PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lienhard und Gertrud.
Ein Buch fuͤr's Volk.
Zweyter Theil.
[figure]
1783.Frankfurt und Leipzig.

Dem Schatten Jſelins.

Ob Du wohl meine Zuſchrift an Dich beym erſten Theil dieſes Buchs unterdruͤkt, ſo weihe ich den - noch Deinem Angedenken die - ſen zweyten, und ſage izt mit Thraͤ - nen, was ich damals mit Freuden ſagte, daß ich Dich ſchaͤzte, ehrte und liebte, wie ich wenig Menſchen auf Erden ſchaͤze, liebe und ehre.

X 2Vor -

Vorrede.

Hier iſt der zweyte Theil eines Buchs, das ich mit dem erſten beendiget glaub - te.

Aber ſo, wie ich izt ſein Jdeal trau - me, moͤgen noch zwey ſolche Baͤndchen folgen. Jch verſpreche ſie aber nicht, und koͤnnte ſie nicht verſprechen.

Jch muß vielmehr ſelbſt warten, ob und wie die Erfahrungen reif werden wol - len, die mich in Stand ſezen koͤnnen, mit Muth und Zutrauen auf mich ſelber, in dieſem Werk fortzuſchreiten.

Der Verfaſſer.

X 3Lien -

Lienhard und Gertrud. Zweyter Theil.

X 4Jnn -

Jnnhalt.

§. Blatt.

  • 1 Der Vogt ſpaziert wieder zum Mark - ſtein. 1
  • 2 Der Pfarrer miſchet ſich ins Spiel. 3
  • 3 Adam und Eva. 6
  • 4 Der Pfarrer ſtellt Leute zur Kirche hinaus. 9
  • 5 Aus ſeiner Predigt. 11
  • 6 Wenn ſo ein Pfarrer in die Gefaͤngniſſe und Zuchthaͤuſer eines Reichs Einfluß haͤt - te, er wuͤrde die Gundſaͤze, mit den Ge - fangnen umzugehen, in ein Licht ſezen, das himmelrein leuchtete[. ]14
  • 7 Menſchlichkeit u. Gerechtigkeit bey einander. 16
  • 8 Baurengeſpraͤch, u. Baurenempfindung. 19
  • 9 Hausordnung, u. Hausunordnung. 22
  • 10 Das Herz leicht machen, iſt das rechte Mit - tel, dem Menſchen das Maul aufzuthun. 34
  • 11 Seltſam̃e Wirkungen des boͤſen Gewiſſens. 38
  • 12 Die Ungleichheit dieſer Wirkungen des boͤ - ſen Gewiſſens bey Geſchaͤftserfahrnen Leu - ten. 40
  • 13 Ein Bauren-Rath. 43
  • 14 Bauren-Wahl45
  • 15 Des Kalberleders Verſuch, den Sachen zu helffen, und ſein uͤbler Ausſchlag. 47
  • 16 Die Dorfmeiſter ſuchen in ihrer Angſt beym Teufel u[.] ſeiner Großmutter Hilfe. 55
X 5Jnn -Jnnhalt.

§. Blatt.

  • 17 Die Fahne dreht ſich. 63
  • 18 Wie lang werden die Weiber noch denken und ſagen: Mein Mann heißt Nabal, und Narrheit iſt in ihm. 67
  • 19 Zu gut iſt dumm. 73
  • 20 Der Huͤnertraͤger findt keine Guͤggel und Dauben feil. 76
  • 21 Art und Weiſe, die Obrigkeit zu berichten, und dahin zu lenken, wohin man ſie gern fuͤhrt. 79
  • 22 Erziehungs - und Haushaltungs-Grundſaͤze. 83
  • 23 Ein Stuͤk aus einer Leichenpredigt. 86
  • 24 Ein Frauenbild, aber nicht zu allgemeinem Gebrauch. 87
  • 25 Die Arbeit Arners. 88 Der Lohn ſeiner Arbeit. 90
  • 26 Leid und Freud in einer Stund. 92
  • 27 Ein Geſpraͤch voll Guͤte auf der einen - und voll Angſt auf der andern Seite. 94
  • 28 Die Himmelstropfen. 103
  • 29 Ein Geſpraͤch von zween Menſchen, die in zehn Tagen vieles gelernt, ſo ſie vor - her nicht konnten, und vieles erfahren, ſo ſie vorher nicht wußten. 105
  • 30 Hunds-Treu, die eine Menſchenempfin - dung veranlaßt. 116
  • 31 Lips Huͤni, ein Waͤchter. 118
  • 32 Es iſt wohl ſo, wie ſie ſagen: Aber wo die Hirten ſich ſchlagen, da werden die Schaafe gefreſſen. 120
  • 33 Jn welch hohem Grad ein Verbrecher Menſch bleiben, und ſeine geiſtliche und weltliche Herrſchaft intereßieren kan. 121
  • 34 Weil er Vater von allen, ſo haͤlt er zuerſtund[J]nnhalt.§. Blatt. u. am ſtaͤrk[ſt]en ſeinen aͤlteſten Buben im Zaum. 127
  • 35 Der neue Vogt neben ſeinen Bauren133
  • 36 Er wiede[r]neben des Waibels Toͤchterli135
  • 37 Er wied[er]ins Kienholzen Stuben, und auf[der]Gaß beym Waibel, der auf dem Roß ſizt. 137
  • 38 Renold ein brafer Mann trittet auf. 140
  • 39 Die Morgenſtunde Arners an einem Ge - richtstag neben ſeinem Pfarrer. 142
  • 40 Arner fangt ſeine Tagsarbeit an. 148
  • 41 Bauren, die von ihrem Herrn reden. 150
  • 42 Arner thut die Thuͤr zu. 152
  • 43 Sie werden izt bald aufhoͤren rathſchlagen wider ihren Herrn, u. wider ihr Heil. 154
  • 44 Der alte Trumpi bringt eine boͤſe Nachricht. 156
  • 45 Es fangt an Ernſt zu werden. 158
  • 46 Der Unverſtand der Gewaltigen pflanzet die Lugen des Volks Aber ihre Weis - heit macht die Menſchen wahrhaft. 162
  • 47 Ein Siegriſt und ein Schulmeiſter, zween Bruͤder dem Leib nach u. auch der Seele. 167
  • 48 Er verſteht das Fragen beſſer, als ſie das Luͤgen. 173
  • 49 Jakob Chriſtof Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer nnd Stillſtaͤnder von Boñal wird fuchswild gemacht182
  • 50 Arners Urtheil uͤber die armen Suͤnder. 185
  • 51 Es war ſeine Speiſe, daß er hoͤre und thue den Willen ſeines Vaters im Him̃el. 190
  • 52 Wohin bringt den Menſchen ſein armes Herz, wenn er fuͤr daſſelbe keinen Zaum hat. 194
  • 53 Jzt gar eine Ohnmacht um des armen zaumloſen Herzens willen. 197
Jnnhalt.

§. Blatt.

  • 54 Die wahre Regierungs-We[iſ]heit wohnet in Menſchen, die alſo hande[l]n. 200
  • 55 Ein Klaͤger, dem die Sonne ſ[c]heint. 201
  • 56 Ein Doktor in der Peruque,[a]uf einer Tragbahren, und im Bette. 204
  • 57 Ein aufgeloͤstes Raͤthſel, u. Arners Urtheil uͤber einen privilegirten Moͤrder. 209
  • 58 Arner genießt wieder den Lohn ſeiner Ar[b]eit. 211
  • 59 Es nahet ein Todtbette. --
  • 60 Wer von Herzen gut iſt, richtet mit den Leuten aus, was er will, und bringt ſie, wozu er will. 215
  • 61 Die Menſchen ſind ſo gerne gut, u. wer - den ſo gerne wieder gut. 221
  • 62 Worte einer Sterbenden. 224
  • 63 Hier iſt wahrhaftig ein Hauſe Gottes, und eine Pforte des Himmels. 227
  • 64 Wenn euere Gerechtigkeit nicht weit uͤber - treffen wird die Gerechtigkeit der Schrift - gelehrten und Phariſaͤer, ſo werdet ihr nicht ins Reich der Himmel eingehen. 229
  • 65 Weilen doch uͤber den himmliſchen Bogen Eine ſo dike Deke gezogen, ꝛc233
  • 66 Auch neben dem Treufaug iſt er weiſe. 239
  • 67 Zu beweiſen, daß die Menſchen das wer - den, was man aus ihnen macht. 242
  • 68 Zu einem guten Ziel kommen, iſt beſſer, als viel Wahrheiten ſagen. 243
  • 69 Die Predigt des Pfarrers in Bonnal, am Tag, als er den Hummel ſeiner Gemeinde vorſtellen mußte. 246
[1]

§. 1. Der Vogt ſpaziert wieder zum Markſtein.

So wuͤnſcht 'ich mir alle Tage meines Lebens nur Teufelsarbeit ſagte der Huͤnertraͤger; Und der Wagen fuhr fort Da hoͤrte mein Alter von Bonnal auf zu er - zaͤhlen.

Er faͤngt wiederum an

Der Vogt mußte am gleichen Abend noch auf den Berg, bey dem halb umgegra - benen Markſtein alles wieder in alten Stand ſtellen. Das Volk war wie ab den Ket - ten, und man kann faſt ſagen, wenn der Hen - ker mit dem offenen Schwert vor den Leuten geſtanden waͤre, er haͤtte ſie faſt nicht im Zaum halten koͤnnen. Selbſt die Kinder aus der Schul jauchzten umher lieffen ihm auf eine halbe Stund den Weg vor, und rieffen, die Einen: Sie bringen den Vogt, ſie bringen den Vogt Die andern erwiederten: Geſtern nahm ihn der Teufel heuteAbringt2bringt ihn der Henker . Die Knaben ſchoſ - ſen ab den Mauren und Baͤumen, wo er vorbeygieng. Die Maͤdchen ſtanden bey Du - zenden Hand in Hand geſchlungen hinter den Zaͤunen, und auf den Anhoͤhen an der Seite des Wegs, und waren luſtig und freudig, und lachten ob ſeinem Spaziergang. Nicht alle lachten Emillens Grithe ſtand am Arm ihrer Mutter unter ihrer Thuͤre, und troknete ihre Thraͤnen. Er ſah ſie, und ihr Jammerblik traf ſein Auge Er erblaßte Das Maͤdchen wandte ſein Angeſicht ge - gen ſeine Mutter und wainte laut. Er hatte vor kurzem ihren Geliebten den Wer - bern verhandelt, wie man ein Stuͤk Vieh den Mezgern verhandelt. Faſt an allen Fen - ſtern, faſt unter allen Thuͤren ſtieß Jemand ein Fluch aus, wo er vorbeygieng; hie und da brauchten boͤſe Weiber das Maul ganz, und drohten ihm mit Miſtgabeln und Beſen.

So giengs ihm den ganzen Weg den Berg hinauf und wieder hinunter; nur vor Lien - hards Haus ſah man keinen Menſchen; kei - ne Thuͤr und kein Fenſter war offen.

§. 2.3

§. 2. Der Pfarrer miſchet ſich ins Spiel.

Aber der Pfarrer, der den Unfug vernahm, und hoͤrte, daß er Morgens noch groͤßer werden ſollte, ſchrieb noch an gleicher Nacht an Arner folgenden Brief:

Hochedelgebohrner, Hochgeachter Herr!

Es iſt dieſen Abend, da der Vogt auf den Berg gefuͤhrt worden, ſo viel Muth - willen mituntergelauffen, daß ich nicht um - hin kann, Euer Wohledelgeb. davon Nach - richt zu geben, und meine Beſorgniß zu aͤuſ - ſern, daß dieſer Muthwillen auf den morn - drigen Tag noch viel groͤßer werden moͤchte. Es verlautet allgemein, daß von 3. bis 4. Stunden her alles zulauffen werde: Und ich muß geſtehen, es thut mir wehe, vorauszu - ſehen, daß bey einem ſo verwirrten Gewuͤh - le die Straffe des ungluͤklichen Mañes Nie - mand beſſern, und hingegen ein ſolcher lau - ter Muthwille bey einem ſo traurigen An - laaße das Volk noch mehr verhaͤrten werde: Jch haͤtte desnahen gewuͤnſcht, meine L. Gemeinde am Morgen ganz allein ohneA 2je -4 jemand Fremder in der Kirche anzutreffen, um allda mich mit meinem Volke ernſt - haft uͤber den traurigen Umſtand zu unter - reden, und zu trachten, daß der Leidende und die Zuſchauer in eine Verfaſſung kom - men, welche beyden zum wahren Nuzen ge - reichen mag. Aber ſo, wie die Sachen kommen wollen, ſehe ich voraus, daß ich ohne Jhre Huͤlfe im Gewuͤhl einer von al - len Seiten zulauffenden Jugend vergeblich trachten werde, meine Pflicht zu erfuͤllen. Desnahen bitte ich Sie, auf morgen ſolche Maaßregeln zu nehmen, daß alles fremde Volk vom Zulauff nach unſerm Dorf abge - halten, und auch bey uns allem Muthwil - len und aller Ausgelaſſenheit vorgebogen werde.

Joachim Ernſt. Pfarrer.

Der Junker antwortete auf der Stell dem Pfarrer alſo:

Wohlehrw. Lieber Herr Pfarrer!

Jch empfinde, daß ich ſelber an alles das haͤtte denken ſollen, und danke Jhnen, daß Sie mich auch dießmal aus dem Schlaf - fe aufgewekt.

Hier5

Hier iſt meine Ordre auf morgen; Jch hoffe, ſelbige entſpreche Jhren Wuͤnſchen.

Es ſoll den Vogt Niemand zur Richt - ſtaͤtte begleiten, als wer am Morgen ſich in der Kirche verſammelt, und dem Gottes - dienſt beygewohnt; Alles ſoll in einem voll - kommen in Ordnung gebrachten ſtillen Zug aus der Kirche mit ihm zur Richtſtaͤtte ge - hen: Und es ſollen Wachen ausgeſtellt wer - den, welche allen Fremden den Zugang ver - bieten, damit ſie voͤllig vor allem Zulauff geſichert, Jhre Gemeindsgenoſſen allein in der Kirche antreffen.

Jedermann, der ſich einer Beleidigung oder Unanſtaͤndigkeit gegen den Vogt ſchul - dig machen, oder auch ſonſt Unordnung und Geraͤuſch veranlaaßen wuͤrde, ſoll auf der Stelle vom Plaz genohmen, und in Bonnal bis auf weitere Ordre mit Arreſt belegt werden.

Hierfuͤr, mein lieber Herr Pfarrer, ſind alle Befehle mit Beſtimmtheit gegeben, und ich hoffe, die gemachte Verfuͤgungen werden die genaue Erfuͤllung dieſer Befehle verſi - chern. Jch habe indeſſen die Ehre zu ſeyn u. ſ. w.

Von Arnheim.

Jn Eil faſt um Mitternacht.

A 3§. 3.6

§. 3. Adam und Eva.

Es war recht gut, daß der Junker das be - fohlen hat. Morndeß am Morgen fruͤh waren von vielen Stunden her alle al - ten Muͤßiggaͤnger, alles junge Juheyenvolk, und alle neugierigen Weiber auf dem Weg nach dem Galgen nach Bonnal. Dieſe alle ſperrten Maul u. Augen auf, als ſie allenthal - ben Wachen fanden, die ſie wieder zuruͤkwieſen.

Es ſcheint die Herren von Bonnal wollen ihren Galgen fuͤr ſich allein haben, daß Niemand dazu darf; Es darf doch eine Kaz einen Altar anſchauen, aber es ſcheint, es ſeye nicht ſo mit euerm Galgen: ha! hierunter ſtekt etwas! Es iſt gewiß nicht ſo richtig mit dem weggelaͤugneten Teufel, wie ſie den Leuten haben angeben wollen : So ſagte Je - der in ſeiner Art ſeine Meynung: Einige ver - biſſen das Maul; Andere lachten ob der langen Naſe, die ſie izt mit ſich heim tragen. Wer luſtig heim gieng, war das gemeine Volk, und die jungen Leute, und wer das Maul haͤngte, waren die diken Bauren mit den großen Steken. Es blieb aber nicht ein - mal beym Maul-haͤngen; Einige Maͤn - ner und Weiber geluͤſteten mehr dahin zukom -7kommen, wo man ſie nicht haben wollte, und ſannen auf Liſt und Raͤnk, wie das moͤglich werden koͤnnte. Wenn wir izt eben doch nicht ſo gerade wieder heim giengen, wie man uns da angeben will, ſagte die Voͤg - tin von Euͤbach zur Geſchwornin von Kilch - thal. Was anders machen? antwortete die Geſchwornin.

Die Voͤgtin: Du Narr! durch Abwege ins Dorf ſchleichen.

Geſchwornin. Und denn?

Voͤgtin. Und denn uns unter dem Volk verſteken, und mit Andern lauffen, wo es hingeht.

Geſchw. Wenn denn aber auch bey der Kirche Waͤchter ſind?

Voͤgtin. Zeit bringt Rath, und ich hab 'allenfalls Geld im Sak.

Geſchw. Jch will gern mit dir im hal - ben zahlen, was es koſtet, wenns nur angeht.

Voͤgtin. Probieren iſt Meiſter. Aber wollen wir unſere Maͤnner mitnehmen, oder ſie daheim laſſen?

Geſchw. Daheim laſſen und auslachen, das waͤre meine Meinung.

Voͤgtin. Aber es iſt das, wir kommen eher durch, wenn meiner mitkommt, die Waͤchter muͤßen ihn fuͤrchten, weil er Vogt iſt.

A 4Ge -8

Geſchw. So muß ich meinem auch ruf - fen.

He Vogt! He Geſchwornen! Jch hab mein Nastuch verlohren hats keiner von euch gefunden? rieff izt die Voͤgtin, damit Niemand merke, was ſie wolle. Du Narr! haͤttſt Sorg g'habt, antwortet der Vogt, und gieng ohne zuruͤkzuſehen mit dem Geſchwornen weiter. Steh 'nur einen Augenblik ſtill, du muſt mir deines geben rieff die Voͤgtin noch einmal, und lachte laut dazu. Schnurrend ſah der Vogt zu - ruͤk; Was iſts? was haſt immer z'ganzen auf der Straß? Sie aber winkte ihm, daß er merkte, ſie wolle etwas anders als das Nastuch, und er ſtand ſtill.

Ja Geluſtſachen iſt ſeit Adams Zeiten her wahr wenn die Weiber den Apfel vom Baum nehmen, ſo beißen die Maͤnner auch drein. Der Vogt und der Geſchworne folgten izt ihren Weibern durchs Tobel hinter den Reben herum, uͤber Zaͤune und Stoͤk, und kamen gluͤklich und ungeſehen ins Dorf.

Sie waren aber nicht allein; Auf allen Seiten ſchlichen die hochmuͤthigſten u. kuͤhn - ſten nach Bonnal, und bettelten ſich um Geld und gute Worte in die bewachte Kirche hin - ein.

Es9

Es ſchien zwar im Anfang, als wollt 'es ihnen fehlen. Der Waͤchter bey der Thuͤr war faſt nicht zu bereden, und nicht zu beſte - chen. Nachdem aber einmal Eines hinein war, gieng das Ding im̃er leichter und leich - ter. Zulezt aber wollten ihm ſo viel kommen, daß es dem Waͤchter ſo angſt ward, daß er Niemand mehr hinein laſſen wollte Aber es war zu ſpaͤth Er war nicht mehr Meiſter. Was? antworteten ihm izt Weiber und Buben, Sind wir nicht ſo gut als die andern? Du muſt uns hin - ein laſſen, oder die andern Fremden vor un - ſern Augen auch wieder hinausſchaffen; wir gehen dir ſonſt nicht ab der Stell. Still! ſtill! antwortete der Waͤchter; Jch will euch eben hineinlaſſen; aber verberget euch in Winkel, daß man euch nicht ſehe. Und ſo kam dann zulezt hinein, was hinein wollte.

§. 4. Der Pfarrer ſtellt Leute zur Kirche hinaus.

Das erſte, was der Pfarrer that, als er auf die Kanzel trat, war, daß er den Befehl Arners verlas, und ſagte: Er mußA 5ge -10gehalten ſeyn, und Jedermann, der fremd iſt, ſolle ohne anders zur Kirche hinausgehen.

Man ſah bald, daß es im Ernſt galt, und nach und nach ſtand eines nach dem an - dern auf, und gieng nach der Kirchthuͤr. Einige lieffen hinaus, wie wenn man ſie jag - te Andere giengen ſatt und zuͤchtig, hu - ben kein Aug auf Andre machten doch noch ihren Reverenz gegen dem Herrn Pfar - rer, ſo feuerroth ſie vor Zorn im Geſicht waren.

Aber die Voͤgtin und Geſchwornin von Kilchthal wollten noch nicht verſpielt geben; Sie glaubten, wenn ſie ſich ſtill hielten, und hinter den Balken des Gewoͤlbs und hin - ter andern Weibern ſich verſtekten, ſo koͤnn - ten ſie bleiben: Aber die andern Weiber ſtrek - ten von allen Seiten die Koͤpf nach den ar - men Verſtekten, und ſchwazten und lachten weit und breit um ſie her, ſo daß der Pfar - rer es merkte, und dem Siegeriſt ſagte, der Befehl gehe die Weiber an wie die Maͤnner, und er ſoll machen, daß auch dieſe ihres Wegs giengen; Und ſo mußten ſie endlich auch wie die andern wieder hinaus.

§. 5.11

§. 5. Aus ſeiner Predigt.

Erſt dann fieng der Pfarrer an; und redete mit dem Volk uͤber den Vogt, uͤber ihn ſelber, uͤber das Elend der Suͤnde, und uͤber das Gluͤk des Rechtthuns Es war, wie wenn Er einem jeden aus dem Herzen redte, wie wenn Er einem jeden in ſeine Wohnſtu - be hineindrang, und ihn abmahlte, wie er mit Weib und Kind, mit Vater und Bru - der, mit Knecht und Magd umgieng, und mit Unvorſichtigkeit und Liebloſigkeit, mit Nachlaͤßigkeit und Leichtſinn links und rechts um ſich aus guten Leuten boͤſe mache, und aus kleinen Fehlern große veranlaaße, und ſo ſelber die Liebſten, die er in der Welt ha - be, anſtatt gluͤklich, ruhig und zufrieden, ungluͤklich und elend mache, und in eine be - daurenswuͤrdige Lage ſeze Es war, wie wenn der Vogt in der Hand des Pfarrers ein Spiegel waͤre; ſo ſahe das Volk in dem ungluͤklichen Manne ſich ſelber Und der Segen des Herrn war mit dem Pfarrer. Jhrer viele vergaßen ob ſeinen Reden den Vogt, und fuͤhlten izt nur ſich ſelber, und dachten izt nur an ſich ſelber ... Ein paar Stellen aus ſeiner Rede muß ich doch her - ſezen.

Lie -12

Liebe Menſchen! daß doch keines von euch allen meyne, dieſes Ungluͤk haͤtte ihm nicht auch begegnen koͤnnen! hebet euere Au - gen auf und ſehet! warum ſteht der arme Mann vor Euch? Antwortet; Jſts et - was anders, als weil er hochmuͤthig, geizig, hartherzig und undankbar gegen Gott und Menſchen war? .... Und hebet eure Au - gen auf vor dem Angeſicht Gottes, und re - det: Wer unter Euch iſt nicht geizig, hart - herzig und undankbar? Redet, redet! Rede, Mann! Weib! Steh 'auf und rede! Jſt ei - ner unter Euch nicht hochmuͤthig, nicht gei - zig, nicht hartherzig, nicht undankbar? Er ſtehe auf, er ſey unſer Lehrer; ich will zu ſeinen Fuͤßen ſizen, und ihn hoͤren und ihm anhangen, wie ein Kind ſeinem Vater an - hanget! Denn ich, o Herr, bin ein Suͤn - der, und meine Seele iſt nicht rein von al - lem dem Boͤſen, um deßwillen der arme Mann vor Euch leidet!

Ueber den Unterſchied zwiſchen der Suͤnde in ihrem Anfang und zwiſchen der groͤſten Verwilderung, in welcher der Vogt lebte, ſagte er ihnen folgendes Gleichniß:

Es iſt ein großer Unterſchied zwiſchen ei - nem Kornaͤhre und einem ganzen Viertel Frucht; Aber wenn du das Aehre ſaͤeſt, und uͤbers Jahr ſchneideſt, ſo haſt du vielleichthun -13hundert, und ſaͤeſt du hunderte wieder, ſo haſt du im zweyten Jahre von einem einzigen Aehre dein Viertel Frucht. Liebe Men - ſchen! wenn der Saame des Boͤſen in uns iſt, ſo traͤgt er Frucht, und wie das einzige Aehre mit Zeit und Jahren ein Viertel Frucht wird, ſo wird deine Suͤnde mit Zeit und Jahren ſtark und ſchwer in dir, o Menſch! Darum halte den Unterſchied des Saa - menkornes und der Frucht, die du mit Vier - teln miſſeſt, nicht groͤßer, als er iſt, und denke nicht, daß du nicht ob jeder Suͤnde werden koͤnneſt, was der arme Tropf, wenn du nicht mit Muͤhe und Arbeit ihren Saa - men in dir ſelber zu erſtiken und auszurotten trachteſt.

Ein ander Mal ſagte Er:

Meine Kinder! Sehet izt die Gerechtig - keit der Welt, und zittert! Die Gerechtig - keit der Erde zermalmet, zerknirſchet und toͤd - tet! wainet uͤber den Elenden, und uͤber alle Menſchen, die in die Hand der Gerechtigkeit fallen, und bittet Gott, daß ſich die Fuͤrſten je laͤnger je mehr dieſer Armen und Elenden erbarmen, und ihre Leiden nie groͤßer machen, als die Noth es erfordert! Und, meine Kinder! werdet ſelber je laͤnger je menſchli - cher, ſchonender, gewiſſenhafter gegen ſolche Ungluͤkliche, und glaubet, das Beyſpiel derKnech -14Knechte, die mit ihren Mitknechten, welche im Ungluͤk ſind, Mitleide zeigen, muß auch auf die Herren der Erde wirken, daß auch ſie mitleidig und ſchonend gegen Ungluͤkliche werden.

§. 6. Wenn ſo ein Pfarrer in die Gefaͤng - niſſe und Zuchthaͤuſer eines Reichs Einfluß haͤtte, er wuͤrde die Grundſaͤze mit den Gefangnen umzugehen, in ein Licht ſezen, das himmelrein leuchtete.

Da er ausgeredet hatte, ſtieg er dann von der Kanzel, ſaß noch eine Weile bey dem Ungluͤklichen, redete mit ihm bruͤderlich, wie er es heute den ganzen Tag gethan hatte.

Da der arme Menſch izt bald fort ſollte, ſah er ihm an, daß er vor Ermattung und Schwaͤche faſt einſank, und vernahm, daß er noch ganz nuͤchtern ſey. Du muſt nicht alſo an deinen Ort hin , ſagte er alſobald, und ließ ihm ſogleich aus dem Pfarrhaus etwas zu eſſen und zu trinken in die Kirche hinunter bringen. Der Hans, der es brachte, ſtellte es gerade auf den Taufſtein,bey15bey dem ſie ſtanden; aber dieſes aͤrgerte den Siegeriſt, er ſtupfte den Hans, und winkte ihm, er ſollte es doch anderſtwohin abſtellen. Dieſer wollte auch ungeſaͤumt folgen; aber der Pfarrer ſagte: Hans, laß 'es nur ſtehen, das macht gar nichts.

Und nachdem der Vogt alſo auf dem Tauf - ſtein geeſſen und getrunken, und ſo alles mit - leidig und liebreich um ihn herum ſtand, ſag - te der Pfarrer zu ihm: Willſt du izt nicht auch gern die Leute alle, von denen vielleicht wenige ſind, die du nicht beleidiget und ge - kraͤnkt haſt, um Verziehung bitten? Ach, mein Gott! Gern, Herr Pfarrer! ſagte der Vogt, wandte ſich gegen die Umſtehenden und ſagte: Verziehet mir doch alle um Got - tes Willen! Er konnte nicht mehr re - den: Aber er ſahe ſie alle ſo wehmuͤthig und erſchlagen an, daß Jedermann weich ward; Weib und Mann ſtrekten ihm von allen Sei - ten die Haͤnde dar, und ſagten: Es iſt mehr als verziegen! Wie es ihn freute, daß ihm alles die Hand zuſtrekte Wie er lange rechts und links mit beyden Armen nach allen Haͤnden haſchte, und mit hunderterley Bewegungen zitternd eine jede druͤkte, das kannſt du dir vorſtellen, Leſer! Aber beſchrei - ben kann ich es nicht. Nach einer Weile ſagte der Pfarrer zum Vogt: Jch denkeVogt,16Vogt, in Gottes Namen wollen wir izt ge - hen. Der Vogt ſah ihn barmherzig an, und konnte nicht reden. Es muß in Gottes Namen einmal ſeyn, erwiederte der Pfarrer: Dann nahm er ihn bey der Hand, machte ihn aufſtehen und ſagte: Mit zau - dern machſt du dirs nur ſchwerer; komm izt in Gottes Namen, und leide mit Geduld, was du zu leiden haſt; achte nicht, was um dich her iſt, und was man um dich herum macht, und denk du izt an dich ſelber.

§. 7. Menſchlichkeit und Gerechtigkeit bey einander.

Und dann giengen ſie mit einander an ſeinen Ort, und der Pfarrer bethete laut den ganzen Weg durch, und alles Volk begleitete ihn im ſtummen Stillſchweigen.

So herrſchet ſtummes Stillſchweigen um den Sarg des Buͤrgers, deſſen verlaſſene Kin - der ein geruͤhrtes Volk mitleidig zum Grabe begleitet; und die Stunde der ſtillen Ruͤh - rung, waͤhrend welcher die Todtengloke von Bonnal laͤutete, that dem Vogt und allem Volk wohl. Siehe, es war nicht die Straffe eines wuͤthenden Thiers, das mannur17nur abthut von der Erde, damit es nichts mehr auf ihr ſchade. Es war die Straf - fe eines Menſchen, mit der man ihn ſelber und ſeinen Naͤchſten weiſer und beſſer machen wollte, als ſie zuvor waren.

Er ſtand da entbloͤßt an Haupt und Fuͤßen an ſeinem Ort, und ſprach drey - mal laut nach:

Hier hab 'ich verdient zu verfaulen

Mit ſtarker Stimme antwortete ein Ge - richtsmann:

Ja, du haſt verdient, daß hier deine Ge - beine verfaulen, und die Voͤgel des Him̃els dein Fleiſch eſſen.

Dreymal antwortete er wieder: Jch hab 'es verdienet.

Er hat Gnade, Knecht der Gerechtig - keit! toͤdte ihn nicht rief izt mit lauter Stimme der Richter mit dem Stab.

Was ſoll ich ihm dann thun ? erwieder - te der Knecht der Gerechtigkeit.

Du ſollſt ihn binden an den Balken des Galgens, und ſeine Hand an einem Pfahl feſt machen, und die Finger des Meineidigen dreymal mit unausloͤſchlicher ſchwarzer Farbe anſtreichen.

Der Knecht der Gerechtigkeit that izt, was ihm befohlen war, und ſtand dann mit ent - bloͤßtem Schwerdt hinter dem Ungluͤklichen. BJn -18Jndeſſen wandte ſich der Richter am Stab, und ſagte mit lauter Stimme zum Volk:

Hoͤre, verſam̃eltes Volk! dein Herr und Vater laͤßt dir ſagen.

Wer unter euch eine ſolche Schande nicht mehr fuͤrchtet, als den Tod, der gehet mit ſeinem Haus, mit ſeinen Kindern, und mit ſeinem Geſchlecht, dem Elend entgegen, in welchem ihr izt dieſen armen Mann ſehet.

Dann redete der Pfarrer faſt die ganze Stunde mit dem Volk, das noch nie in kei - ner Kirche mit mehr Aufmerkſamkeit und Ruͤhrung vor ihm geſtanden.

Der Vogt aber war faſt athemlos und zum Einſinken erſchoͤpft; Als es der Pfar - rer merkte, rief er ſeinem Hans, und ſagte ihm: Du muſt den kleinen Wagen hieher bringen und ein Bettſtuͤk darauf. Der Hans thats, und brachte ein Bett und Wa - gen zu ihnen; Und da die Stunde izt voruͤ - ber war, und man den Vogt von ſeinen Banden los ließ, nahm ihn der Pfarrer bey der Hand und ſagte: Steig izt in Gottes Namen hier ein; ich ſehe, daß du's noͤthig haſt, und faſt nicht heimgehen koͤnnteſt.

Es iſt wahr, ſagte der Vogt, es zittert alles an mir, dankte, ſagte Jch hab 'das nicht verdient und ſtieg in den Wa - gen. Der Pfarrer gieng unter allemVolk19Volk mit dem armen Tropf neben dem Wa - gen, bis ins Gefaͤngniß nach Bonnal, wo - hin man ihn fuͤhrte, und ließ dann auch das Bett aus ſeinem Wagen hineintragen, bis man ihm eins aus ſeinem Haus bringen wuͤrde.

§. 8. Bauren-Geſpraͤch und Bauren - Empfindung.

Der Lienhard war dieſen Morgen allein bey ſeiner Arbeit am Kirchhof; ſeine Tagloͤhner waren alle mit dem Vogt. Er wainte herzlich, als die Todtenglogke im Thurn hart an ihm zu das Zeichen gab, daß man ihn ausfuͤhrte. Nach einer Weile ka - men die Tagloͤhner zuruͤk, und ſchwazten faſt den ganzen Tag mit einander von dem geſche - henen Vorfall.

Mir iſt es ſehr zu Herzen gegangen ſagte der Aebi und der Kienaſt.

Kriecher. Und mir, wie wenn man mir kaltes Waſſer angeſchuͤttet haͤtte.

Ruͤti Marx. Einmal ſo iſts gut, Schelm ſeyn.

Leemann. Und man hatte Sorg zu ihm, wie zu einer Kindbetterinn.

B 2Lenk. 20

Lenk. Wenn ichs oder ein anderer gewe - ſen waͤre, es waͤr wohl anderſt gekommen.

Aebi. Es ſcheint mir, es moͤgen ihms etliche nicht einmal goͤnnen, daß er nicht ge - haͤngt worden.

Leemann. Es wird noch andere Hiſto - rien abſezen.

Michel. Was das?

Leemann. Der Junker will ja zehn Jahr hinter ſich allem nachgruͤbeln.

Ruͤti Marx. Dafuͤr wird ſich Niemand graue Haar wachſen laſſen.

Michel. Und wie meynſt du das?

Ruͤti Marx. Jch meyne, das wuͤrd ſo in die diken Bauch greiffen, daß ſie wohl ei - nen Dekel finden werden, den Niemand ab - lupft.

Kriecher. Und der Teufel! Es iſt doch nicht ganz ſicher.

Aebi. Aber habet ihr auch den Hartknopf gehoͤrt, wie er uͤber die Predigt ſein Maul gebraucht.

Michel. Er iſt ein Narr.

Marx. Er ſagt doch manchmal auch Sa - chen, die wahr ſind.

Michel. Ja, wenn er um eilf Uhr ſagt, es laͤute Mittag.

Marx. Das iſt izt genarret: Ueber den Glauben einmal verſteht er mehr als ich unddu;21du; Er giebt in der Kirche Achtung wie ein Sperber, und iſt im Stand, er zaͤhlt dem Pfarrer die Hauptwoͤrter des Chriſtenthums an den Fingern nach.

Michel. Das iſt eine erbauliche Arbeit.

Marx. Man kann mehr daraus ziehen als du glaubſt: Denk izt nur, er verflucht ſich, der Pfarrer habe in der lezten Predigt das Wort Chriſtus kein einiges Mal in dem Mund gehabt.

Michel. Das iſt eine Fantaſtenrede Und der Pfarrer hat recht, daß er ſeine Wort nicht ſo ausſpizt, daß alle Sylben dran froͤmmeln.

Der Marx haͤngte das Maul, und der Michel fuhr fort:

Michel. Mit euerm Woͤrter-zaͤhlen und Sylben-drehen macht ihr juſt auch die Leut ſelbſt ſo verdrehet, daß ſie die Augen verkeh - ren, wenn ſie das Hirn brauchen ſollten und das Maul aufthun, wenn ſie die Haͤnde brauchen ſollten.

Marx. So?

Michel. Ja, eben ſo! Es iſt Liebe und Verſtand in dem, was der Pfarrer ſagt, und es giebt Leut, ſie ſollten ſich ſchaͤmen, wie ſie ihms machen.

Marx. So!

Michel. Biſt du ein Narr, Marx?

B 3Kie -22

Kienaſt. Jch meynte, man koͤnnte davon ſchweigen; Es muͤßte einer ein Stein ſeyn, wenn es heute einem nicht zu Herzen gegan - gen waͤre.

§. 9. Haus-Ordnung, und Haus - Unordnung.

Gertrud gieng an dieſem Morgen zu ihrem guten Nachbar, dem Huͤbel-Rudi, der nunmehr nicht mit den andern bey der Kirche tagloͤhnete: Sie wußte, daß Armuth und Niedergeſchlagenheit dem Menſchen allen Haushaltungsgeiſt ſo verderbt, daß, wenn er auch zufaͤllig wieder zu Etwas koͤmmt, und nicht Rath und That findet, ihm ſo ein Gluͤk ſo leicht als ein Aal im Waſ - ſer wieder aus der Hand ſchluͤpft: Und da ſie der Großmutter auf dem Todbett ver - ſprochen, ſich ſeiner Kinder anzunehmen, ſo wollte ſie keine Stunde verſaumen, um dem Rudi, ſo viel ſie koͤnnte, zur Ordnung zu verhelffen, ehe ſchon wieder das halbe durch Unordnung zu Grund gegangen waͤre. Sie traf noch alle Kinder im Bett an, und der Rudi war eben aufgeſtanden. Die Kleider der Kinder lagen im Boden herum;die23die Kaze ſaß neben der ſchwarzen Blatte, woraus ſie geſtern geeſſen, auf dem Tiſch. Gertrud fuͤhlte die Groͤße des Verderbens einer ſolchen Unordnung, und ſagte dann der Laͤnge und der Breite nach, wie weit das lange, und wohin ihn dieſes bringen werde. Er machte Augen, wie einer, der halb im Schlafe zuhoͤrt, als ſie ſo mit ihm redete: Er war der Unordnung ſo ziemlich gewohnt, und meynte, weil er izt ſeine Matten wieder habe, ſo ſey alles wieder ganz gut be - ſtellt ſo daß er lange nicht faſſen konnte, was Gertrud izt mit ihrem Predigen wollte. Endlich begriff er ſie, und die Thraͤnen ſchoſ - ſen ihm in die Augen; als er antworte - te: Ach! mein Gott! Nachbarinn! du haſt wohl Recht; aber es war, weiß Gott, in unſerm Elend nicht anderſt moͤglich: Jch ſaß auf die Lezte oft bey Stunden und Tagen herum, daß ich faſt nicht mehr wußte, wo mir der Kopf ſtund, vielweniger was ich an - greiffen ſollte, und was ich moͤchte.

Gertrud. Das iſt eben, was ich ſage, und warum du dir izt muſt rathen und helffen laſſen.

Rudi. Jch will dir von Herzen danken, wenn du's thuſt.

Gertrud. Und ich wills von Herzen thun, ſo viel ich kann.

B 4Ru -24

Rudi. Lohns dir Gott fuͤr mich und mei - ne Kinder!

Gertrud. Rudi! wenn deine Kinder wie rechte Menſchen erzogen werden ſollen, ſo muß alles bis auf die Schuhbuͤrſte hinunter in eine andre Ordnung kommen: Und wir wollen izt nicht ſchwazen, ſonder die Haͤnd in den Taig ſtoßen; Es muß mir heut, noch ehe die Sonne untergeht, in der Stu - be ausſehen, daß man ſich nicht mehr drin kennt: Tiſch Fenſter Boden alles muß abgewaſchen und erluftet ſeyn Man kann ja nicht einmal Athem ſchoͤpfen Und glaub mir, deine Kinder ſehen un - ter anderm auch darum ſo uͤbel aus, weil ſo viel hundertjaͤhriger Miſt in der Stube iſt: Es iſt ein Ungluͤk, daß deine Frau ſelig auf die Lezte auch gar allen Muth verlohren, und alle Hausordnung ein End hatte: So arm man iſt, ſo ſollte an ihrem Mann und Kindern noch das thun, was nichts koſtet.

Rudi. Die Großmutter hat es ihr tau - ſendmal geſagt; aber ſie iſt auf die Lezte vor Jammer worden, wie ein Stok, ſo daß ich faſt denken muß, es ſey fuͤr mich und die Kinder ein Gluͤk geweſen, daß ſie geſtorben, wenn ſie nicht wieder anderſt geworden waͤre. Aber, Gertrud! wenn ſie es noch er - lebt haͤtte, wie es mir izt gegangen, ſie waͤreauch25auch nach und nach wieder zu ſich ſelber ge - kommen, und wieder worden, wie im An - fang: Sie kommt mir ſeit geſtern nie aus dem Kopf, und wo ich gehe und ſtehe, mey - ne ich immer, ſie ſollte wieder da ſeyn, und das Gute izt auch mit mir haben, wie ſie das Boͤſe mit mir getragen.

Gertrud. Es iſt ihr izt beſſer, als uns allen, Rudi! Und ich weiß nicht, obs ihr leicht auf der Welt wieder wohl worden waͤre. Wer ſo lang alles ſo ſchwer aufge - nohmen, wie ſie, der kommt nicht mehr ſo leicht zu ſich ſelber.

Rudi. Das iſt auch wahr.

Gertrud. Was du izt am beſten zum Andenken deiner Frau ſel. thun kannſt, und was ihr izt im Himmel Troſt und Freud ſeyn wird, iſt dieſes, daß du deine Kinder ſorgfaͤltig auferzieheſt, daß ſie nicht ſo un - gluͤklich werden, wie ſie Und glaub mir, es kommt, weiß Gott, in der Jugend auf Kleinigkeiten an, ob ein Kind eine halbe Stunde fruͤher oder ſpaͤter aufſtehe ob es ſeine Sonntagskleider die Woche uͤber in einen Winkel werffe, oder ſorgfaͤltig und ſauber zuſammen an einen Ort lege ob es gelernt, das Brod, Maͤhl und Anken in der Woche richtig abzutheilen, und mit dem gleichen auszukommen oder ob esB 5hier -26hieruͤber unachtſam bald mehr, bald weniger gebraucht, ohne es zu wiſſen Solche Sachen ſind es, welche hundertmal machen, daß eine Frau mit dem beſten Herzen ins groͤſte Elend kommt, und ihren Mann und ihre Kinder darein bringt; Und ich muß dir ſagen, du weiſt wohl, daß ich es ihr nicht in boͤſer Meinung nachrede, deine Frau iſt gar nicht zur Hausordnung gezo - gen worden; ich kannte des alten Schoders es iſt mehr in ihrer Haushaltung ver - faulet, und zu Grund gegangen, als recht iſt und als man ſagen darf.

Rudi. Sie iſt in der Jugend zu viel im Pfarrhaus geſtekt.

Gertrud. Auch das iſt wahr.

Rudi. Es hat mir hundertmal die Au - gen uͤbertrieben, wenn ſie das Bethbuch oder die neue Erklaͤrung der Offenbarung in die Hand nahm, und die Kinder nicht gewa - ſchen und nicht geſtrehlt waren, und ich ſel - ber alle Tage in die Kuche mußte, das Feuer auf dem Heerd zu ſchuͤrgen, wenn ich nicht gefahren wollte, daß ſie mir mit ihrer Ver - geßloſigkeit noch das Haus anzuͤnde.

Gertrud. Wenn mans mit den Buͤchern recht macht, ſo muͤßen die Buͤcher einer Frauen ſeyn wie der Sonntagsrok und die Arbeit wie die Werktagsjuͤppe.

Ru -27

Rudi. Jch muß meines Elends izt ſelber lachen Sie hatte eben dieſe Sonntags - juͤppe alle Tag an, und zog die Kinder, als wenn Bethen und Leſen alles waͤre, warum man auf der Welt lebt.

Gertrud. Damit macht man juſt, daß ſie das Bethen und Leſen dann wieder ver - geſſen, wenn ſie es recht noͤthig haͤtten.

Rudi. Das iſt uns leider! juſt begegnet: weil ſie da krank worden, und nirgends kein Brod mehr da war, ſo ruͤhrte ſie auch kein Buch mehr mit ihnen an, und wainte nur, wenn ihr eins vor Augen kam.

Gertrud. Laß dir das izt zur Warnung dienen, Rudi! und lehr eben deine Kinder, vor allem Schwazen, Brod verdienen.

Rudi. Jch bin voͤllig dieſer Meinung, und will ſie von Stund an zur Naͤhterin ſchiken.

Gertrud. Du muſt ſie erſt kleiden: ſo wie ſie izt ſind, muͤßen ſie mir nicht zur Stube hinaus.

Rudi. Kauff ihnen doch Zeug zu Roͤken und Hembdern ich verſtehe es nicht ich will das Geld heute noch entlehnen.

Gertrud. Nichts entlehnen! Rudi! das Zeug will ich kauffen, und im Heuet zahlſt du es.

Rudi. Warum nicht entlehnen?

Ger -28

Gertrud. Weil es zur guten Hausord - nung gehoͤrt, nie nichts von einem Nagel an den andern zu haͤngen, und weil unter hunderten, die liehen, nicht zehn ſind, die nicht wieder dafuͤr brandſchazen, und ſon - derbar dich du biſt zu gut es wuͤr - den ſich geſchwind genug Blutſauger an dich machen, und dich in allen Eken rupfen.

Rudi. Gottlob, daß ſie etwas zu rupfen finden!

Gertrud. Jch moͤchte daruͤber nicht ſpaſ - ſen. Du muſt dich im Ernſt achten, auf alle Weiſe, damit du behalteſt, was Gott dir und deinen Kindern nach ſo langem Lei - den wieder gegeben.

Der Rudi ſtuzte eine Weile, u. ſagte dann: Du wirſt doch dawider nicht ſeyn Jch theile einmal die Matte mit dem Vogt, ſo lang er lebt?

Gertrud. Was iſt izt das?

Rudi. Jch habs in Gottes Namen dem Pfarrer verſprochen, ſo lang er lebe, ihm fuͤr eine Kuh Heufuter ab der Matten zu geben. Er iſt izt ein armer alter Tropf, und ich konnte ihn nicht in dem Elend ſehen, in dem ich ſelber war.

Gertrud. Es kommt doch noch beſſer heraus, als es thoͤnte: Jch meynte, du woll - teſt die Matten mit ihm theilen izt blei - beſt du doch beym Futter.

Ru -29

Rudi. Nein, daran kam mir kein Sinn; die muß wills Gott auf Kind und Kindskin - der hinunter mein bleiben; aber das Futter, das will ich ihm in Gottes Namen halten, wie ichs dem Pfarrer verſprochen.

Gertrud. Jch will dich gar nicht daran hindern; aber doch dunkt mich, du haͤtteſt zuerſt warten koͤnnen, obs der Vogt ſo gar noͤthig haben moͤchte, eh du ihm das ver - ſprochen.

Rudi. Der Pfarrer hat das auch geſagt; Aber wenn du die Großmutter auf ihrem Todbett wie ich fuͤr ihn bethen gehoͤrt haͤtteſt, daß es ihm noch wohl gehe, du haͤtteſt ge - wiß auch nicht anderſt koͤnnen, als ihm, wie ich, ſo viel moͤglich dazu helfen.

Gertrud. Hat ſie noch auf ihrem Tod - bett fuͤr ihn gebetet?

Rudi. Ja, Gertrud; und das mit tau - ſend Thraͤnen.

Gertrud. Ach! denn iſts recht, daß du es thuſt.

Waͤhrend dem der Rudi ſo mit ihr redete, machte Gertrud die Kinder aufſtehen, waſch - te ihnen Geſicht und Haͤnde, kaͤmmte ſie mit einer Sorgfalt und Schonung, die ſie nicht kannten, und ließ ſie auch ihre Kleider ſteiffer und ordentlicher anlegen, als ſie ſonſt gewohnt waren, darauf gieng ſie in ihreHuͤt -30Huͤtte kam mit ihrem Zuͤber und Beſen und Buͤrſten zuruͤk, fieng dann an die Stu - be zu reinigen, und zeigte auch dem Rudi, wie er daſſelbe machen und angreiffen muͤſſe, und was die Kinder ihm dabey helffen koͤn - nen. Dieſer gab ſich alle Muͤhe, und nach ein paar Stunden konnte er es ſo wohl, daß ihn Gertrud izt allein machen ließ, und wieder heim gieng. Wenn dir die Kinder dann braf geholffen, ſo ſchik 'ſie auf den Abend zu mir ſagte ſie im weggehen.

Der Rudi wußte nicht, was er ſagen und machen wollte, als ſie izt fort war, ſo wars ihm ums Herz; Eine Weile hatte er die Haͤnde ſtill, buͤrſtete und fegete nicht, ſonder ſtaunte und dachte bey ſich ſelber: Es waͤre mir einmal in Gottes Namen, wie wenn ich im Himmel waͤr, wenn ich ſo eine Frau haͤtte Und als er auf den Abend ihr ſeine Kinder ſchikte, gab er ſint Jahren das erſte Mal wieder Acht, ob ihre Haͤnde und Geſicht ſauber, und ihre Haare u. Kleider in der Ordnung waͤren, ſo daß ſich die Kinder ſelber darob wunderten: Und die Nachbaren, die ſie ſo ordentlich aus dem Hauſe gehen ſahen, ſagten: Er will gewiß bald wieder weiben.

Die Kleinen fanden des Maurers Kinder alle an ihrer Arbeit; dieſe empfiengen ſiefroͤh -31froͤhlich und freundlich, aber ſie hoͤrten um deßwillen keinen Augenblik auf zu arbeiten. Machet, daß ihr mit euerm Feyera - bend bald fertig werdet, ſo koͤnnt ihr euch dann mit dieſen Lieben luſtig machen, bis es 6. Uhr ſchlagt, ſagte ihnen Gertrud Und die Kinder: Das denk 'ich, wir wol - len eilen; die Sonne ſcheint wie im Som̃er, Mutter! Aber, daß euer Garn nicht groͤber werde, antwortete die Mutter. Du muſt gewiß eher einen Kreuzer mehr als minder von meinem loͤſen, ſagte Liſe. Und auch von unſerm, rieffen aus allen Eken die andern. Jch will gern ſehen, ihr Prahlhanſe, erwiederte die Mut - ter.

Die Kinder des Rudis ſtunden da, ſperr - ten Maul und Augen auf ob der ſchoͤnen Arbeit und dem froͤhlichen Weſen in dieſer Stube. Koͤnnt ihr auch ſpinnen? fragte izt Gertrud. Ach nein! erwie - derten die Kinder. Gertrud erwiederte: So muͤßt ihrs lernen, ihr Lieben! meine Kinder ließen ſichs nicht abkauffen, und ſind am Samſtag ſo luſtig, wenn jedes ſo ſeine etlichen Bazen kriegt: Das Jahr iſt lang, ihr Lieben! wenn mans ſo alle Wochen zu - ſammenſpinnt, ſo giebts am End des Jahrs viel Geld, und man weiß nicht, wie manda -32dazu gekommen. Aeh bitte, lehre es uns auch, ſagten die Kinder, und ſchmieg - ten ſich an den Arm der guten Frau. Das will ich gern , antwortete Gertrud Kommet nur alle Tage, wenn ihr wollet; ihr muͤßet es bald koͤnnen.

Jndeſſen hatten die andern ihren Feyra - bend aufgeſponnen, verſorgten ihr Garn und ihre Raͤder, ſangen mit unter:

Feyrabend, Feyrabend, Lieb 'Mutter!
Feyrabend in unſerm Haus!
Z'Nacht gehen wir alle gern nieder,
Am Morgen ſteht alles froh auf:

Nahmen dann ihre Gaͤſte bey der Hand heiter wie der Abend ſprangen izt alle Kin - der auf der Matten auf allen Seiten dem Haag nach und rund um die Baͤume; aber Gertruds Kinder wichen ſorgfaͤltiger als des Rudis den Koth im Weg, und die Doͤrnen am Haag aus, und hatten Sorg zu den Kleidern, ſie banden ihre Struͤmpfe, ring - leten ihre Schuhe alſobald, wenn etwa ei - nem etwas losgieng, und wenn des Rudis Kinder ſo etwas nicht achteten, ſagten ihnen die Guten ſogleich, Du verliehreſt deinen Ringgen dein Strumpfband oder, du macheſt dich kothig, oder du zerreiſſeſt dich hier in den Doͤrnen ꝛc. ꝛc. .

Des33

Des Rudis Kinder liebten die ordentlichen Guten, laͤchelten bey allem, was dieſe ihnen ſagten, und folgten, wie man kaum Eltern folgt; denn ſie ſahen, daß ſie alles, was ſie ihnen ſagten, ſelber thaten, und es weder boͤſe noch hochmuͤthig meynten. Auf den Schlag 6. Uhr eilten Gertruds Kinder un - ter das Dach, wie die Voͤgel, wenn die Sonne unter iſt, in ihr Neſt eilen. Wollt ihr mit uns? wir gehen izt bethen, ſagten ſie zu des Rudis Kindern. Ja, wir wollen, und auch noch deiner Mutter b'huͤti Gott ſagen. Nun, das iſt recht, daß ihr kommt, ſagten dieſe, und zogen den Kazenſchwanz mit ihnen, durch die gan - ze Matten, die Stegen hinauf und bis an den Tiſch, wo ſie ſich dann zum Bethen hinſezten.

Muͤßt ihr um 6. Uhr nicht auch heim zum Bethen, ihr Lieben? fragte izt Ger - trud des Rudis Kinder. Wir bethen erſt, wenn wir ins Bett gehen, ſagte das aͤlteſte. Und wenn muͤßt ihr ins Bett? fragte Gertrud. Was weiß ich, ant - wortete das Kind und ein anders: So wenns anfangt nachten. (dunkel werden) Nun, ſo koͤnnt ihr noch mit uns bethen; aber dann iſts auch Zeit mit euch heim, ſagte Gertrud. Es macht nichts, weñsCſchon34ſchon dunkelt; wir fuͤrchten uns nicht, ant - wortete das aͤlteſte: Und wenn wir alle bey einander ſind, ſezte ein anders hinzu Und dann betheten die Kinder Gertruds mit ihrer Mutter in ihrer Ordnung, und ſie ließ auch des Rudis Kinder die Gebether bethen, die ſie konnten, und begleitete ſie dann bis zum Hausgatter, habet recht Sorg, daß keines falle, ihr Lieben, und gruͤßet mir den Vater, und kommet bald wieder, ein an - dermal will ich euch ein Spinnrad bereit ma - chen, wenn ihrs lernen wollet ſagte Gertrud ihnen zum Abſchied, und ſah ihnen die Gaſſe durch nach, bis ſie um den Eken herum, und die Kinder ſchreyen ihr, ſo weit man ſie hoͤren konnte, zuruͤk; b'huͤte Gott, und danke Gott, und ſchlaf wohl, du liebe Frau!

§. 10. Das Herz leicht machen iſt das rechte Mittel, dem Menſchen das Maul aufzuthun.

Der Pfarrer ließ izt den Vogt, den man nun wieder ins Gefaͤngniß nach Boñal gebracht, eine Weile ſich ſelbſt uͤber. Nach ein paar Stunden aber gieng er wieder zuihm35ihm hin. Jch bin ein armer alter ver - lohrner Tropf, und der Welt zu nichts wei - ter gut, war faſt das erſte Wort, das die - ſer zum Pfarrer ſagte. Das muß man nie ſagen; wenn man will, iſt man immer zu etwas gut erwiederte der Pfarrer.

Vogt. Ach! Jch will mich vor allen Menſchen verbergen, in einem Winkel, ſo lang ich noch lebe, fuͤr mein ewiges Heil bethen, bethen und ſeufzen.

Pfarrer. So lang wir leben, ſind und gehoͤren wir zu den Leuten, und wir thun nicht recht, und machen uns eben dadurch zu unnuͤzen Ueberlaſten in der Welt, wenn wir uns von den Leuten abſondern; Es iſt am lieben Gott, und nicht an uns, uns von der Welt abzuſoͤndern, und vor den Leuten zu verbergen, wenn er uns verborgen haben will; Und er thut das, Vogt, wenn er uns ins Grab legt.

Vogt. Ach, wenn ers nur bald thaͤte!

Pfarrer. Machts dir Muͤhe, daß du wie - der gefangen biſt?

Vogt. Jch weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht.

Pfarrer. Es iſt natuͤrlich Aber wenn man dich izt heimgelaſſen, meynſt du, es waͤr dir beſſer?

C 2Vogt. 36

Vogt. Warum ſollte es mir nicht beſſer ſeyn, wenn ich heim koͤnnte?

Pfarrer. Fuͤr einen Augenblik kañs wohl ſeyn Aber, Vogt, um uͤberall zu dir ſelber und fuͤr dein ganzes kuͤnftiges Leben in Ordnung zu kommen, werden dieſe 14. Tage dir gewiß wohl thun, wenn du ſie recht braucheſt.

Vogt. Ach! Jch bin eingeſperrt!

Pfarrer. Aber, wofuͤr?

Vogt. Ha was weiß ich!

Pfarrer. Wenn du es nicht weiſſeſt, ſo weiß ichs, gewiß nur um deiner ſelber wil - len, und damit du wieder recht werdeſt und recht thueſt, biſt du eingeſperrt.

So fieng der Pfarrer an, dem armen Mann den Zuſtand ſeiner Gefangenſchaft auf eine vernuͤnftige Art anzuſehen zu ma - chen; und er ward nach und nach in den 14. Tagen, in denen er faſt Tag und Nacht bey ihm war, ſo vertraut mit ihm, daß ſie faſt wie Bruͤder mit einander redeten.

Jch kann aber dieſe Geſpraͤch nicht von Wort zu Wort erzaͤhlen, ſie wuͤrden zu langweilig; Aber die Hiſtorie, in der ich fortfahre, wird ſchon zeigen, was das wich - tigſte davon ware.

Der Pfarrer gieng mit ihm in ſein Ju - gendleben in ſein maͤnnliches Alter in37in die Zeit, wo er Wirth, und in die, wo er Vogt war, hinein; Er brachte ihm, was er tauſendmal vergeſſen, wieder zu Siñ, daß er am Ende heiter wie der Tag ſah, wie der Vogt das werden muͤſſen, was er worden iſt.

Und das Leben des Manns enthuͤllte dem Pfarrer das Leben ſeines ganzen Dorfs, daß er izt in alle Haushaltungen hineinſah wie in einen Spiegel, und hundert traurige Umſtaͤnde und Sachen, wo vorher alles ra - then und helfen umſonſt war, wurden ihm izt heiter wie der Tag.

Der Vogt wollte freylich zuerſt auch nicht recht mit der Sprache heraus, beſonders weñ andere Leute in ſeine Fehler verwikelt waren, und ſagte einmal bey einem ſolchen Anlaaß zum Pfarrer: Jch mag zu allem, was ich ſchon auf den Schultern habe, nicht noch machen, daß mich Junges und Altes im Dorf noch oben drauf verfluche: Aber die - ſer zeigte ihm ſo herzlich und deutlich, daß er juſt denen, die es im Anfang zum hoͤchſten uͤbel aufnehmen werden, was er ihnen aus - bringe, den groͤſten Dienſt damit thue, daß er von der Zeit an dem Pfarrer uͤber alles unverhoͤllen ſagte, was er wußte,

C 3§. 11.38

§. 11. Seltſamme Wirkungen des boͤſen Gewiſſens.

Aber wie wenn das Wetter ins Dorf ge - ſchlagen, ſo war alles ob der Nachricht, daß der Vogt dem Pfarrer alles erzaͤhle, was er von Jedermann wiſſe, betroffen. Man ſah in allen Gaſſen Leute die Koͤpfe gegen einander und gegen die Waͤnde kehren; es fehlte hie und da Maͤnnern und Weibern an ihrer natuͤrlichen Farb; viele, die den Hu - ſten hatten, oder einen kurzen Athem, be - fanden ſich uͤbler als gewohnt; und es gab in allen Haͤuſern die wunderbarlichſten Auftritte.

Viele boͤſe Weiber wurden einsmals mit ihren Maͤnnern wieder gut.

Viele wilde und freche Kinder wurden ſo zahm, daß man ſie um einen Finger herum winden konnte.

Eheleute und Hausleute fragten ſich Sa - chen und ſagten ſich Sachen, daß man nicht haͤtte errathen koͤnnen, wie ſie izt juſt auf das kaͤmen, und an das daͤchten.

Wenn er izt auch ſagte, ich haͤtte ihm deinen Mantel verkauft, der dir geſtohlen worden, ſagte die durſtige Frau Stofe - lin zu ihrem hauslichen Mann Joosli.

Daß 39

Daß du izt auch den Mantel wieder auf - waͤrmſt, der mir ſo wehe that antwor - tete Joosli.

Man muß halt immer fuͤrchten, ſo einer bringe noch andre Leut ins Ungluͤk, und es iſt mir wie vor, es gebe etwas ſagte die Frau.

Und Joosli erwiederte: Du weiſſeſt, wie lange ich dirs zutraute, und wie du mich dazu gebracht, daß ich dir verſprochen, nichts mehr davon zu reden, und izt fangſt du wie - der damit an, wie wenn du kein gutes Ge - wiſſen haͤtteſt.

Jzt heulte die Frau, und ſagte: Du weiſ - ſeſt doch auch, daß wir Baͤttler uͤbernacht hatten, da er weggekommen.

Du haſt ja davon angefangen, nicht ich, ſagte der Joosli, du wirſt wohl wiſſen wa - rum und ſchnurrete aus der Stube.

Jch will dich zurichten, daß du ausſie - heſt, wie eine Nachteule, wenn du mir et - was ausbringſt, ſagte die Bethſchweſter Bar - bel zu ihrer Dienſtmagd und Mithalterin am verſtohlenen Abendtrunk, den ſie ihr alle Tag zwiſchen Feuer und Licht vom Vogt bringen mußte.

Wenn er auch ſagte, daß er alle Wochen von uns Garn bekommen ſagte Chriſtofs Liſe zu ihrer Schweſter Clara.

C 4 Wir 40

Wir wollen ſchweigen, wie Kaͤfer ſagte dieſe.

Und laͤugnen, wie Hexen, erwiederte jene.

Solche Reden floſſen in allen Eken, und allenthalben war die Liebe, die man dem Vogt vor dem Taufſtein verſprochen, wie der Wind weg.

Er hat da gethan, wie ein Heiliger, und izt macht ers uns ſo verflucht als er nur kann Das war das beſte, was man hinten und vornen im Dorf von ihm ſagte.

Aber wem fuͤr ſeine Haut bang iſt, der vergißt nichts leichter als die Liebe, und es war vielen ſo angſt, daß es einer Kaz im Sak nicht aͤngſter ſeyn koͤnnte.

§. 12. Die Ungleichheit dieſer Wirkungen des boͤſen Gewiſſens bey Ge - ſchaͤftserfahrnen Leuten.

