PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lienhard und Gertrud.
Ein Buch fuͤr das Volk.
[figure]
Berlin und Leipzig,beyGeorge Jakob Decker,1781.
[figure]

Vorrede.

Leſer!

Dieſe Bogen ſind die hiſtoriſche Grund - lage eines Verſuchs, dem Volk einige ihm wichtige Wahrheiten auf eine Art zu ſa - gen, die ihm in Kopf und ans Herz ge - hen ſollte.

Ich ſuchte ſowohl das gegenwaͤrtige Hiſtoriſche als das folgende Belehrende auf die moͤglichſt ſorgfaͤltige Nachahmung der Natur, und auf die einfache Darle - gung deſſen, was allenthalben ſchon da iſt, zu gruͤnden.

Ich habe mich in dem, was ich hier erzaͤhle, und was ich auf der Bahn ei - nes thaͤtigen Lebens meiſtens ſelbſt geſehn) (2undVorrede.und gehoͤrt habe, ſo gar gehuͤtet, nicht einmal meine eigene Meynung hinzuzuſe - tzen, zu dem, was ich ſah und hoͤrte, daß das Volk ſelber empfindet, urtheilt, glaubt, redt und verſucht.

Und nun wird es ſich zeigen; Sind mei - ne Erfahrungen wahr, und gebe ich ſie, wie ich ſie empfangen habe, und wie mein Endzweck iſt, ſo werden ſie bey allen denen, welche die Sachen, die ich erzaͤhle, ſelber taͤglich vor Augen ſehn, Eingang finden. Sind ſie aber unrichtig, ſind ſie das Werk meiner Einbildungen und der Tand mei - ner eigenen Meynungen, ſo werden ſie, wie andere Sonntagspredigten, am Mon - tag erſchwinden.

Ich ſage nichts weiter, ſondern ich fuͤge nur noch zwo Betrachtungen bey, welche meine Grundſaͤtze uͤber die Art eines weiſen Volksunterrichts, ins Licht zu ſe - tzen geſchickt ſcheinen.

DieVorrede.

Die erſte iſt aus einem Buche un - ſers ſeligen Luthers, deſſen Feder in je - der Zeile Menſchlichkeit, Volkskenntniß und Volksunterricht athmet. Sie lau - tet alſo:

Die heilige Schrift meynt es auch da - rum ſo gut mit uns, daß ſie nicht bloß mit den groſſen Thaten der heiligen Maͤn - ner rumpler, ſondern uns auch ihre kleinſten Worte an Tag giebt, und ſo den innern Grund ihres Herzens uns aufſchließt.

Die zweyte iſt aus einem juͤdiſchen Rabiner, und lautet nach einer lateini - ſchen Ueberſetzung alſo:

Es waren unter den Voͤlkern der Hei - den, die rings umher und um das Erb - theil Abrahams wohnen, Maͤnner voll Weisheit, die weit und breit auf der Erde ihres gleichen nicht hatten; dieſe) (3 ſpra -Vorrede. ſprachen: Laſſet uns zu den Koͤnigen und zu ihren Gewaltigen gehn, und ſie leh - ren, die Voͤlker auf Erden gluͤcklich machen.

Und die weiſen Maͤnner giengen hin - aus, und lernten die Sprache des Hau - ſes der Koͤnige und ihrer Gewaltigen, und redeten mit den Koͤnigen und mit ihren Gewaltigen in ihrer Sprache.

Und die Koͤnige und die Gewaltigen lobten die weiſen Maͤnner, und gaben ihnen Gold und Seide und Weyrauch, thaten aber gegen die Voͤlker wie vor - hin. Und die weiſen Maͤnner wurden von dem Gold und der Seide und dem Weyrauch blind, und ſahen nicht mehr, daß die Koͤnige und ihre Gewaltigen un - weiſe und thoͤricht handeln, an allem Volk, das auf Erden lebt.

Aber ein Mann aus unſerm Volk beſchalt die Weiſen der Heiden, gab demVorrede dem Bettler am Weg ſeine Hand, fuͤhrte das Kind des Dieben, und den Suͤnder, und den Verbannten in ſeine Huͤtte, gruͤß - te die Zoller, und die Kriegsknechte, und die Samariter, wie ſeine Bruͤder, die aus ſeinem Stamme ſind.

Und ſein Thun, und ſeine Armuth, und ſein Ausharren in ſeiner Liebe ge - gen alle Menſchen gewann ihm das Herz des Volks, daß es auf ihn traute, als auf ſeinen Vater. Und als der Mann aus Iſrael ſah, daß alles Volk auf ihn traute, als auf ſeinen Vater, lehrte er das Volk, worinn ſein wahres Wohl beſtehe; und das Volk hoͤrte ſeine Stim - me, und die Fuͤrſten hoͤrten die Stimme des Volks.

Das iſt die Stelle des Rabiners, zu der ich kein einiges Wort hinzuſetze.

Und jezt, ehe ihr aus meiner Stille geht, liebe Blaͤtter! an die Orte, wo die) (4WindeVorrede.Winde blaſen, und die Stuͤrme brauſen, an die Orte, wo kein Friede iſt

Nur noch diß Wort, liebe Blaͤtter! moͤge es euch vor boͤſen Stuͤrmen bewah - ren!

Ich habe keinen Theil an allem Streit der Menſchen uͤber ihre Meynungen; aber das, was ſie fromm und brav und treu und bider machen, was Liebe Gottes und Liebe des Naͤchſten in ihr Herz, und was Gluͤck und Segen in ihr Haus bringen kann, das, meyne ich, ſey, auſſer allem Streit, uns allen und fuͤr uns alle in un - ſere Herzen gelegt.

Den 25. Hornung 1781.

Der Verfaſſer.

[figure]

Innhalt.

  • Blatt. § .. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kinder hoͤchſt ungluͤcklich macht3
  • 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, und ausfuͤhrt, und die einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat9
  • 3. Ein Unmenſch erſcheint17
  • 4. Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s wo man Schelmen kennen lernt22
  • 5. Er findet ſeinen Meiſter27
  • 6. Wahrhafte Bauerngeſpraͤche34
  • 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an45
  • 8. Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo geht der Wagen50
  • 9. Von den Rechten im Land53
  • 10. Des Scheerers Hund ſaͤuft Waſſer zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Untervogt ein Spiel, das recht gut ſtand57
  • 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte64
  • 12. Hanshaltungsfreuden70
  • Innhalt. Blatt. §. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war73
  • 14. Niedriger Eigennutz84
  • 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder eine Dummheit, die ein Glas Wein koſtet88
  • 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett91
  • 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich97
  • 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤpfel geſtohlen hat, und die Kran - ke ſtirbt105
  • 19. Guter Muth troͤſtet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur110
  • 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz hat den Mann zum Muͤßiggang ver - fuͤhrt113
  • 21. Undank und Neid115
  • 22. Die Qualen des Meyneids laſſen ſich nicht mit ſpitzfuͤndigen Kuͤnſten er - ſticken117
  • 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau125
  • 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares Herz130
  • 25. Wie Schelmen mit einander reden132
  • Innhalt. Blatt. §. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichſten abſcheu - lichſten Thaten134
  • 27. Fleiß und Arbeitſamkeit, ohne ein dankbares und mitleidiges Herz138
  • 28. Der Abend vor einem Feſttage in ei - nes Vogts Hauſe, der wirthet144
  • 29. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein - ander reden und handeln150
  • 30. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein - ander reden und handeln, auf eine andere Manier157
  • 31. Der Abend vor einem Feſttage, im Hauſe einer rechtſchaffenen Mutter166
  • 32. Die Freuden der Gebetsſtunde168
  • 33. Die Ernſthaftigkeit der Gebetsſtun - de170
  • 34. So ein Unterricht wird verſtanden und geht an’s Herz, aber es giebt ihn eine Mutter173
  • 35. Ein Samſtagsabendgebet177
  • 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine Andacht und Emporhebung der See - le zu Gott182
  • 37. Sie bringen einem armen Mann ei - ne Erbsbruͤhe187
  • Innhalt. Blatt. §. 38. Die reine ſtille Groͤſſe eines wohl - thaͤtigen Herzens190
  • 39. Eine Predigt194
  • 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war. Item, vom Wiſſen und Irrthum; und von dem, was heiſſe, den Armen druͤcken204
  • 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Unfug an215
  • 42. Zugabe zur Morgenpredigt218
  • 43. Die Bauern im Wirthshauſe wer - den beunruhiget219
  • 44. Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤhrend dem H. Nachtmahl222
  • 45. Die Frau ſagt ihrem Manne groſſe Wahrheiten; aber viele Jahre zu ſpaͤth225
  • 46. Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt228
  • 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden231
  • 48. Etwas von der Suͤnde236
  • 49. Kindercharacter und Kinderlehren238
  • 50. Unarten und boͤſe Gewohnheiten ver - derben dem Menſchen auch die ange - nehmen Stunden, in denen er etwas Gutes thut245
  • Innhalt. Blatt. §. 51. Es kann keinem Menſchen in Sinn kommen, was fuͤr gute Folgen auch die kleinſte gute Handlung haben kann248
  • 52. Am Morgen ſehr fruͤh iſt viel zu ſpaͤth fuͤr das, was man am Abend vorher haͤtte thun ſollen250
  • 53. Je mehr der Menſch fehlerhaft iſt, deſto unverſchaͤmter begegnet er denen, die auch fehlen252
  • 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit254
  • 55. Ein Heuchler macht ſich einen Schel - men zum Freund255
  • 56. Es wird Ernſt; der Vogt muß nicht mehr Wirth ſeyn260
  • 57. Wie er ſich gebehrdet262
  • 58. Wer bey ihm war264
  • 59. Aufloͤſung eines Zweifels265
  • 60. Eine Ausſchweifung266
  • 61. Der alte Mann leert ſein Herz aus268
  • 62. Das Entſetzen der Gewiſſensunruhe272
  • 63. Daß man mit Liebe und mit Theil - nehmung der gaͤnzlichen Kopfsver - wirrung angſtvoller Menſchen vor - kommen koͤnne273
  • 64. Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensfache behandelt274
  • Innhalt. Blatt. §. 65. Daß es auch beym niedrigſten Volk eine Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annahme von Wohlthaten, um die ſie bitten280
  • 66. Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt282
  • 67. Ein Mann, den es geluͤſtet, einen Markſtein zu verſetzen, moͤchte auch gern die Geſpenſter nicht glauben, und er darf nicht285
  • 68. Die untergehende Sonne und ein ver - lorner armer Tropf287
  • 69. Wie man ſeyn muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will288
  • 70. Ein Mann, der ein Schelm iſt und ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und des Maͤurers Frau iſt weiſe289
  • 71. Die Hauptauftritte naͤhern ſich294
  • 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt de[n]Vogt297
  • 73. Er macht ſich an den Markſtein298
  • 74. Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schelmen, die in der Angſt ſind, am ſtaͤrkſten299
  • 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung301
  • 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus305
  • 77. Seelſorgerarbeit306
  • Innhalt. Blatt. §. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner315
  • 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht319
  • 80. Des Junkers Antwortſchreiben an den Pfarrer322
  • 81. Ein guter Kuͤher325
  • 82. Ein Gutſcher, dem ſeines Junkers Sohn lieb iſt327
  • 83. Ein Edelmann bey ſeinen Arbeits - leuten329
  • 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die bey - de ein gleich gutes Herz haben, kom - men zuſammen330
  • 85. Des Junkers Herz gegen ſeinen feh - lenden Vogt331
  • 86. Der Pfarrer zeigt abermal ſein gu - tes Herz333
  • 87. Vom guten Muth und von Ge - ſpenſtern335
  • 88. Von Geſpenſtern, in einem andern Thon343
  • 89. Ein Urtheil347
  • 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegau - mers350
  • 91. Des Junkers Antwort353
  • 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Ge - meinde357
  • Innhalt. Blatt. §. 93. Daß die Armen bey dieſem Luſtſpiel gewinnen361
  • 94. Der Junker dankt dem Pfarrer363
  • 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem ſein Großvater Unrecht gethan hatte, um Verzeihung366
  • 96. Reine Herzensguͤte eines armen Manns, gegen ſeinen Feind369
  • 97. Seine Dankbarkeit gegen ſeinen edeln Herrn372
  • 98. Auftritte, die an’s Herz gehen ſollen373
  • 99. Eine angenehme Ausſicht378
  • 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn378
[figure]
[1]

Lienhard und Gertrud.

A[2][3]
[figure]

§. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kind hoͤchſt ungluͤcklich macht.

Es wohnt in Bonnal ein Maͤurer. *)Ich muß hier melden, daß in der ganzen Ge - ſchichte ein alter angeſehener Einwohner von Bonnal redend eingefuͤhrt wird.Er heißt Lienhard und ſeine Frau Gertrud. Er hat ſieben Kinder und ein gutes Verdienſt. Aber er hat den Fehler, daß er ſich im Wirthshaus oft verfuͤhren laͤßt. Wann er da anſitzt, ſo handelt er wie ein Unſinniger; und es ſind in unſerm Dorf ſchlaue abgefeimte Burſche, die darauf losgehen,A 2und4und daraus leben, daß ſie den Ehrlichern und Ein - faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß das Geld aus der Taſche locken. Dieſe kannten den guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk noch zum Spiel, und raubten ihm ſo den Lohn ſeines Schweiſſes. Aber allemal, wenn das am Abend geſchehen war, reuete es Lienharden am Mor - gen und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger - trud und ſeine Kinder Brod mangeln ſah, daß er zitterte, weinte, ſeine Augen niederſchlug, und ſeine Thraͤnen verbarg.

Gertrud iſt die beſte Frau im Dorf aber ſie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt, verſchupft ins aͤuſſerſte Elend zu ſinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

Gertrud ſah die nahe Gefahr, und war da - von in ihrem Innerſten durchdrungen. Wenn ſie Gras von ihrer Wieſe holte, wenn ſie Heu von ihrer Buͤhne nahm, wenn ſie die Milch in ihren reinlichen Becken beſorgte; ach! bey allem, bey allem aͤngſtigte ſie immer der Gedanke daß ihre Wieſe, ihr Heuſtock und ihre halbe Huͤtte ihnen bald werden entriſſen werden, und wenn ihre Kinder um ſie her ſtunden, und ſich an ihren Schoos draͤngten, ſo war ihre Wehmuth immer noch groͤßer; Allemal floſſen dann Thraͤnen uͤber ihre Wangen.

Bis5

Bis jezt konnte ſie zwar ihr ſtilles Weinen vor den Kindern verbergen; aber am Mitwochen vor der letzten Oſtern da ihr Mann auch gar zu lang nicht heim kam, war ihr Schmerz zu maͤchtig, und die Kinder bemerkten ihre Thraͤnen. Ach Mutter! riefen ſie alle aus einem Munde, du weineſt, und draͤngten ſich enger an ihren Schoos. Angſt und Sorge zeigten ſich in jeder Geberde. Banges Schluchſen, tiefes, niedergeſchlagenes Staunen, und ſtille Thraͤnen umringten die Mutter, und ſelbſt der Saͤugling auf ihrem Arme verrieth ein bisher ihm fremdes Schmerzengefuͤhl. Sein erſter Ausdruck von Sorge und von Angſt Sein ſtarres Auge, das zum erſtenmale ohne Laͤcheln hart und ſteif und bang nach ihr blickte alles dieſes brach ihr gaͤnz - lich das Herz. Ihre Klagen brachen jezt in lau - tem Schreyen aus, und alle Kinder und der Saͤug - ling weinten mit der Mutter, und es war ein ent - ſetzliches Jammergeſchrey, als eben Lienhard die Thuͤre eroͤffnete.

Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bethe; hoͤrte das Oeffnen der Thuͤre nicht, und ſah nicht den kommenden Vater Auch die Kinder wur - den ſeiner nicht gewahr Sie ſahn nur die jam - mernde Mutter und hiengen an ihren Armen, an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand ſie Lienhard.

A 3Gott6

Gott im Himmel ſieht die Thraͤnen der Elen - den und ſetzt ihrem Jammer ein Ziel.

Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar - men! Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu dieſem Anblick, der ſeine Seele durchdrang, daß ſeine Glieder bebeten. Todesblaͤſſe ſtieg in ſein Antlitz und ſchnell und gebrochen konnte er kaum ſagen Herr JEſus! was iſt das? Da erſt ſah ihn die Mutter, da erſt ſahn ihn die Kin - der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr ſich O Mutter! der Vater iſt da! riefen die Kinder aus einem Munde; und ſelbſt der Saͤugling weinte nicht mehr

So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee - rende Flamme nun nachlaͤßt ſo verliert ſich auch das wilde Entſetzen, und wird ſtille, bedaͤchtliche Sorge.

Gertrud liebte den Lienhard und ſeine Ge - genwart war ihr auch im tiefſten Jammer Erqui - ckung und auch Lienharden verließ jezt das erſte bange Entſetzen

Was iſt, Gertrud! ſagte er zu ihr, dieſer er - ſchreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?

O mein Lieber! erwiederte Gertrud finſtre Sorgen umhuͤllen mein Herz und wenn du weg biſt, ſo nagt mich mein Kummer noch tiefer

Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du weineſt ich Elender!

Da7

Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lien - hard huͤllte ſein Antlitz in ihren Schoos, und konnte nicht reden!

Auch Gertrud ſchwieg eine Weile und lehnte ſich in ſtiller Wehmuth an ihren Mann, der im - mer mehr weinte und ſchluchzte, und ſich aͤngſtigte auf ihrem Schooſſe.

Indeſſen ſammelte Gertrud alle ihre Staͤrke, und faßte Muth, nun an ihn zu dringen, daß er ſeine Kinder nicht ferner dieſem Ungluͤck und Elend ausſetzte.

Gertrud war fromm und glaubte an Gott und ehe ſie redete, betete ſie ſtill fuͤr ihren Mann und fuͤr ihre Kinder, und ihr Herz war ſichtbar - lich heiterer; da ſagte ſie:

Lienhard trau auf Gottes Erbarmen, und faſſe doch Muth ganz recht zu thun

O Gertrud, Gertrud! ſagte Lienhard, und weinte, und ſeine Thraͤnen floſſen in Stroͤmen

O mein Lieber! faſſe Muth, ſagte Gertrud, und glaube an deinen Vater im Himmel, ſo wird alles wieder beſſer gehen. Es gehet mir ans Herz, daß ich dich weinen mache. Mein Lieber! ich wollte dir gern jeden Kummer verſchweigen, du weiſſeſt, an deiner Seite ſaͤttigt mich Waſſer und Brod, und die ſtille Mitternachtsſtunde iſt mir viel und oft frohe Arbeitsſtunde, fuͤr dich und meine Kinder. Aber, mein Lieber! wenn ich dirA 4meine8meine Sorgen verhehlte daß ich mich noch einſt von dir und dieſen Lieben trennen muͤßte ſo waͤr ich nicht Mutter an meinen Kindern und an dir waͤr ich nicht treu O Theurer! Noch ſind un - ſere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns aber, mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben ſo wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤſ - ſen und dann denke, o Lieber! denk auch, wie dir ſeyn muͤßte, wenn dein Niclas einſt keine Huͤtte mehr haͤtte! und Knecht ſeyn muͤßte Er, der jezo ſchon ſo gern von Freyheit und eigenem Heerde redt Lienhard wenn er und alle die Lieben durch unſern Fehler arm gemacht, einſt in ihrem Herzen uns nicht mehr dank - ten ſondern weinten ob uns, ihren Eltern koͤnnteſt du leben, Lienhard! und ſehen, wie dein Niclas, dein Jonas, wie dein Liſeli (Lise) und dein Annelj, (Enne)*)Dieſe Geſchichte iſt ſchweizeriſch. Die Scene davon iſt in der Schweiz, und ihre Helden ſind Schwei - zer. Man hat deshalben die ſchweizeriſchen Na - men beybehalten, und ſo gar ſchweizeriſche Pro - vincialworte, wie z. E. verſchupfen, welches den Fall bedeutet, da ein Menſch von einem Orte zum andern mit einer Art von Drucke und von Verachtung verſtoſſen wird. o Gott! verſchupft, an fremden Tiſchen Brod ſuchen muͤßten ich wuͤrde ſterben,wenn9wenn ich das ſehen muͤßte ſo ſagte Gertrud und Thraͤnen floſſen von ihren Wangen

Und Lienhard weinte nicht minder Was ſoll ich thun? ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma - chen? ich bin noch elender als du weiſſeſt O Gertrud! Gertrud! Dann ſchwieg er wieder, rang ſeine Haͤnde und weinte lautes Entſetzen

O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen o Theurer! was es auch ſeyn mag rede daß wir uns helfen und rathen

§. 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, aus - fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat

O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz, dir mein Elend zu ſagen und deine Sorgen zu vergroͤßern und doch muß ich es thun.

Ich bin Hummel, dem Vogt*)Vogt iſt in der Schweiz, was in Deutſchland der Schulz im Dorfe iſt., noch dreyßig Gulden ſchuldig und der iſt ein Hund, und keinA 5Menſch10Menſch gegen die, ſo ihm ſchuldig ſind Ach! daß ich ihn in meinem Leben nie geſehn haͤtte Wenn ich nicht bey ihm einkehre, ſo droht er mir mit den Rechten und wenn ich einkehre, ſo iſt der Lohn meines Schweiſſes und meiner Arbeit in ſeinen Klauen. Das, Gertrud, das iſt die Quelle unſers Elends.

O Lieber! ſagte hierauf Gertrud, darfſt du nicht zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißſt, wie alle Wittwen und Waiſen ſich ſeiner ruͤhmen O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz gewaͤhren gegen dieſem Mann

O Gertrud! erwiederte Lienhard ich kann nicht ich darf nicht was wollte ich gegen dem Vogt ſagen? der tauſenderley anbringt und kuͤhn iſt und ſchlau und hundert Helfers-Helfer und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig - keit zu verſchreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt.

Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner Obrigkeit geredt Aber wenn Noth und Elend mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr - heit gerade gegen jedermann ſagen koͤnnen. O Theurer! fuͤrchte dir nicht denke an mich und deine Kinder, und gehe

O Gertrud! ſagte Lienhard ich kann nicht ich darf nicht ich bin nicht unſchuldig Der Vogt wird ſich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen daß ich ein liederlicher Tropf bin O Gertrud! ichbin11bin nicht unſchuldig was will ich ſagen? Nie - mand wird ihn fuͤr den Kopf ſtoſſen und ausſa - gen, daß er mich zu allem verleitet hat O Ger - trud! koͤnnt ich’s! doͤrft ich’s! wie gerne wollt ich’s! Aber thaͤt ich’s und mißlung’s, denk, wie wuͤrde er ſich raͤchen.

Gertrud. Aber auch wenn du ſchweigſt, rich - tet er dich unausweichlich zu Grunde. Lienhard, denk an deine Kinder und gehe dieſe Unruhe unſers Herzens muß enden gehe oder ich gehe.

Lienhard. O Gertrud! ich darf nicht! Darfſt du’s, ach Gott! Gertrud! ach Gott! darfſt du’s, ſo gehe ſchnell hin zu Arner und ſag ihm alles

Ja, ich will gehen, ſagt Gertrud und ſchlief keine Stunde in der Nacht aber ſie betete in der ſchlafloſen Nacht und ward immer ſtaͤrker und entſchloſſener, zu gehen zu Arner, dem Herrn des Orts

Und am fruͤhen Morgen nahm ſie den Saͤug - ling, der wie eine Roſe bluͤhete, und gieng zwo Stunden weit zum Schloſſe des Junkers.

Arner ſaß eben bey ſeiner Linde, vor der Pforte des Schloſſes, als Gertrud ſich ihm nahete Er ſah ſie er ſahe den Saͤugling auf ihrem Arme und Wehmuth und Leiden und getrocknete Zaͤhren auf ihrem Antlitz

Was12

Was willſt du, meine Tochter? wer biſt du? ſagte er ſo liebreich, daß ſie Muth faſſete zu re - den

Ich bin Gertrud, ſagte ſie das Weib des Maͤurer Lienhards von Bonnal.

Du biſt ein braves Weib, ſagte Arner. Ich habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus - gezeichnet Sie ſind ſittſamer und beſcheidener als alle uͤbrigen Kinder, und ſie ſcheinen beſſer ge - naͤhrt und doch, hoͤre ich, ſeyd ihr ſehr arm Was willſt du, meine Tochter?

O Gnaͤdiger Herr! mein Mann iſt laͤngſt dem Vogt Hummel dreyßig Gulden ſchuldig und das iſt ein harter Mann Er verfuͤhrt ihn zum Spiel und zu aller Verſchwendung Und da er ihn fuͤrch - ten muß, ſo darf er ſein Wirthshaus nicht mei - den; wenn er ſchon faſt alle Tage ſein Verdienſt und das Brod ſeiner Kinder darinn zuruͤck laſſen muß. Gnaͤdiger Herr! es ſind ſieben unerzogene Kin - der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt iſt’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelſtab gera - then; Und ich weiß, daß Sie ſich der Wittwen und der Waiſen erbarmen, und darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unſer Ungluͤck zu ſagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bey mir in der Abſicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten doͤrfe, Verfuͤgun - gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, biser13er bezahlt ſeyn wird, nicht mehr draͤngen und pla - gen doͤrfe

Arner hatte laͤngſt einen Verdacht auf Hum̃el Er erkannte ſogleich die Wahrheit dieſer Klage, und die Weisheit der Bitte Er nahm eine Schale Thee, die vor ihm ſtund, und ſagte: Du biſt nuͤch - tern, Gertrud? Trink dieſen Thee, und gieb dei - nem ſchoͤnen Kind von dieſer Milch.

Erroͤthend ſtand Gertrud da Dieſe Vater - guͤte gieng ihr ans Herz, daß ſie ihre Thraͤnen nicht halten konnte

Und Arner ließ ſie jezt die Thaten des Vogts und ſeiner Mitgeſellen und die Noth und die Sor - gen vieler Jahre erzaͤhlen; hoͤrte aufmerkſam zu, und einmal fragte er ſie Wie haſt du, Gertrud! das Spargeld deiner Kinder retten koͤnnen in aller dieſer Noth?

Da antwortete Gertrud Das war wohl ſchwer, Gnaͤdiger Herr! aber es mußte mir ſeyn, als ob das Geld nicht mein waͤre, als ob es ein Sterbender mir auf ſeinem Todbethe gegeben haͤtte, daß ich es ſeinen Kindern aufbehalten ſollte. So, faſt ganz ſo ſah ich es an Wenn ich zu Zeiten in der dringendſten Noth den Kindern Brod dar - aus kaufen mußte, ſo ruhete ich nicht, bis ich mit Nachtarbeit wieder ſo viel nebenhin erſpart und den Kindern wieder erſtattet haͤtte.

War14

War das allemal wieder moͤglich Gertrud? fragt Arner

O Gnaͤdiger Herr! wenn der Menſch ſich et - was veſt vornimmt ſo iſt ihm mehr moͤglich, als man glaubt und Gott hilft im aͤuſſerſten Elend wenn man redlich fuͤr Noth und Brod arbeitet Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen.

Arner war durch und durch von der Unſchuld und von der Tugend dieſes Weibes geruͤhrt fragte aber immer noch mehr und ſagte: Ger - trud, wo haſt du dieſes Spargeld?

Da legte Gertrud ſieben reinliche Paͤckgen auf Arners Tiſch und bey jedem Paͤckgen lag ein Zedel, von wem alles waͤre und wenn Gertrud etwas davon genommen hatte ſo ſtand es aufge - ſchrieben und wie ſie es wieder zugelegt haͤtte.

Arner las dieſe Zedel aufmerkſam durch

Gertrud ſah’s und erroͤthete. Ich habe dieſe Papiere wegnehmen ſollen, Gnaͤdiger Herr!

Arner laͤchelte und las fort aber Ger - trud ſtand beſchaͤmt da, und ſichtbarlich pochte ihr Herz ob dieſen Zedeln ; denn ſie war beſchei - den und demuͤthig und graͤmte ſich auch uͤber den mindeſten Anſchein von Eitelkeit

Arner ſah ihre Unruhe, daß ſie die Zedel nicht beyſeits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe der Unſchuld, die beſchaͤmt da ſteht, wenn ihreTu -15Tugend und ihre Weisheit bemerkt wird, und beſchloß dem Weib mehr, als es bat, und hoffete, Gnade zu erweiſen; dann er fuͤhlte ihren Werth und daß unter Tauſenden kein Weib ihr gleich kaͤme. Er legte jezt einem jeden Paͤckgen et - was bey, und ſagte: Bring deinen Kindern ihr Spargeld wieder, Gertrud! und ich lege aus meiner Boͤrſe dreyßig Gulden beyſeits fuͤr den Vogt bis er bezahlt iſt. Gehe nun heim, Ger - trud morgen werde ich ohne dis in dein Dorf kommen; und da werde ich dir Ruhe ſchaffen vor dem Hummel.

Gertrud konnte vor Freuden nicht reden Kaum brachte ſie ſtammelnd ein gebrochenes ſchluch - zendes Gott lohne es ihnen, Gnaͤdiger Herr! hervor; Und nun gieng ſie mit ihrem Saͤugling und mit ihrem Troſt in ihres Mannes Arme Sie eilete betete und dankte Gott auf dem langen Wege und weinte Thraͤnen des Danks und der Hoffnung, bis ſie in ihrer Huͤtte war.

Lienhard ſah ſie kommen und ſah den Troſt ihres Herzens in ihren Augen Biſt du ſchon wieder da? rief er ihr entgegen es iſt dir wol gegangen bey Arner

Wie weißſt du’s ſchon, ſagte Gertrud? Ich ſehe dir’s an, du Gute! du kanſt dich nicht verſtellen

Das kann ich nicht, ſagte Gertrud, und ich moͤcht es nicht wenn ich’s auch koͤnnte, dir diegute16gute Botſchaft einen Augenblick vorenthalten, Lien - hard! Da erzaͤhlte ſie ihm die Guͤte des Vater Arners, wie er ihren Worten glaubte und wie er ihr Huͤlfe verſprach Denn gab ſie den Kin - dern des Arners Geſchenke und kuͤßte ein jedes waͤr - mer und heiterer als es ſchon lange geſchehen war, und ſagte ihnen: Betet alle Tage, daß es Arner wohl gehe, Kinder wie ihr betet, daß es mir und dem Vater wohl gehe! Arner ſorgt, daß es allen Leu - ten im Lande wohl gehe er ſorgt, daß es euch wohl gehe und wann ihr brav, verſtaͤndig und arbeitſam ſeyn werdet ſo werdet ihr ihm lieb ſeyn, wie ihr mir und dem Vater lieb ſeyd.

Von dieſer Zeit an beteten die Kinder des Maͤurers, wenn ſie am Morgen und am Abend fuͤr ihren Vater und Mutter beteten, auch fuͤr Arner, den Vater des Landes.

Gertrud und Lienhard faßten nun neue Ent - ſchluͤſſe fuͤr die Ordnung ihres Hauſes und fuͤr die Bildung ihrer Kinder zu allem Guten und die - ſer Tag war ihnen ein ſeliger Feſttag. Lien - hards Muth ſtaͤrkte ſich wieder, und am Abend machte Gertrud ihm ein Eſſen, das er liebte und ſie freueten ſich beyde des kommenden Morgens der Huͤlfe Arners und der Guͤte ihres Vaters.

Auch Arner ſehnete ſich nach dem kommenden Morgen eine That zu thun wie er tauſende that, um ſeinem Daſeyn einen Werth zu geben.

§. 3.17

§. 3. Ein Unmenſch erſcheint.

Und da am gleichen Abend ſein Vogt zu ihm kam, nach ſeinen Befehlen zu fragen, ſagte er ihm: Ich werde morgen ſelbſt nach Bonnal kommen: Ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung haben Der Untervogt aber antwortete: Gnaͤdi - ger Herr! Hat Euer Gnaden Schloßmaͤurer jezt Zeit? Nein, erwiederte Arner; aber es iſt in dei - nem Dorf ein Maͤurer Lienhard, dem ich dieſes Verdienſt gern goͤnne. Warum haſt du mir ihn noch nie zu einer Arbeit empfohlen?

Der Vogt buͤckte ſich tief und ſagte: Ich haͤt - te den armen Maͤurer nicht empfehlen duͤrfen zu Euer Herrlichkeit Gebaͤuden.

Arner. Iſt er ein braver Mann, Vogt? daß ich auf ihn gehn kann

Vogt. Ja, Ihr Gnaden koͤnnen ſich auf ihn verlaſſen, er iſt nur gar zu treuherzig.

Arner. Man ſagt, er habe ein braves Weib! iſt ſie keine Schwaͤtzerinn? fragte hierauf Arner mit Nachdruck.

Nein, ſagte der Vogt; ſie iſt wahrlich eine arbeitſame ſtille Frau.

BGut,18

Gut, ſagte Arner! ſey morgen um neun Uhr auf dem Kirchhof Ich werde dich daſelbſt an - treffen

Da gieng der Vogt fort; ganz erfreut uͤber dieſe Rede; denn er dachte bey ſich ſelber, das iſt eine neue Milchkuh in meinen Stall, und ſann ſchon auf Raͤnke, dem Maͤurer das Geld, das er bey dieſem Bau verdienen moͤchte, abzulocken; und ſchnell eilte er heim und nach des Maͤurers kleiner Huͤtte.

Es war ſchon dunkel, als er mit Ungeſtuͤm anpochte.

Lienhard und Gertrud ſaſſen noch beym Tiſche. Noch ſtuhnd der Reſt ihres Eſſens vor ihnen. Lienhard aber erkannte die Stimme des neidiſchen Vogts. Er erſchrack und ſchob das Eſſen in einen Winkel.

Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er ſich nicht fuͤrchten, und daß er ſich auf Arner vertrauen ſoll - te. Dennoch wurd er todtblaß, als er dem Vogt die Thuͤre oͤffnete. Dieſer roch ſchnell wie ein gieriger Hund das verborgene Nachteſſen; that aber doch freundlich und ſagte nur laͤchelnd

Ihr laßt euch recht wohl ſeyn, ihr Leute; ſo endlich iſt’s leicht ohne das Wirthshaus zu ſeyn; nicht wahr, Lienhard?

Dieſer ſchlug die Augen nieder und ſchwieg; aber Gertrud war kuͤhner und ſagte; Was be -fihlt19fihlt dann der Herr Vogt Es iſt ganz ſonderbar, daß er einem ſo ſchlechten Haus naͤher, als ans Fenſter kommt

Hummel verbarg ſeinen Zorn, laͤchelte, und ſagte: Es iſt wahr, ich haͤtte eine ſo gute Kuͤche hier nicht erwartet; ſonſt haͤtte ich vielleicht mehr zugeſprochen.

Das erbitterte Gertrud. Vogt! antwortete ſie ihm, du riechſt unſer Nachteſſen, und miß - goͤnſt es uns; du ſollteſt dich ſchaͤmen, einem armen Mann ein Nachteſſen, das er liebt und vielleicht im Jahr nicht dreymal hat, zu verbittern. Es iſt nicht ſo boͤs gemeynt, antwortete der Vogt, im - mer noch laͤchelnd. Eine Weile darauf aber ſetzte er etwas ernſthafter hinzu: Du biſt gar zu trotzig, Gertrud; das ſteht armen Leuten nicht wohl an. Du ſollteſt wol denken, ihr gienget mich vielleicht auch etwas an; doch ich will jezt nicht hievon anfangen. Ich bin deinem Mann immer gut; und wenn ich ihm dienen kann, ſo thue ich’s; darvon kann ich Proben geben.

Gertrud. Vogt! Mein Mann wird alle Tage in deinem Wirthshaus zum Spiel und zum Trunke verfuͤhrt und denn muß ich daheim mit meinen Kindern alles moͤgliche Elend erdulden; das iſt der Dienſt, den wir von dir zu ruͤhmen haben.

B 2Hum -20

Hummel. Du thuſt mir Unrecht, Gertrud! Es iſt wahr, dein Mann iſt etwas liederlich; Ich habe es ihm auch ſchon geſagt, aber in meinem Wirthshauſe muß ich in Gottes Namen einem jeden, der’s will, Eſſen und Trinken geben; das thut ja jedermann

Gertrud. Ja aber nicht jedermann drohet einem ungluͤcklichen armen Mann mit den Rechten, wann er nicht alle Jahre ſeine Schuld wieder doppelt groß macht.

Nun konnte ſich der Vogt nicht mehr halten; mit Wuth fuhr er den Lienhard an

Biſt du ſo ein Geſell Lienhard, daß du ſolches von mir redeſt? Muß ich noch in meinen Bart hinein hoͤren, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann um Ehr und guten Namen bringen wollt? Hab ich nicht jeweilen vor Vorgeſetzten mit dir gerech - net? gut, daß deine Zedel fein alle noch bey mir und in meinen Handen ſind Willt du mir et - wan gar meine Anforderung laͤugnen, Lienhard?

Es iſt ganz nicht die Rede hievon ſagte Lienhard: Gertrud ſucht nur, daß ich ferner nicht neue Schulden mache

Der Vogt beſann ſich ſchon wieder, milderte den Ton und ſagte: Das iſt endlich nicht ſo gar uͤbel, doch biſt du der Mann ſie wird dich nicht wollen in ein Bockshorn hineinſchieben

Ger -21

Gertrud. Nichts weniger, Vogt! ich moͤch - te ihn gern aus dem Bockshorn, darinn er ſteckt, heraus bringen und das iſt dein Buch, Vogt, und ſeine ſchoͤnen Zedel

Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen; ſo iſt er augenblicklich aus dieſem Bockshorn, wie du’s heiſſeſt

Gertrud. Das wird er wohl thun koͤnnen wenn er nichts Neues mehr macht

Hummel. Du biſt ſtolz, Gertrud es wird ſich zeigen Gelt Gertrud, du willſt lieber mit deinem Mann daheim allein broͤſelen*)euch was zu gut thun., als ihm ein Glas Wein bey mir goͤnnen.

Gertrud. Du biſt niedertraͤchtig, Vogt! aber deine Rede thut mir nicht weh.

Hummel konnte dieſe Sprache nicht laͤnger aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen ſeyn mußte, das dieſes Weib ſo kuͤhn machte. Darum durfte er nicht ſeinen Muth kuͤhlen, und nahm Abſchied.

Haſt du ſonſt was zu befehlen, ſagte Ger - trud.

Nichts, wenn’s ſo gemeynt iſt, antwortete Hummel.

Wie gemeynt? erwiederte Gertrud laͤchelnd und ſah ihm ſteif ins Geſicht. Das verwirrte denB 3Vogt22Vogt noch mehr, daß er ſich nicht zu geberden wußte.

Er gieng jezt und brummete bey ſich ſelbſt die Treppe hinunter, was doch das ſeyn moͤchte.

Dem Lienhard war zwar nicht wol bey der Sache; aber dem Vogt noch viel weniger.

§. 4. Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s wo man Schelmen kennen lernt.

Es war jezt faſt Mitternacht, und doch war er kaum heim, ſo ſandte er noch zu zweyen von Lienhards Nachbaren, daß ſie des Augenblicks zu ihm kaͤmen.

Sie waren ſchon im Bette, als er nach ihnen ſchickte; aber doch ſaͤumeten ſie ſich nicht. Sie ſtuhnden auf und giengen in der finſtern Nacht zu ihm hin.

Und er fragte uͤber alles, was Lienhard und Gertrud ſeit einigen Tagen gethan haͤtten. Da ſie ihm aber nicht gleich etwas ſagen konnten, das ihm Licht gab, ſtieß er ſeine Wuth gegen ſie aus.

Ihr23

Ihr Hunde! was man von euch will, iſt immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofuͤr muß ich immer euer Narr ſeyn? Wenn ihr Holz frevelt, und ganze Fuder raubet ſo muß ich nichts wiſ - ſen wenn ihr in den Schloßtriften waidet und alle Zaͤune wegtraget, ſo muß ich ſchweigen.

Du Buller! mehr als ein Drittheil von deiner Waiſenrechnung war falſch und ich ſchwieg meynſt du, das Bißchen verſchimmelt Heu ſtelle mich zufrieden? es iſt noch nicht verjaͤhrt

Und du Kruͤel! deine halbe Matte gehoͤrt dei - nes Bruders Kindern. Du alter Dieb! was habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker uͤberlaſſe, dem du gehoͤrſt?

Dieſes Gerede machte den Nachbaren bang. Was koͤnnen wir thun? was koͤnnen wir machen Herr Untervogt weder Tag noch Nacht iſt uns zu viel zu thun, was du uns heiſſeſt.

Ihr Hunde! ihr koͤnnt nichts, ihr wißt nichts. Ich bin auſſer mir vor Wuth. Ich muß wiſſen, was des Maͤurers Geſindel dieſe Woche gehabt hat was hinder dieſem Pochen ſteckt ſo wuͤthete er

Indeſſen beſann ſich Kruͤel. Halt, Vogt ich glaub, ich koͤnne dienen, erſt faͤllt mir’s ein Gertrud war heute bis Mittag uͤber Feld und am Abend hat ihr Liſelj beym Brunnen den Schloß - herrn ſehr geruͤhmt gewiß war ſie im Schloß B 4am24am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube aber Niemand weiß warum. Heute ſind ſie alle ganz beſonders froͤlich.

Der Vogt war nun uͤberzeuget, daß Gertrud im Schloß geweſen waͤre. Zorn und Unruhe wuͤtheten nun noch gewaltiger in ſeiner Seele.

Er ſtieß greuliche Fluͤche aus, ſchimpfte mit abſcheulichen Worten auf Arner, der alles Bettel - geſindel anhoͤrte, und Lienhard und Gertrud ſchwur er Rache ernſtlich empfinden zu machen. Doch muͤßt ihr ſchweigen, Nachbaren ich will mit dem Geſindel freundlich thun, bis es reif iſt. Forſchet fleißig nach, was ſie thun, und bringt mir Nach - richt. Ich will euer Mann ſeyn, wo es noͤthig ſeyn wird.

Da nahm er noch Buller beyſeits, und ſagte Weißſt du nichts von den geſtohlenen Blumenge - ſchirren? Man ſah dich vorgeſtern uͤber den Gren - zen, mit einem geladenen Eſel; was hatteſt du zu fuͤhren?

Buller erſchrack ich -- ich hatte Nu! nu! ſprach der Vogt ſey mir treu! ich bin dir Mann, wo es die Noth erheiſcht.

Da giengen die Nachbaren fort. Der Morgen aber war ſchon nahe

Und Hummel waͤlzte ſich noch eine Stunde auf ſeinem Lager, ſtaunte, ſann auf Rache, knirſch - te oft im wilden Schlummer mit den Zaͤhnen,und25und ſtampfte mit ſeinen Fuͤſſen bis der helle Tag ihn aus dem Bette trieb.

Er beſchloß jezt noch einmal Lienharden zu ſe - hen, ſich zu uͤberwinden und ihm zu ſagen, daß er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen haͤtte. Er raffte alle ſeine Kraͤfte zum Heuchel zuſammen, und gieng zu ihm hin.

Gertrud und Lienhard hatten dieſe Nacht ſanf - ter geruht, als es ihnen ſeit langem nicht geſchehn war. Und ſie beteten am heitern Morgen um den Segen dieſes Tages. Sie hofften auf die nahe Huͤlfe vom Vater Arner. Dieſe Hoffnung breitete See - lenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit uͤber ſie aus.

So fand ſie Hummel. Er ſah’s und es gieng dem Satan an’s Herz, daß ſein Zorn noch mehr entbrannte; aber er war ſeiner ſelbſt maͤch - tig, wuͤnſchete ihnen freundlich einen guten Mor - gen, und ſagte: Lienhard! wir waren geſtern unfreundlich gegen einander; das muß nicht ſo ſeyn. Ich habe dir etwas Gutes zu ſagen. Ich kam eben vom Gnaͤdigen Herrn; er redete vom Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich ſag - te, daß du den Bau wohl machen koͤnnteſt; und ich denke, er werde ihn dir geben. Sieh, ſo kann man einander dienen, man muß ſich nie ſo leicht aufbringen laſſen.

B 5Er26

Lienhard. Er ſoll ja den Bau dem Schloß - maͤurer verdungen haben, das haſt du laͤngſt an der Gemeind geſagt.

Hummel. Ich hab’s geglaubt, aber es iſt nicht; der Schloßmaͤurer hat nur ein Koſten - verzeichniß gemacht, und du kannſt leicht denken, er habe ſich ſelber nicht vergeſſen. Wenn du ihn nach dieſem Ueberſchlag erhalteſt, ſo verdieneſt du Geld wie Laub. Lienert da ſiehſt du jezt, ob ich’s gut mit dir meyne

Der Maͤurer war von der Hoffnung des Baus uͤbernommen und dankte ihm herzlich.

Aber Gertrud ſah, wie der Vogt vom erſtick - ten Zorn blaß war und wie hinder ſeinem Laͤcheln verbiſſener Grimm verborgen lag; und ſie freuete ſich gar nicht. Indeſſen gieng der Vogt weg, und im Gehen ſagte er noch: Innert einer Stunde wird Arner kommen, und Lienhards Liſe, die an der Seite ihres Vaters ſtand, ſagte zum Vogt: wir wiſſens ſchon ſeit geſtern.

Hummel erſchrack zwar ob dieſem Wort, aber er that doch nicht als ob er’s hoͤrte

Und Gertrud, die wohl ſah, daß der Vogt dem Geld, ſo beym Kirchbau zu verdienen waͤre, auf - lauerte, war hieruͤber ſehr unruhig.

§. 5.27

§. 5. Er findet ſeinen Meiſter.

Indeſſen kam Arner auf den Kirchhof; und viel Volk aus dem Dorfe ſammelte ſich um ihn her den guten Herrn zu ſehen.

Seyd ihr ſo muͤßig, oder iſt’s Feyertag, daß ihr alle ſo Zeit habt, hier herumzuſchwaͤrmen? ſagte der Vogt zu einigen, die ihm zu nahe ſtuhn - den; denn er verhuͤtete immer, daß Niemand ver - nehme, was er fuͤr Befehle erhielte

Aber Arner bemerkte es, und ſagt laut: Vogt! Ich habe es gern, daß meine Kinder auf dem Kirch - hof bleiben, und ſelbſt hoͤren, wie ich es mit dem Bau haben will; warum jagſt du ſie fort?

Tief bis an die Erde kruͤmmte ſich Hummel, und rief den Nachbaren alſobald laut; Kommt doch wieder zuruͤck, Ihr Gnaden mag euch wohl dulden

Arner. Haſt du die Schatzung vom Kirchbau geſehen?

Vogt. Ja, Gnaͤdiger Herr!

Arner. Glaubſt du, Lienhard koͤnne den Bau um dieſen Preis gut und dauerhaft machen?

Ja, Gnaͤdiger Herr! antwortete der Vogt laut; und ſehr leiſe ſetzte er hinzu, ich denke, da erim28im Dorfe wohnt koͤnnte er es vielleicht noch et - was weniges wolfeiler uͤbernehmen.

Arner aber antwortete ganz laut. So viel ich dem Schloßmaͤurer haͤtte geben muͤſſen, ſo viel gebe ich auch dieſem. Laß ihn rufen, und ſorge, daß alles, was aus dem Wald und aus den Ma - gazinen dem Schloßmaͤurer zukommen ſollte, auch dieſem ausgeliefert werde.

Lienhard war e〈…〉〈…〉 wenige Minuten ehe Arner ihn rufen lieſſe[i]ns obere Dorf gegangen; und Gertrud entſchloß ſich alſobald mit dem Boten ſelbſt auf den Kirchhof zu gehn, und Arnern ihre Sor - gen zu entdecken.

Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard mit dem Boten zuruͤck kommen ſah, wurde er todtblaß

Arner bemerkt es und fragte ihn; wo fehlt’s Herr Untervogt

Vogt. Nichts, Gnaͤdiger Herr! gar nichts, doch ich habe dieſe Nacht nicht wohl geſchlafen

Man ſah dir faſt ſo was an, ſagte Arner, und ſah ihm ſteif in die rothen Augen, kehrte ſich denn zu Gertrud, gruͤßte ſie freundlich, und ſag - te: Iſt dein Mann nicht da? doch es iſt gleich viel, du muſt ihm nur ſagen, daß er zu mir komme. Ich will ihm dieſen Kirchenbau anver - trauen

Ger -29

Gertrud ſtand eine Weile ſprachlos da, und durfte vor ſo viel Volk faſt nicht reden.

Arner. Warum redeſt du nicht, Gertrud? Ich will deinem Mann den Bau ſo geben, wie ihn der Schloßmaͤnrer wuͤrde uͤbernommen haben. Das ſollte dich freuen, Gertrud

Gertrud hatte ſich wieder erholt und ſagte jezt: Gnaͤdiger Herr! die Kirche iſt ſo nahe am Wirthshaus

Alles Volk fieng an zu lachen und da die meiſten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen woll - ten, kehrten ſie ſich von ihm weg gerade gegen Arner.

Der Vogt aber, der wohl ſah, daß dieſer al - les bemerkt haͤtte, ſtand jezt entruͤſtet auf, ſtellte ſich gegen Gertrud und ſprach: Was haſt du gegen mein Wirthshaus?

Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und ſagte; Geht dieſe Rede dich an, Untervogt! daß du darein redeſt? Dann wandte er ſich wie - der zu Gertrud und ſagte: Was iſt das? Warum ſteht dir die Kirche zu nahe am Wirthshaus?

Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Mein Mann iſt beym Wein leicht zu verfuͤhren, und wenn er taͤg - lich ſo nahe am Wirthshaus arbeiten muß; ach Gott! ach Gott! ich fuͤrchte, er halte die Verſu - chung nicht aus.

Arner. 30

Arner. Kann er denn das Wirthshaus nicht meiden, wenn’s ihm ſo gefaͤhrlich iſt?

Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Bey der heiſſen Arbeit duͤrſtet man oft, und wenn denn immer Saufgeſellſchaft vor ſeinen Augen auf jede Art mit Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkaͤufen und mit Wetten ihn zulocken wird; ach Gott! ach Gott! wie wird er’s aushalten koͤnnen. Und wenn er denn nur ein wenig wieder Neues ſchuldig wird: ſo iſt er wieder angebunden. Gnaͤdiger Herr! Wenn Sie doch wuͤßten, wie ein einziger Abend in ſolchen Haͤuſern arme Leute ins Joch und in Schlingen bringen kann, wo es faſt unmoͤglich iſt, ſich wieder heraus zu wickeln.

Arner. Ich weiß es, Gertrud und ich bin entruͤſtet uͤber das, was du mir geſtern ſagteſt; da vor deinen Augen und vor allem Volk will ich dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will druͤcken und draͤngen laſſen.

Sogleich wandte er ſich gegen dem Vogt, und ſagte ihm mit einer Stimme voll Ernſt und mit einem Blicke, der durch Mark und Beine drang;

Vogt! iſt’s wahr, daß die armen Leute in dei - nem Hauſe gedraͤngt, verfuͤhrt, und vervortheilt werden?

Betaͤubt und blaß, wie der Tod, antwortete der Vogt; In meinem Leben, Gnaͤdiger Herr! iſt mir nie ſo etwas begegnet; und ſo lang ichlebe31lebe und Vogt bin, ſagt er, wiſcht den Schweiß von der Stirne huſtet raͤuſpert faͤngt wie - der an Es iſt erſchrecklich

Arner. Du biſt unruhig, Vogt! Die Frage iſt einfaͤltig. Iſt’s wahr, daß du arme Leute draͤn - geſt, in Verwirrungen bringeſt, und ihnen in dei - nem Wirthshauſe Fallſtricke legeſt, die ihre Haus - haltungen ungluͤcklich machen?

Vogt. Nein, gewiß nicht, Gnaͤdiger Herr! Das iſt der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient; ich haͤtte es vorher denken ſollen. Man hat alle - mal einen ſolchen Dank, anſtatt der Bezahlung.

Arner. Mache dir vor die Bezahlung keine Sorge; es iſt nur die Frage, ob dieſes Weib luͤge.

Vogt. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! ich will es tauſendfach beweiſen.

Arner. Es iſt genug am einfachen, Vogt! Aber nimm dich in Acht. Du ſagteſt geſtern, Gertrud ſey eine brave, ſtille, arbeitſame Frau und gar keine Schwaͤtzerinn.

Ich weiß nicht ich ich beſinne Sie haben mich ich habe ſie ich habe ſie dafuͤr angeſehen ſagte der keichende Vogt

Arner. Du biſt auf eine Art unruhig, Vogt! daß man jezt nicht mit dir reden kann; es iſt am beſten, ich erkundige mich gerade da bey dieſen da ſtehenden Nachbaren. Und ſogleich wandte er ſichzu32zu zween alten Maͤnnern, die ſtill und aufmerkſam und ernſthaft da ſtuhnden, und ſagte ihnen: Iſt’s wahr, liebe Nachbaren! Werden die Leute in eu - rem Wirthshaus ſo zum Boͤſen verfuͤhrt und ge - druͤckt? Die Maͤnner ſahn ſich einer den andern an, und durften nicht reden.

Aber Arner ermunterte ſie liebreich. Fuͤrchtet euch nicht. Sagt mir gerade zu die reine Wahr - heit.

Es iſt mehr als zu wahr, Gnaͤdiger Herr! aber was wollen wir arme Leute gegen den Vogt kla - gen? ſagte endlich der aͤltere, doch ſo leiſe, daß es nur Arner verſtehn konnte.

Es iſt genug, alter Mann! ſagte Arner, und wandte ſich denn wieder zum Vogt.

Ich bin eigentlich jezt nicht da, um dieſe Klage zu unterſuchen; aber gewiß iſt es, daß ich[mei]ne Armen vor aller Bedruͤckung will ſicher haben, und ſchon laͤngſt dachte ich, daß kein Vogt Wirth ſeyn ſollte. Ich will aber das bis Montag ver - ſchieben Gertrud! ſage deinem Mann, daß er zu mir komme, und ſey du wegen den Wirths - hausgefahren ſeinethalben jezt nur ruhig.

Da nahm Arner noch einige Geſchaͤfte vor, und als er ſie vollendet hatte, gieng er noch in den na - hen Wald und es war ſpaͤth, da er heim fuhr Auch der Vogt, der ihm in den Wald folgen mußte, kam erſt des Nachts wieder heim in ſein Dorf.

Als33

Als dieſer jezt ſeinem Hauſe nahe war, und nur kein Licht in ſeiner Stube ſah, auch keine Men - ſchenſtimme darinn hoͤrte, ahndete ihm Boͤſes; denn ſonſt war alle Abende das Haus voll und alle Fenſter von den Lichtern, die auf allen Tiſchen ſtanden, erheitert, und das Gelerm der Saufenden toͤnte in der Stille der Nacht immer, daß man’s zu unterſt an der Gaſſe noch hoͤrte, obgleich die Gaſſe lang iſt, und des Vogts Haus zu oberſt da - ran ſteht.

Ueber dieſer ungewoͤhnlichen Stille war der Vogt ſehr erſchrocken. Er oͤffnete mit wilder Un - geſtuͤmheit die Thuͤre, und ſagte: Was iſt das? was iſt das? daß kein Menſch hier iſt.

Sein Weib heulete in einem Winkel. O Mann! biſt du wieder da. Mein Gott! was iſt vor ein Ungluͤck begegnet! Es iſt ein Jubilieren im Dorf von deinen Feinden, und kein Menſch wagt mehr auch nur ein Glas Wein bey uns zu trinken. Alles ſagt, du ſeyſt aus dem Wald nach Arnburg gefuͤhrt worden.

Wie ein gefangenes wildes Schwein in ſeinen Stricken ſchnaubet, ſeinen Rachen oͤffnet, ſeine Augen rollt, und Wuth grunzet; ſo wuͤthete jezt Hummel, ſtampfte und tobte, ſann auf Rache gegen Arner, und raſete, uͤber den Edeln. Denn redte er mit ſich ſelbſt: So koͤmmt das Land um ſeine Rechte. Er will mir dasCWirths -34Wirthsrecht rauben, und den Schild in der Herr - ſchaft allein aushaͤngen. Bey Mannsgedenken ha - ben alle Voͤgte gewirthet. Alle Haͤndel giengen durch unſere Haͤnde. Dieſer laͤuft jezt allenthal - ben ſelbſt nach, und fraͤgelt jeden Floh aus, wie ein Dorfſchulmeiſter. Daher trotzet jezt jeder Bub einem Gerichtsmann und ſagt daß er ſelbſt mit Arner reden koͤnne. So koͤmmt das Gericht um alles Anſehn und wir ſitzen und ſchweigen, wie andere Schurken. Da er ſo an uns alle alte Lan - desrechte kraͤnkt und beugt.

So verdrehte der alte Schelm die guten und weiſen Thaten des edeln Herrn bey ſich ſelbſt, ſchnaubte und ſann auf Rache, bis er entſchlief.

§. 6. Wahrhafte Bauerngeſpraͤche.

Am Morgen aber war er fruͤhe auf, und ſang und pfiff unter dem Fenſter, auf daß man glaube, er ſey wegen dem, ſo geſtern vorgefallen war, ganz unbeſorgt.

Aber Fritz, ſein Nachbar, rief ihm uͤber die Gaſſe: Haſt du ſchon ſo fruͤhe Gaͤſte, daß es ſo luſtig geht? und laͤchelte bey ſich ſelbſt.

Sie35

Sie werden ſchon kommen, Fritz! Hopſaſa und Heiſaſa, Zwetſchgen ſind nicht Feigen, ſagt der Vogt, ſtreckt das Brenntsglas zum Fenſter hinaus, und ruft: Willſt eins Beſcheid thun, Fritz?

Es iſt mir noch zu fruͤh, antwortete Fritz, ich will warten, bis mehr Geſellſchaft da iſt.

Du biſt immer der alte Schalk, ſagte der Vogt; aber glaub’s, der geſtrige Spaß wird nicht ſo uͤbel ausſchlagen. Es fliegt kein Voͤgelein ſo hoch, es laͤßt ſich wieder nieder.

Ich weiß nicht, antwortete Fritz. Der Vo - gel, den ich meyne, hat ſich lange nicht herunter gelaſſen. Aber wir reden vielleicht nicht vom glei - chen Vogel. Willſt’s mithalten, Vogt! man ruft zur Morgenſuppe, und hiemit ſchob Fritz das Fenſter zu.

Das iſt kurz abgebunden, murrete der Vogt bey ſich ſelbſt, und ſchuͤttelte den Kopf, daß Haar und Backen zitterten. Ich werde, denk ich, des Teufels Arbeit haben, bis das geſtrige Henkerszeug den Leuten allen wieder aus dem Kopf ſeyn wird; So ſagt er zu ſich ſelber, ſchenkt ſich ein trinkt ſagt denn wieder Muth gefaßt! Kommt Zeit! Kommt Rath! Heute iſt’s Samſtag, die Kaͤlber laſſen ſich ſcheeren, ich gehe ins Barthaus, da gibt ſich um ein Glas Wein eins nach dem an -C 2dern.36dern. Die Bauern glauben mir immer eher zehen, als dem Pfarrer ein halbes.

So ſagt der Vogt zu ſich ſelber, und dann zur Frau: Fuͤll mir die Saublatter mit Tabak; aber nicht von meinem, nur vom Stinker, er iſt gut fuͤr die Purſche. Und wenn des Scheerers Bub Wein holt, ſo gib ihm vom drey - mal geſchwefelten, und thue in jede Maas ein halb Glas Brennts.

Er gieng fort. Aber auf der Gaſſe, noch nahe beym Hauſe, beſann er ſich wieder, kehrte zu - ruͤck und ſagte der Frau; Es koͤnnten Schelme mitſaufen. Ich muß mich in Acht nehmen. Schick mir vom gelbgeſottenen Waſſer, wenn ich La Cote*)La Cotte. Vin de la Côte. Welſch-Berner - Wein. fordern laſſe, und bring das ſelber. Drauf gieng er wieder fort.

Aber ehe er noch im Barthaus war, unter der Linde beym Schulhaus, trift er Nickel Spitz und Jogli Rubel an. Wohinaus ſo im Sonnabend - Habit, Herr Untervogt! fragte Nickel Spitz

Vogt. Ich muß den Bart herunter haben

Nickel. Das iſt ſonderbar, daß du am Sam - ſtag Morgen ſchon Zeit haſt

Vogt. Es iſt wahr, es iſt nicht ſo das Jahr durch

Nickel. 37

Nickel. Nein. Einmal ſeit langem kamſt du immer Sonntags zwiſchen der Morgenpredigt zum Scheerer.

Vogt. Ja; ein paar mal.

Nickel. Ja ein paar mal, die letzten. Da der Pfarrer dir deinen Hund aus der Kirche jagen ließ, ſeitdem kamſt du ihm nicht viel mehr ins Gehaͤge.

Vogt. Du biſt ein Narr, Nickel, daß du ſo was reden magſt. Man muß eſſen und vergeſ - ſen. Die Hundsjagd iſt mir laͤngſt aus dem Kopf.

Nickel. Ich moͤchte mich nicht drauf verlaſ - ſen, wenn ich Pfarrer waͤre.

Vogt. Du biſt nicht klug, Nickel. Warum das nicht? Aber kommt in die Stube, es gibt wohl etwan einen Weinkauf oder ſonſt kurze Zeit

Nickel. Du wuͤrdeſt dem Scheerer aufwar - ten, wenn er in ſeinem Haus einen Weinkauf trin - ken lieſſe. *)Der Vogt, als Wirth, duldete nicht, daß in ei - nem Hauſe, als in dem ſeinen, bey keinem An - laß Wein aus geſchenkt wuͤrde.

Vogt. Ich bin nicht halb ſo eigennuͤtzig. Man will mir ja das Wirthſchaftsrecht ganz neh - men. Aber, Nickel! wir ſind noch nicht da; der, den ich meyne, hat noch aufs wenigſte ſechs Wo - chen und drey Tage Arbeit, eh er’s bekoͤmmt

C 3Nickel. 38

Nickel. Ich glaub es ſelbſt. Doch iſt’s im - mer nicht die beſte Ordnung fuͤr dich, daß der junge Herr ſeines Großvaters Glauben changirt hat.

Vogt. Ja, er hat einmal nicht voͤllig des Großvaters Glauben.

Nickel. Ich traue faſt, er ſey in keinem Punkt und in keinem Artikel von allen Zwoͤlfen mit dem Alten des gleichen Glaubens.

Vogt. Es kann ſeyn. Aber der Alte war mir in ſeinem Glauben ein anderer Mann.

Nickel. Ich denk’s wohl. Der erſte Arti - kel ſeines Glaubens hieß: Ich glaube an dich, mei - nen Vogt

Vogt. Das iſt luſtig. Aber wie hieß denn der andere?

Nickel. Was weiß ich grad jezt. Ich denk, er hieß: Ich glaub guſſer dir, meinem Vogt, kei - nem Menſchen kein Wort.

Vogt. Du ſollteſt Pfarrer werden, Nickel, du wuͤrdeſt den Catechismus nicht blos erklaͤren; du wuͤrdeſt noch einen aufſetzen.

Nickel. Das wuͤrde man mir wohl nicht zulaſ - ſen. Thaͤt ich’s, ich wuͤrde ihn machen ſo deutſch und ſo klar, daß ihn die Kinder ohne den Pfarrer ver - ſtuͤhnden; und denn wuͤrde er ja natuͤrlich nichts nuͤtze ſeyn.

Vogt. 39

Vogt. Wir wollen beym Alten bleiben, Ni - ckel! Es iſt mir mit dem Catechismus wie mit etwas anderm. Es koͤmmt nie nichts beſſers hin - ten nach.

Nickel. Das iſt ſo ein Spruͤchwort, das manch - mal wahr iſt, und manchmal nicht. Fuͤr dich, ſcheint’s, trift’s dismal ein mit dem neuen Junker

Vogt. Es wird erſt fuͤr andere nachkommen; wenn ihr ordentlich wartet. Und fuͤr mich fuͤrchte ich mich nicht ſo uͤbel vor dieſem neuen Herrn. Es findet jeder ſeinen Meiſter.

Nickel. Das iſt wahr. Doch iſt deine alte Zeit mit dem vorigen Sommer*)Man begrub im vorigen Sommer Arners Groß - vater Sein Vater war viele Jahre vorher in einem Treffen in Preußiſchen Dienſten ge - ſtorben unter dem Bo - den

Vogt. Nickel! Ich habe ſie doch einmal ge - habt; ſuche ſie ein anderer jezt auch.

Nickel. Das iſt wahr, du haſt ſie gehabt, und ſie war recht gut. Aber wie haͤtt’s koͤnnen fehlen; der Schreiber, der Weibel und der Vi - carj waren dir ſchuldig.

Vogt. Man redte mir das nach; aber es war drum nicht wahr.

Nickel. Du magſt jezt auch das ſagen; duC 4haͤt -40hatteſt ja mit ein Paaren oͤffentlich Haͤndel, daß das Geld nicht wieder zuruͤck kommen wollte.

Vogt. Du Narr, du weißſt auch gar noch alles!

Nickel. Noch viel mehr, als das, weiß ich noch. Ich weiß noch, wie du mit des Rudis Vater gedroͤlt und wie ich dich da neben dem Hundſtall unter den Strohwellen auf dem Bauch liegend vor des Rudis Fenſtern antraf. Sein An - wald war eben bey ihm; bis um zwey Uhr am Morgen horchteſt du auf deinem Bauch, was in der Stube geredt wurde. Ich hatte eben die Nacht - wache und eine ganze Woche war mir der Wein frey bey dir, daß ich ſchwiege.

Vogt. Du biſt ein Ketzer; daß du das ſagſt, es iſt kein Wort wahr, und du wuͤrdeſt ſchoͤn ſte - hen, wenn du’s beweiſen muͤßteſt.

Nickel. Vom beweiſen iſt jezt nicht die Rede, aber ob’s wahr ſey, weißſt du wohl.

Vogt. Es iſt gut, daß du’s einſteckſt*)zuruͤcknimmſt

Nickel. Der Teufel gab dir das in Sinn, unter dem Stroh in tiefer Nacht zu horchen; du hoͤrteſt alle Worte, und hatteſt da gut mit dem Schreiber deine eigene Ausſage zu verdrehen.

Vogt. Was du auch redeſt?

Nickel. Was ich auch rede? Haͤtte der Schrei - ber nicht vor der Audienz deine Ausſage veraͤndert,ſo41ſo haͤtte der Rudj ſeine Matte noch, und der Wuͤſt und der Keibacker haͤtten den ſchoͤnen Eyd nicht thun muͤſſen.

Vogt. Ja Du verſteheſt den Handel wie der Schulmeiſter Hebraͤiſch.

Nickel. Wenn ich ihn nicht verſtuͤhnde, ich haͤtte ihn von dir gelernt. Mehr als zwanzigmal lachteſt du mit mir ob deinem gehorſamen Diener dem Herrn Schreiber.

