PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Ein Lehrgedicht
[II][III]
Die Weisheit des Brahmanen,
ein Lehrgedicht in Bruchſtücken.
Sechstes Bändchen.
Leipzig,Weidmann'ſche Buchhandlung.1839.
[IV]
[1]

XVI.

Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 1[2][3]

(I.)

1.

Die Poeſie iſt Gold; ein weniges vom holden
Metall, mit Kunſt gedehnt, reicht Welten zu vergolden.

2.

Wer unberedet wuͤnſcht zu bleiben, der muß ſchweigen,
Und wer ſchief angeſehn nicht ſeyn will, ſich nicht zeigen.

3.

Im Voraus freuen mag ſich ſchon der guten That,
Wer nur dazu gefaßt den feſten Vorſatz hat.
1*4

4.

Ein Knabe lernt nur von geliebten Lehrern gerne;
Du aber ſei ein Mann, auch von verhaßten lerne!

5.

Der Mann, der erſt ein Schelm geworden, wird nie bieder;
Aus Wein wird Eſſig leicht, nie Wein aus Eſſig wieder.

6.

Der Adler fliegt allein, der Rabe ſchaarenweiſe;
Geſellſchaft braucht der Thor, und Einſamkeit der Weiſe.

7.

Wenn du vom Freunde ſeinen Stand nicht abzuziehn
Vermagſt, ſo iſt kein Freund dir auf der Welt verliehn.

8.

Erhabnes, findet es erhabne Stimmung nicht,
Erſcheinet laͤcherlich im Leben, im Gedicht.
5

9.

Wer edel lebt und ſtirbt, der iſt mir auserkoren
Zum Edlen, ob er auch unedel ſei geboren.

10.

Beſcheiden wollt 'ich ſeyn, ſaͤh' ich mich vollgeehrt;
Stolz muß ich ſeyn ſolang ihr leugnet meinen Werth.

11.

Der Ruhm hat einen Grund; wenn dieſer Grund erſt liegt,
Macht er, daß manches ſchwer, was an ſich leicht iſt, wiegt.

12.

Wer fremde Fehler ruͤgt, glaubt ſich der eignen quitt;
Und wer entſchuldigt jen ', entſchuldigt ſich damit.

13.

Geh weg, o Sonne, denn der Mond will auch nun ſcheinen;
Ich habe gnug gelacht, und moͤcht 'einmal auch weinen.
6

14.

Schon zu beneiden iſt, wen Taͤuſchung nur begluͤckt,
Noch mehr ein Gluͤcklicher, der nicht ſich ſelbſt beruͤckt.

15.

An den im Garten bunt gewordenen Aurickeln
Sieht man, wie durch Kultur ſich Gegenſaͤtz 'entwickeln.

16.

Der Hunger guckt dem Fleiß zuweilen wol ins Haus,
Allein die Thaͤtigkeit wirft ihn zur Thuͤr hinaus.

17.

Die Tempelratte hat nicht Scheue vor dem Gott;
Religion iſt des Religioſen Spott.

18.

Ein Wunder laͤßt ſich durch ein andres nur erklaͤren;
Ruͤhr 'es nicht an! es wird dir Muͤhſal nur gebaͤren.
7

19.

Der Siegelring wird nicht in harten Stein ſich druͤcken;
Herz, werde weiches Wachs, ſoll Gottes Bild dich ſchmuͤcken.

20.

Wer etwas ſcheinen will, der ſuch 'es auch zu ſeyn;
Denn ohne Seyn iſt ſelbſt der Schein ein leerer Schein.

21.

Der Wetzſtein ſchneidet nicht, doch macht er ſcharf das Meſſer;
Durch einen ſchlechten Mann wird oft ein guter beſſer.

22.

Vom Uebermaß der Luſt wird Leid hervorgebracht;
Das Auge ſelber weint, ſobald man heftig lacht.

23.

Wer nicht ſein eigner Freund, dein Freund kann der nicht ſeyn;
Auch der nicht, wer nur iſt ſein eigner Freund allein.
8

24.

Gunſt eignet der Perſon, und erbt nicht fort geſchwind,
Nicht auf des Goͤnners Sohn, noch auf des Guͤnſtlings Kind.

25.

O ſorg 'um Nahrung nicht! Gott weiſt dir an dein Looß;
Die Mutterbruſt fließt, wo ſich aufthat Mutterſchooß.

26.

Der weiß die Schwanen macht und gruͤn die Papagein,
Und bunt die Pfauen, wird auch dir dein Kleid verleihn.

27.

Wo es drei Heller thun, da wende vier nicht an,
Und nicht zwei Worte, wo's mit einem iſt gethan.

28.

Ueber das Ziel ein Schritt, zuviel iſt ſtets vom Uebel,
Sei's uͤbern Durſt ein Glas, ſei's uͤbers Faß ein Kuͤbel.
9

29.

Wer zwingen will die Zeit, den wird ſie ſelber zwingen;
Wer ſie gewaͤhren laͤßt, dem wird ſie Roſen bringen.

30.

Nur wer Anſpruͤche macht, fuͤhlt ſich zuruͤckgeſetzt;
Wer nebenaus tritt, iſt zuerſt nicht noch zuletzt.

31.

Den Raͤuber ſchilt der Dieb, weil weg am Tage nahm
Der Raͤuber, was der Dieb Nachts wegzunehmen kam.

32.

Durch Widerſpruch wirſt du den Duͤnkel nie bekehren;
Du widerſprich ihm doch, der Wahrheit nur zu Ehren!

33.

Zaͤh war ich, weich hat mich der Liebe Hauch gemacht,
Doch fuͤr die feine Welt bin ich ſtets ungeſchlacht.
10

34.

Wenn du den Muth nicht haſt, die Guten ſelbſt zu tadeln,
Ein Mittel ſag 'ich dir: du mußt die Schlechten adeln.

35.

Ich fuͤhl 'es leider nun, im Leben glaubt' ichs nie:
Die Welt iſt mir nichts mehr, als Stoff der Poeſie.

36.

Wenn er beim alten hat Einſprecher und Abnehmer,
Waͤhlt kein neu Aushaͤngſchild der Gaſtwirt oder Kraͤmer.

37.

Ob es ſtets anders nur, nie beſſer werd 'auf Erden,
Doch du, ſtets anders, mußt auch immer beſſer werden.

38.

Die Zeit laͤßt fallen eins, um andres zu entfalten;
Doch dich umbildend, mußt du ſtets dich ſelbſt behalten.
11

39.

Du mußt auf Freundes Lieb 'alswie auf Gottes trauen,
Sie fuͤhlen innerlich, wo ſie nicht iſt zu ſchauen.

40.

Am beſten machſt du gleich dein Ding im Anfang recht;
Nachbeſſerung macht oft Halbgutes voͤllig ſchlecht.

41.

Des Mannes Zunge, dem Verſtand und Witz gebrechen,
Kann zur Verraͤtherin nur dienen ſeiner Schwaͤchen.

42.

Was dir am Mann gefaͤllt, der ſtillſchweigt, wird im Nu,
Wo er den Mund aufthut, abnehmen oder zu.

43.

Ein Thor klagt andre an, und ein Halbweiſer ſich;
Sei ganz weiſ 'und du klagſt nicht andre an, noch dich!
12

44.

Das Wahre miſche mit dem Falſchen, wer den Schwachen
Verdaͤchtig Wahres will und Falſches glaubhaft machen.

45.

Laß keinen, was er nicht kann halten, dir verſprechen!
Was nuͤtzt es dir, wenn du ihn zwingſt den Eid zu brechen?

46.

Was hilft die Kundſchaft, die du ein von andern ziehſt?
Das Ding ſieht anders aus, ſobald du's ſelbſt beſiehſt.

47.

Gar vieles lernt man, um es wieder zu vergeſſen;
Um an dem Ziel zu ſtehn, muß man die Bahn durchmeſſen.

48.

Ein Irrthum weggeraͤumt gibt einen wahren Satz;
So durch Irrthuͤmer ſelbſt waͤchſt ſtets der Wahrheit Schatz.
13

49.

Man kann nicht immer was man will; der iſt mein Mann,
Der ſich beſcheidet das zu wollen was er kann.

50.

Den Degen ſoll ein Mann nicht ohne Urſach ziehn,
Und ohne Ehre dann auch nicht einſtecken ihn.

51.

Gott hilft uns, liebes Kind, nur nicht den Muth verloren!
Sanft laͤßt er wehn den Wind, wenn man das Schaf geſchoren.

52.

In einer guten Eh 'iſt wol das Haupt der Mann,
Jedoch das Herz das Weib, das er nicht miſſen kann.

53.

Von keinem Troſt wird ein Betruͤbter mehr erquickt,
Als wenn er einen noch Betruͤbteren erblickt.
14

54.

In einer Stunde ſtreckt man einen Baum zur Erden,
Der hundert Jahre hat gebraucht um groß zu werden.

55.

Die Nuͤſſe gibt dir Gott, dazu die Zaͤhn 'im Backen;
Die Nuͤſſe knackt er dir nicht auf, du mußt ſie knacken.

56.

Dich freut ein Name, den dem Nachbar Spoͤtter gaben,
Und weißt nicht, welchen ſie dir ſelbſt gegeben haben.

57.

Die Nachtigall iſt nicht zum Sehn, iſt nur zum Hoͤren;
Den Dichter kennen, wird nur im Gedicht dich ſtoͤren.

58.

Stets lebt ein Dichter im Vertheilen von Geſchenken;
Nichts hat er ohne gleich der Welt es zuzudenken.
15

59.

Die ſchoͤnſte Gegend iſt nicht ſchoͤn von allen Seiten,
Noch ſchoͤn zu allen Tags - und allen Jahreszeiten.

60.

In dieſer tiefen Furt will durchzuwaten hoffen
Der Eſel, wo vor ihm iſt das Kamel erſoffen.

61.

Ihr freut am falſchen Glanz ſo gut euch, als am aͤchten;
Wie ſollt 'ich eure Freud' aus Schadenfreud 'anfechten?

62.

Umſonſt iſt jedes Werk, das du hervorgebracht,
Wenn du dich ſelber nicht zum Kunſtwerk haſt gemacht.

63.

Mach 'immer nur Entwuͤrf'! ob du ſie nicht ausfuͤhreſt,
Doch haſt du den Genuß, daß du dich Schoͤpfer ſpuͤreſt.
16

64.

Als Roſ 'iſt nie ſo ſchoͤn geworden, wie zu werden
Als Knoſpe mir verſprach ein Wunſch, ein Gluͤck auf Erden.

65.

Unſeliger iſt nichts, als wenn dirs immer iſt,
Du ſeieſt nicht zu Haus, wo du zu Hauſe biſt.

66.

Was iſt und was iſt nicht poetiſch? Alles, wie
Die angemeßne Form es fand, iſt Poeſie.

67.

Der Wille ſuͤndigt, und der Will 'entſuͤndigt wieder;
Wie Waſſer Schmutz erregt, und waͤſcht beſchmutzte Glieder.

68.

Schlecht iſt das Schlechte nicht, denn das verkennt man ſelten;
Das Mittelmaͤß'ge iſts, das leicht fuͤr gut kann gelten.
17

69.

Zu kommen zwingſt du dich? Komm, oder nicht! du biſt
Willkommen, wenn du kommſt, ausbleibend, unvermißt.

70.

Zu denken iſt wol ſchoͤn, noch ſchoͤner iſt zu dichten,
Am ſchoͤnſten beides mit einander zu verrichten.

71.

Ob du von mir dis haſt, ob ich von dir, wer weiß?
Wer beſſer, nicht wer eh'r es machte, traͤgt den Preis.

72.

Ein boͤſes Buch iſt, das durchaus dir nicht gefaͤllt,
Und gleichwol etwas hat, womit es feſt dich haͤlt.

73.

Du haſt es oft erprobt; laß dieſes Volk nicht ein!
Belehrt nicht, nur belobt, bewundert will es ſeyn.
18

74.

Euch zu gefallen geb 'ich Hoffnung auf und Luſt;
Denn alles, was euch recht gefaͤllt, mißfaͤllt mir juſt.

75.

Die Freunde bitte fein, zuſehr nicht dich zu ehren!
Sonſt werden Feinde dir dafuͤr den Krieg erklaͤren.

76.

Wenn dich der Poͤbel ehrt, befuͤrchte, was dir droht!
Zuerſt bewirft er dich mit Lorbern, dann mit Koth.

77.

Wer ſeinen Sohn verſaͤumt zum Freunde zu erziehn,
Hat, wo er aufhoͤrt Kind zu ſeyn, verloren ihn.

78.

Oft mit den Tugenden verwachſen iſt ein Fehler,
Und dulden mußt du ihn, ſonſt machſt du jene ſchmaͤler.
19

79.

Weh thuts, wenn man dich ſchilt, am wehſten, armer Knecht,
Wenn du dir ſagen mußt, daß man dich ſchilt mit Recht.

80.

Die Sittlichkeit allein erſetzt den Glauben nicht;
Doch weh dem Glauben, dem die Sittlichkeit gebricht.

81.

Am Ende deiner Bahn iſt gut Zufriedenheit;
Doch wer am Anfang iſt zufrieden, kommt nicht weit.

82.

Du hatteſt nicht die Kraft, dein gutes Gluͤck zu tragen;
Darum iſt es ſo ſchnell in boͤſes umgeſchlagen.

83.

Bild 'auf den eignen Werth dir nur zuviel nicht ein!
So wird ein maͤß'ges Lob ſchon groß genug dir ſeyn.
20

84.

Der Ehrgeiz iſt gekraͤnkt vom kleinſten, das mislingt,
Und nicht befriedigts ihn, wo er das groͤſt 'erringt.

85.

O weh dem Durſte, der nach jedem Troͤpfchen geizt,
Und den ein Strom, ein Meer nur, ſtatt zu ſtillen, reizt!

86.

Glaub 'immer! nur beweis mirs nicht! ſonſt werd' ich ſtraͤubig.
Es iſt ein Widerſpruch: ſcharfſichtig und blindglaͤubig.

87.

Vom Heiligen bewegt, ſei dein Gemuͤt im Takt!
Mach 'ein Syſtem daraus, ſo wird es abgeſchmackt.

88.

Begluͤckt, von wem nicht eh'r die Welt, daß er gelebt,
Erfaͤhrt, als durchs Gelaͤut, bei dem man ihn begraͤbt!
21

89.

Klag nicht, wenn das Geſchick dir etwas ſchwer gemacht!
Die Freud 'iſt doppelt groß, wenn du's haſt doch vollbracht.

90.

Wer einen Fehler flieht, der huͤte ſich vor allen,
Vor dieſem auf der Flucht, in jenen nicht zu fallen.

91.

Die Krankheit iſt dein Heil, wenn ſie dich leiblich mahnt,
Daß Heilsbeduͤrftigkeit die kranke Seele ahnt.

92.

Viel Gutes wird bewirkt auf dieſer Welt vom Boͤſen;
Bewogen ward dadurch Gott ſelbſt, uns zu erloͤſen.

93.

Warum vor Ungeduld dein Buͤchlein ich zuſchlug?
Es forderte zuviel, und gab mir nicht genug.
22

94.

Nicht Achtung kanſt du dem, der dich nicht achtet, ſchenken,
Oder du mußt ſogleich von dir geringer denken.

95.

Soviel du von der Gnad 'Unedler wirſt geſpeiſt,
Das nimmſt du zu am Leib, und buͤßeſts ein am Geiſt.

96.

Am Inhalt liegt mir viel, und wenig am Gefaͤße;
Warum? ich habe ſelbſt Form jedem Stoff gemaͤße.

97.

Ein Streben mag mit Luſt den Strebenden betruͤgen,
Doch das Erſtrebte kann dem Geiſte nie genuͤgen.

98.

Ein neugekauftes Buch, ein ſelbſtgebautes Haus,
Bringt, wers verkaufen will, ums halbe Geld nicht aus.
23

99.

Was einer tragen kann an Leid und auch an Luſt,
Das wird erſt einem Mann, wann ers erfuhr, bewußt.

100.

Nicht allen alles, wenn nur einem eins gefaͤllt,
Und anderm anderes, ſo iſt es gut beſtellt.
[24]

(II.)

1.

Die Dichtung geht der Zeit voran und hinterdrein,
In der Vergangenheit zeigt ſie der Zukunft Schein.

2.

Ein gut Wort, gut geſagt, und auch gut aufgenommen,
Dazu gut angewandt, mag uns zu Gute kommen.

3.

Wer beide Haͤnde voll hat und noch mehr will faſſen,
Wird das auch, was er hat in Haͤnden, fallen laſſen.
25

4.

Die fremde Weisheit wird in deinem Kopf zum Thoren;
Dir nuͤtzt die Weisheit nur, die in dir wird geboren.

5.

Den Weiſen kannſt du an der Wahl der Zweck 'entdecken,
Den Klugen an der Wahl der Mittel zu den Zwecken.

6.

Zu faſſen den Entſchluß, muß Gottes Geiſt dich ruͤhren;
Du uͤberlegeſt nur, wie er ſei auszufuͤhren.

7.

Die Ueberlegung zeigt das Beſſere von zwein;
Zum an ſich Guten treibt ein innrer Trieb allein.

8.

Das Gute thuſt du nicht, um zu empfinden Luſt;
Die Luſt empfindeſt du, weil du das Gute thuſt.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 226

9.

Das Gute thun iſt leicht, ſelbſt Schwachen eine Luſt,
Das Boͤſe meiden ſchwer, Kampf einer Heldenbruſt.

10.

Das Wuͤnſchen thut es nicht, Anſtrengung muß es machen;
Dem ſchlafenden Loͤwen laͤuft das Wild nicht in den Rachen.

11.

Die heiße Kohle brennt, die kalte ſchwaͤrzt die Hand;
Wer um mit Boͤſen geht, hat immer uͤbeln Stand.

12.

Sei's in drei Monaten, drei Jahren oder Tagen,
Einmal wird ſeine Frucht ſo Gut als Boͤſes tragen.

13.

Aus einem Feinde wird niemals ein Freund ein treuer;
Das Waſſer, auch gewaͤrmt vom Feuer, loͤſcht das Feuer.
27

14.

Erliegen kann ein Mann, nicht ſich unmaͤnnlich halten,
Erloͤſchen kann ein Feur, doch nie kann es erkalten.

15.

Am Walde haͤtte nicht die Axt ſo leichtes Spiel,
Haͤtt 'ihr der Wald nicht ſelbſt geliefert ihren Stiel.

16.

Wenn ſich der Juͤngere zum boͤſen Wege neigt,
Trifft Schuld den Aeltern, der es ſieht und dazu ſchweigt.

17.

Ein treuer Spiegel iſt nicht jedem angenehm,
Ein Menſchenkenner oft den Menſchen unbequem.

18.

Der Fuͤrſten Ungluͤck iſt, daß jeder thun und ſagen
Nur immer das will, was er ihnen ſieht behagen.
2*28

19.

Zwei Loͤwen einen Hirſch die Theilung wird mißrathen;
Sie kaͤmpfen; wer gewinnt, verzehrt allein den Braten.

20.

Ein Koͤnig, dem das Reich ein andrer abgewonnen,
Das beſte fuͤr ihn iſt, er faͤllt in einen Bronnen.

21.

Der Baum legt niemals ſelbſt die Axt an ſeinen Fuß;
Du biſt der Thor, den ſolch ein Sinnbild warnen muß.

22.

Der Rabe hat den Gang des Rephuns nachgeahmt,
Den eignen buͤßt 'er ein, und der geborgte lahmt.

23.

Der alte Wolf vermag den Regen ſchon zu leiden,
Der einen Wolfspelz traͤgt, kein Maͤntelchen von Seiden.
29

24.

Thun was ſchon iſt gethan, dergleichen thun die Thoren;
An einer Perle kan man nicht zwei Loͤcher bohren.

25.

Laß dichs nicht aͤrgern, daß dir ein Stuͤck Wild entgangen;
Wenn du heut alles fiengſt, was willſt du morgen fangen?

26.

Ein Kraͤmer liebt im Kram, was abgeht und gefaͤllt;
Mit Ladenhuͤtern iſt der Laden ſchlecht beſtellt.

27.

Wenn du fuͤr kleinre Gab 'undankbar biſt erſchienen,
Womit denn hoffeſt du die groͤßre zu verdienen?

28.

Bitt 'um Verzeihung nur den der ſich glaubt gekraͤnkt;
Und kraͤnkteſt du ihn nicht, genug daß er es denkt.
30

29.

Sonſt mocht 'ein Einzelmann in ſeinem Volk verſchwinden,
Jetzt in der Menſchheit ſoll der Einzle ſich empfinden.

30.

Wenn man das Boͤſe thut, ſieht man fuͤr klein es an;
Man ſieht, wie groß es iſt, erſt wenn es iſt gethan.

31.

Das Gute wiſſen, weit iſt noch das thun davon;
Das Boͤſe kennen iſt des Boͤſen Anfang ſchon.

32.

Der kann wol leiden, daß man ſeine Fehler ruͤgt,
Wer große Tugenden zu kleinen Fehlern fuͤgt.

33.

Ein Weiſer uͤberhebt ſich nicht, wenn Thoren fallen,
Von ihrem Beiſpiel lernt er nur bedaͤcht'ger wallen.
31

34.

Wer Gutes thut ſoviel er kann, und keinen Lohn
Dafuͤr erwartet, hat den allerſchoͤnſten ſchon.

35.

Wer immer reicher nur will werden, iſt nie reich;
Wer beſſer werden will, iſt und wird es zugleich.

36.

Des Weiſen ſtille Thraͤn 'iſt mehr wol als des Thoren
Lautes Gelaͤchter werth, doch beides iſt verloren.

37.

Der Menſch, der ſinkt zum Thier, wird unters Thier verſinken;
Es ſchwimmt in der Natur, er wird darin ertrinken.

38.

Betruͤbt dichs wol, wie ſich an Thorheit Thoren laben?
Nein, freue dich, daß ſie auch ihre Freude haben.
32

39.

Lern Gutes ums zu thun, und Boͤſes ums zu meiden;
Wenn du nicht beides kennſt, wie kannſt du's unterſcheiden?

40.

Dem ſind am wenigſten die Maͤngel zu verzeihn,
Der, wenn er wollte nur, vollkommen koͤnnte ſeyn.

41.

Gluͤck iſt dein Schatten, der entfliehet, wo du ihn
Willſt haſchen, und dir folgt, wo du ihm willſt entfliehn.

42.

Nicht viel ſind tauſend Freund ', ein einz'ger Feind iſt viel;
Denn dieſem iſt es Ernſt, und jenen nur ein Spiel.

43.

Man ſagt: der beſte Freund des Diebes, der zum Schaf
Ihm, das er ſucht, verhilft, das iſt des Hirten Schlaf.
33

44.

Laß dich auf dieſem Markt von falſchem Schein nicht reizen;
Mancher hat Gerſt 'im Sack und zeigt zur Probe Weizen.

45.

Wenn die unreife Frucht du ſchuͤtteln willſt vom Aſt,
Verraͤthſt du, daß du ſelbſt nicht deine Reife haſt.

46.

Die Feige herb und hart, weich kanſt du allenfals
Sie druͤcken; ſie nur, ſo kratzt ſie dich im Hals.

47.

Wer Doͤrner auf den Weg legt, wo er gehen muß,
Der klage nicht, wenn ſie ihn ſtechen in den Fuß.

48.

Gern wird der Nachbar heut friſchbacknes Brot dir borgen,
Wenn du mit Sauerteig ihm kannſt aushelfen morgen.
34

49.

Die Menſchen ſind zu klug, um irgendwen zu loben,
Eh von was Gutem ſie an ihm geſehn die Proben.

50.

Von dem ich keinen Schutz verlang 'und keinen Lohn,
Wenn ich ihn ehre, fuͤhl' er ſich geehrt davon!

51.

Iſt kein Arbeiter doch um ſeinen Lohn betrogen;
Der Lehrer lernt und der Erzieher wird erzogen.

52.

Du ſchiltſt dich ſelbſt, wenn du dein Kind ſchiltſt ungezogen;
Denn zogeſt du's zuvor, ſo waͤr 'es nun gezogen.

53.

Die Schuͤler koͤnnteſt du, und ſie den Lehrer miſſen,
Wenn du die lehren ſollſt, die alles beſſer wiſſen.
35

54.

Schlimm, einem nicht vertraun, den man nicht kann entbehren;
Wie mancher ſchimpft den Arzt, und laͤßt ihn doch gewaͤhren.

55.

Die Uebels thun, womit ſie wollen Gutes ſtiften,
Sind Aerzte, die, um uns zu retten, uns vergiften.

56.

Wer hat nicht Eitelkeit! die Klugen wie die Gecken;
Doch dieſe zeigen ſie, weil jene ſie verſtecken.

57.

Vergnuͤgen will man ſich in der Geſellſchaft nicht,
Vergnuͤgt zu ſcheinen nur haͤlt man fuͤr ſeine Pflicht.

58.

Das Gute liebt die Still ', es liebt nicht das Getoͤſe;
Verbirgs, wo du es thuſt, wie man verbirgt das Boͤſe.
36

59.

Gott gibt zu rechter Zeit ſtets, was du brauchſt zum Leben,
Wenn du nur immer recht gebrauchſt, was er gegeben.

60.

Wer ſich begnuͤgt zu thun das Gute niedrer Stufen,
Thut uͤbel dran, wenn Gott zu hoͤhern ihn berufen.

61.

Der Wahrheit Feierkleid, bekam es Luͤgenſtreifen,
Nie waͤſcheſt du es rein mit Laugen und mit Seifen.

62.

Du klagſt, daß mancher dir gelohnt mit Undank hab ';
Und biſt du dankbar Gott fuͤr alles was er gab?

63.

Viel lieber iſt mir doch ein Thuer als ein Sager,
Ein Antwortgeber auch als ein vorlauter Frager.
37

64.

Ich lobe mir den Mann, der das, was er nicht kann,
Nicht unternimmt, und das vollbringt, was er begann.

65.

Ein Bild, ein Gleichniß macht der Sache Dunkles klar,
Die Wahrheit glaͤnzender, doch nie das Falſche wahr.

66.

Die Fluͤgel wachſen nur der Ameiſ 'um zu ſterben,
Dem Niedrigen gereicht der Hochmuth zum Verderben.

67.

Wenn du's nicht brauchen kannſt, wozu haſt du's gewonnen?
Im Hofe fehlet dir der Eimer an dem Bronnen.

68.

Des Wolfs Heißhunger macht die Rechnung ohne Wirt,
Der nur die Herde ſieht, und nicht auch Hund und Hirt.
38

69.

Die Saite, wenn man ſie zu hoch will ſpannen, reißt;
Nur weiſe Maͤßigung iſt was Erfolg verheißt.

70.

Dem Manne ſteht, o Sohn, Mannhaftigkeit wohl an,
Dem Menſchen Menſchlichkeit; du werd 'ein Menſch und Mann!

71.

Wenn außen Waͤrme treibt und Sauerteig von innen,
Wie ſollte das Gebaͤck nicht Luſt zu gehn gewinnen!

72.

Zuſammen iſt das Glas mit einem Stein getroffen,
Es brach, und wundert ſich, was konnt 'es andres hoffen?

73.

Was hilfts den Zweig, an dem kein Apfel iſt, zu ſchuͤtteln?
Man weckt den Schlafenden, am Todten hilft kein Ruͤtteln.
39

74.

Wer an Unwuͤrdige verſchwendet Ehrenzeichen,
Wie kann er Wuͤrdigen ſie noch mit Ehren reichen?

75.

Lobt ihr das Schwert, wenn ihrs nennt ſchaͤrfer als den Stecken?
Ihr ſetzt den Mann herab, den ihr vergleicht mit Gecken.

76.

Standunterſchied erſcheint vor Fuͤrſtenthron geringer;
Im Schach gilt ziemlich gleich ein Laͤufer einem Springer.

77.

Wenn Alten ſchlecht anſteht, was ſchoͤn an Jungen gilt,
Wie noch viel ſchlechter, was man ſelbſt an Jungen ſchilt.

78.

Wo du nicht der Gefahr kannſt aus den Wegen gehn,
Da bleibt dir nichts als ihr mit Muth entgegen gehn.
40

79.

Was hab 'ich nun erkaͤmpft, daß ſtumpf ſind meine Waffen?
Ich habe viel geſchafft, und habe nichts geſchaffen.

80.

Sohn, fuͤrchte Gott, damit dein Innres furchtlos ſei,
Denn Gottesfurcht nur macht von Menſchenfurcht dich frei.

81.

Hart wird zuletzt die Haut, die viele Streich 'empfangen,
Und hart der Sinn, wem es hart in der Welt gegangen.

82.

Ein Odem warm und kalt iſt in des Windes Naſen;
Das Feuer mag er an -, und aus - die Kerze blaſen.

83.

Durch Wechſelbeiſtand kann auch Noth die Noth vertreiben,
Alswie einander warm zwei kalte Haͤnde reiben.
41

84.

Wer ſeinem Freunde nicht ins Auge ſehen kann,
Kanns auch dem Feinde nicht, und iſt ein ſchlechter Mann.

85.

Wenn Gutes dir entweicht, ſo ſuch 'es zu erreichen;
Wenn Boͤſes dich erreicht, ſo ſuch' ihm zu entweichen.

86.

Wenn dich Gluͤckwechſel trifft, denk ', um dich nicht zu graͤmen:
Abnehmen muß der Mond, um wieder zuzunehmen.

87.

Gib, was du geben willſt, eh man darum dich bat;
Es iſt nur halb geſchenkt, was man erbeten hat.

88.

Nie Unrecht hab 'am Freund, doch eine deiner Gaben
Sei dieſe, Unrecht gern, wo Recht du haſt, zu haben.
42

89.

Sei auch beſcheiden gnug, ein aufmerkſames Ohr
Zu leihen manchem was du beſſer weißt zuvor.

90.

Des Freunds entbehren kann das Herz nicht, um zu leben;
Gibs einem ſchlechten, kannſt du's keinem guten geben.

91.

Ein Strohſeil zieht ſogut wie eins aus Hanf geſponnen,
Bis es verfault, dann faͤllt der Eimer in den Bronnen.

92.

Wo's theuren Guͤtern gilt, wehr dich, und ſei kein Haſe!
Der Stier mit ſeinem Horn vertheidigt ſeine Naſe.

93.

An Sittenſpruͤchen hat der Arge ſein Vergnuͤgen,
Nicht um danach zu thun, doch um damit zu truͤgen.
43

94.

Thu Gutes, wenn es auch vielleicht nicht rettet dich,
Doch wenn du Boͤſes thuſt, verdirbt dichs ſicherlich.

95.

Der Freund iſt naͤher dir als du dir ſelber biſt;
O wie biſt du ſo fern ihm der ſo nah dir iſt!

96.

Die Klugheit dieſer Welt iſt ſchlecht von Menſchen denken;
Wer aber Gott vertraut, kann allen Zutraun ſchenken.

97.

Der Thaler iſt nichts werth, ſolang er bleibt zu Haus;
Doch geht er auf den Markt, ſo holt er dir den Schmaus.

98.

Wenn ich vermoͤchte von den Schlacken zu befrein
Mein Gold, es waͤre werth die Luſt der Welt zu ſeyn.
44

99.

Was er geworden iſt, genuͤget nie dem Mann;
O wohl ihm wenn er ſtets nur werden will und kann.

100.

Beſtaͤndig iſt kein Gluͤck im Unbeſtand des Lebens,
Als nach Beſtaͤndigem Beſtaͤndigkeit des Strebens.
[45]

(III.)

1.

Mein Geischen! Winterlang iſt es uns ſchlecht ergangen;
Stirb nicht! der Fruͤhling kommt, da gruͤnen alle Rangen.

2.

Was liegt am ird'ſchen Gut? wirſt du voll Großmut ſagen,
Wenns deinem Nachbar ward, nicht dir, davongetragen.

3.

Schir Schah und Selim Schah der Streit iſt lang genug,
Wer von den beiden einſt den Bart am laͤngſten trug.
46

4.

Zur Zeit der Noth nennt man wol ſeinen Eſel Bruder,
Und iſt die Noth vorbei, ſo heißt er faules Luder.

5.

Wie du im Kaͤfich auch ihn hegſt und pflegeſt fleißig,
Laß offen, und weg iſt dein undankbarer Zeißig.

6.

Sie nahm den ſchlechten Mann, das war nicht recht bedacht,
Und lief ihm dann davon, das war erſt ſchlecht gemacht.

7.

So gehts in unſerm Haus. Der Zucker iſt geſtohlen,
Nun haben wir gelegt ein Siegel auf die Kohlen.

8.

Der Weber ſprach, als ich das Tuch nicht wollte loben:
Wie du's geſponnen haſt, ſo hab 'ich es gewoben.
47

9.

Wenn du der Sonne wagſt ins Angeſicht zu grinzen,
Gib Acht, ob eh'r dein Aug ', ob ihres eh'r wird blinzen!

10.

Willſt du an Feindes Thor heut mit dem Finger pochen,
So klopft er mit der Fauſt an deins in naͤchſter Wochen.

11.

Du ſchlaͤfſt mit Speer und Schild geruͤſtet, und im Schrecken
Wirfſt du es beides weg, wenn dich die Feinde wecken.

12.

Man glaubt die Wahrheit nicht, wenn ſie ein Armer ſpricht,
Und ſelbſt die Luͤge glaubt man einem reichen Wicht.

13.

Du ſelbſt heirateſt nicht, Heiraten willſt du ſtiften,
Handelſt mit Gift, doch magſt dich ſelber nicht vergiften.
48

14.

Wir ſcheiden uns nur nicht zu Aergernis-Vermeidung,
Und leben lieber in beſtaͤnd'ger Eheſcheidung.

15.

Wenn Freund zu Freunde kommt, ſtirbt des Verlaͤumders Macht,
Und alle Reden hat ein Blick zunicht gemacht.

16.

Zwei Fehle ſchenk 'ich dir, den dritten Uebertritt
Bezahlſt du dreifach mir, und alſo ſind wir quitt.

17.

Von unten ſcharfer Zahn, und ſcharfer Zahn von oben;
O weh dem Biſſen, der dazwiſchen wird geſchoben!

18.

Laß gute Nachbarſchaft uns mit der Hexe halten,
So laͤßt ſie ihre Kraft drei Haͤuſer weiter walten.
49

19.

Das kleine Pfefferkorn ſieh fuͤr gering nicht an,
Verſuch 'es nur, und ſieh, wie ſcharf es beißen kann.

20.

Pflanz 'einen Mangobaum, pflanz' eine Tamarinde,
Und die ſuͤße Frucht, und die bittre Rinde.

21.

Der Teufel hat die Welt verlaſſen, weil er weiß,
Die Menſchen machen ſelbſt die Hoͤll 'einander heiß.

22.

Die Katze, wenn ſie ſich der Schonung will befleißen,
So werden ſie alsbald ins Ohr die Maͤuſe beißen.

23.

Wenn du den Bettelſack einmal haſt umgehangen,
So ſtreck die Hand auch aus, die Gabe zu empfangen.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 350

24.

Fuͤr beide Theile iſt der Handel wohl gerathen;
Wo weder iſt verbrannt der Bratſpieß noch der Braten.

25.

Die Karawane klagt, daß man ihr Alles nahm,
Und auch der Raͤuber klagt, daß er nicht mehr bekam.

26.

Den Armen pluͤndert man, nur um die Luſt zu ſtillen,
Wie man den Reiher ſchießt nur um der Feder willen.

27.

Wenn Gott dich ſchlagen will, ſo braucht er nicht die Hand;
Er nimmt dir, daß du ſelbſt dich ſchlageſt, den Verſtand.

28.

Wer keine Rettung weiß, waͤhlt einen Zauberſpruch;
Wer ſich nicht helfen kann, hilft ſich mit einem Fluch.
51

29.

Das kraͤnkt dich nicht ſoſehr, was Leides dir geſchehn,
Als daß du mußt erfuͤllt den Wunſch des Feindes ſehn.

30.

Entweder wird das Schwert in meiner Hand mir weich,
Oder der harte Kopf des Feindes fuͤhlt den Streich.

31.

Der ganze Vogel iſt oft keinen Heller werth,
Fuͤr den als Rupferlohn ein Groſchen wird begehrt.

32.

Bei Unvertraͤglichkeit gedeiht kein Feur im Haus,
Der eine blaͤſt es an, der andre blaͤſt es aus.

33.

Ob die Melone fiel aufs Meſſer, ob das Meſſer
Auf die Melon ', es geht in keinem Fall ihr beſſer.
3*52

34.

Sei dem gefaͤllig, der an dir Gefallen traͤgt,
Und frage dem nicht nach, der ſelbſt nach dir nicht fraͤgt.

35.

Man ſieht das Geld nicht an, das Leben nur zu ſparen,
Und ſetzt das Leben dran, die Ehre zu bewahren.

36.

Ein Gotteskaſten iſt des Armen leerer Bauch,
Und wer ihn fuͤllt, erfuͤllt den Willen Gottes auch.

