PRIMS Full-text transcription (HTML)
Hiſtoriſche Entwickelung der heutigen Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs
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Dritter und letzter Theil von 1740. bis 1786.
Goͤttingen,im Verlage der Wittwe Vandenhoeck,1787.

An der Koͤniginn Sophie Charlotte von Großbritannien gebohrner Herzoginn zu Mecklenburg Koͤnigliche Majeſtaͤt.

Allerdurchlauchtigſte, Großmaͤchtigſte Koͤniginn, Allergnaͤdigſte Koͤniginn und Frau. Der huldreiche Beyfall, den Eure koͤnigliche Majeſtaͤt uͤber die beiden erſten Theile meiner hi - ſtoriſchen Entwickelung der heutigen Teutſchen Reichsverfaſſung, ſelbſt mit einer Aufforderung zur baldigen Fortſetzung derſelben, in einem hoͤchſt - eigenhaͤndigen Schreiben mir zu erklaͤren allergnaͤ - digſt geruhet haben, hat es mir zur angenehmſten Pflicht gemacht, dieſen dritten und letzten Theil, ſo bald es mir nur moͤglich geweſen, zu Stande zu bringen. Bey deſſen Ueberlieferung bleibt mir nichts uͤbrig, als zur fernern koͤniglichen Huld in derjenigen tiefſten Ehrfurcht mich zu empfehlen, in welcher ich erſterbe Eurer koͤniglichen Majeſtaͤt Goͤttingen den 16. Dec. 1786. allerunterthaͤnigſter Diener Johann Stephan Puͤtter.

Inhalt.

  • Eilftes Buch der neueren Zeiten achtet Abſchnitt von Carls des VI. Tode bis zum Aach - ner Frieden 1740 bis 1748. S. 1 bis 66.
  • I. Reichsvicariat nach Carls des VI. Tode 1740-1742. S. 1-6.
  • I. Mißliche Ausſichten fuͤr dieſe Zwiſchenzeit, S. 1. II. inſonderheit unter andern wegen des Reichsvicariats. S. 2. III. IV. Die Haͤuſer Baiern und Pfalz hatten zwar inzwiſchen 1724. einen Hausunionsvertrag geſchloſſen, S. 3. V. und darin auch des Vicariates halber ſich auf eine gemeinſchaftliche Verwaltung deſſelben verglichen. S. 4. VI. Allein es fehlte dazu die Genehmigung des Reichs. S. 5. VII. Am Cammergerichte fand deswe - gen die Verfertigung eines gemeinſchaftlichen Vicariatsſie - gels Anſtand. S. 5. VIII. Und ein Rheiniſches gemein - ſchaftliches Vicariatshofgericht zu Augsburg fand auch kei - nen Beyfall. Alſo war auſſer dem Churſaͤchſiſchen Vi - cariatshofgerichte beynahe ein Stillſtand im Reichsjuſtitz - weſen. S. 6.
  • II. Schickſale der pragmatiſchen Sanction bis zur Kaiſerwahl Carls des VII. 1740-1742. S. 7-16.
  • I. Anſpruͤche des Hauſes Baiern auf die Oeſterreichi - ſche Erbfolge zur Entkraͤftung der pragmatiſchen Sanction. S. 7. II. Deren Begruͤndung von wegen der ſo ge - nannten Regredienterbſchaft; S. 8. III. die jedoch zum Nachtheile derer, die zum Letzten vom Mannsſtamm in naͤ - herem Verhaͤltniſſe ſtehen, nicht ſtatt findet. S. 9. IV. V. Denn Recht und Ordnung der Erbfolge ſind zweyerley;a 4S.Inhalt. S. 9. VI. und eine Erbfolge, die einmal in eine Li - nie gekommen, bleibt in derſelben, ſo lange ſie waͤhret. S. 11. VII. Darum hatte Carls des VI. Tochter Ma - ria Thereſia vor allen entfernteren weiblichen Nachkommen der vorigen Herren des Hauſes den Vorzug. S. 11. VIII. Der bey den Verzichten der Toͤchter gewoͤhnliche Vor - behalt wirkt fuͤr ihre Nachkommen nur in ſo fern, als ſie die Reihe trifft. S. 12. IX. Die ins Hans Baiern ver - maͤhlte Erzherzoginn Anna konnte ſich alſo fuͤr ihre Nach - kommen nur ſo viel vorbehalten, daß ihnen nach Abgang des Oeſterreichiſchen Mannsſtamms ihr Verzicht nicht mehr im Wege ſtehen ſollte; nicht aber daß ſie vor allen anderen weiblichen Nachkommen und ſelbſt vor der Tochter des Letz - ten vom Mannsſtamme den Vorzug haben ſollten; S. 13. X. obgleich verſchiedene Rechtsgelehrte, aus uͤbel angewand - ten Roͤmiſchen Rechtsgrundſaͤtzen von bedingten Verzicht - leiſtungen, anderer Meynung waren. S. 13. XI. Ma - ria Thereſia kam auch der pragmatiſchen Sanction gemaͤß zum Beſitz, S. 14. XII. und uͤbertrug ihrem Gemah - le, um ihn zur Kaiſerwuͤrde zu verhelfen, die Ausuͤbung der Boͤhmiſchen Churſtimme. S. 14. XIII. Allein durch einen Einbruch, den der Koͤnig von Preuſſen in Schleſien vornahm, um die Anſpruͤche ſeines Hauſes auf Jaͤgerndorf, Liegnitz, Brieg und Wohlan geltend zu machen, gaben der ganzen Sache eine andere Wendung. S. 14. XIV. XV. Denn die Krone Frankreich bewirkte jetzt einen Bund zu Nymphenburg um ſowohl die Oeſterreichiſche Erbfolge als die Kaiſerwuͤrde dem Hauſe Baiern zuzuwenden. S. 15.
  • III. Wahlcapitulation Carls des VII. Neue Verordnungen derſelben, inſonderheit von Mißhei - rathen. Fuͤrſtentag zu Offenbach. Churfuͤrſtliche Collegialſchreiben. 1742. S. 17-31.
  • I. Vermuthete Veraͤnderungen in der Wahlcapitulation. S. 17. II. Deswegen angeſtellter Fuͤrſtentag zu Offen - bach. S. 18. III. Churfuͤrſtliche Collegialſchreihen. S. 19. IV. Widerſpruch der Fuͤrſten gegen verſchiedene neue Stellen in der Wahlcapitulation, S. 20. V. in - ſonderheit einige den Reichsvicarien zugeſtandene Vortheile betreffend. S. 21. VI. Mit anderen Stellen waren je -dochInhalt. doch die Fuͤrſten einverſtanden; als namentlich mit ei - ner neu eingeruͤckten Stelle gegen Mißheirathen, S. 22. VII. VIII. die zwar ſchon in aͤlterem Herkommen gegruͤn - det war, nicht nur in Anſehung morganatiſcher Ehen, da abſichtlich die Unſtandesmaͤßigkeit der Gemahlinn und Kinder bedungen wird, S. 22. IX. ſondern auch ohne ſolche Verabredung; X. ohne daß auch Standeserhoͤ - hungen wider Willen der Stammsvettern dagegen etwas wirken koͤnnen. S. 25. XI. Nur die gemeinen Roͤmi - ſchen und paͤbſtlichen Rechte ſchienen hier andere Grund - ſaͤtze aufzubringen. S. 26. XII. Daruͤber gab eine Miß - heirath des Herzog Anton Ulrichs von Sachſen-Meinungen Anlaß zu dieſer neuen Stelle in der Wahlcapitulation, S. 27. XIII. welche hernach ſelbſt durch einen Reichsſchluß beſtaͤtiget wurde. S. 27. XIV. Nur eine naͤhere Be - ſtimmung, was eigentlich Mißheirathen ſeyen? ward noch auf einen kuͤnftigen Reichsſchluß ausgeſtellt; inſonder - heit ob die Ehe eines Fuͤrſten mit einer Adelichen eine Miß - heirath ſey; S. 28. XV. wie allerdings der Teutſchen Verfaſſung gemaͤß zu ſeyn ſcheint; S. 29. XVI. da auch widrigenfalls bedenkliche Folgen zu erwarten ſeyn moͤch - ten; S. 29. XVII. Auf dieſes und mehr andere Colle - gialſchreiben iſt inzwiſchen noch keine Reichsberathſchlagung erfolget. S. 30.
  • IV. Merkwaͤrdigkeiten der Regierung Kaiſer Carls des VII. 1742. Jan. 24. 1745. Jan. 20. S. 31-37.
  • I. So kurz dieſe Regierung war, ſo fruchtbar war ſie doch an wichtigen Begebenheiten. S. 31. II. III. In - ſonderheit bekam die Preuſſiſche Macht einen betraͤchtlichen Zuwachs an Schleſien und Oſtfriesland; S. 31. IV. Dem Hauſe Sachſen-Weimar fiel Eiſenach zu, S. 32. V. und dem Hauſe Naſſau-Oranien Siegen, wiewohl auf letzteres noch ein Praͤtendent Anſpruch machte. S. 33. VI. Das Haus Holſtein-Gottorp bekam nahe Ausſichten zur Throufolge in Schweden und Rußland. S. 34. VII. Das Haus Heſſencaſſel erhielt einen guͤnſtigen Reichs - ſchluß zu Befeſtigung ſeines Beſitzes in der Grafſchaft Ha - nau, wie auch ein unbeſchraͤnktes Appellationsprivile - gium. S. 35. VIII. Durch kaiſerliche Standeserhoͤhun -a 5genInhalt. gen wurden verſchiedene neue Fuͤrſten gemacht. S. 36. IX. Manche Veraͤnderungen, die ſonſt noch in der Reichs - verfaſſung zu erwarten geweſen ſeyn moͤchten, unterbrach noch der Tod des Kaiſers. S. 36.
  • V. Merkwuͤrdigkeiten beym Antritt der Regie - rung Kaiſers Franz des I. 1745. S. 37-46.
  • I. Fuͤßner Friede zwiſchen Oeſterreich und Baiern. S. 37. II. Kaiſerwahl und Kroͤnung Franz des I. S. 38. III. Nunmehrige Zulaßung des Boͤhmiſchen Wahlbotſchaf - ters, ohne weitern Anſtand, daß eine Dame die Churſtim - me fuͤhren koͤnne. S. 38. IV. Dresdner und Aachner Friedensſchluͤſſe. S. 38. V. Beide ohne Theilnehmung des Reichs, S. 39. VI. außer daß der Dresdner Frie - de vom Reiche garantirt wurde, nur mit Vorbehalte der Rechte des Reichs in Anſehung Schleſiens. S. 40. VII. Das Reich hatte dem Kaiſer nur eine Geldhuͤlfe be - williget, und ſich zur Vermittelung des Friedens erboten. S. 40. VIII. Neue Frage und Verordnung uͤber die Fortdauer der Aſſociation der vorliegenden Kreiſe. S. 41. IX. Neue Einrichtung wegen Abwechſelung des Rheiniſchen Reichsvicariates. S. 41. X. Ruͤckkehr des ehemaligen Verhaͤltniſſes zwiſchen der Kaiſerwuͤrde und dem Hauſe Oe - ſterreich. S. 42. XI. Damit gehobene Schwierigkeit wegen des kaiſerlichen Reichshofarchives, S. 43. XII. wie auch wegen Veraͤnderung des Reichshofraths von einer kaiſerlichen Regierung zur andern, S. 44. XIII. in - gleichen mit den Stellen des Reichsvicecanzlers und Reichs - referendarien. S. 44.
  • VI. Reichstagsverhandlungen uͤber Recurſe und Ceremonielſtreitigkeiten 1745-1748. S. 47-66.
  • I. II. Von Reichsgerichts-Erkenntniſſen wurden jetzt immer haͤufiger Recurſe an den Reichstag genommen. S. 47. III. Doch war ſchwer zu beſtimmen, in welchen Faͤllen es mit Recht geſchehe? S. 49. IV. V. Vier jetzt gegen das Cammergericht betriebene Recurſe veran - laßten die Frage: ob nicht wenigſtens erſt Bericht vom Cam - mergerichte zu fordern ſey? S. 50. VI. Eine ſcheinbare Ausfuͤhrung erſchien dawider; S. 52. VII. doch imGrun -Inhalt. Grunde war mehr fuͤr die Berichtsforderung. S. 54. VIII. IX. Inſonderheit diente ein Sachſen-Meinungiſcher Recurs in der Gleichiſchen Sache bald zum Beweiſe, daß ſelbſt Thatſachen, wie ſie in fuͤrſtlichen Schriften erzehlt werden, nicht immer ganz zuverlaͤßig ſeyen. S. 55. X. Ein Churpfaͤlziſcher Recurs erhielt zwar ein guͤnſtiges chur - fuͤrſtliches Concluſum; aber die Hoffnung zu einem gleich - maͤßigen fuͤrſtlichen Schluſſe ward noch vereitelt. S. 57. XI. Ueber einen andern Recurs des Herzog Anton Ulrichs von Sachſen-Meinungen wegen der Succeſſionsfaͤhigkeit ſeiner in einer Mißheirath erzeugten Soͤhne erfolgte ein wi - driger Reichsſchluß. S. 58. XII. XIII. Als der neue Principalcommiſſarius, Fuͤrſt von Taxis, das erſtemal zur Tafel bitten ließ, erwachte der alte Rangſtreit zwiſchen geiſt - lichen und weltlichen Fuͤrſten; S. 59. XIV-XVIII. Woruͤber zehn Schriften vom Heſſencaſſeliſchen, Heſſendarm - ſtaͤdtiſchen, Bambergiſchen, Graͤflichen, Hollaͤndiſchen und Bairiſchen Geſandten nach einander zum Vorſcheine kamen; deren Hauptinhalt hier bemerklich gemacht wird. S. 61.
  • Zwoͤlftes Buch der neueren Zeiten neunter Abſchnitt vom Aachner Frieden bis zur Roͤ - miſchen Koͤnigswahl Joſephs des II. 1748-1764. S. 67-113.
  • I. Der Friedenszeit bis zum ſiebenjaͤhrigen Kriege erſte Abtheilung 1748-1753. Inſonderheit die in dieſer Zeit vorgegangene Muͤnzveraͤnderung; Hohenlohiſche Religionsbeſchwerden; und Recurs gegen die Reichsritterſchaft. S. 67-78.
  • I. Veraͤnderungen, ſo im bisherigen Syſteme von Eu - ropa ſeit dem Aachner Frieden merklich geworden, in - ſonderheit das Vernehmen zwiſchen Oeſterreich und Frank - reich betreffend; S. 68. II. Benutzung dieſer Friedens - zeit, beſonders in den Preuſſiſchen Staaten. S. 69. III. Muͤnzveraͤnderung, wegen unrichtigen Verhaͤltniſſes zwi - ſchen Gold und Silber, S. 69. IV. ſo Graumann imLeip -Inhalt. Leipziger Fuße entdeckt. S. 70. V. Dadurch veranlaßter Schriftwechſel, S. 71. VI. und ſo genannter Conven - tionsfuß. S. 71. VII. Hohenlohiſche Religionsbeſchwer - den, S. 72. VIII. woruͤber das evangeliſche Corpus die im Weſtphaͤliſchen Frieden nachgelaßene Selbſthuͤlfe ver - fuͤget, S. 73. IX. am kaiſerlichen Hofe aber und beym catholiſchen Religionstheile großes Aufſehen erwaͤchſt. S. 73. X. XI. Wider die Reichsritterſchaft wird von Wuͤr - tenberg ein wichtiger Recurs betrieben; S. 74. XII. in - ſonderheit wegen fortgehender Beſteurung ritterſchaftlicher Guͤter, die in reichsſtaͤndiſche Haͤnde kommen; S. 75. XIII. wie auch wegen des von der Reichsritterſchaft be - haupteten Naͤherrechts im Verkaufen ritterſchaftlicher Guͤter; wegen gemeinſamer Vertretung ihrer einzelnen Glieder; we - gen haͤufiger Aufnahme ſo genannter Perſonaliſten ꝛc. ; S. 76. XIV. jedoch ohne daß der bewirkte Reichsſchluß dem gewuͤnſchten Zwecke gemaͤß ausfaͤllt. S. 77.
  • II. Der Friedenszeit bis zum ſiebenjaͤhrigen Kriege zweyte Abtheilung 1753-1756. Neuer Stoff zu Irrungen zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Berlin, und zwiſchen beiden Religionstheilen. S. 78-86. I. Neue Vorfaͤlle, wo die Hoͤfe zu Wien und Berlin, oder auch beide Religionstheile verſchieden dachten. S. 78. II. III. Einfuͤhrung der Taxiſchen Stimme im Reichsfuͤr - ſtenrathe gegen die Mehrheit der Stimmen auf der weltli - chen Fuͤrſtenbank. S. 79. IV. V. Religionsaͤnderung des damaligen Erbprinzen von Heſſencaſſel, und deshalb getroffene Verſicherungsanſtalten. S. 80. VI. Trans - plantation der evangeliſchen Unterthanen in Kaͤrnthen, Steiermark und Oberoeſterreich nach Ungarn und Sieben - buͤrgen. S. 83. VII. Neuer Bau eines Capucinerklo - ſters in der graͤflich Wiedrunkeliſchen Reſidenz zu Dierdorf. S. 84. VIII. Geheime Nachricht, daß man zu Wien damit umgehe, den Religionsſachen im Reiche ein anderes Anſehen zu geben, und Schleſien wieder zu erobern. S. 86.
  • III. Urſachen des ſiebenjaͤhrigen Krieges, und was Kaiſer und Reich dabey fuͤr eine Parthey er - griffen. 1756. 1757. S. 87-97.
  • I. Geheimer Vertrag, den die Hoͤfe von Wien und Dresden am 18. May 1745. zu Leipzig geſchloſſen, um dem Koͤnige in Preuſſen nicht nur Schleſien, ſondern noch mehr Laͤnder abzunoͤthigen. S. 87. II. Geheimer Artikel ei - nes vom Wiener Hofe mit dem zu Petersburg am 22. May 1746. geſchloſſenen Buͤndniſſes. S. 88. III. Noch hin - zugekommene geheime Nachrichten, wegen deren der Koͤnig in Preuſſen glaubte, ſich im Fall einer Nothwehr und ge - rechten Praͤvention zu finden. S. 89. IV. Der Reichs - hofrath nahm es hingegen auf den Fuß eines Landfriedens - bruchs. S. 90. V. Und am Reichstage ward ein Reichs - executionskrieg gegen Churbrandenburg beſchloſſen. S. 91. VI. Wegen Verſagung der Dictatur, die einem dawider ge - richteten Aufſatze des Berliner Hofes widerfuhr, ward bey dieſer Gelegenheit eine bisher beſtrittene Stelle der Wahlca - pitulation in Gang gebracht. S. 94. VII. VIII. Auch entſtand ein Streit uͤber die Art die Stimmen auf dem Reichstage abzulegen. S. 93. IX. Inzwiſchen erfolgte eine Erklaͤrung der Kronen Frankreich und Schweden wegen ihrer uͤbernommenen Garantie des Weſtphaͤliſchen Friedens. S. 95. X. Hingegen der Berliner Hof berief ſich auf eine Stelle der Wahlcapitulation, vermoͤge deren keine frem - de Kriegsvoͤlker auf Teutſchen Boden gefuͤhret werden ſoll - ten. S. 96. XI. Nach einer vom Koͤnige verlohrnen Schlacht und nach dem Vorgange Franzoͤſiſcher, Ruſſiſcher und Schwediſcher Kriegsheere kam auch ein Reichsexecu - tionsheer ins Feld, ward aber bey Roßbach geſchlagen. S. 96.
  • IV. Reichsexecutionskrieg 1757., und was da - bey in Anſehung der Reichskriegsverfaſſung vorge - kommen. S. 98-108.
  • I. Maͤngel der Reichskriegsverfaſſung, wie ſie inſon - derheit bey der Schlacht bey Roßbach entdeckt worden; beſonders wegen der jedem Reichsſtande uͤberlaßenen Unter - haltung ſeines Contingents; S. 98. II. wegen der des - wegen erforderlichen vielen Beckereyen, S. 99. III. we -genInhalt. gen Verſchiedenheit der Loͤhnung; S. 101. IV. wegen Mangels vieler Kriegsbeduͤrfniſſe und ungleicher Calibre ꝛc. S. 101. V. Reichsoperationscaſſe von bewilligten Roͤmer - monathen, VI. und deren Berechnung. S. 102. VII. VIII. Aſſignationen und Compenſationen, ſo dabey vorzukommen pflegen. S. 103. IX. Beſteurung der Un - terthanen zu den Roͤmermonathen; deren Vervielfaͤlti - gung fuͤr nicht bewaffnete Staͤnde. S. 105. X. Reichs - generalitaͤt, S. 105. XI. die jetzt auch in Friedenszeit unterhalten wird, S. 106. XII. aber nur bey wuͤrkli - chen Feldzuͤgen Vortheile zu genießen hat. S. 107. XIII. Ueber die Befehlshabung des Reichskriegsheeres wird jedes - mal beſondere Verfuͤgung getroffen. S. 107. XIV. Ein Reichskriegsrath, der vermoͤge der Wahlcapitulation von beiden Religionstheilen beſtellt werden ſollte, iſt wuͤrklich nicht in Uebung. S. 108.
  • V. Verhandlungen uͤber das Vorhaben den Koͤnig in Preuſſen in die Acht zu erklaͤren, und uͤber einen Friedenscongreß zu Augsburg. Endlich ge - ſchloſſener Friede zu Hubertsburg. 1758-1763. S. 109-113.
  • I. Als es im Werk war unmittelbar in den drey Reichs - collegien auf die Achtserklaͤrung des Koͤnigs in Preuſſen an - zutragen; beſchloß das evangeliſche Corpus zur Aufrechthal - tung der Wahlcapitulation in partes zu gehen. S. 109. II. Dieſen Schluß unternahm der Kaiſer vergeblich fuͤr nich - tig zu erklaͤren. S. 110. III. Zum Friedenscongreſſe, der zu Augsburg gehalten werden ſollte, wollte das Reich ſich aufdringen, S. 111. IV. und auf Beſtaͤtigung der vorigen Friedensſchluͤſſe, ohne den Ryßwickiſchen davon aus - zunehmen, dringen. Daruͤber kam es wieder zur Tren - nung beider Religionstheile; und aus dem Congreſſe wurde nichts. S. 111. V. Dem Kriege wurde inzwi - ſchen durch anderweitige Friedensſchluͤſſe, inſonderheit zu Paris und zu Hubertsburg, ein Ende gemacht. S. 112.
  • Dreyzehntes Buch der neueren Zei - ten zehnter Abſchnitt von Joſeph dem II. 1764-1786. S. 114-214.
  • I. Roͤmiſche Koͤnigswahl Joſephs des II. 1764. S. 114-120.
  • I. Churfuͤrſtlicher Collegialtag und Wahlconvent zu Frankfurt. S. 114. II. Wahlcapitulation und churfuͤrſt - liche Collegialſchreiben an den Kaiſer. S. 115. III. Zwey kaiſerliche Commiſſarien bey dieſer churfuͤrſtlichen Ver - ſammlung. S. 116. IV. Irrung uͤber die Zahl der Ca - nonenſchuͤſſe bey der Ankunft der kaiſerlichen Commiſſarien und der Churfuͤrſten. S. 116. V. Abaͤnderung in Anſe - hung der ehemaligen perſoͤnlichen Anweſenheit des neu ge - wehlten Roͤmiſchen Koͤnigs im Conclave, S. 117. VI. und in Anſehung der ſonſt demſelben perſoͤnlich ertheilten vaͤterlichen Einwilligung. S. 117. VII. Vollziehung dieſer Roͤmiſchen Koͤnigswahl ohne vorgaͤngige Einwilligung des Reichstages. S. 118. VIII. Diesmal waren das erſtemal alle neun churfuͤrſtliche Stimmen bey der Wahl im Gange. S. 119. IX. Neue Beſchwoͤrung der Churver - ein. Beſondere Bemerkung uͤber die Abwechſelung im Range zwiſchen Churtrier und Churcoͤlln. S. 119. X. Genehmigter Vergleich der Hoͤfe zu Muͤnchen und Manheim uͤber die Abwechſelung des Rheiniſchen Reichsvicariates. Noch ein Vergleich der Vicariatshoͤfe uͤber die Graͤnzen des Rheiniſchen und Saͤchſiſchen Vicariates ward zur reichstaͤ - gigen Berathſchlagung und Genehmigung empfohlen. S. 120.
  • II. Cammergerichts-Viſitation 1767-1776. S. 121-151.
  • I. Preiswuͤrdiger Juſtitzeifer Joſephs des II., S. 122. II. wie er ſich durch eine eigne Verordnung an den Reichshofrath an den Tag legte, S. 122. III. und von einer vorzunehmenden Viſitation des Cammergerichts das beſte hoffen ließ. S. 123. IV. Daruͤber ward ſchon eine wichtige Reichstagsberathſchlagung in Gang gebracht. S. 124. V. Aber aus einer Schrift unter dem Titel: Betrachtungen uͤber das Viſitationsweſen, ergaben ſich ganzneueInhalt. neue Grundſaͤtze, als ob die Viſitation nur ein Gericht ſey; S. 124. VI. und nicht vom Reichstage abhange, S. 125. VII. ſondern vermoͤge eines R. A. vom Jahre 1543. nur vom kaiſerlichen Hofe; S. 126. VIII. der al - ſo in Gefolg der ſchon vorhandenen Reichsgeſetze alles uͤbri - ge fuͤr ſich beſtimmen koͤnne. S. 127. IX. Dieſe Grund - ſaͤtze fieng man zu Wien an zu befolgen. S. 128. X. Die Viſitation ward im May 1767. eroͤffnet. S. 129. XI. Nun ereignete ſich gleich anfangs eine Schwierigkeit wegen Abtheilung der eigentlichen Viſitation und der Revi - ſionen; S. 130. XII. und wegen einer Churmainziſchen Behauptung in jedem Reviſionsſenate einen Subdelegirten zu haben; S. 131. XIII. welches eine von den Veran - laßungen war, woruͤber die Viſitation zuletzt ſcheiterte. S. 132. XIV. Dazu kam eine ſehr weitlaͤuftige Behand - lung des Geſchaͤffts mit jedesmaligen 24. grundausfuͤhrli - chen gelehrten Abſtimmungen; S. 133. XV. ohne daß der Vorſchlag Subdeputationen zu veranſtalten ins Werk gerichtet werden konnte. S. 134. XVI. Eine unerwar - tete Entdeckung, daß ein Jude mit Sollicitaturen ein Ge - werbe getrieben, und drey Aſſeſſoren ſich beſtechen laßen, gab Stoff zu einer weitlaͤuftigen Unterſuchung. S. 134. XVII. Nach Verlauf eines Jahres entſtand Streit uͤber die Abloͤſung der erſten Claſſe, wozu es doch erſt im Nov. 1774. kam. S. 135. XVIII. Noch entſtand ein Streit, ob die kaiſerliche Commiſſion einen durch Mehrheit der Stimmen gefaßten Schluß durch Verſagung ihrer Genehmigung ent - kraͤften koͤnne? S. 137. XIX. Ein Bericht an Kaiſer und Reich veranlaßte endlich einen Reichsſchluß uͤber ver - ſchiedene bey der Viſitation vorgekommene Gegenſtaͤnde. S. 137. XX. Zur Berichtigung des Concepts der C. G. O. hatte die Viſitation vorlaͤufig einiger Aſſeſſoren Gutach - ten bewirket, aber ſelbſt noch nicht Hand angelegt. S. 138. XXI. Hingegen viele Beſchwerden einzelner Reichs - ſtaͤnde in ihren Rechtsſachen hatten die Viſitation uͤber die Gebuͤhr beſchaͤfftiget. S. 139. XXII. Endlich kam noch ein Streit uͤber die Art der graͤflichen Theilnehmung an der Viſitation hinzu, die nicht einzelnen Grafen ſondern nur den vier Grafencollegien zugeſtanden werden konnte, S. 140. XXIII-XXV. wovon das Fraͤnkiſche und Weſtphaͤ - liſche ſowohl als das Wetterauiſche bisher fuͤr pur evange - liſch gerechnet waren. S. 141. XXVI. So hatte auchnochInhalt. noch 1766. der ganze Reichstag die Sache genommen. S. 143. XXVII. XXVIII. Jetzt ſollten aber auf ein - mal die Weſtphaͤliſchen und Fraͤnkiſchen Grafen nach ein - ander auf der catholiſchen Seite berufen werden, wie bey der zweyten Claſſe ein catholiſcher Bevollmaͤchtigter des Grafen von Metternich von wegen der Weſtphaͤliſchen Gra - fen erſchien. S. 144. XXIX. XXX. Daruͤber erfolgten zu Regensburg von beiden Religionstheilen einander entge - gengeſetzte Schluͤſſe, und zu Wetzlar eine ungluͤckliche Trennung der ganzen Viſitation. S. 146. XXXI. XXXII. Auch erſchienen von beiden Seiten Schriften, deren Werth erſt die Nachwelt unpartheyiſch zu beurtheilen vermoͤgend ſeyn wird. S. 147. XXXIII. Der Vorwurf, daß ein von Carlsruh erlaßenes Schreiben auf das ganze Geſchaͤfft widrigen Einfluß gehabt haben ſollte, war zuver - laͤßig ungegruͤndet. S. 149.
  • III. Ueberbleibſel der Cammergerichtsviſitation. Streit uͤber die Religionseigenſchaft der Fraͤnkiſch und Weſtphaͤliſch graͤflichen Stimmen. Befolgung des Reichsſchluſſes 1775. S. 152-169.
  • I. Erfolg des Streits uͤber die Religionseigenſchaft der Fraͤnkiſch und Weſtphaͤliſch graͤflichen Stimmen. Fuͤnfjaͤhrige voͤllige Unthaͤtigkeit des Reichstages. S. 152. II. Vermehrung der Anzahl der Cammergerichtsbeyſitzer bis auf 25. erſt ſeit dem 1. Jun. 1782. S. 155. III - VII. Befolgung des Reichsſchluſſes 1775. in Anſehung der Senate am C. G. mit merklichen Mißdeutungen und noch immer uͤbrig gelaßenen Anſtaͤnden. S. 156. VIII. Andere Verfuͤgungen des Reichsſchluſſes, um allerley nach - theilige Directorialwillkuͤhren einzuſchraͤnken. S. 161. IX. Verſchiedene Gegenſtaͤnde, woruͤber erſt die Viſitation berichten ſollte, die aber inzwiſchen abgebrochen iſt, und alſo erſt wieder hergeſtellt werden muͤßte. S. 162. X. XI. Vorzuͤglich wuͤnſchenswerth waͤre eine naͤhere geſetzliche Beſtimmung der Faͤlle, wann Mandate ohne Clauſel von Reichsgerichten ſollen erkannt werden koͤnnen; S. 162. XII. ingleichen der ſo genannten Ordinationen, die erſt in neueren Zeiten am Cammergerichte haͤufig in Gang gekom - men ſind; S. 164. XIII. und wie den Colliſionen, diebſichInhalt. ſich oft zwiſchen beiden Reichsgerichten ereignen, abzuhel - fen ſey; S. 166. XIV. da unter andern der Reichs - hofrath in Sachen, welche kaiſerliche Reſervatrechte und die Aufrechthaltung der paͤbſtlichen Concordate betreffen, dem Cammergerichte keine concurrirende Gerichtbarkeit zu - geſtehen will. S. 167. XV. Woruͤber wegen einer von Seiten des kaiſerlichen Hofes einſeitig geſchehenen Abforde - rung der Cammergerichts-Acten und Berathſchlagungs Pro - tocolle noch erſt 1786. neue Irrungen entſtanden ſind. S. 168. XVI. Biedermaͤnniſcher Wunſch, daß allen ſol - chen Irrungen durch Befolgung gleichfoͤrmig richtiger Grund - ſaͤtze abgeholfen werden moͤchte. S. 169.
  • IV. Neue Ausſichten fuͤr die Religionsbe - ſchwerden. S. 170-174.
  • I. II. Zu Abhelfung der Religionsbeſchwerden war ſeit 1742. eine neue Stelle in die Wahlcapitulation eingeruͤckt, S. 170. III. und auf Veranlaßung eines churfuͤrſtli - chen Collegialſchreibens 1764. von Joſeph dem II. eine preis - wuͤrdige Erklaͤrung ertheilet. S. 171. IV. Zu deren Be - folgung und Benutzung ward 1770. eine beſondere Depu - tation ſechs evangeliſcher Reichsſtaͤnde beſchloſſen und ins Werk gerichtet; wozu jedoch die zur Beſtreitung der Unko - ſten noͤthigen Geldbeytraͤge mit Ausgang des Jahres 1784. meiſt erſchoͤpft ſind. S. 173.
  • V. Veraͤnderungen in der catholiſchen Kirchen - verfaſſung; beſonders mit Aufhebung der Jeſuiten. S. 174-184.
  • I. Erneuerte Beſchwerden der Teutſchen catholiſchen Kirche uͤber den Roͤmiſchen Hof, S. 174. II. inſon - derheit auf Veranlaßung eines Streits zwiſchen dem Bi - ſchofe und Domcapitel, und dem Domdechanten zu Speier, den die paͤbſtliche Rota zum Nachtheile der erzbiſchoͤflichen Inſtanz zu Mainz nach Rom ziehen wollte; S. 175. III. da jedoch, auf ein churfuͤrſtliches Collegialſchreiben an den Kaiſer, der Pabſt nachgab; wiewohl der Inhalt die - ſes Collegialſchreibens noch nicht ganz erſchoͤpft iſt. S. 175. IV. Inzwiſchen erſchien daruͤber in Druck eine vollſtaͤndi -gereInhalt. gere Ausgabe der Concordate, mit eingeruͤckter Acceptation der Baſeliſchen Concilienſchluͤſſe, und ein der paͤbſtlichen Gewalt ſehr nachtheiliges Buch unter dem Namen Juſtinus Febronius. S. 178. V. Auch entwarfen die drey geiſt - lichen Churfuͤrſten von neuem ihre Beſchwerden uͤber den Roͤmiſchen Hof; wiewohl ohne noch die gehoffte Unter - ſtuͤtzung vom Kaiſer zu erlangen. S. 180. VI. Die wichtigſte Veraͤnderung ereignete ſich endlich mit Aufhebung der Jeſuiten; S. 180. VII. wovon ſich ſchon mit mehr Aufklaͤrung und toleranteren Geſinnungen betraͤchtliche Fol - gen zu zeigen anfiengen; S. 181. VIII. zum Theil ſchon unter Maria Thereſia, aber noch ungleich mehr unter Jo - ſeph dem II., in den Oeſterreichiſchen Erbſtaaten. S. 182. IX. Doch blieben noch immer Exjeſuiten in Teutſchland wirkſam gnug. S. 182. X. Und unter Ruſſiſchem Schutze fand der Orden noch Mittel von neuem ſich fortzupflanzen. S. 183.
  • VI. Abgang des Hauſes Baiern und daruͤber entſtandener Krieg bis zum Teſchner Frieden 1777 - 1779. S. 185-202.
  • I. Nach Abgang des Hauſes Baiern behauptete Chur - pfalz die Erbfolge in deſſen Staaten. S. 186. II. III. Allein Oeſterreich machte jetzt Anſpruch auf Niederbaiern, S. 186. IV. und auf Lehnſtuͤcke, die dem Reiche und der Krone Boͤhmen eroͤffnet ſeyen. S. 188. V. Der Churfuͤrſt von der Pfalz bequemte ſich dieſe Anſpruͤche anzu - erkennen. S. 188. VI. Aber der Herzog von Zwey - bruͤcken widerſprach, und wurde, nebſt anderen Anſpruͤchen des Churhauſes Sachſen und des Herzogs von Mecklenburg, vom Koͤnige in Preuſſen unterſtuͤtzt. S. 188. VII-IX. Als es daruͤber zum Kriege kam, gab eine Erklaͤrung des Ruſſiſchen Hofes den groͤßten Nachdruck; S. 189. X. ſo daß es unter Ruſſiſcher und Franzoͤſiſcher Vermittelung zu Teſchen bald zum Frieden kam; vermoͤge deſſen be - kam Oeſterreich nur den Strich Landes zwiſchen der Do - nau, dem Inn und der Salze. S. 192. XI. Churſach - ſen bekam fuͤr die Mobiliarverlaßenſchaft ſechs Millionen Gulden. S. 193. XII. Dem Hauſe Mecklenburg wur - de zu einer unbeſchraͤnkten Befreyung von allen Appellatio -b 2nenInhalt. nen Hoffnung gemacht. S. 194. XIII. Ein gelegent - lich erhobener Anſtand wegen kuͤnftiger Wiedervereinigung der Brandenburgiſchen Fuͤrſtenthuͤmer in Franken mit der Chur Brandenburg wurde gaͤnzlich gehoben. S. 196. XIV. Ueber alles das enthielt der Teſchner Friede nicht nur die Garantie von Frankreich und Rußland; ſondern es erfolgte auch die ausbedungene Einwilligung des Teutſchen Reichs; nur mit Vorbehalt eines jeden Dritten erweis - licher Rechte, S. 196. XV. wie namentlich theils ſchon zu Teſchen, theils zu Regensburg verſchiedene Reichsſtaͤnde ſich mit ihren Anſpruͤchen gemeldet hatten, wovon z. B. die von Salzburg und wegen Donawerth noch durch be - ſondere Vergleiche gehoben ſind. S. 197. XVI. We - gen der erledigten Reichslehne erfolgte auch die erforderliche Einwilligung der beiden hoͤheren Reichscollegien; und uͤber alles das die kaiſerliche Genehmigung. S. 198. XVII. Der ganze Friede war nicht nur Franzoͤſiſch abge - faſſet, ſondern auch in dieſer Sprache ohne beygefuͤgte Ueber - ſetzung dem Reichstage vorgelegt worden. S. 199.
  • VII. Neueſte Vorfaͤlle ſeit dem Teſchner Frie - den. Tod der Kaiſerinn Maria Thereſia. Fuͤrſten - bund 1785. Schluß des Zeitalters Friedrichs des II. S. 203-213.
  • I. Joſephs des II. Regierungsantritt und große neue Veranſtaltungen in ſeinen Erblanden. Irrungen mit den vereinigten Niederlanden wegen Eroͤffnung der Schel - de ꝛc. S. 203. II. Beſorgniſſe wegen einiger bey der Gelegenheit geaͤußerten Grundſaͤtze; S. 204. III. IV. wie auch wegen verſchiedener Unternehmungen gegen das Hoch - ſtift Paſſau und das Erzſtift Salzburg; S. 204. V. ingleichen wegen verſchiedener in Reichsſachen von aͤlteren Zeiten her von neuem hervorgeſuchter kaiſerlichen Vorrech - te, S. 206. VI. z. B. der ſo genannten Panisbriefe; S. 207. VII. ferner wegen ein und andern Betragens der Oeſterreichiſchen Directorialgeſandtſchaft zu Regensburg; S. 208. VIII. und wegen einiger Unternehmungen ge - gen mindermaͤchtige Nachbaren. S. 210. IX. Endlich dem Herzoge von Zweybruͤcken zugemuthete Einwilligung, Baiern gegen die Oeſterreichiſchen Niederlande unter demTitelInhalt. Titel eines Koͤnigreichs Burgund vertauſchen zu laßen; S. 210. X. ſo zu Berlin dem Teſchner Frieden zuwider gehalten wurde. S. 211. XI. Daruͤber geſchloſſener Fuͤrſtenbund; eine der letzten Thaten Friedrichs des II., deſſen Zeitalter hiermit einen merkwuͤrdigen Abſchnitt in der Geſchichte macht. Hoffnung und Wunſch die bisher entwickelte Reichsverfaſſung bis auf die ſpaͤteſten Zeiten da - durch befeſtiget zu ſehen! S. 212.
  • Vierzehntes Buch. Einige allgemeine Bemerkungen uͤber die Verfaſſung des Teutſchen Reichs, wie ſie jetzt wuͤrklich iſt. S. 214.
  • I. Einige Bemerkungen uͤber die drey Orte Wien, Regensburg und Wetzlar, wo die Reichs - verfaſſung noch am meiſten ſichtbar iſt. S. 214-233.
  • I. Noch immer fortwaͤhrende Einheit des Teutſchen Reichs, wie ſie beſonders vorzuͤglich noch zu Wien, Re - gensburg und Wetzlar ſichtbar iſt. S. 214. II. Zu Wien werden die Reichsſachen nur ſehr durch das groͤßere Gewicht der kaiſerlichen Erblande verdunkelt. S. 215. III. Zur Geſchaͤfftsbehandlung zwiſchen dem kaiſerlichen Ho - fe und den Reichsſtaͤnden dienen uͤbrigens theils Reichshof - rathsagenten oder reichsſtaͤndiſche Geſandten zu Wien, theils kaiſerliche Geſandten im Reiche. S. 218. IV. Am feier - lichſten zeigt ſich zu Wien das Band zwiſchen Haupt und Gliedern in den Reichsbelehnungen; S. 219. V. VI. inſonderheit uͤber Thronlehne. S. 220. VII. Anſtaͤnde die ſich dabey wegen der Entſchuldigung, nicht in Perſon zu erſcheinen, ereignet; S. 222. VIII. wie auch wegen Anfallsgelder und Laudemien. S. 223. IX. Zu Regensburg faͤllt der Reichstag mehr in die Augen, hat aber doch an der Zahl der reichsſtaͤndiſchen Geſandten merk - lich abgenommen. S. 229. X. Auch in den Berath - ſchlagungen iſt nicht mehr ſo viele Thaͤtigkeit, als ehedem. S. 230. XI. Zu Wetzlar iſt das Cammergericht in be - ſtaͤndiger Thaͤtigkeit, doch eigentlich nur in Rechts - ſachen; S. 232. XII. auſſer wenn Fragen uͤber die Ver -b 3faſ -Inhalt. faſſung des Cammergerichts ſelbſt zur Sprache kommen. S. 232.
  • II. Ein Hauptzweck, der in der bisherigen Reichsverfaſſung zur allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt noch immer durch reichsgerichtliche Er - kenntniſſe erreicht wird. S. 234-244.
  • I. Ein wichtiger Vortheil der Reichsverfaſſung iſt noch, daß gegen alle Mitglieder des Reichs richterliche Huͤl - fe ſtatt findet; S. 234. II. III. ſelbſt zum Vortheile der Unterthanen gegen ihre Landesherrſchaften; S. 235. IV. wie auch zum Vortheile der Glaͤubiger gegen verſchul - dete Reichsſtaͤnde; beſonders in ſo genannten Debitcom - miſſionen. S. 239. V. Nur wegen der Recnrſe, die von Reichsſtaͤnden gegen widrige reichsgerichtliche Erkennt - niſſe haͤufig an den Reichstag genommen werden, waͤre eine genauere geſetzliche Beſtimmung zu wuͤnſchen; S. 241. VI. VII. die aber auch ihre Schwierigkeiten hat. S. 241. VIII. Bis dahin beruhet der Ausgang eines jeden Recur - ſes auf der Mehrheit der Stimmen in den drey Reichscolle - gien. S. 243.
  • III. Noch einige Bemerkungen von Wahlcon - venten, Kreisverſammlungen und Trennung der beiden Religionstheile. S. 245-257.
  • I. II. Auſſer den drey Orten Wien, Regensburg und Wetzlar, wo die Reichsverfaſſung noch immer fortwaͤhrend ſichtbar iſt, zeigt ſich dieſelbe von Zeit zu Zeit auch bey Kaiſerwahlen oder Roͤmiſchen Koͤnigswahlen; S. 245. III. und bey Reichsdeputationen, inſonderheit zur Viſita - tion des Cammergerichts. S. 247. IV. Auch koͤnnen beſondere collegialiſche Verſammlungen angeſtellt werden, wie ſonſt haͤufiger von Churfuͤrſten und Reichsſtaͤdten geſche - hen iſt, S. 247. V. beſonders von altweltlichen Fuͤr - ſten, Reichspraͤlaten und Reichsgrafen. S. 248. VI. So ſtehen mit der Reichsverfaſſung auch noch die beſonde - ren Kreisverſammlungen in Verbindung, inſonderheit in Schwaben, Franken, Baiern und den Rheiniſchen Kreiſen;S.Inhalt. S. 249. VII. wie auch die abgeſonderten Berathſchla - gungen eines jeden Religionstheils; S. 249. VIII. IX. wozu inſonderheit das evangeliſche Corpus wegen der gegenſeitigen Mehrheit der Stimmen und intoleranten Ge - ſinnungen bisher die groͤßte Urſache gehabt hat. S. 250. X. XI. Wenn gleich aufgeklaͤrte Catholiken anders den - ken, ſo ſind doch die Quellen der Intoleranz noch nicht ver - ſtopft; S. 253. XII. XIII. wovon die bisherigen Fol - gen und deren weitere Beſorgniſſe unvermeidlich ſind. S. 254. XIV. Doch muß man wuͤnſchen und hoffen, daß das Teutſche Reich noch zum Beyſpiele dienen moͤge, wie verſchiedene Religionsverwandten auch in einem Reiche friedlich und gluͤcklich bey einander wohnen koͤnnen. S. 256.
  • IV. Einige Bemerkungen, wie weit noch jetzt in Regierung der beſonderen Teutſchen Staaten Verfuͤgungen des Reichstages oder des kaiſerlichen Hofes erforderlich ſind, und was davon abhaͤngt. S. 258.
  • I. Jedes einzelne Teutſche Gebiet wird jetzt meiſt nur nach ſeiner eignen Convenienz, nicht etwa in Gleichfoͤrmig - keit des ganzen Reichs, regiert. Hoͤchſtens zeigt ſich noch etwa einige Ruͤckſicht auf Nachbarſchaft oder Kreis - verfaſſung. S. 259. II. Allgemeine Reichsſchluͤſſe uͤber Dinge, die in die innere Verfaſſung der beſonderen Staa - ten einſchlagen, werden immer ſeltener und ſchwieriger. S. 260. III. Daraus erwaͤchſt nun eine immer groͤßere Verſchiedenheit in ſothaner Verfaſſung jeder einzelnen Ge - biete; S. 261. IV. wovon zu ihrem Gluͤcke ein vor - theilhafter Gebrauch gemacht werden kann. Doch gibt es noch einige kaiſerliche Reſervatrechte, die hier in Be - trachtung kommen. S. 262. V. So hat der Kaiſer noch jetzt in ganz Teutſchland das Recht Standeserhoͤhun - gen zu ertheilen, ingleichen kaiſerliche Hofpfalzgrafen und Notarien zu ernennen; S. 263. VI. Zoͤlle hat zwar der Kaiſer ſelbſt nicht mehr; es kann ſie aber auch kein Reichsſtand ohne kaiſerliche Conceſſion haben; ſo auch das Recht der Muͤnze; S. 264. VII. und Univerſitaͤ - ten. S. 265. VIII. Einige Gegenſtaͤnde ſind ſtreitig,b 4oderInhalt. oder doch einer genauern Beſtimmung unterworfen, als Jahrmaͤrkte und Meſſen, S. 266. IX. X. Stadtrecht und Zuͤnfte; S. 268. XI. XII. Moratorien. S. 269. XIII. Bisweilen gilt noch eine Concurrenz gewiſſer kaiſer - licher und landesherrlicher Hoheitsrechte, als in Ergaͤn - zung der Volljaͤhrigkeit und Legitimation unehelicher Kin - der. S. 271. XIV. Kaiſerliche Conceſſionen fuͤr ganz Teutſchland koͤnnen den Reichsſtaͤnden in ihren Laͤndern nicht vorgreifen. S. 272. XV. Auch mit Buͤcherprivi - legien hat es eine ganz eigne Bewandtniß. S. 272. XVI. So laͤßt ſich ungefaͤhr zwiſchen kaiſerlichen Reſervat - rechten und landesherrlichen Rechten eine richtige Graͤnzli - nie ziehen. S. 273. XVII. Auſſerdem werden unſere Reichsſtaͤnde in ihren Regierungsrechten anderen Europaͤi - ſchen Maͤchten meiſt gleich gehalten; S. 274. XVIII. ſelbſt in Kriegen, Buͤndniſſen, Repreſſalien, und allen Gat - tungen gegenſeitiger Vertraͤge. S. 275. XIX. Ein Ver - zeichniß aller Europaͤiſchen Maͤchte darf deswegen die Teut - ſchen beſonderen Staaten nicht auslaßen. S. 276. XX. XXI. Nur gibt es unter ihnen auch noch Staatsdienſtbar - keiten haͤufiger und aus anderen Quellen, als unter Euro - paͤiſchen Maͤchten. S. 277. XXII. Selbſt Reichsgeſetze koͤnnen gewiſſe Einſchraͤnkungen der Landeshoheit begruͤn - den. S. 279. XXIII. Einige geiſtliche Laͤnder haben noch beſondere Ueberbleibſel von ehemaligen Vogteyen; S. 279. XXIV. wie auch einige Reichsſtaͤdte. S. 280.
  • V. Einige beſondere Quellen der großen Man - nigfaltigkeit der beſonderen Teutſchen Staaten. S. 281-299.
  • I. Ungemein haͤufig ſind mehrere Laͤnder auf gar vie - lerley Art unter einen Herrn gekommen; S. 281. II. welches ſowohl auf die groͤßere Macht einiger Haͤuſer als auf die Verfaſſung der Laͤnder Einfluß gehabt hat; S. 282. III. beſonders in Laͤndern, die ihre Landesherren nicht mehr bey ſich haben. S. 284. IV. Mehrere geiſtliche Laͤnder ſind oft bloß zufaͤlliger Weiſe und nur auf Lebenszeit unter einem Herrn vereiniget. S. 284. V. In weltlichen Laͤn - dern kann ſich zu Zeiten etwas aͤhnliches mit Vormund - ſchaften und Debitcommiſſionen zutragen; So koͤnnen auch apanagirte Herren und Wittwen oder Erbtoͤchter dazukom -Inhalt. kommen, Regierungen zu fuͤhren. S. 286. VI. Hin - wiederum hat oft ein Land mehrere Herren, von denen es gemeinſchaftlich regiert wird; S. 288. VII. oder mit abwechſelnden Regierungen. S. 289. VIII. Noch gibt es beſondere Verfaſſungen in Laͤndern, welche in einigen Haͤuſern juͤngere Linien in gewiſſer Abhaͤngigkeit von der aͤltern regierenden Linie beſitzen. S. 290. IX. X. Eine andere Art von Abhaͤngigkeit kann ſich in einzelnen reichs - ritterſchaftlichen Gebieten von den Cantons oder Kreiſen der Reichsritterſchaft aͤußern; wie auch in reichsſtaͤndi - ſchen Laͤndern von Collegialverfuͤgungen oder Kreisſchluͤſ - ſen. S. 291. XI. XII. Hin und wieder gibt es Strei - tigkeiten uͤber den Zuſtand der Unmittelbarkeit und Reichs - freyheit einzelner Glieder des Reichs, oder ſo genannte Exemtionsſtreirigkeiten; wodurch manche, die ſich fuͤr unmittelbar gehalten, in mittelbare Reichsmitglieder ver - wandelt worden. S. 292. XIII. Bey einigen ſind durch Vergleiche noch beſondere Verhaͤltniſſe eingeſchraͤnkter Frey - heiten oder Unterwuͤrfigkeiten entſtanden. S. 293. XIV. XV. Ineiner ſo großen Verſchiedenheit der vielerley beſon - deren Teutſchen Staaten gibt es auch natuͤrlich eine große Mannigfaltigkeit mehr oder minder gluͤcklicher Laͤnder. S. 295. XVI. Eben das gilt auch von reichsritterſchaftli - chen Gebieten, S. 298. XVII. und von Reichsſtaͤdten - S. 298. XVIII. Im Ganzen behaͤlt die Staatsverfaſ - ſung des Teutſchen Reichs noch immer unverkennbare Vor - zuͤge, die jeden Teutſchen zu frohen Ausſichten in die fernere Zukunft beleben koͤnnen. S. 299.
Eilftes
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Eilftes Buch. Der neueren Zeiten achter Abſchnitt von Carls des VI. Tode bis zum Aachner Frieden 1740 1748.

I. Reichsvicariat nach Carls des VI. Tode 1740-1742.

I. Mißliche Ausſichten fuͤr dieſe Zwiſchenzeit, II. inſonderheit unter andern wegen des Reichsvicariats. III. IV. Die Haͤuſer Baiern und Pfalz hatten zwar inzwi - ſchen 1724. einen Hausunionsvertrag geſchloſſen, V. und darin auch des Vicariates halber ſich auf eine gemein - ſchaftliche Verwaltung deſſelben verglichen. VI. Allein es fehlte dazu die Genehmigung des Reichs. VII. Am Cammergerichte fand deswegen die Verfertigung eines ge - meinſchaftlichen Vicariatsſiegels Anſtand. VIII. Und einP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. ARhei -2XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Rheiniſches gemeinſchaftliches Vicariatshofgericht zu Augs - burg fand auch keinen Beyfall. Alſo war auſſer dem Churſaͤchſiſchen Vicariatshofgerichte beynahe ein Stillſtand im Reichsjuſtitzweſen.

I.

Der Tod Carls des VI. machte ſchon des - wegen einen Hauptabſchnitt in der Teut - ſchen Reichsgeſchichte, weil damit die Reihe der Kaiſer aus dem Hauſe Oeſterreich, die jetzt volle drey Jahrhunderte hindurch ununterbrochen geblie - ben war, nunmehr auf einmal ein Ende nahm. Man hoffte zwar anfangs zu Wien, daß Carls Tochtermann, Franz von Lothringen, nunmehri - ger Großherzog von Toſcana, Kaiſer werden, und alſo Wien doch nach wie vor der Sitz des kaiſerli - chen Hofes bleiben wuͤrde. Allein dieſe Hoffnung ſchlug bald fehl, und deſto mehrere Umſtaͤnde ſchienen ſich von allen Seiten her zu vereinigen, um fuͤr die Verfaſſung des Teutſchen Reichs, wo nicht einen voͤlligen Umſturz, doch viele wichtige Hauptveraͤnderungen erwarten zu koͤnnen. Gleich das Zwiſchenreich, ehe eine neue Kaiſerwahl zu Stande kam, war voller Merkwuͤrdigkeiten.

II.

Schon wegen des Reichsvicariates hatte man Urſache beſorgt zu ſeyn, wenn man ſich erinnerte, was nach Ferdinands des III. Tode zwiſchen den beiden Haͤuſern Baiern und Pfalz fuͤr ein Streit daruͤber geweſen war(a)Oben Th. 2. S. 256.. Bey dem letzten Zwi - ſchenreiche nach Joſephs des I. Tode hatte dieſer Streit nur darum geruhet, weil der Churfuͤrſt von Baiern damals in der Acht war, alſo Churpfalz das Vicariat damals ohne Widerſpruch fuͤhrenkonn -31) Reichsvicariat 1740-1742.konnte. Als das Publicum jetzt voller Erwartung war, wie diesmal die Sache ablaufen wuͤrde; er - fuhr man auf einmal, daß ſchon zum voraus im Jahre 1724. nicht nur dieſer Streit zwiſchen bei - den Haͤuſern verglichen, ſondern noch uͤber meh - rere wichtige Puncte ein allgemeiner Hausunions - tractat von denſelben geſchloſſen ſey.

Unſtreitig hatte in das bisherige VerhaͤltnißIII. dieſer beiden Haͤuſer ihre ehemalige Religionsver - ſchiedenheit, ſo lange die reformirte Pfalzſimmeri - ſche Churlinie bluͤhete, nicht geringen Einfluß ge - habt. Da nunmehr das catholiſche Haus Pfalz - neuburg in Beſitz der Chur Pfalz war, hatte es weit weniger Schwierigkeit, daß nach der im Ba - diſchen Frieden erfolgten Herſtellung des Hauſes Baiern von der damaligen Acht ſich beide Haͤuſer naͤher zuſammenſetzen konnten. Das geſchah nun endlich in vorgedachtem Unionstractate, den beide Churhaͤuſer am 15. May 1724. ganz in der Stil - le mit einander ſchloſſen. Weil der damalige Chur - fuͤrſt Franz Ludewig von Trier ein Bruder des Churfuͤrſten von der Pfalz, und der Churfuͤrſt Cle - mens Auguſt von Coͤlln ein Sohn des Churfuͤr - ſten von Baiern war; ſo wurden auch dieſe zwey geiſtliche Churfuͤrſten in die Hausunion mit ein - geſchloſſen.

Dieſer in vielem Betrachte fuͤr die Reichsver -IV. faſſung wichtige Hausvertrag erneuerte erſtlich ei - nige aͤltere Vertraͤge von den Jahren 1490. 1529. und 1674., ſofern ſie dem Weſtphaͤliſchen Frie - den nicht zuwider waͤren. Hernach verbanden ſich beide Haͤuſer, einander ihre Laͤnder und Gerecht -A 2ſame4XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ſame zu ſchuͤtzen, und zu dem Ende bey allen reichs - ſtaͤndiſchen Verſammlungen einerley Maßregeln zu befolgen, auch in Unterhandlungen am kaiſer - lichen oder an anderen Hoͤfen ſich fuͤr einander zu verwenden, oder, wo etwa beſondere Abſichten oder Vertraͤge das verhinderten, wenigſtens mit Vermeidung aller Widerſtrebung ſich aus der Sa - che zu halten. Im Fall eines Angriffs verſpra - chen ſie einander nach allen Kraͤften beyzuſtehen, zu welchem Ende ein jedes Churhaus in einer be - ſtaͤndigen Verfaſſung von 8000. Mann, 2000. zu Pferde, 6000. zu Fuß, ſeyn ſollte. Auch ſoll - ten alle von dem geſammten Hauſe Baiern und Pfalz abſtammende Herren, die zu geiſtlichen Chur - fuͤrſtenthuͤmern oder Fuͤrſtenthuͤmern gelangten, die - ſem Tractate von ſelbſten mit einverleibet ſeyn. Vermoͤge einiger abgeſonderten Artikel ſollte die gemeinſchaftliche Huͤlfe vornehmlich auch darauf gehen, wenn einer der catholiſchen Religion hal - ber bedraͤngt wuͤrde. Desgleichen ſollte zu Ver - maͤhlungen und biſchoͤflichen Wahlen oder Coad - jutorien ein Haus des andern Vortheil befoͤrdern helfen. Hingegen ſollte man von Seiten beider Haͤuſer in das Begehren der Fuͤrſten in Anſehung der beſtaͤndigen Wahlcapitulation und der Gleich - ſtellung mit den Churfuͤrſten niemals eingehen, auch jeder Einfuͤhrung neuer Fuͤrſten ſich aufs kraͤftigſte widerſetzen(b)Fabers Staatscanzley Th. 80. S. 690., Geſchichte des interregni nach Carls des VI. To - de Th. 1. S. 322..

V.
2

Wegen des Rheiniſchen Reichsvicariates war der Vergleich ſo gefaſſet, daß beide HaͤuſerBai -51) Reichsvicariat 1740-1742.Baiern und Pfalz daſſelbe kuͤnftig gemeinſchaftlich fuͤhren, und in ſolcher Abſicht bey jeder Erledi - gung des kaiſerlichen Thrones ein gemeinſchaftli - ches Reichsvicariatshofgericht zu Augsburg errich - ten ſollten.

Das alles ward nun auch gleich nach CarlsVI. des VI. Tode ſo ins Werk gerichtet. Aber jetzt entſtand die Frage: ob die beiden Hoͤfe zu Muͤn - chen und Manheim bloß fuͤr ſich eine ſolche Ver - aͤnderung mit dem Rheiniſchen Vicariate haͤtten vornehmen koͤnnen, ohne von Kaiſer und Reich erſt die Einwilligung dazu zu erwarten. Viele hielten es fuͤr eine Abweichung von der goldenen Bulle, daß an ſtatt der darin verordneten zwey Reichsverweſer, Pfalz und Sachſen, deren kuͤnf - tig drey ſeyn ſollten; auch fuͤr Abweichung vom bisherigen Herkommen, daß ein Vicariatshofge - richt, das in die Stelle des Reichshofraths trete, nicht an dem Vicariatshofe ſelbſt, ſondern in ei - ner dritten Reichsſtadt gehalten werden ſollte.

Der Churſaͤchſiſche Hof nahm ſeines Orts anVII. dieſer Veraͤnderung keinen Antheil. Man konnte ſich deswegen auch nicht uͤber ein gemeinſchaftli - ches Siegel vereinigen, wie ſonſt gewoͤhnlich war fuͤr jedes Interregnum dem Cammergerichte zuzu - fertigen. Zu Wetzlar konnte daher, ſo lange die - ſes Interregnum waͤhrte, nichts zur foͤrmlichen Ausfertigung gelangen; (woruͤber unter andern die dortigen Canzleyperſonen in große Verlegen - heit kamen, weil deren Beſoldungen auf die Taxen angewieſen ſind, die nur bey foͤrmlichen Ausfer - tigungen bezahlet werden.)

A 3Je -6XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.
VIII.
2

Jenes Vicariatshofgericht zu Augsburg wur - de nun auch von den meiſten Reichsſtaͤnden nicht anerkannt. Alſo entſtand außer dem Gebiete des Saͤchſiſchen Vicariates beynahe ein Stillſtand im Reichsjuſtitzweſen. Und das alles ließ ſich ſo we - nig heben, daß vielmehr die Vicariatshoͤfe ſelbſt darauf Bedacht nehmen mußten, uͤber eine andere Einrichtung ſich zu vereinbaren. In der Wahl - capitulation 1742. hieß es nur: Weil wegen der verglichenen Gemeinſchaft des Rheiniſchen Reichs - vicariates die bekannten Umſtaͤnde ſich ereignet haͤt - ten; ſollte die Sache bey der Reichsverſammlung vorgenommen werden. Bis dahin mußte ſelbſt die ſonſt gewoͤhnliche kaiſerliche Genehmigung der Rheiniſchen Vicariatshandlungen auf ſich beruhend gelaßen, und diesmal nur auf die Saͤchſiſchen Vi - cariatsſachen eingeſchraͤnket werden(c)Wahlcap. Carls des VII. Art. 3. §. 18. 19..

II. 72) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.

II. Schickſale der pragmatiſchen Sanction bis zur Kaiſerwahl Carls des VII. 1740-1742.

I. Anſpruͤche des Hauſes Baiern auf die Oeſterreichi - ſche Erbfolge zur Entkraͤftung der pragmatiſchen Sanction. II. Deren Begruͤndung von wegen der ſo genannten Regre - dienterbſchaft; III. die jedoch zum Nachtheile derer, die zum Letzten vom Mannsſtamm in naͤherem Verhaͤltniſſe ſtehen, nicht ſtatt findet. IV. V. Denn Recht und Ord - nung der Erbfolge ſind zweyerley; VI. und eine Erb - folge, die einmal in eine Linie gekommen, bleibt in der - ſelben, ſo lange ſie waͤhret. VII. Darum hatte Carls des VI. Tochter Maria Thereſia vor allen entfernteren weiblichen Nachkommen der vorigen Herren des Hauſes den Vorzug. VIII. Der bey den Verzichten der Toͤchter ge - woͤhnliche Vorbehalt wirkt fuͤr ihre Nachkommen nur in ſo fern, als ſie die Reihe trifft. IX. Die ins Haus Bai - ern vermaͤhlte Erzherzoginn Anna konnte ſich alſo fuͤr ihre Nachkommen nur ſo viel vorbehalten, daß ihnen nach Ab - gang des Oeſterreichiſchen Mannsſtamms ihr Verzicht nicht mehr im Wege ſtehen ſollte; nicht aber daß ſie vor allen anderen weiblichen Nachkommen und ſelbſt vor der Tochter des Letzten vom Mannsſtamme den Vorzug haben ſollten; X. obgleich verſchiedene Rechtsgelehrte, aus uͤbel angewand - ten Roͤmiſchen Rechtsgrundſaͤtzen von bedingten Verzichtlei - ſtungen, anderer Meynung waren. XI. Maria There - ſia kam auch der pragmatiſchen Sanction gemaͤß zum Be - ſitz, XII. und uͤbertrug ihrem Gemahle, um ihn zur Kaiſerwuͤrde zu verhelfen, die Ausuͤbung der Boͤhmiſchen Churſtimme. XIII. Allein durch einen Einbruch, den der Koͤnig von Preuſſen in Schleſien vornahm, um die An - ſpruͤche ſeines Hauſes auf Jaͤgerndorf, Liegnitz, Brieg und Wohlau geltend zu machen, gaben der ganzen Sache eine andere Wendung. XIV. XV. Denn die Krone Frank - reich bewirkte jetzt einen Bund zu Nymphenburg um ſo - wohl die Oeſterreichiſche Erbfolge als die Kaiſerwuͤrde dem Hauſe Baiern zuzuwenden.

Die Hauptſache, worauf gleich nach Carls desI. VI. Tode aller Augen gerichtet waren, und wovon faſt alle uͤbrige Staatsangelegenheiten ab -A 4hien -8XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.hiengen, kam jetzt darauf an: ob es bey der prag - matiſchen Sanction, deren Befeſtigung der ver - ſtorbene Kaiſer ſich ſo ſehr hatte angelegen ſeyn laßen, nunmehr bleiben wuͤrde, oder nicht? So - viel man wußte, war nur noch der einzige Hof zu Muͤnchen, deſſen Widerſpruch gegen die pragma - tiſche Sanction noch nicht gehoben war. Dieſen Widerſpruch gruͤndete aber der Churfuͤrſt von Bai - ern jetzt nicht ſowohl auf die Gerechtſame ſeiner Gemahlinn, als einer Tochter des Kaiſer Joſephs, als vielmehr von wegen ſeiner eignen Perſon, weil ſeine vaͤterliche Urururgroßmutter, weiland Her - zogs Albrechts des V. von Baiern Gemahlinn An - na, eine Tochter Kaiſer Ferdinands des I. gewe - ſen war, die zwar bey ihrer Vermaͤhlung zum Be - ſten ihrer Bruͤder und deren maͤnnlichen Nachkom - men den gewoͤhnlichen Verzicht geleiſtet, jedoch auf den Fall des Abganges des Oeſterreichiſchen Mannsſtamms ſich und ihren Nachkommen ihre Rechte vorbehalten hatte.

II.
3

Dieſe Art Anſpruͤche, die man mit dem Na - men einer Regredienterbſchaft zu belegen pfle - get, hat in ſo weit ihren guten Grund, daß einer fuͤrſtlichen Tochter und ihren Nachkommen, wenn ſie den Abgang des Mannsſtamms erleben, ge - gen den ſie in der Erbfolge ihres Hauſes zuruͤck - ſtehen muͤßen, ihre bisherige Ausſchließung und Verzichtleiſtung nicht mehr zum Nachtheile gerei - chen kann. Denn ſofern nicht etwa von ſolchen Lehnguͤtern die Rede iſt, worin gar keine weibliche Erbfolge ſtatt findet, ſo koͤnnen nach den in Teutſch - land hergebrachten Succeſſionsrechten fuͤrſtlicher Haͤuſer nach gaͤnzlich erloſchenem Mannsſtammeauch92) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.auch Toͤchter und weibliche Nachkommen des Hau - fes zur Succeſſion gelangen, weil nun der Vor - zug des bisherigen Mannsſtamms ihnen nicht mehr im Wege ſtehet. In ſo weit konnte der Chur - fuͤrſt von Baiern mit Recht ſagen, daß ihm als einem weiblichen Abkoͤmmlinge von Ferdinand dem I. der ausſchließliche Vorzug, den deſſen maͤnnliche Nachkommen bisher in der Erbfolge des Hauſes Oeſterreich genoſſen hatten, und die dar - auf ſich beziehende Verzichtleiſtung der Ferdinan - diſchen Tochter, von welcher der Churfuͤrſt ab - ſtammte, nunmehr nach erloſchenem Oeſterreichi - ſchen Mannsſtamme nicht weiter im Wege ſtand. Vielmehr war jetzt auf einmal unſtreitig das Recht der Erbfolge allen weiblichen Nachkommen des Hauſes Oeſterreich in ſo weit eroͤffnet, daß jetzt keinem derſelben das bisherige Vorrecht des Manns - ſtamms mehr entgegengeſetzt werden konnte.

Aber nun iſt noch eine andere Frage, woraufIII. hier alles ankoͤmmt: Soll dann jetzt auch die Rei - he der Erbfolge auf einmal an alle weibliche Nach - kommen zugleich kommen? oder ſoll eine gewiſſe Ordnung der Erbfolge auch hier die Wirkung ha - ben, daß nur eine Linie nach der andern zum wuͤrk - lichen Genuſſe ihres Erbfolgrechts gelangen kann? Soll alſo nicht auch hier der entferntere gegen den naͤheren zuruͤckſtehen muͤßen? und nach welchem Verhaͤltniſſe ſoll allenfalls dieſe Naͤhe oder Ent - fernung beſtimmt werden?

Hier bringt ſowohl die Natur der Sache alsIV. die in Teutſchland hergebrachte Succeſſionsart un - ſerer reichsſtaͤndiſchen Haͤuſer mit ſich, daß unterA 5dem10XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.dem Rechte der Erbfolge und der Ordnung derſel - ben noch ein großer Unterſchied obwaltet. Auch im Mannsſtamme eines fuͤrſtlichen Hauſes geht das Recht der Erbfolge unmittelbar vom erſten Erwerber auf alle ſeine Nachkommen, deren kei - nem es benommen oder an Fremde zu ſeinem Nach - theile es uͤbertragen werden kann. Aber deswe - gen muͤßen doch nachgebohrne Herren in Haͤuſern, wo die Erſtgebuhrt gilt, oder entferntere Linien, ſo lange noch naͤhere da ſind, in der Ordnung zu - ruͤckſtehen, bis auch darin die Reihe an ſie koͤmmt; oder, wenn ſie das nicht erleben, iſt das eine Sa - che des Schickſals, wenn ſie die Reihe nicht trifft. Eben ſo kann es gar wohl mit einander beſtehen, daß mit Erloͤſchung eines Mannsſtamms das Recht der Erbfolge allen weiblichen Nachkommen eroͤffnet wird, d. i. daß keinem derſelben mehr ih - re bisherige Unfaͤhigkeit der Erbfolge, die nur auf dem Vorzuge des Mannsſtamms beruhete, ent - gegengeſetzt werden kann. Aber ſollen ſie deswe - gen nun alle auf einmal auch in der Ordnung der Erbfolge einander gleich ſeyn? Das iſt keine Fol - ge. Sollten nach Carls des VI. Tode alle Nach - kommen ehemaliger Oeſterreichiſcher Prinzeſſinnen ohne Unterſchied auf einmal zur Succeſſion gelan - gen koͤnnen? Das wird wohl niemand behaupten.

V.
3

Allein nach welchem Verhaͤltniſſe ſollte nun die Ordnung der Erbfolge ihre richtige Beſtimmung erhalten? Da iſt wieder eine ausgemachte Sache, daß zwar das Recht der Erbfolge jedes - mal ohne Unterſchied immer vom erſten Erwerber herzuleiten iſt, weil keiner der nachherigen Beſitzer eben dieſes Recht den uͤbrigen Nachkommen deserſten112) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.erſten Erwerbers nehmen kann. In ſo weit iſt allerdings dieſes Teutſche Succeſſionsrecht nicht ſo, wie das Roͤmiſche, dem jedesmaligen Letztver - ſtorbenen zu verdanken. Aber was die Ordnung der Erbfolge betrifft, da bleibt nach allen Suc - ceſſionsrechten, ſie moͤgen Namen haben, wie ſie wollen, nichts uͤbrig, als daß ein jeder erſt auf des andern Tod wartet, und alſo nach dem Ver - haͤltniſſe in die Reihe koͤmmt, wie er dem Letztver - ſtorbenen naͤher iſt, als andere.

Ob dieſe Naͤhe bloß nach der im RoͤmiſchenVI. Rechte angenommenen Berechnung der Grade zu beſtimmen ſey, oder nach dem Vorzuge der Erſt - gebuhrt und anderen Grundſaͤtzen, braucht hier nicht eroͤrtert zu werden. Gnug, wo nicht bloß vom Succeſſionsrechte, ſondern von der Succeſ - ſionsordnung die Frage iſt, da koͤmmt alles auf das naͤhere Verhaͤltniß zum Letztverſtorbenen an. Und da tritt noch ein anderer wichtiger Grundſatz des Teutſchen Succeſſionsrechts hinzu, daß eine Erbfolge, die einmal in eine Linie gekommen iſt, ſo lange dieſelbe waͤhret, ihren Fortgang darin behaͤlt.

Das alles auf die Oeſterreichiſche pragmatiſcheVII. Sanction angewandt, war es dem unter unſern fuͤrſtlichen Haͤuſern von uralten Zeiten hergebrach - ten Succeſſionsſyſteme voͤllig gemaͤß, daß mit Carls des VI. Tode zwar allen weiblichen Nach - kommen des Hauſes Oeſterreich das Recht der Erbfolge offen ſtand, ohne daß irgend ein ehemals geleiſteter Verzicht dagegen mehr angefuͤhrt wer - den konnte. Aber in der Ordnung der Erbfolgegien -12XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.giengen jetzt des Letztverſtorbenen Toͤchter des vor - her verſtorbenen Bruders Toͤchtern, und ſo allen entfernteren weiblichen Nachkommen ehemaliger Herren des Hauſes vor.

VIII.
3

Vergeblich beriefen ſich jetzt die Bairiſchen Schriftſteller, wie uͤberhaupt alle Vertheidiger der Regredienterbſchaft, darauf, daß die verzicht - leiſtende Tochter bey dem Verzichte ſich zugleich ausdruͤcklich den Vorbehalt der kuͤnftigen Erbfolge im Fall des erloſchenen Mannsſtamms ausbedun - gen habe; daß alſo der Verzicht nur unter einer Reſolutivbedingung geſchehen ſey, mit deren Ein - tretung der Verzicht von ſelbſten aufhoͤren, und das bis dahin vergebene Recht ſogleich wieder auf - leben muͤße. Dieſe Folgerungen wuͤrden ganz richtig ſeyn, wenn die Verzichtleiſtungen fuͤrſtli - cher Toͤchter von der Art waͤren, wie man ſich ei - nes Rechts, deſſen Genuß man ſonſt gleich gehabt haͤtte, bis auf einen gewiſſen Fall begibt. So verhaͤlt ſich aber hier die Sache nicht. Von aͤlte - ſten Zeiten her hat ohnedem eine Prinzeſſinn, die Bruͤder hatte, kein Erbfolgsrecht gehabt, ſo lange die Bruͤder oder maͤnnliche Nachkommen derſelben vorhanden waren(d)Oben Th. 1. S. 14.. Nur Beſorgniſſe, die man ſich wegen uͤbel angebrachter Anwendung Roͤ - miſcher Rechtsgrundſaͤtze machte, gaben Anlaß, daß erſt ſeit dem XIII. Jahrhunderte Verzichte der Toͤchter eingefuͤhret wurden; nicht als ob man ge - glaubt haͤtte, daß eine Tochter, wenn ſie nicht Verzicht gethan haͤtte, zu ſuccediren berechtiget waͤ - re; ſondern nur zur Vorſorge, damit eine ſolche Dame oder ihre Nachkommenſchaft deſto wenigergereizt132) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.gereizt werden moͤchte, Anſpruͤche zu machen, die ihr nicht gebuͤhrten. In den meiſten Haͤuſern wurde durch ausdruͤckliche Hausvertraͤge ausge - macht, daß auch ohne Verzichtleiſtung Toͤchter und weibliche Nachkommen gegen den Manns - ſtamm zuruͤckſtehen muͤßten.

Wenn alſo die Erzherzoginn Anna, wie ſie anIX. den Herzog Albrecht den V. von Baiern vermaͤhlt ward, keinen Verzicht geleiſtet haͤtte, wuͤrde ihr doch kein Recht zur Erbfolge zugeſtanden haben, ſolange von einem ihrer Bruͤder noch Mannsſtamm uͤbrig war. Sie mochte immer nur bis auf Ab - gang des Mannsſtamms Verzicht thun; darum ließ ſich doch nicht behaupten, daß mit dem Ein - tritt dieſes Falls ein Recht, das ſchon zur Zeit der Verzichtleiſtung haͤtte ausgeuͤbt werden koͤn - nen, wieder aufleben muͤßte; oder daß nunmehr die Nachkommen dieſer Erzherzoginn Anna vor allen uͤbrigen weiblichen Nachkommen, ſelbſt vor den Toͤchtern des Letzten vom Mannsſtamme, den Vorzug haben muͤßten.

Kurz, nach aͤchten Grundſaͤtzen des TeutſchenX. Fuͤrſtenrechts waren die Anſpruͤche des Hauſes Baiern nicht ſo beſchaffen, daß ſie den Rechtsbe - ſtand der pragmatiſchen Sanction zu entkraͤften vermocht haͤtten; wiewohl damals noch viele Rechtsgelehrte, von uͤbel angewandten Roͤmiſchen Rechtsſaͤtzen eingenommen, uͤberhaupt die Lehre von der Regredienterbſchaft fuͤr gegruͤndet hielten. Inzwiſchen kam es jetzt auf ganz andere Entſchei - dungsgruͤnde an, als die bloß aus Geſetzen oder Rechtsbuͤchern herzunehmen waͤren.

Ein -14XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.
XI.
4

Einmal, geſtuͤtzt auf die von ſo vielen Maͤch - ten garantirte pragmatiſche Sanction, nahm Ma - ria Thereſia unmittelbar nach ihres Vaters Tode von allen deſſen hinterlaßenen Staaten und Laͤn - dern Beſitz. Sie ſchmeichelte ſich auch, daß ihr Gemahl, der Großherzog von Toſcana, die Mehr - heit der Stimmen bey der Kaiſerwahl davon tra - gen wuͤrde. Auf die Stimmen von Mainz, Trier, Sachſen, Hannover ſchien man zu Wien nicht oh - ne Wahrſcheinlichkeit rechnen zu koͤnnen. Die eigene Stimme von Boͤhmen dazu gerechnet, war die Mehrheit der Stimmen da.

XII.
4

Nur wegen Boͤhmen ſchien ſich eine Schwie - rigkeit in den Weg zu legen: ob auch eine Dame eine Churſtimme bey der Kaiſerwahl fuͤhren koͤnne? Es war wenigſtens der erſte Fall in ſeiner Art. daß Maria Thereſia jetzt als Koͤniginn von Boͤhmen einer Kaiſerwahl beywohnen ſollte. Um allen Zweifeln hieruͤber zuvorzukommen, erklaͤrte ſie ſich (1740. Nov. 21.) ihren Gemahl zum Mitregen - ten anzunehmen, und demſelben die Fuͤhrung der Boͤhmiſchen Stimme zu uͤbertragen. Doch eben damit wurde die Schwierigkeit hernach noch mehr vergroͤßert, da inzwiſchen ein unerwarteter Auf - tritt der ganzen Sache eine andere Wendung gab.

XIII.
4

Den Vertrag, wodurch der Churfuͤrſt Frie - drich Wilhelm von Brandenburg der Anſpruͤche ſeines Hauſes auf die vier Schleſiſchen Fuͤrſten - thuͤmer Jaͤgerndorf, und Liegnitz, Brieg und Wohlau ſich begeben hatte(e)Oben Th. 2. S. 322., wiederrief der in eben dieſem Jahre (1740. May 31.) zur Regie -rung152) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.rung gekommene Koͤnig Friedrich der II., weil er ihn an ſich fuͤr widerrechtlich geſchloſſen, und fuͤr die kuͤnftigen Nachfolger des Hauſes nicht fuͤr ver - bindlich hielt. Sein Recht auf dieſe Fuͤrſtenthuͤ - mer geltend zu machen, ruͤckte er ſchon im Dec. 1740. mit einem Kriegsheere in Schleſien ein; bot zwar noch, wenn man ihm ein Stuͤck von Schleſien abtreten wollte, ſeine Churſtimme zur Kaiſerwahl und ſeinen Beyſtand zur Unterſtuͤtzung der pragmatiſchen Sanction an; fuhr aber, als man zu Wien dieſe durch den Grafen von Gotter daſelbſt vorgebrachten Antraͤge verwarf, auf dem angefangenen Wege fort; und erfocht ſchon am 10. Apr. 1741. einen ziemlich entſcheidenden Sieg bey Molwitz.

Nun gelang es dem von der Krone FrankreichXIV. an die Teutſchen Churhoͤfe und zum Wahlconvente abgeſandten Marſchall von Bellisle, daß der Chur - fuͤrſt von Baiern ſich bewegen ließ, als Compe - tent zur Kaiſerwuͤrde aufzutreten, und daß, ſo - wohl darin als in ſeinen Anſpruͤchen gegen die prag - matiſche Sanction ihn zu unterſtuͤtzen, zu Nym - phenburg im May 1741. erſt zwiſchen Frank - reich, Spanien und Baiern, hernach mit Chur - coͤlln, Churpfalz, Neapel, und Preuſſen noch mehrere Buͤndniſſe geſchloſſen wurden. Hinge - gen von allen Maͤchten, deren Gewehrleiſtung der pragmatiſchen Sanction jetzt Maria Thereſia auf - forderte, war der Koͤnig Georg der II. von Groß - britannien der einzige, der durch einen neuen Tra - ctat zu Hannover ſich nun noch zur wuͤrklichen Huͤl - fe bereit finden ließ.

In16XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.
XV.
5

In dieſer Lage gewann es ſowohl mit der Auf - rechthaltung der pragmatiſchen Sanction, als mit der Kaiſerwahl ein ganz anderes Anſehen. Die Bairiſchen Anſpruͤche wurden jetzt mit maͤchtigen Franzoͤſiſchen Huͤlfsheeren unterſtuͤtzt. Im October 1741. nahm der Churfuͤrſt von Baiern ſchon von Oberoeſterreich Beſitz; Am 19. Dec. wurde ihm ſchon als Koͤnige in Boͤhmen gehuldiget. Selbſt Churſachſen trat am 19. Sept. 1741. dem Fran - zoͤſiſch-Bairiſchen Bunde bey. Auf dem Wahl - convente zu Frankfurt wurde nunmehr die Boͤhmi - ſche Wahlſtimme fuͤr dieſesmal ſuspendiret. Die uͤbrigen Stimmen fielen jetzt ſaͤmmtlich auf Carl den VII., bisherigen Churfuͤrſten von Baiern. Seine Wahl erfolgte am 24. Jan. 1742., die Kroͤnung am 12. Febr. Fuͤr die Reichsverfaſ - ſung war inzwiſchen das wichtigſte, was in die kaiſerliche Wahlcapitulation diesmal fuͤr erhebliche neue Zuſaͤtze kamen.

III. 173) Wahlcap. Carls VII. 1742.

III. Wahlcapitulation Carls des VII. Neue Ver - ordnungen derſelben, inſonderheit von Mißhei - rathen. Fuͤrſtentag zu Offenbach. Chur - fuͤrſtliche Collegialſchreiben. 1742.

