linda, einige Mühe hatte, den Sprachton zu ihrem Verſprechen zu ſtimmen. ) Es braucht nichts weiter als die Betrachtung, daß unſer Streit zu früh iſt; ich thue bloß die Bitte, ihn bis zum Oktober auszuſetzen, und das Verſprechen, daß er dann anders aus¬ geht. O es ſey. ſagte Albano. Linda nickte ſanft und langſam und legte wider Er¬ warten ſeine Hand mit beiden an ihr Herz und ſah ihn an aus großen Augen weinend, denen ſonſt Feuer gewöhnlicher war als Waſſer. Ihn zerſchmolz der Anblick, daß dieſe kräftige Na¬ tur nur Heftigkeit ohne Haſſen und Zürnen hatte, und ihn erfriſchte unendlich ſein voriges223 geheimes Niederſchlagen ſeiner auffahrenden Flammen.

Die Schweſter wurde durch beide erweicht und eine Minute der zärteſten Liebe umſchlang bald die drei Menſchen mit Einer Umarmung. Die Hyperbeln des Zorns ſind dem Menſchen nie ſo ernſt als die der Liebe, jene ſoll nur der andere glauben, dieſe glaubt er ſelber; alle hatte das Ausſprechen ausgeheitert.

Wenn ſonſt eine vergangne kalte Minute den Liebenden wie eine kalte Nacht den Bie¬ nen, noch die Blumen zuſchlieſſet, woraus ſie den Honig nehmen, ſo war hier nach dem Sturm aus klarer blauer Luft der Himmel, rei¬ ner und ſtiller und die Ruhe wurde Seeligkeit wie die Seeligkeit Ruhe. Durch Albano war obwohl ſchnell die Furie der Furcht gegangen, die ein umgekehrtes Sternrohr hält und da¬ durch den Menſchen einen ganz fernen ausge¬ leerten Himmel ohne Sterne zeigt; aber nicht ſo durch Linda; ſie hatte immer in Liebe und Hoffnung fortgeſprochen und für ihr glühen¬ des Herz gab es keine Stellen mit Eis. Dar¬ um war er jetzt ſo ſeelig, und ſo beglückt vom224 Anſchauen der kräftigen Natur! Eine hohe lange Thal-Kette, worin Wein und Öhl in Blüthendüften floſſen, führte alle dem großen Rom entgegen. Eine Zeitlang durfte ſie der Jüngling begleiten; endlich mußt 'er zu einer langen Entfernung Herz und Auge von den Geliebten reiſſen, als über die grünen Thäler her ſchon die mächtige Peters-Kuppel herüber¬ glänzte und die Zypreſſen, ſtolz nur von Zy¬ preſſen umgeben, das Gold des Abends auf den Zweigen trugen, ohne ſie zu regen. Alle hatten das Auge am ſchönen Rom, aber ihr Herz war nur auf Isola bella, wo ſie einan¬ der wiederzufinden verſprachen.

117. Zykel.

Auf dem Wege nach I sola bella dacht 'er ſeiner kriegeriſchen Stunde mit der heftigen Linda nach und dem Karakter dieſer Kriegsgöt¬ tinn. Er erſchrack über die ſteile Höhe, über welche er ſich vor wenigen Tagen ſo weit her¬ übergebückt, da Linda ſo entſchieden iſt, nichts kennt als Leidenſchaft oder Vernichtung. Und doch fand er jetzt in der Abkühlung ihre gebie¬tende225tende Foderung an ſeine Freiheit noch härter und ſagt 'es ſich ſtark, das Weib dürfe nicht das heilige Gebiet der männlichen Entfaltung einengen oder beherrſchen. Von der andern Seite war ja alles Liebe und deren Übermaaß und je länger er reiſete und verglich, deſto einſamer und dunkler wurd' es auf der Stelle ſeines Lebens, auf welche nur ſie die große Flamme warf. Sie rückte ihm durch ſein ſtil¬ les Beſchauen ihres Geiſtes im Geiſte viel hel¬ ler und näher als durch die Gegenwart vor¬ her, weil jenes ſie auf einmal in Harmonie, dieſe ſie mit den einzelnen Diſſonanzen ohne die Auflöſung gab. Ihre Kraft der allſeitigen Unpartheilichkeit für alle Karaktere war ihm an einem Weibe eben ſo ſelten als groß erſchie¬ nen; zumal da er ſelber dieſe Kraft mehr in der Achtung für ſie und in dem freudigen freien Auffaſſen großer, exzentriſcher, poetiſcher Er¬ ſcheinungen, aber nicht aller und der platten und ſchlechten wirken ließ.

Gleich mächtig und gewachſen ſtanden in ihm neben einander Liebe und Freiheit; nur durch einen neuen Entſchluß wurden ſie ver¬Titan IV. P226bunden und verſöhnt, ſanft zu ſeyn, nicht bloß ſtark, ihr ſein Freiheitsrecht und ſeine liebende Seele recht offen hinzulegen und das edle We¬ ſen zu werden, das ihr gehört: bin ich's nicht, wenn ich's recht will? sagt 'er.

In der höchſten Lebensfreude, in der Einig¬ keit mit ſich und dem Schickſal, machte er ſeine Reiſe nach Isola bella ſo ſchnell, als hab 'er da die Geliebte ſchon zu finden, nicht erſt zu erwarten. Wie manches ſtand jetzt kleiner an ſeinem Wege, an das er das römiſche Maaß und nicht das deutſche legte und wovor er nun, wie ihm ſein Vater vorausgeſagt, flüchtiger vorübergieng!

Endlich ſah er die Kunst-Alpe Isola von bella in den Wellen ſtehen; und landete freu¬ dig mit ſeinem Lehrer in dem Kindheits-Gar¬ ten an, wo er ſo viel erwarten und mit neuen welſchen Lebens-Blüthen am Herzen aus dem gelobten Lande ſcheiden ſollte.

Er wartete mehrere lange Tage, ſich ſeh¬ nend und bangend nach den Freundinnen, ob ihm gleich der heitere Freund immer die Ge¬ ſchwindigkeit ſeiner Reiſe vorrechnete. Sein227 Entſchluß, recht ſanft zu ſeyn, wurde immer unnöthiger und unwillkührlicher. Die Inſel ſelber löſete ſchon mit ihren Frühlingen aus Düften und mit dem fernen Kranz aus Alpen die Seele auf. Im vorigen Jahre hatt 'er ſie mehr in Blättern als in Blüthen geſehen. Es war ja ſein Kindheitsland an vielen Plä¬ tzen an der See ſchimmerten ihm Sterne aus einer tiefen nachmitternächtlichen Lebens-Frühe herauf hier hatt' er zuerſt ſeinen Vater ge¬ funden, und zuerſt Linda's Geſtalt über den Wellen geſehen hier findet und verliert er ſie nach der längſten Trennung wieder für eine noch längere und hier ſteht er im Thore zwiſchen Norden und Süden. Das freie duf¬ tende Land voll Inſeln, die Himmelsleiter des Lebens ſteigt ihm in den Äther zurück und er geht herab in ein kaltes voll Zwang und voll Augen ſeine Liebe wird gerichtet vom Va¬ ter, ſie wird angefallen vom untergegangnen Freund. Ihr Tage in Iſchia, (ſeufzte er,) ihr Stunden auf dem Veſuv und in Tivoli, könnet ihr umkehren? könnet ihr je wieder¬ kommen und das unerſättliche Herz von neuemP 2228überſtrömen, daß es trinken und ſagen kann: es iſt genug?

Zu ſeinem Dian ſprach er, gleichſam um ſich und ſein gränzenloſes Sehnen zu entſchul¬ digen, häufig von Chariton und ihren Kindern und fragt 'ihn, wie es ſeinem Herzen dabei gehe: ſprecht mir nicht ſo viel davon, (ſagt' er, nach ſeiner Weiſe mehr empfindend als erra¬ thend und verrathend,) wir ſind noch ſo hä߬ lich weit davon man verdirbt ſich die Reiſe ohne Grund hab 'ich ſie alle aber .... nun ei Gott! Dann ſchwieg er, riß ſich den Jüngling in die Arme und küßt' ihn nicht.

An einem blauen friſchen Morgen ſtand Al¬ bano noch eh 'die Sonne am Himmel aufer¬ ſtanden war, auf der hohen umblühten Terras¬ ſen-Pyramide, wo er einmal im Erwachen den theuern Vater ohne Abſchied hatte entflie¬ hen ſehen und blickte bewegt in den leeren weiten See hinab und an die Gipfel der Eisberge umher, welche ſchon im Niederſcheine der hoch herabziehenden Aurora blühten und niemand war bei ihm als die Vergangenheit. Er blickte auf ſich und in ſeine Bruſt und dachte:229 welche lange ſchwere Zeit iſt ſeitdem durch dieſe Bruſt gezogen! Eine ganze Welt iſt darin zum Traum geworden! Und das Herz ſchlägt noch friſch und feſt darin! Auf einmal ſah er im lichten Morgen-Rauche des See's ein Fahr¬ zeug rudern. Langſam, träge watet' es, denn er ſah es aus großer Ferne. Endlich glitt es, flog es, das Seegel blühte auf im Morgen¬ brande und die grünen Wellen wurden ein um¬ ſpielendes Lauffeuer wie damals in Iſchia um Linda's Schiff.

Linda war es und die Schweſter. Sie ſa¬ hen hinauf und grüßten winkend. Er rief in eiliger Wonne: Dian, Dian! und lief die vielfachen Treppen hinab, ganz verwundert und entzückt über den ausgebreiteten Glanz, weil er unter der frohen Erſcheinung den Auf¬ gang der Sonne nicht geſehen, welche vor der Geliebten die ſchönen Flammen, die Morgen¬ blumen gleichſam in den Weg des Waſſers un¬ terſtreuete.

Seyd Ihrs wieder, Ihr Göttlichen? O ſprecht, weint vor Freude, daß ich ſeelig wer¬ de und Euch habe! Kommt Ihr denn mit al¬230 ter rechter Liebe wieder? ſo ſprach er fort in beredter Trunkenheit, aus dem langen träu¬ menden Warten geſchöpft. Linda ſah mit heim¬ licher Engels-Luſt, mit lieblichem Wiederſchein in die hoch ſpielenden Flammen ſeiner Liebe; und die Schweſter genoß in ſüßer Regung die ſchöne Milde auf beider Angeſicht, welche an der Kraft ſo bezaubert wie Mondlicht an einem Gebürg '. Reiſebeſchreibungen wurden von bei¬ den Seiten angefangen, aber keine geendigt; Tags - und Inſel-Ordnungen vorgelegt, aber keine gewählt. Julienne hielt ihm ſein Wort und ihre Bedingung, daß er abends weiter zie¬ hen müſſe, ans Herz als eine kleine Kühlung gegen das Freudenfeuer darin; traurig ſah' er zur freundlichen hellen Morgenſonne auf, als ſteige ſie nicht höher ſondern ſchon tiefer.

Sie giengen nun in ſchönem Irren durch die Inſel, überall blühte neben der Gegen¬ wart eine ſtille Vergangenheit, unter der Roſe ein Vergißmeinnicht. Hier in dieſer Grotte vor den aufhüpfenden Wellen hatt 'er einſt mit ſei¬ ner Schweſter Severina geſpielt und auf die¬ ſem Eiland wurde ihm ihr Tod verkündigt;231 Aber Julie, Du biſt meine Severina und mehr ſagt' er; ich denke (ſagte ſie ſanft) eben ſo viel. Nicht weit von der Arkade hatt 'er zum erſtenmal in das Angeſicht ſeines Vaters geſchauet: o wenn findeſt Du aber Deinen endlich? Sprich darüber, gute Linda! ſagt' er. Sie erröthete und ſagte: ich werd 'ihn finden, wenn das Schickſal es zuläſſet. Wenn aber iſt das? Ich weiß nichts, ſagte ſie zögernd ſanft. Da rührte ihn Julienne winkend an und ſagte in ſo vielem franzöſiſchen Latein, als ſie zuſammentreiben konnte, aber in einem gleichgültigen Ton als ſpreche ſie vor ſich ſelber hin: non eam interroga amplius, nam pater veniet (ut dictur) die nuptiarum*)Frage ſie nicht länger, denn ihr Vater ſoll, wie man ſagt, an ihrem Hochzeittage kommen.. Er blickte ſie verwundert an, ſie nickte ſehr oft. Julie iſt (ſagte Linda lächelnd) wie die Wei¬ ber, ſo liſtig im Handeln als offen im Spre¬ chen. Ich hätte mich keinem Bruder ſo lange verſtecken können. Dafür (verſetzte ſie) bekamen die Geſchwiſter einander gleich ausge¬232 wachſen und mit allen Vollkommenheiten, und können ſich leicht liebhaben, wenn andere Schwe¬ ſtern erſt viele Jahre die Fehler des heranwach¬ ſenden Bruders zu verwinden haben.

Jetzt kamen ſie auf die Gallerie zwiſchen Limonien-Blüthen, wo Gaſpard ſeinem Sohne ſo viele Schleier und Masken um die Zukunft hängend hatte ſehen laſſen; da ſagte Albano mit Unwillen: hier mußt 'ich mir viele Räth¬ ſel ankündigen laſſen und dort (er meinte die Stelle im Meer, wo ihm zuerſt Linda's Bild auf den Wellen erſchien,) wurde ſogar dieſe theuere Geſtalt nachgeäfft. Mein Gott, (ſagte Linda heftig,) warum es noch gar aus¬ ſprechen? o es war ſo ſchlecht, es zu thun! Eingebüßet aber hat doch niemand viel da¬ bei, (ſagte ſcherzend Julienne,) ausgenommen ein Paar die Herzen und ich die Anonimität! Könnten wir beide nicht antworten, Albano? ſagte Linda leiſe und hob die Augen auf. Bei Gott! ſagte er ſtark, denn ohne jene Vor¬ ſpiele hätten ſie ſich früher geſucht und ge¬ funden.

Unter dieſen Blicken in eine ſeltſame mit233 Zukunft durchwebte Vergangenheit waren ſie in den borromäiſchen Pallaſt, der dieſen Tag zum Glück ohne die Beſitzer war, getreten; weil Albano beide, auf Linda's Geſuch, in die Zim¬ mer führen ſollte, wo er mit Severina erzogen worden. Der Schloßwärter wollte ſie, glau¬ bend, ſie ſuchten nur Ausſicht denn die Kind¬ heitszimmer lagen im fünften Stockwerk auf das Dach hinaus bringen; er betheuerte, es wären ſtaubige Kinderſtuben und ſeit undenkli¬ chen Jahren zugeſperrt. Mühſam drehte der Mann mit einem roſtigen Schlüſſel ein einge¬ roſtetes Schloß auf. Sie traten ins beſtäubte helldunkle leere hohe Zimmer, worin eine leere Wiege, ein Blumentopf mit einem gleich ſeiner Erde vertrockneten ſineſiſchen Roſenſtöckchen, eine Kinder-Zinn-Uhr, eine weibliche Spiel-Kü¬ che mit altmodiſchem Geſchirr, eine gerollte glän¬ zende Klavierſaite, ein deutſcher Kalender von 1772, viele ſchwarze Siegel mit bloßen antiken Köpfen, ein ausgetrockneter Lianenzweig und dergleichen verlohren umher lag. Der Menſch ſieht bewegt in die tiefe Zeit hinunter, wo ſeine Lebensſpindel faſt noch nackt ohne Faden um¬234 lief; denn ſein Anfang gränzt näher als die Mitte an ſein Ende, und die aus - und ein¬ ſchiffende Küſte unſers Lebens hängt ins dunkle Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von der Umgebung und von dem Blicke auf das Menſchenleben und auf ſeine eignen grünen noch winterlich-niedrig ſtehenden Felder hinaus und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬ ter und Schweſter gelebt, die aus der Er¬ de, ja ſogar aus ſeiner Phantaſie entwichen waren. Er nahm die Zinn-Uhr zu ſich und ſagte: giebt es für das Alter, das keine Zeit ſondern eine Ewigkeit hat, eine beſſere Uhr als die mit dem Zeiger ohne Gewerk?

Überraſcht wurde Linda als ſie von einem Glaskäſtchen einen Vorhang wegzog und als ein engelſchönes Kind von Wachs darin in die hellen Augen Licht bekam. Es iſt die todte Severina, ſagte Albano eilig, mit dem rauhen Beiwort todt was Linda nicht gern litt. Immer mehr wurd 'ihm in der helldunkeln Stube unheimlich ein Sonnenſtreif brannte ſeltſam durch das hohe Fenſter herab beſeel¬ ter auferſtandner Staub ſpielte in ihm die235 Geiſter der Schweſter und Lianens konnten jede Minute durch das Erdenlicht blitzen und entfernter ſtanden die Gebürge draußen im Leben. Er ſah die blühende Linda an, da kam ſie ihm auf einmal anders vor, fremd, überirdiſch, als erſcheine ſie unter den Geiſtern und gehe wieder von hinnen. Sie ſah ihn be¬ deutend an mit den Worten: hier iſt's un¬ heimlich, gehen wir! Weib, ſagt' er mit ſtarker Stimme auf deutſch, einem innerlichen Schrecken antwortend und faßte ihre Hand, wir wollen zuſammenhalten wie ein lebendi¬ ges Herz, wenn man es zerreiſſen will. Lin¬ da verſetzte: ich bleibe nicht länger Julienne! Und man gieng.

Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein, in das Nebenzimmer zu ſchauen; er macht 'es auf und fuhr zuſammen, rief aber: geht nur voraus, und gieng hinein. Er hatte nehmlich ſich im Spiegel zweimal nachgeſpielt erblickt. Drinnen fand er ſich in einer Niſche in franzö¬ ſiſcher Uniform ſtehen in Wachs, aber ſchon als Jüngling, und darneben, was die Thür bedeckt hatte, ſeinen Vater auch als Jüngling, altmo¬236 diſch bekleidet, aber ſchön wie ein griechiſcher Gott; das warme volle blumige Geſicht war noch nicht im ſtarren Leben überwintert und blühte noch liebend. Er ſtürzte tief ins Meer der Vergangenheit. Die koloſſaliſchen Statuen drauſſen, und die beglänzten Gebürge halten ſich aus dunkeln Wellen aufgerichtet und ſtan¬ den in tropfendem Schimmer. Man rief draus¬ ſen. Er blickte wieder in ſein Geſicht, aber zor¬ nig. Wozu zweimal, ſagt' er und zerquetſchte ſein Geſicht, aber ihm war es wie Selbſtmord und Betaſten des Ichs. Die väterliche Geſtalt gönnte er noch weniger der fremden unbewach¬ ten Stelle, aber ſie war ihm zu heilig zur klein¬ ſten Berührung.

Er gieng zurück und ſchwieg über die Bil¬ der, um nicht an Linda's Phantaſie die großen widerſpenſtigen Flügel aufzumachen. Der grü¬ nende, blühende, glänzende Tag verſchlang bald die kalten Schatten, die von Höhen und Grä¬ bern der Vergangenheit hereingefallen waren. Aber jetzt, (ſagte Albano zu Linda,) da Sie eben aus meiner Kinderſtube gekommen ſind, führen Sie mich einmal in die Ihrige. 237 Ich will Dich nur erſt bekränzen, da wir am rechten Orte ſind, ſagte ſie und brach und band aus dem Lorbeerwald, durch deſſen Ge¬ wimmel von lichten und dunkeln Wellen ſie jetzt giengen, Zweige zum Kranz. Körperliche Geſchäftigkeit gab dieſer Jungfrau, welche leich¬ ter Töne und Farben und Ideen verknüpfte, ein beſonders rührendes Anſehen von Kindlich¬ keit und naiver Herablaſſung. Sie flocht die Krone aber mühſam, verwechſelte einmal den ähnlichen Erdbeerbaum mit dem Lorbeerbaum, that noch einen blühenden Myrtenzweig hinein und ſchmückte damit ſein lockiges Haar, aber ſehr ernſt: der Kranz geziemt Dir; die hohen Lorbeern oben am Gipfel wirſt Du Dir ſchon einmal ſelber holen, ſagte ſie. Er glaubte, ſie ſpiele unter dem Ernſt, allein ſie ſah den Be¬ kränzten freudig und prüfend an und lächelnd, aber wie eine Mutter und ſagte: So iſt's recht! Was willſt Du noch? Ich bring 'es. Albano, ich habe in dieſer Stunde eine ganz beſondere und neue Liebe zu Dir, ich möchte für Dich viel thun, viel leiden. Mein Herz iſt bewegt von überſchwenglicher Liebe. Küſſe mich238 nicht. Ich will Dir erzählen. Die ſchöne Weiblichkeit, die den Geliebten heiſſer und nä¬ her liebt, wenn ſie zum erſtenmale ſein Eigen¬ thum, ſeine Kindheitsörter, ſeine Wohnungen betreten, erfüllte unerkannt ihr ſtarkes Herz. Er küßte ſie nicht er ſah ſie an und weinte in Liebes-Wonne ſie neigte ſich herüber und ſagte, aber heiter: ich weine ſehr ſchwer, Lie¬ ber! Ich will Dir das von meiner Kindheit er¬ zählen, was Du verlangteſt. Von meinen er¬ ſten Kindheits-Plätzen iſt mir wenig geblieben, vielleicht weil wir immer reiſeten und weil ich auch mehr nach Menſchen als nach Gegenden ſehe außer mein längſter Aufenthalt in Valenzia. Vom frühen hab' ich wohl meine Reiſe-Sucht. Am Ende liegt ſie doch in mir. Aber Ihr glaubt immer, wie die Deutſchen, das zu erlernen, was Ihr eigentlich ererbt oder erſchafft. Von meiner Mutter wurd 'ich mehr als von jemand gehaſſet und geliebt. Jetzt bin ich klar über ſie. Sie war ganz für die Kunſt oder für die Künſte gebohren, ob ich wohl glaube, daß ſie von den Göttern eigentlich für die Bühne auserſehen war. Sie war alles in239 dieſer Minute, nichts in der andern Flüche und Gebete, Glaube und Unglaube, Haß und Liebe wechſelten ab in dieſer epiſchen Natur. Sie hätte eine Welt verſchenken und eine ſtehlen können. Sie drückte mich einmal an ihr Herz und ſagte: wärſt Du nicht meine Toch¬ ter, ich würde Dich ſtehlen oder tödten aus bloßer Liebe; und das war, als ich geſagt hatte: ich liebe die Medea mehr als Kreuſa!

Indeß war ſie zu inkonſequent, um ganz geliebt zu werden; meinen unſichtbaren Vater liebt 'ich weit mehr, ich dacht', er ſey Gott der Vater. Ich bildete mir einmal ein, er müſſe in Porta Celi*)Eine ſehr ſchöne Karthauſe bei Valencia. wohnen; ſtundenlang gieng ich um den Todtengarten des Kloſters und blickte ſehnſüchtig durch die Palmen über die Roſen der Gräber. Ich hieng an allem Lebendigen bis zum Schmerz; ein ſterbender Kanarienvo¬ gel machte mich einmal krank und die Todten¬ meſſe glaubt 'ich werde für ihn geleſen. Auch an Gott und Geiſtern hieng ich trunken. Im Feuer, das ich im Dunkeln einmal aus dem240 Zucker ſchlug, blitzten ſie mir vorüber. Ich habe nie geſpielt, ſondern früh geleſen. Da ich ſehr ernſt war und meine Geſtalt ſich zeitig entwickelte, ſo wurd' ich früh als eine Erwach¬ ſene behandelt und ich begehrt 'es auch. Nie¬ mand war mir ernſt genug, außer der Vor¬ mund, der mit heimlicher Hand meine Entwick¬ lung regierte. Vor Büchern und im Reiſewa¬ gen da vergieng mein erſtes Leben. Ich be¬ neidete die Männer um ihr Wiſſen und ihre Freiheit, aber ſie gefielen mir nicht, die Weiber noch weniger. Ich galt für ſtolz und frü¬ her war ich's auch und für phantaſtiſch; ich nahm es nicht übel, und ſagte: ihr habt euere Weiſe und ich meine. Durch Dian und Julienne wurde die Erzählung geſtöhrt.

118. Zykel.

Die erſte einſame Minute, die Albano mit ſeiner Schweſter fand, legte er zur Nachfrage über ihre lateiniſche Nachricht an, daß Lin¬ da's Vater gerade an ihrem Hochzeittage er¬ ſcheinen würde; aber ſie verwies ihn auf ſeinen eignen, der ihm alles über Linda's ihren ſagenkönne241könne und bat ihn, Linda zu ſchonen, nicht nur in ihrer Zartheit, ſondern auch in ihrer eignen Ehe-Scheu, die ſehr weit gehe. Sie konnte nicht einmal eine Freundinn an den Traualtar begleiten, (ſetzte Julienne dazu,) ſie nannte dieſen den Richtplatz der weiblichen Freiheit, den Scheiterhaufen der ſchönſten freie¬ ſten Liebe und ſagte, das Heldengedicht der Liebe werde dann höchſtens zum Schäfergedicht der Ehe. Freilich weiß ſie nicht, wohin ſolche Grundſätze endlich führen. Ich hoffe auch, daß Du ihr vertraueſt, ſagte Albano, ſich die¬ ſe Seltſamkeit anders und höher ableitend als ſeine ſtrenge Schweſter. Sie brach ſchnell ab, um ihm noch den Rath nach Peſtiz mitzuge¬ ben, die Fürſtinn zu fliehen, die ins Innerſte hinein kalt, falſch, rach - und ſelbſtſüchtig ſey. Sie hat etwas und zwar viel mit Dir vor ' und ihr Haß gegen die Gräfinn kommt jetzt dazu Linda faſſet ſie ſcharf auf, aber doch läſſet ſie ſich aus Heftigkeit durch alle hinreis¬ ſen und benutzen, die ſie überſieht und voraus¬ ſieht. Albano blieb bei ſeinem alten ſanftern Urtheil über die Fürſtinn um ſo mehr, daTitan IV. Q242er Juliennens moraliſche Härte gegen jede ge¬ nialiſche ſchon aus ihrem Mißurtheil über Lia¬ nen kannte ; aber er gab ihr das leichte Wort, ſie zu fliehen, ohne ihr den Grund, nehmlich ihre ſo hart entzauberte Liebe für ihn, zu ſagen. Für ſein Zartgefühl gab es keine größere Rohheit als dieſes öffentliche Erbre¬ chen und Vorleſen eines Liebesbriefs, als das männliche Auffangen und Ausrufen eines weib¬ lichen Seufzers der Liebe durch ein Sprach¬ rohr fürs Volk.

Alle kamen wieder zuſammen lagerten ſich auf eine Stelle, die den See und die Al¬ pen und die Blüthen-Schatten gab der Tag glühte ſich ab und ſank von Schönheit zu Schönheit zum Abend hinunter. Auf dieſer feinen Inſel (ſagte Dian) fängt ſich ſchon das nordiſche Weſen an und wir ſte¬ hen bald zu Hauſe unter einem ſpitzen Dach. Nun ja, (ſagte Julienne,) aber endlich hat man's doch auch gern, wenn man wieder einen reinlichen Menſchen, eine Blondine und einen Schatten ſieht und ein Paar Vögel243 hört*)Die Sangvögel ſind in Italien ſelten, weil man ſie für die Küche auf dem Markt verkauft.. An Tivoli und Iſchia und den Poſilippo denk 'ich hier nicht, (ſagte Albano,) ich denke an meine Kindheit und an die Alpen. Drüben am Ufer des Langſee's (lago Mag¬ giore) mögen ſich freilich die beiden Inſel-Zu¬ ckerhüte nicht zum Beſten darſtellen, aber da¬ für ſtellet ſich hier auf dem Zuckerhut das Ufer und der See deſto beſſer dar, und für den der auf dieſer Seealpe ſteht, iſt ſie doch gemacht. Mir iſt alles gleichgültig, (ſagte Linda,) denn ich finde mich hier ganz wohl. Das Re¬ zenſiren ſchöner Gegenden iſt auch ein nordiſch Weſen, weil man ſie da nur aus Büchern ken¬ nen kann; der Italiener, der ſie hat, genießet ſie wie die Geſundheit und iſt ſich nur der Ent¬ behrung bewußt; deswegen iſt er nicht einmal ein großer Landſchaftsmahler.

Man ſollte (ſagte Dian) das prächtige Welſchland noch auf der Gränze beſingen, wenn man von dem Kaſtellan eine Guitarre bekäme. Er gieng und brachte eine. Nun fieng er ita¬Q 2244lieniſch zu improviſiren an. Er ſang: in Apol¬ lo wurde die alte Liebe nach dem vorigen Schä¬ ferlande auf der Erde und nach der verlohrnen verhüllten Daphne wieder wach er ſtieg vom Himmel, um beide zu finden ihm hatte Ju¬ piter den Momus mitgegeben, der ihm das Häßliche zeigen ſollte, damit er zurückfliege als ein ſchöner lächelnder Jüngling gieng er über die Inſeln, durch die Ruinen der Tem¬ pel, durch ewige Blüthen, vor göttlichen Ge¬ mählden einer unbekannten hehren Jungfrau mit einem Kinde und vor neuen Tönen vor¬ über, und zog wie über die Zauberkreiſe einer ſchönern neuen Erde. Vergeblich zeigte Mo¬ mus ihm die Mönche und Seeräuber, und ſeine von der Zeit niedergeworfnen Tempel und ließ ihn ſpottend Thermenſäulen für Tempelſäulen nehmen der Gott ſah hinauf zum hohen kalten Olymp und ſah herab auf dies warme Land, auf dieſe große goldne Sonne, dieſe hellblauen Nächte, dieſe ewigblühenden Düfte, dieſe Zypreſſen, dieſe Myrten - und Lorbeer¬ wälder und ſagte: hier iſt Elyſium, nicht in der Unterwelt, nicht auf dem Olymp 245 da gab ihm Momus einen Lorbeerzweig von Virgils Grabe*)Dian liebte den Virgil nicht. und ſagte: das iſt deine Daphne. Jetzt erzürnte ſich ſeine große Schwe¬ ſter Diana, ſie gab Daphnen ihre Geſtalt und Kleidung, als komme ſie aus den Wäldern der Pyrenäen herüber; aber er erkannte die Ge¬ liebte und gieng mit ihr in den Olympus zu¬ rück. Als Dian das ſang und die Lieder mit den Saitentönen fliegen ließ, ſo ſtanden hoch drüben im Himmel die ewigen Glanz-Ge¬ bürge aus Eis, von den Bergen flatterten Quel¬ len und Schatten in den hellen See und der Abend bewegte ſich entzündet und entzückt. Da ergriff der ſtille Albano die Saiten, ſenkte das Auge in den Blitz der Gebürge ein und fieng erröthend an: verweile, o Sänger, bei den ho¬ hen Geiſtern, die auf das Schlachtfeld zogen, tödtend, ſterbend und die aufbaueten die ewigen Tempel der Menſchheit verweile bei den reinen Demanten, die glänzend und feſt unter dem Hammer des Schickſals blieben verweile bei der alten Zeit, bei dem Meere246 Roms, das einen Welttheil trug und die an¬ dern untergrub aber fliehe vor der Zeit, die ihren Gipfel in ihren eignen Krater ſenkte. Verweile, Sänger, auf der Höhe und ſchaue in den Garten der Welt herunter, der ein ſpie¬ lendes Menſchenleben iſt die Ruine wird Fels, und der Fels Ruine auf dem hohen Vorgebürge duftet die Blüthe, unten liegt das Meer mit offnem Rachen über die Szylla glänzen ſchöne Häuſer und Gaſſen zwiſchen dem Lager erſchrecklicher Felſen. Und der Gott fliegt über das Land, und ſieht das Kind auf der Tempelſäule am Ufer und die Götter¬ tempel voll Mönche, die Sümpfe voll namen¬ loſer Ruinen und die Küſte voll Blüthen und Grotten und die blühenden Myrten und Reben und die Feuerberge und die Inſeln und Iſchia ....

Aber ihm entſank die beſtürmte Guitarre und die Stimme, das Auge gieng tief in den Himmel und in das Leben des Menſchen ein und er entfernte ſich, um das laute Herz zu ſtillen. In der kühlenden Einſamkeit bemerkte er, wie weit ſchon die Sonne hinabgeflogen247 ſey wie mit Amorsflügeln durch einen kältern Himmel; er kehrte ſchnell zurück, in der Abend¬ röthe ſchlug ſeine Scheideſtunde aus.

Als er wiederkam, war Linda allein denn Julienne hatte ſeinen Dian unter dem Vor¬ wande, das Bilderkabinet zu beſehen, von den Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin nur ein kürzeſter Tag des Glücks beſchieden war und die Geliebte ſah ihn bedeutend an: Dian ſang eigentlich beſſer (ſagte ſie) und epiſcher, aber Euer lyriſches Weſen hab 'ich doch auch ſehr lieb. Sie blickte ihn wieder an, dann wieder, dann in ſein Auge, dann umarmte ſie ihn ſchnell und kein Laut erklärte den plötzlichen Kuß. Wir wollen auf die Ter¬ raſſe, ſagte ſie leiſe. Sie beſtiegen die ſchöne Höhe der zehn Terraſſen, welche mit Lorbeer - und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und koloſſaliſchen Statuen und mit der Ausſicht auf das ferne von Dörfern und Alpen umzogne Ufer das Auge füllt und wo einſt Albano ſei¬ nen Vater hatt' entfliehen ſehen. Du gefällſt mir immer mehr, Albano, (ſagte Linda,) ich glaube faſt, Du kannſt recht lieben; erzähle248 mir Deine erſte Liebe, ich habe Dir auch er¬ zählt. O Linda, (ſagt 'er,) wie viel be¬ gehrſt Du! Aber ich bin wahr und ſage Dir alles; Du wirſt Sie lieben wie Sie Dich liebte. Sieh hier Dein Bild, das Sie ſterbend machte und mir gab!

Er reichte ihr die kleine Zeichnung und ihr Auge wurde naß. Darauf fieng er leiſe und feier¬ lich das Gemählde ſeiner erſten Liebe an wie er Sie ſo früh noch ungeſehen und in erſten Morgenſtrahlen des Lebens verehrt und ge¬ ſucht und wie er Sie fand und wie Sie glücklich machte und es nicht wurde wie ſanft Sie war und er ſo wild und hart wie er ſeinen eignen Ungeſtüm des Herzens Ihr zu¬ muthete wie grauſam er Ihre Entſagung aufnahm und wie Sie durch ihn untergieng. Linda weinte mehr als gewöhnlich. O ich habe hart gehandelt, gute Linda! ſagt 'er. Nein, (ſagte ſie,) ich wein' über Euch beide. Ich habe große Mängel, ſagt 'er. Alle vergeb' ich Dir, (ſagte ſie,) wenn Du nur lie¬ ben kannſt; aber das liebliche Weſen hat auch ſehr gefehlt und gegen die Liebe. Sie hielt249 innen, dann fragte ſie leiſe: Albano, iſt Sie noch in Deinem Herzen? Ja, Linda, ſagte er. O Du redlicher und treuer Menſch, (rief ſie begeiſtert und legte ihr Haupt an ſeine Bruſt und betete:) heiliger Gott, gieb deinen Unſterblichen alles, nur laß mir ewig dieſes Menſchen Bruſt, damit er recht geliebt wird, recht unausſprechlich und damit ich nicht un¬ tergehe! Willſt Du, Lieber, (liſpelte ſie plötzlich und richtete ſich auf, ihn anblickend mit unend¬ licher Liebe und Hingebung,) daß ich in Lilar wohne, ſo gebiet 'es nur.

Dieſes weibliche gehorchende Ergeben eines ſo freien mächtigen Geiſtes machte ihn ſprach¬ los wie ein Adler faßte ihn die Liebesflam¬ me und hob ihn empor er glühte an ihrem blühenden Angeſicht und die Brautfackel der untergehenden Sonne ſchlug mit großen Flam¬ men zwiſchen beide herein. Linda, (fieng er end¬ lich mit zitternder feierlicher Stimme an,) wenn wir es wiſſen könnten, daß wir uns je verließen oder verlöhren O! Linda, (fuhr er müh¬ ſam fort, unter ſeinen Thränen und Küſſen,) wenn das möglich wäre, es ſey durch meine250 Schuld, oder durch das kalte Schickſal: wär 'es dann nicht ſchöner, wenn wir uns in dieſer Minute hinunterſtürzten in den See und in unſerer Liebe ſtürben? Die Sonnengluth brannte wie eine Aurora herein, welche Jüng¬ linge und Jungfrauen zu den Göttern entführt; und die Lebens-Dämmerung war zu hellem Morgenroth entzündet. Wenn Du das weißt, (ſagte Linda,) ſo ſtirb jetzt mit mir.

Da weckte beide Juliennens ferne Stimme endlich kam ſie ſelber mit Dian zum Ab¬ ſchied. Sie ſahen erwachend, von der Sonne und Liebe geblendet umher und alles war ver¬ ändert die Sonne war verſunken, der weite See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch roſenroth ins Blau, wie Gedächtnißſäulen der flammenden Bundes-Stunde.

Vor Albano's Seele ſtand noch das men¬ ſchentrennende Schickſal, die kalte verhüllte Fel¬ ſen-Geſtalt, deren Schleier auch ſteinern iſt und den niemand hebt. Er wollte nun durch¬ reißen und ſogleich ohne feiges Zögern in den Winter hinunter. O bis der Heſperus unterge¬251 gangen, verzieh! liſpelte Linda. Er blieb; aber beide hatten keine Worte mehr, nur die Au¬ gen; die feſtgehaltenen Adler, die vorhin den himmliſchen Venuswagen durch den Himmel geriſſen, flatterten daran wild auf. Der Abend¬ ſtern gieng unter; der halbe Mond in der Him¬ melsmitte legte Strahlen als Zauberſtäbe an die Erde an und verwandelte ſie in eine heili¬ ge blaſſe Welt des Herzens. Nur noch den großen Stern laſſ 'hinab ſagte ſie und ſah ihn ſehnſüchtig an. Er that's. Die Nach¬ tigallen hüpften tönend zwiſchen den Silber¬ zweigen; nur die Menſchen hatten Himmel und Liebe ohne Stimme.

Nur noch ein Sternchen! bat ſie; er ge¬ horchte, ſchon vom Worte gerührt; aber ſie entſchied ſich ſelber und ſagte: Nein, geh! Wir wollen, Dian! ſagt 'er. Dieſer gieng Liebe-ſchonend die Terraſſen voraus hinab. Heftig und lange lagen die beiden Geſchwiſter einander am Herzen und wünſchten ſich ein hei¬ teres unbeſtürmtes Wiederfinden. Linda gab ihm nur die Hand und ſagte kein Wort; wie der ſtille Himmel der Nacht ſeine heiſſe Sonne be¬252 deckt, ſo war ihr ſtammendes Herz verborgen; und da er gieng, ſchloß ſie, ohne nachzublicken, ſeine Schweſter an die wallende Bruſt.

Glanz und Nacht und Duft beſtreueten die Himmelsleiter der Terraſſen, die er herunter gieng. Leiſe flog ſein Schiff durch den Ster¬ nen - und Blüthen-Schnee, der auf den Wel¬ len wehte die Nachtigallen der beiden In¬ ſeln klangen zuſammen die Schiffer ſangen ihnen frohe Lieder zurück die Orangendüfte führte der günſtige Wind dem Schiffchen nach; aber Albano hatte Herz und Angeſicht wei¬ nend nach der verſinkenden Pyramide gewandt. Die Schweſter hatte allein auf der Höhe nach¬ geſehen, dann war auch dieſe verſchwunden die Nachtigallen riefen noch leiſe nach end¬ lich war alles verhüllt. Er kehrte ſich um nach den blaß-ſchimmernden Eisgebürgen, wie nach den Leuchtthürmen ſeiner Fahrt und vom Him¬ mel dieſes Tags war ihm nun nichts geblieben als die leitende Liebe, wie der Schiffer dem Magnete folgt, wenn die heiligen Sterne ſich verborgen haben und ihn nicht mehr führen.

253

119. Zykel.

Albano und Dian flogen über die deutſchen Gefilde freudig ſo manchem theuern Herzen entgegen und nichts wurde getäuſcht als ihre Furcht vor dem Abſtande ihrer Reiſe-Län¬ der. Statt des ſchwarzen Lavaſandes und des verbrannten Bodens hinter ihnen deckte jetzt das helle friſche Grün die Ebenen und kühlte das geblendete Auge. Die Wellen grüner Äh¬ ren-Fluren ſchlugen ſich ſo luſtig als die Wel¬ len des blaugrünen Meers. In dichtern, län¬ gern, höhern Wäldern wehten neue Schatten, gleichſam ſchöne kleine Abende, die ſich vor dem Tag verkrochen. Nach dem ſchwarzen Grün der welſchen Bäume kehrte das helle lachende der deutſchen Gärten zurück; und neue Vögel - Chöre wiegten ſich in Wolken und in Wäldern und grüßten das Menſchen-Herz und ſchickten ihm ihre leichte ſchuldloſe Freude herab.

Von Frühling zu Frühling zog der glück¬ liche Albano mit ſeinen Liebesträumen; wie hinter ihm eine ſüdliche Blüthe fiel, ſo that ſich vor ihm eine nördliche auf; und ſein Rei¬ ſewagen blieb auf dem bunten Wege und254 unter den Blüthen-Schatten eines langen Gartens.

Endlich ſtand er vor dem Hauſe, wozu ihn der Garten führte, vor der Lindenſtadt; ſo ſtand er auch im vorigen Jahre auf der Höhe vor ihr, zum Wolkenzuge der Zukunft aufſe¬ hend ohne zu errathen wozu das Gewölk 'ſich bilde, ob zur Aurora, oder zum Abendgewitter. Wie viele alle Schmerzen ſtreiften jetzt gleich Schatten von Wolken über die alte Gegend, über die Blumenbühler Höhen und über die Häuſer hinüber, als er die bekannten zuweilen mit Thränen bezeichneten Wege der Vergan¬ genheit überſchauete! Er gieng jetzt, das be¬ dacht' er, ſeinem Vater mit der Nachricht ſei¬ nes neuen Glücks entgegen ſeinem abtrünni¬ gen Freunde mit der geraubten Geliebten mit alter und neuer Liebe ſeinem wiederkehren¬ den Schoppe, deſſen Herz und Schickſal ihm jetzt zugleich ſo dunkel und ſo wichtig waren und der ſonderbaren Zeit und Stunde, wo die unterirdiſchen Waſſer, deren Treiben und Rau¬ ſchen er bisher ſo oftmals erfahren, auf ein¬ mal aufgedeckt, und mit allen Krümmungen und255 Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen ſol¬ len und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬ liebte, die ihm jetzt auf dem utſchen Wege und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten noch größer und unerreichbarer erſchien, als auf dem Epomeo in der Nachbarſchaft alles Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn ans Herz nehmen und ſchließen durfte auf ewig, ohne wieder zu fragen: wirſt Du mich lieben? Da dacht 'er an ein Bild zurück, das er auf dem Veſuv*)So ſchwer und langſam wälzt ſich der breite Lavaſtrom herunter, daß ein Menſch vor dieſem glühenden Todesfluß, der alles verſchlingt, er¬ ſtickt und zerſchmilzt was er berührt, vorausge¬ hen und die Zerſtöhrung hinter ſich ſehen kann, ohne ſich in die Gefahr einer eignen zu ſetzen. gefunden und ſagte zu Dian: hinter dem Menſchen arbeitet und geht ein langſamer Strom, der glühend ihn verzehrt und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der Menſch ſchreite nur tapfer vorwärts und ſchaue oft rückwärts, ſo entkommt er unbeſchädigt. Mein geliebter Lehrer, ſo will ich's jetzt in mei¬256 nen neuen bedenklichen Verhältniſſen machen; wende Du mich aber nach der Lava um, wenn ich's in ſchön[u][n]〈…〉〈…〉Gegenden zuweilen vergeſſen ſollte!

Sprecht beſſere, günſtigere Worte! (ſagte Dian.) Heil uns, die Götter ſind ſchon gewo¬ gen! Dort kommt Euer Vater den Schlo߬ berg herauf und ſieht ſo luſtig und glücklich aus wie ich ihn nie getroffen!

Ein257

Ein und dreißigſte Jobelperiode.

Peſtiz Schoppe Eheſcheu Arkadien Idoine Verwicklung.

120. Zykel.

Gaſpard hatte gegen ſeinen Sohn die gewöhn¬ liche vornehme Kälte der erſten Stunde, wie Briefe kälter anfangen als endigen. Erſt als dieſer Morgen-Reif geſchmolzen und es wär¬ mer um ihn geworden, entdeckte ihm Albano ohne Furcht und ohne kleinmüthiges Erröthen mit gereifter Männlichkeit den Bund, den er mit Linda und mit ſich auf ewig geſchloſſen und bat ihn um das dritte Ja. So hat es doch (verſetzte der Ritter) der alte Zauberer am Ende noch durchgeſetzt; freilich unter dem BeiſtandTitan IV R258einer jungen Zauberinn. Daß ich Dich in dem was Du mit ganzer Seele und auf immer er¬ greifeſt, niemals ſtöhre, das weißt Du noch vom vorigen Jahre aus einem ähnlichen Fall. Albano wurde über die bittere Erwähnung ſei¬ ner erſten Liebe roth, hatte aber ſeit einem hal¬ ben Jahre die Kraft gewonnen, da männlich zu ſchweigen, wo er ſonſt jugendlich ſprach. Gaſpard, heute froher und gegen ihn wärmer als ſonſt, fuhr doch, als er deſſen Empfindlich¬ keit bemerkte, fort: Ich heiſſ 'es gut! Wie der Siegelgräber das Wappen anfangs in Wachs, und erſt dann in den Edelſtein ſticht, ſo verſucht der Mann das ſeinige in mehr als ein Herz zu graben, bis er endlich das feſteſte hält. Man muß bekennen, Du haſt nicht am ſchlimmſten ausgewählt in meiner Mündel und ich gebe gern mein Wort dazu.

Albano drückte die Hand, die den ſüßen Knoten der Liebe noch feſter zog und ſagte im Rauſche des Danks: auch meine Schweſter fand ich, die Prinzeſſinn, aber ich thue an Sie keine Frage wie neulich, ſondern rechne auf die Zeit. Spötter! (ſagte Gaſpard und259 nahm, ihn abzukühlen, wie es ſchien den grau¬ ſamen Schein an als denk 'er, der reine edle Sohn hab' ihm mit der Erwähnung der Schwe¬ ſter den Spott der vielfachen Liebe zurückgeben wollen,) ſchweige nur über alles im Innerſten wie ich ſelber bisher; und verbirg dein Wiſſen dem Hofe; gieb mir Dein Ehrenwort.

Albano ſagte, auch Juliennen hab 'er's ſchon gegeben; er wurd' aber durch Gaſpards gan¬ zes Betragen auf Schlüſſe zurückgetrieben, die weder ſeinem Vater noch Juliennens Mutter ſittliche Kränze aufſetzten.

Gaſpard ſetzte noch dazu, es ſey für einen Mann ein Unglück, mit phantaſtiſchen Weibern wie Albano ſchon ſeine Mutter kenne und zwar mit dreien auf einmal verwickelt zu ſeyn und rieth ihm, ſeinen Schritt wie bisher tapfer durch alle Räthſel fort zu thun und ſie ihrer eignen Auflöſung zu überlaſſen; darauf legt 'er ihm als eine Probe der dritten Phantaſtinn die Frage vor, ob er ſchon wiſſe, daß die Gräfinn ungeachtet ſeiner Vormundſchaft ihren lebendi¬ gen Vater noch habe, der erſt an ihrem Hoch¬ zeittage erſcheinen wolle. Er bejaht' es. Ga¬R 2260ſpard fuhr nun fort: ſchon dieſer Grund allein damit Linda ihren Vater und ſie alle end¬ lich die Ruhe der Klarheit fänden beſtimme ihn für eine frühe heimliche Verbindung beider durch den ehrlichen Spener.

Albano ordentlich erſchreckend vor der ſchnellen nahen Verwandlung ſeeliger Stunden in ſeelige Jahre und eben ſo unvermögend, ſich ſeine Titanide als Gattinn zu denken wie als Kind antwortete beſcheiden und mit uneigen¬ nütziger Rückſicht auf Linda's Ehe-Scheu: über die Zeit ſeines beſiegelten Glücks dürfe und könne niemand entſcheiden als Linda ſelber.

Gaſpard war zufrieden: nur um einen Aufſchub halt 'ich bei Euch an (fügt' er noch bei); mein Freund, der Fürſt, iſt ſeinem Ende wieder näher die wohlthätige Wirkung, die auf ihn eine Geiſter-Erſcheinung gemacht, hat allmählig nachgelaſſen, und er fürchtet täglich die Wiederkunft des Phantoms, das ihm die letzten Stunden vorauszuſagen verſprochen. In ſolcher Zeit taugt mir Euer Feſt nicht. Im Vertrauen geſagt, der arme Kranke hatte ſelber ein Auge auf die ſchöne Braut. Es261 iſt doch billig, ihn mit der größten Gewißheit ſeines Verluſtes zu verſchonen. Seinetwegen verſchieb 'ich auch meine Abreiſe.

Wie wenn ein Menſch in das junge Para¬ dies träte und alle Vögel auf einmal, Nachti¬ gallen und Adler und Eulen und Paradiesvö¬ gel und Geier und Lerchen umzögen ihn: ſo verworren fühlte ſich Albano durch dieſe durch¬ kreuzende Anſichten erregt und er merkte, hier¬ in geb 'es keinen Verlaß und Vorhalt als auf ſein eignes Herz und Linda ihres.

Gaſpard ſchien ungeduldig auf das Wieder¬ ſehen der Gräfinn zu ſeyn, die er ſeine einzige Freundinn nannte. Ich glaubte leider in Rom meinem Bruder nicht, (ſetzt 'er dazu,) da er beiden Frauen in Neapel wollte begegnet ſeyn. Apropos dieſer iſt vor einiger Zeit hier durch nach Spanien gegangen; in Rom behauptete er, nach Griechenland zu reiſen Du ſiehſt, mit welcher poetiſchen Luſt und Genialität er das reine Lügen treibt.

Gaſpard ſchied ſehr warm von ihm mit den Worten: Albano, ich bin mit Dir zufrieden, ich wär 'es unendlich, wenn die Reinheit des262 Jünglings in den Mann übergienge noch hab' ich's nie gefunden. Albano wollte gerührt betheuern und beſchwören. Darum (fuhr er mit einer leichten den Eid wegtreiben¬ den Hand-Bewegung fort) fandeſt Du mich ſo froh über Dein Glück, denn die Fürſtinn, Freund, hatte mir Deine Liebe ſchon am Mor¬ gen verkündigt. Nimm Dich in Acht vor ihr, denn ſie haſſet Dich ohne Gränzen.

Hart und ſchauerlich tritt wie ein neues wunderbares Raubthier hinter dem Gitter, zum erſtenmal ein rechter wenn auch waffenloſer Haß vor ein gutes Herz. Albano begehrte keine Bekräftigung und Erklärung dieſer trau¬ rigen Nachricht, denn der Fürſtinn Liebe und Irrthum, ihre Bekanntſchaft mit ſeiner vorigen Kälte gegen Linda, ihr ſtiller Ingrimm gegen dieſe ſelber, waren ja für ſie Flammen genug, um daran den ſtärkſten Gift zu kochen.

Er wohnte wieder auf des Vaters Erſuchen bei dem für ihn unbedeutend in der Tiefe lie¬ genden D. Sphex; und Gaſpard wieder im Schloß nahe am kranken Freund. Der Ritter ſtellte ihn ſchnell dem Hofe vor, der das Reiſe¬263 Braun, den ſchärfern Augen-Blitz und die ganze letzte Entwicklung ſeiner großen Geſtalt ſchnell bemerkte und bemerken ließ. Die Für¬ ſtinn empfing ihn mit der leichteſten feinſten Kälte, gleichſam einer aqua toffana, die nur reines geſchmackloſes Waſſer ſcheint. Der Fürſt ſaß im Krankenbette aufrecht mit verdrüßlichem Geſicht vor herkulaniſchen Zeichnungen und ließ ſich darüber von Bouverot belehren. Wie ein Geſicht, auf welchem in den ſpäten grauen Jah¬ ren des Lebens noch ſchöne Freudigkeit ſich bil¬ den kann, ein ſchönes Leben und ſchönes Herz verkündigt: ſo lächelt der Heilige nie himmli¬ ſcher als auf dem Krankenbette, und der Ver¬ lohrne nie härter als eben da. Albano wandte ſein Auge ab vom ſiechen verzerrten Bruder ſeiner Schweſter.

Schmachtend ſah er nach dem vergangnen Heſperien zurück und auf die Paradieſes-Pforte hin, die endlich aufgehen und Linda und die Schweſter im Eden zeigen ſollte. Es wird Dir recht ſeyn, (hatte Gaſpard geſagt,) daß ich es unter dem Vorwand der Krankheit Lui¬ gi's gemacht, daß beide im alten Schloß zu Li¬264 lar wohnen, wo Du ſie unbemerkter ſehen kannſt. Er begegnete dem Miniſter Froulay, und ihm kam entgegen der Lektor; mit bei¬ den gieng ein dunkles vielfaches Schatten-Ge¬ folge von harten alten Erinnerungen mit. Noch hatt 'er den Hauptmann Roquairol nicht geſe¬ hen, jetzt für ihn der Abendnebel eines unter¬ gegangnen Frühlingstags.

Er trug ſo ſchnell er konnte ſein ſtummes Herz das eine Äolsharfe in der Windſtille war nach dem kindlichen Blumenbühl, um die elterlichen Menſchen zu begrüßen und die Blät¬ ter ſeines nächſten Seelen-Nachbars Schoppe zu leſen, nach deſſen verſprochner Wiederkunſt er ſich jetzt mehr als jemals ſehnte.

121. Zykel.

Es war ein blauer friſcher Sommertag, da Albano nach ſeinem alten Blumenbühl gieng, ohne zu wiſſen, daß er's gerade an dem Ja¬ kobi - oder väterlichen Geburtstag thue, den er einmal in der Kindheit mit ſo ſeltſamen Vor¬ ſpielen ſeines Lebens verbracht. In den alten Gärten und auf den alten Höhen umher bis265 nach Lilars Walde hinüber lag überall noch der junge ſchimmernde Thau der Kindheit un¬ vertrocknet von der Sonne Heſperiens; auch manche Thränentropfen ſtanden darunter auf Blumen; aber ſein friſcher geneſender Geiſt wehrte ſich jetzt gegen weiches Verſchwimmen in die laue Verfloſſenheit, dieſe Lethe der Ge¬ genwart. Im Dorfe wurd 'er über ein Pferd, das man beſchlug, betroffen, weil ers an Zeu¬ ge und allem als Roquairol's Freudenpferd er¬ kannte. Ein Feſt trug er in das Feſt hinein, als er in die laute Vaters-Stube voll Geburts¬ tagswähler trat, blühend, entwickelt, gerade, ein befeſtigter Mann mit entſchiednem Blick und Zug. Rabette ſchrie auf Roquairol rief: Aha! und der alte Lehrer Weh¬ meier: Gott und mein Herr! und ſeine Kindheits-Engel, die Eltern, umfaßten ihn unverändert und aus Albinens blauen Augen rannen die hellen Tropfen.

