PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lienhard und Gertrud.
Ein Buch fuͤr das Volk.
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Berlin und Leipzig,beyGeorge Jakob Decker,1781.
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Vorrede.

Leſer!

Dieſe Bogen ſind die hiſtoriſche Grund - lage eines Verſuchs, dem Volk einige ihm wichtige Wahrheiten auf eine Art zu ſa - gen, die ihm in Kopf und ans Herz ge - hen ſollte.

Ich ſuchte ſowohl das gegenwaͤrtige Hiſtoriſche als das folgende Belehrende auf die moͤglichſt ſorgfaͤltige Nachahmung der Natur, und auf die einfache Darle - gung deſſen, was allenthalben ſchon da iſt, zu gruͤnden.

Ich habe mich in dem, was ich hier erzaͤhle, und was ich auf der Bahn ei - nes thaͤtigen Lebens meiſtens ſelbſt geſehn) (2undVorrede.und gehoͤrt habe, ſo gar gehuͤtet, nicht einmal meine eigene Meynung hinzuzuſe - tzen, zu dem, was ich ſah und hoͤrte, daß das Volk ſelber empfindet, urtheilt, glaubt, redt und verſucht.

Und nun wird es ſich zeigen; Sind mei - ne Erfahrungen wahr, und gebe ich ſie, wie ich ſie empfangen habe, und wie mein Endzweck iſt, ſo werden ſie bey allen denen, welche die Sachen, die ich erzaͤhle, ſelber taͤglich vor Augen ſehn, Eingang finden. Sind ſie aber unrichtig, ſind ſie das Werk meiner Einbildungen und der Tand mei - ner eigenen Meynungen, ſo werden ſie, wie andere Sonntagspredigten, am Mon - tag erſchwinden.

Ich ſage nichts weiter, ſondern ich fuͤge nur noch zwo Betrachtungen bey, welche meine Grundſaͤtze uͤber die Art eines weiſen Volksunterrichts, ins Licht zu ſe - tzen geſchickt ſcheinen.

DieVorrede.

Die erſte iſt aus einem Buche un - ſers ſeligen Luthers, deſſen Feder in je - der Zeile Menſchlichkeit, Volkskenntniß und Volksunterricht athmet. Sie lau - tet alſo:

Die heilige Schrift meynt es auch da - rum ſo gut mit uns, daß ſie nicht bloß mit den groſſen Thaten der heiligen Maͤn - ner rumpler, ſondern uns auch ihre kleinſten Worte an Tag giebt, und ſo den innern Grund ihres Herzens uns aufſchließt.

Die zweyte iſt aus einem juͤdiſchen Rabiner, und lautet nach einer lateini - ſchen Ueberſetzung alſo:

Es waren unter den Voͤlkern der Hei - den, die rings umher und um das Erb - theil Abrahams wohnen, Maͤnner voll Weisheit, die weit und breit auf der Erde ihres gleichen nicht hatten; dieſe) (3 ſpra -Vorrede. ſprachen: Laſſet uns zu den Koͤnigen und zu ihren Gewaltigen gehn, und ſie leh - ren, die Voͤlker auf Erden gluͤcklich machen.

Und die weiſen Maͤnner giengen hin - aus, und lernten die Sprache des Hau - ſes der Koͤnige und ihrer Gewaltigen, und redeten mit den Koͤnigen und mit ihren Gewaltigen in ihrer Sprache.

Und die Koͤnige und die Gewaltigen lobten die weiſen Maͤnner, und gaben ihnen Gold und Seide und Weyrauch, thaten aber gegen die Voͤlker wie vor - hin. Und die weiſen Maͤnner wurden von dem Gold und der Seide und dem Weyrauch blind, und ſahen nicht mehr, daß die Koͤnige und ihre Gewaltigen un - weiſe und thoͤricht handeln, an allem Volk, das auf Erden lebt.

Aber ein Mann aus unſerm Volk beſchalt die Weiſen der Heiden, gab demVorrede dem Bettler am Weg ſeine Hand, fuͤhrte das Kind des Dieben, und den Suͤnder, und den Verbannten in ſeine Huͤtte, gruͤß - te die Zoller, und die Kriegsknechte, und die Samariter, wie ſeine Bruͤder, die aus ſeinem Stamme ſind.

Und ſein Thun, und ſeine Armuth, und ſein Ausharren in ſeiner Liebe ge - gen alle Menſchen gewann ihm das Herz des Volks, daß es auf ihn traute, als auf ſeinen Vater. Und als der Mann aus Iſrael ſah, daß alles Volk auf ihn traute, als auf ſeinen Vater, lehrte er das Volk, worinn ſein wahres Wohl beſtehe; und das Volk hoͤrte ſeine Stim - me, und die Fuͤrſten hoͤrten die Stimme des Volks.

Das iſt die Stelle des Rabiners, zu der ich kein einiges Wort hinzuſetze.

Und jezt, ehe ihr aus meiner Stille geht, liebe Blaͤtter! an die Orte, wo die) (4WindeVorrede.Winde blaſen, und die Stuͤrme brauſen, an die Orte, wo kein Friede iſt

Nur noch diß Wort, liebe Blaͤtter! moͤge es euch vor boͤſen Stuͤrmen bewah - ren!

Ich habe keinen Theil an allem Streit der Menſchen uͤber ihre Meynungen; aber das, was ſie fromm und brav und treu und bider machen, was Liebe Gottes und Liebe des Naͤchſten in ihr Herz, und was Gluͤck und Segen in ihr Haus bringen kann, das, meyne ich, ſey, auſſer allem Streit, uns allen und fuͤr uns alle in un - ſere Herzen gelegt.

Den 25. Hornung 1781.

Der Verfaſſer.

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Innhalt.

  • Blatt. § .. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kinder hoͤchſt ungluͤcklich macht3
  • 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, und ausfuͤhrt, und die einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat9
  • 3. Ein Unmenſch erſcheint17
  • 4. Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s wo man Schelmen kennen lernt22
  • 5. Er findet ſeinen Meiſter27
  • 6. Wahrhafte Bauerngeſpraͤche34
  • 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an45
  • 8. Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo geht der Wagen50
  • 9. Von den Rechten im Land53
  • 10. Des Scheerers Hund ſaͤuft Waſſer zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Untervogt ein Spiel, das recht gut ſtand57
  • 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte64
  • 12. Hanshaltungsfreuden70
  • Innhalt. Blatt. §. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war73
  • 14. Niedriger Eigennutz84
  • 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder eine Dummheit, die ein Glas Wein koſtet88
  • 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett91
  • 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich97
  • 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤpfel geſtohlen hat, und die Kran - ke ſtirbt105
  • 19. Guter Muth troͤſtet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur110
  • 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz hat den Mann zum Muͤßiggang ver - fuͤhrt113
  • 21. Undank und Neid115
  • 22. Die Qualen des Meyneids laſſen ſich nicht mit ſpitzfuͤndigen Kuͤnſten er - ſticken117
  • 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau125
  • 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares Herz130
  • 25. Wie Schelmen mit einander reden132
  • Innhalt. Blatt. §. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichſten abſcheu - lichſten Thaten134
  • 27. Fleiß und Arbeitſamkeit, ohne ein dankbares und mitleidiges Herz138
  • 28. Der Abend vor einem Feſttage in ei - nes Vogts Hauſe, der wirthet144
  • 29. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein - ander reden und handeln150
  • 30. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein - ander reden und handeln, auf eine andere Manier157
  • 31. Der Abend vor einem Feſttage, im Hauſe einer rechtſchaffenen Mutter166
  • 32. Die Freuden der Gebetsſtunde168
  • 33. Die Ernſthaftigkeit der Gebetsſtun - de170
  • 34. So ein Unterricht wird verſtanden und geht an’s Herz, aber es giebt ihn eine Mutter173
  • 35. Ein Samſtagsabendgebet177
  • 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine Andacht und Emporhebung der See - le zu Gott182
  • 37. Sie bringen einem armen Mann ei - ne Erbsbruͤhe187
  • Innhalt. Blatt. §. 38. Die reine ſtille Groͤſſe eines wohl - thaͤtigen Herzens190
  • 39. Eine Predigt194
  • 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war. Item, vom Wiſſen und Irrthum; und von dem, was heiſſe, den Armen druͤcken204
  • 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Unfug an215
  • 42. Zugabe zur Morgenpredigt218
  • 43. Die Bauern im Wirthshauſe wer - den beunruhiget219
  • 44. Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤhrend dem H. Nachtmahl222
  • 45. Die Frau ſagt ihrem Manne groſſe Wahrheiten; aber viele Jahre zu ſpaͤth225
  • 46. Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt228
  • 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden231
  • 48. Etwas von der Suͤnde236
  • 49. Kindercharacter und Kinderlehren238
  • 50. Unarten und boͤſe Gewohnheiten ver - derben dem Menſchen auch die ange - nehmen Stunden, in denen er etwas Gutes thut245
  • Innhalt. Blatt. §. 51. Es kann keinem Menſchen in Sinn kommen, was fuͤr gute Folgen auch die kleinſte gute Handlung haben kann248
  • 52. Am Morgen ſehr fruͤh iſt viel zu ſpaͤth fuͤr das, was man am Abend vorher haͤtte thun ſollen250
  • 53. Je mehr der Menſch fehlerhaft iſt, deſto unverſchaͤmter begegnet er denen, die auch fehlen252
  • 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit254
  • 55. Ein Heuchler macht ſich einen Schel - men zum Freund255
  • 56. Es wird Ernſt; der Vogt muß nicht mehr Wirth ſeyn260
  • 57. Wie er ſich gebehrdet262
  • 58. Wer bey ihm war264
  • 59. Aufloͤſung eines Zweifels265
  • 60. Eine Ausſchweifung266
  • 61. Der alte Mann leert ſein Herz aus268
  • 62. Das Entſetzen der Gewiſſensunruhe272
  • 63. Daß man mit Liebe und mit Theil - nehmung der gaͤnzlichen Kopfsver - wirrung angſtvoller Menſchen vor - kommen koͤnne273
  • 64. Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensfache behandelt274
  • Innhalt. Blatt. §. 65. Daß es auch beym niedrigſten Volk eine Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annahme von Wohlthaten, um die ſie bitten280
  • 66. Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt282
  • 67. Ein Mann, den es geluͤſtet, einen Markſtein zu verſetzen, moͤchte auch gern die Geſpenſter nicht glauben, und er darf nicht285
  • 68. Die untergehende Sonne und ein ver - lorner armer Tropf287
  • 69. Wie man ſeyn muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will288
  • 70. Ein Mann, der ein Schelm iſt und ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und des Maͤurers Frau iſt weiſe289
  • 71. Die Hauptauftritte naͤhern ſich294
  • 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt de[n]Vogt297
  • 73. Er macht ſich an den Markſtein298
  • 74. Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schelmen, die in der Angſt ſind, am ſtaͤrkſten299
  • 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung301
  • 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus305
  • 77. Seelſorgerarbeit306
  • Innhalt. Blatt. §. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner315
  • 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht319
  • 80. Des Junkers Antwortſchreiben an den Pfarrer322
  • 81. Ein guter Kuͤher325
  • 82. Ein Gutſcher, dem ſeines Junkers Sohn lieb iſt327
  • 83. Ein Edelmann bey ſeinen Arbeits - leuten329
  • 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die bey - de ein gleich gutes Herz haben, kom - men zuſammen330
  • 85. Des Junkers Herz gegen ſeinen feh - lenden Vogt331
  • 86. Der Pfarrer zeigt abermal ſein gu - tes Herz333
  • 87. Vom guten Muth und von Ge - ſpenſtern335
  • 88. Von Geſpenſtern, in einem andern Thon343
  • 89. Ein Urtheil347
  • 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegau - mers350
  • 91. Des Junkers Antwort353
  • 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Ge - meinde357
  • Innhalt. Blatt. §. 93. Daß die Armen bey dieſem Luſtſpiel gewinnen361
  • 94. Der Junker dankt dem Pfarrer363
  • 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem ſein Großvater Unrecht gethan hatte, um Verzeihung366
  • 96. Reine Herzensguͤte eines armen Manns, gegen ſeinen Feind369
  • 97. Seine Dankbarkeit gegen ſeinen edeln Herrn372
  • 98. Auftritte, die an’s Herz gehen ſollen373
  • 99. Eine angenehme Ausſicht378
  • 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn378
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Lienhard und Gertrud.

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§. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kind hoͤchſt ungluͤcklich macht.

Es wohnt in Bonnal ein Maͤurer. *)Ich muß hier melden, daß in der ganzen Ge - ſchichte ein alter angeſehener Einwohner von Bonnal redend eingefuͤhrt wird.Er heißt Lienhard und ſeine Frau Gertrud. Er hat ſieben Kinder und ein gutes Verdienſt. Aber er hat den Fehler, daß er ſich im Wirthshaus oft verfuͤhren laͤßt. Wann er da anſitzt, ſo handelt er wie ein Unſinniger; und es ſind in unſerm Dorf ſchlaue abgefeimte Burſche, die darauf losgehen,A 2und4und daraus leben, daß ſie den Ehrlichern und Ein - faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß das Geld aus der Taſche locken. Dieſe kannten den guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk noch zum Spiel, und raubten ihm ſo den Lohn ſeines Schweiſſes. Aber allemal, wenn das am Abend geſchehen war, reuete es Lienharden am Mor - gen und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger - trud und ſeine Kinder Brod mangeln ſah, daß er zitterte, weinte, ſeine Augen niederſchlug, und ſeine Thraͤnen verbarg.

