PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Syſtem des heutigen Römiſchen Rechts
Fünfter Band.
Mit K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin. Bei Veit und Comp.1841.
[II][III]

Inhalt des fünften Bandes.

  • Zweytes Buch. Die Rechtsverhältniſſe. Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte. §. 204. Einleitung1
  • §. 205. Klage4
  • §. 206. Arten der Klagen. In personam, in rem11
  • §. 207. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 17
  • §. 208. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 23
  • §. 209. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 28
  • §. 210. Arten der Klagen. Pönalklagen37
  • §. 211. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 44
  • §. 212. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 55
  • §. 213. Arten d. K. Civiles, honor, Ordinariae, extraord. 61
  • §. 214. Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula67
  • §. 215. Arten der K. Directae, utiles. Certa, incerta form. 70
  • §. 216. Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae78
  • IV
  • Inhalt des fünften Bandes.§. 217. Arten d. K. In jus, in factum conceptae, (Fortſ.) 91
  • §. 218. Arten der Klagen. Iudicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei101
  • §. 219. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bonae fidei107
  • §. 220. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.) 114
  • §. 221. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones119
  • §. 222. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 125
  • §. 223. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 130
  • §. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung136
  • §. 225. Vertheidigung d. Beklagten. Einleitung. Duplexactio. 150
  • §. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte160
  • §. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten169
  • §. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten179
  • §. 229. Replicationen, Duplicationen u. ſ. w. 189
  • §. 230. Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod196
  • §. 231. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einlei - tung. Terminologie204
  • §. 232. Aufhebung. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe. Vollſtän - dige Concurrenz214
  • §. 233. Aufhebung. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe. Par - tielle Concurrenz222
  • §. 234. Aufhebung. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz232
  • V
  • Inhalt des fünften Bandes.§. 235. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach - tungen252
  • §. 236. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach - tungen. (Fortſ.) 259
  • §. 237. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ein - leitung265
  • §. 238. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ge - ſchichte273
  • §. 239. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio nata280
  • §. 240. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio nata. (Fortſ.) 289
  • §. 241. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio nata. (Fortſ.) 299
  • §. 242. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un - unterbrochene Verſäumniß312
  • §. 243. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un - unterbrochene Verſäumniß. (Fortſ.) 319
  • §. 244. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona fides326
  • §. 245. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona fides. (Fortſ.) 335
  • §. 246. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona fides. (Fortſ.) 342
  • §. 247. Aufhebung. III. Verjähr. Bedingungen. d. Zeitablauf. 352
  • VI
  • Inhalt des fünften Bandes.§. 248. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung366
  • §. 249. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 374
  • §. 250. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 384
  • §. 251. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 397
  • §. 252. Aufhebung. III. Verjährung. Ausnahmen408
  • §. 253. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex - ceptionen413
  • §. 254. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex - ceptionen. (Fortſ.) 419
  • §. 255. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex - ceptionen. (Fortſ.) 429
  • Beylage XII. Quanti res est441
  • Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones461
  • Beylage XIV. Die Condictionen503
  • Nachtrag zu § 218643
[1]

Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

§. 204. Einleitung.

Bisher wurden die Rechte an ſich betrachtet, als die nothwendigen Bedingungen des Zuſammenlebens freyer Weſen (§ 52). In dem durch die Rechtsregeln beherrſch - ten Leben beſteht die Rechtsordnung, welche mithin durch Freyheit hervorgebracht und erhalten wird. Indem wir aber das Weſen derſelben in die Freyheit ſetzen, müſſen wir zugleich die Möglichkeit einer freyen Gegenwirkung hinzu denken, alſo einer Rechtsverletzung, welche die Stö - rung jener Rechtsordnung iſt.

Aus dieſer Möglichkeit der Rechtsverletzung entwickelt ſich das Bedürfniß folgender Reihe neuer Rechtsinſtitute, die wir mit einem gemeinſchaftlichen Namen als Schutz - anſtalten für die Rechtsordnung bezeichnen können:

  • 1) Die Gerichtsbarkeit, als Beſtandtheil des Staats - rechts.
  • 2) Die Strafe, als Inhalt des Criminalrechts.
V. 12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • 3) Die auf die Herſtellung des geſtörten Rechtszuſtan - des abzweckenden Formen, als Inhalt des Prozeßrechts.

Alle dieſe aus der Rückſicht auf die Verletzung hervor - gehende Rechtsinſtitute liegen außer dem Kreiſe unſrer gegenwärtigen Betrachtung(a)Vgl. oben § 1. Indem hier dieſe Abſonderung im Allge - meinen geltend gemacht wird, ſoll damit keinesweges das abſolute Daſeyn einer ſcharfen Gränze und die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen Beobachtung behauptet werden. Der Prozeß insbeſondere, und das hier abzuhandelnde Actionenrecht, ſtehen in ſo enger Verbindung, daß es dem Urtheil eines jeden Bear - beiters der einen oder andern Diſ - ciplin überlaſſen bleiben muß, wie viel er von dieſem Gränzgebiet zur vollſtändigen Entwicklung ſeiner Gedanken in Beſitz zu nehmen - thig findet.. Dagegen gehört zu den - ſelben eine andere Klaſſe von Rechtsinſtituten, die gleich - falls in der Rechtsverletzung ihre Entſtehung haben. In - dem wir ein Recht in der beſonderen Beziehung auf die Verletzung deſſelben betrachten, erſcheint es uns in einer neuen Geſtalt, im Zuſtand der Vertheidigung. Theils die Verletzung, theils die zur Bekämpfung derſelben beſtimmten Anſtalten, äußern eine Rückwirkung auf den Inhalt und das Daſeyn des Rechts ſelbſt, und die Reihe von Verän - derungen, die auf dieſe Weiſe in ihm entſteht, faſſe ich zuſammen unter dem Namen des Actionenrechts.

Die erwähnten Veränderungen werden bei jedem ein - zelnen Rechtsinſtitut auf eine ihm eigenthümliche Weiſe erſcheinen; ihnen allen aber muß etwas Gemeinſames zum Grunde liegen, ohne welches jene eigenthümliche Erſchei - nungen nicht verſtanden werden können. Aus dieſer Be - trachtung ergiebt ſich die natürliche Unterſcheidung eines3§. 204. Einleitung.allgemeinen und eines beſonderen Actionenrechts. So zum Beyſpiel iſt die hypothecaria actio die beſondere Geſtalt, worin das Pfandrecht in Folge einer Verletzung erſcheint, und es gehört dazu namentlich eine ſehr eigenthümlich be - ſtimmte Klagverjährung; es iſt aber nicht möglich, dieſe beſondere Lehre zu verſtehen, wenn nicht die allgemeine Natur der Klage und der Klagverjährung zuvor erkannt worden iſt. Das, was ich hier als das beſondere Actio - nenrecht bezeichnet habe, kann nur ſtückweiſe, in Verbindung mit den einzelnen Rechtsinſtituten worauf es ſich jedesmal bezieht, zweckmäßig mitgetheilt werden; die Darſtellung des allgemeinen Actionenrechts iſt die Aufgabe des gegenwär - tigen Kapitels.

Manche haben die Klagenrechte als eine ſelbſtſtändige Klaſſe von Rechten, auf gleicher Linie ſtehend mit den Rechten der Familie, dem Eigenthum u. ſ. w., anſehen wollen, und es muß hier an den Widerſpruch erinnert werden, der ſchon oben (§ 59) gegen dieſe Auffaſſung er - hoben worden iſt. Es gehören vielmehr dieſe Rechte nur zu dem Entwicklungsprozeß oder der Metamorphoſe, die in jedem ſelbſtſtändigen Rechte eintreten kann, und ſie ſte - hen daher auf gleicher Linie mit der Entſtehung und dem Untergang der Rechte, welche gleichfalls nur als einzelne Momente in dem Lebensprozeß der Rechte, nicht als Rechte für ſich, aufgefaßt werden dürfen.

Die Veränderungen der Rechte, welche nunmehr dar - geſtellt werden ſollen, zerfallen in zwey Klaſſen.

1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Einige derſelben entſtehen aus der bloßen Thatſache der Verletzung ſelbſt; dahin gehört die Lehre von den Kla - gen, den Exceptionen, und den weiteren Entwicklungen der hierin enthaltenen Gegenſätze.

Andere entſtehen erſt durch die in den Rechtsſtreit ein - greifenden, zur Abwendung der Verletzung beſtimmten Hand - lungen. Die Litisconteſtation und das Urtheil ſind die ein - flußreichſten unter dieſen Handlungen.

Die erſte Klaſſe macht den Inhalt des gegenwärtigen Bandes aus, die zweyte wird in dem folgenden Band be - handelt werden.

§. 205. Klage(a)Ich will hier gleich im Ein - gang einige Schriften über dieſen Gegenſtand namhaft machen, um ſie im Lauf dieſer Unterſuchung be - quemer anführen zu können. Du - roi spec. observ. de j. in re Heidelb. 1812. 8. Düroi Be - merkungen über actio in rem und a. in personam, Archiv B. 6. S. 252 310, 386 440 (1823). Gans über Römiſches Obliga - tionenrecht Heidelberg 1819. 8. Haſſe (der jüngere) über das Weſen der actio, Rhein. Muſeum B. 5 S. 1 86. 154 205 (1833). Huschke progr. de actionum formulis quae in lege Rubria exstant. Vratislav. 1832. 4. Es muß dabey bemerkt werden, daß bey Erſcheinung der erſten Schrift von Düroi, ſo wie der Schrift von Gans, Gajus noch nicht her - ausgegeben war, weshalb das Gute in dieſen Schriften verdienſtlicher, das Irrige ſchuldloſer iſt..

Die beſondere Geſtalt, welche jedes Recht in Folge einer Verletzung annimmt, zeigt ſich zunächſt in folgender Weiſe. Unſere Rechte überhaupt beziehen ſich theils auf alle uns gegenüber ſtehende Menſchen, theils auf beſtimmte5§. 205. Klage.Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei - genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for - dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli - gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver - letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel - mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.

Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent - ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage, wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge - braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor - ausſetzung des ſchriftlichen Prozeſſes) mit Klagſchrift oder Klaglibell gleichbedeutend iſt. Hier kann blos von der6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klage in jener erſten (materiellen) Bedeutung die Rede ſeyn, alſo von dem Klagrecht; die Klage in der zweyten (formellen) Bedeutung, oder die Klaghandlung, mit ihren Bedingungen und Formen, gehört in die Lehre vom Prozeß.

Von dieſem allgemeinen Standpunkt aus laſſen ſich zwey Bedingungen angeben, die bey jeder Klage voraus - geſetzt werden: ein Recht an ſich, und eine Verletzung deſ - ſelben. Fehlt das erſte, ſo iſt eine Rechtsverletzung un - denkbar; fehlt die zweyte, ſo kann das Recht nicht die beſondere Geſtalt einer Klage annehmen: es iſt nicht actio nata, nach dem von neueren Juriſten eingeführten, richtig bezeichnenden Ausdruck. Die Rechtsverletzung aber kann wiederum in verſchiedenen Geſtalten erſcheinen, welche in der Wirklichkeit oft in einander greifen oder auch unent - ſchieden bleiben mögen. Es kann nämlich bald das Daſeyn des Rechts oder der Verletzung von dem Gegner verneint, bald auch ein blos factiſcher Eingriff in das unbeſtrittene Recht eines Andern verſucht werden.

In dieſer ganzen Unterſuchung iſt eine genaue Feſt - ſtellung des Römiſchen Sprachgebrauchs unentbehrlich. Manche werden glauben, daß darauf hier zu großes Ge - wicht gelegt ſey; wer aber unbefangen erwägt, wie viel Unklarheit und Irrthum bey vielen Schriftſtellern lediglich aus der Verſäumniß dieſer Grundlage entſprungen iſt, der wird die hierauf verwendete Arbeit nicht fruchtlos finden.

In Beziehung auf die Klagen und ihre Bezeichnung müſ - ſen wir im Römiſchen Recht drey Zeiträume unterſcheiden.

7§. 205. Klage.

In der älteſten Zeit iſt allein von der Legis actio die Rede, und dieſer Ausdruck hat eine überwiegend formelle Bedeutung. Er bezeichnet die zur Abwehr der Verletzung anzuwendende Thätigkeit, welche theils in ſymboliſchen Handlungen, theils in beſtimmt vorgeſchriebenen wörtlichen Formeln beſtand.

Nachdem die Legis actiones (mit geringen Ausnahmen) abgeſchafft waren, wurden die formulae Grundlage der ganzen Rechtsverfolgung(b)Gajus IV. § 30 .. per legem Aebutiam et duas Julias sublatae sunt istae legis actio - nes, effectumque est, ut per concepta verba, id est per for - mulas, litigaremus. Es würde ein großer Irrthum ſeyn, wenn man glauben wollte, zur Zeit der Legis actiones ſeyen keine feyer - liche verba, alſo keine formulae, gebraucht worden; davon ſagt Ga - jus II. § 24. IV. § 16. 21. 24 gerade das Gegentheil. Der Un - terſchied war der, daß man früher ſymboliſche Handlungen vermiſcht mit verba gebrauchte, ſpäter ſolche verba allein, und zwar in neuer, zeitgemäßer Abfaſſung; dieſe neuen, allein ſtehenden, verba werden nun - mehr ausſchließend mit dem Namen formulae belegt, weil man keinen ſpecielleren Namen dafür hatte. Zugleich führt nun dieſer Ausdruck noch den Nebenbegriff einer vom Prätor an den Judex gerichteten, und zwar ſchriftlich von ihm ab - gefaßten, Anweiſung (concepta verba) mit ſich, wodurch er in einen noch ſchärferen Gegenſatz ge - gen die alten, in den Legis actio - nes enthaltenen, Formulare trat.. Dieſer Zuſtand dauerte ſo lange als der ordo judiciorum privatorum, beſtand alſo namentlich zu der Zeit, worin die juriſtiſchen Schriftſteller lebten. Hier wurde vorzugsweiſe actio für die materielle Bedeutung der Klage, formula für die formelle gebraucht(c)Dieſes iſt der im vierten Buch des Gajus herrſchende Sprachge - brauch., jedoch ſo daß die Ausdrücke nicht immer ſtreng aus ein - ander gehalten wurden.

Seit der Aufhebung des ordo judiciorum, das heißt8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.etwa von Conſtantin an, hat die formula mit ihren ein - zelnen Theilen keine Bedeutung mehr, während die actiones eben ſo wie früher vorkommen. In dieſem Sinn ſind die Auszüge aus den früheren juriſtiſchen Schriftſtellern ge - macht worden, aus welchen Juſtinians Digeſten beſtehen(d)Wir haben alſo durchaus keinen Grund, die unzähligen Di - geſtenſtellen, welche von actiones im Allgemeinen, oder von einzelnen actiones, reden, für interpolirt zu halten; dagegen ſind diejenigen Stellen der alten Juriſten, welche von der formula, intentio, con - demnatio u. ſ. w. redeten, bis auf wenige Spuren, bey der Ab - faſſung der Digeſten weggelaſſen worden., und dieſelbe Umarbeitung der Inſtitutionen des Gajus fin - det ſich in Juſtinians Inſtitutionen.

Was nun das Wort actio betrifft, ſo war der Sprach - gebrauch ſchon bey den alten Juriſten ſchwankend. Nach Papinian heißt actio nur die Klage in personam, die in rem heißt petitio, beide zuſammen persecutio(e)L. 28 de O. et A. (44. 7.).. Aus derſelben engeren Bedeutung iſt es zu erklären, daß die Klage aus dem Erbrecht petitio hereditatis (nicht actio) heißt. Ulpian dagegen unterſcheidet wörtlich eine ſpecielle und eine generelle Bedeutung des Ausdrucks; die ſpecielle iſt ihm dieſelbe wie bey Papinian, die generelle umfaßt auch die in rem: persecutio nennt er die extraordinaria cognitio, die ohne Judex durchgeführt wurde(f)L. 178 § 2. 3 de V. S. (50. 16. ) (der § 3 freylich rechnet auch die persecutio unter die actiones). Dieſe Stelle hängt durch die Inſcription zuſammen mit L. 2 de hered. vel act. vend. (18. 4. ), worin die Frage abgehandelt wird, welche Rechte, und namentlich welche Klagen, der Verkäufer einer Erbſchaft auf den Käufer übertragen müſſe. Aus dieſer größeren Stelle wurden die - jenigen Stücke ausgehoben, welche. In an -9§. 205. Klage.deren Stellen nimmt er den Ausdruck bald in der engeren Bedeutung(g)L. 35 § 2 L. 39 pr. de proc. (3. 3. ), worin er die actio entgegenſetzt den Präjudicien, In - terdicten, und prätoriſchen Stipu - lationen. Eben ſo L. 68 de R. V. (6, 1.), wo er die Interdicte den Actionen entgegenſetzt., bald in der weiteren(h)L. 37 pr. de O. et A. (44. 7.). Hier ſagt er, unter dem Namen actio ſeyen begriffen die in rem, in personam, directae, utiles, ferner die Präjudicien, In - terdicte, und prätoriſchen Stipula - tionen. Eben ſo in L. 25 pr. eod. und in den weiter unten in § 206. c. angeführten Stellen, worin über - all von in rem actiones die Rede iſt.. Paulus dehnt den Ausdruck auch auf die persecutio aus(i)L. 34 de V. S. (50. 16.). In L. 14 § 2 de exc. rei jud. (44. 2.). ſpricht er von in rem actiones. . Ganz un - richtig nun würde es ſeyn, dieſe Ausdehnung des Sprach - gebrauchs erſt nach Papinian annehmen zu wollen. Viel - mehr zerlegt ſchon Gajus den Gattungsbegriff actio in zwey Arten, in personam und in rem actio(k)Gajus IV. § 1. vgl. IV. § 100. 106. 107., bey wel - cher Eintheilung offenbar ſchon der ausgedehntere Sprach - gebrauch zum Grunde liegt. Hieraus iſt es einleuchtend, daß der Sprachgebrauch lange Zeit hindurch geſchwankt hat; jedoch darf dieſes nicht durchaus als Erzeugniß blo - ßer Willkühr und gänzlicher Gleichgültigkeit gegen feſten Sprachgebrauch angeſehen werden. Könnten wir die an - geführten Stellen in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang(f)als Worterklärungen dienen konn - ten, und in den Titel de verbo - rum significatione geſetzt. Dem Inhalt nach hängen die angeführ - ten §§ 2. und 3 zuſammen mit L. 2 § 8 cit., ſo wie L. 178 § 1 cit. mit L. 2 § 1. 3. 9 cit. Auch in L. 2 § 3 cit. wird die perse - cutio von den actiones wörtlich unterſchieden. Übereinſtimmend mit dem engeren Sprachgebrauch, welchen Ulpian in L. 178 § 2 cit. bezeichnet, iſt eine andere Stelle deſſelben Juriſten, L. 49 eod. 10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.leſen, ſo würde es daraus vielleicht klar werden, warum die Verfaſſer derſelben den Ausdruck bald enger, bald wei - ter gebraucht haben.

Die Definition der actio, die der Juriſt Celſus auf - ſtellt(l)L 51 de O. et A. (44. 7.) Nihil aliud est actio, quam jus, quod sibi debeatur, judieio persequendi. Das deberi, im ſtrengen Sinn der alten Juriſten, bezeichnet die obligatio als Grund der Klage, und ſchließt alſo die Klage in rem aus. Judicio aber bezeichnet den Prozeß vor einem Judex, alſo den Gegenſatz der extraordinariae cognitiones. , und die mit geringer Abänderung in Juſtinians Inſtitutionen übergegangen iſt(m)pr. J. de act. (4. 6.) Actio autem nihil aliud est, quam jus persequendi judicio, quod sibi debetur. Die häufig vorkommende Variante in judicio können wir hier auf ſich beruhen laſſen, da ſie den Sinn gar nicht ändert., beſtimmt den Ausdruck in der engeren Bedeutung, ſo daß er blos die perſönlichen Klagen bezeichnet. Es würde aber, nach den angeführten Gründen, unrichtig ſeyn, hieraus ſchließen zu wollen, daß zur Zeit des Celſus dieſer engere Sprachgebrauch aus - ſchließend angewendet worden wäre. Noch irriger jedoch wäre es, die Aufnahme dieſer Stelle in die Inſtitutionen ſo aufzufaſſen, als wollte dadurch Juſtinian die engere Bedeutung für die wahre und richtige erklären; dieſer Annahme würde ſchon die unmittelbar nachher folgende, mit Gajus übereinſtimmende, Eintheilung (in rem, in per - sonam) widerſprechen. Man kann es nicht einmal einen Fehler nennen, daß dieſe Definition an die Spitze des Inſtitutionentitels geſetzt worden iſt, da die außerdem ver - änderte Bedeutung der darin vorkommenden Worte jedem11§. 206. In personam, in rem actiones. an ſich möglichen Mißverſtändniß vorbeugt. Denn judi - cium heißt im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr der Pro - zeß vor einem Judex, ſondern jedes Gericht und jeder Rechtsſtreit überhaupt; und auch der Ausdruck quod sibi debetur kann in dieſem Zuſammenhang füglich von Allem, was man zu erwarten und zu verlangen hat, verſtanden werden, ohne ausſchließende Beziehung auf eine Obligation als Grund des Verlangens.

Bisher iſt der verſchiedene Sprachgebrauch als bloße Thatſache nachgewieſen worden. Der Grund deſſelben liegt darin, daß lange Zeit überhaupt keine andere Klagen vor - kamen, als in personam, in welcher Zeit auch der Name actio mit dieſen identiſch ſeyn mußte. Als ſpäterhin auch eigene Klagen in rem eingeführt wurden, gebrauchte man für dieſe zuerſt den unterſcheidenden Namen petitio, bis man es gerathener fand, den Ausdruck actio ſo auszudeh - nen, daß beiderley Klagen als Arten unter einen gemein - ſchaftlichen Gattungsbegriff zuſammen gefaßt werden konn - ten. Dieſer hiſtoriſche Zuſammenhang kann erſt in Ver - bindung mit der nun folgenden Eintheilung der Klagen nachgewieſen werden.

§. 206. Arten der Klagen. In personam, in rem.

Die Arten der Klagen, deren genaue Unterſcheidung allein im Stande iſt, der in dieſer Lehre häufig wahrzu - nehmenden Verworrenheit abzuhelfen, haben eine verſchie -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dene Natur, je nach den Eintheilungsgründen, worauf der Gegenſatz derſelben beruht. Einige beziehen ſich auf das innere Weſen der Klagen ſelbſt, das heißt auf ihre Ver - bindung mit den dadurch zu ſchützenden Rechten: dieſe ſind nicht nur für das Verſtändniß der Rechtsquellen, ſondern auch für die Einſicht in das heutige Rechtsſyſtem wichtig. Andere beziehen ſich auf die Römiſche Prozeßform, und haben deshalb eine mehr hiſtoriſche Natur; in dem heuti - gen Rechtsſyſtem haben ſie kein lebendiges Daſeyn, ohne ihre Kenntniß, ſind aber unſre Rechtsquellen nicht zu ver - ſtehen, und es iſt aus dieſem Grunde räthlich, bei mehre - ren dieſer Eintheilungen auch die auf ſie bezüglichen Kunſt - ausdrücke fortwährend in Uebung zu erhalten (§ 224). Es darf jedoch dieſer Unterſchied nicht zu abſolut aufgefaßt werden, indem es in der erſten Klaſſe von Eintheilungen an hiſtoriſchen Beziehungen, in der zweiten an praktiſchen, nicht gänzlich fehlt, ſo daß der Unterſchied dieſer Klaſſen ſelbſt nur auf dem in jeder derſelben überwiegenden Ele - ment beruht.

Die wichtigſte Eintheilung der Klagen nach ihrem in - neren Weſen iſt die: in personam, in rem actio. Dieſe Eintheilung wird in der ausführlichſten Stelle, die wir darüber beſitzen, in folgenden Worten vorgetragen(a)Dieſe Stelle iſt nicht aus den Inſtitutionen des Gajus ge - nommen, wir kennen auch keine andere Stelle eines alten Juriſten, woraus ſie herſtammt. Dennoch würde es ganz irrig ſeyn, ihre Ab - faſſung deshalb den Compilatoren zuzuſchreiben. Daß ſie in der That von einem alten Juriſten herrührt, iſt nach mehreren Ausdrücken un -.

13§. 206. In personam, in rem actiones.
  • § 1 I. de actionibus. (4. 6.) Omnium actionum, quibus inter aliquos apud judi - ces arbitrosve de quacunque re quaeritur, summa divisio in duo genera deducitur: aut enim in rem sunt, aut in personam. Namque agit unusquisque aut cum eo qui ei obligatus est, vel ex contractu vel ex maleficio, quo casu proditae sunt actiones in personam, per quas intendit adversarium ei dare aut facere oportere et aliis quibusdam modis: aut cum eo agit qui nullo jure ei obligatus est, movet tamen alicui de aliqua re controversiam: quo casu proditae actiones in rem sunt, veluti si rem corporalem pos - sideat quis, quam Titius suam esse affirmet, et pos - sessor dominum se esse dicat: nam si Titius suam esse intendat, in rem actio est.

In dieſer merkwürdigen Stelle ſind folgende einzelne Sätze enthalten. Zuerſt wird die Eintheilung für eine all - gemeine, alle Klagen umfaſſende (omnium actionum summa divisio) erklärt, ſo daß alſo keine Klage anzunehmen iſt, die nicht entweder der einen oder der andern Art zuzurech - nen wäre. Ferner bezeichnen dieſe Ausdrücke gleichmäßig(a)verkennbar. Denn wie hätten Ju - ſtinians Juriſten darauf kommen ſollen, in einer neu verfaßten Stelle zu ſagen: apud judices arbi - trosve, oder die intentio: dare facere oportere, und suam rem esse zu erwähnen, in einer Zeit worin die Obrigkeit keine judices mehr ernannte und alſo auch keine formula mit einer intentio mehr vorkam. Daß ſolche Ausdrücke aus einem alten Juriſten mit abge - ſchrieben wurden, erſchien hier den Compilatoren ſo wenig anſtößig, wie in unzähligen anderen Stellen.14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.generiſche, alſo unter einander gleichartige Begriffe, ſo daß nicht blos ſcheinbar, in Folge einer zufälligen, unge - nauen Ausdrucksweiſe, ſondern in der That, von zwei Ar - ten derſelben Gattung die Rede iſt. Endlich wird der Ge - genſatz beider Arten dahin beſtimmt: in personam heißt die zum Schutz einer obligatio, in rem die zum Schutz irgend eines anderen, außer den Gränzen der obligationes liegen - den, Rechts eingeführte Klage.

Mit dieſer Erklärung ſtimmt nun im Weſentlichen über - ein die, allerdings viel kürzere, Stelle des Gajus.

  • Gajus IV § 1. 2. 3. (Si quaeramus) quot genera ac - tionum sint, verius videtur duo esse, in rem et in personam. .... In personam actio est, quotiens cum aliquo agimus, qui nobis vel ex contractu, vel ex delicto obligatus est, id est cum intendimus dare, facere, praestare oportere. In rem actio est, cum aut corporalem rem intendimus nostram esse, aut jus aliquod nobis competere

Auch hier wird die Eintheilung als eine allgemeine vorgetragen, weshalb noch beſonders im § 1 dagegen ge - warnt wird, dieſe genera actionum nicht mit einzelnen speeies zu verwechſeln. Beide Ausdrücke bezeichnen auch hier wahrhaft generiſche Begriffe, eigentliche Eintheilungs - glieder, womit noch mehrere andere Stellen des Gajus übereinſtimmen(b)Gajus IV § 17. 100. 106. 107.. Endlich wird die Gränze beider Ar - ten völlig eben ſo, wie bei Juſtinian, beſtimmt.

15§. 206. In personam, in rem actiones.

Ganz auf ähnliche Weiſe redet Ulpian.

  • L. 25 pr. de O. et A. (44. 7.). Actionum genera sunt duo: in rem, quae dicitur vindicatio, et in personam, quae condictio appellatur.

Außerdem aber wird dieſelbe Eintheilung der Klagen in vielen anderen Stellen des Ulpian und des Paulus als bekannt vorausgeſetzt und auf vielfache Weiſe angewendet(c)Ulpian: L. 68 de R. V. (6. 1. ), L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3 ), L. 37 pr. de O. et A. (44. 7 ), L. 36 de V. S. (50. 16.). Paulus: L. 14 § 2 de except. rei jud. (44. 2.)..

Man könnte glauben, dieſe Natur der vorgetragenen Eintheilung ſei hier mit überflüſſiger Sorgfalt zu bewei - ſen geſucht worden, da dieſelbe ohnehin nicht bezweifelt werde; es iſt aber gerade deshalb geſchehen, weil ſie neu - erlich mit großem Aufwand von Scharfſinn beſtritten wor - den iſt(d)Duroi Bemerkungen S. 407. 409. 412. 423.. Im geraden Widerſpruch mit der gewöhnli - chen, auch von mir vorgetragenen, Lehre iſt nämlich fol - gende Anſicht aufgeſtellt worden. Urſprünglich ſollen die Ausdrücke in rem, in personam actio zwei ganz hetero - gene Begriffe bezeichnet haben: in rem eine einzelne Klage (die Eigenthumsklage), die nur auf einige andere einzelne Fälle nach und nach ausgedehnt worden ſey: in personam gleich Anfangs eine ganze Klaſſe von Klagen. Erſt Ju - ſtinian habe den Ausdrücken die Bedeutung von zwey ho - mogenen Klaſſen der Klagen, Eintheilungsgliedern des all - gemeinen Begriffs der Klage, untergelegt, und ſo ſey die ganze Eintheilung eigentlich erſt als ſein Werk anzuſehen. 16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Dieſe Behauptung wird widerlegt durch den eben ge - führten Beweis, daß die entſcheidende Stelle der Inſtitu - tionen aus einem alten Juriſten herrührt (Note a), und daß Gajus, Ulpian und Panlus die Begriffe ganz auf dieſelbe Weiſe auffaſſen, wie es in Juſtinians Inſtitutio - nen geſchieht. Erſt weiter unten aber wird es möglich ſeyn, das wahre Element in dieſer irrigen Meynung nach - zuweiſen, und dadurch den beygemiſchten Irrthum voll - ſtändiger zur Anſchauung zu bringen.

Als gleichbedeutender Ausdruck für in rem actio kommt vindicatio vor, bey Gajus, Ulpian, Juſtinian(e)Gajus IV § 5, L. 25 pr. de O. et A. (44. 7. ), § 15 J. de act. (4. 6.).. Für in personam actio bey Ulpian und Juſtinian condictio(f)L. 25 pr. de O. et A. (44. 7. ), § 15 J. de act. (4. 6.). Daß Gajus condictio mit in personam actio nicht gleichbedeu - tend nimmt, ſondern jenem Aus - druck eine weit engere Bedeutung beylegt, kann erſt weiter unten ge - zeigt werden. Vgl. Beylage XIV. Num. XXV. , bey Ulpian personalis actio(g)L. 3 § 3 ad exhib. (10. 4 ), L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3 ), L. 178 § 2 de V. S. (50. 16. ) Realis dagegen kommt nirgend vor, weder bey Juriſten, noch bey an - deren alten Schriftſtellern..

Beide Begriffe ſind nun noch genauer auf folgende Weiſe zu beſtimmen. Es kommt darauf an, ob vor dem vollſtändig eingeleiteten Rechtsſtreit (vor der Litiscon - teſtation) eine eigentliche Obligation wahrgenommen wird oder nicht; im erſten Fall iſt die Klage in personam, im zweyten in rem. Das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer Obligation vor der Verletzung iſt alſo nicht das ſtreng unterſcheidende Moment. So iſt zwar bey den Contracts -17§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)klagen eine Obligation nicht nur vor der Litisconteſtation, ſondern ſelbſt vor der Verletzung, vorhanden, dagegen bey den Delictsklagen vor der Verletzung noch nicht, weil hier die Verletzung mit der Entſtehung der Obligation zuſam - menfällt: und doch ſind dieſe beide Arten von Klagen personales. Bey dem Eigenthum dagegen erzeugt die bloße Verletzung an ſich ſchon ein obligationähnliches Verhältniß, aber keine wahre, eigentliche Obligation (§ 205), welche vielmehr erſt durch die Litisconteſtation entſteht: daher iſt die Eigenthumsklage in rem.

§. 207. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Um aber die umfaſſende Natur jener Eintheilung ge - gen jeden Widerſpruch ſicher zu ſtellen, iſt es nöthig, die - ſelbe auf die einzelnen Klaſſen von Rechten anzuwenden, indem die Klagen ſelbſt bereits als Modificationen der ihnen zum Grund liegenden Rechte dargeſtellt worden ſind.

Bey den Klagen in personam macht dieſe Anwendung am Wenigſten Schwierigkeit. Niemand zweifelt, daß dar - unter alle Klagen zum Schutz der Obligationen, und nur dieſe, zu verſtehen ſind.

Demnach müſſen die Klagen in rem, wenn überhaupt die Eintheilung erſchöpfend ſeyn ſoll, angewendet werden zum Schutz der Verhältniſſe des Sachenrechts, Erbrechts, Familienrechts(a)Ich ſage: des Familienrechts. Die Römer ſprechen von.

V. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Anwendung auf das Sachenrecht, alſo auf Eigen - thum und jura in re, erregt kein Bedenken; gerade von ſolchen Fällen ſind in den oben angeführten Stellen der Inſtitutionen und des Gajus die Beyſpiele der in rem actiones hergenommen. Dieſe Klagen werden auch als speciales in rem actiones bezeichnet.

Auch die Anwendung auf die Erbrechtsklage läßt kei - nem Zweifel Raum, da dieſelbe ausdrücklich als in rem actio bezeichnet wird(b)L. 27 § 3 de R. V. (6. 1 ) .. in hereditatis petitione, quae et ipsa in rem est L. 25 § 18 de her. pet. (5. 3 ) Petitio hereditatis, etsi in rem actio sit L. 49 eod. Der einzige Zweifel könnte hergenom - men werden aus der beſchränkten Natur des Beklagten. Davon wird noch weiter die Rede ſeyn. Übri - gens bezieht ſich dieſes nur auf die Klage aus dem Erbrecht ſelbſt; die daraus entſpringenden ſecundä - ren Rechtsverhältniſſe, wie Legate u. ſ. w., laſſen ſich ſtets auf ding - liche Rechte und Obligationen zu - rück führen, und werden durch die Klagen dieſer Rechtsverhältniſſe ge - ſchützt. Vgl. auch Beylage XIII. Num. IX. .

Dagegen wird den Klagen aus dem Familienrecht die Eigenſchaft von in rem actiones ſtreitig gemacht, und wenn ſie ihnen wirklich nicht zukäme, ſo würden wir ge - nöthigt ſeyn, die ganze Eintheilung für eine nicht völlig erſchöpfende zu halten.

Zwar nach der herrſchenden Meynung ſind auch die(a)quaestio de statu, und verſtehen darunter zwey mögliche Arten eines Rechtsſtreits: 1) über den ſtaats - rechtlichen Status, Freyheit und In - genuität 2) über den privatrechtli - chen, das heißt die Familie. Da wir aber im heutigen Recht jenen erſten nicht kennen, ſo iſt für uns, das heißt in dem Theil des R. R. den wir noch übrig haben, die sta - tus quaestio mit dem Streit über Familienverhältniſſe völlig identiſch, welches ich zur Rechtfertigung der in dieſem §. angewendeten Termi - nologie bemerke. Vgl. Band 2. Beyl. VI. Num. VI. und IX. 19§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Klagen aus Familienverhältniſſen in rem, und dieſe Mey - nung wurde früherhin durch folgende Stelle als völlig begründet angeſehen.

  • §. 13. J. de act. (4. 6.) Praejudiciales actiones in rem esse videntur, quales sunt, per quas quaeritur, an aliquis liber, vel liber - tus sit, vel de partu agnoscendo.

Praejudicialis actio, ſagte man, heißt, nach dem Zeug - niß dieſer Stelle ſelbſt, jede Klage über den Status, wo - hin unter andern auch alle Klagen aus dem Familienrecht gehören. Dieſe alle nun ſind, wie dieſelbe Stelle aus - drücklich ſagt, in rem. Was dagegen früher eingewen - det wurde, daß nicht geſagt werde sunt, ſondern esse vi - dentur, daß es alſo nur ſo ſcheine, daß den Präjudi - cialklagen nur einige Ähnlichkeit mit in rem actiones hier zugeſchrieben werde(c)Duroi observ. p. 21. dieſe Einwendung war ohne Grund, da der Ausdruck videtur regelmäßig nicht blos auf Schein oder Ähnlichkeit, ſondern auf poſitive Wirklichkeit geht(d)Vgl. die Stellen bei Dirksen manuale latinitatis p. 1000.. Wichtiger iſt allerdings der Um - ſtand, daß die urſprüngliche Bedeutung von praejudicium gar nicht auf den Gegenſtand der Klage, ſondern auf ihre prozeſſualiſche Faſſung zu beziehen iſt: es war eine for - mula mit bloßer intentio, ohne condemnatio, oft alſo eine blos proviſoriſche Maaßregel, um vorläufig das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes feſtzuſtellen, von welchem man2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in einem ſpäteren Rechtsſtreit Gebrauch machen wollte(e)Dieſes ſagt ſchon Theophi - lus in § 13 J. de act., allein es war eine unfruchtbare Notiz, ſo - lange wir die Beſtandtheile der formula und deren Zuſammenhang nicht kannten. Bey Gajus IV. § 44. 48 findet ſich nun nicht nur eine vollgültigere Beſtätigung, ſon - dern es iſt vorzüglich die Bedeu - tung jener Eigenthümlichkeit man - cher Klagen erſt klar geworden.. Dieſe Prozeßform wurde nun allerdings in allen Prozeſ - ſen über den Status angewendet, aber auch in manchen anderen Prozeſſen, und namentlich in ſolchen, deren Ge - genſtand Obligationen waren(f)Gajus III. § 123. IV. § 44. Paulus V. 9. § 1. L. 30 de reb. auct. jud. (42. 5.). Nicht da - hin gehört Gajus IV. § 94, denn dieſe sponsio hatte allerdings eine condemnatio, die aber nur eine bloße Formalität war nec tamen haec summa sponsionis exigi - tur. Es war alſo kein praeju - dicium, kam aber im Zweck und Erfolg mit einem ſolchen überein, und daher nennt es Gajus eine sponsio praejudicialis. . Aus dieſer Entdeckung hat man nun neuerlich ſchließen wollen, die angeführte Stelle der Inſtitutionen ſey eine Erfindung der Juriſten Juſtinians, und dem Römiſchen Recht eigentlich fremd(g)Düroi Bemerkungen S. 406 410, beſonders S. 409.; beide Stücke dieſer Behauptung aber können nicht zuge - geben werden. Zuvörderſt nämlich iſt es im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts völlig richtig zu ſagen, Präjudi - cialklagen ſind Klagen aus dem Status, da von den übri - gen Präjudicialklagen des älteren Rechts (quanta dos sit, an praedictum sit u. ſ. w.) keine einzige mehr vor - kommt(h)Daß einmal in den Dige - ſten ein ſolcher Fall genannt wird, (Note f), muß als eine blos an - tiquariſche Notiz betrachtet werden; denn Niemand wird behaupten, daß in unſrem Recht ein ſolcher Fall anders als jeder gewöhnliche Rechts - ſtreit behandelt werden dürfe.; wenigſtens im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts alſo wäre die gewöhnliche Erklärung jener Stelle der In -21§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)ſtitutionen richtig, und zugleich die Stelle ſelbſt tadellos: ſie enthielte nicht eine Entſtellung des älteren Rechts, ſon - dern eine angemeſſene Reduction deſſelben auf den im All - gemeinen veränderten Rechtszuſtand. Ich gehe aber noch weiter, und behaupte, daß ſelbſt im Sinn des älteren Rechts alle Präjudicien ohne Unterſchied in rem genannt werden konnten. In dieſer Allgemeinheit läßt ſich der Satz erſt weiter unten beweiſen (§. 209); allein in der beſonderen Anwendung auf die den Status betreffenden Präjudicien, auf welche allein es hier ankommt, fehlt es nicht an unmittelbaren Zeugniſſen, die ſchon hier meine Behauptung außer Zweifel ſetzen. Der Streit über Frey - heit wurde durch vindicatio in libertatem oder in servitu - tem geführt. Auf dem bloßen Schein einer ſolchen in li - bertatem vindicatio beruhte die ganze Freylaſſung per vindictam(i)Livius XLI. 9.. Eben ſo konnte die legitima tutela über Frauen durch in jure cessio übertragen werden(k)Gajus I. § 168. Ulpian. XI. § 6 8. XIX. § 11.; da nun die in jure cessio überhaupt eine ſymboliſche Vindi - cation war(l)Gajus II. § 24. Ulpian. XIX. § 9. 10., ſo iſt dadurch die Vindicationsform auch für jene Art der Tutel erwieſen. Ja ſelbſt der Rechts - ſtreit über das Daſeyn einer väterlichen Gewalt konnte in der feyerlichen Form einer vindicatio ex jure quiritium geführt werden(m)L. 1 § 2 de R. V. (6. 1.). Ich verſtehe die ſchwierige Stelle ſo, daß bey dem Streit über Pa - ternität das praejudicium, wel - ches nach meiner Anſicht ſtets in rem war, in verſchiedenen Formen gebraucht werden konnte, ähnlich. Und eben ſo beruhte die feyerliche22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Form der Adoption unter andern auf einer in jure cessio, wobey der Adoptivvater die väterliche Gewalt als ſchon vorhanden durch Vindication in Anſpruch nahm(n)Gajus I. § 134 is qui adoptat vindicat apud Praeto - rem filium suum esse. .

Sind nun, wie hier dargethan worden iſt, in rem alle Klagen aus dem Sachenrecht, Erbrecht, Familien - recht, ſo iſt der früher ſehr verbreitete Sprachgebrauch zu verwerfen, welcher jene Benennung auf die Klagen aus dem Sachenrecht beſchränkt, durch welche Beſchränkung wiederum die ganze Eintheilung aufhören würde, eine all - gemeine, alle Klagen umfaſſende, zu ſeyn. Jener irrige Sprachgebrauch wurde begünſtigt durch eine täuſchende Übereinſtimmung von Kunſtausdrücken, die man aber frey - lich theilweiſe erſt ſelbſt geſchaffen hatte, unbekümmert um den aus den Rechtsquellen zu erweiſenden Sprachgebrauch. (m)den verſchiedenen Formen der Eigen - thumsklage (Gajus IV. § 91 95.). Wählte man die feyerlichere Form einer vindicatio ex jure quiri - tium, ſo erhielt dann die Klage eine wörtliche Gleichheit mit der Eigenthumsklage, und darauf geht der Ausdruck: per hanc autem actionem liberae personae non petuntur nisi forte .. adjecta causa quis vindicet. Dieſe feyerlichere Form wurde viel - leicht angewendet, wenn man es vorzog, vor den Centumvirn zu kla - gen. Doch wäre es auch möglich, daß die hier erwähnte vindicatio des Sohnes nicht von der feyer - licheren Form des ernſtlichen Rechts - ſtreits, ſondern vielmehr von der ſymboliſchen Anwendung deſſelben bey der Adoption (Note n) ver - ſtanden werden ſollte. Uebrigens iſt es wahrſcheinlich, daß dieſe Stelle hauptſächlich durch Interpolationen und Weglaſſungen ſo ſchwierig iſt; aber die vindicatio ex lege qui - ritium iſt gewiß nicht von den Compilatoren erfunden, wiewohl ſie lege anſtatt jure geſetzt haben mögen, ſo wie vorher jure Roma - no anſtatt jure quiritium, viel - leicht nur in der Abſicht, um das Andenken an die proſcribirte For - mel ex jure quiritium überall auszutilgen.23§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Man nannte nämlich das Sachenrecht (als Theil der Rechtswiſſenſchaft) jus in rem, und belegte zugleich jedes einzelne dingliche Recht mit demſelben Namen. Eben ſo nannte man das Obligationenrecht im Ganzen, desgleichen jede einzelne Forderung, jus in personam. Indem man nun dieſe erfundenen Kunſtausdrücke mit den quellenmäßi - gen willkührlich in Verbindung ſetzte, lag es allerdings ſehr nahe, den ganzen Zuſammenhang ſo zu faſſen: dem jus in rem entſpricht die actio in rem, dem jus in perso - nam die actio in personam. Es zeigt ſich alſo auch hier die mit der willkührlichen Wortbildung verknüpfte Gefahr recht augenſcheinlich(o)Vgl. Band 1. S. XLIII. der Vorrede. Aus den hier an - gegebenen Gründen iſt es denn auch räthlich, den von Manchen gebrauchten Ausdruck dingliche Klage (für in rem actio) zu vermeiden, da er ſehr natürlich dahin führt, einer ſo bezeichneten Klage denſelben beſchränkten Um - fang wie den dinglichen Rechten (Eigenthum und jura in re) an - zuweiſen. Der Ausdruck perſön - liche Klage iſt tadellos, da er dem Römiſchen Namen personalis actio vollkommen entſpricht, und in der Sache keinem Misverſtänd - niß Raum giebt..

§. 208. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Mit der hier erklärten Eintheilung der Klagen, ſo wie mit der Bezeichnung derſelben, ſteht in der Regel auch noch der Umſtand in Verbindung, daß die perſönliche Klage nur gegen einen beſtimmten und bekannten Gegner, die Klage in rem gegen einen unbeſtimmten, unbekannten ge - richtet iſt. (§ 56. f.). Der Sinn dieſer Unterſcheidung aber24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geht dahin, daß bey der erſten Klaſſe von Klagen ſchon vor der Verletzung die Perſon des allein möglichen Ver - letzers und Beklagten, nämlich des Schuldners, beſtimmt und bekannt iſt, anſtatt daß bey den Klagen in rem ur - ſprünglich jeder Menſch der Verletzung, die eine ſolche Klage veranlaſſen kann, fähig iſt, ſo daß dieſe Unbeſtimmt - heit in der Perſon des Beklagten erſt durch die wirklich eingetretene Verletzung aufgehoben wird. Auch in ande - ren Anwendungen, als bey den Klagen, werden die Aus - drücke in personam und in rem gebraucht, um die Rich - tung eines Rechtsgeſchäfts oder einer Rede auf eine be - ſtimmte Perſon auszudrücken oder zu verneinen(a)Pactum in rem. L. 7 § 8 L. 57 § 1 de pactis (2. 14.). Nunciatio in rem fit. L. 10 de O. n. n. (39. 1.). Praetor in rem loquitur, edictum in rem scriptum est. L. 9 § 1 quod metus (4. 2 ), L. 5 § 3 quibus ex causis (42. 4.). Der Aus - druck in rem bezeichnet alſo das Unperſönliche. So kann man auch von einer intentio in rem oder in personam concepta ſpre - chen, je nachdem darin die Perſon des Gegners ausgedrückt iſt oder nicht; man muß dann ſagen, jede in rem actio habe eine in rem concepta intentio, aber eine in personam actio könne nach Um - ſtänden bald in personam, bald in rem concepta intentio haben. Jedoch gilt Dieſes nur von den prätoriſchen Klagen. L. 1 § 3 de interd. (43. 1 ), L. 5 § 13 quod vi (43. 24.). Bey den Ci - vilklagen war die Natur der Klage ſtets aus der Faſſung der Formel unmittelbar zu erkennen. Vgl. un - ten § 216. w. .

Allein das Zuſammentreffen dieſes Gegenſatzes mit dem der beiden Arten von Klagen iſt keinesweges allgemein, und es darf davon nur mit Vorſicht Anwendung gemacht werden. So giebt es auf der einen Seite mehrere per - ſönliche Klagen, die dennoch gegen einen unbeſtimmten Gegner, namentlich gegen jeden Beſitzer einer Sache, ge -25§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)richtet werden können, ganz wie es in der Regel nur bey den in rem actiones der Fall iſt. Dahin gehört die aus einem erzwungenen Rechtsgeſchäft entſpringende Forderung des Gezwungenen auf Herſtellung ſeines früheren Zuſtan - des; ſowohl die Klage, als die Exception zu dieſem Zweck wirkt gegen jeden Beſitzer, und es wird zuweilen dieſe Eigenthümlichkeit durch den Ausdruck actio und exceptio in rem scripta bezeichnet(b)L. 9 § 8 quod metus (4. 2 ), L. 4 § 33 de doli exc. (44. 2.). Es iſt nicht richtig, den Ausdruck in rem scripta actio als eigentlichen, durchgehenden Kunſtausdruck zu betrachten. Vgl. Düroi Bemerkungen S. 410 412., welches der oben erwähnten Ausdrucksweiſe ganz entſpricht (Note a); dennoch iſt die Klage ſelbſt durchaus in personam(c)Wenn es der Beſchädigte bedarf, ſo kann er durch prätori - ſche Reſtitution auch das verlorne Eigenthum unmittelbar wieder er - halten, alſo eine wahre in rem actio; dieſe wird aber von der außerdem geltenden actio quod metus genau unterſchieden, wo - durch eben die perſönliche Natur dieſer lezten ganz außer Zweifel geſezt wird. L. 9 § 4. 6 quod me - tus (4. 2 ), L. 3 C. eod. (2. 20.).. Eine gleiche Natur hat die actio ad exhibendum, anwendbar gegen Jeden, der zufällig in der Lage iſt, die Sache exhibiren zu können, obgleich auch ſie ausdrücklich als perſönliche Klage bezeichnet wird(d)L. 3 § 3. 15 ad exhib. (10. 4.).. Eben ſo iſt die actio aquae pluviae perſönlich, und geht dennoch (mit einiger Beſchrän - kung) gegen jeden Beſitzer; auf dieſelbe Weiſe auch das Interdict quod vi(e)L. 6 § 5 L. 12 de aqua pluv. (39 3.) L. 5 § 13 L. 7 pr. § 1 quod vi (43. 24.). . Die Noxalklagen entſpringen aus Delicten, alſo aus Obligationen, und können dennoch gegen Jeden angeſtellt werden, der irgend einmal das26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eigenthum des Sklaven erwirbt, nach der Regel: noxa caput sequitur(f)§ 5 J. de noxal. act. (4. 8.).. Eben ſo auch die Klage aus den von Thieren zugefügten Beſchädigungen(g)L. 1 § 12 si quadr. (9. 1.).. Das Interdict quod legatorum iſt perſönlich, wie alle Interdicte, und geht dennoch gegen jeden Beſitzer der Sache, die der Le - gatar eigenmächtig in Beſitz genommen hat(h)L. 1 § 13 quod leg. (43. 3), verglichen mit L. 1 § 3 de interd. (43. 1.).. Auch die Klage auf Steuerreſte geht gegen jeden ſpäteren Be - ſitzer des ſteuerpflichtigen Grundſtücks(i)L. 7 pr. de publicanis (39. 4.)..

Auf der andern Seite aber giebt es auch einige in rem actiones, die nur gegen beſtimmte, einzelne Perſonen angeſtellt werden können. Dahin gehört vor Allem die hereditatis petitio, die nicht ſo, wie die Eigenthumsklage, gegen jeden Beſitzer, ſondern nur gegen Denjenigen ange - ſtellt werden kann, der entweder pro herede oder pro pos - sessore beſitzt(k)L. 9. 10. 11 de her. pet. (5. 3.).. Wenn ein inſolventer Schuldner ſeine Glaubiger durch unredliche Veräußerungen in Nach - theil bringt, ſo geht gegen den Erwerber der ſo veräußer - ten Sachen die Pauliana actio nur dann, wenn er ent - weder an jener Unredlichkeit Antheil genommen, oder durch Schenkung erworben hat(l)L. 6 § 8. 11 L. 10 pr. § 2 quae in fraud. (42. 8.).. Dieſe Klage iſt per - ſönlich(m)L. 38 pr. § 4 de usuris (22. 1.)., ſie kann aber nach Bedürfniß, eben ſo wie die aus dem Zwang entſpringende Klage (Note c), durch27§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Reſtitution zu einer in rem actio erhoben werden(n)L. 10 § 22 quae in fraud. (42. 8.). Hieraus iſt zu erklären der § 6 J. de act. (4. 6), durch deſſen zu allgemeinen Ausdruck man verleitet werden könnte, die Pau - liana in allen Fällen für eine Klage in rem zu halten, und wohl gar die Beſchränkung in der Perſon des Beklagten zu negiren, im Wi - derſpruch mit den in den Noten l und m angeführten Stellen. Die Einſchränkung der Stelle auf den beſonderen Fall einer Reſtitution wird außerdem gerechtfertigt theils durch die Worte rescissa tradi - tione, theils durch den Rückblick auf den unmittelbar vorhergehen - den § 5, der gleichfalls eine auf Reſtitution gegründete in rem actio erwähnt, und dabey auch den Ausdruck rescissa usucapio - ne gebraucht. Vgl. Vinnius ad § 6 cit., ibique Heineccius. Das Intereſſe des Klägers bey der in rem actio, in Vergleichung mit der in personam, kann darin be - ſtehen, daß der Erwerber, der durch ſeinen Dolus oder durch den Schenkungstitel der Pauliana un - terworfen iſt, ſelbſt wieder in Con - curs gerathen ſeyn kann, in wel - chem Fall vielleicht die perſönliche Klage gegen ihn fruchtlos ſeyn würde.. Da ſie jedoch auch in dieſem Fall nur gegen die erwähnten beſtimmten Perſonen angeſtellt werden kann, ſo iſt auch darin eine auf einen individuellen Beklagten eingeſchränkte Klage in rem enthalten(o)Man könnte eine Klage ſolcher Art: in rem actio in personam scripta nennen, was ich jedoch nicht ſage, um dieſen nicht quellenmäßigen, auch ganz entbehrlichen, Ausdruck zu empfeh - len, ſondern nur um den Zuſam - menhang dieſer Art von Klagen mit der vorher erwähnten Art (der personalis in rem scripta) an - ſchaulicher zu machen.. Die Ehefrau hat auf Rück - forderung der Dos, nach Juſtinians Vorſchrift, eine Vin - dication, welche jedoch, der richtigeren Meynung nach, nur gegen den Mann ſelbſt, nicht gegen einen dritten Er - werber angeſtellt werden kann(p)L. 30 C. de j. dot. (5. 12 ) Si tamen exstant. Die ge - nauere Ausführung dieſes Satzes gehört an einen anderen Ort..

Es iſt indeſſen nicht zu verkennen, daß ſowohl die Be - ziehung der perſönlichen Klagen auf unbeſtimmte, als die28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beſchränkung der Klagen in rem auf beſtimmte Gegner, nur als Ausnahmen zu betrachten ſind. Wo alſo bey einzelnen Klagen der Grund einer ſolchen Ausnahme nicht beſonders nachgewieſen werden kann, da bleibt es bey der Regel, nach welcher die Klagen gegen beſtimmte oder un - beſtimmte Gegner angeſtellt werden können, je nachdem ſie in personam oder in rem ſind.

§. 209. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Die umfaſſende Eintheilung der Klagen, in personam und in rem, iſt bis jetzt nicht nur für das Juſtinianiſche Recht nachgewieſen, ſondern auch bis auf die Zeit des Gajus zurückgeführt worden. Es iſt aber nöthig, in eine noch frühere Zeit hinauf zu gehen, und die allmälige Ent - wicklung dieſer Begriffe darzulegen, um die irrige Auffaſ - ſung dieſes Gegenſtandes, die in einzelnen Anwendungen ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 207), vollſtändig zu be - ſeitigen.

Während der Herrſchaft der alten Legis actiones war der Unterſchied jener beiden Arten der Klagen völlig an - erkannt und durch beſondere Prozeßformen ausgedrückt. Jede in rem actio wurde nämlich mit einem ſymboliſchen Verfahren, den manus consertae, eröffnet, auf welches dann die Ernennung eines Judex und das Verfahren vor demſelben folgte. Die in personam actio fieng gleich mit der Ernennung des Judex an, und beſtand alſo aus dem -29§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)jenigen Verfahren allein, welches bey der in rem actio die zweyte Hälfte des Ganzen bildete(a)Gajus IV. § 16. 17. In den verſtümmelten vorhergehenden Sätzen hatte er von der Behand - lung der in personam actio ge - ſprochen, dann fährt er hier ſo fort: Si in rem agebatur, mo - bilia quidem et moventia .. in jure vindicabantur ad hunc modum (nun folgt die Beſchrei - bung der manus consertae) .. deinde sequebantur quaecunque (si) in personam ageretur . Man kann da - her ſagen, daß damals die Klagen mit und ohne manus consertae genau daſſelbe waren, was ſpäterhin in rem und in personam actiones genannt wurde.

Dieſe Prozeßform erhielt ſich in den Centumviralſa - chen bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswiſſenſchaft; für alle übrige Prozeſſe wurde ſie durch einige Volksſchlüſſe aufgehoben, ſo daß nun der Prozeß per formulas an ihre Stelle trat (§ 205. b.). Es ſcheint, daß in dieſem zuerſt gar keine Klagen in rem vorkamen, indem man jedem Streit, der dazu hätte führen müſſen, durch erzwungene Sponſionen den Character einer Contractsklage beylegte. Das praktiſche Bedürfniß ſcheint aber zuerſt bey dem Ei - genthum darauf geführt zu haben, daß man dem Kläger die Wahl ließ, ob er dieſen umſtändlicheren Sponſionen - prozeß führen, oder in einfacherer Weiſe gleich unmittel - bar auf die Anerkennung des Eigenthums klagen wollte. Dieſes geſchah durch die petitoria formula (die in Juſti - nians Rechtsbüchern gewöhnlich rei vindicatio heißt) mit der intentio: rem suam esse, mit oder ohne ex jure qui - ritium. Dieſen Zuſtand der Sache ſtellt uns ſehr deutlich30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Gajus dar(b)Gajus IV. § 91 95. Es gab zweyerley Eigenthumsklagen per formulas, und außerdem noch die Sacramenti legis actio vor den Centumvirn., er war aber entſchieden ſchon zur Zeit des Cicero vorhanden, welcher ein Beyſpiel dieſer petito - ria formula, ganz mit Gajus übereinſtimmend, anführt(c)Cicero in Verrem II. 12 L. Octavius judex esto: Si paret, fundum Capenatem, quo de agitur, ex jure quiritium P. Servilii esse, neque is fun - dus Q. Catulo restituetur: non necesse erit L. Octavio judici cogere P. Servilium Q. Catulo fundum restituere, aut condem - nare eum quem non oporteat? Offenbar wählt hier Cicero eine hergebrachte, allgemein anerkannte Klagformel, und was er daran als ſchreyende Ungerechtigkeit her - vorhebt, beſteht nur darin, daß nach dieſer Faſſung die Reſtitution des Grundſtücks an eine andere Perſon, als den vorher bezeichne - ten Eigenthümer geſchehen müßte.. Dadurch war eine einzelne in rem actio in den Formular - prozeß eingeführt, ſo daß man damals ſagen konnte, in rem actio ſey der individuelle Name der Eigenthumsklage, in personam actio die generiſche Bezeichnung aller übrigen Klagen überhaupt. Der in dieſer Zeit ſo gebildete Sprach - gebrauch hat ſich, wie es zu geſchehen pflegt, theilweiſe noch in ſpäterer Zeit erhalten, ſo daß nicht ſelten in rem actio als individueller Name von ſolchen Schriftſtellern gebraucht wird(d)So geſchieht es von Ga - jus (IV. 51. 91. 86. 87 ), Ulpian (L. 1 § 1 de R. V. 6. 1 ), Pau - lus (L. 23 pr. eod.). Eben ſo in vielen Stellen des tit. Dig. de R. V. (6. 1.). Dagegen darf nicht hieraus erklärt werden L. 25 pr. de O. et A. (44. 7 ) In rem actio est per quam rem nostram, quae ab alio possidetur, petimus. Denn da dieſe Worte unmittelbar hinter der Eintheilung der actiones in duo genera ſtehen (ſ. o. § 206), ſo iſt offenbar jener Satz nicht Defini - tion der in rem actio, ſondern nur erläuterndes Beyſpiel für den aufgeſtellten generiſchen Begriff. Auch würde ja ſonſt in dieſen Worten Ulpian ſelbſt der confes - soria den Character einer in rem actio abſprechen., die außerdem den Ausdruck als Be -31§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)zeichnung einer ganzen Klaſſe von Klagen, gegenüberſtehend der Klaſſe der in personam actiones, kennen und gebrauchen (§ 206). Daſſelbe Bedürfniß aber führte dahin, die peti - toria formula auch auf Rechte außer dem Eigenthum an - zuwenden, bey welchen man ſich bis dahin mit den um - ſtändlicheren Sponſionen behelfen mochte, und dadurch zu - erſt wurde der Ausdruck in rem actio zu einer generiſchen Bezeichnung, gleichartig dem Ausdruck in personam actio; erſt ſeit dieſer Zeit konnte man ſagen, wie es Gajus aus - drücklich thut: duo genera esse actionum, in rem et in personam (§ 206). So iſt die Klage, die wir confessoria nennen, in der That Nichts als die petitoria formula für die Servituten, ſo wie unſere hereditatis petitio die peti - toria formula für das Erbrecht. Für dieſe lezte können wir zufällig nachweiſen, daß ſie ſpäter als die bey dem Eigenthum anerkannt worden iſt, denn Cicero, der die pe - titoria formula für das Eigenthum wohl kennt (Note c), ſagt bey dem Erbrecht ausdrücklich, es gebe dafür nur zwey Klagformen, vor den Centumvirn, und durch Spon - ſion(e)Cicero in Verrem I. 45 Si quis testamento se heredem esse arbitraretur, quod cum non exstaret, lege ageret in hereditatem, aut, pro praede litis vindiciarum cum satis ac - cepisset, sponsionem faceret, ita de hereditate certaret. Hier ſind alſo von den drey Klag - formen, die Gajus für das Eigen - thum aufſtellt (Note b), nur zwey für das ſtreitige Erbrecht als mög - lich angegeben, da doch bey dem Eigenthum derſelbe Cicero (Note c) auch die dritte, die petitoria for - mula, als gültig vorausſezt.. Dieſe Ausdehnung der neuen Klagform ge - ſchah nicht plötzlich, ſondern allmälig und ſchrittweiſe, bald32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.für dieſe bald für jene einzelne Klage. Als Vermittlung diente dabey der unbehülfliche, an ſich ganz entbehrliche, Ausdruck res incorporalis(f)Ich ſage nicht, daß dieſer Ausdruck zu dem erwähnten Zweck erfunden worden iſt; das kann ſchon deswegen nicht angenommen werden, weil dieſer Ausdruck auch die Obligationen umfaßt, alſo über die Anwendung auf die Vin - dication unkörperlicher Sachen weit hinaus reicht. Die Kritik des Begriffs der unkörperlichen Sachen gehört übrigens nicht hier - her, wird aber im vierten Buch angeſtellt werden.; denn indem man die Ser - vituten und Erbſchaften als ſolche res incorporales be - zeichnete, fand man kein Bedenken, darauf dieſelbe vindi - catio anzuwenden, die bey der res corporalis bereits an - erkannt war: die Ausdrücke in der Formel konnten dieſel - ben bleiben, da die Servituten und das Erbrecht eben ſowohl dem alten, ſtrengen Civilrecht angehörten, als das Eigenthum(g)Bey dem Eigenthum hieß die intentio: rem suam esse (Gajus IV. § 92), zum Beyſpiel fundum Servilii esse (Note c); hier hieß es: jus nostrum esse (Gajus IV. § 3), oder heredita - tem nostram esse. . In anderen Fällen wurde die Vermitt - lung durch eine utilis actio, das heißt durch die in der Formel ſelbſt ausgedrückte Fiction des Eigenthums, be - wirkt(h)So z. B. die Formel der Publicianiſchen Klage. Gajus IV. § 36.. Als aber die Klagen ſolcher Art, in Folge an - erkannter praktiſcher Bedürfniſſe, immer zahlreicher und mannichfaltiger wurden, gab man zulezt dieſen mühſamen und umſtändlichen Verſuch, die individuelle Eigenthums - klage auf andere individuelle Fälle durch Mittelbegriffe anzuwenden, auf, und ſo entſtand unvermerkt der generi - ſche Begriff der in rem actiones, dem alten gleichfalls ge -33§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)neriſchen Begriff der in personam actiones völlig coordi - nirt. Nicht nur können wir aus Mangel an Nachrichten die Geſchichte dieſer Entwicklung der Begriffe nicht genau verfolgen, ſondern es iſt auch zuverläſſig niemals eine ſichtbare Veränderung mit ſcharfer Zeitgränze eingetreten, vielmehr wird die ältere Weiſe der Auffaſſung und des Ausdrucks neben der neueren noch geraume Zeit fortge - dauert haben. Da aber die ältere, verwickeltere Auffaſ - ſung mit der wörtlichen Faſſung der formulae zuſammen - hieng, ſo mußte die Abſchaffung des Formularprozeſſes dazu beytragen, Dasjenige zu vertilgen, was davon da - mals etwa noch in lebendiger Üebung erhalten ſeyn mochte.

Wir finden die neuere Art der Auffaſſung und des Ausdrucks am vollſtändigſten ausgebildet in der oben mit - getheilten Stelle der Inſtitutionen Juſtinians (§ 206); dieſe aber kann unverändert aus einem alten Juriſten (vielleicht aus den res quotidianae des Gajus) genommen ſeyn, wenigſtens haben wir durchaus keinen Grund, dieſe Annahme zu verneinen. Selbſt aber wenn ſie in ihrer gegenwärtigen Faſſung von Juſtinians Juriſten herrührte, würde es ganz einſeitig ſeyn, ihren Inhalt in Vergleichung mit älteren Stellen herab zu ſetzen: eben ſo einſeitig aber wenn derjenige welcher ihren Inhalt vorzüglicher fände, deshalb (im Widerſpruch mit aller Analogie) die Einſicht ihres Urhebers höher ſtellen wollte, als die Einſicht Ulpians und ſeiner Zeitgenoſſen. Denn es ſtehen hier nicht etwa individuelle Einſichten und Meynungen einander gegenüber,V. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und wenn wir in der That einem Ausſpruch aus Inſti - nians Zeit den Vorzug geben müßten, ſo wäre dieſer Fort - ſchritt nicht aus einer höheren geiſtigen Bildung des Ver - faſſers zu erklären, ſondern nur aus der dieſen Rechtsver - hältniſſen ſelbſt inwohnenden fortbildenden Kraft, deren natürliches Erzeugniß in jenem neueren Ausſpruch nur ſeinen einfachen, unverkünſtelten Ausdruck gefunden hätte.

Ich habe dieſe ausführliche Erörterung nöthig gefun - den mit Rückſicht auf die abweichende Anſicht eines neu - eren Schriftſtellers, welche durch den darauf verwendeten Scharfſinn, und durch einen Schein kritiſcher Herſtellung der reinen Roͤmiſchen Begriffe leicht täuſchen könnte(i)Duroi observ. p. 32 35 p. 49 62. Düroi Bemerkungen, beſonders S. 253. 261. 280. 412. fg.. Derſelbe nimmt gleiche hiſtoriſche Grundlagen an, wie die hier aufgeſtellten; den Zuſtand des Uebergangs der Pro - zeßformen, und der Nothhülfe für praktiſche Bedürfniſſe in einzelnen Fällen, fixirt er als höchſte, unabänderliche Vollen - dung des Römiſchen Klagenrechts; den einfachſten und befrie - digendſten Ausdruck, den wir in Juſtinians Inſtitutionen finden, behandelt er als eine willkührliche Corruption des wahren Römiſchen Rechts, welche wir eigentlich zu igno - riren hätten. Selbſt als blos hiſtoriſche Darſtellung des Klagenrechts müßte ich dieſe Anſicht für einſeitig und un - wahr erklären; völlig verwerflich aber iſt der praktiſche Gebrauch, der davon gemacht wird. Die zur Zeit der alten Juriſten verſuchten individuellen Ausdehnungen der35§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Eigenthumsklage werden hier auf beſtimmte Klaſſen zu - rückgeführt, und deren ſehr zufällige hiſtoriſche Eigenthüm - lichkeit wird hier mit einer ſo unzerſtörbaren Lebenskraft verſehen, daß ſelbſt germaniſche Rechtsinſtitute nach die - ſem Typus behandelt werden ſollen. So ſoll das Prin - cip der Römiſchen Vindication unkörperlicher Sachen auf die germaniſchen Reallaſten, das Princip der utilis vindi - catio auf die Lehen und Bauergüter angewendet werden)(k)Düroi Bemerkungen S. 292 295. 386 fg. 418. Nicht blos in Anwendung auf die dem R. R. fremden Inſtitute zeigt ſich jene Grundanſicht verwerflich, ſondern auch in Anwendung auf die Inſtitute des R. R. ſelbſt. Weil nämlich die confessoria als vindicatio der res incorporalis aufgefaßt wird, ſo wird behaup - tet, dieſe Klage ſey nicht etwa ein Schutzmittel für die in der Ser - vitut enthaltenen Befugniſſe gegen jeden Verletzer, ſondern es werde nur das Eigenthum des Rechts gegen den Beſitzer dieſes Rechts, den Eigenthümer, vindicirt. (Be - merkungen S. 278. 281. 290 292). Dieſe Behandlung jener Klage würde aber nicht nur für das prakti - ſche Bedürfniß ſehr ungenügend ſeyn, ſondern ſie widerſpricht auch geradezu vielen Stellen des Römi - ſchen Rechts. Vgl. L. 60 § 1 de usufr. (7. 1. ), L. 1 pr. L. 5 pr. si ususfr. (7. 6. ), L. 10 § 1 si serv. (8. 5.).. Es iſt mir kein Beyſpiel eines ähnlichen Misbrauchs rechtsgeſchichtlicher Unterſuchungen bey der Beurtheilung heutiger Lebensverhältniſſe bekannt.

Zum Schluß dieſer Lehre ſind nun noch die denkbaren Übergänge der einen der beiden Klagarten in die andere zu erwähnen. Bei den meiſten Klagen in rem kommen, neben dem Hauptgegenſtand des Rechtsſtreits, auch noch Nebenpunkte zur Sprache, welche auf Obligationen beru - hen; ſo z. B. Erſatz für verzehrte Früchte, für Be -3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchädigungen an der vindicirten Sache. Da dieſe jedoch nur eine untergeordnete und abhängige Natur haben, wie - wohl ſie durch den äußeren Erfolg ſehr wichtig ſeyn kön - nen, ſo iſt eine ſolche Klage darum nicht weniger in rem. Dagegen finden ſich drei Klagen (die Theilungsklagen), welche zwar auch auf Obligationen beruhen, und daher mit Recht personales heißen(l)L. 1 fin. reg. (10. 1.) Fi - nium regundorum actio in per - sonam est, licet pro vindica - tione rei est. L. 1 § 1 C. de ann. except. (7. 40.), aber von anderen perſön - lichen Klagen dadurch weſentlich verſchieden ſind, daß in ihnen zugleich über das ſtreitige Eigenthum entſchieden werden kann. Dieſes geſchieht bey den eigentlichen Thei - lungsklagen (familiae herciscundae und communi dividundo) dadurch, daß über das ſtreitige Miteigenthum des Klägers, wenn er im Beſitz deſſelben iſt, in der auf Theilung ge - richteten Klage zugleich mit entſchieden wird(m)L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.); bei der actio finium regundorum dadurch, daß der Kläger den Theil des Grundſtücks, welchen er in Folge der Gränz - verwirrung bisher entbehrte, durch dieſe Klage eben ſo, wie durch eine Vindication, wieder erlangen kann(n) pro vindicatione rei est ſ. o. Note l. . Da - her wird von dieſen Klagen geſagt: mixtam causam ob - tinere videntur, tam in rem, quam in personam(o)§ 20 J. de act. (4. 6.). Ich habe hier den Grund ange - geben, der den Ausdruck rechtfer - tigen kann. Ob übrigens dieſer Ausdruck ſchon von alten Juriſten, von vielen oder wenigen, gebraucht worden iſt, läßt ſich freylich nicht entſcheiden.. Es erklärt ſich alſo dieſer Ausdruck aus den materiellen37§. 210. Pönalklagen.Rechtsverhältniſſen, und aus den Beſtimmungen des Ju - ſtinianiſchen Rechts. Im älteren Recht hatte derſelbe Aus - druck noch einen anderen, mehr formellen Grund, welcher erſt unten (§ 216) klar gemacht werden kann. Auch die hereditatis petitio, die gewiß in rem iſt, (§ 207. b) heißt ein - mal mixta personalis actio(p)L. 7 C. de pet. her. (3. 31.), und es ſcheint dieſes nicht blos auf eine perſönliche Beymiſchung in ihren Wirkungen zu gehen, welche ihr ohnehin nicht ausſchließend zuzuſchrei - ben iſt, ſondern auch darauf, daß bei ihr die Perſon des Beklagten mehr als bey anderen in rem actiones be - ſchränkt iſt(q)Vgl. § 207. b, 208. k, und Beylage XIII. Num. IX. .

§. 210. Arten der Klagen. Pönalklagen.

Auch die nun folgende Eintheilung bezieht ſich auf das innere Weſen der Klagen, auf ihren Gegenſtand, Zweck, Erfolg; ſie erſcheint ſogar zunächſt nur als eine Unterein - theilung der perſönlichen Klagen(a)§ 17 J. de act. (4. 6.) Rei persequendae causa com - paratae sunt omnes in rem ac - tiones. Earum vero actionum, quae in personam sunt, hae quidem rel. (Nun folgt die Ein - theilung). Der Hauptſache nach könnte man dieſe Lehre als eine Eintheilung der Obligationen be - handeln, und aus dem Actionen - recht ganz verweiſen; ſie greift je - doch auf ſo mannichfaltige Weiſe in die Behandlung der Klagen ein, daß ihre Kenntniß ſchon an dieſer Stelle nicht zu entbehren iſt., obgleich ſie in einer ihrer Modificationen über die Gränze derſelben hinaus reicht: dagegen bezieht ſie ſich ganz ausſchließend auf die das Vermögen betreffenden Klagen.

38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſe nämlich ſind, nach ihrem reinen, einfachen Be - griff dazu beſtimmt, den Vermögenszuſtand eines Jeden zu erhalten, oder, wenn er geſtört iſt, wiederherzuſtellen; ſie ſollen alſo einen ungerechten Schaden des Einen, einen ungerechten Gewinn des Andern, verhindern. So die rei vindicatio und die Darlehnsklage; wenn beide ihren Zweck erreichen, ſo iſt jeder Theil ſo reich, als er zuvor war; es wird blos eine Veränderung des Vermögensſtandes abgewehrt, oder der faktiſche Zuſtand mit dem Rechts - zuſtand in Einklang gebracht.

Eine künſtliche, ganz poſitive Anſtalt verknüpft mit manchen Verletzungen noch eine andere Folge. Der Ver - letzer ſoll unfreywillig ärmer, der Verletzte um eben ſo viel reicher werden. Es wird alſo durch ſie eine Ver - änderung des Vermögens, in Folge der Verletzung be - wirkt, und der Gegenſtand dieſer Veränderung heißt poena.

Wo nun eine ſolche poena eintritt, iſt es ein zufälli - ger, untergeordneter Umſtand, ob beide hier angegebene Zwecke (Erhaltung und Veränderung zur Strafe) durch eine und dieſelbe Klage verfolgt werden, oder durch zwei getrennte Klagen(b)So geht die condictio fur - tiva auf bloße Rückgabe der ge - ſtohlenen Sache oder ihres Wer - thes, alſo auf Erhaltung des Ver - mögens, die furti actio auf bloße Strafe; dagegen geht die actio vi bonorum raptorum auf Sache und Strafe zugleich.. Von einer Klage auf bloße Erhal - tung des Vermögens heißt es: rem persequitur, rei per - sequendae causa datur; von einer Klage auf bloße Strafe: poenam persequitur, poenae persequendae causa datur,39§. 210. Pönalklagen.poenalis est; von einer Klage, welche beide Zwecke umfaßt: mixta est, obgleich auch dieſe oft blos poenalis heißt(c)Die allgemeinſten Stellen hierüber ſind: Gajus IV. § 6 9, § 16 19 J. de act. (4. 6. ); die genauere Erörterung des Sprach - gebrauchs aber wird ſogleich nach - folgen. Neuere Schriftſteller nennen häufig die eine Art der Klagen: rei persecutoriae, al - lein dieſes Adjectivum kommt we - der hier noch anderwärts jemals vor. Als Subſtantivum, und in einer durchaus verſchiedenen Be - deutung, erſcheint einmal das Wort im Juſtinianiſchen Codex (L. un. C. J. de auri publ. 10. 72. ); aber auch dabey iſt die Leſeart ſehr zweifelhaft, da der Theodoſi - ſche Codex prosecutoria lieſt. (L. un. C. Th. eod. 12. 8.). Eine beſondere Rückſicht auf dieſe letzte Art iſt nicht nöthig, da ſie eigentlich aus zwey verſchiedenen Kla - gen zuſammengeſetzt iſt, ſo daß ihre Beſtandtheile in den meiſten Fällen auch in der Anwendung leicht getrennt werden können.

In den zwey hier dargeſtellten Arten der Klagen er - ſcheint Das, was mit beiden ſtreitenden Theilen vorgeht, ganz gleichartig; der Vermögenszuſtand wird für Beide durch die Pönalklagen verändert, durch die anderen Kla - gen erhalten. Dieſes an ſich einfache Verhältniß erhält aber dadurch einige Verwicklung, daß es eine zahlreiche und wichtige Klaſſe von Klagen giebt, die zwiſchen den beiden eben dargeſtellten Arten in der Mitte liegt. Ihre Eigenthümlichkeit beſteht darin, daß die Wirkung auf die Parteyen ungleichartig iſt; für den Kläger wird der Ver - mögenszuſtand nur erhalten, für den Beklagten wird er möglicherweiſe verändert, ſo daß der Gegenſtand der Klage für den Kläger Entſchädigung, für den Beklagten40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber Strafe iſt. Als Beyſpiel dieſer Mittelklaſſe kann die doli actio dienen. Der Kläger erhält dadurch nie mehr als den Erſatz des durch des Gegners Betrug entſtande - nen Schadens; der Beklagte aber muß dieſen Erſatz lei - ſten, auch wenn er nicht aus Gewinnſucht, ſondern blos aus Bosheit betrogen hat, in welchem Fall alſo die Klage auf ihn wie eine Strafe wirkt, indem ſie ihn poſitiv är - mer macht, nicht blos eine ungerechte Bereicherung ver - hütet(d)L. 39. 40. de dolo (4. 3.). Die hier bemerkte Varietät der Strafklagen findet ſich nicht überall gehörig anerkannt. Rich - tig unterſcheidet ſie unter andern Vinnius in § 1 J. de perpet. (4. 12.) Num. 4. 5. Sie findet ſich ferner anerkannt, mit Sorg - falt behandelt, aber anders, als hier geſchehen, ausgebildet und ausgedrückt, in Kierulffs Theo - rie des gemeinen Civilrechts Bd. 1. S. 220 230..

Dieſes gemiſchte Verhältniß ſetzt alſo, wo es rein und vollſtändig erſcheinen ſoll, immer voraus, daß ein Stück Vermögen vernichtet worden iſt; um dieſes Stück iſt der Verletzte ärmer, der Verletzer nicht reicher geworden.

Wenn übrigens das Weſen dieſer Mittelklaſſe darin geſetzt wird, daß die Klage auf den Beklagten als Strafe wirke, indem ſie ihn poſitiv ärmer mache, ſo iſt dabei blos die äußerſte Möglichkeit dieſes Falles berückſichtigt. Um bey dem gewählten Beyſpiel ſtehen zu bleiben, ſo kann allerdings der Betrüger durch den Betrug auch ge - wonnen haben, vielleicht eben ſo viel, als der Betrogene verlor, in welchem Fall er nicht eigentlich Strafe leidet, ſondern nur ungerechten Gewinn herausgiebt. Allein die41§. 210. Pönalklagen.juriſtiſche Natur der Klage wird durch die bloße Möglich - keit, daß ſie den Beklagten als reine Strafe treffe, be - ſtimmt, und der zufällig verſchiedene Erfolg einzelner Fälle wird bei der Bezeichnung derſelben nicht beachtet. Auch der Gegenſtand dieſer Klagen kann alſo ein gemiſchter oder zuſammengeſetzter ſeyn, ſo wie es bey den zweyſeitigen Strafklagen, da wo dieſe den Namen mixtae actiones führen, bemerkt worden iſt; allein die Miſchung hat in dieſen beiderley Fällen eine verſchiedene Natur und nicht übereinſtimmende Gränzen.

Um mich in kurzen Worten deutlich machen zu können, will ich folgende Ausdrücke gebrauchen:

  • Zweyſeitige Strafklagen, die auf beide Theile verändernd einwirken, wie furti actio.
  • Einſeitige Strafklagen, die nur für den Beklagten die Strafnatur haben, und zwar nur möglicherweiſe, wie doli actio.
  • Erhaltende Klagen, die von keiner Seite den Umfang des Vermögens ändern, wie die Klage aus Eigen - thum oder Darlehen
    (e)Wo gerade ein beſonderes Bedürfniß eintritt, die einſeitigen Strafklagen durch einen gemeinſa - men Ausdruck mit den erhaltenden Klagen zu bezeichnen, da möchte der Ausdruck: Entſchädigungs - klagen (im Gegenſatz der reinen Strafklagen) zu empfehlen ſeyn. So wird dieſer Ausdruck unten im §. 234 gebraucht.
    (e).

Der Römiſche Sprachgebrauch iſt hierin ſehr ſchwan - kend, und bedarf deshalb einer mehr als gewöhnlich ſorg - fältigen Feſtſtellung.

42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

1) Für die zweyſeitigen Strafklagen kommen folgende Bezeichnungen vor.

  • Poenales actiones. § 9 J. de L. Aquil. (4. 3.) § 1 J. de perpet. (4. 12.) L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.) (Ulpian.) L. 1 § 23 de tutelae (27. 3.) (Ulpian.) L. 1 pr. de priv. del. (47. 1.) (Ulpian.) L. 111 § 1 de R. J. (50. 17.) (Gajus.)
  • Poenam persequuntur, poenae persequendae causa com - paratae, ad poenam respiciunt.
  • Gajus IV § 6 9. § 16 19 J. de act. (4. 6.) L. 50 pro soc. (17. 2.) (Paul.)

Im Gegenſatz derſelben heißt es nun von allen übrigen Klagen, alſo die einſeitigen Strafklagen mit eingeſchloſſen:

  • Rem persequuntur, rei persequendae causa comparatae, ad rei persecutionem respiciunt, rei persecutionem continent.
  • Gajus IV § 6 9. § 16 19 J. de act. (4. 6. ) und zwar hier noch mit dem Ausdruck mixtae für die zuſammengeſetzten. L. 50. pro soc. (17. 2.) (Paul.) L. 21. § 5 de act. rer. amot. (25. 2.) (Paul.)

Die einſeitigen Strafklagen insbeſondere haben, vom Standpunkt dieſes Sprachgebrauchs aus, folgende Benen - nungen:

43§. 210. Pönalklagen.
  • Factum puniunt. L. 9 § 1 quod falso (27. 6.) (Ulpian.)
  • Ex delicto dantur, pertinent ad rei persecutionem. L. 7 de alien. jud. (4. 7.) (Gajus.)
  • Poenae nomine concipiuntur, rei continent persecu - tionem. L. 9 § 8 L. 11 de reb. auct. jud. (42. 5.) (Ulpian.)
  • Non est poenalis, sed rei persecutionem continet. L. 4 § 6 de alien. jud. (4. 7.) (Ulpian.)

In allen dieſen Stellen alſo beziehen ſich die unter - ſcheidenden Benennungen auf den Umſtand, daß durch die Klage der Kläger bald bereichert, bald blos entſchä - digt wird.

2) Dann aber giebt es auch andere Stellen, worin dieſel - ben Ausdrücke gebraucht werden, um die verſchiedene Wir - kung der Klage auf das Vermögen des Beklagten zu unterſcheiden, je nachdem nämlich der Beklagte entweder Etwas unbedingt zu leiſten hat, ſelbſt wenn er dadurch poſitiv ärmer wird, oder aber nur dasjenige herausgeben ſoll, was außerdem eine ungerechte Bereicherung für ihn ſeyn würde (quod ad eum pervenit, quatenus locupletior est, ut lucrum extorqueatur).

In Anwendung dieſes, von dem vorigen verſchiedenen, Sprachgebrauchs heißt nun eine einſeitige Strafklage (wel - cher anderwärts dieſer Name verſagt wurde) poenalis.

  • L. 1 § 5. 8 ne vis fiat (43. 4.) (Ulpian.)

Und ganz conſequent wird nun im Gegenſatz der Aus -44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.druck: rei persecutionem continent ausſchließend von den erhaltenden Klagen gebraucht, ſo daß ſelbſt die einſeitigen Strafklagen (namentlich die doli actio) von dieſer Benen - nung ausgeſchloſſen werden.

  • L. 35 pr. de O. et A. (44. 7.) (Paul.)
  • L. 3 pr. § 1 de vi (43. 16.) (Ulpian.)
  • L. 3 § 1 (L. 1 § 4 L. 10) si quid in fraud. (38. 5.) (Ulpian.)
  • L. 7 § 2 de cond. furtiva (13. 1.) (Ulpian.)

Die Ausdrücke ſind alſo mit Vorſicht zu Beweiſen über die Natur einer Klage zu gebrauchen, da ſogar derſelbe Ulpian den Namen poenalis actio einer einſeitigen Straf - klage bald beylegt, bald abſpricht, und da daſſelbe Schwanken auch bey dem Ausdruck: rei pers ecutionem continere wahrgenommen wird.

§. 211. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Die eigenthümliche Natur der Strafklagen läßt ſich auf folgende Sätze zurückführen:

A) Wenn ein Sklave die Handlung begieng, ſo konnte die Klage gegen den Herrn als noxalis actio angeſtellt werden; dieſe Regel galt für beide Arten der Strafklagen auf gleiche Weiſe(a)Faſt alle Stellen von Noxal - klagen beziehen ſich auf zweyſeitige Strafklagen, die meiſten auf die furti actio. Daraus würde ſchon folgen, daß die einſeitigen, als die minder bedenklichen, um ſo mehr als Noxalklagen angeſtellt werden könnten; es werden aber auch aus -.

45§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

B) Wenn Mehrere gemeinſchaftlich ein Delict begehen, ſo werden die zwey Arten der Strafklagen auf verſchie - dene Weiſe behandelt. Die zweyſeitigen gehen gegen je - den Theilnehmer auf die volle Strafe, ſo daß für Ein Delict die Strafe ſo vielmal bezahlt wird, als die Zahl der Theilnehmer beträgt(b)L. 51 in f. ad L. Aquil. (9. 2.) L. 55 § 1 de admin. (26. 7.) Nam in aliis furibus rel. L. 5 § 3 si quis eum (2. 7.) L. 1 C. de cond. furt. (4. 8.) Prae - ses provinciae sciens furti qui - dem actione singulos quosque in solidum teneri, condictionis vero numorum furtim subtrac - torum electionem esse, ac tum demum, si ab uno satisfactum fuerit, ceteros liberari, jure pro - ferre sententiam curabit. Stän - den hier blos die Worte in solidum, ſo könnten dieſe, nach der ſonſt gewöhnlichen Bedeutung, auch bey der Strafe auf ein Wahlrecht be - zogen werden; allein der Zuſatz singulos quosque, noch mehr aber der ſehr deutlich beſchriebene Gegenſatz der condictio furtiva, ſetzt die wahre Meynung außer Zweifel. Bey der Jujurie ver - ſteht ſich dieſelbe Behandlung noch mehr von ſelbſt, da eigentlich die Handlung eines Jeden eine ſelbſt - ſtändige Jujurie enthält. L. 34 de injur. (47. 10.). Von Kla - gen dieſer Art iſt auch zu ver - ſtehen L. 5 pr. de nox. act. (9. 4. ) nec altero convento alter liberabitur. Vgl. auch un - ten § 234.. Die einſeitigen Strafklagen können zwar auch gegen jeden Theilnehmer, nach freyer Auswahl, angeſtellt werden; hat aber Einer derſelben das, was für ihn Strafe iſt (oder doch ſeyn kann) entrichtet,(a)drücklich ſolche Klagen als Noxal - klagen angeführt. L. 9 § 4 de dolo (4. 3.). L. 9. § 1 quod falso (27. 6.) Außerdem ſagt L. 1 § 2 de priv. del. (47. 1. ) in ceteris quoque actionibus, quae ex delictis ori - untur .. placet, ut noxa ca - put sequatur. Dieſer Ausdruck aber umfaßt unzweifelhaft beide Ar - ten der Strafklagen. Überhaupt kann man ſagen, daß bey Hand - lungen eines Sklaven, die ihrer Natur nach obligatoriſch ſind, die a. de peculio mit der a. noxalis in einem alternativen Verhältniß ſteht; iſt die Handlung ein Rechts - geſchäft, ſo gilt ausſchließend die a. de peculio, iſt ſie ein Delict, ſo gilt ausſchließend a. noxalis. L. 49 de O. et A. (44. 7.)46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſo werden die Übrigen dadurch frey(c)L. 1 § 4 de eo per quem factum (2. 10. ), L. 14 § 15 L. 15 quod metus (4. 2. ), L. 1 § 10 L. 3. 4 de his qui effud. (9. 3. ), L. 17 pr. de dolo (4. 3.). Vgl. unten § 232, und Ribbentrop von Correalobligationen § 14. 15.. Dieſes iſt die nothwendige Folge davon, daß der Kläger nur Entſchä - digung zu fordern hat, mit deren Begriff eine Vervielfäl - tigung im Widerſpruch ſtehen würde.

C) Auch bey dem Übergang der Strafklagen auf die Erben des Verletzers gelten für beide Arten derſelben ver - ſchiedene Regeln.

Zweyſeitige Strafklagen gehen gar nicht auf die Erben über, das heißt der Verlezte kann niemals den Gewinn, der ihm unter dem Namen einer Strafe dargeboten iſt, von dem Erben des Verletzers einklagen(d)Gajus IV. § 112. § 1 J. de perpet. (4. 12 ), L. 1 pr. de priv. del. (47. 1 ), L. 5 § 4 si quis eum (2. 7 ), L. 111 § 1 de R. J. (50. 17 ), L. 22 de op. novi nunc. (39 1), L. 5 § 5. 13 de effusis (9. 3 ), L. 8 de popul. act. (47. 23.).. Jedoch ſind dabey zwey nähere Beſtimmungen zu bemerken. Iſt die Klage mixta, ſo wird der Theil der Klage, welcher nicht auf den Gewinn, ſondern auf die bloße Entſchädigung des Klägers gerichtet iſt, von dem Erben eingefordert, ſoweit dieſer reicher aus dem Delict iſt(e)L. 4 § 2 de incendio (47. 9.). Nicht ganz ſcheint zu der aufgeſtellten Regel zu paſſen L. 5 pr. de column. (3. 6), in - dem dieſe Klage, die in der Regel eine Strafe verfolgt, dennoch ge - gen den Erben gehen ſoll. Allein in der That kann man der actio in simplum, von welcher allein hier die Rede iſt, dieſen reinen Strafcharacter nicht beylegen, in - dem ſie ja auch durch die ange - ſtellte Condiction ausgeſchloſſen wird. L. 5 § 1 eod. , weil dieſes als all - gemeine Regel für alle aus Delicten entſpringende Obli -47§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)gationen gilt(f)L. 38 de R. J. (50. 17 ), L. 5 pr. de calumn. (3. 6.). Derſelbe Satz gilt auch für Cri - minalverbrechen. L. 20 de accus. (48. 2 ), L. 12 de L. Corn. de falsis (48. 10.). Indeſſen iſt dieſer Satz doch eine bloße Noth - hülfe, damit in keinem Fall irgend ein Gewinn in des Verletzers Ver - mögen zurück bleibe. Wenn aber dieſer Zweck auch ſchon durch eine andere, concurrirende, Klage, gegen die Erben erreicht werden kann, ſo bleibt es bei der reinen Regel, daß Pönalklagen gar nicht gegen die Erben gehen ſollen. Hieraus ſind zu erklären L. 2 § 27 vi bon. rapt. (47. 8 ), L. 1 § 23 de tutelae (27. 3.).. Iſt die Klage gegen den Verletzer ſelbſt angeſtellt, dieſer aber nach der Litisconteſtation ge - ſtorben, ſo geht die Klage mit allen ihren Folgen gegen den Erben fort, weil nunmehr die Klage einen contract - lichen Character angenommen hat(g)§ 1 J. de perpet. (4. 12 ), L. un. C. ex delictis (4. 17 ), L. 26 de O. et A. (44. 7 ), L. 139 pr. de R. J. (50. 17.). Nach L. 33 de O. et A. (44. 7) könnte man glauben, nicht erſt die Litisconteſtation, ſondern ſchon die Anſtellung der Klage, übertrage dieſelbe unbedingt auf die Erben. Allein dieſe Stelle iſt von ſolchen Fällen zu verſtehen, worin der Ver - ſtorbene die Litisconteſtation durch Zögerung verhindert hat, wie in L. 10 § 2 si quis caut. (2. 11.). Vgl. Glück B. 6 S. 196..

Für die einſeitigen Strafklagen gilt daſſelbe, was ſo eben für den auf Entſchädigung gerichteten Theil der mix - tae actiones bemerkt worden iſt. Der Erbe muß dieſelben gegen ſich anſtellen laſſen, inſoweit er reicher aus der Handlung ſeines Erblaſſers iſt(h)L. 35 pr. de O. et A. (44. 7 ), L. 44 de R. J. (50. 17 ), L. 1 § 6 de eo per quem fa - ctum (2. 10 ), L. 16 § 2 L. 19 quod metus (4. 2 ), L. 17 § 1 L. 26 de dolo (4. 3 ), L. 9 § 8 L. 10 de reb. auct. jud. (42. 5 ), L. 1 § 48 L. 2 L. 3 pr. de vi (43. 16 ), L. un. C. ex delictis (4. 17.). Gegen dieſe, von den Meiſten anerkannte, Regel hat ſich neuerlich theilweiſe erklärt Franke Beiträge S. 28 41. Er will bey den bloßen Entſchädigungsklagen (die ich einſeitige Strafklagen nenne) den beſchränkten Über - gang auf die Erben des Beklag - ten nur gelten laſſen, inſofern dieſe. Durch die Litiscon -48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.teſtation wird hier, wie in dem vorhergehenden Fall, ſeine Obligation eine unbeſchränkte (Note g.).

Unterſucht man die Wichtigkeit und den inneren Werth dieſer eigenthümlichen Beſtimmungen, ſo iſt es ſogleich ein - leuchtend, daß die Noxalklagen für uns völlig verſchwun - den ſind; die Behandlung mehrerer gemeinſchaftlich Han - delnden, an ſich nicht von großer Erheblichkeit, enthält nichts Anſtößiges; dagegen erfordert der beſchränkte Über - gang auf die Erben eine genauere Betrachtung. Von einem allgemeineren Standpunkt aus angeſehen, erſcheinen hierin die zweyſeitigen und einſeitigen Strafklagen in ihrem innerſten Weſen verſchieden. Wenn ein Verbrecher Ge - fängniß oder Leibesſtrafe verwirkt hat, und vor der Be - ſtrafung ſtirbt, ſo wird Niemand daran denken, dieſe Strafe an dem Erben vollziehen zu laſſen; der Grund(h)Klagen prätoriſche ſeyen, die Ci - vilklagen dieſer Art ſollen unbe - ſchränkt gegen die Erben gehen, der einzige Fall ſolcher Art aber ſey die condictio furtiva. Dieſe Unterſcheidung, wofür er überdem einen befriedigenden inneren Erklä - rungsgrund anzugeben vergeblich verſucht hat (S. 37) wird unten durch den Beweis widerlegt werden, daß die condictio furtiva keine De - lictsklage iſt. (Beyl. XIV. Num. XVII. XVIII.). Sie läßt ſich aber auch durch die a. L. Aqui - liae widerlegen. Zwar iſt dieſe durch die künſtliche Schadensrech - nung eine zweyſeitige Strafklage geworden. Allein wenn das von Franke aufgeſtellte Princip richtig wäre, würde dem Verlezten die un - beſchränkte Klage gegen den Erben nicht verſagt werden können, ſo - bald er ſich entſchlöſſe, Das was in der Klage die Strafnatur hat aufzugeben, und nur die reine Ent - ſchädigung (berechnet nach der Zeit des begangenen Delicts) zu for - dern, durch welche Forderung er ja ganz in derſelben Lage ſeyn würde, wie (nach Franke’s Mey - nung) der Beſtohlene in der con - dictio furtiva. Und doch ſoll je - ner Beſchädigte von dem Erben durchaus nur deſſen Bereicherung abfordern können. Vgl. noch un - ten § 212. g. 49§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)liegt darin, daß das Criminalrecht nur mit dem natür - lichen, individuellen Menſchen zu thun hat (§ 94), nicht mit dem Vermögensbeherrſcher, auf welche lezte Eigen - ſchaft allein das Verhältniß des Erben ſich bezieht. Nicht weſentlich verſchieden iſt aber der Fall der fiscaliſchen Geldſtrafe, denn obgleich dieſe auf das Vermögen gerich - tet iſt, ſo dient doch das Vermögen hier nur als Straf - mittel, deſſen Verſchiedenheit von den vorher erwähnten Strafmitteln eine untergeordnete Natur hat. Endlich iſt aber auch die Römiſche Privatſtrafe von der fiscaliſchen Geldſtrafe, ihrem Weſen nach, nicht verſchieden; der Staat hat es hier dem Verlezten überlaſſen, die Geldſtrafe ein - zuziehen und zu behalten. Das Weſen der Strafe bleibt in allen dieſen Fällen ganz daſſelbe, denn der nächſte Zweck geht immer dahin, daß den Ungerechten ein Übel treffe(i)In dieſem nächſten Zweck ſtimmen Alle überein, wie verſchie - den ſie auch den entfernteren Zweck auffaſſen mögen, nämlich bald als Vergeltung (§ 9. b), bald als Ab - ſchreckung, als Prävention, oder als Beſſerung., worin auch dieſes Übel beſtehen möge. Und dar - um iſt es, in allen dieſen Fällen, der wahren Natur der Strafe gleich widerſprechend, wenn das Übel einem An - dern als dem Verbrecher zugefügt wird, zum Beyſpiel dem Erben deſſelben, der als ſolcher zu dem begangenen Un - recht in gar keinem Verhältniß ſteht. Hierdurch aber er - ſcheint die Römiſche Regel, nach welcher die eigentlichen Strafen unvererblich ſind (Note d), völlig gerechtfertigt.

Ganz anders verhält es ſich mit der Entſchädigung. V. 450Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Verpflichtung zu derſelben hat völlig gleiche Natur mit den aus Verträgen entſpringenden Verpflichtungen, und ſie tritt, ſo wie dieſe, vom Augenblick ihrer Entſte - hung an, in eine unzertrennliche Verbindung mit dem Ver - mögen; beide aber haben mit der Individualität und Em - pfindung des Handelnden, worauf ſich die Strafe bezieht, gar keine Verbindung. Der Natur dieſes Verhältniſſes wäre es angemeſſen, daß jene Verpflichtung zur Entſchä - digung eben ſo unbeſchränkt auf die Erben übergienge, wie die aus Verträgen, ja wenn ſich hierin Grade annehmen ließen, ſo erſcheint die Erfüllung jener Verbindlichkeit wohl noch dringender als die der Verträge. Wenn nun den - noch die Römer dem Erben die Entſchädigung nur auf höchſt beſchränkte Weiſe auflegen, und dadurch in der That dem Verlezten ſein gutes Recht entziehen(k)Dieſes wird recht anſchau - lich, wenn ein Reicher aus Rache eine Brandſtiftung verübt, und vor Anſtellung der Klage ſtirbt. Der Erbe iſt hier durch die That nicht reicher, und die actio L. Aquiliae trifft ihn daher nicht. L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.). Eben ſo wenn Jemand aus bloßer Bosheit einen Andern betrügt, und dadurch in großen Schaden bringt, ohne ſelbſt Etwas zu gewinnen., ſo liegt der Grund ohne Zweifel in einer irrigen Verwechs - lung der Entſchädigung mit der davon weſentlich verſchie - denen Strafe. Die Thatſache dieſer Verwechslung erhellt deutlich aus dem oben dargelegten höchſt ſchwankenden Sprachgebrauch. Die Veranlaſſung aber muß wohl in mehreren Umſtänden geſucht werden. Erſtlich in der blos äußerlichen, aber täuſchenden Ähnlichkeit der Wirkung auf den Verletzer, welcher durch die Entſchädigung, eben51§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)ſo wie durch die Strafe, eine Verminderung ſeines Ver - mögens erleiden kann. Zweytens, und noch mehr, in dem Umſtand, daß bey den Strafklagen nicht ſelten Entſchädi - gung und Strafe vermiſcht erſcheinen, oft ſo daß Beides ſchwer abzuſondern iſt(l)Dieſe Vermiſchung findet ſich, und zwar in verſchiedener Art, bey denjenigen Strafklagen, die noch im neueſten Recht als mix - tae erſcheinen; ſo in der a. vi bo - norum raptorum, worin die Ab - ſonderung leicht, in der a. L. Aqui - liae, worin ſie ſchwerer iſt. Wahr - ſcheinlich aber war ſie im älteren Recht noch ausgedehnter. So war wohl urſprünglich die furti actio eine gemiſchte Klage; der doppelte oder vierfache Sachwerth ſollte nicht blos den Verluſt der Sache erſetzen, ſondern auch das mög - liche höhere Intereſſe vergüten, und daneben noch dem Beſtohle - nen eine Summe als Bereicherung verſchaffen; darauf deutet der ur - alte Ausdruck: pro fure damnum decidere. Später wurde noch da - neben die condictio furtiva auf die Sache ſelbſt, oder das Inte - reſſe, (nicht blos auf den Sach - werth), eingeführt, und von dieſer Zeit an war freylich die furti actio eine reine Strafklage. Dieſe Anſicht konnte hier nur angedeutet werden, ihre Ausführung muß ei - nem andern Orte vorbehalten blei - ben. Iſt dieſelbe richtig, ſo paßt der im Text folgende Grund nur auf die ſpätere Zeit.. Endlich aber kounte die hierin liegende Härte auch dadurch leichter verborgen bleiben, daß ſie gerade in dem häufigſten und wichtigſten Fall gar nicht zur Anwendung kam, bey dem Diebſtahl nämlich, wozu auch der Raub gehört. Denn hier wird die Ent - ſchädigung gar nicht durch eine Delictsklage bewirkt, ſon - dern durch eine Condiction, und die Natur dieſer Klage bringt es mit ſich, daß ſie unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt werden kann.

Das ſpätere Schickſal dieſer nicht zu billigenden Rechts - regel iſt folgendes geweſen. Das canoniſche Recht ver - warf dieſelbe, und ließ die Klage gegen den Erben, ohne4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Rückſicht auf deſſen Bereicherung, gelten(m)c. 3 C. 16. q. 6, C. 14 X. de sepult. (3. 28 ), C. 5 X. de raptor. (5. 17 ), C. 9 X. de usu - ris (5. 19 ), C. 28 X. de sent. excomm. (5. 39.).; jedoch trat nun an die Stelle der großen, im Römiſchen Recht ange - nommenen, Beſchränkung eine andere, allerdings viel gerin - gere. Der Erbe ſollte für die Entſchädigung nur haften, ſoweit die Erbſchaft reichte; das heißt, er ſollte niemals aus ſeinem eigenen Vermögen entſchädigen, ſelbſt wenn er es unterlaſſen hätte ein Inventarium zu machen. Dieſe neue Beſchränkung hatte in den päbſtlichen Geſetzen ſelbſt nur einen ſehr ſchwachen Schein der Begründung(n)C. 5 X. de raptor. (5. 17) ſagt: heredes .. juxta facul - tates suas condigne satisfa - ciant, welcher nichtsſagende Zu - ſatz ſo viel heißt als: ſoweit ſie können. Ganz gegen die Worte hat man das auf die facultates der Erbſchaft bezogen.; ihr wahrer Grund iſt die Praxis, die hierin vom Mittelalter her ganz gleichförmig geweſen zu ſeyn ſcheint. Man wollte das Römiſche Recht, im wohlbegründeten Intereſſe des Verlezten, hierin abändern, glaubte aber dieſe Abänderung doch wieder vermindern zu müſſen, und ſo erſcheint uns auch dieſe neueſte Geſtalt des Satzes wiederum eine halbe Maaßregel, ohne wahren inneren Grund(o)Nur auf folgende Weiſe könnte etwa eine Rechtfertigung je - ner neuen Einſchränkung verſucht werden. Wenn der Erbe ohne In - ventarium antritt, und nachher die Erbſchaft mit gewöhnlichen Schul - den überlaſtet findet, ſo hat er den Schaden ſeiner Unvorſichtigkeit zu - zuſchreiben, da er die Vermögens - umſtände des Verſtorbenen hätte prüfen können. Verbrechen aber werden meiſt im Verborgenen be - gangen, und es iſt daher dem Er - ben weniger zur Laſt zu legen, wenn er die aus Verbrechen ent - ſtandenen Verpflichtungen des Erb - laſſers nicht gekannt, ja nicht ein - mal ſolche für möglich gehalten hat. Die Schriftſteller jedoch: beſſer wäre53§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)es geweſen, die Verbindlichkeit des Erben, gleich jeder an - deren Schuld, ohne Einſchränkung gelten zu laſſen, wie es den Quellen des canoniſchen Rechts allerdings gemäß iſt. Neuere Deutſche Schriftſteller haben die Gültigkeit der angeführten Vorſchrift des canoniſchen Rechts aus zwey nicht erheblichen, Gründen beſtritten. Erſtlich weil die Päbſte blos verordnen, daß geiſtliche Zwangsmittel zu dem erwähnten Zweck angewendet werden ſollten, welches von einer Rechtsvorſchrift verſchieden ſey. Allein dieſe geiſtlichen Mittel waren diejenigen, worüber der Pabſt in allen Ländern am Unmittelbarſten verfügen konnte, und die Vorſchrift ihrer Anwendung iſt daher, hier wie ander - wärts, nur als Anerkennung eines Rechtsſatzes im Allge - meinen zu betrachten. Zweytens wird in jenen Stellen unter andern auch das Seelenheil des Verſtorbenen als Grund für den Zwang gegen den Erben geltend gemacht, weshalb man fürchtete, durch die Beobachtung jener Vor - ſchrift möchte die Lehre vom Fegfeuer anerkannt, und da - durch die reine evangeliſche Lehre gefährdet werden. Allein die Anerkennung des Rechtsſatzes ſelbſt iſt für uns das allein Wichtige, und dieſe wird nicht verändert, man mag einen unterſtützenden dogmatiſchen Beweggrund hinzu thun oder weg nehmen. So iſt alſo die durch die Praxis modificirte Vorſchrift des canoniſchen Rechts als das un -(o)berufen ſich meiſt nur auf eine ohne weitere Gründe behauptete aequitas. 54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zweifelhafte Reſultat des heutigen gemeinen Rechts zu be - trachten(p)Ausführlich und befriedi - gend iſt dieſe ganze Frage behan - delt von Böhmer jus eccl. Prot. Lib. 5 T. 17 § 132 137, und Francke Beyträge S. 44 57. Die Zeugniſſe vieler Praktiker ſind zuſammengeſtellt bey Müller ad Leyser. T. 6 p. 176..

§. 212. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Nachdem die Natur und Wirkung beider Arten der Strafklagen dargeſtellt worden iſt, ſind dieſelben in An - wendung auf einzelne Fälle ſelbſt darzuſtellen, und es iſt insbeſondere das Verhältniß nachzuweiſen, in welchem dieſe Begriffe zu der vorher dargeſtellten Grundeintheilung aller Klagen (in personam, in rem) zu denken ſind.

Die Klagen in rem können niemals als zweyſeitige Strafklagen vorkommen (§ 210. a.), wohl aber können ſie zuweilen die Natur von einſeitigen annehmen. Wenn bey einer Klage aus Eigenthum, Pfandrecht, Emphyteuſe, Superficies, Erbrecht, unſer Gegner zwar nicht beſitzt, aber zu unſrem Schaden entweder den Beſitz unredlicher - weiſe aufgab, (dolo desiit possidere), oder uns durch den Schein des Beſitzes getäuſcht hat (liti se obtulit), ſo muß er ſich, gleich einem wirklichen Beſitzer, die Klage mit allen ihren Folgen gefallen laſſen. Hier nimmt die Klage völlig die Natur einer einſeitigen Strafklage, gegründet auf eine obligatio ex delicto, an(a)Daß die Klage nunmehr als eine perſönliche wirkt, zeigt, und ſie geht daher55§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)auch gegen den Erben nur, inſoweit dieſer reicher iſt durch die Unredlichkeit des Erblaſſers(b)L. 52 de R. V. (6. 1.).

Die perſönlichen Klagen aus Verträgen ſind faſt ins - geſammt blos erhaltende Klagen, ohne alle Strafnatur. In einem einzigen Fall, bey dem durch ungewöhnliche Un - glücksfälle veranlaßten Depoſitum, erſcheint eine ſolche Klage als mixta, folglich als zweyſeitige Strafklage(c)So wird die Regel und die Ausnahme dargeſtellt in § 17 J. de act. (4. 6.). Nimmt man nun an, daß hier die Klage unter allen Umſtänden auf den doppel - ten Werth gehe, ſo iſt es in der That eine ganz iſolirte Ausnahme. Allein § 26 J. de act. (4. 6. ) be - ſchränkt die Strafe auf den Fall des Abläugnens (wohin auch deu - tet das perfidiae crimen und das fidem frangere in L. 1 § 4 de - positi 16. 3. ); darnach aber fällt dieſe Ausnahme mit mehreren Fäl - len zuſammen, wovon noch weiter unten die Rede ſeyn wird (Note f).. Weit wichtiger aber iſt es, daß die Contractsklagen nicht etwa durch den hinzutretenden Dolus die Delictsna - tur annehmen, ſondern reine Contractsklagen bleiben, ſo daß ſie auch in dieſem Fall ohne Einſchränkung auf die Erben des Beklagten übergehen(d)L. 49 de O. et A. (44. 7.) L. 7 § 1 depos. (16. 3. ), L. 157 § 2 de R. J. (50. 17). L. 8 § 1 de fidej. et nomin. (27. 7.). Eben ſo geht gegen den Sklaven nach der Manumiſſion nicht die a. de - positi ex dolo, obgleich die De - lictsklagen gegen ihn gehen. L. 1 § 18 depos. 16. 3.). Ein Zweifel entſteht aus § 1 J. de perpet. (4. 12. ) aliquando ta - men etiam ex contractu actio.

(a)ſich im Concurſe, indem hier der Kläger nur als Glaubiger behan - delt werden kann, nicht als Sepa - ratiſt. L. 24 § 2 de rebus auct. jud. (42. 5.). Wenn der Be - klagte aus anderen Gründen, z. B. wegen Culpa, zur litis aestimatio verurtheilt wird, ſo erwirbt er da - durch die Rechte eines Käufers an der vindicirten Sache (L. 21. 46. 47, 63. de R. V. 6. 1. ); hier erwirbt er gar keine Rechte (L. 63. 69. 70. eod.), und der Ei - genthümer kann daher noch im - mer gegen den dritten Beſitzer kla - gen. L. 95 § 9 de solut. (46. 3. ), L. 13 § 14 de her. pet. (5. 3.)