I. Vermuthete Veraͤnderungen in der Wahlcapitula - tion. II. Deswegen angeſtellter Fuͤrſtentag zu Offen - bach. III. Churfuͤrſtliche Collegialſchreiben. IV. Wi - derſpruch der Fuͤrſten gegen verſchiedene neue Stellen in der Wahlcapitulation, V. inſonderheit einige den Reichs - vicarien zugeſtandene Vortheile betreffend. VI. Mit anderen Stellen waren jedoch die Fuͤrſten einverſtanden; als namentlich mit einer neu eingeruͤckten Stelle gegen Miß - heirathen, VII. VIII. die zwar ſchon in aͤlterem Her - kommen gegruͤndet war, nicht nur in Anſehung mor - ganatiſcher Ehen, da abſichtlich die Unſtandesmaͤßigkeit der Gemahlinn und Kinder bedungen wird, IX. ſondern auch ohne ſolche Verabredung; X. ohne daß auch Stan - deserhoͤhungen wider Willen der Stammsvettern dagegen etwas wirken koͤnnen. XI. Nur die gemeinen Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechte ſchienen hier andere Grundſaͤtze auf - zubringen. XII. Daruͤber gab eine Mißheirath des Her - zog Anton Ulrichs von Sachſen-Meinungen Anlaß zu die - ſer neuen Stelle in der Wahlcapitulation, XIII. wel - che hernach ſelbſt durch einen Reichsſchluß beſtaͤtiget wurde XIV. Nur eine naͤhere Beſtimmung, was eigentlich Miß - heirathen ſeyen? ward noch auf einen kuͤnftigen Reichsſchluß ausgeſtellt; inſonderheit ob die Ehe eines Fuͤrſten mit einer Adelichen eine Mißheirath ſey? XV. wie aller - dings der Teutſchen Verfaſſung gemaͤß zu ſeyn ſcheint; XVI. da auch widrigenfalls bedenkliche Folgen zu erwarten ſeyn moͤchten. XVII. Auf dieſes und mehr andere Col - legialſchreiben iſt inzwiſchen noch keine Reichsberathſchlagung erfolget.

Bey einer ſo wichtigen Veraͤnderung, da nachI. einem ſo langen Zeitraume die Kaiſerwuͤrde einmal an ein anderes Haus kam, und bey vieler -P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. Bley18XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ley Beobachtungen, die man unter der letzten bey - nahe dreyßigjaͤhrigen Regierung hatte machen koͤn - nen, konnte es an Stoff zu neuen Zuſaͤtzen und anderen Veraͤnderungen in der Wahlcapitula - tion nicht fehlen. Der Entwurf einer beſtaͤndi - gen Wahlcapitulation, woruͤber man ſich im Jah - re 1711. vereinbaret hatte, konnte auch nicht hin - dern, daß nicht von Zeit zu Zeit noͤthig gefunden werden ſollte, nach Veranlaßung der Zeitlaͤufte manche neue Stellen einzuruͤcken. Sofern dar - uͤber die Churfuͤrſten nicht nur mit dem neu zu er - wehlenden Kaiſer ſich vereinigen konnten, ſondern auch mit Beyfall der uͤbrigen Reichsſtaͤnde zu Wer - ke giengen; war uͤberall dabey nichts zu erinnern. Aber einige neue Zuſaͤtze in der Wahlcapitulation Carls des VI. hatten ſchon Widerſpruͤche von Sei - ten der Fuͤrſten und anderer Staͤnde erfahren.

II.
5

Diesmal ſchien der Fuͤrſtenſtand noch auf - merkſamer zu ſeyn, da, noch ehe die Wahlcapitu - lation ſelbſt in die Arbeit kam, ein eigner Fuͤr - ſtentag, in der Naͤhe bey Frankfurt, zu Offen - bach gehalten wurde. (Die meiſten churfuͤrſtli - chen Comitialgeſandten waren damals als zweyte oder dritte Wahlbotſchafter von Regensburg nach Frankfurt abgegangen. Ob und wie der Reichs - tag im Zwiſchenreiche fortgeſetzt werden koͤnne, war ohnedem noch nicht ausgemacht. Alſo geriethen die noch uͤbrigen Geſandten zu Regensburg in ziemliche Unthaͤtigkeit. Um aus ſolcher ſich her - auszureiſſen mochten wohl einige der fuͤrſtlichen Herren Geſandten ihren Hoͤfen den Vorſchlag ge - than haben, einen Fuͤrſtentag anzuſtellen, um naͤ - her beym Wahlconvente ein wachſames Auge dar -auf193) Wahlcap. Carls VII. 1742.auf haben zu koͤnnen, damit zum Nachtheile der Fuͤrſten nichts vorgehen moͤge. Es waren alſo meiſt lauter Comitialgeſandten folgender altfuͤrſtli - chen Haͤuſer, Sachſen-Gotha, Sachſen Mei - nungen, Brandenburg-Anſpach und Bayreuth, Braunſchweig-Wolfenbuͤttel, Heſſen-Caſſel, Heſ - ſen-Darmſtadt, Schwediſch-Vorpommern, Wuͤr - tenberg, Baden-Durlach, Holſtein-Gluͤckſtadt und Anhalt. Der Heſſencaſſeliſche Geſandte, Ru - dolf Anton von Heringen, hatte perſoͤnlich viel - leicht den groͤßten Antheil an der Sache.) Weil es nicht ſowohl eine collegialiſche Verſammlung als eine Conferenz von wegen mehrerer einzelnen Hoͤfe war, ſo wurden die Verſammlungen wech - ſelsweiſe in den verſchiedenen Wohnungen eines jeden Geſandten gehalten. Der Anfang der Con - ferenzen war zu Offenbach den 25. Apr. 1741. In einem Schreiben vom 16. Oct. 1741. wurden die Erinnerungen der altfuͤrſtlichen Haͤuſer uͤber die Wahlcapitulation Carls des VI. an Churmainz geſchickt. Im November 1741. wurde der Fuͤr - ſtentag ſelbſt nach Frankfurt verlegt.

Dieſe Umſtaͤnde hatten vielleicht einigen Ein -III. fluß darauf, daß die Churfuͤrſten bey Abfaſſung der Wahlcapitulation in Anſehung mancher Ge - genſtaͤnde diesmal einen anderen Weg einſchlugen, den ſie ſchon mehr mit Nutzen gebraucht hatten, aber diesmal noch haͤufiger benutzten. Nehmlich, an ſtatt gewiſſe Dinge in der Wahlcapitulation ſelbſt zu beſtimmen, faßten ſie in ihrem geſamm - ten Namen eigne Collegialſchreiben an den neu erwehlten Kaiſer ab, worin ſie ihn erſuchten, die darin enthaltenen Gegenſtaͤnde an das ganze ReichB 2zu20XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.zu Abfaſſung eines allgemeinen Reichsſchluſſes ge - langen zu laßen. Hiermit hatte das geſammte Reich Urſache ſehr zufrieden zu ſeyn. Nur das gefiel den Fuͤrſten doch nicht, daß in der Wahlca - pitulation ſelbſt jetzt zugleich eine Stelle eingeruͤckt wurde, die den Kaiſer verbindlich machte, die in dieſen Collegialſchreiben enthaltenen churfuͤrſtlichen Gutachten zur wuͤrklichen Vollziehung zu brin - gen(f)Wahlcap. (1742.) Art. 30. §. 3.. Die wahre Meynung gieng nur dahin, damit die dem Kaiſer empfohlnen Sachen nicht uneroͤrtert liegen bleiben moͤchten. Die Fuͤrſten beſorgten aber, durch dieſe Stelle koͤnnte, wenn ſie ferner in jeder Capitulation bliebe, ein Kaiſer kuͤnftig einmal ſchon zum voraus zu Dingen, die anderen unbekannt waͤren, verbindlich gemacht werden. Sie legten deswegen auch hiergegen ih - ren Widerſpruch ein, um ſich deshalb wenigſtens fuͤr die Zukunft zu verwahren.

IV.
6

Das war aber nicht der einzige Widerſpruch, den die Fuͤrſten gegen dieſe Wahlcapitulation ein - legten. Denn die Churfuͤrſten hatten nicht nur die vorhin ſchon von den Fuͤrſten widerſprochenen Stellen aus der Wahlcapitulation Carls des VI. beybehalten, ſondern auch verſchiedentlich noch neue Stellen hinzugefuͤgt, die den Fuͤrſten eben ſo we - nig gefielen. Dahin gehoͤrten inſonderheit dieje - nigen Stellen, vermoͤge deren in gewiſſen Faͤllen allenfalls wenigſtens nur der Churfuͤrſten Ein - willigung erforderlich ſeyn ſollte, wenn auch nicht eine vollſtaͤndige Reichstagsberathſchlagung abge - wartet werden koͤnnte. (Sofern das ſolche Faͤlle betraf, wo ſonſt der Kaiſer ſchuldig war, die Ein -willi -213) Wahlcap. Carls VII. 1742.willigung des geſammten Reichs erſt zu begehren, wie z. B. in Beſchließung eines Reichskrieges oder Reichsfriedensſchluſſes; ſo ſchien dieſer Wider - ſpruch nicht ganz ohne Grund zu ſeyn. Betraf es aber ſolche Gegenſtaͤnde, wo der Kaiſer ſonſt niemands Einwilligung noͤthig gehabt hatte; ſo war es doch beſſer, daß wenigſtens die Churfuͤr - ſten ihre Einwilligung geben ſollten, als daß bloß der kaiſerlichen Willkuͤhr ſolche Gegenſtaͤnde uͤber - laßen wurden. Oder wenn es auch nur um eine Art der Vorberathſchlagung galt, ſo ließ ſich ſol - che doch fuͤglicher nur mit den Churfuͤrſten, als auf einmal ſchon mit der geſammten Reichsver - ſammlung anſtellen, z. B. wenn die Frage: ob ein Reichstag zu halten ſey? einmal von neuem zur Sprache kaͤme, oder wenn geſtritten wuͤrde, ob eine Schrift zur Dictatur kommen ſollte, oder nicht? u. ſ. w.)

Auch gefiel den Fuͤrſten nicht, was zum Vor -V. theile der Reichsvicarien neu geordnet ward, als z. B. daß ſie berechtiget ſeyn ſollten, Reichstag zu halten, es moͤchte nun von deſſen Fortſetzung oder neuer Ausſchreibung die Rede ſeyn. (Ueberhaupt waren diesmal fuͤr die Reichsvicarien ungemein guͤnſtige Umſtaͤnde, da außer den drey Vicariats - hoͤfen, Churbaiern, Churſachſen und Churpfalz, auch der Churfuͤrſt von Coͤlln ein Bairiſcher Prinz, und Churbrandenburg ein Bairiſcher Bundesge - noſſe war. Doch hat auch in der Folge noch nicht alles zur wuͤrklichen Vollziehung gebracht werden koͤnnen, was damals zum Vortheile der Reichsvi - carien neu verordnet wurde.)

B 3Man -22XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.
VI.
6

Manche neue Stellen dieſer Wahlcapitulation hatten aber auch den voͤlligen Beyfall der Fuͤr - ſten, und waren zum Theil ſelbſt mit auf ihre Veranlaßung darein gekommen. Von dieſer Art war inſonderheit eine Stelle von Mißheirathen, die noch vorzuͤglich verdient hier etwas naͤher ins Licht geſetzt zu werden.

VII.
6

Es war nehmlich ſchon vom mittlern Zeitalter her ein unwiderſprechliches Herkommen, daß, wenn ein Fuͤrſt eine Perſon von geringerem Stande, d. i. die nicht vom Herrenſtande war, zur Ehe nahm, weder dieſe Perſon fuͤr eine Fuͤrſtinn geachtet, noch den in einer ſolchen Ehe erzeugten Kindern die fuͤrſtliche Wuͤrde und Succeſſionsfaͤhigkeit in den vaͤterlichen Landen zugeſtanden wurde. Wenn ein Fuͤrſt aus einer ſtandesmaͤßigen Ehe bereits Soͤh - ne hatte, und dann Wittwer wurde, oder auch aus anderen Gruͤnden ſich bewogen fand, ſich nicht ſtandesmaͤßig zu vermaͤhlen; ſo geſchah es oft abſichtlich, daß unter ſolchen Umſtaͤnden ein Fuͤrſt ſich eine Perſon geringern Standes zur lin - ken Hand antrauen ließ, um der Familie mit Witthum und Verſorgung mehrerer nachgebohr - nen Kinder nicht uͤbermaͤßige Laſt zuzuziehen. Dann wurde gemeiniglich gleich beym Anfange der Ehe vertragsmaͤßig feſtgeſetzt, wie eine ſolche Ehegattinn (etwa nach dem Vornamen des Fuͤr - ſten z. B. Madame Rudolphine, Madame Erne - ſtine, oder auch nach einem fuͤr ſie gekauften Gute Frau von N. N. ꝛc. ) genannt, und was ſowohl ihr, als ihren Kindern zur Verſorgung angewie - ſen, wie auch was den Kindern fuͤr ein Name beygelegt werden ſollte.

So233) Wahlcap. Carls VII. 1742.

So erzehlt eine alte Heſſiſche Chronik von ei -VIII. nem Landgrafen Otto (aus dem XIV. Jahrhun - derte): Dieſer Landgraf Otto regierte wohl, bat ſeine Soͤhne, ſie wollten die Unterthanen gnaͤdig hoͤren, und das Land nicht theilen. Und wenn ihm ſeine Gemahlinn (gebohrne Graͤfinn von Ra - vensberg) ſtuͤrbe, wenn er dann ſeinen Wittwer - ſtand nicht keuſch halten koͤnnte; wollte er doch in keinem ſuͤndigen Leben gefunden werden vor Gott, aber auch keines Fuͤrſten, Herrn noch Grafen Toch - ter nehmen, damit durch zweyerley Kinder das Land nicht zertheilt wuͤrde; ſondern wollte eine fromme Jungfrau von Adel zur Ehe nehmen, und die Kinder mit Geld und Lehnſchaft und anderen Guͤtern wohl verſorgen, daß das Fuͤrſtenthum bey einander bleiben ſollte(g)Hert de ſpecial. rebusp. ſect. 2. §. 6. not. II. opusc. vol. I. tom. 2. p. 75.. So hatte der Chur - fuͤrſt Friedrich der Siegreiche von der Pfalz zum Vortheile ſeines aͤltern Bruders Sohnes ſich an - heiſchig gemacht, keine ſtandesmaͤßige Gemahlinn zu nehmen, und deswegen nur eine gewiße Clara Dettinn ſich antrauen laßen, deren Nachkommen aber mit der Grafſchaft Loͤwenſtein verſorgt und als Grafen von Loͤwenſtein erzogen wurden. Ein Herzog von Zweybruͤcken, Friedrich Ludewig, ließ ſich auf ſolche Art mit einer gewiſſen Heppinn trauen, und deren Soͤhne als Herren von Fuͤr - ſtenwaͤrter erziehen; Herzog Rudolf Auguſt von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel nahm in zweyter Ehe eine gewiſſe Menthinn unter dem Namen Mada - me Rudolphine; Landgraf Ernſt von Heſſen-Rhein - fels eine Duͤrniczel unter dem Namen MadameErne -B 424XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Erneſtine u. ſ. w. Solcher vertragsmaͤßig unglei - cher Ehen thut auch das Longobardiſche Lehnrecht Meldung, unter dem Namen morganatiſcher Ehen, welcher Name ſelbſt unſtreitig Teutſchen Urſprungs iſt(h)Die Benennung morganatiſcher Ehen hat man bisher gemeiniglich davon hergeleitet, weil ſolche Frauen ſich mit der Morgengabe begnuͤgen mußten. Treffender ſcheint die Ableitung zu ſeyn, die Moͤſer (in der Berliniſchen Monathsſchrift vom May 1784.) angegeben hat, weil die Kinder aus ſolchen Ehen nur der Mutter folgen; das heißt nach der Niederteutſchen Mundart na der Moder gan, oder zuſammengezogen na der Mor gan. .

IX.
8

Wenn aber auch kein Vertrag zum voraus daruͤber gemacht war, ſo verſtand ſichs doch von ſelbſten, daß eine Perſon, die nicht ſelbſt vom Herrenſtande war, wenn ſie gleich ein Fuͤrſt zur Gemahlinn nahm, weder Fuͤrſtinn wurde, noch fuͤrſtliche und ſucceſſionsfaͤhige Kinder erzielen konnte. Das war der Fall des Marggrafen Hen - richs des Erlauchten von Meiſſen mit Eliſabeth von Maltitz, des Erzherzogs Ferdinands von Oe - ſterreich-Tyrol mit Philippine Welſerinn, des Prinzen Ferdinands von Baiern mit Marie Pet - tenbeck, des Fuͤrſten Georg Ariberts von Anhalt - Deſſau mit einer von Kroſigk u. ſ. w. Nur als - dann konnte davon eine Ausnahme ſtatt finden, wenn mit Bewilligung der Stammsvettern Soͤh - nen, die aus ſolchen Mißheirathen erzeuget wa - ren, ein Succeſſionsrecht zugeſtanden wurde; wie z. B. im Hauſe Braunſchweig 1546. Otto dem juͤngern von Haarburg geſchah, den ſein Vater gleiches Namens mit Metta von Campen erzeugthatte;253) Wahlcap. Carls VII. 1742.hatte; desgleichen im Hauſe Badendurlach dem Marggrafen Carl, deſſen Mutter Urſula von Ro - ſenfeld war; und im Hauſe Anhaltdeſſau der Nach - kommenſchaft aus der Ehe des Fuͤrſten Leopolds mit Anne Louiſe Foͤſen, u. ſ. w.

In dieſem letztern Falle ward auch eine kaiſer -X. liche Standeserhoͤhung zu Huͤlfe genommen, welche die Gemahlinn des Fuͤrſten aus dem buͤr - gerlichen Stande in den Fuͤrſtenſtand erhoͤhte, und auch ihre Kinder fuͤr fuͤrſtlich erklaͤrte. Sofern die Stammsvettern des Hauſes, die allenfalls alleine ein Recht zu widerſprechen gehabt haͤtten, damit zufrieden waren; ließ ſich freylich nichts da - wider einwenden. Sonſt aber, wenn die Stamms - vettern widerſprachen, ſo konnten dieſelben ihr Succeſſionsrecht auf den Fall, ſobald keine naͤhe - re ſtandesmaͤßige und ſucceſſionsfaͤhige Nachkom - menſchaft mehr im Wege ſtand, als ein ſo gegruͤn - detes Recht (ius quaeſitum) behaupten, das ihnen unter keinerley Vorwand, auch nicht durch eine kaiſerliche Standeserhoͤhung wider ihren Willen benommen werden konnte. Das waren ungefaͤhr die Grundſaͤtze, wie ſie bisher in Anſehung der Mißheirathen nach einem uͤbereinſtimmenden Ge - brauche unſerer reichsſtaͤndiſchen fuͤrſtlichen Haͤuſer obgewaltet hatten, ohne daß uͤbrigens noch zur Zeit ein allgemeines Reichsgeſetz daruͤber vorhan - den war. Eben deswegen haͤtte aber auch bald dieſes althergebrachte fuͤrſtliche Gewohnheitsrecht Noth gelitten, da es theils mit Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechtsgrundſaͤtzen in Widerſpruch ſtand, theils das Intereſſe des kaiſerlichen Hofes zu er - fordern ſchien, auch dieſe Gelegenheit nicht außerB 5Acht26XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Acht zu laßen, um dem kaiſerlichen Reſervatrechte der Standeserhoͤhungen eben dadurch noch einen groͤßeren Werth beyzulegen.

XI.
8

Dem Syſteme der beiden Geſetzbuͤcher des Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechts ſchien es frey - lich gemaͤßer zu ſeyn, daß eine richtig vollzogene Ehe ſowohl der Ehegenoſſinn die Theilnehmung der Wuͤrde des Mannes, als den Kindern nicht nur den vaͤterlichen Stand ſondern auch die Erb - faͤhigkeit in den vaͤterlichen Guͤtern zuwege braͤchte. In der letztern Abſicht bezog man ſich ſogar auf den Ausſpruch der Bibel: Sind wir dann Kin - der, ſo ſind wir auch Erben. Man bedachte aber nicht, daß, ohne der Religion Abbruch zu thun, jede Nation und jeder Stand noch eigene Beſtim - mungen haben koͤnne, um erſt alle rechtliche Ei - genſchaften einer Ehe angedeihen zu laßen; und daß jene beide Geſetzbuͤcher nur gemeines Recht enthielten, das zuruͤckſtehen muͤße, ſobald ein be - ſonderes Land, eine Stadt, eine Familie, oder auch ein beſonderer Stand, wie hier der Fuͤrſten - ſtand, ſein eignes Recht hat. War aber ein - mal auf ſolche Art den Stammsvettern eines Hau - ſes in Anſehung einer vorgegangenen Mißheirath ein gewiſſes gegruͤndetes Recht erwachſen; ſo konn - te ihnen wider ihren Willen das durch keine kai - ſerliche Standeserhoͤhung benommen werden, ſo wenig auch ſonſt dagegen zu ſagen war, wenn der kaiſerliche Hof das Recht der Standeserhoͤhungen als ein Reſervatrecht behauptete, ſofern nur von Titel und Wuͤrden, aber nicht von eignen Fami - nengerechtſamen die Rede war.

Nun273) Wahlcap. Carls VII. 1742.

Nun fuͤgte ſich der beſondere Fall, daß derXII. Herzog Anton Ulrich von Sachſen-Meinun - gen mit eines Heſſiſchen Hauptmanns Tochter zwey Soͤhne erzeuget hatte, und vom Kaiſer Carl dem VI. eine Standeserhoͤhung bewirkte, vermoͤge deren nicht nur jene als ſeine Gemahlinn in den Fuͤrſtenſtand erhoben, ſondern auch die mit derſel - ben erzeugten Soͤhne zu gebohrnen Herzogen von Sachſen, und zugleich voͤllig ſucceſſionsfaͤhig er - klaͤret wurden. Hierwider erhoben gleich damals alle Stammsvettern des Hauſes Sachſen lauten Widerſpruch; und, ehe noch dieſer einzelne Rechts - fall durch Urtheil und Recht entſchieden ward, nah - men die Churfuͤrſten davon Anlaß, in die Wahlca - pitulation folgende Stelle einzuruͤcken: daß der Kai - ſer den aus unſtreitig notoriſcher Mißheirath er - zeugten Kindern eines Standes des Reichs oder aus ſolchem Hauſe entſproſſenen Herrn, zu Verklei - nerung des Hauſes die vaͤterlichen Titel, Ehre und Wuͤrde nicht beylegen, vielweniger dieſelben zum Nachtheile der wahren Erbfolger und ohne deren beſondere Einwilligung fuͤr ebenbuͤrtig und ſucceſ - ſionsfaͤhig erklaͤren, auch, wo dergleichen vorhin bereits geſchehen, ſolches fuͤr null und nichtig an - ſehen und achten ſolle.

Waͤre dieſes eine ganz neue Verfuͤgung einesXIII. erſt jetzt einzufuͤhrenden neuen Rechts geweſen; ſo haͤtte es ohne Unbilligkeit auf den vorher bereits im Gange geweſenen Sachſenmeinungiſchen Rechts - fall nicht zuruͤckgezogen werden koͤnnen. Allein es war hier ſchon ein laͤngſt gegruͤndetes Recht, das nur bisher auf bloßem Herkommen beruhet hatte, und jetzt erſt zu mehrerer Sicherheit in ein aus -druͤck -28XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.druͤckliches Geſetz verwandelt wurde. Alſo konnte ohne alles Bedenken auch in der Meinungiſchen Sache ſchon nach eben den Grundſaͤtzen geſprochen werden, wie im Jahre 1744. das Endurtheil des Reichshofraths auch dahin ausfiel. Dagegen nahm zwar der Herzog Anton Ulrich noch ſeine Zuflucht zur allgemeinen Reichsverſammlung. Aber auch da erfolgte ein Reichsſchluß, der es nicht nur bey dem Urtheile des Reichshofraths ließ, und dem Herzoge ein ewiges Stillſchweigen auflegte, ſondern auch eben damit jener Stelle der Wahlca - pitulation zur neuen reichsgrundgeſetzlichen Befe - ſtigung diente.

XIV.
8

Nur einen Umſtand hatten die Churfuͤrſten bey Abfaſſung dieſer Stelle der Wahlcapitulation noch einer naͤheren Beſtimmung uͤbrig gelaßen, die ſie lieber durch ein Collegialſchreiben dem Kaiſer zur reichstaͤglichen Eroͤrterung empfehlen, als ſelbſt entſcheiden wollten; nehmlich welche Ehen eigentlich fuͤr Mißheirathen zu halten ſeyen, da eine oder andere Gattung derſelben etwa noch zwei - felhaft ſcheinen moͤchte? In der Wahlcapitulation ſelbſt hatte man ſich wohlbedaͤchtlich des Aus - drucks: unſtreitig notoriſcher Mißheirathen, bedienet; womit man ohne Zweifel ſo viel zu er - kennen gab, daß man die Ehe eines Fuͤrſten mit einer Perſon von buͤrgerlichem Stande, wie die des Herzog Anton Ulrichs war, welche zu dieſer Stelle den naͤchſten Anlaß gegeben hatte, fuͤr eine unſtreitig notoriſche Mißheirath hielt. Als zwei - felhaft ſah man vielleicht noch an, ob die Ehe ei - nes Fuͤrſten mit einer Perſon von altem Adel, oder auch mit einer neugraͤflichen, ingleichen mit einerland -293) Wahlcap. Carls VII. 1742.landſaͤſſig oder auslaͤndiſch neufuͤrſtlichen, und ob auch die Ehe eines Reichsgrafen mit einer adeli - chen Perſon fuͤr eine Mißheirath zu halten ſey? Ueber das alles waͤre nun ein Regulativ zu erwar - ten, indem das churfuͤrſtliche Collegialſchreiben den Kaiſer erſuchte, daruͤber ein forderſamſtes Reichs - gutachten zu erfordern, und dieſe Sache, die als eine Nothwendigkeit angeſehen ward, zu einem allgemeinen Reichsſchluſſe zu befoͤrdern. Bis jetzt iſt inzwiſchen bey der Reichsverſammlung noch nichts weiter davon vorgekommen.

Von der wahren Beſchaffenheit der SacheXV. laͤßt ſich aus obigen Beyſpielen ſchon von ſelbſten manches abnehmen. Inſonderheit laßen ſich, was den in Teutſchland bis auf den heutigen Tag ur - althergebrachten Unterſchied zwiſchen dem hohen und niedern Adel anbetrifft, ziemlich ſichere Graͤnz - linien in Anſehung der Vermaͤhlungen ziehen, wenn man nur auf die zwey Umſtaͤnde Ruͤckſicht nimmt, daß eine Prinzeſſinn, wenn ſie an einen Reichsgrafen vermaͤhlt wird, ihren Fuͤrſtenſtand nicht verliehrt, wohl aber, wenn ſie nur mit einem von Adel ſich in die Ehe begibt, und daß morga - natiſche Ehen Teutſcher Reichsfuͤrſten wohl mit adelichen Perſonen eben ſo gut, wie mit buͤrgerli - chen, ſtatt finden, nicht aber mit Prinzeſſinnen und Graͤfinnen von gleichem Herrenſtande. Alle - mal wuͤrden wenigſtens fuͤr den Teutſchen Fuͤrſten - ſtand aͤußerſt bedenkliche Folgen zu erwarten ſeyn, wenn das bisherige Herkommen eine Aenderung leiden ſollte.

Wenn das erſt ausgemacht waͤre, daß dieXVI. Ehe eines Fuͤrſten mit einer Perſon von altem Adelkeine30XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.keine Mißheirath ſey; ſo moͤchte es wohl nicht lan - ge waͤhren, daß Fuͤrſten haͤufiger adeliche Perſo - nen, als gebohrne Prinzeſſinnen, zu Gemahlin - nen nehmen wuͤrden. Unter jenen wuͤrde wenig - ſtens die Wahl ungleich groͤßer ſeyn. Und wie manche Prinzeſſinn wuͤrde dann nicht unvermaͤhlt bleiben? Ob aber dann auch der bisherige Vor - zug des Teutſchen Fuͤrſtenſtandes, daß Monarchen Teutſche Prinzeſſinnen zu Gemahlinnen wehlen, noch lange waͤhren wuͤrde, wenn ſie dadurch Ge - fahr liefen mit adelichen Geſchlechtern in Ver - wandtſchaft zu kommen, das moͤchte wohl eine an - dere Frage ſeyn. Hingegen nachgebohrne Herren fuͤrſtlicher Haͤuſer, die jetzt ſelten ebenbuͤrtige Ge - mahlinnen nehmen koͤnnen, wuͤrden freylich un - gleich haͤufiger mit adelichen Damen ſich vermaͤh - len. Und wenn deren Toͤchter dann wieder der Fraͤuleinſteuer, wie ſolche in den meiſten Laͤndern, doch bisher durchgaͤngig nur fuͤr Toͤchter aus eben - buͤrtigen Ehen, hergebracht iſt, ſich zu erfreuen haͤtten, ſo moͤchten ſich die Teutſchen Landſchaften nur auf oͤftere Fraͤuleinſteuern gefaßt halten; vieler anderen Folgen von Nepotismus u. d. gl., die einem jeden bey einigem Nachdenken leicht von ſelbſten einleuchten werden, nicht zu gedenken.

XVII.
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Die Materie von Mißheirathen iſt inzwiſchen nicht die einzige, die von den damals an Carl den VII. erlaßenen churfuͤrſtlichen Collegialſchreiben noch nicht erlediget worden. Auch mit mehreren Stellen der Wahlcapitulation hat es noch jetzt eben die Bewandtniß, wie zu der Zeit, da ſie zuerſt eingeruͤckt wurden. Diejenigen, die ſeit - dem zur Sprache gekommen ſind, werden ſich fuͤg -lich314) Carls d. VII. Regierung 1742-1745.lich bey einer jeden Gelegenheit, da das geſchehen iſt, nachholen laßen.

IV. Merkwuͤrdigkeiten der Regierung Kaiſer Carls des VII. 1742. Jan. 24. 1745. Jan. 20.

I. So kurz dieſe Regierung war, ſo fruchtbar war ſie doch an wichtigen Begebenheiten. II. III. Inſonderheit bekam die Preuſſiſche Macht einen betraͤchtlichen Zuwachs an Schleſien und Oſtfriesland; IV. Dem Hauſe Sachſen-Weimar fiel Eiſenach zu, V. und dem Hauſe Naſſau-Oranien Siegen, wiewohl auf letzteres noch ein Praͤtendent Anſpruch machte. VI. Das Haus Hol - ſtein-Gottorp bekam nahe Ausſichten zur Thronfolge in Schweden und Rußland. VII. Das Haus Heſſencaſſel erhielt einen guͤnſtigen Reichsſchluß zu Befeſtigung ſeines Beſitzes in der Grafſchaft Hanau, wie auch ein unbe - ſchraͤnktes Appellations-Privilegium. VIII. Durch kai - ſerliche Standeserhoͤhungen wurden verſchiedene neue Fuͤr - ſten gemacht. IX. Manche Veraͤnderungen, die ſonſt noch in der Reichsverfaſſung zu erwarten geweſen ſeyn moͤch - ten, unterbrach noch der Tod des Kaiſers.

Die kaiſerliche Regierung Carls des VII. waͤhr -I. te kaum drey Jahre; war aber doch voll merkwuͤrdiger Begebenheiten, die ſelbſt auf die Verfaſſung des Teutſchen Reichs im Ganzen nicht geringen Einfluß hatten.

Das Schickſal der pragmatiſchen SanctionII. ward zwar noch nicht ganz entſchieden. Doch ſchien das Gluͤck der Waffen der Hoffnung, die ſich das Haus Baiern von der Unterſtuͤtzung ſozahl -32XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.zahlreicher und maͤchtiger Bundesgenoſſen hatte machen koͤnnen, dieſe ganze Zeit uͤber gar nicht zu entſprechen. Der Koͤnig in Preuſſen war bisher der einzige, dem Maria Thereſia ſich bequemen mußte, im Breslauer Frieden von ganz Nie - derſchleſien und einem betraͤchtlichen Theile von Oberſchleſien nebſt der Grafſchaft Glatz ein Opfer zu machen. Darauf konnte ſie aber auch ihre ganze Macht gegen ihre uͤbrigen Widerſacher ver - einigen. Und als auch darin der neue Preuſ - ſiſche Einbruch in Boͤhmen einen Querſtrich mach - te, ſo ſtand es noch dahin, ob es auch von dieſer Seite noch beym Breslauer Frieden bleiben wuͤr - de, der uͤbrigens das Haus Brandenburg beyna - he um die Haͤlfte ſeiner Macht verſtaͤrkte, und es alſo einem in Teutſchland ſelbſt gegen das Haus Oeſterreich zu haltenden Gleichgewichte um ſo viel naͤher brachte.

III.
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Noch bekam die Macht des Hauſes Branden - burg unter dieſer Regierung einen neuen Zuwachs mit dem Fuͤrſtenthume Oſtfriesland, das der Koͤnig nach Abgang des letzten Fuͤrſten ( 1744. May 25.) vermoͤge einer kaiſerlichen Anwartſchaft vom 10. Dec. 1694. in Beſitz nehmen ließ; wie - wohl Churbraunſchweig vermoͤge einer aͤltern Erb - verbruͤderung vom 20. Maͤrz 1691. ebenfalls An - ſpruch darauf machte.

IV.
8

Zwey andere fuͤrſtliche Haͤuſer, oder doch zwey regierende Staͤmme anderer Haͤuſer waren ſchon vorher ausgeſtorben, und halfen alſo ebenfalls die Zahl der bisherigen regierenden Reichsfuͤrſten ver - mindern. Einer derſelben war der Herzog Wil -helm334) Carls des VII. Regier. 1742-1745.helm Henrich von Sachſen-Eiſenach, der am 29. Jul. 1741. als der letzte ſeines Stammes ge - ſtorben war; worauf dieſer Eiſenachiſche Landes - antheil nebſt der darauf haftenden Stimme im Reichsfuͤrſtenrathe mit dem Hauſe Sachſen-Wei - mar vereiniget wurde. Nur die Grafſchaft Al - tenkirchen, welche des letzten Herzogs Großvater Johann Georg durch ſeine Vermaͤhlung mit einer Graͤfinn von Sain an ſein Haus gebracht hatte, fiel dem Marggrafen von Anſprach zu, weil deſſen Großvater, der Marggraf Johann Friedrich, eine Tochter des Herzogs Johann Georgs von Eiſe - nach zur Gemahlinn gehabt hatte. (Eine Toch - ter des Marggrafen Johann Friedrichs von An - ſpach war die Gemahlinn Koͤnigs Georgs des II. Darum wird nach Abgang des Hauſes Anſpach dereinſt Altenkirchen an das Haus Hannover fallen.)

Der andere Fuͤrſt, der ſeinen Stamm beſchloß,V. war Wilhelm Hyacinth von Naſſau-Siegen ( 1743. Febr. 18.), deſſen Landesantheil nebſt der fuͤrſtlichen Stimme von Naſſau-Hadamar darauf dem Hauſe Naſſau-Oranien zufiel. (Wil - helm Hyacinths Vater Johann Franz hatte zwar noch einen Sohn, Immanuel Ignatz, gehabt; aber aus einer ungleichen Ehe mit Iſabelle Clare Eugenie de la Serre, in deren Eheberedung vom 9. Febr. 1669. es ausbedungen war, daß ihre Kinder nur den Adelſtand fuͤhren ſollten. Nichts deſto weniger nahm dieſer Immanuel Ignatz, je - doch mit Widerſpruche der Naſſauiſchen Stamms - vettern, den Titel: Prinz von Naſſau-Siegen, an; vermaͤhlte ſich auch im May 1711. mit Ca - tharine Charlotte, einer Tochter Ludewigs vonP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. CMail -34XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Mailly, Marquis von Nesle. Dieſe verließ aber ihren Gemahl 1715., gebahr jedoch am 23. Nov. 1722. noch einen Sohn Maximilian Wilhelm Adolf, und behauptete, ihr Gemahl habe ſich im Jahre 1722. noch mit ihr ausgeſoͤhnt und ſie auf kurze Zeit zu Paris beſucht gehabt. Eben der Maximilian Wilhelm Adolf erſchien hernach als Praͤtendent von Naſſau-Siegen mit einer Klage gegen Naſſau-Oranien am Reichshofrathe; wo jedoch am 5. Aug. 1746. ein entſcheidendes End - urtheil wider ihn erfolgte. Ein Ausſpruch des Parlaments zu Paris ergieng hingegen im Jahre 1756. zu ſeinem Vortheile. Vermoͤge deſſen wird auch ein noch lebender Sohn, Carl Hen - rich Nicolaus Otto, den Max Wilhelm Adolf am 9. Jan. 1745. mit Maria Magdalena Amalia, einer Tochter Nicolas von Monchy, Marquis von Senarpont, erzeuget hat, in Frankreich als ein gebohrner Prinz von Naſſau-Siegen aner - kannt. Derſelbe hat ſich theils durch ſeine Be - gleitung des Herrn von Bougainville auf der See - reiſe um die Welt in den Jahren 1766. bis 1769., theils durch einen mißlungenen Angriff auf Jer - ſey 1779. bekannt gemacht, und endlich am 22. Sept. 1780. mit einer Tochter Bernhards von Godzky, des Fuͤrſten Janus von Sanguſzko ge - ſchiedener Gemahlinn, in Polen ſich vermaͤhlet.)

VI.
8

Ein anderer doppelter maͤchtiger Zuwachs ward um dieſe Zeit dem Hauſe Holſtein-Got - torp fuͤr die Zukunft ausgemacht, da zwey Prin - zen dieſes Hauſes zu Thronfolgern in zwey nordi - ſchen Reichen beſtimmt wurden; Carl Peter Ul - rich, oder nach angenommener Griechiſchen Reli -gion354) Carls des VII. Regier. 1742-1745.gion Peter Feodorowitz (1742. Nov. 18.), als Großfuͤrſt und Thronfolger von Rußland; und Adolf Friedrich (1743. Jul. 4.) als Thronfolger in Schweden.

Noch gehoͤrte endlich zu den Haͤuſern, welcheVII. die Zeit her einen betraͤchtlichen Zuwachs erhal - ten hatten, das Haus Heſſen-Caſſel. Schon in den letzteren Jahren der vorigen kaiſerlichen Regierung hatte nach dem Tode des letzten Gra - fen von Hanau ( 1736. Maͤrz 28.) der Prinz Wilhelm von Heſſen-Caſſel, dem ſein aͤlterer Bru - der, damaliger Koͤnig in Schweden, ſein Recht uͤberlaßen hatte, Hanau in Beſitz genommen, weil ſein Haus von der Graͤfinn Amalia Eliſabeth von Hanau-Muͤnzenberg abſtammte, und uͤber - das nicht nur eine im Jahre 1643. zwiſchen Heſ - ſen-Caſſel und Hanau errichtete Erbvereinigung fuͤr ſich hatte, ſondern auch durch einen im Jah - re 1728. mit Churſachſen errichteten und vom Kaiſer beſtaͤtigten Vertrag die Churſaͤchſiſchen Rechte auf die Hanau-Muͤnzenbergiſchen Reichs - lehne, als Churſaͤchſiſche Afterlehne, an ſich ge - bracht hatte. Hiergegen machte der damalige Erb - prinz von Heſſen-Darmſtadt, der eine Tochter des letzten Grafen zur Gemahlinn hatte, Anſpruch auf die graͤfliche Mobiliarverlaßenſchaft und auf das Amt Babenhauſen. Desgleichen behauptete Churmainz das bisher mit Hanau gemeinſchaftlich beſeſſene Freygericht bey Alzenau vor dem Berge Welmitzheim nunmehr ſich alleine zueignen zu koͤn - nen. Beide Sachen waren am Cammergerichte anhaͤngig gemacht, wo jedoch Heſſen-Caſſel ſich auf das Recht der Auſtraͤgalinſtanz bereif. AlsC 2hier -36XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.hierauf das Cammergericht keine Ruͤckſicht neh - men wollte; wandte Heſſen-Caſſel ſich an den Reichstag, und bewirkte im Jun. und Jul. 1743. einen Reichsſchluß: daß dieſe ſtreitige Hanaui - ſche Succeſſionsſache an die fuͤrſtlich Heſſiſchen Stammsaustraͤge zu verweiſen ſey. Noch erhielt das Haus Heſſen-Caſſel von Carl dem VII. am 7. Dec. 1742. ein unbeſchraͤnktes kaiſerliches Privilegium gegen alle Appellationen an die Reichs - gerichte, in Gefolg deſſen am 26. Nov. 1743. ein neues Oberappellationsgericht zu Caſſel errich - tet wurde.

VIII.
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Endlich entſtanden durch kaiſerliche Standes - erhoͤhungen unter dieſer kurzen Regierung verſchie - dene neue Fuͤrſten von Stolberg-Gedern, Solms - Braunfels, Hohenlohe-Schillingsfuͤrſt, Hohen - lohe-Bartenſtein, Hohenlohe-Pfaͤdelbach, und Iſenburg-Birſtein; doch ohne daß weder auf dem Reichstage, noch in den Kreiſen und graͤflichen Collegien damit eine Aenderung vorgieng.

IX.
8

Wenn dieſe Regierung noch laͤnger gewaͤhret haͤtte, moͤchten wohl noch mehrere Veraͤnderun - gen in manchen Faͤchern zu erwarten geweſen ſeyn. Schwerlich wuͤrden auch ſelbſt Wiener Schrift - ſteller alsdann der kaiſerlichen Gewalt ſo viel ein - geraͤumt haben, als wohl vor - und nachher ge - ſchehen iſt. Inſonderheit duͤrfte die Verbindung zwiſchen Teutſchland und Italien ſchwerlich lange auf den bisherigen Fuß geblieben ſeyn, da das Haus Baiern ſelbſt keinen feſten Fuß in Italien hatte, und alſo den kaiſerlichen Verfuͤgungen in ſelbigen Gegenden keinen Nachdruck geben konnte. Je -375) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.Jedoch mit dem fruͤhzeitigen Tode des Kaiſers be - kam alles wieder eine ganz veraͤnderte Geſtalt.

V. Merkwuͤrdigkeiten beym Antritt der Regierung Kaiſers Franz des I. 1745.

I. Fuͤßner Friede zwiſchen Oeſterreich und Baiern. II. Kaiſerwahl und Kroͤnung Franz des I. III. Nun - mehrige Zulaßung des Boͤhmiſchen Wahlbotſchafters, ohne weitern Anſtand, daß eine Dame die Churſtimme fuͤhren koͤnne. IV. Dresdner und Aachner Friedensſchluͤſſe. V. Beide ohne Theilnehmung des Reichs, VI. außer daß der Dresdner Friede vom Reiche garantirt wurde, nur mit Vorbehalte der Rechte des Reichs in Anſehung Schleſiens. VII. Das Reich hatte dem Kaiſer nur eine Geldhuͤlfe bewilliget, und ſich zur Vermittelung des Frie - deus erboten. VIII. Neue Frage und Verordnung uͤber die Fortdauer der Aſſociation der vorliegenden Kreiſe. IX. Neue Einrichtung wegen Abwechſelung des Rheiniſchen Reichsvicariates. X. Ruͤckkehr des ehemaligen Verhaͤlt - niſſes zwiſchen der Kaiſerwuͤrde und dem Hauſe Oeſter - reich. XI. Damit gehobene Schwierigkeit wegen des kaiſerlichen Reichshofarchives, XII. wie auch wegen Veraͤnderung des Reichshofraths von einer kaiſerlichen Re - gierung zur andern, XIII. ingleichen mit den Stellen des Reichsvicecanzlers und Reichsreferendarien.

Carl der VII. hatte ſeinen Sohn, Max Joſeph,I. dem nur noch wenige Monathe an der bey den Churfuͤrſten mit dem achtzehnten Jahre ein - tretenden Volljaͤhrigkeit abgiengen, noch kurz vor ſeinem Tode fuͤr volljaͤhrig erklaͤret. Derſelbe fand ſich aber bald bewogen, dem bisherigen Kriege ſeines Orts ein Ende zu machen. In einem Frie - den, den er am 22. Apr. 1745. zu Fueßen zeich -C 3nen38XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.nen ließ, begnuͤgte er ſich, ſein vaͤterliches Land zuruͤckzubekommen, und begab ſich hingegen aller der pragmatiſchen Sanction zuwiderlaufenden An - ſpruͤche; verſprach auch nicht nur die Boͤhmiſche Wahlftimme anzuerkennen, ſondern auch mit ſei - ner Stimme den Großherzog von Toſcana zur Kaiſerwuͤrde befoͤrdern zu helfen.

II.
8

Auf ſolche Art blieb zwar Maria Thereſia noch mit Preuſſen in Boͤhmen und Schleſien, mit Frankreich in den Niederlanden, und mit Frank - reich, Spanien und Neapel in Italien, in Krieg verwickelt. Aber in Anſehung der Kaiſerwahl lenkten ſich jetzt bald alle Umſtaͤnde zum Vortheile ihres Gemahls. Ohne diesmal große Aenderun - gen in der Wahlcapitulation zu machen, wurde die Wahl ſchon den 13. Sept. 1745. vollzogen, und am 4. Oct. wurde Kaiſer Franz gekroͤnet. (Seine Gemahlinn fand ſich zwar ebenfalls zu Frankfurt ein, ward aber nicht ſelbſt gekroͤnet, weil ſie eben guter Hoffnung war. Des vorigen Kaiſers Carls des VII. Gemahlinn war noch am 8. Maͤrz 1742. gekroͤnet worden.)

III.
8

Einer der merkwuͤrdigſten Umſtaͤnde bey die - ſer Kaiſerwahl war dieſer, daß nunmehr ohne An - ſtand die Boͤhmiſchen Wahlbotſchafter mit Vollmachten von Maria Thereſia als Koͤniginn in Boͤhmen zugelaßen wurden. Eben damit hat al - ſo nunmehr der Satz: daß auch eine Dame der Churſtimme nicht unfaͤhig ſey, ſeine voͤllige Erle - digung erhalten.

IV.
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Die beiden Geſandten von Churbrandenburg und Churpfalz giengen zwar vor Vollziehung derWahl395) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.Wahl mit Widerſpruch von Frankfurt weg. Sie konnten aber der goldenen Bulle zufolge die uͤbri - gen an Vollziehung der Wahl nicht hindern. Da es auch bald hernach mit dem Koͤnige in Preuſſen zum Frieden kam, der am 25. Dec. 1745. zu Dresden meiſt voͤllig auf den Fuß des Breslauer Friedens geſchloſſen ward; ſo ließen beide Hoͤfe, vermoͤge eines beſondern Artikels dieſes Friedens, von ihrem Widerſpruche nach. Allen uͤbrigen Kriegslaͤuften machte hernach im Jahre 1748. der Friede zu Aachen ein Ende, wo die Praͤli - minarien von den Geſandten von Großbritannien, Frankreich und den vereinigten Niederlanden ſchon am 30. Apr. gezeichnet wurden. Der voͤllige Frie - densſchluß mit Beytritt des Wiener Hofes kam erſt in den letzten Tagen des Octobers zu Stande. Vermoͤge deſſen blieb es nun am Ende doch voͤllig bey der pragmatiſchen Sanction, bis auf den ein - zigen Punct, daß Don Philipp, ein juͤngerer Sohn des inzwiſchen verſtorbenen Koͤnigs Philipps des V. von Spanien, die Herzogthuͤmer Parma, Pia - cenza und Guaſtalla bekam.

Das Teutſche Reich hatte an allen den Krie -V. gen keinen Theil genommen, konnte alſo auch bey den Friedensſchluͤſſen nicht als mitſchließender Theil in Betrachtung kommen. Doch ſchien dar - in einiger Widerſpruch zu liegen, daß man im Jahre 1720. noͤthig gefunden hatte, die in der damaligen Quadrupelallianz beliebte Verfuͤgung uͤber Toſcana, Parma und Piacenza dem Reichs - tage zur Genehmigung vorzulegen; jetzt aber an eine reichstaͤgliche Genehmigung der im Aachner Frieden enthaltenen neuen Verfuͤgung uͤber Par -C 4ma,40XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ma, Piacenza und Guaſtalla nicht gedacht wurde. (Meines Wiſſens iſt auch ſeitdem keine kaiſerliche Belehnung uͤber dieſe Laͤnder geſchehen.)

VI.
8

Beym Dresdner Frieden bedang ſich der Koͤ - nig in Preuſſen, daß man von Seiten des Teut - ſchen Reichs eine Garantie deſſelben zuwege zu bringen ſuchen ſollte. Dieſe iſt hernach in einem Reichsgutachten vom 14. May 1751. geſchehen, jedoch mit Einruͤckung der Clauſel: mit Vor - und Beybehaltung der iurium imperii. (Weil ehedem Schleſien der Krone Boͤhmen einverleibt geweſen war, dieſe aber zum Teutſchen Reiche gehoͤrte; ſo hat vielleicht der Anſtand erwachſen koͤnnen, ob dieſe ehemalige Einverleibung ohne Beytritt des Reichs habe aufgehoben werden koͤn - nen, wie ſolches ſchon vom Kaiſer Carl dem VII. als Koͤnige in Boͤhmen, und hernach im Bres - lauer Frieden geſchehen war. Damit deshalb dem Reiche an ſeinem Rechte nichts vergeben wuͤrde, war wohl die Abſicht jener Clauſel. Der Koͤnig in Preuſſen nahm inzwiſchen gleich nach dem Bres - lauer Frieden den Titel: Souverainer Herzog von Schleſien, und ſouverainer Graf von Glatz, an; der ihm auch aus der Reichshofcanzley nicht ver - ſagt worden iſt.)

VII.
8

Das einzige war von Reichs wegen geſchehen, daß auf ein Commiſſionsdecret vom 28. May 1742., worin Carl der VII. wegen des damali - gen Zuſtandes ſeiner Erblande auf eine Geld - huͤlfe antrug, im Oct. 1742. ihm 50. Roͤmermo - nathe bewilliget wurden. Uebrigens erklaͤrte ſich das Reich in einem Reichsgutachten vom 10. May1743.415) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.1743. geneigt, mit Zutritt der Seemaͤchte eine Vermittelung zwiſchen den damals im Kriege begriffenen Theilen zu uͤbernehmen; wiewohl es auch dazu hernach nicht gekommen iſt.

Am eifrigſten bemuͤhten ſich beide Theile eineVIII. Aſſociation der Kreiſe zu Stande zu bringen; der Wiener Hof, weil bisher die vorderen Kreiſe ſich immer zum Vortheile des Wiener Hofes ge - gen den Franzoͤſiſchen aſſociirt hatten; der Muͤnch - ner Hof, weil gewoͤhnlich bisher nur der Kaiſer die Aſſociation auf ſeiner Seite gehabt habe. Wie dieſer letzte Grund unter dem Kaiſer Franz wieder - um dem Wiener Hofe zu ſtatten kam, ward die Sache von neuem in Bewegung gebracht, und zuletzt uͤber die Frage: ob die Aſſociation der Krei - ſe auch in Friedenszeit allenfalls ihren Fortgang behalte? zwar ein bejahender Schluß gefaſſet; je - doch auf weitere Berathſchlagung ausgeſetzt, was das nun fuͤr Wirkung haben ſolle, und wie ſolche zu bewerkſtelligen ſey? (Wobey es ſeitdem bisher geblieben iſt; zumal da ſeit dem Aachner Frieden das Verhaͤltniß zwiſchen Oeſterreich und Frank - reich ſich merklich geaͤndert hat; ſo daß, ſo lange es dabey bleibet, kein Krieg zwiſchen dieſen beiden Maͤchten zu beſorgen iſt, und alſo die ehemalige Haupturſache dieſer Aſſociation damit aufgehoͤret hat. Sollte ſich aber hierin uͤber kurz oder lang wieder eine Aenderung ereignen; ſo wird wahr - ſcheinlich auch dieſe Aſſociation der Kreiſe von neuem in Bewegung kommen.)

Mit dem Rheiniſchen Reichsvicariate wur -IX. de bald nach Carls des VII. Tode eine andere Ein -C 5rich -42XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.richtung getroffen. An ſtatt der im Jahre 1724. beliebten Gemeinſchaft verglichen ſich die beiden Hoͤfe zu Muͤnchen und Manheim auf eine kuͤnf - tige Abwechſelung deſſelben, womit diesmal zu Muͤnchen der Anfang gemacht wurde. Das chur - fuͤrſtliche Collegium bezeigte ſchon in der Wahlca - pitulation Franz des I. ſeine Zufriedenheit dar - uͤber, und empfahl den Vergleich zur Genehmi - gung des geſammten Reichs, die hernach durch ein Reichsgutachten vom 7. Aug. 1752., und deſ - ſen kaiſerliche Genehmigung vom 21. Aug. 1752. erfolget iſt. (Doch haben ſich die Umſtaͤnde ſeit - dem wieder geaͤndert, da nach dem Abgange des Hauſes Baiern jetzt ohnedem wieder nur ein Rheiniſcher Vicariatshof ſeyn kann.)

X.
8

Uebrigens kam mit dem Regierungsantritt Kaiſer Franz des I. nunmehr in Anſehung des kai - ſerlichen Hofes meiſt alles wieder auf den Fuß, wie es unter Carl dem VI. geweſen war. Ein we - ſentlicher Unterſchied zeigte ſich zwar darin, daß die Regierung der Erbſtaaten des Hauſes Oeſter - reich mit der kaiſerlichen Regierung diesmal nicht, wie ehedem, in einer Perſon verbunden war. Jedoch das genaue Verhaͤltniß, worin Franz und Maria Thereſia als Gemahl und Gemahlinn ge - gen einander ſtanden, ließ jenen Unterſchied kaum merklich werden. Wenigſtens war nun doch fuͤr die Zukunft der Weg von neuem gebahnt, der - einſt in der Nachkommenſchaft dieſes erhabenen Paares beide Regierungen wieder in einer Perſon vereiniget zu ſehen. Von nun an ſchien alſo kai - ſerlich und Oeſterreichiſches Staatsintereſſe wieder ziemlich in einander zu fließen. (Von dieſer Zeitan435) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.an konnten alſo auch Oeſterreichiſche Schriftſteller wieder ſolche Grundſaͤtze annehmen, die ſie ſchwer - lich mit eben dem Eifer aufgeſtellt und vertheidi - get haben moͤchten, wenn die Kaiſerwuͤrde laͤnger zu Muͤnchen ihren Sitz behalten haͤtte.)

Eine Schwierigkeit, die unter Carl dem VII.XI. nicht ganz hatte gehoben werden koͤnnen, (und die in aͤhnlichen Umſtaͤnden wahrſcheinlich noch immer wieder eintreten wuͤrde,) verlohr ſich jetzt von ſelbſten, ſobald das kaiſerliche Hoflager wie - der zu Wien ſeinen Sitz hatte. Man war in den Regiſtraturen und Archiven in vorigen Zei - ten nicht immer ſo ſorgſam geweſen, die Ge - ſchaͤffte der kaiſerlichen und Oeſterreichiſchen Re - gierung ſo genau von einander abzuſondern, wie man es jetzt gewohnt iſt. Als daher mit Verle - gung des kaiſerlichen Hoflagers von Wien nach Muͤnchen auch natuͤrlich in Frage kam, das kai - ſerliche Reichshofarchiv nunmehr von Wien nach Muͤnchen heruͤberzubringen; ſo machte der Wiener Hof nicht nur darum Schwierigkeit, weil derſelbe Carl den VII. nicht als Kaiſer erkennen wollte, ſondern auch vorzuͤglich deswegen, weil erſt eine Abſonderung der Oeſterreichiſchen Brief - ſchaften von den Reichsſachen geſchehen muͤßte. Inzwiſchen ward auf ein am 13. May 1742. an das Reich erlaßenes Commiſſionsdecret im Oct. 1742. zu Wien zwar ein Anfang gemacht, jene Abſonderung zu bewerkſtelligen. Allein nun ka - men noch andere Schwierigkeiten hinzu, unter andern ſelbſt wegen der Koſten des Transports einer ſo ungeheuren Actenmaſſe nur einen Fond zu verſchaffen, u. ſ. w. Das alles erledigte ſichaber44XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.aber von ſelbſten, da nunmehr die Sachen zu Wien bleiben konnten, wie ſie waren.

XII.
8

Eine andere bisher ungewoͤhnliche Veraͤnde - rung ereignete ſich bey den diesmaligen abwechſeln - den Regierungen in Anſehung des Reichshof - raths. Derſelbe nimmt zwar mit jedem Todes - falle eines Kaiſers ein Ende. So lange aber die Kaiſerwuͤrde unverruͤckt beym Hauſe Oeſterreich geblieben war, wurde auch der Reichshofrath bey jeder neuen Regierung wieder mit den vorigen Mitgliedern beſetzt. Carl der VII. ſah ſich hin - gegen genoͤthiget, den ganzen Reichshofrath mit neuen Perſonen zu beſetzen, weil diejenigen, die vorher zu Wien im Reichshofrathe geſeſſen hatten, theils vom Bairiſchen Hofe nicht begehret, theils vom Oeſterreichiſchen nicht entlaßen wurden. So gieng es hernach auch unter dem Kaiſer Franz, da diejenigen, die unter Carl dem VII. gedient hatten, nicht wieder ankamen, wohl aber einige, die noch von Carl dem VI. her lebten, in ihre vo - rige Stellen zuruͤckkehrten. Dieſes letztere traf unter andern ſelbſt den Reichshofrathspraͤſidenten Grafen von Wurmbrand, der uͤber ein halbes Jahrhundert im Reichshofrathe geſeſſen hat.

XIII.
8

Eben ſo gieng es mit der ſehr eintraͤglichen Reichsvicecanzlers-Stelle, die zwar vom Churfuͤrſten von Mainz vergeben wird, aber doch mit jedem Kaiſer aufhoͤret. Dieſe Stelle hatte ſchon in den letzten Jahren Carls des VI. der Graf Rudolf von Colloredo bekleidet; unter Carl dem VII. bekam ſie ein Graf von Koͤnigsfeld, unterFran -455) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.Franzen wieder Colloredo, der 1764. in Fuͤrſten - ſtand erhoben wurde, und noch immer in dieſem Poſten ſtehet. (Eigentlich iſt der Reichsvicecanz - ler der einzige wahre Staatsminiſter, den der Kaiſer als Kaiſer hat. Er allein hat nach Vor - ſchrift der Wahlcapitulation in Reichsſachen dem Kaiſer alle Vortraͤge zu thun. Und was der Kai - ſer als Kaiſer zu unterſchreiben hat, muß immer erſt vom Reichsvicecanzler contraſignirt ſeyn. De - ſto ſonderbarer iſt es, daß hierin der Kaiſer nicht einmal freye Haͤnde hat, ſeinen eignen Miniſter zu ernennen. Der Churfuͤrſt von Mainz wird zwar nicht leicht dem Kaiſer wider ſeinen Willen einen Mann in dieſem Poſten aufdringen. Doch ſoll nach ausdruͤcklicher Vorſchrift der Wahlcapitula - tion der Kaiſer dem Churfuͤrſten von Mainz in der ihm alleine diesfalls zuſtehenden Dispoſition kei - nen Eingriff thun, noch ſonſt darin Ziel und Maaß ſetzen(i)Wahlcap. Art. 25. §. 1.. Unter Leopolden geſchah es doch, daß im Jahre 1705. der damalige Churfuͤrſt von Mainz ſeines Bruders Sohn, Friedrich Carl Grafen von Schoͤnborn, der kaum 20. Jahre alt war, gegen die[Neigung] des kaiſerlichen Hofes zu dieſer Stelle befoͤrderte. Die Stelle iſt ſehr eintraͤglich, weil von allen Taxen und Sporteln der betraͤchtlichſte Theil immer dem Reichsvice - canzler zufaͤllt. Bey den letzteren Veraͤnderungen ſoll einer dem andern eine betraͤchtliche Summe Geldes, die beym Antritte der Stelle bezahlt wer - den muͤßen, wieder verguͤtet haben. Naͤchſt dem Reichsvicecanzler iſt die Stelle des Reichs - referendarien, der ihm von Mainz aus noch andie46XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.die Seite geſetzt wird, eine der erheblichſten. Der - ſelbe hat eigentlich die Ausfertigungen, die außer dem Reichshofrathe am kaiſerlichen Hofe zu machen ſind, zu concipiren, und noch vor dem Reichsvice - canzler zu contraſigniren, auch in Conferenzen in Reichsſachen muͤndliche Vortraͤge zu thun. Seit 1765. bekleidet dieſe Stelle Herr Franz Georg von Leikam, der vorher Cammergerichtsaſſeſſor zu Wetz - lar war.)

VI. 476) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.

VI. Reichstagsverhandlungen uͤber Recurſe und Ceremonielſtreitigkeiten 1745-1748.

I. II. Von Reichsgerichts-Erkenntniſſen wurden jetzt immer haͤufiger Recurſe an den Reichstag genommen. III. Doch war ſchwer zu beſtimmen, in welchen Faͤllen es mit Recht geſchehe? IV. V. Vier jetzt gegen das Cammer - gericht betriebene Recurſe veranlaßten die Frage: ob nicht wenigſtens erſt Bericht vom Cammergerichte zu fordern ſey? VI. Eine ſcheinbare Ausfuͤhrung erſchien dawi - der; VII. doch im Grunde war mehr fuͤr die Berichts - forderung. VIII. IX. Inſonderheit diente ein Sachſen - Meinungiſcher Recurs in der Gleichiſchen Sache bald zum Beweiſe, daß ſelbſt Thatſachen, wie ſie in fuͤrſtlichen Schrif - ten erzehlt werden, nicht immer ganz zuverlaͤßig ſeyen. X. Ein Churpfaͤlziſcher Recurs erhielt zwar ein guͤnſtiges churfuͤrſtliches Concluſum; aber die Hoffnung zu einem gleichmaͤßigen fuͤrſtlichen Schluſſe ward noch vereitelt. XI. Ueber einen andern Recurs des Herzog Anton Ulrichs von Sachſen-Meinungen wegen der Succeſſionsfaͤhigkeit ſeiner in einer Mißheirath erzeugten Soͤhne erfolgte ein widriger Reichsſchluß. XII. XIII. Als der neue Princi - palcommiſſarius, Fuͤrſt von Taxis, das erſtemal zur Tafel bitten ließ, erwachte der alte Rangſtreit zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten; XIV-XVIII. Woruͤber zehn Schriften vom Heſſencaſſeliſchen, Heſſendarmſtaͤdtiſchen, Bam - bergiſchen, Graͤflichen, Hollaͤndiſchen und Bairiſchen Geſand - ten nach einander zum Vorſcheine kamen; deren Haupt - inhalt hier bemerklich gemacht wird.

Von dem, was in Reichsſachen in den erſtenI. Jahren der Regierung Kaiſers Franz des I. vorgieng, war das wichtigſte, was wegen der Recurſe an den Reichstag ſowohl bey der Reichsverſammlung als bey den Hoͤfen in dieſer Zeit verhandelt wurde. Es ſchien unvermerkt zuei -48XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.einem allgemeinen Herkommen zu werden, daß ein Reichsſtand, wider den am Reichshofrathe oder Cammergerichte ein unangenehmes Erkennt - niß ergieng, dawider ſeine Zuflucht an den Reichs - tag nahm, um wo moͤglich ein Reichsgutachten zu bewirken, vermoͤge deſſen der Kaiſer erſucht wer - den moͤchte, das reichsgerichtliche Erkenntniß auf - zuheben oder abzuaͤndern.

II.
9

Wenn Kaiſer und Reich eine Sache ſo be - ſchaffen finden, daß ein Reichsgericht die Graͤn - zen ſeiner Gewalt offenbar uͤberſchritten hat; ſo iſt freylich nichts dabey zu erinnern, wenn von we - gen der hoͤchſten Gewalt ein ſolcher Schritt ge - ſchieht, der auch einem Gerichte, das ſonſt in der hoͤchſten und letzten Inſtanz zu ſprechen hat, zur Belehrung dienen kann, daß es von der geſetzge - benden Gewalt und hoͤchſten Oberaufſicht nicht ganz unabhaͤngig ſey. Nach der beſonderen Ver - faſſung unſers Reichsjuſtitzweſens ſcheint das dop - pelt erheblich zu ſeyn, da dasjenige Rechtsmittel, das ſonſt die Erkenntniſſe des Cammergerichts noch einer Reviſion ganz anderer Richter unterwirft, jetzt ſeit 200. Jahren nicht zum Ausgange ge - bracht werden koͤnnen, und da am Reichshofrathe gar kein Mittel iſt, eine Sache zu Eroͤrterung ei - ner Beſchwerde in andere Haͤnde zu bringen. In ſolchen Ruͤckſichten konnte es alſo wohl geſchehen, daß zu Zeiten fuͤr Partheyen, die gegen das eine oder das andere Reichsgericht ihre Beſchwerden beym Reichstage angebracht hatten, ein guͤnſti - ges Reichsgutachten ergieng. Dergleichen waren inſonderheit in den erſten Jahren des jetzigen Jahr -hun -496) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.hunderts verſchiedene ergangen(k)Nehmlich folgende Reichsgutachten: 1704. Apr. 18. fuͤr Wuͤrzburg gegen den Cammergerichts - aſſeſſor Wigand; 1704. Jun. 4. fuͤr den Herzog von Wuͤrtenberg und die Grafen von Caſtell ge - gen die Reichsritterſchaft; 1705. Apr. 7. fuͤr Heſ - ſencaſſel wegen der Grafſchaft Rittberg; 1706. Jul. 14. fuͤr die marggraͤflich Brandenburgiſchen Haͤuſer wegen der vom Reichshofrathe angenom - menen Rechtsſachen waͤhrenden Stillſtandes des Cammergerichts; 1709. Jun. 14. fuͤr Naſſau-Ott - weiler gegen Naſſau-Idſtein; 1709. Oct. 7. fuͤr die Graͤfinnen von Poͤttingen und Kirchberg; 1714. May 8. fuͤr den Biſchof von Augsburg wegen ei - nes vom Reichshofrathe gegen gewiſſe Gebruͤder Lottich angeſtellten Criminalproceſſes., wiewohl ohne daß ſie ſich einer kaiſerlichen Genehmigung zu er - freuen hatten. Hauptſaͤchlich aber war das ein wichtiges Beyſpiel, als das Haus Heſſencaſſel unter der vorigen Regierung ſelbſt ein vom Kaiſer genehmigtes Reichsgutachten und alſo einen foͤrm - lichen Reichsſchluß in ſeiner Recursſache erhalten hatte(l)Oben S. 35. 36..

Inzwiſchen ließ ſich aus allen dieſen Beyſpie -III. len doch nicht folgern, daß ein jeder, der ſich von einem Reichsgerichte beſchwert hielte, ohne Un - terſchied noch ein Recht behaupten koͤnne, die Er - oͤrterung ſeiner Beſchwerde von der allgemeinen Reichsverſammlung zu begehren; wenn man an - ders den Reichstag nicht in einen foͤrmlichen Ge - richtshof verwandeln, und den hoͤchſten Reichsge - richten ihr bisheriges Recht der hoͤchſten und letz - ten Inſtanz benehmen, oder, welches einerley iſt,dieP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. D50XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.die Graͤnzen der hoͤchſten Gewalt und der hoͤchſten Gerichtsſtelle mit einander vermengen wollte. In - ſonderheit mußte es einem jeden, wer daruͤber nach - dachte, mißlich vorkommen, was aus der Reichs - juſtitzpflege herauskommen wuͤrde, wenn nun meh - rere Reichsſtaͤnde zu gleicher Zeit Recurſe in ihren Angelegenheiten zu betreiben haͤtten, und einan - der gegenſeitig mit ihren Stimmen zu ſtatten kaͤ - men, um dadurch die Mehrheit der Stimmen in den hoͤheren Reichscollegien zu bewirken(m)So erſchien z. B. im Jahre 1750. folgen - der Auszug eines fuͤrſtlichen Reſcriptes: Anſon - ſten haben Wir fuͤr gut befunden, unſern gehei - men Rath an des Herrn Churfuͤrſten zu Coͤlln Liebden nach Mergentheim abzuſchicken, und un - ſere Angelegenheiten beſtens recommendiren zu laßen; Welche ſich dann ganz favorabel gegen Uns erklaͤret, dagegen aber viciſſim die Unter - ſtuͤtzung in Dero Recursſachen ausgebeten haben; Weswegen Wir unterm heutigen Dato un - ſerem geheimen Rathe und Comitialgeſandten ge - meſſen aufgegeben haben, daß er alle Churcoͤll - niſche Recursſachen ohne Ausnahme nach - druͤcklich zu ſecundiren ſich angelegen ſeyn laßen ſolle ꝛc. Moſers Staatsarchiv 1751. Th. 1. S. 157.. Ue - berhaupt iſt wenigſtens der Reichstag an ſich ei - gentlich nicht dazu beſtimmt, um Rechtsſachen zu eroͤrtern, da die Comitialgeſandten nicht, wie es Gerichtsperſonen gebuͤhret, nach eigner gepruͤfter Einſicht, ſondern nach Vorſchrift ihrer Hoͤfe ihre Stimmen ablegen, jeder Hof aber die Anweiſun - gen ſeiner Comitialgeſandtſchaft nach ſeiner Con - venienz zu ertheilen pfleget.

IV.
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Man hatte deswegen wohlbedaͤchtlich ſchon in der Wahlcapitulation Carls des VII. einfließenlaßen,516) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.laßen, daß den in letzteren Zeiten bey Ermange - lung der Reviſion an den Reichstag genommenen Recurſen Ziel und Maaß zu ſetzen ſey(n)Wahlcap. (1742.) Art. 17. §. 3.. Da aber ſtatt deſſen ſelbſt unter Carl dem VII. das neue Beyſpiel des Heſſencaſſeliſchen Recurſes vielmehr neuen Muth machte; ſo nahm ſeitdem die Zahl der Recurſe noch immer zuſehends zu. Gleich in dem erſten Regierungsjahre Franz des I. wurden inſonderheit vier Recurſe, welche von Churpfalz, Sachſenweimar, Anhaltcoͤthen und Salm ſchon unter der vorigen Regierung wider das Cammer - gericht am Reichstage angebracht waren, ſehr leb - haft betrieben.

Bey dieſer Gelegenheit entſtand eine neue Fra -V. ge; ob nicht wenigſtens vom Cammergerichte erſt Bericht zu fordern ſey, ehe man am Reichstage in dieſen Sachen ſelbſt etwas entſcheiden koͤnne? Nun war wohl nichts billiger, als daß der ganz allgemeine Grundſatz, niemanden ungehoͤrt zu ver - urtheilen, auch einem ſo hohen Gerichte zu gute kommen muͤße, damit daſſelbe nicht, ohne erſt mit ſeinen Gruͤnden gehoͤret zu ſeyn, unrecht er - kannt zu haben verurtheilt werden moͤchte. Das war auch der Analogie gemaͤß, da kein Appella - tionsrichter leicht eines Unterrichters Erkenntniß abaͤndern wird, ohne erſt ſeine Entſcheidungsgruͤn - de und ſeinen Bericht uͤber die wider ihn ange - brachten Beſchwerden vernommen zu haben. Selbſt die naͤchſte Analogie von der Reviſion am Cammergerichte ſtimmt damit uͤberein, da ſelbſt der Beyſitzer, der am Cammergerichte Referentgewe -D 252XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.geweſen, beym Reviſionsſenate zu Vertheidigung ſeines Urtheils zugelaßen, oder doch die am Cam - mergerichte abgelegte Relation nebſt den darauf im Senate erfolgten Stimmen von den Reviſoren eingeſehen werden ſoll. Auch war ſchon in meh - reren Recurſen erſt Bericht von den Reichsgerich - ten gefordert worden; oder, wo es nicht geſchehen war, hatte man den Recurs gleich als unſtatthaft verworfen, oder doch uneroͤrtert liegen laßen. Nur in dem letztern Heſſencaſſeliſchen Recurſe, da zwar das reichsſtaͤdtiſche Collegium auch darauf ange - tragen hatte, war die Berichtsforderung nach den beſonderen Umſtaͤnden dieſes Falles, und mit der ausdruͤcklichen Erklaͤrung, daß das in anderen Faͤllen nicht zur Conſequenz gezogen werden ſollte, unterlaßen worden.

VI.
13

Nun mochten diejenigen, die in obigen vier Recurſen die Feder gefuͤhrt hatten, wohl nicht ger - ne ſehen, wenn erſt das Cammergericht mit ſeinen Berichten gehoͤrt werden ſollte, die vielleicht man - ches in ein ander Licht geſtellt haben moͤchten, als worin bisher dieſe Angelegenheiten in den einſeiti - gen Recursſchriften vorgeſtellt worden waren. Al - ſo ergriff einer der damaligen Comitialgeſandten, der ſich vorzuͤglich als ein eifriger und gelehrter Vertheidiger der Recurſe hervorthat(o)Rudolf Anton von Heringen, Geſandter von Sachſen-Weimar und Eiſenach, wie auch von Brandenburg-Culmbach und Onolzbach; ver - trat zugleich die Stimmen von Holſtein-Gottorp, Luͤbeck, Baden-Durlach und Hochberg, Henne - berg und Oſtfriesland. Ueberdies war er Heſſen - caſſeliſcher geheimer Rath, und hatte dieſes Ho -fes, die Fe -der,536) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.der, um zu beweiſen, daß keine Berichtsforde - rung in Recursſachen noͤthig ſey(p)Die Schrift erſchien unter dem Titel: Er - oͤrterung der Frage, ob in den Recurſen vom Cammergerichte Bericht zu fordern ſey? (1746. Fol.). Sie zeichnete ſich zugleich durch eine ſehr allgemeine Begruͤndung aller Recurſe aus, womit ſie in folgendem Tone anfieng: Wer ſich in den Teutſchen Geſchichten umgeſe - hen, der wird wiſſen, daß in aͤlteren Zeiten und vor Errichtung des Cammergerichts, obſchon die jedesmaligen Kaiſer eine Art von einem Hofge - richte, an deſſen Platz der jetzige Reichshofrath getreten, an ihrem Hoflager gehabt, dennoch von der Jurisdiction dieſes Gerichts, ſo allein auf Perſonen niedern Standes gegangen, Fuͤrſten und Staͤnde mit ihren Rechtshaͤndeln ganz und gar ausgenommen geweſen, und davon nirgend an - ders, als auf oͤffentlichen Reichstagen vor Fuͤr - ſten und Staͤnden gehandelt werden koͤnnen. Zum Beweiſe beruͤft ſich der Herr Verfaſſer auf Verordnungen der Kaiſer, Friedrichs d. II. von 1236., Rudolfs des I. von 1291., Albrechts des I. von 1438., und Sigismunds von 1446., dann auf eine beſtaͤndige Praxin, die darauf erfolgt ſey. Und vom Cammergerichte behauptet er, es ſey nur auf den Fall, wenn kein Reichstag vorhan - den ſey, errichtet worden; die Staͤnde haͤtten ſich aber vorbehalten, die Aſſeſſoren als ihre Re - praͤſentanten zu ernennen. Hernach faͤhrt er fort: Aus dieſer kurzen in notorietate facti be - ruhenden Erzehlung ergibt ſich von ſelbſten, daß die Gewalt und Gerichtbarkeit des Cammergerichts eine delegirte Gewalt und Gerichtbarkeit ſey, die der Direction und Oberaufſicht des in ſeinem Ober - haupte und geſammten Staͤnden verſammeltenReichs. SeinenHaupt -(o)fes Stimme beym Fuͤrſtentage zu Offenbach ge - fuͤhrt. Oben S. 19. Meine Litteratur des Staats - rechts Th. 2. S. 145.D 354XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Hauptgrund ſetzte er im Herkommen, zu deſſen Begruͤndung er ſich auf den Heſſencaſſeliſchen Re - curs und auf diejenigen, die ohne Bericht zu for - dern verworfen waren, berief. Dem zufolge - vermeynte er demjenigen Trotz bieten zu koͤnnen, der in den vier Recurſen von dieſen vier Hoͤfen jetzt erſt den Anfang machen wollte, eine Berichts - forderung fuͤr noͤthig zu halten; zumal da doch ein Fuͤrſtenwort mehr gelten muͤßte, als die Glaub - wuͤrdigkeit eines Cammergerichtsbeyſitzers, aus deſſen Feder man einen Bericht zu erwarten haͤtte.

VII.
16

Doch dem angeblichen Herkommen wurden bald obige Faͤlle, die vielmehr ein gegentheiliges Herkommen begruͤndeten, und durch einen einzi - gen Fall, der nicht zur Conſequenz gereichen ſollte, nicht entkraͤftet ward, mit gutem Grunde entge - gengeſetzt. Und, was den anderen Grund be - traf, ergab ſich von ſelbſten, daß zwiſchen einem recurrirenden Reichsſtande und dem Cammerge - richte immer das Verhaͤltniß blieb, wie zwiſchen Parthey und Richter, wo doch der letztere jedes - mal mehr Vermuthung fuͤr ſich hat, als erſtere. Die Achtung aber, die ein jeder Fuͤrſt perſoͤnlich fuͤr ſein Ehrenwort erwarten kann, durfte hierwohl(p)Reichs dergeſtalt unterworfen iſt, daß ſie nach deſſen Gutfinden gemehret oder gemindert, vor allen Dingen aber ſich bey ſelbigem als conſti - tuente et delegante ordinisque praeſcripti cuſto - de von einem conconſtituente und condelegante beſchwert, und gegen das aus ſeinen Graͤnzen ſchreitende Gericht die ordnungsmaͤßige Remedur geſucht werden koͤnne. ꝛc. Die ganze Schrift iſt in Koͤnigs ſelectis iuris publ. nouiſſ. Th. 15. S. 4-28. eingedruckt.556) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.wohl nicht in Anſchlag kommen, da Recursſchrif - ten nicht von Fuͤrſten ſelbſt, ſondern von ihren Raͤthen gemacht zu werden pflegen. Es waͤhrte nicht lange, ſo ereignete ſich ein ganz beſonderer Fall, der dieſes alles noch in ein helleres Licht ſetzte.

Der Herzog Anton Ulrich von Sachſen-Mei -VIII. nungen hatte eine Graͤfinn von Hohenſolms, die einen Secretaͤr geheirathet hatte, in ſeinen Schutz genommen, ihren Mann zum Regierungsrath er - nannt, und ihr als einer gebohrnen Reichsgraͤfinn den Rang vor anderen Damen an ſeinem Hofe bey - gelegt. Eine Frau von Gleichen, welche ſich dieſer Rangordnung nicht fuͤgen wollte, und eini - ge Briefe ohne Unterſchrift, die jene Dame be - trafen, ihren Freunden mitgetheilt hatte, war deswegen zu Meinungen gefaͤnglich eingezogen worden, da der Herzog peinlich wider ſie verfah - ren ließ, weil ſie ſich des Verbrechens eines Pas - quills und eines Vergehens gegen das Saͤchſiſche Duellmandat ſchuldig gemacht habe. Auf eine darauf im Namen der Frau von Gleichen erhobe - ne Klage hatte das Cammergericht dem Herzoge von Gotha aufgetragen, die Frau von Gleichen zu ſequeſtriren, um einsweilen ihre Perſon in Si - cherheit zu ſetzen. Ein Herr von Diemar, der dieſe Sache am Cammergerichte betrieben hatte, und daruͤber vom Herzoge geſchimpft worden war, hatte nun auch fuͤr ſich eine Injurienklage gegen den Herzog angeſtellt, worauf das Cammergericht nach dem gewoͤhnlichen Formulare eine Ladung an den Herzog erkannt hatte.

In dieſer Sache ließ der Herzog eine kurze Re -IX. cursſchrift drucken, worin er dem Reichstage vor -D 4trug:56XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.trug: Das Cammergericht habe ihm, ohne daß er daruͤber gehoͤret ſey, eine Sentenz zugeſchickt, wodurch er verurtheilt werde, dem von Diemar Abbitte zu thun, und noch eine Strafe von zehn - tauſend Rthlr. zu erlegen. Es ergab ſich aber bald, daß der Herzog eine bloße Ladung fuͤr eine Sentenz angeſehen habe. Alſo hielt wenigſtens diesmal die Vermuthung, die ſonſt fuͤr Fuͤrſten - worte ſtreitet, in dieſer Recursſache nicht die Pro - be. Eine reellere Widerlegung haͤtte gegen obige Behauptung der Unnoͤthigkeit einer Berichtsforde - rung nicht eintreten koͤnnen! Ein Umſtand, der uͤberhaupt fuͤr das Syſtem von Recurſen, das viele Teutſche Hoͤfe um dieſe Zeit zu beguͤnſtigen ſchienen, nicht ſehr vortheilhaft war(q)Aus der Feder des Herrn von Heringen erſchienen deswegen gleich damals eigne Conſi - derationen uͤber den Sachſen-Meinungiſchen Recurs in der Gleichiſchen Sache (1748. Fol.), die gleich ſo anfiengen: Wenn man dieſe Sache in ihrer wahren Geſtalt betrachtet, ſo haben alle, die damit melirt ſind, gefehlt. Der Frau von Gleichen Conduite uͤber einen Damenrang zu - erſt in ſolche vernunftsloſe Heftigkeit auszubre - chen, und hernach beym Cammergerichte paſ - ſus einzuleiten, die gerade gegen die Saͤchſiſche uralte Haus - und Landesverfaſſungen ſtreiten, wird niemand loben koͤnnen. Sereniſſimi Meinun - genſis Verfahren, dieſen Fall, der nimmermehr unter das Duellmandat gezogen werden kann, ſo hart zu ahnden, wird ebenfalls niemand gut heiſſen, noch vielweniger aber die Art und Weiſe approbiren, wie der eingeleitete Recurs gefuͤhret wird, daß nehmlich die angebrachten grauamina mit nichts beſcheiniget, noch ein begreiflicher ſta - tus cauſae dargelegt wird, daß Facta avancirtwer -.

In576) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.