Vogt. Ja! das wohl; aber das, was du ſagſt, that er doch nicht. Sonſt iſt’s wahr: er war ein ſchlauer Teufel. Troͤſt Gott ſeine Seele es wird nun zehn Jahr auf Michaelis, ſeit dem er unter dem Boden iſt.

Nickel. Seit dem er hinabgefahren iſt zur Hoͤllen wollteſt du ſagen.

Vogt. Das iſt nicht recht. Von den Tod - ten unter dem Boden muß man nichts Boͤſes ſa - gen.

Nickel. Du haſt recht ſonſt wuͤrde ich er - zaͤhlen, wie er bey Noͤppis Kindern geſchrieben hat.

Vogt. Er wird dir auf dem Todbett gebeich - tet haben! daß du alles ſo wohl weißſt.

Nickel. Einmal weiß ich’s.

Vogt. Das beſte iſt, daß ich den Handel ge - wonnen habe, wenn du wuͤßteſt, daß ich den Han - del verlohren haͤtte, denn waͤr’s mir leid.

C 5Nickel. 42

Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den Handel gewonnen haſt; aber auch wie!

Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht.

Nickel. Behuͤte Gott alle Menſchen, die arm ſind vor der Feder.

Vogt. Du haſt recht. Es ſollten nur Ehren - leute und wohlhabende Maͤnner ſchreiben duͤrfen, vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß eben mit allem zufrieden ſeyn, wie es iſt.

Nickel. Vogt; dein weiſer Spruch da mah - net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim hoͤrte. Es war einer aus dem Elſaß. Er er - zaͤhlte vor einem ganzen Tiſch Leute: Es habe ein Einſiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt abgemahlt, und er koͤnne das Buch faſt aus - wendig. Da baten wir ihn, er ſolle uns auch ei - ne von dieſen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte er uns eben die, an die du mich mahneſt.

Vogt. Nun was iſt ſie denn, du Plauderer?

Nickel. Sie heißt ich kann ſie zum Gluͤck noch

Es klagte und jammerte das Schaf, daß der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz - ger es ſo ſchrecklich quaͤlten Ein Fuchs, der eben vor dem Stall ſtuhnd, hoͤrte die Klage und ſagte zum Schaf: Man muß immer zufrie - den ſeyn mit der weiſen Ordnung, die in der Welt iſt 43 iſt wenn es anders waͤre ſo wuͤrde es ge - wiß noch ſchlimmer ſeyn.

Das laͤßt ſich hoͤren, antwortete das Schaf, wenn der Stall zu iſt aber wenn er offen waͤ - re ſo wuͤrde es denn doch auch keine Wahr - heit fuͤr mich ſeyn.

Es iſt freylich gut, daß Woͤlfe, Fuͤchſe und Raubthiere da ſeyn aber es iſt auch gut, daß man die Schafſtaͤlle ordentlich zumache und daß die guten ſchwachen Thiere gute Hirten und Schutzhunde haben, gegen die Raubthiere.

Behuͤte mir Gott meine Huͤtte, ſetzte der Pilger hinzu. Es gibt eben allenthalben viel Raubthiere und wenig gute Hirten*)Das geſchahe nicht unter der gegenwaͤrtigen Re - gierung Ludwigs des XVI. Heili - ger Gott! du weiſſeſt, warum es ſo iſt; wir muͤſſen ſchweigen. Seine Cameraden ſetzten hinzu: Ja wir muͤſſen wohl ſchweigen und denn Heilige Mutter Gottes! bitte fuͤr uns jezt und in der Stunde unſers Abſterbens, Amen.

Es ruͤhrete uns alle, wie die Pilger ſo herzlich redeten, und wir konnten einmahl jezt nicht den Narren treiben, wie ſonſt ob ihrem Heilige Mut - ter Gottes bitte fuͤr uns.

Vogt. Ja das H. Mutter Gottes gehoͤrt auch zu einer ſo herzlichen Schafsmeynung, nach wel -cher44cher aber Woͤlfe und Fuͤchſe und alle Thiere von der Art Hunger crepieren muͤßten

Nickel. Es waͤre eben auch kein Schade

Vogt. Weißſt du das ſo gewiß?

Nickel. Nein. Ich bin ein Narr ſie muͤßten nicht Hunger crepieren; ſie wuͤrden noch immer Aaſe und Gewild finden, und das gehoͤrt ihnen, und nicht zahmes Vieh das mit Muͤhe und Koſten erzogen und gehuͤtet werden muß.

Vogt. So lieſſeſt du ſie doch auch nicht ganz Hunger crepieren, das iſt noch viel fuͤr einen Freund der zahmen Thiere. Aber es friert mich; komm in die Stube.

Nickel. Ich kann nicht; ich muß weiters.

Vogt. Nun ſo behuͤt euch Gott, Nachbaren! Auf Wiederſehen (Er geht ab)

Rubel und Nickel ſtehen noch eine Weile, und Rubel ſagt zum Nickel: Du haſt ihm Geſalzenes aufgeſtellt.

Nickel. Ich wollte, es waͤre noch dazu ge - pfeffert geweſen, daß es ihn bis morgen auf der Zunge brennte.

Rubel. Du wuͤrdeſt vor acht Tagen nicht ſo mit ihm geredt haben.

Nickel. Und er wuͤrde vor acht Tagen nicht alſo geantwortet haben

Rubel. Das iſt auch wahr. Er iſt zahm geworden wie mein Hund, als er das erſtemal das Nasband trug.

45

Nickel. Wann die Maas voll iſt, ſo uͤber - laͤuft ſie das war noch immer bey einem jeden wahr, und wird es auch beym Vogt werden

Rubel. Behuͤte Gott einen vor Aemtern; Ich moͤchte nicht Vogt ſeyn mit ſeinen zween Hoͤfen

Nickel. Aber wenn dir jemand einen halben anboͤte und den Vogtsdienſt dazu, was wuͤrdeſt du machen?

Rubel. Du Narr!

Nickel. Du Geſcheider! was wuͤrdeſt du ma - chen? Gelt, du wuͤrdeſt dem, der dir ihn anboͤte, geſchwind einſchlagen, das Tuch mit den zwo Farben um dich wickeln, und denn Vogt ſeyn

Rubel. Meynſt du’s ſo?

Nickel. Ja ich meyn’s ſo

Rubel. Wir ſchwaͤtzen die Zeit weg B’huͤ - te Gott, Nickel

Nickel. B’huͤte Gott, Rubel

§. 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an.

Da der Vogt jezt in die Scheerſtube kam gruͤßte er den Scheerer und die Frau und die Nach - baren ohne Huſten und ehe er ſich ſetzte. Sonſt huſtete und raͤuſperte er ſich aͤllemal vorher, undwarf46warf denn ſein Gott gruͤß euch erſt dar, wenn er ausgeſpien und ſich geſetzt hatte

Die Bauern antworteten mit Laͤcheln, und ſetz - ten ihre Kappen viel ſchneller wieder auf den Kopf, als ſie ſonſt thaten, wenn der Herr Untervogt ſie gegruͤßt hatte. Er aber fieng alſobald das Ge - ſpraͤch an.

Immer gute Loſung, Meiſter Scheerer! ſagt er; und ſo viel Arbeit, daß mich wundert, wie ihr das alles nur ſo mit zwo Haͤnden machen koͤnnt.

Der Scheerer war ſonſt ein ſtiller Mann, der auf ſolche Worte nicht gern antwortete. Aber der Vogt hatte ihn jezt etliche Monate hinter ein - ander und das allemal am Sonntag am Morgen zwiſchen der Predigt mit ſolchen Stichelreden ver - druͤßlich gemacht; und wie’s denn geht, er wollte einmal jezt auch antworten, und ſagte:

Herr Untervogt! Es ſollte euch nicht wun - dern, wie man mit zwo Haͤnden viel arbeiten und doch wenig verdienen koͤnne. Aber wie man mit beyden Haͤnden nichts thun, und darbey viel Geld verdienen koͤnne: das ſollte euch wundern.

Vogt. Ja, das iſt wahr, Scheerer! Du ſollteſt es auch probieren. Die Kunſt iſt Man legt die Haͤnde auf eine Art und Gattung zuſam - men, wie’s recht iſt Denn regnet es Geld zum Dach hinein

Der47

Der Scheerer wagte noch eins und ſagte: Nein, Vogt, man wickelt ſie wohl unter den zweyfarbigten Mantel, und ſagt die drey Worte: Es iſt ſo, bey meinem Eyd es iſt ſo und bey gutem Anlaß ſtreckt man kraͤftig drey Finger hinauf, zween hinab abrakadabra und die Saͤcke ſtrotzen von Geld

Das machte den Vogt toll, und er antwor - tete: Du koͤnnteſt zaubern, Scheerer! Aber das iſt nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤſſen nothwendig auch Zauber - und Henkerskuͤnſte ver - ſtehen.

Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er ſich mit dem Vogt eingelaſſen. Er ſchwieg auch, ließ den andern reden, und ſeifte mausſtill den Mann ein, der ihm ſaß.

Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und ſagte: Der Scheerer iſt ein ausgemachter Herr! er darf unſer einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja Spitzhoſen Stadtſchuhe und am Sonntag Manſchetten. Er hat Haͤnde ſo zart, wie ein Jun - ker und Waden, wie ein Stadtſchreiber.

Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das auch ſchon gehoͤrt und lachten nicht uͤber des Vogts Witz.

Nur der junge Gallj, der eben ſaß, mußte uͤber die Stadtſchreiberwaden lachen; denn er kam ebenaus48aus der Kanzley, wo der Spaß mit den Waden juſt eintraf. Aber der Scheerer, dem er ſich unter dem Meſſer bewegte, ſchnitt ihn in die obere Lippe.

Das machte die Bauern unwillig, daß alle die Koͤpfe ſchuͤttelten.

Und der alte Ulj nahm die Tabakspfeife aus dem Munde, und ſagte;

Vogt! es iſt gar nicht recht, daß du da dem Scheerer Moleſt3 macheſt.

Und da die andern ſahn, daß der alte Ulj ſich nicht ſcheute, und das laut ſagte, murreten ſie auch lauter, und ſagten;

Der Gallj blutet! Ja wir koͤnnen ſo dem Schee - rer nicht anſitzen.

Es iſt mir leid, ſagte der Vogt, ich will den Schaden wieder gut machen.

Bub! hol drey Flaſchen Wein vom guten, der heilt Wunden, ohne daß man ihn warm macht.

Sobald der Vogt vom Wein redte, verlohr ſich das ernſte Murren der Bauern. Einige trauten zwar nicht, daß es Ernſt gelte.

Aber Lenk, der in einer Ecke ſaß, loͤste ihnen das Raͤthſel auf, und ſagte

Des Vogts Wein hat geſtern auf dem Kirch - hof ſo abgeſchlagen.

Der Vogt aber nahm jezt ſeinen Seckel voll Tabak, und legte ihn auf den Tiſch.

Und49

Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger*)Baͤnkelſaͤnger., forderte ihm zuerſt eine Pfeife voll ab.

Er gab ſie. Da ſtuhnden immer mehrere her - bey; und die Stube war bald voll Rauch vom Stinktabak. Der Vogt aber rauchte vom beſ - ſern.

Indeſſen waren der Scheerer und die Nach - baren immer noch ſtill, und machten gar nicht viel Weſens. Das ſchien dem Meiſter Urias nicht gut. Er gieng die Stube hinauf und hinunter, und drehete den Zeigfinger uͤber die Naſe, wie er es immer macht, wenn ihm ſein Krummes nicht grad gehen will.

Es iſt verteufelt kalt in der Stube, ſo in der Kaͤlte richte ich nichts aus, ſagt er zu ſich ſel - ber, geht aus der Stube, gibt der Magd einen Kreuzer, daß ſie ſtaͤrker einheize; und es war bald warm in der Stube

§. 8.D50

§. 8. Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo geht der Wagen.

Indeſſen koͤmmt der geſchwefelte Wein. Glaͤſer, Glaͤſer her, Meiſter Scheerer; ruft der Vogt. Und Frau und Junge bringen bald Glaͤſer’s genug.

Die Nachbaren naͤhern ſich ſaͤmtlich den Wein - kruͤgen, und der Vogt ſchenkt ihnen ein.

Jezt ſind der alte Ulj und alle Nachbaren wie - der zufrieden.

Und des jungen Gallis Wunde iſt ja nicht der Rede werth. Waͤre der Narr nur ſtill geſeſſen, ſo wuͤrde ihn der Scheerer nicht geſchnitten haben.

Nach und nach geht jezt einem jeden das Maul auf, und lautes Saufgewuͤhl erhebt ſich.

Alles lobt wieder den Vogt, und der Maͤurer Lienhard iſt jezt am vordern Tiſch ein Schlingel, und am hindern ein Bettler.

Da erzaͤhlt der eine, wie er ſich alle Tage voll foff, und jezt den Heiligen mache, und der an - dere, wie er wohl merke, warum die ſchoͤne Ger - trud, und nicht der Maͤurer, zum jungen Herrn ins Schloß gegangen ſey; und wieder ein anderer, wie ihm dieſe Nacht von der Naſe getraͤumt habe,die51die der Vogt dem Maͤurer nach Verdienen bald drehen werde.

Wie ein garſtiger Vogel den Schnabel in Sumpf ſteckt, und ſich von faͤulendem Koth naͤhrt, ſo labete Hummel bey dem Gerede der Nachba - ren ſein arges Herz.

Doch miſchet er ſich ſehr bedachtſam und ernſt - haft in das verworrene Gewuͤhl dieſer Saͤufer und Schwaͤtzer.

Nachbar Richter! ſagt er und reicht ihm das Glas dar, das er annimmt: Ihr waret ja ſelber bey der letzten Rechnung, und noch ein beeydig - ter Mann. Ihr wiſſet, daß mir damals der Maͤu - rer dreyßig Gulden ſchuldig geblieben iſt. Nun iſt’s ſchon ein halbes Jahr; und er hat mir noch keinen Heller bezahlt. Ich habe auch ihm das Geld nicht einmal gefordert, und ihm kein boͤſes Wort gegeben, und doch kann es leicht kom - men, ich verliere die Schuld bis auf den letzten Heller.

Das verſteht ſich, ſchwuren die Bauern. Du wirſt keinen! Heller mehr von deinem Geld ſehen, und ſchenkten ſich ein.

Der Vogt aber nahm aus ſeinem Sackkalen - der die Handſchrift des Maͤurers, legte ſie auf den Tiſch, und ſagte; Da koͤnnet ihr ſehen, ob’s wahr iſt.

D 2Die52

Die Bauern beguckten die Handſchrift, als ob ſie leſen koͤnnten, und ſprachen: Das iſt ein Schur - ke, der Maͤurer.

Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger, der bis jezt viel und ſtillſchweigend herunter geſchluckt hatte, wiſcht mit dem Rockermel das Maul ab, ſteht auf, hebt ſein Glas in die Hoͤhe, und ruft:

Es lebe der Herr Untervogt! und alle Calfack - ter muͤſſen verrecken, ſo ruft er, trinkt aus, hebt das Glas wieder dem dar, der einſchenkt, trinkt wieder aus, und ſingt:

Der, der dem andern Gruben graͤbt,
Der, der dem andern Stricke legt,
Und waͤr er wie der Teufel fein;
Und waͤr er noch ſo hoch am Brett,
Er faͤllt, wie man zu ſagen pflegt
Am Ende ſelbſt in Dr.. hinein
In Dr.. hinein
Juhe,
Maͤurer!
Juhe
§. 9.53

§. 9. Von den Rechten im Land.

Nicht ſo laͤrmend, Chriſten! ſagte der Vogt; das nuͤtzt nichts. Es waͤre mir leid, wenn dem Maͤurer ein Ungluͤck begegnete. Ich verzeihe es ihm gerne. Er hat’s aus Armuth gethan. Aber das iſt ſchlimm, daß keine Rechte mehr im Land ſicher ſind.

Die Nachbaren horchten ſteif, als er von den Rechten im Land redte. Etliche ſtellten ſo gar die Glaͤſer beyſeits, da ſie vom Rechten im Land hoͤ - reten, und horchten.

Ich bin ein alter Mann, Nachbaren! und mir kann nicht viel dran liegen. Ich habe keine Kin - der, und mit mir iſt’s ans. Aber ihr habt Jungens Nachbaren! Euch muß an euern Rech - ten viel gelegen ſeyn.

Ja. Unſere Rechte! riefen die Bauern. Ihr ſeyd unſer Vogt. Vergebt kein Haar von unſern Rechten.

Vogt. Ja, Nachbaren! Es iſt mit dem Wirthsrecht eine Gemeindſache, und ein theures Recht um das Wirthsrecht; wir muͤſſen uns weh - ren.

D 3Etliche54

Etliche wenige Bauern ſchuͤttelten die Koͤpfe, und ſagten einander leiſe ins Ohr.

Er hat der Gemeind nie nichts nachgefragt. Jezt will er die Gemeind in den Koth hinein zie - hen, in dem er ſteckt.

Aber die mehrern laͤrmten immer ſtaͤrker, ſtuͤrm - ten und ſchwuren und fluchten, daß ihnen grad uͤber - morgen Gemeind ſeyn muͤſſe.

Die Verſtaͤndigern ſchwiegen, und ſagten nur ganz ſtill unter einander. Wir wollen denn ſehen, wenn ihnen der Wein aus dem Kopf ſeyn wird.

Indeſſen trank der Vogt bedaͤchtlich immer von ſeinem geſottenen Waſſer, und fuhr fort, die er - hitzten Nachbaren wegen ihren Landesrechten in Sorgen zu ſetzen.

Ihr wißt alle, ſagt er zu ihnen, wie unſer Altvater Ruͤpplj vor zweyhundert Jahren mit dem grauſamen Ahnherrn dieſes Junkers zu kaͤmpfen hatte

Dieſer alte Ruͤpplj*)Ruͤpplj war ein ehrwuͤrdiger Altvater von Bon - nal, und hatte gegen einen alten Erbherrn von Arnheim ſich der Gemeind treulich angenom - men, und Haab und Gut dran geſetzt, daß das Dorf nicht einen Tag mehr Frohndienſte tragen muͤſſe. Aber das Spruͤchwort, dasihm (mein Grosvater hat es mir tauſendmal erzaͤhlt) hatte zu ſeinem liebſtenSpruͤch -55Spruͤchwort Wenn die Junker den Bettlern im Dorf hoͤfelen, (gute Worte geben) ſo helf Gott den Bauern. Sie thun das nur, damit ſie die Bauern entzweyen, und denn allein Meiſter ſeyn. Nach - baren! wir muͤſſen immer nur die Narren im Spiel ſeyn.

Bauern. Nichts iſt gewiſſer. Wir muͤſſen immer nur die Narren im Spiel ſeyn.

Vogt. Ja, Nac[hb]aren! Wenn eure Gerichts - maͤnner nichts mehr zu bedeuten haben, dann ha - bet ihrs gerade wie die Soldaten, denen der Hin - derhut abgeſchnitten iſt. Der neue Junker iſt fein und liſtig wie der Teufel. Es ſaͤhe ihm’s kein Menſch an, und gewiß giebt er ohne gute Gruͤn - de keinem Menſchen kein gutes Wort. Wenn ihr nur das Halbe wuͤßtet, was ich, ich wuͤrde denn nicht noͤthig haben zu reden. Aber ihr ſeyd doch auch nicht Stocknarren. Ihr werdet wohl etwas merken, und auf eurer Hut ſeyn.

Aebj, mit dem es der Vogt abgeredt, und dem er ein Zeichen gegeben hatte, antwortete ihm:

Meynſt du, Vogt! wir merken den Griff nicht. Er will das Wirthsrecht ins Schloß ziehen.

Vogt. Merkt ihr etwas.

D 4Bauern.
*)ihm Hummel da in den Mund legt, von dem weiß kein Menſch mit Wahrheit, daß es Ruͤp - plj in ſeinem Leben ein einziges mal geſagt haͤtte.
*)56

Bauern. Ja, bey Gott. Aber wir leiden es nicht. Unſere Kinder ſollen ein Wirthshaus ha - ben, das frey iſt, wie wir’s jezt haben.

Aebj. Er koͤnnt uns im Schloß die Maas Wein fuͤr einen Ducaten verkaufen. Und wir wuͤr - den Schelmen an unſern Kindern ſeyn.

Vogt. Das iſt auch zu viel geredt, Aebj[!]Auf einen Ducaten kann er die Maas Wein doch nicht bringen.

Aebj. Ja, ja. Schmied und Wagner ſchlagen auf, daß es ein Grauſen iſt, und ſelber das Holz iſt zehnmal theurer als vor fuͤnfzig Jah - ren. Was kannſt du ſagen, Vogt, ſo wie al - les im Zwang iſt, muß alles ſo ſteigen. Was kannſt du ſagen, wie hoch die Maas Wein noch kommen koͤnnte, wenn das Schloß allein ausſchen - ken duͤrfte. Er iſt jezt ſchon teufelstheuer wegen dem Umgeld.

Vogt. Es iſt ſo; es iſt in allem immer mehr Zwang und Hinderniß, und das vertheuert alles.

Ja, ja, wenn wir’s leiden, ſagten die Bauern - laͤrmten, ſoffen und drohten. Das Geſpraͤch wurd endlich wildes Gewuͤhl eines tobenden Geſindels, das ich nicht weiter beſchreiben kann.

§. 10.57

§. 10. Des Scheerers Hund ſauft Waſſer zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Un - tervogt ein Spiel, das recht gut ſtand.

Die meiſten waren ſchon tuͤchtig beſoffen. Chri - ſten, der Staͤndliſaͤnger, der neben dem Vogt ſaß, am ſtaͤrkſten. Dieſer ſchrie einsmals: Laßt mich hervor. Der Vogt und die Nachbaren ſtuhnden auf, und machten ihm Platz. Aber er ſchwankte uͤber den Tiſch, und ſtieß des Vogts Waſſerkrug um. Erſchrocken wiſcht dieſer, ſo geſchwind er kann, das verſchuͤttete Waſſer vom Tiſch ab, damit Nie - mand das Verſchuͤttete auffaſſe, und den Betrug merke. Aber des Scheerers Hund, der unter dem Tiſche war, war durſtig, lappete das ver - ſchuͤttete Waſſer vom Boden, und ungluͤcklicher Weiſe ſah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach dem guten Wein unter dem Tiſche hinab guckte, daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun - der und Zeichen, Vogt! ſeit wenn ſaufen die Hunde Wein?

Du Narr! ſeit langem, antwortet der Vogt, und winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, undD 5ſtoßt58ſtoßt ihn mit den Fuͤſſen unter dem Tiſch, daß er doch ſchweige. Auch dem Hund giebt er einen Stoß, daß er anderswo hingehe. Aber der verſtuhnd den Befehl nicht, denn er gehoͤrte dem Scheerer; er gab Laut, murrete, und leckte denn ferner das ver - ſchuͤttete Waſſer vom Boden. Der Herr Unter - vogt aber erblaßte uͤber dieſem Saufen des Hunds; denn es guckten immer mehrere Nachbaren unter den Tiſch. Man ſtieß bald in allen Ecken die Koͤpfe zuſammen, und zeigte auf den Hund. Des Schee - rers Frau nahm jezt ſogar die Scherben des ver - brochenen Kruges vom Boden auf und an die Naſe; und da ſie nach Waſſer rochen, ſchuͤttelte ſie maͤch - tig den Kopf, und ſagte laut:

Das iſt nicht ſchoͤn!

Nach und nach murmelten die Bauern an al - len Ecken: Darhinter ſteckt was.

Und der Scheerer ſagte dem Vogt unter die Naſe: Vogt! dem ſchoͤner Wein iſt geſottenes Waſſer.

Iſt das wahr? riefen die Bauern. Was Teu - fels iſt das, Vogt! warum ſaufeſt du Waſſer?

Betroffen antwortete der Vogt: Es iſt mir nicht recht wohl; Ich muß mir ſchonen.

Aber die Bauern glaubten die Antwort nicht und links und rechts murmelte je laͤnger je mehr alles; Es geht hier nicht recht zu.

Ueber59

Ueber das klagten jezt noch einige, es ſchwindle ihnen von dem Weine, den ſie getrunken haͤtten, und dis ſollte von ſo wenigem nicht ſeyn.

Die zween Vornehmſten aber, die da waren ſtuhnden auf, gaben dem Scheerer den Lohn, ſpra - chen: Behuͤte Gott, Nachbaren, und giengen gegen der Stubenthuͤre.

So einsmals, ihr Herren, warum ſo eins - mals aus der Geſellſchaft, rief ihnen der Vogt.

Wir haben ſonſt zu thun, antworteten die Maͤn - ner und giengen fort.

Der Scheerer begleitete ſie auſſer der Stube, und ſagte zu ihnen; Ich wollte lieber, der Vogt waͤre gegangen. Das iſt kein Stuͤcklein, bey dem er’s gut meynt, weder mit dem Wein noch mit dem Waſſer.

Wir glauben’s auch nicht; ſonſt wuͤrden wir noch da ſitzen, antworteten die Maͤnner.

Scheerer. Und dieſes Saufgewuͤhl kann ich nicht leiden

Die Maͤnner. Du haſt auch keine Urſache und du koͤnnteſt noch in Ungelegenheit kommen. Wenn ich dich waͤre, ſetzte der Aeltere hinzu, ich braͤche ſelber ab.

Ich darf nicht wohl, antwortete der Scheerer.

Es iſt nicht mehr die alte Zeit, und du biſt doch in deiner Stube etwann noch Meiſter, ſag - ten die Maͤnner.

Ich60

Ich will euch folgen, ſagte der Scheerer, und gieng wieder in die Stube.

Wo fehlt’s dieſen Herren, Scheerer? daß ſie ſo einsmals aufbrechen? fragte der Vogt.

Und der Scheerer antwortete. Es iſt mir eben wie ihnen; ſo ein Gewuͤhl iſt nicht artig, und mein Haus iſt gar nicht dafuͤr.

Vogt. A ha iſt das die Meynung.

Scheerer. Ja wahrlich, Herr Untervogt! ich habe gern eine ruhige Stube.

Dieſer Streit aber gefiel den Ehrengaͤſten ni〈…〉〈…〉 wohl.

Wir wollen ſtiller ſeyn, ſagte der Eine.

Wir wollen recht thun, ſagte der Andere.

Immer gut Freund ſeyn iſt Meiſter, ein Drit - ter.

Vogt! noch einen Krug ſagte Chriſten

Ha, Nachbaren! ich habe auch eine Stube; wir koͤnnen den Herrn Scheerer gar wohl in Ruhe laſſen, ſagte der Vogt.

Das wird mir lieb ſeyn, antwortete der Schee - rer.

Aber die Gemeindſache iſt vergeſſen, und das theure Wirthsrecht, Nachbaren! ſagte noch durſtig Aebj der aͤltere.

Mir nach, wer nicht falſch iſt, rief drohend der Vogt, murrete Donner und Wetter, blickte wild umher, ſagte zu Niemand, behuͤte Gott, undſchlug61ſchlug die Thuͤr hinder ſich zu, daß die Stube zitterte

Das iſt unverſchaͤmt, ſagte der Scheerer.

Ja es iſt unverſchaͤmt, ſagten viele Bauern.

Das iſt nicht richtig, ſagte der juͤngere Meyer, ich einmal gehe nicht ins Vogts Haus

Ich auch nicht, antwortete Lauͤpj

Nein, der Teufel, ich auch nicht, ich denke an geſtern Morgen, ſagte der Renold. Ich ſtuhnd zunaͤchſt bey ihm und bey Arner, und ich ſah wohl, wie es gemeynt war.

Die Nachbaren ſahn ſich einer den andern an, was ſie thun wollten; aber die meiſten ſetzten ſich wieder und blieben.

Nur Aebj und Chriſten und noch ein paar Lum - pen nahmen des Vogts leere Flaſchen ab dem Ti - ſche unter den Arm, und giengen ihm nach.

Dieſer aber ſah jezt aus ſeinem Fenſter nach der Gaſſe, die ins Scheerers Haus fuͤhrte, und als ihm lange Niemand nachkam: wurd er uͤber ſich ſelber zornig.

Daß ich ein Ochs bin, ein lahmer Ochs. Es iſt bald Mittag, und ich habe nichts ausgerichtet. Der Wein iſt geſoffen, und jezt lachen ſie mich noch aus. Ich habe mit ihnen gepaperlet wie ein Kind, das noch ſaͤugt, und mich herabgelaſ - ſen wie einer ihres gleichen. Ja wenn ich’s mit dieſen Hundskerls im Ernſt gut meynte; wenndas,62das, was der Gemeinde nutzlich iſt, auch mir lieb und recht waͤre, oder wenn ich mich zuletzt, nur aͤuſſerlich mehr geſtellt haͤtte, als ob ich’s gut mit ihr meyne; denn waͤre es angegangen. So eine Gemeinde tanzt im Augenblick nach eines Geſchei - den Pfeife, wenn ſie denkt, daß man es gut meyne. Aber die Zeiten waren gar zu gut fuͤr mich. Unter dem Alten fragte ich der Gemeind oder einem Geißbock ungefehr gleich viel nach. So lang ich Vogt bin, war’s meine Luſt und meine Freude ſie immer nur zu narren, zu beſchimpfen und zu meiſtern, und eigentlich hab ich gut im Sinn es noch ferner zu thun. Aber darum muß und ſoll ich ſie auch tuͤchtig drey Schritt vom Leib halten; das Haͤndedruͤcken, das Herablaſſen, das mit jedermann Rath halten und freundlich thun, wie ein aller Leute Schwager, geht nicht mehr an, wenn man einen zu wohl kennt. Unſer einer muß ſtill und allein fuͤr ſich handeln, nur die Leute brauchen, die er kennt, und die Gemeind, Gemeind ſeyn laſſen. Ein Hirt berathet ſich nicht mit den Ochſen; und doch war ich heut Narrs genug und wollte es thun.

Indeſſen kamen die Maͤnner mit den leeren Flaſchen.

Seyd ihr allein wollten die Hunde nicht mit? fragte der Vogt

Nein, kein Menſch, antwortete Aebj.

Und63

Und der Vogt; Daran liegt viel.

Chriſten. Ja, recht viel, ich denk’s auch.

Vogt. Doch moͤcht ich gern wiſſen, was ſie jezt mit einander ſchwaͤtzen und rathen. Chriſten geh und ſuche noch mehr Flaſchen.

Chriſten. Es ſind keine mehr da.

Vogt. Du Narr, das iſt gleich viel. Geh nur und ſuche. Wenn du nichts find’ſt, ſo laß dich ſcheeren oder laß zu Ader, und wart und horch auf alles, was ſie erzaͤhlen: Ueberbringſt du mir vieles, ſo ſauf ich mit dir bis an den Mor - gen.

Und du Loͤlj, du muſt zu des Maͤurers aͤltern Geſellen dem Joſeph gehn; aber ſieh daß dich Niemand merke. Du muſt ihm ſagen, daß er zu mir komme in der Mittagsſtunde.

Noch ein Glas Wein auf den Weg. Mich duͤrſtet ſagt Loͤlj ich will dann laufen wie ein Jagdhund, und im Blitz wieder da ſeyn.

Gut, ſagte der Vogt, und gab ihnen noch ei - nen auf den Weg.

Da giengen dieſe, und die Voͤgtin ſtellte den zween andern auch Wein dar zum trinken.

§. 11.64

§. 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte.

Der Vogt aber gieng ſtaunend in ſeine Neben - ſtube, und rathſchlagte mit ſich ſelber, wenn Jo - ſeph kommen werde, wie er’s anſtellen wolle. Falſch iſt er, darauf kann ich zaͤhlen; und ſchlau wie der Teufel. Es ſtehn viel Thaler, die er verſoffen, auf ſeines Meiſters Rechnung aber mein Begehren iſt rund. Er wird ſich fuͤrchten, und mir nicht trauen. Es laͤutet ſchon Mittag. Ich will ihm bis zehn Thaler bieten innert drey Wochen faͤllt der ganze Beſtich*)das aͤuſſere Pflaſter der Mauer. vom Thurn herunter, wenn er thut was ich will. Zehn Thaler ſollen mich nicht reuen, ſagt der Vogt und da er ſo mit ſich ſelber redt, kommt Loͤlj und hinder ihm Joſeph ſie kamen nicht mit einander, damit man deſto weniger Ver - dacht ſchoͤpfe.

Gott gruͤß dich, Joſeph; weiß dein Meiſter nicht, daß du hier biſt?

Der Joſeph antwortete: Er iſt noch im Schloß, aber er wird auf den Mittag wieder kommen, wenn ich nur um ein Uhr wieder auf der Arbeit ſeyn werde, ſo wird er nichts merken.

Gut65

Gut Ich habe mit dir zu reden, Joſeph! Wir muͤſſen allein ſeyn, ſagte der Vogt, fuͤhrte ihn in die hintere Stube, ſchloß die Thuͤre zu, und ſtieß den einen Riegel.

Es ſtuhnden Schweinenfleiſch, Wuͤrſte, Wein und Brod auf dem Tiſche. Der Vogt nahm zween Stuͤhle, ſtellte ſie zum Tiſch, und ſagte zu Jo - ſeph;

Du verſaͤumeſt dein Mittageſſen, halt’s mit und ſetze dich.

Das laͤßt ſich thun, antwortete Joſeph, ſetzte ſich hin, und fragte den Vogt: Herr Vogt! ſag er, was will er, ich bin zu ſeinen Dienſten

Der Vogt antwortete: Auf dein gut Wohlſeyn, Joſeph! trink eins; und denn wiederum; verſuch dieſe Wuͤrſte, ſie ſollen gut ſeyn. Warum greifſt du nicht zu? Du haſt ja ſonſt theure Zeit genug bey deinem Meiſter.

Joſeph. Das wohl Aber es wird doch jezt beſſer kommen; wenn er Schloßarbeit kriegt.

Vogt. Du biſt ein Narr, Joſeph! Du ſoll - teſt dir wohl einbilden, wie lange das gehn moͤchte. Ich wollt’s ihm gerne goͤnnen; aber er iſt nicht der Mann zu ſo etwas. Er hat auch noch nie ein Hauptgebaͤude gehabt; aber er verlaͤßt ſich auf dich, Joſeph.

Joſeph. Das kann ſeyn Es iſt ſo was.

EVogt. 66

Vogt. Ich hab es mir wohl eingebildet, und darum mit dir reden wollen. Du koͤnnteſt mir ei - nen groſſen Gefallen thun.

Joſeph. Ich bin zur Aufwart, Herr Unter - vogt! Auf ſein gut Wohlſeyn. (Er trinkt.)

Es ſoll dir gelten, Maͤurer! ſagt der Vogt, und legt ihm wieder Wuͤrſte vor, und faͤhrt fort: Es waͤre mir lieb, daß das Fundament der Kirch - mauer von gehauenen Steinen aus dem Schwendi - bruch geſetzt wuͤrde.

Joſeph. Potz Blitz, Herr Vogt! das geht nicht an; er verſteht das jezunder nicht. Dieſer Stein iſt hierzu nicht gut, und zum Fundament taugt er gar nicht.

Vogt. O der Stein iſt nicht ſo ſchlimm; ich habe ihn ſchon gar zu viel brauchen geſehn. Er iſt, bey Gott! gut, Joſeph! Und mir geſchaͤhe ein groſſer Gefallen, wenn dieſe Steingrube wieder eroͤffnet wuͤrde.

Joſeph. Vogt! es geht nicht an.

Vogt. Ich will dankbar ſeyn fuͤr den Dienſt, Joſeph!

Joſeph. Die Mauer iſt innert ſechs Jahren faul, wenn ſie aus dieſem Stein gemacht wird.

Vogt. Ach, ich mag von dieſem nichts hoͤ - ren; das ſind Narretheyen.

Joſeph. Bey Gott, es iſt wahr. Es ſind am Fundament zwo Miſtſtaͤtte und ein ewiger Ab -lauf67lauf von Staͤllen. Der Stein wird abfaulen wie ein tannenes Bret.

Vogt. Und denn zuletzt, was fragſt du dar - nach, ob die Mauer in zehn Jahren noch gut iſt. Du wirſt fuͤrchten, der Schloßherr vermoͤge als - dann keine neue mehr. Thuſt du, was ich ſage, ſo haſt du ein groſſes, recht groſſes Trinkgeld zu er - warten.

Joſeph. Das iſt wohl gut; aber wenn der Junker es ſelber merkte, daß der Stein nichts nuͤtze iſt?

Vogt. Wie ſollte er das verſtehn? davon iſt keine Rede.

Joſeph. Er weiß in gewiſſen Sachen viel mehr, als man glauben ſollte; du kennſt ihn aber beſſer als ich.

Vogt. Ach! das verſteht er nicht.

Joſeph. Ich glaub’s zuletzt ſelbſt nicht. Der Stein iſt dem Anſehen nach ſehr ſchoͤn, und zu an - derer Arbeit vortrefflich gut.

Vogt. Gieb mir deine Hand darauf, daß der Meiſter die Steine aus dieſem Bruche nehmen muß. Thut er’s, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler Trink - geld.

Joſeph. Das iſt viel, wenn ich’s nur ſchon haͤtte.

Vogt. Es iſt mir, bey Gott! Ernſt. Ich zahle dir fuͤnf Thaler, wenn er’s thut.

E 2Joſeph. 68

Joſeph. Nun, da hat er mein Wort, Herr Vogt. (Er ſtreckt ihm die Hand dar, und ver - ſpricht ihm’s in die Hand) Es ſoll ſo ſeyn, Herr Vogt! Wie geredt; was ſcheer ich mich um den Herrn im Schloß.

Vogt. Noch ein Wort, Joſeph. Ich habe ein Saͤckchen voll Zeugs von einem Herrn aus der Apothek. Es ſoll gut ſeyn, daß der Beſtich an den Mauern halte, wie Eyſen, wenn man’s un - ter den Kalch miſcht. Aber wie es iſt mit dieſen Spitzhoͤslerkuͤnſten*)Spitzhoͤsler ſagen die Schweizerbauern den Her - ren, weil ſie nicht groſſe weite Hoſen tragen wie ſie. . Man darf ihnen eben nicht ganz trauen. Ich moͤchte es lieber an einem frem - den Bau als an meinem eigenen verſuchen.

Joſeph. Das kann ich ſchon. Ich will’s an eines Nachbaren Ecken probieren.

Vogt. Das an einem Ecken probieren, ſo im Kleinen, iſt nie nichts nutze. Man irret ſich dabey, wenn’s geraͤth, und wenn’s fehlt. Man darf nie trauen, und iſt nie ſicher, wie’s denn im Groſſen koͤmmt. Ich moͤchte es am ganzen Kirchthurn pro - bieren, Joſeph! iſt das nicht moͤglich?

Joſeph. Braucht’s viel ſolcher Waar unter den Kalch?

Vogt. Ich glaub auf ein Faͤßlein nur ein Paar Pfunde.

Joſeph. 69

Joſeph. Dann iſt’s gar leicht.

Vogt. Willſt du mir’s thun?

Joſeph. Ja freylich.

Vogt. Und ſchweigen, wenn’s fehlt?

Joſeph. Es kann nicht uͤbel fehlen, und na - tuͤrlich ſchweigt man.

Vogt. Du holeſt die Waar allemal bey mir ab, wenn du ſie brauchſt, und ein Glas Wein dazu.

Joſeph. Ich werde nicht ermangeln, Herr Untervogt! Aber ich muß fort. Es hat Ein Uhr geſchlagen. (Er nimmt das Glas) Zur ſchuldigen Dankbarkeit, Herr Untervogt!

Vogt. Du haſt nichts zu danken. Wenn du Wort halteſt, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler.

Es ſoll nicht fehlen, Herr Untervogt! ſagt Jo - ſeph, ſteht auf, ſtellt ſeinen Stuhl in einen Ecken, und ſagt dann: Es muß ſeyn, Herr Untervogt! ſchuldigen Dank; und trinkt jezt das letzte.

Vogt. Nun, wenn es ſeyn muß, ſo behuͤt Gott, Joſeph! Es bleibt bey der Abrede.

Da gieng Joſeph, und ſagte im Gehen zu ſich ſelber: Das iſt ein ſonderbares Begehren mit den Steinen, und noch ſonderbarer mit der Waar in Kalch. Man probiert ſo etwas nicht am ganzen Kirchthurn. Aber einmal das Trinkgeld ſoll mir jezt nicht entwiſchen. Das meyn ich, ſey richtig, ich mag’s denn thun oder nicht.

E 3Das70

Das iſt gut gegangen, recht gut, ſagte der Vogt zu ſich ſelber; beſſer als ich geglaubt habe, und noch um den halben Preis. Ich haͤtte ihm zehn Thaler verſprochen wie fuͤnfe, wenn er den Handel verſtanden haͤtte. Wie’s mich freut, daß der Handel in Ordnung iſt! Nein, nein! man muß den Muth nie fallen laſſen. Waͤr nur auch die Mauer ſchon auſſer dem Boden! Geduld! Am Montag brechen ſie ſchon Steine dazu. O du guter Maurer! Deine Frau hat dir ein boͤſes Freſ - ſen gekochet, und du meynſt, du ſitzeſt oben auf dem Thron.

§. 12. Haushaltungsfreuden.

Der Maͤurer Lienhard, der am Morgen fruͤh ins Schloß gegangen war, war nun auch wieder zu - ruͤck und bey ſeiner Frau.

Dieſe hatte geeilt, ihre Samſtagsarbeit zu vollen - den, ehe ihr Mann wieder zuruͤck kaͤme. Sie hatte die Kinder gekaͤmmt, ihnen die Haare geflochten, ihre Kleider durchgeſehn, die kleine Stube gereiniget, und waͤhrend der Arbeit ihre Lieben ein Lied ge - lehrt

Das
[figure]
71

Das muͤßt ihr dem lieben Vater ſingen, wenn er heimkommen wird, ſagte ſie den Kindern, und die Kinder lernten gern, was den Vater freuen wuͤrde, wenn er heim kaͤme.

Mitten in ihrer Arbeit, ohne Muͤh, ohne Ver - ſaͤumniß, ohne Buch ſangen ſie es der Mutter nach, bis ſie es konnten.

Und da der Vater jezt heim kam, gruͤßte ihn die Mutter, und ſang dann, und alle Kinder ſan - gen mit ihr.

Der du von dem Himmel biſt,
Kummer, Leid und Schmerzen ſtilleſt;
Den, der doppelt elend iſt,
Doppelt mit Erquickung fuͤlleſt.
Ach! ich bin des Umtriebs muͤde,
*)Muͤde vom Unruhe und Begierden, von Hoff - nung und Sorgen, immer ohne feſte innere Zu - friedenheit umher getrieben zu werden.
*)
Bangen Schmerzens, wilder Luſt?
Suͤſſer Friede!
Komm, ach komm in meine Bruſt.

Eine Thraͤne ſchoß Lienhard ins Auge, da die Mutter und die Kinder alle ſo heiter und ruhig ihm entgegen ſangen.

Daß euch Gott ſegne, ihr Lieben! daß dich Gott ſegne, du Liebe! ſagte er mit inniger Bewe - gung zu ihnen.

E 4Lieber!72

Lieber! antwortete Gertrud; Die Erde iſt ein Himmel, wenn man Friede ſucht, recht thut und wenig wuͤnſcht.

Lienhard. Wenn ich eine Stunde dieſen Him - mel des Lebens, den Frieden im Herzen genieſſen werde, ſo haſt du mir ihn gegeben. Bis in Tod will ich dir danken, daß du mich retteteſt, und dieſe Kinder werden’s dir danken, wenn du einſt ge - ſtorben ſeyn wirſt. O Kinder! thut doch immer recht, und folget eurer Mutter, ſo wird’s euch wohl gehen.

Gertrud. Du biſt och auch gar herzlich heute.

Lienhard. Es iſt mir auch gut gegangen bey Arner.

Gertrud. Ach, Gott Lob, mein Lieber!

Lienhard. Das iſt doch auch ein Mann, der ſeines Gleichen nicht hat. Frau! daß ich doch auch ſo ein Kind war, und nicht zu ihm gehn durfte.

Gertrud. Daß wir immer auch ſo hintennach klug werden, mein Lieber! Aber erzaͤhle du mir auch, wie es dir bey ihm gegangen iſt.

(Sie ſetzt ſich neben ihn hin, nimmt einen Strumpf zum Stricken in die Hand, und er ſagt hierauf zu ihr:)

§. 13.73

§. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war.

Wenn du dich ſo ſetzeſt, wie am Sonntag Abends zu deiner Bibel, ſo werde ich dir wohl viel erzaͤhlen muͤſſen.

Gertrud. Alles, alles, du Lieber! muſt du mir erzaͤhlen.

Lienhard. Ja, ich werde jezt noch alles ſo wiſſen; aber aha, mein Drutſchelj! es iſt Sam - ſtag, du haſt nicht ſo gar lang Zeit.

Gertrud lacht. Thu deine Augen auf.

Lienhard ſieht ſich um. Aha! Biſt du ſchon fertig?

Liſe. (zwiſchen ein) Sie hat recht geeilt, Va - ter! Ich und Enne, wir halfen ihr aufraͤumen. Iſt das nicht recht?

Wohl! Es iſt mehr als recht, antwortete der Vater.

Aber fang jezt einmal an zu erzaͤhlen, ſagte Ger - trud.

Und Lienhard: Arner frng mich ſogar mei - nes Vaters Namen und die Gaſſe, wo ich wohne, und das Numero meines Hauſes.

E 5Ger -74

Gertrud. O, du erzaͤhleſt nicht recht, Lien - hard! ich weiß, er hat nicht ſo angefangen.

Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel! wie denn anders?

Gertrud. Du haſt ihn zu erſt gegruͤßt, und er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?

Lienhard. Du Hexli! du haſt doch recht; ich habe nicht von vornen angefangen.

Gertrud. Gelt, Lienj!

Lienhard. Nun, er frug mich, ſo bald er mich ſah, ob ich ihn nicht mehr fuͤrchtete? Ich buͤckte mich ſo tief und ſo gut ich konnte, und ſagte: Ver - zeih er mir, Gnaͤdiger Herr! Er lachte, und ließ mir gleich einen Krug Wein vorſetzen.

Gertrud. Nun, das iſt doch wirklich ein ganz andrer Anfang. Warſt du fein bald fertig mit dem Krug? Ohne Zweifel.

Lienhard. Nein, Frau. Ich that ſo zuͤchtig, wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anruͤhren; Aber er verſtuhnd’s anders. Ich weiß wohl, daß du den Wein auch kenneſt, ſchenk dir nur ein, ſagte er. Ich that ſachte, was er ſagte, trank eins auf ſein Wohlſeyn; Aber er ſah mich ſo ſteif an, daß mir das Glas am Mund zitterte.

Gertrud. Das gute Gewiſſen, Lienj! das kam dir eben jezt in die Finger; aber du haſt dich doch wieder vom Schrecken erholt?

Lien -75

Lienhard. Ja, und das recht bald. Er war gar liebreich, und ſagte: Es iſt ganz natuͤrlich, daß ein Mann, der ſtark arbeitet, gern ein Glas Wein trinkt. Es iſt ihm auch wohl zu goͤnnen; aber das iſt ein Ungluͤck, wenn einer, anſtatt ſich mit einem Glas Wein zu erquicken, beym Wein ein Narr wird, und nicht mehr an Weib und Kind denkt, und an ſeine alten Tage: Das iſt ein Ungluͤck, Lienhard!

Frau! Es gieng mir ein Stich ins Herz, als er das ſagte. Doch faßte ich mich und antwor - tete:

Ich waͤre in ſo ungluͤckliche Umſtaͤnde verwickelt geweſen, daß ich mir in Gottes Namen nicht mehr zu helfen gewußt haͤtte; Und ich haͤtte, weiß Gott, in der Zeit kein Glas Wein mit einem freudigen Herzen getrunken.

Gertrud. Haſt du doch das herausbringen koͤn - nen?

Lienhard. Wenn er nicht ſo liebreich gewe - ſen waͤre, ich haͤtt es gewiß nicht gekonnt.

Gertrud. Was ſagte er noch weiter?

Lienhard. Es ſey ein Ungluͤck, daß die mei - ſten Armen in ihrer Noth mit Leuten anbinden, die ſie fliehen ſollten, wie die Peſt. Ich mußte einmal jezt ſeufzen. Ich glaube, er merkte es, denn er fuhr wie mitleidig fort:

Wenn man es den guten Leuten nur auch bey - bringen koͤnnte, ehe ſie es mit ihrem Schaden ler -nen.76nen. Der Arme iſt ſchon halb errettet, wenn er nur keinem Blutſauger unter die Klauen faͤllt. Bald hernach fieng er wieder an und ſagte: Es geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme ſich oft im abſcheulichſten Elend aufzehren, und nicht den Verſtand und das Herz haben, ihre Umſtaͤnde an einem Ort zu entdecken, wo man ihnen herzlich gerne helfen wuͤrde, wenn man nur auch recht wuͤßte, wie ſich die Sachen ver - halten. Es iſt vor Gott nicht zu verantworten, wie du dich Jahr und Tag vom Vogt haſt herum - ſchleppen laſſen, und wie du Weib und Kind ſo in Unruhe und Gefahr ſetzen konnteſt, ohne auch nur ein einzig mal mich um Rath und Huͤlfe zu bitten. Maͤurer! denke nur auch, wenn deine Frau nicht mehr Herz und Verſtand gehabt haͤtte, als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus gelaufen waͤre.

Gertrud. Das alles hat er geſagt, ehe er dem Hausnumero nachgefragt hat?

Lienhard. Du hoͤrſt es ja wohl.

Gertrud. Du haſt mir’s mit Fleiß nicht ſagen wollen; Du!

Lienhard. Es waͤre, denk ich wohl, das ge - ſcheideſte geweſen. Du wirſt mir ſonſt noch gar zu ſtolz, daß du ſo viel Herz gehabt haſt.

Gertrud. Meinſt du’s, Hausmeiſter? Ja, ja einmal auf dieſen Streich werde ich mir etwaseinbilden,77einbilden, ſo lang ich leben werde, und ſo lang er uns wohl thun wird. Aber was ſagte Arner noch weiter?

Lienhard. Er nahm mich wegen dem Bau ins Examen. Es war gut, daß ich noch nicht alles vergeſſen hatte. Ich mußte ihm alles beym Klafter ausrechnen und die Fuhren von Kalch und Sand und Steinen auf’s Puͤnktgen aus - ſpitzen.

Gertrud. Biſt du um keine Nulle verirrt im Rechnen.

Lienhard. Nein das mal nicht, du Liebe.

Gertrud. Gott Lob!

Lienhard. Ja wohl Gott Lob.

Gertrud. Iſt jezt alles in der Ordnung?

Lienhard. Ja, recht ſchoͤn iſt’s in der Ord - nung. Rathe, wie viel hat er mir vorgeſchoſ - ſen? (Er klingelt mit den Thalern im Sack) und ſagt: Gelt es iſt lang, daß ich nicht ſo geklingelt habe?

Gertrud ſeufzt.

Lienhard. Seufze du jezt nicht, du Liebe! wir wollen hauſen und ſparen, und wir werden jezt gewiß nicht mehr in die alte Noth kommen.

Gertrud. Ja. Gott im Himmel hat uns geholfen.

Lienhard. Und noch mehr Leuten im Dorf mit uns. Denk! er hat zehn arme Hausvaͤter,die78die gewiß alle ſehr in der Noth waren, zu Tag - loͤhnern bey dieſem Bau angenommen, und er giebt jedem des Tags 25 Kreutzer Du Liebe! du haͤtteſt ſehn ſollen, mit was fuͤr Sorgfalt er die Leute ausgewaͤhlt hat.

Gertrud. O, ſag mir doch das recht!

Lienhard. Ja, wenn ich’s jezt noch ſo wuͤßte.

Gertrud. Beſinne dich ein wenig.

Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar - men Hausvaͤtern nach; wie viel Kinder ſie haͤtten, wie groß dieſe waͤren; was fuͤr Verdienſt und Huͤlfe ſie haͤtten. Dann ſuchte er die Verdienſt - loſeſten und die, welche am meiſten unerzogene Kinder hatten, daraus, und ſagte zweymal zu mir: Wenn du jemand kennſt, der, wie du, im Drucke iſt: ſo ſag es mir. Ich nannte vor allen aus den Huͤbel Rudj, und der hat jezt fuͤr ein Jahr gewiß Verdienſt.

Gertrud. Es iſt brav, daß du dem Rudj deine Erdaͤpfel nicht haſt entgelten laſſen.

Lienhard. Ich koͤnnte keinem Armen nichts nachtragen, Frau! und dieſe Haushaltung iſt erſchrecklich elend. Ich habe den Rudelj erſt vor ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof - fen; und ich that als ob ich ihn nicht ſaͤhe. Es gieng mir ans Herz; er ſieht aus wie Theurung und Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen zuletzt noch immer zu eſſen.

Gertrud. 79

Gertrud. Das iſt wohl gut, du Lieber! aber ſtehlen hilft nicht im Elend; und der Arme der’s thut, koͤmmt dadurch nur gedoppelt in die Noth.

Lienhard. Freylich; aber beym nagenden Hunger Eßwaaren vor ſich ſehen, und wiſſen, wie viel davon in den Gruben verfaulen muß, und wie ſelber alles Vieh davon genug hat, und ſie dann doch liegen laſſen und ſie nicht anruͤhren: O, Liebe! wie viel braucht’s dazu!

Gertrud. Es iſt gewiß ſchwer; aber gewiß muß der Arme es koͤnnen, oder er iſt unausweich - lich hoͤchſt ungluͤcklich.

Lienhard. O Liebe! wer wuͤrde in ſeinem Fall es thun? Wer will’s von ihm fordern?

Gertrud. Gott! der’s vom Armen fordert, giebt ihm Kraft es zu thun, und bildet ihn durch den Zwang, durch die Noth, und durch die vielen Leiden ſeiner Umſtaͤnde, zu der groſſen Ueberwindung, zu der er aufgefordert iſt. Glaube mir, Lienert! Gott hilft dem Armen ſo im Ver - borgenen, und giebt ihm Staͤrke und Verſtand zu tragen, zu leiden und auszuhalten, was ſchier unglaͤublich ſcheint. Wenn’s denn durchgeſtritten, wenn das gute Gewiſſen bewahrt iſt, Lienert! denn iſt ihm himmelwohl; viel beſſer als allen, die nicht Anlaß hatten, ſo viel zu uͤberwinden.

Lienhard. 80

Lienhard. Ich weiß es, Gertrud! an dir weiß ich’s. Ich bin auch nicht blind. Ich ſah es oft, wie du in der groͤſſeſten Noth auf Gott trauteſt und zufrieden warſt: aber wenig Men - ſchen ſind im Elend wie du, und viele ſind, wie ich, bey dem Drang der Noth und des Elends ſehr ſchwach; darum denke ich immer, man ſollte mehr thun, um allen Armen Arbeit und Brod zu verſchaffen. Ich glaube ſie wuͤrden denn alle auch beſſer ſeyn, als ſie in der Verwirrung ihrer Roth und ihres vielen Jammers jezo ſind.

Gertrud. O Lieber! Das iſt bey weitem nicht ſo; wenn es nichts als Arbeit und Verdienſt brauchte, die Armen gluͤcklich zu machen: ſo wuͤrde bald geholfen ſeyn. Aber das iſt nicht ſo; bey Reichen und bey Armen muß das Herz in Ord - nung ſeyn, wenn ſie gluͤcklich ſeyn ſollen. Und zu dieſem Zweck kommen die weit mehrern Men - ſchen eher durch Roth und Sorgen, als durch Ruhe und Freuden; Gott wuͤrde uns ſonſt wohl gerne lauter Freude goͤnnen. Da aber die Men - ſchen Gluͤck und Ruhe und Freuden nur alsdenn ertragen koͤnnen, wenn ihr Herz zu vielen Ue - berwindungen gebildet, ſtandhaft, ſtark, ge - dultig und weiſe iſt, ſo iſt offenbar nothwendig, daß viel Elend und Roth in der Welt ſeyn muß; denn ohne das koͤmmt bey wenigen Menſchen das Herz in Ordnung und zur innern Ruhe. Und wodas81das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da - bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch - ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute wieder ins Wirthshaus geſchlichen.

Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es iſt denn nicht aus ſeinem Hafen.

Gertrud. Was iſt’s denn?

Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch - mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen, waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen. Die Mauer werde von den Schwendiſteinen viel ſchoͤner und anſehnlicher werden. Ich dachte eben,Fer82er ſage das ſo aus guter Meynung. Doch hat er ſo ploͤtzlich von dem Stein angefangen, daß es mich ſchon da ſonderbar duͤnkte; und wenn er beym Vogt geweſen iſt, ſo ſteckt gewiß etwas darhinter. Der Schwendiſtein iſt muͤrb und ſandigt, und zu dieſer Arbeit gar nichts nuͤtze. Wenn das eine Fuchsfalle waͤre?

Gertrud. Joſeph iſt nicht durch und durch gut. Nimm dich in Acht.

Lienbard. Da fangen ſie mich nicht. Der Junker will keine Sandſteine an der Mauer haben.

Gertrud. Warum das?

Lienhard. Er ſagte, weil um〈…〉〈…〉 an der Mauer Miſtſtellen und Ablaͤufe von Staͤllen waͤ - ren: ſo wuͤrde der Sandſtein faulen, und vom Salpeter angefreſſen werden.

Gertrud. Iſt das wahr?

Lienhard. Ja; Ich habe ſelbſt einmal in der Fremde an einem Gebaͤude gearbeitet, da man das ganze Fundament, das von Sandſteinen war, wieder hat wegnehmen muͤſſen.

Gertrud. Daß er das ſo verſteht?

Lienhard. Es verwunderte mich ſelber, aber er verſtehts vollkommen. Er fragte mich auch, wo der beſte Sand ſey. Ich ſagte: im Schachen bey der untern Muͤhlin.

Das iſt ſehr weit zu fuͤhren und Berg an, antwortete er: man muß Leute und Vieh ſchonen. Weiſſeſt83Weiſſeſt du keinen, der naͤher waͤre? Ich ſagte, es ſey gerad oben an der Kirche ſehr reines Sand im Mattenbuͤhl; aber es ſey eigenthuͤmliches Land: man muͤßte die Grube zahlen, und koͤnnte nicht anders als durch Matten fahren, wo man einen Abtrag wuͤrde thun muͤſſen. Das ſchadet nichts, antwortete er, es iſt beſſer, als Sand aus dem Schachen herauf holen. Ja ich muß dir noch et - was erzaͤhlen.

Eben da er vom Sand redete, meldete der Knecht den Junker von Oberhofen. Ich glaubte, ich muͤßte jezt ſagen, ich wollte ihn nicht aufhalten und ein andermal kommen. Er lachte und ſagte: Nein, Maͤurer! ich mache gern eine Arbeit aus, und erſt wenn ich fertig bin, ſehe in dann, wer weiter etwas mit mir wolle. Du kommſt mir eben recht mit deinem Abſchied nehmen. Es ge - hoͤrt zu deiner alten Ordnung, die aufhoͤren muß, ſo liederlich bey jedem Anlaß Geſchaͤffte und Arbeit liegen zu laſſen.

Ich kratzete hinter den Ohren, Frau! haͤtte ich nur auch mit meinem ein andermal kommen geſchwiegen.

Es hat dir auch etwas gehoͤrt, ſagte Gertrud, und eben rief jemand vor der Thuͤre Holaho! Iſt Niemand daheim?

F 2§. 14.84

§. 14. Niedriger Eigennutz.

Der Maͤurer machte die Thuͤre auf, und die Schnabergritte, des Siegriſten Sohnsfrau, und des Vogts Bruders ſel. Tochter, kam in die Stube. Nachdem ſie den Maͤurer und die Frau gegruͤßt, dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge - than hatte, ſagte ſie zu ihm:

Du wirſt wohl jezt nicht mehr unſern ſchlech - ten Ofen beſtreichen wollen? Lienhard!

Lienhard. Warum denn das nicht, Frau Nachbarinn? fehlt etwas daran?

Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wiſſe, woran ich ſey.

Lienhard. Du biſt ſo ſorgfaͤltig, Grittlj! es haͤtte aber uͤbel fehlen koͤnnen.

Gritte. Ja, die Zeiten aͤndern ſich, und mit ihnen die Leute auch.

Lienhard. Das iſt wohl wahr: aber Leute zum Ofen beſtreichen findet man doch immer.

Gritte. Das iſt eben der Vortheil.

Gertrud, die bis jezt ſo geſchwiegen hatte, nimmt das Brodmeſſer von der Wand, und ſchneidet von einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtſuppe.

Das85

Das iſt ſchwarz Brod, ſagt Gritte. Es giebt aber jezt bald beſſers, da dein Mann Herr Schloß - maͤurer geworden iſt.

Du biſt naͤrriſch, Gritte! Ich will Gott dan - ken, wenn ich mein Lebtag genug ſolches habe, ſagte Gertrud.

Und Gritte: Weiß Brod iſt doch beſſer, und wie ſollt’s fehlen? Du wirſt noch Frau Unter - voͤgtinn, und dann dein Mann vielleicht Herr Un - tervogt; aber es wuͤrde uns dabey uͤbel gehen.

Lienhard. Was willſt du mit dem Sticheln? Ich habe das nicht gern; gerade heraus iſt Meiſter, wenn man was hat, das man ſagen darf.

Gritte. Ha, Maͤurer, das darf ich, wenn’s ſeyn muß. Mein Mann iſt doch auch des Siegri - ſten Tochtermann, und es iſt, ſo lange die Kirche ſteht, nie erhoͤrt worden, daß, wenn es Arbeit daran gegeben hat, des Siegriſten ſeine Leute nicht den Vorzug gehabt haͤtten.

Lienhard. Und jezt was weiters?

Gritte. Ja, und jezt, eben jezt hat der Un - tervogt einen Zedel im Haus, darinn mehr als ein Dutzend der groͤßſten Lumpen aus dem Dorf als Arbeiter bey dem Kirchbau aufgezeichnet ſind, und von des Siegriſten Leuten ſteht kein Wort da - rinn.

Lienhard. Aber Frau Nachbarinn, was geht das mich an? Hab ich den Zedel geſchrieben?

F 3Gritte. 86

Gritte. Nein, geſchrieben haſt du ihn nicht; aber, ich denk wohl, angegeben.

Lienhard. Das waͤr wohl viel, wenn ich dem Junker ſeine Zedel angeben muͤßte.

Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle Tage im Schloß ſteckſt, und gerad heute wieder dort warſt. Und wenn du auch berichtet haͤtteſt, wie es vor dieſem geweſen iſt, ſo waͤr es beym Alten geblieben.

Lienhard. Du gehſt an den Waͤnden, Gritte, wenn du das glaubſt. Arner iſt nicht der Mann, der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er koͤnn’s mit dem Neuen beſſer machen.

Gritte. Man ſieht’s

Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem Verdienſt den Armen und Nothleidenden aufhelfen.

Gritte. Ja eben will er nur Lumpen - und Bettelgeſindel aufhelfen.

Lienhard. Es ſind nicht alle Arme Geſindel, Gritte; Man muß[ni]e ſo reden. Es weiß keiner, wie’s ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom - men wird.

Gritte. Eben das iſt’s. Es muß ein jeder fuͤr ſein Stuͤck Brod ſorgen; und darum thut’s uns auch weh, daß man unſer ſo gar vergeſſen hat.

Lienhard. Ach Gritte! Das iſt jezt was an - ders. Du haſt ſchoͤne Guͤter, und iſſeſt bey dei - nem Vater, und dieſer hat das beſte Verdienſt imDorf87Dorf und du mußſt nicht, wie unſere Armen, fuͤr das taͤgliche Brod ſorgen.

Gritte. Du magſt jezt ſagen, was du willſt. Es thut einem jeden weh, wenn er glaubt, es ge - hoͤre ihm etwas, und wenn es ihm dann ein an - derer Hund vor dem Maul wegfrißt.

Lienhard. Spare die Hunde, Grittli, wenn du von Menſchen redeſt, ſonſt findeſt du einſt einen, der dich beißt. Und wenn du glaubſt, das Ver - dienſt gehoͤre dir, ſo biſt du jung und ſtark, und ſo haſt du gute Fuͤſſe und ein gutes Mundſtuͤck; du kannſt alſo deine Sache ſelbſt an Ort und Stelle hintragen und anbringen, wo man dir zu deinem Recht verhelfen kann.

Gritte. Groſſen Dank, Herr Maͤurer! fuͤr den ſchoͤnen Rath.

Lienhard. Ich kann keinen beſſern geben.

Gritte. Es giebt etwan auch wieder Gelegen - heit, den Dienſt zu erwiedern Leb wohl, Lie - nert!

Lienhard. Leb auch wohl, Gritte! Ich kann dir nicht beſſer helfen.

Gritte geht fort, und Lienhard zu ſeinen Ge - ſellen.

F 4§. 15.88

§. 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder eine Dummheit, die ein Glas Wein koſtet.

Dieſer war heute am Morgen nicht ſo bald aus dem Schloß weg, ſo ſandte Arner den Zedel, in dem er die Tagloͤhner aufgeſchrieben hatte, durch den Harſchier Flink dem Vogt, mit dem Befehl, es ihnen anzuzeigen. Der Harſchier brachte den Befehl dem Vogt noch Vormittag; aber bisher waren ſonſt alle Briefe, die aus dem Schloß an ihn kamen, uͤberſchrieben: An den ehrſamen und beſcheidenen, meinen lieben und getreuen Vogt Hummel in Bonnal und auf dieſem ſtand nur: An den Vogt Hummel in Bonnal.

Was denkt der verdammte Spritzer, der Schloß - ſchreiber, daß er mir den Tittel nicht giebt, wie er mir gehoͤrt, ſagte der Vogt, ſo bald er den Brief in die Hand nahm, zu Flink, der ihn uͤberbrachte.

Der Harſchier aber antwortete: Beſinn dich, Vogt! was du redeſt. Der Junker hat den Brief ſelbſt uͤberſchrieben.

Vogt. Das iſt nicht wahr. Ich kenne die Hand des gepuderten Bettelbuben, des Schreibers.

Flink89

Flink ſchuͤttelte den Kopf und ſagte; Das iſt herzhaft. Ich ſah mit meinen Augen, daß der Junker ihn uͤberſchrieb; ich ſtand neben ihm in der Stube, als er’s that.

Vogt. So hab ich mich denn verdammt ge - irrt, Flink! Das Wort iſt mir ſo entfahren Vergiß es, und komm, trink ein Glas Wein mit mir in der Stube.

Nimm dich ein andermal in Acht, Vogt! Ich mache nicht gern Ungelegenheit, ſonſt koͤnnte das geben, ſagt Flink geht mit dem Vogt in die Stube, ſtellt das kurze Gewehr ab, in einen Ecken, laͤßt ſich eins belieben, und geht dann wieder fort.

