An der Koͤniginn Sophie Charlotte von Großbritannien gebohrner Herzoginn zu Mecklenburg Koͤnigliche Majeſtaͤt.
Allerdurchlauchtigſte, Großmaͤchtigſte Koͤniginn, Allergnaͤdigſte Koͤniginn und Frau. Der huldreiche Beyfall, den Eure koͤnigliche Majeſtaͤt uͤber die beiden erſten Theile meiner hi - ſtoriſchen Entwickelung der heutigen Teutſchen Reichsverfaſſung, ſelbſt mit einer Aufforderung zur baldigen Fortſetzung derſelben, in einem hoͤchſt - eigenhaͤndigen Schreiben mir zu erklaͤren allergnaͤ - digſt geruhet haben, hat es mir zur angenehmſten Pflicht gemacht, dieſen dritten und letzten Theil, ſo bald es mir nur moͤglich geweſen, zu Stande zu bringen. Bey deſſen Ueberlieferung bleibt mir nichts uͤbrig, als zur fernern koͤniglichen Huld in derjenigen tiefſten Ehrfurcht mich zu empfehlen, in welcher ich erſterbe Eurer koͤniglichen Majeſtaͤt Goͤttingen den 16. Dec. 1786. allerunterthaͤnigſter Diener Johann Stephan Puͤtter.
I. Mißliche Ausſichten fuͤr dieſe Zwiſchenzeit, — II. inſonderheit unter andern wegen des Reichsvicariats. — III. IV. Die Haͤuſer Baiern und Pfalz hatten zwar inzwi - ſchen 1724. einen Hausunionsvertrag geſchloſſen, — V. und darin auch des Vicariates halber ſich auf eine gemein - ſchaftliche Verwaltung deſſelben verglichen. — VI. Allein es fehlte dazu die Genehmigung des Reichs. — VII. Am Cammergerichte fand deswegen die Verfertigung eines ge - meinſchaftlichen Vicariatsſiegels Anſtand. — VIII. Und einP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. ARhei -2XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Rheiniſches gemeinſchaftliches Vicariatshofgericht zu Augs - burg fand auch keinen Beyfall. — Alſo war auſſer dem Churſaͤchſiſchen Vicariatshofgerichte beynahe ein Stillſtand im Reichsjuſtitzweſen.
Der Tod Carls des VI. machte ſchon des - wegen einen Hauptabſchnitt in der Teut - ſchen Reichsgeſchichte, weil damit die Reihe der Kaiſer aus dem Hauſe Oeſterreich, die jetzt volle drey Jahrhunderte hindurch ununterbrochen geblie - ben war, nunmehr auf einmal ein Ende nahm. Man hoffte zwar anfangs zu Wien, daß Carls Tochtermann, Franz von Lothringen, nunmehri - ger Großherzog von Toſcana, Kaiſer werden, und alſo Wien doch nach wie vor der Sitz des kaiſerli - chen Hofes bleiben wuͤrde. Allein dieſe Hoffnung ſchlug bald fehl, und deſto mehrere Umſtaͤnde ſchienen ſich von allen Seiten her zu vereinigen, um fuͤr die Verfaſſung des Teutſchen Reichs, wo nicht einen voͤlligen Umſturz, doch viele wichtige Hauptveraͤnderungen erwarten zu koͤnnen. Gleich das Zwiſchenreich, ehe eine neue Kaiſerwahl zu Stande kam, war voller Merkwuͤrdigkeiten.
Schon wegen des Reichsvicariates hatte man Urſache beſorgt zu ſeyn, wenn man ſich erinnerte, was nach Ferdinands des III. Tode zwiſchen den beiden Haͤuſern Baiern und Pfalz fuͤr ein Streit daruͤber geweſen war(a)Oben Th. 2. S. 256.. Bey dem letzten Zwi - ſchenreiche nach Joſephs des I. Tode hatte dieſer Streit nur darum geruhet, weil der Churfuͤrſt von Baiern damals in der Acht war, alſo Churpfalz das Vicariat damals ohne Widerſpruch fuͤhrenkonn -31) Reichsvicariat 1740-1742.konnte. Als das Publicum jetzt voller Erwartung war, wie diesmal die Sache ablaufen wuͤrde; er - fuhr man auf einmal, daß ſchon zum voraus im Jahre 1724. nicht nur dieſer Streit zwiſchen bei - den Haͤuſern verglichen, ſondern noch uͤber meh - rere wichtige Puncte ein allgemeiner Hausunions - tractat von denſelben geſchloſſen ſey.
Unſtreitig hatte in das bisherige VerhaͤltnißIII. dieſer beiden Haͤuſer ihre ehemalige Religionsver - ſchiedenheit, ſo lange die reformirte Pfalzſimmeri - ſche Churlinie bluͤhete, nicht geringen Einfluß ge - habt. Da nunmehr das catholiſche Haus Pfalz - neuburg in Beſitz der Chur Pfalz war, hatte es weit weniger Schwierigkeit, daß nach der im Ba - diſchen Frieden erfolgten Herſtellung des Hauſes Baiern von der damaligen Acht ſich beide Haͤuſer naͤher zuſammenſetzen konnten. Das geſchah nun endlich in vorgedachtem Unionstractate, den beide Churhaͤuſer am 15. May 1724. ganz in der Stil - le mit einander ſchloſſen. Weil der damalige Chur - fuͤrſt Franz Ludewig von Trier ein Bruder des Churfuͤrſten von der Pfalz, und der Churfuͤrſt Cle - mens Auguſt von Coͤlln ein Sohn des Churfuͤr - ſten von Baiern war; ſo wurden auch dieſe zwey geiſtliche Churfuͤrſten in die Hausunion mit ein - geſchloſſen.
Dieſer in vielem Betrachte fuͤr die Reichsver -IV. faſſung wichtige Hausvertrag erneuerte erſtlich ei - nige aͤltere Vertraͤge von den Jahren 1490. 1529. und 1674., ſofern ſie dem Weſtphaͤliſchen Frie - den nicht zuwider waͤren. Hernach verbanden ſich beide Haͤuſer, einander ihre Laͤnder und Gerecht -A 2ſame4XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ſame zu ſchuͤtzen, und zu dem Ende bey allen reichs - ſtaͤndiſchen Verſammlungen einerley Maßregeln zu befolgen, auch in Unterhandlungen am kaiſer - lichen oder an anderen Hoͤfen ſich fuͤr einander zu verwenden, oder, wo etwa beſondere Abſichten oder Vertraͤge das verhinderten, wenigſtens mit Vermeidung aller Widerſtrebung ſich aus der Sa - che zu halten. Im Fall eines Angriffs verſpra - chen ſie einander nach allen Kraͤften beyzuſtehen, zu welchem Ende ein jedes Churhaus in einer be - ſtaͤndigen Verfaſſung von 8000. Mann, 2000. zu Pferde, 6000. zu Fuß, ſeyn ſollte. Auch ſoll - ten alle von dem geſammten Hauſe Baiern und Pfalz abſtammende Herren, die zu geiſtlichen Chur - fuͤrſtenthuͤmern oder Fuͤrſtenthuͤmern gelangten, die - ſem Tractate von ſelbſten mit einverleibet ſeyn. Vermoͤge einiger abgeſonderten Artikel ſollte die gemeinſchaftliche Huͤlfe vornehmlich auch darauf gehen, wenn einer der catholiſchen Religion hal - ber bedraͤngt wuͤrde. Desgleichen ſollte zu Ver - maͤhlungen und biſchoͤflichen Wahlen oder Coad - jutorien ein Haus des andern Vortheil befoͤrdern helfen. Hingegen ſollte man von Seiten beider Haͤuſer in das Begehren der Fuͤrſten in Anſehung der beſtaͤndigen Wahlcapitulation und der Gleich - ſtellung mit den Churfuͤrſten niemals eingehen, auch jeder Einfuͤhrung neuer Fuͤrſten ſich aufs kraͤftigſte widerſetzen(b)Fabers Staatscanzley Th. 80. S. 690., Geſchichte des interregni nach Carls des VI. To - de Th. 1. S. 322..
Wegen des Rheiniſchen Reichsvicariates war der Vergleich ſo gefaſſet, daß beide HaͤuſerBai -51) Reichsvicariat 1740-1742.Baiern und Pfalz daſſelbe kuͤnftig gemeinſchaftlich fuͤhren, und in ſolcher Abſicht bey jeder Erledi - gung des kaiſerlichen Thrones ein gemeinſchaftli - ches Reichsvicariatshofgericht zu Augsburg errich - ten ſollten.
Das alles ward nun auch gleich nach CarlsVI. des VI. Tode ſo ins Werk gerichtet. Aber jetzt entſtand die Frage: ob die beiden Hoͤfe zu Muͤn - chen und Manheim bloß fuͤr ſich eine ſolche Ver - aͤnderung mit dem Rheiniſchen Vicariate haͤtten vornehmen koͤnnen, ohne von Kaiſer und Reich erſt die Einwilligung dazu zu erwarten. Viele hielten es fuͤr eine Abweichung von der goldenen Bulle, daß an ſtatt der darin verordneten zwey Reichsverweſer, Pfalz und Sachſen, deren kuͤnf - tig drey ſeyn ſollten; auch fuͤr Abweichung vom bisherigen Herkommen, daß ein Vicariatshofge - richt, das in die Stelle des Reichshofraths trete, nicht an dem Vicariatshofe ſelbſt, ſondern in ei - ner dritten Reichsſtadt gehalten werden ſollte.
Der Churſaͤchſiſche Hof nahm ſeines Orts anVII. dieſer Veraͤnderung keinen Antheil. Man konnte ſich deswegen auch nicht uͤber ein gemeinſchaftli - ches Siegel vereinigen, wie ſonſt gewoͤhnlich war fuͤr jedes Interregnum dem Cammergerichte zuzu - fertigen. Zu Wetzlar konnte daher, ſo lange die - ſes Interregnum waͤhrte, nichts zur foͤrmlichen Ausfertigung gelangen; (woruͤber unter andern die dortigen Canzleyperſonen in große Verlegen - heit kamen, weil deren Beſoldungen auf die Taxen angewieſen ſind, die nur bey foͤrmlichen Ausfer - tigungen bezahlet werden.)