In einem Recurſe, den Churpfalz wegen ei -X. ner Commiſſion zur Guͤte, die vom Reichshofrath auf eine Klage der Reichsritterſchaft wegen der Herrſchaft Zwingenberg erkannt war, ergriffen hatte, faßte zwar das churfuͤrſtliche Collegium am5. Jun.(q)werden, die aperte falſch ſind, und zuruͤckgenom - men werden muͤßen, damit auch ſelbſt die Reichs - verſammlung nicht verſchonet wird, und ihr prae - matura concluſa beygelegt werden, die nicht exi - ſtiren, und daß endlich in der Schreibart gar keine Maße gehalten, ſondern zu ſolchen Unziem - lichkeiten geſchritten wird, die kein Exempel vor ſich haben, und denen keine Nachfolge zu geſtat - ten iſt. Wendet man ſich von Sr. Durchlaucht zu Sachſen-Meinungen zum Cammergerichte; ſo iſt daſelbſt procedirt, als ob keine Ordnung und Recht im Reiche waͤre. Der Reichsabſchied von 1600. verbietet ausdruͤcklich, gegen der Staͤnde Diener und Raͤthe keine Klagen in Sachen anzu - nehmen, die ſie vi o[ff]icii auf Befehl des Herrn thun muͤßen, woruͤber dieſer ſie zu vertreten hat. Dem ungeachtet aber wird die Regierung zu Mei - nungen uͤber Befolgung der Befehle ihres Herrn verklaget und citirt. Der Reichsabſchied 1570. und der von 1600. verbieten ausdruͤcklich Nulli - taͤtsklagen in denjenigen Faͤllen anzunehmen, wo nicht erlaubt iſt zu appelliren. Dem ungeach - tet nimmt die Cammer eine Nullitaͤtsklage an. Man wird lachen, wenn man ſiehet, daß in einer Sache, die am Reichstage fuͤr einen oder den anderen Theil entſchieden werden ſoll, alle Intereſſenten Unrecht haben ſollen, auch folg - lich fragen, was dann zu thun ſey? Es iſt aber leicht darauf zu antworten. Das cammerge - richtliche Verfahren ſollte man ſimpliciter caſſiren, und zwar unter dem Vorbehalte, daß, wenn der - gleichen wieder vorkomme, es gebuͤhrend geahn - det, und dem Cammergerichte die Koſten ex pro - priis zu erſetzen auferleget werden ſollte. ꝛc.D 558XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.5. Jun. 1747. mit Mehrheit der Stimmen einen Schluß zum Vortheile dieſes Churpfaͤlziſchen Re - curſes. Als aber die churfuͤrſtlichen Geſandten in der Erwartung waren, daß ſie nach geendigter churfuͤrſtlichen Berathſchlagung an eben dem Tage auch noch die fuͤrſtlichen Stimmen ihrer Hoͤfe wuͤr - den ablegen koͤnnen; hatte der Oeſterreichiſche Di - rectorialgeſandte indeſſen eine Verabredung fruͤ - her anzufangender Ferien veranlaßet. Daruͤber gab es zwar nachher einige Conteſtation, ob das mit Recht geſchehen ſey, oder ob die fuͤrſtlichen Geſandten erſt die Ruͤckkunft der churfuͤrſtlichen haͤtten erwarten ſollen? Allein das fuͤrſtliche Di - rectorium erwiederte, daß den fuͤrſtlichen Geſand - ten nicht zuzumuthen ſey, ihre Berathſchlagungen deswegen aufzuſchieben, weil einige fuͤrſtliche Stimmen zugleich churfuͤrſtlichen Geſandten auf - getragen ſeyen, da ein jeder Hof fuͤr jedes Colle - gium billig einen eignen Geſandten halten ſollte, wie das von den Hoͤfen zu Wien und Muͤnchen zu geſchehen pflegt. Die Sache ſelbſt kam her - nach im Reichsfuͤrſtenrathe nicht zur Sprache. Der Recurs gelangte alſo nicht zu ſeinem Ziele.

XI.
19

Ein anderer Recurs, den der Herzog Anton Ulrich von Meinungen um dieſe Zeit gegen das Reichshofrathsurtheil betrieb, das am 25. Sept. 1744. gegen die Succeſſionsfaͤhigkeit ſeiner Soͤh - ne ergangen war, kam zwar zur Sprache. Allein es erfolgte am 24. Jul. 1747. gegen ihn ein wi - driges Reichsgutachten, dem der Kaiſer am 4. Sept. 1747. durch ſeine Genehmigung die voͤllige Kraft eines Reichsſchluſſes gab. Dadurch bekam vollends obige Stelle der Wahlcapitulation gegennoto -596) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.notoriſche Mißheirathen ihre vollkommene Befe - ſtigung(r)Oben S. 27.. Um jedoch ſeinen Stammsvettern den davon gehofften Vortheil zu benehmen, ver - maͤhlte ſich der Herzog hernach (1750.) noch mit einer ſtandesmaͤßigen Gemahlinn, die ihm noch Soͤhne und Toͤchter gebahr.

Auſſer den Recursſachen gab ein beſondererXII. Vorfall Anlaß, daß auf einmal viele Kangſtrei - tigkeiten und Ceremoniel-Irrungen zu Re - gensburg wach wurden, und ſelbſt in eine ſonder - bare Art von Schriftwechſel ausbrachen. Nach - dem der bisherige Principalcommiſſarius, ein Fuͤrſt von Fuͤrſtenberg, ſeine Stelle niedergelegt hatte, und der Fuͤrſt von Taxis an deſſen Stelle gekom - men war; gedachte dieſer den ſonſt gewoͤhnlichen Ceremonielſtreitigkeiten dadurch auszuweichen, daß er ſich eine Zeitlang auf dem Lande nicht weit von der Stadt aufhielt, und da die Herren Geſand - ten, ohne ſich ſo genau an den Rang zu binden, nach und nach zur Tafel einladen ließ. Dieſes geſchah den 4. Jun. 1748. das erſtemal ſo, daß der damalige Concommiſſarius, und die Geſand - ten von Churmainz, Churcoͤlln, Churboͤhmen, Oeſterreich und Wuͤrtenberg, alle mit ihren Ge - mahlinnen, nebſt einem geiſtlichen Herrn, von Stingelheim, der die Stimmen der Biſchoͤfe von Regensburg, Freiſingen und Luͤttich fuͤhrte, ein - geladen waren. Da die Reihe den Boͤhmiſchen Geſandten, Grafen von Sternberg, getroffen haͤtte, die Frau von Buchenberg (des Oeſterreichi - ſchen Geſandten) zur Tafel zu fuͤhren, derſelbeaber60XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.aber nicht gleich bey der Hand war; kam der Wuͤr - tenbergiſche Geſandte, Herr von Wallbrunn, dem Herrn von Stingelheim zuvor, dieſe Dame zu fuͤh - ren, und an der Tafel den Platz uͤber ihn zu neh - men. Hieruͤber wachte der ganze Rangſtreit zwi - ſchen dem geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſtenſtande auf. Eine foͤrmliche Proteſtation, die der Herr von Stingelheim gleich den folgenden Tag dem Herrn von Wallbrunn zufertigen ließ, mußte vor - erſt dazu dienen, die Gerechtſame der geiſtlichen Fuͤrſten wider dieſen Vorgang aufrecht zu erhalten. Eine Art von Gnugthuung ſchien es vollends zu ſeyn, die der Fuͤrſt von Taxis den geiſtlichen Fuͤr - ſten widerfahren ließ, als er hernach am 16. Jun. alle Geſandten der geiſtlichen Fuͤrſten, und dar - auf erſt auf den 20. Jun. ſieben weltlich fuͤrſtliche Geſandten einladen ließ.

XIII.
20

Hier aͤußerte ſich vorerſt ein neuer Anſtoß, da der Bambergiſche Geſandte von Bibra, als der erſte von den geiſtlich fuͤrſtlichen, bey der Tafel am 16. Jun. nicht erſchien, weil der Herr von Stin - gelheim, der erſt nach ihm im Range folgte, ſchon vor ihm zur Tafel gezogen war. Hauptſaͤchlich aber verbaten jetzt die weltlichfuͤrſtlichen die Einla - dung, damit jener Vorzug der geiſtlich fuͤrſtlichen Geſandten nicht als ein von ihnen anerkannter Be - ſitz zum Nachtheile des von den weltlichen Fuͤrſten behaupteten Ranges angeſehen werden moͤchte. Nur einer von den gebetenen weltlich fuͤrſtlichen Geſandten (Herr von Schwarzenau von Heſſen - darmſtadt) erſchien doch. An der uͤbrigen Stelle wurden der Hollaͤndiſche und die graͤflichen Ge - ſandten gebeten.

Ueber616) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.

Ueber dieſe Geſchichte kamen nach einanderXIV. zehn Staatsſchriften ins Publicum(s)Sie finden ſich in Fabers Staatscanzley Th. 97. S. 94-133., Th. 98. S. 187-211., Th. 99. S. 107-124. Einige Hauptſtellen, wor - aus ſich ungefaͤhr der Geiſt dieſer Schriften ab - nehmen laͤßt, finde ich doch der Muͤhe werth hier bemerklich zu machen.. Die erſte aus der Feder des Herrn von Heringen, als eines der weltlichfuͤrſtlichen Geſandten, endigte ſich mit den Worten: So leicht es iſt, auf dem Reichstage etwas ins Truͤbe zu bringen, ſo ſchwer iſt es, ſolches wieder ins Helle zu ſetzen. Und wird alſo zweifelsohne auch dieſe Sache ohne fer - nere beſchwerliche Weiterung nicht abgehen; noch deren Ende ſo leicht ſeyn, als der Anfang gewe - ſen. In der zweyten Schrift, worin der Herr von Schwarzenau Anmerkungen uͤber die er - ſte machte, wurde gleich anfangs geaͤußert: Es habe am Reichstage ſchon ſeit geraumer Zeit her nie an Maͤnnern gefehlt, welche unter dem Deck - mantel der verhaßten und bey den Hoͤfen ſowohl als auswaͤrts laͤcherlich gewordenen Recurſe und Ceremonielhaͤndel weitſchichtige und auf Unordnung und Mißverſtaͤndniß gerichtete Abſichten zu ver - bergen, im Truͤben zu fiſchen, oft aus einer Muͤcke Elephanten zu machen, unter dem Scheine einer, wiewohl ſchwachen Seulen ſchwerlich anzuvertrau - enden, Unterſtuͤtzung und Aufrechthaltung der alt - fuͤrſtlichen Vorzuͤge ſolche in chimaͤriſche Rangſtrei - tigkeiten zu verwickeln, und dann den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, andern aber das Odium zuzuweiſen, und ſich nur gewiſſer Orten neceſſaͤr zu machen ſuchten. ꝛc. Es ſey ohnſchwer zuermeſ -62XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ermeſſen, daß Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤnde in Dingen, welche die Leibesnahrung und Noth - durft betreffen, ſchwerlich eine Wuͤrde und ein Vorrecht ſuchen, wohl aber auf das Solide ſehen, und am rechten Orte in den Seſſionen ihren Rang zu behaupten wiſſen wuͤrden. ꝛc. Gelegent - lich wurde uͤbrigens auch noch der Einladung des Hollaͤndiſchen Geſandten und der graͤflichen Ab - geordneten gedacht.

XV.
21

In einer hierdurch veranlaßten dritten Schrift aͤußerte der Bambergiſche Geſandte, Herr von Bibra: Er habe darum Bedenken getragen, die zweyte Einladung zur Tafel anzunehmen, weil einem Geſandten die Aufrechthaltung ſeiner Prin - cipalen Zuſtaͤndigkeit nicht gleichguͤltig ſeyn, noch der wohlluͤſtigen Leibesnahrung oder einer Leiden - ſchaft zum Spiele nachſtehen duͤrfe. Eine vierte Schrift vom graͤflichen Comitialgeſandten von Piſtorius unter der Aufſchrift: Incidentan - merkungen, enthielt folgendes: Die hoͤhniſche Art, womit der Verfaſſer der zweyten Schrift der graͤflichen Comitialgeſandtſchaft, die er gar wohl haͤtte vorbeyſegeln koͤnnen, Erwehnung gethan ha - be, zeige deutlich, daß er ſelbſt unter die Liebha - ber der von ihm verhaßt und laͤcherlich beſchriebe - nen Ceremonielhaͤndel gehoͤre, daß er ſelbſt im Truͤ - ben zu fiſchen, aus Muͤcken Elephanten zu ma - chen, und ſich zum Rangdirector auf dem Reichs - tage aufzuwerfen ſuche. So ſorgfaͤltig er ſich be - fleiſſige die reichsgraͤflichen Comitialminiſter unter dem Worte Abgeordneten von anderen zu unter - ſcheiden; ſo wolle man zwar den eigentlichen Cha - racter eines Abgeordneten nicht unterſuchen, nochin636) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.in die Zeiten zuruͤckgehen, da ſelbſt churfuͤrſtliche und fuͤrſtliche noch im vorigen Jahrhunderte ſo ge - nannt worden. Zu ſeiner Belehrung diene aber nur zur Nachricht, daß Kaiſer Carl der VII. den Reichsgrafen die geſandtſchaftlichen Rechte und den graͤflichen Miniſtern den Titel: Geſandre, zulegen laßen, welche kaiſerliche Verfuͤgung hier gnug Ziel und Maß gebe. Es ſtehe auch dahin, ob nicht ſelbſt den altfuͤrſtlichen Geſandten nach den bekannten Widerſpruͤchen, welche ihnen von auswaͤrtigen Republiken gemacht wuͤrden, es zum Nachtheile gereichen muͤßte, wenn die Reichsgra - fen, die mit den Fuͤrſten ein Collegium ausmach - ten, und gleicher Gebuhrt ſeyen, Auswaͤrtigen ſo zu reden Preis gegeben wuͤrden(t)Das bezog ſich darauf, weil der Herr von Schwarzenau den Hollaͤndiſchen Geſandten vor den graͤflichen genannt hatte..

Der Herr von Schwarzenau erwiederte in ei -XVI. ner fuͤnften Schrift: Des weltlichen Fuͤrſten - ſtandes Geſandtſchaften wuͤrden, weil ſie doch die ſo genannte Leibesnahrung oder Leidenſchaft zum Spiele nach dem jetzigen Weltlaufe und civiliſir - ter Lebensart zu accommodiren wuͤßten, den ande - ren ſtatt deſſen das Breviarium zu ihrer Gemuͤths - beruhigung nach Belieben gerne uͤberlaßen. In Anſehung der graͤflichen Bevollmaͤchtigten koͤnne eine von dem vorigen kaiſerlichen Hofe vielleicht durch Geld erkaufte, von der jetzigen Churbairi - ſchen Geſandtſchaft bey Notification ihrer Legiti - mation aber nicht beobachtete papierne Erhebung oder angebliche Parification der graͤflichen Depu -tir -64XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.tirten eben ſo wenig zu Verkleinerung großer Chur - fuͤrſten und Fuͤrſten oder deren Miniſter gereichen, als die von den Thorſchreibern und Zeitungsſchrei - bern bisweilen ausgetraͤumte hochgraͤfliche Ge - ſandtſchafts-Excellenz, mit welchem Praͤdicate ih - re hohe Herren Committenten ſelbſt vor lieb naͤh - men, eine Wuͤrklichkeit geben moͤge.

XVII.
22

Eine ſechſte Schrift erſchien vom Herrn von Piſtorius mit dem Motto aus dem Juvenal: Prae - lia quanta illo dispenſatore videbis armigero! und zum Schluſſe aus dem Phaͤdrus: Hoc ſcri - ptum eſt tibi, qui, magna quum minaris, ex - tricas nihil. Der Inhalt gieng aber dahin: Es ſcheine, der Herr von Schwarzenau habe Luſt ei - nen ganzen Federkrieg anzuheben. Wenigſtens werde er gute Gelegenheit haben, die bevorſtehen - den Comitialferien in muͤhſamer, aber unnoͤthiger Arbeit zuzubringen. Die Stelle von Gelderkau - fungen, die ganz namentlich auf Kaiſer Carl den VII. gehe, bleibe billig hoͤchſter Orten zu weiterer Ahndung heimgeſtellt. Die Beziehung auf die Churbairiſche Geſandtſchaft wuͤrde wenigſtens uͤbel ausfallen. Herr von Schwarzenau antwor - tete in einer ſiebenten Schrift: Der abgehetzte Incidentanmerker habe die Schwaͤche rangſuͤchti - ger Erhebungsgrillen unter dem Schulſtaube zu verbergen geſucht. Er ſey aber nicht gemeynt, mit den Diis minorum gentium in einen ſo ſchmutzi - gen Schriftwechſel ſich einzulaßen. ꝛc.

XVIII
22

Noch erſchien eine achte Schrift vom Herrn von Bibra: Unter den geiſtlich fuͤrſtlichen Ge -ſand -656) Recurſe u. Cerem. 1745-1748.ſandten ließen ſich ſonder Zweifel auch ſolche an - treffen, welche die civiliſirte Lebensart nicht erſt zu Regensburg lernen duͤrften. Das mit den Haa - ren herbeygezogene Breviarium haͤtte aber wohl verſchont bleiben koͤnnen, um nicht mit der Lei - besnahrung und Neigung zum Spiele vergeſell - ſchaftet zu werden. ꝛc. Auch erklaͤrte ſich der Hollaͤndiſche Geſandte in einer neunten Schrift: Er ſey zwar bey den Comitialrangſtreitigkeiten gleichguͤltig, und gedenke weder mit dieſer oder je - ner Diſtinction oder Federſchmeicheley Beute zu machen, noch ſonſt mit laͤcherlichen Rangdispuͤ - ten ſich abzugeben. Weil er aber in obigen Schrif - ten namentlich genannt ſey, ſo ſtelle er dahin, ob der Verfaſſer der Incidentanmerkungen Urſache gehabt habe eines Theils ſo ſonderbar zu doliren, daß die graͤflichen Comitialgeſandtſchaften Aus - waͤrtigen gleichſam Preis gegeben wuͤrden, und andern Theils mit dem, was bey der Tafel ſelbſt unverfaͤnglich vorgegangen ſey, ſich ſelbſt groß zu machen. ꝛc. Endlich erſchien noch die zehnte Schrift (des Bairiſchen Geſandten von Schneid): Es ſey poͤbelhaft, in Dingen, womit nur Leute von der geringſten Sorte ihr albernes Religions - geſpoͤtte zu treiben pflegten, einem niedertraͤchtigen ſcoptiſchen Witze die Zuͤgel ſchießen zu laßen. Der verſtellte Verfaſſer ſcheine zwar nicht im Brevia - rium, wohl aber in abgeſchmackten Romanen ſei - ne Gemuͤthsberuhigung zu finden. Am allermei - ſten ſey es eine unuͤberlegte Vermeſſenheit von ver - kauften allerhoͤchſten kaiſerlichen Decreten etwas zu erwehnen. ꝛc. Doch gnug mit die - ſer Probe eines Comitialſchriftwechſels von derP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. EMit -66XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748. ꝛc.Mitte des XVIII. Jahrhunderts! Die Sa - che ſelbſt blieb inzwiſchen, wie ſie war; konnte alſo, inſonderheit was den Rangſtreit zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten betrifft, bey je - der Gelegenheit von neuem zur Sprache kom - men. Doch damals gab es bald ernſtlichere Ge - genſtaͤnde zur Beſchaͤfftigung der Herren Comitial - geſandten.

Zwoͤlf -67

Zwoͤlftes Buch. Der neueren Zeiten neunter Abſchnitt vom Aachner Frieden bis zur Roͤmiſch. Koͤnigswahl Joſephs d. II. 1748 1764.

I. Der Friedenszeit bis zum ſiebenjaͤhrigen Kriege erſte Abtheilung 1748-1753. Inſonderheit die in dieſer Zeit vorgegangene Muͤnzveraͤnderung; Hohenlohiſche Religionsbeſchwerden; und Recurs gegen die Reichsritterſchaft.

I. Veraͤnderungen, ſo im bisherigen Syſteme von Eu - topa ſeit dem Aachner Frieden merklich geworden, in - ſonderheit das Vernehmen zwiſchen Oeſterreich und Frank - reich betreffend; II. Benutzung dieſer Friedenszeit, be - ſonders in den Preuſſiſchen Staaten III. Muͤnzveraͤn - derung, wegen unrichtigen Verhaͤltniſſes zwiſchen Gold und Silber, IV. ſo Graumann im Leipziger Fuße ent - deckt. V. Dadurch veranlaßter Schriftwechſel, VI. und ſo genannter Conventionsfuß. VII. Hohenlohiſche Religionsbeſchwerden, VIII. woruͤber das evangeliſche Corpus die im Weſtphaͤliſchen Frieden nachgelaßene Selbſt - huͤlfe verfuͤget, IX. am kaiſerlichen Hofe aber und beym catholiſchen Religionstheile großes Aufſehen erwaͤchſt. X. XI. Wider die Reichsritterſchaft wird von Wuͤrtenberg ein wichtiger Recurs betrieben; XII. inſonderheit we - gen fortgehender Beſteurung ritterſchaftlicher Guͤter, die in reichsſtaͤndiſche Haͤnde kommen; XIII. wie auch wegenE 2des68XII. Franz der I. 1748-1764.des von der Reichsritterſchaft behaupteten Naͤherrechts im Verkaufen ritterſchaftlicher Guͤter; wegen gemeinſamer Ver - tretung ihrer einzelnen Glieder; wegen haͤufiger Aufnahme ſo genannter Perſonaliſten ꝛc. ; XIV. jedoch ohne daß der bewirkte Reichsſchluß dem gewuͤnſchten Zwecke gemaͤß ausfaͤllt.

I.
22

Nach dem Aachner Frieden vergiengen wenige Jahre, als es ſich auf der einen Seite ſchon zu neuen weitausſehenden Irrungen zwiſchen den Kronen Großbritannien und Frankreich uͤber die Graͤnzen von Canada anließ, und auf der andern Seite der Koͤnig in Preuſſen aus gewiſſen gehei - men Nachrichten wahrzunehmen glaubte, daß ein Angriff mehrerer verbundenen Maͤchte gegen ihn im Werke ſey. Soviel hat allemal der Erfolg be - wieſen, daß nach dem Aachner Frieden das bis - herige Syſtem von Europa eine andere Wendung genommen hat, da die Mißhelligkeit, welche bey - nahe drey Jahrhunderte hindurch zwiſchen dem Hauſe Oeſterreich und der Krone Frankreich obge - waltet hatte, ſich auf einmal in eine gewiſſe Har - monie zu verwandeln ſchien; inſonderheit ſeitdem der Graf Wenzel Anton von Kaunitz-Rittberg, der als Oeſterreichiſcher Geſandter den Aachner Frieden gezeichnet hatte, unmittelbar darauf als Geſandter des Wiener Hofes am Franzoͤſiſchen Hofe, und im May 1753. ſelbſt als Hof - und Staatscanzler zu Wien angeſetzt wurde; (welche Stelle er, nachdem er 1764. in Fuͤrſtenſtand er - hoben worden, ſeitdem in unverruͤckter Thaͤtig - keit gewiß ein ſeltenes Beyſpiel, in manchem Betrachte vielleicht einzig in ſeiner Art, noch 1786. bekleidet.)

Kaum691) Friedenszeit 1748-1753.

Kaum hatte Teutſchland nach dem AachnerII. Frieden acht Jahre, (oder vom Dresdner Frieden anzurechnen elf Jahre) Friedenszeit zu genießen. Aber eben dieſer Zeitraum war in mehreren Ruͤck - ſichten fuͤr die Teutſche Verfaſſung von großer Wichtigkeit. Gleich thaͤtig, im Frieden ſeine Staaten in mehrere Aufnahme zu bringen, als im Kriege ſeine Heere ſelbſt anzufuͤhren, erſchien Frie - drich in dieſer Zeit als ein weiſer Geſetzgeber, als Verbeſſerer des Juſtitzweſens, als Befoͤrderer der Schifffahrt und Handlung; und ſein Beyſpiel er - munterte mehr andere große Hoͤfe zur Nachah - mung gleicher landesvaͤterlicher Thaͤtigkeit. Doch die Fruͤchte, die davon einzuerndten oder doch zu hoffen waren, betrafen mehr die Verfaſſung ein - zelner beſonderer Teutſchen Staaten als des Teut - ſchen Reichs im Ganzen. Nur eine Veraͤnde - rung von dieſer Art breitete bald ihre Folgen auf ganz Teutſchland aus.

Im Leipziger Muͤnzfuße, der ſeit 1738.III. nun auch der Reichmuͤnzfuß ſeyn ſollte, hatte man das Verhaͤltniß zwiſchen Gold und Silber, wie es ſcheint, ohne große Kenntniß oder Ueber - legung, wie 1. zu 15. angenommen. Das heißt, fuͤr 1. Pfund Gold ſollten 15. Pfund Silber zu haben ſeyn. In Holland, Frankreich, Spanien war hingegen das Verhaͤltniß, wie 1. zu 14. Wer alſo Silber brauchte, fand es nirgend wohlfeiler, als in Teutſchland. Dennoch waren hier die er - giebigſten Silberbergwerke, deren Beſitzer alle Urſache gehabt haͤtten, dieſe edle Naturgabe deſto hoͤher im Preiſe zu halten, je gewiſſer ſie ſeyn konn - ten, daß es fuͤr andere doch ein nothwendigesE 3Be -70XII. Franz der I. 1748-1764.Beduͤrfniß ſeyn wuͤrde. Nun mochten die Hoͤfe, welche dem Leipziger Fuße getreu waren, ſoviel Silber muͤnzen, als ſie wollten; ſo wurde es doch in kurzem unſichtbar und gegen Hollaͤndiſche Du - caten und Franzoͤſiſche alte Louisdor ausgewech - ſelt. So zogen auswaͤrtige Handlungsgeſellſchaf - ten, die Silber mit Vortheil nach anderen Welt - theilen zu ſchicken hatten, daſſelbe großentheils aus Teutſchland. Daraus erwuchs fuͤr den Teutſchen Handel ein ſo großer Verluſt, als hingegen die Hollaͤnder und Franzoſen deſto groͤßeren Vortheil davon zu ziehen wußten.

IV.
22

Endlich fand ein dieſer Sachen kundiger Mann (Johann Philipp Graumann,) der in Hollaͤn - diſchen großen Handlungshaͤuſern gedient hatte, Gelegenheit, zu Braunſchweig von dieſen Grund - ſaͤtzen etwas zu aͤußern. Auf deſſen Vorſchlag fieng man zu Braunſchweig an, die Mark Sil - ber nicht mehr nach Vorſchrift des Leipziger Fußes zu 18., ſondern zu 20. Gulden auszumuͤnzen, auch einheimiſche Goldſtuͤcke zu 5 Rthlr. zu praͤ - gen. Im Anfange machte das bey den uͤbrigen Mitgenoſſen des Leipziger Fußes großes Aufſehen. Aber auf eine in Druck gegebene Rechtfertigung dieſer neuen Grundſaͤtze ward Graumann ſelbſt nach Berlin verſchrieben, wo er endlich die Ober - aufſicht uͤber alle koͤnigliche Muͤnzen erhielt. Nun befolgte man zu Berlin in ungleich groͤßerer Men - ge neugepraͤgter Gold - und Silbermuͤnzen eben dieſe Grundſaͤtze. Und durchgehends fand man es unwiderleglich richtig, daß das beym Leipziger Fuße angenommene Verhaͤltniß zwiſchen Gold und Silber fehlerhaft ſey.

Nur711) Friedenszeit 1748-1753.

Nur zu Hannover trug man Bedenken, dasV. Silbergeld deswegen ſchlechter zu muͤnzen, da in der That einem jeden, der ein Quantum von 20. in Silbermuͤnze zu heben hatte, damit 2 / 20 entzo - gen wurden, weil er nun in einer Maſſe, die 20. Loth am Gewicht hatte, nur 18. von der bisheri - gen Guͤte beſaß. Statt deſſen glaubte man der Unrichtigkeit des bisherigen Verhaͤltniſſes damit abzuhelfen, wenn man fortfuͤhre das Silbergeld in ſeiner bisherigen Guͤte zu laßen, aber die Gold - muͤnzen dagegen auf einen geringern Werth, alſo Fuͤnfthalerſtuͤcke auf ſieben Gulden oder 4⅔ Rthlr. herunterſetzte. Allein faſt alle andere Hoͤfe gaben vielmehr den Graumaͤnniſchen Vorſchlaͤgen den Vorzug.

Selbſt der Wiener Hof fand ſich hierdurch be -VI. wogen, eine Veraͤnderung in ſeinem Muͤnzweſen nach dem neuen Verhaͤltniſſe zwiſchen Gold und Silber vorzunehmen. Um aber nicht von ande - ren benachbarten Laͤndern dadurch in Nachtheil ge - ſetzt zu werden, ſchloß der Wiener Hof am 21. Sept. 1753. mit dem Hofe zu Muͤnchen eine ei - gene Convention, (wovon dieſer neue Muͤnzfuß nachher beynahe in ganz Teutſchland den Namen des Conventionsfußes und der Conventions - muͤnze bekommen hat.) Vermoͤge dieſer Con - vention ſollte auch in Baiern die Mark Silber zu 20. Gulden ausgemuͤnzet werden, und zu einem gleichen Muͤnzfuße ſuchte man von Wien aus die Kreiſe Schwaben, Franken, und Oberrhein zu bewegen. In allen dieſen Kreiſen zeigte ſich aber eine ganz andere Schwierigkeit, da hier Silber - geld im Gange war, wovon ſogar 24. Fl. aufE 4die72XII. Franz der I. 1748-1764.die Mark giengen, und wogegen Ducaten 5. Fl., Piſtolen 9. Fl., Carolinen und neue Louisd or 11. Fl. galten. Alle Bemuͤhungen das zu aͤndern waren da am Ende fruchtlos. Der Bairiſche Hof ſah ſich endlich genoͤthiget, ſeine Convention aufzurufen. Alſo war im Ganzen nichts weni - ger als Gleichfoͤrmigkeit. Doch noch zur Zeit war das nur ein kleines Vorſpiel von weit groͤßeren Muͤnzverwirrungen, die wenige Jahre hernach der leidige Krieg in Gang brachte.

VII.
22

Von anderen in die Reichsverfaſſung einſchla - genden Angelegenheiten dieſer Zeit war keine wich - tiger, als die, welche wegen einiger Hohenlohi - ſchen Keligionsbeſchwerden die Frage von der Selbſthuͤlfe in ſolchen Faͤllen zwiſchen beiden Re - ligionstheilen aufs neue zur Sprache brachte. Die erſt nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden catholiſch ge - wordenen Fuͤrſten von Hohenlohe(u)Oben Th. 2. S. 338. XVIII. XIX. hatten in ih - rem Lande gegen den Zuſtand des Entſcheidungs - jahrs ſolche Veraͤnderungen vorgenommen, daß auf die Klage ihrer evangeliſchen Unterthanen und Stammsvettern ſchon am 30. Sept. 1744. ein rechtskraͤftiges Reichshofrathserkenntniß gegen ſie ergangen war. Sie waren aber nicht dahin zu bringen, demſelben Folge zu leiſten, und es fehlte an der wuͤrklichen Huͤlfsvollſtreckung, ungeachtet auch darauf ſchon am 13. Sept. 1748. vom Reichs - hofrathe erkannt worden war. Weil das in mehr aͤhnlichen Sachen bisher der Fall geweſen war, ſo fand ſich das Corpus der evangeliſchen Staͤnde auf Anſuchen des beſchwerten Theils endlich be -wogen,731) Friedenszeit 1748-1753.wogen, von derjenigen Stelle des Weſtphaͤliſchen Friedens Gebrauch zu machen, welche daſſelbe in ſolchen Faͤllen zur Selbſthuͤlfe berechtiget(v)Oben Th. 2. S. 145-147..

Es beſchloß alſo am 29. Apr. 1750., demVIII. Fraͤnkiſchen Kreisausſchreibamte evangeliſchen Theils den Auftrag zu thun, den beſchwerten evangeliſchen Unterthanen zu ihrem Rechte zu ver - helfen; zu welchem Ende auch noch am 8. Jun. 1750. Churbrandenburg, Churbraunſchweig, Sach - ſengotha und Heſſencaſſel erſucht wurden, benoͤ - thigten Falls die Ausfuͤhrung dieſes Auftrages un - terſtuͤtzen zu helfen. Als darauf am 15. Oct. 1750. ein Anſpachiſcher Hauptmann mit 104. Gre - nadieren ins Hohenlohiſche einruͤckte; ſo hatte das endlich die Wirkung, daß die Fuͤrſten von Hohen - lohe ſich bequemten, die ihnen vorgelegten Puncte einzugehen.

Nur von Seiten des kaiſerlichen Hofes undIX. des catholiſchen Religionstheiles wollte man die - ſes als einen geſetzwidrigen Eingriff in das dem Kaiſer alleine zuſtehende Recht Huͤlfsvollſtreckun - gen zu verfuͤgen anſehen. Jedoch die hier ein - ſchlagende Stelle des Weſtphaͤliſchen Friedens iſt zu klar, als daß ſie nicht zur Rechtfertigung dieſes Schrittes haͤtte dienen ſollen. Auf den Fall, wenn einer wider den Frieden zugefuͤgten Beſchwer - de weder in Guͤte noch im Wege Rechtens in drey Jahren abgeholfen wird, ſollen alle und jede Frie - densconſorten, (mithin auch ſaͤmmtliche evangeli - ſche Reichsſtaͤnde, die einen der Friedenſchließen -denE 574XII. Franz der I. 1748-1764.den Theile ausmachten,) gehalten und alſo auch berechtiget ſeyn, mit dem beſchwerten Theile ihre Rathſchlaͤge und Kraͤfte zu vereinigen um dem Unrechte abzuhelfen; und zwar nicht in der Vor - ausſetzung, daß der Kaiſer den Befehl dazu gebe, ſondern daß der leidende Theil nur darum nachge - ſucht habe. Nach dieſer Vorſchrift war der Schluß, den das evangeliſche Corpus hier gefaßt hatte, voͤllig abgemeſſen. Freylich war es das erſtemal in ſeiner Art, daß es mit dieſem Nachdruck zu Werke gieng, da bisher nur hoͤchſtens zu Repreſ - ſalien geſchritten war. Allein eben das bewies die Maͤßigung, die man bisher gebraucht hatte. Nur die Nothwendigkeit erforderte es, diesmal einen Schritt weiter zu gehen, wenn anders ein ſo evi - dent beſchwerter Theil nicht huͤlflos gelaßen werden ſollte, und wenn nicht vielleicht eine Art von Si - cherheit, daß man nie zu dieſer Extremitaͤt ſchrei - ten wuͤrde, daraus entſtehen ſollte. So bedenkli - che Folgen es allerdings haben koͤnnte, wenn dem Gebrauche einer ſolchen Selbſthuͤlfe eine gleich maͤchtige Gegenwehr entgegen geſetzt werden ſoll - te; ſo ſehr iſt eben deswegen fuͤr die Ruhe von Teutſchland und fuͤr die wahre Wohlfahrt beider Religionstheile zu wuͤnſchen, daß kein Theil dem andern Gelegenheit geben moͤge, zu dieſer Extre - mitaͤt ſchreiten zu muͤßen.

X.
24

Eine andere Reichsangelegenheit dieſer Zeit be - traf endlich die Keichsritterſchaft, wobey es auf nichts geringeres ankam, als entweder zu ihrer voͤlligen Zernichtung den Weg zu bahnen, oder ihre bisherige Verfaſſung, wie ſie durch Reichs -grund -751) Friedenszeit 1748-1753.grundgeſetze und Herkommen unterſtuͤtzt war, an - noch ferner aufrecht zu erhalten.

Manchen Reichsſtaͤnden mochte es freylichXI. empfindlich fallen, in Vergleichung mit anderen Laͤndern, wo man von keinem andern als landſaͤſ - ſigen Adel weiß, den Zuſammenhang ihrer Laͤn - der durch ſo viele unmittelbare Ritterguͤter unter - brochen zu ſehen. Nicht ſelten mochte ſichs auch von der andern Seite zutragen, daß die Reichs - ritterſchaft von ihren Privilegien und angenomme - nen Grundſaͤtzen uͤbertriebenen Gebrauch zu ma - chen ſuchte. Allein jenes hatte einmal im Weſt - phaͤliſchen Frieden ſeine Beſtaͤtigung erhalten, war alſo nunmehr in unſere Reichsverfaſſung mit ver - webt, und ließ ſich als ein Beſtandtheil des Gan - zen ohne dieſem zu nahe zu treten, nicht mehr he - ben. Letzteres mußte allenfalls in jedem einzelnen Falle nach deſſen beſonderen Umſtaͤnden im Wege Rechtes eroͤrtert werden. Nur hier waren ſchon mehrmalen Beſchwerden der Reichsſtaͤnde vorge - kommen, daß die Reichsritterſchaft in einzelnen Rechtsſtreitigkeiten mit Reichsſtaͤnden bey den hoͤch - ſten Reichsgerichten zu ſehr beguͤnſtiget wuͤrde.

Inſonderheit behauptet die Reichsritterſchaft,XII. daß, wenn auch eines von ihren Guͤtern durch Kauf oder andere Mittel und Wege in eines Reichs - ſtandes Haͤnde kaͤme, dennoch die darauf haften - den Ritterſteuern in ihrem Gange bleiben muͤßten, und daß ihr deswegen nichts in Weg gelegt wer - den duͤrfte, wenn Steuern auf ihren Rittercon - venten (wozu niemand als unmittelbare Adeliche zugelaßen werden,) bewilliget worden, und ſolcheals -76XII. Franz der I. 1748-1764.alsdann auch von jenen Guͤtern nach wie vor un - mittelbar durch ritterſchaftliche Befehle und Ver - fuͤgungen executiviſch beygetrieben wuͤrden. Von Seiten der Reichsſtaͤnde wird hingegen behauptet, daß einem Reichsſtande unverwehrt ſeyn muͤße, neu erworbene Guͤter ſeinem Lande einzuverleiben und mit den darin hergebrachten Landſteuern zu belegen, ohne ſie dann noch ferner der Laſt der Beytraͤge zu Ritterſteuern zu unterwerfen.

XIII.
24

Um zu verhuͤten, daß nicht ſo viele ritterſchaft - liche Guͤter in reichsſtaͤndiſche Haͤnde kommen moͤch - ten, hat die Reichsritterſchaft durch kaiſerliche Privilegien von den Jahren 1624. 1652. und 1688. ſich ein ſehr ausgedehntes Retractsrecht zu eigen zu machen geſucht, vermoͤge deſſen ſie behaup - tet binnen drey Jahren in jeden Kauf eines reichs - ritterſchaftlichen Gutes eintreten zu koͤnnen, ohne auch wegen angeblicher Meliorationen ein Reten - tionsrecht dagegen geſtatten zu duͤrfen. Auch die - ſem Rechte widerſprechen die Reichsſtaͤnde, die uͤberdies eine Beſchwerde daraus machen, daß, wenn ſie nur mit einem Mitgliede der Reichsrit - terſchaft zu thun zu haben glauben, gleich ein gan - zer Canton, oder ein ganzer Kreis, oder gar die geſammte Reichsritterſchaft in allen drey Kreiſen, Schwaben, Franken und am Rhein gemeine Sa - che dagegen mache; daß aber die Ritterſchaft auch nicht an ſolchen Mitgliedern, die wuͤrklich in der - ſelben beguͤtert ſeyen, ſich begnuͤge, ſondern auch Staatsminiſter und Geſandten an Hoͤfen und Mit - glieder der beiden hoͤchſten Reichsgerichte, als blo - ße Perſonaliſten, in ihre Matrikel aufnehme; oh - ne zu gedenken, was fuͤr Colliſionen zu entſtehenpfle -771) Friedenszeit 1748-1753.pflegen, wenn ein Mitglied der Reichsritterſchaft in einem reichsſtaͤndiſchen Lande dient oder ſonſt wohnhaft iſt, und vor reichsſtaͤndiſchen Gerichten belangt, oder in Todesfaͤllen die Verlaßenſchaft verſiegelt und inventirt werden ſoll u. ſ. w.

Jetzt ſchlug der Wuͤrtenbergiſche Hof uͤber alleXIV. dieſe Irrungen einen ganz andern Weg ein. Er behauptete, daß aus Mangel einer allgemeinen Richtſchnur in den verſchiedenen Streitigkeiten zwiſchen Reichsſtaͤnden und der Reichsritterſchaft nicht nach gleichfoͤrmigen Grundſaͤtzen, ſondern bald ſo, bald anders geſprochen wuͤrde. Er wand - te ſich alſo an die geſetzgebende Gewalt, um ein noch ermangelndes allgemeines beſtimmtes Regu - lativ uͤber alle hieher gehoͤrige Streitfragen zu er - langen. Eine mit einem ganzen Folianten Archi - valurkunden begleitete Deduction wurde in ſolcher Abſicht (1749.) dem Reichstage vorgelegt, und die Sache mittelſt eigner Geſandtſchaften an die wichtigſten Hoͤfe mit auſſerordentlichem Eifer be - trieben. Von Seiten der Ritterſchaft erſchienen hingegen nach und nach ganze Folianten Gegen - deductionen. Die Reichstagsſtimmen ſchienen ziem - lich getheilt zu ſeyn. Endlich kam es (1752. Jul. 23.) zu einem Reichsgutachten, das in der Hauptſache alles ließ, wie es war, indem es zu erkennen gab, daß die Errichtung eines allgemei - nen Normatives wegen des verſchiedenen Herkom - mens in den verſchiedenen Gegenden von Teutſch - land mit zu vielen Anſtaͤnden umwunden ſey, und alſo nichts uͤbrig bleibe, als der kaiſerlichen Ma - jeſtaͤt ſolche Irrungen nach den beſonderen Um - ſtaͤnden jeden Falles zu Befoͤrderung guͤtlicher Aus -wege78XII. Franz der I. 1748-1764.wege oder in deren Entſtehung zu oberſtrichterli - chen Verfuͤgungen und Erkenntniſſen zu empfeh - len. Die darauf erfolgte kaiſerliche Genehmigung war der Reichsritterſchaft noch guͤnſtiger, als das Reichsgutachten ſelbſt.

II. Der Friedenszeit bis zum ſiebenjaͤhrigen Kriege zweyte Abtheilung 1753-1756. Neuer Stoff zu Irrungen zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Berlin, und zwiſchen beiden Religions - theilen.

I. Neue Vorfaͤlle, wo die Hoͤfe zu Wien und Berlïn, oder auch beide Religionstheile verſchieden dachten. II. III. Einfuͤhrung der Taxiſchen Stimme im Reichsfuͤrſtenra - the gegen die Mehrheit der Stimmen auf der weltlichen Fuͤrſtenbank. IV. V. Religionsaͤnderung des damaligen Erbprinzen von Heſſencaſſel, und deshalb getroffene Verſi - cherungsanſtalten. VI. Transplantation der evangeli - ſchen Unterthanen in Kaͤrnthen, Steiermark und Oberoe - ſterreich nach Ungarn und Siebenbuͤrgen. VII. Neuer Bau eines Capucinerkloſters in der graͤflich Wiedrunkeliſchen Reſidenz zu Dierdorf. VIII. Geheime Nachricht, daß man zu Wien damit umgehe, den Religionsſachen im Rei - che ein anderes Anſehen zu geben, und Schleſien wieder zu erobern.

I.
24

Der Eindruck, den die Hohenlohiſche Sache inſonderheit am kaiſerlichen Hofe zu machen ſchien, ward noch merklich verſtaͤrkt, als noch ei - nige Vorfaͤlle hinzukamen, worin die Hoͤfe zu Wien und Berlin einander entgegengeſetzte Grund - ſaͤtze aͤußerten.

Ein792) Friedenszeit 1753-1756.

Ein ſolcher Vorfall ereignete ſich zuerſt beyII. Gelegenheit der Einfuͤhrung mit Sitz und Stim - me im Reichsfuͤrſtenrath, die zum Vortheile des Fuͤrſten von Thurn und Taxis bewerkſtelliget werden ſollte. Hierzu hatte zwar das churfuͤrſtli - che Collegium, und darunter auch Churbranden - burg, ſeine Einwilligung gegeben; und im Reichs - fuͤrſtenrathe war ebenfalls die Mehrheit der Stim - men dafuͤr. Allein auf der weltlichen Fuͤrſtenbank, auf welcher dieſe neue Stimme ihren Sitz nehmen ſollte, waren die meiſten Stimmen dagegen. Nun enthaͤlt die kaiſerliche Wahlcapitulation (Art. 1. §. 5.) buchſtaͤblich dieſe Vorſchrift: daß, wenn von Aufnahme neuer reichsſtaͤndiſchen Stimmen die Frage iſt, neben dem churfuͤrſtlichen auch das - jenige Collegium und (die) Bank, darin ſie aufgenommen werden ſollen, in die Admiſſion or - dentlich gewilliget haben muͤße. Die altfuͤrſt - lichen Haͤuſer behaupteten alſo: es ſey nicht gnug, daß das ganze fuͤrſtliche Collegium durch Mehr - heit der Stimmen ſeine Einwilligung gebe; ſon - dern es muͤße auch noch uͤberdas die beſondere Ein - willigung der weltlichen Fuͤrſtenbank hinzukom - men; da ſeyen aber die mehreren Stimmen dem Fuͤrſten von Taxis nicht guͤnſtig.

Dieſes Umſtandes ungeachtet wollte ſich derIII. Oeſterreichiſche Directorialgeſandte nicht abhalten laßen, die Taxiſche Stimme, zu deren Fuͤhrung er ſelbſt bevollmaͤchtiget war, im Fuͤrſtenrathe ein - zufuͤhren. Dagegen widerſetzten ſich nun die alt - fuͤrſtlichen Haͤuſer, welchen nunmehr auch der Preuſſiſche Geſandte von wegen Magdeburg und der uͤbrigen fuͤrſtlichen Stimmen des Hauſes Bran -den -80XII. Franz der I. 1748-1764.denburg beytrat, ſofern jetzt die Sache aus dem Geſichtspuncte in Betrachtung kam, da das Di - rectorium eines ſo erheblichen Widerſpruchs unge - achtet eigenmaͤchtig in der Sache fortfahren wollte. In der That kam es daruͤber ſo weit, daß, ſo oft hernach die Stimme Thurn und Taxis im Fuͤr - ſtenrathe aufgerufen wurde, die widerſprechenden Geſandten weggiengen, und in ihren Protocollen dieſe Stimme nie mitſchreiben ließen. (Soviel aus oͤffentlichen Nachrichten abzunehmen geweſen, iſt dieſe Sache bis auf den heutigen Tag nicht aus dem Grunde gehoben worden, noch eine authenti - ſche Erklaͤrung obiger Stelle der Wahlcapitulation erfolget. Inzwiſchen gehet die Taxiſche Stimme immer ihren Gang fort. Mit derſelben wurde zu - gleich die Stimme des fuͤrſtlichen Hauſes Schwarz - burg eingefuͤhret; auf dieſe hat ſich jener Wider - ſpruch nicht erſtreckt. Seit dieſer Zeit hat aber auch keine Einfuͤhrung neuer fuͤrſtlicher Stimmen mehr zu Stande gebracht werden koͤnnen; ſo wie in der ganzen vorigen Zeit ſeit der Regierung Leo - polds keine neue Stimme mehr zur Einfuͤhrung gelangt iſt, als unter Carl dem VI. das einzige Haus Lichtenſtein.)

IV.
24

Ein anderer Vorfall, den man zu Wien an - ders anſah, als zu Berlin, und woruͤber beide Religionstheile ſehr ungleich dachten, beſtand in der Religionsveraͤnderung des damaligen Erb - prinzen von Heſſencaſſel. Von demſelben wur - de erſt im Herbſte 1754. bekannt, daß er ſchon im Jahre 1749. zu Paderborn, wo er damals beym Churfuͤrſten Clemens Auguſt von Coͤlln zum Be - ſuche geweſen, catholiſch geworden ſey. Weilſein812) Friedenszeit 1753-1756.ſein Herr Vater, der Landgraf Wilhelm der VIII., noch lebte; ſo ſorgte der dafuͤr, daß die Heſſiſche Landſchaft, die deswegen auf einen Landtag zu - ſammenberufen ward, eine ausfuͤhrliche Verſiche - rung bekam, daß der bisherige Religionszuſtand im Lande voͤllig ungeaͤndert bleiben, und inſonder - heit unter andern kein Simultaneum und keine An - ſetzung catholiſcher Bedienten ſtatt finden ſollte. Daneben verordnete der Landgraf, daß nach ſei - nem Tode von ſeinen drey Enkeln, die der Erb - prinz mit der Engliſchen Prinzeſſinn Maria erzeugt hatte, der aͤlteſte als kuͤnftiger Erbprinz gleich die Grafſchaft Hanau in Beſitz und Genuß bekommen ſollte, und zwar, ſo lange er minderjaͤhrig ſeyn wuͤrde, unter Vormundſchaft ſeiner Frau Mut - ter. Zu dieſer Verordnung hielt er ſich um ſo mehr berechtiget, da er ſich als erſten Erwerber der Grafſchaft Hanau anſah, und uͤber die Ord - nung der Erbfolge unter ſeiner eignen Nachkom - menſchaft nach den Grundſaͤtzen des Teutſchen Fuͤr - ſtenrechts wohl disponiren konnte. Aus großvaͤ - terlicher Gewalt traf er zugleich ſolche Verfuͤgun - gen uͤber die Erziehung ſeiner Enkel, daß auch nach ſeinem Tode ſo leicht nicht zu beſorgen war, daß ſie zur catholiſchen Religion erzogen werden moͤchten. (Sie wurden gleich damals nach Goͤt - tingen, und, als die hieſigen Gegenden von Kriegs - unruhen bedrohet wurden, nach Coppenhagen ge - ſchickt; wo die beiden aͤlteſten Prinzen auch nach - her mit koͤniglich Daͤniſchen Prinzeſſinnen ver - maͤhlt worden ſind.) Alle dieſe Verfuͤgungen ließ ſich der Erbprinz gefallen, und vollzog ſie mit ſei - ner Unterſchrift. Sie erhielten auch die Garantie der Koͤnige von Großbritannien, Daͤnemark undP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. FPreuſ -82XII. Franz der I. 1748-1764.Preuſſen, und des geſammten evangeliſchen Re - ligionstheils.

V.
24

In der That geſchah damit nichts, was nicht ſchon in mehr aͤhnlichen Faͤllen bey den vorgegan - genen Religionsveraͤnderungen in den Haͤuſern Sachſen, Wuͤrtenberg und anderen geſchehen war. Die Hauptabſicht gieng dabey offenbar nur auf Erhaltung des Religionszuſtandes, wie er dem Entſcheidungsjahre und alſo dem Weſtphaͤliſchen Frieden gemaͤß war. Nur einigen Anſtaͤnden, die man wegen einiger gegentheiligen Auslegungen et - licher Stellen des Weſtphaͤliſchen Friedens aus bisherigen Vorgaͤngen in anderen Haͤuſern und Laͤndern beſorgen konnte, ſuchte man durch ver - tragsmaͤßige Beſtimmungen vorzubeugen. Das war ſo wenig gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden als gegen irgend ein anderes Reichsgrundgeſetz oder anderes Stuͤck unſerer Teutſchen Reichsver - faſſung. Es galt auch nicht darum etwas neues einzufuͤhren, ſondern nur alles im bisherigen Zu - ſtande zu laßen, und nur kuͤnftigen Beſchwerden und Irrungen vorzubeugen. Lauter Dinge, denen jeder Teutſcher Biedermann, dem Billig - keit und Erhaltung der Ruhe nicht gleichguͤltig iſt, ſeinen Beyfall nicht verſagen ſollte. Inzwiſchen ſchienen verſchiedene Schriftſteller ſich ein Geſchaͤfft daraus zu machen, dieſe Heſſiſche Religionsverſi - cherung als eine dem Weſtphaͤliſchen Frieden zu - widerlaufende Sache vorzuſtellen, und wohl gar aus dem Tone zu ſprechen, als ob das alles fuͤr null und nichtig erklaͤret werden koͤnnte. Das gab natuͤrlicher Weiſe zu Widerlegung ſolcher Schriften und zur ſtandhaften Behauptung gegen -thei -832) Friedenszeit 1753-1756.theiliger Saͤtze Anlaß; alles zwar ohne daß ein Hof ſelber gerade zu Parthey nahm, aber doch ſo, daß die Verſchiedenheit der Geſinnungen un - ſerer großen Hoͤfe nicht unverkannt bleiben konnte.

Noch deutlicher veroffenbarte ſich dieſer Unter -VI. ſchied in Geſinnungen und Grundſaͤtzen bey Gele - genheit einer Fuͤrſprache, die das Corpus der evan - geliſchen Staͤnde in einem Schreiben an die Kai - ſerinn Maria Thereſia (1754. Nov. 6.) fuͤr die evangeliſchen Unterthanen in Kaͤrnthen, Steier - mark und Oberoeſterreich einlegte, da eine Verfuͤ - gung ergangen war, dieſelben, wenn ſie ſich nicht zur catholiſchen Religion bekennen wuͤrden, nach Ungarn und Siebenbuͤrgen transplantiren zu laßen. Dem Weſtphaͤliſchen Frieden iſt es zwar nicht zuwider, daß ein catholiſcher Landes - herr evangeliſche Unterthanen, denen das Entſchei - dungsjahr 1624. nicht zu ſtatten koͤmmt, zur Aus - wanderung aus dem Lande zwingen kann. Allein dann bleibt doch den vertriebenen Unterthanen frey, nach ihrer eigenen Wahl ſich zu wenden, wohin ſie wollen; wie auf ſolche Art in den Jahren 1732. u. f. viele tauſend evangeliſche Emigranten aus dem Salzburgiſchen in anderen evangeliſchen Laͤn - dern ihre Aufnahme gefunden hatten. Und eine ſolche gewaltſame Vertreibung an ſich ſchon hart genug, iſt dann doch auch das aͤußerſte, was der Weſtphaͤliſche Friede irgend einem catho - liſchen Landesherrn uͤber evangeliſche Unterthanen geſtattet. Alles, was uͤber dieſe Graͤnzen hinaus noch weiter gehet, laͤßt ſich offenbar mit den Grundſaͤtzen des Weſtphaͤliſchen Friedens nichtF 2ver -84XII. Franz der I. 1748-1764.vereinbaren. Nun iſt klar, daß eine gewaltſame Verpflanzung, wodurch Unterthanen nicht nur ihr angebohrnes Vaterland zu verlaßen, ſondern auch an einen beſtimmten Ort wider ihren Willen ſich zu begeben gezwungen werden, noch ungleich mehr iſt, als eine bloß erzwungene Auswanderung, die noch den Vertriebenen die Wahl laͤßt, wohin ſie ſich wenden wollen. Alſo kann jene Verpflan - zung mit dem Weſtphaͤliſchen Frieden nicht beſte - hen. Der Militaͤrſtand bringt es zwar mit ſich, daß eine Verſetzung aus einem Regimente ins an - dere, und aus einer Beſatzung in die andere ſtatt finden kann. Sonſt aber kann ſelbſt ohne Ruͤck - ſicht auf die Religion wohl keiner hoͤchſten Gewalt ein ſolches Recht zugeſtanden werden, anders als wegen ſtrafbarer Verbrechen einen Unterthanen von einem Orte zum andern zu verſetzen. Viel - weniger kann es der Religion halber geſchehen; und vollends nicht ohne ungerechten Gewiſſens - zwang, wenn nur zwiſchen Verlaßung einer bis - her gehabten Religion oder einer gewaltſamen Ver - pflanzung in ein ander Land und Clima die Wahl gelaßen wird. Dieſe und andere Vorſtellun - gen fanden aber damals zu Wien ſo wenig Ein - gang, daß vielmehr an den Oeſterreichiſchen Di - rectorialgeſandten ein heftiges Reſcript von ſeinem Hofe erfolgte (1755. Apr. 23.), worin derſelbe uͤber jene Fuͤrſprache ſich ſehr empfindlich bezeigte. Die einmal beſchloſſene Transplantation behielt auch ihren Fortgang.

VII.
24

Endlich ereignete ſich noch ein Gegenſtand ſtrei - tiger Grundſaͤtze uͤber einen Kloſterbau, den derregie -852) Friedenszeit 1753-1756.regierende Graf von Wied-Runkel (1755. Febr. 1.) den Capucinern in ſeiner Reſidenz zu Dier - dorf geſtattet hatte. Wo Herr und Unterthanen einerley Religion zugethan ſind, iſt zwar jenem der Regel nach unbenommen, anderen Glaubens - genoſſen in ſeinem Lande ihre Religionsuͤbung zu geſtatten, wie auf ſolche Art ſelbſt zu Berlin erſt unter Friedrich dem II. eine catholiſche Kirche von neuem gebauet war. Allein hier hatte der Graf, der uͤbrigens, wie ſeine Unterthanen, reformirter Religion war, ſchon bey einer andern Gelegenheit den Unterthanen gegen ein dafuͤr erhaltenes Ge - ſchenk einer namhaften Geldſumme die Verſiche - rung ertheilt, daß kein catholiſches Kloſter in ſei - nem Lande erbauet werden ſollte. Wie jetzt deſſen ungeachtet jene Conceſſion erfolgte, und der Graf mit catholiſchen Geiſtlichen aus den benachbarten Churtrieriſchen Landen vielen Umgang hatte; ge - riethen die Unterthanen auf die Beſorgniß, daß ihr Landesherr wohl gar vielleicht heimlich catho - liſch geworden ſeyn moͤchte. Auf ihr Anſuchen erließ deswegen das evangeliſche Corpus (1755. Jun. 3.) nicht nur ein Abmahnungsſchreiben an den Grafen, ſondern auch noch beſondere Schrei - ben an Brandenburg-Anſpach (als Beſitzer von Sain-Altenkirchen) und Naſſau-Oranien, mit dem Erſuchen, als Nachbaren zu verhuͤten, daß nichts gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden hierun - ter vorgehen moͤchte. Zu Wien ſah man dieſes als eine widerrechtliche Vorbeygehung der reichs - gerichtlichen Inſtanz an. Der Herr Graf ließ ſich auch nicht abhalten, den Fortgang des Klo - ſterbaues zu geſtatten.

F 3Alle86XII. Franz der I. 1748-1764.
VIII.
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Alle dieſe Dinge moͤgen wohl ihren Einfluß darauf gehabt haben, wenn es an dem iſt, wie gewiſſe geheime Nachrichten ſelbiger Zeit verſi - chern wollten, daß man damals zu Wien auf nichts mehr bedacht geweſen, als theils den Reli - gionsſachen im Reiche ein anderes Anſehen zu ge - ben, theils Schleſien wieder zu erobern(w)Teutſche Kriegscanzley 1757. B. 2. S. 168..

III. 873) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.

III. Urſachen des ſiebenjaͤhrigen Krieges, und was Kaiſer und Reich dabey fuͤr eine Parthey er - griffen. 1756. 1757.

I. Geheimer Vertrag, den die Hoͤfe von Wien und Dresden am 18. May 1745. zu Leipzig geſchloſſen, um dem Koͤnige in Preuſſen nicht nur Schleſien, ſondern noch mehr Laͤnder abzunoͤthigen. II. Geheimer Artikel eines vom Wiener Hofe mit dem zu Petersburg am 22. May 1746. geſchloſſenen Buͤndniſſes. III. Noch hinzugekommene ge - heime Nachrichten, wegen deren der Koͤnig in Preuſſen glaubte, ſich im Fall einer Nothwehr und gerechten Praͤ - vention zu finden IV. Der Reichshofrath nahm es hin - gegen auf den Fuß eines Landfriedenshruchs. V. Und am Reichstage ward ein Reichsexecutionskrieg gegen Chur - brandenburg beſchloſſen. VI. Wegen Verſagung der Di - ctatur, die einem dawider gerichteten Aufſatze des Berliner Hofes widerfuhr, ward bey dieſer Gelegenheit eine bisher beſtrittene Stelle der Wahlcapitulation in Gang gebracht. VII. VIII. Auch entſtand ein Streit uͤber die Art die Stim - men auf dem Reichstage abzulegen. IX. Inzwiſchen er - folgte eine Erklaͤrung der Kronen Frankreich und Schweden wegen ihrer uͤbernommenen Garantie des Weſtphaͤliſchen Frie - dens. X. Hingegen der Berliner Hof berief ſich auf ei - ne Stelle der Wahlcapitulation, vermoͤge deren keine frem - de Kriegsvoͤlker auf Teutſchen Boden gefuͤhret werden ſoll - ten. XI. Nach einer vom Koͤnige verlohrnen Schlacht und nach dem Vorgange Franzoͤſiſcher, Ruſſiſcher und Schwe - diſcher Kriegsheere kam auch ein Reichsexecutionsheer ins Feld, ward aber bey Roßbach geſchlagen.

Waͤhrend der Zeit, als der Koͤnig in PreuſſenI. in Gefolg der Frankfurter Union im Jahre 1744. von neuem in Boͤhmen eingebrochen war, und ehe noch der Dresdner Friede dieſem neuen Kriege ein Ende gemacht hatte, war am 18. MayF 41745.88XII. Franz der I. 1748-1764.1745. zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Dresden ein geheimer Vertrag zu Leipzig geſchloſſen worden, worin die Abrede genommen ward, bei - derſeits nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis man nicht allein ganz Schleſien und die Graf - ſchaft Glatz wieder erobert, ſondern auch den Koͤ - nig in Preuſſen noch weiter heruntergebracht haben wuͤrde. Inſonderheit wuͤnſchte man auſſer der Wiedererlangung von Schleſien und Glatz noch das Herzogthum Magdeburg, den dazu gehoͤrigen Saalkreis, das Fuͤrſtenthum Croſſen, nebſt dem darunter begriffenen Zuͤllichauer Kreiſe, und des Hauſes Brandenburg in der Lauſitz gelegene Boͤh - miſche Lehne, nehmlich Cotbus, Priz, Storkau, Breskau, Sommerfeld und andere dazu gehoͤrige Orte und Laͤnder zu erobern. Woruͤber dann zum voraus ſchon verabredet ward, was dem Hauſe Sachſen davon zu Theile werden ſollte, nachdem das Gluͤck der Waffen zu mehr oder weniger hier beſchriebenen Eroberungen befoͤrderlich ſeyn wuͤr - de. Bey dieſem Vertrage war in ſo weit nichts zu erinnern, als derſelbe waͤhrenden Krieges ge - ſchloſſen war, da nur das Gluͤck der Waffen das Urtheil daruͤber ſprechen mußte.

II.
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Nachdem aber am 25. Dec. 1745. ſowohl das Haus Oeſterreich als Churſachſen den Dresdner Frieden dahin geſchloſſen hatte, daß der Koͤnig ſo - wohl Schleſien und Glatz als alle ſeine uͤbrige Laͤn - der und Staaten behielt; ſo ward am 22. May 1746. zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Peters - burg ein neues Buͤndniß geſchloſſen, und in ei - nem demſelben beygefuͤgten geheimen Separat - artikel von Seiten des Wiener Hofes zwar erklaͤ -ret,893) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.ret, den Dresdner Frieden heilig halten zu wollen, und von dem auf Schleſien und Glatz gethanen Verzichte nicht abzugehen. Allein nun ward auch der Fall erwehnet, wenn der Koͤnig in Preuſſen ſich zuerſt vom Dresdner Frieden entfernen, und das Haus Oeſterreich von neuem angreifen ſollte. Auf ſolchen Fall, glaubte man, wuͤrden die Rech - te des Hauſes Oeſterreich auf den abgetretenen Theil von Schleſien und die Grafſchaft Glatz von neuem wieder ſtatt haben. Auch dabey war nichts zu erinnern. Aber eben das wurde nun auch auf die Vorausſetzung ausgedehnt, wenn der Koͤnig in Preuſſen Rußland oder die Repu - blik Polen feindlich angreifen wuͤrde. Ob in dieſem Falle ſo, wie in dem erſten, der Wiener Hof von der Verbindlichkeit des Dresdner Frie - dens ſich wuͤrde haben losſagen koͤnnen, weil der Koͤnig eine dritte Macht angegriffen haͤtte, das war freylich eine andere Frage, die in Berliner Staatsſchriften nachher auf alle Weiſe beſtritten wurde.

Nun fuͤgte ſichs, daß der Koͤnig in PreuſſenIII. durch einen beſonderen Canal nicht nur von dieſen beiden geheimen Vertraͤgen beglaubte Abſchriften bekam, ſondern auch ſonſt noch ſoviele weitere Nachrichten erhielt, daß es im Werke zu ſeyn ſchien, den Koͤnig zu einem Bruche mit Polen oder Rußland zu veranlaßen, um jenen Fall ein - treten zu machen; ja daß ſchon nahe Zuruͤſtungen im Werke waͤren, den Koͤnig an mehreren Orten zugleich in ſeinen eignen Laͤndern mit Krieg zu uͤber - ziehen. Als er hieruͤber vom Wiener Hofe ver - geblich eine beſtimmte beruhigende Erklaͤrung be -F 5geh -90XII. Franz der I. 1748-1764.gehret hatte, und deswegen erſt wegen Sachſen ſich in Sicherheit ſetzte, hernach in Boͤhmen ein - brach; geſtand der Koͤnig zwar der zuerſt losſchla - gende Theil (Aggreſſor) zu ſeyn, behauptete aber ſich in dem Falle einer Nothwehr zu finden, und nach den Grundſaͤtzen des Praͤventionsrechts zu handeln. In ſofern war hier viel aͤhnliches mit den Vorfaͤllen zur Zeit Carls des V., da der Landgraf Philipp von Heſſen 1529. wegen der Packiſchen Geſchichte ins Feld ruͤckte, und 1542. wider den Herzog Henrich den juͤngern von Braun - ſchweig-Wolfenbuͤttel losſchlug. Mit dem letz - tern Falle war noch die beſondere Aehnlichkeit, daß auf gleiche Art, wie damals der Landgraf Wol - fenbuͤttel eroberte, und daſelbſt Urkunden, die zu ſeiner Rechtfertigung dienten, wovon er zum Theil ſchon Abſchriften hatte, vorfand, ſo auch diesmal der Koͤnig in Preuſſen ſich des geheimen Archives zu Dresden bemaͤchtigte, und daſelbſt die Origi - nalurkunden, die er in Abſchriften ſchon gehabt hatte, in ſeine Haͤnde bekam, um damit die That - ſachen, worauf er ſich berief, beweiſen zu koͤnnen.

IV.
25

Von groͤßerer Wichtigkeit iſt wohl nie die Fra - ge von Anwendung des Landfriedens geweſen, als in dieſem Falle. Beides ſowohl den Einfall in Sachſen als in Boͤhmen ſuchte man zu Wien als einen offenbaren Landfriedensbruch darzuſtellen. Zu Berlin ſetzte man hinwiederum dem Wiener Hofe entgegen, daß dem Landfrieden nicht nur zu - wider ſey, wenn ein Reichsſtand den andern mit Krieg uͤberzoͤge, ſondern auch wenn einer verbote - ne Conſpiration oder Buͤndniſſe wider den andern machte. Der Reichshofrath machte inzwiſchenalle913) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.alle Anſtalten, ein foͤrmliches rechtliches Verfah - ren zu eroͤffnen, um dem Koͤnige als Churfuͤrſten von Brandenburg die auf den Landfriedensbruch geſetzten Strafen zuzuziehen. Die in ſolcher Ab - ſicht erkannte Ladung ſollte ein Notarius dem Chur - brandenburgiſchen Comitialgeſandten zu Regens - burg inſinuiren; Damit gelang es aber nicht, und dieſe Art und Weiſe der Inſinuation wurde auch nicht als rechtmaͤßig anerkannt. Bey Avocato - rien, die der Reichshofrath erkannte, war in der vom Reichshofrathe angenommenen Vorausſetzung nach Vorſchrift der Geſetze vielleicht weniger zu er - innern. Sie waren auch in Anſehung einiger Herren von reichsſtaͤndiſchen Haͤuſern und von der Reichsritterſchaft, die deswegen den Preuſſiſchen Dienſt verließen, nicht ganz ohne Wirkung. Die Hauptſache aber kam darauf an, ob auch der Reichstag die Anwendung der Reichsgeſetze vom Landfrieden, wie ſie der Reichshofrath auf den gegenwaͤrtigen Fall gemacht hatte, genehmigen, und zu deren Unterſtuͤtzung die erforderlichen Schluͤſ - ſe faſſen wuͤrde.

Durch ein kaiſerliches Hofdecret ward baldV. nach dem Einbruche in Sachſen das Reich auf - gefordert, dem uͤberfallenen Theile mit einem Reichsexecutionsheere beyzuſtehen. Verſchie - dene Reichsſtaͤnde hielten fuͤr zutraͤglicher, lieber darauf anzutragen, daß das Reich die Vermitte - lung zwiſchen den im Kriege begriffenen Maͤchten uͤbernehmen moͤchte. Dieſer Meynung war vor - zuͤglich Churbraunſchweig. Manche andere moͤ - gen hernach wohl Urſache gehabt haben zu be - dauern, daß ſie dieſem wohlgemeynten Rathe mitihren92XII. Franz der I. 1748-1764.ihren Stimmen nicht beygetreten waren. Durch Mehrheit der Stimmen kam endlich ein Reichs - gutachten fuͤr den Executionskrieg zu Stande. Zu Berlin ſuchte man hernach den Rechtsbeſtand des Reichsgutachtens anzufechten, weil es mit den da - zu gerechneten Stimmen nicht richtig zugegangen ſey. Das veranlaßte noch einen beſonderen Vor - fall, wodurch ein gewiſſer Umſtand unſerer Reichs - tagsverfaſſung erſt in mehrere Richtigkeit kam.

VI.
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Um das Churmainziſche Reichsdirectorium nicht alleine daruͤber gewaͤhren zu laßen, ob eine reichsſtaͤndiſche Schrift der Reichsverſammlung durch die gewoͤhnliche Dictatur mitzutheilen ſey, oder nicht; hatte man zuerſt in die Wahlcapitulation Carls des VII. eingeruͤckt, daß, wenn ſich des - halb wegen unziemlicher harter Ausdruͤcke oder ſonſt einiger Anſtand faͤnde, das Reichsdirecto - rium mit dem churfuͤrſtlichen Collegio vorgaͤngige Communication und Beredung pflegen, und dar - nach verfahren ſolle(x)Wahlcap. Art. 13. §. 7.. Gegen dieſe Stelle hat - ten die Fuͤrſten einen Widerſpruch eingelegt, weil nur die Churfuͤrſten, nicht auch ſie, hieruͤber zu Rathe gezogen werden ſollten. Jetzt ereignete ſich ein ſolcher Fall, da der Preuſſiſche Geſandte von Plotho die Dictatur einer Schrift verlangte, die uͤber viele reichsſtaͤndiſche Stimmen zu obigem Reichsgutachten allerley Critiken enthielt. Als Churmainz mit den uͤbrigen Churfuͤrſten daruͤber Ruͤckſprache hielt, erfolgte ein churfuͤrſtliches Con - cluſum gegen dieſe Dictatur. Der Reichsfuͤrſten - rath ließ das geſchehen. Alſo hob ſich in der That damit jener Widerſpruch, und dieſe Stelle derWahl -933) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.Wahlcapitulation bekam nunmehr ihre voͤllige Richtigkeit; in der That auch um ſo billiger, weil es hier nur um eine Art von Vorberathſchla - gung galt, da es ſonderbar geweſen ſeyn wuͤrde, wenn bloß daruͤber, ob etwas zur legalen Notitz des Reichs zu bringen ſey? erſt das ganze Reich in Berathſchlagung geſetzt werden ſollte. Das churfuͤrſtliche Collegium daruͤber urtheilen zu laßen, hatte weniger Schwierigkeit, und war doch im - mer zutraͤglicher, als die ganze Sache bloß dem Gutfinden des Mainzer Hofes oder Geſandten heimzuſtellen.

Der Herr von Plotho ſuchte ſich hernach aufVII. andere Art zu helfen, wobey wieder allerley An - ſtaͤnde in Anſehung der Reichstagsverfaſſung vor - kamen. Nach derſelben hat ein jeder Geſandter, wenn die Reihe an ihn koͤmmt, ſeine Stimme ab - zulegen, die Wahl, ob er ſie den anweſenden Le - gationsſecretarien in die Feder dictiren, oder aus einem geſchriebenen Aufſatze herleſen und hernach den Aufſatz dem Directorialſecretaͤr hingeben will, damit er ins Protocoll eingetragen werden koͤnne. Als am 11. Febr. 1757. das churfuͤrſtliche Colle - gium beyſammen war, und die Reihe an Chur - brandenburg kam, fieng der Herr von Plotho an zu dictiren, ward aber, weil es zu lange zu waͤh - ren ſchien, vom Churmainziſchen Geſandten un - terbrochen, und erſucht, den Aufſatz vielmehr nur abzuleſen und hinzugeben. Herr von Plotho er - klaͤrte ſich dazu bereit, wenn man ihm die Verſi - cherung geben wollte, den Aufſatz ungeaͤndert ins Protocoll zu bringen. Dieſe Verſicherung wurde ihm verſagt. Alſo fuhr er fort zu dictiren. Dieuͤbri -94XII. Franz der I. 1748-1764.uͤbrigen Geſandten und Legationsſecretarien gien - gen daruͤber weg, und ließen das Protocoll un - vollendet. Die Geſandten und Secretarien von Churbrandenburg und Churbraunſchweig fuhren aber fort. So gab es eine Discrepanz im Pro - tocolle. Dennoch konnte dem vollſtaͤndigen Pro - tocolle der beiden letzteren Geſandtſchaften der Glau - be nicht verſagt werden, weil ein jeder reichsſtaͤn - diſcher Legationsſecretaͤr nicht mindere Glaubwuͤr - digkeit hat, wie der Directorialſecretaͤr. Selbſt waͤhrend des fortgeſetzten Schreibens mußten die abgegangenen Geſandten noch einmal in das chur - fuͤrſtliche Verſammlungszimmer kommen, weil ſie bey ihrem Abtritt ins Nebenzimmer vergeſſen hat - ten, ihre Huͤte mitzunehmen, die gewoͤhnlich auf dem Confecttiſche hingelegt zu werden pflegen(y)Ehedem wurden die Comitialgeſandten von der Stadt Regensburg mit Coufect und ſuͤßem Wei - ne bedient. Auch den Canzliſten wurde bey der Dictatur Wein und weiß Brod vorgeſetzt. Da ſich aber der Reichstag in die Laͤnge zog, beſchwer - te ſich die Stadt Regensburg ſchon im vorigen Jahrhundert, daß ihr dieſe Ausgabe bereits etliche tauſend Rthlr. gekoſtet habe, zumal da nicht leicht etwas uͤbrig gelaßen, ſondern allenfalls eingeſteckt wuͤrde. Die Stadt ward darauf von allen drey Reichscollegien dieſer Ausgabe uͤberhoben. Seit - dem wird der Confecttiſch, der noch in den Raths - ſtuben vorhanden iſt, nur noch dazu gebraucht, Huͤte und Stoͤcke darauf zu legen..

VIII.
27

In der Sache ſelbſt berief ſich das Churmain - ziſche Directorium darauf, daß kein Canzliſt ſchul - dig ſey mehr als drey Bogen zu ſchreiben. Wenn eine Schrift mehr betraͤgt, wird ſie gedruckt aus - getheilt. Vielweniger ſchien man den Secreta -rien953) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.rien zumuthen zu koͤnnen, mehr als drey Bogen von einem Geſandten ſich dictiren zu laßen. Auf der andern Seite konnte es aber mit der Freyheit der reichsſtaͤndiſchen Stimmfuͤhrung auch nicht wohl beſtehen, wenn man einem Geſandten zu - muthen wollte, ſeine abzuleſende Stimme erſt ei - ner Critik der uͤbrigen Geſandten zu unterwerfen. Ein Geſandter, der fuͤr ſeine Perſon etwas unge - buͤhrliches zum Protocolle gibt, kann daruͤber bey ſeinem Hofe verklagt und zur Verantwortung gezo - gen werden. Ruͤhrt es vom Hofe ſelbſt her, oder hat ſich deſſen Genehmigung zu erfreuen, ſo kann freylich das ganze Collegium nach Befinden ver - fuͤgen, daß etwas wieder ausgeſtrichen oder auf andere Art aus dem Protocolle wieder zuruͤckge - nommen wird. Aber eine vorgaͤngige Beurthei - lung ſchien allemal der Verfaſſung nicht gemaͤß zu ſeyn.

Noch ehe das zu Regensburg beſchloſſeneIX. Reichskriegsheer in Bewegung kam, geſchah am 14. Maͤrz 1757. vom Franzoͤſiſchen Miniſter zu Regensburg die Erklaͤrung, daß die Krone Frank - reich nebſt der Krone Schweden von verſchiedenen der anſehnlichſten Staͤnde des Reichs erſucht ſey, ihre uͤbernommene Garantie des Weſtphaͤliſchen Friedens zur Ausuͤbung zu bringen, und daß bei - de Kronen den gemeinſchaftlichen Entſchluß gefaſ - ſet haͤtten, dieſen Verbindungen durch die geſchwin - deſten und werkthaͤtigſten Mittel ein Gnuͤge zu thun. Eine gleichmaͤßige Erklaͤrung geſchah zu gleicher Zeit von dem Schwediſchen Geſandten. Und den 20. Maͤrz 1757. erfolgte noch eine naͤ - here Erklaͤrung des Franzoͤſiſchen Miniſters we -gen96XII. Franz der I. 1748-1764.gen des wuͤrklichen Einmarſches der Franzoͤſiſchen Kriegsvoͤlker.

X.
27

Bey dieſer Erklaͤrung wurde von Seiten des Berliner Hofes erinnert, daß nicht darin ge - meldet ſey, wer eigentlich um die Garantie des Weſtphaͤliſchen Friedens nachgeſucht habe, und was fuͤr eine Stelle des Friedens hiebey zur Ga - rantie gezogen werden ſolle. Dann wurde da - gegen eine Stelle der kaiſerlichen Wahlcapitula - tion(z)Wahlcap. Art. 4. §. 7. angefuͤhrt, worin verordnet war: der Kaiſer ſollte ohne Conſens der Staͤnde kein frem - des Kriegsvolk ins Reich fuͤhren oder fuͤhren laßen; ſondern, da von einem oder mehr Staͤnden des Reichs ein fremdes Kriegsvolk in oder durch das Reich, wem ſie auch gehoͤren, unter was Schein und Vorwand immer es ſeyn moͤchte, gegen den Muͤnſter - und Osnabruͤckiſchen Friedensſchluß, ge - fuͤhret wuͤrde, daſſelbe mit Ernſt abſchaffen, Ge - walt mit Gewalt hintertreiben, und dem Belei - digten ſeine Huͤlf - Handbieth - und Rettungsmit - tel kraͤftiglich wiederfahren laßen. Hiergegen wur - de von der andern Seite erwiedert, dieſe Stelle verbiete nur, kein fremdes Kriegsvolk gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden auf Teutſchen Boden zu fuͤhren, nicht aber, wenn es um Garantie des Friedens zu thun ſey. Andere glaubten, der wah - re Sinn dieſer Stelle ſey, daß es uͤberall gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden ſtreite, wenn fremdes Kriegsvolk ohne vorgaͤngige Einwilligung der Staͤnde auf Teutſchen Boden gefuͤhret wuͤrde.

XI.
28

Nachdem endlich der Koͤnig in Preuſſen bey Collin am 18. Jun. 1757. das erſtemal eineSchlacht973) Urſach. d. ſiebenjaͤhr. Kr. 1756. 1757.Schlacht verlohren hatte, und inzwiſchen nicht nur Franzoͤſiſche, ſondern auch Ruſſiſche und Schwe - diſche Kriegsheere vorgeruͤckt waren; trat zuletzt im Aug. 1757. auch das bey Nuͤrnberg zuſam - mengezogene Reichsexecutionsheer unter Anfuͤhrung des Prinzen Joſephs von Sachſen-Hildburghau - ſen den Marſch an, um Sachſen von den Preuſ - ſiſchen Kriegsvoͤlkern zu befreyen. Das Schick - ſal des Feldzuges von dieſer Seite entſchied ſich durch einen der vollkommenſten Siege, den Frie - drich am 5. Nov. 1757. bey Roßbach in Thuͤrin - gen erfocht.

P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. GIV. 98XII. Franz der I. 1748-1764.

IV. Reichsexecutionskrieg 1757., und was dabey in Anſehung der Reichskriegsverfaſſung vor - gekommen.

I. Maͤngel der Reichskriegsverfaſſung, wie ſie inſon - derheit bey der Schlacht bey Roßbach entdeckt worden; beſonders wegen der jedem Reichsſtande uͤberlaßenen Unter - haltung ſeines Contingents; II. wegen der deswegen erforderlichen vielen Beckereyen, III. wegen Verſchie - denheit der Loͤhnung; IV. wegen Mangels vieler Kriegs - beduͤrfniſſe und ungleicher Caliber ꝛc. V. Reichsopera - tionscaſſe von bewilligten Roͤmermonathen, VI. und deren Berechnung. VII. VIII. Aſſignationen und Com - penſationen, ſo dabey vorzukommen pflegen. IX. Be - ſteurung der Unterthanen zu den Roͤmermonathen; de - ren Vervielfaͤltigung fuͤr nicht bewaffnete Staͤnde. X. Reichsgeneralitaͤt, XI. die jetzt auch in Friedenszeit unterhalten wird, XII. aber nur bey wuͤrklichen Feld - zuͤgen Vortheile zu genießen hat. XIII. Ueber die Be - fehlshabung des Reichskriegsheeres wird jedesmal beſondere Verfuͤgung getroffen. XIV. Ein Reichskriegsrath, der vermoͤge der Wahlcapitulation von beiden Religionstheilen beſtellt werden ſollte, iſt wuͤrklich nicht in Uebung.

I.
28

Unſere ganze bisherige Reichskriegsverfaſſung kann durch nichts in ſo helles Licht geſetzt werden, als durch die Beobachtungen, wozu die Niederlage der Reichsarmee bey Roßbach Anlaß gab(a)Bald nach der Schlacht bey Roßbach wur - den zwey Aufſaͤtze bekannt, unter der Aufſchrift: Verbeſſerung der bey der Reichsarmee wahrge - nommenen Gebrechen und Maͤngel, und: Nota ein und anderer Gebrechen, ſo ſich bey der Reichs -armee. Der Hauptumſtand iſt, daß ein jederReichs -994) Reichsexecutionskrieg 1757.Reichsſtand ſein Contingent auch im Felde mit allen Beduͤrfniſſen verſehen muß. Manches Re - giment beſteht aus vielerley Contingenten mehrerer Staͤnde; deren jeder hat alſo bey der Armee ſei - nen eignen Verſorger (Entrepreneur oder Impreſ - ſarien), ſein eignes Fuhrwerk, ſeine eigne Becke - rey, ſein eignes Hoſpital u. ſ. w. Es kann alſo bey der Armee niemals ein rechtes Magazin formi - ret werden, weil die unterſchiedenen Impreſſarien ihr Gut nicht zuſammenlegen koͤnnen, und daher ein jeder ein anderes Haus vonnoͤthen hat. Auch ereignet es ſich, daß ſie weder mit Beckern verſe - hen ſind, noch Backoͤfen erbauen, mithin auf allen Doͤrfern herumkriechen, um von den Bauern in ihren Oefen backen zu laßen. Folglich bekoͤmmt der Soldat ein ſchlechtes unausgebackenes unge - ſundes Brod.