56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das eigentliche Gebiet aber für die Strafklagen ſind die Obligationen aus Delicten. Dieſe erzeugen insgeſammt Strafklagen, bald zweyſeitige, bald einſeitige. Nicht wenige darunter beziehen ſich auf ſolche Delicte, die bey Gelegenheit eines Prozeſſes begangen werden. Durch ſtrafbare Handlungen dieſer Art werden bald eigene, ſelbſt - ſtändige Strafklagen erzeugt(e)So z. B. die im zweyten Buch der Digeſten enthaltenen Strafklagen., bald nur die ohnehin gel - tenden Klagen durch eine hinzutretende Strafe erweitert(f)Dahin gehören die Klagen, worin lis inficiando crescit in duplum (vgl. Note c.). Dieſe führen nicht ſchon im Allgemeinen den Namen von poenales actio - nes, weil man es ihnen vor der Anſtellung nicht anſehen kann, ob der Fall der Straferhöhung eintreten werde. Eben ſo die actio quod metus causa, worin die Straferhöhung nur erſt ein - tritt, wenn der Beklagte verſäumt, vor dem Urtheil freywillig den Kläger zu befriedigen..

(d)contra heredem non compe - tit, (veluti) cum testator do - lose versatus sit, et ad here - dem ejus nihil ex eo dolo per - venerit. Wäre die Leſeart ve - luti richtig, ſo würde in dieſer Stelle die ganze, in jenen Dige - ſtenſtellen anerkannte, Rechtsregel verneint. Wird dieſe Leſeart (wie es geſchehen muß) verworfen, ſo ſagt die Stelle nur, daß es Aus - nahmen von der Regel gäbe, ohne dieſe ſelbſt zu nennen; ſo lange alſo ſolche Ausnahmen nicht ander - wärts nachgewieſen werden, bleibt für uns die Stelle inhaltsleer. Jetzt wiſſen wir nun, daß die Stelle aus einer ungeſchickten Modifika - tion des Gajus IV § 113 entſtan - den iſt. Dieſer hatte einige wirk - lich unvererbliche Contractsklagen angegeben, die aber in Juſtinians Zeit nicht mehr vorkamen, und deswegen weggelaſſen werden muß - ten; man wollte nun nicht die ganze Bemerkung fallen laſſen, und verwandelte ſie daher in eine unbeſtimmte Verweiſung auf ſolche ausgenommene Fälle überhaupt, wahrſcheinlich in der Hoffnung, es würden ſich wohl ſolche Fälle in den Digeſten finden. Der Fall des Depoſitum, den ſowohl eine Textvariante, als Theophilus ein - miſcht, kann auf keine Weiſe die Schwierigkeit löſen. Gründlich iſt die ganze Frage behandelt von Francke Beiträge S. 16 26.

57§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Zwey einzelne Klagen verdienen hier noch eine beſon - dere Erwähnung, weil ſie leicht mißverſtanden werden können. Die actio Legis Aquiliae geht zunächſt auf Entſchädigung, erhält aber einen unbeſtimmten, blos mög - lichen, Strafzuſatz dadurch, daß dem Kläger geſtattet wird, für die Berechnung des Schadens irgend einen frü - heren, ihm günſtigen, Zeitpunkt innerhalb gewiſſer Zeit - gränzen auszuſuchen. Durch dieſe problematiſche, in den we - nigſten Fällen wirkſame, Straferhöhung iſt die Behandlung der Klage etwas ſchwankend geworden. Gegen die Erben geht ſie, wie eine mixta actio, auf die bloße Bereicherung(g)L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.). Daraus ſind die unbe - ſtimmten Stellen zu beſchränken, welche die Klage gegen den Er - ben ganz zu verſagen ſcheinen. L. 10 pr. comm. div. (10. 3. ), § 9 J. de L. Aquilia (4. 3.). In dieſer letzten Stelle wird die Amplifika - tion hinzugeſetzt: quae transi - tura fuisset, si ultra damnum nunquam lis aestimaretur, wel - ches mit der von allen alten Ju - riſten anerkannten Rechtsregel im Widerſpruch ſteht, und blos ein unüberlegter Verſuch der Compila - toren zu ſeyn ſcheint, die Sache von allen Seiten zu beleuchten. Francke Beiträge S. 30. 41. 44. nimmt aus dieſer blos hypothe - tiſchen Äußerung ein neues Argu - ment für ſeine Meynung, nach wel - cher die civilen Entſchädigungs - klagen aus Delicten unbeſchränkt gegen die Erben gehen ſollen. Vgl. aber oben § 211. h. . In der Concurrenz mit anderen Klagen ſind durch jene zweydeutige Natur der Klage, theils unbeſtimmte Äußerun - gen, theils verſchiedene Meynungen der alten Juriſten ent - ſtanden(h)S. u. § 233. 234.. Dagegen im Verhältniß zu mehreren Ver - letzern wird ſie entſchieden als zweyſeitige Strafklage, wie die furti actio, behandelt, ſo daß jeder Tbeilnehmer das Ganze zahlen ſoll, ohne durch die frühere Zahlung eines58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.anderen Theilnehmers befreyt zu werden(i)S. u. § 234. d1..

Eine auf ähnliche Weiſe zweydeutige Natur hat die durch die zwölf Tafeln eingeführte Klage auf den doppel - ten Sachwerth gegen den Vormund, welcher Sachen des Mündels unterſchlagen hat. Auf den erſten Blick möchte man ſie, wegen der Verdopplung, für eine mixta actio, alſo für eine zweyſeitige Strafklage, halten. Dennoch er - ſcheint ſie, wenn mehrere Vormünder concurriren, ſogar noch beſchränkter, als die actio Legis Aquiliae, indem die Zahlung des einen die übrigen befreyt(k)L. 55 § 1 de administ. (26. 7.) Die Worte: et quam - vis unus duplum praestiterit, nihilominus etiam alii tenean - tur? müſſen mit in die vorher - gehende Frage gezogen werden, da die verneinende Antwort in der ganzen folgenden Argumentation deutlich enthalten iſt.. Um ſo mehr ſteht ſie mit der condictio furtiva in einem blos electiven Verhältniß, ſo daß durch die Wahl der einen dieſer Kla - gen die andere ausgeſchloſſen wird(l)L. 55 § 1 cit. (in den Schlußworten), L. 2 § 1 de tu - telae (27. 3.).; und daſſelbe elec - tive Verhältniß beſteht auch zwiſchen ihr und der tutelae actio(m)L. 1 § 21 de tutelae (27. 3.) In tutela ex una obliga - tione duas esse actiones con - stat etc. . Dieſes Alles erklärt ſich daraus, daß der ver - doppelte bloße Sachwerth eigentlich nur an die Stelle ei - nes möglichen, den Sachwerth weit überſteigenden, höheren Intereſſe, tritt(n)L. 1 § 20 L. 2 § 2 de tu - telae (27.3.)., ſo daß alſo der beſtohlene Mündel die Wahl haben ſoll, ſein höheres Intereſſe entweder unmit - telbar zu erweiſen, wozu ihm die tutelae actio oder auch59§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)die condictio furtiva dient, oder durch die Klage auf den doppelten Sachwerth zu verfolgen. Ganz conſequent iſt es, daß daneben noch die furti actio auf reine Strafe an - geſtellt werden kann(o)L. 1 § 22 de tutelae (27. 3.) .. nec enim eadem est obligatio furti ac tutelae, ut quis dicat plures esse actiones ejus - dem facti, sed plures obliga - tiones: nam et tutelae et furti obligatur. L 2 § 1 eod. . Dagegen wird ſie gegen den Er - ben gänzlich verſagt, ohne Zweifel weil ſie eine mögliche Straferhöhung in ſich ſchließt(p)L. 1 § 23 de tutelae (27. 3. ) quia poenalis est. Vgl. oben § 211. f. Nämlich für die reine Entſchädigung iſt gegen den Erben ſchon die tutelae actio und die condictio furtiva aus - reichend..

Es muß noch beſonders gewarnt werden gegen die Ver - wechslung der Strafklagen mit einigen verwandten Rechts - inſtituten. Die Conventionalſtrafen kommen in ihrem Zweck und Erfolg mit den auf allgemeinen Rechtsregeln beruhenden Strafen überein, weshalb auch der Ausdruck poena auf ſie unbedenklich angewendet wird. Allein die zu dieſem Zweck bey ihnen angewendete Rechtsform iſt ein Vertrag, die Klage eine gewöhnliche Contractsklage, und von den Eigenthümlichkeiten der Pönalklagen kann dabey nicht die Rede ſeyn. Es iſt auch in dieſer Hinſicht ganz gleichgültig, ob der Strafvertrag durch freye Willkühr herbeygeführt, oder durch eine richterliche Obrigkeit er - zwungen worden iſt. Daher erzeugten die im Römiſchen Prozeß ſo häufigen und wichtigen poenales sponsiones(q)Gajus IV. § 13. 94. 141. 162 168. 171 172. Es war damit eben ſo wie mit den praejudiciales sponsiones, wo - raus auch keine praejudiciales formulae entſprangen, obgleich60Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.durchaus keine Pönalklagen, ſondern Contractsklagen, wes - halb dieſe auch unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt werden konnten.

Ferner dürfen die Strafklagen nicht verwechſelt wer - den mit den auf Vindicta gerichteten Klagen. Dieſes ſind ſolche Klagen, wobey ein eingeklagtes Vermögensrecht nur als Mittel dient, um einen entfernteren ſittlichen Zweck zu verfolgen. Nur die kleinere Zahl der Strafklagen hat die - ſen ganz beſonderen Character; dagegen findet ſich derſelbe ſogar bey der inofficiosi querela, einer Klage die nicht mit dem Namen einer Strafklage belegt werden kann(r)Vgl. Band 2. § 73..

Zum Schluß iſt noch die Frage zu berühren, ob das Recht der Strafklagen für uns unveraͤndert beſteht. Die einſeitigen Strafklagen, die auf Entſchädigung wegen zu - gefügter Verletzungen gehen, müſſen natürlich bey uns, wie in jedem poſitiven Recht, anerkannt werden. Ob eine gleiche Behandlung derſelben, wie im Römiſchen Recht, noch jetzt eintrete, iſt bereits oben ausführlich unterſucht worden. Die Frage nach der Fortdauer der zweyſei - tigen Strafklagen läßt ſich auch ſo ausdrücken, ob wir überhaupt noch Privatſtrafen übrig haben? Die genauere Erörterung dieſer Frage muß dem Obligationenrecht vor - behalten bleiben; ſchon hier aber läßt ſich vorläufig der Satz aufſtellen, daß einige Privatſtrafen noch jetzt vor - kommen, die meiſten aber völlig verſchwunden ſind.

(q)ſie in ihrem Zweck mit dieſen überein kamen (§ 207. f.)

61§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.

§. 213. Arten der Klagen. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae.

Ich gehe nun zu denjenigen Eintheilungen der Klagen über, die eine mehr hiſtoriſche Natur haben als die bisher abgehandelten, indem ſie ſich theils auf die Entſtehung dieſer Rechtsinſtitute, theils auf die alterthümlichen, im neueſten Römiſchen Recht verſchwundenen, Prozeßformen beziehen. Seit der Entdeckung des Gajus laſſen ſich die - ſelben weit deutlicher überſehen als zuvor. Beſonders der Zuſtand der Sache zur Zeit der großen juriſtiſchen Schrift - ſteller läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit feſtſtellen. Über den älteren Zuſtand freylich, und über deſſen allmälige Umbildung, iſt aus Mangel an beſtimmten Nachrichten ein weites Feld zu Hypotheſen übrig; es dürfte aber wohl gerathen ſein, auf ſolche kein großes Gewicht zu legen.

Zunächſt iſt hier die längſt bekannte Eintheilung der Klagen in civiles und honorariae zu bemerken(a)L. 25 § 2 de O. et A. (44. 7 ), L. 178 § 3 de V. S. (50. 16) beide von Ulpian. Mäcianus ſagt: actiones sive legitimae sive honorariae. L. 32 pr. ad L. Falc. (35. 2.). Gajus IV. § 109 ex lege esse, non esse. Er warnt dabey vor der Verwechslung dieſes Gegen - ſatzes mit dem völlig verſchiede - nen, blos prozeſſualiſchen, Gegen - ſatz der judicia legitima und quae imperio continentur. Bey Pomponius (L. 2 § 6 de O. J. 1. 2) heißen legitimae actio - nes die alten legis actiones, und eben ſo bey Gellius XX. 10.; unter den lezten ſind die meiſten und wichtigſten praetoriae, einige aediliciae. Das Unterſcheidende beſteht darin, daß62Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die civiles eine legitima oder civilis causa haben, das heißt einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund, anſtatt daß die honorariae von den Prätoren oder Ädilen in Kraft ihrer Jurisdictionsbefugniſſe eingeführt waren(b)§ 3 J. de act. (4. 6.). Der Grund dieſer Eintheilung der Klagen liegt alſo in dem Ge - genſatz des jus civile und hono - rarium. Vgl. B. 1 § 22.. Darin alſo darf das Weſen dieſer lezten nicht geſezt werden, daß das Edict Formeln für dieſelben aufgeſtellt hatte, denn dieſe waren für beide Arten der Klagen auf gleiche Weiſe im Edict zu finden(c)Insbeſondere würde es un - richtig ſeyn, bey denjenigen Kla - gen, welche zwey Formeln im Edict hatten, in jus und in factum, wie die actio depositi und com - modati, (Gajus IV. 47) die erſte Formel für eine Civilklage, die zweyte für eine prätoriſche zu hal - ten. Beide waren civil, da ſie eine und dieſelbe civilis causa hatten, welcher auch gar nicht vom Prätor ein neues Object gegeben worden war; die Faſſung beider Formeln aber war gleichmäßig vom Prätor ausgegangen, denn das Civilrecht hatte überhaupt keine anderen Formeln aufgeſtellt, als die in den alten Legis actiones enthaltenen (§ 205. b.).. Auf der andern Seite wurden auch die Klagen für ſolche Fälle, worin ſchon ein civiles Klagrecht beſtanden hatte, honorariae genannt, wenn dieſes Klagrecht im Edict zu einem neuen Gegen - ſtand und Erfolg umgebildet worden war; ſo iſt die furti manifesti actio eine prätoriſche Klage, weil der Prätor eine Geldſtrafe für dieſen Fall eingeführt hatte, anſtatt daß die Strafe des Civilrechts eine ganz andere und weit härtere geweſen war. Die Geldſtrafe alſo hatte keine ci - vilis causa, und daher war die darauf gerichtete Klage honoraria(d)Gajus IV. § 111, pr. J. de perpet. (4. 12.)..

63§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.

Dieſe Eintheilung der Klagen durchkreuzt ſich mit den vorher dargeſtellten. Es giebt daher ſowohl unter den Civilklagen, als unter den prätoriſchen, in personam und in rem actiones; Strafklagen, wie erhaltende Klagen.

Nach der älteren Gerichtsverfaſſung beruhte der ganze Prozeß auf dem ordo judiciorum, deſſen Weſen darin be - ſtand, daß die gerichtliche Obrigkeit, in Rom die Präto - ren, nur die Einleitung der Sache beſorgte, das weitere Verfahren aber an Eine oder mehrere Privatperſonen überließ, und dieſe mit einer Anweiſung (formula) verſah, auf deren Grund, je nach dem Ausfall der Verhandlun - gen und Beweiſe, das Urtheil geſprochen werden ſollte; die allgemeinſte Benennung dieſes commiſſariſchen Urtheil - ſprechers war Judex, von den dabey vorkommenden Va - rietäten aber wird noch ferner die Rede ſeyn.

Allmälig fand man es räthlich, bey einzelnen ſtreitigen Rechtsverhältniſſen von dieſer Art des Verfahrens abzu - gehen, ſo daß die gerichtliche Obrigkeit das ganze Ver - fahren beſorgte und das Urtheil ſprach, ohne einen Judex zuzuziehen. Die Benennungen dieſes abweichenden Verfah - rens waren dieſe: extraordinaria cognitio oder actio, ex - traordinarium judicium, persecutio. Daß die Klagen die - ſer Art bald mit dem Namen actiones belegt, bald davon ausgeſchloſſen wurden, iſt ſchon oben erwähnt worden (§ 205).

Zur Zeit der großen juriſtiſchen Schriftſteller konnte64Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſes Verfahren nur erſt als eine ziemlich beſchränkte Ausnahme angeſehen werden. Um die Zeit von Diocle - tian aber wurde die Gerichtsverfaſſung völlig umgebildet; der ordo judiciorum verſchwand, und es wurden alle Pro - zeßgeſchäfte in der Hand der Obrigkeit vereinigt, ſo daß nunmehr der ganze Prozeßgang durch extraordinaria ju - dicia betrieben wurde(e)§ 8 J. de interdictis (4. 15 ), L. 47 § 1 de negotiiis gestis (3. 5), ohne Zweifel interpolirt. Eine einzelne Conſtitution, wodurch die ganze, höchſt wichtige, Berän - derung bewirkt worden wäre, be - ſitzen wir nicht, vielleicht war eine ſolche nicht vorhanden. Die älte - ſten Beſtimmungen finden ſich in Cod. Just. II. 58, Cod. Theod. II. 3, L. 8 C. Th. de off. rec - toris (1. 16.). In dem Tit. Cod. Just. III. 3 iſt der Übergang deſ - ſen, was früher Ausnahme war, zur Regel, ſehr ſichtbar. Vgl. Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 26.. Dieſes iſt die Geſtalt des Ge - richtsweſens im Juſtinianiſchen Recht, und dieſelbe findet ſich in den allermeiſten neueren Staaten, da die Geſchwor - nengerichte, auch wo ſie vorkommen, doch meiſt auf das Criminalverfahren eingeſchränkt ſind.

Es iſt dabey noch das Verhältniß der extraordinaria judicia (ſolange ſie noch eine abgeſonderte Art der Klagen bildeten) zu den früher dargeſtellten Gegenſätzen zu er - wägen.

Alle uns bekannte extraordinaria judicia waren in per - sonam, keine in rem(f)In personam ſind die in L. 1 de extr. cogn. (50. 13) zu - ſammengeſtellte Klagen; eben ſo der Anſpruch des Fideicommiſſars gegen den mit dem Fideicommiß belaſteten Erben oder Legatar. Gajus II. § 278. Ulpian. XXV. § 12. War eine fideicommiſſariſche Erbſchaft durch wörtliche Erklä - rung des Erben reſtituirt, ſo konnte nun allerdings der Fideicommiſſar in rem klagen gegen die Beſitzer von Erbſchaftsſachen; dieſe Klage. Eben ſo kommen Strafklagen65§. 213. Civiles, honorariae, Ordinariae, extraordinariae actiones. extra ordinem nicht vor, denn die mulctae, die allerdings von allen höheren Obrigkeiten (nicht blos den gerichtlichen) verhängt werden durften, beruhten gar nicht auf Privat - klagen, gehörten alſo nicht zur Verfolgung eines Privat - rechts, zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits, obgleich ſie bey Gelegenheit eines ſolchen eintreten konnten(g)Eben ſo geſchah die Exſe - cution der Civilurtheile extra or - dinem, durch pignus in causa judicati captum; allein Dieſes war nicht mehr Entſcheidung eines Rechtsſtreits, ſondern ein Mittel zur Überwindung des Ungehorſams gegen die obrigkeitliche Macht, alſo im Weſen gleichartig mit der mulcta. . End - lich ſcheinen die extraordinariae cognitiones blos auf civil - rechtliche Inſtitute bezogen worden zu ſeyn, nicht auf prä - toriſche(h)Vgl. die in der Note f. ent - haltene Zuſammenſtellung.; wo der Prätor einen neuen Rechtsſatz geltend zu machen nöthig fand, geſchah es wohl immer in den Formen des ordo judiciorum, alſo durch formula. Dieſe Behauptung hängt zuſammen mit der Streitfrage, ob die ſehr zahlreichen Interdicte, die insgeſammt prätoriſchen Urſprungs waren, unter die ordinaria oder extraordina - ria judicia gehörten; der richtigern Meynung nach ſind ſie unter die ordinaria zu rechnen(i)Dieſe Frage iſt ausführlich behandelt in: Savigny Recht des Beſitzes § 34. Die Benen - nung actio wird den Interdicten bald beygelegt bald verſagt. Vgl. oben § 205, g. h. .

(f)war aber ein ordinarium judi - cium, ſo wie jede andere heredi - tatis petitio. Tit. Dig. de fid. her. pet. (5. 6.). Die mis - sio in possessionem gieng al - lerdings in rem, dieſe aber war niemals Entſcheidung eines Rechts - ſtreits, ſondern eine einſeitige pro - viſoriſche Maasregel, und der Rechtsſtreit, der ſich daraus ent - wickeln konnte, war ſtets ein or - dinarium judicium.

V. 566Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Betrachten wir den zulezt dargeſtellten Gegenſatz von einem allgemeineren Standpunkt, dem der Römiſchen Rechts - geſchichte überhaupt, ſo erſcheint uns das ordinarium ju - dicium gleichſam als die hiſtoriſche Mitte des Ganzen. In der älteſten Zeit beſtand der ganze Prozeß aus den Legis actiones, in welchen, ſo viel wir wiſſen, keine In - ſtruction an einen Judex (formula) vorkam. Darauf folgte der Prozeß der ordinaria judicia, welcher ganz auf den formulae beruhte. Endlich, nachdem dieſe Prozeßform ver - ſchwunden war, beſorgte in dem extraordinarium judicium die Obrigkeit, ohne Judex, das ganze gerichtliche Verfah - ren, ſo daß nun weder das Bedürfniß, noch die Möglich - keit einer formula vorhanden war. Jedoch dürfen wir dieſe drey Formen des Prozeſſes nicht ſo denken, als ob ſie der Zeit nach ſtreng geſchieden geweſen wären. Neben dem ordo judiciorum dauerte als Ausnahme die Legis actio sacramenti in den Centumviralprozeſſen fort; eben ſo fiengen in demſelben Zeitraum als Ausnahmen die ex - traordinaria judicia an, ſo daß die drey Hauptformen des Prozeſſes gleichzeitig neben einander angewendet wurden. Endlich, nachdem die ordinaria judicia als Regel ver - ſchwunden waren, kam doch noch als Ausnahme ein Ju - dex in geringfügigen Sachen vor; es iſt aber nicht daran zu denken, daß in dieſem exceptionellen Verfahren die Um - ſtändlichkeit der formulae wäre angewendet worden.

67§. 214. Beſtandtheile der formula.

§. 214. Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula.

Die wichtigſten und ſchwierigſten Fragen des Römi - ſchen Actionenrechts können nur durch die genauere Einſicht in das Weſen der formulae entſchieden werden, und dieſe Einſicht iſt erſt durch die Entdeckung des Gajus möglich geworden. Nach ihm kommen überhaupt vier Beſtand - theile in den Formeln vor, jedoch ſo daß nur einer der - ſelben ganz allgemein und weſentlich iſt: Demonstratio, Intentio, Adjudicatio, Condemnatio(a)Gajus IV. § 39 44. Die ſtets vorangehende Benennung des Judex (z. B. L. Octavius judex esto. Cicero Verr. II. 12) rech - net er nicht als pars formulae mit.. Die Adjudicatio können wir für die allgemeine Betrachtung ſogleich beſei - tigen, da ſie nur in drey einzelnen Klagen vorkommt(b)Familiae erciscundae, Communi dividundo, Finium regundorum. Gajus IV. § 42. Es ſind die drey ſogenannten Thei - lungsklagen, welcher Name eigent - lich nur den beiden erſten zukommt., und zur Kenntniß des Weſens der Formeln überhaupt wenig beyträgt.

Demonstratio iſt ein erzählender, einleitender Theil der formula, worin die Veranlaſſung des Rechtsſtreits erwähnt wurde. Er war beſonders dazu beſtimmt, für die bekannteſten und häufigſten Klagen den eigenthümlichen Namen derſel - ben auszudrücken, da dieſer in den folgenden Theilen nicht vorkommen konnte, deren Inhalt vielmehr mit den aller - verſchiedenſten Klagen vereinbar war. Beyſpiele für die5*68Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.actio venditi, depositi, ex stipulatu, werden Dieſes an - ſchaulich machen(c)Gajus IV. § 40. 136..

  • Quod A. Agerius N. Negidio hominem vendidit.
  • Quod A. Agerius apud N. Negidium hominem deposuit.
  • Quod A. Agerius de N. Negidio incertum stipulatus est.

Dieſer erſte Theil kam in ſehr vielen Klagen gewöhnlich gar nicht vor; namentlich nicht bey den in rem actio - nes(d)Cicero in Verrem II. 12, und damit übereinſtimmend Gajus IV. § 41.: eben ſo bey den äußerſt zahlreichen formulae in factum conceptae, bey welchen, wie ſogleich gezeigt wer - den wird, die Intentio Alles enthielt, was in eine einlei - tende Demonstratio hätte geſetzt werden können. Nach den beſonderen Umſtänden einzelner Rechtsverhältniſſe konnte der Klage aus Vorſicht eine eigene Beſchränkung gegeben werden, die dann, eben ſo wie die Demonstratio, der In - tentio vorangeſchickt wurde. Dieſe führte den beſonderen Namen praescriptio, und war auch bey den in rem actio - nes anwendbar, obgleich dieſe ohne Demonstratio zu ſeyn pflegten. Gewöhnlich wurde die praescriptio nicht als Demonstratio angeſehen, ſondern als ein beſonderer, der ganzen formula vorangehender Zuſatz; in einigen Fällen aber wurde ſie der wirklichen Demonstratio ſelbſt einver - leibt(e)Von den Präſcriptionen überhaupt handelt Gajus IV. § 130 137: die im Text erwähnte Verſchiedenheit wird bemerkt § 132. 136. 137..

Intentio heißt der Theil der Formel, worin die Be -69§. 214. Beſtandtheile der formula. hauptung des Klägers, alſo zugleich der Grund und die Bedingung der von ihm verlangten Entſcheidung ausge - drückt war. Es iſt der einzige Theil, welcher in keiner Formel jemals fehlen konnte(f)Gajus IV. § 44.. Weil er nun das we - ſentlichſte Stück der Klage in ſich ſchloß, ſo wurden auch oft die Ausdrücke intentio und intendere für actio und agere geſezt, ja dieſer Sprachgebrauch iſt ſelbſt in man - chen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts noch ſichtbar geblie - ben, obgleich der Entſtehungsgrund deſſelben mit den For - meln ſelbſt längſt verſchwunden war. Jene Behauptung nun enthielt bald unmittelbar das Daſeyn eines Rechtsver - hältniſſes, bald ſolche Thatſachen, die als Grund eines Rechts angeſehen werden ſollten. Die Natur dieſes Unter - ſchieds wird erſt bey einer gleich folgenden Eintheilung der Klagen erklärt, und durch Beyſpiele erläutert werden können.

Condemnatio endlich war der praktiſche Theil der For - mel, das heißt die Anweiſung an den Judex, wie er unter Vorausſetzung der Wahrheit oder Unwahrheit der Inten - tio das Urtheil faſſen ſollte. Bey den meiſten Klagen war eine ſolche vorhanden; ſie fehlte aber bey den Prä - judicialklagen, das heißt bey denjenigen Klagen, wodurch zunächſt nur das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes oder einer Thatſache feſtgeſtellt werden ſollte, ſo daß ſich der Kläger vorbehielt, in einem künftigen anderen Rechtsſtreit von dieſer Feſtſtellung Gebrauch zu machen (§ 207. e. f.). Beyſpiele der Condemnatio ſind folgende(g)Gajus IV. § 43. 47. 51.:

70Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • Judex N. Negidium A. Agerio Sestertium X. Millia con - demna, si non paret absolve.
  • Quanti ea res erit, tantam pecuniam judex N. Negi - dium A. Agerio condemnato, si non paret absolvito.

Die Schlußworte beziehen ſich auf die Anfangsworte der Intentio, die in den angeführten Beyſpielen ſo lauteten: Si paret, ſo daß alſo der ganze Zuſammenhang des Ge - dankens dieſer war: Si paret, Negidium Sestertium X. Mil - lia dare oportere, Negidium Sest. X. M. condemna, si non paret absolve, alſo: wenn du nicht finden ſollteſt, daß er dieſe Summe ſchuldig ſey, ſo ſprich ihn frey.

§. 215. Arten der Klagen. Directae, utiles. Certa, incerta formula.

Auf die Intentio, den weſentlichſten Theil der Formel, bezieht ſich die Eintheilung der Klagen in directae und utiles.

Wenn nämlich ein früherhin beſchränkteres Klagrecht ſpäter auf neue Fälle ausgedehnt werden ſollte, ſo geſchah dieſes ſehr häufig dadurch, daß man die ſchon bekannte Klage unter dem Namen einer utilis actio anwendete(a)L. 21 de praescr. verbis (19. 5 ) Quotiens deficit actio vel exceptio, utilis actio vel exceptio (danda) est; nämlich vorausgeſezt, daß überhaupt Grund zu einer ſolchen ausgedehnten An - wendung vorhanden iſt. Vgl. über dieſe Begriffe im Allgemei - nen Mühlenbruch Lehre von der Ceſſion § 15., und im Gegenſatz dieſer ausgedehnteren Anwendung hieß71§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. dann dieſelbe Klage in Anwendung auf diejenigen Fälle, wofür ſie ſchon urſprünglich gelten ſollte, directa oder auch vulgaris(b)Der Ausdruck vulgaris ſteht in L. 46 de her. inst. (28. 5.). Unrichtig haben dieſen Begriff Manche ſo gedacht, als hätte jede ſolche Klage eine ganz eigenthüm - liche Formel im Edict gehabt. Der weſentliche Theil der Formel (die intentio) war für ſehr viele Klagen völlig gleichlautend (dare opor - tere, dare facere oportere ex fide bona u. ſ. w.). Das Eigen - thümliche der vulgares actiones beſtand vielmehr nur darin, daß in der demonstratio der techniſche Nahme eines bekannten Rechtsge - ſchäfts gebraucht wurde, z. B. Quod Agerius fundum vendidit, men - sam deposuit u. ſ w. Dadurch war die Klage als venditi oder depositi actio inviduell bezeichnet.. Es geſchah aber eine ſolche Ausdeh - nung beſonders unter der Form von Fictionen, ſo daß man fingirte, ein Kläger, der eigentlich nicht Erbe oder Eigenthümer war, ſey Erbe oder Eigenthümer, und könne deswegen mit demſelben Erfolg klagen, wie es der wirk - liche Eigenthümer ohnehin konnte(c)Gajus IV. § 34 38. ficto se herede agit fingitur rem usucepisse civitas ei Romana fingitur fingimus adversarium nostrum capite de - minutum non esse. Wie in den einzelnen Fällen die Fiction in der Intentio ausgedrückt wurde, zeigen die §§ 36. 37 an mehreren Beyſpielen.. Daher iſt denn utilis actio, der urſprünglichen Bedeutung nach, ſo viel als fictitia, und dieſe gleiche Bedeutung beider Ausdrücke wird durch folgende Zeugniſſe außer Zweifel geſezt. Ga - jus bezeichnet die auf Fiction gegründeten Klagen einmal als den Gegenſatz der directae(d)Gajus IV. § 34 non ha - bet directas actiones itaque ficto se herede intendit. , in einer anderen Stelle ganz unmittelbar als utiles(e)Gajus IV. § 38 introduc - ta est contra cum eamve actio utilis, rescissa capitis deminu - tione, id est in qua fingitur capite deminutus deminutave non esse. . Ferner wurden die zu72Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae) nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er - hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei - commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae(f)Gajus II. § 253 (eben ſo § 4 J. de fid. her. 2. 23 ), Ul - pian. XXVIII. § 12. Allerdings ſpricht der erſte blos von utiles actiones bey dem Fideicommiß, der zweyte blos von fictitiae bey der bonorum possessio, und man könnte die Gleichartigkeit bei - der Klagen, die ich hier annehme, etwa noch bezweifeln.. Von dieſen beiden Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich - net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei - terung eines Rechtsinſtituts(g)S. o. Band 1 § 15. S. 56 über die Bedeutung von utilitas. .

Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon - dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje - nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213), und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor - den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo - ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver - ſchwunden war(h)L. 47 § 1 de neg. gestis. (3. 5), ohne Zweifel interpolirt.. Es erklärt ſich aus dieſer weſent - lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia -73§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. niſchen Recht der Ausdruck fictitia actio ganz verſchwun - den iſt, während die Benennung der utiles actiones noch überall vorkommt. Dieſe hat nun für das Juſtinianiſche Recht, und für uns, nur noch eine geſchichtliche Bedeu - tung; ſie bringt uns in Erinnerung, daß eine ſo benannte Klage aus der allmäligen Erweiterung eines früher be - ſchränkteren Rechtsinſtituts hervorgegangen iſt.

Es iſt jedoch kaum zn bezweifeln, daß auch ſchon im älteren Prozeß dieſe Erweiterung einer ſchon beſtehenden Klage auf neue Fälle nicht immer als eigentliche Fiction in der Formel ausgedrückt wurde(i)Mühlenbruch Ceſſion S. 150 der dritten Ausgabe.. Daher hatte man ſchon damals neben den utiles actiones, die als Fictionen in der Formel ausgedrückt wurden, auch ſolche, denen der Name blos in dem materiellen Sinn eines auf neue Fälle erweiterten Rechtsinſtituts beygelegt wurde. Insbeſondere läßt ſich annehmen, daß blos bey alten Civilklagen die Erweiterung durch eine Fiction in der Formel ausgedrückt wurde(k)Die von Gajus wörtlich angeführten Fälle fingirter einzel - ner Klagen beziehen ſich ſämtlich auf alte Civilklagen, die dadurch ausgedehnt werden ſollten., anſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Natur der utilis actio in der Faſſung der Formel nicht zur Anſchauung kam(l)Dahin würde alſo gehören die utilis Serviana actio. L. 1 § 2 de pign. (20. 1 ), L. 1 pr. quib. m. pign. (20. 6.). Eben ſo das utile interdictum uti pos - sidetis, unde vi, quod legato - rum. Vatic. Fragm. § 90. Von dem zulezt genannten Inter - dict iſt in der angeführten Stelle die formula aufbewahrt, und aus dieſer erhält die hier aufgeſtellte Anſicht eine unmittelbare Beſtäti - gung, da in derſelben der Ausdruck.

74Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Übrigens finden ſich als utiles actiones ſowohl Kla - gen in personam, als in rem, ſowohl Pönalklagen, als ſolche die blos das Vermögen nach beiden Seiten hin un - verändert erhalten ſollen.

Verſchieden von den Fictionsklagen, die noch im neue - ſten Recht unter dem Namen von utiles actiones vorkom - men, waren diejenigen, die auf der Fiction einer alten Legis actio beruhten, und von welchen im neueſten Recht jede Spur verſchwunden iſt(m)Gajus IV. § 10. 32. 33. Die Erwähnung dieſer Form von Klagen veranlaßt ihn, die ganze Lehre der alten Legis actiones § 11 31. abzuhandeln..

Bey Gajus kommt der Ausdruck incerta formula vor, welcher auf eine entgegengeſezte certa formula hindeu - tet(n)Gajus IV. § 54. Wo in unſren Juſtinianiſchen Rechts - büchern die Ausdrücke incerti agere, incerti actio, incerta actio, incertum judicium vor - kommen, da gehen dieſelben meiſt beſtimmt auf die actio praescri - ptis verbis, welche incerta In - tentio und Condemnatio hatte. L. 8 L. 9 L. 16 de praescr. verbis (19. 5 ), L. 7 § 2 de pa - ctis (2. 14 ), L. 23 comm. div. (10. 3 ), L. 6 C. de rer. perm. (4. 64 ), L. 9 C. de don. (8. 54.)., und es iſt für die folgende Unterſuchung nicht un - wichtig, den hierin zum Grunde liegenden Gegenſatz genau feſtzuſtellen.

Betrachten wir zuerſt die Intentio, ſo werden wir die - ſelbe certa nennen müſſen, wenn die Behauptung des Klä -(l)einer Fiction gar nicht gebraucht wird; der Zweck wird vielmehr da - durch erreicht, daß dem gewöhnli - chen Ausdruck: quod .. possides, noch hinzugefügt wird: quodque uteris frueris. Eben ſo ſind auch die exceptiones utiles nicht etwa fictitiae, ſondern erweiterte, ausgedehnte Exceptionen. Vgl. § 227. d. 75§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. gers von allen Seiten beſtimmt ausgedrückt iſt. Beyſpiele ſind dieſe: Si paret Stichum meum esse, Si paret N. Ne - gidium X. dare oportere, Si paret, Agerium apud Negi - dium mensam deposuisse(o)Gajus IV. § 45. 47.. Denn in allen dieſen Fäl - len iſt es aus den Worten der Intentio völlig klar und gewiß, was der Kläger will und behauptet. Dagegen iſt incerta dieſe Intentio: quidquid N. Negidium dare fa - cere oportet, denn es liegt darin die Behauptung, der Be - klagte ſey irgend Etwas ſchuldig, der Umfang der Schuld ſey aber noch nicht genau anzugeben, und werde daher der Feſtſtellung durch das Verfahren überlaſſen(p)Gajus IV. § 47. 136. 137..

Betrachten wir nun ferner die Condemnatio. Bey der incerta Intentio wird immer auch die Condemnatio in - certa ſeyn müſſen, und dann werden wir nicht zweifelhaft ſeyn, auch die ganze Klage incerta zu nennen. Bey der certa Intentio dagegen ſind zwey Fälle möglich. Die Condemnatio kann gleichfalls certa ſeyn, und dann wer - den wir nicht zweifeln, die Klage ſelbſt certa zu nennen; ſo zum Beyſpiel in der Formel: Si paret N. Negidium Decem dare debere, Judex N. Negidium Decem con - demna(q)Gajus IV. § 50. Es kam dabey noch folgende Varietät vor. Die certa Condemnatio konnte eine wörtliche Wiederholung der certa Intentio ſeyn (wie im Fall des angeführten § 50), oder auch davon ganz verſchieden lauten; ſo im Fall des § 46.. Es kann aber auch die certa Intentio eine incerta Condemnatio mit ſich führen, und dieſer Fall war deswegen ſo ſehr häufig, weil in der Condemnatio nie76Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.etwas Anderes ſtehen durfte als baares Geld(r)Gajus IV. § 48., anſtatt daß die Intentio ſehr viele andere genau beſtimmte Gegen - ſtände enthalten konnte. Zum Beyſpiel kann die Formel der Eigenthumsklage dienen, worin auf die Intentio: Si paret Stichum A. Agerii esse, dieſe Condemnatio folgte: quanti ea res erit, tantam pecuniam N. Negidium A. Age - rio condemna(s)Gajus IV. § 51. Ein an - derer Fall von certa Intentio mit incerta Condemnatio wird am Ende des § 68 erwähnt.. Dieſe war incerta, denn es war aus ihren Worten nicht zu erkennen, wie hoch der Judex den Beklagten verurtheilen würde.

Es iſt nun vor Allem wichtig, dieſe Verſchiedenheit der Fälle, als wirklich vorkommend, deutlich in’s Auge zu faſ - ſen. Im älteren Prozeß knüpfte ſich daran ein ſehr großes praktiſches Intereſſe. War die Intentio certa, ſo mußte ſich der Kläger hüten, Mehr zu fordern als ihm zukam; fehlte er hierin, ſo verlor er plus petendo auch das, was ihm wirklich gebührte(t)Gajus IV. § 53. 60.. Bey der incerta In - tentio war dieſer Fehler und die damit verbundene Gefahr unmöglich, da in dem unbeſtimmten quidquid dare opor - tet niemals eine übertriebene Quantität liegen konnte(u)Gajus IV. § 54.. In der Demonstratio und Condemnatio waren zwar auch Übertreibungen möglich, ſie hatten aber niemals jene ge - fährliche Folge für den Kläger(v)Gajus IV. § 57. 58..

Bisher wurde blos die Sache betrachtet. Was aber den Ausdruck für den oben erwähnten zweydeutigen Fall77§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. (certa Intentio, incerta Condemnatio) betrifft, ſo hatte man eben ſo viel Grund, die Klage certa als incerta zu nennen, indem es darauf ankam, ob man hierin die Beſchaf - fenheit der Intentio, oder die der Condemnatio, vorzugsweiſe berückſichtigen wollte. Nach einer Stelle des Gajus müſ - ſen wir annehmen, daß der Ausdruck lediglich auf die In - tentio gieng, ſo daß alſo in jenem an ſich zweydeutigen Fall der Ausdruck certa actio oder formula allerdings ge - braucht wurde, ungeachtet der Unbeſtimmtheit der Condem - natio. Denn Gajus ſtellt zuerſt die Regel auf, bey der auf den Sklaven Stichus gerichteten Klage ſey ein plus petere wohl möglich, wenn nämlich die Stipulation auf einen Sklaven überhaupt, nicht auf dieſes Individuum, gerichtet war(w)Gajus IV. § 53.. Dann fährt er in folgenden Worten fort: Illud satis apparet, in incertis formulis plus peti non posse, quia cum certa quantitas non petatur, sed quidquid adversarium dare facere oporteat intendatur, nemo potest plus intendere(x)Gajus IV. § 54. Eben ſo geht bey ihm das certum und incertum petere lediglich auf die Intentio, ohne Rückſicht auf die Condemnatio. IV. § 54. 131. Eine andere Frage iſt es, was Certum in Anwendung auf die Condictionen bedeutet. Darüber vgl. Beylage XIV. Num. XXXVI. u. fg.. Hieraus aber iſt es klar, daß er nur dieſen letzten Fall (incerta Intentio et Con - demnatio) unter dem Namen incerta formula verſteht, den vorhergehenden Fall aber (certa Intentio, incerta Con - demnatio) nicht als incerta, ſondern als certa formula anſieht.

78Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 216. Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae.

Die im Edict aufgeſtellten Formeln waren von zweyer - ley Art: in jus, in factum conceptae.

Die erſte Klaſſe hatte eine juris civilis intentio, das heißt die Behauptung des Daſeyns eines im jus civile ge - gründeten Rechtsverhältniſſes; ſo bey den Klagen in rem: si paret, fundum (oder hereditatem) Agerii esse, oder: Agerio jus esse utendi fruendi, eundi, aquam ducendi oder: Titium liberum esse(a)Nämlich dieſe Präjudicial - klage de statu war die einzige, welche eine legitima causa hatte, die übrigen waren prätoriſche Kla - gen; daher konnte auch nur jene eine formula in jus concepta haben. § 13 J. de act. (4. 6.); bey Contractsklagen: dare, oder dare facere oportere; bey Delictsklagen: damnum decidere oportere(a¹)Gajus IV. § 37. 45. 107. In dieſen Stellen ſind die mei - ſten der oben im Text angegebe - nen. Formeln wörtlich enthalten. Vgl. auch Beylage XIV. Num. XX. ; in allen dieſen Fällen alſo Daſeyn eines Eigenthums, einer Obligation oder eines anderen, durch jus civile anerkannten ſtrengen Rechts. Übrigens war eine ſolche Intentio bald certa, bald incerta, und die hinzugefügte Condemnatio desgleichen(b)Decem dare oportere war certa Intentio, quidquid dare facere oportet war incerta, ſ. o. § 215..

Die zweyte Klaſſe hatte zur Intentio die bloße Behaup - tung von Thatſachen, ſie war alſo in ihrer Faſſung ähn - lich einer Demonstratio (§. 214), und konnte daher eine ei - gentliche, abgeſonderte Demonstratio gar nicht enthalten,79§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. da der ganze mögliche Inhalt einer ſolchen ſchon in die Intentio ſelbſt verſchmolzen war(c)Es würde ganz unrichtig ſeyn, einer ſolchen Formel, wegen des factiſchen Ausdrucks, eine bloße Demonstratio zuzuſchreiben, ohne Intentio. Denn bey Gajus IV. § 60 wird hier nicht nur der Name Intentio gebraucht, ſondern auch die Möglichkeit des Plus petere behauptet, welches doch nach § 53. 58. nur in der Intentio, nie in der Demonstratio, begangen wer - den konnte. Eben ſo heißt in L. 1 C. si pign. conv. (8. 33. ) die Hypothekarklage Intentio dati pig - noris, die doch gewiß nur eine for - mula in factum concepta hatte. Vgl. Keller Litisconteſtation S. 248. 358. Die vorkommenden Beyſpiele einer abgeſonderten De - monstratio beziehen ſich ſtets auf eine formula in jus concepta. Gajus IV. § 40. 47. 136. 137.. Eine ſolche Intentio war ſtets certa, da jederzeit beſtimmte Thatſachen behauptet werden mußten, hierin alſo Nichts dem freyen Ermeſſen des Judex überlaſſen blieb. Die Condemnatio dagegen war dabey bald certa, bald incerta(d)Certa condemnatio hatte die Klage des Patrons wegen der reſpectswidrigen in jus vo - catio, nämlich nach Gajus IV. § 46. auf 10000 Seſterze, nach dem Juſtinianiſchen Recht auf 5000. § 3 J. de poena tem. (4. 16. ), L. 12. 24. 25 de in j. voc. (2. 4. ); wahrſcheinlich iſt es bey Ga - jus bloßer Schreibfehler. Eben ſo die Klage de albo corrupto auf 500 aurei. L. 7 pr. de ju - risd. (2. 1.). Dagegen ha - ben die meiſten anderen formulae in factum conceptae eine in - certa Condemnatio. So die bey Gajus IV. § 46 angeführte Bey - ſpiele, verglichen mit L. 2 § 1 si quis in jus voc. (2. 5. ), und mit L. 5 § 1 ne quis eum (2. 7.).

Dieſer Gegenſatz der Klagen fällt nun zunächſt zuſam - men mit dem Gegenſatz der civilen und prätoriſchen Kla - gen. Denn bey den civilen Klagen war ſtets eine juris civilis Intentio möglich(e)Möglich, aber nicht noth - wendig, da bey ihnen eben ſowohl eine factiſche Faſſung gerechtfer - tigt war, wenn man eine ſolche räthlich fand; daß ſie in der That auch vorkam, wird ſogleich bemerkt werden., ſo daß die Intentio ſtets in jus concipirt werden konnte. Bey den prätoriſchen Kla -80Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gen war Dieſes nicht möglich, weil ſie gar nicht auf einem jetzt ſchon vorhandenen Recht beruhten, ſondern auf der obrigkeitlichen Macht, Kraft welcher der Prätor eine Klage gab, und einen Judex zum Ausſpruch eines Urtheils be - vollmächtigte, welchem dann dieſelbe obrigkeitliche Macht auch die Vollziehung verſchaffte(f)Vgl. Band 1. § 22. S. 117. Daß alle prätoriſche Klagen in factum conceptae waren, ſagt Gajus nicht ausdrücklich, aber we - nigſtens ſind alle von ihm im § 46 angeführte Beyſpiele prätoriſch und zugleich in factum conceptae. . Dieſe Anſicht der Sache wird durch die beſtimmteſten Stellen des Römiſchen Rechts beſtätigt. Dahin gehört folgende Stelle des Paulus(g)L. 37 de V. S. (50. 16.). Im Zuſammenhang damit ſteht L. 27 de novat. (46. 2. ), da das officium judicis auch die künfti - gen Zinſen umfaßt haben würde. Vgl. auch L. 76. § 1 L. 89. L. 125 de V. O. (45. 1.).

Verbum oportere non ad facultatem judicis per - tinet, qui potest vel pluris vel minoris condemnare, sed ad veritatem refertur.

Das heißt: der in der Intentio vorkommende Ausdruck Oportere darf ſtets nur von dem gegenwärtigen, wirkli - chen Daſeyn einer civilrechtlichen Schuld verſtanden wer - den, nicht von der Schuld, die durch richterliches Ermeſſen, vermittelſt eines Urtheils, vielleicht entſtehen kann. Geſetzt alſo, es wollte Jemand aus einem Kauf, der ſtets nur eine incerta Intentio hat, auf Decem dare oportere kla - gen, ſo würde er ſchlechthin abgewieſen werden müſſen, ohne Rückſicht darauf, daß bey richtig gefaßter Intentio der Richter vielleicht auf dieſelbe, oder eine noch größere Summe, geſprochen haben würde. Eben ſo iſt es zu81§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. verſtehen, wenn die prätoriſchen Klagen erklärt werden als actiones quas Praetor ex sua jurisdictione comparatas ha - bet(h)§ 5 J. de act. (4. 6.), oder quae a Praetore dantur, im Gegenſatz der Klagen quae ipso jure competunt(i)§ 1 J. de perpet. (4. 12.). Dieſes iſt richtig hervorgehoben von Francke Beiträge S. 5.. Denn obgleich die Thätigkeit des Prätors auch bey den Civilklagen nöthig war, indem nur er einen Judex und eine Klage geben konnte, ſo war doch dabey jene Thätigkeit eine blos aus - führende, das ſchon vorhandene Recht anerkennende, an - ſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Befugniß dazu erſt durch des Prätors Macht begründet wurde. Es würde auch unrichtig ſeyn, die formula in factum con - cepta, die hier als allgemeine Eigenſchaft aller prätori - ſchen Klagen behauptet worden iſt, auf die perſönlichen Klagen dieſer Klaſſe beſchränken zu wollen, da ſie viel - mehr auch bey den prätoriſchen in rem actiones angenom - men werden muß(i¹)Die actio vectigalis war ohne Zweifel ſo gefaßt: Si paret A. A. conduxisse fundum a mu - nicipibus (L. 1 § 1 L. 3 si ager vect. 6. 3. ); die superficiaria: Si paret, A. A. superficiem in perpetuum (oder: in annos XXX) conduxisse (L. 1 pr. § 1. 3 de superf. 43. 18); die hypothecaria: Si paret, Aulo Agerio rem pignori obligatam esse ab eo, cujus tum in bo - nis erat, neque redditam pecu - niam esse (L. 6 C. si al. res 8. 16, L. 1 C. si pign. conv. 8. 34, L. 13 § 1 de Sc. Vell. 16. 1.). Alle dieſe Bedingungen gehen auf reine Thatſachen..

Die hier vorläufig angenommene Identität der beyden Gegenſätze (civile und prätoriſche Klagen, in jus und in factum) muß jedoch auf zwiefache Weiſe beſchränkt wer -V. 682Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den. Erſtlich gab es prätoriſche Klagen, deren Faſſung zwar weſentlich in factum war, aber doch einen Übergang zu der Faſſung in jus in ſich ſchloß; dieſes waren manche der ſchon oben (§ 215) dargeſtellten utiles oder fictitiae actiones. Es wird dieſes anſchaulich werden durch das vollſtändigſte Formular, das von einer ſolchen Klage, der publiciana actio, bekannt iſt.

  • Gajus IV. § 36. Iudex esto. Si quem hominem A. Age - rius emit (et is) ei traditus est, anno possedisset, tum si eum hominem, de quo agitur, ejus ex jure Quiritium esse oporteret, et reliqua.

Das Weſen dieſer Intentio iſt die rein thatſächliche Behauptung: Agerius hat den ſtreitigen Sklaven gekauft und tradirt bekommen. Dieſe hat aber folgenden beſon - deren Zuſatz: der Judex ſoll zugleich prüfen, ob der durch die Tradition erworbene Beſitz ſo beſchaffen war, daß er durch einjährige Fortdauer in Römiſches Eigenthum über - gegangen ſeyn würde. Dadurch bekommt die an ſich that - ſächliche Intentio eine Färbung von jus, ſpielt alſo in die in jus concepta hinüber. Bedingung der Condemnation iſt eine Thatſache, die jedoch ſo beſchaffen ſeyn ſoll, daß ſie unter gewiſſen, jetzt nicht vorhandenen, Vorausſetz - ungen ein wirkliches Recht begründet haben würde.

Zweytens iſt ſchon erwähnt worden, daß die Civilkla - gen auch einer thatſächlichen Faſſung empfänglich waren (Note e). In der That gab es einige, wie es ſcheint nur wenige, Civilklagen, für welche im Edict zwey Formeln83§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. zur Auswahl aufgeſtellt waren, in jus und in factum. Gajus giebt von dieſer Varietät nur zwey Fälle an, de - positi und commodati actio, erläutert aber dieſe durch vollſtändige Formulare(k)Gajus IV. § 47. 60. In den Digeſten finden ſich mehrere Stellen, die ſich augenſcheinlich auf dieſe formulae in factum conceptae beziehen. L. 3 § 1 commodati (12. 6. ), L. 1 § 16 § 40 depositi (16. 3.).

Es entſteht aber nun die Frage, ob die Verſchieden - heit der Formeln, die in jus oder in factum gefaßt wa - ren, lediglich zum Roͤmiſchen Gerichtsſtyl gehörte, oder ob ſich daran auch eigenthümliche Wirkungen knüpften, ſo daß ein praktiſches Intereſſe damit verbunden war. Ein ſolches Intereſſe war wohl allerdings vorhanden, aber ge - ringer, als es neuere Schriftſteller anzunehmen pflegen, ſo daß es hauptſächlich darauf ankommen wird, die unbe - gründeten Hypotheſen abzuwehren, die ſich hier einge - drängt haben. Wären alle Civilklagen ſtets in jus, und nur die prätoriſchen in factum gefaßt worden, ſo ließe ſich vielleicht annehmen, es hätte dadurch blos die oben dargeſtellte allgemeine Verſchiedenheit des prätoriſchen Rechts von dem Civilrecht ſcharf ausgedrückt werden ſollen, ohne verſchiedene Folgen für die Parteyen; allein die Aufſtel - lung von zwey Formularen bey manchen Klagen läßt nicht zweifeln, daß es wenigſtens in manchen Fällen vortheil - hafter für den Kläger ſeyn mußte, das eine Formular vor - zugsweiſe vor dem andern zu wählen.

Ein ganz iſolirter eigenthümlicher Erfolg der in jus6*84Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gefaßten Formel beſtand darin. Wenn die Klage in per - sonam, zugleich auch ein legitimum judicium, und zugleich in jus gefaßt war, dann war die Klage durch die bloße Anſtellung ipso jure conſumirt, ſo daß ſie nie zum zwey - tenmal angeſtellt werden konnte; in allen anderen Fällen war eine wiederholte Anſtellung derſelben Klage zwar auch ausgeſchloſſen, aber nicht ipso jure, ſondern durch excep - tio rei judicatae oder in judicium deductae(l)Gajus IV. § 107. Die an - deren Fälle alſo, worin jene Ex - ceptionen aushelfen mußten, wa - ren: a) alle in rem actiones b) alle judicia quae imperio con - tinebantur c) alle Prozeſſe mit ei - ner formula in factum concepta. . Von gro - ßer praktiſcher Erheblichkeit war dieſer Unterſchied freylich nicht.

Erheblicher ſchon war es, daß ein in väterlicher Ge - walt lebender Sohn, wenn er ſelbſt zu klagen befugt und veranlaßt war, keine intentio in jus concepta aufſtellen konnte, da er nie zu behaupten im Stande war, er ſelbſt ſey Eigenthümer oder Glaubiger. Es ſcheint, daß gerade dieſer Umſtand die Aufſtellung von zwey Formularen zur Auswahl bey manchen Klagen veranlaßt hat. Gewöhnlich alſo klagte man wohl bey der depositi oder commodati actio mit einer formula in jus, wie es der Natur der Ci - vilklagen angemeſſen war, wollte aber ein Sohn in väter - licher Gewalt ſolche Klagen anſtellen (wozu bey ihnen vorzugsweiſe Veranlaſſung für ihn ſeyn konnte), ſo mußte er die Formel in factum wählen(m)Vgl. Band 2. § 67. § 71. Note o. und Note t. Auch zu einer Fictionsklage war ein Sol -.

85§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund, wie nunmehr gezeigt werden ſoll.

Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll, ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung unbeſtrittener Thatſachen (in jus)(n)Dieſes iſt die Meynung von Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji, Leodii 1821. p. 71 76.. Dazu kann höch - ſtens der Klang der Worte verleiten(o)Außer dem in den Worten jus und factum liegenden Schein täuſchte noch der Umſtand, daß in den beyden Formularen bey Gajus IV. § 47 die Worte Si paret nur für die Formel in factum gebraucht werden. Allein anderwärts kom - men dieſelben Worte auch bey ei - ner formula in jus concepta vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci - cero pro Roscio Comoedo C. 4., bey genaue - rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be - ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For - meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end - lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol -(m)cher nicht fähig, denn man konnte z. B. bey der publiciana actio von ihm nicht ſagen, daß unter Vorausſetzung der vollendeten Uſu - capionszeit Er Eigenthümer ge - worden ſeyn würde; er konnte es in keiner Zeit werden, ſo lange er filius familias blieb.86Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.len, worin über die Thatſache und das Recht zugleich geſtritten wird?

Mehr Schein hat die Meynung für ſich, nach welcher die Formel in factum gebraucht ſeyn ſoll, um dem Be - klagten die Möglichkeit der Losſprechung vermittelſt frey - williger Reſtitution offen zu laſſen, wozu die Formel in jus keine paſſende Stelle darzubieten ſchien(p)Keller Litisconteſtation S. 358, Haſſe a. a. O. S. 33.. Allein dieſe Meynung wird ſchon widerlegt durch die Eigen - thumsklage, nämlich die petitoria formula, die gewiß in jus war(q)Gajus IV. § 45. 92., und dennoch ſtets den vorſorglichen Zuſatz nisi restituas hatte(r)Cicero in Verrem II. 12. L. 68 de rei vind. (6. 1.). Sie wurde dadurch veranlaßt, daß unter den beiden neben einander geſtellten Formularen der depositi actio, das in factum jenen Zuſatz offenbar hatte, das in jus ihn zu enbehren ſchien(s)Gajus IV. § 47.. Allein ſelbſt dieſer Schein iſt durch die Entdeckung verſchwunden, daß auch die erwähnte formula in jus concepta der depositi actio jenen ſchützenden Zuſatz allerdings hatte(t)Nämlich bey Gajus IV. § 47. leſen die Ausgaben: Nume - rium Negidium Aulo Agerio condemnato ** si non paret absolvito. Da, wo die Lücke be - merkt iſt, ſteht in der Handſchrift: N R, welches von Huſchke (Stu - dien S. 316) aufgelöſt wird durch nisi restituat. Dieſe höchſt glück - liche Conjectur wird völlig beſtä - tigt durch L. 1 § 21 depositi (16. 3.) .. nec debere absolvi, nisi restituat condemnan - dum te nisi restituas. (Vgl. auch L. 22 in f. eod. L. 3. § 3. commodati 13. 6.). Dieſes ſind augenſcheinlich wörtliche Anſpie - lungen auf die Faſſung der For - mel, ſogar darin wörtlich zutref - fend, daß ſie die Einrückung der Worte in die Condemnatio be - ſtätigen. Dieſe Anſpielung paßte.

87§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Endlich könnte man glauben, der Unterſchied ſey in dem höheren oder geringeren Grad juriſtiſcher Beurthei - lung zu ſuchen, welcher dem Judex in jenen beiden Arten der Formeln zugemuthet und anvertraut wurde. Bey der depositi formula in jus hatte der Judex zu beurtheilen, ob und wie viel Einer dem Andern ſchuldig ſey (quidquid dare facere oportet), welches ohne einen ge - wiſſen Grad von Rechtskenntniß nicht möglich iſt. Dage - gen hatte er bey derſelben Klage, wenn ſie in factum con - cipirt war, zunächſt nur die reine Thatſache zu beurthei - len, ob eine Sache deponirt und nicht zurückgegeben ſey (mensam deposuisse eamque redditam non esse), und die - ſes Urtheil iſt ohne die geringſte Rechtskenntniß möglich; es kommt nur darauf an, aus welchen Elementen die Con - demnatio bey dieſer letzten Formel beſtand. Dieſe lautete nun ſo: quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnato. War das nun ſo gemeynt, daß ſtets der reine Sachwerth oder Marktpreis zuerkannt werden ſollte, ſo war auch hier alle juriſtiſche Beurtheilung voͤllig ausgeſchloſſen, da der Marktpreis von ganz anderen Perſonen als den Rechts - kundigen zu erfahren iſt, und dadurch wäre jene verſuchte Unterſcheidung allerdings beſtätigt geweſen. Wenn dage - gen der Sinn des quanti res erit nicht in dem Marktpreis,(t)aber nur auf die Formel in jus, nicht auf die in factum; denn obgleich dieſe dem Sinn nach Daſ - ſelbe ausdrückte, ſo lauteten doch die Worte anders, nämlich ſo: eamque dolo malo .. redditam non esse, und dieſe Worte ſtan - den nicht in der Condemnatio, ſondern in der Intentio. 88Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſondern in dem rechtsbegründeten Intereſſe, mit Erwägung aller Umſtände, beſtand, ſo iſt hier dem Judex genau dieſelbe juriſtiſche Beurtheilung, wie bey der Formel in jus, übertragen, da dieſes quanti interest auf dieſelbe Art zu ermitteln iſt, und zu demſelben Erfolg führt, wie das quidquid dare facere oportet, und nur wörtlich davon verſchieden iſt. Nun hat aber in der That jener Aus - druck die zweyte hier angegebene Bedeutung, nicht die erſte(u)Vgl. Beylage XII. , ſo daß alſo auch dieſer letzte Verſuch einer durchgrei - fenden praktiſchen Unterſcheidung jener beiden Arten von Formeln gänzlich aufgegeben werden muß.

Die im Anfang dieſes §. aufgeſtellten Beyſpiele der bey den formulae in jus conceptae üblichen Intentio füh - ren wieder zurück zu dem oben dargeſtellten Gegenſatz der in personam und in rem actiones (§ 206 209). Die in personam enthalten in ihrer Intentio ſtets die Behaup - tung eines Oportere, bezogen auf die dabey genannte Per - ſon des Beklagten, das heißt alſo die Behauptung einer auf dieſer Perſon ſchon jetzt laſtenden, durch das jus civile begründeten, Obligation; eben dieſe Eigenthümlichkeit iſt es, die durch den Ausdruck in personam bezeichnet wird. Die Intentio der in rem actio dagegen behauptet ſtets das abſolute Daſeyn eines, gleichfalls durch jus civile be - gründeten, Rechtsverhältniſſes außer einer ſolchen Obli - gation. Dieſe Unperſönlichkeit der Intentio iſt es, die hier89§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. durch den Ausdruck in rem bezeichnet wird (§ 208. a), nicht die Beziehung auf eine beſtimmte Sache; dieſe Beziehung iſt gar nicht allgemein und nothwendig, denn es kam nur darauf an, daß nicht der Beklagte als ein zu condemnirender Schuldner ausgedrückt wurde(v)Gajus IV. 87. cum in rem agitur, nihil in intentione facit ejus persona, cum quo agitur tantum enim intenditur, rem actoris esse. Die erſte (negative) Hälfte des Satzes beſtätigt das hier Geſagte, die zweyte (poſitive) iſt nur Beyſpiel, und widerſpricht daher meiner Behauptung nicht..

Hieraus erklärt ſich zugleich, auf eine dem alten For - mularprozeß eigenthümliche Weiſe, die bey den Theilungs - klagen übliche Benennung: mixtae actiones (§ 209). Die formula derſelben war nämlich, mehr als bey anderen Klagen, zuſammengeſetzt. Sie hatte einen rein perſönli - chen, auf Obligationen gerichteten, Beſtandtheil, mit dare facere oportere ex fide bona; daneben aber noch einen anderen Theil, adjudicatio genannt, welcher ſo lautete: Quantum adjudicari oportet, judex Titio adjudicato(w)Gajus IV. § 42.. Dieſer Theil war unperſönlich gefaßt, mithin in rem(x)S. o. § 208. a, und § 216. v. ; und ſo mußte man ſagen, die Formelfaſſung dieſer Kla - gen ſey zuſammengeſetzt aus in rem und in personam(y)So iſt zu verſtehen folgende Stelle, die wir wohl nicht mehr in ihrer urſprünglichen Geſtalt beſitzen mögen: L. 22 § 4 fam. herc. (10. 2.) Familiae erciscundae judicium ex duobus constat, id est rebus atque praestationibus, quae sunt personales actiones. .

Ganz unrichtig aber würde es ſeyn, dieſe Bemerkung dahin wenden zu wollen, als wäre der Unterſchied der in personam und in rem actiones aus jener Formelfaſſung90Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.entſprungen, und daher auch, ſeinem Weſen nach, mit ihr verſchwunden, ſo daß er jetzt als unnütz vermieden wer - den möchte. Gerade umgekehrt haben ſich die Formeln in der angegebenen Weiſe ausgebildet, um dem in dem in - neren Weſen der Sache gegründeten Gegenſatz zum ange - meſſenen Ausdruck zu dienen. Auch in unſrem heutigen Recht müſſen wir ſagen, daß das richterliche Urtheil über eine in rem actio zunächſt auf das Daſeyn oder Nichtda - ſeyn eines Rechtsverhältniſſes gehe, und nur mittelbar und folgerungsweiſe auf die Verurtheilung des Beklagten zu beſtimmten Leiſtungen; anſtatt daß dieſe Verurtheilung bey der in rem actio der einzige Inhalt des Erkenntniſſes iſt. Ja, man kann ſagen, daß dieſer Unterſchied der über beide Hauptarten der Klagen zu fällenden Urtheile im Juſtinianiſchen Recht ſogar noch ſchärfer hervortritt, als zur Zeit des früheren Formularprozeſſes, da nun die Ver - urtheilung ſelbſt, gleich unmittelbar, auf die Anerkennung des ſtreitigen Rechts gerichtet wird, anſtatt daß ſie früher ſtets auf baares Geld zu richten war (§ 215. r), ſo daß ihr jene Anerkennung nur beyläufig eingemiſcht werden konnte, etwa als Motiv der auf eine Geldſumme gerich - teten Verurtheilung(z)In dieſer indirecten Weiſe kommt die Anerkennung des Rechts in der in rem actio, ſchon bey den alten Juriſten vor. L. 8 § 4 si serv. (8. 5. ) per sententiam non debet servitus constitui, sed quae est declarari. L. 35 § 1 de R. V. (6. 1. ) judex sen - tentia declaravit meum esse. Dieſe, ohne Zweifel unverfälſchte, Stellen, haben im Juſtinianiſchen und heutigen Recht eine noch un -.

Bey den formulae in factum conceptae, alſo bey al -91§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)len prätoriſchen Klagen, wurde der Unterſchied der in rem und in personam actiones in den Ausdrücken der Inten - tio nicht ſichtbar(aa)Eine prätoriſche Klage konnte daher in personam ſeyn, während der Ausdruck ſo gefaßt war, daß man ſie für eine in rem actio hätte halten können. Vgl. § 208. a. . Dennoch iſt auch bey den prätori - ſchen Klagen dieſer Unterſchied ſtets anerkannt worden(bb)L. 1 § 1 si ager vect. (6. 3 ), L. 1 § 1 de superfic. (43. 18.). Die meiſten Präju - dicien waren prätoriſch (§ 216. a. und § 207. f.) und dieſe waren insgeſammt in rem, wie auch ihre Formel ausgedrückt ſeyn mochte., und es liegt alſo darin eine Beſtätigung der eben aufge - ſtellten Behauptung, daß dieſer Unterſchied nicht als eine Folge der verſchiedenen Formelfaſſung (bey der Intentio in jus concepta), ſondern vielmehr als Grund derſelben, anzuſehen iſt.

§. 217. Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae. (Fortſ.)

Bisher war von ſolchen Formeln in factum die Rede, die ſchon im Edict aufgeſtellt waren: die meiſten ausſchlie - ßend für gewiſſe Rechtsfälle, einige neben Formeln in jus, zur freyen Auswahl des Klägers zwiſchen beiden For - mularen.

Außerdem aber wurden die Formeln dieſer Art auch in großer Ausdehnung gebraucht, wo es darauf ankam, für ein neu wahrgenommenes Rechtsverhältniß eine Klage zu erfinden, alſo in Fällen, wofür das Edict gar keine Formel enthielt, ſo daß ſie zur praktiſchen Erweiterung(z)mittelbarere und vollſtändigere An - wendung, als im Sinn ihrer Ver - faſſer.92Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Rechts dienten. Zu dieſem Zweck waren nun ſolche Formeln ſehr brauchbar, da jedes Recht ſtets auf irgend einer Thatſache beruhen muß, zu jenen Formeln aber nichts Anderes, als der Ausdruck einer Thatſache, mit einem daran geknüpften praktiſchen Erfolg, erfordert wurde.

Dieſes iſt nun die wahre Bedeutung der unzähligen, in unſren Rechtsquellen vorkommenden, actiones in factum; es waren Erweiterungen des praktiſchen Rechts, eingeführt durch formulae in factum conceptae, die gar nicht im Edict ſtanden, ſondern durch das Bedürfniß in einzelnen Fällen herbeigeführt wurden. Diejenigen unter ihnen, welche ſich auf häufig und gleichförmig wiederkehrende Fälle bezogen, wurden nachher in das Edict aufgenom - men, und auf dieſem Wege ſind wohl alle im Edict ſte - hende prätoriſche Klagen nach und nach in daſſelbe ge - kommen. Weder in der Abfaſſung aber, noch in der Wir - kung, machte es irgend einen Unterſchied, ob eine ſolche Formel auch ſchon im Edict ſtand oder nicht.

So waren alſo in der That die actiones in factum, die wir in unſren Rechtsquellen ſo oft finden, mit den erſt durch Gajus bekannt gewordenen formulae in factum conceptae Eines und Daſſelbe, und dieſe Identität, die von Manchen mit Unrecht bezweifelt worden iſt, wird durch viele Stellen außer Zweifel geſetzt(a)Gajus IV. § 106. 107 ge - braucht beide Ausdrücke (formula in f. concepta und in factum agere) mit willkührlicher Abwechs - lung. Eben ſo ſtellt Gajus IV. § 46 viele formulae in factum zuſammen, und dieſelben Klagen heißen in den Digeſten ſtets ac -. Wenn ein -93In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)zelne Klagen dieſer Art, die beſonders häufig und wichtig waren, durch beſondere Namen individualiſirt wurden, bald nach ihrem Urheber, wie die Serviana des Pfand - glaubigers(b)Die Publiciana actio kann dahin nicht gerechnet werden, da ſie eine Fictionsklage war (§ 215), alſo aus in jus und in factum gemiſcht (§ 216.). Denſelben Cha - racter hatte die Rutiliana, und die für den bonorum emtor eingeführte Serviana. Gajus IV. § 35., bald nach ihrem Entſtehungsgrund, wie die actio doli, quod metus causa, vectigalis, constitutoria, hypothecaria, ſo geſchah Dieſes blos wegen der bequeme - ren Bezeichnung; auch dieſe Klagen waren und blieben darum nicht minder actiones in factum, oder formulae in factum conceptae.

Die hier aufgeſtellte Erklärung der actio in factum, in Verbindung mit der dadurch bewirkten praktiſchen Rechts - entwicklung, findet eine unmittelbare Beſtätigung in Zeug - niſſen der alten Juriſten(c)L. 1 pr. L. 11 de prae - scr. verbis (19. 5.).. Dieſe ſagen, die judicia prodita, die vulgares actiones(d)Judicia prodita ſind zu - nächſt die im Edict ſtehenden, mit ſtehenden Formeln verſehenen, Kla - gen; indeſſen erwähnt L. 11 de, hätten für die im wirk - lichen Leben vorkommende Bedürfniſſe nicht ausgereicht, und der Prätor habe daher nachgeholfen durch actiones in factum. Es wird hinzugeſetzt, die Fälle eines ſolchen Bedürfniſſes ſeyen von zweyerley Art: theils ganz neue, bisher gar nicht wahrgenommene, theils ſolche, die mit den bisher ſchon durch Civilklagen geſchützten Fällen ver -(a)tiones in factum. L. 12 de in jus voc. (2. 4 ) L. 25 pr. de O. et A. (44. 7.). L. 3 pr. de eo per quem factum (2. 10.). L. 5 § 3 ne quis eum (2. 7.).94Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. VI. Verletzung.wandt waren, worauf alſo die Civilklagen nur ausgedehnt zu werden brauchten(e)L. 11 de praescr. verbis (19. 5.)..

Es ergiebt ſich hieraus, daß die actiones in factum in ihrem allgemeinen Zweck (der praktiſchen Rechtserwei - terung) mit den oben erklärten utiles actiones überein ka - men (§ 215). Wenn alſo das Bedürfniß einer Klage für neue Fälle entſtand, ſo konnte dieſes oft befriedigt werden durch die Einführung einer, an eine alte Civilklage angeſchloſſenen, Fictionsklage, und dieſes waren die eigent - lichen utiles actiones. Es konnte aber auch in denſelben Fällen, und mit gleicher Wirkſamkeit, geſchehen durch eine actio in factum. Dieſe letzte Auskunft war die einzige in den weit zahlreicheren Fällen, worin entweder eine präto - riſche Klage (die ſchon ſelbſt in factum war) über ihre urſprüngliche Gränzen ausgedehnt, oder aber eine ganz neue Klage für ein früher gar nicht wahrgenommenes Rechtsverhältniß erfunden werden ſollte. Der allgemeine Name utilis actio, als Bezeichnung einer neuen, das Recht erweiternden Klage überhaupt (§ 215), paßte vollkommen auf dieſe zahlreichen in factum actiones, und damit ſtimmt es völlig überein, wenn in mehreren Stellen beide Be - zeichnungen zu dem Namen einer utilis in factum actio(d)praescr. verbis (19. 5) auch ac - tiones quae legibus proditae sunt. Vulgares actiones ſind die bekannten, hergebrachten Kla - gen, alſo dem Sinne nach auch die im Edict ſtehenden. So ſteht vulgaris für directa (§ 215. a); in L. 42 pr. de furtis (47. 2) iſt es der Gegenſatz der actio noxalis, in Vatic. fragm. § 102 der Gegenſatz von actio de pe - culio. 95In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)vereinigt werden(f)L. 26 § 3 de pactis dot. (23. 4.). Utilis in factum. L. 7 § 1 de religiosis (11. 7) utilem actionem in factum. Pleonaſtiſch ſind dieſe Ausdrücke gerade nicht. In der zulezt an - geführten Stelle ſagt das utilis, es ſey hier die ſchon im Edict ſtehende actio de religiosis auf einen neuen Fall ausgedehnt wor - den; der Zuſatz in factum drückt aus, daß nicht etwa der Name utilis im engeren Sinn, für eine Fictionsklage, ſo verſtanden werden dürfe. Vieles Gute findet ſich über das Verhältniß dieſer Begriffe bey Mühlenbruch Ceſſion § 15, wo nur zu viele und ſubtile Unter - ſchiede angenommen werden, an - ſtatt daß bey den Römern ſelbſt die Begriffe und die Ausdrücke viel einfacher genommen zu ſeyn ſcheinen.. Eine ſolche Klage war unſtreitig die hypothecaria, als Ausdehnung der urſprünglich für einen ſehr beſchränkten Fall eingeführten Serviana, und ſie heißt daher auch utilis Serviana, oder quasi Serviana.

Bey keiner Klage kommen dieſe Ausdrücke ſo häufig und abwechslend vor, als bey der actio Legis Aquiliae, deren urſprünglich ſehr enge Begränzung zu den mannich - faltigſten Ausdehnungen Veranlaſſung gab. Dieſe wurden ohne Zweifel oft durch eine eigentliche utilis actio, das heißt, durch eine Fictionsklage, bewirkt(g)Wenn der Fructuar der ver - lezten Sache klagen wollte, der nur eine utilis actio bekommen konnte (L. 11 § 10 ad L. Aquil. 9. 2), ſo mag die Formel etwa ſo gelautet haben: Si paret N. Ne - gidium Stichum servum, in quo ususfructus A. Agerii est, vul - nerasse, ejusque rei causa, si is servus A. Agerii ex jure Qui - ritium esset, damnum decidere oportere, judex quanti ea res plurimi fuit in diebus triginta proximis, tantam pecuniam con - demnato, si non paret absol - vito. Eine ſolche Fictionsklage mochte wohl blos in Fällen der hier bezeichneten Art vorkommen, nämlich in Fällen, worin die Klage dem Nichteigenthümer geſtattet wur - de, der aber ein jus in re an der verlezten Sache hatte; wenn da - gegen die Ausdehnung der Klage in der Beſchaffenheit der verletzen - den Handlung lag (damnum non corpore datum), ſo paßte die Form der Fictionsklage nicht. Daß man jedoch den Ausdruck utilis actio auch in dieſen lezten Fällen. Eben ſo oft96Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber geſchah es durch eine in factum actio(h)Gewöhnlich heißt ſie blos in factum, zuweilen auch in fa - ctum Legi Aquiliae accommo - data, oder ad exemplum Legis Aquiliae. L. 11 pr. de praescr. verbis (19. 5 ), L. 53 ad L. Aquil. (9. 2.)., und es hieng wahrſcheinlich meiſt vom Zufall ab, und war auch für den letzten Erfolg ganz gleichgültig, ob der eine oder der andere Weg eingeſchlagen wurde Es iſt daher keinesweges als widerſprechende oder ſchwankende Meynung anzuſehen, wenn in einem und demſelben Fall bald die utilis, bald die in factum actio erwähnt wird(i)L. 51 de furtis (47. 2) verglichen mit L. 53 ad L. Aquil (9. 2.). L. 9 § 3 ad L. Aquil (9. 2) verglichen mit L. 27 § 34 eod., in welcher lezten Stelle, nach vielen anderen Zeugniſſen, hinzu - gedacht werden muß: utilem (L. Aqu. actionem); vgl. § 16 J. de L. Aqu. (4. 3.). Nach dem Schluß der angeführten Inſtitu - tionenſtelle möchte man glauben, es habe zwey ungleichzeitige Stu - fen von Erweiterungen der a. L. Aquiliae gegeben: 1) durch utilis actio 2) wo auch dieſe nicht mehr ausreichte, durch in factum actio. Dieſer falſche Schein beruht aber nur auf der ungenauen Zuſam - menfügung der Beſtandtheile jener Stelle, welche um ſo leichter mög - lich war, da die ganze Sache ſchon längſt im gangbaren Pro - zeß nicht mehr vorkam. Vgl. oben Band 1. § 45. Note d. Den neue - ren Juriſten hat die angeführte Stelle viele überflüſſige Noth ge - macht., da in der That ſchon zur Zeit des älteren Rechts Beides gleich richtig und für den Erfolg gleichgültig war; nicht zu gedenken, daß vollends im Juſtinianiſchen Recht, welches keine For - melnfaſſung mehr kennt, aller Unterſchied nur noch in den Namen liegt.

Von der hier behaupteten Identität der actio in fac - tum mit der formula in factum concepta muß jedoch Eine(g)brauchte, zeigen die Stellen in Note i. 97§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)entſchiedene Ausnahme behauptet werden. Aus den Con - tracten, die von den Neueren Innominatcontracte genannt zu werden pflegen, entſpringen unſtreitig Civilklagen, und dieſe führen, mit ganz willkührlicher Abwechslung, die ihnen allen gemeinſchaftlichen Namen: actio praescri - ptis verbis, und in factum civilis(k)In factum civilis. L. 1 § 1. 2 L. 5 § 2 de praescr. verb. (19. 5.). Iſt identiſch mit prae - scriptis verbis. L. 1 § 2 L. 2 pr. L. 13 § 1 L. 22 pr. L. 24 eod. . Die Einrichtung dieſer Klagen aber war folgende. Zuerſt kam eine De - monstratio, die nicht ſo, wie bey anderen Klagen, den Hergang blos kurz andeutete(l)Dieſe Geſtalt der bey an - deren Klagen vorkommenden De - monstratio erhellt aus Gajus IV. § 36. 47. 136. 137., ſondern ganz ausführlich, mit allen Umſtänden, erzählte, und eben dadurch das Klag - recht begründete(m)L. 6 C. de transact. (2. 4 ) .. Aut enim stipulatio conventioni subdita est, et ex stipulatu actio compctit: aut, si omissa verborum obligatio est, utilis actio, quae prae - scriptis verbis rem gestam de - monstrat, danda est. Demon - strat iſt die unmittelbare Bezeich - nung der Demonstratio, das We - ſentliche aber liegt in dem rem gestam, das heißt der Erzählung aller einzelnen Thatſachen, ſo wie ſie vorgefallen ſind. Großen Anſtoß hat hier von jeher der Ausdruck utilis actio erregt, den man etwas gewaltſam in civilis hat emendiren wollen. Die natür - lichſte Erklärung iſt wohl die. Man nahm früher an, daß der Innominatcontract in der (eben hier vorausgeſezten) Form facio ut des keine Civilklage hervor - bringe (L. 5 § 3 de praescr. verb. 19. 5.). Indem nun hier dennoch eine ſolche Klage zugelaſ - ſen wird, war dieſe eine utilis actio im Vergleich mit der früher beſchränkteren Anwendung der Kla - ge. Elvers neue Themis B. 1 S. 366.. Da dieſes eine wahre Demonstratio war, alſo vor der Intentio ſtand, ſo erklärt ſich daraus der Name praescriptis verbis, der hier, wie bey den prae - scriptiones, nur zu dieſer Stellung in der Formel paſſenV. 798Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.konnte(n)Dieſes iſt richtig bemerkt von Haſſe a. a. O., S. 44.. Der Name in factum erklärt ſich aus der ausführlichen Erzählung der Thatſachen, wodurch dieſe Art der Klagen mit den formulae in factum conceptae Ähnlichkeit hatte, und zwar insbeſondere mit denjenigen unter ihnen, welche nicht ſchon im Edict ſpeciell aufgeſtellt waren, ſondern für das Bedürfniß vorkommender Fälle jedesmal neu erfunden wurden.

Hierauf folgte nun die auch bey vielen anderen Kla - gen übliche, ganz unbeſtimmte, Intentio in jus concepta: Quidquid eum ob eam rem dare facere oportet. Von ihr führt die Klage in ſehr vielen Stellen bald den Na - men incerti actio, (wegen des unbeſtimmten Quidquid), bald civilis (wegen der juris civilis oder in jus Intentio), bald beide Namen vereinigt(o)Civilis, ſ. o. Note k. Incerti. L. 8 L. 9 pr. de prae - scr. verb. (19. 5 ), L. 19 § 2 de prec. (43. 26 ), L. 9 C. de don. (8. 54.). Civilis incerti oder incerta. L. 7 § 2 de pactis (2. 14 ), L. 16 de praescr. verb. (19. 5 ), L. 23 comm. div. (10. 3 ), L. 6 C. de rer. perm. (4. 64.). In der angeführten L. 19 § 2 de prec. ließt die Florentina: incerti condictione, ohne Zweifel unrich - tig; die richtige Bononienſis: in - certa actione ſteht im Cod. Rehd., in meiner Handſchrift, und in den Ausgaben: Rom. 1476. Norimb. 1483. Venet. 1483. Ve - net. 1485.; einmal ſogar geradezu den Namen: civilis intentio incerti(p)L. 6 pr. de praescr. ver - bis (19. 5) civili intentione in - certi. , welche Bezeichnung allein ſchon hinreicht, um jeden Zweifel über die Natur dieſer Formel zu beſeitigen. Ja auch ſchon der Name incerti actio würde keinen Sinn haben, wenn man jene Klage für eine formula in factum concepta halten wollte,99§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)da die Erzählung, die nun die Intentio gebildet haben würde (§ 216), durchaus keine Unbeſtimmtheit in ſich ſchließt.

Es ergiebt ſich hieraus, daß dieſe actio in factum ci - vilis in der That eine formula in jus concepta hatte, ſo leicht auch der Name über dieſen Punkt täuſchen kann(q)Die hier aufgeſtellte Lehre iſt ſchon von Anderen auf über - zeugende Weiſe vorgetragen wor - den. Keller Litisconteſtation S. 252. 253. Haſſe a. a. O., S. 41 46. G. E. Heimbach Bedeutung der in factum actio in Linde’s Zeitſchrift B. 11 S. 285 fg. Vorſichtig gewählt war al - lerdings der Ausdruck in factum civilis nicht, da er ſo leicht zu der Verwechslung dieſer Klagen mit der formula in factum con - cepta einiger Civilklagen (§ 216. k) verleiten konnte, womit ſie doch in der That gar Nichts gemein hatten.. Zu dem ſchon aus dem Zuſammenhang der angeführten Stellen für die Richtigkeit dieſer Behauptung hervorge - henden Beweiſe kommen nun noch folgende einzelne beſtä - tigende Zeugniſſe hinzu. Nach den Inſtitutionen iſt die hier erwähnte Klage bonae fidei(r)§ 28 J. de act. (4. 6.).; wir wiſſen aber aus Gajus, daß die mit dieſem Character verſehenen Klagen eine Intentio in jus concepta hatten in folgender Faſſung: Quidquid eum dare facere oportet ex fide bona(s)Gajus IV. § 47.; die Intentio in factum concepta war zu dieſem Zuſatz, wor - auf ſich doch der Name jener Klaſſe von Klagen grün - dete, durchaus nicht geeignet(t)Die Worte ex fide bona enthalten die nähere Beſtimmung und Einſchränkung des oportet, das heißt des in der Verpflichtung liegenden Rechtsverhältniſſes; da - gegen hätte es keinen Sinn ge - habt, der reinen Thatſache: Si paret Agerium mensam depo - suisse den Zuſatz ex fide bona zu geben.. Wenn Sejus dem Titius den Sklaven Stichus gab, damit Titius den Skla - ven Pamphilus frey laſſe, Titius auch ſeine Verbindlichkeit7*100Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erfüllte, und ihm nun der Sklave von einem Dritten evin - cirt wurde, ſo fragte es ſich, welche Entſchädigungsklage Titius gegen Sejus wegen dieſer Eviction habe. Der Juriſt Julian fand eine in factum actio nöthig; darüber wird er von Maurician und Ulpian getadelt, weil die re - gelmäßige civilis incerti actio für dieſen Zweck zuläſſig, alſo die Aushülfe durch eine in factum actio nicht nöthig ſey(u)L. 7 § 2 de pactis (2. 14 ) .. Et ideo puto, recte Julia - num a Mauriciano reprehen - sum in hoc: dedi tibi Stichum ut Pamphilum manumittas: ma - numisisti: evictus est Stichus: Julianus scribit in factum ac - tionem a Praetore dandam: ille ait, civilem incerti actio - nem, id est praescriptis verbis suficere. . Der Gegenſatz, welcher dieſem Tadel zum Grunde liegt, hat augenſcheinlich den Sinn, daß die Civilklage, die Ulpian für zuläſſig und ausreichend erklärt, eine In - tentio in jus concepta hatte; wäre auch ſie in factum concepta geweſen, ſo war gar kein wahrer Gegenſatz ge - gen die Meynung des Julian vorhanden, alſo auch keine Veranlaſſung zum Tadel(v)Der bloße Gegenſatz der Civilklage und der prätoriſchen an ſich ſelbſt kann nicht gemeynt ſeyn, da dieſer in der Formel gar nicht ſichtbar wurde; die Abfaſſung der Intentio (in jus oder in factum) konnte allein einen ſichtbaren Un - terſchied darbieten, und zu einem Tadel Gelegenheit geben.. Endlich bezeugt ein Scho - liaſt zu den Baſiliken ausdrücklich, daß die Klagen, von welchen hier die Rede iſt, außer der Demonstratio noch eine beſondere Intentio hatten, worauf endlich die Con - demnatio folgte(w)Schol. Basil. Vol. 1 p. 559. 560 ed. Heimbach; vgl. A. E. Heimbach a. a. O., S. 290..

101§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones.

§. 218. Arten der Klagen. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei(*)Vgl. hierüber im Allgemei - nen die Beylagen XIII. XIV. Es dürfte zum leichteren Verſtändniß der Sache beytragen, die ausführ - lichen Beylagen zuerſt zu leſen, da die zuſammengedrängte Darſtel - lung in dieſem und den folgenden Paragraphen, ihrer Natur nach, weniger faßlich ausfallen muß..

Die bisher verſuchte Darſtellung der älteren Klagfor - men ſollte den Weg bahnen zum Verſtändniß einiger Arten der Klagen, deren wichtige Verſchiedenheiten noch im Ju - ſtinianiſchen Recht ſehr häufig erwähnt werden. Es ſind dieſes die stricti juris und bonae fidei actiones, die Con - dictionen, und die arbitrariae actiones.

Cicero ſagt, es gebe überhaupt zweyerley Klagen, ju - dicia und arbitria(a)Cicero pro Roscio Co - moedo C. 5 Aliud est judi - cium, aliud arbitrium Quid est in judicio? directum, aspe - perum, simplex: Si paret HS. ICCC dari oportere .. Quid est in arbitrio? mite, moderatum: Quantum aequius et melius, id dari. . In jenen werde der Rechtsſtreit ſtreng und buchſtäblich behandelt, in dieſen milde und mit freyer Rückſicht auf Billigkeit. Gleich nachher ſcheint er denſelben Gegenſatz durch die Ausdrücke judicia legitima und arbitria honoraria zu bezeichnen(b)Cicero ib. C. 5 perinde ac si in hanc formulam omnia judicia legitima, omnia arbi - tria honoraria, omnia officia domestica conclusa et compre - hensa sint, perinde dicemus. Dieſe rhetoriſche Stelle macht of - fenbar keinen Anſpruch auf wiſſen - ſchaftliche Präciſion, der Sinn aber iſt dieſer: alle judicia, das heißt die Civilklagen, eben ſo alle arbi - tria, das heißt die prätoriſche Klagen. Die Beywörter haben alſo eine erklärende, nicht ein -. In anderen102Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Stellen bezeichnet er ſolche Klagen, die gewiß unter die angeführten arbitria gehören, als judicia (oder arbitria), in quibus ex fide bona est additum, das heißt deren for - mula die hier angegebenen Worte, oder auch andere von ähnlichem Sinn, als characteriſtiſchen Zuſatz in ſich ſchlöſ - ſen(c)Cicero top. C. 17 In om - nibus igitur iis judiciis, in qui - bus ex fide bona est additum: ubi vero etiam ut inter bonos bene agier: in primisque in ar - bitrio rei uxoriae, in quo est: quid aequius melius. Cicero de offic. III. 15 judiciis in qui - bus additur ex fide bona; III. 17 in omnibus iis arbi - triis, in quibus adderetur ex fide bona. .

Ganz derſelbe Gegenſatz, auch in gleicher Allgemein - heit, wird einmal von Seneca erwähnt, hier aber mit einer ſehr wichtigen näheren Beſtimmung, die über die an - geführten Ausdrücke Aufſchluß giebt, und die nur zufällig bey Cicero nicht ausgedrückt iſt(d)Seneca de beneficiis III. 7 Ideo melior videtur conditio causae bonae si ad judicem, quam si ad arbitrum mittatur: quia illum formula includit, et certos quos non excedat terminos ponit; hujus libera, et nullis adstricta vinculis re - ligio, et detrahere aliquid pot - est et adjicere ..... ubi id, de quo sola sapientia decernit, in controversiam incidit, non pot - est ad haec sumi judex ex tur - ba selectorum, quem census in album, et equestris hereditas misit. Merkwürdigerweiſe hat ſich die wörtliche Erwähnung dieſes Unterſchieds in der Perſon der Urtheiler noch in einer Stelle von Juſtinians Inſtitutionen er - halten, obgleich ſie hier keinen Sinn mehr hatte. § 1 J. de act. . Es wurden nämlich(b)ſchränkende Bedeutung, und es iſt dadurch nicht ausgeſchloſſen, daß es auch ſehr viele und wichtige Civilklagen gab, die arbitria wa - ren, wie ſogleich aus anderen Stellen des Cicero bemerkt werden wird. Ganz verwerflich würde es ſeyn, dieſe judicia legitima, de - ren Bedeutung durch den Gegen - ſatz der arbitria honoraria un - zweifelhaft wird, mit den legitimis judiciis bey Gajus IV. § 103 105 in irgend eine Verbindung zu brin - gen; Gajus ſelbſt hat im § 109 jeder hierin möglichen Verwechs - lung ſorgfältig vorgebaut.103§. 218. Judicia, arbitria, Stricti juris, bonae fidei actiones. periodiſch Liſten beſonders ausgewählter Richter verfer - tigt und öffentlich aufgeſtellt (das album). Dabey waren öftere Veränderungen wahrzunehmen theils in der Anzahl, theils in den Bürgerklaſſen, worans die Richter ausſchlie - ßend genommen werden mußten(e)Vgl. Zimmern Rechtsge - ſchichte B. 3 § 10.. Die Perſon des Ur - theilers ſtand nun mit jener Verſchiedenheit der Klagen in der Verbindung, daß das judicium nur vor einem aus dem album genommenen Judex möglich war, anſtatt daß über ein arbitrium zu urtheilen Jeder berufen werden konnte, ohne Unterſchied ob er im album ſtand oder nicht(f)Cicero pro Cluentio C. 43 ſagt, alle Judices erhielten ihre Gewalt nur durch die freye Ein - ſtimmung der Parteyen; mit der Allgemeinheit dieſes Satzes ſind aber doch Verſchiedenheiten in der Art und dem Grad dieſer mitwir - kenden Einſtimmung wohl verein - bar. Wenn in dem judicium der Prätor oder das Loos eine Anzahl Namen aus dem album aus - wählte, und nun jede Partey eine beſtimmte Quote derſelben verwer - fen konnte, ſo lag ſchon darin eine gewiſſe Einſtimmung in die Übrig - bleibenden, aus welchen dann viel - leicht Einer durch das Gutdünken des Prätors zum Judex ernannt wurde; dagegen kam vielleicht bey dem arbitrium eine poſitive und individuelle Übereinkunft vor, wor - auf zu deuten ſcheint L. 57 de re jud. (42. 1 ) Valer. Max. II. 8. 2. Wahrſcheinlich ernannte der Kläger den arbiter, welchen dann der Beklagte verwerfen konnte. Valer. Max. VIII. 1. 2. Cal - purnius .. Catonem .. arbitrum Claudio addixit. Doch heißt es in derſelben Geſchichte bey Ci - cero de off. III. 16 adegit, und eben ſo pro Roscio 9. Dagegen ſagt auch Cicero de or. II. 65. 70 judicem alicui ferre. Ganz irrig würde es ſeyn, ſich die Sache ſo vorzuſtellen, als wären die im album verzeichneten Richter gerade die Beſſeren, Zu - verläſſigeren geweſen, ſo daß man ſich bey den arbitriis mit Gerin - geren begnügt hätte. Je nach dem Übergewicht der politiſchen Par - teyen wurden öfter gerade die Vor - nehmſten vom album ausgeſchloſ - ſen; ferner wurden ohne Zweifel die zahlreichen Obrigkeiten des lau -. Über(d)(4. 6.). Omnium actionum, quibus inter aliquos apud ju - dices arbitrosve de quacumque re quaeritur etc. 104Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den Sprachgebrauch aber iſt zu bemerken, daß die Aus - drücke judex und judicium mit willkührlicher Abwechslung gebraucht werden, bald um allein das oben beſchriebene judicium im engeren Sinn zu bezeichnen (Note a. b. d), bald als generiſche Bezeichnung, unter welcher auch die arbitria begriffen ſind(g)Dieſes erhellt ganz klar aus den Stellen des Cicero Note c. Ferner gebraucht Gajus IV. § 163 die Ausdrücke judex und arbiter ganz abwechſlend, vielleicht dem bloßen Wohllaut folgend (z. B. judicis arbitrio). In den For - meln derjenigen Klagen, die gewiß arbitria waren, kommt ſtets ju - dex esto vor, nie arbiter esto; nur bey Mehreren heißt es: recu - peratores sunto (Gajus IV. § 46. 47. ), nicht: judices oder arbitri sunto. Es war alſo nicht etwa nachläſſiger Sprachgebrauch der Schriftſteller, ſondern die herrſchen - de Gerichtsſprache. Wenn daher geſtritten wurde, ob es beſſer ſey judex oder arbiter zu ſagen (Cicero pro Murena C. 12), ſo darf dieſem Streit wohl nur eine theoretiſche, ſprachverbeſſernde, Be - deutung zugeſchrieben werden.. Ein ähnliches Schwanken kommt bey den Ausdrücken arbiter und arbitrium nicht vor, welche ganz gewiß nur bey den Prozeſſen der freyeren Art ge - braucht werden(h)In ganz anderer Beziehung freylich iſt auch der Ausdruck ar - biter zweydeutig, indem er nicht blos den Urtheiler in einer freyen Klage, ſondern auch den außerge - richtlichen Schiedsrichter bezeichnet..

Faſſen wir dieſes Alles zuſammen, ſo gab es im alten Prozeß zweyerley Klagen, die wir, der Kürze wegen, ſtrenge und freye nennen wollen. Die Verſchiedenheit im Verfahren, das heißt die mehr oder weniger freye Macht, die dem urtheilenden Judex überlaſſen war, hieng aber zuſammen mit der perſönlichen Eigenſchaft deſſelben,(f)fenden Jahres, die doch ſtets ar - bitri ſeyn konnten, nicht in das album geſetzt; endlich durfte der arbiter eben ſowohl aus dem album, als außer demſelben, ge - wählt werden.105§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones. indem er bey den ſtrengen Klagen nur aus dem öffentlich aufgeſtellten Richterverzeichniß, bey den freyen aber ohne dieſe Einſchränkung gewählt werden durfte.

Merkwürdigerweiſe kommt die hier dargeſtellte Einthei - lung der Klagen in dieſer Allgemeinheit, wörtlich aner - kannt, in dem ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen nicht vor; ſie erſcheint jedoch hier, ſorgfältig ausgebildet, in einem engeren Kreiſe von Klagen, als stricti juris und bonae fidei actiones. Es würde unrichtig ſeyn, deshalb anzunehmen, daß ſie ſich überhaupt in dieſen engeren Kreis zurückgezogen hätte, und für die übrigen Klagen verſchwun - den wäre; vielmehr wird unten gezeigt werden, daß ſie ihre allgemeine Bedeutung und Wichtigkeit während des ordo judiciorum ſtets behauptet hat, ſo daß die eingetre - tene Veränderung mehr den vorherrſchenden Sprachge - brauch, als die Sache ſelbſt, betroffen zu haben ſcheint.

Um nun dieſen wichtigen Gegenſatz, ſo wie er in unſren Rechtsquellen erſcheint, vollſtändig zur Anſchauung zu bringen, iſt es nöthig, eine Überſicht aller Klagen voran zu ſtellen, und dabey vorläufig zu bemerken, wie ſich dieſelben zu jenem Gegenſatz verhalten. Die genauere Erörterung dieſer vorläufigen Behauptungen wird dann der Gegen - ſtand der nachfolgenden Unterſuchungen ſeyn. Es gründet ſich aber die folgende tabellariſche Überſicht auf die ſchon entwickelten Begriffe der civilen und prätoriſchen Klagen (§ 213), der Klagen in rem und in personam (§ 206 209),106Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.endlich der aus Delicten entſpringenden oder Pönalklagen (§ 210 212.).

  • I. Civiles actiones.
    • 1. In personam.
      • A. Aus Rechtsgeſchäften (Contracten und Quaſi - contracten)
        (i)Es iſt alſo derſelbe Begriff, welcher auch ſchon bey den - mern durch den gemeinſamen Na - men contractus bezeichnet wird. Vgl. L. 23 de R. J. (50. 17.). Man darf ſich nicht durch Streben nach Vollſtändigkeit verleiten laſ - ſen, nun auch den unten folgenden Delicten die Quaſidelicte zu coor - diniren; denn theils ſind dieſe ſehr unbedeutend, anſtatt daß die Qua - ſicontracte zahlreich und wichtig ſind, theils finden ſich darunter keine dem alten Civilrecht angehö - rende Fälle; ſie erzeugen nur prä - toriſche Klagen.
        (i). Auf dieſe allein bezieht ſich die Eintheilung in:
        • a. Stricti juris, auch condictiones genannt. Sie ſind ſtrenge Klagen (judicia).
        • b. Bonae fidei. Sie ſind freye Klagen (ar - bitria).
      • B. Aus Delicten, alſo Pönalklagen. Sie ſind Judicia.
    • 2. In rem. Insgeſammt arbitria.
  • II. Honorariae actiones. Insgeſammt arbitria, ohne Un - terſchied ob ſie in rem oder in personam ſind, und ob dieſe letzten aus Rechtsgeſchäften oder aus De - licten entſpringen.

Es beſchränkt ſich demnach der Gegenſatz der stricti juris und bonae fidei actiones auf den engeren Kreis der - jenigen Civilklagen, welche in personam ſind, und zugleich107§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. aus Rechtsgeſchäften entſpringen. Allen übrigen Klagen dürfen jene Namen nicht beygelegt werden, allein der prak - tiſche Character, welcher ſie unterſcheidet, indem die einen ſtrenge, die anderen freye Klagen ſind, findet ſich bey al - len übrigen Klagen wieder, und zwar dergeſtalt, daß die allermeiſten derſelben unter die freyen, nur ſehr wenige unter die ſtrengen Klagen gehören.

Da übrigens der ganze hier behandelte Gegenſatz vor - zugsweiſe auf die Beſchaffenheit und die Macht des Judex Beziehung hatte, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der - ſelbe nur für die ordinaria judicia Bedeutung haben konnte, indem in den extraordinariis ein von der Obrigkeit ver - ſchiedener Judex gar nicht vorkam.

§. 219. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bo - nae fidei.

Als Mittelpunkt dieſes ganzen Klagenſyſtems ſind die perſönlichen Civilklagen aus Rechtsgeſchäften zu betrachten, ſo daß ſich die beſtimmteſten und reichhaltigſten Kunſtaus - drücke ausſchließend auf ſie beziehen, die übrigen Klagen aber nach ihrer Analogie behandelt werden.

Jenen contractlichen Civilklagen liegt aber folgender Gedanke zum Grunde. Das erſte und dringendſte Bedürf - niß für den geordneten Rechtszuſtand iſt der richterliche Schutz des Eigenthums und der ihm verwandten Rechte. Der in dieſem Schutz des Berechtigten begründete Zwang108Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gegen die Freyheit der Andern äußert ſich abwehrend, wie - derherſtellend, alſo auf eine meiſt negative Weiſe. Auch wird dieſe Art des Schutzes großentheils hinreichen, um in dem Verkehr der Menſchen unter einander eine rechtliche Ordnung zu erhalten; ſoweit er hinreicht, bedarf es eines Zwanges zu poſitiven Handlungen nicht, und ſoll dieſer dennoch angewendet werden, ſo kann die Rechtfertigung deſſelben nur in der beſonders nachgewieſenen Unentbehr - lichkeit liegen.

Wenn zum Beyſpiel Einer ſein Haus vermiethet, und der Miether die Rückgabe verweigert, ſo kann zum Schutz gegen dieſes Unrecht ſchon die Eigenthumsklage ge - nügen. Gegen die Verweigerung des Miethgeldes freylich ſchützt dieſe Klage nicht, und dadurch wird dennoch eine wohlbegründete Erwartung des Vermiethers geſtört; eben ſo verhält es ſich mit dem Inhalt der meiſten anderen Verträge. Dieſe Erwartungen nun ſtehen zunächſt unter dem Schutz der bey rechtlichen Menſchen geltenden Sitte, und dieſer Schutz, ſelbſt ohne äußere Unterſtützung, iſt ſtärker, als man in blos juriſtiſcher Betrachtung anzuneh - men geneigt ſeyn mag. Es iſt hier nicht die Rede von edler Geſinnung, Grosmuth, Aufopferung, auf welche durchſchnittlich zu rechnen nie gerathen ſeyn möchte; zur Beobachtung jener Sitte kann ſchon verſtändige Selbſt - ſucht antreiben, da auf ihr das ſchwer zu entbehrende Zu - trauen Anderer beruht. Wir bezeichnen dieſen Zuſtand als Treue und Glauben, die Römer nennen ihn bona fides. 109§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er - haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen - thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und Glauben.

Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts - zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei - nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über - ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng - liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig - lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens. Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei - genthums.

Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön - liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines110Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gleichartigen Schutzes theilhaftig werden müſſen. Denn der abſtracte Grund, weshalb hier dem Darlehen ein Schutz höherer Art als anderen Verträgen gewährt wurde, lag in dem Umſtand, daß ohne dieſen Schutz mein Ver - mögen zum Vortheil eines Andern ohne Rechtsgrund ver - mindert ſeyn würde; conſequenterweiſe werden wir alſo auch in anderen Fällen, worin nur dieſes abſtracte Ver - hältniß wahrgenommen wird, denſelben Schutz zu geſtat - ten haben. So geſchieht es in der That, wenn mein Eigenthum den andern bereichert, nicht in Folge meines ihm gewährten Vertrauens, wohl aber in Folge einer irri - gen Handlung (condictio indebiti), oder in Folge eigen - mächtiger Handlung des Bereicherten, oder auch eines bloßen Zufalls. Vermittelſt dieſer natürlichen Entwicklung ſind mit der Klage aus dem Darlehen auf gleiche Linie geſtellt worden die condictio indebiti, sine causa, furtiva u. ſ. w.(a)Beylage XIV. Num. IV VIII. .

Eine zweyte, ſchon etwas künſtlichere, Erweiterung jenes Schutzes liegt auf folgendem Wege. Wenn zwiſchen mir und einem Andern ein Rechtsverhältniß der Art be - ſteht, welche an ſich nur durch Treue und Glauben ge - ſchützt zu ſeyn pflegt, wir einigen uns aber dahin, daß dafür unter uns ein ſtrenger richterlicher Schutz gelten ſoll, gleichartig dem, welcher durch das anvertraute Eigen - genthum von ſelbſt entſteht, ſo kann es nur zur Förderung und Belebung des Verkehrs gereichen, daß eine ſolche Einigung111§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Wirkſamkeit erhalte. Es wird dann nur darauf ankom - men, ſolche Formen anzuwenden, wodurch das Daſeyn und der Ernſt jener Einigung außer Zweifel geſetzt werde. Die natürlichſte Einrichtung einer ſolchen Form wird dar - auf gerichtet ſeyn, daß die innere Verwandſchaft mit den oben dargeſtellten Faͤllen, insbeſondere mit dem Darlehen, ſichtbar hervortrete. Hierauf beruht die mit dem Darle - hen völlig gleichartige Wirkung der expensilatio und sti - pulatio, ſo wie der alten nexi obligatio(b)Beylage XIV. Num. IX. X. .

Nun aber iſt es nöthig, diejenigen Rechtsgeſchäfte, von welchen oben geſagt wurde, daß ſie nur durch Treue und Glauben geſchützt werden, noch genauer in’s Auge zu faſ - ſen. Lediglich dabey ſtehen zu bleiben, wird durch die Rückſicht auf ſolche Perſonen bedenklich, welche geneigt ſeyn möchten, ſich der ſchützenden Sitte völlig zu entziehen. Möchten Dieſe auch für die Zukunft durch das verſcherzte Zutrauen vielleicht größeren Nachtheil erleiden, ſo würden ſie doch im einzelnen Fall einen augenblicklichen, ſehr un - verdienten, Gewinn ziehen können, und auch ſchon darin würde eine Störung der Rechtsordnung, wenngleich von minderer Art, liegen. Dadurch aber treten dieſe Fälle in eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den oben dargeſtellten, durch ſtreng richterlichen Schutz zu ſichernden Fällen, ohne jedoch völlig gleichartig mit ihnen zu werden.

Die Römer haben dieſe Verwandtſchaft, und die noch daneben beſtehende Verſchiedenheit, in folgender Weiſe an -112Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen. Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi - ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus - kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da - her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus - kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge - biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey(c)Beylage XIII. Num. XIII. .

Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be - trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor - den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con - creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich, begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio, häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über113§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Dieſelbe entſcheidet ein Judex, aus dem allgemeinen Rich - terverzeichniß genommen. Für die übrigen Fälle dagegen gilt eine bonae fidei actio, und darüber wird durch einen von den Parteyen gewählten Arbiter (oder durch Mehrere) entſchieden. Der Judex vertritt lediglich die Stelle des Prä - tors, und muß ſich daher in den buchſtäblichen Gränzen halten, die ihm der Auftrag des Prätors vorſchreibt. Der Arbiter hat die unter rechtlichen Menſchen herrſchende Sitte zu interpretiren, und urtheilt daher mit größerer Freyheit, indem ſich der Prätor, ihm gegenüber, auf eine allgemeinere Leitung des Verfahrens beſchränkt.

Dieſe verſchiedene Macht des Judex und des Arbiter beruhte daher auf ihrer ganz verſchiedenen Stellung zu den Parteyen und zur Obrigkeit, und dabey lag wieder zum Grunde die verſchiedene Grundanſicht in der Betrach - tung beider Klaſſen von Rechtsgeſchäften. Es würde alſo irrig ſeyn, dieſe Verſchiedenheit als eine abſichtliche Be - günſtigung des Klägers bey der einen oder andern Klaſſe der Klagen anſehen zu wollen, da jede derſelben eigenthüm - liche Vortheile und Nachtheile für den Kläger mit ſich führte, welche aber nicht als Zweck der ganzen Einrichtung angeſehen werden dürfen(d)Beylage XIII. Num. II. III. IV. .

Unter den Condictionen wurden drey Klaſſen, ſowohl durch die Formeln im Prozeß, als durch wichtige prak - tiſche Regeln, unterſchieden. Die erſte, beſonders ausge - zeichnete, Klaſſe bildete die certi condictio, auch si cer -V. 8114Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tum petetur genannt, welche auf die Forderung einer be - ſtimmten Geldſumme gerichtet war (si paret, Centum dari oportere). In ihr wurde der redliche Theil gegen die Unredlichkeit des Gegners durch eine sponsio und resti - pulatio tertiae partis geſchützt. Die zweyte Klaſſe war auf die Übertragung des Eigenthums irgend einer beſtimm - ten Sache außer dem baaren Gelde gerichtet (si paret, hominem Stichum dari oportere). Die dritte endlich gieng auf Leiſtungen irgend einer Art, außer jenen beiden, und dieſe wurden ſtets als etwas Unbeſtimmtes angeſehen. Daher hieß die Condiction dieſer dritten Klaſſe incerti condictio, und ihre Formel lautete auf: Quidquid dari fieri oportet(e)Beylage XIV. Num. XXXII XL. .

Unter den bonae fidei actiones findet ſich eine ſolche Verſchiedenheit nicht. Sie giengen ſtets auf Dasjenige, was im vorliegenden Fall nach Treue und Glauben von einer, das Rechtsverhältniß völlig durchſchauenden, Par - tey freywillig geleiſtet werden würde, und dieſe ihre ge - meinſame Richtung wurde durch die Formel ausgedrückt: Quidquid dari fieri oportet ex fide bona(f)Beylage XIII. Num. XIV. .

§. 220. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſetzung.)

Bey neueren Schriftſtellern finden ſich über den hier115§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.)dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich - tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.

Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen, nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün - ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel - klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor - theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an - deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über - haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel, die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden(a)Beylage XIII. Num. XIII. .

Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla - gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe (§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä - terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet8*116Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf unbeſtimmtere Gegenſtände von mannichfaltiger Art. Die neueſte Rechtsbildung endlich ergab die Einführung der bonae fidei actiones, die den zuletzt genannten Con - dictionen verwandt waren, und in Freyheit des Verfah - rens und Unbeſtimmtheit der Gegenſtände nur noch einen Schritt weiter giengen.

Zeugniſſe für eine ſolche hiſtoriſche Entwicklung der Rechtsinſtitute ſind niemals beygebracht worden, und es hat wohl zur Annahme derſelben nur die ſcheinbare Na - türlichkeit eines allmäligen, in der Zeit fortſchreitenden, Übergangs vom Strengen zum Freyen, vom Beſtimmten zum Unbeſtimmten, hingeführt. Allein es iſt überall ge - fährlich, ſolchen abſtracten Begriffen in hiſtoriſchen Unter - ſuchungen zu vertrauen. Im vorliegenden Fall können wir zwar die angegebene hiſtoriſche Succeſſion eben ſo wenig durch unmittelbare Zeugniſſe widerlegen, als ſie durch ſolche erwieſen worden iſt. Allein es ſpricht dagegen ſo - wohl der praktiſche Sinn der Römer, welchem eine ſo ungenügende Behandlung, wie ſie hier für die frühere Zeit vorausgeſetzt wird, zu keiner Zeit zuſagen konnte, als auch der Schluß, welcher aus einzelnen ſicheren Thatſachen äl - terer Zeit gezogen werden kann. Und ſo ſind wir berech - tigt, jene Behauptung nicht blos als unbegründet, ſondern auch als ganz unwahrſcheinlich zu verwerfen(b)Beylage XIII. Num. XIII., Beylage XIV. Num. XLVII. .