37.

Roth faͤrbet mit der Schmink 'ein Weib ſich das Geſicht,
Und mit dem Ruhm ein Mann, der wider Feinde ficht.

38.

Du fuͤtterſt ihn umſonſt mit Pomeranzenkernen,
Dein alter Papagei wird nicht mehr ſprechen lernen.
53

39.

Wenn eine Jagd anſtellt der Loͤw ', iſts eine Freude
Dem Schakal, und ein Weh den Rehen auf der Haide.

40.

Dem einen geht es hin, den andern gibt man frei;
Wenn es der dritte thut, zahlt er fuͤr alle drei.

41.

Auf Kuͤnft'ges rechne nicht, und zaͤhl nicht auf Verſprochnes;
Klag 'um Verlornes nicht, und denk nicht an Zerbrochnes.

42.

Wozu ſo lang der Schweif dem Pferde wuchs, dem edeln?
Damit die Fliegen es ſich ſelber koͤnne wedeln.

43.

Das Bethaus ſteht noch nicht gebaut mit ſeinen Pfoſten,
Und ſchon zum Betteln nahm ein Lahmer dort den Poſten.
54

44.

Ein halbes Koͤrnchen und ein ganzes hat der Tropf,
Und jedes kochet er in einem eignen Topf.

45.

Der Mangel mag dem Fleiß einmal ins Fenſter ſchaun,
Doch zu der Thuͤr hinein darf er ſich nicht getraun.

46.

Ein ſchlechter Kreuzer wird vielleicht einmal zum guten,
Und gut ein ſchlechter Mann, doch iſts nicht zu vermuthen.

47.

Wenn nicht das Kindlein ſchreit, die Mutter es nicht ſtillt;
Du mußt dich melden, wenn du etwas haben willt.

48.

Neun Tage dauert Neu's, und iſt nicht neu mehr ſchon,
Das Alte hundert Jahr, nur aͤlter wirds davon.
55

49.

Wer friſche Brunnen will an jedem Tage graben,
Wird immer friſchen Trank und friſche Arbeit haben.

50.

O brich den Faden nicht der Freundſchaft raſch entzwei!
Wird er auch neu geknuͤpft, ein Knoten bleibt dabei.

51.

Mach 'in den Napf kein Loch, aus dem du haſt gegeſſen;
Und deſſen Gaſt du warſt, gedenk' in Ehren deſſen.

52.

Wenn das nicht Ungluͤck iſt, was ſoll denn Ungluͤck heißen?
Ich ſitz 'auf hohem Pferd, doch muß der Hund mich beißen!

53.

O Gnade nun, Frau Katz ', und freſſet mich nicht ganz!
Das Maͤtzchen iſt gerupft, doch lebts auch ohne Schwanz.
56

54.

Wenn du zum Spiel ablegſt dein Horn, der Kaͤlber halb,
Ein Stumpfhorn wirſt du wohl, o Stier, doch nie ein Kalb.

55.

Fuͤr einen Muͤckenſtich weißt du kein Mittel noch,
Und ſteckeſt deine Hand ſchon in ein Weſpenloch!

56.

Ein grauer Bart am Hals, und noch die Kinderflecken!
Nichts laͤcherlicher als die Thorheit alter Gecken.

57.

Das iſt gewis! die Magd, wo ſie wird Frau im Haus,
Die ſchicket ihre Maͤgd 'im aͤrgſten Regen aus.

58.

Verbrannt iſt dir dein Haus. Verbrannt iſt nur das Holz.
Was haſt du Stolzer draus gerettet? Meinen Stolz.
57

59.

Mein Beſtes bot ich auf, und ſchlecht iſt es gerathen,
Die Geiß geſchlachtet, und dem Gaſt ſchmeckt nicht der Braten.

60.

Wenn ihr euch helfen wollt, muͤßt ihr einander helfen;
Zuſammen nur geſtellt, wird Eins und Eins zu Elfen.

61.

Zur Traͤnke draͤnget ſich am Dorfteich Rind und Lamm;
Die erſten finden Flut, die letzten finden Schlamm.

62.

Geladen waren drei, und dreizehn ſind gekommen;
Gieß Waſſer an die Supp ', und heiß ſie all willkommen.

63.

Ein Wunſch in deiner Bruſt, in deinem Haus ein Gaſt,
Drei Tage eine Luſt, am vierten eine Laſt.
58

64.

Der wird der Frau zu Haus ins Haar am erſten fahren,
Der draußen ſelber ſich laͤßt rupfen an den Haaren.

65.

Das widerſpenſtige Kamel wird doch beladen,
Und hat mit ſeinem Trotz verſcherzt des Treibers Gnaden.

66.

Nicht lauter Leben iſt dis Durcheinanderlaufen,
Auch immer Trauer gibts in dem Ameiſenhaufen.

67.

Ich hatte Zaͤhne ſonſt, da hatt 'ich Brocken nicht;
Den Brocken hab' ich nun, da mir der Zahn gebricht.

68.

Das Fleckchen an der Wang 'iſt eine Zier, das ſchwarze;
Doch wenn zu groß es wird, ſo iſt es eine Warze.
59

69.

Von einer Milchkuh nimmt man einen Stoß nicht uͤbel,
Wenn nur daruͤber aus der Hand nicht faͤllt der Kuͤbel.

70.

Von hundert Schlaͤgen, die der Goldſchmidt thut, trifft keiner
Ein Hunderttheil ſo ſtark, als von dem Grobſchmied einer.

71.

Geh nur zum Brunnen hin, daß er den Durſt dir nehme!
Ein Wunder waͤr 'es, wenn zu dir der Brunnen kaͤme.

72.

Kind! Mutter-Zaͤrtlichkeit iſt eigenes Gewaͤchſe;
Wer zaͤrtlicher als ſie dir thut, iſt eine Hexe.

73.

Des dunkeln Hauſes Lamp 'ein wohlgerathner Sohn,
Der Vater altersblind wird ſehend neu davon.
60

74.

Von weitem kennt ein Mann am Dach ſein eignes Haus,
Fuͤr andre nimmt es ſich wie jedes andre aus.

75.

Die Augen halte zu, und deinen Beutel offen;
Ein ſolcher Kund 'iſt es, auf den die Kraͤmer hoffen.

76.

Der Kraͤmer, der nichts hat zu thun im Kramgemach,
Raͤumt aus dem einen aus, und ein ins andre Fach.

77.

Laß trinken, frommer Mann, die Durſt'gen, eh ſie flehten;
Milch iſt es, wenn geſchenkt, und Waſſer, wenn erbeten.

78.

Zerbrochen oder nicht, das Toͤpfchen hoͤrt 'ich krachen;
Du biſt in ſchlimmem Ruf, der ſchwer iſt gut zu machen.
61

79.

Das Sperlingsweibchen traͤgt zu Neſt, das arme Schelmchen!
Sieh, auseinander ſcharrt das Maͤnnchen ihm die Haͤlmchen.

80.

Ein Feind ſchlaͤft ſelber nicht, und laͤßt uns auch nicht ſchlafen;
Der Wolf iſt wach, drum wacht der Schaͤfer bei den Schafen.

81.

Du zwiſchen Feinden, wie die Zunge zwiſchen Zaͤhnen,
Sei unverſehrt, wie ſie von dieſen, du von jenen!

82.

Gelehrſamkeit ſteckt an. In unſres Kadhi Haus
Lebt, ohne rechtsgelehrt zu werden, keine Maus.

83.

Von meinen Zaͤhnen hab 'ich einige zum Kauen,
Und einige fuͤr euch, die geb' ich euch zu ſchauen.
62

84.

Die Peitſche hab 'ich ſchon, die Sporen auch, und werde,
Hab' ich den Sattel erſt, auch kommen zu dem Pferde.

85.

Profeten meinen oft, ſie machen, was ſie ſagen.
Ja, kraͤhte nicht der Hahn, ſo wuͤrd 'es auch nicht tagen.

86.

Das Bethaus iſt in Schutt gefallen, aber hoch
Steht noch der Hochaltar, und betet fuͤr uns noch.

87.

Wer kann die Linien in ſeiner Hand verwiſchen?
Die gottgeſchriebne Schrift wird immer ſich erfriſchen.

88.

Weh dieſer Welt! ſie gibt fuͤr heut uns Nahrungſorgen,
Und des Gerichtes Furcht gibt ſie uns mit fuͤr morgen.
63

89.

Ich ſpreche Feuer, und es brennt mich nicht im Mund;
Ich ſage Waſſer, und es wird nicht feucht mein Schlund.

90.

Du haſt am hellen Tag die Wachskerz 'angefacht,
Nun fehlet dir das Oel fuͤrs Laͤmpchen in der Nacht.

91.

Zum Spielplatz laͤuft das Kind, man brauchts nicht hinzutreiben;
Zur Schule fuͤhrt man es, moͤcht 'es zu Hauſe bleiben.

92.

Nicht zaͤhle, was im Brand des Hauſes dir verbronnen;
Zaͤhl, was gerettet iſt, und rechn 'es fuͤr gewonnen.

93.

Wer hinten ſchneidet ab, um vorn es anzuſtoßen,
Deckt ſeine Bloͤße hier, und iſt nun dort im Bloßen.
64

94.

Soll der bedrohte Baum nicht drein mit Freude ſchauen,
Holzhauer, wenn du ſelbſt dich in den Fuß gehauen!

95.

Der Raͤuber im Gebirg iſt auch ein freier Fuͤrſt,
O Fuͤrſt, ſo frei wie du, bis du ihn fangen wirſt.

96.

Stets haſt du Recht, wenn du beim Richter biſt allein;
Doch warte nur, es kommt dein Gegner hinterdrein.

97.

Geh du in die Moſkee, ich geh 'in die Pagode;
Laß du mir meinen Brauch, dir laſſ' ich deine Mode.

98.

Durch Weihgeſchenk 'erwirbt der Reiche Himmelsgnaden;
Was kann der Bettler thun? im heil'gen Strome baden.
65

99.

Nicht viel zu leben, und nur leben in Benares!
Was leben? nur den Geiſt aufgeben in Benares!

100.

Ob du nach Mekka magſt, ob nach Benares wallen,
Die beſte Pilgerſchaft iſt Gottes Wohlgefallen.
[66]

(IV.)

1.

Es waͤſcht die eine Hand die andre, wie man ſpricht,
Und beide waſchen dann zuſammen das Geſicht.

2.

Der leere Eimer faͤllt von ſelbſt im Bronnen nieder,
Doch nicht der volle ſteigt von ſelbſt zur Hoͤhe wieder.

3.

Der Arbeit Buͤrd 'iſt leicht, und ſchwer des Dankes Laſt;
Arbeite, daß du nur dir ſelbſt zu danken haſt.
67

4.

Beſſer ein altes Kleid mit eignem Drate flicken,
Als mit geborgtem Gold ein neues laſſen ſticken.

5.

Das Wort des Mannes iſt von ſeiner Seel 'ein Theil;
Sowenig iſt ſein Wort als ſeine Seele feil.

6.

Der ferne, der mich gruͤßt, iſt nah im Herzen mir;
Der nahe, der mich nicht beſucht, iſt weit von hier.

7.

Das iſt kein Gluͤck, was ich mit Herzblut muß erkaufen;
Gluͤck iſt, was zu mir kommt, und laͤßt nach ſich nicht laufen.

8.

Und wenn Gott jeden Wunſch den Menſchen laͤßt erwerben,
So bleibt zuletzt ihm nichts zu wuͤnſchen als zu ſterben.
68

9.

Das Hehlen iſt ſo ſchlimm und ſchlimmer als das Stehlen;
Denn ſtehlen wuͤrde nicht, wers hoffte nicht zu hehlen.

10.

Noch reden wird die Kuh in ihres Raͤubers Bauch;
Der Pfau im Haus des Diebs verraͤth ihn ſelber auch.

11.

Der Juwelier, wenn er den Edelſtein will faſſen,
Darf ſich vom Glanze nicht die Augen blenden laſſen.

12.

Kind, wer dich lobt, will nur dein Loͤbliches verderben,
Und wer dich tadelt, ſpornt dich an nach Lob zu werben.

13.

Wer Gutthat ſendet aus, wielang ſie auf den Wegen
Mag bleiben, endlich kehrt ſie heim zu ihm mit Segen.
69

14.

Die Vorſicht geht zu ſacht, die Zuverſicht zu keck;
Vorſicht, mit Zuverſicht vereint, gelangt zum Zweck.

15.

Sei fleißig Tag und Nacht, und ſammle Gut ins Haus!
In vielen Stunden kommts, und geht in einer aus.

16.

Geld fuͤr Beleidigung iſt niederer Gewinn,
Sich raͤchen edler Mut, Verzeihen hoher Sinn.

17.

Des Thoren Herz und Geld ſind nie recht einverſtaͤndig,
Du machſt einander ſie mit leichter Kunſt abwendig.

18.

Im letzten Haus, dem Sarg, haſt du nicht mehr Hausſorgen;
Nur wer in dieſer Burg ſich barg, der iſt geborgen.
70

19.

Wer von des Schickſals Hand noch keinen Streich empfand,
Glaubt gar nicht, welche Streich 'austheilen kann die Hand.

20.

Etwas liegt an der Art, die Gott dem Keim verliehn,
Und etwas auch an der, wie du ihn wirſt erziehn.

21.

Das hoͤchſte iſt die Gunſt, womit der Himmel ſchaltet,
Das naͤchſte iſt die Kunſt, womit der Gaͤrtner waltet.

22.

Aus bittern Meeren zieht die Sonne ſuͤßes Waſſer,
So zieh 'auch Liebe du aus Herzen deiner Haſſer.

23.

Des Feuers Leben iſt, daß es ſich ſelbſt verzehrt;
Der toͤdtet es, wer ihm ſich zu verzehren wehrt.
71

24.

Das Leben iſt ein Feur, die Luft muß es erquicken;
Sobald die Luft ihm fehlt, wird es in ſich erſticken.

25.

In jedem Athemzug gibt Leben auf ſein Leben,
Wie unſichtbare Duͤft 'aus Blumenkelchen ſchweben.

26.

Wer taͤglich ſammeln muß mit Sorgen ſeine Nahrung,
Der ſammelt nie den Geiſt, doch ſammelt er Erfahrung.

27.

Nichts elender, als halb geſchlafen, halb gewacht;
Du haſt nicht ausgeruht, und haſt kein Werk vollbracht.

28.

Der Ruhm des Mannes iſt des Weibes hoͤchſter Reiz,
Die Ehre ſeines Weibs des Mannes hoͤchſter Geiz.
72

29.

Geziemend iſt der Schmuck an Weibes Leib allein,
Und die geſchmuͤckte ſoll der Schmuck des Mannes ſeyn.

30.

Ein reizendes Geſicht iſt kranker Augen Balſam,
Das fein gefaͤllig iſt und nicht zuſehr gefallſam.

31.

Anfang und Ende ſind wol unter ſich verwandt,
Doch iſt der Anfang blind, das Ende hats erkannt.

32.

Laß dich auf das nicht ein, wo dir die Sinne ſchwinden;
Im dunkeln Hauſe ſind die ſehnden gleich den blinden.

33.

Leicht kommt hinein der Dieb ins unbewachte Thor
Des Bettlers, doch beſchaͤmt kommt er daraus hervor.
73

34.

Ein Stadtthor kanſt du wol verſchließen mit dem Riegel,
Doch legen kanſt du nicht auf Feindes Mund ein Siegel.

35.

Das Rephun ißt ein Korn, dazu ein Koͤrnlein Sand,
Es frißt dir nicht die Ernt ', und nicht dein Ackerland.

36.

Der Schwanz der Nachbarmaus iſt lang, die kannſt du fangen,
Kurz deiner Ratte Schwanz, die iſt dir ſtets entgangen.

37.

Mein Sohn, du wirſt das Gut von deinem Vater erben;
Erbſt du nicht auch den Fleiß, ſo wirſt du drauf verderben.

38.

Darf ich vom Feſt der Stadt mir nur erzaͤhlen laſſen,
So hab 'ichs mitgemacht, und nicht mein Dorf verlaſſen.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 474

39.

Im Haus der Großmuth gehn ſoviele aus und ein,
Daß ſeine Schwelle bald wird abgetreten ſeyn.

40.

Der Jogi iſt zu Haus ein armer Bettler nur,
Und wird zum Heiligen auf einer fremden Flur.

41.

Mauleſel ward gefragt: Wer iſt dein Vater, ſprich!
Mein Oheim, ſprach er, iſt Herr Hengſt, was fragt ihr mich?

42.

Wer weiß, ob eh'r das Glas zerbricht, ob eh'r der Krug?
Beide, das iſt gewis, zerbrechen bald genug.

43.

Wer nennet eine Laſt das was ihm dient zur Wehr?
Die eignen Hoͤrner ſind dem Buͤffel nicht zu ſchwer.
75

44.

Den Eſel hungern ließ der Treiber, wo's war eben;
Da's an den Bergſteig geht, will er ihm Gerſte geben.

45.

Es geht ein krummes Schwert in eine krumme Scheide;
Ihr ſeid einander werth, und fuͤr einander beide.

46.

Des reichen Mannes Herz, das keine Großmuth faſſet,
Iſt ein verroſtet Schloß, darein kein Schluͤſſel paſſet.

47.

Oft weiß nicht, wer von fern ſich weidet am Gefunkel,
Wie wahr das Sprichwort ſagt: Am Fuß der Lamp 'iſts dunkel.

48.

Dein Feur iſt jemand ſchon geworden warm davon?
Von deinem Rauche blind ward manches Auge ſchon.
4*76

49.

Wer in die Wuͤſte flieht, den Boͤſen zu entwallen,
Wird dort in die Gewalt der boͤſen Geiſter fallen.

50.

Von weitem ſieht ein Fuchs den Fuchs auf ſeinem Gange,
Zuſammen kommen ſie beim Kuͤrſchner auf der Stange.

51.

Wenn uͤbers Haupt einmal mir ſollen gehn die Wellen,
Gilt es mir voͤllig gleich, ob ein 'ob hundert Ellen.

52.

Das iſt ein Unfall zwar, doch der mir muß gefallen:
Mein Stuͤckchen trocknes Brot iſt in das Mus gefallen.

53.

Ein jedes Thier der Trift hat ſeine Nahrungsweiſe;
Was fuͤr das eine Gift, iſt fuͤr das andre Speiſe.
77

54.

Du triumfireſt, daß der Wolf iſt hingeſtreckt,
Doch weißt du, im Gebuͤſch was fuͤr ein Tiger ſteckt?

55.

Ich habe meinen Sinn, das Gluͤck hat ſeinen Kopf,
Und wer ihn durchſetzt, ſchilt den andern einen Tropf.

56.

Der Feige, der gezeigt den Ruͤcken in der Schlacht,
Kann nie ſein Angeſicht mehr zeigen unverlacht.

57.

Der Schaͤfer ließ ſein Schaf die beſten Kraͤuter eſſen,
Zum Dank hat es das Brot ihm aus dem Sack gefreſſen.

58.

Man muß den Todten doch, wie lieb er ſei, begraben;
Das Leben kann den Tod bei ſich im Haus nicht haben.
78

59.

Der Kruͤger ſelber trinkt aus einem alten Krug;
Denn jeden neuen, den er macht, verkauft er klug.

60.

Wer ſich an heißer Milch einmal verbrannt die Naſen,
Wird auch die Buttermilch, eh 'er ſie trinket, blaſen.

61.

Du ſahſt die Schlang 'einmal, und dein beſorgter Blick
Sieht nun die Schlang' am Weg in jedem alten Strick.

62.

Man kann, was man geſtand, nicht leugnen hinterher;
Die Nuß iſt aus der Schal ', und geht hinein nicht mehr.

63.

Das Kaͤtzchen buckelt ſich, und will Kamelchen ſeyn;
Wenn mans beladen will, zieht es den Buckel ein.
79

64.

Herr Strauß, wenn ein Kamel du biſt, ſo trage mir!
Ich bin ein Vogel. Flieg! Ich bin ein Trampelthier.

65.

Ich muß dem Luͤgenden in ſeinem Hauſe glauben,
Doch draußen muß er ſchon den Zweifel mir erlauben.

66.

Wirfſt du nach einem Hund, der hungrig iſt, den Stein,
So ſpringt er darauf zu, und denkt es ſei ein Bein.

67.

Ein ſchlechter Jagdhund iſt, der vorlaut bellend ſcheucht
Das Wild, und athemlos dann hinterdrein ihm keucht.

68.

Du haſt die Spreu umſonſt durchwuͤhlt, wenn du nicht achteſt
Das einz'ge Korn, das du davon als Beute brachteſt.
80

69.

Nimm die Gelegenheit vorn bei dem kurzen Haar,
Sonſt beut ſie hinten dir den kahlen Nacken dar.

70.

Zu einem ſtarken Pfeil gehoͤrt ein ſtarker Bogen,
Und ohne ſtarken Arm wird dieſer nicht gezogen.

71.

Der Pfeil iſt gutgeſchnitzt, allein nicht zugeſpitzt;
Mach 'erſt die Spitze dran, und ſag' ein Pfeil iſts itzt.

72.

Die Schlange wendet ſich und windet ſich mit Drehn;
Laß ihr den Schlangengang, ſie kann nicht grade gehn.

73.

Der ſchlechte laͤßt ſich nicht von ſeiner Schlechtheit treiben;
Verſprich, o guter Mann, nur ſelber gut zu bleiben.
81

74.

Thu's, willſt du Gutes thun, und frage kein Orakel;
Des edlen Mannes Herz iſt Gottes Tabernakel.

75.

Der Eſel ſtolpert gleich, wenn er geht unbeladen;
Darum belad 'ihn nur, daß er nicht nehme Schaden!

76.

Der Bettler hat zu Nacht im Haus kein beßres Licht
Als Mondſchein beßres hat doch auch der Reiche nicht.

77.

Verachte nicht den Staub, der dir den Weg verdeckt;
Weißt du, in dieſem Staub was fuͤr ein Reuter ſteckt!

78.

Wenn uͤberm Raube ſich entzwein der Diebe Schaaren,
Dann kommt der Ehrliche zu den geſtohlnen Waaren.
82

79.

Die Schlange, wann der Tod fuͤr ſie geſchrieben ſteht,
Kommt auf den Weg heraus, wo Roß und Maulthier geht.

80.

Des Schneiders Nadel, weiß ſie nicht wo'naus vor Witz,
Steckt ſie ſich umgekehrt in ihres Meiſters Sitz.

81.

Zwar fromme Stiftung mag dir frommen; doch ein Licht,
Das du bedarfſt im Haus, das ſtift 'ins Bethaus nicht.

82.

Du kannſt die Lampe nur im Licht der Lampe ſehn,
Du kannſt die heil'ge Schrift nur aus ihr ſelbſt verſtehn.

83.

Ein leeres Haus, worin die Menſchen nicht mehr wohnen,
Wird in Beſitz alsbald genommen von Daͤmonen.
83

84.

Kein Reuter hat ein Schild vor des Geſchickes Pfeilen;
Dem du enteilen willſt, das wirſt du nur ereilen.

85.

Wenn dir des Schickſals Hand will fallen in die Zuͤgel,
Wird dein arab'ſcher Hengſt ein Eſel unterm Buͤgel.

86.

Das iſt des Habichts Amt, und der Beruf der Eule,
Daß er am Tage kraͤchz ', und in der Nacht ſie heule.

87.

In dieſem Garten hatt 'ich auch einmal mein Neſt;
Ich bin beim Faſten nun, die andern ſind beim Feſt.

88.

Die Buhlin, wenn ſie nun hat von den Buhlen Muße,
Und nichts mehr auf der Welt zu thun weiß, thut ſie Buße.
84

89.

Des Schickſals Griffel wollt 'einmal ein Gluͤck mir ſchreiben,
Da brach die Spitz' ihm ab, ich ſoll beim Ungluͤck bleiben.

90.

Ich hab 'es ſelbſt geſaͤt, ich muß es ſelbſt auch ernten,
Mir helfen nicht dazu die nahen noch entfernten.

91.

Der Koͤnig Aar fliegt hoch, Zaunkoͤnig hoͤher noch,
Der jenem, als er ſtieg, unter die Fluͤgel kroch.

92.

Was ſoll ein Vater thun, wenn ihm ein Sohn misrathen?
Der Thaͤter bleibt ihm lieb, wie leid ihm ſind die Thaten.

93.

Solang die Thoren nicht aus dieſer Welt verſchwinden,
Wird unter ihnen ſtets ſein Brot ein kluger finden.
85

94.

Von ferne haͤlt die Hand ein kluger Mann ans Feuer,
Ein Thor ſteckt ſie darein, und kauft die Waͤrme theuer.

95.

Ein gutes Jahr geht fruͤh mit gutem Fruͤhjahr an;
Wer nichts als Knabe taugt, taugt ſchwerlich viel als Mann.

96.

Ein Reicher in der Fremd 'iſt uͤberall zu Haus,
Und fremd ein armer Mann in ſeinem eignen Haus.

97.

Im Blick des Bettlers iſt die Bitte vorgetragen;
Verſtehſt du nicht den Blick, was ſoll der Mund dir ſagen?

98.

Der milde Mann, wie Gott, zu ſpenden ſeine Gaben
Will keinen Grund, er will nur einen Anlaß haben.
86

99.

Die herbe Traube thut, als ſei ſie ſchon Roſine;
Wie uͤbel, junges Blut, ſteht dir die alte Miene!

100.

Die Hand des Milden juckt, beſtaͤndig auszuſpenden,
Wie die des Diebes zuckt, ſtets etwas zu entwenden.

101.

Der Tapfre braucht ſein Schwert, der Feige ſeine Zunge,
Die alte Schoͤn 'ihr Geld, und ihr Geſicht die junge.

102.

Wer eine Schlinge legt und keine Beere drein,
Und Voͤgel fangen will, muß ſelbſt ein Gimpel ſeyn.
[87]

(V.)

1.

Was iſt ein Sinngedicht? Wie Mann und Weib verbunden,
Ein Zeilenpaar, das ſich vereint im Reim empfunden.

2.

Gewohntes wuͤnſch 'ich mir, doch mach' ich zum Bedinge,
Daß aus Gewohnheit nie Gleichguͤltigkeit entſpringe.

3.

Ich moͤchte mir die Gunſt der Lilie gern erwerben,
Doch ohne mit der Roſ 'es darum zu verderben.
88

4.

Mach dich der Wuͤnſche leer, und andre wunſchesvoll,
O Herz, ſo gibſt du Gott und auch der Welt den Zoll.

5.

Die Sinne luͤgen nicht, darauf mußt du vertraun;
Doch ſie ſind ſchwach, auf ſie mußt du zuviel nicht baun.

6.

Zur ew'gen Seligkeit kannſt du dich vorbereiten
Nur wenn du ſteigerſt ſtets der Seele Thaͤtigkeiten.

7.

Gemuͤt iſt mehr als Geiſt, denn das Gemuͤt beſteht
Als Wurzel, wenn der Geiſt wie Bluͤtenduft vergeht.

8.

Zum Hauſe Gottes kommt man nicht uneingeladen,
Er ſchickt dir halben Wegs entgegen ſeine Gnaden.
89

9.

Des Schneiders Nadel, bald auf Seide, bald auf Zwillig
Sie geht, wenn nicht gleichleicht, auf beiden doch gleichwillig.

10.

Der Wagen auf dem Schiff, das Schiff dann auf dem Wagen,
Sie moͤgen uͤber Flut und Land ſich wechſelnd tragen.

11.

Ich zog, um obendrauf zu thun den letzten Stein,
Den unterſten hervor, da fiel der Plunder ein.

12.

Ich brauche gute Waar ', es iſt mir einerlei,
Aus welcher Bude ſie, von welchem Kraͤmer ſei.

13.

Die Roſe lacht im Thau, und denkt nicht an die Zaͤhren
Des Roſenwaſſers, die ſie wird in Glut gebaͤren.
90

14.

Dem armen Herzen bringt das kleinſte Gluͤck Beklemmung,
Wie dem Ameiſenhaus ein Thautropf 'Ueberſchwemmung.

15.

Der Weihrauch duftet nur, wo ihn die Glut verzehrt;
Leid 'in Geduld, o Herz, ſo biſt du Gottes werth.

16.

Herz, wundre dich nur nicht, wenn dir dein Haus ein Stein
Zerbricht; warum haſt du's gebaut aus Glas allein.

17.

Der Andacht Thraͤne ſoll man nicht vom Auge wiſchen,
Denn nichts ſoſehr wie ſie kann deſſen Glanz erfriſchen.

18.

Du mußt den erſten Platz dem letzten nie einraͤumen,
Um Angenehmes nie Nothwendiges verſaͤumen.
91

19.

Nichts wie die Schmeichelei iſt ſo gefaͤhrlich dir;
Du weißt es daß ſie luͤgt, und dennoch glaubſt du ihr.

20.

Der Vogel fuͤhlt ſich frei, im Kaͤfich aufgehangen,
Wenn an das Netz er denkt, worin er lag gefangen.

21.

Ich ſah vom Mond herab, da kamen alle Baͤume
Von gleicher Hoͤh mir vor, und eben alle Raͤume.

22.

Selbſt die fuͤnf Finger ſind nicht gleich an einer Hand,
Verſchieden iſt ihr Dienſt, ihr Anſehn, Groͤß 'und Stand.

23.

Dem Muͤßiggaͤnger fehlt es ſtets an Zeit zum Thun,
Und nie an einem Grund, warum ers laſſe ruhn.
92

24.

Wenn die Gewaͤhrung du nicht ſiehſt im Angeſicht
Des, den du bitten willſt, ſo thu die Bitte nicht.

25.

Ein Schatten im Gemuͤt von einem deiner Gaͤſte
Verſtoͤrt die Heiterkeit vom ganzen Hochzeitfeſte.

26.

Mit unverdientem Lob kannſt du vielleicht beſchaͤmen,
Wen du nicht konnteſt mit verdientem Tadel zaͤhmen.

27.

Die rechte Freundſchaft iſt von hinten wie von vorne,
Nicht Roſ 'ins Angeſicht, und hinterm Ruͤcken Dorne.

28.

Was Heil uns bringet, iſt ein Unheil nicht zu nennen,
Und jedes Unheil bringt uns Heil, wenn wirs erkennen.
93

29.

Sieh, was die Weiſen thun, ſieh, wie's die Thoren treiben;
Und thu das eine nach, und laß das andre bleiben.

30.

Mußt du verpflichtet ſeyn, ſo ſei's dem Ehrenmann;
Denn ſchwer iſt danken dem, den man nicht ehren kann.

31.

Der Beeren hangen viel an einem Traubenſtiele;
Haͤltſt du den einen Stiel, ſo haͤltſt du alle viele.

32.

Des Zahnwehs Heilung iſt, den Zahn dir auszureißen,
Den Diener, welcher ſchlecht dir dienet, gehn zu heißen.

33.

Man lebt nicht zweimal, und wie groß iſt deren Zahl,
Die leben auf der Welt auch einmal nicht einmal!
94

34.

Wenn du mir nahe biſt, und ich nichts ſeh von dir,
Wollt 'ich, du waͤreſt fern, und ſchickteſt Gruͤße mir!

35.

Der Freund, der lang 'uns ließ auf ſeine Ankunft hoffen,
Darf nicht gleich wieder gehn, wenn er erſt eingetroffen.

36.

Der Freund hat einen Strick gelegt um mein Genick,
Fuͤhrt mich wohin er will in jedem Augenblick.

37.

Scheu du nicht ein Geſchaͤft, das dir kann Ruh erringen,
Und ſcheu 'auch eines nicht, das ſie kann andern bringen.

38.

Gebet fuͤhrt halben Wegs zum Paradies, die Staͤrke
Des Glaubens klopft ans Thor, das aufthun Liebeswerke.
95

39.

Sei du der Kerze gleich, die ſich in Demut putzt,
Und um ſo heller brennt, wenn man die Schnaup 'ihr ſtutzt.

40.

Verzage nicht, mein Herz! das Ei kann Federn kriegen,
Und aus der engen Schaal 'empor zum Himmel fliegen.

41.

Wir hofften ſchon jahrein, nun laßt jahraus uns hoffen;
Am Ende trifft es ein, was noch nicht eingetroffen.

42.

Ich glaubte mich gelobt, dir danken wollt 'ich ſchon;
Nun lobſt du jeden Wicht, beſchaͤmt ſchleich' ich davon.

43.

Gruͤn wird vor Luſt ein Blatt vom andern Blatt am Baume,
Und eine Pflaum 'aus Scham roth von der andern Pflaume.
96

44.

Was du zur Grotte rufſt, das ruft dir aus der Grotte,
Und dein Orakel biſt du ſelbſt bei deinem Gotte.

45.

Zum Weinen muß das Herz ſich auch mit Luſt aufſchließen;
Solangs der Schmerz verſchließt, kann nicht die Thraͤne fließen.

46.

Dir ſelbſt und Gott getreu, und allen Menſchen gut,
Dann trage, wie du magſt, Turban, Kapp 'oder Hut.

47.

Das Leben iſt ein Raub, das Leben eine Beute;
Wer weiß, wers morgen nimmt? wers hat, genieß 'es heute.

48.

Wenn morgen kommt, will ich das Werk von morgen thun,
Gethan iſt das von heut, nun laßt mich heute ruhn.
97

49.

Das Gold, ſobald es hat erkannt den Edelſtein,
Ehrt deſſen hoͤhern Glanz, und faßt ihn dienſtbar ein.

50.

Der Traube Suͤßigkeit gib denen, die nicht lieben,
Damit nicht bitter ganz ihr Gaumen ſei geblieben.

51.

Von Freunden, dachten wir, ſei Freundſchaft zu erwarten;
Nun ſehn wir, dieſes Kraut waͤchſt nicht in dieſem Garten.

52.

Dein eignes Leben ſelbſt iſt laͤnger nicht dein eigen,
Sobald dein Herz du fuͤhlſt zu einem andern neigen.

53.

Gib nicht zu ſchnell dein Wort, ſo brauchſt du's nicht zu brechen;
Viel beſſer iſt es, mehr zu halten als verſprechen.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 598

54.

Wenn es das Gluͤck nicht iſt, ſo iſt es doch ſein Schein;
Ein Bettler ſteckt wol auch den falſchen Groſchen ein.

55.

Das Gluͤck und das Verdienſt ſind von ungleicher Macht:
Wer das Verdienſt hat, weint, und wer das Gluͤck hat, lacht.

56.

Trifft dich des Schickſals Schlag, ſo mach 'es wie der Ball:
Je ſtaͤrker man ihn ſchlaͤgt, je hoͤher fliegt er all.

57.

Schlaͤgt dir die Hoffnung fehl, nie fehle dir das Hoffen!
Ein Thor iſt zugethan, doch tauſend ſind noch offen.

58.

Die Lamp 'an einer Seit', die Kerz 'iſt ringsum licht;
Sei du die Lampe nur, biſt du die Kerze nicht.
99

59.

Wer Gluͤck im Hauſe hat, hat außerm Hauſe Luſt;
Wohl iſt dirs in der Welt, wenn wohl in deiner Bruſt.

60.

Wo unter einem Dach beiſammen zwei entgegen
Geſetzte Winde ſind, wird nie der Sturm ſich legen.

61.

Warum thun Buße nicht, die Buße predigen?
Weil ſie ſich ihrer Pflicht durchs Wort entledigen.

62.

Haſt du die irdiſchen Geſchaͤfte ſchon gethan,
Daß du der himmliſchen dich nimmſt ſo eifrig an?

63.

Gewinnen muß, wer nicht verloren gibt das Spiel;
Verzage nicht! es trifft der letzte Pfeil das Ziel.
5*100

64.

Sei nur, wo's irgendwas zu lernen gibt, gelehrig;
Oft findet ſich, was man im Schranke ſucht, im Kehricht.

65.

Ein Wammes, deſſen Schnitt nicht deiner Wamme paßt,
Gebettelt haſt du's, wo du's nicht geſtohlen haſt.

66.

Ein Grashalm waͤchſt nicht leicht dem Palmbaum uͤbern Kopf;
Mißt ſich ein Tropf mit dir, miß dich nicht mit dem Tropf.

67.

Spricht Unvernunft, was hilfts daß da Vernunft ſich zeige?
Wer unvernuͤnftig nicht mitſprechen will, der ſchweige.

68.

Verdiene dein Geſchick, ſei dankbar und beſcheiden,
Und fuͤrchte nicht den Blick von denen die's beneiden.
101

69.

Wen das Verhaͤngnis will in Schmach und Schande ſtuͤrzen,
Den treibt es Ehr 'und Ruhm der Edlen zu verkuͤrzen.

70.

Zu nah am Feuer brennt, zu fern vom Feuer friert;
Zu nah nicht noch zu fern lieb 'ich den, der regiert.

71.

Nur dem iſt Reichthum gut, der ihn mit gutem Fleiß
Erworben hat, und ihn gut anzuwenden weiß.

72.