Am baͤngſten aber wars den Herren Vor - geſezten, dieſe aber probierten nach und nach auf eine andre Manier von dieſem ſchlimmen Handel zu reden.

So41

So ein Kezer koͤnnte ein ganzes Dorf ungluͤklich machen, ſagte Nachbar Kienholz zu ſeinem Nachbar Kalberleder.

Es iſt vielleicht kein Menſch im Dorf, mit dem er in den 20. Jahren, ſeit dem er Vogt iſt, nichts krummes gehabt hat, und um ſeinetwillen wird doch hoffentlich nicht die ganze Kilchhoͤri mit ihm unter den Gal - gen muͤſſen antwortete dieſer.

Du Narr, das iſt eben der Vortheil, ſagte der Kienholz, daß er darunter geſtan - den.

Ja, bey Gott, das iſt wahr; man iſt izt nicht mehr ſchuldig, ſich mit ihm einzulaſſen, erwiederte der Moosbaur.

Und es war, wie wenn dieſes Wort den Bauren das Herz weit machte; auf einmal gieng ihnen das Maul auf, und alle, alle waren der Meynung und behaupteten laut, ſie ſeyen nicht mehr ſchuldig ſich mit ihm ein - zulaſſen: er moͤge uͤber ſie ſagen, was er wolle, weil er dem Henker unter den Haͤnden ge - weſen.

Der Huͤgi aber, der nie kein Narr war, ſagte nach einer Weile; Jhr habet wohl recht, daß ihr das Lied alſo ſingt, und ich wills gern mit euch ſingen; aber es waͤr doch im̃er beſſer, wir koͤnnten machen, daß er das Maul uͤberall halten wuͤrde.

C 5Das42

Das kann ein Narr ſagen, erwiederte der Kalberleder; Aber wie ihm das Maul ſtopfen, das waͤre etwas anders.

Jch meyne mit Brod, ſagte der Huͤgi Und im Augenblik waren ihrer viele der Meynung, ja, man muͤße trachten, ihm das Maul mit Geld und Brod zu ſtopfen, bis er ſchweige.

Zwar waren auch einige darwider, und der geizige Rabſerbauer rief uͤberlaut, er woll nichts von dem hoͤren.

Aber der Kienholz und die andern ant - worteten ihm; Du wirſt wohl davon hoͤren muͤſſen; und man war ins Kienholzen Stu - ben bald einig, man muͤße mit allen Vorge - ſezten und groͤßern Bauern dießfalls Rath halten.

Und der Kienholz ſandte den Staͤndliſaͤn - ger Chriſten, der eben vor den Fenſtern den Maulaffen feil trug, eilends im Dorf herum, und innert einer Stunde war alles, was im Dorf etwas zu bedeuten hatte, bey einander.

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§. 13.43

§. 13. Ein Bauren-Rath.

Da brachte der Kienholz den Verſammel - ten den Vorſchlag vor, aber weil er Geld koſtete, war nicht alles einer Meynung. Hie und da rief einer uͤberlaut: Bey meiner Seele, ich gebe keinen Haͤller dran, und der Rabſer ſagte deutſch: Wenn er ihn vor ſich zu Hunger ſterben ſaͤhe, er gaͤb ihm kein Stuͤk Brod: Aber man fuhr ihm uͤbers Maul: Du Narr, du muſt das Stuͤk Brod dir ſelber und nicht ihm geben ſagte der Huͤgi, und der Kienholz ſezte hinzu: Jhr Donnern, es merkt etwa ein Jeder, was auf uns wartet, wenn wir ihm das Maul nicht zuthun.

Man wird uns nicht alle haͤngen, erwie - derte der eisgraue Mooßbauer, ders mit dem Rabſer hielte.

Wenn ihr allein waͤret, ihr koͤnntets un - ſerthalben probieren. Aber wir wollen nicht mithalten, ſagten die andern.

Es iſt da nichts anders, ſagte der Huͤgi, wenns fehlt, ſind dann die Großmaͤuler die erſten, die ſich die Haar aus dem Kopf her - aus rauffen wollen.

Ja44

Ja ja, ſagte der alte Meyer, der der ehr - lichſte war, aber ſich grauſam fuͤrchtete: Jch wollte lieber den Rok ab dem Leibe geben, als mich nur verantworten.

Mir wuͤrde das Verantworten nichts ma - chen, wenn ich das Beweiſen nicht fuͤrchtete ſagte der Spekmolch.

Jm Augenblik nahm der Mooßbauer wie - der das Wort und ſagte: Mit dem Bewei - ſen hats ja noch keine Noth; Kalberleder, du ſagteſt erſt vor einer Stunde ſelber, es ſey gleichviel, ob ein Hund belle, oder ſo ei - ner etwas wie der Vogt iſt ſage.

Es iſt nicht wahr; ich hab das nicht ge - ſagt, erwiederte der Kalberleder.

Du redſt es wie ein Schelm, wenn du es laͤugneſt ſagte der Mooßbauer.

Schelmet einander, wenn ihr allein ſeyd, ſagte der Huͤgi. Links und rechts ſagten izt viele: Es trift ja nur 3. Kronen a[uf]den Kopf: das wird keinen zum Land hinaus treiben.

Das waͤr wohl ſo, wenn er nicht ſchon ſo viel um anders gebracht haͤtte ſagte der Rabſer.

Was machen, wir ſind ihm izt noch in den Klauen, erwiederte der Kienholz.

Die Widerſpaͤnnigen ſchwiegen nach und nach, und endlich wurden alle einig, wennman45man ihn koͤnne machen das Maul halten, ſo wollen ſie die 3. Kronen fuͤr ihn ſchwi - zen, ſo lang es noch mit ihm gehe, ſagten die Einten und bis er krepiere ſagten die andern.

§. 14. Bauren-Wahl

Aber wie das ihm geſchwind ſagen? Da - vor war izt wieder neuer Rath und viel Meynungen.

Einige riethen den Hartknopf an; Andere ſagten, der macht zu viel Weſens; es muß einer ſeyn, der, wenn etwas krummes darein ſchlaͤgt, mit einem Wort Antwort giebt und nicht mit einer Predigt.

Ein junger Gauch rieth auf den Kriecher, als der ſich am beſten ins Pfarrhaus hinein ſchleichen koͤnnte Aber es war Niemand ſeiner Meynung. Der wuͤrde den Lohn nehmen, und uns ſamt dem Vogt an den Tuͤrken verkauffen, ſagten unten und oben die Maͤnner.

Endlich ſtund Kalberleder auf, und rieth auf ſeinen Buben. Die Bauren ver - wunderten ſich, und ſperrten das Maul auf: denn ſie wußten gar nicht, was dieſer be -ſon -46ſonders koͤnnen ſollte. Jhr ſperret das Maul auf; meynet ihr dann, ich wiſſe nicht, was ich ſage? ſagte izt der Kalberleder: Sehet, ich habe einen Nußbaum in meiner Matte, gerade auf der Seite vom Pfarrhaus, wo der Vogt ſtekt, ich will den dran wagen; mein Bub muß ihn umhauen, und auf die - ſe Weiſe hat er einen Anlaaß da zu ſtehen, und auf Gelegenheit zu paſſen; er kennt den Hans und die Koͤchin, und es muß nicht fehlen, er lokt den Vogt ans Fenſter, oder luͤgt ſich gar zu ihm ins Pfarrhaus hinein. Die Bauren fanden den Rath gut, und ba - then den Kalberleder gar, daß ers ſo mache. Dieſer pochte noch einen Augenblik uͤber den Dienſt, den er ihnen thue, und dann gien - gen die zwey geſcheideſten, der Huͤgi und der Kienholz mit ihm heim, den Buben recht zu unterweiſen, warum es zu thun ſey, und wie er es anſtellen muͤße.

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§. 15.47

§. 15. Des Kalberleders Verſuch, den Sa - chen zu helffen, und ſein uͤbler Ausſchlag.

Sie waren izt da, und thaten was noͤthig, und der junge Kalberleder gieng bald zum Nußbaum, und fieng dann an, wie weñ er einen halben Rauſch haͤtte, den Kuͤhreyen zu ſingen. Das dunkte den Pfarrer gar lu - ſtig, er lag unter das Fenſter, und hoͤrte dem Holzhaker, der den Kuͤhreyen ſang zu. Auch der Vogt gukte hinter dem Umhang hervor, zu ſehen, was das geben muͤße; denn er merkte gleich, daß der Kalberleder nicht fuͤr die lange Zeit den Baum umhaue, ſonder daß dahinter gewiß etwas ſtekte.

Es gieg nicht lang, ſo ſtellte des Pfarrers Hans ſich in ſeinen Garten-Eken zum Kalber - leder und ſagte: Es iſt faſt Schade, daß du den Baum umhaueſt, er trug ja alle Jah - re ſo viel Nuſſen. Der Kalberleder antwor - tete: Er giebt gute Laͤden zu Flintenſchaͤften, und mein Vater hat einem Glarner einen gu - ten Baum verſprochen; zu dem treiben die Nußbaͤume mit den Wurzeln gar weit, und ſchaden mehrentheils am Gras mehr, als ſie an den Nuſſen abtragen.

Hans. 48

Hans. Das iſt ſonſt wohl ſo; aber ihr laſſet dieſen da mit ſeinen Wurzeln ja nur ge - gen unſer Land und nicht gegen euers treiben.

Kalberleder. Wie meynſt du das?

Hans. Ha ſo daß ihr bald alle Jahre ihm auf euerer Seite die Wurzeln abgrabet.

Kalberleder. Du weiſt einmal mehr als ich.

Hans. Nein, wie ihr doch ſo unſchuldig thun koͤnnet, ihr Nachbauren!

Kalberleder. Jch weiß gewiß nichts von dem. Aber ſag doch, waͤrs vielleicht nicht moͤglich, daß ich dem Vogt auch einen guten Abend ſagen koͤnnte?

Hans. Wohl freylich!

Kalberleder. Kommt er nie ans Fenſter?

Hans. Du kannſt ja zu ihm in die Stu - ben, der Herr Pfarrer hat gewiß nichts dar - wider.

Kalberleder. Er moͤchte glauben, was ich mit ihm wollte.

Hans. Du wirſt nichts geheimes haben?

Kalberleder. Nichts weniger.

Hans. Der Herr Pfarrer iſt unter dem Fenſter; wenn ich dich waͤre, ich gieng und ſagte es ihm ſelber.

Du haſt recht, ſagte der Kalberleder, legte den Karſt ab, nahm ſeine Kappe in die Haͤn - de, gieng unter das Fenſter, wo der HerrPfar -49Pfarrer war, buͤkte ſich tief, und ſagte: Gott gruͤß euch, wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!

Jch dank dir erwiederte der Pfarrer.

Kalberleder. Jhr zuͤrnt es doch nicht, daß der Vater den Nußbaum da umhauen laſſen will.

Jch wuͤßte gar nicht, warum, ſagte der Pfarrer.

Kalberleder. Ha, ich daͤchte, wenn er euch etwa Schermen (Schuz) im Hof gaͤbe.

Pfarrer. Er ſteht nicht an der Windſeite. Nein, ich bin gar froh, wenn er wegkom̃t, er nahm uns die Morgenſonn in dem halben Garten.

Kalberleder. Wenn es dem Vater jemals in den Sinn kommen waͤre, daß er euch im Weg ſtuͤhnde, er haͤtte ihn gewiß ſchon lange umgehauen.

Pfarrer. Er ſah das wohl, aber es war meinetwegen nicht noͤthig.

Kalberleder. Warum das nicht, Herr Pfarrer? Jhr koͤnnt nicht glauben, wie ihr den Leuten ſo lieb ſeyd, und wie es auch den Vater freut, daß ihr mit dem armen Tropf ſo gut ſeyd, den ihr bey euch habet.

Pfarrer. Jch thue ihm nichts als meine Schuldigkeit.

Kalberleder. Wohl freylich, Herr Pfar -Drer50rer. Aber wie geht es auch, um Erlaubnuß, Herr Pfarrer? Haltet er ſich auch, daß ihr mit ihm zufrieden ſeyn koͤnnet.

Pfarrer. Ja, Gottlob, bis izt bin ich von Herzen mit ihm zufrieden.

Kalberleder. Der Vater hat geſagt, viel - leicht ſeh 'ich ihn etwa am Fenſter, und ich ſoll ihn in dem Fall von ſeinetwegen gruͤßen, und ihm ſagen, daß er doch auch nicht ver - zweifle; es werde wills Gott auch noch Brod fuͤr ihn in der Welt geben.

Pfarrer. So viel ich merken mag, iſt er izt einmal fuͤr ſein Brod noch nicht unruhig.

Das freut mich, antwortete der Kalber - leder, und nach einer Weile ſagte er wieder Wenn ich doͤrfte, Herr Pfarrer, ich haͤt - te faſt Luſt, ihn auch einen Augenblik zu ſe - hen, weil ich doch ſo nahe bin.

Jch mags wohl leiden, ſagte der Pfar - rer.

Nun hatte der Kalberleder, was er woll - te; er gieng mit dem Pfarrer in die Stube, und paſſete da unter gleichguͤltigen Geſpraͤ - chen einen Augenblik ab, in welchem der Pfarrer beyſeits gieng.

Wie ein Bliz ergriff er dieſen Augenblik, und ſagte zum Vogt: Jch muß dir geſchwind ſagen, weil wir allein ſind, wenn du ſtille biſt, und Niemand ins Ungluͤk bringſt, ſowol -51wollen dir die Vorgeſezten alle fuͤr deiner Lebtag an die Hand gehen, daß du Brod halber ruhig ſchlafen kannſt; aber wenn du ſchwazeſt, und ſie auch ins Spiel hinein zie - heſt, ſo zaͤhl darauf, daß du keinen Men - ſchen im Dorf findeſt, der dir auch nur ein Stuͤk Brod giebt, wenn er dich vor ihm zu Hunger ſterben ſieht: Das iſt, warum ich da bin, und warum ich mich zu dir in die Stube geſchlichen.

Der Vogt war uͤber dieſen ploͤtzlichen An - trag ſehr betroffen, wußte einen Augenblik nicht, was er antworten ſollte, und ſagte dann ganz wehmuͤthig zum Kalberleder: Jch habe geglaubt, du ſeyeſt blos aus Freund - lichkeit fuͤr mich da.

Jch bin izt dafuͤr da, und moͤchte gern eine Antwort, ſagte der Kalberleder, und ſah ihn an, wie wenn er ihn durchſtechen wollte.

Jch kann nicht helffen, ihr koͤnnet mit mir handeln, wie ihr wollet, antwortete der Vogt.

Und der Kalberleder Du haſt hiemit ſchon geſchwazt?

Vogt. Jch kanns nicht laugnen.

Kalberleder. Ach! weñ du willt, du kañſt alles wieder zuruͤk nehmen und verdrehen.

Vogt. Jch thue es nicht.

Kalberleder. So!

D 2Vogt. 52

Vogt. Es iſt mir leid; aber es iſt beſſer; die Unordnungen

Kalberleder. Schweig doch von Unord - nungen; wer hat ſie gemacht als du?

Vogt. Es iſt mir leid!

Kalberleder. Verkehr, was du geſagt haſt es gereut dich nicht.

Vogt. Jch kann nicht.

Kalberleder. Willt du nicht?

Vogt. Jch kann nicht, und die Wahrheit zu ſagen, ich will auch nicht Aber du wirſt erleben, daß ich Niemand nichts da - mit ſchaden wird.

Kalberleder. Das iſt geredt, wie wenn du den Verſtand verlohren haͤtteſt.

Vogt. Jch kann wohl begreiffen, daß es dir ſo vorkommen wird: Es waͤre mir vor 14. Tagen auch ſo vorgekommen.

Kalberleder. Rede doch izt nicht wie eine alte Bethſchweſter; dein Gluͤk hangt von dieſem Augenblik und von deinem Wort ab.

Vogt. Mach dir keine Hoffnung; daraus giebt es gewiß nichts.

Kalberleder. Glaub mir, du wirſt dei - nen Lohn dafuͤr kriegen.

Eben izt kam der Pfarrer wieder in die Stuben, und der Kalberleder nahm bald darauf Abſcheid. Vorher aber ſagte er noch zum Pfarrer, er glaub ', er habe den Vaternicht53nicht recht verſtanden, und er habe vielleicht nicht den Nußbaum gemeynt, den er ange - griffen. Das kann wohl ſeyn, ſagte der Pfarrer: Und der Kalberleder ich will ihn doch, eh 'ich ihn vollends umhaue, noch einmal fragen.

Du thuſt ihm recht, ſagte der Pfarrer, merkte aber doch, daß etwas krummes um den Weg war.

Die Vorgeſezten aber wunderten gar ſehr, wie es mit dieſem Vorhaben gehe, und ſtuhn - den mit Ungeduld wartend hinter den Haͤu - ſern und Zaͤunen, wo man gegen dem Pfarr - haus ſieht; Der Spekmolch kroch ſogar mit ſeinem großen Bauch uͤber Garben und Heu - ſtok unter das Dachloch, um von da hinun - ter zu ſehen, wie es dem Kalberleder gehe, und wenn er wieder heimkaͤme. Aber die hinter den Heken, und der unter dem Tag - loch wurden uͤbel getroͤſtet, da ſie ſahen, wie er den Kopf haͤngte, und die Haͤnde lam - pen (fallen) ließ, als er wieder zum Pfarr - haus hinaus gieng.

Sie eilten aber doch zu ſeinem Vater, den Bericht ganz zu vernehmen; dieſer wollte noch dik thun, und zum voraus ruͤhmen, was ſein Sohn ausgericht. Sie aber ſtopften ihm das Maul, und ſchwuren zum voraus, was er heimbringe, ſey ein hinkender Bott.

D 3Jhr54

Jhr koͤnnts doch auch nicht wiſſen, bis er da iſt, ſagte der Vater.

Wohl freylich, ſagten die Bauren, als eben der Bub anlangte; Er warff das Hol - zergeſchirr ſo ſtark ins Tenn hin, daß es in der Stube zitterte; kam dann erſt nachdem ihm ſein Vater zweymal ruffen mußte, in die Stube, ſtand in einen Eken, gruͤßte Niemand, und ſagte nur: Es iſt alles nichts.

Die Bauren aber wollten mehr wiſſen, und er mußte, ſo ungern er redte, ihnen um - ſtaͤndlich erzaͤhlen, wie es zugegangen. Als er fertig war, hudelten ſie ihn noch ei - nen Augenblik aus, giengen dann nach und nach wieder heim, geladen mit Gedanken u. Rathſchlaͤgen, die die Angſt in ihnen aus - brutete, die aber noch nicht reiff waren.

Den alten Kalberleder reute izt nichts ſo ſehr, als ſein Nußbaum; Jch moͤchte das helle Waſſer wainen, daß ich ihn ſo leichtſin - nig umhauen laſſen, ſagte er, als ſie kaum fort waren, zu ſeinem Buben.

Jch war kein Narr, erwiederte dieſer; ich noderte nur ſo an den Wurzeln, und er ſteht deßhalben noch hundert Jahre.

Das iſt gut, Bub, was man nicht weg - giebt, das hat man noch, ſagte der Vater Und dann bald darauf

Aber55

Aber gaͤlt, es haͤtte den Pfarrer gefreut, wenn er dieſes Garten-Nachbars los wor - den waͤre?

Das denk 'ich; er und der Hans ſagten beyde, er freſſe nur ab ihrem Boden, ant - wortete der Bub Und der Vater ſagte: er frißt hoffentlich noch laͤnger darab als ſie beyde.

Der Bub. Jch habe dem Pfarrer, da ich ſah, daß es mit dem Vogt nichts war, geſagt: ich glaub ', ich habe dich unrecht ver - ſtanden, und du habeſt vielleicht einen an - dern Baum gemeynt.

§. 16. Die Dorfmeiſter ſuchen in ihrer Angſt beym Teufel und ſeiner Großmutter Huͤlffe.

Den geaͤngſtigten Bauren aber giengen gar wunderliche Ding in ihren Koͤpfen her - um: Nicht nur einem kams zu Sinn, wenn der Pfarrer und der Junker, oder nur einer von beyden todt waͤre, ſo waͤre die Gefahr fuͤr ſie voͤllig voruͤber; doch bliebs dabey, es gieng keiner hin, ſie todt bethen zu laſſen, und keiner ſchlug ſie todt.

D 4Aber56

Aber ſie hinter einander zu richten, und ihnen ſo viel Arbeit und Verdruß zu machen, als nur immer moͤglich dahin zielten zu - lezt ihre Entſchluͤſſe: denn ſie glaubten auf dieſe Weiſe ſie dennoch zulezt von dem, was der Hummel etwa ſagen moͤchte, abzulenken.

Und es traf juſt ein, daß ſchon ſeit dem lezten Sontag unter der Hand ein Geruͤcht gieng, es ſey an der lezten Gemeind nicht natuͤrlich zugegangen, und der Huͤnertraͤger habe die Leute mit Teufelskuͤnſten verblendt.

Bisher hatte zwar alles, was ein wenig Vernunft hatte, und beſonders die Vorgeſez - ten uͤber dieſen Narreneinfall gelacht; aber izt ſchien er ihnen in Kram zu dienen, und ſie huben an, ganz ernſthaft daruͤber zu re - den, und machten durch hunderterley Fragen und Bemerkungen je dem Duͤm̃ſten, den ſie vor ſich hatten, den Kopf daruͤber groß; ſie lobten den Hartknopf uͤberlaut, daß er ſo ſtandhaft ſey, und was wahr iſt, ſagen doͤrffe, wenn man ihn ſchon links und rechts, und ſogar auf der Kanzel drob auslache.

Dieſer ſchmoͤllelete mit dem Maul, wenn er ſich ſo loben hoͤrte, wie wenn er Zuker darinn haͤtte, und war vom Morgen bis an den Abend ohn 'Aufhoͤren im Eifer, ſeine Meynung wider den Huͤnertraͤger allenthal - ben auszubreiten: ſie fand auch unter demSchuz,57Schuz, den ſie izt hatte, vielen Glauben; denn die Dorfmeiſter botten allem auf, die - ſes und aͤhnliche Sachen izt zum Trumpf, und einzigen Geſpraͤch zu machen, worob ſich junges und Altes aufhielt.

Man zog ſogar den Doktor Treufaug, des alten Meiſters von Arnheim ehrlich gemach - ten Großſohn ins Spiel, und machte ihm begreiflich, wie ſein Brodkorb daran hange, daß ſolche Teufelsgeſchichten immer guten Glauben finden, und daß es izt die beſte Zeit ſeye, hieruͤber ein wenig das Maul aufzu - thun.

Dieſer ließ ſichs nicht zweymal ſagen; wo er eine Klappertaſche oder einen Hansdampf antraf, bott er ihm eine Priſe Tabak, und fieng an mit ihnen zu ſchwazen.

Was meynet ihr, ſagte er dann, was meynet ihr? wie haͤtte ich Haus und Hof zuſammen gebracht, und einen ſo groſſen Brauch erſtritten, wenn es keine ſo boͤſen Leut gaͤbe? Ja, wenn ich reden duͤrfte Juſt, wo man ſolche Sachen am ſtaͤrkſten laugnet, giebt man mir am meiſten Dou - blonen zu verdienen. Jch will nichts ge - redt haben, aber wenn ich ſagte, wie es in den Schloͤſſern und Pfarrhaͤuſern auſſaͤhe, ihr wuͤrdet Maul und Augen aufthun. Erſt vor 8. Tagen hat mich ſo ein hoffaͤrtigerD 5Jun -58Junker mit dem Hut unterm Arm und dem Saͤkel in der Hand bitten muͤſſen, ihm Ruh zu ſchaffen. Sr. Gnaden Herr Sohn, der ſchon Jahr und Tag in einer papierenen Gutſche heimgekommen, erſchien dem Alten richtig alle Fronfaſten in ſeiner Kammer; aber unſer einer muß ſchweigen, ihr koͤnn - tets ſonſt merken, wers iſt.

Er wußte ſogar den Leuten, ohne daß ers ausdruͤklich ſagte, einzuſchwazen, daß Arner ihn ſelber brauche, weils unrichtig im Schloß ſtehe, ſintdem der Alte todt ſey.

Durch ſolche Mittel und Wege that die Schelmenbande allen Narren, die jemals et - was geſpengſtermaͤßiges glaubten, das Maul auf.

Man erzaͤhlte auch wieder viel von dem Haus, das der Hoorlacherin gehoͤrt, und ſo ungeheurig war, daß Jahre lang Niemand darinn wohnen koͤnnen, bis es endlich der Vogt um einen Spottpreiß gekauft, und dann durch den Kapuziner Muͤnchthal den Teufel ins Tobel zu hinterſt am Eichwald verbannet.

Auch die Geſchichte des Kraͤhenbaumes bey der Schmitten kam wieder in alle Maͤu - ler; wie daß naͤmlich bey 10. Jahren alles Ungluͤk das Haus verfolgte, und wie der Schmied es alle Morgen ſicher zum vorauswuß -59wußte, wenn der Vogel auf dem linken Aſt, der kohlſchwarz war, und darum auch Teufelsaſt hieß, abſaß, daß vor der Son - nen Untergang ein Ungluͤk im Haus ſeyn wuͤrde; und da half dann kein Bethen, kein Frommſeyn, kein Rechtthun: wenn die Kraͤhe am morgen nuͤchter das Maul auf dem Aſt aufthat, ſo war das Ungluͤk be - ſchloſſen, und vor Abend ſicher im Haus.

Das iſt bey 10. Jahren in einem ſo fort - gegangen, bis endlich der Schmied den Baum umhaute und verbrannte; von der Zeit an ſeye Jahr und Tag kein Ungluͤk mehr geſchehen, außert daß der Schmied ſelber ein Narr worden, und man ihn an Haͤnd und Fuͤßen anbinden muͤſſen; aber ſonſt wars, wie wenn das Gluͤk zum Dach hineinregnete, ſeit dem die Kraͤhe nicht mehr auf dem Teufelsaſt abſizen konnte.

Solche Geſchichten waren izt allenthal - ben wieder der Tert im Dorf: die guten u. die boͤſen Muͤttern redeten wieder fleißig mit den Kindern vom ſchwarzen Mann, der ſie hollen wuͤrde, wenn ſie nicht recht thaͤten, und dergl.

Die junge Kienholzin, die aus Hoffart Jahr und Tag unglaubig war, und mit ih - ren Kindern uͤber Geſpengſter und Heren den Spaß trieb, kehrte izt den Spieß wie -der60der, und bethete alle Morgen und Abend mit ihnen das Gebeth wider die Nachtge - ſpengſter, boͤſe Geiſter und Heren. Die Kinder ſagten zwar am erſten Abend: Mut - ter, warum muͤſſen wir izt auch das Gebaͤtt wieder baͤtten? du ſagteſt ja erſt vorgeſtern, die Leut ſeyen Narren, die es baͤtten.

Es iſt mir izt wieder anders worden; ihr muͤßt es izt wieder ſo fleißig bethen, als der Glaube und das Vater unſer, ſagte die Mutter.

Hats izt dann wieder Geſpengſter, Mut - ter? fragten die Kinder.

Daß Gott erbarm, ja freylich, die gan - ze Welt voll, ſagte die Mutter.

Kinder. Wie weißſt du's izt gerad wie - der, daß es die ganze Welt voll hat?

Mutter. Ach! ihr guten Kinder! es ge - hen gar greuliche Sachen im Dorf vor; be - thet nur fleißig euere Bether, und b'huͤtet und b'ſegnet euch fleißig, wenn ihr zum Haus hinaus geht, und nehmet ja keiner alten Frauen nichts ab, es mag Obſt oder Brod, oder was es will ſeyn.

Auch das Kazenſchwanz-Spiel, das die guten Kinder des Maurers und des Rudis ſpielten, wurden je laͤnger je bedenklicher ge - macht. Der Hartknopf ſagte uͤberlaut: Es ſey ein Teufelsſpiel.

Und61

Und die Spekmolchin, ein Weib dazu ge - macht, Gift aus Honig zu ziehen, und aus Muͤken Elephanten zu machen, traf des Rudis Grithe ungluͤklicher Weiſe auf der Gaſſe an, und wollte izt auch ſo recht dar - auf kommen, was da hinter dem Kazenſpiel, von dem man ſo verdaͤchtig rede, doch ſteke. Sie gab dem Kind freundlich die Hand und ſagte: Habt ihr vorgeſtern braf luſtig ge - macht, bey des Maurers?

Das glaub 'ich, ſagte das Kind und die Frau: Gaͤlt Kind! es war eine ſchoͤne Kaz in der Stube?

Kind. Ey ja!

Frau. Eine ſchwarze?

Kind. Eine halbſchwarze.

Frau. Sie hatte doch feurige Augen?

Kind. Ja, wenn ſie unterm Bank war.

Frau. Was machte die Kaz?

Kind. Nichts anders.

Frau. Saß ſie immer ſtill?

Kind. Nein, ſie ſtrich uns um die Bei - ner herum, und ſpuhlte; ſie iſt mir einmal faſt auf den Schooß geſprungen.

Frau. Waͤhrend dem Bethen?

Kind. Meynet ihr, die Kazen wiſſen, wenn man bethet?

Frau. Ruͤhrtet ihr ſie an?

Kind. Ja doch.

Frau. 62

Frau. Waͤhrend dem Bethen?

Kind. Wenn ſie uns zu nahe kam.

Frau. Mußtet ihr die Haͤnd nicht zuſam - men halten waͤhrend dem Bethen?

Kind. Wohl freylich.

Frau. Wie koͤñtet ihr ſie dann anruͤhren?

Kind. Mit den Beinen unter dem Tiſch.

Frau. Aber gaͤlt, ſie war kohlſchwarz?

Kind. Nicht uͤberall.

Frau. Aber doch faſt gaͤlt, viel ſchwarz.

Kind. Ja.

Frau. Und hatte feurige Augen?

Kind. Haſts ja g'hoͤrt, wenn ſie unterm Bank war.

Aus dieſem Geſpraͤch, welches die Spek - molchin links und rechts mit Zuſaͤzen noch groͤßern Narren als ſie war, ins Ohr raum - te, war innert wenigen Stunden heraus ge - bracht, das ſey doch keine natuͤrliche Kaze geweſen.

Wie ein Lauffeuer gieng im ganzen Dorf herum, wie unrichtig es ins Maurers Haus ſtehe, und etliche Tag nach einander war dieſes Haus das einzige Geſpraͤch des Dorfs.

Weder dem Maurer noch dem Rudi ſagt 'aber lange Niemand kein Wort von allem; ſie merkten nur dieſes, daß man ſie allenthal - ben gar wunderlich anſah, und ihre Kinderka -63kamen oft heim, wainten und klagten, es ſeye wo ſie hinkommen, wie wenn man ſie ſcheue. Die liebſten Kinder, mit denen ſie immer gut geweſen, wollten nichts mehr mit ihnen haben, und man ruffe ihnen zu den Fenſtern hinaus, und hinter den Zaͤunen Kazenſchwaͤnz - ler und Kazenſchwaͤnzlerin.

§. 17. Die Fahne dreht ſich.

Wies aber dann geht, wenn man Boshei - ten und Narrheiten zu weit treibt; Es gab Leute, die merkten, was hinter die - ſem ſtekte.

Der Vorgeſezte Renold und ein paar an - dre Ehrenleut ſagten laut, man rede da Sa - chen und thue da Sachen, die fehlen koͤnnen, und die nicht recht und nicht braf ſeyen; ſie haben in ihrer Jugend den Kazenſchwanz auch gezogen, wie des Maurers Kinder, und manchmal vor und nach dem Bethen luſtig gemacht; aber es waͤre einer ihren Eltern wohl angekommen, wenn ers probiert haͤtte, aus ſolchen Kindenſachen dergleichen Ge - ſchwaͤzwerk anzuſtellen.

Das machte ſo viel, daß der eint und andre anfieng ſich in Acht zu nehmen, waser64er rede; es gieng auch nicht mehr lang, ſo ſagten gute Freunde dem Maurer, und lie - be Frau Baaſen der Gertrud, was man uͤber ſie ausſtreue, und das Ungluͤk traf die Schnabelgrithen, daß eine Nachbarin, die ihr haͤßig war, ſie bey dem Maurer ver - ſchwaͤzte, und ſagte, ſie habe vom Morgen bis an den Abend bey Jedermann, den ſie antreffe, von dieſer Hiſtori das Maul offen.

Der Maurer ward einen Augenblik ſo blaß als der Tod, da ihm die Frau dieſes ſagte; dankte ihr aber, und lief dann ſpor - renſtreichs und wie wuͤthend der Schnabel - grithe fuͤrs Haus, klopfte mit ſeinem Zoll - ſteken ſo hart ans Fenſter, daß es ein Gluͤk war, daß er das Holz getroffen, und keine Scheibe in die Stube fiel. Es war aber Niemand im Haus: die Grithe ſtund bey dem Brunnen auf der Gaß, aber er ſah ſie nicht, ſie hingegen ſah ihn, erſchrak zwar, rieff aber dennoch, da es ſo an ihren Fenſtern keſſelte: Was giebts, was giebts, Maurer?

Biſt du da, antwortete der Maurer, mit deinem gottloſen Maul, du dieſe und jene; was haſt du mit meinen Kindern, daß du ſo verfluchtes Zeug uͤber ſie herumtragen darfſt?

Was,65

Was, was, fragte die Grithe? Jch will dir zeigen, was was, antwortete der Maurer.

Die Spekmolchin, die auch da war, ſtupf - te die Grithe und ſagte: Du muſt laugnen, es koͤnnte ſonſt fehlen.

Die andern Weiber aber, denen ſie dieſe Teufelshiſtori eben in dieſem Augenblik wie - der erzaͤhlt, glaubten nichts weniger, als daß ſie ihre Worte zuruͤknehmen wuͤrde; ſie hatte gerad eben izt ſich verflucht und verſchworen, daß ſie dem Lumpen-Maurer und ſeiner Frau alle Wort ins Angeſicht hinein ſagen wuͤrde, wenn ſie daſtuͤhnden. Aber wie verwunder - ten ſich die Weiber, da ſie izt einmals an - fieng zu laͤugnen, und zum Maurer zu ſagen, ſie habe nie nichts wider ihn gehabt, u. wiſſe auch von ſeinen Leuten nichts, als alles ſehr liebs und guts.

Nein, das iſt doch vom Teufel, ſo muß mirs das Menſch nicht machen, ſagte eine Renoldin, die da ſtuhnd, zu den andern Wei - bern, und rieff im Augenblik darauf dem Lienert: Maurer, es iſt doch wahr, ſie hats grad izt wieder erzaͤhlt. Schweig doch, ſagten die andern Weiber, was willt du dich doch drein miſchen? es geht ja dich nichts an.

Nein, ich will nicht ſchweigen, ſagte die Renoldin; ſo eine koͤnnte es ja morgen dirEund66und mir und einer jedweden ſo machen, und wenns fuͤr den Junker kaͤme, ſo will ichs ihr ins Geſicht ſagen, daß ſie es geſagt hat. Das Wort Junker war ihr kaum zum Maul heraus, ſo ſorgte die Spekmolchin fuͤr ſich ſelber, und rieff uͤberlaut: Jch einmal habe nichts gehoͤrt, und nichts geſagt, ich habe da mein Kraut gewaſchen, und nichts geachtet, was vorgefallen.

Jch einmal habe auch nichts gehoͤrt, und nichts geſagt Und ich einmal auch nicht, ſagten bald mehrere.

Es fragt euch ja Niemand, ſagte der Maurer, und drohte der Schnabelgrithe mit dem Junker.

Dieſe aber heulete, und bath, er ſoll doch nichts draus machen. Ja, aber da vor die - ſen Weibern muſt du ausreden und bekennen, daß alles faul u. falſch, erwiederte Lienhard.

Die Grithe murmlete und ſagte ſtokend, es ſey ihr leid, und ja es ſey nicht wahr.

Du muſt es laut ſagen, ſo laut, daß die Leute, die in allen Haͤuſern die Koͤpf zum Fenſter hinaus ſtreken, verſtehen, daß du eine Erb - und Erzlugnerin biſt. Jch weiß vor Zorn nicht, was ich ſage Du, du muſt mir heut noch durch alle Gaſſen lauf - fen, und vor allen Haͤuſern ſagen, daß du alles erlogen und erſonnen.

Gri -67

Grithe. Thu doch nicht ſo; ich will gern thun, was du willt; und es iſt mir leid

Maurer. Leid oder nicht leid, das iſt mir gleichviel, aber daß alles erlogen und erſon - nen, das muſt du mir ſagen, und das ſo laut und ſo deutlich, als es zum Kragen heraus mag.

Ob ſie wollte oder nicht, ſie mußte izt laut, daß es Jedermann verſtuhnde, beken - nen und ſagen, daß ſie alles, was ſie uͤber ſeine Kinder und uͤber ihre Kaz geſagt, er - ſonnen und erlogen; aber es that ihr ſo wehe, daß ſie faſt daran erſtikte.

§. 18. Wie lang werden die Weiber noch denken und ſagen: Mein Mann heißt Nabal, und Narrheit iſt in ihm?

Jn einem ſolchen Zuſtand iſt Lienhard, ſeit dem er vom Hum̃el erloͤst worden, nie - mal wieder heimgekommen.

Er war faſt auſſer Athem, und rieff in die Kuche der Gertrud um Waſſer. Sie brachte ihm; er hatte die Augen faſt vor dem Kopf und feuerroth das Haar uͤber dieE 2Stir -68Stirne herunter, und das Kamiſol hinter - fuͤr am Leib.

Der Waſſerkrug iſt der Gertrud faſt aus den Haͤnden gefallen, als ſie ihn ſo antraf.

Um Gottes willen, was iſts, was iſt dir begegnet? ſagte ſie, und ſtuhnd mit klopfen - dem Herzen vor ihm zu.

Ach! es iſt nichts, gar nichts, antworte - te er, konnte aber faſt nicht reden, nahm ihr den Waſſerkrug haſtig aus der Hand, und trank ihn faſt ganz aus. Um Gottes willen, es iſt etwas begegnet, rede, was iſts? ſagte Gertrud.

Nichts weiß Gott, nichts, als Ge - ſchwaͤzwerk: ſie hat ſo verfluchtes Zeug uͤber unſre Kinder geſagt, antwortet Lienhard.

Gertrud. Wer? was? was fuͤr Ge - ſchwaͤzwerk?

Lienhard. Von der Schnabelgrithe.

Gertrud. Nur Geſchwazwerk von dieſer, und du ſieheſt ſo aus

Lienhard. Es iſt gewiß ſonſt nichts.

Gertrud. Es iſt mir, ich ſey im Schlaf; weiſt du auch, daß du das Kamiſol hinter - fuͤr an haſt?

Lienhard ſah izt auf ſich ſelber herunter, und ſagte: es iſt wahr, ich bin nicht ſchoͤn in der Ordnung.

Ger -69

Gertrud. Jch moͤchte doch izt gern bald wiſſen, was es geweſen wenn du kei - nen Rauſch haſt.

Jch habe keinen Tropfen getrunken, ant - wortete Lienhard, und erzaͤhlte ihr dann die ganze Hiſtori, redte aber noch immer, wie im Fieber, und gieng in waͤhrendem Erzaͤhlen noch zweymal in die Kuche Waſſer zu trin - ken.

Gertrud hoͤrte ihm umſtaͤndlich zu, unter - brach ihn nicht, ſo lang er erzaͤhlte; aber zulezt ſagte ſie ihm dennoch: Es erbaut mich gar nicht, wie du gemacht haſt, und ich haͤtte dir mehrers zugetraut.

Lienhard. Wie? was mehrers?

Gertrud. Daß du dich bey ſo etwas un - wichtigem mehr beſizen koͤnnteſt.

Lienhard. Was? iſt das etwas Unwich - tiges?

Gertrud. Geſezt, es ſey nicht ganz un - wichtig, ſo laͤßt es ſich gar nicht entſchuldi - gen, wie du darob gemacht haſt.

Lienhard. Warum das?

Gertrud. Jch moͤchte noch fragen So machen, wie du gemacht haſt, wenn man nicht geſuͤnder und ſtaͤrker iſt, als du izt biſt, heißt ſich muthwillig vor der Zeit unter den Boden bringen.

Lienhard. Darinn haſt du recht dasE 3Herz70Herz klopfet mir noch izt, und es iſt mir, wie wenn man mir Arm und Bein ab ein - ander geſchlagen haͤtte.

Gertrud. Ach, es iſt mir angſt! Geh doch ins Bett, Lieber! und ſiehe, daß du izt ein wenig ſchlaffen koͤnneſt.

Lienhard. Ja, ich will eine Weile aufs Bett liegen.

Gertrud. Aber ein ander Mal beſize dich doch auch beſſer.

Lienhard. Ja, wenn ichs nur koͤnnte.

Gertrud. (Mit Thraͤnen in Augen.) Lieber denke doch in ſolchen Faͤllen an mich und an deine Kinder und wenn du doch auch kannſt, ſo ſpar uns in Gottes Namen auch einen alten Vater.

Lienhard. (Sie bey den Haͤnden faſſend und traurig.) O! du Liebe! .. Jch weiß nicht, wie ich mich vergeſſen, und einen Au - genblik nicht dran ſinnen kann, was ich dir und dieſen Lieben ſchuldig wills Gott will ich mich in Zukunft mehr beſizen.

Thu's doch, lieber Vater, ſagte Ger - trud.

Waͤhrend dieſem Geſpraͤch kam Lienert ins Bett, und Gertrud that die Fenſterlaͤ - den gegen die Sonne zu, damit es dunkel werde, und ihr Mann ruhiger ſchlaffen koͤñe.

Nach71

Nach einer Stunde erwachte er wieder, und ſie fiengen wieder uͤber den Vorfall mit der Schnabelgrithe zu reden an.

Auch in Beziehung des Junkers biſt du zu weit gegangen, ſagte izt Gertrud.

Warum das? erwiederte Lienert.

Gertrud. Du haſt ihr ja eine Straffe auferlegt, wie wenn du Herr im Land waͤ - reſt.

Lienhard. Du haſt recht, ich habe auch an das nicht gedacht.

Gertrud. So wie er iſt, glaub ich nicht, daß ers auf die hohe Achſel nehmen wuͤrde, wenn ers vernehmen ſollte: Aber man muß doch nie Sachen machen, da man nicht ſi - cher iſt, ob ſie fehlen koͤnnten; und wenn ich dich waͤre, ich wuͤrde wieder mit der Frau reden, und den Befehl, mit dem vor allen Haͤuſern abbitten, zuruͤknehmen.

Lienhard. Wenn ich mich nicht ſchaͤm - te, ich thaͤt, was du ſagſt.

Gertrud. Aber was ſchaͤmen, wenn man recht thut?

Lienhard. Soll ich gehen?

Gertrud. Du meynſt es ſelber.

Lienhard. Und du auch.

Gertrud. Das glaub ich.

Lienhard. Jch mag doch faſt gar nicht.

E 4Ger -72

Gertrud. Lieber, uͤberwinde dich, und ziehe die ganze Sach in Spaß.

Lienhard. Wenn ich das nur ſo leicht koͤnnte.

Gertrud. Weiſt, was du thuſt? Nihm eines von unſern jungen Kaͤzgen, und brings dem Grithli zum Geſchenk, damit ſie ſehe, daß unſre alte gute Mauſerin nicht der Teu - fel, ſondern ein ehrliches brafes Hausthier ſey.

Das iſt verzweifelt luſtig, und muß ſo ſeyn, ſagte der Maurer, nahm auf der Stelle eines von ihren Jungen ins Fuͤrfell, und gieng wieder zu der Grithe, die ihn von ferne kommen ſah: dieſe erſchrak maͤchtig, ſtellte ſich was erſchrekliches vor, warum er ſchon wieder komme, und ſprang, wie wenn man ſie jagte, von dem Fenſter aus der Stu - be zu ihrem Mann, der hinter dem Haus war, und den Zunamen Murrbaͤr hatte: Sie rieff ihm keuchend: Der Maurer iſt ſchon wieder da.

Jch wollte du haͤtteſt dein Maul, wo der Pfeffer wachst, ſagte der Murrbaͤr; ſie aber ließ ihn reden, und kroch eilend auf die Heutille.

§. 19.73

§. 19. Zu gut - iſt dumm.

Der Murrbaͤr war, wie des Sigriſten Volk alles hochmuͤthig, und fuͤrchtete erſchreklich, das Narrenſtuͤk koͤnnte ſeine Frau ins Gefaͤngniß bringen, welches ſeinen Ehren nachtheilig waͤre: Darum ſchmiegte er ſich im Anfang vor dem Maurer, was er konnte und mochte.

Meiſter Maurer ſagte er zu ihm; wir waren doch auch noch im̃er gute Freund und Vetterleut: Meine Frau hat freylich nicht recht; aber ſie erkennt es ja, und muß dir dein Ehr und guten Namen wieder ge - ben, ſo lieb er dir iſt: aber gieb dich wie - der zufrieden; es iſt doch zulezt auch nur ein Weibergeſchwaͤz, und mag ſich gewiß nicht der Muͤhe lohnen, ſo ein weites und breites daraus zu machen.

Der Maurer erwiederte: Du nihmſt mir frey aus dem Maul, was ich ſagen wollte; es iſt, wie du ſagſt, ein Weibergeſchwaͤz: Jch wollte lieber, es waͤre nicht begegnet, und will gern wieder gut Freund ſeyn, wie vor und ehe: Meine Frau und ich haben bey mehrerm Nachdenken auch gefunden, daßE 5wir74wir es zu weit getrieben, und das im Dorf herum lauffen und abreden gar nicht noͤthig.

So bald der Murrbaͤr merkte, daß er vom Lienert nichts mehr zu befahren, war er im Augenblik nicht mehr der Pudel, der ſich ſchmiegte, ſonder der Pudel, der knur - rete, und die Zaͤhne hervor ließ. Er ſagte izt zum Lienert: Es iſt gut, daß du wieder zu dir ſelber gekommen, daß man mit dir reden kann.

Der ehrliche Lienert antwortete: Es iſt mir leid, daß ich mich ſo wenig beſizen kann.

Murrbaͤr. Es iſt gut, wenn in ſolchen Faͤllen unter zweyen auch einer Verſtand hat. Wenn ich vor ein paar Stunden mich ſo wenig zu beſizen gewußt haͤtte, wie du, es haͤtte Mord und Todtſchlag abſezen koͤn - nen; aber ich dachte, es muͤße einer der ge - ſcheidere ſeyn, und ich wolle dich nur ver - ſchnaufen laſſen, es ſey dann etwa morn noch Zeit genug, zu ſehen, was fuͤr eine Meynung daß es habe, und ob dein Ge - richtsherrenweib im Ernſt uͤber meine Frau ſo Urtheil und Recht ſprechen koͤnne.

Lienert. Es iſt hiemit gut, daß ich vor mir ſelber gekommen, deiner Frauen dieſe Arbeit zu ſchenken.

Murrbaͤr. Vom Schenken moͤchte ich, wenn ich dich waͤre, ſo wenig reden, als ichnur75nur koͤnnte: das ganze Dorf von unten und oben hat aufs Haar geſagt, was meine Frau: Jch weiß zwar wohl, du ſteheſt izt gut im Schloß, aber denk daran, wenn der Junker vernihmt, daß ihr ſo den Meiſter ſpielen, und Urtheil machen wollt, er wird anderſt mit euch ſprechen.

Lienert. Jch uͤbereilte mich hierinn.

Murrbaͤr. Und uͤberall, Maurer; ihr ſeyd an allem ſelber Schuld: wenn an der ganzen Geſchichte nichts wahr iſt, als was ihr ſelber erzaͤhlt, daß die Kinder den Kazen - ſchwanz bis hinter den Tiſch, wo ſie bethe - ten, gezogen, ſo iſt das ſchon nicht recht, und ſollte einem Muſter, wie deine Frau ſeyn will, nicht entgehen; hinten nach, wenn man Geſchwaͤzwerk veranlaaßet, iſts dann gar ſchwer, den Leuten die Maͤuler wieder zu verſtopfen.

Dieſe Sprache verwirrte den ehrlichen Lienert gar ſehr, daß er nicht wußte, wie er es mit der Kaze im Fuͤrfell anfangen ſollte, und er waͤre wahrlich wieder mit ihr heim - ſpaziert, ohne ein Maul von ihr aufzuthun, wenn der Murrbaͤr ihn nicht endlich ſelbſt gefragt, was er im Fuͤrfell haͤtte? es ſey, wie wenn er ein Kind vertragen wolle.

Der Maurer antwortete Nein, es iſt nur eine junge Kaz; meine Frau will ſie dei -ner76ner zum Gruß ſchiken, damit ſie ſehe, daß unſre Alte eine ehrliche Kaze iſt, und brafe gute Mauſer bringe.

Trag du deine Kaz, wenn ich dir gut zum Rath bin, nur wieder heim, und ſag deiner Frauen, wir brauchen keine ſolche Spaͤß: Das iſt verflucht unverſchaͤmt, und wie wenn ihr von neuem Haͤndel ſuch - tet. Das war das lezte Wort, das der Murrbaͤr zum Maurer ſagte.

Das iſt doch eine Sprache, wie der izt gegen mich nicht haben ſollte murmelte der Lienert, als er izt mit ſeiner Kaze im Fuͤrfell wieder heim gieng Und als er das ganze Geſpraͤch der Gertrud wieder er - zaͤhlte, rumpfte dieſe das Maul und ſagte zu ihm: Du weiſt nie, wen du vor dir haſt.

§. 20. Der Huͤnertraͤger findet keine Guͤggel und Dauben feil.

Jndeſſen hatte die Geſchichte mit dem Ka - zenſchwanz ob der Hiſtori beym Brun - nen doch ihren Kredit verlohren, und die Schelmenbande, die wider den Junker, den Pfarrer und ihren Anhang Feuer blieſen,muß -77mußten ſie fallen laſſen, ſo unlieb es ihnen war, deſto eifriger aber betrieben ſie das Ge - ruͤcht wider den Huͤnertraͤger, und es mußte izt uͤbers Teufels Gewalt wah[r]ſeyn, daß er am Samſtag die Gemeind verblendet, und mit Teufelskuͤnſten die Gemeind glauben ge - macht, was nichts weniger als wahr ſey.

Sie brachten es hieriñ auch ſo weit, daß da der Mſtr. Chriſtof am Freytag ins Dorf kam, Guͤggel, Dauben und Eyer zu kauffen, ihm kein Menſch eine Eyerſchaale feilboth, und ihn ſogar Niemand ins Haus hinein laſſen wollte: Er mußte vielmehr da und dort ins Angeſicht hinein hoͤren, ein Mann, wie er, koͤnnte ihnen die Huͤner verderben, und Guͤg - gel und Endten und Dauben weiß nicht was anthun.

Der Meiſter Huͤnertraͤger wußte ſich gar nicht zu faſſen, ob dem, was ihm begegne - te; er ſezte ſich mit ſeinem Korb auf eine Bank beym Haus ſeines alten bekannten Nachbar Leuͤppis, mit dem er ſein Lebtag ſo manches Glas Wein in Fried und Liebe ge - trunken, ab, unterſtuͤzte ſeinen Kopf, und ſagte in ſeinem Mißmuth: Meine Teufels - arbeit und mein Trinkgeld dazu iſt mir uͤbel bekommen, Nachbar!

B'huͤt uns Gott davor, daß du dich um ein Trinkgeld in ſo etwas eingelaſſen, ſagteder78der Leuͤppi, ſtund vom Bank auf, daß ihm ja nicht etwas begegne, wenn er laͤnger ne - ben ihm ſize.

Worein eingelaſſen? ſagte freylich der Huͤnertraͤger; aber der Leuͤppi ließ ihn ohne Antwort; hingegen war innert einer Stunde im ganzen Dorf herum, er habe vor vielen Leuten auf dem Bank vor des Leuͤppis Haus ſelber eingeſtanden, daß er ſich um ein Trink - geld mit dem Teufel in einen Bund eingelaſſen.

Dieſe Worte dienten der Schelmenbande ſo ſehr, daß ihrer etliche ſagten, wenn man ſie mit Gold haͤtte herauswaͤgen muͤſſen, ſie waͤren nicht zu theuer.

Sonſt hatte auch hie und da der eint und andre ſeine Freude darob, daß der Huͤner - traͤger izt mit dem Huͤnerkorb ohne Gefluͤ - gel und Eyer ins Schloß ſpazieren koͤnne.

Freſſen ſie izt auch einmal Erdapfel und Ruͤben, ſagten die Kerl an ihren Tiſchen bey ihrem Spek, und machten ſich mit ih - ren Weibern daruͤber herzinnig luſtig.

Er hat ſicher izt noch kein eigenes Ge - fluͤgel, und findt ſonſt keine als hier, ſagte eine, die ſie ſich aufs Huͤner-ausbruthen verſtuhnd.

Ha! wir wollen unſre jungen Dauben am Sonntag zum Troz ſelber eſſen, ſagte eine, die etwas Gutes gar liebte.

Wenn79

Wenn ſie izt nur auch das Schloß voll Gaͤſte bekaͤmen, ſagte eine, ſo nie lachen mochte, als wenn ein Haus brennt.

Jch einmal wuͤrde dann doch ins Schloß ſchleichen, ich kriegte das doppelte, ſagte ihre Schweſter, die das Geld mehr liebte als Guͤggel und Huͤner.

§. 21. Art und Weiſe, die Obrigkeit zu berichten, und dahin zu lenken, wohin man ſie gern fuͤhrt.

Das Hauptanliegen der Vorgeſezten und groͤßern Bauren war, die Vertheilung des Waydgangs zu hintertreiben. Das Be - kenntniß des Huͤnertraͤgers, daß er einen Bund mit dem Teufel habe, ſtaͤrkte ſie maͤch - tig in ihrem Vorhaben, und ſie hielten faſt Tag und Nacht Rath, wie die Sach am ſchiklichſten anzugreiffen.

Dem Junker gerade ins Geſicht wieder abzuſchlagen, was ſie ihm verſprochen, weil der Teufel ſich im Spiel befinde, waͤre wohl das geweſen, was ſie am liebſten gethan: Aber ſie durften nicht trauen, und fuͤrchte - ten, er moͤchte den erſten, der dieſes an - bringen wuͤrde, alſo bey den Ohren kriegen,daß80daß den andern die Luſt zum Mithalten ver - gehen wuͤrde: Sie begnuͤgten ſich alſo nur Ausfluͤchten und Auswege zu ſuchen, und einer rieth an, man koͤnne vor einmal nicht weiter kommen, als zu trachten, die Sache bis in Herbſt aufſchieben zu machen; her - nach werde es ſich dann weiter zeigen, und ſeiner Meynung nach, ſolle man dem Jun - ker vorſtellen laſſen, es ſey izt gar eine un - ſchikliche Zeit zu dieſer Vertheilung; ſie ſeyen alle mit Vieh uͤberſtellt, und mit dem Futer nicht dazu eingerichtet, den Waidgang zu entbehren, und koͤnnen doch unmoͤglich ihr Vieh izt in den Staͤllen verhungern laſſen: der Junker werde das auch ſelber nicht wollen.

Eine andre Meynung war, ſie wollen zur Prob ein Stuͤk Land, das gar nichts nuz iſt, und voll großer Steinen und Suͤmpfen im Winkel zwiſchen dem obern und untern Wald grad izt zum vertheilen preis geben: das Stuͤk wird denen, die es bekommen, ſagten ſie unter einander, von ſich ſelber erleiden, daß ſie es nicht recht bauen, und wir muͤſſen Stoͤk ſeyn, wenn wir dann nicht machen koͤnnen, daß der Junker darob maßleidig wird, und fuͤr die faulen Huͤnd, die das erſte Stuͤk nicht recht bauen, eben nicht mehr ſo eifrig ſeyn wird, das andre zu vertheilen.

Nach81

Nach langem Streit, welche von dieſen zwo Meynungen die beſſere ſey, fanden ſie endlich, daß ſie beyde neben einander Plaz haben, und entſchloſſen ſich, beyde mit ein - ander dem Junker vorbringen zu laſſen. Hie - zu aber hatten ſie den Untervogt Meyer noth - wendig; denn keiner von ihnen konnte ſo ſchik - lich, und von Amts wegen mit dem Junker reden wie dieſer.

Sie giengen alſo zu ihm hin, und mach - ten ihm den Vortrag Er wollte wider - ſprechen, und ſagte: Es ſind ja alles lauter Luͤgen, was ihr vorbringet, und ihr muͤßt doch nicht glauben, ich wiſſe nicht, daß ihr die Scheuren noch voll Heu habet, und daß der Markt fuͤr das Waidvieh auch erſt uͤber 8. Tag iſt, und daß der Winkel, den ihr vertheilen wollt, ein Sumpfloch iſt, den Niemand umſonſt zum Eigenthum nehmen wuͤrde.

Die Bauren antworteten ihm: Vogt! du ſteheſt zu ſpaͤt auf, um uns zu berichten, und wir wiſſen ſicher ſo gut als du, wie viel Vieh und wie viel Heu wir haben, und was der Winkel werth iſt; aber wir wiſſen auch, was wir wollen, und was du dem Junker ſagen muſt, und ſind gar nicht da, daruͤber viel zu ſchwazen.

FDer82

Der Vogt erwiederte: Aber er muͤßte ja auch an beyden Augen blind ſeyn, wenn er nicht merkte, daß ihr mit ihm den Narren ſpielen wolltet.

Sie antworteten ihm: Du wirſt meynen, weil du ungefehr weiſſeſt, wie viel Heu und Vieh im Dorf iſt, der Junker wiſſe es dann grad auch: Und was das blindſeyn an bey - den Augen betrift, ſo muͤßte er gar nichts vom Großvater und Aehni (Ahnherr) geerbt haben, wenn er das nicht waͤre.

Der Vogt erwiederte: Jhr habt gut la - chen, aber mir iſt angſt und bang ob dem, was ihr wollet.

Daruͤber ſpotteten ſie ihn aus, ſagten ihm, er habe einen ſchwachen Magen, prophezey - ten ihm aber, er werde innert Jahr und Tag einen beſſern bekommen, und mehr verdauen moͤgen, wenn er nur noch ein Jahr Vogt bleibe.

Der Vogt ſagte in aller Ehrlichkeit: Wie meynet ihr das? Der Huͤgi antwortete ihm: Sieh Vogt! ſie verſtehen das alſo: Wenn Baumwollen-Spinner und junge Buben Holz ſpalten, ſo giebts Schwillen, und thut ihnen weh: wenn ſie es aber fort - treiben, ſo giebts keine Schwillen mehr, u. thut ihnen nicht mehr weh; und ſo meynen ſie, werde es auch dir gehen, wenn du indei -83deinem neuen Handwerk nicht mehr Lehrbub biſt. Und ſie haben ſicher recht, glaub mir Vogt, und ſey nur gutes Muths. Ja, fluchten die andern, der Huͤgi hat recht, du wirſt innert Jahrsfriſt gewiß ein ſo diken Bauch bekommen, daß alles hinein mag; und thu nur ordentlich auf unſre Gefahr hin, was wir ſagen, und was wir wollen.

Obs ihm in Kopf wollte oder nicht, das war gleichviel, ſie uͤbertaͤubten ihn mit Wor - ten und Sachen, bis er ihnen verſprochen zu thun, was ſie wollten.

§. 22. Erziehungs - und Haushaltungs - Grundſaͤze.

Die einzige Huͤtte, die an der Unruh und den Muͤheſeligkeiten dieſes Thoren-Le - bens keinen Theil nahm, war die Huͤtte der Gertrud.

Zu erklaͤren, wie das moͤglich geweſen, muß ich ſagen: Dieſe Frau hatte nach alter Großmutter-Art ihre kurze Spruͤchlin, mit denen ſie gemeiniglich im Augenblik den rech - ten Weg fand, wo andre Leut, die ſonſt ſich viel geſcheider glaubten, als ſie, beyF 2Stund84Stund und Tagen plauderten, ob ſie links oder rechts wollten.

Zu allem ſchweigen, was einen nicht an -
geht
Von dem das Maul nicht aufthun, was
man nicht wohl verſteht
Beyſeits gehen, wo man zu laut oder zu
leiſe redt.
Das wohl zu lernen ſuchen, was man
wohl brauchen kann.
Mit Kopf und Herzen immer am rechten
Ort zu ſeyn, und nie an gar vielen,
aber immer bey ſich ſelber.
Und denen, ſo man ſchuldig, und denen,
ſo man liebt, mit Leib und Seel zu
dienen.

Solche kleine Spruͤche waren dieſer Frau der Leithfaden zu einer haͤuslichen und buͤr - gerlichen Weisheit uͤber die ſich Buͤcher ſchreiben ließen, wenn es moͤglich waͤre, ihre Weisheit zu beſizen, und doch Buͤcher ſchrei - ben zu koͤnnen.

Jm Sturm des aufgebrachten und verir - reten Dorfs entgieng dieſer Frauen kein ein - ziges Wort, daß man nur haͤtte mißdeuten koͤnnen, keines, bey dem man ſie ins Spiel hinein ziehen keines, ob dem man ſie haſ - ſen keines, bey dem man ſie nur ausla - chen koͤnnte.

Des85

Des Rudis Kinder waren izt faſt alle Ta - ge bey ihr, und lernten taͤglich mehr auf ſich ſelber und auf alles, was um ſie her iſt, Achtung geben und Sorg tragen.

Bey ihrem Spinnen und Naͤhen lernte ſie die guten Kinder auch noch zaͤhlen und rech - nen.

Zaͤhlen und Rechnen iſt der Grund aller Ordnung im Kopf; das war eine der Mey - nungen, die Gertrud am eifrigſten behaup - tete, und die in ihre Erziehung einen großen Einfluß hatten.

Jhre Manier war: Sie ließ die Kinder waͤhrend dem Spinnen und Naͤhen ihre Faͤ - den und Nadelſtiche hinterſich und fuͤrſich zaͤhlen, und mit ungleichen Zahlen uͤberſprin - gen, zuſezen und abziehen.

Die Kinder trieben einander bey dieſem Spiel gar gern ſelber, welches am geſchwin - deſten und ſicherſten darinn fortkomme; wenn ſie dann muͤd waren, ſangen ſie Lieder, und am Morgen und am Abend bethete ſie mit ihnen kurze Bether. Jhr liebſtes Gebeth und das, ſo ſie die Kinder zuerſt lehrte, heißt:

O Gott! du frommer Gott!
Du Brunnquell aller Gaben!
Ohn 'den nichts iſt, das iſt
Von dem wir alles haben!
F 3Ge -86
Geſunden Leib gieb mir,
Und daß in ſolchem Leib
Ein unverlezte Seel
Und rein Gewiſſen bleib.

§. 23. Ein Stuͤk aus einer Leichenpredigt.

Jch moͤchte ſogern viel von dieſer Frau re - den und weiß ſo wenig von ihr zu ſagen, und hingegen muß ich ſo viel von der Schelmenbande reden.

Es kann nicht anderſt ſeyn, wo es krum̃ und dumm geht, da giebts alle Augenblik et - was anders; wo es hingegen in der Ord - nung und gut geht, da bleibts immer gar gern und gar lang beym Alten.