Dagegen iſt eine hiſtoriſche Entwicklung anderer Art nicht blos als wahrſcheinlich, ſondern als völlig gewiß117§. 220. Act, stricti juris (Condictiones), bonae fidei (Fortſ.)anzunehmen. Jenes Syſtem der vorherrſchenden Condic - tionen in drey verſchiedenen Formeln und Klaſſen, und der daneben ſtehenden b. f. actiones, iſt zwar allerdings als nicht allmälig, ſondern gleichzeitig entſtanden anzuſe - hen, ſo daß gleich bey der urſprünglichen Bildung des Formularprozeſſes die den alten Legis actiones nachge - bildeten Condictionen in derſelben Mannichfaltigkeit auf - geſtellt wurden, worin wir ſie in unſren Rechtsquellen finden. Allein im Laufe der Zeit wurde das der b. f. actio zum Grunde liegende Princip als das vorzüglichere und annehmlichere betrachtet, und es findet ſich eine ſichtbare Hinneigung, die Condictionen in die freyere Natur der b. f. actiones hinüber zu leiten, wozu beſonders die Prä - toren auf mancherley Weiſe mitwirkten. Es geſchah Die - ſes durch Mittel und Rechtsformen, welche in dem Syſtem der Condictionen ſelbſt gegründet waren, und es lag da - her in dieſem Verfahren die Befriedigung eines durch ſtets wachſende Überzeugung anerkannten praktiſchen Bedürf - niſſes, ohne daß man Daſſelbe einer formellen Inconſe - quenz beſchuldigen konnte(c)Beylage XIII. Num. XX. . Dieſe Richtung ſcheint ſchon früh eingetreten zu ſeyn, wenigſtens ſchon zur Zeit des Cicero, wofür, von anderen Gründen abgeſehen, ſchon die Vorliebe Zeugniß giebt, womit er, vom ſittlichen Stand - punkt aus, über die b. f. actiones redet (§ 218. c.). Das Weſen des früheren Klagenſyſtems ſtand jedoch feſt, ſo lange als die alte Gerichtsverfaſſung beſtand; der Judex118Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.oder Arbiter bezeichnete ſtets die Gränze zwiſchen den bei - den Hauptarten perſönlicher Klagen. Als aber, mit der geſammten älteren Gerichtsverfaſſung (dem ordo judicio - rum), dieſe Verſchiedenheit der Urtheiler verſchwand, da hatte eigentlich das Weſen jenes Klagenſyſtems aufgehört. Die Hinneigung zu der freyeren Art der Klagen mußte jetzt immer ſtärker hervor treten, und es blieben nur noch vereinzelte, rein praktiſche, Unterſchiede übrig, die ſich un - ter dem Einfluß des älteren Prozeſſes gebildet hatten, und die nunmehr nur deshalb fortbeſtanden, weil Niemand auf den Gedanken kam, ſie aufzuheben.

Bis dahin iſt der Gegenſatz der ſtrengen und freyen Klagen lediglich auf die perſönlichen Civilklagen, welche aus Rechtsgeſchäften entſpringen, angewendet worden, in - dem dieſe in der That den Mittelpunkt des alten Actionen - ſyſtems bilden (§ 218. 219). Allein jener Gegenſatz hat an ſich eine allgemeinere Natur, und es muß daher auch bey den übrigen Klaſſen der Klagen nachgewieſen werden, wie ſie ſich zu demſelben verhalten.

Die civilen Delictsklagen wurden ohne Zweifel, eben ſo wie die Condictionen, jedesmal von einem Judex ent - ſchieden und als ſtrenge Klagen behandelt. Denn wenn ein alter Volksſchluß eine Geldſtrafe auf ein Delict ſetzte, ſo würde dieſe Beſtimmung, ohne Verfolgung vor einem Richter, gar keinen Sinn gehabt haben(d)Beylage XIII. Num. VIII. .

119§. 221. Arbitrariae actiones.

Bey den civilen in rem actiones wurde es in die Wahl des Klägers geſtellt, ob er einen Judex oder Arbi - ter verlangen, das heißt, ob er vermittelſt einer Sponſion den Weg der ſtrengen Klage einſchlagen, oder eine peti - toria formula vor einem Arbiter gebrauchen wollte, wel - cher letzten allein der Name einer in rem actio eigentlich gebührte(e)Beylage XIII. Rum. IX. Aus dieſer Reduction der Eigen - thumsklage auf eine Sponſion wird es recht anſchaulich, daß das alte Klagenſyſtem auf der Grundlage der Contractsklagen erbaut war..

Die prätoriſchen Klagen endlich, mochten ſie in rem oder in personam gehen, aus Rechtsgeſchäften oder aus Delicten entſpringen, waren ſtets von freyer Natur, alſo vor einem Arbiter zu verhandeln(f)Beylage XIII. Num. X. .

So befolgten alſo alle übrige Klagen die Analogie ent - weder der Condictionen, oder der b. f. actiones; allein dieſe Kunſtausdrücke ſind auf dieſelben niemals angewendet worden(g)Beylage XIII. Num. VI, Beylage XIV. Num. XX. .

§. 221. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones.

Juſtinians Inſtitutionen ſprechen zuerſt ausführlich von dem Gegenſatz der bonae fidei und stricti juris actiones(a)§ 28. 29. 30 J. de act. (4. 6.). Vgl. Beylage XIII. Num. I. VI. XII. , und fahren unmittelbar darauf in folgenden Worten fort: § 31 J. de act. (4. 6.). 120Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Praeterea quasdam actiones arbitrarias, id est ex arbitrio judicis pendentes, appellamus, in quibus, nisi arbitrio judicis is, cum quo agitur, actori satis - faciat, veluti rem restituat, vel exhibeat, vel solvat, vel ex noxali causa servum dedat, condemnari de - beat. Sed istae actiones tam in rem, quam in per - sonam inveniuntur. (Nun folgt eine Reihe von Bey - ſpielen). In his enim actionibus et similibus per - mittitur judici ex bono et aequo, secundum cujus - que rei de qua actum est naturam, aestimare, quem - admodum actori satisfieri oporteat.

Auf den erſten Blick ſcheint hier der Begriff dieſer Klagen eben ſo beſtimmt zu ſeyn, wie kurz vorher der Be - griff der b. f. actiones beſtimmt worden war, indem hier und dort die freye Macht des urtheilenden Richters als das überwiegende Moment bezeichnet wird. Dennoch iſt es undenkbar, daß hier der vorige Begriff unter einem neuen Namen, und ohne Anerkennung der Identität, nur wie - derholt ſeyn ſollte. Was aber dieſen Gedanken völlig wi - derlegt, ſind die einzelnen Beyſpiele, die von den vorher vollſtändig aufgezählten b. f. actiones durchaus verſchie - den ſind.

Um dieſe Schwierigkeit zu beſeitigen, haben Viele an - genommen, die ganze Eintheilung der Klagen ſey drey - gliedrig: stricti juris, bonae fidei, arbitrariae. Allein, nicht zu gedenken, daß es dann viel einfacher geweſen wäre, die arbitrariae als drittes Glied gleich im § 28,121§. 221. Arbitrariae actiones. neben den zwey erſten Gliedern zu nennen, ſo iſt es auch ganz unmöglich, einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen den Begriffen der zwey letzten Eintheilungsglieder aufzufinden, da vielmehr beide in der freyen Macht des Arbiter völlig übereinſtimmen. Die vollſtändige Widerlegung dieſer An - ſicht wird aber unten durch den Beweis geführt werden, daß mehrere b. f. actiones zugleich arbitrariae waren, ſo daß beide Begriffe nicht in einem ausſchließenden Verhält - niß zu einander ſtehen können.

In der That hat der Begriff der arbitrariae actiones mit dem vorhergehenden Gegenſatz der stricti juris und b. f. actiones gar Nichts zu ſchaffen. Jener Ausdruck be - zeichnet eine für ſich beſtehende Eigenſchaft vieler Klagen, worunter einige b. f., andere weder b. f. noch stricti juris ſind. Die erwähnte Eigenſchaft beſteht nämlich darin, daß in dieſen Klagen der Arbiter nicht ſogleich ein Urtheil ſprechen, ſondern damit anfangen ſoll, den Beklagten, wenn er ſich von deſſen Unrecht überzeugt hat, zur frey - willigen Befriedigung des Klägers, durch eine von dem Arbiter vorläufig feſtzuſtellende Leiſtung, aufzufordern. Er - folgt dieſe Befriedigung, ſo wird der Beklagte freygeſpro - chen; erfolgt ſie nicht, ſo wird er verurtheilt. Das Weſentliche dieſer Erklärung, nämlich die vorläufige Auf - forderung, iſt in den curſiv gedruckten Worten der oben mitgetheilten Inſtitutionenſtelle geradezu ausgedrückt(b)Dieſer judicis arbitratus wird in vielen Digeſtenſtellen mehr oder weniger deutlich erwähnt, am Beſtimmteſten in L. 68 de R. V. . 122Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Der vollſtändige Zuſammenhang der Sache wird aber erſt aus folgenden Betrachtungen hervorgehen.

Zunächſt erſcheint dieſe Anſtalt blos als ein dem Arbi - ter vorgeſchriebener Vergleichsverſuch, folglich als eine Prozeßform, von der nicht einleuchtet, wie ſie genug ma - terielle Wichtigkeit erhalten konnte, um zur Bildung einer eigenen Klaſſe von Klagen Veranlaſſung zu geben. Dieſe Wichtigkeit aber erklärt ſich aus der Eigenthümlichkeit des alten Prozeſſes, nach welcher kein Richter anders, als auf Zahlung einer Geldſumme, verurtheilen durfte (§ 215. r). Daraus entſtand die ſeltſame und ungerechte Folge, daß ein hartnäckiger Beklagter den Kläger ſtets zur Abtretung der Dieſem gebührenden Sache gegen baares Geld nöthi - gen konnte(c)Nicht als ob nun dem Be - klagten die Sache um die bezahlte Geldſumme wirklich verkauft ge - weſen wäre; ein wirkliches Recht daran erhielt er eben ſo wenig, als der Verurtheilte, qui dolo de - siit possidere. L. 69. 70. de R. V. (6. 1.). Allein, wenn er nur den Beſitz ſorgfältig hütete, ſo blieb ihm ſtets der Genuß der Sache, und der Eigenthümer mußte ihn entbehren; denn eine wieder - holte Klage konnte Dieſer nicht anſtellen, da das Klagerecht con - ſumirt war.. Dieſe Folge ſollte dadurch abgewendet(b)(6. 1. ), von welcher noch weiter die Rede ſeyn wird. Damit nicht der Beklagte die Sache un - beſtimmt hinhalten konnte, wurde ihm ein Termin zur Reſtitution angeſetzt. L. 6 § 2 de confess. (42. 2. ) ex his actionibus, ex quibus dies datur ad restituen - dam rem. Da übrigens in die - ſer Einrichtung blos ein freyes, billiges Ermeſſen des Arbiter, nicht eine unnütze Formalität begründet ſeyn ſollte, ſo unterblieb ohne Zweifel der arbitratus, wenn deſ - ſen Fruchtloſigkeit ſicher vorherzu - ſehen war. Dieſes war aber der Fall, wenn der Beklagte die Sache unredlicherweiſe zerſtört oder ver - äußert hatte, alſo unmöglich reſti - tuiren konnte.123§. 221. Arbitrariae actiones. werden, daß der Arbiter auf die freywillige Naturalreſti - tution hinzuwirken ſuchte.

Hätte man jedoch lediglich auf den guten Willen oder die Nachgiebigkeit des Beklagten rechnen wollen, ſo wäre dieſe Anſtalt gerade da, wo ſie beſonders wichtig war, der entſchloſſenen Ungerechtigkeit gegenüber, völlig kraftlos ge - blieben. Sie erhielt aber Kraft durch ein indirectes Zwangs - mittel; der Beklagte, welcher der Aufforderung des Arbi - ter nicht nachgab, ſollte durch das nun folgende Urtheil in größeren Nachtheil kommen, als er durch die freywillige Nachgiebigkeit erlitten haben würde, und in dieſem ange - drohten Präjudiz lag ein, gewiß ſehr wirkſames, indirec - tes Zwangsmittel(d)Nach L. 68 de R. V. (6. 1. ) ſoll auch directer Zwang gel - ten, manu militari. Ich halte dieſes für eine entſchiedene Inter - polation, da in anderen Digeſten - ſtellen die Unmöglichkeit jedes di - recten Zwanges beſtimmt voraus - geſetzt wird, ſo z. B. in L. 4 § 3 fin. reg. (10. 1. ), L. 73 de fide - juss. (46. 1.). Eben ſo läßt die Faſſung des § 31 J. de act. (4. 6. ) für eine Execution in die Sache ſelbſt keinen Raum; dieſe Stelle iſt denn wahrſcheinlich ohne Ver - änderung aus einem alten Juri - ſten abgeſchrieben. Endlich iſt auch, die Naturalexecution vorausgeſetzt, nicht wohl einzuſehen, wie es je - mals ob contumaciam zu einem Eid kommen konnte (Note e).. Der allgemeinſte Nachtheil beſtand aber darin, daß nun die Geldſumme, auf welche der Ar - biter den Beklagten verurtheilte, den wahren Werth des Gegenſtandes weit überſteigen konnte, indem der Kläger durch ſeinen Eid die Summe beſtimmen durfte(e)L. 2 § 1 de in litem jur. (12. 2. ) cum vero dolus, aut contumacia non restituentis vel non exhibentis, (punitur), quanti in litem juraverit actor (aestimatur). Dolus geht auf den Fall, da der Beſitzer die Sache verzehrt oder verkauft hat, contu - macia iſt der hier erwähnte Un - gehorſam. Vgl. L. 1 eod. L. 18. Bey124Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einzelnen Klagen traten eigenthümliche, nachtheilige Fol - gen jenes Ungehorſams ein; ſo bey der actio quod metus causa der vierfache Betrag des Gegenſtandes, deſſen ein - fache Leiſtung urſprünglich genügt hätte(f)Bey dieſer Klage kam nicht etwa der Eid noch neben dem vierfachen Erſatz vor, ſondern die - ſer erhöhte Erſatz war ein (ſehr reichliches) Surrogat des Eides. Bey der doli actio trafen den Beklagten beide Nachtheile, der Eid des Klägers und die Infamie.: bey der doli actio die Infamie des Verurtheilten.

Die eigenthümliche Natur dieſer Klagen wurde in der Formel ausgedrückt durch einen, an irgend einer ſchickli - chen Stelle, angebrachten Zuſatz (nisi restituatur, nisi ex - hibeatur), welcher demnach als eine Beſchränkung des Auf - trags zur Condemnation eingeſchoben wurde(g)Über die nicht überall gleich - förmige Stellung jener Ausdrücke in der Formel kommen folgende unzweifelhafte Zeugniſſe vor. Bey Cicero ſtehen in der petitoria for - mula in der Intentio die Worte: neque is fundus Q. Catulo re - stituetur (§ 209. c). Ga - jus IV. § 47 hat in der depositi formula in jus concepta die Worte: N R (nisi restituat) in der Condemnatio (§ 216. t). Ebendaſelbſt ſtehen, bey der depo - siti formula in factum, in der Intentio die Worte: Si paret. eamque .. redditam non esse. Eben ſo ſtehen in der Intentio.

(e)pr. de dolo (4. 3.). Eben dar - auf geht L. 73 de fidej. (46. 1. ) noluit eam restituere, et ideo magno condemnatus est. In L. 68 de R. V. (Note d) iſt natürlich nur von dolus die Rede, nicht von contumacia, weil für den Fall einer ſolchen die ma - nus militaris durch Interpolation eingeſchoben iſt. Der eigent - liche Zuſammenhang zwiſchen dem Eid in litem und den arbiträren Klagen beſteht nun aber darin, daß bey ihnen jener Eid als ein regelmäßiges Recht des Klägers in den angeführten Stellen aner - kannt wird, anſtatt daß er bey ſtrengen Klagen nur als Aushülfe, in Ermanglung anderer Beweiſe, gebraucht werden kann. L. 5 § 4 L. 6 de in litem jur. (12. 3.). Hierauf iſt auch zu beziehen L. 9 eod., da auch die furti actio eine ſtrenge Klage iſt; eben ſo L. 8 § 1 de act. rer. amot. (25. 2. ), da dieſe Klage die Natur einer condictio hat. L. 26 eod.

125§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

§. 222. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

Auf die Frage, welchen Klagen der Name arbitrariae, alſo auch die eben erklärte Eigenthümlichkeit, zukam, läßt ſich eine allgemeine, wie ich glaube völlig ſichere, Antwort geben. Dieſe wird dann noch durch Anwendung auf ein - zelne Fälle zu beſtätigen ſeyn.

Die allgemeine Regel iſt ſo auszudrücken: arbitrariae waren alle freye Klagen, worin ſich, nach ihrem beſon - deren Inhalt, das oben beſchriebene Verfahren als an - wendbar zeigte.

Durch die erſte Beſtimmung ſind ausgeſchloſſen alle Condictionen, ſo wie alle civile Delictsklagen, auch zeigt ſich bey keiner derſelben die geringſte Spur eines ſolchen Verfahrens, ja es würde dieſes der beſchränkten Stellung des Judex in jenen Klagen völlig widerſprechen. Da - gegen ſind, von dieſer Seite her, zugelaſſen: die bonae fidei, die in rem actiones, ſo wie alle prätoriſche Klagen.

Schwieriger iſt die zweyte Beſtimmung, welche die Anwendbarkeit des oben beſchriebenen beſonderen Ver - fahrens zum Gegenſtand hat, und wodurch viele freye Klagen von der Klaſſe der arbitrariae actiones ausge - ſchloſſen werden. Zwar die Ausdrücke arbitrium und ar - biter, die durchaus für alle freye Klagen gelten (§ 218),(g)der actio quod metus causa die Worte: neque ea res arbitrio judicis restituetur. L. 14 § 11 quod metus (4. 2.)126Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.könnten leicht zu der Annahme verleiten, als ob alle freye Kla - gen ohne Unterſchied arbitrariae wären. Dieſes würde aber ganz irrig ſeyn, indem der Name arbitraria formula nicht von der Perſon des arbiter, ſondern von dem in der Formel ausgedrückten arbitratus judicis, das heißt von der oben erklärten Aufforderung zur freywilligen Leiſtung (§ 221. b), hergenommen iſt, ſo daß zwar jede arbitraria actio ein arbi - trium, aber nicht jedes arbitrium eine arbitraria actio iſt(a)Über die Verſchiedenheit bei - der Begriffe können einige Stel - len des Gajus täuſchen, worin ganz abwechſlend, bald arbitrum, bald arbitrariam formulam pe - tere geſagt wird (IV. § 141. 163. 164. 165). Allein in den Fällen der Interdicte, von welchen hier Gajus ſpricht, war in der That das arbitrium zugleich eine ar - bitraria formula, wodurch alſo die Verſchiedenheit beider Begriffe in Anwendung auf viele andere Klagen nicht ausgeſchloßen wird..

Anwendbar nun iſt jenes beſondere Verfahren bey den - jenigen freyen Klagen, die auf eine Reſtitution oder Exhibition gerichtet ſind, bey allen anderen iſt es nicht anwendbar(b)Dieſe Beſtimmung iſt an - erkannt in dem Ausdruck: contu - macia non restituentis vel non exhibentis, als Grund und Be - dingung des Eides in litem (§ 221. e). Sie wird völlig beſtätigt, wiewohl nur in der beſonderen An - wendung auf Interdicte, durch Gajus IV. § 163. 165. Sie wird in ihrem Haupttheil beſtätigt, und zwar in Anwendung auf die verſchiedenſten Arten von Klagen, durch den Schluß von L. 68 de R. V. (6. 1.) Haec sententia generalis est, et ad omnia, sive interdicta, sive actiones in rem, sive in personam sunt, ex qui - bus arbitratu judicis quid re - stituitur, locum habet. . Es kommt alſo nur darauf an, dieſe Be - griffe genau zu beſtimmen.

Der leichtere, ſeltnere, und minder wichtige Fall iſt der der Exhibition. Darunter wird das bloße Vorzeigen oder Darſtellen einer beſtimmten einzelnen Sache verſtan -127§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)den, die alſo nicht zugleich in den Beſitz des Andern ge - bracht werden ſoll, mithin diejenige Leiſtung worauf haupt - ſächlich die actio ad exhibendum gerichtet wird(c)L. 2 ad exhib. (10. 4. ), L. 22. 246 pr. de V. S. (50. 16. ), L. 3 § 8 de tab. exhib. (43. 5.).

Restituere iſt verwandt mit dem recipere, welches als Grund und Bedingung der Condictionen bezeichnet wird(d)Beylage XIV. Num. XX. , und doch auch davon verſchieden. Jenes recipere näm - lich, in Anwendung auf die Condictionen, ſetzt voraus, daß aus unſrem Vermögen Etwas ohne Grund in ein fremdes Vermögen übergegangen iſt, welche Veränderung jetzt wieder rückgängig gemacht werden ſoll. Restituere aber geht auch auf die Rückkehr des bloßen Beſitzes, ja ſelbſt der bloßen Detention, während der Umfang des Ver - mögens weder früher verändert war, noch jetzt wiederher - geſtellt werden ſoll. So wird mit der Vindication der fehlende Beſitz wieder gefordert, mit der depositi actio die fehlende Detention, und durch den Erfolg beider Klagen wird der Umfang des Vermögens gar nicht verändert(e)So war eine Stipulation: rem meam mihi restitui gültig (L. 82 pr. § 1 de V. O. 45. 1), dagegen die Stipulation: rem meam mihi dari ungültig. Bey - lage XIV. Num. V. i. . Ja ſelbſt auf ſolche Fälle iſt hier der Ausdruck restituere anwendbar, worin dem Kläger nicht einmal eine Deten - tion verſchafft, ſondern nur überhaupt ein veränderter fac - tiſcher Zuſtand wiederhergeſtellt werden ſoll, wie z. B. bey dem Interdict quod vi (Note n).

Dieſer Ausdruck nun wird auf in rem actiones aus128Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dinglichen Rechten, ohne Ausnahme angewendet. Gewöhn - lich wird hier eine wirkliche Rückkehr der Sache Statt finden, da der Eigenthümer, der eine Sache vindicirt, meiſt ſchon früher den Beſitz derſelben gehabt haben wird. Doch iſt dieſes nicht immer der Fall; denn der Legatar, der die legirte Sache vom Erben vindicirt, hat den Be - ſitz noch niemals gehabt, eben ſo der Pfandglaubiger, der aus einem bloßen Pfandvertrag die hypothecaria actio an - ſtellt. Hier wird alſo die Vereinigung des Beſitzes mit dem dinglichen Recht ſchon an ſich ſelbſt als eine Rück - kehr gedacht, und es iſt daher bey dieſen Klagen ſtets eine arbitraria formula anwendbar.

Anders verhält es ſich mit den perſönlichen Klagen, bey welchen der Ausdruck restituere, als Bedingung einer arbitraria formula, genauer genommen wird. Die actio commodati, depositi, pigneratitia, gehen wirklich auf Rück - kehr einer Sache zu ihrem früheren Beſitzer; eben ſo die ac - tio locati, wenn damit die Rückgabe der vermietheten Sache gefordert wird. Auch die actio doli, und quod metus causa gehen, wenngleich nicht immer auf Rückkehr einer beſtimmten einzelnen Sache in unſren Beſitz, doch ſtets auf Herſtellung unſres verminderten Vermögens. Daher war bey allen dieſen perſönlichen Klagen ſtets eine arbitraria formula anwendbar. Anders bey ſolchen Contractskla - gen, deren Erfolg gar nicht irgend einen früheren Zuſtand herſtellen, ſondern einen ganz neuen herbeyführen ſoll, wie die actio emti, venditi, und mehrere andere Contractskla -129§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)gen. Hier kann von einer eigentlichen Reſtitution nicht die Rede ſeyn(f)Ich will nicht behaupten, daß die Römer ſelbſt eine ſolche Strenge in dem Gebrauch des Aus - drucks restituere ſtets beobachtet haben; vielmehr kommt derſelbe zuweilen auch bey den Leiſtungen eines Käufers und Verkäufers u. ſ. w. vor, in welchen doch keine Art von Rückkehr wahrzunehmen iſt. L. 13 § 18 de act. emti (19. 1. ), L. 8. 12 C. eod. (4. 49.) L. 14 § 9 de servo corr. (11. 3. ), L. 8 § 10 mandati (17. 1.). Weniger ungenau iſt es, wenn bey Fideicommiſſen von einer re - stitutio hereditatis oder rerum singularum die Rede iſt; dieſes iſt nämlich allerdings eine Rück - kehr, zwar nicht in Beziehung auf den Empfänger, wohl aber in Be - ziehung auf den Erben, der die Erbſchaft oder die einzelne Sache nur vorübergehend haben ſollte, ſo daß ſie nun von ihm wieder weggeht. Daher iſt in dieſer An - wendung der Sprachgebrauch als regelmäßig und techniſch zu be - trachten. Ulpian. XX § 5, Gajus II § 184. 250. 254. 260, und viele andere Stellen., und daher iſt hier auch keine arbitraria for - mula anwendbar.

Zwar wird der eben behauptete ſtrenge Unterſchied nicht unmittelbar in unſren Rechtsquellen ausgeſprochen; we - der bey dem Kunſtausdruck restituere, deſſen ſchwankender Gebrauch vielmehr ſo eben anerkannt worden iſt (Note f); noch bey der arbitraria formula, für welche die eben ge - zogene Gränze in keiner Stelle auf dieſe Weiſe anerkannt wird. Die Richtigkeit dieſer Gränzbeſtimmung aber wird dadurch außer Zweifel geſetzt, daß die Anwendbarkeit des jusjurandum in litem ganz beſtimmt nach dieſer Unter - ſcheidung beurtheilt wird(g)Der Eid wird zugelaſſen bey der actio depositi, commodati, locati, tutelae, dotis, doli, metus, interd. de vi. L. 3 de in lit. jur. (12. 3. ), L. 3 § 2 commod (12. 6. ), L. 48 § 1 loc. (19. 2.) L. 7 pr. de admin. (26. 7.) L. 25 § 1 sol. matr. (24. 3. ), L. 18 pr. de dolo (4. 3. ), L. 9 C. unde vi (8. 4. ) Er wird nicht zugelaſſen bey der actio emti venditi. L. 4 C. de act. emt. (4. 49. ), L. 19, während auf der andern SeiteV. 9130Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſer Eid mit der arbitraria formula eben ſo ſicher im Zuſammenhang ſteht(h)Vgl. § 221. e. Wäre die Leiſtung des Verkäufers eine wahre, eigentliche restitutio, ſo müßte gegen ihn, nach dem ſehr beſtimmten Ausſpruch der L. 68 de R. V. (§ 222. b.), in litem geſchworen werden können, Wel - ches doch entſchieden nicht zuläſſig iſt (Note g.)..

§ 223. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

Nachdem ſo die Regel für die Anwendung einer arbi - traria formula aufgeſtellt worden iſt, ſollen nun noch die einzelnen Klagen angegeben werden, welchen dieſer Name in unſren Rechtsquellen beſtimmt beygelegt wird.

Die oben angeführte Stelle der Inſtitutionen (§ 221) giebt folgende Beyſpiele an, unter welchen mehrere auch durch Digeſtenſtellen beſtätigt werden. In rem: die Pu - bliciana, Serviana, quasi Serviana(a)Vgl. L. 16 § 3 L. 21 § 3 de pign. (20. 1.).. In personam: quod metus causa(b)L. 14 § 4. 11 quod metus (4. 2.)., doli(c)L. 18 pr. § 1 de dolo (4. 3.)., de eo quod certo loco(d)L. 2 pr. L. 3. 4 de eo quod certo loco (13. 4.)., ad exhibendum(e)Vgl. oben § 221. e, § 222. b. L. 3 § 2 ad exhib. (10. 4.).. Alle dieſe Klagen ſind prätoriſche.

Aus anderen Zeugniſſen aber können wir noch folgende Klagen als arbitrariae hinzufügen.

  • 1) Die rei vindicatio, das heißt die petitoria formu - la
    (f)Cicero in Verrem II. C. 12, L. 68 L. 35 § 1 de R. V.
    (f), welche auf der freyen Wahl des Klägers, anſtatt
    (g)de peric. (18. 6.). Eben ſo bey der actio depositi contraria. L. 5 pr. depos. (16. 3.).
    (g)131§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)der Sponſionsklage, beruhte. Es kann auffallen, daß dieſe Klage, die für viele andere einen Mittelpunkt bildet, nicht auch in den Inſtitutionen als Beyſpiel angeführt wird. Vielleicht iſt es deswegen unterlaſſen worden, weil in dem hier excerpirten alten Juriſten die petitoria formula ganz beſtimmt bezeichnet war, welche veraltete Bezeichnung jetzt vermieden werden ſollte.
  • 2) Hereditatis petitio
    (g)L. 10 § 1 L. 57 de her. pet. (5. 3.).
    (g).
  • 3) Confessoria actio
    (h)L. 7 si serv. (8. 5.).
    (h).
  • 4) Finium regundorum
    (i)L. 4 § 3 fin. reg. (10. 1. ), § 6 J. de off. jud. (4. 17.).
    (i).
  • 5) Faviana
    (k)L. 5 § 1 si quid in fraud. patr. (38. 5.).
    (k).
  • 6) Depositi actio
    (l)Vgl. oben § 216. t. Ein ſcheinbarer Widerſpruch liegt in L. 7 pr. de eo quod certo loco (13. 4.). In bonae fidei judi - ciis ex empto, vel vendito, vel depositi actio competit, non arbitraria actio. Allein die letzten Worte enthalten nicht die Verneinung einer arbitraria actio überhaupt, (deren Name und Cha - racter alſo der depositi actio ab - geſprochen wäre), ſondern dieſer beſtimmten, vom Prätor beſon - ders eingeführten, arbitraria actio, der actio de eo quod certo loco.
    (l).
  • 7) Redhibitoria actio
    (m)L. 45 de aedil. ed. (21. 1.).
    (m).
  • 8) Die reſtitutoriſchen und exhibitoriſchen Interdicte, vorausgeſetzt daß der Beklagte dieſe Prozeßform vorzog, und den Prätor zu rechter Zeit darum bat
    (n)Gajus IV. § 141. 163. 164. 165. Mit Unrecht würde man unter die arbiträren Klagen ziehen die actio adv. publicanos; denn obgleich bey ihr die Reſtitution von der poena dupli befreyte (L. 1 pr. de public. 39. 4. ), ſo war doch in dem Edict ſelbſt nur
    (n).

(f)(6. 1. ), L. 41 § 1 de re jud. (42. 1.).

9*132Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Faſt alle dieſe Klagen paſſen zu dem oben aufgeſtell - ten Begriff der Reſtitution oder Exhibition, dienen alſo zur Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Eine ein - zige Klage kann daran Zweifel erregen, und zwar gerade die, deren arbiträre Natur vorzugsweiſe und wiederholt in unſren Rechtsquellen wörtlich anerkannt iſt: die actio de eo quod certo loco (Note d), welches eine prätoriſche Klage iſt(o)L. 1 de eo quod certo loco (13. 4) ideo visum est, utilem actionem in eam rem comparare. Heffter observ. in Gajum Lib. 4 p. 83 hält ſie für eine eigentliche utilis a., d. h. für eine Fictionsklage, welches je - doch aus jenen Worten nicht noth - wendig folgt. Sie kann auf ge - wöhnliche Weiſe in factum con - cepta geweſen ſeyn, und dennoch utilis genannt werden, weil durch ſie das urſprüngliche Klagrecht über ſeine Gränzen ausgedehnt wurde.. Sie geht gar nicht auf eine Reſtitution oder Exhibition, ſondern auf die örtliche Reduction des Betrags einer Stipulation, welche eigentlich, ihrem wört - lichen Inhalt nach, an einem fremden Ort zu erfüllen ge - weſen wäre. Die Aufforderung des Arbiter, durch deren Erfüllung die Klage abgewendet wird, geht auf Caution wegen Erfüllung des wörtlichen Inhalts der Stipula - tion(p)L. 4 § 1 de eo quod certo loco (13. 4.).; das Präjudiz bey Verweigerung dieſer Erfüllung beſteht in einem möglichen ſehr hohen, ſelbſt indirecten, Intereſſe, worauf die Verurtheilung gerichtet werden kann(q)L. 2 § 8 de eo quod certo loco (13. 4.).. So liegt alſo in dieſer Klage die Anwendung einer, für ganz andere Zwecke und Fälle eingeführten Prozeßform(n)eine Reſtitution ante judicium acceptum gemeynt (L. 5 pr. eod.), ſo daß zu einem arbitrium vor dem Urtheil keine Veranlaſſung war (vgl. Note t.).133§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)auf einen Fall, worin es darauf ankam, die beſondere Unredlichkeit eines Stipulationsſchuldners wirkſam zu be - kämpfen, der ſich hinter den Buchſtaben des Rechts ver - ſteckte, um ſich ſeiner Verpflichtung zu entziehen.

Sehen wir jetzt zurück auf die oben mitgetheilte Stelle der Inſtitutionen, die einzige, die abſichtlich von der Na - tur der arbiträren Klagen redet (§ 221), ſo ſind noch die Worte derſelben zu erklären: nisi .. satisfaciat, veluti rem restituat, vel exbibeat, vel solvat, vel ex noxali causa ser - vum dedat. Die zwey erſten Ausdrücke enthalten eine un - mittelbare Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Das solvat darf nicht ſo allgemein verſtanden werden, wie es wohl der Ausdruck zuließe, ſo daß es auch auf die Zah - lung eines Käufers u. ſ. w. bezogen würde. Es iſt zu beziehen auf die actio de eo quod certo loco; ferner auf die Fälle einer actio commodati u. ſ. w., worin die Na - turalreſtitution unmöglich iſt, weil der Beklagte durch ſeine Nachläſſigkeit die Sache hat ſtehlen oder verderben laſſen; eben ſo auf die hypothecaria actio, von welcher ſich der Beklagte nicht blos durch Reſtitution der Sache, ſondern auch durch Bezahlung der Schuld, frey machen kann(r)L. 16 § 3 de pign. (20. 1.).. Endlich die noxalis causa geht auf die durch die Hand - lung eines Sklaven begründete actio doli oder quod me - tus causa; denn hier wird der damit belangte Herr des Sklaven, ohne Entſchädigung zu leiſten, ſchon durch die bloße noxae datio voͤllig befreyt(s)Es muß alſo die hier er -.

134Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Vergleichen wir nun noch zum Schluß die arbiträren Klagen mit dem oben (§ 218) aufgeſtellten Schema aller Klagen überhaupt, ſo ergiebt ſich folgendes Verhältniß derſelben.

Die Condictionen und die civilen Delictsklagen ſind nie arbiträr, weil ſie ſtrenge Klagen ſind.

Die civilen in rem actiones, inſoweit ſie auf eine Re - ſtitution gehen, ſind insgeſammt arbiträr(t)Dahin gehören alſo die rei vindicatio, die hereditatis pe - titio, die confessoria. Dagegen konnte bey dem liberale judicium von keiner Reſtitution die Rede ſeyn, ſie war alſo auch nicht ar - biträr..

Die bonae fidei actiones, und alle prätoriſche Klagen, ſind arbiträr, inſofern ſie gerade auf eine Reſtitution oder Exhibition gerichtet ſind, ſo daß ihre arbiträre Natur von dem Inhalt jeder einzelnen Klage dieſer Klaſſen abhängt. Am Meiſten iſt bisher die Vereinbarkeit der Eigenſchaft einer arbiträren Klage mit den b. f. actiones bezweifelt worden Der unmittelbare Beweis dafür liegt in den Zeugniſſen, nach welchen die hereditatis petitio und die depositi actio, welche beide unter die b. f. actiones gehö - ren, zugleich auch arbitrariae ſind (Note g. l.).

Es war ein wichtiger Streit der alten Juriſtenſchulen, ob der Beklagte auch nach der Litisconteſtation, bey allen Klagen, durch freywillige Erfüllung die Freyſprechung be -(s)wähnte noxalis causa von einer ſolchen Klage verſtanden werden, die ſchon an ſich arbitraria iſt, im einzelnen Fall aber als noxa - lis angeſtellt wird. Es würde irrig ſeyn, wenn man wegen der mög - lichen noxae datio jede Noxal - klage für arbiträr halten wollte; die actio furti noxalis z. B. iſt ein judicium, alſo ſchon deshalb nicht arbiträr (§ 222.).135§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)wirken könne. Die Sabinianer behaupteten Dieſes, und drückten ihre Meynung durch die Regel aus: omnia judi - cia esse absolutoria. Die Proculejaner wollten es nicht bey allen Klagen zugeben, ſondern wahrſcheinlich nur bey denjenigen, die ich oben als freye bezeichnet habe. Juſti - nian hat die Meynung der Sabinianer angenommen(u)Gajus IV. § 114. (Zum Theil lückenhaft.) § 2 J. de per - petuis (4. 12.). Ein Überreſt der Proculejaniſchen Meynung fin - det ſich in L. 84 de V. O. (45. 1. ), die nur aus Verſehen aufgenom - men ſeyn kann. Auch L. 5 pr. de publicanis (39. 4) iſt aus je - nem Schulſtreit zu erklären; Ga - jus war bekanntlich Sabinianer.. Nun könnte man dieſen Streit ſo verſtehen, als hätten die Sabinianer alle Klagen für arbiträre erklärt; Dieſes war jedoch keinesweges ihre Meynung. Vielmehr blieben auch nach ihnen die arbiträren Klagen dadurch vor den übrigen ausgezeichnet, daß bey ihnen dem Arbiter eine be - ſondere Aufforderung zur Erfüllung, unter Androhung der ſonſt unausbleiblichen Verurtheilung, vorgeſchrieben war; bey den übrigen Klagen ſollte der Beklagte zwar auch durch freywillige Erfüllung die Verurtheilung abwenden, aber dieſe mußte weit ſeltner erfolgen, weil er ſich noch immer mit der Hoffnung ſchmeicheln konnte, ohnehin frey - geſprochen zu werden, anſtatt daß bey den arbiträren Klagen die Aufforderung des Arbiter ſchon die Ankündi - gung enthielt, daß in Ermanglung freywilliger Erfüllung die Condemnation unfehlbar erfolgen werde.

136Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

Die Arten der Klagen, deren Gegenſätze bis hierher ausführlich unterſucht worden ſind, haben eine verſchie - dene Natur (§ 206.). Einige ſtehen in unmittelbarer Be - ziehung auf die zum Grund liegenden Rechtsverhältniſſe, ſie führen zur genaueren Einſicht in das Weſen derſelben, und ſie ſind daher auch für das heutige Recht von Wich - tigkeit (§ 206 212.). Andere haben eine blos hiſtoriſche Natur. Theilweiſe ſind ſie ſchon aus den neueſten Rechts - quellen verſchwunden, und auch die, welche darin noch vorkommen, dienen doch nur als Nomenclatur, ſo daß ſich nicht einmal der Schein einer praktiſchen Bedeutung dar - an knüpft (§ 213 217.). Noch andere, und gerade die ſchwierigſten, haben zwar eine ganz hiſtoriſche, meiſt ver - altete, Grundlage, aber es knüpfen ſich daran wichtige, noch in den neueſten Rechtsquellen (wenigſtens wörtlich) anerkannte, praktiſche Folgen. Dahin gehören die actio - nes stricti juris (Condictiones), bonae fidei, arbitrariae (§ 218 223.). Deren Bedeutung für das heutige Recht iſt der Gegenſtand der nun folgenden Unterſuchung.

Ich fange an mit den Condictionen und b. f. actiones. Die ganze hiſtoriſche Grundlage dieſes Gegenſatzes war ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden. Damals wurden ſchon längſt alle Urtheile von öffentlichen Beam - ten ausgeſprochen; daher konnte weder ein Judex und137§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Arbiter durch größere oder geringere Macht unterſchieden, noch eine formula ſo oder anders abgefaßt werden. Allein an den alten, nunmehr verſchwundenen, hiſtoriſchen und formellen Gegenſatz hatten ſich zugleich ganz praktiſche Verſchiedenheiten angeknüpft, die großentheils im Juſti - nianiſchen Recht erhalten ſind. Zwar eine der wichtigſten Eigenheiten der Condictionen, die sponsio tertiae partis bey der certi condictio, erſcheint hier nicht mehr; andere aber, die allerdings noch erſcheinen, ſind nicht minder erheblich. Juſtinian kann die Eigenthümlichkeit der b. f. actiones nicht für verſchwunden gehalten haben, da er ſelbſt es für nöthig hielt, mehreren Klagen dieſen Character ausdrücklich bey - zulegen; namentlich der hereditatis petitio, und der anſtatt der alten rei uxoriae actio von ihm eingeführten actio ex stipulatu (Beylage XIII. Num. IX. XII.).

Ich gehe nun zur Erwägung des heutigen Rechtszu - ſtandes über. Für viel eingeſchränkter, als bey den - mern, müßten wir in jedem Fall die Anwendung jener Unterſchiede halten, weil die Gegenſtände derſelben großen - theils verſchwunden ſind. Die Expenſilation war ſchon lange vor Juſtinian außer Gebrauch, und die Stipulation, als Grund von stricti juris actiones, kennen wir nicht mehr. Dennoch würde darin nur eine Verminderung des praktiſchen Unterſchieds liegen, nicht deſſen Aufhebung.

Indeſſen glaube ich, daß wir ſelbſt die an ſich noch möglichen Unterſchiede, auch ſoweit ſie im Juſtinianiſchen Recht erhalten ſind, in dem heutigen Recht nicht mehr138Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zulaſſen können, und daß überall, wo das Römiſche Recht eine verſchiedene Behandlung ſtrenger und freyer Klagen eintreten läßt, für uns nur allein das Princip der freyen, namentlich alſo der bonae fidei actiones, gelten kann. Die Annahme dieſer, durch allgemeines Gewohnheitsrecht herbeygeführten, wichtigen Veränderung ſoll nunmehr ge - rechtfertigt werden.

Eigentlich liegt darin kein neuer, dem Römiſchen Recht fremder, Gedanke, ſondern nur die Vollendung einer ſchon im früheren Recht erſcheinenden, in Juſtinians Geſetzge - bung aber weit ſtärker hervortretenden Entwicklung. Auf verſchiedene Weiſe ſuchte man, dem Princip der freyen Klagen immer mehr Raum zu verſchaffen(a)Vgl. oben § 220, und Beylage XIII. Num. XX. ; die Aus - dehnung der Compenſation, die urſprünglich nur für die b. f. actiones gelten ſollte, zuerſt auf die Condictionen, endlich auf alle Klagen überhaupt, iſt nur ein einzelnes Stück derſelben Rechtsentwicklung(b)Beylage XIII. Num. IV. . Einen ſtarken Halt gab dem alten Actionenſyſtem lediglich der noch im Juſti - nianiſchen Recht ſichtbare, ausgedehnte Gebrauch der Sti - pulation. Seit dem Verſchwinden derſelben war gar kein Grund mehr zur Fortdauer jenes Syſtems vorhanden, und die einzelnen, in den Rechtsquellen erhaltenen Über - reſte des alten Unterſchieds waren nun ganz willkührlich und inconſequent geworden.

Für die Thatſache jener eingetretenen Veränderung139§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen, daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge - zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen - dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um es verſtehen zu können. Dieſes wird noch gewiſſer durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge - ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti juris Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an - dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. Es kommt noch der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk - lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt; nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae fidei actiones bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In - ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer Sache zu ſehen.

Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm - teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen, der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar140Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wäre, findet ſich in den Verzugszinſen, die aus einem Darlehen, eben ſo wie bey der condictio indebiti, nicht ſollen gefordert werden können, anſtatt daß ſie bey der actio venditi, locati u. ſ. w. allerdings gelten(c)Beylage XIII. Num. III. . Nun ſagt aber der Reichsdeputationsabſchied von 1600 § 139, bey dem Gelddarlehen ſolle jeder Glaubiger, einer allge - meinen Präſumtion nach, Fünf Procent Zinſen zu fordern befugt ſeyn, mit dem Vorbehalt, einen in dieſer Gegend üblichen höheren Zinsfuß beweiſen zu dürfen. Es würde ganz irrig ſeyn, dieſes Geſetz als Aufhebung der bis da - hin geltenden entgegengeſetzten Regel des Römiſchen Rechts anzuſehen. Es ſetzt vielmehr ſtillſchweigend voraus, daß im heutigen Recht alle Verträge die Natur der Römiſchen bonae fidei Contracte haben, und will nur den Beweis des landüblichen Zinsfußes durch eine Präſumtion erleich - tern. Es wäre gewiß ſehr willkührlich, daneben noch bey der condictio indebiti die Verzugszinſen zu verſagen, oder irgend eine andere bey den Römern geltende Eigenthüm - lichkeit der str. j. actiones für das Darlehen oder die condictio indebiti feſt halten zu wollen.

Auch hat dieſe Veränderung bey der überwiegenden Anzahl neuerer Schriftſteller entſchiedene Anerkennung ge - funden(d)Höpfner Commentar § 1135. Glück B. 4 § 310. Thi - baut § 71 der achten Ausgabe. Mühlenbruch Vol. 2 § 329. Außerdem auch noch die von Die - ſen angeführten früheren Schrift - ſteller.. Wenngleich nun die von Manchen für dieſe Behauptung aufgeſtellten Gründe ganz unbefriedigend141§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.ſind(e)Höpfner und Glück (Note d) gründen ſich darauf, daß der ganze Unterſchied auf dem bey uns ver - ſchwundenen Formularcontracten beruhe; ſie ſetzen alſo den grund - falſchen Satz voraus, die Römer hätten nur bey der Stipulation eine stricti juris actio angenom - men. Das Darlehen und das in - debitum solutum ſind keine For - mularcontracte, ſie kommen bey uns noch täglich vor, und ſie erzeugten bey den Römern stricti juris actiones, ſo gut als die Stipu - lation. Es iſt alſo unrichtig, das Verſchwinden der stricti juris actiones daraus erklären zu wol - len, daß die einzigen Fälle, worin ſie von den Römern angewendet wurden, verſchwunden ſeyen., ſo iſt doch ihr Zeugniß für die Thatſache der Veränderung ſelbſt, und den damit allgemein übereinſtim - menden Gerichtsgebrauch, darum nicht weniger entſchei - dend. Der partielle Widerſpruch aber, der ſich bey we - nigen Schriftſtellern hierüber findet, beruht wohl nur auf Misverſtändniſſen, und würde auch von ihnen gewiß nicht in der dabey denkbaren Allgemeinheit geltend gemacht wer - den(f)Schröter in Linde’s Zeit - ſchrift B. 7 S. 389 392 behaup - tet die Fortdauer des alten Unter - ſchieds in Beziehung auf den Eid in litem. Das praktiſch Richtige in ſeiner Behauptung, nämlich die Unanwendbarkeit jenes Eides in manchen Fällen, liegt nicht in der stricti juris Natur dieſer Fälle, ſondern in dem Mangel anderer Bedingungen, ohne welche jener Eid nicht gilt. Vgl. oben § 221. 222. Liebe, Stipulation S. 93 be - hauptet die Fortdauer der stricti juris Natur bey dem einfachen Verſprechen (nudum pactum) des heutigen Rechts, weil dieſes, eben ſo wie die Römiſche Stipulation, eine blos formale Gültigkeit habe, im Gegenſatz der materiellen Ver - träge. Er ſucht den Grund der stricti juris Natur der Stipula - tion in einer Eigenſchaft, worin er in der That nicht liegt.. Beſondere Erwähnung verdient hier noch eine einzelne Anwendung des alten Unterſchieds. Ein Reſcript von Caracalla ſpricht aus, daß mit der condictio indebiti ſtets nur die gezahlte Summe ſelbſt, niemals Zinſen der - ſelben gefordert werden durften(g)L. 1 C. de cond. indeb. (4. 5.).; offenbar wegen der142Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtrengen Condictionennatur, und im Gegenſatz der b. f. actiones, aus welchen von der Mora an Zinſen zu zah - len ſind. Daß alſo vor der Mora, von der Zeit der empfangenen Zahlung an, keine Zinſen gezahlt werden, iſt gar nichts Beſonderes, und verſteht ſich ohnehin von ſelbſt. Nun ſtreiten die Neueren darüber, ob jene Römiſche Vor - ſchrift noch gelte oder nicht; Manche ſagen, ſie gelte noch, nur mit Ausnahme der Mora(h)Glück B. 13 § 835.; das heißt aber in der That ſo viel, als ſie gelte nicht, da ſie nur für die Mora einen beſonderen Rechtsſatz in ſich enthielt. Aus ſo ver - worrenen Begriffen hat nun in der That keine feſte Praxis entſtehen können; ja ſelbſt wenn ſie entſtanden wäre, müß - ten wir ihr alle bindende Kraft verſagen, da ſie nicht aus der Überzeugung eines neuen Rechtsbedürfniſſes, ſon - dern nur aus mangelhafter Wiſſenſchaft hervorgegangen ſeyn würde (§ 20.).

Es ergiebt ſich aus dieſer Unterſuchung, daß die Un - terſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones ihr praktiſches Intereſſe gänzlich verloren hat, und nur noch für die Rechtsgeſchichte, und als Nomenclatur für das Verſtändniß der Rechtsquellen von Wichtigkeit iſt. Es kann alſo lediglich in dieſem theoretiſchen, formellen In - tereſſe geſchehen, daß wir in einzelnen Fällen unterſuchen, ob gerade eine condictio, oder eine andere Klage begrün - det ſey; in demſelben theoretiſchen Intereſſe, in welchem143§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.wir auch den individuellen Namen der Klage für einen gegebenen Fall zu ermitteln ſuchen.

Wenn wir uns nun aus dieſen Gründen überzeugt fin - den, daß jene Eintheilung der Klagen ihre praktiſche Be - deutung für uns verloren hat, ſo drängt ſich noch der Zweifel auf, ob nicht hierin unſer heutiges Recht einen weſentlichen Verluſt erlitten habe, der für uns zu bekla - gen ſeyn dürfte. Dieſer Gedanke könnte für Diejenigen Schein gewinnen, welche etwa durch den oben (§ 219) gemachten Verſuch einer rationellen Erklärung jener Ein - theilung überzeugt ſeyn möchten. Indeſſen gieng dieſer Verſuch nicht ſowohl darauf aus, die Zweckmäßigkeit oder Nothwendigkeit jener Behandlung an ſich zu rechtfertigen, als die Entſtehung und Ausbildung dieſer Gedanken bey den Römern zu erklären. Gleichſam vor unſren Augen entſteht für die Römer der Begriff von Obligationen in zwey verſchiedenen Familien. Sie geben dieſem Gedanken praktiſche Wichtigkeit durch die Einrichtung eines zwie - fachen Richteramts mit verſchiedenen Attributionen; ſie geben ihm Individualität und Feſtigkeit durch die Aufſtel - lung feſter Klagformeln(i)Es lag hierin gleichſam ein Extrem individueller Verkörperung, welches ſich in der Anwendung hier und da etwas unbequem zei - gen mochte. Das andere Extrem, ohne Zweifel weit nachtheiliger, zeigt ſich in der allgemeinen Preu - ßiſchen Gerichtsordnung, ſ. u. No - te u. . So dauert dieſe Einrichtung Jahrhunderte lang fort, im Weſentlichen unverändert, all - mälig durch neu entſtandenes Bedürfniß modificirt. Allein144Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer - ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem gleichartiger Obligationen ausgebildet worden(k)Dieſer Entwicklungsgang läßt ſich durch einige treffende Ana - logieen anſchaulich machen. So iſt das in bonis eine zweyte Art von dominium geworden, die bo - norum possessio eine zweyte Art von hereditas; Beides war ur - ſprünglich blos neben das alte Rechtsinſtitut geſtellt, als rein praktiſche Aushülfe in einzelnen Fällen des Bedürfniſſes.. Die durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo - durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat - ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts. Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen, und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel - ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi - duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die145§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Fähigkeit dazu aus dem mechaniſchen Geſchäftsbetriebe zu retten vermögen, und wie ſehr uns dieſe Lehre Noth thut, davon kann uns jeder Blick in heutige Geſetzgebung und Praxis überzeugen.

Nicht anders verhält es ſich mit der eigenthümlichen Natur der arbitrariae actiones. Das Wichtigſte bey den - ſelben, die indirecte Beförderung der Naturalreſtitution (§ 221), iſt ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden, da nach demſelben eine ſolche durch Execution unmittelbar erzwungen wird. Eine Aufforderung zur freywilligen Er - füllung, um der nachtheiligeren Verurtheilung zu entgehen, wäre freylich auch noch jetzt denkbar, allein dieſe Anſtalt iſt unſrem heutigen gemeinen Prozeß gewiß völlig fremd. Ja es iſt ſehr möglich, daß ſie auch ſchon in Juſtinians Zeit nicht mehr vorkam, und daß der § 31 J. de act., der darauf hinweiſt, gedankenlos aus einem alten Juriſten abgeſchrieben worden iſt. Aus dem alten Recht der arbi - trariae actiones iſt alſo nur noch der Satz übrig, daß in den Fällen derſelben der Eid in litem vorzugsweiſe, als ein Vorrecht des Klägers, vorkommt; ja wir müſſen den Eid jetzt auch bey ſolchen auf Reſtitution gerichteten Kla - gen gelten laſſen, welche ſonſt, als stricti juris Klagen, dazu nicht geeignet waren (§ 222), weil für uns der Be - griff der ſtrengen Klagen verſchwunden iſt. Wenn alſo ein Indebitum nicht in Geld, ſondern in einer individuell beſtimmten Sache, aus Irrthum entrichtet war, und jetzt dieſe Sache zurück gefordert wird, ſo muß dabey aller -V. 10146Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dings der Eid in litem eintreten. Es würde aber unrich - tig ſeyn, die Klagen, worin dieſer Gebrauch des Eides zuläſſig iſt, deshalb als arbitrariae actiones anſehen und bezeichnen zu wollen.

Manche werden es tadeln, daß dieſe Lehre, deren Un - werth für die heutige Anwendung des Rechts von den meiſten Schriftſtellern, und auch von mir ſelbſt behauptet wird, hier dennoch mit ſolcher Ausführlichkeit behandelt worden iſt. Wie wenig uns die Übereinſtimmung der Schriftſteller über den nachtheiligen Einfluß der hierin herrſchenden Irrthümer auf unſre Rechtskenntniß beruhi - gen kann, wird durch folgende Thatſachen einleuchtend werden. Wer die eben ſo irrige, als verworrene Dar - ſtellung der Sache bey Höpfner betrachtet(l)Höpfner Commentar § 1128 1134., muß ſich überzeugen, daß auf dieſem Boden die bedenklichſten prak - tiſchen Irrthümer wachſen und gedeihen können; hier liegt es nicht an der mangelhaften Individualität des Schrift - ſtellers, der außerdem gerade durch Klarheit der Begriffe und der Darſtellung ausgezeichnet iſt. Glück behauptet zwar auch, dieſe Lehre habe ihre Anwendbarkeit verloren; dennoch behandelt er ganz ernſthaft die condictio tritica - ria als ein noch geltendes Rechtsinſtitut, und unterſucht ausführlich ihre Bedingungen und Folgen(m)Glück B. 13 § 843. 844, beſonders S. 298.; er hätte unfehlbar eine gleiche Ehre der certi und der incerti con - dictio widerfahren laſſen, wenn ſich zufällig Digeſtentitel147§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.mit ſolchen Überſchriften fänden. Gans behauptet mit großem Nachdruck, das Syſtem der Römiſchen Klagen müſſe der heutigen Darſtellung des Obligationenrechts zum Grunde gelegt werden, wenn dieſe zu einer befriedigenden Einſicht führen ſolle(n)Gans Obligationenrecht S. 7. 9. 42. 132. Später hat er hierin ſeine Meynung geändert; Syſtem des Römiſchen Civilrechts im Grundriſſe Berlin 1827. S. 226.. Endlich zeigen die oben ange - führten einzelnen Beyſpiele (Note f), wie wenig die Lehre unſrer meiſten Schriftſteller gegen ſtets erneuerte Angriffe geſichert iſt, indem die fortdauernde Gültigkeit des alten Klagenſyſtems immer wieder behauptet werden wird, ſo - lange nicht eine von Grund aus geführte Unterſuchung den ſchwankenden Meynungen ein Ziel geſetzt hat. Ob das hier Geleiſtete dieſen Zweck erreicht, kann freylich ſehr in Frage geſtellt werden; der darauf gerichtete Verſuch aber dürfte in den hier angegebenen Thatſachen wohl ſeine Rechtfertigung finden.

Wir müſſen jedoch noch einen Schritt weiter gehen, und der hier angeſtellten Unterſuchung einen gewiſſen Werth und Einfluß nicht blos für die Sicherheit der Theorie des Rechts, ſondern auch für die Anwendung deſſelben im wirklichen Leben zuſchreiben. Hierin aber fällt die Unter - ſuchung der Condictionen und der übrigen dargeſtellten Gattungen von Klagen zuſammen mit der Beſtimmung und Bezeichnung der einzelnen Klagen, wovon jene Gattungen ja nur die Grundlage bilden. Und Dieſes führt uns auf10*148Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die überall vorkommende Behauptung, daß im heutigen Prozeß ſowohl die Auslaſſung, als die falſche Bezeichnung des Namens der Klage unſchädlich ſey, wenn nur die wirklich gemeynte Klage aus den Thatſachen und Anträ - gen der Parteyen mit Sicherheit hervorgehe(o)Cocceji jus controv. II. 13 qu. 3. Weber Beyträge St. 2 S. 6. Manche Gerichte haben dieſe Regel ſo übertrieben, daß auch gegen den Willen (d. h. den Antrag) der Parteyen die ihnen günſtigen Folgen der vorgetrage - nen Thatſachen vom Richter gel - tend gemacht werden ſollen. Can - negiesser Dec. Hasso-Cassell. T. 1 p. 307. 507. 572. Mit Recht erklärt ſich dagegen Gönner Handbuch B. 1 Num. X. § 11.. Dieſes muß nicht nur für unſere Zeit unbedingt zugegeben, ſon - dern ſelbſt für das ältere Römiſche Recht gewiſſermaßen behauptet werden. Auch in dem Formularprozeß wurde nicht eigentlich der Name der Klage genannt, ſondern nur die formula angegeben(p)In der Formel: Si paret, fundum Agerii esse kam der Name rei vindicatio nicht vor, eben ſo in der Formel: Si paret, centum dari oportere nicht der Name condictio. Das waren blos theoretiſche Bezeichnungen., und auch dieſe war oft ſo all - gemein, daß ſie das individuelle Klagrecht nicht bezeich - nete(q)Beylage XIV. Num. XXXII. XXXIII. . Vollends ſeit der Aufhebung der ordinaria ju - dicia konnte auch von einer formula nicht mehr die Rede ſeyn. Allein für den urtheilenden Richter ſteht es ganz anders. Wenn ſich Dieſer damit begnügt, blos im Allge - meinen zu prüfen, welcher Theil Recht oder Unrecht habe, ſo iſt er in Gefahr, ſich ganz in’s Allgemeine und Unbe - ſtimmte zu verlieren. Will er aber die gegenſeitigen An - ſprüche individualiſiren, ſo iſt ihm dabey im Römiſchen149§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich; denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un - gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt. Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen, der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur - theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen - clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt(r)Vgl. B. 1 § 20 S. 92.. Manche neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen(s)Cocceji jus controv. II. 13 qu. 3 Obj. 2. Quod actio - num nomina frustra essent in - venta. Resp. Imo manet eorum usus ad rite discernenda ne - gotia. , während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich - gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte.

Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano - niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus - ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter - ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un - terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen mußten(t)C. 6. X. de jud. (2. 1.). Provideatis attentius, ne ita subtiliter, sicut a multis fieri solet, cujusmodi actio intente - tur, inquiratis, sed simpliciter et pure factum ipsum et rei veritatem investigare cure - tis. Hier geht die Warnung ge - gen die theoretiſche Unterſuchung, wodurch der Richter ſein Urtheil auf feſten Grund zu bauen ſuchen. Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des150Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Preußiſchen Prozeſſes zu behaupten, welche gegen die ängſt - liche Beachtung der aus dem Römiſchen Recht hergebrach - ten Nomenclatur warnt(u)Allgemeine Gerichtsordnung Th. 1 Tit. V § 20. Sie müſſen ſich aber auch dabei an die aus dem ehemaligen Römiſchen Rechte hergeleiteten und von den Lehrern deſſelben gebildeten ſogenannten Genera et Formulas actionum nicht ängſtlich binden; folglich auch keine angegebene Thatſache bloß um deswillen verwerfen, oder un - erörtert laſſen, weil dieſelbe auf dieſe oder jene Gattung von Kla - gen nicht zu paſſen ſcheint. Ob dieſe oderjene Gattung von Kla - gen paßt, iſt freylich gleichgültig, wenn aber gar keine paſſen will, ſo iſt das ein Kennzeichen, daß überhaupt kein wirkliches Recht vorhanden iſt, mag auch der Rich - ter aus einem unklaren Billig - keitsgefühl geneigt ſeyn, ein ſol - ches anzunehmen., und damit um ſo ſicheren Erfolg haben mußte, als das gleichzeitige allgemeine Land - recht eine ſolche Nomenclatur nicht hat. Die nachtheiligen Folgen dieſer Veränderung haben ſich in der hieraus ent - ſprungenen Praxis ſehr fühlbar gemacht.

§. 225. Vertheidigung des Beklagten. Einleitung. Duplex actio.

Die Verwandlung der Rechte überhaupt in Klagrechte, in Folge von Verletzungen, iſt nunmehr dargeſtellt, und es ſind zugleich die mannichfaltigen Rechtsbildungen nachge - wieſen worden, die in dieſer Verwandlung ihre gemein - ſame Wurzel haben. Da jedoch im wirklichen Leben jedes Klagrecht zunächſt nur als eine einſeitige Behauptung er - ſcheint, die eben ſowohl wahr als falſch ſeyn kann, ſo(t)möchte. Mit einer ſolchen Unter - ſuchung iſt die nachher richtig em - pfohlene Prüfung der thatſächlichen Wahrheit gar wohl vereinbar.151§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. tritt der Klage gegenüber die Vertheidigung des Beklag - ten, und dieſes Verhältniß von Gegenſätzen iſt dann noch einer ferneren Entwicklung fähig.

In der Regel nun erſcheint dieſes Verhältniß ganz ſo einfach, wie es hier vorläufig angegeben worden iſt. Dem Kläger ſteht ein Beklagter gegenüber, und Jeder von Bei - den hat dieſe ſeine Eigenſchaft durch den ganzen Rechts - ſtreit durchzuführen. Es giebt aber auch eine kleine An - zahl ausgenommener Fälle, worin jede Partey beide Eigen - ſchaften in ſich wirklich vereinigt, ſo daß Jeder Kläger iſt, und doch zugleich als Beklagter verurtheilt werden kann. Dieſe Klagen heißen duplices actiones, duplicia judicia, und diejenigen unter ihnen, welche Interdicte ſind, duplicia interdicta(a)Savigny Recht des Be - ſitzes § 37. Der Ausdruck duplex interdictum hat aber noch eine ganz andere Bedeutung, nämlich die eines Interdicts, welches bald adipiscendae, bald recuperan - dae possessionis iſt. Ulpiani fragm. de interdictis, L. 2 § 3 de interdictis (43. 1.). Sa - vigny a. a. O., S. 481 der 6ten Ausg.; einmal werden ſie auch mixtae actiones genannt(b)L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).. In unſren Rechtsquellen werden nur folgende Fälle namentlich als ſolche bezeichnet. Erſt - lich die drey ſogenannten Theilungsklagen: communi di - vidundo, familiae herciscundae, finium regundorum(c)L. 2 § 1 comm. div. (10. 3 ), L. 2 § 3 L. 44 § 4 fam. herc. (10. 2 ), L. 10 fin. reg. (10. 1 ), L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).. Ferner die zwey interdicta retinendae possessionis, uti possidetis und utrubi(d)Gajus IV. § 160, § 7 J. de interd. (4. 15 ), L. 2 pr. de in - terd. (43. 1 ), L. 3 § 1 uti poss. . In allen dieſen Klagen alſo152Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.kann jeder Theil verurtheilt werden, anſtatt daß in den meiſten Klagen nur der Beklagte verurtheilt, der Kläger höchſtens abgewieſen werden kann. In manchen Bezie - hungen freylich iſt es auch bey jenen Klagen unentbehr - lich, den Kläger vom Beklagten zu unterſcheiden, nament - lich wenn ein Beweis auferlegt werden ſoll; nun gilt als Kläger Derjenige, welcher ſich zuerſt an den Richter ge - wendet hat, und wenn Dieſes von Beiden gleichzeitig ge - ſchah, ſo entſcheidet das Loos(e)L. 13. 14 de judic. (5. 1 ), L. 2 § 1 comm. div. (10. 3.). Eine ganz ähnliche Natur haben die praejudicia, wobey es auch für die Entſcheidung gleichgültig iſt, wer als Kläger auftritt, ſo daß der Kläger nach derſelben Regel wie bey jenen Klagen ermittelt wird. L. 12 de exc. (44. 1.). Der Unterſchied iſt nur der, daß bey den duplices actiones jeder Theil condemnirt werden kann, bey den praejudiciis keiner von bei - den; daher iſt auch auf dieſe letz - ten jene Benennung nicht ange - wendet worden..

Kehren wir von dieſen wenigen Ausnahmen zu dem einfachen, regelmäßigen Verhältniß zurück, worin Ein Kläger Einem Beklagten gegenüber ſteht, ſo haben wir zunächſt den möglichen Inhalt der Vertheidigung zu er - wägen, und die in derſelben denkbaren Verſchiedenheiten anzugeben.

Die Vertheidigung kann ſich gründen erſtlich auf die Verneinung des gegenwärtigen Daſeyns des vom Kläger behaupteten Rechts; zweytens auf die Entgegenſetzung eines andern, von jenem verſchiedenen, dem Beklagten zu - ſtehenden Rechts, wodurch das Recht des Klägers, deſſen Daſeyn vorausgeſetzt, in ſeiner Klagwirkung gehemmt wird.

(d)(43. 17 ), L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).

153§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.

Die Verneinung aber läßt ſich wiederum auf zweyer - ley Weiſe denken; ſie kann nämlich auf die ganze Ver - gangenheit gerichtet ſeyn, alſo das Daſeyn des Rechts für alle Zeiten ausſchließen; ſie kann aber auch deſſen früheres Daſeyn zugeben, und nur die ſpätere Vernich - tung behaupten. Um beide Fälle kurz und beſtimmt unter - ſcheiden zu können, will ich die erſte Art als abſolute, die zweyte als relative Verneinung bezeichnen.

Eines der wichtigſten praktiſchen Momente im Verhält - niß des Klägers zum Beklagten iſt die Beweislaſt; ob - gleich nun dieſe erſt an einer ſpäteren Stelle ihre Erle - digung finden kann, ſo ſoll doch ſchon hier das Verhältniß derſelben zu den verſchiedenen Arten der Vertheidigung vorläufig angegeben werden.

Aus der eben angeſtellten Betrachtung ergeben ſich drey Klaſſen möglicher Vertheidigung.

I. Abſolute Verneinung. Als einfachſte Beyſpiele können die Fälle dienen, wenn bey einer Vindication die behauptete Tradition, bey einer Schuldklage der behauptete Contract, verneint wird. Die Beweislaſt trifft in der Regel den Kläger.

II. Relative Verneinung. Beyſpiele: bey der Vin - dication wird behauptet, der Kläger habe das Eigenthum zwar gehabt, aber veräußert; bey der Schuldklage wird die Bezahlung behauptet. Die Beweislaſt trifft den Beklagten.

III. Beſtreitung durch ein entgegenſtehendes Recht154Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Beklagten. Beyſpiele: bey der Vindication die Ex - ception aus einem jus in re(f)L. 6 § 9 comm. div. (10.3), L. 1 § 4 de superfic. (43. 18.). oder einem Contract; bey der publiciana die exceptio dominii(g)L. 17 de public. (6. 2.).; bey allen Klagen die exceptio rei judicatae. Die Beweislaſt trifft den Beklagten.

Die eigenthümliche Natur dieſer drey Klaſſen möglicher Vertheidigung wird durch folgende nähere Beſtimmungen vollſtändiger zur Anſchauung kommen.

Die erſte Klaſſe (abſolute Verneinung) erſcheint nicht immer in der rein logiſchen Form der Verneinung. Denn wenn die Klage ſelbſt als Bedingung ein negatives Ele - ment in ſich ſchließt, ſo erſcheint die Verneinung deſſelben in der logiſchen Form einer Bejahung, und dennoch trifft nicht minder den Kläger die Beweislaſt. So gehört zur Begründung der condictio indebiti die Behauptung einer Nichtſchuld, und der abſolute Widerſpruch dagegen iſt die Behauptung einer Schuld; der Kläger aber hat die Nicht - ſchuld zu beweiſen.

Weit wichtiger aber für die wahre Natur jener erſten Klaſſe iſt folgender Umſtand. Zu den weſentlichen Ele - menten jeder Klage gehört nur das allgemeine Daſeyn der factiſchen Bedingungen des beſtrittenen Rechts. Die gehörige, regelmäßige Beſchaffenheit dieſer Bedingungen verſteht ſich dann von ſelbſt, und wenn dieſe von dem Beklagten verneint wird, ſo tritt er damit in daſſelbe Ver -155§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup - tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes. Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn - teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts - klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup - tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter - nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da - ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134 138). Die - ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß, bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men - ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht; eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil - len, deren natürliches Zeichen ſie iſt(g¹)Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349 360..

Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver - neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht, da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird; als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei -156Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.digung, nach der andern mit der dritten Klaſſe. Die erſte Auffaſſung aber iſt ohne Zweifel dem Römiſchen Recht angemeſſen, und dieſes Verhältniß eben ſoll durch die von mir gewählte Terminologie ausgedrückt werden(h)Eine ähnliche Verſchieden - heit der Behandlung findet ſich auch in anderen Inſtituten des Pro - zeſſes. Der Eid wurde bey den Römern (wenigſtens gewiß zur Zeit der alten Juriſten) über das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe ſelbſt geſchworen; im heutigen Recht kann er nur die Thatſachen be - treffen, woraus die Rechtsverhält - niſſe entſpringen..

Über das Verhältniß der dritten Klaſſe der Vertheidi - gung zu den beiden erſten iſt Folgendes zu bemerken. Die Gränze derſelben, das heißt die Unterſcheidung der Fälle, die dem einen oder dem andern Gebiet angehören, iſt gro - ßentheils von poſitiven Rechtsregeln abhängig, hat alſo einen hiſtoriſchen Character, ſo daß darin Manches anders ſeyn könnte, auch wohl bey dem Übergang des Römiſchen Rechts in die neuere Zeit anders geworden iſt. So ge - hört die Berufung des Beklagten auf Unmündigkeit oder Wahnſinn eines Contrahenten zur erſten Klaſſe der Ver - theidigung, die Berufung auf Zwang oder Betrug zur dritten. Behauptet der Beklagte, eine Schuld ſey durch Acceptilation oder Novation, oder eine Servitut ſey durch Nichtgebrauch aufgehoben worden, ſo liegt darin eine re - lative Verneinung, oder eine Vertheidigung der zweyten Klaſſe; behauptet er die Aufhebung der Schuld durch un - förmlichen Vertrag, ſo gehört ſeine Vertheidigung meiſt zur dritten Klaſſe. Dieſe Unterſcheidung nun des unförm -157§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. lichen Vertrags von der Acceptilation und Novation iſt im heutigen Recht entſchieden verſchwunden.

Dagegen iſt der praktiſche Character der Vertheidigung dritter Klaſſe von dem der beiden erſten Klaſſen nicht blos hiſtoriſch, ſondern in ſeinem innern Weſen verſchieden. Der durchgreifende Unterſchied aber beſteht darin, daß in den Fällen der dritten Klaſſe zwey verſchiedene, ſelbſtſtän - dige Rechte zu berückſichtigen ſind, deren jedes wieder ſeine eigene Schickſale haben kann. So kann das jus in re, welches eine Exception gegen die Vindication begrün - dete, wieder verloren werden; die exceptio rei judicatae gegen eine Schuldklage kann durch Vertrag entkräftet wer - den(i)Für ſolche Fälle gilt der Ausdruck der L. 95 § 2 de solut. (46. 3) incipit obligatio civi - lis auxilium exceptionis amit - tere. L 27 § 2 de pactis (2. 14 ) Pactus ne peteret, po - stea convenit ut peteret: prius pactum per posterius elide - tur .... et ideo replicatione exceptio elidetur. . Wenn dagegen einer Vindication die Veräußerung des Eigenthums, oder einer Schuldklage die Zahlung der Schuld entgegengeſetzt wird, ſo kann die vernichtende Kraft dieſer Rechtsgeſchäfte unmöglich durch ſpätere Ereigniſſe, z. B. Verträge, geſchwächt worden ſeyn, da überhaupt Nichts mehr vorhanden war, das einer ſpäteren Entwick - lung empfänglich geweſen wäre. Es könnte in dieſen Fäl - len höchſtens ein neues Eigenthum, oder eine neue Schuld - forderung erworben werden, welche Rechte jedoch mit den früheren gleichartigen Rechten des Klägers keinen inneren Zuſammenhang haben würden(k)L. 27 § 2 de pactis (2. 14.). Sed si pactum con -. Es iſt wohl zu be -158Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.merken, daß dieſer Unterſchied in dem inneren Weſen der Rechtsverhältniſſe gegründet iſt, alſo keinen blos hiſtori - ſchen Character hat. Zwar die Anwendung auf manche einzelne Fälle kann durch poſitives Recht ſo oder anders beſtimmt werden, wie Dieſes ſchon oben bemerkt worden iſt; aber die Unmöglichkeit, etwas wahrhaft Vernichtetes wieder zu Kräften zu bringen, hat keine hiſtoriſche Natur. Dasjenige, was dieſen Schein an ſich trägt, und etwa dafür ausgegeben wird, kann nur die Errichtung eines ganz neuen Rechtsverhältniſſes ſeyn, wenngleich Daſſelbe dem früheren durch Gegenſtand und Geldwerth ähnlich, alſo für den praktiſchen Zweck des Verkehrs mit ihm gleich - geltend ſeyn mag.

Die Art, wie die Roͤmer die hier dargeſtellten Gegen - ſätze aufgefaßt und anerkannt haben, zeigt ſich am Deut - lichſten in denjenigen Klagen, die eine formula in jus concepta hatten. Die Intentio: fundum Agerii esse, oder Numerium centum dare oportere, gieng auf das gegen - wärtige Daſeyn des Rechtsverhältniſſes, enthielt alſo ſchon unmittelbar die Beachtung der beiden erſten Klaſſen mög - licher Vertheidigung. Der Zuſatz: nisi soluta pecunia sit(k)ventum tale fuit, quod actio - nem quoque tolleret, velut in - juriarum, non poterit postea paciscendo ut agere possit, agere: quia et prima actio sublata est, et posterius pac - tum ad actionem parandam inefficax est: non enim ex pacto injuriarum actio nasci - tur, sed ex contumelia. Idem dicemus et in b. f. contracti - bus, si pactum conventum to - tam obligationem sustulerit, ve - luti empti: non enim ex novo pacto prior obligatio resusci - tatur, sed proficiet pactum ad novum contractum. 159§. 225. Vertheidigung Einleitung. Duplex actio. wäre eine ganz müſſige Wiederholung geweſen, und kam daher niemals vor, da man von dem Schuldner, welcher gezahlt hat, unmöglich noch ſagen kann: eum dare opor - tere; wenn ſich alſo der Judex überzeugte, daß die Schuld bezahlt ſey, ſo war er durch die Worte: si non paret (dari oportere) absolve ſchon unmittelbar zur Abſolution angewieſen. Ganz anders, wenn der Beklagte das Daſeyn des Eigenthums oder der Schuld dahin geſtellt ſeyn läßt, und ſich blos auf ein ſchon geſprochenes rechtskräftiges Ur - theil beruft. Dieſen Umſtand zu berückſichtigen, enthielten jene Worte der Intentio durchaus keine Anweiſung, ſo daß da - für durch den Zuſatz geſorgt werden mußte: si ea res ju - dicata non sit. Daß bey manchen Klagen dieſer Zuſatz durchaus in der Formel ausgedrückt ſeyn mußte, um beach - tet werden zu können, bey anderen Klagen aber vom Rich - ter ſupplirt werden durfte(l)Beylage XIII. Num. IV. Dar - auf geht der Ausdruck: exceptio inest actioni, d. h. ſie iſt ſo an - zuſehen, als ob ſie in der Formel ausgedrückt wäre. Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3. § 98 will Dieſes mit Unrecht als eine Eigen - thümlichkeit der b. f. actiones be - handeln, da es in der That auf alle freye Klagen geht., ändert im Weſen jenes Unterſchieds der Vertheidigungsmittel Nichts.

Weniger beſtimmt waren in dieſer Hinſicht die formu - lae in factum conceptae. Auch bey ihnen wurde zuwei - len der Ausdruck ſo gefaßt, daß er ſchon unmittelbar auf die Beachtung der relativen Verneinung führte(m)Gajus IV. § 47 eam - que dolo malo .. redditam non esse , zu - weilen auch nicht(n)Gajus IV. § 46; nach der. Es war aber hier die geringere160Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Genauigkeit des Ausdrucks weniger bedenklich, weil dieſe Formeln hauptſächlich bey allen prätoriſchen Klagen gebraucht wurden, in welchen ohnehin der Richter ſehr freye Macht hatte(o)Beylage XIII. Num. VI. Außer den prätoriſchen Klagen hat - ten auch einige wenige Civilklagen eine formula in factum coneepta, dieſe aber waren b. f. actiones, alſo gleichfalls Klagen mit freyer Macht des urtheilenden Nichters. Gajus IV. § 47..

So fand alſo im älteren Römiſchen Prozeß der we - ſentliche Unterſchied, den wir zwiſchen den beiden erſten Arten der Vertheidigung und der dritten Art wahrgenom - men haben, ſeinen beſtimmten und anſchaulichen Ausdruck in der Faſſung der Formeln. Dieſes führt uns auf die genauere Betrachtung der Exceptionen.

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

  • Zimmern Geſchichte des Römiſchen Privatrechts B. 3 (1829) § 91 98.
  • J. A. M. Albrecht die Exceptionen des gemeinen Civil - prozeſſes München 1835.

Exceptio iſt der Römiſche Ausdruck für diejenige Art der Vertheidigung eines Beklagten, welche auf der Be - hauptung eines ſelbſtſtändigen Rechts deſſelben beruht. Sie führt dieſen Namen, weil ſie darauf abzweckt, eine Freyſprechung als Ausnahme zu bewirken, ſelbſt wenn das(n)wörtlichen Faſſung dieſer Formel könnte man glauben, daß ſelbſt die freywillige Zahlung der Strafe den Freygelaſſenen nicht von der Ver - urtheilung befreyt hätte, welches doch gewiß nicht anzunehmen iſt.161§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.vom Kläger behauptete Recht an ſich vorhanden ſeyn ſollte. Daher wurde der Intentio und Condemnatio: Si paret fundum Agerii esse, oder centum dari oportere condemna, die Ausnahme hinzugefügt: si ea res judicata non sit. Es erklärt ſich hieraus der negative Ausdruck aller Exceptionen im Verhältniß zu der poſitiven Anwei - ſung der, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Intentio, auszuſprechenden Condemnatio(a)Gajus IV. § 119. Omnes autem exceptiones in contra - rium concipiuntur quia (ejus quod?) adfirmat is, cum quo agitur .... ideo scilicet, quia omnis exceptio objicitur qui - dem a reo, sed ita formulae inseritur, ut condicionalem fa - ciat condemnationem, id est ne aliter judex eum, cum quo agi - tur, condemnet, quam si nihil in ea re, qua de agitur, dolo actoris factum sit rel. Vgl. Zimmern S. 290. Mit Un - recht hat man die Allgemeinheit dieſer negativen Faſſung bezwei - feln wollen (Albrecht S. 21.) wegen mancher poſitiv ausgedrück - ten Stellen, z. B. L. 11 § 3 de exc. rei jud. (44. 2. ) ob - staret exceptio, quod res judi - cata sit inter me et te. Solche Stellen enthalten nur allgemeine Angaben des Inhalts: in der For - mel ſelbſt lautete die Faſſung ge - wiß negativ. Zimmern S. 298 hält die Exceptionsformel mit ex - tra quam si für poſitiv; allein extra quam si heißt genau ſo viel als nisi, die eine Formel iſt alſo völlig ſo negativ wie die andere.; ferner die bey mehre - ren alten Juriſten vorkommende Erklärung der Exceptio als einer Bedingung der Condemnatio(b)L. 22 pr. de exc. (44. 1.). Exceptio est condicio, quae modo eximit reum damnatio - ne, modo minuit damnationem. Gajus IV. § 119 (vgl. Note a.). Im Weſentlichen damit über - einſtimmend iſt L. 2 pr. de exc. (44. 1.). Exceptio dicta est quasi quaedam exclusio ad cludendum (excludendum? in - tercludendum?) id, quod in in - tentionem condemnationemve deductum est. Daher heißt eine Klage ohne Exception judicium purum. Cicero de inventione II. 20.. Nämlich ſchon die Intentio ſelbſt iſt eine Bedingung (Si paret); zuV. 11162Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſer Hauptbedingung aber tritt jetzt als Nebenbedingung hinzu die Nichtexiſtenz der Exception, und Das iſt es, was jene Juriſten ausdrücken wollen(c)Mit Unrecht haben Manche behauptet, die in den Noten a. und b. mitgetheilten Definitionen ſeyen ſo allgemein gefaßt, daß ſie auch wohl auf die relativen Verneinun - gen paßten, alſo den Ausdruck solutionis exceptio rechtfertigen könnten (Mühlenbruch § 137 not. 2.). Denn die drey ange - führte Stellen erklären übereinſtim - mend die Exception für eine Ein - ſchränkung oder Bedingung des in der Intentio und Condemnatio ausgedrückten Gedankens, alſo für etwas außer dieſem Gedanken Liegendes, in ihm nicht ſchon Ent - haltenes. Jede Verneinung aber, ſowohl die abſolute als die rela - tive, bezieht ſich unmittelbar auf jenen Gedanken ſelbſt. Denn auch wer die Zahlung einer Schuld be - hauptet, will damit ſagen: se dare non oportere, verneint alſo die Intentio geradezu, und will nicht condicionalem facere con - demnationem. . Die Exception iſt alſo allerdings eine Vertheidigung des Beklagten(d)pr. J. de except. (4. 13.). Comparatae sunt autem ex - ceptiones defendendorum eo - rum gratia, cum quibus agi - tur. Eben ſo Gajus IV. § 116, nur ſteht hier in der Handſchrift reorum ſtatt eorum. , aber nicht jede Vertheidigung überhaupt darf ſo genannt wer - den, ſondern nur eine einzelne Art derſelben(e)So heißt es in L. 56 de cond. ind. (12. 6. ) exceptionis defensio, welcher Ausdruck an - deutet, daß es außer der Exception auch noch andere Arten der de - fensio gebe.. Der Ausdruck wird im alten Recht niemals gebraucht, um die abſolute, oder ſelbſt die relative Verneinung zu bezeichnen, ſo daß die Ausdrücke exceptio solutionis, usucapionis u. ſ. w. gewiß bey keinem alten Juriſten vorkommen(f)Die verbale Form excipere galt nicht eben ſo als eigenthüm - licher Kunſtausdruck, ſo daß hier der Sprachgebrauch weniger ſtreng war. L. 18 § 2 de prob. (22. 3.) .. qui excepit se non respon - disse. In keinem Fall kann dieſe Stelle dazu benutzt werden, die von vielen Neueren behauptete Er - weiterung des Ausdrucks auf die relative Verneinung (wie die ex - ceptio solutionis) zu rechtfertigen. Denn in dieſer Stelle iſt ſogar.

163§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

Da die Exceptionen Beſtandtheile der von dem Prä - tor ausgehenden formula waren, ſo hatte der Beklagte darum zu bitten, der Prätor ſie zu gewähren oder zu ver - weigern(g)Darauf gehen die Ausdrücke: exceptionem petere, postulare, dare, addere, reddere, dene - gare. . Ihre wörtliche Aufnahme in die Formel war bey den ſtrengen Klagen nöthig, bey den freyen Klagen zwar nicht nöthig, aber doch ſehr gewöhnlich, und ſie wurde auch hier ſchwerlich verweigert, wenn der Beklagte darum bat (§ 225.). Sie wurde aber, eben ſo wie die actio, nur gegeben, wo eine Thatſache ſtreitig war, da außerdem der Prätor gleich unmittelbar entſcheiden konnte, ohne eines Judex zu bedürfen(h)L. 9 pr. de jurejur. (12. 2.). .. posteaquam juratum est, denegatur actio: aut, si controversia erit, id est si am - bigitur, an jusjurandum datum sit, exceptioni locus est. Die Exception wird alſo nur angewen - det, wenn die Thatſache beſtrit - ten iſt..

Der Ausdruck Praescriptio iſt im Juſtinianiſchen Recht völlig gleichbedeutend mit Exceptio, ſo daß überall beide Ausdrücke ohne Gefahr abwechſlend gebraucht werden kön - nen(i)Dafür beweiſen die Rubri - ken Dig. 44. 1 und Cod. 8. 36; dann eine Stelle des Paulus, wor - in für einen und denſelben Fall abwechſlend praescriptio und ex - ceptio geſagt wird. L. 12 de div. temp. pr. (44. 3. ); ferner praescriptio peremtoria, dila - toria in L. 8. 12 C. de except. (8. 36. ); doli, rei judicatae, in factum praescriptio, wo ſonſt faſt immer exceptio vorkommt. L. 91 de solut. (46. 3. ), L. 29 pr. de exc. rei jud. (44. 2. ), L. 23 de except. (44. 1.). Um - gekehrt: Exceptio longae pos - sessionis in L. 5 § 1 de div. . Erſt durch Gajus haben wir folgenden Urſprung(f)von einer abſoluten Verneinung die Rede, und von dieſer behaup - tet Niemand, daß ſie von den - mern exceptio genannt worden ſey, oder von uns ſo genannt wer - den dürfe.11*164Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſes Sprachgebrauchs kennen gelernt(k)Gajus IV. § 130 137. Zimmern § 96. 97, wo dieſer Ge - genſtand gründlich, mitunter wohl zu ſubtil, behandelt iſt.. Im älteren Prozeß wurden manche Einſchränkungen der Intentio und Condemnatio (welche beide ſtets als ein zuſammenhängen - des Ganze gedacht werden müſſen) vor die Intentio ge - ſetzt, und erhielten von dieſer Stellung den natürlichen Namen Praescriptio. Manche derſelben wurden im In - tereſſe des Klägers, und auf deſſen Antrag, aufgenommen: andere im Intereſſe und auf den Antrag des Beklagten. Dieſe letzten waren nun wahre, eigentliche Exceptionen, und es geſchah wohl blos zufällig, daß einige Exceptionen auf dieſe Weiſe voran geſchrieben wurden, anſtatt daß die meiſten von jeher hinter der Intentio ſtanden(l)Ohne Zweifel auch hinter der Condemnatio. Zimmern S. 285 ſetzt die Exceptionen zwi - ſchen die Intentio und Condem - natio, welches wohl in vielen Fäl - len einen unbehülflichen und un - deutlichen Ausdruck veranlaßt hätte.. Später - hin wurde dieſe Einrichtung dahin abgeändert, daß nur noch die vom Kläger veranlaßten Einſchränkungen voran geſchrieben wurden, alle Exceptionen des Beklagten aber an das Ende der Formel. Diejenigen unter ihnen, welche von ihrer früheren Stellung den Namen Praescriptiones(i)temp. (44. 3. ), und temporalis exceptio in L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ), anſtatt des hierin übli - cheren praescriptio. Ja dieſe umgekehrte Abwechslung konnte zu allen Zeiten vorkommen, da der Name Exceptio gar keine Bezie - hung auf die Stelle in der For - mel hat. So giebt in der That Cicero de inv. II. 20 einer un - zweifelhaften Praescriptio den Na - men Exceptio, und dieſe Benen - nung iſt gar nicht, wie Zimmern S. 297 annimmt, für einen unei - gentlichen Ausdruck zu halten. Noch mehrere Stellen finden ſich bey Unterholzner Verjährungs - lehre I. S. 10. 11.165§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.erhalten hatten, behielten denſelben, auch nachdem er auf - gehört hatte paſſend zu ſeyn, dennoch bey, und ſo ge - wöhnte man ſich daran, Praescriptio für einen mit Ex - ceptio gleichbedeutenden Namen anzuſehen. Dieſer ver - änderte Sprachgebrauch aber wurde noch ſehr befördert durch den Untergang des ordo judiciorum, indem nun keine formulae mehr geſchrieben wurden, in welchen man verſchiedene Stellen hätte unterſcheiden können, auch die früheren im Intereſſe des Klägers gemachten Einſchrän - kungen völlig verſchwanden. Allerdings iſt bey den ein - zelnen Exceptionen der eine oder der andere Name vor - herrſchend, ſo daß die abweichende Bezeichnung nur als ſeltene Ausnahme erſcheint (Note i.). Dieſes iſt ohne Zwei - fel daraus zu erklären, daß z. B. die doli und rei judi - catae exceptio ſtets am Ende der Formel ſtanden, anſtatt daß die temporis und die fori praescriptio in früherer Zeit voran geſchrieben wurden. Bey den neueren Ju - riſten freylich, und ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten, hat der Ausdruck Praescriptio, zur großen Verwirrung der Rechtswiſſenſchaft, eine ganz andere Bedeutung angenom - men, nämlich die der Verjährung, welche Veränderung des Sprachgebrauchs jedoch an dieſer Stelle gar nicht zu beachten iſt(l¹)Vgl. oben B. 4 § 178..

Die Exceptio, in der hier dargeſtellten Prozeßform, kann erſt gebraucht worden ſeyn ſeit der Entſtehung des ordo judiciorum, in den alten Legis actiones kam ſie166Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht vor(m)Gajus IV. § 108. Alia causa fuit olim legis actionum nec omnino ita, ut nunc, usus erat illis temporibus ex - ceptionum. . Es wäre ſogar möglich, daß ſie erſt län - gere Zeit nach dem Anfang des Formularprozeſſes ihren Urſprung gehabt hätte, obgleich es nicht wahrſcheinlich iſt, daß man dieſe ſo zweckmäßige und nahe liegende Form lange vernachläſſigt haben ſollte.

Mit dem Untergang des ordo judiciorum hörten auch die Exceptionen in der angegebenen Prozeßform auf. Sie waren nun nicht mehr ein Stück der vom Prätor abge - faßten, an den Judex gerichteten, formula, ſondern ſie wurden das, was ſie bey uns ſind, bloße Anträge des Beklagten an den obrigkeitlichen Richter(n)Jetzt waren alſo die oben in der Note g. angeführten Aus - drücke nicht mehr paſſend, und man bezeichnete nun die Handlung des Beklagten, welcher die Exception geltend machte, durch: opponere oder objicere exceptionem. Je - doch war dieſer Ausdruck auch ſchon früher, neben jenen anderen, ſehr gewöhnlich, und das oppo - nere hatte damals denſelben Sinn, wie petere und postulare. Vgl. Gajus IV. § 123. 124., 119 (vgl. oben Note a.), und viele Stellen der Digeſten.. Es iſt je - doch irrig, wenn Manche annehmen, daß damit das innere Weſen der alten Exceptionen verſchwunden, oder auch nur weſentlich verändert worden wäre. Verſchwunden war allerdings Dasjenige, was an den Exceptionen der frühe - ren Zeit lediglich dem Prozeß angehört hatte, alſo na - mentlich die verſchiedene Macht, welche in Beziehung auf ſie der Judex, je nach den verſchiedenen Arten der Kla - gen, gehabt hatte. Dagegen blieben ſie Das, was ſie von jeher geweſen waren, Vertheidigungen des Beklagten,167§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.auf ſelbſtſtändige Rechte deſſelben gegründet (§ 225.). Wenn daher in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern die Lehre von den Exceptionen großentheils mit den unveränderten Wor - ten der alten Juriſten vorgetragen wird, ſo darf Dieſes nicht, wie Manche wollen, als gedankenloſe und blos ſcheinbare Aufrechthaltung eines untergegangenen Rechts - inſtituts angeſehen werden. Es iſt daher auch nicht rich - tig, dem Juſtinianiſchen Recht eine weſentliche Verände - rung der Kunſtausdrücke in dieſer Lehre zuſchreiben zu wollen. Selbſt wenn ein minder ſtrenger Sprachgebrauch in Juſtinians eigenen Conſtitutionen erſchiene, würde Die - ſes vielmehr aus der geſunkenen Kunſtſprache überhaupt, als aus einer veränderten Rechtsanſicht über dieſen be - ſonderen Gegenſtand, zu erklären ſeyn; es werden ſich aber gewiß nur ſehr wenige Stellen finden, worin Juſtinian von den Exceptionen oder Präſcriptionen anders redete, als es auch ſchon von einem der alten Juriſten hätte ge - ſchehen können(o)Die L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ) gebraucht allerdings den Ausdruck temporalis exceptio in ſolcher Ausdehnung, daß darunter ſelbſt die Uſucapion mitbegriffen wird, alſo ein Fall relativer Ver - neinung, der völlig außer dem Ge - biet der wahren Exceptionen liegt (§ 225.). Vgl. oben B. 4 § 178. i. Es geſchieht aber Dieſes in der Verlegenheit, alle bey einer Dos durch Zeit möglicherweiſe eintre - tende Veränderungen in kurzen Worten zuſammen zu faſſen, wo - zu allerdings ein gemeinſamer ächter Kunſtausdruck nicht vorhanden war; die Abweichung von dem genauen Sprachgebrauch iſt alſo hier Noth - hülfe für ein einzelnes Bedürfniß, nicht Kennzeichen einer veränderten Natur der Exceptionen..

Es kann endlich auch Das nicht zugegeben werden,168Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.daß der Name Exceptio im Juſtinianiſchen Recht, nach - dem ſeine eigentliche Bedeutung verſchwunden ſey, auf ge - dankenloſe Weiſe beybehalten worden wäre, und ſchon deshalb verworfen werden müßte. Allerdings war die un - mittelbare Beziehung jenes Namens die auf die alten Klagformeln, und dieſe war zu Juſtinians Zeit verſchwun - den. Allein die Faſſung der Formeln war nicht zufällig, vielmehr drückte ſie das innere Weſen der Rechtsverhält - niſſe aus, und dieſes iſt unverändert geblieben. Noch jetzt alſo bezeichnet Exceptio ſtets das Verhältniß einer Aus - nahme von der aus der Klage eigentlich hervorgehenden Verpflichtung, obgleich dieſe Ausnahme nicht mehr auf die Anweiſung an einen Judex zur regelmäßigen Condemnation ſich bezieht.

Dieſe Bemerkungen ſind aber nicht blos auf das Ju - ſtinianiſche Recht anzuwenden, ſondern in gewiſſem Grade ſelbſt auf deutſche Prozeßgeſetze. Nach einer ſehr verbrei - teten Meynung nämlich ſoll, was auch der Inhalt des neueſten Römiſchen Rechts ſeyn möge, wenigſtens der Jüngſte Reichsabſchied (von 1654) für die Exceptionen das Recht und den Sprachgebrauch gänzlich umgeändert haben. Es gehören dahin folgende zwey Stellen:

  • § 37 was er dabey dilatorie oder peremptorie einzu - wenden haben möchte.
  • § 38 wann er verzügliche oder andere dergleichen Ex - ceptiones vorzunehmen hätte.

Das iſt unverkennbar, daß hier unter den Einwendun -169§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.gen und Exceptiones alle möglichen Vertheidigungsmittel des Beklagten zu verſtehen ſind, und daß daher den in dieſem Geſetz enthaltenen Vorſchriften über das Verhalten des Beklagten eine ſehr weite Ausdehnung gegeben werden muß. Allein für die Behandlung des Gegenſtandes in der Rechtstheorie iſt in dieſem Geſetz kein Gebot enthal - ten. Mögen wir nun auch den deutſchen Ausdruck Ein - rede einer ſehr freyen Behandlung preisgeben, ſo wollen wir doch den aus dem Römiſchen Recht herſtammenden Kunſtausdruck Exception auch ferner in ſeiner eigen - thümlichen Bedeutung feſt halten. Dieſes iſt nicht blos wichtig zur Abwehr der ſonſt unvermeidlichen Misver - ſtändniſſe über den Sinn unſrer Rechtsquellen, ſondern auch weil der dadurch bezeichnete Rechtsbegriff faſt nur durch dieſes Mittel feſtgehalten werden kann; um ſo wich - tiger, als unter den Prozeßſchriftſtellern der letzten Jahr - hunderte eine ſolche Sprachverwirrung wahrzunehmen iſt, daß man ſich doppelt freuen muß, wenigſtens in Einem Kunſtausdruck von hiſtoriſch beſtimmter Bedeutung einen feſten Anhaltspunkt zu finden.

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

Da der Inhalt der Exceptionen in einem ſelbſtſtändi - gen Recht des Beklagten beſteht, hierin alſo dem Inhalt der Klagen gleichartig iſt, ſo kommen bey ihnen ganz ähn - liche Gegenſätze vor, wie bey den Klagen. Auch bey ihnen170Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wurde die Formel theils ſchon im Edict vorgefunden, theils nach den Bedürfniſſen des einzelnen Falles vom Prätor neu entworfen(a)Gajus IV. § 118. Excep - tiones autem alias in edicto Praetor habet propositas, alias causa cognita accommodat. ; dieſe letzten heißen dann in factum ex - ceptiones(b)Fragm. Vat. § 310 ne - que Cinciae legis exceptio ob - stat, neque in factum: si non donationis causa mancipavi vel promisi me daturum. L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4. ) ex - ceptione in factum comparata vel doli mali. Vgl. L. 4 § 16 eod., L. 14. 23 de exc. (44. 1. ), und viele andere Stellen. Dieſe in factum exceptiones entſpre - chen alſo ganz den improviſirten in factum actiones (§ 217); es würde jedoch unrichtig ſeyn, die Ähnlichkeit ſo weit durchführen zu wollen, als ob die übrigen Excep - tionen in jus conceptae, alſo mit einer juris civilis intentio verſe - hen geweſen wären. Auch die L. Cinciae exc. wurde gewiß ſo gefaßt: nisi contra L. Cinciam factum sit, hatte alſo eine that - ſächliche Faſſung., ähnlich den für einzelne Fälle erfundenen Klagen (§ 217.). Ferner entſpringen ſie, eben ſo wie die Klagen, theils aus dem Civilrecht (lex und quod le - gis vicem obtinet), theils aus dem prätoriſchen Recht(c)Gajus IV. § 118 (unmittel - telbar nach den in Note a abge - druckten Worten): Quae omnes vel ex legibus, vel ex his quae legis vicem obtinent, vel ex ju - risdictione Praetoris proditae sunt. Eben ſo § 7 J. de exc. (4. 13.). Die Worte der L. 3 de exc. (44. 1. ) si quid contra LL., Senatusve consultum fac - tum esse dicetur dürfen nicht ſo verſtanden werden, als wenn jemals eine wirkliche Exception ſo ausgedrückt worden wäre; es iſt blos die collective Bezeichnung der exc. L. Cinciae, Sc. Macedonia - ni u. ſ. w. Eben ſo bey Gajus IV. § 121.. Endlich kommt auch bey ihnen der Fall vor, daß ſchon bekannte, mit individuellen Namen bezeichnete Exceptionen ſpäterhin auf neue Fälle ausgedehnt wurden, und auch hier wird das Verhältniß einer ſolchen Erweiterung mit171§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.dem Namen utilis exceptio bezeichnet(d)L. 21 de praescr. verb. (19. 5.). Quotiens deficit actio vel exceptio, utilis actio vel exceptio est. Der Ausdruck hat jedoch hier lediglich den Sinn einer Ausdehnung (§ 215), eine Fiction kam bey den Exceptionen gewiß nicht vor, die ja auch zu ihrer ohnehin thatſächlichen Faſ - ſung gar nicht gepaßt haben würde (Note b.). In den meiſten Stel - len freylich heißt utilis exceptio nicht eine ausgedehnte, ſondern eine wirkſame, gültige Exception. Vgl. L. 41 de minor. (4. 4.). L. 19 § 5 ad Sc. Vell. (16. 1. ), L. 5 C. de usuris (4. 32.)., alſo auf gleiche Weiſe wie bey den Klagen (§ 215).

Der den Inhalt der Exception beſtimmende Rechts - grund hat ſeinen Sitz zuweilen in Regeln des Prozeſ - ſes(e)Dahin gehört die exceptio fori, procuratoria, cognitoria, praejudicialis u. ſ. w. Vgl. Al - brecht Exceptionen. S. 211.; häufiger aber, und mit wichtigerem Einfluß, in materiellen Rechtsregeln. Die Exceptionen dieſer zweyten Art haben eine den Obligationen ähnliche Natur, eben ſo wie die Klagen (§ 205); der Beklagte fordert von dem Kläger, daß er ſein Klagrecht nicht geltend mache. Daſ - ſelbe materielle Recht kann, je nach dem zufälligen Be - dürfniß, bald eine Klage, bald eine Exception veranlaſſen, und es iſt über das Verhältniß, worin dieſe beide Geſtal - ten der Rechtsverfolgung zu einander ſtehen, folgende Re - gel zu bemerken. Wer ein Klagrecht hat, kann den Grund deſſelben, wo er es bedarf, ſtets auch als Exception gel - tend machen(f)L. 1 § 4 de superf. (43. 18. ) cui damus actionem, ei - dem et exceptionem competere multo magis quis dixerit. Die - ſelbe Stelle ſteht nochmals in L. 156 § 1 de R. J. (50. 17.).. Man kann aber nicht auch umgekehrt ſagen, daß aus dem Daſeyn einer Exception ſtets auch172Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Anſpruch auf eine Klage von gleichem Inhalt und Erfolg hervorgehe.

Der wichtigſte Fall der aus materiellen Rechtsregeln entſpringenden Exceptionen bezieht ſich auf das Verhält - niß der aequitas zum jus civile. Wo nämlich der Prä - tor jene anerkannte, da verſchaffte er ihr das praktiſche Übergewicht bald durch in factum actiones, bald durch Exceptionen(g)L. 3 § 1 de pec. const. (13. 5.). Si quis autem consti - tuerit, quod jure civili debebat, jure praetorio non debebat, id est per exceptionem Die wichtigſten Exceptionen dieſer Art ſind die doli und die pacti ex - ceptio; zu demſelben Zweck dien - ten aber auch in factum excep - tiones (Note b.).; in jenem Fall bewirkte er eine Condem - nation, in dieſem verhinderte er dieſelbe, ohne eigentlich ein Recht zu erſchaffen oder zu vernichten(h)Vgl. oben § 213. 216, und B. 1 § 22.. Dieſen wichtigſten unter allen Fällen der Exceptionen ſtellen Ga - jus und die Inſtitutionen an die Spitze, um das Bedürf - niß und die Wichtigkeit der Exceptionen in einer Reihe von Beyſpielen anſchaulich zu machen(i)Gajus IV. § 116. 117, pr. § 1 5 J. de exc. (4. 13.).. Es iſt aber ſo wenig der einzige Fall, daß hinterher in beiden eben an - geführten Rechtsquellen die allgemeine Überſicht über die Entſtehungsgründe der Exceptionen gegeben wird, worin jener Fall nur als einer unter mehreren erſcheint(k)Vgl. oben Note c. Daß das Vorhergehende blos Beyſpiele liefern ſollte, ſagt wörtlich § 6 J. de exc. (4. 13.). Haec exem - pli causa retulisse sufficiet. Hätten die allgemeinen Überſichten (Note c.) voran geſtanden, ſo würde in dieſer Hinſicht niemals ein Misverſtändniß aufgekommen ſeyn. In den Inſtitutionen übri - gens iſt die Zahl der Beyſpiele viel größer als bey Gajus, und daher erſcheint der § 7 J. de exc. (4. 13. ) verſteckter, und kann leich -.

173§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

Um dieſes Verhältniß der verſchiedenen Arten der Ex - ceptionen zu den verſchiedenen Arten der Klagen, welches in neueren Zeiten nicht ſelten verkannt worden iſt, auf er - ſchöpfende Weiſe zu behandeln, will ich die möglichen Combinationen in vollſtändiger Überſicht darſtellen. Es läßt ſich denken, daß einer Civilklage eine civile oder prä - toriſche Exception, und eben ſo einer prätoriſchen Klage eine civile oder prätoriſche Exception, entgegen geſetzt werde. Alle dieſe Combinationen aber ſind nicht blos denkbar, ſondern ſie kommen auch in folgenden unzweifel - haften Anwendungen wirklich vor.

  • I. Civilklage und Civilexception.
    • Condictio aus Darlehen oder Stipulation exc. Sc. Macedoniani und Vellejani, exc. Legis Plae - toriae
      (l)Vgl. Zeitſchrift für geſchicht - liche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 248.
      (l).
    • Rei vindicatio und eben ſo auch Condictio aus einer Stipulation exc. L. Cinciae
      (m)Fragm. Vat. § 266. 310.
      (m).
  • II. Civilklage und prätoriſche Exception.
    • Condictio oder Rei vindicatio exc. doli, pacti, jurisjurandi, rei judicatae.
  • III. Prätoriſche Klagen und Civilexception.
    • Actio constitutoria und Actio hypothecaria exc. Sc. Vellejani
      (n)L. 8 pr. L. 29 pr. ad Sc. Vell. (16. 1.).
      (n).
    • Publiciana actio exc. dominii
      (o)L. 17 de public. (6. 2.).
      (o).
      (k)ter überſehen werden, als Ga - jus IV. § 118.
      (k)
    • 174
    • Actio de peculio exc. Sc. Trebelliani
      (p)L. 1 § 8 quando de pec. (15. 2.).
      (p).
    • Irgend eine prätoriſche Schuldklage exc. Legis Juliae in Folge einer cessio bonorum
      (q)§ 4 J. de replic. (4. 14. ), vgl. L. 4 C. qui bonis (7. 71.).
      (q).
  • IV. Prätoriſche Klage und prätoriſche Exception.
    • Actio publiciana exc. hypothecaria, jurisjurandi, rei judicatae.
    • Actio doli oder quod metus causa exc. in fac - tum
      (q¹)L. 14 § 13 quod metus (4. 2.).
      (q¹).

Manche wollen unter dieſen verſchiedenen Anwendun - gen nur allein die zweyte (Civilklage und prätoriſche Ex - ception) als die eigentliche und wahre Exception anſehen; alle übrigen ſollen nur uneigentliche, nachahmungsweiſe eingeführte Exceptionen ſeyn(r)Zimmern § 91, beſonders S. 286. Albrecht § 5 und S. 32. 33. 42. 44. Wie ſich dieſe un - richtige Anſicht bey neueren Pro - zeßſchriftſtellern noch weiter aus - gebildet hat, wird unten gezeigt werden (§ 228.). Albrecht S. 8. 23 will ſogar den Namen Exceptio nicht von einer, der Condemnationsregel hinzugefügten, Ausnahme erklären, ſondern von dem Ausnahmeverhältniß, in wel - ches ſich das prätoriſche Recht zu dem Civilrecht ſtellte.. Zu dieſer Behauptung iſt jedoch durchaus kein Grund vorhanden, denn wenn man die oben (Note c.) angeführte Stellen des Gajus und der Inſtitutionen unbefangen betrachtet, ſo iſt es einleuch - tend, daß die Ausbildung der Exceptionen von den alten Juriſten ſelbſt als parallel gehend mit der Ausbildung der Actionen aufgefaßt wurde, ſo daß wir nicht mehr Urſache haben, die civilen Exceptionen, als die civilen Klagen für175§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.uneigentlich und nachgeahmt zu halten. Wie aber jene unrichtige Meynung entſtanden iſt, darüber kann kein Zwei - fel ſeyn; man hat nämlich denjenigen Fall der Anwen - dung, welcher allerdings der häufigſte, und für die An - wendung der wichtigſte war, willkührlich für den ur - ſprünglich einzigen gehalten, zu welchem ſich alle übrigen blos als uneigentliche Erweiterungen verhalten haben ſollen.

Folgende Eintheilungen der Exceptionen geben näheren Aufſchluß über die verſchiedenen Beziehungen, in welchen ſie vorkommen.

Manche derſelben ſind blos für eine gewiſſe Zeit, oder für gewiſſe Umſtände wirkſam, ſo daß ſie die Klage nicht mehr hindern, wenn die Zeit abgelaufen iſt, oder die Um - ſtände verändert ſind; ſo z. B. die exceptio pacti in diem, wenn vor Eintritt des Zahlungstags geklagt wird: die fori exceptio, wenn die Klage vor einem unrichtigen Ge - richt angeſtellt iſt, ſo wie überhaupt die auf bloße Pro - zeßregeln gegründeten Exceptionen (Note e.). Andere, und zwar die meiſten, haben eine ſolche Beſchränkung nicht, ſo daß ſie zu jeder Zeit und unter allen Umſtänden wir - ken können. Die erſten heißen dilatoriae oder temporales(s)Temporalis exceptio oder praescriptio hat außer der im Text angegebenen Bedeutung noch eine andere, von jener völlig ver - ſchiedene, nämlich die auf Klag - verjährung gegründete. Hier bezeichnet alſo der Ausdruck eine ganz individuelle Exception, eben ſo wie exc. doli, pacti u. ſ. w., und nicht ein Eintheilungsglied, wie wenn er mit dilatoria gleich - bedeutend genommen wird. Außer - dem heißt auch einmal perpetua exc. die unverjährbare Excep - tion (L. 5 C. de exc. 8. 36. ), im Gegenſatz derſelben müßte tem - poralis die verjährbare heißen, und dieſe Kunſtausdrücke wären,176Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die zweyten peremptoriae oder perpetuae(t)Gajus IV. § 120 125, L. 2 § 4 L. 3 de exc. (44. 1. ), § 8 10 J. de exc. (4. 13.). Die Pro - zeßregeln, worauf ſich dilatoriſche Exceptionen gründeten, nahmen nur dann dieſe Geſtalt an, wenn ſie vor dem Prätor geltend gemacht wurden; kamen ſie erſt vor dem Judex zur Sprache, ſo mußten ſie zwar auch beachtet werden, ſie hie - ßen aber nun nicht exceptiones, ſondern translationes, oder trans - lativae constitutiones. Die be - ſtimmteſte Stelle hierüber iſt Ci - cero de invent. II. 19. 20. Nach anderen, unbeſtimmteren Stellen könnte man glauben, die exceptio dilatoria ſelbſt habe den Namen translatio geführt. De invent. I. 8, ad Herenn. I. 12, II. 12, Fortuna - tian. und Sulp. Victor bey Ca - perronner. Rhetores ant. p. 63. 284.. Die Wir - kung der dilatoriſchen Exceptionen war aber im alten Prozeß ganz verſchieden, je nachdem ſie ſich auf den In - halt der Intentio ſelbſt bezogen oder nicht. War z. B. die exceptio pacti in diem vorgebracht, und überzeugte ſich der Judex von ihrer Richtigkeit, ſo mußte er nun ganz abſolviren, und die Forderung war für immer verloren; war alſo der Kläger vorſichtig, ſo nahm er die Klage vorläufig ganz zurück, und ließ es gar nicht zu einem ju - dicium kommen(u)Gajus IV. § 123. Vgl. Zim - mern § 95. Nach der Allgemein - heit, womit ſich Gajus ausdrückt, könnte man glauben, Dieſes ſey bey allen dilatoriſchen Exceptionen der Fall geweſen, und auf die von ihm angeführten Beyſpiele paßt die Regel auch wirklich. Aber wenn bey der fori praescriptio anerkannt wurde, daß der magi - stratus nicht competent ſey, ſo hatte auch der Judex keine wirk - liche Macht empfangen, er konnte weder condemniren noch abſolviren, und die Sache wurde nicht conſu - mirt, weil ſie gar nicht in judi - cium deducirt war. Bey der ex - ceptio praejudicialis ſollte das Urtheil aufgeſchoben, alſo für den Augenblick weder condemnirt noch abſolvirt werden.. Anders bey denjenigen dilatoriſchen Exceptionen, die keinen Bezug auf den Inhalt der Inten -(s)ganz in der Analogie der actio perpetua und temporalis. Daß ſie nicht herrſchend geworden ſind, erklärt ſich wohl aus der Selten - heit der verjährbaren Exceptionen.177§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.tio hatten, wie z. B. die exceptio fori oder praejudicialis. Wenn ſich bey dieſen der Judex überzeugte, daß ſie ge - gründet ſeyen, ſo durfte er nicht abſolviren, ſondern er mußte ſich des Urtheils für jetzt ganz enthalten, ſo daß dann die Klage noch immer nicht verloren war(v)Vgl. die Entwicklung dieſes Falles in Note u. Der Unterſchied beider Arten der dilatoriſchen Ex - ceptionen läßt ſich ſo ausdrücken, daß die Anweiſung: si non pa - ret absolve bey der einen Art zur Anwendung kam, bey der an - dern nicht. Dagegen der erſte Theil der Anweiſung: Si paret condemna wurde durch beide Ar - ten gleichmäßig beſchränkt, und darum gebührte auch beiden auf gleiche Weiſe der Name Exceptio. Daß z. B. die praejudicialis ex - ceptio dieſen Namen wirklich führte, kann nach Cicero de invent. II. 20, und L. 13. 16. 18 de exc. (44. 1. ) nicht bezweifelt werden. Ganz willkührlich ſpricht Zim - mern S. 302 der zweyten Klaſſe der dilatoriſchen Exceptionen den Namen Exceptio ab, indem er den in der gegenwärtigen Note dargeſtellten Unterſchied überſieht.. Die - ſer Unterſchied fällt ſchon im Juſtinianiſchen Recht hin - weg, indem die zuletzt erwähnte minder gefährliche Wir - kung nun bey allen dilatoriſchen Exceptionen eintritt.