Der Weisheit Lehren kann nur der Verſtaͤnd'ge deuten,
Der Unverſtaͤndige wird Irrthum draus erbeuten.

73.

Wenn du willſt deinen Feind demuͤth'gen, ſei befliſſen
Demuͤthiger zu ſeyn als er, und mehr zu wiſſen.
102

74.

Oft durch Nachſetzung wird ein Vorzug ſelbſt erbeutet,
Wie Mirſa Schreiber vorn, und hinten Prinz bedeutet.

75.

Die Perle ſelber wird durchs Alter doch geringer,
Und fuͤr den Edelſtein allein iſt kein Bezwinger.

76.

Allein iſt beſſer als mit Schlechten im Verein,
Mit Guten im Verein iſt beſſer als allein.

77.

Luͤg 'einfach, und ich glaubs; doch wenn hinzu du fuͤgſt
Soviel Betheurungen, ſo merk' ich daß du luͤgſt.

78.

Zur Unzeit rede nicht; denn jenem Hahne drehte
Man darum ab den Hals, weil er zur Unzeit kraͤhte.
103

79.

Laß deine Zunge gleich der Zunge ſeyn der Wage;
Kind, wo ſie ſtille ſteht, iſt ihre beſte Lage.

80.

Der Taube ſchreit alsob taub jeder Hoͤrer ſei;
Von ſeiner Thorheit macht der Thor ein groß Geſchrei.

81.

Laß du der Kleriſei den geiſtlich ſcharfen Geifer!
Dir ziemt der Glauben, Lai, und ihr der Glaubenseifer.

82.

Kopfhaͤnger, geh mir weg! wie kann den Weg mir ſagen
Zum Licht, wer frei zum Licht nicht darf den Blick aufſchlagen?

83.

Die beſte Heilart iſt, vor Krankheit zu bewahren
Den Leib, und Arzenein durch Maͤßigkeit zu ſparen.
104

84.

Zum Schutze gegen Gift reicht nicht geſunde Nahrung,
Im Gegengift allein iſt Rettung und Verwahrung.

85.

Dem Hungerleider gib ein Feld, daß er ſich naͤhre;
Zum Danke gibt er dir vom Feld nicht eine Aehre.

86.

Wo irgend Herr und Hund einander kamen fern;
Eh'r als der Herr den Hund, ſpuͤrt aus der Hund den Herrn.

87.

Der Vogel Leben iſt durchs Fenſter mir entſchluͤpft,
Und keine Ausſicht daß herein er wieder huͤpft.

88.

Wenn eines wirken ſoll, ſo laß das andre ruhn;
Ein Schuͤtz, der treffen will, muß zu ein Auge thun.
105

89.

Des Manns Erfahrung ſieht ſoviel in einer Ziegel,
Als Unerfahrenheit des Kinds in einem Spiegel.

90.

Ob Gold und Silber gleich nicht iſt in jedem Schacht,
Wird Gold und Silber doch nur aus dem Schacht gebracht.

91.

Gepraͤgtes Silber zwar dient auf dem Markt zu Preiſen,
Doch es zu praͤgen dient ein Praͤgeſtock von Eiſen.

92.

Du fragſt, wie auf den Baum der Apfel ſei gekommen?
Ein andrer hat indeß ihn ſchweigend abgenommen.

93.

Verſchieb nicht, was du heut beſorgen ſollſt, auf morgen,
Denn morgen findet ſich was neues zu beſorgen.
106

94.

Oft hat das beſte Herz zum aͤrgſten ſich verirrt,
Wie aus dem ſuͤſten Wein der ſchaͤrfſte Eſſig wird.

95.

Gehilfen ſuch 'ich, die ſich auch zu helfen wiſſen;
Gehilfen, denen ich ſoll helfen, kann ich miſſen.

96.

Der Eſel iſſet wie der Diſtelfinke Diſtel,
Deswegen ſingt er doch ſo fein nicht durch die Fiſtel.

97.

Wie Wind im Kaͤfige, wie Waſſer in dem Siebe,
Iſt guter Rath im Ohr der Thorheit und der Liebe.

98.

Selbſt um ein Wort hervor zu bringen, muß die Zunge
Sich regen; willſt du was vollbringen, reg dich, Junge!
107

99.

So moͤcht 'ich leben, daß ich haͤtte, wenn ich ſcheide,
Gelebet mir zur Luſt, und andern nicht zu Leide.

100.

Lern 'auf die Augen thun, wenn nichts dir ſoll misgluͤcken;
Und wenn dir was misfaͤllt, lern' eines zuzudruͤcken.
[108][109]

XVII.

[110][111]

1.

Wer unter Weiſen iſt nicht von den Ueberweiſen,
Nur unterweiſen will er dich, nicht uͤberweiſen.
Von dem, was uͤber dem Bereich der Sinne liegt,
Wohin der kuͤhne Geiſt auf ſeinen Schluͤſſen fliegt,
Sagt er nur was er meint, ſagt er nur was ihm ſcheint,
Wenn er entſchieden auch bejahet und verneint.
Sagt er auch nicht dazu: ſo mein 'ich und ſo ſcheint es;
Von ſelbſt verſteht es ſich: es ſcheint ihm und er meint es.
Nimm davon an, was ſich mag deinem Sinn vereinen,
Und hab 'im Uebrigen dein Scheinen ſelbſt und Meinen.
112

2.

Aus der Vollkommenheit der Welt willſt du beweiſen
Das Daſeyn Eines, der ſie haͤlt in ihren Kreiſen.
Und die Vollkommenheit der Welt in jeder Spur
Beweiſeſt du woraus? aus Jenes Daſeyn nur.
Nicht ſchelt 'ich den Beweis, daß er ſich dreht im Kreis;
Vielmehr des Denkens Kreis dreht ſich um den Beweis.
Wie ſchoͤn, daß ſo voraus ſich dieſe beiden ſetzen,
Und du der dritte biſt, daran dich zu ergetzen.

3.

Warum die Allmacht nicht ohn 'Uebel ſchuf die Welt?
Weil ein vollkommnes Bild nicht lauter Licht enthaͤlt.
Der beſte Maler kanns nicht ohne Schatten malen,
Die ſtets nothwendig ſind, damit die Lichter ſtralen.
113

4.

Sowahr du hier die Welt nur kannſt im Zwielicht ſehn,
Sowahr wird ſie dir dort im vollen Glanze ſtehn.
Was alſo biſt du aufs Unmoͤgliche befliſſen,
Umſonſt zu forſchen, was du einſt von ſelbſt wirſt wiſſen?
Weil Trieb nach Wahrheit nur die Buͤrgſchaft iſt des Wahren.
Nur was du ſuchteſt hier, das wirſt du dort erfahren.

5.

Erſt zu erwerben dir ein Wiſſen, ſei befliſſen,
Dann mitzutheilen auch den anderen dein Wiſſen.
Daß ſie nur wiſſen, daß du weißt, iſt Ehre ſchon;
Doch dis, daß du weißt, daß ſie wiſſen, ſei dein Lohn.
114

6.

Wir haben uns geirrt, und werden mehr noch irren,
Uns hier entwirren nur um dort uns zu verwirren.
Ungluͤcklich waͤren wir, wenn eine Taͤuſchung ſchwaͤnde
Von Gluͤck und Luſt, und nicht gleich eine neu 'entſtaͤnde.

7.

Die eine Hoffnung haſt du kaum zu Grab getragen,
Und andre Knoſp 'am Strauch beginnt ſchon auszuſchlagen.
Oh doppelt theuer iſt die alſo neugeborne,
In der du zwei nun haſt, ſie ſelbſt und die verlorne.
115

8.

In dieſem Arme, wo ein Sterbendes mir lag,
Wieg 'ich mit Luſt ein Neugebornes manchen Tag.
Doch kann ich keinen Blick auf das Geborne ſenken,
Ohn 'ans Geſtorbene, das vor ihm war, zu denken.
O Herz, nie mehr von Weh wird deine Wonne frei,
Wenn du beim Leben nur fuͤhlſt daß es ſterblich ſei.

9.

Die Hoffnung halte feſt: Gott wird dich nicht verlaſſen;
Das Aergſte das dir droht, er wird es dir erlaſſen.
Und traf das Aergſte dich, ſo bleib 'in Zuverſicht:
Die Hoffnung ſchlug dir fehl, doch Gott verließ dich nicht.
Ja, daß dich Gott nicht hat verlaſſen, mußt du ſagen,
Da er die Kraft dir gibt das Aergſte zu ertragen.
116

10.

Wie kannſt du ungethan ein Fehlgethanes machen?
Das iſt die wichtigſte und ſchwierigſte der Sachen.
Wenn du dir ſagen darfſt, daß, wenn du's wieder nun
Thun koͤnnteſt, du gewiß es anders wuͤrdeſt thun;
Wenn ſo des Willens Kraft du haſt daran gemeſſen,
Dann ſei es abgethan, und, wenn du kannſt, vergeſſen.

11.

Des Menſchen Schuldbuch iſt ſein eigenes Gewiſſen,
Darin durchſtrichen wird kein Blatt, noch ausgeriſſen.
Der Schuldner kann darin nicht tilgen ſeine Schuld,
Nur danken kann er, wenn ſie tilgt des Schuldherrn Huld.
In deinem Schuldbuch kannſt du tilgen, was dir iſt
Ein andrer ſchuldig, nicht was du ihm ſchuldig biſt.
117

12.

Verderblich iſt es, mit unrechtem Gut zu prunken;
Mit Recht heißt unrecht Gut im Kleiderſchrank ein Funken.
Durch Unrecht wird ein Schatz nicht groͤßer, ſondern ſchmaler;
Der Pfennig ungerecht frißt den gerechten Thaler.

13.

Lob oder Schmaͤhung tritt nur durch das Wort ins Leben,
Doch Segen oder Fluch kann dir ein Stummer geben.

14.

Das Recht ſteht huͤben und das Unrecht ſtehet druͤben,
Beſtimmt geſchieden und entſchieden auszuuͤben.
Doch unentſchieden ſteht dazwiſchen manches Dritte,
Unſicher ſchwankend in des Rechts und Unrechts Mitte.
Wie dieſes wird genannt, erklaͤrt und angewandt,
Daran vor allem wird der beſſre Menſch erkannt.
118

15.

Arbeiter dingt der Herr fuͤr ſeinen Arbeitstag,
Und Abends jedem gibt er ſeines Lohns Betrag.
Nur einem einz'gen gibt er einen Ueberſchuß;
Das ſehn die anderen Arbeiter mit Verdruß,
Und ſprechen: Haben wir nicht gleich wie er und eben
Soviel geſchafft? warum haſt du ihm mehr gegeben?
Da ſprach er: Habet ihr zuwenig denn empfangen,
Und brach ich einem ab vom Lohn, den wir bedangen?
Sie ſprachen: Nein! Er ſprach: So nehmt und ſchweiget ſtill;
Den Ueberſchuß der Gnad 'ertheil' ich, wem ich will.

16.

Verſaͤume kein Gebet, doch das der Morgenroͤthe
Verſaͤume nie, weil keins dir gleichen Segen boͤte.
Die Engel von der Nacht, die Engel von dem Tag,
Umſchweben dis Gebet mit gleichem Fluͤgelſchlag.
119

17.

Du kannſt in deinem Haus, dem naͤchſten Tempel, beten,
Und brauchſt zum fernſten nicht die Wandrung anzutreten.
Doch zeugt dein Tempelgang, noch mehr die Pilgerſchaft,
Daß deiner Andacht Drang iſt von beſondrer Kraft.

18.

In der natuͤrlichen Religion geboren
Wird jeder Menſch, und nie geht ſie ihm ganz verloren.
Ihm angezogen wird ein aͤußres Glaubenthum,
Das nimmt im Leben er wie einen Mantel um.
Er trag 'es, weil er lebt; im Tode legt ers ab,
Da bleibt der Glauben ihm, den Gott ihm ſelber gab.

19.

Wer ſagt: Ich bin Gott nah! der iſt ihm fern geblieben;
Wer ſagt: Ich bin Gott fern! der iſt ihm nah durch Lieben.
120

20.

Nicht gnug iſts, ſelber nicht zu haſſen noch zu neiden;
Du mußt den Neid, den Haß von andern auch vermeiden.
Des Haſſes Blick iſt Froſt, des Neides Blick iſt Glut;
O Liebespflanze, dir iſt Glut und Froſt nicht gut.
Gott geb 'ein Plaͤtzchen dir, wo rein du koͤnnteſt ſproſſen,
Von Liebesſtral beſonnt, von Freundſchaftsthau begoſſen;
Wo dich kein Blick erreicht, wo dich kein Hauch beruͤhrt,
Von dem nicht Geiſt geweckt, und Andacht wird geſchuͤrt.

21.

Der Weiſe ward befragt: Was wuͤnſcheſt du fuͤr Gaben?
Er ſprach: Nichts wuͤnſch 'ich als zu wuͤnſchen nichts zu haben.
Und noch einmal befragt: Was alſo wuͤnſcheſt du?
Sprach er: Mein einz'ger Wunſch iſt meiner Wuͤnſche Ruh.
121

22.

Die Ameiſ 'unterm Fuß der Leute wird zertreten,
Und in dem Angeſicht die Flieg' iſt unerbeten.
Die Ameiſ 'unterm Fuß der Leute biſt du nicht,
Noch auch die Fliege, die ſie ſticht ins Angeſicht.
O dank 'es deinem Gluͤck, daß ſo iſt deine Lage,
Wo dir die Welt nicht wird, noch du wirſt ihr zur Plage.

23.

Froh bin ich, durch zu ſeyn durch das Gedraͤng 'im Leben,
Und moͤchte nicht hinein mich noch einmal begeben.
Noch minder moͤcht 'ich, nicht darin geweſen ſeyn,
Noch einen hindern, der auch einmal will hinein.
Geh nur hinein, mein Sohn, hilf durch dir, wie du kannſt;
Und wenn du kommſt heraus, laß ſehn, was du gewannſt.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 6122

24.

Wenn du ein Ungluͤck ob dem Naͤchſten ſiehſt verhangen,
Hoffſt du, weil ihn es traf, ſei dirs vorbei gegangen.
Und fuͤhlſt du menſchlicher, ſo dauert dich der Mann;
Warum? weil was ihn traf, auch dich betreffen kann.
Was traͤgt es aus, ob warm du's aufnimmſt oder kuͤhl?
So eigenſuͤchtig iſt Gefuͤhl wie Ungefuͤhl.

25.

O Vaͤter, Muͤtter, o Erzieher, habet Acht
Des wichtigen Berufs, wie groß iſt eure Macht.
Der Menſchheit Aufgab 'iſt die Menſchheit zu erziehn;
Bedenkt, daß euch daran ein Antheil iſt verliehn.
O wirkt gewiſſenhaft dazu an euerm Theil,
Damit der Menſchheit komm 'ihr Heiland oder Heil.
123
Betrachtet jedes Kind mit Ehrfurcht, denn geheim
Kann ſeyn in jedem ja des neuen Heiles Keim.
Das Heil, ob es Geſtalt des Einzlen angenommen,
Ob es als Ganzes komm ', es wird das Heil uns kommen.

26.

Mit Unrecht ruͤhmſt du dich, in freiem Haus zu walten,
Wenn du die drinnen mußt mit Zwang zuruͤck behalten.
Den, der freiwillig nicht will bleiben, laß ihn ziehn;
Sonſt wird dein freies Haus zum Zwangſtall nur fuͤr ihn.
Du ſprichſt: Er uͤbernahm in dieſem Hauſe Pflichten,
Und eh 'er abziehn darf, muß er die erſt verrichten.
Nein! Pflichten hat er nur, ſolang er bleibt im Haus;
Sobald er ausziehn will, iſt die Verpflichtung aus.
6*124

27.

Das Land der Kindheit ließ ich hinterm Ruͤcken liegen,
Und vorwaͤrts wie der Schritt begann der Blick zu fliegen.
Ich hatte Muth und Trieb allein, bergan zu gehn,
Und keine Luſt noch Zeit, einmal zuruͤck zu ſehn.
Dann als ich umſchaun wollt 'auf halber Hoͤhe droben,
Da hatt' ein Huͤgelland dazwiſchen ſich geſchoben.
Doch als ich angelangt nun auf dem Gipfel war,
Da lag das ſchoͤne Thal in Fernen daͤmmerklar.
Was mir im Reiſedrang verſchwunden war, vergeſſen,
Mit ſanfter Wehmuth nun erinnr 'ich all mich deſſen.
Die Sehnſucht truͤge gern zum ſtillen Thal mich wieder,
Allein mein Weg geht dort den andern Abhang nieder.
125

28.

Ein langentfernter Freund, ein weitgetrennter, kam
So lebhaft mir im Traum, als ich ihn nie vernahm.
Wie freute ſich mein Herz, da es ihn wieder fand,
Den es verloren hatt ', und ihn ſo nah empfand.
Doch nach derſelben Nacht, da ich den Freund erworben,
In kurzen Tagen kam die Kund ', er ſei geſtorben.
Und mußt 'er eben da er neu mir lebte ſterben,
Und mußt' ich nur um zu verlieren ihn erwerben?
Ja, ſterben, daß ſich mir ſein Leben neu gebaͤre,
Er nicht, von Zeit und Raum geſchieden, todt mir waͤre.
126

29.

Sich ſelbſt genuͤgen und von andern nichts verlangen,
Iſt Weisheit froſtige, die zeitig mir zergangen.
Nie gnuͤgeſt du dir ſelbſt, wenn du nicht andre liebſt,
Von denen du empfaͤngſt, und ihnen wieder giebſt.
Drum ſtelle ſo den Spruch, dann magſt du dich ihm fuͤgen:
Gib was du kannſt, und laß was du empfaͤngſt dir gnuͤgen.

30.

Den durſt'gen Gaumen labt ein Trunk, und nicht den ſatten;
Doch gruͤnem kommt der Thau, nicht duͤrrem Holz zu Statten.
Ohn 'Unzulaͤnglichkeit wirſt du kein Heil verlangen,
Doch ohn' Empfaͤnglichkeit kannſt du's auch nicht empfangen.
127

31.

Du moͤchteſt ſeyn wie der und jener, doch dabei
Auch bleiben, der du biſt, alsob das moͤglich ſei.
So moͤchteſt du im Herbſt des Fruͤhlings Bluͤten haben,
Doch drum der Fruͤchte nicht entbehren, die dich laben.
Dazu ſind eben Wuͤnſch 'und Traͤume dir verliehn,
Um alles, was dir fehlt, in deinen Kreis zu ziehn.

32.

Wenn du ſaͤhſt andern nach, was du dir ſelbſt nachſieheſt,
Und was du ihnen nicht verzeihſt, dir nie verzieheſt;
Zufrieden wuͤrden dann die Andern nicht allein
Mit dir, du wuͤrdeſts auch mit dir und ihnen ſeyn.
128

33.

So gluͤcklich war ich, und ſo ſorglich es zu bleiben,
So wuͤnſchend nur mich im gewohnten Gleis zu treiben;
Daß ich nicht wagt 'im Schritt zu eilen noch zu ſaͤumen,
Noch irgend ein Geraͤth von ſeinem Platz zu raͤumen;
Aus Furcht, es moͤcht 'im Takt das Gluͤck die Stoͤrung ſpuͤren,
Und kleine Aenderung zu einer groͤßern fuͤhren.

34.

Warum beneideſt du, was andern iſt beſchieden,
Und biſt mit dem, was dir zu Theil ward, unzufrieden?
Du ſteheſt dir zu nah, um recht dich zu erkennen,
Und anderen zu fern, um Schein von Seyn zu trennen;
Wie du die Erd ', auf der du ſtehſt, nicht ſieheſt ganz,
Und dir der Mond erſcheint in taͤuſchungsvollem Glanz.
Doch troͤſte dich, es wird im Mond auch einer ſtehn,
Der dunkel wird den Mond, und hell die Erde ſehn.
129

35.

So ſprach der Filoſof: Gebt Stoff mir und Bewegung;
Genug iſt beides mir zu einer Welt Anlegung.
Stoff und Bewegung iſt gegeben, nimm ſie nur!
Was haſt du angelegt? ach eine große Uhr.
Und ſei es eine Uhr mit ſtets geſpannter Feder,
An der auch nie im Lauf ſich laufen ab die Raͤder,
Und ſei es eine Uhr, die ſelbſt, indem ſie geht,
Sich aufzieht, richtet ein, und auf ſich ſelber ſteht;
An der mit Floͤtenton beim Stundenſchlag hervor
Tritt bunter Bildertanz, und wieder ab im Chor:
So fuͤhl 'ich ſelber doch kein Bild mich, keine Glocke;
Und was verſchluͤg' es mir, ob dieſes Schlagwerk ſtocke?
Ich fuͤhle mich kein Rad im blinden Radgetriebe,
Und unterbringen kann ich nirgends meine Liebe.
130
So hat der Filoſof mich und ſich ſelbſt vergeſſen,
Als nach Bewegung er und Stoff die Welt gemeſſen.
Die Unruh fehlt der Uhr, die in mir ſelbſt nie ſtille
Noch in der Schoͤpfung ſteht, der ew'ge Schoͤpferwille.

36.

Ich bitte, wollet mir nur Seel 'und Leib nicht ſcheiden;
Vertragen laſſet ſich, ſogut es geht, die beiden.
Ich bitte, macht nicht weiß dem eingebildten Ding,
Der Seel ', es ſei der Leib fuͤr ſie viel zu gering.
Setzt ihr nicht in den Kopf, daß gut nur ſei das Gute,
Das ſie vollbringt, und nicht auch etwas lieg 'im Blute.
Bringt ihr den Wahn nicht bei, daß ihrem Adel ſei
Nichts angemeſſen als zu werden Leibes frei.
Beweiſet ihr vielmehr, daß ihr nicht minder noth
Der Leib iſt als ſie ihm, und Gott es ſo gebot.
Macht ihr begreiflich, daß ſie ſelber haben muß,
Wenn ſie nicht lahm will ſeyn, zum Handeln Hand und Fuß.
131
Erklaͤret ihr, daß ſie den Leib nur ſoll verklaͤren,
Um den verklaͤrten mitzunehmen zu den Sfaͤren;
Weil ohne Leib ſich dort zurecht nicht wuͤrde finden,
Noch ihre Seligkeit die Seele ganz empfinden.

37.

Irrthuͤmer derer, die die Welt mit ihrem Wiſſen
Erleuchten, gleichen Mond - und Sonnenfinſterniſſen.
Irrthuͤmer derer, die nur leuchten ihrem Haus
Was ſchadet es uns hier, geht dort ihr Lichtlein aus?

38.

Wo mit der Dumpfheit ſich die Wiſſenſchaft verbuͤndet,
Wird Unerfreuliches kunſtmaͤßig feſt gegruͤndet.
Und eh'r nicht wieder wird der Zwingbau eingeriſſen,
Bis gegen knechtiſches aufſteht ein freies Wiſſen.
Dann waͤchſt der Freiheit Haus ſelbſt aus der Knechtſchaft Truͤmmern,
Fuͤr alle die zuvor im Kerker nicht verkuͤmmern.
132

39.

Denk nicht, daß Gott die Welt ließ eine Zeitlang laufen,
Um ſich im Irrthum auszutoben, auszuſchnaufen,
Und dann erſt ſei hervor getreten auf einmal,
Zu fuͤhren ſie hinfort nach ſeiner Gnadenwahl.
Entweder hat er ſie von Anfang muͤſſen leiten,
Oder ſie wird noch jetzt auf eignen Fuͤßen ſchreiten.
Und beides dis iſt eins; die Welt geht ihren Gang,
Und daß ſie jemals Gott 'entgeh', iſt mir nicht bang.

40.

Weil du dich allerdings zu hoͤhern fuͤhlſt berufen,
Beklageſt du, o Menſch, die ſtehn auf niedern Stufen;
Alsob Stein, Pflanz 'und Thier todt oder taub und blind,
Ungluͤcklich muͤßten ſeyn, weil ſie wie du nicht ſind.
So hoͤreſt du das Thier wie nach Erloͤſung ſtoͤhnen,
Hoͤrſt Weh - ſtatt Wonnelaut in Nachtigallentoͤnen,
133
Selbſt einen Seufzerhauch im Fruͤhlingsfluͤſterhain,
Und einen Schmerzensklang aus jedem Erz und Stein.
In dem, was ihn nicht fuͤhlt, iſt nicht der Widerſpruch,
Er iſt in dir, du ſelbſt belegſt die Welt mit Fluch.
Jemehr du in dir ſelbſt zum Einklang biſt gekommen,
Jemehr wird er von dir auch außenher vernommen.
Befreie dich, o Menſch, vom Halben, Falſchen, Boͤſen,
Und die gebundene Natur wird Gott erloͤſen.

41.

Es iſt ein Geiſt, der ſo ſich ſeinen Leib vollkommen
Gebaut hat, daß zuletzt er iſt im Leib verkommen.
Dann iſt ein andrer Geiſt, der iſt ſo geiſterhaft,
Daß einen rechten Leib zu baun ihm fehlt die Kraft.
Waͤr 'es nicht moͤglich, daß die beiden ſich verbaͤnden,
Verbunden Geiſt und Leib ein Leben wieder faͤnden?
134

42.

Was zu beweiſen iſt, iſt auch zu widerlegen,
Drum ſollſt du jegliches Beweiſen niederlegen.
Auf Ueberzeugung ſteh, da ſtehſt du unbeweglich,
Die unbeweislich iſt, darum unwiderleglich.

43.

Den Grund, auf welchem ruht dein Daſeyn, umzuwuͤhlen,
Kann dir nicht helfen um dich ſeyender zu fuͤhlen.
Vielmehr am ſeyendſten haſt du dich dann gefuͤhlt,
Wenn du am wenigſten dich ſelber umgewuͤhlt.
Zwar nicht als rieth 'ich dir, gedankenlos zu ſtarren,
Doch ſicher im Gefuͤhl des Lebens zu verharren:
Du biſt ſo wie du biſt, und freuſt dich ſo zu ſeyn
Und ſo zu bleiben, weil du ſeyn kannſt ſo allein.
135

44.

Das Auseinander hier im Raum, dort in der Zeit
Das Nacheinander, iſt zwieſpaͤlt'ge Ewigkeit.
Die Zwieſpalt, ob in dir, ob in der Welt ſie ſei,
Genug, dein Anſchaun wird nie von der Zwieſpalt frei.
Das Werden in der Zeit, das Daſeyn in dem Raum,
Hebt kein Bewußtſeyn auf, nur unbewußter Traum.
Es aufzuheben mit Bewußtſeyn, dieſe Kraft
Legt durch ihr Denken nur ſich bei die Wiſſenſchaft;
Die das als Werdendes, Gewordenes Getrennte
Zu einer Ganzheit macht geordneter Momente;
Zur todten Ganzheit doch, dem Kunſtſaal zu vergleichen,
Wo Bilder lebende geworden ſind zu Leichen,
Weil ihre Schranke fehlt, worin ſie Leben hatten;
So wird, aus Zeit und Raum geruͤckt, die Welt zum Schatten.
136
Drum, willſt du dich erfreun der Mannichfaltigkeit
Des bunten Lebens, laß ihm die Zwieſpaltigkeit;
Und nimm mit Dank von Gott die Augenblicke hin,
Wo ſelbſt in Raum und Zeit ahnt Ewiges dein Sinn.

45.

In einem Augenblick, wann ſtill der Geiſt verſunken
In ſich und Welt und Gott, nicht wein - noch ſchlummertrunken,
Nicht trunken, ſondern klar, nicht ſchlummernd, ſondern wach,
Alswie der Sonne Bild im unbewegten Bach;
Wann Fern und Nah, und Iſt und War, und Zeit und Raum
Zergangen iſt, alswie in ſtiller Flut der Schaum;
Wann du des Lebensbaums entfaltet Bluͤtenprangen
An deinem Buſen fuͤhlſt von einer Knoſp 'umfangen;
Wann Erd 'und Himmel dir in einen Duft verſchwimmt,
Der Stern als Blume bluͤht, als Stern die Blume glimmt;
137
In ſolchem Augenblick, wo wie mit heil'gem Rauſchen
Der Strom der Schoͤpfung geht durch deines Herzens Lauſchen;
Wo du nicht du mehr biſt, und nichts mehr iſt als du
Und Gott, in dem du biſt, dem du dich athmeſt zu;
In ſolchem Augenblick, der wie ein Blick der Augen,
Der Liebesaugen kommt, Beſinnung wegzuſaugen;
In ſolchem Augenblick, wer ihn, eh 'er geſchwunden,
Empfinden konnte, der hat Ewigkeit empfunden.
Und ſo wer Ewigkeit empfunden hat einmal,
Haͤlt ewig feſt ſie, wie der Demant ſeinen Stral.

46.

Die Welt iſt nur, weil du biſt Koͤrper, koͤrperlich;
Der Geiſt geht frei hindurch und nirgend ſtoͤßt er ſich.
Das iſt der Vorſchub, den die Geiſtigkeit dir leiſtet:
Die Welt ſtoͤßt minder dich, jemehr du dich ergeiſtet.
138

47.

Haſt du einmal bedacht, daß du in einer Stunde
Vollkommner Ruhe machſt durchs Weltall eine Runde?
Die Erde, die dich traͤgt, traͤgt um die Sonne dich,
Die ſelbſt auf ihrer Fahrt euch beide nimmt mit ſich.
Das ſchoͤnſt 'an dieſer Fahrt iſt, daß du ſie nicht ſpuͤreſt,
Weil du die ſaͤmmtliche Umgebung mit dir fuͤhreſt.
Bequemer iſt die Reiſ 'und bringt dich doch viel weiter,
Als die, zu der du dir erſt ſuchen mußt Begleiter,
Wo du auf jedem Schritt biſt außer dich geſetzt,
Und herzlich muͤde nur kommſt wieder heim zuletzt.
Ich will die Reiſeluſt dir nicht auf Erden ſchmaͤlern,
Wenn du dich noch nicht ſatt an Bergen ſahſt und Thaͤlern.
Doch mir vergieng die Luſt an Erdenreiſen gruͤndlich,
Seitdem ich fuͤhle daß ich reiſ 'im Himmel ſtuͤndlich.
139

48.

Ich glaube nicht daß ich im Mittelpunkte ſtehe,
Und die Unendlichkeit um mich ſich dienſtbar drehe;
Doch glaub 'ich, daß ich darf mir ordnen zum Vergnuͤgen
Bilder der Fantaſie aus ew'gen Sternenzuͤgen;
Bald als Verliebter ſehn ein Blatt mit goldnen Schriften,
Und bald als Kind ein Dach, beſetzt mit goldnen Stiften.
Allein vom Halſe ſoll die Wiſſenſchaft mir bleiben,
Die, was ich treib 'im Spiel, als trocknen Ernſt will treiben,
Die kindiſch wird, wenn ihr aus Selbſtſucht es bedunkt,
Im All ihr Puͤnktchen ſei vom All der Mittelpunkt.

49.

Wie du die Erde ſiehſt von Schoͤpferkraft durchwaltet,
Naturabſtufungen der Menſchheit zugeſtaltet;
So hindert nichts, daß nicht auf andern Himmelſfaͤren
Auch andre Ordnungen und Gipfelpunkte waͤren,
140
Auf andrer Grundlag 'aufgefuͤhrt ein andrer Bau
Des Lebens, eingeweiht zu andrer Geiſter Schau;
Die etwas geiſt'ges thun, das unſerm Denken gleicht,
Vielleicht es uͤbertrifft, vielleicht es nicht erreicht.
Er denkt in ſeiner Sfaͤr 'alswie in deiner du;
Und ohne daß ihrs denkt, denkt ihr einander zu.
Und wenn mit Geiſteskraft er ſeinen Kreis durchdrungen,
Und du an deinem Theil den deinigen bezwungen;
Dann werdet an der Grenz 'ihr aneinander reichen,
Um mit Gedanken euch ergaͤnzend auszugleichen:
Alswie zwei Voͤlker lang 'in ſich geſondert leben,
Zuletzt gemeinſchaftlich in Eins zuſammenſtreben.
Denn wol auch Voͤlker ſind von eignen Grundanlagen,
Vergleichbar eigenem Planetenbau, getragen,
Aus eignem Wurzelſtock, mit eignen Stammgeberden
Erwachſend, faͤhig doch als Menſchen gleich zu werden.
So hoff 'ich, daß wenn Zeit genug der ew'gen Urne
Entfloß, die Erde tritt in Tauſch mit dem Saturne.
141
Worin dann ſollen ſich die beiden Eins erkennen?
Weltbuͤrger ſollen ſie in hoͤherm Sinn ſich nennen.
Indeß, Aſtronomie, magſt du der Himmelſtaaten
Entfernt-auswaͤrtige Verhaͤltniſſe berathen.

50.

Du fragſt, wie Ewigkeit du dir auf Erden dichteſt?
Nicht anders als indem du Zeit und Raum vernichteſt.
Die Zeit vernichteſt du, wenn ſelig du vergiſſeſt
Vergangenes, und nicht Zukuͤnftiges ermiſſeſt.
Den Raum vernichteſt du, wenn, wo du biſt, du bleibſt
In Frieden, dich nicht um in fremden Kreiſen treibſt.
Dadurch vernichteſt du nicht voͤllig Zeit und Raum,
Doch iſt, was uͤbrig bleibt, dir nur ein leichter Traum.
Aus dieſem Traume laß vom Wachen dich nicht ſtoͤren;
Was haſt du auf der Welt zu ſehn noch und zu hoͤren?
Und was du hoͤren mußt und ſehn, dir iſt gegeben
Die Kunſt, es deinem Traum unſtoͤrend einzuweben.
142

51.

Ihr meine Theueren, wo ſeid ihr hin gekommen?
Dort in die Ewigkeit verewigt aufgenommen.
Doch in der Zeitlichkeit iſt eure Spur verſchwunden?
Nein, tief in meinem Seyn, in meinem Sinn gebunden.
Bedeutend innere Denkmale meines Lebens!
Waͤrt ihr auch dieſes nur, ihr waͤret nicht vergebens.
Was wirkend nun mein Sinn nach außen mag entfalten,
So ſeid ihr mit darinn, wie in mir ſelbſt, enthalten.

52.

Der Geiſt, der weiß daß er aus eigner Kraft beſtreiten
Sein Thun ſoll, ſieht ſich doch nach Beihilf 'um zu Zeiten.
Als Hemmung nimmt er nicht Schickſalsverſtrickungen,
Als Foͤrderung doch an gluͤckliche Schickungen.
143

53.

Die Welt iſt immer ganz, die du in Theile brachteſt;
Ein Ganzes wird der Theil, den du fuͤr ſich betrachteſt:
Wie einen Blumenſtraus aus einem Kranz heraus
Du nehmen kannſt und dann ein Bluͤmchen aus dem Straus;
Und alle Blumen kannſt in Straͤuße wieder fuͤgen,
Und immer neu den Kranz erſchaffen zum Vergnuͤgen.
Wirſt mit einander du Unaͤhnlichſtes verbinden,
Wird ſich die Aehnlichkeit von ſelbſt dazwiſchen finden.
Von jedem Dinge geht zu jedem eine Bruͤcke,
Und augenblicklich fuͤllt Einbildungskraft die Luͤcke.
Doch das Gefuͤhl, womit du ſie auf dich beziehſt,
Macht daß du ſchoͤn um dich die Welt geordnet ſiehſt.
144

54.

Daheim im ſtillen Haus die Seele war befangen,
Derweil der Geiſt hinaus war in die Welt gegangen.
Die Koͤrperwelt hindurch drang er zur Geiſterwelt,
Und dachte kaum zuruͤck zur Seel 'im ſtillen Zelt.
Doch als er durch die Welt gekommen war ein Stuͤck,
Nahm mit dem Reiſ'ertrag er ſeinen Weg zuruͤck.
Er kam und fand die Seel 'am Webſtuhl eingeſchlafen,
Und mit erzuͤrntem Wort begann er ſie zu ſtrafen.
Mit Seelenruhe doch die Seele ſich erhob
Und laͤchelte: Sieh her! ich ſchlief nicht, ſondern wob.
Er ſah; gewachſen war im Schlaf das aufgezogene
Gewebe wunderbar; ſo glaubt 'ihr der Betrogene.
145

55.

Im Herzen denkſt du auch, nicht blos in deinem Haupt;
Von beiden Denken ſei dem andern keins geraubt!
Was du im Herzen denkſt, iſt voll in ſich gedrungen,
Was du im Haupte denkſt, kraus linienhaft geſchlungen.
Nun will das Liniennetz die Fuͤllen in ſich faſſen,
Und dieſe wollen ſich von ihm entfalten laſſen.
Wo ſo die beiden ſich umſchlingen und durchdringen,
Da wird gehaltvoll ein Geſtaltetes entſpringen.

56.

Du kannſt dir deinen Leib, dein Schickſal auch, nicht machen,
Doch uͤberwalten kannſt du ſie und uͤberwachen.
Die Grundlag 'hat gelegt Nothwendigkeit, Natur;
Baumeiſterin des Bau's iſt deine Freiheit nur.
Laß nur das Untere zum Obern niemals werden,
Und ſei getroſt, es ruht der Himmel auf der Erden.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 7146

57.