Gertrud iſt die beſte Frau im Dorf aber ſie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt, verſchupft ins aͤuſſerſte Elend zu ſinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

Gertrud ſah die nahe Gefahr, und war da - von in ihrem Innerſten durchdrungen. Wenn ſie Gras von ihrer Wieſe holte, wenn ſie Heu von ihrer Buͤhne nahm, wenn ſie die Milch in ihren reinlichen Becken beſorgte; ach! bey allem, bey allem aͤngſtigte ſie immer der Gedanke daß ihre Wieſe, ihr Heuſtock und ihre halbe Huͤtte ihnen bald werden entriſſen werden, und wenn ihre Kinder um ſie her ſtunden, und ſich an ihren Schoos draͤngten, ſo war ihre Wehmuth immer noch groͤßer; Allemal floſſen dann Thraͤnen uͤber ihre Wangen.

Bis5

Bis jezt konnte ſie zwar ihr ſtilles Weinen vor den Kindern verbergen; aber am Mitwochen vor der letzten Oſtern da ihr Mann auch gar zu lang nicht heim kam, war ihr Schmerz zu maͤchtig, und die Kinder bemerkten ihre Thraͤnen. Ach Mutter! riefen ſie alle aus einem Munde, du weineſt, und draͤngten ſich enger an ihren Schoos. Angſt und Sorge zeigten ſich in jeder Geberde. Banges Schluchſen, tiefes, niedergeſchlagenes Staunen, und ſtille Thraͤnen umringten die Mutter, und ſelbſt der Saͤugling auf ihrem Arme verrieth ein bisher ihm fremdes Schmerzengefuͤhl. Sein erſter Ausdruck von Sorge und von Angſt Sein ſtarres Auge, das zum erſtenmale ohne Laͤcheln hart und ſteif und bang nach ihr blickte alles dieſes brach ihr gaͤnz - lich das Herz. Ihre Klagen brachen jezt in lau - tem Schreyen aus, und alle Kinder und der Saͤug - ling weinten mit der Mutter, und es war ein ent - ſetzliches Jammergeſchrey, als eben Lienhard die Thuͤre eroͤffnete.

Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bethe; hoͤrte das Oeffnen der Thuͤre nicht, und ſah nicht den kommenden Vater Auch die Kinder wur - den ſeiner nicht gewahr Sie ſahn nur die jam - mernde Mutter und hiengen an ihren Armen, an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand ſie Lienhard.

A 3Gott6

Gott im Himmel ſieht die Thraͤnen der Elen - den und ſetzt ihrem Jammer ein Ziel.

Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar - men! Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu dieſem Anblick, der ſeine Seele durchdrang, daß ſeine Glieder bebeten. Todesblaͤſſe ſtieg in ſein Antlitz und ſchnell und gebrochen konnte er kaum ſagen Herr JEſus! was iſt das? Da erſt ſah ihn die Mutter, da erſt ſahn ihn die Kin - der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr ſich O Mutter! der Vater iſt da! riefen die Kinder aus einem Munde; und ſelbſt der Saͤugling weinte nicht mehr

So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee - rende Flamme nun nachlaͤßt ſo verliert ſich auch das wilde Entſetzen, und wird ſtille, bedaͤchtliche Sorge.

Gertrud liebte den Lienhard und ſeine Ge - genwart war ihr auch im tiefſten Jammer Erqui - ckung und auch Lienharden verließ jezt das erſte bange Entſetzen

Was iſt, Gertrud! ſagte er zu ihr, dieſer er - ſchreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?

O mein Lieber! erwiederte Gertrud finſtre Sorgen umhuͤllen mein Herz und wenn du weg biſt, ſo nagt mich mein Kummer noch tiefer

Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du weineſt ich Elender!

Da7

Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lien - hard huͤllte ſein Antlitz in ihren Schoos, und konnte nicht reden!

Auch Gertrud ſchwieg eine Weile und lehnte ſich in ſtiller Wehmuth an ihren Mann, der im - mer mehr weinte und ſchluchzte, und ſich aͤngſtigte auf ihrem Schooſſe.

Indeſſen ſammelte Gertrud alle ihre Staͤrke, und faßte Muth, nun an ihn zu dringen, daß er ſeine Kinder nicht ferner dieſem Ungluͤck und Elend ausſetzte.

Gertrud war fromm und glaubte an Gott und ehe ſie redete, betete ſie ſtill fuͤr ihren Mann und fuͤr ihre Kinder, und ihr Herz war ſichtbar - lich heiterer; da ſagte ſie:

Lienhard trau auf Gottes Erbarmen, und faſſe doch Muth ganz recht zu thun

O Gertrud, Gertrud! ſagte Lienhard, und weinte, und ſeine Thraͤnen floſſen in Stroͤmen

O mein Lieber! faſſe Muth, ſagte Gertrud, und glaube an deinen Vater im Himmel, ſo wird alles wieder beſſer gehen. Es gehet mir ans Herz, daß ich dich weinen mache. Mein Lieber! ich wollte dir gern jeden Kummer verſchweigen, du weiſſeſt, an deiner Seite ſaͤttigt mich Waſſer und Brod, und die ſtille Mitternachtsſtunde iſt mir viel und oft frohe Arbeitsſtunde, fuͤr dich und meine Kinder. Aber, mein Lieber! wenn ich dirA 4meine8meine Sorgen verhehlte daß ich mich noch einſt von dir und dieſen Lieben trennen muͤßte ſo waͤr ich nicht Mutter an meinen Kindern und an dir waͤr ich nicht treu O Theurer! Noch ſind un - ſere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns aber, mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben ſo wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤſ - ſen und dann denke, o Lieber! denk auch, wie dir ſeyn muͤßte, wenn dein Niclas einſt keine Huͤtte mehr haͤtte! und Knecht ſeyn muͤßte Er, der jezo ſchon ſo gern von Freyheit und eigenem Heerde redt Lienhard wenn er und alle die Lieben durch unſern Fehler arm gemacht, einſt in ihrem Herzen uns nicht mehr dank - ten ſondern weinten ob uns, ihren Eltern koͤnnteſt du leben, Lienhard! und ſehen, wie dein Niclas, dein Jonas, wie dein Liſeli (Lise) und dein Annelj, (Enne)*)Dieſe Geſchichte iſt ſchweizeriſch. Die Scene davon iſt in der Schweiz, und ihre Helden ſind Schwei - zer. Man hat deshalben die ſchweizeriſchen Na - men beybehalten, und ſo gar ſchweizeriſche Pro - vincialworte, wie z. E. verſchupfen, welches den Fall bedeutet, da ein Menſch von einem Orte zum andern mit einer Art von Drucke und von Verachtung verſtoſſen wird. o Gott! verſchupft, an fremden Tiſchen Brod ſuchen muͤßten ich wuͤrde ſterben,wenn9wenn ich das ſehen muͤßte ſo ſagte Gertrud und Thraͤnen floſſen von ihren Wangen

Und Lienhard weinte nicht minder Was ſoll ich thun? ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma - chen? ich bin noch elender als du weiſſeſt O Gertrud! Gertrud! Dann ſchwieg er wieder, rang ſeine Haͤnde und weinte lautes Entſetzen

O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen o Theurer! was es auch ſeyn mag rede daß wir uns helfen und rathen

§. 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, aus - fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat

O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz, dir mein Elend zu ſagen und deine Sorgen zu vergroͤßern und doch muß ich es thun.

Ich bin Hummel, dem Vogt*)Vogt iſt in der Schweiz, was in Deutſchland der Schulz im Dorfe iſt., noch dreyßig Gulden ſchuldig und der iſt ein Hund, und keinA 5Menſch10Menſch gegen die, ſo ihm ſchuldig ſind Ach! daß ich ihn in meinem Leben nie geſehn haͤtte Wenn ich nicht bey ihm einkehre, ſo droht er mir mit den Rechten und wenn ich einkehre, ſo iſt der Lohn meines Schweiſſes und meiner Arbeit in ſeinen Klauen. Das, Gertrud, das iſt die Quelle unſers Elends.

O Lieber! ſagte hierauf Gertrud, darfſt du nicht zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißſt, wie alle Wittwen und Waiſen ſich ſeiner ruͤhmen O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz gewaͤhren gegen dieſem Mann

O Gertrud! erwiederte Lienhard ich kann nicht ich darf nicht was wollte ich gegen dem Vogt ſagen? der tauſenderley anbringt und kuͤhn iſt und ſchlau und hundert Helfers-Helfer und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig - keit zu verſchreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt.

Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner Obrigkeit geredt Aber wenn Noth und Elend mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr - heit gerade gegen jedermann ſagen koͤnnen. O Theurer! fuͤrchte dir nicht denke an mich und deine Kinder, und gehe

O Gertrud! ſagte Lienhard ich kann nicht ich darf nicht ich bin nicht unſchuldig Der Vogt wird ſich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen daß ich ein liederlicher Tropf bin O Gertrud! ichbin11bin nicht unſchuldig was will ich ſagen? Nie - mand wird ihn fuͤr den Kopf ſtoſſen und ausſa - gen, daß er mich zu allem verleitet hat O Ger - trud! koͤnnt ich’s! doͤrft ich’s! wie gerne wollt ich’s! Aber thaͤt ich’s und mißlung’s, denk, wie wuͤrde er ſich raͤchen.

Gertrud. Aber auch wenn du ſchweigſt, rich - tet er dich unausweichlich zu Grunde. Lienhard, denk an deine Kinder und gehe dieſe Unruhe unſers Herzens muß enden gehe oder ich gehe.

Lienhard. O Gertrud! ich darf nicht! Darfſt du’s, ach Gott! Gertrud! ach Gott! darfſt du’s, ſo gehe ſchnell hin zu Arner und ſag ihm alles

Ja, ich will gehen, ſagt Gertrud und ſchlief keine Stunde in der Nacht aber ſie betete in der ſchlafloſen Nacht und ward immer ſtaͤrker und entſchloſſener, zu gehen zu Arner, dem Herrn des Orts

Und am fruͤhen Morgen nahm ſie den Saͤug - ling, der wie eine Roſe bluͤhete, und gieng zwo Stunden weit zum Schloſſe des Junkers.

Arner ſaß eben bey ſeiner Linde, vor der Pforte des Schloſſes, als Gertrud ſich ihm nahete Er ſah ſie er ſahe den Saͤugling auf ihrem Arme und Wehmuth und Leiden und getrocknete Zaͤhren auf ihrem Antlitz

Was12

Was willſt du, meine Tochter? wer biſt du? ſagte er ſo liebreich, daß ſie Muth faſſete zu re - den

Ich bin Gertrud, ſagte ſie das Weib des Maͤurer Lienhards von Bonnal.

Du biſt ein braves Weib, ſagte Arner. Ich habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus - gezeichnet Sie ſind ſittſamer und beſcheidener als alle uͤbrigen Kinder, und ſie ſcheinen beſſer ge - naͤhrt und doch, hoͤre ich, ſeyd ihr ſehr arm Was willſt du, meine Tochter?

O Gnaͤdiger Herr! mein Mann iſt laͤngſt dem Vogt Hummel dreyßig Gulden ſchuldig und das iſt ein harter Mann Er verfuͤhrt ihn zum Spiel und zu aller Verſchwendung Und da er ihn fuͤrch - ten muß, ſo darf er ſein Wirthshaus nicht mei - den; wenn er ſchon faſt alle Tage ſein Verdienſt und das Brod ſeiner Kinder darinn zuruͤck laſſen muß. Gnaͤdiger Herr! es ſind ſieben unerzogene Kin - der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt iſt’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelſtab gera - then; Und ich weiß, daß Sie ſich der Wittwen und der Waiſen erbarmen, und darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unſer Ungluͤck zu ſagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bey mir in der Abſicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten doͤrfe, Verfuͤgun - gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, biser13er bezahlt ſeyn wird, nicht mehr draͤngen und pla - gen doͤrfe

Arner hatte laͤngſt einen Verdacht auf Hum̃el Er erkannte ſogleich die Wahrheit dieſer Klage, und die Weisheit der Bitte Er nahm eine Schale Thee, die vor ihm ſtund, und ſagte: Du biſt nuͤch - tern, Gertrud? Trink dieſen Thee, und gieb dei - nem ſchoͤnen Kind von dieſer Milch.

Erroͤthend ſtand Gertrud da Dieſe Vater - guͤte gieng ihr ans Herz, daß ſie ihre Thraͤnen nicht halten konnte

Und Arner ließ ſie jezt die Thaten des Vogts und ſeiner Mitgeſellen und die Noth und die Sor - gen vieler Jahre erzaͤhlen; hoͤrte aufmerkſam zu, und einmal fragte er ſie Wie haſt du, Gertrud! das Spargeld deiner Kinder retten koͤnnen in aller dieſer Noth?

Da antwortete Gertrud Das war wohl ſchwer, Gnaͤdiger Herr! aber es mußte mir ſeyn, als ob das Geld nicht mein waͤre, als ob es ein Sterbender mir auf ſeinem Todbethe gegeben haͤtte, daß ich es ſeinen Kindern aufbehalten ſollte. So, faſt ganz ſo ſah ich es an Wenn ich zu Zeiten in der dringendſten Noth den Kindern Brod dar - aus kaufen mußte, ſo ruhete ich nicht, bis ich mit Nachtarbeit wieder ſo viel nebenhin erſpart und den Kindern wieder erſtattet haͤtte.

War14

War das allemal wieder moͤglich Gertrud? fragt Arner

O Gnaͤdiger Herr! wenn der Menſch ſich et - was veſt vornimmt ſo iſt ihm mehr moͤglich, als man glaubt und Gott hilft im aͤuſſerſten Elend wenn man redlich fuͤr Noth und Brod arbeitet Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen.

Arner war durch und durch von der Unſchuld und von der Tugend dieſes Weibes geruͤhrt fragte aber immer noch mehr und ſagte: Ger - trud, wo haſt du dieſes Spargeld?

Da legte Gertrud ſieben reinliche Paͤckgen auf Arners Tiſch und bey jedem Paͤckgen lag ein Zedel, von wem alles waͤre und wenn Gertrud etwas davon genommen hatte ſo ſtand es aufge - ſchrieben und wie ſie es wieder zugelegt haͤtte.