Es werden ferner unterſchieden personae und rei co - haerentes exceptiones, je nachdem Derjenige allein, auf welchen ſich die Exception urſprünglich bezog, ſie ge - brauchen kann, oder auch Andere, die an ſeiner Stelle verklagt werden, wie Erben, Käufer, Bürgen(w)L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.). Noch etwas verſchieden davon iſt es, wenn die Proculejaner von der exc. L. Cinciae behaupteten, es ſey dazu berechtigt etiam qui - vis, quasi popularis sit haec exceptio (Fragm. Vat. § 266.), alſo ſelbſt ohne Rückſicht auf ein Succeſſionsverhältniß.. Die Natur der unbeſchränkten rei cohaerentes bildet die bey weitem vorherrſchende Regel, die personae cohaerentes kom - men nur in ſeltenen Ausnahmen vor(x)Die Hauptanwendung iſt. Ein ähnlicherV. 12178Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Unterſchied, nur in weit beſchränkterer Art, kommt auch vor bey der Verpflichtung des Klägers, ſich die Exception gefallen zu laſſen, wenn nämlich dieſe aus einer widerrecht - lichen Handlung des urſprünglichen Klagberechtigten ent - ſprungen iſt. In dem wichtigſten Fall, der doli exceptio, geht dieſe Verpflichtung auf den Erben und den Donatar des Unredlichen über, nicht auf den Käufer(y)L. 4 § 27. 31 de doli exc. (44. 4.). Es heißt alſo hier: ex - primendum est non in rem: si in ea re dolo malo factum est, sed sic: si in ea re nihil dolo malo actoris factum est. L. 2 § 1 eod. Die Succeſſoren ſind dann, unter der im Text an - gegebenen Beſchränkung, mit ein - geſchloſſen., alſo noch weniger auf jeden Dritten, der mit Jenem in gar keinem Succeſſionsverhältniß ſteht. Anders iſt es bey der metus exceptio, welche in rem gefaßt wird: si in ea re nihil metus causa factum est, weshalb ſie nicht blos gegen den Erben oder Käufer des Zwingenden, ſondern auch gegen jeden Dritten, gebraucht werden kann(z)L. 4 § 33 de doli exc. (44. 4.).. Wenn nun bey anderen Exceptionen gelegentlich bemerkt wird, daß ſie nicht blos gegen den urſprünglichen Kläger, ſondern auch gegen jeden Succeſſor deſſelben ohne Unterſchied ge -(x)die bey dem ſogenannten benefi - cium competentiae. L. 7 pr. de exc. (44. 1. ), L. 24. 25 de re jud. (42. 1. ), § 4 J. de repl. (4. 14.). Dann auch bey der exc. pacti, wenn der Vertrag blos auf das Individuum beſchränkt iſt. L. 21 § 5, L. 22 26, L. 32 de pactis (2. 14.). Wenn daher ein - mal bey der exc. rei venditae et traditae das Gegentheil erwähnt wird, ſo iſt Dieſes nicht etwas Beſonderes, ſondern bloße Anwen - dung der allgemeineren Regel. L. 3 pr. de exc. rei vend. (21. 3.). So mußte man auch bey der doli exceptio von Seiten des Beklag - ten ſagen: in rem opponitur exceptio L. 2 § 2 de doli exc. (44. 4.).179§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.braucht werden können(aa)L. 3 § 1 de exc. rei vend. (21. 3.)., ſo iſt Dieſes nicht etwa der Ausdruck einer eigenthümlichen Eigenſchaft dieſer beſonde - ren Exceptionen, ſondern bloße Anwendung des gewöhn - lichen, regelmäßigen Verhältniſſes, alſo blos Verneinung der eigenthümlichen, bey der doli exceptio eintretenden Be - ſchränkung.

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

Von der hier vorgetragenen, rein Römiſchen, Lehre der Exceptionen ſind ſchon die Juriſten des Mittelalters auf mancherley Weiſe abgewichen. Vorzüglich machte ſich ſeit ihrer Zeit eine neu erfundene Eintheilung geltend, in Ex - ceptiones juris und faeti; jene ſollten ungefähr die wah - ren Römiſchen Exceptionen ſeyn, dieſe die übrigen Ein - wendungen, z. B. die der Zahlung(a)Unter anderen Stellen der Gloſſe iſt hierüber zu vergleichen Gl. Intentionem. L. 2 pr. de exc. (44. 1.).. Allein weder über die Gränzen beider Arten, noch über die praktiſche Be - handlung derſelben konnte man ſich einigen, und ſo iſt ſeit jener Zeit die Sprachverwirrung mit der Verwirrung in den Begriffen und Rechtsregeln Hand in Hand gegan - gen(b)Sehr reichhaltige literariſche Nachweiſungen enthält Albrecht § 23 fg.. In der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts er - ſchien in dem jüngſten Reichsabſchied eine neue Prozeß - geſetzgebung für ganz Deutſchland, und das unzulängliche12*180Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beſtreben der Schriftſteller, den Inhalt derſelben mit der bisherigen Theorie zu verarbeiten, mußte jene Verwirrung noch erhöhen.

In der neueſten Zeit hat ſich ein kritiſches Quellenſtu - dium auch dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft mit man - chem guten Erfolg zugewendet. Anſtatt aber daß in an - deren Lehren das hiſtoriſche Element der Rechtsinſtitute häufig überſehen, und dadurch Demjenigen, welches nur ein hiſtoriſches Daſeyn hatte, eine allgemeine Bedeutung fälſchlich beygelegt worden iſt, ſcheint man ſich hier von dem entgegengeſetzten Fehler nicht ganz frey gehalten zu haben. Der wahrhaft allgemeine bleibende Kern des hi - ſtoriſch gebildeten Rechtsinſtituts iſt überſehen, und als eine vorübergehende, längſt verſchwundene Erſcheinung mit Unrecht behandelt worden(c)Am vollſtändigſten iſt die Anſicht, womit ich mich hier be - ſchäftige, in dem oben (zu § 226) angegebenen Werk von Albrecht ausgebildet worden. Der Keim dazu findet ſich in: Bayer Vor - träge über den Civilprozeß 4te Auflage 1834. S. 250 fg..

Die Grundlage dieſer einſeitigen Auffaſſung iſt ſchon oben (§ 227) angegeben und beſtritten worden. Sie beſteht darin, daß die prätoriſchen Exceptionen gegen Civilklagen die einzigen wahren Exceptionen geweſen ſeyen. Dieſe Behauptung aber hat man auf folgende Weiſe an die frühere und an die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts an - zuknüpfen verſucht.

Ehe der Prätor, durch ſeine Exceptionen, der aequitas einen mildernden Einfluß auf den ſtrengen Buchſtaben des181§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.alten Civilrechts verſchaffte, ſoll ein ſolcher Einfluß gar nicht vorhanden geweſen ſeyn(d)Albrecht S. 3. 4. 5.. Um Dieſes annehmen zu können, muß man den Zuſtand der Römiſchen Nation, viele Jahrhunderte hindurch, entweder höher oder niedri - ger ſtellen, als es irgend mit hiſtoriſcher Wahrſcheinlich - keit verträglich iſt. Höher, wenn man annehmen wollte, daß ſo lange Zeit in Rom faſt gar kein unredlicher Eigen - nutz erſchienen wäre, der das Bedürfniß eines ſolchen Schutzes fühlbar gemacht hätte, wie er ſpäterhin durch die doli exceptio und ähnliche Rechtsmittel gewährt wurde. Niedriger, wenn man annimmt, ſolche Unredlichkeit wäre, ſo wie in unſren Tagen, vorhanden geweſen, die ehrlichen Leute aber, mit Inbegriff der Obrigkeiten, hätten ſie ent - weder nicht bemerkt, oder hätten keinen Rath gewußt, um ſich und Andere dagegen zu ſchützen, bis endlich ein Prä - tor auf die Erfindung der Exceptionen gekommen wäre. Das Wahre aber iſt wohl Dieſes, daß eine Anerkennung der aequitas, und ein Schutz für dieſelbe, zu allen Zeiten, auch neben den alten Legis actiones, beſtand(e)Wir wiſſen freylich über den Prozeß zur Zeit der Legis actiones nicht viel mehr, als was wir neuerlich durch Gajus gelernt haben, und auch Das iſt wenig genug. Doch hat ſich zufällig bey Plautus eine Spur erhalten, nach welcher damals für die Zwecke, zu welchen ſpäter die doli exceptio diente, durch erzwungene Sponſio - nen geſorgt worden iſt, alſo durch die Rechtsform, die von jeher bey den Römern ſo verbreitet, und für die verſchiedenſten Zwecke gebräuch - lich war. Vgl. Zeitſchrift für ge - ſchichtliche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 248.. Das Neue alſo, welches hierin dem Prätor zugeſchrieben wer - den muß, beſteht in zwey Stücken. Erſtlich in der, für182Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jenen Zweck ſehr bequemen und angemeſſenen, Prozeßform der Exceptionen, die freylich erſt ſeit der Einführung der formulae möglich war (§ 226. m). Zweytens in der voll - ſtändigeren, befriedigenderen materiellen Ausbildung der auf die aequitas bezüglichen Rechtsregeln, wodurch das Edict, und ſpäter die Arbeit der Juriſten, für dieſen wie für andere Theile des Rechts wohlthätig wurde.

An die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts aber wird jene Lehre in folgender Weiſe angeknüpft(f)Albrecht S. 52. 72. 82 fg. 108 fg.. Die Excep - tionen in jener eigenthümlichen Natur erhielten ſich nur kurze Zeit. Schon als man anfieng, das prätoriſche Recht als ein eigentliches jus anzuſehen, hatte ſich ihr Weſen verändert; mit dem ordo judiciorum giengen ſie völlig unter, und jetzt war zwiſchen ihnen und den Civileinreden, z. B. der Zahlung, durchaus kein Unterſchied mehr übrig. Wenn in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern von den Ex - ceptionen in alter Weiſe geredet wird, ſo iſt dieſes leerer Schein, zu erklären aus der Art, wie jene Bücher ent - ſtanden ſind; man behielt die Ausdrücke der älteren Zeit bey, während die Begriffe ſelbſt verſchwunden waren.

Wenn nun auch dieſe Anſichten in ſo vollſtändiger Ausbildung nur ſelten gefunden werden, ſo ſcheinen doch die Meiſten darin völlig einverſtanden, daß der Römiſche Begriff der Exceptionen für unſer heutiges Recht ganz unbrauchbar geworden ſey, und durch einen anderen, ſehr183§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.erweiterten Begriff erſetzt werden müſſe(g)Mühlenbruch I. § 137, Thibaut § 73, Mackeldey § 200. b., Linde in Linde’s Zeitſchrift B. 1 S. 148 fg. Der hier von mir aufgeſtellten Anſicht kommt unter den neueren Schriftſtellern am nächſten Kierulff Theorie I. S. 175 fg.. Allein auf dieſen negativen Satz beſchränkt ſich die Übereinſtimmung, denn über den poſitiven Begriff ſelbſt, welchen wir an die Stelle zu ſetzen haben, herrſcht fortwährend die größte Verſchiedenheit, und dieſe Verwirrung iſt einer feſten Aus - bildung des Prozeßrechtes in hohem Grade hinderlich. So wird namentlich von Manchen unter Exception diejenige Einwendung verſtanden, die auf einer Veränderung des urſprünglichen Rechtsverhältniſſes beruht, jede andere ſoll eine negative Einlaſſung ſeyn(h)Bayer Civilprozeß S. 256. Nach ihm werden wahre Exceptio - nen begründet durch die Verjährung, Zahlung, Novation, aber nicht durch das Sc. Macedonianum und Vellejanum. . Von Anderen jede Ein - wendung, die der Beklagte zu beweiſen hat, wohin alſo auch abſolute und relative Verneinungen (Wahnſinn eines Contrahenten, Zahlung) gehören, und welcher Begriff da - her noch umfaſſender iſt als jener(i)Albrecht § 38, beſonders S. 190. 205. 206..

Vielleicht können folgende Bemerkungen dazu dienen, eine Verſtändigung in dieſer Lehre zu befördern. Zwey Stücke ſind mir für die Theorie des Römiſchen Rechts, alſo für das Intereſſe des vorliegenden Werks, von Wich - tigkeit: die im § 225 verſuchte Feſtſtellung der verſchiedenen Arten möglicher Vertheidigung, und die fortwährende An - erkennung der Römiſchen Exceptiones, ohne Veränderung184Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Römiſchen Sprachgebrauchs. Bey dem erſten Stück kommt es vor Allem darauf an, ob jene Feſtſtellung rich - tig iſt. Iſt ſie es nicht, ſo muß ſie berichtigt werden; wird ſie aber als richtig anerkannt, ſo iſt nur in ihr eine feſte Grundlage für die ganze vorliegende Unterſu - chung zu finden, und dieſe Grundlage iſt für die Theorie des Römiſchen Rechts, ſo wie für den heutigen Civilpro - zeß, gleich wichtig und unentbehrlich. Hierin alſo iſt das Bedürfniß völlig gemeinſchaftlich, und von einem Wider - ſtreit wegen der eigenthümlichen Intereſſen der beiden wiſ - ſenſchaftlichen Gebiete kann nicht die Rede ſeyn. Was aber das zweyte Stück, nämlich die ſtrenge Feſthaltung des Römiſchen Begriffs der Exceptiones, mit dieſem ihrem Namen, betrifft, ſo iſt dieſelbe für die Theorie des Römi - ſchen Rechts eben ſo unentbehrlich, wie die Feſthaltung des Römiſchen Actionenſyſtems und der darauf bezüglichen Kunſtausdrücke (§ 224). Der Grund liegt darin, daß wenn wir jenes und dieſes aufgeben, eine wahrhafte Ein - ſicht in das Syſtem der Römiſchen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln eben ſo wenig möglich iſt, als das Verſtänd - niß der Quellen. Ja das Feſthalten der Exceptionen hat ſogar darin noch mehr Grund, als das der Actionen und Condictionen, daß dieſe letzten weniger mit dem inneren und bleibenden Weſen der Rechtsbegriffe ſelbſt zuſammen - hängen, als die Exceptionen. Bey dieſem Feſthalten der Römiſchen Exceptionen nun hat freylich die Theorie des heutigen Civilprozeſſes kein Intereſſe; es iſt aber auch ganz185§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.unrichtig, wenn Manche glauben, dieſe Theorie habe hierin ein entgegengeſetztes Intereſſe, und es ſey gerade um ihret - willen nöthig, den Römiſchen Begriff der Exceptionen gänzlich aufzugeben. Da dieſer Punkt von Erheblichkeit iſt, ſo muß derſelbe noch genauer ausgeführt werden.

Es iſt keinesweges meine Meynung, daß die Römiſche Lehre von den Exceptionen einen unmittelbaren Einfluß auf das heutige Prozeßrecht haben ſoll, deſſen Selbſtſtän - digkeit alſo durch jene Lehre gefährdet werden möchte. Wie unabhängig Beides von einander iſt, läßt ſich jedoch nur durch eine Überſicht der einzelnen Inſtitute des Pro - zeſſes nachweiſen, mit welchen die Exceptionen in Berüh - rung kommen.

Eine der wichtigſten Fragen betrifft die Beweislaſt. Niemand zweifelt, daß der Grund der Exceptionen vom Beklagten bewieſen werden muß(k)L. 19 pr. L. 9 de prob. (22. 3. ), L. 25 § 2 eod. (Note n)., welches eben die Hauptbedeutung der Regel iſt: reus in exceptione actor est(l)L. 1 de exc. (44. 1.). L. 19 pr. de prob. (22. 3.).. Dabey kommen noch dieſelben Einſchränkungen vor, die auch für die Beweislaſt des Klägers gelten; wenn nämlich der Kläger den Grund der Exception im Allge - meinen zugiebt, denſelben aber durch die Behauptung be - ſonderer Bedingungen zu entkräften verſucht, ſo muß die Wahrheit dieſer Behauptung vom Kläger bewieſen wer - den(m)L. 9 de prob. (22. 3.).. Dagegen behauptet Niemand, daß dieſe Be -186Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.weislaſt den Beklagten nur allein im Fall der Römiſchen Exceptionen treffe; vielmehr ſind Alle darüber einig, daß derſelbe auch bey jeder relativen Verneinung, z. B. bey der behaupteten Zahlung, beweiſen muß(n)L. 12 L. 25 § 2 de prob. (22. 3. ) secundum genera - lem regulam, quae eos, qui opponendas esse exceptiones adfirmant, vel solvisse debita contendunt, haec ostendere exi - git. Hier iſt die Verſchiedenheit beider Arten der Einwendung durch den disjunctiven Ausdruck deutlich anerkannt.. In der Be - weislaſt alſo iſt das heutige Recht von dem Römiſchen nicht abweichend. Die wichtigſten praktiſchen Fragen, die dabey vorkommen, ſind auch unbeſtritten; und wo im Ein - zelnen ein ſolcher Streit vorkommt, iſt er wenigſtens ganz unabhängig von der Ausdehnung, die man dem Begriff der Exceptionen geben mag. Demnach liegt in der Lehre von der Beweislaſt durchaus kein Grund, den Begriff der Exceptionen anders zu beſtimmen, als wir ihn im Römi - ſchen Recht beſtimmt finden.

Von manchen Einwendungen des Beklagten wird be - hauptet, daß ſie vor dem Anfang des Prozeſſes beſeitigt werden müßten (litis ingressum impedientes), alſo Veran - laſſung zu einem Vorprozeß vor dem übrigen Rechtsſtreit geben könnten. Dem Römiſchen Recht iſt dieſes Ver - fahren, und die darauf gegründete Auszeichnung mancher Exceptionen, fremd. Waren die entſcheidenden Thatſachen unbeſtritten, ſo wurde ſtets vom Prätor die Sache unmit - telbar erledigt, waren ſie beſtritten, ſo daß Beweiſe ge - führt werden mußten, ſo wurde ſtets ein Judex gegeben187§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.(§ 226. h.), ohne daß dabey die Natur jener Thatſachen einen Unterſchied machte. Wie viel oder wie wenig alſo an jener Behauptung auch wahr ſeyn mag, ſo hat we - nigſtens die Erhaltung oder Verwerfung des Römiſchen Exceptionenbegriffs darauf nicht den geringſten Einfluß.

Die Exceptionen ſollen in der Regel gleich bey der Litisconteſtation vorgebracht werden, manche ſollen auch ſpäter, ja ſelbſt bis zur Exſecution zuläſſig ſeyn. Hierin nun weicht das heutige Recht ſehr von dem Römiſchen ab. Im Römiſchen Prozeß ſollte bey den freyen Klagen der Judex alle Exceptionen beachten, auch die nicht ſchon vor dem Prätor, alſo bis zur Zeit der Litisconteſtation, vor - gebracht waren. Bey den ſtrengen Klagen ſollten ſie zwar nur gelten, wenn ſie in der Formel ſtanden, alſo ſchon vor dem Prätor vorgebracht waren; aber auch wenn dieſes überſehen worden war, wurde gegen eine ſolche Verſäumniß leicht Reſtitution ertheilt(o)Gajus IV. § 125, L. 2 C. sent. rescindi (7. 50. ), L. 8 C. de except. (8. 36.).. Die relative Verneinung dagegen durfte bey allen Klagen vor dem Judex vorge - bracht werden, auch wenn davon vor dem Prätor noch gar nicht die Rede geweſen war. Hierin nun hat der heutige Prozeß andere und ſtrengere Regeln, die aber ent - ſchieden nicht auf den Fall der Römiſchen Exceptionen beſchränkt ſind. Die weitere oder engere Faſſung des Be - griffs der Exceptionen hat alſo auf dieſes veränderte Pro - zeßrecht wiederum keinen Einfluß.

188Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt ſtreitig, inwiefern Exceptionen, die der Beklagte nicht vorgebracht hat, officio judicis ſupplirt werden dür - fen. Bey den Römern bezeichnet officium judicis Das - jenige, was der Judex nach freyem Ermeſſen thun durfte und ſollte, außer den Gränzen der ihm vom Prätor er - theilten wörtlichen Vorſchrift. Hier nun iſt es gewiß, daß er bey freyen Klagen alle Exceptionen zu beachten hatte, bey ſtrengen Klagen nur die in der Formel ausgedrückten. Die Neueren verſtehen unter jenem Ausdruck Dasjenige, was der Richter aus eignem Antrieb thut, ohne den An - trag einer Partey. In dieſer Beziehung nun müſſen wir für das mündliche Verfahren im Römiſchen Prozeß eine große Freyheit annehmen, ſo daß ohne Zweifel der Prätor und der Judex den Parteyen abfragen konnten, was ihnen gut dünkte. Wir haben in unſrem ſchriftlichen Prozeß ſtrengere Regeln, es wird aber von manchen Exceptionen behauptet, daß der Richter ſie ſuppliren dürfe(p)Albrecht S. 130 nimmt an, dieſe Frage ſey unpraktiſch, weil doch der Richter Nichts aus ſeiner Privatkenntniß benutzen dürfe, der Kläger aber ſich hüten werde, die Thatſachen zu berühren, die eine Exception begründen könnten. Allein die Exception der Klagver - jährung wird durch bloße Rechnung begründet, die exc. Sc. Vellejani durch die perſönliche Bezeichnung der verklagten Bürgin, deren Geſchlecht ja von dem Kläger nicht verheim - licht werden kann.. Auch hier muß ich behaupten, daß, wie viel oder wie wenig man dem Richter einräumen möge, Dieſes von der Aus - dehnung des Exceptionenbegriffs völlig unabhängig iſt.

Erwägt man dieſe Umſtände, ſo möchte es wohl das Gerathenſte ſeyn, in der Theorie des Römiſchen Rechts189§. 229. Replicationen, Duplicationen.von den Exceptionen gerade ſo zu ſprechen, wie es dem Sprachgebrauch unſrer Quellen angemeſſen iſt; in der Pro - zeßtheorie aber den Namen der Exceptionen, in anderem als dem Römiſchen Sinn, ganz zu vermeiden, und dafür die völlig ausreichenden deutſchen Ausdrücke: Einrede oder Einwendung zu gebrauchen. Das dringendſte Be - dürfniß für die Prozeßlehre beſteht darin, daß man über die Rechtsregeln zum Einverſtändniß gelange. Bis man ſich dieſem wünſchenswerthen Ziel genähert haben wird, iſt es beſſer, feſte Kunſtausdrücke ſo viel als möglich zu vermeiden. Denn dieſe ſind, nach ihrer natürlichen Be - ſtimmung, Kennzeichen für die Klarheit der eigenen Be - griffe und für das Einverſtändniß mit Anderen. Wo aber dieſe beiden Zuſtände noch nicht eingetreten ſind, wird durch die Anwendung ſolcher Kunſtausdrücke nur der Mangel verdeckt, und die Abhälfe verzögert. Beſonders aber ſind die willkührlich erfundenen Kunſtausdrücke Exceptio juris und facti zu meiden, die durch einen falſchen Schein von Quellenmäßigkeit täuſchen, und daneben ſchon ſeit langer Zeit die Verwirrung der Begriffe erhalten und vermehrt haben.

§ 229. Replicationen, Duplicationen u. ſ. w.

Das Parteyenverhältniß, welches bisher in der Klage, und in der Vertheidigung des Beklagten dargeſtellt wurde, iſt nun noch weiterer Entwicklungen empfänglich.

190Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn die Vertheidigung in einer Exception beſteht, alſo eine, der Klage ähnliche, ſelbſtſtändige Natur hat, ſo ſind dagegen dieſelben Vertheidigungen des Klägers denkbar, wie die, welche oben für den Beklagten nachge - wieſen worden ſind (§ 225). Es kann nämlich der Kläger das in der Exception behauptete Recht entweder abſolut verneinen, oder für ſpäter vernichtet ausgeben (relative Verneinung), oder endlich durch ein ſelbſtſtändiges eigenes Recht entkräften.

Dieſe letzte Art der Vertheidigung führt den Namen Replicatio, und ſie wird geradezu als eine exceptionis exceptio erklärt(a)L. 2 § 1 de exc. (44. 1.) Replicationes nihil aliud sunt, quam exceptiones, et a parte actoris veniunt L. 22 eod. Replicatio est contraria ex - ceptio, quasi exceptionis ex - ceptio. Vgl. überhaupt Ga - jus IV. § 126 129, tit. Inst, de replic. 4. 14., welches nicht etwa als eine Erläu - terung durch bloße Ähnlichkeit, ſondern ganz buchſtäblich zu verſtehen iſt. Denn auch die Replication ſoll lediglich eine Ausnahme bewirken von der durch die Exception re - gelmäßigerweiſe bewirkten Losſprechung des Beklagten. Auch in der Faſſung der Römiſchen Formeln wird dieſes Verhältniß ſichtbar. Denn nachdem der Prätor den Ju - dex angewieſen hatte, unter Vorausſetzung der Intentio zu condemniren, beſchränkte er zuerſt dieſe Vorſchrift durch die Ausnahme, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Exceptio dennoch zu abſolviren. Dieſe letzte Anweiſung aber erhielt abermals eine Ausnahme für den Fall, daß191§. 229. Replicationen, Duplicationen.daneben auch noch die in der Replicatio ausgedrückte That - ſache wahr ſeyn ſollte, für welchen Fall alſo dennoch die Condemnation vorgeſchrieben wurde.

Dieſes Verhältniß wurde in den Formeln durch die Worte: aut si eingeleitet, und in folgender Weiſe ausge - drückt. Wenn z. B. ein Grundſtück vindicirt wurde, und der Beklagte die Exception eines Pachtcontracts entgegen - ſetzte, ſo konnte der Kläger repliciren, der Beklagte habe ihn durch Betrug zu dieſem Contract verleitet, welcher daher nicht bindend ſey. Si paret, fundum de quo agitur Agerii esse, judex Negidium condemna, si ab Agerio is fundus locatus Negidio non sit, aut si dolo Negidii fa - ctum sit, quo magis locaretur. Das heißt: die Condem - nation ſoll nur erfolgen, wenn der behauptete Pachtcon - tract nicht wahr, oder wenn derſelbe zwar wahr, aber durch Betrug bewirkt worden iſt(b)Vgl. das letzte Beyſpiel bey Gajus IV. § 126, ferner L. 48 de proc. (3. 3. ), L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1. ), L. 154 de R. J. (50. 17.). Wenn in manchen Stellen eine negative Faſſung vor - kommt, wie z. B. in L. 24 de re jud. (44. 1. ) at si res judicata non sit, ſo iſt das blos die er - zählende Angabe des Inhalts einer ſolchen Replication, nicht der Aus - druck, wie ihn der Prätor ſelbſt in die Formel einfügte, gerade ſo wie es oben von manchen Stellen über einzelne Exeptionen bemerkt worden iſt (§ 226. a). Sehr befriedi - gend iſt dieſer Punkt behandelt von Keller Litisconteſtation S. 339. 340..

Die Replicationen, eben ſo wie die Exceptionen, waren bald aus dem Civilrecht abgeleitet(c)Mandati replicatio in L. 48 de proc. (3. 3 ), Scti Vellejani in L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1.)., bald aus dem prä - toriſchen Recht(d)Doli replicatio in L. 154.

192Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Daſſelbe Verhältniß nun kann ſich nach der andern Seite hin wiederholen, und dieſe Wiederholung läßt ſich in Gedanken ohne Ende fortſetzen. Fragt man nämlich, wie ſich der Beklagte gegen eine Replication vertheidigen kann, ſo iſt die Antwort immer wieder dieſelbe. Er kann abſolut oder relativ verneinen, oder ein neues ſelbſtſtändi - ges Recht entgegenſetzen. Dieſe letzte Art der Vertheidi - gung wird von Gajus und den Inſtitutionen Duplicatio genannt, darauf folgt von der andern Seite die Triplica - tio, und ſo ins Unendliche fort(e)Gajus IV. § 127 129, § 1. 2 J. de repl. (4. 14.). Der - ſelbe Sprachgebrauch kommt vor bey einem ungenannten Juriſten in Fragm. Vat. § 259. Es wa - ren res mancipi geſchenkt und nicht mancipirt worden, dieſe ſoll - ten nicht uſucapirt werden. Wenn nun die Erben des donator jene Sachen vindicirten, und der Be - ſchenkte die Exception aus der Schenkung entgegenſetzte, ſo wurde dieſe durch die replicatio L. Cin - ciae entkräftet. Weil aber der donator ohne Widerruf geſtorben war, ſo wurde wieder jene Repli - cation durch die doli duplicatio beſeitigt, die hier ausdrücklich ge - nannt iſt.. Gajus verſichert, im wirklichen Leben komme dieſe Verwicklung noch weiter als bis zur Triplicatio vor(f)Gajus IV. § 129. Eben ſo Ulpian in L. 2 § 3 de exc. (44. 1.).. Indeſſen ſind ſchon ächte Re - plicationen nicht häufig, Duplicationen gewiß ſehr ſelten, und Triplicationen, oder gar Quadruplicationen, möchten wohl nie vorkommen.

Der eben angeführte Sprachgebrauch war bey den Römern nicht allgemein anerkannt. Er beruhte offenbar darauf, daß die Klage und die Exception, als die Grund - lagen jedes Rechtsſtreits, ſtillſchweigend vorausgeſetzt, und(d)de R. J. (50. 17. ), pacti bey Gajus IV. § 126.193§. 229. Replicationen, Duplicationen.erſt die folgenden Reden und Gegenreden mit Zahlen be - zeichnet wurden. Dann war das erſte Stück die Repli - catio, das zweyte die vom Beklagten ausgehende Dupli - catio, und ſo fort. Es war aber eben ſo natürlich, und wohl noch natürlicher, nur die Klage allein als Grund - lage des Prozeſſes vorauszuſetzen, und von da an alle fernere Reden und Gegenreden mit Zahlen zu verſehen. Dann war das erſte Stück die Exceptio, das zweyte die Erwiederung des Klägers, die alſo eben ſowohl Re - plicatio, als Duplicatio heißen konnte(g)Die Namen duplicatio und Triplicatio ſind von Zahlen her - genommen, Replicatio nicht. Auch darf die Verſchiedenheit des Sprach - gebrauchs nicht auf die Exceptionen ausgedehnt werden, als ob dieſe jemals Replicationes genannt worden wären., das dritte Stück die Erwiederung des Beklagten, die nun Triplicatio heißen mußte, und ſo weiter. Dieſe abweichende Aus - drucksweiſe iſt in unſren Rechtsquellen verdunkelt worden durch das falſche Beſtreben der Abſchreiber, den allerdings unzweifelhaften Sprachgebrauch der Inſtitutionen überall durchzuführen. So iſt es in einer Stelle des Ulpian ge - ſchehen, die in der Florentiniſchen Handſchrift ganz einfach ſagt: Sed et contra replicationem solet dari triplicatio(h)Hier lieſt nun die Vulgata: Sed et contra replicationem solet dari duplicatio et contra duplicationem triplicatio, offen - bar aus dem Beſtreben, den Wi - derſpruch mit den Inſtitutionen zu beſeitigen.. Eben ſo in einer Stelle des Julian(i)L. 7 § 1. 2 de curat. fur. (27. 10.). Hier ſtimmen die Flo - rentina und die Vulgata darin überein, auf die replicatio un - mittelbar die triplicatio folgen zu laſſen, ohne eine von beiden verſchiedene duplicatio in die Mitte zu ſtellen, ſo daß offenbar in dieſer Stelle replicatio und duplicatio.

V. 13194Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Bei den Replicationen und Duplicationen ſind dieſelben Misverſtändniſſe, ſowohl in den Begriffen ſelbſt, als in den Kunſtausdrücken, denkbar, von welchen bey den Ex - ceptionen ausführlich die Rede geweſen iſt. Jedoch ſind dieſelben hier nicht ſo zur Sprache gekommen, welches der ſeltneren Anwendung und der geringeren Erheblichkeit die - ſer Rechtsinſtitute zuzuſchreiben iſt.

Nicht zu verwechſeln damit iſt eine andere Verſchie - denheit des Sprachgebrauchs, die nun noch, in Beziehung ſowohl auf die Exceptionen, als auf die Replicationen u. ſ. w., erwähnt werden muß. Schon bey den Klagen iſt bemerkt worden, daß dieſelben von zwey verſchiedenen Sei - ten aufgefaßt werden können: der formellen, die dem Pro - zeß, und der materiellen, die dem Syſtem des materiellen Rechts angehört (§ 205). Beide Beziehungen werden in unſrem heutigen Recht unter dem Namen des Klaglibells und des Klagrechts anerkannt, welches letzte allein zu unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört. Völlig derſelbe Gegenſatz nun findet ſich bey den Exceptionen, Replica - tionen u. ſ. w., ſo daß wir alſo auch die Exceptionsſchrift, und die Exception als Recht des Beklagten, zu unterſchei - den haben. Da aber die Vertheidigungen des Beklagten ſehr mannichfaltig ſind (§ 225), und nicht für jede derſelben eine beſondere Prozeßhandlung zugelaſſen werden kann, ſo(i)als identiſch gedacht, der erſte Name aber allein gebraucht wird. Es iſt auch Alles deutlich, wenn nur an - ſtatt: Sed an replicatio mit der Vulgata geleſen wird: Sed an triplicatio. Sehr gut handelt von dieſer Stelle Keller S. 335 341.195§. 229. Replicationen, Duplicationen.verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie alle in Einer Prozeß - ſchrift zuſammengefaßt werden, welche von demjenigen Theil ihres Inhalts, der die individuellſte Natur hat, den Namen Exceptionsſchrift erhält. Wenn ich nun zu - gebe, daß in unſrer heutigen Exceptionsſchrift auch die Einwendung der Zahlung an ihrer richtigen Stelle iſt, ſo liegt darin nicht etwa eine inconſequente Rückkehr zu der oben bekämpften Meynung über den Begriff der Exceptio - nen. Auch diejenige Exceptionsſchrift würde für völlig genügend angeſehen werden müſſen, welche ſich auf die wenigen Worte beſchränkte: Alles, was der Kläger vor - bringt, iſt nicht wahr. Und doch wird eine ſolche einfache und abſolute Verneinung von Keinem für eine Exception ausgegeben. Exceptionsſchrift heißt alſo in der Sprache des heutigen Prozeſſes nicht etwa eine Schrift, deren In - halt in Exceptionen beſteht, ſondern: eine Schrift, in wel - cher die Exceptionen, wenn gerade ſolche vorhanden ſind, ihre richtige, angemeſſene Stelle finden.

Genau ſo verhält es ſich in unſrem heutigen Prozeß auch mit den Benennungen Replik, Duplik u. ſ. w. Dieſe bezeichnen beſtimmte Punkte in der ganzen Reihe der Prozeßhandlungen, und es ſind dieſe Namen darum gewählt worden, weil die wahren Replicationen und Du - plicationen, wenn etwa ſolche vorhanden ſind, in jenen Schriften vorgebracht werden. Man bedient ſich alſo die - ſer kurzen und anſchaulichen Ausdrücke, anſtatt daß man ſonſt umſtändliche und abſtractere gebrauchen müßte. Was13*196Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nun oben über die Seltenheit ächter Duplicationen und Triplicationen geſagt worden iſt, kann auf die Prozeß - ſchriften dieſes Namens nicht bezogen werden. Vielmehr gehört im gemeinen Prozeß die Duplik zum Weſen eines vollſtändigen erſten Verfahrens; Tripliken und Quadru - pliken, ja ſelbſt Quintupliken und Sextupliken können aber vorkommen, ſo oft das Bedürfniß oder die Laune der Parteyen dazu führt, und der Richter ſie zu geſtatten gut findet.

Obgleich nun alſo dieſe Ausdrücke unſres heutigen Prozeſſes mit den oben erörterten Meynungen über den Begriff der Exceptionen keinen innern und weſentlichen Zuſammenhang haben, ſo kann doch nicht verkannt wer - den, daß die Misverſtändniſſe über den Begriff der Ex - ceptionen durch jene dem Prozeß angehörende Kunſtaus - drücke ſehr befördert worden ſind.

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod.

Das Klagrecht, als eine eigenthümliche Art von Rech - ten, kann unter den Perſonen, unter welchen es urſprüng - lich beſtand, auf verſchiedene Weiſe aufgehoben werden. Es kann nämlich erſtens auf andere Perſonen übergehen, alſo in dieſen fortdauern; zweytens kann es gänzlich un - tergehen.

Die Fortdauer in anderen Perſonen kann bewirkt wer - den erſtlich durch Ceſſion, zweytens durch den Tod. Die197§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.Ceſſion gehört, ihrem juriſtiſchen Weſen nach, recht eigent - lich der Lehre von den Klagen an, indem ſie ſich auf Rechte der verſchiedenſten Art beziehen kann, und in die - ſen überall die Klagbarkeit als ſolche zum Gegenſtand hat. Faßt man ſie jedoch von ihrer praktiſchen Seite auf, näm - lich nach dem überwiegenden Werth, den ſie für das wirk - liche Leben hat, ſo gehört ſie vorzugsweiſe dem Obliga - tionenrecht an, und kann nur in Verbindung mit demſelben vollſtändig verſtanden werden. Der Tod iſt nicht immer ein Grund des Übergangs eines Klagrechts auf andere Per - ſonen, indem durch ihn das Klagrecht in vielen Fällen vielmehr ganz untergeht.

Der Untergang der Klagrechte kommt in folgenden Ab - ſtufungen vor:

1) Indem das Recht ſelbſt vernichtet wird, welches der Klage zum Grunde liegt, und durch ſie verfolgt werden konnte.

Beyſpiele: wenn das Thier zufällig ſtirbt, welches bisher vindicirt werden konnte; wenn die Schuld, auf welche bisher geklagt werden konnte, bezahlt wird, da durch die Zahlung die Obligation ſelbſt vernichtet wird.

2) Indem der Anſpruch des Klägers, zu deſſen Schutz das Klagrecht diente, auf andere Weiſe Befriedigung erhält.

Beyſpiel: Wenn die Sache, welche bisher vindicirt oder condicirt werden konnte, durch Zufall in den Beſitz des Eigenthümers zurück kehrt(a)L. 54 § 3 de furtis (47.2.)..

3) Indem, ohne Befriedigung des Klägers, die Verletzung198Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aufhört, wodurch ein Anderer bisher in die Stellung eines Beklagten kam.

Beyſpiel: Wenn der Beſitzer einer fremden Sache, die bisher gegen ihn vindicirt werden konnte, den Beſitz der - ſelben verliert.

4) Indem nur allein die Klagbarkeit aufhört, ohne daß in dem Recht ſelbſt oder in der Verletzung irgend eine Veränderung wahrzunehmen iſt.

Dahin gehört die Klagverjährung.

Alle dieſe Arten der Aufhebung beziehen ſich auf das Klagrecht als ſolches, unter Vorausſetzung der bloßen Verletzung, noch ohne hinzutretende Prozeßhandlungen (§ 204), und von ſolchen allein kann an dieſer Stelle des Werks die Rede ſeyn. Diejenigen Aufhebungen dagegen, die erſt im Laufe des Rechtsſtreits eintreten können, z. B. durch das Urtheil, werden weiter unten dargeſtellt werden.

Unter den hier berührten Aufhebungsarten des Klag - rechts machen folgende eine beſondere Unterſuchung nöthig.

  • I. Der Tod.
  • II. Die Concurrenz der Klagen.
  • III. Die Klagverjährung.

I. Der Tod.

Von dem Tod des Klagberechtigten oder des Beklag - ten iſt ſo eben bemerkt worden, daß er in manchen Fällen den Übergang des Klagrechts auf andere Perſonen, in an - deren die Vernichtung des bisher beſtehenden Klagrechts199§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.bewirkt. Es ſoll alſo nunmehr beſtimmt werden, unter welchen Bedingungen der eine oder der andere Erfolg ein - tritt. Die Vererblichkeit der Klagen muß aber beſon - ders unterſucht werden von Seiten des Klägers, und von Seiten des Beklagten.

Von Seiten des Klägers (alſo activ) vererblich ſind die allermeiſten Klagen, ſo daß die nicht vererblichen als ſeltene Ausnahmen angeſehen werden können.

Nicht vererblich ſind die Klagen aus Familienverhält - niſſen, weil dieſe Rechtsverhältniſſe ſelbſt ganz individuel - ler Natur ſind, ſo daß mit dem Tode des Klagberechtigten das Recht ſelbſt, welches durch die Klage bisher verfolgt werden konnte, gänzlich aufhört. Dieſes gilt jedoch nur von den natürlichen Familienverhältniſſen, der Ehe, väterlichen Gewalt, Verwandtſchaft. Denn bey manchen künſtlichen, welche mit dem Eigenthum in Verbindung ſte - hen, geht das Recht ſelbſt auf den Erben über, und dann hat auch die Vererbung der Klage kein Bedenken(a¹)Vgl. oben B. 1 § 57 S. 385..

Unvererblich ſind ferner die meiſten unter denjenigen Rechten, welche oben als anomaliſche Rechte in Beziehung auf die Rechtsfähigkeit ausführlich dargeſtellt worden ſind(b)B. 2 § 71 74.. Denn da die Grundlage derſelben nicht in einem Vermögensrecht, ſondern in einem ganz individuellen Ver - hältniß beſteht, ſo kann das Recht ſelbſt, mithin auch die zu deſſen Schutz eingeführte Klage, nicht auf die Erben200Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.übergehen. Dahin gehört alſo namentlich die Injurien - klage, deren Weſen in der Vindicta, das heißt in einem, der beleidigten Perſon ausſchließend übertragenen Straf - amt beſteht, wobey die Geldſtrafe blos als das zufällig gewählte Strafmittel erſcheint, durch welches der Cha - racter der Klage nicht beſtimmt werden kann(c)B. 2 § 73.. Aber eine ganz ähnliche Natur haben einige Klagen, welche (vielleicht nur zufällig) nicht in der Reihe jener anomali - ſchen Rechte aufgeführt werden. Dahin gehört: A) Die actio in factum de calumnia. Wenn Geld oder Geldes - werth gegeben wird, damit ein ungerechter Rechtsſtreit geführt werde, oder unterbleibe, ſo kann der Gefährdete von Dem, welcher dieſen unedlen Gewinn gemacht hatte, die vierfache Summe als Strafe fordern. Dieſes iſt reine Vindicta, und der Erbe des Gefährdeten hat darauf keinen Anſpruch; wenn aber Dieſer ſelbſt das Geld gegeben hatte, um ſich von dem Rechtsſtreit loszukaufen, ſo kann auch der Erbe die gegebene Summe mit einer Condiction zurück fordern, welche alſo von jener auf Vindicta gerich - teten Klage völlig verſchieden iſt(d)L. 4 de calumniat. (3. 6.).. B) Wird Jemand an der rechtmäßigen Beerdigung eines Todten mit Gewalt verhindert, ſo hat er eine Klage auf das Intereſſe, die aber nicht auf ſeinen Erben übergeht. Gajus, der dieſe Regel als eine unzweifelhaft angenommene anführt, findet ſie ſeltſam, weil ja doch die Klage auf eine bloße Geld -201§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.entſchädigung gehe(e)L. 9 de relig. (11. 7.). Unde miror, quare constare videatur, neque heredi neque in heredem dandam actionem .. Alſo das constare videri räumt er ein.. Allein die Entſchädigung für das anderwärts angekaufte Grabmal, die allerdings hier be - achtet werden ſoll, iſt doch nur ein Stück (und wohl nur ein untergeordnetes) des durch dieſe Klage verfolgten Intereſſe(f)L. 9 de relig. (11. 7.). per quam consequitur actor, quanti ejus interfuerit, prohibitum non esse: in quam computationem cadit loci empti pretium, aut conducti merces Es iſt alſo in der Klage ent - halten, aber keinesweges der ein - zige oder auch nur wichtigſte Theil ihres Inhalts.. Die Hauptſache iſt die dem Andenken des Verſtorbenen zugefügte Schmach(g)L. 6 C. de sepulchro viol. (9. 19.). Cum sit injustum injuriam fieri reliquiis defun - ctorum ab his, qui debitorem sibi esse mortuum dicendo sepulturam ejus impediunt: ne in posterum eadem injuria pro - cederet , und daher geht in der That dieſe Klage, eben ſo wie die eigentliche Inju - rienklage, ihrem Hauptinhalt nach auf Vindicta(h)Vgl. mehrere der bey Glück B. 11 S. 452 angeführten Schrift - ſteller, und Kierulff Theorie I. 228.. Die - ſes wird noch beſtätigt durch eine ganz ähnliche Klage, wobey dieſes Alles nur viel deutlicher geſagt iſt, die actio sepulchri violati(i)L. 3 § 8 de sepulchro viol. (47. 12.). Qui de sepulchri violati actione judicant, aesti - mabunt, quatenus intersit: sci - licet ex injuria quae facta est .. vel ex damno quod conti - git Es iſt offenbar nur zu - fällig, daß hier als Beſtandtheil des zu beachtenden Intereſſe ſo - wohl die Beleidigung, als der Geldverluſt, angegeben wird, bey jener Klage dagegen nur der letzte (Note f). In der Sache ſelbſt iſt zwiſchen beiden Klagen kein Un - terſchied., und die auch ſchon oben unter den anomaliſchen, auf Vindicta gerichteten, Rechten mit auf -202Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geführt worden iſt (§ 73). C) Die Klage auf den Wi - derruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit ſoll gleich - falls nicht auf die Erben des Gebers übergehen (§ 169. b.). Auch dieſes läßt ſich auf den Begriff der Vindicta zurück führen, wozu der eingeklagte Vermögenswerth nur als Mittel gebraucht werden ſoll(k)Vgl. Kierulff Theorie I. 228.. D) Eben ſo die (im Juſtinianiſchen Recht verſchwundene) morum coercitio, das heißt die actio de moribus und die retentio propter mores im Fall der Sittenloſigkeit eines Ehegatten(l)L. 15 § 1 sol. matr. (24. 3.).. Daß dieſe Rechtsmittel auf reine Vindicta gehen, iſt unverkennbar.

Mit Unrecht zählt Gajus unter die poſitiven Ausnah - men von der Vererblichkeit der Klagrechte, die dem Adſti - pulator zuſtehende Klage(m)Gajus III. § 114, IV. § 113.. Denn da er ſelbſt ſagt, daß das Verhältniß des Glaubigers zum Adſtipulator ſtets auf einem Mandat beruhe(n)Gajus III. § 111. 216., das Mandat aber niemals auf die Erben des Bevollmächtigten übergeht, ſo folgt von ſelbſt, daß die Erben des Adſtipulators den nur ihm ſelbſt ertheilten Auftrag nicht durch Anſtellung der Stipulations - klage beſorgen können, weshalb dieſer Fall der Unvererb - lichkeit als eine beſondere Ausnahme von der Regel nicht anzuſehen iſt.

Von Seiten des Beklagten iſt die Zahl der unver - erblichen Klagen bedeutender als von Seiten des Klägers.

Die perſönlichen Klagen aus Contracten und Quaſi -203§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.contracten ſind vererblich. Die zweyſeitigen Strafkla - gen ſind durchaus unvererblich. Die einſeitigen und ge - miſchten Strafklagen ſind nur inſoweit vererblich, als der Erbe außerdem durch das Delict bereichert bleiben würde (§ 211.).

Die in rem actiones ſind von Seiten des Beklagten nicht vererblich. Die Klagen aus Eigenthum, jus in re, oder Erbrecht ſind es größtentheils deswegen nicht, weil in der Perſon des Beklagten ein wirklicher, gegenwärtiger Beſitz vorausgeſetzt wird, der Beſitz aber durch die bloße Erwerbung eines Erbrechts nicht übergeht(o)Savigny Recht des Be - ſitzes § 28.. Wenn alſo der Erbe des Beſitzers nicht zufällig den Beſitz derſelben Sache erworben hat, ſo geht gegen ihn die Klage gar nicht; hat er aber den Beſitz erworben, ſo wird er nicht als Erbe Beklagter, ſondern wegen ſeines eigenen Beſitz - verhältniſſes. Nur wenn der Erblaſſer den Beſitz in un - redlicher Abſicht aufgegeben hatte, wird die Klage ſo wie eine einſeitige Strafklage gegen den Erben angeſtellt; hier aber trägt ſie auch nur die Form und den Namen einer in rem actio an ſich, in der That iſt ſie nun eine per - ſönliche Klage aus einem Delict(p)Dieſe Sätze ſind anerkannt in L. 52. 55. 42 de rei vind. (6. 1.).. Die confeſſoriſche und negatoriſche Klage ſetzen zwar nicht Beſitz in der Perſon des Beklagten voraus, aber doch irgend eine Ver - anlaſſung, die als Verletzung betrachtet werden kann, und204Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch von dieſer Veranlaſſung läßt ſich nicht annehmen, daß ſie auf den Erben als ſolchen übergehe.

Die Klagen aus Familienverhältniſſen gehen auf den Erben des Beklagten eben ſo wenig, als auf den Erben des Klägers, über, weil das Rechtsverhältniß ſelbſt, zu deſſen Schutz ſie dienen, mit dem Vermögen, alſo auch mit deſſen Übergang auf Erben, keine Berührung haben.

Die aufgeſtellten Regeln werden großentheils modificirt, ſobald zu dem Klagrecht die Litisconteſtation hinzutritt; davon wird im folgenden Bande die Rede ſeyn.

Die ſo eben für die Klagen beantwortete Frage nach der Vererblichkeit kann auch für die Exceptionen aufgewor - fen werden, und ſie iſt ſchon oben bey den exc. personae cohaerentes berührt worden (§ 227.). Auch hier bildet die Vererblichkeit die vorherrſchende Regel, die Ausnahmen aber laſſen ſich nicht ſo wie bey den Klagen auf allge - meinere Regeln zurückführen.

§. 231. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einleitung. Terminologie.

  • Donellus Lib. 21 Cap. 3.
  • Thibaut Concurrenz der Klagen. (Civiliſt. Abhand - lungen 1814. Num. IX.)
205§. 231. Concurrenz der Klagen.
  • G. J. Ribbentrop zur Lehre von den Correal-Obli - gationen Göttingen 1831. 8. (Gehört nur theilweiſe und indirect hierher, iſt aber für die richtige Behand - lung dieſer Lehre von großer Wichtigkeit).
  • Göſchen Vorleſungen I. § 156 159.

In der Lehre von der Concurrenz der Klagen weichen neuere Schriftſteller von einander oft ſo ſehr ab, daß man kaum glauben ſollte, es werde ein und derſelbe Gegenſtand von ihnen behandelt. Die Verſchiedenheit betrifft hier nicht blos, wie in den meiſten anderen Lehren, die Reſultate der Unterſuchung, alſo die Löſung der Aufgabe, ſondern den Sinn und Umfang der Aufgabe ſelbſt.

Die hier vorliegende Frage läßt ſich im Allgemeinen ſo ausdrücken: Inwiefern kann die Coexiſtenz mehrerer Klagen auf die Wirkſamkeit jeder einzelnen unter denſel - ben Einfluß haben? Auf den erſten Blick iſt es einleuch - tend, daß ein ſolcher Einfluß nur denkbar iſt unter Vor - ausſetzung eines ſolchen Zuſammenhangs jener Klagen, wodurch ſie ganz oder theilweiſe identiſch werden. Es fragt ſich aber, was als eine Identität zu betrachten ſey, woraus jener Einfluß hervorgehen könne. Hier bieten ſich folgende Beziehungen mehrerer Klagen dar, die als Gründe einer ſolchen einflußreichen Identität angeſehen werden könn - ten: der gemeinſchaftliche Entſtehungsgrund der Klagen; die durch den gemeinſamen Namen bezeichnete gleichartige Natur derſelben; die gleichen Perſonen, unter welchen ſie206Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Statt finden; der gemeinſchaftliche Gegenſtand. Als Ge - genſatz würde ſich ergeben, daß bey Verſchiedenheit des Entſtehungsgrundes, des Namens der Klagen, der Per - ſonen, oder des Gegenſtandes, keine Identität unter dieſen Klagen, alſo auch kein Einfluß der einen auf die Wirk - ſamkeit der andern, anzunehmen wäre. Die Prüfung die - ſer möglichen Beziehungen wird nun ergeben, daß die drey erſten in der That ohne Einfluß ſind, aller Einfluß alſo lediglich der letzten Beziehung, dem gemeinſamen Gegen - ſtand der Klagen, zuzuſchreiben iſt.

I. Gleichheit oder Ungleichheit des Entſtehungsgrundes mehrerer Klagen iſt für jenen Zweck gleichgültig(a)Zuweilen iſt die Gleichheit des Entſtehungsgrundes ſogar blos ſcheinbar, nicht wirklich vorhanden. Wenn ein gemiethetes Pferd von dem Miether getödtet wird, ſo ent - ſteht nur die a. L. Aquiliae aus der Tödtung, die locati actio entſteht aus dem früher geſchloſ - ſenen Miethcontract; in Beziehung auf ſie iſt die Tödtung nicht Ent - ſtehungsgrund, ſondern eine That - ſache, die den Miether von der Verpflichtung zur Rückgabe nur nicht befreyt..

Die Beleidigung einer Ehefrau enthält in einer und derſelben Thatſache zwey juriſtiſche Beziehungen, eine In - jurie gegen die Frau, und eine Injurie gegen den Ehe - mann. Keine dieſer beiden Injurienklagen wird durch die andere in ihrer Wirkſamkeit beſchränkt. Derſelbe Dieb - ſtahl erzeugt eine Condiction und die pönale furti actio; beide beſtehen ungeſtört neben einander(b)Auf dieſen Fall, derſelben materiellen Thatſache mit verſchie - denen juriſtiſchen Beziehungen, geht L. 1 § 22 de tutelae (27. 3. ) ut quis dicat plures esse ac - tiones ejusdem facti. (Dieſe Worte ſollen nur eine mögliche, von dem Verfaſſer misbilligte, An - ſicht der Sache ausdrücken.). Ferner: L. 9 C. de accus. (9.2)..

207§. 231. Concurrenz der Klagen.

Wenn umgekehrt ein Thier geſtohlen, und nachher von dem Diebe getödtet wird, ſo haben die Klagen aus dieſen beiden Delicten völlig verſchiedene Entſtehungsgründe(c)Auf dieſen Fall, worin ſelbſt ganz verſchiedene materielle That - ſachen zum Grunde liegen, gehen die Ausdrücke folgender Stellen. L. 76 § 1 in f. de furtis (47. 2). .. quia ex diversis factis te - nentur. L. 32 § 1 ad L. Aqu. (9. 2.). .. duo enim sunt de - licta. L. 48 eod. .. quia al - terius et alterius facti hae res sunt. ; ſoweit ſie aber auf Entſchädigung gehen, wird dennoch eine durch die andere abſorbirt(d)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Nach der condictio furtiva ſoll die a. L. Aquiliae nur noch fortdauern wegen ihrer möglichen höheren Schätzung; wor - aus alſo folgt: 1) daß ſie auf den einfachen Werth nicht mehr ange - ſtellt werden kann, 2) daß umge - kehrt, wenn die a. L. Aquiliae zu - erſt angeſtellt wird, die Condiction ganz wegfällt..

II. Eben ſo iſt es für jenen Zweck gleichgültig, ob die neben einander beſtehenden Klagen gleichnamige oder un - gleichnamige ſind.

In dem ſchon angeführten Fall der Beleidigung einer Ehefrau heißt die Klage des Mannes und die der Frau actio injuriarum, dennoch ſind beide von einander ganz unabhängig.

Umgekehrt hat der Beſtohlene gegen den Dieb ſowohl(b) Si ex eodem facto plura cri - mina nascuntur, et de uno crimine in accusationem fuerit deductus, de altero non pro - hibetur ab alio deferri. Der Sinn dieſer letzten Stelle tritt be - ſonders klar hervor durch den Ge - genſatz der L. 14 de accus. (48. 2.). Senatus censuit, ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus fieret. Hier iſt die Rede von Einer materiellen Handlung, die auch nur eine ein - zige juriſtiſche Beziehung hat, wo - für aber zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Strafgeſetze erlaſſen worden ſind; hier wird dem neue - ſten Strafgeſetz die ſehr natürliche Abſicht zugeſchrieben, eine neue Strafe an der Stelle der früheren einzuführen, nicht als Zuſatz zu derſelben.208Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die Vindication, als die Condiction; aber obgleich dieſes verſchiedenartige Klagen ſind, wird dennoch eine durch die andere abſorbirt(e)Alſo iſt hier der Umſtand ohne Einfluß, daß es diversum genus actionis, oder aliud ge - nus judicii iſt, wie es in L. 5 und L. 7 § 4 de exc. rei jud. (44. 2. ) bey einer anderen Veran - laſſung genannt wird..

III. Die Gleichheit oder Ungleichheit der in mehreren Klagen vorkommenden Perſonen iſt an ſich ſelbſt ohne Einfluß.

Wenn dieſelben Perſonen einmal ein Darlehen, dann wieder einen Kauf, endlich einen Miethcontract unter ſich abſchließen, ſo beſtehen unter ihnen drey Contractsklagen ohne allen Einfluß der einen auf die anderen.

Wenn umgekehrt Zwey gemeinſchaftlich einen Dritten betrügen, ſo hat Dieſer gegen Jeden derſelben eine Ent - ſchädigungsklage auf den ganzen Verluſt; aber eine dieſer Klagen abſorbirt die andere, obgleich die Beklagten ver - ſchiedene Perſonen ſind.

Indeſſen verdient doch die Verſchiedenheit der Perſonen, ſo gleichgültig ſie für ſich allein iſt, eine beſondere Auf - merkſamkeit, da wo ſie mit der wahren Identität der Kla - gen zuſammentrifft, und unter dieſem Geſichtspunkt wird ſie unten noch näher erwogen werden.

IV. Es bleibt alſo übrig, als das allein entſcheidende Moment, der für mehrere Klagen gemeinſchaftliche juri - ſtiſche Gegenſtand oder Zweck(f)Es iſt demnach hier nicht die Rede von dem materiellen Gegenſtand. Auf daſſelbe Haus oder Pferd können Anſprüche und Klagen ſo verſchiedener Art vor -. Dieſer allein bildet209§. 231. Concurrenz der Klagen.eine ſolche Identität, wodurch die eine Klage auf die an - dere Einfluß erhält. Der höchſt einfache Grundſatz, der hier zur Anwendung kommt, läßt ſich in folgende For - mel faſſen: Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhalten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern Klage fordern.

So einfach aber, und ſo gewiß, wie dieſer Grundſatz hier lautet, war er bey den Römern nicht, und beſonders nicht zu allen Zeiten. Erſtlich kann es in vielen Fällen zweifelhaft ſeyn, ob der Gegenſtand beider Klagen auch wirklich derſelbe iſt. Zweytens kam im älteren Römi - ſchen Prozeß die Lehre von der Prozeßconſumtion in Be - tracht, woraus die alte exceptio rei in judicium deductae und rei judicatae entſprang, und welche in die Concurrenz der Klagen mit hinein ſpielte. Durch dieſe zwey Umſtände entſtanden unter den alten Juriſten ſelbſt große Contro - verſen(g)Eine unzweydeutige Spur dieſer Controverſen, und der Art, wie man ſich dagegen zu ſchützen ſuchte, findet ſich in L. 18 § 3 de pec. const. (13. 5.). Vetus fuit dubitatio Et tutius est di - cere Hierbey kam gerade die Prozeßconſumtion in Betracht.. Die Compilatoren giengen darauf aus, die Spuren der untergegangenen Prozeßconſumtion, ſo wie(f)handen ſeyn, daß dieſe Klagen gar keine Berührung mit einander ha - ben. Wenn aber mehrere Klagen die Entſchädigung, für denſelben Verluſt, oder die Wiedererlangung deſſelben Beſitzes, bezwecken, ſo ha - ben ſie den juriſtiſchen Gegen - ſtand mit einander gemein. Die - ſer letzte wird in Stellen des R. R. auf folgende Weiſe bezeichnet: § 1 J. de duob. reis (3. 16. ) in utra - que tamen obligatione una res vertitur. L. 3 § 1 eod. (45. 2. ) cum una sit obligatio, una et summa est. V. 14210Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jener Controverſen, ſo viel als möglich zu vertilgen, welches ſie durch die Auswahl der aufzunehmenden Excerpte, auch wohl durch manche Interpolationen, zu bewirken ſuchten. So iſt es zu erklären, wenn daß in dieſer Lehre die Exegeſe oft weniger reine und befriedigende Reſultate liefert, als in den meiſten anderen Lehren.

Ehe aber der aufgeſtellte Grundſatz in ſeinen einzelnen Anwendungen dargeſtellt wird, iſt es nöthig, die bey den neueren Schriftſtellern gewöhnliche Auffaſſung dieſer Lehre, nebſt der daraus entſprungenen Terminologie, zu erwäh - nen, da dieſe Terminologie ſo allgemein verbreitet iſt, daß ſie unwillkührlich in die folgende Darſtellung hinein getra - gen und der Wirkung derſelben hinderlich werden würde, wenn nicht dagegen ſchon hier vorgebaut wird.

Bey neueren Schriftſtellern finden ſich folgende zwey Eintheilungen der Klagenconcurrenz als Grundlage dieſer Lehre angegeben(h)Mühlenbruch I. § 140. Göſchen Vorleſungen I. S. 448. Die Concurrenz iſt theils ſubjectiv (unter denſelben Perſonen), theils objectiv (unter verſchie - denen). Die objective iſt cumulativ, electiv, ſucceſſiv, je nachdem alle Klagen nach und neben einander angeſtellt werden können; oder nur eine von mehreren, ſo daß durch ſie die übrigen ausgeſchloſſen werden; oder zwar alle, je - doch nur in einer beſtimmten Reihenfolge. Eine voll - ſtaͤndige Darſtellung dieſer Lehre müßte demnach für211§. 231. Concurrenz der Klagen.jede dieſer Arten der Concurrenz beſondere Grundſätze aufſtellen.

Die in dieſen Kunſtworten ausgedrückte Auffaſſung kann ich aus folgenden Gründen nicht als richtig anneh - men. Zuvörderſt muß ich die Haupteintheilung in ſub - jective und objective Concurrenz ganz verwerfen. Es iſt nämlich ſchon oben gezeigt worden, daß für den Einfluß einer Klage auf eine andere der Umſtand, ob ſich dieſe Klagen auf dieſelben oder auf verſchiedene Perſonen be - ziehen, durchaus nicht entſcheidend iſt, daß unter denſelben Perſonen ein Einfluß nicht vorhanden, unter verſchiedenen dagegen ein ſolcher in der That vorhanden ſeyn kann. Daher iſt dieſe, die Perſonen betreffende, Verſchiedenheit zu einer Haupteintheilung der Concurrenz, als Grundlage dieſer Lehre, durchaus nicht geeignet. Was über die Be - ziehung der Concurrenz auf verſchiedene Perſonen zu ſagen iſt, wird an ſeinem Orte eingeſchaltet werden. Man könnte etwa ſagen: alle Concurrenz iſt ihrem Weſen nach objectiv (in dem gemeinſchaftlichen Object gegründet), ſie kann aber daneben zugleich ſubjectiv ſeyn; jedoch iſt es beſſer, dieſe mehr verwirrenden als aufklärenden Ausdrücke ganz zu vermeiden.

Mit der ſogenannten ſucceſſiven Concurrenz verhält es ſich alſo. Manche Rechte ſtehen zu einander in einem ſolchen Verhältniß, daß das eine durch das andere be - dingt iſt, alſo die eine Klage zur Vorbereitung der ande - ren dienen muß. So z. B. die actio ad exhibendum als14*212Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vorbereitung der Vindication(i)L. 23 § 5 de rei vind. (6. 1.).; die hereditatis petitio vor der a. familiae herciscundae(k)L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.).; die Vindication vor der a. communi dividundo(l)L. 18 de except. (44. 1.).; die Vindication vor der confessoria actio(m)L. 16 de except. (44. 1.).; die Klage gegen den Hauptſchuld - ner vor der Klage gegen den Bürgen oder gegen den Pfandbeſitzer(n)Wegen des ſogenannten be - neficii excussionis. . Ein ſolches Verhältniß mancher Kla - gen zu einander kann ſehr verſchiedene Gründe haben, und gemeinſame Regeln giebt es dafür nicht, da jeder Fall dieſer Art eine individuelle Natur hat. Mit der hier ab - gehandelten Klagenconcurrenz hat jenes Verhältniß gar kei - nen innern Zuſammenhang, und die wahre Natur deſſelben kann durch die Zuſammenſtellung mit der Concurrenz nur verdunkelt werden.

Nach dieſer Abſonderung der ſubjectiven und ſucceſſi - ven Concurrenz bleiben noch übrig die cumulative und die elective. Aber auch dieſe beiden ſind nicht etwa als ſelbſt - ſtändige Arten der Concurrenz anzuſehen, für deren jede durch beſondere Regeln zu ſorgen wäre, ſondern die ganze Frage geht eben nur darauf, ob mehrere gleichzeitig vor - handene Klagen in einem ausſchließenden Verhältniß zu einander ſtehen, oder nicht. Man kann dieſe Frage aller - dings ſo ausdrücken: ſtehen zwey gegebene Klagen im Ver - hältniß der electiven oder der cumulativen Concurrenz? Um aber dieſen Ausdruck anzuwenden, muß man damit213§. 231. Concurrenz der Klagen.anfangen, den Begriff der Concurrenz ſo weit auszudeh - nen, daß er mit dem der Coexiſtenz zuſammenfällt. Kla - rer jedoch wird die Sache durch dieſen Ausdruck nicht, vielmehr würde folgender Ausdruck durch Klarheit und Einfachheit vorzuziehen ſeyn: ſtehen zwey gegebene Klagen zu einander im Verhältniß der Concurrenz oder nicht? Man würde wahrſcheinlich niemals auf jene Kunſtaus - drücke gekommen ſeyn, wenn nicht viele Fälle vorkämen, in welchen der bloße Schein einer Concurrenz vorhanden iſt(o)So z. B. die condictio furtiva und die furti actio aus demſelben Diebſtahl, die Injurien - klagen des Ehemannes und der Ehefrau, wenn die Frau beleidigt iſt. Hätte man blos mit ſolchen Fällen zu thun, wie wenn unter denſelben Perſonen einmal ein Dar - lehen, dann ein Kauf geſchloſſen worden iſt, ſo würde man dabey den Ausdruck Concurrenz ge - wiß nicht angewendet haben, weil nicht einmal der Schein eines in - neren Zuſammenhanges beider Kla - gen vorhanden iſt. In jenen Fäl - len dagegen entſtand ein ſolcher Schein daraus, daß beide Klagen eine und dieſelbe Handlung zur Grundlage hatten. Indem man dieſe Fälle als cumulative Con - currenz bezeichnete, wollte man da - mit eigentlich ſagen: Klagen, de - ren Concurrenz nur ſcheinbar, nicht wirklich iſt, die alſo eben ſo unab - hängig von einander ſind, als in dem anderen Fall die Darlehens - klage und die Kaufklage. Es iſt aber nicht logiſch, den bloßen Schein der Concurrenz (der aller - dings erwogen und beſeitigt wer - den muß) als eine eigene Art der - ſelben zu bezeichnen.. Dieſe Fälle müſſen allerdings geprüft, und von der Anwendung der für die Concurrenz geltenden Regeln ausgeſchloſſen werden; allein es iſt nicht zu rechtfertigen, wenn ſolche Fälle als eine beſondere Art der Concurrenz dargeſtellt werden.

Endlich haben mehrere neuere Schriftſteller die wich - tige Lehre von der Rechtskraft großentheils in Verbindung214Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.mit der Klagenconcurrenz gebracht, weil nämlich die ex - ceptio rei judicatae, ſo wie ſie im neueſten Römiſchen Recht vorkommt, allerdings auch auf concurrirende Klagen angewendet werden kann(p)So Thibaut in der am Anfang dieſes §. angeführten Schrift. Eben ſo Kierulff Theorie I. S. 241. fg.. Allein dieſe Anwendung iſt doch nur eine Erweiterung derjenigen einfacheren Anwen - dung, die bey der Wiederholung einer und derſelben Klage vorkommt, und ſie kann nur in Verbindung mit dieſer rich - tig verſtanden werden. Daher iſt es zweckmäßiger, hier davon ganz zu ſchweigen, und die Wirkungen der Rechts - kraft in ihrem wahren Zuſammenhang, als ein ungetrenn - tes Ganze, darzuſtellen.

§. 232. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe von Klagen. Vollſtändige Concurrenz.

Im § 231 wurde vorläufig folgender Grundſatz für die Concurrenz der Klagen aufgeſtellt: Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhal - ten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern Klage fordern.

Dieſer Grundſatz iſt nun zuerſt an die oben (§ 230) aufgeſtellten allgemeineren Regeln über die Aufhebung der Klagrechte anzuknüpfen, dann aber in ſeinen mannichfalti - gen Anwendungen darzuſtellen.

Es wurde oben die Regel aufgeſtellt, daß jedes Klag -215§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)recht aufhöre, wenn der Kläger auf andere Weiſe, als durch dieſe Klage, ſeine Befriedigung erlange. Dieſes iſt nun ſtets der Fall, wenn eine andere, concurrirende Klage dieſe Befriedigung bereits bewirkt hat. Zuweilen aber wird durch den Erfolg der einen Klage das Daſeyn der concurrirenden anderen Klage noch unmittelbarer zerſtört, wenn nämlich jener Erfolg zugleich als Vernichtung des Rechts ſelbſt gelten kann, welches der andern Klage zum Grund liegt. Dieſer, im Weſen der Rechtsverhältniſſe gegründete, für den praktiſchen Erfolg nicht fühlbare, Un - terſchied wird weiter unten (§ 236) genauer erörtert werden.

Die Anwendung jenes Grundſatzes führt alſo darauf, in jedem einzelnen Fall zu unterſuchen, ob der ſchon ein - getretene Erfolg einer Klage mit dem geſuchten Erfolg einer andern Klage identiſch iſt oder nicht. Im erſten Fall iſt die zweyte Klage durch die erſte abſorbirt, im zweyten Fall kann ſie noch immer mit vollem Erfolg an - geſtellt werden. Nach dem bisher üblichen Sprachgebrauch (§ 231) würde im erſten Fall eine elective, im zweyten eine cumulative Concurrenz beider Klagen anzunehmen ſeyn. Ich halte es für richtiger, den Unterſchied ſo auszudrücken, daß eine Concurrenz beider Klagen im erſten Fall ange - nommen, im zweyten verneint wird.

Nun liegen aber viele Fälle zwiſchen jenen beiden in der Mitte, indem der Erfolg der noch übrigen Klage mit dem der ſchon benutzten Klage theilweiſe identiſch ſeyn kann. In dieſen Fällen wird in der noch übrigen Klage216Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der identiſche Theil abſorbirt ſeyn, der nicht identiſche wird noch ferner verfolgt werden können.

Es ergeben ſich hieraus drey Klaſſen aller überhaupt coexiſtirenden Klagen:

  • Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz. Die zweyte Klage iſt durch den Erfolg der erſten ganz abſorbirt. (Nach dem üblichen Sprachgebrauch: Elective Concurrenz.)
  • Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Die zweyte Klage iſt durch den Erfolg der erſten zum Theil abſorbirt.
  • Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz. Die zweyte Klage kann noch nach der erſten vollſtändig benutzt werden. (Cu - mulative Concurrenz.)

Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz.

Die Regel, daß hier die zweyte Klage durch die erſte ganz abſorbirt iſt, wird anerkannt in folgender Stelle des Ulpian(a)L. 43 § 1 de R. J. (50. 17) aus Ulp. lib. 28 ad ed. : Quotiens concurrunt plures actiones ejusdem rei nomine, una quis experiri debet.

Die Worte ejusdem rei nomine ſind an ſich zweydeu - tig. Sie könnten heißen: mehrere Klagen aus derſelben Thatſache, oder auch: auf denſelben Gegenſtand. Nähme man ſie nun in der erſten Bedeutung, ſo wäre der dadurch bedingte Satz offenbar unrichtig (§ 231), alſo bleibt nur die zweyte Bedeutung als die allein mögliche übrig. Dieſe wird nun auch unterſtützt durch den inneren217§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Zuſammenhang der ganzen Stelle, deren unmittelbar vor - hergehende Worte ſo lauten: Nemo ex his, qui negant se debere, prohibetur etiam alia defensione uti, nisi lex impedit(b)L. 43 pr. eod. . Ulpian will hier augenſcheinlich auf einen Unterſchied zwiſchen der Lage des Beklagten und des Klä - gers aufmerkſam machen; Jener könne auch mehrere Ver - theidigungsmittel zugleich (Verneinung und Exceptionen) geltend machen; der Kläger dürfe unter mehreren, für denſelben Zweck concurrirenden, Klagen nur Eine gebrau - chen(c)Der hier von Ulpian be - merkte Gegenſatz zwiſchen den Rechtsmitteln des Beklagten und des Klägers iſt inſofern mehr ſcheinbar als wahr, daß auch der Beklagte durch die verſchiedenſten Vertheidigungsmittel ſeinen Zweck (die Losſprechung) doch immer nur einmal erreichen kann, eben ſo wie der Kläger, welcher mehrere con - currirende Klagen hat. Darin aber iſt allerdings zwiſchen Beiden ein praktiſcher Unterſchied, daß der Kläger, wenn er mit einer der concurrirenden Klagen abgewieſen iſt, nicht mehr die andere gebrau - chen kann, anſtatt daß der Beklagte alle Vertheidigungen zugleich vor - bringt, wobey es ihm nicht ſchadet, wenn die meiſten als ungegründet verworfen werden, und nur eine als richtig anerkannt wird.. Eine fernere Beſtätigung dieſer Erklärung liegt in einer andern Stelle deſſelben Ulpian, worin mehrere Klagen de eadem re für ſolche erklärt werden, die den - ſelben Gegenſtand verfolgen(d)L. 5 de exc. rei jud. (44. 2.). De eadem re agere videtur, et qui non eadem ac - tione agat Recteque ita de - finietur, eum demum de (eadem) re non agere, qui prorsus rem ipsam non persequitur ..

Anwendungen dieſer Regel finden ſich in bedeutender Anzahl, und zwar ſowohl bey Klagen unter denſelben, als bey Klagen unter verſchiedenen Perſonen.

Unter denſelben Perſonen erſcheint dieſes Verhält -218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.niß beſonders in den vielen und mannichfaltigen Fällen, worin eine Condiction (gewöhnlich die Condictio furtiva) mit einer bonae fidei actio concurrirt, indem die beiden Umſtände zuſammen treffen, daß Einer einen Contract un - erfüllt gelaſſen, daneben aber ſich aus dem Vermögen des Andern ohne Grund bereichert hat(e)Vgl. hierüber Beylage XIV. Num. VI. . In allen ſolchen Fällen kann auf dieſe unrechtmäßige Bereicherung ſowohl mit einer Condiction, als aus dem geſchloſſenen Contracte, geklagt werden; iſt aber der Zweck durch die eine dieſer Klagen erreicht, ſo iſt dadurch die andere abſorbirt. Dieſe Concurrenz mit einer Condiction wird für folgende Con - tractsklagen bemerkt, ſtets mit der Beſtimmung, daß nur eine der concurrirenden Klagen wirklich gebraucht wer - den könne:

  • 1) Pro socio, mandati, negotiorum gestorum
    (f)L. 45. 47 pr. pro soc. (17. 2.).
    (f).
  • 2) Locati
    (g)L. 35 § 1 loc. (19. 2. ), L. 34 § 2 de O. et A. (44. 7.).
    (g).
  • 3) Commodati
    (h)L. 34 § 1 de O. et A. (44. 7. ), L. 71 pr. de furtis. In dieſer letzten Stelle iſt unter furti actio die condictio furtiva zu verſtehen (alſo furti condicti - tia actio), in welcher Bedeutung derſelbe Ausdruck auch in folgen - den Stellen vorkommt: L. 14 § 16 de furtis (47. 2. ), L. un. C. quando civ. actio (9. 31. ), Pau - lus II. 31 § 34. Vgl. Cujacius obs. XVII. 12, Donellus § 15.
    (h).

Eben dahin aber gehören auch noch folgende Fälle der Concurrenz:

  • 4) Condictio furtiva mit der Vindication
    (i)L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).
    (i).
219§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
  • 5) Desgleichen mit der a. rationibus distrahendis
    (k)L. 2 § 1 tutelae (27. 3. ), L. 55 § 1 in f. de administr. (26. 7.).
    (k).
  • 6) Tutelae und rationibus distrahendis
    (l)L. 1 § 21 tutelae (27. 3.). Die Stelle geht allerdings in ih - rem urſprünglichen Sinn auf die Prozeßconſumtion, im Juſtiniani - ſchen Recht muß ſie auf dieſelbe Weiſe, wie die übrigen hier zuſam - mengeſtellten Fälle der Concurrenz, gedeutet werden, d. h. man muß zu der Anſtellung der Klage auch noch den Erfolg hinzu denken. Vgl. über dieſe Stelle Ribbentrop S. 56 58, ferner über das Ver - hältniß der beiden genannten Kla - gen zu einander, oben § 212, und über die Behandlung der ange - führten Stelle im neueſten Recht unten § 235. g.
    (l).
  • 7) Communi dividundo und pro socio, wegen der Früchte und Auslagen
    (m)L. 38 § 1 pro soc. (17. 2.).
    (m).
  • 8) Doli und quod metus causa
    (n)L. 14 § 13 quod metus (4. 2.). Der Widerſpruch dieſer Stelle mit L. 1 § 4 de dolo (4. 3. ), woran ſich Viele verſucht haben, gehört nicht hierher.
    (n).

Es iſt aber zu bemerken, daß die hier erwähnten Fälle der Concurrenz nicht immer zu dieſer erſten Klaſſe, ſon - dern oft zu der zweyten gehören, ſo daß ihre Behandlung ſtets von den zufälligen Umſtänden des einzelnen Falles abhängt. Wenn nämlich der Gegenſtand beider Klagen genau denſelben Umfang hat, ſo gehört dieſer Fall zur er - ſten Klaſſe(o)So z. B. wenn der Mie - ther eines Pferdes daſſelbe geſtoh - len hat, und aus dem Miethcon - tract gerade nichts Anderes ſchul - dig iſt, als den Erſatz für das Pferd, worauf auch die condictio furtiva geht.; eben ſo wenn die umfaſſendere Klage zu - erſt mit Erfolg angeſtellt worden iſt(p)So wenn in dem in der Note o. erwähnten Fall auch noch Miethgeld rückſtändig iſt, und durch die zuerſt angeſtellte actio locati Erſatz und Miethgeld zugleich er - langt wurde.. Wurde dagegen die beſchränktere Klage zuerſt angeſtellt, ſo gehört der Fall220Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.unter die zweyte Klaſſe, indem die noch übrige Klage auf denjenigen Theil des Gegenſtandes angeſtellt werden kann, welchen der Kläger durch die erſte Klage noch nicht er - langt hat(q)So wenn in dem vorigen Fall (Note p.) zuerſt die condic - tio furtiva auf den bloßen Erſatz angeſtellt worden iſt. Die actio locati kann noch immer auf das Miethgeld angeſtellt werden, ſo daß nun der Fall zu der zweyten Klaſſe der Concurrenz gehört..

Reiner und entſchiedener in dieſer Hinſicht erſcheint dieſe Concurrenz bey ſolchen Klagen, die unter ver - ſchiedenen Perſonen beſtehen(r)Es ſind Dieſes alſo Fälle, worin der Concurs, nach dem ge - wöhnlichen Sprachgebrauch, ein ſubjectiver iſt., indem hier die Ge - genſtände der einzelnen Klagen meiſt völlig congruent ſind. Dieſe Fälle erſcheinen in verſchiedenen Graden der Ver - wandſchaft der Klagen unter einander, welche ſich in fol - gender Abſtufung darſtellen laſſen(s)Ribbentrop S. 83. 258, in welcher Schrift dieſe Fälle über - haupt auf ſehr befriedigende Weiſe abgehandelt ſind.:

A) Identität der Obligation, ſo daß wahrhaft eine und dieſelbe Obligation mehrere Glaubiger oder Schuld - ner zugleich umfaßt(t)Ribbentrop S. 106. 110. 117. 170 178. 258. In dieſen Fällen hatten beide Klagen eine und dieſelbe Intentio. . Dieſe Identität konnte bey den Römern auf dreyerley Weiſe, und nur auf dieſe, will - kührlich hervorgebracht werden. Erſtlich bey einer von Mehreren gemeinſchaftlich und für daſſelbe Object geſchloſ - ſenen Stipulation (duo rei), wohin auch der Fall der fidejussio gehört. Zweytens bey jedem anderen gemein - ſchaftlichen Contract, wobey Jeder genau für Daſſelbe221§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)wie jeder Andere (alſo auch für die verletzenden Handlun - gen dieſes Andern) ſich verpflichtet(u)L. 9 de duobus reis (45. 2.).. Drittens durch Teſtament. Für das heutige Recht verſchwindet der erſte Fall, ſo daß alſo jetzt die Annahme eines ſolchen Rechts - verhältniſſes ſtets von der Auslegung der Verträge ab - hängt, anſtatt daß bey den Römern die wichtigſten Fälle dieſer Art durch die hergebrachten Formen der Stipula - tion völlig außer Zweifel geſetzt waren. Dieſelbe Iden - tität aber entſteht auch ohne eine hierauf gerichtete beſon - dere Willkühr, in den Fällen der actio exercitoria, insti - toria, de peculio, de in rem verso, quod jussu, indem hier ſtets die Obligation des Unternehmers, des Vaters u. ſ. w. mit der Obligation des Aufſehers oder des Sohnes völlig identiſch iſt(v)Keller Litisconteſtation S. 420. fg..

B) Bloße Solidarität(w)Ribbentrop S. 44. 56. 90. 121.. Wenn Mehrere gemein - ſchaftlich ein Delict begehen, ſo macht ſich Jeder des gan - zen, vollſtändigen Delicts ſchuldig. Jeder alſo iſt für ſich ſelbſt Schuldner, und man kann nicht, wie bey den Cor - reis, ſagen, daß eine und dieſelbe Obligation ſich auf Mehrere beziehe. Da aber der erlittene Schade nur ein einfaches Daſeyn hat, ſo iſt der Betrag der einzelnen Schulden von gleicher Größe; und da durch den einmal geleiſteten Erſatz das Daſeyn des Schadens vernichtet iſt, ſo muß die von Einem geleiſtete Zahlung die Übrigen be -222Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.freyen (§ 211. c.). Daſſelbe Verhältniß findet ſich oft zwiſchen Mitvormündern; ferner zwiſchen Mehreren, die gemeinſchaftlich eine Sache als Commodat oder Depoſitum empfangen haben, ohne ſich zu der unter A) erwähnten vollſtändigen Identität der Leiſtung zu verpflichten(x)L. 1 § 43 depositi (16. 3. ), L. 9. 22 eod., L. 5 § 15 com - mod. (13. 6.)..

C) Endlich giebt es noch einen Fall, worin nicht ein - mal wahre Solidarität vorhanden iſt, und welcher daher nur eine einſeitige und beſchränkte Concurrenz in ſich ſchließt. Wenn nämlich Bürgſchaft in Form eines Mandats gelei - ſtet wird, ſo erlangt dadurch der Glaubiger gleichfalls zwey Schuldner, an welche er ſich halten kann. Klagt er nun gegen den Hauptſchuldner, und erlangt von dieſem Bezahlung, ſo wird der mandator frey, weil die Man - datsklage kein Object mehr hat; dagegen befreyt die ge - gen den mandator erzwungene Zahlung den Hauptſchuld - ner nicht(y)L. 28 mandati (17. 1.). Ribbentrop S. 84..

§. 233. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe von Klagen. Partielle Concurrenz.

Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Hier kann die zweyte Klage zwar noch angeſtellt werden, jedoch nur entweder mit Abrechnung der ſchon erlangten Summe, oder auch nach Rückgabe derſelben. Es läßt ſich Dieſes223§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)auf verſchiedene Weiſe denken; bald indem die zweyte Klage manche Gegenſtände umfaßt, die in der erſten gar nicht vorkommen konnten (§ 232. q.); bald indem ſie zu - fällige Nebenvortheile mit ſich führt, z. B. durch eine be - ſondere Art der Schätzung(a)Vgl. unten Note i. ; bald indem ſie, als mixta actio, auf Entſchädigung und Strafe zugleich geht, anſtatt daß durch die erſte blos die Entſchädigung erlangt wur - de(b)Iſt eine Sache geraubt worden, ſo kann zuerſt mit der condictio furtiva die Entſchädi - gung eingeklagt werden; dann iſt noch immer die a. vi bonorum raptorum übrig, (L. 2 § 26 vi bon. rapt. 47. 8), aber freylich nicht mehr auf Entſchädigung, ſon - dern auf den dreyfachen Werth als Strafe. Eben ſo, wenn erſt die Contractsklage, nachher die a. L. Aquiliae angeſtellt wird, welche letzte durch die Art der Schätzung eine Strafe in ſich ſchließen kann. Von dieſem Fall wird unten aus - führlich gehandelt werden.. Schon oben aber iſt bemerkt worden, daß es bey vielen Klagen von den zufälligen Umſtänden jedes einzel - nen Falls abhängt, ob ihre Concurrenz unter die erſte oder zweyte Klaſſe gehört (§ 232. o. p. q.).

Das Princip dieſer Klaſſe iſt in folgender Stelle des Paulus ausgeſprochen, deren Sinn ganz unzweifelhaft iſt, wenngleich ein Theil derſelben augenſcheinlich durch eine falſche Leſeart verdunkelt wird(c)L. 41 § 1 de O. et A. (44. 7. ) aus Paulus lib. 22 ad ed. : Si ex eodem facto duae competant actiones, postea judicis potius partes esse, ut quo plus sit in reliqua actione, id actor ferat: si tantundem, aut minus, id consequatur.

Schlöſſe die Stelle mit den hier curſiv gedruckten Wor -224Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ten, ſo bliebe kein Zweifel über den Inhalt möglich; aus dieſen Worten aber folgt zugleich der Inhalt der Schluß - worte mit ſolcher Nothwendigkeit, daß eine Berichtigung des Textes derſelben von jeher als unvermeidlich anerkannt, und ſelbſt von Denjenigen gebilligt worden iſt, welche außerdem die größte Abneigung gegen Emendationen haben. Die dem Sinne nach einfachſte Veränderung beſteht darin, daß anſtatt id consequatur geleſen wird nihil (oder nil) consequatur(d)Cujacius observ. III. 25.. Näher an den handſchriftlichen Text ſchließt ſich dieſe Verbeſſerung an: id non sequatur(e)Pagenstecher admonito - ria ad Pand. P. 6 § 289. Es wird dann nur ein einziger Buch - ſtab verändert. Man kann aber auch noch eine Art von Gemina - tion damit verbinden, und leſen: id non consequatur, wodurch der Ausdruck der Stelle unge - zwungner wird.. Der Erfolg beider Verbeſſerungen iſt völlig derſelbe. Daß nun Paulus gerade den hier aufgeſtellten Grundſatz ausdrücken will, iſt ganz unverkennbar. Das Weſen deſ - ſelben führt aber darauf, als Bedingung das (ganz oder theilweiſe) gemeinſchaftliche Object der beiden Klagen anzuſehen, da nur unter dieſer Vorausſetzung conſequen - terweiſe von einem plus oder minus oder tantundem die Rede ſeyn kann. Paulus jedoch drückt als Bedingung nicht das gemeinſame Object aus, ſondern den gemeinſa - men Entſtehungsgrund (ex eodem facto), der zwar häufig auch vorhanden, aber doch ganz unentſcheidend iſt (§. 231). Dieſer unrichtige Geſichtspunkt, unter welchen er den Grundſatz brachte, hatte die üble Folge, daß er ihn nicht225§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)blos bey den hier angegebenen Klagen anwendete, wohin er in der That gehört, ſondern auch bey verſchiedenen Strafklagen aus demſelben Delict, wohin er nicht gehört. Von dieſem Irrthum wird noch unten an ſeinem Orte die Rede ſeyn (§ 234.). Die Wurzel deſſelben aber mußte gleich hier nachgewieſen werden.

Sichere Anwendungen dieſes Grundſatzes finden ſich in folgenden Fällen.

Es wird zuerſt die a. communi dividundo angeſtellt, dann pro socio. Dieſe letzte iſt zuläſſig, aber nur mit Abrechnung Desjenigen, was der Kläger durch die erſte Klage ſchon erlangt hat(f)L. 43 pro soc. (17. 2.) .. hoc minus ex ea actione consequitur, quam ex prima actione consecutus est. .

Nach der condictio furtiva gilt die a. pro socio nur inſofern ſie ein anderes, und daher höheres, Intereſſe ver - folgt, als Das welches aus dem Diebſtahl entſprang(g)L. 47 pr. pro soc. (17. 2.). Sed si ex causa furtiva con - dixero, cessabit pro socio ac - tio, nisi si pluris mea intersit. .

Iſt der Nebenvertrag bey einem Verkauf durch eine Conventionalſtrafe verſtärkt, ſo gilt die a. venditi und die Stipulationsklage. Iſt aber die erſte ſchon gebraucht, ſo gilt die zweyte nur dann, wenn die Strafe mehr beträgt als das ſchon erlangte Intereſſe; umgekehrt gilt die a. ven - diti nur, wenn das Intereſſe mehr beträgt, als die einge - klagte Strafe; in beiden Fällen alſo nur auf den Über - ſchuß(h)L. 28 de act. emti (19. 1.)..

V. 15226Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn der Beſtohlene mit der condictio furtiva Ent - ſchädigung erhalten hat, ſo kann er doch noch die Sache von dem Diebe vindiciren; jedoch nur wenn er zurück zahlt, was er durch die Condiction erlangt hat. Nun muß der Dieb die Sache in Natur zurück geben, und wenn er Dieſes verweigert, das jusjurandum in litem er - dulden(i)L. 9 § 1 de furtis (47. 2.). .. quod si ex condictione ante damnatus reus litis aesti - mationem sustulerit, ut aut omnimodo absolvat reum, aut, quod magis placet, si paratus esset petitor aestimationem re - stituere, nec restituetur ei ho - mo: quanti in litem jurasset, damnaretur ei possessor. .

Die häufigſten und mannichfaltigſten Anwendungen fin - den ſich bey der a. L. Aquiliae, die mit einer Contracts - klage concurrirt. Wenn der Miether, der Commodatar u. ſ. w. die Sache zerſtört oder verdirbt, ſo hat der Eigen - thümer gegen ihn die beiden eben genannten Klagen. Da aber jede derſelben zunächſt und hauptſächlich auf Ent - ſchädigung geht, ſo wird meiſt die eine durch die andere abſorbirt werden. Indeſſen kann zufällig die a. L. Aqui - liae einträglicher ſeyn, wegen der bey ihr eintretenden künſtlichen Schätzung. Iſt daher die Contractsklage zu - erſt angeſtellt, ſo führt die conſequente Anwendung unſres Grundſatzes darauf, daß die a. L. Aquiliae noch immer angeſtellt werden darf, jedoch nur auf die aus der künſt - lichen Schätzung hervorgehende Differenz, die eigentlich eine Strafe iſt. Der einzige Zweifel könnte etwa daraus entnommen werden, daß dieſer Strafzuſatz nicht, wie bey227§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)manchen anderen Strafklagen, in einer abgeſonderten Summe beſteht, ſondern in einer erhöhten Schätzung des Schadens, weshalb man ſie für untrennbar verbunden mit der Entſchädigung ſelbſt halten könnte. Allein dieſes Be - denken verſchwindet völlig, wenn man erwägt, daß der Zweck durch bloße Abrechnung der geringeren (ſchon be - zahlten) Geldſumme von der größeren leicht und ſicher er - reicht werden kann, welches Mittel auch in den übrigen, ſchon angeführten, Fällen in der That angewendet wird (Note f. g. h.). In unſren Rechtsquellen nun finden wir über die hier aufgeſtellte Frage folgende Äußerungen. Viele Stellen ſagen ganz allgemein, in ſolchen Fällen werde jede der beiden Klagen von der andern abſorbirt, ſo daß alſo überhaupt nur eine derſelben gebraucht wer - den könne; damit ſcheint alſo die Anwendung unſres Grund - ſatzes auf dieſe Fälle verneint zu werden. Stellen ſolcher Art finden ſich von Ulpian(k)L. 27 § 11 ad L. Aqu. (9. 2. ), L. 13 de rei vind. (6. 1.)., von Paulus(l)L. 36 § 2 de her. pet. (5. 3. ), L. 18 ad L. Aqu. (9. 2. ), L. 50 pr. pro soc. (17. 2. ), L. 43 loc. (19. 2.)., und von Gajus(m)L. 18 § 1 comm. (13. 6.). In ähnlichen Ausdrücken redet Der - ſelbe von der Concurrenz der a. locati mit der a. arborum fur - tim caesarum. L. 9 arb. furtim caes. (47. 7.).. Indeſſen laſſen ſich dieſe Stellen auch ſo verſtehen, daß ſie blos von dem gewöhnlichſten Fall reden wollen, worin die Aquiliſche Klage gerade keinen höheren Ertrag giebt, als die Contractsklage, weil die künſtliche Schätzung auf keine höhere Geldſumme führt. Die Rich - tigkeit dieſer Auslegung folgt unwiderſprechlich aus eini -15*228Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gen Stellen gerade derſelben Juriſten, worin ſie die An - wendung unſres Grundſatzes auch auf die Aquiliſche Klage ausdrücklich anerkennen, und zwar zum Theil in Aus - drücken, worin dieſe Anwendung als die ſeltner vorkom - mende, leicht überſehene, gewöhnlich nicht erwähnte (alſo auch nicht durch bloßes Stillſchweigen verneinte) bezeich - net wird.

So ſagt Ulpian, indem er ſich auf Pomponius beruft, wenn der Dieb den geſtohlenen Sklaven getödtet habe, könne zuerſt die condictio furtiva, nachher die Aquiliſche Klage gebraucht werden, weil dieſe durch ihre höhere Schätzung einträglicher ſeyn könne(n)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Et scripsit Pom - ponius, agi posse, quia alte - rius aestimationis est legis Aquiliae actio, alterius condic - tio ex causa furtiva: namque Aquilia eam aestimationem complectitur, quanti eo anno plurimi fuit: condictio autem ex causa furtiva non egreditur retrorsum judicii accipiendi tempus. . Noch entſcheiden - der aber iſt eine Stelle deſſelben Ulpian über die Concur - renz der a. commodati mit der Aquiliſchen Klage. An - fangs ſagt er in eben ſo allgemeinen Ausdrücken, wie in den oben angeführten Stellen (Note k), jede dieſer Klagen werde durch die andere abſorbirt; dann aber fügt er be - richtigend hinzu: man möchte denn ſagen wollen, die Aqui - liſche Klage könne noch immer auf die Differenz angeſtellt werden, und Dieſes ſey auch in der That das Rich - tige(o)L. 7 § 1 commod. (12. 6.). nisi forte quis dixerit, agendo eum e L. Aquilia, hoc minus consecuturum, quam ex.

229§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Ganz in demſelben Sinn wird dieſe Frage behandelt in einer Stelle des Paulus, die jedoch theils weniger deut - lich, theils durch kritiſche Schwierigkeiten verdunkelt iſt. Es iſt die Rede von einem Commodat an Kleidungsſtücken, die der Commodatar zerriſſen hat; darüber drückt ſich Pau - lus alſo aus(p)L. 34 § 2 in f. de O. et A. (44. 7. ) aus Paulus lib. sing. de concurrentibus actionibus. : et quidem post legis Aquiliae actionem, utique com - modati finietur: post commodati, an Aquiliae rema - neat in eo quod in repetitione triginta dierum am - plius est, dubitatur. Sed verius est remanere(q)Glossa Accursii: alias non, alias sine non. Beide Leſearten alſo haben alte Beglau - bigung; die zweyte, die oben im Text ſteht, iſt die Florentiniſche. Non remanere las auch eine alte Handſchrift der Leipziger Raths - bibliothek, welche an Haubold ver - liehen war, und aus Verſehen mit deſſen Bibliothek nach Åbo ge - ſchickt wurde, wo ſie mit der übri - gen Bibliothek verbrannt iſt., quia simplo accedit, et simplo subducto locum non(r)Dieſe Leſeart findet ſich in allen bekannten Handſchriften. Zwar ſteht am Rande der Aus - gabe des Baudoza: in quibus - dam deest haec etiam nega - tio, allein Dieſes iſt kein ganz zuverläſſiges Zeugniß. Cuja - cius observ. III. 25 bemerkt blos, das non müſſe entweder in beiden Sätzen ſtehen, oder in beiden feh - len, welches letzte er vorzieht. habet. Nach den letzten, ſehr dunklen Worten könnte man glau - ben, Paulus habe ſich den oben angeregten Bedenken hingegeben, daß der Zuſatz der Aquiliſchen Klage von ihrem Hauptinhalt ganz untrennbar ſey, und er habe des - wegen die Aquiliſche Klage gänzlich verſagt; dann müßte(o)causa commodati consecutus est: quod videtur habere ra - tionem 230Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.man die, allerdings durch Handſchriften beglaubigte, Leſe - art non remanere als richtig annehmen. Allein zwey Gründe ſtehen dieſem Reſultat, und der damit verbunde - nen Leſeart, entgegen. Erſtlich das im Anfang des ge - genwärtigen Paragraphen (Note c) angegebene, von Pau - lus aufgeſtellte Princip, welches er ſo feſthält, daß er es auch da anwendet, wohin es nicht gehört; zweytens, daß Paulus wenige Zeilen vor unſrer Stelle die Aquiliſche Klage hinter der Injurienklage in id quod amplius com - petit gelten läßt, welches alſo auf dieſelbe Weiſe auch hinter der commodati actio möglich und richtig ſeyn muß. Die einfachſte Art, dieſen Sinn zu retten, beſteht darin, daß man, nach dem Vorſchlag des Cujacius, und nach einer, wenn auch zweydeutigen, handſchriftlichen Autorität (Note r), die Leſeart: locum habet (ohne non) annimmt. Nun iſt der Sinn dieſer: die Aquiliſche Klage gilt auch jetzt noch, weil ihr Erfolg (möglicherweiſe) über das Sim - plum hinausgeht, ſo daß dann die Klage, auch nach Ab - zug des ſchon bezahlten Simplum, noch immer ein Object hat, für welches ſie denn auch wirklich zuläſſig iſt. Indeſſen kann man verſuchen, auch die vollſtändige Flo - rentiniſche Leſeart durch folgende, den Gedanken ergän - zende, Paraphraſe zu erhalten: Die Aquiliſche Klage bleibt übrig, aber nicht blos, wie es in der Frage aus - gedrückt war, für das amplius, ſondern ganz (alſo rema - nere für integram remanere), weil nämlich das amplius in der Klage nur als ein Zuſatz zu dem Simplum er -231§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſcheint, alſo, wenn man das Simplum aus der Klage weglaſſen wollte (simplo subducto), auch das amplius nicht als Inhalt einer Klage möglich iſt (locum non ha - bet. ) Nach dieſer Wendung würde ſich die Stelle auf die Faſſung der formula beziehen, deren Intentio freylich nie auf das amplius, ſondern nur auf damnum decidi oportere, alſo auf das Simplum und die Straferhöhung zugleich, gerichtet ſeyn konnte. Im Hintergrund läge dann der (nicht ausgedrückte) Gedanke, daß die Verfolgung des ſchon erhaltenen Simplum, durch eine doli exceptio, per Praetorem inhibenda est, wie es im princ. für einen ähn - lichen Fall geſagt iſt(s)Dieſe Erklärung findet ſich bey A. O. Krug de condictione furtiva Lips. 1830. p. 66. Dem Gedanken nach übereinſtimmend, aber mit ganz entgegengeſetztem Text, iſt die Erklärung des Do - nellus § 17; dieſer ließt non re - manere und locum non habet, und erklärt ſo, daß die Klage auf das bloße amplius nicht gelte (non remanere), weil eben nur auf das Ganze geklagt werden könnte. Im Hintergrund liegt nun der (nicht ausgedrückte) Gedanke, die Klage auf das Ganze (Sim - plum und amplius) ſey wirklich zuläſſig, werde aber durch doli exceptio auf das amplius be - ſchränkt. Gezwungener und we - niger befriedigend iſt die Erklärung, die ſich bey Thibaut S. 191 und Anderen findet, und zu deren Un - terſtützung noch einigermaßen die Emendation etsi simplo für et simplo dienen kann. Vgl. Schul - ting notae in Digesta, L. cit. . Das Reſultat beider Erklä - rungen iſt völlig daſſelbe, allerdings aber empfiehlt ſich die erſte (wenn man einmal die Emendation locum habet zulaſſen will) durch größere Einfachheit.

232Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 234. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe von Klagen. Keine Concurrenz.

Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz.

In allen Fällen dieſer Klaſſe kann die zweyte Klage ganz und mit vollſtändiger Wirkung angeſtellt werden, ob - gleich die erſte Klage ſchon mit vollem Erfolg gebraucht worden iſt.

Da dieſe Klaſſe einen blos negativen Charakter hat, ſo können dahin unzählige Fälle gerechnet werden, welche hier zu erwähnen Niemand den Gedanken haben wird; namentlich alle gleichzeitig unter verſchiedenen Perſonen beſtehende Klagen aus ganz verſchiedenen Rechtsgeſchäften. Wenn alſo hier manche Fälle noch beſonders erwähnt werden ſollen, ſo kann Dieſes nur bey ſolchen Bedürfniß ſeyn, worin der täuſchende Schein einer Concurrenz vor - handen iſt, welcher daher weggeräumt werden ſoll. Es werden dahin ſolche Klagen gerechnet werden müſſen, die einen gemeinſamen Entſtehungsgrund haben, unter denſel - ben Perſonen beſtehen, oder denſelben Namen führen, bey welchen aber dennoch eine Concurrenz nicht anzunehmen iſt, weil ihnen ein gemeinſchaftliches Object fehlt (§ 231).

A) Dahin gehört zuerſt der Fall eines Delicts, wor - aus neben einer Entſchädigungsklage eine reine Strafklage entſpringt. Beide Klagen ſind von einander ganz un - abhängig.

233§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

So die condictio furtiva und die furti actio aus dem - ſelben Diebſtahl, deren gegenſeitige Unabhängigkeit ſtets unbe - ſtritten war(a)L. 7 § 1 de cond. furt. (13. 1. ), L. 45. 46. 47 pr. pro soc. (17. 2. ), L. 34 § 2 de O. et A. (44. 7. ), L. 54 § 3 de furtis (47. 2.).. Eben ſo, nach der richtigeren Betrach - tung, die Injurienklage und die Aquiliſche Klage, wenn ein Sklave durch Schläge hart mishandelt war. Darin lag eine Injurie gegen den Herrn, und eine Beſchädigung des Eigenthums, die Injurienklage verfolgte eine Strafe, die Aquiliſche den Schadenserſatz(b)L. 15 § 46 de injur. (47. 10.). So war es unbeſtritten, wenn man in der Aquiliſchen Klage die Entſchädigung als das Überwie - gende betrachtete. Paulus freylich ſieht ſie in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7. ) vorzugsweiſe als Straf - klage an, und wendet daher auf dieſen Fall ganz unpaſſender Weiſe das Princip des bloßen amplius in der zweyten Klage an. Nach Ulpians Meynung kann auch dieſe Betrachtungsweiſe kein anderes Reſultat geben, wie ſich unten in dieſem §. zeigen wird..

Es liegt alſo hierin daſſelbe Princip, wie bey den ge - miſchten Pönalklagen. Die actio vi bonorum raptorum geht auf den einfachen Erſatz, und daneben, auf den drey - fachen Werth als Strafe(c)pr. J. de vi bon. rapt. (4. 2.). Unter den früheren Ju - riſten freylich hatten Manche be - hauptet, das Vierfache ſey hier reine Strafe. Gajus IV. § 8.. Wie hier durch eine und dieſelbe Klage die Strafe noch außer der Entſchädigung gefordert wird, ſo in jenen Fällen durch verſchiedene Klagen.

B) Die Injurie gegen eine Ehefrau iſt zugleich eine Injurie gegen den Mann. Hier entſtehen aus derſelben Handlung zwey gleichnamige Strafklagen, deren jede von234Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem Erfolg der andern ganz unabhängig iſt(d)L. 1 § 9 de injur. (47. 10.) (Ulpian), L. 18 eod. (Paulus) L. 41 eod. (Neratius).. Die Be - ſtrafung jedes dieſer zwey Delicte iſt ein für ſich beſte - hendes Object.

C) Wenn Mehrere zugleich ſtehlen, ſo begeht Jeder den ganzen, vollen Diebſtahl, und der Umſtand, daß ihm Andere dabey helfen, verändert oder vermindert die Straf - barkeit ſeiner Handlung nicht. Daher geht gegen Jeden die furti actio auf die volle Strafe, wenngleich die Übri - gen ihre Strafe ſchon gezahlt haben, weil die Beſtrafung eines jeden dieſer Delicte ein ſelbſtſtändiges Object iſt (§ 211. b.).

D) Wenn Mehrere einen Sklaven gleichzeitig tödten, ſo daß man nicht ſagen kann, welcher vorzugsweiſe der Thäter ſey, ſo ſoll Jeder den vollen Betrag der Aquili - ſchen Klage zahlen, wie wenn er allein gehandelt hätte; hierin ſtimmten die Römiſchen Juriſten von alter Zeit her überein(d¹)L. 51 § 1 ad L. Aquil. (9. 2.). Idque est consequens auctoritati veterum: qui cum a pluribus idem servus ita vul - neratus esset, ut non appare - ret cujus ictu perisset, omnes lege Aquilia teneri judicave - runt. L. 11 § 2 eod.. Die erſte Stelle iſt von Julian, die zweyte von Ulpian, der ſich dabey auf Julian beruft.. Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, hierin blos eine falſch angewendete Analogie der furti actio anzunehmen, indem es ſcheint, die reine Ent - ſchädigung dürfe nur einmal gefordert werden, die Straf - erhöhung habe jeder Thäter ganz zu zahlen. Allein durch folgende Betrachtung läßt ſich jene Entſcheidung der alten235§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Juriſten rechtfertigen. Das Geſetz erlaubt dem Beſchä - digten, jeden einzelnen Thäter ſo zu behandeln, wie wenn ſeine Handlung nicht jetzt, ſondern in irgend einer ver - gangenen Zeit des letzten Jahres geſchehen wäre. Durch dieſe zugelaſſene Fiction kommt man mit jedem einzelnen Thäter auf einen Zeitpunkt, in welchem der Andere nicht zugleich handelte, ſo daß deshalb er den vollen Betrag unverkürzt zahlen muß.

E) Wenn eine geſtohlene Sache dem Diebe von einem anderen Diebe wieder entwendet wird, ſo hat Jeder der - ſelben den Herrn der Sache beſtohlen, welcher daher zwey von einander unabhängige furti actiones erwirbt(e)L. 76 § 1 de furtis (47. 2.). dominus igitur habe - bit cum utroque furti actionem, ita ut, si cum altero furti ac - tionem inchoat, adversus alte - rum nihilo minus duret: sed et condictionem: quia ex di - versis factis tenentur. Zuerſt muß bemerkt werden, daß hier die Unabhängigkeit beider Klagen mit Recht nur für die furti actio, nicht für die Condiction, behaup - tet wird; denn wenn Ein Dieb die Entſchädigung bezahlt, wird auch hier der andere frey, eben ſo wie bey dem gemeinſchaftlichen Dieb - ſtahl. Die Hauptſchwierigkeit liegt aber in den Schlußworten, da ja bey dem gemeinſchaftlichen Dieb - ſtahl (idem factum) gleichfalls gegen jeden Dieb die Klage geht, und da beſonders bey jedem ein - fachen Diebſtahl die Condiction noch neben der furti actio be - ſteht, obgleich es gewiß idem fac - tum iſt. Der Gegenſatz, den hier Pomponius ausſchließen will, iſt die fortwährende, wiederholte Con - trectation von Seiten deſſelben Diebes. Dieſe gilt ſtets nur als idem factum, und es entſtehen daraus nie mehrere furti actiones oder mehrere Condictionen. Im Gegenſatz dieſes idem factum werden in unſrer Stelle die di - versa facta als entſcheidend an - gegeben. Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2 de furtis (47. 2.). Ähnliches gilt bey damnum. L. 32 § 1 L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.)..

F) Wenn dieſelbe Perſon an derſelben Sache mehrere Delicte zu verſchiedenen Zeiten begeht, ſo iſt gewiß die236Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Strafe eines jeden Delicts beſonders verwirkt, unabhän - gig von den übrigen Strafen(f)L. 2 pr. § 1. 2. 4. 5. 6 de priv. delictis (47. 1. ), L. 27 pr. ad L. Aquil. (9. 2.).. Auch die Entſchädi - gung für jedes einzelne Delict kann eine ganz ſelbſtſtän - dige Natur haben(g)L. 32 § 1 L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.). So z. B. wenn Jemand an demſelben Hauſe zu - erſt Fenſter einſchlägt, und zu einer andern Zeit das Dach beſchädigt.. Wenn jedoch die eine Entſchädi - gung ſchon den vollſtändigen Sachwerth umfaßt, ſo kann daneben nicht noch eine andere partielle Entſchädigung vorkommen(h)Weil ſonſt durch die nur zur Entſchädigung beſtimmte Klage eine Bereicherung entſtehen würde; dieſes gilt beſonders auch, wenn mehrere mixtae actiones auf dieſe Weiſe entſtehen, für den in jeder derſelben enthaltenen blos perſecutoriſchen Theil. Mit Recht bemerkt Göſchen Vorleſungen I. 462. 463, die Worte der L. 2 de priv. del. (Note f) ſeyen großen - theils ſo allgemein gefaßt, daß man ſie auch auf die Unabhängig - keit des perſecutoriſchen Theils be - ziehen könnte, ganz gegen die Ab - ſicht Ulpians, wie Dieſes beſonders aus dem § 3 derſelben Stelle klar hevorgeht.. Nur macht auch hier wieder die Aqui - liſche Klage durch ihre künſtliche Berechnung, worin eine Strafe enthalten ſeyn kann, eine Ausnahme(i)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Wird ein koſtbares Pferd zuerſt lahm geſchlagen (wodurch ſein Werth auf eine Kleinigkeit herab ſinken kann), und dann vor Ablauf eines Jahres getödtet, ſo muß der Thäter beynahe das Dop - pelte des urſprünglichen hohen Werthes bezahlen, weil das Inte - reſſe der Tödtung nach dem Werth zur Zeit des unverletzten Zuſtan - des berechnet wird. Ganz eben ſo iſt es nun auch, wenn Einer einen Sklaven tödlich verwundet, ſo daß er nicht gerettet werden kann, ſpäter ein Anderer ihn wirk - lich tödtet. Hier zahlt Jeder das Ganze als einziger Todtſchläger, nur mit etwas verſchiedener Zeit - berechnung. L. 51 pr. § 2 ad L. Aquil. (9. 2. ), vgl. oben Note d1. .