Da machte der Vogt den Brief auf, las ihn und ſagte:

Das ſind ja alles lauter Lumpen und Bettler, vom erſten bis zum letzten. Donner! wie das denn auch geht. Von meinen Leuten kein einziger, als der Schabenmichel! Nicht einmal einen Tagloͤh - ner kann ich ihm mehr aufſalzen. Und jezt ſoll ich es ihnen heute noch anſagen; das iſt ſchwere Ar - beit fuͤr mich. Aber ich will’s thun. Es iſt noch nicht aller Tage Abend. Gerade jezt will ich’s an - ſagen, und ihnen rathen, am Montag ins Schloß zu gehn, dem Junker zu danken. Er kennt von den Purſchen nicht einen. Es fehlt nicht, der Maͤurer hat ſie ihm alle angerathen. Wenn ſie denn am Montag ins Schloß kommen, und ſo alle miteinander zerriſ -F 5ſen90ſen wie Hergeloffene der eine ohne Schuh, der andre ohne Hut, vor dem Erbherren da ſtehn; es nimmt mich Wunder, ob es dann nichts geben wird, das mir in meinen Kram dient. So rath - ſchlagt er mit ſich ſelber, kleidet ſich an, und nimmt dann wieder den Zedel zur Hand, um zu ſehen, wie einer dem andern in der Naͤhe wohne, damit er den Weg nicht zweymal gehn muͤſſe.

Der Huͤbelrudj war zwar nicht der naͤchſte; aber er gieng, ſeit dem er ſeinem Vater die Brun - nenmatte abgerechtiget hatte, nicht mehr gern in ſein Haus; denn es ſtiegen ihm allemal allerhand Gedanken auf, wenn er die armen Leute darinn ſah. Ich will zuerſt geſchwind zu dem Pack, ſagt er, und gieng alſobald hin fuͤr das Fenſter.

§. 16.91

§. 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett.

Der Huͤbelrudi ſaß eben bey ſeinen vier Kin - dern. Vor drey Monaten war ihm ſeine Frau ge - ſtorben, und jezt lag ſeine Mutter ſterbend auf ei - nem Strohſack, und ſagte zu Rudi;

Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.

O Mutter! ſo bald das Feuer im Ofen ver - loſchen ſeyn wird, will ich gehen.

Die Mutter. Haſt du auch noch Holz, Rudi? Ich denke wohl, nein; du kannſt nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi! ach, ich bin dir zur Laſt

Rudi. O Mutter, Mutter! ſag doch das nicht, du biſt mir nicht zur Laſt. Mein Gott! mein Gott! Koͤnnte ich dir nur auch, was du noͤ - thig haſt, geben. Du duͤrſteſt, du hungerſt, und klagſt nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!

Die Mutter. Graͤme dich nicht, Rudi! Mei - ne Schmerzen ſind, Gott Lob! nicht groß; und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh - nen, was du mir thuſt.

Rudj. 92

Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine Armuth ſo weh, als jezt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott! ſo krank und elend leideſt du, und traͤgſt du meinen Mangel

Die Mutter. Wenn man ſeinem Ende nahe iſt, ſo braucht man wenig mehr auf Erden, und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; er ſtaͤrkt mich in meiner nahen Stunde.

Rudi. (in Thraͤnen) Meynſt du denn, Mut - ter! du erholeſt dich nicht wieder?

Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht.

Rudi. O mein Gott!

Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Ich gehe ins beſſere Leben.

Rudi. (ſchluchzend) O Gott!

Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Du warſt die Freude meiner Jugend, und der Troſt meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Haͤnde werden jezt bald meine Augen ſchlieſſen. Dann werde ich zu Gott kommen, und ich will fuͤr dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieſes Lebens, wenn ſie uͤberſtanden ſind, machen einem nur wohl. Mich troͤſtet und mir iſt wie heilig alles, was ich uͤberſtanden habe, ſo gut als alle Luſt und Freude des Lebens. Ich danke Gott, fuͤr dieſe frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aberwenn93wenn die Frucht des Lebens im Herbſt reifet, und wenn der Baum ſich zum Schlafe des Winters ent - blaͤttert: dann iſt das Leiden des Lebens ihm hei - lig, und die Freuden des Lebens ſind ihm nur ein Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl gehen bey allem deinem Leiden.

Rudi. O Mutter! Liebe Mutter!

Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi.

Rudi. Was? Mutter!

Die Mutter. Es liegt mir ſeit geſtern, wie ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir’s ſagen.

Rudi. Was iſt’s denn, liebe Mutter?

Die Mutter. Ich ſah geſtern, daß ſich der Rudeli hinter meinem Bette verſteckte, und gebra - tene Erdaͤpfel aus ſeinem Sack . Er gab auch ſeinen Geſchwiſtern, und auch ſie aſſen verſtohlen. Rudi! Dieſe Erdaͤpfel ſind nicht unſer; ſonſt wuͤrde der Junge ſie auf den Tiſch geworfen, und ſeinen Geſchwiſtern laut gerufen haben, ach! er wuͤrde auch mir einen gebracht haben, wie ers tauſendmal that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er ſo mit etwas auf den Haͤnden zu mir ſprang, und ſo herzlich zu mir ſagte: auch, Großmutter! O Ru - di! wenn dieſer Herzensjunge ein Dieb werden ſollte. O Rudi! wie mir dieſer Gedanke ſeit geſtern ſo ſchwer macht! Wo iſt er? Bring mir ihn, ich will mit ihm reden.

Rudi. 94

Rudi. O ich Elender! (Er laͤuft geſchwind, ſucht den Knaben und bringt ihn der Mutter an’s Bett).

Die Mutter ſetzt ſich muͤhſelig zum letztenmal auf, kehrt ſich gegen den Knaben, nimmt ſeine beyden Haͤnde in ihre Arme und ſenkt das ſchwache ſterbende Haupt hinab auf den Knaben.

Der Kleine weint laut Großmutter! Was willſt du? Du ſtirbſt doch nicht ach ſtirb doch nicht, Großmutter!

Sie antwortet gebrochen, Ja Rudeli! ich werde gewiß bald ſterben.

Jeſus! ach mein Gott! ſtirb doch nicht Groß - mutter, ſagt der Kleine.

Die Kranke verliert den Athem und muß ſich niederlegen.

Der Knab und ſein Vater zerflieſſen in Thraͤ - nen

Sie erholt ſich aber bald wieder und ſagt: Es iſt mir ſchon wieder beſſer, da ich jezt liege

Und der Rudeli! Du ſtirbſt doch jezt nicht mehr, Großmutter!

Die Mutter. Thu doch nicht ſo, du Lieber! ich ſterbe ja gern; und werde denn auch zu einem lieben Vater kommen. Wenn du wuͤßteſt, Rudeli! wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kommen ſoll, du wuͤrdeſt dich nicht ſo betruͤben.

Rudeli. 95

Rudeli. Ich will mit dir ſterben, Großmut - ter, wenn du ſtirbſt.

Die Mutter. Nein, Rudeli! du wirſt nicht mit mir ſterben, du wirſt, will’s Gott, noch lang leben und brav werden; und wenn einſt dein Vater alt und ſchwach ſeyn wird, ſeine Huͤlfe und ſein Troſt ſeyn. Gelt Rudeli! du willſt ihm folgen, und brav werden und recht thun. Verſprich mir’s, du Lieber!

Rudeli. Ja, Großmutter! ich will gewiß recht thun und ihm folgen.

Die Mutter. Rudelj! Der Vater im Him - mel, zu dem ich jezt bald kommen werde, ſieht und hoͤrt alles, was wir thun und was wir ver - ſprechen! Gelt Rudelj, du weißſt das? und du glaubſt es.

Rudeli. Ja, Großmutter! ich weiß es, und glaube es.

Die Mutter. Aber warum haſt du denn doch geſtern hinter meinem Bette verſtohlen Erdaͤpfel ge - geſſen?

Rudeli. Verzeih mir’s doch, Großmutter! ich will’s nicht mehr thun. Verzeih mir’s doch, ich will’s gewiß nicht mehr thun. Großmutter!

Die Mutter. Haſt du ſie geſtohlen?

Rudeli. (Schluchzend) j. j. ja, Großmutter!

Die Mutter. Wem haſt du ſie geſtohlen?

Rudeli. Dem Maͤu-Maͤu-Maͤurer.

Die96

Die Mutter. Du mußſt zu ihm gehen, Ru - deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.

Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich darf nicht!

Die Mutter. Du mußſt, Rudeli! damit du es ein andermal nicht mehr thuſt. Ohne Wider - rede mußſt du gehen! und um Gottes willen, mein Lieber! wenn dich ſchon hungert, nimm doch nichts mehr. Gott verlaͤßt niemand; er gibt allemal wieder O Rudeli! wenn dich ſchon hungert; wenn du ſchon nichts haſt und nichts weißſt, traue auf deinen lieben Gott, und ſtihl nicht mehr.

Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will gewiß nicht mehr ſtehlen; wenn mich ſchon hun - gert; ich will nicht mehr ſtehlen.

Die Mutter. Nun ſo ſegne dich denn mein Gott! auf den ich hoffe und er bewahre dich du Lieber! Sie druͤckt ihn an ihr Herz, weinet und ſagt dann: Du mußſt jezt zum Maͤurer gehen und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm und ſag des Maͤurers, daß auch ich ſie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid ſey, daß ich ihnen die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne ſage ihnen ich wollte Gott fuͤr ſie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges ſegne Es thut mir ſo wehe Sie haben das Ihrige auch ſo noͤthig und wenn die Frau nicht ſo Tag und Nacht arbeitete, ſie koͤnn - tens bey ihrer groſſen Haushaltung faſt nicht er -machen.97machen. Rudi! du arbeiteſt ihm gern ein paar Tage dafuͤr, daß er das Seinige wieder erhalte.

Rudi. Ach mein Gott! von Herzen gern, meine liebe Mutter!

Da er eben das ſagte, klopfte der Vogt ans Fenſter.

§. 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich.

Und die Kranke erkannte ihn an ſeinem Huſten, und ſagte: O Gott! Rudi! Es iſt der Vogt! Ge - wiß ſind das Brod und der Anken, wovon du mir Suppen kocheſt, noch nicht bezahlt.

Rudi. Um Gottes willen, bekuͤmmere dich nicht, Mutter! Es iſt nichts daran gelegen. Ich will ihm arbeiten und in der Ernde ſchneiden, was er will.

Ach! er wartet dir nicht, ſagt die Mutter, und der Rudi geht aus der Stube zum Vogt.

Die Kranke aber ſeufzet bey ſich ſelber, und ſagt

Seit unſerm Handel, Gott verzeih ihn dem armen verblendeten Tropf! iſt mir immer ein Stich in’s Herz gegangen, wenn ich ihn ſah GAch98Ach Gott! und in meiner nahen Stunde muß er noch vor mein Fenſter kommen und huſten Es iſt Gottes Wille, daß ich ihm ganz, daß ich ihm jezt verzeihe, und den letzten Groll uͤberwinde, und fuͤr ſeine Seele bete. Ich will es thun.

Gott du leiteteſt den Handel! Verzeih ihm. Vater im Himmel! Verzeih ihm. Sie hoͤrt jezt den Vogt laut reden, erſchrickt und ſagt:

Ach Gott, er iſt zornig! O du armer Rudi! Du kommſt um meinetwillen unter ſeine Haͤnde. Sie hoͤrt ihn noch einmal reden, und ſinkt in Ohnmacht.

Der Rudeli ſpringt aus der Stube zum Va - ter und ruft ihm: Vater! Komm doch, komm doch! die Großmutter iſt glaub ich todt.

Der Rudi antwortete: Herr Jeſus! Vogt ich muß in die Stube.

Und der Vogt: Ja es thut Noth; das Un - gluͤck wird gar groß ſeyn, wenn die Hexe einmal todt ſeyn wird.

Der Rudi hoͤrte nicht, was er ſagte, und war ſchnell in der Stube.

Die Kranke erholte ſich bald wieder, und wie ſie die Augen oͤffnete, ſagte ſie: Er war zornig, Rudi? Er will dir gewiß nicht warten.

Rudi. Nein Mutter! es iſt etwas recht Gu - tes. Aber haſt du dich auch wieder recht er - holet?

Ja,99

Ja, ſagt die Mutter! ſieht ihn ernſthaft und wehmuͤthig an. Was Gutes kann dieſer bringen? Was ſagſt du? willſt du mich troͤſten, und allein leiden? Er hat dir gedrohet!

Rudi. Nein, weiß Gott, Mutter! er hat mir angeſagt, ich ſey Tagloͤhner beym Kirchbau; und der Junker zahle einem des Tags 25 Kreuzer.

Die Mutter. Herr Gott! iſt das auch wahr?

Rudi. Ja gewiß, Mutter! und es iſt da mehr als fuͤr ein ganzes Jahr Arbeit.

Die Mutter. Nun ich ſterbe leichter, Rudi! Du biſt gut, mein lieber Gott. Sey doch bis an ihr Ende ihr guter Gott! Und Rudi, glaub’s doch ewig veſt:

Je groͤſſer Noth,
Je naͤher Gott.

Sie ſchwieg jezt eine Weile; dann ſagte ſie wieder:

Ich glaube, es ſey mit mir aus Mein Athem nimmt alle Augenblicke ab Wir muͤſſen ſcheiden, Rudi, ich will Abſchied nehmen.

Der Rudi bebt, zittert, nimmt ſeine Kappe ab, faͤllt auf ſeine Knie, vor dem Bette ſeiner Mutter, faltet ſeine Haͤnde, hebt ſeine Augen gen Himmel, und kann vor Thraͤnen und Schluch - zen nicht reden.

Dann ſagt die Mutter: Faſſe Muth, Rudi! zu hoffen auf’s ewige Leben, wo wir uns wiederG 2ſehn100ſehn werden. Der Tod iſt ein Augenblick, der voruͤber geht; ich fuͤrchte ihn nicht. Ich weiß, daß mein Erloͤſer lebt, und daß er, mein Erret - ter, wird uͤber meinen Staub ſtehen; und nach - dem ſich meine Haut wiederum wird uͤber das Gebein gezogen haben; alsdann werde ich in mei - nem Fleiſch Gott ſehen. Meine Augen werden ihn ſehen, und nicht eines andern.

Der Rudi hatte ſich jezt wieder erholt, und ſagte: ſo gieb mir deinen Segen Mutter! Will’s Gott komme ich dir auch bald nach, ins ewige Leben.

Und dann die Mutter:

Erhoͤre mich, Vater im Himmel! und gieb deinen Segen meinem Kind meinem Kind, dem Einigen, ſo du mir gegeben haſt, und das mir ſo innig lieb iſt Rudi! mein Gott und mein Er - loͤſer ſey mit dir; und wie er Iſaak und Jacob um ihres Vaters Abrahams willen Gutes gethan hat, ach! ſo moͤge er auch, um meines Segens wil - len, dir Gutes thun die Fuͤlle; daß dein Herz ſich wieder erfreue und frohlocke, und ſeinen Namen preiſe.

Hoͤre mich jezt, Rudi! und thue, was ich ſage. Lehre deine Kinder Ordnung und Fleiß, daß ſie in der Armuth nicht verlegen, unordentlich und lie - derlich werden. Lehre ſie auf Gott im Himmel trauen und bauen, und Geſchwiſter an einander blei -ben101ben in Freude und Leid: ſo wird’s ihnen auch in ihrer Armuth wohlgehen.

Verzeihe auch dem Vogt, und wenn ich todt und begraben ſeyn werde, ſo geh zu ihm hin, und ſage ihm: ich ſey mit einem verſoͤhnten Herze gegen ihn geſtorben; Und wenn Gott meine Bitte er - hoͤre, ſo werde es ihm wohlgehen, und er werde noch zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt kommen, ehe er von hinnen ſcheiden werde.

Nach einer Weile ſagte dann die Mutter wieder: Rudi! Gieb mir meine zwo Bibeln, mein Gebetbuch und eine Schrift, die unter meinem Halstuch in einem Schaͤchtelchen liegt.

Und Rudi ſtand von ſeinen Knien auf, und brachte alles der Mutter.

Da ſagte ſie: Bring mir jezt auch die Kinder alle. Er brachte ſie vom Tiſch, wo ſie ſaſſen und weinten, zu ihrem Bett.

Und auch dieſe fielen auf ihre Knie vor dem Bette der Mutter.

Da ſagte ſie zu ihnen: Weinet nicht ſo, ihr Lieben! Euer Vater im Himmel wird euch er - halten, und euch ſegnen. Ihr waret mir lieb, ihr Theuern! und es thut mir weh, daß ich euch ſo arm und ohne eine Mutter verlaſſen muß. Aber hoffet auf Gott, und trauet auf ihn in allem, was euch begegnen wird; ſo werdet ihr an ihmG 3immer102immer mehr als Vaterhuͤlfe und Muttertreue fin - den. Denket an mich, ihr Lieben! ich hinterlaſſe euch zwar nichts; aber ihr waret mir lieb, und ich weiß, daß ich euch auch lieb bin.

Da meine Bibeln und mein Gebetbuch, ſind faſt alles, was ich noch habe; aber haltet es nicht gering, Kinder! Es war in meinem ſchweren Le - ben mir tauſendmal Troſt und Erquickung. Laſ - ſet Gottes Wort euch euern Troſt ſeyn, Kinder! und euere Freude; und liebet einander, und helfet und rathet einander, ſo lang ihr leben werdet; und ſeyd aufrichtig, treu, liebreich und gefaͤllig gegen alle Menſchen, ſo wird’s euch wohl gehen im Leben.

Und du, Rudi! behalte dem Betheli die groͤſ - ſere, und dem Rudeli die kleinere Bibel; und dem Kleinen die zwey Betbuͤcher zum Angedenken von mir.

Ach, dir habe ich keines, Rudi! Aber du haſt keines noͤthig: du vergiſſeſt meiner nicht.

Dann ruft ſie noch einmal dem Rudeli: Gieb mir deine Hand, du Lieber! Gelt, du nimmſt doch niemand nichts mehr?

Nein doch auch, Großmutter! glaub mir’s doch auch: ich werde gewiß niemand nichts neh - men, ſagte der Rudeli, mit heiſſen Thraͤnen.

Nun ich will dir’s glauben, und zu Gott fuͤr dich beten, ſagte die Mutter. Sieh Lieber! da geb ichdeinem103deinem Vater ein Papier, das mir der Herr Pfar - rer gab, bey dem ich diente. Wenn du aͤlter ſeyn wirſt: ſo lies es, und denk an mich, und ſey fromm und treu.

Es war ein Zeugniß von dem verſtorbenen Pfar - rer in Eichſtaͤtten, daß die kranke Cathrine zehn Jahre bey ihm gedienet, und ihm ſo zu ſagen geholfen haͤtte, ſeine Kinder erziehen, nachdem ſeine Frau ihm geſtorben war; daß der Cathrine alles anver - traut geweſen ſey, und daß ſie alles wohl ſo ſorg - faͤltig als ſeine Frau ſel. regiert habe. Der Pfar - rer dankt ihr darum, und ſagt: daß ſie wie eine Mutter an ſeinen Kindern gehandelt habe; und daß er in ſeinem Leben nicht vergeſſen werde, was ſie in ſeinem Witwenſtand an ihm gethan habe. Sie hatte auch wirklich ein betraͤchtli - ches Stuͤck Geld in dieſem Dienſt erworben, und ſolches ihrem ſel. Mann an die Matte gege - ben, die der Vogt ihnen hernach wieder abproceſ - ſiert hat.

Nachdem ſie dem Rudi dieſes Papier gegeben hatte, ſagte ſie ferner Es ſind noch zwey gute Hemder da. Gieb mir keines von dieſen ins Grab; das, ſo ich trage, iſt recht.

Und meinen Rock und meine zwey Fuͤrtuͤcher laſſe, ſo bald ich todt ſeyn werde, den Kindern ver - ſchneiden.

G 4Und104

Und dann ſagte ſie bald darauf: Siehe doch ſorg - faͤltig zum Betheli, Rudi! es iſt wieder ſo fluͤßig. Halte die Kinder doch immer rein mit Waſchen und Strehlen, und ſuche ihnen doch alle Jahr Ehren - preis und Hollunder*)(Holder) Schweizernamen von blutreinigenden Kraͤutern., ihr Gebluͤt zu verbeſſern; ſie ſind ſo verderbt. Wenn du’s immer kannſt, ſo thue doch ihnen eine Geiß zu den Sommer durch, das Bethelj kann ſie jezt huͤten Du dauerſt mich, daß du ſo alleine biſt; aber faſſe Muth, und thue, was du kannſt. Der Verdienſt an dem Kirchbau erleichtert dich jezt auch wieder Ich danke Gott auch fuͤr dieſes.

Die Mutter ſchwieg jezt und der Vater und die Kinder blieben noch eine Weile auf ihren Knien, und der Vater und die Kinder beteten alle Gebete, die ſie konnten. Dann ſtuhnden ſie auf von ihren Knien, und Rudi ſagt zu der Mutter:

Mutter! ich will dir jezt auch das Laub in die Decke holen.

Sie antwortete: Das hat jezt nicht Eil, Rudi! Es iſt, Gott Lob! jezt waͤrmer in der Stube; Und du mußſt mit dem Kleinen jezt zum Maͤurer.

Und der Rudi winkt dem Betheli aus der Stube, und ſagt: Gieb auf die Großmutter acht, wenn ihr etwas begegnet, ſo ſchick das Anneli mir nach; ich werde bey des Maͤurers ſeyn.

§. 18.105

§. 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤp - fel geſtohlen hat, und die Kranke ſtirbt.

Und nahm dann den Kleinen an die Hand, und gieng mit ihm.

Gertrud war allein bey Hauſe, als ſie kamen, und ſah bald, daß der Vater und der Knab Thraͤ - nen in den Augen hatten.

Was willſt du, Nachbar Rudi? Warum wei - neſt du? warum weint der Kleine? fragte ſie lieb - reich, und bot dem Kleinen die Hand.

Ach, Gertrud! Ich bin in einem Ungluͤck, ant - wortete Rudi Ich muß zu dir kommen, weil der Rudeli euch etliche mal aus eurer Grube Erd - aͤpfel genommen hat. Die Großmutter hat’s geſtern gemerkt, und er hat’s ihr bekennt Verzeih es uns, Gertrud!

Die Großmutter iſt auf dem Todbett. Ach, mein Gott! ſie hat ſo eben Abſchied bey uns ge - nommen. Ich weiß vor Angſt und Sorge nicht, was ich ſage. Gertrud! Sie laͤßt dich auch um Verzeihung bitten.

Es iſt mir leid, ich kann ſie dir jezt nicht zu - ruͤck geben; aber ich will gern ein paar Tage kom -G 5men106men dafuͤr zu arbeiten. Verzeih’s uns! der Knabe hat’s aus dringendem Hunger gethan.

Gertrud. Schweig einmal hievon, Rudi! Und du, lieber Kleiner! komm, verſprich mir, daß du Niemand nichts mehr nehmen willſt. Sie kuͤßt ihn, und ſagt: Du haſt eine brave Großmutter, werde doch auch ſo fromm und brav wie ſie.

Rudeli. Verzeih mir, Frau! Ich will, weiß Gott! nicht mehr ſtehlen.

Gertrud. Nein, Kind! thue es nicht mehr; du weiſſeſt jezt noch nicht, wie elend und ungluͤcklich alle Dieben werden. Thue es doch nicht mehr! Und wenn dich hungert, komm lieber zu mir und ſag es mir. Wenn ich kann, ich will dir etwas geben.

Rudi. Ich danke Gott, daß ich jezt bey der Kirche zu verdienen habe, und hoffe, der Hun - ger werde ihn nun auch nicht mehr ſo bald zu ſo etwas verleiten.

Gertrud. Es hat mich und meinen Mann ge - freut, daß der Junker mit dem Verdienſt auch an dich gedacht hat.

Rudi. Ach! es freuet mich, daß die Mutter noch den Troſt erlebt hat. Sage doch deinem Mann, ich wolle ihm ehrlich und treu arbeiten, und fruͤh und ſpaͤt ſeyn; und ich wolle mir die Erdaͤpfel doch auch herzlich gern am Lohn abziehen laſſen.

Ger -107

Gertrud. Von dem iſt keine Rede, Rudi! Mein Mann thut das gewiß nicht. Wir ſind, Gott Lob! durch den Bau jezt auch erleichtert. Rudi! Ich will mit dir zu deiner Mutter gehn, wenn es ſo ſchlimm iſt.

Sie fuͤllt dem Rudeli ſeinen Sack mit duͤrrem Obst ſagt ihm noch einmal: Du Lieber! nimm doch Niemand nichts mehr; und geht dann mit dem Rudi zu ſeiner Mutter.

Und als er unter einem Nußbaum Laub zuſam - men las, die Decke ihres Betts beſſer zu fuͤllen, half ihm Gertrud Laub aufſammeln, und dann eil - ten ſie zu ihr hin.

Gertrud gruͤßte die Kranke, nahm ihre Hand - und weinte.

Du weineſt, Gertrud! ſagte die Großmutter; wir ſollten weinen. Haſt du uns verziehen?

Gertrud. Ach! was verziehen. Cathrine! Eure Noth geht mir zu Herzen, und noch mehr deine Guͤte und deine Sorgfalt. Gott wird deine Treue und deine Sorgfalt gewiß noch an den Dei - nigen ſegnen, du Gute!

Cathrine. Haſt du uns verziehen, Gertrud?

Gertrud. Schweig doch hievon, Cathrine! Ich wollte, ich koͤnnte dich in etwas in deiner Krank - heit erleichtern.

Cathrine. Du biſt gut, Gertrud! Ich danke dir; aber Gott wird bald helfen Rudeli! Haſtdu108du ſie um Verzeihung gebeten? Hat ſie’s dir ver - ziehen?

Rudeli. Ja, Großmutter! ſieh doch, wie gut ſie iſt. (Er zeigt ihr den Sack voll duͤrr Obst.)

Wie ich ſchlummere, ſagte die Großmutter. Haſt du ſie auch recht um Verzeihung gebeten?

Rudeli. Ja, Großmutter! Es war mir ge - wiß Ernſt.

Cathrine. Es uͤbernimmt mich ein Schlummer, und es dunkelt vor meinen Augen Ich muß ei - len, Gertrud! ſagte ſie leiſe und gebrochen Ich wollte dich doch noch etwas bitten; aber darf ich? Dieſes ungluͤckliche Kind hat dir geſtohlen darf ich dich doch noch bitten, Gertrud wenn ich todt ſeyn dieſen armen ver - laſſe -- nen Kindern ſie ſind ſo verlaſſen Sie ſtreckt die Hand aus (die Augen ſind ſchon zu) darf ich hoffen folg ihr Rud Sie verſchied, ohne ausreden zu koͤnnen.

Der Rudi glaubte, ſie ſey nur entſchlafen, und ſagte den Kindern: Rede keines kein Wort; ſie ſchlaͤft; wenn ſie ſich auch wieder erholte!

Gertrud aber vermuthete, daß es der Tod ſey, und ſagt es dem Rudi.

Wie jezt dieſer und wie alle Kleinen die Haͤnde zuſammen ſchlugen und troſtlos waren, das kann ich nicht beſchreiben Leſer Laß mich ſchweigen undwei -109weinen, denn es geht mir an’s Herz wie die Menſchheit im Staube der Erden zur Unſterblichkeit reifet, und wie ſie im Prunk und Tand der Erden unreif verwelket.

Wege doch, Menſchheit! wege doch den Werth des Lebens auf dem Todbette des Menſchen und du, der du den Armen verachteſt, bemitleideſt, und nicht kenneſt ſage mir, ob der alſo ſterben kann, der ungluͤcklich gelebt hat? Aber ich ſchweige; ich will euch nicht lehren, Menſchen! Ich haͤtte nur diß gern, daß ihr ſelber die Augen aufthaͤtet, und ſelbſt umſaͤhet, wo Gluͤck und Ungluͤck, Segen und Unſegen in der Welt iſt.

Gertrud troͤſtete den armen Rudi, und ſagte ihm noch den letzten Wunſch der edeln Mutter, den er in ſeinem Jammer nicht gehoͤrt hatte.

Der Rudi nimmt treuherzig ihre Hand Wie mich die liebe Mutter reuet! wie ſie ſo gut war! Gertrud! gelt, du willſt auch an ihre Bitte den - ken?

Gertrud. Ich muͤßte ein Herz haben wie ein Stein, wenn ich’s vergeſſen koͤnnte. Ich will an deinen Kindern thun, was ich kann.

Rudi. Ach! Gott wird dir’s vergelten, was du an uns thun wirſt.

Gertrud kehret ſich gegen das Fenſter, wiſcht ihre Thraͤnen vom Angeſicht, hebt ihre Augen gen Himmel, ſeufzet, nimmt dann den Rudeli und ſeineGe -110Geſchwiſter, eins nach dem andern mit warmen Thraͤnen, beſorgt die Todte zum Grabe, und geht erſt, nachdem ſie alles, was noͤthig war, gethan hatte, wieder in ihre Huͤtte.

§. 19. Guter Muth troͤſtet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur.

Der Untervogt, der zuerſt zu Rudi gegangen war, gieng von ihm weg zu den uͤbrigen Tagloͤhnern, und zuerſt zu Jogli Baͤr. Dieſer ſpaltete eben Holz, ſang und pfiff beym Scheitſtock; als er aber den Vogt ſah, machte er groſſe Augen: Wenn du Geld willſt, Vogt! ſo iſt nichts da.

Vogt. Du ſingſt und pfeifſt ja wie die Voͤ - gel im Hanfſamen; wie koͤnnt’s dir am Geld feh - len?

Baͤr. Wenn Heulen Brod gaͤbe, ich wuͤrde nicht pfeifen; aber im Ernſt, was willſt du?

Vogt. Nichts, als dir ſagen, du ſeyſt Hand - langer beym Kirchbau, und habeſt des Tags fuͤnf und zwanzig Krenzer.

Baͤr. Iſt das auch wahr?

Vogt. 111

Vogt. Im Ernſt. Du ſollſt am Montag ins Schloß kommen.

Wenn’s Ernſt iſt, ſo ſag ich ſchuldigen Dank, Herr Untervogt! da ſieheſt du jezt, warum ich heute ſingen und pfeifen mag. Lachend gieng der Vogt von ihm weg, und ſagte im Gehen: Keine Stunde in meinem Leben iſt mir ſo wohl als dieſem Bett - ler.

Der Baͤr aber gieng in ſeine Stube zu ſeinem Weib. Ha, nur immer gutes Muths! Unſer lie - ber Herr Gott meynt’s immer noch gut, Frau! ich bin Tagloͤhner am Kirchbau.

Frau. Ja, es wird lange gehen, bis es an dich kommen wird. Du haſt immer den Sack voll Troſt; aber nie Brod.

Baͤr. Das Brod ſoll nicht fehlen, wenn ich einſt den Taglohn haben werde.

Frau. Aber der Taglohn kann fehlen.

Baͤr. Nein, mein Sack nicht. Arner zahlt die Tagloͤhner brav; das wird nicht fehlen.

Frau. Spaſſeſt du; oder iſt’s wahr mit dem Bau?

Baͤr Der Vogt kommt ſo eben und ſagte: Ich muͤſſe am Montag mit den Tagloͤhnern, die an der Kirche arbeiten, ins Schloß; alſo kann’s doch nicht wohl fehlen.

Frau. Das waͤr doch auch. Gott Lob! wenn ich einſt eine ruhige Stunde hoffen koͤnnte.

Baͤr. 112

Baͤr. Du ſollt deren noch recht viele haben; ich freue mich wie ein Kind darauf. Du biſt denn auch nicht mehr boͤs, wenn ich munter und luſtig heim komme; ich will dir den Wochenlohn alle - mal bis auf den Kreuzer heimbringen, ſo bald ich ihn haben werde. Es wuͤrde mich nicht mehr freuen zu leben, wenn ich nicht hoffen duͤrfte, es werde auch noch eine Zeit kommen, in der du mit Freuden denken werdeſt, du habeſt doch einen braven Mann. Wenn ſchon dein Guͤttlein in meinen armen Haͤnden ſo ſtark abgenommen hat. Verzeih mir’s, wills Gott bring ich noch was rechtes davon wieder ein.

Frau. Dein guter Muth machet mir Freu - de; aber ich denke und fuͤrchte doch immer, es ſey Liederlichkeit.

Baͤr. Was verſaͤume ich dann? oder was verthue ich!

Frau. Ich ſage das eben nicht: aber es iſt dir nie ſchwer, wenn ſchon kein Brod da iſt.

Baͤr. Aber kommt denn Brod, wenn ich mich graͤme?

Frau. Ich kann’s in Gottes Namen nicht aͤndern, mir iſt einmal immer ſchwer.

Baͤr. Faſſe Muth, Frau! und muntre dich auf, es wird dir wohl auch wieder leichter werden.

Frau. Ja, jezt haſt du auch keinen ganzen Rock am Montag ins Schloß.

Baͤr. 113

Baͤr. O, ſo gehe ich mit dem Halben. Du haſt immer Sorgen, ſagte er: gieng ſodann wieder zu ſeinem Scheitſtock, und ſpaltete Holz, bis es dunkel wurd.

Von dieſem weg geht der Vogt zu Laͤupi, der war nicht bey Hauſe; da ſagte er es dem Huͤgli, ſeinem Nachbar, und gieng dann zu Hans Lee - mann.

§. 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz, hat den Mann zum Muͤſſiggang ver - fuͤhrt.

Er ſtuhnd vor ſeiner Hausthuͤre, gaffte umher; ſah den Vogt von ferne, ſagte zu ſich ſelber: Da gibt’s was Neues, und rief ihm: Wo hinaus, Herr Untervogt! ſo nahe auf mich zu?

Vogt. So gar zu dir ſelber, Leemann.

Leemann. Das waͤr mir viel Ehre, Vogt! aber ſage doch: was macht des Maͤurers Frau? Thut ſie ihren Mund noch ſo weit auf, wie vor - geſtern auf dem Kirchhof; das war eine Hexe, Vogt!

HVogt. 114

Vogt. Du kannſt ſo was ſagen, du! Du biſt jezt Handlanger bey ihrem Mann.

Leemann. Weiſſeſt ſonſt nichts Neues? daß du ſo mit dem kommſt.

Vogt. Nein, es iſt mir Ernſt; und ich komme auf Befehl aus dem Schloß, es dir anzuſagen.

Leemann. Wie komm ich zu dieſer Ehre? Herr Untervogt!

Vogt. Es duͤnkt mich im Schlaf.

Leemann. Ich werde wohl darob erwachen, wenn’s wahr iſt. Um welche Zeit muß man an die Arbeit?

Vogt. Ich denk, am Morgen.

Leemann. Und am Abend denkſt du auch wieder davon. Wie viel ſind unſer, Herr Unter - vogt!

Vogt. Es ſind zehen.

Leemann. Sag mir doch, es wundert mich, welche?

Der Vogt ſagt ihm einen nach dem andern daher.

Zwiſchen ein fragt Leemann mehr als von zwanzigen; der nicht, der auch nicht? Ich ver - ſaͤume mich, ſagte endlich der Vogt, und geht weiter.

§. 21.115

§. 21. Undank und Neid.

Von ihm weg, geht der Vogt zu Joͤgli Lenk. Dieſer lag auf der Ofenbank, er rauchte ſeine Pfeife; die Frau ſpinnte, und fuͤnf halb nackende Kinder lagen auf dem Ofen.

Der Vogt ſagt ihm kurz den Bericht. Lenk nimmt die Pfeife aus dem[Munde], und antwor - tet: Das iſt wohl viel, daß auch einmal etwas Gutes an mich kommt. Sonſt war ich, ſo lang ich lebe, vor allem Guten ſicher.

Vogt. Lenk! eben noch viel Leute, denk ich, mit dir.

Lenk. Iſt mein Bruder auch unter den Tag - loͤhnern?

Vogt. Nein.

Lenk. Wer ſind die andern.

Der Vogt nennet ſie.

Lenk. Mein Bruder iſt doch ein viel beſſerer Arbeiter, als der Rudi, der Baͤr und der Marxt; vom Kriecher mag ich nicht reden. Es iſt bey Gott auſſer mir kein einziger, unter allen zehen, nur ein halb ſo guter Arbeiter, als er. Vogt! koͤnn - teſt du nicht machen, daß er auch kommen muͤßte.

H 2Ich116

Ich weiß nicht, ſagt der Vogt: bricht das Ge - ſpraͤch ab, und geht.

Die Frau bey der Kunkel ſchwieg ſo lange der Vogt da war; aber das Geſpraͤch that ihr im Her - zen weh; und ſo bald der Vogt fort war, ſagte ſie dem Mann.

Du biſt undankbar gegen Gott und Menſchen. Da dir Gott in der tiefſten Noth Huͤlfe und Rath zeigt, verleumdeſt du deine Nachbaren, denen Gott eben das Gute thut, das er dir thun will.

Lenk. Ich werde meinen Batzen verdienen muͤſſen, und ihn eben nicht umſonſt bekommen.

Frau. Aber bis jezt hatteſt du gar nichts zu verdienen.

Lenk. Aber auch keine Muͤhe!

Frau. Und deine Kinder kein Brod.

Lenk. Aber ich, was hatte ich mehr als ihr? ſagte der Limmel. Die Frau ſchwieg, und weinte bittere Thraͤnen.

§. 22.117

§. 22. Die Qualen des Meyneids laſſen ſich nicht mit ſpitzfuͤndigen Kuͤnſten er - ſticken.

Vom Lenk weg, geht der Vogt zum Kriecher, und trifft im Dahingehen unverſehens den Hans Wuͤſt an.

Wenn er ihn von ferne geſehn haͤtte, ſo wuͤrde er ihm ausgewichen ſeyn; denn ſeit des Rudi Han - del klopfte dem Vogt und dem Wuͤſt beyden das Herz, wo ſie einander antrafen; aber unverſehens ſtieß der Vogt am Ecken von der Seitenſtraſſe beym untern Brunn hart auf dieſen an.

Biſt du’s, ſagte der Vogt? und ja, ich bin’s, antwortete Wuͤſt.

Vogt. Warum kommſt du nicht mehr zu mir? und denkeſt auch gar nicht an das Geld, das ich dir geliehen habe.

Wuͤſt. Ich habe jezt kein Geld. Und wenn ich zuruͤck denke, ſo fuͤrchte ich, es ſey nur zu theuer bezahlt, dein Geld.

Vogt. Du redeteſt doch nicht ſo, da ich dir’s gab, Wuͤſt! und ſo iſt doch boͤs dienen.

H 3Wuͤſt. 118

Wuͤſt. Ja, dienen, das iſt etwas: aber die - nen, daß einem hernach auf Gottes Erdboden keine Stunde mehr wohl iſt, das iſt etwas anders.

Vogt. Rede nicht ſo, Wuͤſt! Du haſt nichts ausgeſagt, als was wahr iſt.

Wuͤſt. Du ſagſt freylich das immer: Aber immer iſt mir in meinem Herzen, ich habe falſch geſchworen.

Vogt. Das iſt nicht wahr, Wuͤſt! es iſt auf meine Seele nicht wahr. Du beſchwureſt nur, was dir vorgeleſen wurde, und das war unverfaͤnglich geſchrieben. Ich habe dir’s mehr als hundertmal vorgeleſen, und du ſahſt es ein, wie ich, und ſag - teſt mir allemal: ja, dazu kann ich ſchwoͤren! War das nicht ehrlich und gerade zu? Was willſt du jezt mit deinem hinten nach Graͤmen? Aber es iſt dir nur um die Schuld; du denkeſt, wenn du ſo redeſt, ich warte dir noch laͤnger.

Wuͤſt. Nein, Vogt! da irreſt du. Wenn ich das Geld haͤtte, ſo wuͤrde ich es dir in dieſem Au - genblick hinwerfen, damit ich dich nicht wieder ſehe; denn mein Herz klopft mir, ſo oft ich dich erblicke.

Du biſt ein Narr, ſagte der Vogt: aber auch ihm klopfte das Herz.

Wuͤſt. Ich ſah es auch lang an, wie du vorſagteſt; aber es gefiel mir doch grad im An -fange119fange nicht; daß es mich duͤnkte, der Junker habe ſo geredt, als ob er’s anders verſtanden haͤtte.

Vogt. Es geht dich ganz und gar nichts an, was der Junker muͤndlich geredt hat. Du ſchwurſt nur auf den Zedel, den man dir vorlas.

Wuͤſt. Aber er hat doch darauf geurteilt, wie er ihn muͤndlich verſtanden hat.

Vogt. Wenn der Junker ein Narr war, ſo ſehe er zu, was geht das dich an? Er hatte ja den Zedel vor ſich. Und wenn er ihm nicht deutlich geweſen waͤre, ſo haͤtte er ihn ja anders ſchreiben laſſen koͤnnen.

Wuͤſt. Ich weiß wohl, daß du mir es alle - mal wieder ausreden kannſt. Aber das macht mir nicht wohl im Herzen; und auf die Communion iſt mir immer gar zu entſetzlich, daß ich verſinken moͤchte. Vogt! O, daß ich dir nie ſchuldig geweſen waͤre! O, daß ich dich nie gekannt haͤtte, oder daß ich ge - ſtorben waͤre am Tage, ehe ich den Eid that.

Vogt. Aber um Gottes willen, Wuͤſt! Quaͤle dich nicht ſo; es iſt Narrheit. Denke doch nur auch allen Umſtaͤnden nach; wir giengen be - daͤchtlich; in deiner Gegenwart fragte ich den Vi - cari, deutlich und klar: Muß dann der Wuͤſt et - was anders beſchwoͤren, als im Zedel ſteht? ſagt es ihm doch, er verſteht es nicht recht. Weiſſeſt du noch, was er geantwortet?

Wuͤſt. Ja, aber dann iſt’s

H 4Vogt. 120

Vogt. Ha, er ſagte doch mit ausdruͤcklichen Worten: Der Wuͤſt muß kein Haar mehr beſchwoͤ - ren, als im Zedel ſteht. Sagte er nicht genau dieſe Worte?

Wuͤſt. Ja, aber dann iſt’s, wann er das ge - ſagt hat!

Vogt. Was aber dann iſt’s? Iſt dir das auch nicht genug!

Wuͤſt. Nein, Vogt! ich will nur heraus re - den, es muß doch ſeyn. Der Vicari war dir ſchuldig, wie ich; und du weiſſeſt, was er fuͤr ein Held war, und wie er allen Huren nachzog. Es mag mich alſo wenig troͤſten, was ſo ein leichtſinni - ger Tropf zu mir ſagte.

Vogt. Sein Leben geht dich nichts an; aber die Lehre verſtuhnd er doch: das weiſſeſt du.

Wuͤſt. Nein, ich weiß das nicht: aber das weiß ich, daß er nichts taugte.

Vogt. Aber das geht dich nichts an.

Wuͤſt. Ha, es iſt mit dem ſo; wenn ich einen Menſchen in einem Stuͤck als ſehr ſchlimm und gottlos kenne, ſo darf ich ihm in allem andern eben auch nicht viel Gutes zutrauen. Deshalben fuͤrchte ich, der Taugenichts, dein Herr Vicari, habe mich eingeſchlaͤfert, und das wuͤrde mich denn doch ſo etwas angehn.

Vogt. Laße dieſe Gedanken fahren, Wuͤſt! Du ſchwurſt auf nichts, als was wahr war.

Wuͤſt. 121

Wuͤſt. Ich dachte lang auch ſo: aber es iſt aus; ich kann mein Herz nicht mehr bedoͤhren. Der arme Rudi! wo ich gehe und ſtehe, ſehe ich ihn vor mir. Der arme Rudi! wie er im Elend und Hunger und Mangel gegen mich zu Gott ſeufzet. O! o ſeine Kinder, ſie ſerben, ſind gelb, krumm und ſchwarz, wie Zigeuner. Sie waren ſchoͤn und bluͤheten wie Engel, und mein Eid brachte ſie um ihre Matte.

Vogt. Ich hatte Recht, es war, wie ich ſagte: und jezt hat der Rudi Arbeit am Kirchbau, daß er auch wieder zurecht kommt.

Wuͤſt. Was geht das mich an: haͤtte ich nicht geſchworen, mir wuͤrde gleich viel ſeyn, ob der Rudi reich waͤre, oder ein Bettler.

Vogt. Laß dich doch das nicht anfechten! ich hatte Recht.

Wuͤſt. Nicht anfechten? Ja, Vogt! Haͤtte ich ihm ſein Haus erbrochen, und all ſein Gut geſtohlen, es wuͤrde mir noch beſſer zu Muthe ſeyn. O, Vogt! daß ich das gethan habe. O, o! Es iſt wieder bald heilige Zeit! O, waͤr ich doch tauſend Klafter unter dem Boden!

Vogt. Um Gottes willen, Wuͤſt! thue doch nicht ſo auf der offenen Straſſe vor den Leuten, wenn’s auch jemand hoͤrte! Du plageſt dich mit deiner Dummheit: Alles, was du ſchwurſt, iſt wahr!

H 5Wuͤſt. 122

Wuͤſt. Dummheit hin, und Dummheit her. Haͤtte ich nicht geſchworen, ſo haͤtte der Rudi noch ſeine Matte.

Vogt. Aber du haſt ſie ihm doch nicht ab - geſprochen, und mir haſt du ſie nicht zuerkannt? Was geht’s alſo in’s Teufels Namen zuletzt dich an, wem die Matte ſey.

Wuͤſt. Nichts geht’s mich an, wem die Mat - ten ſey; aber daß ich falſch geſchworen habe, das geht mich leider, Gott erbarm, an.

Vogt. Aber das iſt nicht wahr, du haſt nicht falſch geſchworen; das, worauf du ſchwurſt, war wahr.

Wuͤſt. Aber das iſt nur verdreht: ich ſagte dem Junker nicht, wie ich die Schrift verſtuhnd; und er verſtuhnde ſie anders, du magſt ſagen, was du willſt. Ich weiß! ich empfinde es in mir ſelber. Ich war ein Judas und ein Verraͤther; und mein Eid, Worte hin und Worte her, war Meyneid.

Vogt. Du dauerſt mich, Wuͤſt! mit deinem Unverſtand; aber du biſt krank: du ſiehſt ja aus, wie wenn du aus dem Grabe kaͤmeſt; und wenn’s einem nicht wohl iſt, ſo ſieht man alles anders an, als es iſt. Beruhige dich, Wuͤſt! Komm mit mix heim, und trink ein Glas Wein mit mir!

Wuͤſt. Ich mag nicht, Vogt! mich erquickt nichts mehr auf Erden.

Vogt. 123

Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt! Schlag es doch jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder geſund ſeyn wirſt. Du wirſt dann wohl wieder ſehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand - ſchrift zerreiſſen, es macht dich vielleicht auch ruhiger.

Wuͤſt. Nein, Vogt! Behalte die Handſchrift. Sollte ich vor Hunger mein Fleiſch freſſen, ſo werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein Blutgeld auf meine Seele. Haſt du mich betro - gen, hat mich der Vicari eingeſchlaͤfert, ſo wird vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht, daß es ſo kommen wuͤrde.

Vogt. Nimm dieſe Handſchrift, Wuͤſt! ſieh, ich zerreiſſe ſie vor deinen Augen, und ich nehme es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig!

Wuͤſt. Nimm auf dich, was du willſt, Vogt! ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver - kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die Schuld zahlen.

Vogt. Beſinne dich eines Beſſern, du irreſt dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal weiter.

Wuͤſt. Gott Lob! daß du gehſt; bliebeſt du laͤnger, ich wuͤrde auſſer mir ſelber kommen vor deinen Augen.

Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt, in Gottes Namen!

Sie giengen jetzt von einander.

Der124

Der Vogt aber, da er allein war, mußte, ſo ſehr er auch nicht wollte, doch bey ſich ſelber auch ſeufzen, und ſagte: daß mir jezt auch das noch hat begegnen muͤſſen; ich hatte doch heut ſonſt genug.

Er verhaͤrtete ſich aber bald wieder, und ſagte dann weiter:

Der arme Schelm dauert mich, wie er ſich plagt! Aber er hat nicht Recht, es geht ihn nichts an, wie ihn der Richter verſtanden hat. Der Teufel moͤchte Eide ſchwoͤren, wenn man den Sinn ſo genau und ſo ſcharf heraus klauben wollte. Ich weiß auch, wie andere Leute, und eben die, ſo das am beſten verſtehn muͤſſen, den Eid nach ihren Auslegungen nehmen, und ruhig ſind; wo ein jeder anderer armer Schelm, der wie der Wuͤſt denkt, meynen muͤßte, er ſaͤhe mit ſeinen Augen Sonnen - klar daß ſie ihn verdrehen; und doch wollte ich, ich haͤtte dieſe Gedanken jezt aus dem Kopf, ſie ma - chen mich verdruͤßlich. Ich will zuruͤck und ein Glas Wein trinken. So ſagte er, und that treulich, was er geſagt hatte.

§. 23.125

§. 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau.

Er gieng ſodann zum Felix Kriecher. Das war ein Kerl, der immer umher gieng, wie die Gedult ſelbſt, wenn ſie im tiefſten Leiden ſchmachtet. Vor dem Scheerer, dem Vogt und dem Muͤller, und vor einem jeden Fremden buͤckte er ſich ſo tief als vor dem Pfarrer! und dieſem gieng er in alle Wo - chenpredigten und in alle Singſtunden am Sonntag Abends. Dafuͤr erhielt er aber auch, dann und wann, ein Glas Wein, und durfte er zuweilen, wenn er recht ſpaͤth kam, und nahe genug zuſtuhnde, auch zum Nachteſſen bleiben. Mit den Pietiſten im Dorf aber kam er nicht zurecht, ob ers gleich ſorgfaͤltig verſuchte; denn er wollte um ihrentwillen es mit den andern auch nicht verderben. Und das geht bey den Pietiſten nicht an; Sie leidens nicht an ihren Schuͤlern, daß ſie auf beyden Achſeln tragen; und ſo ward er, trotz allem Anſchein von De - muth, trotz aller ausgelernten Heuchlerkunſt, und trotz ſeines geiſtlichen Hochmuths, welches ſonſt alles bey den Pietiſten gar wohl empfiehlt, ausge - ſchloſſen.

Neben126

Neben dieſen aͤuſſerlichen und oͤffentlich bekann - ten Eigenſchaften, hatte er auch noch einige andre, zwar nur zum ſtillen Gebrauch ſeines haͤuslichen Lebens; aber doch muß ich ſie auch erzehlen.

Er war mit ſeiner Frau und mit ſeinen Kin - dern ein Teufel. In der aͤuſſerſten Armuth wuͤn - ſchet er immer etwas Gutes zu eſſen: und wenn er’s dann nicht hatte, ſo lag ihm alles nicht recht; bald waren die Kinder nicht recht gekaͤmmt, bald nicht recht gewaſchen, und ſo tauſenderley; und wenn er nichts fand zum Zanken, ſo ſah ihn etwan das Kleine vierteljaͤhrige ſauer an, dann gab er ihm tuͤchtig auf die kleinen Haͤnde, daß es Reſpect lerne.

Du biſt ein Narr! ſagte ihm einſt bey einem ſolchen Anlaſſe die Frau: und ſie hatte freylich Recht, und nicht mehr als die reine Wahrheit geredt; aber er ſtieſſe ſie mit den Fuͤſſen; ſie wollte ent - fliehn, und fiel unter der Thuͤre zwey Loͤcher in den Kopf. Ob dieſen Loͤchern iſt der Nachbar er - ſchrocken, denn er dachte weislich in ſeinem Sinn: der zerſchlagene Kopf koͤnne ſein Leben ruchtbar machen.

Und wie alle Heuchler im Schrecken ſich bie - gen, und ſchmiegen und kruͤmmen, ſo kruͤmmte und ſchmiegte ſich damals auch Kriecher; er bat die Frau auf ſeinen Knien, und um tauſend Gotts -willen,127willen, zwar nicht, daß ſie es ihm verzeihe, ſondern nur, daß ſie es Niemand ſage.

Sie that es, und litte gedultig die Schmer - zen einer ſtarken Verwundung, und ſagte zum Scheerer und zu den Nachbaren, ſie ſey von der Buͤhne gefallen; dieſe glaubten ihr zwar nicht alle, und ach! die gute Frau! ſie haͤtte es vorher denken ſollen. Kein Heuchler war je dankbar, kein Heuch - ler haͤlt ſein Wort, ſie haͤtte ihm alſo nicht glau - ben ſollen. Doch was ſage ich! ſie hatte das alles wohl gewußt, aber dabey an ihre Kinder ge - dacht, und empfunden, daß Niemand als Gott ſein Herz aͤndern koͤnne, und daß alſo alles Gerede unter den Leuten umſonſt ſeyn wuͤrde; die brave Frau! Ach! daß ſie nicht gluͤcklicher iſt O! daß ihr Herz alle Tage Kraͤnkungen von ihm leiden muß.

Sie ſchweigt und betet zu Gott, und dankt ihm fuͤr die Pruͤfungen der Leiden.

O Ewigkeit! wenn du einſt enthuͤlleſt die Wege Gottes! und den Segen der Menſchen, die Gott durch Leiden, Elend und Jammer, ſo in ihrem Innern Staͤrke, Gedult und Weisheit leh - ret. O Ewigkeit! wie wirſt du die Gepruͤfte erhoͤhen, die du hier ſo erniedriget haſt!

Kriecher hatte das Loch im Kopf vergeſſen, faſt ehe als es wieder geheilet war, und er iſt immer der gleiche. Er kraͤnkt und plagt die Frau ohne Urſach und Anlaß, alle Tage, und er verbittert ihrdas128das Leben. Eine Viertelſtunde ehe der Vogt kam, hatte die Katze die Oellampe vom Ofen herunter geworfen, und ein paar Tropfen giengen verloh - ren. Du Laſter! haͤtteſt du ſie beſſer verſorgt, ſagte er mit ſeiner gewoͤhnten Wuth zur Frau; du kannſt jezt im Finſtern ſitzen, und das Feuer mit Kuͤhkoth anzuͤnden, du Hornvieh!

Die Frau antwortete kein Wort; aber haͤufig floſſen die Thraͤnen von ihren Wangen, und die Kinder in allen Ecken weinten wie die Mutter.

So eben klopfte der Vogt an.

Schweigt doch! um aller Liebe willen, ſchweigt doch! Was will’s geben, der Vogt iſt vor der Thuͤre, ſagt Kriecher; wiſcht den Kindern mit ſeinem Schnupftuch geſchwind die Thraͤnen vom Backen; droht ihnen; Wenn eines nur noch much - zet, ſo ſehet zu, wie ich’s zerhauen werde; oͤffnet dann dem Vogt die Thuͤre, buͤckt ſich, und fragt ihn: was habt ihr zu befehlen, Herr Untervogt? Der Vogt ſagt ihm kurz den Bericht.

Kriecher aber, der bey der Thuͤre die Ohren ſpitzt, und Niemand mehr weinen hoͤrt, antwortet dem Vogt: kommt doch in die Stube, Herr Un - tervogt! ich will’s doch auch geſchwind meiner lie - ben Frau ſagen, wie ein groſſes Gluͤck mir wider - fahre. Der Vogt geht mit ihm in die Stube, und Kriecher ſagt ſeiner Frau:

Der129

Der Herr Untervogt bringt mir eben die gluͤck - liche Botſchaft, daß ich an dem Kirchbau Antheil habe, und das iſt eine groſſe Gnade, fuͤr die ich nicht genug danken kann.

Die Frau antwortet: Ich danke Gott! (Ein Seufzer entfaͤhrt ihr.)

Vogt. Fehlt deiner Frau etwas?

Kriecher. Es iſt ihr leider die Zeit her nicht gar wohl, Herr Untervogt!

Seitwerts blickt er zornig und drohend gegen die Frau.

Vogt. Ich muß wieder gehen. Gute Beſſe - rung, Frau!

Frau. Behuͤt euch Gott, Herr Untervogt!

Kriecher. Seyd doch auch ſo gut und danket dem Gnaͤdigen Herrn in meinem Namen fuͤr dieſe Gnade, wenn ich beten darf, Herr Untervogt!

Vogt. Du kannſt es ſelber thun.

Kriecher. Ihr habt auch Recht, Herr Unter - vogt! Es war unverſchaͤmt von mir, daß ich euch drum bat. Ich will naͤchſter Tagen expreß ins Schloß gehn; es iſt meine Schuldigkeit.

Vogt. Am Montag Morgens gehn die an - dern alle, und ich denke, du werdeſt wohl mitgehn koͤnnen.

Kriecher. Natuͤrlich, Herr Untervogt! Ja freylich. Ich wußte es nur nicht, daß ſie auch giengen.

JVogt. 130

Vogt. Behuͤt euch Gott, Kriecher!

Kriecher. Ich ſag euch ſchuldigen Dank, Herr Untervogt!

Vogt. Du haſt mir nichts zu danken. (Er geht.) Und ſagt im Gehn zu ſich ſelbſt: Wenn der nicht den Teufel im Schild fuͤhrt, ſo treugt mich denn alles. Vielleicht waͤre das ein Mann, wie ich einen brauchte gegen den Maͤurer; aber wer will einem Heuchler trauen. Ich will den Schabenmi - chel lieber, der iſt gerade zu ein Schelm.

§. 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares Herz.

Vom Kriecher weg kommt der Vogt zu Aebi, dem juͤngern. Als dieſer hoͤrte, was ihm begegnete, jauchzte er vor Freuden, und ſprang auf, wie ein junges Rind am erſten Fruͤhlingstage auf der Weide aufſpringt Das will ich jezt auch meiner Frau ſagen, daß ſie ſich recht freue.

Ich warte bis morgen; es ſind juſt morgen acht Jahre, daß ſie mich nahm. Es war Joſephstag, ich weiß es noch, wie wenn’s geſtern waͤre. Wir haben ſeitdem manche ſaure, aber auch m[an]che〈…〉〈…〉ohe131frohe Stunde gehabt. Gott ſey Lob und Dank fuͤr alles. Aber ja morgen, ſo bald ſie erwachen wird, will ich’s ihr dann ſagen Waͤr’s doch ſchon mor - gen! Es iſt mir, ich ſehe es jezt ſchon, wie ſie weinen und lachen wird durch einander, und wie ſie ihre Lie - ben und mich in ihrer Freude an’s Herz druͤcken wird. Ach! waͤr’s doch ſchon morgen! Ich toͤde das eine Huhn ihr zur Freude, und koch es, ohne daß ſie’s merkt, in der Suppe; Es freut ſie dann doch, wenn es ſie ſchon reuet. Nein, ich mache mir kein Gewiſ - ſen davor, es iſt fuͤr dieſe Freude nicht Suͤnde Ich thue es und toͤde es. Den ganzen Tag bleib ich daheim, und freue mich mit ihr und mit den Kindern Nein, ich gehe mit ihr zur Kirche und zum Nachtmahl. Jauchzen und freuen wollen wir uns, und dem lieben Gott danken, daß er ſo gut iſt So redte der juͤngere Aebi in der Freude ſeines Herzens uͤber des Vogts gute Botſchaft mit ſich ſelber, und konnte vor Sehnſucht den Morgen faſt nicht erleben, und that dann, was er eben ge - ſagt hatte.

J 2§. 25.132

§. 25. Wie Schelmen mit einander reden.

Vom Aebi weg gieng der Vogt zum Schaben - michel. Dieſer ſieht ihn von ferne; winkt ihm in einen Ecken hinter das Haus, und fragt ihn: Was Teufels haſt du?

Vogt. Etwas Luſtiges.

Michel. Ja du biſt der Kerl, den man ſchickt zu Hochzeiten, zum Tanz, und zum Luſtigmachen einzuladen.

Vogt. Es iſt einmal nichts Trauriges.

Michel. Was denn?

Vogt. Du ſeyſt in eine neue Geſellſchaft gekommen.

Michel. Mit wem denn einmal, und warum?

Vogt. Mit dem Huͤbelrudi, mit dem Lenk, mit dem Leemann, mit dem Kriecher, und mit dem Marx auf der Reuͤti.

Michel. Du Narr! Was ſoll ich mit dieſen?

Vogt. Aufbauen und ausbutzen das Haus des Herrn in Bonnal und ſeine Mauern am Kirch - hof.

Michel. In Ernſt?

Vogt. Bey Gott!

Michel. 133

Michel. Aber wer hat hiezu die Blinden und die Lahmen auserſehn?

Vogt. Mein Wohledelgebohrner, der Wohl - weiſe und Geſtrenge Junker.

Michel. Iſt er ein Narr?

Vogt. Was weiß ich.

Michel. Es hat einmal das Anſehen.

Vogt. Vielleicht iſt es nicht das ſchlimmſte, daß er ſo iſt, leicht Holz iſt gut drehen, aber ich muß fort. Komme dieſen Abend zu mir, ich muß mit dir reden.

Michel. Ich will nicht fehlen. Zu wem geht jezt die Reiſe?

Vogt. Auf die Reuͤti zum Marx.

Michel. Das iſt ein Kerl zur Arbeit. Man muß von Sinnen ſeyn, ſo einen anzuſtellen. Ich glaube nicht, daß der bey Jahr und Tag einen Karft oder Schaufel in der Hand gehabt habe; und er iſt auf der einen Seite halb lahm.

Vogt. Was macht das? Komme du auf den Abend richtig zu mir. Jezt gieng der Vogt von ihm weg zum Marx auf der Reuͤti.

J 3§. 26.134

§. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichſten abſcheulichſten Thaten.

Dieſer war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han - delſchaft getrieben; aber jezt war er ſchon laͤngſt ver - gantet, und lebte faſt gaͤnzlich vom Allmoſen des Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die er hatte.

In allem ſeinem Elend aber blieb er immer gleich hochmuͤthig, und verbarg er den dringenden Mangel und Hunger ſeines Hauſes, auſſert da, wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und mochte.

Dieſer, als er den Vogt ſah, erſchrack heftig, aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne das ſchon todtgelb. Er nahm ſchnell die umher liegenden Lumpen, und ſchob ſie unter die Decke des Betts. Befahl den faſt nackenden Kindern, auf der Stell ſich in die Kammer zu verbergen Herr Jeſus! ſagen die Kinder, es ſchneyet und regnet ja hinein hoͤre doch, wie’s ſtuͤrmt, Vater! es iſt ja kein Fenſter mehr in der Kammer.

Geht, ihr gottloſen Kinder! wie ihr mich ſo toll machet. Meynt ihr, es ſey euch nicht noͤthig,daß135daß ihr euer Fleiſch kreuzigen lernet. Es iſt nicht auszuſtehn, Vater! ſagen die Kinder.

Es wird ja nicht lang waͤhren, ihr Ketzern, geht doch, ſagt der Vater ſtoßt ſie hinein, ſchließt die Thuͤre, und ruft dann dem Vogt in die Stube.

Dieſer ſagte ihm den Bericht. Der Marx aber dankt dem Vogt, und fragt: Bin ich Auf - ſeher unter dieſen Leuten?

Was denkſt du, Marx? antwortete der Vogt. Nein, Arbeiter biſt du, wie die andern.

Marx. So! Herr Untervogt!

Vogt. Es ſteht dir frey; wenn du etwann allenfalls die Arbeit nicht willſt.

Marx. Ich bin freylich ſonſt ſolcher Ar - beit nicht gewohnt. Aber weil’s das Schloß und den Herrn Pfarrer antrifft, ſo darf ich wohl nicht anders, und will ich ſie annehmen.

Vogt. Es wird ſie gar freuen, und ich denke faſt, der Junker werde mich noch einmal zu dir ſchicken, dir zu danken.

Marx. Ha! ich meyn’s eben nicht ſo; aber insgemein moͤchte ich doch nicht bey Jedermann tagloͤhnen.

Vogt. Du haſt ſonſt Brod!

Marx. Gott Lob! noch immer.

Vogt. Ich weiß wohl; aber wo ſind deine Kinder?

J 4Marx. 136

Marx. Bey meiner Frauen ſel. Schweſter, ſie eſſen da zu Mittag.

Vogt. Es war mir, ich hoͤrte eben in der Kam - mer Kinder ſchreyen.

Marx. Es iſt kein einziges bey Hauſe.

Der Vogt hoͤrt das Geſchrey noch einmal, oͤffnet ohne Complimenten die Kammerthuͤre, ſieht die faſt nackenden Kinder, von Wind, Regen und Schnee, die in die Kammer hinein ſtuͤrmen, zit - ternd und ſchlotternd, daß ſie faſt nicht reden konn - ten, und ſagt dann:

Eſſen deine Kinder da zu Mittag, Marx? Du biſt ein Hund und ein Heuchler, und du haſt das um deines verdammten Hochmuths willen ſchon mehr ſo gemacht.

Marx. Um Gottes willen! ſag es doch Nie - mand, bring mir’s doch nicht aus, Vogt! Um Gottes willen! unter der Sonne waͤre kein un - gluͤcklicherer Menſch als ich, wenn’s mir auskaͤme.

Vogt. Biſt du denn auch von Sinnen? Auch jetzo ſagſt du nicht einmal, daß ſie aus dem Hunds - ſtall heraus kommen ſollen. Sieheſt du denn auch nicht, daß ſie braun und blau ſind vor Frieren? So wuͤrde ich einmal meinen Budel nicht ein - ſperren.

Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt! um Gottes willen! ſag’s doch Niemand.

Vogt. 137

Vogt. Und du ſpielſt denn noch beym Pfar - rer den Frommen

Marx. Um Gottes willen! ſag’s doch Nie - mand.

Vogt. Das iſt doch huͤndiſch du Heiliger, ja du Ketzer! Hoͤrſt du, das biſt du, ein Ketzer! Denn ſo macht es kein Menſch. Du haſt dem Pfaffen den Schlaghandel die vorige Woche auch erzaͤhlt. Kein Menſch als du. Du giengſt eben um 12 Uhr, da es geſchah, von einer frommen Freſſeten heim, und neben meinem Haus vorbey.

Marx. Nein, um Gottes willen! glaub doch das nicht. Gott im Himmel weiß, daß es nicht wahr iſt.

Vogt. Darfſt du auch das ſagen!

Marx. Weiß Gott, es iſt nicht wahr. Vogt! ich wollte, daß ich nicht mehr hier vom Platze kaͤ - me, wenn’s wahr iſt.

Vogt. Marx! darfſt du das, was du jezt ſagſt, vor meinen Augen dem Pfarrer unter die Naſe ſagen? Ich weiß mehr, als du glaubſt.

Der Marx ſtotterte ich weiß ich moͤch - te ich ha habe nicht davon angefangen.

So einen Hund und einen Luͤgner, wie du biſt, habe ich in meinem Leben keinen geſehen. Wir kennen jezt einander, ſagte der Vogt, gieng und erzaͤhlte alles in eben der Stunde des Pfarrers Koͤ - chinn, die ſich denn faſt zu Tode lachte ob dem from -J 5men138men Iſraeliten ab der Reuͤti, und heilig verſprach es dem Pfarrer getreulich zu uͤberbringen. Der Vogt aber freute ſich in ſeinem Herzen, daß hof - fentlich der Pfarrer dem wuͤſten Ketzer das Wochen - brod jezt nicht mehr geben wuͤrde; worinn er ſich aber groͤblich irrte, denn der Pfarrer hatte ihm bis jezt das Brod wahrlich nicht um ſeiner Tugend, ſondern um ſeines Hungers willen gegeben.