Arner las dieſe Zedel aufmerkſam durch

Gertrud ſah’s und erroͤthete. Ich habe dieſe Papiere wegnehmen ſollen, Gnaͤdiger Herr!

Arner laͤchelte und las fort aber Ger - trud ſtand beſchaͤmt da, und ſichtbarlich pochte ihr Herz ob dieſen Zedeln ; denn ſie war beſchei - den und demuͤthig und graͤmte ſich auch uͤber den mindeſten Anſchein von Eitelkeit

Arner ſah ihre Unruhe, daß ſie die Zedel nicht beyſeits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe der Unſchuld, die beſchaͤmt da ſteht, wenn ihreTu -15Tugend und ihre Weisheit bemerkt wird, und beſchloß dem Weib mehr, als es bat, und hoffete, Gnade zu erweiſen; dann er fuͤhlte ihren Werth und daß unter Tauſenden kein Weib ihr gleich kaͤme. Er legte jezt einem jeden Paͤckgen et - was bey, und ſagte: Bring deinen Kindern ihr Spargeld wieder, Gertrud! und ich lege aus meiner Boͤrſe dreyßig Gulden beyſeits fuͤr den Vogt bis er bezahlt iſt. Gehe nun heim, Ger - trud morgen werde ich ohne dis in dein Dorf kommen; und da werde ich dir Ruhe ſchaffen vor dem Hummel.

Gertrud konnte vor Freuden nicht reden Kaum brachte ſie ſtammelnd ein gebrochenes ſchluch - zendes Gott lohne es ihnen, Gnaͤdiger Herr! hervor; Und nun gieng ſie mit ihrem Saͤugling und mit ihrem Troſt in ihres Mannes Arme Sie eilete betete und dankte Gott auf dem langen Wege und weinte Thraͤnen des Danks und der Hoffnung, bis ſie in ihrer Huͤtte war.

Lienhard ſah ſie kommen und ſah den Troſt ihres Herzens in ihren Augen Biſt du ſchon wieder da? rief er ihr entgegen es iſt dir wol gegangen bey Arner

Wie weißſt du’s ſchon, ſagte Gertrud? Ich ſehe dir’s an, du Gute! du kanſt dich nicht verſtellen

Das kann ich nicht, ſagte Gertrud, und ich moͤcht es nicht wenn ich’s auch koͤnnte, dir diegute16gute Botſchaft einen Augenblick vorenthalten, Lien - hard! Da erzaͤhlte ſie ihm die Guͤte des Vater Arners, wie er ihren Worten glaubte und wie er ihr Huͤlfe verſprach Denn gab ſie den Kin - dern des Arners Geſchenke und kuͤßte ein jedes waͤr - mer und heiterer als es ſchon lange geſchehen war, und ſagte ihnen: Betet alle Tage, daß es Arner wohl gehe, Kinder wie ihr betet, daß es mir und dem Vater wohl gehe! Arner ſorgt, daß es allen Leu - ten im Lande wohl gehe er ſorgt, daß es euch wohl gehe und wann ihr brav, verſtaͤndig und arbeitſam ſeyn werdet ſo werdet ihr ihm lieb ſeyn, wie ihr mir und dem Vater lieb ſeyd.

Von dieſer Zeit an beteten die Kinder des Maͤurers, wenn ſie am Morgen und am Abend fuͤr ihren Vater und Mutter beteten, auch fuͤr Arner, den Vater des Landes.

Gertrud und Lienhard faßten nun neue Ent - ſchluͤſſe fuͤr die Ordnung ihres Hauſes und fuͤr die Bildung ihrer Kinder zu allem Guten und die - ſer Tag war ihnen ein ſeliger Feſttag. Lien - hards Muth ſtaͤrkte ſich wieder, und am Abend machte Gertrud ihm ein Eſſen, das er liebte und ſie freueten ſich beyde des kommenden Morgens der Huͤlfe Arners und der Guͤte ihres Vaters.

Auch Arner ſehnete ſich nach dem kommenden Morgen eine That zu thun wie er tauſende that, um ſeinem Daſeyn einen Werth zu geben.

§. 3.17

§. 3. Ein Unmenſch erſcheint.

Und da am gleichen Abend ſein Vogt zu ihm kam, nach ſeinen Befehlen zu fragen, ſagte er ihm: Ich werde morgen ſelbſt nach Bonnal kommen: Ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung haben Der Untervogt aber antwortete: Gnaͤdi - ger Herr! Hat Euer Gnaden Schloßmaͤurer jezt Zeit? Nein, erwiederte Arner; aber es iſt in dei - nem Dorf ein Maͤurer Lienhard, dem ich dieſes Verdienſt gern goͤnne. Warum haſt du mir ihn noch nie zu einer Arbeit empfohlen?

Der Vogt buͤckte ſich tief und ſagte: Ich haͤt - te den armen Maͤurer nicht empfehlen duͤrfen zu Euer Herrlichkeit Gebaͤuden.

Arner. Iſt er ein braver Mann, Vogt? daß ich auf ihn gehn kann

Vogt. Ja, Ihr Gnaden koͤnnen ſich auf ihn verlaſſen, er iſt nur gar zu treuherzig.

Arner. Man ſagt, er habe ein braves Weib! iſt ſie keine Schwaͤtzerinn? fragte hierauf Arner mit Nachdruck.

Nein, ſagte der Vogt; ſie iſt wahrlich eine arbeitſame ſtille Frau.

BGut,18

Gut, ſagte Arner! ſey morgen um neun Uhr auf dem Kirchhof Ich werde dich daſelbſt an - treffen

Da gieng der Vogt fort; ganz erfreut uͤber dieſe Rede; denn er dachte bey ſich ſelber, das iſt eine neue Milchkuh in meinen Stall, und ſann ſchon auf Raͤnke, dem Maͤurer das Geld, das er bey dieſem Bau verdienen moͤchte, abzulocken; und ſchnell eilte er heim und nach des Maͤurers kleiner Huͤtte.

Es war ſchon dunkel, als er mit Ungeſtuͤm anpochte.

Lienhard und Gertrud ſaſſen noch beym Tiſche. Noch ſtuhnd der Reſt ihres Eſſens vor ihnen. Lienhard aber erkannte die Stimme des neidiſchen Vogts. Er erſchrack und ſchob das Eſſen in einen Winkel.

Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er ſich nicht fuͤrchten, und daß er ſich auf Arner vertrauen ſoll - te. Dennoch wurd er todtblaß, als er dem Vogt die Thuͤre oͤffnete. Dieſer roch ſchnell wie ein gieriger Hund das verborgene Nachteſſen; that aber doch freundlich und ſagte nur laͤchelnd

Ihr laßt euch recht wohl ſeyn, ihr Leute; ſo endlich iſt’s leicht ohne das Wirthshaus zu ſeyn; nicht wahr, Lienhard?

Dieſer ſchlug die Augen nieder und ſchwieg; aber Gertrud war kuͤhner und ſagte; Was be -fihlt19fihlt dann der Herr Vogt Es iſt ganz ſonderbar, daß er einem ſo ſchlechten Haus naͤher, als ans Fenſter kommt

Hummel verbarg ſeinen Zorn, laͤchelte, und ſagte: Es iſt wahr, ich haͤtte eine ſo gute Kuͤche hier nicht erwartet; ſonſt haͤtte ich vielleicht mehr zugeſprochen.

Das erbitterte Gertrud. Vogt! antwortete ſie ihm, du riechſt unſer Nachteſſen, und miß - goͤnſt es uns; du ſollteſt dich ſchaͤmen, einem armen Mann ein Nachteſſen, das er liebt und vielleicht im Jahr nicht dreymal hat, zu verbittern. Es iſt nicht ſo boͤs gemeynt, antwortete der Vogt, im - mer noch laͤchelnd. Eine Weile darauf aber ſetzte er etwas ernſthafter hinzu: Du biſt gar zu trotzig, Gertrud; das ſteht armen Leuten nicht wohl an. Du ſollteſt wol denken, ihr gienget mich vielleicht auch etwas an; doch ich will jezt nicht hievon anfangen. Ich bin deinem Mann immer gut; und wenn ich ihm dienen kann, ſo thue ich’s; darvon kann ich Proben geben.

Gertrud. Vogt! Mein Mann wird alle Tage in deinem Wirthshaus zum Spiel und zum Trunke verfuͤhrt und denn muß ich daheim mit meinen Kindern alles moͤgliche Elend erdulden; das iſt der Dienſt, den wir von dir zu ruͤhmen haben.

B 2Hum -20

Hummel. Du thuſt mir Unrecht, Gertrud! Es iſt wahr, dein Mann iſt etwas liederlich; Ich habe es ihm auch ſchon geſagt, aber in meinem Wirthshauſe muß ich in Gottes Namen einem jeden, der’s will, Eſſen und Trinken geben; das thut ja jedermann

Gertrud. Ja aber nicht jedermann drohet einem ungluͤcklichen armen Mann mit den Rechten, wann er nicht alle Jahre ſeine Schuld wieder doppelt groß macht.

Nun konnte ſich der Vogt nicht mehr halten; mit Wuth fuhr er den Lienhard an

Biſt du ſo ein Geſell Lienhard, daß du ſolches von mir redeſt? Muß ich noch in meinen Bart hinein hoͤren, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann um Ehr und guten Namen bringen wollt? Hab ich nicht jeweilen vor Vorgeſetzten mit dir gerech - net? gut, daß deine Zedel fein alle noch bey mir und in meinen Handen ſind Willt du mir et - wan gar meine Anforderung laͤugnen, Lienhard?

Es iſt ganz nicht die Rede hievon ſagte Lienhard: Gertrud ſucht nur, daß ich ferner nicht neue Schulden mache

Der Vogt beſann ſich ſchon wieder, milderte den Ton und ſagte: Das iſt endlich nicht ſo gar uͤbel, doch biſt du der Mann ſie wird dich nicht wollen in ein Bockshorn hineinſchieben

Ger -21

Gertrud. Nichts weniger, Vogt! ich moͤch - te ihn gern aus dem Bockshorn, darinn er ſteckt, heraus bringen und das iſt dein Buch, Vogt, und ſeine ſchoͤnen Zedel

Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen; ſo iſt er augenblicklich aus dieſem Bockshorn, wie du’s heiſſeſt

Gertrud. Das wird er wohl thun koͤnnen wenn er nichts Neues mehr macht

Hummel. Du biſt ſtolz, Gertrud es wird ſich zeigen Gelt Gertrud, du willſt lieber mit deinem Mann daheim allein broͤſelen*)euch was zu gut thun., als ihm ein Glas Wein bey mir goͤnnen.

Gertrud. Du biſt niedertraͤchtig, Vogt! aber deine Rede thut mir nicht weh.

Hummel konnte dieſe Sprache nicht laͤnger aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen ſeyn mußte, das dieſes Weib ſo kuͤhn machte. Darum durfte er nicht ſeinen Muth kuͤhlen, und nahm Abſchied.

Haſt du ſonſt was zu befehlen, ſagte Ger - trud.

Nichts, wenn’s ſo gemeynt iſt, antwortete Hummel.

Wie gemeynt? erwiederte Gertrud laͤchelnd und ſah ihm ſteif ins Geſicht. Das verwirrte denB 3Vogt22Vogt noch mehr, daß er ſich nicht zu geberden wußte.

Er gieng jezt und brummete bey ſich ſelbſt die Treppe hinunter, was doch das ſeyn moͤchte.

Dem Lienhard war zwar nicht wol bey der Sache; aber dem Vogt noch viel weniger.

§. 4. Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s wo man Schelmen kennen lernt.

Es war jezt faſt Mitternacht, und doch war er kaum heim, ſo ſandte er noch zu zweyen von Lienhards Nachbaren, daß ſie des Augenblicks zu ihm kaͤmen.

Sie waren ſchon im Bette, als er nach ihnen ſchickte; aber doch ſaͤumeten ſie ſich nicht. Sie ſtuhnden auf und giengen in der finſtern Nacht zu ihm hin.

Und er fragte uͤber alles, was Lienhard und Gertrud ſeit einigen Tagen gethan haͤtten. Da ſie ihm aber nicht gleich etwas ſagen konnten, das ihm Licht gab, ſtieß er ſeine Wuth gegen ſie aus.

Ihr23

Ihr Hunde! was man von euch will, iſt immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofuͤr muß ich immer euer Narr ſeyn? Wenn ihr Holz frevelt, und ganze Fuder raubet ſo muß ich nichts wiſ - ſen wenn ihr in den Schloßtriften waidet und alle Zaͤune wegtraget, ſo muß ich ſchweigen.

Du Buller! mehr als ein Drittheil von deiner Waiſenrechnung war falſch und ich ſchwieg meynſt du, das Bißchen verſchimmelt Heu ſtelle mich zufrieden? es iſt noch nicht verjaͤhrt

Und du Kruͤel! deine halbe Matte gehoͤrt dei - nes Bruders Kindern. Du alter Dieb! was habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker uͤberlaſſe, dem du gehoͤrſt?

Dieſes Gerede machte den Nachbaren bang. Was koͤnnen wir thun? was koͤnnen wir machen Herr Untervogt weder Tag noch Nacht iſt uns zu viel zu thun, was du uns heiſſeſt.

Ihr Hunde! ihr koͤnnt nichts, ihr wißt nichts. Ich bin auſſer mir vor Wuth. Ich muß wiſſen, was des Maͤurers Geſindel dieſe Woche gehabt hat was hinder dieſem Pochen ſteckt ſo wuͤthete er

Indeſſen beſann ſich Kruͤel. Halt, Vogt ich glaub, ich koͤnne dienen, erſt faͤllt mir’s ein Gertrud war heute bis Mittag uͤber Feld und am Abend hat ihr Liſelj beym Brunnen den Schloß - herrn ſehr geruͤhmt gewiß war ſie im Schloß B 4am24am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube aber Niemand weiß warum. Heute ſind ſie alle ganz beſonders froͤlich.