Ein einziges Regiment, das aus den Con -II. tingenten von 10. 12. und mehr Staͤnden formirt iſt, muß immerzu auf 10. 12. Orte ſchicken, um ſein Brod fuͤr jedes Contingent herbeyzuſchleppen. Hierzu kann das Fuhrwerk bey der Armee nicht erklecken; mithin muß Landvorſpann genommen werden. Daraus entſtehen dann nicht allein Ex - ceſſe, ſondern auch die unausbleiblichen Folgen, daß immerfort der eine Soldat unter der nehmli - chen Compagnie gutes, der andere ſchlechtes Brodhat,(a)armee finden, und die mit dem Dienſte incompa - tible ſind. Beide ſind gedruckt in der Teutſchen Kriegscanzley auf das Jahr 1758. B. I. S. 121 - 125. Was ich hier von der heutigen Reichskriegs - verfaſſung melde, iſt meiſt woͤrtlich aus dieſen Aufſaͤtzen genommen.G 2100XII. Franz der I. 1748-1764.hat, ja der eine gar Hunger leiden, und zu glei - cher Zeit, da ſein Camerad ſich ſatt eſſen kann, zuſehen muß, welches eine unglaubliche Jalouſie unter den Gemeinen verurſachet. Die Armee iſt deswegen auch niemals auf eine gleiche Zeit mit Brod verſehen, weil ein Contingent heute, das andere morgen, das dritte uͤbermorgen das ſeinige empfaͤngt. Der commandirende General kann al - ſo niemals darauf rechnen, daß ſeine Armee auf ſo und ſo viel Tage Brod habe. Er kann aber auch nie eine Bewegung, die er vor hat, geheim halten, ſondern muß ſie immer einer Menge Leute anvertrauen, weil einer, der vielleicht nur 10. oder 12. Mann von einem Stande zu verſorgen hat, eben ſo gut, als ein anderer, der 1000. zu verpflegen hat, wiſſen muß, wo er ſeine Veran - ſtaltung zu machen hat. Und doch geſchieht es nicht ſelten, daß der Mannſchaft alle Augenblicke das Brod mangelt, indem die Impreſſarien da - von laufen, ſich verkriechen, und das zehntemal nicht zu finden ſind, da dann, wenn nicht das Hauptproviantdirectorium den Contingenten allen - falls aushaͤlfe, die meiſten ſelbſt wegen Mangel des Brods zu Grunde gehen muͤßten. Wenn vol - lends einzelne Commando’s oder Detachements ab - zuſchicken ſind, da ſichs oft fuͤgen kann, daß von einem Reichsſtande nur ein Mann dazu koͤmmt; da waͤre oft noͤthig, daß mit 50. Mann auch 50. Impreſſarien mitgiengen, um nur jeden Mann mit Brod zu verſorgen. Gemeiniglich fehlt es auch an Brodtorniſtern, worin die Mannſchaft bey eiligen Maͤrſchen das Brod auf einige Tage mit ſich nehmen koͤnnte.

Fer -1014) Reichsexecutionskrieg 1757.

Ferner wird dem gemeinen Mann ſeine Loͤh -III. nung weder zu einerley Zeit noch auf gleichen Fuß gereicht; woraus die unvermeidliche Unordnung erwaͤchſt, daß derjenige, welcher weniger, als ſein Camerad bekoͤmmt, uͤbel zufrieden iſt, und an - dere, welche gar das Geld auf ganze Wochen oder Monathe auf einmal empfangen, ſolches in wenig Tagen verſaufen, und ſich hernach auf Stehlen und Marodiren legen. Auch hat meiſt ein jeder Kreis, wo nicht gar ein jeder Reichsſtand ſein eignes Hoſpital, ſo daß die Kranken und Verwun - deten meiſt in ganz entlegenen Doͤrfern zerſtreuet ſind, und daruͤber oft ganz verlohren gehen, oder auch zu Ausſchweifungen und Erpreſſungen ver - anlaßt werden.

Noch hat man bemerkt, daß es zu beſſererIV. Einrichtung der Reichsarmee nothwendig ſey, den Regiments-Commandanten die noͤthige Auctoritaͤt beyzulegen, damit ſie untuͤchtige oder ſonſt im Dienſte nachlaͤßige Adjudanten, Fouriers und Officiers abſchaffen, auch inſonderheit die Oberof - ficiers ohne weitere Ruͤckfrage mit aller Strenge zu ihrer Kriegsſchuldigkeit anhalten koͤnnten; ingleichen, daß es die Nothdurft erfordere, fuͤr jedes Regiment eine Anzahl kleiner Mondirung, als Schuhe, Sohlen, Struͤmpfe ꝛc. allemal in der Naͤhe bey der Armee zur Hand zu haben; daß bey jedem Bataillon das faſt taͤglich noͤthige Schanzzeug angeſchafft werden muͤßte, damit nicht noͤthig ſey, es mit Gewalt und Exceſſen aus den Doͤrfern zu nehmen, und die Truppen im Mar - ſche aufzuhalten, oder wegen Abganges der noͤthi - gen Verſchanzung der groͤßten Gefahr auszuſez -G 3zen;102XII. Franz der I. 1748-1764.zen; daß bey jedem Bataillon zu Fortfuͤhrung deſſen eigner Kriegsbeduͤrfniſſe ein wohlbeſpannter Wagen noͤthig ſey; daß zu Nachfuͤhrung der Zelte noch beſondere Wagen oder Tragpferde ge - halten werden muͤßten, damit in Ermangelung der Zelte der Soldat nicht unter freyem Himmel zu liegen genoͤthiget, und ſo zu Grunde gerichtet werde; daß bey jedem Bataillon zwey Feld - ſtuͤcke von durchgaͤngig gleichem Calibre mit dazu gehoͤrigen Leuten und Artilleriepferden angeſtellt werden muͤßten; hauptſaͤchlich aber endlich, daß auf die Conformitaͤt der Flinten und deren Calibre zu ſehen ſey, maßen darin (bey Roß - bach) ſolche Nachlaͤßigkeit verſpuͤhret worden, daß von 100. Flinten kaum 20. Feuer gegeben haben. (So lange dieſen und wer weiß wie viel anderen hier nicht bemerkten Maͤngeln und Gebrechen nicht abgeholfen iſt, wird jeder Teut - ſcher Biedermann ſchon aus dieſen Umſtaͤnden die Wichtigkeit des Wunſches erkennen, daß das heilige Roͤmiſche Reich fuͤr Krieg in Gnaden be - wahrt bleiben moͤge!)

V.
30

Zur Fuͤhrung eines Reichskrieges gehoͤret aber auch noch eine Reichsoperationscaſſe. Denn wenn gleich ein jeder Reichsſtand ſein Contingent unterhalten, und ein jeder Kreis fuͤr die Koſten ſorgen muß, welche die Generalitaͤt eines jeden Kreiſes erfordert; ſo bleiben doch noch Ausgaben fuͤr die Armee im Ganzen uͤbrig, die von wegen des geſammten Reichs beſtritten werden muͤßen, als fuͤr die Reichsgeneralitaͤt, den Generalſtab, Couriers, Eſtaffetten, Spionen u. ſ. w. Hierzu wird nun jedesmal eine gewiſſe Anzahl Roͤmer -mona -1034) Reichsexecutionskrieg 1757.monathe bewilliget. In vorigen Zeiten trug es oft zu einem Feldzuge 90. Roͤmermonathe; mehr betrug es in dieſem letzten ganzen Kriege nicht fuͤr alle ſechs bis ſieben Feldzuͤge.

Zu Erhebung dieſer Gelder pflegte man ſonſtVI. in den verſchiedenen Kreiſen mehrere Legſtaͤdte zu ernennen, und gewiſſe Reichspfennigmeiſter an - zuſtellen. Das letztemal hat man auf eine ganz einfache Art der Stadtkaͤmmerey zu Regensburg uͤberlaßen, das Geld von jedem Reichsſtande in Empfang zu nehmen, und auf gehoͤrige Anwei - ſung wieder auszuzahlen. Die Berechnung ge - ſchah hernach durch einen von Zeit zu Zeit bekannt gemachten Extract Stadt Regensburgiſchen Caſ - ſebuches, worin ſich jede Einnahme nach Ordnung der Zeit genau verzeichnet fand(b)Teutſche Kriegscanzley 1757. Th. 3. S. 15.. Die Ausga - be ward nur in ganzen Summen angefuͤhrt, wie ſie meiſt unmittelbar an die Reichsgeneralitaͤt oder auf deren Anweiſung geſchehen war. Eine wei - tere Berechnung einzelner Poſten, wozu das Geld verwandt worden, welche nach der Wahlcapitula - tion (Art. 5. §. 4.) erforderlich ſcheinen koͤnnte, iſt nicht erfolget. Einmal ereignete ſich doch ein Un - fall, daß die Reichsoperationscaſſe durch einen Einbruch ins Rathhaus zu Regensburg beſtohlen wurde.

In vorigen Zeiten moͤgen wohl von Befehls -VII. habern oder Kriegscommiſſariaten der Reichsar - mee auf ganze Kreiſe oder einzelne Reichsſtaͤnde wider ihren Willen Aſſignationen ausgeſtellt wor -denG 4104XII. Franz der I. 1748-1764.den ſeyn. Das iſt aber durch eine beſondere Ver - fuͤgung der kaiſerlichen Wahlcapitulation abgeſtellt worden(c)Wahlcap. (1742.) Art. 5. §. 8.. Vermoͤge eben der Stelle ſollen auch ohne Bewilligung des Reichs keine Com - penſationen geſtattet werden; inſonderheit nicht mit kaiſerlichen Privatgeldern und Schulden, wie ſonſt manchmal Ruͤckſtaͤnde ehemals verſprochener Oeſterreichiſchen Subſidiengelder in Gegenrech - nung gebracht wurden. Zu Zeiten gibt es Ge - genforderungen an das Reich ſelber, die aber auch ohne des Reichs Bewilligung keine Compenſation begruͤnden ſollen.

VIII.
32

(Eines der neueſten Beyſpiele dieſer Art hat noch im Jahre 1783. ein koͤniglich Daͤniſches Me - morial an den Reichstag gebracht. Zur Zeit des Spaniſchen Succeſſionskrieges hatte der Reichs - tag, weil die Gelder zur Reichsoperationscaſſe ſaͤumig eingiengen, am 21. Jun. 1713. die Er - klaͤrung von ſich gegeben: Der Prinz Eugen von Savoyen (damaliger Befehlshaber der Armee) koͤnne mit dem Frankfurter Wechſler Roſt, als Caſſirer, unter Garantie des Reichs auf Vorſchuß ſchließen, der aus den einkommenden Geldern wie - der bezahlt werden ſollte. Beſage einer Berech - nung der kaiſerlichen Hofkriegsbuchhalterey zu Wien vom 24. Maͤrz 1733. hatte der Wechsler Roſt damals noch 80361. Gulden 9. Kreuzer zu fordern. Dieſe Forderung iſt an drey Erben ge - kommen, wovon Ein Drittheil dem Koͤnige in Daͤnemark cedirt worden iſt. Der Daͤniſche Hof dringt alſo jetzt auf Zahlung, oder will ſich kuͤnf - tige Compenſation von wegen Holſtein vorbehalten.)

Das1054) Reichsexecutionskrieg 1757.

Das Geld, ſo uͤbrigens nach einer gewiſſenIX. Anzahl Roͤmermonathe ſowohl vom Reiche als von einem jeden Kreiſe zur Zeit eines Reichskrieges be - williget wird, bezahlt ein Reichsſtand nicht aus ſeinen Cammereinkuͤnften, ſondern erhebt es durch Steuern von ſeinen Unterthanen, von denen auch die Koſten zu Unterhaltung des Contingents bey - getrieben werden. Fuͤr ſolche Reichsſtaͤnde, die nicht ſelbſt Soldaten haben, pflegt auch wohl der Kreis die Stellung und Unterhaltung ihres Con - tingents zu uͤbernehmen, und dagegen denſelben ſoviel Roͤmermonathe mehr anzurechnen. So betrug es z. B. dem Biſthume Baſel im Jahre 1758. von Reichs wegen vermoͤge Reichsgutach - tens vom 28. Aug. 20. Roͤmermonathe, ſodann zum Oberrheiniſchen Kreiſe fuͤr die Kreiskriegscaſſe 34., und fuͤr das Contingent, ſo es haͤtte ſtellen muͤßen, noch 77., zuſammen 131. Roͤmermona - the. Fuͤr die Verpflegung des Paderborni - ſchen Contingents, welche der Churfuͤrſt Clemens Auguſt von Coͤlln als Biſchof von Paderborn ei - nem Juden Simon Baruch uͤberlaßen hatte, hat dieſer noch erſt vor kurzem eine große Summe von der Paderborniſchen Landſchaft beym Reichshof - rathe eingeklagt. Verſchiedenen Staͤnden, die im ſiebenjaͤhrigen Kriege ihr Contingent bey der Reichsarmee nicht ſtellen koͤnnen, ſind noch nach geendigtem Kriege von Wien aus betraͤchtliche Rechnungen gemacht worden. (Soviel Gruͤnde mehr, obigen biedermaͤnniſchen Wunſch zu wieder - holen!)

Was endlich die zur Anfuͤhrung eines Reichs -X. kriegsheeres erforderliche Generalitaͤt anbetrifft, ſoG 5hat106XII. Franz der I. 1748-1764.hat zwar ein jeder Kreis die Generale zu ernen - nen, welchen die Befehlshabung uͤber die vom ganzen Kreiſe zuſammengeſtoßenen Kriegsvoͤlker anvertrauet wird. Da aber keiner derſelben die Befehlshabung uͤber das Kriegsvolk eines an - dern Kreiſes begehren kann, ſo bleibt noch fuͤr das geſammte Reich uͤbrig, eine eigne Reichsge - neralitaͤt anzuordnen, welcher uͤber das ganze Reichskriegsheer die Oberbefehlshabung anver - trauet werden kann. Dieſe beſteht eigentlich aus vier Stellen, die in folgender Ordnung auf einan - der folgen: Generalfeldmarſchall, Generalfeld - zeugmeiſter, General der Cavallerie, Generalfeld - marſchall-Lieutenant. Eine jede dieſer Stellen wird nach der Religionsgleichheit, alſo immer in gerader Zahl, gemeiniglich zweyfach, zu Zeiten auch wohl ein oder andere Stelle vierfach beſetzt.

XI.
32

Ehedem geſchah die Beſetzung dieſer Stellen nicht anders, als zur Zeit eines Reichskrieges. Als aber im Jahre 1727. eine Stelle erlediget wurde, die der damalige Fuͤrſt von Oettingen auf ſein Anſuchen erhielt, welches das erſte Beyſpiel in Friedenszeiten war; ſo iſt es ſeitdem zum neue - ren Herkommen geworden, daß auch waͤhrenden Friedens ſaͤmmtliche Stellen der Reichsgeneralitaͤt beſetzt zu werden pflegen. So oft jetzt eine der - ſelben erlediget wird, fehlt es gemeiniglich nicht an mehreren Standesperſonen, die ſich darum be - werben. Das foͤrmliche Geſuch wird jedesmal am Reichstage angebracht, wo ein Reichsgutach - ten und deſſen kaiſerliche Genehmigung die Sache entſcheidet.

Wer1074) Reichsexecutionskrieg 1757.

Wer von der Reichsgeneralitaͤt in KriegszeitenXII. dem Feldzuge beywohnt, hat aus der Reichsope - rationscaſſe den jedem Range zukommenden Sold, nebſt den gewoͤhnlichen Rationen und Portionen fuͤr Pferde und Mannſchaft zu erwarten. Außer - dem aber ſind keine Vortheile damit verbunden. Nur im Range hat der Reichsgeneralfeldmarſchall vor allen anderen, die eben den Character von an - deren Maͤchten fuͤhren, den Vorzug. (In vori - gen Zeiten wurde deswegen gemeiniglich dafuͤr ge - ſorgt, daß derjenige, dem das Haus Oeſterreich ſeine Armeen anvertraute, auch die Stelle eines Reichsgeneralfeldmarſchalls zu bekleiden bekam, z. B. Prinz Eugen von Savoyen, Prinz Carl von Lothringen ꝛc.) Die uͤbrigen gehen im Range nach dem Dienſtalter mit denen von anderen Maͤch - ten gleich. Im Jahre 1758. war es ſtark im Werke, daß der Reichsgeneralitaͤt ihre Winter - quartiere in Reichsſtaͤdten angewieſen werden ſoll - ten. Das geſammte reichsſtaͤdtiſche Collegium hat aber noch Mittel und Wege gefunden, das nicht zum Herkommen werden zu laßen(d)Teutſche Kriegscanzley 1758. Th. 3. S. 565. u. f..

Fuͤr jeden Reichskrieg kann doch noch imXIII. Reichsgutachten beſtimmt werden, wer das Com - mando fuͤhren ſolle; wenn es nicht etwa der Vor - ſorge des Kaiſers uͤberlaßen wird, wie es diesmal 1757. geſchah. Hieruͤber entſtand jedoch eine neue Frage, als der Kaiſer fuͤr den Feldzug 1758. das Commando dem Prinzen Friedrich von Zweybruͤk - ken auftrug, ob einem Prinzen, der noch nicht zur Reichsgeneralitaͤt gehoͤrte, ein ſolcher Auftrag ge -ſche -108XII. Franz der I. 1748-1764.ſchehen koͤnne. Erſt nachher wurde gedachter Prinz unter die Reichsgeneralitaͤt aufgenommen.

XIV.
33

Eigentlich ſoll zur Zeit eines Reichskrieges auch noch ein beſonderer Reichskriegsrath von beider - ley Religionsverwandten angeordnet werden(e)Wahlcap. (1742.) Art. 4. §. 3., ſo jedoch nicht in Uebung iſt. Die Angelegenhei - ten des Krieges werden alſo gemeiniglich von eben den Stellen dirigirt, welche von wegen der kaiſer - lichen Erblande dazu beſtimmt ſind. Sobald ſich das Reichskriegsheer verſammlet hat, wird es fuͤr Kaiſer und Reich noch eigends in Pflicht genom - men, auch mit beſonderen Kriegsartikeln verſehen. Bey irgend außerordentlichen Vorfaͤllen pflegt es nicht an allerley Streitigkeiten zu fehlen.

V. 1095) Reichsverhandlungen 1758-1763.

V. Verhandlungen uͤber das Vorhaben den Koͤnig in Preuſſen in die Acht zu erklaͤren, und uͤber einen Friedenscongreß zu Augsburg. Endlich geſchloſſener Friede zu Hubertsburg. 1758 - 1763.

I. Als es im Werk war unmittelbar in den drey Reichs - collegien auf die Achtserklaͤrung des Koͤnigs in Preuſſen an - zutragen; beſchloß das evangeliſche Corpus zur Aufrechthal - tung der Wahlcapitulation in partes zu gehen. II. Die - ſen Schluß unternahm der Kaiſer vergeblich fuͤr nichtig zu erklaͤren. III. Zum Friedenscongreſſe, der zu Augsburg gehalten werden ſollte, wollte das Reich ſich aufdringen, IV. und auf Beſtaͤtigung der vorigen Friedensſchluͤſſe, ohne den Ryßwickiſchen davon auszunehmen, dringen. Dar - uͤber kam es wieder zur Trennung beider Religionstheile; und aus dem Congreſſe wurde nichts. V. Dem Kriege wurde inzwiſchen durch anderweitige Friedensſchluͤſſe, inſon - derheit zu Paris und zu Hubertsburg, ein Ende gemacht.

Gegen das Ende des Jahres 1758. war es imI. Werke, daß die Frage: ob der Koͤnig in Preuſſen als Churfuͤrſt von Brandenburg we - gen Landfriedensbruchs nicht in die Acht zu erklaͤ - ren ſey? unmittelbar bey der geſammten Reichs - verſammlung in den drey Reichscollegien zur Be - rathſchlagung geſtellt werden ſollte; an ſtatt, daß nach der im Jahre 1711. vergleichenen Stelle der Wahlcapitulation erforderlich geweſen waͤre, daruͤ - ber erſt eine aus den drey Reichscollegien nieder - zuſetzende Reichsdeputation von gleichem Reli - gionsverhaͤltniſſe urtheilen zu laßen. Um dieſe Verordnung aufrecht zu erhalten faßte das evange -liſche110XII. Franz der I. 1748-1764.liſche Corpus am 29. Nov. 1758. den Schluß, daß es auf den Fall, wenn jener Vortrag geſche - hen, und etwa die Mehrheit der Stimmen nach der dabey vor Augen habenden Abſicht fuͤr ſich ha - ben ſollte, in partes gehen wuͤrde.

II.
34

Hieruͤber kam es von neuem zur Sprache, ob man auch außer eigentlichen Religionsſachen in partes gehen koͤnne? und ob hierzu nothwendig eine voͤllige Einmuͤthigkeit aller evangeliſchen Staͤn - de erforderlich ſey? oder ob nicht auch dazu viel - mehr ein Geſammtſchluß, den das Corpus ſeiner Verfaſſung gemaͤß durch die Mehrheit der Stim - men gefaſſet habe, hinreiche? (f)Oben Th. 2. S. 394. 398.Der Kaiſer Franz unternahm ſogar den Schluß des evangeli - ſchen Religionstheils fuͤr null und nichtig zu erklaͤ - ren. Das ließ ſich aber mit der Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Friedens, daß in Faͤllen der Tren - nung beider Religionstheile nur allein guͤtliche Vergleichung ſtatt finden ſollte (ſola amicabilis compoſitio litem dirimat,) nicht vereinigen. Dem evangeliſchen Religionstheile konnte es alſo nicht an Gruͤnden fehlen, ſeine Gerechtſame ſtand - haft zu behaupten. Es behielt auch dabey ſein Bewenden. Die Achtserklaͤrung erfolgte nicht. Sie ward nicht einmal zum Vortrage gebracht, wie ſonſt unfehlbar geſchehen ſeyn wuͤrde. Das war uͤbrigens ſeit der Zwingenbergiſchen Sache, alſo ſeit 31. Jahren, der erſte namhafte Fall, da das evangeliſche Corpus ſich genoͤthiget ſah, zu dieſem Rettungsmittel ſeine Zuflucht zu nehmen. Jetzt ereignete ſich aber bald darauf noch ein Fall, der eben dieſe Nothwendigkeit veranlaßte.

Als1115) Reichsverhandlungen 1758-1763.

Als ganz Teutſchland ſchon lange gnug unterIII dem verderblichen Kriege geſeufzet hatte, und ſelbſt die uͤbrigen im Kriege begriffenen Maͤchte die Hand zum Frieden zu bieten ſchienen; ward zur allgemeinen Freude ſo vieler Voͤlker im Jahre 1761. zwiſchen den Kriegfuͤhrenden Maͤchten Oe - ſterreich, Rußland, Frankreich, Schweden auf einer, und Großbritannien, Preuſſen[und] deren Bundesgenoſſen auf der andern Seite ein Con - greß verabredet, der zu Augsburg gehalten werden ſollte. Man war aber uͤbereingekommen, das Teutſche Reich an dieſem Congreſſe keinen An - theil nehmen zu laßen, weil man zu Berlin der Le - galitaͤt des Reichsſchluſſes 1757. noch immer wi - derſprach, und weil unzehlige Schwierigkeiten ſo - wohl in Anſehung der Art und Weiſe, wie das Reich zum Frieden mitwirken ſollte, als in Anſe - hung der Puncte, die von Reichsſachen hiebey zur Sprache kommen koͤnnten, ſich vorausſehen ließen.

Nichts deſto weniger erließ der Kaiſer FranzIV. den Antrag an das Reich, ob man nicht dienlich faͤnde, auch von Reichs wegen den bevorſtehenden Congreß zu beſchicken, oder dem Kaiſer in ſolcher Abſicht die erforderliche Vollmacht zu geben. Alle Vorſtellungen vorberuͤhrter wichtigen Anſtaͤnde und der voͤllig ermangelnden Einladung des Reichs von wegen der uͤbrigen Maͤchte waren nicht vermoͤ - gend, den wuͤrklichen Vortrag dieſes kaiſerlichen Antrages zuruͤckzuhalten. Die vorſitzenden catho - liſchen Staͤnde in beiden hoͤheren Collegien legten vielmehr ihre Stimmen nicht nur beyfaͤllig ab, ſon - dern erklaͤrten ſich auch ſchon uͤber die Puncte, aufderen112XII. Franz der I. 1748-1764.deren Betreibung beym Friedensſchluſſe man dem Kaiſer Vollmacht geben moͤchte. Darunter war gleich anfangs dieſer, daß die vorigen Friedens - ſchluͤſſe zum Grunde gelegt werden moͤchten; ohne daß man auf Erinnerung der evangeliſchen Stim - men die Ausnahme des Ryßwickiſchen Friedens dabey ſtatt finden laßen wollte(g)Oben Th. 2. S. 380.. Das gab von neuem zu einer Trennung beider Religionsthei - le Anlaß. Von catholiſcher Seite wurde zwar die Sache dennoch bis zum Reichsgutachten getrie - ben. Allein evangeliſcher Seits nahm man keinen Antheil daran. Und der Erfolg war, daß aus dem ganzen Congreſſe zu Augsburg, ungeachtet ſchon mehrere Geſandten Haͤuſer da gemiethet hat - ten, nichts wurde, und der leidige Krieg noch bis ins Jahr 1763. mit haͤufigem Blutvergießen und argen Laͤnderverwuͤſtungen ſeinen Fortgang behielt, ohne einen Schritt weiter vorwaͤrts zu kommen, als man die ganze Zeit uͤber geweſen war.

V.
36

Mit dem Frieden ſelbſten nahm es hernach eine ganz andere Wendung. Nach dem Tode der Kaiſerinn Eliſabeth von Rußland ( 1762. Jan. 5.) bekam der Koͤnig in Preuſſen erſt mit Rußland und Schweden Frieden (1762. May 5. und 22.). Zwiſchen den uͤbrigen kriegfuͤhrenden Maͤchten, die inzwiſchen noch mit Spanien und Portugall ver - mehrt waren, wurden zu Paris und London Frie - denshandlungen gepflogen, worauf es zwiſchen Frankreich und Spanien an einem, und Großbri - tannien und Portugall am andern Theile am 2. und 3. Nov. 1762. ſchon zu Friedenspraͤliminarien kam, die zu Fontainebleau gezeichnet wurden, undam1135) Reichsverhandlungen 1758-1763.am 10. Febr. 1763. zum Definitiv-Friedenstra - ctate zu Paris. Waͤhrend dieſer Zeit ward auch zwiſchen Preuſſen und Oeſterreich am 24. Nov. 1762. ein Waffenſtillſtand bis auf den kuͤnftigen Maͤrz geſchloſſen. Vor deſſen Ablauf kam es ſo - wohl zwiſchen Preuſſen und Oeſterreich als zwiſchen Preuſſen und Sachſen zum Frieden zu Huberts - burg (1763. Febr. 15.), vermoͤge deſſen in der Hauptſache wieder alles beym Dresdner Frieden blieb. Wegen der Reichsarmee hatte der Koͤnig in Preuſſen ſich erklaͤret, daß er einem jeden Reichs - ſtande, der ſein Contingent von derſelben zuruͤck - rufen wuͤrde, die Neutralitaͤt zugeſtehen wollte. Dieſes Erbieten wurde von einem Reichsſtande nach dem andern angenommen und befolget, wor - uͤber endlich am 11. Febr. 1763. ſelbſt ein Reichs - gutachten erfolgte. So gieng diesmal das Reichs - kriegsheer ohne einen foͤrmlichen Reichsfriedens - ſchluß aus einander. Nur im Hubertsburger Frie - den wurden alle und jede Reichsſtaͤnde, die auf der einen oder andern Seite als Bundesgenoſſen geſtanden hatten, mit eingeſchloſſen.

P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. HDrey -114XIII. Joſeph II. 1764-1786.

Dreyzehntes Buch. Der neueren Zeiten zehnter Abſchnitt von Joſeph dem II. 1764 1786.

I. Roͤmiſche Koͤnigswahl Joſephs des II. 1764.

I. Churfuͤrſtlicher Collegialtag und Wahlconvent zu Frankfurt. II. Wahlcapitulation und churfuͤrſtliche Col - legialſchreiben an den Kaiſer. III. Zwey kaiſerliche Com - miſſarien bey dieſer churfuͤrſtlichen Verſammlung. IV. Irrung uͤber die Zahl der Canonenſchuͤſſe bey der Ankunft der kaiſerlichen Commiſſarien und der Churfuͤrſten. V. Abaͤnderung in Anſehung der ehemaligen perſoͤnlichen Anwe - ſenheit des neu gewehlten Roͤmiſchen Koͤnigs im Concla - ve, VI. und in Anſehung der ſonſt demſelben perſoͤn - lich ertheilten vaͤterlichen Einwilligung. VII. Vollzie - hung dieſer Roͤmiſchen Koͤnigswahl ohne vorgaͤngige Einwil - ligung des Reichstages. VIII. Diesmal waren das er - ſtemal alle neun churfuͤrſtliche Stimmen bey der Wahl im Gange. IX. Neue Beſchwoͤrung der Churverein. Beſondere Bemerkung uͤber die Abwechſelung im Range zwiſchen Churtrier und Churcoͤlln. X. Genehmigter Ver - gleich der Hoͤfe zu Muͤnchen und Manheim uͤber die Ab - wechſelung des Rheiniſchen Reichsvicariates. Noch ein Vergleich der Vicariatshoͤfe uͤber die Graͤnzen des Rheini - ſchen und Saͤchſiſchen Vicariates ward zur reichstaͤgigen Be - rathſchlagung und Genehmigung empfohlen.

I.
36

Eine der erſten Folgen des Hubertsburger Frie - dens, die auf die Teutſche Reichsverfaſſungden1151) Roͤmiſche Koͤnigswahl 1764.den groͤßten Einfluß hatte, war die Roͤmiſche Koͤnigswahl Joſephs des II. Im Jahre 1750. war ſie vergeblich betrieben worden. Jetzt war die Churbrandenburgiſche Stimme dazu in einem beſonderen Nebenartikel des Friedens bedungen. Im Jenner 1764. verſammlete ſich zu Frankfurt erſt ein churfuͤrſtlicher Collegialtag, um uͤber die Frage: ob eine Roͤmiſche Koͤnigswahl vorzuneh - men ſey? den erſt vorlaͤufig erforderlichen Schluß zu faſſen. Als dieſer gefaſſet war, wurde die Ein - ladung zum Wahlconvente, die ſonſt noch durch beſondere Beſchickung von Churmainz an alle chur - fuͤrſtliche Hoͤfe haͤtte geſchehen muͤßen, diesmal ſo eingerichtet, daß ein von neuem dazu abgeord - neter Churmainziſcher Geſandter die an einen je - den Churfuͤrſten gerichteten Einladungsſchreiben je - der ſchon zu Frankfurt anweſenden churfuͤrſtlichen Geſandtſchaft mit eben der Feierlichkeit, wie es ſonſt bey den Hoͤfen ſelbſt zu geſchehen pflegt, uͤberreichte.

Die Berathſchlagungen uͤber die Wahlcapi -II. tulation wurden diesmal ſehr in die Kuͤrze gezo - gen. Es gab wenige neue Zuſaͤtze. Verſchiede - ne Dinge wurden wieder in churfuͤrſtliche Colle - gialſchreiben eingekleidet, die aber diesmal noch an den regierenden Kaiſer zu richten waren. In deſſen Wahlcapitulation war auch ſchon das Ver - ſprechen, auf ſolche Collegialſchreiben Ruͤckſicht nehmen zu wollen, enthalten geweſen(h)Oben S. 19. 20.. Die - ſe Stelle konnte alſo fuͤglich in der diesmaligen Roͤmiſchkoͤniglichen Wahlcapitulation wegbleiben;ſtattH 2116XIII. Joſeph II. 1764-1786.ſtatt deren die bey Roͤmiſchen Koͤnigen gewoͤhnliche Erinnerung, bey Lebzeiten des Kaiſers ohne deſſen ausdruͤcklichen Auftrag und Einwilligung der Re - gierung ſich nicht zu unterziehen, eingeruͤckt wur - de(i)Wahlcap. (1764.) Art. 30. §. 3.. (Sollte einmal wieder ein Interregnum entſtehen, wuͤrde alsdann in der kaiſerlichen Wahl - capitulation ohne Zweifel jene Stelle von den Col - legialſchreiben wieder Platz finden.)

III.
38

Der Kaiſer hatte diesmal an das churfuͤrſtli - che Collegium zwey Commiſſarien geſchickt, den Fuͤrſten Wenzel von Lichtenſtein, und den Reichs - hofrath Freyherrn von Bartenſtein; nicht, wie es am Reichstage gewoͤhnlich iſt, den einen als Prin - cipalcommiſſarien, den andern als Concommiſſa - rien; ſondern beide in gleicher Eigenſchaft. Da - durch ward gewiſſer maßen das zum Herkommen gemacht, daß jene Einſchraͤnkung nur dem Reichs - tage eigen blieb, außer demſelben hingegen meh - rere kaiſerliche Commiſſarien an einem Orte zu - gleich ſeyn konnten.

IV.
38

Bey der Ankunft des Fuͤrſten von Lichtenſtein hatte ihn die Stadt Frankfurt mit hundert Cano - nenſchuͤſſen begruͤßen laßen. Als hernach die geiſtlichen Churfuͤrſten, wie auch der Churfuͤrſt von der Pfalz, ſich perſoͤnlich zu Frankfurt einfanden, mußten denſelben zu Ehren, anſtatt daß ſonſt ein jeder Churfuͤrſt nur mit 24. Schuͤſſen beehret wor - den war, nunmehr 125. Schuͤſſe geſchehen; wie - wohl gegen eine Verſicherung, daß es nur fuͤr die - ſesmal ohne Folge fuͤr die Zukunft ſo gehalten wer - den ſollte.

Ehe -1171) Roͤmiſche Koͤnigswahl 1764.

Ehedem pflegten ſowohl bey Roͤmiſchen Roͤ -V. nigswahlen als bey Kaiſerwahlen die erwehlten Herren meiſt perſoͤnlich im Conclave anweſend zu ſeyn, und nicht nur die auf ſie gefallene Wahl gleich anzunehmen, ſondern auch die ihnen vorge - legte Wahlcapitulation zu beſchwoͤren. Bey den drey letzteren Kaiſerwahlen war es aber ſchon ſo gehalten worden, daß ein im Conclave anweſen - der Botſchafter von dem neu erwehlten Kaiſer auf den Fall, wenn die Wahl auf ihn fallen wuͤrde, mit einer Vollmacht verſehen war, den gewoͤhn - lichen Eid auf die Wahlcapitulation in des Erwehl - ten Seele abzulegen. Doch mußte der Kaiſer, ſobald er ſeinen Einzug hielt, hernach dieſe Eides - leiſtung noch einmal perſoͤnlich wiederholen; und von dieſem Tage an nahm erſt die Reichsverwe - ſung der Vicarien ihr Ende(k)Wahlcap. (1711. 1742. 1745.) Art. 30. §. 5. 6..

Nach dieſen Vorgaͤngen hatte es auch bey derVI. Roͤmiſchen Koͤnigswahl diesmal keinen Anſtand, daß es mit deren Annehmung und Beſchwoͤrung der Capitulation auf gleiche Art gehalten werden konnte. Allein bey den bisherigen Roͤmiſchen Koͤ - nigswahlen hatte der gewehlte Prinz den zugleich anweſenden regierenden Kaiſer, der gemeiniglich des Roͤmiſchen Koͤnigs Vater war, ehe er die Wahl anzunehmen ſich erklaͤrte, um die vaͤterliche Einwilligung dazu gebeten. Um auch dieſerwe - gen nicht beide Herren mit der perſoͤnlichen Er - ſcheinung zu beſchweren, ward jetzt das erſtemal die Einrichtung ſo getroffen, daß der Fuͤrſt Lich - tenſtein, der dem Churfuͤrſten von Mainz ſeinedes -H 3118XIII. Joſeph II. 1764-1786.deshalb habende Vollmacht ſchon bekannt gemacht hatte, unmittelbar nach vollbrachter Wahl durch einen der Mainziſchen Geſandten eingeladen wur - de, ſich ins Conclave zu verfuͤgen, und dann im Namen des Kaiſers ſeine vaͤterliche Einwilligung ertheilte. (Hoͤchſtwahrſcheinlich wird es kuͤnftig in aͤhnlichen Faͤllen immer auf eben die Art gehal - ten werden.) Dieſe vaͤterliche Einwilligung iſt uͤbrigens mit derjenigen nicht zu verwechſeln, um welche das churfuͤrſtliche Collegium, ehe es zur Roͤmiſchen Koͤnigswahl ſchreitet, den Kaiſer zu bitten hat. Jene vaͤterliche Einwilligung hat ei - gentlich nicht das churfuͤrſtliche Collegium, ſon - dern der gewehlte Prinz zu ſuchen. Um den kai - ſerlichen Conſens bitten die Churfuͤrſten, wiewohl ſie berechtiget ſind, auch ohne dieſen Conſens zur Roͤmiſchen Koͤnigswahl zu ſchreiten, wenn der - ſelbe auf angelegte Bitte ohne erhebliche Urſache verweigert werden ſollte(l)Wahlcap. (1612.) Art. 3. §. 11..

VII.
40

Noch im Jahre 1750. war viel daruͤber ge - ſtritten worden, ob vermoͤge des im Jahre 1711. uͤber die Roͤmiſche Koͤnigswahl geſchloſſenen Ver - gleichs auf den Fall, wenn es dazu kommen ſollte, ohne daß der Kaiſer abweſend, oder alt, oder unpaͤßlich waͤre, die Frage: ob ſonſt eine ander - weitige hohe Nothdurft dazu vorhanden ſey? von den Churfuͤrſten alleine, oder nicht anders als mit Beyſtimmung des geſammten Reichs eroͤrtert wer - den koͤnnte. Diesmal geſchah aber von der Wahl beym Reichstage nur eine kaiſerliche Anzeige, ohne daß eine Berathſchlagung daruͤber veranlaßt wur -de;1191) Roͤmiſche Koͤnigswahl 1764.de; wobey es auch wohl fuͤr die Zukunft bleiben wird.

Die diesmalige Verſammlung der Churfuͤr -VIII. ſten hatte noch das beſondere, daß ſie die erſte in ihrer Art war, da das ganze churfuͤrſtliche Colle - gium in ſeiner Vollſtaͤndigkeit von neun Mitglie - dern die Wahl vollzog. (Bey der Wahl Carls des VI., welche die erſte ſeit Errichtung der neun - ten Chur war, fehlte die Bairiſche Stimme, weil der Churfuͤrſt von Baiern damals in der Acht war. Als Carl der VII. gewehlt wurde, war die Boͤhmiſche Stimme ſuspendirt. An der Wahl Franz des I. nahmen Churbrandenburg und Chur - pfalz keinen Antheil. Jetzt halfen das erſtemal alle neun Stimmen den Roͤmiſchen Koͤnig wehlen. Zugleich war es das letztemal, weil hernach 1777. mit dem Abgange des Hauſes Baiern uͤberall nur acht Churfuͤrſten uͤbrig blieben.)

Zufaͤlliger Weiſe war von allen churfuͤrſtlichenIX. Hoͤfen, welche bey der letzten Kaiſerwahl die Chur - verein mittelſt deren eidlicher Beſtaͤrkung in Per - ſon oder durch ihre Geſandtſchaften erneuert hat - ten, jetzt nur noch die Kaiſerinn Maria Thereſia uͤbrig, deren Boͤhmiſche Wahlbotſchaft damals die Verein beſchworen hatte. Alle uͤbrige Chur - fuͤrſten thaten jetzt eben das, die Churfuͤrſten von Mainz, Trier, Coͤlln, Pfalz perſoͤnlich, die an - deren durch ihre Wahlbotſchafter. (An dem Ta - ge, da dieſe Feierlichkeit vor ſich gieng, war nach der Abwechſelung, welche die Churfuͤrſten von Trier und Coͤlln im Sitzen unter einander beobach - ten, die Reihe an Churcoͤlln oben zu ſitzen. Chur -H 4trier120XIII. Joſeph II. 1764-1786.trier verlangte aber doch den Eid auf die Verein eher, als Churcoͤlln, abzulegen, weil jene Ab - wechſelung nur in ſo weit ſtatt finde, als eine Fol - ge von mehreren Handlungen eintrete, da das er - ſtemal Churt[r]ier, das anderemal Churcoͤlln den Vorſitz habe; nicht aber, wo nur eine Handlung vorgehe, die keine zweyte zur Folge habe, da eine ſolche einzige Handlung immer zuerſt von Chur - trier vorgenommen werden muͤße. Diesmal fuͤgte ſichs, daß der Churfuͤrſt von Coͤlln an dem Tage, da die Churverein beſchworen wurde, nicht per - ſoͤnlich erſchien.)

X.
40

Unter den wenigen neuen Artikeln, welche diesmal in die Wahlcapitulation kamen, betraf ei - ne das Rheiniſche Reichsvicariat, deſſen Ab - wechſelung zwiſchen den Hoͤfen zu Muͤnchen und Manheim, mit Beziehung auf den daruͤber ge - ſchloſſenen Vergleich und zu deſſen Beſtaͤtigung erfolgten Reichsſchluß(m)Oben S. 41. 42., nunmehr fuͤr bekannt angenommen wurde. Ueberdas hatten aber auch ſaͤmmtliche Vicariatshoͤfe wegen der bisher zum Theil ſtreitig geweſenen Graͤnzen zwiſchen dem Rheiniſchen und Saͤchſiſchen Vicariate am 9. Jun. 1750. ſich unter einander verglichen. Dieſer Ver - gleich wurde zwar von Seiten des Wahlconventes auch fuͤr zutraͤglich angeſehen; deſſen Genehmigung jedoch einem foͤrmlichen Reichsſchluſſe vorbehal - ten(n)Wahlcap. (1764.) Art. 3. §. 19., (der ſeitdem noch nicht erfolget iſt.)

II. 1212) C. G. Viſitation 1767-1776.

II. Cammergerichts-Viſitation 1767-1776.

I. Preiswuͤrdiger Juſtitzeifer Joſephs des II., II. wie er ſich durch eine eigne Verordnung an den Reichshof - rath an Tag legte, III. und von einer vorzunehmen - den Viſitation des Cammergerichts das beſte hoffen ließ. IV. Daruͤber ward ſchon eine wichtige Reichstagsberathſchla - gung in Gang gebracht. V. Aber aus einer Schrift unter dem Titel: Betrachtungen uͤber das Viſitationswe - ſen, ergaben ſich ganz neue Grundſaͤtze, als ob die Viſitation nur ein Gericht ſey, VI. und nicht vom Reichstage abhange, VII. ſondern vermoͤge eines R. A. vom Jahre 1543. nur vom kaiſerlichen Hofe; VIII. der alſo in Gefolg der ſchon vorhandenen Reichsgeſetze alles uͤbrige fuͤr ſich beſtimmen koͤnne. IX. Dieſe Grundſaͤtze fieng man zu Wien an zu befolgen. X. Die Viſitation ward im May 1767. eroͤffnet. XI. Nun ereignete ſich gleich anfangs eine Schwierigkeit wegen Abtheilung der ei - gentlichen Viſitation und der Reviſionen; XII. und wegen einer Churmainziſchen Behauptung in jedem Revi - ſionsſenate einen Subdelegirten zu haben; XIII. wel - ches eine von den Veranlaßungen war, woruͤber die Viſita - tion zuletzt ſcheiterte. XIV. Dazu kam eine ſehr weit - laͤuftige Behandlung des Geſchaͤffts mit jedesmaligen 24. grundausfuͤhrlichen gelehrten Abſtimmungen; XV. oh - ne daß der Vorſchlag Subdeputationen zu veranſtalten ins Werk gerichtet werden konnte. XVI. Eine unerwartete Entdeckung, daß ein Jude mit Sollicitaturen ein Gewerbe getrieben, und drey Aſſeſſoren ſich beſtechen laßen, gab Stoff zu einer weitlaͤuftigen Unterſuchung. XVII. Nach Verlauf eines Jahres entſtand Streit uͤber die Abloͤſung der erſten Claſſe, wozu es doch erſt im Nov. 1774. kam. XVIII. Noch entſtand ein Streit, ob die kaiſerliche Commiſ - ſion einen durch Mehrheit der Stimmen gefaßten Schluß durch Verſagung ihrer Genehmigung entkraͤften koͤnne? XIX. Ein Bericht an Kaiſer und Reich veranlaßte endlich einen Reichsſchluß uͤber verſchiedene bey der Viſitation vor - gekommene Gegenſtaͤnde. XX. Zur Berichtigung des Concepts der C. G. O. hatte die Viſitation vorlaͤufig eini - ger Aſſeſſoren Gutachten bewirket, aber ſelbſt noch nicht Hand angelegt. XXI. Hingegen viele Beſchwerden ein - zelner Reichsſtaͤnde in ihren Rechtsſachen hatten die Viſita - tion uͤber die Gebuͤhr beſchaͤfftiget. XXII. Endlich kamH 5noch122XIII. Joſeph II. 1764-1786.noch ein Streit uͤber die Art der graͤflichen Theilnehmung an der Viſitation hinzu, die nicht einzelnen Grafen ſondern nur den vier Grafencollegien zugeſtanden werden konnte, XXIII-XXV. wovon das Fraͤnkiſche und Weſt - phaͤliſche ſowohl als das Wetteraniſche bisher fuͤr pur evan - geliſch gerechnet waren. XXVI. So hatte auch noch 1766. der ganze Reichstag die Sache genommen. XXVII. XXVIII. Jetzt ſollten aber auf einmal die Weſtphaͤliſchen und Fraͤnkiſchen Grafen nach einander auf der catholiſchen Seite berufen werden, wie bey der zweyten Claſſe ein catho - liſcher Bevollmaͤchtigter des Grafen von Metternich von we - gen der Weſtphaͤliſchen Grafen erſchien. XXIX. XXX. Daruͤber erfolgten zu Regensburg von beiden Religionsthei - len einander entgegengeſetzte Schluͤſſe, und zu Wetzlar eine ungluͤckliche Trennung der ganzen Viſitation. XXXI. XXXII. Auch erſchienen von beiden Seiten Schriften, deren Werth erſt die Nachwelt unpartheyiſch zu beurtheilen vermoͤgend ſeyn wird. XXXIII. Der Vorwurf, daß ein von Carlsruh erlaßenes Schreiben auf das ganze Geſchaͤfft widrigen Einfluß gehabt haben ſollte, war zuverlaͤßig un - gegruͤndet.

I
42

Schon beym Wahlconvente ſchienen die groͤße - ren Teutſchen Hoͤfe uͤber keine Angelegen - heit ſo vielen Eifer und Einmuͤthigkeit zu bezeu - gen, als daß in der nunmehr hergeſtellten Frie - denszeit endlich einmal die laͤngſt gewuͤnſchte Vi - ſitarion des Cammergerichts zu Wetzlar vor ſich gehen moͤchte. Dieſer Eifer wurde vollends von neuem belebt, als Joſeph der II. gleich nach dem Antritt ſeiner kaiſerlichen Regierung ſolche preiswuͤrdige Geſinnungen fuͤr eine gerade durch - gehende Handhabung der Gerechtigkeit blicken ließ, daß jedermann nicht anders als das unbeſchraͤnk - teſte Vertrauen in die Gerechtigkeitsliebe dieſes Monarchen ſetzen konnte.

II.
42

Weil in den Oeſterreichiſchen Erblanden die Regierung noch in den Haͤnden der nunmehr ver - wittweten Kaiſerinn Maria Thereſia blieb; ſokonn -1232) C. G. Viſitation 1767-1776.konnte Joſeph ſeine ganze Thaͤtigkeit noch der kai - ſerlichen Regierung widmen. Davon hatte ſelbſt der Reichshofrath die erſten Fruͤchte zu genießen, da eine am 5. Apr. 1766. an denſelben erlaßene Ver - ordnung manche fuͤr die Rechtspflege dieſes hoͤch - ſten Reichsgerichts uͤberaus heilſame Verfuͤgung enthielt, die zum Theil noch bis auf den heutigen Tag ihre volle Wirkſamkeit erhalten hat.

Wegen der Cammergerichtsviſitation hatteIII. das churfuͤrſtliche Collegium ſchon in der Wahlcapi - tulation Carls des VII. darauf angetragen, daß die - ſelbe, wie ſie vermoͤge des juͤngſten Reichsabſchie - des ſchon im Jahre 1654. haͤtte geſchehen ſollen, nunmehr in Gang gebracht werden moͤchte. Weil ſich aber ſowohl in Anſehung der dazu ernannten Staͤnde als ſonſt inzwiſchen vieles geaͤndert hatte; ſo war deshalb in der Wahlcapitulation vorerſt nur vorlaͤufig ein und anderes proviſoriſch beſtimmt, zugleich aber vorbehalten worden, daß davon durch ein kaiſerliches Commiſſionsdecret dem Reiche Nach - richt gegeben, und deſſen weiteres Gutachten ein - gezogen werden ſollte(o)Wahlcap. (1742.) Art. 17. §. 3-12.. Wenn alſo gleich das - jenige, was ſowohl in dem juͤngſten Reichsabſchie - de als anderen Reichsgeſetzen ſchon geordnet war, und was uͤberdies die inzwiſchen in den Jahren 1707-1713. im Werke geweſene ganz außeror - dentliche Viſitation zur Inſtruction vom Reiche erhalten hatte, zu einer guten Grundlage dienen konnte; ſo blieb doch noch immer die Frage, was von allem dem auf die jetzigen Umſtaͤnde ſchicklich ſeyn wuͤrde(p)Wahlcap. (1742.) Art. 17. §. 6.. Auch gab es noch eine MengePun -124XIII. Joſeph II. 1764-1786.Puncte, die wohl der Muͤhe werth waren, ſie erſt mittelſt reichstaͤglicher Berathſchlagung mit moͤg - lichſter Vorſicht und Genauigkeit zu beſtimmen, ehe man zur Sache ſelber ſchritte, und es darauf ankommen ließe, was alsdann auch fuͤr Mißhel - ligkeit und Aufenthalt daraus entſtehen moͤchte.

IV.
44

In ſolcher Abſicht waren nun ſchon im Jahre 1747., ich weiß nicht von wem, aber gewiß von einer der Sache voͤllig gewachſenen Feder, 26. Puncte zur reichstaͤglichen Berathſchlagung ent - worfen. Kaum wird auch je ein Beyſpiel aufzu - weiſen ſeyn, daß man am Reichstage mit groͤße - rem Eifer und mehrerer Einmuͤthigkeit zu Werke gegangen waͤre, als in der Berathſchlagung, die im Jul. und Auguſt 1766. hieruͤber angeſtellt wur - de. Ueber einige der wichtigſten Puncte vereinig - te man ſich bald eines Reichsgutachtens, das eins - weilen mit Vorbehalt einer auch uͤber die uͤbrigen Puncte anzuſtellenden Berathſchlagung zur kaiſer - lichen Genehmigung geſtellt wurde. Dieſe erfolg - te jedoch nicht ſo zeitig, als man ſie erwartet hat - te(q)Das Reichsgutachten war vom 8. Aug., das kaiſerliche Ratifications-Commiſſionsdecret vom 17. Nov. 1766.. Es zeigte ſich aber bald, daß in dieſer Zwiſchenzeit in Anſehung der Grundſaͤtze, die man bisher von der Cammergerichtsviſitation angenom - men hatte, wahrſcheinlich eine Veraͤnderung vor - gegangen ſeyn muͤße.

V.
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Aus einer Schrift, die erſt geſchrieben hin und wieder mitgetheilt ward, hernach unter dem Titel: Betrachtungen uͤber das reichscam -mer -1252) C. G. Viſitation 1767-1776.mergerichtliche Viſitationsweſen ꝛc. , Mainz 1767. 4. ( Bogen) gedruckt erſchien(r)Sie findet ſich in der Sammlung der Acten - ſtuͤcke die Viſitation des C. G. betreffend, Fort - ſetz. 3. (1767.) S. 63-86., ließ ſich deutlich abnehmen, was jetzt fuͤr ein Syſtem bey der ganzen Sache zum Grunde gelegt werden ſollte. Man glaubte, durch das bisherige Her - kommen und die ſchon vorhandenen Geſetze ſowohl von aͤlteren als neueren Zeiten ſey alles, was zur Ausfuͤhrung der jetzt vorhabenden Viſitation er - forderlich ſey, bereits hinlaͤnglich beſtimmt. Es beduͤrfe alſo keiner weiteren reichstaͤglichen Be - rathſchlagung. Man konnte zwar nicht verken - nen, daß es dreyerley ſehr verſchiedene Gegenſtaͤn - de waͤren, die theils in Eroͤrterung der Reviſions - ſachen nach Art einer foͤrmlichen Gerichtsſtelle, theils in der eigentlichen Viſitation, um die Real - und Perſonal-Maͤngel des Gerichts zu unterſu - chen und nach den ſchon vorhandenen Geſetzen her - zuſtellen, theils in neuen geſetzlichen Vorſchriften und Verbeſſerungen, die in der Eigenſchaft einer auſſerordentlichen Reichsdeputation geſchehen koͤnn - ten, beſtehen wuͤrden. Man beſchrieb aber doch die ganze Viſitation als ein durch die Reichsgeſetze angeordnetes Gericht, und es zeigte ſich bald bey mehreren Gelegenheiten, daß man damit die Grund - ſaͤtze zu verbinden ſuchte, daß hier alles auf der kaiſerlichen oberſtrichterlichen Gewalt beruhe, die uͤberall nach Befinden den Ausſchlag geben koͤnne.

Die Viſitation, hieß es, ſey nicht vom Reichs -VI. tage abhaͤngig, ſondern die dazu beſtimmte Reichs - deputation ſtelle Kaiſer und Reich eben ſo gut vor,wie126XIII. Joſeph II. 1764-1786.wie der Reichstag ſelbſt; eine Viſitation koͤnne auch ſtatt finden, wenn kein Reichstag waͤre, wie es in vorigen Zeiten oft geſchehen ſey; jeder Sub - delegirter ſey nicht von der Reichsverſammlung, ſondern ſo wie ein jeder Comitialgeſandter unmit - telbar von ſeinem Hofe abhaͤngig(s)Betrachtungen uͤber das Viſitationsweſen §. 7-10. S. 8-10.. (Das alles hatte ſeine gute Richtigkeit, wenn eine von Kaiſer und Reich angeordnete Viſitation einmal wuͤrklich im Gange war. Aber ſofern erſt die Frage in Betrachtung kam: ob und wie eine Viſi - tation erſt in Gang gebracht werden ſollte? und wie weit man es deshalb bey den ſchon vor hun - dert und mehr Jahren getroffenen Verfuͤgungen laßen, oder ob und was man nach den ſeitdem vielfaͤltig veraͤnderten Umſtaͤnden dabey ab oder zuthun wollte? ſo waren das allerdings Gegen - ſtaͤnde, die nicht anders als am Reichstage be - ſtimmt werden konnten.)

VII.
47

Um dem Kaiſer ein ausſchließliches Recht bey - zulegen, daß er ohne Zuthun der Staͤnde Fragen, die bey der Viſitation vorkommen koͤnnten, fuͤr ſich allein entſcheiden duͤrfte, wurde eine Stelle aus einem Reichsabſchiede vom Jahre 1543. ange - fuͤhrt, wo in Ruͤckſicht auf das damalige Reli - gionsverhaͤltniß der Staͤnde fuͤr die Viſitation, die in ſelbigem Jahre gehalten werden ſollte, eine Verfuͤgung getroffen ward, wie in Faͤllen, da die Viſitatoren unter ſich in Mißverſtand gerathen wuͤrden, die kaiſerlichen Commiſſarien ſie zu ver - gleichen ſuchen ſollten. Dabey war damals die Clauſel hinzugeſetzt worden: daß, wenn es mitſol -1272) C. G. Viſitation 1767-1776.ſolcher Vergleichung nicht gelingen ſollte, alsdann zu Ihrer kaiſerlichen Majeſtaͤt geſtellt werde, dar - uͤber endlich Erkenntniß und Entſcheid zu thun, dem auch folgends alle Staͤnde geleben und nach - kommen ſollten. Wider dieſe Clauſel hatten aber gleich damals die evangeliſchen Staͤnde pro - teſtirt. Die Viſitation des Jahres 1543. hatte ſich auch daruͤber fruchtlos zerſchlagen. Und in der folgenden Cammergerichtsordnung, die alle aͤltere darin nicht wiederholte und mit derſelben nicht uͤbereinſtimmende Verordnungen fuͤr aufge - hoben erklaͤrte, war dieſe Stelle des Reichsabſchie - des 1543. auch nicht wiederholet worden. Nichts deſto weniger berief man ſich jetzt auf eben dieſe Stelle, als auf ein Geſetz, das nicht nur fuͤr die damalige, ſondern fuͤr alle kuͤnftige Viſitationen gemacht ſey, und alſo noch immer zur Vorſchrift dienen muͤße. Namentlich wollte man daraus den Satz behaupten: Wenn die Viſitatoren nach mehrmaligem Votiren ſich nicht vereinigen koͤnn - ten, ſondern in eine Gleichheit der Stimmen ver - fielen, muͤßten ſelbige an kaiſerliche Majeſtaͤt, als den alleinigen oberſten Richter im Reiche und die Quelle aller Gerichtbarkeit, ſich wenden, und die allerhoͤchſte Entſchließung daher erwarten. (t)Betrachtungen uͤber das Viſitationsweſen §. 14. S. 13.

Uebrigens hieß es nun, die jetzige ViſitationVIII. ſey keine ſolche außerordentliche wie die von 1707 - 1713., ſondern eine ordentliche, wie die, ſo ehe - dem (1556-1587. ) alle Jahre im Gange gewe - ſen. Die dazu deputirten Staͤnde ſeyen nach ei - ner Abtheilung in fuͤnf Claſſen ſchon im Reichsab -ſchie -128XIII. Joſeph II. 1764-1786.ſchiede 1654. ernannt. Die erſte Claſſe koͤnne alſo gleich in Gang gebracht werden, ohne daß es weder einer Vollmacht, noch Inſtruction vom Reiche dazu beduͤrfe. Wegen deſſen, was etwa bey den folgenden Claſſen noch zu berichtigen ſeyn moͤchte, koͤnnte der Kaiſer demnaͤchſt noch immer ein Reichsgutachten fordern. Alles uͤbrige koͤnne der Kaiſer fuͤr ſich beſtimmen. Er koͤnne die Zeit zur Eroͤffnung der Viſitation anſetzen; ein Edict erlaßen, vermoͤge deſſen alle Staͤnde und Par - theyen, welche ihre Reviſionen fortzuſetzen gedaͤch - ten, bey Strafe der Deſertion, d. i. bey Verluſt der Sache, ſich in vier Monathen von neuem mel - den ſollten, u. ſ. w. Hierdurch fielen alſo die aufgeſtellten 26. Deliberationspuncte, weil der Kaiſer zur Bewirkung der Viſitation keines wei - tern Reichsgutachtens mehr beduͤrfe(u)Betrachtungen ꝛc. §. 29. S. 22.. Was etwa in Geſetzen und Herkommen noch unbeſtimmt ſey, werde ſich erſt waͤhrender Viſitation aͤußern und aufklaͤren. Alsdann wuͤrde dieſelbe ſchon nach Befinden in Gemaͤßheit der Geſetze ſich dar - uͤber benehmen, oder auch noͤthigen Falls an kai - ſerliche Majeſtaͤt gutaͤchtlich daruͤber berichten. Voraus ließe ſich dergleichen nicht abſehen, noch alſo Inſtruction daruͤber ertheilen. (v)Ebendaſ. §. 47. S. 32.

IX.
50

Wenn gleich dieſe Betrachtungen nur in Ge - ſtalt einer anonymiſchen Privatſchrift abgefaſſet waren, (deren wahrer Verfaſſer mir bis jetzt noch gaͤnzlich unbekannt iſt); ſo zeigte doch der Erfolg, daß der kaiſerliche Hof voͤllig nach dieſen Grund - ſaͤtzen zu Werke gieng. In dem Commiſſionsde -crete1292) C. G. Viſitation 1767-1776.crete, das auf das Reichsgutachten vom 8. Aug. zu deſſen Genehmigung unterm 17. Nov. 1766. erfolgte, ward gleich der zweyte May 1767. ſchon zur Eroͤffnung der Viſitation angeſetzt, auch alles dazu erforderliche in bereits vollzogenen kaiſerli - chen Ausfertigungen beygelegt, und die ganze Sa - che ſo genommen, als ob fuͤr die Reichsverſamm - lung weiter nichts zu berathſchlagen uͤbrig waͤre. Einige hin und wieder daruͤber geaͤußerte Zweifel mochten wohl die Veranlaßung ſeyn, daß am 26. Jan. 1767. noch ein Commiſſionsdecret ergieng, das einige naͤhere Aeuſſerungen, warum man we - der Vollmacht noch Inſtruction des Reichs fuͤr noͤthig achtete, enthielt, und dann wegen Fort - ſetzung der Viſitation in den folgenden Claſſen noch ein weiteres Reichsgutachten begehrte. Und um eben dieſe Zeit wurden nunmehr obige Betrach - tungen im Druck bekannt gemacht.

Sowohl die Subdelegirten der zur erſten ClaſſeX. deputirten 24. Staͤnde, als zwey dazu ebenfalls beſtimmte kaiſerliche Commiſſarien, der Fuͤrſt Carl Egon von Fuͤrſtenberg, und der Freyherr Georg von Spangenberg, fanden ſich wuͤrklich ſo zeitig zu Wetzlar ein, daß im May 1767. die Viſita - tion gluͤcklich eroͤffnet werden konnte. Es ereigne - ten ſich aber bald ſolche Anſtaͤnde, daß es fuͤr ei - nen gluͤcklichern Fortgang dieſes wichtigen Geſchaͤff - tes ſehr erwuͤnſcht geweſen waͤre, wenn man ſich zum voraus erſt naͤher daruͤber vereiniget haͤtte; wie ohne Zweifel geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn die Reichstagsberathſchlagung uͤber obgedachte 26. Puncte erſt ihren Fortgang behalten haͤtte. Frey - lich wuͤrde alsdann die Viſitation vielleicht einP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. Joder130XIII. Joſeph II. 1764-1786.oder zwey Jahre ſpaͤter zu Stande gekommen ſeyn. Vielleicht waͤre dann aber auch in einem oder et - lichen Jahren mehr, als hernach in neun Jahren, geſchehen; und die ganze Sache wuͤrde dann wahr - ſcheinlich auch nicht ein ſolch ungluͤckliches Ende genommen haben, als hernach leider der Erfolg zeigte.

XI.
50

Gleich anfangs entſtand ein Zweifel, wie es mit Abtheilung des eigentlichen Viſitationsge - ſchaͤffts und der Reviſionsſachen gehalten werden ſollte. Der juͤngſte Reichsabſchied hatte ſich ſo erklaͤret, daß die 24. deputirten Staͤnde naͤchſt Verrichtung der Viſitation die Reviſionsſachen unter die Hand nehmen ſollten(w)R. A. 1654. §. 130.. Eben darum, weil der alten uͤberhaͤuften Reviſionen eine große Menge zu erwarten war, hatte der Reichsabſchied die deputirten Staͤnde in ſo ſtarker Anzahl ernannt, daß ſie in vier abgeſonderte Raͤthe vertheilt wer - den koͤnnten. In der Wahlcapitulation Carls des VII. hatte das churfuͤrſtliche Collegium ſich daruͤ - ber ſo gefaſſet, daß auch das eigentliche Viſita - tionsgeſchaͤfft nur in einem Senate vorgenommen werden ſollte; von den drey uͤbrigen Senaten ſoll - ten zwey die alten Reviſionsſachen, der vierte die neueren unter die Hand nehmen(x)Wahlcap. (1742.) Art. 17. §. 8.. Dem Sin - ne des Reichsabſchiedes ſchien es aber gemaͤßer zu ſeyn, daß die geſammte Reichsdeputation erſt die Viſitation verrichten, und alsdann erſt in abge - theilten vier Senaten die Reviſionsſachen vorneh - men ſollte. Dem Gewichte nach war unſtreitigdas1312) C. G. Viſitation 1767-1776.das eigentliche Viſitationsgeſchaͤfft von groͤßerem Belange, als die Eroͤrterung dieſer oder jener ein - zelnen Reviſionsſache. Man merkte alſo bald eine neue Schwierigkeit, welche ſechs Staͤnde den großen Vorzug haben ſollten, den Viſitationsſenat alleine auszumachen, und welche achtzehn Staͤnde ſich in die Reviſionsſenate verweiſen laßen ſollten. Kurz die Viſitation wurde jetzt in vollem Rathe der beiden kaiſerlichen Commiſſarien und aller Subdelegirten der 24. deputirten Staͤnde vorge - nommen.

Doch bey der Abtheilung der Senate, wennXII. ſie auch nur zu den Reviſionsſachen geſchehen ſoll - te, zeigte ſich noch eine unvorgeſehene Schwierig - keit. Im Reichsgutachten vom 8. Aug. 1766. hatten die Reichsſtaͤnde darauf angetragen, daß ein jeder deputirter Reichsſtand zwey Subdelegir - te zur Viſitation ernennen moͤchte. Das kaiſer - liche Ratificationsdecret vom 17. Nov. 1766. er - klaͤrte ſich aber nur fuͤr einen Subdelegirten von jedem Reichsſtande, wobey man ſich auch beru - higte. Alſo erſchien bey Eroͤffnung der Viſitation im May 1767. von einem jeden der 24. deputir - ten Reichsſtaͤnde auch nur ein Subdelegirter. Nur von Churmainz fanden ſich ihrer vier ein, und zwar, wie ſichs bald veroffenbarte, in der Meynung, daß in einem jeden der vier Senate auch ein Churmainziſcher Subdelegirter ſeyn muͤße. Waren nun ſolchergeſtalt 27. Subdelegirte in vier Senate zu vertheilen; ſo haͤtten entweder drey Senate aus ſieben Mitgliedern beſtehen muͤßen; das konnte aber wegen der erforderlichen Reli - gionsgleichheit nicht ſeyn; oder es haͤtten inJ 2drey132XIII. Joſeph II. 1764-1786.drey Senaten den Churmainziſchen drey andere catholiſche Subdelegirte Platz machen und dage - gen zuruͤckſtehen muͤßen.

XIII.
52

Um dieſen Anſtand zu vermitteln, that die kaiſerliche Commiſſion (1768. Jun. 25.) den Vor - ſchlag, daß in jedem Senate ein Churmainziſches Directorium, aber nur in einem das Churmainzi - ſche Stimmrecht anerkannt werden moͤchte. Hier - uͤber erwartete man nun erſt von Churmainz ſelbſt die Erklaͤrung, wie nicht nur von Churſachſen und den meiſten evangeliſchen Stimmen, ſondern auch von Churbaiern, Bamberg und Muͤnſter ganz natuͤrlich erinnert wurde. Bis dahin konnte alſo auch mit Abtheilung der Senate und anderen Vor - bereitungen zur Eroͤrterung der Reviſionsſachen kein Schritt weiter vorwaͤrts geſchehen. Die Churmainziſche Erklaͤrung erfolgte aber erſt den 10. Januar 1776., und zwar dahin, daß jener Vorſchlag fuͤr dieſesmal, jedoch ohne kuͤnftige Fol - ge, und mit dem Vorbehalte, ſich kuͤnftig weder poſſeſſoriſch noch petitoriſch darauf berufen zu duͤr - fen, ſtatt finden ſollte. Die kaiſerliche Commiſ - ſion hielt das zwar fuͤr eine großmuͤthige Erklaͤ - rung, die man auf den Fuß zu nehmen habe, wie es in eines jeden Reichsſtandes Belieben ſtehe, in einem oder andern beſonderen Falle unbeſcha - det ſeines Stimmrechts ſich deſſelben zu bedie - nen oder nicht. Andere fanden aber bedenklich auf ſolche Art ein wuͤrkliches Recht zu Sitz und Stimme in jedem Senate fuͤr Churmainz auf kuͤnf - tige Zeiten einzuraͤumen, und fuͤr dieſesmal un - ter ſolchen Verwahrungen einen Directorialſitz in jedem Senate zuzugeſtehen. Alſo blieb nichtsuͤbrig,1332) C. G. Viſitation 1767-1776.uͤbrig, als daruͤber an Kaiſer und Reich zu be - richten. Wie aber darauf vergeblich angetragen wurde, mußten die evangeliſchen Subdelegirten ſich begnuͤgen, an das evangeliſche Corpus (1776. Febr. 23.) einsweilen ihren Bericht daruͤber zu erſtatten. In dieſer Lage, und da weder zu Re - gensburg noch ſonſt dieſer Stein des Anſtoßes gehoben wurde, war es doppelt bedenklich, als am 8. May 1776. die kaiſerliche Commiſſion zu Wetzlar darauf antrug, daß gleichbalden, und ehe etwas anders vorgenommen werde, zur Ab - theilung der vier Senate geſchritten werden moͤchte.

Bis zum 8. May 1776. war alſo vom 2. MayXIV. 1767. an in neun vollen Jahren noch nichts wei - ter als das eigentliche Viſitationsgeſchaͤfft vorge - nommen worden! Das war freylich auffal - lend. Aber aus mehreren mitwirkenden Urſachen laͤßt es ſich doch ziemlich begreiflich machen. Vors erſte fehlte es nicht an Stoff zur Arbeit, da in ſo langer Zeit keine Viſitation geweſen war, und die jetzige gleich bey ihrem Eintritt einen unbegraͤnz - ten Eifer zeigte, nichts, was zur Herſtellung einer geſetzmaͤßigen Gerichtsverfaſſung dienen koͤnnte, ungeruͤhrt zu laßen. Die vielerley Gegenſtaͤnde, ſo hier vorkamen, bey jeder Berathſchlagung mit 24. Stimmen zu eroͤrtern, war an ſich ſchon ein weitlaͤuftiges Werk. Man denke ſich aber vollends 24. lauter gelehrte von wahrem Juſtitzeifer belebte Maͤnner, die hier Gelegenheit fanden, ihre Ge - lehrſamkeit und Rechtſchaffenheit an Tag zu legen, und da keiner dem andern nachgeben wollte, mit gleicher Gruͤndlichkeit und Ausfuͤhrlichkeit ſein Herz recht auszuſchuͤtten. So entſtanden frey -J 3lich134XIII. Joſeph II. 1764-1786.lich aus ſo vielen grundausfuͤhrlich abgelegten Stimmen ungeheure Protocolle; ſelten moͤgen ein - zelne Gegenſtaͤnde in Geſchaͤfften noch ſo erſchoͤpft - ausfuͤhrlich behandelt worden ſeyn, wie es hier geſchah.

XV.
52

Gewiß nicht unzweckmaͤßig war der Vorſchlag, der einmal in Bewegung kam, ob man nicht ei - nige Gegenſtaͤnde der Viſitation unter mehrere Subdeputationen vertheilen wollte? Aber auch dieſer Vorſchlag ſcheiterte gleich an dem Anſtande, der in Anſehung der Art und Weiſe, wie die Per - ſonen zu ſolchen Subdeputationen ernannt werden ſollten, ſich hervorthat. Wo dergleichen Anord - nungen nach der Religionsgleichheit zu machen ſind, iſt es ſowohl der Analogie als dem Herkom - men gemaͤß, daß man jedem Religionstheile die Auswahl der von ſeiner Seite zu ernennenden Per - ſonen uͤberlaͤßt. Diesmal ſollte aber durch alle 24. Stimmen oder deren Mehrheit ausgemacht werden, was fuͤr Perſonen von beiden Religionen zu jeder Subdeputation kommen ſollten. Daruͤber unterblieb der ganze Vorſchlag. Alle und jede Gegenſtaͤnde beſchaͤfftigten alſo ohne Unterſchied ſaͤmmtliche 24. Stimmen. Das einzige geſchah doch, daß in jeder Sache ein eigner Referent und Correferent beſtellt wurde. Beide bekamen die zu jeder Sache gehoͤrigen Acten in die Haͤnde, und entwarfen daraus zu Hauſe ihre Vortraͤge, die ſie hernach in voller Verſammlung in einer oder meiſt mehreren Seſſionen nach einander ablegten.

XVI.
52

Zum eigentlichen Viſitationsgeſchaͤffte gehoͤrt gleich anfangs die Vernehmung aller und jederMit -1352) C. G. Viſitation 1767-1776.Mitglieder des Cammergerichts uͤber eine Menge Fragen, aus deren Beantwortung der Stoff zur Unterſuchung der Maͤngel und Gebrechen des Ge - richts hauptſaͤchlich genommen wird. Diesmal kam man bald auf Spuhren, daß drey Aſſeſſoren ſich ein pflichtwidriges Betragen hatten zu Schul - den kommen laßen; in der Folge zeigte ſichs, daß ein Jude zu Frankfurt darauf gefallen war, durch dieſen Canal eine beſondere Art von Speculations - handlung mit der Sollicitatur in Cammergerichts - proceſſen zu treiben. Man glaubte auch bald als einen Realdefect in der Gerichtsverfaſſung zu be - merken, daß bey der Art, wie es nach und nach zur Gewohnheit geworden war, zu jeder einzelnen Sache die Perſonen, die den Senat ausmachen ſollten, willkuͤhrlich zu beſtimmen, das Directo - rium einen mehr als geſetzmaͤßigen Einfluß in Ent - ſcheidung einzelner Rechtsſachen bekommen habe. Doch ehe das alles, und was ſonſt noch in Eroͤr - terung gekommen war, zur voͤlligen Entſcheidung gebracht werden konnte, entſtanden noch verſchie - dene andere Fragen, welche ſelbſt die Fortſetzung der Viſitation und die Art und Weiſe, wie von derſelben verbindliche Schluͤſſe gemacht werden koͤnnten, betrafen; wobey ſich erſt recht zeigte, wie erwuͤnſcht es geweſen waͤre, wenn daruͤber zum voraus bey der Reichsverſammlung gewiſſe Be - ſtimmungen haͤtten verabredet werden koͤnnen.

Was den Fortgang der Viſitation anbetrifft,XVII. ſo hatte der juͤngſte Reichsabſchied verordnet, daß fuͤnf Claſſen von jedesmal 24. deputirten Staͤnden nach und nach einander abloͤſen ſollten, damit naͤchſt der Viſitation auf ſolche Art auch alle Re -J 4viſions -136XIII. Joſeph II. 1764-1786.viſionsſachen abgethan werden koͤnnten. Nach der damaligen Art der Geſchaͤfftsbehandlung hatte man dafuͤr gehalten, daß in einem halben Jahre jedesmal ſchon eine betraͤchtliche Anzahl Reviſions - ſachen ſich eroͤrtern laßen wuͤrde. Auch zum Vi - ſitationsgeſchaͤffte mochte man damals eine ſolche Zeitfriſt fuͤr hinlaͤnglich halten. Man beſtimmte alſo fuͤr die erſte Claſſe ein Jahr, fuͤr jede folgende ein halbes Jahr zu ihrer Fortdauer und zum Ziel der Abloͤſung von der naͤchſtfolgenden Claſſe. Doch ſchien man dabey fuͤr bekannt anzunehmen, daß die erſte Claſſe mit der eigentlichen Viſitation kein volles Jahr zu thun haben wuͤrde, und alſo naͤchſt Verrichtung der Viſitation auch noch zu Re - viſionsſachen Zeit uͤbrig behalten wuͤrde. Der Erfolg zeigte aber jetzt, daß die erſte Claſſe mit Ablauf eines Jahres bey weitem ſich noch nicht ſchmeichlen durfte, das eigentliche Viſitationsge - ſchaͤfft vollbracht zu haben, oder auch nur bis auf einen ſolchen Abſchnitt damit gekommen zu ſeyn, daß es ohne Nachtheil des Geſchaͤffts abgebrochen, und der nachfolgenden Claſſe zum Theil ganz an - derer Staͤnde zur Fortſetzung uͤberlaßen werden koͤnnte. Gleichwohl wurde im December 1767. ſchon darauf angetragen, daß die erſte Claſſe im May 1768. von der zweyten abgeloͤſet werden moͤchte. Doch das fand am Reichstage ſelbſt kei - nen Beyfall. Erſt im Nov. 1774. kam die zwey - te, im Oct. 1775. die dritte, im May 1776. die vierte Claſſe zur Abloͤſung. Aber gleich beym Eintritt dieſer letztern gerieth das ganze Werk ins Stecken.

Ueber1372) C. G. Viſitation 1767-1776.

Ueber die Art der Geſchaͤfftsbehandlung ereig -XVIII. nete ſich ſchon im April und Junius 1768. ein Anſtand, als nach einander zwey Viſitations - ſchluͤſſe durch Mehrheit der Stimmen der reichs - ſtaͤndiſchen Subdelegirten gefaſſet waren, welche die kaiſerliche Commiſſion dadurch zu entkraͤften ſuchte, daß ſie denſelben ihre Genehmigung ver - ſagte. Freylich wenn es um Abfaſſung eines neuen Reichsgeſetzes zu thun geweſen waͤre, wuͤrde ſo - wohl bey einer außerordentlichen als bey einer or - dentlichen Reichsdeputation ſo, wie bey der allge - meinen Reichsverſammlung, nicht bezweiflet wer - den koͤnnen, daß ein nur von Seiten der Reichs - ſtaͤnde gefaßter Schluß nicht eher als mit hinzu - kommender kaiſerlicher Genehmigung zur reichs - geſetzlichen Kraft gelange. Allein hier galt es nur um Abſtellung bemerkter Mißbraͤuche, die ſchon Reichsgeſetze wider ſich hatten. Wenn dazu von neuem die kaiſerliche Genehmigung erforderlich waͤre, ſo wuͤrde durch deren Verſagung Reichsge - ſetzen, die ſchon vorhanden ſind, einſeitig ihre Kraft benommen werden koͤnnen; welches hinwie - derum fuͤr die Reichsſtaͤnde bedenklich ſeyn wuͤrde. Bey dieſer Gelegenheit bezog ſich die kaiſerliche Commiſſion hauptſaͤchlich auf den Reichsabſchied 1543. Ich habe aber oben (S. 126.) ſchon be - merklich gemacht, was dabey zu erinnern iſt.

Zu Wetzlar konnte hieruͤber weiter nichts ge -XIX. ſchehen, als nun die Sache ſelbſt an Kaiſer und Reich gelangen zu laßen. Das geſchah diesmal durch ſehr ausfuͤhrliche Berichte ſowohl von Sei - ten der Viſitation als des Cammergerichts, worin ſogar alle und jede Stimmen aller Mitglieder bei -J 5der138XIII. Joſeph II. 1764-1786.der Stellen mit vorgelegt wurden(y)Meine Litteratur des Staatsrechts Th. 2. S. 183-185.. So kam die Sache endlich zur Berathſchlagung am Reichs - tage, wo am 23. Oct. 1775. ein Reichsgutach - ten abgefaſſet wurde, das mittelſt der kaiſerlichen Genehmigung am 15. Dec. 1775. die Kraft eines verbindlichen Reichsſchluſſes erlangte. Vermoͤge deſſen ſollte nunmehr die Zahl der Beyſitzer bis auf 25. wuͤrklich ergaͤnzt werden. Und in der in - neren Einrichtung des Cammergerichts, inſonder - heit was die Eintheilung der Senate und das Directorium betrifft, wurden verſchiedene erhebli - che neue Beſtimmungen gemacht; deren Vollzie - hung jedoch bis auf den heutigen Tag noch nicht voͤllig erlediget iſt.

XX.
53

Ein Hauptgeſchaͤfft, das man noch von der Viſitation erwartete, ſollte in Berichtigung des ſchon im Jahre 1613. gedruckten Concepts der Cammergerichtsordnung beſtehen. Um ſich hier - zu deſto beſſer in Stand zu ſetzen hatte die Viſita - tion bald anfangs ſechs Beyſitzern des Cammer - gerichts von beiden Religionen aufgetragen, vor - laͤufig ihre Bemerkungen und Vorſchlaͤge daruͤber zuſammen zu tragen. Einen derſelben ausgenom - men, der inzwiſchen mit Tode abgieng, haben dieſe Beyſitzer des Cammergerichts ihre Arbeit ſo weit vollbracht, daß nun nur die Viſitation noch die letzte Hand anzulegen gehabt haͤtte, um das Werk an Kaiſer und Reich zur voͤlligen Berichti - gung gelangen zu laßen. Allein viele andere Ar - beiten ließen die Viſitation zu dieſem Geſchaͤffte nicht kommen, und endlich erfolgte eine ploͤtzlicheTren -1392) C. G. Viſitation 1767-1776.Trennung der ganzen Viſitation, ohne daß weder das Concept von derſelben berichtiget, noch ein ſonſt gewoͤhnlicher Viſitationsabſchied zu Stande gebracht war.

Die Arbeiten der Viſitatoren vermehrte inſon -XXI. derheit eine Art von Geſchaͤfften, woruͤber wieder zu wuͤnſchen geweſen waͤre, daß man erſt von wegen der geſetzgebenden Gewalt nach vorgaͤngi - ger reichstaͤglicher Berathſchlagung eine naͤhere Beſtimmung zum voraus gemacht haͤtte. Zu ei - ner Zeit, da die am Cammergerichte (1532.) ein - gefuͤhrte Reviſion noch nicht im Gange war, hat - te der Reichsabſchied 1530. die Verfuͤgung ge - troffen: Wo ein Reichsſtand einigen Mangel oder Beſchwerde haͤtte, daß ihm vom Cammerge - richte ungebuͤhrlich begegnet waͤre, ſollte ein jeg - licher ſolche Beſchwerde bey der Viſitation anbrin - gen koͤnnen, um daruͤber gebuͤhrliches Einſehen und Reformation zu thun(z)R. A. 1532. §. 94., C. G. O. 1555. Th. 1. Tit. 50. §. 5., Concept Th. 1. Tit. 64. §. 20.. Damit mochte es damals wohl die Meynung haben, daß ſolche Beſchwerden, dergleichen damals ſchon einige Reichsſtaͤnde an den Reichstag gebracht hatten, doch ſchicklicher bey der Viſitation, als am Reichs - tage, eroͤrtert werden koͤnnten. Als aber bald hernach (1532.) die ordentliche Reviſion eingefuͤh - ret wurde, verſtand ſich wenigſtens, daß alle Be - ſchwerden in einzelnen Rechtsſachen, welche im Reviſionsgerichte ihre juſtitzmaͤßige Eroͤrterung fin - den koͤnnten, nicht fuͤr die Viſitation gehoͤrten, ſondern hier nur andere Beſchwerden uͤber uͤbleBegeg -140XIII. Joſeph II. 1764-1786.Begegnung, z. B. in unbilliger Verwerfung einer geſchehenen Praͤſentation u. d. gl., oder hoͤchſtens nur ſolche Rechtsſachen, die allenfalls ſelbſt dem Reichstage haͤtten vorgelegt werden koͤnnen, ange - bracht werden duͤrften. Allein nach den allgemei - nen Ausdruͤcken, womit jener Reichsabſchied alle Beſchwerden hier zuzulaßen ſchien, fehlte es nicht an Reichsſtaͤnden, die Gebrauch davon machten, ihre einzelne Rechtsſachen der Viſitation vorzule - gen. Nun pflegte zwar die Viſitation in jedem Falle erſt Bericht vom Cammergerichte zu fordern; und in den meiſten Faͤllen fanden ſich die ange - brachten Beſchwerden am Ende nicht ſehr gegruͤn - det. Aber damit hatte dann doch immer ein in jeder Sache beſtellter Referent und ein Correferent vorerſt viele Arbeit, und mit den 24. Stimmen im Conſeſſe mußte manche Stunde ſolchen einzel - nen Sachen gewidmet werden, ohne daß man im Ganzen einen Schritt weiter kam.