Leſer! Und ich denk izt an das Wort eines frommen Geiſtlichen, der in einer Leichen - predigt zu dem hochmuͤthigen und unruhigen Volk von allerley Gattung, welches einen brafen und ſtillen Mann zu ſeiner Ruhſtaͤtte begleitet, ſagte:

Selig iſt der Menſch, wenn hinter ihm, wenn er todt iſt, Niemand mehr viel von ihm redet!

Selig iſt er, wenn hinter ihm die ſtille Thraͤne des Armen wainet!

Se -87

Selig, wenn hinter ihm, ſeinem Weib, ſeinem Kind, ſeinem Freund, ſeinem Knecht das Herz blutet!

Aber wenn hinter ſeinem Sarg tauſend Maͤuler aufgehen, und weit und breit alles uͤber ihn redt, ſo wandelts mich immer an, daß ich mißtrauend nachforſche, ob auch ſei - nem Weib und ſeinem Kind das Herz blute, daß er todt iſt und ob auch ſein Freund, und ſein Knecht waine, daß er nicht mehr da iſt: Und tauſendmal fand ich dann dieſer aller Auge troken.

§. 24. Ein Frauenbild, aber nicht zu allgemeinem Gebrauch.

Leſer! ich moͤchte dir dennoch ein Bild ſu - chen von dieſer Frauen, damit ſie dir leb - haft vor Augen ſchwebe, und ihr ſtilles Thun dir immer unvergeßlich bleibe.

Es iſt viel, was ich ſagen will: aber ich ſcheue mich nicht, es zu ſagen.

So gehet die Sonne Gottes vom Mor - gen bis am Abend ihre Bahn; Dein Auge bemerkt keinen ihrer Schritte, und dein Ohr hoͤret ihren Lauff nicht Aber bey ihrem Untergang weiſſeſt du, daß ſieF 4wie -88wieder aufſtehet, und fortwirkt, die Erde zu waͤrmen, bis ihre Fruͤchte reiff ſind.

Leſer! es iſt viel, was ich ſage; aber ich ſcheue mich nicht, es zu ſagen.

Dieſes Bild der großen Mutter, die uͤber der Erde brutet, iſt das Bild der Gertrud und eines jeden Weibs, das ſeine Wohnſtu - be zum Heiligthum Gottes erhebt, und ob Mann und Kindern den Himmel verdient.

§. 25. Die Arbeit Arners.

Sie iſt nicht allein: Auch Arner wandelte die Wege der lieben Sonne, die uͤber der Erde brutet, und die Wege des Weibs, das ob ihrem Mann und ihren Kindern den Himmel verdient.

Er ritt dieſer Tage faſt alle Abende auf die Gemeindwaid, die er vertheilen wollte; Er goͤnnte ſich keine Ruhe, bis er dieſes Stuͤk Land vollkommen kennte, und ließ ſo gar ſeinen lieben Sperzer (Huͤnerhund), den er ſonſt im̃er faſt allenthalben mitnahm, zu Hauſe, damit er keinen Augenblik an ſei - ner Arbeit aufgehalten wuͤrde.

Wohl hundertmal band er ſein Pferd an Zaͤun und Heken, wattete durch Suͤmpf undGraͤ -89Graͤben, dieſes Stuͤk Land aus dem Grund kennen zu lernen.

Er ſah jeden Eken deſſelben genau an, und dachte an jedem Eken an das Ganze. Er thats nicht vergebens: Er fand am Fuße des Bergs in ihrer ſchlechteſten zertrettenen Waid drey ſtarke Quellen von fettem Waſ - ſer; um alle Quellen herum wuchs Brunn - kreßich und Bachpungen; der Herd um die Quellen war ſchwarzer Moder; viel dike große Pflanzen wuchſen um die Quellen.

Er maß mit eigenen Haͤnden die Hoͤhe ih - rer Lage, und die Gruͤnde, auf welche man ihren Reichthum leiten koͤnnte, und hatte izt gedoppelte Freude. Er hoͤrte nicht auf, alle Abend auf dieſe Waide zu reiten, bis er vol - lends mit ſich ſelber ausgemacht, wozu jeder Eken dienlich wie weit die Quellen hin - langen, mit ihnen gute Wieſengruͤnde anzu - legen was fuͤr Land zu gutem Akerland uͤbrig bleibe, und welches zu nichts anders als zu Riedt und Holzboden taugte.

Und er trug dann allemal jeden Tag, alles, was er mit ſich ſelber ausgemacht, aufs Pa - pier, bis er ſeinen Plan alſo vollendet.

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§. 25.90

§. 25. Der Lohn ſeiner Arbeit.

So ſucht ein Vater ſeinen Kindern in ſeinem Garten Beeten aus, daß ſie da - rinn Blumen und Koͤhl, und Kraͤuter und Baͤume pflanzen. Er zeigt ihnen den Ort der Tulpe, den Ort der Daubroſe, den Ort des gemeinen Koͤhls des Blumen - koͤhls den Plaz der Zwergbaͤume, und den Plaz der Obſtbaͤume und freut ſich dann im Geiſte alles deſſen, was einſt ſeine Lieben da pflanzen werden.

Ach! er freut ſich dann des Kinds, das noch in der Wiege liegt, und des Saͤuglings, und der Geſchlechter, die ferne ſind: und fuͤhlt dann, daß ſeine Kinder Gottes Kinder ſind, und daß der Garten nicht ſein iſt, ſon - der daß er Vater iſt daß er ihnen gebe, vervollkommne und hinterlaſſe, was er hat und ſie nuzen und brauchen, und ihren Kindern hinterlaſſen lehre, was ſie bekom̃en.

Das fuͤhlte izt Arner Eine Thraͤne floß in ſein Antliz, als er in der Kuͤhlung der Abendluͤften unter hohen Eichen, bey einem rauſchenden Waſſerfall die Freuden und Pflichten des Vaters auf den Thronen und91und die Freuden und Pflichten des Vaters in den niederſten Huͤtten alſo fuͤhlte.

Langſam ritt er gegen die eben unterge - hende Sonne, Hand und Zuͤgel ruheten auf ſeinem Schoos; ſein Aug ſah den Himmel, u. ſein Herz war beym Vater der Menſchen.

Thereſe empfieng ihn im Waͤldchen, vor ſeinem Thor, und der Abend gieng in Ge - ſpraͤchen uͤber den Stand der Fuͤrſten und des Adels voruͤber.

Und das lezte Wort Arners an Thereſe war dieſes: Gottes Geſaͤz uͤber Fuͤrſten und Edle iſt dieſes, daß ihr Reich nicht das ih - rige, daß ſie vielmehr Fuͤrſten und Edle ſind, damit ſie ihrem Volk geben, ſicherſtel - len, vervollkommnen was ſie ihm geben koͤn - nen, und ihns nuzen und brauchen, und Kin - deskindern hinterlaſſen lehren, was ſie ihm geben.

Und Arner und Thereſe ſegneten ihren Stand, umarmten ihre Kinder, und bathen Gott, daß ſie immrr menſchlich blieben, und das Geſaͤz Gottes, das uͤber Fuͤrſten und Edle iſt, von ihrer Jugend auf bis auf ihre friedliche Ruhſtaͤtte erkennen und befolgen.

§. 26.92

§. 26. Leid und Freud in einer Stund.

Das waren Gertruds und Arners Wege Der Weg ihres Pfarrers war nicht weniger edel und ſchoͤn. Er arbeitete izt immer an der Wiederherſtellung des ar - men zerruͤtteten Vogts. Dieſer war, ſeit - dem ihm die Haͤrte ſeiner Mitvorgeſezten durch die Kalberleder[-]Hiſtori zu Ohren ge - kommen, niedergeſchlagener als vorher.

Der Pfarrer troͤſtete ihn zwar oft; aber es war izt tief in ſeine Seele hinein gegraben, kein Menſch habe mehr Mitleiden mit ihm, und er verdiene nicht, daß ein Menſch mehr Mitleiden mit ihm habe; er ſaß ſinther viel mit Thraͤnen in den Augen in des Pfarrers Stube, und wollte oft nur nicht mehr von dem Wein trinken, den ihm der Pfarrer dar - ſtellte.

So ſaß er beſonders den lezten Donſtag neben dem Pfarrer, und dieſer war betruͤbt und nachdenkend, wie er ihn doch zufrieden ſtellen, und wieder beruhigen koͤnnte: Aber er wußte eben nicht viel was machens. Da kam eben der Huͤbel-Rudi, dem Pfarrer zu ſagen, er koͤnne es nicht laͤnger anſtehen laſ - ſen, mit dem Vogt zu reden, und ihm zuſa -93ſagen, was ihm ſeine Mutter auf dem Todt - beth befohlen, und auch, was er ihm in ſei - nem Ungluͤk Gottlob izt zu gutem thun koͤñe und wolle.

Das Herz war dem Pfarrer leicht, ſo bald er den Huͤbel-Rudi ſah, und da er mit ihm geredt, dankte er dem Vater im Him̃el, daß die Hand ſeiner Allmacht, ſeinen leeren Worten zu Huͤlffe gekommen, und ſagte dann dem Rudi, daß er auch ihm danke und ſich freue, wenn er ſicher ſeye, daß es ihn nie gereuen werde, was er ihm ſo eben wieder fuͤr den armen Vogt verſprochen.

Mein Gott! nein, fuͤrchtet doch das nicht, Herr Pfarrer! fuͤrchtet doch das nicht es wird mich gewiß nicht gereuen, ſagte der Rudi und der Pfarrer:

Nun, in Gottes Namen, ich will dich auch nicht davon abhalten Und dann giengen ſie mit einander zum Vogt.

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§. 27.94

§. 27. Ein Geſpraͤch voll Guͤte auf der einen - und voll Angſt auf der andern Seite.

Man ſah ihm an, daß die ganze Laſt ſei - ner innern Zerruͤttung und ſeines auſ - ſern Elends ſchwer auf ihm lag. Er ſaß da, den Kopf auf ſeine Linke geſtuͤzt, und bewegte ſich nur wenig, zu ſehen, wer kam.

Aber es war, wie wenn er am ganzen Leib erſtarrte; ſeine Augen und ſein Mund waren eine Weile unbeweglich, da er den Huͤbel-Rudi erblikte.

Dieſer ſah das, und ſagte zum Pfarrer: Es uͤbernihmt ihn ſo, mich zu ſehen, daß ich wuͤnſchte, ich waͤre nicht da, oder ich haͤtt 'es ihm vorher ſagen koͤnnen.

Es macht nichts, es macht gar nichts: Jch bin froh, daß du da biſt, antwortete der Vogt, zitterte am ganzen Leib, und wollte aufſtehen.

Jch will doch gern izt wieder gehen, und ein ander Mal wieder kommen, ſagte der Rudi.

Nein, nein, erwiederte der Vogt, bleib doch, bleib doch. Jndem ers ſagte, ſtand er zitternd auf, warff ſich ploͤzlich dem Rudizu95zu Fuͤßen, und ſtammelte faſt unverſtaͤndlich: Um Gottes willen, um Gottes willen ver - zieh mir !

Um Gottes willen, um Gottes willen was machſt du? biſt du nicht bey deinen Sin - nen? ſagte der Rudi, und wollte ihn mit beyden Haͤnden aufheben aber vergeblich: Der Vogt wollte nicht aufſtehen, und bath ihn immer die Haͤnde in einander um Gottes willen um Verziehung.

Was ſoll ich doch machen, daß er auch wieder zu ſich ſelbſt kommt und aufſteht, ſagte der Rudi zum Pfarrer.

Steh doch auf, Vogt! Er hat dir ge - wiß verziehen, ſagte der Pfarrer.

Mein Gott, mehr als verzigen; ſteh doch um Gottes willen wieder auf ſagte der Rudi.

Der Vogt ſtuhnd izt auf, und der Pfar - rer und der Rudi halffen ihm vom Boden.

Es iſt mir ſo leid, daß ich dir Unruh gemacht habe, ſagte izt der Rudi.

Du biſt nicht ſchuld Meine Unruh kommt von mir ſelber antwortete der Vogt: Und der Rudi:

Jch habe ſie veranlaaßet, und wollte gern, es waͤre nicht.

Vogt. Mein Gott! du biſt nicht ſchuld, mein boͤſes Gewiſſen iſt es allein denkRudi96Rudi da du die Thuͤr aufthateſt, meynte ich, deine Mutter komme mit dir, und folge dir auf dem Fuße nach.

Rudi. Du weiſt doch, daß ſie geſtorben?

Vogt. Jch weiß es freylich: aber ich koñ - te mir es nicht anderſt vorſtellen, und es iſt mir noch izt, ſie ſtehe mir vor den Augen.

Rudi. Wir wollen ſie izt in Gottes Na - men ruhen laſſen; es iſt ihr, wills Gott, izt wohl.

Vogt. Fuͤr ſie iſt es wohl gut, daß ſie geſtorben Aber mein Gott! fuͤr mich iſt es anderſt wenn ſie nur auch noch einen Augenblik lebte! Gaͤlt Rudi, ſie hats bis zu ihrem lezten Athemzug noch Gott geklagt, was ich ihr gethan?

Rudi. Glaub doch das nicht.

Vogt. Ja ja, Glaub doch das nicht: Jch ſehe ſie vor mir, wie ſie auf ihrem Todt - beth es Gott klagt, was ich ihr gethan, und Raache uͤber mich ſchreyt Jch ſeh ſie vor mir, wie ſie ihr Wehklagen und Rachſchreyen mit ſich ins Grab nihmt, und todt todt noch das Entſezen uͤber mich zeiget, mit dem ſie ausgeathmet.

Nein, Vogt! Gott ſey ewig Lob und Dank, das Todtbett der Cathri war nicht, wie du denkſt: Sie hat in ihren lezten Stun - den Gott fuͤr dich gebethen, dir verzigen, u. an97an Leib und Seel alles Gute angewuͤnſcht ſagte izt der Pfarrer.

Der Vogt ſah ihn mit offenen ſteiffen Au - gen an, und zeigte ohne zu reden aus ſeinem ſtarren Blik, daß er das nicht glaube, was der Pfarrer ſagte.

Dieſer ſah es, und ſagte dann wieder: Vogt, du muſt an dem, was ich ſage, nicht zweifeln Der Rudi iſt voͤllig um deßwillen da, dir es zu ſagen, was ſie ihm deinetwegen auf dem Todbett befohlen.

Da wandte ſich der Vogt an den Rudi, und ſagte mit Wehmuth und Aengſtlichkeit: Hat ſie dir auf ihrem Todbett meinetwegen etwas befohlen?

Rudi. Ja, Vogt, und es wird dich ge - wiß freuen, ich will dirs mit ihren Worten ſagen.

Vogt. Sags doch ſags doch!

Rudi. Sie ſagte: Wenn ich todt bin, und begraben, ſo gehe zum Vogt hin, und ſag ihm, daß ich mit verſoͤhntem Herzen ge - gen ihn geſtorben, und Gott bethe, daß es ihm wohl gehe, und er noch zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt komme, eh denn er von hinnen ſcheide.

Der Vogt ſtand eine Weile ſprachlos Thraͤnen fielen von ſeinen Augen dann ſagte er:

G Lohn's98

Lohn's ihr Gott in Ewigkeit! Sie hat mir Gutes gethan, und ich hab ihr Boͤ - ſes erwieſen.

Nach einer Weile ſagte er wieder: Gott hat ihre Bitte erhoͤrt, und mich in Umſtaͤn - de geſezt, wo ich noch zur Erkenntniß meiner ſelbſt kommen kann, wenn ich nicht der ver - worfneſte unter allen Menſchen ſeyn will.

Eine Weile war wieder alles ſtill; der Vogt unterbrach das Stillſchweigen wieder, und ſagte: Rudi, ich muß dich doch fra - gen, weiſt du ſicher, welchen Tag es gewe - ſen, da ſie das meinetwegen zu dir geſagt?

Rudi. Es war an ihrem Todestage.

Vogt. An ihrem Todestage?

Rudi. Ja.

Vogt. Und bey was Anlaaß kam ihr an ihrem Todestag der Sinn an mich?

Rudi. Du kamſt eben mir die Arbeit am Kirchhof anzuſagen vor unſer Haus.

Vogt. (mit ſichtbarer Bewegung und heftig) Wars da?

Rudi. Ja: Aber warum fragſt du ſo heftig?

Vogt. Wenns da war, ſo iſt ſie vor Schreken uͤber mich geſtorben.

Rudi. Das iſt nicht.

Vogt. Sag izt, was du willſt Es iſt mir, wie wenns den Augenblik geſchehen,Dein99Dein Kind iſt ja, da ich noch da ſtuhnd, heraus gekommen, dir zu ſagen, daß ſie ge - ſtorben.

Rudi. Es war nur eine Ohnmacht, und ſie hat ſich da wieder erhollt.

Vogt. Hat ſie ſich wieder erhollt?

Rudi. Ganz gewiß.

Vogt. So iſt ſie doch ob mir in Ohn - macht gefallen: Sag mir nur die Wahrheit ich weiß ſie ja ſchon.

Der Rudi wußte nicht, was er ſagen wollte, und ſah den Pfarrer an; und dieſer ſagte ihm, er ſolle nur die Wahrheit ſagen.

So will ich dirs in Gottes Namen ſa - gen, ſagte der Rudi Ja, ſie iſt ob dir erſchroken, weil ſie meynte, du wolleſt Geld von mir, und wußte, das ich keins hatte.

Vogt. Darob iſt ſie in Ohnmacht gefal - len? Mein Gott! mein Gott! an ihrem To - destage!

Rudi. Vergiß izt das, Vogt, und ſinn an das andere: Jch war nicht ſo bald von ihr weg, und zu dir hinaus, da hat ſie angefangen, mit ihr ſelber von dir zu reden, und deutlich und verſtaͤndlich geſagt, der liebe Vater im Himmel habe es ſo geleitet, daß du noch ſo nahe vor ihrem End vor ihre Fenſter kommen muͤßeſt, daß ſie noch den lezten Groll uͤberwinde, und fuͤr dich bethe.

G 2Vogt. 100

Vogt. Wie weiſt du das, wenn du da bey mir wareſt?

Rudi. Der Rudeli, der bey ihr war, hats mir geſagt.

Vogt. Aber warum iſt ſie denn in Ohn - macht gefallen?

Rudi. Sie hoͤrte dich da wieder laut re - den, und iſt darob erſchroken.

Vogt. O Gott!

Rudi. Sie war in Gottes Namen todt - ſchwach und am aͤußerſten.

Vogt. Und das, was du mir zuerſt ge - ſagt, hat ſie da nach der Ohnmacht geredt?

Rudi. Wohl drey Stund darnach.

Vogt. Und hat mir nach der Ohnmacht wieder verziegen?

Rudi. Ja, gewiß, Vogt!

Vogt. Jch moͤchte mich vor dir und allen Menſchen vergraben, was ich fuͤr ein Un - menſch bin!

Rudi. Was iſt izt das wieder?

Vogt. Daß du mich frageſt Du haſt es ja gehoͤrt, was ich dir nachrieff, da du von mir weglieffſt, weil dir das Kind ſagte, ſie waͤr todt.

Rudi. Nein, ich habs nicht gehoͤrt; ich haͤtte vor Schreken auch nichts verſtanden, du haͤtteſt moͤgen ſagen, was du haͤtteſt wollen.

Vogt. 101

Vogt. So will ich dirs izt ſagen.

Rudi. Es iſt ja nicht noͤthig.

Vogt. Wohl, Rudi, ich will dirs ſa - gen, ich muß dirs ſagen, du muſt wiſſen, was ich fuͤr ein Unmenſch bin, und was ich in dem Augenblik, da ſie mir verzigen und fuͤr mich gebethen, ihr boͤſes und abſcheuli - ches gethan.

Rudi. Schweig doch, es mag ſeyn, was es will, und mach mir und dir das Herz nicht noch groß.

Vogt. Jch kann nicht ſchweigen, und will nicht ſchweigen, du muſt es wiſſen. Jch rief dir in dem Augenblik nach: Es iſt nicht ſchade, wenn die alte Hexe einmal todt iſt.

Rudi. Haſt du dieß auch ſagen koͤnnen?

Vogt. Jch hab es geſagt.

Dem Rudi entfiel izt eine Thraͤne, und er konnte einen Augenblik nicht reden.

Der Vogt aber ſagte dann wieder: Jch verdiene nicht, daß Jemand mehr Mitlei - den mit mir habe, und es geſchieht mir nur Recht, wenn im ganzen Dorf mir Niemand mehr ein Stuͤk Brod giebt, und mir Nie - mand mehr eins wuͤnſcht.

Der Pfarrer nahm izt das Wort, und ſagte: Vogt! der im Himmel wohnt, iſt groͤßer, als wir denken: Er handelt nicht mit uns nach unſern Suͤnden, und vergiltetG 3uns102uns nicht nach unſerer Miſſethat: Lob - preiſe den Namen des Herrn Seine Barmherzigkeit iſt groß gegen dich, und er hat dir Huͤlffe geſendet in den Stunden, wo du keine Huͤlffe hatteſt, und von der Hand derer, die du elend gemacht, giebt er dir das Brod deines Alters Steh izt auf, Vogt, und hoͤre, was ich dir ſagen muß: Der Mann da, deſſen Aug noch voll Thraͤnen iſt, ob dem Leiden ſeiner Mutter, und ob dem grauſammen Wort, das du noch an ih - rem Todestage gegen ſie geredet, der gute Rudi, den du ſo elend gemacht, will dein Freund ſeyn, ſo lang du lebſt, und ſeinen Wohlſtand, den du ihm ſo lang vorenthal - ten, wie ein Bruder mit dir theilen denk Vogt! Er verſichert dir, ſo lang du lebſt, die Freyheit, alle Jahr fuͤr eine Kuh Som - mer - und Winterfutter ab ſeiner Matten neh - men zu doͤrffen.

Der Rudi beſtaͤttigte, was der Pfarrer ſagte, und ſezte noch hinzu: So lang er und ſeine Frau oder eines von beyden, welches es iſt, lebt, ſo lang ſoll es gelten.

Der Vogt konnte nicht reden: Es war zu viel; Er ſtammelte an Worten nicht zu danken, ſondern auszudruͤken, wie unwuͤrdig er ſey, und wie erſchreklich er ſich an ihnen verſuͤndiget, und war in einem Zuſtand, daßder103der Pfarrer und der Rudi inniges Mitleiden mit ihm hatten.

§. 28. Die Himmelstropfen.

Dennoch aber fand er ſich bald darauf durch dieſen Vorfall geſtaͤrkt und er - quikt; ſeine Frau hingegen erlag unter dem Schreken und Verdruß, ſo ſie die Zeit uͤber gehabt, und zum Ungluͤk gerieth ſie dem Treufaug unter die Haͤnde.

Dieſer gab ihr von ſeinen Him̃elstropfen Das ſind Tropfen, die unter ſeinem Großva - ter noch Henkerstropfen hießen; da aber ſein Vater ehrlich worden, hat er ſie nicht mehr unter dieſem Titul verkauffen wollen, ſonder ihnen den Namen Himmelstropfen gegeben, unter welchem Namen ſie bis auf izt fuͤr Menſchen und Vieh vielen Abgang hatten.

Als die Voͤgtin dem Treufaug ihre Noth klagte, war ſeine erſte Antwort: Gieb mir Kirrſchenwaſſer, ich bin ſo durſtig, daß ich mich anfeuchten muß, eh ich mit dir reden kann. Sie gabs ihm, und klagte dann ferner der Laͤnge und der Breite nach ihre Noth.

G 4Er104

Er aber gab erſt, nachdem er faſt ausge - trunken, zur Antwort: Was magſt doch ſo viel ſchwazen; wenn du kein Wort redteſt, ſo wuͤßte ich gleich, wo es dir fehlt, ſo gut, als wenn du einen halben Tag davon erzaͤhleſt; der Pfiff iſt an der Leber, und es iſt große Zeit, daß man zu dir ſchaue, denn ſie iſt halb faul, und wenn man dem nicht wehrt, ſo geht dir bey kurzem das Maul auf eine Art zu, daß du es nicht wieder aufthuſt: Aber ich will dir etwas ſchiken, das ſchon Prinzen und Pfaffen und großen Herren ihre Leber wieder kuriert hat, wenn nur noch ein halb Bazens groß gut daran geweſen, und es muß der Teufel thun, wenns dir nicht auch hilft Aber du muſts ſauffen, was ich dir ſchike, und ich will dirs zum voraus ſagen, es iſt kein Schlekwerk, du wirſt mey - nen, es ſey aus der Hoͤll, ſo wird es dir feuren Aber boͤſes muß boͤſes vertreiben, und wenns dir ſchon bang macht, ſo fahr nur fort auf mein Wort hin, und nihm alle zwo Stund ein paar Loͤffel, bis du damit fertig wenns durchgebrochen, wirds dann ſchon anderſt kommen.

Es geſchah auch bis zum Durchbrechen, was er ſagte; die Tropfen feuerten ihr im Maul, wie der hoͤlliſche Teufel, und brach - ten ſie in einen Jaſt (Hize), wie wenn ſiedas105das groͤſte Fieber haͤtte und ſeitdem ſie ſolche brauchte, ward ihr Athem ſichtbar kuͤrzer Sie konnte nicht mehr ſchlaffen wie vorher, hatte viel ſtaͤrkere Beklemmun - gen auf der Bruſt, und auch der Schweiß, den ſie vorher hatte, verlohr ſich.

Bey dem allem dachte ſie an nichts we - niger, als daß die Himmelstropfen daran ſchuld ſeyen, und ſie brauchte ſie nur deſto gewiſſenhafter, je kraͤnker ſie davon war.

§. 29. Ein Geſpraͤch von zween Menſchen, die in zehn Tagen vieles gelernt, ſo ſie vorher nicht konnten u. vieles erfahren, ſo ſie vorher nicht wußten.

Als der Vogt ihre Umſtaͤnde vernahm, bath er den Pfarrer, daß er doch ihn auch eine Nacht zu ihr heim laſſen moͤchte.

Der Pfarrer erlaubte es ihm gar gern, und verſprach es uͤber ſich zu nehmen, die Sache beym Junker zu verantworten.

Wenn er von den Todten auferſtanden waͤre, es haͤtte ſeine Frau nicht ſo uͤberneh - men koͤnnen; Aber es freute ſie ſo ſehr, daßG 5ſie106ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine Weile wainten beyde mit einander, und es gieng recht lang, eh Eines das Andre nur fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.

Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u. erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein - ander, was vorgefallen.

Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar - rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald darauf: Aber wie gehts auch dir, Frau? du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh - men.

Sie antwortete: Wie koͤnnte es auch an - derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß er mich bald zu ſich nihmt.

Vogt. Wuͤnſch doch das nicht: Es geht wills Gott, von nun an beſſer.

Voͤgtin. O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr dich und mich von Herzen, und mag dir den Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer - gehen mag ich auch nicht hoͤren Unſre Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt Jammer und Elend.

Vogt. Jch weiß es Aber wir wol - len auf Gott trauen, und mit Geduld tra - gen, was er uns zu tragen giebt.

Voͤgtin. Verblende dich doch nicht im̃er, und glaube nicht, daß du jemals etwas ge - duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.

107

Vogt. Du glaubſt, ich ſey noch der alte Menſch.

Voͤgtin. Was ſoll ich anders glauben?

Vogt. Daß ich es nicht mehr bin.

Voͤgtin. Du biſt einmal auch zaͤhmer heim gekommen, als ich erwartet Jch meynte ſicher, du werdeſt wie ein wuͤthen - des Thier thun, wenn du mir wieder unter Augen kommeſt.

Vogt. Mein altes Raſen iſt mich, ſeit dem ich dem Pfarrer unter den Haͤnden bin, auch nur nie mehr angekommen.

Voͤgtin. Wie iſt das auch moͤglich?

Vogt. Frau, es muͤßte einer kein Menſch ſeyn, wenn er unter ſeinen Haͤnden nicht zahm wuͤrde. Er laͤßt einen machen u. ſeyn, und ſagen, was man will, und zeigt einem dann erſt, daß man ſich irrt, wenn er auch recht und voͤllig verſtanden, was man meynt Aber er bringt einem auch zum Kopf hinaus, was man am haͤrteſten darinn hat. Jch meynte ehdem immer, was mir begeg - nete, nur ander Leut ſeyen dran ſchuld, und es kam mir nur nie der Sinn dran, auch nachzuſinnen, wie weit ich ſelber im Fehler, und darum bin ich immer hundertmal wie ein Narr uͤber die unſchuldigſten Leut wie ra - ſend worden.

Voͤg -108

Voͤgtin. Ach! du hatteſt immer Leute bey dir, die dir den Kopf drehten, wohin ſie wollten, und dich nie ruhig nachſinnen ließen, was auch allemal an der Sach ſey.

Vogt. Das muß izt gewiß anderſt kom - men, und ich will gewiß Ruh vor ihnen in meiner Stuben haben.

Voͤgtin. Das wird izt nicht ſchwer ſeyn Es betrittet kein Menſch als etwa ein Jobs Bott unſre Stube.

Vogt. Das iſt kein Uebel.

Voͤgtin. Gott geb, daß du das immer ſageſt.

Vogt. Glaub mir doch auch.

Voͤgtin. Jch will dir gern glauben, aber es iſt mir auch noch angſt.

Vogt. Es iſt dir nicht zu verargen.

Voͤgtin. Aber weiſt du auch, wer mir dieſe Zeit uͤber am meiſten Liebs und Guts erwieſen?

Vogt. Wie ſollt ich es wiſſen?

Voͤgtin. Rath nicht lang, ich will dirs ſagen Der Hans Wuͤeſt; der iſt vom er - ſten Tag, da du inn (gefangen) wareſt, alle Abend zu mir gekommen, mich zu troͤſten und mir zu helffen; Er ſpaltete mir Holz, trug mir Waſſer, und that, was er konnte und was ich wollte Er war izt ganz munter, und ſagte, er ſehe izt auch wiederfreu -109freudig Sonn, Mond und Sternen an, weil alles am Tag, und Jedermann ſein Recht wiederfahren. Er ſchlug hundertmal ſeine Haͤnd zuſammen, und ſagte: Weiß Gott, es geht deinem Mann nicht uͤbel, und es iſt auch fuͤr ihn beſſer, daß alles ausgekommen, und er wird wills Gott izt auch anderſt, und ohne das waͤr ers nie worden. Und dann hat mir der Huͤbel-Rudi und Gertrud auch viel Liebs erwieſen; ſie iſt vier oder fuͤnfmal bey mir geweſen, aber izt iſt ſie un - willig, daß ich den Treufaug brauche, und hat mir unter das Angeſicht geſagt, ſie wiſſe ſicher, daß er mit ſeinen Henkerstropfen ſchon viel Leut vergiftet.

Vogt. Es iſt mir mit den Troͤpfen auch nicht durch und durch wohl; Jch hab ſchon ſo viel allerley davon erzaͤhlen hoͤren, daß du, wenn ich da geweſen waͤre, ſie mir ge - wiß auch nicht haͤtteſt nehmen muͤſſen.

Voͤgtin. Es wird wills Gott nicht ſo boͤſe ſeyn.

Vogt. Haſt du noch viel davon?

Voͤgtin. Nein, ich bin voͤllig fertig.

Vogt. Es macht mir Angſt.

Voͤgtin. Mach mir izt den Kopf nicht ſo groß; es iſt izt, was es iſt.

Vogt. Du haſt Recht; ich will dir izt etwas erzaͤhlen, das dich freut, und das ichdir110dir zuerſt haͤtt 'erzaͤhlen ſollen: Denk auch, der Rudi hat mir und dir, ſo lang eins von uns lebt, alle Jahr fuͤr eine Kuh Gras und Heu ab der ungluͤklichen Matten, die er izt Gottlob wieder hat, verſichert.

Voͤgtin. Herr Jeſus! was du auch ſagſt! Jſt das auch moͤglich von ihm?

Vogt. (mit Thraͤnen in den Augen) Es gieng mir wie dir: ich konnte es faſt nicht glauben, und ihm faſt nicht danken. Und ohne das iſt er noch zu mir gekommen, um mir zu ſagen, daß ſeine Mutter auf dem Todbett mir verzigen, und mir alles Guts an Leib und Seel angewuͤnſcht.

Voͤgtin. Ach! das freut mich faſt noch mehr, als ſein Heu und Gras, ſo ſehr wirs noͤthig haben.

Vogt. Und mich gewiß auch Aber du haſt waͤhrend der Zeit nie gar nichts freudiges gehabt?

Voͤgtin. Wohl freylich habe ich auch das eint und andre gehabt, das mich er - quikt; aber denn ja auch viel anders.

Vogt. Nicht wahr, meine beſten Freun - de waren die ſchlimmſten?

Voͤgtin. Es iſt faſt ſo; Jm Anfang war alles gut, und ſie ſind alle Nacht zu mir ge - ſchlichen, und haben mir alle Guͤte verſpro - chen, wenn ich machen koͤnne, daß du keinenvon111von ihnen mit ins Spiel zieheſt Jch ſagte ihnen aber gradzu, wie es war, ich koͤnnte nichts machen. Auf dieſes hin ſind ſie nicht mehr gekommen; hernach aber muß etwas vorgefallen ſeyn, das ich nicht weiß, aber ſie ſind alle einsmals wie wuͤthend uͤber uns wor - den, und haben mir die entſezlichſten Sachen ſagen und drohen laſſen, bald uns Hunger ſterben zu laſſen, bald dich hinter dem erſten Hag zu erſchießen, bald uns das Haus ob dem Kopf zu verbrennen, und uns damit.

Vogt. Das ſind aber Großmaͤuler-Re - den, ſonſt nichts.

Voͤgtin. Jch habe es auch dafuͤr aufge - nohmen: Aber ob der Schnabelgrithe bin ich faſt toll worden.

Vogt. Was hat dir die gemacht?

Voͤgtin. Sie hat mit des Maurers we - gen ihrem ewigen Maulwaͤſchen Haͤndel ge - kriegt; da hat ſie dieſer beym Brunnen vor einer ganzen Schaar Weiber zu Schanden gemacht, wie ſie es verdient: Auf dieſes hin iſt ſie ſporrenſtreichs in aller Wuth zu mir gelauffen, und hat ein Geſchrey und einen Laͤrm ob dem, was ihr begegnet, angefan - gen, wie wenn ſie am Spieß hienge Sie gab uns Schuld und ſagte, wir ſeyen ein verfluchtes Volk, wir bringen noch alle Menſchen im Dorf ins Ungluͤk und um Leibund112und Seel: Es war mir gar nicht wohl, und ich wußte nur halb, was begegnet Aber doch verſtand ich ſo viel davon, daß ich ihr antwortete: Wenn ſie ihr Maul gehal - ten haͤtte, ſo waͤre ihr nichts begegnet: Sie fuhr aber doch immer fort, und ſagte, ſie habe nie nichts wider des Maurers ge - habt, und wenn ſie ob den paar Worten, die ihr entwitſcht, ins Ungluͤk komme, ſo habe ſie ſelbiges nur uns zu danken. Jch ließ ſie lang reden; endlich aber ſagte ich doch: Jch meynte, Baaſe, du ſollteſt wiſſen, daß ich izt ſonſt genug habe, und nicht noch ob etwas, woran ich weder wenig noch viel ſchuld bin, mit mir umgehen ſollteſt, wie du thuſt. Sie antwortete: Es geſchieht euch nur Recht, was euch begegnet; ihr habet es ſchon laͤngſt verdient; aber daß ich und ander Leut noch mit euch ins Ungluͤk kommen, das iſt nicht recht. Damit be - kam ich doch genug, und ſagte zu ihr: Grithe, wenn du Haͤndel und Streit willſt, ſo ſuch 'Jemand, der es beſſer erleiden (er - tragen) mag als izt ich, und hiemit gieng ich von ihr weg in die Kuche. Daruͤber iſt ſie ſo wild worden, daß ſie beym weggehen mir noch die Stegen hinauf auf der offenen Straße noch einmal zurufte: Jhr ſeyd halt ein verfluchtes Volk, und wer etwasmit113mit euch hat, der kommt ins Ungluͤk. Die Stubenthuͤr ſchlug ſie zu, daß ſie aus dem Angel fuhr.

Vogt. Es nihmt mich nicht Wunder, ich kannte ſie meiner Lebtag fuͤr das.

Voͤgtin. Es iſt wahr; aber du weiſſeſt doch auch, wie viel Guts ſie bey uns genoſ - ſen, und daß ſie allemal, wenn etwas mehr als all Tag in die Kuche kam, zugeſchlichen, und den Ranzen gefuͤllt, ohne mir einen Heller zu zahlen.

Vogt. Das ſind izt alte Kalender, da - fuͤr uns Niemand nur Dank dir Gott ſagt.

Voͤgtin. Es iſt wohl ſo: Denk auch, wie mirs der Kriecher hat machen koͤnnen; von dem Augenblik an, da dir dein Ungluͤk begegnet, iſt er im̃er vor unſerm Haus vorbey - geſtrichen, u. hat, wo er Jemand unter einer Thuͤr oder unter einem Fenſter ſah, geſpoͤttelt u. getraͤzelt, und vor mir ſelber auf offner Straß beym Bruñen die Zungen heraus geſtrekt, und uͤberlaut vor allen Leuten geſagt, wenn wir ob nichts verdient haͤtten, was uns be - gegnet, ſo waͤrs ob ihm, daß wir ihn beym Pfarrer ſo durchgezogen; aber wir koͤnnen izt die Wochenbroͤdli, die wir ihm abſtaͤhlen wollen, ſelber brauchen.

Vogt. So doch ſeit dem Mitwochen hat er das gewiß nicht mehr gethan?

HVoͤg -114

Voͤgtin. Nein, ich hab ihn ſeit Mit - wochen nicht mehr geſehen.

Vogt. Jch denks wohl.

Voͤgtin. Warum?

Vogt. Weil er am Dienſtag ſeinen Lohn dafuͤr bekommen.

Voͤgtin. Von wem?

Vogt. Vom Pfarrer.

Voͤgtin. Hats der ſchon erfahren?

Vogt. Das glaub ich Es hat keine Stunde angetroffen, ſo hat ers gewußt; und du weiſt, am Dienſtag kommen die Wochen - broͤdler ins Pfarrhaus, und der Kriecher ſchikt aus Hoffart immer ein Anders: Der Pfarrer aber gabs dießmal nicht, ſonder ſag - te, er ſoll nur ſelber kommen: Er wollte nicht gern, und ſandte ſein Kind, mit dem Bericht, er ſey krank und im Bett, und er laſſe doch darum bitten, ſie haben keinen Mund voll im Haus. Der Pfarrer ſchikte aber auch dieß ohne Brod heim, mit der Antwort, er kenne ſeine Krankheit, ſie ſey ſchon alt, und das Spazieren thue im gut, und er ſoll und muͤße kommen, er wiſſe wohl warum. Zwiſchen Feuer und Licht kam er endlich; ich war juſt in der Nebenſtube, und es iſt mir, ich hoͤre den Pfarrer noch izt mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlagen, daß er zitterte, und ihm dann ſagen: Kriecher,du115du haſt dich dieſen Vormittag beym Brun - nen gegen die Voͤgtin aufgefuͤhrt, daß nicht ein Pfarrer, ſonder ein Kerl mit der Hunds - peitſche mit dir reden ſollte; ich habe dich hundertmal in der Kirche und auf der Stra - ße mit meinen Augen vor dem Vogt buͤken und ſchmiegen geſehen, wie ein Hund und izt, da er im Ungluͤk iſt, und ſeine Frau in der tiefſten Betruͤbniß, ſtrekſt du auf off - ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u. brauchſt dein Maul, ſie mit den unverſchaͤm - teſten Bosheiten und Luͤgen zu kraͤnken. Aber der Kriecher wollte noch recht haben, und antwortete, man luͤge uͤber ihn, und es ſey nicht wahr er ſey ein ungluͤklicher Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge - fallen, etwas uͤber ihn ſage, ſo glaube mans ihm. Der Pfarrer kam daruͤber in Ei - fer, daß ich ihn mein Lebtag nie ſo geſehen, und ihn nie ſolche Worte brauchen gehoͤrt; er ſagte ihm: Du Lumpenhund, du Spiz - bub, du muſt wiſſen, daß ich weiß, was ich rede; du haſts nicht nur gethan, ſonder du haſt noch bey den Tagloͤhnern auf dem Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au - gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u. mein Alter verbieten, den Stok, den ich in Haͤnden habe, zu brauchen, wie ich iztH 2wuͤnſch -116wuͤnſchte. Der Kriecher murrete im weggehen noch immer, von Leuten, die ab dem Galgen gefallen, und die lieber ſeyen als er. Auf der Stegen aber wurd er ſtill; er ſtieß im erſten Augenblik, da er allein war, ſo viel Brod ins Maul, daß er dem Hans, der mit einer Tauſe Waſſer die Stege hinauf kam, und ihm einen guten Abend wuͤnſchte, nicht Dank dir Gott ſagen konnte.

§. 30. Hunds-Treu, die eine Menſchen - Empfindung veranlaßt.

So unterhielten ſie ſich die ſchlafloſe Nacht, die aber im Vorbeygang zu ſagen, der Voͤgtin gar nicht wohl that; ich muß aber doch auch den Umſtand, daß die ganze Nacht ihr alter Tuͤrk zu ihren Fuͤßen lag, nicht ver - geſſen. Er heulete in den erſten Tagen, da der Vogt inn (gefangen) war, ganz ab - ſcheulich vor dem Pfarrhof, ſo daß es der ganzen Nachbarſchaft angſt war; denn ob gleich Jedermann ihn kannte, und wußte, warum er heulte, ſo thoͤnte es doch den Leu - ten ſo fuͤrchterlich in die Ohren, daß ihrer viele ſein Geheul gar nicht fuͤr ein Alltags - Geheul von einem Hund, der ſeinen Meiſterſuch -117ſuchte, ſonder fuͤr Ungluͤk weiſſagend erklaͤr - te, und der Siegeriſt ließ in der zweyten Nacht den Hund der Voͤgtin wieder zum Haus fuͤhren, und ſagte zum Waͤchter, der ihn brachte: Wenn das Geheul ein Ungluͤk bedeutet, ſo iſts immer beſſer, der Hund heu - le, wo er zu Haus iſt, und es treffe, wer es verdient, als die Kirche und das Pfarr - haus, welche wir alle mit einander wieder bauen muͤßten. Die Voͤgtin mußte den Hund von nun an Tag und Nacht anbinden, und dieſe hatte ſo boͤſe Zeit, daß er ſich faſt gar nicht mehr aus dem Hundsſtall heraus ließ, denn Junges und Altes, was alles ſei - nem Meiſter haͤßig war, ſchaͤnzelte izt den Hund, und warff ihm Steine an; Und er war nunmehr acht Tag lang ſo an der Ket - ten: da aber izt der Vogt heimkam, ward er wie wild, ſchleppte den ganzen Hundsſtall mit ſeinen Ketten von der Scheune zur Haus - thuͤr, und da man ihm das Haus aufthat, und ihn abließ, ſprang er mit beyden Fuͤßen dem Vogt auf die Achſel, und war faſt gar nicht wieder von ihm abzubringen; da er endlich folgen mußte, legte er ſich nieder, hielt den rechten Dazzen dem Vogt auf den Schoos, und entzog ihm kein Aug.

Es freute den Vogt auch, daß ſein Tuͤrk ſich ſo anhaͤnglich zeigte; Er ſtreichelte ihn,H 3und118und nahm ſeinen Dazzen in die Haͤnd; aber faſt in eben dem Augenblik ſtieg es ihm auf, er ſey mit keinem Menſchen ſo treu geweſen, darum ſey ihm auch kein Menſch ſo gut ge - blieben, wie dieſer Hund; Und nun ver - ſchwand die Freude uͤber die Liebe des Hunds: Er ſeufzte, und ließ ihm ſeinen Dazzen fah - ren.

§. 31. Lips Huͤni ein Waͤchter.

Die Schelmenbande hatte es ſchon am Abend erfahren, daß der Pfarrer ihn dieſe Nacht heim laſſen wollte; und ſie ließen ihm am Morgen, wenn er wieder zuruͤk ſollte, vor ſeinem Haus aufpaſſen, damit ſie ſicher wiſſen und ſagen koͤnnten, der Pfar - rer laſſe ihn machen, was er gern wolle, damit er ihm ſage, was er gern hoͤre.

Lips Huͤni war der, den ſie zum Waͤchter ſtellten; der trank bis am Morgen um 3. Uhr hinter dem Ofen beym Kalberleder, der der naͤchſte beym Vogt wohnte, Gebranntes. Am 3. Uhr machte er ſich dann hinter den Haag, nahe bey des Vogts Thuͤr, und war - tete ſo bis um 5. Uhr, da der Vogt heraus kam. Da kroch er ihm auf allen Vierenhin -119hinter dem Haag den Weg vor, und verbarg ſich hinter des alten Leutolden Nußbaum un - ten an der Kirchhalden, wo dieſer hart an ihm vorbey mußte, und rieff ihm da ploͤzlich hart an die Ohren: B'huͤt uns Gott und ſegn 'uns Gott, was iſt das? Der Vogt fuhr einen Augenblik zuruͤk, ſah den Kerl, den Kopf hinter dem Baum hervor ſtrekend, und ſagt zu ihm: Was giebts da? Was willt du?

Der Huͤni kam izt hinter dem Baum her - vor, ſah dem Vogt mit einem haͤmiſchen Ge - ſicht recht nahe in die Augen, und ſagte: Biſt du es, Vogt, oder biſt du es nicht? Jch glaubte, du ſtekteſt im Loch, und izt biſt du auf der Straße.

Der Vogt merkte am Brandtenwein, der ihm zum Maul hinaus ſtank, und an allem, daß er nicht fuͤr ihn, ſonder fuͤr Jemand ander das Maul aufthat, und ſagte zu ihm: Wie viel haſt du Lohn, daß du mir hier aufpaſſeſt?

Das will ich dir ein ander Mal ſagen, antwortete der Huͤni: Aber hoͤr, Vogt! weñ du kein Geſpengſt biſt, ſo ſag mir: Was thuſt du hier? Gaͤlt! du willſt dich im Nachtwandeln uͤben, damit du, wenn du es einſt thun muſt, es wohl koͤnneſt? Vogt, wenn ichs erlebe, ſo will ich dir dann alleH 4Fron -120Fronfaſten zuſehen; ich weiß deinen Haupt - weg zum voraus; er gehet vom Markſtein zum Galgen, und vom Galgen wieder zum Markſtein.

Solche Bosheiten rieff ihm der Huͤni durch alle Gaſſen nach, bis er im Pfarrhof war, ſo daß Jedermann, wer ſchon auf war, ans Fenſter kam zu ſehen, was fuͤr ein Laͤrm ſey.

§. 32. Es iſt wohl ſo, wie ſie ſagen: Aber wo die Hirten ſich ſchlagen, da werden die Schaafe gefreſſen.

Und das war juſt, was die Vorgeſezten wollten, und warum ſie den Huͤni an dieſen Plaz ſtellten, naͤmlich zu machen, daß Jedermann im Dorf davon ſchwaze, der Vogt ſeye des Nachts heimgelaſſen worden, damit ſie den Meyer zwingen koͤnnen, auch das noch dem Arner wider den Pfarrer an - zubringen.

Dieſer ſperrte ſich zwar wie immer, und ſagte ihnen: Jhr wißt doch auch, daß der Junker nichts ſo annihmt, und daß es voͤl - lig iſt, wie wenn man ihm nichts ſage, wenn man ihm mit ſo etwas kommt.

Aber121

Aber die Bauren hatten wie immer keine Ohren fuͤr das, was ſie nicht wollten.

Es muͤßte der Teufel thun, wenn das ihn nicht wider den Pfarrer aufbringen wuͤr - de, ſagte der Kienaſt.

Nein, bey Gott! das fehlt nicht, ſagte der Kalberleder.

So alt ich bin, hab ichs noch nie erlebt, daß es nicht Haͤndel abſeze, wenn ein Pfar - rer etwas gethan, wie das iſt.

Es iſt ſicher dem Junker ins Amt gegrif - fen ſagte der Mooßbauer, und die Bauren alle beharreten darauf, er muͤßte das anzeigen, und ſo hoch treiben als er nur koͤnnte.

Der gute Meyer ließ ſich endlich auch das noch aufladen.

§. 33. Jn welch hohem Grad ein Verbre - cher Menſch bleiben und ſeine geiſtliche und weltliche Herrſchaft intereßieren kann.

Aber der Pfarrer ſchrieb es dem Junker ſelber Er gab dem Michel, der eh - dem mit dem Vogt ſo eng verbunden war, aber ſint kurzem ſo gut mit dem LienhardH 5wor -122worden, ein Fuͤrbitt-Schreiben an den Jun - ker, und ſagte darinn: Wenn er nur eine halbe Stunde ſelber mit dem Michel reden werde, ſo ſey ſeine Fuͤrbitt gewiß uͤberfluͤ - ßig.

Jn eben dieſem Brief meldete er dem Jun - ker, daß er den Vogt dieſe Nacht heimgelaſ - ſen, und warum.

Der Junker ließ den Michel warten, bis er Zeit fand, ſich mit ihm einzulaſſen. Es gieng faſt zwey Stund; der Michel machte allerley Kalender waͤhrend der Zeit, und war eben im Stall, und pfiff den Pferden vor, als der Junker unter die Linde kam, und ihm rufte.

Arner ſah den Michel mit Ernſt vom Kopf bis zun Fuͤßen an; der Michel ſtand aber auch da mit der Miene eines Mannes, der in ſeinem Jnnern Ruhe hat und Staͤr - ke: Er zeigte, daß er hoffe, Verziehung zu erhalten, und auch daß er fuͤhle, dieſer Ver - ziehung werth zu ſeyn.

Arner befahl ihm, umſtaͤndlich alles zu er - zaͤhlen, worinn er verwikelt ſey.

Der Michel that es im Augenblik, ohne ſich zu bedenken, und erzaͤhlte, wie er unter ſeinem Großvater fuͤr den Vogt und die an - dern Bauren aus der Schloß-Scheuer gan - ze Saͤk voll Korn ab den Garben getreten,und123und an Sailern in den Schloßgraben herun - ter gelaſſen, und von da ins Wirthshaus ge - tragen, wo das Ablager war Wie er wohl hundertmal des Nachts die Schloßzei - chen ab den beſten Eichen und Tannen gezim - mert, und den Bauren geholffen, ſie als ei - gen Holz auf die Saͤge zu fuͤhren; wie ſie hundertmal im Wirthshaus mit den Schloßknechten um Werkzeug, Sailer, Saͤk, Koͤrb und dergleichen geſpielt und geſoffen wie noch izt viele Bauren Kleider mit ſol - chen geſtohlenen Saͤken gefuͤttert tragen, und ganze Raͤder und halbe Waͤgen und halbe Pfluͤg, und eine Menge Naben, Pflugeiſen, Rieſtern, Stoßkarren, Tragbahren, Guͤllen - faß, Weinfaß, Bierfaß in den Bauren - haͤuſern ſtehen, die das Schloßzeichen haben, oder doch zeigen, daß es ausgekrazt und aus - gehauen worden wie darum auch alle Handwerksleut es ſo mit dem Vogt gehal - ten, und ihm ganz umſonſt geſchmiedet, ge - ſchloſſert, gewagnert, gezimmert, getiſchlert, geſchneidert u. geſchuhſtert, weil er ihnen im - mer allerhand ſolchen Abgang aus dem Schloß um einen Spottpreiß zuſchanzen konnte.

Das gerade offene Weſen und der Muth, mit dem er das Boͤſe von ſich ſelber gleich ungeſcheut wie von den andern ſagte, und die Kenntniß, die er von allen Umſtaͤndenund124und von den Urſachen aller Unordnungen im Dorf zeigte, brachte den Junker dahin, daß er mit einem Zutrauen mit ihm redte, wel - ches vermoͤgend geweſen waͤre, aus dem Mi - chel einen brafen Kerl zu machen, wenn ers nicht ſchon geweſen waͤre.

Er fragte ihn einſt mitten im Geſpraͤch uͤber dieſe tauſenderley Bosheiten, warum es auch ſo ſchwer ſey, die Leute von einem ſo ungluͤklichen Leben abzubringen?

Der Michel antwortete ihm: Der Menſch iſt immer mit gar vielen Faͤden an ſein Leben angebunden, und es braucht gar viel, ihm neue anzuſpinnen, die ihn ſo ſtark als die al - ten auf eine andre Seite hinziehen.

Dieſe Antwort frappierte den Junker, daß er ſich einen Augenblik von ihm wegkehrte, und dieſelbe von Wort zu Wort wiederhollte: Es iſt wahr, ſagte er zu ſich ſelbſt, die Faͤ - den, womit ein Verbrecher an ſein altes Le - ben angebunden, abzuſchneiden, und ihm neue anzuſpinnen, die ihn zu einem beſſern fuͤhren, iſt das einige Mittel, den Verbre - cher zu beſſern; und es iſt wahr, wenn man dieſes Mittel nicht braucht, ſo iſt alles, was man ſonſt an ihm thut, wie ein Tropfen Waſſer ins Meer.

Er redete noch uͤber eine Stunde mit ihm, u. ließ ſich beſonders die Geſchichte mit demGe -125Geſpengſt in des Hoorlachers Haus gar weit - laͤufig erzaͤhlen.

Des Michels eigene Worte hieruͤber waren:

Der Hoorlacher habe das Haus Anno 1767. vom Wagner Leuͤppi um 450. fl. ge - kauft, und fuͤr mehr als 300. fl. darinn verbauen, und der Vogt habe ihm bey Lebs - zeiten 600. fl. dafuͤr gebotten, da er aber ge - ſtorben, wollte er es nicht mehr, und ließ durch mich und den Staͤndliſaͤnger ausſpren - gen, der Hoorlacher ſey keines natuͤrlichen Tods geſtorben, und man habe hinter ſeinem Bett den abgehauenen Strik noch gefunden, an dem er erſtikt. Jnnert 8. Tagen war die ganze Gegend von dieſem Geruͤcht voll, und man ſezte noch hinzu, ſein Nachbar der Kirchmeyer habe den Strik ſelber ins Pfarr - haus getragen, aber der Pfarrer habe ihm verbotten, davon zu reden, weil der Hoor - lacher izt doch ſchon vergraben, und es nur Aergerniß abſezen wuͤrde.

Auf das hin ſchikte der Vogt alle Mo - nat ein paarmal einen von uns ins Haus, die Nachbarn zu erſchreken, als ob ein Ge - ſpengſt darinn waͤre; das that er uͤber ein Jahr lang, bis kein Menſch mehr das Haus vergebens genohmen haͤtte, dann kauffte er es der Hoorlacherin aus Mitleiden, wie er ſag - te, um 200. fl. ab, und verſprach, dieſenGreu -126Greuel aus dem Dorf zu bahnen, zwey Ka - puziner wohl hundert Stund weit her kom - men zu laſſen: aber er redete nur mit dem Sauff-Waldbruder in der Haberau ab, machte ihn 8. Tag ſich im Haus verſteken, und dann und wann ſich an den Fenſtern zei - gen und Grimaßen machen. Jndeſſen fraßen, ſoffen und ſpielten wir alle Nacht mit dem Bruder, und thaten ſo laut, daß der Waͤchter Leutold es merkte; er erkannte vor den Fenſtern alle drey Stimmen, und kam morn deß mit dem Geſchwornen Kalber - leder, ſeinem Bruder und dem Huͤgi, auf den Schlag 12. Uhr, mitten im jubilieren vors Haus. Der Pfaff war, ſo bald ſie anklopften, wie der Bliz im Verbergloch, und ich auf dem Dach, und von da uͤber den Birrbaum hinunter und fort. Der Vogt kroch in den Ofen, aber er konnte ihn nicht zumachen, weil ſchon Holz darinn war. Die vier ſtießen die Thuͤren mit Gewalt auf, u. waren im Augenblik mit einem Hund und ei - nem Licht in der Stube, und des Vogts Kaz fluͤchtete ſich vom Tiſch weg zu ihrem Meiſter in den Ofen: dieſer wußte nicht, was es war, und that einen erbaͤrmlichen Schrey Da iſt der Vogt rieffen die Kerl, zuͤnde - ten ihm mit dem Licht zum Ofen hinaus, und machten ihn alles Geld, das er bey ſichhat -127hatte, theilen, damit ſie ihm den Spaß nicht ausbringen.

Endlich befahl der Junker dem Michel, ihm bis uͤbermorgen ein Verzeichnuß zu brin - gen, was von den aus dem Schloß geſtoh - lenen Sachen noch im Dorf ſeye Hier - auf entließ er ihn freundlich.

§. 34. Weil er Vater von allen, ſo haͤlt er zuerſt und am ſtaͤrkſten ſeinen aͤlteſten Buben im Zaum.

Er war kaum fort, ſo kam der Untervogt Meyer, um dem Junker anzubringen, was er der Schelmenbande, ihm anzubrin - gen verſprochen.

Er war aber ſchon beym gruͤßen, da der Junker ihm freundlich die Hand both, ſo ſteif, angſthaft und veraͤndert, daß dieſer in den paar erſten Minuten, da er da ſtuhnd, merkte, wo er mit ihm zu Hauſe war, und ſich nicht enthalten konnte, zu ſich ſelber zu ſagen: Er iſt kaum 8 Tag Vogt, und macht ſchon Maul und Augen, wie wenn er ſich innert Jahr und Tag henken koͤnnte, oder Land und Leut verrathen wollte.

Der128

Der Vogt aber fieng dann bald an, dem Junker zu verſtehen zu geben, daß es gar viel Schwirrigkeiten haben werde, die All - ment zu vertheilen, und daß es ſeiner unmaß - geblichen Meynung nach beſſer waͤre, man wuͤrde zuerſt mit einem kleinern Stuͤk, z. E. mit dem Winkel zwiſchen dem Wald anfan - gen, und dann ſehen, wies etwann weiter gehen wollte.

Was iſt das fuͤr ein Winkel, ſagte der Junker.

Vogt. Der da zu oberſt an der Wayd, wo ſie ſich zwiſchen den Tannen gegen den Berg zieht.

Junker. (ihn ſteif anſehend) Der da?

Vogt. Ja oder wenn Euer Gnaden ein andrer beliebt.

Jkr. (ihn forthin ſteif anſehend) Aber du meynſt dieſen und redeſt von dieſem.

Vogt. Ja.

Jkr. Jſts dir auch Ernſt?

Vogt. Es ſind gar viel Maͤnner im Dorf dieſer Meynung.

Jkr. Aber du auch?

Vogt. Ja.

Jkr. Kennſt du den Winkel?

Vogt. Ha, ſo zum Theil.

Jkr. Darfſt du ſagen, du kenneſt ihn nicht vollends? Du haſt ja Guͤter an - ſtoßend.

Vogt. 129

Vogt. Jch kenne ihn, ich kenne ihn, Gnaͤdiger Herr!

Jkr. Aber du glaubſt wohl, ich kenne ihn nicht?

Vogt. Daran dachte ich nicht.

Jkr. Woran?

Vogt. Daß Sie ihn nicht kennen.

Jkr. Haͤtteſt du mir ihn anrathen doͤrffen, wenn du geglaubt, ich kenne ihn?

Vogt. Es iſt mir leid.

Jkr. Was iſt dir leid?

Vogt. Daß ich ihn Jhnen angerathen.

Jkr. Warum iſt dir das Leid?

Vogt. Weil Sie, wie es ſcheint, fin - den, daß er nichts nuz iſt.

Jkr. Findeſt du es nicht auch?

Vogt. Jch kann ihn nicht ruͤhmen.

Jkr. Warum haſt du mir ihn dann an - gerathen?

Vogt. Die Vorgeſezten waren alle der Meynung.

Jkr. Warum waren ſie dieſer Meynung?

Vogt. Jch weiß es nicht.

Jkr. Das kann ich izt glauben oder nicht; ich will es dahin geſtellt ſeyn laſſen: Aber was ſeyn muß, und unverzuͤglich ſeyn muß, iſt, daß nicht der Winkel, ſonder die ganze Allment, wie ſie verſprochen, vertheilt wer - den muß.

JVogt. 130

Vogt. Jhr Gnaden wird doch nicht zuͤr - nen, wenn ich noch ein Wort ſage.

Jkr. Nein gar nicht.

Vogt. Es wird doch dieſen Sommer faſt nicht moͤglich ſeyn, die Allment zu vertheilen?

Jkr. Warum?

Vogt. Es iſt kein Menſch im Dorf izt eingerichtet, das Vieh im Stall zu halten, und die Wayd zu entbaͤhren.

Jkr. Fehlts am Futter in euerm Dorf?

Vogt. Ja, man ſagt es ſey gar wenig, und hingegen gar viel Vieh da.

Jkr. Was will dieß Man ſagt? weiſt du das nicht ſicher?

Vogt. So ganz ſicher nicht, Gnaͤdiger Herr!

Jkr. So Aber wie viel du ſelber Fut - ter haſt, weiſt du doch?

Vogt. Das wohl.

Jkr. Haſt du fuͤr dich genug, um dein Vieh im Stall haben zu koͤnnen?

Vogt. Jch kann es nicht laͤugnen.

Jkr. Was laͤugnen?

Vogt. Jch meyne Nein ſagen.

Jkr. Du haſt eine eigene Sprache Aber es iſt wie das lezte Jahr Heu und Emd ausgefallen; es ſollten alle genug ha - ben wie du Aber um abzukuͤrzen, iſt gut, daß man das Vieh zaͤhlen, und das Heu meſſen kann, und das muß ſeyn; dennich131ich will wiſſen, woran ich bin. Du muſt das gerade heut mit dem Weibel thun, es wird ſich dann zeigen, was hinter dieſem Anbringen ſteke, und wie weit man dieſe Wayd dieſen Sommer im Ernſt noͤthig habe oder nicht.

Der Vogt war gar erſchroken, aber kam doch noch mit dem Pfarrer, daß er den Hum̃el des Nachts aus dem Gefaͤngniß laſſe, wenn er wolle.

Bringſt du das von dir ſelber, oder ha - ben es dir Andre aufgetragen? ſagte der Junker ihm zur einigen Antwort uͤber dieſes Anbringen, das ſo verwirrt war, daß es in die Augen fiel, er ſey dazu gezwungen.

Der Vogt wußte nicht, was er antworten ſollte, ſagte aber endlich doch: Sie haben michs geheißen ſagen.

Jkr. Wer?

Vogt. Die Vorgeſezten.

Jkr. Mit Namen?

Vogt. (zitternd und todtblaß.) Einer wie der Andre.

Jkr. Mit Namen?

Vogt. Kienholz Kalberleder Mooßbauer Rabſer Kienaſt Huͤ - gi u. ſ. w.

Jkr. Wie kamſt du zu dieſen Herren?

Vogt. Ha, wie es ſich ſo giebt.

J 2Jkr. 132

Jkr. Eben wunderts mich, wie es ſich ſo gebe? Giengeſt du zu ihnen? Oder ka - men ſie zu dir? Trafeſt du einen Jeden al - lein an, oder waren ſie bey einander, da ſie es dich geheiſſen?