G) Die in dieſem §. vorgetragenen Sätze waren größ - tentheils auch bey den Römiſchen Juriſten völlig unbeſtritten. 237§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz betreffende, Frage.

Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund - ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah - rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De - licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti - gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt (Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un - terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began - gen worden ſind (vgl. Note bb).

Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an - dere Anſichten haben, ſo liegt Dieſes an der häufigen,238Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber ganz verwerflichen, Verwechslung des gleichen ma - teriellen Entſtehungsgrundes mit dem gleichen Gegenſtand der Klagen (§ 231), wodurch ſie dann ferner verleitet worden ſind, für dieſen Fall eine Prozeßconſumtion anzu - nehmen, die darin in der That nicht begründet iſt; ferner wurden ſie getäuſcht durch die ſcheinbare Ähnlichkeit des Verhältniſſes, worin mehrere Strafklagen zu einander ſte - hen, mit dem zwiſchen mehreren Entſchädigungsklagen; endlich auch durch die allerdings zweydeutige Natur der gemiſchten Strafklagen, deren beide Beſtandtheile jedoch ſtets mit Sicherheit unterſchieden werden können.

Über die wirklichen Meynungen der alten Juriſten ha - ben wir folgende Nachrichten. Modeſtin behandelt die - ſen Fall nach der für die erſte Klaſſe (§ 232) aufgeſtellten Regel, läßt alſo ſtets nur eine der mehreren Strafklagen zu. Paulus behandelt ihn nach der Regel der zwey - ten Klaſſe (§ 233), geſtattet alſo, wenn eine Strafklage gebraucht iſt, auch noch eine zweyte, jedoch nur auf das amplius. Papinian und Ulpian nehmen gar keine Concurrenz zwiſchen ſolchen Klagen an, laſſen alſo jeder derſelben ihre volle Wirkung auch neben den übrigen. Die - ſelbe Meynung hat Hermogenian, der zugleich die ſpä - tere allgemeine Anerkennung derſelben berichtet.

I. Modeſtin. Seine Meynung kommt in keiner ein - zelnen Anwendung vor, ſondern blos in folgender allge - mein ausgedrückten Regel(k)L. 53 pr. de O. et A. (44.7. ) aus Modestinus lib. 3 regularum. :239§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Plura delicta in una re plures admittunt actiones: sed non posse omnibus uti probatum est: nam si ex una obligatione plures actiones nascuntur, una tantummodo, non omnibus, utendum est.

Die Worte ex una re heißen offenbar ſo viel als ex eodem facto, wie der nachfolgende, abwechſelnd gebrauchte, Ausdruck ex una obligatione zeigt, in welchem obligatio die ſehr gewöhnliche Bedeutung der eine Obligation erzeu - genden Handlung hat. Hier iſt nun die Verwechslung des gemeinſamen Entſtehungsgrundes mit dem gemeinſamen ju - riſtiſchen Object recht augenſcheinlich. Man könnte noch etwa glauben, Modeſtin habe ſich nur zu allgemein aus - gedrückt, und ſey daneben nicht abgeneigt geweſen, ſo wie Paulus, eine zweyte Klage auf das amplius zuzulaſſen. Allein Paulus ſelbſt erwähnt das Daſeyn einer ſolchen extremen Meynung, wie ſie hier dem Modeſtin zugeſchrie - ben wird, die alſo ſeiner eigenen entgegengeſetzt war(l)L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). .. sed quidam, al - tera electa, alteram consumi; hier wird alſo geradezu die Pro - zeßconſumtion als Entſcheidungs - grund angeführt. Es iſt hier die Rede von der Injurienklage neben der Aquiliſchen, wegen eines ſchimpf - lich gepeitſchten fremden Sklaven.. Modeſtin alſo hatte dieſelbe ohne Zweifel von älteren Ju - riſten angenommen, auf welche hier Paulus anſpielt, ohne ſie zu nennen.

II. Paulus. Es iſt ſchon oben (§ 233) erwähnt wor - den, daß er den für die zweyte Klaſſe in der That gel - tenden Grundſatz, nach welchem jede noch übrige Klage240Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf das amplius angeſtellt werden kann, in zu ausgedehn - ter Weiſe ausdrückt; er faßt ihn nämlich ſo allgemein, daß derſelbe auch auf die Strafklagen Anwendung findet, wohin er in Wahrheit nicht paßt.

Er hat aber dieſe ſeine Meynung nicht blos in jenem allgemeinen Princip ausgeſprochen, ſondern auch ganz con - ſequent in folgenden einzelnen Anwendungen durchgeführt.

  • 1) Wenn ein fremder Sklave ſchimpflich gepeitſcht wird. Die Aquiliſche und die Injurienklage, jede von ihm auf das amplius noch nach der anderen zugelaſſen
    (m)L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). Es iſt dieſelbe Stelle, worin er daneben noch fremde Mey - nungen anführt (Note l.).
    (m).
  • 2) Wenn eine Sache geraubt wird, ſo liegt darin ein zweyfaches Delict: Raub und Diebſtahl. Nach der actio furti nec manifesti ſoll die a. vi bonorum raptorum noch gelten, aber nur auf das amplius
    (n)L. 1 vi bon. rapt. (47. 8 ), L. 88 de furtis (47. 2.).
    (n).
  • 3) Eben ſo bey abgehauenen Bäumen: die Aquiliſche Klage und die a. arborum furtim caesarum
    (o)L. 1 arborum furtim caes. (47. 7. ), L. 11 eod.
    (o).

In einer andern Stelle ſoll er, wie man gewöhnlich annimmt, zwey Strafklagen vollſtändig neben einander gelten laſſen: die furti actio und die a. de rationibus distrahendis(p)L. 2 § 1 de tutelae (27. 3.).. Manche haben deshalb den Paulus als inconſequent getadelt, Andere haben eine Interpolation an - genommen. Beides ohne Grund, da die eben angeführte Klage gegen den untreuen Vormund in der That nicht241§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)als Strafklage von den alten Juriſten angeſehen wird (§ 212).

III. Nach der richtigern Meynung, die auch bey den Römern zuletzt geſiegt hat, können alle Strafen neben ein - ander unvermindert zur Anwendung kommen.

Papinian ſpricht dieſe Meynung in folgender An - wendung aus. Wenn eine fremde Sklavin ſtuprirt wird, ſo gilt die Aquiliſche, die Injurienklage, und die a. servi corrupti, und zwar alle neben einander(q)L. 6 ad L. Jul. de adult. (48. 5.). .. nec propter plu - res actiones parcendum erit in hujusmodi crimine reo. - ſchen Vorleſungen I. S. 459 hält es für eine Eigenthümlichkeit gerade dieſes ſchweren Vergehens, da auch das Intereſſe unverkürzt mehrmals bezahlt werden ſolle. Das Letzte wird indeſſen nicht geſagt, zwey dieſer Klagen konn - ten auch wohl auf ein verſchieden - artiges Intereſſe gehen (vgl. L. 11 § 2 de servo corr. 11. 3. ), und das nec parcendum geht mehr auf eine Häufung der Strafen, als auf eine ſonſt ungewöhnliche mehrfache Entrichtung des Inte - reſſe. Die Worte in hujusmodi crimine ſollen nicht ein beſonders ſchweres Verbrechen bezeichnen (wel - ches nach Römiſchen Begriffen in jener Handlung gar nicht enthal - ten war), ſondern eben nur den Fall mehrerer Delicte, die in einer und derſelben Handlung vereinigt ſind..

Ulpian ſpricht dieſe Meynung theils als allgemeine Regel aus, theils in einzelnen Anwendungen. Als allge - meine Regel in folgenden zwey Stellen: Nunquam actiones poenales de eadem pecunia con - currentes alia aliam consumit(r)L. 60 de O. et A. (44. 7) aus Ulpian. lib. 17 ad ed. .

In dieſer Stelle liegt der entſchiedenſte Widerſpruch gegen die Meynung des Paulus über das amplius. Denn wenn die mehreren Strafklagen auf eadem pecunia (gleicheV. 16242Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Summe) gehen, ſo muß jede derſelben durch den Gebrauch der andern, nach Paulus, völlig ausgeſchloſſen werden. Der Ausdruck consumit könnte mit beſonderer Hinſicht auf die Prozeßconſumtion gewählt ſeyn, die alſo hier verneint werden ſollte, doch läßt ſich Dieſes mit Sicherheit nicht behaupten, da derſelbe Ausdruck auch die materielle Con - ſumtion, durch die vermittelſt der erſten Klage bewirkte Zahlung, bezeichnen kann(s)Keller Litisconteſtation S. 483. 494..

Die zweyte Stelle lautet ſo: Nunquam actiones, praesertim poenales, de eadem re concurrentes, alia aliam consumit(t)L. 130 de R. J. (50. 17. ), aus Ulpian. lib. 18 ad ed., alſo aus demſelben Werk wie die in der Note r. angeführte Stelle, und ſelbſt aus einem ganz nahe lie - genden Abſchnitt dieſes Werks..

Dieſe Stelle iſt, nach ihrem Wortlaut, der vorherge - henden ſo auffallend ähnlich, daß man auch den Sinn für völlig gleich halten möchte; und dennoch iſt dieſer ſehr verſchieden. Denn da ſie von allen Klagen ſpricht, nicht blos von den Strafklagen, ſo konnte Ulpian unmöglich ſa - gen wollen, daß dieſe, wenn ſie auf daſſelbe Object giengen, einander niemals conſumirten, da ja bey den Ent - ſchädigungsklagen dieſer Art gerade das Gegentheil als Regel anzunehmen iſt (§ 232). Selbſt dadurch wird die - ſem Bedenken nicht abgeholfen, wenn man etwa das vor - zügliche Gewicht auf die Prozeßconſumtion legen wollte, die hier verneint werden ſollte, und auf welche das Wort243§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)consumit bezogen werden könnte(u)Die Unſicherheit dieſer Be - ziehung iſt ſchon bey der vorher - gehenden Stelle bemerkt worden. Vgl. Keller Litisconteſtation S. 483. 494.. Denn aus der Cor - realſtipulation entſtanden gerade zwey Klagen auf daſſelbe Object, und bey ihr trat die Prozeßconſumtion ganz ent - ſchieden ein. Daher müſſen die Worte: de eadem re er - klärt werden von dem gemeinſamen Entſtehungs - grund (wie ex eodem facto), und auch für dieſen iſt Ulpians Behauptung nur ſo zu verſtehen, daß die gemein - ſame Entſtehung für ſich allein niemals ein Grund der Prozeßconſumtion ſeyn ſoll(v)Die Worte de eadem re haben alſo hier einen ganz ande - ren Sinn, als in der oben § 232 a. angeführten Stelle deſſelben Ul - pian die Worte ejusdem rei no - mine. Dieſe verſchiedene Erklä - rung ſo ähnlich lautender Worte, wenn ſie auch auf den erſten Blick auffallen mag, erſcheint doch des - wegen als durchaus nothwendig, weil Ulpian in beiden Stellen ganz entgegengeſetzte Entſcheidungen giebt.. Nun liegt der nicht aus - gedrückte Gedanke im Hintergrund: die folgende Klage werde nur ausgeſchloſſen bey gemeinſamen Object, und auch dabey ſehr häufig nicht auf dem Wege der Prozeß - conſumtion. Beſonders bekommt durch dieſe Erklärung der Ausdruck praesertim poenales einen beſtimmten und guten Sinn, denn von den Pönalklagen kann man ſagen, daß ſtets eine noch nach der andern angeſtellt werden könne, und namentlich nie die Prozeßconſumtion eintrete, von den Entſchädigungsklagen iſt es nur theilweiſe wahr; die - ſer Unterſchied beider Arten der Klagen wird durch das Wort praesertim angedeutet(w)Die hier gegebene Erklä - rung findet ſich im Weſentlichen. Es iſt übrigens zu16*244Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bemerken, daß die hier erklärte Stelle des Ulpian wörtlich in die Inſtitutionen aufgenommen worden iſt(x)§ 1 J. si quadrupes (4. 9.). Die Regel wird hier angeführt, um die Unabhängigkeit zweyer Klagen aus derſelben Thatſache zu begründen, unter welchen die eine auf Entſchädigung, die andere auf Strafe geht., und auch dieſer Umſtand kann zur Unterſtützung der Behauptung dienen, daß die von Ulpian über jene controverſe Frage vorgetragene Meynung zugleich als die in unſren Rechts - büchern gebilligte anzuſehen iſt.

Die einzelnen Fälle, worin Ulpian die von ihm aufge - ſtellte allgemeine Regel zur Anwendung bringt, ſind fol - gende:

1) Die Aquiliſche und die Injurienklage, wenn ein fremder Sklave gepeitſcht, oder eine fremde Sklavin ſtu - prirt worden iſt(y)L. 15 § 46 de injur. (47. 10. ), L. 25 eod. Weſentlich dieſelbe Meynung führt Paulus an in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). alii si ante injuriarum ac - tum esset, teneri eum ex lege Aquilia. Daß die hier ange - führten ungenannten Juriſten für den umgekehrten Fall, wenn die Aquiliſche Klage zuerſt angeſtellt war, die Injurienklage ganz ver - ſagten, beruhte bey ihnen nicht auf einem Zweifel an dem Princip, ſondern auf einem ganz indivi - duellen Bedenken wegen der For - mel der Injurienklage, worin die Worte bonum et aequum ſtan - den, von welchen Jene glaubten, daß ſie dem Gebrauch der Klage nach ſchon eingeklagter Entſchädi - gung im Wege ſtänden..

2) Die a. vi bonorum raptorum neben der furti actio oder der Aquiliſchen Klage, wenn Sachen entweder ge - raubt, oder durch eine Bande (coactis hominibus) beſchä - digt worden ſind(z)Zwar die L. 2 § 26 vi bon. rapt. (47. 8) erwähnt nur die Coexiſtenz dieſer und noch anderer Klagen, ohne die Art ihrer Con -.

(w)ſchon bey Göſchen Vorleſungen I. S. 460.

245§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

3) Die furti actio und die Aquiliſche Klage, wenn einem Sklaven die Kleider geſtohlen wurden, und der Ent - kleidete vor Kälte geſtorben iſt(aa)L. 14 § 1 de praescri - ptis verbis (19. 5.)..

4) Die furti actio und a. servi corrupti, wenn Jemand einen fremden Sklaven zu einem Diebſtahl beredet(bb)L. 11 § 2 de servo cor - rupto (11. 3.). Dieſer Fall kann wieder zu einer beſondern Unterſtützung der hier vertheidig - ten Meynung dienen. Ulpian ſcheint blos an den Fall zu den - ken, da der Diebſtahl gegen den eigenen Herrn des beredeten Skla - ven begangen wird, ſo daß beide Klagen in demſelben Kläger verei - nigt ſind. Iſt nun aber der Dieb - ſtahl gegen einen Dritten began - gen, ſo wird wohl Niemand zwei - feln, daß die beiden Klagen von den zwey verſchiedenen Klägern unverkürzt angeſtellt werden kön - nen, eben ſo wie es bey den bei - den Injurienklagen (Note d) von Allen eingeräumt wird. Was je - doch in dem Fall der zwey ver - ſchiedenen Kläger gilt, kann nicht ohne augenſcheinliche Inconſequenz für den Fall deſſelben Klägers verſagt werden..

Hermogenian endlich erklärt ſich für die von Pa - pinian und Ulpian vorgetragene Meynung in folgender Stelle(cc)L. 32 de O. et A. (44. 7) aus Hermogenianus lib. 2 juris epitom. : Cum ex uno delicto plures nascuntur actiones, si - cut evenit cum arbores furtim caesae dicuntur, om - nibus experiri permitti, post magnas varietates ob - tinuit.

Ich ſehe dieſe Stelle als ganz entſcheidend, gleichſam als das letzte Wort der Juſtinianiſchen Geſetzgebung an;(z)currenz zu beſtimmen; allein L. 2 § 10 eod. ſagt ausdrücklich: Ce - terum neque furti actio, neque legis Aquiliae, contributae sunt in hoc edicto , das heißt ihre Strafen gelten noch außer der durch dieſes Edict beſtimmten Strafe.246Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht, weil Hermogenian der neueſte unter allen hier an - geführten Juriſten iſt, welches an ſich nicht entſcheidend ſeyn würde, ſondern weil er die in den vorhergehenden Stellen dargeſtellte große Controverſe ſelbſt erwähnt (post magnas varietates), und nun die wichtige Thatſache hinzu - fügt, daß zuletzt die (von Ulpian vertheidigte) ſtrengere Meynung allgemein anerkannt worden ſey (obtinuit). Her - mogenian erſcheint alſo hier nicht als eine einzelne Stimme über jene Frage abgebend, ſondern als die Thatſache je - nes Streites und der Beendigung deſſelben erzählend. In - dem wir nun dieſe Stelle mit den vielen, oben angeführ - ten, großentheils widerſprechenden, Stellen, als ein Gan - zes zuſammen faſſen, ſo erſcheint dieſer Fall als ein ſolcher, worin uns Juſtinian ein Stück Rechtsgeſchichte mittheilen wollte, indem er nicht nur die aus langem Streit als ſie - gend hervorgegangene Regel in ſeine Sammlung aufnahm, ſondern auch die in früherer Zeit ſtreitenden Meynungen ſelbſt, in einer bedeutenden Zahl von Zeugniſſen darſtellte, woraus der Sinn der letzten Entſcheidung um ſo klarer hervortreten mußte. Demnach ſind die oben angeführten Stellen des Modeſtin und des Paulus blos als Mittel zu hiſtoriſcher Belehrung über die allmälige Entwicklung der vorliegenden Rechtsregel anzuſehen(dd)Vgl. oben B. 1 § 44. s., wo dieſe Art der vereinigenden Auslegung als Princip aufgeſtellt iſt. Eine etwas abweichende Meynung über die hier vorliegen - de beſondere Frage hat Göſchen Vorleſungen I. S. 456. 460. 461. Er legt der Stelle des Hermoge - nian nicht die Wichtigkeit bey, die ich ihr hier zuſchreibe, und hält es für ganz zweifelhaft, welche der beiden entgegengeſetzten Regeln.

247§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Anſicht wird noch durch folgende Umſtände beſtätigt.

Einen der Fälle, worin Ulpian ſeine Meynung aus - ſprach (Note bb), nämlich die furti actio neben der a. servi corrupti, hat Juſtinian ſelbſt, und zwar völlig auf dieſelbe Weiſe wie Ulpian, entſchieden, nämlich dahin daß beide Klagen unverkürzt nach einander angeſtellt werden kön - nen(ee)L. 20 C. de furtis (6. 2 ), § 8 J. de oblig. ex delicto (4. 1.).. Damit iſt alſo unverkennbar ausgedrückt, welche unter den früher ſtreitenden Meynungen Juſtinian ſelbſt als die richtige anſah.

Weſentlich dieſelbe Frage, wie bey den Privatſtrafen, kommt auch bey den öffentlichen Strafen vor, wenn die - ſelbe Handlung das Weſen verſchiedener öffentlicher Ver - brechen in ſich vereinigt. Hier nun iſt ganz entſchieden, und ſogar ohne Spur eines früheren Zweifels, die Regel aufgeſtellt, daß alle verwirkte Strafen neben einander an - gewendet werden ſollen(ff)L. 9 C. de accus. (9. 2.). Die Stelle iſt oben abgedruckt § 231. b. . Es würde aber eine augen - ſcheinliche Inconſequenz ſeyn, hierin für die öffentlichen Strafen eine andere Regel, als für die Privatſtrafen, gelten laſſen zu wollen.

(dd)man als wahre Regel anzuſehen habe. Wie man ſich aber auch hierüber entſcheide, ſo müßten doch die in entgegengeſetzten einzelnen Entſcheidungen in den Digeſten, als Ausnahmen neben der ange - nommenen Regel anerkannt wer - den. Dieſes Letzte kann ich am Wenigſten einräumen, da keine einzige dieſer Stellen die Natur einer Ausnahme an ſich trägt, ſon - dern vielmehr jede nur dazu be - ſtimmt iſt, die von ihrem Verfaſ - ſer angenommene Regel auf einen einzelnen Fall anzuwenden.

248Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Indeſſen muß doch zu der hier als richtig angenom - menen Meynung folgende Beſchränkung hinzugefügt werden. Wenn zwey Klagen aus demſelben Delict neben einander vorkommen, deren jede aus Entſchädigung und Strafe ge - miſcht iſt, ſo gilt die vollſtändige Cumulation nur für die in jeder enthaltene reine Strafe; die Entſchädigung dage - gen, die durch die erſte Klage bereits bewirkt worden iſt, kann durch die zweyte nicht noch einmal gefordert werden. Dieſes gilt namentlich von dem bey Hermogenian erwähn - ten Fall, der Aquiliſchen Klage neben der a. arborum fur - tim caesarum; das Intereſſe braucht nur einmal bezahlt zu werden, aber die Straferhöhung kommt aus jeder der beiden Klagen vollſtändig zur Anwendung. Hermogenian hat Dieſes allerdings nicht ausgedrückt, es muß alſo ſei - ner Regel die Einſchränkung hinzugefügt werden: inſo - weit jede dieſer mehreren Klagen auf reine Strafe geht. Daß Papinian und Ulpian dieſe Einſchränkung nicht ausſprechen, erklärt ſich daraus, daß in den meiſten Colliſionsfällen zwey gemiſchte Klagen gar nicht vorkom - men, indem die eine Klage (wie die Injurienklage und die furti actio) eine reine Strafklage iſt; zugleich auch dar - aus, daß ſie ihre Aufmerkſamkeit nur auf Dasjenige rich - teten, welches allein controvers geweſen war, nämlich die Cumulation mehrerer Strafen. Ulpian überdem deutet auf jene Einſchränkung vernehmlich genug hin, indem er in der beſtimmteſten Stelle (Note r) nur von actiones poenales ſpricht; und auch bey Hermogenian liegt eine249§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Hindeutung darauf in der Erwähnung der großen Strei - tigkeiten, die ſich, ſo viel wir wiſſen, nur auf die Colliſion der Strafen bezog. Die Richtigkeit der hier aufge - ſtellten Beſchränkung folgt nothwendig aus allem Demje - nigen, was bey der erſten und zweyten Klaſſe über die Behandlung der wahren Concurrenz ausgeführt worden iſt (§ 232. 233). Dort beruhte die totale oder partielle Aus - ſchließung der nachfolgenden Klage nicht etwa auf einer poſitiven, aus bloßer Schonung entſprungenen, Vorſchrift, ſondern aus der natürlichen Regel, daß ein ſchon vergü - teter Schade nicht mehr zu vergüten möglich iſt, daß alſo eine wiederholte Bezahlung die der Entſchädigung ganz fremde Natur einer Bereicherung, hier alſo zugleich einer Strafe, annehmen würde. Dieſe natürliche Regel aber kann nicht von der Anwendung durch den ganz zufälligen Umſtand ausgeſchloſſen werden, daß manche Klagen neben der Entſchädigung auch noch eine wahre Strafe verfol - gen. Vielmehr muß alsdann jeder dieſer beiden Beſtand - theile der Klage nach der ihm eigenthümlichen Regel be - handelt werden. Ganz entſcheidend aber für die Richtig - keit der hier aufgeſtellten Behauptung ſcheint mir der Umſtand, daß bey der Concurrenz der Aquiliſchen mit einer Contractsklage von allen alten Juriſten ohne Ausnahme anerkannt wird, die Aquiliſche könne nach der andern Klage höchſtens noch auf das amplius angeſtellt werden; ſo weit ſie auf reine Entſchädigung gehe, ſey ſie abſor - birt (§ 233). Was ſie nun für dieſen Fall als unzwei -250Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.felhaft anerkennen, müſſen ſie nothwendig auch gelten laſ - ſen, bey der Concurrenz der Aquiliſchen Klage mit der a. vi bonorum raptorum oder arborum furtim caesarum, für denjenigen Beſtandtheil der beiden concurrirenden Kla - gen, welcher die reine Entſchädigung zum Gegenſtand hat. In dieſer Einſchränkung liegt gewiſſermaßen eine An - näherung an die Meynung des Paulus, und zugleich eine neue Erklärung der Entſtehung dieſer Meynung. Indem nämlich Paulus bey ſeinen Gegnern dieſe Einſchränkung nicht ausgedrückt ſah, und doch das Bedürfniß derſelben empfand, kam er dahin, ſie nicht nur auszudrücken, ſon - dern nun auch zu übertreiben, indem er ſie ſelbſt auf die reine Strafe in zwey verſchiedenen Klagen anwendete, wohin ſie allerdings nicht gehört.

Der in dieſem §. abgehandelte Fall der Colliſion zwi - ſchen mehreren Strafgeſetzen darf nicht verwechſelt wer - den mit einer anderen Colliſion dieſer Art, die mit je - ner nur eine äußerliche Ähnlichkeit hat. Wir ſetzten hier voraus das vereinigte Daſeyn mehrerer Delicte in einer und derſelben materiellen Handlung. Nun kommt es aber auch häufig vor, daß für daſſelbe Vergehen oder Verbrechen mehrere Strafgeſetze aus verſchiedenen Zeiten vorhanden ſind, und es entſteht, eben ſo wie bey der Klagenconcurrenz, die Frage, ob die in jenen Geſetzen enthaltenen Strafen vereinigt werden ſollen, oder ob nur eine derſelben anzuwenden iſt. Das Princip, welches oben251§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)für die Concurrenz aufgeſtellt wurde, paßt auf dieſen Fall gar nicht, ja es läßt ſich für denſelben gar kein Princip aufſtellen, da Alles auf den wahren Sinn des neueſten Strafgeſetzes ankommt, welcher ſehr verſchieden ſeyn kann. Gewöhnlich wird das neueſte Geſetz dazu beſtimmt ſeyn, an die Stelle der früheren zu treten, und alſo allein zu gelten, ſo daß darin keine Colliſion mit älteren Geſetzen, ſondern die Abſchaffung derſelben, enthalten iſt. Dieſer Fall wird vorausgeſetzt in einem Senatsſchluß, welcher verbot: ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus fieret(gg)L. 14 de accus. (48. 2), ſ. o. § 231. b. ; daſſelbe kommt auch bey manchen Privatde - licten vor(hh)Über körperliche Beſchädi - gungen beſtanden ältere Geſetze, die durch die Einführung der L. Aquilia aufgehoben wurden. L 1 pr. ad L. Aquil. (9. 2.). Das furtum manifestum wurde nach dem älteren Recht mit der Addi - ction beſtraft; der Prätor führte eine Privatſtrafe (des vierfachen Werthes) ein, und dadurch wurde jene harte Strafe aufgehoben. Ga - jus III. § 189. IV. § 111.. Bey mehreren Privatdelicten erſcheint da - gegen der ganz andere Fall, daß ſpäterhin auch eine An - klage auf öffentliche Strafe zugelaſſen wurde, jedoch ſo daß nicht beide Strafen zugleich gelten ſollten, ſondern nur eine derſelben, und zwar nach der Wahl des Verletzten(ii)Im Allgemeinen ſpricht von dieſem Wahlrecht L. 3 de priv. delictis (47. 1.).. Dieſes ſehr zweckmäßige Wahlrecht wurde beſonders ge - ſtattet bey dem Diebſtahl(kk)L. 56 § 1 L. 92 de fur - tis (47. 2.)., und bey der Injurie(ll)§ 10 J. de injur. (4. 4 ), L. 35. 45 de injur. (47. 10.). Schon früher galt im Fall des libellus daſſelbe Wahlrecht zwi - ſchen der Privatklage und dem für dieſen Fall zuläſſigen publicum judicium. L. 6 de injur. (47. 10.).. 252Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Allein ganz allgemein war dieſes Wahlverhältniß zwiſchen öffentlicher und Privatſtrafe nicht; die Publicanen ſollten für ihre Delicte eine Privatſtrafe erleiden, und daneben ſollte noch eine öffentliche Strafe eintreten(mm)L. 9 § 5 de publicanis (39. 4.). Quod illicite .. ex - actum est, cum altero tanto passis injuriam exsolvitur: per vim vero extortum cum poe - na tripli restituitur: amplius extra ordinem plectuntur. Al - terum enim utilitas privatorum, alterum vigor publicae disci - plinae postulat. Der Grund lag alſo hier in dem beſonderen Verhältniß, worin die Publicanen zum Staate ſtanden..

§ 235. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrachtungen.

Bisher iſt die Regel ausführlich dargeſtellt worden, daß, in den Fällen wahrer Concurrenz, eine früher ge - brauchte Klage die ſpätere ausſchließt, und zwar bald ganz (§ 232), bald nur theilweiſe (§ 233). Es iſt nun - mehr zu unterſuchen, Was eigentlich in der früheren Klage dieſe zerſtörende Kraft hat, und durch welche Rechts - formen der Zweck dieſer Zerſtörung bewirkt wird. Bei - des hatte im älteren Recht viele Verwicklungen und Schwie - rigkeiten, iſt aber im neueſten Recht ſehr einfach geworden.

Die erſte Frage iſt leicht zu beantworten aus dem oben für die Concurrenz aufgeſtellten Grundſatz, daß das ſchon Erlangte nicht mehr mit einer Klage gefordert wer - den kann (§ 231. 232).

(ll) Im heutigen Recht iſt dieſe Wahl noch weiter ausgedehnt auf Abbitte, Ehrenerklärung, oder Wi - derruf.

253§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer - ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution, oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung der Klage und des Urtheils.

Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem rechtskräftigen Urtheil als ſolchem(a)Manche haben für das Ju - dicat das Gegentheil behauptet, weil ja nun der Kläger durch die actio judicati das ſichere Mittel der Befriedigung habe, welches der Befriedigung ſelbſt gleich gelte. Donellus § 8. Dieſes iſt nun offenbar unrichtig, wenn die con - currente Klage gegen einen Andern als den zuerſt Verurtheilten ange - ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge - meinſchaftlich betrogen haben, wes - halb die doli actio gegen Jeden in solidum geht), da der Verur - theilte inſolvent ſeyn kann. Aber auch bey demſelben Beklagten iſt kein Grund vorhanden, dem bloßen Judicat jene Kraft zur Ausſchlie - ßung einer concurrenten Klage ein - zuräumen, da es in der Macht des Verurtheilten ſteht, das Judicat freywillig zu erfüllen, in welchem Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt. Auch ſelbſt wo die alte Prozeß - conſumtion eintrat, reichte doch die exc. rei judicatae nicht wei - ter, als ſchon vorher die exc. rei in judicium deductae. Es gilt alſo hierin durchaus derſelbe Grund, aus welchem die Auflöſung des Pfandrechts vermittelſt der Verur - theilung des Schuldners verneint wird. L. 13 § 4 de pign. act. (13. 7.). Nec per hoc videtur satisfactum creditori, quod ha - bet judicati actionem. Thi - baut S. 156 vertheidigt auch die hier aufgeſtellte Meynung, aber mit einem nicht befriedigenden Grund., ſo lange aus die - ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt.

Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge - genſatz in folgenden Worten aus: perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non254Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.electione; solutione, non litiscontestatione; ut magis eos perceptio, quam intentio liberet(b)L. 4 de his qui effud. (9. 3. ), L. 7 § 4 quod falso (27. 6. ), L. 18 § 3 de pec. const. (13. 5. ), L. 32 pr. de pecul. (15. 1. ), L. 35 § 1 loc. (19. 2.)..

Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt jedoch nur unter folgenden Einſchränkungen als wahr anzunehmen.

Erſtlich war er durch die alte Prozeßconſumtion ver - drängt, da wo unter den Obligationen mehrerer Schuld - ner wahre Identität vorhanden war, insbeſondere bey Cor - realſchuldnern, wohin auch der Bürge neben dem Haupt - ſchuldner gehörte (§ 232. t.). War in einem ſolchen Fall der eine verklagt, ſo wurde durch die Litisconteſtation dieſe ganze Obligation conſumirt, ſo daß weder gegen den - ſelben Schuldner die Klage wiederholt, noch gegen den Mitſchuldner die concurrente Klage (die ja auch nur die - ſelbe war) angeſtellt werden konnte, ſelbſt wenn der zuerſt Verklagte inſolvent ſeyn mochte, wodurch alſo dieſes Ver - hältniß für den Glaubiger ſehr gefährlich werden konnte(c)In dieſen Fällen alſo wurde, im directen Widerſpruch mit den oben im Text (bey Note b) mit - getheilten Ausdrücken, geſagt: pe - titione unius, tota solvitur ob - ligatio; si ex altera earum egerit, utramque consumet cum altera earum in judicium deduceretur, altera consume - retur. L. 2 de duob. reis (45. 2. ), L. 16 eod., L. 5 in f. de fide - juss. (46. 1.). Solche einzelne Spuren des früheren Rechtszu - ſtandes haben ſich in die Digeſten freylich nur aus Unachtſamkeit der Compilatoren verirrt.. Gegen dieſe aller Billigkeit widerſtrebende Härte ſuchte man ſich oft durch beſondere Verträge zu ſchützen(d)Z. B. indem der Bürge nicht dieſelbe Summe wie der Haupt - ſchuldner verſprach, ſondern in die - ſer Formel verpflichtet wurde: quanto minus ab illo consequi potero, dare spondes? L. 116 de V. O. (45. 1.). Nun ſtanden; in255§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)anderen Fällen ſchützte dagegen der Prätor durch Reſtitu - tionen und manche andere Mittel(e)Keller Litisconteſtation § 61 fg.. Was aber ſo künſt - liche Gegenwehr nöthig machte, zeigte ſich dadurch, auch dem Princip nach, als mangelhaft. Und ſo verdient Ju - ſtinian gewiß Lob, indem er das Princip für die Haupt - fälle, nämlich für die Correalſchuldner, und eben ſo für die Bürgen neben dem Hauptſchuldner, völlig aufhob(f)L. 28 C. de fidejuss. (8. 41.). Ganz conſequent heißt es nunmehr in Juſtinians Inſtitu - tionen: alter debitum accipien - do, vel alter solvendo, totam perimit obligationem et omnes liberat. § 1 J. de duob. reis (3. 16.). Daraus iſt auch in L. 8. § 1 de leg. 1. (30. un. ), als au - genſcheinliche Interpolation, der Zuſatz entſtanden: et solutum. Ribbentrop S. 42.. Die übrigen Fälle identiſcher Obligationen hat er nicht ausdrücklich erwähnt, es iſt aber kein Zweifel, daß bey ihnen, eben ſo wie in jenen Fällen, die alte Strenge ver - ſchwinden ſollte(g)In den Fällen bloßer So - lidarität, und in den noch ent - fernteren Fällen gemeinſchaftlicher Haftung § 232, galt jenes ſtrenge Princip auch in der früheren Zeit niemals. L. 1 § 43 depos. (16. 3 ), L. 52 § 3 de fidejuss. (46. 3 ), L. 23 C. eod. (8. 41.). Bey der constituta pecunia war die An - wendbarkeit beſtritten (§ 231. g.). Übrigens kommt die auf wahre Identität der Obligation gegrün - dete Prozeßconſumtion zwar am häufigſten und reinſten bey meh - reren Schuldnern oder mehre - ren Glaubigern vor, ſie findet ſich aber doch auch zwiſchen denſelben Perſonen, und hat dann dieſelbe Wirkung der Prozeßconſumtion. So z. B. in L. 1 § 21 tutelae (27. 3.). In tutela ex una obligatione duas esse actiones constat rel. Es hat keinen Zweifel, daß auch für dieſe Fälle die Prozeßconſum - tion wegfallen muß. Vgl. oben § 232. l. . Ja, wer etwa Dieſes aus buchſtäb - licher Ängſtlichkeit bezweifeln wollte, weil es nicht aus - drücklich geſagt iſt, müßte doch durch den Umſtand völlig(d)nicht beide in einer identiſchen Ob - ligation.256Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.beruhigt werden, daß das Princip der Prozeßconſumtion ſelbſt, worauf ſich die Aufhebung bezog, aus dem Juſti - nianiſchen Recht durch bloßes Stillſchweigen vertilgt worden iſt, ſo daß wir ſein früheres Daſeyn und ſeine wichtige Bedeutung nur erſt durch Gajus erfahren haben.

Zweytens giebt es mehrere Rechtsverhältniſſe, in wel - chen dem Berechtigten geradezu ein Wahlrecht zwiſchen mehreren Klagen gegeben iſt, ſo daß in der That durch die bloße Anſtellung der einen Klage, ohne Rückſicht auf den Erfolg, die andere abſorbirt iſt. Dieſe Fälle haben alſo eine äußere Ähnlichkeit, ſowohl mit der alten Pro - zeßconſumtion, als mit der Klagenconcurrenz; dennoch ſind ſie von beiden weſentlich verſchieden. Bey den allermeiſten Fällen dieſer Art iſt die Grundverſchiedenheit ſchon da - durch unverkennbar, daß die der Wahl überlaſſenen Kla - gen auf ganz verſchiedene Objecte gerichtet ſind, ſo daß es vielmehr eine Wahl zwiſchen mehreren Rechten, als zwiſchen Klagen, genannt werden muß. Dieſe Fälle ha - ben eine ganz iſolirte Natur, und beruhen auf keinem ge - meinſamen Princip, namentlich nicht auf dem hier darge - ſtellten Princip der Concurrenz. Sie hier zu erwähnen, iſt deswegen nöthig, damit der nicht ſeltenen Einmiſchung derſelben in die Lehre von der Concurrenz, wohin ſie nicht gehören, vorgebeugt werde. Indem ich ſie hier in einer Überſicht zuſammenſtelle, will ich für die Vollſtändigkeit dieſer Aufzählung nicht einſtehen.

1) Wenn bey einem, unter der lex commissoria ge -257§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſchloſſenen Kauf, der Zahlungstag nicht eingehalten iſt, ſo hat der Verkäufer die Wahl, mit der actio venditi ent - weder das Kaufgeld einzuklagen, oder aus dem Neben - vertrag die Sache zurück zu fordern. Stellt er die eine dieſer Klagen an, ſo kann er nicht mehr zu der anderen zurück kehren(h)L. 7 de lege comm. (18. 3.).. Hier iſt es ſogar die gleichnamige Klage, womit er beide Anſprüche verfolgt; aber dieſe An - ſprüche haben nicht nur einen verſchiedenen Inhalt, ſon - dern ſie ſtehen zu einander in einem widerſprechenden, alſo ausſchließenden, Verhältniß.

2) Ganz Daſſelbe gilt von der Wahl zwiſchen der a. redhibitoria und quanti minoris(i)L. 18 pr. L. 19 § 6 de aedil. ed. (21. 1 ), L. 25 § 1 de exc. rei jud. (44. 2.)..

3) Eben ſo, wenn Sklaven ihrem Herrn Geld ſtehlen, und einem Dritten (der darum weiß) Auftrag geben, Sa - chen dafür zu kaufen; der Herr hat die Wahl, entweder die Klagen aus dem Diebſtahl gegen den Dritten anzu - ſtellen, oder den Kauf zu genehmigen, und mit der ihm durch ſeine Sklaven erworbenen a. mandati die gekauften Sachen zu fordern(k)L. 1 C. de furtis (6. 2.)..

4) Bey einem Teſtament mit der Codicillarclauſel hat der Eingeſetzte die Wahl zwiſchen der hereditatis petitio und der Fideicommißklage(l)L. ult. C. de codicillis (6. 36.).; auch hier ſind es zwey Rechte, die ſich gegenſeitig ausſchließen.

5) Wer Geld zahlt, um ſich von einem ungerechtenV. 17258Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Prozeß loszukaufen, hat die Wahl zwiſchen der Condiction auf das gegebene Geld, und der Strafklage auf den vier - fachen Werth(m)L. 5 § 1 de calumn. (3. 6. ), Eine andere Anomalie bey derſel - ben Strafklage iſt ſchon oben be - merkt worden § 230. d. . Beide Objecte ſind völlig verſchieden und könnten ſehr wohl neben einander beſtehen.

6) Wenn der Commodatar die geliehene Sache ſtehlen läßt, ſo hat der Eigenthümer die Wahl zwiſchen der a. commodati und der furti actio gegen den Dieb(n)L. 20 C. de furtis (6. 2 ), § 10 J. de obl. quae ex del. (4. 1.).; beide Objecte ſind hier völlig verſchieden.

7) Der Legatar hat die Wahl zwiſchen einer Klage in rem und in personam(o)L. 76 § 8 de leg. 2 (31. un. ), L. 84 § 13 de leg. 1 (30. un.). ; die Rechte ſelbſt ſind zu - nächſt ganz verſchieden, obgleich der letzte Zweck und Er - folg derſelbe iſt.

8) Wird einem Reiſenden eine Sache in einem Gaſt - hauſe geſtohlen, ſo hat Derſelbe die Wahl zwiſchen der a. de receptis und der Klage gegen die Thäter, ſo daß durch die bloße Wahl ſowohl die Condiction, als die furti actio ausgeſchloſſen iſt(p)L. 3 § 5 L. 6 § 4 nautae (4. 9 ), L. 1 § 3 furti adv. nau - tas (47. 5.). Nach allgemeinen Grundſätzen müßte die Klage ge - gen den Wirth und die furti actio neben einander gelten (§ 234); ihr Verhältniß zu der Condiction ge - gen den Dieb müßte von dem Erfolg abhängen (§ 232.). Nach den oben angeführten Stellen kann jedoch der Wirth, wenn er belangt wird, Ceſſion der Klage gegen den Thäter verlangen.. Dieſes eigenthümliche Ver - hältniß gründet ſich wohl darauf, daß die a. de receptis nur als eine ſehr durchgreifende, über allgemeine Rechts -259§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)grundſätze hinaus gehende, Maasregel zu betrachten iſt(q)L. 1 § 1 L. 3 § 1 nautae (4. 9.)..

§. 236. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrachtungen. (Fortſetzung.)

Es iſt oben beſtimmt worden, in welchen Fällen und bis zu welchen Gränzen eine Klage durch den Erfolg einer andern Klage ausgeſchloſſen werden ſoll (§ 232. 233), und es bleibt dabey noch übrig zu unterſuchen, durch welche Rechtsformen jene Ausſchließung bewirkt werde.

Hierin iſt folgende Verſchiedenheit der Fälle zu beach - ten. In der kleineren Zahl von Fällen, worin die Con - currenz mehrerer Klagen auf einer wahren Identität der Obligation beruht (§ 232), muß jede Erfüllung, ſie mag freywillig, oder durch Klage erzwungen ſeyn, das Rechts - verhältniß ſelbſt vernichten, und zwar in Beziehung auf alle in demſelben ſtehende Perſonen; ohne Unterſchied, ob ſie ſelbſt die Erfüllung bewirkt haben oder nicht, und ob der Erfüllende an ſie dabey dachte oder nicht(a)§ 1 J. de duobus reis (3. 16 ), L. 3 § 1 eod. (45. 2.). Es iſt daſſelbe Princip, nach welchem auch eine einfache Schuld und Klage ipso jure zerſtört wird, ohne Unterſchied ob der Schuld - ner ſelbſt, oder für ihn ein Ande - rer, die Zahlung leiſtet. L. 23. 53 de solut. (46. 3.).. Wenn alſo ein Bürge zahlt, ſo iſt es genau ſo, als wenn der Hauptſchuldner gezahlt hätte, und umgekehrt, weil nur eine einzige Schuld auf Beide gemeinſchaftlich ſich bezog. 17*260Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt - lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden, wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor - den iſt.

Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man - nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil - weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be - friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer - den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be - zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in factum genannt wird.

Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des Gajus allgemein ausſpricht(b)L. 57 de R. J. (50. 17.).: Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.

Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge - meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei -261§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſtete Erfüllung jede vorhandene Obligation an ſich ver - nichtet hat, da bedarf es dieſer Zuflucht zu der bloßen aequitas nicht; wo aber der Erfolg der ſchon gebrauchten Klage für die noch übrige nur eine indirecte Befriedigung darbietet, da iſt das angeführte Princip für die richtige Behandlung der Klagenconcurrenz entſcheidend(c)Dieſe Bemerkung iſt gut ausgeführt von Göſchen Vorle - ſungen I. § 158. 159..

In der Anwendung dieſes Grundſatzes findet ſich fol - gender, in der allgemeinen Natur der Klagen gegründeter Unterſchied. Wenn die noch übrige Klage zu den ſtrengen Klagen gehörte, ſo mußte die Exception in der Formel ausgedrückt ſeyn, damit ſie der Judex berückſichtigen durfte; war es dagegen eine freye Klage (arbitrium), ſo war die Aufnahme der Exception zwar auch zuläſſig, auch ſtets ſicherer, aber nicht nothwendig, indem der Arbiter auch die nicht ausgedrückte Exception beachten durfte und muß - te(d)Beylage XIII. Num. IV. . In den Fällen dieſer letzten Art ſagen zuweilen die alten Juriſten, hier wie anderwärts, daß die Wir - kung ipso jure eintrete, welcher Ausdruck freylich für ſolche Fälle nicht genau iſt, und eigentlich nur ſagen will, ſie ſey unabhängig von der Thätigkeit oder Unthätigkeit des Prätors, die bloße Überzeugung des Judex ſey dazu völlig ausreichend.

Nach dieſen Erörterungen werden folgende Anwendun - gen keine Schwierigkeit darbieten.

Bey der Concurrenz der a. venditi mit der Stipula -262Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tionsklage ſoll jene, wenn ſie zuletzt angeſtellt wird, ipso jure ausgeſchloſſen ſeyn, dieſe in gleichem Fall nur per exceptionem(e)L. 28 de act. emti (19. 1.)..

Ganz derſelbe Unterſchied wird gemacht wenn die con - dictio furtiva mit der a. commodati concurrirt(f)L. 71 pr. de furtis (47. 2), vgl. oben § 232. h. L. 34 § 1 de O. et A. (44. 7. ) altera actio alteram perimit, aut ipso jure, aut per exceptionem, quod est tutius. Das heißt: die Condiction iſt nur per ex - ceptionem ausgeſchloſſen, die a. commodati ipso jure, nämlich auch ohne ausgedrückte doli ex - ceptio; jedoch iſt es auch bey die - ſer letzten ſicherer, die Exception in der Formel auszudrücken..

Über die Concurrenz der a. doli und quod metus causa wird geſagt, daß jede derſelben, wenn ſie nach der ande - ren gebraucht werde, durch eine facti exceptio auszu - ſchließen ſey(g)L. 14 § 13 quod metus (4. 2.).. Hier wird alſo der Gebrauch der Ex - ception anerkannt, obgleich beide Klagen arbitria ſind.

Wenn in den Fällen einer ſolchen Concurrenz die freye Klage zuerſt angeſtellt wurde, ſo entſtand die Gefahr, daß bey der künftigen Anſtellung der ſtrengen Klage die Ex - ception vergeſſen, und dadurch das Princip der aequitas verletzt werden möchte. Deswegen wurde von den alten Juriſten der Arbiter angewieſen, gleich bey der freyen Klage nicht eher zu condemniren, als bis der Kläger auf die noch übrige ſtrenge Klage verzichtete(h)L. 25 § 5 L. 43 loccti (19. 2 ), L. 7 § 1 commod. (13. 6 ), L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).. Es iſt nur ein anderer Ausdruck für dieſelbe Regel, wenn zuweilen geſagt wird, der Kläger ſolle caviren, daß nicht Daſſelbe263§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)nochmals werde eingeklagt werden(i)L. 36 § 2 de her. pet. (5. 3 ), L. 13 de rei vind. (6. 1.).. Darunter iſt blos eine Stipulation auf dieſe Unterlaſſung zu verſtehen; an Bürgen oder Pfänder iſt bey jenem Ausdruck nicht zu denken.

Die hier erwähnten formellen Unterſchiede und Schwie - rigkeiten waren eigentlich ſchon zu Juſtinians Zeit weg - gefallen, da keine formulae mehr vorkamen. Allein auch ſchon in der früheren Zeit gab es ein einfaches Mittel, jenen Nachtheilen vorzubeugen, wenn nämlich alle Klagen zugleich angeſtellt wurden, da denn der Judex das Princip der Concurrenz gleich bey der erſten Anſtellung der Klage anzuwenden genöthigt war(k)Ganz ſo ſollte es auch ſchon im alten Prozeß in dem ſehr ähnlichen Fall gehalten werden, wenn der Kläger ungewiß war, ob von zweyen Klagen die eine oder die andere begründet ſeyn möchte. L. 1 § 4 quod legat. (43. 3.). Vgl. Donellus § 7.. In unſrem heutigen Prozeß findet ſich dieſe Auskunft von ſelbſt, wenn nur der Kläger die Unvorſichtigkeit vermeidet, ſeinen Antrag mehr als nöthig zu beſchränken; denn nun muß der Richter aus allen etwa begründeten Klagen dasjenige Reſultat bilden, welches aus dem oben vorgetragenen Princip der Concur - renz hervorgeht.

Die Einſchränkungen, welche hier durch das Princip der Concurrenz für die Klagen aufgeſtellt worden ſind, laſſen ſich auch denken in Anwendung auf die Excep -264Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tionen, und es fragt ſich, ob ſie hier auf dieſelbe Weiſe wie bey den Klagen behauptet werden können. Es ergiebt ſich aber hier ſogleich der große Unterſchied, daß die bey den Klagen eintretende Gefahr, die durch das Princip der Concurrenz abgewendet werden ſollte, bey den Exceptionen von ſelbſt verſchwindet. Dieſe Gefahr beſtand bey den Klagen in der mehrfachen Erreichung deſſelben Zwecks, der nur einfach eine rechtliche Begründung haben kann. Bey den Exceptionen iſt dieſe Gefahr deshalb nicht vor - handen, weil ſie ſtets nur einen und denſelben negativen Zweck haben, die Abweiſung der Klage, welcher Zweck ſeiner Natur nach nur einmal erreicht werden kann. Da - her iſt es denn auch anerkannt, daß Exceptionen neben anderen Exceptionen, ſo wie neben der abſoluten Vernei - nung, allerdings zuläſſig ſind(l)L. 43 pr. de R. J. (50. 17), vgl. oben § 232. a. b. c. L. 5.8.9 de except. (44. 1.).. Die Zweifel, die bey manchen Fällen ſolcher gehäuften Vertheidigungsmittel ent - ſtehen, haben einen ganz anderen Grund, nämlich die wi - derſprechende Natur des Inhalts mancher dieſer Mittel. Die Erörterung dieſer Frage aber gehört lediglich in die Prozeßlehre, nicht in die Theorie des materiellen Rechts.

265§. 237. Klagverjährung. Einleitung.

§. 237. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Einleitung.

Quellen:

  • Inst. IV. 12.
  • Dig. XLIV. 3.
  • Cod. Iust. VII. 36 40.
  • Novellae Iust. IX. CXI. CXXXI. C. 6.
  • Gajus IV. § 110. 111.
  • Cod. Theod. IV. 14.

Schriftſteller:

  • Giphanii explanatio Codicis, ad L. 3 C. de praescr. XXX. P. 2. p. 245 258.
  • Jac. Ravii princ. doctrinae de praescriptionibus ed. 3. Halae 1790
    (a)Die erſte Ausgabe iſt von 1766. Das Buch iſt merkwürdig, theils als ein Zeichen der in ſeiner Zeit herrſchenden höchſt geſchmackloſen und unkritiſchen Methode, theils wegen des nicht geringen Einfluſ - ſes, welchen es lange Zeit aus - geübt hat.
    (a), § 126 152. § 165.
  • Thibaut Beſitz und Verjährung Jena 1802 § 38 56.
  • Unterholzner Verjährungslehre B. 1. 2. Leipzig 1828.
  • Göſchen Vorleſungen B. 1 § 148 155.
  • Kierulff Theorie B. 1 S. 189 215.

Wenn ein Klagrecht dadurch untergeht, daß der Klag - berechtigte daſſelbe innerhalb eines gewiſſen Zeitraums auszuüben unterläßt, ſo heißt dieſe Aufhebung des Rechts266Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre - tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab - ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt, wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt - geſtellt werden.

Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts - inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor - kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr - liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme - nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke, ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig267§. 237. Klagverjährung. Einleitung.angenommenen Begriffe aber beſteht darin, wenn man ihnen nicht blos eine hypothetiſche Bedeutung beylegt, bey welcher die wirkliche Anwendung einſtweilen dahin geſtellt bleiben kann, ſondern ſie ſelbſt unvermerkt in den grund - falſchen Rechtsſatz umwandelt, daß alle Rechte überhaupt durch fortwährend verſäumte Ausübung untergehen ſol - len(b)Vgl. über dieſe in mannich - faltiger Weiſe ausgebildeten Irr - thümer oben B. 4 § 178.. Die Vertheidiger dieſer irrigen Lehre pflegen dann wohl einzelne, ſeltene Fälle als Ausnahmen ihrer grundloſen Regel zu behandeln, zu deren Bezeichnung der ganz entbehrliche Kunſtausdruck res merae facultatis er - funden worden iſt(c)B. 4 § 199. S. 515..

Die Klagverjährung iſt ein ganz poſitives Rechtsinſti - tut, ſo wie jede Umbildung der Rechtsverhältniſſe, zu de - ren Bedingungen ein Zahlenverhältniß (hier der Ablauf eines beſtimmten Zeitraums) gehört. Die Gründe ihrer Einführung, die auf verſchiedene Weiſe angegeben werden, ſpielen meiſt in einander über, und ſind großentheils der Erſitzung mit der Klagverjährung gemein(d)Von dieſen Gründen der Einführung iſt ſchon oben im All - gemeinen die Rede geweſen, B. 4 § 177. S. 305 307. Es mußte aber an dieſer Stelle genauer dar - auf eingegangen werden..

Der allgemeinſte und entſcheidendſte Grund, gleich an - wendbar auf die Klagverjährung, wie auf die Erſitzung, liegt in dem Bedürfniß, die an ſich ungewiſſen, des Strei - tes und Zweifels empfänglichen, Verhältniſſe des Rechts268Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und des Vermögens dadurch feſtzuſtellen, daß die Un - gewißheit in beſtimmte Zeitgränzen eingeſchloſſen wird(e)Dieſer Grund hat zufällig nicht bey der Klagverjährung, wohl aber bey der Erſitzung, häufige Anerkennung gefunden. Cicero pro Caecina C. 26 usucapio fundi, h. e. finis solicitudinis ac periculi litium. Gajus II. § 44 ne rerum dominia diu - tius in incerto essent. Eben ſo derſelbe Gajus in L. 1 de usurp. (41. 3. ), und Neratius in L. 5 pr. pro suo (41. 10.)..

Ein zweyter Grund der Einführung liegt in der Prä - ſumtion der Tilgung desjenigen Rechts, welches durch die Klage verfolgt werden ſoll; jedoch kann dieſer an ſich wahre und wichtige Grund leicht misverſtanden werden. Der Sinn dieſer Präſumtion beſteht in der Unwahrſchein - lichkeit, daß der Berechtigte ſeine Klage ſo lange verſäumt haben würde, wenn nicht das Recht ſelbſt auf irgend eine, jetzt nur nicht erweisliche, Art wirklich aufgehoben wor - den wäre(f)Die Art dieſer Aufhebung bleibt alſo völlig dahin geſtellt, ſie kann in Zahlung, Compenſa - tion, Novation u. ſ. w. beſtanden haben, oder auch in einem Erlaß - vertrag. Dieſe letzte Möglichkeit kann als die ſehr beſchränkte, re - lative Wahrheit in derjenigen An - ſicht eingeräumt werden, nach wel - cher die Dereliction Grund der Verjährung ſeyn ſoll. Vgl. oben B. 4 S. 307. Eben wegen die - ſer ſehr häufigen Unbeſtimmtheit in den einzelnen Anwendungen der Klagverjährung, und weil über die Fortdauer des Rechtsverhältniſſes der Beklagte ſelbſt völlig in Unge - wißheit ſeyn kann (beſonders wenn er der Erbe des urſprünglichen Schuldners iſt), iſt es auch gar nicht inconſequent, die Einrede der Verjährung neben irgend einer an - dern Art der Vertheidigung, ſelbſt neben der abſoluten Verneinung, geltend zu machen.. Dieſe Unwahrſcheinlichkeit iſt nun eigentlich nur für die mit langen Zeiträumen verſehenen Verjährun - gen zu behaupten; ſie iſt recht paſſend eigentlich nur bey perſönlichen Klagen, und zwar vorzugsweiſe bey Klagen269§. 237. Klagverjährung. Einleitung.auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird. Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere, gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides - delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl - thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin, daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt - ſtändige Veränderung bewirkt. Eine ähnliche Präſum - tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti - tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be - wieſen werden kann.

Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts -270Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quellen wird darauf deutlich hingewieſen(g)L. 2 C. de ann. exc. (7. 40.). Ut sit aliqua inter desides et vigilantes differen - tia .. L. 3 C. eod. cum con - tra defides homines, et sui ju - ris contemtores, odiosae ex - ceptiones oppositae sunt. L. un. § 5 C. Th. de act. certo temp. (4. 14.). Verum ne qua otioso nimis ac defidi queri - monia relinquatur . Dennoch darf dieſer Ausdruck nicht in dem gewöhnlichen Sinn einer Strafe verſtanden werden, da die Nachläſſigkeit, welche nicht anderen Perſonen ſchadet, überhaupt nicht ſtrafbar iſt, und da beſonders die Klage oft aus ſchonen - der Nachſicht gegen den Schuldner verſchoben wird, worin doch gewiß Niemand eine Verletzung Deſſelben finden kann. Jener Ausdruck iſt aber überhaupt nicht als poſitiver Grund der Klagverjährung anzuſehen, ſondern als Recht - fertigung derſelben gegen den Vorwurf der Härte und Un - gerechtigkeit. Der im gemeinen Wohl liegende poſitive Grund iſt bereits angegeben worden; daß man Dieſen geltend machen darf, ohne dem Recht des Klägers zu nahe zu treten, folgt aus der hinreichenden Zeit, die Demſelben zur Ausübung ſeines Klagrechts geſtattet iſt. Es wird alſo jedem Klagberechtigten zugemuthet, dem gemeinen Wohl nicht ſein Recht zum Opfer zu bringen, ſondern nur ſeine Unthätigkeit. Unterläßt er Dieſes, ſo hat er den eintretenden Verluſt ſich ſelbſt zuzuſchreiben, welcher Her - gang nun eben als Strafe ausgedrückt wird. Dieſer Zu - ſammenhang der Gedanken wird in unſren Rechtsquellen ſehr beſtimmt anerkannt bey der Erſitzung, deren Rechtfer - tigung völlig auf dem gleichen Grunde beruht, alſo auch271§. 237. Klagverjährung. Einleitung.hier benutzt werden kann(h)L. 1 de usurp. (41. 3. ) cum sufficeret dominis ad in - quirendas res suas statuti tem - poris spatium. Eben ſo Ga - jus II. § 44. Dieſes Motiv ſteht in weſentlichem Zuſammenhang mit dem vorhergehenden. Denn die Präſumtion der Tilgung iſt nicht ſo zu denken, als ob die lange Zeit an ſich ſelbſt die Tilgung wahrſcheinlich machte, ſondern ſo daß die große Nachläſſigkeit des Berechtigten, in ſo langer Zeit die Verfolgung des Rechts zu unter - laſſen, wenn es ſtets fortgedauert hätte, nicht vermuthet werden kann.. Obgleich nun alſo in dieſer ſogenannten poena negligentiae nicht ſowohl der poſitive Grund der Klagverjährung zu ſuchen iſt, als die Abwehr eines möglichen Vorwurfs, ſo iſt ſie dennoch von dem größten Einfluß auf die einzelnen Beſtimmungen die - ſes Rechtsinſtituts, indem es ſich zeigen wird, daß überall vorzügliche Rückſicht zu nehmen iſt auf die für den Be - rechtigten vorhandene Möglichkeit, den Nachtheil der Ver - jährung durch Aufmerkſamkeit zu vermeiden. Es iſt übri - gens einleuchtend, daß dieſer Rechtfertigungsgrund vorzüg - lich bey den langen Verjährungszeiten (z. B. von 30 Jahren) durchgreifende Wahrheit hat; bey den prätoriſchen Annal - klagen, ſo wie bey der einjährigen Uſucapion des ältern Rechts, erſcheint er weniger überzeugend.

Ein wichtiger Grund der Klagverjährung, der bey der Erſitzung nicht eben ſo vorkommt, liegt endlich darin, daß die Anſtellung der Klage in der Willkühr des Klägers liegt, daß er es alſo in ſeiner Macht hat, durch lange Verzögerung derſelben, die Vertheidigung des Beklagten zu erſchweren, indem die Beweismittel ohne des Beklag - ten Schuld untergehen können, z. B. durch den Tod der272Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vorhandenen Zeugen. Die Beſchränkung dieſer einſeitigen Macht des Klägers, die auf unredliche Weiſe misbraucht werden kann, iſt vorzüglich zu beachten.

Endlich giebt man auch noch als Zweck der Klagver - jährung an die Verminderung der Prozeſſe(i)Eine Erwähnung davon, nicht bey der Klagverjährung, aber doch bey einem verwandten Inſti - tut, findet ſich in L. 2 pr. de aqua pluv. (39. 3.) .. vetustas quae semper pro lege habe - tur, minuendarum scilicet li - tium causa. . So ma - teriell nun, als ob die bloße Herabſetzung der Anzahl ein wünſchenswerthes Gut wäre, darf dieſer Grund gewiß nicht aufgefaßt werden, da die Abwendung gerechter Pro - zeſſe gar nicht wünſchenswerth iſt. Das Wahre aber in jenem Grunde liegt darin, daß allerdings durch die Ver - jährung viele Klagen abgehalten werden, die entweder ohnehin, aber mit mehr Mühe und Koſten, als unbegrün - det anerkannt werden müßten, oder ſogar, welches das größere Übel iſt, zu einer ungerechten Verurtheilung wegen fehlender Beweiſe führen würden.

Die Klagverjährung gehört unter die wichtigſten und wohlthätigſten Rechtsinſtitute(k)Cassiodori Var. V. 37 Tricennalis autem humano ge - neri patrona praescriptio Sieht man von dem ſchülſtigen Ausdruck ab, der freylich bey die - ſem Schriftſteller nie fehlen kann, ſo liegt darin eine wahre Aner - kennung der praktiſchen Wichtigkeit dieſer Anſtalt.. In ihr haben ſich die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, vorzugsweiſe vor vielen anderen Inſtituten, in vollſtändiger Übung erhalten, und zwar nicht blos in den Ländern des gemeinen Rechts, ſondern auch da wo neue Geſetzbücher eingeführt ſind. 273§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.Denn in dieſen beſteht das Neue und Eigenthümliche meiſt nur in der Beſtimmung abweichender Verjährungsfriſten für viele Klagen, und Dieſes iſt für die Theorie gerade der minder erhebliche Gegenſtand.

§. 238. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Geſchichte.

Dem Begriff der Klagverjährung, welcher bisher nur auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt wurde (§ 237), iſt nun - mehr eine geſchichtliche Grundlage zu geben.

Lange Zeit war dieſes Inſtitut dem Römiſchen Recht ganz fremd. Erſt als die Prätoren in dem Edict häufig ganz neue Klagen einführten, knüpften ſie viele derſelben an die Bedingung, daß ſie innerhalb eines Jahres ange - ſtellt werden müßten (intra annum judicium dabo); darin lagen alſo einzelne Ausnahmen von der alten Regel der ewigen Dauer aller Klagrechte. Solche Ausnahmen wur - den dann auch bey einzelnen Civilklagen angenommen.

Eine etwas allgemeinere Geſtalt erhielt dieſes Rechts - inſtitut zuerſt in der longi temporis praescriptio. Gegen die Klagen aus dem Eigenthum oder einem jus in re (spe - ciales in rem actiones) ſollte eine Verjährung von zehen (zuweilen zwanzig) Jahren gelten, wenn der Beſitzer die Hauptbedingungen der Uſucapion (beſonders Titel und bona fides) nachweiſen konnte, ohne doch uſucapirt zu ha - ben; denn durch die Uſucapion wurde ihm freylich jede Exception entbehrlich. Eine Erweiterung erhielt dieſeV. 18274Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.longi temporis praescriptio unter Conſtantin, indem der Mangel des Titels und der bona fides durch eine längere Zeit des Beſitzes erſetzt werden ſollte; wie es ſcheint, war die Beſtimmung der Zeit ſchwankend zwiſchen 30 und 40 Jahren. Eine Ausdehnung auf andere Arten von Klagen lag jedoch hierin nicht, ſo daß namentlich die perſönlichen Klagen in der Regel noch immer unverjährbar blieben(a)Unterholzner I. § 17..

Das erſte Verjährungsgeſetz von durchgreifender All - gemeinheit wurde von Theodoſius II. im Jahre 424 erlaſ - ſen, welches in beide Conſtitutionenſammlungen (mit einiger Verſchiedenheit) übergegangen iſt(b)L. un. C. Th. de act. certo temp. fin. (4. 14. ), L. 3 C. J. de praescr. XXX. (7. 39.). Im Juſtinianiſchen Codex heißt die Inſeription: Honorius et Theodosius, welches unmöglich iſt, da Honorius ſchon 423 ſtarb. Im Theodoſiſchen Codex heißt es blos: Theodosius, welches völlig befriedigend ſeyn würde; allein ein anderes Stück deſſelben Ge - ſetzes (L. 7 C. Th. de cognitor. 2. 12. ) iſt überſchrieben: Theod. et Valent., welches auch zuläſ - ſig iſt, da Valentinian III. im J. 424 bereits zum Mitregenten be - ſtimmt war. In jedem Fall iſt Theodoſius II. der einzige Urheber des Geſetzes. Vgl. Unterholz - ner I. § 18. Wenck ad L. un. C. Th. cit. Zirardinus, Leges novellae Theodosii rel. p. 278.. Der Inhalt dieſes wichtigen Geſetzes, welches die Grundlage des ganzen Verjährungsrechts bildet, iſt hier genauer anzugeben. Es beſtätigt alle ſchon bisher geltende Klagverjährungen, ver - ordnet aber da wo es bisher an ſolchen fehlte, eine drey - ßigjährige Verjährung, nicht nur (wie ſchon bisher) für die speciales in rem actiones, ſondern auch für die here - ditatis petitio (de universitate), und zugleich, was das Wichtigſte war, für die perſönlichen Klagen. Ausdrück -275§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.lich ausgenommen wurde die actio finium regundorum. Dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex weggelaſſen, weil Juſtinian ſie in einer ſeiner Conſtitutionen aufgeho - ben hatte(c)L. 1 § 1 C de ann. exc. (7. 40. ), vgl. unten Note i. . Auch die Hypothekarklage gegen den Schuldner ſelbſt wurde indirect ausgenommen, und dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex beybehalten(d)L. 3 C. cit. Eodem etiam jure in ejus persona valente, qui pignus vel hypothecam non a suo debitore, sed ab alio, possidente nititur vindicare. Hier iſt das ſogenannte argumen - tum a contrario ganz unwider - legbar. Wahrſcheinlich lag bey dieſer Ausnahme die Anſicht zum Grunde, daß gar keine Verjährung anfangen könne, weil der Schuld - ner die verpfändete Sache mit dem Willen des Glaubigers beſitze., weil dieſer Gegenſtand ſpäter auf eigenthümliche Weiſe beſtimmt wurde. Alle jetzt ſchon vorhandenen Klagen ſollten gleichfalls der Vorſchrift der 30 Jahre unterworfen ſeyn, jedoch mit der Milderung, daß ihre Verjährungszeit wenigſtens Zehen Jahre, von der Verkündigung des Ge - ſetzes an gerechnet, betragen ſollte. Dieſe blos tranſito - riſche Beſtimmung wurde im Juſtinianiſchen Codex natür - lich weggelaſſen. Am zweifelhafteſten iſt das Verhältniß der den perſönlichen Zuſtand betreffenden Präjudicialklagen. Bey der Aufzählung derjenigen Klaſſen von Klagen, wo - für die neue Verjährung gelten ſoll, ſind ſie nicht mit ge - nannt(e)L. 3 C. cit. Sicut in rem speciales, ita de universitate, ac personales actiones Keine dieſer Bezeichnungen paßt auf die Präjudicialklagen., dagegen lautet der Schluß des Geſetzes ſo all - gemein, daß er auch auf ſie zu beziehen iſt(f)L. 3 C. cit. si qua res vel jus aliquod postuletur, vel persona qualicunque actione vel persecutione pulsetur. Un -.

18*276Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſes Geſetz wurde durch die Aufnahme in den Theo - doſiſchen Codex auch im Occident eingeführt; Valenti - nian III. ſchärfte die Befolgung deſſelben durch beſondere Verordnungen ein, worin er namentlich gegen einſchrän - kende Auslegungen warnte(g)Nov. Valent. Tit. 8. 12 (J. 449 und 452). Unterholz - ner I. S. 446 Note 433 ſcheint dieſes Geſetz ganz misverſtanden zu haben..

Hieran ſchließt ſich ein Geſetz des K. Anaſtaſius vom J. 491, welches für alle Klagen, die bisher noch keine Verjährung hatten, als letztes Supplement eine vierzig - jährige vorſchreibt(h)L. 4 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Vgl. über dieſes Geſetz Unterholzner I. § 19.. Die eigentliche Abſicht dieſes in den Juſtinianiſchen Codex aufgenommenen Geſetzes iſt nicht ganz klar. Am Natürlichſten ſcheint es bezogen werden zu müſſen auf die von Theodoſius beſonders ausgenommenen Klagen, die alſo nun nicht mehr unverjährbar, ſondern nur einer etwas längeren Verjährung unterworfen ſeyn ſollten; allein ſelbſt dieſe Beziehung iſt nicht ohne Schwie - rigkeit. Die ſicherſte Anwendung iſt wohl die auf die actio finium regundorum, die in dem Geſetz von Theodo - ſius ausgenommen worden war, jetzt alſo in 40 Jahren verjähren ſollte; vielleicht war ſie auch ausdrücklich von K. Anaſtaſius genannt, deſſen Geſetz wir ja nicht mehr in ſeiner urſprünglichen Geſtalt beſitzen. Juſtinian hat nachher für dieſe Klage die dreyßigjährige Verjährung(f)terholzner I. § 18 will dieſe Worte auf Klagen über das Ver - mögen einſchränken, wozu jedoch in ihnen kein Grund wahrzuneh - men iſt.277§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.vorgeſchrieben(i)L. 6 C. fin. reg. (3. 39.). Daß dieſe Beſtimmung nicht von Theodoſius I. herrührt, deſſen Na - men ſie führt, ſondern von Juſti - nian ſelbſt, zeigt die Vergleichung mit L. 5 C. Th. fin. reg. (2. 26.). Vgl. oben Note c. . Die Hypothekarklage gegen den Schuld - ner gehört dagegen nicht zu den aufgehobenen Ausnahmen, denn K. Juſtinus, der für ſie die Verjährung von 40 Jah - ren vorſchrieb, ſagte dabey ausdrücklich, ſie ſey bis zu ſeiner Zeit ohne alle Verjährung geweſen(k)L. 7 pr. C. de praescr. XXX. (7. 39.).. Daneben aber erwähnt nun der Kaiſer, daß bisher das Geſetz von Theodoſius durch willkührliche Auslegungen eingeſchränkt worden ſey. Er ſcheint Dieſes durch die von ihm ge - brauchten Ausdrücke zu misbilligen(l)L. 4 C. cit. .. si qua sit actio, quae cum non esset expressim supradictis tempo - ralibus praescriptionibus con - cepta, quorumdam tamen vel fortuita vel excogitata inter - pretatione saepe dictarum ex - ceptionum laqueos evadere pos - se videatur , und man könnte auch auf dieſe Fälle das neue Supplement der 40 Jahre beziehen. Indeſſen iſt doch auch nicht einzuſehen, warum der Geſetzgeber den Interpretationen, die er ſelbſt als irrig anſieht, durch eine verlängerte Verjährungsfriſt ein Zugeſtändniß machen ſollte. Wenn in der That die Präjudicialklagen in dem Geſetz von Theodoſius nicht ent - halten ſeyn ſollten (wovon ſchon oben die Rede war), oder wenn ſie etwa durch ſpätere Auslegungen davon ausgeſchloſſen worden wären, ſo könnte die Vorſchrift von Anaſtaſius auf ſie bezogen werden, worauf in der That einige Ausdrücke hinzudeuten ſcheinen(m)L. 4 C. cit. .. quicun - que super quolibet jure .., su -. Ja Dieſes278Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.würde in der That die einzige im Juſtinianiſchen Recht anwendbare Beſtimmung des Geſetzes von Anaſtaſius ſeyn, welches überhaupt wohl beſſer in unſren Codex gar nicht aufgenommen worden wäre, da es doch nur Zweifel zu erregen geeignet iſt.

So allgemein und durchgreifend nun die Worte der Verordnung von Anaſtaſius lauten, ſo hat doch er ſelbſt dafür geſorgt, ihre Allgemeinheit wieder wankend zu ma - chen, indem er in ſpäteren Conſtitutionen für zweyerley Klagen erklärt hat, ſie würden mit Unrecht unter jene Verordnung bezogen, und ſie ſollten überhaupt gar keiner Verjährung unterworfen ſeyn. Dieſes verordnete er erſt - lich für die Klage einer Stadt gegen ſolche Perſonen, die ſich ihrer Verpflichtung als Mitglieder der Curie entziehen wollten(n)L. 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).; zweytens für alle Klagen des Fiscus auf öf - fentliche Abgaben(o)L. 6 C de praescr. XXX. (7. 39.)..

Zuletzt hat noch Juſtinian in einer eigenen Conſtitution die allgemeine Beobachtung der dreyßigjährigen Klagver - jährung eingeſchärft, und dabey als einzigen Fall für 40 Jahre die Hypothekarklage erwähnt(p)L. 1 § 1 C. de ann. ex - cept. (7. 40. ) vom J. 530., für welche ja ſein Vorgänger ein ausführliches Geſetz erlaſſen hatte. Hierin liegt eine Beſtätigung des eben ausgeſprochenen Tadels gegen die Aufnahme des Geſetzes von Anaſtaſius, da für(m)perque sua conditione, qua per idem tempus absque ulla judi - ciali sententia simili munitione potitus est, sit liber, et .... se - curus. 279§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.die Anwendung deſſelben neben der zuletzt angeführten Ver - ordnung von Juſtinian durchaus kein Raum übrig bleibt. In dieſer Verordnung erwähnt Juſtinian namentlich fol - gende Klagen, wofür die Anwendung der 30 Jahre mit Unrecht bezweifelt worden ſey:

1) Familiae herciscundi, communi dividundo, finium re - gundorum. Für die zwey erſten gründete ſich der Zweifel wahrſcheinlich auf die Verwechslung des allerdings unver - jährbaren Anſpruchs auf Theilung mit dem Anſpruch auf beſtimmte Geldzahlung (§ 252). Für die dritte hatte erſt Juſtinian ſelbſt die Verjährung eingeführt (Note i).

2) Pro socio. Auch hier mag wohl die Verwechslung der unverjährbaren Aufkündigung mit der Klage auf Geld - zahlung den Zweifel veranlaßt haben.

3) Furti und vi bonorum raptorum. Der Irrthum gründete ſich hier darauf, daß Manche fälſchlich glaubten, der Dieb oder Räuber begehe durch den fortgeſetzten Be - ſitz der Sache immer wieder einen neuen Diebſtahl, für welchen alſo auch die Verjährung der furti actio ſtets von Neuem anfangen müſſe(q)L. 1 § 1 cit. ex quo .. se - mel nata est, et non iteratis fabulis saepe recreata, quem - admodum in furti actione dice - batur. Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2 de furtis (47. 2.)..

Aus dieſer hiſtoriſchen Zuſammenſtellung ergiebt es ſich, daß urſprünglich alle Klagen unverjährbar, dann aus - nahmsweiſe einzelne verjährbar waren, endlich aber alle verjährbar geworden ſind. Damit hängt denn auch der veränderte Sprachgebrauch zuſammen, indem der Ausdruck280Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.perpetua actio, dem eigentlichen Wortſinn gemäß, eine unverjährbare Klage bezeichnete, jetzt aber, da es ſolche nicht mehr giebt, zur Bezeichnung einer dreyßigjährigen Klage, im Gegenſatz der kürzer dauernden, geworden iſt(r)pr. J. de perpetuis (4. 12.).

Die nun folgende Lehre von der im Juſtinianiſchen Recht geltenden Klagverjährung wird folgende Stücke zu unterſuchen haben: die Bedingungen der Verjährung, ihre Wirkung, die Ausnahmen derſelben, und ihre Anwendung auf Exceptionen.

Die Bedingungen aber laſſen ſich auf folgende Vier Punkte zurückführen:

  • a) Actio nata.
  • b) Ununterbrochene Verſäumniß.
  • c) Bona fides.
  • d) Ablauf der Zeit.

§. 239. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun - gen. a. Actio nata.

  • Unterholzner I. § 88. II. § 183. 260. 264 266. Thon in Linde’s Zeitſchrift B. 8 S. 1 57. 1835
    (a)Es wird ſich zeigen, daß ich in den Hauptreſultaten mit dieſer Schrift nicht einverſtanden bin; in - deſſen hat ſie durch klare und gründ - liche Behandlung des Gegenſtan - des die Unterſuchung nicht wenig gefördert.
    (a).

Die erſte Bedingung möglicher Klagverjährung fällt zuſammen mit der Beſtimmung des Anfangspunktes der -281§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. ſelben. So lange kein Klagrecht vorhanden iſt, kann daſſelbe nicht verſäumt, alſo auch nicht durch Verſäumniß verloren werden. Es muß daher Actio nata ſeyn, wenn eine Verjährung anfangen ſoll(b)L. 1 § 1 C. de ann. exc. (7. 40.) .. sed ex quo ab ini - tio competit, et semel nata est ... L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) actiones XXX. anno - rum jugi silentio, ex quo jure competere coeperunt, vivendi ulterius non habeant faculta - tem. L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ) ea mulieribus ex eo tempore opponatur, ex quo possunt ac - tiones movere. In dieſer letzten Stelle iſt von Uſucapion und Klagverjährung zugleich die Rede..

Jedes Klagrecht aber hat zwey Bedingungen (§ 205): Erſtlich, ein wirkliches, gegenwärtiges, verfolgbares Recht, und wo es an dieſem fehlt, iſt noch keine Verjährung möglich. Darum kann ſie bey einer bedingten, oder auf einen Zeitpunkt ausgeſetzten Obligation erſt anfangen, wenn die Bedingung erfüllt, oder der Zeitpunkt eingetreten iſt(c)L. 7 § 4 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) in omnibus contractibus, in quibus sub ali - qua conditione vel sub die pacta ponuntur, post conditio - nis exitum, vel .. diei .. lap - sum, praescriptiones XXX vel XL annorum initium acci - piunt. . Zweytens eine Rechtsverletzung, eine Störung, welche den Berechtigten zur Klage veranlaßt. Es kommt Alles darauf an, dieſe, die Klage bedingende, Rechtsverletzung richtig aufzufaſſen; die meiſten Streitigkeiten in dieſer Lehre entſtehen aus Misverſtändniſſen über die Natur derſelben, und wenn es gelingt, hierüber eine Verſtändigung her - bey zu führen, ſo möchten wohl jene Streitigkeiten über den Anfangspunkt der Verjährung verſchwinden.

Wird nun hier der Anfang der Verjährung in das282Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Daſeyn der Rechtsverletzung geſetzt, zu deren Bekämpfung die Klage beſtimmt iſt, ſo hat dieſer Anfangspunkt eine völlig objective Natur, und das Verhältniß einer ſolchen verletzenden Thatſache zu dem Bewußtſeyn des Klagbe - rechtigten kommt nicht in Betracht. Ob alſo dieſer von der Klage weiß, die ihm zuſteht, oder nicht, iſt ganz gleich - gültig, ſelbſt bey den kurzen, mit einem utile tempus ver - ſehenen, Verjährungen; und es ſind bey dieſen letzten nur ſeltene Ausnahmen, worin das Bewußtſeyn berückſichtigt wird(d)S. oben B. 3 Beylage VIII. Num. XXV. XXVI. und B. 4 § 190..

Schon von den Gloſſatoren an iſt eine Erweiterung dieſer Re - gel verſucht worden, welche noch in der neueſten Zeit ihre Ver - theidiger gefunden hat. Es ſoll nämlich die Verjährung ſchon vor der Entſtehung des Klagrechts anfangen, vorausgeſetzt daß es in der Willkühr des Berechtigten ſtand, dieſe Entſte - hung herbey zu führen(e)Unterholzner II. S. 319, Kind quaest. forenses Vol. 3 C. 35.. Man drückt dieſe Regel alſo aus: toties praescribitur actioni nondum natae, quoties nati - vitas est in potestate creditoris. Durch welches Intereſſe die Aufſtellung dieſer Regel veranlaßt worden iſt, kann erſt wei - ter unten klar gemacht werden; ihre Unrichtigkeit aber läßt ſich ſchon hier zeigen(f)Thon S. 2 6 hat dieſe Regel gründlich geprüft und wi - derlegt.. Bey allen bedingten Obligatio - nen ohne Ausnahme ſoll die Verjährung der Klage erſt anfangen, wenn die Bedingung erfüllt iſt (Note c); und283§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. doch giebt es ächte Bedingungen, deren Erfüllung ganz in der Willkühr des Berechtigten ſteht(g)S. o. B. 3 § 117., und bey welchen alſo, nach jener Regel, die Verjährung ſchon früher an - fangen müßte. Eben ſo ſoll die Verjährung der Dotal - klage allgemein anfangen mit der Auflöſung der Ehe(h)L. 7 § 4 C. de praescr. XXX. (7. 39. ), L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ), vgl. Note b. , und doch kann dieſe Auflöſung weit früher in der Will - kühr der Frau ſtehen, wenn nämlich der Mann durch ſeine Handlungen eine Scheidungsurſache herbeyführte(i)Thon S. 14 16 S. 56.. Noch einleuchtender iſt Dieſes für die Zeit des ältern Rechts, worin die Frau auch ohne Urſache die Scheidung ausſpre - chen konnte; hätte nun damals ſchon eine Verjährung der Dotalklage beſtanden, ſo würde dieſelbe nach jener Regel vom Anfang der Ehe an zu berechnen geweſen ſeyn, wel - ches doch gewiß Jeder für ganz widerſinnig erkennen wird.

Das Wichtigſte und Schwierigſte aber iſt die Anwen - dung der von mir aufgeſtellten Regel auf einzelne Rechts - verhältniſſe, und erſt dabei wird es möglich ſeyn, die Streit - fragen klar zu machen, die in dieſer Lehre vorkommen.

Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen in rem von den perſönlichen Klagen.

Bey den Klagen in rem iſt über den Anfang der Ver - jährung weniger Streit als bey den perſönlichen. Die Ver - jährung der Vindication und der mit ihr gleichartigen Kla - gen(k)Dahin gehört die publi - ciana, die a. vectigalis, die des Superficiars und die Hypothekar - fängt an mit dem Beſitz, welchen ein Anderer284Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ohne den Willen des Berechtigten erworben hat. Wenn alſo der Eigenthümer einer beweglichen Sache dieſelbe an einem entlegenen Orte verliert, und ſie da viele Jahre un - bemerkt liegen bleibt, ſo kann von einer Klagverjährung nicht die Rede ſeyn. Erſt wenn ein Anderer die Sache findet und in Beſitz nimmt, iſt eine Verletzung des Eigen - thums vorhanden, mit ihr auch ein Klagrecht, und die Möglichkeit deſſen Ausübung zu verſäumen. Daß die Sache dem Beſitzer abgefordert, und von dieſem verweigert werde, iſt zum Anfang der Verjährung eben ſo wenig nöthig, als daß der Eigenthümer die Beſitzergreifung wiſſe.

Nicht nöthig zur Begründung dieſer Klagverjährung iſt der Eigenthumsbeſitz des Gegners, ſo daß gegen den Miether, Commodatar, oder Pfandglaubiger die Verjäh - rung der Vindication nicht anfangen könnte(l)Dieſe Meynung hat Unter - holzner II. § 183 264. Er ver - wechſelt die Klagverjährung mit der Uſucapion, bey welcher dieſer Satz allerdings wahr iſt.; denn da auch gegen dieſe Perſonen die Vindication angeſtellt wer - den kann(m)L. 9 de rei vind. (6. 1.), ſo iſt kein Grund vorhanden, ihnen die Ver - jährung derſelben zu entziehen. Das Wahre aber in je - ner irrigen Behauptung beſteht darin, daß allerdings eine Klagverjährung nicht anfangen kann, ſo lange der Mie -(k)klage, da dieſe alle nur gegen den Beſitzer angeſtellt werden. Die confessoria und negatoria wer - den bedingt durch irgend eine Ver - letzung, ſo daß der Anfang der Verjährung eine weniger beſtimmte Natur hat als bey jenen Klagen; bey ihnen aber wird überhaupt die Klagverjährung ſeltner zur Sprache kommen, weil ſie meiſt durch die Erſitzung der Servitut, oder durch den Untergang wegen Nichtge - brauch abſorbirt ſeyn wird.285§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. ther u. ſ. w. im Namen des Eigenthümers beſitzt, alſo deſ - ſen Recht auf irgend eine Weiſe anerkennt(n)Von dieſem Fall ſind zu verſtehen L. 2 L. 7 § 6 C. de praescr. XXX. (7. 39.) Die rich - tige Anſicht hat Kierulff S. 198..

Bey den perſönlichen Klagen iſt das Princip daſſelbe, wie es für die Klagen in rem aufgeſtellt worden iſt. Die Verjährung fängt an, wenn die Erfüllung der Obligation unterbleibt ohne den Willen des Berechtigten, das heißt gegen die durch die Natur des Rechtsverhältniſſes begrün - dete Erwartung. Auch hier alſo kommt es nicht darauf an, daß der Schuldner zur Erfüllung aufgefordert ſey und dieſelbe verweigert habe(o)In dieſer unrichtigen Weiſe wird die Meynung Derjenigen, welche eine Rechtsverletzung zum Anfang der Verjährung fordern, von Thon S. 37. aufgefaßt.. Eben ſo iſt ganz gleichgültig das Daſeyn der beſonderen Bedingungen, an welche die Annahme der Mora geknüpft iſt. Mora iſt dasjenige Ver - hältniß des nicht erfüllenden Schuldners, welches für ihn gewiſſe poſitiv beſtimmte Nachtheile zur Folge hat (Zinſen, Verantwortlichkeit u. ſ. w.); hier wird in der Regel Mah - nung gefordert, wodurch das Daſeyn oder der Vorwand ſtillſchweigender Nachſicht mit Sicherheit beſeitigt werden ſoll. Für die Möglichkeit einer Klage aber ſind dieſe Be - dingungen nicht nöthig; gerade der Umſtand, daß der Glau - biger die Mahnung unterläßt, gehört zu der Reihe von Nachläſſigkeiten, deren endlicher Erfolg der Verluſt des Klagrechts durch Verjährung iſt(p)Die richtige Anſicht hier - über hat Kierulff S. 197..

286Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

In der Anwendung auf einzelne Obligationen ſind zu - erſt diejenigen Fälle zu betrachten, worin die aufgeſtellte Regel einer reinen und einfachen Anwendung empfänglich iſt, indem keine factiſche Verwicklungen hinzutreten, wodurch Zweifel oder auch wirkliche Abweichungen veranlaßt wer - den könnten. Ich rechne dahin folgende Fälle:

1) Die Delictsobligationen. Sobald das Delict began - gen iſt, hat der Verletzte augenblicklich die Zahlung der Entſchädigung oder der Strafe zu erwarten, und jede Verzögerung iſt eine neue Rechtsverletzung, wodurch eben die Klage begründet wird(q)Es iſt alſo[unrichtig], wenn Thon S. 36 behauptet, es ſey etwas Eigenthümliches bey den Delictsllagen, daß die Verjährung von einer Rechtsverletzung anfange. Er verwechſelt die in dem De - lict ſelbſt enthaltene Rechtsverletz - ung mit der unterlaſſenen Zahlung; die erſte kommt allerdings nur bey Delicten vor, die zweyte iſt den Delicten mit anderen Obligatio - nen gemein, und auf ſie allein be - zieht ſich der Anfang der Klagver - jährung.. Daher fängt die Verjäh - rung der Klage mit dem vollendeten Delict an, weil es als Verſäumniß betrachtet werden muß, wenn der Ver - letzte nicht ſogleich die Klage anſtellt.

2) Ganz dieſelbe Natur haben auch die Quaſicontracte. Die Verjährung der tutelae actio fängt alſo an mit der geendig - ten Tutel(r)Nicht mit der Übernahme der Tutel, die allerdings den ent - fernteren Grund der Obligation enthält, ſo daß ſie den auf die Entſtehungszeit gegründeten Rang des ſtillſchweigenden Pfandrechts beſtimmt; auch nicht mit der ein - zelnen Handlung, wenn z. B. der Vormund während der Vormund - ſchaft Geld unterſchlägt. Die ei - gentliche Obligation, alſo die ac - tio tutelae, entſteht erſt mit dem Ende der Tutel. L. 4 pr. de tu - telae (27. 3.) Nisi finita tu - tela sit, tutelae agi non potest. , die der condictio indebiti mit der irrigen Zah -287§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. lung, die der Dotalklage mit dem Ende der Ehe (Note h). Denn in dieſen Zeitpunkten hat der Glaubiger, nach der Natur der erwähnten Rechtsverhältniſſe, die Zahlung zu erwarten, und wenn er nicht augenblicklich darauf klagt, ſo liegt darin der Anfang einer Verſäumniß, deren Ende den Verluſt der Klage durch Verjährung herbeyführt(s)Mit Unrecht behauptet Bur - chardi Grundzüge des Rechtsſy - ſtems der Römer S. 194 Note 11, es liege hierin eine Eigenthümlich - keit der Quaſicontracte, da eigent - lich noch eine Verweigerung hinzu - kommen müßte..

3) Eben ſo aber ſind auch die meiſten Obligationen aus Verträgen zu betrachten, nämlich alle diejenigen, in wel - chen nur nicht die nachfolgenden beſonderen Verwicklungen wahrzunehmen ſind. Es gehören alſo dahin bey den - mern alle Klagen aus einfachen, nicht durch Bedingung oder Zeit beſchränkten, Stipulationen; bey uns wie bey den Römern, alle Klagen auf einzelne Leiſtungen aus Ver - trägen, wenn der Glaubiger von ſeiner Seite Nichts zu leiſten, oder ſeine Verpflichtung ſchon erfüllt hatte, alſo unter andern alle Klagen der Kaufleute und Handwerker aus Rechnungen über gelieferte Waaren. Denn in dieſen Fällen iſt die Erwartung augenblicklicher Leiſtung durch die Natur des Rechtsverhältniſſes wohl begründet, es iſt alſo auch eine unzweifelhafte Verſäumniß, wenn es der Glaubiger unterläßt, dieſer Erwartung, inſofern ſie nicht freywillig erfüllt wird, durch Anſtellung einer Klage Nach - druck zu geben. Wollte man in dieſen Fällen nach 30 Jah - ren dem Beklagten zumuthen, eine anfängliche Aufforderung288Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und Verweigerung zu beweiſen, ſo würde das wohlthätige Inſtitut der Verjährung praktiſch faſt ganz vernichtet ſeyn; denn gerade wenn es zu einer ſolchen ausgeſprochenen Ver - weigerung gekommen iſt, wird faſt immer die Klage wirk - lich angeſtellt werden, ſo daß nur die übrigen Fälle von praktiſcher Erheblichkeit für die Verjährung ſind.

Es iſt wohl zu bemerken, daß dieſe Anwendung der Klagverjährung für das wirkliche Leben die allerwichtigſte iſt. Denn ſie betrifft die unzähligen Verhältniſſe des täg - lichen Verkehrs, deren vorübergehende Natur und geringe Erheblichkeit eine geringere Sorgfalt in Aufbewahrung der Beweismittel zur unausbleiblichen Folge hat. Zugleich iſt bey dieſen das Daſeyn der oben (§ 237) dargeſtellten Gründe der Verjährung recht einleuchtend. Denn wenn die Erben eines Kaufmanns oder Handwerkers nach mehr als 30 Jah - ren aus den Büchern ihres Erblaſſers Klagen erheben, ſo iſt gewiß die Wahrſcheinlichkeit vorhanden, daß die Rech - nung längſt bezahlt ſey, und zugleich die Gewißheit einer großen Nachläſſigkeit der Eintreibung für den Fall, daß dennoch die Eintreibung unterblieben ſeyn ſollte.

Durch dieſe Betrachtung ſind neuere Geſetzgebungen be - wogen worden, für die erwähnten Verhältniſſe des täglichen Verkehrs ſehr kurze Verjährungsfriſten vorzuſchreiben(t)Code civil art. 2271 und fg. Preußiſches Geſetz vom 31. März 1838 über kürzere Verjäh - rungsfriſten (Geſetzſammlung 1838 S. 249)., und auch dieſe Beſtimmung iſt gewiß dem wahren Bedürfniß, und beſonders auch dem richtig verſtandenen Intereſſe der Glaubi -289§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)ger, ſehr angemeſſen. Um ſo mehr aber müſſen wir uns ſchon hüten, im gemeinen Recht die Schwierigkeit, die in dem langen Zeitraum von 30 Jahren liegt, durch willkührliche Forderungen für den Anfang der Verjährung faſt bis zur Unmöglichkeit zu ſteigern.

§. 240. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio nata. (Fortſetzung.)

Es bleibt nun noch übrig, diejenigen Arten der perſön - lichen Klagen zu erwägen, in welchen die Anwendung der im § 239. aufgeſtellten Regel entweder ohne Grund bezwei - felt worden iſt, oder in der That modificirt werden muß.

A) Wenn bey einem zweyſeitigen Vertrag, z. B. einem Kauf, noch kein Theil erfüllt hat, ſo ſoll, wie Manche glauben, die Verjährung keiner der beiden Klagen anfan - gen, weil jede derſelben, wegen der entgegenſtehenden ex - ceptio non impleti contractus, noch nicht actio nata ſey(a)Thibaut Pandekten § 1020..

Wäre dieſe Behauptung richtig, ſo läge darin ein Nach - theil für den gewiſſenhaften, pünktlichen Contrahenten, ein Vortheil für den ſäumigen, indem dieſer keine Verjährung für ſeine eigene Klage zu befürchten hätte, ſo lange er mit ſeiner Leiſtung an den Gegner im Rückſtand wäre. Daß ein ſo rechtswidriger Erfolg nicht zuzulaſſen iſt, wird bey ruhiger Betrachtung leicht zugegeben werden; es fragt ſich aber, wie ihm zu begegnen ſeyn möge. UnterholznerV. 19290Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.beruft ſich auch hier auf die Regel, daß die Verjährung einer noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfange, wenn nur die Entſtehung derſelben durch die bloße Willkühr des künftigen Klägers bewirkt werden könne(b)Unterholzner II. § 260.; dieſe Regel ſelbſt iſt jedoch ſchon oben (§ 239) widerlegt worden. In der That aber iſt es ganz unrichtig, die Entſtehung des Klagrechts von der Möglichkeit oder Beſeitigung der erwähnten Exception abhängig zu denken. Die Klagen aus dem Vertrag ſind völlig begründet von der Zeit des Abſchluſſes an; jeder Theil kann ſie ſogleich anſtellen, und tritt alſo, wenn er es unterläßt, ſogleich in den Zuſtand der Verſäumniß ein, durch deſſen hinreichende Fortdauer die Verjährung bewirkt wird. Keine Exception ſchließt das Daſeyn eines Klagrechts, und die Möglichkeit es aus - zuüben oder zu verſäumen, aus; ſchon deswegen nicht, weil es ganz ungewiß iſt, ob die Exception vorgebracht werden, und ob ihr der Richter Erfolg geben wird; am wenigſten aber eine Exception wie die hier erwähnte, die einen ganz dilatoriſchen Character hat, und nie zur gänz - lichen Freyſprechung des Beklagten führt(c)L. 13 § 8 de act. emti (19. 1.) .. nondum est ex emto actio: venditor enim, quasi pignus, retinere potest eam rem, quam vendidit. Die Worte: nondum est actio dürfen hier nicht zu buchſtäblich genom - men werden; man muß hinzufügen: cum effectu. , ſo daß alſo in jedem Fall die Klage wenigſtens mit dem Erfolg ſicher angeſtellt werden kann, daß dadurch die Verjährung un - terbrochen wird(d)Die richtige Anſicht haben Vangerow I. S. 170. 171. Kie -.

291§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)

Die für dieſen Fall entſtandenen Zweifel ſind alſo ohne Grund, und die im vorigen §. entwickelte Regel kommt rein zur Anwendung. Denn mit dem Abſchluß des Kau - fes iſt für jeden Theil die Erwartung entſtanden, daß der Gegner ſogleich erfüllen werde, wie es der Natur des Kaufs angemeſſen iſt; mit dieſer Erwartung aber entſteht zugleich das Klagrecht, und die Möglichkeit, deſſen Aus - übung zu verſäumen.

B) Schwieriger ſind diejenigen Fälle, worin das Rechts - verhältniß ſelbſt zunächſt auf einen dauernden Zuſtand führt, deſſen Ende jedoch in der Willkühr des Glaubigers ſteht. Die perſönliche Klage, wodurch er die Änderung jenes Zuſtandes bewirken kann, iſt wie jede andere Klage der Verjährung unterworfen; aber der Anfangspunkt dieſer Verjährung iſt es, welcher von jeher die größten Streitig - keiten veranlaßt hat. Die wichtigſten Fälle, die hierher gehören, ſind folgende: das unverzinsliche Darlehen(e)Das unverzinsliche allein kommt hier in Betracht, weil das verzinsliche, durch die damit ver - bundene periodiſche Leiſtung, zur folgenden Klaſſe der Obligationen gehört.; das Depoſitum, Commodat, und Precarium(f)Bey dem Precarium macht es für den Anfang der Klagverjäh - rung keinen Unterſchied, ob man die ältere Römiſche Anſicht (des auf ein Delict gegründeten Inter - dicts) zum Grunde legt, oder die neuere, nach welcher es als Ver - trag behandelt wird. Denn nach dieſer letzten Anſicht hat es ganz dieſelbe Natur wie das Commodat; nach der erſten kann von einem Mis - brauch des Zutrauens, worin das Weſen dieſes Delicts liegt, nicht früher die Rede ſeyn, als der Ge - ber die Sache zurückfordert, und der Empfänger ſie verweigert.; das Ein - löſungsrecht wegen eines im Beſitz des Glaubigers befind -(d)rulff I. S. 193. 197. 19*292Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.lichen Pfandes (a. pignoratitia directa); die a. venditi aus einem Vertrag de retrovendendo. Die vier erſten Fälle ſind ganz gleichartiger Natur; bey den zwey letzten kom - men noch beſondere Rückſichten in Betracht.

Ich betrachte zuerſt das unverzinsliche Darlehen, und zwar dieſes in ſeiner einfachſten Geſtalt, wenn es ganz un - beſtimmt gegeben iſt, ohne ausdrückliche Abrede über die Art der Rückgabe. Hier hat der Glaubiger nach der Na - tur des Rechtsverhältniſſes zunächſt die Rückgabe durchaus nicht zu erwarten, da mit ſeinem ausgeſprochnen Willen der Empfänger das geliehene Geld auf unbeſtimmte Zeit hat und genießt. Fehlt es nun an dieſer natürlichen Er - wartung, ſo giebt es auch noch keine Klage zu deren Un - terſtützung, alſo iſt auch der Anfang einer Klagverjährung unmöglich. Dieſe ſetzt Nachläſſigkeit voraus, und wo wäre hier eine ſolche zu finden? Niemand wird ſagen, daß das Darlehen an ſich ſchon eine Nachläſſigkeit in ſich ſchließe. Alſo könnte dieſelbe nur darin gefunden werden, daß der Glaubiger das Darlehen allzu lang beſtehen ließe, ohne es entweder einzufordern oder durch einen neuen Schuldſchein zu ſichern. Allein Dieſes müßte doch durch poſitives Ge - ſetz vorgeſchrieben ſeyn, ſchon deswegen, weil es ſonſt an einem beſtimmten Gränzpunkt der Nachläſſigkeit fehlen würde, welcher zugleich den Anfang der Verjährung begründen könnte. Beſonders einleuchtend wird die Wahrheit die - ſer Behauptung, wenn man den vorliegenden Fall mit den im vorhergehenden §. betrachteten Fällen vergleicht. Auch293§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)der Kaufmann oder Handwerker, der eine Rechnung über - giebt, kann mit der Einforderung warten, und wird es meiſt thun; das iſt Connivenz, die der Natur des Rechts - verhältniſſes völlig fremd iſt, und die eine verdoppelte Auf - merkſamkeit nöthig macht, wenn ſie nicht den Character der Nachläſſigkeit annehmen ſoll. Ganz anders bey dem Darlehen, bey welchem der Schuldner das Geld hat und behält, nicht aus Connivenz des Glaubigers, ſondern nach dem weſentlichen Inhalt des Vertrags ſelbſt. Hier fängt alſo die Verjährung von dem Empfang des Darlehens nicht an, weil keine Veranlaſſung zur Klage, keine Ver - letzung, vorhanden iſt. Dagegen würde es auch hier ganz unrichtig ſeyn, eine Verweigerung zu fordern. Es iſt ge - nug, wenn der Glaubiger das Geld zurückfordert, mag auch der Schuldner dieſe Forderung unbeantwortet laſſen; die Verjährung fängt an, weil der Wille des Glaubigers, daß der Schuldner das Geld genieße, aufgehört hat.

Mit einigem Schein iſt gegen dieſe Anſicht folgende Stelle des Römiſchen Rechts geltend gemacht worden(g)L. 94 § 1 de solut. (46. 3.): Sin autem communes numos credam, aut solvam, confestim pro parte mea nascetur et actio, et li - beratio.

Alſo, ſagt man, fängt die Darlehnsklage augenblicklich mit dem gegebenen Darlehen an, nicht erſt mit der Kün - digung. Allein dieſe Worte erhalten ihre Erklärung aus den vorhergehenden. Wenn mit fremdem Gelde ein Dar -294Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.lehen gegeben, oder eine Zahlung geleiſtet wird, ſo ſind dieſe Rechtsgeſchäfte zunächſt unwirkſam, weil der Eigen - thümer das Geld vindiciren kann; ſie werden gültig durch die Conſumtion von Seiten des Empfängers, weil dieſe das Eigenthum zerſtört(h)L. 13 pr. § 1 de reb. cred. (12. 1.).. Zu dieſer Regel fügt die oben abgedruckte Stelle eine natürliche Beſchränkung hinzu, für den Fall daß der Geber des Geldes zu einem idealen Theil Eigenthümer deſſelben wäre: nun ſoll in Anſehung dieſes Theils ſein Darlehen oder ſeine Zahlung ſogleich voll - gültig ſeyn. Das confestim alſo bezeichnet hier augen - ſcheinlich den Gegenſatz gegen die außerdem erforderliche Conſumtion, nicht gegen die Kündigung des Darlehens, von welchem letzten Gegenſatz in der ganzen Stelle gar nicht die Rede iſt.

Der Fall des Darlehens kann aber noch in folgenden zuſammengeſetzteren Geſtalten vorkommen. Zuerſt wenn daſ - ſelbe gleich Anfangs für einen beſtimmten Zeitraum gege - ben iſt. Nun fängt unzweifelhaft die Verjährung mit dem Ablauf dieſes Zeitraums an; nicht früher, weil der Glau - biger nicht früher klagen kann; nicht ſpäter, weil mit je - nem Zeitpunkt die im Vertrag ausgeſprochene Einwilli - gung des Glaubigers in des Schuldners Benutzung des Geldes aufhört. Jetzt iſt alſo, nach dem Inhalt des Ver - trags, die freywillige Rückgabe des Geldes augenblicklich zu erwarten, und wenn der Glaubiger die Unterlaſſung295§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)derſelben ſtillſchweigend duldet, ſo iſt dieſes wieder bloße Connivenz, dem Inhalt des Rechtsgeſchäfts fremd(h¹)Ob durch den bloßen Ein - tritt des bedungenen Tages von ſelbſt die Mora entſteht, oder ob dazu eine Mahnung erfordert wird, iſt eine bekannte Streitfrage, die aber nicht hierher gehört, da die Bedingungen der Mora mit dem Anfang der Verjährung Nichts gemein haben (§ 239)..

Manche glauben, das Darlehen erhalte eine beſondere Natur, wenn der Schuldner ausdrücklich verſpreche, das Geld nach Kündigung zurück zu geben; darin ſoll eine Bedingung liegen, mit deren Eintritt erſt die Klage ent - ſtehen könne, ſelbſt nach der Meynung Derjenigen, die in dem bisher betrachteten einfachſten Fall die Klage gleich bey dem Abſchluß des Darlehens entſtehen laſſen. Dieſe Meynung iſt zu verwerfen, weil in jenen Worten nur die überflüſſige Wiederholung einer Beſtimmung liegt, die ſich nach der Natur des Darlehens ohnehin von ſelbſt verſteht, ſo daß die Behandlung derſelben als einer Bedingung, ge - zwungen und der Abſicht der Parteyen fremd ſeyn würde. Gerade ſo iſt auch in einer Stipulation der Ausdruck cum petiero weder als Bedingung, noch als dies zu betrach - ten, ſondern blos als Einſchärfung der ohnehin vorhan - denen Verpflichtung(i)L. 48 de V. O. (45. 1. ), vgl. oben B. 3 § 117 S. 129..

Selbſt wenn die bedungene Kündigung mit einer Friſt verſehen iſt, z. B. Drey Monate nach Kündigung, darf Dieſes nicht als Bedingung betrachtet werden, ſon - dern blos als ein zum Schutz des Schuldners hinzugefüg - ter dies, damit der Schuldner nicht von der Kündigung296Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.überraſcht werde, ſondern Zeit behalte, das Geld herbey zu ſchaffen. Nur hat natürlich dieſe Beſtimmung den be - ſondern Einfluß, daß die Verjährung nicht unmittelbar mit der Kündigung anfängt, ſondern Drey Monate nach - her, weil erſt in dieſem Zeitpunkt geklagt werden kann. Daſſelbe muß gelten, wenn eine ſolche Friſt nicht durch den Vertrag, ſondern durch ein beſonderes Landesgeſetz vorgeſchrieben iſt(k)Nach dem Preuſſiſchen Land - recht I. 11 § 761. 762 gilt eine Friſt von Drey Monaten, wenn das Dar - lehen mehr als 50 Thaler beträgt, außerdem Vier Wochen..

Die hier aufgeſtellten Regeln über den Anfang der Klagverjährung bey unverzinslichen Darlehen ſind prak - tiſch wenig wichtig und gefährlich. Unverzinsliche Dar - lehen von bedeutenden Summen und auf lange Zeiten kommen ſehr ſelten vor, und wenn ein ſolches einmal durch ungewöhnliche Umſtände veranlaßt werden ſollte, ſo liegt darin für alle Theile eine Aufforderung zu beſonderer Vor - ſicht, wodurch ohnehin jeder Nachtheil abgewendet wer - den kann.

Die eben erörterte Frage iſt übrigens ſehr beſtrit - ten. Mehrere Schriftſteller nehmen die hier vertheidigte Meynung an(l)Rave § 135. Kierulff S. 194. 195. 197.. Andere behaupten im ſtrengſten Ge - genſatz, daß die Verjährung anfange mit dem abgeſchloſ - ſenen Darlehen, wobey ſie nur bey bedungener Kündi - gungsfriſt die Dauer dieſer Friſt hinzu ſetzen(m)Unterholzner II. § 260. Kind quaest. for. Vol. 3 C. 35.. Dieſe297§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)berufen ſich auf die oben widerlegte Regel, nach welcher die Verjährung anfangen ſoll, wenn nur die Entſtehung des (noch nicht vorhandenen) Klagrechts in der Macht des Berechtigten ſtehe (§ 239). Nach einer mittleren Meynung ſoll die bedungene, und mit einer Friſt verſehene, Kündigung als Bedingung angeſehen werden, mit deren Eintritt das Klagrecht und die Verjährung deſſelben an - fange; wenn dagegen der Vertrag eine Kündigung ohne Friſt erwähnt, oder darüber ganz ſchweigt, ſo ſoll das Klagrecht und die Verjährung anfangen mit dem abge - ſchloſſenen Darlehen(n)Thon S. 2. 9 16. 33 54. Für den erſten Fall ſtimmt er in dem Reſultat mit mir überein; für den zweyten in dem Reſultat mit Unterholzner, jedoch auch nicht in den Gründen..

Die Regel, welche das preußiſche Landrecht über dieſe Frage enthält, iſt von unſicherem Ausdruck(o)A. L. R. I. 9 § 545 Ge - gen andere Rechte fängt die Ver - jährung von dem Tage an, wo die Erfüllung der Verbindlich - keit zuerſt gefordert werden konnte. Bey der Allgemeinheit dieſer Regel iſt es nicht klar, ob ſie auch auf ſolche Fälle, wie das Darlehen, gehen ſoll, oder nur auf die Fälle, worin die augenblick - liche Zahlung ohnehin zu erwar - ten iſt, wie bey gelieferten Waa - ren. Nach einem früheren Entwurf von Kircheiſen ſollte die Verjährung in der Regel anfan - gen von dem Tage der Ausſtel - lung des Inſtruments (d. h. vom gegebenen Darlehen an); nur wenn ausdrücklich eine Auf - kündigung bedungen ſey, von der Zeit dieſer Aufkündigung. Si - mon und Stramff Zeitſchrift B. 3 S. 442 § 912 914.. In der Praxis wird die von Unterholzner vertheidigte Meynung angenommen, nach welcher die Verjährung anfängt mit dem abgeſchloſſenen Vertrag, nur etwa mit Hinzurechnung der bedungenen Kündigungsfriſt(p)Simon und Strampff.

298Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die für das unverzinsliche Darlehen aufgeſtellte Regel iſt eben ſo anzuwenden bey dem Commodat, Depoſitum, Precarium. Denn in dieſen drey Rechtsgeſchäften beſitzt der Empfänger die Sache mit dem erklärten Willen des Gebers, verletzt alſo nicht deſſen Recht, und der Vertrag ſelbſt erregt auf keine Weiſe die Erwartung einer augen - blicklichen Rückgabe. Die Verjährung fängt alſo erſt an, wenn der Geber die Sache zurück fordert. Nach der Mey - nung der Gegner ſoll ſie anfangen von dem erſten Empfang an, weil der Geber die Sache ſogleich zurück fordern kann, wovon dann die Entſtehung des Klagrechts die Folge iſt. Nur wenige beſondere Bemerkungen ſind für dieſe Fälle nöthig. Bey dem Commodat wird häufig nicht eine Zeit, wohl aber ein Ziel des Gebrauchs be - ſtimmt, wenn z. B. ein Pferd oder ein Wagen zu einer beſtimmten Reiſe geliehen wird. Mit der Beendigung die - ſer Reiſe fängt die Klagverjährung an, weil nun der im Vertrag ausgeſprochene Wille des Gebers, daß der Em - pfänger die Sache gebrauche, aufhört. Der Fall iſt alſo ganz ähnlich dem Fall des Darlehens, welches auf Ein Jahr gegeben wird. Bey dem Depoſitum hat man einen Gegengrund aus einer Stelle hernehmen wollen, die viel - mehr als Beſtätigung der hier vorgetragenen Meynung anzuſehen iſt(q)L. 1 § 22 depositi (16. 3.):(p)Entſcheidungen des Obertribunals B. 3 Num. 20 S. 165 fg.299§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)Est .. scriptum, eum, qui rem deposuit, statim posse depositi actione agere.