A 3Je -6XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Jenes Vicariatshofgericht zu Augsburg wur - de nun auch von den meiſten Reichsſtaͤnden nicht anerkannt. Alſo entſtand außer dem Gebiete des Saͤchſiſchen Vicariates beynahe ein Stillſtand im Reichsjuſtitzweſen. Und das alles ließ ſich ſo we - nig heben, daß vielmehr die Vicariatshoͤfe ſelbſt darauf Bedacht nehmen mußten, uͤber eine andere Einrichtung ſich zu vereinbaren. In der Wahl - capitulation 1742. hieß es nur: Weil wegen der verglichenen Gemeinſchaft des Rheiniſchen Reichs - vicariates die bekannten Umſtaͤnde ſich ereignet haͤt - ten; ſollte die Sache bey der Reichsverſammlung vorgenommen werden. Bis dahin mußte ſelbſt die ſonſt gewoͤhnliche kaiſerliche Genehmigung der Rheiniſchen Vicariatshandlungen auf ſich beruhend gelaßen, und diesmal nur auf die Saͤchſiſchen Vi - cariatsſachen eingeſchraͤnket werden(c)Wahlcap. Carls des VII. Art. 3. §. 18. 19..
I. Anſpruͤche des Hauſes Baiern auf die Oeſterreichi - ſche Erbfolge zur Entkraͤftung der pragmatiſchen Sanction. — II. Deren Begruͤndung von wegen der ſo genannten Regre - dienterbſchaft; — III. die jedoch zum Nachtheile derer, die zum Letzten vom Mannsſtamm in naͤherem Verhaͤltniſſe ſtehen, nicht ſtatt findet. — IV. V. Denn Recht und Ord - nung der Erbfolge ſind zweyerley; — VI. und eine Erb - folge, die einmal in eine Linie gekommen, bleibt in der - ſelben, ſo lange ſie waͤhret. — VII. Darum hatte Carls des VI. Tochter Maria Thereſia vor allen entfernteren weiblichen Nachkommen der vorigen Herren des Hauſes den Vorzug. — VIII. Der bey den Verzichten der Toͤchter ge - woͤhnliche Vorbehalt wirkt fuͤr ihre Nachkommen nur in ſo fern, als ſie die Reihe trifft. — IX. Die ins Haus Bai - ern vermaͤhlte Erzherzoginn Anna konnte ſich alſo fuͤr ihre Nachkommen nur ſo viel vorbehalten, daß ihnen nach Ab - gang des Oeſterreichiſchen Mannsſtamms ihr Verzicht nicht mehr im Wege ſtehen ſollte; nicht aber daß ſie vor allen anderen weiblichen Nachkommen und ſelbſt vor der Tochter des Letzten vom Mannsſtamme den Vorzug haben ſollten; — X. obgleich verſchiedene Rechtsgelehrte, aus uͤbel angewand - ten Roͤmiſchen Rechtsgrundſaͤtzen von bedingten Verzichtlei - ſtungen, anderer Meynung waren. — XI. Maria There - ſia kam auch der pragmatiſchen Sanction gemaͤß zum Be - ſitz, — XII. und uͤbertrug ihrem Gemahle, um ihn zur Kaiſerwuͤrde zu verhelfen, die Ausuͤbung der Boͤhmiſchen Churſtimme. — XIII. Allein durch einen Einbruch, den der Koͤnig von Preuſſen in Schleſien vornahm, um die An - ſpruͤche ſeines Hauſes auf Jaͤgerndorf, Liegnitz, Brieg und Wohlau geltend zu machen, gaben der ganzen Sache eine andere Wendung. — XIV. XV. Denn die Krone Frank - reich bewirkte jetzt einen Bund zu Nymphenburg um ſo - wohl die Oeſterreichiſche Erbfolge als die Kaiſerwuͤrde dem Hauſe Baiern zuzuwenden.
Die Hauptſache, worauf gleich nach Carls desI. VI. Tode aller Augen gerichtet waren, und wovon faſt alle uͤbrige Staatsangelegenheiten ab -A 4hien -8XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.hiengen, kam jetzt darauf an: ob es bey der prag - matiſchen Sanction, deren Befeſtigung der ver - ſtorbene Kaiſer ſich ſo ſehr hatte angelegen ſeyn laßen, nunmehr bleiben wuͤrde, oder nicht? So - viel man wußte, war nur noch der einzige Hof zu Muͤnchen, deſſen Widerſpruch gegen die pragma - tiſche Sanction noch nicht gehoben war. Dieſen Widerſpruch gruͤndete aber der Churfuͤrſt von Bai - ern jetzt nicht ſowohl auf die Gerechtſame ſeiner Gemahlinn, als einer Tochter des Kaiſer Joſephs, als vielmehr von wegen ſeiner eignen Perſon, weil ſeine vaͤterliche Urururgroßmutter, weiland Her - zogs Albrechts des V. von Baiern Gemahlinn An - na, eine Tochter Kaiſer Ferdinands des I. gewe - ſen war, die zwar bey ihrer Vermaͤhlung zum Be - ſten ihrer Bruͤder und deren maͤnnlichen Nachkom - men den gewoͤhnlichen Verzicht geleiſtet, jedoch auf den Fall des Abganges des Oeſterreichiſchen Mannsſtamms ſich und ihren Nachkommen ihre Rechte vorbehalten hatte.
Dieſe Art Anſpruͤche, die man mit dem Na - men einer Regredienterbſchaft zu belegen pfle - get, hat in ſo weit ihren guten Grund, daß einer fuͤrſtlichen Tochter und ihren Nachkommen, wenn ſie den Abgang des Mannsſtamms erleben, ge - gen den ſie in der Erbfolge ihres Hauſes zuruͤck - ſtehen muͤßen, ihre bisherige Ausſchließung und Verzichtleiſtung nicht mehr zum Nachtheile gerei - chen kann. Denn ſofern nicht etwa von ſolchen Lehnguͤtern die Rede iſt, worin gar keine weibliche Erbfolge ſtatt findet, ſo koͤnnen nach den in Teutſch - land hergebrachten Succeſſionsrechten fuͤrſtlicher Haͤuſer nach gaͤnzlich erloſchenem Mannsſtammeauch92) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.auch Toͤchter und weibliche Nachkommen des Hau - fes zur Succeſſion gelangen, weil nun der Vor - zug des bisherigen Mannsſtamms ihnen nicht mehr im Wege ſtehet. In ſo weit konnte der Chur - fuͤrſt von Baiern mit Recht ſagen, daß ihm als einem weiblichen Abkoͤmmlinge von Ferdinand dem I. der ausſchließliche Vorzug, den deſſen maͤnnliche Nachkommen bisher in der Erbfolge des Hauſes Oeſterreich genoſſen hatten, und die dar - auf ſich beziehende Verzichtleiſtung der Ferdinan - diſchen Tochter, von welcher der Churfuͤrſt ab - ſtammte, nunmehr nach erloſchenem Oeſterreichi - ſchen Mannsſtamme nicht weiter im Wege ſtand. Vielmehr war jetzt auf einmal unſtreitig das Recht der Erbfolge allen weiblichen Nachkommen des Hauſes Oeſterreich in ſo weit eroͤffnet, daß jetzt keinem derſelben das bisherige Vorrecht des Manns - ſtamms mehr entgegengeſetzt werden konnte.
Aber nun iſt noch eine andere Frage, woraufIII. hier alles ankoͤmmt: Soll dann jetzt auch die Rei - he der Erbfolge auf einmal an alle weibliche Nach - kommen zugleich kommen? oder ſoll eine gewiſſe Ordnung der Erbfolge auch hier die Wirkung ha - ben, daß nur eine Linie nach der andern zum wuͤrk - lichen Genuſſe ihres Erbfolgrechts gelangen kann? Soll alſo nicht auch hier der entferntere gegen den naͤheren zuruͤckſtehen muͤßen? und nach welchem Verhaͤltniſſe ſoll allenfalls dieſe Naͤhe oder Ent - fernung beſtimmt werden?
Hier bringt ſowohl die Natur der Sache alsIV. die in Teutſchland hergebrachte Succeſſionsart un - ſerer reichsſtaͤndiſchen Haͤuſer mit ſich, daß unterA 5dem10XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.dem Rechte der Erbfolge und der Ordnung derſel - ben noch ein großer Unterſchied obwaltet. Auch im Mannsſtamme eines fuͤrſtlichen Hauſes geht das Recht der Erbfolge unmittelbar vom erſten Erwerber auf alle ſeine Nachkommen, deren kei - nem es benommen oder an Fremde zu ſeinem Nach - theile es uͤbertragen werden kann. Aber deswe - gen muͤßen doch nachgebohrne Herren in Haͤuſern, wo die Erſtgebuhrt gilt, oder entferntere Linien, ſo lange noch naͤhere da ſind, in der Ordnung zu - ruͤckſtehen, bis auch darin die Reihe an ſie koͤmmt; oder, wenn ſie das nicht erleben, iſt das eine Sa - che des Schickſals, wenn ſie die Reihe nicht trifft. Eben ſo kann es gar wohl mit einander beſtehen, daß mit Erloͤſchung eines Mannsſtamms das Recht der Erbfolge allen weiblichen Nachkommen eroͤffnet wird, d. i. daß keinem derſelben mehr ih - re bisherige Unfaͤhigkeit der Erbfolge, die nur auf dem Vorzuge des Mannsſtamms beruhete, ent - gegengeſetzt werden kann. Aber ſollen ſie deswe - gen nun alle auf einmal auch in der Ordnung der Erbfolge einander gleich ſeyn? Das iſt keine Fol - ge. Sollten nach Carls des VI. Tode alle Nach - kommen ehemaliger Oeſterreichiſcher Prinzeſſinnen ohne Unterſchied auf einmal zur Succeſſion gelan - gen koͤnnen? Das wird wohl niemand behaupten.
Allein nach welchem Verhaͤltniſſe ſollte nun die Ordnung der Erbfolge ihre richtige Beſtimmung erhalten? — Da iſt wieder eine ausgemachte Sache, daß zwar das Recht der Erbfolge jedes - mal ohne Unterſchied immer vom erſten Erwerber herzuleiten iſt, weil keiner der nachherigen Beſitzer eben dieſes Recht den uͤbrigen Nachkommen deserſten112) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.erſten Erwerbers nehmen kann. In ſo weit iſt allerdings dieſes Teutſche Succeſſionsrecht nicht ſo, wie das Roͤmiſche, dem jedesmaligen Letztver - ſtorbenen zu verdanken. Aber was die Ordnung der Erbfolge betrifft, da bleibt nach allen Suc - ceſſionsrechten, ſie moͤgen Namen haben, wie ſie wollen, nichts uͤbrig, als daß ein jeder erſt auf des andern Tod wartet, und alſo nach dem Ver - haͤltniſſe in die Reihe koͤmmt, wie er dem Letztver - ſtorbenen naͤher iſt, als andere.