§. 27. Fleiß und Arbeitſamkeit, ohne ein dank - bares und mitleidiges Herz.

Vom Marx weg gieng der Vogt nun endlich zum letſten. Dieſes war der Kienaſt, ein kraͤnk - licher Mann. Er gieng zwar erſt gegen die fuͤnf - zig; aber Armuth und Sorgen hatten ihn gar abgeſchwaͤcht, und heute war er beſonders in einem erſchrecklichen Kummer.

Seine aͤlteſte Tochter hatte geſtern in der Stadt Dienſte genommen, und zeigte dann heute dem Va - ter den Dingpfenning, woruͤber der arme Mann gewaltig erſchrocken war.

Seine Frau, die noch kindete, war eben jezt naͤ - hig, und das Suſanneli war unter den Kindern daseinzige,139einzige, das der Haushaltung Huͤlfe leiſten konnte, jezt aber ſollte es in 14 Tagen den Dienſt an - treten.

Der Vater bat es mit weinenden Augen, und um Gottes willen, es ſolle das Haftgeld wieder zu - ruͤck geben, und bey ihm bleiben, bis nach der Mutter Kindbette.

Ich will nicht, antwortete die Tochter; wo finde ich denn gleich wieder einen andern Dienſt? wenn ich dieſen aufſage.

Der Vater. Ich will nach der Kindbette ſelbſt mit dir in die Stadt gehn, und dir helfen einen an - dern ſuchen; bleib doch nur ſo lange.

Die Tochter. Es geht ein halbes Jahr, Vater! bis zum andern Ziel, und der Dienſt, den ich jezt habe, iſt gut. Wer kann wiſſen, wie dann der ſeyn werde, den du mir willſt ſuchen helfen. Und kurzum, ich warte nicht bis auf das andere Ziel.

Der Vater. Du weiſſeſt doch, Suſan - neli! daß ich auch alles an dir gethan habe, was ich immer konnte. Denke doch auch an deine juͤngern Jahre, und verlaſſe mich jezt nicht in mei - ner Noth.

Die Tochter. Willſt du mir denn vor meinem Gluͤck ſeyn? Vater!

Der Vater. Ach! es iſt nicht dein Gluͤck, daß du deine armen Eltern in dieſen Umſtaͤnden ver - laſſeſt; thue es doch nicht, Suſanneli! ich bittedich140dich. Meine Frau hat noch ein ſchoͤnes Fuͤrtuch, es iſt das letſte, und es iſt ihr lieb; ſie hat es von ihrer ſel. Gotten zum Seelgeraͤth (Todesandenken): aber ſie muß es dir nach der Kindbette geben, wenn du nur bleibeſt.

Die Tochter. Ich mag nichts, weder von euern Lumpen, noch von euerer Hoffart. Ich kann das und beſſers ſelber verdienen. Es iſt einmal Zeit, daß ich fuͤr mich ſelber ſorge. Wenn ich noch zehn Jahre bey euch bliebe, ich wuͤrde nicht zu Bett und Kaſten kommen.

Der Vater. Es wird doch auch nicht alles auf dieſes halbe Jahr ankommen Ich will dich nach der Kindbette dann gewiß nicht mehr verſaͤu - men. Bleib doch nur noch dieſe wenigen Wochen.

Nein, ich thue es nicht, Vater! antwortete die Tochter Kehrt ſich um, und laͤuft fort zu ei - ner Nachbarinn.

Der Vater ſteht jezt da! niedergeſchlagen von ſeinen Sorgen und von ſeinem Kummer, und ſagt zu ſich ſelber: Wie will ich mir in dieſem Un - gluͤck helfen Wie will ich’s nur meiner armen Frau anbringen, die Hiobsbotſchaft? Ich bin doch ein elender Tropf, daß ich mit dieſem Kind ſo gefehlt habe. Es arbeitet ſo braf, dacht ich immer, und verzieh ihm dann alles. Meine Frau ſagte mir hundertmal: Es iſt ſo frech und ſo grob gegen ſeinen Eltern, und was es ſeinen Ge -ſchwi -141ſchwiſtern thun und zeigen muß, das thut und zei - get es ihnen alles ſo haͤßig, ſo unartig, und ſo ganz ohne Anmuth und Liebe, daß keines nichts von ihm lernt. Es arbeitet doch braf, viel - leicht ſind die andern auch Schuld, man muß ihm etwas verzeihen, war immer meine Antwort. Jezt habe ich dieſes Arbeiten; ich haͤtte es doch denken ſollen, wenn bey einem Menſchen das Herz einmal hart iſt, ſo iſt’s aus, was er auch ſonſt Gutes hat, man kann nicht mehr auf ihn zaͤhlen. Aber, wenn ich’s nur auch meiner Frau ſchon geſagt haͤtte; wie wird ſie doch thun!

Da der Mann ſo mit ihm ſelber redte, ſtuhnd der Vogt neben ihm zu, und er ſah ihn nicht ein - mal.

Was darfſt du denn deiner Frau nicht ſagen, Kienaſt? fragt ihn jezt dieſer.

Der Kienaſt ſieht auf, erblickt den Vogt, und ſagt: Biſt du da, Vogt? Ich ſah dich nicht Ha, was darf ich meiner Frau nicht ſagen? Das Suſanneli hat in der Stadt Dienſte genommen, und wir haͤtten’s jezt auch ſo noͤthig! Aber ich haͤtte faſt vergeſſen zu fragen, was willſt du bey mir?

Vogt. Es kann dir vielleicht ein Troſt ſeyn, was ich bringe, weil’s mit dem Suſanneli ſo iſt.

Kienaſt. Das waͤr wohl ein Gluͤck in meiner Noth.

Vogt. 142

Vogt. Du haſt Arbeit an dem Kirchbau, und alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannſt du dir in allweg helfen.

Kienaſt. Herr Gott im Himmel! darf ich dieſe Huͤlfe hoffen?

Vogt. Ja, ja Kienaſt! Es iſt gewiß, wie ich ſage.

Kienaſt. Nun ſo ſey Gott gelobt und ihm gedankt. (Es wird ihm bloͤd, ſeine Glieder zit - tern.) Ich muß niederſitzen, dieſe Freude hat mich ſo uͤbernommen auf mein Schrecken. Er ſetzt ſich auf einen nahen Holzſtock, und lehnet ſich an die Wand des Hauſes, daß er nicht ſinke.

Der Vogt ſagte: Du magſt wenig erleiden.

Und der Kienaſt: Ich bin noch nuͤchtern.

So ſpaͤth, erwiederte der Vogt, und gieng ſei - nes Weges fort.

Die arme Frau in der Stube ſah, daß der Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entſetz - lich: Das iſt ein Ungluͤck! Mein Mann iſt heute den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was er thut; und eben jezt ſah ich das Suſanneli bey der Nachbarinn beyde Haͤnde zerwerfen, als wenn es vor Verdruß auſſer ſich waͤre, und jezt noch der Vogt! Was iſt doch fuͤr ein Ungluͤck obhanden? Es iſt keine geplagtere Frau unter der Sonne. Schon ſo weit in vierzig, und noch alle Jahr ein Kind, und Sorgen und Mangel und Angſt ummich143mich her So graͤmte ſich die arme Frau in der Stube Der Mann aber hatte ſich indeſſen wie - der erholt, und kam mit einem ſo heitern und freudigen Geſicht hinein zu ſeiner Lieben, als er ſeit Jahren nicht hatte.

Du thuſt froͤlich! Meynſt du, ich wiſſe nicht, daß der Vogt da war? ſagte die Frau.

Und er antwortete: Wie vom Himmel herab iſt er gekommen zu unſerm Troſt!

Iſt das moͤglich? erwiederte die Frau.

Kienaſt. Setze dich nieder, Frau! ich muß dir Gutes erzaͤhlen Da ſagte er ihr, was eben mit dem Suſanneli begegnet, und wie er in einer groſſen Herzensangſt geweſen waͤre, und wie ihm, Gott Lob! jezt gaͤnzlich aus der Noth geholfen ſey.

Da er die Suppe, die er in der Angſt zu Mittag hatte ſtehn laſſen; und er und die Frau weineten heiſſe Thraͤnen des Danks und der Freude gegen Gott, der ihnen alſo geholfen in ihrer Roth.

Und ſie lieſſen das Suſanneli noch deſſelbigen Tags gehen in ſeinen Stadtdienſt, wie es wollte.

§. 28.144

§. 28. Der Abend vor einem Feſttage in eines Vogts Hauſe, der wirthet.

Nun eilte der Vogt von ſeinem Laufen ermuͤdet und durſtig wieder heim, es war ſchon ſehr ſpaͤth; und der Kienaſt wohnete beynahe eine Stunde vom Dorf weg auf dem Berg.

Allenthalben hatte er heute durch ſeine Geſellen ſchon verkuͤndet, daß er uͤber den geſtrigen Vorfall gar nicht erſchrocken, und bey einem Jahre nie ſo luſtig und munter geweſen waͤre, wie heute.

Das machte denn, daß auf den Abend etliche wieder Muth faßten, und ſich ſtill dem Wirths - hauſe zuſchlichen.

Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere, und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tiſche alle wieder faſt eben ſo voll, als gewoͤhnlich.

So geht es, wenn ein Jaͤger im Heuet von einem Kirſchbaum einen Vogel herunter ſchießt, ſo fliegt die Schaar der Voͤgel, die Kirſchen fraß, erſchrocken und ſchnell vom Baum weg, und alle die Voͤgel kreiſchen vor der Gefahr. Aber nach ei - ner Weile ſetzt ſich ſchon wieder einer, im Anfange nur einer, an den Baum; und ſieht er dann denJaͤ -145Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun - tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe. Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte.

So war es und kam es, daß die Stube jezt wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom - men.

Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha - ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben, herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths - haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge - meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim - men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil - den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind, als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men - ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben zu bilden. Aber zur Hiſtorie.

Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei - nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind ſey, und wie der Vogt ſeinen Großvater in Ord - nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor GottKim146im Himmel nicht recht und am juͤngſten und letz - ten Tage nicht zu verantworten ſey, daß er dem ar - men Gemeindlein das Wirthsrecht abſtehlen wolle, das es doch ſeit Noahs und Abrahams Zeiten be - ſeſſen haͤtte. Dann wieder ein andrer, wie er es beym Donner! doch noch nicht habe, und wie er’s vor allen Tenfeln erzwingen wolle daß morgen ſchon darwider Gemeind ſeyn muͤſſe. Dann erzaͤhlt wieder ein andrer, wie es mit dem gar nicht ſo noth thue, und wie der Vogt ſeine Feinde alle immer ſo ſchoͤn in die Grube gebracht habe, und wie er jezt weder mit dem Gnaͤdigen Herrn, noch mit dem Bettler, dem Maͤurer, eine neue Mode anfangen werde. So ſchwatzten die Maͤnner und ſoffen.

Die Voͤgtinn lachte mit unter, trug einen Krug nach dem andern auf den Tiſch, und zeichnete alle richtig an die Tafel in der Nebenſtube mit ihrer Kreide.

Indeſſen kam der Vogt, und es freute ihn in ſeinem Herzen, daß er die Tiſche alle wieder ſo be - ſetzt fand mit ſeinen Lumpen.

Das iſt brav, ihr Herren! daß ihr mich nicht verlaſſet, ſagte er zu ihnen.

Du biſt uns noch nicht feil, antworteten die Bauern, und tranken mit Laͤrmen und Bruͤllen auf ſeine Geſundheit.

Der147

Der Laͤrm iſt groß, Nachbaren! Man muß oh - ne Aergerniß leben, ſagte der Vogt; es iſt heiliger Abend.

Mache die Fenſterlaͤden zu, Frau! und loͤſche die Lichter gegen der Gaſſe Es iſt beſſer, wir gehen in die hintere Stube, Nachbaren! Iſt’s warm dort, Frau?

Frau. Ja, ich habe daran gedacht, und ein - heitzen laſſen.

Vogt. Gut. Nehmet alles vom Tiſch in die hintere Stube.

Da nahmen die Frau und die Nachbaren Glaͤ - ſer, Flaſchen, Brod, Kaͤs, Meſſer und Teller und Karten und Wuͤrfel, und trugen alles in die hin - tere Stube, in deren man, geſchaͤhe auch ein Mord, auf der Gaſſe nichts hoͤrt.

Da ſind wir jezt ſicher vor Schelmen, die vor den Fenſtern horchen, und vor den heiligen Knech - ten*)Er meynt Chorrichter, Stillſtaͤnder, Kirchenaͤlte - ſten, deren Pflicht es iſt, dem Pfarrer ſolche naͤchtliche Ungebuͤhren anzuzeigen; und dieſer iſt’s, den der gottloſe Vogt, nach einem wirklich eingeriſſenen Ton, den Schwarzen nennt. des Schwarzen.

Aber ich bin durſtig wie ein Jagdhund, Wein her!

Die Frau bringt ihn.

K 2Und148

Und Chriſten fragt alſobald: Iſt das vom heu - tigen, Vogt! den des Scheerers Hund. mitſaͤuft?

Vogt. Ja, ſo ein Narr bin ich wieder.

Chriſten. Was hatteſt du wohl fuͤr eine Teu - felsabſicht dabey?

Vogt. Bey Gott! keine. Es war ein bloſſer Narreneinfall. Ich war noch nuͤchtern, und wollte nicht ſaufen.

Chriſten. Pfeif das dem Scheitſtock, vielleicht glaubt er’s, ich mag nicht.

Vogt. Warum nicht?

Chriſten. Warum nicht? Weil dein Wein, den wir ſoffen, auch nach Schwefel roch wie die Peſt?

Vogt. Wer ſagt das?

Chriſten. Ich, Meiſter Urias! Ich merkte es nicht in der Stube; aber da ich den leeren Krug heim trug, roch es mir noch in die Naſe, daß es mich faſt zuruͤck ſchlug Alles und alles zuſam - men genommen, ſo iſt einmal ziemlich am Tage, daß du mit Gunſt etwas geſucht haſt.

Vogt. Ich weiß ſo wenig, was fuͤr Wein die Frau geſchickt hat, als ein Kind in der Wie - ge. Mit deinen Einbildungen, du Narr!

Chriſten. Aber du weißſt doch auch noch, daß du eine ſchoͤne Predigt von den Rechten im Lande gehalten haſt? Du haſt das, denk ich, auch ſo aus unbedachtem Muthe gethan, wie man eine Priſe Tabak nimmt.

Vogt. 149

Vogt. Schweig jezt, Chriſten! Das beſte waͤr, ich lieſſe dich brav zerpruͤgeln, daß du mir den Krug umgeleert haſt. Aber ich muß jezt wiſſen, wie es heute beym Scheerer gegangen iſt, da ich fort war.

Chriſten. Aber das Verſprechen, Vogt?

Vogt. Was fuͤr ein Verſprechen?

Chriſten. Daß ich weinfrey ſeyn ſoll bis am Morgen, wenn ich was Rechts wiſſe.

Vogt. Wenn du denn aber nichts weißſt, willſt du doch ſaufen?

Chriſten. Ja, nichts wiſſen; nur Wein her, und hoͤr dann.

Der Vogt gibt ihm, ſitzt zu ihm hin, und Chri - ſten erzaͤhlt jezt, was er weiß und was er nicht weiß. Einſt machte er es ſo bunt, daß es der Vogt merkte. Luͤg doch auch ſo, du Hund! daß man es nicht mit Haͤnden greift, ſagte er.

Nein, bey Gott! antwortete Chriſten, ſo wahr ich ein Suͤnder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct an dem, was ich ſage.

Nun denn, ſagte der Vogt, der jezt doch ge - nug hatte, der Schabenmichel iſt eben gekommen, ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an den andern Tiſch, wo dieſer ſaß, klopft ihm auf die Achſel und ſagt:

K 3§. 29.150

§. 29. Fortſetzung, wie Schelmen mit einander reden und handeln.

Biſt du auch unter den Suͤndern? Ich dachte, du ſeyſt, ſeit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf einmal heilig geworden, ſo wie unſer Metzger, als er einſt eine Woche fuͤr den Siegriſt Mittag laͤuten mußte.

Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht nicht ſo blitzſchnell; aber wenn’s einmal angeht, ſo laſſe ich dann nicht nach.

Vogt. Ich moͤchte dann dein Beichtiger ſeyn, Michel!

Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu.

Vogt. Warum das?

Michel. Du wuͤrdeſt mir die Suͤnden wohl doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden.

Vogt. Waͤre dir das nicht recht?

Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich - tiger haben, der die Suͤnden verzeiht und nachlaͤßt, und nicht einen, der ſie aufkreidet.

Vogt. Ich kann auch Suͤnden verzeihen und nachlaſſen.

Michel. 151

Michel. Suͤnden aus deinem Buche?

Vogt. Freylich! Oft und viel muß ichs lei - der; aber beſſer iſt’s, man halte ſich, daß ich’s gern thue.

Michel. Kann man das, Herr Untervogt?

Vogt. Wir wollen ſehn. (Er winkt ihm.)

Sie gehn mit einander an’s kleine Tiſchlein am Ecken beym Ofen.

Und der Vogt ſagt: Es iſt gut, daß du da diſt, es kann dein Gluͤck ſeyn.

Michel. Ich habe Gluͤck noͤthig.

Vogt. Ich glaub es; aber wenn du dich an - ſchickſt, ſo fehlt’s nicht, du machſt Geld auf dei - nem Poſten.

Michel. Aber wie muß ich das anſtellen?

Vogt. Du mußſt dich bey dem Maͤurer ein - ſchmeicheln, und recht hungrig und arm thun.

Michel. Das kann ich ohne Luͤgen.

Vogt. Du mußſt dann viel und oft deinen Kindern dein Abendbrod geben, damit ſie glauben, du habeſt ein Herz ſo weich, wie zerlaſſene But - ter, und die Kinder muͤſſen dir baarfuß und zer - lumpt nachlaufen.

Michel. Auch das iſt nicht ſchwer.

Vogt. Und dann, wenn du unter allen zehen der Liebſte ſeyn wirſt, erſt dann wird deine rechte Arbeit angehn.

Michel. Und was iſt denn die?

K 4Vogt. 152

Vogt. Alles zu thun, was bey dem Bau Streit und Verdacht anzetteln, was die Arbeit in Unordnung bringen, und was die Tagloͤhner und den Meiſter dem Junker erleiden kann.

Michel. Das mag jezt wohl ein Bißchen ein ſchwerers Stuͤcklein ſeyn.

Vogt. Aber es iſt ſo auch ein Stuͤcklein, da - bey du Geld verdienen kannſt.

Michel. Ohne dieſe Hoffnung koͤnnte wohl ein Geſcheider dieſe Wegweiſung geben; aber nur ein Narr koͤnnte ſie annehmen.

Vogt. Das verſteht ſich, daß du Geld dabey verdienen mußſt.

Michel. Zween Thaler Handgeld, Herr Un - tervogt! das muß baar voraus bezahlt ſeyn, ſonſt ding ich nicht in dieſen Krieg.

Vogt. Du wirſt alle Tage unverſchaͤmter, Michel! Du verdienſt bey der Arbeit, die ich dir zeige, Geld mit Muͤßiggehen, und du willſt denn noch, ich ſoll dir den Lohn geben, daß du den gu - ten Rath annimmſt.

Michel. Ich mag nichts hoͤren. Du willſt, daß ich in deinem Dienſt den Schelmen mache, und ich will’s thun, und treu ſeyn und herzhaft; aber Handgeld und Dingpfenning, zween Thaler und keinen Kreuzer minder, das muß heraus, ſonſt ſtehe du ſelber hin, Vogt!

Vogt. 153

Vogt. Du Hund! du weißſt, wo du zwingen kannſt; da ſind die zween Thaler.

Michel. Nun iſt’s in der Ordnung, Meiſter! jezt nur befohlen.

Vogt. Ich denke, ſo etwann in der Nacht Ge - ruͤſtſtangen abbrechen, und mit einem Schlag ein Paar Kirchenfenſter von oben herunter ſpalten, das ſey dir ein leichtes; und daß Seiler und Kaͤrſte und was Kleines herum liegt, bey einem ſolchen Ehrenanlaß verſchwinden muͤſſen, das verſteht ſich von ſelbſt.

Michel. Natuͤrlich.

Vogt. Und dann in einer dunkeln Racht die Geruͤſtbreter alle den Huͤgel hinab in Fluß tragen, daß ſie weiter nach Holland fahren, das iſt auch nicht ſchwer.

Michel. Nichts weniger; das kann ich voll - kommen. Ich haͤnge ein groſſes weiſſes Hemd mit - ten auf den Kirchhof an eine Stange, daß der Waͤchter und die Frau Nachbarinn, wenn ſie ein Gepolter hoͤren, das Geſpenſt ſehen, ſich ſegnen, und mir vom Leib bleiben.

Vogt. Du loſer Ketzer du! was fuͤr ein Einfall!

Michel. Ich thue es gewiß; es bewahrt vor dem Halseiſen.

Vogt. Ja, aber das muß noch ſeyn; wenn Zeichnungen, Rechnungen und Plaͤne, die demK 5Jun -154Junker gehoͤren, etwann umher liegen, die mußſt du ordentlich hintragen, wo ſie kein Hund ſucht, und des Nachts dann abholen zum Einheizen.

Michel. Ganz wohl, Herr Untervogt!

Vogt. Auch mußſt du es ſo einfaͤdeln, daß deine ehrende Geſellſchaft im Herrndienſt ſich recht wohl ſeyn laſſe, daß ſie liederlich arbeite, und beſon - ders, daß, wenn der Junker oder Jemand aus dem Schloß koͤmmt, die Lumpenordnung am groͤſſeſten ſey Und daß du dann auch dieſen winken mußſt, wie ſchoͤn es gehe, verſteht ſich.

Michel. Ich will alles probieren, und ich ver - ſteh jezt ganz wohl, was du eigentlich willſt.

Vogt. Aber vor allem aus iſt’s wahrlich noͤ - thig, daß du und ich Feinde werden.

Michel. Auch das verſteht ſich.

Vogt. Wir wollen damit gerade jezt anfan - gen. Es koͤnnten Mamelucken da ſeyn, und er - zaͤhlen, wie wir hier in Eintracht in dieſem Ecken Rath gehalten haben.

Michel. Du haſt Recht.

Vogt. Trink noch ein Paar Glaͤſer, dann thue ich dergleichen, als ob ich mit dir rechnen wollte, und du laͤugneſt mir etwas. Ich fange Laͤrm an; Du ſchmaͤlſt[a]uch, und wir ſtoſſen dich zur Thuͤre hinaus.

Michel. Das iſt gut ausgedacht. (Er ſaͤuftge -155geſchwind den Krug aus, und ſagt dann zum Vogt: Fang jezt nur an.)

Der Vogt murmelt von der Rechnung, und ſagt etwas vernemlich: Nun einmal den Gulden hab ich nicht erhalten.

Michel. Beſinn dich, Vogt!

Vogt. Ich weiß in Gottes Namen nichts da - von. Er ruft ſeiner Frau: Frau! haſt du die vo - rige Woche einen Gulden vom Michel erhalten?

Die Frau. Behuͤt uns Gott! Keinen Kreu - zer.

Vogt. Das iſt wunderlich Gieb mir den Rodel. (Sie bringt ihn.)

Der Vogt liest Da iſt Montag nichts von dir Dienſtag nichts von dir Da iſt Mitwochen Am Mitwochen, ſagteſt du ja, war es.

Michel. Ja.

Vogt. Da iſt Mitwochen ſiehe da, es iſt nichts von dir Und auch Donnerſtag, Freytag und Samſtag, es iſt kein Wort da von dem Gulden.

Michel. Das iſt vom Teufel; ich hab ihn doch bezahlt.

Vogt. Sachte, ſachte, Herr Nachbar! Ich ſchreibe alles auf.

Michel. Was hab ich von deinem Auſſchrei - ben, Vogt? Ich habe den Gulden bezahlt.

Vogt. Das iſt nicht wahr, Michel!

Michel. 156

Michel. Ein Schelm ſagt, ich hab ihn nicht bezahlt.

Vogt. Was ſagſt du, ungehaͤngter Spitzbub?

Etliche Bauern ſtehn auf: Er hat den Vogt geſcholten, wir habens gehoͤrt.

Michel. Es iſt nicht wahr; aber ich habe den Gulden bezahlt.

Bauern. Was ſagſt du, Schelm! du habſt ihn nicht geſcholten? Wir haben’s alle gehoͤrt.

Vogt. Werft mir den Hund aus der Stube.

Michel. (Mit dem Meſſer in der Hand) Wer mich anruͤhrt, der ſehe zu

Vogt. Nehmt ihm das Meſſer.

Sie nehmen ihm das Meſſer, ſtoſſen ihn zur Thuͤr hinaus, und kommen dann wieder.

Vogt. Es iſt gut, daß er fort iſt; er war nur ein Spion vom Maͤurer.

Bauern. Bey Gott! das war er. Es iſt gut, daß der Schelm fort iſt.

§. 30.157

§. 30. Fortſetzung, wie Schelmen mit einander reden und handeln, auf eine andere Manier.

Wein her, Frau Voͤgtinn! Vogt! wir ſaufen auf die Erndte hin; eine Garbe vom Zehenden fuͤr die Maß.

Vogt. Ihr wollt mich bald bezahlen.

Bauern. Nicht ſo bald, aber deſto ſchwerer.

Der Vogt ſetzt ſich zu ihnen, und ſanft auch mit ihnen nach Herzensluſt, auf den kuͤnftigen Zehn - den.

Nun ſind alle Maͤuler offen, ein wildes Ge - wuͤhl von Fluchen und Schwoͤren, von Zotten und Poſſen, von Schimpfen und Trotzen, erhebt ſich an allen Tiſchen. Sie erzaͤhlen von Hurereyen und Diebſtaͤlen, von Schlaghaͤndeln und Scheltworten, von Schulden, die ſie luſtig gelaͤugnet, von Pro - ceſſen, die ſie mit feinen Streichen gewonnen haͤtten, von Bosheiten und Unſinn davon das meiſte er - logen, viel aber, leider Gott erbarm! wahr war; wie ſie den alten Arner in Holz und Feld und Zehnden beſtohlen haͤtten; auch wie ihre Weiberjezt158jezt bey den Kindern Truͤbſal blieſen, wie die eine das Betbuch naͤhme die andere einen Krug Wein in Spreuer oder in Strohſack verberge; auch von ihren Buben und Maͤdchen, wie eines dem Vater helfe die Mutter betriegen, und ein anderes der Mutter helfe den Vater erwiſchen; und wie ſie es als Buben auch ſo gemacht haͤtten und noch viel ſchlimmer. Dann kamen ſie auf den armen Uli, der uͤber etlichen ſolchen Narrenpoſſen ertappt worden, und elendiglich umgekommen waͤre, am Galgen; wie er aber andaͤchtig gebetet haͤtte, und gewiß ſelig geſtorben waͤre; nachdem er, wie man wohl wiſ - ſe, nicht das Halbe bekennet habe, aber doch um des unchniſtlichen Pfarrers willen haͤtte ins Gras beiſſen muͤſſen.

Sie waren eben an dieſer Geſchichte und an des Pfarrers Bosheit, als die Voͤgtinn ihrem Mann winkte, daß er heraus kaͤme.

Wart, bis die Geſchichte mit dem Gehaͤngten voruͤber iſt, war ſeine Antwort. Sie aber ſagt ihm leiſe ins Ohr: Der Joſeph iſt da. Er antworte - te: Verſteck ihn, ich will bald kommen.

Der Joſeph hatte ſich in die Kuͤche geſchlichen. Es war aber ſo viel Volk im Haus, daß die Voͤg - tiun befuͤrchtete, man ſehe ihn da.

Sie loͤſchte das Licht aus, und ſagte ihm: Joſeph! ziehe deine Schuhe ab, und ſchleich mirnach159nach in die untere Stube, der Mann kommt hin - unter.

Der Joſeph nahm ſeine Schuhe in die Hand und folgte ihr nach auf den Zehen in die untere Stube.

Und es gieng nicht lange, ſo kam der Vogt auch, und fragte ihn:

Was willſt du noch ſo ſpaͤth, Joſeph?

Joſeph. Nicht viel. Ich will dir nur ſa - gen: Es ſey mit den Steinen recht gut in der Ordnung.

Vogt. Das freut mich, Joſeph!

Joſeph. Der Meiſter redte heute von der Mauer, und ſchwatzte da, daß die nahen Kieſel und Feldſteine recht gut waͤren. Ich ſagte ihm aber gerade zu, daß er ein Narr ſey und ſeine Sa - chen nie recht anſtellen wolle. Die Mauer werde vom Schwendiſtein ſo ſchoͤn und glatt werden wie ein Teller. Er ſagte kein Wort dagegen, und ich fuhr fort: Wenn er nicht Schwendiſteine nehme, ſo ſtoſſe er ſein Gluͤck mit Fuͤſſen von ſich.

Vogt. Hat er ſich dazu entſchloſſen?

Joſeph. Ja freylich; das war im Augen - blick richtig. Am Montag werden wir den Bruch angreifen.

Vogt. Die Tagloͤhner muͤſſen ja am Montag ins Schloß.

Joſeph. 160

Joſeph. Sie werden zu Mittag ſchon wieder zuruͤck und mit der Waar in dem Kalch ſeyn. Das hat ſeine Richtigkeit, wie wenn’s ſchon drinnen waͤre.

Vogt. Das iſt recht und gut; wenn’s doch nur ſchon gemacht waͤre. Dein Trinkgeld liegt ſchon parat, Joſeph!

Joſeph. Ich haͤtte es eben jezt recht noͤthig, Vogt!

Vogt. Komm nur am Montag, wenn ihr den Bruch angefangen haben werdet; es liegt parat.

Joſeph. Meynſt du, ich halte nicht Wort?

Vogt. Wohl, Joſeph! ich traue dir.

Joſeph. So gieb mir doch gerade jetzo drey Thaler auf unſere Abrede Ich wollte gern morgen meine neuen Stiefel beym Schuſter abho - len; es iſt mein Namenstag, und ich mag jezt dem Meiſter kein Geld fordern.

Vogt. Ich kann jezt nicht wohl. Komme doch am Montag Abend.

Joſeph. Da ſehe ich, wie du mir traueſt. Man mag wohl etwas verſprechen, aber halten, das iſt was anders! Ich glaubte auf dein Trink - geld zaͤhlen zu doͤrfen, Herr Untervogt!

Vogt. Meiner Seele! ich gieb es dir.

Joſeph. Ich ſeh’s ja

Vogt. Es iſt am Montag auch noch Zeit.

Joſeph. Vogt! du zeigeſt mir, daß man’s mit Haͤnden greifen kann, daß du mir nicht trauſt. Alſo161Alſo darf ich auch ſagen, wie’s mir iſt: Wird der Steinbruch einmal angegriffen ſeyn, ſo wirſt du mir kein gut Wort mehr geben.

Vogt. Das iſt doch unverſchaͤmt, Joſeph! ich werde dir gewiß Wort halten.

Joſeph. Ich mag nichts hoͤren, wenn’s nicht jezt ſeyn kann, ſo iſt alles[au]s.

Vogt. Kannſt du es jezt nicht mit zween Tha - lern machen?

Joſeph. Nein, ich muß drey haben; aber dann kannſt du auch auf mich zaͤhlen, in allem.

Vogt. Ich will’s endlich thun, aber du halteſt dann mir doch dein Wort?

Joſeph. Wenn ich dich dann anfuͤhre, ſo ſage, wo du willſt, ich ſey der groͤſte Schelm und Dieb auf der Erden.

Der Vogt rief jezt der Frau, und ſagt ihr: Gieb dem Joſeph drey Thaler.

Die Frau nimmt ihn beyſeits, und ſagt ihm: Thue doch das nicht.

Vogt. Rede mir nichts ein. Thue, was ich ſage.

Frau. Sey doch doch kein Narr; du biſt be - ſoffen, es wird dich morgen reuen.

Vogt. Rede mir kein Wort ein. Drey Tha - ler im Augenblick hoͤrſt du, was ich ſage?

Die Frau ſeufzt, holt die Thaler, wirft ſie dem Vogt dar. Dieſer giebt ſie dem Joſeph, undLſagt162ſagt noch einmal: Du wirſt mich doch nicht an - fuͤhren wollen?

Behuͤte mich Gott davor! Was denkſt du auch, Vogt? antwortete Joſeph geht, zaͤhlt auſſer der Thuͤre noch einmal ſeine drey Thaler, und ſagt zu ſich ſelbſt:

Nun iſt mein Lohn zwiſchen den Fingern, und da iſt er ſicherer, als in des Vogts Kiſten. Er iſt ein alter Schelm, und ich will nicht ſein Narr ſeyn. Nehm jezt meinethalben der Meiſter Kieſel - oder Blauſtein.

Die Voͤgtinn heulete vor Zorn auf der Herd - ſtaͤtte in der Kuͤche; und gieng nicht mehr in die Stube bis nach Mitternacht.

Auch dem Vogt ahndete, ſo bald er fort war, daß er ſich uͤbereilt haͤtte; aber er vergaß es bald wieder bey der Geſellſchaft. Der Graͤuel der San - fenden dauerte bis nach Mitternacht.

Endlich kam die Voͤgtinn aus der Kuͤche, und ſagte: Es iſt Zeit, es iſt einmal Zeit aufzubrechen, es geht gegen dem Morgen, und iſt heiliger Abend.

Heiliger Abend! ſagten die Kerls, ſtreckten ſich, gaͤhnten, ſoffen aus, und ſtuhnden nach und nach auf.

Jezt taumelten, wankten ſie allenthalben um - her, hielten ſich an Tiſchen und Waͤnden, und kamen mit Muͤhe zum Hauſe hinaus.

Gehe163

Geht doch ein jeder allein, und macht kein Gewuͤhl, ſagte ihnen die Voͤgtinn, ſonſt kriegen der Pfarrer und ſein Chorgericht Strafen.

Nein, es iſt beſſer, wir verſaufen das Geld, antworteten die Maͤnner.

Und die Voͤgtinn: Wenn ihr den Waͤchter an - trefft, ſo ſaget ihm, es ſtehe ein Glas Wein und ein Stuͤck Brod fuͤr ihn da.

Und ſie waren kaum fort, ſo erſchien der Waͤch - ter vor den Fenſtern des Wirthshauſes, und rief:

Wollt ihr hoͤren, was ich euch will ſagen, Die Glock und die hat Ein Uhr g’ſchlagen.

Ein Uhr g’ſchlagen.

Die Voͤgtinn verſtuhnd den Ruf, bracht ihm den Wein, und bat, daß er doch dem Pfarrer nicht ſage, wie lange ſie gewirthet habe.

Und nun half ſie noch dem ſchlummernden Beſoffenen aus den Schuhen und Struͤmpfen

L 2Und
Anmerkung. Hier ſtanden noch ein Paar Zeilen Das iſt un - flaͤtig, ſagte ein Knab von noch nicht zehn Jah - ren, der ſie leſen hoͤrte. Ich umarmte ihn, und ſtrich die Stelle durch. Juͤngling! wirſt du dein reines Gefuͤhl und das ſanfte Erroͤthen deinerWan -
1164

Und ſie brummte noch von Joſephs Thalern, und von der Dummheit ihres Manns; er aber ſchlummerte, ſchnarchte, wußte nicht, was er that. Endlich kamen beyde am heiligen Abend zur Ruhe.

Und
Wangen behalten, ſo wird der Zug deiner Jugend dir Freude machen im Alter; aber wirſt du dieſe ſanfte Unſchuld deines Herzens der Kuͤhnheit dei - nes anwachſenden Muths aufopfern wird dein blitzendes Auge einſt ſich nicht mehr niederſchla - gen, nicht mehr Thraͤnen fallen laſſen; wird dei - ne Wange nicht mehr erroͤthen, beym Anblick deſſen, was unrecht und ſchaͤndlich iſt, Juͤngling! dann wirſt du ob dieſer Stelle weinen, oder ſie vielleicht nicht mehr werth achten, ſie zu leſen. In dieſem Augenblick mußte mir natuͤrlich der Gedanke auffallen: Wie weit darf ein ſittlicher Schriftſteller das Laſter mahlen? Darf mein Mund ausſprechen, was Hogarth und ** ge - mahlt haben? Ausſprechen das Thun dieſer Men - ſchen, die ich ohne Bedenken vom Pinſel und vom Grabſtichel gemahlt ſehe? Mein Gefuͤhl beht zuruͤcke, wenn ich’s in Worte bringe und aus - ſpreche, das Thun dieſer Menſchen, und ich ſehe mich um, ob mich Niemand hoͤre. Aber das Bild des Mahlers ſeh ich hingelehnt am Arme des Beſten, des Edelſten, und ſcheue mich nicht. Die Zunge des Menſchen, ſein Mund, ſind enger mit dem Gefuͤhl ſeines Herzens verbunden, als ſeine Hand. Die Kunſt, die mit Hand undPin -
2165

Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile nichts mehr von ihnen zu erzaͤhlen. Ich kehre zu - ruͤck zu Lienhard und Gertrud Wie das eine Welt iſt! Bald ſteht neben einem Hundsſtall ein Garten, und auf einer Wieſe iſt bald ſtinkender Unrath, bald herrliches,[m]ilchreiches Futter.

Ja, es iſt wunderlich auf der Welt! Selbſt die ſchoͤnen Wieſen geben ohne den Unrath, den wir darauf ſchuͤtten, kein Futter.

Pinſel das Laſter mahlt, und kuͤhn iſt, und das Tiefſte treffend enthuͤllet, entweihet das Herz nicht mit der Gewalt, mit der es der Mund thut, wenn er mit gleicher Kuͤhnheit das Laſter ent - bloͤßt darſtellt. Das iſt keine Lobrede fuͤr alle angebeteten Dich - ter; aber es duͤnkt mich hingegen, beſonders in einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton iſt, den Kopf mit Bildern des Muͤßiggangs, an - ſtatt mit Berufs - und Geſchaͤftsſachen zu fuͤllen, eine fuͤr das Menſchengeſchlecht hoͤchſt wichtige Wahrheit.
3
L 2§. 31.166

§. 31. Der Abend vor einem Feſttage, im Hauſe einer rechtſchaffenen Mutter.

Gertrud war noch allein bey ihren Kindern. Die Vorfaͤlle der Woche und der morndrige feſtliche Morgen erfuͤllten ihr Herz. In ſich ſelbſt geſchloſ - ſ〈…〉〈…〉 n und ſtill bereitete ſie das Nachteſſen, nahm ih - rem Mann und den Kindern und ſich ſelber ihre Sonntagskleider aus dem Kaſten, und bereitete al - les auf morgen, damit denn am heiligen Tage ſie nichts mehr zerſtreue. Und da ſie ihre Geſchaͤfte vollendet hatte, ſetzte ſie ſich mit ihren Lieben an Tiſch, um mit ihnen zu beten.

Es war alle Samſtage ihre Gewohnheit, den Kindern in der Abendgebetſtunde ihre Fehler und auch die Vorfaͤlle der Woche, die ihnen wichtig und erbaulich ſeyn konnten, ans Herz zu legen.

Und heute war ſie beſonders eingedenk der Guͤte Gottes gegen ſie in dieſer Woche, und wollte die - ſen Vorfall, ſo gut ihr moͤglich war, den jungen Herzen tief einpraͤgen, daß er ihnen unvergeßlich bliebe.

Die Kinder ſaſſen ſtill um ſie her, falteten ihre Haͤnde zum Gebet, und die Mutter redte mit ihnen.

Ich167

Ich habe euch etwas Gutes zu ſagen, Kinder! Der liebe Vater hat in dieſer Woche eine gute Ar - beit bekommen, an deren ſein Verdienſt viel beſſer iſt, als an dem, was er ſonſt thun muß Kin - der! wir duͤrfen hoffen, daß wir in Zukunft das taͤgliche Brod mit weniger Sorgen und Kummer haben werden.

Danket, Kinder! dem lieben Gott, daß er ſo gut gegen uns iſt; und denket fleißig an die alte Zeit, wo ich euch jeden Mundvoll Brod mit Angſt und Sorgen abtheilen mußte. Es that mir da ſo manchmal im Herzen weh, daß ich euch ſo oft und viel nicht genug geben konnte; aber der liebe Gott im Himmel wußte ſchon, daß er helfen wollte, und daß es beſſer fuͤr euch ſey, meine Lieben! daß ihr zur Armuth, zur Geduld, und zur Ueberwindung der Geluͤſte gezogen wuͤrdet, als daß ihr Ueber - fluß haͤttet. Denn der Menſch, der alles hat, was er will, wird gar zu gern leichtſinnig, ver - gißt ſeines Gottes, und thut nicht das, was ihm ſelbſt das nuͤtzlichſte und beſte iſt. Denkt doch, ſo lang ihr leben werdet, Kinder! an dieſe Armuth, und an alle Noth und Sorgen, die wir hatten und wenn es jezt beſſer geht, Kinder! ſo denkt an die, ſo Mangel leiden, ſo wie ihr Mangel leiden mußtet. Vergeſſet nie, wie Hunger und Mangel ein Elend ſind, auf daß ihr mitleidig werdet gegen dem Armen. Und wenn ihr einen Mundvoll uͤber -L 4fluͤßiges168fluͤßiges habt, es ihm gern gebet Nicht wahr, Kinder! ihr wollt es gern thun?

O ja, Mutter! gewiß gerne ſagten alle Kin - der.

§. 32. Die Freuden der Gebetsſtunde.

Mutter.

Niclas! wen kenneſt du, der am meiſten Hunger leiden muß?

Niclas. Mutter! den Rudeli. Du warſt geſtern bey ſeinem Vater, der muß ſchier Hun - ger ſterben; er iſſet Gras ab dem Boden.

Mutter. Wollteſt du ihm gern dann und wann dein Abendbrod geben?

Niclas. O ja, Mutter! darf ich gerad mor - gen.

Mutter. Ja, du darfſt es.

Niclas. Das freuet mich!

Mutter. Und du, Liſe! wem wollteſt du dann und wann dein Abendbrod geben?

Liſe. Ich beſinne mich jezt nicht gerade, wem ich’s am liebſten gaͤbe.

Mutter. Kommt dir denn kein Kind in Sinn, das Hunger leiden muß?

Liſe. 169

Liſe. Wohl freylich, Mutter!

Mutter. Warum weißſt du denn nicht, wem du’s geben willſt? Du haſt immer ſo kluges Be - denken, Liſe!

Liſe. Ich weiß es jezt auch, Mutter!

Mutter. Wem denn?

Liſe. Des Reuͤtimarxen Beteli Ich ſah es heute auf des Vogts Miſt verdorbene Erdaͤpfel her - ausſuchen.

Niclas. Ja, Mutter! ich ſah es auch, und ſuchte in allen meinen Saͤcken, aber ich fand keinen Mundvoll Brod mehr haͤtte ich’s nur auch ei - ne Viertelſtunde laͤnger geſpart.

Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern Kinder und ſie hatten alle eine herzinnige Freude daruͤber, daß ſie morgen ihr Abendbrod armen Kin - dern geben ſollten.

Die Mutter ließ ſie eine Weile dieſe Freude genieſſen dann ſagte ſie zu ihnen: Kinder! es iſt jezt genug hievon Denket jezt auch daran, wie unſer Gnaͤdige Herr euch ſo ſchoͤne Geſchenke ge - macht hat.

Ja unſere ſchoͤnen Batzen willſt du ſie uns doch zeigen, Mutter? ſagten die Kinder.

Hernach, nach dem Beten, ſagte die Mutter.

Die Kinder jauchzeten vor Freuden.

L 5§. 33.170

§. 33. Die Ernſthaftigkeit der Gebetsſtunde.

Ihr laͤrmet, Kinder! ſagte die Mutter. Wenn euch etwas Gutes begegnet, ſo denket doch bey al - lem an Gott, der uns alles giebt. Wenn ihr das thut, Kinder! ſo werdet ihr in keiner Freude wild und ungeſtuͤmm ſeyn. Ich bin gern ſelber mit euch froͤlich, ihr Lieben! aber wenn man in Freude und Leid ungeſtuͤmm und heftig iſt, ſo verlieret man die ſtille Gleichmuͤthigkeit und Ruhe ſeines Herzens. Und wenn der Menſch kein ſtilles, ruhiges und heiteres Herz hat, ſo iſt ihm nicht wohl. Darum muß er Gott vor Augen haben. Die Gebetsſtunde des Abends und Morgens iſt darfuͤr, daß ihr das nie vergeſſet. Denn, wenn der Menſch Gott dankt oder betet, ſo iſt er in ſeinen Freuden nie ausge - laſſen und in ſeinen Sorgen nie ohne Troſt. Aber darum, Kinder! muß der Menſch, beſonders in ſei - ner Gebetsſtunde, ſuchen ruhig und heiter zu ſeyn Sehet, Kinder! wenn ihr dem Vater recht danket fuͤr etwas, ſo jauchzet und laͤrmet ihr nicht Ihr fallet ihm ſtill und mit wenig Worten um den Hals; und wenn’s euch recht zu Herzen gehet, ſo ſteigen euch Thraͤnen in die Augen Sehet, Kin -der!171der! ſo iſt’s auch gegen Gott! Wen̄’s euch〈…〉〈…〉 cht freuet, was er euch Gutes thut, und wenn es euch recht im Herzen iſt zu danken, ſo machet ihr gewiß nicht viel Geſchreyes und Geredes aber Thraͤnen kom - men euch in die Augen, daß der Vater im Himmel ſo gut iſt Sehet, Kinder! dafuͤr iſt alles Beten, daß einem das Herz im Leib gegen Gott und Men - ſchen immer dankbar bleibe; und wenn man recht betet, ſo thut man auch Recht, und wird Gott und Menſchen lieb in ſeinem ganzen Leben.

Niclas. Auch dem Gnaͤdigen Herrn werden wir recht lieb, wenn wir Recht thun, ſagteſt du geſtern.

Mutter. Ja, Kinder! es iſt ein recht guter und frommer Herr! Gott lohne ihm alles was er an uns thut. Wenn du ihm einſt nur recht lieb wirſt, Niclas!

Niclas. Ich will ihm thun, was er will; wie dir und dem Vater will ich ihm thun, was er will, weil er ſo gut iſt.

Mutter. Das iſt brav, Niclas! denk nur im - mer ſo, ſo wirſt du ihm gewiß lieb werden.

Niclas. Wenn ich nur auch einmal mit ihm reden duͤrfte.

Mutter. Was wollteſt du mit ihm reden?

Niclas. Ich wollte ihm danken fuͤr den ſchoͤ - nen Batzen.

Anneli. Duͤrfteſt du ihm danken?

Niclas. 172

Niclas. Warum das nicht?

Anneli. Ich duͤrft’s nicht.

Liſe. Ich auch nicht.

Mutter. Warum duͤrftet ihr das nicht, Kin - der?

Liſe. Ich muͤßte lachen

Mutter. Was lachen? Liſe! und noch vor - aus ſagen, daß du nicht anders als laͤppiſch thun koͤnnteſt. Wenn du nicht viel Thorheiten im Kopf haͤtteſt, es koͤnnte dir an ſo etwas kein Sinn kom - men.

Anneli. Ich muͤßte nicht lachen, laber ich wuͤrde mich fuͤrchten.

Mutter. Er wuͤrde dich bey der Hand nehmen, Anneli! und wuͤrde auf dich herab laͤcheln, wie der Vater, wenn er recht gut mit dir iſt. Dann wuͤr - deſt du dich doch nicht mehr fuͤrchten, Anneli!

Anneli. Nein dann nicht.

Jonas. Und ich dann auch nicht.

§. 34.173

§. 34. So ein Unterricht wird verſtanden und geht an’s Herz, aber es giebt ihn ei - ne Mutter.

Mutter.

Aber ihr Lieben! wie iſt’s in dieſer Woche mit dem Rechtthun gegangen?

Die Kinder ſehen eines das andere an, und ſchweigen.

Mutter. Anneli! thateſt du Recht in dieſer Woche?

Anneli. Nein Mutter! du weißſt es wohl mit dem Bruͤderlein.

Mutter. Anneli! es haͤtte dem Kind etwas begegnen koͤnnen; es ſind ſchon Kinder, die man ſo allein gelaſſen hat, erſtickt. Und uͤber das, denk nur, wie’s dir waͤre, wenn man dich in eine Kammer einſperrte, und dich da hungern und duͤrſten und ſchreyen lieſſe. Die kleinen Kinder werden auch zornig, und ſchreyen, wenn man ſie lang ohne Huͤlfe laͤßt, ſo entſetzlich, daß ſie fuͤr ihr ganzes Leben elend werden koͤnnen. Anneli! ſo duͤ〈…〉〈…〉[f]te ich, weiß Gott! keinen Augenblick mehr ruhig vomHauſe174Hauſe weg, wenn ich fuͤrchten muͤßte, du haͤtteſt zu dem Kind nicht recht Sorge.

Anneli. Glaube mir’s doch, Mutter! ich will gewiß nicht mehr von ihm weggehn.

Mutter. Ich wills zum lieben Gott hoffen, du werdeſt mich nicht mehr ſo in Schrecken ſetzen.

Und, Niclas! wie iſts dir in dieſer Woche ge - gangen?

Niclas. Ich weiß nichts Boͤſes.

Mutter. Denkſt du nicht mehr dran, daß du am Montag das Gruͤteli umgeſtoſſen haſt?

Niclas. Ich hab’s nicht mit Fleiß gethan, Mutter!

Mutter. Wenn du es noch gar mit Fleiß ge - than haͤtteſt, ſchaͤmeſt du dich nicht, das zu ſagen?

Niclas. Es iſt mir leid! Ich will’s nicht mehr thun, Mutter!

Mutter. Wenn du einmal groß ſeyn, und ſo, wie jezt, nicht Achtung geben wirſt, was um und an dir iſt, ſo wirſt du es mit deinem g[r]oſſen Schaden lernen muͤſſen. Schon unter den Knaben kommen die Unbedachtſamen immer in Haͤndel und Streit und ſo muß ich fuͤrchten, mein lieber Niclas! daß du dir mit deinem unbedachtſamen Weſen viel Un - gluͤck und Sorgen auf den Hals ziehen werdeſt.

Niclas. Ich will gewiß Acht geben, Mutter!

Mutter. Thue es doch, mein Lieber! undglaub175glaub mir, dieſes unbedachtſame Weſen wuͤrde dich gewiß ungluͤcklich machen.

Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben.

Mutter. Und du, Liſe! wie haſt du dich in dieſer Woche aufgefuͤhrt?

Liſe. Ich weiß einmal nichts anders dieſe Woche, Mutter!

Mutter. Gewiß nicht?

Liſe. Nein einmal, Mutter! ſo viel ich mich beſinne; ich wollte es ſonſt gern ſagen, Mutter!

Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts weißſt, mit ſo viel Worten antworteſt, als ein an - ders, wenn es recht viel zu ſagen hat.

Liſe. Was habe ich jezt denn auch geſagt, Mut - ter?

Mutter. Eben nichts, und doch viel geant - wortet. Es iſt das, was wir dir tauſendmal ſchon ſagten, du ſeyſt nicht beſcheiden, du beſinneſt dich uͤber nichts, was du reden ſollſt, und muͤſſeſt doch immer geredt haben Was hatteſt du gerad vor - geſtern dem Untervogt zu ſagen, du wiſſeſt, daß Arner bald kommen werde?

Liſe. Es iſt mir leid, Mutter!

Mutter. Wir haben’s dir ſchon ſo oft geſagt, daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re - den ſollſt, inſonderheit vor fremden Leuten; und doch thuſt du es immerfort Wenn jezt dein Va -ter176ter es nicht haͤtte ſagen duͤrfen, daß er es ſchon wiſſe, und wenn er ſo Verdruß von deinem Ge - ſchwaͤtze gehabt haͤtte?

Liſe. Es wuͤrde mir ſehr leid ſeyn; aber weder du noch er haben doch kein Wort geſagt, daß es Niemand wiſſen ſoll.

Mutter. Ja, ich will’s dem Vater ſagen, wenn er heim koͤmmt. Wir muͤſſen ſo zu al - len Worten, die wir in der Stube reden, allemal hinzuſetzen: Das darf jezt die Liſe ſagen bey den Nachbaren, und beym Brunnen erzaͤhlen aber das nicht und das nicht und das wieder ſo weißſt du denn recht ordentlich und richtig, wo - von du plappern darfſt.

Liſe. Verzeih mir doch, Mutter! Ich meynte es auch nicht ſo.

Mutter. Man hat es dir fuͤr ein und allemal geſagt, daß du in nichts, was dich nicht angeht, plaudern ſollſt; aber es iſt vergeblich. Der Feh - ler iſt dir nicht abzugewoͤhnen, als mit Ernſt, und das erſtemal, daß ich dich wieder bey ſo unbeſon - nenem Geſchwaͤtz antreffen werde, werde ich dich mit der Ruthe abſtrafen.

Die Thraͤnen ſchoſſen der Liſe in die Augen, da die Mutter von der Ruthe redte. Die Mutter ſah es, und ſagte zu ihr: Liſe! die groͤßſten Ungluͤcke entſtehen aus unvorſichtigem Geſchwaͤtze, und dieſer Fehler muß dir abgewoͤhnt ſeyn.

So177

So redte die Mutter mit allen, ſo gar mit dem kleinen Gruͤtli: Du mußſt deine Suppe nicht mehr ſo ungeſtuͤmm fordern, ſonſt laß ich dich ein ander mal noch laͤnger warten, oder ich gebe ſie gar ei - nem andern.

Nach allem dieſem beteten die Kinder ihre ge - woͤhnten Abendgebete, und nach denſelben das Sam - ſtagsgebet, das Gertrud ſie gelehrt hatte. Es lau - tet alſo:

§. 35. Ein Samſtagsabendgebet.

Lieber Vater im Himmel! Du biſt immer gut mit den Menſchen auf Erden, und auch mit uns biſt du immer gut, und giebſt uns alles, was wir noͤ - thig haben. Ja, du giebſt uns Gutes zum Ue - berfluß. Alles koͤmmt von dir das Brod und alles, was uns der liebe Vater und die liebe Mut - ter geben, alles giebſt du ihnen, und ſie geben es uns gern. Sie freuen ſich uͤber alles, was ſie uns thun und geben koͤnnen, und ſagen uns, wir ſollen es dir danken, daß ſie ſo gut mit uns ſind; ſie ſa - gen uns, wenn ſie dich nicht kennten, und du ih - nen nicht lieb waͤreſt, ſo waͤren auch wir ihnen nichtMſo178ſo lieb, und ſie wuͤrden, wenn ſie dich nicht kenn - ten und liebten, uns gar viel weniger Gutes thun koͤnnen. Sie ſagen uns ferner, daß wir es dem Heiland der Menſchen danken ſollen, daß ſie dich, himmliſcher Vater! erkennen und lieben, und daß alle Menſchen, welche dieſen lieben Heiland nicht kennen und lieben, und nicht allem guten Rathe fol - gen, den er den Menſchen auf Erden gegeben hat, auch dich, himmliſcher Vater nicht ſo lieben, und ihre Kinder nicht ſo fromm und ſorgfaͤltig erziehen, als die, ſo dem Heiland der Welt glauben. Un - ſer liebe Vater und die liebe Mutter erzaͤhlen uns immer viel von dieſem lieben Jeſus, wie er es ſo gut mit den Menſchen auf Erden gemeynt, wie er, damit er alles thue, was er koͤnne, die Menſchen zeitlich und ewig gluͤcklich zu machen, ſein Leben in tauſendfachem Elend zugebracht ha - be, und wie er endlich am Kreuze geſtorben ſey; wie ihn Gott wieder vom Tode auferweckt habe, und wie er jezt in der Herrlichkeit des Himmels zur Rechten auf dem Throne Gottes, ſeines Vaters, lebe, und noch jezt alle Menſchen auf Erden gleich liebe und ſuche gluͤcklich und ſelig zu machen Es geht uns allemal an’s Herz, wenn wir von dieſem lieben Jeſus hoͤren wenn wir nur auch lernen ſo leben, daß wir ihm lieb werden, und daß wir einſt zu ihm kommen in den Himmel.

Lieber179

Lieber Vater im Himmel! Wir arme Kinder, die wir hier beyſammen ſitzen und beten, ſind Bruͤ - der und Schweſtern; darum wollen wir immer recht gut mit einander ſeyn, und einander nie nichts zu leid thun, ſondern alles Gute, was wir koͤnnen und moͤgen. Zu den Kleinen wollen wir Sorge tragen mit aller Treue und mit allem Fleiß, daß der liebe Vater und die liebe Mutter ohne Sorgen ihrer Arbeit und ihrem Brode nachgehn koͤnnen; das iſt das Einzige, ſo wir ihnen thun koͤnnen fuͤr alle Muͤhe und Sorgen und Ausgaben, die ſie fuͤr uns haben. Vergilt ihnen, du Vater im Him - mel! alles, was ſie an uns thun, und laß uns ih - nen in allem, was ſie wollen, folgen, daß wir ih - nen lieb bleiben bis an’s Ende ihres Lebens, da du ſie von uns nehmen und belohnen wirſt fuͤr ihre Treue, die ſie uns werden erwieſen haben.

Lieber himmliſcher Vater! Laß uns den mor - genden heiligen Tag deiner Guͤte und der Liebe Jeſu Chriſti, und auch alles deſſen, was uns unſer Va - ter und unſere Mutter und alle Menſchen Gutes thun, recht eingedenk ſeyn; damit wir gegen Gott und Menſchen dankbar werden, und gehorſam, und damit wir in der Liebe wandeln vor deinen Augen unſer Lebenlang

Hier mußte Niclas inne halten. Dann ſprach Gertrud allemal, nach den Vorfaͤllen der Woche, das weitere vor.

M 2Heute180

Heute ſagte ſie ihnen: Wir danken dir, himm - liſcher Vater! daß du unſern lieben Eltern in die - ſer Woche die ſchweren Sorgen fuͤr ihr Brod und fuͤr ihre Haushaltung erleichtert, und dem Vater einen guten, eintraͤglichen Verdienſt gezeiget haſt. Wir danken dir, daß unſere Obrigkeit mit wah - rem Vaterherzen unſer Schutz, unſer Troſt und unſere Huͤlfe in allem Elend und in aller Noth iſt. Wir danken dir fuͤr die Gutthat unſers Gnaͤdigen Herrn. Wir wollen, will’s Gott! aufwachſen, wie zu deiner Ehre, alſo auch zu ſeinem Dienſt und Wohlgefallen; denn er iſt uns, wie ein treuer Va - ter.

Hierauf ſprach ſie der Liſe vor: Verzeih mir, o mein Gott! meine alte Unart, und lehre mich, mei - ne Zunge im Zaum halten ſchweigen, wo ich nicht reden ſoll, und behutſam und bedaͤchtlich ant - worten, wo man mich fraget.

Sodann ſpricht ſie dem Niclas vor: Bewahre mich, Vater im Himmel! doch in Zukunft vor mei - nem haſtigen Weſen, und lehre mich, mich auch in Acht nehmen, was ich mache, und wer um und an mir ſey.

Dann dem Anneli: Es iſt mir leid, mein lie - ber Gott! daß ich mein Bruͤderlein ſo leichtſinnig ver - laſſen, und damit die liebe Mutter ſo in Schrecken geſetzt habe. Ich will es in meinem Leben nicht mehr thun, mein lieber Gott!

Und181

Und nachdem die Mutter allen Kindern ſo vor - geſprochen hatte, betete ſie ferner:

Herr! Erhoͤre uns.
Vater! Verzeih uns.
Jeſus! Erbarm dich unſer.

Dann betete Niclas das heilige Vater unſer.

Und dann Enne: Behuͤt mir, Gott! den lie - ben Vater und die liebe Mutter und die lieben Ge - ſchwiſter, auch unſern lieben Gnaͤdigen Herrn von Arnheim, und alle guten lieben Menſchen auf Er - den

Und dann die Liſe:

Das walt Gott,
Der Vater!
Der Sohn!
und der heilige Geiſt!

Und dann die Mutter:

Nun Gott ſey mit euch!
Gott erhalte euch!

Der Herr laſſe ſein heiliges Angeſicht uͤber euch leuchten, und ſey euch gnaͤdig!

Eine Weile noch ſaſſen die Kinder und die Mut - ter in der ernſten Stille, die ein wahres Gebet al - len Menſchen einfloͤſſen muß.

M 3§. 36.182

§. 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine An - dacht und Emporhebung der Seele zu Gott.

Liſe unterbrach dieſe Stille Du zeigeſt uns jezt die neuen Batzen, ſagte ſie zur Mutter Ja, ich will ſie euch zeigen, antwortete die Mutter.

Aber, Liſe! du biſt immer das, ſo zuerſt redet.

Niclas juckt jezt vom Ort auf, wo er ſaß, draͤngt ſich hinter dem Gruͤtli hervor, daß er naͤher beym Licht ſey, um die Batzen zu ſehen, und ſtoͤßt denn das Kleine, daß es laut weint.

Da ſagte die Mutter: Niclas! es iſt nicht Recht; in eben der Viertelſtunde verſprachſt du, ſorgfaͤlti - ger zu ſeyn, und jezt thnſt du das.

Niclas. Ach Mutter! es iſt mir leid; ich will’s in meinem Lebe nicht mehr thun.

Mutter. Das ſagteſt du eben jezt zu deinem lieben Gott, und thatſt es wieder; es iſt dir nicht Ernſt.

Niclas. Ach ja, Mutter! Es iſt mir gewiß Ernſt. Verzeih mir, es iſt mir gewiß Ernſt und recht leid.

Mut -183

Mutter. Mir auch, du Lieber! Aber du denkſt nicht daran, wenn ich dich nicht abſtrafe. Du mußſt jezt ungeeſſen ins Bett. Sie ſagts, und fuͤhrt den Knaben von den andern Kindern weg in ſeine Kammer. Seine Geſchwiſter ſtanden alle traurig in der Stube umher; es that ihnen weh, daß der liebe Niclas nicht zu Nacht eſſen mußte.

Daß ihr euch doch nicht mit Liebe leiten laſſen wollt, Kinder! ſagte ihnen die Mutter.

Laß ihn doch diesmal wieder heraus, ſagten die Kinder.

Nein, meine Lieben! Seine Unvorſichtigkeit muß ihm abgewoͤhnt werden, antwortete die Mutter.

So wollen wir jezt die Batzen nicht ſehn bis morgen; er ſieht ſie denn mit uns, ſagte Enne.

Und die Mutter: Das iſt recht, Enne! Ja, er muß ſie alsdann mit euch ſehn.

Jezt gab ſie noch den Kindern ihr Nachteſſen, und gieng dann mit ihnen in ihre Kammer, wo Niclas noch weinte.

Nimm dich doch ein andermal in Acht, lieber, lieber Niclas! ſagte ihm die Mutter.

Und Niclas! Verzeih mir’s doch, meine liebe, liebe Mutter! Verzeih mir’s doch, und kuͤſſe mich; ich will gern nichts zu Nacht eſſen.

Da kuͤßte Gertrud ihren Niclas und eine heiſſe Thraͤne floß auf ſein Antlitz, als ſie ihm ſagte: O Niclas! Niclas! werde bedachtſam NiclasM 4mit184mit beyden Haͤnden umſchlingt den Hals der Mut - ter und ſagt: O Mutter! Mutter! verzeih mir.

Gertrud ſegnete noch ihre Kinder, und gieng wieder in ihre Stube.

Jezt war ſie ganz allein Eine kleine Lam - pe leuchtete nur ſchwach in der Stube, und ihr Herz war feyerlich ſtill, und ihre Stille war ein Gebet, das unausſprechlich ohne Worte ihr Inner - ſtes bewegte. Empfindung von Gott und von ſeiner Guͤte! Gefuͤhl von der Hoffnung des ewigen Le - bens, und von der innern Gluͤckſeligkeit der Men - ſchen, die auf Gott im Himmel trauen und bauen; alles dieſes bewegte ihr Herz, daß ſie hinſank auf ihre Knie, und ein Strom von Thraͤnen floß ihre Wangen herunter.

Schoͤn iſt die Thraͤne des Kinds, wenn es von der Wohlthat des Vaters geruͤhrt ſchluchzend zu - ruͤck ſieht, ſeine Wange trocknet, und ſich erholen muß, ehe es den Dank ſeines Herzens ſtammeln kann.

Schoͤn ſind die Thraͤnen des Niclas, die er in dieſer Stunde weint, daß er die gute gute Mutter erzuͤrnet hat, die ihm ſo lieb iſt.

Schoͤn ſind die Thraͤnen des Menſchen alle, die er alſo aus gutem Kinderherzen weint. Der Herr im Himmel ſieht herab auf das Schluchzen ſeines Danks und auf die Thraͤnen ſeiner Augen, wenn er ihn lieb hat.

Der185

Der Herr im Himmel ſah die Thraͤnen der Gertrud, und hoͤrte das Schluchzen ihres Herzens, und das Opfer ihres Danks war ein angenehmer Geruch vor ihm.

Gertrud weinte lang vor dem Herrn ihrem Gott, und ihre Augen waren noch naß, als ihr Mann heim kam.

Warum weineſt du, Gertrud? Deine Augen ſind roth und naß. Warum weineſt du heute, Gertrud? fragte ſie Lienhard.

Gertrud antwortete: Mein Lieber! Es ſind keine Thraͤnen von Kummer fuͤrchte dich nicht Ich wollte Gott danken fuͤr dieſe Woche, da ward mir das Herz zu voll, ich mußte hinſinken auf meine Knie, ich konnte nicht reden ich muß - te nur weinen; aber es war mir, ich habe in mei - nem Leben Gott nie ſo gedankt.

Du Liebe! antwortete Lienhard; wenn ich nur auch mein Herz, wie du, ſo ſchnell empor[h]eben und zu Thraͤnen bringen koͤnnte! Es iſt mir jezt auch gewiß Ernſt recht zu thun, und gegen Gott und Menſchen redlich und dankbar zu ſeyn; aber es wird mir nie ſo, daß ich auf meine Knie fallen und Thraͤnen vergieſſen moͤchte.

Gertrud. Wenn’s dir nur Ernſt iſt, recht zu thun, ſo iſt alles andre gleich viel. Der eine hat eine ſchwache Stimme, und der andre eine ſtarke; daran liegt nichts. Nur wozu ſie ein jeder braucht,M 5darauf186darauf koͤmmt’s allein an Mein Lieber! Thraͤ - nen ſind nichts, und Kniefallen iſt nichts; aber der Entſchluß, gegen Gott und Menſchen redlich und dankbar zu ſeyn, das iſt alles. Daß der eine Menſch weichmuͤthig, und daß der andre es weniger iſt, das iſt eben ſo viel, als daß der eine Wurm ſchwaͤr - faͤlliger und der andre leichter in dem Staube daher ſchleicht. Wenn es dir nur Ernſt iſt, mein Lieber! ſo wirſt du ihn finden. Ihn, der allen Menſchen Vater iſt.