Aber verändert ſtand die fremde Jugend neben ſeiner. Rabettens Angeſicht, die vorigen vollen Wangen und blühenden Lippen waren niedergefallen und mit dem aufliegenden weis¬266 ſen Schleier überlegt und verwachſen und ſie hatte zwei graue Thränen ſtatt der Augen; in¬ deß lächelte ſie ſehr. Wie ſein eignes Gorgo¬ nenhaupt, erſchien Roquairol's Geſicht blaß und hart, gleichſam auf ſeinen Grabſtein gehauen; nur ſchroffe Pfeiler ſtanden in der Fluth ohne die leichten Bogen der ſchönen Brücke. Zu Al¬ bano's Blüthen-Stamme ſahen Albine und Rabette unverwandt hinauf, er ſchien ein ita¬ lieniſches Gewächs zu ſeyn, ein Neapolitaner, im täglichen Bade des Golfs genervigt. Ro¬ quairol hatte ſogleich ſeine Rolle in der Ge¬ walt, leichter als Albano ſeine Wahrheit; er benahm ſich gegen den, der ihm den Zauber¬ ſtab des Lebens entzweigebrochen und als zwei Bettelſtäbe hingeworfen hatte, mit der höchſten Höflichkeit, küßte ihn auf die Wange, hielt in dem leichteſten oft franzöſiſchen Sprachton aus, zog die nächſten Nachrichten über Welſchland ein und gab wieder die erheblichſten, ſo gut er ſie, ſagt 'er, für einen Mann mit heſperiſchem Maa߬ ſtab auftreibe, aus dem Lande zum Beſten. Auch erzählte er, daß des Ritters Bruder dageweſen, ein Mann voll Talente, zumal267 mimiſcher der Art, und von der ſonderbar-hef¬ tigſten Phantaſie bei der höchſten Kälte des Karakters, vielleicht aber nicht immer wahr genug. Bei meinem Trauerſpiel (ſetzt' er dazu) wär 'er Goldes werth. Lieber Bru¬ der, ſey bei dieſer Gelegenheit auch gleich ein¬ geladen dazu; es heiſſet: der Trauerſpieler Ich geb' es bald Rabette kennt's. Sie nickte, Albano ſchwieg unter ſeiner Gluth. Un¬ ter allen Rollen gelang dem Hauptmann die eines Weltmanns am reinſten; auch iſt der Schein der Kälte leichter und wahrer als der Schein der Wärme. Albano blieb in einem ſtolzen Abſtande. Der gekränkten welken Ra¬ bette gegenüber konnte Roquairol durch nichts gewinnen, auch nicht durch die Vorbitte ſeiner Geſtalt voll zertrümmerten Lebens; etwas auf ewig verworrenes und die Wachsflügel zu ei¬ nem Klumpen gequetſcht, fand Albano und ihm war hier enge wie einem, der von der hel¬ len Welt herab auf einmal in eine niedrige feuchte Kellerhöhle kriecht.

Der Hauptmann ſtand auf, erinnerte noch einmal an ſeine Bitte für den Trauerſpie¬268 ler, und ſprengte auf dem Freudenpferde davon.

Hinter ihm ſchwieg jeder von ihm wie ver¬ legen. Die Weiber, von Albano's glänzender Gegenwart ein wenig ſcheu, getraueten ſich nur ſchwer mit der alten einheimiſchen Vergangen¬ heit hervor, indeß der Pflegevater Wehrfritz, in ſeinen Meinungen und Sitten fortgewachſen, noch in das alte Geſchrei der Kanarienvögel, und Hunde eingefaſſet, gar keine Zeit kannte, dem Pflegeſohne innigen Dank für die verbind¬ liche Erinnerung und Wahl ſeiner Geburtstags¬ feier ſagte, den Albano nothwendig und ver¬ geblich ausſchlug, im vorigen Du und Vater¬ weſen fortfuhr, ſich über die Franzoſen und ihre künftigen Siege entzückte und jetzt dem äl¬ tern Pflegeſohne mehr Prämien des Lobes als jemals dem jüngern bewilligte, um ihm da¬ durch, hofft 'er, ein ſo großes Vergnügen zu machen wie ſonſt. Der Magiſter unterſtützte von weitem das Lob, ob er gleich nicht unter¬ laſſen konnte, ſofort als ſein Schüler Neapel, Baja, Cuma ausgeſprochen hatte, eine Gelegen¬ heit zu ergreifen, um Neapel, Baja, Cuma aus¬269 zuſprechen. Albano war rein, wahr, menſchlich, offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war nicht in ſeinem ſelbſtvergeſſenen Stolz.

Rabette fand endlich ein Hebezeug, den glänzenden und doch trauten Bruder aus dem Gaſtzimmer in ihres oder ſein voriges aufzu¬ winden, um allein zu ſeyn an ſeiner Bruſt. Als ſie hineintraten: ſo fieng ſie ſogleich mit den Worten: kennſt Du die Stube noch, Al¬ bano? unendlich zu weinen an mit den ſo lange geſammelten Thränen; und Alba¬ no zeigt 'ihr in den ſeinigen ſein langes bis¬ heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff ſel¬ ber zum Heilmittel, zum Erzählen ſo ſehr er auch vorſchützte, er wiſſe und errathe ja al¬ les ; und berichtete die Augen trocknend, wie alles ſtehe und daß Karl viel bei ſeiner Mutter in Arkadien ſey daß der Miniſter noch gegen das einzige Kind den alten Wüthrich mache und ihm nicht einen Heller mehr als ſonſt zuſchieße, ob er gleich immer große und größere Schulden häufe, zumal ſeitdem keine Liane ſie mehr im Stillen tilge daß er über¬270 all borge, nur aber von ihr nichts annehme daß er noch immer weiter nichts begehre und kenne als die Gräfinn und daß Gott wiſſe, wohinaus das alles noch wolle. Allem Fra¬ gen zuvorkommend, ſetzte ſie dazu: er weiß ſchon jetzt alles, Dein ganzes Leben mit derſel¬ bigen Perſon er thut dabei ſtill und luſtig, aber ich kenn' ihn genugſam. Ach! (ſeuf¬ zete ſie in der Jammer-Fülle; und ſetzte ſogleich mit derſelben Stimme dazu:) Du ſiehſt mich an, nicht wahr, Du findeſt mich ſehr mager gegen ſonſt? Ja wohl, Arme! ſagte er. Ich trank viel Eſſig ſeinetwegen, weil Karl ſchlanke Taillen liebt; und der Gram thut auch viel, ſagte ſie.

Albano wollte ſie tröſten mit der nähern Möglichkeit einer Verbindung Karls mit ihr, ſeit der entſchiednen Unmöglichkeit jeder andern und bot ſich ihr gern zu jedem Vorwort und Zwangsmittel an ; er iſt vor Gott und uns Dein Mann, ſagt 'er. Das hat er nie (ver¬ ſetzte ſie erröthend) ſeyn mögen, nehmlich ho¬ nett; ich ſchrieb Dir ja, daß ich jetzt auch zu ſtolz bin dazu. Nichts beſtach ihn mehr271 als ſittlicher Stolz: ſo wirf ihn einmal weg auf immer! ſagt' er. Ach, (ſagte ſie bäng¬ lich,) weiß ich denn, daß er kein Leid gegen ſich ſelber vorhat? Dann würf 'ich mir's ewig vor.' 'Unwillkührlich mußte er mit dieſer liebenden heiligen Furcht die Härte der Fürſtinn vergleichen, die es ſo froh und ſtolz erzählen konnte, daß manches verliebte Leben das Opfer ihres ſpröden Herzens und koketten Geſichts ge¬ worden. Was willſt Du nun thun? fragt' er. Ich weine, (ſagte ſie,) ach Alban, das iſt ja genug, daß Du mir Gehör und Rath gegeben; ich bin wieder ganz heiter. Aber wer¬ de wieder ſein Freund.

Er ſchwieg, über die weibliche Unart ein wenig erzürnt, die unter dem Vorwand, Rath zu ſuchen, nur Gehör verlangt. Was iſt das, (fragt 'er, ein Blatt ihr zeigend,) das iſt völ¬ lig meine Hand und ich hab' es nie geſchrie¬ ben? Sie ſah es an und ſagte: Karl pro¬ bire oft ſo in den Händen bei ihr. Es wun¬ derte ihn und er ſagte: überall nur Nachſpie¬ len und Nachmachen! Aber wie kannſt Du den¬ ken, daß ich ihm vergebe? Einige Reiſe¬272 beſchreibungen auf ihrem ſonſt bücherarmen Nachttiſch fielen ihm auf: ich wollte doch wiſſen, (ſagte ſie,) wie es Dir etwan da und dort mochte ergehen und las deshalb das lan¬ ge Zeug. Du bleibſt meine Schweſter! ſagt 'er und küßte ſie herzlich. Sie fragte ihn noch viel und zudringlich über ſein neues Ver¬ hältniß, aber er eilte wortkarg mit dem vollen Herzen hinab.

Das erſte Wort drunten an den Landſchafts¬ direktor war die Bitte um das deponirte Schop¬ piſche Schreiben. Wehrfritz brachte den im Eiſen¬ käſtchen der Schuldſcheine aufbewahrten breiten Brief und lieferte ihn hoffentlich, wie er ſagte, richtig ab. Kaum hielt Albano die Thränen zu¬ rück, als er die krauſen aber werthen Spuren der geliebten Hand, die gewißlich nie im Le¬ ben gewankt oder ſich befleckt, in der ſeinigen hielt. Da er nichts erbrach, ſo fiengen ſie alle gutmüthig an, ihm ſeinen Freund Schoppe noch den Muthmaßungen und Anſichten, die ſich der Menſch über jeden höhern Geiſt ſo keck und froh erlaubt, mit allen ſeinen Thaten oder Far¬ ben vorzuſchildern, als wären Thaten oder Far¬ben273ben Striche und Umriß. Wehrfritz und Weh¬ meier bedauerten, daß er toll würde, wenn er's nicht ſchon ſey. Der Magiſter hielt mit ſeinem Hauptbeweiſe zurück, bis der Landſchaftsdirek¬ tor die kleineren Nebenbeweiſe beigebracht.

Sein Leben unter dieſem Schloßdache wurde ab - und aufgedeckt, aber im Guten. Er hatte bisher ſo giengen die Berichte nichts Re¬ elles oder Solides bezweckt . Wehrfritz ſchwur, er habe ſelber zugeſehen, daß er die Litteratur¬ zeitung ſo geleſen, wie ſie ineinander Halbbo¬ gen-Weiſe ſteckte, und ſagte, daß er's freilich weniger der Tollheit als einer Geiſtes-Abwe¬ ſenheit zuſchreibe, weil er wiſſe, mit welcher Luſt er immer den Reichsanzeiger den ſol¬ cher ſelber für den Thorſchlüſſel der Reichsſtadt Deutſchland erkläret in die Hand genommen und verſtändig durchgegangen. Mitten in der Geſellſchaft hab 'der Bibliothekar ſeine Hände angeſehen mit den Worten: da ſitzt ein Herr leibhaftig und ich in ihm, wer iſt aber ſolcher? Gearbeitet hab' er ſehr wenig, Bücher von Gewicht, wie H. Wehmeier wiſſe, ſelten ange¬ ſehen, leichter die allerſchlechteſten von Bauern,Titan IV. S274z. B. ganze Traumauslegebücher. Sein lieb¬ ſter Umgang ſey ihm ſein Wolfshund geweſen, mit dem er Stundenlang ordentlichen Diskurs geführt und von deſſen Murren er ernſthaft behauptet, es klinge wie ein ſehr ferner Don¬ ner. Gern ſey er vor dem Spiegel geſeſſen und habe ſich in ein langes Geſpräch mit ſich eingelaſſen; zuweilen hab 'er in die camera obscura geſehen, dann ſchnell wieder in die Gegend, um beide zu vergleichen, und habe unoptiſch genug behauptet, die laufenden re¬ gen Bilder der camera würden von der äus¬ ſern Welt vergrößert, aber täuſchend nachge¬ äfft. Ein ſchlauer Vogel (ſetzte der Direktor dazu) blieb's bei alle dem; verſchiedene mei¬ ner Bekannten auf den benachbarten Ritterſi¬ tzen ließen ſich von ihm mahlen, weil er's wohl¬ feil gab; er wußte aber immer etwas ins Ge¬ ſicht einzuſchieben, daß einem die Phyſiognomie ganz lächerlich oder einfältig vorkam; und das hieß er ſein Schmeicheln. Natürlich ſaß ihm in die Länge nichts Honettes mehr.

Wär 'es mir verſtattet, (fieng Wehmeier an,) ſo würd' ich jetzt dem H. Grafen ein Fak¬275 tum vom H. Bibliothekar mittheilen, das viel¬ leicht, das iſt wenigſtens meine Meinung, ſo frappant iſt als manches andere. Die Schul¬ wohnung iſt, wie Sie gewiß noch wohl wiſſen, dicht an der Kirche. Darauf gab er in einer langen Erzählung dieſe: Einſt ſey in der tie¬ fen Mitternacht die Orgel gegangen Er habe an der Kirchthüre gelauſcht und Schop¬ pen deutlich einen kurzen Vers aus einem Haupt¬ lied ſingen und orgeln hören Darauf ſey dieſer laut vom Chore herab und auf die Kan¬ zel hinauf geſtiegen und habe eine Kaſualpre¬ digt an ſich ſelber mit den Worten angefan¬ gen: mein andächtiger Zuhörer und Freund in Chriſto Im Exordium hab 'er das ſtille lei¬ der ſo ſchnell vergangne Glück vor dem Leben berührt, obwohl nicht nach rechter Homiletik, da der zweite Theil faſt den Eingang repetire Darauf einen Kanzelvers mit ſich geſungen und aus Hiob, Cap. 3., wo dieſer die Freude des Nicht-Seyns zeigt, den 26ſten Vers verle¬ ſen, der ſo lautet: war ich nicht glückſeelig? war ich nicht fein ſtille? hatt' ich nicht gute Ruhe? Und kommt ſolche Unruhe Vor¬S 2276geſtellt hab 'er ſich: die Leiden und Freuden eines Chriſten, im erſten Theil die Leiden, im zweiten die Freuden Hierauf hab' er, aber auf närriſche Art und Sprache, aber doch auch mit Bibelſprüchen die Noth auf der Welt kurz zuſammengedrängt, worunter er ſehr unerwartet ſonderbare Sachen, lange Predigten, die beiden Pole, häßliche Geſichter, die Komplimente, die Spieler und die Welt-Dummheit gezählt Dar¬ auf ſey er zum Troſt im zweiten Theile vorge¬ ſchritten und habe die künftigen Freuden eines Chriſten beſchrieben, welche, wie er läſterlich geſagt, in eine Himmelfahrt ins zukünftige Nichts, in dem Tode nach dem Tode beſtände, in einer ewigen Befreiung vom Ich Da hab 'er, grauſend ſey es zu hören geweſen, die benachbarten Todten unten in der Kirche und in der fürſtlichen Gruft angeredet und gefragt: ob ſie zu klagen hätten? Erſteht, (ſagt' er,) ſetzt euch in die Stühle und ſchlagt die Augen auf, falls ſie naß ſind. Aber ſie ſind trockner als euer Staub. O wie liegt die unendliche Vorwelt ſo ſtill und ſchön gewickelt in den eig¬ nen Schatten, auf das Bette der Selbſt-Aſche277 weich gelegt und hat nicht ein Traum-Glied mehr, in das eine Wunde geht. Swift, alter Swift, der du ſonſt ſo ſehr in der letzten Zeit nicht bei Verſtande warſt und an jedem Ge¬ burtstage das ganze Kapitel durchlaſeſt, wor¬ aus der h. Text unſerer Erntepredigt genom¬ men iſt, Swift, wie biſt du nun ſo zufrieden und gänzlich hergeſtellt, der Haß deiner Bruſt ausgebrannt, die Zahlperle, dein Ich in der heiſſen Thräne des Lebens endlich zerbaizt und zerlaſſen und dieſe ſieht allein hell da! Und du hatteſt vor dem Küſter gepredigt wie ich. Hier habe Schoppe geweint und ſich über die Rührung, Gott weiß vor wem, entſchuldigt Darauf ſey er an die Nutzanwendung ge¬ gangen und habe ſcharf auf Beſſerung des Zu¬ hörers und Predigers gedrungen, auf lautere redliche Wahrhaftigkeit, Freundestreue, ſtolzen Muth, bittern Haß der Süßlichkeit, des Schlan¬ gengangs und weicher Unzucht Endlich hab 'er mit einer Bitte an Gott, daß er ihn, ſollt' er einmal Geſundheit oder den Verſtand oder dergleichen verliehren, doch möge ſterben laſſen wie einen Mann, die Andacht beſchloſſen und ſey278 auf einmal aus der Kirchenthüre herausgefahren. Er brachte mich (ſetzte Wehmeier dazu) faſt um meinen Verſtand durch Schrecken, da er auf einmal zornig mich anfuhr: Scheinleiche, was ſchleichſt du ums Grab; und ich machte mich entfärbt und hurtig nach Hauſe, ohne ihm das Geringſte darauf verſetzt zu haben. Was ſagen aber der Herr Graf?

Albano ſchüttelte den Kopf mit Heftigkeit, ohne ein belehrendes Wort, mit Schmerz und Thränen auf dem Geſicht. Er nahm bloß ſchnell von allen Abſchied und bat ſie um Vergebung der Eile; und ſuchte Abend-Sonne und die Freiheit, um des edlen Menſchen Brief und die Abſicht ſeiner Reiſe zu leſen. Er ſchlug den al¬ ten Weg nach Lilar ein, wo er an der frohen ſüdlichen Bruſt ſeines frohen Dian's wieder die ſüdliche Heiterkeit und Gewohnheit zu finden hoffte; denn ſein Herz war durch ein Erdbeben aufgedrängt und aufgehoben, weil ihm in die¬ ſem Schoppe doch manches wilde Zeichen, gleich¬ ſam ein übermäßiges Leuchten und Blitzen die¬ ſes Geſtirns, einen Untergang und jüngſten Tag zu melden ſchien, den er zu ſeinem höch¬279 ſten Schmerz dem Aufgehen des neuen Sterns der Liebe, der dieſe Welt anzündete, zuzuſchrei¬ ben gezwungen war.

122. Zykel.

Er las folgenden Brief von Schoppe:

Dein Schreiben, mein lieber Jüngling, kam mir richtig zu. Ich preiſe Deine Thränen und Flammen, die einander wechſelnd unter¬ halten und nicht löſchen. Werde nur etwas, auch viel, nur nicht alles, damit Du es in ei¬ ner ſo äußerſt leeren Sache wie das Leben iſt ich möchte wiſſen wer's erfunden hat ausdauern kannſt vor Wüſtenei. Ein Homer, ein Alexander, die nun die ganze Welt erobert und unter ſich haben, müſſen ſich oft mit den verdrüßlichſten Stunden plagen, weil nun ihr Leben aus einer Braut eine Frau geworden. So ſehr ich mich dagegen verpalliſadirte und mich feſtmachte, um nicht über Jedermann zu ſteigen und als das Faktotum der Welt oben zu ſitzen: ſo kam ich doch am Ende unvermerkt und ſtehend in die Höhe, bloß weil unter mei¬ nem langen Beſehen der ganze Erdkreis voll280 Schaumberge und Nebel-Rieſen immer tiefer aufthauete und zuſammenkroch; und ſchaue nun allein und trocken von meinem Berghorn her¬ unter, ganz beſetzt mit den Blutigeln des Welt - Ekels.

Bruder, es wird aber in dieſem Jahre an¬ ders und ich flott. Deswegen wird Dir hier im Februar ein langer mir ganz verdrüßlicher Brief geſchrieben, der Dir über meine nahe Einſpinnung und Verpuppung ſagt, wo und wie; denn bin ich einmal eine glänzende Chry¬ ſolide, ſo kann ich mich nur ſchwach mehr re¬ gen und zeigen.

Ich will mich deutlicher erklären, ſetzen die Deutſchen hinzu, wenn ſie ſich deutlich erklärt haben. Es ſchickt und trifft ſich beſon¬ ders glücklich was ich ſchätze wie einer , daß gerade Ende des Jahrs Ende meines bis¬ herigen väterlichen Vermögens iſt und folglich, wenn Amſterdam aufhört zu zahlen, ich auch falle und nichts mehr in Händen habe als ſchwa¬ che chiromantiſche Wahrſagungen und nichts im Leibe habe außer dem Magen. Ich wollte, ich könnte noch von meinem Nabel leben wie281 in meinen frühern Zeiten und mich ſo weich betten.

Was ſoll ich dann machen? Mich von den Herren Menſchen Jahraus Jahrein beſchenken zu laſſen, dazu acht 'ich ſie nicht genug; und die wenigen, die man etwa bei Gelegenheit achtet, ſollen wieder mich zu hoch achten, es anzubieten. Was, ein Floh ſoll ich ſeyn am dünnſten goldnen Kettlein und ein Herr, der mich daran gelegt, damit ich ihm ſpringe, aber nicht davon, zieht mich öfters auf den Arm und ſagt: ſaug' nur zu, mein Thierchen! Teu¬ fel! Frei will ich bleiben auf einer ſo ver¬ ächtlichen Erde, keinen Lohn, keinen Befehl in dieſem großen Bedientenzimmer erhaltend: kerngeſund, um kein Mitleiden und keinen Hausarzt zu erwecken ja wollte man mir das Herz der Gräfinn Romeiro unter der Be¬ dingung zuſchlagen, es zu erknieen, ſo würd 'ich das Herz zwar annehmen und es küſſen, aber gleich darauf aufſtehen und davonlaufen (entweder in die zweite oder in die neue Welt) ehe ſie Zeit hätte, ſich die Sache zu rekapitu¬ liren und mir vorzurücken.

282

Werden freilich etwas und dadurch eben ſo viel verdienen , das könnt 'ich (ſchlägt man mir vor) dach verſuchen, ohne ſonderliche Einbuße von Freiheit und Ungleichheit. In der That ſeh' ich hier aus meinem Zentrum an 360 Weg-Radien laufen und weiß kaum zu wäh¬ len, ſo daß man lieber das Zentrum zum Um¬ kreis auszuplätten oder dieſen zu jenem einzu¬ ziehen verſuchen möchte, um nur fortzuſtehen. Dienen, wie die Regimentsſtäbe ſagen, wäre freilich das nächſte am Herrſchen. Du willſt ſelber, wie Du ſchreibſt, ins Feld. (Deinen Brief hab 'ich richtig erhalten und darin Deine Scheu und Sucht recht und gut gefunden und Dich ganz.) Und in Wahrheit, errichtete der Erzengel Michael eine heilige Legion, eine legio fulminatrix von einigen ſchwachen Septuagin¬ ta's gegen das gemeine Weſen der Welt, kündigte er den Rieſenkrieg dem Pöbelsaufge¬ bote an, um vier oder fünf Welttheile durch ein ſechstes Welttheilchen (auf einer Inſel hätt' es vielen Platz) aus der Welt zu treiben oder in die Kerker und um alle geiſtige Knechte zu leiblichen zu machen: ſey verſichert, in dieſem283 glücklichen Fall ſtellte ich mich am erſten hinter die Spitze und führte die Kanonen mit der kur¬ zen flüchtigen Bemerkung, wie Händel zuerſt Kanonen in die Muſik, ſo brächte man hier umgewandt zuerſt Muſik in die Kanonen. Kä¬ men wir nun ſämmtlich zurück, wehte der hei¬ lige Landſturm wieder herwärts: ſo ſtände Got¬ tes Thron auf der Erde und heilige Männer giengen mit hohen Feuern in Händen hinauf, viel weniger um droben den Weltkörper zu re¬ gieren als dem Weltgeiſte zu opfern.

Mit der Franzmannſchaft demnach ſtehſt Du für Deine Perſon, wie Du ſchreibſt, künftig für Einen Mann. Freilich hält mir's ſchwer, ſon¬ derlich von 25 Millionen zu denken, wovon zwar die Kubikwurzel frei lief und wuchs, aber Stamm und Gezweig doch Jahrhunderte lang am Sklaven-Gitter trocknete und dorrte. Wer nicht vor der Revoluzion ein ſtiller Revoluzionär war wie etwan Chamfort, mit deſſen feuerfeſten Bruſt ich einmal in Paris an meiner ſchönes Feuer ſchlug, oder wie Montesquieu und J. J. Rouſſeau der ſpreize ſich mit ſeiner Tropfen¬ haftigkeit nicht breit unter ſeine Hausthür aus. 284Freiheit wird wie alles Göttliche nicht gelernt und erworben, ſondern angebohren. Freilich ſitzen im Frank - und Deutſchreich überall junge Autoren und Muſenſöhne, die ſich über ihren ſchnellen Selbſt-Gehalt verwundern und erklä¬ ren, nur verflucht erſtaunt, daß ſie nicht früher ihr Freiheitsgefühl gefühlt, weiche Schelme, die ſich als ganze blaſende Wallfiſche anſehen, weil ſie einiges Fiſchbein davon um die Rippen zu ſchnüren fanden Immer würd 'ich in einem Kriege, wie ihn die todte Zeit geben kann, glauben, zwar gegen Thoren zu kämpfen, aber auch für Thoren.

Die jetzigen, zyniſchen, naiven, freien Na¬ turmenſchen Franzen und Deutſche glei¬ chen faſt den nackten Honorazioren, die ich in der Pleiſſe, Spree und Saale ſich baden ſah; ſie waren, wie geſagt, ſehr nackt, weiß und natürlich und Wilde, aber der ſchwarze Haar¬ zopf der Kultur lag doch auffallend auf den weiſſen Rücken. Einige große lange Menſchen und Väter der Zeit, wie Rouſſeau, Diderot, Sidney, Ferguſon, Plato, haben ihre abge¬ tragnen Hoſen abgelegt und dieſe tragen ihre285 Jungen nach und nennen ſich, weil ſie ihnen ſo weit, lang und offen ſitzen, deswegen Ohne - Hoſen.

Zwar ſtatt des Degens, könnte ich auch ſehr gut das Federmeſſer ergreifen und als ſchrei¬ bender Zäſar aufſtehen, um die Welt zu bes¬ ſern und ihr und ſie zu nutzen. Es wird mir denkwürdig bleiben, das Geſpräch, das ich dar¬ über mit einem berliniſchen allgemeinen deut¬ ſchen Bibliothekar aushielt, als wir ſtill im Thiergarten auf - und abgiengen. Jeder wu¬ chere doch ſeinem Vaterland mit ſeinen Kennt¬ niſſen, die ſonſt vergraben liegen, ſagte der deutſche Bibliothekar. Zu einem Vater¬ land gehört zuvörderſt einiges Land, ſagt 'ich, der maltheſer Bibliothekar aber, der hier ſpricht, erblickte das Licht der Welt zur See unter einem pechfinſtern Sturm. Kenntniſſe be¬ ſitz' ich freilich genug und weiß, daß man ſie wie ein Glas voll Kuhpocken, vernünftig ge¬ nommen, nur dazu hat, um ſie einzuimpfen der Schüler ſeiner Seits ſchlingt ſie wieder nur ein, um ſie von ſich zu geben und ſo giebt ſich das Weitere. So fährt das Licht, wie im Spiel286 ſtirbt der Fuchs, ſo gilt's den Balg der glimmende Spahn, von Hand zu Hand, bis aber doch der Spahn in einer meiner verlöſcht und verbleibt.

Launig genug! (ſagte der allgemeine Bibliothekar.) Mit einer ſolchen Laune ver¬ binden Sie nur noch Studium ſchlechter Men¬ ſchen und guter Muſter, ſo bilden Sie uns ei¬ nen zweiten Rabener, der die Narren geis¬ ſelt. Herr, (verſetzt 'ich ergrimmt,) ich würde die Weiſen vorziehen und Euch den erſten Schlag verſetzen. Weiſe laſſen ſich be¬ richten und waſchen, haben überall ihr Einſe¬ hen und ſind gute Narren und meine Leute; ein Mann wie ein allgemeiner deutſcher Kur¬ ſchmidt, der dem Muſenpferd an den Puls greift, halte mir ſeinen vor und ich befühl' ihn gern. Aber der Welt-Rest, Sir? Wer kann das Weltmeer abſchäumen, wenn er ihm nicht die Ufer wegbricht? Iſt's nicht ein Jammer und Schade, daß alle genialiſche Menſchen, von Plato bis zu Herder, laut und gedruckt worden und häufig geleſen und ſtudirt vom gelehrten Pack und Packhof, ohne daß dieſer287 ſich im Geringſten ändern können? Bibliothe¬ kar, ruft und pfeift doch alles, was in den kri¬ tiſchen Hundshütten neben jenen Tempeln Wa¬ che liegt, heraus und fragt ſämmtliche Wind¬ ſpiele, Doggen und Packer, ob in ihren See¬ len ſich etwas anders bewege als ein poten¬ ziirter Magen, ſtatt eines poetiſchen und hei¬ ligen Herzens? Im Bergkeſſel ſehen ſie den Wurſt - und Braukeſſel, im Laub die Schelle der Karte und der Donner hat für ſie als ein größerer elektriſcher Funke einen ſehr ſäuerlichen Geſchmack, den er nachher dem März - Biere einflößet.

Spielen Sie an? fragt 'er. Sicher! (ſagt' ich.) Aber weiter, Bibliothekar, ge¬ ſetzt wir beide wären ſo glücklich, uns auf dem Abſatze herumzudrehen und mit Einem Um¬ herhauchen alle Thoren wie mit einem Hütten¬ rauche ganz verpeſtet umzuwehen und maus¬ todt hinzuwerfen: ſo kann ich doch nicht abſe¬ hen, wo der Seegen herauskommen will, weil ich außerdem daß wir noch ſelber neben einan¬ der ſtehen und auch uns anzuhauchen haben,288 in allen Ecken umher Weiber ſitzen ſehn, welche die erlegte Welt von neuem hecken.

Beſter Püſterich*)Oder Püſter, die bekannte altdeutſche Götzen¬ ſtatue voll Löcher, Flammen und Waſſer. voll Feuer, (fuhr ich fort,) kann aber das ſehr zum ſatiriſchen Hand¬ werke rufen und prägen? O nein! Ächte Laune iſt bei mir da, vielleicht fremde Tollheit gleichfalls, vielleicht aber ach wird nicht der ſeltſame Scherzmacher, ſogar in ihrer ungemei¬ nen Bibliothek, dem Stachelſchweinmanne in London (dem Sohne) gleichen, der bei dem Thierhändler Brook den Dienſt hatte, den Frem¬ den im wilden Viehſtand und ausländiſchen Thiergarten herumzuführen und der auf der Schwelle dabei anfieng, daß er ſich ſelber zeig¬ te als Menſch betrachtet: Bedenken Sie es kalt und vorher! Noch ſchwing 'ich meinen Satyr-Schweif ungebunden und luſtig und etwan gegen eine gelegentliche Bremſe; wird mir aber ein Buch daran gebunden wie in Pohlen an den Kuh-Schwanz eine Wiege, ſorüt¬289rüttelt das Thier die Wiege der Leſer und giebt Luſt, der Schwanz aber wird ein Knecht.

Zu ſolchen Bildern (ſagte der Bibliothe¬ kar) wäre allerdings die gebildete Welt durch keinen Rabener oder Voltaire gewöhnt und ich erkenne nun ſelber die Satyre nicht für Ihr Fach. O ſo wahr! verſetzt 'ich und wir ſchieden gütlich.

Aber ernſthaft genommen, Bruder, was hat nun ein Menſch übrig (ſowohl an Aus¬ ſichten als an Wünſchen), dem das Säkulum ſo verſalzen iſt, wie mir und das Leben durch die Lebendigen den die allgemeine matte Heuchelei und die glänzende Politur des giftig¬ ſten Holzes verdrieſſet und die entſetzliche Gemeinheit des deutſchen Lebenstheaters und die noch größere des deutſchen Theater-Lebens und die pontiniſchen Sümpfe Kotzebuiſcher ehr - und zuchtloſer Weichlichkeit, die kein hei¬ liger Vater austrocknen und feſt machen kann und der ermordete Stolz neben der lebendi¬ gen Eitelkeit umher, ſo daß ich mich, um nur Luft zu ſchöpfen, ſtundenlang zu den Spielen der Kinder und des Viehs hinſtellen kann, weilTitan IV. T290ich doch dabei verſichert bin, daß beide nicht mit mir kokettiren ſondern nichts im Sinne und liebhaben als ihr Werk was hat, fragt 'ich auf der letzten Zeile des vorigen Blattes, einer nun übrig, den wie geſagt ſo vielerlei anſtinkt und vorzüglich noch der Punkt, daß Beſſerung ſchwer iſt, aber Verſchlimmerung ganz und gar nicht, weil ſogar die Beſten den Schlimm¬ ſten etwas weißmachen und dadurch ſich auch und weil ſie bei ihrer verborgnen Verwünſchung und Sänften - und Achſelträgerei der Gegen¬ wart wenigſtens um Geld und Ehre tanzen und ſich dafür gern vom feſtern Pöbel brauchen las¬ ſen, als Weinfäſſer zu Fleiſchfäſſern was hat ein Mann, ſag' ich, Freund, in Zeiten, wo man wie jetzt im Druck, aus Schwarz zwar nicht Weiß macht, aber doch Grau und wo man, wie Katecheten ſollen, gerade die Fragen auf Nein und Ja vermeidet, noch übrig aus¬ ſer ſeinem Haſſe der Tyrannen und Sklaven zugleich und außer dem Zorne über die Mi߬ handlung ſowohl als über die Gemißhandel¬ ten? Und wozu ſoll ſich ein Mann, dem der Panzer des Lebens an ſolchen Stellen dünn291 gearbeitet oder dünn gerieben iſt, ernſthaft ent¬ ſchließen?

Ich meines Orts, falls von mir die Rede iſt, entſchloß mich im halben Scherze zu einer dünnen hellen Anfrage für den Reichsanzeiger, die Du vielleicht ſchon in Rom geleſen, ohne mich eben zu errathen.

Allerhand

Wohl zuverläſſig ſteht geſunder Ver¬ ſtand u〈…〉〈…〉[d](mens sana c. s.) unter den zu würdigenden Gütern des Lebens zunächſt nach einem reinen Gewiſſen oben an. Ein Satz, den ich bei den Leſern dieſes Blattes vorauszuſetzen wage. Was ſonſt hier¬ über noch geſagt werden kann (ſowohl von als gegen Kantner,) [ſo ſchreibt Campe ſtatt Kantianer viel richtiger,] gehört gewiß nicht hieher in ein ganz populäres Volksblatt. Unterzeichneter dieſes iſt nun in dem betrüb¬ ten Falle, daß er hier genöthigt die Ärzte Aus - und Deutſchlands befrägt. Mitleiden mit Leiden gebe, ſchicke die Antworten ein , wenn er (gerade heraus vor Deutſchland!!) ganz tollT 2292werden werde, indem der Anfang davon ſchon einen genommen.

Das Wenn aber nicht das Ob liegt edeln Menſchenfreunden zu beantworten ob. Hier meine Gründe, Deutſche! Abgeſehen, daß man¬ cher ſchon aus der Anfrage folgern könnte was doch wenig entſcheidet ſo ſind folgende Stücke bedenklich und gewiß: 1) des Verfas¬ ſers bunter Styl ſelber, der weniger aus die¬ ſem Inſerat (in den überlegteſten Intervallen gemacht) als aus der ähnlichen S[c][h][r]eibart ei¬ nes ſehr beliebten und geſchmackloſen Schrift¬ ſtellers zu erkennen iſt, wie denn ein buntes Übermaaß ganz wildfremder Bilder ſo gut am Kopfe wie buntes Farbenſpiel am Glaſe, nahe Auflöſung bedeuten 2) die Weiſſagung ei¬ nes Spitzbuben*)Des Kahlkopfs, der ihm nach 14 Monaten Wahnſinn prophezeiete., an die er immerfort denkt, was ſchlimme Folgen haben muß 3) ſeine Liebe und ſein Treiben Swift's, deſſen Tollheit Gelehrten nicht fremd iſt 4) ſeine gänzliche Vergeßlichkeit 5) ſeine häufige ſchlimme Ver¬293 wirrung geträumter Sachen mit erlebten und vice versa 6) ſein Unglück, daß er nicht weiß was er ſchreibt bis er's nachgeleſen, weil er gegen ſeinen Zweck bald etwas ausläſſet oder bald etwas hinſetzt, wie das durchſtrichne Manuſkript leider am beſten bezeugt 7) ſein ganzes bisheriges Leben, Denken und Spaßen, was hier zu weitläuftig wäre und 8) ſeine ſo unvernünftigen Träume. Nun iſt die Frage, wenn in ſolchen Verhältniſſen (ſchlagen nehm¬ lich keine Fieber, keine Liebſchaften dazu) voll¬ ſtändige Verrückung (Idea fixa, mania, rap¬ tus) eintritt. Bei Swift fiel's ſehr ſpät, im Alter, wo er ohnehin ſchon an und für ſich halb närriſch ſeyn mochte und nachher alles nur mehr zeigte. Wenn man betrachtet, daß ein¬ mal der Profeſſor Büſch ausrechnete, daß ſeine Augen-Schwäche ſehr gut ohne ſeinen Schaden von Jahr zu Jahr wachſen könnte, weil die Periode ſeiner gänzlichen Erblindung über ſein ganzes langes Leben hinausfiele blos auf ſein Grab, ſo ſollt 'ich annehmen, daß meine Schwä¬ che ſo ſtufenweiſe aufſchwellen könnte, daß ich keine petites maisons brauchte als den Sarg ſel¬294 ber; ſo daß ich vorher dabei heirathen und amthiren möchte wie jeder andere rechtſchaf¬ fene Mann.

Was ich hiermit bezwecke, iſt bloß, mich hierüber mit irgend einem Menſchenfreunde (er ſey aber philoſophiſcher Arzt!!) in Korreſpon¬ denz zu ſetzen. Meine Adreſſe hat die Expedi¬ zion des R. Anzeigers. Näher bekannt mach 'ich mich vielleicht körperlich und bürgerlich in eben dieſem Blatte auf dem Blatte, wo ich eine Gattinn ſuche. Peſtiz, den Februar.

S s L d, L r, G l, S e.

Albano, Du weißt, unter welchem Gebüſch mein Ernſt liegt. Der Reichs - und Schoppens - Anzeiger hat acht Gründe für die Sache, die nicht nur mein Ernſt ſind, ſondern auch mein Spaß. Seit der Kahlkopf mir nach einem Jahre den Aufgang meines tollen Hundsſterns anſagte, ſah ich immer die Aurora dieſes Fix - Geſtirns vor mir und ſah mich daran zuletzt blind und feige; ich muß es herausſagen. O ich hatte im Januar, Bruder, acht furchtbare Träume hintereinander nach der Zahl der Gründe im Anzeiger und ſelber unter den ach¬295 ten Grund gehörig Träume, worin ein wil¬ der Jäger des Gehirns durch den Geiſt jagte und ein reiſſender Strom voll Welten, voll Ge¬ ſichter und Berge und Hände wallete ich will Dich nicht damit ängſtigen Dante und ſein Kopf ſind Himmel dagegen.

Da würd 'ich verdrüßlich über die Feigheit und ſagte zu mir: Haſt bisher ſo lange ge¬ lebt und die reichſten Ladungen leicht ins Was¬ ſer geworfen, ſogar dieſe und die zweite Welt, und dich von allem, und von Ruhm und von Büchern und Herzen ſo rein entkleidet und haſt nichts behalten als dich ſelber, um damit frei und nackt und kalt auf der Kugel zu ſtehen vor der Sonne: auf einmal krümmſt du dich unverſehends vor dem bloßen tollen fixen Ge¬ danken an eine tolle fixe Idee, die dir jeder Fieber-Pulsſchlag, jeder Fauſt-Schlag, jedes Giftkorn in den Kopf graben kann und ver¬ ſchenkſt auf einmal deine alte göttliche Freiheit Schoppe, ich weiß gar nicht, was ich von dir halten ſoll; wer irgend etwas noch fürchtet im Univerſum, und wär' es die Hölle, der iſt noch ein Sklave.

296

Da ermannte ſich der Mann und ſagte, ich will das haben was ich fürchtete; und Schop¬ pe trat näher an den breiten hohen Nebel und ſiehe! es war (man hätte ſich gern auf der Stelle hineingebettet,) nur der längſte Traum vor dem längſten Schlaf, mehr nicht, was ſie Wahnſinn nennen. Geht man nun auf einige Zeit z. B. in ein Irrhaus zum Scherz: ſo kann man den Traum haben, läſſet es ſich ſonſt al¬ les ſo dazu an wie bei Manchem. Und dahinein will ich nun allgemach ſinken, in den Traum, wo an der Zukunft die Dolchſpitze abgebrochen iſt und an der Vergangenheit der Roſt abge¬ wiſcht wo der Menſch ohne Stöhrung in dem Schattenreich und dem Barataria-Eiland ſei¬ ner Ideen das regierende Haus allein iſt und der Johann ohne Land und er wie ein Philoſoph alles macht was er denkt wo er auch ſei¬ nen Körper aus den Wellen und Brandungen der Auſſenwelt zieht und Kälte, Hitze, Hunger, Nervenſchwäche und Schwindſucht und Waſſer¬ ſucht und Armuth ihn nicht mehr antaſten und den Geiſt keine Furcht, keine Sünde, kein Irr¬ thum im Irrhaus wo die 365 Träume jähr¬297 licher Nächte ſich in einen einzigen, die flüchti¬ gen Wolken in Ein großes Gluth-Abendroth zuſammengewebt

Da ſitzt etwas Böſes! Der Menſch muß im Stande ſeyn, ſich ſeinen Traum, ſeine gute fixe Idee denn ein hoher Ameishaufen der grimmigſten und der liebreizendſten wimmelt vor ihm mit Verſtand auszuklauben und zuzueignen, ſonſt kann er ſo ſchlimm fahren als wär 'er noch bei Verſtand. Ich muß nun beſonders meine Anſtalten treffen, daß ich ei¬ nen liebreichen favorablen Fix-Wahn finde und anerkenne, der gut mir mir umgeht. Kann ich's dahin bringen, etwan der erſte Menſch zu ſeyn im irrigen Hauſe oder der zweite Momus oder der dritte Schlegel oder die vierte Grazie oder der fünfte Kartenkö¬ nig oder die ſechste kluge Jungfrau oder die ſiebente weltliche Chur oder der achte Weiſe in Griechenland oder die neunte See¬ le in der Arche oder die zehnte Muſe oder der 41ſte Akademiker oder der 71ſte Dolmetſcher oder gar das Univerſum oder gar der Weltgeiſt ſelber: ſo iſt allerdings mein298 Glück gemacht und dem Lebens-Skorpion der ganze Stachel weggeſchlagen. Aber was ſteht nicht noch für goldnes edelſteinernes Glück of¬ fen? Kann ich nicht ein ſehr begünſtigter Lieb¬ haber ſeyn; der den Sonnenkörper einer Ge¬ liebten den ganzen Tag im Himmel ziehen ſieht und hinaufſchauet und ruft: ich ſehe nur Dein Sonnen-Auge, aber es genügt? Kann ich nicht ein Verſtorbner ſeyn, der voll Unglauben an die zweite Welt in ſolche gefahren iſt und nun da gar nicht weiß wo er hinaus ſoll vor Luſt? O kann ich nicht denn der kürzere Traum und das Alter verkindern ja ſchon wieder ein unſchuldiges Kind ſeyn, das ſpielt und nichts weiß, das die Menſchen für Eltern hält und das nun einen aus der bunten Blaſe des Le¬ bens zuſammengefallenen Thränentropfen vor ſich ſtehen hat und den Tropfen wieder mit der Pfeife geſchickt zum flimmernden Farben-Welt¬ kügelchen aufbläſet?

Es iſt eben Mitternacht; ich muß jetzt in die Kirche gehen, meine Veſper-Andacht zu halten.

299

Drei Wochen ſpäter.

Nota bene!

Gewiſſermaßen war ich ſeit Deiner Reiſe verdammt unglücklich bis dieſen Morgen gegen 1 Uhr; um 2 Uhr faßt 'ich meinen Ent¬ ſchluß, jetzt um 5 die Feder, um 6, wenn ich ausgetrunken und ausgeſchrieben, den Rei¬ ſeſtab, deſſen Stachel nach 2 Monaten in den Pyrenäen ſteht. O Himmel! mußte etwas Ge¬ ſtacheltes längſt neben mir ſtehen, was ich ſo lange für einen Heriſſon nahm, indeß es die beſte Spielwalze voll Stifte iſt, aus der ich nichts Geringeres (ich drehte ſie vor einigen Stunden) haben kann als das beſte Flötengedakt unverfälſchte Sphären - und Kreismuſik zu den Bravourarien der drei Männer im Feuer einen ganzen lebendigen Vaucanſons Flö¬ tenſpieler von Holz und unerhörte Sachen, womit die Maſchine nicht ſich einen Bruch bläſet, ſondern einigen Spitzbuben, wovon ich vorzüglich den Kahlkopf nenne?

O höre Jüngling! Es geht Dich an. Ich will Deinetwegen, was die Welt offenherzig nennt, jetzt ſeyn, nehmlich unverſchämt, denn300 wahrlich ich decke lieber meinen Steiß als mein Herz auf und bin weniger roth.

Es gab einmal in alten Zeiten eine junge Zeit, eine voll Feuer und Roſen, wo der alte Schoppe ſeines Orts auch jung genug war wo der alerte, anſchlägige Vogel leicht her¬ aushatte, wo der Haſe liegt und die Häſinn wo der Mann ſich noch mit den bekannten vier Welttheilen in Güte ſetzte, oder auch eben ſo leicht wie ein Stier, mit dem Horn nach jeder Fliege ſtieß wo er, jetzt ein Silberfa¬ ſan kühler Zeit, noch als ein warmer Goldfa¬ ſan im ganzen Welſchland auf - und abſchritt oder flog, und bald auf Buanorotti's Moos ſaß, bald auf dem Koliſeo, bald auf dem Ät¬ na, bald auf der Peterskuppel, und vor Luſt krähete, die Flügel ſchlug, und gen Himmel ſtieg.

Es war nehmlich dieſelbe Zeit, wo der noch ungerupfte Sturmvogel einmal in Tivoli ſich durch die Waſſerfälle hin - und herſchwang, koſtbar ſeelig war und da gelegentlich plötz¬ lich oben in Veſta's Tempel zum er¬ ſtenmale weiter nichts erblickte als die301 Prinzeſſinn di Lauria, nachher, muthmaß 'ich, von einem Vliesritter weggeholt als ſein güld¬ nes Vlies. Solche ſehen ſich aus einem Sturmvogel in einen Tauber an der Venus Wagen verwandeln von Geſpann und Zü¬ gel ſich abreißen vor jene Göttinn fliegen ſie in immer engern Kreiſen umziehen, das al¬ les war nicht eins, ſondern dreierlei. Ich mußte erſt zu einem Paradiesvogel wachſen und mich färben, um in ein Paradies zu fliegen; ich mußte nehmlich Mahlerei erlernen, um vor Sie zu dürfen.

Als ich endlich den Portrait-Pinſel und die Silhouetten-Scheere in der Gewalt hatte und an einem Morgen mit beiden vor der Prinzeſſinn und dem Fürſten erſchien, mußt 'ich ihn ſelber mahlen und ſchneiden; ſeine Tochter war ſchon vermählet und heimlich abgereiſet; denn Dein Großvater weiſſagt, (anſtatt wie andere ihr Treiben voraus,) ſeines nur hin¬ tennach und öffnet den Mund bloß zum Hören.

Ich ſchnitt ihn ſchnell aus, den Mann packte ein gieng in alle Welt nach bei¬302 nah drei Jahren ſtand ich auf der zehnten Terraſſe der Isola bella ganz unerwartet vor der Gräfinn Ceſara Himmel und Hölle! welch ein Weib war Deine Mutter! Sie warf jeden in beide auf einmal, ich weiß nicht ob Deinen Vater auch. Schreiber dieſes ſtand in ſeiner letzten ornithologiſchen Verwandlung vor ihr, als ſtiller Perlhahn (Thränen müſſen die Perlen ſeyn) und konterfeiete ſie ab, nach we¬ nigen Wochen.

Sie hatte zwei Kinder, Dich Deiner ſchon damals geſchärften Bildung entſinn 'ich mich klar und Deine Schweſter, die ſogenannte Severina. Dein Vater war nicht da, aber ſein Wachsbild, wornach ich ihn gleich achtzehn Jahre ſpäter in Rom wieder erkannte. Auch Deine Schweſter war noch wächſern wiederholt, nur Du nicht. Eine Dir von weitem ähnliche Wachsfigur, die Dich als einen Mann vorgau¬ kelte, ſtellte der Bruder Deines Vaters, der mit da war, Dir immer als einen Flügelmann Deiner Zukunft vor, ſagte, Du ſeyeſt hier im voraus kubirt und ſchon ins Große getrieben, von der Flaſche auf das Faß gefüllt, um Dich303 anzufeuern, damit Du erwüchſeſt. Man mußte Dir eine ähnliche Uniform, wie der Wachsmann trug, anziehen ich weiß nicht welche Du forderteſt dann keck, um Deinen eignen Mi¬ kromegas ſchreitend, ihn heraus, aus der Zu¬ kunft in die Gegenwart. Jetzt weißt Du was Du geworden und magſt wohl wieder und mit mehr Recht ſo ſtolz auf den Kleinen herabſehen wie der Kleine ſonſt zu dem Großen hinauf. Ich wollte nie Deinem Oheim dieſe Maſchine der geiſtigen Streckbarkeit gutheißen; dabei hab' ich vor allen Wachs-Marionetten einen ſo haſſenden Schauder!

Mein einziger Zweck auf der ſchönen Inſel war die Abreiſe von ihr und von der ſchönen Inſulanerinn, ſobald ich dieſe abgemahlt hätte. Dummes Jahrhundert, ſagt 'ich, will ich denn mehr von Dir? Sie ſaß mir gern wie auf einem Thron ich riß, halb im Gewitter halb im Regenbogen wohnhaft, ſie ab und mußt' ihr natürlich das Bild laſſen unkopirt. Aber, Jüngling, einige Buchſtaben, die meinen damaligen Namen formirten und die ich aufs Bild an der Stelle des Herzens unter die Was¬304 ſer-Farben ſchrieb und verſteckte, können für Dich ein Tetragrammaton, elf Sonntagsbuch¬ ſtaben und Leſemütter (matres lectionis) Dei¬ nes Daſeyns werden, falls ich glücklich nach Spanien komme und in Valencia am Bildniß die Färberei von meinen Buchſtaben wegwi¬ ſchen und nun in deſſen Herzen leſen kann: Löwenſkiold. So däniſch hieß ich damals.

Dann iſt die Gräfinn Linda de Romeiro ohne Gnade Deine Schweſter Severina. Gott ſchenke nur, daß Du ſie nicht vor dieſem Brief etwan geſehen haſt und geheirathet; ſie ſoll, wie ich geſtern hörte, nach Italien abgerei¬ ſet ſeyn.

Denn als ich die Gräfinn Linda hier zum erſtenmale ſah, war mir auf dem Peſtizer Markt-Viereck als ſtänd 'ich oben auf der Terraſſe der Isola bella, und ſchauete die Al¬ pen. Deine Mutter, meine Jugend kaum drei Schritte vor mir! Bei Gott, wie als wäre aus der tiefen Ferne im Pfeilerſpiegel der Zeit auf einmal das weiße Roſenbild Deiner ver¬ hüllten Mutter heraufgeriſſen worden dicht ans Glas heran und hienge davor nun rothblühend,ſo305ſo ſtand Linda vor mir! Denn die göttliche Ähn¬ lichkeit beider iſt ſo groß! Gar kein Arianiſches Homoiouſon, ſondern ein ganzes orthodoxes Homouſion iſt hier zu glauben, würd 'ich Dir gerne ſchreiben, hätteſt Du ſonſt die nö¬ thige Kirchengeſchichte dazu auf dem Lager.

Ich mahlte auch Linda in dieſem Winter. Was ſie mir vom Karakter ihrer Mutter er¬ zählte, war ganz daſſelbe, was ich ihr hätte vom Karakter der Prinzeſſinn di Lauria berich¬ ten können

Linda's Vater oder Herr von Romeiro wollte nie erſcheinen und doch iſt er noch nicht verſchwunden wie ich höre

Linda's Mutter hieß ſich eine Römerinn und eine Verwandte des Fürſten di Lauria

In Spanien, wo ich zweimal war und fragte, wollte nirgends der Nahme einer Ce¬ ſara wohnen

Trillionen Spinnenfäden der Wahrſcheinlich¬ keit ſpinnen ſich zum Ariadnens-Strick im Labyrinth

Eine neue unbekannte Schweſter wird DirTitan IV. U306im gothiſchen Hauſe mit Schleiern und in Spie¬ geln vorgeführt

Und zwar wird vom redlichen Kahlkopf, dem faſt mehr zum Chriſtuskopf fehlt als die Locken, und den ich im Herbſte einen Hund geheißen Dirs vorgeſpiegelt aus wirklichen Spiegeln

Gedachter Anubis - oder Kahl-Kopf ſtand nun (der Himmel und der Teufel wiſſen am beſten warum, aber ich glaub 'es,) als Vater des Todes auf Isola bella, lag als Handwerks¬ purſch am Fürſtengrabe und in jedem Hinter¬ halt, um Dir Deine Schweſter zur Frau zu ge¬ ben falls ichs litte; aber ſobald ich jetzt zugeſiegelt, brech' ich nach Spanien auf, und in Linda's Bilderkabinet ein, ſuche nach einem gewiſſen Bilde ihrer Mutter, deſſen Stelle und Zimmer ich mir deutlich angeben laſſen und iſt es das Bild von mir: ſo iſt alles richtig und der Donner kann in alles ſchlagen

Der Kahlkopf iſt ſchon ein Fünfviertelsbe¬ weis er gehört unter die wenigen Menſchen, die ſchon, kaum Spinnen-dick, in ihrer Mut¬ terleib aus Bosheit pißten

307

Vielleicht treff 'ich Deinen Oheim, der mich hier, wie er ſagte, wieder erkannte und der wirklich nach Valencia abgereiſet iſt*)Der Oheim hatte wieder gelogen, denn er war, wie man aus dieſem Bande weiß, vorher nach Rom gegangen, wo er dem Ritter und der Für¬ ſtinn die Peſtizer Briefe übergeben.

O Himmel, wenn mir's gelänge (aber war¬ um nicht, da meine Zunge von Eiſen bleibt und dieſes Blatt in Eiſen kommt, beim redli¬ chen Wehrfritz, deſſen Herz ein alter Deut¬ ſcher iſt, und mit Recht ſtellt in der Jungfer Europa Deutſchland das Herz vor?), ich ſchreibe, wenn mir's gelänge, daß ich anbrennte an einem verfluchten Geheimniß eine Strohthür, riſſe alles auf, ein und weg, blinde Thore und Opferthore und ein ſtarkes Licht fiele herein auf die tapfere Linda und den tapfern Jüng¬ ling, anleuchtend den nahen Kahlkopf (viel¬ leicht noch jemand), der eben in der Dunkel¬ heit mit zwei langen blanken Okulir - und Schlachtmeſſern in die Geſchwiſter ſchief herun¬ terſtechen will

U 2308

Wenn mir das einmal gelänge, nehmlich im Erntemonat denn da käm 'ich in Peſtiz wieder an und hätte das Bildniß in der Ta¬ ſche und ich hätte mich und zwei Unſchuldi¬ ge tapfer gerächt an Schuldigen: dann würd' ich mir's für ſehr erlaubt halten, an meinen Kopf zu greifen und zu ſagen: à bas, gare, Kopf weg! Wozu gewiß, da ja von keiner dummen Abtreibung des Leibes durch ein Wer¬ ther-Pulver die Rede iſt, ſondern nur vom Vorſatze, das was Sachverſtändige meinen Verſtand nennen, gelegentlich zu verlieren meine Freunde ſtimmen müßten, weil ſie mich noch hätten (der Körper wird dabei anbehal¬ ten) obwohl als das Nachtſtück eines Men¬ ſchen, weil ich dann einen vernünftigen Dis¬ kurs ſo gut über alles (nur den Fix-Wahn greife keiner an) führen wollte als einer und dabei einen geſitteten guten Spaß (wahrlich die wahre Würze) einzuſtreuen gewiß nicht vergäße und weil der Staat mich Tag und Nacht gerüſtet und geſattelt finden ſollte, ihm nach dem Beiſpiele der Berliner Irrhäusler, die einmal beim Feuer im Haus am beſten309 löſchten und retteten, zu dienen und zu Hülfe und zu Paſſe zu kommen, wenn die dunkeln Intervalle ſeiner andern Staatsdiener nicht an¬ ders auszufüllen wären als mit unſern hellen.

Lebe wohl! Ich brech 'auf. Die Welt lacht mich heiter an. In Spanien find' ich ein Stück Jugend wieder wie in dieſem Schreiben.

Schoppe.