Ob dieſe Naͤhe bloß nach der im RoͤmiſchenVI. Rechte angenommenen Berechnung der Grade zu beſtimmen ſey, oder nach dem Vorzuge der Erſt - gebuhrt und anderen Grundſaͤtzen, braucht hier nicht eroͤrtert zu werden. Gnug, wo nicht bloß vom Succeſſionsrechte, ſondern von der Succeſ - ſionsordnung die Frage iſt, da koͤmmt alles auf das naͤhere Verhaͤltniß zum Letztverſtorbenen an. Und da tritt noch ein anderer wichtiger Grundſatz des Teutſchen Succeſſionsrechts hinzu, daß eine Erbfolge, die einmal in eine Linie gekommen iſt, ſo lange dieſelbe waͤhret, ihren Fortgang darin behaͤlt.
Das alles auf die Oeſterreichiſche pragmatiſcheVII. Sanction angewandt, war es dem unter unſern fuͤrſtlichen Haͤuſern von uralten Zeiten hergebrach - ten Succeſſionsſyſteme voͤllig gemaͤß, daß mit Carls des VI. Tode zwar allen weiblichen Nach - kommen des Hauſes Oeſterreich das Recht der Erbfolge offen ſtand, ohne daß irgend ein ehemals geleiſteter Verzicht dagegen mehr angefuͤhrt wer - den konnte. Aber in der Ordnung der Erbfolgegien -12XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.giengen jetzt des Letztverſtorbenen Toͤchter des vor - her verſtorbenen Bruders Toͤchtern, und ſo allen entfernteren weiblichen Nachkommen ehemaliger Herren des Hauſes vor.
Vergeblich beriefen ſich jetzt die Bairiſchen Schriftſteller, wie uͤberhaupt alle Vertheidiger der Regredienterbſchaft, darauf, daß die verzicht - leiſtende Tochter bey dem Verzichte ſich zugleich ausdruͤcklich den Vorbehalt der kuͤnftigen Erbfolge im Fall des erloſchenen Mannsſtamms ausbedun - gen habe; daß alſo der Verzicht nur unter einer Reſolutivbedingung geſchehen ſey, mit deren Ein - tretung der Verzicht von ſelbſten aufhoͤren, und das bis dahin vergebene Recht ſogleich wieder auf - leben muͤße. — Dieſe Folgerungen wuͤrden ganz richtig ſeyn, wenn die Verzichtleiſtungen fuͤrſtli - cher Toͤchter von der Art waͤren, wie man ſich ei - nes Rechts, deſſen Genuß man ſonſt gleich gehabt haͤtte, bis auf einen gewiſſen Fall begibt. So verhaͤlt ſich aber hier die Sache nicht. Von aͤlte - ſten Zeiten her hat ohnedem eine Prinzeſſinn, die Bruͤder hatte, kein Erbfolgsrecht gehabt, ſo lange die Bruͤder oder maͤnnliche Nachkommen derſelben vorhanden waren(d)Oben Th. 1. S. 14.. Nur Beſorgniſſe, die man ſich wegen uͤbel angebrachter Anwendung Roͤ - miſcher Rechtsgrundſaͤtze machte, gaben Anlaß, daß erſt ſeit dem XIII. Jahrhunderte Verzichte der Toͤchter eingefuͤhret wurden; nicht als ob man ge - glaubt haͤtte, daß eine Tochter, wenn ſie nicht Verzicht gethan haͤtte, zu ſuccediren berechtiget waͤ - re; ſondern nur zur Vorſorge, damit eine ſolche Dame oder ihre Nachkommenſchaft deſto wenigergereizt132) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.gereizt werden moͤchte, Anſpruͤche zu machen, die ihr nicht gebuͤhrten. In den meiſten Haͤuſern wurde durch ausdruͤckliche Hausvertraͤge ausge - macht, daß auch ohne Verzichtleiſtung Toͤchter und weibliche Nachkommen gegen den Manns - ſtamm zuruͤckſtehen muͤßten.
Wenn alſo die Erzherzoginn Anna, wie ſie anIX. den Herzog Albrecht den V. von Baiern vermaͤhlt ward, keinen Verzicht geleiſtet haͤtte, wuͤrde ihr doch kein Recht zur Erbfolge zugeſtanden haben, ſolange von einem ihrer Bruͤder noch Mannsſtamm uͤbrig war. Sie mochte immer nur bis auf Ab - gang des Mannsſtamms Verzicht thun; darum ließ ſich doch nicht behaupten, daß mit dem Ein - tritt dieſes Falls ein Recht, das ſchon zur Zeit der Verzichtleiſtung haͤtte ausgeuͤbt werden koͤn - nen, wieder aufleben muͤßte; oder daß nunmehr die Nachkommen dieſer Erzherzoginn Anna vor allen uͤbrigen weiblichen Nachkommen, ſelbſt vor den Toͤchtern des Letzten vom Mannsſtamme, den Vorzug haben muͤßten.
Kurz, nach aͤchten Grundſaͤtzen des TeutſchenX. Fuͤrſtenrechts waren die Anſpruͤche des Hauſes Baiern nicht ſo beſchaffen, daß ſie den Rechtsbe - ſtand der pragmatiſchen Sanction zu entkraͤften vermocht haͤtten; wiewohl damals noch viele Rechtsgelehrte, von uͤbel angewandten Roͤmiſchen Rechtsſaͤtzen eingenommen, uͤberhaupt die Lehre von der Regredienterbſchaft fuͤr gegruͤndet hielten. Inzwiſchen kam es jetzt auf ganz andere Entſchei - dungsgruͤnde an, als die bloß aus Geſetzen oder Rechtsbuͤchern herzunehmen waͤren.
Ein -14XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Einmal, geſtuͤtzt auf die von ſo vielen Maͤch - ten garantirte pragmatiſche Sanction, nahm Ma - ria Thereſia unmittelbar nach ihres Vaters Tode von allen deſſen hinterlaßenen Staaten und Laͤn - dern Beſitz. Sie ſchmeichelte ſich auch, daß ihr Gemahl, der Großherzog von Toſcana, die Mehr - heit der Stimmen bey der Kaiſerwahl davon tra - gen wuͤrde. Auf die Stimmen von Mainz, Trier, Sachſen, Hannover ſchien man zu Wien nicht oh - ne Wahrſcheinlichkeit rechnen zu koͤnnen. Die eigene Stimme von Boͤhmen dazu gerechnet, war die Mehrheit der Stimmen da.
Nur wegen Boͤhmen ſchien ſich eine Schwie - rigkeit in den Weg zu legen: ob auch eine Dame eine Churſtimme bey der Kaiſerwahl fuͤhren koͤnne? Es war wenigſtens der erſte Fall in ſeiner Art. daß Maria Thereſia jetzt als Koͤniginn von Boͤhmen einer Kaiſerwahl beywohnen ſollte. Um allen Zweifeln hieruͤber zuvorzukommen, erklaͤrte ſie ſich (1740. Nov. 21.) ihren Gemahl zum Mitregen - ten anzunehmen, und demſelben die Fuͤhrung der Boͤhmiſchen Stimme zu uͤbertragen. Doch eben damit wurde die Schwierigkeit hernach noch mehr vergroͤßert, da inzwiſchen ein unerwarteter Auf - tritt der ganzen Sache eine andere Wendung gab.
Den Vertrag, wodurch der Churfuͤrſt Frie - drich Wilhelm von Brandenburg der Anſpruͤche ſeines Hauſes auf die vier Schleſiſchen Fuͤrſten - thuͤmer Jaͤgerndorf, und Liegnitz, Brieg und Wohlau ſich begeben hatte(e)Oben Th. 2. S. 322., wiederrief der in eben dieſem Jahre (1740. May 31.) zur Regie -rung152) Erfolg d. pragm. Sanct. 1740-1742.rung gekommene Koͤnig Friedrich der II., weil er ihn an ſich fuͤr widerrechtlich geſchloſſen, und fuͤr die kuͤnftigen Nachfolger des Hauſes nicht fuͤr ver - bindlich hielt. Sein Recht auf dieſe Fuͤrſtenthuͤ - mer geltend zu machen, ruͤckte er ſchon im Dec. 1740. mit einem Kriegsheere in Schleſien ein; bot zwar noch, wenn man ihm ein Stuͤck von Schleſien abtreten wollte, ſeine Churſtimme zur Kaiſerwahl und ſeinen Beyſtand zur Unterſtuͤtzung der pragmatiſchen Sanction an; fuhr aber, als man zu Wien dieſe durch den Grafen von Gotter daſelbſt vorgebrachten Antraͤge verwarf, auf dem angefangenen Wege fort; und erfocht ſchon am 10. Apr. 1741. einen ziemlich entſcheidenden Sieg bey Molwitz.
Nun gelang es dem von der Krone FrankreichXIV. an die Teutſchen Churhoͤfe und zum Wahlconvente abgeſandten Marſchall von Bellisle, daß der Chur - fuͤrſt von Baiern ſich bewegen ließ, als Compe - tent zur Kaiſerwuͤrde aufzutreten, und daß, ſo - wohl darin als in ſeinen Anſpruͤchen gegen die prag - matiſche Sanction ihn zu unterſtuͤtzen, zu Nym - phenburg im May 1741. erſt zwiſchen Frank - reich, Spanien und Baiern, hernach mit Chur - coͤlln, Churpfalz, Neapel, und Preuſſen noch mehrere Buͤndniſſe geſchloſſen wurden. Hinge - gen von allen Maͤchten, deren Gewehrleiſtung der pragmatiſchen Sanction jetzt Maria Thereſia auf - forderte, war der Koͤnig Georg der II. von Groß - britannien der einzige, der durch einen neuen Tra - ctat zu Hannover ſich nun noch zur wuͤrklichen Huͤl - fe bereit finden ließ.
In16XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.In dieſer Lage gewann es ſowohl mit der Auf - rechthaltung der pragmatiſchen Sanction, als mit der Kaiſerwahl ein ganz anderes Anſehen. Die Bairiſchen Anſpruͤche wurden jetzt mit maͤchtigen Franzoͤſiſchen Huͤlfsheeren unterſtuͤtzt. Im October 1741. nahm der Churfuͤrſt von Baiern ſchon von Oberoeſterreich Beſitz; Am 19. Dec. wurde ihm ſchon als Koͤnige in Boͤhmen gehuldiget. Selbſt Churſachſen trat am 19. Sept. 1741. dem Fran - zoͤſiſch-Bairiſchen Bunde bey. Auf dem Wahl - convente zu Frankfurt wurde nunmehr die Boͤhmi - ſche Wahlſtimme fuͤr dieſesmal ſuspendiret. Die uͤbrigen Stimmen fielen jetzt ſaͤmmtlich auf Carl den VII., bisherigen Churfuͤrſten von Baiern. Seine Wahl erfolgte am 24. Jan. 1742., die Kroͤnung am 12. Febr. Fuͤr die Reichsverfaſ - ſung war inzwiſchen das wichtigſte, was in die kaiſerliche Wahlcapitulation diesmal fuͤr erhebliche neue Zuſaͤtze kamen.