Der Vogt war nun uͤberzeuget, daß Gertrud im Schloß geweſen waͤre. Zorn und Unruhe wuͤtheten nun noch gewaltiger in ſeiner Seele.

Er ſtieß greuliche Fluͤche aus, ſchimpfte mit abſcheulichen Worten auf Arner, der alles Bettel - geſindel anhoͤrte, und Lienhard und Gertrud ſchwur er Rache ernſtlich empfinden zu machen. Doch muͤßt ihr ſchweigen, Nachbaren ich will mit dem Geſindel freundlich thun, bis es reif iſt. Forſchet fleißig nach, was ſie thun, und bringt mir Nach - richt. Ich will euer Mann ſeyn, wo es noͤthig ſeyn wird.

Da nahm er noch Buller beyſeits, und ſagte Weißſt du nichts von den geſtohlenen Blumenge - ſchirren? Man ſah dich vorgeſtern uͤber den Gren - zen, mit einem geladenen Eſel; was hatteſt du zu fuͤhren?

Buller erſchrack ich -- ich hatte Nu! nu! ſprach der Vogt ſey mir treu! ich bin dir Mann, wo es die Noth erheiſcht.

Da giengen die Nachbaren fort. Der Morgen aber war ſchon nahe

Und Hummel waͤlzte ſich noch eine Stunde auf ſeinem Lager, ſtaunte, ſann auf Rache, knirſch - te oft im wilden Schlummer mit den Zaͤhnen,und25und ſtampfte mit ſeinen Fuͤſſen bis der helle Tag ihn aus dem Bette trieb.

Er beſchloß jezt noch einmal Lienharden zu ſe - hen, ſich zu uͤberwinden und ihm zu ſagen, daß er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen haͤtte. Er raffte alle ſeine Kraͤfte zum Heuchel zuſammen, und gieng zu ihm hin.

Gertrud und Lienhard hatten dieſe Nacht ſanf - ter geruht, als es ihnen ſeit langem nicht geſchehn war. Und ſie beteten am heitern Morgen um den Segen dieſes Tages. Sie hofften auf die nahe Huͤlfe vom Vater Arner. Dieſe Hoffnung breitete See - lenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit uͤber ſie aus.

So fand ſie Hummel. Er ſah’s und es gieng dem Satan an’s Herz, daß ſein Zorn noch mehr entbrannte; aber er war ſeiner ſelbſt maͤch - tig, wuͤnſchete ihnen freundlich einen guten Mor - gen, und ſagte: Lienhard! wir waren geſtern unfreundlich gegen einander; das muß nicht ſo ſeyn. Ich habe dir etwas Gutes zu ſagen. Ich kam eben vom Gnaͤdigen Herrn; er redete vom Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich ſag - te, daß du den Bau wohl machen koͤnnteſt; und ich denke, er werde ihn dir geben. Sieh, ſo kann man einander dienen, man muß ſich nie ſo leicht aufbringen laſſen.

B 5Er26

Lienhard. Er ſoll ja den Bau dem Schloß - maͤurer verdungen haben, das haſt du laͤngſt an der Gemeind geſagt.

Hummel. Ich hab’s geglaubt, aber es iſt nicht; der Schloßmaͤurer hat nur ein Koſten - verzeichniß gemacht, und du kannſt leicht denken, er habe ſich ſelber nicht vergeſſen. Wenn du ihn nach dieſem Ueberſchlag erhalteſt, ſo verdieneſt du Geld wie Laub. Lienert da ſiehſt du jezt, ob ich’s gut mit dir meyne

Der Maͤurer war von der Hoffnung des Baus uͤbernommen und dankte ihm herzlich.

Aber Gertrud ſah, wie der Vogt vom erſtick - ten Zorn blaß war und wie hinder ſeinem Laͤcheln verbiſſener Grimm verborgen lag; und ſie freuete ſich gar nicht. Indeſſen gieng der Vogt weg, und im Gehen ſagte er noch: Innert einer Stunde wird Arner kommen, und Lienhards Liſe, die an der Seite ihres Vaters ſtand, ſagte zum Vogt: wir wiſſens ſchon ſeit geſtern.

Hummel erſchrack zwar ob dieſem Wort, aber er that doch nicht als ob er’s hoͤrte

Und Gertrud, die wohl ſah, daß der Vogt dem Geld, ſo beym Kirchbau zu verdienen waͤre, auf - lauerte, war hieruͤber ſehr unruhig.

§. 5.27

§. 5. Er findet ſeinen Meiſter.

Indeſſen kam Arner auf den Kirchhof; und viel Volk aus dem Dorfe ſammelte ſich um ihn her den guten Herrn zu ſehen.

Seyd ihr ſo muͤßig, oder iſt’s Feyertag, daß ihr alle ſo Zeit habt, hier herumzuſchwaͤrmen? ſagte der Vogt zu einigen, die ihm zu nahe ſtuhn - den; denn er verhuͤtete immer, daß Niemand ver - nehme, was er fuͤr Befehle erhielte

Aber Arner bemerkte es, und ſagt laut: Vogt! Ich habe es gern, daß meine Kinder auf dem Kirch - hof bleiben, und ſelbſt hoͤren, wie ich es mit dem Bau haben will; warum jagſt du ſie fort?

Tief bis an die Erde kruͤmmte ſich Hummel, und rief den Nachbaren alſobald laut; Kommt doch wieder zuruͤck, Ihr Gnaden mag euch wohl dulden

Arner. Haſt du die Schatzung vom Kirchbau geſehen?

Vogt. Ja, Gnaͤdiger Herr!

Arner. Glaubſt du, Lienhard koͤnne den Bau um dieſen Preis gut und dauerhaft machen?

Ja, Gnaͤdiger Herr! antwortete der Vogt laut; und ſehr leiſe ſetzte er hinzu, ich denke, da erim28im Dorfe wohnt koͤnnte er es vielleicht noch et - was weniges wolfeiler uͤbernehmen.

Arner aber antwortete ganz laut. So viel ich dem Schloßmaͤurer haͤtte geben muͤſſen, ſo viel gebe ich auch dieſem. Laß ihn rufen, und ſorge, daß alles, was aus dem Wald und aus den Ma - gazinen dem Schloßmaͤurer zukommen ſollte, auch dieſem ausgeliefert werde.

Lienhard war e〈…〉〈…〉 wenige Minuten ehe Arner ihn rufen lieſſe[i]ns obere Dorf gegangen; und Gertrud entſchloß ſich alſobald mit dem Boten ſelbſt auf den Kirchhof zu gehn, und Arnern ihre Sor - gen zu entdecken.

Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard mit dem Boten zuruͤck kommen ſah, wurde er todtblaß

Arner bemerkt es und fragte ihn; wo fehlt’s Herr Untervogt

Vogt. Nichts, Gnaͤdiger Herr! gar nichts, doch ich habe dieſe Nacht nicht wohl geſchlafen

Man ſah dir faſt ſo was an, ſagte Arner, und ſah ihm ſteif in die rothen Augen, kehrte ſich denn zu Gertrud, gruͤßte ſie freundlich, und ſag - te: Iſt dein Mann nicht da? doch es iſt gleich viel, du muſt ihm nur ſagen, daß er zu mir komme. Ich will ihm dieſen Kirchenbau anver - trauen

Ger -29

Gertrud ſtand eine Weile ſprachlos da, und durfte vor ſo viel Volk faſt nicht reden.

Arner. Warum redeſt du nicht, Gertrud? Ich will deinem Mann den Bau ſo geben, wie ihn der Schloßmaͤnrer wuͤrde uͤbernommen haben. Das ſollte dich freuen, Gertrud

Gertrud hatte ſich wieder erholt und ſagte jezt: Gnaͤdiger Herr! die Kirche iſt ſo nahe am Wirthshaus

Alles Volk fieng an zu lachen und da die meiſten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen woll - ten, kehrten ſie ſich von ihm weg gerade gegen Arner.

Der Vogt aber, der wohl ſah, daß dieſer al - les bemerkt haͤtte, ſtand jezt entruͤſtet auf, ſtellte ſich gegen Gertrud und ſprach: Was haſt du gegen mein Wirthshaus?

Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und ſagte; Geht dieſe Rede dich an, Untervogt! daß du darein redeſt? Dann wandte er ſich wie - der zu Gertrud und ſagte: Was iſt das? Warum ſteht dir die Kirche zu nahe am Wirthshaus?

Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Mein Mann iſt beym Wein leicht zu verfuͤhren, und wenn er taͤg - lich ſo nahe am Wirthshaus arbeiten muß; ach Gott! ach Gott! ich fuͤrchte, er halte die Verſu - chung nicht aus.

Arner. 30

Arner. Kann er denn das Wirthshaus nicht meiden, wenn’s ihm ſo gefaͤhrlich iſt?

Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Bey der heiſſen Arbeit duͤrſtet man oft, und wenn denn immer Saufgeſellſchaft vor ſeinen Augen auf jede Art mit Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkaͤufen und mit Wetten ihn zulocken wird; ach Gott! ach Gott! wie wird er’s aushalten koͤnnen. Und wenn er denn nur ein wenig wieder Neues ſchuldig wird: ſo iſt er wieder angebunden. Gnaͤdiger Herr! Wenn Sie doch wuͤßten, wie ein einziger Abend in ſolchen Haͤuſern arme Leute ins Joch und in Schlingen bringen kann, wo es faſt unmoͤglich iſt, ſich wieder heraus zu wickeln.

Arner. Ich weiß es, Gertrud und ich bin entruͤſtet uͤber das, was du mir geſtern ſagteſt; da vor deinen Augen und vor allem Volk will ich dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will druͤcken und draͤngen laſſen.

Sogleich wandte er ſich gegen dem Vogt, und ſagte ihm mit einer Stimme voll Ernſt und mit einem Blicke, der durch Mark und Beine drang;

Vogt! iſt’s wahr, daß die armen Leute in dei - nem Hauſe gedraͤngt, verfuͤhrt, und vervortheilt werden?

Betaͤubt und blaß, wie der Tod, antwortete der Vogt; In meinem Leben, Gnaͤdiger Herr! iſt mir nie ſo etwas begegnet; und ſo lang ichlebe31lebe und Vogt bin, ſagt er, wiſcht den Schweiß von der Stirne huſtet raͤuſpert faͤngt wie - der an Es iſt erſchrecklich

Arner. Du biſt unruhig, Vogt! Die Frage iſt einfaͤltig. Iſt’s wahr, daß du arme Leute draͤn - geſt, in Verwirrungen bringeſt, und ihnen in dei - nem Wirthshauſe Fallſtricke legeſt, die ihre Haus - haltungen ungluͤcklich machen?

Vogt. Nein, gewiß nicht, Gnaͤdiger Herr! Das iſt der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient; ich haͤtte es vorher denken ſollen. Man hat alle - mal einen ſolchen Dank, anſtatt der Bezahlung.

Arner. Mache dir vor die Bezahlung keine Sorge; es iſt nur die Frage, ob dieſes Weib luͤge.

Vogt. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! ich will es tauſendfach beweiſen.

Arner. Es iſt genug am einfachen, Vogt! Aber nimm dich in Acht. Du ſagteſt geſtern, Gertrud ſey eine brave, ſtille, arbeitſame Frau und gar keine Schwaͤtzerinn.

Ich weiß nicht ich ich beſinne Sie haben mich ich habe ſie ich habe ſie dafuͤr angeſehen ſagte der keichende Vogt

Arner. Du biſt auf eine Art unruhig, Vogt! daß man jezt nicht mit dir reden kann; es iſt am beſten, ich erkundige mich gerade da bey dieſen da ſtehenden Nachbaren. Und ſogleich wandte er ſichzu32zu zween alten Maͤnnern, die ſtill und aufmerkſam und ernſthaft da ſtuhnden, und ſagte ihnen: Iſt’s wahr, liebe Nachbaren! Werden die Leute in eu - rem Wirthshaus ſo zum Boͤſen verfuͤhrt und ge - druͤckt? Die Maͤnner ſahn ſich einer den andern an, und durften nicht reden.

Aber Arner ermunterte ſie liebreich. Fuͤrchtet euch nicht. Sagt mir gerade zu die reine Wahr - heit.

Es iſt mehr als zu wahr, Gnaͤdiger Herr! aber was wollen wir arme Leute gegen den Vogt kla - gen? ſagte endlich der aͤltere, doch ſo leiſe, daß es nur Arner verſtehn konnte.

Es iſt genug, alter Mann! ſagte Arner, und wandte ſich denn wieder zum Vogt.

Ich bin eigentlich jezt nicht da, um dieſe Klage zu unterſuchen; aber gewiß iſt es, daß ich[mei]ne Armen vor aller Bedruͤckung will ſicher haben, und ſchon laͤngſt dachte ich, daß kein Vogt Wirth ſeyn ſollte. Ich will aber das bis Montag ver - ſchieben Gertrud! ſage deinem Mann, daß er zu mir komme, und ſey du wegen den Wirths - hausgefahren ſeinethalben jezt nur ruhig.

Da nahm Arner noch einige Geſchaͤfte vor, und als er ſie vollendet hatte, gieng er noch in den na - hen Wald und es war ſpaͤth, da er heim fuhr Auch der Vogt, der ihm in den Wald folgen mußte, kam erſt des Nachts wieder heim in ſein Dorf.

Als33

Als dieſer jezt ſeinem Hauſe nahe war, und nur kein Licht in ſeiner Stube ſah, auch keine Men - ſchenſtimme darinn hoͤrte, ahndete ihm Boͤſes; denn ſonſt war alle Abende das Haus voll und alle Fenſter von den Lichtern, die auf allen Tiſchen ſtanden, erheitert, und das Gelerm der Saufenden toͤnte in der Stille der Nacht immer, daß man’s zu unterſt an der Gaſſe noch hoͤrte, obgleich die Gaſſe lang iſt, und des Vogts Haus zu oberſt da - ran ſteht.

Ueber dieſer ungewoͤhnlichen Stille war der Vogt ſehr erſchrocken. Er oͤffnete mit wilder Un - geſtuͤmheit die Thuͤre, und ſagte: Was iſt das? was iſt das? daß kein Menſch hier iſt.