Apropos! Stieß Dir der Kahlkopf nirgends auf? Ich kann Dir nicht ſagen, wie ich täg¬ lich jetzt arbeite, um mir vor dem Wunſche, ihn künftig in der Tollheit niederzuſtoßen, wahren Abſcheu und Greuel im Voraus einzuprägen und eigen zu machen, damit nachher die etwa¬ nige That mir nicht als eine Spätfrucht des vorigen vernünftigen moraliſchen Zuſtandes könne herüber zugerechnet werden in den andern.

Vernichte dieſen Brief!

Als Albano die feurigen Augen von dem Briefe aufhob, ſtand er vor Lilar unter einem hochgewölbten Triumphbogen und die Sonne gieng in Pracht hinter dem Elyſium unter. 310 Kennſt Du mich nicht? fragte leiſe neben ihm Linda in Reiſekleidern weinend in heller Liebe und Wonne und Julienne drängte ſich, beiden Vorſicht zuwinkend, aus dem Ein¬ gangsgebüſch des Flötenthals hervor und rief zum liſtigen Scheine: Linda, Linda, hörſt Du denn die Flöten nicht? Und Albano hatte den ſchweren Brief vergeſſen.

123. Zykel.

Wie ein ſchnell mit hundert Flügeln aufrau¬ ſchendes Konzert, ſo ſchlug die ſchnelle Gegen¬ wart alter Liebe und Freude über den verlas¬ ſenen, um den Freund bekümmerten Jüngling in ſchönen Fluchen zuſammen; und von der Entzückung getroffen, ſah er Linda wieder wie auf Iſchia; aber dieſe ſah ihn wieder wie in einem andern Elyſium, ſie war weicher, zärter, heißer, eingedenk ſeiner Vergangenheit in die¬ ſem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer eignen Reiſe, Geſchichte erzählen oder hören. Albano bedeckte ſein Geheimniß von Schoppe mit mächtiger aber zitternder Bruſt; nur ſeinem Vater brannt 'er ſie aufzuthun. Unaufhörlich311 hielt er ſich die Unmöglichkeit einer Verwandt¬ ſchaft vor und die Leichtigkeit, daß Schop¬ pe die angebliche Schweſter mit der wahren, mit Juliennen, verwechſ'le; noch dieſen Abend wollt' er den Vater fragen.

Er gab ihr das Ja deſſelben zu ihrem Bun¬ de mit großer Freude, aber nicht mit der grö߬ ten, weil Schoppe's Brief nachtönte. Julienne nahm es wahr, daß nur eine Kaskatella ſtatt der Kaskade heute aus ihm komme und ſucht 'ihn luſtig-liſtig auszuholen, indem ſie ihn leicht durch das ganze wichtige Perſonale ſeiner und ihrer Bekanntſchaft durchantworten ließ. Sie hatte einige Neigung, am Theatervorhang zu weben und zu mahlen oder auch ein Soufleur¬ loch in ihn zu ſtechen. Sie fieng die Fragen von Idoine an, welche kurz nach ſeiner An¬ kunft ihren Rückweg aus der Stadt genommen und hörte mit ihnen bei Schoppen auf, nach deſſen Reiſe-Ziele ſie forſchte ; aber Albano hatte jene nicht geſehen, dieſer, ſagt' er, hab 'es ihm allein vertraut. Eine ſchöne, unbiegſame Marmorader der Feſtigkeit lief durch ſein Weſen. Linda's ſchwarzes Auge war ein312 offnes treues deutſches und ſah ihn nur an, um ihn zu lieben.

Aus dem Flötenthal kam der Reſt der Ge¬ ſellſchaft, der Lektor u. a. ; Julienne nöthigte die Liebenden zur Scheidung, und ſagte: hier iſt kein Iſchia; ohne mich könnt ihr euch hier im Schloß gar nicht ſehen; ich werde Dirs durch Deinen Vater allzeit ſagen laſſen, wenn ich da bin.

Als er allein ſtand in Lilar, mit dem ſchwe¬ ren Gedanken an Schoppe und Linda, und er die anmuthigen Gegenden und Stellen ſchöner Stunden überſah: ſo kam ihm auf einmal vor als verziehe ſich in der Dämmerung das Ely¬ ſium wie ein reizendes Geſicht zu einem Hohn über ihn und über das Leben kleine bos¬ hafte Feen ſitzen an den kleinen Kinder-Tiſch¬ chen als wären ſie ſanfte Kinder und ſähen ſehr gern Menſchen und Menſchenluſt ſie fahren auf als wilde Jägerinnen und rennen durch die Blüthen tauſend Hände wenden den Garten mit Blüthenbäumen um und richten ſein ſchwar¬ zes finſteres Wurzeln-Dickigt wie Gipfel im Himmel auf aus den Zweigen blicken Gor¬313 gonenhäupter und oben im Donnerhäuschen weint und lacht es unaufhörlich nichts iſt ſchön und ſanft als der tapfere große Tar¬ tarus.

Indeß gieng Albano, da es der kürzere Weg zu ſeinem Vater war, hart und zornig durch den Garten, über die Schwanenbrücke, vor dem Traum-Tempel, vor Charitons Häus¬ chen, vor den Roſenlauben vorbei und über die Wald-Brücke; und kam bald im Fürſten¬ ſchloſſe bei ſeinem Vater an, der eben vom kranken Luigi zurückgekommen. Mit ironiſcher Mine erzählte ihm dieſer, wie der Pazient von neuem ſchwelle, bloß weil er fürchte der todte Vater, der ihn zum zweitenmal als Zeichen des Todes zu erſcheinen verſprochen, gebe das Zeichen und hole ihn darauf. Nun erzählte Albano, ohne allen Eingang und ohne Erwäh¬ nung von Schoppen und von deſſen Verhält¬ niſſen, die Hypotheſe der ſeltſamſten Verwandt¬ ſchaft, ohne etwa ausforſchende lange Fragen oder auch nur die kurze ſchnelle: iſt Linda meine Schweſter? zu thun aus Achtung für den Vater. Dieſer hörte ihn ruhig aus: je¬314 der Menſch (ſagt 'er erzürnt) hat eine Regen - Ecke ſeines Lebens, aus der ihm das ſchlimme Wetter nachzieht; die meinige iſt die Geheim¬ nißträgerei. Von wem haſt Du die neueſte? Darüber muß ich ſchweigen aus Pflicht, verſetzt' er. In dieſem Falle (ſagte Gaſpard) hätteſt Du beſſer ganz geſchwiegen; wer den kleinſten Theil eines Geheimniſſes hingiebt, hat den andern nicht mehr in der Gewalt. Wie viel glaubſt Du, daß ich von der Sache weiß? Ach was kann ich glauben? ſagte Albano. Dachteſt Du an meine Erlaub¬ niß Deiner Verbindung mit der Gräfinn? ſagte zorniger Gaſpard. Sollt 'ich denn ſchwei¬ gen, und entwickelte ſich nicht am Ende aus allen Geheimniſſen die Schweſter Julienne? Hier ſah ihn Gaſpard ſcharf an und fragte: kannſt Du auf das ernſte Wort eines Man¬ nes vertrauen, ohne zu wanken, zu irren, wie auch der Schein dagegen rede? Ich kann's, ſagte Albano. Die Gräfinn iſt Deine Schwe¬ ſter nicht; vertraue mir! ſagte Gaſpard. Vater ich thu' es! (ſagte Albano ganz freu¬ dig) und nun kein Wort weiter darüber. 315Aber der ruhigere Alte fuhr fort und ſagte, dieſer neue Irrthum veranlaſſe ihn, jetzt ernſt¬ lich bei Linda auf ein Ja zur ſchnellen Verbin¬ dung zu dringen, weil der Vater derſelben, vielleicht der geheime bisherige Wunderthäter, ſeine Erſcheinung durchaus an einen Hochzeit¬ tag gebunden. Noch einmal ließ er den Sohn ſeinen Wunſch nach dem Wege merken, auf welchem er zu jener Hypotheſe gekommen; aber umſonſt, die heilige Freundſchaft konnte nicht entheiligt oder verlaſſen werden, und ſeine Bruſt ſchloß wie der dunkle Fels um den hellen Kryſtall, ſich mächtig um ſein offnes Herz.

So ſchied er warm und glücklich vom ſchwei¬ genden Vater. In der harten Stunde des Briefs hatt 'er nur eine künſtliche Felſenpartie des Lebens überſtiegen, und die bunten Gärten lagen wieder da bis an den Horizont; doch der vergebliche mühvolle Irrthum ſeines Schop¬ pe und deſſen von Haſſen und Lieben verheer¬ ter Geiſt, der ſich ſogar im Ton des Briefes niederzubeugen ſchien, und die Zukunft eines Wahnſinns giengen wie ein fernes Leichenge¬316 läute in ſeiner ſchönen Gegend klagend und das glückliche Herz wurde voll und ſtill.

124. Zykel.

Bald darauf ließ die gütige Schweſter Al¬ bano's an der Spieluhr ſeines Glücks, deren Wächterin ſie war, wieder eine heſperiſche Stun¬ de ſchlagen und ſpielen, wo das ganze Leben hinauf und hinab mittönte und ſich aushellte und wo nun wie in der Schweiz, wenn eine Wolke ſich öffnet, auf einmal Höhen, Eisber¬ ge, Berghörner aus dem Himmel blicken. Er ſah ſeine Linda wieder, aber in neuem Licht, glühend, aber wie eine Roſe vor dem glühenden Abendroth; ihr Lieben war ein weiches ſtilles Flammen, nicht ein Hüpfen irrer ſtechender Funken. Er ſchloß, daß ſein wortfeſter Vater die Bitte um eine prieſterliche Verbindung ihr ſchon gethan und ſogar ihre Bejahung bekom¬ men. Julienne ſagt 'ihm, ſie woll' ihn den nächſten Abend um 6 Uhr auf dem väterlichen Zimmer ſprechen; das macht 'ihn noch gewis¬ ſer und froher. Mit neuen noch zärter anbe¬ tenden Gefühlen ſchied er von Linda; die Göt¬ tinn war eine Heilige geworden.

317

Als er den andern Tag ins väterliche Zim¬ mer kam: fand er niemand darin als Julienne. Sie küßte ihn kurz und kaum, um ſchnell mit ihren Nachrichten fertig zu werden, da ihre Ab¬ weſenheit auf ſo viele Minuten eingeſchloſſen war als die Fürſtinn brauchte, um vom Kran¬ kenbette des Mannes in das Zimmer der Prin¬ zeſſinn zu kommen. Sie heirathet Dich nicht, (fieng ſie leiſe an,) ſo ſehr und ſo fein auch Dein Vater ihr bei dem erſten Empfang nach der Reiſe die Freude über das neue Glück ſei¬ nes Sohnes ausdrückte, für das er nun bloß nichts mehr zu wünſchen brauchte, ſagt 'er, als das Siegel der Fortdauer Es war noch fei¬ ner verſilbert und vergoldet, ich weiß es nicht mehr. Darauf erwiederte ſie in ihrer Spra¬ che, die ich nie behalte, ihr und Dein Wille wären das rechte Siegel, jedes andere politi¬ ſche drücke Ketten und Sklaven auf dem ſchön¬ ſten Leben aus.

Hart wurd 'Albano von einer offnen Wei¬ gerung verletzt, die ihn bisher als eine ſtille und als Philoſophie auftretende nur wie we¬ ſenloſer Schatte unberührt umfloſſen hatte. 318 Das war nicht recht; ſpät konnte ſie ſagen, aber nicht nie ſagt' er empfindlich. Ge¬ mäßigt, Freund, (ſagte Julienne,) daeauf er¬ innerte ſie Dein Vater freundlich an die be¬ dingte Erſcheinung des ihrigen, indem er ſagte, daß er ſehr wünſchen müſſe, ihr Glück aus ſei¬ nen Händen in nähere zu übergeben. Keine künſtliche Bedingung darf einen Willen zwin¬ gen oder vernichten, ſagte ſie. Dein Vater fuhr ruhig fort und ſetzte dazu, er habe den ſchönſten Lebensplan für Euch beide in dieſem Falle entworfen; im andern aber ſtehe ſeine Ein¬ willigung in die Liebe nur ſo lange offen, als ſein Hierſeyn, das mit dem Tode ſeines Freundes endi¬ ge. Dann gieng er gelaſſen fort wie die Männer pflegen, wenn ſie uns recht entrüſtet haben.

Heſperien, Heſperien! (rief Albano zornig.) Linda verdoppelte doch ihr Nein? O lei¬ der! Aber Bruder? fragte ſtaunend Julienne. Laſſe mich, (verſetzt 'er,) iſt es denn nicht unge¬ recht, dieſes elterliche Antaſten der ſchönſten zarte¬ ſten Saiten, deren Klang und Schwung ſie auf ein¬ mal tödten, um einen neuen aus ihnen zu ru¬ pfen? Iſt's denn nicht ſündlich, Göttergeſchen¬319 ke zu Staats-Zöllen und Partie-Geldern, ja wohl Partie-Geldern herabzuziehen? Gute Linda, nun ſtehen wir wieder auf dem Boden, wo man die Blumen der Liebe zu Heu an¬ ſchlägt und wo es im Paradies keine an¬ dere Bäume giebt als Gränzbäume. Nein, freies Weſen, durch mich ſollſt Du nie aufhö¬ ren, es zu ſeyn!

Julienne trat einige Schritte zurück, ſagte: ich will Dich nur auslachen, that es und ſetzte ernſt dazu: Sie alſo, willſt Du, ſoll Dir den Tag anberaumen, wo der alte Vater ſichtbar werden ſoll? Das folge gar nicht, ſagt 'er. Sie bemerkte ruhig, daß immer ein hitziger Mann über die Hitze des andern klage und daß Albano ſchon in der Ruhe zu ſtrenge auf fremdes und eignes Recht dringe; daß ſol¬ che Leute dann in der Leidenſchaft etwas über das Recht hinaus verlangten, wie ein Stift, der in der Uhr zu genau paſſet, erwärmt ſie durch ſeine Größe anhält. Jetzt bat ſie ihn liebreich, das Auseinanderzupfen des gan¬ zen Wirrwarrs bloß ihren Fingern zu überlas¬ ſen und ſanft und ſtill zu bleiben, damit nicht320 noch mehr Leute, etwa gar ihre belle-soeur zwiſchen ihren Bund ſich drängten. Albano nahm es freundlich an, bat ſie aber ernſt, nur keine Plane zu machen, weil er zu ehrlich da¬ zu gegen Linda ſeyn und ihr ſogleich das ganze Wort der Charade ſagen würde.

Sie entdeckte ihm, ſie habe weiter keinen zu etwas gemacht als zu einem frohen Tage für morgen, den nehmlich, mit Linda die Prin¬ zeſſinn Idoine in Arkadien zu beſuchen, der ſie außer dem Beſuch noch größere Dinge ſchul¬ dig ſey, beſonders ihr halbes Herz: Du rei¬ teſt uns zufällig nach und triffſt uns mitten im Schäferleben an (ſetzte ſie dazu), und über¬ raſcheſt Deine Linda. Er ſagte ſehr ent¬ ſchieden Nein; weil er vor Idoinens Ähnlich¬ keit mit Lianen ob er gleich nur wußte daß Liane jene im Traum-Tempel vorgeſpielt, noch nicht aber, daß Idoine dieſe vor ſeinem Kran¬ kenbette nachgebildet und vor der Gegen¬ wart der Miniſterinn die Flucht aus Scheu ſo¬ wohl der bittern Erinnerungen als der ſüßen nahm, welchen beiden Roquairol in ſolchem Falle nachgezogen wäre. Julienne wandte bos¬haft321haft ein: fürchte nur nichts für die Prinzes¬ ſinn; ſie mußte, um vom verhaßten Bräutigam nur loszukommen, allen Ihrigen eidlich ange¬ loben, nie einen unter ihrem Stande zu wäh¬ len und das hält ſie, ſogar bei Dir. Er beantwortete den Scherz bloß mit der ern¬ ſten Wiederholung des Neins. Nun ſo beſtehe ſie darauf, verſetzte ſie, daß er ihnen beiden wenigſtens auf halbem Weg entgegenkomme und ſie im Prinzengarten einem von Luigi als Erbprinz angelegten und auf dem Fürſtenſtuhle vergeſſenen Park erwarte. Das ergriff er ſehr freudig.

Sie fragte ſcheidend noch ſcherzhaft: wer hat Dich von neuem mit einer Schweſter be¬ ſchenkt? Er ſagte: das konnte mein Vater nicht von mir erfahren. Bruder, (ſagte ſie ſanft,) ein Herr war's, der Prinzeſſinnen leicht für Gräfinnen nimmt und der nächſtens noch toller zu werden glaubt als er ſchon iſt Dein Schoppe und flog davon.

125. Zykel.

Am Morgen darauf fuhren beide Freundin¬ nen nach Arkadien. Julienne obwohl be¬Titan IV. X322trübter durch ihren kränkern Bruder hei¬ terte ſich durch das Vertrauen auf einen Plan auf, den ſie ungeachtet ihrer Verſicherung zum Glücke des geſunden entworfen, um ihn in Arkadien auszuführen. Sie verbarg öfters, wie andere hinter den ſchwarzen Trauerfächern der Trauer und Empfindung, ſo hinter den heitern Putzfächern des Lachens, der den Zuſchauern die bemahlte Seite zukehrte, ihren Kopf mit ſeinen Entwürfen; unter Lachen und Weinen gieng und dachte ſie dieſen nach. So hatte ſie an Albano die Bitte, Idoine mit zu beſuchen, nur aus Schein und in der Gewißheit gethan, daß er ſie abſchlage oder im Falle er komme, daß es dann Idoine thue; denn ſie wußte aus Idoinens Beſuchen im vorigen Winter, daß dieſe an den von ihr hergeſtellten ſchönen Fi¬ berkranken häufig in Geſprächen gedacht und daß ſie jetzt vor ſeiner Ankunft geflohen war, um nicht über ſeine helle liebende Gegenwart, die ihr am leichteſten durch die Fürſtinn be¬ kannt geworden, als ein Gewölke aus der Ver¬ gangenheit hereinzuziehen voll trüber Ähnlich¬ keiten. Julienne hatte ſogar erfahren, daß die323 Fürſtinn ſie umſonſt länger halten und aufbe¬ wahren wollen, um vielleicht den Jüngling durch ſie zu erinnern, zu ſchrecken, zu ändern, oder zu ſtrafen. Juliennens Liebe gegen die Prinzeſſinn wäre durch jene zarte Flucht vor Albano vielleicht ſo warm geworden als die gegen Linda war, wenn eben dieſe Liebe nicht dazwiſchen geſtanden hätte; wenigſtens hatt 'ihr dieſe ſchöne Flucht ein ungemeſſenes Vertrauen was eben das rechte und einzige iſt auf die Prinzeſſinn gegeben.

Der Reiſetag war ein ſchöner Erndte-Mor¬ gen voll bevölkerter Kornfluren, voll Kühle und Thau und Luft. Linda freuete ſich kindlich auf Idoine, und ſagte die Gründe in frohem Tone: zuerſt weil ſie Deinem Bruder das Leben ge¬ rettet und weil ſie doch wußte, was ſie wollte und darauf muthig beharrte und ſich nicht wie andere Prinzeſſinnen zum Opfer des Thrones verhandelte und weil ſie die deut¬ ſcheſte Franzöſinn iſt, die ich kenne, außer der Mdm. Necker Ja mir gehört ſie ordentlich mit aller ſchönen Jugend unter die alten Frauen, und dieſe ſucht 'ich von jeher vor, denn es iſtX 2324doch etwas von ihnen zu lernen. Dich liebt ſie ſehr, mich glaub 'ich weniger, einem ſo reizen¬ den Mittelding von Nonne und Ehefrau ſchein' ich zu weltlich, ob es gleich nicht iſt.

Beide kamen im ſchönen Zauberdorfe als ſchon die netten Kinder ſich zur Ährenleſe ver¬ bündeten und die Wagen ſchon den Sammlern der Garben entgegenfuhren Nachmittags vor dem Mittagseſſen an. Idoinens Bruder, der künftige Erbfürſt von Hohenflies, der Zwerg in Tivoli ſah aus dem Fenſter und Julienne bedauerte faſt die Reiſe. Idoine flog ihr ent¬ gegen und drückte ſie herzlich an die Bruſt. Als Julienne dieſes große blaue Auge und je¬ den verklärten Zug der Geſtalt, die einſt ihr Bruder ſo ſeelig und ſchmerzlich geliebt, vor und auf ihrem Angeſicht hatte: ſo glaubte ſie jetzt, da ſie ſeine Schweſter geworden, gleich¬ ſam als ſeine Stellvertreterlnn die Liebe der Stellvertreterinn Lianens zu empfangen; und ſie mußte, wie allzeit ſeit dieſem Tode bei dem erſten Empfange, innig weinen.

Linda wurde von der Prinzeſſinn mit einer ſo tiefen Zärtlichkeit empfangen, daß ſich Ju¬325 lienne wunderte, da ſonſt beide in einem Wech¬ ſel von Kälte und Liebe lebten. Die Miniſte¬ rinn Froulay ſtand da, von der Trauer ſo alt, kalt, ſtill und höflich, ſo kalt gegen die Zeit und die Menſchen, (ausgenommen das Eben¬ bild ihrer Tochter) beſonders gegen Linda, de¬ ren kecker, entſchiedner, philoſophiſcher Ton ihr unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen - Lippen zu ſeyn ſchien.

Der künftige[Erbprinz] von Hohenflies ent¬ fernte ſich zum Glücke bald von einem ſo un¬ bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬ brett, ſtatt in einer Gondel fuhr. Nachdem er Julienne mit Antheil um das Befinden ihres Bruders, ſeines jetzigen Vorfahrers, gefragt und ſie und Linda an ihre und ſeine welſche Reiſe erinnert hatte: ſo würd 'er über Julien¬ nens Kaltſinn und über die moraliſchen Geſprä¬ che der Weiber und über einen gewiſſen ſittli¬ chen Gewitterdruck den Lüſtlinge bei Wei¬ bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬ ſucht, die Anmaßung als Mißton ſchreiet , und über die allgemeine plagende Heuchelei wofür er ſogleich alles nehmen mußte , ſo326 verdrüßlich und verſtimmt, daß er leicht auf¬ brach und dieſes Schäferleben um den einzigen Wolf verkürzte, der darin ſchlich. Lüſtlinge hal¬ ten es unter vielen edlen Frauen, gedrückt von deren vielſeitigen ſcharfen Beobachtungen, nie lange aus, obwohl leichter bei einer allein, weil ſie dieſe zu verſtricken hoffen. Was ihm am we¬ heſten that, war, daß er ſie alle für Heuchle¬ rinnen erklären mußte. Er fand keine gute Weiber, weil er keine glaubte; da man ſie glau¬ ben muß, um ſie da zu ſehen wo ſie ſind; ſo wie die Tugend üben, um ſie zu kennen, nicht umgekehrt.

Mit ihm ſchien eine ſchwarze Wolke aus dieſem Eden und Äther wegzuziehen. Die Mi¬ niſterinn erhielt eine Karte von ihrem Sohne Roquairol, der eben angekommen, und gieng auch zu Juliennens Freude, die an ihr ein kleines Hinderniß ihres Bekehrungsplans für Linda fand, weil dieſe die Miniſterinn für eine einſeitige, enge, bängliche, unnachgiebige Na¬ tur anſah. Idoine bat die beiden Jungfrauen, ihr kleines Reich mit ihr zu bereiſen. Sie gien¬ gen hinab ins reine weite Dorf. Auf den Trep¬327 pen begegneten ihnen heitere dienſtgefällige Ge¬ ſichter. Aus den fernen Zimmern des Schloſſes hörte man bald Singen bald Blaſen. Wie am Vogel ſich das glänzende Gefieder ſchnell und glatt in - und auseinander ſchiebt: ſo bewegten um Idoine ſich alle Geſchäfte; ihre ökonomiſche Maſchine war keine plumpe knarrende Thurm¬ uhr, ſondern eine ſpielende Bilderuhr, welche hinter Töne die Stunden, hinter Bilder die Rä¬ der verſteckt.

In einem Wieſengarten ſpielten die jüngſten Kinder wild durch einander. Herrnhutiſche und Holländiſche Reinlichkeit hatten das Dorf zu einer glatten hellen Putzbude gewaſchen und gemahlt. Neu und blank hieng der Eimer über dem Brunnen unter der Linden-Rotunda des Dorfs war die Erden-Diele ſauber gekehrt überall ſah man reine, ganze, ſchöne Klei¬ der und freudige Augen und Idoine zeigte unter der fremden Heiterkeit bedeutenden Ernſt in den Blicken, womit ſie ihr Arkadien Blume nach Blume prüfte.

Sie führte ihre Freundinnen über die ver¬ ſchiednen Sonntags-Tanzplätze der verſchied¬328 nen Alter, vor dem Hauſe des Amtmanns vor¬ über, worin die Miniſterinn wohnte und jetzt, zu Juliennens Furcht, ihr Sohn war in die helle ſchmuckloſe Kirche. Bald kamen ihr der Pfarrer und Amtmann, für welche das Vor¬ übergehen ein Wink geweſen, in die Kirche nach und holten von ihr Aufträge; beide wa¬ ren junge ſchöne Männer mit offner Stirn und ein wenig Jugendſtolz. Als man aus der Kirche war, ſagte ſie: durch dieſe jungen Män¬ ner regiere ſie über den Ort und ſie ſelber len¬ ke ſie ſanft; nur junge ſeyen mit Haß und Muth gegen den Schlendrian und mit Enthu¬ ſiasmus und Glauben ausgerüſtet. Sie ſetzte ſcherzhaft dazu, nichts beherrſche ſie als eine Schule von Mädchen, an der ihr mehr gele¬ gen ſey als an der andern, weil Erziehung An¬ gewöhnung ſey und dieſe ein Mädchen mehr als ein Knabe brauche, dem die Welt doch keine laſſe; und ſie habe einigen Hang eine la Bonne zu ſeyn, weil ſie es ſchon als Mädchen oft bei ihren Schweſtern habe ſeyn müſſen.

Sie führte beide darauf in mehrere Häus¬329 chen; überall fanden ſie ausgeweißte geordnete Zimmer, Blumen und Weinreben an Fenſtern, ſchöne Weiber und Kinder, und bald eine Flöte, bald eine Violine, und nirgends ein ſpinnen¬ des Kind. In allen hatte ſie Aufträge zu ge¬ ben und was bloßer Spaziergang ſchien, war auch Geſchäft. Sie zeigte einen ſcharfen Durch¬ blick durch Menſchen und ihr verwachſenes Trei¬ ben und einen Geſchäftsverſtand, der das All¬ gemeine und Beſondere zugleich beſaß und ver¬ knüpfte: ich wünſchte freilich auch (ſagte ſie) nur Freuden und Spiele um mich; aber ohne Arbeit und Ernſt verdirbt das Beſte in der Welt; nicht einmal ein rechtes Spiel iſt mög¬ lich ohne rechten Ernſt. Linda lobte ſie, daß ſie alle an Muſik gewöhnte, dieſen rechten Mondſchein in jedem Lebens-Dunkel; ohne Poeſie und Kunſt (ſetzte ſie dazu) vermooſe und verholze der Geiſt im irdiſchen Klima. O was wäre ohne Töne der meinige? ſagte Idoine feurig.

Linda fragte nach dem Bürgerrechte in die¬ ſem heitern Staate. Meiſtens bekamen es Schweizerfamilien, (ſagte Idoine,) die ich an330 Ort und Stelle ſelber kennen lernte auf meiner Reiſe. Nach den Franzöſinnen ſtell 'ich ſogleich meine Schweizer. Julienne verſetzte: Sie ſagen mir Räthſel vor. Sie löſete ihr ſie, und Linda, die kurz nach ihr in Frankreich ge¬ weſen, beſtätigte es, daß da unter den Wei¬ bern von gewiſſem höhern Ton, zu denen kein Crebillon je hinaufgekommen, eine in Deutſch¬ land ungewöhnliche Ausbildung der zarteſten Sittlichkeit, beinahe Heiligkeit gegolten. Nur (ſetzte Linda hinzu) hatten ſie in der Sittlich¬ keit wie in der Kunſt, Vorurtheile des feinen Geſchmacks und mehr Zartheit als Genie.

Sie giengen zum Dorfe hinaus, der ſchön¬ ſten Abendſonne entgegen; auf den Bergen ant¬ worteten ſich Alphörner, und im Thale gien¬ gen heitere Greiſe zu leichten Geſchäften. Die¬ ſe grüßte Idoine mit beſonderer Liebe, weil es, ſagte ſie, nichts ſchöneres gebe als Heiterkeit auf einem alten Geſicht, und unter Landleuten ſey ſie immer das Zeichen eines wohl und fromm geführten Lebens.

Linda öffnete ihr Herz der goldnen Gegen¬ wart und ſagte: wie müßte dies alles in ei¬331 nem Gedicht erfreuen! Aber ich weiß nicht, was ich dagegen habe, daß es nun ſo in der wirk¬ lichen Wirklichkeit da iſt?

Was hat Ihnen (ſagte Idoine ſcherzend) dieſe genommen oder gethan? Ich liebe ſie, wo ſind Sie für uns denn anders zu finden als in der Wirklichkeit? Ich (ſagte Julienne) denke an etwas ganz anderes, man ſchämt ſich hier, daß man noch ſo wenig that bei allem Wollen. Vom Wollen zum Thun iſt's hier doch weit (fügte ſie dazu, indem ſie den klei¬ nen Finger aufs Herz aufſetzte und die Hand vergeblich nach dem Kopf ausſpannte). Idoi¬ ne, ſagen Sie mir, wie kann man denn ans Große und Kleine zugleich denken? Wenn man ans Größte zuerſt denkt (ſagte ſie). Wenn man in die Sonne hineinſieht, wird der Staub und die Mücke am ſichtbarſten. Gott iſt ja un¬ ſer aller Sonne.

Die Erden-Sonne ſtand ihnen jetzt tief auf einer unabſehlichen Ebene unter milden Roſen des Himmels entgegen eine ferne Wind¬ mühle ſchlug breit durch die ſchöne Purpur - Gluth an den Bergabhängen ſangen Kin¬332 der neben den geweideten Heerden und ihre klei¬ nern Geſchwiſter ſpielten bewacht die Abend¬ glocke, welche in Arkadien allzeit unter dem Scheiden der Sonne gezogen wurde, wiegte Sonne und Erde mit ihren Tönen ein nicht nur jugendlich, ſogar kindlich lag das ſanfte Dörfchen und ſeine Welt um ſie her kein Sturm, dachte man, kann hereingreifen in dies ſanfte Land, kein Winter im ſchweren Eispan¬ zer hereinſchreiten, hier ziehen nur, dachte man, Frühlingswinde und Roſenwolken, keine Regen fallen als Frühregen und keine Blätter als der Blüthen ihre, nur Staub aus Blumen kann ſteigen und den Regenbogen halten nur Ver¬ gißmeinnicht und Maiblumen auf ihren blau und weißen Blättchen die Gegend und alles und das Leben ſchienen hier nur eine unauf¬ hörliche Morgendämmerung zu ſeyn, ſo friſch und neu, voll Ahnung und Gegenwart ohne Gluth und Glanz, und mit einigen Sternen über dem Morgenroth.

Kinder mit Ähren-Sträußern in der Hand ſaßen auf fremden Wagen voll Garben und fuhren ſtolz herein.

333

Idoine hieng mit inniger Liebe, als wär 'alles neu durch dieſen Abend, an den doppel¬ ten Gruppen. Nur der Landmann allein iſt ſo glücklich, (ſagte ſie,) daß er in allen ar¬ kadiſchen Verhältniſſen ſeiner Kindheit fort¬ lebt. Der Greis ſieht nichts um ſich als Ge¬ räthſchaften und Arbeiten, die er auch als Kind geſehen und getrieben. Endlich geht er jenen Garten drüben hinauf und ſchläft aus. Sie zeigte auf den Gottesacker am Berge, der ein wahrer Garten mit Blumenbeeten und ei¬ ner Mauer aus Fruchtbäumen war. Julienne blickte erſchüttert hin, ſie ſah den ſchwarzen Vorhang zittern, hinter welchen ihr kranker Bruder bald getrieben wurde.

Mit durchſichtigem Abend-Goldſtaub war der Garten überweht der laute Tag war gedämpft und das Leben friedlich, Öhlzweige und ihre Blüthen ſanken aus dem ſtillen Him¬ mel langſam nieder. Dort iſt der einzige Ort, (ſagte Idoine,) wo der Menſch mit ſich und andern einen ewigen Frieden ſchließet, ſagte ſo ſchön zu mir ein franzöſiſcher Geiſtli¬ cher. Solchen chriſt-katholiſchen Jam¬334 mergedanken (verſetzte Linda) bin ich ſo gram wie den Geiſtlichen ſelber. Wir können ſo we¬ nig eine Unſterblichkeit erleben als eine Ver¬ nichtung. Ich verſteh 'das nicht, (ſagte Julienne,) ach Idoine, wenn es nun keine Unſterblichkeit gäbe, was thäten Sie? J'aimerois *)Ich würde lieben. ſagte ſie leiſe zu ihr.

Plötzlich wurde vor ihnen wie aus weiter Ferne geſungen: Freut dann ſpät Euch des endlich Lebens Das iſt aus dem Gottesacker das Echo, ſag¬ te Idoine und ſuchte zur Rückkehr zu bere¬ den. Echo und Mondſchein und Gottesacker zuſammen (fuhr ſie ſcherzend fort) ſind wohl zu ſtark für Frauenherzen. Dabei berührte ſie ihr Auge mit einem Wink an Julienne, gleichſam als thu 'es ihr weh, daß die Gräfinn nur hinter dem Nebel ihrer Augen den ſchönen Abend von Fernen ſtehen ſehe. Die Sing¬ ſtimme klingt mir ſo bekannt, ſagte Linda. Roquairol iſt's, nichts weiter, wollen wir335 fort! ſagte Julienne; aber Linda bat zu bleiben und Idoine willigte höflich ein.

Nun gab das Echo das Mondlicht des Klangs wieder Töne wie Todtenlieder aus dem Todten-Chor; und es war als ſängen die vereinigten Schatten ſie in ihrer ſtillen Wa¬ che unter der Erde nach, als regte ſich der Lei¬ chenſchleier auf der weißen Lippe und aus den letzten Höhlen tönte ein hohles Leben wieder. Das Singen hörte auf, Alphörner fiengen auf den Bergen an. Da gieng wieder das Nach¬ ſpiel des Tonſpiels feurig herüber als ſpielten die Abgeſchiednen noch hinter der Bruſtwehr des Grabhügels und kleideten ſich ein in Nach¬ klänge. Alle Menſchen tragen Todte oder Ster¬ bende in der Bruſt; auch die drei Jungfrauen; Töne ſind ſchimmernd zurückflatternde Gewän¬ der der Vergangenheit und erregen damit das Herz zu ſehr.

Sie weinten, und keine konnte ſagen, ob trübe oder froh. Die bisher ſo gemäßigte Idoine ergriff Linda's Hand und legte ſie ſanft an ihr Herz und ließ ſie wieder ſinken. Sie kehrten ſchweigend und einig um. Idoine336 behielt Linda an der Hand. Die unterirdiſchen Waſſer der Todten-Echos und Alphörner rauſch¬ ten ihnen nach, obwohl ferner. Juliennen ent¬ gieng es nicht, wie ſehr Idoine ihr Geſicht, bloß um es ihr mit den großen Tropfen in den großen Augen zu entziehen, immer der dicht verſchleierten Linda zuwandte; und ſie ſchloß daraus, daß Idoine vieles wiſſe und kenne und die Braut des Jünglings ehre, dem ſie durch ihre ſchöne Ähnlichkeit das frohe Leben zurück¬ gegeben.

Was haben wir nun davon? (ſagte Idoine ſpät und nahe am Dorfe.) Wir ſehen's vor¬ aus, daß wir zu weich würden und geben uns doch hin. Darum nennen uns eben die Männer ſchwach. Sie bereiten ſich auf ihre Zukunft durch lauter Abhärtungen vor, und nur wir uns durch lauter Erweichungen. Was ſoll man denn machen, (ſagte Julienne,) in Flüſſe ſpringen, auf Berge, auf Pferde und ſo weiter? Nein, (ſagte Idoine,) denn ich ſeh 'es an meinen Bäuerinnen; ſie leiden an Nerven bei aller Muskel-Arbeit ſo gut wie andere Mit dem Geiſte, glaub' ich, müßtenwir337wir alle mehr thun und ſuchen; aber wir las¬ ſen immer nur die Finger und Augen ſich üben und regen, das Herz ſelber weiß nichts davon und thut dabei was es will, es träumt, weint, blutet, hüpft Ein wenig Philoſophiren wär 'uns dienlich; aber ſo geben wir uns allen Ge¬ fühlen gebunden dahin und wenn wir denken, iſt's bloß, um ihnen noch gar zu helfen.

Sie kamen ins Dorf zurück, es war voll geſchäftigen Abendlärms, Kinder tanzten Idoi¬ nen entgegen, von den Höhen klangen Alphör¬ ner herein und aus den Häuſern Flöten und Lieder heraus. Idoine gab heiter Abendbefehle. Wie doch (ſagte ſie) die äußere Ruhe ſo leicht die innere aufhebt. Ein beſchäftigtes Herz iſt wie ein umgeſchwungenes Gefäß mit Waſſer; man halt 'es ſtill, ſo fließet es über.

Julienne hatte ſchon einigemal, aber vergeb¬ lich, nach dem Steuerruder der Zeit und Rede gehaſcht, um ihren Plan zu vollführen; jetzt da ſie Linda's Schweigen, Rührung und Träumen bemerkte, glaubte ſie die lang 'erwartete gün¬ ſtige Stunde zu treffen, wo einige Worte, die Idoine über die Ehe ausſtreuete, in Linda einenTitan IV. Y338aufgeweichten Boden für ihre Wurzeln finden würden. Durch die leichte Wendung eines Lobs, das ſie Idoinen über ihren muthigen Wider¬ ſtand gegen das Schiffziehen in einer verha߬ ten Fürſten-Ehe und über den Gewinn eines ewigen Jugendlebens gab, brachte ſie die Grä¬ finn dazu, ihren ketzeriſchen Haß gegen die Ehe zu offenbaren und zu ſagen, daß dieſe die Blume mit einem ſcharfen Eiſenringe an ihren Stab peinlich gefangen lege daß Liebe ohne Freiheit und aus Pflicht nichts ſey als Heuche¬ lei und Haß und daß das Handeln nach der ſogenannten Moral ſo viel ſey als wenn einer nach der Logik, die er vor ſich hätte, den¬ ken oder dichten wollte und daß die Energie, der Wille, das Herz der Liebe etwas Höheres ſey als Moral und Logik.

Jetzt kam ein Briefchen von der Miniſte¬ rinn, worin ſie ihre heutige Abweſenheit mit dem zu traurigen Abſchiede entſchuldigte, den ihr Sohn dieſen Abend ſo ſonderbar und wie auf immer von ihr genommen. So viele ſtille Gedanken auch dieſe Nachricht in Julienne und Linda nachließ: Idoine kam durch ſie nicht aus der339 lebhaften Bewegung, worein die vorige Rede ſie geſetzt, ſondern mit einem edlen Zürnen, das aus der ſchönen Jungfrau einen ſchönen Jüngling machte und ihr Minervens Helm auf¬ ſetzte, erklärte ſie der hohen Gegnerin, die we¬ niger durch fremde Heftigkeit als durch fremde Geſinnung aufzureizen war, dieſen Krieg: gewiß ſey nur ihre Abneigung gegen die Prieſter an der zweiten Abneigung gegen die Ehe ſchuld ſey denn das Eheband etwas anders als ewige Liebe, und halte ſich nicht jede rechte für eine ewige? eine Liebe, die einmal zu ſter¬ ben glaube, ſey ſchon todt und die ewig zu le¬ ben fürchte, fürchte umſonst wenn ſogar Freunde am Altare verbunden würden, wie ir¬ gendwo geſchehen ſoll*)Bei den Morlacken. S. Sitten der Morlacken. Aus d. Italien. 1775., ſie würden höchſtens ſich nur noch heiliger binden und lieben man zähle eben ſo viele wo nicht mehrere un¬ glückliche Liebeshändel als unglückliche Ehen man könne zwar eine Mutter, aber nicht ein Vater ſeyn ohne die Ehe und dieſer müſſe jeneY 2340und ſich durch die Sitte ehren ich bin eine Deutſche (beſchloß ſie) und achte die al¬ ten Ritterfrauen, meine Ahnen, hoch, ſeelig iſt eine Frau wie eine Eliſabeth und ein Mann wie Götz von Berlichingen, in ihrer heiligen Ehe.

Auf einmal fand ſie ſich ſelber überraſcht von ihrem Feuer und ihrem Strome: ich bin ja (ſetzte ſie lächelnd hinzu) eine pedantiſche Predigerswittwe geworden; das macht, ich bin die höchſte Obrigkeit von dem Dörfchen, und laſſe, da faſt in jeder Hütte eine glückliche Wi¬ derlegung der Eheloſigkeit wohnt, ungern an¬ dere Meinungen hier aufkommen.

O, Mädchen (ſagte Julienne luſtig, weil ſie Linda ernſt ſah,) ſprechen immer mitunter ein wenig von Liebe und Ehe; ſie ziehen ſich gern aus einem Brautkranz Blumen.

Daraus, wiſſen Sie, könnt 'ich mir wohl keine nehmen ſagte Idoine, auf das eidli¬ che Verſprechen anſpielend, welches ſie ihren über ihre enthuſiaſtiſche Kühnheit argwöhniſchen Eltern geben müſſen, nie unter ihrem Fürſten¬ ſtande zu heirathen, was ihr nach ihrer ſchar¬341 fen Geſinnung und Lage ſo viel hieß als Ehe¬ loſigkeit. Recht hatten Sie indeß, (verfolgte Julienne und wollte ſcherzhaft bleiben,) die Liebe ohne Ehe gleicht einem Zugvogel, der ſich auf einen Maſtbaum ſetzt, der ſelber zieht, ich lobe mir einen hübſchen grünen Wurzelbaum, der da bleibt und ein Neſt annimmt.

Wider ihre Gewohnheit lachte Linda darüber nicht, ſondern gieng allein, ohne ein Wort zu ſagen, in den Garten und Mondſchein hinunter.

Die Gräfinn (ſagte Idoine zur Freundinn, bekümmert über die Bedeutung des ſtummen Ernſtes,) hat uns, hoff 'ich, nicht mißverſtan¬ den. Nein, (ſagte Julienne mit freudi¬ gen Mienen über den errungnen Eindruck, den die Rede auf Linda gemacht,) ſie hat die ſel¬ tenſte Gabe, zu verſtehen, und das häufigſte Unglück, nicht verſtanden zu weiden. Das iſt immer beiſammen, ſagte ſie, ſann nach, ſah Juliennen an, endlich ſagte ſie: ich muß ganz wahr ſeyn, ich wußte der Gräfinn Verhältniß durch meine Schweſter Freundinn, iſt Er ihrer ganz werth? Eine Frage, deren Quelle342 die P. inzeſſinn nur in rachſüchtigen Einflößun¬ gen der Fürſtinn ſuchen konnte.

Ganz! antwortete ſie ſtark. Ihnen glaub 'ich gern, verſetzte Idoine, mit den Lauten ei¬ lend, aber mit Blicken ruhend. Sie ſah die Schweſter Albano's immer länger an die großen blauen Augen ſchimmerten ſtärker Minervens Helm war vom jungfräulichen Haup¬ te abgehoben das ſanfte Angeſicht erſchien lieblich, ruhig, klar, nicht ſtärker bewegt als es ein Gebet vor Gott erlaubt, und ſo wenig begehrend wie eine Verklärte, und doch immer himmliſcher glänzend Juliennens ſchönes Herz ſtürmte auf, ſie ſah Liane wieder, als ſey ſie vom Himmel gekommen, den geliebten Men¬ ſchen an einem neuen Herzen einzuſegnen; ſie ſagte mit Thränen: Du, Du haſt Ihm einſt den Frieden gegeben. Idoine wurde überraſcht aus ihren hellen Augen drangen zwei Thränen mit Nachdruck antwortete ſie: gegeben erſchrocken und heftig drückte ſie ſich an die Freundinn ſagte: ich liebte Sie ſchon lange und weiter ſprachen ſie nichts.

343

Schnell faßte ſie ſich, erinnerte Julienne an Linda's Nachtblindheit und bat ſie ge¬ radezu, ihr als ihre Freundinn nachzugehen, ob ſie gleich ſelber gern ihr dieſes Verdienſt abſtehlen würde, wenn ſie dürfte. Julienne eilte in den Garten, fühlte es aber nach, daß Idoine ihr Du nicht erwiedert hatte. Idoine mied das weibliche Du; ungleich den Orienta¬ lerinnen, welche vor Verwandten den Schleier weglaſſen, nahm ſie wie ihre Franzöſinnen, ſo¬ gar in die Herzlichkeit die zarten Geſetze der Politeſſe herüber.

Julienne fand ihre Freundinn im Garten in einer dunkeln Laube ſtill, mit tief geſenkten Augen, in Träume eingegraben. Linda fuhr auf: Sie liebt Ihn! (ſagte ſie mit Schmerz und Feuer) Hör 'es, Julienne, Sie I Dieſe konnt' ihr über das Ausſprechen einer Wahrheit, mit der ſie gerade aus Idoinens Armen gekommen war, nichts als ihr Erſchre¬ cken zeigen; aber Linda nahm es für Erſtau¬ nen und fuhr fort: bei Gott! Mein Blick hat ſie aufgehaſcht. O ſonſt war ſie weit nicht ſo lebhaft und ernſt und rührbar und weich 344 Ihre innerſte Bewegung bei meinem Erblicken und ihr Weinen bei Roquairol's Stimme, weil ſie ſeiner gleicht und ihre lange feuri¬ ge Hochzeitpredigt Und die Seelenblicke auf mich o hat ſie Ihn denn nicht im großen herrlichen Augenblick geſehen, da der Blühende weinend knieete und das göttliche Haupt gen Himmel hob und die Verklärte und den Frie¬ den herunterrief? O daß ſie es nur wagte, ihm beides vorzuſpielen! Und kann ſie das ver¬ geſſen?

Julienne kam endlich zum Worte: ſo ſetz 'es denn; iſt Idoine aber nicht edel und fromm? Ich habe nichts wider ſie und nichts für ſie (antwortete Linda). Wenn aber Er ſie nun ſieht, wenn er die Fromme noch einmal der Verſtorbnen ähnlich findet, wenn die ganze er¬ ſte Liebe umkehrt und über die zweite trium¬ phirt? ... Bei Gott! Nein, (ſetzte ſie ſtolz und ſtark dazu,) nein, das duld' ich nicht; bit¬ ten will ich nicht, weinen nicht, oder reſigni¬ ren, um ihn aber kämpfen will ich. Bin ich nicht auch ſchön? Ich bin ſchöner, und mein Geiſt iſt kühner geſchaffen für ſeinen. 345Was kann ſie geben, was ich ihm nicht drei¬ fach biete? Ich will's ihm geben, mein Glück, mein Daſeyn, auch meine Freiheit, ich kann ihn ſo gut heirathen wie ſie, ich will's .... O ſprich, Julienne! Aber Du biſt eine kalte Deutſche und ihr heimlich zugethan aus glei¬ cher Gottesfurcht. O Gott, Julienne, bin ich denn ſchön? Betheuer 'es mir doch. Bin ich der Verklärten gar nicht ähnlich? Säh' ich nur ſo aus wie er es gerade wollte! Warum war ich nicht ſeine erſte Liebe, und ſeine Liane und wäre auch geſtorben? Gute Julienne, war¬ um ſprichſt Du nicht?

Laſſe mich nur ſprechen ſagte dieſe, wie¬ wohl nicht ganz wahr. Sie war ergriffen und geſtraft von Linda's treffender Wahrheit und vom eignen Bewußtſeyn, daß ſie einen Plan, Linda's Vorurtheile gegen die Ehe aufzulöſen, angelegt, deſſen Hülfsmittel ihr von Linda ge¬ rade als Rechtfertigungen der Eiferſucht vorge¬ zählt worden; und daß ſie einen Felſen auf der Spitze eines Felſen in Bewegung und in den Fall gebracht, den ſie nun nicht mehr regieren konnte. Auch war ſie betäubt, ja erzürnt von346 einem ihr fremden Ungeſtüm der Liebe, vor welchem ſie den verhaßten Troſt gar nicht aus¬ ſprechen durfte, daß Albano ſtets nach der Pflicht der Treue handeln würde. Schön war ſie überraſcht von der geglückten Bekeh¬ rung zum Trauungs-Ja. Mit einiger Unge¬ wißheit des Erfolgs bei Linda, die durch das Mondlicht und die ferne milde Bergmuſik nur ſtürmiſcher geworden, fuhr ſie fort: ich wollte Dich nicht gern unterbrechen mit dem Lobe Dei¬ nes Entſchluſſes zur Ehe Unrecht haſt Du ſonſt in allen Stücken. Freilich iſt Sie jetzt ern¬ ſter; aber ſie ſtand am Sterbebette ihres Eben¬ bildes und ſah ſich in Lianen erbleichen das mäßigt ſehr. Ihn anlangend: ſo, hätt 'Er Dich früher geſehen ....

Sah er nicht früh das Bild auf dem Lago¬ maggiore, aber unähnlich wie er ſagt?

So will ich Dir's denn geſtehen, Wilde, (verſetzte Julienne,) weil man Dich nicht über¬ raſchen ſoll, daß ich ihn geſtern gebeten, mit zur Prinzeſſinn zu reiſen und daß er eben aus Rückſicht und Kälte gegen alle Ähnlichkeiten347 mir es derb abgeſchlagen; aber morgen erwartet er uns im Prinzengarten.

Verändert weich mit verklärten Au¬ gen ſagte Linda mit geſunkner Stimme: mein Freund liebt mich ſo ſehr? Ich lieb 'ihn aber auch ſehr, den Reinen. Morgen will ich zu ihm ſagen, nimm meine Freiheit und bleibe ewig bei mir. Vom Altare ziehen wir davon, meine Julienne, Du und er und ich nach Va¬ lencia, nach Isola bella oder wohin er will und bleiben beiſammen. Du guter Mond und Muſik! Wie die Töne und die Strahlen ſo kindlich mit einander ſpielen! Umarme mich, meine Geliebte, vergieb, daß Linda unartig geweſen! Hier war der Sturm des Her¬ zens in ſüßes Weinen zergangen. So wird in den Ländern unter der ſcheitel-rechten Sonne täg¬ lich der blaue Himmel Donner, Sturm und ſchwarzer Regen, und täglich geht die Sonne wieder blau und golden unter.

Julienne verſetzte bloß: Schön! nun wol¬ len wir hinauf! , weniger als ſie zu ſchnellen Übergängen fähig. Als ſie oben die ſtille, helle, nichts begehrende Idoine wieder ſah die feſt348 und heiter Handelnde klagenlos und hoff¬ nungslos nur den Ährenkranz der Thaten, nie den blumigen Brautkranz tragend ſo viele weiße Blüthen zu ihren Füßen, die zu keinem Kranz und Gewinde zuſammengehen ihre helle reine Seele einem hellen reinen Tone gleich, der ſeinen Reiz durch naſſe wolkige Luft ungetrübt und ungebrochen trägt: ſo fühlte ſie, Idoine ſey ihr ſchweſterlicher verwandt als Lin¬ da, jene ſey ihr ein Ideal und Sternbild in ihrem Himmel über ihr, dieſe ein fremdes, das fern und unſichtbar in einer zweiten Halbkugel des Himmels glänzt; aber in ihr wirkte die weibliche Kraft, fortzulieben faſt bis in den Haß hinein, ſtärker als in irgend einer Frau und ſie blieb der alten Freundinn getreu. Idoi¬ ne gehörte unter die weiblichen Seelen, die dem Monde ähnlich ſind; blaß und matt muß er am prächtigen Abendhimmel, den Glanz und brennende Wolken ſchmücken, ſtehen und kann auf der Erde keinen einzigen Schatten verdrängen, und ſteigt mit unſichtbaren Strah¬ len, aber das fremde Licht verblicht und ſeines wächſet aus dem Schatten auf, bis zuletzt ſein349 überirdiſcher Glanz die Erden-Nacht umzieht und in eine zweite Welt umkleidet und alle Herzen lieben ihn weinend und die Nachtigal¬ len ſingen in ſeinen Strahlen.

Alles war nun beſtimmt und geendigt. Lin¬ da hielt ſich in ihrer Ferne und bloß aus Ge¬ ſetz der geſelligen Artigkeit, das ſie niemals übertrat. Idoine zog ſich, eine Veränderung errathend, aus der vorigen Nähe ſanft zurück. Früh am dunkeln Morgen ſchieden ſie, aber Julienne ſagte es ihrer Freundinn nicht, daß ſie Idoinen, als ſie von einander giengen, ſich mit naſſen Augen hatte wenden ſehen.

126. Zykel.

Albano hatte während Linda's Abweſenheit von Roquairol die Bitte bekommen, nur jetzt nicht lange zu verreiſen, damit er in einigen Tagen ſein Trauerſpiel den Trauerſpieler noch ſehen könne. Gaſpard, den er unwillig über Linda's Eheſcheu antraf, gab ihm ein ſonderbares Kartenblatt für Linda mit, worauf von ihrem unſichtbaren Vater nichts ſtand als dies:

350

Ich genehmige Deine Liebe. Ich erwarte, daß Du ſie beſiegelſt, damit ich meine Tochter endlich umarme. Der Zukünftige.

So viele fremde wichtige Wünſche, die mit dem ſeinigen zuſammenfloſſen, hielten nun von ſeinem zarten Ehrgefühl den Verdacht der Selbſt¬ ſucht und Zudringlichkeit ab, wenn er ſie um das ſchönſte Feſt ſeines Lebens bat. Er machte ſeinen Vater ſehr zufrieden durch dieſen Entſchluß zu bitten. Gaſpard theilt 'ihm geheime Kriegs¬ nachrichten mit und ſagte ihm ſcherzend, nun ſey es bald Zeit, daß er für ſeine Freunde, die Neufranken, fechten helfe. Albano ſagte, es ſey ſogar ſein Ernſt. Das hör' er gern von einem Jüngling ſagte Gaſpard der Krieg bilde für Geſchäfte und das Recht oder Unrecht deſſelben thue nichts zur Sache und gehe andere an, die ihn erklären.

Albano machte ſeine Reiſe froh durch Erin¬ nerung, noch froher durch Hoffnung. Er hat¬ te jetzt den Muth, ſich den Tag auszudenken, wo Linda, eine Königinn, in die glänzende Krone ihres Geiſtes den weichen Brautkranz ſchmiegt wo dieſe Sonne als eine Luna auf¬351 geht wo ein Vater, den der ſeinige liebt, das hohe Feſt unterbricht durch ein höchſtes und wo einmal zwei Menſchen zu ſich ſagen dür¬ fen: nun lieben wir uns ewig. So beglückt und mit einer unendlichen Liebe und ſonnen¬ warmen Seele kam er im Prinzengarten an.

Überall kam er viel zu früh nach ſeiner lei¬ denſchaftlichen Pünktlichkeit. Niemand war noch da als zwei Abreiſende, Roquairol und die Fürſtinn. Beide ſah man jetzt oft und ſo öf¬ fentlich beiſammen, daß das Scheinen Abſicht ſchien. Roquairol gieng ihm höflich entgegen und erinnerte ihn an das erhaltene Billet: das iſt der Schauplatz, Lieber, (ſagt 'er) wo ich nächſtens ſpiele, die meiſten Zurüſtungen hab' ich ſchon getroffen, beſonders heute. Meine treffliche Fürſtinn hat mir dieſen Platz vergönnt. Sie kommen doch auch? ſagte dieſe zu Albano freundlich. Ich hab 'es ihm ſchon ver¬ ſprochen , ſagte Albano, den mitten in ſeinem Frühling zwei Eiskeller anwehten. Das Fräu¬ lein v. Haltermann allein zeigt' ihm großen ent¬ ſchiedenen Zorn. Gehen wir zu meiner Schwe¬ ſter vorher? fragte Roquairol die Fürſtinn352 unter dem Wegführen. Albano verſtand das nicht. Die Fürſtinn nickte. Sie nahmen von ihm Abſchied. Fräulein v. Haltermann ſchien ihn zu vergeſſen. Sie entflogen, hielten oben auf einem von der ganzen blühenden Gegend umrungnen Berge neben einem Blumengärtchen ſtill und rollten dann hinunter.