Lienhard ſenkt mit einer Thraͤne im Aug ſein Haupt auf ihren Schooß, und ſie haͤlt ihr Ange - ſicht in ſtiller Wehmuth uͤber das ſeine.

Sie bleiben eine Weile in dieſer Stellung ſtill, ſtaunen und ſchweigen.

Endlich ſagte Gertrud zu ihm: Willſt du nicht zu Nacht eſſen?

Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz iſt zu voll, ich koͤnnte jezt nicht eſſen.

Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte ſie; aber weißſt du, was wir thun wollen Ich trage das Eſſen zu dem armen Rudi Seine Mutter iſt heute geſtorben.

§. 37.187

§. 37. Sie bringen einem armen Mann eine Erbsbruͤhe.

Lienhard. Iſt ſie endlich ihres Elends los?

Gertrud. Ja, Gott Lob! aber du haͤtteſt ſie ſollen ſterben ſehn; mein Lieber! Denk, ſie ent - deckte an ihrem Todestag, daß ihr Rudeli uns Erdaͤpfel geſtohlen haͤtte. Der Vater und der Knab mußten zu mir kommen, und um Verzeihung bit - ten. Sie ließ uns auch ausdruͤcklich in ihrem Namen bitten, wir ſollten es ihr verzeihen, daß ſie die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne, und der gute Rudi verſprach ſo herzlich, daß er es dir ab - verdienen wolle Denk, wie mir bey dem allem war, mein Lieber! Ich lief zu der Sterbenden, aber ich kann dir’s nicht erzaͤhlen; es iſt nicht aus - zuſprechen, mit welcher Wehmuth, wie innig ge - kraͤnkt ſie mich noch einmal fragte, ob ich’s ihnen verziehen haͤtte; und da ſie ſah, daß mein Herz geruͤhrt war, empfahl ſie mir ihre Kinder wie ſie das faſt nicht thun und faſt nicht wagen duͤrfte wie ſie es bis auf den letſten Augenblick verſpart, und dann, da ſie empfand, daß ſie eilen muͤßte,end -188endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe gegen die Ihrigen that und wie ſie mitten, indem ſie es that, ausgeloͤſcht iſt, das iſt nicht auszu - ſprechen und nicht zu erzaͤhlen.

Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn.

Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn. Sie nimmt ihre Erbsbruͤhe und ſie gehen.

Da ſie kamen, ſaß der Rudi neben der Todten auf ihrem Bett, weinte und ſeufzte, und der Klei - ne rief dem Vater aus ſeiner Kammer und bat ihn um Brod Nein, nicht um Brod um rohe Wurzeln nur, oder was es waͤre.

Ach! ich habe nichts, gar nichts um Got - tes willen, ſchweig doch bis morgen; ich habe nichts, ſagt ihm der Vater.

Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va - ter! ich kann nicht ſchlafen O! wie mich hun - gert, Vater!

O wie mich hungert! hoͤren ihn Lienhard und Gertrud rufen, oͤffnen die Thuͤre, ſtellen das Eſſen den Hungrigen dar, und ſagen zu ihnen: Eſſet doch geſchwind, ehe es kalt iſt.

O Gott! ſagte der Rudi, was ihr an mir thut. Rudeli, das ſind die Leute, denen du Erdaͤpfel geſtohlen haſt; und auch ich habe davon geeſſen.

Gertrud. Schweig doch einmal hievon, Rudi!

Rudi. Ich darf euch nicht anſehn, ſo geht’smir189mir an’s Herz, daß wir euch das haben thun duͤr - fen.

Lienhard. doch jezt, Rudi!

Rudeli. doch, Vater! wir wollen doch eſſen, Vater!

Rudi. So bete eben.

Rudeli.

Speis Gott
Troͤſt Gott
Alle armen Kind
Die auf Erden ſind
An Seel und Leib, Amen!

So betet der Knab, nimmt den Loͤffel, zittert, weint und ißt.

So vergelt’s euch Gott zu tauſendmalen ſagt der Vater, ißt auch, und Thraͤnen fallen uͤber ſeine Wangen in ſeine Speiſe.

Sie aſſen aber das Eſſen nicht auf, ſondern ſtellten ein Blaͤttlein voll den Kindern beyſeits, die ſchliefen, dann betete der Rudeli ab Tiſche:

Wer geeſſen hat
Gott danken ſoll;
Der uns geſpeist hat
Abermal.
Ihm ſey Lob, Preis und Dank geſagt,
Von nun an bis in Ewigkeit, Amen!

Als nun der Rudi ihnen noch einmal danken wollte, entfuhr ihm ein Seufzer

§. 38.190

§. 38. Die reine ſtille Groͤſſe eines wohlthaͤtigen Herzens.

Fehlt dir etwas, Rudi? Wenn’s etwas iſt, da wir dir helfen koͤnnen, ſo ſag es, ſagten Lienhard und Gertrud zu ihm.

Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch, antwortete der Rudi.

Aber ſichtbar erſtickt er das tiefe Seufzen des Herzens, das immer empordringen wollte.

Mitleidig und traurig ſahen ihn Lienhard und Gertrud an, und ſprachen: Du ſeufzeſt doch, und man ſieht’s, dein Herz iſt uͤber etwas beklemmt.

Sag’s doch, ach ſag’s doch, Vater! ſie ſind ja ſo gut, bittet ihn der Kleine.

Thu es doch, und ſag es, wenn wir helfen koͤn - nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud.

Darf ich’s! erwiederte der Arme; Ich habe weder Schuh noch Struͤmpfe, und ſollte morgen mit der Mutter zum Grabe, und uͤbermorgen in’s Schloß gehn.

Lienhard. Daß du dich auch ſo graͤmen magſt uͤber dieſes! Warum ſagteſt du doch das nicht auchgerade191gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern geben.

Rudi. Wirſt du mir, ach mein Gott! nach allem, was vorgefallen iſt, auch glauben, daß ich dir es unverſehrt und mit Dank wieder zuruͤck ge - ben werde?

Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und deine Noth haben dich zu aͤngſtlich gemacht.

Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und Menſchen, ſo wird dir durchaus leichter ums Herz werden, und du wirſt dir in allen Umſtaͤnden beſ - ſer helfen koͤnnen.

Rudi. Ja, Gertrud! Ich ſollte wohl meinem Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich nicht genug danken.

Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi!

Gertrud. Ich moͤchte deine Mutter noch ſehen.

Sie gehn mit einer ſchwachen Lampe an ihr Bett und Gertrud und Lienhard und der Rudi und der Kleine, alle mit Thraͤnen in den Augen ſtaunen in tiefem ſtillen Schweigen eine Weile ſie an, decken ſie dann wieder zu, und nehmen faſt ohne Worte herzlich Abſchied von einander.

Und im Heimgehn ſagte Lienhard zu Gertrud: Es geht mir an’s Herz, welche Tiefe des Elends! Nicht mehr in die Kirche gehn koͤnnen, nicht mehr um Arbeit bitten, nicht mehr dafuͤr danken koͤnnen, weilman192man keine Kleider, nicht einmal Schuh und Struͤm - pfe dazu hat.

Gertrud. Wenn der Mann nicht unſchuldig an ſeinem Elend waͤre, er muͤßte verzweifeln.

Lienhard. Ja, Gertrud! er muͤßte verzwei - feln; gewiß, er muͤßte verzweifeln, Gertrud! Wenn ich meine Kinder ſo um Brod ſchreyen hoͤrte, und keines haͤtte, und Schuld daran waͤre, Gertrud! ich muͤßte verzweifeln; und ich war auf dem Weg zu dieſem Elend.

Gertrud. Ja, wir ſind aus groſſen Gefahren errettet.

Indem ſie ſo redten, kamen ſie neben dem Wirthshaus vorbey, und das dumpfe Gewuͤhl der Saͤufer und Praſſer ertoͤnte in ihren Ohren. Dem Lienhard klopfte das Herz ſchon von ferne; aber ein Schauer durchfuhr ihn und ein banges Ent - ſetzen, als er ſich ihm naͤherte. Sanft und weh - muͤthig ſah ihn Gertrud jezt an, und beſchaͤmt er - wiederte Lienhard den wehmuͤthigen Anblick ſeiner Gertrud, und ſagte:

O des herrlichen Abends an deiner Seite! und wenn ich jezt auch hier geweſen waͤre! So ſagt er.

Die Wehmuth der Gertrud waͤchst jezt zu Thraͤ - nen, und ſie hebt ihre Augen gen Himmel. Er ſiehts Thraͤnen ſteigen auch ihm in die Augen, und gleiche Wehmuth in das Antlitz, wie ſeiner Ge - liebten. Auch er hebt ſeine Augen gen Himmel,und193und beyde hefteten eine Weile ihr Antlitz auf den ſchoͤnen Himmel. Sie ſahn mit wonnevollen Thraͤ - nen den hellleuchtenden Mond an, und noch won - nevollere innere Zufriedenheit verſicherte ſie, daß Gott im Himmel die reinen und unſchuldigen Gefuͤhle ih - rer Herzen guthieſſe.

Nach dieſer kleinen Verweilung giengen ſie in ihre Huͤtte.

Alſobald ſuchte Gertrud Schuhe und Struͤm - pfe fuͤr den Rudi, und Lienhard brachte ſie ihm noch am gleichen Abend.

Da er wieder zuruͤck war, beteten ſie noch ein Vorbereitungsgebet zum heiligen Nachtmahl, und entſchliefen in gottſeligen Gedanken.

Am Morgen ſtuhnden[fiel] fruͤh auf, und freu - ten ſich des Herrn, laſen die Leidensgeſchichte des Heilands und die Einſetzung des heiligen Abend - mahls, und lobten Gott in der fruͤhen Stunde vor dem Aufgange der Sonne am heiligen Tage.

Dann weckten ſie ihre Kinder, warteten noch ihr Morgengebet ab, und giengen zur Kirche.

Eine Viertelſtunde vor dem Zuſammenlaͤuten ſtuhnd auch der Vogt auf. Er konnte den Schluͤſ - ſel zum Kleiderkaſten nicht finden, fluchte Entſetzen und Graͤuel, ſtieß den Kaſten auf mit dem Schuh, kleidete ſich an, gieng zur Kirche, ſetzte ſich in den erſten Stuhl des Chors, nahm den Hut vor den Mund, blickte mit den Augen in alleNEcken194Ecken der Kirche, und betete zugleich unter dem Hute.

Bald darauf kam auch der Pfarrer.

Da ſang die Gemeinde zwey Stuͤcke von dem Paſſionslied: O Menſch! bewein dein Suͤnden groß, und wie es weiter lautet.

Dann trat der Pfarrer auf die Kanzel, und predigte und lehrte an dieſem Tage ſeine Gemeinde alſo.

§. 39. Eine Predigt.

Meine Kinder!

Wer den Herrn fuͤrchtet, und fromm und aufrich - tig vor ſeinen Augen wandelt, der wandelt im Licht.

Aber wer des Herrn ſeines Gottes in ſeinem Thun vergißt, der wandelt in der Finſterniß.

Darum laſſet euch nicht verfuͤhren, es iſt nur einer gut, und der iſt euer Vater.

Warum laufet ihr in der Irre umher, und tappet in der Finſterniß? Es iſt Niemand euer Va - ter, als nur Gott.

Huͤtet euch vor den Menſchen, daß ihr von ih - nen nicht Dinge lernt, die euerm Vater mißfallen.

Selig iſt der Menſch, deſſen Vater Gott iſt.

Selig195

Selig iſt der Menſch, der ſich vor dem Boͤſen fuͤrchtet, und der das Arge haſſet; denn es geht denen nicht wohl, die Boͤſes thun, und der Arge ver - ſtrickt ſich in ſeiner Argliſt.

Es geht denen nicht wohl, die ihren Naͤchſten druͤcken und draͤngen. Nein, es geht dem Men - ſchen nicht wohl, uͤber den der Arme zu Gott ſchreyt.

Weh dem Elenden, der im Winter den Armen ſpeiſet, und in der Ernde das Doppelte von ihm wieder abnimmt.

Weh dem Gottloſen, der dem Armen im Som - mer Wein aufdringt, und im Herbſt ihm zwey - mal ſo viel wieder fordert.

Weh ihm, wenn er dem Armen ſein Stroh und ſein Futter abdruͤckt, daß er ſein Land nicht mehr bauen kann.

Weh ihm, wenn die Kinder des Armen um ſeiner Hartherzigkeit willen Brod mangeln.

Weh dem Gottloſen, der den Armen Geld leiht, daß ſie ſeine Knechte werden, ihm zu Gebote ſtehn, ohne Lohn arbeiten, und doch zinſen muͤſſen.

Weh ihm, wenn ſie vor Gericht und Recht fuͤr ihn ausſagen, falſches Zeugniß geben, und Meyn - eide ſchwoͤren, daß er Recht hat.

Weh ihm, wenn er Boͤswichter in ſeinem Haus verſammelt, und mit ihnen dem Gerechten auf - lauert, ihn zu verfuͤhren, daß er auch werde wieN 2ſie,196ſie, und daß er ſeines Gottes, und ſeines Weibs, und ſeiner Kinder vergeſſe, und verſchwende bey ihnen den Lohn ſeiner Arbeit, auf den die Mutter ſamt den Kindern hoffet.

Und weh auch dem Elenden, der ſich alſo von dem Gottloſen verfuͤhren laͤßt, und in ſeinem Un - ſinn verſchwendet das Geld, das in ſeiner Haushal - tung noͤthig iſt.

Weh ihm, wenn ſein Weib uͤber ihn zu Gott ſeufzt, daß ſie nicht Milch hat, den Saͤugling zu naͤhren.

Weh ihm, wenn der Saͤugling um ſeines Sau - fens willen ſerbet.

Weh ihm, wenn die Mutter uͤber ſeiner Kin - der Brodmangel und uͤber unvernuͤnftig aufgebuͤr - dete Arbeit weint.

Weh dem Elenden, der das Lehrgeld ſeiner Soͤhne verſpielt; wenn ſein Alter kommen wird, wer - den ſie zu ihm ſagen: Du warſt nicht unſer Vater, du lehrteſt uns nicht Brod verdienen, womit koͤnnen wir dir helfen?

Weh denen, die mit Luͤgen umgehen, und das Krumme gerad und das Gerade krumm machen, denn ſie werden zu Schanden werden.

Weh euch, wenn ihr der Wittwe Aecker und des Waiſen Haus zu wohlfeil gekauft habt, weh euch! denn der Wittwe und des Waiſen Vater iſt euer Herr,und197und die Armen und die Wittwen und die Waiſen ſind ihm lieb, und ihr ſeyd ihm ein Graͤuel und ein Abſcheu, darum, daß ihr boͤs ſeyd und hart mit den Armen.

Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von dem, was nicht euer iſt.

Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins, der in den Reben des Armen gewachſen iſt.

Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde Menſchen ihr Korn mit Seufzen in eure Saͤcke ausſchuͤtten.

Ob ihr gleich ſpoͤttelt und ſcherzet, wenn euer Unterdruͤckte ſich vor euch wie ein Wurm windet, und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie - der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr euch gleich gegen alles das verhaͤrtet, ſo iſt es euch doch keine Stunde wohl in eurem Herzen.

Nein, es iſt dem Menſchen nicht wohl auf Got - tes Erdboden, der den Armen ausſaugt.

Moͤg er ſeyn, wer er will, moͤg er uͤber alle Gefahr, uͤber alle Verantwortung und uͤber alle Strafe auf der Erde hinaus ſeyn.

Moͤg er ſo gar Richter im Lande ſeyn, und Elende, die beſſer, als er, ſind, mit ſeiner Hand gefangen nehmen und mit ſeinem Munde anklagen.

Moͤg er ſo gar ſitzen und richten ſelber uͤber ſie, auf Leben und Tod, und ſprechen das Urtheil auf Schwerdt und Rad.

N 3Er198

Er iſt ſchlimmer als ſie.

Wer den Armen aus Uebermuth druͤckt, und elenden Leuten Fallſtricke legt, und die Haͤuſer der Wittwen ausſaugt der iſt ſchlimmer, als Diebe und Moͤrder, deren Lohn der Tod iſt.

Darum iſt dem Menſchen auf Erden, der das thut, auch keine Stunde wohl in ſeinem Herzen.

Er irret auf Gottes Erdboden umher, belaſtet mit dem Fluche des Brudermoͤrders, der ſeinem Herzen keine Ruhe laͤßt.

Er irret umher, und will und ſucht immer die Schrecken ſeines Inwendigen vor ſich ſelber zu ver - bergen.

Mit Saufen und Praſſen,
Mit Muthwillen und Bosheiten,
Mit Hader und Streit,
Mit Lug und Betrug,
Mit Zoten und Poſſen,
Mit Schmaͤhen und Schimpfen,
Mit Aufhetzen und Hinterreden,

will er ſich ſelbſt die Zeit, die ihm zur Laſt iſt, vertreiben.

Aber er wird die Stimme ſeines Gewiſſens nicht immer erſticken, er wird dem Schrecken des Herrn nicht immer entgehen koͤnnen; Es wird ihn uͤber - fallen, wie ein Gewaffneter, und ihr werdet ihn ſehn zittern und zagen, wie einen Gefangenen, dem der Tod droht.

Aber199

Aber ſelig iſt der Menſch, der keinen Theil hat an ſeinem Thun.

Selig iſt der Menſch, der nicht Schuld iſt an der Armuth eines ſeiner Nebenmenſchen.

Selig iſt der Menſch, der von keinem Armen Gaben oder Gewinn in ſeiner Hand hat.

Selig ſeyd ihr, wenn euer Mund rein iſt von harten Worten, und euer. Aug von harten Bli - cken.

Selig ſeyd ihr, wenn der Arme euch ſegnet, und wenn Wittwen und Waiſen Thraͤnen des Danks uͤber euch zu Gott weinen.

Selig iſt der Menſch, der in der Liebe wan - delt vor dem Herrn ſeinem Gott, und vor allem ſeinem Volk.

Selig ſeyd ihr, ihr Frommen! Kommet und freuet euch beym Mahl des Herrn der Liebe.

Der Herr, euer Gott, iſt euer Vater. Die Pfaͤnder der Liebe aus ſeiner Hand werden euch er - quicken, und das Heil eures Herzens wird wachſen, weil eure Liebe gegen Gott, euern Vater, und ge - gen die Menſchen, eure Bruͤder, wachſen und ſtark werden wird.

Aber ihr, die ihr ohne Liebe wandelt, und in euerm Thun nicht achtet, daß Gott euer Vater iſt, daß eure Nebenmenſchen Kinder eures Gottes ſind, und daß der Arme euer Bruder iſt, ihr Gottloſen! was thutN 4ihr200ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie geſtern den Armen druͤcken und draͤngen werdet! was thut ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn eſſen, und ſeinen Kelch trinken, und ſagen: daß ihr ein Leib und ein Herz, ein Geiſt und eine Seele mit euern Bruͤdern ſeyd?

Verlaſſet doch dieſe Vorhoͤfe, und meidet das Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn uͤber eu - erm Anblick erblaſſe, und daß er in der Stunde ſeiner Erquickung nicht denken muͤſſe, ihr werdet ihn mor - gen erwuͤrgen. Goͤnnet, ach! goͤnnet ihm doch dieſe Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch, und euch nicht ſehe.

Denn der Arme zittert vor euch, und dem Waiſen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg ſeyd.

Aber warum rede ich mit euch? Ich ver - ſchwende umſonſt meine Worte. Ihr geht nicht von da weg, wo ihr Menſchen kraͤnken koͤnnet; wo ihr ſie vor euch zitternd und angſtvoll ſehet, da iſt euch wohl, und ihr meynet, es muͤſſe, wie ihr, Niemand Ruhe haben in ſeinem Herzen.

Aber ihr irret euch; ſiehe, ich wende mich von euch weg, als ob ihr nicht da waͤret.

Und ihr Arme und Gedruͤckte in meiner Ge - meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr ſie nicht ſaͤhet, als ob ſie nicht da waͤren.

Der201
Der Herr iſt da!
Auf den ihr hoffet
Der Herr iſt da!

Glaubet und trauet auf ihn; und die Frucht eurer Truͤbſal und eurer Leiden wird euch zum Segen werden.

Glaubet und trauet dem Herrn euerm Gott, und fuͤrchtet euch nicht vor den Gottloſen; aber huͤtet euch vor ihnen, geduldet euch lieber, traget lieber allen Mangel, leidet lieber Schaden, als daß ihr Huͤlfe bey dem Hartherzigen ſuchet; denn die Worte eines harten Mannes ſind Luͤgen, und ſeine Huͤlfe iſt eine Lockſpeiſe, womit er den Armen fange, daß er ihn toͤde. Darum fliehet den Gott - loſen, wenn er euch laͤchelnd gruͤſſet, wenn er ſei - ne Hand euch bietet und die eure ſchuͤttelt und druͤcket. Wenn er euch alle ſeine Huͤlfe antraͤgt, ſo fliehet, denn der Gottloſe verſtrickt den Armen. Fliehet vor ihm, und bindet nicht mit ihm an; aber fuͤrchtet ihn nicht, wenn ihr ihn ſehet ſtehen feſt und groß wie die hohe Eiche feſt und groß! fuͤrchtet ihn nicht.

Gehet hin, ihr Lieben! in euern Wald, an den Ort, wo die hohen alten Eichen ſtanden, und und ſehet, wie die kleinen Baͤume, die unter ihrem Schatten ſerbten, jezt zugenommen haben, wie ſie gruͤnen und bluͤhen. Die Sonne ſcheint jezt wie - der auf die jungen Baͤume, und der Tau des Him -N 5mels202mels faͤllt auf ſie in ſeiner Kraft, und die groſſen weiten Wurzeln der Eiche, die alle Nahrung aus der Erde ſogen, faulen jezt und geben den jungen Baͤumen Nahrung, die im Schatten der Eiche ſerbten.

Darum hoffet auf den Herrn, denn ſeine Huͤlfe mangelt denen nie, die auf ihn hoffen.

Der Tag des Herrn wird uͤber den Gottloſen kommen, und an demſelben Tage wird er, wenn er den Unterdruͤckten und Elenden anſehen wird, heulen und ſprechen: Waͤr ich wie dieſer einer!

Darum trauet auf den Herrn, ihr Betruͤbten und Unterdruͤckten! und freuet euch, daß ihr den Herrn erkennet, der das Mahl der Liebe eingeſetzt hat.

Denn durch die Liebe tragt ihr der Erde Lei - den, wie einen Schatz von dem Herrn, und unter euern Laſten wachſen eure Kraͤfte und euer Segen.

Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der Liebe erkennet, denn ohne Liebe wuͤrdet ihr erlie - gen, und werden wie die Gottloſen, die euch pla - gen und betriegen.

Lobpreiſet den Herrn der Liebe, daß er das Abendmahl eingeſetzt, und unter ſeinen Millionen auch euch zu ſeinem heiligen Geheimniß berufen hat!

Lobpreiſet den Herrn!

Die Offenbarung der Liebe iſt die Erloͤſung der Welt!

Liebe203

Liebe iſt das Band, das den Erdkreis verbindet.

Liebe iſt das Band, das Gott und Menſchen verbindet.

Ohne Liebe iſt der Menſch ohne Gott; und ohne Gott und ohne Liebe was iſt der Menſch?

Doͤrft ihr’s ſagen?

Doͤrft ihr’s ausſprechen?

Doͤrft ihr’s denken?

Was der Menſch iſt ohne Gott und ohne Liebe.

Ich darf’s nicht ſagen.

Ich kann’s nicht ausſprechen.

Nicht Menſch.

Unmenſch iſt der Menſch ohne Gott und ohne Liebe.

Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der Liebe erkennet, der den Erdkreis von der Unmenſch - lichkeit zur Liebe, von der Finſterniß zum Licht, und vom Tod zum ewigen Leben berufen hat!

Und noch einmal ſage ich euch: Freuet euch, daß ihr den Herrn erkennet, und betet fuͤr alle die ſo ihn nicht erkennen, daß ſie zur Erkenntniß der Wahrheit und zu eurer Freude gelangen.

Meine Kinder! kommet zum heiligen Mahl euers Herrn Amen!

Nachdem der Pfarrer dieſes geſagt, und faſt eine Stunde ſeine Gemeinde chriſtlich gelehret hatte, betete er mit ihnen, und die ganze Gemeinde nahm das Nachtmahl des Herrn. Der Vogt Hummelaber204aber dienete zu beym Nachtmahl des Herrn; und nachdem alles Volk dem Herrn gedankt hatte, ſangen ſie wieder ein Lied, und der Pfarrer ſegnete die Gemeinde; und ein jeder gieng in ſeine Huͤtte.

§. 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war. Item, vom Wiſſen und Irrthum; und von dem, was heiſſe, den Armen druͤcken.

Der Vogt Hummel aber ergrimmte uͤber die Rede des Pfarrers, die er uͤber den Gottloſen gehalten hatte, in ſeinem Herzen; und am Tage des Herrn, den die ganze Gemeinde in ſtiller Feyer hei - ligte, tobte und wuͤtete er, ſchimpfte und redte er graͤuliche Dinge uͤber den Pfarrer.

So bald er vom Tiſch des Herrn heim gieng, ſandte er ſogleich zu den gottloſen Geſellen ſeines Lebens, daß ſie geſchwind zu ihm kamen. Dieſe waren bald da, und fuͤhrten mit dem Vogt laſter - hafte, leichtfertige Reden uͤber den Pfarrer und uͤber ſeine chriſtliche Predigt.

Der Vogt fieng zuerſt an: Ich kann das ver - dammte Schimpfen und Sticheln nicht leiden.

Es205

Es iſt auch nicht Recht, es iſt Suͤnde, beſon - ders an einem heiligen Tage iſt es Suͤnde, daß er’s thut, ſagte Aebi.

Und der Vogt: Er weiß es, der Boͤſewicht, daß ich es nicht leiden kann; aber deſto mehr thut er’s. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben ſeyn, wenn er die Leute mit ſeinem Predigen, und mit ſeinem Verdrehen alles deſſen, was er nicht ver - ſteht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn und Wuth bringen kann.

Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan - geliſten und die Apoſtel im neuen Teſtament haben Niemand geſchimpft.

Chriſten. Das mußſt du nicht ſagen, ſie ha - ben auch geſchimpft, und noch mehr als der Pfarrer.

Aebi. Das iſt nicht wahr, Chriſten!

Chriſten. Du biſt ein Narr, Aebi! Ihr blin - den Fuͤhrer, ihr Schlangen, ihr Ottergezuͤchte, und ſo tauſenderley. Du verſtehſt die Bibel, Aebi!

Bauern. Ja, Aebi! es iſt wahr, ſie haben auch geſchimpft.

Chriſten. Ja, aber Rechtshaͤndel! die ſie nicht verſtanden, und Rechnungsſachen, die vor der Ober - keit ausgemacht und in der Ordnung ſind, ahndeten ſie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute, die das wohl durften.

Bauern. Es verſteht ſich, es waren andre Leute.

Chriſten. 206

Chriſten. Ja, es mußten wohl andre Leute ſeyn, denn ſonſt haͤtten ſie es nicht duͤrfen; den - ket, wie ſie es machten Einſt einem Annas ja Annas hieß er und hinten nach auch ſeiner Frauen; nur daß ſie eine Luͤge ſagten, ſind ſie zu Boden gefallen, und waren todt.

Bauern. Iſt das auch wahr, um einer Luͤge willen?

Chriſten. Ja, ſo wahr ich lebe, und da vor euch ſtehe.

Aebi. Es iſt doch ſchoͤn, wenn man die Bi - bel verſteht.

Chriſten. Ich dank’s meinem Vater unter dem Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts Sonderbares. Er hat uns unſer ganzes Muttergut durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das koͤnnte ich noch wohl verſchmerzen, haͤtte er ſich nur nicht mit dem gehaͤngten Uli ſo eingelaſſen! ſo etwas traͤgt man Kind und Kindskindern nach; aber leſen konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das mußten wir auch koͤnnen; er ließ es keinem nach.

Aebi. Es hat mich tauſendmal gewundert, wie er auch ſo ein Schlimmling hat ſeyn koͤnnen, da er doch ſo viel wußte.

Bauern. Ja, es iſt freylich wunderlich, ſo viel er wußte.

Joſt. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus iſt.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euchhier -207hieruͤber verwundert. Wenn vieles Wiſſen die Leute braf machen wuͤrde, ſo waͤren ja eure Anwaͤlde und eure Troͤler, und eure Voͤgte und euere Richter, mit Reſpect zu melden, immer die Braͤfſten.

Bauern. Ja, es iſt ſo, Nachbar! es iſt ſo.

Joſt. Glaubet es nur, Nachbaren! Es iſt zwi - ſchen Wiſſen und Thun ein himmelweiter Unter - ſchied. Wer aus dem Wiſſen allein ſein Handwerk macht, der hat wahrlich groß Acht zu geben, daß er das Thun nicht verlerne.

Bauern. Ja, Nachbar! es iſt ſo, was einer nicht treibt, das verlernt er.

Joſt. Natuͤrlich, und wenn einer den Muͤßig - gang treibt, ſo wird er nichts nuͤtze. Und ſo geht’s denen, die ſich aus Muͤßiggang und langer Zeit aufs Fraͤgeln und Schwatzen legen, ſie werden nichts nuͤtze. Gebt nur Acht, die meiſten dieſer Purſche alle, die immer bald Kalender und bald Bibelhiſtorien, und bald die alten und bald die neuen Mandate in der Hand oder im Mund haben, ſind Tagdieben. Wenn man mit ihnen etwas, das Hausordnung Kinderzucht, Gewinn und Gewerb antrifft, reden will, wenn ſie Rath geben ſollen, wie dieſes oder jenes, das jezt nothwendig iſt, anzugreifen waͤre; ſo ſtehn ſie da, wie Tropfen, und wiſſen nichts, und koͤnnen nichts. Nur da, wo man muͤßig iſt, in Wirthshaͤuſern, auf Tanzplaͤtzen, bey dem Sonn - und Feyertagsgeſchwatzen da wollen ſie ſich dannzeigen;208zeigen; ſie bringen aber Quackſalbereyen, Dumm - heiten und Geſchichten an, an denen hinten und vornen nichts wahr iſt. Und doch iſt’s weit und breit eingeriſſen, daß ganze Stuben voll brafe Bauern bey Stunden ſo einem Großmaul, das ih - nen eine Luͤge nach der andern aufbindet, zuhoͤ - ren koͤnnen.

Aebi. Es iſt bey meiner Seel ſo, wie der Nachbar da ſagt; und, Chriſten! er hat deinen Vater durch und durch abgemahlt. Vollkommen ſo hatten wir’s mit ihm. Dumm war er in allem, was Holz und Feld, Vieh und Futter, Dreſchen und Pfluͤgen, und alles dergleichen antraf, wie ein Ochs, und zu allem, was er angreifen ſollte, traͤg wie ein Hammel Aber im Wirthshaus und bey den Kirchſtaͤnden*)Die Plaͤtze, wo die Bauern am Sonntag zwiſchen den Predigten und des Abends, leider Gott er - barm! vor langer Zeit, Mann und Weib, jung und alt, zuſammen ſtehn und ſchwatzen., bey Lichtſtubeten und auf den Gemeindplaͤtzen redte er, wie ein Weiſer aus Mor - genland bald vom Doctor Fauſt, bald vom Herrn Chriſtus, bald von der Hexe von Endor, oder deren von Hirzau, und bald von den Stiergefechten in Maſtricht und dem Pferdrennen in Londen So toll und dumm er alles machte, und ſo handgreif - lich er Luͤgen aufband, ſo hoͤrte man ihm den - noch immer gern zu, bis er faſt gehenkt wurde,da209da hat endlich ſein Credit mit dem Erzaͤhlen ab - genommen.

Joſt. Das iſt ziemlich ſpaͤt.

Aebi. Ja, wir waren lang Narren, und zahl - ten ihm manchen guten Krug Wein fuͤr lautre Luͤgen.

Joſt. Ich denke, es waͤre ihm beſſer geweſen, ihr haͤttet ihm keinen bezahlt.

Aebi. Bey Gott! Ich glaube ſelbſt, wenn wir ihm keinen bezahlt haͤtten, ſo waͤre er nicht unter den Galgen gekommen, er haͤtte alsdann arbeiten muͤſſen.

Joſt. So iſt ihm eure Gutherzigkeit eben uͤbel bekommen.

Bauern. Ja wohl, in Gottes Namen.

Joſt. Es iſt ein verflucht verfuͤhreriſches Ding um das muͤßiggaͤngeriſche Hiſtoͤrlein-Aufſuchen und Hiſtoͤrlein-Erzaͤhlen, und gar heillos, die Bibel in dieſen Narrenzeitvertreib hineinzuziehen.

Leupi. Mein Vater hat mich einſt tuͤchtig ge - pruͤgelt, da ich ſo uͤber einem Hiſtoͤrlein, ich glau - be, es war auch aus der Bibel, vergeſſen, das Vieh ab der Weyde zu holen.

Joſt. Er hatte auch Recht. Thun, was in der Bibel ſteht, iſt unſer Einem ſeine Sache, und davon erzaͤhlen, des Pfarrers Die Bibel iſt ein Mandat, ein Befehl, und was wuͤrde der Commandant zu dir ſagen, wenn er einen BefehlOins210ins Dorf ſchickte, man ſollte Fuhren in die Veſtung thun, und du dann, anſtatt in den Wald zu fah - ren, und zu laden, dich ins Wirthshaus ſetzteſt, den Befehl zur Hand naͤhmeſt, ihn ablaͤſeſt, und den Nachbaren bey deinem Glas Wein bis auf den Abend erklaͤrteſt, was er ausweiſe und wolle.

Aebi. Ha! was wuͤrd er mir ſagen? Alle Schand und Spott wuͤrd er mir ſagen, und mich ins Loch werfen laſſen, daß ich ihn fuͤr einen Nar - ren gehalten habe.

Joſt. Und juſt das ſind die Leute auch werth, die aus lauter M[uͤßi]ggang, und damit ſie im Wirths - haus Hiſtoͤrlein erzaͤhlen koͤnnen, in der Bibel leſen.

Chriſten. Ja; aber man muß doch darinn leſen, damit man den rechten Weg nicht verfehle.

Joſt. Das verſteht ſich; aber die, ſo bey allen Stauden ſtill ſtehen, und von allen Brunnen und Markſteinen und Kreuzen, die ſie auf dem Weg antreffen, Geſchwaͤtz treiben, ſind nicht die, welche auf dem Weg fort wandeln wollen. *)Man verwundert ſich wahrſcheinlich uͤber die Ernſt - haftigkeit des Geſpraͤchs, an welchem ausgezeich - nete Lumpen und Saͤufer Theil nehmen Aber es giebt Geſichtspunkte von Sachen, welchedieſe

Aebi. Aber wie iſt denn das, Nachbar? Man ſagt ſonſt, man trage an nichts zu ſchwer, dasman211man wiſſe; aber es duͤnkt mich, man koͤnne am Vielwiſſen auch zu ſchwer tragen.

Joſt. Ja freylich, Nachbar! Man traͤgt an allem zu ſchwer, was einen an etwas beſſerm und nothwendigerm verſaͤumt. Man muß alles nur wiſ - ſen um des Thuns willen. Und wenn man ſich darauf legt, um des Schwaͤtzens willen viel wiſſen zu wollen, ſo wird man gewiß nichts nuͤtze.

Es iſt mit dem Wiſſen und Thun, wie mit ei - nem Handwerk. Ein Schuhmacher, z. E. muß arbeiten, das iſt ſeine Hauptſache; er muß aber auch das Leder kennen und ſeinen Einkauf verſte - hen, das iſt das Mittel, durch welches er in ſei - nem Handwerk wohl faͤhrt, und ſo iſt’s in allem. Ausuͤben und Thun iſt fuͤr alle Menſchen immer die Hauptſache. Wiſſen und Verſtehn iſt das Mit - tel, durch welches ſie in ihrer Hauptſache wohl fahren.

O 2Aber
*)dieſe Leute intereſſiren, wie unſer Einen, und Augenblicke, wo ſie ſehr ernſthaft und, nach ih - rer Art, ſehr naiv und ſehr richtig von allen Din - gen reden und urtheilen; und man iſt ſehr irrig, wenn man den liederlichen Bauer und Saͤufer ſich immer als einen beſoffenen Trunkenbold, ohne Verſtand und ohne Theilnehmung an ern - ſten Sachen, vorſtellt Er iſt nur alsdann ſo be - ſchaffen, wenn er wirklich zu viel getrunken hat, und das war jezt noch nicht der Fall.
*)212

Aber darum muß ſich auch alles Wiſſen des Menſchen bey einem jeden nach dem richten, was er auszuuͤben und zu thun hat, oder was fuͤr ihn die Hauptſache iſt.

Aebi. Jezt fang ich’s bald an zu merken Wenn man den Kopf mit zu vielem und fremdem voll hat, ſo hat man ihn nicht bey ſeiner Arbeit und bey dem, was allemal am noͤthigſten iſt.

Joſt. Eben das iſt’s. Gedanken und Kopf ſoll - ten einem jeden bey dem ſeyn, was ihn am naͤch - ſten angeht. Einmal ich mach’s ſo. Ich habe keine Waſſermatten, darum liegt es mir nicht ſchwer im Kopf, wie man waͤſſern muß, und bis ich eige - nes Gehoͤlze habe, ſtaune ich gewiß nicht mit Muͤhe nach, wie man es am beſten beſorge. Aber meine Gillenbehaͤlter ſind mir wohl im Kopf, weil ſie meine magern Matten fett machen So wuͤrde es in al - len Ecken gut gehn, wenn ein jeder das Seine recht im Kopf haͤtte. Man koͤmmt immer fruͤh genug zum Vielwiſſen, wenn man lernt recht wiſſen, und recht wiſſen lernt man nie, wenn man nicht in der Naͤhe bey dem Seinigen und bey dem Thun anfaͤngt. Auf den Fuß koͤmmt das Wiſſen in ſeiner Ord - nung in den Kopf. Und man koͤmmt gewiß weit im Leben, wenn man ſo anfaͤngt; aber beym muͤſ - ſigen Schwatzen und von Kalenderhiſtorien oder an - dern Traͤumen aus den Wolken und aus dem Mond lernt man gewiß nichts als liederlich werden.

Aebi. 213

Aebi. Man faͤngt das in der Schul an.

Waͤhrend dem ganzen Geſpraͤch ſtuhnde der Vogt am Ofen, ſtaunte, waͤrmte ſich, hoͤrte kaum, was ſie ſagten, und ſprach nur wenig und ganz ver - wirrt in das, ſo ſie redten. Er vergaß ſo gar den Wein bey ſeinem Staunen, darum waͤhrete auch das Geſpraͤch mit dem Aebi und dem Fremden ſo lange. Vielleicht aber hat er ſeinen Kram nicht gerne aus - geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und fort war Denn er fieng da endlich auf einmal damit an, und ſagte ihnen, als ob er’s bey ſei - nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her - unter.

Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen druͤcken heißt, Niemand thaͤte, ſo waͤren, mich ſoll der Teufel holen, wenn es nicht ſo iſt, gar keine Arme in der Welt; aber wo ich mich umſehe, vom Fuͤrſten an bis zum Nachtwaͤchter, von der erſten Landeskam̄er[bi]s zur lezten Dorfgemeinde, ſucht Alles ſeinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm im Weg ſteht. Der alte Pfarrer hat ſelbſt Wein aus - geſchenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber ſo wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im - mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den Niedern, ich muß mich auch druͤcken laſſen. Wer etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß druͤcken, oder er muß das Seine wegſchenken undO 3betteln.214betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie ich, er wuͤrde nicht ſo viel Kummer fuͤr ſie haben; aber es iſt ihm nicht um die Armen. Er will nur ſchimpfen, und die Leute hinter einander richten und irre machen. Ja, die Armen ſind Purſche, wenn ich zehn Schelmen noͤthig habe, ſo finde ich Eilfe unter den Armen. *)Der Erzſchelm vergißt, daß die reichen Schelmen fuͤr ſich ſelbſt ſchaffen, und ſich darum nicht brau - chen laſſen.Ich wollte wohl gerne, man braͤchte mir mein Einkommen auch alle Fronfaſten richtig ins Haus; ich wuͤrde zuletzt wohl auch ler - nen, es fromm und andaͤchtig abnehmen. Aber in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und auf Bauernhoͤfen, wo alles auf den Heller muß ausgeſpitzt ſeyn, und wo man einen auch in allen Ecken rupft da hat’s eine andre Bewandtnis. Ich wette, wer da gegen Tagloͤhner und Arme nach - ſichtig und weichmuͤthig handeln wollte, der wuͤrde um Haab und Gut kommen Das ſind allenthal - ben Schelmen So redte der Vogt, und verdrehte ſich ſelber in ſeinem Herzen die Stimme ſeines Ge - wiſſens, die ihn unruhig machte, und ihm laut ſagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der Mann ſey, der allen Armen im Dorf den Schweiß und das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤcke.

Aber wie er auch mit ſich ſelber kuͤnſtelte, ſo war ihm doch nicht wohl. Angſt und Sorgen quaͤltenihn215ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt die Stube hinauf und hinunter.

Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit - dem ich daheim bin.

Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt; aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus.

Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir ſchon da wunderlich ich kriege das Fieber es iſt mir ſo bloͤd ich muß ſaufen wir wollen in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt.

§. 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un - fug an.

Aber der Ehegaumer*)Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) ſind in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar - rern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen haben., der an’s Vogts Gaſſe wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an - dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge -O 4dachte216dachte in dieſer Stunde an ſeinen Eid, den er ge - ſchworen hatte, Acht zu geben auf allen Unfug und auf alles gottloſe Weſen, und ſolches dem Pfarrer anzuzeigen. Und der Ehegaumer beſtellte einen ehrbaren Mann, daß er Acht geben ſollte auf dieſe Purſche, ob ſie vor der Predigt wieder aus dem Wirthshaus heim giengen oder nicht? Und da es bald zuſammen laͤuten wollte, und noch Nie - mand wieder heraus kam, gieng er zum Pfarrer, und ſagt ihm, was er geſehen und wie er den Samuel Treu beſtellt haͤtte, Acht zu geben.

Der Pfarrer aber erſchrack uͤber dieſen Bericht; ſeufzete ſtill bey ſich ſelber, und redete nicht viel.

Da dachte der Ehegaumer, der Herr! Pfar - rer ſtudiere noch an ſeiner Predigt, und redete bey ſeinem Glas Wein auch minder, als er ſonſt gewoͤhnt war.

Endlich als der Pfarrer eben in die Kirche ge - hen wollte, kam der Samuel, und der Ehegaumer ſagte zu ihm:

Du kannſt jezt dem Wohlehrwuͤrdigen Herrn Pfarrer alles ſelber erzaͤhlen.

Da ſagte der Samuel: Gott gruͤß euch, Wohl - ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!

Der Pfarrer dankt ihm, und ſagte: Sind denn die Leute noch nicht wieder heim?

Samuel. Nein, Herr Pfarrer! ich gieng von dem Augenblick an, da mich der Ehegaumer be -ſtellte,217ſtellte, immer um das Wirthshaus herum, und es iſt kein Menſch, auſſer die Voͤgtinn, die in der Kirche iſt, zum Haus heraus gegangen.

Pfarrer. Sie ſind alſo noch alle ganz gewiß im Wirthshauſe?

Samuel. Ja, Herr Pfarrer! ganz gewiß.

Ehegaumer. Da ſeht ihr jezt, Wohlehr - wuͤrdiger Herr Pfarrer! daß ich mich nicht geirrt habe, und daß ich es habe anzeigen muͤſſen.

Pfarrer. Es iſt ein Ungluͤck, daß an einem heiligen Tage ſolche Sachen einem Zeit und Ruhe rauben muͤſſen.

Ehegaumer. Was wir thaten, Wohlehr - wuͤrdiger Herr Pfarrer! war unſre theure Pflicht.

Pfarrer. Ich weiß es, und ich danke euch fuͤr eure Sorgfalt; aber Nachbaren! vergeſſet doch ob ei - ner kleinen leichten Pflicht die ſchwaͤrern und groͤſſern nicht. Acht auf uns ſelber zu haben, und uͤber unſere eigene Herzen zu wachen, iſt immer die erſte und wichtigſte Pflicht des Menſchen. Darum iſt es allemal ein Ungluͤck, wenn ſolche boͤſe Sachen ei - nem Menſchen Zerſtreuungen veranlaſſen.

Nach einer Weile ſagte er dann wieder:

Nein, es iſt doch nicht laͤnger auszuſtehn, die - ſes graͤnzenloſe Unweſen und mit aller Nachſicht wird es immer nur aͤrger.

Und darauf gieng er mit dieſen Maͤnnern zur Kirche.

O 5§. 42.218

§. 42. Zugabe zur Morgenpredigt.

Es folgeten ihm aber in der Leidensgeſchichte die Worte:

Und da Judas den Biſſen genommen hatte, fuhr der Satan in ſein Herz, u. ſ. w.

Und er redete mit ſeiner Gemeinde uͤber die ganze Geſchichte des Verraͤthers Und er kam in einen groſſen Eifer, alſo daß er mit den Haͤn - den ſtark auf das Kanzelbrett ſchlug, welches er ſonſt bey Jahren nicht gethan hatte.

Und er ſagte: daß alle die, ſo vom Nacht - mahl des Herrn zum Spiel und Saufen weglaufen, nicht um ein Haar beſſer waͤren als Judas; und daß ihr Ende ſeyn wuͤrde, wie das Ende des Ver - raͤthers.

Und die Leute in der Kirche fiengen an zu ſtau - nen und nachzuſinnen, was doch der groſſe Eifer des Pfarrers bedeute?

Da und dort ſtieß man die Koͤpfe zuſammen, und murmelte umher: der Vogt habe ſein Haus voll von ſeinen Lumpen.

Und bald warf alles links und rechts die Augen auf ſeinen leeren Kirchſtuhl und auf die Voͤgtinn.

Dieſe219

Dieſe merkte es zitterte ſchlug die Augen nieder durfte keinen Menſchen mehr anſehn und lief im Anfang des Singens zur Kirche hin - aus.

Da ſie aber das that, ward das Gerede erſt noch groͤſſer, daß man auch mit den Fingern auf ſie zeigte; und es ſtuhnden in den hinterſten Wei - berſtuͤhlen einige ſogar auf die Baͤnke, ſie zu ſehn, und das Geſang ſelbſt mißthoͤnte ob dem Gemuͤrmel.

§. 43. Die Bauern im Wirthshauſe werden be - unruhiget.

Sie aber lief, ſo ſchnell ſie vermochte, heim.

Und als ſie in die Stube kam, warf ſie das Kirchenbuch im Zorn mitten unter die Flaſchen und Glaͤſer, und fieng an uͤberlaut zu heulen.

Der Vogt und die Nachbaren fragten: Was iſt das?

Voͤgtinn. Ihr ſolltet’s wohl wiſſen Es iſt nicht Recht, daß ihr an einem heiligen Tage hier ſaufet.

Vogt. Iſt’s nur das? ſo iſt’s wenig.

Bauern. Und das erſtemal, daß du daruͤber heulſt!

Vogt. 220

Vogt. Ich glaubte auf’s wenigſte, du habeſt den Geldſeckel verloren.

Voͤgtinn. Treib jezt noch den Narren; wenn du in der Kirche geweſen waͤrſt, du wuͤrdeſt nicht narren.

Vogt. Was iſt’s denn? Heul doch nicht ſo, und rede; Was iſt’s denn?

Voͤgtinn. Der Pfarrer muß vernommen haben, daß deine Herren da ſaufen waͤhrend der Predigt.

Vogt. Das waͤre verflucht!

Voͤgtinn. Er weiß es gewiß.

Vogt. Welcher Satan kann es ihm jezt ſchon geſagt haben?

Voͤgtinn. Welcher Satan, du Narr! Sie kommen ja mit ihren Tabakspfeifen uͤber die Straſ - ſe und nicht zum Camin hinab ins Haus; und dann noch ordentlich neben des Ehegaumers Haus vorbey. Jezt hat der Pfarrer gethan, daß es nicht auszuſprechen iſt; und alle Leute haben mit den Fin - gern auf mich gezeigt.

Vogt. Das iſt abermal ein verdammtes Stuͤck, das mir ſo ein Satan angerichtet hat!

Voͤgtinn. Warum mußtet ihr eben heut kom - men ihr Saufhuͤnde Ihr wußtet wohl, daß es nicht Recht iſt.

Bauern. Wir ſind nicht Schuld; er hat uns einen Boten geſchickt.

Voͤgtinn. Iſt das wahr?

Bauern. 221

Bauern. Ja, ja!

Vogt. Es war mir ſo wunderlich als es mir ſeyn konnte; und unausſtehlich allein zu ſeyn.

Voͤgtinn. Das iſt gleich viel. Aber Nach - baren! geht doch ſo ſchnell ihr koͤnnet durch die hintere Thuͤr heim, und machet, daß das Volk, wenn es aus der Kirche kommt, einen jeden vor ſeinem Hauſe antreffe; ſo koͤnnt ihr die Sache noch bemaͤnteln. Man hat noch nicht vollends ausgeſun - gen; aber gehet, es iſt doch Zeit.

Vogt. Ja, gehet gehet das iſt ein Abi - gailsrath.

Die Bauern giengen.

Da erzaͤhlte die Frau ihm erſt recht, daß der Pfarrer vom Judas geprediget haͤtte; wie der Teufel ihm in ſein Herz gefahren waͤre wie er ſich er - haͤngt haͤtte, und wie die, ſo vom Nachtmahl weggien - gen, zu ſaufen und zu ſpielen, ein gleiches Ende nehmen wuͤrden. Er war ſo eifrig, ſagte die Frau, daß er mit den Faͤuſten auf’s Kanzelbrett ſchluge, und mir iſt ſchier geſchwunden und ohnmaͤchtig worden.

Der Vogt aber erſchrack uͤber das, ſo die Frau erzaͤhlte, ſo ſehr, daß er war wie ein Stummer, und kein Wort antwortete. Aber ſchwaͤre tiefe Seufzer thoͤnten jezt aus dem ſtolzen Munde, den man Jahre lang nie ſo ſeufzen gehoͤrt hatte.

Seine222

Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum er ſo ſeufze?

Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als einmal ſagte er mit bangem Seufzen zu ſich ſel - ber: Wohin kommt’s noch weiter! Wohin kommt’s noch mit mir?

So gieng er jezt lang ſeufzend die Stube hin - auf und himmter.

Endlich ſagt er zur Frauen: Bring mir ein Jaſtpulver vom Scheerer, mein Gebluͤt wallet in mir, und macht mich unruhig; ich will morgen zu Ader laſſen, wenn’s auf das Pulver nicht beſ - ſer wird.

Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm’s, und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter.

§. 44. Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤh - rend dem Nachtmahle.

Da erzaͤhlte er der Frauen, wie er heute mit gutem verſoͤhnten Herzen zur Kirche gegangen waͤre, wie er auch in ſeinem Stuhl Gott um Verzeihung ſeiner Suͤnden gebeten haͤtte; aber da uͤber die Pre - digt des Pfarrers toll geworden waͤre, und ſeither kei - nen guten Gedanken mehr haͤtte haben koͤnnen. Auchwie223wie ihm erſchreckliche und graͤuliche Dinge waͤhrend dem Nachtmahl zu Sinn gekommen waͤren. Ich konnte, ſo ſagte er zur Frauen: ich konnte waͤhrend dem Nachtmahl nicht beten und nicht ſeufzen. Mein Herz war mir wie ein Stein Und da mir der Pfarrer das Brod gab, ſo ſah er mich an, daß es nicht auszuſprechen war; nein! ich kann’s nicht aus - ſprechen; aber auch nicht vergeſſen, wie er mich anſah Wenn ein Richter einen armen Suͤnder dem Rad und dem Scheiterhaufen uͤbergiebt, und eben uͤber ihn den Stab bricht; er kann ihn nicht ſo anſehen. Vergeſſen kann ich’s nicht, wie er mich anſah. Ein kalter Schweiß floß uͤber meine Stir - ne, und meine Hand zitterte, da ich von ihm das Brod nahm.

Und da ich’s geeſſen hatte, uͤbernahm mich ein wuͤtender ſchrecklicher Zorn uͤber den Pfarrer, daß ich mit meinen Zaͤhnen knirſchte, und ihn nicht mehr an - ſehen durfte.

Frau! ein Abſcheulichers ſtieg mir dann nach dem andern in’s Herz.

Ich erſchrack uͤber dieſen Gedanken, wie ich ob groſſen Donnerſtrahlen erſchrecke; aber ich konnte ihrer nicht los werden.

Ich zitterte vor dem Taufſteine,*)In Bonnal gehen die Communicanten zum Tauf - ſtein, und empfangen da vom Pfarrer das Brod, und von den Dorfvorgeſetzten den Kelch. daß ichden224den Kelch vor Schauer und Entſetzen nicht veſt hielt.

Da kam Joſeph in zerriſſenen Stiefeln, und ſchlug ſeine Schelmenaugen vor mir zu Boden und meine drey Thaler! Wie’s mir durch Leib und Seel ſchauerte, der Gedanke an meine drey Tha - ler.

Dann kam Gertrud, hub ihre Augen gen Him - mel, und dann auf den Kelch, als ob ſie mich nicht ſaͤhe; als ob ich nicht da waͤre. Sie haſſet und verflucht mich, und richtet mich zu Grunde; und ſie konnte thun, als ob ſie mich nicht ſaͤhe; als ob ich nicht da waͤre.

Dann kam der Maͤurer, ſah mich ſo weh - muͤthig an, als ob er aus tiefem Herzensgrunde zu mir ſagen wollte: Verzeih mir, Vogt! Er, der mich, wenn er koͤnnte, an Galgen bringen wuͤrde.

Dann kam auch Schabenmichel, blaß und er - ſchrocken wie ich, und zitterte wie ich. Denk, Frau! wie mir bey dem allem zu Muthe war. Ich fuͤrchtete immer, auch Hans Wuͤſt komme nach; dann haͤtte ich’s nicht ausgehalten; der Kelch wuͤrde mir aus der Hand gefallen; Ich ſelbſt, ich wuͤrde gewiß zu Boden geſunken ſeyn; ich konnte mich faſt nicht mehr auf den Fuͤſſen halten. Und als ich in den Stuhl zuruͤck kam, uͤberfiel mich ein Zittern in meinen Gliedern, daß ich beym Singen das Buch nicht in den Haͤnden halten konnte.

Und225

Und bey allem kam mir immer in Sinn: Arner! Arner! iſt an allem dieſem Schuld; und Zorn und Wuth und Rache tobeten in meinem Herzen waͤhrend der Stunde meines Dienſtes. Woran ich in meinem Leben nie dachte, das kam mir waͤhrend dem Nachtmahl in Sinn. Ich darf’s faſt nicht ſagen, es ſchauert mir, es nur zu denken.

Es kam mir in Sinn: ich ſoll ihm den groſ - ſen Markſtein auf dem Berg uͤber den Felſen hin - unter ſtuͤrzen; es weiß den Markſtein Niemand als ich.

§. 45. Die Frau ſagt ihrem Manne groſſe Wahr - heiten; aber viele Jahre zu ſpaͤth.

Die Voͤgtinn erſchrack uͤber dieſen Reden ihres Manns heftig; ſie wußte aber nicht, was ſie ſagen wollte, und ſchwieg, ſo lang er redete, ganz ſtill. Auch eine Weile hernach ſchwiegen beyde. Endlich aber fieng die Voͤgtinn wieder an und ſagte zu ihm: Es iſt mir angſt und bang wegen allem, was du ge - ſagt haſt. Du mußſt dieſen Geſellen entſagen, das Ding geht nicht gut; und wir werden aͤlter.

PVogt. 226

Vogt. Du haſt durchaus Recht; aber es iſt gar nicht leicht.

Voͤgtinn. Es mag ſchwer ſeyn oder nicht, es muß ſeyn; ſie muͤſſen dir vom Hals.

Vogt. Du weiſſeſt wohl, wie viel mich an ſie bindet, und was ſie wiſſen.

Voͤgtinn. Du weiſſeſt noch viel mehr von ih - nen: ſie ſind Schelmen, und duͤrfen nichts ſagen; du mußſt dich von ihnen losmachen.

Der Vogt ſeufzet; die Frau aber faͤhrt fort: Sie freſſen und ſaufen immer bey dir, und zahlen dich nicht. Und wenn du beſoffen biſt, ſo laſſeſt du dich noch von ihnen anfuͤhren, wie ein Tropf Denk doch, um Gottes willen! nur wie es geſtern mit dem Joſeph gegangen iſt: Ich habe dir, ach mein Gott! wie gut hab ich’s gemeynt, rathen wollen, aber wie biſt du mit mir umgegangen? Und ohne das ſind auch geſtern zween Thaler aus deinem Camiſolſack weiter ſpatziert, und ſind nicht einmal aufgeſchrieben Wie lang kann das noch gehn? Wenn du bey deinen ſchlimmen Haͤndeln nachrechneſt, was nebenhin gegangen iſt, ſo haſt du bey allem ver - loren; und doch faͤhrſt du noch immer fort mit dieſen Leuten, und oft und viel nur um deines gottloſen Hochmuths willen. Bald muß dir ſo ein Hund reden, was du willſt, und bald ein ande - rer ſchweigen, wo du willſt; darfuͤr dann freſſen und ſaufen ſie bey dir, und zum ſchoͤnen Dank, wenndich227dich einer kann in eine Grube bringen und verra - then, ſo thut er’s.

Ja vor Alters, da dich alles fuͤrchtete wie ein Schwerdt, da konnteſt du die Purſche in Ordnung halten; aber jezt biſt du ihrer nicht mehr Meiſter, und zaͤhl darauf: du biſt ein verlorner Mann in dei - nen alten Tagen, wenn du ihrer nicht muͤßig geheſt. Es ſteht ſo ſchluͤpfrig um uns, als es nur kann; ſo bald du weg biſt, lachen und narren die Knech - te, arbeiten nicht, und wollen nur ſaufen So ſagte die Frau.

Der Vogt aber antwortete auf alles kein Wort, ſondern ſaß ſtillſchweigend und ſtaunend vor ihr, da ſie ſo redete. Endlich ſtand er auf und gieng in den Garten, aus dem Garten in ſeine Brunnen - matt, aus dieſer in Pferdſtall. Angſt und Sorgen trieben ihn ſo umher; doch blieb er eine Weile im Pferdſtall und redete da mit ſich ſelber.

P 2§. 46.228

§. 46. Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt.

Mehr als Recht hat die Frau; aber was will ich machen? Ich kann nicht helfen; unmoͤglich kann ich mir aus allem, worinn ich ſtecke, heraus helfen. So ſagt er; flucht dann wieder auf Arner, als ob dieſer ihm alles auf den Hals gezogen; und dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in der Kirche raſend gemacht haͤtte; dann kam er wie - der auf den Markſtein, und ſprach: Ich verſetze ihn nicht, den verwuͤnſchten Stein; aber wenn’s jemand thaͤte, ſo wuͤrde der Junker um den dritten Theil ſeiner Waldung kommen.

Sodann wieder: Das iſt ganz richtig, der achte und neunte obrigkeitliche Markſtein wuͤrden ihm das Stuͤck in gerader Linie wegſchneiden; aber behuͤte mich Gott davor, ich verſetze keinen Markſtein.

Dann wieder: Wenn’s auch kein rechter Mark - ſtein waͤre? er liegt da, wie ſeit der Suͤndfluth; er hat keine Numer und kein Zeichen.

Dann gieng er in die Stube, nahm ſein Haus - buch rechnete ſchrieb blaͤtterte that Pa - piere von einander legte ſie wieder zuſammen ver -229vergaß, was er geleſen ſuchte wieder, was er eben geſchrieben hatte legte dann das Buch wieder in den Kaſten gieng die Stube hinauf und hin - unter und dachte und redete immer mit ſich ſel - ber vom Markſtein ganz ohne Schloßzeichen und Numero. Sonſt iſt kein einziger Markſtein ohne Zeichen. Was mir in Sinn koͤmmt: Ein alter Ar - ner ſoll die obrigkeitliche Waldung ſo hart beſchnit - ten haben; wenn es auch hier waͤre. Bey Gott! es iſt hier! es iſt die unnatuͤrlichſte Kruͤmmung in die obrigkeitlichen Grenzen hinein; bey zwo Stunden geht ſie ſonſt in geraͤderer Linie als hier; und der Stein hat kein Zeichen und die Scheidung keinen Graben.

Wenn die Waldung der Obrigkeit gehoͤrte, ich thaͤte dann nicht Unrecht, ich waͤre treu am Landes - herrn. Aber wenn ich mich irrte Nein, ich verſetze den Stein nicht. Ich muͤßte ihn umgraben, in der finſtern Nacht muͤßte ich ihn einen ſtarken Stein - wurf weit auf der Ebne fortruͤcken bis an den Fel - ſen, und er iſt ſchwer. Er laͤßt ſich nicht verſenken, wie eine Brunnquell. Am Tage wuͤrde man jeden Karſtſtreich hoͤren, ſo nahe iſt er an der Landſtraſſe; und zu Nacht ich darf nicht. Ich wuͤrde vor je - dem Geraͤuſch erſchrecken. Wenn ein Dachs daher ſchliche, oder ein Reh aufſpraͤnge, es wuͤrde mir ohn - maͤchtig bey der Arbeit werden. Und wer weiß, ob nicht im Ernſt ein Geſpenſt mich uͤber der Arbeit ergreifen koͤnnte. Es iſt wahrlich unſicher des NachtsP 3um230um die Markſteine, und es iſt beſſer, ich laſſe es bleiben.

Dann wieder nach einer Weile:

Daß auch ſo viele Leute weder Hoͤlle noch Ge - ſpenſter glauben! Der alte Schreiber glaubte von allem kein Wort; und der Vicari es iſt bey Gott! nicht moͤglich, daß er etwas geglaubt hat; aber der Schreiber, der ſagte es uͤberlaut und wohl hundert - mal zu mir, wie mit meinem Hund, wie mit meinem Roß, ſey es mit mir aus, wenn ich todt ſeyn werde. Er glaubte das, fuͤrchtete ſich vor nichts, und that, was er wollte. Wenn er auch Recht gehabt haͤtte, wenn ich’s glauben koͤnnte, wenn ich’s hoffen duͤrfte, wenn ich’s in mein Herz hinein bringen koͤnnte, daß es wahr waͤre, bey der erſten Jagd wuͤrde ich hinter den Gebuͤſchen Arnern auflauren und ihn todſchieſſen ich wuͤrde dem Pfaffen ſein Haus abbrennen; aber es iſt vergebens, ich kann’s nicht glauben, ich darf’s nicht hoffen Es iſt nicht wahr! Narren ſind’s, verirrte Narren, die es glauben, oder ſie thun nur dergleichen.

O! o! es iſt ein Gott!
Es iſt ein Gott!

Markſtein, Markſtein! ich verſetze dich nicht. So redte der Mann, und zitterte, und konnte die - ſer Gedanken nicht los werden.

Entſetzen durchfuhr ſein Innerſtes. Er wollte ſich ſelbſt entfliehn, gieng auf die Straſſe, ſtuhndzum231zum erſten beſten Nachbar, fragte ihn von Wetter und vom Wind, und von den Schnecken, die im Herbſt vor drey Jahren den Roggen verduͤnnert hatten. Dann kam er nach einer Weile mit ein Paar Durſtigen wieder in ſein Wirthshaus, gab ihnen zu trinken, daß ſie blieben nahm noch ein Jaſtpulver vom Scheerer, und brachte ſo endlich den Tag des Herrn zu Ende.

§. 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden.

Und nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des Entſetzens Mein Herz war mir ſchwer, mein Auge war finſter, meine Stirne umwoͤlkt, und bang war’s mir im Buſen, uͤber deinen Graͤueln.

Nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des Ent - ſetzens!

Mein Auge erheitert ſich wieder, meine Stirne entwoͤlkt ſich, und mein Buſen athmet wieder un - beklommen und frey.

Ich naͤhere mich wieder einer Huͤtte, in welcher Menſchlichkeit wohnt.

Da heut am Morgen der Lienhard und ſeine Frau zur Kirche gegangen waren, ſaſſen ihre Kin - der fromm und ſtill in der Wohnſtube beyſammen,P 4bete -232beteten, ſangen und wiederholten, was ſie in der Woche gelernt hatten; denn ſie mußten ſolches alle Sonntage des Abends der Gertrud wiederholen.

Liſe, das Aelteſte, mußte allemal waͤhrend der Kirche das kleine Gruͤteli verſorgen, es aufnehmen, es troͤcknen, ihm ſeinen Brey geben; und das iſt immer der Liſe groͤßſte Sonntagsfreude, wenn ſie allemal das Kleine ſo aufnimmt und ſpeist, ſo meynt dann Liſe, ſie ſey auch ſchon groß. Wie ſie dann die Mutter ſpielt, ihr nachaͤffet, das Kleine tau - ſendmal herzt, ihm nickt und laͤchelt Wie das Kleine ihr wieder entgegen laͤchelt, ſeine Haͤnde zer - wirft, und mit den Fuͤſſen zappelt auf ihrem Schooſſe; wie es ſeine Liſe bald bey der Haube nimmt, bald bey den kleinen Zoͤpfen, bald bey der Naſe; dann wie es uͤber dem bunten Sonntagshalstuch J J macht dann wie Niclas und Enne ihm J antworten; wie dann das Kleine Kopf und Augen herum dreht, den Ton ſucht, den Niclas erblickt, und auch gegen ihn lacht wie Niclas dann zuſpringt und das lachende Schweſterlein her - zet wie dann Liſe den Vorzug will, und allem aufbietet, daß das Liebe gegen ſie lache; Auch wie ſie fuͤr es Sorge traͤgt, wie ſie ſeinem Weinen vorkoͤm̃t, wie ſie ihm Freude macht, es bald in die Hoͤhe hebt bis an die Buͤhne, bald wieder gleich luſtig und ſorgfaͤltig hinunter laͤßt bis an den Boden wie dann das Gruͤteli bey dieſem Spiele jauchzet,auch233auch wie ſie Haͤnde und Kopf dem Kind in Spie - gel hinein druͤckt, und dann endlich, wie es beym Anblick der Mutter weit hinunter in die Gaſſe jauch - zet wie’s ihr entgegen nickt und laͤchelt wie’s ſeine beyden Haͤndchen nach ihr ausſtreckt, und nach ihr haͤngend faſt uͤberwaͤlzet auf des Schwe - ſterleins Arm das alles iſt wahrlich ſchoͤn; Es iſt die Morgenfveude der Kinder des Lienhards an den Sonntagen und an den heiligen Feſten und dieſe Freuden frommer Kinder ſind wahrlich ſchoͤn vor dem Herrn ihrem Gott. Er ſieht mit Wohlgefal - len auf die Unſchuld der Kinder, wenn ſie ſich alſo ihres Lebens freuen, und er ſegnet ſie, daß es ihnen wohlgehe ihr Lebenlang, wenn ſie folgen und recht thun.