I. Vermuthete Veraͤnderungen in der Wahlcapitula - tion. — II. Deswegen angeſtellter Fuͤrſtentag zu Offen - bach. — III. Churfuͤrſtliche Collegialſchreiben. — IV. Wi - derſpruch der Fuͤrſten gegen verſchiedene neue Stellen in der Wahlcapitulation, — V. inſonderheit einige den Reichs - vicarien zugeſtandene Vortheile betreffend. — VI. Mit anderen Stellen waren jedoch die Fuͤrſten einverſtanden; — als namentlich mit einer neu eingeruͤckten Stelle gegen Miß - heirathen, — VII. VIII. die zwar ſchon in aͤlterem Her - kommen gegruͤndet war, — nicht nur in Anſehung mor - ganatiſcher Ehen, da abſichtlich die Unſtandesmaͤßigkeit der Gemahlinn und Kinder bedungen wird, — IX. ſondern auch ohne ſolche Verabredung; — X. ohne daß auch Stan - deserhoͤhungen wider Willen der Stammsvettern dagegen etwas wirken koͤnnen. — XI. Nur die gemeinen Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechte ſchienen hier andere Grundſaͤtze auf - zubringen. — XII. Daruͤber gab eine Mißheirath des Her - zog Anton Ulrichs von Sachſen-Meinungen Anlaß zu die - ſer neuen Stelle in der Wahlcapitulation, — XIII. wel - che hernach ſelbſt durch einen Reichsſchluß beſtaͤtiget wurde — XIV. Nur eine naͤhere Beſtimmung, was eigentlich Miß - heirathen ſeyen? ward noch auf einen kuͤnftigen Reichsſchluß ausgeſtellt; — inſonderheit ob die Ehe eines Fuͤrſten mit einer Adelichen eine Mißheirath ſey? — XV. wie aller - dings der Teutſchen Verfaſſung gemaͤß zu ſeyn ſcheint; — XVI. da auch widrigenfalls bedenkliche Folgen zu erwarten ſeyn moͤchten. — XVII. Auf dieſes und mehr andere Col - legialſchreiben iſt inzwiſchen noch keine Reichsberathſchlagung erfolget.
Bey einer ſo wichtigen Veraͤnderung, da nachI. einem ſo langen Zeitraume die Kaiſerwuͤrde einmal an ein anderes Haus kam, und bey vieler -P. Entw. d. Staatsverf. Th. III. Bley18XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ley Beobachtungen, die man unter der letzten bey - nahe dreyßigjaͤhrigen Regierung hatte machen koͤn - nen, konnte es an Stoff zu neuen Zuſaͤtzen und anderen Veraͤnderungen in der Wahlcapitula - tion nicht fehlen. Der Entwurf einer beſtaͤndi - gen Wahlcapitulation, woruͤber man ſich im Jah - re 1711. vereinbaret hatte, konnte auch nicht hin - dern, daß nicht von Zeit zu Zeit noͤthig gefunden werden ſollte, nach Veranlaßung der Zeitlaͤufte manche neue Stellen einzuruͤcken. Sofern dar - uͤber die Churfuͤrſten nicht nur mit dem neu zu er - wehlenden Kaiſer ſich vereinigen konnten, ſondern auch mit Beyfall der uͤbrigen Reichsſtaͤnde zu Wer - ke giengen; war uͤberall dabey nichts zu erinnern. Aber einige neue Zuſaͤtze in der Wahlcapitulation Carls des VI. hatten ſchon Widerſpruͤche von Sei - ten der Fuͤrſten und anderer Staͤnde erfahren.
Diesmal ſchien der Fuͤrſtenſtand noch auf - merkſamer zu ſeyn, da, noch ehe die Wahlcapitu - lation ſelbſt in die Arbeit kam, ein eigner Fuͤr - ſtentag, in der Naͤhe bey Frankfurt, zu Offen - bach gehalten wurde. (Die meiſten churfuͤrſtli - chen Comitialgeſandten waren damals als zweyte oder dritte Wahlbotſchafter von Regensburg nach Frankfurt abgegangen. Ob und wie der Reichs - tag im Zwiſchenreiche fortgeſetzt werden koͤnne, war ohnedem noch nicht ausgemacht. Alſo geriethen die noch uͤbrigen Geſandten zu Regensburg in ziemliche Unthaͤtigkeit. Um aus ſolcher ſich her - auszureiſſen mochten wohl einige der fuͤrſtlichen Herren Geſandten ihren Hoͤfen den Vorſchlag ge - than haben, einen Fuͤrſtentag anzuſtellen, um naͤ - her beym Wahlconvente ein wachſames Auge dar -auf193) Wahlcap. Carls VII. 1742.auf haben zu koͤnnen, damit zum Nachtheile der Fuͤrſten nichts vorgehen moͤge. Es waren alſo meiſt lauter Comitialgeſandten folgender altfuͤrſtli - chen Haͤuſer, Sachſen-Gotha, Sachſen Mei - nungen, Brandenburg-Anſpach und Bayreuth, Braunſchweig-Wolfenbuͤttel, Heſſen-Caſſel, Heſ - ſen-Darmſtadt, Schwediſch-Vorpommern, Wuͤr - tenberg, Baden-Durlach, Holſtein-Gluͤckſtadt und Anhalt. Der Heſſencaſſeliſche Geſandte, Ru - dolf Anton von Heringen, hatte perſoͤnlich viel - leicht den groͤßten Antheil an der Sache.) Weil es nicht ſowohl eine collegialiſche Verſammlung als eine Conferenz von wegen mehrerer einzelnen Hoͤfe war, ſo wurden die Verſammlungen wech - ſelsweiſe in den verſchiedenen Wohnungen eines jeden Geſandten gehalten. Der Anfang der Con - ferenzen war zu Offenbach den 25. Apr. 1741. In einem Schreiben vom 16. Oct. 1741. wurden die Erinnerungen der altfuͤrſtlichen Haͤuſer uͤber die Wahlcapitulation Carls des VI. an Churmainz geſchickt. Im November 1741. wurde der Fuͤr - ſtentag ſelbſt nach Frankfurt verlegt.
Dieſe Umſtaͤnde hatten vielleicht einigen Ein -III. fluß darauf, daß die Churfuͤrſten bey Abfaſſung der Wahlcapitulation in Anſehung mancher Ge - genſtaͤnde diesmal einen anderen Weg einſchlugen, den ſie ſchon mehr mit Nutzen gebraucht hatten, aber diesmal noch haͤufiger benutzten. Nehmlich, an ſtatt gewiſſe Dinge in der Wahlcapitulation ſelbſt zu beſtimmen, faßten ſie in ihrem geſamm - ten Namen eigne Collegialſchreiben an den neu erwehlten Kaiſer ab, worin ſie ihn erſuchten, die darin enthaltenen Gegenſtaͤnde an das ganze ReichB 2zu20XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.zu Abfaſſung eines allgemeinen Reichsſchluſſes ge - langen zu laßen. Hiermit hatte das geſammte Reich Urſache ſehr zufrieden zu ſeyn. Nur das gefiel den Fuͤrſten doch nicht, daß in der Wahlca - pitulation ſelbſt jetzt zugleich eine Stelle eingeruͤckt wurde, die den Kaiſer verbindlich machte, die in dieſen Collegialſchreiben enthaltenen churfuͤrſtlichen Gutachten zur wuͤrklichen Vollziehung zu brin - gen(f)Wahlcap. (1742.) Art. 30. §. 3.. Die wahre Meynung gieng nur dahin, damit die dem Kaiſer empfohlnen Sachen nicht uneroͤrtert liegen bleiben moͤchten. Die Fuͤrſten beſorgten aber, durch dieſe Stelle koͤnnte, wenn ſie ferner in jeder Capitulation bliebe, ein Kaiſer kuͤnftig einmal ſchon zum voraus zu Dingen, die anderen unbekannt waͤren, verbindlich gemacht werden. Sie legten deswegen auch hiergegen ih - ren Widerſpruch ein, um ſich deshalb wenigſtens fuͤr die Zukunft zu verwahren.
Das war aber nicht der einzige Widerſpruch, den die Fuͤrſten gegen dieſe Wahlcapitulation ein - legten. Denn die Churfuͤrſten hatten nicht nur die vorhin ſchon von den Fuͤrſten widerſprochenen Stellen aus der Wahlcapitulation Carls des VI. beybehalten, ſondern auch verſchiedentlich noch neue Stellen hinzugefuͤgt, die den Fuͤrſten eben ſo we - nig gefielen. Dahin gehoͤrten inſonderheit dieje - nigen Stellen, vermoͤge deren in gewiſſen Faͤllen allenfalls wenigſtens nur der Churfuͤrſten Ein - willigung erforderlich ſeyn ſollte, wenn auch nicht eine vollſtaͤndige Reichstagsberathſchlagung abge - wartet werden koͤnnte. (Sofern das ſolche Faͤlle betraf, wo ſonſt der Kaiſer ſchuldig war, die Ein -willi -213) Wahlcap. Carls VII. 1742.willigung des geſammten Reichs erſt zu begehren, wie z. B. in Beſchließung eines Reichskrieges oder Reichsfriedensſchluſſes; ſo ſchien dieſer Wider - ſpruch nicht ganz ohne Grund zu ſeyn. Betraf es aber ſolche Gegenſtaͤnde, wo der Kaiſer ſonſt niemands Einwilligung noͤthig gehabt hatte; ſo war es doch beſſer, daß wenigſtens die Churfuͤr - ſten ihre Einwilligung geben ſollten, als daß bloß der kaiſerlichen Willkuͤhr ſolche Gegenſtaͤnde uͤber - laßen wurden. Oder wenn es auch nur um eine Art der Vorberathſchlagung galt, ſo ließ ſich ſol - che doch fuͤglicher nur mit den Churfuͤrſten, als auf einmal ſchon mit der geſammten Reichsver - ſammlung anſtellen, z. B. wenn die Frage: ob ein Reichstag zu halten ſey? einmal von neuem zur Sprache kaͤme, oder wenn geſtritten wuͤrde, ob eine Schrift zur Dictatur kommen ſollte, oder nicht? u. ſ. w.)