Vogt. Sie waren bey einander.

Jkr. Bey wem und bey was Anlaaß?

Vogt. Beym Kienholz.

Jkr. Und bey was Anlaaß?

Vogt. Jch weiß es eigentlich nicht Jch war nur einen Augenblik da.

Jkr. Du wirſt doch wiſſen, was ſie in dem Augenblik hatten, da du da wareſt?

Vogt. Jch wills in Gottes Namen ſa - gen.

Jkr. Du thuſt ihm faſt recht.

Vogt. Sie ſuchen das Wayd-Verthei - len zu hintertreiben.

Jkr. Und du haſt dich brauchen laſſen, mir Luͤgen zu hinterbringen, damit ſie zu die - ſem Endzwek kommen?

Der Vogt ſtand da, wie ein armer Suͤn - der, ſchlug die Augen nieder, und antwor - tete kein Wort.

Er erbarmte den Junker, wie er da ſtand: Meyer! Es iſt das erſte Mal, ich will es gut ſeyn laſſen, aber ſorge dafuͤr, daß du mir nicht zum zweyten Mal kommeſt. Einen Augenblik darauf ſagte er noch: Aberwa -133warum haben ſie den Pfarrer verklagen wollen? was geht das die Allment an?

Vogt. Jch denke ſie haben durch dieſen Bericht den Junker und den Pfarrer hinter einander richten wollen.

Jkr. Und denn?

Vogt. Und denn vielleicht gehoffet, daß das Allment-Vertheilen deſto eher hinter - ſtellig gemacht werde.

Jkr. So; und auch das haͤtteſt du[a]nge - zettelt, wenn du gekonnt?

Vogt. Es iſt mir leid.

Jkr. Jch hab dir verziegen Aber du ſieheſt, daß ich weiß, was du gethan; denke daran Jch will dich izt nicht laͤnger auf - halten: Verrichte heut mit dem Waibel, was ich dir befohlen, und bring mir Mor - gens das Verzeichniß. Und dann ließ er ihn gehen.

§. 35. Der neue Vogt neben ſeinen Bauren.

Stellet euch izt den Vogt vor, wie er fortgegangen, und dann die Bauren, wie ſie den Vogt empfangen, als er zuruͤk kam. Er haͤtte ſollen dem Junker einſchwa -J 3zen,134zen, der Winkel zwiſchen dem Wald ſchike ſich gar wohl zum vertheilen.

Und er kom̃t mit der Antwort: der Junker ſage, er ſeye zum vertheilen nichts werth.

Er haͤtte ihm ſollen einſchwazen, ſie haͤtten gar viel Vieh, und wenig Futtter: Und kommt mit der Antwort: Er muͤße das Vieh zaͤhlen, und das Futter meſſen.

Er haͤtte ſollen den Junker uͤber den Pfar - rer aufbringen: Und der Junker wird uͤber das Anbringen aufgebracht.

Er haͤtt 'ihn ſollen herum fuͤhren, wie wenn er ein Narr waͤr: Und dieſer pakt das Geſchaͤft an, wie wenn ſie Schelmen waͤren.

Sie ſtaunten und zankten izt bald mit ein - ander, bald mit dem Vogt; dieſer aber ließ ſie ſizen, und gieng fort, den Waibel zu ſu - chen, der ihm ſollte helffen das Heu meſſen.

Da er fort war, ſagte der Huͤgi: Wir ſizen izt da bey einander wie im naſſen Jahr - gang.

Es hatte naͤmlich 1759. in der Erndt vier Wochen nach einander geregnet, und es iſt ihnen faſt alles Korn auf dem Feld wie - der ausgewachſen; da ſind ſie auch ſo viel bey einander geſeſſen, und alle Augenblike hat Einer den Andern gefragt: Wills denn auch nicht enden das Wetter? Und iſt denn auch gar nichts zu machen? Und daran erinnerte ſich izt der Huͤgi.

§. 36.135

§. 36. Er wieder neben des Waibels Toͤchterli.

Aber der Vogt traf den Waibel nicht an; das Kind, das ihm unter der Thuͤre Antwort gab, ſagte, der Vater komme vor Nacht nicht heim, er ſey auf dem Wochen - markt.

Der Vogt wußte, daß der Waibel ſonſt immer bey Hauſe war, und nie ſelber auf den Markt gehe, und meynte alſo, er ver - laͤugne ſich nur, und wiſſe ſchon, warum es zu thun ſeye.

Das Lezte war auch wahr. Die Vor - geſezten hatten ihm, ſo bald ſie es mit dem Heumeſſen und Viehzaͤhlen vernohmen, im Augenblik ſagen laſſen, er ſolle heut ein wenig beyſeits gehen, und vor Sonnen Un - tergang nicht wieder heimkommen.

Der Vogt, der bey ſich ſelber ſchon ſo verdruͤßlich war, als er nur konnte, ſagte dem Kind, er glaube, ſie treiben den Nar - ren mit ihm, und der Vater ſey doch daheim.

Das Toͤchterli aber, das gar nicht furcht - ſam, und wie die ganze Haushaltung des Waibels ihm nicht gut war, fieng an anſtattJ 4zu136zu antworten, zu ſpoͤtteln, und ſagte: Es ſcheint der Herr Untervogt ſey gar nicht gu - ter Laune?

Wenn ich dir gut zum Rath bin, ſo ſag du, dein Vater ſoll herunter kommen, ich muß mit ihm reden ſagte izt der Vogt.

Und das Toͤchterli Wenn einmal izt der Junker von Arnheim in ſelbſt eigener Perſon vor mir ſtuͤhnde, Herr Untervogt! ſo muͤßte ich einmal warten, bis der Vater wieder die Stege herauf waͤre, ehe ich ihn koͤnnte heißen herunter kommen.

Vogt. Jſt er im Ernſt z'Markt?

Toͤchterli. Jm ganzen Ernſt.

Vogt. Das iſt vom Schinder.

Toͤcht. Jch wills nicht hoffen.

Vogt. Jſt er heut fruͤh fort? Und wann kommt er wieder?

Toͤcht. Er iſt grad eben fort und kommt vor Nacht nicht wieder.

Vogt. Wenn er grad eben fort, ſo ſchik ihm doch nach.

Toͤcht. Jaͤ, er iſt auf dem Roß, und ich weiß nicht, ob er uͤber das Mooß, oder uͤber den Berg geht.

Vogt. Er hat bey Gott gewußt, was ich will, daß er eben izt fort iſt.

Toͤcht. Er iſt doch kein Hexenmeiſter.

Vogt. 137

Vogt. Jch weiß izt nicht, was ich ma - chen muß.

Toͤcht. Vielleicht koͤnnts der Vater euch ſagen, wenn er nur da waͤr; aber er iſt ein - mal izt nicht da.

So ließ des Waibels Toͤchtergen den neuen Untervogt fortſpazieren, und lachte dann aus vollem Hals die Stege hinauf, ob der neuen Obrigkeit, die vor ihm zu faſt brieggen (wainen) wollen, daß ſie den Va - ter nicht hinter dem Ofen angetroffen.

§. 37. Er wieder ins Kienholzen Stuben und auf der Gaß beym Wai - bel, der auf dem Roß ſizt.

Der Vogt gieng izt wieder zuruͤk zu des Kienholzen, und ſagte den Vorgeſez - ten, es muͤße ihm izt einer von ihnen helffen, weil der Waibel nicht da ſey.

Aber es wollte keiner; und der Kienholz ſagte zu ihm: Es iſt gar viel beſſer, du macheſt dieſe Arbeit uͤber 8. Tage, ſie freut uns gar nicht ſo wohl, daß wir dir dazu helffen moͤchten.

Der Vogt antwortete: Jhr wiſſet doch, wie der Junker iſt, wenn etwas verſaumt wird.

J 5Sie138

Sie ließen ihn aber reden, und ſagten ihm kurz, ſie helffen ihm nicht.

Er hielt lange in allen Eken an, aber es gab ihm keiner Gehoͤr. Endlich gab ihm der Huͤgi den Rath: Wenn du das Verzeich - niß doch haben muſt, und dir Niemand helf - fen will meſſen und zaͤhlen, ſo laß du das meſſen auch bleiben, und dir von Jedem an - geben, wie viel Heu und Vieh er noch ha - be, dann haſt wenigſtens gethan, was du haſt koͤnnen.

Aber ich will Heu und Futter beym Eid wiſſen ſagte der Vogt.

Das verſteht ſich, beym Eid ſagten die Bauren, und lachten einander an.

Vogt. Jch will izt grad anfangen: Und ihr ſeyd doch auch zu Hauſe, wenn ich komme?

Wie ſollten wir anderſt doͤrffen? ant - worteten einige, die juſt das Gegentheil im Sinn hatten.

Nein, man muß hieruͤber izt nicht ver - ſaumen, ſagte der Huͤgi. Und es war gut, daß er dieſen Fuͤrſprech aus ihrem Mit - tel hatte; denn ihrer etliche haͤtten ihn ſonſt gewiß das Dorf zehnmal durchlauffen laſſen, ohne daß er ſie angetroffen haͤtte.

So aber brachte er das Verzeichniß end - lich zu Stand. Beym heimgehen traf erdann139dann juſt noch den Waibel an, der vom Markt heim kam; Dieſer ſagte ihm vom Roß hinunter: Was haſt du da fuͤr eine Buͤrde Papier unter dem Arm?

Jch wollte, dein Roß waͤre heut verna - gelt geweſen, damit du daheim geblieben du haſt mir nothwendig helffen ſollen, ant - wortete der Vogt.

Waibel. Worinn?

Vogt. Jch habe muͤſſen das Heu und Vieh, ſo im Dorf iſt, aufſchreiben.

Waibel. Warum das? Giebts Krieg?

Vogt. Nein, nur wegen der Wayd.

Waibel. So

Vogt. Wenn du nur auch da geweſen waͤreſt.

Waibel. Warum haſt du mirs nicht am Morgen ſagen laſſen? Jch bin erſt um Mit - tag fort.

Vogt. Jch bin auf Schlag zwoͤlf Uhr ſelber zu dir kommen, und hab es dir ſagen wollen.

Waibel. Das iſt doch fatal Jch bin kaum um den Hauseken herum geweſen, ſo hab ich Jemand hoͤren klopfen, und mit meiner Tochter reden; Gewiß biſt du's ge - weſen?

Vogt. Daß du auch nicht umgekehrt

Wai -140

Waibel. Es hat mir nicht getraumt, daß du's ſeyeſt, oder was du wolleſt, und du haͤt - teſt mir ja nur pfeiffen koͤnnen. Er konn - te ſich aber des Lachens faſt nicht enthalten, und ſagte: Mein Roß iſt im Schweiß, es muß in Stall.

Jch bin auch im Schweiß, ſagte der Vogt, und ſie giengen von einander.

§. 38. Renold ein brafer Mann trittet auf.

Die Nacht durch war ein Treibjagen und ein Herumlauffen im Dorf, wie im Wald unter den Zigeunern, wenn ſie erfah - ren, daß eine Baͤtel-Jaͤgi (Jagd) angeſtellt iſt. Die Vorgeſezten wollten mit Ge - walt alles unter einen Hut bringen, und ſchikten wohl dreymal zum alten Renold, vor dem ſie ſich fuͤrchteten, ihn zu bitten, er ſolle ihnen in dieſen Umſtaͤnden doch auch zuſtehen und abwenden helffen, daß nicht noch mehr Ungluͤk im Dorf entſtehe.

Er ließ ihnen aber zweymal antworten, er moͤge die Sache anſehen wie er wolle, ſo duͤnke ihn, es waͤre das beſte, wenn man ſich demuͤthigen, und um Verziehung bitten wuͤrde.

Aber141

Aber dafuͤr hatte Niemand Ohren; bis auf den Schulmeiſter behauptete alles, die Demuth ſey izt kein goͤldener Apfel in ſilber - nen Schaalen.

Man ſchikte zum drittenmal zu ihm hin, er ſoll doch um tauſend Gottes willen wenig - ſtens ſchweigen, und morgen einmal auch nichts unvorſichtiges ſagen.

Er wuͤnſchte, daß er morgen nicht nur ſein Maul, ſondern auch ſeine Augen und Ohren zuhalten koͤnnte, war das lezte Wort, das er ihnen ſagen ließ.

Alles Volk in Bonnal fuͤrchtete ſich vor dieſem Morgen; Arner aber eilte mit him - melreinem Vaterherzen zu dem Volk hin, das ſich vor ihm foͤrchtete.

Wenn nach langen heißen Tagen die Erde duͤrſtet, und alle Pflanzen nach Waſſer ſchmachten, und dann an Gottes Himmel ſich ein Gewitter aufzieht, ſo zittert der ar - me Bauer vor den ſteigenden Wolken am Himmel, und vergißt das Duͤrſten des Fel - des und das Serben der Pflanzen im bren - nenden Boden, und denkt nur an das Schla - gen des Donners, an die Verheerung des Hagels, an den entzuͤndenden Strahl, und an uͤberſchwemmende Fluth: Aber der im Himmel wohnet, vergißt nicht das Duͤr - ſten des Feldes, und das Serben der Pflan -zen142zen im brennenden Boden, und ſein Gewit - ter traͤnket mit Segen die Felder der armen Leute, die im Blizglanz der Mitternachts - ſtunde, beym donnernden Himmel zitternd nach den Bergen hinſehen, von denen ſein Gewitter daher rollt. Dann am Morgen ſieht der Arme die Hoffnung ſeiner Erndte verdoppelt und faltet ſeine Haͤnde vor dem Herrn der Erde, vor deſſen Gewitter er zitterte.

Das iſt das Bild der armen Leute, die ſich vor ihrem Herrn fuͤrchteten, und das Bild Arners, der izt zu ihrem Troſte und zu ihrer Huͤlffe nach Bonnal eilte.

§. 39. Die Morgenſtunde Arners, an einem Gerichtstag neben ſeinem Pfarrer.

Er iſt da beladen mit den Entſchluͤſ - ſen des Tages, und ſturm von den Bil - dern einer ſchlafloſen Nacht, war er ſtiller und ernſter als ſonſt.

Er fuͤhlte izt die Laſt des kom̃enden Tages, und die Sorgen des Manns, deſſen Kinder die Wege ihrer Thorheit vor ihrem Vater ver - bergen.

Schon143

Schon beym Aufgang der Sonne ſtand er im Pfarrhof neben ſeinem Pfarrer. Die erſten Strahlen glaͤnzten auf der Thraͤne des Manns, der ſanft und mild gegen ſie hinſah, und ſagte: Gott geb ', daß ich ſie heut mit leichtem Herzen untergehen ſehe! Das geb' Gott! erwiederte ſein Pfarrer, und auch er hatte eine Thraͤne im Auge.

Dann redeten ſie von den Geſchaͤften des Tages, und vom Hummel, wie er izt alles ſo ganz anderſt anſehe als vorher, und wie ſeine Erfahrungen ihm mitten durch ſeine Thorheiten und Laſter einen ſo großen Wahr - heitsſinn ertheilt, daß der Pfarrer hundert - mal darob erſtaunen muͤßte.

Sie kamen auch auf die Obſtbaͤume zu reden, welche der alte Junker ſchon vor mehr als zwanzig Jahren auf dem Bonna - ler Riedt gepflanzt, und der Gemeind ver - ehrt, die aber alle ſerben und nirgends hin wollen.

Der Hummel hatte naͤmlich dem Pfarrer geſtern geſagt, es fehle da gar nicht am Bo - den, ſonder nur an der Beſorgung, und man ſolle die Baͤume nur unter Leute aus - theilen, die Obſt noͤthig haben, ſo werden ſie bald groß und ſchoͤn ſeyn.

Der Junker verwunderte ſich uͤber die Ausgaben, die jaͤhrlich fuͤr das Riedt derGe -144Gemeind verrechnet werden, und uͤber die Frohndienſte, die die Gemeind jaͤhrlich auf dieſem Riedt thue.

Der Pfarrer ſagte ihm aber, dieß alles geſchaͤhe nur zum Schein, damit die Vorge - ſezten ein paar Tag im Jahr mehr auf ge - meine Unkoſten freſſen und ſauffen koͤnnen Und ſie moͤgen den Taunern, ſo wenig einen Obſtwachs goͤnnen, als ſie ihnen die Allment goͤnnen moͤgen, und darum werde es, ſo lang es ſo ſey, aus dieſen Baͤumen nie nichts geben.

Der Junker ſagte bey dieſem Anlaaß, ſei - ne Leute eſſen bey der ſizenden Lebensart, die je laͤnger je mehr aufkomme, gewiß zu viel und zu unvermiſcht Erdapfel, und man koͤnne in dieſer Abſicht das Pflanzen der Obſtbaͤume gewiß nicht genug betreiben: Und auch der Pfarrer bedaurte, daß ſo gar viele Leute ſich faſt nur mit Kraut, Ruͤben und Erdaͤpfeln behelffen muͤſſen.

Es waͤre doch weiß Gott allenthalben ſo leicht einzurichten, daß die aͤrmſte Haus - haltung immer auch etwa ein Duzend trag - bare Obſtbaͤume und auch eine Geiß halten koͤnnte ſagte der Junker.

Und es iſt doch nirgends eingerichtet, erwiederte der Pfarrer.

Ach!145

Ach! Es iſt fuͤr den Armen nirgends nichts eingerichtet, bis man ihn in Spitthal nihmt, ſagte der Junker, und erklaͤrte ſich im gleichen Augenblik, nicht nur die Baͤu - me auf dem Riedt zu vertheilen, und eigen - thumlich zu machen, ſondern fuͤr alle ſeine Leute in ſeinen Baumſchulen ſo viel junge Baͤume zu ziehen, als ſie noͤthig haben. Er ſezte hinzu: Und ich will alles thun, da - mit ihnen die Baͤume recht lieb werden, und ſie bald Frucht davon haben; ich denke ich wolle ihnen allemal bey ihren Hochzeiten u. Tauffanlaͤßen welche ſchenken.

Pfarrer. Ein ſolches Andenken an die wichtigſten und freudigſten Umſtaͤnde ihres Lebens kann nicht anderſt als fuͤr ihr Herz und fuͤr ihr Gluͤk eben ſo viel Gutes wuͤr - ken, als fuͤr die Baͤume ſelber.

Junker. Gott geb 'es!

Pfr. Was mir zu Sinn kommt, Junker Sie muͤſſen auch den Kindern, die zum erſten Mal zum Tiſch des Herrn kommen, ſolche Baͤume ſchenken.

Jkr. Das will ich gern.

Pfr. Das Projekt mit dieſen Baͤumen macht mich 20. Jahr uͤber mein Ziel hinaus traumen, ſo ſehr nimmt es mich ein.

Jkr. Nun, was traumen ſie dann ſo weit hinaus?

KPfr. 146

Pfr. Jch kann mir izt vorſtellen, wie ſie einſt mit meinem wills Gott beſſern und ſtaͤr - kern Nachfolger, ihre Leute auf dieſes Riedt, welches bis dann ein Baumgarten und ein herrlich ſchoͤner Baumgarten fuͤr ihre Armen werden kann, hinfuͤhren, und da mit ihnen ein Volksfeſt feyren werden, das ihrer wuͤr - dig ſeyn wird.

Jkr. Was fuͤr ein Volksfeſt?

Pfr. Das Feſt der dankbaren Armuth, welche ſie mit dieſen Baͤumen erquiken wer - den.

Jkr. Sie machen mich auch traumen.

Pfr. Denken Sie, was das fuͤr ein Feſt ſeyn wird, wenn ihre Leute am ſchoͤnſten herbſtlichen Tag auf ihrem Riedt unter dem Schatten von Baͤumen voll reiffer Fruͤchte, in dieſer herrlichen Ausſicht, im Angeſichte des Himmels und der Erde ihren Tauffbund und ihr Nachtmahlgeluͤbd erneuern, und das Angedenken der Freuden ihrer Hochzeittage und ihres Kinderſegens feyren werden.

Jkr. Wuͤrde ich wohl ein Menſch ſeyn, wenn ich dieſes Feſt denken koͤnnte, und nicht ſtiften wuͤrde?

Pfr. Sie werden es ſtiften.

Jkr. Ja, ich will es ſtiften, und ſo lang mein Volk daſſelbe feyren wird, ſo ſoll es Jhrer gedenken.

Pfr. 147

Pfr. Laſſen Sie dann Jhr Volk Birren eſſen und Apfel und gedenken, daß ihre Vaͤter das nicht hatten. Das war die Antwort des Pfarrers, und er ſezte hin - zu: Jn allen Volksfeſten des Alterthums wird der Arme mit Speis und Trank er - quikt, und am Feſte des neuen Bundes ſel - ber, nahm der Herr Brod, und gab den Sei - nigen zu eſſen, und Wein, und gab ihnen zu trinken; und uͤberhaupt iſt die Aufhebung des Bedruͤkenden in den Nahrungsſorgen der Armen der Geiſt der Gottesverehrung, die Er auf Erde geſtiftet, ſo wie ſie uͤber - haupt Aufhebung alles Bedruͤkenden im Unterſcheid der Staͤnde der Menſchen, und Emporhebung der Elenden und Armen zum frohen theilnehmenden Mitgenuß aller Seg - nungen und Wohlthaten Gottes iſt.

Jch will Jhr Feſt ſtiften wieder - hollte der Junker.

Eine Weile ſtaunten er und der Pfarrer ſtill dem großen Gedanken nach Dann ſagte der Junker: Aber ach! ſo ſchoͤn als wir traͤumen, wird nie nichts auf Erden.

Es iſt wahr ſagte der Pfarrer, Aber der Lohn der Tugend iſt nicht, daß ſie das Unkraut von der Erde vertilge; Genug iſts dem Frommen, daß im Aker des Fleißi - gen der gute Saame meiſter wird UndK 2es148es freut ihn, daß ſeine Baͤume, die er pflan - zet, Fruͤchte tragen, wenn er laͤngſt von der Erde hingenohmen ſeyn wird.

Und der Junker und der Pfarrer dankten Gott, daß der Vogt ſie an die Baͤume auf dem Bonnaler Riedt erinnert, und redten eine Weile wieder von dem ungluͤklichen Mann.

§. 40. Arner fangt ſeine Tagsarbeit an.

So gieng heute die erſte Stunde nach der Sonne Aufgang dem Herrn und dem Pfarrer von Bonnal voruͤber.

Gegen 8. Uhr kam der Untervogt Meyer mit dem Verzeichniß von Vieh und Heu. Er entſchuldigte ſich, daß er daſſelbe nur beym Eid habe aufnehmen koͤnnen, weil der Waibel, der ihm haͤtte ſollen helffen meſſen und zaͤhlen, auf dem Markt geweſen.

Warum haſt du nicht an ſeiner Statt einen andern Vorgeſezten zu dir genohmen? ſagte der Junker.

Es hat keiner kommen wollen er - wiederte der Vogt.

Junker. Haſt du ihnen geſagt, es ſey mir daran gelegen, daß dir Jemand helffe?

Vogt. 149

Vogt. Jch hab es freylich geſagt.

Jkr. Und doch hat keiner kommen wollen?

Vogt. Nein Jch hab moͤgen ſagen, was ich hab wollen, ſo wars vergebens.

Jkr. Haſt du alſo vollends Niemand bey dir gehabt, und iſt das Verzeichniß von Nie - mand unterſchrieben?

Vogt. Nein.

Jkr. So nihm daſſelbe nur wieder mit dir, und geh ſo geſchwind, als du kannſt, lies einem Jeden in Gegenwart von zween Vorgeſezten von neuem vor, was er ausge - redt, und bring das Verzeichniß von dieſen zween Zeugen unterſchrieben zuruͤk Aber eile, daß du mit der Arbeit fertig werdeſt, eh die Gemeind angeht.

Vogt. Jch treffe ſie juſt beym Kienholz bey einander an.

Jkr. So Was thun ſie da bey ein - ander?

Vogt. Nichts anders Sie habens ſo im Brauch, daß ſie allemal vor der Gemeind zuſammen kommen.

Jkr. Wer?

Vogt. Ha, alle, welche meynen, ſie haͤtten was zu bedeuten.

Jkr. Es iſt gut, daß ich das weiß; Jch vernehme vielleicht ein ander Mal, was ſie bey einander machen.

K 3§. 41.150

§. 41. Bauren, die von ihrem Herrn reden.

Der Vogt gieng izt zum Kienholz, und ſagte der Stuben voll Herren, ſie muͤſ - ſen ihm ihr Heu und Vieh noch einmal an - geben.

Warum das? ſagten die Kerls Und da und dort ſah ihn einer an, wie wenn er ihn freſſen wollte.

Er meynt, glaub ich, ihr oder ich ſeyen verirret , antwortete der Vogt.

Er hat immer etwas zu meynen ſagte der Eine Er kann ja ſelber kom - men und meſſen ſagte der Andre.

Nein, wir wollens ihm auf der Naſe abwaͤgen; er hat izt eine, die laͤnger als kein Waagkengel im Dorf ſagte des Kien - holzen Bub.

Still du ſagte der Vater.

Nein, im Ernſt, ſagte der Meyer, ich muß einem Jeden vorleſen, was er geſagt, und dann muͤßen zwey Vorgeſezte unterſchrei - ben, daß es ein jeder beſtaͤtiget.

Hinter dem ſtekt der Teufel; Es kann dann keiner mehr ſagen, du ſeyeſt mit der Fe -der151der verirret, oder du habeſt ihn nicht recht verſtanden ſagte der Huͤgi.

Jch kann nicht helffen, erwiederte der Vogt.

Aber es wollte keiner an Tanz weder zum Angeben, noch zum Unterſchreiben, bis er zulezt den Rodel wieder unter den Arm nahm, das Dintenfaß in Sak ſchobe, und ſagte: Mir iſt zulezt gleichviel, wenn ihr nicht wollet, ſo ſag ichs nur wieder dem Junker, mach 'er dann meinethalben, was er wolle.

Da begriffen ſie doch, daß es beſſer ſey, ſie beſtaͤtigen, was nun einmal gelogen, und[l]aſſen es ordentlich unterſchreiben. Ueber - haupt aber war ihnen angſt; dennoch trieben auch izt noch einige den Narren, und der Mooßbauer ſagte uͤberlaut: Aber wenn mein Flek heut kalbert, ſo hab ich noch ein Stuͤk Vieh mehr im Stall, du kannſt ihm das noch muͤndlich beyfuͤgen.

Der Waibel, der als Zeugen unterſchrieb, und ſo ſehr er dem Vogt haͤßig, ſich dennoch[n]ie in nichts verfaͤngliches hineinließ, ſagte[i]hnen aber doch: Es werde gut ſeyn, wenn[e]s beym Schreiben bleibe, denn wenn es zum Reden kommen ſollte, ſo moͤchte es fehlen.

Der Huͤgi rieff dem Vogt, als er fort - g[i]eng, noch nach, er ſollte doch machen, d[a]ß der Junker izt mit dieſem genug habe.

K 4 Jch152

Jch kann mit ihm juſt ſo viel machen, als mit euch, ſagte der Meyer.

Denn iſts eben wenig, dachte der Huͤ - gi, und ließ ihn gehen.

§. 32. Arner thut die Thuͤr zu.

Jzt weiß ich doch ſicher, was ſie ausge - redt Was ich izt aber weiter wiſſen muß, iſt, was daran wahr ſey? ſagte der Junker, da ihm der Meyer das beſtaͤ - tigte Verzeichniß zuruͤk brachte und be - fahl ihm dann ungeſaumt mit dem Waibel von Haus zu Haus ein neues Verzeichniß aufzunehmen, aber es ſich nicht angeben z[u]laſſen, ſondern das Vieh ſorgfaͤltig zu zaͤ[h]- len, und das Heu zu meſſen.

Sogleich ließ er das Zeichen laͤuten, d[a]ß ſich die Gemeind verſammle, und ſagte dañ[:] Jch will expreß, daß die Hausvaͤter nich[t]bey Haus ſeyen, wenn ihr zaͤhlen und me[ſ]- ſen muͤſſet, und wenn ein Weib oder ei[n]Knecht unter dem Titel, der Meiſter ſe[y]nicht daheim, ſich widerſezen wuͤrde, ſ[o]laſſet ſie, es mag ſeyn wer es will, dur[ch]den Flink gefangen hieher bringen, un[d]fa[h]- ret mit eurer Arbeit ungeſaͤumt fort: Jchge -153gebe euch den Michel von hier, und den Huͤnertraͤger von Arnheim zu, die euch helf - fen ſollen.

Es waͤre doch auch beſſer und mehr An - ſehen darinn, wenn wir noch einen Vorge - ſezten mitnaͤhmen ſagte izt der Vogt.

Jch will, daß ihr dieſe mitnehmet, ant - wortete der Junker.

Vogt. Es iſt dieſe Woche allerley Ge - ſchwaͤz mit dem Huͤnertraͤger vorgefallen, u. ich foͤrchte, es ſeze Verdruß, wenn er in alle Haͤuſer hinein muß.

Jkr. Eben darum muß er gehen, und wenn ihn Jemand nicht hineinlaſſen will, ſo wißt ihr, was ihr zu thun habt.

Hierauf beſezte der Junker noch alle Zu - gaͤnge zum Gemeindplaz, und befahl den Waͤchtern, unter keinem Vorwand keinen Menſchen vom Plaz wegzulaſſen, bis die Gemeind verabſcheidet ſey.

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K 5§. 43.154

§. 43. Sie werden izt bald aufhoͤren rath - ſchlagen wider ihren Herrn, und wider ihr Heil.

Dieſe war nun bey der Linde verſammelt: Aber ſo lange Bonnal ſteht, ſahen die Bauren nie ſo wunderlich aus als heute. Viele, die den Kopf immer ſonſt hoch tra - gen, und die Beine ſtellen wie Soldaten, ließen ihn izt haͤngen, und ſchlichen daher wie alte Weiber. Leute, die ſonſt einan - der haßten, ſtuhnden izt zuſammen, und fluͤ - ſterten ſich in die Ohren. Leute, denen der Mund vom Morgen bis am Abend nie zu - geht, redten izt kein Wort. Leute, die ſonſt immer die Sonntagskleider anzogen, wenn ſie an die Gemeind giengen, kamen izt in Werktagshoſen und Fuͤrfaͤllen. Die meiſten ſaßen da, wie wenn ſie nicht wuͤß - ten, was ſie mit einander reden wollten, und mancher fragte ſeinen Nachbar wohl 2-bis 3mal: Giebts dieſen Abend nicht Regen?

Der Huͤgi und einige Vorgeſezte, die das bemerkten und glaubten, es ſeye doch nicht das Spiel, daß alles ſo traurig thue, fien - gen an ihr Maul zu brauchen, wie wenn ſie ſich nicht fuͤrchteten; Einige redten luſtigvom155vom Jkr. Heumeſſer und Herrn Kuͤhzaͤhler: Andre ſchwuren, er richtet nichts damit aus, denn eine Gemeind hat einen Arm, wenn ſie zuſammenhaltet, und darf ſich alle Stun - den mit ſo einem Juͤnkerli meſſen, wenns Ernſt gilt.

Der Hartknopf that am ſtaͤrkſten ſein Maul auf, und behauptete: man muͤße fuͤr den Teufel nicht ſeine leibliche und geiſtliche Freyheit ſich ſo liederlich rauben laſſen, und ſagte: Wir haben izt ja unparteyiſche Zeu - gen, daß ſein Huͤnertraͤger es ſelber eingeſtan - den, daß er mit dem Teufel in einem Bund iſt, und wer in der Welt ſollte uns zwingen koͤnnen, etwas zu halten, was man uns alſo mit Teufelskuͤnſten zu verſprechen be - redt?

Die Schelmenbande gab ihm lauten Bey - fall, und behauptete, man muͤße das treiben ſo weit man koͤnne, und mit dieſem anfangen.

Ein einziger junger Renold widerſprach: Jch fuͤr mich glaube, der Junker werde da anfangen, wo er will Und unparteyi - ſche Zeugen habet ihr keine; denn wenn eine Gemeind klagt, ſo koͤnnen ihre Buͤrger nicht unparteyiſch zeugen.

Wir muͤſſen halt erwarten, was kommt, ſagte der Rabſerbauer Und viele, diees156es hoͤrten, ſagten, das ſey das allervernuͤnf - tigſte von allem, ſo heute noch geredt wor - den.

§. 44. Der alte Truͤmpi bringt eine boͤſe Nachricht.

Jndem ſie ſo redten, kam noch der alte Truͤmpi, der ſein Lebtag immer allen - thalben zu ſpaͤt kam, und brachte die Nach - richt, der Vogt und der Waibel ſpazieren mit dem Michel und dem Huͤnertraͤger die Kirchgaß hinunter gegen das Dorf, und ha - ben Papier und Dinte und Federn bey ſich.

Wie ein Lauffeuer gieng dieſe Nachricht in allen Baͤnken unter der Linden herum. Von allen Baͤnken, und von allen Eken rieff man dem Truͤmpi: Was ſagſt du? was iſt das? was ſagſt du?

Vornehmes und Gemeines Alles ſtrek - te die Koͤpf izt nur gegen den Truͤmpi, u. ſo lang er lebte, hatte er nie den Zehnden ſo viel zu antworten als izt.

Es iſt nichts anders, als das verfluchte Kuͤhzaͤhlen und Heumeſſen geht wieder an, ſagten die Bauren aus einem Mund undbe -157begreiffer izt, wohin es langen koͤnne, daß ſie ihre Auſſag wieder beſtaͤttigen muͤſſen.

Alles war ſo betroffen, daß ich wohl ſa - gen kann, von den dikern Bauren hatte kein einziger ſeine natuͤrliche Farbe mehr, als der dikhautige Rabſer, und der kathfarbige Kienaſt, und auch dieſen ſah mans am Maul an, daß ſie ſich entfaͤrbt haͤtten, wenn ſie ſich jemals haͤtten entfaͤrben koͤnnen.

Wenige Augenblike darauf kams dem Einen in Sinn, er habe ſein Schnupftuch vergeſ - ſen, dem Andern ſein Tobak, dem Dritten, er habe nothwendig mit ſeiner Frau zu re - den, dem Vierten, er habe etwas herum lie - gen laſſen, das ihm koͤnnte geſtohlen wer - den Kurz, es kam einer Menge von ih - nen zu Sinn, daß ſie heim ſollten. Der Spekmolk fieng ſo gar an aus der Naſe zu bluten, damit er heim koͤnne.

Aber der Harſchier, der in der Lindengaß ſtuhnd, hieß ſie alle wieder zuruͤk gehen, rieth ihnen, Tobak und Schnupftuch bey den Nachbarn zu entlehnen, und dießmal das Naſenbluten bey dem Brunnen unter der Linden zu ſtillen.

Kurz, ſie mußten zuruͤk, und auf ihren Baͤnken erwarten, was der Vogt, und der Waibel, und der Huͤnertraͤger und der Mi -chel158chel bey ihren Weibern daheim Gutes oder Boͤſes anſtellen moͤchten.

§. 45. Es fangt an Ernſt zu werden.

Jhre Angſt erhoͤhete ſich einen Augenblik darauf noch mehr, da izt der Befehl zur Linde kam, die Vorgeſezten alle und die groͤßern Bauren, zuſammen ihrer 17. ſollten auf der Stell zum Junker ins Pfarrhaus kommen.

Was will er mit uns allein thun? ſagten die Kerls.

Und was weiß ich? antwortete der Waͤchter.

Sie waren aber kaum fort, ſo fieng es an den Gemeinen nicht ganz uͤbel zu gefallen, daß er dieſe allein ruffe.

Hans und Heyni murmelten in den Baͤn - ken: wenn er Schelmen ſucht, ſo hat er ſi - cher die rechten.

Ein Leiſi ſagte: Es waͤre wohl gut, wenn er es mit dieſen allein ausmachen wuͤr - de, und uns andre gehen ließ.

Einer, den ſie Halloͤri hießen, ſagte: Es ſind etliche unter ihnen, ſie ſind bey Gott ſchlimmer als der Vogt.

Ei -159

Einer, der Stikelhauer hieß, ſagte ſei - nem Nachbar ins Ohr: Ein Stuͤk ab der Allment waͤr doch nichts ſo ſchlimmes.

Und ſein Nachbar erwiederte: Wenn die 17. nicht waͤren, ſo wuͤrden unter den Andern nicht mehr 6. ſeyn, die nicht auch gern eins haͤtten.

Der arme Micheli ſagte gar uͤberlaut: Wir wollen doch nicht wider unſer eigen Brod ſeyn.

Wenn die nicht wieder zuruͤkkommen, ſo iſt dir kein Menſch dawider ſagten ihm Etliche zur Antwort.

Aber die Hartknoͤpfe und die Ehrenver - wandſchaft der 17. ſtrekten die Koͤpfe ſo ſtark, wo ſo ein Wort floß, und machten dir ſo große Augen, daß es den meiſten, faſt eh es heraus war, im Hals erſtikte.

Jndeſſen ſuchte Arner die 17. im Pfarr - haus mit Freundlichkeit zu einem freywilli - gen Bekenntniß zu bringen aber es war umſonſt; ſie glaubten izt vielmehr, er fuͤrch - te ſich dahinter, daß er ſo um den Brey herum rede; der Kalberleder unterbrach ihn ſogar, faſt eh er ausgeredt hatte, und ſagte:

Wir wiſſen und begreiffen nicht, weder was ſie ſagen, noch was Jhre Klage iſt.

Der Junker antwortete: Wer ſind die Wir, in deren Namen du redeſt?

Kal -160

Kalberleder. Ha, Niemand: Jch rede nur in meinem Namen.

Jkr. Nein, Kalberleder Jhr habt es abgeredt, und darum iſt dir das Wir entronnen. Daruͤber aber verliere ich kein Wort. Jhr wollet meine Klage wiſſen? ſie iſt dieſe: Daß ihr das Gemeind-Gut veruntreuet die Gemeinds-Rechnungen verfaͤlſchet und mit allem, was unter eue - ren Haͤnden war, wie meyneide, untreue Buben gehandelt.

Das war izt deutlich, und mehr, und haͤrter, als ſie erwartet. Sie ſahen ein - ander an eine Weile redte niemand doch bald darauf ſagte der Mooßbauer: Jch fuͤr mich begehre Recht und Gericht wider dieſe Klage in aller Form und Ord - nung. Und die andern Bauren begehrten zwar betroffen, aber doch aus einem Mund das gleiche und ſchlugen dem Junker ab, neben dem Hummel ein Wort auf alles, was dieſer anbringen moͤchte, zu reden.

Der Junker warnete ſie noch einmal Sie blieben ſtandhaft und behaupteten, ſie ſeyen unſchuldig.

Das iſt genug, ſagte Er izt Aber ihr ſeyd von dem Augenblik an Gefangene ihr werdet nicht anderſt als mit einer Wacht nach euern Plaͤzen an die Gemeind zuruͤk -keh -161kehren: Und es iſt euch verbothen, daſelbſt mit irgend Jemand weder uͤber wenig noch uͤber viel euch zu unterreden. Entfernet euch!

Die Wacht folgte ihnen auf dem Fuße nach, und die Befehle, ſie zu bewachen, waren ſcharf.

Aber der Renold, der bey ihnen war, ſtuhnd zuhinterſt, und außert der Thuͤr; die Andern draͤngten ſich ihm mit Fleiß vor, da - mit er dem Junker nicht zu nahe unter die Augen komme; und da die Stube des Pfar - rers klein war, ſo kamen die hinterſten nicht voͤllig hinein, und der Renold, dem das Herz ſo groß war, daß er, wenn er haͤtte koͤnnen, gern hundert Stund weit von allem weg ge - weſen waͤre, ſtuhnd in einem Eken in der Lau - be, weit von der Thuͤr, und wußte noch kein Wort, was vorgefallen, als Arner izt laut der Wacht rufte, ſie zu begleiten.

An der Gemeind ward es ploͤzlich maus - ſtill, als die Maͤnner mit dieſer zuruͤk kamen.

Freund 'und Vettern ſtuhnden izt um ſie her, und fragten: Was iſt das?

Aber ihre Antwort Wir doͤrffen nicht reden ſchlug allen denen, die mit ihnen laugnen wollten, den Muth nieder, und der Hartknopf, der izt wider den Huͤnertraͤger, wie das lezte Mal wider den Pfarrer, eineLRe -162Rede erſtudiert, ſagte zu ſeinem Nachbar: Es iſt heute nicht gut predigen.

§. 46. Der Unverſtand der Gewaltigen pflanzet die Lugen des Volks Aber ihre Weisheit macht die Menſchen wahrhaft.

Jndeſſen kam Arner, und befahl den Ge - meindsgenoſſen zu ſizen, und den Be - klagten ſtehen zu bleiben.

Dann erzaͤhlte er, daß die 17. Maͤnner, denen er wichtige Klagen, die er izt wieder - hollte, aus Freundlichkeit und Schonung im Pfarrhaus eroͤffnet, ſich mit ihrer Unſchuld groß gemacht, und ihm ſogar abgeſchlagen, in Gegenwart des Hummels ſich auch nur zu verantworten, und daß er um deßwillen ihnen izt vor der ganzen Gemeind ſagen und zeigen wolle, wer und was ſie ſeyen.

Dann befahl er dem Schreiber, aus dem Verzeichniß von den Diebſtaͤhlen aus dem Schloß diejenigen Artikel vorzuleſen, welche dieſe 17. Maͤnner betreffen.

Der Schreiber las hierauf, wie folget:

Jm Wagenſchopf des Richter Kienaſtsſte -163 ſtehen zwey Raͤder, die aus dem Schloß geſtohlen.

Des Kalberleders Baͤnnen iſt aus dem Schloß geſtohlen.

Des Kirchmeyer Hoorlachers junge Baͤu - me ſind aus den Schloß-Reben.

Des Mooßbauers Guͤllenfaß iſt aus dem Schloß: es haltet 15. Saum, und iſt No. 44. aus dem vordern Keller.

Der Spekmolch hat einen ganzen Pflug, wovon alles Eiſen noch izt das Schloß - zeichen hat.

Die große Winde auf dem Rabſerhof iſt aus dem Schloß.

Des Huͤgis große Kuͤhſchellen iſt aus dem Schloß.

So las der Schreiber faſt eine Viertel - ſtunde Sachen vor, die aus dem Schloß geſtohlen worden, und ſich in den Haͤuſern der Maͤnner, die da ſtanden, befanden. Von allen 17. war außer dem Renold kein Einziger, den dieſe Vorleſung nicht traf.

Sie waren erſchroken, denn dieſe Punk - ten waren izt beſtimmt, und ſie wußten, daß, wenn ſie dieſe laͤugneten, er gerade in ihre Haͤuſer ſchiken konnte, ſie zu uͤberweiſen.

Das iſt gar nicht die Hauptſach Aber es iſt die Frag, ob ihr vorlaufig das laugnen wollet, ſagte izt der Junker.

L 2Ei -164

Eine Weile antwortete Niemand: dann ſtuhnd Kienholz auf, und ſagte: Gnaͤdiger Herr! wollten Sie uns eine Viertelſtunde Bedenkzeit erlauben?

Man fuͤhre den Kienholz ins Gefaͤngniß war die Antwort des Junkers und es geſchahe alſobald.

Die Uebrigen ſtanden izt da, und wußten weder was ſie ſagen, noch was ſie thun wollten.

Aber es ward auf einmal in allen Baͤnken lautes Gered Freund 'und Verwandte rieffen ihnen zu: Um Gottes willen, ihr ſehet ja, daß er alles weiß, warum bekennt ihr doch nicht? Doch ſie ſtanden noch da wie verſtummt.

Aber der alte Renold, der wider einer von den hinterſten ſtuhnd, draͤngte ſich izt hervor, warff ſich Arnern zu Fuͤßen, und ſagte: Gnaͤdiger Herr! ich bin ein alter eisgrauer Mann, und Gott weiß, daß ich keinen Gefallen hatte an dem Uebel, und an der Bosheit, die unter uns geherrſchet; aber was ſie klagen, iſt wahr.

Der Junker antwortete ihm: Alter Mann, du daurſt mich, mit deinen eisgrauen Haaren; ich weiß, daß du unter Allen am wenigſten ſchuldig: und es iſt mir leid, daß du mit Leuten verwikelt, die ſo viel verbro - chen,165 chen, und die noch nicht einmal wie du, bekennen.

Renold. Gnaͤdiger Herr! ſolche Umſtaͤnd, wie die unſern, nehmen einem Herz und Sinnen.

Arner. Was fuͤr Umſtaͤnd?

Renold. Sich ſchuldig zu wiſſen, und vor Angſt doch nicht bekennen doͤrffen.

Arner kehrte ſich izt zoͤrnend gegen die Andern, und ſagte: Warum widerſprechet ihr izt dem Mann nicht, der wider euch zeuget?

Aber der Muth zu laͤugnen war izt ent - ſunken, ſie warffen ſich ihm zu Fuͤßen, und bathen um Gnade.

Als er ſie ſo zu ſeinen Fuͤßen ſah, entſank ihm eine Thraͤne; er troknete ſie vor allem Volk, und ſagte: Einen traurigern An - blik kann ich mir faſt nicht vorſtellen.

Dann wandte er ſich wieder an den Re - nold, und ſagte ihm: Alter Mann! ſtehe du auf Jch habe gegen dich keine Klage, als daß du zu dieſen Sachen allen geſchwie - gen: Aber warum haſt du das gethan, und deiner Obrigkeit ſolche Verbrechen, die dir ſeit 20. und mehr Jahren bekannt ſeyn muͤſ - ſen, ſo lange verheelt?

Der Renold wollte zuerſt mit der Spra - che nicht heraus ruͤken, und antwortete: derL 3Jun -166Junker moͤchte es uͤbel nehmen, wenn er es ſagte, oder meynen, er ſuche izt hintennach, da er zum Bekennen genoͤthiget worden, noch Ausfluͤchte und Entſchuldigungen.

Der Junker befahl ihm zu reden dann bath der Renold den Junker, ein paar Schritt beyſeits zu kommen, und ſagte ihm: Es ſey unter ſeinem Großvater unmoͤglich geweſen, uͤber alle dieſe Unordnungen zu klagen, wenn man nicht muthwillig in ſein eigen Ungluͤk habe rennen wollen.

Der Junker fragte ihn um Beyſpiele.

Er namſete den Bamberger und mehrere.

Jndeſſen kamen die, ſo im Dorf das Heu meſſen, und das Vieh zaͤhlen mußten, wie - der zuruͤk.

Der Junker ſah ſie, und ſagte zum Re - nold: Jch will heute noch mehr mit dir reden.

Hierauf nahm er das Verzeichniß, das dieſe eben aufgenohmen, und verglich es langſam und genau mit der alten Auſſag.

Dann ſagte er: Es ſind ihrer 22., die da ihr Vieh und ihr Heu falſch angegeben, und von euch, ihr 16., die ihr aus noch wichtigern Verbrechen da knieet, mangelt in Gottes Namen auch hier kein einziger.

Arner ſeufzte, da er dieß ſagte.

Die167

Die 22. ſind Der Geſchworne Kal - berleder Chriſtoff Kalberleder, ſein Bru - der Jakob Kalberleder, der dike Der Geſchworne Kienaſt Joggel Kie - naſt, der Mezger Der Geſchworne Kienholz Chriſtoff Moosbauer Hans Moosbauer der Rabſerbauer der Rabſer Kuri, ſein Bruder Der Ge - ſchworne Spekmolch der Sennbauer, ſein Schwager der Geſchworne Meyer Meyer der Freßmolch genannt der Geſchworne Huͤgi der Siegriſt der Schulmeiſter der Ruͤtibauer der Lindenberger der Kuͤhhaͤndler Stoffel der Stierenbauer Heirech des Roßruͤt - ſchers Noͤppi.

§. 47. Ein Siegeriſt und ein Schulmeiſter, zween Bruͤder dem Leib nach und auch der Seele.

Der Siegeriſt und der Schulmeiſter waren keine Bauren, ſondern der einte ein Schneider, und der andre ein Schumacher Aber ſie machten den Betrug aus lauter Hochmuth mit ihrem wenigen Vieh und Heu den andern Bauren auch nach. Es iſtL 4ih -168ihnen aber gar uͤbel bekommen. Zum Spaß, oder zum Ungluͤk waren ſie beyde, als der Vogt und die Maͤnner ins Dorf kamen, bey Haus der einte wegen der Schul, und der andre wegen des Laͤutens: ſie wohnten unter einem Dach, und waren Bruͤder.

Der Siegeriſt hatte noch alles Heu, ſo er auf dem Kirchhof macht; er hatte kein Vieh, und verkaufte das Heu alle Jahre um baares Geld.

Aber er erſchrak gar gewaltig, als die Maͤnner ins Dorf kamen; denn er hatte ausgeredt, er habe nur ein Klafter Futter, und es war mehr als zwey. Geſchwind dekte er izt einen Eken vom Heu mit ſo viel Strohwellen, als er nur hatte und als die Maͤnner in ſein Tenn kamen, ſagte er, die Kappe unter dem Arm haltend, und die Haͤnde reibend: Jhr wiſſet wohl, ihr Her - ren, ich mache keinen Halm Futter als ab dem Kirchhoͤfli, das macht etwa ein Klafter, wie ich es angegeben.

Du verkauffeſt doch ſonſt alle Jahre zwey Klafter, ſagte der Huͤnertraͤger.

Es iſt einmal izt gewiß nicht zwey antwortete der Siegeriſt.

Wir muͤſſen es meſſen ſagte der Waibel.

Der169

Der Siegeriſt erwiederte: Jhr koͤñt doch von Aug ſehen, daß das nicht 2. Klafter ſind.

Michel. Jſt hinter dieſen Wellen Stroh kein Heu mehr?

Siegeriſt. Kein Halm ich verſichre, kein Halm es iſt Strau, ſo ich ſchon zwey Jahr hab.

Jch kanns doch faſt nicht glauben, ſagte der Michel, und indem ers ſagte, legte er etliche Strohwellen beyſeits, und hinter den Wellen war Heu.

Das ſchmekt nicht nach dem Kirchen - dienſt, ſagte der Michel, und der Waibel maß izt das Heu, und ſagte dann: Es iſt viel uͤber 2. Klafter.

Der Siegeriſt war erſchroken und giftig, und ſagte zur Antwort: Wenn ihr Jeder - mann ſo alle Winkel ausgeſucht, ſo wird ſich mancher um ein Klafter geirret haben.

Der Vogt erwiederte: Wenn du nur 20. Klafter haͤtteſt, ſo wuͤrde es dann gar nichts machen, daß du um eins verirret.

Thut mir doch den Gefallen, und ſchwei - get von dieſem Klafter, ſagte der Siegriſt.

Das kann nicht ſeyn man muß Ei - nen halten wie den Andern, erwiederte der Michel.

Siegriſt. Du machſt dich groß, Michel Aber du biſt gar ein ehrlicher Mann.

L 5 Und170

Und du biſt Siegriſt erwiederte der Michel.

Der Vogt aber ſagte: Es iſt nicht moͤg - lich, wir muͤſſens anzeigen. Und dann giengen ſie zum Schulmeiſter.

Dieſer hatte anſtatt einer Kuh, die er hatte, ihrer zwo angegeben Er wollte deßnahen den Vogt und ſeine Leute auch faſt gar nicht in den Stall hinein laſſen: als er aber zulezt mußte, ſagte er: Jaͤ, ich hab einmal meine einte Kuh nicht mehr; ſie iſt geſtern fort.

Aber ich habe ſie doch ſchon vor acht Tagen fortfuͤhren geſehen, ſagte der Huͤ - nertraͤger.

Schulmſtr. Du haſt gewiß eine andre fuͤr meine angeſehen; meine iſt keine 4. Tage fort, und denn wußte ichs nur nicht; meine Frau hat den Stall unter den Haͤnden.

Vogt. Das iſt izt gleichviel wir koͤn - nen dir einmal izt nur eine aufſchreiben, weil nur eine da iſt.

Schulmſtr. Wenn ſie doch auch nur ein paar Tag fort iſt?

Michel u. Vogt. Wir koͤnnen da nicht eintreten.

Schulmſtr. Jhr wißt auch wenig, was es heißt: Barmherzigkeit erweiſen.

Mi -171

Michel. Es heißt einmal nicht, um eines Thorenbuben willen Schelmenſtreiche machen.

Schulmſtr. Was will das ſagen?

Michel. Das will ſagen, daß du ein Narr wareſt mit einer Kuh, die du nicht einmal hatteſt, am Vorgeſezten-Sail ziehen zu wollen.

Der Schulmeiſter haͤngte ſeinen Kopf, und ſagte zur Antwort: Es iſt zulezt noch beſſer, als am Hundsſail weil der Michel vor Zeiten viel auf die Jagd gieng.

Der Michel antwortete: Es giebt der Hundsſailer allerhand.

Und der Vogt ſagte: Wir wollen gehen, eh's Feuer giebt .

Da aber die Schul izt aus war, und es auch ſchon Mittag gelaͤutet, fanden der Sie - griſt und der Schulmeiſter, ſie konnten izt noch an die Gemeind, und ſich beym Jun - ker entſchuldigen, oder wenigſtens verhuͤten, daß er nicht meyne, ſie ſeyen um deßwillen nicht an die Gemeind gekommen.

Und ſie giengen wirklich mit dem Vogt und den Maͤnnern, die izt fertig waren, dahin. Aber ziemlich von ferne ſchon oben an der Kirchgaß ſah der Siegriſt die 17. auf den Knieen; er erkannte nur den Junker, aber nicht was die andern machen, und ſagte zum Schulmeiſter: Es iſt, wie wenn172 wenn ein Duzend vor ihm zu Gras rupfen, (ausrauffen).

Der Schulmeiſter gukte auch hin, aber er ſann nicht daran, daß der Huͤnertraͤger neben ihm zu ſtuhnd, und ſagte zur Ant - wort: Du Narr, ich glaub, er mach 'ſie Hexenſtuͤkchen probieren.

Der Siegriſt ſtupfte ihn zwar, aber das Wort war heraus, und der Huͤnertraͤger hatte es voͤllig verſtanden; Er antwortete zwar nichts, aber er blikte ihn an, als ob er einen Schulerbuben, und nicht einen Schulmeiſter vor ſich haͤtte.

Jndeſſen kamen ſie naͤher zur Linden, u. erkannten izt, daß es die Vorgeſezten, und daß ſie vor Arnern auf den Knien. Und es war, wie wenn ihnen einsmals die Fuͤß lahm worden waͤren, ſo langſam ſchlichen ſie izt hinten nach, und ploͤzlich wollten ſie gar wieder zuruͤk kehren.

Aber der Huͤnertraͤger, der es merkte, u. dem des Schulmeiſters Hexenſtuͤkli noch nicht recht lag, ruͤſperte der Wacht, und dieſe ließ ſie nicht mehr zuruͤk.

Sie machten aus der Noth eine Tugend giengen wohin ſie izt mußten, aber ſez - ten ſich doch in den hinterſten Baͤnken, und hielten ſich gar ſtille.

§. 48.173

§. 48. Er verſteht das Fragen beſſer, als ſie das Luͤgen.

Nachdem der Junker das alte und neue Verzeichniß verglichen, und die zwey und zwanzig, welche Heu und Vieh falſch angegeben, mit Namen genennt, befahl er dem Waibel, die ſechſe, welche neben den 16., die ſchon da ſeyen im Fehler, hervor zu rufen.

Der Waibel thats und ihrer vier kamen ſogleich, aber der Siegriſt und Schulmeiſter zauderten.

Sind dieſe nicht hier? ſagte der Jun - ker.

Wohl, ſie ſind hier, ſagte leiſe der Meyer.

Und, Wohl freylich ſind ſie hier, rief - fen laut etliche aus den hinterſten Baͤnken.

Wer ſagte Nein, antwortete der Sie - griſt, und gieng nun mit dem Schulmeiſter auch hervor ſtellte ſich dann ehrerbietig vor den Junker hin, machte in aller Ord - nung eine Reverenz, und ſagte dann, die Haͤnd zuſammen haltend, und die Augen verkehrend: Ach, Mein Gnaͤdiger Junker, ich mache doch auch keine Handvoll Futterals174als ab dem armen Kilchhoͤfli, und hatte izt das Ungluͤk, ob dem elenden Bischen Heu zu verirren, und es fuͤr weniger anzuſehen, als es iſt.

Der Junker ſah ihn an, wie wenn er ihm ſagen wollte: Du moͤchteſt luͤgen, u. kannſt es nicht. Er ließ ihn einige Augenblik ſo ſtehen und ſchwizen; endlich ſagte er: Du biſt alſo verirret, Siegriſt?

Ja gewiß, Wohlehrwuͤrdiger Hr. Pfar - rer, antwortete der Siegriſt. (*)Es iſt ein erſchrokener Siegriſt, dem der Le - ſer verziehen muß, daß er in dieſem Zuſtand dem Junker Wohlehrwuͤrdiger Hr. Pfarrer ſagt.

Um wie viel? fragte der Junker.

Siegriſt. Um ein Klafter.

Junker. Wie viel haſt du Futter ab dei - nem Kilchhoͤfli?

Siegriſt. Sie ſagen izt, es ſey 2. Klaf - ter, und ich muß es wohl gelten laſſen.

Junker. So Es wird doch wahr ſeyn, was ſie ſagen?

Siegriſt. Ae ja.

Junker. Und wie viel haſt du angegeben?

Siegriſt. Eins.

Junker. Alſo einmal minder, als du hatteſt?

Siegriſt. Jch bin in Gottes Namen verirret.

Jun -175

Junker. Unter allen Schelmen, die da ſind, iſt doch keiner um das Halbe verirret, als du.

Siegriſt. Es iſt mir leid.

Junker. Halt dein Maul.

Da er izt ſchwieg, fieng der Schulmei - ſter an, und ſagte: Jhr ſeyd erzoͤrnt, Gnaͤ - diger Herr! aber ich bitte unterthaͤnigſt um ein Wort.

Zwey, wenn du willt, und viere auch, aber die Wahrheit, wenns dir lieb iſt, erwiederte der Junker.

O gewiß, die Wahrheit, gewiß alle Wahrheit, ſagte der Schulmeiſter, und erzaͤhlte dann, wie vor ein paar Tagen ohne ſein Wiſſen ſeine einte Kuh aus dem Stall gekommen.

So erwiederte der Junker du biſt alſo in der Kuh verirret, und dein Bruder im Gras ihr ſeyd beyde ſchoͤne Herren.

Schulmſtr. Es iſt mir leid; aber ich hab einmal vergeſſen, daß der Mezger von Reb - ſtal ſie ſchon abgehollt.

Junker. Es muß dir gar am Gedaͤchtniß mangeln?

Schulmſtr. Die Zeit her gar faſt.

Jkr. Jch hoͤrte ſonſt im̃er, du habeſt ein gar gutes Gedaͤchtniß, aber keinen Verſtand.

Schulm. 176

Schulmſtr. Es iſt nicht mehr wie vor altem und denn nimmt ſich meine Frau faſt allein des Stalls an; ich habe in der Schul zu thun.

Junker. Du haͤtteſt alſo deine Frau ſol - len angeben laſſen, wie viel Vieh du haſt.

Schulmſtr. Es iſt wahr aber

Jkr. Jch brauche keine Aber du biſt Schulmeiſter, und die Jugend des Dorfs iſt in deinen Haͤnden, und du haſt mit kal - tem Blute eine Meyeid-Auſſage zweymal beſtaͤtigt.

Schulmſtr. Aber in Gottes Namen man kann doch auch etwas vergeſſen.

Jkr. Jnngehalten mit Jn Gottes Na - men! Kerl! wenn du nicht haͤtteſt be - triegen wollen, ſo haͤtteſt du in Stall gehen koͤnnen, zu ſehen, ob du eine oder zwo Kuͤh habeſt; und ich meyne, du ſolleſt wiſſen, daß man ſchuldig iſt, ſeine Augen zu brau - chen, wenn du bey dem Eid ausreden willſt.

Mann haͤtte meynen ſollen, das waͤr izt fuͤr alle genug geweſen: Aber der Kuͤhhaͤnd - ler Stoffel meynte es nicht; Er trat auf, und ſagte: Aber ich, Junker! einmal ich bin voͤllig unſchuldig; ich erwarte das Vieh, das ich angegeben, alle Tage.

Jkr. Aber man hat dich doch nicht ange - fragt, was fuͤr Vieh du erwarteſt, ſonder was du habeſt?

Stof -177

Stoffel Das iſt wohl wahr Aber da ich das Vieh alle Stund erwartete, mußte ich wegen der Wayd darauf zaͤhlen.

Jkr. Nicht wahr, es ſind 8. Stuk, die du mehr angegeben, als du haſt?

Stoffel. Zu dienen, Jhr Gnaden!

Jkr. Haſt du dieſe 8. Stuͤk ſchon alle wirklich gekauft?

Stof. Ganz ſicher, Jhr Gnaden!

Jkr. Von wem haſt du ſie gekauft?

Stoffel. Sie kom̃en mir von ungleichen Orten.

Jkr. Auf wann erwarteſt du ſie?

Stof. Spaͤteſtens in 3. Tagen.

Jkr. Alle 8. Stuͤk?

Stof. Ganz ſicher.

Jkr. Jch hoffe, das ſey wahr, was du mir da ſagſt.

Stof. Wenn die 8. Haupt denn innert 3. Tagen nicht kommen, ſo will ich mich entgelten, wie recht iſt.

Jkr. Dein Anbringen iſt in ſeiner Ord - nung, wenn es wahr iſt.

Jn dieſem Augenblik ſtuhnden izt noch ih - rer vier auf, und ſagten, ſie haben auch Vieh gekauft, und erwarten daſſelbe.

Aber die Mehrern trauten nicht, ſchwie - gen, und wollten mit dem Vieh auf dem Weg nichts zu thun haben. HingegenMder178der Schulmeiſter, der ſich zuerſt erklaͤren ließ, was die fuͤnfe auſſagten, jukte izt auch noch auf, und ſagte, er erwarte auch wieder ein Stuͤk Vieh, und habe das Seine nur vertauſcht.

Du ſagteſt eben, du habeſt es dem Mez - ger gegeben, erwiederte der Junker.

Das macht nichts; er hat mir ein an - ders verſprochen, ſagte der Schulmeiſter.

So ſagte der Junker, und ſah ihn ſpoͤttiſch an, und faſt in allen Baͤnken lach - ten die Bauren ob der Kuh, die der Schul - meiſter an den Mezger vertauſcht.

Den andern aber, die vor ihm geſagt, daß ſie Vieh erwarten, war angſt ab ſeiner Dummheit, die, wie ſie meynten, ihnen das Spiel verderbte.

Der Junker aber nahm izt wieder das Wort, und ſagte: Jch halte euere Ent - ſchuldigungen ganz fuͤr gut, wenn ſie wahr ſind: aber nehmet euch in Acht, daß ihr nicht luͤget.

Sie beſtaͤttigten wieder, daß es gewiß wahr ſey.

Jhr ſaget es freylich; aber mir kann das unmoͤglich genug ſeyn. Jch behalte euch alle im Schloß, bis am Tag iſt, ob ihr die Wahrheit oder die Unwahrheit geredet ſagte izt der Junker.