Laß einen Augenblick, es ziemt dem Menſchenwitze,
Was in die Hoͤhe wir gebaut vom Grund zur Spitze,
Der Schoͤpfung Pyramid ', auf deren Gipfel ſteht
Der Menſch, aus dem zuruͤck Gott in ſich ſelber geht;
Umbauend laß uns dis zu einem Kreiſe runden,
Und gleich iſt anderer Zuſammenhang gefunden.
Setz 'Elemente hier, Luft, Feuer, Waſſer, Erde,
Dann ſage daß aus ihr das Mineralreich werde.
Aus dieſem aber laß der Pflanzen Formen ſprießen,
Und an dieſelben ſich der Thierwelt Glieder ſchließen.
Und ließeſt du daraus den Menſchengeiſt entfalten,
So laß nun Geiſter auch elementariſch walten.
Und alſo kommt, damit im Kreis ſei keine Luͤcke,
Elementariſches zum Element zuruͤcke.
147
Wenn nun dem Kreiſe noch ein Mittelpunkt gebricht,
Setz 'als der Schoͤpfung Aus - und Einſtralpunkt das Licht.
Den Kreis magſt du beſchaun, bis dich erfaßt mit Graun
Der ew'ge Wirbel, dann laß uns was andres baun.

58.

Die Menſchheit koͤnnteſt du als einen Kreis wol denken,
Worein die Einzelnen nothwendig ſich verſchrenken.
Als Kreisabſchnitte dann, die frei im Ganzen haften
Als eigne Ganze, kannſt du denken Voͤlkerſchaften.
Allein das Ganze ſelbſt tritt niemals ganz hervor,
Und andre Menſchheit lebt ſtets als gelebt zuvor.
Vorſtellen magſt du denn, alsob ein Waſſer waͤre
Die Ewigkeit, wo Kreis aus Kreis die Zeit gebaͤre.
Wo iſt der Kreis, der war? zum weitern aufgeſchloſſen;
Und wo der weitere? zu weiterm noch ergoſſen.
7*
148
Was ſind die Einzelnen? ſie ſind die wirklich ſeinden;
Gedankenkreiſe nur Menſchheit und Volksgemeinden.
Sie ſind die bleibenden, wenn Kreis in Kreis zerronnen,
Die Waſſertropfen, die Gott zaͤhlt, im Schoͤpfungsbronnen.
Drum danke Gott, und fuͤhls, daß du ein Einzler ſeiſt,
Nicht die Erſcheinung nur von allgemeinem Geiſt.

59.

Laß uns um Dinge, die wir nicht verſtehn, nicht ſtreiten,
Nothwendigkeiten nicht machen aus Moͤglichkeiten.
Ich denk 'es ſo, du ſo; und wie es jeder dachte,
So iſts fuͤr ihn; an ſich wie's iſt, weiß Gott ders machte.
149

60.

Am beſten thuſt du, ſtill Lehrmeinungen zu hoͤren,
Ohn 'im Gedankengang den Meinenden zu ſtoͤren.
Die innre Wahrheit macht dein Einwurf nur zunicht,
Die jede Lehre hat und jegliches Gedicht.
Die Faͤden hinderſt du, lebendig ſich zu ſchlingen,
Zuſammenhangendes Geweb hervorzubringen.
Doch bildender fuͤr dich, als an ſich ſelbſt die Meinung,
Iſt des Zuſammenhangs erfreuliche Erſcheinung.

61.

Entweder Oder iſt der Waffen, der zweiſchneidigen,
Geſchickteſte, womit Streitredner ſich vertheidigen.
Entweder, oder; eins von beiden mußt du doch;
Nun welches willſt du? ſag! Ich ſage: weder, noch.
Wenn keins von beiden mir gefaͤllt, iſt das mein Brauch;
Und iſt mir beides recht, ſag 'ich: ſowohl alsauch.
150

62.

Wol wird aus Ja und Ja ſich nie ein Nein ergeben,
Doch dienet Nein und Nein einander aufzuheben.
Um Sprach 'und Rechenkunſt hat es ein gleich Bewendniß,
Und kein ungleiches auch um Welt und Weltverſtaͤndniß.
Das Boͤſe iſt nur da, das Gute zu erproben;
Dis bleibt, und jenes hat ſich ſelber aufgehoben.

63.

Der Tag geht nicht der Nacht, Nacht geht dem Tag voran,
Alswie der Heilung Weh, alswie der Wahrheit Wahn.
Doch erſt aus ew'gem Tag die Nacht den Urſprung nahm,
Wie Wahn aus Wahrheit, aus Geſundheit Krankheit kam.
151

64.

Du mußt dich der Natur mit einem Schwung entſchwingen,
Und der Geſchichten Flur mit einem Sprung entſpringen.
Weißt du, worin Natur ſich und Geſchichte ruͤnden?
Im Gottgefuͤhle nur, das lern 'in dir ergruͤnden.

65.

Abſchließen mußt du fuͤr dich ſelbſt einmal die Welt,
Deswegen offen bleibt fuͤr andre doch das Feld.
Nur bloͤde Weisheit denkt (du aber ſei geſcheiter):
Weil ich nicht weiter kann, gehts uͤberhaupt nicht weiter.

66.

Philoſophie, wenn ſie an der Religion
Geheimnis ruͤhrt, zergeht es oder ſie davon;
Ob es begreiflich werd ', ob unbegreiflich ſie,
Ob es zum Mythos, ob ſie zur Mythologie.
152

67.

Das Wiſſen, wenn es nun will auch den Glauben wiſſen,
Und ſeine Wurzeln faßt, hat es ſie ausgeriſſen.
Wenn einem Glauben ſo ſein Leben wird genommen,
So iſt das ein Beweis, es muͤſſ 'ein neuer kommen.

68.

In meinem Glauben bin ich eins mit eurem, weil
Ich glaube, wie ihr glaubt, im Glauben ſei das Heil,
Im Glauben fuͤr den Geiſt des letzten Ziels Erreichung
Sei des Unendlichen und Endlichen Ausgleichung.
Ihr aber glaubt dabei, ein einzig einer ſei
Der Glauben, und ich glaub ', es ſeien vielerlei.
Ich glaub 'auch, daß fuͤr euch ſei euer Glaube gut,
Obgleich entgegen ihr mir nicht das gleiche thut.
153
Die Leugnung gegen mich muß ich euch auch erlauben,
Weil dieſe Leugnung mitgehoͤrt zu eurem Glauben.
Er, der als Glaubenſtuͤck mir ſelber gab die Duldung,
Gab euch Unduldſamkeit ohn 'euere Verſchuldung.

69.

Laßt uns nur hin und her, her - und hinuͤber meinen;
Wir werden uns zuletzt in einem Eins vereinen.
Wir werden uns zuletzt in einem Eins vereinen,
Das ein ganz andres iſt als alles was wir meinen.
Das ein ganz andres iſt als alles was wir meinen,
Wird alle Meinungen in einer einſt vereinen.

70.

Erkenn 'an einem Bild, daß nicht an Gottes Huld
Es liegt, o Menſch, wenn dich zuruͤckhaͤlt eigne Schuld.
Zwei Schiffe gehn den Fluß hinab, von gleichem Bau;
Doch eins geht langſamer, und ſchneller eins, o ſchau!
154
Bewegt die beiden nicht des Stromes gleiche Kraft?
Und doch bleibt eins zuruͤck? was haͤlt es denn in Haft?
Geladen hat es Stein ', und jenes leichtes Holz;
Darum geht es ſo traͤg', und jenes wie ein Bolz.
Am Strome liegt es, daß die beiden ſich bewegen;
Daß eines bleibt zuruͤck, iſt nicht am Strom gelegen.
Wer aber hat das Schiff, das arme, ſo beladen,
Daß es theilnehmen voll nicht kann am Strom der Gnaden?

71.

Dem Menſchenwitze wars vonje die ſchwerſte Plage,
Wie ſeine Freiheit ſich mit Gottes Rath vertrage.
Die zwei vertragen ſich durch eine Auskunft bloß:
Dein Spielraum, Menſch, iſt klein, der Gottes iſt gar groß.
Du magſt in deinem Raum mit Freiheit dich geberden,
Durch dich unſelig auch, durch dich auch ſelig werden.
Er aber hat es vorgeſehn und vorgedacht,
Daß all dein Wille nur den ſeinen wirklich macht.
155

72.

Die Welt iſt ſchoͤn, die Welt iſt gut, geſehn als Ganzes,
Der Schoͤpfung Fruͤhlingspracht, das Heer des Sternentanzes.
Die Welt iſt ſchoͤn, iſt gut, geſehn im einzelſt Kleinen;
Ein jedes Troͤpfchen Thau kann Gottes Spiegel ſcheinen.
Nur wo du Einzelnes auf Einzelnes beziehſt,
O wie vor lauter Streit du nicht den Frieden ſiehſt!
Der Frieden iſt im Kreis, im Mittelpunkt iſt er,
Drum iſt er uͤberall, doch ihn zu ſehn iſt ſchwer.
Es iſt die Eintracht, die ſich aus der Zwietracht baut,
Wo mancher, vom Geruͤſt verwirrt, den Plan nicht ſchaut.
Drum denke, was dich ſtoͤrt, daß dich ein Schein bethoͤrt,
Und was du nicht begreifſt, gewiß zum Plan gehoͤrt.
Such 'erſt in dir den Streit zum Frieden auszugleichen,
Verſoͤhnend dann ſoweit du kannſt umherzureichen.
Und wo die Kraft nicht reicht, da halte dich ans Ganze;
Im ew'gen Liebesbund ſteht mit dir Stern und Pflanze.
156

73.

Wol hat ein eigenes Bewußtſeyn jede Zeit
Des was ihr widerſteht, und des was ihr gedeiht.
Und jeder Einzelne hat ein Bewußtſeyn deſſen,
Wie dem Bewußtſeyn er der Zeit iſt angemeſſen.
Wenn ein Bewußtſeyn nicht, doch ein geheim Gefuͤhl,
Das bald behaglich wohl, bald macht unheimlich ſchwuͤl.
Verdenkt es keinem, wenn er tobt, doch iſt ſein Toben
Umſonſt, der von der Zeit ſich fuͤhlet aufgehoben.

74.

Solang 'iſt nicht die Zeit auf ihre Hoͤh gebracht,
Als nicht zuſammentrifft die Einſicht mit der Macht.
Trifft einſt die Macht der Zeit und ihr Begriff zuſammen,
Aus dieſem Bunde wird ein neues Weltheil ſtammen.
157

75.

Biſt du gedankenlos, ſo geht mit offnen Ohren,
Mit offnen Augen dir der Sinn der Welt verloren.
Die Sinne ſind dir voll, doch haſt du nichts davon;
Im Aug 'erliſcht das Bild, im Ohre ſtirbt der Ton.
Biſt du gedankenvoll, ſo geht es dir noch ſchlimmer,
Du merkſt nur dumpf um dich verworrnen Klang und Schimmer.
Den Sinnen ſelbſt entgeht der Außenwelt Gewinnſt,
Weil du im Inneren Gedankenfaͤden ſpinnſt.
Begluͤckt nur, wenn du ſo zu ſpinnen lernſt den Faden,
Daß er den Dingen nicht, noch ihm die Dinge ſchaden;
Wenn offner Sinn ergreift und haͤlt der Bilder Schwanken,
Und das Gemuͤth daraus webt ewige Gedanken.
158

76.

Sieh, wenn du willſt ein Bild von deiner Freiheit haben,
Was Menſchenwillkuͤr kann auf Erden baun und graben.
Man baut ſohoch man will, man graͤbt ſotief man kann,
Der Erde Gleichgewicht nimmt keinen Schaden dran.
So wirkſt du voͤllig frei in deinem Wirkungskreiſe,
Und bringſt den Gang der Welt dadurch nicht aus dem Gleiſe.
Des Kuͤnſtlers große Kunſt iſt dis, daß ſich ergebe
Aus ſoviel Freiheit ein Nothwendigkeitsgewebe.
159

77.

Wenn ich ſchon einmal war, ſo hab 'ichs nun vergeſſen;
Was jetzt ich bin, werd' ich mich einſt erinnern deſſen?
Ob ich mich deſſen auch erinnre nicht, ich bin
Nicht minder der ich war, und bleib 'es immerhin.
Wie, wem durch Fieberglut erloſch Erinnerung,
Steht auf als neuer Menſch, und lebt von vorne jung;
So kann der Geiſt, vom Sinnzerſtoͤrer Tod geneſen,
Nicht wiſſend was er war, doch ſeyn was er geweſen.

78.

Es gibt nichts einfaches, ein kleinſtes gibt es nicht;
Wenn ſcharf und fein genug Gedank 'iſt und Geſicht,
Nimmſt du viel kleines noch im einfach kleinſten wahr;
Allein was hilft es dir, zu ſpalten Haar um Haar?
Dis metaphyſiſche Geſchaͤft laß einer Milbe;
Erfreue dich des Worts, und ſtich nicht jede Silbe.
160

79.

Wie ſchwer iſt der Begriff von etwas zu erlangen;
Am ſchwerſten aber wird der von uns ſelbſt empfangen.
Drum wenn du von dir ſelbſt haſt den Begriff, ſo halt
Ihn feſt, es raube dir ihn keinerlei Gewalt.
Nicht bloͤder Misverſtand, noch theilnamloſer Froſt
Beſchaͤdige des Selbſtbewußtſeyns edlen Troſt.
Friſch wiſſe gleich dem Baum, dem winterſturmentlaubten,
Auf beſſre Zeit den Trieb im Innern zu behaupten.

80.

Wer zweien Herren muß zugleich ſeyn unterthan,
Dem geht es ſchief, alswie dem Mond auf ſeiner Bahn;
Der, von der Erde hier, der Sonne dort gezogen,
Beſchreibt am Himmelskreis ſo unſtet ſeinen Bogen.
161

81.

Der Mond kehrt unverwandt ein gleiches Angeſicht
Der Erde zu, doch ſie ſiehts in verſchiednem Licht.
Daß wechſelnd ab und zu du nehmen ſiehſt die Hellung,
Liegt nicht am Gegenſtand, nur an der Gegenſtellung.

82.

O fuͤr wieviel der Welt biſt du zu Dank verpflichtet,
Was ſie fuͤr dich geſetzt, geordnet, eingerichtet.
Der Jahr 'und Monate, der Tag' und Stunden Lauf;
Des Marktes Maß und Zahl, Gewicht, Vertrag und Kauf.
Du brauchſt es nicht zu thun, es iſt fuͤr dich gethan,
Und keinen Augenblick brauchſt du zu denken dran.
162
Doch denke dran mit Dank in jedem Augenblick,
Wo der Gewohnheit Druck beruͤhret dein Genick.
Der Druck iſt aͤußerlich, damit im Innern frei,
Vom Leben unberuͤhrt, des Geiſtes Leben ſei.

83.

Was haͤtt 'uns koͤnnen Gott fuͤr Rechnungen erſparen
Ungleichen Uebergriffs von Sonn - und Mondenjahren;
Haͤtt 'er geordnet ſo fuͤr uns des Himmels Lauf,
Daß ohne Bruͤche Jahr, Monat und Tag gieng auf.
Er wollt 'es nicht, warum? Es ſteht in ſeinem Buch,
Daß er die Ganzheit iſt, und unſre Welt ein Bruch.
163

84.

Je naͤher jenem Kreis, wo graden Blicks die Sonne
Zur Erde niederſchaut, je naͤher Himmelswonne.
Selbſt minder ſchwer iſt dort der ird'ſchen Stoffe Wucht,
Wo raſchern Schwunges wirkt der Erde Mittelflucht.
Das Leben ſelbſt iſt leicht und gleich nur unterm Gleicher,
Das nach dem Pol hin wird ungleich und muͤhſalreicher.
Nur unterm Gleicher lag das Paradies vielleicht,
Wo ganz das Leben iſt geweſen gleich und leicht.
Iſt dort vielleicht noch izt ein hoͤchſter Berg zu finden,
Wo Erd 'und Himmel ſich zum Paradies verbinden?
Ein Berg, um den ſich leicht im Tanz der Schatten dreht,
Und auf des Mittags Hoͤh 'in lauter Glanz vergeht!
Wo grad die Sonnen auf, und grad hinunter ſteigen,
Und keiner unterm Pol ſich birgt vom Sternenreigen.
Wo mit dem Herbſte ſtets der Fruͤhling ſich vermaͤhlt,
Und im Jahrzeitenchor allein der Winter fehlt.
164

85.

Wie um die Sonne rund Planeten gehn im Kreiſe;
Was ruͤndet auf der Welt ſich nichts in gleicher Weiſe?
Die ſchoͤne Ganzheit ſcheint dem Ganzen vorbehalten,
Im Einzlen uͤberall Zerſplitterung zu walten.
Und nur ein Eiland gibts, ich weiß nicht wo auf Erden,
An dem die Ordnungen des Himmels ſichtbar werden.
Im Mittelpunkte ſteht die Koͤnigsburg, im Bogen
Sind Kreiſe ſiebenfach des Lebens hergezogen.
Der erſte Kreis die Stadt, der Koͤnigsburg zu Fuͤßen,
In ſtolzer Dienſtbarkeit, geſchaͤftig in Genuͤſſen.
Der zweite Kreis umgibt die Stadt, ein Gartenſaum,
Wo gruͤn des Lebens waͤchſt und der Erkenntnis Baum.
Der dritte Kreis umfaͤngt die Gaͤrten, ein Gefilde,
Wo Pflug und Sichel geht der arbeitfrohen Gilde.
165
Der vierte Kreis ums Feld ein Waldrevier gereiht,
Wo freie Thiere gehn, der freien Jagd geweiht.
Der fuͤnfte Kreis ums Waldgeheg 'ein Klippenrand,
Mit Edelſtein im Schooß und Perlenſaat im Sand.
Der ſechſte Kreis umſpielt den Strand, des Meeres Flut,
Wo ſicher ſich zu Schiff begibt des Landes Gut.
Der Kreis der ſiebente zuletzt ums Meer gezogen,
Das iſt, mit Sonn 'und Mond geſchmuͤckt, der Himmelsbogen.
Begluͤckt der Koͤnig, der den Mittelthron beſitzt,
Von wo mit Blicken er durch ſieben Kreiſe blitzt.
Von Kreis zu Kreiſe geht ſein Herrſcherwort hinaus,
Und wird nicht uͤbertoͤnt von Wald - und Wogenbraus.
Und kommt zum aͤußerſten das Wort zum Himmelsbogen,
Verneigen ſchweigend auch ſich Sonn 'und Mond gewogen.
Der Herrſcher moͤcht 'ich ſeyn, und dieſer nur allein;
Denn jeder andre ſcheint mir gar beſchraͤnkt und klein.
166

86.

Wer hat dir, Menſchengeiſt, die Wunder offenbart
Des Laufs der Sternenwelt? Du haſt ſie ſelbſt gewahrt.
Durch tauſendjaͤhrige Beobachtung des Scheins
Gelangte dein Begriff zum Mittelpunkt des Seins.
Durch Schluͤſſe fandeſt du, und pruͤfteſt durch Erfahrung;
Bedarfſt du, Menſchengeiſt, wol andrer Offenbarung?

87.

Wozu ſind all die Stern 'am Himmel nur gemacht?
Mit goldnem Flitter wol zu ſchmuͤcken unſre Nacht?
Dazu ſind ſie gemacht, doch nur dem Kinderſinn.
Was hat des Manns Verſtand von ihnen fuͤr Gewinn?
Er haͤtte, ſcheints, genug an Sonn 'und Mond allein,
Zum Licht im Erdenhaus, und brauchte nicht den Schein.
Statt muͤßig aufzuſchaun in zahllos fremde Welten,
Waͤr 'es nicht beſſer daß die eigne wir beſtellten?
167
Doch grade daß beſtellt die eigne richtig ſei,
In jene fremden traͤgt dazu der Ausblick bei.
Du kannſt Mondſonnenlauf, der ewig wechſelnd geht,
An Etwas meſſen nur, das unbeweglich ſteht.
Als Wendepunkte ſtehn dazu die Himmelſterne,
Daß man daran den Gang des Erdhaushaltes lerne.
Aufs Große muß man ſehn, um ſich zu freun am Kleinen;
Das Einzelne wird nur erkannt am Allgemeinen.

88.

Wenn zwei zu gleicher Zeit, der hier aus flachem Thal,
Der dort vom hoͤchſten Thurm, ſehn eines Sternes Stral;
Wird jener niedriger deswegen etwa ſehn,
Und hoͤher dieſer hier den Stern am Himmel ſtehn?
Nein, gleichhoch ſetzen ihn die beiden, und empfinden,
Daß Erdabſtaͤnde vorm Unendlichen verſchwinden.
168

89.

Welt iſt Bewegung. Was bleibt unbeweglich wol?
Vor tauſend Jahren wies ein andrer Stern den Pol.
Nach tauſend Jahren wird ein anderer ihn weiſen,
Wonach man ſteuern wird bei Land - und Meeresreiſen.
Warum ſteht ſelbſt nicht feſt der fixen Sterne Chor?
Nach unſerm Sonnenkreis, ſo ſcheint es, ruͤckt er vor.
Denn unſre Sonn 'in fuͤnfundzwanzigtauſend Jahren
Will ihre Sonn' einmal, ſuͤdoͤſtlich ſcheints, umfahren.
Wo iſt der Sonne Sonn 'im Suͤdoſt? Unerkannt
Im Sternheer, doch vielleicht der Sirius genannt.
Und ſteht nun dieſe feſt? Auch ſie wird, Gott zu preiſen,
Auch ſie um eine Sonn ', und die um eine kreiſen.
169

90.

Die Sonn 'im Winter iſt uns naͤher als im Sommer,
Doch macht ſie uns nicht warm, ſie iſt alswie ein Frommer,
Ein Frommer, der fern auf der Kanzel uns erbaut,
Und uns erkaͤltet, wenn man nah ins Aug 'ihm ſchaut.

91.

Das alte Sprichwort ſagt: Nichts unterm Sonnenſtral
Kommt Neues, das nicht dageweſen ſchon einmal.
Umkehren laͤßt ſichs auch: Nichts Altes kehret wieder,
Und immer neues Licht ſcheint von der Sonne nieder.
Auf anderm Punkt im Raum ſind wir an jedem Tag,
Weil nie in ihrem Lauf die Erde raſten mag.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 8
170
Sie kommt auf gleicher Bahn nicht uͤbers Jahr zuruͤck;
Denn weiter lief die Sonn 'inzwiſchen auch ein Stuͤck.
Die Sonn 'auch kehret nie im Schwung um ihre Sonne;
Denn ihre Sonn' auch kreiſt indeß um hoͤh're Wonne.
Der Welten hoͤchſte Wonn 'iſt ſolche Liebestreue,
Zum Ewigen der Trieb, der ewig alt und neue.

92.

Die kleinen Vier, die, ungeahnet alten Weiſen,
Statt Eines, zwiſchen Mars und Jupiter nun kreiſen;
Wie ſind ſie anzuſehn? Ein Doppelzwillingspaar,
Statt einfacher Geburt, in der Geſchwiſter Schaar.
Selbſt die Verſchlungenheit von ihrer Bahn beweiſt,
Daß ſcheinbar vier ſie ſind Ein Leib mit Einem Geiſt.
171

93.

Das Alterthum beſchrieb mit lebensvollen Bildern
Den Himmel, die verklaͤrt dort oben Ird'ſches ſchildern.
Den groß 'und kleinen Hund, den groß' und kleinen Baͤren,
Den Loͤwen und den Stier ſiehſt du ſich dort verklaͤren.
Die Krone funkelt und die goldne Leier toͤnt;
Der Menſchen hoͤchſter Schmuck, wie iſt er dort verſchoͤnt!
Doch wo vom Alterthum ein Raͤumchen leer geblieben,
Was hat dort unſre Zeit der Sternkart 'eingeſchrieben?
Gar ſehr Bezeichnendes fuͤr unſer kuͤnſtlich Treiben,
Das todte, deſſen Ruhm ſoll dort unſterblich bleiben:
Triangel, Pendeluhr, Luftpump 'und Seekompaß,
Zirkel und Lineal, Fernrohr und Winkelmaß;
Buchdruckerpreſſen und Elektriſirmaſchinen,
Und derlei; welcher Blick kann ſich erfreun an ihnen?
Zum Gluͤcke ſind ſie meiſt halb oder ganz und gar
Den Augen ohne Glas und Sehrohr unſichtbar.
8*172

94.

Dem Mathematiker iſt darum nur gelungen
So Vieles, weil er zieht aus Allem Folgerungen.
Er folgert, wenn er auch nicht ſieht wozu es frommt,
Erwartend ob es ihm einmal zu Statten kommt.
Auf einmal ſieht er, wie Unnuͤtzes ſelber nuͤtzt,
Wenn Allergroͤßtes ſich auf Allerkleinſtes ſtuͤtzt.

95.

Zwei ſcheinen ſich ſo nah, und kommen nie zuſammen;
Zwei andre finden ſich, die aus der Ferne ſtammen.
Was iſts? Wie Linien verhalten ſich die Seelen;
Zwei haben Neigungen, zwei bilden Parallelen.
Gleichguͤltig laufen die ſtets aneinander hin,
Jene begegnen ſich zuletzt in Einem Sinn.
173

96.

Der Kraͤfte Triebrad muß, das blinde, ſich bequemen,
Dem Menſchen immer mehr die Arbeit abzunehmen;
Daß einſt der freie Geiſt nichtmehr dem Stoffe diene,
Sich nur als Denker fuͤhl 'und Lenker der Maſchiene.
Nur laßt, wenn Alles ſoll Mechanik ſeyn auf Erden,
Des Geiſtes Denkgeſchaͤft nicht auch mechaniſch werden.

97.

Mit Andacht ſprach ich: Gott, ich danke dir, daß du
Mir wandteſt dieſen Schmerz, mir ſandteſt dieſe Ruh.
Verſtand dazwiſchen ſprach: Der Ew'ge ſollte wenden
Fuͤr dich den ew'gen Plan, dir etwas Eignes ſenden?
174
Doch Andacht ſprach: So dank 'ich eben jenem Plan,
Dem ewigen, in dem ich mit bin eingethan,
Dem ew'gen Plane, dem gemaͤß in dieſem Nu
Mir ward gewandt der Schmerz, mir ward geſandt die Ruh.

98.

Halt an! das war ein Sprung; wie reimt ſich das zuſammen?
Die Gruͤnde ſeh 'ich nicht, daraus die Folgen ſtammen.
Wenn ich dir folgen ſoll, ſo mußt du Schritt vor Schritt
Fein ſchreiten, und auch mein Verſtaͤndnis nehmen mit.
Nun, wenn geſchritten nicht, ſo war es denn geſprungen;
Ein Sprung, was ſchadet er, wenn er uns iſt gelungen?
Ohn 'einen Sprung von dort wirds nicht heruͤber gehn;
Wenn du nicht ſpringen willſt, ſo bleib nur druͤben ſtehn.
175

99.

Welch Ungluͤck, weder recht zu wachen noch zu traͤumen,
Auf Erden nicht zu Haus noch auch in Himmelsraͤumen.
Im Schlaf zu wachen und zu wandeln, kann dir taugen
Sowenig als ein Schlaf mit halbwach offnen Augen.
Abwechſelnd muͤſſen Schlaf und Wachen ſich erfriſchen,
Nicht laſſen ſich die zwei wie Wein und Waſſer miſchen.
Nicht gatten koͤnnen ſich die zwei wie Licht und Schatten,
Ohn 'unerquicklich eins am andern zu ermatten.
Die Daͤmmerung iſt ſchoͤn, doch nur als Uebergang,
Ob aus ihr Sternennacht, ob Sonnentag entſprang.
So zwiſchen Wachen auch und zwiſchen Schlafen liegt
Ein ſchoͤner Augenblick, ſchoͤn weil er ſchnell entfliegt;
Wo Seele Buͤrgerin ſich fuͤhlet zweier Welten,
Und in dem Augenblick vergleicht, was beide gelten.
176

100.

Das Denken, das ſich treibt in ungemeſſnem Gleiſe,
Hat nirgend Ruh 'als wo ſichs ruͤndet ſtill im Kreiſe.
Ob enger ſolch ein Kreis, ob weiter ſei, iſt gleich;
Der Geiſt, im engſten wohlgeſchloſſnen fuͤhlt ſich reich.
Doch fuͤhlt er reich ſich nur auf einen Augenblick,
In neue Kreiſe treibt ihn ewig ſein Geſchick.
Und volle Ruhe wird vom Denken nur gefunden,
Wo es in Einen Kreis vermag die Welt zu runden.
Solange ſcheinen wie Planeten irr zu gehn
Gedanken, bis bewußt ſie eine Sonn 'umdrehn.
Um eine Sonne drehn ſich meine lange ſchon,
Die ihnen nur verhuͤllt iſt auf dem Mittelthron.
[177]

XVIII.

[178][179]

1.

An einem Bache ſteht ein junger Roſenſtrauch,
Und wiegt ſein bluͤhendes Gezweig im Fruͤhlingshauch.
Die Wurzel ſtreckt er tief, kuͤhl in die Flut hinein,
Und wandelt, was er ſaugt, in rothen Wangenſchein.
Und wenn den Purpurglanz abbleichte Sonnenglut,
Die welken Blaͤtter ſtreut er wieder auf die Flut.
Froh ſieht er auf der Flut die welken ſchwimmen nieder,
Und ſauget wohlgemut fuͤr friſche Roſen wieder.
Am Abend fluͤſtern ihm Betruͤbtes Luͤfte vor;
Doch er, in Duft gehuͤllt, leiht ihnen kaum ein Ohr.
180
Sie fluͤſtern: Ach, der Bach, der ſo dich ſcheint zu laben,
Wird wuͤhlend nach und nach den Grund dir untergraben.
Wohin du frohergoͤtzt wirfſt deine Bluͤten jetzt,
Dahin entſinkeſt du mit deinem Stamm zuletzt.
Darauf der Strauch im Traum mit ſuͤßem Laͤchelduft:
Wol bluͤht des Lebens Baum nur auf des Todes Gruft.
Drum laſſet wohlgemut der kuͤhlen Flut mich trinken,
Bis ich werd 'in der Flut ertrinken und verſinken.
Laßt mich nur bluͤhn, damit, wenn ich hinunter ſoll,
Hinunter ich im Strom noch ſchwimme roſenvoll.

2.

Begluͤckt iſt wer den Weg der Suͤnde gar nicht kennt,
Vom eignen Trieb gelenkt, den Weg des Guten rennt.
Doch auch begluͤckt, wer kennt den Abweg, ihn zu fliehn,
Um Andere davon zum Weg zuruͤck zu ziehn.
Das iſt das ſchwere Gluͤck des, der fuͤr ſie geborgen
Nicht ſein will, ſondern auch der Andern Heil beſorgen.
181

3.

Wenn du nicht ausziehn kannſt den Fehler der Natur,
In eine Tugend ſuch 'ihn umzubilden nur.
Nicht mein 'ich ihn mit Schein der Tugend zu bedecken,
Fuͤr Kinder haͤngt man Fruͤcht' an unfruchtbare Hecken;
Doch nie wird Heuchelei des Gaͤrtners Fleiß geſchimpft,
Der edle Reiſer auf unedlen Stamm geimpft.
Wie man des ſtarren Bergs rauh unfruchtbare Warten
Zu Ruͤckhalt waͤhlt und Schirm dem angelegten Garten.
Wie, wo des Stroms Gewalt Trotz bietet aller Hemmung,
Man zur Bewaͤſſerung benutzt die Ueberſchwemmung.
182

4.

Du haſt es einmal brav gemacht, und meineſt nun,
Du koͤnnt'ſt ein andermal auch etwas minder thun.
Mitnichten kauft man ſich mit Pflichten los von Pflichten,
Du mußt, was du einmal entrichtet, ſtets entrichten.
Wers einmal gut gemacht hat fuͤrder keine Wahl,
Als daß er beſſer noch es mach 'ein andermal.

5.

Schon wieder haſt du nicht, was ich gewollt, gethan,
Schon wieder haſt du, was du nicht geſollt, gethan.
Geſuͤndigt hab 'ich wol, allein vernimm die Gruͤnde
Der Unterlaſſung dort, hier der Begehungſuͤnde.
Und Suͤnden meineſt du mit Suͤnden abgethan?
Die Gruͤnde gehn mich nichts, mich gehn die Suͤnden an.
Wer ſich auf Gruͤnde wollt 'einlaſſen aller Suͤnden,
Auf einen ſchoͤnen Grund waͤr jede wol zu gruͤnden.
183

6.

Die Mutter, die dem Kind nicht ſelber Nahrung ſchenkt,
Beneide nur die Bruſt der Amme, die es traͤnkt;
Die fuͤr den erſten Quell des Lebens, den ſie beut,
Vom erſten Laͤcheln auch des Dankes wird erfreut.
So mag dem Vater auch, der ſelbſt ſein Kind nicht zieht,
Der wecken Eiferſucht, durch welchen es geſchieht;
Der ihm ein geiſtiges Gepraͤge druͤcket ein,
Das wichtiger doch iſt, als das von Fleiſch und Bein.

7.

O haͤtt 'ich Baͤume doch vor fuͤnfundzwanzig Jahren
Gepflanzt, als ruͤſtig noch dazu die Haͤnde waren!
Sie haͤtten laͤngſt nun ſchon mit Schatten mich gelabt,
Mit goldner Fruͤchte Lohn auch meinen Fleiß begabt.
Nun ſtatt der Obſtbaumzucht erzog ich Liederkeime,
Mir trugen weder Frucht noch Schatten all die Reime.
184

8.

Nur das, wie klein es ſei, was du in dir erlebeſt
Iſt werth, daß du davon dem Nachbar Kunde gebeſt.
Denn nichts wie dieſes iſt der Geiſter Liebesnahrung:
Treu untreinander ausgetauſchte Herzerfahrung.

9.

Raͤum 'einen Anſtoß weg, der einen Schritt koͤnnt' irren,
Und jeden Irrthum, der koͤnnt 'einen Sinn verwirren.
Und ſei es leſend auch in einem Buche nur,
Den falſchgerathnen Zug, des Griffelfehltritts Spur,
Daß eines Andern einſt, der leſend nach dir komme,
Verſtaͤndniſſe der weggeraͤumte Fehler fromme.
185

10.

Der wird nicht wirken viel mit allen ſeinen Werken,
Wer gleich bei jedem Werk die Wirkung will bemerken.
Du wirke fort und fort in deinen Werkbezirken!
Wirkt nicht das Einzelne, doch wird das Ganze wirken.
Iſt Eines abgethan, ſo fang 'ein Anders an,
Und warte nicht bis erſt dein Erſtes Lohn empfahn.
Wie der Zitronenbaum zu neuer Bluͤte greift,
Ohn 'abzuwarten bis zur Frucht die alte reift.
Als Knabe ließ ich ſo geſtellte Dohnen hangen
Und blieb nicht ſtehn dabei, bis etwas ſich gefangen.
Ich that nach anderm Ziel indeſſen einen Gang
Und hob beim Heimweg aus den Dohnen meinen Fang.
Wo muͤßig lauernd ich mich haͤtt 'im Buſch verſteckt,
Haͤtt' ich mir ſelber nur die Voͤgel weggeſchreckt.
186

11.

Wo uͤppig Unkraut waͤchſt, von Niemand angebaut,
Wird ebenſo, wenn du es anbauſt, wachſen Kraut.
Oft huͤllt Verwilderung fruchtbarſten Herzensboden,
Wenn dich nur nicht die Muͤh verdrießt ihn anzuroden.

12.

Nicht Alles was du weißt, darfſt Allen du vertraun,
Noch minder Alle, was du nicht weißt, laſſen ſchaun.
Nur dem Vertrauten darfſt du jeden Schatz dein eigen,
Nur dem Vertrauteſten auch jede Bloͤße zeigen.

13.

Nicht ſein Anliegen kann man ſtets dem Freunde ſagen,
Dem Freunde kommt es zu, dem Freund es abzufragen.
Der iſt nicht ſehr ein Freund dem es nicht wichtig wiegt,
Das zu erfahren was dem Freund am Herzen liegt.
187

14.

Du weißt es tauſendmal, ſo Schlechtes auf der Welt
Iſt nicht zu finden, das nicht Einem wohlgefaͤllt.
Doch werden ſie von dir nur das Geringſte loben,
So haͤltſt du gleich das Lob fuͤr echten Werthes Proben.

15.

Die Jugend iſt die Zeit, wo man nach Zweck und Ziel
Nicht fragt, drum lernt man in der Jugend leicht und viel.
Im Alter lernt man drum ſo wenig und ſo ſchwer,
Weil man, wozu es hilft, ſtets wiſſen will vorher.

16.