XXII.
54

Was aber fuͤr die ganze Sache am meiſten zu bedauern war, und noch immer nicht gehoben iſt, war ein ungluͤcklicher Streit, der ſich uͤber die Art der graͤflichen Theilnehmung an den ver - ſchiedenen Claſſen der Viſitation auf der catholi - ſchen Seite hervorthat. Seitdem im Reichsfuͤr - ſtenrathe zwey praͤlatiſche und vier graͤfliche Cu - riatſtimmen eingefuͤhret waren, hatte man auch bey Reichsdeputationen nie einzelne Praͤlaten oder Grafen zugelaßen, ſondern immer nur Bevoll - maͤchtigte ganzer Praͤlatenbaͤnke oder graͤflicher Col - legien, in eben dem Verhaͤltniſſe, wie ſolche auf dem Reichstage ihr Sitz - und Stimmrecht aus - uͤben. Wenn man alſo gleich in dem Verzeich -niſſe1412) C. G. Viſitation 1767-1776.niſſe der zu den fuͤnf Claſſen der Viſitation depu - tirten Staͤnde in jeder Claſſe nur den Ausdruck: Ein Praͤlat, Ein Graf, gebraucht hatte; ſo war doch das nicht anders zu verſtehen, als auf eben die Art, wie Praͤlaten und Grafen im Reichs - fuͤrſtenrathe zugelaßen werden. Vermuthlich hat - te man nur darum ſo allgemeine Ausdruͤcke ge - braucht, weil man den Praͤlaten und Grafen nicht vorgreifen wollte, wie ſie unter ſich uͤbereinkom - men moͤchten, wer von ihrentwegen an jeder Claſ - ſe Antheil nehmen ſollte. Einem einzelnen Gra - fen konnte ſo wenig zugeſtanden werden, einen Subdelegirten zur Cammergerichtsviſitation, als einen Geſandten im Reichsfuͤrſtenrathe zu bevoll - maͤchtigen.

Kam es ferner darauf an, das VerhaͤltnißXXIII. dieſer Curiatſtimmen zu dieſem oder jenem Reli - gionstheile zu beſtimmen; ſo ließ ſich zwar nach der Analogie, wie Kreiſe und Reichsſtaͤdte in pur catholiſche oder evangeliſche und vermiſchte einge - theilet werden, eine gleiche Moͤglichkeit gedenken, daß auch praͤlatiſche und graͤfliche Collegien nur von einerley oder von vermiſchter Religion ſeyn koͤnnten. Allein nach eben dieſer Analogie konnte ein Corpus oder Collegium nur alsdann fuͤr ver - miſcht gelten, wenn deſſen Mitglieder ungefaͤhr in gleicher Anzahl von beiderley Religionen wa - ren. Sind gleich in Coͤlln und Aachen einige evan - geliſche Buͤrger, und im Bairiſchen Kreiſe etliche evangeliſche Kreisſtaͤnde; ſo werden jene doch den pur catholiſchen Reichsſtaͤdten, letztere den pur ca - tholiſchen Kreiſen zugezehlt; ſo wie hinwiederum der Niederſaͤchſiſche Kreis pur evangeliſch iſt, wenngleich142XIII. Joſeph II. 1764-1786.gleich der Biſchof von Hildesheim dazu gehoͤret, auch Reichsſtaͤdte nach ausdruͤcklicher Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Friedens deswegen nicht auf - hoͤren, fuͤr pur evangeliſch zu gelten, wenn es gleich catholiſche Buͤrger darin gibt. Nach eben dieſer Analogie rechnete man bisher ſowohl die Rheiniſchen Praͤlaten als die Schwaͤbiſchen Gra - fen fuͤr pur catholiſch, ungeachtet unter beiden et - liche Augsburgiſche Confeſſionsverwandten ſind. Hingegen die Fraͤnkiſchen und Weſtphaͤliſchen Gra - fen wurden als pur evangeliſch angeſehen, ob - gleich einige catholiſche Mitglieder darunter waren.

XXIV.
54

Das Fraͤnkiſche Grafencollegium hatte von ſeiner erſten Entſtehung an ſich nie anders, als zum evangeliſchen Religionstheile gehalten, nie anders als ein evangeliſches Directorium gehabt; nie andere Collegialbedienten, andere Comitialge - ſandten, als von eben der Religion; nie an ande - ren als evangeliſchen Praͤſentationen zum Cam - mergerichte Antheil genommen u. ſ. w. Hatten nun gleich in der Folge einige Fraͤnkiſche Grafen ihre Religion veraͤndert, oder eine und andere Grafſchaft oder Herrſchaft einen catholiſchen Lan - desherrn bekommen; ſo blieben doch die Graf - ſchaften ſelbſt evangeliſch, und in dieſem Betrachte war doch billig nicht bloß auf die Perſon des Lan - desherrn, ſondern auf das Land ſelbſt zu ſehen. Oder ſollten vollends die in neueren Zeiten aufge - nommenen Perſonaliſten, denen es gaͤnzlich an Be - ſitz von Land und Leuten fehlt, mit in Anſchlag gebracht werden, um das ganze Collegium darum nun fuͤr vermiſchter Religion gelten zu laßen?

Mit1432) C. G. Viſitation 1767-1776.

Mit den Weſtphaͤliſchen Grafen hat esXXV. zwar in ſo weit eine etwas andere Bewandtniß, weil ſchon von Anfang etliche catholiſche unter ih - nen geweſen, auch wohl einmal in Vorſchlag ge - kommen war, ihre Reichstagsſtimme abwechſelnd von evangeliſchen und catholiſchen Bevollmaͤchtig - ten verſehen zu laßen. Aber in vielen anderen Ruͤckſichten, da auch hier vielfaͤltig nur die Per - ſon des Landesherrn catholiſch war, und die catho - liſchen Grafen ſelbſt den Beytraͤgen zur collegia - liſchen Verfaſſung ſich entzogen hatten, galt auch dieſes Collegium fuͤr pur evangeliſch. Am wenig - ſten konnte es jemanden einfallen, es fuͤr catho - liſch oder vermiſcht zu halten, ſo lange die Weſt - phaͤliſchgraͤfliche Stimme mit einem evangeliſchen Comitialgeſandten beſetzt war; Denn wo auch ei - ne Abwechſelung im Religionsverhaͤltniſſe ſtatt fin - det, wie z. B. auch mit dem Biſthum Osnabruͤck der Fall iſt, da kann doch die Stimme ſo wenig bey Reichsdeputationen als bey der allgemeinen Reichsverſammlung auf catholiſcher Seite mitge - rechnet werden, ſo lange ſie mit einem evangeli - ſchen Comitialgeſandten beſetzt iſt, und umgekehrt.

Seit vielen Jahren hatte ein Herr von Piſto -XXVI. rius, der evangeliſcher Religion war, auch noch die Viſitation uͤberlebt hat ( 1778. Dec. 24.), die Stimmen der Wetterauiſchen, Fraͤnkiſchen und Weſtphaͤliſchen Grafen zu fuͤhren gehabt; da hin - gegen die Schwaͤbiſchen und Rheiniſchen Praͤla - ten und die Schwaͤbiſchen Grafen ihre Stimmen durch catholiſche Geſandten fuͤhren ließen; ſo daß die ſaͤmmtlichen ſechs Curiatſtimmen in einer der Reichsverfaſſung ſehr gemaͤßen Religionsgleichheitſtan -144XIII. Joſeph II. 1764-1786.ſtanden, ohne ſich durch die Abweichung ein oder anderer Mitglieder dieſer Collegien darin irre ma - chen zu laßen. So war inſonderheit bey der Reichstagsberathſchlagung, die im Jahre 1766. vor der Viſitation vorhergieng, ganz fuͤr bekannt angenommen, daß in den verſchiedenen Claſſen der dazu beſtimmten Reichsdeputation auf der evangeliſchen Seite die Wetterauiſchen, Fraͤnki - ſchen und Weſtphaͤliſchen Grafen einander abloͤſen wuͤrden; auf der catholiſchen Seite hingegen nur das Schwaͤbiſche Grafencollegium ſeinen Platz ha - ben koͤnnte. Bey demſelben fand es deswegen keine große Schwierigkeit dem Churpfaͤlziſchen Ho - fe, als derſelbe ſich darum bewarb, ſeine Stim - me in der erſten Claſſe abzutreten; welches auf gleiche Art (1768.) zur zweyten Claſſe auch ſchon fuͤr den Churbairiſchen Hof im Werke war.

XXVII.
54

Wie ſichs inzwiſchen mit Einruͤckung der zwey - ten Claſſe noch verzog, bis erſt im May und Ju - nius 1774. eine anderweite Reichstagsberathſchla - gung den Weg dazu bahnte, wo jedoch nicht die geringſte Abaͤnderung obiger Vertheilung der graͤf - lichen Collegien auf beiden Religionsſeiten in den verſchiedenen Claſſen vorkam; ſo haͤtte wohl nichts unerwarteter ſeyn koͤnnen, als wie nun auf ein - mal bekannt wurde, daß unterm 4. Jun. 1774. an das Weſtphaͤliſche Grafencollegium ein Chur - mainziſches Ausſchreiben ergangen ſey, um in der zweyten Claſſe die graͤfliche Stimme auf der ca - tholiſchen Seite zu fuͤhren. Noch unerwarteter war es vollends, als bey Eroͤffnung der zweyten Claſſe am 23. Nov. 1774. an der Stelle, wo das Schwaͤbiſche als das einzige catholiſche Grafen -colle -1452) C. G. Viſitation 1767-1776.collegium zu erwarten geweſen waͤre, ein catholi - ſcher Subdelegirter von wegen der Weſtphaͤliſchen Grafen erſchien, und nicht, wie es bey den graͤf - lichen Collegien gewoͤhnlich iſt, eine graͤfliche Di - rectorialvollmacht fuͤr das geſammte Collegium, ſon - dern nur eine von Herrn Franz Georg Carl Gra - fen von Metternich unterſchriebene Vollmacht aufzuweiſen hatte.

Dieſe Vollmacht konnte ſchon deswegen, weilXXVIII mittelſt derſelben ein einzelner Graf eine nur fuͤr ein geſammtes graͤfliches Collegium gewidmete Cu - riatſtimme beſetzen ſollte, mit der bisherigen Reichs - verfaſſung und dem darin gegruͤndeten Beſitzſtan - de der allein zu Virilſtimmen berechtigten Reichs - fuͤrſten nicht beſtehen. Eine ſolche einſeitige Neue - rung konnte auch mit der Clauſel, einem jeden ſein Recht vorzubehalten, nicht gedeckt werden; wenn anders einer ſolchen Clauſel nicht die Kraft beyge - legt werden ſollte, jeden Beſitzſtand dadurch eins - weilen unterbrechen zu koͤnnen. Saͤmmtliche evan - geliſche Subdelegirten hielten daher dieſe Voll - macht nicht fuͤr zulaͤßig. Nur Herr Lazarus Ca - ſpar von Woͤlkern, damaliger Subdelegirter der Stadt Ulm (ſeit 1779. Reichshofrath) gab durch ſeinen Beytritt zu den Stimmen der catholiſchen Subdelegirten den Ausſchlag zur Mehrheit der Stimmen fuͤr die Zulaͤßigkeit der Vollmacht; wo - gegen jedoch jene Subdelegirten dieſe ganze Claſſe hindurch ihren Widerſpruch mit Berufung auf Kaiſer und Reich fortſetzten, um zwar den Fort - gang der Viſitation nicht zu unterbrechen, aber doch auch wider den bisherigen Beſitzſtand keiner einſeitigen Neuerung nachzugeben.

P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. KZur146XIII. Joſeph II. 1764-1786.
XXIX.
54

Zur dritten Claſſe wurde unterm 15. May 1775. ſo gar fuͤr das Fraͤnkiſche Grafencollegium auf der catholiſchen Seite ein Ausſchreiben er - laßen. Damit kam die Sache offenbar in ſolche Umſtaͤnde, daß fuͤr das geſammte Corpus der evangeliſchen Staͤnde, wenn es ſich nicht ein Mit - glied nach dem andern einſeitig entziehen laßen wollte, nichts uͤbrig blieb, als einen ſolchen Schluß zu faſſen, wie es am 26. Jul. 1775. zu Regens - burg geſchah. Man beſchloß nehmlich, nach dem bisherigen Beſitzſtande die Weſtphaͤliſchen und Fraͤnkiſchen Grafencollegien auf der evangeliſchen Seite ſorgſamſt zu erhalten, und deswegen feſt - zuſetzen: daß die evangeliſchen Subdelegirten bey dem Viſitationsconvente ſowohl in der bevorſtehen - den dritten, als in den weiter folgenden Claſſen mit einzelnen catholiſchen Grafen, ſo ſich nicht im Namen des ganzen Collegii oder ſaͤmmtlicher Mit - glieder curiatim gehoͤrig zu legitimiren vermoͤch - ten, in einige Berathſchlagung ſich nicht einlaßen, ſondern bey deren Erſcheinung jedesmal mit Pro - teſtation abtreten ſollten.

XXX.
54

Als hierwider das Corpus der catholiſchen Reichsſtaͤnde am 5. Aug. 1775. einen ganz entge - gengeſetzten Schluß faßte, und alſo bey dieſer Tren - nung der beiden Religionstheile nach Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Friedens nichts, als alleinige guͤtliche Vergleichung, uͤbrig blieb; gab das evan - geliſche Corpus in ſo weit nach, daß in Gefolg einer zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Berlin ge - pflogenen Unterhandlung einsweilen zur dritten Claſſe die Schwaͤbiſchen und Wetterauiſchen Gra - fen berufen werden ſollten; da dann mittlerweilewegen1472) C. G. Viſitation 1767-1776.wegen der vierten und folgenden Claſſen eine wei - tere Ausgleichung vorgenommen werden ſollte. Allein zu dieſer weiteren Ausgleichung geſchah kein Schritt weiter; ſondern nur vermoͤge einer kaiſer - lichen Erklaͤrung ſollte jene bloß fuͤr die dritte Claſ - ſe geſchehene proviſoriſche Vergleichung auch auf die folgende Claſſe ausgedehnt, und alſo ſowohl das Fraͤnkiſche als Weſtphaͤliſche Grafencollegium von der Theilnehmung an dieſer Reichsdeputation auf der evangeliſchen Seite gaͤnzlich verdraͤnget werden. Eine Vorſtellung, die im Namen der evangeliſchen Staͤnde der kaiſerlichen Principal - commiſſion zu Regensburg uͤbergeben werden ſoll - te, wollte dieſelbe nicht einmal annehmen, noch Gebrauch davon machen. Alſo blieb fuͤr das evangeliſche Corpus nichts uͤbrig, als einen auf das vorige Concluſum ſich beziehenden Inhaͤſiv - ſchluß zu faſſen (1776. Maͤrz 12.) Und da gleichwohl die vierte Claſſe am 8. May 1776. er - oͤffnet werden wollte, ohne auf alle dieſe nur auf Erhaltung des Beſitzſtandes abzweckende Erklaͤ - rungen Ruͤckſicht zu nehmen; ſo konnten die evan - geliſchen Subdelegirten nicht anders als den Con - ſeß verlaßen. Sie bewirkten aber auch dadurch ſo wenig einige Nachgiebigkeit von der anderen Seite, daß vielmehr gleich darauf die kaiſerliche Commiſſion ſelbſt ſich von Wetzlar entfernte und damit die ganze Viſitation unvollendet abbrach.

Ich habe mich bemuͤhet, die Hauptzuͤge vonXXXI. der auf ſolche Art verungluͤckten Cammergerichts - viſitation hier ſo in der Kuͤrze vorzulegen, wie ſie zur Entwickelung der heutigen Verfaſſung des Teutſchen Reichs zu wiſſen nothwendig ſind. K 2Gleich148XIII. Joſeph II. 1764-1786.Gleich damals iſt die ganze Sache in einer eignen Schrift ausfuͤhrlicher beſchrieben worden(a)Wahre Bewandtniß der am 8. May 1776. erfolgten Trennung der bisherigen Viſitation des kaiſerl. und Reichscammergerichts, Goͤttingen 1776. 4.. Daß uͤber die dabey einſchlagenden Grundſaͤtze beide Religionstheile oder auch auf einer Seite diejenigen, welche den kaiſerlichen Rechten, und auf der andern Seite ſolche, welche den Rechten der Reichsſtaͤnde das Wort zu reden ſich verpflich - tet halten, gleiche Geſinnung haben ſollten, war wohl kaum zu erwarten. Es ſind alſo gegen obi - ge Schrift nicht nur widerlegende Anmerkun - gen(b)Wahre Bewandtniß ꝛc. mit Anmerkungen von §. zu §. widerleget (Wien 1777. 4.), ſondern in gleicher Abſicht noch dem An - geben nach geſammelte Originalbriefe zum Vor - ſchein gekommen(c)Geſammelte Originalbriefe, in welchen die Handlungen der am 2. May 1767. ausgeruͤckten C. G. Viſitations-Deputation beleuchtet werden. Th. I-III. 1777-1779. 8. Meine Litteratur des Staatsrechts Th. 2. S. 190..

XXXII.
57

Eine ganz unpartheyiſche Beurtheilung hier - uͤber wird vielleicht erſt von der Nachwelt zu er - warten ſeyn. Nur zwey Dinge verdienen hier noch mit wenigem bemerket zu werden. Einmal ſchien man bey der Widerlegung obiger Schrift die Sache auf den Fuß zu nehmen, als ob die - ſelbe oͤffentlich verbrannt, und der Verfaſſer einer[f]iſcaliſchen Ahndung unterworfen zu werden ver - diente. Wenn Schriften, die auf hoͤhere Veran - laßung und mit Genehmigung mehrerer Hoͤfe ge -druckt1492) C. G. Viſitation 1767-1776.druckt ſind, und worin weder Sachen noch Aus - druͤcke anſtoͤßiger als in dieſer ſind, durch ſolche Aeuſſerungen zuruͤckgeſchreckt werden ſollten, ſo wuͤrde es nicht nur mit der Teutſchen Preßfrey - heit ſondern ſelbſt mit der Freyheit Teutſcher Reichs - ſtaͤnde uͤbel ausſehen. Doch auch darin ſcheint man im Jahre 1786. an vielen Orten ſchon ziem - lich anders zu denken, als man vielleicht noch vor zehn Jahren dachte. Damals fand es doch das geſammte evangeliſche Corpus nicht uͤberfluͤſſig in einem am 4. Dec. 1776. verfaßten Schluſſe ſich zu erklaͤren, daß es geſonnen ſey, dererjenigen, ſo nach aͤchten evangeliſchen Grundſaͤtzen gehan - delt, oder ſelbige vertheidiget, ſofern es noͤthig, durch geſetzmaͤßige Wege ſich jederzeit ſtandhaft und behauptend anzunehmen.

Hernach hat man in beiden Schriften, dieXXXIII. zur Widerlegung obiger Schrift dienen ſollten, gleich anfangs das groͤßte Gewicht darin zu ſetzen geſucht, daß vor dem Anfange der Viſitation (1766. Oct. 9.) ein Schreiben vom Herrn Marg - grafen von Baden an andere evangeliſche Reichs - ſtaͤnde ergangen ſey: Es waͤre ſich mit vereinig - ten Kraͤften dahin zu bearbeiten, damit die gegen die immer weiter zu extendiren ſuchende Jurisdi - ction der hoͤchſten Reichsgerichte habenden Be - ſchwerden abgethan werden moͤchten; Ins beſon - dere wuͤrden die evangeliſchen Staͤnde hohe Urſa - che haben zuſammenzuſehen; daher anheim - zuſtellen ſey, ob nicht durch die zu Regensburg anweſenden Geſandten der zu dieſem Geſchaͤffte deputirten evangeliſchen Fuͤrſten im engeſten Ver -K 3trau -150XIII. Joſeph II. 1764-1786.trauen ein gemeinſames Concert zu verabreden ſey, wie die nach Wetzlar abzuordnenden Raͤthe zu in - ſtruiren waͤren ꝛc. Daraus wollte man die Folgerung ziehen, den evangeliſchen Reichsſtaͤn - den ſey es nicht um die Aufnahme des Reichsju - ſtitzweſens zu thun geweſen, ſondern vielmehr um noch groͤßere Einſchraͤnkung der kaiſerlichen Ge - richtbarkeit, und um Erhaltung ſolcher Vortheile, um welche man ſich ſelbſt bey dem Weſtphaͤliſchen Frieden und ſeither vergeblich bemuͤhet habe. Das alles ſollte dann ohne Zweifel dazu dienen, um den Leſer zum voraus zum Nachtheil der evangeli - ſchen Staͤnde einzunehmen, und vielleicht den Ge - ſichtspunct von anderen Gegenſtaͤnden zu verruͤcken. Da ich aber ſelbſt die vollſtaͤndigen Acten eines be - traͤchtlichen Hofes von der ganzen Viſitationsge - ſchichte geleſen habe, und verſichert bin, daß mir nichts davon zuruͤckgehalten worden; ſo muß ich zwar aufrichtig geſtehen, daß ich mich nicht ein - mal erinnern kann, ob ein ſolches Schreiben von Carlsruh an den Hof, der doch ſchwerlich uͤber - gangen ſeyn wuͤrde, damals wuͤrklich ergangen ſey; ſo gering iſt wenigſtens, wenn es ge - ſchehen, deſſen Eindruck geweſen. Aber das kann ich auf das zuverlaͤßigſte bezeugen, daß je - ne Geſinnungen und Abſichten, von welchen man jetzt behauptet, daß ſie durch ſothanes Schreiben haͤtten eingefloͤßet werden ſollen, gewiß nicht die Hoͤfe beſeelet haben, denen das jetzt zur Laſt ge - legt werden will. Gewiß war nichts als wahrer Wunſch das Reichsjuſtitzweſen auf einen ſo voll - kommenen Fuß als moͤglich zu ſetzen, der diejeni - gen Reichsſtaͤnde beſeelte, denen die Erhaltungdes1512) C. G. Viſitation 1767-1776.des bisherigen Reichsſyſtems am Herzen lag. Eben das kann nicht anders, als der Wunſch des kaiſerlichen Hofes und aller Reichsſtaͤnde bei - der Religionen ſeyn. Daher es nur deſto mehr zu bedauern iſt, wenn durch andere dazwiſchen gekommene Umſtaͤnde, vielleicht durch unzeitigen Eifer dieſes oder jenen nur von unrichtigen Grund - ſaͤtzen eingenommenen Miniſters, ein Theil den andern verkannt hat, und dadurch dieſe ſo preis - wuͤrdige Anſtalt in eine ſo uͤble Lage gerathen iſt.

K 4III. 152XIII. Joſeph II. 1764-1786.

III. Ueberbleibſel der Cammergerichts-Viſitation. Streit uͤber die Religionseigenſchaft der Fraͤn - kiſch und Weſtphaͤliſch graͤflichen Stimmen. Befolgung des Reichsſchluſſes 1775.

I. Erfolg des Streits uͤber die Religionseigenſchaft der Fraͤnkiſch und Weſtphaͤliſch graͤflichen Stimmen. Fuͤnf - jaͤhrige voͤllige Unthaͤtigkeit des Reichstages. II. Ver - mehrung der Anzahi der Cammergerichtsbeyſitzer bis auf 25. erſt ſeit dem 1. Jun. 1782. III-VII. Befol - gung des Reichsſchluſſes 1775. in Anſehung der Senate am C. G. mit merklichen Mißdeutungen und noch immer uͤbrig gelaßenen Anſtaͤnden. VIII. Andere Verfuͤgungen des Reichsſchluſſes, um allerley nachtheilige Directorialwill - kuͤhren einzuſchraͤnken. IX. Verſchiedene Gegenſtaͤnde, woruͤber erſt die Viſitation berichten ſollte, die aber inzwiſchen abgebrochen iſt, und alſo erſt wieder hergeſtellt werden muͤßte. X. XI. Vorzuͤglich wuͤnſchenswerth waͤ - re eine naͤhere geſetzliche Beſtimmung der Faͤlle, wann Man - date ohne Clauſel von Reichsgerichten ſollen erkannt werden koͤnnen; XII. ingleichen der ſo genannten Ordinationen, die erſt in neueren Zeiten am Cammergerichte haͤufig in Gang gekommen ſind; XIII. und wie den Colliſionen, die ſich oft zwiſchen beiden Reichsgerichten ereignen, abzu - helfen ſey; XIV. da unter andern der Reichshofrath in Sachen, welche kaiſerliche Reſervatrechte und die Auf - rechthaltung der paͤbſtlichen Concordate betreffen, dem Cam - mergerichte keine concurrirende Gerichtbarkeit zugeſtehen will. XV. Woruͤber wegen einer von Seiten des kai - ſerlichen Hofes einſeitig geſchehenen Abforderung der Cam - mergerichts-Acten und Berathſchlagungs-Protocolle noch erſt 1786. neue Irrungen entſtanden ſind. XVI. Bie - dermaͤnniſcher Wunſch, daß allen ſolchen Irrungen durch Befolgung gleichfoͤrmig richtiger Grundſaͤtze abgeholfen wer - den moͤchte.

I.
57

Bis auf den heutigen Tag iſt die Grafenſache nicht nur nicht berichtiget; ſondern ſelbſt der ganze Reichstag iſt daruͤber mehrere Jahre hin -durch1533) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.durch (vom Febr. 1780. bis in den Januar 1785.) in eine voͤllige Unthaͤtigkeit gerathen. Nachdem der bisherige evangeliſch graͤfliche Comitialgeſandte von Piſtorius am 24. Dec. 1778. geſtorben war, meldete ſich gleich zur Weſtphaͤliſch graͤflichen Stim - me ein catholiſcher Geſandter, deſſen nur vom Gra - fen von Metternich unterſchriebene Vollmacht an - genommen wurde. Eine andere Vollmacht, die das Weſtphaͤliſch graͤfliche Directorium auf einen evangeliſchen Geſandten ausgeſtellt hatte, wurde nicht angenommen. Man machte ſo gar Schwie - rigkeit, die auf den bisherigen Fuß im Namen der Fraͤnkiſchen Grafen ausgeſtellte Vollmacht oh - ne Vorbehalt anzunehmen. Unter ſolchen Um - ſtaͤnden geriethen beide Religionstheile in ſolchen Widerſpruch, daß nichts als eine guͤtliche Ueber - einkunft dieſen Stein des Anſtoßes heben konnte. Wegen der Fraͤnkiſchen Grafen iſt Beſitz und Recht auf der evangeliſchen Seite ſo klar, daß das evan - geliſche Corpus ſchon verliehren wuͤrde, wenn das nur als ein Gegenſtand einer Vergleichshandlung angeſehen werden ſollte. In Anſehung der Weſt - phaͤliſchen Grafen haben die Evangeliſchen auf ei - nen Vorſchlag, den das catholiſche Corpus durch Mehrheit der Stimmen gefaſſet hat, ſich willfaͤh - rig erklaͤret, daß kuͤnftig abwechſelnd von catho - liſchen und evangeliſchen Geſandten dieſe Stimme gefuͤhret werden ſollte(d)Die Erklaͤrung des evangeliſchen Religions - theils vom 8. May 1784. findet ſich in Reuß Teut - ſcher Staatscanzley Th. 6. S. 350. Eben daſelbſt finden ſich die Conferenzprotocolle des catholiſchen Religionstheils vom 13. May 1784. Th. 7. S. 363., vom 31. Jul. 1784. Th. 8. 249., vom 14. und 26. Aug. 1784. Th. 8. S. 308. 315.. Noch immer iſt esK 5gleich -154XIII. Joſeph II. 1764-1786.gleichwohl zu keiner voͤlligen Vereinigung beider Religionstheile hieruͤber gekommen(e)Von wegen der Fraͤnkiſchen catholiſchen Grafen hat der Fuͤrſt Carl Albrecht von Hohen - lohe-Schillingsfuͤrſt (der, von einem Jeſuiten er - zogen, als die erſte Quelle dieſes ganzen Streites angegeben wird, Reuß Staatsc. Th. 12. S. 389.) theils in beſonderen Schreiben, die er am 18. May 1784. an den Oeſterreichiſchen Directorial - geſandten Freyherrn von Borié und den 2. Jun. 1784. an die catholiſchen Reichsſtaͤdte erlaßen hat, theils noch in einer eignen Erklaͤrung unterm 6. Dec. 1784. die heftigſten Widerſpruͤche geaͤußert. Reuß Staatsc. Th. 7. S. 379. 393., Th. 9. S. 426-435. Einem Geruͤchte, ſo ſich in Teutſch - land verbreitet haben ſolle, daß der Herr Baron von Borié allein die Berichtigung dieſes durch ſeine Folgen ſo aͤuſſerſt wichtig gewordenen Ge - ſchaͤffts (der beruͤchtigten Grafenſache) auf halte, iſt ſchon unterm 17. Oct. 1783. durch ein fuͤrſtlich Kaunitziſches Circularſchreiben an die kaiſerlichen Miniſter im Reiche widerſprochen worden. Reuß Staatsc. Th. 4. S. 331.. Inzwi - ſchen iſt im Januar 1785. die Thaͤtigkeit des Reichstages doch in ſo weit wieder hergeſtellt wor - den, daß unter eingelegten wechſelſeitigen Reſer - vationen ein evangeliſcher Stimmfuͤhrer der Fraͤn - kiſchen Grafen zugelaßen, und mit der evangeli - ſchen Alternation in Anſehung der Weſtphaͤliſchen Grafen der Anfang gemacht iſt(f)Die beſonderen Umſtaͤnde, wie es mit der auf ſolche Art endlich hergeſtellten Thaͤtigkeit des Reichstags zugegangen, ſind in Reuß Staats - canzley Th. 9. S. 387-426. nachzuſehen.; worauf ſeit - dem mehrere Reichstagsberathſchlagungen, ohne dieſe Streitigkeit weiter zu beruͤhren, zu Stande gekommen ſind(g)Beynahe haͤtte noch im Auguſt 1785. auch die Thaͤtigkeit des Fraͤnkiſchen Kreiſes uͤber dieſeGra -.

Was1553) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.

Was außerdem als eine Folge der letztern Vi -III. ſitation noch immer eine Eroͤrterung zu erwarten hat, betrifft theils einige Schwierigkeiten, die ſich in Befolgung des neueſten Reichsſchluſſes vom Jahre 1775. hervorgethan haben, theils einige erhebliche Gegenſtaͤnde, die damals ſelbſt bey der Reichsverſammlung noch auf weitere Berathſchla - gung ausgeſetzt blieben. Eine der wichtigſten Verfuͤgungen jenes Reichsſchluſſes gieng dahin, daß die Zahl der bisherigen 17. Beyſitzer bis auf 25. vermehret werden ſollte. Zu dem Ende wur - den die Cammerzieler jaͤhrlich um ¼ erhoͤhet, mit deren Zahlung gleich damals der Anfang gemacht werden ſollte, damit gleich um Oſtern 1776. noch acht neue Beyſitzer einruͤcken koͤnnten. Das Geld lief großentheils ein. Es fehlte auch nicht an Praͤſentirten, die gleich einzuruͤcken wuͤnſchten. Nur uͤber einige Praͤſentationen waren ſelbſt noch ein und andere Anſtaͤnde erſt zu heben. Am Cam - mergerichte glaubte man aber abwarten zu muͤßen, bis erſt alle acht neue Aſſeſſoren auf einmal ein - ruͤcken koͤnnten. Daruͤber verzog ſich dieſe Ein - ruͤckung bis zum 1. Jun. 1782., da dann end - lich acht neue Beyſitzer auf einmal aufgenommen wurden, nachdem inzwiſchen alle Anſtaͤnde, die bisher noch wegen einiger Praͤſentationen imWege(g)Grafenſache Noth gelitten, da ein gewiſſer Hof - rath Knoͤrzer als catholiſcher Geſandter von Ho - henlohe-Waldenburg eigenmaͤchtig in die Kreis - verſammlung ſich eindringen wollte, aber durch einen auf Requiſition des Kreiſes von der Stadt Nuͤrnberg befehligten Officier mit Wache das Seſ - ſionszimmer zu verlaßen genoͤthiget wurde. Reuß Staatscanzley Th. 12. S. 354-382.156XIII. Joſeph II. 1764-1786.Wege geweſen waren, durch verſchiedene Ver - gleiche ihre Endſchaft erlanget hatten(h)So ward I) am 23. Jul. 1777. von Seiten der beiden Saͤchſiſchen Kreiſe, und des evangeli - ſchen Theils der vier vermiſchten Kreiſe ein Ver - gleich errichtet, wie es kuͤnftig mit der unter ihnen abwechſelnden Praͤſentation gehalten werden ſoll - te. (Oben Th. 2. S. 418.) Sodann wurden II) im[Schwaͤbiſchen] Kreiſe am 25. Jun. 1779., und III) im Weſtphaͤliſchen Kreiſe am 26. Oct. 1779. die Anſtaͤnde, die noch bey den evangeliſchen Praͤ - ſentationen dieſer Kreiſe obgewaltet hatten, durch Uebereinkunft der evangeliſchen Mitglieder eines jeden dieſer beiden Kreiſe gehoben. Endlich IV) ſchien es nach den Veraͤnderungen, die ſich mit Abgange des Hauſes Baiern ereignet hatten, noch eine Berichtigung zu erfordern, ob Churpfalz fer - ner einen evangeliſchen oder catholiſchen Beyſitzer praͤſentiren ſollte? Dieſer Umſtand wurde durch foͤrmliche Schluͤſſe beider Religionstheile, die das catholiſche Corpus den 30. Jun. 1781., das evan - geliſche den 28. Nov. 1781. faßten, dergeſtalt be - ſtimmt, daß von Churpfalz kuͤnftig ein catholiſcher Beyſitzer, dagegen aber zu Erſetzung des dadurch entſtehenden Abganges einer evangeliſchen Stelle von den drey evangeliſchen Churhoͤfen abwechſelnd ein evangeliſcher Beyſitzer praͤſentirt werden ſollte..

III.
63

Nun war aber noch ein Hauptanſtand uͤbrig, der die Einrichtung der Senate nach Vorſchrift des neueſten Reichsſchluſſes betraf. Um mich hieruͤber verſtaͤndlich zu machen, muß ich erſt eini - ge dahin einſchlagende Erlaͤuterungen vorausſet - zen(i)Eine eigne ausfuͤhrliche Schrift hieruͤber iſt Joh. Fried. Brandis Geſchichte der innern Ver - faſſung des k. R. Cammergerichts, hauptſaͤchlichin. Bald nach Errichtung des Cammerge - richts kam man (ſchon 1500.) auf die Gedanken,daß1573) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.daß zu Abfaſſung eines Urtheils doch nicht noͤthig ſeyn moͤchte, immer alle 16. Maͤnner, aus wel - chen damals das Cammergericht beſtehen ſollte, beyſammen zu haben. Man hielt, wie ich glau - be, nicht ohne Grund dafuͤr, daß, wenn acht gleich geſchickte und rechtſchaffene Maͤnner zur Be - urtheilung einer Rechtsſache gebraucht wuͤrden, der Zweck eben ſo gut, wo nicht beſſer, als von ſechzehn oder einer noch groͤßern Anzahl Maͤnner zu erreichen ſeyn muͤßte. Acht Perſonen koͤnnen eher nach der Abſicht einer collegialiſchen Berath - ſchlagung einander ihre Gedanken ausfuͤhrlich und verſtaͤndlich mittheilen, als es in einer zahlreiche - ren Verſammlung geſchehen kann. Und wenn acht gleich geſchickte und redliche Maͤnner eine Sache durch ihre abgelegte Stimmen eroͤrtert ha - ben, wird fuͤr die uͤbrige Anzahl mehrerer Colle - gen nicht leicht noch viel neues hinzuzufuͤgen uͤbrig bleiben. Hingegen wenn man auf ſolche Art ei - ne groͤßere Anzahl Raͤthe oder Beyſitzer in mehre - re Senate, jede in beſonderen Zimmern, verthei - len kann, iſt der Vortheil augenſcheinlich, deſto mehrere Sachen zu gleicher Zeit vornehmen und abthun zu koͤnnen.

Das alles hat nun die Erfahrung am Cam -IV. mergerichte vollkommen bewaͤhret, ſo wie hinge - gen die Reichshofrathsordnung ſelbſt das Geſtaͤnd - niß enthaͤlt, daß die allzugroße Menge der Raͤthe (wie ſie im Reichshofrathe alle an einer Tafel ſit - zen,) nur zur Verlaͤngerung der Geſchaͤffte ge -rei -(i)in Hinſicht der Senate als ein hiſtoriſcher Com - mentar uͤber Art. 20. 21. des Reichsſchluſſes von 1775., Wetzlar 1785. 8.158XIII. Joſeph II. 1764-1786.reiche(k)Reichshofrathsordnung Ferdinands des III. Tit. 1. §. 2.. Aber wie bey den beſten Anſtalten nicht gnug dafuͤr gewacht werden kann, daß man nicht durch zu vieles Kuͤnſteln andere nachtheilige Abweichungen veranlaße, ſo ſchien das hier der Fall zu ſeyn. Hatte man angenommen, daß acht Maͤnner hinlaͤnglich waͤren, um ſich uͤber ein End - urtheil zu vereinigen, ſo dachte man, zu Abfaſ - ſung eines bloßen Beyurtheiles, das nur zum Laufe des Proceſſes gehoͤrte, oder gar nur zu Er - kennung einer Ladung als der erſten Einleitung des Proceſſes, koͤnnten allenfalls auch nur drey oder vier Maͤnner hinreichen. So vertheilte man alſo das Cammergericht in zweyerley Senate, gerichtliche, wie man ſie nannte, von acht, oder in der Folge auch nur von ſechs Beyſitzern, auſ - ſergerichtliche Senate von drey oder vieren.

V.
66

Zu der Zeit, als das Cammergericht uͤberhaupt nur ſiebenzehn Beyſitzer hatte, ernannte der Cam - merrichter vier auſſergerichtliche Senate jeden von vier, einen von fuͤnf Beyſitzern. Zu Endurthei - len wurden alsdann zwey auſſergerichtliche Senate combinirt, um einen gerichtlichen Senat von ſechs Beyſitzern daraus zuſammenzuſetzen. Dieſe Zu - ſammenſetzung geſchah zuletzt vom Cammerrichter in einer jeden einzelnen Rechtsſache nach ſeinem Gutfinden; womit derſelbe eine Gewalt bekam, die kaum noch ein aͤhnliches Beyſpiel gehabt ha - ben mochte. Denn an ſtatt daß ſonſt ein jeder, der ein Collegium zu dirigiren hat, deſſen Mit - glieder doch nehmen muß, wie ſie ſind; ſo konnte hier ein Cammerrichter, ſo oft eine Rechtsſacheent -1593) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.entſchieden werden ſollte, erſt die Maͤnner ausſuchen, von deren Stimmen die Entſcheidung abhangen ſollte. Gelang es ihm nun ſoviel Maͤnner zu - ſammenzubringen, als zur Mehrheit der Stim - men noͤthig war, wie er ſie nach ſeiner Abſicht wuͤnſchte; ſo hatte er es in ſeiner Gewalt, den Ausgang einer Sache nach ſeinem Sinne zu len - ken, ohne daß ihm ſelbſt die Geſetze einmal das Recht eine Stimme mit zu geben beygelegt hatten.

Solchen Abwegen abzuhelfen vereinigte manVI. ſich im Reichsgutachten (1775. Oct. 23.), daß kuͤnftig nicht mehr zu jeder einzelnen Sache ein eigner Senat von neuem ernannt, ſondern das Cammergericht, wenn es mit 25. Beyſitzern be - ſetzt waͤre, ein vor allemal in drey unveraͤnder - liche Senate jeden von acht, einen von neun Bey - ſitzern vertheilt werden ſollte. Doch war man der Meynung, daß, wenn in einem Senate auch ein oder zwey Beyſitzer wegen Krankheit oder ſonſt ab - weſend ſeyn ſollten, dennoch die ſechs uͤbrigen, je - doch nicht weniger an der Zahl, fortfahren koͤnn - ten. Im Reichsgutachten ward das nur ſo aus - gedruͤckt: daß Definitivſachen nicht anders als in Beyſeyn ſechs Beyſitzer abgeurtheilt werden ſollten. Aus dem Zuſammenhange und den vor - her abgelegten Stimmen der Reichsſtaͤnde ließ ſich deutlich gnug abnehmen, daß die wahre Meynung war: Definitivſachen ſollten ordentlicher Weiſe von acht, oder doch nicht weniger als von ſechs Beyſitzern abgeurtheilet werden. In Vollziehung des Reichsſchluſſes nahm gleichwohl das Cammer - gericht eine ſo buchſtaͤbliche Erklaͤrung an, daß zwar drey Senate jeder von 8. Beyſitzern ernannt,nie -160XIII. Joſeph II. 1764-1786.niemals aber mehr als 6. Beyſitzer zu Beurthei - lung einer Sache gelaßen wurden.

VII.
66

Verſchiedene Reichsſtaͤnde waren bey Abfaſ - ſung des Reichsgutachtens der Meynung geweſen, daß man zu Vermeidung aller Kuͤnſteleyen den bis - herigen Unterſchied zwiſchen gerichtlichen und auſſergerichtlichen Senaten ganz aufheben, und alle Sachen ohne Unterſchied in einerley Se - naten vornehmen laßen ſollte; nur mit der einzi - gen Einſchraͤnkung, daß, wenn wegen Krankheit oder anderer Abhaltung in einem Senate weniger als ſechs Beyſitzer gegenwaͤrtig waͤren, alsdann keine Endurtheile ſondern nur Beſcheide oder La - dungen u. d. gl. erkannt werden ſollten. Allein einige Stimmen hatten darauf angetragen, daß Beſcheide und auſſergerichtliche Erkenntniſſe, wenn ſie Reichsſtaͤnde betraͤfen, niemals von wenigern, aber auch nicht von mehreren als ſechs Beyſitzern, Privatſachen aber nur von vier Beyſitzern eroͤrtert werden ſollten. In ſolchen Faͤllen ſollten alſo uͤber - ſchießende Beyſitzer eines Senates aus demſelben abtreten, und an einem beſonderen ſogenannten Beſcheidtiſche ſolche Beſcheide abfaſſen, die nur die aͤußerliche Form des Proceſſes betreffen, als wo z. B. von Friſtſuchungen, Ungehorſamsbe - ſchuldigungen u. d. gl. die Rede iſt. Hieruͤber haben ſich ganz natuͤrlich neue Schwierigkeiten und Anſtoͤße hervorgethan, die nun von neuem einer Erledigung von Seiten der geſetzgebenden Gewalt beduͤrfen. (Man will bemerkt haben, daß dieſer Anſtaͤnde wegen ſeit dem Jahre 1782. von den nunmehrigen 25. Beyſitzern noch weniger Rechts - ſachen, oder doch nicht mehrere, als vorher von17.1613) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.17. ihre endliche Entſcheidung erlangt haͤtten. Proviſoriſch hat endlich das Cammergericht ſelbſt die Einrichtung getroffen, daß Montags und Dien - ſtags nur ſo genannte auſſergerichtliche Sachen, worunter die erſte Einleitung eines jeden Proceſſes verſtanden wird, in ſechs Senaten von vier, oder drey Senaten von ſechs Beyſitzern vorgenommen, an den uͤbrigen vier Tagen aber Endurtheile abge - faſſet werden ſollen. Die Abtretung zu Be - ſcheidtiſchſachen iſt dadurch etwas vermindert, jedoch nicht ganz gehoben. Sie bleibt aber immer Urſache, daß haͤufig Beyſitzer in den Senatsſtun - den unbeſchaͤfftiget bleiben, und die Senate doch nie, wie es die Abſicht des Reichsſchluſſes war, aus einerley Perſonen beſtehen, weil es einem je - den, der ſeine Relation geendiget hat, zur Pflicht gemacht iſt, an den Beſcheidtiſch abzutreten.)

Uebrigens hatte der Reichsſchluß offenbar zurVIII. Hauptabſicht genommen, fuͤrs kuͤnftige zu verhuͤ - ten, daß das Directorium weder durch Erkuͤn - ſtelung der Senate zu einzelnen Sachen noch ſonſt mehr ungeſetzmaͤßigen Einfluß auf die Entſcheidung einzelner Rechtsſachen haben koͤnnte. Zu dem Ende ſollte die Vertheilung der Acten unter den drey Senaten durch das Loos, in jedem Senate aber die Perſon des Referenten vom Cammerrich - ter beſtimmt werden. Sodann ſollte nicht wie bisher von der Vorſchrift des Cammerrichters ab - hangen, welcher Beyſitzer, und welche Sache er jedesmal vortragen ſollte; ſondern in der perſoͤn - lichen Ordnung der Referenten ſollte die Reihe nach ihrem Range gehalten, oder ein ſo genannter Tur - nus beobachtet werden; fuͤr die vorzutragendenP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. LSa -162XIII. Joſeph II. 1764-1786.Sachen ſollte aber eine gewiſſe geſetzmaͤßige Ord - nung den Vorzug einer Sache vor der andern beſtimmen. Auch ward der Vorſitz in den drey Senaten ſo vorgeſchrieben, daß der Cammerrich - ter und beide Praͤſidenten von einem Jahre zum andern darin abwechſeln ſollten.

Ueber diejenigen Gegenſtaͤnde, die ſich der Reichstag noch zur weitern Berathſchlagung vor - behielt, ſollte nach Vorſchrift des Reichsſchluſſes eigentlich noch erſt von der Viſitation Bericht er - fordert werden. Da aber dieſe inzwiſchen abge - brochen worden, ſo eroͤffnet ſich hier eine neue Frage: ob der Reichstag nun ohne einen ſolchen Bericht abzuwarten dieſe Sachen vornehmen ſoll; oder ob man erſt wieder darauf bedacht ſeyn will, die abgebrochene Viſitation von neuem in Gang zu bringen? Das letztere wuͤrde unſtreitig in vie - lem Betrachte zu wuͤnſchen ſeyn. Gar viele Din - ge, die hiebey zu eroͤrtern vorkommen, laßen ſich unſtreitig beſſer an Ort und Stelle beurtheilen, als in einer ſolchen Entfernung, worin der Reichs - tag vom Cammergerichte ſteht. Soll aber die Viſitation hergeſtellt werden, ſo wird wohl kein Teutſcher Biedermann den Wunſch verleugnen koͤn - nen, daß erſt alle bisherige Anſtaͤnde, die ſich bey der Viſitation ſelbſt geaͤußert haben, und großen - theils von der 1766. unvollendet gelaßenen vor - gaͤngigen Reichstagsberathſchlagung abgehangen, zuvor gaͤnzlich berichtiget ſeyn moͤgen.

X.
66

Um von der Erheblichkeit der hier in Betrach - tung kommenden Gegenſtaͤnde nur einigen Begriff zu machen, ohne doch zu tief in das unuͤberſeh -bare1633) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.bare proceſſualiſche Feld hineinzugehen, will ich nur ein und andere Puncte hier bemerklich machen. Eine der allgemeinſten Regeln der Rechtspflege muß billig dieſe ſeyn, daß keinem Beklagten, ohne erſt uͤber die Klage gehoͤret zu ſeyn, auf einſeiti - gen Vortrag des Klaͤgers anbefohlen werden darf denſelben klaglos zu ſtellen, weil ein Richter nie zum voraus wiſſen kann, ob des Klaͤgers Erzeh - lungen ihre voͤllige Richtigkeit haben, und ob der Beklagte nicht vielleicht gegruͤndete Einreden da - wider vorbringen koͤnne. Dieſe Regel kann nur wenige Ausnahmen leiden, als inſonderheit nur alsdann, wenn Thaͤtlichkeiten, wodurch ſich je - mand ſelber helfen und einen andern aus ſeinem Beſitze verdraͤngen wollen, hinlaͤnglich beſcheini - get ſind, oder wenn auf klare Brief und Siegel geklagt wird, wider welche keine unlautere Ein - wendungen anders als nach geſchehener Bezah - lung in einem beſonderen Proceſſe ſtatt finden koͤn - nen. Fuͤr dieſe beide Faͤlle hat man ſchon in meh - reren Geſetzgebungen gut gefunden, zwey beſonde - re Gattungen eines poſſeſſoriſchen und executiven Proceſſes einzufuͤhren, worin ſummariſcher als in dem ſonſt gewoͤhnlichen ordentlichen Proceſſe ver - fahren, und dem Beklagten nur nachgelaßen wird, ſeine nicht den Beſitz ſondern das Recht betreffen - de, oder ſonſt unlautere und noch weit ausſehende Einreden in einem beſonderen Proceſſe auszufuͤh - ren. Nach dem Reichsproceſſe, wie er in der Cammergerichtsordnung und anderen Reichsge - ſetzen vorgeſchrieben iſt, koͤnnen in ſolchen Faͤllen von den Reichsgerichten Strafbefehle (Mandate) erkannt werden, bey denen weniger zu erinnern iſt, wenn ſie die Clauſel enthalten, daß, im FallL 2der164XIII. Joſeph II. 1764-1786.der Beklagte ſich dadurch beſchwert hielte, derſel - be nur ſeine Ei〈…〉〈…〉 reden dagegen vorbringen ſollte (Mandate mit der Juſtificatoriclauſel); denn in ſolchem Falle verwandelt ſich der Befehl von ſelb - ſten in die Kraft einer bloßen Ladung. Allein wenn Mandate ohne ſolche Clauſel erkannt wer - den, und darauf gleich die Execution erfolgen ſoll, ſo iſt dabey deſto mehr zu erinnern, zumal wenn jemand dadurch die Vortheile des Beſitzes ver - liehren, und dann erſt ſein Recht ausfuͤhren ſoll.

XI.
66

Dabey tritt in Anſehung der beiden hoͤchſten Reichsgerichte noch der beſondere Umſtand ein, daß vermoͤge der Cammergerichtsordnung in Sa - chen, worin Mandate ohne Clauſel erkannt wer - den, die Auſtraͤgalinſtanz(l)Oben Th. 1. S. 212. und 320. u. f. wegfaͤllt. In dieſer Ruͤckſicht werden haͤufig von klagenden Par - theyen Mandate ohne Clauſel geſucht, um nur die Auſtraͤgalinſtanz vorbeygehen zu koͤnnen; und eine gewiſſe Abneigung gegen dieſe Inſtanz mag auch nicht ſelten Antheil daran haben, daß der - gleichen Mandatsgeſuche Gehoͤr finden, wo es von Rechts wegen nicht ſeyn ſollte. Daruͤber ſind deswegen ſchon viele Recurſe an den Reichstag ergriffen worden; daher es wohl der Muͤhe werth waͤre, auf eine genauere Beſtimmung der Faͤlle, worin Mandate ohne Clauſel zu erkennen ſeyen, von Seiten der geſetzgebenden Gewalt Bedacht zu nehmen, wie das einer der Puncte iſt, die der neueſte Reichsſchluß dazu empfiehlt.

XII.
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Den Beſchwerden wegen der Mandatserkennt - niſſe auszuweichen bedient ſich der Reichshofrathzu1653) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.zu Zeiten eines gewiſſen Ausweges, indem er im Namen des Kaiſers und mit deſſen eigner Unter - ſchrift Reſcripte erlaßen kann, worin oft mit fei - neren Wendungen und in hoͤflicheren Ausdruͤcken, als in den gewoͤhnlichen Mandatsformularen, ei - nem belangten Reichsſtande zu erkennen gegeben wird, wie der Kaiſer z. B. zu des Beklagten eig - ner Gerechtigkeitsliebe und Gemuͤthsbilligkeit das Vertrauen habe, daß er von ſelbſten geneigt ſeyn werde, die eingeklagte Beſchwerde auf dieſe oder jene Art abzuthun. Dergleichen Reſcripte, wie ſie vielmehr bey Hoͤfen und Staatsminiſterien, als bey eigentlichen Gerichten in Uebung ſind, hat das Cammergericht unter ſeinen Ausfertigungen, die alle nur nach proceſſualiſchen Formularen vor - geſchrieben ſind, nicht. Es hat aber in neueren Zeiten angefangen in ſeinen ſo genannten Extraju - dicialdecreten, worin der klagenden Partheyen Ge - ſuch erkannt oder abgeſchlagen oder auch noch auf gewiſſe Bedingungen ausgeſetzt wird, jene Schreib - art der kaiſerlichen Reſcripte nachzuahmen. So war es z. B. geſchehen, daß der Churpfaͤlziſche Hof, als das Cammergericht eine Nichtigkeitskla - ge von einem gewiſſen Landſchreiber Heiler gegen den Churfuͤrſten angenommen und die gewoͤhnli - che Ladung darauf erkannt hatte, gleich davon den Recurs an den Reichstag genommen hatte, ohne daß der Klaͤger zu ſeinem Zwecke gelangen konnte. Als hernach bald darauf von einem gewiſſen Ulſa - ner eine aͤhnliche Nichtigkeitsklage gegen den Chur - fuͤrſten Clemens Auguſt von Coͤlln einkam; ertheil - te das Cammergericht darauf ein Decret ungefaͤhr des Inhalts: Noch zur Zeit abgeſchlagen, ſon - dern verſiehet man ſich zu des Herrn ChurfuͤrſtenL 3Ge -166XIII. Joſeph II. 1764-1786.Gemuͤthsbilligkeit und Gerechtigkeitsliebe, daß er von ſelbſten geneigt ſeyn werde, dem Klaͤger uͤber ſeine Beſchwerden rechtliches Gehoͤr zu geſtatten, und ſein Recht widerfahren zu laßen ꝛc. Der Mann erreichte damit ſeinen Zweck. Man nann - te das eine Ordination. Seitdem wurde in kur - zem nichts allgemeiner als dergleichen Ordinatio - nen zu ſuchen und zu erkennen. Das alles ge - ſchah inzwiſchen ohne Vorſchrift und Beſtimmung der Geſetze. Und im Grunde waren es doch im - mer Erkenntniſſe auf einſeitige Vortraͤge, wodurch leicht etwas erſchlichen werden konnte. Daher ward auch dieſes zur naͤheren Beſtimmung der ge - ſetzgebenden Gewalt empfohlen.

XIII.
67

Endlich gibt es zwiſchen den beiden hoͤch - ſten Reichsgerichten wegen der Concurrenz ihrer Gerichtbarkeit oft beſchwerliche Colliſionen; wie uͤberhaupt eine ſolche Einrichtung, daß mehrere Gerichte eine concurrirende Gerichtbarkeit auszu - uͤben haben, nach allgemeinen Grundſaͤtzen der Staatsklugheit wohl keinen Beyfall verdienet. Es iſt zwar, ſofern eine Parthey die Wahl hat, ob ſie ihre Sache am Cammergerichte oder Reichs - hofrathe anbringen wolle, eine ganz ausgemachte Sache, daß dasjenige Reichsgericht, deſſen er - kannte Proceſſe zuerſt inſinuirt werden, vor dem andern das Recht der Praͤvention gewinnt. Je - doch nicht nur daruͤber ereignen ſich zu Zeiten zwei - felhafte Irrungen, ſondern in vielen Faͤllen wird ſelbſt vom Reichshofrathe dem Cammergerichte die Concurrenz ſtreitig gemacht, wo jener gemei - niglich vom kaiſerlichen Hofe, letzteres von Sei - ten der Reichsſtaͤnde unterſtuͤtzt wird. Eine ſchonoben1673) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.oben (Th. 2. S. 111.) beruͤhrte Streitigkeit von der Art beruhet auf der authentiſchen Erklaͤrung einer Stelle der Cammergerichtsordnung von Rechtsſachen, die ganze Fuͤrſtenthuͤmer betreffen, die das churfuͤrſtliche Collegium ſchon 1742. zur reichstaͤglichen Eroͤrterung empfohlen hat. Jetzt hat der Reichsſchluß 1775. von neuem den Juris - dictionsconflict der beiden hoͤchſten Reichsgerichte uͤberhaupt zur naͤhern Beſtimmung der geſetzge - benden Gewalt heimgeſtellt.

Unter andern ſcheint man zu Wien alle ſolcheXIV. Faͤlle, wo von kaiſerlichen Reſervatrechten die Re - de iſt, oder wo Reichsgeſetze der kaiſerlichen Fuͤr - ſorge gewiſſe Angelegenheiten empfehlen, einer privativen Gerichtbarkeit des Reichshofraths mit Ausſchließung des Cammergerichts zueignen zu wollen; ungeachtet nichts gewiſſer iſt, als daß in allen zur kaiſerlichen Gerichtbarkeit geeigneten Sachen, ſofern nicht ausdruͤckliche Reichsgeſetze das Cammergericht davon ausſchließen, dieſes eben ſowohl als der Reichshofrath im Namen des Kai - ſers Recht zu ſprechen befugt iſt. So war noch im Jahre 1777. uͤber eine vom Biſchofe zu Luͤt - tich an einen Herrn von Weichs vergebene Prob - ſtey zu Hanſinne ein Streit mit einem Herrn von Collenbach entſtanden, der ſich dieſe Pfruͤnde durch eine paͤbſtliche Proviſion zu verſchaffen geſucht hat - te. Als hieruͤber vom Cammergerichte auf Anſu - chen des Herrn von Weichs und ſelbſt auf Ver - langen des Biſchofs von Luͤttich ein Mandat er - kannt und inſinuirt war; bewirkte der Herr von Collenbach vom Reichshofrathe ein anderweites Erkenntniß, worin ausdruͤcklich behauptet wurde,L 4daß168XIII. Joſeph II. 1764-1786.daß dieſe Rechtsſache weder an das Cammergericht, noch an den Official zu Luͤttich, ſondern nur an den Reichshofrath gehoͤrte; vermuthlich weil es hier auf eine Entſcheidung aus den Concordaten mit dem paͤbſtlichen Stuhle ankomme, deren Hand - habung in der Wahlcapitulation der kaiſerlichen Majeſtaͤt empfohlen ſey(m)Reuß Teutſche Staatscanzley Th. 1. S. 103-119..

XV.
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Dieſer Vorfall hat nicht nur einen vom Bi - ſchofe von Luͤttich im Jahre 1780. ergriffenen Re - curs an den Reichstag veranlaßt(n)Reuß Deductionsſammlung S. 1-158., ſondern ſeitdem auch noch eine andere Folge gehabt, wor - uͤber noch mehr Aufſehen entſtanden iſt. Es ſind nehmlich einige Jahre nachher (1785.) im Na - men Seiner Majeſtaͤt des Kaiſers dem Cammer - gerichte die Acten und Berathſchlagungs-Pro - tocolle uͤber dieſe Sache abgefordert worden. Hierwider hat man ſich auf mehrere Stellen der Reichsgeſetze bezogen, vermoͤge deren dem Cam - mergerichte durch keine abſonderliche kaiſerliche Re - ſcripte die Haͤnde gebunden, auch keine daſelbſt anhaͤngig gemachte Sache von da abgefordert, noch aufgehoben und dagegen inhibirt, oder ſonſt in andere Weiſe reſcribirt werden ſolle ꝛc .(o)C. G. O. 1555. Th. 2. Tit. 35., R. A. 1654. §. 166., Wahlcap. Art. 16. §. 7.. Inſonderheit hat man es wegen der Stimmfrey - heit der Cammergerichtsbeyſitzer, deren Vota nur ein dem Gerichte anvertrautes Geheimniß bleiben ſollen, fuͤr bedenklich gehalten, und noch bedenk - licher, da der Gegenſtand eine Colliſion der Ge -richt -1693) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.richtbarkeit der beiden hoͤchſten Reichsgerichte be - troffen, woruͤber keine einſeitige Verfuͤgung ſtatt finden koͤnnen. Verſchiedene der angeſehenſten Teutſchen Hoͤfe haben deswegen noͤthig gefunden, dem Cammergerichte ſelbſt deswegen eine nach - druͤckliche Aeuſſerung mit Verwahrung der reichs - ſtaͤndiſchen Rechte zukommen zu laßen.

Ueber alle dieſe Dinge waͤre die BefolgungXVI. einerley richtiger Grundſaͤtze von Seiten Kaiſers und Reichs um ſo mehr zu wuͤnſchen, je weniger einem Monarchen, den das Teutſche Reich als ſein hoͤchſtes Oberhaupt verehret, damit gedient ſeyn kann, in Entſcheidung einzelner Rechtsſachen irgend einen Miniſterialeinfluß zu geſtatten, und je mehr beiden Theilen daran gelegen ſeyn muß, daß an beiden hoͤchſten Reichsgerichten eine ohne alle Ruͤckſichten oder Nebeneinfluͤſſe gerade durch - gehende Gerechtigkeit gehandhabet werde.

L 5IV. 170XIII. Joſeph II. 1764-1786.

IV. Neue Ausſichten fuͤr die Religionsbeſchwerden.

I. II. Zu Abhelfung der Religionsbeſchwerden war ſeit 1742. eine neue Stelle in die Wahlcapitulation eingeruͤckt, III. und auf Veranlaßung eines churfuͤrſtlichen Collegial - ſchreibens 1764. von Joſeph dem II. eine preiswuͤrdige Er - klaͤrung ertheilet. IV. Zu deren Befolgung und Benut - zung ward 1770. eine beſondere Deputation ſechs evangeli - ſcher Reichsſtaͤnde beſ[chlo]ſſen und ins Werk gerichtet; wozu jedoch die zur Beſtre〈…〉〈…〉 ung der Unkoſten noͤthigen Geldbey - traͤge mit Ausgang des Jahres 1784. meiſt erſchoͤpft ſind.

I.
70

Noch waren zwey wichtige Gegenſtaͤnde, die unter Joſeph dem II. gleich von ſeinem Wahl - convente her in neue Bewegung geſetzt waren; ei - ner, der die Beſchwerden der verſchiedenen Reli - gionsverwandten gegen einander; ein anderer, der verſchiedene Beſchwerden catholiſcher Reichsſtaͤnde in ihrer eignen hierarchiſchen Verfaſſung betraf.

II.
70

Ungeachtet das gute Vernehmen, worin das Haus Oeſterreich bis auf den ſiebenjaͤhrigen Krieg mit Großbritannien und dem Hauſe Hannover ſtand, vielleicht oft dazu befoͤrderlich geweſen war, daß manche Beſchwerden evangeliſcher Reichs - ſtaͤnde oder Unterthanen noch ihre Erledigung oder Vermittelung gefunden hatten; ſo nahm doch die Anzahl der Religionsbeſchwerden ſeit dem Ba - diſchen Frieden ſelbſt unter der Regierung Carls des VI. ſowohl in der Pfalz als in vielen anderen Laͤndern dergeſtalt zu, daß ſchon bey der WahlCarls1714) Religionsbeſchwerden 1764. u. f.Carls des VII. das churfuͤrſtliche Collegium ſich bewogen fand, eine eigne Stelle in die Wahlca - pitulation einzuruͤcken, wie den vielen Beſchwer - den abzuhelfen ſeyn moͤchte. Dieſe ſeitdem in den folgenden Wahlcapitulationen beybehaltene Stelle war, hauptſaͤchlich durch die Bemuͤhungen der da - maligen Churtrieriſchen und Churbraunſchweigi - ſchen Wahlbotſchafter (von Spangenberg und von Muͤnchhauſen), ſo gefaßt: Wo die Augsburgi - ſchen Confeſſionsverwandten gegen den Weſtphaͤ - liſchen Frieden oder andere Reichsgeſetze ſich be - ſchwert zu ſeyn erachteten, und daruͤber von den evangeliſchen Staͤnden mit Inbegriff der Reichs - ritterſchaft, ſammt oder ſonders Vorſtellungen an den Kaiſer erlaßen wuͤrden, ſollte derſelbe ſich dar - auf ohne allen Anſtand obgedachten Reichsgrund - geſetzen gemaͤß entſchließen, ſofort ſothane Ent - ſchließung den evangeliſchen Staͤnden zu wiſſen thun, ſolche auch ungeſaͤumt zum Vollzuge brin - gen, keinesweges aber in Religionsſachen Proceſſe verſtatten, ſondern darunter lediglich den Reichs - grundgeſetzen nachgehen, und daran ſeyn, daß die bisher angebrachten noch unerledigten Religions - beſchwerden des forderſamſten reichsgeſetzmaͤßig ab - gethan wuͤrden(p)Wahlcap. (1742.) Art. 1. §. 11..

So buͤndig dieſe Stelle gefaßt zu ſeyn ſchien,III. ſo war doch unter beiden folgenden Regierungen wenig oder gar keine Wirkung davon zu ſpuͤhren. Bey der Wahl Joſephs des II. ward deswegen der Kaiſer Franz in einem churfuͤrſtlichen Collegial - ſchreiben von neuem erſucht, die Verfuͤgung zu treffen, daß nicht nur alle Religionsbeſchwerdennach172XIII. Joſeph II. 1764-1786.nach dem Inhalte der Wahlcapitulation forder - ſamſt erlediget werden moͤchten, ſondern auch zu Befoͤrderung der Wohlfahrt und des innern Ru - heſtandes des Reichs fuͤrs kuͤnftige hierin aufs kraͤftigſte vorgebeuget werde. Es ergiengen auch gleich damals kaiſerliche Befehle an die Reichsge - richte, die rechtshaͤngigen Religionsſachen zur recht - lichen Entſcheidung zu befoͤrdern. Hauptſaͤchlich aber erklaͤrte ſich hernach Joſeph der II. auf ein Vorſtellungsſchreiben, ſo das evangeliſche Corpus von neuem erlaßen hatte, in einem an die Princi - palcommiſſion erlaßenen Reſcripte (1769. Jan 8.) auf eine hoͤchſtpreiswuͤrdige Art, wie Seiner Ma - jeſtaͤt Abſicht ſey, den ſich in Religionsſachen be - ſchwerenden Partheyen, ſobald ſolche die Sachen gehoͤrig anbringen und fortſetzen wuͤrden, mit Be - ſeitigung aller weitlaͤuftigen Proceſſe, vorzuͤglich vor allen anderen mit executiviſchem Verfahren Rechtshuͤlfe angedeihen zu laßen.

IV.
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Durch dieſe Erklaͤrung aufgemuntert, faßte das evangeliſche Corpus neuen Muth, um auch ſeines Orts dazu befoͤrderlich zu ſeyn, den hoͤchſten Reichsgerichten die Eroͤrterung der Religionsbe - ſchwerden ſoviel moͤglich zu erleichtern, und ſelbſt dafuͤr zu ſorgen, daß ſie auch nicht mit ungegruͤn - deten Beſchwerden behelliget werden moͤchten. Es beſchloß daher (1770. Apr. 11.) eine eigne De - putation ſechs evangeliſcher Staͤnde zu ernen - nen(q)Dieſe Staͤnde waren Churſachſen, Chur - braunſchweig, Heſſencaſſel, Wetterauiſche Gra - fen, Stadt Regensburg und Heilbronn. Eineaus - und denſelben einen Rechtsgelehrten alsCon -1734) Religionsbeſchwerden 1764. u. f.Conſulenten zuzuordnen, damit alle Religionsbe - ſchwerden, worin eine Unterſtuͤtzung oder Fuͤrſpra - che der evangeliſchen Reichsſtaͤnde geſucht wuͤrde, erſt gepruͤfet werden koͤnnten. Hernach wollte man ſuchen, die noͤthige Bevollmaͤchtigung von Seiten der beſchwerten Partheyen, wie auch die erforder - lichen Beweismittel, woran es ſonſt bey Reichs - gerichten oft fehlte, in die gehoͤrige Ordnung brin - gen zu helfen. Und dann ſollte eine jede Parthey zu Anbringung oder Fortſetzung ihrer Beſchwer - den bey einem der beiden hoͤchſten Reichsgerichte angewieſen werden. Die zu dieſer Anſtalt erfor - derlichen Koſten ließ man einsweilen auf den frey - willigen Beytrag eines jeden Reichsſtandes an - kommen(r)Dieſe Beytraͤge, wie ſie vom 27. Sept. 1770. bis zum 13. Febr. 1771. eingegangen wa - ren, betrugen beſage einer Berechnung vom 31. Dec. 1784. zuſammen 7474. Fl. 12. Kreuzer, wo - von zu Ende des Jahrs 1784. noch 854. Fl. 16. Kr. uͤbrig waren. Zu jener Summe hatten bey - getragen Churbraunſchweig 900. Fl., Holſtein - gluͤckſtadt 404. Fl. 24. Kr., Holſteingottorp 400. Fl., Stadt Hamburg 400. Fl., Braunſchweig - Wolfenbuͤttel 360. Fl., Naſſauoranien 300. Fl., Churſachſen, Mecklenburg-Schwerin, Heſſencaſ - ſel, Mecklenburg-Strelitz, Heſſenhanau, jedes 180. Fl. u. ſ. w. Von Berlin aus war kein Bey - trag geſchehen. Reuß Staatscanzley Th. 10. S. 151-180.. Bis im November 1784. ſind nun bey dieſer Deputation zwanzig Sachen vorgekom - men; davon haben aber nur ſechs bey Reichsge - richten in Gang gebracht werden koͤnnen. (Manmuß(q)ausfuͤhrliche Nachricht von der ganzen Sache fin - det ſich in Walchs neueſter Religionsgeſchichte Th. 1. S. 251-292.174XIII. Joſeph II. 1764-1786.muß wuͤnſchen und hoffen, daß mit toleranteren Geſinnungen des aufgeklaͤrteren Theils der Catho - liſchen nach dem erhabenen Beyſpiele Joſephs des II. die Quellen der Religionsbeſchwerden ſelbſt ſich nach und nach vermindern werden.)

V. Veraͤnderungen in der catholiſchen Kirchenver - faſſung; beſonders mit Aufhebung der Jeſuiten.

I. Erneuerte Beſchwerden der Teutſchen catholiſchen Kirche uͤber den Roͤmiſchen Hof, II. inſonderheit auf Veranlaßung eines Streits zwiſchen dem Biſchofe und Dom - capitel, und dem Domdechanten zu Speier, den die paͤbſtliche Rota zum Nachtheile der erzbiſchoͤflichen Inſtanz zu Mainz nach Rom ziehen wollte; III. da jedoch, auf ein churfuͤrſtliches Collegialſchreiben an den Kaiſer, der Pabſt nachgab; wiewohl der Inhalt dieſes Collegialſchreibens noch nicht ganz erſchoͤpft iſt. IV. Inzwiſchen erſchienen daruͤber in Druck eine vollſtaͤndigere Ausgabe der Concor - date, mit eingeruͤckter Acceptation der Baſeliſchen Conci - lienſchluͤſſe, und ein der paͤbſtlichen Gewalt ſehr nach - theiliges Buch unter dem Namen Juſtinus Febronius. V. Auch entwarfen die drey geiſtlichen Churfuͤrſten von neuem ihre Beſchwerden uͤber den Roͤmiſchen Hof; wie - wohl ohne noch die gehoffte Unterſtuͤtzung vom Kaiſer zu erlangen. VI. Die wichtigſte Veraͤnderung ereignete ſich endlich mit Aufhebung der Jeſuiten; VII. wovon ſich ſchon mit mehr Aufklaͤrung und tolerauteren Geſinnungen betraͤchtliche Folgen zu zeigen anfiengen; VIII. zum Theil ſchon unter Maria Thereſia, aber noch ungleich mehr unter Joſeph dem II., in den Oeſterreichiſchen Erbſtaaten. IX. Doch blieben noch immer Exjeſuiten in Teutſchland wirk - ſam gnug. X. Und unter Ruſſiſchem Schutze fand der Orden noch Mittel von neuem ſich fortzupflanzen.

I.
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Fuͤr das catholiſche Teutſchland waren noch von alten Zeiten her viele Beſchwerden inſon -der -1755) Cathol. Kirchenverfaſſung.derheit gegen die Roͤmiſchen Curialiſten uͤbrig. Ein beſonderer Vorfall gab Gelegenheit, daß ei - nige derſelben aufs neue rege gemacht wurden.

Zwiſchen dem Biſchofe und dem DomcapitelII. zu Speier waren vielerley Streitigkeiten, woruͤ - ber im Jahre 1760. ein Vergleich im Werke war, dem ſich aber der damalige Domdechant, Graf von Limburg-Styrum (ſeit 1770. ſelbſt Biſchof zu Speier) widerſetzte. Seitdem kam es ſelbſt zwiſchen dem Domcapitel und dem Domdechanten zu ſolchen Mißhelligkeiten, daß jenes den letztern von ſeiner Stelle ſuspendirte. Als dagegen der Domdechant vom erzbiſchoͤflichen Metropolitange - richte zu Mainz einen Herſtellungsbefehl bewirkte, brachte das Domcapitel durch eine Appellation an die paͤbſtliche Rota zu Rom es dahin, daß nicht nur eine paͤbſtliche Inhibition nach Mainz ergieng, um jenen Herſtellungsbefehl nicht zu vollziehen, ſondern daß auch die Hauptſache ſelbſt mit Vor - beygehung der Mainzer Inſtanz gaͤnzlich nach Rom gezogen, und daſelbſt in der ſo genannten ſigna - tura iuſtitiae loco gratiae eroͤrtert werden ſollte.

Hierdurch hielt ſich ſelbſt der Mainzer HofIII. beſchweret, daß gegen die von der Teutſchen Na - tion acceptirten Schluͤſſe der Baſeler Kirchenver - ſammlung und die ſich darauf beziehenden Concor - date zu Rom verfahren wuͤrde. Bey der Wahl Joſephs des II. wurde daruͤber ein churfuͤrſtli - ches Collegialſchreiben an den Kaiſer erlaßen, worin die Churfuͤrſten aͤußerten: wie hohe Noth es ſey, die noch immer mehr ſich ausbreitenden Eingriffe gegen die Freyheit der Teutſchen Kircheabzu -176XIII. Joſeph II. 1764-1786.abzuſchaffen, und fernerhin nicht mehr zu dulden; wie man zwar in die perſoͤnliche paͤbſtliche Geſin - nung keinen Zweifel ſetze, aber deſto mehr uͤber den Roͤmiſchen Hof und die dortigen Tribunalien zu klagen habe; wie es inſonderheit darauf an - komme die ungebuͤhrlich nach Rom gezogenen Ap - pellationen und Evocationen, und die daſelbſt ein - gefuͤhrten ungewoͤhnlichen Gerichtsſtellen nicht zu geſtatten, ſondern in ſolcher Abſicht die ſchon auf dem Reichstage zu Augsburg 1530. verſprochene Unterhandlung mit dem paͤbſtlichen Stuhle zu be - werkſtelligen, und das noch vom Jahre 1719. her ruͤckſtaͤndige Reichsgutachten zu erwirken ꝛc. (s)Schon im R. A. 1530. §. 132. hatte der Kaiſer Carl der V. verſprochen, wegen der bis dahin ſchon auf mehreren Reichstagen vorgekom - menen Beſchwerden der Teutſchen Nation gegen den Stuhl zu Rom bey demſelben mit allem hoͤch - ſten Fleiſſe zu handeln, und die Sache dahin zu foͤrdern, damit ſolche Beſchwerden abgeſtellt, und der Teutſchen Nation in dieſem ihrem billigen Be - gehren ſtatt gegeben werde. (Samml. der R. A. Th. 2. S. 326.) Dieſe ſeitdem noch nicht zum Zweck gediehene Handlung mit dem paͤbſtlichen Stuhle ward alſo I) in obigem Collegialſchreiben von neuem empfohlen. Hernach hatte II) Kaiſer Joſeph der I. unterm 5. Sept. 1707. verſchiedene Verordnungen an die Officialatgerichte zu Luͤttich, wie auch zu Coͤlln, Paderborn und Muͤnſter er - laßen, um die Appellationen und Evocationen in weltlichen Sachen nach Rom und an die Nuncia - turen nicht zu geſtatten. (Sie finden ſich als Bey - lagen des kaiſerlichen Commiſſionsdecretes vom 24. May 1719. Num. 5-13. in Pachners von Eg - genſtorf Sammlung der Reichsſchluͤſſe Th. 4. S. 84-91.) Dieſe Verfuͤgungen ließ Carl der VI.,in. Dieſes Collegialſchreiben war von der Wirkung,daß1775) Cathol. Kirchenverfaſſung.daß ſelbſt in der Speiriſchen Sache der paͤbſtliche Hof gleich nachgab, indem er die voͤllige Herſtel -lung(s)in Beziehung auf das, was die Viſitation des Cammergerichts 1713. wegen Abſtellung der un - gebuͤhrlichen Appellationen und Evocationen an hoͤhere geiſtliche Gerichte in ihrem Berichte hat - ten einfließen laßen, in dem Commiſſionsdecrete vom 24. May 1719. den Reichsſtaͤnden mitthei - len, mit der Aeuſſerung, wie Jahre kaiſerliche Ma - jeſtaͤt nicht undienlich zu ſeyn vermeynten, wenn auch das Cammergericht zu Beobachtung jener Verfuͤgungen angewieſen wuͤrde. (Samml. der R. A. Th. 4. S. 342. Schmauß corp. iur. publ. S. 1285.) Es ward aber in dem darauf erfolg - ten Reichsgutachten vom 15. Dec. 1719. uͤber dieſen Punct keine Erklaͤrung ertheilt, ſondern nur ſoviel geaͤußert: Auf die uͤbrigen in obauge - fuͤhrtem kaiſerlichen Commiſſionsdecrete enthal - tenen Puncte wuͤrde man nach vollbrachter Deli - beration den fernern Schluß demnaͤchſt auch er - oͤffnen, und daruͤber kaiſerlicher Majeſtaͤt das weitere Reichsgutachten erſtatten. (Samml. der R. A. Th. 4. S. 347. Schmauß am a. O. S. 1293.) Das iſt alſo das Reichsgutachten, deſſen Erwirkung in obigem Collegialſchreiben emp - fohlen wird, und noch immer erwartet werden kann. Die Zeit ſcheint doppelt gelegen dazu zu ſeyn, da eben jetzt (1786.) die Errichtung einer neuen Nunciatur in Baiern im Werke iſt, und Joſeph der II. zur Beruhigung des catholiſchen Teutſchlandes ſich ſchon erklaͤret hat, daß den paͤbſtlichen Botſchaftern keine Gerichtbarkeit noch andere Eingriffe in die Rechte der Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe zu geſtatten ſeyen. Es waͤre wohl der Muͤhe werth, daß ein foͤrmlicher Reichsſchluß darauf das Siegel druͤckte. (Obiges Collegial - ſchreiben vom 19. Maͤrz 1764. findet ſich uͤbrigens im Wahldiario Joſephs des II. S. 68. und 87. und nebſt den vorhergegangenen churfuͤrſtlichenP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. MAb -178XIII. Joſeph II. 1764-1786.lung des Domdechanten verfuͤgte, und die Eroͤr - terung der Sache ſelbſt nach Mainz zuruͤckver - wies(t)Das paͤbſtliche Erkenntniß vom 4. Sept. 1764. habe ich in meinen Rechtsfaͤllen B. 1. Th. 2. S. 316. abdrucken laßen. Ein Vergleich, der hernach am 18. Jan. 1767. uͤber die Sache ſelbſt geſchloſſen worden, findet ſich in Cramers Wetz - lariſchen Nebenſtunden Th. 68. S. 100.. Das alles zeigte ſich aber bald nur als ein Vorſpiel weit groͤßerer Dinge, die dem Roͤ - miſchen Hofe von Teutſchland aus bevorzuſtehen ſchienen.

IV.
77

Schon ſeit einiger Zeit konnte man es in der Litteratur des catholiſchen Teutſchlandes wahr - nehmen, daß man uͤber den Werth der Iſidori - ſchen Decretalen(u)Oben Th. 1. S. 88-93., und eben deswegen auch uͤber das Verhaͤltniß der Teutſchen Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe zum Roͤmiſchen Stuhle, uͤber die Im - munitaͤt der Geiſtlichen, und uͤber das Moͤnchs - weſen nicht mehr ſo dachte, oder doch nicht mehr ſo zuruͤckhaltend war, wie in vorigen Zeiten. Selbſt die Rechtsſache des Speiriſchen Domde - chanten mochte wohl einigen Antheil daran haben, daß im Jahre 1763. ein neuer Abdruck von den Concordaten zwiſchen dem paͤbſtlichen Stuhle und der Teutſchen Nation in ihrer Vollſtaͤndigkeit er - ſchien, wo zum erſtenmal die wichtige Urkunde von der von Albrecht dem II. im Jahre 1439. ge - ſchehenen Acceptation der Baſeliſchen Concilien -ſchluͤſſe(s)Abſtimmungen in Moſers Religionsverfaſſung S. 742-749. wie auch in Henr. Ferd. Chriſt von Lynker Wahlcap. Joſephs des II. mit beygefuͤg - tem Protocolle ꝛc. Arnſt. 1783. 4. S. 184. u. 305.)1795) Cathol. Kirchenverfaſſung.ſchluͤſſe zum Vorſchein kam, und zugleich ins Licht geſetzt wurde, daß nicht bloß dasjenige, was im Jahre 1448. zu Aſchaffenburg vorgegangen, ſon - dern ſchon verſchiedene paͤbſtliche Bullen vom Jah - re 1447. die vollſtaͤndigen Concordate ausmach - ten; woraus ſich weit ein mehreres, als bloß aus den Aſchaffenburger Concordaten, zum Vortheile des catholiſchen Teutſchlandes gegen den Roͤmi - ſchen Hof behaupten ließ(v)Oben Th. 1. S. 296-299. und meine Lit - teratur des Teutſchen Staatsrechts Th. 2. S. 486.. In eben dem Jah - re 1763. erſchien aber noch uͤberdies uͤber den ei - gentlichen Zuſtand der Kirche und uͤber die recht - maͤßige Gewalt des Roͤmiſchen Pabſtes unter dem angenommenen Namen Juſtinus Febronius, vom Weihbiſchof Johann Nicolaus von Hontheim zu Trier, ein Buch(w)Iuſtini Febronii de ſtatu eccleſiae et le - gitima poteſtate Romani pontificis liber ſingularis ad reuniendos diſſidentes in religione Chriſtianos compoſitus, Bullion. 1763. 4., das in ganz Europa Auf - ſehen machte, und dem paͤbſtlichen Stuhle aͤußerſt unangenehm ſeyn mußte, weil es den Primat des Roͤmiſchen Biſchofs mit vieler gruͤndlichen Gelehr - ſamkeit in ſehr enge Graͤnzen zuruͤckſetze(x)Der Herr von Hontheim iſt zwar hernach genoͤthiget worden, unterm 1. Nov. 1778. eine Retractation der in ſeinem Buche dem paͤbſtlichen Hofe mißfaͤllig geweſenen Saͤtze auszuſtellen, die Pius der VI. am erſten Weinachtstage 1778. dem Cardinalscollegio feierlich bekannt gemacht hat. Ob aber damit der Eindruck, den die im Febroni - ſchen Buche enthaltenen Gruͤnde, inſonderheit die dadurch unter den Catholiſchen vom Ungrunde der Iſidoriſchen Decretalen mehr verbreitete Aufklaͤ -.