Das179

Das hatten ſie izt nicht erwartet, und ſie ſahen einander an, wie wenn ſie einander noch nie geſehen haͤtten.

Aber warum wollet ihr uns nicht heim - laſſen? ſagte Stoffel der Kuͤhhaͤndler.

Um des einzigen Grunds willen erwie - derte der Junker weil ihr, wenn ich euch heim laſſe, innert 24. Stunden eine ganze Herd Vieh zutreiben koͤnnet, ohne daß ihr izo ſchon einen Klauen davon gekauft habet.

Es entſtuhnd hierauf eine große Stille.

Was bedeutet dieſe Stille? ſagte der Junker.

Es antwortete ſogleich Niemand nach einer Weile ſagte der Stoffel: Jaͤ, meine Kaͤuff ſind noch nicht alle vollkom̃en richtig.

Du ſagteſt doch eben, daß dir das Vieh nicht wahr, 8. Haupt? bis uͤber - morgens ſicher kommen werde.

Stof. Ja, wenn ich heim kann, ſo bin ich ſicher, daß mir alle bis dann kom̃en.

Jkr. Aber da ich dich izt nicht heimlaſſe, kommen dir izt nicht alle achte?

Stof. Nein, ſo bin ich nicht ſicher, daß mir alle achte kommen.

Jkr. Aber es kommen dir auch ſieben ſi - cher, wenn du da bleibſt?

Der Stoffel antwortete kein Wort.

M 2 Sie -180

Siehe, wenn dir nur ſechſe kommen, ſo will ich damit zufrieden ſeyn.

Aber wieder keine Antwort.

Es werden dir doch auch fuͤnfe kom̃en?

Wieder keine Antwort.

Aber du antworteſt nicht: Du wirſt doch auch viere ſicher erhalten? oder doch auch drey?

Alle acht, wenn ich Bericht ſchiken kann ſagte izt Stoffel.

Jkr. Was fuͤr Bericht?

Stof. Nur daß man mirs ſchiken ſoll.

Jkr. Aber gaͤlt ohne dieſen Bericht kom̃t dir kein einiges?

Stof. Nein, ich glaubs nicht.

Jkr. Jch glaubs auch nicht, und habs nie geglaubt; ſo wenig als ich glaube, daß der Schulmeiſter dem Mezger ſeine Kuh ver - tauſcht Oder wie iſts, Schulmeiſter, wenn du im Schloß bleibſt, kommt dir die[Ku]h, die du vom Mezger vertauſcht?

Der Schulmeiſter antwortete auch nichts.

Und der Junker ſagte: Und ihr andere, damit ichs kurz mache; nicht wahr, die ganze Herd Vieh, die ihr erwartet, und gekauft, iſt erlogen, und ihr habet geſchwind heim wollen, und durch den erſten beſten Juden oder Chriſten, der euch angelauffen waͤre, das Vieh, ſo euch mangelt, zutrei - ben181 ben laſſen wollen? Aber es iſt traurig, daß ihr meynet, es ſey dann alles gut, wenn ihr euere Obrigkeit nur mit einem Lug hintergehen koͤnnet: Schaͤmet euch Jch weiß, daß in allen denen Baͤnken kein Mann ſizt, der nicht in ſeiner Seele uͤber - zeugt war, daß von allem, was ihr mir habet angeben wollen, kein einiges Wort wahr iſt, und doch habet ihr eine ganze halbe Stunde nach einander mir alles, wie wenn es pure reine Wahrheit waͤre, vor der ganzen Gemeinde ins Angeſicht behaup - ten doͤrffen, und wenn ich euch heimgelaſ - ſen haͤtte, das Spiel auszumachen, ſo waͤre es noch euerer Freuden eine geweſen, euer Geſpoͤtt uͤber mich zu treiben. Aber glaubet nur nicht, daß es Gluͤk und Se - gen in euer Dorf und in euere Haushal - tungen bringen werde, wenn ihr alſo mit euerer Obrigkeit umgehet.

Jn allen Baͤnken fieng izt das Volk an unwillig zu werden, und zu ſagen, ſie haͤt - ten das nicht thun ſollen. Selbſt der Hartknopf gab ihnen izt Unrecht, und be - hauptete, wenn er hundert Klafter Heu ge - habt haͤtte, ſo haͤtte ers angegeben; aber er hatte keinen Schuh breit Land, und war ein Struͤmpfweber. Aber ſeine Nach - barn antworteten ihm dennoch auf dieſeM 3Re -182Rede: Er drehe den Mantel nach dem Wind, und habe erſt dieſen Morgen noch geſagt, wenns doch nur Gotts Will ſey, daß die Vorgeſezten gluͤklich ſeyen, und ihnen nichts Unrechtes auskomme, woraus ſich klar zeige, daß er gewußt, was ſie im Schild fuͤhren.

§. 49. Jakob Chriſtof Friedrich Hartknopf, der Ehgaumer u. Stillſtaͤnder v. Bonnal wird fuchswild gemacht.

Das Geſchwaͤz in den Baͤnken war ſo laut, daß der Junker es ſah, und merkte, daß das Volk ſeinen Unwillen uͤber die armen Suͤnder, die vor ihm knieten, zu aͤußern anfieng.

Jch wollte gern ſagte izt der Junker ich koͤnnte denken, daß die, ſo in den Baͤnken uͤbrig ſind, viel beſſer ſeyen, als die, ſo vor mir ſtehen: Aber es iſt mir leid, daß ich ſagen muß, daß es oben und unten im Dorf und in allen Eken gleich ſtehet, und daß faſt kein Haus im Dorf iſt, in dem nicht Kaͤrſt, Sailer, Saͤk u. dergleichen Sachen, die ins Schloß gehoͤ - ren,183 ren, verſtekt ſind; Und ich weiß, daß der Eint und Andre von euch ſogar da vor meinen Augen in einem Rok ſtekt, der mit Kornſaͤken ab meiner Schuͤtte gefuͤttert iſt.

Dieſe Worte waren ihm kaum aus dem Mund, ſo legte der Hartknopf ſeinen Rok uͤber die Hoſen zuſammen, daß man das Futter davon faſt nicht mehr ſehen konnte, und ward feuerroth.

Es war aber ſo auffallend, daß es ſeine Nachbarn links und rechts merkten, und ihm vornen und hinten die Zipfel umkehrten, das Futter zu ſehen; er ward wie raſend, er wußte aber auch warum, denn ſie fanden ihm bald in einem Zipfel wirklich das Schloß - zeichen am Futter. Und es entſtuhnd ein ſo lautes Gelaͤchter um ihn her, daß Arner fragen mußte, was das ſey?

Der Hartknopf hat das Schloßzeichen im Rokfutter, rieff einer uͤberlaut.

Jch habe das Futter ſchon vor 10. Jah - ren gekauft, ſagte der Hartknopf.

Aber das Schloßzeichen iſt von den neuen Saͤken, die keine 5. Jahr alt ſind; die alten Saͤk hatten nur Striche rieff wieder einer aus den Baͤnken.

Wenn ich dich waͤre, ſo wuͤrde ich den Rok izt heimtragen, damit es Stille gebe ſagte der Junker.

M 4Der184

Der Hartknopf erwiederte: Gar gern, aber ich hab ihn einmal nicht geſtohlen.

Es kann nicht fehlen, daß das Tuch rechtmaͤßig in deinen Haͤnden iſt, denn du kenneſt das Schloßzeichen nicht erwie - derte der Junker.

Hartknopf. Jch weiß nicht, was der Schneider mir fuͤr Zeug zum Futter ge - nohmen.

Jkr. So! der Schneider hat dir alſo das Futter dazu gegeben?

Hartkn. Ja, wahrlich, Gnaͤdig. Herr!

Jkr. Was fuͤr ein Schneider?

Der Hartknopf beſinnt ſich Jch weiß nicht, ich kann nicht ſagen Wohl, der von Wylan hat mir den Rok gemacht.

Jkr. Jſts wahr? Muß ich ihn kommen laſſen?

Hartkn. Jaͤ, er iſt todt.

Jkr. So Aber iſt der Schneider von Bonnal, der hier iſt, nicht dein G'vatter - meiſter?

Hartkn. Das wohl, aber er hat darum den Rok nicht gemacht.

Jkr. Er iſt alſo vergebens ſo feuerroth wor - den, ſeitdem von deinem Rok die Rede iſt? Aber ich mag weder ſeine noch deine Ver - antwortung anhoͤren; und was ich am lieb -ſten185ſten ſehen wuͤrde, iſt, daß du mit deinem Rok abzieheſt, damit es Stille wuͤrde.

Der Hartknopf gieng izt Aber an der Kilchgaß wollte ihn der Waͤchter nicht weiter laſſen; und da er nicht mit dem Waͤchter zuruͤk gehen wollte, den Junker zu fragen, ob er ihn heim laſſen doͤrffe, ſo mußte er beym Waͤchter warten, bis die Gemeind aus war.

Er ſezte ſich unter des Kienholzen großen Kirſchbaum, erzaͤhlte dem Waͤchter ſein Ungluͤk, und bath ihn um eine Pfeiffe To - bak, weil er ſeine im Verdruß auf dem Bank liegen laſſen.

§. 50. Arners Urtheil uͤber die armen Suͤnder.

Nach einer Weile, da es wieder ſtille ge - worden, verurtheilte Arner die ſechs - zehn, die er ins Pfarrhaus kommen laſſen, dahin, daß ſie unter ſich das Loos werffen muͤſſen, welche zween von ihnen am naͤch - ſten Sonntag in der Kirche neben dem Vogt der Gemeinde vorgeſtellt werden ſollten, als Maͤnner, die an allen Verbrechen des Vogts Antheil genohmen. Den Renold, der derM 5ſie -186ſiebenzehnte war, entſchuldigte er ſelber noch einmal vor den andern, und ließ ihn von aller Ahndung frey. Ueber den lezten Be - trug der zwey und zwanzig mit ihrem Vieh und Heu ſagte er, er ſehe ihn nicht ſo faſt in dem Geſichtspunkt, als ob er gegen Jhn geſchehen, an, ſondern in ſo fern die Ar - men unter dem Endzwek, den man dabey gehabt, haͤtten leiden muͤſſen, und in die - ſem Geſichtspunkt wolle er ſie auch beſtraf - fen.

Er befahl hierauf dem Waibel, er ſolle zwoͤlf alte Maͤnner von den aͤrmſten aus der Gemeinde an die Plaͤze der Vorgeſezten ſe - zen, und die zwey und zwanzig Maͤnner ſollen vor ihnen auf den Knien wegen ihres Vergehens gegen die Gemeinde hier offent - lich um Verzeihung bitten.

Das geſchah ſogleich. Der Waibel gieng zu den Baͤnken, und ſagte es einigen alten Maͤnnern. Einige kamen gerne, an - dere baten, daß er doch andere ſuche, und ſie ſizen laſſe, wo ſie ſeyen. Der Kriecher druͤkte ſich, eh er ihm noch rufte, hervor, wie wenn man ihm ein Stuͤk Brod darſtrekte.

Willſt du auch hervor? ſagte der Waibel zu ihm.

Wie ihr meynet, antwortete der Krie - cher.

Komm187

Komm nur, wenns dich ſo geluͤſtet, ſagte der Waibel.

Er hat doch auch gar keine Schaam im Leibe, ſagten ſeine Nachbarn.

Als die 12. bey einander waren, befahl der Junker der ganzen Gemeinde mit entbloͤß - tem Haupt zu ſtehen; und den zwoͤlf Maͤn - nern, ſich zu ſezen, und die Huͤt 'aufzu - legen: aber die meiſten hatten keine.

Man gebe ihnen nur der Vorgeſezten ihre, die brauchen izt keine.

Und d[er]Waibel nahm zwoͤlf Vorgeſez - ten die Huͤt 'aus den Haͤnden, und gab ſie den Armen, die ſie dann aufſezten.

Nun mußten die zwey und zwanzig ge - gen dieſe Maͤnner gekehrt, niederknien, und der Junker befahl, einem jeden zuerſt vorzuleſen, was er bey ſeinem Eid dem Un - tervogt Meyer angegeben, das er an Heu und Vieh beſize und dann, was ſich befunden, das er an beyden Stuͤken wirk - lich beſeſſen; und ein Jeder mußte in An - ſehung beyder Stuͤke laut und deutlich vor der ganzen Gemeinde bekennen, daß es ſo ſey, wie man ihm vorgeleſen.

Der Schreiber las izt

Der Geſchworne Kalberleder zuerſt 10. Klafter Heu, und izt 18. Jſts nicht ſo?

Kalberleder. Es iſt ſo.

Schrei -188

Schreiber. Weiter Zuerſt 17. St. Vieh, und izt 10. Jſts nicht ſo?

Kalberleder. Es iſt ſo.

Schreiber. Weiter Chriſtoff Kalberleder, ſein Bruder, zuerſt 12. Klaf - ter Heu, und izt 19. Jſts nicht ſo?

Chriſtoph. Es iſt ſo.

Schreiber. Weiter Zuerſt 14. Stuk Vieh, und izt 9. Jſts nicht ſo?

Chriſtoph. Es iſt ſo.

Schreiber. Weiter Jakob, ſein Bruder, der Dik, zuerſt 9. Klafter Heu, und izt 15. Jſts nicht ſo?

Jakob. Es iſt ſo.

Schreiber. Ferner Zuerſt 13. St. Vieh, und izt 8. Jſts nicht ſo?

Jakob. Es iſt ſo.

Schreiber. Der Geſchworne Kienaſt, zuerſt 13 Klafter, und izt 22. u. ſ. w.

So fuhr er dann fort

  • Dem Joggel Kienaſt,
  • Dem Mezger,
  • Dem Chriſtoph Morlauer,
  • Dem Hans Morlauer,
  • Dem Rabſer, dem G'ſchwornen,
  • Dem Rabſer Curi,
  • Dem Spekmolch,
  • Deſſen Schwager, dem Sennbauer,
  • Dem G'ſchwornen Meyer,
  • 189
  • Dem Meyer, Freßmolch genannt,
  • Dem G'ſchwornen Huͤgi,
  • Dem Siegriſt,
  • Dem Schulmeiſter,
  • Dem Ruͤtibauer,
  • Dem G'ſchwornen Lindenberger,
  • Dem Marx, ſeinem Bruder,
  • Dem Stierenbauer Heirech,
  • Dem Roßruͤtſcher Stoffel

vorzuleſen, wie den obern, und nachdem der Schreiber mit ſeinem Jſts nicht ſo? Ausruffen, und die zwey und zwanzig mit ihrem Es iſt ſo. Antworten fertig waren, mußten ſie noch bey den zwoͤlf Armen ei - nem nach dem andern, wie oben geſagt, Abbitte thun. Dann entließ Arner die Ge - meind, es war ſchon halb zwey Uhr. Auf den Schlag drey Uhr, befahl er, daß die Gemeind wieder verſammelt ſeyn ſollte.

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§. 51.190

§. 51. Es war ſeine Speiſe, daß er hoͤre und thue den Willen ſeines Vaters im Himmel.

Beym Mittageſſen ließ Arner den Renold zu ſich ins Pfarrhaus kommen, und bath ihn, ihm die Geſchichte des Bamber - gers weitlaͤuftig zu erzaͤhlen.

Es entfiel dem Renold eine Thraͤne, da der Junker dieſes foderte; denn der Bam - berger war ihm von Jugend auf lieb, und er konnte ihm dieſes Opfer der Wehmuth nicht vorenthalten. Dann erzaͤhlte er, wie der Bamberger von Kindsbeinen auf ſo ge - rade und treu geweſen, daß er um deßwillen hundertmal fuͤr einen Narren gehalten wor - den daß er aber doch bis in ſein fuͤnf und dreyßigſtes Jahr ſtill, ruhig und unge - kraͤnkt gelebt, in welchem Jahr ihn der al - te Junker ſel. zum Vorgeſezten gemacht. Von dieſer Zeit an habe er keinen Augenblik mehr in Fried und Ruhe leben koͤnnen, und ſey immer mit allen Mitvorgeſezten im Streit geweſen, weil er nie zu nichts, das nicht den geraden Weg war, Hand biethen, und Ja ſagen wollte; beſonders ſey der Hum - mel wie wuͤthend hinter ihm geweſen, habeihm191ihm von allen Seiten her allen nur erdenkli - chen Verdruß und Herzenleid angethan, und es ſo weit getrieben, daß ſo gar die Schloß - dienſte auf deſſelben Anſtiften ihren Hun - den den Namen Bamberger gegeben, ihn in allen Eken zum Geſpoͤtt zu machen. Er er - zaͤhlte weitlaͤuftig, wie das alles ihn zulezt ſo weit heruntergebracht, daß er Haus und Hof verlaſſen, und ins Kaiſerliche ziehen mußte, wo er erſt vor ein paar Jahren in Armuth geſtorben: wie er aber ein paar Wochen vor ſeinem Tod durch einen Landsmann noch heim ſagen laſſen, er woll - te lieber unter den Tuͤrken ſterben, als zu - ruͤk kommen, ſo lange es ſey, wie es ſey.

Der Junker redete hernach auch vom Hummel mit dem Renold. Dieſer ſagte un - verhollen: das Uebel ſey vor dem Vogt ſchon eingewurzelt geweſen, und wenn im Schloß Ordnung geweſen waͤre, ſo waͤre es mit ihm gekommen wie mit hundert andern Muͤßig - gaͤngern; er haͤtte entweder fort aus dem Lande muͤſſen, oder die Noth haͤtte ihn be - then und arbeiten gelehrt.

Er ſagte wohl noch mehr. Es zerſchnitt dem Junker das Herz, aber er ließ ihn re - den, denn er ſah, daß er die Wahrheit ſagte.

Er192

Er ließ ſo gar auch den Vogt noch eine Weile vor ſich kommen, und der Renold druͤkte ihm freundlich die Hand, und troͤ - ſtete und ermunterte ihn. Das that auch der Junker und der Pfarrer.

Da es bald drey Uhr werden wollte, bath der Renold den Junker, er moͤchte doch den Sechszehn das Looswerffen ſchen - ken, oder eher ihn auch unter ſie ſtellen, damit ſie keinen Groll gegen ihn faſſen.

Auch der Vogt bath fuͤr ſie, und ſagte die merkwuͤrdigen Worte: Sie ſind izt zu ihrer Straffe nicht vorbereitet wie ich, und werden darob nur wuͤthend werden.

Der Junker ſtaunte einen Augenblik, was er thun wollte, dann ſagte er: Jch wills ihnen auf euer Fuͤrwort ſchenken. Und der Renold und der Vogt dankten ihm herzlich.

Ueber dieſe Zeit hatte er ſein Eſſen bey - nahe ganz vergeſſen; er war beladen vom Gefuͤhl des Guten, das im Jnnern der Menſchen, die ſo tief gefallen waren, noch ſteke, und nahm den Pfarrer bey der Hand, gieng noch einen Augenblik mit ihm in den Garten; ſie redeten noch mit einander, wie gleich die Menſchen einander ſeyen, und wie leicht der beſte werden koͤnne was der ſchlim̃ -ſte,193ſte, und der ſchlimmſte was der beſte. Und der Pfarrer ſagte zum Junker: Jch will es ewig nicht vergeſſen, daß ich ſelber auf Wegen gewandelt, auf denen ich haͤtte werden koͤnnen, was der Vogt worden iſt. Ja lieber Junker damals, als ich vier Jahr lang ohne Brod, ohne Dienſt, und ohne Hilf herumirrte, und wie ein Baͤttler vor das Schloß euers Großvaters kam, lernte ich, was der Menſch iſt, und was er werden kann.

Der Junker umarmte izt den Pfarrer, dieſer aber ſagte nach einer Weile, wie in einer Art von Entzuͤkung:

Wir alle trinken an der Quelle des Elen - des, die dieſen Mann verheeret und ein Gott iſts, der den einen fruͤher, den andern ſpaͤter von dem Gift dieſer Quelle heilet; und ihr Gift ſelbſt wird dem einen ein Ge - ruch des Lebens zum Leben, dem andern aber ein Geruch des Todes zum Tode, und wenn wir nicht auf jenes Leben hofften, ſo waͤre der Zuſtand von Millionen Menſchen, wel - che unter Umſtaͤnden leben, die ſie faſt unwi - derſtehlich und unwiederbringlich ins Verder - ben ſtuͤrzen mit der Gerechtigkeit Gottes nicht zu vergleichen, und der Menſch waͤre die elendeſte unter allen Creaturen.

NJa,194

Ja, lieber Pfarrer, ſagte der Junker, wir wollen immer auf jenes Leben hoffen Aber wenn wir Menſchen ſind, und Men - ſchen bleiben wollen, ſo muͤſſen wirs mit dem armen Volke der Erde, das wir Verbre - cher heißen, anders anfangen, und ihre Ret - tung und Beſſerung als die erſte Angelegen - heit der Menſchheit anſehen.

Das war das lezte Wort Arners, das er zum Pfarrer ſagte, ehe er wieder an die Gemeinde gieng.

§. 52. Wohin bringt den Menſchen ſein armes Herz, wenn er fuͤr das - ſelbe keinen Zaum hat.

Ehe ich erzaͤhle, was er da gethan, muß ich vorher noch ein Wort ſagen, wie dieſer Mittag auch den Bauren von Bon - nal voruͤber gegangen.

Jhre Weiber, und inſonderheit die Vor - geſeztenweiber konnten faſt nicht erwarten, wie die Gemeind abgelauffen, und ſprangen ihren Maͤnnern aus Stall und Kuͤche eilends entgegen, als ſie heim kamen. Aber die Vorgeſezten, und uͤberhaupt die 22., und was ihren Anhang ausmachte, waren nicht in der Laune, gute Antwort zu geben.

195

Er iſt mit uns umgegangen, wie wenn wir Hunde waͤren, ſagte der Kalberleder.

Du Narr, waͤreſt mit uns gekommen, ſo haͤttſt's geſehen, ſagte der Morlauer.

Es iſt mir, ich ſey aus dem Fegfeuer entronnen, ſagte der alte Meyer.

Laß mich doch auch zuerſt verſchnaufen, ehe ich mit dir plaudern muß, ſagte der Spekmolch.

Jch will lieber ins Bett, als izt eſſen, ſagte der Kienaſt. Und gar alle gaben ih - nen zuerſt ungefehr ſolche Antworten.

Doch es halff nichts, ob ſie verſchnaufen oder ins Bette wollten; ſie mußten doch er - zaͤhlen, und es gieng keine halbe Stunde vor - bey, ſo wußten die Weiber alles haarklein, was begegnet.

Aber es erbaute ſie gar nicht die mei - ſten wurden wie wild. Die Rabſerbaͤurin, die jede faule Birne unter den Baͤumen auf - liest, ſagte ſelbſt: Hundert Gulden Buß thaͤten mir nicht ſo wehe als das.

Die Kienholzin verſchwor ſich, Jahr und Tag nicht mehr in die Kirche zu gehen, und ſich vor Niemand mehr zu zeigen.

Die Spekmolkin heulte, daß ſie izt juſt auf den Sontag Gevater ſtehen ſollte, wo ihr Mann vielleicht unter die Kanzel muͤßte.

N 2Die196

Die Kalberlederin brachte juſt ihren Schweinen das Mittageſſen. Die guten Thiere ſtrekten wie gewohnlich, als ſie kam, ihr und dem Freſſen die Koͤpfe ſo weit aus dem Trog entgegen, als ſie nur konnten: aber die Frau ſchlug ihnen mit der Kellen auf die Schnorren, daß ſie bluteten.

Und die Morlauerin warff den Hut ihres Manns, den der Bettelmann Niggeli heute aufgeſezt hatte, den geraden Weg ins Feuer. Sie wollte zwar nicht, daß es jemand wiſ - ſen ſollte; aber der Hut ſtank ſo ſehr, daß, wer immer nahe beym Hauſe war, hinzu kam und fragte, was ſo roͤche? Hinter dem Haus ſagte das Elſeli dem Hans Loͤli gerade zu die Wahrheit. Vor dem Haus fragten ihrer drey oder vier. Jhr Nar - ren, ein Bein, das man ins Feuer geworf - fen, antworteten der Mann und die Frau. Aber der Loͤli kam eben dazu, und ſagte: Ja ich weiß es beſſer, dein Hut riecht ſo, deine Frau hat ihn dir verbrannt. Wer ſagt das? ſchrye die Morlauerin. Euer Elſeli antwortete Loͤli. Und die Frau ſchmiß das Fenſter vor Zorn zu, u. ſchlug dem Elſeli die Hand fuͤrs Maul, daß es noch ſtaͤrker blutete, als der Kalberlederin ihre Sau. Eine Weile darauf aber beſann ſie ſich, der Mann brauche um drey Uhrwie -197wieder einen Hut; und das Elſeli, das kaum verſchnaufet hatte, mußte izt eilends zum Hutmacher, einen zu holen. Aber der war noch nicht vom Markt heim, und die Frau wußte vor Angſt nicht, was machen; ſie ſchikte das Kind izt noch zum Dreher, der ihnen ſchuldig war, er ſolle doch dem Vater den Gefallen thun, und ihm den ſei - nigen leihen: aber dieſer war ſchon an der Gemeind, und der Morlauer mußte alſo in der Kappe an die Gemeind, und ſich da wegen des verbrunnenen Huts auslachen laſſen.

§. 53. Jzt gar eine Ohnmacht um des armen zaumloſen Herzens willen.

So ſehr vewirrten dieſe Neuheiten die Weiber der Dorfmeiſter in Bonnal. Eine Weile konnten ſie vor Verdruß nicht erzaͤhlen, wie es auch ihnen waͤhrend der Zeit gegangen. Dann aber fiengen ſie doch an, daß ſie den verdammten Hexenmeiſter fuͤrs Teufels Gewalt haben in ihre Haͤuſer hinein laſſen muͤſſen. Die junge Kalberle - derin hielt ſich beſonders uͤber dieſes UngluͤkN 3auf.198auf. Sie hatte bey Jahr und Tagen einen gar großen Glauben an den Johann Jakob Chriſtoph Friedrich Hartknopf, den Chor - richter und Ehegaumer in Bonnal den ſie bey Tag und Nacht bey ſich im Hauſe ſteken ließ. Dieſe ſagte dann ihrem Mann: Sie habe ſich doch auch dawider verflucht und verſchworen, und es izt doch thun muͤſ - ſen; und ob ihr das nicht an ihrer Seligkeit ſchaden koͤnne?

Du muſt den Hartknopf daruͤber fragen, antwortete der Mann.

Das will ich auch , ſagte die Frau.

Jch glaub 'dir's, erwiederte der Mann, und erzaͤhlte ihr dann, daß der Prophet, wie er ihn nannte, an der Gemeinde wegen eines geſtohlenen Rokfutters erbaͤrmlich zu Schanden gemacht worden, und ſezte hin - zu, er wolle ihn mit dem Hund vom Hauſe wegjagen, wenn er wieder kommen wuͤrde.

Aber es iſt der Frau ob dieſer Erzaͤhlung beynahe ohnmaͤchtig worden, und ob der Drohung, daß ihr Prophet nicht mehr zum Hauſe hinzu doͤrffe, vergaß ſie vollends wei - ter daran zu denken: Ob es ihr nicht etwa an der Seligkeit ſchaden koͤnnte, daß ſie den Schwur wegen des Huͤnertraͤgers nicht hal - ten koͤnnen.

Vie -199

Viele andere Weiber fragten auch und einige gar aͤngſtlich ob denn mit dem Sonntag gar alles aus ſey, und ob der Junker dann weiter nichts nachforrſche? Einige von den Hochmuͤthigen erkundigten ſich auch, ob ſie izt den Huͤnertraͤger als ei - nen ehrlichen Mann gelten laſſen, und alles mit der Wayde und der lezten Gemeinde lie - gen laſſen wollen, wie es liege, und wie es der Junker und ein paar Baͤttelbuben gerne ſehen?

Unter den Gemeinen aber wars in vielen Stuben gar luſtig. Mehr als ein Duzzend thaten Thuͤren und Fenſter zu, und verſpot - teten dann ihren Weibern die Herren Vor - geſezten wie ſie den Baͤttelmann Niggeli u. Compagnie haben um Verzeihung bitten muͤſ - ſen wie man ihnen einen großen Schel - menbrief vorgeleſen Und wie ſie zu allem Es iſt ſo, es iſt ſo haben ſagen muͤſſen. Der eine habe das Maul verbiſſen der andre habe es herabgehaͤngt der dritte habe gezittert der vierte mit den Fuͤßen geſtampft.

Viele tranken auf Arners Geſundheit, und auf die kuͤnftigen Jahre, wo ſie, wenn der Junker es forthin ſo angreiffe, wills Gott ruhiger Brod haben werden; u. viele Weiber u. Kinder wainten Freudenthraͤnen ob dieſen Erzaͤhlungen.

N 4§. 54.200

§. 54. Die wahre Regierungs-Weisheit wohnet in Menſchen, die alſo handeln.

Nachmittag legte der Junker der Gemeinde ſeinen Plan wegen der Waydverthei - lung vor, zeigte ihnen, was ſie nie wußten, und nie dachten, daß naͤmlich mit den Quel - len in den Sumpfgraben mehr als der dritte Theil dieſer Wayd zu gutem Mattland ge - macht werden koͤnne, und bewies ihnen uͤber - haupt, daß durch dieſe Vertheilung ein je - der Gemeindsgenoß 400. bis 500. fl. wah - res Eigenthum erhalten werde. Er nahm die Koſten der Waſſerleitung, die ſich nach vorlaͤufiger Schazung auf 700. oder 800. fl. belauffen moͤgten, auf ſich, und beſtim̃te dafuͤr einen Bodenzins, auf eine halbe Ju - chart Mattland 4. bz., um ſich den Zins der 700. fl. Vorſchuſſes zu verguten. Er verſicherte dabey die Gemeinde, daß ſie zu ewigen Zeiten von dieſem Land dem Schloß keine weitere Abgaben zahlen muͤſſe.

Er druͤkte ſich uͤber dieſen Punkt deutlich alſo aus: Das Land iſt euer, und euch von euern Vorfahren als Gemeindgut, auf demkei -201keine Abgaben hafteten, hinterlaſſen worden, und ich will nichts weniger, als euch an die - ſem euerm Recht kraͤnken. Die erſte Pflicht des Menſchen iſt, der Armuth ſeiner Mit - menſchen, wo er kann, aufzuhelffen, damit ein jeder ohne Drang und Kummer des Le - bens Nothdurft erſtreiten moͤge, und dieſe erſte Pflicht des Menſchen iſt beſonders die erſte Pflicht derjenigen, die Gott zu Vaͤtern uͤber andere geſezet hat.

Dann ſagte er ihnen noch, er wolle auch die Baͤume, die ſein Großvater auf dieſem Riedt gepflanzet, unter ſie vertheilen, und jedermann mit jungen Baͤumen aus dem Schloßgarten verſehen.

Das Volk erkannte izt ſeinen Vater, und dankete laut. Er uͤberließ ſie eine Weile ihrer Freude.

§. 55. Ein Klaͤger, dem die Sonne ſcheint.

Dann mitten im Jubel des dankenden Volkes trat der Huͤnertraͤger von Arn - heim auf, und der Junker rief: Still! das Volk gehorchte, und ſein Chriſtoph klagte:

N 5 Wie202

Wie er doch ſein Lebtag keinem Kinde nichts zu Leide gethan, und uͤber die 50. Jahre mit jedermann in Fried und Liebe ge - lebt, aber izt auf einmal ein Hexenmeiſter ſeyn ſollte, und von ſeinen beſten Leuten ge - flohen wuͤrde, wie wenn er die Peſt mit ſich herum truͤge.

Der Junker ſah einen Augenblik zu, was dieſe Klage izt fuͤr einen Eindruk machen wolle.

Die Bauren ſtießen die Koͤpfe zuſammen, und einige ſagten uͤberlaut: Das Hexenwe - ſen wird izt bald vergeſſen werden, weil die Gemeindwayde vertheilt iſt.

Der Junker that, wie wenn er das nicht hoͤrte, und drohte ihnen, den Mann zu ih - rem Siegriſt (Meßmer) zu machen, wenn ſie ihn unter dem Titul, als ob er ein He - xenmeiſter ſey, um ſein taͤgliches Brod zu bringen fortfahren wuͤrden.

Glauben kann ein jeder von euch, was er will; aber einen andern mit euerm Glau - ben zu kraͤnken, und ihm Unrecht zu thun, davor will ich euch bewahren, ſagte er zu ihnen; und wiederhollte: Wenn ihr den Mann nicht wie vorhin in eure Stuben u. in eure Staͤlle hineinlaſſet, ſo will ich ihn euch bey euern Kindstauffen, und bey euern Hochzeiten an die Seite ſtellen.

Es203

Es wird ihm niemand nichts weiter ma - chen , ſagte das Volk laut in allen Baͤn - ken.

Dann ſprach Arner: Jch will auch hier - inn nichts weniger als euch Unrecht oder Ge - walt anthun. Wenn jemand eine Klage wi - der den Mann hat, und ſtandhaft uͤber ihn etwas gefaͤhrliches oder ungebuͤhrliches weiß, ſo redet, und ich will ihm keinen Schuz ge - ben. Aber es war niemand, der etwas wider ihn wußte.

Nach dieſem ſagte der Junker: Es nim̃t mich doch wunder, ob auch kein einziger un - ter den Vorgeſezten und uͤbrigen Angeklag - ten empfinde, daß es izt Zeit waͤre, unver - hollen ſelber zu bekennen, daß es mit dem Huͤnertraͤger ein abgeredtes Spiel und da - hin abgeſehen geweſen, die Allment-Ver - theilung zu erſchweren.

Die Vorgeſezten ſahen einander an, und der Renold, der unter ihnen ſaß, bath links und rechts, ſie ſollten ſagen, was an der Sache ſey und ſie folgten izt, das erſte Mal in ihrem Leben, dem guten Mann. Sie begriffen den Vortheil des Augenbliks, den Junker, den ſie nicht meiſtern konnten, wieder gut zu machen. Jhrer viere ſtanden auf, und bekannten: Ja, es ſey wahr, ſie haben nur die Allment-Vertheilung hin -dern204dern wollen, und im Herzen den Huͤnertraͤ - ger ſo wenig fuͤr einen Hexenmeiſter gehal - ten, als ein Kind im Mutterleib.

Es freute den Junker, ihnen die Schel - menlarve alſo abgezogen zu haben; und alles Volk ſtand izt betroffen und uͤber ſie aufge - bracht da. Dann erzaͤhlte der Junker der Gemeinde noch die Geſchichte mit des Hoor - lachers Geſpengſt, und machte den Huͤgi, den Kalberleder, den Waͤchter und den Mi - chel hervortreten und bekennen, daß Stuͤk fuͤr Stuͤk alles wahr ſey, was er geſagt.

§. 56. Ein Doktor in der Peruque, auf einer Tragbahren, und im Bette.

Waͤhrend dieſem kam der Hans aus dem Pfarrhaus, ſeinem Herrn zu ſagen, die Voͤgtin habe eine Ohnmacht uͤber die andere, und laſſe bitten, daß ihr Mann zu ihr heim doͤrffe.

Der Pfarrer ſagte dem Junker die Um - ſtaͤnde der Krankheit, und die Wirkung der Himmelstropfen, und der Hans konnte ſich nicht enthalten beyzufuͤgen, die Voͤgtin mer - ke izt ſelber, daß ſie von dieſen Tropfen ver - giftet worden.

Ploͤz -205

Ploͤzlich und aufgebracht fragte der Jun - ker, ob der Henkerskerl an der Gemeinde waͤre?

Er war nicht da. Aber daheim iſt er, ſagten etliche ſeiner Nachbarn, und der Jun - ker ſandte im Augenblik den Waibel zu ihm, mit Befehl, daß er hieher kommen ſollte.

Der Treufaug gab dieſem zum Fenſter hinaus Antwort, und fragte, was er mit ihm wolle. So bald er aber verſtanden, daß es die Voͤgtin antreffe, beliebte es ihm nicht, mit dem Waibel zu gehen, und er ſagte ihm: Du weiſt, wenns auf den Abend geht, ſo iſts zu ſpaͤt fuͤr mich, um Red und Antwort zu geben; und heute hab ich ſo viel getrunken, daß mir begegnen koͤnnte, den Mann auf dem Brunnenſtok fuͤr den Jun - ker anzuſehen, wenn ich an die Gemeind muͤßte, und darum iſts beſſer, ich bleibe da - heim. Sey doch ſo gut, und ſag dem Jun - ker, ich lieg 'im Bett, und es ſey mir gar nicht wohl: aber ich wolle morgen oder uͤber - morgen ins Schloß kommen, wenn er wolle.

Der Waibel, der den Treufaug haßte, brachte dem Junker die Antwort, juſt wie ſie ihm gegeben worden, naͤmlich, er habe ihm zum Fenſter heraus in der Peruque ge - ſagt, er liege im Bett, ſey krank, u. ſ. w. doch von dem Brunnenſtok ſagte er nichts.

Der206

Der Junker, der ſich laͤngſt vorgenohmen, den Treufaug beym erſten Anlaß zum Ge - ſpoͤtte zu machen, rief izt den Flink, und be - fahl ihm, den kranken Kerl auf einer Trag - bahren im Bett hieher zu bringen, und auf keine andre Art; er moͤge ſagen, was er wolle.

Es traͤumte aber auch dem Treufaug ſel - ber vom boͤſen wegen ſeiner Antwort; ſo bald der Waibel fort war, nahm er ſein al - tes Perſpektiv von der Wand, und gukete auf den Gemeindplaz hinunter, zu ſehen, wie der Waibel mit dem Junker redete. Er ſah ihn, wie wenn er vor ihm ſtuͤhnde, und merkte augenbliklich an ſeinem Mund 'an, daß er das Geſpoͤtte mit ihm trieb, und es erſchuͤtterte ihn, wie wenn er das Fieber haͤtte, daß der Waibel ihn ſo wie ein un - treuer Kezer verriethe: aber da er izt noch gar den Harſchier zum Junker hervortreten ſah, fiel ihm das Fernglas faſt aus der Hand und zum Fenſter hinaus.

Was ihm in der Angſt zu Sinn kam, war, er muͤße ins Bett, damit er darinn ſey, wenn allenfalls der Harſchier kommen ſollte. Aber ehe er gieng, nahm er das Fernglas noch einmal, und ſah izt viele Leute mit Tragbahren beym Junker ſtehen. Es deuch - te die jungen Purſche luſtig, den Hrn. Dok -tor207tor im Bett unter die Linde zu bringen. Sie ſprangen zu Duzenden, und brachten die Menge Tragbahren.

So viel Tragbahren muͤſſen etwas anders bedeuten, dachte der Doktor, athmete wie - der etwas leichter, und gieng nicht ins Bett, ſondern in Keller, in einer Weinflaſche Troſt wider ſeinen Schreken zu reichen. Er hatte ſie aber kaum herauf gebracht, und auf den Tiſch geſezt, ſo pochte der Flink und die Purſche mit der Tragbahre an ſeiner Thuͤre, und es ward dem Doktor gruͤn und ſchwarz und aller Farben vor den Augen, als er das Volk vor ſeiner Thuͤre ſah. Was wollt ihr hier mit einer Tragbahren? rieff er ſtot - ternd vom Fenſter hinunter.

Wir muͤſſen dich darauf zum Junker tragen, antworteten die Traͤger.

Die jungen Purſche, die mitluffen, er - hoben ein lautes Gelaͤchter.

Aber der Flink rieff ernſthaft: Macht uns auf, ihr muͤßt mit uns.

Der Treufaug, beynahe ohne zu wiſſen, was er that, zog izt die Thuͤr auf Sie giengen hinauf, und der Flink berichtete ihn in Form und Ordnung, was izt ſeyn muͤſſe.

Er aber fluchte und ſagte, er vermoͤge ja zu zahlen, und wenns 1000. fl. koſtete,und208und mehr, wenn er etwas verfehlt; er laſſe ſich nicht ſo behandeln.

Die jungen Purſche antworteten ihm, der Junker thue das nur, ihm zu ſchonen, weil er gehoͤrt, daß er krank ſey, und im Bett liege.

Der Flink aber ſagte, er ſolle Vernunft brauchen, und gutwillig thun, was ſich nicht aͤndern laſſe.

Aber der Treufaug war wie wuͤthend, fluchte forthin, daß er nicht ſo mit ſich um - gehen, und ſich nicht tragen laſſe.

Zulezt ward der Flink muͤde, und ſagte, wenn er nicht gutwillig kommen wolle, ſo muͤſſe er ihn binden.

Bey Gott, ſagte der Treufaug, probier es einer, und ruͤhr mich an, er wird erfah - ren, was ihm begegnet. Ohne ein Wort zu antworten, faßte ihn izt der Flink tuͤch - tig beym Arm.

Jeſus, Jeſus der Arm thut mir weh, ich will ja kommen, ſagte nun der Doktor, ſaß ſchluchzend und heulend auf die Trag - bahre, und ließ geduldig ſeine Bettdeke uͤber ſich legen, und ſich forttragen.

§. 57.209

§. 57. Ein aufgeloͤstes Raͤthſel, u. Arners Urtheil uͤber einen privilegirten Moͤrder.

Sie giengen mit ihm zum Spott den weit - ſten Weg, uͤber den Kirchhof.

Der Kuni Friedli und der Ruͤtihans tru - gen ihn. Sie waren aber noch nicht weit, ſo that auf einmal dem Kuni Friedli der Arm weh. Der Doktor ſchien ihm zehn - mal ſchwerer als im Anfang. Der Kopf ward ihm voll von dem Wort, das er denen gedrohet, die ihn anruͤhren wuͤrden, und meynte aufs wenigſte, der Arm werde ihm fuͤr ſeiner Lebtag lahm werden. Er ſtellte den Mann faſt ohnmaͤchtig unter der Linde ab, und griff dann haſtig nach dem Ort, wo ihn der Arm ſchmerzte, und fand dann, daß ein meßingner Knopf an ſeinem Wam - mes juſt zwiſchen das Tragband und Schul - terbein gekommen, und ihn gedruͤkt.

Der Junker hatte dem Treufaug ſchon et - liche Mal ſeine Henkerstropfen zu brauchen verbotten, izt verboth ers ihm nicht mehr. Brauch ſie von izt an, ſo viel du willſt, und ſo viel du kannſt, ſagte er zu ihm, und laß dir dafuͤr bezahlen, was die Narren da -Ofuͤr210fuͤr zahlen wollen, ich will dir hierinn nichts mehr in den Weg legen. Das einige, was ich von dir fodere, iſt dieſes: Wenn jemand unter deinen Haͤnden ſtirbt, ſo muſt du ihm ſein Grab machen. Da du aber alt, abge - ſoffen, und vom Huſten geplagt biſt, daß du wohl nicht mehr graben magſt, ſo will ich dir auch in dieſem Stuͤk ſchonen; du kannſt, wenn du graben ſollteſt, nur einem Tagloͤhner deinen grauen Rok mit den vie - len Knoͤpfen, und deine ſchwarze Peruque leihen, und dieſer kann dann in dieſem Auf - zug fuͤr dich deinem Verſtorbenen das Loch machen; aber du muſt auf einem Stuhl ne - ben ihm ſizen, vom erſten Karſtſtreich an, bis er damit fertig iſt, und das muß ſeyn, und wenn du mir jemand verſchweigſt, der unter deinen Haͤnden geſtorben, ſo ſperr 'ich dich ein, wo du weder Sonn noch Mond ſieheſt.

Und hiemit kehrte er ſich von ihm weg, und ließ ihn gehen.

§. 58.211

§. 58. Arner genießt wieder den Lohn ſeiner Arbeit.

Damit endete ſich der Abend des Rechts - Tages dem Arner. Er entließ izt die Gemeinde, und ritt dann heim.

Jm Angeſicht ſeiner Burg glaͤnzte die un - tergehende Sonne ihm entgegen. Arner er - innerte ſich ihres Aufgangs, und ſeines Morgengebeths, und ſagte, an ſie hinſtau - nend: Gottlob! ich kann ſie mit frohem Herzen untergehen ſehen; und die lezten Stunden dieſes Tages waren ihm Wonne einer noch nie alſo genoſſenen Wohlluſt.

Noch nie hatte er in der Umarmung ſei - nes Weibes und ſeiner Kinder ſich edler und groͤßer gefuͤhlt; denn er hatte noch nie ſo viel Gutes gewuͤrket als heute.

§. 59. Es nahet ein Todtbette.

Jch kehre von ihm weg zu der Huͤtte der Sterbenden. Jhr Mann lag in ſtummem ſtillem Schweigen vor ihrem Bett. Sie both ihm troͤſtend die Hand, nahmO 2bey212bey ihm Abſchied, wuͤnſchte ihm Gottes Segen, und bath ihn noch um Verzeihung.

O Gott! ich muß dich um Verzei - hung bitten; ich bin an deinem Elend ſchuld, ſagte der Vogt.

Jch nicht weniger an deinem, erwiederte die Voͤgtin und beyde wainten heiße Thraͤnen.

Nach einer Weile kam auch der Pfar - rer zu ihnen. Er ſaß neben ſie hin, und vergoß Thraͤnen, wenn ſie wainte, red - te kein Wort, wenn ſie Schmerzen hatte, und war immer auf das, was ſie jeden Augenblik noͤthig hatte, aufmerkſam.

So war er bey allen Kranken; denn er glaubte, man muͤße mit dem reinſten menſch - lichen Sinn den Grund der H. Lehre legen, ehe man ihre Worte in den Mund nehme.

Er machte uͤberhaupt immer gar wenig aus Worten, und ſagte, ſie ſeyen wie der Rauch, Zeichen des Feuers, nicht das Feuer ſelbſt: und je reiner das Feuer, je weniger Rauch, und je reiner die menſch - liche Lehre, je weniger Worte.

Er ſagte Das viele Wortweſen iſt ganz und gar nicht fuͤr den gemeinen Mann. Je mehr Worte, je ſchwaͤcher druͤkt man fuͤr ihn aus, was man fuͤr ihn im Herzen hat. Die vielen Worte bringen ihm allesdurch213durch einander, und heben ihm jeden Au - genblik hundert Nebenſachen uͤber die Haupt - ſache empor.

Aber die Menſchen unſrer Zeit ſind von fruͤher Jugend an, an das arme Wortweſen wie verkauft, und haben faſt keinen Sinn mehr fuͤr den wortleeren reinen Ausdruk der innern Guͤte und Frommkeit der Menſchen, durch welche die außern Zeichen derſelben geheiligt werden.

Mein guter Pfarrer mußte ſich Jahre lang bey ſeinen Bauren gleichſam entſchul - digen, daß er nicht allemal faſt in eben dem Augenblik, da er in eine Stube hineintrat, uͤberlaut zu bethen anfieng. Aber nach und nach gewoͤhnten ſie ſich doch an ihn. Sein wehmuthvolles Schweigen ſein inniges Theilnehmen ſein Antliz voll Liebe und Glaubens druͤkte am Todtbette der Men - ſchen mehr, als keine Worte es konnten, den Geiſt ſeiner Lehre, das Gluͤk und die Pflichten dieſes, und das Gluͤk und die Hoffnungen jenes Lebens aus.

Es war ſein Grundſaz: Nur derjenige, welcher aufmerkſam auf die Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe der Menſchen in dieſem Leben ſey, koͤnne ihnen die Lehre von jenem Le - ben wohl ins Herz bringen. Deßwegen ſuchte er ſeinen Nebenmenſchen, ſo viel erO 3konn -214konnte, das zu ſeyn, und das zu geben, was er ſah, daß in jedem Augenblik ihnen das beſte waͤre; und es war ſeine Gewohn - heit, gar viel und gar lange zu ſehen und zu hoͤren, was der Menſch ſelber ſuche, wuͤnſche, denke, verſtehe und ſeye, ehe er viel mit jemand redte. So kam es, daß er bey ſeinen Pfarrkindern gewohnlich, und ſo gar beym Kranken - und Todtbette voͤllig da ſaß, wie ein anderer Menſch, u. meiſtentheils unter allen, die da waren, am wenigſten redte. Wenn er dann aber redte, ſo war er auch mit ganzer Seele bey jedem Wort, das er ſagte, und es war, wie wenn er in den Geiſt der Sterbenden hin - eindringen, aus ihm herausbringen, und ihm auf die Zunge legen koͤnnte, was er nur wollte. Auch waren in allen Haushal - tungen die Todtbetter unvergeßlich, bey de - nen er gegenwaͤrtig geweſen.

Er aͤußerte den Wunſch und die Voͤg - tin hatte das Wort ſchon auf der Zunge daß ſie alle Armen, denen ſie Unrecht ge - than, noch bey ſich ſehen moͤgte.

Von ihr weg gieng er heute noch zum Treufaug nahm aber vorher uͤber ſich, den Vogt beym Junker zu entſchuldigen, wenn er dieſen Abend die Armen, die ſeine Frau zu ſehen wuͤnſchte, zu ſich bitten wolle.

§. 60.215

§. 60. Wer von Herzen gut iſt, richtet mit den Leuten aus, was er will, und bringt ſie, wozu er will.

Der Treufaug ſchnurrte den Pfarrer an, und fragte ihn zum Willkomm, was er izt heute noch bey ihm wolle?

Euch fuͤr einſt einen guten Abend wuͤn - ſchen, wenn ihrs wohl leiden moͤget, er - wiederte der Pfarrer, und ſah ihn ſteif an.

Der Doktor ward ſogleich freundlicher, leerte einen Stuhl von Kraͤutern u. Schach - teln, die darauf lagen, und machte den Pfarrer ſizen.

Dieſer fieng dann ſogleich an, von der Voͤgtin zu reden. Der Doktor kam aber im Augenblik in Eifer, behauptete wie wild, er ſey unſchuldig, und man thue ihm Un - recht, ſagte, es koͤnne keiner nichts wider den Tod; es ſterben den andern Doktern auch Leute wie ihm, oder noch mehrere.

Der Pfarrer ſagte ihm, ſeine Arzneyen ſezen die Menſchen zwiſchen Leben und Tod.

Der Treufaug erwiederte: Er ſchulmei - ſtere uͤber etwas, davon er nichts verſtehe alle gute Arzneyen muͤſſen angreiffen.

O 4Der216

Der Pfarrer ſagte, er habe kein Gewiſ - ſen, und verſtehe ſelbſt am wenigſten, wie und wo die Arzneyen angreiffen muͤſſen.

Treufaug antwortete, die andern verſtuͤhn - den nicht mehr, als er, und er habe ſein Gewiſſen im gleichen Kaſten wo ſie.

Es gieng eine Weile fort in dieſem Ton. Endlich wurde der Pfarrer lebhaft, und ſagte: Die Umſtaͤnde mit der Voͤgtin ſind ſo, daß wenn man ſie aufſchneiden wird, ſo kommt, ſo gewiß der Tag am Himmel iſt, aus, ihr habet ſie vergiftet.

So bald das Wort aufſchneiden dem Pfarrer zum Mund heraus war, wurde der Treufaug betroffen, aͤnderte ſeine Sprache, und ſagte ganz demuͤthig: Er habe in Gottes Namen ſein moͤglichſtes gethan; und wenn ſein Leben darauf geſtanden waͤre, ſo haͤtte er nicht mehr thun, und es nicht beſſer ma - chen koͤnnen, als er gethan.

Aber auch das ließ ihm der Pfarrer nicht gelten, und ſagte zu ihm: Jhr ſeyd ja izt drey Tage nur mehr nicht zu ihr gekommen, und habt ſie liegen laſſen, wie kein ehrlicher Viehdoktor ein krankes Haupt Viehe liegen laͤßt, wenn er ſich ſeiner einmal angenom̃en.

Der Treufaug wollte allerhand Urſachen vorbringen, warum er dieſe drey Tage nie zur Voͤgtin gekommen; aber er ſtokete.

Der217

Der Pfarrer erwiederte ihm: Die einzige Urſach iſt dieſe, daß ihr geſehen, was die Arzney gewuͤrkt, und trieb ihn ſo ſehr in die Enge, daß er zulezt faſt gar nichts mehr zu ihm ſagen konnte, als: Jhr ſeyd doch auch gar zu boͤſe mit mir, Herr Pfarrer!

Jhr muͤſſet nicht mehr arznen, wenn ihr wollt, daß ein ehrlicher Menſch von Herzen gut mit euch ſeyn und bleiben kann, ſagte izt der Pfarrer.

Der Treufaug erwiederte: Jch habe doch ſchon Leuten geholffen, denen ſonſt Niemand geholffen hat, und habe gewiß Arzneymittel, die ſonſt Niemand hat, und die gut ſind ſoll ich izt dieſe Mittel in den See werffen, und mit mir ins Grab nehmen?

Pfarrer. Auch dieß iſt nicht meine Mey - nung.

Treufaug. Was iſt denn euere Meynung?

Pfarrer. Daß ihr einen verſtaͤndigen Arzt ſuchen, ihm euere Erfahrungen mittheilen, und euere Arzneymittel offenbaren ſollt.

Treufaug. Das heißt: ich ſoll mir ſelbſt das Stuͤk Brod vor dem Mund wegnehmen, und es jemand anderm geben. Meynet ihr, daß mir das zuzumuthen?

Pfr. Je nachdem man die Sach anſieht.

Treuf. Wie meynet ihr das?

O 5Pf. 218

Pfr. Ha ſo Jch glaube, ihr koͤnnet vor Gott mit gutem Gewiſſen nicht ſagen, daß ihr ohne Gefahr fuͤr das Leben euerer Mitmenſchen euer Handwerk treibet? Und wenn ihr das nicht koͤnnt, ſo muͤßt ihr es aufgeben, oder kein ehrlicher Mann ſeyn Und wenn ihr es aufgeben muͤßet, warum wollt ihr das Gute, das in euerer Hande iſt, nicht zum Beſten euerer Nebenmenſchen je - mand ſchenken, der es nuzen kann?

Der Treufaug ſchweigt noch immer, und der Pfarrer faͤhrt fort:

Mein Lieber! denket, ob ihr auf euerm Todtbette nicht wuͤnſchen werdet, fuͤr die Menſchen, die ihr durch ein unvorſichtiges und unvernuͤnftiges Behandeln ins Grab gebracht, auch etwas Gutes gethan, und fuͤr das Leben und die Wohlfart der andern auch etwas aufgeopfert zu haben?

Der Treufaug hatte bis izt ſeine Augen gegen den Boden niedergeſchlagen, und kein Wort geredt. Jzt hub er den Kopf auf, ſah den Pfarrer an, und ſagte:

Ja, wenn man auch ſo mit mir um - gieng und mit mir redte, ich wuͤrde vielleicht das, was ihr ſagt, nicht ſo weit wegwerfen. Jhr moͤgt izt denken was ihr wollt, ich bin gewiß kein Unmenſch im Herzen, und kann zulezt ohne das leben, und bleiben was ich bin.

Jch219

Jch weiß das, ſagte der Pfarrer, und darum hatte ich auch deſto mehr Muth, euch zuzumuthen, was ich gethan. Dann redte er noch mit ihm von der Bußfertig - keit der Voͤgtin, und wie ſie morn am Mor - gen von den Armen, denen ſie Unrecht ge - than, Abſchied nehmen wolle.

Jch moͤchte dieſem auch zuſehen, ſagte der Treufaug, und der Pfarrer redte mit ihm ab, daß er in der Nebenkammer der Voͤg - tin dieſem Abſchied morgen zuſehen ſollte nahm dann freundlich Abſchied von ihm, mit vieler Hoffnung, ihn beym Todtbette der Frauen noch weiter zu bringen, und gieng dann im Heimweg noch bey vielen Ar - men vorbey, und bath ſie, daß ſie doch mor - gen nicht fehlen, um 8. Uhr bey der Voͤg - tin zu ſeyn, und daß ſie auch ihre Kinder mitnehmen ſollten.

Der Vogt war izt ſchon bey allen Armen geweſen. Es gieng den meiſten zu Herzen, daß ſie Thraͤnen in den Augen hatten, da er ihnen ſagte, was er wolle.

Sag doch deiner Frauen, ſie ſoll unſer - thalben nur ruhig ſterben, ſagte der eine.

Es iſt ja izt alles vorbey, und was vor - bey iſt, daran ſinne ich nicht mehr, ſagte ein andrer.

Es220

Es iſt ja nicht noͤthig, daß ſie ſich mehr Muͤhe mache; ich wuͤnſche ihr von Herzen alles Gute, und ein ſeliges Ende.

Es iſt ein Jammerthal auf Erden. Wir thun alle zuſammen viel Boͤſes. Sie ſoll ſich doch ob uns nicht graͤmen.

Sie hat mir dann und wann auch et - was Gutes gethan, und mir in der Noth, weiß Gott, ein paar Mal geholffen, ohne daß du es einmal wußteſt.

So freundlich gaben die armen Leute dem Vogt, der izt demuͤthig vor ihnen ſtuhnd, Antwort, und alle ſagten: Ja, ja, wenn es ſie freue, ſo wollen ſie morn gern kom - men, und alle wuͤnſchten ihr eine leichte ru - hige Nacht, und wenns Gott's Will ſey, gute Beſſerung. Nur wenigen entfiel etwa ein Wort, das den Vogt kraͤnkte: aber er war ſo geduldig, und antwortete ſo weh - muͤthig, daß ein jeder ſolches Woͤrtgen im Augenblik denjenigen gerauen, der es aus - geſprochen.

Die Hoorlacherin antwortete ihm: Ach mein Gott! ich will euch gern verzeihen, wenn nur die Noth meiner Kinder mich nicht in Verzweiflung bringt.

Sprachlos ſtand der Vogt vor ihr, und konnte nicht antworten. Jm Augenblik nahm die Hoorlacherin ihr Wort zuruͤk, und ſagte: Es221 Es iſt mir izt auch alſo entwitſcht, ohne daß ich es habe ſagen wollen. Sinn doch izt nicht an das, Gott wird uns wohl helf - fen.

§. 61. Die Menſchen ſind ſo gerne gut, und werden ſo gerne wieder gut.

Der Morgen ihres Todestages war nun da. Sie erwachte nach einem erqui - kenden Schlummer, und ſah ſtaunend aus ihrem Bette die Sonne, die ihr nun zum lezten Mal auf dieſer Welt aufgieng. Jen - ſeits des Grabes wartet meiner eine beſſere Sonne, war der Gedanken, den ſie bey dieſem Anblik hatte.

Gertrud war vor ihrem Erwachen ſchon bey ihr, und erquikte ihr jeden Augenblik die Leiden ihres ſchmerzhaften Lagers, bald troknete ſie ihr den Schweiß von der Stir - ne, bald legte ſie ihre Kopfkuͤſſen zurecht, bald kehrte ſie ſie auf die linke, bald auf die rechte Seite; ſie reinigte die Luft ihrer Stube mit Eßig, und ſtellte alle Stuͤhle u. Baͤnke, ſo im Hauſe waren, den Armen, die nun kommen ſollten, zurecht.

Als222

Als ſie einſt die Sterbende ſo ſanft um - kehrte, ſagte dieſe: Die Hande des Gott - loſen iſt uͤberall hart; und ohne dein Herz, Frau, koͤnnteſt du mich gewiß nicht umkeh - ren, daß es mir ſo wenig wehe thaͤte.

Bald darauf: Jch ſpuͤhre auch hieran, was mir in meinem ganzen Leben gefehlt.

Als der Pfarrer mit dem Treufaug kam, winkte er der Gertrud. Dieſe erſchrak, als ſie den Doktor erblikte, und keines wuͤnſchte dem andern einen guten Tag.

Auf der Zunge wars der Gertrud: Was will izt dieſer noch Unruhe machen?

Der Pfarrer las auf ihren Lippen, was ſie ſagen wollte, und ſagte, ſie bey der Han - de nehmend: Wir wollen euch nicht Un - ruhe machen.

Es macht der Frauen gewiß Unruhe, wenn er in dieſem Augenblik, da ſie die Armen erwartet, kommt, erwiederte die Gertrud haſtig.

Er will nur in der Kammer zuſehen, wenn die Armen kommen, erwiederte der Pfarrer, und Gertrud fuͤhrte ihn izt lieb - reich dahin.

Jzt ſchlugs 8. Uhr, und die Armen wa - ren da. Sie hatten einander vor dem Hau - ſe gewartet, damit nicht eines nach dem an -dern223dern bey der Kranken die Thuͤr auf - und zu - thun muͤßte.

Der Pfarrer gieng dann zu ihnen hinaus, gruͤßte ſie alle herzlich, dankte ihnen, daß ſie der Frauen noch dieſe Liebe erwieſen, und bath ſie dann alle, ſo ſtill als moͤglich, zu thun, wenn ſie in die Stube hinein kom - men.

Die meiſten Armen, Maͤnner und Wei - ber zogen auf offner Straße die Schuhe ab, trugen ſie in Haͤnden hinein, und gien - gen faſt auf den Zehen, um kein Geraͤuſch zu machen.

Es waren ihrer uͤber die vierzig Perſo - nen, Maͤnner, Weiber und Kinder.

Die Voͤgtin ſah eins nach dem andern, wie ſie herein kamen, ſteif an, und bewegte gegen ein jedes ihr ſterbendes Haupt. Die Armen erwiederten ihr den Gruß alle mit freundlichem Nikken, und hatten meiſtens Thraͤnen in den Augen, aber keines redete ein Wort.

Die Hoorlacherin ſah aus wie der Tod. Die Voͤgtin ſah ſie, zwey Kinder, die Hun - ger und Mangel redten, auf ihren Armen, und ihre zerriſſenen Schuhe in der Hande, vor ihr ſtehen, und gebeugt, aber geduldig, nach ihr hinbliken, und dann ihr Aug gen Himmel erheben.

Die224

Die Sterbende zitterte bey dieſem Anblik, und nahm ihren Mann bey der Hand; die - ſer verhuͤllte ſein Angeſicht in die Deke ihres Bettes.

Die Voͤgtin erholete ſich wieder. Sie hatte, ſeit dem ſie erwacht, und vorher die ganze Nacht faſt keinen andern Gedanken gehabt, als was ſie dieſen Ungluͤklichen noch ſagen wolle, und ſagen muͤße.

Sie bath ſie izt, ſich zu ſezen, und je - des ſuchte ſtill das naͤchſte Plaͤzgen, und Maͤnner und Weiber nahmen die Kinder auf den Schoos.

§. 62. Worte einer Sterbenden.

Dann ſagte die Frau: Gott gruͤß euch, ihr liebe, arme, ſo oft von uns gedruͤkte und gedraͤngte Leute

Lohn's euch Gott, daß ihr euch meiner noch erbarmet, und izt, da ich euer noͤthig habe, zu mir kommt.

Jch hab es nicht um euch verdient. Wenn ihr in Noth und Elend zu mir ka - met, ſo verſchloß ich mein Herz vor euerm Jammer.

Jch225

Jch aͤchtete den Hunger und Mangel, der aus euren Augen redte, wie nichts, u. ſah nur den Pfenning, der in eurer Hand war.