Sein Weib heulete in einem Winkel. O Mann! biſt du wieder da. Mein Gott! was iſt vor ein Ungluͤck begegnet! Es iſt ein Jubilieren im Dorf von deinen Feinden, und kein Menſch wagt mehr auch nur ein Glas Wein bey uns zu trinken. Alles ſagt, du ſeyſt aus dem Wald nach Arnburg gefuͤhrt worden.

Wie ein gefangenes wildes Schwein in ſeinen Stricken ſchnaubet, ſeinen Rachen oͤffnet, ſeine Augen rollt, und Wuth grunzet; ſo wuͤthete jezt Hummel, ſtampfte und tobte, ſann auf Rache gegen Arner, und raſete, uͤber den Edeln. Denn redte er mit ſich ſelbſt: So koͤmmt das Land um ſeine Rechte. Er will mir dasCWirths -34Wirthsrecht rauben, und den Schild in der Herr - ſchaft allein aushaͤngen. Bey Mannsgedenken ha - ben alle Voͤgte gewirthet. Alle Haͤndel giengen durch unſere Haͤnde. Dieſer laͤuft jezt allenthal - ben ſelbſt nach, und fraͤgelt jeden Floh aus, wie ein Dorfſchulmeiſter. Daher trotzet jezt jeder Bub einem Gerichtsmann und ſagt daß er ſelbſt mit Arner reden koͤnne. So koͤmmt das Gericht um alles Anſehn und wir ſitzen und ſchweigen, wie andere Schurken. Da er ſo an uns alle alte Lan - desrechte kraͤnkt und beugt.

So verdrehte der alte Schelm die guten und weiſen Thaten des edeln Herrn bey ſich ſelbſt, ſchnaubte und ſann auf Rache, bis er entſchlief.

§. 6. Wahrhafte Bauerngeſpraͤche.

Am Morgen aber war er fruͤhe auf, und ſang und pfiff unter dem Fenſter, auf daß man glaube, er ſey wegen dem, ſo geſtern vorgefallen war, ganz unbeſorgt.

Aber Fritz, ſein Nachbar, rief ihm uͤber die Gaſſe: Haſt du ſchon ſo fruͤhe Gaͤſte, daß es ſo luſtig geht? und laͤchelte bey ſich ſelbſt.

Sie35

Sie werden ſchon kommen, Fritz! Hopſaſa und Heiſaſa, Zwetſchgen ſind nicht Feigen, ſagt der Vogt, ſtreckt das Brenntsglas zum Fenſter hinaus, und ruft: Willſt eins Beſcheid thun, Fritz?

Es iſt mir noch zu fruͤh, antwortete Fritz, ich will warten, bis mehr Geſellſchaft da iſt.

Du biſt immer der alte Schalk, ſagte der Vogt; aber glaub’s, der geſtrige Spaß wird nicht ſo uͤbel ausſchlagen. Es fliegt kein Voͤgelein ſo hoch, es laͤßt ſich wieder nieder.

Ich weiß nicht, antwortete Fritz. Der Vo - gel, den ich meyne, hat ſich lange nicht herunter gelaſſen. Aber wir reden vielleicht nicht vom glei - chen Vogel. Willſt’s mithalten, Vogt! man ruft zur Morgenſuppe, und hiemit ſchob Fritz das Fenſter zu.

Das iſt kurz abgebunden, murrete der Vogt bey ſich ſelbſt, und ſchuͤttelte den Kopf, daß Haar und Backen zitterten. Ich werde, denk ich, des Teufels Arbeit haben, bis das geſtrige Henkerszeug den Leuten allen wieder aus dem Kopf ſeyn wird; So ſagt er zu ſich ſelber, ſchenkt ſich ein trinkt ſagt denn wieder Muth gefaßt! Kommt Zeit! Kommt Rath! Heute iſt’s Samſtag, die Kaͤlber laſſen ſich ſcheeren, ich gehe ins Barthaus, da gibt ſich um ein Glas Wein eins nach dem an -C 2dern.36dern. Die Bauern glauben mir immer eher zehen, als dem Pfarrer ein halbes.

So ſagt der Vogt zu ſich ſelber, und dann zur Frau: Fuͤll mir die Saublatter mit Tabak; aber nicht von meinem, nur vom Stinker, er iſt gut fuͤr die Purſche. Und wenn des Scheerers Bub Wein holt, ſo gib ihm vom drey - mal geſchwefelten, und thue in jede Maas ein halb Glas Brennts.

Er gieng fort. Aber auf der Gaſſe, noch nahe beym Hauſe, beſann er ſich wieder, kehrte zu - ruͤck und ſagte der Frau; Es koͤnnten Schelme mitſaufen. Ich muß mich in Acht nehmen. Schick mir vom gelbgeſottenen Waſſer, wenn ich La Cote*)La Cotte. Vin de la Côte. Welſch-Berner - Wein. fordern laſſe, und bring das ſelber. Drauf gieng er wieder fort.

Aber ehe er noch im Barthaus war, unter der Linde beym Schulhaus, trift er Nickel Spitz und Jogli Rubel an. Wohinaus ſo im Sonnabend - Habit, Herr Untervogt! fragte Nickel Spitz

Vogt. Ich muß den Bart herunter haben

Nickel. Das iſt ſonderbar, daß du am Sam - ſtag Morgen ſchon Zeit haſt

Vogt. Es iſt wahr, es iſt nicht ſo das Jahr durch

Nickel. 37

Nickel. Nein. Einmal ſeit langem kamſt du immer Sonntags zwiſchen der Morgenpredigt zum Scheerer.

Vogt. Ja; ein paar mal.

Nickel. Ja ein paar mal, die letzten. Da der Pfarrer dir deinen Hund aus der Kirche jagen ließ, ſeitdem kamſt du ihm nicht viel mehr ins Gehaͤge.

Vogt. Du biſt ein Narr, Nickel, daß du ſo was reden magſt. Man muß eſſen und vergeſ - ſen. Die Hundsjagd iſt mir laͤngſt aus dem Kopf.

Nickel. Ich moͤchte mich nicht drauf verlaſ - ſen, wenn ich Pfarrer waͤre.

Vogt. Du biſt nicht klug, Nickel. Warum das nicht? Aber kommt in die Stube, es gibt wohl etwan einen Weinkauf oder ſonſt kurze Zeit

Nickel. Du wuͤrdeſt dem Scheerer aufwar - ten, wenn er in ſeinem Haus einen Weinkauf trin - ken lieſſe. *)Der Vogt, als Wirth, duldete nicht, daß in ei - nem Hauſe, als in dem ſeinen, bey keinem An - laß Wein aus geſchenkt wuͤrde.

Vogt. Ich bin nicht halb ſo eigennuͤtzig. Man will mir ja das Wirthſchaftsrecht ganz neh - men. Aber, Nickel! wir ſind noch nicht da; der, den ich meyne, hat noch aufs wenigſte ſechs Wo - chen und drey Tage Arbeit, eh er’s bekoͤmmt

C 3Nickel. 38

Nickel. Ich glaub es ſelbſt. Doch iſt’s im - mer nicht die beſte Ordnung fuͤr dich, daß der junge Herr ſeines Großvaters Glauben changirt hat.

Vogt. Ja, er hat einmal nicht voͤllig des Großvaters Glauben.

Nickel. Ich traue faſt, er ſey in keinem Punkt und in keinem Artikel von allen Zwoͤlfen mit dem Alten des gleichen Glaubens.

Vogt. Es kann ſeyn. Aber der Alte war mir in ſeinem Glauben ein anderer Mann.

Nickel. Ich denk’s wohl. Der erſte Arti - kel ſeines Glaubens hieß: Ich glaube an dich, mei - nen Vogt

Vogt. Das iſt luſtig. Aber wie hieß denn der andere?

Nickel. Was weiß ich grad jezt. Ich denk, er hieß: Ich glaub guſſer dir, meinem Vogt, kei - nem Menſchen kein Wort.

Vogt. Du ſollteſt Pfarrer werden, Nickel, du wuͤrdeſt den Catechismus nicht blos erklaͤren; du wuͤrdeſt noch einen aufſetzen.

Nickel. Das wuͤrde man mir wohl nicht zulaſ - ſen. Thaͤt ich’s, ich wuͤrde ihn machen ſo deutſch und ſo klar, daß ihn die Kinder ohne den Pfarrer ver - ſtuͤhnden; und denn wuͤrde er ja natuͤrlich nichts nuͤtze ſeyn.

Vogt. 39

Vogt. Wir wollen beym Alten bleiben, Ni - ckel! Es iſt mir mit dem Catechismus wie mit etwas anderm. Es koͤmmt nie nichts beſſers hin - ten nach.

Nickel. Das iſt ſo ein Spruͤchwort, das manch - mal wahr iſt, und manchmal nicht. Fuͤr dich, ſcheint’s, trift’s dismal ein mit dem neuen Junker

Vogt. Es wird erſt fuͤr andere nachkommen; wenn ihr ordentlich wartet. Und fuͤr mich fuͤrchte ich mich nicht ſo uͤbel vor dieſem neuen Herrn. Es findet jeder ſeinen Meiſter.

Nickel. Das iſt wahr. Doch iſt deine alte Zeit mit dem vorigen Sommer*)Man begrub im vorigen Sommer Arners Groß - vater Sein Vater war viele Jahre vorher in einem Treffen in Preußiſchen Dienſten ge - ſtorben unter dem Bo - den

Vogt. Nickel! Ich habe ſie doch einmal ge - habt; ſuche ſie ein anderer jezt auch.

Nickel. Das iſt wahr, du haſt ſie gehabt, und ſie war recht gut. Aber wie haͤtt’s koͤnnen fehlen; der Schreiber, der Weibel und der Vi - carj waren dir ſchuldig.

Vogt. Man redte mir das nach; aber es war drum nicht wahr.

Nickel. Du magſt jezt auch das ſagen; duC 4haͤt -40hatteſt ja mit ein Paaren oͤffentlich Haͤndel, daß das Geld nicht wieder zuruͤck kommen wollte.

Vogt. Du Narr, du weißſt auch gar noch alles!

Nickel. Noch viel mehr, als das, weiß ich noch. Ich weiß noch, wie du mit des Rudis Vater gedroͤlt und wie ich dich da neben dem Hundſtall unter den Strohwellen auf dem Bauch liegend vor des Rudis Fenſtern antraf. Sein An - wald war eben bey ihm; bis um zwey Uhr am Morgen horchteſt du auf deinem Bauch, was in der Stube geredt wurde. Ich hatte eben die Nacht - wache und eine ganze Woche war mir der Wein frey bey dir, daß ich ſchwiege.

Vogt. Du biſt ein Ketzer; daß du das ſagſt, es iſt kein Wort wahr, und du wuͤrdeſt ſchoͤn ſte - hen, wenn du’s beweiſen muͤßteſt.

Nickel. Vom beweiſen iſt jezt nicht die Rede, aber ob’s wahr ſey, weißſt du wohl.

Vogt. Es iſt gut, daß du’s einſteckſt*)zuruͤcknimmſt

Nickel. Der Teufel gab dir das in Sinn, unter dem Stroh in tiefer Nacht zu horchen; du hoͤrteſt alle Worte, und hatteſt da gut mit dem Schreiber deine eigene Ausſage zu verdrehen.

Vogt. Was du auch redeſt?

Nickel. Was ich auch rede? Haͤtte der Schrei - ber nicht vor der Audienz deine Ausſage veraͤndert,ſo41ſo haͤtte der Rudj ſeine Matte noch, und der Wuͤſt und der Keibacker haͤtten den ſchoͤnen Eyd nicht thun muͤſſen.

Vogt. Ja Du verſteheſt den Handel wie der Schulmeiſter Hebraͤiſch.

Nickel. Wenn ich ihn nicht verſtuͤhnde, ich haͤtte ihn von dir gelernt. Mehr als zwanzigmal lachteſt du mit mir ob deinem gehorſamen Diener dem Herrn Schreiber.

Vogt. Ja! das wohl; aber das, was du ſagſt, that er doch nicht. Sonſt iſt’s wahr: er war ein ſchlauer Teufel. Troͤſt Gott ſeine Seele es wird nun zehn Jahr auf Michaelis, ſeit dem er unter dem Boden iſt.

Nickel. Seit dem er hinabgefahren iſt zur Hoͤllen wollteſt du ſagen.

Vogt. Das iſt nicht recht. Von den Tod - ten unter dem Boden muß man nichts Boͤſes ſa - gen.

Nickel. Du haſt recht ſonſt wuͤrde ich er - zaͤhlen, wie er bey Noͤppis Kindern geſchrieben hat.

Vogt. Er wird dir auf dem Todbett gebeich - tet haben! daß du alles ſo wohl weißſt.

Nickel. Einmal weiß ich’s.

Vogt. Das beſte iſt, daß ich den Handel ge - wonnen habe, wenn du wuͤßteſt, daß ich den Han - del verlohren haͤtte, denn waͤr’s mir leid.

C 5Nickel. 42

Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den Handel gewonnen haſt; aber auch wie!

Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht.

Nickel. Behuͤte Gott alle Menſchen, die arm ſind vor der Feder.

Vogt. Du haſt recht. Es ſollten nur Ehren - leute und wohlhabende Maͤnner ſchreiben duͤrfen, vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß eben mit allem zufrieden ſeyn, wie es iſt.

Nickel. Vogt; dein weiſer Spruch da mah - net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim hoͤrte. Es war einer aus dem Elſaß. Er er - zaͤhlte vor einem ganzen Tiſch Leute: Es habe ein Einſiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt abgemahlt, und er koͤnne das Buch faſt aus - wendig. Da baten wir ihn, er ſolle uns auch ei - ne von dieſen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte er uns eben die, an die du mich mahneſt.

Vogt. Nun was iſt ſie denn, du Plauderer?