Auch gefiel den Fuͤrſten nicht, was zum Vor -V. theile der Reichsvicarien neu geordnet ward, als z. B. daß ſie berechtiget ſeyn ſollten, Reichstag zu halten, es moͤchte nun von deſſen Fortſetzung oder neuer Ausſchreibung die Rede ſeyn. (Ueberhaupt waren diesmal fuͤr die Reichsvicarien ungemein guͤnſtige Umſtaͤnde, da außer den drey Vicariats - hoͤfen, Churbaiern, Churſachſen und Churpfalz, auch der Churfuͤrſt von Coͤlln ein Bairiſcher Prinz, und Churbrandenburg ein Bairiſcher Bundesge - noſſe war. Doch hat auch in der Folge noch nicht alles zur wuͤrklichen Vollziehung gebracht werden koͤnnen, was damals zum Vortheile der Reichsvi - carien neu verordnet wurde.)
B 3Man -22XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Manche neue Stellen dieſer Wahlcapitulation hatten aber auch den voͤlligen Beyfall der Fuͤr - ſten, und waren zum Theil ſelbſt mit auf ihre Veranlaßung darein gekommen. Von dieſer Art war inſonderheit eine Stelle von Mißheirathen, die noch vorzuͤglich verdient hier etwas naͤher ins Licht geſetzt zu werden.
Es war nehmlich ſchon vom mittlern Zeitalter her ein unwiderſprechliches Herkommen, daß, wenn ein Fuͤrſt eine Perſon von geringerem Stande, d. i. die nicht vom Herrenſtande war, zur Ehe nahm, weder dieſe Perſon fuͤr eine Fuͤrſtinn geachtet, noch den in einer ſolchen Ehe erzeugten Kindern die fuͤrſtliche Wuͤrde und Succeſſionsfaͤhigkeit in den vaͤterlichen Landen zugeſtanden wurde. Wenn ein Fuͤrſt aus einer ſtandesmaͤßigen Ehe bereits Soͤh - ne hatte, und dann Wittwer wurde, oder auch aus anderen Gruͤnden ſich bewogen fand, ſich nicht ſtandesmaͤßig zu vermaͤhlen; ſo geſchah es oft abſichtlich, daß unter ſolchen Umſtaͤnden ein Fuͤrſt ſich eine Perſon geringern Standes zur lin - ken Hand antrauen ließ, um der Familie mit Witthum und Verſorgung mehrerer nachgebohr - nen Kinder nicht uͤbermaͤßige Laſt zuzuziehen. Dann wurde gemeiniglich gleich beym Anfange der Ehe vertragsmaͤßig feſtgeſetzt, wie eine ſolche Ehegattinn (etwa nach dem Vornamen des Fuͤr - ſten z. B. Madame Rudolphine, Madame Erne - ſtine, oder auch nach einem fuͤr ſie gekauften Gute Frau von N. N. ꝛc. ) genannt, und was ſowohl ihr, als ihren Kindern zur Verſorgung angewie - ſen, wie auch was den Kindern fuͤr ein Name beygelegt werden ſollte.
So233) Wahlcap. Carls VII. 1742.So erzehlt eine alte Heſſiſche Chronik von ei -VIII. nem Landgrafen Otto (aus dem XIV. Jahrhun - derte):” Dieſer Landgraf Otto regierte wohl, bat ſeine Soͤhne, ſie wollten die Unterthanen gnaͤdig hoͤren, und das Land nicht theilen. Und wenn ihm ſeine Gemahlinn (gebohrne Graͤfinn von Ra - vensberg) ſtuͤrbe, wenn er dann ſeinen Wittwer - ſtand nicht keuſch halten koͤnnte; wollte er doch in keinem ſuͤndigen Leben gefunden werden vor Gott, aber auch keines Fuͤrſten, Herrn noch Grafen Toch - ter nehmen, damit durch zweyerley Kinder das Land nicht zertheilt wuͤrde; ſondern wollte eine fromme Jungfrau von Adel zur Ehe nehmen, und die Kinder mit Geld und Lehnſchaft und anderen Guͤtern wohl verſorgen, daß das Fuͤrſtenthum bey einander bleiben ſollte”(g)Hert de ſpecial. rebusp. ſect. 2. §. 6. not. II. opusc. vol. I. tom. 2. p. 75.. So hatte der Chur - fuͤrſt Friedrich der Siegreiche von der Pfalz zum Vortheile ſeines aͤltern Bruders Sohnes ſich an - heiſchig gemacht, keine ſtandesmaͤßige Gemahlinn zu nehmen, und deswegen nur eine gewiße Clara Dettinn ſich antrauen laßen, deren Nachkommen aber mit der Grafſchaft Loͤwenſtein verſorgt und als Grafen von Loͤwenſtein erzogen wurden. Ein Herzog von Zweybruͤcken, Friedrich Ludewig, ließ ſich auf ſolche Art mit einer gewiſſen Heppinn trauen, und deren Soͤhne als Herren von Fuͤr - ſtenwaͤrter erziehen; Herzog Rudolf Auguſt von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel nahm in zweyter Ehe eine gewiſſe Menthinn unter dem Namen Mada - me Rudolphine; Landgraf Ernſt von Heſſen-Rhein - fels eine Duͤrniczel unter dem Namen MadameErne -B 424XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Erneſtine u. ſ. w. Solcher vertragsmaͤßig unglei - cher Ehen thut auch das Longobardiſche Lehnrecht Meldung, unter dem Namen morganatiſcher Ehen, welcher Name ſelbſt unſtreitig Teutſchen Urſprungs iſt(h)Die Benennung morganatiſcher Ehen hat man bisher gemeiniglich davon hergeleitet, weil ſolche Frauen ſich mit der Morgengabe begnuͤgen mußten. Treffender ſcheint die Ableitung zu ſeyn, die Moͤſer (in der Berliniſchen Monathsſchrift vom May 1784.) angegeben hat, weil die Kinder aus ſolchen Ehen nur der Mutter folgen; das heißt nach der Niederteutſchen Mundart na der Moder gan, oder zuſammengezogen na der Mor gan. .
Wenn aber auch kein Vertrag zum voraus daruͤber gemacht war, ſo verſtand ſichs doch von ſelbſten, daß eine Perſon, die nicht ſelbſt vom Herrenſtande war, wenn ſie gleich ein Fuͤrſt zur Gemahlinn nahm, weder Fuͤrſtinn wurde, noch fuͤrſtliche und ſucceſſionsfaͤhige Kinder erzielen konnte. Das war der Fall des Marggrafen Hen - richs des Erlauchten von Meiſſen mit Eliſabeth von Maltitz, des Erzherzogs Ferdinands von Oe - ſterreich-Tyrol mit Philippine Welſerinn, des Prinzen Ferdinands von Baiern mit Marie Pet - tenbeck, des Fuͤrſten Georg Ariberts von Anhalt - Deſſau mit einer von Kroſigk u. ſ. w. Nur als - dann konnte davon eine Ausnahme ſtatt finden, wenn mit Bewilligung der Stammsvettern Soͤh - nen, die aus ſolchen Mißheirathen erzeuget wa - ren, ein Succeſſionsrecht zugeſtanden wurde; wie z. B. im Hauſe Braunſchweig 1546. Otto dem juͤngern von Haarburg geſchah, den ſein Vater gleiches Namens mit Metta von Campen erzeugthatte;253) Wahlcap. Carls VII. 1742.hatte; desgleichen im Hauſe Badendurlach dem Marggrafen Carl, deſſen Mutter Urſula von Ro - ſenfeld war; und im Hauſe Anhaltdeſſau der Nach - kommenſchaft aus der Ehe des Fuͤrſten Leopolds mit Anne Louiſe Foͤſen, u. ſ. w.
In dieſem letztern Falle ward auch eine kaiſer -X. liche Standeserhoͤhung zu Huͤlfe genommen, welche die Gemahlinn des Fuͤrſten aus dem buͤr - gerlichen Stande in den Fuͤrſtenſtand erhoͤhte, und auch ihre Kinder fuͤr fuͤrſtlich erklaͤrte. Sofern die Stammsvettern des Hauſes, die allenfalls alleine ein Recht zu widerſprechen gehabt haͤtten, damit zufrieden waren; ließ ſich freylich nichts da - wider einwenden. Sonſt aber, wenn die Stamms - vettern widerſprachen, ſo konnten dieſelben ihr Succeſſionsrecht auf den Fall, ſobald keine naͤhe - re ſtandesmaͤßige und ſucceſſionsfaͤhige Nachkom - menſchaft mehr im Wege ſtand, als ein ſo gegruͤn - detes Recht (ius quaeſitum) behaupten, das ihnen unter keinerley Vorwand, auch nicht durch eine kaiſerliche Standeserhoͤhung wider ihren Willen benommen werden konnte. Das waren ungefaͤhr die Grundſaͤtze, wie ſie bisher in Anſehung der Mißheirathen nach einem uͤbereinſtimmenden Ge - brauche unſerer reichsſtaͤndiſchen fuͤrſtlichen Haͤuſer obgewaltet hatten, ohne daß uͤbrigens noch zur Zeit ein allgemeines Reichsgeſetz daruͤber vorhan - den war. Eben deswegen haͤtte aber auch bald dieſes althergebrachte fuͤrſtliche Gewohnheitsrecht Noth gelitten, da es theils mit Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechtsgrundſaͤtzen in Widerſpruch ſtand, theils das Intereſſe des kaiſerlichen Hofes zu er - fordern ſchien, auch dieſe Gelegenheit nicht außerB 5Acht26XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Acht zu laßen, um dem kaiſerlichen Reſervatrechte der Standeserhoͤhungen eben dadurch noch einen groͤßeren Werth beyzulegen.
Dem Syſteme der beiden Geſetzbuͤcher des Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Rechts ſchien es frey - lich gemaͤßer zu ſeyn, daß eine richtig vollzogene Ehe ſowohl der Ehegenoſſinn die Theilnehmung der Wuͤrde des Mannes, als den Kindern nicht nur den vaͤterlichen Stand ſondern auch die Erb - faͤhigkeit in den vaͤterlichen Guͤtern zuwege braͤchte. In der letztern Abſicht bezog man ſich ſogar auf den Ausſpruch der Bibel: Sind wir dann Kin - der, ſo ſind wir auch Erben. Man bedachte aber nicht, daß, ohne der Religion Abbruch zu thun, jede Nation und jeder Stand noch eigene Beſtim - mungen haben koͤnne, um erſt alle rechtliche Ei - genſchaften einer Ehe angedeihen zu laßen; und daß jene beide Geſetzbuͤcher nur gemeines Recht enthielten, das zuruͤckſtehen muͤße, ſobald ein be - ſonderes Land, eine Stadt, eine Familie, oder auch ein beſonderer Stand, wie hier der Fuͤrſten - ſtand, ſein eignes Recht hat. War aber ein - mal auf ſolche Art den Stammsvettern eines Hau - ſes in Anſehung einer vorgegangenen Mißheirath ein gewiſſes gegruͤndetes Recht erwachſen; ſo konn - te ihnen wider ihren Willen das durch keine kai - ſerliche Standeserhoͤhung benommen werden, ſo wenig auch ſonſt dagegen zu ſagen war, wenn der kaiſerliche Hof das Recht der Standeserhoͤhungen als ein Reſervatrecht behauptete, ſofern nur von Titel und Wuͤrden, aber nicht von eignen Fami - nengerechtſamen die Rede war.