Nimmt man dieſe Worte außer ihrem Zuſammenhang, ſo könnte man in dieſelben den Sinn legen, die Klage (alſo auch der Anfang der Verjährung) entſtehe ſogleich, nicht erſt im Augenblick der Rückforderung; allein die un - mittelbar folgenden Worte zeigen deutlich, daß von dieſem Gegenſatz gar nicht die Rede iſt: hoc enim ipso dolo facere eum qui suscepit, quod reposcenti rem non reddat.

Man pflegte nämlich die Regel aufzuſtellen, die actio depositi werde nur durch den Dolus des Empfängers be - gründet. Dieſer Ausdruck konnte zu dem Misverſtändniß führen, als müſſe der Geber warten, bis der Empfänger die Sache verbraucht oder veräußert habe. Dagegen wird hier von Julian und Ulpian gewarnt, mit der Bemerkung daß auch die bloße Verweigerung ein ſolcher Dolus ſey, der die Klage erzeuge. Hier iſt ſogar ausdrücklich die erfolgloſe Rückforderung als Entſtehung der Klage be - zeichnet, nicht das urſprüngliche Hingeben der Sache.

§. 241. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio nata. (Fortſetzung.)

Wichtiger als die zuletzt erwähnten Fälle, aber mit ihnen ganz gleichartig, iſt ein Fall, der ſchon vom zwölf - ten Jahrhundert an die Aufmerkſamkeit der Schriftſteller300Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf ſich gezogen hat. Wenn ein Schuldner dem Glaubi - ger ein Pfand in Beſitz giebt, Dieſes aber ſpäter wieder einlöſen will, ſo entſteht die Frage, von welchem Zeitpunkt die Verjährung der hierauf zu richtenden actio pignorati - tia anfange.

Nach der eben entwickelten Anſicht kann die Entſchei - dung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Der Glaubiger beſitzt mit des Schuldners Willen, verletzt alſo deſſen Recht auf keine Weiſe, und es iſt keine Veranlaſſung zur Klage vorhanden, da dem Glaubiger keine in der Natur des Rechtsverhältniſſes liegende Erwartung getäuſcht wird. Von einer Nachläſſigkeit des Schuldners kann nicht die Rede ſeyn, da der gegenwärtige factiſche Zuſtand auf dem übereinſtimmenden Willen beider Theile beruht, und viel - leicht beiden gleich vortheilhaft und erwünſcht iſt. Ja es iſt hier dieſe Entſcheidung noch weit einleuchtender, als in den bisher betrachteten Fällen. Denn in dieſen kam es blos auf den veränderten Willen des urſprünglichen Ge - bers an, um das Klagrecht zu erzeugen; hier iſt der bloße Wille nicht hinreichend, ſondern es muß eine wichtige, oft ſehr ſchwierige, That hinzu kommen, wenn das Klagrecht entſtehen ſoll: die Befriedigung des Glaubigers. Erſt wenn dieſe That vollzogen iſt, kann die actio pignoratitia entſte - hen, ja es bedarf nun nicht einmal einer ausdrücklichen Rückforderung, da durch die bloße Befriedigung des Glau - bigers der Rechtsgrund zerſtört wird, aus welchem er bis - her das Pfand beſaß.

301§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

Hier nun findet ſich ſogar eine ausdrückliche Anerken - nung der aufgeſtellten Behauptung in folgender Stelle(a)L. 9 § 3 de pign. act. (13. 7.).: Omnis pecunia exsoluta esse debet, aut eo nomine satisfactum esse, ut nascatur pignoratitia actio.

Iſt alſo vor der Befriedigung des Glaubigers noch nicht actio nata, wie hier geradezu geſagt wird, ſo kann auch, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz (§ 239), nicht früher die Verjährung beginnen.

Eine Beſtätigung liegt auch in einer Beſtimmung des Weſtphäliſchen Friedens. Die Einlöſung von verpfände - ten Gütern iſt nämlich zu allen Zeiten ein wichtiger Ge - genſtand ſtaatsrechtlicher Verhandlungen geweſen, indem oft ganze Territorien mit übertragenem Beſitz verpfändet wurden. Hierüber nun wird in jenem Friedensſchluß be - ſtimmt, daß die Einlöſung der von einem Reichsſtand an den andern gegebenen Pfandſchaften ſelbſt nicht durch un - vordenklichen Beſitz ausgeſchloſſen ſeyn ſolle, woraus ge - wiß um ſo mehr die Ausſchließung der gewöhnlichen Ver - jährung folgt(b)Instr. Pac. Osnabr. Art. 5. § 27. Allerdings wird hinzuge - ſetzt, bey dem Antrag auf Einlö - ſung ſollten die Exceptionen des Gegners gehört werden; allein dieſe beziehen ſich augenſcheinlich nicht auf die Verjährung, ſondern auf die Verwendungen des Pfand - beſitzers für das verpfändete Gut, auf die Richtigkeit der Einlöſungs - ſumme wegen des oft veränderten Münzfußes u. ſ. w.. Als Geſetz für das Privatrecht ſollte dieſe Beſtimmung nicht gelten, aber ſie enthält wenigſtens eine unzweydeutige Erklärung der Reichsſtaatsgewalt über die vorliegende Frage überhaupt. Wenn dagegen in dem -302Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſelben Friedensſchluß, und eben ſo in der Wahlcapitula - tion, beſtimmt wird, daß die vom Reich an einzelne Stände gegebenen Pfandſchaften unwiderruflich ſeyn ſollen(c)Instr. Pac. Osnabr. Art. 5. § 26. Cap. Caes. Art. 10 § 4., ſo hat dieſe Beſtimmung mit der vorliegenden Rechtsfrage über die Verjährung ſchon deshalb keinen Zuſammenhang, weil darin die längere oder kürzere Zeit des Beſitzes gar nicht unterſchieden wird; ſie hat überhaupt keine juriſtiſche Grundlage, und gehört vielmehr in die große Reihe von Conceſſionen des Kaiſers an die Stände, wodurch die Macht derſelben ſtets erweitert wurde, wie es einem Wahlkaiſer gegenüber wohl zu erwarten war.

Die eben erörterte Frage über die Einlöſung ver - pfändeter Sachen iſt ſchon unter den Gloſſatoren Gegen - ſtand des lebhafteſten Streites geweſen(d)Dissensiones Dominorum ed. Haenel p. 27. 78. 195. 477 480.. Späterhin hat ſich eine überwiegende Zahl bedeutender Schriftſteller für die hier vertheidigte Meynung erklärt, und ſie iſt durch zahlreiche Urtheile angeſehener Gerichte beſtätigt worden(e)Cujacii paratit. in Cod. 7. 39 und: Comm. in tit. D. de usurp., L. 13. Giphanius p. 248. Glück B. 14 S. 170 177. Thi - baut Verjährung S. 123, Pan - dekten § 1020. Thon S. 16 S. 20 26, wo die Einwürfe der Gegner gut widerlegt werden.. Dennoch hat auch die entgegengeſetzte Meynung bis in die neueſte Zeit Vertheidiger gefunden. Dieſe berufen ſich auf die oben widerlegte Regel, nach welcher die Verjährung einer noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfangen ſoll, wenn nur die Entſtehung derſelben ganz in der Macht des303§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)Klägers liege; Dieſes nun ſey hier ſtets anzunehmen, weil das mögliche Hinderniß, wenn etwa der Schuldner kein Geld zur Einlöſung habe, als ein blos factiſches, gar nicht beachtet werde(f)Unterholzner II. § 264..

Bey dieſem wichtigen Fall ſind noch einige Nebenfra - gen zu berückſichtigen. Von der Unverjährbarkeit des Ein - löſungsrechts kann ſelbſt dann keine Ausnahme gelten, wenn dem Schuldner die Schuld ohne Erfolg gekündigt iſt. Al - lerdings iſt er nun nachläſſig zu nennen, aber nicht in der Rückforderung des Pfandes (welches noch immer ſeinen urſprünglichen Zweck vollſtändig erfüllt), ſondern in der Bezahlung der Schuld; in dieſer Beziehung iſt er in Mora, und es treffen ihn die mit dieſer verbundenen Nachtheile. Man könnte glauben, eine Ausnahme müſſe wenigſtens dann gelten, wenn von der andern Seite die Schuldklage verjährt ſey, weil ſonſt unbilligerweiſe der Schuldner das Pfand zurück bekomme, ohne die Schuld zu bezahlen Allein dieſer Fall kann nicht vorkommen, weil in dem Beſitz des Pfandes eine ſtets wiederholte Anerkennung der Schuld von Seiten des Schuldners liegt, wodurch die Verjäh - rung der Schuldklage ausgeſchloſſen wird(g)L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).. Endlich iſt wohl zu bemerken, daß die Unverjährbarkeit der actio pignoratitia nur auf die Einlöſung des Pfandes zu bezie - hen iſt, nicht auf andere mögliche Gegenſtände. Wenn alſo der Glaubiger die verpfändete Sache zerſtört oder304Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.beſchädigt, ſo erwirbt dadurch der Schuldner Geldforde - rungen, die gleichfalls mit der actio pignoratitia verfolgt werden; dieſe aber ſind der gewöhnlichen Klagverjährung unterworfen, welche von dem Augenblick der verletzenden Handlung anfängt.

Endlich der letzte zu dieſer Klaſſe von Obligationen gehörende Fall iſt der des Wiederkaufs. Wenn ein Ver - käufer durch Nebenvertrag das Recht vorbehält, die Sache nach einſeitiger Willkühr zurück zu kaufen, ſo kann er dieſes Recht durch die actio venditi geltend machen, und es entſteht auch hier die Frage nach dem Anfang der Ver - jährung dieſer Klage. Nach mehreren Schriftſtellern ſoll die Verjährung anfangen von dem geſchloſſenen Vertrag, oder wenigſtens von der Übergabe an, weil der Verkäu - fer ſein Recht und die Klage zu deſſen Schutz ſogleich gebrauchen könne(h)Thon S. 3. Vangerow I. S. 171.. Nach dem von mir aufgeſtellten Grundſatz fängt ſie erſt an, wenn der erſte Verkäufer die Abſicht des Rückkaufs ausgeſprochen hat. Unmöglich kann man ſagen, daß ſchon durch die Übergabe die Erwartung begründet ſey, der Käufer werde die Sache ſogleich von ſelbſt zurückgeben; darauf gieng gar nicht die Abſicht, ja der Käufer wäre dazu nicht einmal berechtigt, da der Vor - behalt dem Verkäufer ein einſeitiges Recht giebt. Der factiſche Zuſtand bis zum erklärten Rückkauf gründet ſich auf den Willen des Verkäufers, und giebt zu keiner Klage Veranlaſſung; das Verhältniß iſt in dieſer Hinſicht ganz305§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)ähnlich dem auf unbeſtimmte Zeit und Benutzung gegebe - nen Commodat(i)Glück B. 1 S. 116 B. 16 § 998. Thibaut Verjährung S. 124. Kierulff I. S. 194..

Übrigens iſt dieſer Fall von geringer Erheblichkeit. Er ſetzt voraus, daß der Rückkauf auf unbeſtimmte Zeit, alſo für immer, vorbehalten ſey, und dieſer Fall iſt gewiß ſehr ſelten. Faſt immer wird dafür eine beſtimmte Zeit, und zwar meiſt eine ſehr kurze, ausbedungen ſeyn; iſt nun dieſe unbenutzt abgelaufen, ſo hat das Recht ſelbſt aufge - hört, und es iſt alſo keine Klage mehr übrig, von deren Verjährung die Rede ſeyn könnte.

C) Es bleibt endlich noch eine dritte Klaſſe von Ob - ligationen zu betrachten übrig, welche in Beziehung auf den Anfang der Verjährung eine beſondere Natur haben: die mit periodiſchen Leiſtungen verbundenen Obligationen. Dieſer Fall aber kommt wieder in folgenden verſchiedenen Geſtalten vor. Die periodiſche Leiſtung kann die Acceſſion einer Hauptſchuld ſeyn, oder aber für ſich allein ſtehen, als einziger Gegenſtand einer Obligation. Im erſten Fall kann die Verjährung in Frage geſtellt werden entweder für die Hauptſchuld, oder für einzelne periodiſche Leiſtungen.

1) Verjährung einer Hauptſchuld, wenn mit derſelben periodiſche Leiſtungen als Acceſſionen verbunden ſind.

Der Hauptfall dieſer Art iſt das verzinsliche Gelddar - lehen, und es iſt dabey gleichgültig, ob die Schuld gleich Anfangs als Darlehen entſtanden war, oder ob irgendV. 20306Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.eine andere Schuld zinstragend gemacht wurde, und da - durch die Natur eines Darlehens annahm.

Hier gilt die Regel, daß die Verjährung der Haupt - ſchuld anfängt mit dem Zeitpunkt, worin zuerſt eine Zins - zahlung ausgeblieben iſt(k)Verſteht ſich, wenn von da an die Unterlaſſung der Zinszah - lung ſtets fortgedauert hat; denn jede folgende Zinszahlung, wie mangelhaft und unregelmäßig ſie auch ſey, unterbricht wieder, als neue Anerkennung der Hauptſchuld, die ganze Verjährung.. Sie fängt nicht früher an, weil in jeder geleiſteten Zinszahlung eine Anerkennung der Hauptſchuld liegt, die bis zum nächſten Zinstermin fort - wirkt(l)Mit Rückſicht hierauf giebt Juſtinian dem Glaubiger das Recht, eine antapocha zu verlan - gen, um damit den Beweis zu führen, daß er die Zinſen empfan - gen habe. L. 19 C. de fide instr. (4. 21.). Im wirklichen Leben freylich ſind ſolche Gegenquittun - gen ganz ungewöhnlich.; nicht ſpäter, weil in jeder unterlaſſenen Zins - zahlung eine Verletzung des Rechts liegt, wodurch der Glaubiger zur Klage veranlaßt werden muß. Man könnte zwar annehmen, die Verletzung betreffe nur den einzelnen Zinspoſten, nicht das Kapital, ſo daß auch nicht die Ka - pitalklage, ſondern nur die Klage auf den fälligen Zins - poſten zu verjähren anfange. Allein die natürlichere An - ſicht iſt wohl die, daß der Glaubiger ſein Recht auf das Kapital und die Zinſen als ein ungetrenntes Ganze denkt, und daher in der partiellen Verletzung eine Veranlaſſung findet, auch das Kapital einzuklagen, oder wenigſtens durch beſondere Thätigkeit gegen Verjährung zu verwahren(m)Dieſes geſchieht unter an - dern ſchon dadurch, daß er auch nur dieſen einzelnen Zinspoſten wirklich einklagt. Der Satz gilt alſo in aller Strenge nur für den. 307§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)Möchte auch dieſe Anſicht an ſich bezweifelt werden, ſo hat ſie doch in folgender Stelle des Römiſchen Rechts, deren praktiſcher und wohlthätiger Sinn nicht zu verken - nen iſt, beſtimmte Anerkennung gefunden(n)L. 8 § 4 C. de praescr. XXX. (7. 39.).: Exceptionem etiam triginta vel quadraginta annorum in illis contractibus, in quibus usurae promissae sunt, ex illo tempore initium capere sancimus, ex quo debitor usuras minime persolvit.

Indem hier der Zeitpunkt der ausgebliebenen Zinszah - lung beſtimmt als Anfang der Verjährung bezeichnet wird, liegt darin die ganze Reihe der aufgeſtellten Behauptun - gen, das heißt die Ausſchließung ſowohl jedes früheren, als jedes ſpäteren Anfangspunktes. Ganz unrichtig haben Manche dieſe Beſtimmung des Anfangspunktes auf die Verjährung der bloßen Zinsklage bezogen(o)Schon die Gloſſe zu L. 7 § 4 C. eod. und D. Gothofredus in L. 8 § 4 C. cit. äußern ſich in dieſer Weiſe; noch beſtimmter aber Kierulff S. 195, welcher den Grund geltend macht, man müßte ſonſt fälſchlich annehmen, in den nicht bezahlten Zinſen liege eine Leugnung der Kapitalſchuld. Dieſe iſt niemals zum Anfang der Ver - jährung nöthig (§ 239), und liegt z. B. auch nicht darin, daß der Käufer unterläßt, das Kaufgeld zu bezahlen. Die richtige Mey - nung über dieſen Punkt hat Thon S. 29 31.; dafür be - durfte es keiner geſetzlichen Beſtimmung, und es iſt aus der ganzen Faſſung des Geſetzes klar, daß der Kaiſer einen Punkt geſetzlich beſtimmen will, über welchen ſich wohl eine andere Meynung denken ließe. Er ſagt alſo:(m)Fall, wenn der Glaubiger, nach - dem die Zinszahlungen ausgeblie - ben ſind, ganz unthätig bleibt.20*308Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bey zinstragenden Schulden ſollen die 30 Jahre für die Klage aus dem contractus (d. h. auf die Kapitalſchuld) anfangen, wenn zuerſt eine Zinszahlung ausbleibt.

Die aufgeſtellte Regel bedarf jedoch noch folgender näheren Beſtimmungen. Sie iſt nur wahr für den Fall eines auf ganz unbeſtimmte Kündigung gegebenen Darle - hens, wie es ſich da, wo über das Ende gar Nichts ge - ſagt iſt, ohnehin von ſelbſt verſteht. Iſt dagegen eine Kündigungsfriſt ausbedungen, z. B. von Drey Monaten, ſo fängt die Verjährung der Schuldklage erſt Drey Mo - nate nach dem nicht eingehaltenen Zinstermin an, weil ſelbſt im Fall einer ausdrücklichen, in jenem Zeitpunkt aus - geſprochenen Kündigung, erſt nach Drey Monaten geklagt werden konnte. Iſt für das ganze Darlehen ein beſtimm - ter Zeitraum, z. B. von Zehen Jahren, ausbedungen, ſo fängt die Verjährung erſt am Ende der Zehen Jahre an, ſelbſt wenn früher Zinſen ausgeblieben ſind, weil vor je - nem Zeitpunkt in keinem Fall das Kapital eingeklagt wer - den konnte. Es kann aber auch in dieſem Fall die Ver - jährung einen ſpäteren Anfang haben. Iſt nämlich der Schuldner nach Ablauf der Zehen Jahre im Beſitz des Geldes geblieben und hat fernere Zinſen gezahlt, ſo liegt darin eine ſtillſchweigende Erneuerung des Darlehens, nun aber auf unbeſtimmte Kündigung. Es kann geſchehen, daß weder die geleiſtete, noch die ausgebliebene Zinszah - lung bewieſen werden kann, ja daß vielleicht beide Theile über dieſe Thatſache ſelbſt ungewiß ſind, z. B. wenn nach309§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)dem Tode des Glaubigers und des Schuldners die Erben keine Kenntniß von den Geſchäften ihrer Erblaſſer haben, auch keine Urkunden vorfinden. Man möchte glauben, da die Zahlung eine Thatſache ſey, ſo müſſe von Anfang an die Nichtzahlung angenommen werden, wenn die Zahlung nicht bewieſen werden könne; dieſes wäre ſehr hart für den Glaubiger, der wegen der Ungewöhnlichkeit der Ge - genquittungen (Note l) ſehr ſchwer den Beweis der em - pfangenen Zahlung führen kann. In der That aber muß der Schuldner den Beweis führen(p)Dieſes kann unter andern dadurch geſchehen, daß wiederholte Mahnbriefe wegen unterlaſſener Zinszahlung vorgezeigt werden., weil die negative Thatſache der ausgebliebenen Zahlung geſetzlich als An - fangspunkt der Verjährung ausgedrückt iſt (Note n). Ja ſelbſt wenn man auf dieſen Ausdruck kein Gewicht legen wollte, ſo würde doch weder für die Zahlung noch für die Nichtzahlung zu präſumiren ſeyn; dann wäre das Zinsverhältniß gar kein Moment für den Anfang der Ver - jährung, und der Fall wäre ſo zu behandeln wie der eines unverzinslichen Darlehens, wobey die erweisliche Kündi - gung den Anfangspunkt der Verjährung beſtimmt (§ 240).

Dem verzinslichen Darlehen ähnlich iſt der Pacht - und Miethvertrag. Auch hier iſt jede geleiſtete Miethzah - lung Anerkennung der Hauptſchuld, alſo ein Hinderniß für die Verjährung der locati actio. Eben ſo aber muß auch die unterlaſſene Zahlung als Anfangspunkt der Verjäh - rung dieſer Klage angeſehen werden, ganz nach der Ana -310Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.logie der Darlehenszinſen(q)Eine Beſtätigung dieſer glei - chen Behandlung liegt darin, daß dem Verpächter, eben ſo wie dem Glaubiger aus einem verzinslichen Darlehen, das Recht eingeräumt wird, eine antapocha zu fordern, ſo oft er ſelbſt eine Quittung aus - ſtellt. L. 19 C. de fide instr. (4. 21. ), in praefatis casibus, vel aliis privatis similibus ſ. o. Note l. . Man könnte dagegen die geſetzliche Beſtimmung anführen, nach welcher die locati actio auf Rückgabe der Sache niemals verjähren ſoll; allein dabey iſt augenſcheinlich der Fall vorausgeſetzt, daß in der Zwiſchenzeit das Pachtverhältniß ſelbſt auf irgend eine Weiſe anerkannt worden iſt, ſo daß deswegen die Verjährung auf die Klagen wegen der einzelnen Zahlun - gen beſchränkt bleiben muß(r)L. 7 § 6 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) verb. vel con - ductori. Daß es ſo iſt, folgt unter andern aus L. 14 C. de fun - dis patr. (11. 61. ), nach welcher ſelbſt bey Patrimonialgütern des Kaiſers das ademti canonis be - neficium durch Klagverjährung ge - wonnen werden kann. Allerdings wird aber die Sache für die lo - cati actio nun verändert durch die im canoniſchen Recht für Fälle dieſer Art geforderte bona fides; davon wird weiter unter die Rede ſeyn.. Iſt der Pacht - oder Mieth - vertrag für ein Grundſtück auf beſtimmte Zeit geſchloſſen, ſo tritt folgender Unterſchied von dem gleichartigen Geld - darlehen ein. Wenn die Zahlung des Pachtgeldes zwey Jahre ausgeblieben iſt, ſo darf der Verpächter den Päch - ter entſetzen(s)L. 54 § 1 L. 56 locati (19. 2. ), L. 3 C. eod. (4. 65.).; unterläßt er Dieſes, ſo fängt von dieſem Zeitpunkt die Verjährung der locati actio an.

Die Emphyteuſe iſt eigentlich gar keiner Kündigung unterworfen, ſo daß die unterlaſſene Zahlung des Ca - nons keinen Einfluß auf die Klagverjährung wegen des Grundſtücks ſelbſt zu haben ſcheint. Allein wenn die Zah -311§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)lung des Canons und der Steuern Drey volle Jahre un - terbleibt, ſo darf der Erbpächter entſetzt werden(t)L. 2 C. de jure emph. (4. 66.)., und unterbleibt Dieſes, ſo fängt nun die Verjährung der Haupt - klage an, indem jetzt die Emphyteuſe hierin auf gleiche Linie mit dem Vertrag über Zeitpacht tritt. Man könnte glauben, dieſe Klage ſey überhaupt aller Verjährung ent - zogen(u)L. 7 § 6 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) verb. ei, qui jure emphyteutico rem aliquam .. detinuerit , ſ. o. Note r. ; dieſe Behauptung aber iſt auf dieſelbe Weiſe zu beſeitigen, wie es ſo eben bey dem Zeitpachtvertrag ge - ſchehen iſt.

2) Verjährung der periodiſchen Leiſtungen ſelbſt, die eine acceſſoriſche Natur haben.

Wenn die Kapitalforderung durch Verjährung verlo - ren wird, ſo ſind zugleich die Klagen auf alle rückſtändige Zinſen mit verjährt, ſelbſt wenn dieſe aus ſehr neuer Zeit herrühren ſollten(v)L. 26 C. de usuris (4. 32.) Cujacius paratit. in Cod. 7. 39.. Der Grund dieſer ſcheinbaren Ano - malie liegt in der acceſſoriſchen Natur dieſer Leiſtungen, womit die Verfolgung derſelben nach verlorner Hauptklage im Widerſpruch ſtehen würde. Dazu kommt der mehr praktiſche Grund, daß gerade bey Geldſchulden die Klag - verjährung auch auf der Präſumtion der Tilgung beruht (§ 237); iſt aber wirklich die Tilgung erfolgt, ſo iſt da - durch auch jeder fernere Anſpruch auf Zinſen aufgehoben.

Wenn aber die Klage auf die Hauptſchuld der Ver - jährung entzogen iſt, z. B. durch erneuerte Anerkennung,312Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſo verjährt die Klage auf jeden einzelnen Zinspoſten für ſich, von der Zeit an, wo derſelbe fällig geworden iſt; eben ſo iſt es auch bey den Forderungen wegen Mieth - und Pachtgeld(w)L. 7 § 6 C. de praescr. XXX. (7. 39.)..

3) Die Klagen auf periodiſche Leiſtungen, die keine acceſſoriſche Natur haben, wie z. B. die durch Legat ge - ſtifteten ewigen Renten, verjähren, eben ſo wie in dem zuletzt erwähnten Fall, jede für ſich, von der Zeit an, worin jede Leiſtung fällig wurde(x)Die L. 7 § 6 C. de prae - scr. XXX. (7. 39. ) umfaßt offen - bar auch dieſen Fall der ſelbſt - ſtändigen periodiſchen Leiſtungen., ſo daß dieſe Ver - jährung auf das Recht im Allgemeinen keinen Einfluß hat. Wenn jedoch der Schuldner das Recht ſelbſt ver - neint, und deshalb die periodiſche Leiſtung unterläßt, ſo hat der Glaubiger Veranlaſſung, in ſeiner Klage auch dieſe allgemeine Grundlage ſeiner einzelnen Forderungen geltend zu machen. Unterläßt er nun dennoch jede Klage überhaupt, ſo geht ihm nach 30 Jahren das Klagrecht auch für alle ſpätere Leiſtungen verloren, wie wenn in gleichem Fall von den Zinſen eines Kapitals die Rede geweſen wäre(y)Unterholzner II. § 260..

§ 242. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun - gen. b. Ununterbrochene Verſäumniß.

Die Verſäumniß, worauf das Weſen der Klagverjäh -313§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.rung beruht, muß ſich durch einen ganzen Zeitraum gleich - mäßig hindurch ziehen. Iſt ſie alſo in irgend einem, zu jenem Zeitraum gehörenden, Zeitpunkt nicht vorhanden, ſo iſt die Verjährung unterbrochen, und Dasjenige, wo - durch bisher der Weg zu ihr gebahnt wurde, iſt ſpurlos vernichtet. Es kann vielleicht ſpäter eine neue Verjährung anfangen, dieſe iſt aber von der früher angefangenen ganz unabhängig, und kann an dieſelbe auf keine Weiſe ange - knüpft werden.

Die Unterbrechung kann geſchehen auf dreyerley Weiſe: durch Aufhebung der Verletzung, durch Anerkenntniß des Rechts von Seiten des Gegners, durch Anſtellung der Klage.

I. Aufhebung der Verletzung.

Sie zerſtört immer das bisher beſtehende Klagrecht (§ 230), alſo auch die auf dieſes bezügliche Verjährung, ſo daß künftig nur etwa eine neue, der früheren ähnliche, Klage entſtehen kann, deren Verjährung dann aber mit der früheren keinen Zuſammenhang hat.

Es iſt in dieſer Beziehung gleichgültig, ob jene Auf - hebung kurz oder lang dauerte; imgleichen ob zugleich der Verletzte den Genuß ſeines Rechts wieder erhielt oder nicht. Daher iſt die Verjährung der Eigenthumsklage gleichmäßig unterbrochen, der Beſitz mag wieder an den Eigenthümer zurück gekehrt, oder an einen Dritten durch deſſen eigenmächtige Handlung (nicht durch ein Rechtsge - ſchäft) gelangt ſeyn.

314Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Natur einer ſolchen Unterbrechung hat bey einer Schuldklage der Fall, wenn der Glaubiger den Beſitz der ihm verpfaͤndeten Sache erlangt(a)L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) si quis eorum, quibus aliquid debetur, res sibi suppositas sine violentia te - nuerit, per hanc detentionem interruptio fit praeteriti tem - poris Es ſoll ſtärker wir - ken, als die Anſtellung der Klage, ganz wie eine litis contestatio. Die Beſchränkung in den Wor - ten sine violentia gründet ſich darauf, daß der gewaltſame Beſitz ſogleich wieder durch ein Interdict abgefordert werden kann, ja daß er, nach den neueren Regeln über die Selbſthülfe, den Verluſt des Rechts ſelbſt herbey führt.. Man kann dieſen Beſitz betrachten als den Genuß der Forderung ſelbſt, näm - lich ihres Geldwerths, wegen der in dem Pfandrecht ent - haltenen Befugniß, das Pfand zu verkaufen, und ſich mit dem erlöſten Gelde bezahlt zu machen(b)Donellus Lib. 16 C. 8 § 23. Wenn der Beſitz des Pfandes durch den Willen des Schuldners erworben wurde, oder doch mit deſſen Wiſſen und Dul - dung, ſo liegt darin zugleich ein Anerkenntniß der Schuld, alſo eine Unterbrechung der folgenden Art; dieſer Grund der Unterbrechung iſt alſo hier weniger allgemein und durchgreifend, als der oben im Text aufgeſtellte..

II. Anerkenntniß des Rechts von Seiten des Gegners; dadurch iſt ſowohl die Nachläſſigkeit des Berechtigten, als die Präſumtion der Tilgung, die aus der bisherigen Ver - ſäumniß entſtand, aufgehoben, und es kann eine neue Ver - jährung nur von dem Zeitpunkt des Anerkenntniſſes an - fangen. Jedoch kann dieſe wichtige Wirkung nicht jeder blos mündlichen oder ſchriftlichen Rede, ſondern nur einer ſolchen Handlung beygelegt werden, welche die Natur eines Rechtsgeſchäfts hat. Dieſe Regel läßt ſich aus folgenden,315§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.in unſren Rechtsquellen erwähnten, Fällen einer ſolchen Unterbrechung abſtrahiren.

Es gehört dahin die Ausſtellung eines neuen Schuld - ſcheins(c)L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).; jede Zinszahlung(d)L. 8 § 4 C. de praescr. XXX. (7. 39. ), L. 19 C. de fide instr. (4. 21. ), vgl. oben § 241.; eben ſo die Zahlung eines Theils der Hauptſchuld ſelbſt, vorausgeſetzt daß ſie als Abſchlagszahlung ausdrücklich bezeichnet wird(e)L. 5 C. de duobus reis (8. 40.).; die Beſtellung eines früher nicht verabredeten Pfandes(f)Dafür beweißt die Analogie des Beſitzerwerbes an einem ſchon beſtellten Pfand (Note a); ferner die neu entſtandene Hypothekarkla - ge, die dem Schuldner auf einem andern Wege zu derſelben Befrie - digung hilft, wie die Schuldklage; endlich die Analogie des neuen Schuldſcheins (Note c), in Ver - gleichung mit welchem die Beſtel - lung eines Pfandes eine eben ſo entſchiedene, und nur noch viel wirkſamere Anerkennung iſt.; die Beſtellung eines Bürgen(g)Dafür gilt ein Theil der in der Note f bey dem Pfande an - geführten Beweiſe. Ohne Grund beſtreitet dieſen Satz Giphanius p. 250.; endlich das wiederholte Ver - ſprechen einer ſchon beſtehenden Schuld (constitutum)(h)L. 18 § 1 de pec. const. (13. 5.). Aus dieſem Geſchäft ent - ſpringt eine neue Klage, die con - stitutoria actio; außerdem aber liegt darin auch die Anerkennung der früheren Obligation, und ſo - mit die Unterbrechung der Ver - jährung..

Wenn ſich eine Schuld auf zwey Glaubiger oder zwey Schuldner gemeinſchaftlich bezieht (duo rei), ſo wirkt das von einem der beiden Mitſchuldner, oder gegen einen der beiden Mitglaubiger, erklärte Anerkenntniß auf beide zu - gleich(i)L. 5 C. de duobus reis (8. 40.)..

Dagegen darf die bloße Mahnung des Schuldners als316Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Unterbrechung der Verjährung nicht betrachtet werden; eben ſo wenig die Ceſſion, wodurch der Glaubiger ſeine Forderung an einen Dritten überträgt(k)Unterholzner II. § 262.. Beides ſind einſeitige Handlungen des Berechtigten, in welchen ein Anerkenntniß von Seiten des Gegners durchaus nicht ge - funden werden kann.

III. Die wirkliche Anſtellung der Klage.

Vor Allem iſt hier der eigentliche Zeitpunkt der Unter - brechung genauer zu beſtimmen.

Im früheren Recht war es die Litisconteſtation, weil erſt dieſe die Klage in litem deducirte(l)L. 8 in f. de fid. et no - min. (27. 7. ), L. 9 § 3 de jure - jur. (12. 2.). Keller Litisconte - ſtation S. 82. Untcrholzner I. § 124. So war es namentlich auch bey der longi temporis prae - scriptio. L. 10 C. de praescr. longi temp. (7. 33. ), L. 26 C. de rei vind. (3. 32.).; dieſe Regel war für den Kläger nicht drückend, ſo lange eine Citation als Privathandlung geſtattet, und deren ſicherer und raſcher Erfolg theils durch eine Entſchädigungsklage, theils durch Bürgſchaft geſchützt war.

Fänden wir dieſe Regel unverändert in unſren Rechts - quellen und in unſrer Praxis, ſo würde eine geſetzliche Änderung dringendes Bedürfniß ſeyn, da für den Beklag - ten Nichts leichter wäre, als durch Verzögerung der Litis - conteſtation die Unterbrechung zu verhindern. Allein ſchon im neueren Römiſchen Recht waren andere, den unſrigen ähnliche, Verhältniſſe eingetreten, wodurch folgende neue Beſtimmungen herbeygeführt worden ſind. Anfangs wurde317§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.die litis denunciatio, ein beſonderes Prozeßinſtitut der mitt - leren Zeit, als Unterbrechung der Verjährung angenom - men(m)Hollweg Handbuch des Prozeſſes B. 1 S. 249.. Zuletzt aber iſt dafür die in Folge des ſchrift - lichen Klaglibells vom Richter erkannte, und dem Beklagten inſinuirte, Citation beſtimmt worden, welche auch in unſrer Praxis gilt, und unſren Bedürfniſſen völlig entſpricht(n)Hollweg B. 1 S. 253.. Daß nun Dieſes wirklich die Meynung des Juſtinianiſchen Rechts iſt, könnte man etwa noch bezweifeln nach dem zweydeutigen Ausdruck einer Stelle(o)L. 1 § 1 C. de ann. exc. (7. 40.)., worin es heißt: quae in judicium deductae sunt, et cognitionalia acce - perunt certamina; allein folgende Stellen laſſen keinen Zweifel übrig. Es wird geſagt, die Unterbrechung ge - ſchehe etiam per solam conventionem(p)L. 7 pr. C. de praescr. XXX. (7. 39.).; ferner: subse - cuta per executorem conventio(q)L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39.).; dann wird der Beſitz des Pfandes der Litisconteſtation gleichgeſtellt, und dabey geſagt: multo magis quam si esset interruptio per con - ventionem introducta(r)L. 7 § 5 C de praescr. XXX. (7. 39. ) vgl. oben Note a. , ſo daß alſo hierin die Unter - brechung durch die von der Litisconteſtation ſelbſt wörtlich unterſchiedene Anſtellung der Klage ausdrücklich aner - kannt wird. Die entſcheidendſte Stelle aber enthält fol - gende Beſtimmung(s)L. 3 C. de ann. exc. (7. 40.).: qui obnoxium suum in judicium clamaverit, et libel -318Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.lum conventionis ei transmiserit videri jus suum omne eum in judicium-deduxisse, et esse interrupta temporum curricula.

Hier iſt für die Inſinuation des Klaglibells zweyerley anerkannt: erſtlich, daß dieſelbe alle laufende Klagverjäh - rungen (temporum curricula) unterbreche; zweitens daß in ihr nunmehr die wahre deductio in judicium enthalten ſey. Dieſe letzte Beſtimmung giebt denn zugleich der oben an - geführten zweydeutigen Stelle (Note o) ihre ſichere Be - deutung.

Die hier vorgetragene Lehre gilt in der Praxis un - zweifelhaft, und hat auch in der Theorie wenig Wider - ſpruch gefunden(t)Glück B. 3 § 236 verwirrt die Sache ſo daß er weder als Anhänger noch als Gegner der hier aufgeſtellten Lehre gelten kann.. Unterholzner hält die eben darge - ſtellte Abänderung des älteren Rechts für zweifelhafter als ſie in der That iſt; wegen des praktiſchen Bedürfniſſes will er der Litisconteſtation, die er noch im neueſten Recht als die eigentliche Unterbrechung anſieht, eine rückwirkende Kraft zuſchreiben, und zwar ſogar bis zur Anſtellung der Klage(u)Unterholzner I. § 124.. Andere machen einen ganz grundloſen Unter - ſchied zwiſchen der dreyßigjährigen Verjährung und den früheren; jene ſoll durch die Inſinuation unterbrochen wer - den, dieſe durch die Litisconteſtation(v)Dahin gehören die älteren Schriftſteller, gegen die ſich Gi - phanius p. 248. 249 erklärt; in neuerer Zeit Vangerow I. S. 182. Die Veranlaſſung dieſer Mey - nung liegt darin, daß die älteren Stellen, in welchen die Litisconte - ſtation als Unterbrechung betrach - tet wird, allerdings nur von kür -.

319§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)

§. 243. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen. b. Ununterbrochene Verſäumniß. (Fortſetzung.)

Es ſind jedoch einige Surrogate zu bemerken, wodurch die Klagverjährung eben ſo ſicher, wie durch die Inſinua - tion der angeſtellten Klage, unterbrochen werden ſoll.

Wenn Der, gegen welchen die Klage gerichtet werden müßte, durch Abweſenheit, Kindesalter, Wahnſinn unfähig iſt, die Inſinuation ſelbſt zu empfangen, und wenn es zu - gleich an einem Vertreter deſſelben fehlt, ſo kann der Be - rechtigte die Verjährung dadurch unterbrechen, daß er die Klagſchrift der richterlichen Obrigkeit, oder wo ihm dieſe nicht zugänglich iſt, dem Biſchoff oder dem Defenſor des Orts übergiebt, oder im Nothfall an dem Wohnort des Gegners öffentlich anſchlägt(a)L. 2 C. de ann. exc. (7. 40.). Unterholzner I. § 129. Daß im heutigen Recht von dem Defenſor und dem Biſchoff nicht die Rede ſeyn kann, verſteht ſich; es wird aber überhaupt nicht leicht mehr dieſes außerordentliche Hülfs - mittel zur Anwendung kommen..

Bey Correalklagen iſt es hinreichend, daß Einer klage, oder Einer verklagt werde, um die Verjährung in Be -(v)zeren Verjährungen reden, weil damals keine andere vorhanden waren. Will man aber jetzt durch dieſe diſtinguirende Vereinigung jenen Stellen eine fortdauernde Gültigkeit verſchaffen, ſo ſteht das im Widerſpruch mit den angeführ - ten, ganz allgemein redenden, Ju - ſtinianiſchen Geſetzen. Auch würde es ganz inconſequent ſeyn, die Un - terbrechung der kurzen Verjährun - gen beſonders zu erſchweren, die gewiß eher eine Erleichterung ver - diente, wenn hierin überhaupt ein Unterſchied gelten ſollte.320Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ziehung auf Alle zu unterbrechen(b)L. 5 C. de duobus reis (8. 40.).. Wenn der Glau - biger die perſönliche Klage gegen den Schuldner anſtellt, ſo iſt dadurch zugleich die Verjährung der Hypothekarklage unterbrochen, und eben ſo auch im umgekehrten Fall(c)L. 3 C. de ann. exc. (7. 40.).. Wenn unter denſelben Perſonen mehrere Rechtsverhält - niſſe ſtreitig ſind, und der Klaglibell ſo unbeſtimmt iſt, daß es ungewiß bleibt, welchen Rechtsſtreit er zum Gegenſtand hat, ſo ſoll die Unterbrechung für alle dieſe Klagen gel - ten(d)L. 3 C. de ann. exc. (7. 40.). Nach dieſer Analogie könnte man annehmen, daß die (ohne Erfolg) angeſtellte Klage aus dem Beſitz zugleich die Ver - jährung der Vindication unterbre - che; Unterholzner I. S. 445 will zwar nicht dieſe Unterbrechung gelten laſſen, wohl aber der Ver - jährungszeit der Vindication die durch fruchtloſe Beſitzklage verlorne Zeit hinzurechnen.. Auch iſt nicht zu bezweifeln, daß die ange - ſtellte Klage auf einen einzelnen Zinspoſten zugleich die Verjährung der Kapitalklage unterbricht, da bey dieſem beſchränkten Rechtsſtreit auch das Daſeyn der Hauptſchuld zur Sprache kommen kann.

Wenn die Parteyen ein Compromiß eingehen, ſo gilt die Übergabe der ſchriftlichen Klage vor dem Schiedsrich - ter als Unterbrechung der Verjährung(e)L. 5 § 1 C. de rec. arbi - tris (2. 56.). Früher war dieſer Satz ſehr beſtritten..

Dagegen ſind folgende Thatſachen nicht als Unterbre - chungen der Verjährung zu betrachten.

Die Anſtellung der Klage unterbricht nur für und wi - der dieſe beſtimmte Perſonen, und deren Succeſſoren, nicht321§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)für und wider fremde Perſonen, zwiſchen welchen dieſelbe, oder eine verwandte Klage angeſtellt werden könnte. Da - her unterbricht die Anſtellung der Schuldklage nicht die dem dritten Pfandbeſitzer zu gut kommende Verjährung(f)Thon S. 5. Daß es bey Correalklagen anders iſt, wurde ſchon oben bemerkt, Note b. .

Die Aufſtellung einer Exception unterbricht nicht die Verjährung der aus demſelben Rechtsverhältniß abzulei - tenden Klage. Zwar wenn die Exception rechtskräftig an - erkannt oder verworfen wird, ſo wird dadurch ſehr häufig die Frage nach der Verjährung für dieſes Rechtsverhält - niß abſorbirt ſeyn(g)So z. B. wenn die als Com - penſation geltend gemachte Forde - rung als unbegründet verworfen wird, ſo hat deshalb der Kläger, wenn er ſpäter aus derſelben For - derung verklagt wird, eine excep - tio rei judicatae. . Allein der Satz iſt wichtig für die Fälle, worin der erſte Prozeß liegen bleibt, oder worin der Richter die Exception unentſchieden läßt, weil er aus anderen Gründen entſcheidet(h)Unterholzner I. § 128..

Die Übergabe der Klagſchrift an den Kaiſer, wenn - gleich darauf eine rescriptio erfolgt iſt. Dieſe ſollte bey den prätoriſchen Annalklagen als Unterbrechung gelten, für alle andere Verjährungen, namentlich die dreyßigjäh - rige nicht(i)L. 2 C. quando lib. (1. 20. ), L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Unterholzner I. § 130.. Für das heutige Recht hat dieſe Art der Unterbrechung gar keine Bedeutung.

Die vor einem incompetenten Richter angeſtellte Klage unterbricht die Verjährung nicht(k)L. 7 C. ne de statu (7. 21.)..

V. 21322Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Wirkung der durch Anſtellung der Klage herbey geführten Unterbrechung iſt verſchieden, je nachdem die Klage zu einem rechtskräftigen Urtheil geführt hat, oder vorher der Rechtsſtreit liegen geblieben iſt. Im erſten Fall iſt das Urtheil allein beſtimmend für das Rechtsverhältniß, ſo daß daneben von der früheren Klage und ihrer Verjäh - rung nicht mehr die Rede iſt. Im zweiten Fall war nach kurzer Zeit, durch die von der Klagverjährung ganz ver - ſchiedene Prozeßverjährung, das Klagrecht für immer ver - loren(l)Gajus IV. § 104, 105.. Abgeſehen aber von dieſer Prozeßverjährung, das heißt wo ſie nicht anwendbar war(m)Alſo nach ihrer Aufhebung, oder auch, nach Manchen, außer der Stadt Rom, indem ſie über - haupt nur in der Stadt gegolten haben ſoll., erhielt nun - mehr die Klage eine endloſe Dauer(n)L. 139 pr. de R. J. (50. 17)., indem die früher laufende Verjährung zerſtört, und eine neue für dieſen Fall nicht angeordnet war. Als nun die immerwährenden Kla - gen überhaupt in dreyßigjährige umgewandelt wurden, war es ganz conſequent, die nicht zu Ende geführte Klage nun auch einer dreyßigjährigen Verjährung zu unter - werfen(o)L. un. § 1 C. Th. de act. certo temp. fin. (4. 14.). Dieſer Theil der Stelle iſt in der L. 3 C. Just. de praescr. XXX. (7. 39. ) natürlich weggelaſſen worden, wegen der gleich folgenden Abän - derung..

Hierin hat Juſtinian folgende wichtige Neuerung ein - geführt. Die unbeendigte Klage ſoll, von der letzten ge - richtlichen Handlung an, Vierzig Jahre lang wieder auf -323§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)genommen werden können, und erſt am Ende dieſes Zeit - raums durch Verjährung verloren ſeyn(p)L. 9 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) ex quo novissima pro - cessit cognitio. L. 1 § 1 C. de ann. exc. (7. 40.). Iſt es nicht einmal bis zur Citation gekom - men, ſo iſt die Verjährung gar nicht unterbrochen, ſ. o. § 242..

Ohne Grund hat man verſucht, die Anwendung dieſes Geſetzes auf mancherley Weiſe zu beſchränken. So ſoll es blos auf perſönliche Klagen zu beziehen ſeyn, bey welcher Behauptung das Misverſtändniß einiger Ausdrücke des Ge - ſetzes zum Grunde liegt(q)L. 9. C. cit. Sed licet personalis actio ab initio fuerit instituta, eam tamen in qua - dragesimum annum extendi - mus. Das bezieht ſich darauf, daß die Hypothekarklage ſchon früher eine vierzigjährige Dauer (auch wenn ſie nicht angeſtellt war) bekommen hatte. Unterholzner I. S. 446.. Andere beziehen die vier - zig Jahre nur auf den Fall, wenn es bis zur Litisconte - ſtation gekommen iſt; brach der Prozeß zwar nach der Ci - tation, aber vor der Litisconteſtation ab, ſo ſollen dreyßig Jahre gelten(r)Donellus Lib. 16 C. 8 § 23.. Dieſe Unterſcheidung gehört zu den ganz fruchtloſen Beſtrebungen, die ältere Beſtimmung von der Litisconteſtation mit der neueren von der Citation, als un - terbrechender Thatſache, zu vereinigen(s)Vgl. oben § 242. Note v. . Manche wol - len die vierzig Jahre nur gelten laſſen für die urſprüng - lich dreyßigjährigen Klagen; bey den kürzer dauernden Klagen ſollen, von der letzten Prozeßhandlung an, dreyßig Jahre gerechnet werden(t)Cujacius observ. XVIII. 29, Unterholzner I. S. 447.. Dieſe Beſchränkung ſteht im Widerſpruch mit der allgemeinen Vorſchrift des Juſtinia -21*324Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.niſchen Geſetzes, und muß daher als willkührlich verworfen werden(u)Thibaut Verjährung S. 120. Göſchen I. S. 447. Van - gerow I. S. 181.. Noch weniger Grund hat es, wenn Manche, bey den urſprünglich vierzigjährigen Klagen, nunmehr funf - zig Jahre annehmen wollen(v)Dieſer Meynung widerſpricht auch Unterholzner I. S. 446.. Gegen beide abweichende Meynungen ſpricht, außer der uneingeſchränkten Vor - ſchrift des Geſetzes, noch folgende allgemeinere Betrach - tung. Wenn die angeſtellte Klage hinterher liegen blieb, ſo iſt die Lage des Klägers eine ganz andere als die, worin er ſich vor Anfang des Rechtsſtreits befand, ſo daß die Gründe, welche urſprünglich bald kürzere, bald längere Verjährungsfriſten veranlaßten, nun nicht mehr eingreifen. Die nunmehr ganz veränderte Lage des Klägers erhellt beſonders aus der Betrachtung, daß es jetzt gar nicht mehr ermittelt werden kann, wie viel bey der Verzögerung der Sache dem Kläger, wie viel dem Beklagten oder dem Richter zur Laſt fällt. Hierin aber ſtehen alle Klagen ein - ander gleich, ſie mögen urſprünglich eine kurze oder eine lange Verjährungsfriſt gehabt haben, und es iſt daher auch kein Grund vorhanden, unter dieſen neuen Verhält - niſſen bey manchen Klagen eine größere Strenge, als bey anderen, gegen den Kläger eintreten zu laſſen.

Dagegen darf in folgenden Fällen der Zeitraum von Vierzig Jahren nicht zur Anwendung gebracht werden:

I. Nach der rechtskräftigen Verurtheilung. Zwar hat es auf den erſten Blick vielen Schein, daß die Lage des325§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)Klägers jetzt nicht ungünſtiger werden dürfe, als vor dem Urtheil, wo das Recht des Klägers noch ungewiß war(w)Unterholzner I. § 125. S. 444, II. § 267.. Dennoch müſſen jetzt dreyßig Jahre gelten(x)Pufendorf T. 1 Obs. 117.. Denn das rechtskräftige Urtheil enthält der Sache nach eine wahre Novation, da es ſogar den urſprünglichen Anſpruch ganz umbilden kann; es führt auch geradezu den Namen nova - tio(y)L. 3 pr. C. de usuris rei jud. (7. 54.).. Daher iſt denn auch die urſprüngliche Klage, von deren modificirter Verjährung etwa die Rede ſeyn könnte, gar nicht mehr vorhanden, es iſt eine neue Klage aus dem Urtheil ſelbſt entſtanden, und dieſe iſt der gewöhnlichen Verjährung, wie jede andere Klage, unterworfen. Fol - gende, mehr practiſche, Betrachtung führt zu demſelben Erfolg. Solange die Sache liegen blieb, konnte der Klä - ger dadurch entſchuldigt werden, daß er über der Been - digung derſelben ermüdete und daran verzweifelte. Wenn aber Alles zu ſeinem Vortheil klar entſchieden iſt, fällt dieſe Entſchuldigung gänzlich hinweg.

II. Im Fall der Beendigung eines Rechtsſtreits durch Vergleich treten dieſelben Gründe, und ſelbſt noch unzwei - felhafter, ein. Denn es iſt jetzt nicht mehr die urſprüng - liche Klage vorhanden, der Vertrag iſt ein neuer Rechts - grund geworden, und die Klage aus demſelben verjährt wie jede andere, in dreyßig Jahren.

III. Der letzte Fall einer Ausnahme von der Regel326Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der vierzig Jahre hat einen weniger allgemeinen Grund, als die eben angeführten Fälle; der Grund deſſelben iſt ein hiſtoriſcher, und ein ſolcher, der auf die Juſtizverfaſ - ſung des deutſchen Reichs ein trauriges Licht wirft. Wenn an den Reichsgerichten Prozeſſe bis zum Spruch geführt, nun aber liegen geblieben waren, ſo lag es nicht in der Macht des Klägers, den Spruch zu erzwingen. Obgleich nun die Behandlung dieſes Gegenſtandes beſtritten war, ſo war doch aus einleuchtender Billigkeit die Meynung vorherrſchend geworden, daß jetzt gar keine Verjährung, auch nicht die von vierzig Jahren, eintreten dürfe. Nach der Auflöſung des deutſchen Reichs ſind die bey den Reichs - gerichten vorräthigen Prozeſſe an die höchſten Gerichte der einzelnen deutſchen Staaten übergegangen. Ein Preußi - ſches Geſetz hat die angeführte Regel ausdrücklich als gül - tig anerkannt(z)Preußiſches Geſetz vom 18. May 1839, Geſetzſammlung 1839 S. 175..

§. 244. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun - gen. c. Bona fides(a)Dieſe Frage iſt ſchon oben kurz berührt worden, B. 3 Beylage VIII. Num. XXIII; hier muß ge - nauer darauf eingegangen werden..

Möllenthiel Natur des guten Glaubens bey der Verjährung. Erlangen 1820 § 19 31 (Ausführ - liche und gründliche Behandlung dieſer Streitfrage).

Wie es ſich mit dieſer Bedingung der Verjährung im Römiſchen Recht verhielt, darüber iſt kein Streit. Die327§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. Uſucapion erforderte bona fides für den Anfang des Be - ſitzes, nicht für deſſen Fortſetzung. Der Klagverjährung an ſich war dieſes Erforderniß fremd, indem nur auf die Verſäumniß des Klägers geſehen wurde. Nur die longi temporis praescriptio ſchloß ſich in ihren Bedingungen ganz an die Uſucapion an, ſo daß auch die bona fides dazu gerechnet werden mußte. Wenn ſpäter Juſtinian auch für den dreyßigjährigen Beſitz bona fides forderte(b)L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.)., ſo geſchah dieſes nur, inſofern hier der Beſitzer auf die Vortheile der Erſitzung Anſpruch machen, alſo über die Klagverjährung hinaus gehen wollte; für dieſe letzte lag darin gar keine Neuerung. Auch die longi temporis praescriptio iſt als ein ſelbſtſtändiges Rechtsinſtitut aus dem Juſtinianiſchen Recht verſchwunden, und ſo kann man ſagen, daß im neueſten Römiſchen Recht die bona fides als Bedingung der Klagverjährung gar nicht mehr vorkommt.

Dieſer Zuſtand des Rechts hat ſich bis zu Ende des zwölften Jahrhunderts unverändert erhalten, und Gratian ſtellt ihn, um die Mitte deſſelben, ſo dar, wie wir ihn in den Quellen des Römiſchen Rechts finden(c)c. 15. C. 16. q. 3..

Wichtige Neuerungen aber wurden eingeführt durch zwey Decretalen, deren wahrer Sinn von jeher in hohem Grade beſtritten geweſen iſt, und deren Text hierher ge - ſetzt werden ſoll, ſoweit er zur Feſtſtellung dieſer Lehre nöthig iſt(d)Ausführlicher handelt von beiden Stellen Möllenthiel a. a. O., und Unterholzner I. § 92.:

328Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • C. 5. X. de praescript. (2. 26.). Alexander III. Vigilanti studio cavendum est ne malae fidei pos - sessores simus in praediis alienis: quoniam nulla an - tiqua dierum possessio juvat aliquem malae fidei possessorem, nisi resipuerit, postquam se noverit aliena possidere, quum bonae fidei possessor dici non possit (e)Der letzte Theil der Stelle ſagt in der Sache nichts Neues, drückt aber deutlich die Abſicht aus, das Römiſche Recht abzuändern..
  • C. 20. X. de praescript. (2. 26.) Innocentius III. Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum est, synodali judicio diffinimus, ut nulla valeat abs - que bona fide praescriptio tam canonica quam civi - lis, quum generaliter sit omni constitutioni atque consuetudini derogandum, quae absque mortali pec - cato non potest observari. Unde oportet, ut, qui praescribit, in nulla temporis parte rei habeat con - scientiam alienae.

In beiden Decretalen iſt die Abſicht einer Änderung des Römiſchen Rechts, und zwar aus ſittlich-religiöſen Gründen, deutlich ausgeſprochen; der Inhalt und Umfang der Neuerung iſt es, worauf ſich Streit und Zweifel beziehen.

Nun ſind darin zwey Abweichungen vom Römiſchen Recht ſogleich erkennbar, und über dieſe iſt kein Streit; erſtlich in den Gegenſtänden, zweytens in der geforderten329§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. Dauer der bona fides. Das Römiſche Recht erkennt eine Uſucapion, wozu auch die bona fides erfordert wird, le - diglich bey dem Eigenthum an; bey den Servituten findet ſich etwas Ähnliches, nicht Daſſelbe, und namentlich an die Stelle der bona fides treten hier andere, obgleich ver - wandte, Erforderniſſe. Hier wird, in den Worten: prae - scriptio tam canonica quam civilis, darauf hingewieſen, daß jetzt neue, aus den kirchlichen Verhältniſſen entſprun - gene, Rechte, eben ſo wie nach Römiſchem Recht das Eigen - thum (quam civilis), dem Erwerb durch bonae fidei pos - sessio unterworfen ſind, wohin die Diöceſanrechte, Zehen - ten u. ſ. w. gehören, welche mehr Analogie mit dem Eigen - thum haben als die Servituten, großentheils auch mit einem Grundeigenthum, als Acceſſionen deſſelben, verknüpft ſind(f)Möllenthiel § 20 S. 113. 115 § 24. 25.. Dieſe erweiterte Anwendung der Erſitzung iſt auch nach vielen anderen Stellen unzweifelhaft, aber ſie iſt nicht hier neu eingeführt; ſie war durch Gewohnheits - recht entſtanden, wird aber hier gelegentlich anerkannt, und denſelben Regeln, wie die Römiſche Uſucapion, unter - worfen.

Die zweyte Abweichung vom Römiſchen Recht iſt hier neu vorgeſchrieben, ſie iſt der augenſcheinliche Zweck bei - der Decretalen. Die bona fides ſoll nicht blos im Anfang des Beſitzes vorhanden ſeyn, wie nach Römiſchem Recht, ſondern während der ganzen Dauer deſſelben. Dieſes liegt in den Worten des erſten Geſetzes: postquam se noverit330Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aliena possidere, und noch deutlicher in denen des zwey - ten: in nulla temporis parte rei habeat conscientiam alienae.

So weit iſt kein Streit. Die fernere Frage aber iſt die, auf welche Rechtsinſtitute die zweyte Abweichung bezogen werden ſoll: ob blos auf die Uſucapion, oder auch auf die Klagverjährungen. Nimmt man die erſte Mey - nung an, ſo beſchränkt man die Neuerung auf den ſo eben angegebenen Inhalt. Nach der zweyten Meynung würde eine fernere Neuerung darin beſtehen, daß die bona fides auch für die Klagverjährung erfordert würde, worin ſie dem Römiſchen Recht fremd iſt, und hier natürlich auch in derſelben ſtrengeren Geſtalt, welche für die Uſucapion unzweifelhaft vorgeſchrieben iſt.

Der leichteren Überſicht wegen habe ich vorläufig nur zwey entgegengeſetzte Meynungen erwähnt; in der That aber hat ſich der Widerſtreit in folgenden Vier Stufen ausgebildet:

  • 1) Jene Decretalen beziehen ſich nur allein auf die Uſu - capion
    (g)Vertheidiger dieſer Mey - nung: Boden de praescriptione ex solo temporis lapsu proce - dente Halae 1750 § 13 22. Seuffert Erörterungen Abth. 1 S. 134. Kierulff S. 206 209.
    (g);
  • 2) Sie beziehen ſich außerdem auch auf die Verjäh - rung der in rem actiones, weiter nicht
    (h)Vertheidiger dieſer Mey - nung: Giphanius p. 255. 256.
    (h);
  • 3) Außerdem auch auf perſönliche Klagen, jedoch nur wenn dieſe auf Reſtitution einer unrechtmäßig beſeſſenen331§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. Sache gehen
    (i)Alſo z. B. auf actio com - modati, depositi, pignoratitia, locati, wenn dieſe auf Rückgabe der Sache gerichtet werden, nicht auf Miethgeld, oder Erſatz für einzelne Beſchädigungen. Vertheidiger dieſer Meynung, die zum Theil auch die entſchiedene Praxis meh - rerer Gerichte bezeugen: Wernher obs. for. T. 1 P. 1 obs. 183. (Präjudicien Num. 67 sq.). Böh - mer Jus eccl. prot. Lib. 2 Tit. 26 § 52 58. Cocceji Lib. 41 T. 3 quaest. 30. Möllenthiel a. a. O. Unterholzner I. § 92. - ſchen § 153.
    (i), welche Meynung ich für die richtige halte;
  • 4) Außerdem auch auf die übrigen perſönlichen Kla - gen
    (k)Alſo auf alle Condictio - nen, z. B. aus Darlehen, auf die actio emti, venditi, conducti, mandati, pro socio, die meiſten Delictsklagen, kurz auf die aller - meiſten perſönlichen Klagen über - haupt.
    (k), alſo auf die Klagverjährung überhaupt, in ihrem uneingeſchränkten Umfang
    (l)Vertheidiger dieſer Meynung ſind faſt alle ältere Praktiker, aber auch neuere Schriftſteller. Lau - terbach Lib. 44 T. 3 § 17. Stryk Lib. 44 T. 3 § 2. Struv. exerc. 43 thes. 21. Pufendorf T. 1 Obs. 115. Höpfner § 1182. Hofacker § 870. Thibaut Ver - jährung S. 82. 106. Pandekten § 1008. (Brauns Erörterungen S. 873.). Es wird von ihnen eine ſehr ausgedehnte Praxis, ins - beſondere auch die der Reichsge - richte, bezeugt.
    (l).

Es iſt jedoch zu bemerken, daß Viele, beſonders ans älterer Zeit, auf dieſe genauere Abſtufung nicht eingehen, ja daß wohl die Meiſten ſich damit begnügen, über den Gegenſatz zwiſchen der dritten und vierten Meynung zu ſtreiten, von welchem auch ſogleich gezeigt werden wird, daß er wichtiger iſt, als alle übrigen Gegenſätze. Man hat dieſen Gegenſatz, nicht unpaſſend, oft ſo ausgedrückt: ob die bona fides nöthig ſey, blos bey der Klage gegen332Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den debitor rei alienae, oder auch gegen den debitor rei propriae(m)Nämlich debitor rei alie - nae iſt der Depoſitar, weil er eine fremde Sache zurück geben ſoll, debitor rei propriae der Dar - lehensſchuldner, welcher ſein eige - nes Geld, nicht das früher em - pfangene, bezahlen ſoll..

Für die erſte Meynung, nach welcher die mitgetheilten Decretalen nur allein auf die Uſucapion bezogen werden ſollen, iſt als eigenthümlicher Grund(n)Die meiſten Gründe, die für jene Meynung geltend gemacht werden, ſollen blos die vierte Mey - nung widerlegen, ſind alſo der er - ſten mit der zweyten und dritten Meynung gemeinſchaftlich. nur die Be - hauptung geltend gemacht worden, daß im canoniſchen Recht ſchon der Ausdruck praescriptio lediglich die Uſuca - pion, nicht die Klagverjährung, bezeichne. Das Wahre hieran iſt, daß allerdings praescriptio, ganz abweichend vom Römiſchen Sprachgebrauch, die Uſucapion mit um - faßt(o)Vgl. oben B. 4 S. 315.; daß aber unter dieſem Ausdruck nur allein die Uſucapion, und gar nicht die Klagverjährung, verſtanden werden ſollte, iſt ſogar faſt unmöglich. Denn Niemand wird behaupten, daß das canoniſche Recht die Klagver - jährung nicht auch anerkenne; da es nun ganz ſicher kei - nen anderen, eigenthümlichen, Ausdruck dafür hat, ſo mußte es wohl den aus dem Römiſchen Recht hergenom - menen dafür beybehalten(p)Unterholzner I. S. 12.. Auch findet ſich eine De - cretale von Alexander III., worin jener Ausdruck geradezu auf die Ausſchließung der Klage bezogen wird(q)C. 6 X. de praescr. (2. 26. ) quadragenalis praescriptio omnem prorsus actionem ex - cludit. In dem vorliegenden Fall war freylich von beſeſſenen.

333§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.

Der ſcheinbarſte Grund für jene beſchränkte Bedeutung von praescriptio liegt in folgender Stelle der Sammlung von Bonifaz VIII. (r)C. 3 de reg. juris in VI. : Sine possessione praescriptio non procedit.

Da nun dieſer Satz nur für die Uſucapion allgemein wahr ſey, für die Klagverjährung größtentheils nicht wahr, ſo folge daraus, daß das canoniſche Recht unter dem Ausdruck praescriptio die Klagverjährung gar nicht mit begreife.

Der ganze Titel des Sextus, woraus jene Stelle her - rührt, enthält Rechtsregeln, die faſt ganz aus dem - miſchen Recht herüber genommen ſind, um der Sammlung ein gelehrtes Anſehen zu geben; er iſt wahrſcheinlich von Dinus verfaßt, welcher Legiſt, nicht Canoniſt war(s)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 5 S. 399. 400. 405.. Jene Stelle iſt entſtanden aus folgendem Ausſpruch des Licinius Rufinus(t)L. 25 de usurp. (41. 3.).: Sine possessione usucapio contingere non potest.

Daß hier praescriptio anſtatt usucapio geſetzt wurde, kam daher, daß jener Ausdruck dem Ende des dreyzehen - ten Jahrhunderts, worin der Sextus erſchien, weit geläu - figer war, als der Ausdruck usucapio. Bey ſorgfältiger(q)Zehenten die Rede, worin die Klag - verjährung mit der Uſucapion zu - ſammen fiel; allein der Ausdruck der zum Beweis der einzelnen Ent - ſcheidung angeführten allgemeinen Rechtsregel geht auf die Verjäh - rung der Klage, und müßte alſo auch anwendbar ſeyn auf die we - gen dieſer Zehenten angeſtellte lo - cati actio. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Überlegung würde ſich Dinus geſagt haben, daß nun der Ausdruck zu allgemein ſey, indem er z. B. die Verjährung der Darlehensklage ausſchließe. Indem man aus der Stelle einen beſtimmten und ausſchließenden Sprachgebrauch des canoniſchen Rechts beweiſen will, ſetzt man jene ſorgfäl - tige Überlegung, die Abwägung jedes Wortes, voraus; aber jeder Unbefangene wird einräumen, daß durch dieſe Vorausſetzung dem Dinus eine ganz übertriebene Ehre er - wieſen wird. Vollends wenn man dieſe Stelle dazu ge - brauchen will, um daraus einen conſtanten, durch alle Zei - ten durchgehenden, Sprachgebrauch des canoniſchen Rechts zu begründen, wie es geſchehen muß, wenn daraus die älteren Decretalen von Alexander III. und Innocenz III. er - klärt werden ſollen, ſo iſt dieſes Verfahren völlig verwerf - lich. Wir nehmen für die drey Rechtsbücher von Juſti - nian eine gewiſſe Solidarität an, und nicht ohne Grund, obgleich auch hier nicht ohne Einſchränkung, und mehr für den Inhalt der Rechtsſätze, als für den Sprachgebrauch(u)Vgl. oben B. 1 § 43.; aber für die der Zeit nach weit aus einander liegenden Quellen des canoniſchen Rechts würde eine ähnliche An - nahme ganz bodenlos ſeyn.

Für die zweyte Meynung ſind eigenthümliche Gründe nicht vorgebracht worden. Ihr Vertheidiger ſucht eigent - lich nur die vierte Meynung zu bekämpfen, und in dieſem Beſtreben trifft er mit den Vertheidigern der dritten zu -335§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)ſammen, ſo daß man die zweyte, als eine ſelbſtſtändige, von der dritten verſchiedene, füglich aufgeben kann.

§. 245. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun - gen c. Bona fides. (Fortſetzung.)

Es bleibt alſo nur noch der Widerſtreit der zwey letz - ten Meynungen zu betrachten übrig, welcher ſich in der Frage ausdrucken läßt, ob die bona fides nur allein bey denjenigen perſönlichen Klagen erfordert werde, die ſich auf Reſtitution eines Beſitzes beziehen, oder auf alle per - ſönliche Klagen überhaupt; oder, nach einem ſchon oben angewendeten Ausdruck: ob ſie blos gegen den debitor rei alienae in Betracht kommt, oder auch gegen den debitor rei propriae.

Dieſe Differenz der Meynungen iſt von der höchſten praktiſchen Wichtigkeit, ohne Vergleichung wichtiger als die unter den drey erſten Meynungen. Denn die wahre Bedeutung der vierten Meynung kann keine andere ſeyn als die, daß die Verjährung ausgeſchloſſen ſeyn ſoll, wenn der Schuldner in irgend einem Augenblick das Bewußtſeyn der Schuld hatte, indem man nun annehmen müſſe, daß er mala fide unterlaſſen habe, den Glaubiger zu befriedi - gen. Es iſt aber einleuchtend, daß dadurch das höchſt wohlthätige Inſtitut der Klagverjährung faſt ganz vernich - tet wird. Denn alle Schuldner aus Verträgen oder De - licten haben wenigſtens im Anfang das beſtimmte Bewußt -336Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſeyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur ſehr ſeltene Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen Zeiten ohne dieſes Bewußtſeyn geblieben ſeyn kann. Da - hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet wird, dieſer Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geſchäfte ohne Auftrag beſorgt, und dabey Auslagen für mich macht, von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem empfangenen Indebitum der Irrthum erſt nach Dreyßig Jahren entdeckt wird. Nur in ſolchen höchſt ſeltenen Fäl - len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die Rede ſeyn können.

Die Vertheidiger dieſer extremen Meynung führen Drey Gründe für dieſelbe an: den allgemeinen Ausdruck der Decretalen, den allgemeinen ſittlichen Beweggrund, und die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieſer drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey - nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den Anhängern der erſten und zweyten gemacht werden.

1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings ſehr allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri - ptio. Allein in beiden Decretalen iſt doch ſtets nur von Beſitzern fremder Sachen die Rede, ſo wie von der conscientia rei alienae, welche Ausdrücke unmöglich von nicht zahlenden Schuldnern gebraucht werden können. Auf eben dieſelbe Beſchränkung führt auch ſchon der aus dem337§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)Römiſchen Recht entlehnte Ausdruck mala fides, mit ſei - nem Gegenſatz, der bona fides. Denn dieſe Ausdrücke be - zeichnen bey den Römern nicht etwa die Redlichkeit oder Unredlichkeit in jeder möglichen Anwendung, ſondern nur in der beſondern Anwendung auf den unredlichen Beſitz; wo aber in anderen Anwendungen das unredliche Bewußt - ſeyn bezeichnet werden ſoll, da wird regelmäßig der Aus - druck dolus gebraucht.

Nur durch Misverſtändniß könnte man verſuchen, dieſe Gründe auch gegen die dritte Meynung geltend zu machen, indem in den Fällen, worauf ſie die Nothwendigkeit der bona fides bezieht, oft gar kein juriſtiſcher Beſitz (mit ani - mus possidendi) vorhanden ſeyn wird. Allein deſſen Da - ſeyn iſt auch ganz gleichgültig; denn gerade in der Lehre von der Eigenthumsklage, worin doch vorzugsweiſe die Unterſcheidung der b. f. und m. f. possessores von großer Wichtigkeit iſt(a)L. 22 C. de rei vind. (3. 32.)., wird der Ausdruck possessor in der größten Ausdehnung genommen, ſo daß er da auch die bloße Dentention, ohne animus possidendi, mit umfaßt(b)L. 9 de rei vind. (6. 1.)..

Von einer andern Seite dagegen darf allerdings der Ausdruck conscientia rei alienae nicht zu eng aufgefaßt werden, indem man darunter ausſchließend das Bewußt - ſeyn des fremden Eigenthums verſtehen möchte, ſo daß das unredliche Bewußtſeyn über des Gegners Pfandrecht, Emphyteuſe, Interdictenbeſitz u. ſ. w. gleichgültig wäre. Es iſt aber vielmehr jede, irgend ein Beſitzverhältniß desV. 22338Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beklagten betreffende, Unredlichkeit, das heißt die ſich auf eine an ihn geforderte Reſtitution bezieht, unter jenem Aus - druck zu verſtehen(c)Göſchen § 153. Für dieſe Behauptung beweißt der ganze Zu - ſammenhang der Stellen, welcher wichtiger iſt als der ganz einzelne Ausdruck aliena, obgleich dieſer mehrmals vorkommt. Als Beſtä - tigung kann auch dienen L. 7 C. de rebus alienis (4. 51. ), worin der Ausdruck alienatio gleichfalls auf die freyeſte Weiſe ausgelegt wird..

2) Der in den Decretalen ausgedrückte ſittliche Beweg - grund, die Sorge für die Abwendung der Sünde, die in allen ſolchen Fällen dieſelbe ſey.

Gerade dieſes Letzte aber muß gänzlich verneint wer - den, da in beiden Fällen die Lage des Beklagten weſent - lich verſchieden iſt. Wenn eine Schuld unbezahlt bleibt, ſo wird Dieſes in unzähligen Fällen geſchehen ohne allen böſen Willen; oft aus wirklicher oder vermeyntlicher Con - nivenz von Seiten des Glaubigers, oder weil der Schuld - ner jetzt kein Geld vorräthig hat (wobey gar nicht immer an Armuth und Inſolvenz zu denken iſt), oder indem eine übergebene Rechnung verlegt und dann vergeſſen wird. In allen dieſen Fällen kann zu keiner Zeit eine Unredlich - keit und Sünde behauptet werden; ganz anders bey dem abgeforderten Beſitz, deſſen Unrechtmäßigkeit dem Beſitzer bekannt iſt, und deſſen Reſtitution ihm nicht wohl aus zu - fälligen Gründen unmöglich ſeyn wird. Hier ſind die Fälle der Schuldloſigkeit eben ſo ſelten, als ſie dort häu - fig vorkommen werden.

Dagegen liegt in dem angeführten ſittlichen Motiv ein339§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)wichtiger Grund, der dritten Meynung vor der erſten und zweyten den Vorzug einzuräumen. Denn wenn z. B. der Miether gegen die locati actio die Verjährung geltend macht, obgleich er irgend einmal wußte, daß er die Sache heraus geben müſſe, ſo iſt ſein Verhalten völlig eben ſo ſündlich, als wenn ein unredlicher Beſitzer uſucapiren, oder die Vindication des Eigenthümers durch Klagverjährung entkräften will; alle dieſe Fälle ſtehen, ſittlich betrachtet, ganz auf gleicher Linie. Es wäre aber eine unbegreifliche Beſchränktheit des Pabſtes geweſen, die Seele des Be - ſitzers in einem dieſer Fälle durch ſein Geſetz retten zu wollen, in dem andern ganz ruhig verloren gehen zu laſ - ſen; ja es würde Niemand den kleinlichen Gedanken er - tragen können, als dürfte in einem ſolchen ſittlich religiö - ſen Verhältniß, der juriſtiſchen Klaſſifikation der Klagen irgend ein Einfluß eingeräumt werden.

3) Die natürliche Billigkeit wird von den Anhängern der vierten Meynung ſo verſtanden, daß alle Verjährung ein Inſtitut des poſitiven Rechts, alſo dem Naturrecht entgegen ſey.

Allein die allerdings poſitive Natur der Verjährung darf uns nicht hindern, ſie für ein höchſt wohlthätiges Rechtsinſtitut anzuerkennen, und nicht beſtimmen, ihre wohl - thätige Wirkſamkeit durch grundloſe Einſchränkungen zu ſchwächen, ja faſt zu vernichten.

Ganz entſcheidend aber gegen die vierte Meynung iſt die Vergleichung derſelben mit den allgemeinen Gründen,22*340Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wodurch die Einführung der Verjährung bewirkt worden iſt. Unter dieſen nimmt die Präſumtion der Tilgung eine beſonders wichtige Stelle ein (§ 237). Sie iſt ganz vor - züglich anwendbar auf die Fälle, worin die vierte Mey - nung die Nothwendigkeit der bona fides (im Widerſpruch mit den drey erſten Meynungen) behauptet, da in dieſen Fällen meiſtens von Geldſchulden die Rede ſeyn wird, worauf ſich jene Präſumtion vorzugsweiſe bezieht. Wenn nun etwa nach mehr als 30 Jahren eine Kaufmannsrech - nung eingeklagt wird, ſo wird vielleicht durch alte Briefe bewieſen werden können, daß der Beklagte Anfangs dieſe Schuld gekannt hat; dadurch aber wird durchaus nicht die Wahrſcheinlichkeit vermindert, daß dieſe Rechnung in ſo vielen Jahren irgend einmal bezahlt ſeyn werde. Ja man kann ſogar beſtimmt behaupten, daß Diejenigen, welche die Nothwendigkeit der bona fides bey allen Kla - gen behaupten, die Präſumtion der Tilgung als Grund der Verjährung eigentlich ganz aufgeben. Denn die Til - gung einer Schuld geſchieht, mit ſehr ſeltenen Ausnahmen, durch freywillige Handlungen des Schuldners(d)Allerdings kommen auch Tilgungen ohne Handlungen des Schuldners, ſelbſt ohne deſſen Be - wußtſeyn vor, z. B. wenn ein An - derer für ihn zahlt, ohne es ihm auch nur hinterher anzuzeigen, oder wenn der Schuldner ohne ſein Wiſſen eine Gegenforderung er - wirbt; aber dieſe Fälle ſind ſo ſel - ten, daß ſie gar nicht in Betracht kommen können., dieſe nun ſind nicht möglich ohne Bewußtſeyn der Schuld, wo - durch aber nach jener Meynung, die Verjährung gehin - dert werden ſoll. Ganz anders verhält es ſich mit den341§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)Klagen auf Reſtitution des Beſitzes, worauf die erſten Meynungen das Erforderniß der bona fides beſchränken. Daß hier eine unmittelbare Tilgung nicht Statt gefunden hat, erhellt aus dem noch jetzt in den Händen des Be - klagten befindlichen Beſitz; eine indirecte Tilgung aber, etwa durch Geldabfindung, würde ein neues Rechtsgeſchäft vorausſetzen, für deſſen Annahme unmöglich eine ähnliche Präſumtion behauptet werden kann, wie für die Annahme der in der natürlichen Entwicklung der Geldſchulden lie - genden baaren Zahlung.

Die hier aufgeſtellte Behauptung iſt noch durch fol - gende nähere Beſtimmungen zu ergänzen.

Das Daſeyn des redlichen Bewußtſeyns wird dadurch nicht ausgeſchloſſen, daß ein Rechtsirrthum zum Grund liegt(e)Vgl. oben B. 3 Beylage VIII. Num. XXIII. .

Man hat früher über die Frage geſtritten, ob die Klag - verjährung auch dadurch geſtört werde, daß nach Ablauf der Verjährungszeit das Bewußtſeyn des fremden Rechts eintrete(f)Gilken de usucap. P. 2 Membr. 3 C. 8 unterſcheidet ganz willkührlich zwiſchen einer Verjäh - rung aus causa lucrativa oder onerosa. . In neueren Zeiten aber iſt allgemein aner - kannt worden, daß dieſer Umſtand die Wirkung der Klag - verjährung nicht hindere(g)Giphanius p. 258. Müller ad Leyser. Obs. 726. Möllen - thiel S. 120.. Der Grund liegt darin, daß die Verjährung ſelbſt ein neues Recht erzeugt, oder we - nigſtens erzeugen kann, weshalb nun jeder Gedanke in Be -342Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ziehung auf das frühere Rechtsverhältniß gleichgültig iſt. Ganz verſchieden von der ſpäteren mala fides iſt es, wenn durch ein neues Rechtsgeſchäft auf die Vortheile der Ver - jährung verzichtet wird; von der Wirkung eines ſolchen Vertrags wird weiter unten die Rede ſeyn(h)So behandelt die Sache auch das Preußiſche allg. Land - recht I. 9 § 564..

Der hier widerlegten vierten Meynung liegt jedoch eine relative Wahrheit zum Grunde, die nun noch aner - kannt werden muß. Wenn ein Geldſchuldner nicht blos weiß, daß er Schuldner iſt, ſondern durch unredliche Hand - lungen den Ablauf der Verjährung herbey führt, indem er etwa den Glaubiger durch täuſchende Verſicherungen von der Klage abhält, ſo kann man, blos auf den ma - teriellen Erfolg geſehen, ſagen, daß die Verjährung durch mala fides gehindert werde. Genau richtig aber iſt dieſer Ausdruck nicht; vielmehr muß man behaupten, daß die frühere Klage durch Ablauf der Verjährung wirklich verloren wor - den iſt, daß jedoch der vorige Glaubiger durch eine ganz neue Klage, die doli actio, vollſtändige Entſchädigung er - langen kann(i)L. 1 § 6 de dolo (4. 3.) .. nisi in hoc quoque dolus malus admissus sit, ut tempus exiret. .

§. 246. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun - gen. c. Bona fides. (Fortſetzung.)

In der Reihe der Meynungen, welche das Erforderniß der bona fides betreffen, iſt bisher eine nicht erwähnt343§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)worden, welche von allen im § 244 und 245 geprüf - ten weſentlich abweicht, auch an ſich gar keine Auf - merkſamkeit verdienen würde, und nur zufällig eine ge - wiſſe Bedeutung erlangt hat.

Rave handelt zuerſt von den oben dargeſtellten ent - gegengeſetzten Meynungen, die er wohl kennt, und erklärt ſich zuletzt ganz entſchieden für die vierte Meynung, nach welcher bey allen perſönlichen Klagen ohne Unterſchied die mala fides ein Hinderniß der Verjährung ſeyn ſoll(a)Rave § 19. 93. 131. 132.. Dann aber giebt er plötzlich der Sache folgende unerwar - tete Wendung(b)Rave § 133.. Die Klagverjährung, ſagt er, bewirkt nur eine ſehr ſtarke Präſumtion der Tilgung. Wenngleich alſo die eigenhändige Urkunde des Schuldners vorgebracht wird, ſo iſt dadurch die Vermuthung nicht entkräftet, daß in der langen nachfolgenden Zeit die Schuld getilgt ſeyn werde. Dieſe Vermuthung wird nur durch den, zwey Thatſachen zugleich umfaſſenden, Beweis des Klägers ent - kräftet: erſtlich, daß die Schuld wirklich noch fortdaure, alſo nicht getilgt ſey, zweytens daß der Schuldner Dieſes wiſſe(c)Rave l. c. Magis itaque requiritur etiam hoc, ut actor probet, scire reum, hanc obli - gationem nondum esse extin - ctam, sed iisdem terminis ad - huc post hos triginta annos durare, quibus antea〈…〉〈…〉 cepit. . Hierin ſoll der Beweis der mala fides liegen, die der Richter aus den Umſtänden zu erkennen habe, un - ter andern aus folgenden Thatſachen: aus dem außerge - richtlichen Geſtändniß, aus dem Verſuch die Beweisurkun -344Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er darüber von anderen Perſonen empfangen haben kann.

Es iſt nicht leicht, ſich aus dieſer Confuſion der Be - griffe heraus zu finden. Zuerſt giebt Rave die von ihm aus - führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh - rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirkſamkeit verſagt; denn aus dem Daſeyn dieſer Urkunde folgt unwiderſprech - lich, daß der Schuldner, wenigſtens Anfangs, das Bewußt - ſeyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für Fälle dieſer Art die mala fides, ſo wie ſie alle Andere verſtehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein - zuſchwärzen ſucht, wird ſogleich gezeigt werden. Ferner verwandelt er die Präſumtion der Tilgung, die blos ein legislatives Motiv iſt, und ſelbſt als ſolches nur eine ein - geſchränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktiſche Natur der Verjährung ſelbſt, wodurch die Art und der Umfang ihrer Wirkung beſtimmt werden ſoll, welches ein völlig grundloſes Verfahren iſt. Wollte er aber dieſe Auffaſſung conſequent durchführen, ſo mußte er die Bedingung der bona fides ganz fallen laſſen, und den zugelaſſenen Ge - genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo - durch allerdings die Präſumtion entkräftet ſeyn würde. Freylich würde für dieſe negative Thatſache kaum ein an - derer Beweis verſucht werden können, als die Eidesdela - tion, und deren Anwendung würde hier mannichfaltige345§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)Bedenken haben. Allein Rave wollte nun auch noch die mala fides anbringen, für deren allgemeine Wirkſam - keit er ſich, vielen älteren Schriftſtellern folgend, ausge - ſprochen hatte. Er verlegte daher dieſe in die Zeit nach abgelaufener Verjährung, wohin ſie gar nicht mehr ge - hört, und vereinigte ſie mit der Widerlegung der Prä - ſumtion der Tilgung in der Art, daß dieſelben Thatſachen dazu dienen ſollten, zugleich die Nichttilgung, und das un - redliche Bewußtſeyn, zu erweiſen. Alle dieſe von ihm beyſpielsweiſe angeführte Thatſachen aber ſind dazu durch - aus nicht genügend. Das außergerichtliche Geſtändniß be - weißt nur die Meynung des Beklagten über Fortdauer der Schuld, welche aber irrig ſeyn kann, ſo daß die wirk - liche Tilgung daneben dennoch möglich, alſo die durch die lange Zeit begründete Präſumtion nicht widerlegt iſt. Mit der verſuchten Zerſtörung der Beweisurkunden für die Ent - ſtehung der Schuld verhält es ſich eben ſo; auch wird der Schuldner, welcher ſich von Rave’s Theorie durch - drungen hat, nicht ſo thöricht ſeyn, durch einen ſolchen Verſuch Verdacht zu erregen, da ja das Daſeyn der un - verſehrten Urkunden die Präſumtion der Tilgung nicht entkräften ſoll. Endlich die Mittheilung fremder Perſonen kann gewiß noch weniger bewirken, als das eigene Ge - ſtändniß des Schuldners.

So erſcheint alſo dieſe ganze Lehre von allen Seiten unhaltbar und inconſequent. Kein neuerer Schriftſteller iſt darauf eingegangen, und es würde keine Veranlaſſung346Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geweſen ſeyn, hier davon mehr als im Vorübergehen Mel - dung zu thun, wenn ſich nicht eine ſehr bedeutende prak - tiſche Wirkſamkeit daran geknüpft hätte, woran gewiß jener Schriftſteller am wenigſten gedacht hat.

Das Preußiſche Allgemeine Landrecht nimmt zweyerley Verjährung an: durch Beſitz und durch Nichtgebrauch. Die erſte umfaßt die Römiſche Uſucapion, aber auch zu - gleich die auf dem Beſitz beruhenden Fälle der Römiſchen Klagverjährung: die zweyte enthält unter andern, aber als den wichtigſten Beſtandtheil, diejenigen Fälle der - miſchen Klagverjährung, wobey von einem Beſitz des Be - klagten gar nicht die Rede iſt, alſo gerade die Fälle, für welche nach der oben dargeſtellten vierten Meynung die bona fides nöthig ſeyn ſoll, anſtatt daß die anderen Mey - nungen ſie hier nicht erfordern(d)Dieſe allgemeinen Begriffe der Verjährung und ihrer zwey Hauptarten erhellen aus: A. L. R. I. 9 § 500 503. Die beſondere Lehre von der Verjährung durch Nichtgebrauch ſteht § 535 fg., die von der Verjährung durch Beſitz § 579 fg..

Bey der Vorbereitung des Landrechts gieng Suarez von folgenden klar und beſtimmt gedachten Sätzen aus. Die Verjährung durch Nichtgebrauch iſt bloße Strafe der Nachläſſigkeit des Berechtigten(e)Simon und Strampff Zeitſchrift des Preuß. Rechts B. 3 S. 421. 482. 512.; daher kommt es hier auf das Verhalten des Schuldners, alſo auch auf deſſen bona fides, gar nicht an(f)Ebendaſ. S. 426. 508. 527. 532.. Es war eine Folge dieſer Anſicht,347§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)daß der gedruckte Entwurf des Geſetzbuches die bona fides ganz mit Stillſchweigen übergieng.

Als Suarez über die vielen eingegangenen Erinnerun - gen zu jenem Entwurf einen Vortrag an den Großcanzler Carmer hielt, zur Vorbereitung für die definitiven Re - daction, gieng er einen Schritt weiter, und trug auf eine ausdrückliche Beſtimmung an, wodurch die bona fides für nicht erforderlich erklärt werden ſollte(g)Ebendaſ. S. 532, aus Vol. 71 num. 42 fol. 71 v. der hand - ſchriftlichen Materialien. Die von ihm vorgeſchlagenen §§ lauten ſo: Die vollendete Verjährung durch Nichtgebrauch wirkt eine gänzliche Befreiung des Verpflichteten von ſeiner bisherigen Verbindlichkeit. Dieſe Wirkung wird durch den Einwand, daß der Verpflichtete ſeine Verbindlichkeit gewußt habe, nicht gehindert. . Unglücklicher - weiſe aber muß Carmer das Buch von Rave geleſen, und davon einen tiefen Eindruck empfangen haben; denn hinter jenem Antrag bemerkt Suarez eine entgegengeſetzte Ent - ſcheidung in folgenden Worten: Conclusum. Es findet der Beweis ſtatt, daß der Verpflichtete gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwährenden (Verbindlichkeit) der Erfüllung ſeiner Verbindlichkeit ſich entziehen wolle.

Hieraus ſind nun folgende Stellen unſres Landrechts hervorgegangen: Th. 1 Tit. 9 § 568. Die vollendete Verjährung durch Nichtgebrauch wirkt die rechtliche Vermuthung, daß die ehemals entſtandene Verbindlichkeit in der Zwi - ſchenzeit auf eine oder die andere Art gehoben worden. § 569. Dieſe Vermuthung kann nur durch den voll -348Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtändigen Beweis, daß der andere unredlicher Weiſe, und gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwäh - renden Verbindlichkeit, ſich der Erfüllung derſelben entziehen wolle, entkräftet werden.

In dieſen Worten ſollte augenſcheinlich die Lehre von Rave ausgedrückt werden(h)Wollte man hieran noch zweifeln, ſo würde man überzeugt werden durch folgende Bemerkung von Suarez, womit er jene §§. (damals mit den Nummern 573. 574. ) im verſammelten Staatsrath vortrug (Simon u. Strampff a. a. O., S. 580, genommen aus den Materialien Vol. 88. fol. 48): Nach der Praxis wird zwar, ſo - bald die Friſt abgelaufen iſt, nach der b. f. nicht mehr gefragt; der Theorie aber iſt dieſes nicht ge - mäß. Denn lapsus temporis be - gründet nur eine praesumtionem juris für den Präſcribenten, welche den Beweis des contrarii niemals ausſchließt . Die letzten Worte ſind faſt ganz überſetzt aus dem Schluß von Rave § 132. Sua - rez trat hier als Organ des Groß - kanzlers auf, trug alſo deſſen theo - retiſche Meynung vor, nicht ſeine eigene.. Die Aufnahme derſelben wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um - ſtänden ein Übel geweſen; ſie war es aber in noch höhe - rem Grade, da dieſe Stellen unvorbereitet, wie ein frem - der Körper, eingeſchoben wurden, während die Bearbeitung der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Anſich - ten ausgeht(i)Die hieraus für die Wir - kung der Verjährung hervorgehen - den Zweifel und Widerſprüche wer - den unten bemerkt werden. Zu dem oben § 245. h. angeführten Satz des A. L. R. paßt die neue Beſtimmung nicht. Es findet ſich vielleicht nur noch eine einzige an - dere Stelle, worin auf die beiden oben abgedruckten §§. Beziehung genommen wird, nämlich A. L. R. I. 20 § 245..

Daß nun in dieſer Stelle nicht die mala fides in dem gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtſeyn der349§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)Schuld, für ein Hinderniß der Verjährung erklärt werden ſoll, iſt einleuchtend; denn es wird hier, ganz übereinſtim - mend mit Rave, die hindernde Unredlichkeit in die gegen - wärtige Zeit, die Zeit des über die Verjährung geführten Rechtsſtreits, welcher nur nach Ablauf der von dem Schuldner behaupteten Verjährung denkbar iſt, geſetzt. Auch folgt Dieſes aus der andern Vorſchrift des Land - rechts, nach welcher ſelbſt dem rechtskräftig verurtheilten Schuldner der Anfang einer neuen Verjährung durch Nicht - gebrauch geſtattet wird(k)A. L. R. I. 9 § 558. Bey der Verjährung durch Beſitz iſt gerade das Gegentheil vorgeſchrie - ben, eben weil hier bona fides erfordert wird; I. 9 § 592., in welchem Fall der Schuldner ganz unfehlbar das Bewußtſeyn des Daſeyns einer Schuld gehabt haben muß. Endlich folgt es auch ſchon daraus, daß der § 568 die Präſumtion der Tilgung geradezu für das Weſen der Verjährung erklärt; da nun die Tilgung faſt nie ohne das Bewußtſeyn des Schuldners von dem Daſeyn der Schuld geſchieht (§ 245. d), ſo kann nicht das Landrecht dieſes Bewußtſeyn für ein Hinderniß der Ver - jährung anſehen.

Welches aber der eigentliche Sinn der Stelle iſt, und wie ſie zur Anwendung gebracht werden ſoll, das iſt nicht ſo leicht zu ſagen. Die erfahrenſten Praktiker, die ich darüber befragte, haben mir die verſchiedenſten Antworten gegeben; darin aber waren ſie Alle einverſtanden, daß jene Stelle nicht häufig zur Anwendung komme, nur unnöthige350Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Zweifel errege, und beſſer nicht vorhanden wäre. Damit ſtimmen auch die meiſten Schrifſteller überein; ſie ſuchen der Stelle den Sinn unterzulegen, daß die Verjährung ausgeſchloſſen werde durch unredliche Handlungen des Schuldners, wodurch er die Anſtellung der Klage verhin - dere, alſo den Ablauf der Verjährung ſelbſt herbey führe(l)Rönne Anmerk. zu Klein’s Preuß Civilrecht B. 1 § 222 (1830). Temme Preuß. Civilrecht § 346 (1832). Thöne Preuß. Privatrecht B. 2 § 299. 300 (1835). In demſel - ben Sinn ſprach ſich im J. 1789 die Geſetzcommiſſion aus (Klein’s Annalen B. 6 S. 311); zur In - terpretation des weit neueren Land - rechts kann dieſer Ausſpruch na - türlich nicht benutzt werden.. Dieſe Behauptung iſt, was den praktiſchen Erfolg be - trifft, unbedenklich zuzugeben, und auch ſchon im Römiſchen Recht als wahr anerkannt (§ 245. i); aber in der beſtritte - nen Stelle des Landrechts iſt dieſer Satz nicht enthalten. Denn der Dolus, an welchen jene Schriftſteller denken, fällt immer wieder in die Zeit der noch laufenden Verjäh - rung, anſtatt daß die Stelle des Landrechts die hindernde Unredlichkeit in die ſpätere Zeit verſetzt. Ein einziger Schriftſteller hat jene Stelle des Landrechts, jedoch nur theilweiſe, in Schutz genommen, ihr aber zugleich einen Sinn untergelegt, der nicht wohl darin gefunden werden kann(m)Bornemann Preuß. Ci - vilrecht B. 2 § 120. 128. 129. (1834). Er wendet eine bisher ganz unbekannte, auch dem Sinn des Landrechts fremde, Diſtinction an, zwiſchen Obligationen aus ei - nem ſpeciellen Titel (wie Kauf oder Darlehen) und aus einem allgemeinen Rechtsgrund (wie Ge - währ für Fehler einer erkauften Sache, oder Beſchädigung); bey den letzten ſoll die bona fides nicht nöthig ſeyn, wohl aber bey den erſten, jedoch auch hier in ei - nem ganz andern Sinn, als ſie bis jetzt allgemein verſtanden wor - den iſt. Ich halte dieſe Unter -.

351§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

In den gedruckten Vorarbeiten zur Geſetzreviſion wird darauf angetragen, ausdrücklich zu erklären, daß die bona fides kein Erforderniß der Klagverjährung ſey. Bey Gelegenheit des Preußiſchen Geſetzes über kürzere Ver - jährungsfriſten (§ 239. t) war davon die Rede, die §§. 568. 569. ſchon jetzt, vor der vollendeten Reviſion, auf - zuheben, ohne etwas Anderes an ihre Stelle zu ſetzen. Es unterblieb blos deswegen, weil dieſe §§. zugleich die Wirkung der Berjährung angeben, worüber nicht ohne eine erſchöpfende Erwägung aller Beziehungen dieſes Rechts - inſtituts entſchieden werden kann; über die gänzliche Ver - werflichkeit jener Stelle zeigte ſich durchaus keine Verſchie - denheit der Meynungen.

Das Franzöſiſche Geſetzbuch behandelt dieſen Gegen - ſtand auf etwas durchgreifende, aber einfache und prak - tiſche Weiſe. Bey der regelmäßigen, dreyßigjährigen Klag - verjährung ſoll es auf bona fides gar nicht ankommen(n)Code civil art. 2262.. Bey den beſonderen, kurzen Verjährungsfriſten kann der Glaubiger dem Schuldner den Eid über wirklich geleiſtete Zahlung zuſchieben(o)Code civil art. 2275.. Hier wird alſo geradezu die Prä - ſumtion der Tilgung als einziger Grund und Bedingung der Klagverjährung angenommen, wodurch die Frage nach(m)ſcheidung in der Theorie für un - begründet, praktiſch kaum durchzu - führen, nnd kann nicht glauben, daß ſie von Anderen überzeugend gefunden werden wird. Übri - gens bezeugt er, daß das Kam - mergericht von jeher gar keine bona fides zur Klagverjährung gefor - dert habe.352Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Redlichkeit gewiſſermaßen umgangen oder abſorbirt wird. Bey ſo kurzen Friſten, wobey die Erinnerung meiſt beſtimmte Auskunft geben wird, iſt dieſe Beſtimmung aus - führbar, bey langen Friſten würde ſie unſichere und oft harte Erfolge herbey führen.

§. 247. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen. d. Ablauf der Zeit.

Die regelmäßige Zeit, welche zur Vollendung der Ver - jährung erfordert wird, beträgt dreyßig Jahre (§ 238).

Von dieſer Regel giebt es eine große Zahl von Aus - nahmen für einzelne Klagen, welche meiſt weniger, ſelten mehr als dreißig Jahre dauern; dieſe gehören dem ſpeciel - len Theile des Rechtsſyſtems an. Hier aber ſind diejeni - gen Ausnahmen darzuſtellen, welche eine allgemeinere Na - tur haben, alſo ganze Klaſſen von Klagen umfaſſen, und daher keine eigenthümliche Stelle an irgend einem Punkte des ſpeciellen Syſtems finden können.

I. Longi temporis praescriptio von Zehen oder Zwan - zig Jahren. Sie hat eine umfaſſende Natur, indem ſie ſich auf alle speciales in rem actiones bezieht, das heißt auf alle Klagen, die aus dinglichen Rechten entſpringen. Sie kann hier nicht dargeſtellt werden, ſondern nur im Zuſammenhang mit der Uſucapion, mit welcher ſie durch ihre Entſtehung und Ausbildung unzertrennlich verbun - den iſt.

353§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

II. Die prätoriſchen Klagen.

Gajus und die Inſtitutionen ſtellen die Sache ſo dar, als gelte für alle dieſe Klagen die einjährige Verjährung als Regel, wovon es nur einzelne Ausnahmen gebe(a)Gajus IV. § 110. 111, pr. J. de perpetuis (4. 12.). Als Ausnahmen werden hier genannt: die Klagen des prätoriſchen Erben (gegen die Schuldner des Erblaſ - ſers) und die actio furti mani - festi. Dieſe letzte iſt eine wahre Ausnahme von der richtig gefaß - ten Regel, und beruht als Aus - nahme auf gutem Grunde. Vgl. über die Verjährung der prätori - ſchen Klagen Unterholzner I. § 12, II. § 269. 270. 272.. Nach der genaueren Angabe des Paulus und Ulpian gilt die Regel nur für die Pönalklagen aus dem Edict, nicht für die das Vermögen erhaltenden Klagen(b)L. 35 pr. de O. et A. (44. 7. ), L. 3 § 4 nautae (4. 9. ), L. 21 § 5 rer. amot. (25. 2.).. Noch ſpe - cieller iſt Dieſes dahin zu beſtimmen, daß ſowohl die ein - ſeitigen als die zweyſeitigen Strafklagen der einjährigen Verjährung unterworfen ſind(c)Offenbar unrichtig ſagt Pau - lus in L. 35 pr. cit., nachdem er die Regel aufgeſtellt hat, die prätoriſchen Klagen auf rei per - secutio ſeyen perpetuae: Illae autem rei persecutionem con - tinent, quibus persequimur, quod ex patrimonio nobis abest. Wäre dieſe Beſtimmung richtig, ſo müßten die einſeitigen Strafkla - gen perpetuae ſeyn, die doch in der That einjährig ſind (Note d. e.). Daher ſind einjährig die doli actio(d)Nämlich nach dem prätori - ſchen Edict; ſpäter wurde dieſer annus utilis in ein biennium continuum verwandelt. L. 8 C. de dolo (2. 21.). Die ein - jährige Verjährung der Injurien - klage (L. 5 C. de injur. 9. 35. ) iſt gleichfalls eine reine Anwen - dung der allgemeinen Regel, be - zieht ſich aber auf eine zweyſei - tige Strafklage., desgleichen die poſſeſſoriſchen Inter - dicte(e)L. 1 pr. de vi (43. 16. ), L. 1 pr. uti poss. (43. 17.), obgleich dieſe Klagen niemals den Kläger berei - chern, jedoch oft den Beklagten, wie durch eine Strafe,V. 23354Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.poſitiv ärmer machen. Vielleicht die einzige wahre Ausnahme der ſo gefaßten Regel findet ſich bey der actio furti manifesti (Note a). Die von Paulus angedeutete zweyte Ausnahme, wenn die publiciana actio auf der Re - ſtitution gegen eine vollendete Uſucapion gegeben wird(f)L. 35 pr. de O. et A. , kann als Ausnahme nicht zugegeben werden. Denn hier bezieht ſich die Verjährung gar nicht auf die Klage, ſon - dern auf die von einer Klage ganz verſchiedene Reſtitu - tion; bey dieſer aber iſt die einjährige Verjährung ſtets wirkſam, ohne Unterſchied ob die Reſtitution zu einer Klage, oder einer Exception, oder irgend einem anderen Rechtsverhältniß den Weg bahnen ſoll.

Man könnte zweifeln ob die einjährigen Verjährungen, eben ſo wie die längeren, unter der Form einer Exception geltend gemacht wurden, weil bey jenen der Name prae - scriptio oder exceptio ſelten vorkommt. In einigen Stel - len jedoch erſcheint derſelbe wirklich(g)L. 30 § 5 de peculio (15. 1.) Si annua exceptione sit repulsus a venditore creditor .. L. 15 § 5 quod vi (43. 24. ) causa cognita annuam excep - tionem remittendam .. S. o., B. 4 S. 299. Wie dieſer Um - ſtand von Donellus überſehen worden iſt, ſ. u. §. 248., und der ſeltnere Gebrauch erklärt ſich aus dem Umſtand, daß bey dieſen kurzen Verjährungen, bey welchen alle Thatſachen noch in friſchem Andenken ſind, der Prätor ſelbſt meiſt über dieſe Einwendung unmittelbar entſcheiden konnte, ohne dieſelbe in Geſtalt einer Exception an den Judex zu verweiſen.

III. Die den Kirchen nnd milden Stiftungen zuſtehen -355§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.den Klagen(h)Sehr gut handelt von die - ſem Gegenſtand Unterholzner I. § 40 44..

Die verwickelte und theilweiſe beſtrittene Geſchichte die - ſer Ausnahme beruht auf folgenden Thatſachen.

Im Jahre 528 erließ Juſtinian ein Geſetz(i)L. 23. C. de SS. eccles. (1. 2.), worin er für die Klagen der Kirchen und milden Stiftungen aus Erbſchaften, Legaten, Schenkungen, und Kaufcontracten, eine hundertjährige Verjährung vorſchrieb. Daſſelbe Recht ſollte gelten für ſolche Klagen der Stadtgemeinden; außer - dem auch für Erbſchaften, Vermächtniſſe, und Schenkun - gen zum Loskauf von Gefangenen. Bey allen dieſen Be - ſtimmungen ſollte es keinen Unterſchied machen, ob die Klagen in rem oder in personam wären; auch wurde keine Ausnahme für die auf kurze Verjährungsfriſten an - gewieſene Klagen hinzugefügt. Nach den Worten könnte man das Geſetz auf die oben angedeuteten ſpeciellen Kla - gen der Kirchen und Städte beſchränken; es iſt jedoch wahrſcheinlicher, daß es ganz allgemein auf alle Klagen jener juriſtiſchen Perſonen angewendet werden ſollte, und daß jene Ausdrücke nur auf die gewöhnlichſte Entſtehung des Vermögens derſelben hinzudeuten beſtimmt waren. Für dieſe ausgedehnte Auslegung ſpricht der Umſtand, daß ſpä - tere Geſetze, die ſich theils an jenes Geſetz anſchließen, theils den Inhalt deſſelben angeben(k)Die Nov. 9 und Nov. 111 prooem. , eine Beſchränkung auf gewiſſe Klaſſen von Klagen durchaus nicht erwähnen(l)Unterholzner I. § 40. 41..

23*356Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Novelle 9 (J. 535) wendete dieſes, zunächſt für die Kirchen des Orients eingeführte Privilegium unver - ändert auf ſämmtliche Kirchen des Occidents an, die hier unter dem collectiven Namen der ecclesia Romana aufge - führt waren. Es ſollte keinen Unterſchied machen, ob das Vermögen dieſer Kirchen im Occident oder Orient läge.

Hierauf folgte die Novelle 111 (J. 541). Sie be - ſchränkte die 100 Jahre der Kirchen und Stiftungen auf 40 Jahre, ſo daß ſie nur noch eine Verlängerung von Zehen Jahren gegen die gewöhnliche Verjährungsfriſt ge - nießen ſollten; dieſe ſollte aber nur ihnen allein zukommen, für alle andere Perſonen und Rechtsſachen ſollte die Re - gel der 30 Jahre gelten(m)Damit ſollte augenſchein - lich die hundertjährige Verjährung der Stadtgemeinden aufgehoben ſeyn.. Auch bey den Kirchen ſoll - ten die bisher beobachteten Ausnahmen von dem Privile - gium, unter andern die dreyjährigen Verjährungen, noch ferner beybehalten werden(n)Mit dem triennium iſt die Uſucapion gemeynt. Die übrigen, nicht näher bezeichneten, Ausnah - men, gehen ohne Zweifel auf alle Verjährungen unter Zehen Jahren. Alle dieſe Ausnahmen werden in der L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2. ) nicht erwähnt, wahrſcheinlich hatte ſie der Gerichtsgebrauch eingeführt. Bey Gratian (c. 16 C. 16. q. 3.) und in der Auth. Quas actiones C. de SS. eccl. (1. 2. ) werden Drey und Vier Jahre als Aus - nahmen genannt..

Die Novelle 131 Kap. 6 iſt blos eine kurze Wieder - holung des eben erwähnten Geſetzes. Sie enthält nur die beſtimmtere Vorſchrift, daß die 40 Jahre da gelten ſollten, wo außerdem 10 oder 20 oder 30 Jahre gegolten haben würden. Als Abänderung war Dieſes nicht gemeynt, ſon -357§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.dern nur als beſtimmtere Bezeichnung der ſchon in der No - velle 111 vorbehaltenen Ausnahmen von dem Privile - gium(o)Dieſe Behauptung wird er - klärt und gerechtfertigt durch die in der vorhergehenden Note ent - haltene Bemerkung. Zur Beſtäti - gung dient das Verfahren, wel - ches hierin Julian eingeſchlagen hat. Er excerpirt in ſeiner Const. 104, als geltendes Recht, lediglich die Nov. 111; in ſeiner Const. 8. führt er die Nov. 9 zwar auf, aber ohne ſie zu excerpiren, weil ſie aufgehoben ſey; die Nov. 131 K. 6 übergeht er ganz mit Still - ſchweigen..

Die Richtigkeit der hier angegebenen geſetzlichen Be - ſtimmungen wird durch mehrere Stellen des canoniſchen Rechts beſtätigt. So wird im fünften Jahrhundert an - erkannt, daß unter Kirchen die allgemeine dreyßigjährige Verjährung gleichfalls gelte(p)c. 1 C. 16 q. 3., weil damals noch nicht das erſt von Juſtinian herrührende Privilegium eingeführt war. Im J. 591 aber wurde anerkannt, daß auch der Pabſt nur eine Verjährungsfriſt von 40 Jahren zu genie - ßen habe(q)c. 2 C. 16 q. 4., weil Juſtinian das Privilegium von 100 Jah - ren ganz allgemein aufgehoben hatte.

In der Folge bildete ſich jedoch durch Gerichtsgebrauch folgende Regel aus. Die Kirchen überhaupt haben 40 Jahre, die ecclesia Romana aber, das heißt die Kirche des Pab - ſtes ſelbſt, hat ausnahmsweiſe 100 Jahre. Veranlaßt war ohne Zweifel dieſe neue Ausnahme durch den Buchſtaben der Novelle 9, welche jedoch ganz aus ihrem hiſtoriſchen Zuſammenhang geriſſen werden mußte, um zu einem ſol - chen Erfolg zu führen; denn theils war nun der Ausdruck358Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn genommen, da er urſprünglich blos den Gegenſatz gegen die orientaliſchen Kirchen bezeichnen ſollte: theils war die gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenoſſe Julian ausdrücklich bezeugt, überſehen.

Die erſte Anerkennung jenes neuen Rechtsſatzes findet ſich um das J. 878(r)c. 17 C. 16 q. 3, von P. Johannes VIII. . Nachher hat Irnerius denſelben Satz ausgeſprochen(s)Auth. Quas actiones C. de SS. eccl. (1. 2.) Quas actio - nes alias decennalis, alias vi - cennalis, alias tricennalis prae - scriptio excludit: hae, si loco religioso competant, quadra - ginta annis excluduntur: usu - capione triennii, vel quadrien - nii praescriptione, in suo ro - bore durantibus: sola Romana ecclesia gaudente centum an - norum spatio vel privilegio. Mit Unrecht hat Irnerius we - gen dieſer Stelle viel leiden müſ - ſen als Verfälſcher des Römiſchen Rechts. Allerdings ſteht in der Überſchrift als Quelle nur Nov. 131 C. 6, er hat aber dieſe aus der Nov. 111 und dem längſt un - zweifelhaften Gerichtsgebrauch er - gänzt, ſo daß man ihm nicht den Vorwurf machen darf, er ſelbſt habe die Nov. 9 misverſtanden und unrichtig angewendet. Vgl. Sa - vigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 2 § 70.. Er wurde endlich beſtätigt durch Decretalen von Innocenz III.(t)C. 13. 14. 17 X. de prae - script. (2. 26. ) um 1206. und Bonifacius VIII .(u)C. 2 X. de praescr. in VI, (2. 13. ) um 1300..

Aus dieſer geſchichtlichen Überſicht ergiebt ſich zugleich, für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten ſoll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10, 20, 30 Jahre, iſt alſo, im Sinn von Juſtinian, gewiß auch anwendbar auf die Uſucapion der Immobilien. Da - gegen bleiben unverändert, alſo von dem Privilegium un - berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben dieſen359§ 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.auch die von Juſtinian ausdrücklich erwähnte dreyjährige Uſucapion der beweglichen Sachen(v)Unterholzner I. § 41. Durch dieſe Beſchränkung ver - ſchwindet denn auch der Vorwurf der Unausführbarkeit, der ſonſt bey manchen kurzen Klagverjährungen eintreten würde. Denn allerdings wäre es widerſinnig, wenn z. B. die actio redhibitoria oder quanti minoris von einer Kirche 40 Jahre lang angeſtellt werden könnte..