Gertrud war heute mit ihren Kindern zufrieden; ſie hatten alles in der Ordnung gethan, was ihnen befohlen war.

Es iſt die groͤßſte Freude frommer Kinder auf Erden, wenn Vater und Mutter mit ihnen zufrie - den ſind.

Die Kinder der Gertrud hatten jezt dieſe Freu - de, ſie draͤngten ſich an den Schooß ihrer Eltern, riefen bald Vater, bald Mutter, ſuchten ihre Haͤn - de, hielten ſich an ihren Armen, und ſprangen am Arme des Vaters und am Arme der Mutter an ih - ren Hals.

P 5Das234

Das war dem Lienhard und der Gertrud ein Labſal, am Feſttage des Herrn.

So lang ſie Mutter iſt, iſt es die Sonntags - freude der Gertrud, die Freude uͤber ihre Kinder, und uͤber ihre kindliche Sehnſucht nach Vater und Mutter darum ſind ihre Kinder auch fromm und ſanft.

Lienhard weinte heute, daß er oft dieſe Freu - den des Lebens ſich ſelber entriß.

Die haͤuslichen Freuden des Menſchen ſind die ſchoͤnſten der Erden.

Und die Freude der Eltern uͤber ihre Kinder, iſt die heiligſte Freude der Menſchheit. Sie macht das Herz der Eltern fromm und gut. Sie hebt die Menſchheit empor zu ihrem Vater im Himmel. Darum ſegnet der Herr die Thraͤnen ſolcher Freu - den, und lohnet den Menſchen jede Vatertreue und jede Mutterſorge an ihren Kindern.

Aber der Gottloſe, der ſeine Kinder fuͤr nichts achtet der Gottloſe, dem ſie eine Laſt ſind, und eine Buͤrde der Gottloſe, der in der Woche vor ihnen ſiiehet und am Sonntage ſich vor ihnen verbirget der Gottloſe, der Ruhe ſuchet vor ih - rer Unſchuld und vor ihrer Freude, und der ſie nicht leiden kann, bis ihre Unſchuld und ihre Freude dahin iſt, bis ſie wie er gezogen ſind

Der Gottloſe, der das thut, ſtoſſet den beſten Segen der Erden weg von ſich mit Fuͤſſen. Erwird235wird auch keine Freude erleben an ſeinen Kindern, und keine Ruhe finden vor ihnen In der Freude ihres Herzens redeten Lienhard und Gertrud mit ihren Kindern am heiligen Feſttage, von dem gu - ten Vater im Himmel und von dem Leiden ihres Erloͤſers. Die Kinder hoͤrten ſtill und aufmerkſam zu, und die Mittagsſtunde gieng ſchnell und frohe voruͤber, wie die Stunde eines Hochzeitfeſtes.

Da laͤuteten die Glocken zuſammen, und Lien - hard und Gertrud giengen nochmals zur Kirche.

Der Weg fuͤhrte ſie wieder bey des Vogts Hauſe vorbey, und Lienhard ſagte zu Gertrud: Der Vogt ſah dieſen Morgen in der Kirche er - ſchrecklich aus; in meinem Leben ſah ich ihn nie ſo. Der Schweiß tropfte von ſeiner Stirne, da er zudienete; haſt du es nicht bemerkt, Gertrud? Ich ſah, daß er zitterte, da er mir den Kelch gab. Ich habe es nicht bemerkt, ſagte Gertrud.

Lienhard. Es gieng mir an’s Herz, wie der Mann ausſahe. Haͤtte ich’s duͤrfen, Frau! ich haͤtte ihm uͤberlaut zugerufen: Verzeih mir, Vogt! Und wenn ich ihm mit etwas zeigen koͤnnte, daß ich’s nicht boͤs meyne, ich wuͤrde es gerne thun.

Gertrud. Lohn dir Gott dein Herz, Lieber! es iſt recht, wann du Anlaß haſt; aber des Rudis hungernde Kinder und noch mehr ſchreyen Rache uͤber den Mann, und er wird dieſer Rache ge - wiß nicht entrinnen.

Lien -236

Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe plagte.

Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil - len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.

Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le - ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die - ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen, erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei - ne Stunde zufrieden und ruhig.

Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche, und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver - raͤthers redete.

§. 48. Etwas von der Suͤnde.

Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei - berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt, und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die - ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau -ben 237ben waͤhrend der Kirche an einem heiligen Tage.

Gertrud. Es iſt freylich erſchrecklich! aber die Verwicklungen eines gottloſen Lebens fuͤhren zu allem, auch zu dem abſcheulichſten!

Lienhard ſeufzt. Gertrud faͤhrt fort: Ich erin - nere mich, ſo lang ich lebe, an das Bild, das unſer Pfarrer ſelig uns von der Suͤnde machte, da er uns das letzte Mal zum heiligen Nachtmahl vorbereitete.

Er verglich ſie mit einem See, der beym an - haltenden Regen nach und nach aufſchwellt. Das Steigen des See’s, ſagte er, iſt immer unmerklich; aber es nimmt doch alle Tage und alle Stunde zu. Der See wird immer hoͤher und hoͤher, und die Gefahr wird gleich groß, als wenn er ploͤtzlich und mit Sturm ſo aufſchwellte.

Darum geht der Vernuͤnftige und Erfahrne im Anfange zu den Wehren und Daͤmmen, ſie zu be - ſichtigen, ob ſie dem Ausbruch zu ſteuren in Ordnung ſind. Der Unerfahrne und der Unweiſe aber achten das Steigen des See’s nicht, bis die Daͤmme zerriſ - ſen, bis Felder und Wieſen verwuͤſtet ſind, und bis die Sturmglocke dem Lande aufbietet, der Verhee - rung zu wehren. So, ſagte er, ſey es mit der Suͤnde und dem Verderben, das ſie anrichte.

Ich bin noch nicht alt, aber ich habe es doch ſchon hundertmal erfahren, daß der redliche Seel -ſorger238ſorger Recht hatte; und daß ein jeder, der in irgend einer Suͤnde anhaltend fortwandelt, ſein Herz ſo verhaͤrtet, daß er das Steigen ihrer Graͤuel nicht mehr achtet, bis Verheerung und Entſetzen ihn aus dem Schlafe weckt.

§. 49. Kindercharacter und Kinderlehren.

Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie aus der Kirche wieder in ihre Huͤtte.

Und die Kinder alle liefen dem Vater und der Mutter die Stiege hinunter entgegen; riefen und baten, ſo bald ſie ſie ſahn: wir wollen doch ge - ſchwind wiederholen, was wir dieſe Woche ge - lernt haben; komme doch geſchwind, Mutter! daß wir bald fertig werden.

Gertrud. Warum ſo eifrig heut, ihr Lieben? warum thut es ſo noth?

Kinder. Ja, wir duͤrfen dann, Mutter, wenn wir’s koͤnnen, mit dem Abendbrod, gelt, Mutter! wir duͤrfen? Du haſt’s uns geſtern verſprochen.

Mutter. Ich will gern ſehn, wie ihr das koͤnnt, was ihr gelernet habt.

Kinder. Aber wir duͤrfen alsdann, Mutter?

Mutter. Ja, wenn ihr fertig ſeyn werdet.

Die239

Die Kinder freuten ſich herzlich, und wiederhol - ten, was ſie in der Woche gelernt hatten, geſchwind und gut.

Da gab die Mutter ihnen ihr Abendbrod und zwo Schuͤſſeln Milch, von der ſie den Rahm nicht abgenommen hatte, weil es Feſttag war.

Sie nahm jezt auch das Gruͤteli an ihre Bruſt, und hoͤrte mit Herzensfreude zu, wie die Kinder waͤhrend dem Eſſen eines dem andern erzaͤhlten, wem ſie ihr Abendbrod geben wollten. Keines einen Mundvoll von ſeinem Brod Keines that ein Broͤcklein davon in die Milch, ſondern alle aſſen ſie darohne, und jedes freute ſich uͤber ſein Brod, zeigte es dem andern, und jedes wollte, das ſeine ſey das groͤßſte.

Jezt waren ſie fertig mit ihrer Milch das Brod lag noch neben der Mutter.

Niclas ſchlich zu ihr hin, nahm ihr die Hand und ſagte: Du giebſt mir doch auch noch einen Mundvoll Brod fuͤr mich, Mutter!

Mutter. Du haſt ja ſchon, Niclas!

Niclas. Ich muß es ja dem Rudeli geben.

Mutter. Ich habe dir’s nicht befohlen; du darfſt es eſſen, wenn du willſt.

Niclas. Nein, ich will’s nicht eſſen; aber du giebſt mir doch noch einen Mundvoll?

Mutter. Nein, gewiß nicht.

Niclas. Ae warum nicht?

Mut -240

Mutter. Damit du nicht meynſt, man muͤſſe erſt, wenn man den Bauch voll hat, und nichts mehr mag, an die Armen denken.

Niclas. Iſt’s darum, Mutter?

Mutter. Aber giebſt du es ihm jezt doch ganz?

Niclas. Ja, Mutter! gewiß, gewiß. Ich weiß, er hungert entfetzlich und wir eſſen um ſechs Uhr zu Nacht.

Mutter. Und, Niclas! ich denke, er bekom - me dann auch nichts.

Niclas. Ja, weiß Gott, Mutter! er bekoͤmmt gewiß nichts zu Nacht.

Mutter. Ja, das Elend der Armen iſt groß, und man muß grauſam und hart ſeyn, wenn man nicht gern, was man kann, an ſich ſelbſt und an ſeinem eignen Maul erſpart, ihnen ihre groſſe Noth zu erleichtern.

Thraͤnen ſtehn dem Niclas in den Augen. Die Mutter fraͤgt ſodann auch noch die andern Kinder: Liſe! giebſt du deines auch ganz weg?

Liſe. Ja gewiß, Mutter!

Mutter. Und du, Enne! du auch?

Enne. Ja freylich, Mutter!

Mutter. Und du auch, Jonas?

Jonas. Das denk ich, Mutter!

Mutter. Nun das iſt braf, Kinder! Aber wie wollt ihr es jezt auch anſtellen? Es hat alles ſo ſeine Ordnung; und wenn man’s noch ſo gut meynt,ſo241ſo kann man etwas doch unrecht anſtellen Ni - clas! wie willſt du’s machen mit dem Brod?

Niclas. Ich will laufen, was ich vermag, und ihm rufen, dem Rudeli; ich ſteck es nur nicht in Sack, daß er’s geſchwind kriege. Laß mich doch jezt gehn, Mutter!

Mutter. Wart noch ein wenig, Niclas! Und du, Liſe! wie willſt du es machen?

Liſe. Ich will’s nicht ſo machen, wie der Ni - clas. Ich winke dem Betheli in eine Ecke; ich verſtecke das Brod da unter meine Schuͤrze, und ich gebe ihm’s, daß es Niemand ſiehet, nicht ein - mal ſein Vater.

Mutter. Und du, Enne! wie willſt du’s machen?

Enne. Weiß ich’s, wie ich den Heireli an - treffen werde? Ich werde es ihm geben, wie’s mir kommen wird.

Mutter. Und du, Jonas! du kleiner Schelm, du haſt Tuͤcke im Sinn, wie willſt du’s machen?

Jonas. In’s Maul ſtecke ich’s ihm, mein Brod, Mutter! wie du mir’s machſt, wen du luſtig biſt Das Maul und die Augen zu, ſag ich ihm; dann leg ichs ihm zwiſchen die Zaͤhne. Es wird lachen, gelt, Mutter! es wird lachen.

Mutter. Das iſt alles recht, Kinder! aber ich muß euch doch etwas ſagen: Ihr muͤßt das Brod den Kindern ſtill und allein geben, daß es Niemand ſehe, damit man nicht meyne, ihr wollet groß thun.

QNiclas. 242

Niclas. Potz tauſend, Mutter! ſo muß ich mein Brod auch in Sack thun?

Mutter. Das verſteht ſich, Niclas!

Liſe. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut - ter! und ſagte es vorher, ich wolle es nicht ſo ma - chen.

Mutter. Du biſt immer das allerwitzigſte, Liſe! Ich habe nur vergeſſen, dich dafuͤr zu ruͤh - men; du thuſt alſo recht wohl, daß du mich ſelbſt daran erinnerſt.

Liſe erroͤthete und ſchwieg; und die Mutter ſagte zu den Kindern: Ihr koͤnnet jezt gehn; aber den - ket an das, was ich euch geſagt habe Die Kin - der gehn.

Niclas laͤuft und ſpringt, was er vermag, zu des Rudis Huͤtte hinunter; aber dieſer iſt nicht auf der Gaſſe. Niclas huſtet ihm, raͤuſpert ſich ruft, aber vergebens, er koͤmmt nicht hinunter und nicht ans Fenſter.

Niclas zu ſich ſelber: Was ſoll ich jezt machen? Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und ihm nur ſagen, er ſoll herauskommen auf die Gaſſe.

Der Rudeli ſaß eben mit ſeinem Vater und mit ſeinen Geſchwiſtern dey dem offenen Sarge der lie - ben geſtorbenen Großmutter, die man in ein Paar Stunden begraben ſollte und der Vater und dieKin -243Kinder redeten alle mit Thraͤnen von der groſſen Treue und Liebe, die die Verſtorbene ihnen im Leben erzeigt hatte; ſie weinten uͤber ihrem letzten Kum - mer wegen den Erdaͤpfeln, und verſprachen vor dem offenen Sarg dem lieben Gott im Himmel, in kei - ner Noth, auch wenn ſie noch ſo ſehr hungern wuͤr - den, keinem Menſchen mehr etwas zu ſtehlen.

Eben jezt oͤffnet Niclas die Thuͤre ſieht die Geſtorbene erſchrickt und laͤuft wieder aus der Stube.

Der Rudi aber, der ihn ſieht, denkt, der Lien - hard wolle ihm etwas ſagen laſſen, laͤuft dem Kna - ben nach, und fragt ihn, was er wolle? Nichts, nichts, antwortete Niclas! nur zu dem Rudeli hab ich wollen; aber er betet jezt.

Rudi. Das macht nichts, wenn du zu ihm willſt.

Niclas. Laß ihn doch nur ein wenig zu mir auf die Gaſſe.

Rudi. Es iſt ja ſo kalt, und er geht nicht gern von der Großmutter weg. Komm doch zu ihm in die Stube.

Niclas. Ich mag nicht hinein, Rudi! laß ihn doch nur einen Augenblick zu mir herauskom - men.

Ich mag’s wohl leiden, antwortete der Rudi, und geht zuruͤck nach der Stube.

Q 2Niclas244

Niclas geht ihm nach bis an die Thuͤre, und ruft dem Rudeli: Komm doch einen Augenblick zu mir heraus.

Rudeli. Ich mag jezt nicht auf die Gaſſe, Niclas! Ich bin jezt lieber bey der Großmutter; man nimmt ſie mir bald weg.

Niclas. Komm doch nur einen Augenblick.

Rudi. Geh doch und ſieh, was er will.

Der Rudeli geht hinaus. Der Niclas nimmt ihn bey dem Arm und ſagt: Komm, ich muß dir etwas ſagen fuͤhrt ihn in eine Ecke, ſteckt ihm ſein Brod geſchwind in den Sack,[und] laͤuft da - von.

Der Rudeli dankt und ruft ihm nach: Dank doch auch deinem Vater und deiner Mutter.

Niclas kehrt ſich um, deutet ihm mit den Haͤn - den, daß er doch ſchweige, und ſagt: Es muß es Niemand wiſſen; und laͤuft wie ein Pfeil davon.

§. 50.245

§. 50. Unarten und boͤſe Gewohnheiten verder - ben dem Menſchen auch die angeneh - men Stunden, in denen er etwas Gu - tes thut.

Liſe geht indeſſen allgemach in ihrem Schritt ins obere Dorf zu des Reutimarren Betheli. Dieſes ſtuhnd eben am Fenſter. Liſe winkt ihm, und das Betheli ſchleicht aus der Stube zu ihm heraus Der Vater aber, der es merkt, ſchleicht ihm nach, und verſteckt ſich hinter das Tennthor.

Die Kinder vor dem Tennthor denken an kei - nen Vater, und ſchwatzen nach Herzensluſt.

Liſe. Du, Betheli! ich habe dir da Brod.

Betheli. (Das zitternd die Hand darnach ſtreckt) Du biſt gut, Liſe! Es hungert mich; aber warum bringſt du mir jezt Brod?

Liſe. Weil du mir lieb biſt, Betheli! Wir haben jezt genug Brod; mein Vater muß die Kirche bauen.

Betheli. Meiner auch.

Liſe. Ja, aber deiner iſt nur Handlanger.

Betheli. Das iſt gleich viel, wenn’s nur Brod giebt.

Q 3Liſe. 246

Liſe. Habt ihr groſſen Hunger leiden muͤſſen?

Betheli. Ach! wenns nur jezt beſſer wird.

Liſe. Was habt ihr zu Mittag gehabt?

Betheli. Ich darf dir’s nicht ſagen.

Liſe. Warum nicht?

Betheli. Wenn es der Vater vernaͤhme, er wuͤrde mir

Liſe. Ich wuͤrd es ihm gewiß gleich ſagen?

Das Betheli nimmt ein Stuͤck ungekochte weiſ - ſe Ruben aus dem Sack, und ſagt: Da ſiehe

Liſe. Herr Jeſus! ſonſt nichts?

Betheli. Nein, weiß Gott! jezt ſchon zween Tage.

Liſe. Und du darfſt es Niemand ſagen, und Niemand nichts fordern?

Betheli. Ja, wenn er nur wuͤßte, was ich dir geſagt habe, es wuͤrde mir zehn!

Liſe. doch das Brod, ehe du wieder hin - ein mußſt.

Betheli. Ja, ich will; ich muß bald wieder hinein, ſonſt fehlts Es faͤngt an zu eſſen, und eben oͤffnet der fromme Marx ab der Reuti das kleinere Thuͤrlein der Tenne, und ſagt: Was iſſeſt du da, mein Kind!

Sein Kind worget und ſchluckt ganz erſchrocken uͤber dem lieben Vater den ungekauten Mundvoll herunter, und ſagt: Nichts, nichts, Vater!

Marx. 247

Marx. Ja nichts wart nur Und du, Liſe es iſt mir kein Gefallen, wenn man mei - nen Kindern hinterrucks Brod giebt, damit ſie er - zaͤhlen, was man im Hauſe eſſe oder trinke, und dabey ſo gottlos luͤgen. Du gottloſes Betheli! aſſen wir nicht einen Eyerkuchen zu Mittag?

Liſe zieht jezt ſo geſchwind wieder ab, als es allgemach daher gekommen war.

Das Betheli aber nimmt der liebe Bater mit wildem zornigem Blick am Arm in die Stube.

Und Liſe hoͤret es weit, weit vom Haus weg noch ſchreyen

Enne trifft den Heireli unter ſeiner Hausthuͤre an, und ſagt ihm: Willſt du Brod?

Heireli. Ja, wenn du haſt. Enne giebt’s ihm; er dankt und ißt, und Enne geht wieder fort.

Der Jonas ſchlich um des Schabenmichels Haus herum, bis Baͤbeli ihn ſah, und herab kam. Was machſt du da, Jonas? ſagte Baͤbeli.

Jonas. Ich moͤchte gern etwas Luſtiges ma - chen.

Baͤbeli. Ich will mich mit dir luſtig machen, Jonas!

Jonas. Willſt du thun, was ich will, Baͤ - beli? es geht dann gewiß luſtig.

Baͤbeli. Was willſt du denn machen?

Jonas. Du mußſt s’Maul aufthun und die Augen zu.

Q 4Baͤ -248

Baͤbeli. Jaͤ, du thuſt mir etwas Garſtiges in’s Maul.

Jonas. Nein, das thue ich dir nicht, Baͤbe - li! meiner Treue! nicht.

Baͤbeli. Nu aber ſieh zu, wenn du mich anfuͤhrſt. (Es thut das Maul auf und die Augen nur halb zu.)

Jonas. Recht zu mit den Augen, ſonſt gilt’s nicht.

Baͤbeli. Ja; Aber wenn du ein Schelm biſt? (Es thut jezt die Augen ganz zu.)

Flugs ſchiebt ihm Jonas das Brod in’s Maul, und laͤuft fort.

Das Baͤbeli nimmt das Brod aus dem Maul, und ſagt: das iſt luſtig; ſitzt nieder und ißt.

§. 51. Es kann keinem Menſchen in Sinn kom - men, was fuͤr gute Folgen auch die kleinſte gute Handlung haben kann.

Sein Vater Michel ſieht das Spiel der Kinder vom Fenſter, und erkennt den Jonas des Lien - hards; und es geht ihm ein Stich ins Herz.

Was ich fuͤr ein Satan bin! ſagt er zu ſich ſelber. Ich verkaufe mich dem Vogt zum Verraͤ -ther249ther wider den Maͤurer, der mir Brod zeigt und Verdienſt und jezt muß ich noch ſehn, daß auch dieſer Kleine ein Herz hat, wie ein Engel Ich thue dieſen Leuten nichts Boͤſes; der Vogt iſt mir ſeit geſtern ein Graͤuel. Ich kann’s nicht vergeſſen, wie er ausſah, da er mir den Kelch gab So ſagte der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernſten Betrachtungen uͤber ſein Leben bey Hauſe.

Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder zuruͤck, erzaͤhlten dem Vater und der Mutter, wie’s ihnen gegangen war, und waren ſehr munter. Liſe allein war es nicht, zwang ſich aber froͤlich zu ſchei - nen, und erzaͤhlte mit viel Worten, wie ſie das Betheli ſo herzlich erfreut habe.

Es iſt dir gewiß etwas begegnet, ſagte Ger - trud?

Nein, es iſt mir gewiß nichts begegnet, und es hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Liſe.

Die Mutter fragte jezt nicht weiter, ſondern betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachteſſen, und begleitete ſie zur Ruhe.

Gertrud und Lienhard laſen noch eine Stunde in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem, was ſie laſen; und es war ihnen herzinniglich wohl am Abend des heiligen Feſts.

Q 5§. 52.250

§. 52. Am Morgen ſehr fruͤh iſt viel zu ſpaͤt fuͤr das, was man am Abend vorher haͤtte thun ſollen.

Am Morgen aber ſehr fruͤh, ſo bald der Maͤurer erwachte, hoͤrte er jemand ihm vor dem Fenſter rufen.

Er ſtuhnd alſobald auf, und oͤffnete die Thuͤre.

Es war Flink, der Harſchier aus dem Schloß. Er gruͤßte den Maͤurer und ſagte:

Maͤurer! ich habe dir ſchon geſtern den Befehl bringen ſollen, daß man ungeſaͤumt heute mit dem Steinbrechen anfangen ſoll.

Maͤurer. So viel ich gehoͤrt habe, hat der Vogt die Arbeiter heute in’s Schloß gehn heiſſen; doch es iſt noch fruͤh, ich denk, ſie werden noch nicht fort ſeyn; ich will es ihnen ſagen.

Da rief er dem Lenk, der in der Naͤhe wohnte, vor ſeinem Fenſter; aber es antwortete Niemand.

Nach einer Weile kam Killer, der mit ihm un - ter einem Dache wohnt, hervor und ſagte: Der Lenk iſt bey einer halben Stunde ſchon fort, mit den andern ins Schloß. Der Vogt hat ihnen ge - ſtern nach dem Nachteſſen noch ſagen laſſen, daßſie251ſie unfehlbar vor den Vieren fort ſollen, weil er auf den Mittag wieder daheim ſeyn muͤſſe.

Der Harſchier war ernſtlich betroffen uͤber dieſen Bericht, und ſagte: Das iſt verflucht; aber was iſt zu machen, erwiederte der Maͤurer?

Flink. Kann ich ſie vielleicht noch einholen?

Maͤurer. Auf des Martis Huͤgel ſieheſt du ih - nen ja auf eine halbe Stunde nach; da kannſt du ſie, nachdem der Wind geht, zuruͤckrufen, ſo weit du ſie ſieheſt.

Dieſer ſaͤumt ſich jezt nicht, laͤuft ſchnell auf den Huͤgel, ruft, pfeift und ſchreyt da, was er aus dem Hals vermag; aber vergebens Sie hoͤren ihn nicht, gehn ihres Wegs fort, und ſind ihm bald aus den Augen.

Der Vogt aber, der noch nicht ſo weit entfernt war, hoͤrte das Rufen vom Huͤgel, kehrte ſich um, das Gewehr des Harſchiers glaͤnzte im Morgen - ſtrahl der Sonne, daß der Vogt ihn erkannte; und es wunderte ihn, was der Harſchier wolle; er gieng zuruͤck und der Harſchier ihm entgegen.

Dieſer erzaͤhlte ihm jezt, wie er geſtern bis zum Sterben Kopfweh gehabt und verſaͤumt habe, dem Maͤurer anzuſagen, daß man ſchon heute mit dem Steinbrechen anfangen muͤſſe.

§. 53.252

§. 53. Je mehr der Menſch fehlerhaft iſt, je un - verſchaͤmter begegnet er denen, die auch fehlen.

Du vermaledeyter Schlingel! was du fuͤr Strei - che macheſt; antwortete der Vogt.

Flink. Es wird ſo gar uͤbel nicht ſeyn. Wie hab ich vom Teufel wiſſen koͤnnen, daß die Kerl alle vor Tag zum Dorf hinaus fliegen werden Haſt du es ihnen befohlen?

Vogt. Ja eben, du Hund! Ich muß jezt viel - leicht deinen Fehler ausfreſſen.

Flink. Ich werde auch kaum leer draus kom - men.

Vogt. Es iſt verflucht

Flink. Das war genau auch mein Wort, da ich hoͤrte, daß ſie fort waͤren.

Vogt. Ich mag jezt nicht ſpaſſen, Schlingel!

Flink. Ich eben auch nicht; aber was ma - chen?

Vogt. Du Narr! nachdenken.

Flink. Es iſt eine halbe Stunde zu ſpaͤt fuͤr meinen Kopf.

Vogt. 253

Vogt. Wart, man muß nur nie verzagt ſeyn. Es faͤllt mir etwas ein. Sag du nur keck und mit Ernſt, du habeſt den Befehl am Abend der Frau oder einem Kind des Maͤurers geſagt. Sie rich - ten wider dich nichts aus, wenn du mit Ernſt da - ran ſetzeſt.

Flink. Mit dem hab ich nichts zu thun; es koͤnnte fehlen.

Vogt. Nein, es koͤnnte nicht fehlen, wenn du daran ſetzteſt; aber bey mehrerm Nachdenken faͤllt mir etwas ein, das noch beſſer iſt.

Flink. Was denn?

Vogt. Du mußſt zuruͤcklaufen zum Maͤurer, dich graͤmen und jammern und ſagen: Es koͤnne dir uͤbel gehn, daß du den Befehl verſaͤumt ha - beſt; aber er koͤnne dir mit einem einzigen guten Wort aus allem helfen, wenn er nur etwann ein - mal dem Junker ſage, er habe den Zedel am Sonn - tag empfangen, und aus Mißverſtand, da es hei - liger Abend geweſen waͤre, es ihnen erſt heute anſagen wollen Das ſchadet dem Maͤurer kein Haar, und thut er’s, ſo iſt vollkommen geholfen.

Flink. Du haſt Recht; ich glaube, das wuͤrde angehn.

Vogt. Es fehlt gewiß nicht.

Flink. Ich muß gehen, ich habe noch Briefe; aber ich will doch noch dieſen Morgen zum Maͤu - rer hin. Behuͤt dich Gott, Vogt! (Er geht.)

Der254

Der Vogt allein: Ich erzaͤhle es einmal jezt ſo, wie abgeredt, im Schloß. Fehlts dann, ſo ſage ich, der Harſchier hat mir’s ſo erzaͤhlt.

§. 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit.

Indeſſen kamen die Tagloͤhner zum Schloß, ſetz - ten ſich auf die Baͤnke bey der Scheune, und warteten da, bis jemand ſie rufen, oder bis der Vogt kommen wuͤrde, der ihnen verſprochen hatte, alſobald nachzukommen. Als aber der Hausknecht im Schloſſe ſie bey der Scheune ſah, gieng er zu ihnen hinunter, und ſagte: Warum ſeyd ihr da, Nachbaren? Unſer Herr glaubt, ihr ſeyd an der Arbeit beym Kirchbau.

Die Maͤnner antworteten: Der Untervogt habe ihnen befohlen, hieher zu kommen, dem Junker fuͤr die Arbeit zu danken.

Das war nicht noͤthig, erwiederte Claus! Er wird euch auch nicht viel darauf halten; aber ich will euch melden.

Der Hausknecht meldete die Maͤnner. Der Junker ließ ſie ſogleich vor ſich, und fragte ſie freundlich, was ſie wollten?

Nach -255

Nachdem ſie es geſagt, und mit Muͤhe und Ar - beit etwas vom Danken wollen geſtammelt hat - ten ſagte der Junker: Wer hat euch befohlen, um deswillen hieher zu kommen?

Der Untervogt! antworteten die Maͤnner, und wollten noch einmal danken.

Das iſt wider meinen Willen geſchehen, ſagte Arner! Geht jezt in Gottes Namen, und ſeyd fleißig und treu, ſo freut’s mich, wenn der Ver - dienſt dieſem oder jenem unter euch aufhelfen kann; aber ſagt dem Meiſter: daß man noch heute mit dem Steinbrechen anfangen muͤſſe.

Da giengen die Maͤnner wieder heim.

§. 55. Ein Heuchler macht ſich einen Schelmen zum Freund.

Und in ihrem Heimgehen ſagte einer zum andern: Das iſt doch ein herzguter Herr der junge Junker.

Der alte waͤre es auch geweſen, wenn er nicht auf hunderterley Arten betrogen und hintergangen worden waͤre, ſagten die aͤltern Maͤnner alle aus einem Munde.

Mein256

Mein Vater hat’s mir tauſendmal geſagt, wie er in der Jugend ſo geweſen, und es geblieben ſey, bis er endlich ganz am Vogt den Narren gefreſ - ſen hatte, ſagt Aebi.

Da war’s aus mit des Herrn Guͤte; ſie triefte nur in’s Vogts Kiſten, und der fuͤhrte ihn wie ei - nen pohlniſchen Baͤren am Seil, wohin er wollte, ſagte Leemann.

Was er fuͤr ein Hund iſt, daß er uns jezt ſo ohne Befehl im Feld herum ſprengt, und noch dazu allein laͤßt! ſagt Lenk.

Das iſt ſo ſein Brauch, ſagte der Kienaſt; aber ein Hundsbrauch, erwiederte der Lenk.

Ja, der Herr Untervogt iſt doch ein braver Mann. Unſer einer kann eben nicht alles wiſſen, was vorfaͤllt, antwortete der Kriecher faſt ſo laut, als er konnte; denn er ſah, daß der Untervogt im Hohlweg ſtill daher ſchlich, und nahe bey ihnen war.

Der Teufel! du magſt ihn wohl ruͤhmen; ich einmal ruͤhme jezt den Junker, ſagte Lenk auch ganz laut, denn er ſah den Vogt nicht im Hohlwege.

Dieſer aber trittet eben, indem ers ſagte, auſſer den Hag, gruͤßt die Nachbaren, und fragt dann den Lenk: Warum ruͤhmſt du den Junker ſo maͤchtig?

Der Lenk antwortete betroffen: Ha, wir rede - ten da mit einander, wie er ſo liebreich und freund - lich war.

Das257

Das war aber doch nicht alles, erwidert der Vogt.

Ich weiß einmal nichts anders, ſagt Lenk.

Das iſt nicht ſchoͤn, Lenk! wenn man ſo ſei - ner Worte zuruͤck geht, ſagt Kriecher, und faͤhrt fort: Er war aber nicht allein, Herr Untervogt! es murreten da etliche, daß ihr ſie ſo allein gelaſſen haͤttet; ich ſagte aber: unſer einer koͤnne ja nicht wiſ - ſen, was ſo einem Herrn allemal vorfaͤllt. Auf dieſes hin ſagte einmal der Lenk: Ich moͤg wohl den Vogt ruͤhmen; er einmal ruͤhme jezt den Jun - ker.

Aha! es war alſo mit mir, daß du den Jun - ker verglichen haſt, ſagt der Vogt, und lachte laut.

Er hat’s aber eben auch nicht ſo gemeynt, wie man es ihm jezt aufnimmt, ſagen etliche Maͤnner, ſchuͤtteln die Koͤpfe, und murren uͤber den Kriecher.

Es hat gar nichts zu bedeuten, und iſt nichts Boͤſes; es iſt ein altes Sprichtwort: Deß Brod ich , deß Lied ich ſing, ſagt der Vogt; druͤckt dem Kriecher die Hand, redet aber nichts weiter hiervon, ſondern fragt die Maͤnner: ob Arner zor - nig geweſen waͤre?

Nein, antworteten die Maͤnner, gar nicht; er ſagte nur: wir ſollten heim eilen, und ungeſaͤumt noch heute an die Arbeit gehn.

Sagt das dem Maͤurer, und es habe mit dem Mißverſtand nichts zu bedeuten; ich laſſe ihn gruͤſ -Rſen,258ſen, ſagte ihnen der Vogt, gieng ſeines Wegs, und auch die Maͤnner giengen den Ihrigen.

Der Harſchier aber war ſchon laͤngſt bey dem Maͤurer, und bat ihn und flehete, er ſollte doch ſa - gen: er habe den Befehl am Sonntag erhalten.

Der Maͤurer wollte dem Vogt und dem Har - ſchier gern gefaͤllig ſeyn, und redte mit ſeiner Frau.

Ich fuͤrchte alles, was krumm iſt, antwortete die Frau; und ich wette, der Vogt hat ſich jezt ſchon darmit entſchuldiget. Mich duͤnkt, wenn der Jun - ker dich fraͤgt, ſo muͤſſeſt du ihm die Warheit ſa - gen; wenn aber, wie es ſeyn kann, der Sach Nie - mand mehr nachfragt, ſo koͤnnſt du es gelten laſ - ſen, wie ſie es machen, indem das Niemand wei - ters nichts ſchadt.

Lienhard ſagte darauf dem Harſchier ſeine Meynung auf dieſen Fuß.

Indeſſen kamen die Maͤnner von Arnburg zu - ruͤck.

Ihr ſeyd geſchwind wieder da, ſagte ihnen der Maͤurer. Sie antworteten: Wir haͤtten den Gang uͤberall erſparen koͤnnen.

Lienhard. War er erzoͤrnt uͤber dieſem Ver - ſehen?

Die Maͤnner. Nein, gar nicht. Er war gar freundlich und liebreich, und er ſagte uns, daß wir heim eilen und noch heut an die Arbeit gehn ſollen.

Flink. 259

Flink. Da ſiehſt du jezt ſelbſt, daß es fuͤr dich nichts zu bedeuten hat. Fuͤr mich iſt es et - was ganz anders; und auch fuͤr den Vogt.

Ja, bey Anlaß des Vogts, unterbricht ſie der ehrliche Huͤbelrudi, wir haͤttens faſt vergeſſen: er laſſe dich gruͤſſen, und es habe mit dem Mißver - ſtaͤndniß gar nichts zu bedeuten.

Lienhard. Iſt er ſchon beym Junker gewe - ſen, da ihr ihn antrafet?

Die Maͤnner. Nein, wir trafen ihn auf dem Weg zu ihm an.

Lienhard. Er weiß alſo nichts, als was ihr ihm ſagtet; und was ich jezt auch weiß.

Die Maͤnner. Es kann nicht wohl anders ſeyn.

Flink. Du bleibſt doch bey deinem Verſprechen?

Der Maͤurer. Ja, aber ganz wie ich’s ge - ſagt habe.

Jezt befahl der Maͤurer den Maͤnnern, noch bey Zeiten bey der Arbeit zu ſeyn, und ruͤſtete noch einige Werkzeuge; und, nachdem er geeſſen hatte, gieng er mit den Maͤnnern das erſtemal an ſeine Arbeit. Wolle ſie dir Gott ſegnen, ſagte ihm Ger - trud, da er gieng Wolle ſie ihm Gott ſegnen, muß ich einmal auch ſagen, da er geht.

R 2§. 56.260

§. 56. Es wird Ernſt; der Vogt muß nicht mehr Wirth ſeyn.

Da der Vogt ins Schloß kam, ließ ihn Arner lang warten; endlich kam er heraus auf die Laube, und fragte ihn, mit Unwillen: Was iſt das? wa - rum machteſt du heut die Leute alle ins Schloß kommen, ohne Befehl?

Ich glaubte, es waͤre meine Pflicht, den Maͤn - nern zu rathen, Euer Gnaden fuͤr die Arbeit zu danken, antwortete der Vogt.

Und Arner erwiderte: deine Pflicht iſt zu thun, was mir und meinen Herrſchaftsleuten nuͤtzlich iſt, und was ich dir befehle; aber gar nicht arme Leu - te im Feld herum zu ſprengen, und ſie Complimen - ten zu lernen, die nichts nuͤtzen, und die ich nicht ſuche! Das aber, warum ich dich habe hieher kommen laſſen, iſt dir zu ſagen: daß ich die Vogts - ſtelle nicht laͤnger in einem Wirthshauſe laſſe.

Der Vogt erblaßte, zitterte, und wußte nicht, was er antworten wollte; denn er erwartete nichts weniger als einen ſo ploͤtzlichen Entſchluß.

Arner redte fort: Ich will dir die Wahl laſſen, welches von beyden du lieber bleiben willſt; aberin261in vierzehn Tagen will ich deinen Entſchluß wiſ - ſen.

Der Vogt hatte ſich in etwas wieder erholt, und dankte ſtammelnd fuͤr die Bedenkzeit.

Arner erwiderte: Ich uͤbereile Niemand gern, und ich ſuche dich nicht zu unterdruͤcken, alter Mann! aber dieſe zween Berufe ſchicken ſich nicht zuſam - men.

Dieſe Guͤte Arners machte dem Vogt Muth. Er antwortete: Es haben doch bisher alle Voͤgte Ihrer Herrſchaft gewirthet, und in allen Landen unſers Fuͤrſten iſt das ein gemeines.

Arner aber war kurz, und ſagt: Du haſt jezt meine Meynung gehoͤrt nimmt dann den Sack - kalender und ſagt ferner: Heute iſt der 20ſte Merz, und in vierzehn Tagen wird der 3ten Aprill ſeyn, alſo auf den 3ten Aprill erwarte ich deine Ant - wort, weiter habe ich dermalen nichts zu ſagen Arner zeichnete noch den Tag in ſeinen Kalender, und gieng in ſeine Stube.

R 3§. 57.262

§. 57. Wie er ſich gebehrdet.

Bang und beklemmt in ſeinem Herzen, gieng der Vogt auch fort. Dieſer Schlag hatte ihn ſo verwirrt, daß er die Leute, neben denen er durch die Laube und die Stiege hinunter vorbey gieng, nicht ſah und nicht kannte. So, faſt ſeiner ſelber nicht bewußt, kam er bis unten an die Schloßhalde zum alten dichtſtaͤmmigen Nußbaum, da ſteht er dann wieder ſtill, und ſagt zu ſich ſelber: Ich muß Athem holen wie mir das Herz klopft ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht ohne einzu - treten in eine Klage ohne etwas auf mich zu beweiſen bloß weil’s ihm ſo beliebt ſoll ich nicht Vogt ſeyn oder nicht Wirth das iſt uͤber alle Grenzen kann er mich dazu zwingen ich glaub’s nicht Den Mantel kann er mir ohne Klage nicht nehmen und das Wirthrecht iſt gekauft aber wenn er ſucht wenn er oͤffentlich Klage ſucht, er findet was er will Von allen den verdammten Buben, denen ich diente, iſt mir keiner, kein einziger treu. *)Warum doch? Rathet, Kinder!Was ſoll ich jezt machen vierzehn Tage iſt end -lich263lich immer etwas Oft hab ich viel in ſo viel Zeit in Ordnung gebracht wenn mir nur der Muth nicht faͤllt alles kommt nur von dem Maͤurer kann ich den verderben, ſo fehlts nicht, ich finde Auswege aus allem

Aber wie mir ſo ſchwach und bloͤde iſt. Er nim̃t eine Brandteweinflaſche aus dem Sack, kehrt ſich gegen dem Schatten des Baums, braucht ſein Haus - mittel, und trinkt einen Schoppen auf einmal her - unter. Einen Dieben oder einen Moͤrder, dem Steckbriefe nachjagen, erquickt der erſte Trunk Waſ - ſer, den er auf dem erlaufenen Boden der Frey - heit trinkt, nicht ſtaͤrker als die Brandtsflaſche den Vogt bey ſeinen Raͤnken erquickt. Er fuͤhlt ſich jezt wieder beſſer, und mit ſeinen Kraͤften waͤchst auch wieder der Muth des Verbrechers. Das hat mich maͤchtig erfriſcht, ſagt er zu ſich ſelber, und ſtellt ſich wieder wie ein Mann, der Herz hat, und den Kopf hoch traͤgt. Vor einer Weile, ſagt er, glaubte ich eben noch, ſie werden mich vor dem Abendbrod freſſen, jezt iſt mir wieder, als ob ich das Maͤurerlein, und ſelber den Arner da, den Gnaͤ - digen Buben, mit dem kleinen Finger zuſammen druͤcke, daß ſie jauchzen wie ſolche, die man be[y]den Ohren in die Hoͤhe zieht.

Gut war’s, daß ich meine Flaſche nicht ver - geſſen habe; aber was ich auch fuͤr ein Kerl waͤre, ohne ſie.

R 4So264

So redte der Vogt mit ſich ſelber. Das Schre - cken war nun voͤllig ſeinem Zorn, ſeinem Stolz, und ſeiner Brandtsflaſche gewichen.

Er gieng wieder ſo hochmuͤthig und ſo feindſe - lig einher, als er je that.

Er nickte den Leuten auf dem Feld, die ihn gruͤßten, vogtrichterlich ſtolz, nur ſo ein klein we - nig zu. Er trug ſeinen knorrichten Stock ſo gebieteriſch hoch in der Hand, als ob er im Land mehr zu befehlen habe, als zehn Arner; er haͤngte ſein Maul, wie eine alte Stutte, und mach - te Augen ſo groß und ſo rund, man ſagt bey uns, wie ein Pflugsraͤdli.

So gieng der Tropf einher, zu einer Zeit, da er ſo wenig Urſach hatte.

§. 58. Wer bey ihm war.

Neben ihm gieng ſein groſſer Tuͤrk, ein Hund, der auf einen Wink des Vogts die groſſen weiſſen Zaͤhne gegen Jedermann zeigte; auf einen andern aber ſeinen Mann auf Leib und Leben packte. Die - ſer groſſe Tuͤrk, der weit und breit das Schrecken des armen lumpigten Mannes ſo gut war, als ſein Meiſter das Schrecken aller armen gedruͤckten Miet -linge265linge und Schuldner in der ganzen Herrſchaft iſt. Dieſer gewa[l]〈…〉〈…〉ge Tuͤrk gieng neben dem Vogt gleich gravitaͤtiſch daher; aber ich darf nicht ſagen, was mir in dem Maul iſt. Doch iſt ganz gewiß, daß der Vogt, der entſetzlich wuͤtend war, einmal jezt in ſeinem Angeſicht mit dem Hund etwas gleiches hatte.

§. 59. Aufloͤſung eines Zweifels. *)In einem andern Buch wuͤrde ich den Abſchnitt uͤberſchreiben: Die Sorgfalt des Autors gegen kunſtrichterliches Bedenken.

Aber daß der Vogt nach dem geſtrigen Jammer und nach dem heutigen Schrecken jezt dennoch ſo ſtolz thut, das wundert vielleicht einen einfaͤltigen Fraͤgler; ein geſcheider Landmann merkets von ſelbſt. Der Hochmuth plagt einen nie ſtaͤrker, als wenn man im Koth ſteckt. So lang alles gut geht, und Niemand in Zweifel zieht, daß man oben am Bret iſt, ſo thut Niemand ſo gar dick; aber dann, wenn links und rechts der Schadenfroh ausſtreut, es ſtehe nicht wie vor altem dann regt ſich das Blut, ſchaͤumt und wallt auf, wie heiſſe Butter im Keſſel und das war eben der Fall des Vogts. R 5Alſo266Alſo iſt es ganz natuͤrlich und auch den Einfaͤl - tigſten begreiflich, daß er, da〈…〉〈…〉 ſich unten an der Schloßhalden vom Schrecken wieder erholt hatte, ſo ſtolz habe thun koͤnnen, als ich geſagt habe. Zu dem hatte er dieſe Nacht auf ſeine zwey Pulver, und da er wenig getrunken hatte, auſſer - ordentlich wohl geſchlafen, und heut am Morgen den Kopf von den Schrecken und Sorgen des vo - rigen Tags zimlich leer gehabt.

Ich erzaͤhle die Sachen, wie ſie geſchehen, und wie ſie mir zu Ohren gekommen ſind; aber ich koͤnnte und moͤchte bey weitem nicht allemal auf unnuͤtze Fragen ſo Antwort geben, wie jezt.

§. 60. Eine Ausſchweifung.

Freylich waͤre es beſſer geweſen, er haͤtte ſeine Brenntsflaſche am Nußbaum, unter dem er ſtuhnd, zerſchlagen, und waͤre zuruͤckgegangen zu ſeinem Herrn, ihm ſeine Umſtaͤnde zu entdecken; ihm zu ſa - gen, daß er nicht reich ſey, ſondern den Vogtsdienſt und das Wirthsrecht um der Schulden willen, darinn er ſtecke, nothwendig habe, und ihn um Gnad und Barmherzigkeit zu bitten; ich weiß, Arner haͤtte den alten Mann in dieſen Umſtaͤnden nicht verſtoſſen.

Aber267

Aber eben das iſt das Ungluͤck der Gottloſen; ihre Laſter bringen ſie um allen Verſtand, daß ſie in ihren wichtigſten Angelegenheiten wie blind werden, und daß ſie wie unſinnig zu ihrem Verderben handeln; da hingegen die guten redlichen Menſchen, die ein einfaͤltiges und unſchuldiges Herz haben, im Un - gluͤck ihren Verſtand gar viel beſſer behalten, und ſich daher auch gemeiniglich in den Zufaͤllen des Lebens weit leichter helfen und rathen koͤnnen, als die Gottloſen.

Sie demuͤthigen ſich im Ungluͤck, ſie beten ihre Fehler ab ſie richten in der Noth ihre Augen nach der Hand, die allenthalben gegen das Elend der Menſchen, welche mit reinem Herzen Huͤlfe ſu - chen, ſich ausſtreckt.

Der Friede Gottes, der alle Vernunft uͤber - trifft, iſt ihnen Schutz und Leitſtern durch ihr Le - ben, und ſie kommen immer ſo durch die Welt, daß ſie am Ende Gott von Herzen danken.

Aber den Gottloſen fuͤhrt ſeine Gottloſigkeit aus einer Tiefe in die andere.

Er braucht ſeinen Verſtand nie auf den geraden Wegen der frommen Einfalt, Ruh und Gerechtig - keit und Frieden zu ſuchen. Er braucht ihn nur zu den krummen Wegen der Bosheit, Jammer an - zurichten, und Unruh zu ſtiften. Darum koͤmmt er immer in Ungluͤck; in ſeiner Noth trotzt er dann. Er laͤugnet im Fehler, er iſt hochmuͤthig im Elend. Huͤlf268Huͤlf und Rettung will er entweder erheucheln und erliegen, oder erzwingen und erſtehlen. Er traut auf ſeinen verwirrten wilden Sinn. Er ſtoͤßt die Hand des Vaters, die ſich gegen ihn ausſtreckt, von ſich; und wenn dieſer ihm zuruft: Beug dich, mein Kind! ich, dein Vater, ich bin der da zuͤchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater ſo verſpottet er die Stimme des Retters und ſagt: Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will ich mir helfen, wie ich will.

Darum iſt des Gottloſen Ende immer ſo tiefer Jammer und ſo tiefes Elend.

§. 61. Der alte Mann leert ſein Herz aus.

Ich bin jung geweſen und alt worden, und ich habe mich viel und oft umgeſehn, wie es dem Frommen und dem Gottloſen auch gehe. Ich habe die Kna - ben meines Dorfs mit mir aufwachſen geſehn Ich ſah ſie Maͤnner werden Kinder und Kinds - kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet Gott! du weißſt meine Stunde, wenn ich meinen Bruͤdern folgen ſoll Meine Kraͤfte nehmen ab;aber269aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unſer Le - ben iſt wie eine Blume des Felds, die am Morgen bluͤhet, am Abend aber verwelket. O Herr, un - ſer Herrſcher! du biſt gnaͤdig und gut den Men - ſchen, die auf dich trauen darum hoffet meine Seele auf dich; aber der Weg des Suͤnders fuͤhrt zum Verderben. Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo - ſen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin - der geſehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe fuͤr nichts achteten allen, allen iſt’s uͤbel gegan - gen am Ende. Ich kannte des ungluͤcklichen Ulis Vater ich habe mit ihm unter einem Dache ge - wohnt, und mit meinen Augen geſehn, wie der gottloſe Sohn den armen Vater kraͤnkte und ſchimpf - te und in meinem Leben werde ich’s nicht ver - geſſen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor ſeinem Tode uͤber ihn weinte. Ich ſah den boͤ - ſen Buben an ſeiner Begraͤbniß lachen Kann ihn Gott leben laſſen, dachte ich, den Boͤſewicht? Was geſchah? Er nahm ein Weib, das hatte viel Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichſten, und gieng in ſeinem Stolz und in ſeiner Bosheit einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand auf Erden uͤber ihm waͤre.

Ein Jahr gieng voruͤber, da ſah ich den ſtol - zen Uli an ſeiner Frauen Begraͤbniß heulen und wei - nen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bisauf270auf den letzten Heller zuruͤckgeben. Er war ploͤtz - lich wieder arm wie ein Bettler. In ſeiner Ar - muth ſtahl er, und ihr wiſſet, welch ein Ende er ge - nommen hat. Kinder! ſo ſah ich immer, daß das Ende des Gottloſen Jammer und Schrecken iſt.

Ich ſah aber auch den tauſendfachen Segen und Frieden in den ſtillen Huͤtten der Frommen Es iſt ihnen wohl bey dem, ſo ſie haben Bey wenigem iſt ihnen wohl, und bey vielem ſind ſie genuͤgſam. Arbeit in ihren Haͤnden und Ruhe in ihren Herzen, das iſt der Theil ihres Lebens Sie genieſſen froh das Ihrige, und begehren das nicht, was ihrem Naͤchſten iſt. Der Hochmuth plagt ſie nicht, und der Neid verbittert ihnen ihr Leben nicht; darum ſind ſie immer froher und zufriedener und mehrentheils auch geſuͤnder als die Gottloſen. Sie haben auch des Lebens Nothwendigkeiten ſicherer und ruhiger; denn ſie haben ihren Kopf und ihr Herz nicht bey Bosheiten, ſondern bey ihrer Arbeit und bey den Geliebten ihrer ſtillen Huͤtten. So iſt ihnen wohl im Leben. Gott im Himmel ſieht herab auf ihre Sorge und auf ihren Kummer, und hilft ihnen.

Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! Ich ſah viele fromme Arme auf ihrem Todbette, und ich habe nicht gefunden, daß Einer, ein Einziger von allen, in dieſer Stunde ſich uͤber ſeine Armuth und uͤber die Noth ſeines Lebens beklagt haͤtte. Alle,alle271alle dankten Gott fuͤr die tauſend Proben ſeiner Va - terguͤte, die ſie in ihrem Leben genoſſen hatten.

O Kinder meines Dorfs! werdet doch fromm, und bleibet einfaͤltig und unſchuldig Ich habe geſehn, wie das ſchlaue und argliſtige Weſen einen Ausgang nimmt. Hummel und ſeine Geſellen waren weit ſchlauer, als alle andern; ſie wußten im - mer tauſend Dinge, wovon uns andern nichts traͤum - te. Das machte ſie ſtolz, und ſie glaubten, der Einfaͤltigere ſey nur darum in der Welt, daß er ihr Narr waͤre. Sie fraſſen einige Zeit das Brod der Wittwen und der Waiſen, und tobten und wuͤtheten gegen die, ſo nicht ihre Knie bogen vor ihnen Aber ihr Ende hat ſich genaͤhert. Der Herr im Himmel hoͤrte der Wittwen und der Waiſen Seuf - zen Er ſah die Thraͤnen der Muͤtter, die ſie mit ihren Kindern weinten uͤber den gottloſen Bu - ben, die ihre Maͤnner und Vaͤter verfuͤhrten und draͤngten; und der Herr im Himmel half dem Un - terdruͤckten und dem Waiſen, der keine Hoffnung mehr hatte, zu ſeinem Rechte zu gelangen.

§. 62.272

§. 62. Das Entſetzen der Gewiſſensunruhe.

Als am Samſtag Abends Hans Wuͤſt vom Vogt heim kam, quaͤlten ihn die Sorgen des Meyneids noch tiefer, daß er auf dem Boden ſich waͤlzte und heulte, wie ein Hund, dem ein erſchreckliches Grim - men die Eingeweide zerreißt; ſo raſete er die Nacht uͤber und den ganzen folgenden heiligen Tag raufte ſeine Haare ſich aus ſchlug ſich mit Faͤu - ſten bis aufs Blut nichts und trank nichts, lief wuͤthend umher, und ſagte: O, o des Ru - dis Hausmatte! O, o ſeine Hausmatte, ſeine Haus - matte! Es brennt auf meiner Seelen! Der Satan, o, o! der leidige Satan iſt meiner maͤch - tig O weh mir! O weh meiner armen See - len!

So gieng er wuͤthend umher, geplagt und ge - quaͤlt von den Sorgen des Meyneids, und heulte das Jammergeheul ſeiner entſetzlichen graͤulichen Schrecken.

Abgemattet von den Qualen dieſer Sorgen, konnte er endlich am Sonntag Nachts wieder ein - ſchlafen.

Am273

Am Morgen darauf war ihm wieder etwas leichter, und er nahm den Entſchluß, ſeine Qualen nicht mehr bey ſich zu behalten, ſondern alles dem Pfarrer zu ſagen.

Er nahm auch ſeinen Sonntagsrock, und was er ſonſt fand, und band alles in einen Buͤndel zu - ſammen, damit er das Geld, das er dem Vogt ſchuldig war, darauf entlehnen koͤnne.

Er nimmt jezt den Buͤndel, zittert, geht in den Pfarrhof, ſteht da, will wieder fortlaufen, ſteht wieder ſtill, wirft den Buͤndel in den Haus - gang, und macht Gebehrden, wie ein Menſch, der nicht bey Sinnen iſt.

§. 63. Daß man mit Liebe und mit Theilnehmung der gaͤnzlichen Kopfsverwirrung angſt - voller Menſchen vorkommen koͤnne.

Der Pfarrer ſieht ihn in dieſem Zuſtande, geht zu ihm hinunter, und ſagt ihm: Was iſt dir, Wuͤſt? wo fehlt’s dir? Komm mit mir hinauf in die Stu - be, wenn du etwas mit mir reden willſt.

Da gieng der Wuͤſt mit dem Pfarrer hinauf in ſeine Stube.

SUnd274

Und der Pfarrer war mit dem Wuͤſt ſo freund - lich und ſo herzlich, als er nur konnte. Denn er ſah ſeine Verwirrung und ſeine Angſt, und er hatte das Gemurmel, daß er wegen ſeines Eids faſt ver - zweifeln wollte, geſtern auch ſchon gehoͤrt.

Der Wuͤſt aber, da er ſah, wie liebreich und freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte ſich nach und nach wieder und ſagte:

Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Ich glaube, ich habe einen falſchen Eid gethan, und verzweifle faſt daruͤber. Ich kann es nicht mehr ertragen; ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe, leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm - herzigkeit von Gott hoffen darf.

§. 64. Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensſache be - handelt.

Der Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen leid iſt uͤber deinen Fehler, ſo zweifle nicht an Got - tes Erbarmen.

Wuͤſt. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch bey dieſem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar - mung hoffen, und der Verzeihung der Suͤnden mich getroͤſten?

Pfar -275

Pfarrer. Wenn Gott einen Menſchen dahin gebracht hat, daß er aufrichtige Buſſe thut, und im Ernſt nach der Verzeihung ſeiner Suͤnden ſeufzet: ſo hat er ihm den Weg zur Verzeihung und zur Erhaltung aller geiſtlichen Gnaden ſchon gezeigt; glaube das, Wuͤſt! Und wenn deine Buſſe dir auf - richtig von Herzen geht, ſo zweifle nicht, ſie wird Gott wohlgefaͤllig ſeyn.

Wuͤſt. Aber kann ich es auch wiſſen, daß ſie ihm wohlgefaͤllig iſt?

Pfarrer. Du kannſt bey dir ſelber wahrlich wohl wiſſen, wenn du mit Ernſt auf dich Achtung giebſt, ob ſie aufrichtig iſt, und ganz von Herzen geht, und wenn ſie aufrichtig iſt, ſo iſt ſie Gott ge - faͤllig; das iſt das Einzige, was ich ſagen kann.

Siehe, Wuͤſt! wenn einer dem Nachbar den Grund vom Acker weggepfluͤgt hat und es reuet ihn: er geht, ohne daß der Nachbar es weiß, ohne daß er es fordert, fuͤr ſich ſelber und im Stillen, pfluͤgt den Grund dem Nachbar wieder an ſeinen Acker, und thut eher ein Uebriges, als zu wenig ſo muß ich denken, es ſey ihm Ernſt mit ſeiner Neue.

Giebt er ihm aber das Seinige nicht, oder nicht ganz zuruͤck; braucht er im Zuruͤckgeben Vortheil; ſorgt er nur, daß ihm der Diebſtahl nicht auskomme; iſt ihm nur um ſich ſelbſt, und nicht um ſeinen Nach - bar zu thun, dem er Unrecht gethan hat: ſo ſindS 2ſeine276ſeine Reue und ſein Zuruͤckpfluͤgen ein Tand, mit wel - chem der Tropf ſich ſelber bethoͤret. Wuͤſt! wenn du in deinem Herzen nichts ſucheſt, und nichts wuͤn - ſcheſt, als daß aller Schade, den deine boͤſe That verurſacht, und alles Aergerniß, das ſie ange - richtet hat, aufhoͤre und wieder gut werde, und daß dir Gott und Menſchen verzeihen; wenn du nichts anders wuͤnſcheſt, wenn du von Herzen gern alles leideſt und thuſt, um deinen Fehler ſo viel moͤglich wieder gut zu machen: ſo iſt deine Buſſe gewiß aufrichtig; und dann zweifle nicht, daß ſie nicht Gott gefaͤllig ſey.

Wuͤſt. Herr Pfarrer! Ich will gern leiden und thun, was ich auf Gottes Boden thun kann, wenn mir nur dieſer Stein ab dem Herzen koͤmmt. Wie er mich druͤckt, Herr Pfarrer! Wo ich geh und ſteh, zittre ich uͤber dieſer Suͤnde.

Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Gehe nur ein - faͤltig, ger〈…〉〈…〉 de und redlich in deinem Ungluͤck zu Werk, ſo wird’s dir gewiß leichter werden.

Wuͤſt. O, wenn ich nur das hoffen darf, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Trau auf Gott! Er iſt der Gott des Suͤnders, der ihn ſucht. Thue du nur, was du kannſt, gewiſſenhaft und redlich. Das groͤßſte Ungluͤck, das aus deinem Eid entſtan - den iſt, ſind die Umſtaͤnde des armen Rudis, derda -277dadurch in ein entſetzliches Elend gerathen iſt; aber ich hoffe, der Junker werde, wenn du ihm die Sache bekennen wirſt, dann ſelber helfen, daß der Mann in ſeinem Elend getroͤſtet werden koͤnne.

Wuͤſt. Eben der arme Rudi, eben der iſt’s, der mir immer auf dem Herzen liegt. Herr Pfar - rer! meynet ihr, der Junker koͤnne ihm auch wie - der zu ſeiner Matten helfen?

Pfarrer. Gewiß weiß ich’s nicht. Der Vogt wird freylich alles, was er kann, anbringen, dein jeziges Zeugniß verdaͤchtig zu machen; aber der Junker wird hingegen auch alles thun, was er kann, dem ungluͤcklichen Mann zu dem Seinigen zu helfen.

Wuͤſt. Wenn es ihm nur auch geraͤth.

Pfarrer. Ich wuͤnſche es von Herzen, und hoffe es wirklich; aber es mag auch dem Rudi hierinn gehn, wie es will, ſo iſt es um deiner ſelbſt und um der Ruhe deines Herzens willen gleich noth - wendig, daß du alles dem Junker offenbareſt.

Wuͤſt. Ich will es ja gern thun, Herr Pfar - rer!

Pfarrer. Es iſt der gerade Weg, und es freut mich, daß du ihn ſo willig gehn willſt; er wird dir Ruhe und Friede in dein Herz bringen Aber freylich wird dir das Bekenntniß Schimpf und Schande und Gefaͤngniß und ſchweres Elend zu - ziehen.

S 3Wuͤſt. 278

Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnaͤdig ſeyn werde.

Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un - gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al - les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge - dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlaſſen.

Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren Suͤnder!

Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu - ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte.

So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt, der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts ſagte.

Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile.

Der279

Der Wuͤſt aber fieng wieder an, und ſagte: Herr Pfarrer! ich habe noch etwas anzubringen.

Pfarrer. Was denn?

Wuͤſt. Ich bin ſeit dem Handel dem Vogt noch acht Gulden ſchuldig. Er ſagte zwar vorge - ſtern, er wolle die Handſchrift zerreiſſen; aber ich will nicht, daß er mir etwas ſchenke, ich will ihn bezahlen.

Pfarrer. Du haſt Recht; das muß unum - gaͤnglich ſeyn, und noch ehe du Arnern die Sache entdeckeſt.

Wuͤſt. Ich habe unten im Haus einen Buͤn - del; es iſt mein Sonntagsrock und noch etwas da - rinnen, das zuſammen wohl die acht Gulden werth iſt. Ich muß in Gottes Namen die acht Gulden entlehnen, und ich habe gedacht, ihr zuͤrnet es nicht, wenn ich euch bitte, daß ihr mir ſie gegen dieſes Pfand vorſtrecket.

Pfarrer. Ich nehme nie keine Sicherheit von Jemand, und oft muß ich ſo etwas abſchlagen, ſo weh es mir auch thut; aber in deinem Fall ſchlage ich es nicht ab. Sogleich giebt er ihm das Geld, und ſagt: Trag es alſobald zum Vogt hin, und deinen Buͤndel, den nimm nur wieder mit dir heim.

S 4§. 65.280

§. 65. Daß es auch beym niedrigſten Volk eine Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annah - me von Wohlthaten, um die ſie bit - ten.

Wuͤſt zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab - nahm; dankte und ſagte: Aber den Buͤndel nehme ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer!

Nun ſo laſſe ich ihn denn nachtragen, wenn du ihn nicht gern ſelber nimmſt, erwiederte laͤchelnd der Pfarrer.

Wuͤſt. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be - haltet den Buͤndel, damit ihr fuͤr eure Sache ſicher ſeyd.

Pfarrer. Das wird ſich ſchon geben, Wuͤſt! bekuͤmmere dich jezt nicht hieruͤber, und denke viel - mehr an das weit Wichtigere, das dir vorſteht. Ich will heute noch dem Junker ſchreiben, und du bringſt ihm dann morgen den Brief.

Wuͤſt. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber um Gottes willen! behaltet den Buͤndel, ich darf ſonſt das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf nicht.

Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alſobald mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgenetwann281etwann um neun Uhr wieder zu mir; aber rede mir kein Wort weiter vom Buͤndel.

Da gieng der Wuͤſt erleichtert und in ſeinem Gewiſſen getroͤſtet, vom Pfarrer fort gerade in’s Vogts Haus, und gab das Geld, da der Mann nicht zu Hauſe war, der Frau.

Dieſe fragte ihn: Woher ſo viel Geld auf ein - mal, Wuͤſt?

Niedergeſchlagen und kurz antwortete der Wuͤſt: Ich habe es ſo gemacht, wie ich’s gekonnt habe; Gott Lob! daß du es haſt.

Die Voͤgtinn erwiederte: Wir haben dich doch noch nie darum genoͤthigt.

Wuͤſt. Ich weiß es wohl; aber es iſt viel - leicht eben darum nichts deſto beſſer.

Voͤgtinn. Das iſt wunderlich geredt, Wuͤſt! wo fehlt’s dir? Du biſt die Zeither gar nicht recht.

Wuͤſt. Ach Gott! du wirſt’s wohl erfahren; aber zaͤhl doch das Geld; ich muß gehen.

Die Voͤgtinn zaͤhlt das Geld, und ſagt: Es iſt richtig.

Wuͤſt. Nun, gieb es deinem Mann ordent - lich. Behuͤt Gott, Frau Voͤgtinn

Voͤgtinn. Muß es ſeyn ſo behuͤt auch Gott, Wuͤſt!

S 5§. 66.282

§. 66. Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt.

Der Vogt hatte auf dem Ruͤckweg von Arnheim im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank und prahlte er unter den Bauern. Er erzaͤhlte ihnen von ſeinen gewonnenen Haͤndeln; von ſei - ner Gewalt unter dem verſtorbenen Arner; wie er unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord - nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine Lumpenordnung ſey. Dann gab er ſeinem Hund das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks - purſch, ohne den Wein, zu Mittag hat; ſpoͤttelte uͤber einen armen Mann, dem ein Seufzer ent - fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod dem Hund darſtellen ſah. Gelt, du wuͤrdeſt auch ſo vorlieb nehmen, ſpricht er zum Armen ſtreichelt den Hund, und prahlt und ſaͤuft und pocht ſo unter den Bauern bis auf den Abend.

Da kam der alte Foͤrſter vom Schloß, und nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und der Vogt, der keinen Augenblick gern allein iſt, ſagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim.

Wenn du gleich kommſt, antwortete der Foͤr - ſter; ich muß einer Spur nach.

Den283

Den Augenblick, antwortet der Vogt; trinkt aus zahlt die Irte und ſie giengen gleich mit einander.

Da ſie jezt allein auf der Straſſe waren, fragte der Vogt den Foͤrſter: ob es auch ſicher ſey zu Nacht im Wald vor den Geſpenſtern.

Foͤrſter. Warum fragſt du mich das?

Vogt. Ha! weil’s mich wundert.

Foͤrſter. Du biſt ein alter Narr! ſchon dreyßig Jahr Vogt, und ſolche Dummheiten fra - gen! du ſollteſt dich ſchaͤmen.

Vogt. Nein, bey Gott! mit den Geſpenſtern weiß ich nie recht, wie ich daran bin, ob ich ſie glauben ſoll oder nicht? und doch hab ich auch noch keines geſehen.