DasM 2run -180XIII. Joſeph II. 1764-1786.
V.
82

Das alles ſchien endlich noch weit wirkſamer zu werden, da im Jahre 1769, von den drey geiſtlichen Churfuͤrſten drey Bevollmaͤchtigte, worunter ſelbſt der Herr von Hontheim war, zu Coblenz zuſammenkamen, und 31. Artikel ent - warfen(y)Joh. Fried. Le Bret Magazin zum Ge - brauch der Staaten - und Kirchengeſchichte Th. 8. (Ulm 1783. 8.) S. 1-21., die dem kaiſerlichen Hofe uͤbergeben wurden, um darnach die Herſtellung der Freyheit der Teutſchen catholiſchen Kirche und die Abſtel - lung der bisherigen Anmaßungen des Roͤmiſchen Hofes nach aͤchten Grundſaͤtzen zu bewirken. Dies - mal wurde aber das Ungewitter, das hiermit uͤber dem Roͤmiſchen Stuhl zu ſchweben ſchien, noch dadurch abgewandt, daß zu Wien die Erklaͤrung erfolgte: Kaiſerliche Majeſtaͤt koͤnnten ſich zur Zeit in dieſe Beſchwerden nicht mengen; Sie er - theilten den Herren Erzbiſchoͤfen demnach den Rath, daß ſich ein jeder mit den ihn betreffenden Be - ſchwerden fuͤr ſich unmittelbar an den Pabſt wen - den moͤchte(z)Le Bret am a. O. S. 21.. Doch wenige Jahre nachher ereignete ſich noch eine Begebenheit, welche von neuem den Weg zu großen Veraͤnderungen in der catholiſchen Kirche bahnte.

VI.
84

Schon ſeit mehreren Jahren hatten ſich in ver - ſchiedenen catholiſchen Reichen uͤber die Jeſuiten einige truͤbe Wolken zuſammengezogen. Aber daß der ganze Orden ſeinem Ende ſo nahe ſeyn ſollte,als(x)rungen einmal gemacht haben, gehoben ſey? iſt eine andere Frage. Walchs neueſte Religionsge - ſchichte Th. 7. S. 195. und 455. Hontheim commentarius in ſuam retractationem, Frf. 1781. 4.1815) Cathol. Kirchenverfaſſung.als auf einmal (1773. Jul. 21.) deſſen Aufhe - bungsbulle von Clemens dem XIV. erſchien, das hatte nach mehrmaligen Beyſpielen aͤhnlicher Un - faͤlle, die den Orden in einzelnen Reichen betrof - fen hatten, und nach der Art, wie er ſich ſelbſt dem paͤbſtlichen Stuhle und der ganzen Roͤmiſchen Hierarchie als deren groͤßte Stuͤtze unentbehrlich gemacht hatte, kaum jemand erwarten koͤnnen. Doch der Fall geſchah. Die Bulle erſchien nicht nur. Sie wurde faſt in allen catholiſchen Staa - ten puͤnctlich vollzogen. Ihre Guͤter nahm an den meiſten Orten der landesherrliche Fiſcus zu ſich, oder man widmete ihre Einkuͤnfte wieder zu anderen milden Stiftungen oder Kirchen - und Schuldienſten.

Im Schulweſen ihre Stellen zu erſetzen fandVII. zwar nicht geringe Schwierigkeit. Inzwiſchen fanden ſich doch hin und wieder theils andere Or - densgeiſtliche, theils Weltgeiſtliche, die den Ab - gang zu erſetzen ſuchten. Man errichtete ſelbſt Schulſeminarien, um fuͤr die Zukunft wenigſtens weniger Mangel an tuͤchtigen Schulmaͤnnern zu haben. Schon erſchienen hier und da merklich verbeſſerte Schulordnungen. Mit Freuden ſah man die Hoffnung in kurzem mehr Aufklaͤrung allgemeiner ausgebreitet zu ſehen. Uebertriebene Begriffe von der paͤbſtlichen Gewalt, aberglaͤubi - ſche Achtung des Moͤnchsweſens, viele Gattun - gen von Andaͤchteleyen, Vorurtheile wider an - dere Glaubensgenoſſen, Unduldſamkeit und Ver - folgungsgeiſt fiengen ſchon merklich an zu ſinken(a)Manche Ueberbleibſel finden ſich in den ſchon mehr von mir angefuͤhrten leſenswuͤrdigen.

SelbſtM 3fuͤnf182XIII. Joſeph II. 1764-1786.
VIII.
86

Selbſt Maria Thereſia genehmigte ſchon man - che Schritte, an die nur wenige Jahre fruͤher kaum zu denken geweſen waͤre. Und doch waren das nur ſchwache Vorboten von dem, was her - nach ihr großer Thronerbe mit Rieſenſchritten un - ternahm, ohne ſelbſt durch einen perſoͤnlichen Be - ſuch von Pius dem VI. (im Apr. 1782.) ſich irre machen zu laßen.

IX.
86

Inzwiſchen blieben an manchen Orten die nun - mehrigen Erjeſuiten nur in veraͤnderter Kleidung und unter anderen Namen als Weltgeiſtliche voͤl - lig in ihrer bisherigen Einrichtung. Andere blie - ben doch wenigſtens einzeln im Beſitz der Beicht - ſtuͤhle vieler großen Herren, und der Canzeln in den beſuchteſten Kirchen. Andere wurden Pro - feſſoren, Schullehrer, Hofmeiſter, Reiſegeſell - ſchafter, Schriftſteller, Journaliſten, oder was ſie auch ſonſt fuͤr Mittel und Wege fanden, nach wie vor in einer gewiſſen Thaͤtigkeit und nicht oh - ne Einfluß in Geſchaͤffte großer Hoͤfe zu blei - ben(b)Was inſonderheit von Verſuchen, durch ge - heime Geſellſchaften unter Leitung unbekannter Oberen ꝛc. den Geiſt der jeſuitiſchen Verbindung zu erhalten und ſelbſt wo moͤglich unter Proteſtan - ten auszubreiten, ſeit einiger Zeit in der Berliner Monathsſchrift, in einem Buche unter dem Titel: Antinicaiſe, und in mehr anderen Schriften vor -gekom -.

Bey

(a)fuͤnf Sendſchreiben eines Laien uͤber das waͤhrend der Jeſuiterepoche ausgeſtreuete Unkraut, Frf. u. Lpz. 1785. 1786. 4. von einer catholiſchen Feder mit vieler Geſchicklichkeit und Freymuͤthigkeit be - ſchrieben.

1835) Cathol. Kirchenverfaſſung.

Bey allem dem verminderte zwar die Sterb -X. lichkeit alle Jahre die Zahl der Exjeſuiten, deren voͤlliges Ende dann doch endlich abzuſehen ſeyn wuͤrde. Allein ſeit 1779. zeigt ſich doch noch eine Art von Unſterblichkeit der Geſellſchaft, da Catharina in dem ihr zugefallenen Theile von Po - len nicht nur ihrer Trennung ſich widerſetzt, ſon - dern endlich ſelbſt veranſtaltet hat, daß hier auch mit Novizen, und unter der Befehlshabung eines mit der vollkommenen Macht eines Generals von neuem erwehlten Generalvicarien, der Orden fuͤr die Zukunft fortgefuͤhrt werden kann(c)Als bey der Polniſchen Theilung 1773. ſechs Jeſuiter-Collegien und Miſſionshaͤuſer, die zur Provinz Maſuren gehoͤrt hatten, unter Ruſ - ſiſche Herrſchaft kamen, und hernach die Auf he - bung der Jeſuiten erfolgte; ernannte der bisheri - ge Provincial von Maſuren fuͤr das nunmehr an Rußland gekommene Weißreuſſen den bisherigen Rector Stanislav Czerniewicz zu Polozk zum Vi - ceprovincial an ſeiner Stelle. Derſelbe war 1728. Aug. 15. aus einem angeſehenen Geſchlechte im Großherzogthume Litthauen gebohren, zu Wilna in ſeinem 15. Jahre in den Orden getreten, zu Rom viele Jahre bey dem letzten Generale Lorenz Ricci theils Subſtitut, theils Generalprocurator der ganzen Polniſchen Aſſiſtenz, und ſeit 1770. Rector des Collegii zu Polozk geweſen. Hier wur - de nun unter kaiſerlich Ruſſiſchem Schutze und vermoͤge einer von Pius dem VI. am 15. Aug. 1778. ertheilten Vollmacht, am 28. Jun. 1779. vom Erzbiſchofe zu Mohilow die Erlaubniß er -.

(b)gekommen iſt, hat kuͤrzlich ein ungenannter Ver - faſſer ziemlich vollſtaͤndig beſchrieben und geſamm - let, unter dem Titel: Vorlaͤufige Darſtellung des heutigen Jeſuitismus, der Roſenkreuzerey, Proſelytenmacherey und Religionsvereinigung, Teutſchland 1786. 8.

M 4theilt,184XIII. Joſeph II. 1764-1786.

(c)theilt, ein Novitiat zu eroͤffnen. Hernach hiel - ten in Gefolg einer Ukaſe vom 4. Jul. 1782. die Jeſuiten aus Weißreuſſen eine Generalverſamm - lung zu Polozk, und erwehlten daſelbſt am 17. Oct. 1782. den bisherigen Viceprovincial zum Ge - neralvicarius mit der vollkommenen Macht eines Generals der Jeſuiten. Nach ſeinem Tode ( 1785. Jul. 18.) iſt Gabriel Lemkiewicz, bisheriger Re - ctor und erſter Aſſiſtent, an ſeine Stelle gekommen. Dieſe Nachrichten hat die Berliner Monathsſchrift im Nov. 1785. S. 418. u. f. aus der Warſchauer Zeitung geliefert. Auch finden ſie ſich in der vor - laͤufigen Darſtellung des heutigen Jeſuitismus ꝛc. S. 183-196.

VI. 1856) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.

VI. Abgang des Hauſes Baiern und daruͤber ent - ſtandener Krieg bis zum Teſchner Frieden 1777-1779.

I. Nach Abgang des Hauſes Baiern behauptete Chur - pfalz die Erbfolge in deſſen Staaten. II. III. Allein Oeſterreich machte jetzt Anſpruch auf Niederbaiern, IV. und auf Lehnſtuͤcke, die dem Reiche und der Krone Boͤh - men eroͤffnet ſeyen. V. Der Churfuͤrſt von der Pfalz bequemte ſich dieſe Anſpruͤche anzuerkennen. VI. Aber der Herzog von Zweybruͤcken widerſprach, und wurde, nebſt anderen Anſpruͤchen des Cyurhauſes Sachſen und des Her - zogs von Mecklenburg, vom Koͤnige in Preuſſen unter - ſtuͤtzt. VII-IX. Als es daruͤber zum Kriege kam, gab eine Erklaͤrung des Ruſſiſchen Hofes den groͤßten Nach - druck; X. ſo daß es unter Ruſſiſcher und Franzoͤſiſcher Vermittelung zu Teſchen bald zum Frieden kam; ver - moͤge deſſen bekam Oeſterreich nur den Strich Landes zwi - ſchen der Donau, dem Inn und der Salze. XI. Chur - ſachſen bekam fuͤr die Mobiliarverlaßenſchaft ſechs Millio - nen Gulden. XII. Dem Hauſe Mecklenburg wurde zu einer unbeſchraͤnkten Befreyung von allen Appellationen Hoff - nung gemacht. XIII. Ein gelegentlich erhobener Auſtand wegen kuͤnftiger Wiedervereinigung der Brandenburgiſchen Fuͤrſtenthuͤmer in Franken mit der Chur Brandenburg wur - de gaͤnzlich gehoben. XIV. Ueber alles das enthielt der Teſchner Friede nicht nur die Garantie von Frankreich und Rußland; ſondern es erfolgte auch die ausbedungene Einwilligung des Teutſchen Reichs; nur mit Vorbe - halt eines jeden Dritten erweislicher Rechte XV. wie namentlich theils ſchon zu Teſchen, theils zu Regensburg verſchiedene Reichsſtaͤnde ſich mit ihren Anſpruͤchen gemel - det hatten, wovon z. B. die von Salzburg und we - gen Donawerth noch durch beſondere Vergleiche gehoben ſind. XVI. Wegen der erledigten Reichslehne erfolgte auch die erforderliche Einwilligung der beiden hoͤheren Reichs - collegien; und uͤber alles das die kaiſerliche Genehmi - gung. XVII. Der ganze Friede war nicht nur Franzoͤ - ſiſch abgefaſſet, ſondern auch in dieſer Sprache ohne beyge - fuͤgte Ueberſetzung dem Reichstage vorgelegt worden.

M 5Von186XIII. Joſeph II. 1764-1786.
I.
91

Von politiſchen Begebenheiten, die unter Jo - ſeph dem II. vorfielen, war fuͤr das Teut - ſche Reich bisher keine wichtiger, als der Todes - fall des Churfuͤrſten Max Joſephs von Baiern ( 1777. Dec. 30.), mit dem der Mannsſtamm ſeines Hauſes voͤllig ausgieng. Auf dieſen Fall hatte von jeher das Haus Pfalz ein ſtammsvetter - liches Erbfolgsrecht behauptet, weil es an Herzog Ludewig dem Strengen ( 1294.) mit dem Hauſe Baiern einen gemeinſamen Stammvater hatte. Das war auch nicht nur in dem Hausvertrage von Pavia vom Jahre 1329. gegruͤndet, ſondern noch durch ganz neue gegenſeitige Vertraͤge in den Jah - ren 1766. 1771. 1774. von neuem bekraͤftiget worden. Selbſt dazu, daß unmittelbar nach dem Tode des Churfuͤrſten von Baiern im Namen des Churfuͤrſten von der Pfalz Beſitz ergriffen werden koͤnnte, war ſchon die noͤthige Ausfertigung zum voraus beſorgt, die auch gleich nach dem Todes - fall am 30. December 1777. zu Muͤnchen voll - zogen wurde.

II.
91

Jedoch zu der Zeit, als Ludewig von Baiern im Jahre 1329. mit ſeines Bruders Soͤhnen, den Pfalzgrafen am Rheine, den Vertrag zu Pa - via geſchloſſen hatte, war Ludewig nur noch im Beſitz von Oberbaiern geweſen. Eine Seitenli - nie, die von ſeines Vaters, Ludewigs des Stren - gen, Bruder abſtammte, beſaß damals noch Nie - derbaiern, das erſt 1340. nach Abgang dieſer Linie mit Oberbaiern vereiniget wurde, und alſo freylich unter jenem Vertrage von Pavia nicht mit begriffen war. Seitdem war nun unter Ludewigs von Baiern Soͤhnen im Jahre 1353. eine neueThei -1876) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.Theilung vorgegangen, vermoͤge deren Nieder - baiern wieder von Oberbaiern getrennt ward, und von Ludewigs Soͤhnen Albrecht der IV. abermals eine neue Niederbairiſche Linie zu Straubingen ſtiftete. Von dieſer Theilung behauptete man jetzt (1778.) zu Wien, es ſey eine Todtheilung geweſen. Als daher dieſer Straubingiſche Manns - ſtamm ſchon im Jahre 1425. mit Albrechts Soh - ne Johannes ein Ende genommen habe; haͤtten die Bairiſchen Stammsvettern zu dieſer Erbfolge eigentlich kein Recht gehabt; ſondern eines Theils habe des letzten Herzogs Johannes Schweſter Sohn, Albrecht von Oeſterreich, gegruͤndeten An - ſpruch auf Niederbaiern machen koͤnnen; anderen Theils habe der Kaiſer Sigismund vermoͤge des kaiſerlichen Oberlehneigenthums dieſes abgetheilte Stuͤck von Baiern nunmehr als heimgefallen an - ſehen koͤnnen. Und in dieſer Eigenſchaft habe er in der Perſon ſeines Tochtermanns, welches eben vorgedachter Albrecht von Oeſterreich war, das Haus Oeſterreich damit belehnt. Deſſen ungeach - tet ſey nun zwar die Oberbairiſche Linie damals zum Beſitz von Niederbaiern gelanget. Allein nach nunmehriger Erloͤſchung dieſer Linie trete jetzt das Recht des Hauſes Oeſterreich auf Niederbaiern wieder ein; ohne daß das Haus Pfalz ein Recht darauf behaupten koͤnne.

Daß aber jene Theilung (1353.) eine Todthei -III. lung geweſen ſey, wurde von der andern Seite widerſprochen, ließ ſich auch mit Grunde wohl nicht behaupten. Ein kaiſerliches Urtheil vom Jahre 1429. hatte ſelbſt zum Vortheile der Bai - riſchen Stammsvettern den Ausſpruch gethan. Al -188XIII. Joſeph II. 1764-1786.Albrecht von Oeſterreich hatte hingegen ſeinen An - ſpruͤchen feierlich entſaget, und von demſelben ſtammte ohnedem das jetzige Haus Oeſterreich nicht ab.

IV.
91

Inzwiſchen kam noch hinzu, daß man zu Wien diejenigen Stuͤcke Landes in Baiern und in der Oberpfalz, welche das Haus Baiern theils vom Reiche, theils von der Krone Boͤhmen zu Lehn empfangen hatte, jetzt als eroͤffnete Lehne anſah, zu deren Beſitznehmung alſo theils Joſeph als Kai - ſer, theils Maria Thereſia als Koͤniginn in Boͤh - men ſich berechtiget hielt.

V.
91

Alle dieſe Anſpruͤche wurden in einer Conven - tion, die der Churpfaͤlziſche Geſandte von Ritter zu Wien am 3. Jan. 1778. zeichnete, fuͤr richtig angenommen. Wie jedoch anfangs damit in Wi - derſpruch zu ſtehen ſchien, daß dennoch zu Muͤn - chen im Namen des Churfuͤrſten von der Pfalz ſchon Beſitz von ganz Baiern ergriffen war; ſo wurden ſchon Oeſterreichiſche Kriegsvoͤlker bereit gehalten, in Baiern einzuruͤcken. Der Churfuͤrſt trug aber kein Bedenken, jene Convention zu ge - nehmigen, und ließ alſo jene Beſitznehmung theils im Namen des Kaiſers, theils im Namen der Krone Boͤhmen und des Hauſes Oeſterreich ruhig geſchehen.

VI.
91

Dahingegen widerſprach der Herzog von Zwey - bruͤcken als naͤchſter Pfaͤlziſcher Stammsvetter, ohne deſſen Einwilligung kein rechtsbeſtaͤndiger Vertrag in dieſer Angelegenheit ſtatt finden konn - te. Dann meldete ſich das Churhaus Sachſenmit1896) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.mit großen Forderungen von wegen der Mobiliar - und Allodialverlaßenſchaft, welche des letzten Chur - fuͤrſten Schweſter, die damals verwittwete Chur - fuͤrſtinn von Sachſen, fuͤr ſich behauptete, aber ihrem Sohne, dem Churfuͤrſten von Sachſen, uͤbertragen hatte; die man zu Dresden auf 47. Millionen Gulden rechnete. Auch hoffte jetzt der Herzog von Mecklenburg eine ſeinem Hauſe be - reits 1502. ertheilte, und 1647. unerfuͤllt geblie - bene Anwartſchaft auf die Landgrafſchaft Leuchten - berg geltend zu machen. Dieſe drey Hoͤfe er - ſuchten den Koͤnig in Preuſſen, ſich zu ihrem Vortheile zu verwenden; wozu ſich derſelbe um ſo mehr bereit finden ließ, je weniger er das Be - tragen des kaiſerlichen Hofes in dieſer Sache der Reichsverfaſſung gemaͤß hielt. Er glaubte nicht, daß ſolche Schritte, wie ſchon geſchehen waren, ohne vorgaͤngig erſt mit der Reichsverſammlung oder doch wenigſtens mit den Churfuͤrſten daruͤber Rath zu pflegen, reichsgeſetzmaͤßig haͤtten geſche - hen koͤnnen. Er hielt ſich alſo ſelbſt als Churfuͤrſt und als mitſchließender Theil des Weſtphaͤliſchen Friedens berechtiget, die bisherige Reichsverfaſ - ſung bey dieſer Gelegenheit aufrecht zu erhalten.

Nach einer lebhaften, aber am Ende frucht -VII. loſen Negotiation zwiſchen den Hoͤfen zu Wien und Berlin kam es im Jul. 1778. wuͤrklich zum Krie - ge, der zum Gluͤck fuͤr Teutſchland doch nur bey dieſem Feldzuge beſtehen blieb, ohne daß es auch nur zu einem entſcheidenden Gefechte kam. Den groͤßten Nachdruck gab diesmal der Kuſſiſche Hof im Dec. 1778. mit der merkwuͤrdigen Erklaͤrung: Da es auf den Ausſchlag der Waffen geſetzt wer -de,190XIII. Joſeph II. 1764-1786.de, koͤnne die Kaiſerinn von Rußland die Sache nicht mehr als eine bloße Mißhelligkeit betrachten, von welcher ſie Hoffnung gehabt habe, ſelbige auf eine freundſchaftliche Art geendiget zu ſehen. Teutſchland ſey ſowohl wegen ſeiner Lage, als auch wegen ſeiner Macht, der Mittelpunct aller Staats - geſchaͤffte und aller Angelegenheiten von Europa. Es muͤße alſo alle uͤbrige Staaten im hoͤchſten Grade intereſſiren, ob ſeine Regierungsform un - verletzt erhalten werde, oder Veraͤnderungen lei - de, ob es den Frieden genieße, oder durch Kriege zerriſſen werde. Beſonders muͤße hieran denen Staaten gelegen ſeyn, die, wie das Ruſſiſche Reich, auſſer dem Intereſſe und den Verbindun - gen, die ein Staat natuͤrlicher Weiſe mit dem an - dern habe, und auſſer den Freundſchaftsverbindun - gen mit dem groͤßten Theile der Reichsfuͤrſten, auch noch die genaue Allianz mit derjenigen Macht in Betrachtung ziehen muͤßen, welche nm dem thaͤtlichen Verfahren des kaiſerlich koͤniglichen Ho - fes Widerſtand zu thun, zu den Waffen gegriffen habe. Es ſtehe alſo nicht bey der Kaiſerinn, in den anfaͤnglichen und bisherigen Schranken der aͤuſſerſten Schonung und Gleichguͤltigkeit in An - ſehung der Unterſuchung der Anſpruͤche auf die Bairiſche Erbfolge zu verbleiben; ſondern ſie ſehe ſich nun zum Gegentheile verpflichtet.

VIII.
91

Ohne ſich auf das Teutſche Staatsrecht ein - zulaßen, nehme die Kaiſerinn bloß die natuͤrliche Billigkeit, und diejenigen Grundſaͤtze, auf wel - chen jede Geſellſchaft beruhe, zur Regel; und ſel - biger zufolge finde ſie, daß alles bey der wichtigen Frage, die das ganze Reich in Bewegung ſetze,dar -1916) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.darauf hinaus laufe, daß man von Seiten des Wiener Hofes alte Anſpruͤche, die mehrere Jahr - hunderte aus der Acht gelaßen, und in dem Weſt - phaͤliſchen Frieden vergeſſen worden, gegenwaͤr - tig, eben dieſem Frieden, der den Grund und die Schutzwehr der Teutſchen Reichsverfaſſung ausmache, zuwider, geltend machen wolle; fer - ner, daß die Art, wie man dieſe Anſpruͤche aus - gefuͤhret, dieſem feierlichen und heiligen Frieden noch mehr entgegen ſey; endlich, daß durch den Krieg, der jene erſte Schritte des Wiener Hofes unterſtuͤtzen ſolle, die ganze Reichsverfaſſung in augenſcheinliche Gefahr geſetzet werde, und daß aus deſſen Umſturz eine gewaltſame Erſchuͤtterung fuͤr alle an Teutſchland graͤnzende Staaten, eine Verruͤckung der Ordnung und des Gleichgewichts fuͤr ganz Europa, und daher eine moͤgliche Ge - fahr fuͤr das Ruſſiſche Reich, waͤre ſolches auch erſt in den entfernteſten Zeiten, entſtehen wuͤrde; welche ein weiſer und guter Regent vorausſehen muͤßte, und in welchem Stuͤcke der Ruſſiſche Hof keine andere Grundſaͤtze und Maximen annehmen koͤnne, als die der kaiſerlich koͤnigliche Hof in glei - chen Faͤllen ſelbſt befolgen wuͤrde.

Die Ruſſiſche Kaiſerinn erſuche alſo die Kai -IX. ſerinn Koͤniginn und den Kaiſer, allen Grund - ſaͤtzen von Billigkeit und Geſinnungen von Menſch - lichkeit, die ihnen ſo natuͤrlich ſeyen, gemaͤß, den gegenwaͤrtigen Unruhen des Teutſchen Reichs ein Ende zu machen, und ſich mit dem Koͤnige in Preuſſen, und den uͤbrigen intereſſirten Theilen, wegen der Bairiſchen Erbfolge, den Geſetzen des Reichs und deſſen Verfaſſung gemaͤß, auf einegeſetz -192XIII. Joſeph II. 1764-1786.geſetzmaͤßige und freundſchaftliche Art zu verglei - chen. Widrigenfalls aber koſte es ſie, die Kaiſe - rinn in Rußland, unendlich viel zu erklaͤren, daß ſie den in Teutſchland ausgebrochenen Krieg ſo - wohl wegen ſeines Gegenſtandes, als wegen der damit verknuͤpften Umſtaͤnde, und wegen ſeiner Folgen, nicht mit Gleichguͤltigkeit wuͤrde anſehen koͤnnen, ſondern daß ſie in gehoͤrige und ernſthaf - te Betrachtung wuͤrde ziehen muͤßen, was ſie dem Intereſſe ihres Reichs, dem Intereſſe der Prin - zen, die ihre Freunde ſeyen, und ihre Unterſtuͤt - zung nachgeſuchet haben, vor allem aber ihren Verpflichtungen gegen ihre Alliirte, ſchuldig ſey.

X.
91

Dieſe Ruſſiſche Erklaͤrung war inzwiſchen noch nicht zu Wien angebracht, als der Wiener Hof durch ſeinen Geſandten zu Petersburg dar - auf antragen ließ, daß der Ruſſiſche Hof nebſt dem Franzoͤſiſchen die Vermittelung uͤbernehmen moͤchte. Beide Hoͤfe ließen ſich ſowohl als der Berliner Hof darin willfaͤhrig finden. So kam es alſo nach einem kurzen Congreſſe zu Teſchen erſt zum Waffenſtillſtande, und am 13. May 1779. zum voͤlligen Frieden. Deſſen Hauptbe - dingung war, daß Oeſterreich doch ein Stuͤck von Baiern davon trug, nehmlich den Strich Landes, der zwiſchen der Donau, dem Inn und der Salza liegt. Alles uͤbrige ſollte kuͤnftig, wie bisher, bey Baiern bleiben. Zu dem Ende machte ſich die Kaiſerinn anheiſchig, nicht nur von wegen der Krone Boͤhmen dem Pfaͤlziſchen Hauſe die Boͤh - miſchen Lehne von neuem zu verleihen, ſondern auch in gleicher Abſicht der Reichslehne halber ſich beym Kaiſer zu verwenden. In ſo weit wardalſo1936) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.alſo die Convention vom 3. Jan. 1778. aufgeho - ben. Hingegen wurden zwiſchen Churpfalz und Pfalzzweybruͤcken die Familienvertraͤge von 1766. 1771. 1774. von neuem bekraͤftiget, und dem ganzen Hauſe Pfalz, namentlich auch mit Inbe - griff der Birkenfeldiſchen Linie(d)Wegen der Birkenfeldiſchen Linie haͤtte ein Anſtand ſeyn koͤnnen, weil ſie aus einer un - gleichen Ehe des Pfalzgrafen Johann Carls zu Gelnhauſen (geb. 1637. 1704.) mit Maria Eſther von Witzleben (verm. 1696. 1725.) abſtammte. Der Anſtand ließ ſich aber jetzt deſto eher uͤberſe - hen, weil dieſe Linie doch nicht eher zur Succeſ - ſion ſich Hoffnung machen durfte, als wenn alle andere Linien des Hauſes erloſchen ſeyn wuͤrden, von denen alſo keine alsdann mehr behaupten koͤnn - te, daß ihr ein Nachtheil dadurch zuwuͤchſe. Waͤ - re auſſer der Birkenfeldiſchen Linie noch eine juͤn - gere aus einer ſtandesmaͤßigen Ehe entſproſſene vorhanden geweſen, wuͤrde die Sache vielleicht eine andere Geſtalt bekommen haben., von den Frie - den ſchließenden und vermittelnden Maͤchten ga - rantirt, in ſo weit ſelbige dem Weſtphaͤliſchen Frieden nicht zuwider ſeyen, und durch gegenwaͤr - tigen Frieden nicht abgeaͤndert worden.

Zur Befriedigung der Churſaͤchſiſchen Allo -XI. dialanſpruͤche verſprach Churpfalz dem Dresdner Hofe in 24. halbjaͤhrigen Friſten ſechs Millionen Gulden im 24. Guldenfuße zu bezahlen. Auch wurden die Rechte, welche die Krone Boͤhmen bisher an den graͤflich Schoͤnburgiſchen im Chur - ſaͤchſiſchen Gebiete gelegenen Herrſchaften Glau - cha, Waldenburg und Lichtenſtein ausgeuͤbt, vonderP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. N194XIII. Joſeph II. 1764-1786.der Krone Boͤhmen an Churpfalz und von dieſem an Churſachſen abgetreten.

XII.
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Fuͤr das herzogliche Haus Mecklenburg ver - ſprach die Kaiſerinn gemeinſchaftlich mit dem Koͤ - nige in Preuſſen ihre gute Dienſte anzuwenden, damit der Kaiſer demſelben eine unbeſchraͤnkte Be - freyung von Appellationen ertheilen moͤchte. (Dagegen ward zwar hernach am Reichshofrathe ſowohl im Namen der geſammten Mecklenburgi - ſchen Landſchaft als inſonderheit von Seiten der Stadt Roſtock ein weit getriebener Widerſpruch eingelegt, weil ſie behaupten wollten, daß es mit ihren vertragsmaͤßig erworbenen Rechten nicht be - ſtehen koͤnnte, wenn kuͤnftig von Mecklenburgi - ſchen Gerichten in der hoͤchſten Inſtanz nicht wei - ter an die hoͤchſten Reichsgerichte ſollte appellirt werden koͤnnen. Der Reichshofrath hat aber mit Genehmigung des Kaiſers durch ein Concluſum vom 11. Apr. 1781. dieſe Einwendungen verwor - fen. Kaiſerliche Majeſtaͤt haben alſo das von den Herzogen von Mecklenburg nachgeſuchte Privile - gium de non appellando demſelben zu verleihen beſchloſſen. Doch iſt vor deſſen Ausfertigung noch erſt eine vorgaͤngige Vereinbarung mit der Landſchaft wegen Beſetzung des zu errichtenden Oberappellationsgerichts und wegen landesgrund - geſetzmaͤßiger Abfaſſung einer Oberappellationsge - richtsordnung vorbehalten worden. Und dann ſoll in Zukunft doch noch in folgenden Faͤllen der Weg an die Reichsgerichte offen bleiben, als 1) in fiſcaliſchen und ſolchen Sachen, wo ein be - ſonderes Intereſſe der Herzoge mit eintritt, wie auch inſonderheit wenn die Herzoge einen odermeh -1956) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.mehrere von den Buͤrgern und Einwohnern zu Roſtock vor dem daſigen Rathe belangen, und von deſſen Urtheilen zu appelliren iſt; ſodann 2) in Nullitaͤtsklagen oder Faͤllen, da das zu er - richtende Oberappellationsgericht jemanden das Recht verſagen oder mit Gefaͤhrde verzoͤgern wuͤr - de; und endlich 3) wenn die Herzoge entweder ſelbſt oder durch die Ihrigen dem Erbvergleiche vom Jahre 1755. oder anderen Erbvertraͤgen zu - wider handeln, oder die auf Landtagen vorkom - menden Beſchwerden und aus gedachtem Erbver - gleiche entſtehenden Zweifel und Mißverſtaͤnde nicht nach deſſen Vorſchrift erledigen und abthun, oder auf andere Weiſe jemand auſſergerichtlich be - ſchweren oder zu klagen Anlaß geben wuͤrden. Auch mit dieſem Erkenntniſſe noch unzufrieden, hat ſowohl die Landſchaft als die Stadt Roſtock noch zu weiteren Rechtsmitteln ihre Zuflucht ge - nommen. Es iſt aber am Ende mit deren Ver - werfung doch dabey geblieben(e)Am 12. Febr. 1785. erfolgte ein Reichshof - rathsconcluſum des Inhalts: Fiat in Anſehung der von der Mecklenburgiſchen Ritterſchaft ſowohl als von der Stadt Roſtock eingewandten Reviſion ſententia concluſi de 11. Apr. 1781. confirmatoria cum condemnatione in expenſas; und: Diſtri - buantur ſportulae. Dieſe Sporteln oder Suc - cumbenzgelder hatten fuͤr die Ritterſchaft 6000. Fl., fuͤr die Stadt Roſtock 2000. Fl. betragen.. Nur die Aus - fertigung iſt noch nicht erfolget, weil obgedachte Vereinbarung wegen Beſtellung des Gerichts und Abfaſſung der Oberappellationsgerichtsordnung noch nicht zu Stande gekommen iſt.)

DieN 2196XIII. Joſeph II. 1764-1786.
XIII.
93

Die ganze Friedenshandlung zu Teſchen hatte dadurch eine große Erleichterung gewonnen, daß der Koͤnig in Preuſſen weder zu Verguͤtung ſeiner Kriegskoſten noch ſonſt einige Vortheile fuͤr ſich begehrte. Bey den Unterhandlungen war es aber einmal vorgekommen, daß der Wiener Hof alles, was er in Baiern in Beſitz genommen hatte, zu - ruͤckgeben wollte, wenn der Koͤnig in Preuſſen ſich anheiſchig machen wuͤrde, daß kuͤnftig auch Anſpach und Baireuth nicht wieder mit dem regierenden Churhauſe vereiniget, ſondern, wie bisher, immer wieder einem oder zwey juͤngeren Prinzen vom Hauſe uͤberlaßen werden ſollte. Zu Wien ſchien man das ſelbſt fuͤr eine in den Bran - denburgiſchen Hausvertraͤgen gegruͤndete Noth - wendigkeit zu halten. Der Koͤnig hielt es hinge - gen fuͤr eine widerrechtliche Zumuthung, weil auch aͤltere Hausvertraͤge unter ſolchen Umſtaͤnden, wie ſie hier eintraͤten, wieder abgeaͤndert werden koͤnn - ten. Er beſtand deswegen darauf, daß die Kai - ſerinn Koͤniginn fuͤr ſich und ihre Nachkommen ſich verbindlich machen mußte, ſich nicht dagegen widerſetzen zu wollen, wenn der Berliner Hof es gut faͤnde, die beiden Fraͤnkiſchen Fuͤrſtenthuͤmer nach Abgang des bisherigen marggraͤflichen Hau - ſes wieder mit der churfuͤrſtlichen Primogenitur zu vereinigen.

XIV.
93

Uebrigens ward der Friede nebſt allen dazu gehoͤrigen Conventionen nicht nur durch Ruſſiſche und Franzoͤſiſche Garantie befeſtiget, ſondern auch Kaiſer und Keich erſucht ihre Einwilligung dazu zu geben. Hiebey zeigte ſich nur deswegen eini - ge Schwierigkeit, weil verſchiedene Reichsſtaͤndetheils1976) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.theils ſchon zu Teſchen, theils ſeitdem noch zu Re - gensburg mit Anſpruͤchen, die ſich auf den Ab - gang des Hauſes Baiern bezogen, ſich gemeldet hatten, ohne daß derſelben im Frieden Erweh - nung geſchehen war. In einem Reichsgutachten vom 28. Febr. 1780. ward endlich des Reichs Beytritt und Einwilligung zum Frieden und zu den dazu gehoͤrigen dem Reiche mit vorgelegten Acten und Conventionen erklaͤret; jedoch unter der bedinglichen Vorausſetzung, daß dieſer Teſchner Friedensſchluß, wie es ſich von ſelbſten verſtehe, den Rechten des Reichs, dem Weſtphaͤliſchen Frie - den und uͤbrigen Reichsgrundgeſetzen, oder je - mand andern an ſeinem erweislichen und gehoͤri - ger Orten gebuͤhrend auszutragenden Rechte fuͤr jetzt und kuͤnftig in keinem Falle zum Nachtheile gereichen ſolle.

Unter andern hatte ſich das Erzſtift Salz -XV. burg mit verſchiedenen Forderungen gemeldet, die es auf elf Millionen anſchlug; die jedoch noch im Jahre 1780. auf 430. tauſend Reichsthaler verglichen ſind. Wegen der Stadt Donawerth meldete ſich der Schwaͤbiſche Kreis, der aber eben - falls in einem nachherigen Vergleiche (1782. Jun. 18.) ſeinen Anſpruͤchen entſaget hat(f)Dieſer Vergleich iſt hernach durch ein Reichs - gutachten vom 17. Jan. 1785. und deſſen kaiſer - liche Genehmigung vom 12. Febr. 1785. beſtaͤti - get worden. Reuß Staatscanzley Th. 10. S. 1-83.. Ande - re Anſpruͤche von der Art, die meines Wiſſens nicht verglichen ſind, waren vom Hauſe Wuͤrten -bergN 3198XIII. Joſeph II. 1764-1786.berg wegen eines Antheils, den es nach Grund - ſaͤtzen des Regredienterbſchaftsrechts an der Mo - biliarverlaßenſchaft des erloſchenen Hauſes Baiern zu haben begehrte; hernach vom Hochſtifte Augs - burg auf die Herrſchaften Mindelheim, Schwa - bel, Hohenſchwangau, den Lechrein, und die Stadt Schongau; von der Abtey Kempten we - gen einer Entſchaͤdigung von 690727. Gulden vom Jahre 1709. her; von einem Grafen von Rechtern wegen einer Anwartſchaft auf die graͤf - lich Wolfſteiniſchen Reichslehne; und von den Grafen von Schoͤnburg wegen ihrer Reichsafter - lehnbarkeit(g)Daß die Reichsafterlehnseigenſchaft der graͤflich Schoͤnburgiſchen Herrſchaften Glaucha, Waldenburg und Lichtenſtein von Churſachſen nicht verkannt werden ſolle, wie es auch in vorigen Zei - ten von der Krone Boͤhmen nicht geſchehen ſey, daruͤber iſt auf ein von kaiſerlicher Majeſtaͤt geneh - migtes Reichshofrathsgutachten am 24. Maͤrz 1783. ein kaiſerliches Reſcript an Churſachſen er - laßen worden. Reuß Teutſche Staatscanzley Th. 2. S. 136..

XVI.
95

Noch war zur voͤlligen Berichtigung des Teſch - ner Friedens erforderlich, daß die beiden hoͤheren Reichscollegien ſo, wie es die Wahlcapitulation zur Nothwendigkeit macht, ihre Einwilligung ga - ben, daß die mit dem Tode des letzten Churfuͤr - ſten von Baiern erledigten Reichslehne, wie ſie derſelbe beſeſſen, dem Churfuͤrſten von der Pfalz und dem ganzen Pfaͤlziſchen Hauſe neuer - lich verliehen werden moͤchten. Auch dieſe Ein - willigung erfolgte in einem beſonderen Gutachten der beiden hoͤheren Collegien unterm 29. Febr. 1780.1996) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.1780. (Das reichsſtaͤdtiſche Collegium war zwar der Meynung geweſen, daß auch dieſe Ein - willigung, da von einer im Frieden ſelbſt enthal - tenen Verfuͤgung die Rede ſey, von geſammten Reichs wegen haͤtte ertheilt werden koͤnnen. Al - lein die Wahlcapitulation erfordert bey Dispoſi - tionen uͤber churfuͤrſtliche und fuͤrſtliche Lehne nur der beiden hoͤheren Collegien Einwilligung. Da - bey blieb es alſo.) Unterm 8. Maͤrz 1780. er - folgte hernach die kaiſerliche Genehmigung ſowohl dieſes letztern Gutachtens, als jenes Reichsgutach - tens uͤber den ganzen Teſchner Frieden.

Wegen der Sprache, worin der Teſchner Frie -XVII. de abgefaſſet worden, iſt endlich zu bemerken, daß man ſo, wie es ſchon in den 1742. zu Breslau, 1745. zu Dresden und 1763. zu Hubertsburg er - richteten Friedensſchluͤſſen geſchehen war, ſich der Franzoͤſiſchen Sprache darin bedienet hat(h)In vorigen Zeiten wurden ſonſt unter Maͤch - ten, die nicht einerley Sprache hatten, die Frie - densſchluͤſſe Lateiniſch abgefaſſet, wie noch in die - ſem Jahrhundert die Friedensſchluͤſſe zu Baden 1714., und zu Wien 1725. und 1738. in dieſer Sprache errichtet ſind. Doch bediente man ſich auch ſchon zu Raſtadt 1714., zu Wien 1735. und zu Belgrad 1739. in den damaligen Friedens - handlungen der Franzoͤſiſchen Sprache, die nun - mehr in der Eigenſchaft einer gemeinſchaftlichen Staatsſprache die Lateiniſche einmal verdraͤngt zu haben ſcheint.. In ſolchen Faͤllen pflegte aber ſonſt zugleich eine Teutſche Ueberſetzung beygefuͤget zu werden, die man fuͤr gleich authentiſch halten konnte, ſofern ſie von den dabey intereſſirten Theilen gemeinſchaftlich be -kanntN 4200XIII. Joſeph II. 1764-1786.kannt gemacht und gebilliget wurde. Letzteres ge - ſchah diesmal nicht. Es erſchienen vielmehr zwey - erley Ueberſetzungen, eine zu Wien, die andere zu Berlin, die nichts weniger als aus einerley Fe - der gefloſſen waren, ſondern merklich von einan - der abwichen(i)Ein Beyſpiel, wie ſich die Ueberſetzungen zum Originale und unter einander verhalten, kann der achte Artikel des Friedens abgeben. Derſelbe heißt in der Urkunde: Les hautes puiſſances con - tractantes et médiatrices du préſent Traité ſont convenues de garantir, et garantiſſent formelle - ment à toute la Maiſon Palatine, et nommément à la ligne de Birkenfeld les Traités et pactes de famille de 1766. 1771. et 1774., en tant qu ils ſont conformes au Traité de paix de Weſtphalie, et qu’il n’y eſt pas dérogé par les ceſſions faites par le préſent Traité et Conventions, ainſi que l acte ſigné aujourdhui entre le Séréniſſime Ele - cteur Palatin et Mr. le Duc des Deux-Ponts, ſur l’obſervation et l’exécution de leurs ſusdits pactes de famille, lequel eſt annexé au préſent Traité et cenſé en faire partie, comme ſ’il y étoit inſé - mot à mot. In der Wiener Ueberſetzung iſt dieſer Artikel ſo gefaſſet: Die hohen contrahi - renden und vermittelnden Maͤchte des gegenwaͤr - tigen Tractats ſind uͤbereingekommen, dem gan - zen Pfaͤlziſchen Hauſe, und namentlich der Bir - kenfeldiſchen Linie die Hausvertraͤge von 1766. 1771. und 1774. zu garantiren, und garantiren dieſelben hiemit auch feierlich in ſo weit, als ſol - che dem Weſtphaͤliſchen Frieden gemaͤß, und als ſie nicht durch die in dem gegenwaͤrtigen Frie - densſchluß und Conventionen geſchehenen Abtre - tungen, dann durch jene heute unterzeichnete Acte abgeaͤndert worden, welche der durchlauch - tigſte Herr Churfuͤrſt von der Pfalz und des Herrn Her -. Wahrſcheinlich mochte dasauch2016) Bairiſcher Krieg ꝛc. 1778. 1779.auch die Urſache ſeyn, daß diesmal dem Reichsta - ge der Friede nur in Franzoͤſiſcher Sprache mit - getheilt wurde, ungeachtet es ſonſt ſowohl den Geſetzen als dem Herkommen gemaͤß iſt, daß in Reichstagshandlungen keine andere als Teutſche oder Lateiniſche Sprache gebraucht, oder doch ſonſt eine Ueberſetzung in einer von dieſen beiden Sprachen beygefuͤgt werden ſoll(k).

(i) Herzogs von Zweybruͤcken Durchlaucht, uͤber die Beobachtung und Vollſtreckung der oberwehnten Hausvertraͤge unter ſich ausgeſtellet haben, und welche dem gegenwaͤrtigen Tractate beygefuͤget worden, und fuͤr einen Theil deſſelben alſo zu betrachten iſt, als ob ſie in ſolchen von Wort zu Wort eingeruͤcket waͤre. In der Berliner Ue - berſetzung heißt es: Sowohl die ſchließenden als auch die vermittelnden hohen Maͤchte ſind uͤber - eingekommen, daß ſie dem ganzen Pfaͤlziſchen Hauſe und namentlich der Birkenfeldiſchen Linie, die Tractaten und Familienvertraͤge von den Jah - ren 1766. 1771. und 1774., in ſo weit ſelbige dem Weſtphaͤliſchen Friedensſchluß nicht zuwider ſind, und ſolche nicht durch die, durch den ge - genwaͤrtigen Tractat und obige Convention ge - ſchehene Abtretungen geaͤndert worden, foͤrmlich und in Kraft dieſes Artikels garantiren wollen. Eben dieſes ſoll auch in Anſehung desjenigen Tractats gelten, welcher am heutigen Tage zwi - ſchen dem durchlauchtigſten Herrn Churfuͤrſten von der Pfalz und dem Herrn Herzog zu Zwey - bruͤcken, uͤber die Beobachtung und Vollziehung ihrer vorerwehnten Familienvertraͤge geſchloſſen worden, welcher dieſem Haupttractate mit ange - haͤngt iſt, und eben dieſelbe Kraft haben ſoll, als wenn er demſelben von Wort zu Wort waͤre einverleibet worden.

N 5(k)202XIII. Joſeph II. 1764-1786.

(k)Vermoͤge der Wahlcap. (1519.) Art. 23. §. 3. ſoll der Kaiſer in Schriften und Handlungen des Reichs keine andere Zunge noch Sprache ge - brauchen laßen, dann die Teutſche und Lateiniſche. An den Reichstag ſchreiben auswaͤrtige Maͤchte zum Theil ſelbſt in Lateiniſcher Sprache, wie Groß - britannien und Rußland, oder man erwartet, daß zugleich Teutſche oder Lateiniſche Ueberſetzungen beygefuͤgt werden.

VII. 2037) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.

VII. Neueſte Vorfaͤlle ſeit dem Teſchner Frieden. Tod der Kaiſerinn Maria Thereſia. Fuͤrſten - bund 1785. Schluß des Zeitalters Frie - drichs des II.

I. Joſephs des II. Regierungsantritt und große neue Veranſtaltungen in ſeinen Erblanden. Irrungen mit den vereinigten Niederlanden wegen Eroͤffnung der Schel - de ꝛc. II. Beſorgniſſe wegen einiger bey der Gelegen - heit geaͤußerten Grundſaͤtze; III. IV. wie auch wegen verſchiedener Unternehmungen gegen das Hochſtift Paſſau und das Erzſtift Salzburg; V. ingleichen wegen ver - ſchiedener in Reichsſachen von aͤlteren Zeiten her von neuem hervorgeſuchter kaiſerlichen Vorrechte, VI. z. B. der ſo genannten Panisbriefe; VII. ferner wegen ein und andern Betragens der Oeſterreichiſchen Directorialgeſandt - ſchaft zu Regensburg; VIII. und wegen einiger Unter - nehmungen gegen mindermaͤchtige Nachbaren. IX. End - lich dem Herzoge von Zweybruͤcken zugemuthete Einwilli - gung, Baiern gegen die Oeſterreichiſchen Niederlande unter dem Titel eines Koͤnigreichs Burgund vertauſchen zu laſ - ſen; X. ſo zu Berlin dem Teſchner Frieden zuwider gehalten wurde. XI. Daruͤber geſchloſſener Fuͤrſten - bund; eine der letzten Thaten Friedrichs des II., deſ - ſen Zeitalter hiermit einen merkwuͤrdigen Abſchnitt in der Geſchichte macht. Hoffnung und Wunſch die bisher ent - wickelte Reichsverfaſſung bis auf die ſpaͤteſten Zeiten da - durch befeſtiget zu ſehen!

Die voͤllige Berichtigung des Teſchner Frie -I. dens uͤberlebte Maria Thereſia nicht lange mehr ( 1780. Nov. 29.). Nun zeigte ſichs bald, daß Joſeph nicht nur regierender Kaiſer, ſon - dern auch regierender Monarch aller Erbſtaaten ſeines Hauſes war. Was in der letztern Eigen - ſchaft ſeitdem in Religionsſachen und in Anſehungder204XIII. Joſeph II. 1764-1786.der Kirchenverfaſſung geſchehen iſt, habe ich zum Theil ſchon oben erwehnt. Andere neue Einrich - tungen in der innerlichen Verfaſſung des Koͤnig - reichs Ungarn und der uͤbrigen Oeſterreichiſchen Erblaͤnder, und dann, was auf der einen Seite zur Unterſtuͤtzung Ruſſiſcher Anſpruͤche an der Pfor - te geſchehen, und was auf der andern Seite we - gen Aufrufung des Barrieretractats, wegen Er - oͤffnung der Schelde, wegen erneuerter Anſpruͤche auf Maſtricht und ſonſt mit den vereinigten Nie - derlanden vorgegangen, und durch einen mit den - ſelben geſchloſſenen Frieden mit einer Summe von 10. Millionen Gulden erlediget iſt, das al - les gehoͤret in andere Theile der Geſchichte.

II.
100

Nur das fieng auch in Teutſchland an einiges Aufſehen zu machen, daß man zu Wien ſolche Grundſaͤtze aufzuſtellen ſchien, als ob ein ſo klarer Friedensartikel, wie derjenige, der in dem zu Muͤn - ſter im Jan. 1648. mit den Hollaͤndern geſchloſ - ſenen Frieden die Schelde fuͤr die Oeſterreichiſchen Niederlande fuͤr geſchloſſen erklaͤrte(l)Oben Th. 2. S. 50. I. , einſeitig als unverbindlich angeſehen werden koͤnnte. Eine Beſorgniß, daß aͤhnliche Grundſaͤtze uͤber kurz oder lang auch in Angelegenheiten Teutſcher Reichs - ſtaͤnde zum Nachtheile der bisherigen Reichsver - faſſung aufgeſtellt werden moͤchten, ſchien durch einige neuere Vorfaͤlle nicht ganz ohne Grund ver - anlaßt zu werden.

III.
101

Unſtreitig war es ein ſchon von langer Hand her gemachter Entwurf, den Oeſterreichiſchen Kirchenſtaat, nur mit Ausnahme der von dercatho -2057) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.catholiſchen Kirchenverfaſſung weſentlich unzer - trennlichen Roͤmiſchen Primatrechte, von aller an - dern geiſtlichen Gewalt, die nicht ſelbſt unter Oe - ſterreichiſcher Hoheit ſtaͤnde, unabhaͤngig zu ma - chen; Ein Entwurf, der, nach allgemeinen Grundſaͤtzen der Staatsklugheit betrachtet, gewiß den hoͤchſten Veyfall verdiente. Keinem im Staa - te befindlichen Orden eine Abhaͤngigkeit von einem auswaͤrtigen der hoͤchſten Gewalt des Staates nicht unterworfenen Ordensgenerale zu geſtatten, keinem Praͤlaten nachzuſehen, daß er ſich einer auswaͤrtigen hoͤhern Gewalt zum Nachtheile der Unterthanenpflicht eidlich verbindlich mache, keine geiſtliche Geſetzgebung oder andere geiſtliche Hoheitsrechte ohne Vorwiſſen und Genehmigung der hoͤchſten Gewalt des Staats ausuͤben zu laſ - ſen, das alles ſind dem allgemeinen Staats - und Kirchenrechte und einer geſunden Staatsklug - heit ſehr angemeſſene Grundſaͤtze. Aber wenn in Anwendung ſolcher Grundſaͤtze ein catholiſcher weltlicher Reichsſtand mit den bisherigen Gerecht - ſamen eines catholiſchen geiſtlichen Reichsſtandes in Colliſion koͤmmt; ob alsdann der Reichsver - faſſung unbeſchadet jener eigenmaͤchtig Aenderun - gen zu des letztern Nachtheil vornehmen koͤnne, das iſt freylich eine andere Frage.

So war ungefaͤhr der Fall, als im JahreIV. 1783. nach Abſterben des damaligen Biſchofs zu Paſſau dieſem Hochſtifte nicht nur deſſen bishe - rige biſchoͤfliche Dioeceſanrechte im Oeſterreichi - ſchen aufgekuͤndiget, ſondern auch die im Oeſter - reichiſchen gelegenen Guͤter des Biſchofs und Dom - capitels eigenmaͤchtig eingezogen wurden, bis ſichdas206XIII. Joſeph II. 1764-1786.das Hochſtift bequemte eine Summe Geldes von 400. tauſend Gulden zu bezahlen, und jenen Dioeceſanrechten gaͤnzlich zu entſagen(m)Dohm uͤber den Teutſchen Fuͤrſtenbund S. 21. u. f. Einige Actenſtuͤcke finden ſich in Reuß Staatscanzley Th. 2. S. 250., Th. 3. S. 415., Th. 4. S. 253.. Der - gleichen Colliſionen kamen auch mit dem Erzſtifte Salzburg zur Sprache, das ſich jedoch bey einer Erklaͤrung, die im Jahre 1767. zu Wien auf 29. Beſchwerden des Erzſtifts erfolgt iſt, bisher moͤg - lichſt beruhiget(n)Nachrichten von Juvavia und dem heuti - gen Salzburg (Salzb. 1784. Fol.) S. 178., und noch 1775. einige Di - ſtricte in Steiermark und Kaͤrnthen an die Bi - ſchoͤfe von Gurk und Seckau(o)Nachrichten von Juvavia S. 179., wie auch 1782. an den Biſchof von Wieneriſch Neuſtadt den bis - her zur Salzburgiſchen Dioeces gehoͤrig geweſenen Neuſtaͤdter Diſtrict mit paͤbſtlicher Genehmigung abgetreten hat(p)Nachr. v. Juvavia S. 186..

v.
105

Schon bey mehreren Gelegenheiten war es deutlich wahrzunehmen geweſen, daß ſolche, die in Reichsſachen zu rathen oder zu arbeiten gehabt, zum Grundſatze angenommen hatten, alles, wo - von ſich nur in Geſetzen oder Gebraͤuchen aͤl - terer Zeiten eine Spuhr gewiſſer kaiſerlicher Vor - rechte finde, ohne weitere Umſtaͤnde gleich in der That geltend zu machen(q)z. B. oben S. 126.. Ein Grundſatz, der bey einem Reiche, das eine ſo verwickelte und mit jedem Jahrhunderte ſo vielen Veraͤnderungenunter -2077) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.unterworfen geweſene Verfaſſung hat, wie das Teutſche, nicht bedenklicher gedacht werden kann. Wenn es angienge, ein Reichsgeſetz oder Her - kommen des XVI. Jahrhunderts ohne Ruͤckſicht auf die nachher durch neuere Reichsgrundgeſetze oder ein neueres Herkommen anders beſtimmte Teutſche Reichsverfaſſung gleich mit der That von neuem geltend zu machen; ſo waͤre nicht abzuſe - hen, wie man weniger beſorgt ſeyn duͤrfte, daß nicht auch aus den Capitularien Carls des Gro - ßen oder aus einem ehemaligen Herkommen von den Zeiten der Ottonen her einmal ploͤtzlich ein laͤngſt vergeſſenes, vielleicht auch nie einmal recht im Gange geweſenes Recht, von neuem geltend gemacht werden koͤnnte.

So mochten vor mehreren JahrhundertenVI. wohl Faͤlle vorgekommen ſeyn, da ein Kaiſer je - manden, der etwa als Trabant oder ſonſt in ſei - nem Dienſte alt und abgaͤngig geworden war, ei - nem der Teutſchen Stifter oder Kloͤſter zur Ver - ſorgung empfohlen hatte, dergleichen Empfehlun - gen Panisbriefe genannt zu werden pflegten. Manche Stifter und Kloͤſter moͤgen ſich auch dar - in willfaͤhrig erzeigt haben. Aber daß es fuͤr alle Stifter und Kloͤſter in ganz Teutſchland jemals ein allgemeines Recht geweſen ſey, laͤßt ſich des - wegen nicht behaupten, weil weder ein Reichsge - ſetz daruͤber vorhanden, noch ein allgemeines Her - kommen erweislich iſt, da von vielen Orten im Gegentheile ſich beym Nachſuchen hervorgethan hat, daß daſelbſt nie dergleichen in Uebung gewe - ſen. Ueberall aber war wenigſtens ſeit Jahrhun - derten kein Beyſpiel ſolcher kaiſorlicher Panisbriefemehr208XIII. Joſeph II. 1764-1786.mehr erinnerlich. Alſo konnte es freylich nicht anders als Aufſehen machen, da auf einmal eine ganze Menge ſolcher Panisbriefe in allen Gegen - den von Teutſchland zum Vorſchein kamen, wo - durch Perſonen beiderley Geſchlechts zu beſtimm - ten Penſionen oder anderen Verſorgungen in Kloͤ - ſtern und Stiftern angewieſen wurden. Die Sache ſchien manchen deſto bedenklicher zu ſeyn, da zu Ausuͤbung dieſes Rechts kein Grund von der allgemeinen Wohlfahrt des Reichs hergenom - men werden konnte, die doch eigentlich den Haupt - gegenſtand aller kaiſerlichen Regierungsrechte aus - machen ſollte. Hier ſchien es nur darauf abge - ſehen zu ſeyn, Perſonen aus den kaiſerlichen Erb - landen mit Penſionen zu begnadigen, die ſie in anderer Reichsſtaͤnde Laͤndern zu genießen haben wuͤrden. Natuͤrlich konnte ein jeder Reichsſtand auf die Gedanken kommen, daß es in ſeinem eig - nen Lande Perſonen gnug geben werde, denen er den Genuß ſolcher Penſionen vorzuͤglich vor frem - den angedeihen zu laßen ſich ſelbſt zur Pflicht rech - nen muͤßte.

VII.
106

Auch in den neueren Reichstagshandlungen kam es manchen auffallend vor, daß bey verſchiedenen Gelegenheiten anders zu Werke gegangen wurde, als man es nach der bisherigen Reichstagsverfaſ - ſung gewohnt war. Es ſollte z. B. eine ſo genannte Oeſterreichiſche Parification mit den Churfuͤr - ſten, vermoͤge deren alle churfuͤrſtliche Vorrechte auch dem Hauſe Oeſterreich und deſſen Miniſtern zum Vorzuge vor allen anderen fuͤrſtlichen Haͤu - ſern und Miniſtern zu gute kommen ſollte, wie aus gewiſſen Aeuſſerungen abzunehmen war, gel -tend2097) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.tend gamacht werden. Bey einigen Vorfaͤllen ſchien man einen Verſuch machen zu wollen, Reichs - tagsſchluͤſſe ohne foͤrmliche Ablegung der reichs - ſtaͤndiſchen Stimmen zu bewirken. Als einmal das Churmainziſche Reichsdirectorium durch den Tod des Churmainziſchen Geſandten erlediget war, wurde daſſelbe dem Churboͤhmiſchen Geſandten geraume Zeit hindurch anvertrauet. Ein ander - mal ſchien der Oeſterreichiſche Directorialgeſandte waͤhrender Krankheit des Churmainziſchen Ge - ſandten an deſſen Stelle Reichsdirectorialverrich - tungen ſich zu eigen machen zu wollen. Selbſt in Schluͤſſen, die das Corpus der catholiſchen Reichs - ſtaͤnde bey Gelegenheit der Grafenſache nach der Mehrheit der Stimmen faßte, wollte derſelbe Schwierigkeiten machen, die manchen deſto be - denklicher ſchienen, da die Unthaͤtigkeit des Reichs - tages dadurch neue Nahrung bekam. Kurz das Betragen der Oeſterreichiſchen Directorialgeſandt - ſchaft fieng an bey mehreren Gelegenheiten Aufſe - hen zu erregen; wiewohl eine ausdruͤckliche Aeuſ - ſerung aus der Staatscanzley zu Wien dieſen Mi - niſter, der ſich uͤbrigens ſchon ſeit mehreren Jah - ren, beſonders auch bey Gelegenheit der Cam - mergerichtsviſitation, durch betraͤchtliche gelehrte Staatsſchriften ausgezeichnet hatte(r)Meine Litteratur des Teutſch. Staatsrechts Th. 2. S. 163., von allen Vorwuͤrfen frey ſprach(s)Reuß Staatscanzley Th. 4. S. 331. Oben S. 154. Not. c. .

Hier -P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. O210XIII. Joſeph II. 1764-1786.
VIII.
108

Hierzu kam nun uͤbrigens noch, daß die Art, wie man bey verſchiedenen Gelegenheiten zum Theil ſchon unter der vorigen Regierung mit ſchwaͤche - ren Nachbaren zu Werke gegangen war, hin und wieder großen Eindruck machte. Eine Fa - milie von Zedtwitz z. B., welche die Herrſchaft Aſch zwar von der Krone Boͤhmen zu Lehn trug, und einige beſtimmte Rechte derſelben anerkannte, uͤbrigens aber offenbar im Beſitz der Reichsunmit - telbarkeit geweſen war, wurde nach einer uͤber 8. Jahre ausgehaltenen militariſchen Execution von 30. Mann endlich genoͤthiget, ſich der voͤlligen Boͤhmiſchen Landeshoheit zu unterwerfen. Viele Reichsſtaͤnde und unmittelbare Mitglieder des Reichs wurden in dem Umfange der Vorderoeſterrei - chiſchen Laͤnder gleich Oeſterreichiſchen Landſaſſen ge - noͤthiget, eine ſo genannte Dominicalſteuer zu ent - richten. Inſonderheit haben verſchiedene Mit - glieder des Schwaͤbiſchen Kreiſes und der Reichs - ritterſchaft wegen ihrer in der Gegend der Marg - grafſchaft Burgau gelegenen Guͤter ſich der von den Burgauiſchen Beamten und der Oeſterreichi - ſchen Regierung zu Innſpruck uͤber ſie behaupte - ten Hoheitsrechte nicht erwehren koͤnnen, obgleich der Reichshofrath ſchon im Jahre 1740. ſich ihrer angenommen hatte. Ueber alle dieſe Vorfaͤlle ſind zwar ſowohl von Seiten des Wiener Hofes als von deſſen Gegenpartheyen ausfuͤhrliche Schriften bekannt gemacht worden. Es hat aber doch kein dritter unpartheyiſcher Richter daruͤber zu urthei - len gehabt.

IX.
108

Hauptſaͤchlich aber erregte uͤber alles das eine beynahe allgemeine Aufmerkſamkeit, als es be -kannt2117) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.kannt wurde, daß es im Werk ſey, ganz Baiern gegen die Oeſterreichiſchen Niederlande, nur mit Ausnahme von Namuͤr und Luͤxenburg, unter dem Titel eines Koͤnigs von Burgund umzutau - ſchen, und daß im Jan. 1785. der Ruſſiſchkai - ſerliche Geſandte dem Herzoge von Zweybruͤcken den Antrag gethan habe, ſeine Einwilligung dazu zu geben, und ſich in einer Zeit von 8. Tagen daruͤber zu erklaͤren, mit der muͤndlich hinzugefuͤg - ten Aeuſſerung, daß allenfalls auch ohne ſothane Einwilligung die Sache doch vor ſich gehen wuͤrde.

Der Berliner Hof war der Meynung, daßX. vermoͤge des Teſchner Friedens in keinem Falle mehr die Frage davon ſeyn koͤnne, die Bairiſchen Lande mit den Oeſterreichiſchen zu vereinigen, weil bey den vorhergegangenen Unterhandlungen auch die Frage von ſolcher Umtauſchung gaͤnzlich von der Hand gewieſen ſey, und der uͤber die Bairi - ſche Erbfolge entſtandene Krieg zur Hauptabſicht mit gehabt habe, daß durch eine ſo außerordent - liche Ruͤndung und eben damit zu bewirkende Ver - groͤßerung der Oeſterreichiſchen Erbſtaaten das bis - herige Gleichgewicht unter den Teutſchen Reichs - ſtaͤnden nicht gaͤnzlich zernichtet werden moͤchte. Da nun der Teſchner Friede das alles dahin, daß Oeſterreich mit dem Innviertel ſich begnuͤgen ſolle, entſchieden habe, und hieruͤber die Garantie ſo - wohl des geſammten Teutſchen Reichs als der bei - den vermittelnden Maͤchte Rußlands und Frank - reichs hinzugekommen ſey; ſo glaubte der Preuſ - ſiſche Hof es als eine Contravention gegen den Teſchner Frieden anſehen zu muͤßen, wenn auf ir - gend eine Art dennoch Baiern mit Oeſterreich ver -O 2eini -212XIII. Joſeph II. 1764-1786.einiget werden ſollte. Am wenigſten koͤnnte der - gleichen Vertauſchung ohne Einwilligung der zur kuͤnftigen Succeſſion berechtigten Stammsvettern ſtatt finden, oder auch einem Teutſchen Reichs - fuͤrſten eine ſolche Einwilligung auf eine ſolche Art, wie es dem Herzoge von Zweybruͤcken geſche - hen ſey, zugemuthet werden.

XI.
108

In dieſer Lage der Sachen haben die drey churfuͤrſtlichen Hoͤfe Sachſen, Brandenburg und Hannover bloß zu Erhaltung der bisherigen Reichsverfaſſung ein Schutzbuͤndniß geſchloſſen(t)Die Unterzeichnung des Bundes iſt am 23. Jul. 1785. zu Berlin geſchehen. Die Genehmi - gungsurkunden der Hoͤfe ſind den 21. Aug. 1785. ausgewechſelt worden. Reuß Staatscanzley Th. 11. S. 383. Der Bund ſelbſt iſt meines Wiſſens noch nicht gedruckt., welchem ſeitdem auch Churmainz und mehrere be - traͤchtliche fuͤrſtliche Hoͤfe beygetreten ſind. Da die Abſicht dieſes Fuͤrſtenbundes nur auf die Er - haltung der bisherigen Reichsverfaſſung geht, wel - che ſowohl dem allerhoͤchſten Oberhaupte als je - dem Mitgliede des Teutſchen Reichs heilig ſeyn muß, und ſelbſt an zwey auswaͤrtigen garantiren - den Maͤchten des Weſtphaͤliſchen Friedens und allen uͤbrigen Theilnehmern dieſes Friedens eine maͤchtige Stuͤtze hat; ſo iſt zu hoffen und zu wuͤn - ſchen, daß das Band zwiſchen Haupt und Glie - dern, das die goͤttliche Vorſehung ſoviele Revo - lutionen hindurch bisher ſo gluͤcklich erhalten hat, noch ferner bis auf die ſpaͤteſten Zeiten von neuem dadurch befeſtiget ſeyn moͤge. Und womit koͤnnte ich dieſe meine hiſtoriſche Entwickelung derheuti -2137) Neueſte Begeb. Fuͤrſtenbund 1785.heutigen Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs wuͤrdiger beſchließen, als mit dieſem auf deren fernere Erhaltung abzielenden Bunde, ſo zugleich eine der letzten glaͤnzenden Unternehmungen war, womit Friedrich der II. ( 1786. Aug. 17.), deſ - ſen Geiſtes - und Thaten-Groͤße die ſpaͤte Nach - welt zu bewundern nie aufhoͤren wird, die 46. jaͤhrige Laufbahn beſchloſſen hat, die mit eben dem Rechte das Zeitalter Friedrichs, wie ehedem ein Zeitalter Ludewigs des XIV. genannt worden, von ihm benannt zu werden verdienen wird! Nur noch einige Zugaben, die dazu dienen koͤn - nen den Zuſtand des Teutſchen Reichs, wie es jetzt wuͤrklich iſt, noch genauer kennen zu lernen, werden hoffentlich nicht ganz uͤberfluͤſſig ſeyn. Manches, das ſich nicht fuͤglich nach der Zeitord - nung anbringen ließ, wird dadurch noch ergaͤnzt werden koͤnnen.

O 3Vier -214XIV. Heutige Verfaſſung.

Vierzehntes Buch. Einige allgemeine Bemerkungen uͤber die Verfaſſung des Teutſchen Reichs, wie ſie jetzt wuͤrklich iſt.

I. Einige Bemerkungen uͤber die drey Orte Wien, Regensburg und Wetzlar, wo die Reichsver - faſſung noch am meiſten ſichtbar iſt.

I. Noch immer fortwaͤhrende Einheit des Teutſchen Reichs, wie ſie beſonders vorzuͤglich noch zu Wien, Regens - burg und Wetzlar ſichtbar iſt. II. Zu Wien werden die Reichsſachen nur ſehr durch das groͤßere Gewicht der kaiſer - lichen Erblande verdunkelt. III. Zur Geſchaͤfftsbehand - lung zwiſchen dem kaiſerlichen Hofe und den Reichsſtaͤnden dienen uͤbrigens theils Reichshofrathsagenten oder reichs - ſtaͤndiſche Geſandten zu Wien, theils kaiſerliche Geſandten im Reiche. IV. Am feierlichſten zeigt ſich zu Wien das Band zwiſchen Haupt und Gliedern in den Reichsbelehnun - gen; V. VI. inſonderheit uͤber Thronlehne. VII. Anſtaͤnde, die ſich dabey wegen der Entſchuldigung, nicht in Perſon zu erſcheinen, ereignet; VIII. wie auch we - gen Anfallsgelder und Landemien. IX. Zu Regensburg faͤllt der Reichstag mehr in die Augen, hat aber doch an der Zahl der reichsſtaͤndiſchen Geſandten merklich abgenom - men. X. Auch in den Berathſchlagungen iſt nicht mehr ſo viele Thaͤtigkeit, als ehedem. XI. Zu Wetzlar iſt das Cammergericht in beſtaͤndiger Thaͤtigkeit, doch ei - gentlich nur in Rechtsſachen; XII. auſſer wenn Fragen uͤber die Verfaſſung des Cammergerichts ſelbſt zur Sprache kommen.

I.
109

Alles zuſammengenommen, was ich von der Verfaſſung des Teutſchen Reichs bisher hi -ſtoriſch2151) Wien, Regensburg, Wetzlar.ſtoriſch zu entwickeln geſucht habe, iſt dieſelbe in der Hauptſache noch jetzt eben ſo, wie ich ſie von den Zeiten des Weſtphaͤliſchen Friedens her geſchil - dert habe. Sie hat ſich ſeitdem in manchen Stuͤk - ken nur noch feſter geſetzt, aber auch dann und wann ſchon ſolche Erſchuͤtterungen erlitten, daß man mehrmalen Urſache gehabt hat, wegen Er - haltung des Reichsſyſtems beſorgt zu ſeyn; Ei - ne Beſorgniß, die noch immer jedem Teutſchen Biedermanne nicht gleichguͤltig ſeyn darf. Noch immer haͤngt ganz Teutſchland als ein unter einem gemeinſamen hoͤchſten Oberhaupte vereinigtes Reich zuſammen; aber die andere Betrachtung, wie ganz Teutſchland aus lauter beſonderen Staaten beſteht, die meiſt eben ſo, wie die verſchiedenen Staaten von Europa ſich gegen einander verhal - ten, iſt ſeit dem Weſtphaͤliſchen Frieden je laͤnger je uͤberwiegender geworden. Daher es oft ſchwer faͤllt noch jetzt die fortwaͤhrende Einheit des Teut - ſchen Reichs uͤberall wahrzunehmen. Unmittel - bar iſt ſie eigentlich nur noch am kaiſerlichen Hofe, am Reichstage, und am Cammergerichte, alſo an den drey Orten zu Wien, Regensburg und Wetzlar ſichtbar. Einige Bemerkungen zur naͤ - hern Kenntniß dieſer drey Orte werden deswegen auf die heutige Reichsverfaſſung vielleicht noch hin und wieder einiges Licht zuruͤckwerfen.

Am kaiſerlichen Hofe iſt der ReichshofrathII. das einzige Collegium, das mit Reichsſachen be - ſchaͤfftiget iſt(u)Der Reichshofrath ſoll eigentlich mit In - begriff des Praͤſidenten aus 18. Perſonen beſte -, und der Reichsvicecanzler derein -O 4hen,216XIV. Heutige Verfaſſungeinzige, der die Stelle eines eigentlichen Staats - miniſters in Reichsſachen beym Kaiſer bekleidet(oben(u)hen, alſo auſſer dem Praͤſidenten und Vicepraͤſi - denten aus 16. Reichshofraͤthen. Wenn der letz - teren auch mehrere ſind, ſo haben doch die uͤber - zehligen keinen Antheil an Sporteln, die immer nur in 19. Theile vertheilet werden, wovon der Praͤſident 2. Theile bekoͤmmt. Die Reichshofraͤ - the werden nach zwey Baͤnken vertheilt; Die von altem Adel oder graͤflicher Herkunft ſitzen auf der Herren - und Ritterbank dem Praͤſidenten zur Rech - ten; die uͤbrigen machen die Gelehrtenbank aus, und ſitzen zur linken Seite. Das Collegium verſammlet ſich vier Tage in der Woche, und ſitzt immer unge - theilt beyſammen. Von Seiten der Partheyen muß alles ſchriftlich vorgetragen werden. Die Referenten thun ihre Vortraͤge muͤndlich; nur als - dann wenn ein Entachten an den Kaiſer ergeht, kann dieſes die Stelle einer ſchriftlichen Relation vertreten. In jeder Seſſion referirt einer von der Herrenbank, und einer von der Gelehrtenbank, worin auf jeder Bank die Reihe gehalten wird, oder der ſo genannte Turnus, worin ein jeder eine Woche hindurch zu referiren fortfaͤhrt. In den meiſten Sachen wird ein Correferent beſtellt, der auch die Acten zu leſen bekoͤmmt. Die uͤbrigen Stimmen werden erſt auf der Gelehrtenbank, her - nach auf der Herrenbank abgelegt. Der Praͤſi - dent hat das Recht in Gleichheit der Stimmen durch die ſeinige den Ausſchlag zu geben. Alle Mitglieder des Reichshofraths werden nur vom Kaiſer ernannt, auch von ihm alleine beſoldet. Sie ſollen aber nicht bloß aus den kaiſerlichen Erb - landen, ſondern mehrerentheils aus dem Reiche genommen werden. Der evangeliſchen Reichshof - raͤthe ſind nie mehr als ſechs. Gegen deren ver - einigte Meynung gilt die Mehrheit der Stimmen nicht; aber wenn nur ein evangeliſcher Reichshof - rath anderer Meynung iſt, gilt die Mehrheit der Stimmen. Daß Sachen vom Reichshofrathe anden2171) Wien, Regensburg, Wetzlar.(oben S. 45.), und unter deſſen Direction ein Reichsreferendarius die Geſchaͤffte zu bearbeiten hat; ohne was die Canzleyausfertigungen und Ar - chivgeſchaͤffte anbetrifft, die von einer betraͤchtli - chen Anzahl Perſonen beſorgt werden, welche zur Reichshofcanzley und Regiſtratur von Mainz aus beſtellt werden. Allein wenn auch alle dieſe Stel - len noch ſo zahlreich beſetzt ſind, was iſt das doch gegen die große Menge Oeſterreichiſcher erblaͤndi - ſcher Collegien, und Staats - oder Hof - und Lan - desbedienten, die ſich zu Wien finden! Da ver - liehrt ſich das eigentlich von der Kaiſerwuͤrde ab - hangende Perſonale ſelbſt am kaiſerlichen Hofe un - ter der Menge, welche zum erblaͤndiſchen Perſo - nale gehoͤren, dergeſtalt, daß ein Fremder, der ſich nicht beſonders darum bewirbt, ganz geraume Zeit zu Wien ſeyn kann, ohne beynahe wahrzu - nehmen, daß ein Reichshofrathscollegium und ei - ne Reichshofcanzley daſelbſt im Gange ſind. Eben ſo natuͤrlich iſt es, daß ſelbſt einem regierenden Kaiſer nach der großen Verſchiedenheit des Ver - haͤltniſſes, worin er gegen das Teutſche Reich und gegen ſeine eigne Erblande ſtehet, die Reichsſa - chen ungleich weniger, als die Angelegenheiten ſeines Hauſes und ſeiner Erblande zu Herzen ge - hen muͤßen. Daher es nicht zu bewundern iſt, wenn in Reichsſachen, die am kaiſerlichen Hofe vorkommen, bisweilen eine Ruͤckſicht auf das In -tereſſe(u)den Reichstag verwieſen waͤren, wie im Fall der Trennung beider Religionstheile, oder auch zu authentiſcher Erklaͤrung zweifelhafter Stellen in Reichsgeſetzen geſchehen ſollte, davon iſt noch kein Beyſpiel bekannt geworden.O 5218XIV. Heutige Verfaſſung.tereſſe des Hauſes und der Erblande, oder auch eine Convenienz der Perſonen, die am kaiſerlichen Hofe in Reichsſachen gebraucht werden, einigen Einfluß haben mag.

III.
112

Unter dem Reichshofrathe ſtehet eine Anzahl von ungefaͤhr dreyßig Reichshofrathsagenten, die vom Reichshofrathspraͤſidenten ernannt wer - den, und eigentlich dazu beſtimmt ſind, die Ge - ſchaͤffte der Partheyen als deren Anwaͤlde am Reichshofrathe oder auch uͤberhaupt am kaiſerlichen Hofe zu beſorgen. Auch von Reichsſtaͤnden wer - den wenige ſeyn, die nicht einen von dieſen Agen - ten angenommen haͤtten. Doch kann auch ein je - der Reichsſtand, wie bisweilen geſchieht, ſeinen eignen Agenten am kaiſerlichen Hofe beſtellen. Ei - nige groͤßere Hoͤfe pflegen ſelbſt foͤrmliche Geſand - ten an den Kaiſer zu accreditiren. Oder wer von Reichsſtaͤnden oder auch nur von Mitgliedern der Reichsritterſchaft ſich perſoͤnlich an den kaiſerlichen Hof begibt, kann ſelbſt vom Kaiſer Audienz begeh - ren, die ihm vermoͤge der Wahlcapitulation nicht verſagt werden darf(v)Wahlcap. (1612.) Art. 23. §. 2.. Ein jeder Reichsſtand hat es uͤberdies in ſeiner Gewalt in verſchloſſenen Schreiben etwas an den Kaiſer gelangen zu laßen; es ſey nun, daß ſolche Schreiben unmittelbar mit der Poſt nach Wien abgeſandt, oder auch durch den Agenten oder Geſandten, den der ſchreibende Reichsſtand etwa zu Wien hat, im Reichshofra - the oder in der geheimen Reichshofcanzley uͤberge - ben werden. Hinwiederum hat der kaiſerliche Hof in den meiſten Kreiſen eigne kaiſerliche Geſand - ten, dergleichen auch wohl an ein und anderemgroͤ -2191) Wien, Regensburg, Wetzlar.groͤßeren Hofe noch beſonders unterhalten zu wer - den pflegen. Das ſind die Mittel der gegenſeiti - gen Communication zwiſchen dem kaiſerlichen Hofe und einzelnen Mitgliedern des Reichs, wodurch von dieſer Seite noch die Reichsverfaſſung in merk - licher Thaͤtigkeit erhalten wird.

Eine der feierlichſten Gelegenheiten, wo zuIV. Wien die Vereinigung der vielerley Mitglieder des Reichs unter einem allerhoͤchſten Oberhaupte noch am ſichtbarſten in die Augen fallen kann, aͤuſſert ſich in der Belehnung, welche ein jeder Beſitzer eines Reichslehns ſowohl bey jeder veraͤn - derter kaiſerlichen Regierung als ſo oft das Lehn aus einer Hand in die andere uͤbergehet, mittelſt Leiſtung des Lehnseides zu empfangen ſchuldig iſt(w)Im Lehnseide verpflichtet ſich der Fuͤrſt: daß er dem Kaiſer und dem heiligen Reiche ge - treu, hold, gehorſam und gewaͤrtig, auch nim - mermehr wiſſentlich in dem Rathe ſeyn ſolle noch wolle, da ichten etwas wider kaiſerlicher Majeſtaͤt Perſon, Ehre, Wuͤrde und Stand gehandelt oder vorgenommen wuͤrde, noch darein willigen oder gehelen in einige Wege; ſondern der kaiſerlichen Majeſtaͤt und des heiligen Reichs Ehre, Nutzen und Aufnehmen betrachten und befoͤrdern, nach allem ſeinem Vermoͤgen; und ob er indeß verſtuͤn - de, daß etwas vorgenommen oder gehandelt wuͤr - de, wider kaiſerlicher Majeſtaͤt Perſon oder das heilige Reich, demſelben wolle er getreulich vor ſeyn, und kaiſerliche Majeſtaͤt deſſen ohne Verzug warnen, und ſonſt alles thun, das einem gehor - ſamen Fuͤrſten und getreuen Lehnmann gegen kai - ſerliche Majeſtaͤt und dem heiligen Reich zu thun gebuͤhre von Rechts oder Gewohnheits wegen, ge -treu -. Doch wird in der Art der Belehnungzwi -220XIV. Heutige Verfaſſung.zwiſchen Thronlehnen und anderen ein großer Un - terſchied gehalten. Jene ſind ſolche, bey deren Belehnung der Kaiſer perſoͤnlich anweſend ſich den Lehnseid ſchwoͤren laͤßt. Von anderen wird die - ſer Eid nur im Reichshofrathe abgelegt. Nach der urſpruͤnglichen Lehnsverfaſſung ſollte auch der Vaſall jedesmal perſoͤnlich den Lehnseid ſchwoͤren. Nach einem neuern Herkommen pflegen aber ſo - wohl vor dem kaiſerlichen Throne als im Reichs - hofrathe die Lehnseide nur durch Bevollmaͤchtigte abgelegt zu werden. Nur alsdann, wenn etwa derjenige, der die Belehnung zu empfangen hat, ohnedem ſelbſt zu Wien anweſend iſt, wird wohl noch darauf beſtanden, daß er perſoͤnlich erſchei - nen ſolle(x)So hat z. B. noch am 20. Nov. 1766. ein Graf von Weiſſenwolf den Lehnseid uͤber den Blut - bann bey der Herrſchaft Erlach perſoͤnlich im Reichshofrathe geſchworen. Moſer von der Lehns - verfaſſung S. 252. Auch dem Fuͤrſten von Lob -[k]owitz wurde (1766. Aug. 18.) auferlegt: daß er als in curia hic pracſens die Paulsdorfiſchen Reichslehne im Reichshofrathe in Perſon empfan - gen ſollte. Moſer am a. O. S. 251..

V.
115

Nur Fuͤrſtenthuͤmer und Churfuͤrſtenthuͤmer ſind Thronlehne. Um daruͤber die Beleh - nung zu empfangen melden ſich gewoͤhnlich zwey Bevollmaͤchtigte, gemeiniglich ein beſonders dazu beſtimmter Geſandter und ein Reichshofrathsagent, oder auch nach Gutfinden eines jeden Hofes, der die Belehnung zu ſuchen hat, zwey beſonders ab -geſchick -(w)treulich, ohne Argeliſt und Gefaͤhrde. Luͤnigs corp. iur. feud. Th. 1. S. 95. Neumanns For - mularbuch des Reichsproceſſes S. 401.2211) Wien, Regensburg, Wetzlar.geſchickte Geſandten. Wenn alles, was wegen der Vollmacht und ſonſt zu beſorgen iſt, nach des Reichshofraths Gutachten berichtiget iſt, und der Kaiſer Zeit und Stunde zur Belehnung angeſetzt hat; ſo erſcheinen beide Bevollmaͤchtigte an der dazu beſtimmten Zeit im feierlichen Aufzuge in der kaiſerlichen Burg in einem dazu gewidmeten Saa - le, wo der Kaiſer auf einem Throne ſitzt, und auf einer Seite den Reichsvicecanzler, auf der andern die Oberſthofaͤmter neben ſich ſtehen hat. Vor ihm ſchließt ſich ein halber Kreis von Cam - merherren und einer dieſelben umgebenden Leib - wache; uͤbrigens kann jedermann zuſehen.