IV. Die Klagen der Städte ſollten, nach Juſtinians erſtem Geſetz, eben ſo wie die der Kirchen, 100 Jahre dauern (Note i). Durch eines ſeiner ſpäteren Geſetze hat er dieſes Privilegium ganz aufgehoben, alſo die Städte unter die Regel der 30 Jahre zurück geführt (Note m). Weil aber hier die Städte nicht ausdrücklich genannt ſind, ſo glauben Manche irrigerweiſe, die 100 Jahre dauerten bey ihnen fort; Andere, ſie ſeyen in das neuere Privile - gium der Kirchen (40 Jahre) ſtillſchweigend mit einge - ſchloſſen, und auch die Gerichte haben ſich von dieſen Irr - thümern nicht immer frey erhalten(x)Bülow und Hagemann practiſche Erörterungen B. 4 Num. 5. Unterholzner I. § 45. Das Dictatum de consiliariis be - trachtet das Privilegium der Städte als gültig. Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 2 § 70, Zeitſchrift für geſchichtliche Rechtswiſſ. B. 5 S. 343. 344..

V. Die Klagen des Fiscus. Bey dieſem Gegenſtand hat man weniger über ſtreitende Meynungen, als über gänzlichen Mangel an ernſter, gründlicher Unterſuchung zu klagen.

Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen aus den eigenthümlichen Rechten des Fiscus, wie Strafen360Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.u. ſ. w., und die dem Fiscus zuſtehenden gemeinrechtlichen Klagen.

A) Die beſonderen Fiskalklagen werden verjährt in 20 Jahren, und dieſe Regel iſt ſogar entſtanden in einer Zeit, worin noch alle Klagen in der Regel ganz ohne Ver - jährung waren(y)L. 13 pr. de div. temp. praescr. (44. 3. ), L. 2 § 1 L. 3 L. 4 de requirendis (48. 17. ), L. 1 § 3 de j. fisci (49. 14.)..

Daneben aber finden ſich wieder zwey ſpeciellere Aus - nahmen. Der Anſpruch des Fiscus auf erbloſes Vermö - gen verjährt ſchon in Vier Jahren(z)L. 1 C. de quadr. prae - scr. (7. 37.).. Dagegen ſind die Steuerforderungen für ganz unverjährbar noch in dem neueſten Recht erklärt(aa)L. 6 C. de praescript. XXX. (7. 39. ), vgl. oben § 238. o. In dem Preußiſchen Geſetz vom 18. Jun. 1840. (Geſetzſammlung 1840 S. 140) haben gerade die Steuerforderungen ſehr kurze Ver - jährungen erhalten..

B) Die gemeinrechtlichen Klagen, worin der Fiscus, ſo wie jede andere Perſon, als Eigenthümer, Glaubiger u. ſ. w. auftritt, ſind der gewöhnlichen Verjährung von 30 Jahren unterworfen. Man beruft ſich zwar auf ein Geſetz von Anaſtaſius, welches eine vierzigjährige Ver - jährung vorſchreibe; allein dieſes Geſetz ſpricht von einer ganz einzelnen Klage, der Vindication von Patrimonial - grundſtücken(bb)L. 14 C. de fundis pa - trim. (11. 61. ); dieſe Verjährung ſollte gelten ſowohl für den Beſitz mit Entrichtung eines Canons, als für die Befreyung vom Canon.. Es beruft ſich dabey gar nicht etwa auf ein allgemeines Privilegium des Fiscus, welches ſchon deswegen nicht möglich iſt, weil es hierin den Fiscus mit361§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.den Tempeln gleichſtellt, zu einer Zeit, wo an eine vier - zigjährige Verjährung der Kirchen noch gar nicht gedacht wurde. Dieſe beſondere Art von Domänengütern aber kommen im heutigen Recht nicht mehr vor. Dagegen findet ſich eine unzweydeutige Beſtätigung der 30 Jahre in folgender Beſtimmung. Wenn im Namen der res pri - vata des Kaiſers auf flüchtige Colonen geklagt wird, ſo gilt die gewöhnliche Verjährung von 30 Jahren(cc)L. 6 C. de fundis rei priv. (11. 65.).. An - derwärts aber iſt ausdrücklich anerkannt, daß die res pri - vata alle Vorrechte des Fiscus genieße(dd)L. 6 § 1 de j. fisci (49. 14.).. Höchſtens kann man zugeben, daß vielleicht dieſe gewöhnlichen Kla - gen des Fiscus unter diejenigen gehörten, für welche die dreyßigjährige Verjährung durch willkührliche Auslegungen außer Anwendung blieb (§ 238). Eine wirkliche Anerken - nung aber hat dieſe Exemtion in unſren Rechtsquellen nicht gefunden.

Neuere Schriftſteller verſichern, einer nach dem andern, daß 40 Jahre nach der Praxis entſchieden ſeyen(ee)Thibant Verjährung S. 97. 129. Unterholzner I. § 46. II. § 259. Göſchen I. S. 437. Bangerow I. S. 173.. Sie pflegen aber nicht Präjudicien anzugeben, welche Gegen - ſtand einer genaueren Prüfung ſeyn könnten; auch ſprechen ſie ſo allgemein, daß man ihre Behauptung ſelbſt auf die eigenthümlichen Fiscalklagen beziehen möchte, im Wider - ſpruch mit den klarſten Ausſprüchen des Römiſchen Rechts.

362Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Bey dem Ablauf der Zeit ſind noch folgende allgemei - nere Fragen zu beantworten:

Zuerſt die Art der Berechnung. Bey den Verjährun - gen von Einem Jahr oder weniger gilt utile tempus, bey längeren continuum. Bey allen Klagverjährungen wird die civile Zeitrechnung in der Art angewendet, daß die Verjährung erſt vollendet iſt mit dem Ablauf des Kalen - dertages, in deſſen Umfang der natürlich berechnete End - punkt (das momentum temporis) liegt(ff)Vgl. oben B. 4 § 185. 189. 190..

Wichtiger iſt die Frage, ob der Ablauf der Zeit nur unter denſelben Individuen eintreten kann, unter welchen die Klagverjährung angefangen hat, oder ob in den Lauf derſelben auch andere Individuen durch accessio temporis eintreten können. Nach allgemeinen Grundſätzen kann die Beantwortung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Die Rechtsform, unter welcher die Klagverjährung bewirkt wird, iſt die einer Exception; Exceptionen aber gehen in der Regel von beiden Seiten auf Erben und Singular - ſucceſſoren über, mit Ausnahme der ſeltneren Fälle, worin die Exception auf einem ganz individuellen Verhältniß be - ruht (§ 227). Daß nun der Fall dieſer Ausnahme bey der temporalis praescriptio nicht vorhanden iſt, wird Je - der zugeben. Von dieſem Standpunkt aus müſſen wir ſagen: der Vortheil der Verjährung gebührt dem urſprüng - lichen Beklagten, dem Erben deſſelben, dem Käufer, Do - natar u. ſ. w., aber nicht denjenigen Perſonen, die ohne363§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.Succeſſion den Beſitz der Sache (bey einer in rem actio) erlangt haben. Der Nachtheil der Verjährung trifft den urſprünglichen Kläger, den Erben deſſelben, und eben ſo den Ceſſionar, bey Klagen ſowohl in rem als in perso - nam. Eine Beſtätigung dieſer Annahme liegt auch darin, daß in den Geſetzen meiſt nur davon die Rede iſt, ob die Klage zu rechter Zeit angeſtellt worden iſt oder nicht, wobey die Perſonen in den Hintergrund treten; es kommt alſo, bey veränderten Perſonen, immer nur darauf an, ob es dieſelbe Klage iſt, deren Verjährung früher an - gefangen hatte, und jetzt als vollendet behauptet wird.

Fragen wir nach den Ausſprüchen unſrer Rechtsquel - len. Die angefangene, unvollendete Uſucapion wurde zu allen Zeiten fortgeſetzt in der Perſon des Erben, der mit dem Erblaſſer nach jus civile identiſch iſt(gg)L. 30 pr. ex quib. caus. (4. 6.).; nicht aber in der Perſon eines Käufers oder Beſchenkten. Der Grund lag in der ſtreng civilen Natur der Uſucapion; eben da - her aber wurde von jeher bey der longi temporis prae - scriptio, die auf freyer aequitas beruhte, die accessio tem - poris ohne Einſchränkung zugelaſſen(hh)L. 14. 15 de div. temp. praescr. (44. 3 ), L. 76 § 1 de contr. emt. (18. 1. ), welche Stelle offenbar nur von der l. t. prae - scriptio, nicht von der Uſucapion ſpricht. Dieſelbe accessio galt bey dem Interdict utrubi, wo ſie jedoch nicht eine Klagverjährung zu vermitteln beſtimmt war. Auf dieſe Anwendung bezieht ſich L. 13 de adqu. poss. (41. 2.).. Allmälig wurde ſie auch in einzelnen Fällen der Uſucapion angewendet, bis endlich Juſtinian ſie hier ganz allgemein vorſchrieb(ii)§ 12. 13 J. de usuc. (2. 6. ),.

364Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Als nun die umfaſſende dreyßigjährige Klagverjäh - rung eingeführt wurde, in einer Zeit worin ohnehin die Strenge des alten Civilrechts faſt nur noch als hiſtoriſche Erinnerung übrig war, konnte wohl Niemand daran zwei - feln, daß hier dieſelbe accessio temporis, wie bey der longi temporis praescriptio, angewendet werden müſſe; es konnte hier um ſo weniger zweifelhaft ſeyn, weil nur ſelten 30 Jahre unter den unveränderten urſprünglichen Perſonen ablaufen werden. Wahrſcheinlich haben es des - wegen die Kaiſer nicht einmal der Mühe werth erachtet, über eine ſo unzweifelhafte Frage eine ausdrückliche Be - ſtimmung zu geben. Wenn aber auch früher noch irgend ein Zweifel an der unbeſchränkten Anwendbarkeit der ac - cessio auf die Klagverjährung möglich geweſen wäre, ſo hätte dieſer wenigſtens ganz verſchwinden müſſen, ſeitdem Juſtinian ſie für die weit ſtrengere Uſucapion vorgeſchrie - ben hatte (Note ii).

Blos beyläufig kommen im neueſten Recht folgende Äußerungen vor, welche ganz misbraucht werden würden, wenn man aus den nicht völlig beſtimmten Ausdrücken einiger derſelben, allgemeine Regeln bilden wollte, die mit den hier aufgeſtellten Grundſätzen im Widerſpruch ſtänden.

Eine reine Anwendung dieſer Grundſätze iſt es, wenn für die vierzigjährige Verjährung der Hypothekarklage der Schuldner ſelbſt mit ſeinem Erben als identiſch behan -(ii)L. un. C. de usuc. transform. (7. 31.).365§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.delt wird(kk)L. 7 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.).. Etwas zweydeutiger aber ſind folgende Stellen.

Juſtinian ſagt, wenn nach vollendeter Verjährung der Eigenthumsklage der Beſitz an einen neuen Beſitzer komme, ſo könne gegen dieſen der Eigenthümer wieder vindiciren; natürlich wird dabey ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß der neue Beſitzer den Beſitz durch Gewalt oder Zufall erlangte, nicht durch Kauf von Demjenigen, der die temporis prae - scriptio erworben hatte(ll)L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) verb. Sin vero nullum jus in eadem re quo - cunque tempore habuit etc. So würde nicht von einem neuen Beſitzer geſprochen werden, der die Sache von dem verjährenden Be - ſitzer gekauft hätte, und eben ſo wenig würde derſelbe in den fol - genden Worten ein injustus pos - sessor genannt werden; für den Käufer alſo iſt der Anſpruch auf die temporis praescriptio hier nicht verneint. Außerdem aber ſpricht auch die Stelle nicht von dem, welcher vor vollendeter Ver - jährung in den Beſitz eintritt; be - ſonders aber gar nicht von der Verjährung der perſönlichen Klagen.. Umgekehrt ſagt eine Ver - ordnung von Anaſtaſius, bey den 40 Jahren für die Vin - dication der Patrimonialgüter dürfe der gegenwärtige Be - ſitzer die Zeit ſeines Vorbeſitzers hinzu rechnen(mm)L. 14 C. de fundis patr. (11. 61.) .. possessione scilicet non solum eorum qui nunc detinent, verum etiam eorum, qui antea possederant, computanda. ; auch dabey iſt ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß zwiſchen beiden Beſitzern ein Succeſſionsverhältniß Statt fand, und es würde hier eben ſo unrichtig ſeyn, wie bey jenem Geſetz von Juſtinian, aus der Unbeſtimmtheit des Ausdrucks eine, allen Rechtsgrundſätzen widerſprechende, Folgerung zu ziehen.

366Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dennoch hat es auch in der neueſten Zeit an Misver - ſtändniſſen über dieſe ſehr ſicheren Rechtsſätze nicht gefehlt, und dabey haben die eben angeführten Stellen zur Ver - anlaſſung gedient(nn)Reinhardt Usucapio und praescriptio Stuttgart 1832 S. 263, und Kierulff S. 200, verneinen die accessio bey der Klagverjährung wegen L. 8 C. de pr. XXX. (Note ll), und ſie thun Dieſes in ſo allgemeinen Aus - drücken, daß man glauben möchte, ſie wollten ſelbſt den Erben aus - ſchließen. Der zweyte bezieht die L. 76 § 1 de contr. emt. (No - te hh) ganz unrichtig auf die Er - ſitzung, da die longi temporis praescriptio, wovon ſie redet, eben ſo eine Klagverjährung iſt, wie die dreyßigjährige..

§. 248. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.

  • Francke civiliſtiſche Abhandlungen (1826) Num. 2.
  • v. Löhr, Archiv B. 10 S. 72 84 (1827).
  • Guyet, Archiv B. 11 Num. 5 (1828).
  • Heimbach, Linde’s Zeitſchrift B. 1 Num. 22 (1828).
  • Vermehren, Linde’s Zeitſchrift B. 2 Num. 9 (1829).
  • Büchel, Erörterungen Heft 1. Marburg 1832.

Die Unterſuchung dieſer Frage, welche in neuerer Zeit ein ſehr beliebtes Thema geweſen iſt, wurde von Anfang an erſchwert und verwirrt durch eine falſche Stellung der zu beantwortenden Frage. Man fragte nämlich ſtets, ob durch die Verjährung das Recht ſelbſt, oder nur die Klage verloren werde, und durch dieſen Ausdruck wurde man in den wichtigſten und ſchwierigſten Fällen unver -367§. 248. Klagverjährung. Wirkung.merkt von den im Römiſchen Recht herrſchenden Begriffen entfernt. Vor aller Unterſuchung iſt es einleuchtend, daß der Gegenſatz jener Ausdrücke dazu dienen ſollte, eine ſtär - kere und eine ſchwächere Wirkung der Verjährung zu unterſcheiden; und in der That haben ſich hiernach die Schriftſteller größtentheils in Zwey Parteyen geſondert, nur noch mit einigen untergeordneten Modificationen.

Fragen wir zuerſt nach der Wirkung der Klagverjäh - rung bey den Klagen in rem, als deren Repräſentanten wir die Eigenthumsklage betrachten wollen. Hier gerade hat jener Ausdruck der Frage eine ſehr beſtimmte Bedeu - tung, aber hier kann auch die Antwort gar nicht zweifel - haft ſeyn für Den, welcher nicht vorgefaßte Meynungen, von den perſönlichen Klagen her, mit herüber bringt.

Zuvörderſt iſt es einleuchtend, daß die Fälle der Er - ſitzung ganz abgeſondert werden müſſen, da durch dieſe die Klagverjährung vollkommen und unzweifelhaft abſorbirt wird. Hat alſo z. B. der Beſitzer durch redlichen dreyßig - jährigen Beſitz (ohne Titel) Eigenthum erworben(a)L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Es iſt die von neueren Schriftſtellern ſo genannte usucapio extraordinaria. , ſo iſt gewiß dem vorigen Eigenthümer das Recht ſelbſt ver - loren, eben weil es auf einen Anderen übergegangen iſt, und das Eigenthum derſelben ganzen Sache nicht zugleich in der Hand von Zwey Perſonen ſeyn kann. Von Klag - verjährung iſt nicht mehr die Rede, weil das Recht ſelbſt368Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abſolut zerſtört iſt(b)Vgl. oben § 230 S. 197 Num. 1.. Um alſo bey der Vindication die Klagverjährung in ihrer eigenthümlichen Natur anwenden zu können, müſſen wir den Fall ſo denken, daß der Beſitzer das Eigenthum nicht erwirbt, und dieſer Fall tritt in der That ein, wenn er einen unredlichen Beſitz hatte(c)L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.).. In dieſem Fall aber iſt es auch ganz gewiß, daß nicht das Recht ſelbſt, ſondern nur die Klage, dem urſprünglichen Eigenthümer verloren geht. Denn es iſt ausdrücklich an - erkannt, daß wenn nun der Beſitz durch Zufall an einen Dritten, ganz Unberechtigten, kommt, der vorige Eigen - thümer gegen Dieſen vindiciren kann(d)L. 8 § 1 C. cit., verb. tunc licentia sit priori domi - no eam vindicare , welches bey ver - lornem Recht ganz undenkbar ſeyn würde. Wäre aber Dieſes auch nicht anerkannt, ſo würde dennoch die An - nahme, daß der Eigenthümer ſein Recht (das Eigenthum) verlöre, zu einem ganz abſurden Erfolg führen. Die Sache wäre nun herrenlos geworden, und da der unredliche Be - ſitz noch immer fortdauert, ſo würde in demſelben Augen - blick der Beſitzer durch Occupation das Eigenthum dieſer herrenloſen Sache erwerben, alſo auf einem anderen Wege gerade den Vortheil erlangen, den ihm Juſtinian durchaus verſagt(e)Dieſe gute Bemerkung macht Guyet S. 89. 90. Ganz unbe - friedigend iſt die Erwiederung von Vermehren S. 358.. Nicht glücklich iſt die Wendung, womit ein Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung dieſen Einwürfen zu entgehen verſucht, indem er ſagt, das Recht ſelbſt369§. 248. Klagverjährung. Wirkung.werde vernichtet, aber nur per exceptionem(f)v. Löhr S. 81. 82.. Damit wird eigentlich der innere Widerſpruch dieſer Meynung geradezu eingeſtanden, denn per exceptionem aufheben, heißt gerade: nicht das Recht ſelbſt vernichten, ſondern nur die Klage entkräften, alſo dem Recht denjenigen Schutz entziehen, den ihm bis dahin die Klage gewährt hat. (§ 225. 226). Weit beſonnener iſt es daher, wenn ein anderer Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung bey den Kla - gen in rem die Vernichtung des Rechts ganz aufgiebt, und ſie nur noch für die perſönlichen Klagen behaup - tet(g)Büchel S. 37 fg.. Dadurch werden wir unmittelbar auf das eigent - liche Gebiet dieſes großen Streites geführt.

Wenden wir uns nun zu den perſönlichen Klagen, ſo iſt ſogleich einleuchtend, daß durch dieſe nicht der ganze Umkreis der Obligationen erſchöpft iſt. Denn es giebt auch naturales obligationes, Obligationen ganz ohne Klage. Bey dieſen ſind Alle darüber einig, daß für ſie gar keine Verjährung eintritt. Diejenigen nun, welche die ſchwä - chere Wirkung behaupten, alſo die Verjährung blos auf die Klage beziehen, müſſen dieſelbe ohnehin verwerfen bey ſolchen Rechten, welche gar keine Klage haben. Wer die Vernichtung des Rechts ſelbſt als Folge der Verjährung anſieht, könnte dieſe ohne Inconſequenz auf die naturalen Obligationen anzuwenden verſuchen; wirklich behauptet hat ſie bey ihnen Niemand(h)Es ließe ſich denken, daß man für dieſen Fall auch eine po -.

V. 24370Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es bleiben demnach nur die civilen Obligationen, das heißt die perſönlichen Klagen, als Gegenſtand der fer - neren Unterſuchung übrig, und eben in dieſem wichtigſten Theil der ganzen Unterſuchung zeigt ſich der oben ange - gebene Ausdruck der Streitfrage ganz verderblich. Denn gerade auf dieſem Gebiet finden wir im Römiſchen Recht ſehr beſtimmte Begriffe, und zu deren Bezeichnung genaue Kunſtausdrücke; der hierdurch dargebotene Vortheil der Sicherheit in der Unterſuchung geht aber durch jenen will - kührlich gewählten Ausdruck großentheils verloren, und gewiß liegt hierin ein Hauptgrund, warum in dieſer Lehre bisher durch den Streit ſo wenig Fortſchritt zur Einigung bewirkt worden iſt.

Im Römiſchen Recht kommen bey der Entkräftung einer früher wirkſamen civilen Obligation folgende ver - ſchiedene Fälle vor:

  • 1) Aufhebung der Obligation ipso jure. Beyſpiele: Erfüllung, Confuſion, Novation.
  • 2) Aufhebung per exceptionem, ſo daß zugleich auch die naturalis obligatio zerſtört wird. Beyſpiele: exceptio pacti, jurisjurandi. Dieſer Fall nähert ſich in der Wir - kung dem erſten, bleibt aber doch von demſelben weſentlich verſchieden (§ 225).
  • 3) Aufhebung per exceptionem, ſo daß die Obligation
    (h)ſitive Anſtalt zur Zerſtörung durch Verſäumniß getroffen hätte, wel - ches nur nicht Klagverjährung ge - weſen wäre; daß daran kein Ge - ſetzgeber gedacht hat, erklärt ſich aus der Seltenheit und praktiſchen Unwichtigkeit der bloßen naturales obligationes.
    (h)371§. 248. Klagverjährung. Wirkung.dennoch als naturalis obligatio wirkſam bleibt. Beyſpiel: exceptio rei judicatae
    (i)Dieſelben Gegenſätze kom - men auch vor bey dem urſprüng - lichen Zuſtand einer Obligation. Auch hier kann ſie ſeyn: 1) Ipso jure nulla 2) Per exceptionem ungültig, mit unwirkſamer natura - lis obligatio 3) Per exc. mit wirk - ſamer naturalis obligatio. Bey - ſpiele dieſer drey Fälle: 1) Ver - ſprechen von Seiten eines Un - mündigen 2) Exceptio doli oder metus. 3) Exceptio Sc. Mace - doniani. Über das von der exc. rei judicatae hergenommene Beyſpiel vgl. unten § 249 c.
    (i).

Bringen wir mit dieſen wirklichen, unzweifelhaften, Ge - genſätzen des Römiſchen Rechts den oben angegebenen Aus - druck der Streitfrage in Verbindung, ſo müßte ſich eigent - lich Folgendes ergeben. Diejenigen, welche die Wirkung der Verjährung in die Zerſtörung des Rechts ſelbſt ſetzen, müßten behaupten, die Obligation werde ipso jure aufgehoben; die, welche die Klage als zerſtört anſehen, müßten die Aufhebung per exceptionem behaupten, wobey dann das Schickſal der naturalis obligatio noch unentſchie - den bliebe. So verſteht aber die Streitfrage Niemand, wenigſtens in neuerer Zeit, ſeitdem überhaupt ſo viel die Rede davon iſt; man konnte es auch nicht im Allgemeinen ſo verſtehen, weil ja im Römiſchen Recht beſtändig von der temporis praescriptio oder exceptio die Rede iſt.

Zwar hat ein älterer Schriftſteller dieſen Weg wirk - lich betreten, wenn auch nur theilweiſe. Donellus ſtellt folgende Unterſcheidung auf(k)Donellus Lib. 16 C. 8 § 21. 22., Lib. 22 C. 2 § 18.: die Klagen ſind theils durch das Geſetz ſelbſt, welches ſie einführte, der Verjäh - rung unterworfen (wie die prätoriſchen Annalklagen), theils24*372Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erſt durch ſpätere Geſetze. Die erſten gehen durch die Verjährung ipso jure unter, die anderen per exceptionem. Sein Hauptgrund liegt darin, daß bey jenen Klagen das Edict zu ſagen pflegt: intra annum actionem dabo, wor - aus Donellus ſchließt, daß nach Ablauf des Jahres nulla actio vorhanden, alſo die bis dahin geltende ipso jure aufgehoben ſey(l)Einen anderen Grund ſetzt Do - nellus in die L. 6 de O. et A. (44. 7. ): In omnibus temporalibus ac - tionibus, nisi novissimus totus dies compleatur, non finit obli - gationem. Zuerſt iſt aber auf den Ausdruck finit obligationem gar nicht das Gewicht zu legen, als ob er eine Aufhebung ipso jure bezeichnete. Zweytens erklärt Donellus ganz willkührlich tem - poralis actio für die von ihm bezeichnete Klaſſe von Klagen, da doch dieſer Ausdruck vielmehr ur - ſprünglich eine überhaupt verjähr - bare Klage bezeichnete, im neue - ſten Recht auf eine kürzere als dreyßigjährige zu beziehen iſt (pr. J. de perpet. 4. 12.). Die rei vindicatio war lange Zeit ganz unverjährbar geweſen, und erſt ſpät wurde dafür die longi tem - poris praescriptio eingeführt; ſeitdem iſt ſie gewiß eine tempo - ralis actio geweſen, obgleich der von Donellus willkührlich ange - nommene Sinn dieſes Kunſtaus - drucks auf ſie nicht paßt. Bey ihr hätte alſo nach L. 6 de O. et A. (die Erklärung von Donellus bey dieſer Stelle vorausgeſetzt) die Verjährung ipso jure wirken müſ - ſen, welches doch augenſcheinlich nicht der Fall iſt.. Wie wenig dieſer Ausdruck entſcheidet, zeigt das Beyſpiel von zwey Senatusconſulten, worin die Ungültigkeit mit demſelben Ausdruck bezeichnet wird, und doch Niemand zweifeln kann, daß es eine bloße Ungültig - keit per exceptionem iſt(m)L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16. 1. ) ne eo nomine ab his petitio, neve in eas actio detur Eben ſo heißt es in L. 1 pr. de Sc. Mac. (14. 6. ) ne cui .. actio petitioque daretur. . Die Sache ſelbſt aber wird völlig widerlegt durch den Umſtand, daß gerade auch bey den prätoriſchen Annalklagen die Verjährung durch eine annua exceptio geltend gemacht wird (§ 247. g.). Und geſetzt373§. 248. Klagverjährung. Wirkung.auch, die Anſicht von Donellus wäre richtig, ſo wäre damit für den wichtigſten und häufigſten Fall, die dreyßig - jährige Verjährung, Nichts entſchieden; der Zweifel wäre nicht gelöſt, ſondern nur auf ein etwas engeres Gebiet eingeſchränkt.

Die Meynung des Donellus hat keine Anhänger gefun - den. Die neueren Schriftſteller gehen davon aus, daß die Klagverjährung nicht ipso jure, ſondern per exceptionem wirke, und der wahre Sinn ihrer Streitfrage geht dahin, ob die naturalis obligatio zerſtört werde, oder beſtehen bleibe. Für dieſe Frage aber iſt der oben erwähnte Aus - druck des Gegenſatzes (Recht ſelbſt, oder Klage zer - ſtört) ganz unpaſſend; ich werde denſelben fortan vermei - den, und die Frage in ihrem nunmehr beſtimmten wahren Sinn behandeln, dafür aber auch den nun unzweydeutigen kürzeren Ausdruck gebrauchen, ob die ſtärkere oder die ſchwächere Wirkung der Klagverjährung anzunehmen ſey(n)Die ſtärkere Wirkung be - haupten, unter den oben ange - führten Schriftſtellern: v. Löhr Heimbach, Vermehren, - chel; außerdem Vangerow I. S. 175. 176. 180. Kierulff S. 210 214. Die ſchwächere Wirkung: Francke, Guyet; au - ßerdem: Weber natürliche Ver - bindlichkeit § 92, und: Beyträge S. 54 fg. Glück B. 13 S. 100. 380, B. 15 S. 65, B. 20 S. 162. Unterholzner Verjährung II. § 258, Schuldverhältniſſe B. 1 § 247. Mühlenbruch II. § 481. Puchta Lehrbuch § 77. Göſchen § 154. Ich erkläre mich für dieſe zweyte Meynung. Außer die - ſen regelmäßigen Parteymeynun - gen ſtehen iſolirt folgende Schrift - ſteller: Donellus, welcher zwi - ſchen kurzen und langen Verjäh - rungen unterſcheidet (Note k), Rave, deſſen Meynung mit ſei - ner beſonderen Lehre von der bona fides zuſammenhängt (§ 246), und?

374Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 249. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

Die Entſcheidung der aufgeſtellten Streitfrage iſt oft durch Äußerungen in unſren Rechtsquellen verſucht worden, welche entweder von einer verlornen actio, oder aber von einer aufgehobenen obligatio ſprechen. Stellen der erſten Art wurden für die ſchwächere, Stellen der zweyten für die ſtärkere Wirkung als Beweiſe angeführt. Dieſes Verfah - ren iſt nicht etwa deswegen zu tadeln, weil den alten Ju - riſten, deren Ausſprüche wir in den Digeſten leſen, die dreyßigjährige Verjährung unbekannt war; denn was ſie von der Wirkung der damals als Ausnahme geltenden Klagverjährung, z. B. der prätoriſchen Annalklagen, be - haupten, können wir ohne Bedenken auch auf die erſt im neueren Recht eingeführte dreyßigjährige Verjährung an - wenden. Der Fehler in jenem Verfahren liegt vielmehr darin, daß jene ſchwankenden, unbeſtimmten Ausdrücke ohne Grund als Entſcheidungen für die vorliegende Frage gelten ſollen. Denn mit der Behauptung einer verlornen actio, wie einer (durch Exeeption) aufgehobenen obligatio, iſt die Fortdauer oder Zerſtörung der naturalis obligatio(n)Thibaut, der im Lauf der Zeit drey verſchiedene Meynungen an - genommen hat: zuerſt die hier ver - theidigte, zuletzt die der Gegner, in einer mittleren Zeit den Unter - gang des Rechts ſelbſt, bey der dreyßigjährigen, der bloßen Klage bey den kürzeren. Verjährung S. 118. Pandekten Ausg. 7 § 1056. 1062. Ausg. 8 § 1019. 1025. Braun’s Erörterungen zu § 1056.375§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)gleich vereinbar, ſo daß über dieſen allein wichtigen Ge - genſatz durch jene Ausdrücke Nichts entſchieden wird(a)Dieſen Punkt hat gründ - lich, und mit Angabe vieler Bey - ſpiele, behandelt Heimbach S. 437 440. Nur iſt er ſich nicht treu geblieben, indem er S. 448 den Ausdruck tempore liberari als Beweis anſieht, daß durch die Verjährung das ganze Recht auf - gehoben werde, da dieſer Aus - druck deutlich die Befreyung von aller Verbindlichkeit anzeigt. Liberari wird gebraucht für ipso jure, wie für per exceptionem (L. 1 § 2 quae in fraud. 42. 8, L. 3 § 3 de lib. leg. 34. 3); und in dem letzten Fall auch für die ſchwächere Wirkung, mit fortdau - ernder naturalis obligatio. L. 60 de fidej (46. 1.) Ubicunque reus ita liberatur a creditore, ut natura debitum maneat, teneri fidejussorem respondit: cum vero genere novationis transeat obligatio, fidejussorem aut jure aut exceptione libe - randum. .

Wichtiger iſt es, die Regel aufzuſuchen, nach welcher überhaupt, und auch in anderen Fällen, einer per excep - tionem aufgehobenen Klage, die Fortdauer oder Aufhebung der naturalis obligatio ſich richtet. Eine ſolche Regel nun wird ausdrücklich aufgeſtellt von Pomponius, Marcian und Ulpian. Die Exceptionen, welche odio creditorum einge - führt ſind, ſollen die ſchwächere Wirkung hervorbringen, die zum Vortheil des Schuldners eingeführten die ſtärkere(b)L. 19 pr. de cond. ind. (12. 6. ), L. 40 pr. eod., L. 9 § 4 de Sc. Mac. (14. 6.)..

Aber wie ſicher und beſtimmt auch dieſe Regel ausſe - hen mag, ſo ſind wir doch wenig dadurch gefördert. Zu - erſt ſchon deswegen, weil die Anwendung derſelben ſo ſehr ſchwankend und unſicher iſt, wie ſich denn in der That beide ſtreitende Parteyen darauf berufen. Die Vertheidi - ger der ſchwächeren Wirkung, indem ſie ſagen, die Ver - jährung ſey eine Strafe der Nachläſſigkeit; worauf aber376Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht unrichtig erwiedert wird, daß Dieſes weniger der Grund des verhängten Nachtheils, als deſſen Entſchuldi - gung iſt (§ 237). Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung, indem ſie den Schutz des Beklagten als Grund der Ver - jährung angeben; wogegen aber zu bedenken iſt, daß die - ſelbe mehr im Intereſſe der allgemeinen Ordnung, als zum Schutz einer beſonderen Menſchenklaſſe (wie das Sc. Vellejanum) angewendet wird.

Noch weit mißlicher aber ſteht es um die Wahrheit jener angeblichen Regel, die ſich in mehreren anderen Fäl - len der Anwendung, und zwar gerade den unzweifelhafte - ſten, durchaus nicht bewährt. So hat die exceptio rei judicatae die ſchwächere Wirkung(c)Es gilt bey ihr das solu - tum non repetere, alſo die Fort - dauer einer naturalis obligatio. L. 28 L. 60 pr. de cond. indeb. (12. 6.). Dieſes beſtätigt ſich auch durch die gewöhnlich überſehene Weiſe, wie die verſchiedenen Ex - ceptionen in dem Inſtitutionentitel de exceptionibus (4. 12. ) ange - führt werden. § 1 4 ſtehen die exc. metus, doli, pacti, jurisju - randi, und bey jeder derſelben wird ihre Herleitung aus dem jus gentium (iniquum est condem - nari) ſorgfältig bemerkt. Dage - gen ſteht bey der exc. rei judi - catae im § 5 nicht dieſe Bemer - kung, ſondern es heißt hier blos: debes per exc. r. j. adjuvari. Übrigens iſt dieſe Frage von alter Zeit her ſehr controvers, und der neueſte Schriftſteller erklärt ſich ge - gen die hier vertheidigte Meynung. Pfordten im Archiv B. 24 S. 108 fg. (1841)., wobey doch gewiß Niemand ſagen wird, daß ſie odio creditoris gegeben werde; ganz eben ſo verhält es ſich mit der im älteren Recht auf Prozeßverjährung gegründeten Einrede(d)L. 8 § 1 ratam rem (46. 8. ) quia naturale debitum ma - net. In dieſem Fall dauert na - mentlich auch das Pfandrecht fort. (§ 250. v.) Vgl. Keller Litisconte - ſtation S. 158.. Ge -377§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)rade umgekehrt aber iſt es bey keiner Exception ſo gewiß, daß ſie odio creditoris gegeben wird, als bey der dem Betrüger oder dem Gewaltthätigen entgegenſtehenden doli oder metus exceptio; und doch iſt es gerade bey dieſen eben ſo gewiß, daß keine naturalis obligatio zurückbleibt, alſo das (aus Irrthum) Gezahlte zurückgefordert werden kann(e)L. 65 § 1 de cond. ind. (12. 6.) .. Sin autem evidens calumnia detegitur, et transac - tio imperfecta est, (et) repe - titio dabitur. L. 7. L. 8 de cond. ob turp. (12. 5.) . Hieraus geht nun klar hervor, wie es ſich mit der Bildung jener Regel zugetragen hat. Den ange - führten drey alten Juriſten (unter welchen ſtets Einer dem Andern hierin gefolgt zu ſeyn ſcheint) ſtanden blos zwey einzelne Fälle von verſchiedenem praktiſchen Erfolg vor Augen, die exceptio Sc. Macedoniani und Vellejani. Sie ſuchten aus dieſen eine allgemeine Regel durch Abſtraction zu bilden, und hielten ſich dabey an die Eigenſchaften der - ſelben, welche zunächſt in die Augen fallen, unbekümmert um die Anwendbarkeit der ſo gefundenen Regel auf an - dere, ganz ungleichartige Fälle. Und ſo liegt hierin eine neue Beſtätigung der ſchon öfter vorgetragenen Bemer - kung, mit wie vielem Mistrauen ſolche abſtract gefaßte Regeln der alten Juriſten behandelt werden müſſen(f)Vgl. oben B. 1 § 14 S. 47, § 41 S. 276. B. 3 Beylage VIII. Num. VIII. S. 346. 347..

Finden wir uns nun genöthigt, die eben erörterte Re - gel, ungeachtet ihres quellenmäßigen Scheins, ganz aufzu - geben, ſo läßt ſich anſtatt derſelben eine andere aufſtellen,378Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die ich in der That für richtig halte. Naturalis obligatio iſt überhaupt diejenige, welche im jus gentium ihre Wur - zel hat(g)L. 84 § 1 de R. J. (50. 17.) Is natura debet, quem jure gentium dare oportet, cujus fidem secuti sumus. . Daher müſſen wir conſequenterweiſe erwarten, daß diejenigen Exceptionen, welche ſich lediglich auf - miſches jus civile gründen, für eine fortwirkende naturalis obligatio Raum laſſen werden, anſtatt daß die ſchon im jus gentium wurzelnden Exceptionen auch die Zerſtörung der naturalis obligatio mit ſich führen werden. Und dieſe ſo unterſcheidende Regel findet ſich denn in der That, faſt ohne Ausnahme, durch unzweifelhafte Anwendungen im Einzelnen beſtätigt.

Folgende Exceptionen gründen ſich lediglich auf das poſitive Recht, und laſſen in der That Raum für eine na - turalis obligatio, ſo daß bey ihnen, ſelbſt im Fall der irrigen Zahlung, die condictio indebiti ausgeſchloſſen iſt (solutum non repetitur):

  • Sc. Macedoniani (Note b).
  • Rei judicatae (Note c).
  • Als Retorſion wegen jus iniquum
    (h)L. 3 § 7 quod quisque ju - ris (2. 2. ) superesse enim na - turalem causam quae inhibet repetitionem.
    (h).
  • Wegen des ſogenannten beneficii competentiae
    (i)L. 8. 9 de cond. indeb. (12. 6.).
    (i).
  • Wegen Prozeßverjährung (Note d).

Dagegen ſind folgende Exceptionen ſchon auf das jus gentium gegründet, und bey ihnen iſt es zugleich unzwei -379§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)felhaft, daß keine fortwirkende naturalis obligatio übrig bleibt, daß alſo das irrig Gezahlte zurückgefordert wer - den kann:

  • Exc. pacti
    (k)L. 34 § 11 de sol. (46. 3. ), L. 32 § 1 L. 40 § 2 de cond. ind. (12. 6.)
    (k),
  • Doli (Note e),
  • Jurisjurandi
    (l)L. 43 de cond. ind. (12. 6.)
    (l).

Es findet ſich eine einzige Ausnahme in der exceptio Sc. Vellejani, die einen ganz poſitiven Urſprung hat, und dennoch die naturalis obligatio zerſtört (Note b). Hier alſo fand man einen durchgreifenderen Schutz der Frauen, mit Aufopferung der Rechtsanalogie, nöthig, und dieſe be - ſtimmte Abſicht wird auch in den Worten des Senats - ſchluſſes angedeutet(m)L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16. 1.). Nachdem das Verbot der Klage, gleichlautend mit dem Sc. Macedonianum, ausgeſprochen war, (§ 248. m) wird der eigen - thümliche Zuſatz gemacht: cum eas ejus generis obligatio - nibus obstringi non sit aequum. . Dieſe einzelne, mit Bewußtſeyn vorgeſchriebene, Ausnahme kann alſo die Wahrheit der aufgeſtellten Regel nicht zweifelhaft machen.

Legen wir nun dieſe Regel zum Grund, ſo können wir über die Behandlung der temporalis exceptio nicht zweifelhaft ſeyn. Dieſe gehört ganz dem poſitiven Recht, nicht dem jus gentium, an, und es muß daher neben ihr eine fortwirkende naturalis obligatio übrig bleiben. Als unmittelbare Beſtätigung dafür dient noch die ſo nahe lie - gende Analogie der alten Prozeßverjährung (Note d), in - dem es in der That ganz willkührlich und unnatürlich380Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wäre, wenn dieſe beide, ſo nahe verwandte, Rechtsinſti - tute eine völlig verſchiedene praktiſche Behandlung erfah - ren ſollten(n)Francke S. 74 78 hat die Wichtigkeit dieſer Analogie be - merklich gemacht..

Folgende allgemeine Betrachtungen können noch als entferntere Beſtätigungen der hier vertheidigten, ſchwäche - ren Wirkung der Verjährung dienen.

Alle ſind darüber einverſtanden, daß für die urſprüng - liche naturalis obligatio eine Verjährung niemals eintreten kann (§ 248). Es wäre aber ganz grundlos und unnatür - lich, denjenigen Glaubiger, welcher durch Verjährung ſeine Klage verloren hat, in eine nachtheiligere Lage zu ver - ſetzen als Den, welcher niemals eine Klage hatte. Soll dieſe Inconſequenz vermieden werden, ſo iſt dazu kein an - deres Mittel übrig, als die naturalis obligatio noch nach der vollendeten Verjährung fortdauern zu laſſen(o)Dieſer Grund wird geltend gemacht von Göſchen § 154..

Da ferner die Verjährung der Klagen in rem dem Berechtigten nicht Alles entzieht, was er hatte, ſondern nur den Schutz durch Klage, wodurch er freylich mit ſei - nen Hoffnungen auf eine ſehr zufällige, unſichere Zukunft verwieſen wird, ſo iſt es ganz conſequent, genau denſelben Erfolg auch bey den verjährten perſönlichen Klagen ein - treten zu laſſen.

Beide Betrachtungen können insbeſondere dazu dienen, die zu weit getriebene Conſequenz der Gegner in ihrer381§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)Unhaltbarkeit darzuſtellen. Allerdings iſt im Allgemeinen ihre Behauptung zuzugeben, daß die Verjährung den be - ſtehenden factiſchen Zuſtand durch Ablauf einer gewiſſen Zeit unanfechtbar machen ſoll. Allein ſie ſoll es doch nur, indem ſie die gefährlichſte Störung jenes Zuſtandes, das Klagrecht, hinwegräumt. Da nun bey den urſprünglichen naturales obligationes, ſo wie bey den Klagen in rem, ein Keim möglicher künftiger Streitigkeiten, ungeachtet des Ablaufs ſehr langer Zeit, zurück bleiben darf, ſo kann es nicht mit der angegebenen Beſtimmung der Verjährung im Widerſpruch ſtehen, wenn für die civilen Obligationen ge - nau derſelbe Erfolg gefordert wird.

Die Gegner ſuchen die ſtärkere Wirkung der Verjäh - rung, auf etwas künſtliche Weiſe, aus einer Stelle des Ulpian zu erweiſen(p)L. 1 § 4. 6 de dolo (4. 3.). Heimbach S. 440 442. Al - lerdings werden noch mehrere Stel - len, bald für die eine, bald für die andere Meynung geltend ge - macht, die aber Nichts beweiſen, worauf auch meiſt weniger Gewicht gelegt wird, und auf die ich hier nicht beſonders eingehen will, um nicht die Aufmerkſamkeit von den Hauptpunkten abzuziehen. Dahin gehören folgende: L. 19 pr. de neg. gestis (3. 5. ), L. 24 de m. c. don. (39. 6. ) (geht gewiß nicht auf Klagverjährung), L. 5. 6 C. de except. (8. 36.). Von dieſen letzten, ſo wie von der wichtigen L. 5 § 6 de doli exc. (44. 4. ), welche Guyet S. 78 fg. mit Un - recht als entſcheidend für die ſchwä - chere Wirkung anſieht, wird unten bey der Verjährung der Exceptio - nen die Rede ſeyn (§ 255).. Bekanntlich wird die actio doli, weil ſie den Verurtheilten infamirt, nur da zugelaſſen, wo dem Betrogenen nicht auf eine ſchonendere Weiſe zur Ab - wendung des Schadens geholfen werden kann. Sie wird daher ausgeſchloſſen durch jede denſelben Zweck erfüllende382Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.andere Klage oder Exception. Wenn alſo durch Betrug eine Stipulation bewirkt worden iſt, ſo hat der Betrogene deswegen nicht die doli actio, weil er durch die doli ex - ceptio vollkommenen Schutz gegen die Stipulationsklage des Betrügers, die ihm allein ſchaden könnte, erhält(q)L. 1 § 4 de dolo (4. 3.) .. si interdictum sit, quo quis experiri, vel exceptio, qua se tueri possit, cessare hoc edi - ctum. Allerdings iſt hier ganz beſonders auch die doli exceptio gemeynt, nur nicht dieſe allein, da viele andere Exceptionen denſelben Dienſt leiſten können, und ſogar noch viel bequemer, weil bey ihnen der ſchwierige Beweis des Be - trugs vermieden wird. Wird z. B. eine Frau durch Betrug zu einer Bürgſchaft verleitet, ſo braucht ſie weder die actio noch die exceptio doli, weil ſie ohne alle Beweis - führung durch die exc. Sc. Vel - lejani geſchützt iſt. Eben ſo kann es ſich verhalten mit der exc. Sc. Macedoniani, L. Cinciae, L. Plaetoriae, rei judicatae u. ſ. w.. So - gar wenn er zu ſeinem Schutz eine andere Klage hatte, dieſe aber durch Verjährung untergehen ließ, wird ihm die doli actio verſagt, weil es nun ſeine eigene Schuld iſt, wenn er ohne Schutz bleibt(r)L. 1 § 6 de dolo (4. 3. ) et si alia actio tempore finita sit, hanc competere non debere: sibi imputaturo eo, qui agere supersedit. . Nur in dem Fall erhält er dennoch die doli actio, wenn er durch des Geg - ners Betrug verleitet wird, die Verjährungsfriſt ablaufen zu laſſen (§ 245. i), weil nun die Urſache des Verluſts nicht in der Nachläſſigkeit, ſondern eben in dem Betrug liegt(s)L. 1 § 6 de dolo (4. 3. ) unmittelbar hinter den in der Note r abgedruckten Worten: nisi in hoc quoque dolus malus admissus sit, ut tempus exiret. . Nun argumentiren die Gegner alſo: Wäre bey dieſer verjährten Klage eine naturalis obligatio übrig ge - blieben, welche immer eine Exception zur Folge hat(t)Dieſes iſt inſofern wahr, als einige der poſitiven Folgen der naturalis obligatio allerdings,383§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)ſo würde der Betrogene durch dieſe Exception gegen Nach - theil geſchützt ſeyn, alſo die doli actio nicht haben; da er ſie in der That haben ſoll, ſo folgt daraus, daß eine Exception, alſo auch eine naturalis obligatio, nicht vor - handen ſeyn kann. Bey dieſer Beweisführung liegt aber folgende Verwechslung zum Grunde. Wenn der Prätor die doli actio wegen einer concurrirenden Exception ver - ſagt, ſo meynt er damit eine Exception die wirklich ſchützt, qua se tueri possit, und von dieſer Art ſind auch wirk - lich die oben (Note q) angegebenen Fälle; dagegen haben dieſe Natur durchaus nicht die Exceptionen, welche höchſt zufälligerweiſe in Folge einer naturalis obligatio vielleicht einmal künftig gebraucht werden können. Geſetzt alſo, der Glaubiger, welcher durch des Gegners Betrug verleitet worden war, eine Verjährung ablaufen zu laſſen, hatte wirklich noch (ſo wie wir es behaupten) eine naturalis ob - ligatio übrig, ſo konnte ihm doch unmöglich der Prätor die doli actio verſagen, indem er ihn darauf vertröſtete, der Zufall werde vielleicht einmal eine Compenſation her - beyführen, oder der Schuldner werde vielleicht aus Irr - thum Zahlung leiſten, in welchem Fall ihm dann auch(t)durch Exceptionen geltend gemacht werden, namentlich die Compenſa - tion. Ausdrücklich geſagt wird es für die naturalis obligatio im Allgemeinen nicht, ſondern nur für die nuda pactio, und hier hat der Satz eine beſtimmte praktiſche Bedeutung dadurch, daß unter pactio oder pactum vorzugs - weiſe ein Erlaßvertrag verſtan - den wird, deſſen unvollſtändige Wirkung eben in einer Exception gegen die Stipulationsklage des Glaubigers beſtand. L. 7 § 4 de pactis (2. 14.) Igitur nuda pa - ctio obligationem non parit, sed parit exceptionem. 384Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gewiß die condictio indebiti abgeſchlagen werden ſolle. Vielmehr mußte in einem ſolchen Fall der Prätor die doli actio wirklich zulaſſen, obgleich eine naturalis obligatio noch nach dem Ablauf der Verjährung übrig geblieben war.

§ 250. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

Bisher iſt die Frage nach der Fortdauer der naturalis obligatio blos von dem Standpunkt allgemeiner Gründe aus erörtert worden. Ich wende mich jetzt zu der Unter - ſuchung der einzelnen Wirkungen, und dieſe enthalten nicht nur das praktiſch wichtigſte Moment der Frage, ſondern es iſt auch in ihnen vorzugsweiſe die letzte Entſcheidung des Streites zu ſuchen.

Es kommen überhaupt folgende poſitive Wirkungen der naturalis obligatio vor(a)Nämlich der unterſcheidende Character derſelben, in Verglei - chung mit der civilis obligatio, iſt blos negativ, die Abweſenheit der Klage; davon kann hier nicht die Rede ſeyn. Ich werde die hier aufgezählten poſitiven Wir - kungen in anderer Ordnung vor - tragen, indem ich diejenigen Fälle voran ſtelle, die theils für das wirkliche Leben wichtiger, theils durch reichhaltige Ausſprüche der Rechtsquellen fruchtbarer für unſre Einſicht ſind.:

  • Solutum non repetere, d. h. die Ausſchließung der condictio indebiti im Fall einer irrig geleiſteten Zahlung.
  • Compenſation.
  • Novation.
385§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
  • Fidejuſſion.
  • Conſtitutum.
  • Pfandrecht.

Die vier letzten Wirkungen laſſen ſich auf den gemein - ſamen Begriff von Acceſſionen der Obligation zurück führen.

Voraus iſt noch zu bemerken, daß die Auslegung meh - rerer hierher gehörenden Stellen dadurch unſicher wird, daß in denſelben der Ausdruck tempore liberari vorkommt. Dieſer iſt ſchon an ſich ſelbſt vieldeutig, indem er außer der Klagverjährung auch die Prozeßverjährung, oder auch den durch eine L. Furia verordneten Untergang mancher Bürgſchaften durch zweyjährige Dauer(b)Gajus III. § 121. Dieſer, durch einen Volksſchluß bewirkte Untergang der Obligationen des Sponsor und des fidepromissor trat ohne Zweifel ipso jure ein (da eine Exception dabey nicht erwähnt wird), zerſtörte alſo die Subſtanz des Rechts ſelbſt, nicht die bloße Klage, und war daher in der Art der Einwirkung von der Verjährung ganz verſchieden. bezeichnen kann. Er wird aber für unſre Einſicht in den wahren Sinn je - ner Stellen dadurch doppelt hinderlich, daß die zwey letz - ten unter den erwähnten Rechtsinſtituten im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr gelten, weshalb die von ihnen urſprüng - lich redenden Stellen der alten Juriſten manche für uns unbeſtimmbare Interpolationen erhalten haben mögen.

Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung müſſen conſe - quenterweiſe die Möglichkeit aller jener Rechtsverhältniſſe nach abgelaufener Verjährung verneinen; die Anderen müſ - ſen dieſe Möglichkeit behaupten(c)Dieſes geſchieht nun im Ganzen wirklich, ſo daß die bei - den oben bezeichneten Parteyen.

V. 25386Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Pfandrecht.

Dieſe Wirkung der bloßen naturalis obligatio iſt unter allen die wichtigſte, ſchon deshalb, weil in den meiſten Fällen ihr Einfluß unbedingt eintritt, nicht erſt von zufäl - ligen Umſtänden abhängig iſt.

Es hat aber die Möglichkeit dieſes Rechts (wenn ſie vorhanden iſt) eine zwiefache Anwendung. Erſtlich, in - dem für eine bereits verjährte Schuldklage ein Pfand neu errichtet werden kann; zweytens, indem das vorher errich - tete Pfand fortdauert und wirkſam bleibt, auch nachdem die perſönliche Schuldklage verjährt iſt. Die erſte An - wendung iſt weder häufig noch wichtig, und wird daher auch in unſren Rechtsquellen nicht erwähnt; deſto häufiger und wichtiger iſt die zweyte Anwendung, ja man kann ſagen, daß in ihr eigentlich das Intereſſe, ſo wie die Ent - ſcheidung, der ganzen Streitfrage liegt.

Nach allgemeinen Grundſätzen kann ein Pfandrecht nur anfangen, wenn eine wahre, gültige Obligation vorhan - den iſt, es mag jedoch dieſelbe civilis oder naturalis ſeyn, worauf es nicht ankommt(d)L. 5 de pign. (20. 1.) Res hypothecae dari posse sciendum est pro quacunque obligatione et vel pro ci - vili obligatione, vel honoraria, vel tantum naturali . Eben ſo kann es nur fort - dauern ſolange als eine Obligation fortdauert; aber die Fortdauer auch blos des naturalen Beſtandtheils der Ob - ligation iſt für die Erhaltung des Pfandrechts völlig hin -(c)(§ 248. n) auch in dieſen Anwen - dungen einander gegenüber ſtehen. Kleine Inconſequenzen, welche hier und da mit unterlaufen, werden im Einzelnen bemerkt werden.387§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)reichend(e)L. 14 § 1 de pign. (20. 1.) Ex quibus casibus naturalis obligatio consistit, pignus per - severare constitit. . Hieraus folgen dieſe zwey Regeln: Wenn nach verjährter Schuldklage eine naturalis obligatio fort - dauert, ſo wird auch das Pfandrecht fortdauern müſſen; und wenn umgekehrt ſich beweiſen läßt, daß nach ver - jährter Schuldklage ein Pfandrecht fortdauert, ſo wird daraus rückwärts auf die Fortdauer einer naturalis obli - gatio geſchloſſen werden dürfen, da es ohne dieſe gar nicht fortdauern könnte. Ehe ich den Beweis unternehme, daß wirklich ein Pfandrecht nach verjährter Schuldklage fortdauert, will ich verwandte Rechtsinſtitute mit in die Betrachtung ziehen, wodurch die eben aufgeſtellten Regeln theils Beſtätigung, theils größere Anſchaulichkeit finden werden.

Wenn eine Obligation zwar nur per exceptionem aufgehoben wird, aber ſo daß zugleich die naturalis obli - gatio untergeht, hört ſtets auch das Pfandrecht gänzlich auf; ſo geſchieht es bey der exc. pacti und jurisjurandi(f)L. 11 § 2 de pign. act. (13. 7. ), L. 13 quib. modis pign. (20. 6. ), L. 40 de jurej. (12. 2.). Vgl. oben § 249 k. l. . Wenn dagegen bey der Aufhebung per exceptionem eine naturalis obligatio fortdauert, ſo bleibt auch das Pfand - recht gültig; ſo findet es ſich bey der exc. rei judicatae, nach einem ungerecht freyſprechenden Urtheil (§ 249. c). Dieſer wichtige Satz findet Anerkennung in folgender Ent - ſcheidung eines Rechtsfalls. Ein Schuldner, der ſeinen Sklaven verpfändet hatte, tödtet oder verſtümmelt denſel -25*388Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ben, und vernichtet alſo oder vermindert den dem Pfand - glaubiger haftenden Kaufwerth; hier ſoll gegen den Schuldner die actio L. Aquiliae gelten. Zwar in den mei - ſten Fällen wird kein Intereſſe vorhanden ſeyn, da der Glaubiger dieſelbe Summe, die er mit dieſer Delictsklage einfordern könnte, auch ſchon durch die Schuldklage er - halten kann, in welchem Fall er durch die Tödtung des Sklaven gar keinen Nachtheil erleidet. Die Entſcheidung wird alſo nur in ſolchen Fällen von praktiſchem Werth ſeyn, wenn die Schuldklage nicht mehr wirken kann, weil ſie durch ungerechtes Urtheil oder einen Prozeßfehler ver - loren worden iſt(g)L. 27 de pign. (20. 1.) .. Fingamus nullam crediti nomine actionem esse, quia forte causa ceciderat. Causa cadere kann auf jeden zufälligen Pro - zeßverluſt (bey hier vorausgeſetz - tem wirklichen Recht) gehen; alſo auf ungerechte Freyſprechung ſo - wohl, als auf Verluſt wegen plus petere, welcher Verluſt auch nur durch Freyſprechung eintritt. Die entgegengeſetzte Meynung, nämlich die Befreyung des Pfandes durch Abweiſung der Schuldklage, ſoll nach den Meiſten aus folgender Stelle hervorgehen. L. 13 quib. modis pign. (20. 6. ) si a judice, quamvis per injuriam, absolutus sit debitor, tamen pignus liberatur. Allein libe - rare bezeichnet nicht nur das ipso jure, ſondern auch das per ex - ceptionem (§ 249. a). Durch die Freyſprechung von der Schuldklage erwirbt der Schuldner unſtreitig auch gegen die Hypothekarklage die exc. rei judicatae, da zur Begründung dieſer Klage unter andern auch das Daſeyn der Schuld behauptet und bewieſen werden muß. (L. 10 C. de pign. act. 4. 24. L. 1 C. si pign. conv. 8. 33.). Allein wenn nun die ver - pfändete Sache an einen dritten Beſitzer kommt, der nicht von dem Schuldner geerbt oder gekauft hat, ſo hat dieſer keinen Anſpruch auf die exc. rei judicatae, und nun wirkt das Pfandrecht unbeſchränkt fort; Das iſt durch den Ausdruck der zuletzt angeführten Stelle auf keine Weiſe ausgeſchloſſen. Die in dieſer letzten Stelle angeſtellte Vergleichung mit dem Eid darf alſo nur nicht zu unbedingt durch - geführt werden, ſie iſt nur wahr. Damit iſt alſo anerkannt, daß, durch389§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)die Freyſprechung von der Schuldklage, die fortdauernde Wirkſamkeit des Pfandrechts nicht gehindert wird.

Ich gehe nach dieſer Vorbereitung auf die Hauptfrage ſelbſt ein: Wirkt das Pfandrecht fort, nachdem die Schuld - klage verjährt iſt? Allerdings, und zwar nach dem Zeug - niß mehrerer einzelnen Stellen, noch weit entſchiedener aber nach den ganz unbeſtrittenen Regeln über die eigen - thümliche Verjährung der Hypothekarklage. Nachdem näm - lich die dreyßigjährige Verjährung aller Schuldklagen ein - geführt war, blieb dennoch die Hypothekarklage gegen den Schuldner und deſſen Erben lange Zeit ganz unverjähr - bar; dann wurde ſie zwar der Verjährung unterworfen, aber doch nur einer vierzigjährigen (§ 238). So giebt es alſo noch im heutigen Recht Zehen volle Jahre nach verjährter Schuldklage, in welchen das Pfandrecht nicht nur überhaupt fortdauert, ſondern ſelbſt auf die aller - ſtärkſte Weiſe, durch Klage gegen den beſitzenden Schuld - ner, geltend gemacht werden kann. Denn das Recht, die verpfändete Sache zu verkaufen, und ſich mit dem Kauf - geld bezahlt zu machen, knüpft ſich von ſelbſt als noth - wendige Folge an jene Klage.

Dieſes Argument iſt nicht nur der entſcheidendſte Be - weis in dem ganzen Gebiet der vorliegenden Streitfrage, ſondern es enthält auch an ſich ſelbſt ſchon das wichtigſte praktiſche Moment in dieſem Streit. Sehen wir zu, wie die Gegner demſelben zu begegnen ſuchen.

(g)für das Verhältniß zwiſchen Glaubiger und Schuldner.

390Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Man ſagt, jene vierzigjährige Verjährung gehe nur auf Pfänder für Schulden, die urſprünglich bloße natura - les obligationes waren, alſo ſelbſt keiner Verjährung un - terlagen(h)Heimbach S. 457 460.. Ich will dieſem Einwurf nicht mit der Be - hauptung Derjenigen begegnen, welche meynen, ein ſolches Pfand gebe überhaupt keine Klage, ſondern eine bloße Retention, wenn der Glaubiger zufällig beſitze(i)Weber natürliche Verbind - lichkeit § 107. Glück B. 14 S. 43 B. 18 § 1076. Vgl. dagegen Francke S. 66 S. 80 85.; denn dieſe Behauptung ſelbſt halte ich für ganz verwerflich. Aber der erwähnte Einwurf iſt deswegen unhaltbar, weil die urſprünglichen naturales obligationes in ſo ſeltnen, für den Zuſammenhang des ganzen Verkehrs ganz unbe - deutenden Verhältniſſen beſtehen, daß für ſie eine ſo aus - führliche, ſehr in’s Einzelne gehende Geſetzgebung, wie die über die Verjährung der Hypothekarklage, gewiß nicht nöthig gefunden worden wäre. Und hätte auch ein Kaiſer an der mühſamen Behandlung einer ſo unpraktiſchen Spitz - findigkeit Vergnügen gefunden, ſo würde er doch die Eigen - thümlichkeit dieſes aus Liebhaberey gewählten Objects be - ſtimmt ausgedrückt haben, wovon aber in jenen Verjäh - rungsgeſetzen keine Spur zu finden iſt. Bey ſo unbeſtimmt allgemeinen Ausdrücken mußte jeder Richter dieſe Ver - jährungsgeſetze ganz allgemein anwenden, alſo auch auf die Pfänder für Civilobligationen, ganz gegen die in jener Meynung vorausgeſetzte Abſicht der Geſetzgeber.

Ein zweyter Verſuch, jenes Hauptargument zu ent -391§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)kräften, beſteht darin. Es ſoll in jenen Verjährungsge - ſetzen vorausgeſetzt ſeyn eine Schuldklage, deren Verjäh - rung verhindert worden iſt, entweder durch Ausſtellung eines neuen Schuldſcheins, oder durch Anſtellung der Schuldklage(k)Donellus Lib. 16 C. 26 § 8 10, und Comm. in Codi - cem in L. 2 C. de luit. p. 372.. Beides aber iſt ganz verwerflich; denn der neue Schuldſchein unterbricht die Verjährung nicht nur der perſönlichen, ſondern auch der Hypothekarklage(l)L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Kierulff S. 214 ſucht dieſer Erklärung einen neuen Halt zu geben durch die Voraus - ſetzung, in dem neuen Schuldſchein könne dem Pfandrecht ausdrücklich widerſprochen worden ſeyn. Daß die ganze wichtige Geſetzgebung über Verjährung der Hypothekar - klage blos mit Rückſicht auf einen ſo verwickelten, vielleicht noch nie vorgekommenen, Fall erlaſſen wor - den ſey, iſt durchaus undenkbar; es gilt in dieſer Hinſicht Alles, und in noch höherem Grade, was oben gegen Heimbach (Note h) bemerkt worden iſt.; und eben ſo verhält es ſich auch mit der Anſtellung der Schuldklage, wodurch gleichfalls die Verjährung beider Klagen zugleich unterbrochen wird(m)L. 3 C. de ann. except. (7. 40.). .

Etwas ſcheinbarer iſt ein neuer Verſuch, wodurch die Fortdauer des Pfandrechts nach verjährter Schuldklage (alſo das wichtigſte praktiſche Moment) zugegeben wird, und nur der Rückſchluß auf die fortdauernde naturalis obligatio bekämpft werden ſoll(n)Büchel S. 40 61.. Hier geht man davon aus, daß auch in mehreren anderen Fällen eine Fort - dauer des Pfandrechts, abweichend von allgemeinen Grund - ſätzen, angenommen werde, blos mit Berufung auf den Buchſtaben des Servianiſchen Edicts: nisi solutum vel392Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.satisfactum sit; die Hypothekarklage ſollte nach dieſen Wor - ten ſolange fortdauern, bis der Glaubiger entweder Zah - lung empfangen, oder in die Aufhebung eingewilligt hätte. Da nun nach eingetretener Klagverjährung keine dieſer beiden Thatſachen behauptet werden könne, ſo werde, mit Hülfe des bloßen Buchſtabens jenes Edicts, die Hypothe - karklage aufrecht erhalten, obgleich gar keine Schuld, nicht einmal eine naturalis obligatio, mehr vorhanden ſey. Hierauf iſt Folgendes zu antworten. Es kommen allerdings einige Fälle vor, worin jenes etwas ſubtile Ver - fahren angewendet wird. Dieſe Fälle aber ſind insgeſammt ſo beſchaffen, daß darin, dem ſubtilſten Buchſtaben des Civilrechts gegenüber, eine ganz einleuchtende aequitas ge - ſchützt werden ſoll. Ein ſolcher Schutz würde im Nothfall durch außerordentliche Rechtsmittel, z. B. durch Reſtitu - tion, gewährt werden, und nur um dieſe entbehrlich zu machen, wenden die alten Juriſten jene ſubtile Behand - lung des Edicts an. Dieſe Art von Nothwehr wird ge - braucht gegen die Confuſion(o)L. 30 § 1 de exc. rei jud. (44. 2 ) In proposita autem quaes - tione magis me illud movet, numquid pignoris jus extinctum sit dominio adquisito: neque enim potest pignus perseverare domino constituto creditore. Actio tamen pigneraticia com - petit: verum est enim, et pi - gnori datum, et satisfactum non esse . Der Grund der aequitas liegt hier darin, daß es ganz unnatürlich ſeyn würde, wenn der Pfandglaubiger, durch Erwerb eines neuen Rechts (des Eigen - thums), den nachſtehenden Pfand - glaubigern gegenüber, deterioris conditionis werden ſollte, indem er die bisherigen Vortheile ſeiner Priorität verlöre.; ferner bey dem Sc. Vel -393§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)lejanum(p)L. 13 § 1 ad Sc. Vell. (16. 1.) De pignoribus prioris creditoris non est creditori nova actione opus: cum quasi Serviana, quae et hypothecaria vocatur, in his utilis sit, quia verum est, convenisse de pigno - ribus, nec solutam esse pecu - niam. Wenn eine Frau expro - mittirt, ſo iſt ſie ſelbſt durch die exc. Sc. Vellejani geſchützt, da - gegen bekommt der Glaubiger ge - gen den alten Schuldner eine actio restitutoria (L. 1 § 2 L. 8 § 11. 12. 13 eod.). Dieſe künſtliche Her - ſtellung, ſagt die abgedruckte Stelle, ſoll für die Hypothekarklage nicht nöthig ſeyn, weil hier ſchon die buchſtäbliche Anwendung des Edicts aushelfe; außerdem würde auch hier die Reſtitution nicht verſagt worden ſeyn.; endlich auch wenn ein Pfandglaubiger von ſeinem Schuldner zum Erben eingeſetzt wird, aber die ganze Erbſchaft als Fideicommiß reſtituirt. Eigentlich iſt hier ſowohl die Schuld, als das Pfand, durch Confuſion erloſchen, aber offenbar gegen die aequitas, weil nach der Abſicht der Fideicommißgeſetze in einem ſolchen Fall alle Folgen des Erbſchaftserwerbs für den Erben vertilgt wer - den ſollten; daher wird unter andern die Hypothekarklage, mit Hülfe des Buchſtabens jenes Edicts, aufrecht erhal - ten, aber auch ausdrücklich bemerkt, daß hieraus die Fort - dauer einer naturalis obligatio zu erkennen ſey, indem ja ohne Obligation kein Pfand beſtehen kann(q)L. 59 pr. ad Sc. Treb. (36. 1.) .. et hic Serviana actio tenebit: verum est enim, non esse solutam pecuniam Igitur non tantum retentio, sed etiam petitio pignoris nomine competit, et solutum non re - petetur. Remanet ergo pro - pter pignus naturalis obliga - tio. Das: propter pignus darf nicht ſo verſtanden werden, als ob bey einer Schuld ohne Pfand keine naturalis obligatio übrig bleiben würde, und als ob dieſe Obliga - tion in dem vorliegenden Fall keine andere Wirkung, als die Erhal - tung des Pfandes hätte. Der Un - tergang der Obligation durch Con - fuſion gründet ſich blos auf das ſubtile Civilrecht, und bleibt daher ohne Einfluß auf den naturalen Beſtandtheil der Obligation. Dieſe Stelle beſonders hat Büchel (Note n) für ſeine Anſicht zu be -. Vergleichen394Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wir damit den Fall der eingetretenen Klagverjährung, ſo hat dieſer eine ganz verſchiedene, ja entgegengeſetzte Na - tur. Unſere Gegner behaupten ja gerade, daß durch die Verjährung auch die naturalis obligatio aufgehoben werde, welches nichts Anderes ſagen will, als daß die Aufhe - bung nicht nur zum allgemeinen Beſten, ſondern ſelbſt im Einverſtändniß mit dem jus gentium, der aequitas, ge - ſchehe. Wenn aber Dieſes, ſo iſt gar kein Grund vor - handen, den Buchſtaben des Edicts gegen die vollſtändige Ausführung dieſer aequitas in’s Feld zu führen, ein Ver - fahren, welches ohnehin höchſtens als Abwehr des ſub - tilſten Civilrechts erträglich gefunden werden kann. Hier wäre es vielmehr natürlich geweſen, der aequitas ihren freyen Lauf zu laſſen, und die gänzliche Aufhebung der Schuld und des Pfandrechts auf keine Weiſe zu ſtören. Muß nun auch dieſer Verſuch für mislungen erkannt wer - den, ſo bleibt es bey unſrer urſprünglichen Behauptung, daß die Fortdauer der Hypothekarklage nach verjährter Schuldklage ein unwiderleglicher Beweis für die fort - dauernde naturalis obligatio iſt.

Ich füge nun noch die einzelnen, hier in Betracht kom -(q)nutzen geſucht. Befriedigend han - delt von derſelben, den richtigen Standpunkt feſthaltend, Francke S. 86 107. Er macht unter an - dern S. 103 die gute Bemerkung, daß jene Worte des Edicts (nisi solutum) ohne Zweifel in die Faſſung der Intentio bey der Hy - pothekarklage aufgenommen zu wer - den pflegten. Dadurch bekommt dieſe buchſtäbliche Anwendung eine recht praktiſche Beziehung auf das Verfahren des Arbiter, welcher nach dem Inhalt dieſer Intentio zu ur - theilen angewieſen war.395§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)menden, Stellen hinzu, von welchen ich voraus bemerke, daß keine derſelben eine ſo überzeugende und entſcheidende Kraft hat, wie das eben durchgeführte allgemeinere Ver - hältniß.

Ein Reſcript des K. Gordian lautet alſo(r)L. 2 C. de luitione (8. 31.). : Intelligere debes, vincula pignoris durare personali actione submota.

Ich zweifle nicht, daß hier beſonders an den Fall der Klagverjährung gedacht iſt(s)In der That wird dafür submovere actionem gebraucht. L. 21 C. de evict. (8. 45.). Vgl. Averanius II. 12 § 20., aber ſie kann doch eben ſo gut auch auf die Prozeßverjährung oder die Klagecon - ſumtion bezogen werden, und iſt ſchon deshalb kein ſicherer Beweis für unſre Behauptung. Dazu kommt aber der wich - tigere Grund, daß der Satz nicht in buchſtäblicher Allge - meinheit wahr iſt. Actio submota heißt Wegräumung des bloßen Klagrechts, Aufhebung durch Exception. Wird nun etwa eine Stipulation durch bloßes Pactum aufge - hoben, ſo iſt auch actio submota, aber: vincula pignoris non durant (Note f). Alſo will das Reſcript, nach einer oft vorkommenden Ausdrucksweiſe, nur ſagen: es kann zuweilen das Pfandrecht fortdauern ungeachtet der actio submota(t)So daß alſo durare ſteht für; durare posse. , oder actio submota iſt nicht allgemein und nothwendig Grund der Zerſtörung eines Pfandrechts(u)Ich glaube daher, daß auf dieſe Stelle von beiden Parteyen mehr Gewicht gelegt wird, als ihr zukommt. Donellus (Note k) glaubt, die von ihm vertheidigte Meynung gegen dieſe Stelle nicht anders retten zu können, als in -.

396Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Paulus ſagt, wenn ein verpfändeter Sklave von einem Dritten getödtet werde, ſo könne außer dem Eigenthümer auch der Pfandglaubiger die Aquiliſche Klage anſtellen, inſofern er ein Intereſſe bey dem Tod des Sklaven habe; dieſes Intereſſe aber könne er haben, erſtlich wenn der Schuldner inſolvent ſey, zweytens quod litem tempore amisit(v)L. 30 § 1 ad L. Aquil. (9. 2.). . Hier iſt nun unzweifelhaft anerkannt, daß der Verluſt der Schuldklage durch Zeitablauf das Pfand - recht nicht zerſtört, die Stelle iſt aber deswegen nicht ganz entſcheidend, weil es ungewiß bleibt, ob Paulus dabey an die Klagverjährung oder an die alte Prozeßverjährung ge - dacht hat; ich glaube jedoch, daß ſeine Entſcheidung für beide Fälle gleich richtig und anwendbar iſt (§ 249. d).

Pomponius erzählt folgenden Fall. Zehen Tage vor Ablauf der Verjährung einer Schuldklage expromittirt ein Minderjähriger, und wird nachher gegen dieſe Handlung reſtituirt. Hier ſoll auch der Glaubiger ganz in ſeine frü - here Lage zurück verſetzt werden. Daraus folgt erſtlich, daß ihm die noch übrigen Zehen Tage zur Anſtellung der Klage verſtattet werden; zweytens, daß das vom erſten Schuldner beſtellte Pfand wiederum gültig wird und nun für immer gültig bleibt(x)L. 50 de minor. (4. 4.) .. ideoque et pignus, quod dederat prior debitor, manet obligatum. Eigentlich nämlich war durch die Expromiſſion des.

(u)dem er höchſt gewaltſam, anſtatt durare, ließt: non durare. Un - richtig iſt es, die Stelle durch Ver - bindung mit L. 1 eod. erklären zu wollen. Vgl. Cujacius observ. V. 32, und über die Stelle im Allgemeinen, Franke S. 78 80.

397§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

§. 251. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

II. Bürgſchaft.

Hierbey kommen dieſelben zwey Fragen vor, wie bey dem Pandrecht (§ 250); Gültigkeit der für eine ſchon ver - jährte Schuldklage geleiſteten Bürgſchaft; Fortdauer der Bürgſchaft, die vor Ablauf der Verjährung, etwa gleich - zeitig mit der Entſtehung der Hauptſchuld geleiſtet wurde. Auch hier wird wieder die zweyte Frage größere Wichtig - keit haben. Beide Fragen werden, nach der von mir ver - theidigten Meynung, für die Gültigkeit der Bürgſchaft be - antwortet werden müſſen; von den Gegnern in entgegen - geſetzter Weiſe.

In dieſem Fall vorzüglich tritt die oben (§ 250) be - merkte Vieldeutigkeit der von der Befreyung durch Zeit redenden Stellen hindernd in den Weg; nicht eine einzige der hier einſchlagenden Stellen giebt für unſre Frage ein ſicheres Reſultat.

Folgender Ausſpruch des Paulus iſt der wichtigſte; er be -(x)Minderjährigen, ſo wie durch jede Novation, das Pfandrecht ganz zerſtört (L. 18 de nov. 45. 2. ), und es wird nur in Folge der Re - ſtitution wieder hergeſtellt. Indem aber hier dieſe Herſtellung für das Pfand ohne alle Einſchränkung anerkannt wird, folgt daraus, daß der nahe Ablauf der Zehen Tage nur auf die Schuld, nicht auf das Pfand, Einfluß haben ſoll. Dieſe Stelle übrigens handelt un - zweydeutiger, als die übrigen, von der Klagverjährung: .. qui tem - porali actione tenebatur tunc, cum adhuc supererant decem dies ... So konnte man von der Prozeßverjährung unmöglich ſprechen.398Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zieht ſich auf den oben angegebenen erſten Fall, da nach Ablauf der Zeit die Bürgſchaft geleiſtet wird(a)L. 37 de fidej. (46. 1.).: Si quis, postquam tempore transacto liberatus est, fidejussorem dederit, fidejussor non tenetur: quo - niam erroris fidejussio nulla est.

Die Stelle läßt ſich am einfachſten von der Klagver - jährung, und zwar von dem Standpunct unſrer Meynung aus, erklären. Der durch Verjährung bereits befreyte Schuldner giebt einen Bürgen; dieſer iſt an ſich (ipso jure) wohl verpflichtet, da er aber die Exceptionen des Haupt - ſchuldners mit genieſt(b)L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1. ), vgl. oben § 227., ſo macht er ſich durch die tem - poris praescriptio deſſelben frey (non tenetur, nämlich cum effectu). Dabey wird jedoch vorausgeſetzt, daß er die abgelaufene Verjährung nicht kannte; denn wenn er ſie kannte, ſo hat er ohne Zweifel gerade mit Rückſicht auf ſie die Bürgſchaft geleiſtet, und dann muß ſeine tem - poris praescriptio durch die doli replicatio ausgeſchloſſen werden. Wären nicht die letzten Worte, ſo könnte die Stelle eben ſo ungezwungen aus der Meynung der Geg - ner erklärt werden; nun würde nämlich das non tenetur ſo zu verſtehen ſeyn: ipso jure non tenetur, wegen der zerſtörten naturalis obligatio. Dieſer Erklärung aber ſte - hen die letzten Worte entgegen, da unter dieſer Voraus - ſetzung der Irrthum durchaus ohne Einfluß ſeyn würde(c)Aus demſelben Grund kann ich auch nicht die Erklärung einräumen, nach welcher die Stelle von einem auf eine gewiſſe Zeit beſchränkten Vertrag ſprechen ſoll. (Unter -. 399§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.) Die Stelle läßt ſich aber eben ſowohl von der Prozeß - verjährung, als von der Klagverjährung erklären, und iſt deswegen für unſre Meynung nicht ganz entſcheidend. Dagegen kann ſie nicht bezogen werden auf die L. Fu - ria(d)Dieſes wäre ſo zu denken, daß ein Sponsor oder Fidepro - missor, nach Ablauf der ihm durch die L. Furia beſtimmten zwey Jahre, einen fidejussor geſtellt hätte., weil im Fall derſelben wieder der Irrthum ganz gleichgültig ſeyn müßte.

Nicht im Widerſpruch mit der hier gegebenen Erklä - rung ſteht folgende Stelle des Scävola, die übrigens die Verjährung nicht beſonders erwähnt(e)L. 60 de fidej. (46. 1.). Dieſe Stelle iſt ſchon oben, § 249. a, zu einem andern Zweck benutzt worden.: Ubicumque reus ita liberatur a creditore, ut natura debitum maneat, teneri fidejussorem respondit: cum vero genere novationis transeat obligatio, fidejusso - rem aut jure, aut exceptione liberandum.

Wenn eine naturalis obligatio zurück bleibt, ſo iſt ſtets der Bürge ipso jure fortwährend verpflichtet (teneri re - spondit). Damit iſt aber wohl vereinbar, daß er bald doch per exceptionem befreyt werde, ſo wie ich es für den Fall der Klagverjährung annehme(f)Das teneri wird alſo hier in einem anderen Sinn genom - men, als in der vorhergehenden Stelle; aber beide Bedeutungen kommen überhaupt vor, ſo daß jede derſelben vorausgeſetzt werden darf, wie es gerade das Bedürf - niß der Erklärung einer Stelle mit ſich bringt., bald auch nicht, wenn nämlich die Exception eine ganz individuelle Natur(c)holzner II. S. 113.) Denn nach Ablauf dieſer Zeit iſt es inanis obligatio geworden, und die nach - her übernommene Bürgſchaft iſt unwirkſam ohne Rückſicht auf Irr - thum.400Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.hat, wie z. B. bey dem ſogenannten beneficium competen - tiae(g)L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.). Die Stelle wird dadurch undeutlich, daß ſie aus dem Zuſammenhang geriſſen iſt. So z. B. fehlt zwi - ſchen beiden hier genannten Fällen ein dritter, in der Mitte liegender, wenn die Befreyung zwar nur per exceptionem, aber mit Zerſtörung der naturalis obligatio, eingetreten iſt; in dieſem Fall iſt der Bürge gewiß nicht mehr verpflichtet, ſo z. B. wenn die durch Stipulation entſtandene Haupt - ſchuld durch Pactum aufgehoben wird.

Bey einigen anderen Stellen, die hier angeführt zu werden pflegen, muß an dieſer Stelle der Beweis genü - gen, daß ſie gewiß nicht von der Klagverjährung zu ver - ſtehen ſind(h)L. 38 § 4 de solut. (46. 3.). Sie geht nicht auf Klagverjährung, ſondern entweder auf Prozeßver - jährung, oder auf die L. Furia. Denn Africanus könnte doch un - möglich an eine andere Klagver - jährung denken, als an die der prätoriſchen Annalklagen; dieſe aber hatten utile tempus, wobey die Zeit der Abweſenheit ipso jure abgerechnet wurde, alſo nicht zu einer Reſtitution Veranlaſſung gab. Bey jenen beiden Inſtituten dagegen wurde nach tempus continuum ge - rechnet. Vgl. oben B. 4. § 190. S. 441. 442. L. 29 § 6 mand. (17. 1. ), L. 69 de fidej. (46. 1. ), L. 71 § 1 de sol. (46. 3.). Dieſe drey Stellen ſprechen von einem fldejussor tempore liberatus, und ſie könnten nur dadurch hier - her gezogen werden, daß man dieſe Befreyung auf die für den Haupt - ſchuldner eingetretene Klagverjäh - rung bezöge, womit aber ſchon die Ausdrücke theilweiſe nicht zu vereinigen ſeyn würden. Von ei - ner Verjährung der Bürgſchafts - klage können ſie nicht verſtanden werden, weil dieſe zur Zeit der al - ten Juriſten gar keine Verjährung hatte. Sie gehen ganz ohne Zwei - fel urſprünglich auf die L. Furia, und ſind nur durch Interpolation et - was unverſtändlich gemacht worden..

III. Conſtitutum.

Auch für die Wirkſamkeit des Conſtitutum kommen die -401§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)ſelben zwey Fragen vor wie bey dem Pfandrecht, je nach - dem daſſelbe nach oder vor Ablauf der Verjährung ge - ſchloſſen worden iſt. Nach meiner Meynung iſt in beiden Fällen das Conſtitutum gültig, weil dieſes überhaupt nur eine naturalis obligatio als Grundlage erfordert(i)L. 1 § 7 de pec. const. (13. 5.) Debitum autem vel natura sufficit. . Nach der entgegengeſetzten Meynung, wenn ſie conſequent durch - geführt werden ſoll, müßte es in beiden Fällen ungül - tig ſeyn.

Ulpian ſcheint dieſe Fragen zu behandeln in folgender Stelle, worin ſogar einmal ausdrücklich der Ausdruck tem - poralis actio vorkommt, und die ich deshalb zuerſt von der Verjährung zu erklären verſuchen will(k)L. 18 § 1 de pec. const. (13. 5.). Zunächſt möchte man an eine Vergleichung dieſer Stelle mit der von der Bürgſchaft han - delnden (Note a) denken. Hier iſt aber der Hauptunterſchied der, daß bey der Bürgſchaft immer zwey Schuldner vorkommen, anſtatt daß in unſrer Stelle von dem ſ. g. con - stitutum debiti proprii die Rede iſt, alſo von einem Schuldner, der nicht eine fremde Schuld übernimmt, ſondern ſeine eigene beſtärkt oder modificirt. Proinde temporali actione obligatum constituendo .. teneri debere; alſo der obli - gatus iſt zugleich der, welcher con - ſtituirt.. Damit das Conſtitutum gültig ſey, ſagt er, muß die zum Grund liegende Obligation gültig ſeyn, aber es iſt hinreichend daß ſie es ſey zu der Zeit, worin das Conſtitutum ge - ſchloſſen wird. Iſt alſo die Gültigkeit der Obligation auf Zeit beſchränkt, und wird conſtituirt vor Eintritt des Zeit - punkts, ſo bleibt das Conſtitutum auch nachher gültig. Ja ſelbſt wenn in dem Conſtitutum die Zahlung ausdrücklichV. 26402Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.verſprochen wird auf einen nach dem Untergang der erſten Obligation fallenden Zeitpunkt, ſo iſt und bleibt es den - noch gültig. Damit ſchließt Ulpians Ausſpruch; es liegt aber unwiderſprechlich im Hintergrund der nicht ausge - drückte Satz, daß das Conſtitutum ungültig ſey, wenn es geſchloſſen werde erſt nach dem Zeitpunkt, mit welchem die erſte Obligation aufgehört hat. Verſteht man alſo die Stelle überhaupt von der Verjährung, ſo würde ſich Ulpian in dieſer beſondern Anwendung halb für die eine, halb für die andere der ſtreitenden Parteyen erklären(l)Daher nimmt denn einer der eifrigſten Vertheidiger der ſtär - keren Wirkung der Klagverjährung hier eine Ausnahme an, indem er einräumt, daß das vor Ablauf der Verjährung geſchloſſene Conſtitu - tum auch nachher wirkſam fort - dauere. Büchel S. 72. 73..

Schon dieſes iſt ein Grund, weshalb ich die Stelle gar nicht von der Klagverjährung verſtehe. Es kommt aber der andere Grund hinzu, daß in der zweyten Hälfte der Stelle Ausdrücke gefunden werden, die niemals ein alter Juriſt von der bloßen Verjährung der Klagen ge - braucht hat(m)L. 18 cit. post tempus obligationis und: eo tempore constituit, quo erat obligatio. . Ich glaube daher, daß die Stelle gar nicht hierher gehört, und daß darin Ulpian geradezu von einem Fall der L. Furia geſprochen hat. Die Dunkelheit der Stelle iſt dann dadurch entſtanden, daß die Compila - toren die von einem verſchwundenen Rechtsinſtitut redende Stelle aufgenommen, und daß ſie Dieſes durch Interpola - tionen zu verſtecken geſucht haben, ſo daß namentlich die Worte temporali actione und temporalis actionis an die403§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)Stelle derjenigen Ausdrücke eingeſchoben worden ſind, wo - durch urſprünglich Ulpian ſeinen ganz anderen Gedanken bezeichnet hatte.

IV. Compenſation.

Darüber haben wir keine Äußerungen der alten Juri - ſten; es ſind aber folgende Fälle zu unterſcheiden.

Wenn ich Etwas ſchuldig werde Demjenigen, gegen welchen ich eine noch unverjährte Klage auf dieſelbe Summe habe und dann die Verjährung abläuft, ſo werden jetzt Alle annehmen, daß ſich die beiden Forderungen ſogleich ipso jure zerſtört haben, ſo daß von einer Verjährung nicht weiter die Rede ſeyn kann. Für die Zeit vor Juſti - nian aber, als die Compenſation nur per exceptionem wirkte, müſſen ſich auch in dieſer Anwendung die beiden Meynungen über die ſtärkere oder ſchwächere Wirkung der Klagverjährung ſtreitend gegenüber ſtehen. Ob jedoch dieſer Zuſtand nicht noch im heutigen Recht fortdauert, und ob Juſtinians Ausſpruch von der ipso jure eintretenden Wirkung der Compenſation ſo buchſtäblich zu nehmen iſt, oder nicht das iſt eine Frage, die an dieſem Ort auf ſich beruhen muß.

Es bleibt noch der andere Fall übrig, wenn ich meine Schuldklage habe verjähren laſſen, und nun aus einem andern Grunde meinem bisherigen Schuldner dieſelbe Summe ſchuldig werde; auch hier begegnen ſich wieder die ſtreitenden Meynungen. Nach der von mir vertheidig - ten muß ich[gegen] die Schuldklage des Andern meine Ge -26*404Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genforderung im Wege der Compenſation geltend machen können, weil ſie als naturalis obligatio fortdauert, und Dieſes für die Compenſation hinreicht(n)L. 6 de compens. (16. 2.) Etiam quod natura debetur, venit in compensationem. ; es ſind jedoch einige Anhänger dieſer Meynung ihr in dieſer beſondern Anwendung nicht treu geblieben, haben alſo hier eine Ausnahme der von ihnen außerdem anerkannten Regel an - genommen(o)Unterholzner II. S. 314. 315. Seine Gründe ſind: erſtlich die Zweckmäßigkeit (die aber, wenn ſie da wäre, auch in anderen An - wendungen gelten möchte), zwey - tens L. 14 de compens. (16. 2.) Quaecumque per exceptionem perimi possunt, in compensa - tionem non veniunt. Ich glaube, daß dieſe Stelle durch L. 6 eod. (Note n) beſchränkt werden müſſe, Unterholzner nimmt das entgegen - geſetzte Verhältniß an. Vgl. dagegen Puchta Lehrbuch § 77, und Glück B. 15 S. 64. 65, wo viele Schriftſteller für beide Mey - nungen angeführt ſind.. Nach der entgegengeſetzten Meynung wird hier ganz conſequenter Weiſe die Möglichkeit der Compen - ſation verneint.

V. Novation.

Hier ſtellt ſich die Frage einfacher, als in den bisher abgehandelten Fällen. Wird nämlich vor Ablauf der Ver - jährung die Novation vorgenommen, ſo iſt die alte Obli - gation ganz vernichtet, und von Verjährung kann nicht weiter die Rede ſeyn.

Es bleibt alſo nur die Frage übrig, ob eine nach Ab - lauf der Klagverjährung vorgenommene Novation wirkſam iſt. Hierüber haben wir keine Ausſprüche unſrer Rechtsquel - len, es muß alſo der allgemeine Widerſtreit nur auf die - ſen beſonderen Fall conſequent angewendet werden; dieſes405§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)jedoch mit folgender Modification. Wenn die Novation von dem alten Schuldner ſelbſt nach Ablauf der Verjäh - rung vorgenommen wird, und dieſer es weiß, daß die Verjährung vollendet iſt, dann können ſelbſt die Gegner die Gültigkeit der Novation, unbeſchadet der Conſequenz, einräumen. Denn nun liegt in derſelben augenſcheinlich ein Verzicht auf den Vortheil der Verjährung; von deſſen ſelbſtſtändiger Natur aber wird noch in der Folge geſpro - chen werden. Daſſelbe muß bey der von einem Dritten vorgenommenen Expromiſſion gelten, wenn dabey der Schuld - ner mitgewirkt hat, wie es meiſtens geſchehen wird.

VI. Solutum non repetere.

Hier iſt die Frage eben ſo einfach, wie bey der No - vation. Die vor Ablauf der Verjährung geleiſtete Zah - lung zerſtört die Schuld gänzlich, und macht jeden Fort - gang einer Verjährung unmöglich. Es bleibt alſo nur die Frage übrig, ob die nach abgelaufener Verjährung aus Irrthum geleiſtete Zahlung Grund einer condictio indebiti iſt oder nicht. Dieſe Frage muß nach dem allgemeinen Grundſatz von beiden ſtreitenden Parteyen auf entgegen - geſetzte Weiſe beantwortet werden; einen ſicheren Ausſpruch unſrer Rechtsquellen beſitzen wir über dieſe Frage nicht(p)L. 25 § 1 ratam rem (46. 8. ), beurtheilt folgenden Fall. Ein debitor tempore liberatus hatte vor eingetretenem Zeitpunkt an einen unbevollmächtigten Pro - curator Zahlung gegen Caution geleiſtet, der Glaubiger genehmigt nach jenem Zeitpunkt; dieſe Ge - nehmigung ſoll unwirkſam ſeyn, offenbar weil zur Zeit ihrer Er -.

406Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zum Schluß ſind noch die Vorſchriften neuerer Ge - ſetzgebungen über die Wirkung der Verjährung darzu - ſtellen.

Das Preußiſche Landrecht nimmt nach vielen Stellen den Untergang des Rechts ſelbſt, alſo eine Zerſtörung der Obligationen ipso jure, als Folge der vollendeten Verjäh - rung an(q)A. L. R. I. 9 § 501. 502 (das Recht verloren), § 564 (ver - loſchenes Recht), I. 16 § 7 (Rechte erlöſchen durch Verjäh - rung).. Ja es kann eigentlich keine andere Anſicht geltend machen, da es die Klagverjährung nicht, wie das Römiſche Recht, als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut be - handelt, ſondern blos als einen einzelnen Fall der allge - meinen Verjährung durch Nichtgebrauch (§ 246). Eine Be - ſtätigung findet ſich in einer der oben unterſuchten prakti - ſchen Anwendungen, indem beſtimmt iſt, daß eine verjährte Forderung nicht zur Compenſation taugen ſoll(r)A. L. R. I. 16 § 377.. Bey dem Pfandrecht kommt, für die wichtigſte Geſtalt deſſelben, die Regel in Betracht, daß gegen alle in ein Hypotheken - buch eingetragene Rechte gar keine Verjährung zugelaſſen wird, weder durch Beſitz noch durch Nichtgebrauch(s)A. L. R. I. 9 § 511.. Ganz fremdartig, und ohne eigentlichen Einfluß, ſtehen(p)theilung die Schuld untergegan - gen war. Wäre eine naturalis obligatio übrig geweſen, ſo hätte in Beziehung auf dieſe die Ge - nehmigung Kraft haben müſſen. Allein wir haben durchaus keinen Grund, die Stelle auf die Verjäh - rung zu beziehen; ſie iſt ganz be - friedigend von einem auf beſchränkte Zeit geſchloſſenen Vertrag zu er - klären, oder auch von der L. Fu - ria, deren nähere Bezeichnung durch Interpolation verwiſcht ſeyn mag. Das erkennen ſelbſt die Gegner an. Heimbach S. 449.407§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)daneben die zwey Paragraphen, die, in Übereinſtimmung mit Rave, der Verjährung eine bloße Praeſumtion der Tilgung zuſchreiben (§ 246).

Dieſelbe Behandlung der Sache findet ſich auch im Öſterreichiſchen Geſetzbuch(t)Oeſterreich. Geſetzbuch § 1479. 1499 (Erlöſchung der Rechte). und eben ſo im Franzöſi - ſchen(u)Code civil art. 1234 Les obligations s’éteignent .. par la préscription. Art. 2219 La préscription est un moyen d’acquérir ou de se libérer .. ; überall wird gänzlicher Untergang des verjährten Rechts ſelbſt angenommen. In Sachſen iſt Dieſes durch ein beſonderes Landesgeſetz anerkannt(v)Haubold Sächſiſches Pri - vatrecht § 276..

Man könnte noch fragen, welche Beſtimmung in dieſer Hinſicht für die Zukunft räthlich ſey; hierauf aber iſt an dieſem Ort eine befriedigende Antwort unmöglich. Wird überhaupt die Römiſche Anſicht von einer naturalis obli - gatio, als einem abgeſonderten Rechtsinſtitut, anerkannt, ſo ſcheint mir auch für die Wirkung der Klagverjährung die hier dargeſtellte Regel des Römiſchen Rechts die allein conſequente. Wird jene Anſicht überhaupt aufgegeben, ſo hat es kein Bedenken, die Sache ſo einfach und durchgrei - fend zu behandeln, wie es in den neueren Geſetzgebungen geſchehen iſt. Praktiſch erheblich iſt eigentlich nur die An - wendung auf die Compenſation und auf das Pfandrecht; und auch dieſe letzte nur, inſofern für die Hypothekarklage gegen den Schuldner eine ganz eigenthümliche Klagverjäh - rung, abweichend von allen übrigen, beybehalten wird.

408Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 252. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ausnahmen.

Es giebt ausgenommene Fälle, worin die Klagverjäh - rung entweder ganz wegfällt, oder nach anderen, als den hier vorgetragenen, Regeln beurtheilt wird.

I. Stillſtand der Verjährung. Dieſer kann begründet werden gleich Anfangs, oder auch während der laufenden Verjährung; im erſten Fall fängt ſie erſt ſpäter an, im zweyten wird ihr Lauf gehemmt, ſo lange als der that - ſächliche Grund des Stillſtands dauert, dann wird ſie fortgeſetzt, gleich als ob dieſer Zwiſchenzuſtand nicht ein - getreten wäre.

Eine ſolche Suspenſion iſt daher wohl zu unterſchei - den von der Unterbrechung, wodurch die früher angefan - gene Verjährung für immer vernichtet wird, und nie wie - der fortgeſetzt werden kann (§ 242. 243.). Die Fälle der Suspenſion ſind folgende:

A. Wenn der Klagberechtigte der Inhaber eines ſ. g. peculii adventitii iſt, oder ein Unmündiger, oder ein Min - derjähriger; bey dieſem letzten mit Ausnahme der dreyßig - jährigen Verjährung(a)Vgl. oben B. 3 Beylage VIII. Num. XXVII. XXVIII. .

B. Wenn bey einjährigen oder noch kürzeren Verjäh - rungen die Klage durch ein zufälliges Hinderniß nicht an - geſtellt werden kann(b)Wegen des utile tempus. Vgl. oben B. 4 § 189. 190..

C. In einigen beſonderen Fällen, worin eine Rechts -409§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.regel die Klage hemmt, ohne das Recht zu zerſtören, wel - ches unſre Juriſten durch die Regel ausdrücken: Agere non valenti non currit praescriptio(c)Dieſe Regel iſt nur eine conſequente Fortbildung der für den Anfang der Verjährung auf - geſtellten Grundbedingung: actio nata. Vgl. Göſchen S. 439.. Dahin gehören dieſe Fälle: die Vindication von Baumaterialien, ſo lange dieſelben Beſtandtheile eines ſtehenden Gebäudes ſind(d)§ 29 J. de rer. div. (2. 1. ), L.7 § 10 de adqu. rer. dom. (41.1.).; die Schuld, welche durch ein Moratorium der Klage ent - zogen iſt(e)L. 8 in f. C. qui bonis (7. 71.); die Erbſchaftsklagen während der Verferti - gung eines Inventarii, oder während einer laufenden De - liberationsfriſt(f)L. 22 § 11 C. de j. delib. (6. 30.)..

II. An ſich unverjährbare Rechtsverhältniſſe. Alle Verjäh - rung ſoll blos dahin führen, einen gegenwärtigen factiſchen Zu - ſtand ſo zu fixiren, als ob er ein rechtlicher wäre, ſo z. B. ei - nen Beſitz, die Unterlaſſung einer geforderten Zahlung u. ſ.w .(g)L. 4 C. de praescr. XXX (7. 39. ) sed quicunque super quolibet jure .. sit securus .. . Dabei wird die rechtliche Möglichkeit eines ſolchen unabänder - lichen Zuſtandes vorausgeſetzt, welche auch in den allermei - ſten Fällen gar nicht zu bezweifeln iſt. Es giebt jedoch ei - nige Fälle, worin wegen dieſer fehlenden Möglichkeit auch die Klagverjährung für unzuläſſig erklärt werden muß. Dahin gehören in gewiſſer Beziehung die Theilungsklagen. Gegen die a. communi dividundo oder familiae erciscun - dae gilt keine Verjährung zu dem Zweck, daß das gemein - ſchaftliche Gut nun für immer ungetheilt bleiben müßte;410Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gegen die a. finium regundorum ſo, daß die verwirrten, unſicheren Gränzen nie feſt beſtimmt. werden dürften. Wohl aber gilt die Verjährung, wenn mit dieſen Klagen entweder eine Zahlung als Ausgleichung und Entſchädi - gung gefordert wird, oder auch ein feſter Beſitz, welchen der Beklagte, über die richtigen Gränzen hinaus, 30 Jahre lang gehabt hat(h)Auf ſolche Fälle ſind zu be - ziehen L. 1 § 1 C. de ann. exc. (7. 40. ), L. 6 C. fin. reg. (3. 39.) Vgl. überhaupt Rave § 147 150. Thibaut Verjährung S. 123. 126. Göſchen I. S. 426. 429..

Etwas Ähnliches läßt ſich behaupten, wenn der Be - klagte gegen das Interdict uti possidetis nicht etwa eine Servitut, ſondern die dreyßigjährige Gewohnheit einer bloßen Störung und Beunruhigung des Eigenthums be - haupten wollte, die als ein rechtloſer Zuſtand durch keine Verjährung geſchützt werden kann(i)Man kann dieſen Fall, mit demſelben Erfolg, noch von einer andern Seite auffaſſen. Jede ein - zelne Beſitzſtörung iſt eine ſelbſtſtän - dige Thatſache, unabhängig von früheren Handlungen, woraus alſo auch wieder eine ganz neue Beſitz - klage entſteht..

III. Bey vielen einzelnen Klagen gelten abweichende Verjährungsfriſten, welche jedoch zweckmäßiger im beſon - deren Theil des Syſtems vorgetragen werden.

Hier will ich nur diejenigen Klagen zuſammenſtellen, die von aller Verjährung gänzlich ausgenommen ſind, wobey jedoch ſogleich bemerkt werden muß, daß dieſelben für das heutige Recht theils gar nicht mehr vorkommen können, theils (bey den Steuern) als ganz unverjährbar nicht mehr anerkannt ſind:

411§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.
  • 1) Die Klage auf Steuerreſte
    (k)L. 6 C. de praescript. XXX. (7. 39. ), vgl. oben § 238.
    (k).
  • 2) Die Klage einer Stadt gegen Curialen, die ſich ihren Standespflichten entziehen
    (l)L. 5 C. de praescr. XXX. (7. 39. ), vgl. oben § 238.
    (l).
  • 3) Die vindicatio in libertatem, wenn ein angeblich Freyer bisher im Sklavenſtand gelebt hat
    (m)L. 3 C. de longi temp. pr. quae pro lib. (7. 22.). Selbſt 60 Jahre ſollen nicht im Wege ſtehen.
    (m).
  • 4) Die Vindication eines Colonen von Seiten des Grundherrn
    (n)L. 23 pr. C. de agric. (11. 47.).
    (n).

IV. Vertrag.

Ein Vertrag, wodurch die Verjährung ganz ausge - ſchloſſen, oder in ihren Bedingungen oder Wirkungen mo - dificirt werden ſoll, kann auf zweyerley Weiſe gedacht werden: vor oder nach Ablauf der Verjährung.

Vor Ablauf der Verjährung, unter andern gleich bey Abſchluß des Rechtsgeſchäfts, worauf ſich künftig eine Klag - verjährung beziehen könnte, halte ich einen ſolchen Vertrag für ganz unwirkſam. Die Verjährung iſt in dem Sinn juris publici, daß ſie der Privatwillkühr entzogen iſt(o)L. 38 de pactis (2. 14. ), L. 45 § 1 de R. J. (50. 17.)., auf dieſelbe Weiſe wie die ihr nicht unähnlichen Regeln und Formen des Prozeſſes, und wie die Natur des Eigen - thums, welches auch nicht durch Vertrag zu einem unver - äußerlichen Recht gemacht werden kann(p)L. 61 de pactis (2. 14.).. Jedoch wird dieſe Meynung von mehreren Schriftſtellern beſtritten(q)Rave § 167 iſt meiner;412Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Grund, der dagegen hauptſächlich geltend gemacht wird, beruht auf folgender Beſtimmung des Römiſchen Rechts. Wenn ein Käufer das Recht willkührlicher Auf - löſung des Kaufcontracts ausbedingt, ſo kann er dieſes ausdrücklich auf unbeſchränkte Zeit vorbehalten. Wird aber über die Zeit gar Nichts geſagt, ſo ſoll es ſo ange - ſehen werden, als wäre dieſer Vorbehalt auf 60 Tage ge - ſchehen(r)L. 31 § 22 de aedil ed. (21. 1.).. Dieſe Stelle beweißt deswegen nicht den von den Gegnern behaupteten Satz, weil ſie überhaupt nicht von der Klagverjährung ſpricht, ſondern von der bloßen Interpretation eines unbeſtimmten Vertrags, die dann na - türlich einer ausdrücklichen Erklärung weichen muß(s)Als Verjährung kann es ſchon deswegen nicht betrachtet werden, weil hier aus dem Ver - trag noch nicht eine actio nata abgeleitet werden kann, eben ſo wie bey dem Nebenvertrag über Rückverkauf (§ 241)..

Dagegen iſt es nach Ablauf der Verjährung durchaus geſtattet, dieſelbe durch Vertrag aufzuheben, das heißt auf die durch dieſelbe erlangten Vortheile ganz oder theilweiſe zu verzichten. Dieſes müſſen auch Diejenigen einräumen, welche nach abgelaufener Verjährung die Fortdauer einer naturalis obligatio verneinen. Denn auch Dieſe geben zu, daß die Verjährung nur per exceptionem wirke, das Recht einer Exception aber iſt jeder neuen Modification durch Rechtsgeſchäfte empfänglich (§ 225).

Mit der hier für das Römiſche Recht vorgetragenen(q)Meynung; Eichmann in einer Note zu dieſer Stelle hat die ent - gegengeſetzte Meynung; eben ſo auch Unterholzner I. § 28.413§. 253. Verjährung der Exceptionen.Anſicht ſtimmt völlig überein das Franzöſiſche Geſetzbuch, welches auch nur den Verzicht auf eine ſchon erworbene Verjährung anerkennt(t)Code civil art. 2220 2222.. Eben ſo auch das Oeſter - reichiſche(u)Oeſterreich. Geſetzbuch § 1502.. Anders das Preußiſche, welches außer dem Verzicht auf die erworbene Verjährung (§ 245. h) auch die Ausſchließung einer künftigen durch Vertrag geſtattet, jedoch nur unter ganz beſonderen Beſchränkungen(v)A. L. R. I. 9 § 565 567. 669. Der Vertrag darf nur ein beſtimmtes Recht oder eine be - ſtimmte Sache betreffen, auch muß er bey Strafe der Nichtigkeit ge - richtlich verlautbart, und, wenn er ein Grundſtück zum Gegenſtand hat, in das Hypothekenbuch einge - tragen ſeyn..

§. 253. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung auf Exceptionen.

Die Verjährung der Klagen iſt nunmehr vollſtändig dar - geſtellt, und es bleibt zum Schluß dieſer Lehre nur noch die Frage zu beantworten übrig, ob von dieſer Art der Aufhebung auch irgend eine Anwendung auf Exceptionen, alſo zum Vortheil des Klägers, zu machen iſt. Da die bisher dargeſtellte Verjährung auf die Klagen vermittelſt einer praescriptio oder exceptio angewendet wurde, ſo läßt ſich dieſe Frage auch ſo ausdrücken: Iſt es zuläſſig, die Verjährung in Geſtalt einer temporis replicatio gel - tend zu machen?

Bevor dieſe wichtige und ſehr beſtrittene Frage ſelbſt unterſucht werden kann, iſt es nöthig, aus dem Gebiet414Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.derſelben zwey Fälle zu entfernen, deren Einmiſchung die Löſung der Aufgabe nicht wenig erſchwert hat.

Erſtlich giebt es Fälle, in welchen eine Exception nicht anders erlangt werden kann, als mit Hülfe einer Reſtitu - tion. Da nun jede Reſtitution urſprünglich an die Friſt eines utilis annus gebunden war (jetzt Vier Kalenderjahre), ſo pflegt man wohl zu ſagen, daß in dieſen Fällen die Exception einer kurzen Verjährung unterworfen ſey. Bey - ſpiele ſind dieſe: Wenn ein Minderjähriger Bürgſchaft leiſtet, ſo bedarf er einer Reſtitution, um ſich gegen die Stipulationsklage durch Exception zu ſchützen(a)L. 7 § 3 de minor. (4. 4.).. Wenn die Sache eines Abweſenden uſucapirt wird, ſo bedarf er in der Regel einer Reſtitution zum Behuf einer rescissoria in rem actio; hat er jedoch durch Zufall den Beſitz wie - der erlangt, ſo genügt ihm eine Exception gegen des An - dern Vindication, die aber nicht weniger an alle Bedin - gungen und Formen der Reſtitution geknüpft iſt, alſo auch an die kurze Verjährungsfriſt, indem das Eigenthum durch Uſucapion wahrhaft verloren war(b)L. 28 § 5 ex quib. cau - sis maj. (4. 6.) Exemplo re - scissoriae actionis etiam ex - ceptio ei, qui reipublicae causa afuit, competit: forte si res ab eo possessionem nancto vindi - centur. . Es iſt jedoch eine ganz falſche Auffaſſung, hier die Verjährung auf die Exception zu beziehen, da ſie vielmehr lediglich zur Reſti - tution als ſolcher gehört, bey welcher es dann ganz gleich - gültig iſt, ob ſie zur Vermittlung einer Klage, Exception, Replication dienen ſoll, oder irgend eines andern Rechts,415§. 253. Verjährung der Exceptionen.z. B. des Erwerbs einer unvorſichtig ausgeſchlagenen Erb - ſchaft, oder der Befreyung von einer unvorſichtig angetre - tenen, da ſie überall dieſelbe Natur hat, nämlich die einer durchgreifenden Veränderung des vorhandenen Rechtszu - ſtandes aus exceptionellen Gründen(c)Hieraus erhellt die völlige Verſchiedenheit der Reſtitution von den Actionen und Exceptionen, welche nur Schutzmittel für ein wirklich vorhandenes Recht ſind, jene zum Angriff, dieſe zur Ver - theidigung zu gebrauchen.. Wie wenig ſelbſt in den angeführten Beyſpielen die Verjährung mit der durch Reſtitution vermittelten Exception zuſammen hängt, zeigt ſich deutlich darin, daß es in ihnen zur Zeit des alten Prozeſſes ganz zufällig war, ob es zur Ertheilung einer Exception kam. Denn wenn der Prätor die That - ſachen völlig überſah, alſo nicht erſt zu deren Feſtſtellung eines Judex bedurfte, ſo entſchied er die Sache ſogleich definitiv, und es kam dann weder eine actio, noch eine exceptio oder replicatio vor; dennoch war auch hier die Friſt der Reſtitution nicht weniger unerläßlich(d)Dieſes erhellt ſehr deutlich aus L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2.). Ein Minderjähriger hatte als Klä - ger einen Eid deferirt, nun be - kommt er gegen die exceptio ju - risjurandi, durch Reſtitution, eine Replication. Überſieht jedoch der Prätor die Thatſachen völlig, ſo giebt er keine Replication, ſondern ſchlägt ſogleich ſelbſt die Exception ab, und giebt die Klage als ju - dicium purum. Ego autem puto, hanc replicationem non semper esse dandam, sed ple - rumque ipsum Praetorem de - bere cognoscere an captus sit, et sic in integrum restituere Praeterea exceptio ista, sive cog nitio, statutum tempus post annum vicesimum quintum non debet egredi. Was hier zuletzt exceptio genannt wird, iſt nichts Anderes, als die früher genannte replicatio (vgl. § 229. a), und Ulpian ſagt hier ganz deutlich, die Reſtitutionsfriſt ſey gleich uner - läßlich, es möge zu einer förmli - chen replicatio kommen, oder durch des Prätors cognitio dieſe.

416Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zweytens wird in unſre Frage ungehörig eingemiſcht die exceptio non numeratae pecuniae. Wenn über ein Darlehen ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo ſoll dieſer zwey Jahre lang (früher Fünf Jahre) nicht als Beweis gebraucht werden können. Das nennt man die Verjäh - rung der exceptio non numeratae pecuniae(e)Daß dieſes Rechtsmittel überhaupt eine Exception genannt wird, erklärt ſich blos aus der Römiſchen Sitte, mit dem Darle - hen eine Stipulation zu verbinden. Aus der Stipulation wurde ge - klagt, deren Daſeyn war nicht ab - zuleugnen, und ſo bedurfte der Be - klagte eine doli exceptio, die in dieſer beſonderen Anwendung non numeratae pecuniae heißt. Ge - gen die reine Darlehensklage hätte eine abſolute Verneinung genügt, die Beweisregeln aber blieben die - ſelben. § 2 J. de except. (4. 13.)., und glaubt alſo damit wenigſtens für Eine Exception die Verjährung bewieſen zu haben, deren Möglichkeit dann auch wohl auf andere Exceptionen angewendet werden könne. Allein dieſe Friſt, die übrigens in unſren Quellen nirgend mit der Klagverjährung zuſammen geſtellt wird, bezieht ſich in der That gar nicht auf die Exception als ſolche, ſondern ledig - lich auf dieſe ganz eigenthümliche Regel über den Gebrauch von Beweisurkunden. Dieſe Behauptung läßt ſich von zwey Seiten her rechtfertigen. Geſetzt, es wäre in einem ſolchen Fall kein Schuldſchein ausgeſtellt, und es würde aus der mit dem angeblichen Darlehen verbundenen Sti - pulation geklagt, ſo wäre von dem Beklagten ganz die - ſelbe doli exceptio, wie in jenem Fall, zu gebrauchen, nur könnte keine Rede von einer Friſt ſeyn, weil keine eigenthümliche Beweisregel zur Anwendung käme. Wenn(d)Jucidentfrage gleich unmittelbar erledigt werden.417§. 253. Verjährung der Exceptionen.dagegen umgekehrt ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo kann jene eigenthümliche Beweisregel nicht blos im Wege einer Exception, ſondern auch einer Klage, zur Anwendung ge - bracht werden, wobey dann dieſelbe Friſt wie bey der Ex - ception gilt(f)L. 14 § 4 L. 8. 9 C. de non num. pec. (4. 30.). Vgl. unten § 254. g. h. . Dieſe Klage iſt keine andere, als die ge - wöhnliche condictio sine causa oder ob causam datorum, und wollte man dabey jene Friſt gleichfalls als Verjäh - rung anſehen, ſo müßte man dieſe Condictionen ſchon ſehr frühe als temporales actiones behandeln, da doch ganz gewiß alle Condictionen bis zum J. 424 perpetuae waren (§ 238). Es geht hieraus hervor, daß die erwähnte Friſt lediglich in Beziehung ſteht mit jener ganz beſonderen Regel vom Urkundenbeweis, nicht mit der allgemeinen Lehre von der Verjährung der Rechtsmittel, daß ſie alſo mehr Ver - wandſchaft hat mit den Prozeßfriſten, als mit der Klag - verjährung. Daher darf denn auch von dieſer Friſt durch - aus keine Anwendung gemacht werden bey der nunmehr anzuſtellenden allgemeinen Unterſuchung über die Verjähr - barkeit der Exceptionen.