Nun273) Wahlcap. Carls VII. 1742.Nun fuͤgte ſich der beſondere Fall, daß derXII. Herzog Anton Ulrich von Sachſen-Meinun - gen mit eines Heſſiſchen Hauptmanns Tochter zwey Soͤhne erzeuget hatte, und vom Kaiſer Carl dem VI. eine Standeserhoͤhung bewirkte, vermoͤge deren nicht nur jene als ſeine Gemahlinn in den Fuͤrſtenſtand erhoben, ſondern auch die mit derſel - ben erzeugten Soͤhne zu gebohrnen Herzogen von Sachſen, und zugleich voͤllig ſucceſſionsfaͤhig er - klaͤret wurden. Hierwider erhoben gleich damals alle Stammsvettern des Hauſes Sachſen lauten Widerſpruch; und, ehe noch dieſer einzelne Rechts - fall durch Urtheil und Recht entſchieden ward, nah - men die Churfuͤrſten davon Anlaß, in die Wahlca - pitulation folgende Stelle einzuruͤcken: daß der Kai - ſer” den aus unſtreitig notoriſcher Mißheirath er - zeugten Kindern eines Standes des Reichs oder aus ſolchem Hauſe entſproſſenen Herrn, zu Verklei - nerung des Hauſes die vaͤterlichen Titel, Ehre und Wuͤrde nicht beylegen, vielweniger dieſelben zum Nachtheile der wahren Erbfolger und ohne deren beſondere Einwilligung fuͤr ebenbuͤrtig und ſucceſ - ſionsfaͤhig erklaͤren, auch, wo dergleichen vorhin bereits geſchehen, ſolches fuͤr null und nichtig an - ſehen und achten ſolle.”
Waͤre dieſes eine ganz neue Verfuͤgung einesXIII. erſt jetzt einzufuͤhrenden neuen Rechts geweſen; ſo haͤtte es ohne Unbilligkeit auf den vorher bereits im Gange geweſenen Sachſenmeinungiſchen Rechts - fall nicht zuruͤckgezogen werden koͤnnen. Allein es war hier ſchon ein laͤngſt gegruͤndetes Recht, das nur bisher auf bloßem Herkommen beruhet hatte, und jetzt erſt zu mehrerer Sicherheit in ein aus -druͤck -28XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.druͤckliches Geſetz verwandelt wurde. Alſo konnte ohne alles Bedenken auch in der Meinungiſchen Sache ſchon nach eben den Grundſaͤtzen geſprochen werden, wie im Jahre 1744. das Endurtheil des Reichshofraths auch dahin ausfiel. Dagegen nahm zwar der Herzog Anton Ulrich noch ſeine Zuflucht zur allgemeinen Reichsverſammlung. Aber auch da erfolgte ein Reichsſchluß, der es nicht nur bey dem Urtheile des Reichshofraths ließ, und dem Herzoge ein ewiges Stillſchweigen auflegte, ſondern auch eben damit jener Stelle der Wahlca - pitulation zur neuen reichsgrundgeſetzlichen Befe - ſtigung diente.
Nur einen Umſtand hatten die Churfuͤrſten bey Abfaſſung dieſer Stelle der Wahlcapitulation noch einer naͤheren Beſtimmung uͤbrig gelaßen, die ſie lieber durch ein Collegialſchreiben dem Kaiſer zur reichstaͤglichen Eroͤrterung empfehlen, als ſelbſt entſcheiden wollten; — nehmlich welche Ehen eigentlich fuͤr Mißheirathen zu halten ſeyen, da eine oder andere Gattung derſelben etwa noch zwei - felhaft ſcheinen moͤchte? In der Wahlcapitulation ſelbſt hatte man ſich wohlbedaͤchtlich des Aus - drucks: unſtreitig notoriſcher Mißheirathen, bedienet; womit man ohne Zweifel ſo viel zu er - kennen gab, daß man die Ehe eines Fuͤrſten mit einer Perſon von buͤrgerlichem Stande, wie die des Herzog Anton Ulrichs war, welche zu dieſer Stelle den naͤchſten Anlaß gegeben hatte, fuͤr eine unſtreitig notoriſche Mißheirath hielt. Als zwei - felhaft ſah man vielleicht noch an, ob die Ehe ei - nes Fuͤrſten mit einer Perſon von altem Adel, oder auch mit einer neugraͤflichen, ingleichen mit einerland -293) Wahlcap. Carls VII. 1742.landſaͤſſig oder auslaͤndiſch neufuͤrſtlichen, und ob auch die Ehe eines Reichsgrafen mit einer adeli - chen Perſon fuͤr eine Mißheirath zu halten ſey? Ueber das alles waͤre nun ein Regulativ zu erwar - ten, indem das churfuͤrſtliche Collegialſchreiben den Kaiſer erſuchte, daruͤber ein forderſamſtes Reichs - gutachten zu erfordern, und dieſe Sache, die als eine Nothwendigkeit angeſehen ward, zu einem allgemeinen Reichsſchluſſe zu befoͤrdern. Bis jetzt iſt inzwiſchen bey der Reichsverſammlung noch nichts weiter davon vorgekommen.
Von der wahren Beſchaffenheit der SacheXV. laͤßt ſich aus obigen Beyſpielen ſchon von ſelbſten manches abnehmen. Inſonderheit laßen ſich, was den in Teutſchland bis auf den heutigen Tag ur - althergebrachten Unterſchied zwiſchen dem hohen und niedern Adel anbetrifft, ziemlich ſichere Graͤnz - linien in Anſehung der Vermaͤhlungen ziehen, wenn man nur auf die zwey Umſtaͤnde Ruͤckſicht nimmt, daß eine Prinzeſſinn, wenn ſie an einen Reichsgrafen vermaͤhlt wird, ihren Fuͤrſtenſtand nicht verliehrt, wohl aber, wenn ſie nur mit einem von Adel ſich in die Ehe begibt, und daß morga - natiſche Ehen Teutſcher Reichsfuͤrſten wohl mit adelichen Perſonen eben ſo gut, wie mit buͤrgerli - chen, ſtatt finden, nicht aber mit Prinzeſſinnen und Graͤfinnen von gleichem Herrenſtande. Alle - mal wuͤrden wenigſtens fuͤr den Teutſchen Fuͤrſten - ſtand aͤußerſt bedenkliche Folgen zu erwarten ſeyn, wenn das bisherige Herkommen eine Aenderung leiden ſollte.
Wenn das erſt ausgemacht waͤre, daß dieXVI. Ehe eines Fuͤrſten mit einer Perſon von altem Adelkeine30XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.keine Mißheirath ſey; ſo moͤchte es wohl nicht lan - ge waͤhren, daß Fuͤrſten haͤufiger adeliche Perſo - nen, als gebohrne Prinzeſſinnen, zu Gemahlin - nen nehmen wuͤrden. Unter jenen wuͤrde wenig - ſtens die Wahl ungleich groͤßer ſeyn. Und wie manche Prinzeſſinn wuͤrde dann nicht unvermaͤhlt bleiben? Ob aber dann auch der bisherige Vor - zug des Teutſchen Fuͤrſtenſtandes, daß Monarchen Teutſche Prinzeſſinnen zu Gemahlinnen wehlen, noch lange waͤhren wuͤrde, wenn ſie dadurch Ge - fahr liefen mit adelichen Geſchlechtern in Ver - wandtſchaft zu kommen, das moͤchte wohl eine an - dere Frage ſeyn. Hingegen nachgebohrne Herren fuͤrſtlicher Haͤuſer, die jetzt ſelten ebenbuͤrtige Ge - mahlinnen nehmen koͤnnen, wuͤrden freylich un - gleich haͤufiger mit adelichen Damen ſich vermaͤh - len. Und wenn deren Toͤchter dann wieder der Fraͤuleinſteuer, wie ſolche in den meiſten Laͤndern, doch bisher durchgaͤngig nur fuͤr Toͤchter aus eben - buͤrtigen Ehen, hergebracht iſt, ſich zu erfreuen haͤtten, ſo moͤchten ſich die Teutſchen Landſchaften nur auf oͤftere Fraͤuleinſteuern gefaßt halten; — vieler anderen Folgen von Nepotismus u. d. gl., die einem jeden bey einigem Nachdenken leicht von ſelbſten einleuchten werden, nicht zu gedenken.
Die Materie von Mißheirathen iſt inzwiſchen nicht die einzige, die von den damals an Carl den VII. erlaßenen churfuͤrſtlichen Collegialſchreiben noch nicht erlediget worden. Auch mit mehreren Stellen der Wahlcapitulation hat es noch jetzt eben die Bewandtniß, wie zu der Zeit, da ſie zuerſt eingeruͤckt wurden. Diejenigen, die ſeit - dem zur Sprache gekommen ſind, werden ſich fuͤg -lich314) Carls d. VII. Regierung 1742-1745.lich bey einer jeden Gelegenheit, da das geſchehen iſt, nachholen laßen.
I. So kurz dieſe Regierung war, ſo fruchtbar war ſie doch an wichtigen Begebenheiten. — II. III. Inſonderheit bekam die Preuſſiſche Macht einen betraͤchtlichen Zuwachs an Schleſien — und Oſtfriesland; — IV. Dem Hauſe Sachſen-Weimar fiel Eiſenach zu, — V. und dem Hauſe Naſſau-Oranien Siegen, — wiewohl auf letzteres noch ein Praͤtendent Anſpruch machte. — VI. Das Haus Hol - ſtein-Gottorp bekam nahe Ausſichten zur Thronfolge in Schweden und Rußland. — VII. Das Haus Heſſencaſſel erhielt einen guͤnſtigen Reichsſchluß zu Befeſtigung ſeines Beſitzes in der Grafſchaft Hanau, — wie auch ein unbe - ſchraͤnktes Appellations-Privilegium. — VIII. Durch kai - ſerliche Standeserhoͤhungen wurden verſchiedene neue Fuͤr - ſten gemacht. — IX. Manche Veraͤnderungen, die ſonſt noch in der Reichsverfaſſung zu erwarten geweſen ſeyn moͤch - ten, unterbrach noch der Tod des Kaiſers.