Jch ſparte den Tropfen im Glas, der euch gehoͤrte ich leerte das Maas nicht aus, in dem euer Maͤhl war ich nahm den Rahm von der Milch, die ihr fuͤr eure Kinder kauftet im Brod und Anken, (Butter) im Wein und Fleiſch gab ich euch nie das volle Maas und Gewicht, und zwang euch, von mir theurer zu kauffen, was euch andre wohlfeiler gegeben haͤtten.

Um der Suͤnde unſers Hauſes willen ſeyd ihr alle, und noch hunderte, die nicht da ſind, ungluͤklich geworden.

Um unſerer Suͤnde willen haben die Kin - der des Dorfs ihre Eltern, die Dienſte ihre Meiſter die Weiber ihre Maͤnner beſtohlen, und den Raub in unſer Hauſe gebracht.

Darum ſind wir elender worden als alle Menſchen.

Viele von euch lidten die Straffe des Diebſtahls, und haben fuͤr uns geſtohlen.

Viele lidten den Unſegen ungehorſammer Kinder, und ſind um unſertwillen ungehor - ſam worden.

PVie -226

Viele verzweifelten, weil ſie bey uns ver - fuͤhrt worden.

Soͤhne lieffen aus dem Land, weil wir ſie zu Grunde gerichtet und Toͤchter ſind un - gluͤklich worden, weil ihnen in unſerm Haus Fallſtrike gelegt worden.

Es iſt noch viel mehr ich kanns nicht ausſprechen ich kanns nicht mehr aͤndern Jch kann nichts mehr ſagen, als: Nehmet ein Exempel, und bleibt, um Got - tes willen, ein jedes ſo viel es immer kann, bey Hauſe, und bey den Seinen Foͤrch - tet euch, um Gottes willen, fuͤr immer, von irgend jemand auch nur um einen Hel - ler zu kauffen, was ihr nicht geradehin zah - len koͤnnt.

Sie hielt hier einen Augenblik inne; dann ſagte ſie wieder:

Jch kann nichts mehr, als: Um Gottes willen verzeihet mir, verzeihet meinem Mañ. Jch bin izt wie eine arme Suͤnderinn, die auf ihren Tod wartet und bitte um Got - tes willen, bethe auch noch ein jedes von euch ein glaͤubiges Unſer Vater fuͤr mich.

Mit dieſem Wort wandte die Voͤgtin ihr Angeſicht ſeitwerts, und ſank ohnmaͤch - tig auf ihr Kuͤſſen.

§. 63.227

§. 63. Hier iſt wahrhaftig ein Hauſe Got - tes, und eine Pforte des Himmels.

Jch ſaß auch da mitten unter den Leuten; aber ich kanns nicht ausdruͤken, und nicht beſchreiben, wie uns allen zu Muthe war, als ſie nun ohnmaͤchtig vor uns hin - ſank.

Geiſt des Herrn! der du wie ein Wind weheſt, und wie ein Feuer brenneſt, die Her - zen der Menſchen zu lenken du ſegneteſt und heiligteſt die Worte der Sterbenden, daß die Schaar der Armen, die geſtern noch uͤber ſie ſeufzten und Raache ſchryen, und bitter redeten, izt fuͤr ſie jammerten wie fuͤr eine Geliebte, und ihre Liebe ſuchten, wie die Liebe einer Schweſter, und ihren Segen wuͤnſchten, wie den Segen einer Mutter!

Geiſt des Herrn! Der du Menſchenworte ſegneſt, daß ſie wer - den wie Worte Gottes; ruhe ewig auf den Worten dieſer Sterbenden, daß ihr Licht nicht erloͤſche, und ihre Kraft nicht ver - ſchwinde, ſo lange Reiche auf Erde druͤken, und Arme auf Erden leiden werden.

P 2Mei -228

Meine Seele preiſe den Herrn, und mein Geiſt lobe ſeinen Namen, denn er hat der Sterbenden Barmherzigkeit bewieſen, er hat ihr ihre Suͤnden verziehen, und ihre Miſſethat ausgeloͤſchet. Jhre Armen bethen fuͤr ſie, und die, ſo ſie unterdruͤkt, wainen fuͤr ſie; ſelbſt die Thraͤnen des Unmuͤndi - gen auf dem Schooße bethen fuͤr ſie zum Herrn. Preiſe meine Seele den Herrn, u. lobe, o mein Geiſt, ſeinen Namen!

Das Volk der Armen ſtand alles auf; aus Einem Mund thoͤnte Verzeihung und Liebe; und der Pfarrer fiel mitten unter den Armen auf ſeine Knie, hob ſeine Augen gen Himmel, und bethete ſtill, daß der Se - genseindruk dieſer Stunde nicht erloͤſche im Herzen der Armen, bis ſie alle auch ihren Lauff vollendet.

Da er wieder aufſtuhnd, ſagte Gertrud zu ihm, die Voͤgtin habe izt Ruhe noͤthig. Dieſer ſagte es den Armen, und ſie giengen ſtill einer nach dem andern fort.

Der Pfarrer fand den Treufaug in der Kammer ſo durch und durch bewegt, daß er ihm von freyen Stuken ſagte, er koͤnne es nicht mehr aushalten, und wolle in Gottes Namen niemand mehr Arzneyen geben. Er bath den Pfarrer, die Voͤgtin fuͤr ihn umVer -229Verzeihung zu bitten, und dieſer, ſeines Zie - les ſich ganz zu verſichern, bath den Doktor, daß er morgen aufs Mittageſſen zu ihm kom̃e.

§. 64. Wenn euere Gerechtigkeit nicht weit uͤbertreffen wird die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pha - riſaͤer, ſo werdet ihr nicht ins Reich der Himmel eingehen.

Jm Heimgehen fuͤhrte der Weg die Hoor - lacherin neben dem Renold vorbey. Er ſaß eben in Gedanken vertieft vor ſeinem Hauſe. Der geſtrige Tag lag noch ſchwer auf ſeinem Herzen. Der ganze Lauff ſeines Lebens, und das wenige Gute, das er in demſelbigen gethan, ſchwebte ihm druͤkend vor den Augen, als eben dieſe Frau mit ih - ren drey Kindern bey ihm vorbey gieng, und ihn gruͤßte.

Er wußte, daß ſie von der Voͤgtin kam, und ſagte zu ihr: Haſt du's auch uͤber dein Herz bringen koͤnnen, noch zu ihr zu gehen, da ſie dich und deine Kinder ſo ungluͤklich gemacht haben?

P 3Und230

Und wenn ſie mich noch elender gemacht haͤtten, ſo danke ich izt Gott, daß ich bey ihr geweſen, erwiederte die Frau.

Der Renold ſah ſie ſteif an, und ſagte: Du wirſt izt wohl viel davon haben, daß du gegangen. Jhr Elend gieng ihm naͤmlich ſo ſehr zu Herzen, daß ihm dieſes unvorſichtige Wort entwitſcht; und es iſt ihm nicht zu verargen; die Kinder waren halb nakend auf dem Arm der Mutter.

Die Hoorlacherin aber antwortete: Re - nold, ich hab izt erfahren, wenn man in ſeinem Herzen aufgemuntert und beruhigt wird, ſo iſts mehr, als wenn man geeſſen.

Der Renold ſchaͤmte ſich, und ſagte: Nun Gott Lob! wenn ſie dir etwas Gu - tes gethan hat. Und die Frau: Renold! wenn alle Arme ihr Unrecht gethan, und ſie elend gemacht haͤtten, wie ſie uns, wir haͤt - ten alle mit einander nicht wehmuͤthiger vor ihrem Bette ſtehen koͤnnen.

Das iſt doch ſonderbar, ſagte der Renold, und ließ ſich alle Worte, die die Voͤgtin geredet, und alle Umſtaͤnde, die dabey vor - gefallen, von der Frauen erzaͤhlen.

Da ſie fertig war, und nun weiters ge - hen wollte, ſagte er zu ihr: Wart noch einen Augenblik, ich muß dir, glaub 'ich, noch etwas ſagen. Er ſtuhnd dann auf,gieng231gieng zu ſeiner Frauen in die Stuben, und ſagte zu dieſer: Du, ich habe einmal im Sinn, der Hoorlacherin wieder zu ihrem Haus zu verhelffen.

Du kannſt nur vier oder fuͤnfthalb hun - dert Gulden in die Hand nehmen, wenn du das im Sinn haſt, ſagte die Frau. Und der Renold: Jch weiß wohl, daß ſo viel darauf haftet.

Frau. Und willſt es doch?

Renold. Ja.

Frau. Das waͤr ein Allmoſen, man koͤñ - te hundert daraus machen.

Renold. Es liegt mir izt am Herzen, wie kein anders.

Frau. Jch koͤnnte nicht ſagen, daß es mir gefiele.

Renold. Frau, ich hab mein Gewiſſen ins Vogts Haus oft beſchwert, und mitgeeſſen und mitgetrunken, wo ich nicht haͤtte trinken ſollen, und geſchwiegen, wo ich haͤtte reden ſollen; und ich moͤchte gern zeigen, wie ich daruͤber denke. Du weiſſeſt, wenn es 4000. fl. antraͤfe wie 400., ich koͤnnt es ja thun.

Frau Wenn du's alſo anſiehſt, ſo thu in Gottes Namen, was du willſt, u. was du glaubſt, das recht ſey.

Es freut mich, daß du nicht dawider biſt, ich haͤtte es auch nicht gern gegen deinen Wil -P 4len232len gethan, ſagte izt der Renold, druͤkte ſei - ner Frauen die Hand, gieng dann wieder hinaus, und ſagte der Hoorlacherin, was er ihr thun wolle.

Und als dieſe ihm uͤberlaut und mit Wai - nen dankte, ſagte er zu ihr: Schaͤme dich auch auf offner Straße vor den Leuten und ſprang eilend in die Stube. Die Hoor - lacherin folgte ihm mit den Kindern, und dankte forthin.

Was nuͤzt doch das, ſo viel Wort ma - chen, ich habs izt ja ſchon gehoͤrt. Geh in Gottes Namen izt heim, und dank Gott, und hauſe und ſpare ordentlich, ſagte izt der Renold; und die Renoldin gab ihr und den Kindern noch Brod und gedoͤrrte Birr - nen und eine Milch heim; denn es freute ſie izt ſelbſt, nachdem ſie es uͤberwunden. Als die Voͤgtin dieſes noch in ihren lezten Stun - den vernommen, ſagte ſie: es ſey die einzige Freude, die ſie mit ſich in den Him̃el bringe.

Das war das lezte verſtaͤndliche Wort, das ſie redte.

Faſt eine halbe Stunde vorher ſagte ſie auch dieſes: Es freut mich, bald bey mei - nem Kinde zu ſeyn. So lang es lebte, be - theten wir auch noch, und ſcheuten uns auch noch zun Zeiten; aber nachdem es geſtorben,ſcheu -233ſcheuten wir uns vor nichts mehr weder im Him̃el noch auf Erden.

Sonſt war ſie ſtille, und loͤſchte ſo ſanft aus wie ein Licht.

Gertrud beſorgte ſie zum Grabe, und als die Todtengloke laͤutete, wainten weit die meiſten Menſchen im Dorfe ob ihr; und ihr Mann gieng eine Viertelſtunde, nachdem ſie verſchieden, in ſein Gefaͤngniß zuruͤk.

§. 65.

Weilen doch uͤber den him̃liſchen
Bogen
Eine ſo dike Deke gezogen,
Daß es auf Erden finſter und
Nacht
Welches uns alle ſo ſchlaͤferig
macht,
Liebeſter Gott! So wolleſt ver -
ſchaffen,
Daß wir doch friedlich nehmen
Bedacht;
Unſer Aug ſey fuͤr das Nahe ge -
ſchaffen,
Und nicht gar in die Ferne zu
ſehn
P 5234
Maͤchtiger Koͤnig, wehre dem
Teufel,
Wann er uns reizet zu Zank und
zu Zweifel,
Wann er die Poltergeiſter erwekt,
Und uns mit ſtreitigen Meynun -
gen nekt
Denn er damit den Seelen auf -
paſſet,
Sonderlich auch dem Frieden
nachſtellt,
Welchen der Moͤrder grim̃iglich
haſſet,
Deme nur, was uns ſchadet, ge -
faͤllt,
Maͤchtiger Koͤnig! wehre dem
Teufel!
Wann er uns reizt zu Zank und
zu Zweifel,
Wann er die Poltergeiſter er -
wekt,
Und uns mit ſtreitigen Meynun -
nungen nekt!
Da235

Da der Pfarrer hoͤrte, daß der Jakob Friedrich izt gedemuͤthigt, und jeder - mann zum Geſpoͤtte geworden, gieng er noch dieſen Abend zu ihm hin. Der arme Tropf wußte von nichts weniger in der Welt, als davon, daß der Menſch aus jedem Ungluͤk, das ihm begegnet, den groͤſten Nuzen ziehen koͤnne, wenn er ſich uͤberwinden kann, nach - zuforſchen, worinn er ſelber daran ſchuld ſey. Er wuͤtete nur, daß jedermann das Geſpoͤtte mit ihm trieb und dachte nicht, daß ſeine Thorheiten und ſeine Laſter ihm dieſes Ge - ſpoͤtte zugezogen.

Aber ſo iſt der Menſch allenthalben. Er meynt, er doͤrffe 20., 30. und 40. Jahre ein Narr oder ein Schelm ſeyn, und es doͤrffe dann niemand auch nur das Maul darob ruͤmpfen, wenns ihm auskoͤmmt.

Aber es iſt vergebens die Welt lacht ob den Narren, welche fallen, und ob den Schelmen, welche an den Pranger kommen. Doch giebts immer auch noch Leute, die nicht lachen, ſondern Mitleiden haben. Der gute Pfarrer war gewiß deren einer; der Hartknopf glaubte es zwar nicht, und meyn - te, er komme izt nur zu ihm, ihn auszu - hoͤhnen: aber der Pfarrer war ſo herzlich mit ihm, daß er bald von ſeinem Jrrthum zuruͤke kam.

Ein236

Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm ſagte, war dieſes: Hartknopf ich moͤchte dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne Kraͤnkung leben kann.

Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor - tete der Hartknopf.

Man muß nur immer den geraden Weg gehen, erwiederte der Pfarrer.

Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der Ehegaumer.

Alles, was ihr wollet, das euch die Men - ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen, erwiederte der Pfarrer.

Der Hartknopf wollte hier ausweichen, und dieß und jenes anbringen. Aber der Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die - ſen geraden Weg nicht gegangen, und in keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le - bens hinein, und ſagte ihm unter anderm auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech - ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind auf Erden, und uns darum nie uͤber keine Meynungen erzanken und ereifern ſollten. Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei - nen Meynungen gehangen, wie wenn ſieſelbſt237ſelbſt Gott waͤren. Du haſt geglaubt, wer nicht denke wie du, ſey Gott nicht lieb, und du haſt die gute Lehre vom ſtillen frommen Gottesglauben zu einer Streitlehre gemacht, daß die Leute das Wort Gottes und das Evangelium ſtudierten und brauch - ten, wie ein boͤſes Volk ein troͤleriſches Ge - ſezbuch braucht, einander das Leben zu ver - bittern, und das Blut unter den Naͤgeln hervorzudruͤken.

Jndeſſen biſt du mit dieſem Leben ein Lump geworden, und wenn du Kinder haͤt - teſt, ſo koͤnnteſt du ſie nicht mit Gott und Ehren erziehen; und ich will nur kein Blatt fuͤr den Mund nehmen, wenn du dich nicht aͤnderſt, und fleißiger wirſt, ſo faͤllſt du in kurzem dem Allmoſen zur Laſt; denn ich weiß deine Umſtaͤnde, und daß du in allen Eken weit mehr ſchuldig biſt, als du zah - len kannſt.

Der Hochmuth haͤtte dem Hartknopf nicht zugelaſſen, mit klaren Worten dem Pfarrer zu geſtehen, daß er recht habe, wenn er nicht den Artikel mit den Schulden beruͤhrt haͤtte; aber darob iſt er ſo erſchroken, daß er ihm bekennte und ſagte, ja es ſeye wahr, und er wollte izt gern, es waͤre anderſt. Er klagte den Magiſter Heiligerzahn an, daßer238er ihn vor 20. Jahren ſo in die Buͤcherſa - chen hineingefuͤhrt.

Wußte der Magiſter Heiligerzahn, daß du ein Strumpfweber warſt? ſagte izt der Pfarrer.

Ja, erwiederte der Hartknopf. Und der Pfarrer: So hatte er unrecht. Man muß jedermann bey ſeinem Handwerk laſ - ſen, und der Menſch muß nie in Sachen hineingehen, die gar zu ungleich ſind mit denen, die er in ſeiner Jugend gelernt, und durch die er ſein Brod ſuchen muß. Denk izt nur ſelber, wenn du ein fleißiger brafer Struͤmpfweber geblieben waͤrſt, und deinen Kopf immer recht warm bey deinem Stuhl und Garn gehabt haͤtteſt, waͤrſt du nicht viel ehrlicher, viel wohlhabender, viel zu - friedner, und an Leib und Seel geſuͤnder als du izt biſt, mit allem dem dummen papier - nen Kram, den du im Kopf haſt?

Auch noch dieß ſagte er zu ihm: Hart - knopf! Nicht wiſſen und nicht verſtehen wollen, was einem zu hoch iſt, dabey bleibts einem wohl. Man ſingt dann ruhig ſein Glaubenslied, und koͤmmt heiter zum Grab, und wer am meiſten weißt, weißt immer, daß er faſt nichts weiß.

Der Hartknopf war izt in einer Lag, daß dieſe Reden Eingang fanden, und ſagte aufdie239die Lezte ſelbſt, er wollte freylich izt gern, er waͤre bey ſeinem Handwerk geblieben, und haͤtte ſich keiner Sache nichts angenommen, und mehr ſolche Worte, die vor zweymal 24. Stunden niemand vermuthet haͤtte, daß ſie einem Mann zum Maul heraus kom̃en wuͤrden, der ſich mehr eingebildet zu wiſ - ſen, als ſieben Pfarrer.

§. 66. Auch neben dem Treufaug iſt er weiſe.

Der gute Pfarrer hatte alle Haͤnde voll zu thun, die Umſtaͤnde zu nuͤzen, die izt guͤnſtig waren, allerhand Wahrheiten ans Licht zu bringen, die lange verborgen waren.

Morndeß kam der Treufaug laut Abrede zu ihm zum Mittageſſen. Es gieng ihm izt wie dem Hartknopf es ließ ihn jedermann gehen und ſtehen, viele ſpotteten ſeiner noch. Er war ſein Lebtag immer gewohnt, ſeine Stube voll Leute zu haben, die, wenn ſie auch nichts wollten, zulezt doch mit ihm ſpracheten; und er hatte todt - lange Zeit, daß ihn izt jederman allein ließ. Der Pfarrer gab ihm vom allerbeſten, dener240er im Keller hatte, und der Treufaug wur - de ſo zutraulich, daß er faſt nicht wußte, wie thun. Er verſprach ihm einmal uͤber das andre, daß er nicht mehr arznen, und ſeine Arzneymittel alle dem ſtudierten Herrn Doktor Muͤller, den er als braf und ſorg - faͤltig kennte, anvertrauen wolle, wenn nur der Junker dann auch wieder gut mit ihm werde, und er auch wieder ins Schloß doͤrffe, wie unter dem Alten, und die Leute es ihm nicht ſo machen doͤrfen wie izt.

Der Pfarrer forrſchte ihn uͤber alles aus. Er geſtuhnd, daß er ſeiner Arzneyen nie ſi - cher geweſen. Von den Geſpengſtern und vom Lachsnen, ſagte er, er habe im An - fang daran geglaubt, wie ans Unſer Vater, nach und nach habe er freylich anfangen merken, daß nicht alles gleich wahr, was in ſeines Großvaters Buch geſtanden; aber er habe ſeine Manier forttreiben muͤſſen, weil ihm niemand einen Heller zu verdienen gegeben haͤtte, wenn man nicht geglaubt haͤtte, er koͤnne etwas wider die boͤſen Leut; und nach und nach ſey es ihm ſo zur Ge - wohnheit und zum Handwerk worden, daß er dieſe Ceremonien allemal mitgemacht, ohne weiter daran zu denken, ob ſie etwas nuͤzen oder nicht, wie hundert andre Leute auch unnuͤze Sachen mit den noͤthigen mit -ma -241machen, und wie z. E. die Kaminfeger meyn - ten, ihre Arbeit waͤre nicht fertig, wenn ſie nicht das Lied oben zum Dach hinaus ſaͤn - gen. Er erzaͤhlte dann aber auch dem Pfar - rer eine Menge Hiſtorien, wie er mit den Leuten den Narren geſpielt, und wie dumm ſie alles fuͤr baar Geld angenohmen, was er ihnen gegeben.

Er habe einmal einem Kind ein Brech - mittel gegeben, und da behauptet, ein groſ - ſes Stuͤk Ziegel, welches er in Zuber ge - worffen, ſeye von ihm gegangen. Der Va - ter und die Mutter, und wer da war, fan - den das Stuͤk auch gar zu groß, und konn - ten nicht glauben, daß es durch den Hals herauf habe kommen moͤgen. Das iſt doch auch faſt gar unglaublich, ſagten ſie zu dem Doktor. Er antwortete ihnen: O ihr ein - faͤltigen Leut, daß ihr izt auch das nicht glauben, und ſo reden koͤnnt. Jhr wißt doch auch, wie groß ein Kind iſt, wenns auf die Welt kommt.

Jm Augenblik glaubten die guten Leute wieder, was er ſagte, und erklaͤrten dann noch ſelbſt, wie dem Teufel nichts unmoͤg - lich ſey, und wie man daraus, daß das Zie - gelſtuͤk da ſey, ſchließen muͤße, daß er her - auf gekommen.

O.§. 67.242

§. 67. Zu beweiſen, daß die Menſchen das werden, was man aus ihnen macht.

Es hatte ſich ſeit dieſem paar Tage alles im Dorf ſo geaͤndert, daß man ſich faſt nicht mehr kennen konnte. Vorzuͤglich wollte izt jedermann mit dem Pfarrer gut Freund ſeyn. Die Weiber machten's am bunteſten. Wenn er vorbey gieng, rieffen ſie ihren Kindern aus den Fenſtern uͤber die Gaſſe zu: Siehſt du auch den wohlehr - wuͤrdigen Herrn Pfarrer? gieb ihm auch s' Haͤndli. Die Maͤñer waren uͤberhaupt ſtil - ler, doch auch freundlich: aber faſt jedermann ſchaͤmte ſich, der eine ob dem, der andre ob die - ſem; der eine gab dem, der andre einem andern ſchuld: aber jedermann geſtuhnd, daß man un - recht, u. der Junker recht gehabt. Alles war izt gar dem Maurer und der Frauen zur Auf - wart, und alles ließ izt den Hartknopf, den Kriecher, und ſo gar des Siegriſten Leut ſtehen und gehen. Sogar der Lips mußte entgelten, was er gethan. Huͤni, Huͤni, du haſt ein wuͤſtes Ey gelegt, rieffen ihm links und rechts Junges und Altes zu.

Der243

Der Huͤnertraͤger fand Guͤggel und Eyer feil, ſo viel er nur wollte, und ſelbſt die junge Kalberlederin, die ſich vorgeſtern noch wegen ihrer Seele Heils bekuͤmmerte, daß ſie ihn in Stall hineinlaſſen muͤße, rieff ihm izt mit lachendem Mund unter der Thuͤ - re, ſie habe drey paar ſchoͤne reiffe junge Dauben.

Ueberhaupt aber war es ſichtbar, daß Ar - ner alles Volk, ſo zu reden, ſich ſelber naͤ - her gebracht, und hat machen koͤnnen, daß faſt jedermann ſich weniger um das Fremde, und mehr um das Seinige bekuͤmmerte.

§. 68. Zu einem guten Ziel kommen, iſt beſſer, als viel Wahrheiten ſagen.

Und nun naͤherte ſich der Tag, an wel - chem der Pfarrer den Vogt der Gemein - de wieder vorſtellen, und uͤber ihn predigen ſollte. Viele Leute foͤrchteten ſich vor dieſer Predigt, und glaubten, der Pfarrer werde darinn noch allerhand ausbringen, das noch nicht am Tag ſey, und werde ſie zu Schan - den machen. Selbſt der Junker ſagte amQ 2Mor -244Morgen vor der Predigt zu ihm, ob er nichts vom Geſpengſterglauben anbringen wolle?

Der Pfarrer antwortete: Das hieß, izt juſt ein Feuer, das man ſo eben geloͤſcht hat, wieder anzuͤnden. Warum daß? ſagte der Junker.

Pfarrer. Weil der Menſch hochmuͤthig iſt, und wenn er endlich von ſeinem Jrrthum zuruͤkkommen muß, nicht den Anſchein ha - ben will, daß er darauf geſtoßen, und dazu gezwungen worden.

Junker. Das iſt wahr.

Pfarrer. Und vielleicht das wichtigſte, daß man in meinem Amte zu beobachten hat. Man muß wahrlich des Menſchen, wenn er dahin gebracht iſt, die Wahrheit zu finden, ſchonen wie einer Kindbetterinn. Er kann ein todtes oder lebendes Kind auf die Welt bringen, je nachdem man mit ihme umgeht.

Junker. Lieber Pfarrer! dieſe Wahrheit iſt in meinem Stande ſo wichtig, als in euerm. Schonung des Gefuͤhls der Menſchen, die man erleuchten, lehren und leiten will, iſt immer das Fundament alles deſſen, was man mit den Menſchen ausrich - ten will. So redeten ſie mit einander unter dem Fenſter des Pfarrhauſes, als izt dasVolk245Volk von Bonnal zur Kirche gieng. Sie ſahen izt auch den Treufaug; vor ihm und hinter ihm giengen Maͤnner, Weiber und Kinder, und mit ihm niemand.

Er dauert mich doch, ſagte der Pfarrer.

Mich nicht; ſagte der Junker.

Pfarrer. Wenn ich jemand ſo gedemuͤ - thigt ſehe, ſo denke ich an die Lehre: Das zerklekte Rohr nicht zu zerbrechen, und den glimmenden Dacht nicht auszuloͤſchen und erzaͤhlte dann dem Junker, was zwi - ſchen ihnen vorgefallen. Der Junker mußte lachen, und gruͤßte den Treufaug freundlich. Dieſer buͤkte ſich faſt bis an den Boden vor dem Junker, aber vor und hinter ihm lachten die Leute uͤber den Guten Tag des Junkers, und uͤber das Buͤken des Doktors.

Bald darauf gieng der Pfarrer mit dem Junker in die Kirche, und hielt ſeine Pre - digt.

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Q 3§. 69.246

§. 69. Die Predigt des Pfarrers in Bon - nal, am Tag, als er den Hum - mel ſeiner Gemeinde vorſtellen mußte.

Liebe Menſchen!

Der ungluͤkliche Mann, der euch heute vorgeſtellt wird, iſt gebohren im Jah - re 1729, und den 28. Heumonat deſſelben Jahres in hießiger Kirche und aus dieſem Taufſtein getauft worden. Seine Taufzeu - gen waren ein Geſchworner Kienholz, und eine Frau Eichenbergerin. Er erinnert ſich aber nicht von dem einten oder von der an - dern, ein einigs Wort chriſtlicher Lehre, oder irgend eine Warnung oder Aufmunte - rung zu etwas Gutem oder Nuͤzlichem ge - hoͤrt zu haben. Vielmehr habe er dem Kien - holz allemal, wenn er zu ihm gekommen, alle Bubenſtuͤke und Kinderſtreiche, die ſie in Holz und Feld veruͤbet, erzaͤhlen muͤßen.

Seine Eltern Chriſtoph Hummel und Margretha Kienholz waren im hoͤchen Grad gedanken - und ſorgenloſe Leute in Abſicht aufſich247ſich ſelbſt, und in Abſicht auf dieſes einzi - ge Kind, das ſie hatten.

Selbſt traͤge hielt ihn ſein Vater nicht zur Arbeit.

Selbſt unverſtaͤndig in ſeinem Gewerbe, und in ſeinen Haushaltungsſachen konnte er ihm nicht geben, was er ſelbſt nicht hatte.

Selbſt gedankenlos und leichtſinnig konn - te er ihn nicht bedaͤchtlich und aufmerkſam erziehen.

Und mit der Mutter war's wie mit dem Vater; es fehlte in - und auswendig.

Sie war ſo unordentlich, daß ſie faſt al - lenthalben, wo ſie hingekommen, und ſelbſt in der Kirche, den Leuten zum Gelaͤchter geworden iſt.

Aber was ſchlimmer war als ihre krum - me Haube und ihre ſchmuzigen Kleider, war ihr Hochmuth, und ihr mißguͤnſtiges Herz.

Sie hatte zur Gewohnheit, wenn man von jemand Gutes erzaͤhlte, den Kopf auf die Seite zu wenden, oder zum Fenſter hinaus zu ſchauen.

Selbſt wenn man ihr eine Wohlthat erwieß, konnte man ihrs nie recht machen, und ſie konnte bey Stunden in ihrer Stu - be vor ihrem Kind Boͤſes von Leuten re - den, deren Gutthaten auf ihrem Tiſche ſtan -Q 4den.248den. Sie meynte immer, es geſchaͤhe ihr zu kurz, und jedermann ſollte mehr an ihr thun.

So kam Traͤgheit und Leichtſinn und Lie - derlichkeit durch das Beyſpiel des Vaters, und Liebloſigkeit, Undank und ein anmaßli - ches Weſen durch die Fehler der Mutter in das Herz des Kindes.

Er koñte dir im vierten und fuͤnften Jahr ein Maul und ein paar Augen machen, daß ſich ein rechter Vater und eine rechte Mut - ter drob b'ſegnen wuͤrden, wenn ſie ein Kind von dieſem Alter ſo ein Geſicht machen ſaͤhen.

Er war in dieſem Alter im Stand den Kopf aufzuſezen, und bey Stunden kein Wort zu reden, wenn man ihm nicht im Augenblik that, was er gern wollte, und du moͤchteſt ihm noch ſo lieb geweſen ſeyn, ſo zeigte er den Schalk gegen dir, wenn es ihm in den Kopf kam, wie wenn er dich immer gehaſſet haͤtte.

Er gab Antworten, und ſagte Sachen, die unter ehrlichen Leuten einem Kinde nicht zum Munde heraus gehen doͤrften. Die armen Eltern lachten uͤber ſeine frechſten Ant - worten, glaubten, daß ſie ſeinen Verſtand zeigten, und dachten nicht, daß Frechheit und Schamloſigkeit einem Menſchen ſeinenVer -249Verſtand juſt da nehme, wo er ihn am noͤ - thigſten haͤtte.

Sie ließen ihm das Maul offen, wo er wollte, und uͤber was er wollte; und je we - niger er ſeinen Verſtand brauchte, und mit den Haͤnden arbeitete, deſto frecher war er mit dem Maul.

Er hatte von Kindsbeinen auf gar viel Feuer. Anſtatt daſſelbe zu loͤſchen und zu daͤmpfen, wo es ins Boͤſe ausbrechen woll - te, iſts auf dieſe Weiſe noch angefacht und angeblaſen worden.

Er war auch noch nicht viel uͤber ſieben Jahre, ſo merkten die Eltern, wo ſie mit ihm zu Hauſe waren; der Muͤßiggang und Ungehorſam waren in ihm erſtarket, und was man ihm vom Folgen, Arbeiten und Rechtthun ſagte, ließ er zu einem Ohr hin - ein, und zum andern heraus. Selbſt mit Schlaͤgen richteten ſie izt nichts mehr an ihm aus. Es war vielmehr, wie wenn man ſieben Teufel in ihn hinein ſchlug, wenn man einen heraus ſchlagen wollte.

Liebe Menſchen! Jch muß hier ſtille hal - ten, und den Vaͤtern und Muͤttern meiner Gemeinde die große Lehre der Auferziehung ſagen:

Q 5Bie -250

Bieget euere Kinder, faſt ehe ſie noch wiſſen, was links oder rechts iſt, zu dem, wozu ſie gebogen ſeyn muͤſſen.

Und ſie werden euch bis ans Grab dan - ken, wen ihr ſie zum Guten gezogen, und ins Joch des armen Lebens gebogen, ehe ſie noch wiſſen warum.

Er ſagte ſeiner Mutter und ſeinem Va - ter, wenn ſie ihm etwas zeigen wollten, alle Augenblike: Du kannſt es ſelbſt nicht. Er ſpottete ſie aus: Ja, ja So, ſo gelt aber? und d. g. Das waren die ge - wohnlichen Antworten, die er ihnen gab, wenn ſie im Ernſte etwas zu ihm ſagten. Er hatte ein Gedaͤchtniß, das ihm alles Ler - nen wie nichts war; aber er trieb mit al - lem, was er konnte, nur Hoffart, lachte die andern aus, wenn ſie es minder konnten, und hatte uͤber nichts ſo eine Freude, als wenn er machen konnte, daß ſie zu Schan - den wurden.

Er fluͤſterte einſt einem Kinde auf die Frage: Wer der Schlangentreter geweſen ſey? ein; der Teufel. Der Pfarrer ſchimpf - te auf das arme Kind abſcheulich wegen dieſer Antwort, und fragte hierauf ihn. Der Boͤſewicht war im Stand, ohne ein Maul zu verzeuhen, zu antworten: DerSchlan -251Schlangentreter iſt unſer liebe Herr und Heiland und Seligmacher Jeſus Chriſtus.

Den alten Schulmeiſter kraͤnkte er mit Wort und Thaten, ſo viel er nur konnte und mochte. Der alte Mann hatte ſeit vie - len Jahren, da es in ſeiner Nachbarſchaft brannte, eine entſezliche Forcht vor dem Feuer. Wenn dann der Hummel nicht gern lernte, ſo warf er Sachen ins Feuer, die ſchmuͤrzten, damit er erſchreke, und im Hauſe herumlauffe, zu ſehen, wo es un - richtig ſey. Er zuͤndete ſogar oft Zunder im Sak an, und achtete es nicht, das groͤſte Loch in den Sak zu brennen, wenn er nur den Schulmeiſter in Schreken jagen konnte.

Der alte Mann hoͤrte nicht mehr wohl; und der Bube redte immer entweder ſo leiſe, daß dieſer ihn kein Wort verſtuhnd, oder ſo laut, daß die Leute auf der Gaſſe ſtill ſtuhn - den, zu hoͤren, was fuͤr ein Geſchrey in der Schule ſey; welches den Schulmeiſter dann noch mehr verdroß.

Er hatte ihm einmal zwey Wochen den Schullohn nicht gebracht; und da er ihn von ihm foderte, gab er ihm zur Antwort: Wenn du nicht g'warten magſt, ſo will ich eben heimlauffen, und dir ihn auf der Stoß - bahre bringen.

Jm252

Jm dreyzehnten Jahr iſt er ſeinem Vater entlauffen, und in der Waldruͤti Waidhirt geworden. Der Reutibauer achtete ſeiner minder als eines Stuͤks Viehe, wenn er nur alle Abende ſeine Heerde richtig heim brachte.

Das Waidhirtenleben, wie es izt iſt, iſt entſezlich verderbt. Es kommen auf den Bergen immer bey halbduzenden, oft von Baͤttel - und Streifervolk angenommene Huͤ - terbuben zuſammen, und thun da alle nur erſinnliche Bosheiten.

Der Hummel war bey dieſem Waidhir - tenleben wie in ſeinem Elemente. Er ſchuͤt - telte weit und breit alle Obſtbaͤume, ehe ſie reiff waren, und warff das unzeitige Obſt zu ganzen Koͤrben voll dem Vieh nach und in Suͤmpf und Graben. Er nahm im Wald und auf den Baͤumen alle Neſter aus, und marterte die armen Voͤgel, ehe er ſie toͤdtete. Er ließ, wo er konnte, das Bergwaſſer ins Feld, die Saat zu ver - derben. Er oͤffnete in allen Zaͤunen dem Viehe Wege, daß es zu ſchaden gehen konnte. Er rufte allen Vorbeygehenden ſchaͤndliche Dinge nach. Er tyranniſirte einen kleinen Buben, der auch auf dem Berg huͤtete, daß er ſeiner Heerde huͤten mußte, wenn er unter dem Baum lag undſchlief,253ſchlief, oder im Wald den Voͤgeln nachklet - terte, oder mit den groͤßern Waidhirten ſpielte, und geſtohlne Erdaͤpfel bratete. Wenns der arme Kleine nicht thun wollte, ſo zwikte er ihn mit der Geiſel.

Von den ſchandbaren und unzuͤchtigen Dingen, die auf dieſer Waide vorfielen, darf ich nicht reden.

So wars freylich bey den Alten nicht. Sie nahmen kein fremdes Geſindel in ihre Dienſte, und ließen ihre Hirten nicht ſo zu einander lauffen. Wer bey ihnen ein Hausgenoß war, fuͤr den ſorgten ſie in Ab - ſicht auf Leib und Seele. Sie machten ihre Huͤterbuben bey der Heerde bleiben, und gaben ihnen beym Huͤten ihre taͤgliche Arbeit auf. Das Hirtenmaͤdchen ſtrikte Wollen; und der Hirtenknabe ſammelte duͤr - re Reiſer, und machte Buͤrden Holz. Da war das Huͤterleben noch ein gutes Leben. Man ſah den frommen Hirten am Abend und Morgen auf ſeinen Knien bethen, und am Schatten der Baͤume, unter denen die Heerden zuſammen lauffen, in der Bibel leſen.

Noch zu Hummels Zeiten hatten die Al - ten im Brauch, von ihren Hirten am Abend Rechenſchaft zu fodern; aber da es nicht mehr alle thaten, richteten die, ſo es thaten,nichts254nichts mehr aus. Die, ſo nichts arbeite - ten, verfolgten die, ſo eine Arbeit mitbrach - ten; ſie jagten ihnen ihr Viehe weit und breit irre, zerriſſen ihnen ihr Strikgarn, und verderbten ihnen ihre Arbeit, ſo daß kein Waidkind mehr eine Arbeit auf den Berg nehmen wollte; und ſo gieng auch dieſe alte gute Sitte hin.

Jm Winter darauf haͤtte er auf der Waldruͤti ſpinnen ſollen; da aber luff er weg, und gieng wieder heim.

So uͤbel er bey ſeinen Eltern verſorgt ge - weſen, ſo war ers bey ſeinem Meiſter doch noch ſchlimmer. Er kam voll Ungeziefers und wild wie ein Raubthier zuruͤk. Die armen Eltern zeigten dem boͤſen Buben, daß ſie froh waren, daß er wieder gekom - men; und er mißbrauchte ihre Schwaͤche und Guͤte ſo ſehr, daß er ihnen den ganzen Winter uͤber fuͤr keinen Kreuzer arbeitete, und ſie doch dahin brachte, in Hoffnung, er werde dann fleißiger arbeiten, ihn ganz neu zu kleiden, ob ſie es ſchon kaͤumerlich vermochten.

Jn dieſem Winter und dem darauf fol - genden wurde er zum Tiſch des Herrn un - terwieſen, und blendete da den Pfarrer mit ſeinem Auswendiglernen zu ſeinen Guͤnſten, ungeachtet er alle Bosheiten in ſeiner Stubeaus -255ausuͤbte. Er kam nie ohne Wuͤrffel und Karten in die Lehrſtunde. Er legte der Frau Pfarrerin die Steine von Pferſichen und Pflaumen, die er in ihrem Garten geſtohlen, noch vor ihr Fenſter; und wenn ſie dann hinaus kam, zu ſehen, wer es geweſen, ſo war niemand da.

Er tunkte Schneeballen ins kalte Waſſer, ließ ſie ſteinhart gefrieren, und warf damit nach des Pfarrers Huͤnern und kleinen Hund; und es war ſeine Herzensfreude, wenn er eines traf, daß es lahm ward.

Seine Kameraden ſagten ihm oft, er ma - che noch, daß der Pfarrer ihn nicht zum Tiſch des Herrn gehen laſſe. Er antwor - tete ihnen aber, wenn der Pfarrer ſieben Augen haͤtte, wollte er ihm vierzehn aus - bohren.

Jn eben der Feſtwoche, da er zum Tiſche des Herrn gehen ſollte, hat er ſich im Wirths - hauſe, da juſt Werber da waren, uͤberwei - net, (voll getrunken) und uͤberlaut zu ihnen geſagt: Uber acht Tage dann doͤrft ihr auch auf mich bieten.

Am Feſttage ſelbſt probierte er wohl zehn - mal, wie er den Hut unter den Arm neh - men muͤße, daß das Band daran recht flie - ge, und wie er ſich bey dem Kompliment vor dem Pfarrer recht ſtellen muͤße, wenner256er zum Taufſtein hervorgehe. Vor der Kir - che redte er mit denen, die neu gekleidet wa - ren, ab, daß ſie zuerſt vor den andern her - vorgehen muͤſſen, und daß er der groͤſte ſey, und alſo der erſte hervor wolle.

Gott hat den Menſchen in dieſem Alter viel Kraft und einen frohen Muth gegeben, und die frommen Alten goͤnnten dem lieben jungen Volke hundert Freuden, die dieſen guten Muth ſtaͤrkten, und eben dadurch vor Ausſchweifung bewahrten. Das junge Volk ſah einander bey Tage und bey Nacht; aber die Toͤchter hielten zuſammen, und eben ſo die Knaben; und dieſes Zuſammenhalten der beydſeitigen Geſchlechter machte, daß jeder einzelne Knab, und jede Tochter gar viel mehr und gar viel laͤnger unſchuldig blieb. Die Lichtſtubeten (Zuſam̃enkuͤnfte bey Licht auf einer Stube) waren da noch nicht La - ſterſtuben, wie ſie izt ſind. Das junge Volk kam freylich nach dem Nachteſſen auch zuſammen; aber Eltern, Verwandte, from - me, ehrenfeſte Maͤnner und Weiber waren allemal dabey, und nahmen an ihren Freu - den Theil; und wenn ein Knabe, der ſo viel als verſprochen war, nun zu ſeiner Liebſten allein kommen dorfte, ſo fand er dennoch im - mer die Mutter oder Schweſter, oder einen Bruder bey ihr bis zur Hochzeit.

Ueber -257

Ueberhaupt zeigten die alten Nachtbuben in allem, daß ſie Ehr im Leib hatten, und machten gar oft fuͤr ihre Freude Sachen, die ihr gutes Herz bewieſen, und ihnen die Liebe der Jungen und Alten, und das Wohlwollen der ſtillſten und froͤmmſten zu - zogen. Es war z. E. ſeit Menſchengeden - ken ihr Brauch, wenn eine Wittwe Toͤch - ter hatte, die ſie ehren wollten, ſo ſchnit - ten ſie der Mutter des Nachts beym Mond - ſchein den groͤſten Aker, den ſie hatte; dann am Morgen, wenn die Mutter mit den Toͤch - tern, die Sichel in der Hand, in ihren Aker kamen, und ihn geſchnitten fanden, horch - ten die Knaben hinter den Zaͤunen, wen ſie wohl riethen, daß den Aker geſchnitten, und jauchzten dann Freude, wenn ſie's er - riethen.

Aber ſeit Hummels Zeiten trieben die Nachtbuben immer nur ſchandbare Boshei - ten, und richteten Schaden an, wo ſie hin - kamen, und verderbten allenthalben denen, die noch an den alten Sitten hiengen, ihre unſchuldige Freuden.

Wenn der Mond izt untergegangen, und die guten Nachtſchnitter mit ihrer Freuden - arbeit fertig waren, kamen die Boͤſewichter, zerſtreuten das geſchnittne Korn der Wittwe,Rund258und hausten auf ihrem Aker, wie wenn die wilden Schwein 'ihn durchwuͤhlet haͤtten.

Am Morgen kamen dann die guten Schnit - terknaben, fanden ihre Arbeit verheeret; und nach ihnen die Mutter und die Toͤchter, de - nen dieſer Aker gehoͤrte; die Schnitter ſtampf - ten die Toͤchter erblaßten und die Wittwe ſchlug ihre Haͤnde ob dem Kopf zuſammen, mehr von wegen der Suͤnde, Gottes Gaabe alſo zu verwuͤſten, als we - gen des Schadens und der Schande, die es fuͤr ſie war.

Der junge Hummel ſah der Frauen hin - ter dem Graben des Schloßholzes zu, und jauchzte noch, ihre Frommkeit zu trozen. Er that das vier Jahr hinter einander, u. da man ihm in Bonnal auflaurete, that er es in der Nachbarſchaft.

Alles hatte auf Hummel Verdacht, und im lezten Jahr waͤre er von der jungen Purſch in Hirzau beynahe todt geſchlagen worden. Er gieng am gleichen Morgen, da es in der Nacht geſchehen, noch in ihr Wirthshaus, Gebranntes zu trinken. Das junge Volk, das Verdacht auf ihn hatte, war wie wuͤ - thend uͤber ihn; und wenn ihn nicht alte ehrbare Maͤnner mit Gewalt dem jungen Volk aus den Haͤnden geriſſen, ſo waͤre er ſicher auf Leib und Leben geſchlagen worden.

Die259

Die gleichen Maͤnner, die ihn gerettet, verklagten ihn dem Junker; aber ſie konn - ten nichts beweiſen; u. der Junker ließ, ſolchen Bosheiten zu ſteuren, den Knaben das Nacht - ſchneiden uͤberall verbieten. Aber dieſes that Jungen und Alten ſo weh, und es war ein ſo allgemeines Gemuͤrmel in der Kirche, da der Pfarrer dieſes Verbott ver - las, daß es nicht groͤßer haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn der Pfarrer eine neue Auflage verleſen haͤtte. Jedermann ſagte: es iſt nicht recht, daß wir um dieſes Boͤſewichts willen dieſe alte Freude verlieren muͤſſen. Und der Amts - Untervogt Lindenberger, ein alter eisgrauer Mann, ſagte dem Hummel, da er ihn un - ter der Kirchthuͤre antraf, vor vielen Leu - ten: Es waͤre beſſer, der Junker haͤtte dich an den Galgen haͤngen laſſen, als daß er um deinetwillen unſer ganzes junges Volk in ein Bokshorn hineinſtoßen will.

Um dieſe Zeit giengen auch die alten eh - renveſten Lichtſtubeten ab. Die wildern Knaben fiengen izt an, zu den Toͤchtern in ihre Kammern zu ſteigen, und vor den Fen - ſtern derer Ehrenleute, deren Kinder offent - lich und unter dem Auge der Eltern bey ein - ander waren, allerley Bosheiten zu treiben, und ihnen die Freude dieſes offentlichen Zu - ſammenkommens zu verderben.

R 2Das260

Das war ein großer Schaden fuͤrs Dorf. Es kann aber nicht anderſt ſeyn. Wie die Bosheit bey einem Volke ſteigt, ſo mindern ſich ſeine Freuden, und mit ſeinen Freuden ſein Gluͤk.

Ach! es war wie wenn alles in dieſer Zeit zuſammentreffen muͤßte, das liebe, ſtille, ruhige, gluͤkliche Weſen der Alten wie aus dem Grunde zu verderben.

Das Baumwollenſpinnen, welches da - mals ganz neu war, und auf einmal einriß, trug auch vieles hiezu bey.

Die wohlhabendſten Leute in unſrer gan - zen Gegend hatten ehdem nicht Geld. Jhr Wohlſtand beſtuhnd darinn, daß ihnen Eſ - ſen, Trinken, Kleider, und was ſie brauch - ten, im Ueberfluß auf ihren Guͤtern wuchs. Sie begnuͤgten ſich damit, und wußten fuͤr ihren Gebrauch von gar wenigen Sachen, die Geld koſteten.

Die neuen Baumwollſpinner hingegen hatten bald die Saͤke voll Geld; und da das Leute waren, die vorher weder Guͤter noch Vermoͤgen hatten, folglich von Haus - halten und der Hausordnung nichts wuß - ten, wußten ſie auch nichts vom Sparen, brauchten ihren Verdienſt ins Maul, haͤng - ten ihn an Kleider, und brachten hundertSa -261Sachen auf, von denen kein Menſch bey uns nichts wußte. Zuker und Kaffee kam allgemein bey uns auf. Leute, die keine Furche Land, und nie nichts uͤbernaͤchtiges hatten, waren ſchamlos genug, und trugen Scharlachwams und Sammetbaͤndel auf ih - ren Kleidern.

Die, ſo Guͤter hatten, vermochten das nicht, und hatten nicht Zeit, mit ſpinnen Geld zu verdienen wie dieſe, wollten aber doch auch nicht minder ſeyn als das Baum - wollenvolk, das vor kurzem ihnen noch um jede Handvoll Ruͤben oder Erdaͤpfel gute Worte gab; und es giengen darum eine Menge der aͤlteſten beſten Bauren-Haus - haltungen zu Grunde, weil ſie auf ihren Hoͤfen in den Baumwollenſpinner-Leicht - ſinn hineinſezten, Kaffee und Zuker brauch - ten, bey den Savoyern Tuchkonto auf - ſchreiben ließen, und ſich nicht mehr mit dem, was ihnen wuchs, begnuͤgten, deſſen ſie freylich fuͤr ſich, und Kinder und Kinds - kinder genug gehabt haͤtten, wie ihre Vor - fahren bey hundert Jahren genug davon hatten, und gluͤklich dabey waren.

Der erſte, der in unſerm Dorf ein Scharlachwams und Savoyertuch zum Kit - tel trug, war der Hummel. Er hats zwar freylich nicht mit Baumwolleſpinnen ver -R 3dient,262dient, den er arbeitete nichts; er hat viel - mehr das Geld dazu Baumwollenſpinner - Lumpen, die mit ihm ſpielten, abgewonnen. Er haͤngte es darum an Kleider, weil er dadurch hoffte, eine reiche Baurentochter, (denn er zog allen in der Nachbarſchaft nach) zu erhaſchen.

Aber damit war es nicht ſo geſchwind richtig. Die Thaler, die er im Spiel ge - wonnen, und allenthalben geſpiegelt hatte, waren zum Sak hinaus und fort, lange ehe er ein Braͤutigam geworden. Ueber dieß iſts ihm bald ausgekommen, daß er im Spiel betriege, ſo daß niemand mehr mit ihm ſezen wollte; und da er von Ju - gend auf nicht zu den Kleidern Sorge zu tragen gelernt, ſah er in kurzem in ſeinen Hoffartskleidern, von den Schuhen an bis auf den Hut, einem landsfremden Strol - chen gleich.

Denn er hatte neu alles auf eine frem - de Art machen laſſen; und dergleichen fremdgeſchnittne Kleider ſehen, wenn ſie alt werden, immer gar viel haͤßlicher und lum - pichter aus als gemeine Landskleider.

Das war eine harte Zeit fuͤr ſeinen Hoch - muth; denn da er noch im Flor war, und mit ſeinen Thalern und neuen Kleidern Pracht treiben konnte, machte er ſich uͤberje -263jedermann, der dieſes oder jenes etwa nicht ſo hoffaͤrtig hatte als er, luſtig. Aber izt kam die Kehr an ihn. Knaben und Toͤch - ter lachten ihn izt aus, wenn er im̃er gleich hoffaͤrtig vor ſie hinſtund, und bald dieſe bald jene, die ſeiner nichts wollte, an den Arm nahm.

Der verſtorbnen Kirchmeyer Leutoldin hat ers bis ins Grab nachgetragen, daß ſie ihm vor einem ganzen Duzend Toͤchter, da er ſie auch ſo zutraulich bey der Hand nehmen wollen, zur Antwort gab: Was willſt du doch mit uns? Ding du z'Krieg; du biſt ſonſt zu nichts gut.

Lange Zeit gaben ihm izt alle Toͤchter, wenn er etwas mit ihnen wollte, dieſe Ant - wort: Was willſt du mit uns? Ding du z'Krieg; du biſt ſonſt zu nichts gut.

Und es waͤre ihm ſicher dazu gekommen, daß er das haͤtte thun muͤſſen, wenn er nicht an der Weihnacht 1751. ein lebendiges Reh - boͤklein gefangen, und dem Junker aufs neue Jahr fuͤr die junge Herrſchaft auf Arnburg gebracht haͤtte. Durch dieſen Umſtand hat er ſich im Schloß eingeſchlichen, und iſt gar bald wieder zu ganzen Saͤken voll Geld und zu aller Hoffart gelangt.

R 4Was264

Was ich izt ſage, iſt auf ausdruͤklichen Befehl unſers Gnaͤdigen Herrn, der nicht will, daß die Fehler ſeines Hauſes, die ſei - ne Herrſchaftsleute verfuͤhren und ungluͤklich machen koͤnnen; verſchwiegen und ungeahn - det bleiben.

Die damalige Unordnungen des Schloſ - ſes ſind die wahren und einzigen Urſachen, warum der Hummel bey ſeinem leichtſinni - gen, liederlichen, muͤßiggaͤngeriſchen Leben dennoch im Lande bleiben koͤnnen, und wie - der zu Geld, Vermoͤgen und Anſehn ge - kommen; und warum er bey aller Unord - nung, in der er gelebt, bey allen Geld - freſſenden Bosheiten und Verbrechen, die er gethan, und bey allem Ungluͤke, das ihn betroffen, dennoch bis auf dieſe Zeit immer in ſo weit bey Geld geblieben, daß er ſich bey Haus und Hof erhalten koͤn - nen.

Er hatte ſich nicht ſo bald ins Schloß eingeniſtet, ſo hatte er wieder die Menge gute Freunde, und das Auslachen nahm mit dem Neujahrstag und dem Rehboͤklein, das er ins Schloß fuͤhrte, im Augenblik ein En - de; denn in der andern Woche wußte ſchon jedermann, daß er alle Tage darinn ſtekte, und ausrichtete, was er wollte.

Der265

Der alte Schreiber ſah, daß er ihn brau - chen konnte, und machte gar bald Kamerad - ſchaft mit ihm; und wer nun im Schloß etwas wollte, der wandte ſich, wenn er recht hatte, bey Tag, wenn er unrecht hatte, bey Nacht an ihn; und man verbarg es nur nicht, daß man im Schloß ausrich - ten koͤnne, was man wolle, wenn man ihn zahle. Wer ihn am theurſten zahlte, war der Muͤller von Grienbach, der gab ihm ſeine Tochter dafuͤr, daß er ihm Wein und Frucht in wohlfeilen Preiſen dafuͤr zu Han - den hielt; dieſer Mann machte alſo aus him - melſchreyendem Geiz ſeine Tochter zu einem ungluͤklichen Weib.

Denn das war ſie von der Stund ihrer Heurath an bis an ihren Tod, der vorge - ſtern erfolgt iſt.

Sie liegt izt hier Staub und Aſche Eure Thraͤnen reden Verzeihung fuͤr ſie, und mein Herz iſt bewegt uͤber ihren Tod.

Friede ſey mit ihren Gebeinen, und der Todtenweker erweke ſie einſt zum ewigen Leben!

Aber ihr Vater hat ſie dahingegeben zum Opfer ſeines Geizes, einem Boͤſewicht, der ſie nicht liebte, und ſie elend machte.

Dieſer Vater wird die Leiden ihres Le - bens aufgeſchrieben finden an einem Tag,R 5an266an dem er den Werth des Weins und der Frucht, den er zum Gegenſaz ſeiner Toch - ter empfangen, anderſt ſchaͤzen wird, als in den Tagen des Unſinns, in denen er dem Manne, den er brauchte, ſeine Obrigkeit zu betriegen, Statt und Plaz gab, auch ſein Kind zu verfuͤhren. Jch habe den Muͤller ſterben, und den Jammer dieſer That mit ſich ins Grab tragen geſehen. Das Bild ſeines Todes ſchwebet noch izt vor meinen Augen, und unvergeßlich bleibt mir die Leh - re, die ſein Tod in mein Herz gepraͤgt: Daß der Menſch, wenn er um ſeiner ſelbſt willen nicht fromm und treu ſeyn wollte, es doch um ſeiner Kinder willen ſeyn ſollte.

Da der Hummel nun verheurathet, woll - te er auch mit Guͤtern groß thun; aber er war kein Bauer. Und wie haͤtte er einer ſeyn koͤnnen, ſo traͤge, ſo liederlich und un - ordentlich als er war. Es war nur Hof - fart, daß er Guͤter haben wollte. Er be - ſorgte ſie nie recht, und zog bey weitem nie daraus, was ſeine Nachbarn.

Der Kuͤhhandel hingegen war ihm ein - traglich. Er brachte aber auch viele Haus - haltungen damit um Haab und Gut. Die Armen wurden ihm bald ſchuldig, und wer ihm ſchuldig war, mußte mit ihm handeln; und wem er im Schloß einen Gefallen that,der267der mußte ihm eine Kuh dafuͤr abkauffen, oder mit ihm tauſchen. Er gab den ar - men Leuten oft in einem Jahr drey bis vier Stuͤk, aber eine ſchlimmer als die andre.

Sein Hochmuth verleitete ihn, bald nach ſeiner Heurath ſeinen Vater zu bewegen, daß er ihm Haus und Guͤter ſamt den Schul - den uͤberließ. Er verſprach dem Vater, ſo lang er noch lebe, ein ehrliches Auskom - men und liebreiche Behandlung; aber ſo bald er uͤbergeben, ließ er den alten Mann barben, daß alle Nachbarn Mitleiden mit ihm hatten. Der Kilchmeyer Kienaſt ſel. hat den alten Mann, ſo zu ſagen unterhal - ten, und ihm Milch und Brod gegeben, und mit ſich eſſen laſſen, wenn er wollte; er kam auch faſt alle Tag, und klagte im - mer mit Thraͤnen, wie gottlos ſein Bub mit ihm umgehe; aber wenn es der Junge merkte, ſo wuͤtete er gegen dem Vater, und brauchte hundertmal die Worte, er wolle ihn in den Boden hinein ſchlagen, wenn er ſich mehr erfreche, einen Mundvoll Brod in einem fremden Hauſe zu eſſen; er machte ſich auch nichts daraus, offentlich vor den Leuten zu ſagen, das beſte waͤre, der alte Lump gienge bald weiters, er nuͤze ſo nichts mehr auf der Welt.

Das268

Das alles aͤngſtigte und verwirrte den armen Mann ſo ſehr, daß er ſich in den Kopf ſezte, ſein Bub wolle ihn noch ver - giften, ſo daß er keinen Loͤffel voll Suppe ohne Angſt , wenn er wußte, daß die - ſer beym Kochen und am Weg geweſen, und allemal mit Aengſtlichkeit Achtung gab, ob er auch davon eſſe.

Man rieth dem Alten ins Schloß zu ge - hen, und dem Junker zu ſagen, wie er's mit dem Sohn habe. Er thats und bath den Junker mit tauſend Thraͤnen, er ſoll doch dem Buben zuſprechen, daß er, ſo lange er lebe, auch noch chriſtlicher mit ihm umgehe. Der Junker befahl ihm, er ſollte morgen mit ſeinem Sohne wieder ins Schloß kommen, damit er ihn auch ver - hoͤre. Der Hummel vernahm, was der Va - ter im Schloß gethan, ehe er wieder heim - gekommen war ganz freundlich mit dem Alten, ſagte, er wollte gerne kommen, und er begehre nichts als was recht ſey: aber er uͤberredte den Vater daheim und auf dem Weg, Kirſchenwaſſer zu trinken, indem er ganz zutraulich zu ihm ſagte: das macht Herz und Courage, wenn man vor die Obrigkeit will. Es war kalt und im Jaͤ - ner, und der Alte ließ es ſich belieben, denn der Bube bezahlte fuͤr ihn. Aber da erizt269izt aus der Kaͤlte in die warme Stube zum Junker kam, und ſeine Klage anbringen wollte, ſchwankte und ſtotterte er wie ein beſoffener Mann, und das Gebrannte ſtank ihm zum Munde heraus.

Der Vogt hingegen ſtellte ſich gar demuͤ - thig, that wie wenn er faſt wainen muͤßte, und ſagte: Es koͤnnte wohl nichts traurigers ſeyn, als wenn Kinder mit ihren Eltern vor die Obrigkeit muͤßten, und es ſey ihm, ſo lang er lebe, nichts begegnet, das ihm ſo weh thue; weil es aber izt doch ſo ſey, ſo muͤße er in Gottes Namen ſagen, wo der Jgel im Hag liege. Wenn er den Vater vom Morgen bis zum Abend lumpen und in Wirthshaͤuſern ſteken ließe, und dann fuͤr ihn zahlte, ſo haͤtte er gewiß nichts uͤber ihn zu klagen; aber er vermoͤge das nicht, und es ſey, ob Gott wolle, genug, daß er die ſchoͤne Sache, die er gehabt, beynahe bis auf den lezten Heller durchgebracht, u. ſ. w. Der Vogt konnte reden wie eine Dole, und allem eine Farbe anſtreichen, wie er nur wollte, und der Junker mußte wohl glauben, was er ſagte; das Braͤndt's roch dem Alten zum Mund heraus. Auch war die Sache bald richtig. Der Junker ward uͤber ihn boͤſe, und ſagte zu ihm: du alter verſoffener Lump; ich muß ja mit mei -nen270nen Augen ſehen, daß dein Sohn recht hat, und mit dir geplagt iſt. Gehe mir im Au - genblik aus der Stube, und halte dich, daß er keine Klage uͤber dich hat. Auf dem Heimwege ſagte dann der Hummel wohl zwanzigmal zu ſeinem Vater: Du alter ver - ſoffener Lump, wie iſts izt gegangen? Wann willſt 'izt wieder mit mir ins Schloß? Und ſo lange er lebte, war dies immer ſeine Antwort, wenn ſein Vater etwas klagte.

Die Bekanntſchaft mit dem alten Schrei - ber ward indeſſen immer enger. Dieſer zeig - te ihm nach und nach die Form und Ord - nung, wie man Land und Leute auſſaugen koͤnne, ohne viel dabey zu gefahren. Sie trieben dieſe Kuͤnſte in Fried und Einigkeit Jahre lang, und arbeiteten einander laͤngſt in die Haͤnde, noch ehe der alte Waibel, auf deſſen Dienſt ſie laureten, ihnen ſterben wollte.

Endlich that ers, und der Schreiber ſchlug dem Junker den Hummel zu dieſem Amt vor; dieſer nahm ihn dazu.

Jzt rieff ihn ſein Amt in die Huͤtte des Elendes. Die Gefangene kamen in ſeine Haͤnde. Treiben und Pfaͤnden ward izt das Handwerk, bey dem er ſein Brod ſuchte; und den Vater von dem hungernden Weibe,die271die Mutter von den wainenden Kindern weg - zufuͤhren, das Elend des Lebens in hundert Huͤtten aufs aͤußerſte zu bringen das war izt ſein Beruf!

Liebe Menſchen! die Gewalt der Fuͤrſten iſt heilig, und ihr Dienſt iſt ein heiliger Dienſt; aber darum ſollten die Obrigkeiten auch keine ruchloſe Menſchen in ihren Dienſt nehmen, und nicht vergeſſen, daß der Dienſt des niedrigſten Waibels im Dorf, ihr Dienſt iſt. O ihr Menſchen! Laßt uns Gott bit - ten, daß er die Fuͤrſten erleuchte, daß ſie die - ſe Beruffe auf Erden mindern, und allen - thalben mit ſtillen, demuͤthigen und gutmuͤ - thigen Menſchen beſezen. Es iſt entſezlich, wie Land und Leute verheeret werden, wenn die Fuͤrſten nicht hindern, daß ſolche Stel - len nicht mit ruchloſen Menſchen, die ſich immer zuerſt zudringen, beſezt werden.