Der Himmelswagen mit den geliebten Mäd¬ chen kam jetzt in den franzöſiſchen Prinzengar¬ ten herein. Feurig drückten ſich Albano und Linda einander an die Herzen, die ſie ſich gleichſam zum zweitenmale für einander ge¬ ſchaffen und geſchmückt durch das Schickſal mit neuen Hoffnungen und Welten heute noch einmal täuſchend geben wollten! Alles war ſo glänzend um ſie her, alles neu, ſelten, ru¬ hig, die ganze Welt ein Garten voll hoher flatternder Springbrunnen, welche vor der Sonne glanztrunken ihre Bogen durch einan¬ der warfen! Julienne zog ihn bei Seite, um ihm Linda's ſchönen Entſchluß zu ſagen; aber er kam ihr mit der Nachricht des ſeinigen zuvor. Sie beſtärkte ihn durch die ihrige, ent¬zückt353zückt über das ſeltne Getriebe zuſammengrei¬ fender Glücksräder.

Als Albano wieder bei der Braut war, und ſie bei ihm, fühlten ſie eine neue Wärme des Herzens, keine von einer ausbrennen¬ den dumpfen Gluthkohle, die am Ende ſchwarz zerbröckelt, ſondern die einer höhern Sonne, die aus lauten Flammen ſtille Strahlen macht und die die Menſchen mit einem warmen mil¬ den Frühlingstag umgiebt. Albano ſchob nicht auf und leitete nicht ein, ſondern er gab ihr das Blatt ihres Vaters hin und ſagte unter dem Leſen mit bebender Stimme: Dein Va¬ ter bittet mit mir und für mich. Linda's Thränen ſtürzten der Jüngling zitterte Julienne rief: Linda, ſieh wie er Dich liebt! ' Albano nahm ſie an ſein Herz Linda ſtammelte: ſo nimm ſie denn hin, meine liebe Freiheit und bleibe bei mir bis zu mei¬ ner letzten Stunde (ſagt' er) und bis zu meiner und gehſt in keinen Krieg ſagte ſie zärtlich-leiſe er drückte ſie beſtürzt und ſtark ans Herz nicht wahr, Du verſprichſt es mein Lieber? wiederholte ſie.

Titan IV. Z354

O, Du Göttliche, denke jetzt an etwas Schöneres ſagte er. Nur ja, Albano, ja? fuhr ſie fort. Alles wird ſich durch unſere Liebe löſen ſagt 'er. Ja? Sage nur Ja! bat ſie er ſchwieg ſie erſchrack: Ja? ſagte ſie ſtärker. O Linda, Linda! ſtammelte er ſie entſanken einander aus den Armen ich kann nicht ſagt' er Men¬ ſchen verſteht Euch ſagte Julienne Alba¬ no ſprich Dein Wort ſagte Linda hart. Ich habe keines ſagt 'er.

Linda erhob ſich beleidigt und ſagte: ich bin auch ſtolz ich fahre jetzt Julienne. Kein Bitten der Schweſter konnte die Staunende oder den Staunenden ſchmelzen. Der Zorn, mit ſei¬ nem Sprachrohr und Hörrohr, ſprach und hör¬ te alles zu ſtark.

Die Gräfinn gieng fort und befahl anzu¬ ſpannen. O ihr Leute, und Du Hartnäckiger, (ſagte Julienne) geh ihr doch nach und ſtille ſie. Aber der empfindlichen Sinnpflanze ſeiner Ehre waren jetzt Blätter zerquetſcht; das ihm neue Auffahren, der Schlagregen ihres Zorns hatt 'ihn erſchüttert; er fragte nach nichts. 355 Schau hinauf zu jenem Garten, (ſagte die Schweſter außer ſich,) dort liegt Deine erſte Braut begraben und ſchone die zweite! Das wirkte gerade das Gegentheil: Liane (ſagt' er kalt) wäre nicht ſo geweſen; begleite nur die Gräfinn! O die Männer! rief ſie und gieng.

Bald darauf ſah er beide davon fahren. Allmahlig zerſtob das wilde Heer des Zorns. Aber er hatte, fühlt 'er, nicht anders gekonnt. Er war ihr, ſie ihm mit ſolcher neuen Zärtlich¬ keit entgegengereiſet keines wußte von der fremden und der unbegreifliche Kontraſt ent¬ rüſtete darum beide ſo ſehr Er haßte ſchon an andern Menſchen das Bitten, wie viel mehr an ſich ſelber, und nie war er vermögend, ei¬ nen Menſchen, der ihn verkannte, zurecht zu weiſen. Er ſah jetzt um ſich, alle prangenden Springbrunnen der Freude waren plötzlich nie¬ dergefallen, die Lüfte verödet und das Waſſer murmelte in den Tiefen. Er ritt hinauf zum Garten, wo Lianens Grab ſeyn ſollte. Nur Blumenbeete, einen Lindenbaum mit einer Zir¬ kelbank ſah er darin, aber kein Grab. BetäubtZ 2356und verworren blickt 'er hinein und in den glänzenden Gegenden umher. Verſtockt thrä¬ nenlos mit einem im zurückgetriebnen Strom der Liebe erſtickenden Herzen hinſchauend in die weite Zukunft, die zwiſchen Bergen in krum¬ me Thäler gieng und ſich verſteckte, ritt er dü¬ ſter nach Hauſe. Hier traf er folgendes Blatt von Schoppe an, das der vorauseilende Oheim bei ihm abgegeben:

Es iſt richtig Ich fand das bewußte Portrait Ich bring 'es in der Jagdtaſche mit In wenigen Wochen oder Tagen komm' ich Den Kahlkopf hab 'ich angetroffen, und hinlänglich todtgemacht Ich bin ſehr bei Sinnen. Dein ſeltſamer Oheim reiſete lange mit mir.

S.

357

Zwei und dreißigſte Jobelperiode.

Roquairol.

127. Zykel.

Linda hatte den ganzen Tag darauf in ſchwei¬ gendem Seelenſchmerze zugebracht über den Ge¬ liebten, der ihr, wie einſt Liane ihm, nicht im ganzen lebendigen Feuer der Liebe zu leben ſchien wie ſie ſie war lange von der Für¬ ſtinn umlagert und dann durch ſie Juliennens für eine Luſtreiſe beraubt worden, die ihr nur die Nachricht zuwerfen konnte, daß Albano die¬ ſen Tag auch einen Ausflug gemacht, um Schop¬ pen früher zu umarmen ſie war ſtill geblie¬ ben nach ihrem Grundſatze, daß der weibliche Stolz hier Schweigen, Ruhe und ſogar Ver¬358 geſſen gebiete: als ſie Abends durch das blin¬ de Mädchen aus Blumenbühl, das ſie in ihre Dienſte genommen, folgenden Brief erhielt:

Du Meine! Sey es wieder! Ich will noch ſterben, aber für Dich, nicht für ein Volk auf dem Schlachtfeld. Vergieb das Geſtern und beglücke das Heute. Ich habe meinen Vorſatz einer Entgegenreiſe wieder aufgegeben, um Dir heute noch an das Herz zu ſtürzen und Deinen Himmel auszuſchöpfen und meinen zu füllen. Ich kann nicht warten bis Julienne wieder¬ kommt; mein Herz brennt nach Dir. Morgen muß ich ohnehin im Prinzengarten ſeyn, wo Roquairol ſeinen Trauerſpieler endlich giebt. Komme dieſen Abend ich flehe Dich bei un¬ ſerer Liebe an um 8 Uhr entweder, wenn es hell iſt, in die Tartarus-Höhle, deren Tod¬ tengräber-Putz und Orkus-Ameublement Dir gewiß nur lächerlich ſeyn wird, oder wenn es wolkig iſt, in das Ende des Flötenthals.

Dein blindes Mädchen nimmſt Du nur mit. Du kennſt ja das Spionenweſen, das gerade uns umſtellt. Ich erwarte und begehre keine Antwort von Dir, ſondern Schlags acht Uhr359 ſchleich 'ich durch das Elyſium, um zu ſehen, wo die Göttinn ſteht, der Himmel, die Sonne, die Seeligkeit, Du. Dein Albano.

Wie durch einen Wetterſtrahl des Himmels war ihr ganzes Weſen geſchmolzen zu weicher ſeeliger Gluth; denn ſie glaubte der Handſchrift, daß das Blatt von Albano ſey ſo unerwar¬ tet ihr auch an ihm eine ſo ſchnelle Umkehrung erſchien ; ob es gleich von Roquairol ge¬ ſchrieben war. Laſſet uns zurückgehen bis an die finſtere Quelle des reiſſenden Höllenfluſſes, der ſeinen eiskalten Arm nach der Unſchuld und nach dem Himmel ausſtreckt.

Roquairol war im Winter bei allen Fehl¬ ſchlagungen ſeiner unbändigen Wünſche ziemlich glücklich und gut geblieben; der Abendſtern der Liebe, ob er wohl für ihn mehr ab - als zu¬ nahm, ſtand doch noch nicht unter dem Hori¬ zont, ſondern nur unter Gewölke. Aber ſobald Linda mit Julienne abgereiſet war und zwar, wie er ſogleich errieth und früh erfuhr nach Italien: ſo bewegte ſich ein neuer Sturm durch ſein Leben, der ihm die letzten Blüthen abriß360 und mit dem lange gelegenen Staub verfinſter¬ te, weil er nun, wie er Albano ſelber voraus¬ geſagt, das Netz zu dieſem und der Gräfinn im Strome heraufkommen ſah, das beide eng ge¬ fangen nahm. Das freſſende Gift der Viel - Liebhaberei und Vielgötterei lief wieder heiß in allen Adern ſeines Herzens um : er machte wilden Aufwand, Spiele, Schulden, ſo weit es nur gieng ſetzte Glück und Leben auf die Waage warf ſeinen eiſernen Körper dem Tode zu, der ihn nicht ſogleich zerſchlagen konnte und berauſchte ſich in der Wilden¬ Trauer um ſein gemordetes Leben und Hoffen im Leichentrunk der Schwelgerei; ein Bund, den Wolluſt und Verzweiflung ſchon oft auf der Erde mit einander auf Kriegsſchauplätzen und in großen Städten geſchloſſen haben.

Nur etwas hielt den Hauptmann noch auf¬ recht, die Erwartung, daß A! bano in ſeiner Ferne von Linda beharre, und die, daß dieſe wiederkomme. Jetzt kam die Fürſtinn zurück, noch mit allem friſchen Haſſe gegen den kalten Albano, für deſſen dupe ſie ſich hielt. Ro¬ quairol bewog leicht ſeinen Vater, ihn ihr nä¬361 her zu bringen, da er bei ihr über Albano und alles Nachrichten zu finden hoffte. Er wurd 'ihr bald durch die ähnliche Stimme und die vorige Freundſchaft gegen ihren Feind bedeu¬ tend, und noch mehr durch ſeine ſeltene Ge¬ wandtheit, einer Frau immer das zu ſeyn, was ſie gerade begehrte.

Da ſie alle ſeine frühern Verhältniſſe und Wünſche ſchon längſt gekannt: ſo warf ſie, ſobald ihre Fernſchreiber von Albano ihr die Nachricht von ſeiner neuen Liebe gegeben, ihm leicht die Erwähnung davon hin. Trotz der warmen Rolle, die Roquairol gegen ſie zu ſpielen hatte, wurd 'er doch vor ihr wüthend¬ blaß, athemlos, bebend und ſtarrend im Ab¬ wechſel, iſt's ſo? fragt' er leiſe ſie zeigt 'ihm einen Brief Fürſtinn, (ſagte er wü¬ thend ihre Hand an ſeine Lippen fortpreſſend,) Du hatteſt Recht, vergieb mir nun alles.

Wie groß er von Albano gedacht, ſah er erſt jetzt aus ſeiner Verwunderung über das Natürlichſte von der Welt. Nie haſſet das Herz bitterer als wenn es den Gegenſtand, den es vorher unter dem Haſſen achten mußte,362 nun ohne Achten haſſen muß; ſo wie aus dem¬ ſelben Grunde den ſchlimmen Menſchen die Heu¬ chelei des andern weit tiefer und eigennütziger entrüſtet als den frommen. Roquairol glaubte jetzt, den ſtolzen Freund recht anfeinden zu dür¬ fen; er wurde aus einer deutſchen Ruine eine welſche voll Skorpionen. Die Fürſtinn wurde das heiſſe Klima, das die Skorpionen erſt recht vergiftet. Sie erzahlte ihm, wie Albano ſie ſo lange zu gewinnen und auf ſeine tiefen Mie¬ nen zu locken geſucht, bloß um bei deren Auf¬ ſpringen den Genuß der Kälte und des Hohns zu haben und wie er ſo gleichgültig vom Haupt¬ mann geſprochen, ohne ihn nur des Haſſes zu würdigen.

Die Fürſtinn erlaubte dem Hauptmann eine Stufe noch der andern an ihrem Throne hin¬ aufzugehen, bis er keine mehr hatte als ihre eigne Perſon. Sie gab ihm auch die letzte Stufe unter der Bedingung Preis, ſie zu rä¬ chen. Er ſagte, er räche ſie und ſich, denn Al¬ bano habe feierlich in dem Tartarus der Grä¬ finn für ihn entſagt. So ſchienen beide ihre wahre Liebe unter die Larve der Rache zu ſte¬363 cken, die Fürſtinn ihre für den Hauptmann, er ſeine für Linda.

Sie brachte ihm einen Plan immer dichter vor das Auge, den er nicht erblickte, ſo ſehr ſie ihn reizte durch die Bemerkung, daß Albano ein größerer Weiber-Liebling ſey und ſeyn werde als man bisher noch dachte, daß ſogar ihre fromme beſonnene Schweſter Idoine nach ihren ſtillen Fragen in Briefen und nach an¬ dern Zeichen faſt beides durch ihn verloren, was ſie ihm am Krankenbette wiedergegeben, Geſundheit und Friede und daß er nie hoffen ſolle, die Gräfinn je abtrünnig zu ſehen oder auch zu machen.

Endlich ſagte ſie langſam das fürchterliche Wort: Roquairol, Sie haben Seine Stimme und Sie hat abends kein Auge. Himmel und Hölle! rief er aus, wechſelnd roth und blaß und zugleich in Himmel und Hölle ſehend, deren Thüren vor ihm aufſprangen. Va! ſetzt 'er ſchnell dazu, ohne die ſchwarze Tiefe dieſes weißſchäumenden Meers noch durch¬ drungen zu haben. Die Fürſtinn umarmt' ihn feurig, er ſie noch feuriger. In einer poeti¬364 ſchen Dichtung (ſagt 'er) wäre mir Dein Ge¬ danke leicht gekommen, aber in der Wirklich¬ keit hab' ich keine Liſt! O Schalk! ſagte ſie. So früh und ſo lang 'er nur durfte, ſagte er Du, weil er das Herz kannte, beſonders das weibliche. Bald darauf, als ſie noch offen¬ herziger gegen einander geweſen waren, ſagte ſie: bleibt Sie unſchuldig bei Ihnen, ſo ha¬ ben Sie niemand beleidigt und niemand hat verlohren; bleibt Sie es nicht, ſo war Sie es entweder nicht, oder ſie verdiente die Probe und Strafe, getäuſcht zu werden. Ja, das iſt göttlich das gehört in den herrlichen Trauerſpieler kurz vor dem Ende ſagt' er, wollte ſich aber nicht darüber erklären.

Jetzt kam Ziel und Mittelpunkt in die wil¬ den Kreiſe ſeines Treibens. Er zerlegte kalt Albano's Briefe der Liebe in große und kleine Buchſtaben, bloß um ſie pünktlich nachzuma¬ chen; daher fand einmal Albano bei Rabetten ſeine Handſchrift ohne ſeine Gedanken. Er fragte Rabetten alle kleine Verhältniſſe Al¬ bano's ab, um ſeine Rolle bis ins Kleinſte auszuarbeiten; und eben ſo las er alle italie¬365 niſche Reiſebeſchreibungen, um mit Linda über jede ſchöne Stelle frei zu ſprechen, wo er als Schein-Albano mit ihr das heſperiſche Leben genoſſen. Es kitzelte ihn, ſo mit der Flamme in der Bruſt und mit dem kalten Eislicht im Kopfe einmal alle theatraliſchen Zurüſtungen und Verwickelungen, ſo wie ſonſt für die Bühne, jetzt für das Leben anzulegen und beſonnen zu regieren.

Er ſah Albano von der Reiſe kommen, der ihn ſtolz behandelte er ſah die blühende Göttinn in Lilar gehen er hörte durch die Spionen der Fürſtinn von ihrer Verbindung: hoch gieng ſein todtes Meer in ſchweren Wel¬ len und ſuchte die Opfer aus ihrem Fluge bis vom Himmel herabzuziehen. Unmittelbar nach dem Trauerſpiel, das er mit Linda zu ſpielen vorhatte, ſollte ſein eigenes im Prinzengarten kommen, das er von Zeit zu Zeit zu geben verſprach und verſchob; er mußte lange harren und ſpähen bis eine Zeit erſchien, in welche ſo viele Zähne eines doppelten Maſchinenwerks zu¬ gleich eingreifen konnten.

Endlich erſchien die Zeit und er ſchrieb das366 oben mitgetheilte Blatt an Linda. Alles war berechnet und abgethan und jede Hülfe des Zufalls in den Plan gewebt. Sein Trauer¬ ſpiel war von ſeinen Bekannten längſt einge¬ lernt, obwohl niemals einprobirt, weil er, wie er ſagte, die Mitſpieler ſelber mit ſeiner Rolle mitten im Spiele überraſchen wollte. Die Freu¬ de, die er von jeher hatte, Abſchied zu neh¬ men, weil ihn hier die Rührung zugleich durch Kürze und Stärke erquickte macht 'er ſich bei ſo vielen als ihn liebten. Von Ra¬ bette ſchied er ſo ſtürmisch-weich, daß ſie er¬ ſchrocken zu ihm ſagte: Karl, das bedeutet doch nichts Böſes? Jetzt iſt alles böſe an mir ſagt' er.

Durch Verwendung der Fürſtinn waren für ſein Trauerſpiel auf den nächſten Tag die be¬ deutendſten Zuſchauer geworben, auch Gaſpard und Julienne ſammt dem Hof. Das Geheim¬ niß zog an; auch der Fürſtinn war ſeine Rolle verdeckt. Nur ſeinen Vater, der dem Hof gern folgen wollte, ſtrich er aus der Zahl durch ei¬ nen großen Zorn, worein er ihn ſetzte, weil er ihn mit keiner andern als dieſer Dornhecke ab¬367 zuhalten wußte. Seine Mutter und Rabette hatt 'er beſchworen bei ihrem Glück, bei ſeinem Glück, keine Zuſchauerinnen ſeines Spiels zu werden.

Ein neuer Wind des Zufalls war ihm zum Heben ſeiner Flugmaſchine durch den ſeltſamen Bruder des Ritters gekommen, der mit ſolcher Freude von der eiſernen Maske ſeiner tragi¬ ſchen Maske hörte, daß er mit dem Antrag zu ihm kam, er wolle ihm einen neuen wunderba¬ ren Spieler zuführen. Alles iſt beſetzt ſagte der Dichter. Man mache ein Chor zwiſchen den Akten und geb 'es Einem , ſagte der Spa¬ nier. Roquairol fragte nach dem Namen des Spielers. Der Spanier führt' ihn in ſeinen Gaſthof; innen im Zimmer rief ſchon eine thie¬ riſch-dumpfe Stimme: kommſt Du denn ſchon wieder, mein Herr? ſie fanden darin nur eine ſchwarze Dohle. Man ſtelle den Vogel auf das Theater, er ſey das Chor, er ſage in hal¬ bem Geſang mezza voce bloß zwei, drei Zei¬ len her, die Wirkung wird kommen, ſagte der Spanier.

Roquairol ſtaunte über die langen Sprüche368 der Dohle. Der Spanier erbat ſich einen län¬ gern von ihm, um ihn ihr vor ſeinen Ohren einzulernen. Roquairol gab ihm den: im Le¬ ben wohnt Täuſchung, nicht auf der Bühne. Der Spanier ſagte anfangs bloß ein Wort zum Nachſprechen vor, dann wieder eins, wie¬ derholte es dreimal, ſagte dann mit den Fin¬ gern den Vogel ermunternd: allons diables¬ se! und das Thier ſtotterte dumpf die ganze Zeile her. Roquairol fand in dieſer komiſchen Thier-Larve etwas Fürchterliches, und nahm den Vorſchlag, einige Chorzeilen zu dichten und dem Vogel anzuvertrauen, unter einer eig¬ nen Bedingung an, daß nehmlich der Spa¬ nier ſeinen Neffen Albano den Abend vorher von Peſtiz entferne unter irgend einem Vor¬ wand und dann mit ihm im Prinzengarten er¬ ſcheine. Der Spanier ſagte: Herr Haupt¬ mann, ich brauche keinen Vorwand, ich habe Wahrheit! Ich werde mit ihm ſeinem Freund Schoppe entgegenreiſen, er will morgen abends kommen; auch dieſer wird mit zuſehen.

Albano konnte in ſeiner verworrenen Stim¬ mung gegen Linda und in der erwartungsvol¬len369len gegen Schoppe nichts ſo leicht annehmen als einen kleinen Reiſeplan, um dieſen gelieb¬ ten Schoppe früher an der Bruſt zu haben. Julienne wurde in Gegenwart des kranken Für¬ ſten von der Fürſtinn gebeten, ſie zu Idoine zu begleiten, die ihrer auf halbem Wege in einem Gränzſchloß wartete, und den andern Tag in den Prinzengarten zurückzugehen. Sie weigerte ſich. Der kranke angeſtiftete Bruder that die von ihm erbetenen Bitten dazu. Die Schwe¬ ſter erfüllte ſie.

Nun war alles für den Abend, woran Ro¬ quairol Linda ſehen wollte, berichtigt So glimmen Nachts in den Scheuern eines ſchuld¬ loſen Dörfchens die eingelegten Brände der Sturmwind brauſet um die müden ſchlafenden Einwohner die Räuber ſtehen auf den Ber¬ gen im Abendnebel und ſchauen wartend her¬ ab, wenn die Feuerſchwerter der Flammen auf allen Seiten durch die Nebel glänzen und mit ihnen rauben und morden werden, um zu ih¬ nen herabzukommen.

128. Zykel.

Linda las das Blatt unzählige mal, weinteTitan IV. A a370vor ſüßer Liebe und dachte nicht daran, zu vergeben. Dieſes Wehen der Liebe, das alle Blumen beugt und keine pflückt, hatte ſie ſchon ſo lange gewünſcht; und jetzt auf einmal nach der nebligen Windſtille des Herzens, gieng es lebendig und friſch durch den Garten ihres Le¬ bens. Sie konnte ſchwer acht Uhr erwarten. Sie half ſich über die Zeit hinweg durch Wäh¬ len des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier, Hute, Kleide und allem beſtand, was ſie ge¬ tragen, als ſie ihren Geliebten zum erſtenmal auf lschia gefunden.

Sie ſteckte die Paradieſes - oder Orangen¬ blüthen, die Zeiger jener Zeit und Welt, an ihr klopfendes Herz und gieng zur beſtimmten Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme, in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen den Brief nahm ſie den Weg ins Flötenthal. Die Nacht war finſter für ihr Auge und das blinde Mädchen wurde ihre Führerin.

Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare ſtand wie der böſe Geiſt auf der Zinne des Pa¬ radieſes, Roquairol und blickte ſcharf in den371 Garten herab, um Linda und ihren Weg zu finden. Sein Freudenpferd war unten im tie¬ fen Gebüſch an ausländiſche Gewächſe ange¬ bunden. Voll Ergrimmung ſah er noch Dian und Chariton mit den Kindern in dem Garten gehen; und oben im Donnerhäuschen ein klei¬ nes Licht. Er verfluchte jede ſtörende Seele, weil er entſchloſſen war, heute im Nothfall je¬ den Stürmer ſeines Himmels zu ermorden. End¬ lich ſah er Linda's lange rothe Geſtalt gegen das Flötenthal zugehen und das Schwellen - Gebüſch aufziehen und darhinter verſchwinden.

Er eilte den langen Schneckenberg herab, warm wie eine vergiftete Leiche. Hinter ſich hörte er im langen Buſch-Gewinde jemand nacheilen er entbrannte und zog ſeinen Stock¬ degen, den er nebſt einem Taſchenpiſtol bei ſich hatte endlich ſah er eine häßliche Ge¬ ſtalt, einem böſen Geiſte ähnlich, die ihm nach¬ rannte ſie packte ihn es war der Für¬ ſtinn langarmiger Affe Er durchſtach ihn auf der Stelle, um nicht von ihm verfolgt zu werden.

Unten im freien Garten gieng er langſam,A a 2372um keinen Verdacht zu wecken. Er ſchlich leiſe wie der Tod, der auf dem Donnerwagen einer Wolke ungehört durch Lüfte über den Blüthen¬ baum zieht, worunter eine Jungfrau lehnt, und verſteckte den mörderiſchen Wetterſtrahl in ſeine Bruſt. Er öffnete das hohe Pforten-Ge¬ ſträuch des Flötenthals; alles war darin ſtill und dunkel; nur hoch im Himmel gieng ein ſeltſamer brauſender Sturm und jagte die Wol¬ ken-Heerde, aber auf der Erde war es leiſe und kein Blatt bewegte ſich. Iſt jemand da? fragte die blinde Thürhüterin. Guten Abend, Mädchen! ſagte Roquairol, um durch ſeinen Sprachton für Albano zu gelten.

Tief im engern laubigen Thale ſang Linda leiſe ein altes ſpaniſches Lied aus ihrer Kinder¬ zeit. Endlich wurde ſie erblickt die Rieſen¬ ſchlange that den giftigen Sprung nach der ſüßen Geſtalt und ſie wurde tauſendfach um¬ wunden.

Er hieng an ihr ſprachlos athemlos die Wolke ſeines Lebens brach Thränen der Gluth und Pein und Wonne rannen bren¬ nend fort alle Arme, worein der Strom373 ſeiner Liebe bisher ſeicht umhergelaufen war, ſchoſſen brauſend zuſammen und faßten und trugen Eine Geſtalt Weine nicht, mein guter Menſch, wir lieben uns ja immer wie¬ der, ſagte Linda und die zarte ſchöne Lippe gab ihm den erſten innigen Kuß. Da kreiſete das Feuerrad der Entzückung mit ihm reiſſend um und um den darauf geflochtenen Kopf weh¬ ten die Flammen-Kreiſe hoch auf. Aus Furcht, erblickt zu werden, wenn er erblicke und aus Luſt hatt 'er die Augen geſchloſſen, jetzt that er ſie auf, ſo nahe an ſich und in ſeinen Armen ſah er nun die hohe Geſtalt, das ſtolze blühende Antlitz und die feuchten warmen Lie¬ bes-Augen. Du Himmliſche, (ſagt' er,) tödte mich in dieſer Stunde, damit ich ſterbe im Him¬ mel. Wie will ich nachher noch leben? Könnt 'ich meine Seele in meine Thränen gies¬ ſen und mein Leben in Deines, und wäre dann nicht mehr!

Albano, (ſagte ſie) warum biſt Du heute ſo anders, ſo traurig und weich?

Nenne mich (ſagt 'er) lieber bei Deinem Namen, wie die Liebenden auf Otaheiti die Na¬374 men tauſchen. Vielleicht hab' ich auch etwas getrunken aber ich bereue ja das Geſtern und ich liebe Dich ja neu. Ach, Du, liebſt Du denn auch mein Innres, Linda?

Süßer Jüngling, kann ich es denn jetzt nicht ewig lieben? Ich bleibe ja bei Dir und Du bei mir.

Ach Du kennſt mich nicht. Wenn weiß es denn der Menſch, daß gerade Er, gerade die¬ ſes Ich gemeinet und geliebet werde? Nur Geſtalten werden umfaſſet, nur Hüllen umarmt, wer drückt denn ein Ich ans Ich? Gott etwa.

Und ich Dich ſagte Linda.

O Linda, liebſt Du mich fort in meinem Grabe, wenn die Spreu des Lebens verflo¬ gen iſt liebſt Du mich fort in meiner Hölle, wenn ich Dich aus Liebe gegen Dich belogen habe? Iſt denn Liebe die Entſchuldigung der Liebe?

Ich liebe Dich fort, wenn Du mich liebſt. Biſt Du die Giftblume, ſo bin ich die Biene und ſterbe in dem ſüßen Kelch.

Die Braut ſank an ſeinen Hals. Er um¬375 klammerte ſie heftig und wurde immer ähn¬ licher dem Gletſcher, der durch Wärme weiter rückt und ſchmelzend verheert. Um ihn zogen die Freuden mit glänzenden, mit himmliſchen Geſichtern, zeigten ihm aber in den Händen Furienmasken.

Du willſt ſterben aus Liebe; ich bin ſchon geſtorben aus Liebe O Du weißt nicht, wie lange ich Dich ſchon liebte! antwortete er.

Glühender (ſagte ſie) denk an dieſe Nacht, wenn Du einſt Idoinen ſiehſt! So ſeh 'ich nur meine aufgeſtandne Schweſter ſagt' er, aber ſogleich über die entfahrne Wahrheit erſchreckend. Man ſteht (ſetzt 'er eilig dazu) das auferſtandne Herkulanum, aber man wohnt im blühenden Portici darüber; ich und Du ſa¬ hen im Baja-Golf unter dem Meer die ver¬ ſunknen Bogen und Thore und wir ſchifften nach lebendigen Städten weiter. Iſt mir doch auch Roquairol in ſo manchem ſo ähnlich und liebt Dich ſo ſehr und ſo lange und ſtarb auch einmal wie Liane?

Aber dieſen hatt 'ich nie geliebt und nun bin ich Deine ewige Braut.

376

Der arme Menſch! Aber ich that, glaub 'ich, doch nicht Recht, da ich einſt in der Tar¬ tarushöhle Dir Ungeſehenen im Voraus ent¬ ſagte aus Liebe gegen den Freund.

Gewiß nicht; aber wie kommen wir beide auf dieſes unheimliche Weſen? ſagte ſie küſſend.

Heimlich möcht 'ich's eher nennen ver¬ ſetzt' er, entbrennend in haſſender Liebe, im Zwieſpalt der Rache und Luſt und entſchloſſen, nun den Leichenſchleier über ihre ganze Zukunft zu weben Er ſchlug die ſchwarzen Adlerſchwin¬ gen um das Opfer, und erſtickte und erweckte Küſſe, er riß die Orangenblüthen von ihrer Bruſt und warf ſie zurück. Liebe iſt Leben und Sterben und Himmel und Hölle, (ſagt 'er,) Liebe iſt Mord und Gluth und Tod und Schmerz und Luſt Kaligula wollte ſeine Zä¬ ſonia foltern laſſen, um nur von ihr zu wis¬ ſen, warum er ſie ſo liebe ich wäre das auch im Stand.

Göttlicher Albano! trinke nicht mehr ſo! Du biſt zu ungeſtüm, Deine Augenbraunen ſtürmen ſogar mit wie biſt Du denn?

377

Alles auf einmal, wie ein Gewitter, voll Gluth und mein Himmel iſt hell durch den Blitz und ich werfe kalten Hagel und eine Zerſtöhrung nach der andern und es reg¬ net warm auf die Blumen und Himmel und Erde verknüpft ein ſtiller Bogen des Frie¬ dens.

Jetzt ſah er am Himmel die Sturmwolken wie Sturmvögel zwiſchen den Sternen und ne¬ ben dem zornigen Blutauge des Mars ſchon heller fliegen; der Mond, der ihn verjagte und verrieth, warf bald das Richter-Auge eines Gottes auf ihn. Im Hohne gegen das Schick¬ ſal riß er auf für ſeine küſſende Wuth den Nonnenſchleier und Heiligenglanz ihrer jung¬ fräulichen Bruſt. Fern ſtand der Leuchtthurm des Gewiſſens von dicken Wolken umzogen. Linda weinte zitternd und glühend an ſeiner Bruſt. Sey mein guter Genius, Albano! ſagte ſie. Und Dein böſer; aber nenne mich nur ein einzigesmal Karl ſagt 'er voll Wuth. O heiſſe denn Karl, aber bleibe mein voriger Albano, mein heiliger Albano! ſag¬ te ſie.

378

Plötzlich fiengen im Thal die Flöten an, die der fromme Vater zu ſeinen Abendgebeten ſpielen ließ. Wie Töne auf dem Schlachtfeld, riefen ſie den Mord heran da ſchmolz Lin¬ da's goldner Thron des Glücks und Lebens glühend nieder und ſie ſank herab und das weiſſe Brautkleid ihrer Unſchuld wurde zerris¬ ſen und zu Aſche.

Nun die Deinige bis in meinen Tod! ſagte ſie leiſe mit Thränenſtrömen. Nur bis in meinen ſagte er und weinte jetzt weich mit den weinenden Flöten. An der goldnen Kugel auf dem Berge glomm ſchon der Mond, der wie ein bewaffneter Komet, wie ein einäugi¬ ger Rieſe heraufdrang, den Sünder aus ſeinem Eden zu jagen. Bleibe bis der Mond kommt, damit ich in Dein Angeſicht ſehe bat ſie. Nein, Du Göttliche, mein Freudenpferd wie¬ hert ſchon, die Todesfackel brennt herab in meine Hand ſagte er tragiſch-leiſe. Der Sturm war vom Himmel auf die Erde gezogen; ſie fragte: der Sturm iſt ſo laut, was ſagteſt Du, Schöner? Er küßte wild ihre Lippe und ihren Buſen wieder; er konnte nicht gehen,379 er konnte nicht bleiben: gehe morgen nicht (ſagt 'er) in den Trauerſpieler, ich flehe Dich, das Ende, hör' ich, iſt zu erſchütternd.

Ich liebe ohnehin dergleichen nie. O blei¬ be, bleibe länger, ich ſeh Dich ja morgen wie¬ der nicht. Er preßte ſie an ſich deckte ihre Augen mit ſeinem Angeſicht zu das Gorgo¬ nenhaupt des Mondes wurde ſchon in den Mor¬ gen heraufgehoben er ließ das Leben los, wenn er ſie entließ und doch zehrte jedes geſtammelte Wort der Liebe an der kurzen Zeit. Der Sturm arbeitete in den geriſſenen Bäu¬ men und die Flötentöne ſchlüpften wie Schmet¬ terlinge, wie ſchuldloſe Kinder unter dem gros¬ ſen Flügel weg. Roquairol, wie betäubt von ſolcher Gegenwart, war nahe daran zu ſagen: ſieh 'mich an, ich bin Roquairol; aber der Gedanke ſtellte ſich ſchnell dazwiſchen: das verdient ſie nicht um Dich; nein, ſie erfahr' es erſt in der Zeit, wo man den Menſchen alles vergiebt. Noch einmal heftig hielt er ſie an ſich gedrückt, das Mondlicht fiel ſchon auf beide herein, er wiederholte tauſend Worte der Liebe und Scheidung, ſtieß ſie zurück, fuhr380 ſchnell um und ſchritt in Albano's Kleidung durch das Thal hindurch.

Gute Nacht, Mädchen ſagt 'er vorüber¬ gehend zur Blinden. Linda ſang nicht wieder wie vorhin. Die Sterne ſahen ihn an, die Sturmwinde redeten ihn an die Freuden giengen neben ihm, hatten aber die Furien¬ masken nun auf den Geſichtern aus dem Himmel griff ein Arm herab, aus der Hölle griff ein Arm herauf und beide wollten ihn faſſen, um ihn auseinander zu reiſſen nu, nu, (ſagt' er,) ich war wohl glücklich, aber ich hätt 'es noch mehr ſeyn können, wär' ich Ihr verdammter Albano geweſen und ſchwang ſich auf ſein Freudenpferd und jagte noch in der Nacht nach dem Prinzengarten.

129. Zykel.

Albano und ſein Oheim zogen dem ange¬ kündigten Schoppe von Dorf zu Dorf weiter entgegen; der Oheim ſchob die Hoffnung wie einen Horizont immer vor ihnen voraus; ein¬ mal abends glaubte der Graf, Schoppe's Stim¬ me nahe neben ſich zu hören umſonſt, der381 geliebte Menſch kam noch nicht an ſein Herz und ſchmachtend ſah Albano die Wolken im Himmel auf dem Weg herziehen, den ſein Theue¬ rer unter ihnen auf der Erde nahm. Der Oheim erzählte ihm lange von einem geheimen Kum¬ mer, der den Bibliothekar oft niederdrücke, und von deſſen Anſatz zur Tollheit, der ihn auch früher von ihm weggetrieben, weil er unter allen Menſchen keine ſo fürchte als tolle. Von Romeiro's Portrait ſchien er nichts zu wiſſen. Albano ſchwieg verdrüßlich, weil der Spanier unter die unleidlichen Menſchen gehörte, die mit glattem feſten Geſicht und mit zugeſchraub¬ ter gehelmter Seele den fremden Widerſpruch, ohne eignen Widerſpruch, ohne Echo, ohne Spiegel und Änderung um ſich flattern laſſen können und für welche die fremde Rede nur ein ſtiller Thau iſt, deſſen Fallen keinen Stein aus¬ höhlt. Dazu kam Albano's Erbitterung gegen deſſen neue Unwahrhaftigkeit über Schoppens Nähe und gegen ſein eignes Unvermögen, eine Stunde lang alles ungläubig anzuhören, was ein Lügner ſagt.

Schoppe iſt auf mein Wort durch einen382 andern Weg ſchon im Prinzengarten ſagte endlich der Spanier ganz munter, und rieth umzukehren an, im warmen Genuſſe ſeiner fre¬ chen kalten Kraft, jeden der ihm nicht huldigte, zwiſchen ſcharfe langſame Eisfelder zu preſſen.

Sie kamen vor dem Prinzengarten unter lauter Wagen an, aus welchen die Zuſchauer des heutigen Spielfeſtes ausſtiegen. Albano fand ſchon unter jenen ſeinen Vater, die Für¬ ſtinn und Julienne; und unter den Mitſpielern Bouverot, ſeinen alten Exerzizienmeiſter Falterle und die gelbgekleidete Kaufmannsfrau in ro¬ them Schaul, die einmal weniger in als an Roquairol's Herzen geweſen, und dieſen ſelber. Der Hauptmann trat vor aller Welt ſofort den bekannten Albano an und ſagte mit geſuchter Leichtigkeit, das Spiel beginne bald, nur Dian mit ſeiner Frau werde noch erwartet. Dian, überall leicht beweglich, am meiſten durch eine Bitte, konnte einer für die Kunſt am wenigſten widerſtehen; durch ihn wurde bald auch Cha¬ riton für das Spiel gewonnen, aber nicht ohne den Umſtand, daß ſie im Stücke eine Geliebte gegen niemand als ihren Gemahl zu ſpielen383 hatte. Als Roquairol mit Albano ſprach, ſo wurde ſeinem Geſicht ſo wie einem geſchwollnen oder gefrornen das leichte Lächeln ſchwer und das Aufheben des Augenlieds; und innen drück¬ te ein ſtrafender beugender Geiſt den ſeinigen vor dem frohen reinen Freunde zur Erde, aus deſſen Frühling er die helle Sonne weggeriſſen und geworfen und dem er eine ewige Peſtwol¬ ke über das Leben gehangen.

Unter dem Getümmel der Gartenreden und im fruchtloſen Wunſche, der Schweſter Julienne drei ſanfte Worte für die ihm ſo lange ver¬ deckte Linda mitzugeben, ſah Albano den Wa¬ gen der Gräfinn auf die Höhe an Lianens letz¬ ten Garten rollen, da halten, und ſie und Dian und Chariton ausſteigen.

Da kannt 'er weiter nichts als den Flug zur entbehrten Geliebten, der ſich vor den vielen Augen leichte in die Sehnſucht nach Dian ein¬ kleidete; und jetzt fragt' er im Durſt der Liebe nach gar keinem Auge. Ach da bin ich doch! ſagte Linda und gieng ihm entgegen, mit den weichen Rebenſchlingen zarter Blicke ſich in ſeine verwebend ſo ſcheu und ſo liebevoll 384 und das Abendroth der Verſchämtheit zog, wie Frühlingsröthe in der Nacht, um ihren Himmel und der weiſſe Mond der Unſchuld ſtand mit¬ ten darin! Albano zergieng vom Thauwind dieſer Verzeihung, warf ſich ſeine ſüße Freude an ihrer Umkehrung als ſelbſtſüchtigen Stolz über ſein Siegen vor und konnte in der ſchö¬ nen Verwirrung des Glücks kaum das ſüße Staunen regieren und das aufgelößte Herz, das vor ihr zerrinnen wollte wie ein Gewitter in Abendthau. Er legte in ſein Auge die Seele und gab ſie der Geliebten. Vor Chariton mußt 'er ſich verhüllen. Zu Dian und Linda ſagt' er, als ſie in die hinunterſteigende Sonne ſahen, bloß das Wort: Iſchia!

Da liegt nun freilich, lieber Anaſtaſius (ſagte Chariton zu Dian,) meine gute Fräulein Liane begraben und man weiß nicht eigentlich wo im Garten, denn man ſieht ja nichts als Blumen und Blumen; ſie hat's aber ſo be¬ ſtellt. Das iſt ſehr betrübt und hübſch, (ſagte Dian,) aber laſſ 'es, weg bleibt weg, Chariton! und führte ſie ſeitwärts von den Liebenden ſchonend. An Albano, der nichtsüber¬385überhörte und überſah, war die Erſchütterung davon ſo ſichtbar. Auch Linda nahm ſie wahr. Sprich nur aus Dein Weh, (ſagte ſie,) ich liebe ſie ja auch. Ich denke an die Le¬ bendigen (ſagt 'er, ſich zuſammenfaſſend und blickte ſcheu nicht auf den Blumengarten, ſon¬ dern auf die ſonnentrunkne Abendgegend,) kann man denn genug auf der Erde vergeben und errathen? Linda, o wie vergiebſt Du mir heute!

Freund, (ſagte ſie,) wenn Ihr ſündigt, ſollt Ihr Vergebung empfangen; aber bis da¬ hin ſeyd noch ſtill! Er ſah ſie bedeutend an: haſt Du nicht ſchon vergeben und ich noch nicht? Aber wüßteſt Du, wie ich in dieſen Tagen auf dem Weg zu meinem Schoppe innigſt bei Dir lebte und die göttliche Vergan¬ genheit in die Zukunft brachte ach, kann ich Dir denn alles ſagen an dieſem Orte? Zum Glück hörte ſie gleich andern Frauen, weniger auf Worte als auf Minen, Winke und Thaten merkend mehr mit dem geiſtigen als leiblichen Ohre und trat nicht in den ſo nahe aufgeſperrten Abgrund ſeiner Worte. So ſpielTitan IV. B b386ten jetzt beide, wie Kinder, neben der kalten mit Donner durchzognen Gewitterſtange, aus welcher bei der kleinſten nähern Nähe die bli¬ tzende Senſe des Todes fährt.

Beide gaukelten neben dem Gewitter fort. Die Sonne zog neben dem kleinen Berge und ebenen Blumen-Grabe, mit ihren Flammen in die fernen Ebenen hinein. Aus dem tiefen Prinzengarten flatterten Töne durch die lan¬ gen Abendſtrahlen herauf und vergötterten die goldne Gegend. Die Töne waren einſame Schwingen, die ſich ihr Herz ſuchten und dann an ihm weiter flogen und die liebenden Her¬ zen wurden voll Flügel Die Strahlen ſan¬ ken, die Töne ſtiegen Um Linda und Alba¬ no lag ein goldner Kreis aus Gärten und Ber¬ gen und grünen Tiefen und jede Blume ſchwank¬ te reich unter dem letzten Gold und wurde die Wiege des Auges, die Wiege des Herzens Die Liebenden blickten ſich und die Erde begei¬ ſtert an, die glänzende Welt erſchien ihnen nur im Zauberſpiegel ihrer Herzen und beide ſelber waren darin leuchtende ſchwebende Bilder.

Linda, ich will ſanfter werden, (ſagt 'er,)387 bei der Heiligen ſchwör' ichs, in deren Garten wir ſtehen! Werd 'es, Lieber, in Lilar warſt Du es eben nicht! ſagte ſie. Er ver¬ ſtand es von dem Sturme gegen Liane: ver¬ hülle dies Andenken in Deine Liebe! ſagt' er erröthend. Sie ſah ihn jungfräulich an, ihr Inneres war jungfräulich geblieben und un¬ ſchuldig; wie die Pfirſich ſich roth und glühend der Sonne zukehrt, aber in den Blättern das zarte Weiß erhält. Ihr Auge trank aus ſei¬ nem, ſeines trank aus ihrem, der Himmel ver¬ miſchte ſich mit ihrem Himmel, die Purpur¬ ſonne ſchimmerte aus dem warmen Liebesthau der Liebesaugen zurück. O dürft 'ich Dich jetzt küſſen! ſagte Albano. Ach dürfteſt Du es! ſagte Linda. So golden gieng einſt die Sonne auf dem Meere unter! ſagte er. Und nachher gaben wir uns den erſten Kuß! ſagte ſie. Wir wollen uns jetzt viel öfter ſehen ſagt' er. Ja wohl, und länger am Tage, Nachts hab 'ich Arme ja kein Auge. Nun geht mir dort ſchon mein Auge unter ſagte ſie, als die Sonne verſank.

Es w〈…〉〈…〉 ein guter, ſanfter Geiſt, oder Lia¬B b 2388nens ihrer jener, der den Menſchen nur an der Dämmerung in die Nacht führt, der uns mildernde Thränen in den Jammer und in die Entzückung gieſſet und der dem Abendſtern der Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt Die¬ ſer Geiſt war es, welcher ihre Zungen und Ohren vor dem ſchrecklichen Laute bewahrte, der auf einmal den goldnen Abendkreis in eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬ ſen hätte.

Wer kommt dort ſo eilig? ſagte Linda. Mein Feind ſagte Albano. Roquairol hatte ihn vermiſſet und Linda's Ankunft vernommen; in der Höllenangſt, daß ſich an dieſem Abende vor ihnen der geſtrige aufdecke, eilte er unter dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬ bano zum Hören zu holen, den Berg heran. Wie ein Zentaur, halb Menſch, halb Wild, trat er mit verworrenem dumpfen Kriege ſei¬ nes ganzen Weſens unter die melodiſchen See¬ len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen die Weihe der Entzückung wahrnahm und die ſchwarze Decke noch auf ſeinem Morde feſtlie¬ gen ſah: ſo lichtete ſich in ihm der grimmige389 Geiſt der Eiferſucht auf: ſie iſt nun meine Verlobte ſagt 'er ſich; und die Sonnenfinſter¬ niß verworrner Reue wurde vom Gewitter des Unmuths verdeckt. Linda, über ſeine Stim¬ menähnlichkeit zürnend aus innerm Schauder, ſtand vor ihm wie ein Diamant, hell, glän¬ zend, hart und ſchneidend, Albano aber ſanft, im Nachtönen der Harmonie, auf dem Gottes¬ acker der Schweſter dieſes Bruders und in eini¬ ger Verwirrung. In Roquairol ſchlich wieder der geſtrige unreine Argwohn herum, daß viel¬ leicht Albano und Linda nicht mehr unſchuldig ſeyn.

Zornig bat er heute Linda, ſein Trauerſpiel mit anzuſehen. Sie ſagten mir (ſagte ſie zu Albano) es ſchließe ſo tragiſch, ich bin davon keine Freundinn. Er kennt es gar nicht, ſagte Roquairol. Nein , ſagte Albano. Wie die Schlange ſah er auf das Paradies der erſten Menſchen herab, ſich froh bewußt, daß er ihnen vom Baume ſeines Erkenntniſſes den Apfel reichen konnte, der ſie ſogleich dar¬ aus verjagte. Zudem (fügte ſie dazu) ſeh 'ich abends ſchlecht oder gar nicht. Roquairol ſtellte390 ſich fremde dabei, ſcherzte über den Gewinn, den er als erſter Liebhaber dabei habe, wenn ſie ihn nur höre und bat Dian, mitzubitten. Nicht an¬ gebohrne, ſondern erworbene Kälte iſt der höch¬ ſten Falſchheit mächtig, jene nur der Verſtellung, dieſe auch noch der Anſtellung, weil ſie zugleich al¬ le Wege und Mittel des Feuers kennt und nützt und ſich auf dem Glatteis durch die Aſche vo¬ riger Gluth feſt macht. Da endlich Albano ihr ſelber anrieth, an der tragiſchen Freude Theil zu nehmen, und ihren Freunden und Freundin¬ nen drunten die ſchöne, reine ihrer Gegenwart zu gönnen: ſo willigte ſie ein, verwundert über den Widerruf.

Sie nahm Chariton in ihren Wagen. Die Männer giengen voraus. Unterwegs ſagte Ro¬ quairol zu Dian, der im Stücke Albano's Rolle zu ſpielen hatte: ſobald ich im vierten Akte geſagt habe: auch die geiſtige Liebe geht der ſinnlichen entgegen und kommt wie ein See¬ fahrer, auf dem Wege nach Oſten endlich doch in den Ländern des Untergangs an: ſo fallen Sie ein. Dian lachte und ſagte: ich fall 'ein. In Italien aber fängt die Fahrt gleich391 ſüdlicher und weſtlicher an. Albano ſchwieg verdrüßlich und bereuete, daß er Linda zu die¬ ſem ungewiſſen Feſte bereden helfen. Die Für¬ ſtinn warf einige ſchnelle Blicke der Verachtung auf die betrogne Linda, und dieſe antwortete darauf mit gleichen; ausgezeichnete Weiber ver¬ rathen ihr Geſchlecht am meiſten im feindlichen Zuſammenſtoßen mit ausgezeichneten.

130. Zykel.

Die meiſten Zuſchauer waren anfangs mehr der Zuſchauer und Spieler wegen als des Spieles halber gekommen; aber bald wurden ſie vom Ge¬ heimniß und der ſeltſamen Bühne ſelber ange¬ zogen. Die Bühne war auf der ſogenannten Schlummerinſel des Prinzengartens, welche mit einer wilden dicken Vermiſchung von Blu¬ men, Gebüſchen und hohen Bäumen zugedeckt war. Ihre Morgenſeite zeigte einen offnen freien Vorgrund, auf welchem geſpielt werden ſollte, mit einer weiſſen Sphinx auf einem lee¬ ren Grabmahl tiefer im Grün. Die Kuliſſen waren die dunkeln Laubpartien; Parterre und Logen das jenſeitige Ufer, das von der Inſel392 ſich durch einen See abtrennte, der ſo breit war als ein mäßiges Schiff. An zwei Bäume der beiden Ufer gebunden hieng in die Mitte des Sees wie eine Laterne, der Käfig der Dohle oder des Chors herab, um ihre dumpfe Stim¬ me den Zuſchauern zu nähern. Ich bin in der That neugierig, (ſagte der Ritter zu ſei¬ nem Sohne,) woher Er das Tragiſche nehmen wird. Doch! (ſagte Roquairol, der bis¬ her ſchweigend und unruhig und auf den Bo¬ den ſchauend auf - und abgegangen war.) Nur muß ich allgemein um Vergebung des Aufſchubs erſuchen. Da ich im fünften Akte den Mond anrede, ſo kann ich den wahren ſehr gut brau¬ chen, wenn ich nur gerade ſo anfange, daß ſein Aufgang mit der letzten Szene zuſammen¬ trifft.

Endlich ſtieg er blaß werdend in den Cha¬ rons-Nachen, wie er ſagte, und fuhr allein hinüber. Dann ſchifften die übrigen Spieler nach einander fort. Alle verlohren ſich hinter die Bäume. Nun hob ſich hinten in den zuge¬ laubten Abend-Ländern der Inſel die ewige Ouvertüre aus Mozarts Don Juan wie ein393 unſichtbares Geiſterreich, langſam und groß in die Lüfte.

Diablesse! rief darauf der Bruder des Ritters zur Dohle und klatſchte dabei zum Zei¬ chen in die Hände.

Macht auf den Sarg (begann dumpf das Thier, begleitet von einzelnen lugubern Tönen des Orcheſters) auf dem Gottesacker und zeigt zum letztenmale die Leichenbruſt und Sein trocknes Augenlied und dann drückt ihn zu auf immer.

Jetzt traten Lilia (Chariton) und Carlos (Dian) heraus, zwei Liebende noch in der er¬ ſten Zeit der erſten Liebe noch kein trüber Thränenregen verſchwemmte den goldnen Mor¬ genthau ſie ſind ſich ſo treu. Lilia freuet ſich mit ihm, daß jetzt ihr Bruder Hiort von ſeinen Reiſen kommt und ſeinen Jugendfreund Carlos als ihren ewigen findet. Vielleicht iſt er auch recht glücklich ſagte Lilia. O ſo ge¬ wiß, (ſagte Carlos,) er iſt ja ſonſt alles. Zuweilen ſchwiegen beide im frohen Anblicken, dann giengen Töne aus dem verhüllten Abend der Inſel und trugen die ſtumme Wonne in394 den Äther und zeigten ſie ihnen ſchwebend und verklärt. Unter den Zuſchauern breitete ſich eine ſüße Theilnahme an Dians und Charitons zartem aber mit ſüdlicher Gluth verwebtem Nach¬ ſpielen ihrer ſchönen Wirklichkeit aus; man hörte und ſah die Griechen. Auf einmal entfloh Lilia hinter die Blumen-Gebüſche; denn ihr Feind Salera, Carlos Vater, kam, von Bou¬ verot geſpielt.

Salera verkündigte dem Sohne zürnend die Ankunft ſeiner Braut Athenais. Carlos offenbarte ihm jetzt das Geheimniß ſeiner frü¬ hern Liebe und zeigte ſich gewaffnet gegen eine ganze Zukunft. Salera rief erbittert: wäre Sie doch nicht ſchön, damit ich Dich zwänge und ſtrafte! Aber Du wirſt Sie ſehen und mir gehorchen, und ich werde Dich doch has¬ ſen. Carlos verſetzte: Vater, ich habe ſchon Lilia geſehen. Salera gieng mit zornigen Wiederholungen ab und Carlos wünſchte jetzt noch heftiger Hiorts Wiederkehr, um mit ihm die Schweſter leichter zu entführen durch deſſen Bereden und Begleiten zugleich. Hier ſchloß ſich der erſte Akt.

395

Der Bruder des Ritters rief zur Dohle: Diablesse! und ſcharrte zum Zeichen mit dem Fuße.

Erſcheine blaſſer Mann (ſprach das Thier), die Uhr wiegt die Zeit, Menſch des Jammers, lande auf der ſtillen Inſel an!

Hiort trat blaß geſchminkt hervor mit off¬ ner Bruſt, blickte das Grabmahl an und ſagte aus innerſter Seele: endlich! Die Muſik ſpielte einen Tanz. Ja wohl Schlummerinſel unſer Tag endigt mit Schlaf, ſetzt 'er da¬ zu. Jetzt kam ſein Carlos: Hiort biſt Du todt? rief er im Schrecken über die Leiche. Ich bin nur bleich, ſagt' er. O wie kommſt Du ſo aus der ſchönen bunten Erde zurück! ſagte Carlos. Ausgeſchöpft Karl mit todt¬ gebohrnen Hoffnungen meine Gegenwart iſt von der Vergangenheit enterbt das Sin¬ nenlaub iſt gefallen nicht einmal die ſchöne Natur mag ich mehr und Wolken wie Gebür¬ ge ſind mir lieber als wahre Gebürge ich habe das bittere Unkraut auf dem Leben recht abgeerndtet Und doch muß ich in dieſer lee¬ ren Bruſt einen Würgengel herumtragen, der396 ewig gräbt und ſchreibt, und jeder Buchſtabe iſt eine Wunde Rathe nicht! Sie nennen's das Gewiſſen. Aber ein wenig Schlaftrunk her auf der Schlafinſel, Karl!