Sobald die zur Lehnsempfaͤngniß beſtimmtenVI. Geſandten bey dem Eintritt in den Saal den Kai - ſer erblicken, fallen ſie auf die Kniee, und mit noch zweymal wiederholter Kniebeugung naͤhern ſie ſich durch den ſich oͤffnenden Kreis bis unmit - telbar vor dem kaiſerlichen Throne. Hier haͤlt der erſte Geſandte knieend eine Rede mit foͤrmlicher Anrede an den Kaiſer, und bittet zur Ablegung des Lehnseides zugelaßen zu werden. Der Reichs - vicecanzler tritt zum Kaiſer hinauf, um deſſen Er - klaͤrung zu vernehmen, die er in einer kurzen Be - antwortungsrede den Geſandten zu erkennen gibt. Der Kaiſer nimmt alsdann den Hut ab, und gibt ihn einsweilen dem Oberſthofkaͤmmerer. Er be - koͤmmt dagegen ein Evangelienbuch auf ſeinen Schoß zu legen. Um darauf ihre Finger legen zu koͤnnen, ruͤcken die Geſandten etliche Stuffen des Thrones hinauf, und ſo ſchwoͤren ſie knieend die Worte des Eides nach, die ihnen der Reichs - vicecanzler vorſagt. Hernach ſetzt der Kaiſer ſei -nen222XIV. Heutige Verfaſſung.nen Hut wieder auf; an ſtatt des Evangelienbuchs nimmt er nun ein bloßes Schwerdt in die Hand, deſſen Degenknopf beide Geſandten kuͤſſen, und ſo wieder auf ihren vorigen Platz herunter ruͤcken. Jetzt haͤlt der zweyte Geſandte eine Dankſagungs - rede, nach deren Endigung beide bisher immer knieend gebliebene Geſandten ruͤckwaͤrts wieder mit dreymaliger Kniebeugung ſich aus dem Angeſichts des Kaiſers entfernen, der darauf ebenfalls den Thron verlaͤßt und damit dieſer Feierlichkeit ein Ende macht.

VII.
116

Sowohl in der Rede des erſten Geſandten als in der vorher ſchon uͤbergebenen Bittſchrift um die Belehnung iſt bisher uͤblich geweſen, eine Ent - ſchuldigung einfließen zu laßen, daß der Fuͤrſt, der die Belehnung zu empfangen hat, nicht in Perſon erſcheine; da dann auch der Reichsvice - canzler immer ſeine Antwort mit darauf zu richten pfleget, daß kaiſerliche Majeſtaͤt fuͤr diesmal darin nachſehen wollten. Nur Reichsſtaͤnde, die zu - gleich Kronen tragen, haben dieſe Entſchuldigung weggelaßen(y)Als im Jahre 1754. die Belehnung des Koͤ - nigs in Schweden wegen ſeiner Teutſchen Lande im Werke war, erinnerte der Reichshofrath in ſeinem Gutachten an den Kaiſer den Abgang ſo - wohl der Entſchuldigung wegen unterlaßener per - ſoͤnlicher Erſcheinung, als der ſonſt erforderlichen Beſcheinigung des zur Belehnung Anlaß geben - den Todesfalls. Er trug deswegen darauf an, daß der Belehnung noch Anſtand gegeben, und der Geſandte wegen Beybringung der noch abge - henden Erforderniſſe belehret werden moͤchte. DerKai -. Auch moͤgen unter Carl dem VII. mit2231) Wien, Regensburg, Wetzlar.mit einigen groͤßeren Hoͤfen wegen verſchiedener Abaͤnderungen im Ceremoniel Abreden getroffen ſeyn(z)Ein zu R. den 23. Maͤrz 1750. datirter Aufſatz enthaͤlt folgendes: Churſaͤchſiſcher Seits habe man dem Wiener Hofe zu erkennen gegeben, was bey der Lehnsverbindung das weſentliche und zufaͤllige ſey; zu welchem letztern man die Cere - monien rechne. In den Jahren 1741. und 1745. habe man die Maͤßigung des Ceremoniels nicht allein zugeſagt, ſondern auch ganz eine andere Sprache daruͤber gefuͤhret. Da nun Carls des VII. Majeſtaͤt, wie an Großbritannien und Preuſ - ſen, ſo auch Ihro Polniſchen Majeſtaͤt eine Mo - deration des Ceremoniels zugeſtanden haͤtten; al - ſo beſtaͤnden Sie darauf, daß jetzt regierende kai - ſerliche Majeſtaͤt die Zuſage Ihres Vorfahren con - firmiren moͤchten. Moſer am a. O. S. 310.. Daruͤber ſcheint einige Aufmerkſamkeit der altfuͤrſtlichen Haͤuſer entſtanden zu ſeyn, um erſt den Vorgang mehrerer koͤniglichen und chur - fuͤrſtlichen Hoͤfe abzuwarten, ehe ſie ihre Beleh - nung nehmen wollen. So ſind viele Thronbe - lehnungen vom Kaiſer Carl dem VII. her bis auf den heutigen Tag in Ruͤckſtand geblieben.

Es hat ſich aber auch noch ein Umſtand dazuVIII. geſellt, der in der Sache Schwierigkeit macht. Wenn(y)Kaiſer gab aber zur Reſolution: Ich werde den Tag beſtimmen; gieng alſo uͤber jenen Anſtand hinaus. Eben darauf bezog ſich hernach ein Reichs - hofrathsgutachten vom 18. Nov. 1773., da un - ter aͤhnlichen Umſtaͤnden von Belehnung des jetzi - gen Koͤnigs Guſtavs die Frage war. Moſer von der Lehnsverfaſſung S. 893. u. f. Dieſe letztere Belehnung ward hernach am 24. Nov. 1773. von zwey Schwediſchen Geſandten, einem Grafen von Bork und einem Grafen von Oxenſtierna, emp - fangen. Moſer am a. O. ſ. 894. u. f.224XIV. Heutige Verfaſſung.Wenn ein Lehn nicht von Vater auf Sohn geht, ſondern Seitenverwandten, oder etwa durch An - wartſchaften oder andere Wege fremden Beſitzern, die nicht vom erſten Erwerber abſtammen, zu Theil wird; ſo iſt bey Lehnhoͤfen nicht ungewoͤhn - lich, daß denen, die Bemuͤhung damit gehabt haben, eine gewiſſe Erkenntlichkeit an Gelde da - fuͤr gereicht wird, ſo man Laudemien zu nennen pflegt. Hier ereignet ſich aber am kaiſerlichen Hofe eine Colliſion zwiſchen der Reichshofcanzley und dem Reichshofrathe, da jene in ſolchen Faͤl - len ſo genannte Anfallsgelder, letzterer Laudemien fordert(a)Als im Jahre 1664. die Krone Schweden mit ihren Teutſchen Laͤndern belehnt wurde, forder - te (beſage gewiſſer geſchriebenen Nachrichten) die Reichshofcanzley 149. tauſend Gulden, der Reichs - hofrath 24. tauſend Rthlr. Letzterem wurde dar - auf 10. tauſend, jener 20. tauſend Rthlr. gebo - ten. Bey Gelegenheit des berichtigten Tauſch - geſchaͤffts uͤber Oldenburg und Delmenhorſt (1773.) erhielt die Reichshofcanzley zu Wien von wegen der Hoͤfe zu Petersburg und Coppenhagen ein Ge - ſchenk von 100. tauſend Gulden. Darauf forder - te der Reichshofrath ein Laudemium von 150. tan - ſend Gulden. Es fand ſich aber, daß in vorigen Zeiten von wegen Oldenburg und Delmenhorſt nur 18. tauſend Gulden Laudemium gezahlt worden war. Mit genauer Noth wurde jene Forderung diesmal noch auf die Haͤlfte, alſo auf 75. tauſend Fl. herunter gebracht. Das Reichshofrathscon - cluſum ergieng daruͤber (1776. May 13.) in fol - genden Ausdruͤcken: Mit Verwerfung der aus vermeyntlichen Rechtsgruͤnden gegen das quantum laudemiale gemachten Einwendungen fiat de reli - quo bewandten Umſtaͤnden nach moderatio auf die Halbſcheid des Anſatzes, jedoch irremiſſibili -ter, beide Forderungen gleichwohl nureiner -2251) Wien, Regensburg, Wetzlar.einerley Gegenſtand haben, und alſo beyſammen nicht wohl beſtehen koͤnnen. Dazu koͤmmt, daß Reichsſtaͤnde von wegen ſolcher Lehne, in Anſe - hung deren ſie ſchon in der Mitbelehnung begrif - fen geweſen, ſich uͤberall zu keinen ſolchen Abga - ben verbunden halten. Viel weniger wollen ſie ſonſt ungewoͤhnlichen oder illiquiden Forderungen ſich unterwerfen, noch geſchehen laßen, daß von einer Belehnung, wenn gleich verſchiedene Lehne empfangen werden, mehr als eine einfache Zah - lung ihnen zugemuthet werde. Deren Verviel - faͤltigung macht ſonſt ſelbſt fuͤr die Hofaͤmter und geringeren Hofbedienten ſchon betraͤchtliche Sum - men aus(b)Bey jeder Thronbelehnung werden unter den Schweizern, die unter dem Thore die Wacht haben, 2. Rthlr., den Thuͤrhuͤtern in der Ritter - ſtube 4., den Hatſchieren 6., den Trabanten 6., den Cammerfourieren 6., den Tapezierern 6., dem Cammerheizer 2., den Cammertrabanten 4., dem Vorzimmersthuͤrhuͤter 8., dem aͤlteſten Cammer - diener, der das Evangelienbuch haͤlt, 6., den La - keien 4., den Trompetern und Paukern 10., den Hoffourieren 6., den Herolden 6., dem Reichs - hofrathsthuͤrhuͤter 6., dem geheimen Raths Thuͤr - huͤter 4., zuſammen 86. Rthlr., oder 129. Gul - den ausgetheilt. Daneben bekommen von jeden fuͤrſtlichen Belehnungen der Oberſthofmeiſter, der Oberſtkaͤmmerer, der Reichsvicecanzler, der Hof - marſchall, der Erbſchatzmeiſter, der Erbmund - ſchenk, der Erbtruchſeß, und noch der Hofmar - ſchall fuͤr ſein Pferd, jeder 80. Rthlr. oder 120.. Wider alles das ſind nun ſchon inder(a)ter, und dergeſtalt, daß die baare Zahlung des moderirten quanti ſofort und laͤngſtens binnen 2. Monathen erfolge. Moſers Zuſaͤtze zu ſeinem neuen Teutſchen Staatsrechte Th. 2. S. 181.P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. PFl.,226XIV. Heutige Verfaſſung.der beſtaͤndigen Wahlcapitulation und in der von den beiden Kaiſern Carl dem VI. und dem VII. beſondere Verfuͤgungen getroffen(c)Wahlcap. (1711.) Art. 11. §. 2.: Vielwe - niger die Reichsbelehnung wegen der illiqui - den und ſtreitigen Lehnstaxen (add. 1742.: oder Laudemiengelder und dergleichen) aufhalten. Art. 17. §. 18. (1711.): In der Lehnstaxe wol - len wir bey der Verordnung der goldenen Bulle, vermoͤge deren von einer Belehnung, wenn gleich verſchiedene Lehne empfangen werden, mehr nicht, als eine einfache Taxe zu entrichten, verbleiben, und dawider kein Herkommen einwenden, noch einige Erhoͤhung ohne der Staͤnde Willen aufkom - men laßen. Art. 17. §. 19. (1711.): viel - weniger die Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤnde mit den (1742.: Laudemien und) Anfallsgeldern von denen Lehnen, damit ſie allbereits coinveſtirt geweſen, oder ſonſt mit ungewoͤhnlichen und neuer - lichen Anforderungen nicht beſchweren, noch be - ſchweren laßen.. Die Sache ſelbſt hat aber noch nicht gehoben werden koͤn - nen(d)Schon am 13. Aug. 1749. ergieng ein Reichshofrathsconcluſum die Thronlehne uͤberhaupt betreffend, worin noch eine allgemeine Friſt von 3. Monathen angeſetzt wurde. Zugleich circulir - ten ſo genannte Generalgruͤnde, ſo ſaͤmmtlichehohe, zumal da die Laudemialgelder unter denMit -(b)Fl., ingleichen die Secretarien noch 48. Fl., die Taxatoren 23., die Regiſtratoren 20., die Canz - ley 30. Fl., zuſammen 1081. Gulden. Von die - ſer Zahlung an die Erb - und Hofaͤmter ſind die Churfuͤrſten frey. Von der Krone Schweden for - derten die Hofaͤmter 1664. auf die vier Fuͤrſten - thuͤmer Bremen, Verden, Pommern, Ruͤgen fuͤnf Faͤlle gerechnet 14. tauſend Rthlr. Man gab ih - nen 6000. Rthlr.2271) Wien, Regensburg, Wetzlar.Mitgliedern des Reichshofraths in 19. Theilen vertheilt, und von denſelben als ein Theil ihres Gehaltes angeſehen werden(e)In Moſers Zuſaͤtzen zu ſeinem neuen Staats - rechte S. 166-173. finden ſich Verzeichniſſe der Laudemialgelder, die unter Joſeph dem I., Franz dem I. und in den erſten Regierungsjahren Joſephs des II. eingegangen ſind. Nach ſelbigen betrug das, was ein jeder Reichshofrath zu ſei - nem Antheile davon bekam, ein Jahr ins andere gerechnet, unter Joſeph dem I. jaͤhrlich 1342. Fl. 18. Kreuzer, unter Franz 1068. Fl. 53. Kr., un - ter Joſeph dem II. 1140. Fl. 34. Kr. Die ſtaͤrk -ſten. Die Thronbe -leh -(d)hohe Fuͤrſten und Staͤnde, ſo noch bisher die Thron - belehnung nicht genommen, allerdings vermoͤgen ſollten ſich hierzu zu bequemen. Allein dieſe Gruͤnde fanden wenig Eingang. Moſer von der Lehnsverfaſſung S. 305-311. Noch im Jahre 1767. ließen die altfuͤrſtlich weltlichen Haͤuſer, je - des ins beſondere, ein P. M. zu Wien uͤbergeben, wo ſie ſich bereit erklaͤrten die Belehnung zu emp - fangen, wenn ſie eines Theils die gewoͤhnlichen Taxen und Remunerationsgelder nur einfach be - zahlen duͤrften, ohne mit mehreren Anforderun - gen gegen die Wahlcapitulation beſchweret zu wer - den; und wenn ſie andern Theils in Anſehung des Ceremoniels erſt den Vorgang einiger geiſtlichen und weltlichen Churfuͤrſten vor ſich ſaͤhen. Moſer am a. O. S. 296. In einer vom Reichsvicecanz - ler[darauf] ertheilten vorlaͤufigen Antwort ließ der - ſelbe einfließen: daß die Laudemien und Anfalls - gelder zur Recognition entrichtet wuͤrden, und eigentlich kaiſerlicher Majeſtaͤt gehoͤrten, von De - ro Vorfahren aber erſtere dem Reichshofrathe, und letztere der Canzley uͤberlaßen worden, mithin fuͤr Gerechtſame des Kaiſers zu achten waͤren, und in kaiſerlicher Majeſtaͤt Maͤchten ſtehe, ſolche ſich wieder zuzueignen. Moſer am a. O. S. 297. u. f.P 2228XIV. Heutige Verfaſſung.lehnungen uͤber Brandenburg-Culmbach(f)Auf ein den 18. Jan. 1770. vom Marggra - fen von Anſpach wegen der ihm zugefallenen Marg - grafſchaft Brandenburg-Culmbach (oder Bai - reuth) zu Wien eingekommenes Lehnsanſuchungs - ſchreiben iſt erſt am 25. Apr. 1786. ein Reichs - hofrathsconcluſum erfolgt, worin zu Beybringung ſaͤmmtlicher Lehnserforderniſſe und ad praeſtan - dum praeſtanda ein Termin von 2. Monathen an - geſetzt worden. Reuß Staatscanzley Th. 13. S. 411. und uͤber das Herzogthum Holſtein von Seiten desKoͤnigs(e)ſten Poſten waren von Savoyen unter Franz 85. tauſend, unter Joſeph dem I. 36. tauſend, von Mirandola unter Joſeph dem I. 32. tauſend, von Holſtein-Ploͤn unter Franz 27. tauſend, von Sach - ſenweimar unter Franz 20. tauſend, von Fuͤrſten - berg 14. tauſend, von Badenbaden 12375., von Daͤnemark wegen des Weſerzolls 12. tauſend, von Moͤrs 12. tauſend, von Wuͤrtenberg 10. tauſend Gulden u. ſ. w. Ein leſenswuͤrdiges Gutachten einer fuͤrſtlichen Regierung uͤber dieſe Materie fin - det ſich in Moſers Lehnsverfaſſung S. 288-295. Am Ende deſſelben wird gezweiflet, ob etwas frucht - barliches wegen der Laudemien auszurichten, und der Reichshofrath von dieſer ſchon ſo feſt einge - wurzelten Gewohnheit abzubringen ſeyn duͤrfte. Ja, wenn man auch (faͤhrt das Gutachten fort) nicht nur in puncto iuris Recht, ſondern auch ei - nige Hoffnung haͤtte es durchtreiben zu koͤnnen; ſo waͤre doch die Frage, ob es rathſam waͤre; in - dem ſehr zu beſorgen iſt, es wuͤrden die Mitglie - der des Reichshofraths, denen dieſe Summe aus ihrem Beutel entgienge, dadurch dergeſtalt dis - guſtirt werden, daß dieſelben Ew. hochfuͤrſtlichen Durchlaucht in Dero vielen wichtigen an dem kai - ſerlichen Reichshofrathe bereits anhaͤngigen und vielleicht noch weiter bekommenden Angelegenhei - ten einen weit groͤßern und irreparablen Scha - den thun wuͤrden.2291) Wien, Regensburg, Wetzlar.Koͤnigs in Daͤnemark(g)Vom Koͤnige in Daͤnemark als Herzoge von Holſtein wurde mittelſt Schreibens an den Kai - ſer vom 3. Febr. (praͤſentirt den 1. May) 1786. eine fernere Lehnsmuthung uͤber die ſaͤmmtliche Landesantheile des Herzogthums Holſtein uͤber - reicht, und zugleich um Beſtimmung der Zeit zu Empfangung der Belehnung gebeten. Nach vor - gaͤngigem Reichshofrathsgutachten ergieng die kai - ſerliche Reſolution am 26. May 1786. dahin: Wuͤrde der Koͤnig von Daͤnemark wegen Gluͤck - ſtadt, Gottorp, und Ploͤn die requiſita inueſtitu - rae in termino duorum menſium beybringen, und wegen Gottorp binnen beſagtem Termine prae - ſtanda praͤſtiren, ergehet ſowohl uͤberhaupt, als wegen der gebetenen einfachen Belehnung uͤber das geſammte Herzogthum Holſtein weitere kaiſer - liche Verordnung. Reuß Staatscanzley Th. 13. S. 410. ſind noch im Jahre 1786. von neuem in Bewegung gekommen, je - doch noch nicht vor ſich gegangen.

Bey der allgemeinen ReichsverſammlungIX. zu Regensburg iſt das noch fortwaͤhrende gemein - ſame Band der Reichsverfaſſung in ſo weit noch am meiſten ſichtbar, als hier das dazu gehoͤrige Perſonale noch vor allen andern hervorſticht, und nicht ſo, wie zu Wien, unter einer andern Men - ge ſich verliehrt. Gegen aͤltere Zeiten ſcheint die heutige Reichsverfaſſung hier ſelbſt noch einen Vor - zug zu haben, da ehedem nur von Zeit zu Zeit ein nur kurz waͤhrender Reichstag gehalten wurde, an ſtatt daß jetzt derſelbe immerwaͤhrend fortgefuͤhret wird. Jedoch auf der andern Seite hat der Reichs - tag ſelbſt dadurch ſowohl an ſeinem Glanze als an ſeiner wirkſamen Thaͤtigkeit merklich verlohren, daehe -P 3230XIV. Heutige Verfaſſung.ehedem noch Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Grafen ſowohl als der Kaiſer ſelbſt ſich perſoͤnlich dabey einzufinden pflegten und dann gleich auf der Stelle ihre Meynung erklaͤren konnten, jetzt aber lauter Bevollmaͤchtigte da ſind, die fuͤr ſich nichts thun koͤnnen, ſondern alles auf die jedesmal einzuholen - de oder doch erſt nachzuſehende und genau zu be - folgende Inſtruction muͤßen ankommen laßen. Da nun uͤberdies nicht nur ſolche Staͤnde, die jetzt mehrere Stimmen haben, ſolche gemeiniglich nur durch einen Geſandten fuͤhren laßen, ſondern viel - faͤltig auch ein Geſandter mehrere Hoͤfe zu bedie - nen hat; ſo iſt der ganze Reichstag nach und nach ſo zuſammen geſchmolzen, daß zu den hundert Stimmen im Reichsfuͤrſtenrathe kaum noch 20. Geſandten vorhanden ſind. Das ganze reichsſtaͤd - tiſche Collegium beſteht gar nur groͤßtentheils aus einigen Regensburgiſchen Rathsherren, die zugleich als Stimmfuͤhrer mehrerer Reichsſtaͤdte angeſtellt ſind. Wenn alſo auch gleich noch ein jeder Chur - fuͤrſt ſeinen eignen Geſandten hat; ſo pflegt doch der ganze Reichstag jetzt kaum aus mehr als 30. Comitialgeſandten zu beſtehen.

X.
130

Nun ſind es zwar noch immer fuͤr ganz Teutſch - land wichtige Gegenſtaͤnde, die hier zur Berath - ſchlagung kommen koͤnnen, da hier eigentlich der Ort iſt, wo noch alle Hoheitsrechte, wenn ſie auch nicht mehr der kaiſerlichen Majeſtaͤt alleine uͤber - laßen ſind, von Kaiſer und Reichs wegen ausge - uͤbt werden koͤnnen; wie ſich das inſonderheit zeigt, wenn neue Geſetzgebungen fuͤr die geſammte Reichs - verfaſſung in Frage kommen, oder wenn Fragen von Krieg oder Frieden entſchieden, wenn Steuernbewil -2311) Wien, Regensburg, Wetzlar.bewilliget, oder wenn auch nur wichtige Angele - genheiten einzelner Reichsſtaͤnde hier entſchieden werden ſollen. Allein ſelbſt ſolche Gegenſtaͤnde werden jetzt immer ſeltener zur wuͤrklichen Reichs - tagsberathſchlagung gebracht. Und dann iſt Regensburg zwar der Ort, wo die Abſtimmung zum Behuf abzufaſſender Reichsſchluͤſſe geſchieht, auch hoͤchſtens wohl durch vorlaͤufige Beſprechung einiger Comitialgeſandten und durch ihre Berichte bisweilen reichsſtaͤndiſche Stimmen vorbereitet und einigermaßen gelenket werden koͤnnen. Aber die wahre Beſtimmung eines jeden Geſchaͤffts, wie ſie ein jeder Reichsſtand durch ſein Votum gefaſ - ſet zu haben wuͤnſcht, haͤngt doch eigentlich von der Vorſchrift eines jeden Hofes ab, wie er ſei - nem Geſandten zu votiren befiehlt. Daher gemei - niglich jetzt die Seele ſolcher Unterhandlungen mehr auf unmittelbarer Communication ſolcher Hoͤ - fe, die das Zutrauen zu einander haben, als auf den Perſonen der Comitialgeſandten beruhet. Da - hingegen mag zu Regensburg ſelbſt ſich leicht ein Umſtand ereignen, der oft auf geraume Zeit die Thaͤtigkeit des ganzen Reichstags unterbricht. Oder wenn das auch nicht iſt, fehlt es doch oft dergeſtalt an Gegenſtaͤnden, die zur Comitialbe - rathſchlagung reif ſind, daß nicht ſelten Jahre hingehen, ohne daß nur Sitzungen und Proto - colle am Reichstage oder in einem der drey Reichs - collegien gehalten werden. Man darf ſichs alſo nicht befremden laßen, wenn man zu Regens - burg haͤufiger und laͤngere Ferien als ſonſt vielleicht irgendwo wahrnimmt.

P 4Un -232XIV. Heutige Verfaſſung.
XI.
130

Ungleich lebhafter laͤßt ſich deswegen die Reichsverfaſſung noch endlich zu Wetzlar in der beſtaͤndig fortgehenden Thaͤtigkeit des Cammer - gerichts erkennen. Hier leuchtet nicht nur das ganze Perſonale, ſo dazu gehoͤrt, vor allen uͤbri - gen Einwohnern dieſer ſonſt ſehr mittelmaͤßigen Reichsſtadt ungleich mehr hervor; ſondern die ganze Machine iſt, nur gewiſſe beſtimmte Ferien abgerechnet, Jahraus Jahrein in beſtaͤndig glei - cher Thaͤtigkeit. Aber die Gegenſtaͤnde dieſer Thaͤtigkeit ſind eigentlich nur einzelne Rechtsſa - chen, und zwar verhaͤltnißmaͤßig ungleich mehr Rechtsſachen bloßer Privatpartheyen, als ſolche, die Reichsſtaͤnde betreffen, und in ihrer Art zu - gleich als Staatsſachen angeſehen werden koͤn - nen. Denn ſeitdem mit dem Weſtphaͤliſchen Frie - den dem Reichshofrathe die Eigenſchaft einer Ge - richtsſtelle geſichert, und zugleich dem Fuͤrſten - rechte ein Ende gemacht iſt, hat der Reichshof - rath theils privative Gerichtbarkeit in Sachen, die ganze Laͤnder betreffen; theils geſchieht es auch da, wo der klagende Theil die Wahl haͤtte, doch haͤufiger, daß wichtige Sachen zu Wien als zu Wetzlar anhaͤngig gemacht werden.

XII.
130

Nur in ſo weit hat das Cammergericht auſ - ſer der Eroͤrterung der daſelbſt angebrachten Rechts - haͤndel auch noch andere die Reichsverfaſſung naͤ - her betreffende Beſchaͤfftigungen, als haͤufig Din - ge vorkommen, welche die Verfaſſung des Cam - mergerichts ſelbſt betreffen, die theils ſeinem eignen Ermeſſen uͤberlaßen, theils wenigſtens zu einer proviſoriſch geſetzgeberiſchen Beſtimmungdem -2331) Wien, Regensburg, Wetzlar.demſelben heimgeſtellt ſind. Da gibt es oft haͤke - liche Fragen, wo bald Kaiſer und Reich, bald Fuͤrſten und Churfuͤrſten, bald beide Religions - theile, bald ſelbſt die Mitglieder des Cammerge - richts unter ſich nicht gleiche Grundſaͤtze hegen; und woruͤber dann am Ende ſelbſt dem Reichs - tage der Ausſchlag der Sachen uͤberlaßen werden muß, der aber auch da nicht immer erfolget.

P 5II. 234XIV. Heutige Verfaſſung.

II. Ein Hauptzweck, der in der bisherigen Reichs - verfaſſung zur allgemeinen Sicherheit und Wohl - fahrt noch immer durch reichsgerichtliche Er - kenntniſſe erreicht wird.

I. Ein wichtiger Vortheil der Reichsverfaſſung iſt noch, daß gegen alle Mitglieder des Reichs richterliche Huͤlfe ſtatt findet; II. III. ſelbſt zum Vortheile der Unterthanen gegen ihre Landesherrſchaften; IV. wie auch zum Vor - theile der Glaͤubiger gegen verſchuldete Reichsſtaͤnde; beſonders in ſo genannten Debitcommiſſionen. V. Nur wegen der Recurſe, die von Reichsſtaͤnden gegen widrige reichsgerichtliche Erkenntniſſe haͤufig an den Reichstag ge - nommen werden, waͤre eine genauere geſetzliche Beſtimmung zu wuͤnſchen; VI. VII. die aber auch ihre Schwierig - keiten hat. VIII. Bis dahin beruhet der Ausgang ei - nes jeden Recurſes auf der Mehrheit der Stimmen in den drey Reichscollegien.

I.
130

In dem allgemeinen Bande, das ganz Teutſch - land, ungeachtet ſeiner Abtheilung in ſo vie - le beſondere Staaten, unter Kaiſer und Reich und den beiden hoͤchſten Reichsgerichten doch noch immer auf die bisher beſchriebene Art zuſammen erhaͤlt, wird allemal ein Hauptzweck der ganzen Reichsverfaſſung noch dadurch erreicht, daß unter ſo vielerley Staaten und Mitgliedern des Teut - ſchen Reichs, unter denen ſonſt das Recht der Selbſthuͤlfe bald den Mindermaͤchtigen dem Staͤr - kern Preis geben wuͤrde, dennoch keine Selbſt - huͤlfe ſtatt findet, ſondern einem jeden ohne Un - terſchied hier noch Mittel und Wege angewieſen ſind, durch richterliche Huͤlfe im Seinigen ge -ſichert2352) Vortheil reichsger. Erkenntniſſe.ſichert zu ſeyn, oder, wo es ihm vorenthalten wird, zu ſeinem Rechte zu gelangen.

So werden noch immer Streitigkeiten, die einII. Reichsſtand mit dem andern hat, durch Rechts - ſpruͤche entſchieden, wo uͤber aͤhnliche Streitigkei - ten unabhaͤngiger Maͤchte, nichts als die Macht der Waffen entſcheiden kann. Und wo in unab - haͤngigen Staaten auch eines jeden Unterthanen Sicherheit doch nur von der Gerechtigkeit abhaͤngt, die man ihm im Lande ſelber widerfahren laͤßt, da enthaͤlt unſere Reichsverfaſſung noch Mittel und Wege, wie ſelbſt Unterthanen gegen ihre Landes - herrſchaft bey einem hoͤhern Richter Schutz finden koͤnnen; es ſey nun, daß ſie in einzelnen Rechts - ſachen noch zu Appellationen (ſo fern ſolche nicht etwa durch kaiſerliche Privilegien eingeſchraͤnkt ſind,) oder doch zu Klagen uͤber Nichtigkeit oder verſagtes Recht ihre Zuflucht nehmen, oder daß ſie gerade zu ſelbſt wider ihre Landesherrſchaft als den beklagten Theil Beſchwerde fuͤhren, wie ſo gar uͤber Mißbrauch der Landeshoheit uͤberhaupt geſchehen kann, wo in unabhaͤngigen Staaten nichts als Gedult und Gehorſam uͤbrig bleibt, wenn anders nicht ein noch groͤßeres Uebel von Aufſtand und buͤrgerlichem Kriege daraus erwach - ſen ſoll.

Aus dieſem Geſichtspuncte kann man es nochIII. immer als ein eigenthuͤmliches Stuͤck der Teut - ſchen Reichsverfaſſung anſehen, wenn man ſolche Faͤlle erlebt, daß es ſelbſt Teutſchen Reichsſtaͤn - den, die ihre landesherrliche Gewalt mißbrauchen, von einer hoͤhern Macht fuͤhlbar gemacht wird,daß236XIV. Heutige Verfaſſung.daß ſie nicht unabhaͤngig ſind. So haben mehr - malen beide hoͤchſte Reichsgerichte auf angebrachte Klagen ganzer Landſchaften z. B. der Reichshof - rath gegen Mecklenburg und Wuͤrtenberg, das Cammergericht gegen Naſſau-Weilburg und Lippe - Detmold ſolche Erkenntniſſe erlaßen, welche die Ausuͤbung der landesherrlichen Gewalt in gewiſſe Graͤnzen zuruͤckzuhalten zur Abſicht hatten. So ſind aber vollends erſt in den Jahren 1770. (h)Am 22. Aug. 1770. ergieng wider den re - gierenden Grafen Friedrich von Leiningen-Guͤn - tersblum (geb. 1715.) wegen ſeines aͤrgerlichen Betragens, auf einen von den Churfuͤrſten zu Mainz und Pfalz als ausſchreibenden Fuͤrſten des Oberrheiniſchen Kreiſes an den Kaiſer abgeſtatte - ten Bericht, in Gemaͤßheit eines Reichshofraths - gutachtens an gedachte Churfuͤrſten ein kaiſerli - ches Reſcript des Inhalts: Kaiſerliche Majeſtaͤt haͤtten aus der von ihnen allergehorſamſt geſche - henen Anzeige mißfaͤllig erſehen muͤßen, was fuͤr Abſcheuungswuͤrdigſte Laſter und Schandthaten der Graf Friedrich zu Leiningen-Guͤntersblum ſich zu Schulden gebracht habe. Kaiſerliche Majeſtaͤt koͤnnten dergleichen gemein aͤrgerliches und die Wuͤrde eines Reichsſtandes hoͤchſt verunehrendes Betragen von reichsoberrichterlichen Amts wegen keinesweges ungeſtraft laßen, faͤnden ſich viel - mehr die deshalbige genaue Unterſuchung mit dem ſchaͤrfſten Einſehen allergerechteſt vorzukehren ver - bunden, und befaͤhlen ihnen, kreisausſchreiben - den Herren Fuͤrſten, aus beſonderem in ſie ſetzen - den allerhoͤchſten Zutrauen hiermit allergnaͤdigſt und ernſtlich, daß ſie vor allen Dingen den Gra - fen zur Captur, jedoch in Ruͤckſicht ſeiner reichs - ſtaͤndiſchen Wuͤrde, einsweilen in Civilverwah - rung in ſeinem eigenen Hauſe zu Guͤntersblum ſelbſten, mit militaͤriſcher Kreismannſchaft be - wachen laßen, und fuͤr ſeine nothduͤrftige Ver -pfle -1775.2372) Vortheil reichsger. Erkenntniſſe.1775.(i) 1778.(k) gegen drey regierende Reichs - grafen nach einander nach vorgaͤngigen Reichshof -raths -(h)pflegung Sorge zu tragen, alsdann ohne weite - res wider denſelben mit einer General-Criminal - inquiſition uͤber die hier angefuͤhrte geſchuldigte ſchreckbare Gotteslaͤſterung, attentirte homicidia, veneficium, Bigamie, crimen laeſae maieſtatis, concuſſionis ſeiner Unterthanen, und unerlaubter Mißhandlungen fremder auch geiſtlicher Perſonen, rechtlicher Ordnung nach von nun an fuͤrſchreiten, die in den eingeſchickten Acteuſtuͤcken benaunten, auch andere etwa noch weiter vorfindlichen Zeu - gen eidlich vernehmen, den Inculpaten uͤber Ein - gangs erwehnte Verbrechen zum Protocolle or - deutlich conſtituiren, und ſaͤmmtliche deshalb ver - handelte Acten an kaiſerliche Majeſtaͤt zu ſeiner Zeit und mit Gutachten einſenden ſollen, um als - dann in puncto inquiſitionis befindenden Dingen nach, die ferner noͤthige Verfuͤgung treffen zu koͤnnen. Uebrigens haͤtten die kreisausſchreiben - den Herren Fuͤrſten in Anſehung der einsweiligen geſammten Landesadminiſtration den zu dieſem Geſchaͤffte tauglichen naͤchſten Stammsverwandten des inhaftirten Grafen mit pflichtmaͤßiger Beob - achtung aller hierbey eintretender Abſichten und Bedenklichkeiten ſelbſt auszuwehlen und dieſem ſo - thane Landesadminiſtration tam quoad camerale quam quoad iurisdictionalia auctoritate commiſ - ſionis caeſareae proviſoriſch, jedoch dergeſtalt zu uͤbertragen, daß alles, was hierunter vorzuneh - men und zu verordnen noͤthig ſeyn wird, nicht in des anzuſtellenden Adminiſtrators, ſondern in ſeinem des inhaftirten Grafen eigenem Namen vorgenommen und gefertiget werde, auch letztlich gedachter Adminiſtrator uͤber die ihm anvertraute Landesverwaltung von Zeit zu Zeit die gehoͤrige genaue Rechenſchaft Sr. kaiſerlichen Majeſtaͤt ge - ben ſolle. Wie nun ſie Herren Churfuͤrſten die - ſem allerhoͤchſten Auftrage die gebuͤhrende Folge geleiſtet, hieruͤber erwarten kaiſerliche MajeſtaͤtDero238XIV. Heutige Verfaſſung.rathsgutachten kaiſerliche Erkenntniſſe ergangen, vermoͤge deren dieſelben wegen Mißbrauchs ihrerlandes -(h)Deroſelben ebenmaͤſſigen gehorſamſten Bericht. Der Graf iſt hernach am 22. Sept. 1774. als der letzte ſeines Stammes mit Tode abgegangen.(i)(i) Wider den Wild - und Rheingrafen Carl Magnus zu Rheingrafenſtein (geb. 1718.) ergieng am 21. Jul. 1775. in Gefolg eines Reichshof - rathsgutachtens der kaiſerliche Ausſpruch dahin: daß derſelbe der von ihm ſelbſt eingeſtandenen ſchaͤndlichen Betriegereyen, unverantwortlichen Mißbrauchs der landesherrlichen Gewalt, und vielfaͤltig begangener, befohlner und zugelaßener Faͤlſchungen halber zehn Jahre lang auf einer im Roͤmiſchen Reiche gelegenen Feſtung in peinlichen Haften zu halten, der bisher genoſſenen Compe - tenz gaͤnzlich zu priviren, und ſtatt derſelben ihm nichts als der hoͤchſt nothwendige Unterhalt aus ſeiner Concursmaſſe abzureichen ſey. Regens - burgiſche Merkwuͤrdigkeiten 1775. B. 2. S. 243. Moſers Zuſaͤtze zu ſeinem neuen Staatsr. Th. 2. S. 455. Zur Gefangenſchaft wurde ihm hernach die Feſtung Koͤnigſtein angewieſen. Auf verſchie - dene Fuͤrbitten ſind ihm jedoch durch ein Reichs - hofrathsconcluſum vom 18. Nov. 1782. die noch ruͤckſtaͤndigen Jahre von der zehnjaͤhrigen Ge - faͤngnißſtrafe erlaßen worden. Reuß Staatscanz - ley Th. 3. S. 431. Mit ſeiner am 13. Maͤrz 1780. verſtorbenen Gemahlinn hat er nur Toͤchter erzeuget. (k)(i) Wider den Reichserbtruchſeßen, Grafen Gebhard Xaver zu Wolfegg-Waldſee (geb. 1727.) ergieng am 13. Febr. 1778. wegen der ihm zur Laſt gelegten Vergehungen auf ein Reichshofraths - gutachten die kaiſerliche Entſchließung dahin: daß der Fuͤrſt von Fuͤrſtenberg den Auftrag be - kam, von kaiſerlichen Commiſſionswegen ſein ihm zur Laſt fallendes allerdings ahndungswuͤr -diges2392) Vortheil reichsger. Erkenntniſſe.landesherrlichen Gewalt und anderer Vergehun - gen ſelbſt in perſoͤnliche Haft genommen worden; wiewohl ſonſt in der kaiſerlichen Wahlcapitulation noch die beſondere Verfuͤgung enthalten iſt, daß ohne der Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤnde vor - hergehende Bewilligung Reichsſtaͤnde, die Sitz und Stimme in Reichscollegien hergebracht, da - von weder proviſoriſch noch in ſonſtige Weiſe ſus - pendirt und ausgeſchloſſen, noch ihrer Landesre - gierung, es geſchehe gleich proviſoriſch oder auf irgend eine andere Weiſe, entſetzt werden ſollen(l)Wahlcap. Art. 1. §. 3. 4..

Es gibt aber auch noch eine Art kaiſerlicherIV. Erkenntniſſe, vermoͤge deren uͤber verſchuldete Reichsſtaͤnde ſo genannte Debitcommiſſionen verordnet werden, die den Auftrag bekommen, ſowohl den Zuſtand der Schulden als der Zah - lungsmittel zu unterſuchen, und ſolche Anſtalten zu treffen, daß dem verſchuldeten Reichsſtande nur eine gewiſſe Competenz gelaßen werde, aus den uͤbrigen Landeseinkuͤnften aber die Glaͤubiger in der Ordnung, wie ſie concursmaͤßig nach ein -ander(k)diges Betragen ernſtgemeſſenſt zu verweiſen, die - ſemnaͤchſt aber denſelben zur wohlverdienten Stra - fe unaufhaltlich auf zwey Jahre nach Waldburg in Verwahrung zu bringen, und wegen deſſen ſicherer Detention daſelbſt die erforderlichen er - giebigen Anſtalten zu treffen, ſich aber, bevor er dieſen ſeiner Eigenſchaft nach in moͤglichſter Ge - heim zu haltenden kaiſerlichen Befehl in Vollzie - hung ſetze, mit dem kaiſerlichen Adminiſtrator und Curator, Grafen von Wolfegg-Wolfegg, in allem vertraulich zu beſprechen. Moſers Zuſaͤtze zu ſeinem neuen Staatsr. Th. 2. S. 460.240XIV. Heutige Verfaſſung.ander angeſetzt ſind, nach und nach ihre Befriedi - gung erhalten(m)Von dieſer Materie haben wir ein an er - lauchten Beyſpielen ſehr reichhaltiges Werk: Mo - ſer vom reichsſtaͤndiſchen Schuldenweſen, in zwey Quartbaͤnden, Frf. u. Lpz. 1774. 1775.. Solche Debitcommiſſionen werden gemeiniglich einem dritten Reichsſtande oder auch einem Stammsvetter des Hauſes auf - getragen, der dann zwar die eigentliche Regie - rung dem verſchuldeten Reichsſtande uͤberlaͤßt, je - doch alles, was zur Einnahme und Ausgabe ge - hoͤret, unter ſeine Aufſicht, und die dazu gehoͤri - gen Cammerraͤthe und Rechnungsbedienten in kai - ſerliche Pflichten nimmt. Auf ſolche Art koͤnnen Glaͤubiger, die Teutſchen Fuͤrſten geborgt haben, auch bey der uͤbermaͤßigſten Schuldenlaſt zu ihrer Befriedigung gelangen; nur mit dem großen Un - terſchiede von anderen Concurſen, daß in dieſen die Guͤter des Schuldners ſelbſt angegriffen, und, ſoweit dieſelben reichen, alle Schulden auf ein - mal bezahlt werden; bey fuͤrſtlichen Debitcommiſ - ſionen hingegen die Bezahlung der Schulden nur aus den Einkuͤnften geſchieht. Daruͤber koͤnnen dann hundert und mehr Jahre hingehen, ehe die Glaͤubiger oder vielmehr ihre Erben zum Ihrigen gelangen, aber auch auf der andern Seite, ehe der Landesfolger zum Genuſſe des Landes koͤmmt, das doch vom erſten Erwerber her ſo gut fuͤr ihn als fuͤr ſeine Vorgaͤnger in der Regierung be - ſtimmt ſeyn ſollte. Waͤre es nicht fuͤr beide Thei - le beſſer, wenn unſere regierende Herren (nur Nothfaͤlle, wo Stammsvettern und Landſchaften einwilligten, ausgenommen) lieber ganz Creditloswaͤren?2412) Vortheile reichsger. Erkenntniſſe.waͤren? Immer bleibt es ein Gluͤck, daß ſie doch noch einen Richter uͤber ſich haben.

Das einzige, ſo bey reichsgerichtlichen Er -V. kenntniſſen, wodurch Reichsſtaͤnde verurtheilet werden, noch zu Zeiten einigen Anſtand machen kann, beſteht nur darin, daß es oft ſchwer haͤlt, dergleichen Urtheile zur wuͤrklichen Vollziehung zu bringen; und zwar nicht bloß deswegen, weil es einigen Reichsſtaͤnden nicht an einer ſolchen Macht gebricht, daß ſie allenfalls denken koͤnnen, es dar - auf ankommen zu laßen, ob man ſie zu zwingen im Stande ſeyn werde, ſondern auch noch aus einem ganz beſonderen Grunde, weil es unver - merkt beynahe zu einer Art von Herkommen ge - worden iſt, daß ein Reichsſtand, gegen den ein widriges Erkenntniß zu Wien oder Wetzlar ergan - gen iſt, noch einen Recurs an den Reichstag nimmt, um noch auf eine oder andere Art Huͤlfe und Rettung gegen ein ſolches Erkenntniß zu er - langen(n)Oben S. 47. u. f.. In dieſer Ruͤckſicht waͤre allerdings zu wuͤnſchen, daß nach der ſchon in der Wahlca - pitulation erkannten Nothwendigkeit von Kaiſer und Reichs wegen durch eine neue Geſetzgebung die Faͤlle genau beſtimmt werden moͤchten, in wel - chen noch ein Recurs an den Reichstag ſtatt fin - den ſolle(o)Oben S. 51..

Allein auch hier zeigen ſich neue Schwierig -VI. keiten, die zum Theil ſelbſt in der Beſchaffenheit unſerer Reichsgerichte, wie ſie wuͤrklich ſind, zumTheilP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. Q242XIV. Heutige Verfaſſung.Theil auch uͤberhaupt in unſerer beſonderen Teut - ſchen Verfaſſung ihren Grund haben. Wenn das, was die Reichsgeſetze vom Cammergerichte enthalten, alles in wuͤrklicher Uebung waͤre, in - ſonderheit was die jaͤhrliche Viſitation deſſelben und das damit verbundene Rechtsmittel der Re - viſion betrifft; ſo wuͤrde kaum an Recurſe von Cammergerichtsurtheilen zu denken ſeyn; wenig - ſtens das Ziel derſelben ſehr enge geſteckt werden koͤnnen. So aber muß der Umſtand, daß ſchon ſeit zwey Jahrhunderten die Viſitationen und damit verbundenen Reviſionseroͤrterungen ins Stecken gerathen ſind, wenigſtens haͤufig zum Vorwande dienen, daß es Reichsſtaͤnden nicht zu verdenken ſey, wenn ſie in Ermangelung jenes Mittels an die Quelle der geſetzgebenden Gewalt und hoͤch - ſten Aufſicht ſelbſt ihre Zuflucht naͤhmen. Beym Reichshofrathe ſind die Bedenklichkeiten noch groͤ - ßer, da derſelbe in ſeinen eignen Reviſionsſachen ſelbſt Richter iſt(p)Oben Th. 2. S. 102.. Alſo wird der kaiſerliche Hof zwar immer ſuchen, den Recurſen ein moͤg - lichſt eingeſchraͤnktes Ziel zu ſetzen; aber von Sei - ten der Reichsſtaͤnde wird man nicht gern die Hand zu ſolchen Einſchraͤnkungen bieten, die man - chen in Verlegenheit ſetzen koͤnnten, wenn er ein - mal wuͤrklich in den Fall kommen ſollte, daß er gegruͤndete Beſchwerden uͤber eines der beiden Reichsgerichte zu fuͤhren haͤtte.

VII.
143

Inſonderheit verdient hiebey in Betrachtung gezogen zu werden, daß bey unſeren hoͤchſten Ge - richtsſtellen ganz andere Gattungen von Rechts - ſachen, als in anderen Reichen, vorkommen koͤn -nen.2432) Vortheile reichsger. Erkenntniſſe.nen. Wenn anderswo nur Privatperſonen um Geld und Gut oder Privatgerechtigkeiten vor Ge - richten ſtreiten, ſo kommen hier Sachen vor, die Land und Leute betreffen und in die Verfaſſung ganzer Laͤnder und Staaten einſchlagen. Da ſind Reichsſtaͤnde freylich ebenfalls wie andere Par - theyen in dem Falle noch einen hoͤhern Richter uͤber ſich zu haben. Aber wenn andere Partheyen bloße Privatperſonen ſind, ſo gibt es hier Par - theyen, die zugleich ganze Staaten zu regieren haben, und in eben der Eigenſchaft ſelbſt an der Regierung des geſammten Reichs Theil zu neh - men berechtiget ſind. Daß da Beſchwerden, die einem Reichsſtande von einem der hoͤchſten Reichs - gerichte zugefuͤgt werden, noch in einem andern Verhaͤltniſſe gegen die hoͤchſte Gewalt der Geſetz - gebung und obern Aufſicht ſtehen, als in anderen Reichen, kann allerdings nicht widerſprochen werden.

So ſehr es alſo zu wuͤnſchen waͤre, daß ein ge -VIII. wiſſes Normativ, wornach man ſich in Anſehung der Recurſe zu richten haͤtte, zu Stande kommen moͤchte; ſo wenig ſcheint ſich noch jetzt eine nahe Hoffnung dazu zu zeigen. Vielleicht duͤrfte ſie we - niger entfernt ſeyn, wenn es moͤglich waͤre, bey den Reichsgerichten ſelbſt einige von den Quellen zu verſtopfen, aus welchen bisher die meiſten Gruͤnde zu Rechtfertigung der Recurſe gefloſſen ſind. Nach der wuͤrklichen Praxi koͤmmt es in - zwiſchen in jedem Falle nur darauf an: ob die Mehrheit der Stimmen am Reichstage, inſon - derheit in den beiden hoͤheren Collegien, fuͤr einen Recurs ſich bewirken laͤßt? Bisher iſt das nochQ 2we -244XIV. Heutige Verfaſſung.wenigen gelungen, und wenn man hoffen darf, daß ein jeder Reichsſtand ſeine Stimme in Re - cursſachen ohne alle andere Ruͤckſichten bloß nach unpartheyiſch gepruͤfter Gerechtigkeit der Sache ablegen laͤßt, ſo wird zum Nachtheil der Gerech - tigkeit im Ganzen von Recurſen ſo viel Unheil nicht zu beſorgen ſeyn. Es mag aber wohl nicht an Beyſpielen fehlen, da mehr politiſche als recht - liche Gruͤnde ein oder andere Stimmen gelenkt haben, und da inſonderheit mancher Reichsſtand, indem er ſich um des andern Stimme beworben, demſelben hinwiederum die ſeinige zu Unterſtuͤtzung ſeiner Recurſe verſprochen hat(q)Oben Th. 2. S. 50.. In ſolcher Ruͤckſicht wuͤrde ſich fuͤr die Handhabung der Ge - rechtigkeit in unſerer Reichsverfaſſung nicht die beſte Ausſicht eroͤffnen, wenn dergleichen gegen - ſeitige Recursunterſtuͤtzungen allgemeiner werden ſollten.

III. 2453) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.

III. Noch einige Bemerkungen von Wahlconven - ten, Kreisverſammlungen und Trennung der beiden Religionstheile.

I. II. Auſſer den drey Orten Wien, Regensburg und Wetzlar, wo die Reichsverfaſſung noch immer fortwaͤhrend ſichtbar iſt, zeigt ſich dieſelbe von Zeit zu Zeit auch bey Kaiſerwahlen oder Roͤmiſchen Koͤnigswahlen; III. und bey Reichsdeputationen, inſonderheit zur Viſitation des Cammergerichts. IV. Auch koͤnnen beſondere collegiali - ſche Verſammlungen angeſtellt werden, wie ſonſt haͤufiger von Churfuͤrſten und Reichsſtaͤdten geſchehen iſt, V. be - ſonders von altweltlichen Fuͤrſten, Reichspraͤlaten und Reichs - grafen. VI. So ſtehen mit der Reichsverfaſſung auch noch die beſonderen Kreisverſammlungen in Verbindung, inſonderheit in Schwaben, Franken, Baiern und den Rhei - niſchen Kreiſen; VII. wie auch die abgeſonderten Be - rathſchlagungen eines jeden Religionstheils; VIII. IX. wozu inſonderheit das evangeliſche Corpus wegen der ge - genſeitigen Mehrheit der Stimmen und intoleranten Ge - ſinnungen bisher die groͤßte Urſache gehabt hat. X. XI. Wenn gleich aufgeklaͤrte Catholiken anders denken, ſo ſind doch die Quellen der Intoleranz noch nicht verſtopft; XII. XIII. wovon die bisherigen Folgen und deren weitere Beſorgniſſe unvermeidlich ſind. XIV. Doch muß man wuͤnſchen und hoffen, daß das Teutſche Reich noch zum Beyſpiele dienen moͤge, wie verſchiedene Religionsverwand - ten auch in einem Reiche friedlich und gluͤcklich bey einan - der wohnen koͤnnen.

Wie die Reichsverfaſſung an den drey OrtenI. zu Wien, Regensburg und Wetzlar auf die bisher beſchriebene Art ſich noch vorzuͤglich in ihrer fortwaͤhrenden Thaͤtigkeit zeiget, ſo gibt es doch außerdem von Zeit zu Zeit auch noch beſon - dere Vorfaͤlle, wo ſie ebenfalls noch ſichtbar er - ſcheinet.

Q 3Von246XIV. Heutige Verfaſſung.
II.
144

Von der Art iſt vorzuͤglich die Beſtimmung des Thronfolgers, welche die Eigenſchaft des Wahlreichs bey jeder Erledigung des Thrones nothwendig macht, es ſey nun, daß erſt alsdann, wenn der Thron ſchon wuͤrklich erlediget iſt, eine Kaiſerwahl, oder zu einer Zeit, da die kaiſer - liche Regierung noch im Gange iſt, ſchon zum voraus eine Roͤmiſche Koͤnigswahl angeſtellt wer - de. In beiden Faͤllen hat zwar nur das chur - fuͤrſtliche Collegium das ganze Geſchaͤfft zu beſor - gen. Es verfaͤhrt aber doch in der That im Na - men des ganzen Reichs. Und ſowohl das Wahl - geſchaͤfft an ſich, als die bey der Gelegenheit von neuem zu berichtigende Wahlcapitulation ſtehet offenbar in ſolcher Beziehung auf das ganze Reich, daß hier faſt immer die wichtigſten Auftritte zu erwarten ſind, die bey unſerer Reichsverfaſſung noch vorkommen koͤnnen. Selbſt der Einfluß, den vorzuͤglich das churfuͤrſtliche Collegium in Len - kung der Geſchaͤffte ſowohl am kaiſerlichen Hofe als am Reichstage und bey anderen Hoͤfen, zu ha - ben pfleget, und den es zum Theil ſchon zum vor - aus durch Collegialſchreiben bey der Wahl eines Kaiſers oder Roͤmiſchen Koͤniges geltend machen kann(r)Oben S. 19. u. f., gibt oft Anlaß, daß hier noch manche Angelegenheiten vorkommen, die ſonſt unmittelbar und gerade zu mit dem Wahlgeſchaͤffte in keiner Gemeinſchaft ſtehen wuͤrden. Der Glanz dieſer churfuͤrſtlichen Wahlverſammlungen wird auch da - durch nicht wenig erhoͤhet, daß von einem jeden churfuͤrſtlichen Hofe hier mehrere Botſchafter zu erſcheinen pflegen, die ſammt und ſonders als Ge - ſandten vom erſten Range qualificirt werden, undwor -2473) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.worunter gemeiniglich wuͤrkliche Staatsminiſter von ein oder anderem churfuͤrſtlichen Hofe zu ſeyn pflegen. Auch iſt bisher noch immer gewoͤhnlich geweſen, daß hier einige Churfuͤrſten in Per - ſon ſich einfinden, wie noch bey der Wahl Jo - ſephs des II. alle drey geiſtliche Churfuͤrſten an - weſend waren, und nach vollzogener Wahl auch der Churfuͤrſt von der Pfalz ſich noch perſoͤnlich einſtellte.

Eine andere Art Verſammlungen, wo ſich dieIII. Reichsverfaſſung noch in ihrer Thaͤtigkeit zeigen kann, beſteht in Reichsdeputationen, wie ſol - che hauptſaͤchlich zur Viſitation des Cammerge - richts und zu Reichsfriedensſchluͤſſen nach Vor - ſchrift der Reichsgeſetze beſtimmt ſeyn ſollen, auch auſſerdem bey anderen auſſerordentlichen Veran - laßungen ſtatt finden koͤnnen. Selbige haben aber verſchiedentlich ſchon ſolche Schwierigkeiten gefun - den, daß erſt manche Steine des Anſtoßes geho - ben werden muͤßen, wenn dieſe an ſich preiswuͤr - digen Anſtalten ihrer Beſtimmung entſprechen ſol - len(s)Oben Th. 2. S. 124-129.; wie man davon nur die Geſchichte der letztern Cammergerichtsviſitation zum Beyſpiele anfuͤhren darf(t)Oben S. 140. u. f..

Endlich gibt es auch beſondere Verſammlun -IV. gen, die nur von gewiſſen Gattungen mit einan - der verbundener Reichsſtaͤnde gehalten werden; die alſo nicht das geſammte Reich vorſtellen, noch auch fuͤr daſſelbe verbindliche Schluͤſſe faſſen koͤn -nen;Q 4248XIV. Heutige Verfaſſung.nen; die aber doch ſo ins Ganze verwebt ſind, daß ihre Thaͤtigkeit in das Leben der ganzen Reichs - verfaſſung einen merklichen Einfluß hat. Dahin gehoͤren erſtlich die beſonderen collegialiſchen Be - rathſchlagungen der Churfuͤrſten, Fuͤrſten, Praͤ - laten, Grafen und Reichsſtaͤdte. Hierzu gibt die Beſtaͤndigkeit unſerer jetzt immer fortwaͤhren - den Reichsverſammlung die Bequemlichkeit, daß Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤdte, wie ſie am Reichstage ohnedem nach dieſen drey Reichscolle - gien abgetheilt ſind, ohne beſondere Zuſammen - kuͤnfte anzuſtellen, ſolche collegialiſche Berathſchla - gungen jede unter ſich halten koͤnnen. Doch iſt ihnen auch nicht verwehrt, auſſer dem Reichsta - ge, wann und wo ſie es gut finden, zuſammen zu kommen, wie ehedem, da noch kein beſtaͤndiger Reichstag war, von Seiten der Churfuͤrſten und Reichsſtaͤdte ſehr haͤufig geſchehen iſt, und von den Churfuͤrſten bey Kaiſerwahlen oder Roͤmiſchen Koͤnigswahlen noch immer geſchieht.

V.
147

Das fuͤrſtliche Collegium, wie es im Reichs - fuͤrſtenrathe mit Inbegriff der Praͤlaten und Gra - fen zuſammenſitzt, iſt auſſer dem Reichstage noch nie beſonders verſammlet geweſen; wohl aber ſind von wegen der altfuͤrſtlichen Haͤuſer, auch wohl mit Zuziehung ein oder anderer geiſtlichen Fuͤrſten, zu Zeiten eigne Fuͤrſtentage gehalten worden, wie noch 1741. zu Offenbach geſchehen iſt(u)Oben S. 18.. Sie haben es aber auch uͤberdies in ihrer Gewalt durch ihre Comitialgeſandten zu Regensburg Conferen - zen halten zu laßen, wie und wann ſie wollen. Mit den Reichspraͤlaten und Grafen hat es inAnſe -2493) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.Anſehung ihrer collegialiſchen Berathſchlagungen nur darum eine andere Bewandtniß, weil eine je - de der beiden Praͤlatenbaͤnke und ein jedes der vier reichsgraͤflichen Collegien zu Regensburg nur einen Stimmfuͤhrer hat; daher hier ſolche Berathſchla - gungen, wozu ein jeder Praͤlat oder Graf ſeine eigne Stimme geben ſoll, nicht ſtatt findet. Da bleibt alſo nichts uͤbrig, als entweder beſondere collegialiſche Zuſammenkuͤnfte anzuſtellen, oder durch ſchriftliche Mittheilung collegialiſche Schluͤſſe zu faſſen.

Nebſt ſolchen Berathſchlagungen der Reichs -VI. ſtaͤnde nach ihren collegialiſchen Verbindungen koͤn - nen ſie auch nach ihrer Eintheilung in Kreiſe Zu - ſammenkuͤnfte und Berathſchlagungen anſtellen; wie ſolche inſonderheit in den Kreiſen Schwaben, Franken, Oberrhein, Churrhein und Baiern noch gewoͤhnlich ſind. Da werden dann hauptſaͤchlich ſolche Dinge berichtiget, welche in die innere Ver - faſſung eines jeden Kreiſes einſchlagen, oder ge - meinſchaftlich von jedem Kreiſe behandelt werden. Es kann aber auch uͤber Dinge, deren voͤllige Be - richtigung erſt von Kaiſer und Reich zu erwarten iſt, hier eine Art von Vorberathſchlagung geſche - hen, oder umgekehrt die Art, wie Reichsſchluͤſſe - vollzogen werden ſollen, in Frage kommen.

Noch eine der wichtigſten Abtheilungen inVII. reichsſtaͤndiſchen Berathſchlagungen wird endlich durch die Trennung der beiden Religionstheile veranlaßt. Einem jeden derſelben iſt unſtreitig unbenommen, wo und wann ſie wollen, beſonde - re Zuſammenkuͤnfte anzuſtellen, wie in vorigenQ 5Zei -250XIV. Heutige Verfaſſung.Zeiten mehrmalen die catholiſchen Staͤnde zu Deſ - ſau, Wuͤrzburg, die evangeliſchen zu Schmalkal - den und anderswo dergleichen Verſammlungen gehalten haben. Jetzt, da ohnedem bey dem nun - mehr beſtaͤndigen Reichstage auch beide Religions - theile immer von ſelbſten beyſammen ſind, haben ſie die Bequemlichkeit, daß ſie durch ihre Comi - tialgeſandten nach Belieben Conferenzen halten laßen koͤnnen; ohne daß weder beſondere Legiti - mation, noch Ceremoniel dabey erfordert wird.

VIII.
148

Das evangeliſche Corpus hat inſonderheit Urſache auf ſeiner Hut zu ſeyn, theils damit durch die Mehrheit der Stimmen, welche die catholi - ſchen Staͤnde in den beiden hoͤheren Reichscolle - gien auf ihrer Seite haben, nicht Dinge zu ih - rem Nachtheile durchgeſetzt werden, theils damit ſie durch gemeinſchaftlichen Beyſtand ſolche Be - ſchwerden, welchen ihre Glaubensgenoſſen ſonſt einzeln unterliegen muͤßten, zu verhuͤten oder ab - zuhelfen ſuchen koͤnnen. Leider hat es die bishe - rige Geſchichte nur zu ſehr an den Tag gebracht, was die Grundſaͤtze fuͤr Folgen gehabt haben, wel - che der paͤbſtliche Stuhl in beſonders kraͤftiger Mitwirkung aller Moͤnchsorden, inſonderheit der Jeſuiten, der catholiſchen Kirche zu eigen zu ma - chen gewußt hat, als ob auſſer der Roͤmiſchen Kirche keine Seligkeit zu hoffen ſey, und daß es daher die Pflicht eines jeden Chriſten ſey, das zu glauben, was die Kirche glaube, d. i. was vom Roͤmiſchen Biſchofe, und denen, die von ſeiner Geſinnung beſeelt ſind, zu glauben befohlen wird; daß eine jede Abweichung davon ein Verbrechen ſey, das unter dem verhaßten Namen der Ketze -rey2513) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.rey nicht gnug verfolgt und geahndet werden koͤn - ne; daß es unrecht ſey, denen, die nicht mit der Roͤ - miſchen Kirche gleichfoͤrmig denken wollen, nur irgend einige Duldung oder irgend einen Genuß buͤrgerlicher Rechte und Freyheiten angedeihen zu laßen; daß es vielmehr Pflicht ſey, einen jeden anders denkenden, allenfalls auch mit Gewalt und allen moͤglichen Zwangsmitteln wieder in den Schoß der Roͤmiſchen Kirche zuruͤckzubringen(v)Zu einem auffallenden Beyſpiele, wie zum Theil ſelbſt nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden die Grundſaͤtze vom Rechte catholiſcher Landesherren ihre evangeliſche Unterthanen zur catholiſchen Re - ligion zu zwingen noch weiter als vorher getrie - ben worden, kann folgendes dienen. In einer Verbindung, die der Biſchof von Baſel im Jahre 1579. mit den ſieben catholiſchen Cantons der Schweiz errichtet hatte, war nur davon die Fra - ge geweſen: die noch nicht von der catholiſchen Kirche abgefallenen Unterthanen dahin zu halten, daß ſie bey der catholiſchen Religion bleiben moͤch - ten, auch durch fuͤgliche Mittel daran zu ſeyn, damit die abgeſtandenen mit der Zeit ſoviel moͤg - lich zum alten chriſtlichen Gehorſame zuruͤckgefuͤhrt werden moͤchten. Aber vermoͤge eines neuen Buͤndniſſes, das nun am 16. Sept. 1655. der Biſchof Johann Franz mit den catholiſchen Can - tons ſchloß, ſollten dieſe gerade zu dem Biſcho - fe helfen, ſeine abgefallene Unterthanen wieder zum catholiſchen Glauben und Gehorſame zu zwingen. Luͤnigs Reichsarchiv B. 21. S. 974. 979.; daß das ſelbſt Wohlthat fuͤr ihn ſey, weil er ſonſt ewig verdammt ſeyn wuͤrde; daß aber, wenn es ſich nicht thun laße, ſolche anders denkende in den Schoß der Roͤmiſchen Kirche zuruͤckzubringen, nichts uͤbrig bleibe, als ſie, wo nicht zu haſſen, doch zu bedauern, und wenigſtens bey vorkom -men -252XIV. Heutige Verfaſſung.menden Gelegenheiten in Schulen, Kirchen und dazu gehoͤrigen Guͤtern und Einkuͤnften ihnen allen moͤglichen Abbruch zu thun; das alles dann ſelbſt als ein Gottgefaͤlliges und zur ewigen Seligkeit verdienſtliches Werk angeſehen und geprieſen wer - den muͤße.

IX.
149

Dieſen Grundſaͤtzen ſollte nun freylich in Teutſchland in der Anwendung alle Kraft benom - men ſeyn, da im Weſtphaͤliſchen Frieden und allen unſern heiligſten Reichsgrundgeſetzen auf alle moͤg - liche Art vorgebauet iſt, daß die evangeliſche Re - ligion nicht als ketzeriſch behandelt werden ſolle. Allein nach dem wahren Syſteme der Roͤmiſchen Kirche, wie es inſonderheit die Jeſuiten durchaus behauptet und ihren Zoͤglingen unabfaͤllig beyzu - bringen geſucht haben, hat das alles zum Nach - theile der Kirche von keiner Kraft ſeyn koͤnnen(w)So ward zu Rom noch im Jahre 1782., da man ſich wegen Aufhebung der Coͤllniſchen Dioeceſanrechte im Herzogthum Cleve auf den Weſtphaͤliſchen Frieden Art. 5. §. 48. berief, von Seiten des paͤbſtlichen Hofes geantwortet: Non puó valutarſi l’Art. V. della pace Weſtfalica, giacche é noto che la ſanta ſede non ha mai ri - conofciuta queſta pace, contro di cui Innocenzo X. ſi proteſto. Berliner Monathſchrift 1786. Aug. S. 119.. Geſetzt auch, daß Vorſtellungen von der Verbind - lichkeit feierlicher Grundgeſetze oder gar eidlicher Verſicherungen jemanden im Gewiſſen einen Scru - pel dagegen erregen ſollten, ſo bliebe der paͤbſtlichen Gewalt nach jenem Syſteme doch unbenommen, auch von den theuerſten Eidesleiſtungen aus goͤtt - lich ſtatthalteriſcher Machtvollkommenheit voͤlligeEnt -2533) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.Entbindung zu ertheilen, wie auf ſolche Art Pabſt Paul der IV. den Koͤnig Philipp den II. von Spa - nien von aller Verbindlichkeit des Eides, den er den Niederlaͤndiſchen Provinzen zu Erhaltung ih - rer Freyheit und Religion geleiſtet hatte, losſprach, um nun ungehindert alle Proteſtanten in den Nie - derlanden verfolgen zu koͤnnen.

Zur Ehre der Menſchheit muß man zwar be -X. merklich machen, daß es von je her auch unter den Catholiſchen nicht an ſolchen gefehlet hat, die aufgeklaͤrt gnug waren, um den Ungrund ſolcher intoleranten Grundſaͤtze einzuſehen, und redlich geſinnt gnug, um die daraus hergeleiteten Geſin - nungen zu verabſcheuen. Aber in welchem Ver - haͤltniſſe ſtand die Zahl dieſer Aufgeklaͤrten gegen den unuͤberſehlich großen Haufen derer, die nicht vermoͤgend waren, daruͤber nachzudenken, und uͤber die von Jugend auf eingeſogenen Vorurtheile, wodurch jene Grundſaͤtze einmal tiefe Wurzeln bey ihnen geſchlagen hatten, ſich hinauszuſetzen? Wie große Hinderniſſe wurden deswegen uͤberall jedem Mittel, das nur zu einiger Aufklaͤrung uͤber dieſe Dinge fuͤhren koͤnnte, in Weg gelegt? Wie ſorg - faͤltig ſuchte man Leſung ſolcher Schriften, die hier - uͤber einiges Licht verbreiten moͤchten, Beſuchung proteſtantiſcher hoher und niederer Schulen, oder auch nur jeden vertrauten Umgang mit Proteſtan - ten verdaͤchtig zu machen, und als aͤußerſt gefaͤhr - lich zuruͤck zu halten? Und wenn dann auch hier und da ein aufgeklaͤrter Catholik anders dachte, ſo durfte er es doch nicht wagen, ſolche Geſinnungen nur blicken zu laßen, ohne ſich ſelbſt den groͤßten Verfolgungen auszuſetzen, ſo weit nur Jeſuitenoder254XIV. Heutige Verfaſſung.oder aͤhnlich Geſinnte reichen konnten, um anders denkende Eltern, Ehegatten, Verwandte, Freun - de, Goͤnner, Oberen, kurz alles gegen einen ſol - chen aufzubringen.

XI.
150

Dieſe Umſtaͤnde waren, wie durch unſere Ge - ſchichte mit tauſend Thatſachen beleget werden kann, bisher in Teutſchland unverkennbar; inſon - derheit ſo lange der Jeſuiterorden noch in ſeinem voͤlligen Gange war. Seit deſſen Aufhebung ha - ben ſich allerdings im catholiſchen Teutſchlande weit mehr tolerantere Geſinnungen verbreitet. Doch ſtehet dahin, ob die Quelle ſchon ganz fuͤr verſieget zu halten ſey, ſo lange es noch ehemali - gen Zoͤglingen der Jeſuiten ſchwer faͤllt, die ihnen beygebrachten Vorurtheile zu uͤberwinden, ſo lange noch Exjeſuiten nicht alle Thaͤtigkeit verloh - ren haben, ſolche Grundſaͤtze ferner zu unterhalten und auszubreiten, ſo lange noch andere Moͤnchs - orden Mittel und Wege finden werden, eben das zu thun, ja ſo lange uͤberhaupt noch weltliche Maͤchte in geiſtlichen Sachen einer auswaͤrtigen hoͤhern Gewalt unterworfen ſind, und ſo lange von Rom aus noch der wirkſame Einfluß bleibt, zu verhuͤten, daß nicht der Unterſchied zwiſchen chriſtlich catholiſcher Religion und Roͤmiſch paͤbſtli - cher Abhaͤngigkeit allgemeiner erkannt werde.

XII.
150

Unter ſolchen Umſtaͤnden und bey den ſo ſehr verwickelten Verhaͤltniſſen, worin die verſchiedenen Religionsverwandten in Teutſchland gegen einan - der ſtehen, darf man ſichs wohl nicht befremden laßen, wenn es ſo haͤufige Vorfaͤlle gegeben hat und zum Theil noch gibt, wo unter einem catholi -ſchen2553) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.ſchen Landesherrn evangeliſchen Unterthanen, bey catholiſchen Gerichten evangeliſchen Partheyen, unter Mitgliedern einer Familie, einer Stadt, einer Gemeinde, einer Landſchaft, einer reichs - ſtaͤndiſchen Verſammlung, wo die Mehrheit der Stimmen auf catholiſcher Seite iſt, den minder zahlreichen Evangeliſchen Stoff zu Beſchwerden ge - geben wird. In welchem Lichte muß da nicht erſt jedem Unpartheyiſchen die Wichtigkeit der Verord - nungen erſcheinen, welche der Weſtphaͤliſche Frie - de von der Gleichheit der Stimmen bey Reichs - gerichten, Deputationen und Commiſſionen, und von Hemmung der Mehrheit der Stimmen in Faͤl - len, wo in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen ein Religionstheil von des andern Meynung abgeht, ſo weislich feſt geſetzt hat? Wie wenig kann es al - ſo Beyfall verdienen, wenn man ſelbſt dieſen Ver - ordnungen nicht ihre volle Wirkſamkeit angedeihen laßen wollen?

Was alles das in unſere allgemeine Reichsver -XIII. faſſung fuͤr einen Einfluß hat, wie ſchwer es in - ſonderheit haͤlt, ein den gemeinnuͤtzigſten Geſchaͤff - ten und Abſichten oft hinderliches gegenſeitiges Mißtrauen zu verhuͤten, das bedarf wohl keiner weitern Ausfuͤhrung, wenn man nur das Innere der Geſchichte des Teutſchen Reichs mit offenen Au - gen anſieht. Unter andern wird keinem leicht die Bemerkung entgehen, wie man bey mehreren Ge - legenheiten ſolche Geſinnungen auszubreiten ge - wußt hat, als ob catholiſch und kaiſerlich geſinnt ſeyn eben ſo unzertrennlich ſey, als man jeden Pro - teſtanten gegen die kaiſerliche Hoheit fuͤr widrig -ge -256XIV. Heutige Verfaſſung.geſinnt halten muͤße; ſo daß das Intereſſe des ge - ſammten catholiſchen Religionstheils erfordere, in allen Faͤllen, wo von Erweiterung der kaiſerlichen Vorrechte die Frage ſey, dieſelbe mit allen Kraͤf - ten zu befoͤrdern, und daß hinwiederum der kaiſer - liche Hof Urſache habe, allem dem, was das evan - geliſche Religionsweſen aufrecht erhalten koͤnnte, entgegen zu arbeiten.

XIV.
150

Moͤchten doch endlich nur alle ſolche Vorur - theile verſchwinden, und allgemein erkannt werden, daß die Rechtſchaffenheit, ohne welche keine aͤchte Religion beſtehen kann, erfordere, einem jeden ohne Ruͤckſicht auf die Religion das ſeinige zu la - ßen, und daß Mitglieder eines Staats, wenn auch in Religionsſachen ihr Glaube nicht uͤberein - ſtimmt, dennoch als Bruͤder bey einander leben koͤnnen! Freylich moͤgen einem Staate, deſſen Haupt und Glieder einerley Religion zugethan ſind, vor andern, wo verſchiedene Religionen neben ein - ander ſtehen, in Anſehung deſſen, was daraus fuͤr Eiferſucht und andere Folgen entſtehen koͤnnen, gewiſſe Vorzuͤge nicht abgeſprochen werden. Da - her allerdings die Frage entſtehen kann, ob es rath - ſam ſey, fremde Religionsverwandten, die noch nicht in einem Lande ſind, darin aufzunehmen. Aber wo ein Religionsunterſchied nur daraus er - waͤchſt, daß im Lande ſelbſt eine Veraͤnderung vor - geht, und wo nun einmal verſchiedene Religions - verwandten neben einander im Staate ſind, da bleibt nichts uͤbrig, als einen jeden ſeiner Ueber - zeugung nachgehen zu laßen. Waͤre dieſe Geſin - nung allgemeiner, wie man hoffen muß, daß ſievon2573) Kaiſerw., Kreist., Religionstheile.von dem erhabenen Beyſpiele des Monarchen, den jetzt das Teutſche Reich als ſein Oberhaupt vereh - ret, ſich auf alle Glieder des Reichs immer weiter verbreiten werde; ſo wuͤrde Teutſchland vielleicht ſelbſt noch zum Beyſpiele dienen koͤnnen wie ein ſo zuſammengeſetzter Staatskoͤrper des Unterſchie - des der Religionen ungeachtet dennoch den Haupt - zweck ſeiner gemeinſamen Sicherheit und Wohl - fahrt immer vollkommener zu erreichen ganz wohl vermoͤgend ſey.

P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. RIV. 258XIV. Heutige Verfaſſung.

IV. Einige Bemerkungen, wie weit noch jetzt in Re - gierung der beſonderen Teutſchen Staaten Ver - fuͤgungen des Reichstages oder des kaiſerlichen Hofes erforderlich ſind, und was davon abhaͤngt.

I. Jedes einzelne Teutſche Gebiet wird jetzt meiſt nur nach ſeiner eignen Convenienz, nicht etwa in Gleichfoͤrmig - keit des ganzen Reichs, regiert. Hoͤchſtens zeigt ſich noch etwa einige Ruͤckſicht auf Nachbarſchaft oder Kreisverfaſ - ſung. II. Allgemeine Reichsſchluͤſſe uͤber Dinge, die in die innere Verfaſſung der beſonderen Staaten einſchlagen, wer - den immer ſeltener und ſchwieriger. III. Daraus er - waͤchſt nun eine immer groͤßere Verſchiedenheit in ſothaner Verfaſſung jeder einzelnen Gebiete; IV. wovon zu ih - rem Gluͤcke ein vortheilhafter Gebrauch gemacht werden kann. Doch gibt es noch einige kaiſerliche Reſervatrech - te, die hier in Betrachtung kommen. V. So hat der Kaiſer noch jetzt in ganz Teutſchland das Recht Standeser - hoͤhungen zu ertheilen, ingleichen kaiſerliche Hofpfalzgra - fen und Notarien zu ernennen; VI. Zoͤlle hat zwar der Kaiſer ſelbſt nicht mehr; es kann ſie aber auch kein Reichs - ſtand ohne kaiſerliche Conceſſion haben; ſo auch das Recht der Muͤnze; VII. und Univerſitaͤten. VIII. Einige Gegenſtaͤnde ſind ſtreitig, oder doch einer genauern Beſtimmung unterworfen, als Jahrmaͤrkte und Meſ - ſen; IX. X. Stadtrecht und Zuͤnfte; XI. XII. Mo - ratorien. XIII. Bisweilen gilt noch eine Concurrenz gewiſſer kaiſerlicher und landesherrlicher Hoheitsrechte, als in Ergaͤnzung der Volljaͤhrigkeit und Legitimation un - ehelicher Kinder. XIV. Kaiſerliche Conceſſionen fuͤr ganz Teutſchland koͤnnen den Reichsſtaͤnden in ihren Laͤndern nicht vorgreifen. XV. Auch mit Buͤcherprivilegien hat es eine ganz eigne Bewandtniß. XVI. So laͤßt ſich ungefaͤhr zwiſchen kaiſerlichen Reſervatrechten und landesherrlichen Rechten eine richtige Graͤnzlinie ziehen. XVII. Außer - dem werden unſere Reichsſtaͤnde in ihren Regierungsrechten anderen Europaͤiſchen Maͤchten meiſt gleich gehalten; XVIII. ſelbſt in Kriegen, Buͤndniſſen, Repreſſalien, und allen Gattungen gegenſeitiger Vertraͤge. XIX. Ein Ver - zeichniß aller Europaͤiſchen Maͤchte darf deswegen die Teut - ſchen beſonderen Staaten nicht auslaſſen. XX. XXI. Nur2594) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.Nur gibt es unter ihnen auch noch Staatsdienſtbarkeiten haͤufiger und aus anderen Quellen, als unter Europaͤiſchen Maͤchten. XXII. Selbſt Reichsgeſetze koͤnnen gewiſſe Ein - ſchraͤnkungen der Landeshoheit begruͤnden. XXIII. Eini - ge geiſtliche Laͤnder haben noch beſondere Ueberbleibſel von ehemaligen Vogteyen; XXIV. wie auch einige Reichs - ſtaͤdte.

Von der Art, wie unſere beſondere TeutſcheI. Staaten jetzt regiert werden, kann man als eine Regel annehmen, daß jedes einzelne Land, jede Reichsſtadt, jedes noch ſo kleine Gebiet, das einen eignen beſonderen Staat ausmacht, ſeine Convenienz ſo gut zu befoͤrdern ſucht, als es ſich thun laͤßt, ohne auf die Verbindung, worin alle Teutſche Staͤnde als Mitglieder eines Reichs ſte - hen, weiter, als es die hoͤchſte Noth und ihr eige - nes Intereſſe erfordert, große Ruͤckſicht zu nehmen. Wann ſonſt noch manche Angelegenheiten, als Juſtitz, Polizey, Muͤnze, ꝛc. wie ſie auch in je - dem Lande am beſten einzurichten ſeyn moͤchten, als Gegenſtaͤnde angeſehen wurden, die am fuͤglichſten mittelſt einer gemeinſamen Reichsberathſchlagung behandelt werden koͤnnten; ſo gehet jetzt in allem dem ein jeder mehrentheils ſeinen eignen Weg. Nur was etwa Beyſpiele guter Geſetzgebungen oder anderer neuen Einrichtungen, die ſich im Erfolge bewaͤhrt finden, von einem auf den andern wirken koͤnnen, oder was Nachbarſchaft, Verwandtſchaft, Gleichheit des Standes und der Religion oder an - dere Umſtaͤnde etwa fuͤr Bewegungsgruͤnde an die Hand geben, um gewiſſe Geſchaͤffte nach einerley Grundſaͤtzen zu behandeln, das kann noch allen - falls Anlaß geben, daß mehrere Reichsſtaͤnde auch in ihren Landeseinrichtungen auf einander Ruͤckſicht nehmen. Oder ſo kann auch endlich die Kreisver -R 2faſ -260XIV. Heutige Verfaſſung.faſſung da, wo ſie noch in ihrer Thaͤtigkeit iſt, zwiſchen Mitgliedern eines Kreiſes oder auch zwi - ſchen mehreren benachbarten Kreiſen zu gegenſeiti - gen Mittheilungen und nach Befinden zu faſſenden Schluͤſſen Anlaß geben.