Weder der Leutold mit ſeinen 12. Kin - dern, noch der Bauer ab dem Ruͤtihof, noch der Haſelberger waͤren zur Gant ge - trieben worden, wenn der Hummel nicht in der Zeit ſeines Waibeldienſtes, mit dem Schreiber, allenthalben ihnen ihre Schul - den aufgewekt, und alles dahin angezettelt haͤtte, daß die Gantkoͤſten von dieſen drey Hoͤfen in ihre Haͤnde kaͤmen.

Es272

Es iſt izt mehr denn zwanzig Jahr ſeit dieſen Ganten; aber das Elend, das dar - aus entſtanden, dauert noch izt, und wird noch lange dauern, wenn wir alle nicht mehr da ſind. Es ſind unter meinen 35. Allmo - ſensgenoͤßigen, 14. Abkoͤmmlinge von dieſen Verganteten; uͤber dieſe ſind noch vier Ab - koͤmmlinge von ihnen wegen Diebſtals im Zuchthaus, und 5. Toͤchter und 7. Kna - ben von ihnen ziehn im Baͤttel herum.

Er hat als Waibel ſo viele Leute ins Schloßgefaͤngniß gebracht, daß alles ehren - feſte Leben unter uns aufgehoͤrt hat. Es waren vorher viele Geſchlechter, die eine Freude daran hatten, und ihre Ehre darinn ſuchten, daß bey hundert Jahren niemand von ihrem Namen ins Gefaͤngniß gekom̃en; aber er hat es dahin gebracht, daß das nie - mand mehr ſagen konnte. Ach! es war, wie wenn er unſre Geſchlechter und unſer Volk mit Gift anſtekte waͤhrend ſeinem Dienſt, ſo ſehr wußte er alle Spur von Scham und Ehr auszutilgen, die noch unter uns war. Die Reichen ſoffen und ſpielten im Gefaͤngniß; indeſſen die Armen darinn verfaulten.

Jm ſiebenten Jahr ſeines Waibeldienſtes kaufte er das Wirthshaus und die Muͤhle, und konnte 4500. fl. baares Geld daranzah -273zahlen, ohne was er ſich fuͤr dieſe Gewerbe einzurichten ſonſt hatte.

Aber das Elend iſt nicht mit Worten aus - zuſprechen, das ſo ein Mann uͤber ein Dorf bringen muß, wenn er izt noch Wirth und Muͤller wird. Stellet euch doch vor: Mit ſeinem Anſehn im Schloſſe, Mit dem Gelde, das er izt ſchon hatte, Mit ſeinem Waibelgewalt, Mit ſeinem Geiz und mit ſeiner Schlau - heit,

Mit den Kenntniſſen, die er von allen, auch den kleinſten Umſtaͤnden in jedem Hau - ſe hatte; Stellet euch vor, ob's anders moͤglich geweſen, als daß das ganze Dorf von ihm wie verkauft worden.

Ach! wie der Fiſch im Waſſer in Schlau - ßen faͤllt, wo ſeinem Lauff ſonſt keine Oeffnung gemacht iſt:

Wie der Vogel in der Luft ſich im Garne verſtrikt, wenn es ſeinem Flug im Wege ſteht:

Wie das Wild im Feld in die Gruben faͤllt, wenn man es mit ſeiner Nahrung da - hin lokt: So fiel unſer Volk dem Hum - mel in ſeine Haͤnde, als er izt noch Wirth und Muͤller geworden.

Er wußte beſonders die Unzufriedenheit, in welcher die meiſten Menſchen mit ihrenSUm -274Umſtaͤnden leben, zu ſeinem Vortheil zu ge - brauchen, und beſaß die Kunſt, von jeder - mann wie aus dem hinterſten Winkel her - aus zu loken, wie und worinn ſie glaubten und meynten, daß ihnen Unrecht geſchehen.

Und es brauchte nur das, ſo hatte er ſie ſicher in ſeinen Klauen, und griff ſie dann an der ſchwachen Seite an, die er nun an ihnen kannte.

Waren es Kinder, waren's Dienſte, wa - ren's Eltern; er wußte mit einem jeden zu reden, und ihm ſein Zutrauen zu ſtaͤhlen.

Dem ſtoͤrriſchen Kinde ſagte er: Warum es doch einer Mutter folge, die ſo eine Frau ſeye wie dieſe.

Dem Hoffaͤrtigen: Sein Vater ſollte ſich ſchaͤmen, daß er ihm dieß und jenes nicht gebe, wie es andre haben, die gar viel we - niger im Vermoͤgen haben, als er.

Dem Fleißigen: Es ſey ein Narre, daß es ſich ſo plage, und nicht mehr Dank da - von trage.

Dem Gewinnſuͤchtigen: Es wuͤrde unter den Fremden wohl zehnmal mehr verdienen als daheim.

Dem Traͤgen: Warum es doch vom Mor - gen bis an den Abend ſo angeſpannt ſeyn moͤge, wie ein Roß am Karren.

Dem275

Dem Stiefkinde: Es ſey himmelſchreyend, was fuͤr einen Unterſchied ſeine Eltern zwi - ſchen ihm und den andern machen.

Dem Knecht, der einen guten Meiſter hatte: Es ſey gut, aber doch auch nicht im - mer, bey einem Eſel dienen.

Dem, der einen ſtrengen hatte: Wenn du dich beym Teufel verdinget haͤtteſt, du haͤt - teſt es nicht ſchlimmer, als bey deinem Meiſter.

Und ſo auch der Magd, wenn ſie ihre Meiſterleute ruͤhmte, oder wenn ſie ſelbige ſchalt. Und ſo auch dem Weib, wenn es ſeinen Mann lobte, und wenn es ihn ſchalt.

Aber allemal kam das Lied, wenn ſie dann vertraulich worden, am End dahinaus: Du biſt ein Narr oder eine Naͤrrin, daß du dir nicht ſelber hilfſt an deinem Plaz wuͤrde ich lachen, und dieß und das thun das allemal deutſch ſagen wollte, ſtihl was man dir nicht giebt, und bring's mir.

Ach! die Lehre ward ſo wohl verſtanden, daß unſer Volk ein Schelmenvolk, und un - ſere Haushaltungen elend geworden.

Die Kinder aus der Schul nahmen ihren Eltern was ſie konnten, und brachtens ihm Die Eheleuthe ſtahlen ſich ſelbſt das Jhre, und brachtens ihm Die DienſteS 2nah -276nahmen ihren Meiſterleuten was ſie konnten, und brachtens ihm.

Und ſo wie die Geluͤſte des Muthwillens und der Einbildung, ſo brauchte er auch die Noth der Armen zum gleichen Ziel er verfuͤhrte ſie mit Speiſe und Trank, und Geld, das er ihnen auf Dings (Zeit) gab, und zwang ſie dann ploͤzlich zu zahlen, was ſie nicht hatten, dann ſtahlen die Armen, und brachtens ihm.

Unter dieſen Umſtaͤnden koñte es nicht an - derſt ſeyn Die Liebe und der Glaube und der Friede, der die Menſchen ſegnet und gluͤklich macht, mußte aus allen Wohnſtu - ben weichen, und zwiſchen Eltern und Kin - dern, zwiſchen Bruͤdern und Schweſtern, zwiſchen Mann und Frau war allenthalben der Saame der Zweytracht geſaͤet Und der Saame der Zweytracht, iſt der Saame des Laſters und des Ungluͤks!

Das Laſter wuchs izt allenthalben, wie die Frucht, die im Miſt ſteht. Das Hun - derteſte kam zwar nicht aus; aber man darf doch die Zahl der Menſchen nicht neñen, die in dieſer Zeit in Bußenroͤdeln u. Kriminalak - ten des Schloſſes aufgeſchrieben ſind. Jhre Thaten ſind die Fruͤchte des Saamens, den dieſer ungluͤkliche Mann mit ſeiner Handaus -277ausgeſaͤet auch klagten ihn viele daruͤ - ber an.

Der arme Ueli ſagte unter dem Galgen: Er habe nicht den Zehnden ſo viel geſtohlen, als der Hummel ihm abgedrukt. Und es war wahr, er hatte ihm ſein beſtes Land mehr als um ein Drittel zu wohlfeil abgedrukt, und der arme Tropf hatte vorher um keinen Heller geſtohlen, bis er von dieſem gaͤnzlich ausgeſogen, und an den Baͤttelſtab gebracht worden.

Auch die Lismergrithe iſt in ſeinem Haus ungluͤklich worden, und als ſie hernach, da ſie ihr Kind umgebracht, in ſeinem Haus in Verhaft genommen worden, ſagte ſie in Gegenwart vieler von euch zum Vogt: Wenn du mich nicht ſchon einmal hier ein - geſperrt haͤtteſt, ſo waͤre ich izt nicht da: Er hat naͤmlich mit eigner Hand den Schluͤſſel von der Kammerthuͤr genohmen, in welcher der Muthwille mit ihr getrieben worden, der ſie izt das Leben koſtete. Was eingeſperrt? erwiederte ihr der Hummel, da ſie ihm dieſen Vorwurf machte. Sie antwortete ihm: Du biſt an meinem Un - gluͤk ſchuldig das koͤnnte eine Jede ſa - gen, die bey mir tanzt und trinkt, wenn ſie dann hintennach thaͤt 'was du erwiederte dieſer, riegelte die Thuͤr, und gieng fort.

Auch278

Auch von den Knechten, die von ihm wegkommen, haben mehrere wegen Dieb - ſtaͤhlen landsfluͤchtig werden muͤßen es konnte aber nicht anders ſeyn, ſie ſind in ſeinem Hauſe wie dazu gezogen worden. So lange er die Muͤhle hat, haben ſeine Karrer immer bey aller ſeiner Kundſame, dem Hausvater hinter dem Ruͤken, von der Frau, Kindern, Dienſtboten geſtohlne Frucht abgenommen, ſie hatten hinter allen Haͤgen (Heken) und in allen Winkeln ihre Oerter, wo man ihnen die geſtohlnen Saͤke ablegte.

Der Chriſtoph, der ſo lange bey ihm war, und izt aber auch landsfluͤchtig iſt, waͤre vor 20. Jahren ſchon um deßwillen beynahe todtgeſchlagen worden. Der Ruͤti - bauer merkte noch im lezten Jahr, ehe er vergantet worden, daß es mit ſeiner Frucht (Korn) nicht richtig gehe, und da er ſeine Frau, die dem Trunk ſehr ergeben war, im Verdacht hatte, gab er ſint langem auf ſie Acht, und ſah 'ſie einmal an einem Morgen faſt vor Tag, mit einem Sak Frucht, ſo ſchwer ſie tragen moͤchte, zum Haus hinaus gehen er ſchlich ihr durch einen Abweg hinter dem Zaune nach, und ſah' ſie den Sak in dem Geſtaͤude an der Steig bey dem Muͤhleweg verbergen, ließ aber die Frau, ohne ſich zu zeigen, wieder heim, und war -te -279tete hinter dem Geſtaͤude, wer izt den Sak abzuholen kom̃en werde es vergieng keine halbe Stunde, ſo kam der Muͤhli-Karrer, und nahm noch zwey ſolche Saͤke aus dem Geſtaͤude hervor, als er aber des Ruͤtibau - ren ſeinen nehmen wollte, ſchlug dieſer mit einem Zaunſteken ſo auf ihn zu, daß er in Ohnmacht fiel, und eine Viertelſtund in Mitte der Straße liegen blieb, bis man es in der Muͤhli vernommen, und ihn heimge - hollt. Sint dieſer Zeit iſt der Chriſtoph nie mehr ohne ſeinen großen Hund von Hauſe weggegangen.

Etwa im dritten Jahr ſeines Waibel - dienſtes iſt ihm ſein einziges Kind geſtorben, ein Knab, der ſein Alter nur auf 10. Jahre gebracht, und immer kraͤnkelnd und ſchwaͤch - lich, aber dabey ein gutes und from̃es Kind war. Er ſaß viel ob der Bibel, las und bethete viel, er hatte nicht Kraͤfte zu arbei - ten, aber er ſah 'das Unrecht, das in ſei - nes Vaters Haus herrſchte, und ſo jung er war, hatte er ſchon darob Thraͤnen ver - goſſen, und dann und wann unverhollen ge - ſagt: daß es ihm noch das Herz abdruͤke, dieß und jenes zu ſehen: Sein Vater haſ - ſete ihn, ſagte ihm nur Serbling und alte Grochſerinn (Jam̃erweib), und im Rauſch hatte er ihn noch etliche Mal verſpottet,wenn280wenn er laut und inbruͤnſtig bethete. Und die Magd, die in des Knaben Kam̃er ſchlief, hat bey ſeinem Tod bezeuget, daß er oft ganze Naͤchte durch gejammert, und kein Auge zugethan, wenn er dazu gekommen, daß ſein Vater Jemanden ins Ungluͤk zu bringen geſucht, und gedruͤkt. Etliche Tage vor ſeinem Tod hat er dem Pfarrer geſtan - den, daß ihm das auf dem Herzen liege, u. ihn gebethen, daß er doch, aber erſt wenn er geſtorben, mit dem Vater daruͤber rede, der Pfarrer hab's auch gethan, aber der Vater gab ihm zur Antwort: es ſcheint, der Bub ſey bis in[T]od ein einfaͤltig Troͤpf - lein geblieben, wie er bey Leben im̃er war. doch gab er in der Sterbwoche des Knaben einigen Armen etwas Ruͤben und Erdapfel zum Allmoſen.

Er hatte den Waibeldienſt neun Jahre verſehen, als der alte Vogt ſtarb.

So ſehr ihm aber der Junker gewogen war, ſo dachte er im Anfang doch nicht daran, ihn zum Vogt zu machen; er kannte einige Fehler an ihm, z. E. Sauffen, Schwoͤ - ren, und meynte fuͤr ſich gar nicht, daß er zu dieſer Stelle der beſte waͤre; aber der Waibel hatte ſo viele Vorſprecher im Schloß, vom Schreiber und Vikari an bis auf den Gaͤrtner, der viel auf dem Junker vermoch -te,281te, daß es ihm zulezt ſchien, er haͤtte im ganzen Dorf alle Stimmen fuͤr ihn. Und doch waren alles nur Ohrenblaſer, und im ganzen Dorf haͤtte der Waibel nicht fuͤnf Stimmen gehabt, wenns aufs Herz ange - kommen waͤre aber kurz, man machte den Junker glauben: Er waͤre den Leuten angenehm und er ward Vogt!

Und nun that er, ich darf das Wort wohl brauchen, es iſt hart, aber es iſt wahr, Er that nun als eine Art Obrigkeit, was er zuvor als Schelm gethan. Das er - ſte, woran er ſezte, ſo bald er Vogt wor - den, war, den Bamberger vollends zu ver - derben; denn er wußte, daß, ſo lange die - ſer an ſeinem Plaz ſeye, er in ſeinem Plaz und in ſeinem Thun nicht ſicher ſeyn koͤnne. Er kam auch bald zu ſeinem Ziel. Mit al - len andern Vorgeſezten wußte er ſich zu ver - tragen, denn er wußte allen, auf die oder dieſe Art, mit Guͤte oder mit Ernſt, bey - zukommen, daß ſie thun mußten, was er wollte.

Er miſchte ſich in alle auch Hausgeſchaͤfte des Junkers, und wußte alles, wo er Ein - fluß hatte, ſo zu leiten, daß die Sachen alle in einer Art von Trott ihren Weg fortgien - gen, ohne daß der Junker Muͤhe damit ha - ben, oder nur viel davon reden mußte, weñer282er nicht gern wollte, und machte ſich ſo mit Zeit und Jahren im Schloß ſo nothwen - dig, daß man faſt gar nicht ohne ihn fort - kommen konnte; er ließ es auch ein paarmal den Junker fuͤhlen, da er einmal in der Heu - Ernd, ein andermal auf eine Zehend-Ver - leihung nur 8. Tage nicht ins Schloß kam.

Er trachtete ferner, alle ſo Aemter hatten, bis auf die geringſten, ſo viel er im̃er koñte, unter einen Hut zu bringen Er nahm davon fuͤr ſich ſelbſt ſo viel er konnte, und fuͤr die uͤbrigen ſorgte er, daß ſie mit ihm zugethanen, und wenigſtens mit einfaͤltigen Leuten beſezt wurden; bis auf den Siegriſt (Kuͤſter) und Schulmeiſterdienſt ſchob er al - lenthalben ſeine Creaturen unter, und that dann als Vogt in unausſprechlicher Sicher - heit, was er vorher doch ſelber als Waibel noch immer mit Gefahr des Zuchthauſes u. noch groͤßerer Strafe gethan.

Das iſt naͤmlich der Unterſchied zwiſchen einem Schelmen der Vogt iſt, und einem andern der es nicht iſt; der Eid, den er auf ſich hat, und der Eid, den ſeine Creaturen ſchweren, wird zu einem Schild, mit dem er alle Verbrechen bedeken kann. Wo er dieſen Schild vorhaͤlt, da werden ſeine Luͤ - gen zur Wahrheit, und die Wahrheit ſei - ner Widerpart zu Luͤgen.

Der283

Der Werth dieſes Schilds iſt allen ge - waltthaͤtigen und ungerechten Menſchen, die auf den Doͤrfern in Ehr und Anſehen ſtehen, unbezahlbar; auch bedienen ſich die wohlge - ehrten Blutſauger bald allenthalben deſſelben je laͤnger je ſchamloſer.

Frage links und rechts, und du wirſt hoͤ - ren: wenn gemeine Leute allenthalben hun - dertmal eher Unrecht leiden, und ſich bey ih - rem beſten Recht lieber wohl und wehe thun laſſen, als es in ihren Streitſachen auf ei - nen Eid ankommen laſſen, ſo ſezen hingegen die Vorgeſezten ihren Eid ſo kurz weg und unbeſonnen zu allem, was ſie oft auch im Rauſch reden und thun, daß es einen ſchau - ren macht.

Das iſt aber auch die erſte, des vielen Elends und Leidens, das dieſe Leute inwen - dig haben, ſo wie des haͤuslichen Ungluͤks, in dem viele leben, und noch mehrere ihre Kinder hineinſtuͤrzen.

Da man naͤmlich um ihrer Eide willen faſt gar nicht hinter ihre Betriegereyen kom - men kann, und ihre Weiber und Kinder alle Tag ſehen, daß jedermann dem Vater ſeine Luͤgen als Wahrheit gelten laſſen muß, ſo werden auch ſie eben ſo gewaltthaͤtig und ungerecht, verlernen alle Art und Weiſe mit ihren Nebenmenſchen als mit ihres gleichenum -284umzugehen, daher auch allenthalben, wo die Soͤhne ſolcher Maͤnner nicht auch wieder Vogt werden, oder ein Amt kriegen, wo ſie ihre Liederlichkeit und ihre haͤuslichen Fehler mit Mantel und Eid deken koͤnnen, ſo wer - den ſie Lumpen ꝛc. und die Toͤchter, wenn ſie in gemeine Haushaltungen heurathen, wo man arbeiten ſollte, richten den wohlhabend - ſten, der das Ungluͤk gehabt alſo zu verirren, zu Grunde.

Aber ich verſchwaze mich, die Zeit geht voruͤber, und ich habe noch ſo wenig geſagt, von dem, ſo ich ſagen ſoll.

Da der Hummel nun in ſeinem Dienſt feſtſaß, griff er Jedermann, der in Holz u. Feld etwas hatte, das ihm anſtuhnd, an, wollte er ihm's nicht geben, wie er wollte, ſo hatte er einen Proceß auf dem Halſe, oder war ſonſt alle Augenblik nicht ſicher, in eine Grube zu fallen, die man ihm ge - graben.

Er griff die ganze Gemeinde an, wie ei - nen einzigen Mann. Aber wo ſo ein Vogt Meiſter, da iſt keine Gemeinde mehr, ſie muß ſogar oft ſo einem Manne noch ſelbſt beſtaͤtigen, und ihm zu Urkund und Siegel von dem helfen, was ſie in ihrer Seele weiß, daß ſie ihr abgeſtohlen. Das war der Fall mit dem Markſtein bey des Vogts Aker, dernoch285noch izt der zugepflugte Aker heißt; er war mehr als ein Drittel der Laͤnge nach der Gemeind abgefahren. Die alten Maͤnner wußten alle, daß ein Zaunſtumpen und ein Markſtein bey 50. Schritten tiefer unten ge - ſtanden, als der Vogt die neuen Markſteine geſezt aber der Zaunſtumpen war nun bey 10. Jahren ausgeſtokt, und der Mark - ſtein iſt auch wegkommen, niemand wußte wie? und die Gemeind ſezte ihm die Mark - ſteine wohin er wollte, ohne Widerrede. Da er bauete, wars wieder das gleiche; er nahm aus dem Walde was er wollte, und das Holz war ſchon gezimmert, und lag ſchon vor ſeinem Haus, als er an der Gemeind das Mehr (die Stimmen ſammeln) ließ, daß ſie es ihm bewilliget, und die Erlaubniß da - von zu ſeiner Sicherheit ins Dorfbuch hin - ein ſchreiben ließ.

Der alte Monchhoͤfler ſel. konnte das auch faſt gar nicht verdauen, und ſagte uͤberlaut: vor altem ſeyen die Dieben doch auch noch zufrieden geweſen, wenn man ſie mit dem geſtohlenen fortgelaſſen, aber izt muͤße man noch ein Zeugſame dazu geben, daß man es ihnen geſchenkt: aber es that Jedermann, als ob man ihn nicht hoͤre, und ſein Sohn ſelbſt nahm ihn ab, und ſagte: Schweig doch, um Gottes willen, wir ſind ſonſt alleStund286Stund nicht ſicher, daß er uns um Haus und Hof bringt. Der Vogt that ſelbſt, als ob er es nicht gehoͤrt, und machte die Vorgeſezten das Zeugſame unterſchreiben, und das Datum 2. Monat fruͤher ſezen.

Die offentliche Gerechtigkeit war nun in ſeiner Hand, und er brauchte ſie faſt im̃er zum Schuz derer, die Unrecht hatten, da - mit er ſich einen Anhang machte von Leuten, die ihn foͤrchten muͤßen, um mit dieſen die - jenigen zu unterdruͤken, die ihm entgegen waͤren.

Weit und breit ward nicht ſo viel geſtoh - len als bey uns, aber ſint dem er Vogt war, war faſt Niemand abgeſtraft und er machte ſich groß damit, Wenn er 5. Jahre fruͤher Vogt geweſen, ſo waͤre dem Ueli u. vielen andern gewiß nicht begegnet, was ih - nen begegnet. Er erſchwerte immer den Leidenden den Beweis wider den Frefler dem Schwachen den Beweis wider den Ge - waltthaͤtigen, und dem Beſtohlnen wider den Dieb. Er zog den Klagenden auf, bis der Beklagte entrunnen, und der Frefel bedekt war. Wenn der Klaͤger den ganzen Tag auf ihn wartete, ſo ware er nicht da - heim, aber die Nacht durch ſtuhnd dem Schelmen fuͤr Rath und That ſein Haus offen. Was du mit deinen Augen ſaheſt,muß -287mußte nicht wahr ſeyn, wenn du den Die - ben in deinem Haus ertapteſt, mußteſt du ihn noch um Verzeihung bitten, daß du ihn verklagt.

Daher entſtuhnd aber, daß ſich Jedermañ ſelber Recht zu verſchaffen ſuchte. Es ſind mehrere Perſonen auf den Tod geſchlagen worden, weil man ſich ſcheuete, ſie am Rech - ten anzugreiffen, und der Krummholzer iſt unter der Laſt ſeiner geſtohlenen Trauben aus gleichem Grund erſtikt, der Leutold und der alte Huͤgi, die ihn in ihrem Weinberg antrafen, ſtießen ihn mit der Tauſe (Buͤtte) die Stuffen ihres Weinberges hinunter ſie hoͤrten ihn unten an den Stuffen um Hilf rufen, aber ſie ließen ihn liegen, weil ſie keinen Prozeß mit ihm wollten, und fuͤrchteten, er erkenne ſie, wenn ſie ihm zu Hilfe kaͤmen, und dann helfe ihm der Vogt erlaugnen, daß er ihnen Trauben geſtohlen.

Es war auch ſicher faſt in keinem Fall mehr moͤglich, das groͤſte Unrecht, das man litt, zu erweiſen; er lenkte das Recht wohin er wollte, Wahrheit oder Luͤgen war gleich viel, was er wollte war, Ja! und was er nicht wollte war, Nein! Was im Verborgnen geredt worden, ward, wenn er daran ſezte, ausgeforſcht; und was an offener Gemeind geredt worden,ward288ward verlaugnet, wenn er wollte, daß es ver - laugnet wuͤrde.

Woruͤber er immer ſtritte, hatte er ſicher Zeugen fuͤr das, ſo er behauptete.

Auch wenn Eid und Gewiſſen dazu ge - ſezt werden mußten, ſtunden dieſe ihm bey.

Jch mag nicht viel von ihm reden ihr wiſſet wer ſie waren, und auch wie der Vogt ſie dahin gebracht, daß ſie alſo, (wie einige von ihnen ſich hernach offentlich ſelber ausdrukten) fuͤr ihn Leib und Seele dem Teufel verpfenden mußten, wenn ers von ihnen foderte.

Er verzuͤkerte ihnen freylich dieſe Pillen in jedem Fall ſo gut er koñte, und ſtellte ſo gar den ungluͤklichen Vikari an, den armen Leu - ten ihr Gewiſſen einzuſchlaͤfern.

Es gelang ihm auch viel, daß ſie ihre Zeugniſſe nicht beſchwoͤren mußten; dann gar oft gaben die Unſchuldigen, die mit ihm vor dem Recht ſtunden, wenn ſie ſahen, daß er ſolche Zeugen ſtellte, den Handel auf, und litten Unrecht, ohne Eide wider ſich gehen zu laſſen.

Und dann ſagte der Vogt dieſen Ungluͤk - lichen, das Zeugniß, das ſie izt gegeben, ſey nur ein Lug, wie es in allen Eken alle Tag hundert gebe, und auf hundert Stund weit kein Meineide, und dieſe glaubten es gern.

289

Wenn es aber dahin kam, daß ſie den Eid zu ihrem Zeugniß thun mußten, ſo wußte man ihnen die Worte, die ſie beſchwo - ren, ſo auf die Spizen zu ſezen, und aus - zudrehen, daß ſie genugſam hindienten, den Vogt den Handel gewinnen zu ma - chen, und doch nicht voͤllige gerade Luͤgen, ſonder mehr verdrehete und verkehrte Wahr - heit waren. Dieſe ſchoͤne Zeugnißgeberey war ſo bekannt, daß ein Herr aus der Nach - barſchaft den Keibaker, wie er in einer ſol - chen Handlung fuͤr den Vogt vor dem Recht geſtanden, abmahlen, und in Kupfer ſtechen ließ.

Er iſt wie lebendig getroffen. Sein Haar ſtehet ihm im Kupfer auf wie einer wil - den Sau der Borſt, die Forcht vor der Hoͤll und das Hundeherz doch zu ſchwoͤren, weil er den Mundvoll, den man ihm dafuͤr dar - wirft, vor ſich ſieht, redet ihm aus den Au - gen. Er hat eben das Maul offen, und es iſt, wie wenn man's ſaͤhe, daß er vor Herz - klopfen faſt nicht athmen kann, und aus der verſoffenen Naſe ſchnaufen muß. Die Au - gen ſind halb zu, die Stirne ruͤmpft ſich von allen Seiten dagegen und gegen die Na - ſe hinunter; er hebt juſt die drey Finger auf, und die Hand (man meynt, man ſeh ', daß ſie zittere) iſt noch voll Dinte, von einemTSchel -290Schelmenbrief, auf dem er eben ſein . ge - tolget. (*)Sein tolgen, heißt etwas anſtatt mit ſeiner Unterſchrift mit einem bezeichnen, welches oft mit großer Gefahr von Leuten, die nicht ſchreiben koͤnnen, u. auch von ſolchen, die nur ſagen, ſie koͤnnen es nicht, geſchiehet.

Unter dieſem Kupferſtich ſtehen die Worte: Ein Zeugnißgeber von Bonnal.

Es konnte kaum ein entſezlicheres Denk - mal des Verderbens unſers Dorfs erſinnet werden, als dieſe Unterſchrift.

Unſer Gnaͤdige Herr hat, da er dieſelbe lezten Winter zu Geſicht bekommen, geſagt, Er wollte lieber ſeine Herrſchaft verkauffen, und ziehen ſo weit der Himmel blau iſt, als da bleiben, wenn ſie in 4. oder 5. Jahren noch wahr ſeye, und noch auf ſein Dorf paſſen wuͤrde.

Aber er wird wills Gott nicht ziehen muͤſ - ſen, ſo weit der Himmel blau iſt. Wills Gott ſind die Tage dieſes Elends fuͤr uns voruͤber.

Jch kehre wieder zu der Geſchichte des Vogts und rede auf Befehl des Jun - kers forthin unverhollen von den wahren Ur - ſachen unſers langen Elends.

Der Vogt war in der Audienzſtube vol - lends Meiſter der Schreiber, der Wai - bel und er, waren die drey Finger an einer Hand, oder wie drey Pfeiffen an einer Orgel.

Der Vogt verſtuhnd aus dem Fundament291 den Unterſcheid der Zeit und Stund, wenn dieſe oder jene Sache fuͤr Ja oder fuͤr Nein dem Junker mußte vorgebracht werden, und war der Umſtaͤnden Meiſter, eine jede Sa - che in dem Augenblik vorkommen zu machen, der, zu dem, was er wollte, guͤnſtig war.

Weñ er etwas hintertreiben wollte, ſo redte er oft noch gar viel dafuͤr, aber ſo dumm, und verkehrt, daß er ſicher war, daß es juſt das Gegentheil wirke.

Wenn er hingegen etwas erzwingen woll - te, ſo redte er mehrentheils gar nicht dafuͤr, aber er machte andere dafuͤr reden, und lenk - te hundert Umſtaͤnde ein, die, was er woll - te, befoͤrdern, und was er nicht wollte, ver - hindern mußten.

Z. E. Da vor 4. Jahren die Elsbeth Muͤller wider des Vogts Sohn von Ryn - halden klagte, und ein Eheverſprechen vor - wies, und der Junker wider des wohlachtba - ren Herrn Untervogts Sohn gar aufgebracht war, ließ der Vogt wie aus unverdachtem Muth den Chorgerichts-Bußenrodel dem Junker auf dem Tiſch liegen, und juſt die - jenige Seiten darinn offen, in welcher eine Elsbeth Muͤller wegen naͤchtlichem Herum - ziehen und verbottenem Tanz um 5. Pfund geſtraft worden. Es war freylich eine ganz andere, das aber machte nichts.

T 2Da292

Da der Junker Morndeß den Schreiber fragte: Jſt das die gleiche Elsbeth Muͤller? antwortete dieſer: Ja und des Vogts Bub mußte nun der klagenden Tochter nicht das halbe zahlen, was der Junker ihr zuge - ſprochen hatte, wenn er keine andre Elsbeth Muͤller im Dorf, oder vielmehr keine mein - eide Beamtete an ſeiner Seite gehabt haͤtte.

So lenkte der Vogt faſt alles und das am meiſten und ſtaͤrkſten, von dem er bey dem Junker das Maul nicht aufthat. Wenn dieſer faſt mit Haaren dazu gezogen worden, zu ſehen, was da und dort wahr war, ſo wußte er ihn dennoch wieder ſeit - werts zu lenken.

Er verlaͤugnete ihm Sachen, die er ſelber geſehen, und machte ihm glauben, er habe Unrecht verſtanden, was er mit ſeinen eige - nen Ohren gehoͤrt, und wenn die Wahrheit ſo zu reden vor ihm zuſtuhnd, ſo wußte er ihn dahin zu bringen, daß er ihr den Ru - ken kehrte.

Aber er huͤtete ihm oft auch Jahr u. Tag, daß er dieß oder jenes nicht vernehme, und da und dort nicht hinkomme, wo er etwas hoͤren oder ſehen konnte, das ihm nicht in Kram diente.

Es iſt izt 5. Jahr, daß ich im Herbſt an einem Abend von Hirzau uͤber den Bergheim293heim gegangen; da ich an der Steig war, hoͤrte ich den Jaͤger nur etliche Schritt vom Weg alle Wetter fluchen, daß ſein Kame - rad die Hunde zu ſtark gegen Bonnal trei - ben laſſen wenn der Teufel, ſagte der Jaͤger, den Junker izt in dieſes Loch hinun - ter ſalzen wuͤrde, der Vogt wuͤrde mich ver - ſteinigen.

Der Grund von dieſen ſchoͤnen Worten war naͤmlich dieſer der große Waſſerſtreit war juſt obhanden, und der Vogt huͤtete gar, daß der Junker in der Zeit nicht in die Gegend der Matten komme, wo er die Un - bill der Streitſach mit ſeinen Augen haͤtte ſehen koͤnnen, und darum dorften Jaͤger und Hunde auch nicht dahin treiben.

Es iſt izt gleichviel, wenn dieſer Handel ſchon von den großen Bauren gewonnen, ſo ſage ich es doch, die Widerpart hatte zu - ſammen eben ſo viel Mattland als dieſe, und es gehoͤrte ihnen alſo auch eben ſo viel Waſſer, wenn ſie ſchon nur den Drittel be - kommen, und noch froh ſeyn mußten, daß man ihnen nicht alles genommen, denn das hatte man ihnen gedrohet, unter den ſchoͤ - nen Titeln, das Waſſer gehoͤre auf die groſ - ſen Matten, und es ſeye dem Zehnden ſchaͤd - lich, wenn man es auf den kleinen ver - ſtuͤmmle.

T 3Aber294

Aber ich muß fortfahren, und immer hundert Sachen auslaſſen, wo ich eines ſage.

Jch kann in ſeiner Hiſtori alles beſſer be - greiffen, als daß die armen Leut, die er immer betrogen, doch immer wieder zu ihm gelauffen, ihn Raths zu fragen doch was will ich ſagen, wenn der Menſch in Angſt und Noth iſt, und in Forcht gejagt worden, ſo lauft er im Schreken weiß nicht wo hin, um Hilfe zu ſuchen das Thier, wenn es gejagt wird, ſpringt ja auch ins Waſſer, und erſauft, indem es ſich retten will.

Er gab denen, die er in die Grube lokte, Rath und Wegweiſung, wie denen, die er heraus zog.

Er legte den Leuten die Worte, die ihnen bey dem Junker den Hals brechen ſollten, noch ſelber in Mund, und trieb es ſo noch weiter als die, ſo wie der David den Leu - ten den Uriasbrief doch nur in den Sak geben.

Wenn die armen Leute dann ſo aus ihrem eigenen Mund ſich verfellt, indem ſie ſich zu verantworten glaubten, und ihr Geſchaͤft verwikelten und verwirrten, indem ſie es zu erklaͤren glaubten, kam dann ihr Rathgeb zum Junker, und ſagte dieſem, er denkewohl,295wohl, dieſe Leute werden ſchon bey ihm ge - weſen ſeyn, und werden ihre Sache ſo und ſo vorgebracht haben, aber es ſeye alles faul und falſch und verdrehet, und es verhalte ſich ſo und ſo; und dieſe Art zu berichten, verſtand er ſo wohl, daß er die Leute bis auf den Ton ihrer Stimm, bis auf ihr Haͤnd - verwerffen, ihr Kopfſchuͤtteln, ihr Haͤnd zu - ſammenhalten, ihr Maulhaͤngen, ihr Maul - verbeiſſen, ihr Augenverkehren, kurz ihr gan - zes Daſtehen und Reden, wie abmahlen koñ - te, ſo daß der Junker oft zu ihm ſagte: es iſt wie wenn du in den Leuten innen ſtek - teſt, ſo weiſt du, wie ſie machen, und was ſie ſagen.

Aber das ſtaͤrkſte, womit er den Leuten ihre beſte Sache vor dem Junker verderbte, war, daß er in jedem Fall dem Junker die ſchlechte Seiten der Partey, der er zuwider war, nicht ſo faſt aufdekte, als wie von ſel - ber ihm auffallen machte; und das war lei - der in den meiſten Faͤllen nur gar zu leicht; er hatte die meiſten Haushaltungen ſchon laͤngſt verdorben, und zu einem Lumpen - und Schelmenvolk gemacht, und izt ihre Schan - de aufzudeken, brauchte es nichts anders, als daß er es wollte.

Aber auch dieſes kehrte er, wie und wenn er wollte Heute ſagte er vom gleichenT 4Mann296Mann alle Schande und Spott, daß er ein Lump und ein Schelm und ein Taugenichts ſeye, und wenn dann morgen ſein Weib oder ſein Vater kam, das gleiche von ihm ſagte, und ihn einſchranken oder vogten laſſen woll - te, ſo redte er ihm wieder das Wort, und behauptete, es ſeye gar nicht ſo ſchlimm als man thue, er mache freylich mitunter da oder dort etwas Ungeſchiktes, aber davor koͤnne man ihn nicht vogten, wenn man die - ſes mit allen Leuten, die ungeſchikte Sachen machen, vornemmen wollte, man wuͤßte nicht genug Voͤgte aufzutreiben, es habe mancher ſchon hundertfach wieder zuſam̃en gebracht, was er im Anfang verhauſet, und wenn man nur rechne, was der Vogtslohn bringe, und was ſonſt krummes und verderb - liches in einer Wirthſchaft entſtehen muͤſſe, wenn ein fremder Meiſter darinn hauſe, ſo zeige ſich bald, daß einer gar viel verlumpen koͤnne, ehe der Schaden ſo groß, als wenn man ihn vogte u. ſ. w. Kurz, er war im - mer dagegen, wenn man einen Uebelhauſer einſchraͤnken wollte. Er redete deßnahen viel und oft wider das Vogten, und erzaͤhlte hundertmal, daß er im ** Amt ſelber vor Audienz geſtanden, da der junge reiche Traͤu - beli ſeinem Vogt die Rechnung abnehmen muͤſſen; das Geld ſeye auch um ein paar1000.2971000. fl. geſchwinnen, und der Traͤubeli ha - be von allem, was man ihm vorgeleſen, nichts begriffen, als daß einmal er das Geld nicht empfangen, welches mangle. Am End fragte ihn der Junker Oberamtmann, was er izt zu dieſer Rechnung ſage? Es duͤnkt mich halt, erwiederte Traͤubeli, wenn der Teufel gevogtet wuͤrde, ſo kaͤm er um die Hoͤll.

Und ſo iſt's in Gottes Namen, mit dem Vogtweſen (Vormundſchaft), ſagte dann der Hummel, in der Welt allenthalben; er re - dete aber auch aus Erfahrung, und ich habe nicht noͤthig, euch zu erzaͤhlen, wie er mit dem Gut der Waiſen umgegangen, ihr wißt es ſelber; er redte nur darum wider das Vogtweſen, weil ſein oberſtes Ziel immer war, alle Leute ſo lang auſſaugen zu koͤnnen, als ſie noch etwas haͤtten, und hiezu waren ihm immer die Liederlichen und die ſo in Ver - wirrung lebten, am tauglichſten; er ließ da - rum auch keine Haushaltung mehr in der ſtillen eingeſchrankten ehrenfeſten Ruhe und Eingezogenheit, die unſere Alten ſo gluͤklich machte wo ein Haus noch ſo lebte, ſo ruhete er nicht, bis er Streit und Verwir - rung in daſſelbe hineingebracht, und ſagte offentlich, wo Fried iſt, und alles gut mitT 5ein -298einander, da iſt eine Obrigkeit nur halb meiſter.

An dieſem verfluchten Wort iſt kein Duͤpf - li wahr, und wenns eine Oberkeit ſelber glaubt, ſo iſt ſie blind, und verſteht ihren eig - nen Vortheil ſo wenig als den Vortheil ih - res Lands.

Aber wenn ſolche Purſche von der Ober - keit reden, ſo meynen ſie nur ſich ſelber, u. die Oberkeit, die ſie in Mund nehmen, liegt ihnen am Herzen, wie den Waidbuben der Stamme am Baum, an dem ſie hinauf klettern, ſeine Fruͤchte zu frefeln.

Wenn dieſe Buben auf dem Baum ihre Saͤke gefuͤllt, ſteigen ſie am Stamm wieder hinunter, legen ſich an den Schat - ten des Baums, und zuͤnden in der Hoͤh - lung des Stam̃es noch Feuer an, ihre Ae - pfel zu braten ob der Baum davon ver - dorre, und uͤbers Jahr keine Fruͤchte mehr bringe, liegt ihnen am Herzen, juſt wie ſol - chen Voͤgten der Nuzen der Oberkeit.

Nein, wer Schelm iſt und Dieb und un - gerechter Mann, und hartherziger Menſch, dem liegt der Nuzen von keiner Oberkeit am Herzen, und wenn der Hummel dieſen Na - men in Mund nahm, ſo war es nur unter ſeinem Schuz, ſchwache arme hilfloſe Men - ſchen ins Ungluͤk zu bringen.

Jch299

Jch will das einige Beyſpiel des Wer - bens anbringen Er lokte unter dem Ti - tul, bey den Werbungen ſeye alles frey, fremde Purſche in ſein Haus, ließ ſie zu - erſt alle Bosheit treiben, und ſpielen und ſauffen; wenn aber der Kerl, den er ſuchte, dadurch nicht ins Garn wollte, ſo nahm er ihn dann beyſeyts, fragte ihn als Vogt um Kundſchaft und Handthierung, zerriſſe ihm wohl gar ſeine Paͤſſe, nahm eine Sprache an, wie wenn er vor Sorgfalt fuͤr's Land, und vor oberkeitlichem Dienſt und Treu ver - berſten (zerſpringen) wollte Du biſt ein Strolch (Landſtreicher) und ein Taugenichts, ſagte er dañ zu ſolch einem armen Tropf, du ziehſt dem Schelmenleben nach, gaͤll, du magſt deinem Koͤnig nicht dienen, und deinen El - tern nicht folgen, und nicht arbeiten, darum kannſt du nicht zu Haus bleiben, u. willt in unſerm Land dich mit Schlendern und Baͤtteln und Leutbetriegen erhalten. Ja, unſer Land iſt ein freyes und gelobtes Land, aber nicht fuͤr Strolchen, die keine Hand - thierung haben wie du. Dann drohte er mit Pruͤgeln, mit Einſperren, mit ins Ober - amt fuͤhren, bis der arme Teufel entweder Dienſt nahm, oder ihm etwas von ſeiner Waar zum Dank gab, daß er ihn wieder frey ließ So brauchte er den NamenOber -300Oberkeit, naͤmlich wenn er am gewaltthaͤtig - ſten brandſchazen wollte.

Der Mittelpunkt ſeines Greuel-Lebens war, daß er es gar nichts achtete, ob die Menſchen um ihn her des Lebens Nothdurft haben oder nicht.

Hundertmal, wenn man ihm von der Noth der Armen, und von dem Elend der Wittwen redte, gab er zur Antwort: Es waren immer arme Leute, und werden im̃er arme Leute ſeyn, und der lieb Gott weiß wohl, warum er den einen viel, und den andern nichts giebt.

Denn bey allem ſeinem Teuffelleben nahm er den Namen Gottes dennoch oft in Mund, und liebte ſogar dann und wann eins von der Religion zu ſprachen, und uͤber allerhand Gruͤbeleyen von dem Himmel und von der Hoͤll zu erzaͤhlen, und erzaͤhlen zu hoͤren, was man z. E. im andern Leben thun, und nicht mehr thun werde womit man ſich Freud machen, und womit man ſich die Zeit ver - vertreiben werde woran man ſich auch wieder erkennen, und ob man vielleicht des Großvaters Vater, und Leute, die man geerbt, aber nie geſehen, doch auch erken - nen werde, und dann von der Hoͤll, ob ſie doch auf der Welt ſey? und bey dem Berg, der Feuer ausſpeyet, und Schwefelbaͤch ſogroß301groß als der Rheyn uͤber ſolche Sachen ſchwazte er oft ganze Abende, und der Vi - kari gab ihm fuͤr Wein und Geld Sachen an, daß man nicht begreiffen kann, wie ein Mann, der ſonſt ſo viel Verſtand hatte, ihm zuhoͤren, und ihm glauben konnte aber er hatte ſeinen Verſtand nur bey Schel - menſachen, in andern war er dann wie ein Kind, und ließ ſich vorluͤgen und angeben was man wollte; aber in ſeinem Handwerk da fehlte es ihm nie weder am Verſtand noch an Worten. Er war im Stand einem An - geklagten zuzuſprechen wie ein Pfarrer; aber Jedermann wußte, daß ihm hierinn nicht ernſt war, und er ſagte es in ſeiner Stube, wenn er allein war, dann ſelber, das muͤße auch ſo ſeyn, und ein Mann wie er, muͤſſe ſich hundertmal ſtellen, wie wenn er wild und taub (entruͤſtet) ſey, wenn er ſchon das Lachen hinter den Stokzaͤhnen faſt nicht ver - bergen koͤnnte.

Auch hielten ſich die Kerls, denen er ſo vor Audienz und vor Chorgericht zuſprache, wie in der Komoͤdie ſie ſtuhnden da wie hoͤlzerne Bloch, und ſagten kein Wort, als was ſie auswendig gelernt, und das lautete immer alſo: Es iſt doch nicht wahr, ihr moͤget izt ſagen, was ihr wollt.

Sie302

Sie hatten gut Komoͤdie ſpielen, er ſagte es ihnen voraus, er werde offentlich wider ſie thun und reden wie der Teufel, aber das werde ihnen nichts ſchaden, wenn ſie nur kek ſeyen, und ſtandhaft fortlaugnen, er und die andern moͤgen ſagen was ſie wollen.

Er gieng hierinn ſo weit, daß wenn die Fehler ſolcher Leute troz ihrem Laugnen gar zu deutlich waren, ſo war er der erſte, der anrieth, man ſollte den Ernſt brauchen, und ſie einſezen, ſie werden dann wohl be - kennen.

Aber auch das war Komoͤdie, denn er red - te auch das mit ihnen ab, lachte ſie aus, wenn ſie ſich vor dem Gefaͤngniß foͤrchteten, ſagte ihnen, ſie werden nicht die erſten, und nicht die lezten ſeyn, die darein muͤſſen, er - klaͤrte ihnen Tag und Stund, wie lang man ſie inne halten koͤnne, und alles, was man mit ihnen vornemmen werde wenn du das aushalteſt, ſo muͤſſen ſie dann darnach dich wieder gut und beſſer machen, als du vorher nie wareſt, und nie werden wirſt war das Wort, womit er endete.

Er erzaͤhlte ſolchen Leuten gar oft das Exempel des Rudis von Loͤrbach, den izt die Herren von Kazenſtuhl erhalten muͤſſen, weil er von hundert Sachen, die ſie ihn ge - fragt, keine einzige bekennt.

Das303

Das war ein Mannli ſagte dann der Vogt. Jch habe es aus ſeinem eigenen Mun - de, daß er an der Folter wie darvor und darnach immer ſich beſizen und denken koͤnn - te, Nein, gehe ſo geſchwind zum Maul her - aus als Ja.

Jch muß wohl nicht ſagen, wie durch ſolche geheime Lenkung und Verdrehung des Rechts, die Herzensverhaͤrtung unter uns ein - gewurzelt, die unſer Elend auf den hoͤchſten Gipfel gebracht.

Ach! das alte fromme Schamrothwerden, das gute menſchliche Bekennen, Wainen, Abbitten, das der Herzensverhaͤrtung ſo ſehr huͤtete, und ſo natuͤrlich zur Sinnesaͤnde - rung und Beſſerung fuͤhrte, iſt aus unſerm Volk wie verbannt, und es iſt ſogar ein of - fentliches Spruͤchwort unter uns, der ſey kein Mann, der nicht ihrer drey und vieren ins Ansgeſicht weglaugnen koͤnne, was ſie geſehen daß er gethan, und alles Volk, jun - ges und Altes, Weib und Mann, Knecht und Magd, und ſogar die Schulkinder wiſ - ſen izt bey uns von nichts anderm mehr, als bey allem, was ſie fehlen, ſchamlos zu laͤug - nen, bis ſie uͤberwieſen, und auch die Ue - berwieſenen ſchaͤmen ſich nicht, und brau - chen ihr Maul, wie wenn ihnen Gewalt u. Unrecht geſchaͤhe.

Die -304

Dieſe Schamloßigkeit in unſrer Mitte, iſt vielleicht das groͤſte und unheilbarſte Un - gluͤk, welches der Vogt in ſeinem Leben bey uns veranlaßet. Jch eile weiter.

So wie er alles, was boͤs und ſchaͤdlich und verderblich war, that, ſo hintertrieb er alles, was gut und nuzlich war.

Er wollte nie zugeben, daß man den Schuldienſt verbeſſere, und ſagte daruͤber: es ſeye juſt nicht noͤthig, daß ein jeder Baͤt - telbub beſſer ſchreiben und leſen koͤnne, als er.

Er hinderte immer, Gras-Einſchlaͤge auf den Feldern zu machen, und da man ihm vorſtellte, das Dorf wuͤrde dadurch doppelt ſo viel Vieh erhalten, und dann natuͤrlich um ſo viel mehr magere Aeker miſten und bauen koͤnnen, gab er zur Antwort: Es ſeye eben nicht noͤthig, daß alles ſo reich werde, ſo lang er lebe, handle er gern mit wohlfei - len Aekern, und das wuͤrde grad aufhoͤren, wenn ein jeder miſten koͤnnte, ſo viel er woll - te und wenn er tod ſeye, ſo ſey es ihm gleichviel, ob ſeine Guͤter viel oder wenig gelten.

Er hinderte auf alle Weiſe, daß nie kei - ne Fremden ſich im Dorf ſezen konnten wenn es ſchon Ehrenleute waren, und auf - fiel, daß ſie Geld und Verdienſt ins Dorfbrin -305bringen wuͤrden, ſo ließ ers doch nicht ge - ſchehen.

Er hinderte die Gemeindsgenoſſen immer, die neuen Feuerſtellen auf den Zelgen außert dem Dorf zu errichten, und da man ihm an der Gemeind ſagte, es waͤre doch wegen Feuersgefahr beſſer, gab er zur Antwort: es ſeye noch kein Dorf verbrunnen, man habe es auch wieder aufgebaut; und warum man doch alles anders haben wolle, als die Alten. Jndeſſen ſtuhnd ſein Haus allein, und hatte nicht die gleiche Gefahr wie die andern, und er geſteht izt ſelber, daß er al - lemal, wenn der Wirth von Leibach und Hirzingen, welche beyde Doͤrfer bey ſeinem Denken abgebrannt, zu ihm gekommen, und erzaͤhlt, was fuͤr gute Zeiten ſie nach dieſen Brunſten gehabt, ſo ſeye ihm allemal der Gedanke aufgeſtiegen: wenn er dieſes Gluͤk nur auch einmal haͤtte!

Jch bin muͤde, von ihm als Vogt zu re - den noch einen Augenblik muß ich von ihm als Wirth und Muͤller erzaͤhlen.

Er machte mit niemand nie friſchen Tiſch, und es war immer mit allen Leuten, die in ſeinem Buch ſtanden, ein ewiges Hangwe - ſen; er trachtete immer, daß jedermann, mit dem er in Rechnung ſtand, nicht mehrUſi -306ſicher und richtig wiſſe, wie eins auf das andere gefolgt.

Die Unordnung ſeines Hausweſens war aber auch ſo, daß er nicht mit den Leuten in der Ordnung haͤtte rechnen koͤnnen, wenn er auch haͤtte wollen; bald ſchrieb er ins Buch, und die Frau an die Wand, und am Samſtag kam's dann natuͤrlich, wenn man die Wand abwiſchen wollte, doppelt ins Buch.

Wenn ihm in ſeiner Einbildung in Sinn kam, er habe dieß oder jenes aufzuſchreiben vergeſſen, (und dieß geſchah nur gar zu oft, inſonderheit in Naͤchten, wo er nicht wohl ſchlafen konnte) ſo machte er kurz weg in ſeinem Buch aus einer 0. ein 6. aus einem 7. ein 9. oder ſezte einen Zehner voraus, oder eine 0. hinten an, wie er meynte, daß es gehen moͤchte. Er ließ im Buch und in den Handſchriften auf Gefehrd hin Luͤkken aus, daß er hinein ſchreiben und verfaͤlſchen konnte, was er wollte. Er gab die alten und bezahlten Handſchriften, wo er immer konnte, nicht heraus, verlaugnete ſie, be - hauptete, ſie waͤren zerriſſen, verbrannt oder verloren. Wenn er dann aber mit jemand Streit bekam, ſo nahm er ſolche Papiere allemal wieder hervor, und brauchte ſie wie gute.

Wen307

Wen er am haͤrteſten druͤkte, waren Leute, von denen er Boͤſes wußte, und die ſich foͤrch - ten mußten, er bringe es ihnen aus; auch wer ihn ſelber zu betriegen, oder ihm etwas abzulaͤugnen probierte, war im gleichen Fall.

Solchen Leuten doppelt aufzuſchreiben was ſie ſchuldig, oder eine Priſe Tabak zu neh - men, machte dem Vogt gleich viel Muͤhe.

Wenn ſo einer ein Maul aufthat, als ob er ſich klagen wollte, ſo war die Antwort kurz: du Schelm, du Dieb, willt du mirs wieder machen wie geſtern? meynſt ich hab 'deine Schelmen-Handſchrift verloren? u. ſ. w.

Es war ihm allemal, wenn er jemand Un - recht that, wie ein Balſam uͤber das Herz, wenn er ſich auch nur einbilden und vorſtel - len konnte, der Mann, den er unter den Haͤn - den hatte, ſey ein Schelm, und habe ihm auch Unrecht gethan, oder wenigſtens thun wollen.

Als er den Schaffner Knipperſchild bey Abzahlung eines Kapitals um 50. fl. betro - gen, erzaͤhlte er den ganzen Heimweg ſeinen Kameraden, wie daß der Schaffner ein Hund ſeye, der einem das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤke, und wie er ihm in den zwanzig Jahren, da er das Kapital verzinſet, kein einziges Mal kein Glas Wein, und keinU 2Trink -308Trinkgeld gegeben, und er wollte doch ſeinen Kopf dran ſezen, daß er es der Herrſchaft verrechnet.

So war's in allen Faͤllen, er moͤchte zu thun haben, mit wem er wollte, ſo war immer ſein Wort: er iſt der u. der, wenn er mich unter den Haͤnden haͤtte, er wuͤrde noch anderſt mit mir fahren ja, wenn's ein andrer waͤre, ich wuͤrde mir ein Gewiſſen machen, ſo mit ihm umzuge - hen: aber mit dieſem da, mache ich mir kein's. Kurz, wenn er einen haßte, ſo ware im Augenblik kein groͤßerer Schelm zwiſchen Himmel und Erden, und wenn er einen aus - ſaugen wollte, ſo hatte er auch allemal wie - der hundert Gruͤnde, dem Lumpen u. Schel - men nicht zu ſchonen, weil's nur der ſey.

Mit allem dem hatte er dennoch mit Lum - pen und Schelmen noch am wenigſten Streit.

Zwar muß ich bekennen, er hat auch mit einigen redlichen Leuten ohne Streit auskom - men koͤñen; aber weñ man naͤher erforſchte, was das fuͤr Leute geweſen, ſo fand ſich, daß es ſchwache nachgebende Menſchen, und einige davon wirklich etwas liederlich, oder wenigſtens nicht genaue Haushalter geweſen; Er hatte es mit dieſem doppelt gut er ſog ſie aus, und machte ſich dann doch groß, daß er mit ihnen ſo und ſo lang ohneStreit309Streit fortgekommen, und ſtrich beym Wein ſeinen Kameraden hoch aus, was das fuͤr Leute ſeyen, die ihres gleichen zwiſchen Him - mel und Erden nicht haben, und wie gut ſie mit ihm ſeyen, u. ſ. w. Wenn er dann aber auch mit ihnen in Streit kam, ſo waren es im Augenblik auch wieder Schelmen wie die andern all, und Narren oben drauf.

Aber wer am haͤrteſten bey ihm den Kopf anſtieß, war der Mann, der Ordnung lieb - te, der ſtill und bedaͤchtlich in ſeinem Thun einher gieng, den Kreuzer zweymal umkehr - te, ehe er ihn ausgab, und Treu und Glau - ben foderte, weil er ſelber Treu und Wort hielt; mit ſolchen Leuten war er wie Feuer und Waſſer, und ruhete nicht, bis er ſie aufgerieben.

Dafuͤr war er ſo bekannt, daß jedermann im Dorf offentlich ſagte, es ſey ein Wun - der, daß er den Baumwollen-Meyer nicht meiſtern moͤgen.

Er iſt naͤmlich mit dieſem zu ſpat gekom - men. Der Baumwollen-Verdienſt, den der Meyer ins Dorf brachte, gefiel dem Vogt gar zu wohl, ſo lang die Leute ihn ganz im Wirthshaus verfraßen und verſof - fen; erſt da er ſah, daß der Meyer reich werden wollte, und auch einige andere ihren Verdienſt zuſammenhielten, fieng er an, denU 3er -310erſten anzufeinden, und auf das Baumwol - lenweſen uͤberall zu ſchimpfen, daß es wie die Peſt im Land ſeye, und nur Kruͤppel und Serbling pflanze.

Und es iſt wahr, wo das Wirthshaus aus den Vaͤtern und Muͤttern eines Dorfs ein Schelmenpak macht, da werden ihre Kin - der beym Baumwollenſpinnen freylich Kruͤp - pel und Serbling. Unſer Dorf iſt leider ein lebendes Exempel dieſes großen Ungluͤks; aber es koͤnnte eben ſo wohl anders ſeyn, als es izt ſo iſt. Der Gertrud Kinder, die in unſerm Dorf das reinſte Garn ſpin - nen, ſind von den geſuͤndeſten und ſtaͤrkſten; aber ja, wenn der Vogt meiſter worden waͤre, wie er's im Vorhaben hatte, ſo iſt's wohl moͤglich, daß auch dieſe Kinder mit Zeit und Jahren beym Baumwollenſpinnen Serbling geworden waͤren wie viele andere.

Der Meyer ſah ein, daß das Wirthshaus der Grund des Unſegens dieſes neuen Ver - dienſts iſt, und ahndete taͤglich, wie him - melſchreyend es ſeye, daß niemand hauſe, und auch etwas fuͤr das Alter, und Kind und Kindskind beyſeits lege.

Aber, wenn einer ſo redte, ſo war's, wie wenn er dem Vogt ins Herz griffe; auch war er wie wuͤthend gegen den Mann, u. wiegelte ihm ſo gar ſeine Arbeiter auf, daßſie311ſie ihm laugnen ſollten, was ſie ihm ſchul - dig.

Der Meyer mußte auf einmal mit dreyen, die alle die gleiche Sprache fuͤhrten, vor's Recht.

Er war in ſeiner Verantwortung kurz, aber ſtandhaft, und hielt ſich wie er mußte, an ſeinem Buch; aber es dunkte den Junker ſelber bedenklich, daß ihrer drey auf einmal die gleiche Sprache fuͤhrten. Man ſchob den Handel auf, und der Vogt ſagte links und rechts uͤberlaut: es laſſe ſich, wenn man Dinten u. Federn habe, auf's Papier ſchrei - ben, was man wolle, und Buch hin, und Buch her, ſo thaͤte der Meyer beſſer, er wuͤrde das nicht zu weit treiben, wenn ihrer drey die gleiche Sach ſagen, ſo ſey's faſt wie bewieſen, und wenn er im Unrecht erfun - den werde, ſo koͤnne man ihm ſein ganzes Buch unter den Tiſch hinunter wiſchen.

Das Gemuͤrmel, das ſolche Reden veran - laßten, entruͤſteten den Meyer ſo, daß er in Gegenwart von mehr als zehn Gemeindsge - noſſen dem Vogt zur Antwort ſagen ließ: Er meyne, er habe ein redliches und auf - rechtes Buch, und wenn ihrer hundert Schel - men ein jeder in ſeiner Sach dawider ſtrit - ten, ſo muͤßte ſein Buch ihme wider alle hun - dert gut genug ſeyn, oder er wollte kein WortU 4mehr312mehr darein ſchreiben, und ſezte hinzu Ja, wenn ich ein Buch fuͤhrte wie der Untervogt, dann waͤrs freylich was anders, dann ver - diente ich freylich nicht nur, daß man mir daſſelbe unter den Tiſch wiſchte, ſonder noch dazu, daß man mich an Galgen thaͤte.

Dieſe Rede war wie natuͤrlich dem Vogt ganz warm, und noch als foͤrmliche Ant - wort an ihne, hinterbracht. Man haͤtte ihn bey nichts angreiffen koͤnnen, das ihme ſo empfindlich geweſen; er iſt auch erſchro - ken, daß er faſt nicht antworten koͤnnen; aber er uͤberwand ſich, that, als ob er es nur halb verſtanden, und ließ dem Meyer nur antworten, er werde die Sach etwa nicht ſo boͤs verſtanden haben, als ſie ihm hinter - bracht worden.

Der Meyer aber blieb ſtandhaft, u. ließ ihm ſagen, er ſeye vollends nuͤchter gewe - ſen, und habe mit allem Vorbedacht geredt, was ihm hinterbracht worden, und wenn er glaube, daß er ihm Unrecht gethan, ſo wolle er ihm vor dem Recht Red und Ant - wort geben.

Der Vogt dorfte es nicht auf das ankom - men laſſen, mußte den Schimpf verſchmer - zen, und die drey Arbeiter ſtunden ſamtlich von der Klag ab, und geſtuhnden dem Meyer, daß der Vogt ſie zuerſt aufgewiegelt, aberizt313izt ihnen auch gerathen, die Sach nicht wei - ter zu treiben.

Der Junker verwunderte ſich am naͤchſten Audienztag gar, daß keiner von ihnen erſchie - ne, und fragte den Vogt, was der Grund davon ſeyn moͤge? Es ſcheint, antwor - tete dieſer, ſie ſeyen Schelmen, und trauen ſich nicht mit dem, ſo ſie angebracht. Du haſt ihnen denn doch die Stange ſtark ge - halten, ſagte der Junker. Jaͤ ich meyn - te auch, ſie haͤtten recht, ſo ihrer drey mit einander erwiederte der Vogt.

Aber ich muß fortfahren, und die hundert tauſend Thaten ſeines Hausbuchs, und die hundert tauſend Thaten ſeiner Amtsſtell vor - beygehen, wie wenn ſie nichts waͤren, euch noch zu ſagen, was vor ein End der Mann genommen, der dieſes alles gethan hat.

Jch weiß nicht, warum es ſo iſt aber es iſt ſo. Vor großen Abaͤnderungen unſerer Schikſaale gehen gemeiniglich Sa - chen vorher, die unſer Gemuͤth auf eine maͤch - tige Weiſe einnehmen, und uns wie Ahn - dung werden, deſſen was uns vorſteht.

Es wird izt den 16ten Brachmonat 6. Jahr, da er an einem ſchoͤnen Morgen, fruh ins Feld gieng.