Nickel. Sie heißt ich kann ſie zum Gluͤck noch

Es klagte und jammerte das Schaf, daß der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz - ger es ſo ſchrecklich quaͤlten Ein Fuchs, der eben vor dem Stall ſtuhnd, hoͤrte die Klage und ſagte zum Schaf: Man muß immer zufrie - den ſeyn mit der weiſen Ordnung, die in der Welt iſt 43 iſt wenn es anders waͤre ſo wuͤrde es ge - wiß noch ſchlimmer ſeyn.

Das laͤßt ſich hoͤren, antwortete das Schaf, wenn der Stall zu iſt aber wenn er offen waͤ - re ſo wuͤrde es denn doch auch keine Wahr - heit fuͤr mich ſeyn.

Es iſt freylich gut, daß Woͤlfe, Fuͤchſe und Raubthiere da ſeyn aber es iſt auch gut, daß man die Schafſtaͤlle ordentlich zumache und daß die guten ſchwachen Thiere gute Hirten und Schutzhunde haben, gegen die Raubthiere.

Behuͤte mir Gott meine Huͤtte, ſetzte der Pilger hinzu. Es gibt eben allenthalben viel Raubthiere und wenig gute Hirten*)Das geſchahe nicht unter der gegenwaͤrtigen Re - gierung Ludwigs des XVI. Heili - ger Gott! du weiſſeſt, warum es ſo iſt; wir muͤſſen ſchweigen. Seine Cameraden ſetzten hinzu: Ja wir muͤſſen wohl ſchweigen und denn Heilige Mutter Gottes! bitte fuͤr uns jezt und in der Stunde unſers Abſterbens, Amen.

Es ruͤhrete uns alle, wie die Pilger ſo herzlich redeten, und wir konnten einmahl jezt nicht den Narren treiben, wie ſonſt ob ihrem Heilige Mut - ter Gottes bitte fuͤr uns.

Vogt. Ja das H. Mutter Gottes gehoͤrt auch zu einer ſo herzlichen Schafsmeynung, nach wel -cher44cher aber Woͤlfe und Fuͤchſe und alle Thiere von der Art Hunger crepieren muͤßten

Nickel. Es waͤre eben auch kein Schade

Vogt. Weißſt du das ſo gewiß?

Nickel. Nein. Ich bin ein Narr ſie muͤßten nicht Hunger crepieren; ſie wuͤrden noch immer Aaſe und Gewild finden, und das gehoͤrt ihnen, und nicht zahmes Vieh das mit Muͤhe und Koſten erzogen und gehuͤtet werden muß.

Vogt. So lieſſeſt du ſie doch auch nicht ganz Hunger crepieren, das iſt noch viel fuͤr einen Freund der zahmen Thiere. Aber es friert mich; komm in die Stube.

Nickel. Ich kann nicht; ich muß weiters.

Vogt. Nun ſo behuͤt euch Gott, Nachbaren! Auf Wiederſehen (Er geht ab)

Rubel und Nickel ſtehen noch eine Weile, und Rubel ſagt zum Nickel: Du haſt ihm Geſalzenes aufgeſtellt.

Nickel. Ich wollte, es waͤre noch dazu ge - pfeffert geweſen, daß es ihn bis morgen auf der Zunge brennte.

Rubel. Du wuͤrdeſt vor acht Tagen nicht ſo mit ihm geredt haben.

Nickel. Und er wuͤrde vor acht Tagen nicht alſo geantwortet haben

Rubel. Das iſt auch wahr. Er iſt zahm geworden wie mein Hund, als er das erſtemal das Nasband trug.

45

Nickel. Wann die Maas voll iſt, ſo uͤber - laͤuft ſie das war noch immer bey einem jeden wahr, und wird es auch beym Vogt werden

Rubel. Behuͤte Gott einen vor Aemtern; Ich moͤchte nicht Vogt ſeyn mit ſeinen zween Hoͤfen

Nickel. Aber wenn dir jemand einen halben anboͤte und den Vogtsdienſt dazu, was wuͤrdeſt du machen?

Rubel. Du Narr!

Nickel. Du Geſcheider! was wuͤrdeſt du ma - chen? Gelt, du wuͤrdeſt dem, der dir ihn anboͤte, geſchwind einſchlagen, das Tuch mit den zwo Farben um dich wickeln, und denn Vogt ſeyn

Rubel. Meynſt du’s ſo?

Nickel. Ja ich meyn’s ſo

Rubel. Wir ſchwaͤtzen die Zeit weg B’huͤ - te Gott, Nickel

Nickel. B’huͤte Gott, Rubel

§. 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an.

Da der Vogt jezt in die Scheerſtube kam gruͤßte er den Scheerer und die Frau und die Nach - baren ohne Huſten und ehe er ſich ſetzte. Sonſt huſtete und raͤuſperte er ſich aͤllemal vorher, undwarf46warf denn ſein Gott gruͤß euch erſt dar, wenn er ausgeſpien und ſich geſetzt hatte

Die Bauern antworteten mit Laͤcheln, und ſetz - ten ihre Kappen viel ſchneller wieder auf den Kopf, als ſie ſonſt thaten, wenn der Herr Untervogt ſie gegruͤßt hatte. Er aber fieng alſobald das Ge - ſpraͤch an.

Immer gute Loſung, Meiſter Scheerer! ſagt er; und ſo viel Arbeit, daß mich wundert, wie ihr das alles nur ſo mit zwo Haͤnden machen koͤnnt.

Der Scheerer war ſonſt ein ſtiller Mann, der auf ſolche Worte nicht gern antwortete. Aber der Vogt hatte ihn jezt etliche Monate hinter ein - ander und das allemal am Sonntag am Morgen zwiſchen der Predigt mit ſolchen Stichelreden ver - druͤßlich gemacht; und wie’s denn geht, er wollte einmal jezt auch antworten, und ſagte:

Herr Untervogt! Es ſollte euch nicht wun - dern, wie man mit zwo Haͤnden viel arbeiten und doch wenig verdienen koͤnne. Aber wie man mit beyden Haͤnden nichts thun, und darbey viel Geld verdienen koͤnne: das ſollte euch wundern.

Vogt. Ja, das iſt wahr, Scheerer! Du ſollteſt es auch probieren. Die Kunſt iſt Man legt die Haͤnde auf eine Art und Gattung zuſam - men, wie’s recht iſt Denn regnet es Geld zum Dach hinein

Der47

Der Scheerer wagte noch eins und ſagte: Nein, Vogt, man wickelt ſie wohl unter den zweyfarbigten Mantel, und ſagt die drey Worte: Es iſt ſo, bey meinem Eyd es iſt ſo und bey gutem Anlaß ſtreckt man kraͤftig drey Finger hinauf, zween hinab abrakadabra und die Saͤcke ſtrotzen von Geld

Das machte den Vogt toll, und er antwor - tete: Du koͤnnteſt zaubern, Scheerer! Aber das iſt nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤſſen nothwendig auch Zauber - und Henkerskuͤnſte ver - ſtehen.

Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er ſich mit dem Vogt eingelaſſen. Er ſchwieg auch, ließ den andern reden, und ſeifte mausſtill den Mann ein, der ihm ſaß.

Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und ſagte: Der Scheerer iſt ein ausgemachter Herr! er darf unſer einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja Spitzhoſen Stadtſchuhe und am Sonntag Manſchetten. Er hat Haͤnde ſo zart, wie ein Jun - ker und Waden, wie ein Stadtſchreiber.

Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das auch ſchon gehoͤrt und lachten nicht uͤber des Vogts Witz.

Nur der junge Gallj, der eben ſaß, mußte uͤber die Stadtſchreiberwaden lachen; denn er kam ebenaus48aus der Kanzley, wo der Spaß mit den Waden juſt eintraf. Aber der Scheerer, dem er ſich unter dem Meſſer bewegte, ſchnitt ihn in die obere Lippe.

Das machte die Bauern unwillig, daß alle die Koͤpfe ſchuͤttelten.

Und der alte Ulj nahm die Tabakspfeife aus dem Munde, und ſagte;

Vogt! es iſt gar nicht recht, daß du da dem Scheerer Moleſt3 macheſt.

Und da die andern ſahn, daß der alte Ulj ſich nicht ſcheute, und das laut ſagte, murreten ſie auch lauter, und ſagten;

Der Gallj blutet! Ja wir koͤnnen ſo dem Schee - rer nicht anſitzen.

Es iſt mir leid, ſagte der Vogt, ich will den Schaden wieder gut machen.

Bub! hol drey Flaſchen Wein vom guten, der heilt Wunden, ohne daß man ihn warm macht.

Sobald der Vogt vom Wein redte, verlohr ſich das ernſte Murren der Bauern. Einige trauten zwar nicht, daß es Ernſt gelte.

Aber Lenk, der in einer Ecke ſaß, loͤste ihnen das Raͤthſel auf, und ſagte

Des Vogts Wein hat geſtern auf dem Kirch - hof ſo abgeſchlagen.

Der Vogt aber nahm jezt ſeinen Seckel voll Tabak, und legte ihn auf den Tiſch.

Und49

Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger*)Baͤnkelſaͤnger., forderte ihm zuerſt eine Pfeife voll ab.

Er gab ſie. Da ſtuhnden immer mehrere her - bey; und die Stube war bald voll Rauch vom Stinktabak. Der Vogt aber rauchte vom beſ - ſern.

Indeſſen waren der Scheerer und die Nach - baren immer noch ſtill, und machten gar nicht viel Weſens. Das ſchien dem Meiſter Urias nicht gut. Er gieng die Stube hinauf und hinunter, und drehete den Zeigfinger uͤber die Naſe, wie er es immer macht, wenn ihm ſein Krummes nicht grad gehen will.

Es iſt verteufelt kalt in der Stube, ſo in der Kaͤlte richte ich nichts aus, ſagt er zu ſich ſel - ber, geht aus der Stube, gibt der Magd einen Kreuzer, daß ſie ſtaͤrker einheize; und es war bald warm in der Stube

§. 8.D50

§. 8. Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo geht der Wagen.

Indeſſen koͤmmt der geſchwefelte Wein. Glaͤſer, Glaͤſer her, Meiſter Scheerer; ruft der Vogt. Und Frau und Junge bringen bald Glaͤſer’s genug.

Die Nachbaren naͤhern ſich ſaͤmtlich den Wein - kruͤgen, und der Vogt ſchenkt ihnen ein.

Jezt ſind der alte Ulj und alle Nachbaren wie - der zufrieden.

Und des jungen Gallis Wunde iſt ja nicht der Rede werth. Waͤre der Narr nur ſtill geſeſſen, ſo wuͤrde ihn der Scheerer nicht geſchnitten haben.

Nach und nach geht jezt einem jeden das Maul auf, und lautes Saufgewuͤhl erhebt ſich.

Alles lobt wieder den Vogt, und der Maͤurer Lienhard iſt jezt am vordern Tiſch ein Schlingel, und am hindern ein Bettler.

Da erzaͤhlt der eine, wie er ſich alle Tage voll foff, und jezt den Heiligen mache, und der an - dere, wie er wohl merke, warum die ſchoͤne Ger - trud, und nicht der Maͤurer, zum jungen Herrn ins Schloß gegangen ſey; und wieder ein anderer, wie ihm dieſe Nacht von der Naſe getraͤumt habe,die51die der Vogt dem Maͤurer nach Verdienen bald drehen werde.

Wie ein garſtiger Vogel den Schnabel in Sumpf ſteckt, und ſich von faͤulendem Koth naͤhrt, ſo labete Hummel bey dem Gerede der Nachba - ren ſein arges Herz.

Doch miſchet er ſich ſehr bedachtſam und ernſt - haft in das verworrene Gewuͤhl dieſer Saͤufer und Schwaͤtzer.

Nachbar Richter! ſagt er und reicht ihm das Glas dar, das er annimmt: Ihr waret ja ſelber bey der letzten Rechnung, und noch ein beeydig - ter Mann. Ihr wiſſet, daß mir damals der Maͤu - rer dreyßig Gulden ſchuldig geblieben iſt. Nun iſt’s ſchon ein halbes Jahr; und er hat mir noch keinen Heller bezahlt. Ich habe auch ihm das Geld nicht einmal gefordert, und ihm kein boͤſes Wort gegeben, und doch kann es leicht kom - men, ich verliere die Schuld bis auf den letzten Heller.

Das verſteht ſich, ſchwuren die Bauern. Du wirſt keinen! Heller mehr von deinem Geld ſehen, und ſchenkten ſich ein.

Der Vogt aber nahm aus ſeinem Sackkalen - der die Handſchrift des Maͤurers, legte ſie auf den Tiſch, und ſagte; Da koͤnnet ihr ſehen, ob’s wahr iſt.

D 2Die52

Die Bauern beguckten die Handſchrift, als ob ſie leſen koͤnnten, und ſprachen: Das iſt ein Schur - ke, der Maͤurer.

Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger, der bis jezt viel und ſtillſchweigend herunter geſchluckt hatte, wiſcht mit dem Rockermel das Maul ab, ſteht auf, hebt ſein Glas in die Hoͤhe, und ruft:

Es lebe der Herr Untervogt! und alle Calfack - ter muͤſſen verrecken, ſo ruft er, trinkt aus, hebt das Glas wieder dem dar, der einſchenkt, trinkt wieder aus, und ſingt:

Der, der dem andern Gruben graͤbt,
Der, der dem andern Stricke legt,
Und waͤr er wie der Teufel fein;
Und waͤr er noch ſo hoch am Brett,
Er faͤllt, wie man zu ſagen pflegt
Am Ende ſelbſt in Dr.. hinein
In Dr.. hinein
Juhe,
Maͤurer!
Juhe
§. 9.53

§. 9. Von den Rechten im Land.

Nicht ſo laͤrmend, Chriſten! ſagte der Vogt; das nuͤtzt nichts. Es waͤre mir leid, wenn dem Maͤurer ein Ungluͤck begegnete. Ich verzeihe es ihm gerne. Er hat’s aus Armuth gethan. Aber das iſt ſchlimm, daß keine Rechte mehr im Land ſicher ſind.