Man brachte Wein. Er erzählte[nun] dem Freunde ſein Leben ſeine Fehler, worunter er auch den aufführte, den er eben fortſetzte, das Trinken ſeine ſich wiedergebährende Ei¬ telkeit ſogar mit ihrem Selbſt-Geſtändniß ſeine Weiber-Siege, die ihn zu einem Mag¬ net-Berge voll angeflogner Nägel zerfallner Schiffe machten ſeinen Hang, wie Kardan Freunde zu beleidigen, ein eigenes oder frem¬ des Glück zu unterbrechen, wie ſchon als Kind den Prediger, oder im ſchönſten Spiel das Kla¬ vier zu zerſchlagen, und in einem Enthuſias¬ mus das Frechſte zu denken

Sonſt hatt 'ich doch noch zwei Ichs, eines das verſprach und log, eines, das dem andern glaubte; jetzt lügen ſie beide einander an und keines glaubt. Carlos antwortete: ſchreck¬ lich! Aber Deine Trauer iſt ja ſelber Hülfe und Gabe Ach was! (verſetzt' er.) Der Menſch verdammt weniger das Schlimme als397 die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬ det und fortliebt. Was dort kalt liegt, das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner blutigen Bruſt hilf mir, ziehe das reiſſende Unthier heraus!

Albano ergrimmte im Innerſten über die frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬ lichen Nacht mit ihm*)Titan II. Seite 30 ꝛc.. Er iſt frech genug (ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich ſieht. O (ſagte Albano), ſo dacht 'ich ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬ ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬ baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬ ſchuld. Eine flüchtige Wiegen-Tugend! Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch 398ſagte Gaſpard. Nur weichliche, ehrloſe, zwei¬ deutige, vielſeitige Mattigkeit des Herzens hat er; ſpricht von Kraft und kann nicht die dünn¬ ſte Luſt-Schlinge zerreißen ſagte Albano.

Karl, (ſagte Hiort weich als antwortete er jenen,) ja, noch Eine Hülfe giebts. Wenn am Leben eine friſche Farbe nach der andern verſchießet wenn das Daſeyn nun nichts wird, kein Luſt - kein Trauer-Spiel, nur ein fades Schau-Spiel: ſo iſt dem Menſchen noch ein Himmel offen, der ihn aufnimmt, die Liebe. Schließet ſich dieſer zu, ſo iſt er ewig verdammt. Carlos, mein Carlos, ich könnte noch glücklich werden denn ich habe Athe¬ nais geſehen aber ich kann noch unglückli¬ cher werden, denn ſie liebt mich nicht. In mei¬ nem Herzen liegt dieſer prangende, aber ſcharf fortſchneidende Demant, an dem es blutet ſo oft es ſchlägt. Ueberall ließ jetzt Roquai¬ rol Linda's Bild mitſpielen. Hier brachte an¬ fangs Carlos den Freund mit der Nachricht in Aufruhr, daß Athenais von ſeinem Vater zu ſeiner Braut erleſen ſey und bald komme; aber er ſtillte ihn, da ſeine Schweſter Lilia erſchien,399 indem er ſchnell ihre Hand nahm und ſagte: nur dieſe lieb 'ich. Sie ſprachen über die Hinderniſſe von Seiten des alten Salera, den Carlos ein Eisfeld nannte, das unter keiner Sonne trüge und nicht anzubauen wäre. Ste¬ he mir bei, Karl, (ſagte Hiort,) denke was Du mir geſchrieben: wie zwei Ströme wollen wir uns vereinigen und mit einander wachſen und tragen und eintrocknen*)Eine Stelle aus Albano's Brief an Roquairol. Titan I. S. 468.. So ver¬ ſtändigten, verketteten und erhoben die drei Menſchen ſich einander wechſelſeitig, alle hat¬ ten Ein Ziel, das gemeinſchaftliche Glück. Carlos beſchwor ewigen Widerſtand gegen ſei¬ nen Vater, Hiort den Schutz ſeiner Schweſter und rief: Endlich gieſſet das leere Füllhorn der Zeit, das bisher nichts gab als Klänge, wieder Blumen aus O die Weiber! Wie gemein und alltäglich ſind faſt alle Männer! Aber faſt jede Frau iſt neu! Lächelnd ſagte Gaſpard: das Umgekehrte ſagen die Weiber400 von uns und ſich. Froh und friedlich ſchloß der zweite Akt.

Diablesse! rief der Spanier und ſtreckte ſeine Rechte hoch in die Luft.

Flüchtig (fieng die ſchwarze Dohle un¬ ter Tönen an) iſt der Menſch, flüchtiger iſt ſein Glück, aber früher ſtirbt der Freund mit ſeinem Wort.

Der dritte Akt drang ſofort nach und hob durch die ununterbrochne Fortſetzung des Kunſt - Zaubers welche jedem Schauſpiel und jedem geleſenen Kunſtwerk gebührte alles proſai¬ ſche kalte Erſtaunen auf, ſogar das über das wunderbare Sprechen der Dohle auf dem See. Eine große ſchöne ſtolze Frau erſchien Athe¬ nais, (von der Kaufmannsfrau, Roquairol's Nebengeliebte, geſpielt) voll Hoffnung auf ihre alte Freundinn Lilia, die ſich die kleine Athe¬ nais nannte, und ſüß nachträumend den Traum der vorigen Zeiten. Lilia ſinkt in ihre Arme mit doppelten Thränen; in ihrer Hand trägt Athenais ja drei Himmel und drei Höllen. Wie ſchön kommſt Du wieder! Mein ar¬ mer Bruder! ſagte Lilia leiſe. Nenn ihnnicht,401nicht, (ſagte ſie ſtolz,) er kann für mich ſter¬ ben, aber ich kann nicht für ihn leben. Hier fliegt Carlos herein zu ſeiner Lilia er¬ ſtarrt im Fluge faſſet ſich und nähert ſich Lilia. Dieſe ſagt: Graf Salera Athe¬ nais er wurde blaß, dieſe roth. Eine pein¬ liche enge Verwirrung verſtrickte ſie drei; jeder Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬ holt. Lilia wird ſchaudernd immer ſtärker Athe¬ nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬ ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬ bende ſehen ſich lange zitternd an: hab 'ich Recht? fragt Lilia. Hab' ich Schuld? ſagt Carlos. Nein, (ſagt ſie,) denn Du biſt ein Menſch und, was noch ſchlimmer, ein Mann. Was ſoll ich denn thun? verſetzt Carlos. Du ſollſt (ſagte ſie feierlich) nach einem Jahr in einen Garten auf einer Höhe gehen und Dich umſehen und mich ſuchen im Garten im Garten unter den Beeten tief unter Einem ich weiß nicht wie tief Sie eilte wie wahnſinnig davon und ſang: vor¬ über, vorüber, das Lieben und Leben!

Carlos ſtand einige Minuten mit dem wil¬Titan I V C c402den Blick am Boden und ſagte dumpf: Du thuſt's, Gott! und gieng ab begegnete ſei¬ nem Freund, der ungeſtüm und froh ausrief: Sie iſt da! eilte aber ſtolz weiter und rief nur zurück: jetzt nicht, Hiort! Zu die¬ ſem kam weinend Lilia und führte ihn fort: Komm, (ſagte ſie,) ſieh das Grabmahl nicht an, wir ſind beide zu unglücklich.

Da trat der alte Salera auf mit Athenais vergriff ſich zwiſchen Eis und Brand und nahm ſeine kalte Münze für warme lobte männlich ſie, und väterlich den Sohn und ſagte wie in einem Schauſpiel: da kommt er ſelber. Hier ſtell 'ich Dir, Sohn, (ſagt' er,) Dein Glück vor, wenn Du es verdienen kannſt. Carlos hatte Lilia's Herz verlohren der Wunſch des Vaters, die Macht der Schönheit, die Allmacht der liebenden Schönheit ſtanden vor ihm, ſeine Sehnſucht und der Gedanke der Grauſamkeit gegen dieſe Göttinn, und endlich eine Welt in ihm, die ſo nahe an ihrer Sonne ſtand, ſiegten über eine doppelte Treue er ſank aufs Knie vor ihr und ſagte: ich bin ſchuldlos, wenn ich glücklich bin. Das403 Paar geht auf der einen Seite ab; Salera auf der andern und trifft auf Lilia, deren Hand er mit den Worten nimmt: Sie als eine Freundinn meines Hauſes und Sohnes neh¬ men gewiß den innigſten Antheil an dem neue¬ ſten Glück deſſelben durch Athenais. So ſchloß ſich der dritte Akt, der Albano durch ungerechte alles verdrehende Anſpielungen mit dem erbitterten Wunſche des Endes entflammte und füllte, bloß um Roquairol über dieſes meuchelmörderiſche Zücken des tragiſchen Dolchs zur Rede zu ſtellen. Der Patron (ſagte la¬ chend Gaſpard) glaubt mich auch hereinzumah¬ len; ich wünſche aber, daß er derbere Farben nehme.

Ehe der vierte Akt ſich anfieng, hob der Spanier die Linke empor und die ſchwarze Dohle ſprach ſogleich: die Sünde ſtraft die Sünde und den Feind der Feind; zaumlos iſt die Liebe, zaumlos auch die Rache Seht, nun kommt der Menſch, den ſie nicht mehr lie¬ ben und bringt ſeine Wunden mit und ſeinen Zorn. Hiort ſtand da, wie vor ſeinem Grab, das ſeinen Kopf niederzog unendlich wei¬C c 2404nend und trinkend ſanfte Abend-Töne der Muſik verſchmolzen mit dem aufgelößten Le¬ ben: ach ſo iſt's! (rief er aus tiefer, ſchmerzender Bruſt.) Wirf ſie nur endlich weg, die zwei letzten Roſen des Lebens*)Liebe und Freundſchaft. zu viele Bienen und Stacheln ſtecken in ihnen ſie ziehen dein Blut und geben dir Gift O wie ich liebte! Allmächtiger droben, wie ich liebte! Ach nicht Dich! Und nun ſo ſteh 'ich leer und arm und kalt, nichts, nichts iſt mir geblieben, kein einziges Herz, nicht mein eig¬ nes das iſt ſchon hinunter ins Grab Der Docht iſt aus meinem Leben gezogen und es rinnt dunkel hin O ihr Menſchen, ihr dum¬ men Menſchen, warum glaubt ihr denn, daß es noch Liebe gebe hienieden? Schauet mich an, ich habe keine Wohl ein luftiges Far¬ benband der Liebe, ein Regenbogen zieht ſich hin und ſtellt ſich feſt herüber unter uns wan¬ kende Wolken, als binde und trag' er ſie Spaßhaft! er iſt auch Wolke, und lauter Fall anfangs glänzen bunte Freudentropfen, dann ſchlagen ſchwarze!

405

Er ſchwieg gieng langſam auf und ab ſah ernſt einem Waffen - und Larventanz innerer Geſpenſter zu ſtand ſtill Die Schat¬ ten ſchwarzer Thaten ſpielten durch einander um ihn plötzlich fuhr er auf, ein Wetter¬ ſtrahl eines Gedankens hatte in ſein Herz ge¬ ſchlagen er lief auf und ab, ſchrie: Töne her, gräβliche Töne her! und die Hochzeit¬ muſik aus Don Juan, die ihn bisher begleitet hatte, erhob das Zetergeſchrei des Schreckens göttlich! ſagte er und nur einzelne Wor¬ te, nur Tygerflecken erſchienen verſchwindend am vorübergehenden Unthier teufliſch! das Roſen-Seyn, das Blüthen-Seyn nun ja! ich wickle mich ſelber in die Lauwine und rolle hinunter und dann ſterb 'ich ſchön auf meiner Schlummerinſel beſchloß er ſanft und matt.

O Lilia! gewähre mir Eine Bitte! rief er der kommenden Schweſter entgegen. Jede, die mich nicht am Sterben hindert ſagte ſie. Er legte ihr die Bitte vor: ſie ſollte ihre Freundinn Athenais in die Nachtlaube der Inſel jetzt Nachts unter dem Vorwand be¬406 reden, daß ihr Bräutigam Carlos ihr zwei Geheimniſſe über Lilia noch heute zeigen wolle ich habe (ſetzt 'er dazu) Carlos Stimme, mit ihr ſag' ich ihr mein liebendes Herz und dann, wenn ſie mich liebt, nenn 'ich mich Hi¬ ort. Iſt Deine Bitte Wahrheit? fragte die Schweſter. So wahr ich morgen noch le¬ ben will, ſagt' er. So iſt ſie bald erfüllt, denn Athenais erwartet mich eben in der Nacht¬ laube komme mir nur nach ſieben Minuten nach. Sie gieng; er ſah ihr nach und ſprach mit ſich: eile, beſtelle den Himmel! Schöne Schlummerinſel, zugleich die Schlafſtätte für das Brautgemach und für den ewigen Schlaf O wie wenige Minuten ſtehen zwiſchen mir und ihrem Herzen!

Du biſt doch da? ſagt 'er und ſah nach ſeiner Piſtole. Jetzt (rief er feierlich im Ab¬ gehen) iſt's Zeit zur helldunkeln That, dann wird das Leichentuch darüber geworfen und gieng ſchnell ins Laub hinein.

Der Spanier warf einen Zweig ins Was¬ ſer und die ſchwarze Dohle ſprach leiſe: ſtill iſt das Glück, ſtill iſt der Tod.

407

Der Menſch (ſagte Gaſpard) hat etwas im ganzen Spiele wie wahren Ernſt, ich ſtehe nicht dafür, daß er ſich nicht wirklich vor uns allen todtſchießet. Unmöglich, (ſagte Al¬ bano erſchreckend,) zu einer ſolchen Wirklich¬ keit hat er keine Kraft; indeß vermocht 'er doch ſich ſelber nicht recht von dieſer bangen Möglichkeit loszubringen.

Verſtört, ungeſtüm, mit loſem Haar kam Hiort zurück und ſagte leiſe: es iſt geſchehen. Ich war ſeelig niemand wird's nach mir. Bei der Gelben und jetzt in der Nacht ſteh 'ich für nichts, ſagte Gaſpard. Al¬ bano erröthete über die freche Vermuthung verſchämt und noch mehr über Roquairols Frevel erzürnt, im Spiele die geheiligte Ge¬ liebte zu entehren und zu entführen. Töne her, aber weiche, gute rief er und ließ ſich vom Zephyr der Harmonie umwehen und trank unaufhörlich Leichentrunk oder Wein; bei¬ des zum Verdruſſe des Ritters, der das Trin¬ ken verabſcheuete und die Muſik vermied, weil dieſe oder beide weich machten.

408

Er legte ſich auf den Raſen und die Pi¬ ſtole neben ſich und ſagte ſtammelnd: ſo lieg 'ich denn in der warmen Aſche meines aufge¬ brannten Lebens und meine kalte kommt dazu (Er legte ſeine Doppellorgnette an die Augen feſt und blickte funkelnd hinüber zu Linda) Ich habe ſie am Herzen gehabt, die göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine Tulpe, die ſich nun am Abend über der Biene ſchließet, damit ſie im Blumenkelche ſterbe auf den Raſen meines Abends ruh' ich und ſterb 'ich Ich ſchaue die Holde noch ſeelig an Ich kann nicht bereuen Vergieb nur, armer Carlos, ich ſtreiche die Schuld mit Blut durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht Sollte ſich am Ufer der Ewigkeit das, was die Zeit an dieſem Ufer abſpühlt, wieder anle¬ gen: ſo hab' ich's dort ſchlimm, ich kann mich dort ſo wenig ändern als hier.

Jetzt geſchah in der Stadt ein Kanonen¬ ſchuß, um einen Deſerteur anzukündigen. Er nahm ſeine Piſtole in die Hand: ja ja, ein Schuß bedeutet einen Flüchtling, auch aus der Welt O wenn hebt ſich die ſcharfe Si¬409 chel*)Der Mond. am Morgen und zerſchneidet das Le¬ ben! Ich bin ſo müde. Er ſah nach dem Morgenhimmel, aber ein Gewitter, das ſchon leiſe donnerte, überzog die Pforte des Monds. Er lächelte bitter:

Auch dieſe kleine letzte Freude mißgönnt mir das Geſchick! Ich ſoll den Mond nicht mehr ſehen Nun, ich werde wohl höher kommen als er und ſein Gewitter Nur wer¬ den mir meine lieben Zuſchauer und Zuhörer des Todes durch den Regen vertrieben Ja! biſt du aus, ſo bin ich aus! Er zeigte auf die Flaſche.

Wilde, gräßliche Töne aus der Tiefe her¬ auf! Mein blutiges Brautkleid her! Es iſt Zeit, die abgehende Freude wirft einen langen, wachſenden Schatten hinter ſich. Albano und Julienne erkannten erſtarrend im kleinen Rocke, den man ihm brachte, den mit Blut beſpritzten, den er auf der Redoute getragen, wo er als Knabe ſich vor Linda ermorden wollen. Sie ſollen es auf meine kalte Bruſt legen ſagt '410er, da ers von Falterle empfieng. Der Donner zog näher, die Blitze wurden glühender und ans Gewitter wuchs eine Wolke nach der an¬ dern. Er trank die Gläſer ſchnell. Schaden kann's mir jetzt nichts, (ſagte er,) auch der Blitz nicht ſonderlich, ob ich gleich unter Bäu¬ men liege in dieſer Röhre ſteckt ein Blitz gegen alle Blitze, ein rechter Gewitterableiter. Das eilende Wetter drängte ihn der Zu¬ ſchauer wegen zum Ziel und er wurde zornig empört vom Spotte des Zufalls über ſeine thea¬ traliſchen Zurüſtungen.

Nichts iſt luſtiger und paſſender als dies Gewitter, (ſagte Gaſpard,) indeß ſcheint ihn das Reden und Warten ziemlich zu ergötzen. Die andern Zuſchauer wurden von der Szene gepeinigt und doch riß ſich keiner los. Den Mitſpielern war befohlen, den Schuß als das Merkwort zu nehmen und nicht früher zu kom¬ men. Er ſagte: die Todesſchlange klappert in der Nähe dort auf der Zukunft ſchwimmt die Leiche heran Man hörte, daß er durch einander ſprach und aus dem Stegreif, vom Gewitter gequält. Er ſah die Piſtole an: dein411 Aufblick! ſo iſt der Blick des Lebens gethan und wieder unter dem Augenlied Ein Funke, ein einziger Funke, ſo iſt der Theatervorhang hin¬ aufgelodert und ich ſehe die Zuſchauer ſtehen, die Geiſter oder auch nichts und den weiten Äther der Welt füllt die ewige ſchwere Wolke So ſteh 'ich denn am todten Meer der Ewigkeit, ſo ſchwarz, ſtill, weit, tief liegt's unter mir, ein Schritt und ich bin drinnen und ſinke ewig Meinetwegen! Ich ſchwamm ja vor der Geburt auch drinnen. Nu nu (ſagt' er, indem es tröpfelte und er nahm das letzte Glas,) der Regen will den armen Er¬ kaltenden erkälten Spielt jetzt etwas Sanf¬ tes, Schönes, ihr guten Leute!

Darauf ſpannte er den Hahn des Ge¬ wehrs, ſtand auf, ſagte weinend: lebe wohl, ſchönes und hartes Leben! Ihr paar ſchö¬ nen Geſtirne, die ihr oben noch niederblickt, mög 'ich euch näher kommen Du heilige Erde, du wirſt noch oft beben, aber der nicht mehr mit, der in dir ſchläft Und ihr guten fernen Menſchen, die ihr mich liebtet, und ihr nahen, die ich ſo liebte, es geh' euch beſſer als412 mir und verdammt mich nicht zu hart, ich ſtrafe mich ja ſelber und Gott richtet mich ſo¬ gleich Lebe wohl, mein lieber beleidigter aber ſehr harter Albano, und Du, Du bis in den Tod heiß geliebte Linda, verzeihet mir und beweinet mich!

Liane, lebſt Du noch, ſo ſtehe Deinem Bruder in der letzten Stunde bei und bitte bei Gott für mich. Hier drückte er ſchnell das Gewehr an der Stirne ab und ſtürzte hin, ei¬ niges Blut floß aus dem zerſpalteten Kopfe und er athmete noch einmal und dann nicht mehr.

Bouverot flog nach ſeiner Rolle heraus und fieng ſie an: eben, mein lieber Hiort, beſinnt ſich mein Carlos; aber er fuhr zurück vor der Leiche, ſtammelte: mais! Mon dieu! il s'est tué re vera diable, il est mort Oh qui me payera? *)Aber! Gott, er hat ſich re vera umgebracht Teufel, er iſt todt! O wer wird mich be¬ zahlen? Linda ſank ohnmächtig an Juliennens Buſen und dieſe413 ſtammelte: o der Sünder und Selbſtmörder! Die Fürſtinn rief erzürnt: oh le traitre! Albano ſchrie: ach Karl! Karl! und ſtürzte in den See und ſchwamm hinüber warf ſich über die zertrümmerte Geſtalt und jam¬ merte weinend: o hätt 'ich das gewußt! Bruder und Schweſter todt und ich bin ſchuld o! wäre ich unglücklich geblieben ach mein Karl, Karl vergieb Ich war nicht Dein Feind wie er jammervoll zerworfen da liegt, der große Tempel! Sey doch ruhiger, (ſagte Gaſpard der endlich im Kahne herübergekommen war und der mit ei¬ ner anatomiſchen Kälte und Neugier jede Ver¬ ſtümmlung ertrug ) er hatte auch ſeine Re¬ gimentsſchulden und fürchtete die Unterſuchung bei einer neuen Regierung Jetzt kann man doch Reſpekt vor ihm haben, er hat ſeinen Ka¬ rakter wirklich durchgefühlt.

Albano richtete ſich auf und ſagte in der Taubheit der Quaal: wer ſprach das? Ihr, jammervoller Bouverot, Ihr kennt nur Schul¬ den! Monsieur le Comte! ſagte dieſer tro¬ tzig. Ich ſagt 'es, ſagte Gaſpard zum Sohn. 414 O mein Dian, (rief Albano und ſtreckte die Hand nach dieſem aus, der ſeine weinende Chariton ſelber weinend hielt,) komme Du her, laß uns ihn verbinden, es kann ja helfen.

Zur beſtürzten Fürſtinn, welche an ihrem Ufer blieb, trat der Kunſtrath Fraiſchdörfer mit den Worten, die ableiten ſollten: von der bloßen Seite der Kunſt genommen, wäre die Frage, ob man dieſe Situazion nicht mit Effekt entlehnte. Man müßte wie im genialiſchen Hamlet ein Schauſpiel ins Schauſpiel flech¬ ten und in jenem den ſcheinbaren Tod zum wahren machen; freilich wär 'es dann nur Schein des Scheins, ſpielende Realität in reel¬ lem Spiel und tauſendfacher, wunderbarer Re¬ flex! Aber wie es jetzt regnet! Der Fürſtinn wurde von ihrer Haltermann etwas ins Ohr geſagt ſie fuhr auf, mit Armen und Tönen: oh monstre! homicide! Mein armer, unſchuldiger Gibbon! Du Unthier! Den Affen-Mord hatte ſie gehört und ſchied untröſtlich.

Auf einmal trat ins tiefe Blau der ent¬ blößte Mond und jeder merkte ihn, aber das415 Regnen vorher halte niemand außer Fraiſch¬ dörfer wahrgenommen. Albano ſah nun die todten Augen und weiſſen, ſtarren Lippen recht deutlich: nein, ſie regen ſich nicht ſagt 'er. Da klang es wie aus Roquairol's Bruſt und eiſernem Mund: ſeyd ſtill, ich werde gerich¬ tet! Und ſogleich fieng, die Dohle als Schluß - Chor des letzten Aktes an: der Arme ruht nun feſt und Ihr könnt ihn zudecken!

Gaſpard ſah ſeinen Bruder ſehr ernſt an: Bei Gott! (erwiederte dieſer) ſo ſteht in ſei¬ nem Stück.

Der ganze Sternenhimmel klärte ſich auf. Die Geſellſchaft fuhr nach Hauſe. Albano und Dian mit Chariton blieben bei der Leiche.

416

Drei und dreißigſte Jobelperiode.

Albano und Linda Schoppe und das Portrait das Wachskabinet das Dual das Toll¬ haus Leibgeber.

131. Zykel.

Albano wollte am Tage darauf ſich einker¬ kern, bitter weinen und büßen, und ſich nicht erquicken durch den Sonnenſchein der Liebe; aber er fand abends folgendes von unbekann¬ ter Hand geſchriebene Blatt auf ſeinem Tiſch:

Herr Graf! Man benachrichtigt Sie hie¬ mit, daß Freitags Nachts, da Sie verreiſet waren, der ſeel. Hauptmann R. v. Froulay Ihre Rolle bei der Gräfinn Romeiro durch alle Akte durch im Flötenthal geſpielt. Siemüſſen417müſſen ſich der Nebenbuhler wegen eine an¬ dere Stimme und der Gräfin Nachts Augen ſchaffen, wiewohl es dieſer nicht ſo ganz un¬ angenehm ſeyn mag, ſich auf dieſe Weiſe öf¬ ters in Ihnen zu täuſchen. Leben Sie wohl und künftig ein wenig beſcheidener!

Bleich ſtarrte er das Todtengerippe an, das zwei Rieſenhände gewaltſam aus blühenden jugendlichen Gliedern auf einmal herausgezogen emporhielten. Aber das Feuer der Pein ſchoß ſchnell wieder auf und erleuchtete den Jammer rings umher. Mit ſchmerzlicher Gewalt, mit blutigen Armen mußte ſein Geiſt den felſen¬ ſchweren Gedanken, den Leichenſtein ſeines Le¬ bens hin und her werfen, um zu prüfen, ob er ſich einfüge in die Todtengruft: in Ro¬ quairol's ganzes Spiel und Ende und Leben griff der Jammergedanke ſo faſſend ein aber wieder nicht in Linda's Karakter und in den göttlichen Augenblick, den er mit ihr in Lianens letztem Garten zugebracht und doch wieder ſehr in ihre ſchnelle Verſöhnung und in einzelne Worte und gleichwohl war vielleicht dieſes vergif¬ tete Blatt nur eine Frucht der rachſüchtigenTitan IV. D d418Fürſtinn, von deren Zorn über Roquairol's eignen und Affen-Mord ihm Dian erzählet hatte.

So ſchmerzlich bewegte er ſich auf ſeinen Wunden hin und her und entſchloß ſich, noch dieſen Abend Linda aufzuſuchen, wo ſie auch ſey: als er von ihr dieſes Briefchen bekam:

Komme doch dieſen Abend zu mir ins Elyſium; er wird gewiß heiter ſeyn. Jetzt lad 'ich ein wie Du neulich. Du ſollſt mich auf die ſchönen Berge führen, und es ſoll mir genug ſeyn, wenn Du nur ſehen und genießen kannſt. Julienne brauchen wir immer weniger. Dein Vater dringt auf unſere Verbindung durch Vorſchläge, die Du heute hören und wägen ſollſt. Komme unausbleiblich! In mei¬ nem Herzen ſtehen noch ſo viele ſcharfe Thrä¬ nen über das böſe Trauerſpiel. Du mußt ſie verwandeln in andere, Du Geliebter!

Die Blinde.

Er lachte über das Verwandeln; in ge¬ frorne eher, ſagt 'er. Die heiſſe Liebe war ihm ein heftiger Kuß in die Wunde. Er gieng nach Lilar, dumpf, haſtig, tief in einen rothen419 Mantel gewickelt wie gegen böſes Wetter, blind und taub gegen ſich und die Welt und wie ein Menſch, der ſtirbt, den Augen¬ blick erwartend, wo er entweder vernichtet hin¬ abraucht oder neu belebt in göttliche Welten hinein fliegt.

Als er Lilar betrat, verzerrte ſich der Gar¬ ten nicht wie neulich ſondern er verſchwand ihm bloß. Er gieng nahe an einigen vermummten Leuten vorüber, die ein Grab zu machen ſchie¬ nen: Unrecht iſt's doch, (ſagte einer davon,) er gehört auf den Anger wie jedes Vieh. Al¬ bano blickte hin, ſah eine bedeckte Leiche, glaubte ſchaudernd, es ſey der Selbſtmörder, bis er den zweiten Gräber ſagen hörte: ein Affe, Peter, wenn er vornehm gehalten wird, in Kleidern, ſieht reputirlicher aus als mancher Menſch, und ich glaube, er ſtände auch wieder von Todten auf, wenn man ihn nur ordentlich taufte.

Eben da ihm der Gibbon der Fürſtinn, der hier begraben wurde, wieder jenen gewit¬ tervollen Freitag vor die Seele zog: erblickte er Linda, unweit des Traumtempels am ArmeD d 2420einer ſehenden Kammerfrau. Sie grüßte ihn, nach ihrer Weiſe vor andern, nur leicht, ſagte zur Frau: Juſta, bleib 'nur hier im Traum¬ tempel, ich gehe hier auf und ab.

Durch dieſe Einſchränkung auf die Perſpek¬ tive des Traumtempels ſchloß ſie jedes ſchöne ſichtbare Zeichen der Liebe aus und Albano kannte an ihr ſchon jene ſtille Zufriedenheit mit der bloßen Gegenwart des Geliebten ſo wie zuweilen die Wildheit ihres ſüßen Mundes. Als er ſie zitternd berührte und nahe neben ſich wiederſah: ſo überfiel ihn dieſes Weſen voll Macht mit der ganzen göttlichen Vergangen¬ heit. Aber er verzögerte nicht die Frage der Hölle: Linda, wer war Freitag Abends bei Dir? Niemand, Guter; wenn? verſetzte ſie. Im Flötenthal ſtammelte er. Mein blindes Mädchen antwortete ſie ru¬ hig. Wer noch? fragte er. Gott! Dein Ton ängſtigt mich; (ſagte ſie,) Roquai¬ rol brachte in jener Nacht den Affen um. Iſt er Dir begegnet?

O ſchrecklicher Mörder! Mir? (rief er.) Ich war verreiſet die ganze Nacht, ich war421 mit Dir in keinem Flötenthal Sprich aus, Menſch, (rief Linda, ihn an beiden Hän¬ den mit Heftigkeit ergreifend,) ſchriebſt Du mir nicht die rückgängige Reiſe und kamſt? Nichts, nichts, (ſagt 'er,) lauter Höllenlüge. Das todte Ungeheuer Roquairol brauchte meine Stimme Deine Augen und ſo iſt's ſage das Übrige. Jeſus Maria! ſchrie ſie von der Schlagfluth getroffen, worein die ſchwarze Wolke zerriß und griff mit beiden Armen durch die Laubzweige des Laubengangs und preßte ſie an ſich und ſagte bittend: Ach Albano, Du biſt gewiß bei mir geweſen.

Nein, bei dem Allmächtigen nicht! Sage das Übrige, ſagt 'er. Weiche auf ewig von mir, ich bin ſeine Wittwe! ſagte ſie feierlich. Das bleibſt Du, ſagt' er hart und rief Juſta aus dem Traumtempel.

So lebt er fort, Dein Schmerz, mein Schmerz, ich ſehe Dich nie mehr. Ich will Le¬ bewohl zu Dir ſagen. Sage Du keines zu mir! Sie ſchwieg und er gieng. Juſta kam, und er hörte ſie noch in der Laube beten: Laß, o Gott, mir dieſe Finſterniß morgen, verſchone422 mit deinem Tageslicht die ſchwarze Wittwe! Das Mädchen weckte ſie auf, nahm ſie an der Hand und ſie freuete ſich am Arm derſelben ihrer Nachtblindheit.

Albano gieng in die Nacht. Auf einmal ſtand er wie hinaufgetragen auf einer jähen Felſenpitze, unten ſchlug ein ſchäumender Strom. Er kehrte ſich um und ſagte: du irreſt dich, böſer Genius; mich ekelt des Selbſtmords, er iſt zu leicht und gehört für Affen-Mörder aber es giebt etwas Beſſeres, und du ſollſt mich begleiten.

Er verirrte ſich konnte den Weg zur Stadt nicht finden glaubte wieder in Lilar zu ſeyn und trieb ſich bange umher ohne Aus¬ weg, bis er zuletzt ermüdet niedergezogen in den Arm des Schlummers ſank. Als er er¬ wachte am Morgen: war er im Prinzengarten und die Schlummerinſel wehte mit ihren Gi¬ pfeln vor ihm. Eine jähe Felſenſpitze über ei¬ nem reiſſenden Strom gab es in der ganzen Landſchaft nicht.

Er ſah den Himmel an und den Tag und ſein Herz. Ja, ſo iſt denn das Leben und423 die Liebe (ſagt 'er)! Ein gutes, rechtes Feuer¬ werk, beſonders wenn man eine Linda durch viele Zurüſtungen haben ſoll! Lange ſteht es da mit einem bunten hohen Schaugerüſt, voll Statuen, mit kleinern Gebäuden, Säulen und wunderlich und verſpricht noch mehr als es ſchon verkleidet und verräth Dann kommt die Nacht in Jschia, ein Funke ſpringt, die Formen reiſſen, es ſchweben weiſſe, helle Pal¬ läste und Pyramiden und eine hängende Son¬ nenſtadt am Himmel in der Nachtluft ent¬ faltet ſich gewaltig eine rege fliegende Welt zwiſchen den Sternen und füllt das Auge und das arme Herz und der glückliche Geiſt, ſelber ein Feuer zwiſchen Himmel und Erde, ſchwebt mit Einen ganzen Augenblick lang, dann wird's wieder Nacht und Wüſte und am Mor¬ gen ſteht das Gerüſt da, dumm und ſchwarz.

132. Zykel.

Krieg dies Wort allein gab Albano Frieden; Wiſſenſchaft und Dichtkunſt ſteckten ihm ihre Blumen nur in ſeine tiefen Wunden. Er rüſtete ſich zur Reiſe nach Frankreich. Nur et¬424 was verſchob noch den Aufbruch, Schoppens Ausbleiben, den er mit ſeinen Räthſeln erwar¬ ten mußte und, wo möglich, mit entführen wollte. Er hielt ſich den ganzen Tag in Wäl¬ dern auf, um ſeinem Vater und Juliennen und jedem zu entgehen. Linda's unglückliche Nacht wurde tief in ſeine Bruſt hinabgeſenkt, und nur er allein ſah hinunter, kein Fremder. Er wünſchte, daß ſie ſelber gegen Julienne ſchweige, weil dieſe nach ihren frommen weibli¬ chen Ordensregeln hiegegen keine Nachſicht kann¬ te. In ſeiner Seele hatte jetzt die erſte eiferſüchtige Aufbrauſung einem ſchmerzlichen Mitleiden mit der betrognen Linda, deren heiliger Tempel ausgeraubt da ſtand, Platz gemacht. Was ihn unleidlich ſchmerzte, war das Gefühl der Demüthigung, mit welchem die ſchöne Stolze nun, wie er glaubte, an ihn denken mußte, und das er bei ſeiner jetzigen bittern Verach¬ tung Roquairol's deſto ſtärker annahm. Nie, nie, wenn ſie auch meine Schweſter würde, dürfen wir uns mehr erblicken; ich kann ſie wohl blutend vor mir ſehen, aber nicht ge¬ beugt, ſagt 'er ſich. Zuweilen überfiel ihn425 ein kalter Grimm gegen das Verhängniß, das immer mit einem ſchnellen Wirbelwind zwiſchen ſeine Umarmungen fuhr und alles auseinander drängte bald ein Zorn gegen Linda, die nicht wie eine Liane gehandelt hatte und die den Irrthum der Verwechslung durch ihren Grundſatz, der Liebe alles zu vergeben, ſelber mit verſchuldete bald inniges Mitleiden, da ſie ohne alle geiſtige Ähnlichkeiten nicht hätte verwechſeln können, wie ihm das heimliche Ge¬ richt des Gewiſſens ſagte, und da ſie nun al¬ lein[dafür] büßte, daß ſie ihm, ihm ſich opfern wollte.

Unausſprechlich haßte er den todten Ver¬ führer, weil durch ſeine That ſein Tod nur zu einer feigen Flucht geworden war. Den armen Deſerteur, deſſen Entwiſchen unter dem Trauerſpiel laut geworden, ſah er gefangen vor ſich vorüber führen; aber der Hauptmann deſſelben war auf immer der Rache entronnen. Nach einigen Tagen wurden ihm Papiere von dem Todten zugeſtellt; aber er ſah ſie voll Ab¬ ſcheu nicht an. Sie enthielten Rechtfertigungen und zugleich Nach-Sünden. Roquairol hatte426 nach der Freuden-Nacht den ganzen Morgen lm Prinzengarten ſchreibend verlebt, um die Erinnerung zu koloriren, die allein ihn, ſchrieb er, belohnet und beredet habe, daß er nicht ſchon in der Nacht den fünften Lebens-Akt ausgeſpielt.

Der Lektor gab in Albano's Abweſenheit kleine Briefe von Juliennen ab, worin ſie ihn um ſeine Erſcheinung bat und ihm Ort und Zeit im Schloß beſtimmte, wohin ſie aus Lilar gezogen war. Er kam nicht. Sein Vater ſchien ſich nichts um ihn zu bekümmern. Zuweilen kam ihm vor, als wenn ferne Spür-Menſchen ihn in weiten Kreiſen umſchlichen.

Einſt ſtand er abends noch unten an einem Waldhügel, als er oben einen herausſchreiten¬ den Wolf erblickte der Wolf ſah ihn, ſprang zu ihm herunter und wurde Schoppe's Wolf¬ hund bald trat oben ſein Freund ſelber mit einem alten Manne aus den Bäumen heraus erblickte ihn, gab dem Manne ſchnell Geld und gieng langſamer zu ihm herunter als er zu ihm hinauf. Ei, einen guten Abend, Al¬ bano, ſagte Schoppe mit der alten Kälte,427 womit er ſprach, wenn er nicht ſchrieb, und lä¬ chelte dabei, aber mit ſo vielen Linien, daß er Albano ganz fremd erſchien. Albano preßte ihn heftig ans Herz und verwandelte die heis¬ ſen Worte, die jener nicht liebte, in heiſſe Thrä¬ nen. Es war ein alter Stern aus dem Früh¬ lingsmorgen, wo ſeine Liane noch lebte und liebte; er gieng ihm unter an einem Grabe in jener Reiſe-Nacht; jetzt gieng er auf und Al¬ bano war wieder unglücklich.

Schoppe beſah mit ſichtbarem Wohlbeha¬ gen Albano's gereifte Geſtalt und zog gleich¬ ſam deſſen ſchimmernde Flügel auseinander: Du haſt Dich (ſagt 'er) recht gut geſtreckt und angefärbt haſt Mai und Auguſt auf Einem Aſt, wie ein Pomeranzenbaum. Al¬ bano hatte keine Freude darüber: erzähle mir nur Dein Leben, mein Bruder, ſagte er. Ich dächte, Du erſt Deines, ich bin müde bis zur Dummheit ſagte Schoppe, indem er ſich ſetzte und ſeine Jagdtaſche aufſchnallte. Künf¬ tig (verſetzte Albano). Was Du brauchſt, will ich Dir ſagen ich bekam Deine Briefe ich liebte wirklich die Bewußte ein Unglück428 trennte uns ich bin unſchuldig, und ſie iſt groß o Gott, ſey heute damit zufrieden! Nie konnt' er ſeinen Freunden Schmerzen kla¬ gen; noch weniger jetzt das Unglück einer Ge¬ liebten entblößen. Noch länger, (verſetzte Schoppe,) nur ſage, ſetzt es neues Elend, wenn ich die Beweiſe für eure Schweſter - und Bruderſchaft aus Spanien mitbringe und aus¬ packe? Nein, (ſagte Albano,) ich brau¬ che über keine Vergangenheit zu erſchrecken. Du gehſt noch nach Frankreich? fragte Schoppe. Morgen, wenn Du mitgehſt, ver¬ ſetzte Albano.

Allerdings als Deine Feldpredigerei Nicht aus Mangel an Kunſtgeiſt, wie Du aus Rom ſchreibſt, ſondern aus Überfluß daran gehſt Du unter die Soldaten. Ich ſäh 'es gern, wenn Du bedächteſt, daß auch Dante, Zäſar, Cervantes, Horaz vorher dienten, eh ſie koſtbar ſchrieben nur Studenten kehrens um und dichten etwas Kurzes und Gutes und nehmen ſpäter Dienſte. Auf meine Reiſe zu kommen, ſo koſtet's mich ſchon viel, nämlich Zeit, wenn ich Dir erzähle, daß ich Deinen429 närriſchen Oheim mit einem Wagen Gepäck im Neſte Ondres anderthalb Poſten von Bayonne ertappte. Ich geſtand ihm, ich gienge nach Valencia, um die daſigen Seidenſtrumpfwür¬ kerſtühle zu zergliedern, meinen Tropfen Eis und eine Weſtentaſche voll Valenz-Mandeln dabei zu genießen und die wenigen Profeſſoren zu beſuchen, die beſſere Kompendien für 3000 Realen geliefert*)So viel bekommt jeder Profeſſor Preis-Geld für jede beſſere Grammatik und jedes beſſere Kompendium; ſo für jede Diſſertazion 50 Du¬ katen u. ſ. w. Tychſens Zuſätze zu Bourgoings Reiſe. 2. B.. Er komme vor mir gewiß an, ſagt 'er. Wir beſtellten uns in Einen Gaſt¬ hof in Valencia. Mir war an ihm gelegen, da er mich am leichteſten einführen konnte in Romeiro's Haus. Aber ich paßte da 14 Tage um¬ ſonſt auf ihn. Bei dem Haushofmeiſter fand ich kein Gehör, ob ich ihm gleich ſeinen dum¬ men Schatten fünfmal mit der Bitte ausſchnitt, einem reiſenden Mahler das Bilderkabinet auf¬ zuſperren, wo ich das mütterliche Bild der Grä¬ finn ſuchte.

430

Jetzt war ich halb und halb entſchloſſen, ſchwanger zu werden und in dieſem Habit al¬ les für meine Sehnſucht zu fordern, was ſel¬ ber der ſpanische König keiner Schwangern ab¬ ſchlägt*)Eine verlangte z. B. den König zu ſehen; er trat ſo lange auf den Balkon heraus, bis ſie be¬ friedigt war.. In Italien hat man das Kind auf dem Arm, um zu erbitten; in Spanien braucht's dieſe Sichtbarkeit nicht einmal. Aber zum Glück kam der Oheim. Die Bilderkabinetsthür wurde aufgethan. Ich machte mich ans Kopiren, eines dummen Küchenſtücks und ſchauete überall nach meinem Inſel-Portrait. Aber nichts war zu ſehen (Hier zog er ein höl¬ zernes Futteral aus der Jagdtaſche und legt 'es vor ſich und fuhr fort): bis ich's ſah zuletzt ein Bild lehnte auf der Diele an der Wand, mir die Winter - und Hinter¬ ſeite zuweiſend es war mein Pinſel - Kind und ſeine Zurückſetzung gieng mich an verdrüßlich und ruhig ſteckt ich's bei und ſchnappte im Küchenſtück mitten in einem431 halben Iltis ab Sieh das Bildniß an!

Er zog den Futteral-Deckel davon ab und Linda ſtrahlte ſeinen Freund mit einem Strom von Geiſt und Reizen an, nur in äl¬ tere Tracht gehüllt. Albano konnte kaum ſtam¬ meln vor Bewegung: das wäre meines Va¬ ters Gemahlinn und meine theuere Mutter? Und Du weißt gewiß, daß dieſes hier das Bild iſt, das Du auf Jsola bella von ihr gemacht?

Eben thu 'ich's dar! (ſagte er und ſcheu¬ erte an einer Roſe des Bildes auf der Stelle des Herzens.) Mein damaliger Paphos-Name Löwenskiould ſteckt sub rosa und wird gleich vorkommen. Hätt' ich ihn ſchon unterwegs aufgekratzt, ſo hättet Ihr geglaubt, ich hätte mich erſt unterwegs hineingeſchrieben. Wie vor einer ſchreibenden Geiſterhand ſchauderte Albano zurück, als wirklich ein L und ö unter der Roſe vortraten: weiter ſchab 'ich (ſagte Schoppe) nicht vor, das Übrige heb' ich Ihr auf. Albano goß nun vor ſeinem biedern Herzensfreund ſein Herz aus; ihm durft 'er ſa¬432 gen und einwenden, daß Julienne ſeine Schwe¬ ſter ſey wogegen ich gar nichts habe ſagte Schoppe und daß Gaſpard eine künf¬ tige Heirath zwiſchen ihm und Linda geneh¬ migt habe: es iſt kein Ausweg, (ſetzt' er da¬ zu,) iſt ſie ſeine Tochter, ſo bin ich nicht ſein Sohn ich kann ſein heiliges Ehrenwort un¬ möglich zur Lüge machen und Gott! in welchen ungeheueren Laſterpfuhl müßte man dann ſchauen. Anlangend das Wort und den Pfuhl, (ſagte Schoppe ganz kalt,) ſo las¬ ſen ſich, wiewohl ich überflüſſig doch mit Dei¬ nem Vater vorher aus der Sache ſpreche und vorher mit der Gräfinn, wahrſcheinliche Be¬ weiſe führen, daß der Kahlkopf, der wie er mir ſelber beichtete, Deines Vaters Meßhelfer, Braut - und Bärenführer geweſen, kein Mann von den friſcheſten Sitten war, ſondern daß er obwohl ſonſt in viele Sättel gerecht, den moraliſchen ausgenommen ſeine Stunden und Jahrhunderte hatte, wo er als ein ſolcher Hund und Strauchdieb handelte, daß mein Hund da ein Monatsheiliger gegen ihn iſt und ein Kirchenvater. Ich hätt 'ihm nur das Le¬benslicht433benslicht nicht ausblaſen ſollen, das freilich mehr ſtank als glomm.

Albano konnt 'ihm ſeinen Schauder über die That nicht verhehlen. Ich kann nichts be¬ reuen, höre ſagte Schoppe und berichtete die¬ ſes: Schon in Valencia erzählte mir Dein Oheim, daß er in Madrid einen Kerl ſo und ſo ganz wie der Kahlkopf angetroffen, der ein Wachsfigurenkabinet von lauter Tollen an¬ führe und herumzeige; oft ſpreche das ganze Kabinet und er ſitze ſelber mit darin als Wachs und helfe reden Dein abergläubiger Oheim warb und lieh ihm Geiſter dazu und machte böſe und fürchterliche Sachen daraus.

Einſt in einer Posada hört 'ich im Schlaf¬ zimmer neben dem meinigen allerlei Stimmen durch einander murmeln und ſagen: Schop¬ pe kommt auch zu uns. Ich ſtand auf, das fremde Zimmer war zugeſchloſſen. Ich hör' es wieder, das teufliſche: Schoppe kommt auch herein. Meine Stube hatte einen Erker, aus dem konnt 'ich durch das nahe Fenſter in die Murmel-Stube bei dem Mondlicht ſehen. In Graus und kraus ſaß ſämmtliches WachsTitan IV. E e434drinnen und ließ ſich hören, der wächſerne Kahl¬ kopf mitten darunter, ich ſuchte aber den leben¬ digen auf. Die Wachs-Beſtien wechſeln ge¬ gen einander ihre fixen Ideen aus und mich wechſeln ſie ein dort guckt unſer Ehren¬ mitglied herein ſagte der Wachs-Kahle. Bei Gott! ich muß kurz ſeyn, mir brennt das Blut wieder durchs Herz. Ich wüthe, hole Geſchoß und erſuche Gott um ein verträgliches Gemüth, das nachgiebt. Zum Unglück merk 'ich hinten in einer mondleeren Ecke neben ei¬ nem Vater des Todes und einer Schwangern von Wachs einen ſchwarzen Mantel, der ſich legt und aus welchem der lebendige Tongeber, der Kahlkopf, guckt. Schwarzer Bauch¬ ſprachmeiſter, (rief ich,) ſchweige um Gottes¬ willen, ich ſeh Dich dort hinten und ſchieße hinein. Ich hielt's für Bauchſprache.

Jetzt fieng erſt das Tollhaus recht an, ich hörte es lachen mich hineinrufen und einen Kameraden und Klubiſten mich betiteln Präſes, (ſagt 'ich,) ich bin bekanntlich ein Menſch und ſeh Dich ganz deutlich Es half nichts, der wächſerne Kahlkopf verſetzte435 vielmehr: dort ſitzt ja Bruder Schoppe ſchon und ich ſah wirklich auch mich bos¬ ſirt und pouſſirt alldort. Hier iſt er auch zu haben, rief ich grimmig und ſchoß auf den Logenmeiſter hin, der blutend um¬ ſtürzte.

Ich machte mich in dieſer Stunde davon. Dem Oheim kam ich ſpäter in den Wurf für kurze Zeit; er ſcheuet Tolle und wollte mich aus Furcht, ich ſchlage ſelber dahinein, nicht lange haben. Er befragte mich, ob mir der Wachsfiguren-Direktor des fahrenden Tollhau¬ ſes aufgeſtoßen; ich konnt 'ihm nur wenig an¬ vertrauen behalt' es allein. Du biſt ein wilder, treuer Menſch, (ſagte Albano mit ſo innigem Wunſch, ihn zu umarmen,) Du thuſt viel für andere und biſt doch viel für Dich. Ich kann Dich nun nicht mehr laſſen. Meine vorige Lebens-Inſel mit allen Blumen ſteht tief unter Waſſer; und ich muß mich ins unendliche Weltmeer werfen; gieb mir Deine Hand und ſchwimme mit. Wir reiſen morgen nach Frankreich!

Morgen? (ſagte Schoppe.) Ja wohl! E e 2436ſo geh 'ich heute abends zur Gräfinn und dann zu Don Ceſara. Sag' ihr (bat Albano), daß ich ſie auch als Bruder, wenn ich's wür¬ de, nicht beſuche, nicht aus Kälte ſondern weil ich ihr großes Gemüth verehre, ſag 'ihrs und Gott helfe Dir. Albano wollte gehen und ihn allein ins nahe Lilar wandern laſſen. Nein, begleitet mich, mein Herr; (ſagte Schop¬ pe ungeſtüm) ich habe den alten Kerl abge¬ dankt droben im Wald durch redliche Auszah¬ lung des Geleite-Geldes und wäre jetzt al¬ lein vis-à-vis vis de moi. Ich verſteh' Dich nicht, (ſagte Albano,) wovor ſcheueſt Du Dich? Albano (ſagte er leiſe und wichtig und ſeine ſonſt geraden Blicke ſchlugen ſcheu ſeitwärts und ſeinen lächelnden Mund umzin¬ gelten unzählige große Faltenkreiſe,) der Ich könnte kommen, ja ja!

Verwundert und fragend, wer das ſey, blickte ihm Albano ins Geſicht. Verflucht, (ſagte Schoppe,) ich errathe Euch ganz gut, Ihr haltet mich nicht für achtels ſo vernünftig als Euch ſelber, ſondern für toll. Wolf, komm herauf! Du Beſtie warſt häufig auf einſamen437 Wegen und Stegen mein Schirmvoigt und Teu¬ felsbanner gegen den Ich. Herr, wer Fich¬ ten und ſeinen Generalvikar und Gehirndiener Schelling ſo oft aus Spaß geleſen wie ich, der macht endlich Ernſt genug daraus. Das Ich ſetzt Sich und den Ich ſamt jenem Reſt, den mehrere die Welt nennen. Wenn Philoſophen etwas, z. B. eine Idee oder ſich aus ſich ab¬ leiten, ſo leiten ſie, iſt ſonſt was an ihnen, das reſtirende Univerſum auch ſo ab, ſie ſind ganz jener betrunkne Kerl, der ſein Waſſer in einen Springbrunnen hinein ließ und die ganze Nacht davor ſtehen blieb, weil er kein Aufhören hör¬ te, und mithin alles, was er fort vernahm, auf ſeine Rechnung ſchrieb Das Ich denkt Sich, es iſt alſo Ob-Subjekt und zugleich der Lagerplatz von beiden Sapperment, es giebt ein empiriſches und ein reines Ich die letzte Phraſis, die der wahnſinnige Swift nach She¬ ridan und Oxford kurz vor ſeinem Tode ſagte, hieß: ich bin ich Philoſophiſch genug!

Und was ſchließeſt Du Furchtbares aus allem? ſagte Albano mit innigſter Trauer. Alles kann ich leiden, (ſagte Schoppe,) nur438 nicht den Mich, den reinen, intellektuellen Mich, den Gott der Götter Wie oft hab 'ich nicht ſchon meinen Namen verändert wie mein Namens - und Thaten-Vetter Sciop¬ pius oder Schoppe und wurde jährlich ein Anderer, aber noch ſetzt mir der reine Ich merk¬ bar nach. Man ſieht das am beſten auf Rei¬ ſen, wenn man ſeine Beine anſchauet und ſie ſchreiten ſieht und hört und dann fragt, wer marſchirt doch da unten ſo mit? Ewig re¬ det er ja mit mir; ſollt' er einmal leibhaftig vor mir auffahren; dann wär 'ich nicht der letzte, der ſchwach würde und todtenblaß. Frei¬ lich braucht kein Hund Zahnpulver. Aber Kin¬ der ſollte man ſchminken, es ſtände und gien¬ ge. Ich für meinen Theil beobachte das Zeit¬ alter ſo ſo und lächle, weil ich nichts ſage; man bricht Menſchen wie Servietten auf Tel¬ lern in ſchönſte, vielſte Formen, zu Schlafmü¬ tzen, zu Pyramiden, zu Kreuzſchnäbeln, Sap¬ perment, Albano, zu was denn nicht? Aber die Folge, Bruder? O Himmel die Folge? Ich ſage nichts, verflucht, ich bin mausſtill wie wenige aber Zeiten können kommen, wo et¬439 wa ein Herr anmerkt, Menſchen und Muſik¬ noten, Muſiknoten und Menſchen, kurz und gut und ſchlecht, bald iſt bei beiden der Kopf oben, bald der Schwanz, wenns nämlich ſchnell gehen ſoll. Das ſind Gleichniſſe, ich weiß wohl, Beſter, aber die Bäcker kündigen das weiche Gebäck durch ſteinernes oder tönernes im La¬ den an, Menſchen indeß ihre härteſten Sachen, worunter das Herz gehört, durch ihre weichſten, wozu Worte gehören.

Stumm auf dieſe Ströme führte Albano ihn an der Hand nach Lilar vor Linda's Woh¬ nung. Alles war an dieſer ohne Licht und ſchwarz. Sprich droben ſanft Dein Wort, mein Schoppe, und morgen ziehen wir wei¬ ter! ſagte ſehr leiſe unten Albano ſcheidend und ließ ihn ins finſtere Trauerſchloß allein hin¬ aufgehen. Welch eine Gegenwart! ſagte Albano auf dem Rückweg durch den Garten.

133. Zykel.

Lange erwartete Albano ſeinen Freund am andern Tag, niemand erſchien, kein Menſch wußte von ihm. Am zweiten Morgen lief das Gerücht, die Gräfinn ſey in der Nacht und440 Gaſpard am Morgen abgereiſet. Hat Schop¬ pe beide durch Wahrheit fortgetrieben? fragt 'er ſich verlaſſen und allein. Vergeblich ſpürte er Schoppen mehrere Tage nach; nicht einmal geſehen war er worden. Auch Du, lieber Schoppe! ſagt' er und ſchauderte über die Grauſamkeit des Schickſals gegen ſich. Als er ſo über ſich und die ſtille dunkle Wüſte ſei¬ nes Lebens hinſah: ſo war ihm auf einmal, als würde ſein Leben plötzlich erleuchtet und ein Sonnenblick fiele auf den ganzen Waſſerſpie¬ gel der verfloſſenen dunkeln Zeit; es ſprach in ihm: was iſt denn da geweſen? Menſchen Träume blaue Tage ſchwarze Nächte Ohne mich hergeflogen, ohne mich fortgeflogen, wie fliegender Sommer, den die Menſchenhand weder ſpinnen noch befeſtigen kann. Was iſt da geblieben? Ein weites Weh über das ganze Herz aber das Herz auch Es iſt freilich leer, aber feſt unzerrüttet heiß Die Geliebten ſind verlohren, nicht die Liebe, die Blüthen ſind herunter, nicht die Zweige Ich will ja noch, wünſche noch, die Vergangenheit hat mir die Zukunft nicht geſtohlen Noch441 hab 'ich die Arme zum Umfaſſen, und die Hand, um ſie ans Schwerdt zu legen, und das Auge zum Schauen der Welt Aber was unter¬ gegangen iſt, wird wieder kommen und wieder fliehen und nur das wird Dir treu bleiben, was verlaſſen wird, Du allein. Freiheit iſt die frohe Ewigkeit, Unglück für den Sklaven iſt Feuersbrunſt im Kerker Nein, ich will ſeyn, nicht haben; Wie, kann der heilige Sturm der Töne nur ein Stäubchen rücken, indeß die roh' bewegte Luft Aſchenberge ver¬ ſetzt? Nur wo gleiche Töne und Saiten und Herzen wohnen, da bewegen ſie ſanft und un¬ geſehen. So klinge nur fort, frommes Saiten¬ ſpiel des Herzens, aber wolle nichts ändern an der rohen, ſchweren Welt, die nur den Winden gehört und gehorcht, nicht den Tönen.