Die kaiſerliche Regierung Carls des VII. waͤhr -I. te kaum drey Jahre; war aber doch voll merkwuͤrdiger Begebenheiten, die ſelbſt auf die Verfaſſung des Teutſchen Reichs im Ganzen nicht geringen Einfluß hatten.
Das Schickſal der pragmatiſchen SanctionII. ward zwar noch nicht ganz entſchieden. Doch ſchien das Gluͤck der Waffen der Hoffnung, die ſich das Haus Baiern von der Unterſtuͤtzung ſozahl -32XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.zahlreicher und maͤchtiger Bundesgenoſſen hatte machen koͤnnen, dieſe ganze Zeit uͤber gar nicht zu entſprechen. Der Koͤnig in Preuſſen war bisher der einzige, dem Maria Thereſia ſich bequemen mußte, im Breslauer Frieden von ganz Nie - derſchleſien und einem betraͤchtlichen Theile von Oberſchleſien nebſt der Grafſchaft Glatz ein Opfer zu machen. Darauf konnte ſie aber auch ihre ganze Macht gegen ihre uͤbrigen Widerſacher ver - einigen. Und als auch darin der neue Preuſ - ſiſche Einbruch in Boͤhmen einen Querſtrich mach - te, ſo ſtand es noch dahin, ob es auch von dieſer Seite noch beym Breslauer Frieden bleiben wuͤr - de, der uͤbrigens das Haus Brandenburg beyna - he um die Haͤlfte ſeiner Macht verſtaͤrkte, und es alſo einem in Teutſchland ſelbſt gegen das Haus Oeſterreich zu haltenden Gleichgewichte um ſo viel naͤher brachte.
Noch bekam die Macht des Hauſes Branden - burg unter dieſer Regierung einen neuen Zuwachs mit dem Fuͤrſtenthume Oſtfriesland, das der Koͤnig nach Abgang des letzten Fuͤrſten († 1744. May 25.) vermoͤge einer kaiſerlichen Anwartſchaft vom 10. Dec. 1694. in Beſitz nehmen ließ; wie - wohl Churbraunſchweig vermoͤge einer aͤltern Erb - verbruͤderung vom 20. Maͤrz 1691. ebenfalls An - ſpruch darauf machte.
Zwey andere fuͤrſtliche Haͤuſer, oder doch zwey regierende Staͤmme anderer Haͤuſer waren ſchon vorher ausgeſtorben, und halfen alſo ebenfalls die Zahl der bisherigen regierenden Reichsfuͤrſten ver - mindern. Einer derſelben war der Herzog Wil -helm334) Carls des VII. Regier. 1742-1745.helm Henrich von Sachſen-Eiſenach, der am 29. Jul. 1741. als der letzte ſeines Stammes ge - ſtorben war; worauf dieſer Eiſenachiſche Landes - antheil nebſt der darauf haftenden Stimme im Reichsfuͤrſtenrathe mit dem Hauſe Sachſen-Wei - mar vereiniget wurde. Nur die Grafſchaft Al - tenkirchen, welche des letzten Herzogs Großvater Johann Georg durch ſeine Vermaͤhlung mit einer Graͤfinn von Sain an ſein Haus gebracht hatte, fiel dem Marggrafen von Anſprach zu, weil deſſen Großvater, der Marggraf Johann Friedrich, eine Tochter des Herzogs Johann Georgs von Eiſe - nach zur Gemahlinn gehabt hatte. (Eine Toch - ter des Marggrafen Johann Friedrichs von An - ſpach war die Gemahlinn Koͤnigs Georgs des II. Darum wird nach Abgang des Hauſes Anſpach dereinſt Altenkirchen an das Haus Hannover fallen.)
Der andere Fuͤrſt, der ſeinen Stamm beſchloß,V. war Wilhelm Hyacinth von Naſſau-Siegen († 1743. Febr. 18.), deſſen Landesantheil nebſt der fuͤrſtlichen Stimme von Naſſau-Hadamar darauf dem Hauſe Naſſau-Oranien zufiel. (Wil - helm Hyacinths Vater Johann Franz hatte zwar noch einen Sohn, Immanuel Ignatz, gehabt; aber aus einer ungleichen Ehe mit Iſabelle Clare Eugenie de la Serre, in deren Eheberedung vom 9. Febr. 1669. es ausbedungen war, daß ihre Kinder nur den Adelſtand fuͤhren ſollten. Nichts deſto weniger nahm dieſer Immanuel Ignatz, je - doch mit Widerſpruche der Naſſauiſchen Stamms - vettern, den Titel: Prinz von Naſſau-Siegen, an; vermaͤhlte ſich auch im May 1711. mit Ca - tharine Charlotte, einer Tochter Ludewigs vonP. Entw. d. Staatsverf. Th. III. CMail -34XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.Mailly, Marquis von Nesle. Dieſe verließ aber ihren Gemahl 1715., gebahr jedoch am 23. Nov. 1722. noch einen Sohn Maximilian Wilhelm Adolf, und behauptete, ihr Gemahl habe ſich im Jahre 1722. noch mit ihr ausgeſoͤhnt und ſie auf kurze Zeit zu Paris beſucht gehabt. Eben der Maximilian Wilhelm Adolf erſchien hernach als Praͤtendent von Naſſau-Siegen mit einer Klage gegen Naſſau-Oranien am Reichshofrathe; wo jedoch am 5. Aug. 1746. ein entſcheidendes End - urtheil wider ihn erfolgte. Ein Ausſpruch des Parlaments zu Paris ergieng hingegen im Jahre 1756. zu ſeinem Vortheile. Vermoͤge deſſen wird auch ein noch lebender Sohn, Carl Hen - rich Nicolaus Otto, den Max Wilhelm Adolf am 9. Jan. 1745. mit Maria Magdalena Amalia, einer Tochter Nicolas von Monchy, Marquis von Senarpont, erzeuget hat, in Frankreich als ein gebohrner Prinz von Naſſau-Siegen aner - kannt. Derſelbe hat ſich theils durch ſeine Be - gleitung des Herrn von Bougainville auf der See - reiſe um die Welt in den Jahren 1766. bis 1769., theils durch einen mißlungenen Angriff auf Jer - ſey 1779. bekannt gemacht, und endlich am 22. Sept. 1780. mit einer Tochter Bernhards von Godzky, des Fuͤrſten Janus von Sanguſzko ge - ſchiedener Gemahlinn, in Polen ſich vermaͤhlet.)
Ein anderer doppelter maͤchtiger Zuwachs ward um dieſe Zeit dem Hauſe Holſtein-Got - torp fuͤr die Zukunft ausgemacht, da zwey Prin - zen dieſes Hauſes zu Thronfolgern in zwey nordi - ſchen Reichen beſtimmt wurden; Carl Peter Ul - rich, oder nach angenommener Griechiſchen Reli -gion354) Carls des VII. Regier. 1742-1745.gion Peter Feodorowitz (1742. Nov. 18.), als Großfuͤrſt und Thronfolger von Rußland; und Adolf Friedrich (1743. Jul. 4.) als Thronfolger in Schweden.
Noch gehoͤrte endlich zu den Haͤuſern, welcheVII. die Zeit her einen betraͤchtlichen Zuwachs erhal - ten hatten, das Haus Heſſen-Caſſel. Schon in den letzteren Jahren der vorigen kaiſerlichen Regierung hatte nach dem Tode des letzten Gra - fen von Hanau († 1736. Maͤrz 28.) der Prinz Wilhelm von Heſſen-Caſſel, dem ſein aͤlterer Bru - der, damaliger Koͤnig in Schweden, ſein Recht uͤberlaßen hatte, Hanau in Beſitz genommen, weil ſein Haus von der Graͤfinn Amalia Eliſabeth von Hanau-Muͤnzenberg abſtammte, und uͤber - das nicht nur eine im Jahre 1643. zwiſchen Heſ - ſen-Caſſel und Hanau errichtete Erbvereinigung fuͤr ſich hatte, ſondern auch durch einen im Jah - re 1728. mit Churſachſen errichteten und vom Kaiſer beſtaͤtigten Vertrag die Churſaͤchſiſchen Rechte auf die Hanau-Muͤnzenbergiſchen Reichs - lehne, als Churſaͤchſiſche Afterlehne, an ſich ge - bracht hatte. Hiergegen machte der damalige Erb - prinz von Heſſen-Darmſtadt, der eine Tochter des letzten Grafen zur Gemahlinn hatte, Anſpruch auf die graͤfliche Mobiliarverlaßenſchaft und auf das Amt Babenhauſen. Desgleichen behauptete Churmainz das bisher mit Hanau gemeinſchaftlich beſeſſene Freygericht bey Alzenau vor dem Berge Welmitzheim nunmehr ſich alleine zueignen zu koͤn - nen. Beide Sachen waren am Cammergerichte anhaͤngig gemacht, wo jedoch Heſſen-Caſſel ſich auf das Recht der Auſtraͤgalinſtanz bereif. AlsC 2hier -36XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.hierauf das Cammergericht keine Ruͤckſicht neh - men wollte; wandte Heſſen-Caſſel ſich an den Reichstag, und bewirkte im Jun. und Jul. 1743. einen Reichsſchluß: daß dieſe ſtreitige Hanaui - ſche Succeſſionsſache an die fuͤrſtlich Heſſiſchen Stammsaustraͤge zu verweiſen ſey. — Noch erhielt das Haus Heſſen-Caſſel von Carl dem VII. am 7. Dec. 1742. ein unbeſchraͤnktes kaiſerliches Privilegium gegen alle Appellationen an die Reichs - gerichte, in Gefolg deſſen am 26. Nov. 1743. ein neues Oberappellationsgericht zu Caſſel errich - tet wurde.
Endlich entſtanden durch kaiſerliche Standes - erhoͤhungen unter dieſer kurzen Regierung verſchie - dene neue Fuͤrſten von Stolberg-Gedern, Solms - Braunfels, Hohenlohe-Schillingsfuͤrſt, Hohen - lohe-Bartenſtein, Hohenlohe-Pfaͤdelbach, und Iſenburg-Birſtein; doch ohne daß weder auf dem Reichstage, noch in den Kreiſen und graͤflichen Collegien damit eine Aenderung vorgieng.