Die Nachbaren horchten ſteif, als er von den Rechten im Land redte. Etliche ſtellten ſo gar die Glaͤſer beyſeits, da ſie vom Rechten im Land hoͤ - reten, und horchten.

Ich bin ein alter Mann, Nachbaren! und mir kann nicht viel dran liegen. Ich habe keine Kin - der, und mit mir iſt’s ans. Aber ihr habt Jungens Nachbaren! Euch muß an euern Rech - ten viel gelegen ſeyn.

Ja. Unſere Rechte! riefen die Bauern. Ihr ſeyd unſer Vogt. Vergebt kein Haar von unſern Rechten.

Vogt. Ja, Nachbaren! Es iſt mit dem Wirthsrecht eine Gemeindſache, und ein theures Recht um das Wirthsrecht; wir muͤſſen uns weh - ren.

D 3Etliche54

Etliche wenige Bauern ſchuͤttelten die Koͤpfe, und ſagten einander leiſe ins Ohr.

Er hat der Gemeind nie nichts nachgefragt. Jezt will er die Gemeind in den Koth hinein zie - hen, in dem er ſteckt.

Aber die mehrern laͤrmten immer ſtaͤrker, ſtuͤrm - ten und ſchwuren und fluchten, daß ihnen grad uͤber - morgen Gemeind ſeyn muͤſſe.

Die Verſtaͤndigern ſchwiegen, und ſagten nur ganz ſtill unter einander. Wir wollen denn ſehen, wenn ihnen der Wein aus dem Kopf ſeyn wird.

Indeſſen trank der Vogt bedaͤchtlich immer von ſeinem geſottenen Waſſer, und fuhr fort, die er - hitzten Nachbaren wegen ihren Landesrechten in Sorgen zu ſetzen.

Ihr wißt alle, ſagt er zu ihnen, wie unſer Altvater Ruͤpplj vor zweyhundert Jahren mit dem grauſamen Ahnherrn dieſes Junkers zu kaͤmpfen hatte

Dieſer alte Ruͤpplj*)Ruͤpplj war ein ehrwuͤrdiger Altvater von Bon - nal, und hatte gegen einen alten Erbherrn von Arnheim ſich der Gemeind treulich angenom - men, und Haab und Gut dran geſetzt, daß das Dorf nicht einen Tag mehr Frohndienſte tragen muͤſſe. Aber das Spruͤchwort, dasihm (mein Grosvater hat es mir tauſendmal erzaͤhlt) hatte zu ſeinem liebſtenSpruͤch -55Spruͤchwort Wenn die Junker den Bettlern im Dorf hoͤfelen, (gute Worte geben) ſo helf Gott den Bauern. Sie thun das nur, damit ſie die Bauern entzweyen, und denn allein Meiſter ſeyn. Nach - baren! wir muͤſſen immer nur die Narren im Spiel ſeyn.

Bauern. Nichts iſt gewiſſer. Wir muͤſſen immer nur die Narren im Spiel ſeyn.

Vogt. Ja, Nac[hb]aren! Wenn eure Gerichts - maͤnner nichts mehr zu bedeuten haben, dann ha - bet ihrs gerade wie die Soldaten, denen der Hin - derhut abgeſchnitten iſt. Der neue Junker iſt fein und liſtig wie der Teufel. Es ſaͤhe ihm’s kein Menſch an, und gewiß giebt er ohne gute Gruͤn - de keinem Menſchen kein gutes Wort. Wenn ihr nur das Halbe wuͤßtet, was ich, ich wuͤrde denn nicht noͤthig haben zu reden. Aber ihr ſeyd doch auch nicht Stocknarren. Ihr werdet wohl etwas merken, und auf eurer Hut ſeyn.

Aebj, mit dem es der Vogt abgeredt, und dem er ein Zeichen gegeben hatte, antwortete ihm:

Meynſt du, Vogt! wir merken den Griff nicht. Er will das Wirthsrecht ins Schloß ziehen.

Vogt. Merkt ihr etwas.

D 4Bauern.
*)ihm Hummel da in den Mund legt, von dem weiß kein Menſch mit Wahrheit, daß es Ruͤp - plj in ſeinem Leben ein einziges mal geſagt haͤtte.
*)56

Bauern. Ja, bey Gott. Aber wir leiden es nicht. Unſere Kinder ſollen ein Wirthshaus ha - ben, das frey iſt, wie wir’s jezt haben.

Aebj. Er koͤnnt uns im Schloß die Maas Wein fuͤr einen Ducaten verkaufen. Und wir wuͤr - den Schelmen an unſern Kindern ſeyn.

Vogt. Das iſt auch zu viel geredt, Aebj[!]Auf einen Ducaten kann er die Maas Wein doch nicht bringen.

Aebj. Ja, ja. Schmied und Wagner ſchlagen auf, daß es ein Grauſen iſt, und ſelber das Holz iſt zehnmal theurer als vor fuͤnfzig Jah - ren. Was kannſt du ſagen, Vogt, ſo wie al - les im Zwang iſt, muß alles ſo ſteigen. Was kannſt du ſagen, wie hoch die Maas Wein noch kommen koͤnnte, wenn das Schloß allein ausſchen - ken duͤrfte. Er iſt jezt ſchon teufelstheuer wegen dem Umgeld.

Vogt. Es iſt ſo; es iſt in allem immer mehr Zwang und Hinderniß, und das vertheuert alles.

Ja, ja, wenn wir’s leiden, ſagten die Bauern - laͤrmten, ſoffen und drohten. Das Geſpraͤch wurd endlich wildes Gewuͤhl eines tobenden Geſindels, das ich nicht weiter beſchreiben kann.

§. 10.57

§. 10. Des Scheerers Hund ſauft Waſſer zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Un - tervogt ein Spiel, das recht gut ſtand.

Die meiſten waren ſchon tuͤchtig beſoffen. Chri - ſten, der Staͤndliſaͤnger, der neben dem Vogt ſaß, am ſtaͤrkſten. Dieſer ſchrie einsmals: Laßt mich hervor. Der Vogt und die Nachbaren ſtuhnden auf, und machten ihm Platz. Aber er ſchwankte uͤber den Tiſch, und ſtieß des Vogts Waſſerkrug um. Erſchrocken wiſcht dieſer, ſo geſchwind er kann, das verſchuͤttete Waſſer vom Tiſch ab, damit Nie - mand das Verſchuͤttete auffaſſe, und den Betrug merke. Aber des Scheerers Hund, der unter dem Tiſche war, war durſtig, lappete das ver - ſchuͤttete Waſſer vom Boden, und ungluͤcklicher Weiſe ſah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach dem guten Wein unter dem Tiſche hinab guckte, daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun - der und Zeichen, Vogt! ſeit wenn ſaufen die Hunde Wein?

Du Narr! ſeit langem, antwortet der Vogt, und winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, undD 5ſtoßt58ſtoßt ihn mit den Fuͤſſen unter dem Tiſch, daß er doch ſchweige. Auch dem Hund giebt er einen Stoß, daß er anderswo hingehe. Aber der verſtuhnd den Befehl nicht, denn er gehoͤrte dem Scheerer; er gab Laut, murrete, und leckte denn ferner das ver - ſchuͤttete Waſſer vom Boden. Der Herr Unter - vogt aber erblaßte uͤber dieſem Saufen des Hunds; denn es guckten immer mehrere Nachbaren unter den Tiſch. Man ſtieß bald in allen Ecken die Koͤpfe zuſammen, und zeigte auf den Hund. Des Schee - rers Frau nahm jezt ſogar die Scherben des ver - brochenen Kruges vom Boden auf und an die Naſe; und da ſie nach Waſſer rochen, ſchuͤttelte ſie maͤch - tig den Kopf, und ſagte laut:

Das iſt nicht ſchoͤn!

Nach und nach murmelten die Bauern an al - len Ecken: Darhinter ſteckt was.

Und der Scheerer ſagte dem Vogt unter die Naſe: Vogt! dem ſchoͤner Wein iſt geſottenes Waſſer.

Iſt das wahr? riefen die Bauern. Was Teu - fels iſt das, Vogt! warum ſaufeſt du Waſſer?

Betroffen antwortete der Vogt: Es iſt mir nicht recht wohl; Ich muß mir ſchonen.

Aber die Bauern glaubten die Antwort nicht und links und rechts murmelte je laͤnger je mehr alles; Es geht hier nicht recht zu.

Ueber59

Ueber das klagten jezt noch einige, es ſchwindle ihnen von dem Weine, den ſie getrunken haͤtten, und dis ſollte von ſo wenigem nicht ſeyn.

Die zween Vornehmſten aber, die da waren ſtuhnden auf, gaben dem Scheerer den Lohn, ſpra - chen: Behuͤte Gott, Nachbaren, und giengen gegen der Stubenthuͤre.

So einsmals, ihr Herren, warum ſo eins - mals aus der Geſellſchaft, rief ihnen der Vogt.

Wir haben ſonſt zu thun, antworteten die Maͤn - ner und giengen fort.

Der Scheerer begleitete ſie auſſer der Stube, und ſagte zu ihnen; Ich wollte lieber, der Vogt waͤre gegangen. Das iſt kein Stuͤcklein, bey dem er’s gut meynt, weder mit dem Wein noch mit dem Waſſer.

Wir glauben’s auch nicht; ſonſt wuͤrden wir noch da ſitzen, antworteten die Maͤnner.

Scheerer. Und dieſes Saufgewuͤhl kann ich nicht leiden

Die Maͤnner. Du haſt auch keine Urſache und du koͤnnteſt noch in Ungelegenheit kommen. Wenn ich dich waͤre, ſetzte der Aeltere hinzu, ich braͤche ſelber ab.

Ich darf nicht wohl, antwortete der Scheerer.

Es iſt nicht mehr die alte Zeit, und du biſt doch in deiner Stube etwann noch Meiſter, ſag - ten die Maͤnner.

Ich60

Ich will euch folgen, ſagte der Scheerer, und gieng wieder in die Stube.

Wo fehlt’s dieſen Herren, Scheerer? daß ſie ſo einsmals aufbrechen? fragte der Vogt.

Und der Scheerer antwortete. Es iſt mir eben wie ihnen; ſo ein Gewuͤhl iſt nicht artig, und mein Haus iſt gar nicht dafuͤr.

Vogt. A ha iſt das die Meynung.

Scheerer. Ja wahrlich, Herr Untervogt! ich habe gern eine ruhige Stube.

Dieſer Streit aber gefiel den Ehrengaͤſten ni〈…〉〈…〉 wohl.

Wir wollen ſtiller ſeyn, ſagte der Eine.

Wir wollen recht thun, ſagte der Andere.

Immer gut Freund ſeyn iſt Meiſter, ein Drit - ter.

Vogt! noch einen Krug ſagte Chriſten

Ha, Nachbaren! ich habe auch eine Stube; wir koͤnnen den Herrn Scheerer gar wohl in Ruhe laſſen, ſagte der Vogt.

Das wird mir lieb ſeyn, antwortete der Schee - rer.

Aber die Gemeindſache iſt vergeſſen, und das theure Wirthsrecht, Nachbaren! ſagte noch durſtig Aebj der aͤltere.

Mir nach, wer nicht falſch iſt, rief drohend der Vogt, murrete Donner und Wetter, blickte wild umher, ſagte zu Niemand, behuͤte Gott, undſchlug61ſchlug die Thuͤr hinder ſich zu, daß die Stube zitterte

Das iſt unverſchaͤmt, ſagte der Scheerer.

Ja es iſt unverſchaͤmt, ſagten viele Bauern.

Das iſt nicht richtig, ſagte der juͤngere Meyer, ich einmal gehe nicht ins Vogts Haus

Ich auch nicht, antwortete Lauͤpj

Nein, der Teufel, ich auch nicht, ich denke an geſtern Morgen, ſagte der Renold. Ich ſtuhnd zunaͤchſt bey ihm und bey Arner, und ich ſah wohl, wie es gemeynt war.

Die Nachbaren ſahn ſich einer den andern an, was ſie thun wollten; aber die meiſten ſetzten ſich wieder und blieben.

Nur Aebj und Chriſten und noch ein paar Lum - pen nahmen des Vogts leere Flaſchen ab dem Ti - ſche unter den Arm, und giengen ihm nach.

Dieſer aber ſah jezt aus ſeinem Fenſter nach der Gaſſe, die ins Scheerers Haus fuͤhrte, und als ihm lange Niemand nachkam: wurd er uͤber ſich ſelber zornig.

Daß ich ein Ochs bin, ein lahmer Ochs. Es iſt bald Mittag, und ich habe nichts ausgerichtet. Der Wein iſt geſoffen, und jezt lachen ſie mich noch aus. Ich habe mit ihnen gepaperlet wie ein Kind, das noch ſaͤugt, und mich herabgelaſ - ſen wie einer ihres gleichen. Ja wenn ich’s mit dieſen Hundskerls im Ernſt gut meynte; wenndas,62das, was der Gemeinde nutzlich iſt, auch mir lieb und recht waͤre, oder wenn ich mich zuletzt, nur aͤuſſerlich mehr geſtellt haͤtte, als ob ich’s gut mit ihr meyne; denn waͤre es angegangen. So eine Gemeinde tanzt im Augenblick nach eines Geſchei - den Pfeife, wenn ſie denkt, daß man es gut meyne. Aber die Zeiten waren gar zu gut fuͤr mich. Unter dem Alten fragte ich der Gemeind oder einem Geißbock ungefehr gleich viel nach. So lang ich Vogt bin, war’s meine Luſt und meine Freude ſie immer nur zu narren, zu beſchimpfen und zu meiſtern, und eigentlich hab ich gut im Sinn es noch ferner zu thun. Aber darum muß und ſoll ich ſie auch tuͤchtig drey Schritt vom Leib halten; das Haͤndedruͤcken, das Herablaſſen, das mit jedermann Rath halten und freundlich thun, wie ein aller Leute Schwager, geht nicht mehr an, wenn man einen zu wohl kennt. Unſer einer muß ſtill und allein fuͤr ſich handeln, nur die Leute brauchen, die er kennt, und die Gemeind, Gemeind ſeyn laſſen. Ein Hirt berathet ſich nicht mit den Ochſen; und doch war ich heut Narrs genug und wollte es thun.