Das reiffe Gras duftete Wohlgeruch um ihn her.

U 5Die314

Die ſchoͤne Saat wallete in hohen Aeh - ren, und weit und breit war an dem Ort, wo er ſtand, alles ſein. Er ſang in ſei - nem Uebermuth ein geiles Lied; er gaͤl - lete und wieherte laut, wie ein junges Roß auf voller Waide.

Jndem er ſo ſtehet, und ſein Haupt ſtolz umher wirft, hoͤret er ein Zettergeſchrey, und erblikt ein Weib und fuͤnf Kinder, die ſich unter einer Eiche heulend auf dem Bo - den welzten; ob ihrem Haupt hieng ihr Va - ter er erkennt ihn, es iſt der Stichelber - ger, der geſtern noch mit ihm gerechnet, u. beym weggehen von ihm wie halb verzwei - felnd die Worte ausgeſtoßen: Vogt! ich la - de dich ein ins Thal Joſaphats, auf eine an - dere Rechnung. Der Vogt erinnerte ſich izt mit Entſezen dieſer Worte, und aller Muth und alle Freude iſt ihm von dieſer Stund an entfallen: aber er aͤnderte ſich um deßwillen um kein Haar, als nur, daß er noch viel muͤrriſcher und laͤuniger worden, als vorher.

Jm Jahr darauf ward er krank es griff ihne mit einem heftigen Kopfſchmerzen an; er warff ganze Glaͤſer Brandtewein uͤber den Kopf, die Schmerzen zu ſtillen, ließ viermal nach einander ſo ſtark zur Ader, daß er in eine Schwaͤche verfiel, die ihn beynaheins315ins Grab gelegt haͤtte; aber er wollte auch da er am aͤußerſten war, vom Tod nichts hoͤren, ſagte des Tags ſeine zwanzig und dreyßigmal, auch wenn ihn kein Menſch fragte, es fehle im nur im Kopf und in den Gliedern, um's Herz ſey er ſo geſund als ein Reynegli. (*)Reynegli, ein kleiner Fiſch, der ein ſehr ſtar - kes Leben haben ſoll.

Er zwang ſich, da er weder ſtehen noch gehen konnte, alle Tage aus dem Beth, ließ alle Tag, wenn er auch faſt nicht reden konnte, dieſen oder jenen zu ſich kommen, um etwas zu meiſtern oder zanken zu koͤnnen.

Jedermann gab ihm natuͤrlich waͤhrend der Krankheit vor Augen und hinterm Tiſch gu - te Wort; aber jedermann ſuchte auch wie - der ſo geſchwind moͤglich von ihm wegzukom - men. Und die Forcht vor ihm minderte im ganzen Dorf; es wußte es ein jeder, daß es ihn aufbringe, wenn man ihm ſagte, er habe ſo ſtark abgenommen, oder er ſehe noch ſo uͤbel aus, und doch gieng faſt kein Tag vor - uͤber, daß das nicht jemand, und meiſten - theils noch aus Bosheit zu ihm ſagte. Er mußte ſieben Wochen nach der Krank - heit noch am Stabe gehen, und ſah um zehn Jahr aͤlter aus.

Je -316

Jedermann hatte es vor ſicher genommen, ſeiner los zu werden, und in den erſten Ta - gen ſeiner Krankheit friegen alle Nachbarn einander den Tag uͤber wohl zehn und zwan - zigmal, wie es um ihn ſtehe? und am Morgen zuͤkten Alte und Junge die Achſel, wenn es hieß: er hat einmal die Nacht uͤber - ſtanden, und ſey noch da.

Spaͤter toͤnte die Sache noch uͤbler Jch hab 'ihn heut wieder donnern gehoͤrt wie vor altem es fallt mit ihm wieder auf die ſchlimmere Seite er hat uns vergebens lange Zaͤhn gemacht; Unkraut verdirbt nicht, es faͤllt eher ein Regen darauf und auch was den Voͤgeln gehoͤrt, wird nicht den Fiſchen das war die Sprache, die Jun - ges und Altes uͤber ſeine Geneſung fuͤhrte und als er izt wieder aufkame, und ſich in Holz und Feld, in der Kirche und im Schloß ſtolz und kek wieder zeigte, war's nicht an - derſt, wie wenn dem Dorf das groͤſte Un - gluͤk begegnet waͤre, ſo ſtill und betroffen war jedermann.

Er hatte ſich in Kopf geſezt, es werde ihm Jung und Altes die Haͤnde entgen ſtre - ken, und Gluͤk wuͤnſchen, daß er wieder ent - ronnen; aber es kam niemand kein Sinn da - ran, und er ſah mit ſeinen Augen, daß Wei - ber und Maͤnner ſtarke Schritte nahmen,um317um ihm links und rechts aus dem Weg zu weichen, wo ſie auf ihn ſtießen.

Vor der Krankheit war ers gewohnt ge - weſen, daß auch diejenigen, denen er das Blut unter den Naͤgeln hervorgedruͤkt, noch gut mit ihm waren, bey ihm ſtillſtuhnden, ihm die Hand druͤkten, und allerhand mit ihm ſpracheten, was ihm zu Lob und Ehr gereichte, und ihm Freud machte, wenn ih - nen ſchon das Herz im Leib vor Schreken klopfte, wenn ſie ihn nur ſahen; aber es braucht hiezu, daß einer geſund ſey, und den Leuten ſo zu ſagen alle Augenblik auf dem Naken ſize, und vor Augen ſtehe, ohne das kanns kein Tyrann erzwingen, daß ein Volk, welches ihn auf den Tod haßt, ihm doch immer vor den Augen gute Worte gebe, u. eine gute Mine mache.

Der Vogt war izt krank, und den Leuten ab den Augen gekommen, und es war ih - nen in den drey Monaten, da er inne gele - gen, ſo wohl, daß ſie nicht anderſt konn - ten, als ihm izt zeigen, wie froh ſie ſeyen, wenn er ihnen drey Schritt vom Leib weg ſteht.

Daß mirs die verfluchten Buben auch ſo zeigen doͤrffen war izt ein Wort, das ihm beynahe alle Viertelſtund zum Maul heraus wollte; aber es gieng ihm auch dar - nach.

Er318

Er fand ſelbſt den alten Junker ganz ge - gen ſich veraͤndert und als er ihn bey der erſten Aufwart im Schloß zutraulich im alten Ton fragte: Was haͤttet ihr geſagt, wenn ich unter den Boden muͤſſen? antwor - tete der Junker: Ha ich haͤtte geſagt, es waͤr ein boͤſer Bub minder. So! erwiederte der Vogt Und der Junker Es iſt einmal wahr es war, wie wenn du allen Streit und Zank mit dir un - ter die Deke genommen, ſeit dem du im Beth liegeſt.

Jhr hattet doch auch Arbeit, die ihr ſonſt nicht hattet, ſagte der Vogt.

Das iſt wahr, ſagte der Junker, aber ich fand auch, daß mir beſſer dabey war, als wenn du ſie machſt.

Das war deutlich der Vogt verſtuhnd es voͤllig, fluchte ganz entſezlich uͤber das ver - dammte Fieber, das ihm dieſes alles zugezo - gen, und ſagte bey jedem Anlaß laut: Er ſey doch noch da, wenn ihn ſchon alles Jung und Altes unter den Boden gewuͤnſcht es ſeye aber nur gut, daß er bey dieſem An - laß die Leute auch kennen gelernt, und izt wiſſe, wie's der und dieſer mit ihm meyne; fluchte dann, es muͤße die untreuen Buben, die groß und kleinen, gewiß nichts nuͤzzen, daß ſie ihm's ſo machen die Krankheit habe ihn nur kek gemacht.

Er319

Er fieng uͤberhaupt um dieſe Zeit an, entſezlich viel zu reden, und ganze Abende hinter dem Tiſch mit einem halbduzet Lum - pen zu plaudern, und groß zu thun mit al - lerley Projekten, und ſich aufzulaſſen mit allerley Erzaͤhlungen, wer er ſey, was er ausgerichtet, und noch ausrichten wolle.

So ſaß er den 8. Heumonat vor 4. Jah - ren in vollem Rauſch bey ſeinen Lumpen am Tiſch Ein ſtarkes Gewitter ſammelte ſich hinter unſerm Berg, und zog in grauen ſtozigen Wolken aus dem Hirzauer Thal nach gegen uns ab; es finſterte am hellen Tag ſelber die Sauffenden ſagten erſchroken zum Vogt: Es giebt ein ſchrekliches Wetter er aber gab ihnen zur Antwort: Wenn ſchon das halbe Korn auf 10. Stund weit ver - hagelt wuͤrde, es waͤr nicht ſchade. So ſehr ſie geſoffen, ſchuͤttelten die Maͤnner doch uͤber dieſe Rede den Kopf der Vogt aber behauptete forthin mit fluchen, es waͤre nicht ſchade, das Land ſey uͤberladen mit Frucht, und er habe das Haus mit zweyjaͤhriger noch ſo voll, daß er foͤrchten muͤſſe, es druͤke ihm's ein, und es kauffe ihm niemand nichts ab.

Du erſchraͤkeſt doch auch, wenn das Wet - ter juſt zu uns kommen wuͤrde, ſagte der Chriſten.

Jch320

Jch hoͤre halt das Donnern nicht gern; aber ſonſt was wollt mir ſo ein Wetter ma - chen? erwiederte der Vogt.

Zehn ſolche Wetter moͤchten dir nichts machen; du haſt gut reden, ſo reich als du biſt ſag 'aber das ein andrer auch, wenn er kann erwiederten die Lumpen, die bey ihm ſoffen.

Das iſt eben der Vortheil, ſagte der Vogt, und grinzte das Glas in der Hand, gegen die Kerl, wie ein Aff.

Das Wort war noch in ſeinem Mund, und ein Donner, ſtaͤrker als ſie je einen ge - hoͤrt, ſchlug uͤber ihrem Haupt, ſie wurden alle todtblaß, der Vogt verſchuͤttete das Glas, das er eben in den Haͤnden hatte, und der Chriſten ſagte zu ihm: Du biſt doch izt auch erſchroken Es iſt wahr, erwiederte dieſer ich foͤrchte mich ganz erſchroͤklich vor dem Donner dann bath er ſie, daß ſie doch bey ihm bleiben, bis das Wetter voruͤber; allein, weit die wenigſten wollten; es moͤchte begegnen was es wollte, ſo muß man heim, wenns ſo kom̃t, ich wollte nicht Lohn nehmen, und mir nachreden laſſen, ich waͤr da im Wirthshaus, wenn ein Ungluͤk begegnete, ſagten die Kerls, ſo liederlich ſie waren, giengen erſchroken nach Haus, und erzaͤhlten in ihren Stuben,Was321was fuͤr ein erſchrekliches Wort der Vogt nur einen Augenblik vor dem großen Don - nerſchlag geredt. Weib und Kinder und Dienſte, die wie gewohnt, bey einem Wet - ter zur Bibel jukten, und das Bethbuch in Haͤnden hatten, b'huͤteten und b'ſegneten ſich ob dem gottloſen Mann. Jndeſſen wars immer im̃er dunkler, donnerte Schlag auf Schlag, es fielen Steine wie Nuſſen hinter dem Wetter folgte ein Wolkenbruch; der Waldbach zerriß den Damm, der ihn vom Muͤhlibach ſcheidet, und ſtuͤrzte ver - einigt mit dem Muͤhlibach gegen das Tobel; das Waſſer ſchwellte ſich zuerſt oben am To - bel in der Ebene hinter dem Vorderdoͤrfler - Staͤg, und machte da wie eine See.

Der Vogt both 1000. fl., wenn man den Staͤg einreißen, und Luft machen koñte, und wenn man entſchloſſen im Anfang, mit ſtarken Roſſen durchs Waſſer gegen den Staͤg angeritten, und mit Feuerhaken ange - ſezt haͤtte, ſo waͤre es moͤglich geweſen, ihn einzureißen; aber ſo ſehr 1000. fl. einem wohl thun, wenn er nichts hat, und ſo noͤ - thig es ihrer hundert gehabt haͤtten, ſo woll - te ſich doch niemand wagen.

Der Vogt bath und bath, ruͤhmte ſeine Roſſe, wie ſtark und gut ſie ſeyen, wie gern ſie ins Waſſer gehen, und wie ſicher ſieXſey -322ſeyen. Aber indem man redte und rathſchla - gete, ſchwellten die Waſſer je laͤnger je ſtaͤr - ker, und je laͤnger je weniger wollte es je - mand wagen. Der Lindenberger ſagte nach langem zum Vogt: Das beſte waͤr, du naͤh - meſt ſelber ein Roß, und ritteſt voran.

Das doͤrfte der Vogt nicht, both immer mehr Geld, wenn's einer wage. Aber die Gefahr ward immer groͤßer, und izt ſagte ein jeder: Was hat einer von ſeinem Geld, wenn er erſaͤuft? und erſauffen muß ei - ner, wenn der Staͤg laßt, und er hinter demſelben geritten.

Es iſt nicht moͤglich, ſagte der Vogt, daß der Staͤg bey einer halben Stund noch ein - ſtuͤrze, er ſtehet auf neuen eichenen Pfaͤlen, die mehr als mannsdik; und indem er's ſag - te, ließ der Staͤg, und der Strom zog ploͤz - lich ſo an, daß wenn hundert Roß hinter dem Staͤg angeritten geweſen, ſie alle vom Waſſer weggenohmen worden waͤren.

Der Vogt hatte izt kaum Zeit noch heim zu lauffen, um Brief und Geld aus dem Haus zu nehmen, ſo ploͤzlich war es vom Strom umringt. Er rieff izt, um Gottes willen, man ſollte ihm nur auch helffen, das koͤſtlichſte aus dem Haus zu nehmen, und ſo lang die untere Bruͤke noch ſtand, war es ganz gewiß nicht ſehr gefaͤhrlich insHaus323Haus zu kommen, und von hintenzu, wo das Waſſer nie tief war, mit Vieh u. Waar gegen die Anhoͤhe zu fliehen, aber auch hier war keine Hilf da. Leute, die ſonſt in Feuer - und Waſſernoth Leib und Leben wa - gen wie nichts, ſtuhnden da, wie forchtſam̃e Weiber es zog nur keiner Schuh und Struͤmpf ab, zu probieren, ob es moͤglich hindurch zu watten einer ſagte dem an - dern das gottloſe Wort, das der Vogt vor dem Wetter geredt, fuͤgte dann bey, wie der lieb Gott einen mit ihm ſtraffen koͤnnte, weñ er fuͤr ihn Leib und Leben wagte. Der Vogt ſelber, da er Geld und Brief hatte, floh aus dem Haus, und probierte nicht mehr hinein.

Es war ein foͤrchterliches Zuſehen 25. Haupt großes Vieh, ohne Schaaf u. Kaͤl - ber bruͤllten in den Staͤllen, und uͤber eine halbe Stund rann das Korn aus den ange - griffenen Schuͤttenen wie ein Bach herun - ter, ehe das Haus vollends einfiel.

Es krachte wie ein Donnerſchlag, und in eben dem Augenblik rieff ein Mann, noch izt weiß niemand wer er war, kaum zehn Schritt hinter dem Vogt: Wie iſt's izt Vogt? iſt dir noch ſo, daß zehn ſolche Wet - ter dir nichts machen konnten? Es ſchauerte dem Vogt, er ſah zuruͤk, ſagte:X 2Gott324Gott verzieh mir's, ich bin ein armer un - gluͤklicher Mann. Das Gewaͤſſer hatte ſich nun wieder geſezt Haus und Hof waren im Schutt und Graus der Ort, wo das Weſen alles geſtanden, war wie das Beth eines tauſendjaͤhrigen Waldbachs man hatte Sturm gelaͤutet weit und breit kamen von allen Seiten Feuerlaͤuffer, und helffende Nachbarn alles ſtand izt an dem Ort der Verheerung; es war eine heitere Nacht; Es ſtand eine einige eichene Stud noch im Grien von dem ganzen Ge - baͤu der Vogt umſchlang dieſe Stud, (Balken) und wainte laut, uͤber die vielen 1000. fl., die ihm zu Grund gegangen ein Volk aus ſieben Gemeinden ſtand um ihn her, aber auch nicht eine Stimme von Mitleiden toͤnte aus einem Mund in al - len Eken murmelte das Volk, was er fuͤr ein Kerl ſey, und wie er noch mehr als dieß verdient; in allen Eken erzaͤhlte man das entſezliche Wort, das er vor dem Wetter ge - redt, und alles Volk lieff Hauffenweis hin - auf gegen den Steg, zu ſehen, wie wun - derbar die arme Baͤttelhuͤtte des Clauſen ſte - hen geblieben, da das Waſſer ſie doch bis unter das Tenn voͤllig unterhoͤhlet; Und jedermann machte da Anmerkungen uͤber des Vogts Ungluͤk, wie's in aller Welt geht,wenn325wenn ein boͤſer Mann ungluͤklich wird. Jhrer etliche giengen ſo weit, daß ſie ſag - ten: Wenn's wahr iſt, daß er das Wort vor dem Wetter geredt, ſo haͤtte man ihn in's Haus hinein ſperren, und nicht mehr heraus laſſen ſollen, bis es ihm ob dem Kopf zuſammen gefallen.

Es both ihm auch kein Menſch von ſich ſelber an dieſer Nacht das Nachtlager an, und wenn der Kienholz nicht ſo zu reden, ihm's haͤtte geſtatten muͤſſen, ſo haͤtte er es ihm gewiß abgeſchlagen; er hat auch zwey - mal zu ihm geſagt: Weiſſeſt du auch ſonſt nirgendshin? ich hab dieſe Woche juſt in der Kammer eine andere Ordnung machen wollen.

So ſehr ſcheute ſich izt jedermann, einen ſolchen Mann unter ſeinem Dach zu haben; es war aber auch nicht anderſt moͤglich der Vogt war nun ſint Jahren ſo verhartet und unmenſchlich, in allem, was er that, daß, wer nicht wie er war, nicht anderſt als mit Grauen an ihn denken konnte.

Jn eben dieſer Nacht zankte er, da er nicht ſchlafen konnte, mit ſeiner Frauen, da ſie wainte Du wirſt izt mit Heulen das Haus wieder aufbauen wollen war das erſte Wort, das er gegen ſie brauchte, u nd da ſie auf dieß hin nicht ſchweigen, und d enX 3Jam -326Jammer verſchluken konnte, ſagte er ihr, ſie ſey ein Hund, und laſſe ihn nicht ein - mal mit Ruhe nachdenken wie izt wieder helfen.

Er that auch in dieſer ſchlafloſen Nacht nichts anders als nachſtaunen, wie er es an - ſtellen und einrichten muͤſſe, daß er von al - lenthalben her eine recht große Steuer be - komme.

Er war vor 4. Uhr wieder aus dem Bett, foderte Dinten, Federn und Papier, und rechnete vom Morgen bis in die finſtere Nacht aus, wie viel Geld er zuſammen bringen koͤnne, wer ihm ſchuldig, wie viel Holz er vom Junker, wie viel von der Gemeind, und wie viel er aus der Nachbarſchaft be - kommen werde, und wie viel ſich noch ſonſt zuſchleppen laſſe, auch wie er den und die - ſen zwingen koͤnne, ihm Arbeit und Fuhren umſonſt zu thun.

Er gieng, ſo lang die Steuerzeit waͤhrte, ganz demuͤthig und gebeugt, wie wenn er faſt das liebe Brod nicht mehr haͤtte, einher, gab Feind und Freunden gute Wort, ver - ſchluͤkte auch die haͤrteſten Antworten, wenn ſie ihm ſchon faſt das Herz abdruͤkten.

Der Baumwollen-Meyer gab ihm 10. Dublonen, aber da er ihm danken wollte, ſagte er: Vogt! ich weiß wohl, daß du mirnicht327nicht dankeſt, und begehre es auch nicht es iſt Baumwollen-Geld, wenn du nur in Zukunft nicht mehr alle Tag ſagſt, du wollteſt, daß der Teufel alle Baumwoll, die in der Welt iſt, genohmen haͤtte, und hiemit kehrte er ihm den Ruͤken.

Dieſe Antwort that dem Vogt ſo wehe, daß er eine Weile die Dublonen, die er in der Hand hatte, nicht zaͤhlen konnte.

Er klagte auch der Frauen, da er heim kam, wie viel einer verſchluͤken muͤße, weñ er von den Leuten etwas wolle; troͤſtete ſich aber, wenn die vier Wochen voruͤber, ſo wolle er, wenn ihm ſo ein Hund wieder mit ſo etwas komme, ihm die Antwort ge - wiß nicht ſchuldig bleiben.

Und er hielt Wort. Es gieng keine 24. Stund nach der Steuerzeit, ſo redte er wieder ſo unverſchamt als je in ſeinem Le - ben, und ſagte offentlich, was man doch meyne, daß ſo ein Lumpen-Steuerlein ihm an ſeinen Schaden bringe ſie ſeye ſo liederlich geweſen, daß bald nicht eine lie - derlicher haͤtte ſeyn koͤnnen es ſey ihm ſo viel zu Grund gegangen, daß hie und da dreyſig und vierzig Haͤuſer verbrennen konn - ten, der Schaden waͤre nicht ſo groß, und hundert derley Zeug mehr.

X 4Das328

Das aber war nicht das ſchlimmſte. Am dritten Tag, nachdem die Steuerzeit voruͤber, ließ er jedermann, der ihm etwas ſchuldig, den ganzen Betrag mit Recht fo - dern. Er ſuchte aber bey den meiſten nicht ſo wohl das Geld, als von neuem mit ihnen zu rechnen, und wenn einer genau ſeyn, und umſtaͤndlich wiſſen wollte, wie, wo, und wann, jammerte und klagte er, die meiſten Papier ſeyen ihm zu Grund ge - gangen, er koͤnne nicht mehr alles recht be - ſcheinigen, und izt wollen ihm die Leute al - les ablaugnen, was er noch ſo wohl in ſei - ner Seele wiſſe, das wahr ſeye.

Er wußte zum voraus, daß weit die mei - ſten nicht die Leute ſeyn wollten, die es ſich nachreden ließen, daß ſie einem verungluͤk - ten Mann etwas ablaugnen wollten, ſonder ihn anſchreiben laſſen wuͤrden, was er fo - derte, und die wenige, die nicht ſo nachge - big waren, und ſich nicht voͤllig ſo leicht von ihm beſtaͤhlen laſſen wollten, wie er's gut fand, zu probieren, ließen ſich doch im - mer dahin bringen, daß ſie ihm etwa ein paar Fuhren oder einige Tagloͤhn, fuͤr das im Streit ſtehende umſonſt zu thun verſpro - chen.

Er hat bey dieſer Rechnung, auf dieſe Manier, 75. Fuhren, und uͤber 300. Tag -loͤhn329loͤhn zuſammen gebracht, ohne daß ihm ein Menſch einen Haͤller rechtmaͤßig daran ſchul - dig geweſen, und hat dieſe Fuhren und Tag - loͤhn in ſein Buch hinein geſchrieben, und darnach eingezogen und eingetrieben wie aus - gelehntes Geld.

Jedermann gab dieſer Rechnung den Na - men Zwangſteuer dieſe Zwangſteuer aber machte auch den Unwillen der ſchon allge - mein gegen ihn reg war, noch groͤßer.

Es kam noch dazu, daß er bey Jahr und Tag nicht mehr mahlen, und auch eine ziem - liche Zeit nicht mehr wirthen konnte, und der Unterſchied in beyden andern Muͤhlen war auffallend, eben ſo wie das, was in den meiſten Haushaltungen erſpart worden, ſeit dem er nicht mehr wirthete; das al - les aber haͤtte ihm nichts gemacht, wenn er nicht beym Bauen, ſeinen Saͤkeln allen auf den Boden gekommen waͤre; aber da er izt hie und da im alten Ton geſchwind Geld entlehnen wollte, fand er, daß niemand fuͤr ihn zu Haus war.

Der Waſſerſchaden hatte ihn ſo ſehr zu - ruͤkgebracht, und er hatte das neue Gebaͤu ſo koſtbar angefangen, und bekennte ſo fruͤh, er habe ſich ſtark uͤberrechnet, daß ihm jeder - mann das Loos uͤbel legte, und eine Menge Leute offentlich ſagten, es koͤnne nicht anderſtX 5ſeyn,330ſeyn, es muͤße uͤbel ſtehen, er moͤge ſo groß thun als er wolle.

Sein Hochmuth aber ließ ihm nicht zu, ſich einzuſchraͤnken, da es am Geld fehlte; er baute izt nur zum Troz deſto koſtbarer, weil er ſah, daß man ihm weniger traute, und nahm auf Haus und Guͤter das Geld, das ihm niemand mehr auf freye Fauſt ge - ben wollte.

Er hatte zwar ſeine aͤltern Creditoren ver - ſichert, er wolle ohne ihr Vorwiſſen Haus und Guͤter nie verſezen, aber er ſagte ihnen kein Wort, bis ſie's ſelbſt vernahmen, und es ihm vorhielten; ſeine Antwort war, daß er ein Gelaͤchter anfieng, und zulezt ſag - te, es ſeye um ein paar Jaͤhrli zu thun, ſo ſeye dieſer Baͤttel wieder abbezahlt, und dañ ſey's ja im alten.

Er glaubte es aber ſelber nicht, und ſah ſelber, daß er entſezlich zuruͤk war. Er rechnete in dieſer Zeit in einer Wochen wohl zehn bis zwoͤlfmal zuſammen, was er beſize, und was er ſchuldig; aber wenn er auch Haus und Guͤter noch hoch anſezte, und die Sache links und rechts zu ſeinem Vortheil kehrte, ſo kam doch am End immer heraus, daß er mehr ſchuldig, als er vermoͤge.

Und er war wirklich fuͤr Wein u. Frucht izt ſo viel ſchuldig, daß er nichts wenigerwuß -331wußte, als das alles auf verſprochene Zeit zu zahlen.

Dieſe Umſtaͤnde brachten ihn aber nicht dahin, durch Sorgfalt, Maͤßigung u. Scho - nung deſſen, was noch da war, einen dauer - haften Grund zur Beſſerung ſeiner Umſtaͤn - den zu legen; der Hochmuth und das Laſter hintern boͤſe Menſchen gar ſehr, auf rechten Wegen ſich wieder aufzuhelffen, wenn ſie in haͤuslicher Verwirrung ſind, und der Vogt hatte nur nie keinen Gedanken von die - ſer Art.

Es muß wieder friſch in die Hand ge - ſpeyet ſeyn, war der Sau-Ausdruk, wo - mit er ſich in dieſen Umſtaͤnden zu den un - ſinnigſten Handlungen Muth einſprach. Er hatte den feſten Glauben, wenn er nur das Gewuͤhl des Reichthuns forttreiben, u. verbergen koͤnne, wie arm er ſeye, ſo ſtehe er in kurzer Zeit wieder in alten Schuhen, und ließ ſich nur nicht traumen, daß eben dieſes Huͤten, daß niemand merke, wie arm er ſeye, es ihm wirklich unmoͤglich mache, jemal wieder auf ein gruͤnes Zweig zu kom - men. Er konnte izt wie ein ſiebenjaͤhriges Kind uͤber ſich ſelber, und uͤber das Reich - werden mit ſich ſelber ſchwazen, und hun - dertmal zu ſich ſelber ſagen: 50. Jahr iſt noch kein Alter, einen Mann wie ich bin,zu332zu hintern, wieder zu dem zu kommen, was er verlohren; bin ich doch mit nichts zu einem Wirthshaus, zu einer Muͤhli, und zum Vogtdienſt gekommen, ſo mußte ich doch ein armer Tropf ſeyn, wenn ich izt mit dem allem nicht auch wieder zu einem Stuͤk Geld kommen ſollte mein Weſen, das ich doch noch habe, und das Volk, das ſich um mich her auflaſſen will, zu meiſtern wie vor und ehe.

Er baute auf ſein Jaſten und Jagen, auf ſeyn fruͤh und ſpatſeyn, und in alle Spiel ſezen, ſagte, es falle immer bey allem doch auch etwas Profit ab. Aber er vergaß, daß Jaſten und Jagen, daß fruͤh und ſpat ſeyn, und in alle Spiel ſezen, nichts helfe, wo Fundament mangelt, und keine Ordnung iſt.

Mit allem Jaſten und Jagen, mit allem fruh und ſpat ſeyn, hatte er in der ſchoͤnen neuen Herren-Muͤhli nie, was er brauchte, und mußte alle Augenblik allen Teufelskuͤn - ſten aufbiethen, hunderterley Leute mit Wor - ten abzuſpeiſen, denen er Geld geben ſollte.

Dieſe Aenderung ſeiner Umſtaͤnden und daß der ſteife Glauben, den er hatte, dieſe Umſtaͤnde im Augenblik wieder aͤndern zu koͤnnen, ihm nicht ordentlich in Erfuͤllung ge - gangen, machte ihn wie raſend. Ob'sGott333Gott lieb oder leid, er wollte wieder reich werden, und brauchte izt nur keine Sorg - falt mehr, den Wuſt der Verbrechen, mit denen er dieſem Endzwek entgegen gieng, zu verbergen.

Er bauete izt wie blind auf die Forcht u. den Schreken, mit der er bis izt Jung und Altes im Zaum gehalten, und jedermann bey allen ſeinen Thaten, und bey allem Haß, den er ſich zugezogen, doch das Maul ge - ſtopft; aber das junge Volk, das er izt meiſtern wollte wie das alte, war nicht mehr das gute bethoͤrbare Volk, deſſen Unſchuld er mißbraucht.

Wo ein Mann wie er 50. Jahr alt wird, und ſo lang regiert, bleibt das Volk nicht mehr ſo. Unſer junges Volk war izt heimtuͤkiſch, frech und gewaltthaͤtig, wie er, und darum war's unmoͤglich, daß er ihn's zum Feind haben, und doch meiſtern konnte. Was alt war, zitterte freylich noch im - mer vor ihm, und die grauen Baͤrt ſagten alle, ſie haben ihn erfahren, und es ſoll nur niemand probieren, etwas mit ihm anzu - fangen. Aber viele junge Purſche wider - ſprachen darinn ihren Vaͤtern, und behaup - teten, wenn ſie allein waren, und ſie nie - mand hoͤrte, es habe nur daran gefehlt, daß man's nicht recht mit ihm angegriffen wenn334wenn ich heut noch einen Handel mit ihm be - kommen wuͤrde, wie der und dieſer mit ihm gehabt, ich wollte probieren, ob es kommen muͤßte, wie es da gekommen; wenn ſie Vierfuͤßige geweſen waͤren, ſie haͤtten ſich nicht duͤmmer von ihm herumfuͤhren laſſen koͤnnen, als ſie gethan. Das war allge - mein die Sprache der jungen Leute, die Kopf und Herz hatten, wenn von alten Ge - ſchichten uͤber den Vogt die Rede war.

Einige giengen noch weiters. Es iſt ſchon zwey Jahr ſeither, daß der junge Scheibler, da der Vogt ihm nur ein paar Stichworte gegeben, in ſeinem eigenen Haus vom Tiſch aufgeſtanden, und uͤberlaut, daß es der Vogt wohl verſtanden, zu denen, die neben ihm ſaßen, geſagt: Wenn der alte Donner mir noch einmal ſo kommt, ich ſchlage ihn in Boden herein. Es be - gegnete ihm ſo gar, daß einige junge Leute ihm laͤugneten, was ſie wirklich geredt, u. andere ihn auslachten, wenn er etwas uͤber ſie klagte, das er nicht beweiſen konnte.

Er klagte auch gar oft uͤber das wuͤſte junge Volk, das ſo frech ſeye, und rede, was ihm in's Maul komme, und ihm ſelber laͤugne, was er mit ſeinen Augen geſehen, und mit ſeinen Ohren gehoͤret.

Der335

Der aͤltere Lindenberger aber, ſagte ihm einmal vor einem ganzen Tiſch voll Volk: Es begegnet dir nur, was du verdienſt; ehe du da wareſt, wußte niemand nichts von ſo hartem Laugnen izt aber haſt du nicht zu klagen, daß man das auch gegen dich braucht, was du eingefuͤhrt, u. tauſendmal ge - gen andere ausgeuͤbt. Und der juͤngere Kil - ler, der beym großen Schlaghandel ſich gluͤklich heraus gelaͤugnet, both in der gleichen Stund dem Vogt vor allen Leuten, die mit ihm von der Audienz kamen, aus Muthwillen einen Thaler fuͤr den Lehrlohn an. Wofuͤr mir einen Lehrlohn? ſagte der Vogt Ei - ner der mitgieng, gab uͤberlaut zur Antwort: Jch denke, der Lehrlohn werde von der Kunſt abzulaugnen, was wahr iſt, verſtanden wer - den muͤſſen. Nein, nein, ſagte der Killer, nur von der Kunſt, ſeinen Handel zu gewinnen. Aber die Kunſt wegzu - laͤugnen, iſt die Kunſt ſeinen Handel zu ge - winnen, ſagte der andere, und der Lehrlohn fuͤr's Luͤgen Lernen ward zum allgemeinen Gelaͤchter, daß der Vogt vor Zorn haͤtte ſtampfen moͤgen, wenn er ſchon nicht derglei - chen gethan. Es gieng faſt ein Jahr, daß wer den Vogt ſpielen wollte, ihm von die - ſem Lehrlohn anfieng, und es iſt wirklich zu einem Spruͤchwort worden: Wenn erob336ob dem Luͤgen Lernen Thaler verdient, ſo habe er ob dem Staͤhlen Lernen Dublonen verdient.

Jm Streit mit dem Kuͤmmerlig, da er meynte, der Mann muͤße den Handel in den erſten Wochen aufgeben, weil es ins Herzo - gen Land ſo koſtbar zu troͤhlen, konnte er lange nicht begreiffen, wie der Mann es aushalten, und immer Geld finden konnte. Endlich vernahm er, daß man ihm hier im Dorf Geld vorſtreke, ſo viel er wolle, und daß er auf Neid und Haß gegen ihn hin, drey und vierhundert fl. Geld ertlehnen koñ - te, wenn er nur wollte, und dieſe Ent - dekung war die Urſache, daß er ploͤzlich den Streit aufgab, und die Koͤſten zahlte.

So zeigte ihm ein Vorfall nach dem an - dern, daß ſeine Kraft dahin ſey, und daß er nichts mehr vermoͤge. Er ſah, daß ihm offentlich und heimlich alles feind; die mei - ſten Leute ſcheuten ihn freylich noch, und unter hunderten ließen neun und neunzig fuͤnfe grad ſeyn, ehe ſie mit ihm ſtritten; aber doch war's nicht mehr der alte Schreken im Volk, man lachte ihm in's Angeſicht, und kehrte ihm den Ruͤken, wenn er ſeine Wuth hervor ließ. Er kam mit ſeiner Gewaltthaͤ - tigkeit nicht mehr zum Ziel, und mit allem Geiz und mit allen Diebſtaͤhlen nicht mehrauf337auf ein gruͤnes Zweig; ſeine Hausverwirrung war vielmehr je laͤnger je groͤßer, ſo daß ſo gar ſeine Knechte ihm nichts mehr nachfrag - ten, ſonder thaten, was ſie wollten, u. ihn be - ſtahlen, wo ſie koñten. Er war aber auch ſelbſt ſich vollends nicht mehr gleich. Weñ er mit je - mand vor's Recht mußte, ſo war ihm angſt, und doch mußte er alle Augenblik thun, wie wenn ihm ſo zu reden, nichts lieber auf der Welt waͤre, und ſo fiel natuͤrlich alle Au - genblik etwas vor, das ihn laſtete und kraͤnk - te, und ſein Leben elend machte.

Der Gedanke, daß er bald ſterben koñte, der ihm beſonders daher kam, weil er ſeit der Krankheit eisgrau worden, machte ihm auch Muͤhe.

Der alte Schreiber wollte ihn zwar auf ſeine Art daruͤber ruhig machen, und be - haupten, man muͤße gar nicht an Tod ſin - nen, es ſeye gleichviel, wenn er kommen wolle, ſo komme er, und ſich vorher damit zu plagen, daß man an ihn ſinne, ſey eine Narrheit, denn wenn der Menſch todt ſeye, ſo ſey's mit ihm aus, wie mit dem Vieh.

Aber es iſt merkwuͤrdig. Jn waͤhrend der Zeit, da der Schreiber ihn uͤber Tod und Ewigkeit ſo einſchlaͤfern wollte, hat's dem Vogt zwey Naͤchte hinter einander ge - traͤumt, ſein Vater ſel. ſey ihm wieder erYſchie -338ſchienen, und habe zu ihm geſagt: Wie iſt's Bub? iſt dir die Zeit gekommen, daß auch Leute zu dir ſagen: Du alter verſoffener Lump, willt mit mir in's Schloß? gelt, gelt, ſie iſt dir gekom̃en, wie ich ſie dir pro - phezeyet! Und izt, wenn der Vogt an das dachte, was[der]Schreiber mit ihm von dem Ausſeyn mit dem Menſchen nach dem Tod, zu ihm geſagt, kam ihm allemal ſein Vater wieder vor Augen, wie er vor ſeinem Beth geſtanden, die Haͤnde verworffen, und den Kopf geſchuͤttelt, daß ihm das Haar uͤber die Stirne hinunter gefallen, wie im Leben, wenn er im Eifer etwas geredt ich ſage, wenn der Vogt an des Schreibers Meynung dachte, kam ihm dann im̃er ſein Vater vor, wie er vor ihm zu geſtanden, und geſagt: Wie iſt's izt Bub! iſt dir die Zeit gekommen? dann erſchrak er, daß ihm das Herz klopfte, und konnte nicht glau - ben, was der Schreiber zu ihm ſagte.

So an einem elenden Faden hieng izt dem Mann der Glaube an ein anders Leben. Er wollte freylich gern wie der Schreiber, nicht daran glauben, und lieber ewig todt ſeyn, wenn er nur konnte, aber er dorfte es nicht hoffen, und mußte zittern, wenn er nur dran dachte.

Das339

Das iſt aber das End aller Gottloſigkeit u. Ungerechtigkeit auf Erden, daß der Menſch, wenn ſich ſeine Tage neigen, wuͤnſchte ewig todt zu ſeyn, aber es nicht hoffen darf.

O, Jhr Lieben! das nahende Alter, und das Abſchwaͤchen der Kraͤfte des Menſchen, der die Wuth der Gewaltthaͤtigkeit und der Ungerechtigkeit in ſich geſogen, iſt uͤberhaupt entſezlich.

Mit jedem neuen Hinterniß, das den Wuͤnſchen ſeines Unſinns, und dem Stre - ben ſeines Raſens in Weg kommt, wird die - ſe Wuth ſtaͤrker, und die Hinterniſſe der Thorheit und des Laſters werden mit jedem Tag groͤßer.

Es kann nicht anderſt ſeyn.

Die Erfahrungen des Lebens ſollen uns reinigen von allem unverſtaͤndigen und laſter - haften Weſen; thun ſie das, ſo wird unſer Alter ſtill und gluͤklich, und ſeine Schwaͤ - che wird wie die Schwaͤche eines Lichts, deſſen reines Oel hell brennet, bis es erlo - ſchen; thun ſie es aber nicht, brennen die Wuͤnſche der Thorheit und des Laſters noch in uns, wenn die Kraft des Lebens ſchwindet, ſo duͤnſtet ihr Feuer einen ſtinken - ken Rauch aus, wie das Feuer, das in einem Hauffen von faulendem Moder brennt.

Y 2Und340

Und der Geſtank dieſes Rauchs ſteiget wahrlich oft um uns her auf, lang ehe wir uns deſſen verſehen.

Das war der Fall des Vogts. Er war noch nicht uͤber die fuͤnfzig, und doch war er in aller Abſicht ausgebraucht, ſelbſt ſein Gedaͤchtniß und ſeine Ueberlegung nahm ſichtbar ab; auch geſtuhnd er es beym To - desfall des alten Junkers ſelber, und ſagte in dieſer Woche bald alle Viertelſtund, es ſeye ihm, wie wenn er in eine neue Welt herunter gefallen waͤre; er klagte auch gar uͤber dieſe neue Welt, und ſagte oft, er glaube ſelber, wenn er darinn muͤßte anfan - gen hauſen, er braͤchte es kaum dahin, Schweinhirt zu werden, will geſchweigen Untervogt.

Nun waͤre es wohl Zeit geweſen, die Segel einzuziehen, und die Gewalt, die er nicht mehr behaupten konnte, fahren zu laſ - ſen. Er ſah's auch ein, und wenn er reich geweſen, und nicht in Schulden geſtekt, ſo haͤtte er ſich zur Ruhe geſezt, und merket euch das ihr Menſchen! die ihr mit ihm auf gleicher Laſterbahn, aber nicht mit ihm unter den Galgen gekommen merket euch das, ihr Menſchen! Wenn er reich geweſen, und nicht in Schulden geſtekt, ſo haͤtte ihn auch nur keine Verſuchung zu denlez -341lezten Thaten, die ihn unter den Galgen ge - bracht, angewandelt; er haͤtte ſich dann zur Ruhe geſezt, und waͤre wie hundert an - dere, die auf ſeinen Wegen wandeln, mit Ehren unter den Boden gekommen; aber da er in der Noth ſtekte, und voller Schul - den war, ſo dorfte er nur nicht daran den - ken, etwas fahren zu laſſen, wodurch er wenig oder viel Geld einzutreiben hofte.

So war zulezt die Verwirrung der Noth und der Armuth, mitten im Gewuͤhl des Reichthums, der Macht und des Hochmuths, das innere Triebrad des Unſinns ſeiner lez - ten Thaten.

Und die Verwirrung der Noth und der Armuth, die ſo oft das End eines fehlerhaf - ten Lebens, iſt auch in aller Welt die ge - woͤhnlichſte Ouelle der unſinnigen Thaten, welche einige Menſchen dem Henker unter die Haͤnd, unendlich mehrere aber um die Ruhe ihres Lebens, um die Freuden ihrer ſpaͤten Tagen, und um den Frieden ihres Todtbetts bringen, indem ſie ſelbige zur Peſt ihrer Mitmenſchen, zum Fluch ihrer Haͤu - ſer, und zum Abſcheu ihrer ſelber machen. Darum, o ihr Menſchen! die ihr Ru - he ſuchet und Segen, friedliche und heitere Tage wuͤnſchet; O ihr Menſchen! die ihr gern euere Kinder auf euerem TodtbettY 3mit342mit heiterem Herzen an euere Bruſt druͤkt, laßt euch lehren:

Wer ſein Haus nicht in der Ordnung fuͤhrt,

Wer mehr braucht, und mehr haben will, als ihm ſicher und leicht eingeht,

Wer in den Tag hinein lebt, und auf Zufaͤlle wartet

Wer Einkuͤnfte erzwingen will, die nicht mehr leicht und natuͤrlich eingehen wollen, und die er darum fallen laſſen ſollte

Kurz, wer von mehr Geld abhangt, als er hat, und leicht und natuͤrlich zubringen kann, der kann nicht anderſt, als er muß ein Schelm werden, und ein hoͤchſt ungluͤk - licher Mann, wenn die Umſtaͤnde leicht dar - nach ſind.

Er kann nicht anderſt, er muß aus Noth faſt wider ſeinen Willen, ein Schelm blei - ben, und ein hoͤchſt ungluͤklicher Mann bis an ſein Grab.

Der Hummel mußte izt faſt wider ſeinen Willen, in dem Koth ſteken bleiben, in welches er in der Unordnung ſeines Lebens mit ſo viel Muthwille hineingewattet.

Umſonſt warnete izt ihn ſein Herz

Umſonſt redet ihm ſein Gewiſſen die Wahrheit

Umſonſt zitterte er beym lezten Nachtmahl am ganzen Leib

Um -343

Umſonſt erſchuͤtterten ihn die Schreken des Meineids da der arme Wuͤſt vor ihm zu faſt verzweifelt.

Umſonſt uͤberfiel ihn ein Schauer, da er vor des Rudis Fenſtern weggieng, und das Geheul der jammernden Kinder, bey der ſter - benden Frauen hoͤrte.

Umſonſt ſchien ihm auch die liebe Sonne, als er auf des Meyers Huͤbel, noch in ihre lezten Strahlen hineinſah, und ihr nach - ſtaunen mußte, bis ſie hinter dem Berg war, Er ſah nur Schatten, Nacht und Grau - ſen, das ihn umgab er konnte ſelbſt beym Anblik der lieben Sonne nichts thun, als mit den Zaͤhnen kirren. Er konnte izt nicht mehr auf den Herrn hoffen, der aus dem Staube rettet, und aus den Tiefen erloͤſet Er kirrete nur mit den Zaͤhnen.

Umſonſt warnete ihn ſein Weib.

Umſonſt zeigte ſie ihm, wo er ſtehe, und wohin ihn ſein Leben fuͤhre.

Umſonſt bath ſie, daß er ſich nicht noch mehr vertiefe.

Umſonſt empfand er ſelber: ſie hat recht, und mehr als recht. Er war izt verwil - dert die Wuth ſeines Unſinns und boͤ - ſer Begierden machte ihn taub und blind gegen alle Vernunft er ſah, wie tief er ſtekte, und wollte aus dem Schlam̃ herausY 4wuͤ -344wuͤthen, ohne mehr zu denken, wohin das fuͤhre, was er thue.

Aber wenn es dann ſo weit mit einem Menſchen kommt, ſo iſt er dem End ſeiner Laufbahn nahe.

Der Vogt verſtieß izt ſeinen Kopf an ei - nem armen Maurer, da er hundertmal die ganze Gemeind an die Wand geſtellt, wie wenn ſie nichts waͤre.

Jch will euch die Geſchichte ſeiner lezten Tagen nicht wiederholen, ihr wiſſet ſie alle nur das will ich noch ſagen, daß ihm der Gedanke, dem Junker den Markſtein zu ver - ſezen, in waͤhrendem Nachtmahl zu Sinn gekommen und dann, daß er bis ein paar Augenblik vor der That nichts weniger ge - glaubt, als daß er im Stand ſey zu thun, was er gethan. Er ſagt auch izt noch, wenn man ihm eine Viertelſtund vorher ge - ſagt, er werde dem liebſten Mann, den er in der Welt habe, das Meſſer in Leib ſtoſ - ſen, oder den Junker in der Audienzſtuben umbringen, er haͤtte das alles hundertmal eher moͤglich geglaubt, als daß er im Stand ſeyn ſollte, die Forcht zu uͤberwinden, und Nachts am 12. Uhr in Wald zu gehen, ei - nen Markſtein zu verſezen.

Und doch hat ers gethan, und leidet izt die Straffe der That, deren er ſich vor kur - zem noch nicht faͤhig geglaubt. Lie -345Liebe Menſchen! Er iſt izt dahin gegeben Zum Beyſpiel der Suͤnde, An unſern Kindern wieder gut zu machen, Was er ihren Vaͤtern verdorben. Gott gebe nun, Daß ſeine Straffe in uns austilge Die Keime der Verbrechen, Die ihn ſo elend, Und uns ſo ungluͤklich machten. Er iſt izt ein armer Tropf Die Laſt ſeiner Thaten liegt hart auf ihm. Und was ihm ſeine Straffe ſchwer macht Jſt das Bild ſeines alten Lebens, Das ihn allenthalben verfolgt. Jhr ſahet ihn, als er am lezten traurigen Morgen ſeine Straffe leidend vor euch ein - ſank. Er war entbloͤßt an Haupt und Fuͤßen, Das machte ihm nichts Sein Hand war angebunden Am Holz des Galgens Er erblaßte nicht deßwegen Das Schwerdt des Henkers Glaͤnzte ob ſeinem Haupt, Er zitterte nicht darob Das Volk, mit dem er lebte, Stand vor ihm zu, Und ſah 'ihn an dieſem Ort,Y 5Auch346Auch darob ſank er nicht ein Aber das Bild ſeines Lebens, Und der Schatten der Thaten, Die ihn umſchwebten, Das war's, worob er zitterte, erblaßte, und einſank. Er ſah 'am Ort, wo er war, Den armen Ueli, Wie er von Raaben zerriſſen Neben ihm hieng wie er Sein ſchrekliches Geripp Gegen ihn kehrte, Und grinzend Aus hohlem Leib Jhm vorerzehle Stuͤk fuͤr Stuͤk Was er ihm abgedruͤkt Und wie er ihn an dieſen Ort gebracht. Auch die Lismergrithe kam ihm wieder vor, wie ſie vor ſeinen Augen Jhren Todesſchweiß ſchwizend aus blaſ - ſen ſtarren Lippen Jm Augenblik des Schwerdtſtreichs noch ſeinen Namen nennte, Und ihn ſchreklich verklagend Jhr Haupt gen Himmel empor hielt. Aber wer will's beſchreiben das Bild ſei - nes Lebens, das ihn izt umſchwebte! wer will ausdruͤken und vormahlen das Entſezen dieſer Stunde! Jch347Jch will's nicht beſchreiben, nicht ausdruͤ - ken, nicht vormahlen; Jch will's nur erzaͤhlen, wie es ein Kind erzaͤhlen koͤnnte, was ihm in dieſer Stunde vorgeſchwebt Er ſah die Thraͤnen der Gekraͤnkten, Den Jammer der Hungernden, Den Schreken der Geaͤngſtigten Vor ſeinen Augen. Er hoͤrte Das Fluchen der Wuͤthenden, Und das Stoͤhnen der Verzweifelnden Mit ſeinen Ohren Er ſah 'ſeinen todten Vater wieder, Und hoͤrte wieder ſein ſchrekliches Wort: Bub, Bub! ſind die Tage izt da? Da man auch zu dir ſagt: Du alter verſoffener Lump! Auch ſein Kind ſah er wieder, Wie es ihm ſterbend die Hand both, Und zu ihm ſagte: Vater! Vater! Thu' doch niemand mehr weh. Er ſah 'die Jammer-Eiche wieder, Die ihm zuerſt Die Ruh' ſeines Teufel-Lebens Raubte. Er hoͤrte wieder Des Stichelbergers Schrekens-Ruf Jn's Thal Joſaphat Zu einer andern Rechnung. Er hoͤrte wiederDie348Die Gewitternacht, und ihren Donner, Und den reißenden Strom, Und den Abſcheu des murmelnden und nicht helfenden Volks, Und ſein ſinkendes Haus, Und die Laſt, und die Greuel des neuen, Und ſein ſteigendes Elend, Und das Todtbeth der Cathri, Und das Entſezen des lezten Nachtmahls, Und die Schrekniſſe der Mitternachtſtunde, Bey der Vollendung ſeines Unſinns Beym Markſtein. Dieſes Bild ſeines Lebens, das niemand mahlen, und niemand beſchreiben kann, ſtand ſchreklich vor ſeinen verwirrten Augen, als er am ſchreklichen Ort vor euch einſank. Und es verfolgt ihn izt, wo er gehet und ſtehet, und macht ihn um ſo viel ungluͤkli - cher, als er mit jeder Stunde mehr einſie - het, wie wahr dieſes Bild ſeines Lebens, das ihn umſchwebt, und wie zahllos die Menſchen, die er elend gemacht.

Er dachte im Taumel ſeiner guten Tagen an nichts weniger, und auch in der Verwil - derung ſeiner boͤſern Zeit, war ihm das Elend ſeiner Mitmenſchen wie nichts. Erſt da er ſelber unwiederbringlich elend worden, und mit aller Bosheit u. Schlau - heit ſeines alten Lebens gar keine Rettungaus349aus den Tieffen, in die er hinunter geſtuͤrzt, mehr entdeken koͤnnen, erſt da gieng ihm das Elend ſeiner Mitmenſchen zu Herzen.

Er glaubte auch von dieſer Zeit an, daß ihn alle Menſchen nur verabſcheuen, u. daß keiner auf Erden einiges Mitleiden mit ihm habe.

Aber er hat auch hierinn das Gegentheil erfahren. Der arme Rudi theilt izt mit ihm ſein Brod, und achtet nicht mehr den vergangenen Jammer, troͤſtet ſich der Leiden ſeiner Kinder, und zeiget wie ein Chriſt mit der That, und nicht mit den Worten, daß er wohl thun, und den Feinden vergeben, fuͤr ein groͤßeres Gluͤk achte, als eine Kuhe mehr im Stall zu halten.

O, ihr Menſchen! die Guͤte des Rudis hat den Vogt in der finſterſten Stunde, die Guͤte des Menſchenherzens, an dem er zwei - felte, bewieſen, und ihn unter Umſtaͤnden, die ihn zur Verzweiflung, oder wenigſtens zu noch groͤßerer Verwilderung ſeiner ſelbſt haͤtten fuͤhren koͤnnen, errettet und erhalten, daß er ſich wieder zum Vertrauen auf Gott und Menſchen empor heben, und von ſeiner innern Verwilderung alſo zuruͤk kom - men koͤnnen, daß ich ihn wahrlich izt, voll lauterer Wehmuth, ohne das geringſte Schat -ten350ten von Unwillen mehr in meinem Herzen gegen ihn uͤbrig, euch vorſtellen kann.

Ja! wenn ich alles zuſammen nemme, was er gethan, aber dann auch uͤberlege, wie er zu dem gekommen, was er gethan, und wie er das worden, was er war und endlich, wie er von dem boͤſen Sinn wieder zuruͤk gekommen, ſo kann ich nichts anders von ihm ſagen, als: er iſt ein Menſch wie wir.

Und ob er ſchon daſteht zum Beyſpiel der Suͤnde, in uns auszutilgen die Keime der Bosheit, die ihn zu ſeinen Thaten verfuͤhrt, ſo kann ich am End doch nichts anders von ihm ſagen, als: er iſt ein Menſch wie wir; und muß die Worte wiederholen, die ich vor 14. Tagen ſchon zu euch ſagte:

Daß doch keines von uns allen meyne, dieſes Ungluͤk haͤtte ihm nicht auch begegnen koͤnnen. Hebet euere Augen auf, und ſe - het, warum ſtehet er vor euch? iſt es etwas anders, als weil er hochmuͤthig, geizig, hart - herzig und undankbar war? und nun re - det, ich frage euch wieder: iſt einer unter euch nicht hochmuͤthig, nicht geizig, nicht hartherzig, nicht undankbar? Er ſtehe auf, und ſeye unſer Lehrer, denn ich, o Herr! bin ein Suͤnder, und meine Seele iſt nicht rein von allem Boͤſen, um deſſen willen derar -351arme Menſch vor euch leidet, und je mehr ich ſeinem Leben nachdenke, je mehr weiß ich in Beziehung auf mich nichts zu ſagen, als: ich will Gott danken, daß Er nicht ſolche Verſuchungen uͤber mein Haupt ge - haͤuffet, wie diejenigen waren, unter denen dieſer arme Mann lebte.

Jch will Gott danken, daß Er mir einen Vater und eine Mutter gegeben, die mich in Zucht und Ehren erzogen, und Arbeit und Ordnung liebhaben gelehrt.

Jch will Gott danken, daß ich kein Vogt und kein Waibel worden, und mein Brod in keinem Beruf ſuchen muͤſſen, in welchem man taͤglich ſo viel Bedruͤkendes gegen ſeine Mitmenſchen thun muß.

Jch will Gott danken, daß ich von Jugend auf unter beſſeren und froͤmmern Menſchen gelebt, und nicht von Kindsbeinen auf ſo viel Beyſpiele der Thorheit, der Unordnung, der Gedankenloſigkeit und Niedertraͤchtigkeit vor meinen Augen hatte.

O Gott! auf meine Knie will ich fallen, und dich anbethen, daß deine Welt mir im - mer in einem reinen und beſſern Licht vor Au - gen geſtanden, und mich ruhiger, gluͤklicher, und ſeliger bildete, als dieſen Mann, der noch in den Tagen ſeines Alters, und ſeiner Entkraͤftung, von den Folgen ſeiner Thorhei -ten,352ten, u. ſeiner Jrrthuͤm̃er, bis an die Graͤn - zen der Verzweiflung gebracht worden.

O ihr Menſchen! was ſoll ich mehr ſagen? Mein Herz iſt bewegt von innigem Mitleiden gegen ihn, und ich kann nichts mehr ſagen als dieſes; Handle doch keiner von euch an ihm, wie man gemeiniglich an den Ungluͤklichen handelt, die in die Hand der Oberkeit gerathen.

O ihr Menſchen! die Geſchlechter der Erde handeln nicht recht an dieſen Elenden; ſie neh - men zuerſt Theil an ihren Greuelthaten, ſie ſpielen mit ihnen die Spiele ihres Lebens, ſie reizen ſie zu ihren Verbrechen, ſie pflanzen in ihnen den Unſinn ihrer Sitten, und naͤh - ren in ihnen die Keime der Laſter.

Dann aber, wenn ſie ungluͤklich werden, und in die Hand der Oberkeit gerathen, ver - laſſen ſie dieſelbe, und handeln in ihrem Elend gegen ſie, als ob ſie dieſelbe nicht kennten, und nie mit ihnen die Spiele des Muthwil - lens geſpielt haͤtten, durch welche dieſe Elende verheeret worden. O ihr Menſchen! dañ werden dieſe Ungluͤkliche in ihrem Jñern wie wuͤthend uͤber ihr hartes Geſchlecht, ſchluͤken in ſich Verachtung und Menſchenhaß u. Rach - grim̃, und werden zehnfach abſcheulicher als ſie vorher waren. Liebe Menſchen! ich rede ſonſt ſelten, und nicht gern mit euch vom Menſchengeſchlecht und von mehr Leuten,als353als von meiner Herde; aber izt kann ich nicht anderſt es iſt mir, die hundert und abermal hundert tauſend von der Oberkeit beſtrafte Verbrecher ſtehen vor meinen Au - gen, und ich ſehe die Geſchlechter der Men - ſchen allenthalben ſo unbillig und hart gegen dieſe Ungluͤkliche handeln.

Jch moͤchte meine Stimm erheben, und ruffen dem Volk der Erde: Erbarme dich dieſer Elenden! Jch moͤchte meine Stimm erheben, und ruffen dem Volk in niedern Huͤtten, und ihm ſagen: Du Volk in niedern Huͤtten, du kannſt an dieſen Un - gluͤklichen thun, was keine Oberkeit an ihnen thun kann du kannſt ſie wieder zu Men - ſchen machen, du kannſt ſie wieder mit ſich ſelber, und mit ihren Mitmenſchen verſoͤhnen du kannſt ihrem weitern Elend und ihren weitern Verbrechen vorbiegen, und ſie an deiner Hand dahin leiten, daß ſie zu einer friedlichen Ruhſtaͤtt gelangen.

Jch moͤchte dem Volk der Erde, in deſſen Bruſt ein Menſchenherz ſchlaͤgt, zuruffen u. ſagen: Es iſt kein Gottesdienſt u. kein Men - ſchendienſt groͤßer und edler, als die Guͤte, die man gegen Menſchen ausuͤbt, welche durch ihre[Feh]ler verwirret, durch ihre Schande erniedriget, durch ihre Straffe verwildert, wie die gefaͤhrlichſten Kran -Zken354ken zur Wiederherſtellung ihrer gewaltſam zer - ſtoͤrten Natur, und ihres verheerten Da - ſeyns, mehr als alle andere Menſchen, Scho - nung, Menſchlichkeit und Liebe noͤthig haben.

Aber ich erwache von meinem Traum das Volk der Erde ſtehet nicht vor mir, und die Geſchlechter der Erden hoͤren mich nicht; und ihr meine Lieben! mit denen ich rede, werdet an dem Mann, der hier vor euch ſte - het, nicht unbarmherzig und unempfindlich handeln, ſonder vielmehr die Geſchichte ſei - nes Lebens brauchen, daß ihr einander weni - ger plaget, und vorbieget, daß ihr unter ein - ander und von einander je laͤnger je weniger verderbt und verheeret werden und ſo des Elends, das unter uns iſt, taͤglich weniger werde.

Es war ſo druͤkend dieſes Elend, und ich konnte bis auf dieſe Stunde ſo viel als nichts dagegen thun, als Mitleiden mit euch haben, und ſchweigen.

Aber Zeuge biſt du Kanzel des Herrn! wie tief mich euer Elend beugte.

Und noch mehr Zeuge biſt du, todter Stein! aus dem ich nun 20. Jahre das Ge - ſchlecht taufte, das hinter uns aufwuchs Zeuge biſt du was meine Seele litte, wenn ich euere Kinder in meine Hand nahm, und dachte, welch einem Leben ſie entgegen gehen.

Aber355

Aber von nun an erwachet meine Hoff - nung wieder in mir und es preßte mir heute Freudenthraͤnen, da ich das Kind, das ich izt tauffen werde, in euer Buch eingetra - gen. Jch ſchrieb ſeinen Namen Eſther, groͤßer als ſonſt, und mit rother Dinte ich umſchlang das Wort mit einem Kranz, und unter dem Kranz haͤngte ich das Anker der Hoffnung wie an ein Band, oben am Kranz ſchrieb ich den 18. Herbſtmonat, da ihr eue - rem Herrn huldigtet, und meine Thraͤnen fie - len haͤufig auf das Blat, auf dem ich ſo in meiner Freude taͤndelnd mein Herz ausleerte.

Jhr Lieben! vergeſſet auch ihr dieſen 18. Herbſtmonat nicht, und lehret euere Kinder und Kindeskinder, von dieſem Tag an, die Wiederherſtellung euers Gluͤks zaͤhlen.

Jhr Lieben! Jch bezeuge es vor dem An - geſicht Gottes, und ſchmeichle ihm nicht.

Euer Herr will euer Gluͤk, und baut auf Fundamente, die den Wohlſtand euerer Kindeskinder ſicher ſtellen werden, wie eue - ren eigenen.

Die alte fromme Einfalt wieder herzuſtel - len Freuden in Ehren, und Freuden zum Segen euch zu verſchaffen Euch in euern Wohnſtuben gluͤklich zu machen Euch des Lebens Nothdurft ohne Drang und Kummer zu verſchaffen der Lieder -Z 2lich -366[356]lichkeit und der Unordnung vorzubiegen, der Gewaltthaͤtigkeit Gefehrde, und allem Auſſaugen Jnnhalt zu thun und uͤber - haupt auszureuten und auszutilgen die erſten Urſachen des Elends, das ihr littet, und hingegen wieder herzuſtellen, zu reinigen, und euch zuzufuͤhren die Quellen alles Guten, und alles Segens, das euch man - gelte. Das iſt das Ziel euers Herrn, zu welchem ſeine Bemuͤhungen gerichtet, fuͤr welches Er Tage ſorget, und Naͤchte wachet.

Mit dieſen Worten endete der Pfarrer von Bonnal ſeine Rede.

About this transcription

TextLienhard und Gertrud
Author Johann Heinrich Pestalozzi
Extent380 images; 64253 tokens; 7997 types; 405602 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLienhard und Gertrud Ein Buch für's Volk Zweyter Theil Johann Heinrich Pestalozzi. . [6] Bl., 366 [i.e. 356] S. DeckerFrankfurt (Main)Leipzig1783.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, DD90 A 33276 RARAhttps://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=DD90%20A%2033276%20RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

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ShelfmarkGöttingen SUB, DD90 A 33276 RARA
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