Der Untreu aͤrgſte Straf 'iſt, daß ſie nicht kann glauben
An fremde Treu, das wird die Ruh' ihr ewig rauben.
Der Unſchuld ſchoͤnſter Lohn iſt, daß ſie unbefangen
Nichts Arges denkt, und braucht vor Argem nicht zu bangen.
188

17.

Du ſprichſt: Gar mancherlei Verdruß that man mir an;
Sollt 'ich nicht andern thun, wie ſie mir auch gethan?
Im Gegentheil! weil dich verdroß, was man dir that;
Thu nicht, was andre muß verdrießen: iſt mein Rath.

18.

Den Stein zum Anſtoß leg 'auf keines Bruders Wegen,
Und geh dem aus dem Weg, den ſie in Weg dir legen.
Vermeide ruͤckſichtsvoll, was andre aͤrgern kann;
Und was dich aͤrgern ſoll, aͤrgre dich nicht daran!

19.

Den Gegner ſetze nicht herab, dem vorgezogen
Du hoffeſt einſt zu ſeyn, wenn dir das Gluͤck gewogen.
Wenn uͤber ihm den Platz ſie dir erkennen zu,
Je hoͤher ſelbſt er ſtand, je hoͤher ſteheſt du.
189

20.

Beneide nicht den Mann um Ruhm, den er nicht hat
Erworben ohne Muͤh, durch Leiden oder That.
Biſt du bereit die That zu thun, die er gethan?
Kannſt du das Leiden, das er litt, auf dich empfahn?
Und wenn er weder litt fuͤr ſeinen Ruhm noch ſtritt;
Verdienſtlos moͤchteſt du dich ſchmuͤcken nie damit!

21.

Die Rach 'iſt ſuͤß, mein Sohn, wenn ſie unſchuldig iſt,
Wenn ſich im eignen Netz verſtrickt des Feindes Liſt,
Und ihm zur Beſſerung wird ein gelinder Schlag,
Ein kleines Weh, das, recht beſehn, ihm frommen mag.
190

22.

Die Hoͤflichkeit, o Sohn, iſt ſo vom Hof benannt,
Und fuͤr der Wahrheit Schul 'iſt nicht der Hof bekannt.
Die Hoͤflichkeit hat nie, gib auf dich ſelbſt nur Acht,
Ein voͤllig wahres Wort, o Sohn, hervorgebracht.
Unwahres ſpricht ſie nicht, doch weiß ſie einzukleiden
Den Stolz der Wahrheit ſo, daß er ſieht aus beſcheiden.

23.

Laß dich, Unwuͤrdigen zu geben, nicht verdrießen!
Das iſt ein Vorwand nur, um karg die Hand zu ſchließen.
Unwuͤrdig deiner Gab 'iſt keiner, ders bedarf;
Wer iſt, der, außer Gott, ihn ſchuldig ſprechen darf?
Sprich lieber: Hat er ſich verſtrickt durch ſeine Schuld,
So will ihn nun durch mich entbinden Gottes Huld.
191
Auch ſage nicht: was hilfts daß ich ihm helf 'empor?
Er liegt im Augenblick ſo elend wie zuvor.
Erlieg 'im Augenblick er wieder dem Geſchick,
Aufhalfeſt du ihm doch fuͤr einen Augenblick!

24.

Wenn du den Blinden ſiehſt, den armen Mann, den kranken,
Nach duͤrft'ger Gab 'umher an ſeinem Stabe wanken;
Bedachteſt du dabei, womit du das, o Kind,
Verdienſt, daß du nicht auch biſt arm und krank und blind?
Nicht dein Verdienſt iſt das, erkenne Gottes Gnaden,
Und klage nicht, daß du biſt anders auch beladen.
Wie koͤnnteſt du vor Scham ganz ſorglos aufrecht ſtehn,
Und ſaͤheſt ſo in Staub gebuͤckt den Bruder gehn!
192

25.

Die Fehler, die an dir du ſelbſt nicht ſehen kannſt,
Siehſt du an andern. Weißt, was du daran gewannſt?
Nicht beſſern kannſt du ſie an andern, doch villeicht
An dir; das iſt der Dienſt, den dir ein Spiegel reicht.
Der Spiegel dient, dir ſelbſt die Flecken zu entdecken;
Am Spiegel wiſche nicht, an dir wiſch 'ab die Flecken!

26.

Dein freier Will ', o Menſch, ſoll dein nicht ſeyn und eigen;
Denn in der Eigenheit will ſich Unfreiheit zeigen.
An der Uneigenheit iſt Freiheit zu erkennen;
Was frei in Wahrheit iſt, darf keiner eigen nennen.
Von allem, was ſich ruͤhmt der Freiheit, iſt auf Erden
So frei nichts, als, o Menſch, dein Wille frei ſoll werden.
193
Dein freier Wille ſei nicht eigen dem und dem,
Dein eigen ſei er nicht, ſo iſts Gott angenehm.
Gott ſelber will in dir, der deinen Willen ſchafft;
Und Gott zu wollen, iſt des freien Willens Kraft.

27.

Begreifen willſt du Gott? laß deinen bloͤden Eifer!
Denn mehr muß ſeyn als das Begriffne ſein Begreifer.
Darum ja, wenn du ihn begriffeſt, waͤrſt du mehr;
Dir, den er minder ſchuf, iſt unbegreiflich Er.
Begreifeſt du dich ſelbſt? und fuͤhleſt den Beruf,
Den zu begreifen, der dich dir ein Raͤthſel ſchuf?

28.

Wie wuͤßt 'ein Menſch fuͤr ſich das was du biſt fuͤr dich?
Zu wiſſen brauch' ich nur das was du biſt fuͤr mich.
Mein Vater und mein Herr, mein Alles und mein Eines!
Auf dich gerichtet ſei mein Großes und mein Kleines.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 9194

29.

Du ſteheſt uͤberall an der Gedanken Graͤnze,
Und halb iſt alles, was ich nicht durch dich ergaͤnze,
Du Anfang nicht allein und Ende meines Seyns,
Auch Mitte du, darin ich mit mir ſelbſt bin eins.
Ich mit mir ſelbſt bin eins, wo ich mich find 'in dir;
Und wo ich dich verlor, kam ich abhanden mir.

30.

Ihr ſollt mir, ſprach der Herr, ein Volk von Prieſtern ſeyn,
Mein ewiges Geſetz in euern Herzen rein.
Kein prieſterlicher Stamm, und keine Prieſterkaſte,
Daß der Erwaͤhlten Joch ſchwer auf Verworfnen laſte.
Verworfen iſt vor mir, wer ſich haͤlt auserwaͤhlt,
Und auserwaͤhlt nur, wen der Liebe Geiſt beſeelt.
195

31.

Wer die Entſtellung nur des Alten ſieht im Neuen;
Wie kann er ſich der Welt, der immer neuen, freuen?
Die Welt iſt nie entſtellt, nur immer umgeſtellt,
Und ſchoͤner hergeſtellt iſt neu die alte Welt.

32.

Wie lange werden um den Unterſchied der Zeiten
Und ihren Vorzug noch die Schriftgelehrten ſtreiten?
Die alte Zeit war jung, die junge Zeit iſt alt;
In dieſer ſiegt der Geiſt, in jener die Geſtalt.
Im Alter kannſt du nicht der Jugend Schmuck erneuen,
Doch der Erinnerung, wer wehrt es dir? dich freuen.
Erinnre dich! ſo iſt die Welt dir neu geboren,
Die Geiſter der Geſchicht 'um dich herauf beſchworen,
Und nichts, was groß je war und ſchoͤn, iſt dir verloren.
9*196

33.

Nicht ſchoͤner iſt es jetzt, als einſt es war, auf Erden,
Noch beſſer; beſſer einſt und ſchoͤner wird es werden.
Vom Blumenhuͤgel iſt die Weltgeſchicht 'entſtiegen;
Mit Fluͤgeln wird ſie einſt den Goͤtterberg erfliegen:
Am Boden kriecht ſie jetzt; wann wird ſie Fluͤgel kriegen?

34.

Zur Angelegenheit des Herzens muͤßt ihr machen
Den Glauben, und ihn nicht einmiſchen ird'ſchen Sachen.
Im weltlichen Verkehr muß euch zuſammenhalten
Ein andres Band; das laßt vom Glauben nicht zerſpalten!
Sonſt hat des Himmels Wort euch um der Erde Theil
Gebracht; und fehlt es hier, ſo iſt auch dort kein Heil.
197

35.

Vier Elemente ſind um dich, o Menſchenkind,
Geſchaͤftig, drei davon bald lind, bald ungelind:
Luft, Waſſer, Feuer wird Brand, Ueberſchwemmung, Wind.
Die Erd 'allein iſt dir von immer gleichen Gaben,
Ob ſie dich naͤhren mag, dich tragen, dich begraben.

36.

Wol vor dem Schoͤpfer iſt, was er geſchaffen, klein;
Koͤnnt 'etwas andres groß vor ſeiner Groͤße ſeyn?
Menſch, der ſich groß beduͤnkt vor den Geſchaffnen allen,
Du biſt nicht groͤßer auch; den großen Wahn laß fallen
Du biſt nicht groͤßer auch als alles, was gering
Du achteſt; auch dein Geiſt iſt ein geſchaffnes Ding.
198
Doch, iſt dein Schoͤpfer groß, kann klein ſeyn was er ſchuf?
Was, Zeuge ſeiner Groͤß ', hervorging ſeinem Ruf?
Groß iſt ſein kleinſtes Werk, nur klein vor ſeiner Groͤße;
Was groß ſich ſelber ſchmuͤckt, erliegt in ſeiner Bloͤße.
Vor ſeiner Macht fuͤhlt ſich das Groͤſte nackt und bloß,
Das Kleinſte aber iſt in ſeiner Liebe groß.

37.

Der Glaubenseifer ruft: Gib die Vernunft gefangen!
Doch ſie, die freie, will nicht blind an Satzung hangen.
Nur wer ihr zeigt, wie Glaub 'und Freiheit ſich vertraͤgt,
Hat der unglaͤubigen die Feſſel angelegt.
199

38.

Warum iſt Pfaffengeiſt ſo eng und dumpf und klein?
Weil geiſtlich vorzugsweiſ 'er will ausſchließlich ſeyn.
Lebendig iſt der Geiſt, wo er im Leib verharrt;
Doch, wird er ſelbſt ein Leib, iſt er zum Tod erſtarrt.
Des Sauerteiges kannſt du nicht im Brot entbehren,
Doch magſt du nicht allein von Sauerteig dich naͤhren.
So iſt am Kohlgericht auch wol das Salz erſprießlich,
Doch ohne Kohl ein Salzgemuͤſ 'iſt ungenießlich.
Wenn ihr das Salz der Welt und Sauerteig wollt ſeyn,
So geht beſcheiden als Beſtandtheil in ſie ein!

39.

Thu, was der groͤſte that in ſeinem groͤſten Kreiſe,
In deinem kleinen nach, ſo iſts zu Gottes Preiſe.
Ein menſchlich Vorbild iſt in allem dir, was that
Gott, als in menſchlicher Geſtalt er ſelbſt auftrat.
200

40.

In jedem Irrthum liegt von Wahrheit auch ein Kern,
Wie in der finſtern Nacht verhuͤllt iſt mancher Stern.
Die Wahrheit aber ſelbſt, zum Aeußerſten getrieben,
In Irrthum ſiehſt du ſie dort auseinander ſtieben.
Den Gegner kannſt du nun ſo oder ſo beſtreiten,
Hinaus zum Irrthum ihn, zuruͤck zur Wahrheit leiten.
Entfalte nur den Keim des Irrthums, welchen hegt
Die Wahrheit, und du haſt ſie glaͤnzend widerlegt!
Doch willſt du ſinnen, wie im Grund ers moͤge meinen,
So kannſt du ohne Streit mit jedem dich vereinen.
201

41.

Was Gott gebeut, das iſt er alles ſelber ſchon:
Liebe gebeut er dir, er iſt die Lieb ', o Sohn.
Die Wahrheit und die Treu, Barmherzigkeit und Milde
Gebeut er dir, weil er dich ſchuf nach ſeinem Bilde.
Das Gute ſuchen ſollſt du und das Boͤſe fliehn;
Denn Gott iſt gut: du ſuchſt in allem Guten ihn.

42.

Ein Wandrer, wenn er geht geſellt mit einem andern,
Wird gut thun, Schritt mit ihm zu halten unterm Wandern.
Vorwerts vergnuͤglicher geht es im gleichen Takt,
Als wenn entgegen ſtets ein Schritt dem andern hackt.
So auch, wenn du ein Buch zum Leſen wirſt entfalten,
Such 'immer dich mit ihm in gleichem Zug zu halten.
Denk 'uͤberein mit mir, ſolang du mich begleiteſt!
Vom Lehrer lernſt du nichts, wenn du mit ihm nur ſtreiteſt.
202

43.

Von Aberglauben iſt Unglauben ſtets begleitet,
Und Aberglauben hat zum Glauben oft geleitet.
So im Unglauben iſt der Glaube ſchon enthalten;
Durch Gottes Kraft geweckt, wird er ſich draus entfalten.

44.

Weh dir, o Poeſie in dieſer Zeit Gedraͤnge!
Du biſt nicht ernſt genug der ernſt gelehrten Menge;
Zu ernſt der leichten Welt, die Unterhaltung ſucht;
So nimmt Gelehrt und Ungelehrt vor dir die Flucht.

45.

Was nicht von Gott hebt an, und ſich zu Gott hin wendet,
Iſt um und an misthan, misangefahn, misendet.
Den Schein, etwas zu ſeyn, mags haben eine Friſt;
Bald wird es offenbar, daß nichts es war und iſt.
203

46.

Wie Pflanzen aus der Erd ', ohn' ihr was abzubrechen,
So gehn Gedanken aus vom Geiſt, ohn 'ihn zu ſchwaͤchen.
Und wie der Erde Schooß ſtets neue Triebe treibt,
So auch der Geiſt in dir, der nie unthaͤtig bleibt.
Wenn du der Stunde dienſt, beherrſcheſt du die Zeit;
Wirk 'auf den Augenblick! er wirkt in Ewigkeit.
Wo iſt der Sonnſtral hin, der uͤbers Feld geſtreifet?
Er hat am Erntekranz der Welt ein Blatt gereifet.
Und alle Roſen bluͤhn noch jetzt im irdiſchen Staube
Als Abglanz einer, die gebluͤht an Edens Laube.
204

47.

Wie ſich ein Greis beſinnt auf ſeine Jugend wieder,
Auf ſeine Jugendſpiel ', auf ſeine Jugendlieder;
So will ſich dieſe Zeit der Weltgeſchicht 'entſinnen,
Und, als am Ende nun, den Anfang neu gewinnen;
Betrachtend, wie in ſich ein abgebluͤhter Baum
Verſunken winterlich, nachtraͤumt den Bluͤtentraum.
Iſt er erſtorben? nein! und wird auch nicht erſterben,
Wird Kraft durch Winterſchlaf zu neuem Lenz erwerben.

48.

Es iſt ein Doppelweg im Glauben und im Hoffen,
Dem Einzelnen iſt der, und der dem Ganzen offen.
Dem Einzelnen kann nur Vollendung jenſeit werden,
Doch wachſen ſoll das Heil des Ganzen hier auf Erden.
205
Und nicht der Einzelne ſoll nur allein ſich ſchwingen
Dorthin, er ſoll auch hier die Menſchheit weiter bringen.
Mein Sohn, alt iſt der Wahn und allgemein verbreitet,
Daß dieſe Welt durch vier Weltalter abwerts ſchreitet;
Daß in Verſchlechterung ſie immer tiefer ſinkt,
Und rettungslos zuletzt den Kelch des Todes trinkt.
Die Anſicht von der Welt muß werden umgedreht,
Daß ſie, auch nicht im Kreis, daß ſie ſtets aufwerts geht;
Daß nicht gewaltſam ſie zuletzt aus ihrem Kloben,
Vielmehr verſoͤhnend aus der Zwieſpalt wird gehoben;
Daß ihr, nach endlicher der Gegenſaͤtz 'Ausgleichung,
Ein Reich des Friedens bluͤht, wie fern auch der Erreichung,
Wo mit erneutem Sinn die ganze Bruͤderſchaar
Lebt, wie im Anbeginn das erſte Menſchenpaar.
Mein Sohn, ſowenig als des eignen Heiles Glauben,
Laß dieſen dir ans allgemeine Weltheil rauben.
206

49.

Im goldnen Alter, da ein Paradies hienieden,
Und ew'ger Fruͤhling war darin und ew'ger Frieden
Die junge Knoſpe ward genagt von keinem Wurm,
Und ihre volle Kron 'entblaͤtterte kein Sturm.
Noch nicht gebunden war an Arbeit der Genuß,
Und nicht der Freude nach ſchlich heimlich Ueberdruß.
In Trauben war kein Rauſch, noch an der Lieb 'ein Dorn,
Im Auge keine Thraͤn', und in der Bruſt kein Zorn.
Da hatte Echo's Ohr noch keine Klag 'empfangen,
Und ſpiegeln ſah der See nur Laͤcheln auf den Wangen.
Am Himmel Sonn 'und Thau, nicht Wolk' und Ungewitter,
Nicht giftig war die Schlang 'und Wermuth noch nicht bitter.
Da mußten Voͤgel noch nicht wandern um zu bruͤten,
Und Baͤume fuͤr die Frucht nicht opfern ihre Bluͤten.
207
Nicht Neid noch Eiferſucht, nicht Haß noch Zwietracht fand
In einem Herzen Raum, das ſich voll Gluͤck empfand.
Sie waren alle gleich, und ſahn mit Wohlgefallen
In fremdem Gluͤck ihr Bild, und liebten ſich in allen.
Um Guͤter war kein Streit, ſie waren allgemein,
Nicht Ich und Du entzweit, und gleichviel Mein und Dein.
In ſich verſtaͤndlich klar, empfunden, nicht erdacht,
Im Liebestauſch von Welt und Sinn hervorgebracht,
Verſtaͤndnis ihrer ſelbſt, Verſtaͤndnis der Natur,
War ihrer Sprache Schall, ein Loblied Gottes nur.
So war ihr Leben, doch ihr Tod war ſchoͤner noch,
Durch den die Bluͤt 'am Baum des Lebens aufgieng hoch.
Von hoͤherm Daſeyn nicht ein mattes dunkles Ahnen,
Es waren klar geſchaut lichtaufgethane Bahnen;
Kein Schweben zwiſchen Furcht und Glauben, Wahn und Hoffen,
Die ſel'ge Zukunft lag dem Geiſt zum Eintritt offen.
208

50.

Nicht auf die eigne, nur auf ſeines Schiffes Noth
Und Wohlfart iſt bedacht der wachſame Pilot.
Sich ſelbſt vergiſſet er, nur ſeines Schiffes denkend,
Das ſtets gefaͤrdete durch Klipp 'und Woge lenkend.
Zur Tiefe blicket er und ſchauet nach den Sternen,
Nicht Gottes Schoͤpfermacht, nur ſeine Fahrt zu lernen;
Merkt auf der Wolken Zug, lauſcht auf der Luͤfte Flug,
Ob Stille komm 'ob Sturm, ob Foͤrdrung ob Verzug.
Entgegenſteuernde begruͤßt er nur im Eilen,
Daß ſie ihm Wegkundſchaft und Neuigkeit ertheilen.
Und legt er an, ſo thut ers nicht, vom angenehmen
Geſtad gelockt, er thuts um Waſſer einzunehmen;
Und iſt zufrieden, wenn er endlich muͤd 'und matt
Das Lebensziel erreicht im Todeshaven hat,
Der aͤngſtliche Pilot, der Geiſt im lecken Schiff
Des Leibes, ſeiner Muͤhn und Sorgen Inbegriff:
209
Begluͤckt, wenn ſorgenfrei er einſt durch Aetherferne
Ein unzerbrechlich Schiff lenkt, wie ihr Geiſt die Sterne!
Begluͤckt die Unſchuld auch, die hier ſanft ſchlummernd ruht
Im Nachen, den ein Schwan zieht ſpielend durch die Flut!

51.

Zum Herrſcher der Natur war einſt der Menſch geboren,
Den Stuhl der Herrſchaft hat er durch den Fall verloren.
Solang als in ihm rein das Goͤttliche gebrannt,
War von der Gottgemein 'er Herrſcher anerkannt.
Als dieſen Talisman er in ſich ſelbſt zerſtoͤrt,
Hat gegen ihn im Grimm ſich bald ſein Reich empoͤrt.
Aus ſeinem Fall hat er nun lang empor gerungen,
Und wieder auf den Thron hat er ſich halb geſchwungen.
Mit Huͤlfe der Vernunft iſt er ein Herrſcher worden,
Ein Herrſcher der Gewalt unwill'ger Sklavenhorden.
Erſt, wann er menſchlich rein iſt goͤttlich umgewandt,
Wird er als Herrſcher ſeyn mit Freuden anerkannt.
210

52.

Die Blum 'im Felde klagt: Weh dieſer rauhen Wieſe!
Wie anders war mein Stand in jenem Paradieſe!
Da ſchwebte leicht der Menſch wie Fruͤhlingsengelgruß,
Und trat den Boden nicht und mich mit ſchwerem Fuß.
Alswie der Vogel ſchwebt, alswie des Vogels Schatten,
Schwebt 'er gefluͤgelt ob den ewiggruͤnen Matten;
Wie Schmetterlinge, die auf ſchwankem Halm ſich gatten.
Im Garten war auf vier geſtellt kein plumpes Thier,
Nur Menſch und Vogel war, lobſingend uͤber mir.
211

53.

Du fragſt, ob jeder Menſch denn nicht zur hoͤchſten Stufe
Berufen ſei, zu der ich ſelbſt empor dich rufe?
Erkenntnis Gottes, Weltverſtaͤndnis, Harmonie
Der Sfaͤren alles Seyns, gilt das nicht allen hie?
Was aber ſoll ich dann zu jenem Schmiede ſagen,
Den auf den Amboß ich hoͤr 'unharmoniſch ſchlagen?
Er wirkt nicht fuͤr die Kunſt, er ſchafft fuͤr ſeinen Magen.
Er ſchmiedet Pflug und Schwert fuͤr Ackermann und Krieger;
Die beiden ſind der Welt Ernaͤhrer und Beſieger.
Die Fuͤlle ſchaffen ſie und ſchaffen dir den Frieden,
Darin zu denken dir, zu dichten iſt beſchieden.
So dicht 'und denk' und dank ', und laß den Schmied nur ſchmieden!
212

54.

Die Eigenthuͤmlichkeit, des Menſchen ſchoͤnſte Bluͤte,
In ſeinem Thun und Seyn, im Antlitz und Gemuͤte;
Wodurch der Einzelne zu einem Ganzen ward,
Indes ein Thier nichts hat voraus vor ſeiner Art.
Doch unterſcheidet ſelbſt am Thiere, was ein traͤger
Blick unterſchiedlos fand, ein Hirte, Reuter, Jaͤger.
Gezaͤhmte Thiere ſind, wie Menſchen, wechſelreich,
Halbwilde Menſchen am Gepraͤg, wie Thiere, gleich.
Wol gibts Familiengeſichter, Volksgeſichter,
Doch Menſchenangeſicht beſticht allein den Richter,
Und Menſchenangeſichts hoͤchſter Verklaͤrungſtral,
Der Eigenthuͤmlichkeit Vollendung, Ideal;
Wodurch Beſondres wird zuruͤck zur Allgemeinheit
Gebracht, und Menſchliches mit Goͤttlichem zur Einheit.
213

55.

Wieſehr auch er fuͤrs Weib Lieb 'und Verehrung hegt,
Der Mann hat immer ſich den Vorzug beigelegt.
Als Erſtgeſchaffner, als Alleingeſchaffner hat
Er ſich gefuͤhlt, aus dem das Weib hervor nur trat.
Er wußt 'in Staat und Rath den Vorrang zu gewinnen;
Doch hatten Menſchen auch, wie Bienen, Koͤniginnen.
Und dienen ſieheſt du im ſtillen Reich der Pflanze
Viel Maͤnner einem Weib zu Liebeshof und Kranze.
Doch viel Inſekten ſind gefluͤgelt nur, wenn maͤnnlich,
Und Vogelmaͤnnchen an Geſang und Schmuck erkennlich.
Im niederſten Gebiet der Thierwelt herrſcht ein dritter
Stand uͤber Mann und Weib, der zweigeſchlecht'ge Zwitter.
Die Weibchen, in ſich ſelbſt befruchtet, moͤgen hecken;
Die Maͤnnchen dienen nur, die Keime zu erwecken.
So koͤnnt 'ein Menſchenweib gebaͤren ohne Mann,
Da aus ſich ſelbſt nur Zeus die Tochter zeugen kann.
214
Die geiſtige Geburt iſt eignes Mannesrecht;
Der Mann iſt die Perſon, das Weib iſt das Geſchlecht.
Und die Perſoͤnlichkeit, die an ſich ſelbſt ihm fehlt,
Gewinnt das Weib, indem ſie ſich dem Mann vermaͤhlt.

56.

Erſt vom Beduͤrfnis gehn die Kuͤnſte aus zumeiſt,
Und werden Ueppigkeit alsdann, und endlich Geiſt.
Bekleidung war zuerſt Schutz gegen Witterung,
Dann kam Kunſtweberei, Schoͤnfaͤrberei in Schwung.
Nun im Gewand der Mod 'iſt Schoͤnheit ſelbſt erſchienen,
Daß ihr, der ewigen, die Formen wechſelnd dienen.
Die Huͤtte ward ein Haus, das Haus ward ein Palaſt,
Ein Tempel, wo die Kunſt das Goͤttliche umfaßt.
Feldmeſſung war zuerſt Erfindung geiz'ger Bruͤder,
Zu theilen unter ſich ganz gleich des Vaters Guͤter.
215
Die Meßſchnur ward auf ein erobert Land gezuͤckt,
Und ſtellte Grenzen her, wenn ſie der Strom verruͤckt.
Zuletzt ward ſie auf Erd 'und Himmel ausgedehnt,
Wo Unermeßliches der Geiſt zu meſſen waͤhnt.

57.

Die Freiheit iſt im Kampf mit der Nothwendigkeit;
Geendet nicht, doch ſchon entſchieden iſt der Streit.
Denn nie wird die Natur mehr ſtaͤrker als ſie war,
Doch ſtaͤrker ward der Menſch und wird es immerdar.
Noch braucht wie ſonſt der Aar Klau, Schnabel, Fluͤgelſchlag,
Doch Waffen tauſcht der Menſch und wechſelt, wie er mag.
Noch iſt des Loͤwen Kraft in Rachen, Tatz 'und Schweif,
Doch neue Wiſſenſchaft wird ſtets im Menſchen reif.
Und ſo bleibt die Natur wie Adler ſelbſt und Leue
Die alte, doch der Menſch der immer jung 'und neue.
Und immer mehr und mehr wird er Sieg abgewinnen
Der Widerſacherinn, die ihm nicht kann entrinnen.
216

58.

Der erſte Urwohnſitz der Menſchen mit vier Fluͤſſen,
Die jetzt noch alle Welt von dort bewaͤſſern muͤſſen,
Als den ſich mehrenden zu enge ward das Haus,
Da zogen wie die Stroͤm 'auch vier Geſchlechter aus.
Voll klarem Weltverſtand, entgegen zog das eine
Der Sonne, daß ihr Licht ſtets fruͤher ihm erſcheine.
Voll ruͤſt'ger Thatkraft zog nach Weſten hin das andre,
Daß mit der Sonne Lauf es alle Welt durchwandre.
Entflammt von Sonnendurſt, zum heißen Suͤden zog
Das dritte, wo es voll von Glanz und Glut ſich ſog.
Mit ſtarrem Sinne nahm das vierte ſeine Reiſe
Dem feſten Nordſtrom zu, wo es erſtarrt 'im Eiſe.
So auseinander ſind aus einem Sitz gewichen
Die vier, unaͤhnlich nun gleich ihren Himmelsſtrichen.
217
Die wechſelſeitige Erinnrung iſt geſchwunden,
Doch haͤlt auf Erden ſie des Himmels Macht verbunden.
Vom Oſt zum Weſten iſt die Sonne ſtets gezogen,
Und zwiſchen Suͤd und Nord geſpannt ein Regenbogen.

59.

Laß dich nicht das Gewirr der Volksmundarten wirren,
Die durcheinander, ſelbſt ſich unverſtaͤndlich, ſchwirren.
Vom heiligen Sanskrit ſind Woͤrter, wie du weißt,
In allen, doch es iſt ein andrer Grund und Geiſt.
Drei Sprachenſtaͤmme gibts des menſchlichen Vereins,
Semitiſch und Sanskrit, und alles Uebrig 'eins.
Semitiſch zeichnet aus tief innerliche Regung,
Sanskritiſch aͤußerer Gegliedertheit Bewegung,
Den dritten Stamm der Unbeweglichkeit Erſtarrung,
Gleichfern von Bildſamkeit und ſicherer Beharrung.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 10
218
Die Felſenſtarrheit kann nicht der Verwitterung
Entgehn, des Steinreichs Kern nicht der Zerſplitterung;
Dagegen pflanzengleich die erſten Sprachen bluͤhn,
Die andern wie das Reich der Thierwelt Leben ſpruͤhn.
Doch jene dritten, die ſich all' einander gleichen
An Form, wie weit im Stoff ſie auseinander weichen;
Mechaniſch iſt ihr Bau, zufaͤllig ihre Zeichen.
Auf Otaheite und Oweihi wird noch jetzt
Beim Fuͤrſtenwechſel neu die Sprachart feſtgeſetzt.
Und jene Koͤnigin, als ſie den Sohn gebar,
Schuf ihm zu Ehren um die Sprache ganz und gar.
Doch ihn ermordeten die unzufriednen Großen,
Da ward die neue Sprach 'auch wieder umgeſtoßen.
219

60.

O klage nicht, mein Geiſt, im finſtern Hauſe baͤnglich,
Die dir verliehene Vernunft ſei unzulaͤnglich.
Des Hauſes Mitte macht die Leuchte hell genung,
Und in die Winkel nur birgt ſich die Daͤmmerung.
In welchem Winkel du was ſehn willſt, o Geſell,
Trag 'hin die Leuchte ſchnell, ſo iſt der Winkel hell.

61.

Kind! eine Tuͤchtigkeit, zu einem Zweck gewandt,
Das iſts, ein Weiſer lehrts, was Tugend wird genannt.
Was immer tuͤchtig iſt und taugend, das iſt Tugend,
Wenn ihm ein Zweck nicht fehlt, das pfleg 'in deiner Jugend.
Richtung auf hoͤchſten Zweck muß hoͤchſte Tugend ſeyn;
Was iſt der hoͤchſte Zweck des Menſchen? Gottverein.
10*220

62.

Wenn Freiheit du begehrſt, des Menſchen hoͤchſte Zierde,
Herrſch 'uͤber Leidenſchaft und Neigung und Begierde.
Doch bilde dir nicht viel auf dieſe Herrſchaft ein;
Des freien Willens Stolz iſt Gott gehorſam ſeyn.

63.

Ein feſter Standpunkt ſei in deinem Kreis dir eigen,
Wo dir die Dinge ſich in rechter Weite zeigen.
Nur da erblickſt du ſie vom wahren Licht erhellt,
Wo um die Mitte ſie im Kreiſe ſind geſtellt.
Den andern mußt du auch ihren Geſichtskreis goͤnnen,
In jeden fremden dich zugleich verſetzen koͤnnen.
Statt deiner Augen mußt du koͤnnen ſehn mit ihren,
Dein eignes Urtheil nur deswegen nicht verlieren.
Einſeitigkeit iſt Noth, die's tuͤchtig meint und ehrlich,
Doch von Allſeitigkeit ein Stuͤck auch unentbehrlich.
221

64.

Gleichwie das Hoͤchſte nicht iſt in der Kunſt zu nennen
Nachahmung deſſen, was die Sinne Schoͤns erkennen;
So kann Nachahmung auch des Guten in der Zeit
Nicht ſeyn das oberſte Geſetz der Sittlichkeit.
Es muß, gleichwie es ein Urſchoͤnes gibt, ſo geben
Auch ein Urgutes, Kind! das mußt du ſelber leben.

65.

Von allen Thieren hat den Menſchen Gott zuletzt
Erſchaffen, und ſo iſts noch in der Schoͤpfung jetzt.
Von allem wird der Menſch im Menſchen reif zuletzt,
Nachdem er ſich aus dem in jenes umgeſetzt.
Ein Pflanzenleben iſt der Menſch zuerſt berufen
Zu leben, dann lebt er durchs Thier in vielen Stufen.
222
Wie viele ſind, die auf den niedern Stufen bleiben,
Wie wenige, die ganz empor zur hoͤchſten treiben!
Wie manche, die zuruͤck zur Tiefe wieder ſinken,
Und zeigen uns das Thier, wo wir dem Menſchen winken.

66.

Viel Worte haſt du, Sohn, das Kind nur einen Schrei,
Nur einen, der ihm muß ausdruͤcken vielerlei,
Luſt, Unluſt, Hunger, Durſt, Begier nach Schlaf und Spiel;
Es hat beiſammen, was dir auseinander fiel.
Entfaltetes laͤßt ſich nicht mehr zuſammenfalten;
Du lerne reicher ſtets die Fuͤlle zu geſtalten.
Gib Sprache dem Gefuͤhl in jedem Ton, und ſei
So wahr in jedem, wie das Kind in ſeinem Schrei.
223

67.

Wol kennt, vom Mutterarm zu fallen, die Gefahr
Das Kindlein nicht, darum auch faͤllt es nicht fuͤrwahr.
Es haͤlts der Mutterarm, und das auch weiß es nicht;
Unſchuld, Unwiſſenheit iſt ſtets im Gleichgewicht.

68.

Alswie ein Vater gibt die Freiheit ſeinem Sohne,
Nicht zur Verſuchung ihm, nein, zur Vollendungskrone;
Nicht um zu gleiten, um zu ſtaͤrken ſeinen Tritt,
Selbſt feſt zu ſtehn, und aufzuſtehn auch wann er glitt:
So gab dir Gott, o Menſch, den freien Willen auch;
Des Misbrauchs Moͤglichkeit macht moͤglich den Gebrauch.
224

69.

Von zweien Welten will die wahre jede ſeyn,
Und wirft der andern vor, ſie ſei ein leerer Schein.
Wenn du die Wirklichkeit als wirklich anerkennſt,
So iſt das Ideal dagegen ein Geſpenſt.
Doch wenn mit ew'gem Stral dich trifft das Ideal,
Iſt das Vergaͤngliche dagegen dumpf und kahl.
Nicht wenn das eine durch das andre du verneinſt,
Du biſt begluͤckt, wenn du die beiden ſchoͤn vereinſt;
Wenn Geiſtiges fuͤr dich Geſtalt und Leib annimmt,
Und im Vergaͤnglichen der ew'ge Funke glimmt.
225

70.

Die Blume hat gewis empfahn den Blumenſtaub
Zunaͤchſt zu anderm Zweck als zu der Biene Raub.
Doch wir erlauben gern, daß ſie dazu ihn nimmt,
Und nehmen ſelbſt fuͤr uns, was ſie fuͤr ſich beſtimmt.
Der Biene dient die Blum ', es dienet mir die Biene,
Sie wiſſens nicht, nur ich weiß daß ich allen diene.

71.

Der Menſch macht alles ſich dienſtbar auf ſeine Weiſe;
Was nicht zur Speiſ 'ihm dient, das dient ihm zur Lockſpeiſe.
Ein Beerchen und ein Wurm, die er fuͤr ſeinen Tiſch
Nicht brauchen kann, faͤngt ihm den Vogel und den Fiſch.
226

72.

Das Groͤſte gehet ein ins Kleinſte, und das Ganze
Ins Einzelnſte; die Sonn 'iſt Sonn' in jedem Glanze.
Sohn, mache durchs Papier den feinſten Nadelſtich,
Und ſieh 'hindurch, dir zeigt die ganze Sonne ſich.

73.

Du ſagſt: Die Roſe bluͤht, es ſingt die Nachtigall;
Doch ſiehſt du hundert bluͤhn, hoͤrſt hundertfachen Schall.
Doch alle Roſen ſind in einer dir verſchlungen,
Die Nachtigallen all' in einer Kehl 'erklungen.
So fuͤhlt die Poeſie in ſich ein Dichter ganz,
Und alle Schoͤnheit ſieht die Lieb 'in Einem Glanz.
[227]

XIX.

[228][229]

1.

Hauch Gottes, Poeſie, o komm mich anzuhauchen,
In deinen Roſenduft die kalte Welt zu tauchen.
Was du anlaͤchelſt, lacht; was du anblickeſt, glaͤnzt;
Die Eng 'erweitert ſich, und Weites wird begraͤnzt.
Durch dich iſt ewig, was im Augenblick geſchwunden,
Was ich gelebt, gedacht, genoſſen und empfunden.

2.