Indeſſen kamen die Maͤnner mit den leeren Flaſchen.

Seyd ihr allein wollten die Hunde nicht mit? fragte der Vogt

Nein, kein Menſch, antwortete Aebj.

Und63

Und der Vogt; Daran liegt viel.

Chriſten. Ja, recht viel, ich denk’s auch.

Vogt. Doch moͤcht ich gern wiſſen, was ſie jezt mit einander ſchwaͤtzen und rathen. Chriſten geh und ſuche noch mehr Flaſchen.

Chriſten. Es ſind keine mehr da.

Vogt. Du Narr, das iſt gleich viel. Geh nur und ſuche. Wenn du nichts find’ſt, ſo laß dich ſcheeren oder laß zu Ader, und wart und horch auf alles, was ſie erzaͤhlen: Ueberbringſt du mir vieles, ſo ſauf ich mit dir bis an den Mor - gen.

Und du Loͤlj, du muſt zu des Maͤurers aͤltern Geſellen dem Joſeph gehn; aber ſieh daß dich Niemand merke. Du muſt ihm ſagen, daß er zu mir komme in der Mittagsſtunde.

Noch ein Glas Wein auf den Weg. Mich duͤrſtet ſagt Loͤlj ich will dann laufen wie ein Jagdhund, und im Blitz wieder da ſeyn.

Gut, ſagte der Vogt, und gab ihnen noch ei - nen auf den Weg.

Da giengen dieſe, und die Voͤgtin ſtellte den zween andern auch Wein dar zum trinken.

§. 11.64

§. 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte.

Der Vogt aber gieng ſtaunend in ſeine Neben - ſtube, und rathſchlagte mit ſich ſelber, wenn Jo - ſeph kommen werde, wie er’s anſtellen wolle. Falſch iſt er, darauf kann ich zaͤhlen; und ſchlau wie der Teufel. Es ſtehn viel Thaler, die er verſoffen, auf ſeines Meiſters Rechnung aber mein Begehren iſt rund. Er wird ſich fuͤrchten, und mir nicht trauen. Es laͤutet ſchon Mittag. Ich will ihm bis zehn Thaler bieten innert drey Wochen faͤllt der ganze Beſtich*)das aͤuſſere Pflaſter der Mauer. vom Thurn herunter, wenn er thut was ich will. Zehn Thaler ſollen mich nicht reuen, ſagt der Vogt und da er ſo mit ſich ſelber redt, kommt Loͤlj und hinder ihm Joſeph ſie kamen nicht mit einander, damit man deſto weniger Ver - dacht ſchoͤpfe.

Gott gruͤß dich, Joſeph; weiß dein Meiſter nicht, daß du hier biſt?

Der Joſeph antwortete: Er iſt noch im Schloß, aber er wird auf den Mittag wieder kommen, wenn ich nur um ein Uhr wieder auf der Arbeit ſeyn werde, ſo wird er nichts merken.

Gut65

Gut Ich habe mit dir zu reden, Joſeph! Wir muͤſſen allein ſeyn, ſagte der Vogt, fuͤhrte ihn in die hintere Stube, ſchloß die Thuͤre zu, und ſtieß den einen Riegel.

Es ſtuhnden Schweinenfleiſch, Wuͤrſte, Wein und Brod auf dem Tiſche. Der Vogt nahm zween Stuͤhle, ſtellte ſie zum Tiſch, und ſagte zu Jo - ſeph;

Du verſaͤumeſt dein Mittageſſen, halt’s mit und ſetze dich.

Das laͤßt ſich thun, antwortete Joſeph, ſetzte ſich hin, und fragte den Vogt: Herr Vogt! ſag er, was will er, ich bin zu ſeinen Dienſten

Der Vogt antwortete: Auf dein gut Wohlſeyn, Joſeph! trink eins; und denn wiederum; verſuch dieſe Wuͤrſte, ſie ſollen gut ſeyn. Warum greifſt du nicht zu? Du haſt ja ſonſt theure Zeit genug bey deinem Meiſter.

Joſeph. Das wohl Aber es wird doch jezt beſſer kommen; wenn er Schloßarbeit kriegt.

Vogt. Du biſt ein Narr, Joſeph! Du ſoll - teſt dir wohl einbilden, wie lange das gehn moͤchte. Ich wollt’s ihm gerne goͤnnen; aber er iſt nicht der Mann zu ſo etwas. Er hat auch noch nie ein Hauptgebaͤude gehabt; aber er verlaͤßt ſich auf dich, Joſeph.

Joſeph. Das kann ſeyn Es iſt ſo was.

EVogt. 66

Vogt. Ich hab es mir wohl eingebildet, und darum mit dir reden wollen. Du koͤnnteſt mir ei - nen groſſen Gefallen thun.

Joſeph. Ich bin zur Aufwart, Herr Unter - vogt! Auf ſein gut Wohlſeyn. (Er trinkt.)

Es ſoll dir gelten, Maͤurer! ſagt der Vogt, und legt ihm wieder Wuͤrſte vor, und faͤhrt fort: Es waͤre mir lieb, daß das Fundament der Kirch - mauer von gehauenen Steinen aus dem Schwendi - bruch geſetzt wuͤrde.

Joſeph. Potz Blitz, Herr Vogt! das geht nicht an; er verſteht das jezunder nicht. Dieſer Stein iſt hierzu nicht gut, und zum Fundament taugt er gar nicht.

Vogt. O der Stein iſt nicht ſo ſchlimm; ich habe ihn ſchon gar zu viel brauchen geſehn. Er iſt, bey Gott! gut, Joſeph! Und mir geſchaͤhe ein groſſer Gefallen, wenn dieſe Steingrube wieder eroͤffnet wuͤrde.

Joſeph. Vogt! es geht nicht an.

Vogt. Ich will dankbar ſeyn fuͤr den Dienſt, Joſeph!

Joſeph. Die Mauer iſt innert ſechs Jahren faul, wenn ſie aus dieſem Stein gemacht wird.

Vogt. Ach, ich mag von dieſem nichts hoͤ - ren; das ſind Narretheyen.

Joſeph. Bey Gott, es iſt wahr. Es ſind am Fundament zwo Miſtſtaͤtte und ein ewiger Ab -lauf67lauf von Staͤllen. Der Stein wird abfaulen wie ein tannenes Bret.

Vogt. Und denn zuletzt, was fragſt du dar - nach, ob die Mauer in zehn Jahren noch gut iſt. Du wirſt fuͤrchten, der Schloßherr vermoͤge als - dann keine neue mehr. Thuſt du, was ich ſage, ſo haſt du ein groſſes, recht groſſes Trinkgeld zu er - warten.

Joſeph. Das iſt wohl gut; aber wenn der Junker es ſelber merkte, daß der Stein nichts nuͤtze iſt?

Vogt. Wie ſollte er das verſtehn? davon iſt keine Rede.

Joſeph. Er weiß in gewiſſen Sachen viel mehr, als man glauben ſollte; du kennſt ihn aber beſſer als ich.

Vogt. Ach! das verſteht er nicht.

Joſeph. Ich glaub’s zuletzt ſelbſt nicht. Der Stein iſt dem Anſehen nach ſehr ſchoͤn, und zu an - derer Arbeit vortrefflich gut.

Vogt. Gieb mir deine Hand darauf, daß der Meiſter die Steine aus dieſem Bruche nehmen muß. Thut er’s, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler Trink - geld.

Joſeph. Das iſt viel, wenn ich’s nur ſchon haͤtte.

Vogt. Es iſt mir, bey Gott! Ernſt. Ich zahle dir fuͤnf Thaler, wenn er’s thut.

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Joſeph. Nun, da hat er mein Wort, Herr Vogt. (Er ſtreckt ihm die Hand dar, und ver - ſpricht ihm’s in die Hand) Es ſoll ſo ſeyn, Herr Vogt! Wie geredt; was ſcheer ich mich um den Herrn im Schloß.

Vogt. Noch ein Wort, Joſeph. Ich habe ein Saͤckchen voll Zeugs von einem Herrn aus der Apothek. Es ſoll gut ſeyn, daß der Beſtich an den Mauern halte, wie Eyſen, wenn man’s un - ter den Kalch miſcht. Aber wie es iſt mit dieſen Spitzhoͤslerkuͤnſten*)Spitzhoͤsler ſagen die Schweizerbauern den Her - ren, weil ſie nicht groſſe weite Hoſen tragen wie ſie. . Man darf ihnen eben nicht ganz trauen. Ich moͤchte es lieber an einem frem - den Bau als an meinem eigenen verſuchen.

Joſeph. Das kann ich ſchon. Ich will’s an eines Nachbaren Ecken probieren.

Vogt. Das an einem Ecken probieren, ſo im Kleinen, iſt nie nichts nutze. Man irret ſich dabey, wenn’s geraͤth, und wenn’s fehlt. Man darf nie trauen, und iſt nie ſicher, wie’s denn im Groſſen koͤmmt. Ich moͤchte es am ganzen Kirchthurn pro - bieren, Joſeph! iſt das nicht moͤglich?

Joſeph. Braucht’s viel ſolcher Waar unter den Kalch?

Vogt. Ich glaub auf ein Faͤßlein nur ein Paar Pfunde.

Joſeph. 69

Joſeph. Dann iſt’s gar leicht.

Vogt. Willſt du mir’s thun?

Joſeph. Ja freylich.

Vogt. Und ſchweigen, wenn’s fehlt?

Joſeph. Es kann nicht uͤbel fehlen, und na - tuͤrlich ſchweigt man.

Vogt. Du holeſt die Waar allemal bey mir ab, wenn du ſie brauchſt, und ein Glas Wein dazu.

Joſeph. Ich werde nicht ermangeln, Herr Untervogt! Aber ich muß fort. Es hat Ein Uhr geſchlagen. (Er nimmt das Glas) Zur ſchuldigen Dankbarkeit, Herr Untervogt!

Vogt. Du haſt nichts zu danken. Wenn du Wort halteſt, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler.

Es ſoll nicht fehlen, Herr Untervogt! ſagt Jo - ſeph, ſteht auf, ſtellt ſeinen Stuhl in einen Ecken, und ſagt dann: Es muß ſeyn, Herr Untervogt! ſchuldigen Dank; und trinkt jezt das letzte.

Vogt. Nun, wenn es ſeyn muß, ſo behuͤt Gott, Joſeph! Es bleibt bey der Abrede.

Da gieng Joſeph, und ſagte im Gehen zu ſich ſelber: Das iſt ein ſonderbares Begehren mit den Steinen, und noch ſonderbarer mit der Waar in Kalch. Man probiert ſo etwas nicht am ganzen Kirchthurn. Aber einmal das Trinkgeld ſoll mir jezt nicht entwiſchen. Das meyn ich, ſey richtig, ich mag’s denn thun oder nicht.

E 3Das70

Das iſt gut gegangen, recht gut, ſagte der Vogt zu ſich ſelber; beſſer als ich geglaubt habe, und noch um den halben Preis. Ich haͤtte ihm zehn Thaler verſprochen wie fuͤnfe, wenn er den Handel verſtanden haͤtte. Wie’s mich freut, daß der Handel in Ordnung iſt! Nein, nein! man muß den Muth nie fallen laſſen. Waͤr nur auch die Mauer ſchon auſſer dem Boden! Geduld! Am Montag brechen ſie ſchon Steine dazu. O du guter Maurer! Deine Frau hat dir ein boͤſes Freſ - ſen gekochet, und du meynſt, du ſitzeſt oben auf dem Thron.

§. 12. Haushaltungsfreuden.

Der Maͤurer Lienhard, der am Morgen fruͤh ins Schloß gegangen war, war nun auch wieder zu - ruͤck und bey ſeiner Frau.

Dieſe hatte geeilt, ihre Samſtagsarbeit zu vollen - den, ehe ihr Mann wieder zuruͤck kaͤme. Sie hatte die Kinder gekaͤmmt, ihnen die Haare geflochten, ihre Kleider durchgeſehn, die kleine Stube gereiniget, und waͤhrend der Arbeit ihre Lieben ein Lied ge - lehrt

Das
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Das muͤßt ihr dem lieben Vater ſingen, wenn er heimkommen wird, ſagte ſie den Kindern, und die Kinder lernten gern, was den Vater freuen wuͤrde, wenn er heim kaͤme.

Mitten in ihrer Arbeit, ohne Muͤh, ohne Ver - ſaͤumniß, ohne Buch ſangen ſie es der Mutter nach, bis ſie es konnten.

Und da der Vater jezt heim kam, gruͤßte ihn die Mutter, und ſang dann, und alle Kinder ſan - gen mit ihr.

Der du von dem Himmel biſt,
Kummer, Leid und Schmerzen ſtilleſt;
Den, der doppelt elend iſt,
Doppelt mit Erquickung fuͤlleſt.
Ach! ich bin des Umtriebs muͤde,
*)Muͤde vom Unruhe und Begierden, von Hoff - nung und Sorgen, immer ohne feſte innere Zu - friedenheit umher getrieben zu werden.
*)
Bangen Schmerzens, wilder Luſt?
Suͤſſer Friede!
Komm, ach komm in meine Bruſt.

Eine Thraͤne ſchoß Lienhard ins Auge, da die Mutter und die Kinder alle ſo heiter und ruhig ihm entgegen ſangen.

Daß euch Gott ſegne, ihr Lieben! daß dich Gott ſegne, du Liebe! ſagte er mit inniger Bewe - gung zu ihnen.

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Lieber! antwortete Gertrud; Die Erde iſt