II.
150

Daß von geſammten Reichs wegen uͤber ſolche Dinge, die in das Innere der Verfaſſung einzelner Laͤnder oder Staͤdte einſchlagen, gemein - ſame Schluͤſſe gefaſſet wuͤrden, geſchieht immer ſeltener; gewiß nicht leicht anders, als wenn ein - zelne Reichsſtaͤnde darunter leiden wuͤrden, wenn ſie durch beſondere Verordnungen nur in ihren Laͤn - dern etwas durchſetzen wollten. So war z. B. der Fall von Handwerksmißbraͤuchen, woruͤber ein je - der Reichsſtand zwar Verfuͤgungen in ſeinem Lan - de machen kann, aber doch beſorgen muß, daß ſein Land von wandernden Geſellen gemieden wird, wenn ſie darin mehr als in andern Laͤndern einge - ſchraͤnkt ſeytz ſollen. So ließ ſich freylich begrei - fen, wie noch 1771. ſelbſt der Berliner Hof dar - auf antrug, daß ein Reichsſchluß daruͤber abge - faßt werden moͤchte, den blauen Montag fuͤr die Handwerksleute abzuſtellen(x)So erfolgten als Ergaͤnzungen des Reichs - ſchluſſes von Handwerksmißbraͤnchen (1731. oben Th. 2. S. 449.) noch zwey Reichsgutachten: 1771. Jul. 15. wegen Abſtellung des blauen Montaas, und 1772. Febr. 3. wegen Ehrlichmachung der Ab - deckerskinder und genanerer Beobachtung des Reichsſchluſſes von Handwerksmißdraͤuchen. Bei - de hat der Kaiſer am 30. Apr. 1772. genehmiget.. Und doch laͤßt ſich auch aus dieſen Beyſpielen abnehmen, wie ſchwer es haͤlt, ſelbſt allgemeine Reichsſchluͤſſe von der Art fuͤr ganz Teutſchland wuͤrklich in Gang zubrin -2614) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.bringen. Nicht ſelten gibt es an manchen Orten beſondere Hinderniſſe in der Vollziehung ſolcher Reichsſchluͤſſe; oder wenn auch ohne beſondere Gruͤnde dazu zu haben, ein Reichsſtand ſich dabey unthaͤtig betraͤgt; was fuͤr Mittel ſollten da wirk - ſam ſeyn, um die Vollziehung allgemeiner zu ma - chen? Von Amts wegen wird von Kaiſer und Reich in ſolchen Faͤllen nicht leicht ein Schritt ge - ſchehen. Es muͤßten ſchon ganz beſondere Umſtaͤn - de eintreten, wenn ein Reichsſtand nur zu beſor - gen haben ſollte, daß etwa der Reichsfiſcal deshalb wider ihn zu klagen bewogen werden moͤchte. Und wenn das auch waͤre, was wuͤrde allenfalls fuͤr ein Ausgang davon zu erwarten ſeyn? (y)Iſt doch die den richtigſten Grundſaͤtzen der Theorie des Proceſſes ſo ſehr gemaͤße Vor - ſchrift des juͤngſten Reichsabſchiedes, daß der be - klagte Theil mit ſeinen verzoͤgerlichen Einreden gleich die hauptſaͤchliche Handlung auf die Klage verbinden ſolle, noch an vielen Orten (ſelbſt zu Hamburg) ſo wenig im Gange, daß noch jetzt da ſelten ein Beklagter in der Hauptſache ſich einlaͤßt, wenn nicht erſt bloß uͤber ſeine dilatoriſche Einre - den ein beſonderer Schriftwechſel gefuͤhret, und wohl gar in mehr als einer Inſtanz daruͤber ge - ſprochen iſt! Ohne zu gedenken, wie wenig von Reichs - und Kreisſchluͤſſen, die ſchon uͤber das Muͤnzweſen gefaſſet ſind, zur Erfuͤllung gebracht werden koͤnnen!

Hieraus entſpringt nun ganz natuͤrlich die Fol -III. ge, daß ſich die Verſchiedenheit in der innern Verfaſſung der Laͤnder kaum ſo groß denken laͤßt, wie ſie in Teutſchland wuͤrklich iſt. Eine allgemeine Gleichfoͤrmigkeit iſt jetzt ſo wenig zu er -war -R 3262XIV. Heutige Verfaſſung.warten, daß faſt keiner unſerer beſonderer Staa - ten dem andern mehr aͤhnlich ſieht. Nicht nur in der Regierungsform, da Reichsſtaͤdte von Terri - torien, wie Republiken von Monarchien unter - ſchieden ſind, und jede Reichsſtadt wieder in ihrer mehr oder minder eingeſchraͤnkten oder unbeſchraͤnk - ten ariſtocratiſchen oder democratiſchen Verfaſſung, ingleichen jedes Land, nachdem es gewehlte geiſt - liche, oder erbliche weltliche, Landesherren mit oder ohne Landſtaͤnde hat u. ſ. w., von allen an - deren ſich unterſcheidet, ſondern auch faſt in allen und jeden Gegenſtaͤnden der Regierung, als im Gerichtsweſen, in Beſtrafung der Verbrechen, in Polizeyanſtalten, in der Steuer, im Kriegsweſen, in der Muͤnze u. ſ. w. hat jedes Land, jede Reichs - ſtadt, faſt jedes reichsritterſchaftliche Gebiet, ſeine ganz beſondere Eigenheiten.

IV.
152

Im Grunde iſt das gewiß kein Ungluͤck, wenn auf ſolche Art ein jeder Staat ſeine eigne Wohl - fahrt nach ſeinen beſonderen Umſtaͤnden zu befoͤr - dern ſuchen kann, ohne von auſſen irgend einiges Hinderniß beſorgen zu duͤrfen; ſo wie eben darin die Unabhaͤngigkeit der Europaͤiſchen Maͤchte ſich zu ihrem Vortheile zeiget, daß eine jede ihre inne - re Einrichtungen nach ihrer Convenienz machen kann, ohne daß irgend eine andere Macht darin Ziel und Maß ſetzen darf. Nur wenige Faͤlle ſind es, wo noch jetzt ſo genannte kaiſerliche Reſervatrechte eintreten, da entweder noch jetzt der Kaiſer allein in ganz Teutſchland gewiſſe Ho - heitsrechte auszuuͤben hat, oder doch ein Reichs - ſtand ſolche nicht anders als vermoͤge einer kaiſer - lichen Conceſſion auszuuͤben berechtiget iſt.

So2634) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.

So iſt von jener Art kaiſerlicher Reſervatrech -V. te eigentlich nur noch das Recht der Standeser - hoͤhungen uͤbrig. Sowohl Adelsbriefe als frey - herrliche, graͤfliche und fuͤrſtliche Standeserhoͤhun - gen werden noch jetzt vom Kaiſer ausgefertiget, nicht von Reichsſtaͤnden aus landesherrlicher Ge - walt. Und doch gibt es auch Reichsſtaͤnde und andere, die zu kaiſerlichen Hofpfalzgrafen mit der groͤßern Comitiv beſtellt ſind; die ebenfalls derglei - chen Begnadigungen ertheilen koͤnnen. Einige an - dere Wuͤrden, die auch bis jetzt nicht anders als aus kaiſerlicher Macht verliehen werden koͤnnen, werden nicht einmal vom Kaiſer ſelbſt mehr ge - ſucht, ſondern nur von Hofpfalzgrafen, denen durch kaiſerliche Auftraͤge oder ſo genannte Comi - tive ſolche Rechte verliehen ſind, als kaiſerliche Notarien zu ernennen u. d. g. Mehrmalige Miß - braͤuche ſolcher Comitive(z)Von einem Baron Voͤhlin, der vermoͤge einer großen Comitiv, die ſeine Vorfahren 1417. vom Kaiſer Sigismund erhalten hatten, war z. B. ein Chirurgus zu Augsburg zum kaiſerlichen Hofpfalzgrafen ernannt worden, mit der Gewalt, ſo gar die Doctorwuͤrde zu vergeben. Schloͤzevs Briefwechſel Th. 10. S. 258., Staatsanzeigen B. 2. Heft 6. S. 151. haben ſo gar Anlaß gegeben, daß doch der Wirkſamkeit ſolcher Be - gnadigungen in einzelnen Laͤndern nicht einmal Platz gegeben wird, wenn nicht erſt eine beſondere landesherrliche Genehmigung, nach Befinden nach vorgaͤngiger Pruͤfung, hinzukoͤmmt(a)Zu Dresden war ein Fleiſcher Notarius wor - den. Daher ergieng am 19. Febr. 1721. eine Churſaͤchſiſche Generalverordnung keine Notarien.

Meh -R 4in264XIV. Heutige Verfaſſung.
VI.
154

Mehrere Hoheitsrechte, die ehedem dem Kai - ſer in ganz Teutſchland allein zuſtanden, ſind der kaiſerlichen Gewalt nur noch in ſo weit vorbehal - ten geblieben, daß ſie der Kaiſer ſelbſt zwar nicht mehr ausuͤbt, ſondern daß ſie jetzt ebenfalls nur von Reichsſtaͤnden ausgeuͤbt werden, doch nicht aus allgemeiner eigner landesherrlichen Gewalt, ſondern nur vermoͤge beſonderer kaiſerlicher Begna - digung. So hat z. B. der Kaiſer ſelbſt, in der Eigenſchaft als Kaiſer keinen einzigen Zoll weder zu Waſſer noch zu Lande in ganz Teutſchland; hingegen ſind wenige Reichsſtaͤnde, die nicht einen oder mehrere Zoͤlle beſaͤßen. Nichts deſto weniger iſt das Recht der Zoͤlle noch jetzt kein Theil der Landeshoheit, daß ein jeder Reichsſtand aus lan - desherrlicher Gewalt dergleichen anlegen koͤnnte; ſondern zu einem jeden Zolle wird eine kaiſerliche Begnadigung erfordert; auch keine Erhoͤhung oder Veraͤnderung darf mit einem Zolle ohne kaiſerliche Einwilligung vorgenommen werden; ſelbſt dieſe iſt nicht einmal hinlaͤnglich, wenn ſie nicht zugleich mit der Einwilligung ſaͤmmtlicher Churfuͤrſten be - gleitet iſt(b)Wahlcap. Art. 8.. (Nur das Haus Brandenburg behauptet aus einer beſonderen Begnadigung vom Kaiſer Friedrich dem III. das Recht, nach Gut -fin -(a)in Gerichten zuzulaßen, die nicht von ihrer Ge - ſchicklichkeit von einer Churſaͤchſichen Juriſtenfa - cultaͤt ein Atteſtat aufzuweiſen haͤtten, und ſodann bey der Landesregierung immatriculiret ſeyen. Churſaͤchſ. neuverbeſſerte Proceßordn. in den Bey - lagen S. 69. Fuͤr die Churbraunſchweigiſchen Laͤn - der war eben das ſchon in der Oberappellations - gerichtsordnung 1713. vorgeſchrieben. Willichs Churbraunſchweigiſche Landesgeſetze Th. 2. S. 833.2654) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.finden in ſeinen Landen Zoͤlle anlegen zu duͤrfen.) Eine aͤhnliche Bewandtniß hat es mit dem Rechte der Muͤnze, das faſt jeder Reichsſtand ausuͤbt, und der Kaiſer fuͤr ſich nicht mehr in Uebung hat; den - noch gebuͤhrt es von Rechts wegen keinem Reichs - ſtande, wenn er nicht eine beſondere kaiſerliche Conceſſion daruͤber erhalten hat, die ebenfalls ohne Einwilligung der Churfuͤrſten nicht einmal zu Recht beſtaͤndig ſeyn ſoll(c)R. A. 1570. §. 132., Wahlcap. Art. 9. §. 6. 7..

Hoͤhere und niedere Schulen oder gelehrte Ge -VII. ſellſchaften von allen Gattungen in ſeinem Lande anzulegen, hat zwar ein jeder Reichsſtand in ſei - ner Gewalt, ſofern es auf Ernennung, Beſoldung und Befreyung der dazu gehoͤrigen Perſonen an - koͤmmt. Sobald aber eine hohe Schule mit dem Rechte academiſche Wuͤrden, nach Abtheilung der ſo genannten Facultaͤten der Gottesgelehrtheit, der Rechtsgelehrſamkeit, der Arzneywiſſenſchaft, und der Weltweisheit, zu ertheilen begabt ſeyn ſoll, wie das eigentlich den unterſcheidenden Begriff un - ſerer Univerſitaͤten ausmacht; ſo wird hierzu ein kaiſerliches Privilegium erfordert; wie auf ſolche Art noch die neueſten Univerſitaͤten 1733. zu Goͤt - tingen, 1742. zu Erlangen, 1781. zu Stuttgard mit kaiſerlichen Privilegien verſehen ſind; (wie - wohl letztere ohne eine theologiſche Facultaͤt mit darunter zu begreifen, und mit der Einſchraͤnkung, daß die academiſchen Wuͤrden nur an diejenigen, die auf eben der Univerſitaͤt ſtudiret haben, ertheilet werden ſollen.)

BeyR 5266XIV. Heutige Verfaſſung.
VIII.
157

Bey einigen Rechten gibt es noch Zweifel, ob und wie weit ſie aus landesherrlicher Macht, oder erſt vermoͤge einer kaiſerlichen Conceſſion ausge - uͤbt werden koͤnnen. In aͤlteren Zeiten ſind nicht ſelten Zunftrechte, Jahrmaͤrkte und Wochen - maͤrkte durch kaiſerliche Privilegien erhalten wor - den. Da aber hiermit keine Rechte und Verbind - lichkeiten verknuͤpft ſind, woruͤber nicht ein jeder Reichsſtand in ſeinem Lande hinlaͤngliche Verfuͤ - gungen treffen koͤnnte; ſo hat ein neueres Herkom - men hierin einem jeden Reichsſtande voͤllig freye Haͤnde gelaßen. Was aber ſo genannte Meſſen ſind, wie die zu Frankfurt am Main und an der Oder, zu Leipzig, Naumburg und Braunſchweig, da iſt noch zur Zeit eine jede erſt durch ein kaiſer - liches Privilegium zu ihrer voͤlligen Conſiſtenz ge - kommen, wozu auch noch immer erhebliche Gruͤn - de vorhanden ſind, die ſich aus dem Unterſchiede zwiſchen Meſſen und Jahrmaͤrkten leicht abneh - men laßen(d)Mit Jahrmaͤrkten hat es eigentlich nur die Abſicht, daß die Einwohner eines Orts nicht ſchlechterdings bloß an den dortigen Kramergil - den und Handwerkszuͤnften gebunden ſeyn ſollen, die ſonſt vermoͤge ihres Gilden - und Zunftrechts nicht zuzugeben brauchen, daß Waaren, die ſie fuͤhren oder verfertigen, von Fremden genommen werden. Wenn dieſes ausſchließliche Recht keine Ausnahme litte, ſo wuͤrden die Einwohner theils manche Beduͤrfniſſe entbehren muͤßen, welche bey einheimiſchen Kaufleuten oder Handwerkern entweder gar nicht, oder doch nicht in eben der Guͤte zu haben ſind; theils wuͤrden letztere ihre Preiſe auch fuͤr ſchlechtere Waare nach eignem Gutduͤnken erhoͤhen koͤnnen. Solchem Uebel ab - zuhelfen wird an den zum Jahrmarkt beſtimmtenTa -.

In2674) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.

In mittleren Zeiten iſt es wohl geſchehen, daßIX. Landſtaͤdte ihr Stadtrecht von Kaiſern erhaltenhaben;(d)Tagen jedem fremden Verkaͤufer geſtattet, ſeine Waaren zu Markte zu bringen, damit ſowohl die Einwohner des Orts, als diejenigen, die etwa von benachbarten Orten hinzukommen, alsdann die Wahl haben ihre Beduͤrfniſſe bey fremden oder einheimiſchen ſich anzuſchaffen. Zu dem Ende be - gnuͤgt man ſich, wenn nur ſolche Verkaͤufer von anderen Orten ſich einfinden, welche dergleichen Waaren, wie ſie jeder Kaͤufer fuͤr ſein eignes Be - duͤrfniß braucht, nach Ellen, Maaß oder Gewicht in einzelnen Stuͤcken verkaufen. Was dazu noͤ - thig iſt, durch obrigkeitlichen Schutz zu bewirken, hat unſtreitig ein jeder Reichsſtand vermoͤge ſeiner Landeshoheit in ſeiner Gewalt. Er kann es den Gilden und Zuͤnften zur Pflicht machen, daß ſie von ihrem ſonſt ausſchließlichen Rechte dieſe Aus - nahmen ſich muͤßen gefallen laßen. Er kann auch am beſten ermeſſen, ob und wie weit und zu wel - cher Zeit es am zutraͤglichſten ſey, ſolche Jahr - marktsfreyheiten zu geſtatten. Und es wird ihm nicht an Mitteln fehlen, fuͤr die noͤthige Ruhe und Ordnung zu ſorgen. Was wir Meſſen nen - nen, da gilt es nicht bloß darum, den Einwoh - nern der Stadt und benachbarter Orte die Bequem - lichkeit zum Ankaufe ihrer Beduͤrfniſſe zu verſchaf - fen, ſondern vielmehr einen Handel ins Große in Gang zu bringen, wozu nicht nur fremde Ver - kaͤufer ſondern auch fremde Kaͤufer, die anders - wo wieder zu verkaufen gedenken, eingeladen wer - den. Da erwartet man nicht bloß ſolche Verkaͤufer, die nach Ellen, Maaß und Gewicht verkaufen, ſondern vielmehr ſolche, die ihre Waaren nur in groͤßeren Stuͤcken, als Dutzend - oder Großweiſe, oder in ganzen Faͤſſern, Ballen, Centnern u. ſ. w. weggeben; Kaͤufer hingegen, die nicht nur fuͤr ihre eigne Beduͤrfniſſe, ſondern um anderswo wieder damit zu handeln, ſich Waaren anſchaf - fen. Beide wuͤnſcht man in ſo großer Anzahl,und268XIV. Heutige Verfaſſung.haben; wie z. B. die Stadt Schweinsberg in Heſſen vom Kaiſer Ludewig von Baiern. Allein alle die Rechte, welche Staͤdte von Flecken und Doͤrfern unterſcheiden, kann unſtreitig ein jeder Reichs - ſtand heutiges Tages vermoͤge der Landeshoheit ertheilen; es ſey, daß eine ganz neue Stadt er - bauet, oder auch ein bereits vorhandenes Dorf oder ein ſo genannter Flecken mittelſt Anlegung gepflaſterter Straßen und Umgebung deſſelben mit Mauern und Thoren, wie auch mit Geſtat - tung eines eignen Stadtraths und des Rechts der Zuͤnfte, Jahrmaͤrkte, Bierbrauereyen und an - derer buͤrgerlicher Nahrungszweige, in eine Stadt verwandelt werde. Alles das kann jetzt, ohne der Landeshoheit vorzugreifen, vermoͤge der kaiſer - lichen Gewalt nicht geſchehen.

X.
159

Ein anderes iſt es, wenn vielleicht von aͤlte - ren Zeiten her ein kaiſerliches Privilegium, oder ein Vertrag, oder irgend ein anderer Rechtsgrund einem Reichsſtande ein Recht zu widerſprechen ver - ſchafft hat, im Fall in einem gewiſſen Bezirke in ſeiner Naͤhe eine neue Stadt angelegt werden ſoll - te, wie z. B. die Stadt Frankfurt am Main auf ſolche Art nicht zugeben will, daß ein benach - barter Ort Offenbach im Iſenburgiſchen zurStadt(d)und mit ſo vielerley Waaren, aus ſo vielerley na - hen und entfernten Gegenden, als es ſeyn kann, herbeyzuziehen. Da laͤßt ſich begreifen, daß Be - gnadigungen und Befreyungen, denen ein Reichs - ſtand nur, ſo weit die Graͤnzen ſeines eignen Lan - des gehen, Nachdruck geben kann, bey weitem nicht ſo zweckmaͤßig ſind, als wenn das kaiſerli - che Anſehen fuͤr ganz Teutſchland die Gewaͤhr lei - ſten kann.2694) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr LaͤnderStadt gemacht werde. So widerſprach auch die Stadt Hamburg, als zunaͤchſt bey derſelben auf Holſteiniſchem Grund und Boden Altona zur Stadt gemacht wurde. Bey ſolchen Gelegenheiten ſind wohl noch in neueren kaiſerlichen Ausfertigungen ſolche Ausdruͤcke eingefloſſen, als ob ohne kaiſerli - che Begnadigung keine Stadt neu errichtet wer - den koͤnnte(e)So ſchrieb z. B. Max der I. am 6. Febr. 1514 an den Grafen Albrecht von Mansfeld, als derſelbe einem Dorfe bey Eisleben Stadtrecht ge - ben wollte: Wann nun Dir noch jemand anders nicht geziemet, Stadtrecht oder anderes, ſo der hohen Obrigkeit anhaͤngt, ohne ſondere Erlaub - niß aufzurichten ꝛc. Stephani de iurisd. part. 2. p. 54. n. 115. Und ſo ſchrieb noch Leopold am 14. Nov. 1664. an den Koͤnig Friedrich den III. von Daͤnemark auf Klage der Stadt Hamburg wegen Altona: Wann nun unſere kaiſerliche Ho - heit und Reſervat auch in dem beſtehet, daß ohne unſere Verwilligung kein Stand einen Ort zur Stadt machen, und derſelben das Stadtrecht ge - ben kann ꝛc. Pfeffinger ad Vitriar. tom. 3. p. 144. 164.. Allein das ſind mehr Canzley - formulare, als daß ſie gegen eine ſo klare Analo - gie der heutigen Verfaſſung und des neueren Her - kommens zum Beweiſe dienen koͤnnten.

Noch eine Art Begnadigungen, die ehedemXI. auch mittelbare Mitglieder des Reichs haͤufig von Kaiſern ſuchten und erhielten, waren die ſo ge - nannten Moratorien, wodurch Schuldner ge - gen gerichtliche Huͤlfe, die ihre Glaͤubiger wider ſie bewirken moͤchten, auf eine gewiſſe Anzahl Jahre geſichert werden. Inſonderheit ſcheint das noch jetzt den Umſtaͤnden ſehr gemaͤß zu ſeyn, wennjemand270XIV. Heutige Verfaſſung.jemand nicht nur den einheimiſchen Mitbuͤrgern eben des Ortes oder Landes, ſondern auch fremden Unterthanen aus anderen Laͤndern ſchuldig iſt, zu deren Nachtheil ein dritter Reichsſtand es nicht in ſeiner Gewalt zu haben ſcheint, ſeinen eignen Un - terthanen Gnadenbriefe zu ertheilen. Allein der wahre Grund der Moratorien beruhet darauf, daß einem jeden, von dem ein anderer eine Ver - bindlichkeit behauptet, in ſeinem eignen Gerichts - ſtande nach den Geſetzen ſeines Landes belanget und beurtheilet werden muß. Daher ein klagen - der Glaͤubiger nicht nur die Geſetze des Landes, wo er klagt, ſondern alle Vorſchriften der hoͤchſten Gewalt, welchen der beklagte Schuldner unter - worfen iſt, ſich gefallen laßen muß. Wenn alſo dieſe hoͤchſte Gewalt in der Wohlfahrt ihres Staats hinlaͤngliche Gruͤnde zu finden glaubt, den Ge - richten die Weiſung zu geben, daß ſie wider einen Schuldner, der vielleicht durch unveranlaßte Un - gluͤcksfaͤlle zuruͤckgekommen, und mit einiger Fri - ſtung noch gerettet werden kann, binnen gewiſſer Zeit keine Huͤlfsvollſtreckung erkennen ſollen; ſo muͤßen ſich das auch auslaͤndiſche Glaͤubiger eines ſolchen Schuldners gefallen laßen. Freylich kann ein anderer Staat, wenn er darunter Unrecht zu leiden glaubt, in aͤhnlichen Faͤllen Retorſionsweiſe es auch ſo machen; oder, was eine noch natuͤrli - chere Folge iſt, wenn etwa mit Moratorien in ei - nem Lande Mißbrauch getrieben wird, werden uͤberhaupt Fremde ſich wohl vorſehen deſſen Unter - thanen ferner Eredit zu geben. Inzwiſchen ſo - fern nur vom Rechte der hoͤchſten Gewalt die Fra - ge iſt, koͤnnen jene Grundſaͤtze nicht bezweifelt werden, nach welchen Moratorien, die ein Reichs -ſtand2714) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.ſtand ſeinen Unterthanen gibt, eben ſowohl, als die, welche eine unabhaͤngige Macht ertheilt, auch von Auslaͤndern reſpectirt werden muͤßen.

Nach ſolchen Grundſaͤtzen iſt es wenigſtens ei -XII. ne uͤberfluͤßige Cautel, wenn mittelbare Mitglie - der des Reichs ſich nicht mit Moratorien von ih - rer Landesherrſchaft begnuͤgen, ſondern noch an den Kaiſer ſolche Geſuche gelangen laßen. Woll - te aber jemand uͤberhaupt mit Vorbeygehung ſei - ner Landesobrigkeit mit einem ſolchen Geſuche ſich nur an den Kaiſer wenden, ſo iſt in neueren Reichs - geſetzen wenigſtens dafuͤr geſorget, daß mittelba - ren Unterthanen aus kaiſerlicher Macht keine Mo - ratorien ertheilt werden ſollen, es ſey dann erſt von deren ordentlicher Obrigkeit Bericht daruͤber gefordert worden(f)R. A. 1654. §. 175.. Was ſollte nun noch je - manden bewegen koͤnnen, nicht lieber gleich ſelbſt bey ſeiner Landesobrigkeit ſein Geſuch anzubrin - gen, da ohne deren beyfaͤlligen Bericht der Kaiſer ſelbſt doch eben dem Geſuche nicht willfahren wird?

Einige wenige Faͤlle gibt es noch, wo ſich vonXIII. der ehemaligen allgemeinern Concurrenz kaiſerli - cher und landesherrlicher Hoheitsrechte noch Ueber - bleibſel erhalten haben, als in Ergaͤnzung der Voll - jaͤhrigkeit und Legitimation unehelicher Kinder. Beide kann ein jeder Reichsſtand in ſeinem Lande ertheilen; beide werden aber auch noch haͤufig von kaiſerlichen Hofpfalzgrafen erbeten und erhalten; doch ſo, daß auch in dieſen Faͤllen von der Obrig - keit des Landes, wo Gebrauch davon gemacht wer - den ſoll, eine Anzeige davon begehret werden kann,um272XIV. Heutige Verfaſſung.um nach Befinden die landesherrliche Genehmi - gung daruͤber zu ertheilen oder ſonſt das noͤthige zu verfuͤgen.

XIV.
162

Alle andere Gnadenverleihungen, die demje - nigen, der ſie bekoͤmmt, ein Recht geben, und anderen eine ſich darauf beziehende Verbindlichkeit auflegen, kann nur ein jeder Reichsſtand in ſei - nem Lande ertheilen Bisweilen werden wohl noch kaiſerliche Conceſſionen, z. B. um gewiſſe Arzneyen, gebrannte Waſſer u. d. g. unter kai - ſerlicher Protection verkaufen zu duͤrfen, fuͤr ganz Teutſchland geſucht. Das kann aber doch keinem Reichsſtande Ziel und Maß ſetzen, daß er des - wegen wider ſeinen Willen dergleichen Verkauf in ſeinem Lande geſtatten muͤßte. Es verſteht ſich immer eine ſolche kaiſerliche Conceſſion, wenn ſie in ganz Teutſchland in Anwendung gebracht wer - den ſoll, erſt unter der Vorausſetzung, ſofern ein jeder Reichsſtand bey deren Zulaßung in ſeinem Lande nichts zu erinnern findet. Am wenigſten kann irgend eine Gattung von Alleinhandel oder Monopol fuͤr ganz Teutſchland aus kaiſerlicher Macht verliehen werden(g)Wahlcap. Art. 7. §. 3. 4.. Sonſt koͤnnte frey - lich mancher einzelner Artikel alleine ſchon von un - endlichem Werthe ſeyn, wenn ein kaiſerlich Pri - vilegium einem alleine fuͤr ganz Teutſchland den Handel z. B. mit Salz, Taback, Spielcharten u. d. gl. zuzuwenden vermoͤgend waͤre.

XV.
163

Ein beſonderer Umſtand ſcheint hier nur noch bey Buͤcherprivilegien einzutreten, die noch im - mer aus kaiſerlicher Gewalt fuͤr ganz Teutſchlanderthei -2734) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.ertheilet werden. Doch in der That geſchieht das eigentlich[nur] in der Abſicht, dadurch eine Aus - nahme von der Meßfreyheit der Stadt Frankfurt am Main zu machen, damit ſelbige keinem Nach - drucke ſolcher privilegirten Buͤcher zu ſtatten kom - men ſolle. Was den jetzt weit ſtaͤrkeren Buch - handel auf der Leipziger Meſſe betrifft, da wird nur Churſaͤchſiſchen Buͤcherprivilegien eben die Kraft zugeſtanden, die deswegen heutiges Tages auch noch haͤufiger als kaiſerliche in Uebung ſind. Ueberall aber werden eigentlich nur ſolche Buͤcher, deren Nachdruck zum Nachtheile des darin ſtecken - den gelehrten Eigenthums und rechtmaͤßigen Ver - lagsrechtes ohnedem unrecht ſeyn wuͤrde, mit kai - ſerlichen Privilegien gegen den Nachdruck verſe - hen, um nicht nur deſſen Einfuͤhrung auf die Frankfurter Meſſe verwehren zu koͤnnen, ſondern auch den Nachdrucker ſelbſt ſtraffaͤllig zu machen. Wenn ein Buͤcherprivilegium die Wirkung haben ſoll, zum Druck und Verlage eines Buches, das ſonſt ein jeder zu drucken gleich berechtiget ſeyn wuͤrde, jemanden ein ausſchließliches Recht zu ge - ben; ſo kann das nicht anders als aus landesherr - licher Macht von jedem Reichsſtande in ſeinem Lande geſchehen, wie bey Calendern, Bibelab - druͤcken, Geſangbuͤchern, Roͤmiſchen und ande - ren alten Schriftſtellern, Schulbuͤchern u. ſ. w. oft der Fall iſt. Ein kaiſerliches Privilegium wuͤrde nie uͤber ein ſolches Buch ein ausſchließli - ches Recht fuͤr ganz Teutſchland begruͤnden koͤnnen.

Alles das kann ſchon hinlaͤnglichen Stoff dazuXVI. hergeben, um zwiſchen den kaiſerlichen und lan - desherrlichen Rechten eine der Teutſchen Verfaſ -P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. Sſung274XIV. Heutige Verfaſſung.ſung gemaͤße Graͤnzlinie zu ziehen. Man ſieht nehmlich, daß allerdings noch immer gewiſſe fuͤr ganz Teutſchland dem Kaiſer vorbehaltene oder ſo genannte Reſervatrechte ſtatt finden. Aber ſie beruhen allemal auf beſonderen Gruͤnden, die ge - meiniglich darin beſtehen, daß es Gegenſtaͤnde be - trifft, die ſich nicht auf eines Reichsſtandes Land oder Gebiet einſchraͤnken, und doch ſchon von aͤl - teren Zeiten her, ehe noch die Landeshoheit ihre Vollkommenheit erreicht hatte, im Gange gewe - ſen waren. Alles dasjenige, deſſen rechtliche Wirkung ſich nur innerhalb der Graͤnzen eines Landes aͤußert, iſt in eines jeden Reichsſtandes Landeshoheit begriffen. Alles, was ſeit der Zeit, als die Landeshoheit zu ihrer Vollkommenheit ge - diehen iſt, erſt neu in Gang gekommen iſt, oder kuͤnftig noch erdacht werden mag, gehoͤrt ohnedem fuͤr die Landeshoheit. Und alle Rechte der Lan - deshoheit ſind ausſchließlich zu verſtehen, daß ſie nur ein jeder Reichsſtand in ſeinem Lande auszu - uͤben hat, ohne daß der Kaiſer darin vorgreifen darf(h)In der Wahlcap. Art. 1. §. 8. verſpricht der Kaiſer nicht zu geſtatten, daß den Staͤnden in ihren Territorien in Religions -, politiſchen, Juſtitz - Cameral - und Criminal-Sachen unter irgend einem Praͤtexte vor - oder eingegriffen werde..

XVII.
164

Ein jeder Teutſcher Reichsſtand hat demnach eben ſo, wie eine jede unabhaͤngige Macht, zu beſorgen, zu beſtimmen, und zu verfuͤgen, was die Wohlfahrt eines jeden gemeinen Weſens er - fordert. Ja in eben dem Verhaͤltniſſe, wie diever -2752) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.verſchiedenen Europaͤiſchen Maͤchte in vielen Dingen eine gewiſſe gegenſeitige Gleichheit be - obachten, wird der Regel nach von denſelben auch Teutſchen Reichsſtaͤnden ein Gleiches geſtattet; z. B. ein gleiches Recht der Geſandtſchaften, nur die vom erſten Range ausgenommen, auſſer was ich auch dieſerhalben oben von Churfuͤrſten bemerk - lich gemacht habe(i)Oben Th. 2. S. 188.; und ſelbſt eine gegenſeitige Anerkennung des Ranges, wie er inſonderheit nach den verſchiedenen Stuffen des Kriegsdienſtes in ganz Europa uͤblich iſt. In dieſem letztern Betrachte wird z. B. einem Saͤchſiſchen, Braun - ſchweigiſchen, Heſſiſchen General-Lieutenant in Concurrenz mit anderen, die in koͤniglichen Dien - ſten ſind, der Rang nach dem Dienſtalter nicht beſtritten; daher es freylich auffallend ſcheint, daß nicht auf aͤhnliche Art auch ein Teutſcher Fuͤrſt Adelsbriefe ertheilen oder einen Doctor oder Ma - giſter aus landesherrlicher Macht ernennen koͤnne. Es loͤſet ſich aber dadurch auf, daß unſere heutige Einrichtung der Kriegsdienſte erſt in Gang ge - kommen iſt, da die Landeshoheit ſchon im Gange war, und alle erſt neu entſtandene Rechte mit in ſich faßte; an ſtatt daß aͤltere Rechte, von denen man ſchon gewohnt war, daß ſie der Kaiſer in ganz Teutſchland ausuͤbte, demſelben als Reſer - vatrechte eigen blieben.

Auch das hat keinen Zweifel, daß ein einzel -XVIII. ner Teutſcher Reichsſtand mit einer auswaͤrtigen Macht in Krieg verfallen, und ſeine Macht als - dann durch Buͤndniſſe mit anderen auswaͤrtigenMaͤch -S 2276XIV. Heutige Verfaſſung.Maͤchten verſtaͤrken kann; wie z. B. der Biſchof Bernhard von Muͤnſter die Hollaͤnder angriff, und die Krone England zu Bundesgenoſſen hatte. Oder ſo, wie unabhaͤngige Maͤchte nach Befin - den nur durch Repreſſalien ſich zu helfen ſuchen, ſo hatte es z. B. keinen Anſtand, daß im Jahre 1772., als zu Straßburg ein nach Kehl gehoͤri - ges Schiff angehalten war, der Marggraf von Baden hinwiederum Straßburger Schiffe zu Schreck anhalten laßen konnte, bis jenes losgege - ben wurde. Oder was auch fuͤr Gattungen ge - genſeitiger Vertraͤge unter unabhaͤngigen Maͤch - ten vorkommen koͤnnen, die ſind eben ſo wohl nicht nur unter Teutſchen Reichsſtaͤnden unter ſich, ſondern auch mit Europaͤiſchen Maͤchten ge - woͤhnlich. Zur Berichtigung der Graͤnze zwiſchen Frankreich und Teutſchland hat die Krone Frank - reich ſeit 1766. mit den Biſchoͤfen von Luͤttich und Baſel, mit dem Fuͤrſten von Naſſau-Saarbruͤk - ken, und mit den Grafen von der Leyen in eben der Form, wie mit dem Hauſe Oeſterreich, foͤrm - liche Tractate geſchloſſen; dergleichen auch uͤber Aufhebung des Droit d’Aubaine mit mehreren Staͤnden geſchehen iſt.

XIX.
165

Alle dieſe Betrachtungen machen, daß ſelbſt ein Verzeichniß der Europaͤiſchen Maͤchte, wie ſie jetzt ſind, unvollſtaͤndig ſeyn wuͤrde, wenn man unſere Teutſche Reichsſtaͤnde davon aus - ſchließen wollte. Fehlt gleich Teutſchen Fuͤrſten und Churfuͤrſten die voͤllige Unabhaͤngigkeit; ſo berechtiget ſie doch ihre Kriegsmacht und der Ge - brauch, den ſie davon in ihrer Gewalt haben, ſich anderen Europaͤiſchen Maͤchten mit eben dem,wo2774) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.wo nicht mit groͤßerem Rechte, anzuſchließen, wie man die ebenfalls nicht unabhaͤngigen Fuͤrſten - thuͤmer in der Lombardey oder das Herzogthum Curland in Hererzehlung der Europaͤiſchen Staa - ten nicht auszulaßen pflegt. Sind auch gleich nicht alle Teutſche Reichsſtaͤnde von einerley Macht und Gewicht; ſo veraͤndert das an ſich in der Eigenſchaft des Rechts, worauf es hier an - koͤmmt, eben ſo wenig, als man Raguſa, San - marino und Gerſau aus der Zahl der Freyſtaaten nur darum, weil ſie minder maͤchtig ſind, aus - laßen darf.

Nur noch eine Einſchraͤnkung der landesherr -XX. lichen Gewalt unſerer Reichsſtaͤnde kann durch ſo genannte Staatsdienſtbarkeiten (ſeruitutes iuris publici) begruͤndet werden, vermoͤge deren die natuͤrliche Freyheit eines Staates zum Vor - theile eines andern eingeſchraͤnkt wird, um etwas nicht thun zu duͤrfen, was er ſonſt thun koͤnnte, oder etwas leiden zu muͤßen, was er ſonſt zu lei - den nicht ſchuldig waͤre. Dergleichen Dienſtbar - keiten koͤnnen zwar auch unabhaͤngige Europaͤiſche Maͤchte unter einander haben; aber doch nicht leicht anders, als aus eignen Friedensſchluͤſſen oder anderen Tractaten, wodurch doch all mal ungern eine Macht der andern dergleichen zuge - ſteht; daher ſie auch da nur ſelten vorkommen. In Teutſchland macht aber theils das ſo vielfache nahe Verhaͤltniß unſerer verſchiedenen beſonderen Staaten dergleichen Beyſpiele haͤufiger. Theils haben ſie auch auſſer Tractaten in aͤlteren Zeiten durch kaiſerliche Verleihungen, oder vermoͤge der gemeinen Rechte, die allen Mitgliedern des Teut -S 3ſchen278XIV. Heutige Verfaſſung.ſchen Reichs zur Richtſchnur dienen, auch durch Verjaͤhrung entſtehen koͤnnen.

XXI.
165

So iſt es in Teutſchland gar nichts ungewoͤhn - liches, daß ein Reichsſtand in eines andern Reichs - ſtandes Lande oder Gebiete eine oder mehrere Poſt - ſtationen, einen Zoll, Geleitsrecht, peinliche Ge - richtbarkeit, Beſatzungsrecht, Patronatrecht u. d. g. hat; oder daß ein Reichsſtand ſich gefallen laßen muß, daß von ſeinen Rechtsſpruͤchen an ei - nen andern (z. B. von der Reichsſtadt Worms an den Biſchof zu Worms) appellirt wird. So darf auch mancher in ſeinem eignen Lande zum Vortheile eines andern Reichsſtandes gewiſſe Din - ge nicht vornehmen, z. B. keine Feſtung bauen, keine Stadt, keine Meſſe anlegen u. d. g. Oder ein ſo genanntes Stapelrecht gibt einem Reichs - ſtande oder einer Stadt das Recht, daß keine Kaufmannswaaren in einem gewiſſen Bezirke vor - beygefahren werden duͤrfen, wie inſonderheit die Stadt Leipzig hauptſaͤchlich dadurch in Aufnahme gekommen iſt, daß in 15. Meilen umher allen Kaufmannsfuhren die Verbindlichkeit aufgelegt worden, ihren Weg uͤber Leipzig zu nehmen, und ihre Waaren erſt den dortigen Kaufleuten feil zu bieten; Oder an Stroͤhmen haben einige Staͤdte das Recht, daß keine fremde Schiffer vorbeyfah - ren duͤrfen, ſondern ihre Ladungen auf dortige Schiffe umladen muͤßen; Dergleichen Rechte ha - ben am Rheine die Staͤdte Speier, Mainz, Coͤlln; an der Donau Regensburg, Ingolſtadt, Paſſau; an der Elbe Magdeburg und Hamburg; an der Weſer Muͤnden und Bremen; an der Oder Bres - lau und Frankfurt.

Eini -2794) Kaiſ. u. Reichsverfuͤg. fuͤr Laͤnder.

Einige Beſchraͤnkungen koͤnnen ſo gar inXXII. Reichsgeſetzen oder in der allgemeinen Verbin - dung, worin alle Reichsſtaͤnde als Mitglieder ei - nes Reichs unter einander ſtehen, gegruͤndet ſeyn, die unter unabhaͤngigen Maͤchten nicht ſtatt finden; als z. B. daß kein Reichsſtand an einem Strohme, der noch ſchiffbar gemacht werden koͤnnte, Hinder - niſſe dawider in Weg legen darf(k)Wahlcap. Art. 8. §. 7.; daß Buͤnd - niſſe nicht zum Nachtheile des Landfriedens oder der Verbindung gegen Kaiſer und Reich gemacht werden duͤrfen(l)Osnabr. Friede Art. 8. §. 2. Wahlcap. Art. 6. §. 4.; daß gewiſſe Hoheitsrechte, die ſonſt eine unabhaͤngige Macht in Anſehung des Re - ligionszuſtandes ihrer Unterthanen und uͤber Kloͤ - ſter oder andere geiſtliche Stiftungen vielleicht un - beſchraͤnkt ausuͤben koͤnnte, fuͤr Teutſche Reichs - ſtaͤnde durch das im Weſtphaͤliſchen Frieden feſtge - ſetzte Entſcheidungsziel beſchraͤnkt ſind(m)Oben Th. 2. S. 68. u. f., u. ſ. w.

Ehedem hatten alle geiſtliche Stifter ein jeXXIII. des ſeinen Vogt oder Schutzherrn, der die weltlichen Angelegenheiten des Stifts zu beſorgen hatte. Aus dieſer Vogteygerechtigkeit mag hin und wieder wohl eine landesherrliche Gewalt uͤber jetzige mittelbare Stifter erwachſen ſeyn. Biſthuͤ - mer und Erzbiſthuͤmer oder Abteyen, die jetzt un - mittelbar ſind, haben faſt alle Mittel gefunden, ſolcher Voͤgte und Schutzherren ſich zu entledigen. Doch gibt es noch Ueberbleibſel davon, wie z. B. des Haus Brandenburg noch jetzt in den fuͤrſtli -chenS 4280XIV. Heutige Verfaſſung.chen Abteyen Quedlinburg und Eſſen die Erb - vogtey ausuͤbt.

XXIV.
168

Auch Reichsſtaͤdte hatten ehedem ihre Voͤgte, die ihnen der Kaiſer gab, um in ſeinem Namen gewiſſe Hoheitsrechte in der Stadt auszuuͤben. Die meiſten haben dieſe Vogteyrechte durch kaiſerliche Begnadigungen oder Verpfaͤndungen an ſich ge - bracht, und mit der eignen Stadtobrigkeit vereini - get. Einige Reichsſtaͤdte gibt es jedoch noch jetzt, in welchen benachbarte Reichsſtaͤnde dergleichen Vogteyrechte haben, als zu Aachen das Haus Pfalz von wegen des Herzogthums Juͤlich, zu Wetzlar das Haus Heſſendarmſtadt, zu Goslar das Haus Braunſchweig u. ſ. w. Den Umfang oder die Beſchraͤnkung dieſer Rechte muß man gemeiniglich nach eines jeden Orts Vertraͤgen und Herkommen beurtheilen. Gemeiniglich iſt das Recht einen eig - nen Beamten in der Stadt zu halten, auch Be - ſatzung hineinzulegen, gewiſſe Abgaben zu erheben, u. ſ. w. damit verbunden.

V. 2815) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.

V. Einige beſondere Quellen der großen Mannig - faltigkeit der beſonderen Teutſchen Staaten.

I. Ungemein haͤufig ſind mehrere Laͤnder auf gar vie - lerley Art unter einen Herrn gekommen; II. welches ſo - wohl auf die groͤßere Macht einiger Haͤuſer als auf die Ver - faſſung der Laͤnder Einfluß gehabt hat; III. beſonders in Laͤndern, die ihre Landesherren nicht mehr bey ſich haben. IV. Mehrere geiſtliche Laͤnder ſind oft bloß zufaͤlliger Weiſe und nur auf Lebenszeit unter einem Herrn vereiniget. V. In weltlichen Laͤndern kann ſich zu Zeiten etwas aͤhnli - ches mit Vormundſchaften und Debitcommiſſionen zutra - gen; So koͤnnen auch apanagirte Herren und Wittwen oder Erbtoͤchter dazu kommen, Regierungen zu fuͤhren. VI. Hinwiederum hat oft ein Land mehrere Herren, von denen es gemeinſchaftlich regiert wird; VII. oder mit abwech - ſelnden Regierungen. VIII. Noch gibt es beſondere Ver - faſſungen in Laͤndern, welche in einigen Haͤuſern juͤngere Linien in gewiſſer Abhaͤngigkeit von der aͤltern regierenden Linie beſitzen. IX. X. Eine andere Art von Abhaͤngigkeit kann ſich in einzelnen reichsritterſchaftlichen Gebieten von den Cantons oder Kreiſen der Reichsritterſchaft aͤußern; wie auch in reichsſtaͤndiſchen Laͤndern von Collegialverfuͤgungen oder Kreisſchluͤſſen. XI. XII. Hin und wieder gibt es Streitigkeiten uͤber den Zuſtand der Unmittelbarkeit und Reichsfreyheit einzelner Glieder des Reichs, oder ſo ge - nannte Exemtionsſtreitigkeiten; wodurch manche, die ſich fuͤr unmittelbar gehalten, in mittelbare Reichsmitglieder ver - wandelt worden. XIII. Bey einigen ſind durch Verglei - che noch beſondere Verhaͤltniſſe eingeſchraͤnkter Freyheiten oder Unterwuͤrfigkeiten entſtanden. XIV. XV. In einer ſo großen Verſchiedenheit der vielerlev beſonderen Teutſchen Staaten gibt es auch natuͤrlich eine große Mannigfaltigkeit mehr oder minder gluͤcklicher Laͤnder. XVI. Eben das gilt auch von reichsritterſchaftlichen Gebieten, XVII. und von Reichsſtaͤdten. XVIII. Im Ganzen behaͤlt die Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs noch immer unver - kennbare Vorzuͤge, die jeden Teutſchen zu frohen Aus - ſichten in die fernere Zukunft beleben koͤnnen.

Ein Hauptumſtand, ohne welchen man ſich vomI. heutigen Zuſtande des Teutſchen Reichs undS 5deſ -282XIV. Heutige Verfaſſung.deſſen beſonderer Staaten keinen richtigen Begriff machen kann, beruhet darin, daß ſo viele Laͤnder, deren jedes ſonſt ſeinen eignen Landesherrn gehabt hat, in neueren Zeiten mit anderen Laͤndern unter einen Herrn gekommen ſind. Davon enthaͤlt ſchon der Weſtphaͤliſche Friede eine betraͤchtliche Anzahl in den ſeculariſirten Laͤndern, die damals der Krone Schweden, und den Haͤuſern Branden - burg, Mecklenburg und Heſſen zu Theil wur - den(n)Oben Th. 2. S. 55. 57. 59.; wozu hernach noch die den Haͤuſern Sach - ſen und Brandenburg eigen gebliebenen Biſthuͤ - mer des Oberſaͤchſiſchen Kreiſes kamen(o)Oben Th. 2. S. 69.. Haupt - ſachlich war es aber dem erſt in neueren Zeiten ſo allgemein gewordenen Rechte der Erſtgebuhrt zuzu - ſchreiben, daß ſeitdem weit oͤfter als zuvor regie - rende Haͤuſer erloſchen ſind, weil gemeiniglich nur der Erſtgebohrne in jedem Hauſe ſich ſtandesmaͤßig vermaͤhlen und den Stamm fortſetzen kann; den meiſten nachgebohrnen Herren hingegen nur uͤbrig bleibt, in Kriegsdienſten oder Stiftern ihr Leben unvermaͤhlt hinzubringen. Daruͤber ſind nun haͤu - fig mehrere Linien, in welche ſonſt reichsſtaͤndiſche Haͤuſer vertheilt geweſen, nach und nach zuſam - mengeſtorben. Oder es ſind auch ganze Haͤuſer erloſchen, deren Laͤnder durch Erbverbruͤderungen, Anwartſchaften, Lehnsconſolidationen oder andere Rechtsbegruͤndungen wieder anderen Reichsſtaͤn - den zu Theil geworden ſind.

II.
170

Auf ſolche Art haben nun vors erſte viele reichsſtaͤndiſche Haͤuſer nach und nach einen ſolchen Zuwachs bekommen, daß zwiſchen der Macht, de -ren2835) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.ren ſich mehrere derſelben jetzt zu erfreuen haben, und derjenigen, deren ſich ehedem einzelne Reichs - ſtaͤnde ruͤhmen konnten, wenigſtens ſeit Henrichs des Loͤwen Zeiten(p)Oben Th. 1. S. 185. u. f., kein Vergleich mehr iſt. Es hat aber auch auf die Verfaſſung der Laͤnder ſelbſt meiſt nicht geringen Einfluß gehabt. Man - che Grafſchaften oder ehemalige unmittelbare Reichsherrſchaften ſind jetzt groͤßeren Laͤndern als Aemter einverleibt, von welchen oft kaum noch das Andenken uͤbrig iſt, daß ſie ehedem beſondere Staaten unter eignen Landesherren geweſen ſind. Hin und wieder ſind auch wohl zwey oder mehrere urſpruͤnglich verſchieden geweſene Laͤnder nach Art einer gleichen Realunion (wie England und Schottland im nunmehrigen Großbritannien,) in Eines gezogen worden, wie z. B. mit Juͤlich und Berg, mit den verſchiedenen Laͤndern des Chur - hauſes Sachſen und mehr anderen der Fall gewe - ſen. Einige Laͤnder haben endlich, wenn ſie gleich anderen Reichsſtaͤnden zu Theil geworden ſind, doch ihre eigne Regierungs - und Juſtitz-Collegien, eigne Landſchafts - und Steuerverfaſſung, eigne Geſetze u. ſ. w. behalten; nur daß ſie dann doch ihre eigne Landesherrſchaft nicht mehr bey ſich ha - ben, ſondern einem Landesherrn, der ſich ander - waͤrts aufhaͤlt, unterworfen ſind, wie davon die vielen erſt in neueſten Zeiten ausgeſtorbenen Haͤu - ſer, als Sachſen-Eiſenach, Oſtfriesland, Bran - denburg-Baireuth, Baden-Baden und andere zu Beyſpielen dienen koͤnnen. Oder es hat ſich auch nicht ſelten ſo gefuͤgt, daß ein Reichsſtand, dem ein groͤßeres Land zugefallen, ſeine bisherige Reſi - denz verlaßen und mit der im groͤßern Lande ver -wech -284XIV. Heutige Verfaſſung.wechſelt hat, wie z. B. mit Verlegung der Reſi - denz von Manheim nach Muͤnchen, und von Ha - nau nach Caſſel, noch erſt kuͤrzlich der Fall ge - weſen iſt.

III.
171

Daraus erwaͤchſt nun ſchon eine merkliche Ver - ſchiedenheit ſolcher Laͤnder, die ihre Landesherr - ſchaft bey ſich haben, und anderer, von denen dieſelbe entfernt lebt. Letztere entbehren dadurch nicht nur die Vortheile, die in Anſehung des Nah - rungsſtandes mit der Naͤhe einer Hofhaltung ver - bunden zu ſeyn pflegen; ſondern ſie kommen ge - meiniglich in den Fall, durch ein eignes Regie - rungscollegium, oder durch einen Statthalter, aber allemal in Abhaͤngigkeit von einem auswaͤrtigen Herrn und denen, die demſelben in der Naͤhe ſind, regieret zu werden. Manche Laͤnder haben ihren Landesherrn ſelbſt außer den Graͤnzen des Teut - ſchen Reichs, wie mit Schwediſch-Pommern, und den Churbraunſchweigiſchen und Naſſauora - niſchen Laͤndern der Fall iſt. Doch noch weit zahl - reicher ſind jetzt die Faͤlle, da faſt alle unſere große Haͤuſer, wenn ſie gleich in Teutſchland ihren Sitz behalten, dennoch Laͤnder zu regieren haben, von denen ſie entfernt leben, und die ehedem ihren eignen Herrn bey ſich hatten. Auch von geiſtlichen Laͤndern fehlt es nicht an ſolchen Beyſpielen, wie z. B. Churmainz das Eichsfeld und die Stadt Er - furt, und Churcoͤlln das Herzogthum Weſtphalen auf ſolche Art zu regieren hat.

IV.
171

Bey den geiſtlichen Laͤndern gibt es noch eine beſondere Art von Vereinigungen, die bloß zufaͤllig, und oft nur fuͤr die Lebenszeit eines Herrnbe -2855) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.beſtimmt ſind. Das iſt nehmlich der Fall, ſo oft mehr als eine unmittelbare geiſtliche Stiftung in einerley Haͤnde koͤmmt. Der urſpruͤnglichen Ver - faſſung der Kirche iſt es zwar nicht gemaͤß, daß eine Perſon mehr als ein Biſthum oder Erzbiſthum haben ſoll, wie es auch in anderen catholiſchen Reichen unerhoͤrt ſeyn wuͤrde, einem Manne mehr als ein Biſthum oder Erzbiſthum anzuvertrauen. Wie aber keine Ausnahme von der Regel des Kir - chenrechts ſo groß iſt, die nicht von Rom aus, wenn es das Intereſſe des paͤbſtlichen Hofes zu er - fordern ſcheint, gut geheiſſen werden koͤnnte; ſo iſt es in Teutſchland ſchon laͤngſt hergebracht, daß ein Teutſcher Biſchof oder Erzbiſchof noch zu meh - reren biſchoͤflichen Stellen poſtulirt, und durch paͤbſtliche Genehmigung dazu auctoriſirt werden kann(q)Bey den Weſtphaͤliſchen Friedenshandlun - gen aͤuſſerten die evangeliſchen Staͤnde (im Febr. 1646.): Die Erzbiſthuͤmer, Biſthuͤmer, und an - dere Praͤlaturen und Pfruͤnden im Reiche ſeyen von einheimiſchen Fuͤrſten, Grafen, Adelichen und anderen unter andern auch darum geſtifret, daß ihre Nachkommen in und von denſelben ihren Ehrenſtand und Unterhaltung haben moͤchten. Es ſey alſo der Abſicht der Stifter ganz zuwider, daß Eine Perſon oft zwey, drey, vier, fuͤnf und mehr ſolche Stiftungen beſitze; als wodurch die Nach - kommen der Fundatoren faſt von den vornehmſten Stiftern ausgeſchloſſen, und andere dazu erhoben wuͤrden, deren Voreltern nichts dazu beygetragen haͤtten. Man moͤchte alſo verordnen, daß ein je - der Erzbiſchof, Biſchof, Praͤlat oder Canonicus ſich mit einer Pfruͤnde begnuͤgen laßen ſolle. Die Catholiſchen wollten ſich aber darauf nicht ein - laßen. Moſers Teutſches Staatsrecht Th. 11. S. 350-358.. Ein Prinz von Brandenburg hatte imAn -286XIV. Heutige Verfaſſung.Anfange des XVI. Jahrhunderts ſo gar die zwey Erzbiſthuͤmer Mainz und Magdeburg in ſeiner Perſon vereiniget(r)Oben Th. 2. S. 346.. Doch zwey geiſtliche Chur - fuͤrſtenthuͤmer hat man noch nie in einer Perſon vereinigen laßen(s)Als Lotharius Franz von Schoͤnborn Chur - fuͤrſt zu Mainz war, bekam er 1710. den Pfalz - grafen Franz Ludewig von Neuburg zum Coadju - tor, der inzwiſchen 1716. Churfuͤrſt von Trier wurde. Nach des erſtern Tode ward er nun zwar 1729. Churfuͤrſt zu Mainz, reſignirte aber das Erzſtift Trier, wo jetzt Franz Georg von Schoͤn - born erwehlet wurde.; da vielmehr uͤberhaupt der Teutſchen Verfaſſung es nicht gemaͤß gehalten wird, daß ein Herr zwey Churfuͤrſtenthuͤmer zuſammen beſitzen koͤnne, (wiewohl kein Geſetz daruͤber vor - handen iſt.) Deſto haͤufiger ſind aber andere Beyſpiele, da es bey einigen beynahe zum Her - kommen geworden iſt, daß z. B. Bamberg und Wuͤrzburg, Coͤlln und Muͤnſter, nun ſchon ſo oft nach einander einerley Herrn gehabt haben, ob - gleich freylich ein jedes von dieſen Domcapiteln noch immer das Recht behaupten wird, unabhaͤn - gig vom andern ſein eignes Oberhaupt wehlen zu koͤnnen; ſo wie es bloß zufaͤllig und weit veraͤn - derlicher iſt, wenn dermalen Mainz und Worms, Trier und Augsburg, Hildesheim und Paderborn einerley Herrn haben.

V.
174

Dergleichen bloß auf eine Zeitlang ſtatt finden - de Vereinigungen mehrerer Laͤnder koͤnnen ſich in weltlichen Haͤuſern nicht ſo leicht zutragen. Doch auch da iſt der Fall nicht ganz unmoͤglich, wenn z. B. ein regierender Fuͤrſt als Vormund einesan -2875) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.andern die Landesadminiſtration zu fuͤhren hat, wie auf ſolche Art (1749. u. f.) der Herzog von Go - tha eine Zeitlang das Herzogthum Eiſenach und der Herzog von Coburg das Herzogthum Weimar zu regieren gehabt hat(t)Mein Handbuch der Reichshiſtorie S. 1219., auch dermalen wieder der Biſchof von Luͤbeck zugleich Adminiſtrator des Herzogthums Oldenburg iſt. Gewiſſer maßen kann man auch noch die Faͤlle dahin rechnen, wenn einem Reichsſtande eine kaiſerliche Debitcommiſ - ſion uͤber einen andern verſchuldeten Reichsſtand aufgetragen wird, da wenigſtens derjenige Theil der Landesregierung, der die Einnahme und Aus - gabe betrifft, alsdann von wegen der Debitcom - miſſion beſorget wird. Doch koͤnnen auch ſowohl Debitcommiſſionen als Vormundſchaften anderen, die ſonſt nicht regierende Herren ſind, aufgetragen werden. So hat z. B. der Prinz Joſeph von Sachſen-Hildburghauſen die Debitcommiſſion zu Hildburghauſen bekommen; ſo iſt der Prinz Xaver von Sachſen als Vormund des jetzigen Churfuͤr - ſten in ſeiner Minderjaͤhrigkeit Adminiſtrator des Churfuͤrſtenthums geweſen; und ſo bekommen oft fuͤrſtliche Wittwen als Vormuͤnderinnen ihrer Soͤh - ne deren Laͤnder zu regieren, wie erſt kuͤrzlich noch die verwittweten Herzoginnen zu Weimar und Meinungen in dem Falle geweſen ſind. So koͤn - nen alſo auch bald apanagirte Herren, bald Da - mes Laͤnder zu regieren haben; wozu, was letztere betrifft, auch noch die Faͤlle gehoͤren, wenn nach Abgang des Mannsſtamms von einem ganzen Hau - ſe Erbtoͤchter zur Erbfolge gelangen, wie das erha - bene Beyſpiel der vierzigjaͤhrigen Regierung der Oe - ſterreichiſchen Erbſtaaten von Maria Thereſia war.

Er -288XIV. Heutige Verfaſſung.
VI.
175

Ergibt ſich nun aus den bisher erklaͤrten Faͤl - len, wie haͤufig und auf wie vielerley Art in Teutſchland ein Herr mehr als ein Land beſitzen koͤnne; ſo gibt es umgekehrt auch nicht weniger haͤufige Faͤlle, da ein Land mehrere Herren hat. Dieſes kann auf die Art geſchehen, daß ein ganzes Land von mehreren Herrſchaften in unge - theilter Gemeinſchaft regiert wird, wie noch vor kurzem zwey Bruͤder zu Sachſen-Meinungen, fuͤnf Bruͤder zu Solms-Braunfels und eine ganze Anzahl graͤflich Limburgiſcher Allodialerben ver - ſchiedener fuͤrſtlicher und graͤflicher Haͤuſer beider - ley Geſchlechts gemeinſchaftlich die Regierung fuͤhr - ten. Oder es kann ſich auch fuͤgen, daß zwey oder mehrere Linien eines Hauſes, die ſonſt ihr Land unter ſich vertheilet haben, noch in Gemein - ſchaft gewiſſer Stuͤcke geblieben ſind, wie z. B. die herzoglich Saͤchſiſchen Haͤuſer die Univerſitaͤt und das Hofgericht zu Jena, ingleichen Hanno - ver und Wolfenbuͤttel einen Theil des Harzes noch jetzt in Gemeinſchaft haben. Oder es koͤnnen auch endlich unter Reichsſtaͤnden, die ſonſt einander nichts angehen, gewiſſe Orte oder Diſtricte ge - meinſchaftlich ſeyn, wie z. B. Churmainz, Chur - ſachſen und Heſſen das Amt Trefurt, Churbran - denburg und Lippedetmold die Stadt Lippſtadt, Churtrier und Naſſauoranien die Stadt Camberg gemeinſchaftlich beſitzen; ohne noch ſolcher ſo ge - nannter Ganerbſchaften zu gedenken, die etwa von einer ehemaligen gemeinſchaftlichen Eroberung her oder nach Art einer Stiftung fuͤr adeliche Fa - milien mehreren Geſchlechtern zu gute kommen koͤnnen, wie von ſolcher Art die Ganerbſchaft Gelnhauſen, Staden und andere waren, unddie2895) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.die Burg Friedberg in der Wetterau noch jetzt zum Beyſpiele einer ſolchen Stiftung dienen kann(u)Die Burg Friedberg, die von einer bey der Reichsſtadt Friedberg in der Wetterau gelege - nen Burg ihren Namen hat, beſteht aus einer unbeſtimmten Anzahl adelicher Burgmaͤnner von beiden Religionen, von welchen der Landcomman - deur des Teutſchen Ordens zu Marburg immer der erſte, der Commandeur zu Frankfurt am Main der zweyte iſt. Außerdem kann ein jeder, der auch nur muͤtterlicher Seite von einem Burgmanne ab - ſtammt, und die Ahnenprobe berichtiget, begeh - ren als Burgmann aufgenommen zu werden. Dann ſind aber zwoͤlf ſo genannte Regimentsburg - maͤnner in gleicher Anzahl beider Religionen, aus welchen immer auf drey Jahre zwey Baumeiſter erwehlet werden. Und endlich wird der Burggraf als das Haupt der ganzen Burg jedesmal[auf] Zeitlebens erwehlt und vom Kaiſer beſtaͤtiget. Die Einkuͤnfte der Burg werden auf 20. tauſend Gul - den geſchaͤtzt, wovon der Burggraf 6000. Fl. nebſt der Jagd und anderen Vortheilen zu genießen hat. Seit 1769. iſt die Burg mit einem eignen kaiſerli - chen Joſephsorden begnadiget, wovon das Or - denszeichen an einem blauen ſchwarz geraͤnderten Bande getragen wird, mit der Umſchrift virtutis auitae aemuli, und imperatoris auſpiciis lege im - perii conſeruamur. Die Burg an ſich gehoͤrt zu den unmittelbaren Gliedern des Reichs..

In anderen Faͤllen haben ſich mehrere LinienVII. eines reichsſtaͤndiſchen Hauſes bisweilen auf ge - wiſſe Abwechſelungen oder ſo genannte Mutſchie - rungen verglichen, vermoͤge deren mehrere Herren von einem Jahre zum andern, oder auch von ſechs zu ſechs oder einer andern beſtimmten Anzahl Jahre in der Regierung abzuwechſeln haben. So gibtesP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. T290XIV. Heutige Berfaſſung.es eine jaͤhrlich abwechſelnde Regierung zweyer graͤflich Leiningiſchen Linien zu Gruͤnſtadt. Eine andere Art von Abwechſelung iſt in der Regierung zu Osnabruͤck, wie ſie vermoͤge des Weſtphaͤliſchen Friedens daſelbſt in Uebung iſt(v)Oben Th. 2. S. 57..

VIII.
177

Noch eine ganz eigne Art von Landesverfaſſung entſteht aus dem beſondern Verhaͤltniſſe, worin einige nachgebohrne Herren von fuͤrſtlichen oder graͤflichen Haͤuſern mit dem zu ihrem Sitz und Un - terhalte ihnen angewieſenen Gebiete zum erſtgebohr - nen regierenden Herrn ſtehen; wie z. B. Heſſen - Rothenburg zu Heſſencaſſel, Homburg an der Hoͤ - he zu Heſſendarmſtadt, Anhalthoym zu Anhalt - bernburg, Iſenburg-Philippseich zu Iſenburg - Birſtein, der Graf von Waldeck zum Fuͤrſten von Waldeck u. ſ. w. In allen dieſen Faͤllen iſt ver - moͤge des Rechts der Erſtgebuhrt in jedem Hauſe nur ein regierender Herr, deſſen Landeshoheit auch uͤber das Gebiet, ſo eine juͤngere Linie des Hauſes in Beſitz hat, ſich erſtrecket. Nichts deſto weni - ger hat ein ſolches Gebiet an dem Herrn von der juͤngern Linie ſeinen eignen Herrn, der, nur die dem erſtgebohrnen regierenden Herrn vorbehaltenen Hoheitsrechte ausgenommen, uͤbrigens die voͤllige Botmaͤßigkeit auszuuͤben hat, und fuͤr ſeine Per - ſon und Familie ein unmittelbares Mitglied des Teutſchen Reichs bleibt, ob er gleich an Sitz und Stimme auf dem Reichstage und im Kreiſe keinen Antheil hat. Das iſt alſo eine beſondere Gattung einer abhaͤngigen Landesverfaſſung, deren genaue - re Beſtimmung auf den beſonderen Vertraͤgen je -des2915) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.des Hauſes beruhet, aber gemeiniglich Stoff zu haͤufigen Mißhelligkeiten gibt(w)Ein Beyſpiel ſolcher Irrungen zwiſchen Iſenburg-Birſtein und Philippseich findet ſich in meinen Rechtsfaͤllen B. 2. Th. 2. S. 488-509..

Wenn ſich uͤberdies noch gedenken laͤßt, daßIX. mehrere Staaten in eine beſtaͤndige Verbindung treten koͤnnen, und gewiſſen Repraͤſentanten auftra - gen, ihre gemeinſchaftliche Angelegenheiten zu be - ſorgen; ſo kann auch davon die Reichsritterſchaft ein Beyſpiel abgeben, deren einzelne Mitglieder jede fuͤr ſich als Regenten ihrer kleinen Gebiete an - geſehen werden koͤnnen, deren Geſammtangelegen - heiten von Ritterhauptmann und Raͤthen eines je - den Cantons, und mehrerer Cantons wieder von einem der drey Ritterkreiſe, worin die ganze Rit - terſchaft vertheilt iſt, beſorget werden. Ge - wiſſer maßen kann auch die Verfaſſung der vier reichsgraͤflichen Collegien, wie auch der beiden Reichspraͤlatenbaͤnke damit verglichen werden. Und noch eine beſondere Gattung von der Art macht in den Kreiſen, welche von Zeit zu Zeit Kreisverſammlungen zu halten pflegen, als vor - zuͤglich in Schwaben, Franken und Oberrhein, die geſetzmaͤßige Kreisverfaſſung aus.

In dieſen letzteren Verhaͤltniſſen gibt es nichtX. ſelten ſtreitige Fragen, wie weit z. B. ein Kreis - ſchluß einzelnen Staͤnden des Kreiſes, oder ein graͤflicher oder praͤlatiſcher Collegialſchluß einzelnen Reichsgrafen oder Reichspraͤlaten, oder endlich ein Rittercanton oder Ritterkreis einzelnen MitgliedernderT 2292XIV. Heutige Verfaſſung.der Reichsritterſchaft in ihren beſonderen Gebieten Ziel und Maß ſetzen koͤnne; beynahe auf aͤhn - liche Art, wie es zwiſchen den Generalſtaaten der vereinigten Niederlande und einzelnen Provinzen Colliſionen geben kann. Namentlich hat z. B. der Chauſſeebau zu ſolchen Fragen Anlaß gegeben, ob derſelbe jedem Beſitzer in ſeinem Gebiete zu uͤberlaßen, oder durch allgemeine Collegialſchluͤſſe zu beſtimmen ſey? Desgleichen iſt die Frage ent - ſtanden, ob das Recht des Fiſcus und der Con - fiſcationen auch einem geſammten Rittercanton oder Ritterkreiſe zuzugeſtehen ſey? u. ſ. w.

XI.
178

Aber auch ſelbſt uͤber den ganzen Zuſtand der Unmittelbarkeit und Reichsfreyheit hat es haͤufi - ge Streitigkeiten gegeben, die zum Theil noch fortwaͤhren; da oft der Beſitzer eines Rittergutes reichsunmittelbar zu ſeyn behauptet, den ein Reichs - ſtand als ſeinen Unterthanen in Anſpruch nimmt, oder auch eine Stadt, eine Grafſchaft, ein Fuͤr - ſtenthum, eine Praͤlatur, eine Commende, zu Zei - ten ſelbſt ein Dorf in dem Fall iſt, ſich fuͤr ein un - mittelbares Mitglied des Reichs zu halten, da ein benachbarter Reichsſtand behauptet, daß es einen Theil ſeines Landes ausmache. Nicht we - nige Staͤdte und Gebiete haben ſich ehedem wuͤrk - lich im Beſitze der Reichsunmittelbarkeit oder doch einer beynahe aͤhnlichen Freyheit und Unabhaͤngig - keit befunden, aber das Schickſal gehabt, ſich un - ter eines dritten Reichsſtandes Landeshoheit be - quemen zu muͤßen. So iſt es z. B. den Staͤdten Mainz, Trier, Muͤnſter, Paderborn, Dona - werth, Erfurt, gegangen; oder auch ganzen Ge - bieten, als der Herrſchaft Aſch, deren Beſitzer,die2935) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.die Herren von Zedtwitz, ſie ehedem mit der Reichs - freyheit beſeſſen, aber ſeit einigen Jahren die Ho - heit der Krone Boͤhmen daruͤber anerkennen muͤ - ßen(x)Oben S. 210. Meine Rechtsfaͤlle B. 2. Th. 4. S. 829-964..

Solche Verwandelungen eines unmittelbarenXII. Reichsmitgliedes in ein mittelbares werden in der Sprache unſerer Reichsgeſetze Exemtionen ge - nannt. Man ſagt z. B. das Haus Baiern habe die Stadt Donawerth eximirt, oder aus ihrem un - mittelbaren Verhaͤltniſſe zum Teutſchen Reiche aus - gezogen; und zwar mit oder ohne Uebernehmung ihrer Beſchwerden (cum vel ſine onere). nach - dem der eximirende Stand die Beytraͤge, die ſonſt der eximirte zum Reiche gegeben, an deſſen Stelle zu entrichten fortgefahren oder nicht. Eigenmaͤch - tig koͤnnen natuͤrlicher Weiſe ſolche Exemtionen mit Recht nicht geſchehen. Nicht ſelten wird aber von beiden Seiten, oder auch mit dem Reichsfiſcale, oder mit einem Reichskreiſe daruͤber geſtritten, ob eine Exemtion gegruͤndet ſey, oder nicht; oder, welches einerley iſt, ob der eximirte Theil mit Recht auf die Reichsunmittelbarkeit Anſpruch ma - chen koͤnne, oder nicht. So iſt z. B. erſt im Jah - re 1580. der Stadt Trier die Reichsunmittelbar - keit durch ein kaiſerliches Urtheil mit Zuziehung der Churfuͤrſten aberkannt worden(y)Oben Th. 2. S. 110..

Einigen ſolchen Exemtionsirrungen hat manXIII. durch Vergleiche ein Ende gemacht; bisweilenmitT 3294XIV. Heutige Verfaſſung.mit voͤlliger Zugeſtehung der Reichsunmittelbar - keit, wie z. B. Hamburg im Jahre 1768. von der Krone Daͤnemark von wegen des Herzogthums Holſtein als eine voͤllig freye Reichsſtadt(z)Buͤſch Welthaͤndel neuerer Zeit (II. Aufl. 1783.) S. 371., und der Abt zu Neresheim 1763. vom Hauſe Oettin - gen-Wallerſtein als ein unmittelbarer Reichspraͤ - lat anerkannt worden. Hin und wieder ſind aber auch durch ſolche Vergleiche ganz beſondere Ver - haͤltniſſe eingeſchraͤnkter Freyheiten oder Unter - wuͤrfigkeiten entſtanden. So ſind z. B. die Fuͤr - ſten von Schwarzburg und die Grafen von Stol - berg zwar Reichsfuͤrſten und Reichsgrafen; aber jene doch den Saͤchſiſchen Haͤuſern, letztere den Haͤuſern Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig in verſchiedenen Dingen, unter andern in Anſe - hung der Appellationen und der hoͤhern geſetzgeben - den Gewalt, unterworfen. Auf der andern Seite hat z. B. die Praͤlatur Ebrach in Franken die Landeshoheit des Hochſtifts Wuͤrzburg zwar uͤber ſich anerkannt; jedoch nur in ausdruͤcklich beſtimm - ten Faͤllen, außer welchen die Ausuͤbung jener be - dungenen Landeshoheit nicht ſtatt findet(a)Meine Rechtsfaͤlle B. 1. Th. 2. S. 317-347.. Die Fuͤrſten von Hohenlohe als Beſitzer der Herrſchaft Gleichen ſind der Landeshoheit des Herzogs von Gotha unterworfen; doch genießen ſie viele Vor - zuͤge, z. B. eine eigne Canzley, ein eignes Con - ſiſtorium zu haben u. ſ. w., die anderen Gothai - ſchen Vaſallen und Landſtaͤnden nicht zugeſtanden werden. Die Stadt Hildesheim ſteht unter der Landeshoheit ihres Biſchofs; iſt aber faſt von al - len landesherrlichen Hoheitsrechten befreyet. DieStadt2955) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.Stadt Eſſen iſt vermoͤge eines Cammergerichtsur - theils vom Jahre 1670. der Hoheit der dortigen Abtiſſinn unterworfen, jedoch von Huldigung und Steuern frey, und mit ihrer eignen Oberbotmaͤßig - keit begabt; Kraft dieſer uͤbt ſie ſelbſt die peinliche Gerichtbarkeit aus, doch muß ſie die Vollziehung der Todesſtrafen dem fuͤrſtlichen Scharfrichter mit einem auf dem Rathhauſe entbloͤßt hangenden Schwerdte uͤberlaßen; Auch wird von der Stadt noch jetzt an die Reichsgerichte appellirt. In geiſt - lichen Laͤndern ſind die Domcapitel, wenn keine Sedisvacanz iſt, an ſich mittelbar; ſie beſitzen aber oft ganze Gebiete mit ſolcher Befreyung, daß kaum die Ausuͤbung landesherrlicher Rechte von Seiten der Landesregierung darin zu merken iſt(b)So beſitzt z. B. das Domcapitel zu Mainz die Stadt Bingen nebſt einigen Doͤrfern, inglei - chen die Marktflecken Hochheim und Floͤrsheim, und die Doͤrfer Mombach und Aſtheim, ohne ver - ſchiedene noch der Domprobſtey gehoͤrige Doͤrfer. Das Domcapitel zu Hildesheim beſitzt die Aemter Steinbruͤck und Wiedeloh; und die Neuſtadt Hil - desheim huldiget dem Domprobſte als ihrem Ober - herrn..

So groß nun die aus allem dem entſpringendeXIV. Mannigfaltigkeit der vielerley beſonderen Teut - ſchen Staaten und Gebiete iſt, ſo natuͤrlich laͤßt ſich bey der großen Freyheit, die ſie genießen, auch von ſelbſten ermeſſen, daß ſie nicht alle einer glei - chen Stuffe der Vollkommenheit ſich zu erfreuen haben. Auch hierin zeigt ſich vielmehr ein ſolcher Unterſchied, daß kaum eine groͤßere Mannigfaltig - keit von gluͤcklichen und minder gluͤcklichenStaa -T 4296XIV. Heutige Verfaſſung.Staaten erdacht werden kann, wie man die Bey - ſpiele davon in Teutſchland beyſammen findet. Noch immer gibt es Beyſpiele, daß Herren, die Land und Leute zu regieren haben, ihrer wahren Beſtimmung gemaͤß das Wohl ihrer Unterthanen und des ganzen Landes zum Hauptziele ihrer Wuͤn - ſche und Bemuͤhungen machen. Und wie gluͤcklich ſind dann die Laͤnder, wenn ſolche Herren nur auch in der Wahl ihrer Raͤthe und Diener gluͤcklich ſind; und wenn dann Herr und Diener ſich mit gleichem Eifer angelegen ſeyn laßen, einem jeden Recht und Gerechtigkeit zu handhaben, Kirchen und Schulen mit tuͤchtigen Maͤnnern zu beſetzen, Wege zu beſſern und in gutem Stande zu erhalten, auf gute Muͤnze und Polizey ein wachſames Au - ge zu haben, den Nahrungsſtand der Unterthanen befoͤrdern zu helfen, Verdienſte zu belohnen und aufzumuntern, und was ſonſt noch fuͤr Gegenſtaͤn - de einer preiswuͤrdigen Regierung ſeyn moͤgen! Freylich koͤnnen wegen nicht uͤberall gleicher Frucht - barkeit des Bodens, oder in Ruͤckſicht auf andere Vortheile der Natur und der Lage eines Landes, oder auch wegen einmal tief gewurzelter Fehler in der Landesverfaſſung, beſonders in unverhaͤltniß - maͤßiger Vertheilung der Abgaben, oder endlich wegen geerbter oder von Kriegszeiten uͤbrig geblie - bener Schuldenlaſt u. ſ. w. auch unter dem beſten Herrn Hinderniſſe eintreten, die auf die groͤßere oder mindere Wohlfahrt ganzer Laͤnder unleugba - ren und ſchwer zu hebenden Einfluß haben. Doch dann mag allenfalls der Troſt eintreten, daß in dieſer Welt eben nichts ganz ohne alle Ausnahme vollkommenes zu erwarten iſt.

Deſto2975) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.

Deſto trauriger iſt es aber, wenn es nur anXV. der Geſinnung der Regenten liegt, wenn ſie glau - ben, daß das Land nur ihrentwegen da ſey, daß ſie als Landesherren mit ihren Laͤndern und Un - terthanen eben ſo, wie ein Gutsherr mit ſeinem Gute und dazu gehoͤrigen Leibeignen ſchalten und walten koͤnnten; wenn ſie nur ihre perſoͤnliche Neigungen und Leidenſchaften zu befriedigen ſuchen, ohne darnach zu fragen, ob Land und Unterthanen darunter leiden oder nicht; wenn ſie gerne Leute um ſich haben, die ihnen darin behuͤlflich ſind, und alſo nur darnach die Wahl ihrer Raͤthe und Lieblinge einrichten; wenn ſie von Pflichten, die Regierung zur Landeswohlfahrt zu fuͤhren, nichts wiſſen wollen, oder hoͤchſtens nur den Schein davon annehmen; wenn ſie ſtatt deſſen viel - mehr Jagd, Soldaten, oder irgend eine andere Lieblingsneigung zu ihrem Hauptgeſchaͤffte ma - chen; wenn ſie dann in ihren Ausgaben ſich nie nach ihren Einnahmen zu richten wiſſen, und in dem Verhaͤltniſſe, worin ſie gegen ihre Laͤnder und Unterthanen ſtehen, nur darauf ihr ganzes Augenmerk richten, wie ſie nur mehr Geld vom Lande bekommen moͤchten. Dann iſt es freylich nicht zu bewundern, wenn es Laͤnder gibt, wo der Unterthan mit Abgaben und Dienſten bis zum Un - ertraͤglichen beſchwert iſt; wo von Herrn und Dienern faſt alles fuͤr Geld, ohne Geld nichts zu haben iſt; wo ſelbſt Dienſte und Gnadenbrie - fe verkauft werden, und jene deswegen ſelten gut beſetzt ſind; wo an Kirchen - und Schulweſen, an Anlegung und Erhaltung guter Wege, an Be - foͤrderung des Nahrungsſtandes der UnterthanenT 5kaum298XIV. Heutige Verfaſſung.kaum gedacht wird; wo Gerichtsweſen, Muͤn - ze, Polizey in der groͤßten Unordnung ſind u. ſ. w.

XVI.
183

Bis auf jedes einzelne Mitglied der Reichs - ritterſchaft findet dieſe Bemerkung ſtatt, wie ein jeder Reichsritter ſein kleines Gebiet gluͤcklich oder ungluͤcklich machen kann. Die Herren von der Reichsritterſchaft ſelbſt haben in ſo weit große Vor - zuͤge vor anderen landſaͤſſigen Adelichen, da ſie wegen keines Mißbrauches einer hoͤhern landes - herrlichen Gewalt uͤber ſich beſorgt ſeyn duͤrfen; aber ob ihre eigne Unterthanen mehr oder weniger gluͤcklich ſind, haͤngt meiſt von ihrer perſoͤnlichen Geſinnung und zum Theil auch von ihren Beam - ten ab. Die Geſammtverfaſſung der Reichsrit - terſchaft, wie ſie in Cantons und Kreiſe vertheilt iſt, kann allenfalls auch noch ihre beſondere Ein - fluͤſſe haben.

XVII.
183

So zeigt ſich endlich auch unter unſeren Reichsſtaͤdten eine ſolche Mannigfaltigkeit von Beyſpielen gluͤcklicher oder ungluͤcklicher Verfaſſun - gen, daß, wenn man hier einen bluͤhenden Staat findet, wo Obrigkeit und Buͤrgerſchaft in gluͤckli - cher Harmonie leben, dort nichts als Armuth und Verfall, Mißhelligkeiten und Beſchwerden wahr - zunehmen ſind; hier zunehmende Bevoͤlkerung, dort in Menge leer ſtehende Haͤuſer oder wuͤſte Plaͤtze; hier Handlung und Gewerbe; dort Unthaͤtigkeit, und nur dorfmaͤßiger Unterhalt von Ackerbau und Viehzucht u. ſ. w. Alſo kein Wunder, wenn auch hier oft allerley Gattungen von Irrungen und Klagen zum Ausbruche kom - men, die am Ende nicht ſelten Uebel noch aͤrger machen.

Im2995) Manchfaltigk. d. beſ. T. Staaten.

Im Ganzen muß man doch immer der Ver -XVIII. faſſung des Teutſchen Reichs die Gerechtigkeit widerfahren laßen, daß ſie in Vergleichung mit anderen Maͤchten doch nicht die unvollkommenſte iſt, ſondern noch allezeit gewiſſe Vorzuͤge hat. We - nigſtens liegt es nicht an der Staatsverfaſſung im Ganzen, wenn Teutſchland nicht in allen Theilen ſich einer gleichen Wohlfahrt zu erfreuen hat. Wo auch noch kleine Flecken und Anſtaͤnde uͤbrig ſind, muß man hoffen, daß die Vorſehung Rath ſchaf - fen koͤnne, wie ſie bisher doch ſichtbar uͤber unſere Nation gewachet hat. Warum ſollte man nicht fuͤr die Zukunft frohe Ausſichten haben, da dem be - vorſtehenden Zeitalter ſo erhabene Muſter von Thaͤ - tigkeit, Gerechtigkeit und Menſchenliebe vorleuch - ten, wie Joſeph, Georg und Friedrich Wilhelm!

Regi -
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About this transcription

TextHistorische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs
Author Johann Stephan Pütter
Extent383 images; 68857 tokens; 9981 types; 524658 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationHistorische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs Dritter und letzter Theil: von 1740 bis 1786 Johann Stephan Pütter. . [13] Bl., 299 S., [22] Bl., Verl.-Sign. (Kupfersst.) VandenhoeckGöttingen1787.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Gl 649-3http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=669907847

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Politik; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:49Z
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