Im Guten nicht allein, im Wahren auch und Schoͤnen
Spricht eine Stimme laut, die nichts kann uͤbertoͤnen.
Wie ſie dir ſaget, ob du etwas recht gethan,
Nicht abgewichen biſt von des Geſetzes Bahn;
230
So ſagt ſie dir auch, ob du etwas recht erkannt,
Nicht im verſchlungnen Pfad des Irrthums dich verrannt;
Sie ſagt dir auch, ob du der rechten Kunſt gewaltet,
Ein Gutes, Wahres klar in ſchoͤner Form geſtaltet.
Den hoͤchſten Beifall, den du deinem Handeln, Wiſſen
Und Bilden ſelber gibſt, nie moͤgeſt du ihn miſſen.

3.

Poeten, laſſet uns treulich zuſammen halten!
Erkaͤlten duͤrf 'uns nicht die Welt, noch ſelbſt erkalten.
Haucht aus euch nur die Glut, die Gott in euch gehaucht,
Und bleibet wohlgemuth, wenn draußen ſie verraucht.
Wer groͤßer, kleiner ſei, das laſſet uns nicht ſtreiten;
Uns richtet dieſe Zeit, ſie richten kuͤnft'ge Zeiten.
Gar viel was heute glimmt, wird uͤber Nacht verglimmen;
Und was nun oben ſchwimmt, wird fort im Strome ſchwimmen.
231
Was dem das meiſte gilt, wird der am meiſten ſchelten,
Und drum, was dieſer ſchilt, wird jenem doppelt gelten.
Gut Werk iſt Dichterei, die feine wie die plumpe,
Und nur Kunſtrichterei iſt ein Geſchaͤft fuͤr Lumpe.

4.

Wer nichts Ehrwuͤrd'ges kennt, mit Ehrfurcht keinen nennt,
Hat keine Ehr 'und bleibt von Ehren ſtets getrennt.
Ihr achtet kein Geſetz und ehret keine Sitte,
Junges Barbarenvolk in der Geſittung Mitte.
All' eure Schreiberei, wie geiſtreich ihr ſie ſchmuͤckt,
Doch iſt der Barbarei Gepraͤg ihr aufgedruͤckt.
Weh, wenns gelingt daß ihr die Welt barbariſirt;
Spott euch, wenn ihr umſonſt euch habt proſtituirt.
232

5.

Die Wohlgeſtalt iſt ſchoͤn in jeglichem Gewande,
Am ſchoͤnſten iſt ſie nackt, doch nur im Unſchuldſtande.
Das Alter kann zuruͤck zur Kindesunſchuld kehren,
Nur ſoweit nicht um auch des Kleides zu entbehren.
Auch Kindeseinfalt des Gedankens liebt Bekleidung,
Denn erſt das Kleid gibt ihm anmuth'ge Unterſcheidung.
Man haͤlt zum Werktagkleid ſich an die Landesart,
Die Luſtverkleidung bleibt dem Feſttag aufgeſpart.
Man mag Bekanntes gern in fremder Huͤlle ſehn,
Weil es zugleich ſo fern und nahe ſcheint zu ſtehn.
Drum liebt der Schoͤnheit Glanz viel wechſelnde Gewande,
Weil keins allein ihn ganz zu faſſen iſt im Stande.
Durch andres Kleid erhaͤlt der Leib auch andre Haltung,
Und jede neue Falt 'iſt neuer Reiz' Entfaltung.
233
Das Fremde nur iſt ſchoͤn, das Fremde nur gefaͤllt,
Das eigenthuͤmlich dar ein Allgemeines ſtellt.
Wo dem Beſondern fehlt und Fremden dieſe Spur,
Das meid 'als ſonderbar und als befremdlich nur.

6.

Wo der Gedanke fehlt, die unverwandte Richtung
Auf hochgeſtecktes Ziel, da iſt ein Tand die Dichtung.
Das Fantaſienſpiel der Kindermaͤhrchenlieder
Iſt mit der Kindheit hin, und Niemand bringt ſie wieder.
Statt Ammenkinderfrau ſei nun Erzieherinn
Die Muſe dem Geſchlecht zu hoͤherm Lebensſinn.
Hinfort genuͤgt nicht mehr anmuthig Klingendes,
Nur Himmelringendes, Geſchickbezwingendes.
234

7.

Der Dichter, der nur iſt ein Dichter, iſt ein Kind
In dieſer Zeit, da wir gereift zu Maͤnnern ſind.
Kind bleiben, iſt nicht ſchlimm, nicht ſchlimm es wieder werden,
Nur ſchlimm ſind kindiſche ſtatt kindlicher Geberden.
Was aber ſeid denn ihr, die ihr ſo maͤnnlich thut,
So graͤmlich ernſt aufs Spiel herabzuſehn geruht?
Ihr glaubet euch gereift, und ſeid doch nur verbluͤht,
Vom Froſte nur bereift, anſtatt vom Thau beſpruͤht.
Was waͤr 'ein rechter Mann? der mit dem Kern ſich naͤhrte
Der ganzen Wiſſenſchaft, und den zu Kunſt verklaͤrte;
Der machte ganz die Welt Bruchſtuͤcke mein 'ich nicht
Zu einem reizenden und lehrenden Gedicht.
235

8.

An alter Poeſie verbluͤhten Blumenbeeten
Die ſilbenſtechenden Ausleger der Poeten
Erwecken mir halb kuͤhl im Buſen und halb ſchwuͤl
Aus Stolz und Trauer ein gemiſchtes Mitgefuͤhl:
Stolz, daß ein leichtes Wort zu ſolchen Ehren kam,
Und Trauer, daß die Luſt der Welt ſolch Ende nahm;
Daß dieſe Blumen, die mit Duft und Glanze neu
Einſt Herzen labten, nun ſind ſolcher Ochſen Heu.
Auf, Lieder, laßt uns friſch der friſchen Welt gefallen,
Eh wir verdorrt zum Raub dem duͤrren Vieh heimfallen.

9.

Des Schrifterklaͤrers Fluch iſt Alles zu erklaͤren,
Alsob am Himmel nicht auch Nebelſterne waͤren;
An einem Blatt im Buch, der Raupe gleich, zu kleben,
Statt wie der Schmetterling die Bluͤte zu beſchweben.
236
Ich aber rathe dir, dich nicht ſoſehr zu plagen,
Und was du nicht verſtehſt, getroſt zu uͤberſchlagen.
Denn was dir Einzelnes geblieben unverſtaͤndlich,
Aus dem Zuſammenhang verſtehſt du doch es endlich.
Noch beſſer, wenn du gar nicht ſuchſt Zuſammenhang,
Und dich auf jeden Schritt erfreut der Wandelgang.

10.

Begluͤckte Zeiten, wo ein einzig Angeſicht
Die Welt dem Dichter zeigt, und ihm wird Ein Gedicht.
In unſern Zeiten zeigt ſie gar viel Angeſichter,
Und jedem anzuthun ſein Recht vermag kein Dichter.
Er wird, wenn er ſich haͤlt an eine Seit ', einſeitig,
Und ſchwindlig, wenn er will auf alles ſehn gleichzeitig.
237

11.

In Wahrheit lebenswerth war einmal nur das Leben,
Als ſchoͤne Menſchheit war des Menſchen hoͤchſtes Streben.
An Seel 'und Leib geſund ſind durchaus nur die Griechen,
Dagegen unſre Welt ein großes Haus der Siechen.

12.

Es iſt nur Eitelkeit, wenn du dir vorgenommen,
Mein Freund, daß, was du ſchreibſt, ſei alles ganz vollkommen.
Die leichte Taͤndelei iſt nicht der Muͤhe werth,
Und minder noch die Welt, die ſolchen Schmuck begehrt.
Sag 'ihr, der Welt, eh ſie Vollkommenheit verlange
Von uns, daß ſie erſt ſelbſt Vollkommenheit erlange!
238

13.

Du klagſt, unmoͤglich ſei fuͤrs Volk zu dichten heut.
Wann aber hat des Volks die Dichtkunſt ſich erfreut?
Selbſt in der ſchoͤnſten Zeit der Kunſt ward dargeboten
Doch ihre Gabe nur Hellenen, nicht Heloten.
Nun ſind verſchmolzen zwar Heloten und Hellenen,
Doch immer weiht die Kunſt nur dieſen ſich, nicht jenen.

14.

Gefluͤchtet iſt die Kunſt zur irdiſchen Geſchichte,
Weil ihr das Ideal des Himmels ward zunichte.
Vorm Chaos der Geſchicht 'empfaͤnde ſie ein Grauen,
Wenn jenes Ideal ſie koͤnnte neu erbauen.
239

15.

Dem Dichter iſt das Weib die liebſte Richterin,
Beſonders wenn ſie ſelbſt iſt keine Dichterin.
Doch ſei ſie Dicht'rin auch, wenn ſie Gefuͤhl nur ſingt
Gemaͤßigtes, das rein aus ihrer Bruſt entſpringt.
Noch widriger als die den Schlei'r der Zucht zerreißt,
Iſt die ausſchweifender Empfindung ſich befleißt.

16.

Die Kuͤrze lieb 'ich ſehr, der Rede Buͤndigkeit,
Wodurch ein Dichtermund zeigt ſeine Muͤndigkeit.
Vielwortigkeit iſts die den Schuͤler nur verklagt,
Daß er das eine Wort nicht traf, das Alles ſagt.
Doch wo der ringende Gedank 'iſt uͤberſchwaͤnglich,
Iſt Widerholung auch dem Meiſter unumgaͤnglich.
Wo du das Thema nicht vermagſt hervorzutonen,
Erſchoͤpfen mußt du es in Variazionen.
240

17.

Ich will durchaus nicht thun, was wollen die und lieben,
Fuͤr die geſungen jetzt, getanzt wird und geſchrieben.
Nur hoͤren wollen ſie und ſehn, ohn 'aufzuthun
Ein innres Aug' und Ohr, im Aeußern muͤßig ruhn,
Genießen, ſchwelgen nur, nicht denken noch ſich bilden;
Mit ungezuͤgelter Einbildungskraft verwilden.
Dazu helf 'ihnen treu Muſik und Buͤhnenkunſt,
Du, edle Poeſie, verſchmaͤh die ſchnoͤde Brunſt!
Ob von den deinen auch ſich ihnen beigeſelle
Maͤhrchen, Roman, Romanz ', Erzaͤhlung und Novelle;
Doch, heil'ge Lyrik, du, von wo du biſt, nach oben
Deut 'ihnen warnend ernſt, ob ſie ob nicht ſie's loben.
241

18.

Noch lange nicht genug geſchrieben und gedichtet,
Noch lange nicht genug geſichtet und gelichtet.
Gebt nur die Ewigkeit von euerm Schreiben auf,
Sonſt ſchreckt die Fantaſie maßloſer Buͤcherhauf.
Denkt, daß ihr ſchreibt nur ſtatt zu denken und zu ſprechen,
Und ſo iſt ohne Maß zu ſchreiben kein Verbrechen.
Denn alles was ihr denkt und ſprecht, verweht der Wind,
Und immer muß ſich neu ausſprechen Mann und Kind.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 11242

19.

Warum mit Reimen euch, und ſchweren Reimen, quaͤlen?
Waͤr 'es, ihr Dichter, nicht genug die Silben zaͤhlen?
Den Griechen wars genug, warum waͤrs uns nicht auch?
Doch Silbenzaͤhlung ſelbſt iſt zeitlicher Gebrauch:
Der Pſalter Davids rauſcht noch ohne Silbenzahl;
Und ſo aus Zeit in Zeit wuchs mit der Kunſt die Qual;
Und wuchs mit der Genuß, dem Hoͤrer nicht allein,
Dem Dichter allermeiſt, der gern geplagt will ſeyn.
Wer will nun jeder Zeit beſtimmen gleiches Maß,
Da jede nach Bedarf ihr eignes ſtets beſaß?
Der Kuͤnſtler aber ſei gelobt, der fuͤhlt und waͤgt,
Was ſeine Zeit von Kunſt bedarf und was vertraͤgt;
Der ihr nichts bietet, was ſie nicht vertraͤgt, nichts weigert,
Was ſie bedarf, und nicht ihr falſch Beduͤrfnis ſteigert.
243

20.

Ein Ungluͤck iſt es wohl, daß ſich auf lange nicht
Erhaͤlt in dir das hergeſtellte Gleichgewicht.
Doch iſt es ſchon ein Gluͤck, daß es nur her ſich ſtellt
In jedem Augenblick, wenns auch nicht lange haͤlt.
Wem dankſt du dieſes Gluͤck? dem Hauch der Poeſie;
Das Ungluͤck aber iſt, daß nur ein Hauch iſt ſie.

21.

In meinem Innern ganz iſt dis Gedicht vorhanden,
Das in Bruchſtuͤcken nur iſt aͤußerlich entſtanden.
In jedem Bruchſtuͤck bricht ein Stuͤckchen Glanz hervor
Alswie vom Angeſicht des Liebchens hinterm Flor.
Denk dir das Ganze, wenn ein Liebender du biſt!
Noch ſchoͤner magſt du dir es denken als es iſt.
11*244

22.

Ich liebe mir ein Lied mehr als ein Trauerſpiel;
Mich freut die Luſt am Weg, und nicht die Eil 'ans Ziel.
Raſch draͤngt das Trauerſpiel dich vorwerts wie die Zeit;
Den Augenblick nur macht das Lied zur Ewigkeit.

23.

Dann iſt, o Dichter, dir wahrhaft die Form gelungen,
Wenn ſo den Leſer ſie durchdringt, die dich durchdrungen,
Daß er, von ihrem Maß mit Luſt gewiegt, vergißt,
Daß man auch auf der Welt den Vers noch anders mißt.

24.

Baumeiſterin Natur kannſt du an ihrer Schwelle
Belauſchen wie den Fleiß der Bienen in der Zelle.
Du ſieheſt wie ſie baun, nach kannſt du's doch nicht machen,
Und merkeſt nur daran: nicht Einſicht macht die Sachen.
245
Als Schoͤpfer - aber und Naturkraft wirkt zugleich
Nur Kunſtſinn, der vollbringt Kunſtreiches einſichtreich.
Der blinde Bildungstrieb, des Wiſſens ſcharfe Flammen,
Sind beide mangelhaft, vollkommen nur zuſammen.

25.

Wo ſoviel Blumen bluͤhn, wie jetzt auf unſrer Flur,
Bleibt endlich der Geſammteindruck von allen nur.
Zu ſchmuͤcken ihren Platz mag jede ſich bemuͤhn,
Doch keine wird ſo leicht die andern niederbluͤhn.
Die ſich beſonders muͤht, daß ſie Beſondres bringe,
Wird leicht zur Misgeburt anſtatt zum Wunderdinge.
Blaß werde nicht vor Gram, die uͤberſehn ſich ſieht,
Noch jene roth vor Scham, die alle Welt vorzieht;
Noch gelb vor Neide, die ſieht alle vorgezogen;
Verſchiednen Blumen iſt verſchiedner Sinn gewogen.
Die thun alsob Gemuͤth ſie nur bei jenem faͤnden,
Sie liebten dieſen auch, wenn ſie den Geiſt verſtaͤnden.
246

26.

Der Irrthum iſt nicht das, Einbildungen zu haben
Unwahrer Dinge, die als wirkliche ſich gaben.
Der Irrthum iſt nur das, vergeſſen bei den Bildern,
Daß wirklich da nicht iſt, was ſie als ſolches ſchildern.
Wer dieſes Bilderſpiel kann bringen frei hervor,
Iſt ein Poet, wen unfrei es beherrſcht, ein Thor.

27.

Geehret ſei das Wort! es iſt des Geiſtes Spiegel,
Iſt des Gedankens, der gereift, Vollendungsſiegel.
Wo ihm das Siegel fehlt, gilt er ſich ſelber nicht;
Und wo der Spiegel fehlt, gewahrt ſich nicht das Licht.
Doch wenn es Spiegel iſt, ſo iſt es nur zum Gleichen,
Und wenn es Siegel iſt, ſo iſt es nur zum Zeichen.
Nie dem Geſpiegelten entſpricht der Spiegelglanz,
Nie dem Verſiegelten das aͤußre Siegel ganz.
247
Wer in die Formeln will des Worts die Geiſter bannen,
Die Formeln bleiben ihm, die Geiſter gehn vondannen.
Du aber ſuche fein die Geiſter zu belauſchen,
Wie, wandelnd unſichtbar, ſie Wortgewande tauſchen.

28.

So thoͤricht iſt der Menſch nur auf ſein Weh befliſſen,
Daß er von ſeinem Wohl viel minder ſcheint zu wiſſen.
Selbſt ſeine Sprache zeigt entgegen einem Namen
Fuͤrs Liebe meiſtens drei, die auf das Leide kamen.
Nur eines nennt er gut, o waͤr 'es gut nur immer,
Drei uͤbel, boͤſ' und ſchlimm; oft iſt noch gutes ſchlimmer.
Nur eines nennt er ſuͤß, o moͤcht 'es rein ihm munden,
Drei bitter, ſaur und herb, dem ſuͤßen oft verbunden.
Nur eines nennt er ſchoͤn; es ſchien ihm unerlaͤſſlich
Dem beizugeben auch drei garſtig, wuͤſt 'und haͤſſlich.
248

29.

Zwei Arten gibt es wie man Sprachen lernen kann;
Gleichguͤltig iſt der Weg, wenn man das Ziel gewann.
Der eine ſchwere Weg fuͤhrt durch Zergliedrung gruͤndlich,
Der andre leichtere durch Uebung ſchrift - und muͤndlich.
Und alſo lernet auch die Sprache der Natur
Natuͤrlich einer und ein andrer kuͤnſtlich nur.
Begluͤcktes Mutterkind, von Qual der Schul 'entfernt,
Das mit der Muttermilch die Mutterſprache lernt!

30.

Wie kann im Gegenſatz der Werke der Natur
Des Menſchen ſchwache Kunſt ihr Werk aufſtellen nur!
Ihn ſelber hat Natur als Kunſtwerk aufgeſtellt,
Ihm Kunſtwerkbildungstrieb lebendig eingeſellt.
249
Und was durch dieſen Trieb die Kunſt hervorgebracht,
Iſt mittelbar, Natur, ein Werk nur deiner Macht.
Was ruͤhmet ſich der Menſch, daß er dein Werkzeug iſt,
Wo du Werkmeiſterin, Werkſtoff und Werkſtatt biſt!

31.

Was Menſchenkunſt gemacht, darf man zu nah nicht ſehn,
Nicht vorm Vergroͤßrungsglas kann es die Probe ſtehn.
Des Malers ſchoͤnſtes Bild, des Dichters ſchoͤnſtes Wort,
Zergliedr 'es und zerlegs, ſo iſt der Zauber fort.
Was Gottes Kunſt gemacht, erſcheint nach vorgenommner
Zergliederung, wenn auch nicht ſchoͤner, doch vollkommner.
Nicht ſchoͤner, weil ſich nur auf unſern Sinn bezieht
Die Schoͤnheit, und zugleich mit deſſen Taͤuſchung flieht.
Vollkommner aber, weil der Geiſt viel mehr darinn
Entdecket, als vermag zu faſſen Menſchenſinn.
250

32.

Jemehr die Liebe gibt, jemehr empfaͤngt ſie wieder;
Darum verſiegen nie des echten Dichters Lieder.
Wie ſich der Erdſchooß nie erſchoͤpft an Luſt und Gluͤck;
Denn alles was er gibt, fließt auch in ihn zuruͤck.

33.

Was deine Seele denkt, was dein Gemuͤt empfindet,
Wenn nun das rechte Wort dazu die Sprache findet;
Wie ſchwankend iſt das Wort, wie ſchillerig vieldeutig,
Und eben dadurch auch wie reich und vielausbeutig!
Das allereinfachſte, in welchem nur Ein Sinn
Liegen zu koͤnnen ſcheint, vielfachſter liegt darinn.
Das merkeſt du zumeiſt, wenn du dir zum Ergetzen
In deine Sprache willſt aus fremder uͤberſetzen.
251
Da ſpuͤrſt du erſt des Meers Untief 'und Klipp' und Riff,
Woruͤber leichthin ſonſt geht dein Gedankenſchiff.
Ja alles findeſt du, die Qual iſt hoͤchſt ergetzlich,
Jemehr du es verſtehſt, jeminder uͤberſetzlich.

34.

Was allerbeſtes je von Weiſen ward geſprochen,
Wie ein lebend'ger Quell aus ihrer Bruſt gebrochen,
War nie ſo allgemein gemeint alswie es ſcheint,
Ein ganz beſonderes war ſtets damit vereint.
Doch das Beſondre hat ſich unſerm Blick entzogen,
Die allgemeine Kraft iſt nicht damit entflogen.
Gerade daß es auf beſonderm Grunde ruht,
Macht daß es nun die allgemeine Wirkung thut.
Aus Herzbedarf fuͤr Herzbedarf war es geſprochen,
Das fuͤhlt dein Herz heraus und muß Theilnahme pochen.
252

35.

Wer Altgewoͤhnliches zum Ungewoͤhnlich-neuen
Durchs Wort verwandeln kann, wird dich durchs Wort erfreuen.
Und wer durchs Wort ein Unbekanntes zu verkehren
In ein Bekanntes weiß, der weiß dich zu belehren.

36.

So breit geworden iſt nun Kunſt und Wiſſenſchaft,
Umfaſſen koͤnnten ſie nur Arme rieſenhaft.
Man ſollte ſie der Welt in kurzen Auszug bringen;
Doch in die Knoſpe wer kann Roſen wieder zwingen?
Am beſten wenigſtens gaͤbſt du, ſtatt neuen Lenz,
O Dichter, uns von dir ſogleich die Quinteſſenz.
Doch nur die Zeit o zieh du deinen Flor indeſſen
Kann kochen Roſenoͤl und Roſenwaſſer preſſen.
253

37.

Um mit Vertraun ein Wort zu wagen, mußt du deſſen,
Was all des Schoͤnen ſchon vorhanden iſt, vergeſſen.
Gar es zu kennen nicht, wird dich noch mehr befrein;
Doch wer kann, Schoͤnes nicht zu kennen, ſich verzeihn?

38.

Wenn du dein eignes Ich nur ſpiegelſt, ſoll das mich
Erbauen? jeder ſucht mit Recht im Spiegel ſich.
Du mußt der Welt verzeihn, wenn ſie dir nie verzeiht
Perſoͤnlichkeit, die nicht ſelbſt wie die Welt iſt weit.

39.

Schoͤn iſt Geringſtes, das die rechte Form gefunden,
Und werthlos Edelſtes, von falſcher Form gebunden.
Des Edelſteines Werth erhoͤht ſie nicht allein,
Die Faſſung ſelber macht hier erſt den Edelſtein.
254

40.

Die Unvollkommenheit der Sprach 'hab' ich verachtet,
Und nach vollkommener, die ehmals war, geſchmachtet.
Das goͤttliche Sanskrit iſt im Prakrit gebrochen;
Demuͤthig ſtammelt dis, wo jenes kuͤhn geſprochen.
Doch dem Geſchick der Sprach 'und Herzen dacht' ich nach,
Und bin zufrieden nun, daß jener Stolz zerbrach.
Nur Unvollkommenes kann den Vollkommnern preiſen;
Demuͤthig laſſet uns ihm ſtammeln unſre Weiſen.
255

41.

Wie ein Botaniker nur von Profeſſion
Bemerket, was uneingeweihtem Blick entflohn,
Der zarten Mooſe krausgeaͤſtetes Gewimmel,
Von andern uͤberſehn als unſcheinbarer Schimmel;
Doch wer mit rechtem Blick und Kunſtſinn es gewahrt,
Dem iſt des Schoͤpfers Kunſt auch darin offenbart,
Nicht minder als im glanzentfalteten Gebaͤude
Buntkroniger Blumenpracht, jedermanns Augenfreude:
So im von Meiſterhand entworfenen Gedicht
Sind Reize, die ſo leicht nicht fallen ins Geſicht,
In denen doch ſich zeigt des Meiſters Kunſt und Macht
Nicht minder als im Schmuck erfindungsreichſter Pracht;
Doch nur der Kenner und Liebhaber von Kleinheiten
Ergetzt ſich an derlei verborgenen Feinheiten.
256

42.

Wol iſt die Poeſie ſtets vor der Welt voraus;
Wann kommt ihr dieſe nach, wo ſie iſt laͤngſt zu Haus?
Doch geht die Poeſie der Welt auch hinterdrein,
Die ſtets voraus ihr rennt, nie holt ſie jene ein.
Wenn hier die Poeſie ein Feld hat angebaut,
Hat ſchon das Leben ſich nach andrem umgeſchaut.
Was aber ſoll ſie, wo das Leben iſt entflohn?
Sie ſtraͤubt ſich lang ', und muß am Ende doch davon;
Und muß den Spuren nach, wo jetzt das Leben weilt;
Da wohnt ſie nun, indeß das Leben weiter eilt;
Und ſchmuͤckt die Spuren ſchoͤn, ſodaß ſich dran erquickt
Das Leben, wenns einmal ſtillſtehend um ſich blickt.
So iſt die Poeſie hier ſtets Vergangenheit,
Doch ew'ge Zukunft dort fuͤr Zeitbefangenheit.
Sie blickt dem Leben nach, und leuchtet ihm voran,
Wie Morgenabendroth umſaͤumt des Tages Bahn.
257

43.

Befriedigung alswie im kleinſten Sinngedichte
Iſt nicht im weiteſten Gebiete der Geſchichte.
Denn der Geſchichte fehlt der Gegenwart Begraͤnzung,
Die ganze Zukunft iſt gefordert als Ergaͤnzung.
Und im Gedichte nur, wenn es iſt rechter Art,
Iſt wie in der Natur vollkommne Gegenwart.

44.

Wo hoͤrt die Heimat auf, und faͤngt die Fremde an?
Es liegt daran, wie weit das Herz iſt aufgethan.
Ein enges Herz, das ſich verſtockt im Winkel hat,
Es findet fremdes Land drei Finger von der Stadt;
Ein weites aber hat das Fernſte ſein genannt,
Alswie vom Himmel wird die bluͤhnde Welt umſpannt.
258

45.

Gar viel Perſonen ſind beiſammen im Poeten,
Die auf die Buͤhne mit und nach einander treten,
Sich widerſprechen, ſich ergaͤnzen, ſich erklaͤren,
Doch Eine ſind und thun alsob ſie viele waͤren.
Warum ſo viele? daß, wofern nicht allen alle,
Doch dieſe dem von euch, und jenem die gefalle.

46.

Die Sprache wirſt du bald unter - bald uͤberſchaͤtzen,
Jenach du willſt in ſie und aus ihr uͤberſetzen.
Denn jede hat in ſich etwas Unuͤberſetzbars,
Das dann bei dem Verſuch dir ſcheinet ein Unſchaͤtzbars.
Und wie dein Geiſt ſich mit der Uebertragung quaͤlt,
Scheint ſeine Sprach 'ihm arm, weil grade das ihr fehlt.
259
Doch uͤberſetz 'aus ihr, ſo findeſt du ſie reich;
So findeſt du zuletzt die zwei ungleichſten gleich;
Verſchiednen Blumen gleich, in ihrer Art vollkommen,
Daß nichts hinzugethan kann ſeyn noch weggenommen.
Es waͤre doch, beim Lenz! ein ſeltſames Ergetzen,
Roſen in Mohn und Mohn in Roſen uͤberſetzen.
In fremder Sprache ſieht befremdlich Alles aus,
Wie alles ungewohnt im unbekannten Haus.
Doch willſt du dir daſelbſt gefallen als ein Gaſt,
Mußt du vergeſſen daß zu Haus du's anders haſt.
Dann von dem fremden Schmuck, ſoviel dir mag behagen,
Magſt du in deinem Sinn mit dir nach Hauſe tragen,
Und dort anbringen, was du dir haſt eingepraͤgt,
Soweit es ſich mit Hausbequemlichkeit vertraͤgt.
Dazu nuͤtzt der Verkehr der Sprachen und Gedanken,
Daß man erweitert, wenn ſchon auf nicht hebt, die Schranken.
Beſchraͤnktheit nur iſt arm, Beſchraͤnkung aber reich;
Wer etwas ſeyn will, kann nicht alles ſeyn zugleich.
260

47.

Daß nicht ein Menſch die Sprach 'erfunden, glaubt ihr lang,
Und daß ſie mit und aus der Menſchheit ſelbſt entſprang.
Doch meint ihr, daß ein Menſch einmal erfand die Schrift,
Als ſei kein Zauber auch Buchſtab 'und Schreibeſtift!
Doch nicht ein Zauberer, ein Gott geweſen waͤre,
Wer dem Gedanken ſo gerundet ſeine Sfaͤre.
Denn kleinres Wunder nicht iſt daß man ſchreibt, als ſpricht;
In zweien Spiegeln bricht ſich gleich des Geiſtes Licht.
Der eine Spiegel wirft das Bild dem andern zu,
Und aͤußerlich wie dort dich hier erkenneſt du.
Die Schrift iſt mit der Sprach 'und wie ſie ſelbſt entſtanden,
In beiden nur iſt ganz der Menſchheit Bild vorhanden.
Du ſagſt: ein Unterſchied ſei zwiſchen Schrift und Schalle,
Weil alle ſprechen, doch nicht ſchreiben koͤnnen alle;
261
Drum ſei die Sprache wol der Menſchheit ſelbſt entſprungen,
Doch nur Erfindſamen die Schreibekunſt gelungen.
Das heißt: Das Denken hab 'ein Denker ausgedacht,
Weil auch nicht jeder Menſch Gebrauch vom Denken macht!

48.

Was iſt ein Sinnbild? Was der ſchoͤne Name meint:
Ein Sinn mit einem Bild aufs innigſte vereint.
Ein tiefer Sinn, der in ein ſchoͤnes Bild ſich ſenkt,
Ein ſchoͤnes Bild, bei dem ein tiefer Sinn ſich denkt.
Schoͤn ſei das Bild und klar, tief ſei der Sinn und wahr,
Und mit einander eins untrennbar ſei das Paar.
262

49.

Wann iſt ein Gleichniß gut? Wenn man ſoweit es fuͤhrt,
Als ſein Vermoͤgen reicht, und man die Wirkung ſpuͤrt.
Wenn es zu fruͤh ſtehn bleibt, erſcheint es ſchwach und zahm;
Und wenn zuweit mans treibt, wird es bekanntlich lahm.
Die Naͤh zerſtoͤrt den Schein, von fern iſt alles gleich,
In rechter Mitte nur iſt es beziehungsreich.

50.

Mit Worten malt man auch; mal 'immer aus den Schalen
Der Fantaſie, was ſich nur laͤßt durch Worte malen!
Sei es ein Herzgefuͤhl, ein Sinnengegenſtand;
Je ſchwieriger, je mehr zeigt er die Kuͤnſtlerhand.
Doch ganz unkuͤnſtleriſch iſt es, ein Wort an Sachen
Verlieren, die nicht kann das Wort anſchaulich machen.
263

51.

Das Wortſpiel ſchelten ſie, doch ſcheint es angemeſſen
Der Sprache, welche ganz hat ihre Bahn gemeſſen.
Daß ſie vom Anbeginn, eh 'es ihr war bewußt,
Ein dunkles Wortſpiel war, wird ihr nun klar bewußt.
Womit unwiſſentlich ſie allerorten ſpielen,
Komm 'und gefliſſentlich laß uns mit Worten ſpielen!

52.

Das Wortſpiel will ich auch wol deiner Sprach 'erlauben,
Wenn es nur Schmuck ihr leiht, ohn' ihr den Kern zu rauben.
Der Pruͤfſtein iſt, wenn ſie, fremdlaͤndiſch uͤberſetzt,
Den eignen Schmuck verliert, und auch noch nackt ergetzt.
264

53.

Zwei Dichter weiß ich, die zur hoͤchſten Hoͤhe flogen,
Und bald Nachahmung bald Bewundrung nach ſich zogen.
Doch zog der eine meiſt nach ſich die groͤßre Schaar,
Indeß des andern die gewaͤhlte kleinre war.
Ein hohes Ideal dem einen ſchwebte vor,
Zu dem er unverwandt ſein Antlitz hielt empor,
Und ſeinen Flug; doch nie konnt 'es der Flug erreichen;
Je hoͤher er ſich hob, je hoͤher mußt' es weichen.
Vom Ideale ſelbſt der andre flog gehoben;
Er war ſtets wo es war, nie unten er, es oben.
Kein Aeußerliches wars, wonach er ringend ſtrebte,
Es war ſein Innres ſelbſt, das was er war und lebte.
Dem ringe nach! Es kann mit rechter Kraftanwendung
Der Menſch auf jeder Stuf 'erreichen die Vollendung.
265

54.

Pfui dem Geſchlechte, dem der Zorn ins Angeſicht
Nicht ſteigt, wenn kleiner Sinn Hohn großen Todten ſpricht.
An Manen glaubt ihr nicht, ſonſt wuͤrden ſie euch mahnen;
Und Ahnen ehrt ihr nicht, ſonſt wuͤrdet ihr dies ahnen.
Der Geiſt, der unter euch viel Geiſter hat gezeugt,
Der Geiſt, der euern Geiſt laut vor der Welt bezeugt;
Von jedem Hudler laßt ihr deſſen Namen hudeln,
Von jedem Sudler frech ſein Ehrenmaal beſudeln.
Den Namen, den ich nie ohn 'Ehrfurcht nenne, Goͤthe,
Beſchmitzt, und Niemand wehrts, mit edlem Gift die Kroͤte,
Die ſich noch ruͤhmt, weil ſie den Lebenden beſchmitzt
Schon habe, duͤrfe ſie's auch thun am Todten itzt.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 12266

55.

Was du nicht lieben kannſt, mußt du darum nicht haſſen;
Erklaͤren wird es ſich, entſchuldigen ſich laſſen.
Das Alter hats gethan, der Jugend Feuer daͤmpfend;
Der aͤußre Stand, mit Zwang den innern Schwung bekaͤmpfend;
Ein ſchwacher Augenblick, Homers, des Alten, Nicken.
Wie? biſt du ſicher ſelbſt vor ſchwachen Augenblicken?
Biſt ſicher, daß nicht Stand und Umſtand dich bedinge,
Auch dir des Alters Froſt ans innre Leben dringe?
Drum, nicht fehlloſer, halt 'auch einen Fehl zu gut!
Aus Eigenliebe thuts, wer nicht aus Lieb' es thut.
Sich ſelbſt entwuͤrdigt, wer ehrwuͤrdiges vernichtet,
Der Menſchheit Stolz und Luſt mit Luſt unmenſchlich richtet.
[267]

XX.

12*[268][269]

1.

Lob Ihm, mit deſſen Huͤlf 'auch das iſt abgethan!
Sein Buch der Weisheit hat vollendet der Brahman.
Nur dieſe Schnitzelchen hab 'ich noch aufzuheben,
Und eines fehlt nun euch und mir: das Buch zu leben!

2.

Drei Jahre ſind es ſchon, ſeitdem ich dich mit Schmerzen
Verlor, und immer noch haͤngſt du mir feſt am Herzen.
Noch jetzt, ſooft ich dran gedenke, wie ich dich
Verloren habe, geht mir durch die Bruſt ein Stich.
270

3.

Man ſchreibt mir, und vermeint, was wicht'ges man mir ſagt:
Beim Eintritt hat ſogleich der Fuͤrſt nach dir gefragt!
Ich ſehe nicht daraus, wie wichtig ſelbſt der Welt
Ich bin, wie wichtig nur ein Fuͤrſtenwort ſie haͤlt.

4.

Den Tadler ehr 'ich, der die Richtigkeit des Zieles
Mir zugibt, fehle gleich noch zur Erreichung vieles.
Und wenn der Tadler gar mir kann die Wege weiſen,
Wie's zu erreichen ſei, dann will ich erſt ihn preiſen.

5.

Nach den Umſtaͤnden ſich zu richten, nach der Zeit,
Iſt zweierlei; hier ſteht, Kind, der Beweis nicht weit.
271
Von dieſen Baͤumen ſind die einen buntgelaubt,
Die andern voͤllig gruͤn vom Fuße bis zum Haupt.
Die einen richten ſich, weil Herbſt iſt, nach der Zeit,
Die andern, weil noch warm, nach der Gelegenheit.

6.

Ein wahrer Herbſttag iſt, ein herber Herbſttag heut,
Der keinen falſchen Troſt, wie die vor ihm, uns beut.
Rauh ſagt er: Von der Welt iſt nichts mehr zu erwarten;
Nun thu ', Herz, auf in dir den Himmelsfruͤhlingsgarten!

7.

Die Wolken kalt und grau, die dich am Tag gehaͤrmt,
Haben am Abend dich mit farb'gem Troſt erwaͤrmt.
Die Wolken graukalt ſind nun roſig angegluͤht;
So ſchoͤn waͤr 'ohne ſie kein Abendrot erbluͤht.
272

8.