Wenn dieſe Regierung noch laͤnger gewaͤhret haͤtte, moͤchten wohl noch mehrere Veraͤnderun - gen in manchen Faͤchern zu erwarten geweſen ſeyn. Schwerlich wuͤrden auch ſelbſt Wiener Schrift - ſteller alsdann der kaiſerlichen Gewalt ſo viel ein - geraͤumt haben, als wohl vor - und nachher ge - ſchehen iſt. Inſonderheit duͤrfte die Verbindung zwiſchen Teutſchland und Italien ſchwerlich lange auf den bisherigen Fuß geblieben ſeyn, da das Haus Baiern ſelbſt keinen feſten Fuß in Italien hatte, und alſo den kaiſerlichen Verfuͤgungen in ſelbigen Gegenden keinen Nachdruck geben konnte. Je -375) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.Jedoch mit dem fruͤhzeitigen Tode des Kaiſers be - kam alles wieder eine ganz veraͤnderte Geſtalt.
I. Fuͤßner Friede zwiſchen Oeſterreich und Baiern. — II. Kaiſerwahl und Kroͤnung Franz des I. — III. Nun - mehrige Zulaßung des Boͤhmiſchen Wahlbotſchafters, ohne weitern Anſtand, daß eine Dame die Churſtimme fuͤhren koͤnne. — IV. Dresdner und Aachner Friedensſchluͤſſe. — V. Beide ohne Theilnehmung des Reichs, — VI. außer daß der Dresdner Friede vom Reiche garantirt wurde, — nur mit Vorbehalte der Rechte des Reichs in Anſehung Schleſiens. — VII. Das Reich hatte dem Kaiſer nur eine Geldhuͤlfe bewilliget, und ſich zur Vermittelung des Frie - deus erboten. — VIII. Neue Frage und Verordnung uͤber die Fortdauer der Aſſociation der vorliegenden Kreiſe. — IX. Neue Einrichtung wegen Abwechſelung des Rheiniſchen Reichsvicariates. — X. Ruͤckkehr des ehemaligen Verhaͤlt - niſſes zwiſchen der Kaiſerwuͤrde und dem Hauſe Oeſter - reich. — XI. Damit gehobene Schwierigkeit wegen des kaiſerlichen Reichshofarchives, — XII. wie auch wegen Veraͤnderung des Reichshofraths von einer kaiſerlichen Re - gierung zur andern, — XIII. ingleichen mit den Stellen des Reichsvicecanzlers und Reichsreferendarien.
Carl der VII. hatte ſeinen Sohn, Max Joſeph,I. dem nur noch wenige Monathe an der bey den Churfuͤrſten mit dem achtzehnten Jahre ein - tretenden Volljaͤhrigkeit abgiengen, noch kurz vor ſeinem Tode fuͤr volljaͤhrig erklaͤret. Derſelbe fand ſich aber bald bewogen, dem bisherigen Kriege ſeines Orts ein Ende zu machen. In einem Frie - den, den er am 22. Apr. 1745. zu Fueßen zeich -C 3nen38XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.nen ließ, begnuͤgte er ſich, ſein vaͤterliches Land zuruͤckzubekommen, und begab ſich hingegen aller der pragmatiſchen Sanction zuwiderlaufenden An - ſpruͤche; verſprach auch nicht nur die Boͤhmiſche Wahlftimme anzuerkennen, ſondern auch mit ſei - ner Stimme den Großherzog von Toſcana zur Kaiſerwuͤrde befoͤrdern zu helfen.
Auf ſolche Art blieb zwar Maria Thereſia noch mit Preuſſen in Boͤhmen und Schleſien, mit Frankreich in den Niederlanden, und mit Frank - reich, Spanien und Neapel in Italien, in Krieg verwickelt. Aber in Anſehung der Kaiſerwahl lenkten ſich jetzt bald alle Umſtaͤnde zum Vortheile ihres Gemahls. Ohne diesmal große Aenderun - gen in der Wahlcapitulation zu machen, wurde die Wahl ſchon den 13. Sept. 1745. vollzogen, und am 4. Oct. wurde Kaiſer Franz gekroͤnet. (Seine Gemahlinn fand ſich zwar ebenfalls zu Frankfurt ein, ward aber nicht ſelbſt gekroͤnet, weil ſie eben guter Hoffnung war. Des vorigen Kaiſers Carls des VII. Gemahlinn war noch am 8. Maͤrz 1742. gekroͤnet worden.)
Einer der merkwuͤrdigſten Umſtaͤnde bey die - ſer Kaiſerwahl war dieſer, daß nunmehr ohne An - ſtand die Boͤhmiſchen Wahlbotſchafter mit Vollmachten von Maria Thereſia als Koͤniginn in Boͤhmen zugelaßen wurden. Eben damit hat al - ſo nunmehr der Satz: daß auch eine Dame der Churſtimme nicht unfaͤhig ſey, ſeine voͤllige Erle - digung erhalten.
Die beiden Geſandten von Churbrandenburg und Churpfalz giengen zwar vor Vollziehung derWahl395) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.Wahl mit Widerſpruch von Frankfurt weg. Sie konnten aber der goldenen Bulle zufolge die uͤbri - gen an Vollziehung der Wahl nicht hindern. Da es auch bald hernach mit dem Koͤnige in Preuſſen zum Frieden kam, der am 25. Dec. 1745. zu Dresden meiſt voͤllig auf den Fuß des Breslauer Friedens geſchloſſen ward; ſo ließen beide Hoͤfe, vermoͤge eines beſondern Artikels dieſes Friedens, von ihrem Widerſpruche nach. Allen uͤbrigen Kriegslaͤuften machte hernach im Jahre 1748. der Friede zu Aachen ein Ende, wo die Praͤli - minarien von den Geſandten von Großbritannien, Frankreich und den vereinigten Niederlanden ſchon am 30. Apr. gezeichnet wurden. Der voͤllige Frie - densſchluß mit Beytritt des Wiener Hofes kam erſt in den letzten Tagen des Octobers zu Stande. Vermoͤge deſſen blieb es nun am Ende doch voͤllig bey der pragmatiſchen Sanction, bis auf den ein - zigen Punct, daß Don Philipp, ein juͤngerer Sohn des inzwiſchen verſtorbenen Koͤnigs Philipps des V. von Spanien, die Herzogthuͤmer Parma, Pia - cenza und Guaſtalla bekam.
Das Teutſche Reich hatte an allen den Krie -V. gen keinen Theil genommen, konnte alſo auch bey den Friedensſchluͤſſen nicht als mitſchließender Theil in Betrachtung kommen. Doch ſchien dar - in einiger Widerſpruch zu liegen, daß man im Jahre 1720. noͤthig gefunden hatte, die in der damaligen Quadrupelallianz beliebte Verfuͤgung uͤber Toſcana, Parma und Piacenza dem Reichs - tage zur Genehmigung vorzulegen; jetzt aber an eine reichstaͤgliche Genehmigung der im Aachner Frieden enthaltenen neuen Verfuͤgung uͤber Par -C 4ma,40XI. Carl VII. u. Franz 1740-1748.ma, Piacenza und Guaſtalla nicht gedacht wurde. (Meines Wiſſens iſt auch ſeitdem keine kaiſerliche Belehnung uͤber dieſe Laͤnder geſchehen.)
Beym Dresdner Frieden bedang ſich der Koͤ - nig in Preuſſen, daß man von Seiten des Teut - ſchen Reichs eine Garantie deſſelben zuwege zu bringen ſuchen ſollte. Dieſe iſt hernach in einem Reichsgutachten vom 14. May 1751. geſchehen, jedoch mit Einruͤckung der Clauſel:” mit Vor - und Beybehaltung der iurium imperii.” (Weil ehedem Schleſien der Krone Boͤhmen einverleibt geweſen war, dieſe aber zum Teutſchen Reiche gehoͤrte; ſo hat vielleicht der Anſtand erwachſen koͤnnen, ob dieſe ehemalige Einverleibung ohne Beytritt des Reichs habe aufgehoben werden koͤn - nen, wie ſolches ſchon vom Kaiſer Carl dem VII. als Koͤnige in Boͤhmen, und hernach im Bres - lauer Frieden geſchehen war. Damit deshalb dem Reiche an ſeinem Rechte nichts vergeben wuͤrde, war wohl die Abſicht jener Clauſel. Der Koͤnig in Preuſſen nahm inzwiſchen gleich nach dem Bres - lauer Frieden den Titel: Souverainer Herzog von Schleſien, und ſouverainer Graf von Glatz, an; der ihm auch aus der Reichshofcanzley nicht ver - ſagt worden iſt.)
Das einzige war von Reichs wegen geſchehen, daß auf ein Commiſſionsdecret vom 28. May 1742., worin Carl der VII. wegen des damali - gen Zuſtandes ſeiner Erblande auf eine Geld - huͤlfe antrug, im Oct. 1742. ihm 50. Roͤmermo - nathe bewilliget wurden. Uebrigens erklaͤrte ſich das Reich in einem Reichsgutachten vom 10. May1743.415) Regierungsantritt Franz d. I. 1745.1743. geneigt, mit Zutritt der Seemaͤchte eine Vermittelung zwiſchen den damals im Kriege begriffenen Theilen zu uͤbernehmen; wiewohl es auch dazu hernach nicht gekommen iſt.
Am eifrigſten bemuͤhten ſich beide Theile eineVIII. Aſſociation der Kreiſe zu Stande zu bringen; der Wiener Hof, weil bisher die vorderen Kreiſe ſich immer zum Vortheile des Wiener Hofes ge - gen den Franzoͤſiſchen aſſociirt hatten; der Muͤnch - ner Hof, weil gewoͤhnlich bisher nur der Kaiſer die Aſſociation auf ſeiner Seite gehabt habe. Wie dieſer letzte Grund unter dem Kaiſer Franz wieder - um dem Wiener Hofe zu ſtatten kam, ward die Sache von neuem in Bewegung gebracht, und zuletzt uͤber die Frage: ob die Aſſociation der Krei - ſe auch in Friedenszeit allenfalls ihren Fortgang behalte? zwar ein bejahender Schluß gefaſſet; je - doch auf weitere Berathſchlagung ausgeſetzt, was das nun fuͤr Wirkung haben ſolle, und wie ſolche zu bewerkſtelligen ſey? (Wobey es ſeitdem bisher geblieben iſt; zumal da ſeit dem Aachner Frieden das Verhaͤltniß zwiſchen Oeſterreich und Frank - reich ſich merklich geaͤndert hat; ſo daß, ſo lange es dabey bleibet, kein Krieg zwiſchen dieſen beiden Maͤchten zu beſorgen iſt, und