Hier fand ihn der Lektor Auguſti, der mündlich von der Prinzeſſinn Julienne inſtän¬ dige Bitten brachte, mit ihm in Gaſpards Zim¬ mer zu gehen, wo ſie ihm die wichtigſten Wor¬ te über Schoppen zu ſagen habe. Er gieng leicht mit; über das bedeckte Schickſal ſeines Schoppe erwartete er am erſten bei ihr Auf¬442 ſchluß; auch ſah er aus der kühnen Wahl des Boten, wie wichtig der armen Schweſter ſeine Erſcheinung ſey.

In Gaſpards Zimmer verließ ihn Auguſti ſchnell, um ihn anzukündigen und allein zu laſſen. In ſeinem Leben gieng jetzt ein langer Donner; kam er vom Himmel, von einem Strome, oder nur von einer Mühle, das wußt 'er noch nicht. Julienne ſtürzte weinend herein, konnte nicht ſprechen vor heftigem Herzen: Du gehſt fort? fragte ſie. Ja! ſagt' er und bat ſie ſehr, weniger heftig zu ſeyn; denn er wußte, wie leicht ihn fremder Ungeſtüm an¬ ſteckte, da er ohne Zorn nicht einmal lange Schach ſpielen oder fechten konnte. Sie flehte ihn noch heftiger, nur zu bleiben, bis Gaſpard wieder komme. Kommt er wieder? fragte Albano. Wie anders? Aber die Unwürdige nicht ſagte ſie. (verſetzt 'er ernſt,) o ſey nicht ſo hart gegen Sie wie das Schickſal und laſſe mich ſchweigen! Ich haſſe jetzt alle Männer und Dich auch (ſagte ſie). Das kommt aus poetiſchen Gemüthern heraus. O welche rechtſchaffene Braut hätte ſich ſo443 leicht von einem ſolchen Selbſtmörder verblen¬ den laſſen, welche? Aber ich ſehe, Du weißt nicht alles. Dient's aber zu was? frag¬ te er.

Sie fieng, verwundert über dieſe Frage, ohne Antwort die Erzählung an.

Am Tage, wo Albano Schoppen gefunden, wollte Julienne ihre Freundin Linda, die ſie ſeit dem Abende des Trauerſpiels nicht geſehen, wieder beſuchen. Alle Zimmer in Lilar waren dicht verhangen gegen den Tag. Julienne fand ſie in der Finſterniß ſitzend, mit niedergeſenkten, halboffnen Augen, äuſſerlich ſehr ruhig. Nur in langen Zwiſchenräumen fiel eine kleine Thräne aus den Augen heraus. Der reiſſende Strom gieng hoch über die Räder ihres Lebens und ſie ſtanden tief unter ihm ſtill. Biſt Du es, Julienne? (ſagte ſie ſanft.) Verzeih 'die Fin¬ ſterniß; Nacht iſt für meine Augen jetzt Grün. Es thut mir weh, etwas zu ſehen. Die Braut¬ fackel ihres Daſeyns war ausgelöſcht, nun woll¬ te ſie Nacht zur Nacht.

Julienne that bange Fragen der Verwun¬ derung; ſie gab keine Antwort darauf. Iſt's444 ein Unglück zwiſchen Dir und meinem Bruder? fragte Julienne, in welcher die Verwandtſchaft immer wärmer ſorgte als die Freundſchaft. Er¬ warte nur den Ritter, (antwortete ſie,) ich hab 'ihn herbitten laſſen.

Er trat eben herein. Sie bat ihn, ſich in dieſe kurze Nacht zu fügen. Nach einigem Schweigen ſtand ſie ſtolz vom Stuhle auf, die ſchwarzgekleidete lange Geſtalt hob vor dem Ritter, den ſie nicht ſah, die großen Augen gen Himmel, ihr ſtolzes Leben, bis jetzt ins Lei¬ chentuch gewickelt, ſchlug das Tuch zurück und ſtand blühend von Todten auf und ſie redete den Ritter an: verehrter Gaſpard, Sie ver¬ ſprachen es mir, ſo wie auch mein Vater, daß dieſer an meinem Hochzeittage mir erſcheinen werde. Der Tag iſt vorbei. Ich bin eine Wittwe. Nun erſchein 'er mir.

Hier unterbrach ſie der Ritter: vorbei? O, ganz recht! Iſt er denn etwas geſcheu¬ teres und ſittlicheres als ein Menſch? und ſpottete wider ſeine Weiſe zornig-aufglühend, weil er glaubte, voa Albano, dem er ſo lange vertrauet, ſey die Rede.

445

Sie verkennen mich, (ſagte Linda,) ich ſpreche von einem Verſtorbenen. Vor Ju¬ lienne fuhr plötzlich Roquairol's Schatte, ferne Anklänge der Fürſtinn hatten ihn eingeläutet: Allmächtiger Gott, (ſchrie ſie auf,) des ver¬ fluchten Selbſtmörders Spiel hat Wahrheit? Er ſpielte, was geſchah, (ſagte Linda ru¬ hig.) Wir brechen ab. Ich reiſe. Ich verlan¬ ge nichts als meinen Vater. " Hier hielt Gaſpard den von Starrſucht verſteinerten Arm wie von einem gezückten Dolch bewaffnet, ge¬ gen die Gräfin die Finſterniß machte die Erſcheinung ſchwärzer und wilder aber er brach das Eis des Todes wieder mit kalten Händen entzwei und bewegte ſich und antwor¬ tete mit gelähmter Zunge: Teufel und Gott! Der Vater iſt da! Der wird alles ſo neh¬ men wie es iſt Weiß Er's? Wer? (fragte Linda. ) Und was beſchloß Er? Himmel! Albano nehmlich. Gaſpard hatte in der Leidenſchaft zugleich Cromwell's Blöd¬ ſinn der Zunge und deſſen Schlauſinn der Tha¬ ten; und blieb daher jeder Aufwallung, ſogar der liebenden ſo gram und fern wie der446 Dummheit, die ihm (wie er ſagte) noch viel verhaßter ſey als das gerade Laſter.

Ich weiß nicht (ſagte Linda.) Ich ge¬ höre allein dem Todten an, der zweimal für mich geſtorben iſt. Sagt das meinem Vater. O ich wär 'ihm längſt nachgefolgt, dem Unge¬ heuren, ins tiefe Reich; ich ſtände nicht hier vor dem kalten böſen Tadel oder der chriſtli¬ chen Verwunderung, da es noch Dolche gegen das Leben giebt! Aber ich bin Mutter und darum leb' ich!

Noch dieſen Abend ſeh ich Sie wieder ſagte Gaſpard gefaſſet und eilte hinweg. Ich glaube, liebe Julienne, (ſagte Linda,) jetzt ver¬ ſtehen wir uns nicht mehr ſo recht, wenigſtens nicht bis zum höchſten Punkte, ſo wie wir frü¬ her über Ihre belle-soeur differirten, und Sie an Ihr die Koketterie, ich aber gerade die Prüderie groß und unſittlich fand. Das iſt wohl wahr, (ſagte Julienne kalt,) Sie ſind ſo wahrhaftig poe¬ tiſch, ich bin ſo proſaiſch und altfromm. Ein Un¬ geheuer darum zu lieben, weil es mich ſo grau¬ ſam betrügt wie ſeine Regimentskaſſe oder weil es ſich genialiſch ſo viele Freiheit läſſet als ſei¬447 nem Regimente, oder weil es nach ſeinem Tode noch Rollen für die übrigen Schauſpieler nach¬ läſſet oder Briefe an mich Betrogene That er das? fragte Albano. Sie pries es ſogar als genialiſch an ihm, (verſetzte Ju¬ lienne. ) Einen Solchen zu lieben, ſagt 'ich, oder ſolche Leute, die ihn lieben, dazu find' ich in mir kein Herz. Leben Sie denn ſo wohl als es gehen mag. Linda antwortete: ich haſſe alle Wünſche; gab ihr die Hand, drückte ſie nicht, ſchwieg ſtill und ſah in ihre Nacht. Sie wußte wenig vom leichten und ſchlaffen Abſchied der verlohrnen Freundin.

Noch in derſelben Nacht reiſete Linda, nachdem ſie ganz allein lange mit dem Ritter geſprochen, in einem Wagen ohne Fackeln, in ihre Schleier gehüllt, ganz einſam ab und nie¬ mand wußte, ob ſie geweinet oder nicht.

Als Albano ſeine Schweſter ausgehört hat¬ te, ſagte er mit ſanfter, bewegter Stimme: ſchließe Frieden mit der Vergangenheit, ſie kann der Menſch nicht ſtürmen. Der großen Unglücklichen laſſe die Nacht, in die ſie ſelber hineingezogen iſt. Weswegen wollteſt Du448 mich aber ſo eifrig zu Dir haben? Beſonders weißt Du etwas von meinem Schoppe, ſo fleh 'ich darum. Ich antworte Dir; (ſagte ſie weinend und verwundert,) aber Bruder, be¬ theuere, daß Deine Stille nicht wieder der Vor¬ hang eines neuen Unglücks iſt Ich kenn' Euch Männer darin, man ſollt 'Euch alle has¬ ſen und ich thu' es auch. Ich habe nichts Trübes vor, vor Gott bezeug 'ich's. Ihr Wei¬ ber, die ihr euere Hölle erſt ausgieſſen wollt mit Thränen und ausblaſen mit Seufzern, be¬ greift nicht, daß oft eine einzige Stunde Den¬ ken dem Manne einen Stab oder Flügel geben kann, der ihn auf einmal aus der Hölle hebt und dann mag ſie fortbrennen. So zeige mir (ſagte ſie weinerlich-komiſch) Deinen Flü¬ gel. Daß ich (verſetzt' er) nicht auf Men¬ ſchen baue, ſondern auf den Gott in mir und über mir. Der fremde Epheu geht um uns herum, an uns herauf, ſteht als ein zweiter Gipfel neben unſerem und der iſt dadurch ver¬ dorrt. Die Geiſter ſollen neben einander, nicht auf einander wachſen. Wir ſollten lieben wie Gott, als Unvergängliche die Vergänglichen.

Recht449

Recht gut, (ſagte ſie,) wenn's Dir nur Ruhe ſchafft. Was Deinen armen Schoppe betrifft, ſo iſt er zur Strafe ins Tollhaus ge¬ ſteckt, aber hör 'erſt ordentlich. Er kramte ein Mährchen von einer zweiten Schweſter von Dir bei Deinem ohnehin durch ſo vieles gereiz¬ ten Vater aus. Man konnt' ihm dieſe neue Verſtandes-Verwirrung hingehen laſſen; aber Dein Oheim wurde gerufen, der ihm ins Ge¬ ſicht ſagte, er habe den Kahlkopf ermordet; und ihm wurde ſtolz die Wahl zwiſchen Ge¬ fängniß und Irrhaus gelaſſen; ſo begab er ſich in dieſes. Bleibe, bleibe! Das Wichtigſte kommt. Wie ich auch von ihm denke, ich ſehe, er iſt Dein redlicher Freund; und frei heraus zu reden, ſogar Linda legte noch vor der Ab¬ reiſe eine Vorbitte im letzten Blatte an mich für ihn ein. Nicht bloß die närriſche Reiſe nach Spanien macht 'er für Dich, auch Deine Kur; vielleicht biſt Du ihm das Leben ſchuldig. Mich wundert, daß ich oder irgend jemand es Dir noch nicht geſagt.

Sie fieng nun an mit Idoinens mildthäti¬ gem feſten Karakter, mit ihrem Arkadien undTitan IV. F f450mit dem letzten Tage, da ſie bei ihr gelebt und ihr in die helle Seele geblickt. Sie kam dann an ſein Fieber - und Trauerbette neben Lianens Bahre und auf des alten Schoppe Reden und Laufen und auf ſeinen ſchönen Sieg, da er die verklärte Liane endlich in Idoinens Geſtalt vor ſein Auge gebracht, damit ſie das Heil-Wort ſage: habe Frieden.

Jetzt war er in Sturm und Julienne in Frieden: darum (fuhr ſie fort) halt 'ich's für Pflicht, mich Deines Freundes ein wenig an¬ zunehmen. Der arme Teufel iſt unſchuldig durch Gewiſſensbiſſe und ſelber durch ſeinen jetzigen Ort kann er das, was er von Ver¬ ſtand noch hat, vollends verlieren ganz unſchuldig ſag' ich; denn Dein Oheim, den ich längſt haſſe und der nur erſt vor kurzem, aber vergeblich verſuchte, meinem kranken Bruder geiſtermäßig und mordmäßig zu erſcheinen er hätt 'es auch bei Lianen wohl gethan, wenn ſie es erlebt hätte dieſer Menſch iſt war¬ um darf ich's nicht ruchbar machen, da ſich alles geändert und umgeworfen eine und451 eben dieſelbe Perſon mit dem Kahlkopf und ein Bauchredner Bruder!?

Aber Albano war ihr ſchon entflogen.

134. Zykel.

Albano wollte ſeinen Freund früher be¬ freien als rächen; daher wollte er erſt zu Schop¬ pe eilen und dann zum Oheim. Aber als er an des letztern erleuchteten Zimmern vorüber¬ gieng, erfaßte ihn ein plötzlicher Zorn und er mußte hinauf. Der lange, hagere Oheim gieng dem aufgebrachten Jüngling mit der Dohle auf der Hand langſam entgegen. Albano warf ihm ohne Umſtände ſeine Doppel-Rolle, ſein himmelſchreiendes Zerſtören Schoppens und die Blendwerke gegen ihn ſelber mit Flammen¬ augen vor und forderte Antwort und Rache. Ja, ja, (ſagte der Spanier ſeine Diableſſe ſtreichelnd,) ich habe die Piſtolen ich habe keine Zeit, keine Zeit Reden. Sie müſſen ſie haben ſagte Albano. Ich habe keine deo patre et filio et spiritu sancto testi¬ bus; es iſt bald zwiſchen 11 und 12 und der Finſtere ſteht hier. Himmel! wozu dieſeF f 2452einfältige tragiſche Szenerie? O Gott, iſt es denn nicht möglich, daß Ihr einmal ein Menſch ſeyd, (ſagte Albano, mit Grauſen in ſeine Ge¬ ſichtshaut blickend, die durchaus nicht freudig und nicht liebend ausſehen konnte,) daß Ihr erſchrecken, erröthen, bereuen, Euch erfreuen könnt? Was wußten Sie von meinem Schoppe, da Sie ſich einſt im Keller bei Ratto als Kahlkopf anſtellten, als wüßten Sie eine fürchterliche That von ihm? Niemand braucht etwas zu wiſſen, (verſetzt 'er,) man ſagt zum Menſchen: ich kenne Deine verruchte That, der Menſch denkt zurück, er findet ſo eine. Aber was hatt' er Ihnen gethan? fragte Albano erſchüttert. Er verſetzte trocken: Er hat zu mir geſagt: Du Hund! Es ſchlägt 11 Uhr, ich ſage nichts mehr als was ich will.

Hier brachte der Spanier zwei Piſtolen und einen Sack, wieß ihm, daß ſie nicht ge¬ laden wären, bat, eine zu laden (er gab ihm Pulver und Blei), aber die andere nicht. In den Sack, jede in den Sack, (ſagt 'er,) wir looſen! Je kühner, je beſſer, dachte Albano. 453Der Spanier rüttelte beide um, und erſuchte Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum Wahlzeichen. Es geſchah. Wir ſchießen zu¬ gleich, (ſagte der Oheim,) ſobald es die zwei Viertel ausſchlägt. Nein, (ſagte Albano,) ſchießet bei dem erſten Schlag, ich bei dem zweiten. Warum nicht? verſetzte jener

Sie ſtellten ſich in den entgegengeſetzten Zimmer-Winkeln einander gegenüber mit den Piſtolen in den Händen den Schlag halb zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte im ſtummen Horchen die Augen zu. Als Al¬ bano in dieſes geſchloſſene Büſten-Geſicht ſah, kam ihm vor, als könne an einem ſolchen We¬ ſen gar keine Sünde begangen werden, ge¬ ſchweige ein Todtſchlag. Plötzlich murmelten im leiſen Zimmer fünf Stimmen durcheinander, als kämen ſie von den alten Philoſophen-Bü¬ ſten an den Wänden; der Vater des Todes, der Kahlkopf, die Dohle ſchienen zu reden und eine unbekannte Stimme als ſey es der ſoge¬ nannte Finſtere. Sie ſagten unter einander: Finſterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬ heit geſagt? Ich bringe fünf Thränen,454 aber kalte Ich trage die Räder des Leichen¬ wagens auf dem Kopf Ich führe das Pan¬ therthier am Strick Ich ſchneid 'es los Ich zeige mit dem weiſſen Finger auf Ihn Ich bringe den Nebel Ich bringe den käl¬ teſten Froſt Ich bringe das Schreckliche.

Hier that es den erſten Glockenſchlag und der Spanier ſchoß ab bei dem zweiten feu¬ erte Albano beide ſtanden unverwundet da; Pulverdampf zog umher, aber eine Zerſplitte¬ rung erſchien nirgends, als ſey die Kugel nur eine mit Queckſilber gefüllte gläſerne geweſen. Mit grimmiger Verachtung ſah ihn Albano wegen der vorigen Stimmen an: ich mußte, ſagte der Oheim.

Plötzlich brach der Lektor athemlos herein, den Julienne abgeſchickt, um einen wahrſchein¬ lichen Zweikampf zu hindern. Graf! (ſtam¬ melte er) iſt etwas geſchehen? Es muß (verſetzte der Oheim) in der Nähe etwas ge¬ ben, der Dampf zog herein; wir wollten uns eben zur guten Nacht umarmen. Er klingelte und befahl dem Bedienten, den Wirth zu be¬ fragen, wer ſo ſpät noch abfeuere. Albano455 ſtaunte und konnte ſcheidend nur ſagen: es ſey! Aber fürchtet den Wahnſinnigen, den ich loskette! Ach thut's nicht! ſagte der Spanier und ſchien zu fürchten.

Auguſti begleitete ihn auf die Gaſſe und ließ ihn nur nach dem Ehrenworte los, nicht wieder hinauf zu gehen. Albano aber flog noch in der ſpäten Nacht dem Hauſe des Jam¬ mers und dem gekränkten Herzen zu.

135. Zykel.

Kaum hatte Albano dem Irrhaus-Inſpek¬ tor, einem jungen glatten rothen Männchen, ſeinen Namen, den dieſer ſchon kannte, und ſein Geſuch um Schoppe's Freiheit ſamt ſei¬ ner Bürgſchaft für ihn bekannt gemacht: ſo lächelte der Inſpektor ungemein vergnügt ihn an und ſagte: ſtill beobacht 'ich ſeit Jahren das ganze Haus die kleinſten Züge haſch' ich für ein künftiges philoſophiſches Publikum; und ſo legt 'ich's ſehr ernſthaft auch auf Hrn. Schoppen an. Aber nie, mein Herr Graf, nie ertappt' ich ihn über einem Zuge, der Tollheit verſprochen hätte; alle meine engliſchen und deutſchen Werke darüber lieſet er vielmehr456 und beſpricht ſich m mir über die Heilanſtal¬ ten in Irrenanſtalten. Ein Fichtianer kann er ſeyn (aus ſeinem Ich ſchließ 'ich's) und ein Humoriſt auch; iſt nun aber eines von beiden ſchon ſchwer von Verrückung zu trennen, wie viel mehr ihre Einigung! Mit welcher Freude über das Zuſammentreffen unſerer Beobachtun¬ gen ich Ihnen hier den Schlüſſel zu ſeiner Stu¬ be gebe, das denken Sie ſich ſelber! Wenn er kein Narr iſt, (ſagte ſeine Frau,) warum zerſchlägt er denn alle Spiegel? Eben dar¬ um (verſetzte der Inſpektor), iſt er aber einer, ſo iſt Dein Mann ein noch größerer.

Keine Thür öffnete Albano je beklommener als die zu Schoppens kleinem Zimmerchen. Ich hole Dich ab, mein Bruder, rief er ſo¬ gleich, um ſich und ihm Schamröthe zu erſpa¬ ren; aber als er den alten Löwen näher ſah, fand er ihn in dieſer Fanggrube ganz verwan¬ delt, nicht zahm, kriechend, wedelnd, aber ent¬ zweigeſchlagen und mit zerbrochnen Tatzen auf die Erde gedrückt; die Anklage des Mords, die er rechtſchaffen eingeräumt, verbunden mit Gaſpards unbarmherziger Verurtheilung, hat¬457 ten ſeine ſtolze freie Bruſt mit giftiger Scham gefüllt und zerfreſſen. Es geht mir hier wohl, nur verſpür 'ich mich unpaß; ſagte Schoppe mit glanzloſem Auge und tonloſer Stimme. Albano konnte die Thränen nicht verbergen, er ſchlang ſich um den Kranken und ſagte: gro߬ müthiger Menſch, Du gabſt mir einſt in mei¬ ner Krankheit Geneſung und Heil zurück und ich wußte es nicht und dankte Dir nicht, gehe mit mir, ich muß Dich in der Deinigen pfle¬ gen, Dich heilen und tröſten wie ich kann, dann reiſen wir.

Glaubſt Du, mein Kriton, (verſetzte er, durch den Balſam ſeines wunden Stolzes ge¬ ſtärkt,) daß ich etwan kein Socrates bin, ſon¬ dern wirklich herausgehe aus meinem torre del filosofo? Ein Ehrenwort iſt eine dicke Kette. Erzähle mir alles, verſchone niemand; aber ich ſage Dir darauf eine Neuigkeit, an der ſo¬ gleich Deine Kette ſchmilzt ſagte Albano.

Ei! Indeſſen iſt der Ort hier ſeines Orts gut genug, wie geſagt ein torre del filo¬ sofo, quai de Voltaire und Shakespeare's Streat und wie man ſonſt ſagen mag und ſoll458 Auch hör 'ich immer Nachts einen oder den andern Mann neben mir an ſpechen; und ſo fürcht' ich gar nicht, daß der Ich kommt. Ich werfe täglich fünf Brodkügelchen; bilden ſie ein Kreuz, ſo bedeutet es denke was Du willſt daß ich mir noch nicht erſcheine Sie machen aber immer eines. Ich bin hier in die¬ ſem Anticyra über ſo manches Wahnbild ſo be¬ ruhigt worden auch durch jene Bücher ſieh ſie an, lauter Traktate über den Wahn¬ ſinn daß ich, wenn's auch meinen Mor¬ dian*)ſeinen Hund. eben ſo wenig anſteckt wie mich, gern hier geweſen ſeyn will. Mein Umgang iſt frei¬ lich nicht ohne Gefahr, es iſt das Inſpek¬ torats-Ehepaar, (ein Reim) die beide das hieſige Kerkerfieber tüchtig weghaben. Der Mann hat ſich und dadurch der Frau die fixe Idee in den Kopf geſetzt, er ſey unſer zeitiger Inſpektor und habe aufzuhelfen, auf¬ zuſehen und trefliche Bücher zu leſen, die in ſein Amt einſchlagen jene Traktate ſind vom Narren Vermuthlich hat er drauſſen in der Stadt ſeine Inſpektorats-Idee zu breit vor¬459 gucken laſſen, und das mediziniſche Kollegium ſteckte ihn mit ſeiner brauchbaren Idee herein, weil ſie am Ende doch jeder Inſpektor zum Am¬ thieren haben muß, er ſey toll oder nicht. Un¬ ter allen hier im Hauſe gefallen wir uns bei¬ de am meiſten. Er ſondirte mich zu meinem Vortheil; und ich kann ihn ſehr brauchen zur Freiheit, nur greif 'ich ſeinen faulen fixen Fleck nicht an. Bloß einen Abendſegen weil ſie kein Gebetbuch haben improviſir' ich oft beiden vor und flechte in den Segen Winke, die kurmäßig für das Paar ſeyn könnten, wenn's wollte. So wandeln wir beide in den Irrgän¬ gen dieſes Irrgartens vor den Pazienten vor¬ bei hinter ihm, dem unheilbaren Hub von allen, geh 'ich ganz tolerant im Kränzchen herrſcht allgemeine Polemik und Skepſis wie in keinem andern Univerſitätsgebäude Es iſt zum Tollwerden, ſagt er leiſe zu mir, es iſt zum Tollſeyn, ſagt man in dieſem Palais d'éga¬ lité, verſetz' ich Ich ſchneide ihm die Pa¬ zienten in Schatten aus für ſein Manuſkript Wie die Kinder noch etwas haben, das ih¬ nen ſelber kindiſch vorkommt, ſo haben die460 Tollen etwas, das ihnen ſelber toll erſcheint Deutlicher aber werd 'ich ihm nie und halte ſchärfern Spaß an mich. Ach was iſt der Menſch, zumal ein geſcheuter und wie dünn ſind ſeine Stecken und Stäbe! Rührt Dich etwas an mir, Albano? Etwan mein dummes blaſſes Geſicht?

Aber Albano konnt 'es ihm unmöglich ge¬ ſtehen, daß dieſer umgebrochene edle Menſch mit ſeinen Täuſchungen und ſogar mit ſeinem Stiele, deſſen Flügel auch gerädert waren, ihm die Thränen in die Augen treibe, ſondern er ſagte bloß: ach ich denk' an vieles; aber er¬ zähle doch endlich, Lieber! Schoppe hatt 'es aber ſchon wieder vergeſſen, was er erzäh¬ len ſollte; Albano nannte den Ablauf der Portrait-Geſchichte bei der Gräfinn und jener fieng an:

Die Prinzeſſinn Julienne ſprang eben in ihren Wagen, als ich das blinde Mädchen die Treppen hinaufführte, um ſagen zu laſſen, Bibliothekar Schoppe ſey aus Spanien da. Ich wurde in ein verfinſtertes Gemach gelaſſen, worin ich ruhig auf und abgieng, auf Leute461 paſſend, bis die Gräfinn mich grüßte aus dem Dunkeln. Die Finſterniß (ſagt 'ich) iſt mir bei dem Lichte, das ich zu geben habe, er¬ wünſcht, nur möcht' ich lieber iriſch oder let¬ tiſch oder ſpaniſch ſprechen, weil ich nicht weiß, wer mich behorcht. Spaniſch! ſag¬ te ſie ernſt. Ich erzählte ihr, ich hätte Deine Mutter gekannt und gemahlt und ſo weiter und meinen Nahmen ins Bildniß eingeſchwärzt lange darauf, neulich im Herbſte, hätt 'ich Sie ſelber auf hieſigem Marktplatz ange¬ troffen und für das Spiegelbild Deiner Mutter genommen, ſo ähnlich ſey ſie ihrer eignen Ich weiß nicht, fuhr ſie hier mit hitzigem Stolz zwiſchen meine Narrazion, in wiefern Ihre Geheimniſſe zu meinen werden können. Dadurch, (ſagt' ich ernſt,) daß Sie mich nach Licht klingeln laſſen; denn ich halte das Portrait der Frau von Ceſara und von Ro¬ meiro, zweier Namen Einer Perſon, hier in der Hand. Sie faßte nichts, fragte nichts und ich ſollte nicht klingeln. Ich bekannte ihr, daß ich mich genöthigt ſähe, mit der rhetoriſchen Schach-Figur mich zu decken, die man allge¬462 mein die Wiederholung der Erzählung nennte; und griff zur Figur. Aber ſobald ich darin wieder auf Deinen Nahmen kam, ſagte ſie: ich hätte vermuthlich ganz aufgehobene Verhält¬ niſſe im Sinne nein, (ſagt 'ich,) ein ewiges und hergeſtelltes hab' ich darin, auch ſeinen Gruß voll innigſter Achtung mit. Der Gruß ſchien ihr empfindlich zu fallen, gleichſam als halte man ſie einer ſolchen Ver¬ ſicherung für bedürftig, und ſie bat mich, Dich lieber wegzulaſſen. Himmel! er iſt Ihr Bru¬ der, und hier hab 'ich das Portrait Ihrer Mut¬ ter aus Valencia geſtohlen bei mir, und nur kein Licht!

Da wurde Licht gefodert. Als die Flam¬ me die lange trefliche Geſtalt in Gold einfaßte, ſagte ich geradezu bei mir ſelber: ſie war es ſo gut werth als der Bruder, daß man den langen Weg nach beider Stammbaum zog, denn ſie iſt nicht ohne ihre Annehmlichkeiten. Albano, wär 'ich ihr Bruder, wie Du die Ehre haſt, mein Blut müßte, wenn ſie eine Gondel aber keinen Paradieſesfluß dazu hätte, für ſie ſchiffbar ſeyn, ich trüge ſie auf den Hän¬463 den nicht nur, ſondern wie ein Äquilibriſt, auf Naſe und Mund, die Leidliche! Kaum ſah ſie das Bild, ſo rief ſie: Mutter, Mutter! und fuhr immer über die Augen, klagend, daß ſie jetzt noch ſchlechter wären als ſonſt. Ich hob wieder das Schaben an und grub endlich vor ihren Augen meinen ganzen Nahmen Lö¬ wenskiould aus, ſogar mit dem Beiſatz, der mir entfallen war: liebt sehr.

Der Mahler hieß ſo? (fragte ſie.) Sie ſind's? Sie liebten auch? Schön¬ heit iſt eine Klippe, (verſetzt 'ich ernſt,) an der denn ein und der andere Mann zu ſcheitern ſucht, weil ſie voll Perlen und Auſtern ſitzt. Freundlich bat ſie mich um die deutlichſte Wieder¬ holung der Wiederholung, ſie wolle beſſer aufmer¬ ken; Hören und Denken werd' ihr jetzt ſo ſchwer als leben. Albano, Ihr hättet mich mit mehr Vor¬ kenntniſſen zu ihr abſchicken ſollen. So aber wurd 'ich halb verwirrt und neblig und als ihr un¬ ter meiner Schilderei der Langſee-Inſel etwas Naſſes aus den Augen ſprang, ſank ich in den Tropfen hinein und erſoff beinahe darin und wurd' erſt ſpät von mir ins Leben gerieben. 464Endes meiner Rede ſtand ſie langſam auf, fal¬ tete die Hände und betete mit Weinen, als wenn ſie dankte: o Gott, o Gott! Du haſt mich ge¬ ſchonet! Was ich doch nicht ganz verſtehe.

Albano verſtand's wohl, daß ſie dem Schick¬ ſal für die zufällige Verſpätung Schoppens dankte, welche ſie mit der kurzen aber furcht¬ baren Verwandlung Roquairol's in einen Bru¬ der verſchonet hatte.

Sie brach darauf in zu vielen Dank gegen den Mahler, Räuber und Lieferanten des ge¬ mahlten Geburtsſcheins aus. Wem das Herz wie ein Arm eingeſchlafen und ſchwer und fühl¬ los zu bewegen iſt, dem durch - und überläufts das erwachende Glied ſehr närriſch, wenn er's regt: weniger (ſagt 'ich) konnt' ich nicht thun für den H. Bruder; die Sonnenſeite iſt dann die Mondſeite, Sie ſprang auf Deinen Vater über und fragte, da er ſogleich komme, ob ſie oder ob ich ihm dieſe Räthſel vorlegen ſollte. Oder lieber beide! verſetzt 'ich kaum, da trat er wild ein.

Nun iſt Gaſpard freilich und entſchieden Dein Dir und der Schweſter angebohrner Va¬ter465ter und kindliche Liebe gegen ihn iſt Dir nie zu verdenken; aber wenn ich zu Dir ſagen wollte, er ſey kein Bär, kein Nashorn, kein Währ - und anderer Wolf, ſo thät ichs mehr aus ſeltener Politeſſe. Er ſchnaubte mir einen guten Abend zu, ich ihm. Viele Menſchen glei¬ chen dem Glas, glatt und geſchliffen und ſtumpf ſo lange als man ſie nicht zerbricht, dann ver¬ flucht ſchneidend und jeder Splitter ſticht. Die Sache würd 'ihm vorgehalten und das mitge¬ brachte Geſichtsſtück. Wärſt Du weitläuftiger mit ihm verwandt, ſo ließ' ich mich heraus. Denn ſein Geſicht wurde vom Nordſchein des Grimms überzogen, aus den Augen flogen mir gelbe Weſpen zu, gerade Linien fuhren auf ſeiner Gewitterſtirn wie elektriſche Spieße auf, beſonders zwei ſteilrechte Unglückslinien. Aber wie geſagt biſt Du meines Wiſſens ſein Sohn. Mein Freund, (donnert 'er los,) mit welchem Rechte ſtehlet Ihr denn Gemähl¬ de? Das ſollte mir (verſetzt' ich ſanft) ſchwer anzuſagen fallen; aber ein Unvermö¬ gen hab 'ich, einem ungerechten Truge zuzu ſchauen, ich fahre d'rein. Gräfin, (ſagtTitan IV. G g466er dampfend,) in drei Minuten ſollen Sie die¬ ſen Herrn genau kennen. O nein, nein! Er brauchte ein anderes Wort als Herr, aber ich greif ihn einmal dafür an die Bruſt und ſtän¬ den wir auf den höchſten Stufen des Gottes - Thrones und rängen im Glanz. Schoppe! ſagte Albano: Erhitze mich nicht! verſetzte Schoppe und fuhr fort:

Er klingelte ein Bedienter flog mit ei¬ ner Karte wir alle ſchwiegen Nach¬ ſicht, Gräfin, (ſagt 'er,) nur auf eine Minute lang! Er gab ihr darauf einige elende Hof-Novitäten, ſie aber blickte ſchweigend zur Erde. Da kam Dein langer Oheim, nickte 16mal mit dem kleinen Kopf, denn das hält er für eine Verbeugung und trat weit von mir weg. Bruder, ſage bloß, was hat dieſer Herr da hinter Valencia gethan? Umgebracht, umgebracht, ſagt' er ſchnell. Unter welchen Umſtänden? fragte Dein Vater. Hier fieng er an, die kleinſten bei mei¬ nem Nothſchuß auf den Kahlkopf ſo unbegreif¬ lich-ſcharf vorzulegen, daß ich ſagte: das iſt wahr! und ſelber fortfuhr und immer fragte:467 nicht ſo? und er hurtig nickte bis ich am Ende war, dann fragt 'ich: aber Spaniard, ſagt's bei Gott! woher wiſſet Ihr es denn? Von mir antwortete eine fremde, dumpfe Stimme, ganz wie des Kahl¬ kopfs ſeine.

Das Herz wurde mir kalt wie eine Hunds¬ ſchnauze und die Zunge voll Stein. Als convictus und confessus (fieng Dein Vater an) könnet Ihr Euch nun leicht Euer Schickſal pro¬ phezeien .. Freilich, (murmelte der Oheim, packte ſein Schnupftuch aus und ein, faßte das Gemählde an und legt 'es weg,) prophezeien, prophezeien. Inzwiſchen (fuhr Dein Vater fort) bleibt es Euch freige¬ ſtellt, ob Ihr bis zu näherer Unterſuchung ſtatt des Gefängniſſes, das Euch für den Mord und Diebſtahl gehört, den gelindern Ort, das Irr¬ haus, das Euch für Euere Reiſe gebührt, er¬ wählen wollt; wählet Ihr nicht, ſo wähl' ich. Ins Tollhaus, ins Tollhaus, (rief ich,) wahrer Geſelligkeit wegen, auf meine Ehre Aber ich frage nach nichts, auf dem Waſchzettel meines Gewiſſens ſteht kein Mord Brennt IhrG g 2468Euch nur weiß und rein Euer Sonnen - und Ehrenwagen geht bis an den Radnagel in Koth Gräfin, laſſet Euch doch alles beſtens aufklären und denkt unaufhörlich an mich, um einen Vater zu bekommen, freilich dem Lan¬ desvater der Studenten gleich, der in einem Loch durch den Hut beſteht. Tritt weiter weg, (ſagte Dein Vater zu Deinem Oheim,) die Tollheit iſt ausgebrochen. Da that der Haſe achtzehn Sätze über Schwellen und Treppen hinüber. Ich vollzog mein eig¬ nes Marſch - und Sitzreglement. Dein Vater wedelte mir noch mit einem leckenden Flam¬ menblick nach; ich lud Gift in mein Auge und ſah ihn unter der Thüre davon niederſtür¬ zen.

Albano fuhr zuſammen, fragte nach dem Wie. Da ſchwieg Schoppe, ſann lange und ſagte betrübt: das hat mir wohl freilich nur geträumt, aber ſo meng 'ich jetzt den Traum ins Wahre und umgekehrt. Ich ſollte mehr über Schoppe gerührt ſeyn er iſt doch ein Greis und Greiſe weinen gleich dem Eulenſpie¬ gel, wenn es bergab geht. Ich will Dich469 nun tröſten, mein Freund, (ſagte Albano mit zerriſſener Bruſt,) ich will einen Irrthum von Deinem treuen Herzen nehmen und dann gehſt Du gewiß mit mir; dieſer Kahlkopf, unſer Spötter und Gaukler, iſt nach dem heiligen Wort meiner Schweſter eine und dieſelbe Per¬ ſon mit meinem Oheim, und iſt ein Bauchred¬ ner.

Lange ſtand Schoppe wie todt als hab 'er nicht gehört, plötzlich ſtürzte er mit aufblü¬ hendem Geſicht, mit funkelnden Augen auf die Kniee und ſtammelte: Himmel! Himmel! Ver¬ rücke mich! Das Weitere thu' ich Hier macht 'er eine böſe abwürgende Bewe¬ gung mit den Händen und ſagte erſtarkt: ich kann Dir folgen.

Jetzt konnt 'er das wirklich, vorher aber kaum ſtehen. Und ſo führte Albano den un¬ glücklichen gereizten Freund betrübt in ſeine eigne Wohnung.

136 Zykel.

Albano wandte nun alles an, was Freund¬ ſchaft im Vermögen hat, den edlen Kranken470 wieder innerlich und äußerlich aufzurichten und zu verjüngen. Beſonders ſuchte er den Steg, worüber alle ſeine Saiten gezogen waren und den der Ritter und ſein Bruder vor Linda um¬ geriſſen hatten, wieder aufzuſtellen, nehmlich ſein ſtolzes Bewußtſeyn, das an der grauſa¬ men Demüthigung ſo ſehr darnieder lag. Wie nur reine Bruder-Achtung und heiliges Anbe¬ ten einer göttlichen Reliquie einen wunden Stolz ſanft erwärmen und beleben kann, ſo verſucht 'es der biedere Albano. Allein ohne Genug¬ thuung am Spanier, dem Anſtifter des Unheils und dem Verführer des Ritters, laufe, wie Schoppe ſelber ſagte, ſein Rückgrad nie wieder ſteilrecht und ſein Rückenmark bleibe gebogen. Nur Albano's Duel mit dem Oheim war fri¬ ſches Waſſer für ihn; es mußte ihm mehrmals erzählt werden. Sein durſtiger Wunſch war, ſo geſund zu werden als er zum Kriege mit dem Spanier brauchte und dann als ein Tol¬ ler ihm die Beichte aller Streiche und Gaukle¬ reien auf einem Sterbebette, worauf er ihn zu legen dachte, abzupreſſen: dann (ſetzt' er je¬ desmal lächelnd hinzu) kann es mir wohl egal471 ſeyn, ob die Welt rund wird oder eckig und nach Frankreich iſt mein erſter Schritt.

Albano mußte dieſes griechiſche Feuer des Zorns, das am Ende zur ſtärkenden Kur des durch Demüthigung erfrornen Körpers wirkte, immer tiefer unter ſich brennen laſſen, da jedes Löſchen es nur nährte; nur mußt 'er wachen, daß er keine freie einſame Minute bekäme, um brennend zu entſpringen und den Spanier auf¬ zuſuchen. Albano wich Tag und Nacht nicht von ſeinem Kanapee-Lager, auch aus andern Gründen. Denn war Schoppe einſam und ſein Mordian ſchlief, (den er niemals weckte, weil der Hund, ſagt' er, offenbar träume und da in idealiſchen Welten fliege und ſchnuppere, wovon auf den Gaſſen der wirklichen kaum eine Schatten-Spur zu wittern ſey,) war er alſo allein mit dem ſtillen Thier (denn wacht 'es, ſo hatt' er Geſellſchaft genug) und ſein Blick fiel zufällig auf ſeine Beine oder Hände: ſo fuhr ſeine kalte Furcht über ihn her, daß er ſich erſcheinen und den Ich ſehen könne. Der Spiegel mußte verhangen werden, damit er ſich nicht fände.

472

Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume giengen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬ te, konnt 'aber doch nicht alle Träume des Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬ bendigen entfliegen und einſinken, von dannen treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel - Schatten der Stube. Einſt gegen Mitter¬ nacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fieng und ſagte: wen hab' ich da, Menſch? O guter, beſter Schop¬ pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬ loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger den andern faſſen! Ja freilich, verſetzt 'er. Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬ len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe), Du nannteſt mich Schoppe ſo heiß 'ich nicht, aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬ chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's und fährt her Ein langer Leichenſtein liegt auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein473 vielnahmiger Nahmensvetter und Nahmensva¬ ter (im Bayle ſteht alles) ſich ſelber bald ſo bald ſo hieß, bald Junipere d'Amone, bald Denig Vargas, oder Groſippe, oder Krigſö¬ der, Sotelo, bald Hay. Daß der Mann noch wirklicher Titular-Fürſt von Athen und Herzog von Theben war durch ottomanniſche Kanzlei und Gnade, muß ich ganz zu verges¬ ſen ſcheinen, wenn ich Maltheſer-Bibliothekar bleiben will. In der That trat ich ſonſt in Gaſthöfe noch mit manchem Nahmen ein, der dem nachſetzenden Ich prächtig mitſpielte und vormachte, z. B. Löwenſkiould, Leibgeber, Graul, Schoppe ohnehin, Mordian (den ich meinem Hund ſchenkte), Sakramentirer und einmal hu¬ leu manche kann ich ganz vergeſſen haben Der wahre iſt (ſagte er ſcheu liſpelnd) ein ß oder S s*)S s, heiſſet Siebenkäs. Aus den Blumen -, Frucht - und Dornenſtücken iſt bekannt, daß Schoppe früher Siebenkäs ſich genannt Dann dieſen Nahmen an ſeinen ihm bis zum Gieb mir eine dritte Hand her Aus Todtenkleidern wird der474 Nahme herausgeſchnitten und ich liege darin ſchon unter dem Grabe. Ich bin ich das waren zwar des alten hübſchen Swifts Endworte, der ſonſt wenig ſagte in ſeiner ſo langen Tollheit Ich möcht 'es aber nicht wagen, ſo bei mir zu ſeyn Nu, getroſt, die unendliche Weisheit hat alles geſchaffen, auch Tollheit in Menge. Aber Gott gebe nur, daß Gott ſelber niemals zu ſich ſagt: Ich! Das Univerſum zitterte auseinander, glaub' ich, denn Gott findet keine dritte Hand.

Albano ſchauderte über den Sinn des Un¬ ſinns Schoppe ſchien Eis dann warf er ſich plötzlich an die Bruder-Bruſt beide ſprachen nichts über die Sache und Albano fieng heitere Schilderungen vom glücklichen He¬ ſperien an.

So bracht 'er pflegend, ſchonend, liebko¬ ſend, geduldig und einſam die Tage, die er*)Geſichte ähnlichen Freund Leibgeber abgegeben, von dem er den ſeinigen angenommen und daß der Freund ſich zum Schein ein Grabmahl als Siebenkäs errichten laſſen. 475 gern zu ſeiner Flucht aus Deutſchland verwen¬ det hätte, mit dem kranken Freunde zu; und liebte ihn immer heftiger, je mehr er für ihn that und ausſtand. Er wollt 'es durchaus vom Schickſal nicht leiden, daß eine ſolche Welt voll Ideen ihrem Erdbrand und ein ſo freies Herz voll Redlichkeit dem letzten Schlage näher kom¬ me. Schoppe hatte in des Jünglings Herzen ſogar noch ein größeres Reich als Dian; denn er nahm das Leben freier, tiefer, größer, mu¬ thiger; und wenn Dians Lebensgeſetz Schön¬ heit war, ſo hieß ſeines Freiheit und er gieng, wie unſer Sonnenſyſtem, nach dem Geſtirne des Herkules zu.

Aller Bitten ungeachtet nahm er keine Heil¬ mittel vom D. Sphex; denn er habe ſchon, ſagt 'er, ſich einem alten bekannten Praktiker und Kreisphyſikus anvertrauet, der Zeit. Er ver¬ ſtattete Sphexen gern, ein Rezept aufzuſetzen, es zu bringen, ſah es willig durch, diſputirte über den Inhalt, merkte an, es ſey leichter ein Geſundheitsrath zu ſeyn als einen Geſundheits¬ rath zu geben, und er ſehe wohl, daß er ſei¬ nen Zuſtand treffe, weil er ihn ſchwächend be¬476 handle, was bei Wahnſinnigen das Erſte ſey; aber er ſetzte dazu, er begehre eben keine Ver¬ nunft, ſondern nur ein Paar tapfere Schenkel zum Gehen und Stehen und ein Paar gefüllte Arme zum Zuſchlagen und übrigens ſey er ihm gram, weil er Hunde zerſchneide. Auch Albano nahm zuletzt an, habe Schoppe nur Muskel¬ kräfte zu einer geſelligen Reiſe mit ihm wieder¬ gewonnen, ſo fliehe der Wahnſinns-Traum, worein ihn die ungeſellige gewiegt, leicht von ſelber hinweg.

Immer fuhr er den Arzt am meiſten an. Einſt ſagte dieſer: folgen Sie wenn nicht mir, doch Ihrem zweiten Ich und zeigte auf Albano. Zum Teufel, (verſetzt 'er,) mein zweites Ich, das möget Ihr ſelber ſeyn ich ſcheue mich genug davor aber der da iſt gewiß, das verhoff' ich, kaum mein ſechstes, zwanzigſtes oder dergleichen Ich.

Indeß blieb Sphex bei der Meinung, ſeine ſtheniſche Schlafloſigkeit, die wechſelnd die Toch¬ ter und die Mutter ſeiner Fieberbilder, zumal des Kahlkopfs ſey, verſperre die Kur und müſſe477 ſchwächend bezwungen werden. Als einſtmals Dian, der ſeinen Freund Albano oft beſuchte, dies vernahm, fragte er, warum man ihn nicht geradezu mit der Nachricht, der Spanier ſey aus Furcht vor ihm abgereiſet, etwan nach Frankreich, täuſchen und heilen wolle. Albano verſetzte: wahrlich ich wollt 'es gern ſagen, aber ich kann's nicht, ich könnte eben ſo gut Gott oder mir eine Lüge ſagen wollen. Einbildungen! (ſagte Dian) ich ſag's ihm ſel¬ ber. Weſſen ich mir auch gleich vom Spaniard verſehen habe, verſetzte Schoppe auf die offizinelle Rezept-Lüge. Als Dian fortgegangen war, fragt' er Albano: ſitz 'ich jetzt nicht viel kühler und eiſiger da? Und zwar ſeit der Kahlkopf in Frankreich iſt, bin ich faſt ſo ein neuer Menſch. Freilich lüg' ich, aber Dian log früher.

Endlich entſchloß ſich der Arzt, ihm gera¬ dezu einen Schlaftrunk in ſein Getränk zu mi¬ ſchen. Albano erlaubt 'es. Schoppe bekam ihn; glühte und phantaſirte einige Minuten lang, endlich ſtieg der Nebel des Schlafs und überdeckte bald den Kranken.

478

Albano beſuchte da nach langer Zeit das Grün der Erde und das Blau des Himmels wieder und ſeinen Dian in Lilar. Wie viel war ſeitdem verändert, durch einander, über ein¬ ander geſtürzt! Wie viele Blätter waren wie¬ der Knoſpen geworden! Und mancher Schaum des Lebens, der weiß und zart und leicht ihn ſonſt erfreuet hatte, erkältete ſetzt als graues, ſchweres Waſſer ſeine Bruſt, und er hatte aus¬ ſer ſeinen Lebensmuth faſt wenig behalten. Bei Dian hört 'er von neuen Veränderungen, von des Fürſten nahem Sterben, von Idoinens na¬ hem Kommen zur Schweſter vor der Trauer. Wie wunderbar-verſtöhrt ſchlug ſeine Seele aus ihrem Winter-Schlafe in den warmen Sonnenſchein, den dieſes Ebenbild Lianens um ſein Leben legte, die Augen auf! In man¬ cher ſtillen Nacht neben Schoppens Geiſter-La¬ ger war ihm ſchon, ſeitdem Julienne ihn zum erſtenmal die Erſcheinung dieſes Friedensengels ohne den Schleier ſehen laſſen, die vorige Zeit und Liebe wie ein Himmel ferner Sterne wie¬ der aufgegangen, und in dem Helldunkel der von Schlaf entkleideten Träume ſah er auf dem479 Meere der Zeit eine ferne, ferne Inſel hin¬ ter ſich, oder vor ſich, wußt' er nicht , wo eine weiſſe abgewandte Geſtalt Lianen gleich oder ähnlich ſchwebte und als Nachhall ſang Jetzt dicht nach dem Sterbemonat des Bru¬ ders folgte der Sterbemonat der Schweſter Liane. Wär 'es möglich, daß die Überirdi¬ ſche aus dem ſtillen Spiegel der zweiten Welt und aus deſſen unabſehlichen Fernen heraus¬ träte wieder in den irdiſchen Luftzug und nach der Verklärung wieder verkörpert hier gienge?

Aber die Freundſchaft foderte Raum für ihre Schmerzen und dieſe Wolken-Bilder wur¬ den bald von ihr bedeckt oder umgeſtürzt. Er war nicht im Stande, ſo ſehr er's auch wünſch¬ te, von Schoppe eine Beſchreibung jener Hei¬ lungs-Nacht zu fodern, ja nur zu leiden, worin Idoine Liane geweſen; und doch war dieſe Ge¬ ſtalt der einzige lebendig-ſpielende Juwel im Tod¬ tenring an dem Skelet der harten Zeit, das vor ihm ſtand. Welche Tage! Was ihm die Grä¬ ber nicht wegſchlangen, hatte die Erde dahin genommen und Gaſpard, ſonſt ſein hoher Va¬ ter auf einem reinen Thron des Himmels, war480 nun ſeiner Phantaſie mit fürchterlichen Höllen - Kräften und Waffen nach unten erſchienen, auf einem Throne des Abgrunds ſitzend.

Deſto milder umfloß ihn nun, als er in Dians Hauſe war, die ſtillere Gegenwart, der Gedanke des ruhenden Freundes, der Anblick des nahen Traum-Tempels, wo Liane einmal Idoine geweſen, und die Verkündigung, daß das Ebenbild der Geliebten nahe. Er mahlte ſich den ſüßen und bittern Schrecken ihrer Er¬ ſcheinung vor ihm; denn wie in dem Strome die hinübergebogne Blume nicht nur ihr Bild, auch ihren Schatten entwirft, ſo iſt ſie Lia¬ nens ſchönes Bild und Schatten zugleich und in der Lebendigen würde ihm eine Ver¬ lohrne und eine Verklärte zugleich erſcheinen.

Unter dieſem träumeriſchen Helldunkel und Abendroth, aus Vergangenheit und Zukunft zu¬ ſammengefloſſen, kam er in ſein Haus zurück. Ein ſcharfer Blitzſtrahl ſchlug weiß über das träumeriſche Roth, ſein Schoppe war nach we¬ nigen Minuten des Zwangſchlafs wild aufge¬ fahren und wahnſinnig entſprungen, niemandwußte481wußte wohin. Der Arzt kam und ſagte ent¬ ſcheidend, entweder hab 'er ſich ins Waſſer ge¬ ſtürzt oder jeden andern, er ſey wild dahin gerannt und habe noch ſeinen Stockdegen mitge¬ nommen.

Titan IV. H h482

Vier und dreißigſte Jobelperiode.

Schoppe's Entdeckungen Liane die Kreuz¬ kapelle Schoppe und der Ich und der Oheim.

137. Zykel.

Da Schoppe ſeinen großen Degenſtock mitge¬ nommen: ſo vermuthete Albano, daß er als Würgengel zum Spanier gegangen. Er eilte in den Gaſthof des Oheims. Ein Bedienter ſagte ihm, ein Rothmantel mit einem dicken Stocke ſey da geweſen und habe vor den Herrn gewollt, aber man habe ihn auf des letztern Befehl ins Schloß geſchickt, unterdeſſen ſey der Herr nach dem Prinzengarten abgereiſet, um dem ſtarken Bruder entgegen zu gehen. Al¬483 bano fragte: Wer iſt der ſtarke Bruder? Dero Herr Vater, verſetzte der Bediente. Albano eilte auf das Schloß. Hier war lau¬ fende Verwirrung um das Krankenbette des Fürſten, der es bald mit dem Paradebette zu vertauſchen drohte. Eilige Diener begegneten ihm. Einer konnt 'ihm ſagen, er habe einen Rothmantel ins große Spiegelzimmer gehen ſehen. Albano trat hinein, es war leer, aber voll ſeltſamer Spuren. Ein großer Spiegel lag auf der Erde, eine Tapetenthür darhinter ſtand offen, ein offnes Souvenir, Räder und weibliche Kleidungsſtücke waren um einen wäch¬ ſernen alten Kopf verſtreuet. Ihm war als ſeh' er etwas was er ſchon geſehen und konnte ſich's doch nicht nennen. Plötzlich erblickte er in einem Eckſpiegel tief hinter ſeinem jungen Geſicht ſich noch einmal, aber mit Alter bedeckt, und dem wächſernen Kopfe ähnlich. Er blickte ſich um, ein erhobner Spiegel-Zylinder ſchloß ihm gleichſam die Zeit auf und er ſah in ihrer Tiefe ſein graues Alter.

Schauernd verließ er das ſonderbare Ge¬ mach. Eine Kammerfrau Juliennens ſtieß ihmH h 2484auf, ſie konnte ihm ſagen, daß ſie den Schat¬ ten-Schneider im rothen Mantel mit einem Perſpektive in der Hand über den Schloßhof habe hinausgehen ſehen. Er eilte nach, da kam ihm Auguſti unter dem Thore entgegen mit der Bitte des Fürſten, ihn noch einmal zu beſu¬ chen; jetzt unmöglich, ich muß erſt den wahn¬ ſinnigen Schoppe wieder haben verſetzt 'er. In ſeiner Bruſt lebte nur der Freund; auch nahm er den Fürſten nur für die Maske ſeiner ſprechſüchtigen Schweſter. Ich ſah ihn auf dem Wege nach Blumenbühl ſagte der Lektor. Er flog davon. Am Thore wurde Auguſti's Nach¬ richt von der Wache beſtätigt.

Auf der Blumenbühler Straße begegnete ihm der Wagen des Hofpredigers Spener, der zum Fürſten fuhr. Albano fragte nach Schop¬ pe. Spener berichtete, er habe mit ihm, da er vor einem einzelnen Hauſe einer kranken al¬ ten Beichttochter wegen, eine Stunde lang ge¬ holten, viel geſprochen, ihn geſund, ungemein vernünftig, nur älter und zurückhaltender als gewöhnlich gefunden. Auf die Frage nach ſei¬ nem Wege, verſetzte der Hofprediger: er ſey485 nach der Stadt. Das ſchien ihm unmöglich, aber Spener's Leute beſtätigten es vom Grün¬ rock. Albano ſprach von einem rothen Man¬ tel, alle und Spener blieben bei dem grünen Rock.