Vorm Spiegel auf dem Tiſch im Koͤrbchen ſtanden Fruͤchte,
Die ſpiegelten ſich ab im Spiegel bei dem Lichte.
Sie ſtanden zweimal da, einmal auf ihrem Tiſche,
Das andremal im Glas, und mit zwiefacher Friſche.
Der Vater ſprach zum Kind: Wenn du hier waͤhlen ſollteſt,
Von beiden Koͤrbchen, ſprich, welcheins du lieber wollteſt?
Das liebe Kind ſprach unbedenklich: Das da drinnen!
Der Vater aber nahm das andere von hinnen,
Und ſprach zum Kinde: Nimm dir nun das Koͤrbchen dort!
Verwundert aber riefs: O Vater, es iſt fort.
Der Vater ſprach: Und weißt du auch, wo's hingekommen?
Es iſt verſchwunden, weil ich dieſes weggenommen.
O daß doch, liebes Kind, nie, weil gering dir gilt
Die Wirklichkeit, du greifſt nach einem Spiegelbild!
273

9.

Du klageſt auch, o Freund, nicht recht mit dem zufrieden,
Was dir in deinem Kreis zu wirken war beſchieden.
Wol freilich anders ſiehſt du das Gewirkte jetzt,
Als da du Muth und Kraft zuerſt ans Werk geſetzt.
Wer iſt zufrieden denn? Dich troͤſt 'es immerhin,
Ich bin zufrieden, daß ich nicht zufrieden bin.
Zufrieden bin ich nicht mit dem was ich gethan,
Zufrieden nur damit, zu thun ſoviel ich kan.

10.

Zum Drucke.

Die Zeiten ſind vorbei, wo ein gefluͤgelt Wort
Aus Saͤngers Munde gieng von Mund zu Munde fort.
Jetzt, um zu fliegen, muß es ſich papierne Schwingen
Anheften, die es ſchwer von Ort zu Orte bringen.
274
Verwundert und beſchaͤmt ſeh 'ich die Buͤcherballen,
Auf denen, was ich ſchrieb, in alle Welt ſoll wallen.
Wie leiblich maſſenhaft geworden iſt der Geiſt;
So breit ſich in der Welt zu machen, o wie dreiſt!
Doch, wenn ich denke, daß hier ſtehn verſammelt koͤnnten
Wol tauſend, die ein aufmerkſames Ohr mir goͤnnten
Nun ſind die tauſend nicht vereint auf einem Platz,
Doch vorenthalten ſei drum ihnen nicht der Schatz.
So ſend 'ich tauſendfach gedruckte Baͤndchen aus,
Daß ſein beſonder Theil jedwedem komm' ins Haus.
Ein Uebelſtand iſt nur bei ſo vertheilten Gruͤßen:
Daß die Empfaͤnger ſie mit Geld bezahlen muͤßen.
Strafe der Wißbegier! entbehren will ſie nicht
Ein Wort, das einſam mit ſich ſelbſt ein Dichter ſpricht.
275

11.

Arbeitſam willſt du ſeyn, doch nicht Erholung miſſen,
Und beides moͤchteſt du recht auszugleichen wiſſen.
Laß dir empfehlen, was Erfahrung mir empfohlen:
Von einer Arbeit dient die andre zum Erholen.
Die Ausruh 'beſter Art iſt Wechſelthaͤtigkeit,
Wo gleich im Wechſel bleibt des Strebens Staͤtigkeit.

12.

Du frageſt, was du ſollſt, was nicht, in Verſe bringen?
Was dir in Proſa nicht zu faſſen will gelingen.
Verloren iſt die Kunſt, in Verſen vorzutragen,
Was du gefaͤlliger in Proſa koͤnnteſt ſagen.
276

13.

Den Nachbardichtern.

Befreit vom Foͤrmlichen, das euch hielt eingebannt,
Seid ihr ins Stoffliche dafuͤr nun eingerannt.
Im Foͤrmlichen war doch noch eine ſteife Bildung,
Im formlos Stofflichen iſt voͤllige Verwildung.

14.

Anſtaͤndige Beſeitigung.

Daß, der im Weg uns ſtand, zur Seite ſei geſchoben
Mit Anſtand, ſei er dort hoch aufs Geſtell erhoben.
Ihn nieder in den Koth zu werfen, iſt nicht noth;
Er ſei geehrt, und wir nichtmehr von Zwang bedroht.
277

15.

An Lottchen mit der Kinderheimat in Bildern und Liedern.

Wem ſchenk 'ich dieſes Buch? Dir? Deinem Schweſterlein?
Du biſt dafuͤr zu groß, es iſt dafuͤr zu klein.
Euch beiden ſchenk 'ich es, daß draus die kleine lerne,
Was du, die groͤßere, ſie lehreſt leicht und gerne.
Die Kinderſchuhe zogſt du ſelbſt aus noch nicht lange,
Und kannſt dich ohne Muͤh bequemen ihrem Gange.
Und eurer Mutter iſt kein ſchoͤnres Gluͤck verliehn,
Als wenn die Tochter hilft das Toͤchterchen erziehn.
278

16.

Du unbeſchriebnes Blatt, nun komm 'und ſei beſchrieben
Der Tochter meines Freunds, ich darf es nicht verſchieben.
Ein unbeſchriebnes Blatt iſt jugendlicher Sinn;
Viel Schoͤnes, Gutes drauf zu ſchreiben iſt Gewinn.
Ein fleckenloſes Blatt iſt jungfraͤuliches Herz;
Nie furche drein die Schrift von Leidenſchaft und Schmerz!
Schreib fein bedaͤchtig ſo daß nichts ſei auszuſtreichen;
Ein ausgeſtrichnes Wort iſt ein entſtellend Zeichen.
Ein Zug, der blaß erliſcht, wird leichter angefriſcht,
Ein fehlgeſchriebner wird nie gruͤndlich weggewiſcht.
Vom Meſſerchen, wie fein es kratzte, bleibt die Spur,
Und nie wirds glatt, ob man mit Bimsſtein druͤber fuhr.
Was neu darauf man ſchreibt, das wird undeutlich fließen,
Und immer drunter wird hervor das Alte ſprießen.
Begluͤckt iſt, wem ein Gott ins Buch des Lebens ſchrieb,
Was neu iſt lieb und hold, und alt bleibt hold und lieb!
279

17.

Etwas erwart 'ich, was? der Nam' iſt ungenannt;
Woher? iſt unbewußt, wozu? mir unbekannt.
Etwas erwart 'ich, das, woher es moͤge kommen,
Nur die Erwartung ſtill', in der ich bin beklommen.

18.

Mein Sohn, es haben dich die Meiſter abgewieſen,
Die als die erſten ſind in ihrer Kunſt geprieſen.
Ich mahne dich, daß du dir das zu Herzen nehmeſt:
Du biſt beſchaͤmt, wenn du ſie ſelber nicht beſchaͤmeſt.
Beut 'auf, was in dir iſt, entfalte deine Gaben,
Daß ſie zur Schande ſehn, wen ſie verworfen haben.
280

19.

Ein Dichter iſt ein Thor, der das der Welt zu zeigen
Bemuͤht iſt, was ihr ſucht ein Weiſer zu verſchweigen.
Was ihm am Herzen liegt, und er gradaus den Leuten
Nicht ſagen darf, weiß er verhuͤllend anzudeuten.
Er hofft, ſie ſind nicht fein genug, es zu ergruͤnden,
Doch aͤrgern wuͤrd 'es ihn, wenn ſie ihn nicht verſtuͤnden.

20.

Der Markt iſt voll, die Welt will mit ſich ſelbſt verkehren;
Der Nord kann nicht den Suͤd, der Weſt den Oſt entbehren.
Laßt alles kommen, was die Fremde Fremdes hat,
Und fuͤgts zum Heimiſchen! ihm iſt das kein Verrath.
Nur holt von Nachbarn nicht, was wir erſt ihnen gaben,
Und borgt nicht, was wir laͤngſt im Hauſe beſſer haben!
281

21.

Du klageſt, junger Freund, unfreundlich ſei dein Haus,
Und denkſt dir mancherlei, dem abzuhelfen, aus.
Ich rathe dir, hinein ein freundlich Weib zu fuͤhren,
So wirſt du Freundlichkeit in allen Ecken ſpuͤren.

22.

O meine Blume, die dereinſt mein Grab ſoll zieren,
Wie zittert 'ich! du warſt mir nah dran zu erfrieren.
Dem Gaͤrtner Dank, der dich entriſſen der Gefahr!
Allein wie iſt das Herz des Menſchen undankbar:
Gerettet ſeh 'ich dich, doch nun ſeh' ich dich ſerben;
Soll nie geſundes Roth die Wange mehr dir faͤrben?
So ſah ich beſſer dich mit einmal ſterben.
282

23.

Ein junger Kritiker und Dichter tritt ins Feld,
In doppelter Perſon ein unerſchrockner Held.
Die Maͤrterkrone ſucht er ſelber zu verdienen
Von anderen, und ſucht ſie aufzuſetzen ihnen.

24.

Ob wirklich ein Gefuͤhl der Krankheit heimlich nagt,
Ob nur Einbildung dich mit Furcht der Krankheit plagt;
Verſuchs, um dich dem Druck, dem dumpfen, zu entringen,
Dich mit dem Selbſtgefuͤhl des Dichters zu durchdringen!
So haͤltſt du wenigſtens den Geiſt vom Leibe frei;
Villeicht wird ſelbſt der Geiſt dem Leib zur Arzenei.
283

25.

Als du mich kamſt zu ſehn, war ich zu Hauſe nicht,
Und du verloreſt mein Geſpraͤch und mein Geſicht.
An allen beiden haſt du nicht zuviel verloren;
Zum Sprechen bin ich nicht und nicht zum Sehn geboren.
Ein denkendes Gefuͤhl, ein innerlicher Sang,
Iſt alles was ich bin, was mir zu ſeyn gelang.
Und ſo, was an mir iſt, ſend 'ich zum Gruß dir nieder,
Das Echo meiner Bruſt, den Spiegel meiner Lieder.

26.

Du fuͤhlſt dich heim bei dir ſtiefmuͤtterlich bedacht,
Zu wenig Fruͤhlingstag, und zuviel Winternacht.
Der Menſchheit Uebel ſchien 'ertraͤglich dir, wenn nur
Mit ihm nicht traͤt' in Bund das Uebel der Natur.
284
Bei dir allein nicht iſt der Jammer zu erproben,
Die ganze Erde, Freund, iſt nebenaus geſchoben.
Es lohnt der Muͤhe nicht, von einem Pol zum andern
Nach einem Umtauſch nur von Muͤhſal auszuwandern.
Wir bleiben in Geduld, bis unſre Reiſe geht
Nach einem Sterne, der in beſſerm Gleiſe dreht.

27.

Ihr meinet wol, ich ſchwimm 'in lauter Ueberfluſſe,
Und mir zu Theile ſei geworden zuviel Muße.
Mir iſt vom Ueberfluß kein Troͤpfchen uͤberfluͤſſig,
Denn keine Stunde bin ich in der Muße muͤßig.
285

28.

Der Freund iſt immerfort vor meiner Seele Augen,
Wenn die des Leibes ihn nicht zu ergreifen taugen.
Er blickt von dort mich an, wo auf die Sonne geht,
Und blickt noch einmal her, wo ſie im Sinken ſteht.
So wie ſie blicket hier, hat Abſchied er genommen;
Und wie ſie blicket dort, ſo wird er wieder kommen.

29.

Ich moͤchte wiſſen, wo der Freund zur Stunde weilt,
Nach welchem in die Welt hinaus mein Denken eilt.
Dem unſtaͤt ſchweifenden hats unſtaͤt nachzuſchweifen,
Und weiß die Staͤtte nicht, wo es ihn ſoll ergreifen.
Wenn auf der Laͤnderkart 'ich ſaͤhe nur den Ort;
Da iſt er, ſpraͤch' ich, jetzt! und waͤr 'im Geiſte dort.
286

30.

Aus Mitleid hab 'ich heut' ein ſchlechtes Buch geleſen,
Das ein vortreffliches zu ſeiner Zeit geweſen.
So fuͤhrt ein Junggeſell zum Tanz aus Chriſtenliebe
Ein altes Juͤngferchen, das ohn 'ihn ſitzen bliebe.

31.

Du ſagſt: die ganze Stadt bewohnt ein Thorenſinn.
Und wohnſt du, weiſer Freund, nicht eben auch darinn?
Du ſageſt: Nein und ja! der Mauer wohn 'ich nah,
Und bin nur halb darin, weil ich halb druͤber ſah.

32.

Aus Freundſchaft hat der Freund den Freundſchaftsdienſt erwieſen;
Er that das Preisliche, nicht um zu ſeyn geprieſen.
Die edle That iſt ſelbſt des edlen Thaͤters Krone;
Ich aber ehre mich, wenn ich mit Dank ihm lohne.
287

33.

Den 16. Mai 1837.

Die Freunde haben mir den Becher uͤberſendet,
Der, außen Silberſchmuck und innen Gold, mich blendet.
Er iſt nur viel zu groß, ich kann daraus nicht trinken,
Die Arme wuͤrden mir mit dem gefuͤllten ſinken.
Es iſt ein ſchoͤner Schein, darum ward er gegeben
Zum Lohn der Poeſie, die auch nicht iſt fuͤrs Leben.

34.

Den Leipziger Freunden, d. 21. Mai 1837.

Wofuͤr belohnt ihr mich? Was hab 'ich oͤffentlich,
Beſondres was gethan fuͤr dich, und dich, und dich?
Die Welt belohnt ſonſt nur die Dienſte der Partei,
Die Dienſte des Bedarfs, des Nutzens mancherlei.
Doch ſolches Dienſtes frei und ledig iſt das Schoͤne;
Darum verlang 'es nicht, daß ird'ſcher Lohn es kroͤne.
288
Der ſtille Beifall ſoll, die Theilnahm ', ihm genuͤgen;
Ihr aber wollt dazu ein glaͤnzend Zeichen fuͤgen.
Das was kein Koͤnig thut, habt ihr zu thun den Muth,
Mit Ausdruck innren Werths zu ſtempeln aͤußres Gut.
Das iſt ein hoͤhrer Sinn, ein reicherer Gewinn,
Und ſtolz empfind 'ich mich, wie ſchoͤn belohnt ich bin.
Des Dichters Selbſtgefuͤhl ſoll das zu Thaten treiben,
Um wuͤrdig, wie ihr ihn befunden habt, zu bleiben.

35.

Ihr meine Nachbarn einſt, nicht meine Nachbarn mehr,
Aus eurer Nachbarſchaft weht noch ein Duft mir her.
Ein Duft der Herzlichkeit, ein Duft der Lebenstreue;
Das Alte wird nie alt, es wird nur alt das Neue.
Wie ſollt 'ich Buͤndniſſe im Alter neue ſchließen,
Da ich die Jugend ſah in euerm Bund verfließen!
Zerfloſſen iſt der Thau in ſcharfer Morgenluft,
Und nur aus euerm Gau weht der Erinnrung Duft.
289

36.

Verwoͤhnen werden dich geſchenkte Leckerbiſſen,
Daß du einſt kaufen mußt, was du nicht mehr kannſt miſſen.
Die Schenker haben nicht die Sache recht bedacht,
Die etwas ſchenken, das, ſtatt reicher, aͤrmer macht.

37.

In dieſen Tagen, da mir manch Gedicht gelungen,
Hat ſich ein eigenes Gefuͤhl mir aufgedrungen:
Daß alles, was bisher ich machte, ſei ein Spiel,
Ein Vorſpiel, dem bevor noch ſteh 'ein andres Ziel;
Und alle Uebung, die ich ſpielend mir errang,
Sollt 'angewendet ſeyn auf dieſen ernſten Gang.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 13290

38.

Komm, laß uns gehn aufs Feld, das lang wir nicht beſuchten;
Der Hauch des Maien ſoll unſer Gemuͤth befruchten.
Der Maienregen ſpruͤht, laß uns den Maienſegen
Empfahn! ein Sprichwort ſagt, fruchtbar macht Maienregen.
Faͤllt er aufs Land, ſo ſchwillt von Fruchtbarkeit der Anger,
Auf Huͤrden, Herden ſind von Zwillingslaͤmmern ſchwanger.
Und wo er faͤllt aufs Meer, da oͤffnet ihren Schoß
Die Muſchel, und in ihr wird eine Perle groß.

39.

Freund, lange maßeſt du die Welt mit Winkelmaßen,
Und pfluͤgteſt als dein Feld die leuchtenden Milchſtraßen.
Im Dunkel huͤteſt du nun gerne deinen Winkel,
Den Duͤnkel wirfſt du weg, und ſtreuſt im Garten Dinkel.
Der Welt Oekonomie haſt du als Aſtronom
Betrieben, nun beſtell dein Haus als Oekonom.
291

40.

Sohn, auch Aſtronomie hat mit Gaſtronomie
Gemeinſchaftliche Zuͤg 'und Fiſionomie.
Zuſehr ums Himmliſche muͤht ſich der Aſtronom,
Und um das Irdiſche zuſehr der Gaſtronom.

41.

Wer nur das Kleinſte thut, was recht ihm duͤnkt und gut,
Wird finden daß ihm gut davon der Nachſchmack thut.
Du brauchſt, was dir gelang, ſo hoch nicht anzuſchlagen,
Um doch ein freudiges Bewußtſeyn mitzutragen.
Vor dem, was droben ich ſoll thun, iſt eitel Tand,
Was ich hienieden that, doch iſts ein Liebespfand,
Das ich beim Abſchied froh laſſ 'in der Nachwelt Hand.
13*292

42.

Welch ein geſegnet Jahr! wie ſchoͤn der Fruͤhling war!
Nun aber bringt der Herbſt geſchwellte Fuͤllen dar.
An Aeſten Birn 'und Pflaum', und Trauben an den Reben;
Doch Bluͤten, ſeh 'ich recht? erſchließen ſich daneben!
Vom Fruͤhlingsnachſpiel wird der reife Herbſt verſchoͤnt;
Ein Wunder iſt die Frucht von Bluͤten uͤberkroͤnt.
Das iſt ein Alter, das, wie wenige, dich erfreut,
Bei deinen Fruͤchten, Herz, die Bluͤten dir erneut.
293

43.

Du ſagſt: Nicht uͤbel iſt der Garten deiner Wahl,
Doch mittendurch der Weg, der Weg iſt viel zu ſchmal.
Du ſcheinſt am liebſten nur mit dir allein zu ſchreiten,
Es haben zwei nicht Raum, eins an des andern Seiten.
Mitnichten nur allein! es geht ſich wohl zu zwein,
Freund mit dem Freunde, wo ſich Arm in Arm ſchlingt ein.
Es geht ſich wohl zu zwein, oft bin ich ſo gegangen,
Die Freundin mir zunaͤchſt, umfangend und umfangen.
Ja, Raum dazwiſchen hat ein Kleines durchzuſchluͤpfen,
Indeſſen hinterher und vor die Groͤßern huͤpfen.
Und wenn rechts oder links wir an die Hecke ſtreifen,
So ſind es Roſen nur, die uns im Scherz ergreifen.
So iſt der ſchmale Gang fuͤr mich ja breit genug,
Es iſt der ſchmale Weg, den ich zum Gluͤck einſchlug.
Der Gang iſt nur zu ſchmal fuͤr foͤrmlichen Beſuch,
Und ich entbehre gern dergleichen Stadtzuſpruch.
294

44.

Die Flur, auf deren Gruͤn geliebte Blicke weilten,
Durch deren Morgenthau geliebte Tritt 'enteilten,
Hat einen Farbenſchmelz, hat einen Sonnenglanz,
Mit dem wetteifern kann kein bluͤhndſter Fruͤhlingskranz.
Der Fruͤhling kommt und geht, kehrt wieder, wird vergeſſen;
Wo Mirten dufteten, da ſchauern nun Zipreſſen:
Doch nie vergißt mein Herz ein Gluͤck, einſt hier beſeſſen.

45.

Beim Schlafengehn, als ich das Licht loͤſcht 'in der Nacht,
Kam ein Gedanke mir, den ich noch nie gedacht:
Verloſchen iſt das Licht des Tages, und dazu
Hier ſeinen ſchwachen Stellvertreter loͤſcheſt du.
Und weißt du, ob das Licht dein Auge wieder ſieht,
Ob ew'ge Nacht es nicht in dieſer Nacht umzieht?
295

46.

Die Schoͤnheit nur zu ſehn im Schoͤnen, iſt nicht ſchwer;
Sieh 'im Unſchoͤnen ſie, und unſchoͤn iſts nicht mehr.
Die Schoͤnheit, Gottes Licht, durchdringt die ganze Welt,
Die bloͤden Augen nur den Abglanz vorenthaͤlt.
Du fuͤhle dich in Gott, und Alles gottvereint,
So iſt dir alles ſchoͤn, was andern anders ſcheint.

47.

Am beſten geht es oft, wenn du es laͤſſeſt gehn,
Wie gehn es will und kann; allein du mußt verſtehn:
Gehn laſſen ſollſt du nur, was du nicht koͤnnteſt lenken;
Was aber ohne dich nicht geht, mußt du bedenken.
296

48.

Schwer zu vertragen iſt fuͤr eines Mannes Magen
Ein Weib, das niemal weiß, wieviel die Uhr geſchlagen.
Er hat zu rechter Zeit nicht Fruͤh - noch Abendſchmaus,
Und Ordnung fehlt der Welt, weil ſie ihm fehlt im Haus.

49.

Verſchieden iſt im Grund, und wie es iſt ſo bleib 'es,
Verſchieden der Beruf des Mannes und des Weibes.
Was aͤußerlich der Mann, hat innerlich das Weib,
Darum zuſammen erſt ſind ſie ein ganzer Leib.
Der Geiſt des Mannes mag frei in die Welt ſich regen,
Des Weibes Seele ſoll den Haushalt ſtill bewegen.
Der Haushalt iſt die Welt, in die ſie iſt geſtellt;
Die Welt beſtellt ſie, wenn den Haushalt ſie beſtellt.
297
Und der es iſt verſagt, im Hauſe Haus zu halten,
Als einen Haushalt ſoll ſie ihr Gemuͤt verwalten.
Sein Wiſſen mag der Mann an alle Welt verſchwenden;
Ein Weib ſoll, was ſie weiß, in ihr Gemuͤt verwenden.

50.

Herr, deine Welt iſt ſchoͤn, Herr, deine Welt iſt gut;
Gib mir nur hellen Sinn, gib mir nur frohen Mut!
Ich fuͤhle, daß ich bin, ich fuͤhle, daß du biſt,
Und daß mein Seyn von dir ein ſel'ger Abglanz iſt.
Die Welt beſeligſt du, beſeligſt dich in ihr;
Sollt 'ich nicht ſelig ſeyn, Allſeliger, in dir!

51.

Geh 'unempfindlich nicht und ungeruͤhrt vorbei
Vorm Schoͤnen dieſer Welt, alsobs nicht Gottes ſei.
Zu ſchauen Blumenflor, zu hoͤren Vogelchor,
Hat er das Auge dir erſchloſſen und das Ohr.
298
Wenn du verſtopfen willſt das Ohr, das Auge ſchließen,
Kann Gottes Preis dir nicht ertoͤnen und erſprießen.
Viel Schoͤnes hat die Welt, das, um von dir genoſſen
Zu werden, Gott erſchuf, genieß 'es unverdroſſen!

52.

Gott iſt ein Geiſt, und kann des Leibes nicht entbehren;
Den Schoͤpfer faſſen nicht reingeiſtiger Schoͤpfung Sfaͤren.
Er ſchuf, um Halt und Bild der Schoͤpfung zu verleihn,
Zum Geiſte Fleiſch und Bein, zum Menſchen Pflanz 'und Stein.
Alswie gefangen iſt die Roſe von dem Strauch,
So iſt gefangen auch vom Leib des Geiſtes Hauch.
Dich zu vergeiſtigen, darfſt du dich nicht entleiben;
Wenn du den Stock zerſtoͤrſt, wo ſoll die Roſe bleiben?
299

53.

An **

Zum reinen Schoͤnen nicht vermagſt du zu gelangen,
Da vom Fantaſtiſchen dein Geiſt noch iſt gefangen.
Allein du biſt noch jung, der Schaden ſcheinet klein,
Wenn in dir ſelber waͤchſt die Kraft, dich zu befrein.
Doch ſchlimmer iſt: ich ſeh 'in dir auch nicht die Kraft,
Die dich befreien koͤnnt' aus der Gefangenſchaft.

54.

Laßt auf der Stelle, wo er ſteht, doch ſtehn den Mann,
Der die Vergleichung nicht mit dem ertragen kann,
Mit dem ihr ihn vergleicht; er wird davor zunicht,
Und dort fuͤr ſich allein da iſt er von Gewicht.
300

55.

Bin ich derſelbe noch, den alle nun wettloben,
Der, gegen den ſich ſonſt der Tadel nur erhoben?
Derſelbe bin ich noch, kein andrer als ich war;
Und was ihr heute preiſt, verwarft ihr zwanzig Jahr.

56.

Viel Freunde hab 'ich, die mehr meiner Poeſie
Als meine Freunde ſind, kaum nenn' ich Freunde ſie.
Nur du biſt ganz mein Freund, nicht meiner Poeſie;
Von allem ſagſt du mir, von meinen Verſen nie.

57.

Zu troͤſten brauch 'ich dich in deinem Leiden nicht,
O Freund, du troͤſteſt mich mit heiterm Angeſicht.
Mit heiterm Angeſicht der Erde Leiden tragen,
Das iſt des Himmels Licht, das laͤßt uns nicht verzagen.
301

58.

Es thut mir leid, daß du mich misverſtanden haſt;
Rechtfert'gen ſoll ich mich? vergeblich acht 'ichs faſt.
Ich ſeh, dein Misverſtand iſt einmal ſo im Schwung,
Du wuͤrdeſt misverſtehn auch die Rechtfertigung.

59.

O Herz in ew'gem Kampf, wann gibſt du dich zu Frieden?
Wohl biſt du mit der Welt, doch nie mit dir zufrieden.
Betrachten lerne dich als einen Theil der Welt,
Und halt 'auch dir zu gut, was Gott zu gut ihr haͤlt.

60.

Stets beſſerſt du an dir, und immer findeſt du
Zu beſſern mehr, jemehr du beſſerſt; beſſre zu!
302
Nur wer auf Gottes Welt nichts beſſres kennt als ſich,
Nichts beſſres weiß noch will, iſt unverbeſſerlich.
Du biſt der beſte nicht! das treibet dich zum Beſten;
Wer ſich den beſten glaubt, der hat ſich ſelbſt zum Beſten.

61.

Du haſt gewis dein Theil von Luſt, was du genoſſen,
Vergeſſen, daß du nun dreinblickeſt ſo verdroſſen.
Erinnre dich, wie ſchoͤn einmal die Welt dir war!
So iſt ſie andern jetzt, ſo iſt ſie immerdar.
So iſt ſie immerdar, nur immer andern Augen,
Fuͤr die ſie grade taugt, die fuͤr ſie grade taugen.
Und taugt ſie dir nicht mehr, ſo taugt ſie andern noch;
Und taugſt du ſelbſt ihr nicht, ſo taugſt du anderm doch.
Die Welt iſt ewig ſchoͤn, die Welt iſt ewig jung,
Nicht im Genuſſe, nur in der Erinnerung.
303

62.

Halt 'aufrecht, lieber Sohn, den Wuchs und deinen Geiſt,
Daß du von gradem Sinn und graden Gliedern ſeiſt!
Die falſche Demut ſenkt, die Tuͤcke ſenkt ihr Haupt;
Dem freien Muth hat Gott empor zu ſchaun erlaubt.
Bedenke, weſſen Sohn du biſt, richt 'auf im Adel
Des Selbſtgefuͤhles dich, und fuͤrchte keinen Tadel.
Den Tadel haſt du nur zu fuͤrchten, wenn du weichſt
Dem Vater einſt am Werth, dem du am Bilde gleichſt.

63.

Herr, da du jedem Ding haſt aufgedruͤckt dein Zeichen,
Auch einem Koͤnige darf ich dich wol vergleichen.
Ein Koͤnig waͤre das von unbeſcholtnem Preiſe,
Der waͤr 'in ſeinem Reich allmaͤchtig und allweiſe,
304
Wie du in deinem biſt, und haͤtte ſo ſein Land
In ſeiner, wie du haſt die Welt in deiner Hand.
Genuͤgen wuͤrd 'ihm nicht, die Zuͤgel nur zu faſſen
Des Ganzen, Einzelnes dem Gluͤck zu uͤberlaſſen.
Er griff 'ins kleinſte Glied vom großen Radgetriebe
Mit ſeiner Weisheit ein, mit ſeiner Macht und Liebe.
Die Diener dienten ihm, die ſich nur wollen dienen,
Und fortwirkt 'ungeſchwaͤcht ſein erſter Stoß in ihnen.
Als Mitte fuͤhlt 'er ſich, aus der die Stralen flammen,
Und faßte in ſein Herz die tauſende zuſammen.
Du, der allmaͤchtig lenkt, was er allweiſe denkt,
Nur du, mein Koͤnig, biſt ein Koͤnig unbeſchraͤnkt.
Du biſt der Koͤnig, der die Koͤnigskronen ſchenkt
Den Koͤn'gen, deren Haupt vor dir in Staub ſich ſenkt.
305

64.

Das iſt das Wetter nicht, das, als ſie mich gebar,
Die Mutter mir verſprach, bald iſts nun funfzig Jahr,
Als einen Monatlang ſie die Geburt verſchoben,
Daß ſie erſt den April ließ ſeine Laun 'austoben:
Im warmen Schoße ward ich zaͤrtlich aufgehoben,
Bis voͤllig auf der Flur der Winterſturm verſchnoben:
Als am ſechzehnten Mai war aller Froſt vorbei,
Schiens daß ihr erſter Sohn ihr zu gebaͤren ſei.
Sie laͤchelte dabei und ſprach: Dein Leben ſei
Von Kummerfroͤſten frei ſtets ein ſechzehnter Mai.
O haͤtte ſie's vermocht, die nun im Grabe ruht,
Mir zeigte die Natur ſtets muͤtterlichen Muth,
Die ſo ſtiefmuͤtterlich ſich leider nun erweiſet,
Daß mein Geburtstag ſich mit Winterfroſt umeiſet.
Das hat, ſo ahnungsreich, die Mutter auch geahnt,
Die mit Sprichwoͤrtern mich daran als Kind gemahnt.
306
Das eine war: Der Mai, der Mai iſt nichts zu gut,
Er ſchneit dem Schaͤfer wol zuweilen auf den Hut.
Das andre Sprichwort klang noch froſtiger: Im Mai,
Im Mai erfrieret oft der Vogel ſelbſt im Ei.
Und wenn ich feiern mein Geburtsfeſt muͤßt 'im Freien,
So wuͤrde auf den Hut Herr Mai dem Schaͤfer ſchneien.
Und haͤtt 'ich nicht ein Neſt ein warmes mir erkoren,
So waͤr' im Mai im Ei der Vogel gar erfroren.

65.

Der Lieb 'ohn' Eigennutz freu dich, die du gewannſt,
Der freien Gab ', um die du Dank nur geben kannſt.
Was du dir ſagen darfſt, darf ſich kein Koͤnig ſagen:
Ganz reine Neigung iſts, was dir die Herzen ſchlagen.
Man ſucht nicht deine Huld, man ſcheut nicht deine Macht,
Und an den Menſchen nur hat hier der Menſch gedacht.
307

66.

Der Bauern Sprichwort ſagt, mein Sohn: wenn auf dem Sand
Die Ernte gut geraͤth, iſt Theuerung im Land.
Warum? weil auf dem Sand der Segen nur bekommt
Von ſoviel Regen, als nicht beſſerm Boden frommt.
Wir haben ſchlimmen Stand dahier auf unſerm Sand;
Was wuͤnſchen wir uns ſelbſt? und was dem andern Land?
Ein ſchlimmer Wunſch: Weh 'uns, daß andern wohl es gehe!
Und noch ein ſchlimmerer: Uns wohl, und allen wehe!

67.

Die Gegend koͤnnte mir ganz anſpruchlos gefallen,
Wenn ſie als uͤberſchoͤn nicht waͤr verſchrien von allen.
Nun macht die Augen, was ſie ſuchten und nicht finden,
Auch fuͤr das Schoͤne, das ſich wirklich fand, erblinden.
Gern ließ 'ich euern Mann das was er werth iſt gelten;
Weil ihr ihn uͤberſchaͤtzt, muß ich ihn leider ſchelten.
308

68.

Empor vom Berge ſtrebt, und zwiſchen Wolken duftig
Alswie auf Fluͤgeln ſchwebt Gemaͤuer hoch und luftig.
Es herrſcht ins Land und ſchaut auf jedes Thal hinein,
Und hat am erſten und am letzten Sonnenſchein.
Gewis der Freiheit Schloß! O nein, mit Zellen dumpf
Ein Kloſter; auf die Hoͤh wie kommt hinauf der Sumpf?

69.

Hoch zwiſchen Klippen hat ein Truͤpplein Baͤum 'ihr Heil
Gefunden, wo ſie nicht erreichet Axt und Beil.
Sie ziehen duͤrftiger vom Fels der Nahrung Saft,
Doch neiden nicht umher die uͤpp'ge Nachbarſchaft.
Denn all die andern ſehn vom Berg 'im fernen Thal
Den Tod vor Augen, der hinab ſie holt einmal,
309
Sei's um als Huͤttenrauch, wie dort qualmt, aufzugehn,
Sei's in der Muͤhle, die dort aͤchzt, zerſaͤgt zu ſtehn.
Nur jene ſind verſchont, bis ſie zernagt der Wurm
Des Alters, oder wirft von ihrer Klipp 'ein Sturm.

70.

Sieh wie den Zweck erreicht, und der Gefahr entweicht
Der Efeu, der empor am Stamm der Buche ſchleicht.
Nicht um den ganzen Stamm rings flicht er ſeine Straͤnge,
Daß nicht der Baum, wenn er ſich wachſend dehnt, ſie ſprenge.
Gradaufwerts kriecht er nur; villeicht in kuͤnft'gen Tagen,
Wann nicht der Baum mehr waͤchſt, wird er ſich rundum wagen.
Dagegen dis Gerank, das nur den Sommer lebt,
Von allen Seiten um den Stamm ſich ſorglos webt.
Vom heur'gen Safttrieb iſt ſein Wachsthum nicht bedroht;
Und eh der naͤchſte ſchwillt, iſt es ſchon ſelber todt.
310

71.

Rein kann ich nur mich freun der ſtillen Pflanzenwelt,
Die Leben nicht zerſtoͤrt, nur Leben unterhaͤlt.
Die Thiere ſtoͤren mich, der Schmetterling ſogar,
Denk 'ich der Fraͤßigkeit der Raupe, die er war.

72.

Bleibt mit den Hoͤlen, die ich ſehn ſoll, mir vom Leibe!
Ihr wißt, daß ich am Licht, in freier Luft gern bleibe.
Ja waͤre nicht die Welt entgoͤttert wie ſie iſt,
So gieng 'ich Hoͤlen ſehn als Heide oder Chriſt.
Dort zeigt 'ein Prieſter mir die des Trofonius,
Da die von Tropfſtein hier ein Tropf mir zeigen muß.
311

73.

Warum ich gangen bin aufs Land und ſitzen blieben
Beim erſten Haus, nicht weit mit euch mich umgetrieben?
Den Kukuk, meinen Freund, wollt 'ich nur hoͤren ſchrein;
Und hier ſchreit er mir hell genug ins Haus herein.

74.

Von einem Freunde kanſt du Freundesdienſt 'annehmen,
Die, waͤr' er nicht dein Freund, dich wuͤrden ſehr beſchaͤmen.
Ich ſchaͤme mich, daß ich mir Freundſchaft bieten ließ
Von einem, der ſich nun nicht als mein Freund erwies.
312

75.

O daß ich ſaͤhe, wie du dort mir in bekannter
Geſtalt entgegen kaͤmſt, zu fruͤh von hier verbannter,
Mir unter Klagen heim, zum Himmel heim geſandter!
Mein liebſter, ſchoͤnſter Sohn! die Luſt empfind 'ich ſchon,
Daß ſolchen Engel ich geſandt an Gottes Thron.

76.

Verbannung immer iſt die allerkleinſte Reiſe,
Verbannung aus dem Bann geweihter Zauberkreiſe.
Wie feſt der Zauberbann iſt um dein Haus gezogen,
Das merkſt du dann erſt wann du biſt heraus gezogen.
Mit der Entfernung nimmt nicht ab, nimmt zu der Zug,
Und zieht in deinen Kreis zuruͤck dich bald genug.
313

77.

Wenn die Natur dir lacht, vergiſſeſt du dein Haus,
Doch wenn ſie finſter macht ihr Antlitz oder kraus,
Dann ſehnſt du dich nach Haus, wo deine Liebe wacht,
Die nie ihr Antlitz kraus und niemals finſter macht.

78.