Foͤrſter. Nun, weil du mich ſo treuherzig fraͤgſt, ſo will ich dir aus dem Wunder helfen Du zahlſt mir einſt eine Bouteille fuͤr meine Er - klaͤrung.

Vogt. Gern zwey, wenn du ſie recht machſt.

Foͤrſter. Ich bin nun vierzig Jahre auf mei - nem Poſten, und als ein Junge ſchon vom vierten Jahre an von meinem Vater im Wald erzogen worden. Dieſer erzaͤhlte den Bauern in den Wirths - haͤuſern und in den Schenken immer von den vielen Geſpenſtern und Schreckniſſen des Waldes; aber er trieb nur mit ihnen den Narren; mit mir ver - ſtuhnd er’s ganz anders: Ich ſollte Foͤrſter wer -den,284den, und alſo ſolcherley Zeugs weder glauben noch fuͤrchten; deshalben nahm er mich zu Nacht, wenn weder Mond noch Sterne ſchienen, wenn die Stuͤrme braußten, auf Fronfaſten und Weyhnacht in den Wald; wenn er dann ein Feuer oder einen Schein ſah, oder ein Geraͤuſch hoͤrte, ſo mußte ich mit ihm drauf los uͤber Stauden und Stoͤcke, uͤber Graͤben und Suͤmpfe, und uͤber alle Kreuzwege mußte ich mit ihm dem Geraͤuſch nach; und es waren immer Zigeuner, Diebe und Bettler ſodann rief er ihnen mit ſeiner erſchrecklichen Stim - me zu: Vom Platze, ihr Schelmen!

Und wenn’s ihrer zehn und zwanzig waren, ſie ſtrichen ſich immer fort, und ſie lieſſen oft noch Haͤfen und Pfannen und Braten zuruͤck, daß es eine Luſt war. Oft war das Geraͤuſch auch nur Hochgewild, das manchmal gar wunderbare Thoͤne von ſich giebt, und die faulen, alten Holzſtaͤmme geben einen Schein, und machen in der Nacht Geſtalten, die jedermann, der nicht hinzu darf, in Schrecken ſetzen koͤnnen. Und das iſt alles, was ich in meinem Leben im Wald Unrichtiges gefunden habe; aber immer wird’s mein Amtsvortheil ſeyn und bleiben, daß meine Nachbaren ordentlich glauben, er ſey wohl geſpickt mit Geſpenſtern und mit Teufeln; denn ſiehe, unſer einer altet, und iſt froh, bey dunkeln Naͤchten den Frevlern nicht nachlaufen zu muͤſſen.

§. 67.285

§. 67. Ein Mann, den es geluͤſtet, einen Markſtein zu verſctzen, moͤchte auch gern die Geſpenſter nicht glauben, und er darf nicht.

So redete der Mann Und ſie kamen indeſſen an den Seitenweg, durch welchen der Foͤrſter in Wald gieng; und der Vogt, der nunmehr allein war, redete da mit ſich ſelber:

Er iſt vierzig Jahre lang Foͤrſter, und hat noch kein Geſpenſt geſehen, und glaubt keines; und ich bin ein Narr und glaube ſie, und darf nicht ein - mal dran denken eine Viertelſtunde im Wald einen Stein auszugraben. Wie ein Schelm und ein Dieb nimmt er mir das Wirthsrecht, und der Hundsſtein da auf dem Felſen iſt keine rechte Mark; ich glaub’s nicht Und wenn ſie es waͤre! haͤtte er ein beſſeres Recht, als mein Wirthshaus?

So gewaltthaͤtig einem Mann ſein Eigenthum rauben! Wer, als der Satan, hat ihm das ein - geben koͤnnen? Und da er meinem Haus nicht ſchont, ſo habe ich keinen Grund, ſeinem verdamm - ten Kieſelſtein zu ſchonen; aber ich darf nicht. Zu Nacht darf ich nicht auf den Platz, und amTage286Tage kann’s wegen der Landesſtraſſe nicht ſeyn So redete er mit ſich ſelber; kam bald auf des Meyers Huͤgel, der nahe am Dorfe liegt.

Er ſah die Maͤurer an den groſſen Feld - ſteinen, die in der Ebne da herum liegen, arbei - ten; denn es war noch nicht vollends ſechs Uhr. Und er ergrimmte daruͤber bey ſich ſelber.

Alles, alles, was ich anſtelle und vornehme alles, alles fehlt mir alles alles wird an mir zum Schelmen Muß ich jezt noch ne - ben dem verdammten Joſeph vorbeygehn und ſchweigen Nein, ich kann’s nicht neben ihm vorbeygehn und ſchweigen kann ich nicht Ich will lieber hier warten, bis ſie heim gehn

Er ſetzt ſich nieder; nach einer Weile ſteht er wieder auf, und ſagt: Ich will, ich kann ihnen auch hier nicht zuſehen ich will auf die andre Seite des Huͤgels gehn O du verdammter Joſeph

Er ſteht auf, geht einige Schritte zuruͤck, hin - ter den Huͤgel, und ſetzt ſich wieder.

§. 68.287

§. 68. Die untergehende Sonne und ein ver - lorner armer Tropf.

Die Sonne gieng jezt eben unter, und ſchien noch mit ihren letzten Strahlen auf die Seite der Anhoͤhe, auf der er eben ſaß. Um ihn her war das tiefere Feld; und unten am Huͤgel alles ſchon im Schatten.

Sie gieng aber herrlich und ſchoͤn unter, ohne Wind und ohne Gewoͤlke, Gottes Sonne; und der Vogt, der in ihre letzten herrlichen Strahlen, die auf ihn fielen, hinein ſah, ſagte zu ſich ſelber: Sie geht doch ſchoͤn unter, und ſtaunte gegen ſie hin, bis ſie hinter dem Berg war.

Jezt iſt alles im Schatten, und bald iſt’s Nacht. O mein Herz! Schatten, Nacht und Grauſen iſt um dich her; dir ſcheint keine Sonne. So mußte er zu ſich ſelber ſagen, und wollte, oder er wollte nicht, denn der Gedanke ſchauerte ihm durch ſeine Seele, und er kirrete mit den Zaͤhnen an - ſtatt hinzufallen, und anzubeten den Herrn des Himmels, der die Sonne aus der Nacht wieder hervor ruft anſtatt auf den Herrn zu hoffen, der aus dem Staub errettet und aus den Tiefener -288erloͤst, knirſchte er mit den Zaͤhnen. Da ſchlug die Glocke in Bonnal ſechs Uhr; und die Maͤu - rer giengen vom Feld heim, und der Vogt folgete ihnen nach.

§. 69. Wie man ſeyn muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will.

Die meiſten Arbeiter des Maͤurers hatten ihn ſchon an dieſem erſten Abend, an dem ſie bey ihm ſchaff - ten, lieb gewonnen. Er arbeitete die ganze Zeit mit ihnen, wie ſie, griff die ſchwerſten Steine ſel - ber an, ſtuhnd in Koth und in Waſſer, wo es noͤthig war, hinein, wie ein anderer, und noch vor ihnen. Er zeigte ihnen, da ſie ganz ungeuͤbt in dieſer Ar - beit waren, mit Liebe und Gedult, ihre Art und Weiſe und ihre Vortheile, und ließ auch gegen die Ungeſchickteſten keine Ungedult blicken; kein du Narr, du Ochs entfuhr ihm gegen einen Einzigen, ob er gleich hundertmal Anlaß und Gelegenheit dazu ge - habt haͤtte.

Dieſe Gedult und dieſe beſcheidene Sorgfalt des Meiſters und ſein Eifer, ſelber zu arbeiten, mach - ten, daß alles ſehr wohl von ſtatten gieng.

§. 70.289

§. 70. Ein Mann, der ein Schelm iſt und ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und des Maͤurers Frau iſt weiſe.

Michel, als einer der Staͤrkſten und Verſtaͤndigſten, war den ganzen Abend an der Seite des Meiſters, und ſah alle die herzliche Liebe und Guͤte, mit deren dieſer auch gegen die Ungeſchickteſten handelte, und Michel, der ein Schelm iſt und ein Dieb, gewann den Lienhard lieb, dieſes geraden, redlichen Weſens wegen, und es gieng Michel an’s Herz; gegen dieſen brafen, rechtſchaffenen Mann wollte er kein Schelm ſeyn.

Aber dem Kriecher und dem frommen Marx ab der Reuti gefiel es ſchon nicht ſo wohl, daß er kei - nen Unterſchied machte unter den Leuten, und ſo gar auch mit dem Boͤſewicht, dem Michel, recht freundlich waͤre. Auch Lenk ſchuͤttelte den Kopf wohl hundertmal, und ſprach bey ſich ſelbſt: Er iſt ein Narr; naͤhm er Leute, die arbeiten koͤnnen, wie ich und mein Bruder, er wuͤrde nicht halb ſo viel Muͤhe haben Aber die mehrern, die er mit Liebe und mit Gedult zur Arbeit anfuͤhrte, dankten ihm von Herzensgrunde, und hie und da ſtiegen ſtille Seuf -Tzer290zer zum Vater der Menſchen empor, der alle Ge - dult und alle Liebe, die ein Menſch ſeinem ſchwaͤ - chern Bruder erweiſet, lohnt und ſegnet.

Michel konnte die boͤſe Abrede, die er am Sam - ſtag m〈…〉〈…〉 dem Vogt gemacht hatte, nicht laͤnger auf ſeinem Herzen tragen, und ſagte im Heimgehn zu ſeinem Meiſter: Ich habe dir etwas zu ſagen; ich will mit dir heimgehn; So komm denn, antwor - tete Lienhard.

Da gieng er mit dem Meiſter in ſeine Huͤtte, und erzaͤhlte ihm, wie der Vogt ihn am Sam - ſtag zu Schelmenſtreichen gedungen, und wie er ihm auf den ſchoͤnen Handel zween Thaler gegeben haͤtte. Lienhard erſchrack; aber ſchwarz und gruͤn war’s der Gertrud vor den Augen, uͤber der Erzaͤhlung.

Das iſt erſchrecklich, ſagte Lienhard. Ja, das iſt wohl erſchrecklich, erwiederte Gertrud.

Laß dich jezt das nicht kuͤmmern, ich bitte dich, Gertrud!

Laß dir das jezt keine Muͤhe machen, ich bitte dich, Meiſter! ſagte Michel Seht, gegen euch ver - ſuͤndige ich mich gewiß nicht; darauf koͤnnt ihr zaͤhlen.

Lienhard. Ich danke dir, Michel! aber ich hab es doch an dem Vogt auch nicht verdient.

Michel. Er iſt ein eingefleiſchter Teufel; die Hoͤlle erfindet nicht, was er, wenn er auf Rache denkt und raſet.

Lienhard. Es zittert alles an mir.

Ger -291

Gertrud. Beynahe ward mir ohnmaͤchtig.

Michel. Seyd doch nicht Kinder, alles hat ja ein Ende.

Gertrud und Lienhard. (Beyde auf einmal) Gott Lob! Gott Lob!

Michel. Seht, ihr habt jezt das Ding, wie ihr nur wollt. Wenn ihr wollt, ſo will ich den Vogt auf dem Glauben laſſen, daß ich ihm treu ſey, und gerad morgen oder uͤbermorgen vom Bau Geſchirr wegnehmen, und ins Vogts Haus tragen. Dann gehſt du in aller Stille zu Arner, nimmſt einen Gewaltsſchein, alle Haͤuſer durchſuchen zu duͤrfen; faͤngſt bey des Vogts ſeinem an dringſt ploͤtzlich in die Nebenkammer hinein, wo du es gewiß finden wirſt; aber nimm das in Acht: Du mußſt ploͤtzlich in dem Augenblick, in dem du den Gewaltſchein zeigeſt, hineindringen, ſonſt iſt es ge - fehlt. Sie ſind im Stande, ſie nehmen es dir un - ter den Augen weg, ſteigen zum Fenſter hinein, oder legen es unter die Decke des Betts. Wenn du dann hoͤflich biſt, und da nicht nachſuchſt, ſo werden wir in einem ſchoͤnen Handel ſeyn. Ich denke aber faſt, es iſt beſſer fuͤr dich, du ſchickſt Jemand an - ders; es iſt kein Stuͤck Arbeit fuͤr dich.

Lienhard. Nein, Michel! das Stuͤck Arbeit wuͤrde mir gewiß nicht gerathen.

Michel. Das iſt gleich viel; ich will dir ſchon Jemand finden, der dieſe Arbeit recht mache.

T 2Ger -292

Gertrud. Michel! ich denke, wir ſollten Go[t]〈…〉〈…〉danken, daß wir von der Gefahr, die uͤber uns ſchwebte, jezt befreyt ſind, und nicht aus Rache dafuͤr dem Vogt eine Falle legen.

Michel. Er verdient ſeinen Lohn; mache dir daruͤber kein Bedenken.

Gertrud. Was er verdiene oder nicht ver - diene, das iſt nicht unſere Sache zu urtheilen; aber nicht Rache auszuuͤben, das iſt unſere Sache, und der einzige gerade Weg, den wir in dieſem Falle gehn koͤnnen.

Michel. Ich muß bekennen, du haſt Recht, Gertrud! und es iſt viel, daß du dich ſo uͤberwin - den kannſt; aber ja, du haſt Recht, er wird ſeinen Lohn ſchon finden; und uͤberall los ſeyn, und nichts mit ihm zu thun haben, iſt das beſte. Ich will auch gerade zu mit ihm brechen, und ihm ſeine zween Thaler zuruͤckgeben; jezt hab ich aber nur noch anderthalben. Er nimmt ſie aus dem Sack, legt ſie auf den Tiſch, zaͤhlt ſie, und ſagt dann weiter: Ich weiß jezt nicht, ob ich ihm die anderthalben allein bringen, oder ob ich auf den Wochenlohn warten will, bis am Samſtag, da ich dann alles bey einander haben werde?

Lienhard. Es macht mir gar nichts, dir den halben Thaler jezt voraus zu bezahlen.

Michel. Ich bin herzlich froh, wenn es ſeyn kann, daß ich dieſes Mannes noch heute los komme. Ich293Ich trag es ihm noch in dieſer Stunde ins Haus, wenn ich’s habe. Meiſter! ſeit geſtern beym H. Nacht - mahl lag es mir ſchon ſchwer auf dem Herzen, daß ich ihm ſo boͤſe Sachen verſprochen hatte; a[u]f den Abend kam noch dein Jonas, und gab meinem Kinde ſein Abendbrod und auch das machte, daß es mir an’s Herz gieng, daß ich gegen dir ein Schelm ſeyn wollte.

Ich habe dich nie recht gekannt, und nie viel Umgang mit dir gehabt, Lienhard! aber heute habe ich geſehn, daß du mit Gedult und mit Liebe Jeder - mann helfen und rathen wollteſt; und ich meynte, ich wuͤrde nicht ſelig ſterben koͤnnen, wenn ich einem ſo brafen, treuen Menſchen das Gute mit Boͤſem verguͤlte. (Er hat Thraͤnen in den Augen) Da ſeht ihr, ob’s mir nicht Ernſt iſt.

Lienhard. Thue doch uͤberall Niemand nichts Boͤſes mehr.

Michel. Will’s Gott! will ich dir folgen.

Gertrud. Es wird dir dann gewiß auch uͤber - all wieder beſſer gehn.

Lienhard. Willſt du noch dieſen Abend zum Vogt gehn?

Michel. Ja, wenn ich kann.

Der Maͤurer giebt ihm den halben Thaler und ſagt: Bring ihn doch nicht in Zorn.

Gertrud. Sag ihm doch nicht, daß wir et - was davon wiſſen.

T 3Michel. 294

Michel. Ich will ſo kurz ſeyn, als〈…〉〈…〉 nn; aber den Augenblick geh ich, ſo iſt’s bald〈…〉〈…〉 ber. Behuͤt Gott, Gertrud! Ich danke dir, Lienhard! ſchlaft wohl.

Lienhard. Thu ihm auch alſo; Behuͤt Gott, Michel! (Er geht ab.)

§. 71. Die Hauptauftritte naͤhern ſich.

Als der Vogt heim kam, traf er ſeine Frau al - lein in der Stube an. Er konnte alſo die Wuth und den Zorn, den er den Tag uͤber geſammelt hatte, nun ausleeren. Auf dem Feld, im Schloß und in Hirzau, da war’s etwas anders. Unter den Leu - ten zeigt ſo einer nicht leicht, wie’s ihm um’s Herz iſt.

Ungeſchickt, wie ein Schaͤferbub, wuͤrde man ſagen, wuͤrde ein Vogt ſeyn, der das nicht koͤnnte; und das hat man dem Hummel nie nachgeredt. Er konnte ganze Tage hinunter ſchlucken, Zorn und Neid, und Haß und Gram, und immer laͤcheln, und ſchwatzen, und trinken; aber, wenn er heim kam, und zum Gluͤck oder Ungluͤck die Wohnſtube leer fand, alsdann ſtieß er die Wuth fuͤrchterlich aus, die er unter den Leuten geſammelt hatte.

Seine295

Seine Frau weinte in einer Ecke, und ſagte: Um Gottes willen! thue doch nicht ſo; mit dieſem Raſen bringſt du Arnern nur immer mehr auf. Er ruht nicht, bis du dich zum Ziel legſt.

Er wird nicht ruhen, ich mag thun, was ich will; er wird nicht ruhen, bis er mich zu Grunde gerichtet haben wird. Ein Schelm, ein Dieb, ein Hund iſt er; der Verfluchteſte unter allen Verfluchten, ſagte der Mann.

Und die Frau: Herr Jeſus! um Gottes willen! wie du redeſt, du biſt von Sinnen.

Vogt. Hab ich nicht Urſache? Weißſt du es nicht? Er nimmt mir das Wirthsrecht oder den Mantel innert vierzehn Tagen.

Voͤgtinn. Ich weiß es; aber um Gottes wil - len! thue doch jezt nicht ſo. Das ganze Dorf weiß es ſchon. Der Schloßſchreiber hat’s dem Weibel geſagt, und dieſer hat’s allerorten ausge - kramt. Ich wußte nichts bis auf den Abend, da ich traͤnkte; da lachten die Leute auf beyden Sei - ten der Gaſſe vor allen Haͤuſern, und die Margreth, die auch traͤnkte, nahm mich beyſeits, und ſagte mir das Ungluͤck. Und noch etwas: Hans Wuͤſt hat die acht Gulden zuruͤckgebracht. Woher koͤmmt jezt dieſer zu acht Gulden? Auch darhinder ſteckt Arner. Ach Gott! ach Gott! allenthalben droht ein Ungewitter ſo ſagte die Frau.

Wie ein Donnerſchlag erſchreckte das Wort,T 4Hans296Hans Wuͤſt hat die acht Gulden zuruͤckgebracht, den Bogt. Er ſtuhnd eine Weile, ſtarrte mit halbgeoͤff - netem Mund die Frau an, und ſagte dann: Wo iſt das Geld? Wo ſind die acht Gulden? Die Frau ſtellt’s in einem zerbrochenen Trinkglas auf den Tiſch. Der Vogt ſtarrt eine Weile das Geld an, zaͤhlt’s nicht, und ſagt dann: Es iſt nicht aus dem Schloß; der Junker giebt keine ungeſoͤnderten Sorten.

Voͤgtinn. Ich bin froh, daß es nicht aus dem Schloſſe iſt.

Vogt. Es ſteckt doch etwas darhinter; du haͤt - teſt es ihm nicht abnehmen ſollen.

Voͤgtinn. Warum das?

Voͤgt. Ich haͤtte ihn ausforſchen moͤgen, wo - her er’s habe.

Voͤgtinn. Ich habe wohl daran gedacht; aber er wollte nicht warten, und ich glaube nicht, daß du etwas heraus gebracht haͤtteſt. Er war ſo kurz und abgebrochen, als man nur ſeyn kann.

Vogt. Es ſtuͤrmt alles auf mich los; ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht Gieb mir zu trin - ken (ſie ſtellt ihm den Krug dar) und er geht mit wilder Wuth die Stube hinauf und hinunter, ſchnaufet, trinkt, und redt mit ſich ſelber: Ich will den Maͤurer verderben, das iſt das erſte, ſo ſeyn muß. Wenn’s mich hundert Thaler koſtet Der Michel muß ihn verderben; und dann will ichauch297auch hinter den Markſtein ſo ſagt er, und eben klopft Michel an. Wie im Schrecken juckt der Vogt zuſammen, ſagt: Wer iſt da ſo ſpaͤt in der Nacht? und eilt an’s Fenſter zu ſehn.

Mach auf, Vogt! ruft Michel.

§. 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt den Vogt.

Wie mir der ſo eben recht koͤmmt, ſagt der Vogt, eilt, oͤffnet die Thuͤre, gruͤßt Micheln, und ſagt: Will - kommen, Michel! Was bringſt du guts Neues?

Michel. Nicht viel; ich will dir nur ſagen

Vogt. Du wirſt nicht unter der Thuͤre reden wollen? Ich gehe noch lang nicht ſchlafen. Komm in die Stube.

Michel. Ich muß wieder heim, Vogt! Ich will dir nur ſagen, daß mich der Handel vom Sam - ſtag gereuet hat.

Vogt. Ja, bey Gott! das waͤre ſo eben recht. Nein, der muß dich nicht gereuen Wenn’s nicht genug iſt, ich biete eher ein mehrers. Komm nur in die Stube. Es fehlt nicht, wir werden des Han - dels gewiß eins.

Michel. Um keinen Preis, Vogt! Da ſind deine zween Thaler.

T 5Vogt. 298

Vogt. Ich nehme dir ſie jezt nicht ab, Mi - chel! Treib nicht den Narren. Der Handel muß dir nicht ſchaden, und wenn dir die zween Thaler zu wenig ſind, ſo komm in die Stube.

Michel. Ich will weiter nichts hoͤren, Vogt! da iſt dein Geld.

Vogt. Bey Gott! ich nehme dir’s jezt nicht ab. Ich habe jezt geſchworen; du mußſt mit mir in die Stube.

Michel. Das kann zuletzt wohl ſeyn. (Er geht mit ihm.) Da bin ich nun in der Stube, und da iſt dein Geld. (Er legt es auf den Tiſch.) Und jezt behuͤt Gott, Vogt! und hiemit kehrte er ſich um, und gieng fort.

§. 73. Er macht ſich an den Markſtein.

Der Vogt ſtuhnd eine Weile ſtumm und ſprach - los da, rollte ſeine Augen umher, ſchaͤumte zum Munde aus, zitterte, ſtampfte, und rief dann: Frau! gieb mir Brennt’s; es muß ſeyn, ich gehe.

Frau. Wohin, wohin willſt du in der ſtock - finſtern Nacht?

Vogt. Ich geh ich geh, und grabe den Stein aus; gieb mir die Flaſche.

Frau. 299

Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht.

Vogt. Es muß ſeyn, es muß ſeyn; ich gehe.

Frau. Es iſt ſtockfinſter; es geht nach den Zwoͤlfen, und in der Charwoche hat der Teufel ſonſt viel Gewalt.

Vogt. Hat er das Roß, ſo nehm er den Zaum auch. Gieb mir die Flaſche; ich gehe.

Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und Karſt auf die Achſel, und eilt im tiefen Dunkel der Nacht auf den Berg, ſeinem Herrn den Markſtein zu verſetzen.

Rauſch und Rache und Wuth machten ihn kuͤhn; doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei - nen Haaſen rauſchen hoͤrte, zitterte er, ſtand einen Augenblick ſtill, und eilte dann wuͤthend weiter, bis er endlich zum Markſtein kam. Er griff jezt ſchnell zur Arbeit, hackte und ſchaufelte umher.

§. 74. Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schel - men, die in der Angſt ſind, am ſtaͤrkſten.

Aber ploͤtzlich erſchreckt ihn ein Geraͤuſche. Ein ſchwarzer Mann hinter dem Geſtraͤuche koͤm̃t auf ihn zu. Um den Mann iſt’s hell in der finſtern Nacht,und300und Feuer brennt auf des Mannes Kopfe. Das iſt der Teufel leibhaftig, ſagt der Vogt flieht, heult entſetzlich, und laͤßt Karſt und Pickel und Schaufel, den Hut und die leere Brenntsflaſche dahinten.

Es war Chriſtoff, der Huͤnertraͤger von Arn - heim, der Eyer in Oberhofen, Lunkofen, Hirzau und andern Orten aufgekauft hatte, und nun auf ſeinem Heimweg begriffen war. Er trug auf ſei - nem Korb das Fell von einer ſchwarzen Ziege, und hatte eine Laterne daran haͤngen, um den Weg im Finſtern zu finden. Dieſer Eyertraͤger erkannte die Stimme des fliehenden Vogts; und da er dachte, daß er gewiß etwas Boͤſes im Sinn haͤtte, er - grimmte er bey ſich ſelber, und ſprach: Dem ver - fluchten Buben will ich’s jezt machen! er meynt, ich ſey der Teufel.

Schnell ſtellt er ſeinen Korb ab, nimmt Karſt und Pickel und Schaufel und ſeinen mit Eiſen be - ſchlagenen Botenſtock, bindet alles zuſammen, ſchleppt es hinter ſich her uͤber den Felsweg hinunter, daß es fuͤrchterlich raſſelte, laͤuft ſo dem Vogt nach, und ruft mit hohler heulender Stimme: Oh Ah Uh Hummel Oh Ah Uh Du biſt mein Wa art Hu Hummel

Der arme Vogt laͤuft, was er vermag, und ſchreyt in ſeinem Laufen erbaͤrmlich: Mordio und helſio Waͤchter! der Teufel nimmt mich.

Und301

Und der Huͤnertraͤger immer hinten nach: Oh Ah Uh Vo ogt Wa art Vo ogt! du biſt mein Vo o ogt

§. 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung.

Der Waͤchter im Dorf hoͤrte das Laufen und Rufen vom Berge, und verſtuhnd alle Worte; aber er fuͤrchtete ſich, und klopfte einigen Nachbaxen am Fenſter an.

Steht doch auf, Nachbaren! ſagt er zu ihnen; und hoͤrt, wie es am Berge geht. Es iſt, als wenn der Teufel den Vogt nehmen wollte hoͤrt doch, wie er Mordio und Helfio ruft! und er iſt doch, weiß Gott! bey ſeiner Frau daheim; es iſt keine zwo Stunden, ich hab ihn unter ſeinem Fen - ſter geſehn.

Als ihrer etwan Zehn beyſammen waren, rie - then ſie, ſie wollten alle mit einander mit dem Windlicht und mit Gewehr wohl verſehen dem Geraͤuſch entgegen gehn; aber friſch Brod, den Pſalter, und das Teſtament mit in Sack nehmen, daß ihnen der Teufel nichts anhaben koͤnne.

Die Maͤnner giengen, hielten aber noch zuerſt bey des Vogts Haus ſtill, um zu ſehn, ob er da - heim waͤre.

Die302

Die Voͤgtinn wartete in Todesangſt, wie’s ihm auf dem Berg gehn moͤchte; und da ſie den naͤcht - lichen Laͤrm hoͤrte, und da die Maͤnner mit den Wind - lichtern an ihrem Hauſe klopften, erſchrack ſie ent - ſetzlich, und rief ihnen: Herr Jeſus! was wollt ihr?

Dein Mann ſoll herunter kommen, ſagten die Maͤnner.

Er iſt nicht bey Hauſe; aber, Herr Jeſus! was iſt’s doch, warum ihr da ſeyd? ſagte die Frau.

Und die Maͤnner: Das iſt eben ſchlimm, wenn er nicht daheim iſt Horch, wie er Mordio und Helfio ſchreyt, als wenn der Teufel ihm nach - liefe.

Die Frau laͤuft jezt mit den Maͤnnern, wie un - ſinnig, fort. Der Waͤchter fragte ſie unterwegs:

Was Teufels thut doch dein Mann jezt noch auf dem Berg? Er war ja noch vor ein Paar Stun - den bey Haus?

Sie antwortete kein Wort, ſondern heulete ent - ſetzlich.

Auch des Vogts Hund heulete an ſeiner Ket - te entſetzlich.

Als aber der Huͤnertraͤger das Volk, ſo dem Vogt zu Huͤlfe eilte, ſich naͤhern ſah, und als er des Vogts Hund ſo fuͤrchterlich heulen hoͤrte, kehrte er um, und gieng ſo ſtill und ſo geſchwind, als er konnte, wieder den Berg hinauf, zu ſeinem Korb, packteſeine303ſeine Beute auf, und ſetzte dann ſeinen Weg fort.

Kunz aber, der mit des Vogts Frau einige Schritte voraus war, merkte, daß es eben nicht der Teufel ſeyn moͤchte; faßt den heulenden Vogt zimlich unſanft beym Arm, und ſagt ihm:

Was iſt das? Warum thuſt du auch ſo, du Narr? O O laß mich O Teufel laß mich ſagte der Vogt, der im Schrecken nichts ſah und nichts hoͤrte.

Du Narr! ich bin Kunz, dein Nachbar; und das iſt deine Frau, ſagte ihm dieſer.

Die andern Maͤnner ſahn zuerſt zimlich behut - ſam umher, wo etwann der Teufel doch ſtecken moͤchte; und der mit dem Windlicht zuͤndete ſorg - faͤltig in die Hoͤhe und auf den Boden, und auf alle vier Seiten; es ſteckte auch ein jeder ſeine rech - te Hand in den linken Sack, zum neugebackenen Brod, zum Teſtament und zum Pſalter Da ſich aber lange nichts zeigte, faßten ſie nach und nach Muth, und einige wurden ſogar munter, und fien - gen an den Vogt zu fragen: Hat der Teufel dich mit den Klauen gekraͤuelt? oder mit den Fuͤſſen getreten, daß du ſo bluteſt?

Andre aber ſprachen: Es iſt jezt nicht Zeit zu ſpotten; wir haben ja alle die erſchreckliche Stim - me gehoͤrt.

Kunz304

Kunz aber ſagte: Und mir ahndet, ein Wild - dieb, oder ein Harzer, habe den Vogt und uns alle geaͤffet. Als ich ihm nahe kam, hoͤrte das Geheul auf, und ein Menſch lief den Berg hinauf, was er konnte. Es hat mich tauſendmal gereuet, daß ich ihm nicht nachgelaufen bin; und wir waren Narren, daß wir des Vogts Hund nicht mitgenom - men haben.

Du biſt ein Narr, Kunz! das war in Ewig - keit keine Menſchenſtimme. Es gieng durch Leib und Seel; es drang durch Mark und Bein; und ein mit Eiſen beladener Wagen raſſelt nicht ſo auf der Bergſtraſſe, wie das geraſſelt hat.

Ich will euch nicht widerſprechen, Nachbaren! Es ſchauerte mir auch, da ich es hoͤrte. Aber doch laſſe ich mir nicht ausreden, daß ich Jemand wieder den Berg hinauf laufen gehoͤrt habe.

Meynſt du, der Teufel koͤnne nicht auch laufen, daß man ihn hoͤre? ſagten die Maͤnner.

Der Vogt aber hoͤrte von allem Gerede kein Wort. Und da er daheim war, bat er die Maͤnner, daß ſie doch dieſe Nacht bey ihm blieben; und ſie blieben gar gern im Wirthshauſe.

§. 76.305

§. 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus.

Indeſſen hatte der naͤchtliche Laͤrm alles im Dorfe aufgeweckt. Auch im Pfarrhauſe ſtuhnd alles auf, denn man vermuthete Ungluͤck.

Und da der Pfarrer nachfragen ließ, was fuͤr ein Laͤrm ſey? bekam er erſchreckliche Berichte uͤber den graͤulichen Vorfall.

Und der Pfarrer dachte: er wolle dieſes Schrecken des Vogts, ſo dumm auch ſeine Urſache ſey, benutzen, und gieng in der Nacht ins Wirths - haus.

Blitzſchnell verſchwanden die Weinkruͤge von allen Tiſchen, da er kam.

Die Bauern ſtuhnden auf, und ſagten: Will - kommen, wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!

Der Pfarrer dankte, und ſagte den Nachbaren: Es iſt brav, daß ihr, wenn ein Ungluͤck begegnet, ſo bereit und dienſtfertig ſeyd.

Aber wollt ihr mich jezt eine Weile bey dem Vogt allein laſſen?

Bauern. Es iſt unſere Schuldigkeit, wohl - ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Wir wuͤnſchen euch eine gluͤckſelige Nacht.

UPfar -306

Pfarrer. Ein gleiches, ihr Nachbaren! Aber ich muß euch noch bitten, daß ihr euch in Acht nehmet, was ihr uͤber dieſen Vorfall erzaͤhlet. Es iſt allemal unangenehm, wenn man groß Geſchrey von einer Sache macht, und wenn darnach heraus koͤmmt, daß nichts an der Sache ſey, oder et - was ganz anders. Fuͤr jezt weiß einmal noch Nie - mand, was eigentlich begegnet iſt, und ihr wiſſet doch, Nachbaren! die Nacht treugt.

Es iſt ſo wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! ſagten die Bauern inner der Thuͤre.

Und er iſt immer ſo ein Narr, und will nichts glauben, ſagten ſie drauſſen.

§. 77. Seelſorgerarbeit.

Der Pfarrer aber redte mit dem Vogt herzlich; Untervogt! ich habe vernommen, daß dir etwas begegnet iſt, und ich bin da, dir mit Troſt, ſo gut ich kann, an die Hand zu gehen. Sage mir aufrich - tig, was iſt dir eigentlich begegnet?

Vogt. Ich bin ein armer ungluͤcklicher Tropf, der leidige Satan hat mich nehmen wollen.

Pfarrer. Wie ſo, Vogt! wo iſt dir das be - gegnet?

Vogt. 307

Vogt. Oben auf dem Berge.

Pfarrer. Haſt du denn wirklich Jemand ge - ſehen? Hat dich Jemand angegriffen?

Vogt. Ich ſah ihn ich ſah ihn, wie er auf mich zulief. Es war ein groſſer ſchwarzer Mann, und er hatte Feuer auf ſeinem Kopfe er iſt mir nachgelaufen bis unten an den Berg.

Pfarrer. Warum bluteſt du am Kopf?

Vogt. Ich bin im Herunterlaufen gefal - len.

Pfarrer. Es hat dich alſo Niemand mit kei - ner Hand angeruͤhrt?

Vogt. Nein, aber geſehen habe ich ihn mit meinen Augen.

Pfarrer. Nun Vogt! wir wollen uns nicht dabey aufhalten. Ich kann nicht begreifen, was es eigentlich war. Es mag aber geweſen ſeyn, was es will, ſo iſt es gleich viel; denn, Untervogt! es iſt eine Ewigkeit, wo ohne einigen Zweifel die Gottloſen in ſeine Klauen fallen werden; und dieſe Ewigkeit und die Gefahr, nach deinem Tode in ſeine Klauen zu fallen, ſollte dich bey deinem Alter und bey deinem Leben freylich unruhig und ſorgenvoll machen.

Vogt. O Herr Pfarrer! ich weiß vor Sor - gen und Unruhe nicht, was ich thue. Um Gottes willen! was kann, was ſoll ich machen, daß ichU 2vom308vom Teufel wieder los werde bin ich nicht jezt ſchon ganz in ſeiner Gewalt?

Pfarrer. Vogt! plage dich nicht mit Ge - ſchwaͤtze und mit naͤrriſchen Worten. Du biſt bey Sinn und Verſtand, und alſo ganz in deiner eige - nen Gewalt; thue, was recht iſt, und was dir dein Gewiſſen ſagt, daß du es Gott und Menſchen ſchul - dig ſeyſt. Du wirſt alsdann bald merken, daß der Teufel keine Gewalt uͤber dich hat.

Vogt. O Herr Pfarrer! was kann, was muß ich denn thun, daß ich bey Gott wieder zu Gnaden komme?

Pfarrer. Im Ernſt deine Fehler bereuen, dich beſſern, und dein ungerechtes Gut wieder zu - ruͤck geben.

Vogt. Man glaubt, ich ſey reich, Herr Pfar - rer! aber ich bin’s weiß Gott nicht!

Pfarrer. Das iſt gleich viel, du haſt des Rudis Matten mit Unrecht; und Wuͤſt und Kei - bacher haben einen falſchen Eid gethan; ich weiß es, und ich werde nicht ruhen, bis der Rudi wie - der zu dem Seinigen gelangt ſeyn wird.

Vogt. O Herr Pfarrer! um Gottes willen! habt Mitleiden mit mir.

Pfarrer. Das beſte Mitleiden, das man mit dir haben kann, iſt dieſes: wenn man dich dahin bringen kann, gegen Gott und Menſchen zu thun, was du ſchuldig biſt.

Vogt. 309

Vogt. Ich will ja thun, was ihr wollt, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Willſt du dem Rudi ſeine Matte wieder zuruͤck geben?

Vogt. Um Gottes willen! ja, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Erkenneſt du alſo, daß du ſie mit Unrecht beſitzeſt?

Vogt. In Gottes Namen! ja, Herr Pfar - rer! ich muß es bekennen; aber ich komme an den Bettelſtab, wenn ich ſie verliere.

Pfarrer. Vogt! es iſt beſſer betteln, als ar - mer Leute Gut unrechtmaͤßig vorenthalten.

Der Vogt ſeufzet.

Pfarrer. Aber was thateſt du auch mitten in der Nacht auf dem Berg?

Vogt. Um Gottes willen! fraget mich doch das nicht, Herr Pfarrer! ich kann’s, ich darf’s nicht ſagen; habt Mitleiden mit mir, ich bin ſonſt verloren.

Pfarrer. Ich will dir nicht zumuthen, mir etwas zu offenbaren, das du nicht willſt. Thuſt du es gern, ſo will ich dir rathen wie ein Vater; willſt du es nicht thun, in Gottes Namen! ſo iſt es dann deine Schuld, wenn ich dir da, wo du es vielleicht am noͤthigſten haͤtteſt, nicht rathen kann. Aber da ich ohne deinen Willen von allem, was du mir ſagen wirſt, nichts offenbaren werde, ſo kannU 3ich310ich doch nicht ſehn, was du dabey gewinneſt, wenn du mir etwas verſchweigſt.

Vogt. Aber werdet ihr gewiß nichts wider meinen Willen offenbar machen, es mag ſeyn was es will?

Pfarrer. Nein, gewiß nicht, Vogt!

Vogt. So will ich’s euch in Gottes Namen ſagen: Ich wollte dem Junker einen Markſtein ver - ſetzen.

Pfarrer. Lieber Gott und mein Heiland! warum auch dem guten lieben Junker?

Vogt. Ach! Er wollte mir das Wirthshaus oder den Vogtsdienſt nehmen, das brachte mich in Wuth.

Pfarrer. Du biſt doch ein ungluͤcklicher Tropf, Vogt! er meynte es ſo wenig boͤſe. Er hat dir noch einen Erſatz geben wollen, wenn du die Vogts - ſtelle freywillig aufgeben wuͤrdeſt.

Vogt. Iſt das auch wahr, Herr Pfarrer?

Pfarrer. Ja, Vogt! ich kann dir es fuͤr ge - wiß ſagen, denn ich habe es aus ſeinem Munde; er hat am Samſtag Abend in ſeinem Berg gejagt, und ich habe ihn auf dem Weg vom Reutihof, wo ich bey der alten Frauen war, angetroffen; da hat er mir ausdruͤcklich geſagt: Der junge Meyer, den er zum Vogt machen wolle, muͤſſe dir, damit du dich nicht zu beklagen habeſt, hundert Gul - den jaͤhrlichen Erſatzes geben.

Vogt. 311

Vogt. Ach Gott! Herr Pfarrer! haͤtte ich auch das gewußt, ich wuͤrde nicht in dieſes Un - gluͤck gefallen ſeyn.

Pfarrer. Man muß Gott vertrauen; auch wenn man noch nicht ſieht, wo ſeine Vaterguͤte eigentlich hervor blicken will; und von einem guten Herrn muß man Gutes hoffen, auch wenn man noch nicht ſiehet, wie und worinn er ſein gutes Herz offenbaren will. Das macht, daß man ihm getreu und gewaͤrtig bleibt, und dardurch denn ſein Herz in allen Faͤllen zum Mitleiden und zu aller Vaterguͤte offen findet.

Vogt. Ach Gott! wie ein ungluͤcklicher Mann ich bin! Haͤtte ich nur auch die Helfte von dieſem gewußt.

Pfarrer. Das Geſchehene iſt jezt nicht mehr zu aͤndern; aber was willſt du jezt thun, Vogt?

Vogt. Ich weiß es in Gottes Namen nicht; das Bekenntniß bringt mich um’s Leben. Was meynt ihr, Herr Pfarrer?

Pfarrer. Ich wiederhole, was ich dir eben geſagt habe. Ich will dir kein Bekenntniß zumu - then; das, was ich ſage, iſt ein bloſſer Rath aber meine Meynung iſt, der gerade Weg habe noch Niemanden uͤbel ausgeſchlagen. Arner iſt barmher - zig, und du biſt ſchuldig, thu jezt, was du willſt; aber ich wuͤrde es auf ſeine Barmherzigkeit ankom̃en laſſen. Ich ſehe wohl, daß der Schritt ſchwer iſt;U 4aber312aber es iſt auch ſchwer, ihm den Fehler zu ver - ſchweigen, wenn du wahre Ruhe und Zufrieden - heit fuͤr dein Herz ſucheſt.

Der Vogt ſeufzet, und redet nichts.

Der Pfarrer faͤhrt fort, und ſagt wieder: Thue jezt in Gottes Namen, was du willſt, Vogt! ich will dir nichts, zumuthen; aber je mehr ich es uͤber - lege, deſto mehr duͤnkt mich, du fahreſt am beſten, wenn du es auf Arners Barmherzigkeit ankommen laſſeſt; denn ich muß dir doch auch ſagen, es koͤn - ne nicht anders ſeyn, der Junker werde nachfor - ſchen, warum du in dieſer ſpaͤthen Nachtzeit auf der Straſſe geweſen ſeyſt?

Vogt. Herr Jeſus, Herr Pfarrer! was mir in Sinn kommt. Ich habe Pickel und Schaufel und Karſt, und was weiß ich noch, beym Mark - ſtein gelaſſen, und er iſt ſchon halb umgegraben; das kann alles ausbringen. Es uͤbernimmt mich eine Angſt und ein Schrecken von wegen des Pi - ckels und des Karſts, daß es entſetzlich iſt, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Wenn dich wegen dem armſeligen Pickel und Karſt, die man ja leicht heut noch vor Tag wegtragen und verbergen kann, eine ſolche Angſt uͤbernimmt, Vogt! ſo denke doch, wie tau - ſend ſolche Umſtaͤnde und Vorfaͤlle begegnen wer - den und begegnen muͤſſen, wenn du ſchweigeſt, die dir deine uͤbrigen Tage noch alle zu Tagen der groͤ -ſten313ſten Unruhe und der bitterſten fortdauernden Beſorg - niſſe machen werden. Ruhe fuͤr dein Herz wirſt du nicht finden, Vogt! wenn du nicht bekenneſt.

Vogt. Und ich kann auch nicht bey Gott wie - der zu Gnaden kommen, wenn ich ſchweige?

Pfarrer. Vogt! wenn du das ſelber denkeſt, und ſelber ſorgeſt und fuͤrchteſt, und doch wie - der die Stimme deines Gewiſſens, wider deine eigne Ueberzeugung ſchweigeſt, wie koͤnnte es moͤg - lich ſeyn, daß dieſes Thun Gott gefallen, und dir ſeine Gnade wieder bringen koͤnnte?

Vogt. So muß ich’s denn bekennen?

Pfarrer. Gott wolle mit ſeiner Gnade bey dir ſeyn, wenn du thuſt, was dein Gewiſſen dich heiſſet.

Vogt. Ich will es bekennen.

Und da er dieſes geſagt hatte, betete der Pfar - rer vor ihm alſo:

Preis und Dank und Anbetung, Vater im Himmel! Du haſt deine Hand gegen ihn ausge - ſtreckt, und ſie hat ihm Zorn und Entſetzen ge - ſchienen, die Hand deiner Erbarmung und Liebe! Aber ſie hat ſein Herz bewegt, daß er ſich nicht mehr gegen die Stimme der Wahrheit verhaͤrtet, wie er ſich lange, lange vor ihr verhaͤrtet hat.

Du, der du Schonung und Mitleiden und Gnade biſt! Nimm das Opfer ſeines Bekenntniſ - ſes gnaͤdig an, und zeuch deine Hand nicht ab vonU 5ihm.314ihm. Vollende das Werk deiner Erbarmung, und laß ihn wieder deinen Sohn, deinen Begnadigten werden. O Vater im Himmel! der Menſchen Leben auf Erden iſt Irrthum und Suͤnde! darum biſt du gnaͤdig den armen Kindern der Menſchen, und verzeiheſt ihnen Uebertretung und Suͤnde, wenn ſie ſich beſſern.

Preis und Anbetung, Vater im Himmel! Du haſt deine Hand gegen ihn ausgeſtreckt, daß er dich ſuche; Du wirſt das Werk deiner Erbarmung vollenden, und er wird dich finden, lobpreiſen dei - nen Namen, und verkuͤndigen deine Gnade unter ſeinen Bruͤdern. *)Der Verfaſſer will hier anzeigen: daß er bald auch die Geſchichte von Hummels Gefangenſchaft und Kirchenbuſſe liefern wolle.

Jezt war der Vogt durch und durch bewegt; Thraͤnen floſſen von ſeinen Wangen.

O Gott! Herr Pfarrer! ich will es bekennen, und thun, was man will. Ich will Ruhe ſuchen fuͤr mein Herz, und Gottes Erbarmen.

Der Pfarrer redete noch eine Weile mit ihm, troͤſtete ihn, und gieng dann wieder heim.

Es gieng aber ſchon gegen fuͤnf Uhr, da er heim kam.

Und er ſchrieb alsbald an Arner. Der Brief, den er geſtern geſchrieben, und der heutige, lauten alſo:

§. 78.315

§. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner.

Erſter Brief.

Hochedel[gebohrner], Gnaͤdiger Herr!

Der Ueberbringer dieſes, Hans Wuͤſt, hat mir heut eine Sache geoffenbart, welche von ei - ner Natur iſt, daß ich nicht umhin konnte, ihm zu rathen, ſie Euer Gnaden als ſeinem Richter zu entdecken Er haͤlt nemlich in ſeinem Gewiſſen darfuͤr, der Eid, den er und Keibacher vor zehn Jahren in der Sache zwiſchen dem Huͤbelru - di und dem Vogt geſchworen haben, ſey falſch. Es iſt eine ſehr traurige Geſchichte, und es kommen dabey ſehr bedenkliche Umſtaͤnde von dem verſtorbe - nen Schloßſchreiber und von dem ungluͤcklichen Vi - cari meines in Gott ruhenden Vorfahren ins Licht; und mir ſchauert vor aller Aergerniß, ſo dieſes Bekenntniß hervor bringen kann. Ich danke aber wieder Gott, daß der Aermſte unter meinen vielen Armen, der gedruͤckte leidende Rudi mit ſei - ner ſchweren Haushaltung durch dieſes Bekennt - niß wieder zu dem Seinigen kommen koͤnnte. Die316Die taͤglich ſteigende Bosheit des Vogts, und ſein Muthwillen, der jezt auch ſogar die Feſte nicht mehr ſchonet, machen mich glauben, die Zeit ſei - ner Demuͤthigung ſey nahe. Fuͤr den ungluͤck - lichen armen Wuͤſt bitte ich demuͤthig und dringend um alle Barmherzigkeit und um alle Gnade, welche die Pflichten der Gerechtigkeit dem menſchenlieben - den Herzen Euer Gnaden erlauben koͤnnen.

Meine liebe Frau empfiehlt ſich ihrer edelmuͤthi - gen Gemahlinn, und meine Kinder ihren guten Fraͤu - leins. Sie ſagen tauſendfachen Dank fuͤr die Blumen - zwiebeln, mit denen Sie unſern Krautgarten verzie - ren wollen. Gewiß werden ihnen meine Kinder mit Fleiß abwarten; denn ihre Blumenfreude iſt un - beſchreiblich.

Erlauben Sie, Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr! daß ich mit pflichtſchuldiger Ergebenheit mich nenne

Euer Wohledelgebohrnen Gnaden

gehorſamſten Diener, Joachim Ernſt, Pfr.

Zwey -317

Zweyter Brief.

Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr!

Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey - liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be - ſtaͤtigt.

Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un - gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu - fels gehoͤrt Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im - mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be - ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden, daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde.

Das alles war freylich keine Waar in meinen Kram; aber was machen? Man muß die Weltbrau -318brauchen, wie ſie iſt, weil man ſie nicht aͤndern kann.

Ich dachte, es mag nun geweſen ſeyn, was es will, ſo iſt der Vogt vielleicht jezt weich; ich muß alſo die gelegene Zeit nicht verſaͤumen, und gieng deshalben ſogleich zu ihm.

Ich fand ihn in einem erbaͤrmlichen Zuſtande. Er glaubt ſteif und feſt, der Teufel hab ihn neh - men wollen. Ich fragte zwar hin und her, um et - wann auf eine Spur zu kommen; aber ich begreife noch nichts von allem. Nur ſo viel iſt gewiß, daß ihn Niemand angeruͤhrt hat, und daß ſeine Verwun - dung am Kopf, die aber leicht iſt, von einem Falle herruͤhrt. Auch hat der Teufel, ſobald die Mann - ſchaft anruͤckte, mit ſeinem Raſſeln und Heulen nachgelaſſen Aber es iſt Zeit zur Hauptſache zu kommen.

Der Vogt war gedemuͤthigt, und bekannte mir zwo abſcheuliche Thaten, die er mir freywillig er - laubt, Euer Gnaden zu offenbaren.

Erſtlich: Es ſey wahr, was mir der Hans Wuͤſt geſtern geklagt haͤtte; nemlich:

Er habe Ihren in Gott ruhenden Herrn Groß - vater in dem Handel mit dem Rudi irre gefuͤhrt, und die Matte ſey mit Unrecht in ſeiner Hand.

Zweytens: Er habe dieſe Nacht Euer Gnaden einen Markſtein verſetzen wollen, und ſey wirklich an dieſer Arbeit geweſen, als ihm der erſchreck - liche Zufall begegnet ſey.

Ich319

Ich bitte Euer Gnaden demuͤthig, um Scho - nung und Barmherzigkeit auch fuͤr dieſen ungluͤck - lichen Mann, der Gott Lob auch zur Demuth und zur Reue zuruͤckzukommen ſcheint.

Da ſich die Umſtaͤnde alſo ſeit geſtern geaͤndert haben, ſchick ich den Hans Wuͤſt nicht mit ſeinem Brief, ſondern ich ſende beyde durch Wilhelm Aebi, und ich erwarte, was Euer Gnaden hierinn fuͤr fernere Befehle an mich werden gelangen laſſen. Womit ich mit der vorzuͤglichſten Hochachtung verharre

Euer Hochedelgebohrnen und Gnaden

gehorſamſter Diener, Joachim Ernſt, Pfr.

§. 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht.

Wilhelm Aebi eilte nun mit den Briefen auf Arn - burg; aber Chriſtoff, der Huͤnertraͤger, war fruͤher im Schloß, und erzaͤhlte dem Junker alles, was begegnet war, der Laͤnge und der Breite nach.

Der Junker aber mußte auf ſeinem Lehnſtuhl uͤber die Geſchichte, uͤber das Schrecken des Vogts und uͤber das Oh Ah Uh des Huͤnertraͤ - gers lachen, daß er den Bauch mit beyden Haͤn - den halten mußte.

Thereſe,320

Thereſe, ſeine Gemahlinn, die im[N]ebenge - mach noch in der Ruhe war, hoͤrte das laute Ge - laͤchter und das Oh Ah Uh des Huͤner - traͤgers, und rief:

Carl! was iſt das? Komm doch herein, und ſage mir, was es iſt.

Da ſagte der Junker zum Huͤnertraͤger: Meine Frau will auch hoͤren, wie du den Teufel vorſtel - len koͤnneſt; komm herein.

Und er gieng mit dem Huͤnertraͤger ins Schlaf - zimmer ſeiner Gemahlinn.

Da erzaͤhlte dieſer wieder: wie er den Vogt bis unten in’s Feld verfolgt haͤtte wie ſeine Nachbaren bey Dutzenden mit Spieſſen und Pru[ͤ]geln und Wind - lichtern dem armen Vogt zu Huͤlf gekommen waͤren, und wie er dann wieder ſtill den Berg hinauf ge - ſchlichen ſey.

Thereſe und Carl lachten auf ihrem Bette wie Kinder, und lieſſen den Huͤnertraͤger, ſo viel er woll - te, von dem koͤſtlichen Wein des Junkers, der ſeit geſtern noch da ſtuhnd, trinken. *)Herr Jeſus! was denkſt du auch, Junker? Mar - grithe! gieb doch Dienſtenwein wuͤrde freylich manche Graͤfinn gerufen haben. A. d. V.Alles zu ſeiner Zeit; Wenn der Huͤnertraͤger nur Huͤner bringt, warum ſollte man ihm vom be - ſten Wein geben? Wer ſoll dann den ſchlechtern trinken? Aber in gewiſſen Faͤllen kann auch der Buͤrger thun und ſoll er thun, was der Graf mit Rechte ſeinen Maͤgden verbietet. A. d. H.Hingegen ver -bot321bot ihm Arner, noch Niemand kein Wort von der Sache zu erzaͤhlen.

Indeſſen langte Wilhelm Aebi mit des Pfarrers Briefen an.

Arner las ſie, und die Geſchichte des Hans Wuͤſts ruͤhrte ihn am meiſten. Die Unvorſichtigkeit ſeines Großvaters, und das Ungluͤck des Rudis gien - gen ihm zu Herzen; aber die weiſe Handlungsart des Pfarrers freute ihn in der Seele.

Er gab die Briefe ſogleich ſeiner Thereſe, und ſagte: Das iſt doch ein herrlicher Mann, mein Pfar - rer in Bonnal. Menſchenfreundlicher und ſorgfaͤl - tiger haͤtte er nicht handeln koͤnnen.

Thereſe las die Briefe, und ſagte: Das iſt eine erſchreckliche Sache mit dem Wuͤſt! Du mußſt dem Rudi wieder zu dem Seinigen helfen. Saͤume doch nicht und wenn der Vogt ſich ſtraͤubt, die Matte zuruͤckzugeben, ſo wirf ihn in alle Loͤcher. Er iſt ein Satan, dem du nicht ſcho - nen mußſt.

Ich will ihn aufknuͤpfen laſſen, antwortete Arner.

Ach nein! du toͤdeſt Niemand, erwiederte The - reſe.

Meynſt du, Thereſe? ſagte Carl, und laͤchelte.

Ja, ich meyn’s, ſagte Thereſe, und kuͤßte ih - ren Carl.

Du wuͤrdeſt mich nicht mehr kuͤſſen, glaub ich, wenn ich’s thaͤte, Thereſe! ſagte Carl.

XUnd322

Und Thereſe laͤchelnd: Das denk ich.

Arner aber gieng in ſein Cabinet, und antwor - tete dem Pfarrer.

§. 80. Des Junkers Antwortſchreiben an den Pfarrer.

Wohlehrwuͤrdiger, lieber Herr Pfarrer!

Der Vorfall mit dem Vogt iſt mir eine Stunde vor ihrem Schreiben durch den Teufel ſelbſt, der den Vogt den Berg hinabjagte, geoffenbart wor - den; und der iſt mein lieber Huͤnertraͤger, Chriſtoff, den ſie wohl kennen. Ich erzaͤhle ihnen die ganze Geſchichte, die recht luſtig iſt, noch heute; denn ich komme zu ihnen, und will wegen dem Mark - ſtein Gemeind halten laſſen, und zugleich will ich mit meinen Bauern wegen ihrem Geſpenſterglau - ben jezt eine Comoͤdie ſpielen und ſie, mein lie - ber Herr Pfarrer! muͤſſen auch mit mir in dieſe Comoͤdie Ich denke, ſie ſind noch nicht in vielen geweſen, ſonſt wuͤrden ſie gewiß nicht ſo ſchuͤchtern, aber vielleicht auch nicht ſo herzgut und ſo zufrie - den ſeyn.

Ich323

Ich ſende ihnen hier von meinem beſten Wein zum herzlichen Gruß und Dank, daß ſie mir ſo redlich und brav geholfen haben, meines lieben Großvaters Fehler wieder gut zu machen.

Wir wollen dieſen Abend zu ſeinem Andenken eins davon mit einander trinken. Mein lieber Herr Pfarrer! er war doch ein braver Mann, wenn die Schelmen ſchon ſo oft ſein gutes Herz und ſein Zu - trauen gemißbraucht haben.

Ich danke ihnen, mein lieber Herr Pfarrer! fuͤr ihre Muͤhe und fuͤr ihre Sorgfalt wegen dem Huͤbel - rudi Freylich will ich ihm helfen. Noch heute muß er mit meinem lieben Großvater wieder zufrieden wer - den, und, will’s Gott! in ſeinem Leben bey ſeinem Andenken nicht mehr trauern. Es thut mir in der Seele leid, daß er ſo ungluͤcklich geweſen iſt; und ich will, auf was Weiſe ich kann, dafuͤr ſor - gen, daß der Mann fuͤr ſein Leiden und fuͤr ſeinen Kummer mit Freude und Ruhe wieder erquickt wer - de. Wir ſind gewiß ſchuldig, die Fehler unſrer El - tern wieder gut zu machen, ſo viel wir koͤnnen und moͤgen. O es iſt nicht recht, Herr Pfarrer! daß man behauptet, ein Richter ſey nie in keiner Ge - fahr, und ſey nie keinen Erſatz ſchuldig. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie wenig kennt man den Menſchen, wenn man nicht einſieht, daß alle Richter eben durch Gefahr ihres Vermoͤgens nicht nur zur Ehr - lichkeit, ſondern zur Sorgfalt und zur AnſtrengungX 2aller324aller Aufmerkſamkeit ſollten bewogen und angehalten werden. Aber was ich da vergebens ſchwatze.

Meine Frau und meine Kinder gruͤſſen ihre Ge - liebte alle herzlich, und ſenden ihren Toͤchtern noch eine Schachtel Blumenzeugs. Leben ſie wohl, mein lieber Herr Pfarrer! und ſtuͤrmen ſie jezt nicht ſo in allen Stuben herum, alles aufzuraͤumen, und Wuͤrſte und Schinken zu ſieden, als ob ich vor lauter Hunger bey ihnen einkehren wolle; ſonſt werde ich nicht wie - der zu ihnen kommen, ſo lieb ſie mir ſind.

Ich danke ihnen noch einmal, mein lieber Herr Pfarrer! und bin mit wahrer Zuneigung

Ihr

aufrichtiger Freund, Carl Arner von Arnheim.

N. S. So eben ſagt mir meine Frau, ſie wolle die Comoͤdie mit dem Huͤnertraͤger auch ſehn. Wir kommen Ihnen alſo alle mit den Kindern und mit dem groſſen Wagen auf den Hals.

§. 81.325

§. 81. Ein guter Kuͤher.

Da Arner den Wilhelm fortgeſchickt hatte, gieng er in ſeinen Stall, waͤhlte unter ſeinen fuͤnfzig Kuͤ - hen fuͤr den Huͤbelrudi eine aus, und ſagte zu ſeinem Kuͤher:

Futtere mir dieſe Kuhe wohl, und ſag dem Bu - ben, daß er ſie nach Bonnal fuͤhre, und in den Pfrundſtall ſtelle, bis ich kommen werd[e].

Der Kuͤher aber antwortete ſeinem Herrn: Herr! ich muß thun, was ihr mich heißt; aber es iſt un - ter dieſen fuͤnfzigen allen keine, die mich ſo reuet. Sie iſt noch ſo jung, ſo wohlgeſtalt und ſo ſchoͤn; ſie koͤmmt mit der Milch in die beſte Zeit.

Du biſt braf, Kuͤher! daß dich die ſchoͤne Kuh reut.

Mich aber freut es, daß ich’s getroffen habe Ich ſuchte eben die Schoͤnſte Sie koͤmmt in ei - nes armen Mannes Stall, Kuͤher! laß ſie dich nicht reuen; ſie wird ihn auch freuen.

Kuͤher. Ach Herr! es iſt ewig Schade um die Kuh bey einem armen Mann wird ſie abfallen; ſie wird mager und haͤßlich werden. O Herr! wenn ich’s vernehme, daß ſie Mangel hat, ich lauf alle Tage auf Bonnal, und bring ihr Salz und Brod alle Saͤcke voll.

X 3Junker. 326

Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be - koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr die Kuh.

Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn ſie doch fort muß.

Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll ihr nich[t]fehlen.

Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum Jungen:

Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren.

Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte, und fuͤhrte die Kuh ab.

Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden, ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes wie es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß wie er lieber verſchonen und lieber belohnen wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra - fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit - ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe ſelber, an’s Herz greift.

So,327

So, dacht Arner, muß ich ſtrafen, wenn ich will, daß meine Gerechtigkeitspflege Vaterhandlung gegen meine Angehoͤrigen ſey.

Und in dieſen Geſinnungen faßte er ſein Urtheil gegen den Vogt ab.

Indeſſen hatten ſeine Gemahlinn und ſeine Fraͤu - leins geeilt, daß man fruͤher, als ſonſt, zu Mittag aͤſſe.

§. 82. Ein Gutſcher, dem ſeines Junkers Sohn lieb iſt.

Und der kleine Carl, der ſchon mehr als zehnmal den Gutſcher gebeten hatte, daß er den Wagen ſchnell fer - tig halten ſollte, lief noch vom Eſſen in Stall, und rief: Wir haben geeſſen, Franz! ſpann an, und fahr geſchwind an’s Schloßthor.

Du luͤgſt, Junge! ſie haben noch nicht geeſ - ſen; man klingelt ja eben zum Tiſche, ſagte Franz.

Carl. Was ſagſt du, ich luͤge? Das leid ich nicht, du alter Schnurrbart!

Franz. Wart, Buͤbchen! ich will dich Schnurrbarten lehren; darfuͤr flechte ich den Pfer - den die Schwaͤnze und das Halshaar, und bind ich ihnen die Baͤnder und die Roſen in’s Haar X 4dann328dann geht es noch eine Stunde; und redſt du ein Wort, ſo ſag ich zum Papa: Der Herodes hat das Grimmen; ſieh, wie er den Kopf ſchuͤttelt dann laͤßt er die Rappen im Stall, nimmt den kleinern Wagen, und du mußſt nicht mit.

Carl. Nein, Franz! Hoͤr doch auf, und flechte die Schwaͤnze nicht; nimm doch keine Baͤnder Du biſt mir lieb, Franz! und ich will dir nicht mehr Schnurrbart ſagen.

Franz. Du mußſt mich kuͤſſen, Carl! an mei - nen Bart mußſt du mich kuͤſſen, ſonſt nimm ich die Baͤnder und flechte.

Carl. Nein, nur doch das nicht, Franz!

Franz. Warum ſagſt du mir Schnurrbart? Du mußſt mich kuͤſſen, ſonſt nehm ich die Baͤn - der, und fahre nicht mit den Rappen.

Carl. Nun, wenn ich muß; aber du machſt dann den W[a]gen doch geſchwind fertig?

Da legte Franz den Roßſtrigel ab, hub den jungen Junker in die Hoͤhe, und dieſer kuͤßt ihn.

Franz druͤckt ihn herzlich und ſagt: Auch recht, Buͤbli! eilte mit dem Wagen, und fuhr bald vor das Schloßthor.

Da ſaß Arner mit ſeiner Gemahlinn und mit ſeinen Kindern ein.

Und Carl bat den Papa: Darf ich doch zu Franz auf den Bock ſitzen? es iſt ſo eng und ſo warm im Wagen.

Mei -329

Meinethalben, ſagt Arner, und ruft dem Franz: Hab gut Sorg zu ihm.

§. 83. Ein Edelmann bey ſeinen Arbeitsleuten.

Und Franz fuhr mit ſeinen muthigen Rappen gut fort, und war bald auf der Ebne bey Bonnal, wo die Maͤnner Steine brachen.

Da ſtieg Arner aus dem Wagen, nach ihrer Arbeit zu ſehn; und er traf die Arbeiter alle einen Je - den an ſeinem ſchicklichen Platz an.

Und der Steine waren fuͤr die Zeit, in welcher ſie gearbeitet hatten, ſchon viele beyſammen.

Und Arner lobte die Ordnung und die gute An - ſtalt bey ihrer Arbeit, alſo, daß auch die Einfaͤltigſten merkten, daß es ihm nicht wuͤrde entgangen ſeyn, wenn das geringſte nicht in Ordnung oder nur zum Schein dargeſtellt worden waͤre.

Das freute den Lienhard, denn er dachte: Es ſieht jezt ein Jeder ſelbſt, daß es nicht an mir ſteht, Unordnung und Liederlichkeit zu dulden.

Arner fragte auch den Meiſter, welches der Huͤ - belrudi ſey; und in eben dem Augenblick, da ihm der Maͤurer ihn zeigte, waͤlzte der todtblaſſe undX 5ſicht -330ſichtbarlich ſchwache Rudi einen ſehr groſ[ſ]en Stein mit dem Hebeiſen aus ſeinem Neſt. Schnell rief Arner: Ueberluͤpft euch nicht, Nachbaren! und ſor - get, daß keiner ungluͤcklich werde. Darauf befahl er noch dem Meiſter, ihnen einen Abendtrunk zu geben; und gieng weiter gegen Bonnal.

§. 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die beyde ein gleich gutes Herz haben, kommen zuſammen.

Er ſah bald den guten Pfarrer von Ferne ge - gen ihn kommen.

Der Junker lief ſtark gegen dem Pfarrer, und rief ihm zu: Sie haben ſich doch in dieſem Wetter nicht bemuͤhen ſollen; es iſt nicht recht bey ihren Beſchwaͤrden; und eilte dann heim mit ihm, in ſeine Stube.

Und erzaͤhlte ihm die ganze Geſchichte mit dem Huͤnertraͤger; dann ſagte er: Ich habe zimlich Geſchaͤfte, Herr Pfarrer! ich will ſchnell daran, damit wir noch ein paar Stunden ruhig Freude mit einander haben koͤnnen.

Jezt ſandte er auch zu dem jungen Meyer, und ließ ihm ſagen, daß er zu ihm komme, undſagte331ſagte zum Pfarrer: Ich will vor allem aus des Vogts Rechnungen und Buͤcher verſiegeln laſ - ſen; denn ich will wiſſen, mit wem er in Rech - nung ſtehe; und er muß ſie mit Jedermann vor mir in Ordnung bringen.

Pfarrer. Dadurch werden ſie einen guten Theil ihrer Angehoͤrigen ſehr nahe kennen lernen, Gnaͤdiger Herr!