Er kehrte wieder um in ſein eignes Haus, wo vielleicht ihn ſelber, dacht 'er, Schoppe ſu¬ che und erwarte. Der Leibeigne des Doktors, der hagere Malz, ſprang ihm mit der Nach¬ richt entgegen, Herr v. Auguſti hab' ihn eben geſucht und der kranke Herr ſey zum alten Thor hinaus ſpazieren gegangen in einem neuen grünen Rock. Es war die Straße nach dem Prinzengar¬ ten, die er nach Albano's Vermuthung gewiß ge¬ nommen, ſobald ihm des Spaniers gleiche kund geworden. Drauſſen wurde ſie durch Falterle beſtätigt, welcher erzählte, er habe bei dem Ausritt ihn eingeholt und ſogleich befragt: wohin ſo eilig, Herr Bibliothekar? darauf ſey er ſtill geſtanden, hab 'ihn ernſthaft ange¬ ſehen und die Antwort gegeben: wer ſind Sie? Sie irren ſich und ſey fortgegangen. Albano fragte nach der Kleidung: in grüner , verſetzte Falterle. Jetzt war ſein Weg entſchie¬486 den. Der müßige Reiter konnte ſogar bekräf¬ tigen, daß der Oheim früher denſelben ge¬ nommen.

Spät abends kam Albano im Prinzengar¬ ten an. Er ſah einige Wagen an dem Hofe des kleinen Gartenſchloſſes. Endlich begegneten ihm Leute ſeines Vaters, die ihm ſagen konn¬ ten, Schoppe ſey ruhig, froh und lange in dem Garten mit einem Herrn von Haſenreffer aus Haarhaar umhergegangen und mit ihm nach der Stadt gefahren. An einem Menſchen hat er doch wieder einen Schutzgeiſt und Wärter dachte Albano und der kalte Regen, der ihn bisher quälte, war weggezogen, obgleich der Himmel noch trübe blieb. Er wich mit ſeinem angegriffnen Herzen, das in dieſer Landſchaft nur von einem dunkeln Horizont umgeben war, jeder Geſellſchaft und dem Luſtſchloß aus. Fern vorübergehend wagt 'er es, einen traurigen Blick auf die Schlummerinſel zu werfen, wo Roquairol's Grabhügel, wie ein ausgebrannter Vulkan, neben der weiſſen Sphinx zu ſehen war. Still liegt endlich das unbändige Schwungrad um, aus dem Strom der Zeit gehoben, nur487 mit dem Grabe ſchloß ſich der Janustempel deines Lebens zu, du gequälter und quälender Geiſt, dachte Abano voll Mitleiden, denn er hatte den Todten ſonſt ſo ſehr geliebt. Droben auf dem Gartenberg mit einem Lindenbaum ruhte ſeine ſanfte Schweſter, der freundliche, liebliche Friedensengel mitten im Kriegsgetüm¬ mel des Lebens, Sie der ewige Friede, wie Er der ewige Krieg. Er beſchloß hinauf zu gehen und allein oben bei der Himmelsbraut zu ſeyn und auf dem den Blumen geweihten Boden das Beet aufzuſuchen, unter welchen ihre Blumen-Aſche ſich vor den Stürmen zu¬ gedeckt. Da er den Vorſatz nur dachte, ſo drangen Thränenſtröme wie Schmerzen aus ſeinen Augen; denn die bisherigen Nachtwa¬ chen und Sorgen hatten ihn träumeriſch-auf¬ gelöſet und ſo manches Unglück in ſo kurzer Zeit dazu, das ihm das ſchöne feſte Leben von einem Ende zum andern mit giftigem Stachel und Zahn durchgraben hatte.

A! s er in der noch mondloſen aber ſtern¬ reichen Dämmerung, worin nur der Abendſtern der Mond war, gleichſam ein kleinerer Spie¬488 gel der Sonne, den Hügel hinaufgieng: ſah er aus dem Prinzengarten ein Paar graugeklei¬ dete Menſchen heftig winken, als wollten ſie ihm den Gang verbieten. Er gieng unbeküm¬ mert weiter, ja er wußte nicht einmal, ob nicht ſein vom Wachen glühendes und von Lebens-Stößen erſchüttertes Gehirn ihm dieſe Geſtalten wie aus einem Hohlſpiegel vorflat¬ tern laſſe.

Wie in einen griechiſchen dachloſen Tem¬ pel, trat er in den heiligen Kloſter-Garten der ſtillen Nonne, worin der Lindenbaum laut ſprach und die ſtillen Blumen wie Kinder über der Ruhenden ſpielten und ſich neigten und wiegten. Hoch und weit giengen die Sternen¬ bogen wie ſchimmernde Ehrenbogen über die kleine Erdenſtelle her, über den geheiligten Ort, wo ſich Lianens Hülle, das kleine Licht - und Roſenwölkchen, niedergeſenkt, als es den En¬ gel nicht mehr zu tragen hatte, der in den Äther gegangen war und aller Wolken nicht mehr bedurfte. Plötzlich erblickte der ſchaudernde Al¬ bano Lianens weiſſe Geſtalt an die Linde ge¬ lehnt und gegen den Abendſtern und die Abend¬489 röthe gewandt; lange ſchauete er an der ſeit¬ wärts gekehrten Geſtalt die himmliſch-herab¬ ſteigende Antlitz-Linie an, womit Liane ſo oft als eine Heilige unbewußt neben ihm geſtan¬ den noch glaubt 'er, ein Traum, der Pro¬ teus der menſchlichen Vergangenheit, ziehe das Luftbild aus dem Himmel hernieder und ſpiel' es vor und er erwartete das Vergehen. Es blieb, aber ruhig und ſtumm. Hinknieend, wie vor der offnen Pforte des weiten langen Him¬ mels voll Verklärung und Gottheit, und auf¬ geriſſen aus den Erden-Thälern, rief er aus: Erſcheinung, kommſt Du von Gott, biſt Du Liane? und ihm war als ſterb 'er.

Schnell blickte die weiſſe Geſtalt ſich um und ſah den Jüngling, ſie ſtand langſam auf und ſagte: ich heiſſe Idoine, ich bin unſchul¬ dig an der harten Täuſchung, ſehr unglückli¬ cher Jüngling. Da bedeckte er ſeine Au¬ gen, aus ſchnellem Schmerz über die Wieder¬ kehr der ſchweren kalten Wirklichkeit. Darauf ſah er die ſchöne Jungfrau wieder an und ſein ganzes Weſen zitterte vor ihrer verklärten Ähn¬ lichkeit mit der Todten, ſo lächelte ſonſt Lianens490 zarter Mund im Lieben und Trauern, ſo öf¬ nete ſich ihr mildes Auge, ſo gieng ihr feines Haar um das blendend-weiſſe, gefällige An¬ geſicht, ſo war ihr ganzes ſchönes Gemüth und Leben aufrichtig in ihr Antlitz gemahlt Nur ſtand Idoine größer da, wie eine Auferſtan¬ dene, ſtolzer und länger ihre Geſtalt, blaſſer ihre Farbe, denkender die jungfräuliche Stirn. Sie konnte, da er ſie ſo ſchweigend und ver¬ gleichend anblickte, ſich der Rührung über den getäuſchten Unglücklichen nicht erwehren und ſie weinte, und er auch.

Betrüb 'ich Sie auch? ſagte er in höch¬ ſter Bewegung. Mit dem Sprachtone der Jungfrau, die unter den Blumen lag, ſagte unſchuldig Idoine: ich weine nur, daß ich nicht Liane bin. Schnell ſetzte ſie hinzu: ach dieſe Stelle iſt ſo heilig, und doch iſt's der Menſch nicht genug. Er verſtand ihre Selbſt-Rüge nicht. Ehrfurcht und Offenher¬ zigkeit und Begeiſterung bemächtigten ſich ſei¬ ner, das Leben ſtand glänzend aus der engen, bangen Wirklichkeit auf, wie aus einem Sarg, der Himmel ſank näher herzu mit hohen Ster¬491 nen und beide ſtanden mitten unter ihnen: Edle Fürſtinn, (ſagt' er,) hier entſchuldigen wir uns beide nicht Die heilige Stelle nimmt, wie eine zweite Welt, das Fremdſeyn weg Idoine ich weiß es, daß Sie mir einſt den Frie¬ den gegeben und vor der verborgnen Hülle des Geiſtes, in deſſen Sinne Sie ſprachen, dank 'ich Ihnen hier.

Idoine antwortete: ich that es, ohne Sie zu kennen und darum konnt 'ich mir den kur¬ zen Gebrauch oder Mißbrauch einer entfliehen¬ den Ähnlichkeit erlauben. Hätt' es von mir ab¬ gehangen, ſo hätt 'ich Sie nie mit einer ſo unbedeutenden, wie eine äuſſere iſt, doch ſo ſchmerzlich erinnert. Aber ihr Herz verdient Ihr Andenken und Ihre Trauer. Man ſchrieb mir, Sie wären nicht mehr in Lindenſtadt. Sie ſuchte jetzt zum Fortgehen zu eilen. In einigen Tagen (antwortete er) werd' ich auch reiſen. Ich ſuche Troſt im Kriege gegen den Frieden des Grabes und der Wüſte, der mein Leben ſtille macht. Ernſte Thätigkeit, glau¬ ben Sie mir, ſöhnet zuletzt immer mit dem Le¬ ben aus ſagte Idoine, aber die ruhigen Wor¬492 te wurden von einer bebenden Stimme getragen, denn durch Hülfe ihrer Schweſter hatte ſie das ganze graue Regenland ſeiner Gegenwart vor das Auge bekommen und ihr Herz war voll tiefen Mitleidens gegen die Menſchen.

Er ſah ſie hier ſcharf an, ihre Nonnen-Au¬ genlieder, die immer unter dem Sprechen ſich über die ganzen großen Augen niederſenkten, machten ſie einer entſchlummerten Heiligen ſo ähnlich; er wurde von ihren letzten Worten an ihr fruchttragendes Leben in Arkadien erin¬ nert, wo der bunte Blüthenſtaub ihrer Ideen und Träume, ungleich dem ſchweren todten Goldſtaub des bloßen Reichthums, leicht im heitern Leben flatternd, unbemerkt belebend, endlich feſte Wälder und Gärten auf der Erde ausbreitete alles in ihm liebte ſie und rief: nur ſie könnte deine letzte wie deine erſte Lie¬ be ſeyn und ſein ganzes Herz, durch Wun¬ den offen, war der ſtillen Seele aufgethan. Aber ein ernſter, harter Geiſt ſchloß es wieder zu: Unglücklicher, liebe keine mehr, denn ein dunkler Würgengel geht hinter Deiner Liebe mit dem Schwerdt, und welche Roſenlippe Du493 an Dich drückſt, dieſe berührt er mit der ſchar¬ fen Schneide oder mit der Giftſpitze, und dann vergeht oder verblutet ſie.

Er ſah ſchon den Glanz dieſes Schwerdts im langen Dunkel ziehen; denn Idoine hatte das Gelübde gethan, nie unter ihrem Fürſten¬ ſtande die Hand zum Bunde der Liebe zu rei¬ chen. So ſtanden beide geſchieden neben ein¬ ander in Einem Himmel, eine Sonne und ein Mond, durch eine Erde getrennt. Sie beſchleu¬ nigte ihre Entfernung. Albano hielt es nicht für recht, ſie zu begleiten, da er jetzt errieth, daß die graugekleideten Menſchen, die ihm zu¬ rückgewinket, ihre Bedienten geweſen, die ihr Einſamkeit zuſichern ſollen. Sie reichte ihm an der Gartenthüre die Hand und ſagte: leben Sie glücklicher, lieber Graf; einſt hoff 'ich Sie ſo glücklich wieder zu finden als Sie ſich ma¬ chen ſollen. Die Berührung der Hand wie einer himmliſchen, die ſich aus den Wolken giebt, durchſtrömte ihn mit einem verklärten Feuer jener Welt, wo Auferſtandne leicht und ſchimmernd ſchweben und die hohe Ehrfurcht gebende Geſtalt begeiſterte ſein Herz; er494 konnte nicht ſagen, was er in ſich beſiege und bedecke, aber auch kein anderes kaltes verklei¬ detes Wort; er knieete nieder, drückte ihre Hand an die Bruſt, ſah weinend an den Ster¬ nenhimmel und ſagte bloß: Frieden, Allgüti¬ ger! Idoine wandte ſich eilig ab und gieng nach einigen ſchnellen Schritten langſam den kleinen Hügel in den Prinzengarten hinunter.

Nach wenigen Minuten ſah er die Fackeln ihres Wagens durch die Nacht fliegen, in der ſie gern zu reiſen wagte. Um den Hügel war es dunkel, die Abendröthe und der Abendſtern waren untergegangen, die Erde wurde ein Rauch und Schutt der Nacht, am Horizont bauete ein Trauergerüſt von Wolken ſich auf. Aber in Albano war etwas unbegreiflich Freu¬ diges, ein lichter Punkt in der Finſterniß des Herzens. Und als er den Leucht-Atom an¬ ſchauete, breitete er ſich aus, wurde ein Glanz, eine Welt, eine unendliche Sonne. Jetzt er¬ kannt er es, es war die rechte unendliche und göttliche Liebe, welche ſchweigen kann und lei¬ den, weil ſie nur Ein Glück kennt, aber nicht das eigne.

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Er war erfreuet über das Überhüllen feiner Bruſt und über ſeinen Entſchluß, ſie nicht wie¬ der zu ſehen in der Stadt. So ſtill (ſagt 'er halb betend halb ſprechend) will ich Sie ewig lieben ihre Ruhe, ihr Glück, ihr ſchö¬ nes Streben bleibe mir heilig und ihre Geſtalt mir verdeckt und fern wie die ihrer Himmels - Schweſter Aber wenn die Schlacht für das Recht anfängt und die Töne neben den Fah¬ nen in die Höhe wehen und das Herz eifriger ſchlägt, um ſtärker zu bluten, dann ziehe dein Bild, o Idoine, mir im Himmel voran und ich ſtreite für dich; und wenn im Getümmel ein unbekannter Würgengel die giftige Schnei¬ de über die Bruſt zieht: ſo will ich im ermat¬ tenden Herzen dich feſthalten bis mir die Erde vergeht.

Er ſah ſich nach dieſem Gebete heiter um auf dem Gottesacker des jungfräulichen Her¬ zens, er fühlte, Liane allein dürf 'es wiſſen und ſie werd' ihn ſegnen.

138. Zykel.

Albano konnte in einer Gegend, in wel¬ cher die einzelnen Säulen und Bogen des zer¬496 ſtörten Sonnentempels ſeiner Jugend umher¬ lagen, keine Nacht zubringen: ſondern er be¬ gab ſich traurig-träumend auf den Weg zur Stadt. Unterwegs fand er den Landſchafts - Direktor Wehrfritz zu Pferd, der ihn ſuchte. Herr Sohn, (ſagt 'er,) es ſind mir von Dei¬ nem intimen Freunde, Herrn Schoppe, die wichtigſten Sachen zu Händen geſtellt wor¬ den, die ich nur in Deine eignen wieder auszuhändigen habe, was ich denn hiemit eilig thue. Denn Muße hab' ich bei Gott wenig, der Fürſt iſt dieſen Abend mit Tod abgegangen vor Schreck, weil jemand ſagte, ſein alter Va¬ ter, der ihm zum Todes-Anzeichen ſoll zum zweitenmal zu erſcheinen verſprochen haben, ſey im Spiegelzimmer zu ſehen, was aber nur, hör 'ich, was von Wachs geweſen. Es ſind die Sachen, die ich auszuliefern habe, erſtlich ein Perſpektiv, womit Du Deine Mutter und Schweſter gemahlt ſehen wirſt (ich bediene mich mit Fleiß Herrn Schoppens eigner Ausdrücke), zweitens ein geſchriebenes Paquet, addreſſirt an: Albano, erzogen bei Wehrfritz, das noch halb in einer zerſchlagnen ſchwarzen Marmor¬ſtufe497ſtufe ſteckt und drittens Dein Portrait. Das Portrait ſtellte Albano im jetzigen Alter dar, fand man ſo viel die Sterne zu ſehen gönn¬ ten , indeß er ſich doch nie mahlen laſſen. Die ſchwarze Marmorſtufe und das Perſpek¬ tiv brachten ihm die Prophezeiung ſeines Va¬ ters auf Isola bella*)Titan I. Band S. 58 u. ſ. w. vor die Seele: ihm wer¬ de in einem Bilderkabinet eine weibliche Geſtalt aus der Wand entgegen treten und ihm einen Ort aufſchreiben, wo er die ſchwarze Stufe und vorher einen zeigen, wo er das Per¬ ſpektiv zu finden habe, deſſen Okularglas ihm aus dem alten Bilde ſeiner Schweſter ein jun¬ ges kenntliches und deſſen Objektivglas aus dem jungen Bilde ſeiner Mutter ein altes kennt¬ liches machen werde.

Albano that ängſtliche Fragen nach Schop¬ pe und der Fundgeſchichte der ſeltſamen Fracht. Mit H. Schoppe geht es gut genug, (ant¬ wortete Wehrfritz,) er muß hier in der Nähe ſeyn mit einem fremden Herrn. Albano frag¬ te nach ſeiner Kleidung; dieſe wurde zu ſeinemTitan IV. I i498Erſtaunen wieder aus einer grünen zur rothen. Kaum hatte Wehrfritz die wunderbare Geſchich¬ te, wie Schoppe jene Wunderdinge überkam, zu geben angefangen: ſo unterbrach Albano, der daraus die Auflöſung der väterlichen Pro¬ phezeiung abnahm, vor Erwartung den Bericht mit der Bitte, ihn zu der nahen Kreuzkapelle zu begleiten, um welche mehrere Laternen ſtan¬ den. Er hatte beide Medaillons immer bei ſich, und war jetzt ſo begierig, das Angeſicht ſeiner Mutter durch das Objektivglas zu ſehen ſo wie das Papier zu leſen.

Bei der äuſſerſten Laterne hielten ſie, Al¬ bano nahm das Medaillon der veralteten Ge¬ ſtalt hervor, worunter ſtand: nous nous ver¬ rons un jour, mon frère, er beſah es durch das Okularglas: ſiehe, das alte Geſicht war das junge ſeiner Julienne. Vertrauend und ungeſtüm hielt er das altmachende Glas ans junge Bild, worunter ſtand: nous ne nous verrons jamais. mon fils, ein freundliches aus einem langen Leben herüberlächelndes al¬ tes Geſicht erſchien, deſſen erblicktes Urbild ihm in einer tiefen, dunkeln Erinnerung lag aber499 nahmenlos; von Linda's Mutter hatt 'es indeß keinen Zug.

Auf einmal hört 'er eine bekannte Stimme: ecco ecco! Mein Neveu, mein Herr! Es war Albano's Oheim, der den ſchwarzge¬ kleideten, wehklagenden Schoppe zu ziehen ſchien und weinerlich den Neffen anredete: ach, Neveu! O ich ſage die Wahrheit, nur Wahrheit pour jamais. Er ſah lachend aus und glaubte zu weinen. Der Schwarzrock trat näher, wurde ein Grünrock und ſagte: Herr Graf, täuſchen Sie ſich keine Minute, unſre Bekannt¬ ſchaft beginnt mit einem gemeinſchaftlichen Ver¬ luſt. Mein Schoppe, (ſagte Albano er¬ ſchüttert,) kennſt Du mich nicht mehr? O wär' ich es jetzt! Ich heiße Siebenkäs, verſetzte der Grünrock und hob jammernd die Hän¬ de in die Höhe. Er liegt aber da in der Ka¬ pelle, (ſagte der Spanier,) ich will alles ſo wahrhaftig erzählen, daß es ſchön iſt. Ich glaube nicht, daß der Finſtere kommt. Al¬ bano warf einen Blick in die Kapelle und mit einem Schrei des Schmerzens ſtürzt 'er dar¬ nieder.

I i 2500

139. Zykel.

Schoppens Geſchichte war nach Wehrfritzens und des Oheims Ausſagen dieſe: er war aus dem Nothſchlummer glühend aufgefahren, auf dem ſchnaubenden Streitroß der Rachſucht ge¬ gen den Spanier wurd 'er fortgeriſſen. Im Gaſthofe des letztern wies ihn der Bediente mit einer Lüge nach dem Schloſſe. Hier ge¬ langt' er, im verworrenen Getümmel um den leidenden Fürſten, ungefragt, ungeſehen in das Spiegelzimmer, wo er einmal die Gräfin Lin¬ da um Idoinens Friedenswort für den wahn¬ ſinnigen Freund gebeten hatte. Als der Zylin¬ der-Spiegel, der die langen Jahre des Alters auf das junge Geſicht gräbt und Moos und Schutt der Zeit darauf ſchüttet, ihm ſein Bild vermooſet und verraſet entgegen warf, ſagt 'er: ho ho, der alte Ich ſteckt wo in der Nä¬ he und ſchauete grimmig umher.

Aus den Spiegeln der Spiegel ſah er ein Ichs-Volk blicken. Er ſprang auf einen Stuhl, um einen langen Spiegel loszumachen. Indem er den Nagel deſſelben rückte, ſchlug in der Wand eine Uhr zwölfmal. Hier fiel ihm501 die Weiſſagung Gaſpards ein, die ſein Freund ihm auvertrauet hatte, und alle Regeln, die dieſem zur Löſung der Räthſel vorgeſchrieben waren. In der Weiſſagung war zwar die Re¬ de von einem Bilderkabinette, aber ein Spie¬ gelzimmer iſt auch eines, nur flüſſiger und tie¬ fer hinter der Wand. Er nahm (folgſam den von Gaſpard gegebnen Regeln) den Spiegel herab, fand und öffnete die Tapetenthür in der Größe des Spiegels die hölzerne weib¬ liche Geſtalt mit dem offnen Souvenir in der Linken und dem Crayon in der Rechten ſaß darhinter er drückte (nach der Vorſchrift) den Ring am linken Mittelfinger die Ge¬ ſtalt ſtand, innen rollend, auf trat in das Zimmer hinaus hielt an der entgegengeſetz¬ ten Wand ſtill, zeichnete daran mit dem Crayon in der Hand eine Linie herab, er zog die Wandleiſte auf das Perſpektiv und der wächſerne Abdruck des Sargſchlüſſels lagen in einem Fach darhinter Jetzt drückt 'er den Ringfinger, die Figur ſetzte den Crayon aufs Souvenir und ſchrieb: Sohn, gehe in die Für¬ ſtengruft in der Blumenbühler Kirche und öffne502 den Sarg der Fürſtin Eleonore, ſo findeſt Du die ſchwarze Stufe.

Wenn das geſchehen, hatte der Ritter zu Albano geſagt, und die Marmorſtufe doch nicht im Sarge gefunden ſey: ſo ſoll 'er den dritten Ring am Ohrfinger drücken, worauf etwas ge¬ ſchehe was er ſelber nicht vorauswiſſe. Schop¬ pe verſuchte vorher, eh' er in die Blumenbüh¬ ler Kirche gieng, den Druck dieſes Fingers die Figur blieb ſtehen aber innen fieng es zu rollen an die Arme dehnten ſich aus und fielen ab Räder rollten heraus endlich zerlegte ſich die ganze Geſtalt durch einen me¬ chaniſchen Selbſtmord und ein alter Kopf von Wachs erſchien.

Hier gieng Schoppe davon, um nach Blu¬ menbühl zu laufen und aus der Gruft die Leuchte für dieſes Nachtſtück zu holen. Eben waren Mittags Kirche und Gruft vielleicht weil man dem neuen ſterbenden Höhlen-Gaſt Raum vorbereitete offen gelaſſen. Ohne erſt den wächſernen Schlüſſel in einen eiſernen zu ver¬ wandeln, erbrach er ungeſtüm mit einem Ar¬ beitseiſen den Sarg und holte die Marmorſtu¬503 fe und Albano's Portrait ſchnell heraus. Er zerſchlug jene hinter einem Buſch. Als er die Aufſchrift las, unterſucht 'er nicht weiter; er eilte in Albano's Haus, um alles zu überge¬ ben. Beide aber ſuchten ſich wechſelſeitig um¬ ſonſt. Indeß traf er den rechtſchaffenen Wehr¬ fritz an, durch welchen allein er eine ſo wich¬ tige Beute abſchicken konnte; er ſelber war jetzt dem Todfeinde, dem Spanier, auf der Spur und keine Gewalt konnt' ihn aus der zornigen Jagdbahn treiben.

Bei Sonnenuntergang erblickte Schoppe den Spanier, der aus dem Prinzengarten dem Ebenbilde Siebenkäs entfliehend, ihm in die Hände gelaufen kam Er erſtarrte vor des Wahnſinnigen Anblick, rief: Herr und Gott, ſeyd Ihr hinter mir und vor mir? ſeyd Ihr roth und grün und ſtürzte ſeitwärts in die alte Kreuzkapelle hinein, um die heil. Jung¬ frau knieend anzurufen. Schoppe ſpannte ſeine Kontursſchwingen aus, ſchoß hinzu und ſchlug ſie vor der Kapelle zuſammen: dreh Dich um, Spaniard, ich freſſe Dich von vorne ſagte er. Heilige Mutter Gottes, hilf mir, guter504 böſer Geiſt, ſteh mir bei, o Finſterer! betete der Kahlkopf. Rutſche herum, Spitzbube, ohne weitern Spaß, ſagte Schoppe, indem er mit dem gezognen Stockdegen in der Luft von hin¬ ten ein Hufeiſen vor deſſen Geſicht beſchrieb. Er drehte ſich elend auf den Knieen herum und der Kopf hieng ſchlaff vom Halſe herab. Schop¬ pe fieng an: nun hab 'ich Dich, Miſſethäter, Du beteſt mich ohne Nutzen auf den Knieen an ich habe das Richtſchwerdt toll bin ich auch in wenigen Minuten, wenn wir uns ausgeſprochen haben, ſtech' ich gegenwär¬ tigen Stockdegen in Dich denn ich bin ein Toller voll fixer Ideen. Ach Herr, (ver¬ ſetzte der Kahlkopf,) Ihr ſeyd gewiß ſehr ver¬ ſtändig und bei Verſtand und bei ſich, ich bitte zu leben, es iſt ſo große Todſünde das Todtma¬ chen. Schoppe verſetzte: von meinem Ver¬ ſtande ein andermal! In effigie hab 'ich Dich ſchon erſchoſſen, nun will ich die Todſünde und den Gewiſſensbiß nicht umſonſt herumtragen, ſondern mich in natura dazu thun, Du Seelen - Henker, Du Herz-Trepan!

Schoppe, Schoppe! rief es jetzt einige¬505 mal von Fernen mit Albano's Stimme. Er ſah ſich ſchnell um, nichts war zu ſehen. Gu¬ ter Schoppe, (fuhr es fort,) laſſe meinen Oheim gehen! Jetzt entbrannte Schoppe und hob den Dolch zum Stich: Du gar zu verſteinerter Bauchredner! Sollte man nicht gleich ins Zeug hineinſtechen wie in ein bleſſirtes Pferd? Siehſt Du denn nicht den hölliſchen verdammten Mord und Todſchlag vor der Naſe, Deinen Peſtwa¬ gen ſchon angeſpannt, das ausgepolſterte Ge¬ rippe des Todes in mein Fleiſch geſteckt und jetzt die Senſe heben? Beichte, Spaniard, um Jeſus Willen, beichte, Fliege, eh 'ich ſpies¬ ſe, ſteche! Etwas präkavirſt Du Dich doch da¬ mit vor den Teufeln in der Hölle; biſt ſonſt drü¬ ben ein ganz ruinirter Mann.

Wo ſitzt der Pater? Ich beichte ja wohl. ſagte der Spanier.

Hier ſteht Dein Galgenpater, ſchau 'die Schur , ſagte Schoppe, vom gebückten tonſu¬ rirten Kopf den Hut abſchüttelnd.

Hört meine Beichte! Aber Nachts lei¬ det es der Finſtere nicht, daß ich die Wahr¬506 heit ſage er kommt gewiß, er holt mich, Vater, räuchert mich, wäſſert mich ein gegen den Teufel.

Stief-Beichtſohn und Dieb, bin ich Dir nicht Beichtpaters und Beichtvaters genug, der Dich ſchon einwäſſern wird? Sage nur, Hund, alles, ich abſolvire Dich und ſchlage Dich dann todt zur Pönitenz. Sage an, Du Krönungs¬ münze des Teufels, biſt Du nicht der Kahlkopf, und der Vater des Todes und der Mönch zu¬ gleich, deſſen Figur voll Gas in Mola gen Himmel fuhr, und hatteſt Bauchrednerei und Wachsbilderei und einige Spitzbüberei bei der Hand?

Ja, Vater, Bauchrednerie und Wachs¬ bildnerie und den Spitzbuben. Aber der böſe Geiſt war überall dabei, ich ſagte oft nichts, und es wurde doch geſagt und die Geſtalten liefen.

Mordian, (ſagte Schoppe darüber er¬ grimmt,) faſſ 'den Hund! Noch lügſt Du, Du Kloak ins Paradies gegraben, noch ins Ohr der großen Parze hinein, Du mimiſche507 Mumie, Dein Todtenkopf ohne Lippe und Zunge regt ſich noch zur Lüge? O Gott, was ſind Deine Menſchen!

O Pater, nicht Lügen! Aber der Finſtere will ſie Nachts, ich habe einen Bund mit ihm angeſtiftet Ich hab 'ihn heute abends geſe¬ hen, er ſah wie Ihr aus und grün O Ma¬ ria, o Pater, ich habe die Wahrheit geſagt, dort kommt er grün o Pater, o Maria, und hat Eure Geſtalt und ein feuriges Auge in der Hand

Niemand hat meine Geſtalt, (ſagte Schop¬ pe erſchüttert,) als der Ich.

O umguck '! Der böſe Geiſt kommt zu mir abſolvire ſtich ich will wegſter¬ ben!

Schoppe ſchauete ſich endlich um. Der ſchreitende Abguß ſeiner Geſtalt bewegte ſich her das Feuerauge in der Hand ſtieg in das Geſicht die Ichs-Larve war grün ge¬ kleidet Böſer Geiſt, ich bin doch in der Ohrenbeichte, Du kannſt nicht her, ich bin hei¬ lig rief der Spanier und faßte Schoppen. 508Ihn faßte der Hund. Schoppe ſtarrte die grüne Geſtalt an der Degen entfiel ihm. Mein Schoppe, (rief ſie,) ich ſuche Dich, kennſt Du mich nicht?

Lange genug! Du biſt der alte Ich nur her mit Deinem Geſicht an mein's und ma¬ che das dumme Seyn kalt rief Schoppe mit letzter Manns-Kraft. Ich bin Siebenkäs, ſagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. Ich auch, Ich gleich Ich ſagt 'er noch leiſe, aber dann brach der überwältigte Menſch zuſammen und dieſer reinigende Sturm wurde ein ſeufzendes, ſtilles Lüftchen. Mit weiß wer¬ dendem Geſicht, krampfhaft ſich ſelber die ſtar¬ ren Augen zuziehend ſtürzte er um, die ſpielen¬ den Finger ſchienen den Hund noch anzulocken und die Lippen wollten ſich zu einem Spott¬ wort ſpitzen, das ſie nicht ſagten Sein Freund Siebenkäs, der nichts errathen konnte, hob weinend die kalte, feſtgeſchloſſene Hand an ſein Herz, an ſeinen Mund und rief: Bru¬ der, blick' auf, Dein alter Freund aus Vaduz ſteht ja neben Dir und ſieht Dich in der Todes¬509 noth, er ſagt Dir tauſend Lebewohl, Lebe¬ wohl!

Das ſchien durch die dem Leben noch offnen Ohren ins brechende Herz noch ſüße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewi¬ gen Liebe zu führen Der Mund fieng ein kleines Lächeln an, von Luſt und Tod zugleich gezogen die breite Bruſt ſtieg noch einmal voll auf zu einem frohen Seufzer es war der letzte des Lebens und lächelnd blieb der Verſtorbne auf der Erde zurück.

Nun haſt Du hienieden geendigt, ſtrenger, feſter Geiſt, und in das letzte Abend-Gewitter auf Deiner Bruſt quoll noch eine ſanfte, ſpie¬ lende Sonne und füllte es mit Roſen und Gold. Die Erdkugel und alles Irdiſche, wor¬ aus die flüchtigen Welten ſich formen, war Dir ja viel zu klein und leicht. Denn etwas höheres als das Leben ſuchteſt Du hinter dem Leben, nicht Dein Ich, keinen Sterblichen, nicht einen Unſterblichen, ſondern den Ewigen, den All-Erſten, den Gott. Das hie¬ ſige Scheinen war Dir ſo gleichgültig, das böſe wie das gute. Nun ruhſt Du im rech¬510 ten Seyn, der Tod hat vom dunkeln Herzen die ganze ſchwüle Lebens-Wolke weggezogen, und das ewige Licht ſteht unbedeckt, das Du ſo lange ſuchteſt; und Du, ſein Strahl, wohnſt wieder im Feuer.

511

Fünf und dreißigſte Jobelperiode.

Siebenkäs Beichte des Oheims Brief von Albano's Mutter Das Kron-rennen Echo und Schwanengeſang der Geſchichte.

140. Zykel.

Lange lag Albano im einſamen finſtern Ab¬ grund, bis endlich Licht die Schlucht und die grüne Höhe erleuchtete, von welcher er herun¬ ter ſtürzte. Das ſonſt lebensfärbige männliche Geſicht des Freundes lag weiß vor ihm, der rothe Mantel erhöhte noch den Leichenſchnee. Der Hund lag mit dem Kopfe auf der Bruſt, als woll 'er ſie wärmen und ſchützen. Als Al¬ bano den nackten Degen ſah: blickte er im Krei¬ ſe umher, ſchauderte vor dem kalten Oheim,512 vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und vor dem erſten Argwohn zwiſchen fremden und Selbſtmord und fragte leiſe: wie ſtarb er? Durch mich, (ſagte Siebenkäs,) an unſe¬ rer Ähnlichkeit, er glaubte ſich zu ſehen, wie dieſer Herr hier verſichert. Der Oheim er¬ zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬ derſchein der befreundeten Geſtalt ſenkt' er den Blick, dem das Tageslicht der Freundſchaft un¬ tergegangen war. Siebenkäs ſchien ſich in ei¬ ner ſeltenen männlichen Haltung zu behaupten. Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg ſei¬ nen Jammer, daß er ſo viel verlohren und daß nun ſein Waiſen-Herz ausgeſetzt ſey wie ein hülfloſes Kind in die Wüſte des Lebens.

Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd zur Reiſe in die Stadt noch ſchicken ſolle? Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬ te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬ pe gehen heute in den Prinzengarten. Er ent¬ ſetzte ſich vor der bloßen ſchwarzen Kirchhofs - Landſchaft der Stadt, wo einmal ein goldner Sonnenſchein und Laubengänge und Himmels¬pforten513pforten voll Blumengewinde für ihn geblühet hatten. O der junge Honig der Liebe, der alte Wein der Freundſchaft, beide waren ja vom Schickſal in Gräber gegoſſen!

Der Todte wurde in das neue Schloß des Prinzengartens gebracht. Nur Albano und Siebenkäs folgten ihm nach. Als ſie allein waren, ſah Albano erſt, daß der Freund ſei¬ nes Freundes bebe und wanke und daß bis jetzt nur der Geiſt den Körper getragen. Nun wir beide (ſagte Albano) dürfen vor einander trauern; aber nur Ihnen glaub 'ich. Gott wie war denn ſein Ende? Siebenkäs ließ vor ihm die letzten Mienen und Laute des Armen vor¬ übergehen. O Gott, (ſagte Albano,) er ſtarb nicht leicht, wenn der Wahnſinn der Monate zu Einer Minute wurde reißend mußte der Höllenfluß ſeyn, der ein ſo feſtes Leben weg¬ riß. Siebenkäs nahm ſchwer den Glauben an deſſen Wahnſinn an, weil der Todte ſo oft in ſeinen ſchönſten Momenten auf ähnliche Weiſe verkannt worden; aber Albano über¬ wand ihn endlich. Er erzählte weiter, daß er auf der Heimreiſe begriffen geweſen, als ihnTitan IV. K k514die wiederholte Verwechslung ſeiner Perſon mit dem Todten auf die Vermuthung geleitet, hier müſſe ſein lang entbehrter Leibgeber wandeln, wiewohl er vor der erſten Erſcheinung und Ver¬ gleichung ſich faſt fürchten müſſen: denn, H. Graf, (ſagt 'er,) Jahre und Geſchäfte, juriſti¬ ſche vollends, ach das Leben ſelber ziehen den Menſchen immer weiter herab, anfangs aus dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf der Erde Wird er mich kennen? ſagt' ich. Ich bin ja nicht mehr der ich war und die phy¬ ſiognomiſche Ähnlichkeit möchte wohl die einzige und feſteſte noch geblieben ſeyn. Aber auch dieſe war vergangen; der Seelige ſieht noch aus wie vor 10 Jahren. O nur eine freie See¬ le wird nicht alt! Herr Graf, ich war ſonſt ein Mann, der einen und den andern Spaß mit dem Leben trieb und mit dem To¬ de auch und ich konnte ausrufen: Himmel! wenn die Hölle aufgieng und derlei mehr Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat wei¬ che, kleine Wellen, aber am Ende wird doch der eckigſte, ſchärfſte Kieſel darin glatt und ſtumpf.

515

Zählen Sie mir jede Kleinigkeit ſeiner Vor¬ zeit, (bat Albano,) jeden Thautropfen aus ſei¬ nem Morgenrothe zu, er war ſo karg mit ſei¬ ner dunkeln Geſchichte! Und das gegen jeden (ſagte der Fremde). So viel will ich Ihnen einmal aus wahren an Ort und Stelle geſammelten Datis beweiſen, daß er ein Hol¬ länder iſt wie Hemſterhuis und eigentlich Kees heiſſet wie Vaillants Affe, woran er Sieben oder Seven geſetzt; denn Siebenkäs iſt ſein er¬ ſter Nahme. Aus der Amſterdammer Bank be¬ zog er ſeine Intraden. An jedem Neujahrs¬ abend verbrannt 'er die Papiere des vorigen Jahrs; und wie ſeine clavis Leibgeberiana be¬ kannt geworden, begreif' ich noch nicht. Darauf erzählte er ihren erſten Nahmen-Wech¬ ſel, wo Schoppe von ihm den Nahmen Leibge¬ ber annahm, dann jede Stunde und That ſei¬ nes treuen Herzens gegen den vorigen Armen - Advokaten, dann ihren zweiten Nahmentauſch, wo Siebenkäs ſich nahmentlich begraben ließ und als Leibgeber fortfuhr, und ihren ewigen Abſchied in einem voigtländiſchen Dorf.

Als Siebenkäs hier ſtand bei der Erzäh¬K k 2516lung, faßte er die kalte Hand mit den Wor¬ ten: Schoppe, ich dachte, ich fände Dich erſt bei Gott! und neigte ſich weinend über den Todten. Albano ließ ſeine Thränen ſtürzen und nahm die zweite todte Hand und ſagte: wir faſſen treue, reine, tapfere Hände. Treue, reine, tapfere, (wiederholte Siebenkäs und ſagte mit einem Schoppiſchen Lächeln:) ſein Hund ſieht zu und bezeugt es einmal. Aber er wurde von der Bewegung blaß und ſah jetzt ganz wie der Todte aus. Da berühr¬ ten er und Albano ſinkend ſich auf dem kal¬ ten Geſicht und Albano ſagte: ſey auch mein Freund, Lebendiger, wir können uns lieben, weil er uns liebte. Blaſſer, Deine Geſtalt ſey das Siegel meiner Liebe gegen Deinen al¬ ten Freund.

Albano riß jetzt das Fenſter auf und zeigte ihm ein Grab in Oſten und eines in Süden neben dem offnen dritten in der Nacht und ſagte: ſo weint 'ich dreimal über das Leben. Siebenkäs drückt' ihm die Hand und ſagte bloß: die Parzen und Furien ziehen auch mit verbundnen Händen um das Leben, wie517 die Grazien und die Sirenen. Er ſah den ſeltenen ſchönen feurigen Jüngling mit innig¬ ſter Liebe an; aber Albano, der nur wenig geliebt zu ſeyn vorausſetzte und den die Feuer¬ zeichen eines Dians und Roquairol's verwöhnt, wußt 'es nicht, wie ſehr er das ruhigere Herz gewonnen hatte.

141. Zykel.

Am Morgen kehrte mehr Sonne und Kraft in Albano's Bruſt zurück. Er mußte nun in der plattgedrückten Ebene ſeines Lebens ſich den Berg ſelber vorheben. Nur Peſtiz wieder zu ſehen, wo alle Turnirgenoſſen ſeiner glän¬ zenden Tage verſchwunden waren, den einzi¬ gen Dian ausgenommen, verabſcheuete er; hat dieſer ſein Grab auf der Bruſt, ſo zieh ich und ſcheide von niemand ſagte er.

Da langte der verhaßte Oheim mit den Wagen voll Zauberſtäbe an und ſagte weiner¬ lich, er geh 'ins Karthäuſer-Kloſter, büße für viele Sünden, und er wolle vorher dem Nef¬ fen gern alles erklären, ſowohl mit Worten als mit den Wagen, was er begehre. Ich glaub'518 Euch nichts ſagte Albano. Jetzt darf ich alle Wahrheit ſagen, denn der Finſtere thut mir nichts, ich denke, Cousin (verſetzte der Spa¬ nier) iſt der da (ſetzt 'er leiſe mit einem ſcheuen Blick auf Siebenkäs dazu) nicht der Finſtere, Cousin? Albano wollte nichts wis¬ ſen und hören. Siebenkäs fragt' ihn, wer der Finſtere ſey. Es ſey der unendliche Mann, (begann er,) ſehr ſchwarz und finſter, und ſey zum erſtenmal vor ihn geſchritten über das Meer her, als er an der Küſte ſtand vor einem Nebel Nachts hab 'er ihn oft rufen hö¬ ren und zuweilen hab' er ſeine Bauchreden wie¬ derholt er ſey ihm ſogleich erſchienen mit einer Hand voll Drohungen, ſobald er nach Sonnenuntergang viele Wahrheiten geſagt, da¬ her hab 'er ſich in der Kreuzkapelle vor dem gegenwärtigen Herrn ſehr gefürchtet aber jetzt, ſeitdem er ſich ohne allen Schaden in der Ka¬ pelle bekehret habe, ſag' er den ganzen Tag Wahrheiten und im Karthäuſer-Kloſter gedenk 'ers noch mehr.

In Klöſtern wohnen ſie ſonſt eben nicht, daher wird glaub 'ich eben das Gelübde des519 Schweigens gefodert, das immer der Wahr¬ heit zuträglicher iſt als deſſen Bruch verſetzte Siebenkäs. O Ketzer, Ketzer! rief der Spa¬ nier ſo unerwartet zornig, daß Albano durch die¬ ſe Menſchlichkeit auf einmal von deſſen jetziger Wahrhaftigkeit Pfänder bekam, ſo wie von des¬ ſen engerm Geiſtes-Umfang. Nun erſt fragt' er ihn über die Erde und den Samen aus, die er bisher gebraucht, um ſeine ſchnellen Wunder¬ blumen vorzutreiben.

Er ließ auf dieſe Frage einen Kaſten her¬ auftragen. Fragt ſagt 'er. Wie ſtieg aus dem Lago Maggiore Romeiro's Geſtalt? ſag¬ te Albano. Der Oheim ſchloß auf, zeigte eine Wachsfigur und ſagte: es war nur ihre Mut¬ ter. Albano ſchauderte vor dieſer nahen Ne¬ benſonne ſeiner untergegangnen Sonne und vor der Vermuthung der Verwandtſchaft, die ihm Schoppe eingeflößet: bin ich ihr verwandt? fragt' er ſchnell. Der Oheim verſetzte beſtürzt: es wird wohl anders ſeyn. Albano fragte nach dem himmelfahrenden Mönch in Mola: er oben mit Gas gefüllt, ich unten an der Mauer ſtand, ſagte der Oheim. Albano520 wollte nichts weiter wiſſen; im Kaſten waren noch Hör - und Sprachröhre, eine Geſichtshaut, blaues Glas, durch welches die Landſchaften beſchneiet erſcheinen, ſeidene Blumen mit Pul¬ ver von einem endormeur u. ſ. w. ; Albano wollte nichts mehr ſehen.

Böſes Weſen! wer ſtiftete Dich dazu an? fragte Albano. Der ſtarke Bruder, (ſagte der Oheim, denn ſo nannte er den Ritter gewöhn¬ lich,) er gab mir zu leben und er wollte mich todtſchießen; denn er lacht ſehr, wenn die Menſchen ſehr hübſch betrogen werden. O keinen Laut darüber (rief Albano peinlich, dem der Zorn gegen den Ritter alle Adern mit Thränen-Feuer und Gift ausſprützte) Un¬ glücklicher! wie wurdeſt Du der? So? Bin ich unglücklich? fragt 'er eiskalt. Er be¬ richtete aber abgebrochen und verworren, welches ihm in jeder Sprache in ſeiner eignen Rolle begegnete, indeß er in fremdem Nah¬ men, z. B. des Kahlkopfs, gut und lange ſpre¬ chen konnte : er habe ein ſchwarz-graues und ein blaues Auge, ſeit der Mannbarkeit einen verborgnen Kahlkopf, und ein beſonde¬521 res Gedächtniß und habe daher Schauſpieler werden wollen; weil er nichts zu thun gehabt, denn er ſey nie verliebt geweſen; aber ſo lang' er nicht improviſirt, ſey es nicht gegangen. Den Joſeph Klark, der alle Verwachſene nach¬ machen können, und den Betrüger Price, der in dreifacher Perſon herumgegangen, hab 'er immer im Sinne gehabt Da ſey ihm der Finſtere Abends wieder in einem Nebel des Ufers über dem Waſſer entgegengetreten und habe wie aus dem Bauche gemurmelt: Pep¬ po, Peppo!*)Joſephchen. ſchluck 'das wahre Wort zu¬ rück, ich will das andere ſchon ausſprechen Und von dieſer Stunde an hab' er die Bauchſprache gekonnt Er habe damit Todte und Stumme und Sprachmaſchinen und Pa¬ pagaien und Schlafende und fremde Leute ins Theater, gut reden laſſen, aber niemand in der Kirche, und das hab 'ihn wohl ergötzt Ein unaufhörliches Echo hab' er oft auf Fel¬ ſen gegeben, ſo daß die Menſchen gar nicht wußten, wenn ſie fortgehen ſollten. Er habe522 auch einmal ein ganzes Schlachtfeld voll Tod¬ ter untereinander reden laſſen, in allen Spra¬ chen, zum Erſtaunen des alten Generals.

Wo war das? fragte Siebenkäs. Der Spanier kam zu ſich und verſetzte: ich weiß es nicht; iſt es denn wahr? Omnes, ho¬ mines ſunt mendaces, ſagt die heil. Schrift. So wenig wahr (ſagte Albano) als Euer finſterer Geiſt! O Maria, nein (ſagt 'er entſchieden,) wenn ich etwas weiſſagte, ſo macht' er ja, daß es doch eintraf; dann er¬ ſchien er mir und ſagte: ſiehſt Du, Peppo, aber ſage nur keine Wahrheit! Und in der Nacht, da ich neben Euch nach Lilar gieng, gieng, er unten im Thale als ein Menſch durch die Luft hin. Das ſah ich auch, (ſagte Albano,) er ſchwebte weiter ohne ſich zu re¬ gen. Das war bloß einer (ſagte Sieben¬ käs lächelnd) der in einem fortſchwimmenden Kahne mit verſteckten Beinen ſtand und nichts weiter. Da blickte der Spanier dieſes Eben¬ bild der Leiche mit dem alten Grauſen an, wo¬ mit er es bisher heimlich für den finſtern Geiſt ſelber gehalten, murmelte Albano ins Ohr:523 ſieh, dieſes Weſen weiß es und ſagte zur Entchſuldigung der Wahrheiten: die Sonne iſt noch nicht untergegangen und eilte, ohne auf Menſchen-Bitten zu hören, deren Kraft ihm nie bekannt geworden, ohne Leid und Freud 'davon, um noch vor Sonnenuntergang ins nahe Karthäuſer-Kloſter einzutreten. Al¬ les Trugs-Geräthe hatt' er ſtehen laſſen.

Ein fürchterlicher Menſch! (ſagte Sieben¬ käs.) Als er vorhin einmal ſich über etwas freuen wollte, ſah er aus als greif 'ihm ein Schmerz über das Geſicht Und daß er ſo dünn und hager daſteht, und ſeitab blickt und die Silben verſchluckt! Ich weiß gewiß, er könnte tödten, ohne die Miene zu ändern, nicht einmal zum Zorn. O, er iſt der finſtere Geiſt, den er ſieht zitiren Sie ihn nicht! ſagte Albano, in eine ganz neue Welt wegeilend, die jetzt plötzlich vor ſeinen Geiſt gezogen war.

142. Zykel.

Er dachte nehmlich an das bisher vom Nebel des Schmerzens verdeckte Papier, das524 Schoppe aus der Fürſtengruft geholet und an das Mutterbild, das er unter dem Okularglas hatte finden ſollen. Eh 'er anfieng zu leſen, legt' er das Bild unter dem Glaſe dem Frem¬ den vor, ob er's etwan zufällig kenne. Sehr! Es iſt die verſtorbene Fürſtin, Eleonore, ſo weit ein Kupferſtich vor dem Landes-Geſangbuch Ähnlichkeiten vorauszuſetzen verſtattet; denn ſie ſelber ſah ich nie.

Bewegt zog Albano das Papier aus der zerbrochnen Marmorkapſel, aber er wurd 'es noch mehr, da er die Unterſchrift Eleonore und Folgendes in franzöſiſcher Sprache las:

Mein Sohn!

Heute hab 'ich Dich nach langen Zeiten wieder geſehen*)S. 245 im I. Band des Titans. in Deinem B. (Blumenbühl); mein Herz iſt voll Freude und Sorge und Dein ſchönes Bild ſchwebet vor meinen weinenden Augen. Warum darf ich Dich nicht um mich haben und täglich anblicken? Wie bin ich ge¬ bunden und geängſtigt! Aber von jeher ſchmie¬ dete ich mir Feſſeln und erbat andere, mich da¬525 mit zu binden. Höre Deine eigne Geſchichte aus dem Munde Deiner Mutter an; ſie wird Dir aus einem andern nicht lieber und wahr¬ hafter kommen.

Ich und der Fürſt lebten lange in einer unfruchtbaren Ehe, welche unſerem Vetter in Hh. (Haarhaar) immer lebhafter mit der Hoff¬ nung der Succeſſion ſchmeichelte. Spät ver¬ nichtete ſie ihnen Dein Bruder L. (Luigi). Man konnte uns das kaum vergeben. Der Graf C. (Ceſara) bewahrt die Beweiſe einiger ſchwarzen Handlungen (de quelques noirceurs), die Deinen armen ohnehin ſchwächlichen Bru¬ der das Leben koſten ſollten. Dein Vater war eben mit mir in Rom, als wir es erfuhren. Man wird doch endlich über uns ſiegen , ſagte Dein Vater. In Rom lernten wir den Fürſten di Lauria kennen, der ſeine ſchöne Toch¬ ter dem Grafen C. (Ceſara) nicht eher geben wollte, bis er Ritter des goldnen Vlies-Or¬ dens geworden wäre. Der Fürſt wirkte ihm dieſen Orden am kaiſerlichen Hofe aus.

Dafür glaubte die Cesara mir ſehr dank¬ bar ſeyn zu müſſen, une femme fort decidée,526 se repliante sur elle même, son individualité exagératrice perca à travers ses vertus et ses vices et son sexe. Wir lernten uns lieben. Ihr romantiſcher Geiſt theilte ſich dem meini¬ gen mit, beſonders in dem romantiſchen Lan¬ de. Dazu half mit, daß ich und ſie uns im rechten Zuſtande der weiblichen Schwärmerei zugleich befanden, nehmlich der Hoffnung zu gebähren. Sie kam nieder mit einem wunder¬ ſchönen ihr ganz ähnlichen Mädchen, Severina oder wie man ſie nachher nannte Linda. Hier machten wir den ſeltſamen Vertrag, daß wir, wenn ich einen Sohn gebähre, austauſchen wollten; ich konnte ohne Gefahr eine Tochter erziehen, und bei ihr konnte mein Sohn ohne diejenige aufwachſen, die Deinem Bruder bei mir ſchon gedrohet hatte. Auch ſagte ſie, ich könne beſſer eine Tochter, ſie einen Sohn lei¬ ten, da ſie ihr Geſchlecht wenig achte. Der Graf war es gern zufrieden, der Hh. Hof hat¬ te ihm kurz vorher die älteſte Prinzeſſin, um die er geworben, unter dem ſpöttiſchen Vor¬ wande ihrer noch kindiſchen Jugend, abgeſchla¬ gen, und er aus Rache beleidigter Ehre und527 verletzter Eitelkeit, denn er war der ſchönſte Mann und aller Siege gewohnt, war zu allen Maaßregeln und Kämpfen gegen den ſtolzen Hof bereit. Nur der Fürſt billigte es nicht, er fand eine Erziehung außer Landes u. ſ. w. ganz zweideutig und mißlich. Aber wir Weiber ver¬ webten uns eben deſto tiefer in unſere roman¬ tiſche Idee.

Zwei Tage darauf gebahr ich Dich und Julienne zugleich. Auf dieſen reichen Zufall hatte niemand gerechnet. Hier warf ſich vieles ganz anders und leichter ſogar. Ich behalte (ſagt 'ich zur Gräfin) meine Tochter, Du be¬ hältſt die Deinige; über Albano (ſo ſoll er heiſſen) entſcheide der Fürſt. Dein Vater er¬ laubt' es, daß Du zwar als Sohn des Geafen, aber unter ſeinen Augen, bei dem rechtſchaffe¬ nen W. (Wehrfritz), erzogen würdeſt. Indeß traf er Vorkehrungen, deren guten Werth ich damals im phantaſtiſchen Rauſche der Freund¬ ſchaft nicht ganz abzuwägen im Stande war. Jetzt wunder 'ich mich nur, daß ich damals ſo muthig war. Die Dokumente Deiner Ab¬ ſtammung wurden nicht nur dreimal gemacht528 ich, der Graf, und der Hofprediger Spener wurden in deren Beſitz geſetzt ſondern ſpä¬ ter wurdeſt Du auch dem Kaiſer Joſeph II. als unſer Fürſtenſohn präſentirt, und ſein gütiges Blatt, das ich einſt Deinen Geſchwiſtern ver¬ traue, entſcheidet allein genug.

Der Graf nahm jetzt ſelber am Geheimniß thätigen Theil, indem er ſey es aus Liebe für ſeine Tochter, ſey es aus dem Wunſche ei¬ ner geſchärftern Rache am Hh. Hofe als Lohn des Antheils verlangte, daß einſt Du und Linda ein Paar werden möchten. Hier trat wieder die Gräfin mit ihren Wundern und Phantaſiren ein: Linda wird mir gewiß ähn¬ lich an Gemüth, wie ſie jetzt es iſt an Geſtalt Gewalt bewegt ſie dann nie aber Ma¬ gie des Herzens, der Feenwelt, Reiz des Wun¬ ders mag ſie ziehen und ſchmelzen und bin¬ den. Ich weiß ihre eignen Worte. Ein ſon¬ derbarer Zauberplan wurde dann entworfen, deſſen Gränzen der Graf durch die Abhängigkeit, worin ſein tauſendkünſtleriſcher Bruder ſich zu allem dingen ließ, noch mehr erweiterte, ſo wie er den Plan dadurch annehmlicher machte. Linda529Linda wird lange vorher, eh 'Du dies geleſen, Dir erſchienen, ihr Nahme genannt, Deine Ge¬ burt geheimnißvoll verkündigt ſeyn Mö¬ ge, möge Dein Geiſt ſich in alles wohl finden und möge das ſchwere Spiel Dir Gewinn auf ſeinen aufgeſchlagnen Blättern reichen! Ich bin bange, wie ſoll ich es nicht ſeyn? O welche Nachrichten hab' ich nicht eben aus Ita¬ lien durch den Grafen empfangen, vor denen nun alle meine Hoffnungen auf meinen Lud¬ wig (Luigi) auf einmal erlöſchen! Geſiegt hätte nun Hh. (Haarhaar) durch den böſen B. (Bouverot), wenn Du nicht lebteſt. Und ich muß ſo froh ſeyn, daß Du dieſen giftigen Ein¬ flüſſen entzogen lebſt Ja es ſcheint, als ha¬ be der Graf die Zernichtung Deines Bruders abſichtlich gern geſchehen laſſen, um deſto ſtär¬ ker mit Deiner Auferſtehung zu ſchrecken. Doch will ich ihm nicht Unrecht thun. Aber wem ſoll eine Mutter am Hofe vertrauen und mißtrauen? Und welche Gefahr iſt größer?