Von Gott laͤßt man ſich viel, laͤßt alles ſich gefallen;
Warum? man denkt, er machts am beſten doch von allen.
Dis ſchlechte Wetter, Sohn, wer weiß wozu's iſt gut?
Wir nicht! Gott hats gemacht, und weiß wol was er thut.
Haͤtt 'es ein Menſch gemacht, dem waͤr' es ſchlimm ergangen,
Doch der im Himmel iſt nicht hoͤher zu belangen.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 14314

79.

Einſt meine Leſerinn biſt du als Braut geweſen;
Wie ſollteſt du nicht gern dein ſchoͤnes Brautlied leſen?
Dem Dichter zum Verluſt, dem Manne zum Gewinn,
Biſt du nun meine Frau, nicht meine Leſerinn.
Und ich verdenke dir es nicht; den ganzen Mann
Beſitzeſt du, was gehn dich ſeine Bruchſtuͤck 'an?
Die Knaben nehm 'ich aus, die Gott uns hat verliehn;
Die hilf zu Maͤnnern auch, zu ganzen, mir erziehn.
315

80.

Ein zierliches Beſteck, das drei Glimmſtengel faßt,
Der Taſche vor der Bruſt iſt es wie angepaßt.
Wie wunderbar es doch ſich treffen muß! Drei Engel,
Drei Maͤdchen haben es geſtickt fuͤr drei Glimmſtengel.
Das Dritt 'iſt, daß ich drei auch grade taͤglich brauche,
Und jeder Stickerin zu Ehren einen rauche.
Ein Weihrauch zwar, der nicht fuͤr Frauen recht ſich ſchickt,
Doch haben ſie mirs ja zu Anderm nicht geſtickt.

81.

Zu hoͤren wuͤnſcheſt du von drei beruͤhmten Frauen
Mein Urtheil, lieber Freund! hier iſt es im Vertrauen.
Bettine macht mir angſt, und Rahel macht mir bange;
Charlotte war ein Weib, was ich vom Weib verlange.
14*316

82.

Wer Krieg hat mit der Welt, ſollt 'er ſich nicht erlauben
Das Kriegsrecht gegen ſie, zu pluͤndern und zu rauben?
Und wenn er ſchwaͤcher iſt, zu luͤgen und zu truͤgen,
Und heimlich Schaden ihr ſtatt offen zuzufuͤgen!
Doch wie er ſie verletzt, ſie hat die Macht zuletzt,
Die Recht behaͤlt; weh wer mit ihr in Krieg ſich ſetzt!
Doch doppelt weh, wer den in die Verzweiflung trieb
Des Krieges mit der Welt, der gern im Frieden blieb.

83.

Nur oͤfter ſolltet ihr, ſtatt euch ſo fremd zu bleiben,
Einander ſehn, wonicht, doch an einander ſchreiben,
Ihr Schreibenden! das wuͤrd 'im Federkrieg euch hindern,
Und eurer feindlichen Bekaͤmpfung Schaͤrfe lindern;
Zu Statten kaͤm 'es euch, und euren Leſekindern.
317
Wie mancher hat ins Aug den andern nur geſtochen,
Weil er ihn nie geſehn, weil er ihn nie geſprochen!
Das Lanzenbrechen haͤtt 'ein Wort, ein Blick gebrochen.
Viel beſſer denk 'ich ſelbſt von manchem, den ich ſah,
Und wuͤnſchte mehrern nur waͤr' ich gekommen nah.
Das gilt euch Beſſern, die ihr ſtehet ſo allein;
Die Schlechtern ſind ſchon lang 'im innigſten Verein,
Und haben nur dadurch ſich uͤber euch gehoben,
Weil ihr einander ſchmaͤht, und ſie einander loben.
Das Loben laſſet nur, das ſtellet ihnen frei,
Doch ſteht nicht ihrem Bund durch eure Zwietracht bei!
318

84.

Die Stroͤme liefen all gerades Wegs ins Meer,
Wenn ſich die Berge nicht vorſtreckten uͤberqueer.
Den Bergen muͤßen ſie anſchmiegend ſich bequemen,
Und ihren Lauf zum Meer durch manchen Umweg nehmen.
Die Berge halten ſie am Ende doch nicht auf,
Und reicher wird dadurch ihr ſchoͤngewundner Lauf.
Dein Leben iſt ein Strom: o laß dichs nicht verdrießen,
Durch manchen Berg gehemmt, dem Meere zuzufließen.

85.

Wenn du den armen Mann beſchenkt haſt mild und guͤtig,
Wend 'auch von ſeinem Dank dich dann nicht ab hochmuͤthig.
Zehn, hundert, tauſendfach wuͤnſcht er dir Gottes Lohn,
Gibt mehr dir, als du ihm, laß ihm den Stolz, o Sohn,
Und geh ſtatt ſeiner ſelbſt als Schuldner du davon!
319

86.

O ſchoͤne Zeit, wo ſchoͤn noch war intereſſant,
Nichts intreſſanteres als Schoͤnes war bekannt!
Nun ſind die beiden, die ſonſt waren eins in Frieden,
Schoͤn und Intereſſant, in Feindſchaft und geſchieden.
Nicht mehr intereſſant iſt nun das ſchoͤn genannte,
Und noch viel minder ſchoͤn iſt das Intereſſante.
Was iſt intereſſant? Was der Moment gebiert,
Was ſeine Geltung mit dem Augenblick verliert.
Intereſſant, was heut, ſchoͤn iſt, was ewig freut;
Das Ew'ge tritt zuruͤck, wo Heutiges gebeut.

87.

Viel Freunde haben, doch zuviel nicht allen traun,
Iſt eine Weisheit, die mich wenig kann erbaun.
Viel lieber will ich doch nur wen'ge, denen ich
Darf viel traun, einen nur, dem ich vertraun darf mich.
320

88.

Ein Herzog ward befragt, ob er auch Jagdhund 'halte,
Damit des Waidwerks er nach Herzogswuͤrden walte?
Auf eine Tafel wies er hin voll armer Leute,
Die er da ſpeiſen ließ: dis hier iſt meine Meute.
Ihr moͤgt mit euerer nur Hirſch 'und Rehe plagen;
Mit meiner hier will ich das Himmelreich erjagen.

89.

Wird doch nicht uͤbers Kind der Vater ungeduldig,
Das in der Arbeit ihn ſtoͤrt durch ſein Spiel unſchuldig.
Es klinkt die Thuͤren auf und zu, kommt um zu gehn,
Geht um zu kommen, laͤßt kein Ding am Flecke ſtehn,
Schiebt hier am Stuhl, zerrt da am Buch, ruckt dort am Tiſch,
Und die Schreibfeder ſelbſt macht es zum Flederwiſch.
Der Vater, ſtatt mit Macht zu wehren, droht und lacht,
Die Stoͤrung freut ihn, die ihm Unterhaltung macht.
321
Die Welt iſt auch ein Kind, und will ihr Spielwerk treiben;
Wenn ſie dich ſtoͤret, mußt du fein geduldig bleiben,
Was ſchadets, laͤßt ſie dich ein wenig wen'ger ſchreiben!

90.

Durchblaͤttern wollt 'ich auch fuͤr dich die Kinderſchriften,
Mein Kind, ob Foͤrderung dadurch dir ſei zu ſtiften.
Nicht brauchen kanſt du ſie, wenn du kein Kind willſt bleiben,
Weil rechte Maͤnner nie fuͤr bloße Kinder ſchreiben.
Was braucht es mehr Beweis? von hundert Dichterlingen
Hoͤrſt du in dieſem Buch die Kinderklapper klingen.
Vom einen Dichter, der der eine iſt vor allen,
Iſt kaum ein Fetzchen hier, das ihm im Schlaf entfallen.
Du lernſt daraus, wieſehr er andre uͤbertrifft,
Weil nur ſo wenig taugt von ihm zur Kinderſchrift.
322

91.

Es iſt nicht wahr, daß man ein Gluͤck, das man nicht kennt,
Nicht miſſet, und dich das, was du nicht weißt, nicht brennt.
Berufen fuͤhlet ſich zum Gluͤcke jedermann,
Dem, wers auch nie gewann, doch nie entſagen kann.
Der ahnt, wers nicht geſchmeckt, doch wie es ſchmecken muͤße,
Und bitter ſeinen Mund macht die entbehrte Suͤße.

92.

Sohn, ehrenhalber ſollſt du nie thun, was du thuſt;
Pflichthalber magſt du's thun, am beſten recht mit Luſt.
Denn ehrenhalber was man thut, der Sprachgebrauch
Iſt, wie du weißt, man thu 'es ſchandenhalber auch.
323

93.

Der Einſicht ſchadet nur Gelehrſamkeit zu große,
Beſſer als Brillen ſieht geſunder Sinn der bloße.
Haſt du erſt nachgeſehn, wie die Ausleger es
Verſtehn, ſo biſt du blind; ſieh ſelber und verſtehs!

94.

Laß uͤber dieſes Buch uns nun zum Urtheil ſchreiten!
Das Urtheil iſt nicht leicht, das Buch hat viele Seiten.
Fragſt du, was du daraus fuͤr Kopf und Herz gewannſt,
So iſts ein Buch das du genug nicht ſchaͤtzen kannſt.
Fragſt du nach dem Genuß, ſo iſt es zu genießen
Wie ſchoͤne Roſen, die an garſtigen Dornen ſprießen.
Du freueſt immer fort dich jeder ſchoͤnen Bluͤte,
Und fuͤhleſt ſtets dabei den Stachel im Gemuͤte.
324
Und fragſt du endlich: Was kommt fuͤr der Menſchheit Heil
Dabei heraus? das iſt des Buches ſchwaͤchſter Theil.
Rein ſchoͤn, das iſt es nicht, und minder noch rein wahr,
Rein gut am wenigſten, ein Zwitter ganz und gar.

95.

Du fragſt, warum die Welt uns ſo gar ungleich haͤlt,
Daß alles ihr an dem, am andern nichts gefaͤllt.
Was hilft es, junger Freund, dagegen ſich erboßen?
Ihr Kopf iſt hart genug, dran unſern einzuſtoßen.
Die Welt auf ihre Art uͤbt auch in ihren Sachen
Gerechtigkeit, du mußt dir nur gerecht ſie machen.
An wen ſie einmal glaubt, dem wird ſie viel verzeihn;
Wo ſie noch zweifelt, wird ſie uͤber alles ſchrei'n.
Drum lerne nur vorerſt ihr Zutraun zu verdienen,
Bis ſie gehorchen dir, bequeme du dich ihnen.
325

96.

Ei wie! an einem Tag verſchlingſt du alle Speiſe,
Womit ein Lebenlang den Geiſt genaͤhrt der Weiſe,
Den du dir eben heut vornahmeſt zu verdaun;
Die Unerſaͤttlichkeit, erweckt ſie dir kein Graun?
Du aber deuteſt nur aus deiner innern Welt
Hin auf die aͤußere, die ebenſo es haͤlt;
Da auch ein Praſſer ja verpraßt an einem Tage
Mehr als erkarget hat des Kargers Jahresplage.
Nur iſt der Unterſchied, daß hier ſich von den Aehren
Der armen Fleißigen die faulen Reichen naͤhren,
Doch du ein Aermerer zehrſt von den geiſtig reichen.
Moͤg 'es zu deines Geiſts Bereicherung gereichen!
326

97.

Zwei Muſterbilder ſtehn vor euerer Beſchauung;
Waͤhlt eurem Sinn gemaͤß euch einen zur Erbauung!
Der eine kerngeſund, der andre tiefverkuͤmmert,
Der eine ganz und rund, der andre ganz zertruͤmmert.
Der kranke Heilige hat, ſeh 'ich, viel gefunden
Anbeter, die ihn fromm vorziehen dem geſunden.
Mit ſeiner Krankheit wollt ihr eure wol vertreiben,
Meinthalb! nur laßt geſund mich beim geſunden bleiben.

98.

Ich bin in andrer Zeit, ich bin in anderm Raum,
Der Gegenwart Getoͤſ 'erweckt nicht meinen Traum.
Doch was von dieſer Zeit in meinen Traum mag dringen,
Ohn 'ihn zu ſtoͤren wird es ſich darein verſchlingen.
327

99.

Von keinem Helden, der noch lebet, ſollſt du ſingen,
Er moͤchte ſeinem Ruhm und dir noch Schande bringen.
Erſt wann man ihn begraͤbt, weiß man, wie er gelebt,
Ob wuͤrdig oder nicht, daß ihn Geſang erhebt.

100.

Schaͤmſt du dich nicht, ſo breit dich auf der Welt zu machen,
Mit ſolcher Wichtigkeit zu treiben kleine Sachen?
Ein jegliches Gefuͤhl in einen Vers zu faſſen,
Um von des Markts Gewuͤhl bewundern es zu laſſen?
Wielange willſt du auf der Welt nichts beßres thun?
Solang es gibt auf ihr nichts beſſeres als nun.
328

101.

Sieh nur, wer ſind ſie denn, die nach dem Ziel hier laufen
Und ſchnaufen, daß du dich willſt miſchen in den Haufen?
Sieh nur, wer ſind ſie denn, die hier den Preis vertheilen,
Und was denn iſt von Ruhm das Reis, das ſie ertheilen?
Erkenne dich! der Ruhm iſt hier, daß du beſiegſt
Unwuͤrd'gen Ehrgeiz und nicht mit Unwuͤrd'gen kriegſt.

102.

Was machet groß und breit ein Buch? Unwiſſenheit,
Die Wiſſen werden will und nicht dazu gedeiht.
Wer etwas beſſer weiß, ein Buͤchelchen ein kleines
Macht er daraus, und wers am beſten weiß, gar keines.
329

103.

Beſcheiden iſt, wer ſich beſcheidet, wer beſcheiden
Sich laͤßt, und Grenzen ehrt, die ihn von andern ſcheiden.
Beſcheiden ſeid ihr, wenn ihr annehmt den Beſcheid,
Daß ihr, was ihr vielleicht einſt werdet, noch nicht ſeid.

104.

Gegen den Juͤnger nimmt vertrauliche Geberden
Kein Meiſter, ohne gleich dafuͤr beſtraft zu werden.
Daß du herunterſtiegſt zu ihm, wird er vergeſſen,
Und mit dir Haupt an Haupt auf ebnem Feld ſich meſſen.
330

105.

Zur Sammlung der Jugendgedichte.

Wenn den Gealterten es freut, ſich ſelber jung
Im Spiegel anzuſchaun der Ruͤckerinnerung;
So kann ſich deinem Gluͤck, o Dichter, keins vergleichen,
Da deine Lieder dir ſo helle Spiegel reichen.
Nun ſiehſt du, daß du nicht haſt Muͤh 'und Zeit verloren,
Und daß die Himmelskunſt dir hielt, was ſie geſchworen.
Wie wenig auch die Welt von dieſen Liedern haͤlt,
Verewigt haſt du dich darin und deine Welt.

106.

Wie wenig oder viel des Schoͤnen mir gelang,
Erſcheint mir doch am Ziel naturgemaͤß mein Gang.
Ich ſehe, daß ich bin vom Schauen ausgegangen,
Um durchs Empfinden hin zum Denken zu gelangen.
331

107.

Ein Vater nur haſt du's gehoͤrt? beneidet nicht
Den Sohn um ein Talent , wie unſer Meiſter ſpricht.
Nimm, Meiſter, vaͤterlich den Juͤnger an zum Sohn,
Und der Nothwendigkeit des Neids biſt du entflohn.

108.

Worin beſteht die Luſt, die eigne Luſt, auf Fluren
Des Alterthumes nachzugehn verſunknen Spuren?
Hier aufzufriſchen, was der Hauch der Zeit verwiſcht,
Dort wegzuwiſchen, was ſich Falſches dreingemiſcht?
Mit ſchwachem Nachtlicht Nacht der Raͤthſel zu beglaͤnzen,
Und mit Vermuthungen die Truͤmmer zu ergaͤnzen?
Die Menſchheit iſts in dir, die ſich an ſich ergetzt,
Gern aus dem Alter in die Jugend ſich verſetzt;
332
Wie du im engern Kreis dich deines Bildes freueſt,
Wenn du des Tagebuchs erloſchne Schrift erneueſt,
Wenn dein ruͤckahnender Gedanke gluͤcklich knuͤpft
Den Faden, wo er dir vor Jahren iſt entſchluͤpft.

109.

Mein Freund, laß uns nur nicht ſo ſchnell bei Seite ſchieben
Die alten Dichter, weils die neuern hoͤher trieben.
Gar mancher, den man jetzt ſo vornehm uͤberguckt,
Die Achſel mitleidsvoll bei ſeinem Namen zuckt,
Iſt, wenn du bringſt die Zeit in Anſchlag, gar nicht ſchlecht,
Und, wenn du abſiehſt von der Zeit, nicht minder echt
Als mancher, der da nun ſo hoch die Saiten ſtimmt,
Weil er ſo leicht wie Kork auf Beifallswogen ſchwimmt;
Und kann ſogar noch jetzt gefallen, wie wol kaum
Wird jener koͤnnen, wann zergangen einſt der Schaum.
Hier iſt nichts was entzuͤckt, doch auch nichts was verletzt,
Und, wenn du maͤßig biſt, genug was dich ergetzt.
333

110.

Wieweit die Kraͤfte, die dir Gott gab, ſich erſtrecken,
Das kanſt du nur, indem du ſie gebrauchſt, entdecken.
Doch auch dem ſtaͤrkſten Trieb des Baumes iſt geſteckt
Ein Ziel, daruͤber ſich ſein Wachsthum nicht erſtreckt.
Und beſſer manches Reis, das unentwickelt bleibt,
Als Schoͤpfertrieb, der ſich erſchoͤpfend uͤbertreibt.

111.

Wenn ihr vielleicht vermißt in dieſem Buch die Einheit,
Statt großes Ganzen ſeht der Einzelheiten Kleinheit;
Doch eine Einheit iſt, und doppelte, darinn:
Die Einheit in der Form, die Einheit auch im Sinn.
Auf wieviel Stoff nun angewandt die Einheit ſei,
Das lenkt der Zufall, und iſt wirklich einerlei.
334

112.

Daß er dich ruͤhrt, gedeiht es iſt nur eine Probe
Von deiner Ruͤhrbarkeit dem Dichter nicht zum Lobe.
Dein Herz iſt wie das Kraut, iſt es dir nicht bekannt?
Das Fliegenklappe wird gemeinhin zubenannt,
Des Blatt ſo reizbar iſt, daß keine Flieg 'es juͤckt
Mit Krabbeln, ohne daß ſichs alſo fuͤhlt entzuͤckt,
Daß es zuſammenklappt und das Inſekt ertappt;
Sieh, welch 'ein kribblig Ding haſt du nun auch erſchnappt!

113.

Nur was den Ton angibt, in dem du biſt geſtimmt,
Iſt was den Weg durchs Ohr zu deinem Innern nimmt.
Das Ueberſchwaͤngliche ruͤhrt nicht und lehrt dich nicht,
Weil gleiche Schwingung dir und gleicher Schwung gebricht.
335

114.

Mein Freund! ich liebe nicht ein groͤßeres Gedicht,
Woraus am Ende nichts als Ein Gedanke ſpricht.
Ich wuͤnſchte ſelbigen Gedanken mir im kleinen,
Oder ein groͤßeres, worin ſich mehr vereinen.

115.

Mein junger Freund, du haſt ſo gut als wir begonnen,
Doch wenig iſt dadurch der Welt und dir gewonnen.
Beginnen ſollteſt du ſo gut als wir beſchließen;
Sonſt kann ein neuer Kranz des Ruhmes dir nicht ſprießen.

116.

Einmal gethanes ſoll man nicht noch einmal machen;
Fuͤr neue Thaͤtigkeit gibts immer neue Sachen.
Zur Widerholung reizt zwar ein gelungner Ton,
Doch unterm Thema bleibt die Variazion.
336

117.

Ich habe kaum, und nun muß ich mich drum verklagen,
Die Roſen angeſehn in dieſen Sommertagen.
Was mir im Sinne lag, daß dieſes mir geſchah?
Schoͤn mußt 'es ſeyn, weil ich davor nicht Roſen ſah.
Nun ſind die Roſen mit den Sommertagen hin,
Und nicht geblieben iſt auch was mir lag im Sinn.

118.

Verſteh mich, liebes Kind! ſowenig als mir nun
Mich jung zu machen ziemt, ziemt dir ſchon alt zu thun.
Doch reine Freude laß uns aneinander haben,
Du lieb 'an mir den Greis, ich lieb' an dir den Knaben.
Erbauen magſt du dich an meinem Weisheitſpruch,
Doch mich erquicken ſoll dein friſcher Lenzgeruch.
337
Und eher moͤchte mir ein Liebeslied entſpringen
Noch jetzt, als jetzt ſchon dir ein Lehrgedicht gelingen.
O komm, damit ſich Herbſt und Fruͤhling ſchoͤn ergaͤnzen,
Mit Fruͤchten lab 'ich dich, du ſchmuͤcke mich mit Kraͤnzen

119.

Du hoͤrſt ein Buch als gut von guten Freunden preiſen,
Und preiſeſt nun als gut es auch in Freundeskreiſen.
Haſt du's geleſen? Nein! Und haͤtteſt du's geleſen,
Du wuͤßteſt auch nicht mehr, als daß es gut geweſen.
Drum es zu leſen kannſt du Zeit und Muͤhe ſparen;
Du haſt genug davon zu deinem Zweck erfahren.

120.

Des Ruhmes Garten wird nie blumenleer gepfluͤckt,
Wie mancher ſich daraus mit Kraͤnzen ſchon geſchmuͤckt.
An jeder Stelle, wo ein Juͤngſter Schoͤnes brach,
Waͤchſt gleich ein Schoͤneres fuͤr einen Juͤngern nach.
Ruͤckert, Lehrgedicht VI. 15338

121.

Mit meinen Soͤhnen ging ich wandernd uͤber Land,
Und es war wunderbar, wie ich mich da empfand.
So reizend zweifelhaft war es mir nie erſchienen,
Ob ich ihr Fuͤhrer ſei, ob ſelbſt gefuͤhrt von ihnen.
Sie moͤgen nun ſo fort ſtets unbeduͤrft'ger ſchreiten,
Und faͤhiger, mich gern beduͤrfenden zu leiten.

122.

Es aͤrgerte mich wol, daß von den braunen Haaren
So viel ſeit ein'ger Zeit mir grau geworden waren.
Nun aber freu 'ich mich, daß bei den grauen doch
So viele braune ſind geblieben immer noch.
Und wann die grauen nun die braunen uͤberwiegen,
Wird es mich endlich freun, ein reines Grau zu kriegen.
Als Knabe betet 'ich, und jetzo werd' es wahr:
Gib, daß ich tragen mag mit Ehr'n ein graues Haar!
339

123.

Die Seherinnen, die ſtatt Augen andre Glieder
Zum Sehn gebrauchen, ſind von Herzen mir zuwider.
Doch eine ſah ein Bild in ihres Herzens Spiegel,
Dem gerne ſich erſchließt des meinen Schloß und Riegel.
Ein freundlich ernſter Greis, mit offenſtehnder Bruſt;
Ein Kindlein, laͤchelnd, blickt daraus hervor mit Luſt.
So machen moͤcht 'ich ſelbſt mein Herz zu einer Wiege,
Und daß ich ſelber ſo als wie ein Kindlein liege!
Da iſt das Innerſte des Menſchen ſchoͤnbeſchickt,
Wo aus des Greiſen Bruſt das Kindlein laͤchelnd blickt.
15*340

124.

Es war ein Mann vielleicht iſt mancher noch im Raume
Dem alles wohl gelang, doch alles nur im Traume.
Im Traume ſang er ſchoͤn, im Traume ſprach er gut,
Im Traume hatt 'er Geld, im Traume hohen Muth.
Im Traume war er jung, im Traume hochgeehrt,
Im Traume kerngeſund, im Traume grundgelehrt.
Im Traume pflanzte er den Garten blumenreich,
Im Traume baute er ſein Haus Pallaͤſten gleich.
Im Traume that er, was ihm Luſt und Freude machte,
Und leid that es ihm nur, wenn er vom Traum erwachte.
Drum ſucht 'er alſobald zum Traum zuruͤckzukehren,
Um zu genießen, was ſein Wachen mußt' entbehren.
Ungluͤcklich hat er nicht ſein Leben hingebracht,
Weil er im Leben mehr getraͤumet als gewacht.
Doch gluͤcklich war er nicht; nur gluͤcklich iſt der Wache,
Der nicht bedarf, daß erſt ein Traum ihn gluͤcklich mache.
341

125.

Zufrieden mußt du ſeyn, zufrieden mit der Welt,
Es halten ſo mit ihr, wie ſie mit dir es haͤlt.
Zufrieden mußt du ſeyn mit dem, was Gott beſchieden,
Beſonders aber mußt du ſeyn mit dir zufrieden.
Wer nie zufrieden iſt mit dem, was er vollbracht,
Iſt es auch nicht mit Gott, der ſo ihn hat gemacht.

126.

Nicht im Gedanken laß die Wirklichkeit verſchweben!
Der Himmel iſt nicht da, die Erde aufzuheben.
Doch, wo hier Dunkel iſt, laß Licht von dorther glaͤnzen!
Der Himmel iſt nur da, die Erde zu ergaͤnzen.
342

127.

Es iſt ein Ewiges, das wandelt und das bleibt,
Das in ſich ſelber ruht und ruhlos Alles treibt.
Du mußt Erregungen und Leidenſchaften laſſen,
Wenn du das Ewige, das ruhet, willſt erfaſſen.
Du mußt Erregungen und Leidenſchaften hegen,
Wenn dich das Ewige, das wandelt, ſoll bewegen.
Erfaſſend und erfaßt, erregend und erregt,
Sei gleich dem Ew'gen ſelbſt, bewegt und unbewegt.

128.

Mit Unvollkommenheit zu ringen, iſt das Looß
Des Menſchen, iſt ſein Werth, und nicht ſein Mangel bloß.
Was unvollkommen iſt, das ſoll vollkommen werden;
Denn nur zum Werden, nicht zum Seyn, ſind wir auf Erden.
343

129.

Wer ſtill ſteht, bleibt zuruͤck, wenn Andre vorwaͤrts gehn;
O Ungluͤck und o Gluͤck! nie darfſt du ſtille ſtehn.
Was hilfts, wonach du rennſt, als Hoͤchſtes zu erkennen,
Wenn du zugleich erkennſt, es ſei nicht zu errennen.
Der grade Weg iſt nicht, nur immer gradaus gehn;
Du mußt dich nach dem Ziel, das ſtets ſich wendet, drehn.
Wie gern beſchied 'ich mich, ich ſei noch nicht am Ende,
Wenn ich mich nur nicht ſtets am Anfang wieder faͤnde!

130.

Von Zeit zu Zeit ein Schlag dem uͤbermuͤt'gen Knaben,
Lehrt ihn beſonnener gebrauchen ſeine Gaben.
O danke Gott, daß dir zur rechten Zeit von oben
Ward immer ſolch ein Wink, wann du dich uͤberhoben.
344

131.

Wie iſt die Autorſchaft ein dorniger Beruf
Fuͤr einen, deſſen Herz wie meines Gott erſchuf!
Mag doch ein anderer fuͤr Andre Roſen brechen,
Dem auch die Roſen bluͤhn, nicht blos die Dorne ſtechen!
Kaum freut mich, was dabei erfreulichs unterlaͤuft,
Und alle Kraͤnkung iſt aufs kranke Herz gehaͤuft.

132.

Sohn, der Tabakrauch auch, wozu ich dich anleiten
Nicht will, der ſchlimme Brauch, hat ſeine guten Seiten.
Die Leidenſchaftlichkeit des Sprechens kann er daͤmpfen,
Um hingeriſſen nicht zu ſeyn von Meinungskaͤmpfen:
Daß dir die Pfeife nicht ausgeh, die du vergaßeſt,
Noch du im Eifer mehr als recht iſt Dampf ausblaſeſt.
345

133.

Was ſteht auf dieſem Ring? der Gaſtfreund ſandt 'ihn mir.
Heißt es Mihr muhri mihr? heißt es muhr mihri mihr?
In Perſerſchrift iſt nicht der fluͤchtige Vokal
Bezeichnet; heißen kann es beides alzumal.
Was heißt Mihr muhri mihr? Die Sonne iſt das Siegel
Der Liebe. Lieblich lacht die Lieb 'aus dieſem Spiegel.
Was heißt Muhr mihri mihr? Das Siegel iſt die Sonne
Der Liebe. Dieſer Gruß iſt wonnigliche Wonne.
Den Brief des Himmels deckt des Sonnenſiegels Glanz,
Das loͤſt die Nacht und lieſt die Sterngeheimſchrift ganz.
Das Siegel aber auf dem Brief, den Liebe ſchrieb,
Iſt eine Sonne, die des Zweifels Nacht vertrieb.
Mit dieſer Sonne ſiegl 'ich hier das erſte Blatt,
Das jenem, der dis Bild mir gab, zu danken hat.
Wer einen Gruß von mir empfaͤngt mit dieſem Stempel,
Er kommt vom Herzen aus der Liebe Sonnentempel.
346

134.

Am letzten Tag des Jahrs blick 'ich zuruͤck aufs ganze,
Und leuchten ſeh' ich es gleich einem Gottesglanze.
Es war nicht lauter Licht, nicht lauter reines Gluͤck,
Doch nicht ein Schatten blieb in meinem Sinn zuruͤck.
Die Freuden bluͤhn mir noch, die Leiden ſind erblichen,
Und ins Gefuͤhl des Danks iſt alles ausgeglichen.
Ich gab mit Luſt der Welt das beſte was ich hatte,
Und freute mich zu ſehn, daß ſie's mit Dank erſtatte.
Nichts beßres wuͤnſch 'ich mir, als daß ſo hell und klar,
Wie das vergangne, mir ſei jedes kuͤnft'ge Jahr.

135.

Am Neujahrsmorgen merkt man wol auf Schickſalszeichen;
Glaubt 'ich den meinigen, ſo muͤßt' ich ſchon erbleichen.
Ich ſchluͤpft ', als ich aufſtand, verkehrt in mein Gewand;
Als ich die Uhr nahm, fand ich daß ſie ſtille ſtand.
347
Moͤg 'alles, was verkehrt ich dieſes Jahr ſoll thun,
So leicht wie dies Gewand ſeyn umzuwenden nun!
Und wenn mir ſoll die Uhr des Lebens ſtille ſtehn,
Moͤg 'es ſo unvermerkt und ſanft im Schlaf geſchehn!

136.

Der Ehrgeiz gibt nicht Ruh noch Raſt dem, der ihn hegt;
Von ihm iſt, wie vom Sturm die Flut, das Herz bewegt.
Bei einem Mann der That iſt er villeicht zu loben;
Er ſei davon geſpornt, getragen und gehoben!
Daß er den innern Sturm durch aͤußre Stuͤrme daͤmpfe;
Und wie ihn nagt ſein Wurm, betaͤub 'er ihn durch Kaͤmpfe!
Allein bei Wiſſenſchaft und Kunſt iſt ganz ein Fluch
Der Ehrgeiz, unſtatthaft, ein innrer Widerſpruch.
Denn mit der Ruh kann nicht die Unruh ſich vertragen;
Eh'r Geiz, als Ehrgeiz, laͤßt in Muße ſich ertragen.
348

137.

Nicht leicht vergeht ein Tag, an dem nicht was geſchah,
Das herzlich mich erfreut, wenn ich es recht beſah.
Wenn einer doch vergieng, an dem mir nichts des neuen
Erfreulichen geſchehn, da muß mich altes freuen.

138.

Mit deinem Lernen iſts im Augenblick vorbei,
Wo du dich ſelber fragſt, wozu's erſprießlich ſei.
Es dient nicht deiner Seel 'und nicht der Welt zum Heil;
Was wendeſt du daran des Lebens einen Theil?

139.

Die Freunde ſchweigen ſtill; kein Laut hat mir entdeckt,
Wie, was ich Neuſtes aufgetiſcht hab ', ihnen ſchmeckt.
Nur Fremde hoͤr 'ich, die dort auf dem Markte ſchelten,
Im Winkel loben dort; was kann mir beides gelten?
349
Ich bin zu alt, um neu zu modeln meine Sachen,
Und weder Tadel kann noch Lob mich beſſer machen.
Verbitten will ich mir ganz alle Zeitungspoſt,
Und ſelbſt zufrieden ſeyn mit meiner Hausmannskoſt.

140.

Der ſchlechte, wenn er fuͤhlt ſein Unrecht, wird dich haſſen,
Der edle dich dafuͤr zwiefach mit Lieb 'umfaſſen.
Betaͤuben durch den Haß will jener ſein Gefuͤhl,
Doch dieſem beut die Lieb 'ein ſanftres Ruhepfuͤhl.

141.

Die Welt iſt eben Welt, Welt uͤberall; ſie kennen
Zu lernen, moͤcht 'ich ſie nun fuͤrder nicht durchrennen.
Was an ihr iſt, hab 'ich erkannt an einem Ende,
Und mehr erkennt' ich nicht, wenn ich am andern ſtaͤnde.
350

142.

Noch immer fand ich, wann ich gieng auf neuen Wegen,
Daß mir die Foͤrderung von ſelber kam entgegen,
Ein Fingerzeig, den mir am Orte, wo es noth,
Ein Fremder ungeſucht und unerwartet bot.

143.

Nicht traͤge mußt du ſeyn dich zu vertheidigen,
Wenn dich ein Toͤlpel will, ein Wicht beleidigen.
Doch mancher Angriff tritt nicht deiner Ehre nah;
Laß ihn nur unbemerkt, ſo iſt er gar nicht da.

144.

Mein Sohn, wenn du in dir haſt aufgebaut ein Wiſſen,
Sei fein von Zeit zu Zeit der Nachhuͤlf 'auch befliſſen.
Mit wenig Aufwand haͤltſt du's leicht in gutem Stande;
Wenns erſt baufaͤllig ward, iſts großer Schad 'und Schande.
351

145.

Auf hoher Alpe ſteht die Pflanze feſt im Bodem,
Und in die freie Luft haucht ſie den Bluͤtenodem.
Du ſiehſt ſie farbig bluͤhn und duftig, doch das Gruͤn
Des Blaͤtterwuchſes muß erliegen dem Bemuͤhn.
Die Pflanze gibt die Wucht der Blaͤtter auf, und ſucht
Die Bluͤt 'entgegen nur zu retten ihrer Frucht.
Gib auf den Blaͤtterſchwall! du kannſt ihn nicht erhalten;
Und laß die Bluͤte ſich in Himmelsluft entfalten!

146.

Iſt Geben ſeliger als Nehmen, wie man ſpricht;
Warum die Seligkeit gibſt du dir ſelber nicht?
Sag nicht, daß du genug nicht habeſt um zu geben;
Brauchs zum Wohlleben nicht! ein andrer brauchts zum Leben.
352

147.

Du in Gemaͤchlichkeit geſaͤttigt und bekleidet,
Denkſt du des Bruders auch, der friert und Hunger leidet?
An ihn zu denken nur, verſtoͤrt dich im Genuß,
Bis du dem Duͤrft'gen gibſt von deinem Ueberfluß.

148.

Im Fruͤhling fuͤhl 'ich mich verbunden mit der Welt,
Wo die Natur mir ſelbſt den Spiegel Gottes haͤlt.
Im Winter aber muß von Zeit zu Zeit mir ſagen
Ein Blick, ein Wort, ein Gruß, von Herzen, die mir ſchlagen.
Im Lenz war jedes Laub von Freundes Hand ein Blatt;
Jetzt ſagt mir nur ſein Brief, was er zu ſagen hat.
353

149.

Falſch, lieblos iſt die Welt; doch welches Herz vom Glauben
Der Liebe lebt, laͤßt ihn ſich von der Welt nicht rauben.
Das Gute, was du an Unwuͤrdigen gethan,
Sei nur getroſt! Gott ſchreibt auch das fuͤr gut dir an.

150.

Die ſchoͤnſten Lieder, die aus vollſtem Herzen dringen,
Sie werden nicht die Welt verwandeln und bezwingen.
Das wird allein der Kraft, der thaͤtigen, gelingen.
Dem Manne zoll 'ich Preis, der das im engſten Kreis
Weiß zu bethaͤtigen, was ich zu traͤumen weiß.
354

151.

Ihr moͤgt mich umganglos und ungeſellig ſchelten!
Wen aber hab 'ich denn, der mich als mich laͤßt gelten?
Wo ich mich ſelber muß verleugnen immerhin,
Da bin ich einſam, wo ich in Geſellſchaft bin.
[355]

Leipzig, Druck von Hirſchfeld.

About this transcription

TextDie Weisheit des Brahmanen
Author Friedrich Rückert
Extent369 images; 34980 tokens; 7651 types; 220303 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Weisheit des Brahmanen ein Lehrgedicht in Bruchstücken Sechstes Bändchen Friedrich Rückert. . 354, [1] S. WeidmannLeipzig1839.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yn 8871-6<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=691372942

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; mts

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T09:28:06Z
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