Junker. Und wie ich hoffe, auch Wege fin - den, vieler haͤuslicher Verwirrung in dieſem Dorfe ein Ende zu machen; wenn ich bey dieſem Anlaſ - ſe Jedermann deutlich und einleuchtend machen kann, wie ſich die Leute unwiederbringlich verderben, wenn ſie mit ſolchen Wucherern, wie der Vogt iſt, nur um einen Kreuzer anbinden. Es duͤnkt mich, Herr Pfarrer! die Landesgeſetze thun zu wenig, dieſem Landsverderben zu ſteuern.

Pfarrer. Keine Geſetzgebung kann das, Gnaͤ - diger Herr! aber das Vaterherz eines Herrn.

§. 85. Des Junkers Herz gegen ſeinen fehlen - den Vogt.

Indeſſen kam der juͤngere Meyer, und der Junker ſagte zu ihm: Meyer! ich bin im Fall meinen Vogtzu332zu entſetzen; aber ſo ſehr er ſich verfehlt hat, bewegen mich doch einige Umſtaͤnde, daß ich wuͤnſche, ihm ſo lange er lebt, noch etwas vom Einkommen ſeines Dienſtes zukommen zu laſſen. Du biſt ein wohl - habender Mann, Meyer! und ich denke, wenn ich dich zum Vogt mache, du laſſeſt dem alten Mann gern noch jaͤhrlich hundert Gulden vom Dienſte zu - flieſſen.

Meyer. Wenn ſie mich zu dieſem Dienſte tuͤchtig finden, Gnaͤdiger Herr! ſo will ich mich hierinn, wie in allem andern, nach ihren Befeh - len richten.

Junker. Nun, Meyer! ſo komme morgen zu mir auf Arnburg, ich will dann dieſes Geſchaͤft in Ordnung bringen. Jezt will ich dir nur ſagen: du muͤſſeſt mit meinem Schreiber und mit dem Richter Aebi dem Hummel alle ſeine Schriften und ſeine Rechnungen beſiegeln. Ihr habt genau nachzu - ſehn, daß von allen Papieren und Rechnungen nichts unterſchlagen werde.

Da giengen der Meyer und der Herrſchafts - ſchreiber, nahmen noch den Richter Aebi mit ſich, und beſiegelten des Vogts Schriften.

Die Voͤgtinn aber gieng mit einem naſſen Schwamm gegen die gekreidete Wandtafel; aber der Meyer ſah es, hinderte ſie etwas durchzuſtrei - chen, und ließ die gekreidete Tafel ſchnell ab - ſchreiben.

Und333

Und der Meyer, der Schreiber und der Richter Aebi verwunderten ſich, als ſie auf der Tafel fan - den[:]Samſtags den 18ten dieſes dem Joſeph des Lienhards drey Thaler an Geld Wofuͤr das, fragten der Meyer, der Schreiber und Aebi, den Vogt und die Voͤgtinn? aber ſie wolltens nicht ſagen. Und da die Maͤnner mit der Abſchrift der Wandtafel ins Pfarrhaus kamen, verwunderte ſich der Junker ebenfalls uͤber dieſe drey Thaler, und fragte die Maͤnner: Wiſſet ihr, fuͤr was das war?

Es wollte Niemand mit einer Antwort heraus - ruͤcken, da wir fragten, antworteten die Maͤnner.

Ich will es bald heraus bringen, ſagte der Junker. Wenn Flink und der Gefaͤngnißwaͤchter da ſeyn werden, ſo ſagt ihnen: ſie ſollen den Vogt und den Hans Wuͤſt hieher bringen.

§. 86. Der Pfarrer zeigt abermal ſein gutes Herz.

Der gute Pfarrer hatte das kaum gehoͤrt, ſo ſchlich er ſich alſobald von der Geſellſchaft weg ins Wirthshaus, und ſagte dem Vogt: Um Got - tes willen! was iſt das mit den drey Thalernan334an Joſeph? du machſt dich doppelt ungluͤcklich, wenn du’s nicht ſagſt; der Junker iſt zornig.

Da bekannte der Vogt dem Pfarrer mit Thraͤ - nen alle Umſtaͤnde mit Joſeph und mit dem Gelde.

Und der Pfarrer eilte ſchnell wieder zu Arner, und ſagte ihm alles, und wie wehmuͤthig der Vogt es ihm geſtanden haͤtte. Er bat auch den Junker noch einmal um Gnad und Barmherzigkeit fuͤr den armen Mann.

Sorgen Sie nicht, Herr Pfarrer! Sie werden mich gewiß menſchlich und mitleidend finden, ſagt Arner.

Er ließ hierauf den Joſeph gebunden und ge - fangen von der Arbeit wegnehmen, und ihn mit dem Wuͤſt und dem Vogt herbringen.

Der Vogt zitterte wie ein Laub der großblaͤt - terigten Aſpe. Der Wuͤſt ſchien in ſtiller Weh - muth in ſich ſelbſt gekehrt, und von Herzen ge - duldig.

Der Joſeph aber knirſchte mit den Zaͤhnen, und ſagte zum Vogt: Du Donnersbub, du biſt an〈…〉〈…〉 em ſchuldig!

Arner ließ die Gefangenen einen nach dem an - dern in die untere Stube des Pfarrhauſes fuͤh - ren, wo er ſie in Gegenwart des Meyers, des Aebis, und des Weibels verhoͤrte.

Und nachdem der Schreiber alle ihre Ausſagen von Wort zu Wort niedergeſchrieben, und ſie denGe -335Gefangenen wieder vorgeleſen, dieſe ſie auch von neuem wiederholt und beſtaͤtigt hatten, ließ er ſie alle unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und befahl, jezt an die Gemeinde zu laͤuten.

§. 87. Vom guten Muth und von Geſpenſtern.

Vorher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke in die obere Stube zum Pfarrer, und ſagte: Ich trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu - tes Muths ſeyn an der Gemeind; das muß man ſeyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will.

Nichts iſt gewiſſer, ſagte der Pfarrer.

Und der Junker noͤthigte ihn, auch eins zu trinken, und ſagte: Wenn nur auch einmal die Geiſtlichen lernten ſo ganz ohne Umſchweif und Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer! So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un - gezwungenes offenes Weſen an einem ſehn, ſo ſind ſie ſchon halb gewonnen.

Ach Junker! ſagte der Pfarrer: Eben das ſo gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un - gezwungenem Weſen mit den Leuten umgehen, daran werden wir auf tauſenderley Arten gehindert.

Junker. 336

Junker. Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ihren Stand, Herr Pfarrer! das ſehr weit langt.

Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! Ungezwungener, treuherziger und offener ſollte Nie - mand mit den Leuten umgehn koͤnnen, als die Geiſtlichen. Sie ſollten Volksmaͤnner ſeyn, und dazu gebildet werden; ſie ſollten den Leuten in den Augen anſehn, was und wo ſie reden und ſchwei - gen ſollen. Ihre Worte ſollten ſie ſparen, wie Gold, und ſie hergeben wie nichts; ſo leicht, ſo treffend und ſo menſchenfreundlich, wie ihr Meiſter! Aber ach! ſie bilden ſich in andern Schulen, und man muß Geduld haben, Junker! es ſind in allen Staͤnden noch gleich viel Hinderniſſe fuͤr die liebe Einfalt und fuͤr die Natur.

Junker. Es iſt ſo, man koͤmmt in allen Staͤnden immer mehr von dem weg, was man eigentlich darinn ſeyn ſollte; man muß oft und viel Zeit, in der man wichtige Pflichten ſei - nes Standes erfuͤllen ſollte, mit Ceremonien und Comoͤdien zubringen; und es ſind wenige Menſchen, die unter der Laſt der Etikettenformularen und Pedantereyen das Gefuͤhl ihrer Pflichten und das innere Weſen ihrer Beſtimmung ſo rein erhalten, wie es ihnen gelungen iſt, mein lieber Herr Pfarrer! Aber an ihrer Seite iſt’s mir Freude und Luſt, die ſelige Beſtimmung meiner Vaterwuͤrde zu fuͤh -len;337len; auch will ich trachten, dieſe Beſtimmung mit reinem Herzen zu erfuͤllen, und wie Sie, von al - len Ceremonien und Gauckeleyen, die man mit den Menſchen ſpielt, nur das mitmachen, was ich muß.

Pfarrer. Sie beſchaͤmen mich, Gnaͤdiger Herr!

Junker. Ich fuͤhle, was ich ſage; aber es wird bald laͤuten. Ich ſehne mich recht auf die Comoͤdie an der Gemeind; dismal, glaube ich, wolle ich ihnen etwas von ihrem Aberglauben aus - treiben.

Pfarrer. Gott gebe! daß es Ihnen gelinge. Dieſer Aberglaube iſt allem Guten, das man den Leuten beybringen will, immer ſo viel und ſo ſtark im Weg.

Junker. Ich fuͤhle es auch an meinem Orte, wie oft und viel er ſie in ihren Angelegenheiten dumm, furchtſam und verwirrt macht.

Pfarrer. Er giebt dem Kopf des Menſchen einen krummen Schnitt, der alles, was er thut, redt und urtheilt, verruͤckt; und was noch wett wichtiger iſt, er verdirbt das Herz des Men - ſchen, und floͤßt ihm eine ſtolze und rohe Haͤrte ein.

Junker. Ja, Herr Pfarrer! man kann die reine Einfalt der Natur und die blinde Dumm - heit des Aberglaubens nie genug unterſcheiden.

Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! die unverdorbene Einfalt der Natur iſt empfaͤnglichYfuͤr338fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort - ſchwatzen.

Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache iſt mir eben ſo wichtig.

Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ - ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein, etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt, das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver - ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng - liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis - heit und goͤttliches Licht.

Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al - les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerſpruch, ſorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤrMey -339Meynung, und wandeln ſanft und ſtill und voll Liebe einher Der Aberglaube aber ſetzt ſeine Meynung gegen ſeine Sinnen und gegen aller Men - ſchen Sinnen. Er findet nur Ruhe im Triumph ſei - nes Eigenduͤnkels, und er ſtuͤrmt damit unſanft und wild und hart durch ſein ganzes Leben.

Den Menſchen in ſeiner reinen Einfalt leiten ſein unverdorbenes He[r]z, auf das er ſich immer ge - troſt verlaſſen kann, und ſeine Sinnen, die er mit Ruhe braucht. Den Aberglaͤubigen aber leitet ſeine Meynung, welcher er ſein Herz, ſeine Sinnen, und oft Gott, Vaterland, ſeinen Raͤchſten und ſich ſelbſt aufopfert.

Junker. Das zeigt die Geſchichte auf allen Blaͤttern; und auch ein kleines Maaß von Erfah - rung und von Weltkenntniß uͤberzeugt einen jeden, daß Hartherzigkeit und Aberglaube immer gepaart gehn, und daß ſie nichts als ſchaͤdliche und bittere Folgen mit ſich fuͤhren.

Pfarrer. Aus dieſem weſentlichen Unterſchied der Einfalt des guten unentwickelten Menſchen, und der Dummheit des Aberglaubens, erhellet, Junker! daß das beſte Mittel gegen dem Aber - glauben zu wuͤrken, dieſer iſt:

Den Wahrheitsunterricht in der Auferzie - hung des Volks auf das reine Gefuͤhl der ſanf - ten und guten Unſchuld und Liebe zu bauen, und die Kraft ihrer Aufmerkſamkeit auf nahe Ge -Y 2 gen -340 genſtaͤnde zu lenken, die ſie in ihren perſoͤnlichen Lagen intereßiren.

Junker. Ich begreife Sie, Herr Pfarrer! und ich finde, wie Sie, daß dadurch Aberglauben und Vorurtheil ihren Stachel, ihre innere Schaͤdlich - keit, ihre Uebereinſtimmung mit den Leidenſchaften und Begierden eines boͤſen Herzens, und mit den grundloſen Grillen der armſeligen Einbildung eines muͤßigen ſpintiſirenden Wiſſens verlieren wuͤrden.

Und ſo waͤre der Reſt der Vorurtheile und des Aberglaubens nur noch todtes Wort und Schatten der Sache ohne inneres Gift, und er wuͤr - de dann von ſelbſt fallen.

Pfarrer. So ſehe ich es einmal an, Jun - ker! Ordnung, nahe Gegenſtaͤnde, und die ſanfte Entwicklung der Menſchlichkeitstriebe muͤſſen die Grundlagen des Volksunterrichts ſeyn, weil ſie un - zweifelbar die Grundlagen der wahren menſchli - chen Weisheit ſind.

Starke Aufmerkſamkeit auf Meynungen, und auf entfe[rn]te Gegenſtaͤnde und ſchwache auf Pflicht und auf That, und auf nahe Verhaͤltniſſe, iſt Unord - nung im Weſen des menſchlichen Geiſtes.

Sie pflanzet Unwiſſenheit in unſern wichtigſten Angelegenheiten, und dumme Vorliebe fuͤr Wiſ - ſen und Kenntniß, die uns nicht angehn.

Und Rohheit und Haͤrte des Herzens ſind die na - tuͤrlichen Folgen alles Stolzes und aller Praͤſumptio -nen;341nen; daher denn offenbar die Quelle des innern Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn zu ſuchen iſt, daß beym Unterricht des Volks ſeine Aufmerkſamkeit nicht feſt und ſtark auf Gegen - ſtaͤnde gelenkt wird, die ſeine Perſonallage nahe und wichtig intereßiren, und ſein Herz zu reiner ſanfter Menſchlichkeit in allen Umſtaͤnden ſtim - men.

Thaͤte man das mit Ernſt und Eifer, wie man mit Ernſt und Eifer Meynungen einpraͤgt, ſo wuͤr - de man den Aberglauben an ſeinen Wurzeln unter - graben, und ihm alle ſeine Macht rauben Aber ich fuͤhle taͤglich mehr, wie weit wir in die - ſer Arbeit noch zuruͤck ſind.

Junker. Es iſt in der Welt alles vergleichungs - weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere Zeiten, Zeiten, wo man Geſpenſter glauben oder ein Ketzer ſeyn mußte; Zeiten, wo man alte Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an der Folter fragen mußte, was ſie mit dem Teufel gehabt, oder Gefahr lief, ſeine Rechte und ſeinen Ge - richtſtuhl zu verlieren.

Pfarrer. Das iſt Gott Lob vorbey; aber es iſt noch viel des alten Sauerteigs uͤbrig.

Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer! es faͤllt ein Stein nach dem andern vom Tempel des Aberglaubens, wenn man nur auch ſo eifrigY 3an342an Gottes Tempel aufbauete, als man an de[m]Tem - pel des Aberglaubens hinunter reißt.

Pfarrer. Eben da fehlts, und eben das ſchwaͤcht oder zernichtet meine Freude daruͤber, daß man gegen den Aberglauben arbeitet; weil ich ſehe, daß alle dieſe Leute gar nicht bekuͤmmert ſind, das Heiligthum Gottes, die Religion, in ihrer Kraft und in ihrer Staͤrke auf der Erde zu er - halten.

Junker. Es iſt ſo; aber bey allen Revolutio - nen will man im Anfang das Kind mit dem Bad ausſchuͤtten. Man hatte Recht, den Tempel des Herrn zu reinigen; aber man fuͤhlet jetzo ſchon, daß man im Eifer ſeine Mauern zerſtoſſen hat, und man wird zuruͤck kommen, und die Mauern wie - der aufbauen.

Pfarrer. Ich hoffe es zu Gott, und ſehe es mit meinen Augen, daß man anfaͤngt zu fuͤhlen, daß die eingeriſſene Irreligioſitaͤt die menſchliche Gluͤckſeligkeit unendlich untergraͤbt.

Junker. Indeſſen muͤſſen wir gehn, und ich will einmal auch heute gegen den Aberglauben ſtuͤrmen, und eure Geſpenſtercapelle zu Bonnal an - greifen.

Pfarrer. Moͤge es Ihnen gelingen. Ich habe es mit meinem Angreifen und mit meinem Predigen dagegen noch nicht weit gebracht.

Junker. 343

Junker. Ich will’s nicht mit Worten verſu - chen, Herr Pfarrer! Mein Huͤnertraͤger muß mit ſeinem Korb und mit ſeiner Laterne, mit ſeinem Karſt und mit ſeinem Pickel mir uͤberfluͤßige Worte ſparen.

Pfarrer. Ich glaube im Ernſt, dieſer werde es vortrefflich gut machen; denn es iſt gewiß, wenn man ſolche Vorfaͤlle wohl zu benutzen weiß, ſo rich - tet man dadurch in einem Augenblick mehr aus, als mit allen Rednerkuͤnſten in einem halben Jahr - hundert.

§. 88. Von Geſpenſtern, in einem andern Thon.

Indeſſen waren die Bauern bald alle auf dem Ge - meindplatz Der geſtrige Vorfall und das Ge - ruͤcht von den Gefangenen war die Urſache, daß ſie haufenweiſe herzueilten. Die erſchreckliche Erſchei - nung des Teufels hatte ſie innigſt bewegt und ſie hatten von Morgens fruͤhe an ſchon gerath - ſchlagt, was unter dieſen Umſtaͤnden zu thun ſey, und ſich entſchloſſen, es nicht mehr zu dulden, daß der Pfarrer ſo unglaͤubig lehre und predige, und alle Geſpenſter verlache. Sie riethen, ſie wol - en den Ehegaumer Hartknopf angehn, daß er da -Y 4fuͤr344fuͤr einen Vortrag mache, an der Gemeinde; der junge Meyer aber widerſetzte ſich und ſprach: Ich mag nicht, daß der alte Geizhund, der ſeine Kin - der verhungern laͤßt, und der allen ſchmutzigen Sup - pen nachlaͤuft, fuͤr uns und fuͤr unſern Glauben reden ſoll. Es iſt uns eine ewige Schande, wenn wir den Heuchler anreden.

Die Bauern antworteten: Wir wiſſen wohl, daß er ein Heuchler und ein Geizhund iſt, wir wiſ - ſen auch, daß ſeine Dienſtmagd ein Laſter iſt, wie er, und wie ſie mit einander leben. Es iſt wahr, es luͤgt keiner von uns allen ſo frech, und keiner pfluͤgt dem andern, wie er, uͤber die Mark, und kei - ner putzt in der Ernde beyde Seiten der Furchen aus, wie er; aber dann kann von uns auch keiner, wie er, mit einem Pfarrer reden, oder eine geiſtli - che Sache behaupten. Wenn du einen weißſt, der’s nur halb kann, wie er, und es thun will, ſo iſt’s gut; aber der Meyer wußte Niemand.

Alſo redeten die Maͤnner den Ehegaumer an, und ſprachen: Du, Hartknopf! du biſt der Mann, der einem Geiſtlichen Antwort geben kann, wie kei - ner von uns allen; du mußſt, wenn der Junker heute Gemeind halten wird, den Pfarrer verklagen wegen ſeines Unglaubens, und einen Bettag begeh - ren wegen der Erſcheinung des leidigen Satans. Sie redten es aber dennoch nicht oͤffentlich mit ihm ab, ſondern nur die Vornehmſten betrieben den Han -del;345del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele Freunde; aber den groͤſſern Bauern war er deſto verhaßter, beſonders ſeit dem er ſich in einer Mor - genpredigt erklaͤrt, es ſey nicht recht, daß ſie ſich der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi - derſetzten.

Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf an, und ſprach: Ihr berichtet mich zwar ſpaͤt, doch will ich auf den Vortrag ſtudieren; und er gieng von den Bauern weg in ſein Haus, und ſtu - dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend, da es zur Gemeind laͤutete. Da aber jezt die Ver - ſchwornen faſt alle bey einander waren, wunderten ſie ſich, warum der Hartknopf nicht kaͤme, und wußten nicht, wo es fehlte. Da ſagte ihnen Ni - ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er wartet, bis ihr ihn abholet.

Was iſt zu machen, ſagten die Bauern, wir muͤſſen dem Narren uns wohl unterziehen, ſonſt koͤmmt er nicht.

Und ſie ſandten drey Richter, ihn abzuholen; dieſe kamen dann bald wieder mit ihm zuruͤck.

Und der Ehegaumer gruͤßte die Bauern ſo gra - vitaͤtiſch, wie ein Pfarrer, und verſicherte die Vor - geſetzten und Verſchwornen, die um ihn herum ſtuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor - trag ſtudiert.

Y 5In -346

Indeſſen gab Arner dem Huͤnertraͤger zum Zei - chen, wenn er ein groſſes, weiſſes Schnupftuch zum Sack herausziehe, ſo ſoll er dann kommen, und ordentlich alles vortragen, und thun, wie ab - geredt ſey.

Dann gieng er mit dem Pfarrer und mit dem Schreiber an die Gemeinde.

Alles Volk ſtuhnd auf, und gruͤßte den Gnaͤ - digen Herrn und den Wohlehrwuͤrdigen Herrn Pfar - rer.

Arner dankte ihnen mit vaͤterlicher Guͤte, und ſagte den Nachbaren: Sie ſollten ſich auf ihre Baͤn - ke ſetzen, damit alles in der Ordnung gehe.

Thereſe aber und die Frau Pfarrerinn, auch alle Kinder und Dienſte aus dem Schloß und aus dem Pfarrhauſe ſtuhnden auf dem Kirchhof, von dem man gerade hin auf den Gemeindplatz ſehn konnte.

Arner ließ jezt die Gefangenen einen nach dem andern vorfuͤhren, und ihnen alles, was ſie ausge - ſagt und bekannt hatten, oͤffentlich vorleſen.

Und nachdem ſie vor der Gemeinde das Vorge - leſene beſtaͤtigt hatten, befahl er dem Vogt, ſein Urtheil auf den Knien anzuhoͤren.

Und redte ihn dann alſo an.

§. 89.347

§. 89. Ein Urtheil.

Ungluͤcklicher Mann!

Es thut mir von Herzen weh, dir in deinen alten Tagen die Strafen anzuthun, die auf Verbrechen, wie die Deinigen ſind, folgen muͤſſen. Du haſt den Tod verdient, nicht weil des Huͤbelrudis Matte oder mein Markſtein eines Menſchen Leben werth ſind; ſondern weil meyneidige Thaten und ein fre - ches Raͤuberleben uͤber ein Land graͤnzenloſe Ge - fahren und Ungluͤck bringen koͤnnen.

Der meyneidige Mann und der Raͤuber werden Moͤrder beym Anlaß, und ſind Moͤrder im vielfa - chen Sinn durch die Folgen der Verwirrung, des Verdachts, des Jammers und des Elends, das ſie anrichten.

Darum haſt du den Tod verdient. Ich ſchenke zwar wegen deinem Alter, und weil du einen Theil deiner Verbrechen gegen mich verſoͤnlich ausge - uͤbt haſt, dir das Leben. Deine Strafe aber iſt dieſe:

Du ſollſt noch heute, in Begleitung aller Vor - geſetzten, und wer ſonſt mitgehn will, zu meinemMark -348Markſtein gebracht werden, um daſelbſt in Ketten alles wieder in den vorigen Stand zu ſtellen.

Hierauf ſollſt du in das Dorfgefaͤngniß hier in Bonnal gefuͤhrt werden; daſelbſt wird dein Herr Pfarrer ganzer vierzehn Tage deinen Lebenslauf von dir abfordern, damit man deutlich und klar finden koͤnne, woher eigentlich dieſe groſſe Ruchloſigkeit und dieſe Haͤrte deines Herzens entſprungen ſind. Und ich ſelbſt werde alles Noͤthige vorkehren, den Umſtaͤnden nachzuſpuͤren, welche dich zu deinen Verbrechen verfuͤhrt haben, und welche auch andere von mei - nen Angehoͤrigen in gleiches Ungluͤck bringen koͤnnten.

Am Sonntag uͤber vierzehn Tage wird ſodann der Herr Pfarrer oͤffentlich vor der ganzen Gemein - de die Geſchichte deines Lebenswandels, deiner haͤus - lichen Unordnung, deiner Hartherzigkeit, deiner Ver - drehung aller Eide und Pflichten, und deiner ſchoͤ - nen Rechnungsart gegen Arme und Reiche umſtaͤnd - lich, mit deinen eigenen Ausſagen bekraͤftigt, vor - legen.

Und ich ſelbſt will gegenwaͤrtig ſeyn, und mit dem Herrn Pfarrer alles vorkehren, was nur moͤg - lich iſt, meine Angehoͤrigen in Zukunft vor ſolchen Gefahren ſicher zu ſtellen, und ihnen gegen die Quel - len und Grundurſachen des vielen haͤuslichen Elends, das im Dorf iſt, Huͤlfe und Rath zu ſchaffen.

Und hiemit wollte ich dich denn gern entlaſſen; und wenn meine Angehoͤrigen ſanft und wohlgezo -gen349gen genug waͤren, der Wahrheit und dem, was ihr zeitliches und ewiges Heil betrifft, um ihrer ſelbſt willen, und nicht um der elenden Furcht vor rohen, grauſamen und eckelhaften Strafen, zu folgen; ſo wuͤrde ich dich hiemit wirklich entlaſſen; aber bey ſo vielen rohen, unbaͤndigen und ungeſitteten Leu - ten, die noch unter uns wohnen, iſt’s noͤthig, daß ich um dieſer willen noch beyfuͤge:

Der Scharfrichter werde dich morgen unter den Galgen von Bonnal fuͤhren, dir daſelbſt deine rechte Hand an einen Pfahl in die Hoͤhe binden, und dei - ne drey erſten Finger mit unausloͤſchlicher, ſchwar - zer Farbe anſtreichen.

Wobey aber mein ernſter Wille iſt, daß Nie - mand mit Geſpoͤtt oder mit Gelaͤchter oder irgend ei - niger Beſchimpfung dir dieſe Stunde deines Lei - dens wider meinen Willen verbittere, ſondern alles Volk ohne Geraͤuſch und ohne Gerede ſtill mit ent - bloͤßtem Haupt zuſehn ſoll.

Den Hans Wuͤſt verurtheilte der Junker zu acht - taͤgiger Gefaͤngnißſtrafe.

Und den Joſeph, als einen Fremden, ließ er ſogleich aus ſeinem Gebiet fortfuͤhren, und ihm alle Arbeit und das fernere Betreten ſeines Bodens bey Zuchthausſtrafe verbieten.

Indeſſen hatte des Pfarrers Gevatter, Hans Renold, ihm ganz in der Stille berichtet, was die Bauern mit dem Ehegaumer vorhaͤtten, und wieſie350ſie gewiß und unfehlbar ihn wegen ſeinem Unglau - ben angreifen wuͤrden.

Der Pfarrer dankte dem Renold, und ſagte ihm mit Laͤcheln: Er ſollte ohne S〈…〉〈…〉 gen ſeyn, es werde ſo uͤbel nicht ablaufen.

Das iſt vortrefflich, ſagte der Junker, dem es der Pfarrer geſagt hatte, daß ſie das Spiel ſelber anfangen wollen; und indem er’s ſagte, ſtuhnd der Ehegaumer auf, und ſprach:

§. 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegaumers.

Gnaͤdiger Herr!

Iſt es auch erlaubt, im Namen der Bauern Eu - rer getreuen Gemeinde Bonnal etwas anzubringen, das eine Gewiſſensſache iſt?

Arner antwortete: Ich will hoͤren. Wer biſt du? Was haſt du?

Der Ehegaumer antwortete: Ich bin Jakob Chriſtoff Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer und Stillſtaͤnder von Bonnal, meines Alters 56 Jahre.

Und die Vorgeſetzten des Dorfs haben mich im Namen der Gemeind erbeten und erwaͤhlt, daß ichfuͤr351fuͤr ſie, da ſie einmal in geiſtlichen Sachen nicht erfahren und nicht beredt ſind, etwas vorbringe.

Arner. Nun dann, Ehegaumer Hartknopf! zur Sache.

Da fieng der Ehegaumer abermal an: Gnaͤdi - ger Herr! Wir haben von unſern Alten einen Glauben, daß der Teufel und ſeine Geſpenſter dem Menſchen oft und viel erſcheinen; und da einmal jezt auf heute offenbar worden iſt, daß unſer al - ter Glaube an die Geſpenſter wahr iſt, wie wir denn alle keinen Augenblick daran zweifelten, ſo haben wir in Gottes Namen die Freyheit nehmen muͤſſen, unſerm Gnaͤdigen Herrn anzuzeigen: daß einmal unſer Herr Pfarrer, Gott verzeih’s ihm, nicht dieſes Glaubens iſt. Wir wiſſen auch wohl, daß ſelbſt Euer Gnaden, wegen den Geſpenſtern, es mit dem Herrn Pfarrer halten Da man aber in Sachen des Glaubens Gott mehr gehorſamen muß, als den Menſchen; ſo hoffen wir, Euer Gnaden werden es uns in Unterthaͤnigkeit verzei - hen, wann wir bitten, daß der Herr Pfarrer in Zukunft, wegen dem Teufel, unſere Kinder auf unſern alten Glauben lehre, und nichts mehr ge - gen die Geſpenſter rede, die wir glauben und glau - ben wollen. Auch wuͤnſchten wir, daß auf einen nahen Sonntag ein Faſt - Bet - und Bußtag ge - halten werden moͤchte, damit wir alle die uͤber - hand nehmende Suͤnde des Unglaubens gegen dieGe -352Geſpenſter, im Staub und in der Aſche gnaͤdiglich, und auf einen beſonders dazu angeſetzten Tag ab - beten koͤnnen.

Der Junker und der Pfarrer konnten freylich das Lachen ſchier gar nicht verbeiſſen, bis er fertig war; doch hoͤrten ſie ihm mit aller Gedult zu.

Die Bauern aber freueten ſich in ihrem Her - zen dieſer Rede; und ſie beſchloſſen, den theu - ren Mann zu Hunderten heim zu begleiten, da ſie ihn nur zu Dreyen abgeholt hatten. Auch ſtuhnden ſie zu Dutzenden auf, und ſagten:

Gnaͤdiger Herr! das waͤre in Gottes Namen unſer aller Meynung, was der Ehegaumer da ſagt.

Den Armen aber, und allen denen, welchen der Pfarrer lieb war, war es recht angſt und bang fuͤr ihn; und da und dort ſagte noch einer zum andern:

Waͤre er doch nur auch nicht ſo ungluͤcklich, und glaubte auch was andere Leute er iſt doch ſonſt auch ſo brav; aber dieſe durften nicht reden, ſo weh es ihnen that, daß ſeine Feinde jezt trium - phierten.

§. 91.353

§. 91. Des Junkers Antwort.

Aber der Junker ſetzte den Hut auf, ſah et - was ernſthaft umher, und ſagte: Nachbaren! Ihr bra[uc]htet eben keinen Redner fuͤr dieſe Dohr - heit Die Sache ſelber und die Erſcheinung des Teufels iſt Irrthum; und euer Herr Pfarrer iſt einer der verſtaͤndigſten Geiſtlichen. Ihr ſolltet euch ſchaͤmen, ihn ſo durch einen armen Tropf, wie euer Ehegaumer da iſt, beſchimpfen zu wollen. Haͤttet ihr gebuͤhrende Achtung fuͤr ſeine vernuͤnf - tigen Lehren, ſo wuͤrdet ihr verſtaͤndiger werden, euern alten Weiberglauben ablegen, und nicht al - len vernuͤnftigen Leuten zum Trotze Meynungen beybehalten wollen, die weder Haͤnde noch Fuͤſſe haben.

Die Bauern redeten zu Dutzenden: Offenbar iſt doch dieſe Nacht der Teufel dem Vogt erſchie - nen, und hat ihn nehmen wollen.

Junker. Ihr ſeyd im Irrthum, Nachbaren! und ihr werdet euch noch vor dem Nachteſſen eu - rer Dummheit ſchaͤmen muͤſſen; aber ich hoffe, ihr ſeyd doch auch nicht alle gleich verhaͤrtet inZeurer354eurer Dohrheit Meyer! biſt du auch der Mey - nung: man duͤrfe es gar nicht mehr in Zweifel ziehen, daß es wirklich der leidige Satan geweſen ſey, der den Vogt auf dem Berg ſo erſchreckt hat?

Der junge Meyer antwortete: Was weiß ich, Gnaͤdiger Herr!

Der Ehegaumer und viele Bauern ergrimmten uͤber den Meyer, daß er alſo antwortete.

Und der Ehegaumer murrete hinter ſich uͤber die Baͤnke zu: Wie du auch wider Wiſſen und Gewiſſen redſt, Meyer! Viele Bauern aber ſag - ten: Wir haben doch alle die erſchreckliche Stimme des leidigen Satans gehoͤrt.

Junker. Ich weiß wohl, daß ihr ein Geſchrey, ein Gebruͤll und ein Geraſſel gehoͤrt habt; aber wie koͤnnt ihr ſagen, daß das der Teufel geweſen ſey? Kann es nicht ſeyn, daß ein Menſch oder mehrere den Vogt, der zimlich zur Unzeit an dieſem Ort war, haben erſchrecken wollen? Der Wald iſt nie leer von Leuten, und die Straſſe iſt nahe, alſo daß es eben ſo leicht Menſchen koͤnnen gethan ha - ben, als der Teufel.

Bauern. Zehn und zwanzig Menſchen koͤnn - ten zuſammen nicht ſo ein Geſchrey machen; und wenn ſie da geweſen waͤren, Gnaͤdiger Herr! und es gehoͤrt haͤtten, es kaͤme ihnen nicht in Sinn, daß Menſchen ſo bruͤllen koͤnnten.

Junker. 355

Junker. Die Nacht treugt, Nachbaren! und wenn man einmal im Schrecken iſt, ſo ſieht und hoͤrt man alles doppelt.

Bauern. Es iſt nicht von dem zu reden, daß wir uns irren; es iſt nicht moͤglich.

Junker. Ich aber ſage euch: Es iſt ganz gewiß, daß ihr euch irret.

Bauern. Nein, Gnaͤdiger Herr! es iſt ganz gewiß, daß wir uns nicht irren.

Junker. Ich meynte faſt, ich koͤnnte euch beweiſen, daß ihr euch irret.

Bauern. Das moͤchten wir ſehen, Gnaͤdiger Herr!

Junker. Es koͤnnte leicht etwas ſchwerer ſeyn, als dieſes.

Bauern. Euer Gnaden ſcherzen.

Junker. Nein, ich ſcherze nicht. Wenn ihr glaubet, ich koͤnne es nicht, ſo will ich es verſu - chen; und wenn ihr die Gemeindwaide theilen wol - let, Wort halten, und euch beweiſen, daß ein ein - ziger Menſch das Gebruͤll und das Geraſſel alles gemacht habe.

Bauern. Das iſt nicht moͤglich.

Junker. Wollt ihr es verſuchen?

Bauern. Ja, Junker! wir wollen es Wir duͤrften zwo Gemeindwaiden an das fetzen, nicht nur bloß eine, daß Sie das nicht koͤnnen.

Z 2Hierauf356

Hierauf entſtuhnd ein Gemurmel. Einige Bauern ſagten unter ſich: Man muß ſich doch in Acht neh - men, was man verſpricht.

Andere Bauern auch unter ſich: Er kann das ſo wenig beweiſen, als daß der Teufel in Himmel koͤmmt.

Wieder andere Bauern auch unter ſich: Wir haben nichts zu fuͤrchten; er muß hinten abziehen. Wir wollen daran ſetzen; er kann’s nicht beweiſen.

Bauern. (Laut) Ja, Junker! wenn ihr wollt Wort halten, ſo redet; wir ſind’s zufrieden, wenn ihr das, was ihr geſagt habt, daß ein Menſch das Gebruͤll, ſo wir geſtern gehoͤrt haben, gemacht ha - be; wenn ihr das beweiſen koͤnnt, daß es bewieſen iſt, und bewieſen heißt, ſo wollen wir die Gemeind - waide theilen; aber ſonſt gewiß nicht.

Der Junker nimmt ein groſſes weiſſes Schnupf - tuch, giebt dem Huͤnertraͤger das Zeichen, und ſagt zu den Bauern: Nur eine Viertelſtunde Bedenkzeit.

Dieſe lachten in allen Ecken, und etliche riefen: Bis morgen, Junker! wenn ihr wollt.

Der Junker antwortete auf dieſe Grobheit kein Wort; aber die auf dem Kirchhof, als ſie den Huͤ - nertraͤger gegen dem Gemeindplatz anruͤcken ſahn, lachten, was ſie aus dem Halſe vermochten.

Es traͤumte aber den Bauern vom Boͤſen, als ſie das laute Gelaͤchter hoͤrten, und den fremdenMann357Mann mit dem ſchwarzen Korb und mit der Laterne anruͤcken ſahn.

Was iſt das fuͤr ein Narr, am hellen Tag mit dem brennenden Licht? ſagten die Bauern.

Arner antwortete: Es iſt mein Huͤnertraͤger von Arnheim, und rief ihm: Chriſtoff! was willſt du hier?

Ich habe etwas anzubringen, Gnaͤdiger Herr! antwortete Chriſtoff.

Das magſt du meinethalben, erwiederte Arner. Da ſtellte der Huͤnertraͤger ſeinen Korb ab, und ſagte:

§. 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Gemeinde.

Gnaͤdiger Herr! Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! und ihr Nachbaren!

Hier ſind der Pickel, der Karſt, die Schaufel, die Brennt’sflaſche, die Tabackspfeife, und der groſſe Wollhut euers Herrn Untervogts, das er alles in ſeinem Schrecken beym Markſtein gelaſſen hat, als ich ihn heute von ſeiner ſchoͤnen Arbeit weg den Berg hinunter jagte.

Bauern. Wir ſollen jezt glauben, du habeſt das Geſchrey gemacht? Das glauben wir heut undZ 3mor -358morgen nicht Junker! der Beweis iſt nicht gut; wir bitten um einen andern.

Junker. Wartet nur ein wenig; er hat ja eine Laterne bey ſich, er kann euch vielleicht heiterer zuͤnden Und dann ſehr laut und ſehr ernſthaft: Still wenn’s euch lieb iſt, bis er ausgeredt hat.

Die Bauern ſchweigen gehorſamſt.

Der Huͤnertraͤger aber faͤhrt fort: Ihr ſeyd un - hoͤflicher, als es im Land ſonſt der Gebrauch iſt; warum laßt ihr mich nicht ausreden? Denkt an den Huͤnertraͤger von Arnheim. Wenn ihr mich nicht ganz hoͤret, ſo fehlt’s nicht, der kuͤnftige Ka - lender wird von euch voll ſeyn; denn es iſt kein Punkt und kein Duͤpflein davon wahr, daß der Teu - fel dem Vogt erſchienen iſt. Ich hab ihn erſchreckt, ich, der Huͤnertraͤger, ſo, wie ich da ſteh, mit die - ſem Korb und mit dieſem neuen, ſchwarzen Geißfell, das ich uͤber meinen Korb hatte, weil’s geſtern am Morgen noch regnete, und dieſe Laterne hatte ich vornen am Korb, juſt ſo, wie ihr mich kommen ſahet. Ich fuͤllte ſie in Hirzau wohl mit Oel, damit ſie gut zuͤnde; denn es war ſehr dunkel, und der Weg iſt boͤs, wie ihr wohl wißt, auf der Hir - zauer Seite. Um 11 Uhr war ich noch im Hir - zauer Wirthshaus, das kann ich mit dem Wirth und wohl mit zehn Maͤnnern beweiſen, die auch da waren. Als ich auf die Hoͤhe vom Berg kam, ſchlug es eben zwoͤlf Uhr in Bonnal, und da hoͤrteich,359ich, wie der Vogt keinen halben Steinwurf weit von der Landſtraſſe fluchte und arbeitete, und da ich ihn an ſeiner Stimme und an ſeinem Huſten rich - tig erkannte, wunderte es mich, was er da ſchaffe in der Mitternachtsſtunde. Ich dachte faſt, er grabe Schaͤtzen nach, und wenn ich eben recht komme, ſo werde er mit mir theilen Ich gieng alſo dem Geraͤuſch nach Aber es ſcheint, der Herr Un - tervogt habe geſtern gegen ſeine Gewohnheit etwas mehr, als noͤthig iſt, getrunken gehabt; denn er hielt mich armen ſuͤndigen Menſchen, ſo bald er mich ſah, fuͤr den leibhaftigen Teufel. Und da ich ſah, daß er einen Markſtein in unſers Herrn Wald verſetzen woll - te, dachte ich, nun er fuͤrchtet doch, was er verdient, ich will ihm jezt die Hoͤlle warm machen. Ich band ſchnell Karſt, Pickel und Schaufel und meinen Bo - tenſtock zuſammen, ſchleppte das alles hinter mir her den Felsweg hinunter, und rief dann, was ich aus dem Hals vermochte: Oh Ah Uh Vo ogt Du biſt mein, Hu ummel und ich war nicht mehr einen Steinwurf weit von euch weg, als ihr mit euerm Windlicht langſam und ſtill dem Herrn Untervogt zu helfen daher ſchlichet. Aber ich wollte die unſchuldigen Maͤnner nicht ſo, wie den Vogt, mit meinem Ge - bruͤll gar in der Naͤhe erſchrecken, hoͤrte damit auf, und ſtieg wieder mit meiner Beute Berg an zu meinem Korb, und gieng den geraden Weg heim. Z 4Es360Es war eine Viertelſtunde nach zwey Uhr, da mich unſer Waͤchter antraf, und mich fragte: Was traͤgſt du Bauerngeſchirr auf deinem Eyerkorb? Ich weiß nicht mehr, was ich ihm geantwortet ha - be, einmal die Wahrheit nicht; denn ich wollte ſchweigen, bis ich ſie dem Junker erzaͤhlt haͤtte, welches ich heut ſchon vor ſechs Uhr gethan habe.

Und nun, Nachbaren! wie koͤnnt ihr jezt finden, daß ich zu dieſer Hiſtorie und zu dieſem Geſchirr am Morgen vor Tag gekommen ſey, wenn das, was ich euch ſage, nicht wahr iſt?

Einige Bauern kratzten hinter den Ohren, ei - nige lachten.

Der Huͤnertraͤger fuhr fort: Wenn euch das wieder begegnet, Nachbaren! ſo will ich dem Waͤch - ter, den Vorgeſetzten und einer ganzen ehrſamen Gemeind in Bonnal freundnachbarlich rathen, thut ihm dann alſo: Laßt den groͤßſten Hund in euerm Dorf ab der Ketten, ſo werdet ihr den Teufel bald finden.

Der Huͤnertraͤger ſchweigt.

Es erhebt ſich ein allgemeines Gemurmel.

§. 93.361

§. 93. Daß die Armen bey dieſem Luſtſpiel ge - gewinnen.

Einige Bauern.

Es iſt bey Gott! wie er geſagt hat; es treffen alle Umſtaͤnde ein.

Andere Bauern. Was wir auch fuͤr Narren waren!

Kunz. Nun, ich hab dem Schurken doch nach - laufen wollen.

Einige Vorgeſetzten. Wenn wir nur die gemeine Waid nicht hinein gezogen haͤtten.

Einige der Gemeinen. Hat er euch jezt mit der Allment?

Die Reichen. Das iſt verflucht!

Die Armen. Das iſt Gott Lob!

Thereſe. Das Meiſterſtuͤck iſt die Gemeinwaid.

Pfarrerin. Alles iſt wahrlich ein Meiſterſtuͤck.

Der Ehegaumer. Moͤchten die Steine Blut weinen; unſer Glaube iſt verloren. Elias! Elias! Feuer vom Himmel.

Die Kinder auf dem Kirchhof. Oh Ah Uh du biſt mein, Vogt!

Der Pfarrer. So ſah ich noch nie in’s Volk wirken.

Z 5Der362

Der Vogt. Traͤum ich, oder wach ich? Al - les war Irrthum, und ich muß unter den Galgen und ich kann nicht zuͤrnen; es tobet keine Rache in mir, und ich muß unter den Galgen.

So redte ein jedes im allgemeinen Gemurmel ſeine Sprache nach ſeiner Empfindung.

Nach einer Weile ſtand Arner auf, laͤchelte ge - gen die Nachbaren, und ſagte: Wie iſt’s jezt mit dem heiligen Bettag gegen die fuͤrchterliche Erſchei - nung des Teufels auf dem Berg?

Recht thun, und Gott lieben, und Niemand fuͤrchten; das iſt der einige, alte und wahre Glaube, und eure Erſcheinungen und Geſpenſtergeſchichten ſind Dummheiten, die euch Kopf und Herz verder - ben.

Nun iſt doch endlich die Vertheilung euers elen - den Waidgangs zu Stande gekommen, und ihr wer - det in kurzen Jahren ſehn, wie das euch fuͤr Kinder und Kindskinder ſo nuͤtzlich und ſo gut ausſchlagen wird, und wie ich Urſach hatte, dieſe Sache ſo ei - frig zu wuͤnſchen.

Ich habe befohlen, daß man euch einen Trunk auf das Gemeindhaus bringen ſoll. Trinkt ihn auf mein Wohlſeyn und auf das Wohlſeyn eurer vielen Armen, die bey eurer Waidtheilung nichts mehrbe -363bekommen, als ihr andern; aber fuͤr die es darum ein Gluͤck iſt, weil ſie ſonſt nichts haben. Weiß doch keiner von euch, wie es ſeinen Kindern und Kindskindern noch gehn wird.

Da entließ Arner die Gemeinde, und rief dann dem Huͤbelrudi, daß er nach einer Viertelſtunde zu ihm in’s Pfarrhaus kommen ſoll.

Und dann giengen der Junker und der Pfarrer zu den Frauen auf den Kirchhof, und von da mit ihnen ins Pfarrhaus.

Der Pfarrer aber lobte Arnern, fuͤr die Weis - heit und die Menſchlichkeit, mit welcher er an ſeinen lieben Pfarrkindern gehandelt habe; und ſagte zu ihm: Ich werde Sie nie weiter weder um Schonung noch um Mitleiden gegen Jemand bitten, denn ihr Vaterherz iſt wahrlich uͤber meine Bitten und uͤber meine Lehren erhaben.

§. 94. Der Junker dankt dem Pfarrer.

Der Junker aber antwortete dem Pfarrer: Ich bitte Euch, beſchaͤmt mich nicht. Ich gehe ſo in Einfalt meine Wege, und bin noch jung; will’s Gott! werde ich’s noch beſſer lernen. Mich freut es herzlich, wenn Ihr mit meinem Urtheil zufriedenſeyd;364ſeyd; aber Ihr muͤßt nicht glauben, daß ich nicht wiſſe, daß Ihr weit mehr gethan habt, als ich, und daß eure Sorgfalt und eure Guͤte alles ſo in Ordnung gebracht haben, daß mir nichts uͤbrig ge - blieben iſt, als das Urtheil zu faͤllen.

Pfarrer. Gnaͤdiger Herr! Sie gehn zu weit mit ihrer Guͤte.

Junker. Nein, Freund! es iſt nichts, als was wahr iſt; und ich waͤre undankbar und un - billich, wenn ich’s nicht erkennete. Ihr habt mit vie - ler Muͤhe und mit vieler Klugheit euch beſtrebt, meines lieben Großvaters unvorſichtiges Urtheil aufzudecken, und ſeinen Folgen ein Ende zu ma - chen. Es wird den ehrlichen guten Mann im Himmel freuen, was Ihr gethan habt, und daß das ſchlimme Ding endlich wieder gut wor - den iſt; und gewiß wuͤrde er es mir nicht verzei - hen, Herr Pfarrer! wenn ich dieſe eure Handlung unbelohnt lieſſe. Nehmt den kleinen Zehnden, den ich in euerm Dorf verpachtet habe, zum Zeichen meines Danks an.

Und hiemit gab er ihm die geſiegelte Urkunde, die in den dankvollſten Ausdruͤcken abgefaßt war, in die Hand.

Thereſe ſtuhnd an der Seite Arners, und ſteckte dem Pfarrer den ſchoͤnſten Blumenſtraus, der je in einem Pfarrhaus geſehen worden war, in ſeine Hand.

Das365

Das iſt zum Angedenken des beſten Großva - ters, Herr Pfarrer! ſagte ſie. Und erſt am Mor - gen darauf fand die Frau Pfarrerinn, daß der Straus mit einer Schnur Perlen eingebunden war.

Der gute Pfarrer war uͤbernommen, hatte Thraͤnen in den Augen, konnte aber nicht reden Machen ſie keine Worte, ſagte der Junker.

Ihr Herz waͤre eines Fuͤrſtenthums wuͤrdig, ſagte endlich der Pfarrer.

Beſchaͤmt mich nicht, lieber Herr Pfarrer! antwortete der Junker Seyd mein Freund! Hand in Hand wollen wir ſchlagen, unſere Leute ſo gluͤcklich zu machen als wir koͤnnen. Ich will Sie in Zukunft mehr ſehen, Herr Pfarrer! Und, nicht wahr: Sie kommen auch mehr zu mir Mein Wagen ſtehet Ihnen zu Dienſten. Nehmet ihn doch auch ohne Compliment an, wenn Ihr zu mir kommen wollt.

§. 95.366

§. 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem ſein Großvater Unrecht gethan hat - te, um Verzeihung.

Indeſſen kam der Huͤbelrudi, und der Junker ſtreckte dem armen Mann die Hand dar, und ſagte: Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan, und dir deine Matte abgeſprochen. Das war ein Ungluͤck; der gute Herr iſt betrogen worden. Du mußſt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.

Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker! ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.

Wareſt du nicht boͤſe auf ihn? ſagte der Jun - ker.

Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei - ner Armuth, und inſonderheit im Anfange, oft ſchmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe ich gewiß nie gezoͤrnt.

Junker. Iſt das auch aufrichtig wahr, Rudi?

Rudi. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß, daß es wahr iſt, und daß ich nie gegen ihn haͤt - te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl, daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,da367da der Vogt falſche Zeugen fand, die einen Eid gegen mich thaten? Der gute alte Gnaͤdige Herr hat mir hernach, wo er mich ſah, Allmoſen ge - geben; und auf alle Feſte ſandte er mir in meinem Elend allemal Fleiſch, Wein und Brod daß ihm’s Gott lohne, dem alten lieben Gnaͤdigen Herrn! wie oft er meine arme Haushaltung er - quickt hat.

Der Rudi hatte Thraͤnen in den Augen, und ſagte dann weiters: Ach Gott, Junker! wenn er nur auch ſo allein mit uns geredt haͤtte, wie ihr, es waͤre vieles, vieles nicht begegnet; aber die Blut - ſauger waren immer, immer wo man ihn ſah, um ihn her, und verdrehten alles.

Junker. Du mußſt jezt das vergeſſen, Rudi! die Matte iſt wieder dein; ich habe den Vogt in dem Protocoll durchſtreichen laſſen, und ich wuͤn - ſche dir von Herzen Gluͤck dazu, Rudi!

Der Rudi zittert ſtammelt Ich kann euch nicht danken, Gnaͤdiger Herr!

Der Junker antwortet: Du haſt mir nichts zu danken, Rudi! die Matten iſt von Gott und Rechts - wegen dein.

Jezt ſchlaͤgt der Rudi die Haͤnde zuſammen, weint laut, und ſagt dann: O! meiner, meiner Mutter Segen iſt uͤber mir! Schluchzet dann wie - der, und ſagt: Gnaͤdiger Herr! ſie iſt am Frey -tag368tag geſtorben, und hat, ehe ſie ſtarb, zu[mir] ge - ſagt: Es wird dir wohl gehen, Rudi! denk an mich, Rudi! O wie ſie mich reut, Imker! meine liebe Mutter!

Der Junker und der Pfarrer hatten Thraͤnen in den Augen, und der Junker ſagte: Du guter frommer Rudi! Gottes Segen iſt wohl bey dir, da du ſo fromm biſt.

Es iſt der Mutter Segen Ach! der beſten, froͤmmſten, gedultigſten Mutter Segen iſt es, Jun - ker! ſagte der Rudi, und weinte fort.

Wie mich der Mann dauert, Herr Pfarrer! daß er ſo lange das Seinige hat entbaͤhren muͤſſen; ſagte der Junker zum Pfarrer.

Es iſt jezt uͤberſtanden, Junker! ſagte der Rudi, und Leiden und Elend ſind Gottes Segen, wenn ſie uͤberſtanden ſind. Aber ich kann euch nicht genug danken fuͤr alles, fuͤr die Arbeit an der Kirche, die meine Mutter an ihrem Todestage noch erquickt und getroͤſtet hat, und dann fuͤr die Matte; ich weiß nicht, was ich ſagen noch was ich thun ſoll, Junker! Ach, wenn nur auch ſie, wenn nur auch ſie das noch erlebt haͤtte!

Junker. Frommer Mann! ſie wird ſich dei - nes Wohlſtands auch noch in der Ewigkeit freuen; deine Wehmuth und deine fromme Liebe iſt mir ſo zu Herzen gegangen, daß ich faſt vergeſſen haͤtte, daßder369der Vogt dir auch noch die Nuͤtzung deines Guts und deine Koſten zu verguten ſchuldig ſey.

Pfarrer. Hieruͤber muß ich doch, Gnaͤdiger Herr! dem Rudi etwas vorſtellen der Vogt iſt in ſehr klammen Umſtaͤnden. Er iſt dir freylich die Nuͤtzung und die Koſten ſchuldig, Rudi! aber ich weiß, du haſt ſo viel Mitleiden, daß du mit ihm nicht genau rechnen, und ihn in ſeinen alten Tagen nicht ganz an Bettelſtab bringen wirſt. Ich habe ihm in ſeinen traurigen Umſtaͤnden ver - ſprochen, ſo viel ich koͤnne, fuͤr ihn um Barmher - zigkeit und um Mitleiden zu bitten, und ich muß es alſo auch gegen dich thun, Rudi! Erbarme dich ſeiner in ſeinem Elend.

§. 96. Reine Herzensguͤte eines armen Manns, gegen ſeinen Feind.

Rudi. Von der Nuͤtzung iſt gar nicht zu reden, Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Und wenn der Vogt arm wird, ich will mich nicht ruͤhme[n], aber ich will gewiß auch thun, was recht iſt.

A aSeht,370

Seht, Herr Pfarrer! die Matte traͤgt wohl mehr als fuͤr drey Kuͤhe Futter; und wenn ich zwo halten kann, ſo habe ich weiß Gott genug, mehr als ich haͤtte wuͤnſchen duͤrfen, und ich will von Herzen gern den Vogt, ſo lang er lebt, alle Jahre fuͤr eine Kuhe Heu darab nehmen laſſen.

Pfarrer. Das iſt ſehr chriſtlich und brav, Rudi! der liebe Gott wird dir das Uebrige ſegnen.

Arner. Das iſt wohl recht und ſchoͤn, Herr Pfarrer; aber man muß den guten Mann jezt bey Leibe nicht beym Wort nehmen; er iſt von ſeiner Freude uͤbernommen. Rudi! ich lobe dein Aner - bieten; aber du mußſt das Ding ein paar Tage ruhig uͤberlegen, es iſt dann noch Zeit ſo etwas zu verſprechen, wenn du ſicher biſt, daß es dich nicht mehr gereuen werde.

Rudi. Ich bin ein armer Mann, Gnaͤdiger Herr! aber gewiß nicht ſo, daß mich etwas ehrliches gereuen ſollte, wenn ich’s verſprochen habe.

Pfarrer. Der Junker hat Recht, Rudi! es iſt fuͤr einmal genug, wenn du dir eben nicht viel fuͤr die Nuͤtzung verſprichſt. Wenn ſodann der Vogt doch in Mangel kommen ſollte, und du die Sache bey dir ſelber genugſam uͤberlegt haben wirſt, ſo kannſt du ja immer noch thun, was du willſt.

Rudi. Ja gewiß, Herr Pfarrer! will ich thun, was ich geſagt habe, wenn der Vogt arm wird.

Jun -371

Junker. Nun, Rudi! ich moͤchte gern, daß du heute recht freudig und wohl zu Muthe waͤreſt. Willt du gern hier bey uns ein Glas Wein trin - ken, oder gehſt du lieber heim zu deinen Kindern? Ich habe dafuͤr geſorgt, daß du ein gutes Abend - eſſen daheim findeſt.

Rudi. Ihr ſeyd auch gar zu guͤtig, Gnaͤdiger Herr! aber ich ſollte heim zu meinen Kindern gehn, ich habe Niemand bey ihnen. Ach! meine Frau liegt im Grabe und jezt meine Mutter auch!

Junker. Nun, ſo gehe in Gottes Namen heim zu deinen Kindern Unten im Pfrundſtall iſt eine Kuhe, die ich dir ſchenke, damit du wie - der mit meinem lieben Großvater, der dir Unrecht gethan hat, zufrieden werdeſt, und damit du dich heute mit deinen Kindern ſeines Andenkens freueſt Ich habe auch befohlen, daß man ein groſſes Fu - der Heu ab des Vogts Buͤhne lade, denn es iſt dein, du wirſt das Fuder gerade jezt bey deinem Haus finden; und wenn dein Stall oder dein Haus baufaͤllig ſind, ſo kannſt du das noͤthige Holz in meinem Wald faͤllen laſſen.

A a 2§. 97.372

§. 97. Seine Dankbarkeit gegen ſeinen edeln Herrn.

Der Rudi wußte nicht, was er ſagen wollte, ſo hatte ihn dieſes alles uͤbernommen.

Und dieſe Verwirrung des Mannes, der kein Wort hervor bringen konnte, freuete Arnern mehr, als keine Dankſagung ihn haͤtte freuen koͤnnen.

Der Rudi ſtammelte zuletzt einige Worte von Dank. Arner unterbrach ihn, und ſagte laͤchelnd: Ich ſehe wohl, daß du dankeſt, Rudi! bietet ihm ſodann noch einmal ſeine Hand, und ſagt weiter: Gehe jezt, Rudi! fahre mit deiner Kuhe heim, und zaͤhle darauf, wenn ich dir oder deiner Haushal - tung euer Leben verſuͤſſen kann, ſo wird es mich immer freuen es zu thun.

Da gieng der Rudi von Arnern weg, und fuͤhrte die Kuhe heim.

§. 98.373

§. 98. Auftritte, die an’s Herz gehen ſollen.

Der Pfarrer, die Frauen und die Toͤchter, ge - ruͤhrt von dieſem Auftritte, hatten Thraͤnen in den Augen, und alles ſchwieg eine Weile ſtill, da der Mann fort war.

Hierauf ſagt Thereſe: Was das fuͤr ein Abend war, Junker! Gottes Erdboden iſt ſchoͤn, und die ganze Natur bietet uns allenthalben Wonne und Luſt an. Aber das Entzuͤcken der Menſchlichkeit iſt groͤſſer als alle Schoͤnheit der Erde. Ja wahr - lich, Geliebte! ſie iſt groͤſſer als alle Schoͤnheit der Erde, ſagte der Junker.

Und der Pfarrer: Meine Thraͤnen danken Ihnen, Junker! fuͤr alle herrliche Auftritte, die Sie uns vor Augen gebracht haben. In meinem Leben, Junker! empfand ich die innere Groͤſſe des menſchlichen Her - zens nie reiner und edler, als bey dem Thun die - ſes Mannes Aber, Junker! man muß, man muß in Gottes Namen die reine Hoͤhe des menſchlichen Herzens beym armen Verlaſſenen und Elenden ſu - chen.

Die Frau Pfarrerinn aber druͤckte die Kinder, die alle Thraͤnen in ihren Augen hatten, an ihreA a 3Bruſt,374Bruſt, redete nichts, lehnte ihr Angeſicht hinab auf die Kinder, und weinte wie ſie.

Nach einer Weile ſagten die Kinder zu ihr: Wir wollen doch heute noch zu〈…〉〈…〉 nen armen Kin - dern gehn; ſchicket doch unſer Abendeſſen dahin.

Und die Frau Pfarrerinn ſagte zu Arners Ge - mahlinn: Gefaͤllts Ihnen, ſo gehen wir mit unſern Kindern.

Sehr gerne, antwortete Thereſe. Und auch der Junker und der Pfarrer ſagten: Sie wollten mitgehn.

Arner hatte ein gebratenes Kalbsviertel in ſeinem Wagen*)Verzeihet, ihr buͤrgerlichen Toͤchter! die ihr ver - muthet, daß es im Wagen geſtunken habe. mitgebracht fuͤr die arme Haushaltung und die Frau Pfarrerinn hatte eine gute, dicke, fette Suppe dazu kochen laſſen, und ſie hatte eben alles ab - ſchicken wollen jezt aber ſtellte ſie noch das Abend - eſſen fuͤr ſie und die Kinder dazu, und Claus trug alles in die Huͤtte des armen Manns. Alles Volk aus dem Dorf, jung und alt, Weib und Mann, und alle Kinder aus der Schul, ſtuhnden bey des Rudis Huͤtten, und bey dem Heuwagen, und bey der ſchoͤnen Kuhe.

Einen Augenblick nur hinter dem Claus kamen der Junker und ſeine Gemahlinn, die Frau Pfarrerinn und alle Kinder auch in die Stube, und fanden und375und fanden und ſahen im ganzen Hauſe nichts, als halbnackende Kinder ſerbende Hunger und Mangel athmende Geſchoͤpfe.

Das gieng Arner von neuem an’s Herz, was die Unvorſichtigkeit und die Schwaͤche eines Rich - ters fuͤr Elend erzeugen.

Alles, alles war vom Elend des Hauſes bewegt. Da ſagte Arner zu den Frauen: Dieſer Rudi will jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieſes Elend, das ihr da ſeht, geſtuͤrzt hat, lebenslaͤnglich noch den dritten Theil Heu ab ſeiner Matte verſichern.

Man muß das nicht leiden, ſagte Thereſe, ſchnell und im Eifer uͤber dieſes tiefe Elend. Nein, das iſt nicht auszuſtehn, daß der Mann bey ſeinen vielen Kindern einen Heller des Seinigen dem gottloſen Buben verſchenke.

Aber wollteſt du, Geliebte! wollteſt du dem Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken ſe - tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf dieſe reine Hoͤhe gebracht hat auf eine Hoͤhe, die ſo eben dein Herz ſo ſehr bewegt, und zu Thraͤnen gebracht hat? ſagte Arner.

Nein, nein! das will ich nicht, verſetzte Thereſe, das will ich nicht. Verſchenk er alle ſeine Haabe, wenn er’s kann. Einen ſolchen Menſchen verlaͤßt Gott nicht.

Arner ſagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei - nen Kindern zu eſſen.

Der376

Der Rudeli aber nimmt ſeinen Vater beym Arm, und ſagt ihm in’s Ohr: Vater! ich bring doch der Gertrud auch etwas Ja, ſagt der Rudi; aber wart nur.

Arner hatte das Wort Gertrud gehoͤrt, und fragte den Rudi: Was ſagt der Kleine von Gertrud?

Da erzaͤhlte der Rudi dem Arner von den ge - ſtohlenen Erdaͤpfeln von dem Todbett ſeiner Mut - ter von der Guͤte des Lienhards und der Ger - trud; und wie ſelbſt die Schuhe und Struͤmpfe, die er trage, von ihnen ſeyn.

Dann ſetzte er hinzu: Gnaͤdiger Herr! der Tag iſt mir ſo geſegnet; aber ich koͤnnte mit Freuden keinen Mund voll eſſen, wenn ich dieſe Leute nicht einladen duͤrfte.

Wie das Arner gelobt wie dann die Frauen die ſtillen Thaten einer armen Maͤurerinn wie ſie das erhabene Todbett der Cathrine mit Thraͤnen be - wunderten Wie dann der Rudeli mit klopfendem Herzen zu Lienhard und Gertrud gelaufen, ſie ein - zuladen und wie dieſe mit ihren Kindern beſchaͤmt mit niedergeſchlagenen Augen, nicht auf des Ru - delis Bericht, ſondern auf Arners Befehl, der ſei - nen Claus nachgeſchickt hatte, endlich kamen auch wie Carl fuͤr den Rudeli vom Papa, und Emilie fuͤr Gritte und Liſe von der Mama Schuh und Struͤmpfe und abgelegte Kleider erbaten auchwie377wie ſie den armen Kindern von ihrem beſſern Eſſen immer zulegten auch wie Thereſe und die Frau Pfarrerinn mit ihnen ſo liebreich waren; wie aber dieſe erſt, da Gertrud kam, recht freudig wurden ihr alle zuliefen ihre Haͤnde ſuchten ihr zu - laͤchelten, und ſich an ihren Schooß draͤngten alles das will ich mich huͤten, mit viel Worten zu erzaͤhlen.

Arner und Thereſe ſtuhnden, ſo lang ſie konn - ten, bey dieſem Schauſpiel der innigſten Ruͤhrung, beym Anblick des erquickten und ganz geretteten Elends. Endlich nahmen ſie mit Thraͤnen in den Augen ſtillen Abſchied.

Und der Junker ſagte zum Gutſcher: Fahr eine Weile nicht ſtark.

Die Frau Pfarrerinn aber ſuchte noch alles uͤbergebliebene Eſſen zuſammen, und gab es den Kindern.

Und Lienhard und Gertrud blieben noch beym Rudi bis um acht Uhr, und waren von Herzen froͤlich.

B b§. 99.378

§. 99. Eine angenehme Ausſicht.

Und nun iſt ſeit der vorigen Woche eine allgemeine Rede in unſerm Dorf, Gertrud ſuche dem Rudi des jungen Meyers Schweſter, die ihre beſte Freun - dinn iſt, zur Frau.

Und da die Matte, die der Rudi nun wieder hat, unter Bruͤdern zweytauſend Gulden werth iſt, und auch der Junker, wie es heißt, ihrem Bruder geſagt hat, es wuͤrde ihn freuen; ſo meynt einmal Jedermann, es werde nicht fehlen, ſie nehme ihn.

Und dem Maͤurer geht es bey ſeinem Bau auch gar gut; er iſt dem Junker taͤglich lieber.

§. 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn.

Auch der Huͤnertraͤger hatte noch ein Gluͤck. The - reſe ſah ihn im Heimfahren aus dem Wagen, und ſagte zu Arnern: Dieſer muß auch noch etwas haben. Eigentlich iſt’s doch er, der mit ſeiner Nachtreiſe alles in Ordnung gebracht hat.

Da379

Da rief Arner dem Huͤnertraͤger, und ſagte: Chriſtoff! meine Frau will nicht, daß du deine Teufelsarbeit umſonſt gehabt habeſt; und gab ihm ein Paar Thaler.

Der Huͤnertraͤger buͤckte ſich tief, und ſagte: Gnaͤdiger Herr! Alſo wuͤnſchte ich mir alle die Tage meines Lebens nur Teufelsarbeit.

Ja, ſagte Arner, wenn du verſichert biſt, daß die Hunde allemal an den Ketten bleiben.

Das iſt auch wahr, Gnaͤdiger Herr! ſagte der Huͤnertraͤger; und der Wagen fuhr fort.

[figure]

About this transcription

TextLienhard und Gertrud
Author Johann Heinrich Pestalozzi
Extent410 images; 70217 tokens; 8100 types; 440797 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLienhard und Gertrud Ein Buch für das Volk [Erster Theil] Johann Heinrich Pestalozzi. . [8] Bl., 379 S., [1] gef. Bl. : Noten DeckerBerlinLeipzig1781.

Identification

SUB Göttingen Göttingen SUB, DD90 A 33276 RARAhttps://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=DD90%20A%2033276%20RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:42Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkGöttingen SUB, DD90 A 33276 RARA
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.