Drei Jahre lang mußteſt Du des Scheines wegen auf Isola bella mit Deiner ſcheinbaren Zwillingsſchweſter Severina, obwohl unter denTitan IV. L l530Augen des Fürſten, bleiben, indeß ich mit Ju¬ liennen nach Deutſchland zurückgieng. Länger aber durft 'es nicht dauern, ſo gern es Deine Pflegemutter geſehen hätte; Du wurdeſt Dei¬ nem Vater zu ähnlich. Dieſe Ähnlichkeit koſtete mich manche Thräne denn darum durfteſt Du nie aus B. nach P. (Peſtiz), ſo lange der Fürſt noch Jugendzüge trug ſogar die Por¬ traits ſeiner Jugendgeſtalt mußt' ich darum allmählig wegſtehlen und ſie dem treuen Spe¬ ner zu bewahren geben ja dieſer gelehrte Mann ſagte mir, daß ein erhobner Spiegel, der junge Geſichter zu alten formte, bei Seite zu bringen ſey, weil Du ſogleich als der alte Fürſt daſtändeſt, wenn Du hineinſäheſt O, da mein guter, frommer Fürſt in ſeinen mat¬ ten Tagen allerlei unbewußt ausplauderte und mich über das ſichere Schickſal des wichtigen Geheimniſſes immer ſorglicher machte: wie er¬ ſchrak ich, als er einſtens am Morgen (zum Glück war nur Spener und eine gewiſſe Toch¬ ter des Miniſters v. Fr. dabei, eine ſanfte, fromme Seele) geradezu und freudig ſagte: unſer lieber Sohn, Eleonore, war geſtern531 Nachts oben am Altar, er wird gewiß ein frommer Menſch, er knieete und betete ſchön, und ich ſagt 'ihm nur, denn ich wollte mich nicht decouvriren, nach Haus, nach Haus, mein Freund, es donnert ſchon nahe. *)1. Band des Titans, S. 239.Ich weiß, daß verſchiedene über einen natürlichen Sohn des Fürſten ſchon Winke fallen lieſſen.

Die Gräfin C. (Cesara) gieng nun mit S. (Severina) nach V. (Valencia) ab; gab ſich aber vorher den Nahmen R. (Romeiro) und der Tochter den Nahmen L. (Linda.) Der Prinz di Lauria mußte der Erbſchaft wegen mit ſeiner Einwilligung in dieſes Spiel gezo¬ gen werden. Durch dieſen Nahmen-Wechſel konnte alles ſo dicht zugehüllet werden, als es jetzt noch ſteht. Neun Jahre darauf ſtarb die edle R. (Romeiro) und der Graf hatte unter dem Vorrecht eines Vormunds die Tochter al¬ lein in ſeinem Schutze und in ſeiner Vorſorge.

Ich ſah ſie kurz nach dem Tode der Mut¬ ter hier**)1. Bd. S. 173.; entfaltet ſich die Blume ganz ausL l 2532dieſer vollen Knoſpe, ſo gehört ſie als die voll¬ ſte Roſe an Dein Herz. Möge nur das Gei¬ ſterſpiel, das ich der Gräfin zu leichtſinnig zu¬ geſchworen, ohne Unglück vorüberziehen! Sollt 'ich vor dem Fürſten auf das Sterbe¬ bette kommen, ſo muß ich noch Deine Schwe¬ ſter und Deinen Bruder in das Geheimniß zie¬ hen, um ganz geſichert meine Augen zu ſchlies¬ ſen. Ach ich werd' es nicht erleben, daß ich Dich öffentlich als meinen Sohn in meine Ar¬ me ſchließen darf! Die Ahnungen meiner Hin¬ fälligkeit kommen immer häufiger. Es gehe Dir wohl, theueres Kind! Werde fromm und redlich wie Dein Vater! Gott lenke alle un¬ ſere ſchwachen Hülfsmittel zum Beſten!

Deine treue Mutter Eleonore.

N. S. Noch ſehr wichtige Geheimniſſe kann ich nicht dem Papier vertrauen, ſondern ſterbend wird ſie mein Mund in das Herz Deiner Schweſter niederlegen. Leb 'wohl! Leb' wohl!

533

143. Zykel.

Albano ſtand lange ſprachlos, ſchauete gen Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die Hände, und ſagte: Du ſchickſt den Frieden ich ſoll nicht den Krieg wohlan, ich habe mein Loos! Lebensluſt, neue Kräfte und Plane, Freude am Throne, wo nur die geiſti¬ ge Anſtrengung gilt wie auf dem Schlachtfelde mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern und Verhältniſſe und Unwille gegen die Ver¬ gangenheit ſtürmten durcheinander in ſeinem Geiſt. Er riß ſich von ſeinem ganzen vorigen Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬ geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬ ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬ pheus das Zurückſchauen auf den vergangnen Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬ de alles, denn er kämpfe, ſagt 'er, nunmehr öffentlich auf freier offner Bahn um ſein bis¬ her verſtecktes Recht und reiſe ſogleich in die Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das lange gewagte Spiel mit ſeinen heiligſten Ver¬ hältniſſen und Rechten noch mehr, und das Mißtrauen in ſeine Kräfte und Waffen gegen534 die Feinde, denen Luigi unterlag, und dieſer Bruder ſelber, der ihn bisher in einer ſo har¬ ten unbrüderlichen Maske umarmen konnte. Wie anders war die treue Schweſter! ſagt' er. Warum (fuhr er fort) ließ man mich ſo manchem ſtolzen harten Geiſte ſo vielen Dank ſchuldig werden für mein bloßes Geburts¬ recht? Warum traute man nicht meinem Schweigen eben ſo gut? O ſo mußt 'ich die arme Todte droben*)Er meint Liane, welche Spener durch die feier¬ liche Enthüllung von Albano's Geburt und Be¬ ſtimmung einer unter lauter giftigen Blumen aufgewachſenen Liebe zu entſagen nöthigte. verkennen, weil ſie meinem geoffenbarten Stande in jener feindli¬ chen Nacht am Altare ihr ſchönes Herz auf¬ opferte! So mußt 'ich durch Vermuthungen und Vorſätze ſo manche rechte Seele verletzen! Wie unſchuldig könnt' ich ſeyn ohne dies al¬ les! Beruhigen Sie ſich, (ſagte Sieben¬ käs mit ſeiner Rüge,) die Stärke des Feindes wird zu dem Widerſtande geſchlagen und von der Niederlage abgezogen; und was wäre ein Sieg auf leerem Schlachtfelde geweſen?

535

Siebenkäs war vor dem glänzenden Stan¬ de und vor dem Feuer der Leidenſchaftlichkeit, die er nur in gemeiner, nicht in edler Erſchei¬ nung kannte, um einige Schritte zurückgetre¬ ten, die Albano nicht bemerkte, weil er ſie nicht vorausſetzte. So gut es gieng, ſuchte Sieben¬ käs indem deſſen innerer Menſch ſeine im Grabe des Freundes ſtarr gefrornen Glieder allmählich wieder aufwickelte den ſanften Scherz wieder zu gewinnen und in dieſe Blu¬ menketten den heftigen Jüngling einzuſchließen: ich freue mich, (ſagt 'er,) daß ich der erſte bin, der zu Ihrem Geburts - und Krönungs¬ tage Wünſche bringt, die aber alle in den ein¬ zigen gehen, daß ſie immer Ihren Taufnahmen behaupten mögen denn Alban iſt der be¬ kannte Schutzheilige der Landleute. Außer dem Haarhaarſchen Prinzen, dem der Ritter recht mit der Deviſe ſeines Ordensſtifters Phi¬ lipp trifft: ante ferit quam flamma micet, iſt wohl niemand dabei zu bedauern als der Fi¬ nanzſtempelſchneider, der jetzt nichts neues zu ſchneiden erhält, da die Linie weiter regiert. Er ſetzte noch leicht hinzu, weil er den ſchweren536 Wälder - und Wolkentragenden Fels Gaſpard nie geſehen: welches ſonderbare Namenſpiel, das noch wenige Cavelleros del Tuzone ge¬ ſpielt, iſt es, daß er ſich gerade de Cesara nennt, da, wie Sie wiſſen, die Spanier ſich wie die alten Römer oft die Nahmen von ih¬ ren Thaten und Begegniſſen zutheilen. So iſts aus den Pièces interéssantes T. I. überall be¬ kannt, daß z. B. Orendayn ſich den Nahmen la Pas zuerkannte, weil er 1725 den Frieden zwiſchen Oeſtereich und Spanien unterſchrieben, mit einem dritten Nahmen, Transport Réal, tauft' er ſich ein, um es zu behalten und zu bemerken, daß er den Infanten nach Italien abgeführt. Cesara iſt wohl freilich mehr Zu¬ fall.

Albano wurde durch ſolche geiſtige Ähnlich¬ keiten mit dem freien Schoppe erſt recht ſeinem Herzen zugezogen. Er nahm Abſchied von ihm und ſagte: Freund unſers Freundes, wollen wir beiſammen bleiben. Wahrlich, der Zweifel an der Entſcheidung Ihres Schickſals, Prinz, (verſetzte Siebenkäs,) wäre allein da¬ für entſcheidend, wenn nur mein Herz allein537 entſchiede; aber Albano zuckte die Ach¬ ſeln wie entrüſtet, ſchwieg aber. So lange bleib 'ich indeß hier, (fuhr jener ſanfter fort,) bis der Hügel auf dem Seeligen liegt; dann ſteck' ich das hölzerne ſchwarze Kreuz auf ihn, und ſchreibe alle ſeine Nahmen daran. Wohl! So werd 'es (ſagte Albano)! Aber ſeinen Hund nehm' ich, weil er mich länger kennt. Ich bin ein junger Menſch, noch jung an verlohrnen Jahren, aber ſchon ſehr alt an verlohrnen Zeiten und verſtehe ſo gut wie man¬ cher, den die Zeit bückt, was Menſchen-Ver¬ liehren iſt. Sonderbar iſt's, daß ich immer auf Gräbern Spiegel finde, worin die Todten wieder lebendig gehen und blicken. So fand ich auf Lianens Grabe ihr lebendiges Bild und Echo; meinen alten liegenden Schoppe fand ich, wie Sie wiſſen, auch hinter einem Spiegelglas aufrecht und rege, durch das meine Hand eben ſo wenig durchkann. Ich verſichere Sie, ſogar meine Eltern werden mir vorgeſpiegelt, meinen Vater kann ich in einem Zylinderſpie¬ gel, und meine Mutter durch ein Objektivglas ſehen. Hier iſt nun nichts zu thun, wenn538 man in einer Nacht ſteht, wo alle Sterne des Lebens hinunterziehen, als ſehr feſt darin zu ſtehen. Aber zu meinem alten Humoriſten muß ich noch Adio ſagen.

Er gieng ins Leichenzimmer. Schweigend folgt 'ihm Siebenkäs, betroffen über die unge¬ wöhnliche Laune der Schmerzen. Mit trock¬ nen Augen zog Albano das weiſſe Tuch von dem ernſten Geſicht, deſſen feſte Augenbraunen ſich zu keinem Scherze mehr zogen und das eiſern hinſchlief ohne Zeit. Der Hund ſchien den kalten Menſchen zu ſcheuen. Albano ſuchte durch ſcharfe, heftige, trockne Blicke das Tod¬ tengeſicht bis auf jede Falte tief abzudrücken in ſein Gehirn wie in Gyps, zumal da ihm der lebendigſte Abdruck, der Freund, entgieng. Dann hob er ſich die ſchwere Hand auf die Stirn, die den Fürſtenhut tragen ſollte, gleich¬ ſam um ſie damit zu ſegnen und einzuweihen. Endlich bückt' er ſich auf das Geſicht nieder und lag lange auf dem kalten Mund; aber als er ſich ſpät aufrichtete, weinten ſeine Au¬ gen und ſein ganzes Herz, und er reichte dem Zuſchauer bebend die Hand und ſagte: nun,539 ſo lebe Du auch wohl! Nein, (rief Sie¬ benkäs,) ich kann das nicht, wenn ich gehe, Schoppe! ich bleibe bei Deinem Albano!

Da kamen Wehrfritz und Auguſti und un¬ terbrachen die weinende Feier der dreifachen Liebe durch heitere Mienen und Worte.

144. Zykel.

Der alte Pflegevater nannte ihn zwar Prinz und nicht mehr Du, aber in landeskindlicher Entzückung drückte er ſich den Pflegling ſeines Hauſes innig ans Herz. Auguſti übergab ihm mit ernſter Höflichkeit und kurzem Glückwunſch folgendes Schreiben von Julienne.

Liebſter Bruder! Nun kann ich Dich erſt recht Bruder nennen. Ich hab 'in einem Auge Trauerthränen und doch im andern frohe, da nun alle Wolken von Deiner Geburt genom¬ men ſind und in Haarhaar auch alles ziemlich gut geht. Der Lektor iſt abgeſchickt, Dir alles zu erzählen, wo hätt' ich Zeit? Auch von H. von Bouverot ſoll er Dir ſagen, deſſen rothe Naſe und aufgebognes Kinn und geizige Grau¬ ſamkeit gegen ſeine wenigen Leute und vielen540 Gläubiger und deſſen Grobheit und Weichlich¬ keit und trockne Bosheit ich dermaßen haſſe Inzwiſchen wird er jetzt durch Deine Er¬ ſcheinung ſo recht beſtraft. Freilich alles iſt wie ich in Unordnung und Beſtürzung. Lud¬ wigs Teſtament wurde dieſen Morgen nach ſeinem Willen eröffnet und er gab Dir Dein ganzes Recht. Ich will nicht über dieſen Bru¬ der mitten unter dem Weinen zürnen; er war eigentlich hart gegen ſeine zwei Geſchwiſter, gegen mich ſehr auch, denn er haßte alle Wei¬ ber, bis zu ſeiner Frau, die nur etwas taugt, wenns ihr gut geht, und die Kunſtwerke ſelber härteten ihn ordentlich ab gegen die Menſchen. Aber er ruh 'in ſeinem Frieden, ach den er wohl wenig gefunden! Dieſen Abend muß er ſchon wegen ſeiner Krankheit und wegen des langen Wegs nach Blumenbühl voraus beer¬ digt werden. Da bin ich nun bei Deinen Pfle¬ geeltern in der Nähe unſerer eingeſchloſſenen Eltern. Deswegen komm' unabänderlich! Du biſt allein mein Troſt in der trüben Nacht, ich muß Dich wieder am Herzen halten, das ſehr an Dir klopfen will und weinen und reden,541 wenn es nur darf. Nur komme! Nunmehr wird doch Gott, da alles im Tanzſaal zu den Reigen bereit ſteht, keine kalte Geſpenſter und und entſetzliche Larven hineinbringen laſſen! Ich bete. Auch nur Deinetwegen bin ich ſo froh und ich weine genug.

Julie.

Kaum hatte Albano dem Pflegevater das erfreuliche Verſprechen, dieſen Abend in ſeinem Hauſe zu ſeyn, gegeben, als dieſer ohne Wei¬ teres davon eilte, um die Seinigen auf die Freude des zwiefachen Beſuches vorzubereiten.

Der Lektor wurde um ſeine Nachrichten ge¬ beten, mit welchen er bedenklich über Sieben¬ käs zu zögern ſchien, bis Albano bat, ihm und ſeinem neuen Freund frei alles mitzutheilen. Seine Erzählung war bis auf einige Einſchal¬ tungen, die Albano ſpäter zukamen, dieſe:

Bouverot bei welchem er auf Fragen des neugierig gemachten Albano anfieng war bisher in verborgner Verbindung mit dem Haar¬ haarſchen erbſüchtigen Prinzen geweſen und hat¬ te in entſchiedener Berechnung, durch dieſen das längſte Glück und ſogar eine unerwartete Hei¬542 rath zu machen, auf deſſen Wort hin ſein mit Eheloſigkeit und Einkünften zugleich verknüpftes Ordenskreuz eines Deutſch-Herrn abgehangen und an die Schweſter dieſes Prinzen, an Idoine, durch dieſen ſelber, der ihm für die Aufhebung ihres ähnlichen Gelübdes*)Nie unter ihrem Stand zu heirathen. ſtand, ein Minia¬ türbild von ihr, das er im Fluge geſtohlen ha¬ ben wollte, ſammt einem halben Bilderkabinet und mit vielen feinen Anſpielungen auf ſeinen Wahl-Nahmen Zefiſio als eines römiſchen Ar¬ kadiers und auf den Nahmen ihres Arkadiens übergeben laſſen. Oh la différence de cet homme au diable, comme est - elle petite! ſagte ganz ungewöhnlich-heftig Auguſti. Al¬ bano mußte fragen warum; ein ganz ande¬ res Bild gab er für der Prinzeſſin ihres aus ſagte der Lektor. Mithin war's Lianens ihres, ſchloß Albano und hatte leicht durch wenige Fragen jene traurige Geſchichte von der blin¬ den vom Tyger Bouverot gejagten Liane er¬ forſcht.

O ich Unglücklicher! rief Albano halb543 in Grimm und halb in Schmerz. Die Leiden thaten ihm weh, womit das heilige Herz die kurze reine karge Liebe gegen ihn bezahlen müſſen die zum erſtenmal blind wurde, weil ſie ſeinen Vater ſo liebte*)Liane wurde, wie bekannt, als ihr Bruder ne¬ ben dem alten Fürſten auf die Bruſt ohne Herz die Rede hielt, krank und blind. I. Bd. des Titans, S. 303., und zum zweiten¬ mal, weil ſie der Sohn verkannte und liebte. Aber er bezwang ſich und ſprach nicht darüber, die Vergangenheit war ihm wie Bienen das Echo ſchädlich. Siebenkäs bezeugte ſeine Freu¬ de über Bouverots Beſtrafung durch das Fehl¬ ſchlagen aller Plane.

Albano hörte, daß auch Luigi die ehelichen Abſichten Bouverots zu unterſtützen den Schein angenommen, bloß um ihn deſto höher herab¬ fallen zu ſehen. Mit welch 'einer bittern kalten langen Schadenfreude, (dachte Albano,) konn¬ te mein Bruder in der Hoffnung auf die Gru¬ be, die ſein Tod dem feindlichen Hofe und des¬ ſen Anhängern graben würde, allen ihren Er¬ wartungen zuſehen und alle ihre Maaßregeln544 von der Ehe der Fürſtin an bis auf die Glück¬ wünſche dazu freundlich aufnehmen, indeß er die Fürſtin und alles haßte! Und wie konnt' er dieſe lebenslange ſchweigende Kälte gegen mich behaupten? Aber Albano bedachte zwei nahe Urſachen nicht, ſein eignes ſtolzes Beneh¬ men gegen den Fürſten und den gewöhnlichen Fürſtengeiz, der ſich vor Apanagen-Geldern ſcheue.

Gaſpards Verhandlungen in Haarhaar, wel¬ che der Lektor nur mit einigen von Juliennen anbefohlnen Auslaſſungen gab, waren dieſe:

Mit eigner Luſt und Stille ſah der Ritter von jeher den Einwirrungen der menſchlichen Verhältniſſe zu und gab ſie ihrer eignen Auf¬ löſung oder Zerreiſſung hin. Hier ließ er alle fremde Träume immer lebendiger und wilder werden, bis er mit einem Griff an die Bruſt ſie alle dem Schläfer wegraffte. Der alte Zorn über die ſtolze Verweigerung der Fürſtenbraut wurde befriedigt, da er ihnen unter dem ſchim¬ mernden Triumphthore ihrer Wünſche und Ar¬ beiten die Dokumente über Albano's Geburt, von der Hand des alten Fürſten an bis aufdie545die des Bruders Luigi als eben ſo viele bewaff¬ nete Wachen zeigen konnte, die ſie aus dem Siegesthore wieder rückwärts trieben. Man erſtaunte mitleidig, gieng auf nichts ein, Al¬ bano war weder dem Lande noch Reiche vorge¬ ſtellt. Gaſpard trug ſehr ruhig eine frühe Aner¬ kennung von Joſeph II. nach. Auch dieſes wurde außer der Regel und als ungültig gefunden. Darauf geſtand er mit dem entſchloſſenen Zorn, mit deſſen Blitzfunken er ſo oft plötzlich Men¬ ſchen und Verhältniſſe durchbohrte, daß er ohne Weiteres das ganze Betragen des Hofs gegen Luigi's achtes Jahr und deſſen Reiſe - Jahre allen Höfen entſchleiern werde.

Hier brach man erſchrocken die vormittägi¬ gen Unterhandlungen ab, um ſich zu neuen nachmittägigen zu rüſten. In dieſen welche der Lektor Albano zu verheimlichen beordert war wurde von weitem der Wunſch eines fortdauernden nähern Bandes zwiſchen beiden Häuſern gezeigt. Unter dem Bande wurde Idoine verſtanden, deren Ähnlichkeit mit Lia¬ nen und dadurch Albano's Liebe gegen letztere längſt als Anekdote bekannt geweſen. AberTitan IV. M m546Gaſpards ganzem Entwurfe ſeiner vollſtändi¬ gen Genugthuung ſtand dieſer eingemiſchte ſchuldloſe Engel entgegen; er der mit ſei¬ nem hohen zackigen Geweih doch leicht durch das verworrene niedrige Gezweig des Weltle¬ bens flog ſtieß gegen die Schranke ſeiner Vollmacht an, ſagte geradezu Nein und man brach entrüſtet ab, mit der höflichen Erinne¬ rung, daß Herr v. Hafenreffer als Bevollmäch¬ tigter ihn begleiten und in Peſtiz das Übrige verhandeln ſolle.

So kamen beide an. Hafenreffer, eben ſo fein und kalt als redlich, erforſchte leicht alle Verhältniſſe der Wahrheit. Gaſpard theilte Juliennen noch im Wahne ihrer alten Liebe gegen ſeine Tochter Linda den Wunſch des fremden Hofes mit; aber er wurde beſtürzt über ihre Eröfnungen, welche ſo ſehr für Idoi¬ ne ſprachen, als ihre bisherigen geheimen Ein¬ wirkungen auf Albano. Dazu entrüſtete ſie ihn noch im verworrenen Helldunkel ihres Zu¬ ſtandes durch den gutgemeinten Antrag, ihm ſeine väterlichen Auslagen für Albano einiger¬ maßen zu erſtatten. Der Spanier lieſet keine547 Haushaltungsrechnungen, er bezahlt ſie bloß ſagt 'er und nahm empfindlich Abſchied auf immer, um alle Inſeln der Erde zu bereiſen. Albano wollt' er nicht mehr ſehen, aus Ver¬ druß über den Zufall, daß ihm durch Schop¬ pens Kirchen - und Gräberraub das Vergnü¬ gen entwendet war, Albano durch die Entde¬ ckung, daß er nur Linda's Vater und nicht ſei¬ ner ſey, für kühne Zweifel an ſeinem Werthe zu ſtrafen und zu demüthigen. Wohin Linda noch in jener Nacht ſeiner Entdeckung als Va¬ ter gegangen war, verbarg er allen kalt.

Darauf nahm er auch feierlichen Abſchied von ſeiner vorigen Braut, der fürſtlichen Witt¬ we. Er halte es für Pflicht, (ſagte er ihr,) ihr die neueſte Erbfolge zu hinterbringen, da er einigermaßen ſich ſelber ſehr in den Gang der Sache habe verflechten laſſen. Nie war ihr Blick ſtolzer und giftiger: Sie ſcheinen (ſagte ſie gefaſſet) in mehr als einen Irthum verleitet zu ſeyn. Wenn es Sie ſo intereſſirt, wie Sie Sich denn überhaupt für dieſes Land zu intereſſiren ſcheinen, ſo mach 'ich mir eine Freude daraus, Ihnen zu ſagen, daß ich das Glück bekannt zuM m 2548machen nicht mehr anſtehen darf, dem ich nun gewiß entgegenſehe, dem Lande vielleicht durch einen Sohn ihres geliebten verſtorbnen Fürſten jede Veränderung zu erſparen. Wenigſtens darf man vor der Entſcheidung der Zeit keine fremde Einmiſchung dulden. Gaſpard, über das Erwartete erzürnt, verſetzte darauf bloß ein unendlich-freches Wort weil er leichter Geſchlecht als Stand zu vergeſſen und zu verletzen vermochte und nahm darauf von ihr ſeinen höflichen Abſchied mit der Verſiche¬ rung, daß er gewiß ſey, die Beſtätigung die¬ ſer ſonſt ſo angenehmen Nachricht, wo er auch ſeyn werde, zu erhalten und daß es ihm dann Leid thun würde, ihr aus Liebe zur Wahrheit öffentlich einige ſeltſame gerichtliche Papiere entgegen ſetzen zu müſſen, die er ungern in Umlauf bringe. Sie ſind ein wahrer Teu¬ fel ſagte die Fürſtin außer ſich. Vis-à-vis d'un Ange? Mais pourquoi non? verſetzt 'er und ſchied mit den alten Zeremonien.

Albano, deſſen Herz in allen dieſen Tiefen und Abgründen die nackten verletzten Wurzeln und Fibern hatte, konnte nichts ſagen. Aber549 ſein Freund Siebenkäs äußerte ohne Weiteres, daß Gaſpard bei jedem Schritte, und mit dem ewigen feinen Wanken und Zögern, wie z. B. über die Heirath ſeiner Tochter und ſonſt, nichts dargeſtellt habe als den lebendigen Spanier, wie ihn Gundling im I. Theil ſeiner Otia ſo gut ſchildere. Auguſti verwunderte ſich über dieſe Offenheit, indeß erſchien ſie ihm leidlicher und zierlicher als Schoppens rauhe. Was mich am meiſten frappiren würde, (ſetzte Sie¬ benkäs dazu, der wie es ſchien die Weltge¬ ſchichte zum Nebenfach genommen,) wäre das lange Verſchwiegenbleiben einer ſo wichtigen Abſtammung unter ſo vielen Theilhabern des Geheimniſſes, wenn ich nicht zu wohl aus Hume wüßte, daß die Pulver-Verſchwörung unter Karl I. über ganze anderthalb Jahre von mehr als zwanzig Mitwiſſern wäre ver¬ borgen gehalten worden.

Viel verwundet und durch ſich gereinigt gieng Albano nach dieſen Erzählungen Nach¬ mittags ab ins zwieträchtige Reich, aber mit heiterer heiliger Kühnheit. Er war ſich höherer Zwecke und Kräfte bewußt als alle harten550 Seelen ihm ſtreitig machen wollten; aus dem hellen, freien Ätherkreiſe des ewigen Guten ließ er ſich nicht herabziehen in die ſchmutzige Land¬ enge des gemeinen Seyns ein höheres Reich als was ein metallener Zepter regiert, eines, das der Menſch erſt erſchafft, um es zu beherr¬ ſchen, that ſich ihm auf im kleinen und in jedem Ländchen war etwas Großes, nicht die Volksmenge ſondern das Volksglück höchſte Gerechtigkeit war ſein Entſchluß, und Beför¬ derung alter Feinde, beſonders des verſtändigen Froulay. So ſprang er nun zuverſichtsvoll aus ſeinem bisherigen ſchmalen, nur von frem¬ den Händen getriebnen Fahrzeug auf eine freie Erde hinaus, wo er allein ohne fremde Ruder, ſich bewegen kann und ſtatt des leeren, kahlen Waſſer-Weges ein feſtes, blühendes Land und Ziel antrifft. Und mit dieſem Troſt ſchied er von dem todten Schoppe und dem lebendigen Freund.

145. Zykel.

In der Dämmerung kam er auf dem Berge an, wo er die Stadt, die der Zirkus und die Bühne ſeiner Kräfte werden ſollte, überſchauen551 konnte, aber mit andern Augen als ſonſt: Er gehört nun einer deutſchen Heimath an die Menſchen um ihn ſind ſeine Landesver¬ wandte die ahnenden Ideale, die er ſich einſt bei der Krönung ſeines Bruders von den warmen Strahlen entwarf, womit ein Fürſt als ein Geſtirn Länder beleuchten und befruch¬ ten kann, waren jetzt in ſeine Hände zur Er¬ füllung gelegt ſein frommer, von Landes - Enkeln noch geſegneter Vater zeigte ihm die reine Sonnenbahn ſeiner Fürſten-Pflicht nur Thaten geben dem Leben Stärke, nur Maaß ihm Reiz Er dachte an die um ihn her in Gräber gelegten eingeſunknen Menſchen, zwar hart und unfruchtbar wie Felſen, aber auch hoch wie Felſen, an die vom Schickſal geopferten Menſchen, welche die Milchſtraße der Unendlichkeit und den Regenbogen der Phantaſie zum Bogen ihrer Hand ge¬ brauchen wollten, ohne je eine Sehne darüber ziehen zu können. Warum gieng ich denn nicht auch unter wie Jene, die ich achtete? Wallete in mir nicht auch jener Schaum des Übermaßes und überzog die Klarheit?

552

Das Schickſal trieb jetzt wieder Spiele der Wiederholung mit ihm; ein flammender Wagen rollte auf einem ſeitwärts vom Prinzengarten ablaufenden Wege davon; langſam rückte der Leichenwagen des Bruders mit ſeinen Todten¬ lichtern den Blumenbühler Berg hinan. Den langſamen Wagen kenn 'ich, wer iſt der ſchnel¬ le? fragte Albano den Lektor. Herr von Ceſara hat uns verlaſſen verſetzt' er. Albano ſchwieg, aber er empfand den letzten Schmerz, den ihm der Ritter geben wollte. Er bat den Lektor ſehr, ihn allein den Weg nach Blumen¬ bühl gehen zu laſſen, weil er lauter Umwege nehme.

Er wollte im Tartarus das Grabmahl des Vater-Herzens ohne Bruſt beſuchen. Als er durch die lärmvolle Vorſtadt gieng, ſah ihn ein alter Mann lange ſtarr an, floh plötzlich mit Schrecken davon und rief einer Frau, die ihm begegnete, zu: der Alte geht um! Der Mann war in der Jugend ein Bedienter des alten Fürſten geweſen, war blind und vor kur¬ zem wieder heil geworden; darum ſah er den ähnlichen Sohn für den Vater an. In der553 Stadt war die gewöhnliche Volksfreude über Wechſel laut. In einem Hauſe war ein Kin¬ derball, in einem andern eine Truppe von Sprichwörterſpielern; indeß die Landtrauer je¬ den Tanzſaal und jede Bühne verſchloß. Aus Roquairol's Stube ſahen fremde luſtige Mu¬ ſenſöhne heraus. Im Wirthshauſe des Spa¬ niers hatte ein Knabe die Dohle an einem Fa¬ den. Einige Leute hört 'er im Vorbeigehen ſa¬ gen: wer hätte ſich das träumen laſſen? Ganz natürlich, (verſetzte der andere,) ich mauerte damals auch mit an der fürſtlichen Gruft und ſah Ihn wie Dich. In der Berg¬ ſtadt waren am Trauer-Schloß alle Fenſter¬ reihen hell beleuchtet, als geb' es ein froheres Feſt. Im Hauſe des Miniſters waren alle fin¬ ſter, oben unter den Statuen des Dachs ſchlich ein einziges Lichtchen umher.

Nein, (dachte Albano,) ich brauche nicht nachzuſinnen, warum ſank ich nicht auch mit unter. O genug, genug fiel von mir in die Gräber Ich muß mich doch ewig nach al¬ len entflohenen Menſchen ſehnen; wie Tau¬ cher ſchwimmen die Todten unten mit und hal¬554 ten mein Lebensſchiff oder tragen die Anker. Drauſſen ſah er die alte Leichenſeherin auf dem Blumenbühler Wege ſtehen, die ihm einſt bei der Begleitung des Kahlkopfs begegnete; ſie ſchauete ſtarr hinauf dem erleuchteten Leichen¬ wagen nach und glaubte, Träume zu denken und die Zukunft, als ſie der Wirklichkeit zu¬ ſchauete. Überall lagen in ſeiner Bahn die zu¬ ckenden Spinnenfüße, welche der erdrückten Tarantel der Vergangenheit ausgeriſſen wa¬ ren. Durch einen Flor ſah er das Leben lie¬ gen, wiewohl es kein ſchwarzer ſondern ein grüner war.

Sehnſüchtig kam er im Tartarus, aber ſchaudernd vor ihm, weil ihm die Vergangen¬ heit mit ihren Geiſtern nachzog, auf dem herrn¬ hutiſchen Gottesacker an, wo in einem Garten ohne Blumen, den eingeſunkne, eingeſchlafne Trauerbirken umſtanden, der weiſſe Altar mit dem Vater-Herzen und der goldnen Inſchrift ſchimmerte: nimm mein letztes Opfer, Allgü¬ tiger! Vor dem in eine Bruſt von Stein ge¬ ſchloſſenen Herzen, das ſich mit nichts regte, nicht mit einem Stäubchen, that er ſein kindli¬555 ches Gebet zu Gott und fühlte, daß er ſeine Eltern würde geliebt haben und ſchwur ſich, ihnen zu gefallen, wenn ihre hohen Augen ſich noch in das tiefe Thal des Lebens richten. Er drückte den kalten Stein wie eine Bruſt an ſich; und gieng mit ſanften Schritten weg als gienge der Greis neben ihm in ſeiner eignen ihm ſo ähnlichen Geſtalt.

Er ſah auf von ſeinem Wege zum Berge, wo ihn der Vater abends am Pfingſt - und Abendmahlstage gefunden, wie zu einem Tha¬ bor der Vergangenheit; und im Gange durch das Birkenwäldchen erinnerte er ſich noch wohl der Stelle*)Titan, 1ter Bd. S. 138., wo einſt zwei Stimmen, ſeine Eltern, ſeinen Nahmen ausgeſprochen hatten. So von der heiligen Vergangenheit eingeweiht, kam er in ſeinem Kindheits-Dörfchen an und ſah die Kirche wie das Wehrfritziſche Haus von Lichtern erfüllt, obwohl jene zu traurigem Zweck und dieſes zum frohen der Gäſte.

556

146. Zykel.

Albano fand in der Verklärung, worin der Himmel ihm nur der Vergrößerungsſpiegel ei¬ ner ſchimmernden Erde war und die Vergan¬ genheit nur das Vater - und Mutterland hei¬ liger Eltern, in dieſem Seelenglanz fand er das Erziehungshaus, worein er trat, feſtlich und als einen Tempel und alles Gemeine und Schwere geläutert oder nur nachgeſpielt auf einer Bühne. Seine Mutter Albine und die Schweſter Rabette kamen mit ihren freudigen Minen als höhere Menſchen an ſein bewegtes Herz. Sie wichen eilig zurück, Julienne flog die Treppe herab und küßte den Bruder zum erſtenmal öffentlich, in einer ſchweigenden Ver¬ miſchung von Luſt und Weh. Als ſie ihn los¬ ließ, fieng aus der Nacht im Kirchthurm das Geläute als Zeichen an, daß der todte Bruder in die Kirche einziehe; da ſtürzte ſie wieder auf Albano zurück und weinte unendlich. Sie gieng mit ihm hinauf, ohne zu ſagen, wen er droben neben dem Pflegevater finde. Eine alte Flö¬ tenuhr, deren mühſames Spiel von jeher ſelte¬ nen Gäſten dargeboten wurde, quoll ihm, als557 er die Thüre öffnete, mit den Nachklängen der Kindertage entgegen.

Eine weibliche lange ſchwarzgekleidete Ge¬ ſtalt mit einem ſeitwärts herabgehenden Schleier, welche mit ſeinem Pflegevater ſprach, wandte ſich um nach ihm, da er eintrat. Es war Idoine, aber der alte Zauberſchein fuhr wieder über ſeine heute ſo bewegte Seele, als wenn es Liane aus dem Himmel ſey, mit Unſterblichkeit gerü¬ ſtet, auf überirdiſche Kräfte ſtolzer und kühner, nichts von der vorigen Erde mehr tragend als die Güte und den Reiz. Beide fanden ſich mit gegenſeitigem Erſtaunen hier wieder. Julienne ſah ihrer kleinen Verhehlungen und Anſtal¬ ten ſich bewußt ein rothes Wölkchen des Un¬ willens über Idoinens mildes Geſicht fliegen; es war aber bald unter dem Horizont, ſobald Idoine es bemerkte, daß die Schweſter unter dem Leichengeläute des Bruders die Thränen nicht bezwingen konnte, und ſie gieng ihr freund¬ lich entgegen, ihre Hand aufſuchend. Idoine hatte, durch ihre Strenge leicht zum launiſchen Zürnen, dieſem kleinen Kriege des Zorns, ge¬ neigt, ſich durch ſcharfe lange Übung von die¬558 ſem feinſten, aber ſtärkſten Gift des Seelenglü¬ ckes freigemacht, bis ſie zuletzt an ihrem Him¬ mel ſtand als ein reiner, lichter Mond ohne einen Regen - und Wolkenkreis der Erde.

Albano, dem die Erde, mit Vergangenheit und Todten gefüllt, eine Luftkugel geworden war, die in dem Äther gieng, fühlte ſich frei zwiſchen ſeinen Sternen und ohne irdiſches Ban¬ gen; er nahete ſich Idoinen obwohl bei dem Bewußtſeyn der kämpfenden Verhältniſſe ihres und ſeines Hauſes mit heiligem Muthe: Ihr letzter Wunſch im letzten Garten (ſagt 'er) wurde vom Himmel gehört. Mit jung¬ fräulich-entſchiednem Sinn gieng ſie durch die Wildniß, worin ſie bald Blumen bald Dornen auseinander zu beugen hatte, um weder verle¬ gen noch verletzt zu werden; ſie antwortete ihm: ich freue mich von Herzen, daß Sie Ihre treue Schweſter auf immer gefunden haben. Wehrfritz war über die Freimüthigkeit, womit ſie die Wahrheit redlich wider alle Familien - Verhältniſſe ſprach, eben ſo erfreuet als ver¬ wundert. So muß man immer auf der Erde viel verlieren, (erwiderte ihr Albano,) um viel559 zu gewinnen und wandte ſich an ſeine Schwe¬ ſter, als woll' er dadurch dieſem Worte einen vieldeutigern Sinn verwehren.

Das Todtengeläute dauerte fort. Die ſelt¬ ſame, frohe und trübe Vermiſchung der irdi¬ ſchen Schickſale gab allen eine feierliche und freie Stimmung Albine und Rabette kamen herauf, feſtlich dunkel gekleidet zum Gange in die Begräbnißkirche. Julienne theilte ſich zwi¬ ſchen zwei Brüder und nie hob ſich ihr Herz romantiſcher auf, das zugleich in Thränen und in Flammen ſtand. Sie errieth, wie über ih¬ ren Bruder Albano ihre Freundin Idoine den¬ ke, an der ſie eine feſtere Stimme kannte als die heutige war und deren ſüße Verwirrung ihr am leichteſten aus dem kurzen Berichte klar wurde, den ihr die offne Seele von dem Wie¬ derſehen Albano's in Lianens Garten gemacht; auch das kleine jungfräuliche Zurückzittern ih¬ res heutigen Stolzes, da ſie ſich hier überall für eine auferſtandene Liane, dieſe Geliebte des Jünglings, verlegen mußte gehalten fin¬ den, machte Juliennen nicht irrer, ſondern ge¬ wiſſer.

560

An einem ſchönen Abend (ſagte Albano zu Idoinen) ſah ich einſt in Ihr ſchönes Arka¬ dien herab, aber ich war nicht in Arkadien Der Nahme (verſetzte ſie und ſenkte wieder die klaren Augen bezogen zur Erde) iſt auch bloß Scherz; eigentlich iſts eine Alpe und doch nur mit Sennenhütten in einem Thale. Sie hob die großen Augen nicht wieder auf, als Ju¬ lienne ſchweigend ihre Hand nahm und ſie fort¬ zog, weil jetzt das Leichengeläute mit traurigen einzelnen Stößen ausklang, als Zeichen daß die Todtenfeier angehe, deren Theilnahme Ju¬ lienne ihrem ſchweſterlichen Herzen unmöglich abdingen ließ. Wir gehen in die Kirche ſagte Idoine zur Geſellſchaft. Wir wohl alle verſetzte Wehrfritz ſchnell. Als die beiden Mäd¬ chen an Albano vorübergiengen, bemerkte er zum erſtenmal an Idoinen drei kleine Blatter¬ narben, gleichſam als Erden - und Lebens-Spu¬ ren, die ſie zu einer Sterblichen machten. Er blickte der hohen edeln Geſtalt mit dem langen wehenden Schleier nach, welche neben ſeiner Schweſter eben ſo majeſtätiſch, nur zärter gebauet, erſchien als Linda, und deren heiliger Gangeine

561eine Prieſterin verkündigte, die in Tempeln vor Göttern zu wandeln gewohnt geweſen.

Kaum waren beide verſchwunden, als die alten Bekannten Albano's, zumal die Wei¬ ber, denen Juliennens Gegenwart immer Al¬ bano's Stammbaum nahe gehalten, mit allen Zeichen der lang zurückgedrängten Herzlichkeit, voll Wünſche, Freuden und Thränen auf ſein Herz eindrangen. Bleibt meine Eltern ſagte Albano. Bravheit iſt alles auf der Erde ſagte der Direktor. Ich that das Meinige wie eine Mutter, (ſagte Albine,) aber wer konnte das wiſſen? Rabette ſagte nichts, ihre Freude und Liebe waren überſchwenglich wie ihre Erinnerung. Meine Schweſter Ra¬ bette (ſagte Albano) hat mir, als ich das er¬ ſtemal nach Italien gieng, die Worte auf eine Börſe geſtrickt mitgegeben: gedenke unſerer Dieſe werd 'ich Euch allen in jedem Schickſal erfüllen und hier dacht' er, obwohl zu ver¬ ſchämt-beſcheiden, um es zu ſagen, an das was er etwan als Fürſt für ſeinen Pflegevater thun könnte, worunter die Zurückgabe von des¬ ſen heimfallenden Männer-Lehn zuerſt gehörte. Titan IV. N n562 So wird uns denn manches zeitherige Herze¬ leid fieng Albine an. O was Herze, was Leid, (ſagte Wehrfritz,) heute wird alles rich¬ tig und glatt. Aber Rabette verſtand die Mutter ſehr wohl.

Alle begaben ſich auf den Weg zum Trauer - Tempel. Sie hörten aus der Kirche die Muſik des Liedes: wie ſie ſo ſanft ruhn ; in eini¬ ger Ferne verſuchten ſich Waldhörner zu fro¬ hern Tönen. Rabette drückte Albano's Hand und ſagte ſehr leiſe: es iſt gut mit mir ge¬ worden, weil ich alles erfahren habe. Sie hat¬ te dem unglücklichen Roquairol, ſeitdem er ein vielfaches Glück und ſich ſelber ermordet hatte, ihre ganze Liebe ins Grab zum Verweſen nach¬ geworfen, ohne eine Thräne dazu zu thun. Sie ſprang auf Idoinens Güte über, auf ihre Ähnlichkeit, mit deren Erwähnung der Vater den Engel heute roth gemacht und auf ihr ſchönes Tröſten Juliennens, die vor Albano's Ankunft unaufhörlich geweint. Albine lobte mehr Juliennen wegen Ihrer Geſchwiſter-Liebe. Rabette ſchwieg über dieſe; beide waren ſchwe¬ ſterliche Nebenbuhlerinnen; auch hatte Julienne563 ſie als Schlachtopfer des von ihr verachteten Roquairol's nach ihrem ſcharfen unerbittlichen Syſtem ſehr kalt angeſehen, indeß Idoine, welche, durch ihre größere Kenntniß der Menſchen, Milde gegen die weiblichen Irthümer des Herzens und Augenblicks mit Strenge gegen Männer verbinden lernen, nur ſanft und gerecht gewe¬ ſen war.

Als ſie in die Kirche voll Trauerlampen traten: ſchlich ſich Albano in eine unbeleuchtete Ecke weg, um nicht zu ſtören und geſtört zu werden. Am hellen Altare ſtand heiter der ehrwürdige Spener mit dem unbedeckten Haupt voll Silberlocken, der lange Sarg des Bruders ſtand vor dem Altare zwiſchen Lichter-Linien. Am Gewölbe der Kirche hieng Nacht und die Ge¬ ſtalten verlohren ſich in das Dunkel, unten durch¬ kreuzten ſich Strahlen und Schlagſchatten und Menſchen. Albano ſah wie eine Todespforte die eiſerne Gitterthüre des Erbbegräbniſſes auf¬ gethan, worein ſeine frommen Eltern gezogen waren; und ihm war als ſchreite noch einmal Schoppens brauſender Geiſt hinein, um in das letzte Haus des Menſchen einzubrechen. DerN n 2564Bruder rührte ihn nur wenig, aber die Nach¬ barſchaft der ſtillen Eltern, die ſo lang für ihn geſorgt und denen er nie gedankt, und die un¬ aufhörlichen Thränen der Schweſter, die er in der Empor über der Todespforte ſah, ergrif¬ fen heftig ſein Herz, aus welchen die tiefen ewigen Trauertöne die Thränen, gleichſam das warme Blut der Trauer und Liebe ſogen. Er ſah Idoine, mit ihrer halb rothen halb weis¬ ſen Lankaſter-Roſe auf der ſchwarzen Seide neben der Schweſter ſtehen, ſich gegen man¬ chen vergleichenden Blick den Schleier über die Augen ziehend Hier neben ſolchen Altarlich¬ tern hatte einſt die bedrängte Liane unter dem Abſchwören der Liebe geknieet Das ganze Sternbild ſeiner glänzenden Vergangenheit, ſei¬ ner hohen Menſchen, war hinunter unter den Horizont und nur Ein heller Stern davon ſtand noch ſchimmernd über der Erde, Idoine.

Da erblickte den Jüngling ſein Freund Dian und eilte herzu. Ohne viele Rückſichten um¬ armte ihn der Grieche und ſagte: Heil, Heil der ſchönen Veränderung! Dort ſteht meine Chariton, auch ſie möchte nach ihrer Spra¬565 che*)Nehmlich freue Dich. grüßen. Aber Chariton blickte un¬ aufhörlich Idoinen wegen ihrer Ähnlichkeiten an. Nun, mein guter Dian, ich habe manches Herz und Glück dafür hingezahlt und mich wundert es, daß Dich mir das Geſchick gelaſſen ſagte Albano. Darauf fragt 'er ihn als den Bau¬ meiſter der Kirche nach der Beſchaffenheit des Erbbegräbniſſes, weil er nachher ſich wolle die Aſche ſeiner Eltern aufdecken laſſen, um wenigſtens ſtumm und dankend hinzuknieen. Davon (ſagte Dian betroffen) weiß ich ſehr wenig; aber ein grauſamer Vorſatz iſt's und wozu ſoll er führen?

Die Muſik hörte auf, Spener fieng leiſe ſeine Rede an. Er ſprach aber nicht von dem Fürſten zu ſeinen Füßen, auch nicht von ſeinen Geliebten in der Erbgruft, ſondern von dem rechten Leben, das keinen Tod kenne und das erſt der Menſch in ſich erzeuge. Er ſagte, daß er, obwohl ein alter Mann, weder zu ſterben noch zu leben wünſche, weil man ſchon hier bei Gott ſeyn könne, ſobald man nur Gott in566 ſich habe und daß wir müßten unſere hei¬ ligſten Wünſche wie Sonnenblumen ohne Gram verwelken ſehen können, weil doch die hohe Sonne fortſtrahle, die ewig neue ziehe und pfle¬ ge und daß ein Menſch ſich nicht ſowohl auf die Ewigkeit zubereiten als die Ewigkeit in ſich pflanzen müſſe, welche ſtill ſey, rein, licht, tief und alles.

Für manche Menſchen-Bruſt in der Kir¬ che wurde durch die Rede der Vergangenheit die Giftſpitze abgebrochen. Auf Albano's ſtei¬ gendes Meer halte ſie glattes Öhl gegoſſen und um ſein Leben wurd 'es eben und glän¬ zend. Juliennens Augen waren trocken und voll heitern Lichtes geworden; und Idoinens ihre hatten ſich ſchimmernd gefüllet, weil heute ihr Herz zu oft in Bewegung gekommen war, um nicht in der ſüßen, andächtigen und erhe¬ benden zu weinen. Einmal war Albano, da er zu ihr blickte, als glänze ſie überirdiſch und, wie auf eine Luna die Sonne unter der Erde, ſtrahle Liane aus der andern Welt auf ihr An¬ geſicht und ſchmücke das Ebenbild mit einer Heiligkeit jenſeits der Erde.

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Nach dem Schluſſe der Rede gieng Albano ruhig zu beiden Freundinnen, drückte ſeiner Schweſter die Hand und bat ſie, nicht das Ende der dunkeln Feier abzuwarten. Sie war getröſtet und willig. Da ſie aus der Kirche traten, war ein wunderbarer heller Mondſchein auf der Erde verbreitet wie ein ſüßes Morgen¬ licht der höhern Welt. Julienne bat ſie, ſtatt zwiſchen die Mauern, die Kerker der Augen und Worte, und unter das Getümmel hinein¬ zugehen, lieber vorher die hellen ſtillen Gegen¬ den zu ſchauen.

Alle trugen in ihrer Bruſt die heilige Welt des heitern Greiſes in die ſchöne Nacht hinaus. Kein Wölkchen, kein Lüftchen regte ſich am weiten Himmel, die Sterne regierten allein, die Erdenfernen verlohren ſich in weiſſe Schatten und alle Berge ſtanden im ſilbernen Feuer des Mondes. O wie lieb 'ich Ihren heitern hei ligen Greis (ſagte Idoine zu Albano und hat¬ te ſchon oft Juliennens Hand gedrückt) Wie gut iſt mir! Ach das Leben wird wie das Meerwaſſer nicht eher ganz ſüß, als bis es gen Himmel ſteigt. Plötzlich kamen zu ih¬568 nen ferne Waldhorntöne heraus, welche gut¬ meinende Landleute vor Albano's Erziehungs¬ hauſe als Grüße brachten. Wie kommt's, (ſagte Julienne,) daß im Freien und Nachts auch die unbedeutendſte Muſik gefällig und rüh¬ rend wird? Vielleicht weil unſere innere heller und reiner dazu mittönt ſagte Idoine. Und weil vor der Sphärenmuſik des Uni¬ verſums menſchliche Kunſt und menſchliche Ein¬ falt am Ende gleich groß ſind ſetzte Albano dazu. Das meint' ich eben, denn ſie iſt doch auch nur in uns ſagte Idoine und ſah ihm liebreich und offen in die Augen, die vor ihren zuſanken, wie wenn ihn jetzt der Mond, der milde Nachſommer der Sonne, blendend über¬ glänzte.

Sie wandte ſich ſeit der Kirchenfeier öfter an ihn, ihre ſüße Stimme war theilnehmender obwohl zitternder, die jungfräuliche Scheu vor Lianens Ähnlichkeit ſchien beſiegt oder verges¬ ſen, ſo wie an jenem Abende im letzten Gar¬ ten; in ihr hatte ſich unter Speners Rede ihr Daſeyn entſchieden und an der Liebe der Jung¬ frau waren, wie an einem Frühling durch569 Einen warmen Abend-Regen alle Knospen blühend aufgebrochen. Indem er jetzt dieſes klare milde Auge unter der wolkenloſen reinen Stirn anſchauete und den feinen vom uner¬ ſchöpflichen Wohlwollen gegen jedes Leben über¬ hauchten Mund: ſo begriff er kaum, daß dieſe weiche Lilie, dieſen leichten Duft aus Morgen¬ roth und Morgenblumen aufgeſtiegen, der fe¬ ſte Geiſt bewohne, der das Leben regieren konnte, ſo wie die zarte Wolke oder die kleine Nachtigallen-Bruſt der ſchmetternde Schlag.

Sie ſtanden jetzt auf dem vom Immergrün der Jugenderinnerung bedeckten hellen Berge, wo Albano ſonſt in den Träumen der Zukunft geſchlummert hatte, wie auf einer lichten hohen Inſel mitten im Schatten-Meere zweier Thä¬ ler. Die Lindenſtädter Gebürge, das ewige Ziel ſeiner Jugendtage, waren vom Mond be¬ ſchneiet und die Sternbilder ſtanden blitzend und groß auf ihnen hin. Er ſah Idoine nun an wie gehörte dieſe Seele unter die Ster¬ ne! Wenn die Welt rein iſt vom niedrigen Tage wenn der Himmel mit ſeinen heilig¬ ſten fernſten Sonnen das Erdenland anſieht 570 wenn das Herz und die Nachtigall allein ſpre¬ chen: nur dann geht ihre heilige Zeit am Himmel an, dann wird ihr hoher ſtiller Geiſt geſehen und verſtanden und am Tage nur ihr Reiz ; dachte Albano.

Wie manchmal, mein guter Albano, (ſagte die Schweſter,) haſt Du hier in Deinen verlas¬ ſenen Jugendjahren zu den Bergen nach den Deinigen geſehen, nach Deinen verborgnen El¬ tern und Geſchwiſtern; denn Du hatteſt immer ein gutes Herz! Hier blickte ihn Idoine un¬ bewußt mit unausſprechlicher Liebe an und ſein Auge ihres. Idoine, (ſagt 'er und ihre Seelen ſchaueten in einander wie in ſchnell aufgehende Himmel und er nahm die Hand der Jungfrau,) ich habe noch dieſes Herz, es iſt unglücklich, aber unſchuldig. Da verbarg ſich Idoine ſchnell und heftig an Juliennens Bruſt und ſagte kaum hörbar: Julienne, wenn mich Albano recht kennt, ſo ſey meine Schwe¬ ſter!

Ich kenne Dich, heiliges Weſen ſagte Albano und drückte Schweſter und Braut an Eine Bruſt. Und aus allen weinte nur Ein571 freudetrunknes Herz. O ihr Eltern, (betete die Schweſter,) o du Gott, ſo ſegne ſie beide und mich, damit es ſo bleibe! Und da ſie gen Himmel ſah, als die Liebenden im kurzen heiligen Elyſium des erſten Kuſſes wohnten, ſo blickten unzähliche Unſterbliche aus der blauen tiefen Ewigkeit die fernen Töne und die milden Strahlen verwoben ſich in einander und das ſchlummernde Reich des Mondes er¬ klang ſchauet auf zum ſchönen Himmel, (rief die freudentrunkne Schweſter den Lieben¬ den zu,) der Regenbogen des ewigen Friedens blüht an ihm und die Gewitter ſind vorüber und die Welt iſt ſo hell und grün wacht auf, meine Geſchwiſter!

Ende.

Berlin, gedruckt bei Gottfried Hayn.

Druckfehler des vierten Bandes.

Seite 5 Zeile 12 ſtatt Stillen lies Stellen

32 13 verſchienen l. erſchienen

38 2 Stille l. Stelle

162 3 v. u. lies: liebliche verklei¬ nerte Inſel

188 5 nach denk 'ich ſetz' ein:

193 2 ſtatt Hohe l. hohe

268 3 v. u. ſtatt Neapel l. Napel

letzte Zeile ſtatt Baja, Cuma lies: Bajä, Cumä.

300 Zeile 14 ſtatt Moos l. Moſes

335 6 Wache l. Woche

408 11 Raſen l. Roſen

421 4 v. u. nach: zu mir! fehlt: ſagt 'er

460 11 ſtatt Stiele l. Stile

541 5 Auch l. Ach

About this transcription

TextTitan
Author Jean Paul
Extent587 images; 90608 tokens; 14647 types; 617257 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationTitan Vierter Band Jean Paul. . [3 Bl.], 571 S., [1 S.] MatzdorffBerlin1803.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, III 16207

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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