Nachdem dieſe zwey Fälle von unſrer Unterſuchung ganz ausgeſchieden worden ſind, ſoll die Frage nach der Verjährbarkeit der Exceptionen ſelbſt beantwortet werden. Um dabey auch nicht vorübergehend einem Zweifel Raum zu laſſen, will ich mich gleich im Eingang dahin aus -V. 27418Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſprechen, daß ich alle Exceptionen ohne Ausnahme für ganz unverjährbar halte.

Es ſind hierbey Drey Klaſſen möglicher Fälle zu un - terſcheiden, und es iſt für jede dieſer Klaſſen die Zuläſſig - keit der Verjährung beſonders zu unterſuchen.

  • I. Exception ohne Klage.
  • II. Exception und Klage neben einander.
  • III. Klage ohne Exception.

Erſte Klaſſe. Exception ohne Klage.

Die Beurtheilung dieſer Fälle macht am Wenigſten Schwierigkeit, iſt auch niemals Gegenſtand eines Streites geweſen. Denn es wäre widerſinnig, Demjenigen die Strafe einer Nachläſſigkeit aufzubürden, welcher gar nicht thätig ſeyn konnte, da es ganz in der Willkühr des Geg - ners ſteht, die Klage anzuſtellen oder zu unterlaſſen(g)Man könnte ſagen, es ſtehe bey ihm, durch eine Provocation den Gegner zur Klage zu zwin - gen; allein dieſes außerordentliche Rechtsmittel, welches die neuere Praxis als bloße Nothhülfe, und zugleich als eine bloße Wohlthat für den Provocanten, eingeführt hat, kann nicht auf ſolche Weiſe in den Rechtsverkehr eingreifen, daß der unterlaſſene Gebrauch deſ - ſelben als Nachläſſigkeit angeſehen und beſtraft werden könnte, indem dadurch jene Wohlthat eine ſehr gefährliche Seite erhalten würde. Unterholzner II. § 157..

Dieſe Fälle übrigens ſind die ſeltneren, und daher auch für den praktiſchen Erfolg der ganzen Unterſuchung von geringerer Erheblichkeit. Ein ſicherer Fall dieſer Klaſſe iſt folgender. Wenn der Beſitzer eines Grundſtücks mit einer Vindication belangt, und rechtskräftig freygeſprochen wird, ſo erwirbt er gegen den Kläger eine exceptio rei419§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)judicatae, aber keine Klage, weil der Inhalt des Urtheils nur das Recht des Klägers verneinte, dem Beklagten aber kein poſitives Recht zuſprach(h)L. 15 de exc. rei jud. (44. 2.). Gewöhnlich rechnet man hierher auch den Fall der doli exceptio (L. 5 § 6 de doli exc. 44. 4. ), weil durch deren Daſeyn die doli actio ausgeſchloſſen werde (§ 249. q); für dieſe aber wird weiter unten eine andere Anſicht aufgeſtellt werden (§ 255).. Dieſe Exception kann unſtreitig der Beklagte gebrauchen, auch wenn nach mehr als 30 Jahren dieſelbe Klage von dem vorigen Kläger oder einem Succeſſor deſſelben wiederholt wird.

§. 254. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung auf Exceptionen. (Fortſetzung.)

Zweyte Klaſſe. Exception und Klage neben ein - ander.

Für dieſen Fall, den häufigſten und wichtigſten unter allen, iſt zuvörderſt der Begriff genau feſtzuſtellen.

Gewöhnlich denkt man ihn ſo, daß der Berechtigte zwiſchen dieſen beiden Rechtsmitteln die Wahl habe, und daß er durch jedes denſelben Zweck erreichen könne; des - wegen, glauben Manche, müſſe die Vernachläſſigung der Klage auch den Verluſt der damit identiſchen Exception mit ſich führen.

Allein dieſe Auffaſſung iſt aus mehreren Gründen ver - werflich. Zuerſt können niemals Klage und Exception gleichzeitig anwendbar ſeyn, als Gegenſtände freyer Wahl27*420Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Berechtigten. Denn der Gebrauch der Exception kann ſtets nur durch den Entſchluß des Gegners zur Klage herbeygeführt werden, iſt alſo vorher gar nicht möglich. Der wahre Sinn jener ſcheinbaren Concurrenz liegt nur darin, daß neben meinem wirklich vorhandenen Klagrecht, welches jeden Augenblick nach Willkühr gebraucht werden kann, zugleich alle factiſche Bedingungen für eine Klage des Gegners, und für meine Exception, wenn dieſe Klage angeſtellt werden ſollte, vorhanden ſind(a)Wenn mir durch Drohung eine Veräußerung abgezwungen wird, und ich die Sache zufällig wieder in Beſitz bekomme, ſo iſt der gegenwärtig beſchriebene Fall vorhanden, da alle Bedingungen vorhanden ſind für eine Vindica - tion des Gegners (welcher wirk - lich Eigenthümer iſt) und meine Vertheidigung durch metus ex - ceptio. Wenn dagegen der Geg - ner im Beſitz iſt, ſo habe ich eine Klage aber keine Exception, da der Gegner jetzt nicht die Möglich - keit einer Klage gegen mich hat. Es muß alſo erſt eine neue That - ſache eintreten (Verluſt des Be - ſitzes an mich), damit der Gegner eine Klage erlange, und ich (für den Fall ihrer Anſtellung) eine Exception. Daher gehört dieſer letzte Fall zur dritten Klaſſe.. Es iſt alſo ein großer Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Fall, und der Concurrenz der Klagen (§ 231 fg. ); bey dieſer hatte der Berechtigte wirklich die Wahl zwiſchen zwey gleichar - tigen Thätigkeiten; hier hat er nur die Wahl zwiſchen Thätigkeit und unthätigem Abwarten. Zweytens iſt auch die angebliche Identität des Zwecks nur ungefähr wahr, nämlich nur wenn man auf den letzten äußeren Er - folg ſieht, nicht auf die wahre juriſtiſche Wirkung. Denn dieſe beſteht (wenn ich den Prozeß gewinne) bey der Klage in Verurtheilung des Gegners, bey der Exception in mei -421§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)ner eigenen Freyſprechung, alſo in zwey juriſtiſch ganz verſchiedenen Ereigniſſen. Nur kann oft der Erfolg dieſer Ereigniſſe für den Umfang und die Sicherheit meines Vermögens ziemlich derſelbe ſeyn; ob er Dieſes ſey oder nicht, Das iſt von ſehr ungleichen und zufälligen Umſtän - den abhängig.

Ehe ich die Beurtheilung dieſer Klaſſe von Fällen un - ternehme, will ich dieſelbe durch eine Reihe von Beyſpie - len anſchaulich zu machen ſuchen, damit über die Natur und die Gränzen der Klaſſe ſelbſt keine Unklarheit übrig bleibe. In jedem dieſer Fälle kommt es darauf an, ob die Verjährung der Klage zugleich den Verluſt der (in dem oben beſtimmten Sinn) concurrirenden Exception nach ſich zieht, oder nicht; denn dahin haben ſich die beiden Meynungen in dieſer Lehre ausgebildet.

1) Es wird im J. 1841 ein Landgut verkauft, ſo daß die Tradition ſogleich, die Zahlung des Kaufgeldes im J. 1843 erfolgen ſoll; von beiden Seiten unterbleibt die Erfüllung. Hier verjährt die a. emti im J. 1871, die a. venditi im J. 1873 (weil ſie erſt 1843 angeſtellt wer - den konnte). In dieſer ganzen Zeit aber hatte auch jeder Theil die exceptio non impleti contractus, wenn es etwa dem Gegner einfiel zu klagen. Wird nun die a. venditi im J. 1872 angeſtellt, ſo fragt es ſich, ob der Käufer, deſſen eigene Klage ſchon ſeit einem Jahr verjährt iſt, dennoch die erwähnte Exception gebrauchen kann(b)Ich bejahe dieſe Frage, Unterholzner II. § 159 verneint.

422Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

2) Ein gekauftes Pferd ſtirbt bald nach dem Kauf an einem heimlichen Fehler, noch vor gezahltem Kaufgeld. Hier hat der Käufer eine redhibitoria actio auf Befreyung von ſeiner Schuld, die in Sechs Monaten verjährt; da - neben, wenn der Verkäufer auf das Kaufgeld klagt, auch eine Exception(c)L. 59 pr. § 1 de aedil. ed. (21. 1.).. Es fragt ſich aber, ob dieſe Exception, ungeachtet der Verjährung der Klage, noch gebraucht wer - den kann, wenn die actio venditi nach Ablauf der Sechs Monate angeſtellt wird(d)Auch dieſe Frage, die ich bejahe, wird von Unterholz - ner II. § 159 verneint. Hier iſt der materielle Erfolg der Klage und der Exception ganz gleich. Eben ſo in allen folgenden Fällen..

3) Bey einer erzwungenen Stipulation hat der Schuld - ner die Wahl, ob er mit der a. quod metus causa auf Acceptilation klagen, oder die Stipulationsklage abwarten, und ſich dann mit der exceptio metus vertheidigen will(e)L. 9 § 3 quod metus (4. 2.).. Nach dreyßig Jahren iſt die Klage gewiß verjährt; es fragt ſich, ob nun auch die Exception verloren iſt(f)In den meiſten Fällen frey - lich wird dieſe Frage deswegen nicht vorkommen können, weil die Stipulationsklage zu gleicher Zeit mit der a. quod metus causa verjährt ſeyn wird. Es giebt aber Fälle, worin ihre Verjährung erſt ſpäter anfängt, z. B. wenn die er - zwungene Stipulation in diem geſchloſſen war. Dieſe Bemer - kung paßt auch auf die zwey fol - genden Fälle..

4) Wenn einem Schuldner von ſeinem Glaubiger die(b)ſie. Hier iſt ſelbſt der materielle Erfolg der Rechtsmittel ſehr ver - ſchieden; durch die Klage wird Er - füllung bewirkt, durch die Excep - tion Nichterfüllung (wenn nicht etwa der Kläger die Erfüllung anbietet, welches in dieſer Lage ganz bey ihm ſteht). Nach Um - ſtänden kann es dem Käufer ganz gleichgültig ſeyn, ob von beiden Seiten erfüllt oder nicht erfüllt wird; vielleicht auch iſt ihm die Erfüllung ſehr wichtig.423§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)Befreyung von der Schuld legirt wird, ſo hat er die Wahl, entweder gegen den Erben auf Acceptilation zu klagen, oder die Schuldklage abzuwarten und ſich durch Exception zu ſchützen(g)L. 3 § 3 de liberatione leg. (34. 3.).. Es entſteht dieſelbe Frage, wie in dem vorhergehenden Fall.

5) Wenn eine Geldſumme durch Stipulation verſpro - chen wird aus einem irrig angenommenen Rechtsgrund, etwa wegen eines vorausgeſetzten, aber nicht wirklich em - pfangnen Darlehens, ſo kann der Schuldner mit einer condictio sine causa auf Acceptilation klagen(h)L. 1 pr. L. 3 de cond. sine causa (12. 7. ), L. 31 de cond. indeb. (12. 6.). Vgl. oben § 253. f. . Er kann aber auch die Stipulationsklage abwarten, und dann die doli exceptio entgegenſetzen(i)L. 5 § 1 de act. emti (19. 1. ), L. 3 C. de cond. indeb. (4. 5.). Es iſt weſentlich die - ſelbe Exception, welche oben als exceptio non numeratae pecu - niae erwähnt worden iſt, nur hier in ihrer reinen Geſtalt, ohne Ein - wirkung der beſonderen Regel über den Urkundenbeweis..

6) Iſt ein ohne gehörigen Grund enterbter naher Ver - wandter zufällig im Beſitz der Erbſchaft, ſo kann er den - noch die querela inofficiosi anſtellen, weil ein an ſich gül - tiges Teſtament vorhanden iſt, welches er durch Klage anzufechten hat. Er kann aber auch die hereditatis pe - titio des eingeſetzten Erben abwarten, und dann ſeine Be - ſchwerde als Exception vorbringen(k)L. 8 § 13 de inoff. test. (5. 2.). In dieſem Fall, wie in dem unter Num. 2 angeführten, war die Klage auch ſchon zur Zeit der alten Juriſten einer Verjäh - rung unterworfen; in den übrigen hier zuſammengeſtellten Fällen war ſie es damals nicht..

424Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ich wende mich jetzt zur Beurtheilung der zu dieſer zweyten Klaſſe gehörenden Fälle, deren Natur durch eine Reihe von Beyſpielen dargeſtellt worden iſt.

Man kann dabey zuerſt verſuchen, die oben behandelte Streitfrage von der Wirkung der Klagverjährung (§ 249) zur Anwendung zu bringen. Nimmt man nach Ablauf derſelben eine fortdauernde naturalis obligatio an, ſo folgt daraus nothwendig die Unverjährbarkeit der Exception, da Jeder zugeben wird, daß dieſe aus dem früher vorhande - nen Klagrecht noch übrige unvollſtändige Obligation allein ſchon hinreichen würde, eine Exception zu begründen. Aus der entgegengeſetzten Meynung möchte man geneigt ſeyn, auch unſre jetzt vorliegende Frage auf entgegengeſetzte Weiſe zu entſcheiden; dennoch folgt daraus dieſe Entſchei - dung nicht nothwendig. Denn man kann die bisher vor - handene Exception auch als ein ſelbſtſtändiges Recht, un - abhängig von der daneben ſtehenden Klage, betrachten, und dann haben die verſchiedenen Meynungen über die Wirkung der Klagverjährung darauf gar keinen Einfluß. Wir ſind dann vielmehr veranlaßt zu unterſuchen, ob das Inſtitut der Klagverjährung an ſich ſelbſt, nach ſeinem eigenen Geiſt und Zweck (§ 237), zu einer analogen An - wendung auf die Exceptionen geeignet iſt, und dieſen Standpunkt halte ich in der That für den einzigen, von welchem aus eine befriedigende Löſung der vorliegenden Streitfrage zu erwarten iſt.

Auf den erſten Blick möchte man glauben, die Nach -425§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)läſſigkeit, die den allgemeinſten Grund der Verjährung bildet, ſey auch hier wahrzunehmen, da in der That der Berechtigte klagen konnte und zu klagen unterlaſſen hat. Allein bey genauerer Betrachtung verſchwindet dieſer Schein. Die Nachläſſigkeit, woraus die Klagverjährung entſpringt, beſteht darin, daß der Berechtigte unterläßt, den ihm ent - zogenen Genuß eines Rechts durch Klage wieder zu ge - winnen. Derjenige aber, von welchem hier die Rede iſt, hat im Weſentlichen den Genuß ſeines Rechts, und die Klage, die er verjähren ließ, hätte ihm für dieſen Genuß eigentlich nur eine andere und vollſtändigere Rechtsform verſchaffen können, ohne ſeinen Zuſtand weſentlich zu ver - beſſern. Und auf denſelben Erfolg führt die genauere Betrachtung der Lage, worin ſich der Gegner befindet. Der erſte und allgemeinſte Zweck der Klagverjährung geht dahin, daß der factiſche Zuſtand, ſo wie er viele Jahre hindurch ohne Anfechtung beſtanden hat, vollkommene Rechtsſicherheit erlange. In den Fällen aber, von wel - chen hier die Rede iſt, hat Der, welcher jetzt die Verjäh - rung der Exception in Anſpruch nehmen möchte, den ruhi - gen Genuß eines ſolchen factiſchen Zuſtandes noch gar nicht gehabt; es war ſtets ein zweydeutiges, unentſchie - denes Verhältniß geweſen, welches auch ihn veranlaſſen konnte, ſchon früher mit einer Klage aufzutreten, wenn auch die Verjährungszeit dieſer Klage jetzt noch nicht ab - gelaufen ſeyn mag (Note f).

Soll nun ferner als Grund der Verjährung auch die426Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Verminderung der Prozeſſe gelten, inſofern dieſe nicht zum Schutz eines ſicheren Rechts unentbehrlich ſind, ſo handelt ja Der, von welchem hier die Rede iſt, ganz im Sinn der Verjährungsgeſetze. Er unterläßt aus Liebe zum Frieden die Klage, die ihm meiſt nur eine größere formelle Sicher - heit gewährt hätte, indem er ſich mit dem ihn befriedigen - den materiellen Zuſtand begnügt.

Endlich iſt ein beſonders wichtiger Grund der Ver - jährung, die durch lange Zögerung für den Beklagten oft ſehr erſchwerte Vertheidigung, worauf der Kläger ſogar mit unredlicher Abſicht hinwirken kann. Die hieraus ent - ſtehende Gefahr aber trifft in unſrem Fall gerade Den - jenigen ſelbſt, welchen wir noch nach der Verjährungszeit zum Gebrauch der Exception zulaſſen wollen; er ſelbſt lei - det darunter, nicht ſein Gegner, ſo daß dadurch Niemand unbillig verletzt wird. Zwar könnte man ſagen, der Geg - ner habe vielleicht eine Replication, deren Gebrauch ihm nun durch die Länge der Zeit erſchwert werde. Allein theils iſt der Fall der Replicationen an ſich weit ſeltner und unerheblicher, als die ſehr mannichfaltige erſte Ver - theidigung des Beklagten; theils hatte der Gegner, nach unſrer Vorausſetzung, auch ſelbſt ſtets ein Klagrecht, und er hat es alſo ſich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn zu ſeinem Nachtheil die Erledigung des ſtreitigen Rechtsverhältniſſes ſo lange verzögert worden iſt.

Das Gewicht dieſer allgemeinen Gründe wird recht einleuchtend durch die nähere Betrachtung der beiden erſten427§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)Fälle, die oben als Beyſpiele angegeben worden ſind. Wenn bey dem gekauften Landgut beide Contractsklagen ſo viele Jahre verſäumt wurden, ſo lag es ohne Zweifel daran, daß bey genauerer Erwägung kein Theil ein großes Intereſſe an der Erfüllung des Vertrags fand. Sie un - terließen die Aufhebung deſſelben, weil jeder Theil noch im Genuß ſeines urſprünglichen Zuſtandes war, und die weitere Entwicklung äußerer Umſtände abwarten wollte, um einen letzten Entſchluß zu faſſen. Wenn nun dieſer Zuſtand gegenſeitiger Zögerung und Unſchlüſſigkeit bis zum J. 1872 fortdauert, ſo wäre es doch die größte Un - gerechtigkeit, den Käufer das Geld und das Landgut zu - gleich verlieren zu laſſen, blos weil zufälligerweiſe im Ver - trag verſchiedene Zeitpunkte der gegenſeitigen Leiſtungen ausbedungen waren.

Nicht anders verhält es ſich mit dem gekauften und bald nachher geſtorbenen Pferd. Vielleicht hat der Käufer dem Verkäufer den Tod ſogleich angezeigt, und da dieſer keine Einwendung machte (ohne doch ausdrücklich auf das Kaufgeld zu verzichten), ſich damit begnügt, daß noch kein Geld bezahlt ſey. Die Annahme einer Verjährung der Exception wäre ohne Vergleichung härter, als die Ver - jährung der redhibitoriſchen Klage auf das ſchon bezahlte Kaufgeld ſeyn würde.

Dritte Klaſſe. Klage ohne Exception.

Dieſer Fall iſt ſo zu denken, daß der in ſeinem Recht Verletzte, welcher ein Klagrecht hat, in einer ſolchen Lage428Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſich befindet, worin der Gegner keine Klage gegen ihn, alſo auch er keine Exception gegen Jenen, anwenden kann. Erſt nach vollendeter Klagverjährung ändern ſich die That - ſachen ſo, daß der Gegner eine Klage gegen ihn erwirbt, und nun von ſeiner Seite eine Exception gedacht werden könnte, deren Verjährung jetzt in Frage kommt.

Ein Beyſpiel iſt dieſes. Der Eigenthümer eines Grund - ſtücks wird durch Drohungen zur Veräußerung eines Land - gutes beſtimmt, und der Gegner erhält ſich fortwährend im Beſitz. Hier hat er die actio quod metus causa, aber zu einer Exception fehlt es an allen factiſchen Bedingun - gen, da der Andere weder das Bedürfniß noch die Mög - lichkeit hat, gegen ihn zu klagen. Nachdem die Klage verjährt iſt, erhält der Gezwungene durch Zufall den Beſitz, der Andere ſtellt gegen ihn die Eigenthumsklage an, und es fragt ſich ob er die exceptio metus vorſchützen kann, oder ob dieſe zugleich mit der gleichnamigen Klage verjährt iſt.

Die Fälle dieſer Klaſſe ſind weniger häufig und wich - tig, als die der vorhergehenden.

Hier hängt, wie ich glaube, die Entſcheidung der Frage lediglich von der Meynung ab, die von der Wir - kung der Klagverjährung gefaßt wird. Wer eine fort - dauernde naturalis obligatio nach vollendeter Verjährung annimmt, ſo wie ich, muß die Verjährung der Exception verwerfen, da dieſe Obligation hinreicht, um eine Excep - tion zu erzeugen, wozu erſt jetzt das Bedürfniß entſtanden iſt, und in deren Gebrauch daher keine Verſäumniß Statt429§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)finden konnte. Wer die naturalis obligatio verneint, wird damit zugleich die Grundlage für die Entſtehung jener Exception leugnen(l)Hier fällt alſo die Frage zuſammen mit der ſchon oben auf - geworfenen, wegen der Möglichkeit der Compenſation; vorausgeſetzt, daß ich meine Klage habe verjäh - ren laſſen, und die Forderung des Gegners, welche ich durch Com - penſation beſtreiten will, erſt nach vollendeter Verjährung entſtanden iſt. Vgl. § 251. Num. IV. . Die praktiſchen Gründe aber, welche in den Fällen der zweyten Klaſſe das Verfahren des Verletzten gegen den Vorwurf der Nachläſſigkeit rechtferti - gen, und dadurch dem Verluſt der Exception, unabhän - gig von jener Streitfrage, entgegen ſtanden dieſe Gründe fallen hier allerdings hinweg.

§. 255. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung auf Exceptionen. (Fortſetzung.)

Bisher iſt dieſe Streitfrage blos von dem Standpunkt allgemeiner Gründe betrachtet worden; es bleibt übrig zu unterſuchen, was darüber in den Quellen des Römiſchen Rechts zu finden iſt.

Die einzige Stelle, die mit Grund für dieſe Frage be - nutzt werden kann, iſt in folgenden Worten des Paulus enthalten(a)L. 5 § 6 de doli exc. (44. 4.)..

Non sicut de dolo actio certo tempore finitur, ita etiam exceptio eodem tempore danda est: nam haec perpetuo competit: cum actor quidem in sua potes - tate habeat, quando utatur suo jure: is autem cum430Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quo agitur, non habeat potestatem, quando conve - niatur.

Von Mehreren iſt dieſe Stelle als Beweis für die Verjährbarkeit der zur zweyten Klaſſe gehörenden Excep - tionen durch folgende Auslegung geltend gemacht worden(b)Rave § 165. Unterholz - ner II. § 157.. Wenn ich durch Betrug zu einer Stipulation verleitet wor - den bin, ſo ließe ſich ein zwiefacher Schutz für mich den - ken, durch doli actio, und durch doli exceptio gegen die Stipulationsklage des Betrügers. Da mich aber dieſe letzte hinreichend ſchützt, ſo ſoll mir die erſte, zur Scho - nung der Ehre des Gegners, verſagt werden(c)L. 1 § 4. L. 40 de dolo (4. 3.).. Daher gehört dieſer Fall zur erſten Klaſſe, indem der Betrogene lediglich eine Exception und keine Klage hat. Dazu paßt auch der am Schluß der Stelle angegebene Grund, wel - cher die Abweſenheit aller Nachläſſigkeit vorausſetzt; und eben dieſer Grund beweiſt für die entgegengeſetzte Behand - lung der Fälle zweyter Klaſſe, weil in dieſen in der That eine Klage möglich war, deren Verſäumniß alſo eine Nach - läſſigkeit in ſich ſchließt. So weit dieſe Auslegung, die ich aus folgenden Gründen verwerfen muß.

In dem angeführten Fall hat der betrogene Schuldner allerdings auch eine Klage, nur nicht die infamirende, auf kurze Zeit eingeſchränkte doli actio, ſondern eine actio in factum, welche dem Betrogenen in ſo weit Entſchädigung verſchafft, als der Betrüger außerdem reicher ſeyn431§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)würde, alſo gerade ſo weit als auch die doli exceptio reicht(d)L. 28. 29 de dolo (4. 3.).. Dieſe Klage ſogleich anzuſtellen kann für den Betrogenen zuweilen ſehr wichtig ſeyn, weil er vielleicht jetzt den Beweis des Betrugs mit Sicherheit führen wird, der ihm in ſpäterer Zeit durch den Tod der Zeugen ent - gehen kann. Mithin gehört dieſer Fall in der That nicht zur erſten ſondern zur zweyten Klaſſe(e)Der Fall iſt alſo ganz ähnlich dem oben erwähnten von der metus exceptio (§ 254. e). , und ſpricht alſo vielmehr für unſre Meynung. Ja auch der am Schluß angeführte Grund iſt, genauer angeſehen, unſrer Meynung günſtig. Denn obgleich der Betrogene nach der hier auf - geſtellten Anſicht jeden Augenblick klagen könnte, ſo iſt es doch wörtlich wahr, was hier Paulus ſagt, daß er im Gebrauch der Exception gar keinen eignen Willen hat, ſondern ganz von der Willkühr des Gegners abhängt, der zur Anſtellung ſeiner Klage die Zeit wählen kann, die ihm die vortheilhafteſte ſcheint. Daher würde es unge - recht ſeyn, die Exceptionen als ſolche irgend einer Verjäh - rung zu unterwerfen, und davon allein iſt hier die Frage. Ich glaube alſo, daß dieſe Stelle, durch die in ihr ausgeſprochene Rechtsanſicht, die Unverjährbarkeit der Ex - ceptionen zweyter Klaſſe unterſtützt. Nur kann ich ſie freylich nicht für eine unmittelbare Entſcheidung der vor - liegenden Streitfrage halten. Damit ſie Dieſes ſeyn könnte, müßte Paulus in der That an die Concurrenz einer Ex - ception mit einer verjährbaren Klage denken, und er432Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.müßte die Fortdauer der Exception nach Ablauf der Klag - verjährung behaupten. Die wirklich concurrirende actio in factum aber war zu ſeiner Zeit perpetua im ſtrengſten Sinn des Wortes, ohne alle Verjährung, der Fall, der ihm vorſchwebte, war alſo von unſren Fällen der zweyten Klaſſe verſchieden, und Paulus begnügte ſich, Dasjenige zu verneinen, was in ſeiner Zeit allein in Frage geſtellt werden konnte, nämlich die Beſchränkung der doli excep - tio auf die kurze Dauer der gleichnamigen doli actio, von welcher die Gegner mit Recht behaupten, daß ſie mit der doli exceptio nicht concurrirt, da ſie durch dieſe letzte viel - mehr ausgeſchloſſen iſt.

Die übrigen Stellen greifen in unſre Streitfrage noch weniger ein, als die eben erklärte, und ich will ſie nur deswegen erwähnen, damit nicht ein dunkler Raum übrig bleibe, welcher ſtets ein Gefühl von Unſicherheit zu erre - gen pflegt(f)Einige derſelben, die wohl auch angeführt werden, laſſen ſich mit wenigen Worten abthun. Die L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2. ), worauf Unterholzner II. § 158 Gewicht legt, ſpricht von Verjäh - rung der Reſtitution, nicht der Ex - ception. Vgl. § 253. d. L. 8 § 13 de inoff. (5. 2. ) ſpricht we - der für noch gegen die Verjäh - rung der Exception, ſondern nur im Allgemeinen von ihrer Zuläſ - ſigkeit. Vgl. § 254. i. Die L. 30 § 6 de peculio (15. 1. ) kann man nur dadurch auf die Verjährung der Exceptionen bezie - hen, daß man ſich durch die Worte: in dolo objiciendo und nachher objici täuſchen läßt. In der That ſpricht ſie von der a. de peculio gegen den qui dolo fecit quo minus quid esset in peculio (L. 21 eod.), und dieſe Klage ſoll dieſelbe Verjährung haben, wie die doli actio, von welcher ſie in der That nur eine einzelne Anwendung iſt..

Ein Reſcript von Diocletian lautet alſo(g)L. 5 C de except. (8. 36).:433§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)Licet unde vi interdictum intra annum locum ha - beat, tamen exceptione perpetua succurri ei, qui per vim expulsus post retinuit possessionem, auctoritate juris manifestatur.

Man möchte glauben, dieſe Stelle enthalte folgenden hierher gehörenden Satz: das Interdict iſt als Klage ein - jährig, als Exception unverjährbar; dann würde ſie un - mittelbar für unſre Meynung entſcheiden. Allein darauf iſt mit Grund geantwortet worden, die Exception könne ohne - hin nur ungerechte Bereicherung des Klägers abwehren, in dieſer Beſchränkung aber ſey auch das Interdict als Klage unverjährbar geweſen(h)L. 1 pr. § 48 L. 3 § 1 de vi (43. 16.).. So richtig dieſe Antwort an ſich iſt, ſo bleibt dabey die Hauptſchwierigkeit ungelöſt, wie man ſich die Klage des Gegners zu denken hat, gegen welche dieſe Exception gebraucht werden ſoll. Man wird zunächſt an eine Vindication denken; allein der Eigen - thumsklage kann im Allgemeinen keine Exception aus dem bloßen Beſitz entgegengeſetzt werden. Daher hat man mit vielem Schein die Strafe der Selbſthülfe mit hinzu genom - men; der Gegner, ſagt man, habe ſein Eigenthum durch Selbſthülfe verloren, und dieſer Verluſt werde durch die erwähnte Exception geltend gemacht(i)Unterholzner II. S. 24.. Allein dieſes wäre keine Exception, ſondern Verneinung des Eigenthums; es würde auch über die (oben als unverjährbar erkannte) V. 28434Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Abwehr der Bereicherung hinaus gehen, und eine reine Strafe enthalten; ganz beſonders aber iſt der Verluſt des Eigenthums in Folge der Selbſthülfe weit neuer als Dio - cletian(k)Die L. 7 C. unde vi (8. 4. ) iſt vom J. 389.. Die Sache iſt aber wohl ſo zu denken. Zwiſchen mir und Gajus iſt das Eigenthum eines Grund - ſtücks ſtreitig; er verdrängt mich gewaltſam aus dem Be - ſitz, es kommen aber ſpäter wieder Thatſachen vor, die den Beſitzſtand zweifelhaft machen, und da Gajus die Sache zur Entſcheidung zu bringen wünſcht, ſo ſtellt er gegen mich das Interdict uti possidetis an, um mich dem - nächſt zur Anſtellung der Vindication zu nöthigen. Gegen dieſes Interdict habe ich die exceptio violentae posses - sionis(l)L. 1 pr. § 5. 9 uti poss. (43. 17.)., und Dieſe iſt, wie das vorliegende Reſcript ſagt, nicht ſo, wie das Interdict de vi an eine kurze Ver - jährung gebunden. Dieſer Ausſpruch nun wird aller - dings ſchon durch den oben angegebenen Grund völlig ge - rechtfertigt, und es iſt daher in dieſer Stelle eine entſchie - dene Anerkennung der gänzlichen Unverjährbarkeit aller Exceptionen nicht enthalten.

Ein anderes Reſcript deſſelben Kaiſers drückt ſich ſo aus(m)L. 6 de except. (8. 36.).: Si pactum intercessit, in exceptione sine temporis praefinitione de dolo replicare potes.

435§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

Der Schuldner aus einer Stipulation hatte vermittelſt eines Betrugs den Erlaß durch bloßes Pactum bewirkt. Gegen die Stipulationsklage wird die pacti exceptio ge - braucht werden; allein dieſe wird durch die doli replica - tio entkräftet, welche nach dem Ausſpruch des Kaiſers nicht an die Verjährung der gleichnamigen doli actio gebunden iſt. Dieſe Entſcheidung könnte höchſtens die Unverjähr - barkeit der Replicationen beweiſen, nicht die der Exceptio - nen; ſie beweiſt aber auch jene nicht, weil dieſe Replica - tion, eben ſo wie im vorigen Fall die Exception, blos die ungerechte Bereicherung abwehren ſoll, in welcher Bezie - hung auch ſchon die Klage jener kurzen Verjährung ent - zogen war. Übrigens paßt dieſe Stelle nicht mehr in den Zuſammenhang des Juſtinianiſchen Rechts. Denn wenn jetzt ſeit dem betrüglichen Erlaßvertrag die 30 Jahre abgelaufen ſind, durch welche man die doli replicatio für verjährt halten könnte, ſo muß ſchon früher die Stipula - tionsklage verjährt ſeyn; dann aber ſteht derſelben die temporalis praescriptio entgegen, und die pacti exceptio, worauf allein die doli replicatio ſich hätte beziehen kön - nen, kommt gar nicht zur Sprache.

Die Schriftſteller haben die eben behandelte Streitfrage gewöhnlich in einem engeren Sinn aufgefaßt, als hier ge - ſchehen iſt. Über die Fälle der erſten Klaſſe iſt gar kein Streit; dabey erkennen Alle die Unverjährbarkeit der Ex -28*436Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ception an. Die Fälle der dritten Klaſſe werden gewöhn - lich nicht in dieſem Zuſammenhang unterſucht, ſondern in Verbindung mit der früher abgehandelten Streitfrage wegen der Wirkung der Klagverjährung. Der Streit iſt alſo faſt ausſchließend auf die Fälle der zweyten Klaſſe gerichtet, die auch ohnehin die häufigſten und wichtig - ſten ſind.

Hierüber nun hat in neueren Zeiten die Mehrzahl nam - hafter Schriftſteller die richtige Meynung angenommen(n)Claproth de rebus me - rae facultatis Götting. 1752 § 2 7 (gründlich und gut), We - ber Beyträge von Klagen S. 6 14, Glück B. 20 S. 161. 162. Mühlenbruch II. § 481, - ſchen S. 471. Eigentlich gehört dahin auch Büchel Erörterungen Heft 1. S. 8 21, der nur in der Auffaſſung abweicht. Er legt das Hauptgewicht darauf, daß die Klage und die Exception juriſtiſch verſchiedene Objecte haben, wel - ches ich zwar auch oben anerkannt habe, jedoch ohne es für das ent - ſcheidende Moment zu halten.. In früherer Zeit war die entgegengeſetzte faſt allgemein herrſchend, und es hat ihr auch in der neueſten Zeit nicht an einzelnen Vertheidigern gefehlt(o)Ältere Schriftſteller ſind an - geführt bey Claproth l. c. § 2 not. 2. Neuere: Rave § 165, Unterholzner II. § 156 160, Pfeiffer praktiſche Ausführungen B. 3 S. 73 82. Thibaut hat auch hier ſehr verſchiedene Meynungen vertheidigt, welches mit ſeinem Schwanken über die Wirkung der Klagverjährung zu - ſammen hängt (§ 248. n.). Ber - jährung S. 150. 151., Pandekten 7te Ausg. § 1062, 8te Ausg. § 1025..

Die Praxis der Gerichte iſt bis auf die neueſte Zeit eben ſo verſchieden geweſen, als die Lehre der Schriftſtel - ler(p)Für die richtige Meynung (ſowohl nach gemeinem, als nach Preußiſchem Recht) iſt das Berli - ner Obertribunal: Simon und Strampff Entſcheidungen des Obertribunals B. 1. Berlin 1837. S. 120 136. Für die entge -. An eine Entſcheidung der Frage durch gleich -437§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)förmige Praxis iſt alſo nach keiner Richtung hin zu denken.

Ein Ausſpruch neuerer Geſetzgebung über dieſe Frage iſt mir nicht bekannt; es wird alſo wohl überall diejenige Meynung zur Anwendung kommen, die für das gemeine Recht als richtig angeſehen wird.

(p)gengeſetzte das Oberappellations - gericht zu Caſſel: Pfeiffer a. a. O., wo jedoch die Verjährung der Exceptionen, und die ganz verſchie - dene Verjährung der Reſtitution, ſehr durcheinander geworfen werden.

[438][439]

Beylagen. XII. XIII. XIV.

[440][441]

Beylage XII. Quanti res est. (Zu § 216. Note u)(a)Man könnte glauben, die Beſeitigung einer möglichen fal - ſchen Anſicht über die formula in factum concepta ſey zu unbe - deutend, um eine beſondere Unter - ſuchung über den hier bezeichneten Gegenſtand zu rechtfertigen. Allein die Bedeutung der Ausdrücke quanti res est iſt für die Natur und Wirkung vieler einzelnen Klagen wichtig, und es iſt ganz zufällig, daß jene Veranlaſſung ſchon hier eine Unterſuchung herbeyführt, die außerdem an anderen Stellen ohne - hin unentbehrlich ſeyn würde..

I.

Der Gegenſtand ſehr vieler Klagen wird ausgedrückt durch die Worte: quanti res est, und dieſe Worte wur - den daher ſehr gewöhnlich in die Condemnatio, das heißt in den letzten Theil der formula im älteren Römiſchen Prozeß, geſetzt. Eben ſo kamen dieſe Ausdrücke in manchen Stipulationen vor, aus welchen ſie dann gleichfalls, wenn es zur Klage kam, in die Condemnatio übergiengen. Welches war nun der Sinn jener Worte?

Es giebt wenige Ausdrücke in der Römiſchen Sprache, die ſo viele Bedeutungen anzunehmen fähig ſind, wie das Wort res, und dieſer Umſtand macht auch die Beantwor -442Beylage XII. tung der hier aufgeworfenen Frage zweifelhaft. Da näm - lich res ſowohl einen ſichtbaren, handgreiflichen Gegenſtand bezeichnet, als auch ein Geſchäft, eine Angelegenheit, ſo bieten ſich ſogleich zwey mögliche Erklärungen der ange - gebenen Ausdrücke dar. Sie können erſtlich heißen: ſo viel die ſtreitige Sache nach gewöhnlichen Preiſen werth iſt (Sachwerth); zweytens: ſo weit der Berechtigte bey dem vorliegenden Rechtsſtreit, oder bey der vorgefallenen Verletzung, intereſſirt iſt (Intereſſe).

In vielen Fällen wird der Sachwerth mit dem In - tereſſe völlig übereinkommen. In anderen Fällen wird das Intereſſe mehr betragen als der Sachwerth. Wenn ich ein Pferd, das 100 werth iſt, vermiethe, dann aber an einen Dritten verkaufe, und dieſem eine Conventional - ſtrafe von 150 für den Fall der fehlenden Ablieferung verſpreche, der Miether nun ſich das Pferd ſtehlen läßt und mich dadurch außer Stand ſetzt, den Kaufcontract zu erfüllen, ſo beträgt das Intereſſe, welches mir der Mie - ther vergüten muß, 150, mithin mehr als der Sach - werth(a)Ein ſolcher Fall (nur bey der furti actio) wird erwähnt in L. 67 § 1 de furtis (47. 2. ) ſ. u. Num. V. c. . Wenn dagegen die Exhibition einer Sache gefordert und verweigert wird, ſo hat der Beklagte in Geld das Intereſſe der verweigerten Exhibition zu vergü - ten, welches oft weit weniger als der Sachwerth betragen wird(b)L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.).. Eben ſo geht die condictio furtiva auf das443Quanti res est. II. Intereſſe des erlittenen Diebſtahls für jeden Beſtohlenen. Iſt nun der Kläger Eigenthümer der geſtohlenen Sache, ſo wird dieſes Intereſſe wenigſtens dem Sachwerth gleich kommen, vielleicht ihn überſteigen(c)L. 3 de cond. furt. (13. 1.).; iſt er aber nur Pfandglaubiger, Uſufructuar oder Uſuar, ſo wird dieſes Intereſſe ſtets geringer, und oft viel geringer ſeyn als der Sachwerth(d)L. 12 § 2 de cond. furt. (13. 1. ), L. 22 § 2 de pign. act. (13. 7.).. Dieſe verſchiedene Natur der möglichen Fälle wird auch ſchon von den alten Juriſten ſehr be - ſtimmt anerkannt (Num. III.).

II.

Die Erklärung jener Worte vom Sachwerth iſt die buchſtäblichere, die von dem Intereſſe ſchließt ſich mehr dem Sinn und inneren Weſen der Rechtsverhältniſſe an, und ſo wird man ſchon im Allgemeinen geneigt ſeyn an - zunehmen, daß die erſte in der älteren Zeit, ſpäter aber die zweyte, geherrſcht haben möchte.

Dieſe Annahme läßt ſich am vollſtändigſten durchfüh - ren bey der actio Legis Aquiliae. Beide noch im Juſti - nianiſchen Recht übrige Kapitel derſelben enthalten die Ausdrücke: quanti id fuit, quanti ea res erit(a)L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L. Aquil. (9. 2.).. Dieſes wurde urſprünglich von dem bloßen Sachwerth verſtan - den; ſpäter aber erkannte man zwar auch noch an, daß die Worte des Geſetzes nicht weiter als auf den Sach -444Beylage XII. werth giengen, man erweiterte jedoch durch Interpretation den Inhalt der Klage auf das ganze, noch außer dem Sachwerth erweisliche, Intereſſe(b)§ 10 J. de L. Aquilia (4. 3.) Illud non ex verbis le - gis, sed ex interpretatione placuit, non solum peremti cor - poris aestimationem habendam esse, sed eo amplius, quidquid praeterea, peremto eo corpore, damni vobis allatum fuerit rel. , und dieſe Erweite - rung wird als das geltende neueſte Recht bezeichnet(c)L. 21 § 2 ad L. Aquil. (9. 2.) Sed utrum corpus ejus solum aestimamus quanti fue - rit, cum occideretur, an potius, quanti interfuit nostra non esse occisum? Et hoc jure utimur, ut ejus quod interest fiat aesti - matio. Die in den Worten des Geſetzes vorgeſchriebene künſtliche Zurückrechnung hat mit dieſem Ge - genſatz gar Nichts zu ſchaffen, und läßt ſich auf den bloßen Sach - werth, wie auf das Intereſſe, gleich - mäßig anwenden. L. 23 § 6 eod. .

III.

Das Interdict uti possidetis hatte der Prätor mit den Worten quanti res erit angekündigt(a)L. 1 pr. uti poss. (43. 17.).. Der Juriſt Ser - vius nahm Dieſes buchſtäblich, von dem Sachwerth, Ul - pian aber verwirft dieſe Meynung mit großer Entſchieden - heit. Die merkwürdige Stelle lautet vollſtändig ſo:

  • L. 3 § 11 uti poss. (43. 17.). In hoc interdicto condemnationis summa refertur ad rei ipsius aestimationem. Den Worten nach (ſagt Ulpian) wird die Condem - natio auf den Sachwerth bezogen. Quanti res est, sic accipimus, quanti uniuscujusque interest, possessionem retinere. Indeſſen faſſen wir die im Edict gebrauchten Aus -445Quanti res est. IV. drücke nicht ſo buchſtäblich auf, ſondern verſtehen ſie vielmehr von dem Intereſſe, welches der Kläger bey der Erhaltung des Beſitzes hat. Servii autem sententia est existimantis tanti posses - sionem aestimandam, quanti ipsa res est. Servius freylich wollte jene Ausdrücke buchſtäblich erklären, von dem Eigenthumswerth der Sache ſelbſt. Sed hoc nequaquam opinandum est: longe enim aliud est rei pretium, aliud possessionis.

IV.

Ganz dieſelbe Behandlung tritt auch ein bey dem In - terdict de vi, und die hierauf bezügliche Stelle des Paulus hat noch mehr praktiſche Ausführlichkeit als die eben an - geführte des Ulpian.

  • L. 6 de vi (43. 16.). In interdicto unde vi tanti condemnatio facienda est, quanti intersit possidere: et hoc jure nos uti Pompo - nius scribit, id est, tanti rem videri, quanti actoris in - tersit: quod alias minus esse, alias plus: nam saepe actoris pluris interesse hominem retinere, quam quanti is est: veluti cum quaestionis habendae, aut rei probandae gratia, aut hereditatis adeundae, in - tersit ejus eum possideri.

In den erhaltenen Worten des Edicts(a)L. 1 pr. de vi (43. 16.). ſteht zwar446Beylage XII. das quanti res est nicht; daß es aber dennoch im Edict vorhanden war, erhellt aus den Worten unſrer Stelie: tanti rem videri, die offenbar als Interpretation der Edictsworte quanti res est gelten ſollen. Daß auch hier früher eine abweichende buchſtäblichere Erklärung ver - ſucht wurde, wird nicht ausdrücklich geſagt, doch wird darauf hingedeutet in den Worten: hoc jure nos uti (Num. II. c.), indem hierin auf die praktiſche Anerkennung des Satzes Gewicht gelegt, und dafür das Zeugniß des Pomponius angeführt wird.

V.

Schwieriger und beſtrittener ſteht die Sache bey der furti actio. Hier wird bald der zweyfache, bald der drey - fache oder vierfache Werth gefordert, als reine Strafe, und es fragt ſich, welches Simplum dieſen Multiplicatio - nen zum Grunde zu legen iſt. Da die Klage aus den Zwölf Tafeln herkam, iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß die Art ihrer Anwendung dieſelbe Entwicklung erfahren hat, wie die der actio Legis Aquiliae (Num. II.).

Daß auch hier die Ausdrücke quanti res est irgendwo gebraucht worden waren, ſey es in den Zwölf Tafeln, oder im Edict bey Einführung der actio furti manifesti, oder in den Klagformularen, wird faſt gewiß durch fol - gende Stelle des Javolenus:

  • L. 9 de in litem jur. (12. 3.). 447Quanti res est. V. Cum furti agitur, jurare ita oportet, tanti rem fuisse, cum furtum factum sit.

Dieſe Worte haben nur Sinn, wenn man ſie auf das im Geſetz oder Edict ſtehende quanti res est bezieht, wel - ches durch den Eid auf den einzelnen Fall angewendet werden ſollte.

Über die praktiſche Deutung jener Worte nun ſind fol - gende Stellen zu bemerken. Zuerſt muß unterſchieden wer - den, ob der Beſtohlene, welcher die Klage anſtellt, Eigen - thum oder ein bloßes jus in re an der geſtohlenen Sache hat. Im letzten Fall iſt es unzweifelhaft, daß das Sim - plum blos in des Klägers Intereſſe beſtehen kann, wel - ches hier ſtets geringer ſeyn wird als der Sachwerth(a)L. 80 § 1 de furtis (47. 2. ) von Papinian: .. Quia itaque tunc sola utilitas aestimationem facit, cum cessante dominio furti actio nascitur, in istis causis ad aestimationem cor - poris furti actio referri non potest. . Im erſten Fall dagegen, wenn der beſtohlene Eigenthümer klagt, kann gezweifelt werden, ob das Simplum in dem reinen Sachwerth, oder in dem, vielleicht höheren, viel - leicht geringeren Intereſſe beſteht. Auch hier nun iſt, der richtigeren Meynung nach, das Intereſſe anzunehmen.

Ich will zuerſt einige Entſcheidungen einzelner Rechts - fälle anführen, die ſtets unzweydeutiger ſind, als abſtracte Regeln.

Wenn einem Glaubiger Schuldurkunden geſtohlen wer - den, ſo glaubten Einige, das Simplum beſtehe blos in dem unbedeutenden Sachwerth der mit Wachs überzoge -448Beylage XII. nen Holztafeln; Paulus aber nimmt als Simplum das volle Intereſſe an, welches nach Umſtänden der ganzen Schuldſumme, worauf die Urkunde geſtellt war, gleich kommen kann(b)L. 32 pr. § 1 de furtis (47. 2. ), vgl. L. 10 § 3 de eden - do (2. 13.)..

Wenn der Beſtohlene unter einer Conventionalſtrafe verſprochen hatte, die Sache an einem beſtimmten Tage einem Dritten zu übergeben, welches ihm durch den Dieb - ſtahl unmöglich wurde, ſo daß er nun die Strafe zahlen mußte, ſo gehört dieſe Strafe gewiß nicht zum Sachwerth, ſondern zu dem Intereſſe; dennoch wird dieſelbe, nach Celſus, in das Simplum mit eingerechnet(c)L. 67 § 1 de furtis (47. 2.). Si tibi subreptum est, quod nisi die certa dedisses, poenam promisisti, ideoque sufferre eam necesse fuit, furti actione hoc quoque coaestimabitur. .

Wenn ein geſtohlener Sklave zum Erben eingeſetzt war, und der Herr durch den Diebſtahl den Erwerb der Erb - ſchaft einbüßte, ſo ſoll der Werth dieſer Erbſchaft mit in das Simplum eingerechnet werden, und es iſt gleich hier wohl zu bemerken, daß Ulpian Dieſes behauptet(d)L. 52 § 28 de furtis (47. 2.)..

VI.

Ich gehe nun über zu den Stellen, welche über unſre Frage abſtractere Regeln aufſtellen. Dahin gehört zuerſt folgende Stelle des Papinian.

  • L. 80 § 1 de furtis (47. 2.). Cum autem jure dominii defertur furti actio, quam -449Quanti res est. VI. vis non alias nisi nostra intersit competat(a)Das heißt: wenn der be - ſtohlene Eigenthümer bey dem Diebſtahl, ſchon zur Zeit deſſelben, kein Intereſſe hat, z. B. weil er die Sache vermiethet hatte, ſo daß ihm der Miether, deſſen Nachläſ - ſigkeit allein den Diebſtahl mög - lich machen konnte, für den Verluſt einſtehen muß, ſo hat der Eigen - thümer die Klage nicht. § 13. 15. J. de obl. quae ex del. (4. 1.).: tamen ad aestimationem corporis, si nihil amplius intersit, utilitas mea referenda est. Auf den erſten Blick ſcheinen ganz entſcheidend die Worte: si nihil amplius intersit. Der Inhalt ſcheint nämlich folgender: das Simplum beſteht jederzeit wenigſtens in dem Sachwerth, vielleicht aber in einer höheren Summe, wenn noch ein - heres Intereſſe neben dem Sachwerth nachgewieſen werden kann (si nihil amplius intersit). Allein nach dem ganzen Zuſammenhang geht das amplius nicht auf die Erweiterung des Gegenſtandes, ſondern auf deſſen zeitliche Fortdauer(b)Vgl. Schulting notae in Dig., L. 50 pr. de furtis (47. 2.)., ſo daß der Sinn vielmehr folgender iſt: Wenn das zur Zeit des Diebſtahls vorhandene Intereſſe hinterher völlig verſchwunden iſt, ſo bleibt Nichts übrig, als den reinen Sachwerth als Simplum anzunehmen, weil ein anderes Intereſſe nicht mehr ermittelt wer - den kann. Dieſes wird nun erläutert und beſtä - tigt durch die folgenden Worte: Idque et in statuliberis, et in legato sub condicioneV. 29450Beylage XII. relicto probatur. Alioquin diversum probantibus statui facile quantitas non potest(c)Hier folgt nun unmittelbar der oben Num. V. a. abgedruckte letzte Theil der Stelle.. Wenn der einem Erben geſtohlene Sklave unter einer Bedingung frey gelaſſen oder einem Dritten legirt war, ſo betrug das Intereſſe weniger als der Sachwerth, weil das Eigenthum an dem Skla - ven durch die Bedingung unſicher war. Wenn nun zur Zeit der Klage die Bedingung noch unentſchie - den ſchwebt, ſo ſoll das Intereſſe (als Simplum) dadurch ermittelt werden, daß man den Sklaven mit der auf dem Eigenthum haftenden Gefahr ver - kauft; der ſo erlangte Kaufpreis ſoll als Intereſſe des Diebſtahls, folglich als Simplum der Klage, gelten(d)Dieſes Verfahren wird aus - drücklich vorgeſchrieben von Ulpian in L. 53 § 29 de furtis (47. 2.) Pendente autem condicione (nämlich si agatur), tanti aesti - mandus est, quanti emtorem potest invenire. Der vorherge - hende Fall geht auf eine Entwen - dung vor angetretener Erbſchaft, wobey auch noch vor dem Antritt die Bedingung eingetreten iſt. Denn gegen die Erbſchaft kann kein Diebſtahl begangen werden, und zur Zeit des Antritts war der Sklave nicht mehr Stück der Erb - ſchaft. War dagegen die Bedin - gung noch ſchwebend zur Zeit des Antritts, ſo wurde durch fortge - ſetzte Contreetation gegen den Er - ben das furtum begangen.. Iſt aber zur Zeit der Klage die Be - dingung ſchon erfüllt, alſo das Eigenthum für den Kläger verſchwunden, ſo zeigt ſich jene Auskunft als unmöglich, und nun bleibt Nichts übrig, als den reinen Sachwerth zum Grund zu legen, ohne Rückſicht auf den Einfluß der Bedingung.
451Quanti res est. VII.

Wenngleich nun die in jener Stelle enthaltenen Worte: si nihil amplius intersit unſere Frage nicht entſcheiden, ſo läßt dennoch die ganze Stelle darüber keinen Zweifel übrig. Ganz entſcheidend nämlich ſind die Worte: ad aestima - tionem corporis utilitas mea referenda est. Papinian will alſo ſagen: das wahre Simplum beſteht überall in der utilitas des Beſtohlnen, das heißt in ſeinem In - tereſſe(e)Utilitas iſt der eigentliche Name für das Intereſſe. Vgl. L. 21 § 3 de act. emti (19. 1. ), und viele andere Stellen., und es liegt blos in den beſonderen Umſtänden des vorliegenden Falles, daß hier das Intereſſe mit dem Sachwerth identiſch iſt. Dieſe Erklärung wird völlig be - ſtätigt durch die Schlußworte, nach welchen Papinian auch im vorliegenden Fall ein vom Sachwerth verſchiede - nes Intereſſe annehmen würde, wenn es nur möglich wäre, ein ſolches zu ermitteln.

VII.

Zweifelhafter iſt folgende Stelle des Ulpian, welche von jeher die verſchiedenſten Meynungen über unſre ganze Frage veranlaßt hat.

  • L. 50 pr. de furtis (47. 2.). In furti actione non, quod interest, quadruplabitur vel duplabitur, sed rei verum pretium. Sed et si res rebus humanis esse desierit cum judicatur, ni - hilominus condemnatio facienda est, idemque etsi nunc deterior sit, aestimatione relata in id temps,29*452Beylage XII. quo furtum factum est. Quod si pretiosior facta sit, ejus duplum quanti tunc, cum pretiosior facta sit, fuerit, aestimabitur: quia et tunc furtum ejus factum esse verius est.

Hier ſcheint geradezu das Intereſſe als Simplum ne - girt, der Sachwerth angenommen, wodurch die Stelle mit allen vorher zuſammengeſtellten in Widerſpruch treten würde. Manche haben nun in der That eine Controverſe unter den alten Juriſten über dieſe Frage behauptet, und man könnte verſuchen, dieſe mit der wahrſcheinlichen Ent - wicklung der Rechtsregel (Num. V.) in Verbindung zu ſetzen. Indeſſen muß dieſe Meynung gänzlich verworfen werden, weil gerade derſelbe Ulpian in einer der beſtimm - teſten einzelnen Entſcheidungen (Num. V. d) das Intereſſe als Simplum anerkennt.

Sieht man auf die in unſrer Stelle enthaltenen ein - zelnen Anwendungen, ſo iſt Ulpians Meynung offenbar dieſe. Wenn der Werth, welcher zur Zeit des Diebſtahls gefordert werden konnte, in der Folge vermindert worden oder ganz verſchwunden iſt, ſo wird dadurch die im Ur - theil auszuſprechende Summe nicht geringer; iſt jener Werth geſtiegen, ſo wird die Summe größer. Der Gegenſatz alſo, der ihm hier vorſchwebt, betrifft die verſchiedenen Zeitpunkte möglicher Schätzung, nicht den Unterſchied des Sachwerths vom Intereſſe; wenn nun dennoch ſeine Aus - drücke mehr auf dieſen letzten Gegenſatz zu gehen ſcheinen, ſo hat er dieſelben allerdings nicht ſorgfältig gewählt. 453Quanti res est. VIII. Die Gedankenverbindung, woraus dieſe ungenaue Rede zu erklären, zugleich alſo ihre Vorausſetzung zu rechtfertigen iſt, mag etwa folgende ſeyn. Ulpian dachte an einen Fall, worin (wie in den allermeiſten) das Intereſſe mit dem Sachwerth identiſch war, der Sachwerth aber, durch eine in der Sache ſelbſt vorgegangene Veränderung ſich ver - mindert hatte, etwa von 100 auf 60. Nun drückte Ul - pian ſeine Meynung in folgender Weiſe aus: Es iſt eine Sache im Werth von 100 geſtohlen worden, und es muß daher die Summe von 100 als Simplum behandelt wer - den, obgleich das gegenwärtige Intereſſe des Klägers (zur Zeit der Klage) nur 60 beträgt, ſo daß es ihm nur einen fühlbaren Unterſchied von 60 in ſeinem Vermögen macht, wenn man annimmt, die Sache wäre ihm nicht geſtohlen worden.

VIII.

In mehreren anderen ſpeciellen Fällen hat es gar kei - nen Zweifel, daß das quanti res est völlig gleichbedeu - tend iſt mit quanti interest. So ſtanden jene Worte in der Condemnationsformel der doli actio(a)L. 17 pr. L. 18 pr. de dolo (4. 3.)., und es war ſo wenig zweifelhaft, dieſelben von dem Intereſſe zu ver - ſtehen, daß ſogar der Eid in litem dabey geſtattet wurde, der doch auf die ausgedehnteſte Leiſtung des Intereſſe führt(b)L. 18 pr. § 1. 4 de dolo (4. 3.)..

454Beylage XII.

Ganz derſelbe Fall tritt ein bey den prätoriſchen Sti - pulationen, deren Formel die Worte quanti res est ent - hielt, und deren Folge eine Klage auf das vollſtändige Intereſſe war(c)L. 11 de stipul. praetor. (46. 5. ), L. 3 pr. L. 8 § 2 ra - tam rem (46. 8.). Eben ſo wird auch bey freywilligen Stipu - lationen das quanti res est und quanti interest als gleichbedeu - tend angeſehen. L. 38 § 2 de V. O. (45. 1. ), vgl. mit L. 81 pr. eod. .

IX.

Noch wichtiger und entſcheidender aber, als jene ein - zelne Beſtimmungen, iſt folgende ſehr weit greifende allge - meine Regel. Alle Klagen in rem und in personam, die auf Reſtitution einer Sache gerichtet ſind, ja ſelbſt die auf Reſtitution gehende Interdicte, haben in ihrer Con - demnationsformel die Worte quanti res est, und dieſe be - deuten hier überall nicht mehr und nicht weniger, als das Intereſſe, welches jene Reſtitution für den Kläger hat(a)L. 68 de rei vind. (6. 1.) .. non pluris quam quanti res est, id est quanti adversa - rii interfuit, condemnandus est. L. 71 eod. quanti res sit. . Hierin liegt denn zugleich die unmittelbarſte Beſtätigung der Behauptung, wodurch die gegenwärtige Unterſuchung zunächſt veranlaßt worden iſt, daß der Judex bey der formula in factum concepta zu einer eben ſo freyen Prü - fung und Feſtſtellung des Intereſſe berufen war, wie bey der formula in jus concepta(b)Vgl. Syſtem § 216. Note u. .

455Quanti res est. X. XI.

X.

Es dürfen jedoch einige einzelne Fälle nicht mit Still - ſchweigen übergangen werden, worin theils die Beurthei - lung ſelbſt, theils der Sprachgebrauch, von den hier auf - geſtellten Regeln abweicht; die genauere Betrachtung die - ſer Fälle iſt nicht dazu geeignet, die als regelmäßig dar - geſtellte Behandlung des Gegenſtandes zweifelhaft zu machen.

Die entſchiedendſte Abweichung vom regelmäßigen Sprachgebrauch findet ſich bey der actio ad exhibendum. Dieſe geht auf das Intereſſe, welches der Kläger bey der Exhibition hat, nicht auf den Sachwerth, und dieſer Gegenſatz wird hier ganz ungewöhnlicherweiſe ſo ausge - drückt: die Klage gehe nicht auf quanti res est(a)L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.) Et ideo Neratius ait, utilita - tem actoris venire in aestima - tionem, non quanti res sit: quae utilitas, inquit, interdum minoris erit quam res. . Die Stelle ſelbſt rührt zwar von Ulpian her, allein ſie enthält doch blos ein Allegat aus Neratius, und ſo iſt alſo Die - ſes als ein ſingulärer Sprachgebrauch des Neratius an - zuſehen.

XI.

Einige Vergehen, die im Prozeß gegen die obrigkeitliche Gewalt begangen werden konnten, hatten zur Folge eine Strafklage, welche nicht auf das (oft ganz unbedeutende) 456Beylage XII. Intereſſe gerichtet war, ſondern auf eine Geldſtrafe, die dem Geldwerth des Prozeßgegenſtandes gleich kam. Die - ſer Gegenſatz wurde ſo ausgedrückt: die Klage gehe nicht auf das Intereſſe, ſondern auf quanti res est(a)L. 1 § 4 si quis jus dic. (2. 3.). Hoc judicium non ad id quod interest, sed quanti ea res est, concluditur. L. 5 § 1 ne quis eum (2. 7. ) quo non id continetur, quod in ve - ritate est, sed quanti ea res est ab actore aestimata, de qua controversia est. . Auch dieſer Sprachgebrauch iſt von dem ſonſt gewöhnlichen verſchieden, jedoch iſt er demſelben nicht ſo direct entge - gengeſetzt, wie es auf den erſten Blick wohl ſcheinen möchte. Denn das, was hier, als verſchieden vom In - tereſſe, durch quanti res est bezeichnet wird, iſt nicht, wie in den oben zuſammengeſtellten Fällen, der Sachwerth, ſondern der Streitgegenſtand, ſo daß alſo hier und dort Gegenſätze von ganz verſchiedener Art auszudrücken waren.

XII.

Die actio vi bonorum raptorum geht auf den vier - fachen Werth der geraubten Sache mit Einſchluß des Sim - plum, alſo auf den dreyfachen Werth als reine Strafe. Die Behandlung iſt aber hier eine ganz andere, als die welche oben für die furti actio nachgewieſen worden iſt (Num. V VII. ); denn das Simplum iſt nicht, wie bey der furti actio, das Intereſſe des Beraubten, ſondern viel - mehr der reine Sachwerth(a)L. 2 § 13 vi bon. rapt. (47. 8.). In hac actione intra annum utilem verum pretium rei quadruplatur, non etiam quod interest. . Wir kennen den Grund457Quanti res est. XIII. des Unterſchieds nicht, aber auf den hier unterſuchten Sprachgebrauch hat derſelbe keine Beziehung, da nirgend geſagt wird, daß bey jener Klage die Worte quanti res est gebraucht worden wären.

Dieſe letzte Bemerkung gilt eben ſo auch von der actio de rationibus distrahendis, wodurch der Vormund, welcher Sachen des Mündels unterſchlagen hat, auf den doppel - ten Werth belangt wird. In dieſem doppelten Werth iſt das Simplum mit enthalten, und das Simplum beſteht nicht in dem Intereſſe, ſondern in dem reinen Sach - werth(b)L. 1 § 20 de tutelae (27. 3.). Considerandum est in hac actione, utrum pretium rei tantum duplicetur, an etiam quod pupilli intersit? Et magis esse arbitror, in hac actione quod interest non venire, sed rei tantum aestimationem. . Hier aber läßt ſich der Grund dieſer eigen - thümlichen Behandlung angeben. Das Duplum ſelbſt war nicht als eigentliche Strafe gedacht, ſondern als ein prä - ſumtives, ſehr hoch beſtimmtes Intereſſe, deſſen ſchwieriger Beweis dadurch entbehrlich gemacht werden ſollte. Eben daher konnte nicht auch das Simplum auf das Intereſſe geſtellt werden(c)Vgl. Syſtem § 212 Note k. l. m. n. .

XIII.

Das größte Bedenken endlich erregen folgende zwey Stellen des Ulpian, die in ihrer ſcheinbaren Allgemeinheit alles bisher Dargeſtellte wankend zu machen ſcheinen.

  • L. 179 de V. S. (50. 16.). Ulp. lib. 51 ad Sabinum. 458Beylage XII. Inter haec verba, quanti ea res erit, vel quanti eam rem esse paret, nihil interest: in utraque enim clau - sula placet veram rei aestimationem fieri.
  • L. 193 eod. Ulp. lib. 38 ad Ed. Haec verba, quanti eam rem paret esse, non ad quod interest, sed ad rei aestimationem referuntur.

Es hilft wenig, daß beide Stellen zunächſt nicht die Bedeutung von quanti res est, ſondern von esse paret, angeben wollen, denn ſie erklären beide Ausdrücke für gleichbedeutend, und ſagen für beide, daß ſie den Sach - werth, nicht das Intereſſe bezeichnen. Auch die häufig vorkommenden Varianten apparet und patet helfen der hier bemerkten Schwierigkeit nicht ab.

Es bleibt alſo kaum etwas Anderes übrig, als auf das allgemeine Verhältniß zwiſchen ganz abſtract gefaßten Regeln, und concreten Entſcheidungen zurück zu gehen, unter welchen die letzten, im Fall eines Widerſpruchs, vorzugsweiſe vor den erſten, den wahren Sinn des Rechts in ſich ſchließen werden(a)Syſtem Band 1 § 44 S. 276.. Ja wir müſſen hier noch einen Schritt weiter gehen, und nicht ſowohl die mislun - gene Regelfaſſung des Ulpian anklagen, als die fehlerhafte Weiſe, in welcher dieſe Stellen von den Compilatoren aus ihrem urſprünglichen Zuſammenhang losgeriſſen ſeyn - gen. Kennten wir dieſen Zuſammenhang, ſo würde wahr - ſcheinlich jede Spur eines Widerſpruchs verſchwinden, indem dieſer ohne Zweifel nur durch den falſchen Schein459Quanti res est. XIII. von Allgemeinheit entſteht, welcher dieſen Ausſprüchen durch ihre abgeriſſene Stellung in den Digeſten zu Theil geworden iſt. Einige entferntere Vermuthungen werden durch die Überſchriften beider Stellen herbeygeführt. Die L. 179 cit. iſt aus einem Buch des Ulpian ad Sabinum, welches vorzugsweiſe von der Jurisdiction handelte(b)Hommel palingenesia librorum juris T. 3 p. 588. 589.; die hier excerpirte Stelle möchte alſo wohl von einer der prätoriſchen Strafklagen zu verſtehen ſeyn, die aus der Verletzung der Jurisdictionsrechte entſtanden, und bey welchen, wie wir von einigen beſtimmt wiſſen, in der That dieſer abweichende Sprachgebrauch herrſchte (Num. XI.). L. 193 cit. aber iſt aus einem Buch ad edictum genommen, welches vorzugsweiſe die mit der furti actio verwandten, zum Theil ſehr alten, Klagen abhan - delte(c)Vgl. die Titel 4 7 im 47. Buch der Digeſten.; es iſt nun leicht möglich, daß bey einer derſelben der Ausdruck quanti res est gebraucht war, jedoch in dem ungewöhnlichen Sinn des reinen Sachwerthes, ſo wie wir ohnehin von der vi bonorum raptorum actio wiſſen, daß bey ihr der Sachwerth, nicht das Intereſſe, als Simplum angeſehen wurde (Num. XII.).

Manche werden erwiedern, dieſe Vermuthungen, ſelbſt wenn ſie gegründet wären, ſeyen dennoch für uns un - fruchtbar, weil einmal Juſtinian jenen Stellen durch deren Aufnahme in den Titel de verborum significatione, die Kraft allgemeiner Interpretationsregeln unabänderlich mit -460Beylage XII. Quanti res est. XIII. getheilt habe. Wie weit man nun auch dieſen unbeding - ten Gehorſam gegen jedes einzelne, auch erweislich irrige, Stück der Compilation treiben möge, ſo würde derſelbe wenigſtens im vorliegenden Fall ohne Erfolg bleiben. Denn für alle wichtige Fälle der Anwendung beſitzen wir ganz anders lautende ſpecielle Interpretationsregeln für jene Ausdrücke (Num. II IX.). Dieſe ſpeciellen Regeln aber müſſen in den Fällen, worauf ſie ſich beziehen, jenen allge - meinen Regeln ſicherlich vorgehen.

461Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones. I.

Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones. (Zu § 218 220.)

I.

Bevor dieſe Eintheilung der Klagen ſelbſt unterſucht wird, iſt über die Bezeichnung derſelben Folgendes zu bemerken.

Der Name bonae fidei actio iſt ſehr häufig, und die Ent - ſtehung deſſelben wird weiter unten beſonders erklärt werden.

Dagegen iſt der Name stricti juris actio, genau in dieſer Form, ſelten. Die einzige ganz ſichere Stelle dafür iſt die der Inſtitutionen, welche überhaupt am Meiſten Aufſchluß über die ganze Eintheilung giebt.

  • § 28 J. de act. (4. 6.). Actionum autem quaedam bonae fidei sunt, quaedam stricti juris. Bonae fidei sunt hae: rel.

Gleich nachher (§ 30 eod.) heißen ſie stricta judicia, und in einer Conſtitution von Juſtinian wird von einer Klage geſagt: ex stipulatu actionem stricto jure esse val - latam, et non ex b. f. descendere(a)L. un. § 2 C. de rei ux. act. (5. 13.).. Marcian nennt462Beylage XIII. es actio stricti judicii(b)L. 5 § 4 de in litem jur. (12. 3.).. Zweifelhaft wegen der Leſeart endlich iſt folgende Stelle des Ulpian.

  • L. 3 § 2 commod. (13. 6.). In hac actione sicut in ceteris b. f. judiciis rei judicandae tempus .. observatur: quamvis in stricti, litis contestatae tempus spectetur.

Dieſes iſt die Florentiniſche Leſeart, ohne Zweifel feh - lerhaft. Käme es darauf an, durch eine Emendation zu helfen, ſo wäre in strictis für in stricti die gelindeſte Ver - änderung; judiciis ließe ſich aus den vorhergehenden Wor - ten ohne alle Härte hinzu denken, und stricta judicia iſt durch die oben angeführte zweyte Inſtitutionenſtelle völlig beglaubigt. Allein die Vulgata lieſt, noch vollſtändiger, in stricti juris judiciis(c)So leſen nämlich folgende alte Ausgaben des Dig. vetus: Venet. Jenson s. a., Norimb. Koberger 1483, Venet. 1484, und gewiß eben ſo noch viele an - dere., und bey dieſer Autorität kön - nen wir uns völlig beruhigen. Haloanders Leſeart: in stricti juris, iſt zwar auch an ſich befriedigend, es bleibt aber zweifelhaft, ob er dieſe Leſeart in Handſchriften ge - funden, oder nur als eine unnoͤthige Vermittlung zwiſchen der Florentina und der Vulgata verſucht hat.

Der ſeltene Gebrauch jenes Kunſtausdrucks erklärt ſich aus dem Umſtand, daß für dieſelbe Klaſſe von Klagen noch ein anderer Ausdruck vorkommt, nämlich condictio (Beylage XIV. ); dieſer iſt außerordentlich häufig, ja er wird überall gebraucht, wo es nicht gerade, wie in den463Stricti juris, bonae fidei actiones II. oben angeführten Stellen, darauf ankommt, zwey Arten von actiones einander wörtlich entgegen zu ſetzen, das heißt den Begriff als Glied einer Eintheilung unmittelbar zu be - zeichnen.

II.

Um nun den Unterſchied dieſer zwey Arten der Klagen auf eine erſchöpfende Weiſe zu behandeln, iſt es nöthig zwey an ſich verſchiedene Fragen zu beantworten. Die erſte be - trifft die praktiſche Bedeutung jenes Unterſchieds, alſo das Intereſſe, welches an die Bezeichnung irgend einer Klage als einer str. j. oder b. f. actio geknüpft iſt. Die zweyte Frage bezieht ſich auf die Gränzſcheidung beider Arten, alſo auf die Beſtimmung, welche Klagen überhaupt zu der einen oder andern Art zu rechnen ſind.

Die Frage nach der praktiſchen Bedeutung des Unter - ſchieds führt zurück auf den viel allgemeineren Gegenſatz der ſtrengen und freyen Klagen (Syſtem § 218), welcher hier nur in einer einzelnen Anwendung erſcheint, die aber, weil ſie vorzugsweiſe häufig und wichtig war, genauer als andere Anwendungen ausgebildet worden iſt.

Im Allgemeinen nun läßt ſich der Unterſchied dahin beſtimmen, daß dem urtheilenden Richter bey der b. f. ac - tio eine freyere Macht eingeräumt war(a)L. 7 de neg. gestis (3. 5. ) quia tantundem in b. f. judi - ciis officium judicis valet, quan - tum in stipulatione nominatim ejus rei facta interrogatio. , welche am464Beylage XIII. häufigſten durch den Ausdruck officium judicis bezeichnet wird. Es würde unrichtig ſeyn, Dieſes im einſeitigen In - tereſſe, ſey es des Klägers oder des Beklagten, aufzufaſ - ſen, nach welcher Annahme man glauben könnte, die eine oder die andere Art der Klagen ſey ausgeſonnen worden, um Eine Partey vor der andern vorzugsweiſe zu begün - ſtigen. Vielmehr kann man ſagen, daß nach Umſtänden jene freyere Macht bald dem Kläger, bald dem Beklagten zum Vortheil gereichen konnte(b)Bey jeder b. f actio ſoll der Richter auch für ungewiſſe, erſt in der Zukunft zu erwartende, Verpflichtungen, Cautionen aufle - gen, und dieſe Vorſorge gilt nach beiden Seiten hin. L. 38 pr. pro socio (17. 2.) L. 41 de jud. (5. 1.). Seneca ſagt zwar, der Erfolg einer guten Sache ſey mehr geſichert bey dem judicium, als bey dem arbitrium, welches auf eine Begünſtigung des Klägers gedeutet werden könnte (Syſtem § 218. d.). Dieſes iſt aber zu ver - ſtehen theils von dem beſchränkte - ren Gebrauch der Exceptionen in der str. j. actio, theils von dem möglichen Misbrauch, welcher in den b. f. actiones von einer vermeynt - lichen Billigkeit gemacht werden konnte..

III.

Der Kläger konnte aus der freyeren Macht des Rich - ters Vortheil ziehen, indem dieſer angewieſen war, bey Verträgen auch auf alles Dasjenige zu ſprechen, was zwar nicht im Vertrag ausgedrückt, wohl aber bey Ver - trägen dieſer Art allgemein üblich war, ſo daß man an - nehmen konnte, die Parteyen hätten es ſtillſchweigend hin - zugedacht(a)L. 31 § 20 de aed. ed. (21. 1. ) ea enim, quae sunt moris et consuetudinis, in bo - nae fidei judiciis debent venire. .

465Stricti juris, bonae fidei actiones. III.

Die wichtigſte Anwendung dieſes Grundſatzes beſteht darin, daß der Richter nicht blos auf den urſprünglichen Gegenſtand der Obligation, ſondern auch auf deſſen hin - zugetretene Erweiterungen (omnis causa) ſprechen ſoll. Insbeſondere ſoll er bey Geldſchulden auf Zinſen des Gel - des ſprechen, von dem Zeitpunkt an, worin der Schuld - ner vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden war(b)L. 32 § 2 de usuris (22. 1.) In bonae fidei contracti - bus ex mora usurae debentur. L. 24 depos. (16. 3.) Et est quidem constitutum, in bonae fidei judiciis, quod ad usuras attinet, ut tantundem possit officium arbitri, quantum sti - pulatio. Man darf dieſes nicht ſo verſtehen, als hätten die Kai - ſer dieſen Satz erfunden; er war nur auch in Reſcripten der Kaiſer anerkannt und dadurch beſtätigt worden., welche Zinszahlung bey den stricti juris actiones nicht eintritt(c)Dieſes liegt ſchon in dem natürlichen Gegenſatz der in der Note b. für die b. f. actiones an - geführten Stellen. Die Zinsver - pflichtung wird aber auch aus - drücklich bey mehreren str. j. ac - tiones verneint. L. 24 depos. (16. 3. ) bey Gelddarlehen, L. 1 C. de cond ind. (4. 5. ) bey con - dictio indebiti. . Nur für den Zeitraum, worin der Rechts - ſtreit geführt wird, das heißt von der Litisconteſtation an, treten auch dieſe Klagen mit den b. f. actiones großentheils auf gleiche Linie, ſo daß für dieſe Zeit auch bey ihnen die omnis causa mit in das Urtheil aufgenommen wird(d)L. 2 L. 3 § 1 L. 10 L. 38 § 7 de usuris (22. 1. ), L. 31 pr. de reb. cred. (12. 1. ), L. 51 pr. fam. herc. (10. 2. ), L. 91 § 7 de leg. 1 (30. un. ), L. 8 de re jud. (42. 1. ), L. 35 de V. S. (50. 16.); jedoch auf Geldzinſen iſt dieſe Wirkung der Litisconteſta - tion bey den str. j. actiones nicht auszudehnen(e)Entſcheidend hierüber iſt Gajus IV. § 52, und L. 23 C. de usuris (4. 32.). Vgl. Madai Mora S. 369, Liebe Stipula - tion S. 52. Nur ſcheinbar könnte man darin eine Zurückſetz -.

V. 30466Beylage XIII.

Eben ſo ſollte bey der b. f. actio der verurtheilende Richter jegliches Intereſſe des Klägers in Anſchlag brin - gen können, auch dasjenige, welches auf ganz individuel - len Verhältniſſen deſſelben beruht (Affectionswerth)(f)L. 54 pr. Mand. (17. 1.) .. placuit enim prudentiori - bus, affectus rationem in bo - nae fidei judiciis habendam. ; bey der str. j. actio ſollte das Intereſſe dieſer Art außer Anſchlag bleiben(g)Dieſer Satz liegt augen - ſcheinlich in der für die b. f. ju - dicia ausgeſprochenen entgegenge - ſetzten Regel (Note f). Er iſt aber auch in folgender Stelle unmittel - bar anerkannt. L. 33 ad L. Aquil. (9. 2.) Si servum meum occi - disti, non affectiones aestiman - das esse puto .. sed quanti omnibus valeret. S. quoque Pedius ait, pretia rerum non ex affectione, nec utilitate sin - gulorum, sed communiter fun - gi. Nun darf zwar der a. L. Aquiliae der Name stricti juris actio nicht beygelegt werden, aber unter die ſtrengen Klagen gehört ſie eben ſo gut als die, welche je - nen Namen führen, und die Re - gel der Beurtheilung war für den Richter völlig dieſelbe. Alles Die - ſes wird weiter unten dargethan werden..

IV.

Auf der anderen Seite konnte die freyere Macht des Richters auch dem Beklagten zu großem Vortheil gereichen.

Wenn der Anſpruch des Klägers durch Exceptionen ausgeſchloſſen, oder auf eine geringere Summe beſchränkt werden konnte, ſo hatte dieſe der Richter in der str. j. ac - tio nur dann zu berückſichtigen, wenn ſie der Prätor in der formula ausgedrückt hatte; für die b. f. actio galt dieſe Beſchränkung nicht, ſo daß der Richter ſie beachten(e)ung des Klägers bey Geldſchulden finden wollen, denn für deſſen In - tereſſe war durch die sponsio ter - tiae partis ſehr reichlich geſorgt.467Stricti juris, bonae fidei actiones. IV. durfte und ſollte, auch wenn erſt während des Prozeſſes der Beklagte das Daſeyn der Exception, z. B. den von dem Gegner verübten Betrug, entdeckt hatte(a)L. 3 de rescind vend. (18. 5.) .. bonae fidei judicio exceptiones pacti insunt. L. 21 sol. matr. (24. 3.) .. cum enim doli exceptio insit de dote actioni, ut in ceteris bo - nae fidei judiciis .. L. 84 § 5 de leg. 1 (30. un.) .. quia hoc ju - dicium fidei bonae est, et con - tinet in se doli mali exceptio - nem. Am ausführlichſten wird dieſe Regel dargeſtellt in L. 7 § 5. 6 de pactis (2. 14.). In dieſen Stellen iſt ausdrücklich nur von der doli und pacti exceptio die Rede, und man könnte dadurch verleitet werden, die aufgeſtellte Regel auf die aus dem jus gen - tium entſpringenden Exceptionen zu beſchränken, ſo daß diejenigen davon ausgeſchloſſen wären, wel - che einen mehr poſitiven Urſprung haben, wie rei judicatae, Sc. Vel - lejani exceptio u. ſ. w. Allein dieſer Beſchränkung widerſpricht die andere Regel, nach welcher jede Exception zugleich die doli exceptio in ſich ſchließt, indem der Kläger wenigſtens nunc pe - tendo facit dolose. L. 2 § 5 de doli exc. (44. 4. ), vgl. L. 36 de V. O. (45. 1.) Darauf geht die Formel der doli exceptio: si in ea re nihil dolo malo factum sit, neque fiat. Gajus IV. § 119. Der vollſtändige Zuſammenhang iſt nun ſo zu denken. Die Beach - tung der doli exceptio war dem arbiter durch die Worte ex fide bona unmittelbar aufgetragen. Um nun auch die übrigen Exceptionen mit herein zu ziehen, ſtellte man die Regel auf, daß die Klage ſelbſt einen dolus in ſich ſchließe, wenn ſie angeſtellt werde, ungeachtet ihr irgend eine Exception entgegen ſtehe.. Eine wichtige Anwendung dieſes Satzes war es, daß in den b. f. actiones die Compenſation zur Anwendung kam, auch wenn ſie nicht in der formula erwähnt war(b)Gajus IV. § 61. 63, § 30 J. de act. (4. 6. ), L. 18 § 4 com - mod. (13. 6.). Es iſt Dieſes jedoch keine einfache, reine Anwen - dung der vorher aufgeſtellten Pro - zeßregel, vielmehr tritt dabey ein neues, erſt allmälig ausgebildetes, materielles Rechtsprincip hinzu. Dieſes zeigt ſich ganz deutlich darin, daß zur Zeit des Gajus die Compenſation nur ex eadem causa, alſo auf höchſt beſchränkte Weiſe, gelten ſoll, welche Be - ſchränkung im Juſtinianiſchen Recht gewiß nicht mehr behauptet wer - den kann. Vgl. Band 1. § 45. d. . In der30*468Beylage XIII. str. j. actio ſollte ſie früher gar nicht gelten; Marc Aurel ließ ſie zu, wenn ſie in die formula als Exception aufge - nommen war. Inſtinian dehnte ſie auch auf alle übrige Arten der Klagen aus(c)§ 30 J. de act. (4. 6.).. Eine andere Anwendung zeigte ſich darin, daß unſittliche Anſprüche bey der str. j. actio nur durch eine ausdrücklich gegebene Exception aus - geſchloſſen wurden(d)L. 8 de cond. ob turpem (12. 5.) Si ob turpem causam promiseris Titio, quamvis, si petat, exceptione doli mali, vel in factum summovere eam possis , anſtatt daß die b. f. actio ſchon an ſich ſelbſt zu einer Verurtheilung dieſes Inhalts nicht füh - ren konnte(e)L. 5 de usuris (22. 1.) Generaliter observari conve - nit, bonae fidei judicia non re - cipere praestationem quae con - tra bonos mores desideretur. . Eben ſo iſt das Retentionsrecht eine bloße Anwendung der doli exceptio, und es bedurfte da - her bey den Retentionen gegen die rei uxoriae actio kei - ner ausdrücklichen Inſtruction des Prätors.

War die Klage darauf gegründet, daß ſich der Be - klagte einer Culpa ſchuldig gemacht habe, ſo trat in der b. f. actio eine mildere Beurtheilung ein, inſofern von ei - nem ſolchen Geſchäft die Rede war, aus welchem der Beklagte keinen Vortheil für ſich zu erwarten hatte(f)L. 108 § 12 de leg. 1 (30. un.) .. sicut in contractibus fidei bonae servatur, ut si qui - dem utriusque contrahentis commodum versetur, etiam culpa, sin unius solius, dolus malus tantummodo praestetur. Vgl. L. 5 § 2 commod. (13. 6.)..

V.

Die freyere Macht des Judex, die hier als das Un -469Stricti juris, bonae fidei actiones. V. terſcheidende der bonae fidei actio dargeſtellt worden iſt, hat nicht überall dieſelbe Natur. In den meiſten Anwen - dungen bezieht ſie ſich auf die feſt beſtimmten Rechte der Parteyen, woran auch der Prätor im einzelnen Rechts - ſtreit Nichts ändern konnte; ſo verhält es ſich mit den nur in der b. f. actio geltenden Verzugszinſen (III. b.); eben ſo mit der milderen Beurtheilung der Culpa (IV. f.). In Einer Anwendung dagegen (IV. a.) bezieht ſie ſich le - diglich auf das Verhältniß des Judex zum Prätor, alſo auf die mehr oder minder buchſtäbliche Befolgung der vor - geſchriebenen formula, wozu der Judex verpflichtet ſeyn ſollte.

Dieſe freyere oder beſchränktere Macht aber ſtand hier, ſo wie bey allen ſtrengen oder freyen Klagen überhaupt (Syſtem § 218), im Zuſammenhang mit der perſönlichen Beſchaffenheit des urtheilenden Richters, indem dieſer für die str. j. actio nur aus dem album der judices genommen werden durfte, welche Beſchränkung für den arbiter in der b. f. actio wegfiel. Offenbar lag nun darin ein größeres Vertrauen, welches dem arbiter der b. f. actio gewährt wurde. Jedoch würde es unrichtig ſeyn, dieſes Vertrauen auf eine allgemeine, klaſſenweiſe eintretende, Vermuthung größerer Zuverläſſigkeit zurückführen zu wollen, da es ja widerſinnig geweſen wäre, die Einſicht oder Redlichkeit ei - nes Richters blos deswegen geringer zu ſchätzen, weil ſein Name im album der judices ſtand. Vielmehr ſcheint je - nes größere Vertrauen daraus erklärt werden zu müſſen,470Beylage XIII. daß beide Parteyen auf die Wahl des arbiter einen mehr unmittelbaren und poſitiven Einfluß ansübten, als auf die Wahl des judex der str. j. actio, ſo daß der arbiter ganz eigentlich als der Mann ihrer Wahl angeſehen werden konnte, deſſen freyere Macht daher beiden Theilen als un - gefährlich erſcheinen mußte (Syſtem § 218. f).

VI.

Die zweyte oben aufgeworfene Frage (Num. II. ) be - trifft die Klagen, welche unter die eine oder die andere jener beiden Klaſſen zu rechnen ſind.

Der Grundfehler, welcher von jeher eine klare Einſicht in dieſe Begriffe verhindert hat, beſtand darin, daß die Eintheilung meiſt für eine allgemeine, alle Klagen über - haupt umfaſſende, gehalten wurde, da ſie doch nur auf die Klagen eines gewiſſen engeren Gebietes zu beſchrän - ken iſt (Syſtem § 218). Sie geht nämlich:

  • 1) nur auf die ordinaria judicia;
  • 2) unter dieſen nur auf Civilklagen;
  • 3) unter dieſen nur auf Klagen in personam;
  • 4) unter dieſen nur auf Klagen aus Contracten oder contractähnlichen Verhältniſſen (§ 218. i); mit anderen Worten auf Klagen aus Rechtsgeſchäften, nicht aus De - licten.

Auf irgend eine engere Beſchränkung des Gegenſatzes deutet ſchon der Eingang der Inſtitutionenſtelle:471Stricti juris, bonae fidei actiones. VI. § 28 J. de act. (4. 6.) Actionum autem quaedam bonae fidei sunt, quaedam stricti juris beſonders wenn man dieſe Stelle mit einer vorhergehenden vergleicht: § 1 J. eod. Omnium actionum, quibus inter aliquos apud judices arbitrosve de quacumque quaeritur, summa divisio in duo genera deducitur: aut enim in rem sunt, aut in personam.

Der eigentliche Beweis aber muß geführt werden in Beziehung auf die Klaſſen von Klagen, die nach meiner Behauptung aus jener Eintheilung gänzlich heraus fallen, und die ich nun der Reihe nach durchgehen will.

Es fallen alſo zuerſt aus die civilen Delictsklagen, die überhaupt nicht in großer Anzahl vorkommen; namentlich furti und Legis Aquiliae actio. In dem Verzeichniß der bonae fidei actiones kommen ſie nicht vor, daß ſie aber auch nicht den Namen von stricti juris actiones führten, kann erſt weiter unten, bey den Condictionen, dargethan werden.

Es fallen ferner aus alle in rem actiones. Der Be - weis liegt in folgenden Stellen.

a) L. 5 pr. § 4 de in litem jur. (12. 3.). In actionibus in rem, et in ad exhibendum, et in bonae fidei judiciis, in litem juratur .... Plane inter - dum et in actione stricti judicii in litem jurandum est. Hier werden offenbar ſämmtliche in rem actiones ſo -472Beylage XIII. wohl den b. f., als den str. j. actiones, dem Begriff nach, völlig entgegen geſetzt, und nur in ihrer Bezie - hung auf den Eid mehr oder weniger gleich geſtellt.

b) § 30 J. de act. (4. 6.). Der Gedankengang iſt dieſer. Die Compenſation ſollte zuerſt nur beachtet werden bey den b. f. judiciis, bey dieſen aber allgemein. Dann hat ſie Marc Aurel auf die stricta judicia vermittelſt der doli exceptio ausgedehnt. Endlich hat Juſtinian ihre Anwen - dung faſt ganz allgemein gemacht: ut actiones ipso jure minuant sive in rem, sive in personam, sive alias quas - cunque: excepta sola depositi actione. Der Sinn dieſer Stelle iſt ſo zu ergänzen. Früher waren von der Compenſation ausgeſchloſſen alle in rem actiones, und vielleicht noch manche andere. Jetzt gilt ſie allgemein, ohne Unterſchied der in rem und in personam actio, und auch bey den übrigen bisher etwa ausgeſchloſſenen Klagen.

c) § 31 J. de act. (4. 6.). Nachdem hier der Begriff der arbitraria actio aufgeſtellt iſt, fährt die Stelle ſo fort: Sed istae quidem actiones, tam in rem, quam in perso - nam inveniuntur, mit ſichtbarer Hindeutung auf die un - mittelbar vorher abgehandelten b. f. und stricti juris actio - nes, unter welchen keine in rem actiones zu finden waren.

Dann fallen noch ferner aus alle prätoriſche Klagen. Dieſes hängt damit zuſammen, daß der Character der b. f. actio ausgedrückt wurde durch den in die Intentio ein - gerückten Zuſatz ex fide bona, welcher aber nur bey der Intentio in jus concepta Sinn und Zweck hatte, als Mil -473Stricti juris, bonae fidei actiones. VI. derung des ſtreng lautenden dare facere oportet, nicht bey der Intentio in factum concepta, ſo wie es alle prätori - ſche Klagen ohne Ausnahme waren(a)Sehr anſchaulich wird die - ſes aus der doppelten formula der depositi actio bey Gajus IV. § 47. Die in jus heißt: Quid - quid dare facere oportet ex fide bona, und hier erſcheint der Zuſatz als Modification des au - ßerdem unbedingten oportet. Da - gegen heißt die in factum: Si paret Agerium mensam argen - team deposuisse, und bey dieſer reinen Thatſache hätte die Modi - fication ex fide bona gar keinen Sinn gehabt, wie ſie denn in der That dabey nicht ausgedrückt iſt. In der Macht des Richters ſollte darum für dieſe beiden Formeln kein Unterſchied ſeyn; die wörtliche Vorſorge aber wurde nur neben dem gefährlichen Wort oportere nöthig gefunden. Dasjenige nun, was hier ausnahmsweiſe bey ei - nigen wenigen Civilklagen galt, war bey den prätoriſchen Klagen (die insgeſammt in factum con - cipirt waren) als allgemeine Re - gel zu betrachten, ohne daß in je - nen oder dieſen Fällen die freye Macht des urtheilenden arbiter durch den Zuſatz ex fide bona in der Formel geſichert zu werden brauchte.. Eine ſcheinbare Einwendung gegen dieſe Behauptung könnte auf eine Stelle der Digeſten gegründet werden, nach welcher bey einer prätoriſchen Klage, die alſo in factum war, dennoch der bona fides Erwähnung geſchehen konnte(b)L. 11 § 1 de dolo (4. 3.). Die actio de dolo, ſagt Ulpian, ſoll nicht gegeben werden den Kin - dern gegen die Eltern, dem Frey - gelaſſenen gegen ſeinen Patron u. ſ. w. Quid ergo est? in horum persona dicendum est, in factum verbis temperandam actionem dandam, ut bonae fidei mentio fiat. Das heißt: die Intentio ſoll nicht, wie gewöhnlich ſo lau - ten: Si paret, dolo malo Negi - dii factum esse rel. Wie ſie nun vielmehr gefaßt werden konnte, ſagt uns, übereinſtimmend mit Ul - pian, Cicero ad Att. VI. 1 med. si ita negotium gestum est ut eo stari non oporteat ex fide bona, oder in anderen ähnlichen Worten, wodurch nur der Begriff des dolus bezeichnet, und doch der Ausdruck umgangen wurde. (Vgl. Heffter observ. in Gaji Comm. IV. p. 79). Die Worte ex fide bona dienten nun zur Characte - riſtik der bloßen Thatſache, wie denn auch das daneben ſtehende opoteat einen blos factiſchen Sinn hat, nicht den ſtreng juriſtiſchen, wie in der Intentio in jus con - cepta. . Allein dieſe474Beylage XIII. Erwähnung iſt von der die b. f. actiones characteriſiren - den Clauſel weſentlich verſchieden, indem ſie nur dazu die - nen ſollte, das ſchimpfliche Wort dolus zu umgehen, ohne doch dem Sinn Etwas zu vergeben. Es gehörte alſo hier die bona fides zur näheren Beſtimmung der Thatſache der Intentio in factum concepta, nicht zur Milderung des ſtrengen oportere, ſo daß die hier angeführte Klage mit dem eigenthümlichen Begriff der bonae fidei actio Nichts gemein hat, als den Gebrauch des Ausdrucks bona fides.

Endlich fallen aus jener Eintheilung heraus die extra - ordinariae actiones, und dieſe Behauptung wird wohl am Wenigſten Widerſpruch finden, da bey denſelben überhaupt kein Judex vorkam, deſſen Stellung doch bey jener Ein - theilung das wichtigſte Moment war.

VII.

Bey den zahlreichen Klagen, die hier von der Bezeich - nung als str. j. oder b. f. actiones ausgeſchloſſen worden ſind, muß darum nicht weniger unterſucht werden, ob ſie ſich in ihrer Natur und gerichtlichen Behandlung der einen oder der andern Art annäherten. Denn der Gegenſatz der ſtrengen und freyen Klagen iſt in der That ein allgemei - ner, und in ihm muß daher auch jeder der oben ausge - ſchloſſenen Klagen ihre beſtimmte Stelle angewieſen wer - den. Es iſt alſo für alle Arten der ausgeſchloſſenen Kla - gen die Frage zu beantworten, ob ſie von einem judex oder einem arbiter entſchieden wurden, und hiernach wird475Stricti juris, bonae fidei actiones. VIII. es ſich zugleich richten müſſen, ob die freyere Macht des Richters, die hier für die b. f. actiones nachgewieſen wor - den iſt, auch bey ihnen eintrat oder nicht. Hieraus er - giebt es ſich aber, daß die hier durchgeführte engere Be - gränzung jener Eintheilung, alſo auch die Ausſchließung ſo vieler Klagen von derſelben, mehr eine terminologiſche als eine reale Bedeutung hat.

VIII.

Die civilen Delictsklagen halte ich für ſtrenge Klagen, oder eigentliche judicia. Ich ſchließe Dieſes erſtlich daraus, daß ihre Intentio auf damnum decidere oportere gerich - tet war(a)Gajus IV. § 37. 45., alſo überhaupt auf ein oportere, und zwar ohne hinzugefügte Milderung, genau ſo wie die str. j. ac - tiones. Von der actio L. Aquiliae insbeſondere wiſſen wir, daß bey ihr der Affectionswerth nicht gefordert werden konnte (Num. III. g), daß ſie alſo hierin anders behandelt wurde, als die b. f. actiones; hierin mag eine einzelne Be - ſtätigung der aufgeſtellten allgemeinen Anſicht gefunden werden. Von großer Erheblichkeit war wohl die ſtrenge Natur dieſer Klagen nicht, weil die meiſten Verhältniſſe, die einen praktiſch wichtigen Unterſchied zwiſchen den str. j. und b. f. actiones mit ſich führten (Num. III. IV. ), bey ihnen ſeltner zur Sprache kommen konnten.

Die hier aufgeſtellte Regel mußte alſo gelten für fol - gende Klagen: actio furti nec manifesti, oblati, con -476Beylage XIII. cepti(b)Gajus III. § 190. 191., de tigno juncto(c)Digest. XLVII. 3., arborum furtim caesa - rum(d)Digest. XLVII. 7., Legis Aquiliae, injuriarum ex Lege Cornelia(e)L. 5 L. 37 § 1 de injur. (47. 10. ), § 8 J. eod. (4. 4.).. Bey weitem die meiſten Delictsklagen gehören nicht dahin, weil ſie prätoriſche Klagen waren: Dieſes gilt namentlich von der äſtimatoriſchen Injurienklage und von der actio furti manifesti(f)Gajus IV. § 189.. Auf alle dieſe Klagen alſo war zwar der Name stricti juris actio nicht eigentlich anwendbar, allein ſie wurden ohne Zweifel nach der Analogie der für dieſe aufgeſtellten Regeln beurtheilt(g)So hatte Marc Aurel die Anwendung der Compenſation auf die stricti juris actiones (ver - mittelſt einer doli exceptio) ge - ſtattet (Num. IV. c). Daß nun dieſe Anwendung, ſchon zur Zeit der alten Juriſten, auch bey den Delictsklagen gemacht wurde, zeigt L. 10 § 2 de compens. (16. 2.)..

IX.

Von den civilen in rem actiones muß im Allgemeinen behauptet werden, daß ſie freye Klagen oder arbitria wa - ren, und daher ganz nach Art der b. f. actiones behandelt wurden, obgleich dieſer Name freylich ihnen nicht beyge - legt werden darf.

Ich fange an mit dem Eigenthum. Aus dieſem konnte, zur Zeit des ausgebildeten Formularprozeſſes, in drey ver - ſchiedenen Formen geklagt werden: mit einer Sacramenti Legis actio vor den Centumvirn, per sponsionem, und durch eine petitoria formula(a)Gajus IV. § 91 95.. Die erſte Form wurde477Stricti juris, bonae fidei actiones. IX. wahrſcheinlich durch den höheren Werth des Gegenſtandes mit Nothwendigkeit herbeygeführt, zwiſchen den Zwey letz - ten Formen hatte wahrſcheinlich der Kläger die Wahl.

Die Centumviralklage nun fällt gar nicht in das Ge - biet unſrer Frage, da ſie ganz außer dem ordo judiciorum lag (Syſtem § 213). Wie ſtreng oder frey die Behand - lung war, muß aus Mangel an Nachrichten dahin geſtellt bleiben. Im Juſtinianiſchen Recht iſt davon keine Spur mehr übrig. Die Sponſionsklage war gar nicht in rem; vielmehr wurde hier durch eine erzwungene Stipulation der Streit zwiſchen dem Eigenthümer und dem Beſitzer künſtlicherweiſe in ein Contractsverhältniß verwandelt, und nun war freylich die Klage aus dieſer Stipulation eine stricti juris actio, die allerdings im letzten Reſultat die Entſcheidung über das ſtreitige Eigenthum herbeyführte. Die petitoria formula alſo war die einzige, aus dem Eigenthum entſpringende, reine in rem actio; ſie iſt die Klage, welche wir in unſren Rechtsquellen als rei vindi - catio vorfinden. Dieſe nun war eine freye Klage, ein arbitrium, worin der arbiter völlig eben ſo freye Hand hatte, wie in einer bonae fidei actio. Es zeigt ſich dieſe freye Macht zuerſt darin, daß der Richter den Kläger ab - zuweiſen hatte, wenn der Beklagte nicht beſaß, obgleich davon Nichts in der formula ſtand(b)L. 9 de rei vind. (6. 1.). Officium autem judicis in hac actione in hoc erit, ut judex inspiciat, an reus possideat. Daß davon Nichts in der Formel ſtand, folgt nicht blos aus dieſen Worten ſelbſt, ſondern es erhellt auch unmittelbar aus den vorhan -. Sie zeigt ſich478Beylage XIII. aber auch in dem möglichen Umfang der Verurtheilung, der ganz eben ſo ausgedehnt war, wie in irgend einer b. f. actio(c)L. 68 de rei vind. (6. 1. ), L. 91 pr. de V. O. (45. 1.). .. in vindicatione hominis, si neglectus a possessore fue - rit, culpae hujus nomine tene - tur possessor ; bey der Klage aus der Stipulation gelte dieſe Verpflichtung nicht..

Die Servituten waren, eben ſo wie das Eigenthum, durch eine petitoria formula geſchützt, und die confessoria actio iſt in der That dieſe Klage. Dabey nun wird das völlig freye officium judicis gleichfalls bezeugt(d)L. 7 si servitus (8. 5.)..

Das Erbrecht wurde in denſelben Drey Klagformen geſchützt, wie das Eigenthum. Die Sacramenti Legis actio und die Sponſionsklage werden von Cicero erwähnt(e)Cicero in Verrem I. 45. Da er die petitoria formula da - neben nicht erwähnt, ſo möchte man annehmen, dieſe ſey hier erſt ſpäter anerkannt worden.. Die petitoria formula iſt hier die Klage, welche in Juſti - nians Rechtsbüchern als hereditatis petitio bezeichnet wird. Hier nun gieng das officium judicis gleichfalls auf Unter - ſuchung des Beſitzes des Beklagten(f)L. 10 § 1 de her. pet. (5. 3.).; eben ſo war der arbiter angewieſen, manche Exceptionen zu berückſichtigen, auch wenn ſie nicht in der Formel ausgedrückt waren(g)L. 58 de her. pet. (5. 3.). Respondi, et si non ex - ciperetur, satis per officium judicis consuli. Es iſt hier die doli exceptio gemeynt, vgl. oben Num. IV. a. . Sie hatte alſo eine eben ſo freye Natur, wie die b. f. actiones. Juſtinian ſagt, es ſey darüber geſtritten worden,(b)denen Formeln. Gajus IV. § 92. Cicero in Verrem II. 12. (Vgl. Syſtem § 209. c).479Stricti juris, bonae fidei actiones. IX. ob ſie ſelbſt eine b. f. actio ſey, und er ſpricht ihr dieſen Character zu(h)L. 12 § 3 C. de pet. her. (3. 31. ), § 28 J. de act. (4. 6.).. Welche Bedeutung der von ihm er - wähnte frühere Streit hatte, wiſſen wir nicht, und die Beylegung des Namens einer b. f. actio müſſen wir nach der Analogie anderer Klagen für unpaſſend halten. Viel - leicht iſt jener Streit und dieſe Benennung darauf zu be - ziehen, daß die hereditatis petitio, verglichen mit anderen in rem actiones, eine eigenthümliche Natur durch die be - ſchränktere Beſchaffenheit der Perſon des Beklagten hat (Syſtem § 208. k), wodurch ſie einige Ähnlichkeit mit den Klagen in personam bekommt. Es kommt hinzu, daß die perſönlichen Leiſtungen, die in allen Klagen in rem neben dem Hauptgegenſtand vorkommen können, bey dieſer Klage ausgedehnter zu ſeyn pflegen als bey anderen, namentlich als bey der Eigenthumsklage, weshalb ſie auch einmal geradezu eine mixta personalis actio genannt wird(i)L. 7 C. de pet. her. (3. 31.)., obgleich jener blos factiſche und relative Unterſchied den eigentlichen Character der Klage nicht ändern kann. Ganz beſonders aber tritt der Umſtand hinzu, daß nach dem Senatusconſult vom J. Chriſti 129 dieſe Klage ſehr häufig Statt finden konnte, obgleich alle Erbſchaftsſachen bereits veräußert, oder auch durch pro herede usucapio in das Eigenthum des Beſitzers übergegangen waren(k)L. 20 § 6 de her. pet. (5. 3. ), Gajus II. §. 57., in wel -480Beylage XIII. chen Fällen freylich nur noch mit Hülfe von Fictionen die Klage als eine in rem actio angeſehen werden konnte.

Unter den in rem actiones, welche ein Familienver - hältniß zum Gegenſtand haben, iſt nur allein das liberale judicium eine Civilklage; bey den übrigen, welche präto - riſche Klagen ſind, kann die hier verhandelte Frage gar nicht vorkommen (§ 216. a). Das liberale judicium nun ſcheint vorzugsweiſe vor dem Centumviralgericht verhan - delt worden zu ſeyn; vor einem einzelnen Richter verhan - delt, möchte es wohl ein ſtrenges judicium geweſen ſeyn.

X.

Die ſehr zahlreichen honorariae actiones waren ohne Zweifel insgeſammt freye Klagen oder arbitria, ſo gut als die bonae fidei judicia. Sie führen nicht dieſen Namen, weil ſich bey ihnen die freye Behandlung von ſelbſt ver - ſtand, und nicht erſt durch die Clauſel ex fide bona ge - ſichert zu werden brauchte (Num. VI.).

Was endlich die extraordinariae actiones betrifft, ſo iſt nicht zu zweifeln, daß in ihnen dieſelbe Freyheit der Beurtheilung galt, wie in den b. f. actiones. Wenigſtens von einer Beſchränkung der Macht des Judex konnte bey ihnen unmöglich die Rede ſeyn, da hier die richterliche Obrigkeit ſelbſt die Function des Judex übernahm.

XI.

Iſt nun bisher der gemeinſchaftliche Umfang der stricti481Stricti juris, bonae fidei actiones. XI. juris und bonae fidei actiones nach außen hin, im Ver - hältniß zu den ihnen fremden Klagen, begränzt worden (Num. VI X.), ſo bleibt jetzt noch übrig unter ihnen ſelbſt die rechte Gränze zu ziehen, alſo zu beſtimmen, welche einzelne Klagen unter die eine, welche unter die andere dieſer beiden Klaſſen gehörten.

Für die stricti juris actiones oder condictiones kann dieſe Beſtimmung hier nur vorläufig, und in einer allge - meinen Überſicht, verſucht werden, die genauere Unter - ſuchung ſelbſt muß der beſonderen Abhandlung über die Condictionen (Beylage XIV. ) vorbehalten bleiben.

Die Fälle, in welchen dieſelben zur Anwendung kamen, laſſen ſich auf Drey Klaſſen zurück führen: Datum, ex - pensum latum, stipulatum(a)Cicero pro Roscio Com. C. 5. Pecunia petita est cer - ta Haec pecunia necesse est, aut data, aut expensa lata, aut stipulata sit. Vor - her (C. 4) wird geſagt: Adnume - rasse sese negat: expensum tulisse non dicit, cum tabulas non recitat: reliquum est, ut stipulatum se esse dicat. Prae - terea enim, quemadmodum certam pecuniam petere pos - sit, non reperio. L. 9 § 3 de R. C. (12. 1.). .. ex om - nibus contractibus haec certi condictio competit, sive re fue - rit contractus factus, sive ver - bis, sive conjunctim .. Es iſt ausgelaſſen sive litteris, weil dieſe Form des Vertrags zu Ju - ſtinians Zeit verſchwunden war. Allerdings ſprechen beide ange - führte Stellen nur von der certi condictio, die auf eine beſtimmte Summe in baarem Geld gieng; allein die ausſchließende Beſchaf - fenheit der drey Entſtehungsgründe war allen str. j. actiones gemein..

Unter das Datum gehört zuerſt das Darlehen; dann aber auch viele andere Thatſachen, welche einer andern Perſon Stücke unſres Vermögens irrigerweiſe, ohne wahren Rechts - grund, zuführen. Hieraus entſpringen die condictio inde -V. 31482Beylage XIII. biti, sine causa, ob causam datorum, ob turpem vel in - justam causam, furtiva, welche alle unzweifelhaft unter die str. j. actiones gehören.

Expensum latum iſt der alte Literalcontract, deſſen ſtreng wirkende Natur keinem Zweifel unterworfen iſt.

Das Stipulatum endlich, als gleichfalls unzweifelhafter Entſtehungsgrund von stricti juris Klagen, iſt unter allen dieſen Fällen der wichtigſte. Schon hier aber iſt es nöthig, auf zwey, an ſich verſchiedene, Beziehungen der Stipula - tion aufmerkſam zu machen. Sie war nämlich erſtens Entſtehungsgrund von stricti juris actiones, und dieſe Be - ziehung hat ihre gegenwärtige Erwähnung veranlaßt. Sie war aber auch zweytens die einzige, im Römiſchen Recht enthaltene, ganz allgemeine Vertragsform, wodurch jeder beliebige Inhalt die Natur einer klagbaren Obliga - tion erhalten konnte, und dieſe ihre wichtige Eigenſchaft wäre an ſich auch mit einer aus ihr entſpringenden b. f. actio vereinbar geweſen; von dieſer Bemerkung wird ſo - gleich noch weiterer Gebrauch gemacht werden. Durch dieſe zweyte Beziehung unterſchied ſich die Stipulation von allen anderen Verträgen; der Kauf z. B., die Socie - tät, das Mandat u. ſ. w. haben ſtets nur einen einzelnen Zweck und Inhalt: die expensilatio aber, obgleich durch die Unbeſtimmtheit der Zwecke mit der Stipulation ver - wandt, war wenigſtens darin beſchränkter, daß ſie nur auf Geſchäfte in Geld angewendet werden konnte, nicht auf Sachen anderer Art, noch auf Arbeit.

483Stricti juris, bonae fidei actiones. XII.

Der ausgedehnte und mannichfaltige Gebrauch der Stipulation zur Begründung privatrechtlicher Anſprüche, die außerdem gar nicht vorhanden geweſen wären, zeigt ſich ſehr deutlich in folgender merkwürdigen Erzählung. Im Jahr der Stadt 512 erfochten die Römer einen großen Sieg über die Flotte der Karthager, weshalb dem Conſul Lutatius der Triumph geſtattet wurde. Der Prätor Va - lerius behauptete, daß Er das größere Verdienſt bey der Schlacht gehabt habe, und um darüber einen Richter - ſpruch zu erhalten, veranlaßte er den Conſul zu einer Sponſion, worauf ein gewöhnlicher Judex über die Streit - frage entſchied(b)Valer. Max. II. 8. 2. Ohne Zweifel war die Sponſion auf eine Geldſumme gerichtet, wahr - ſcheinlich nur zum Schein, alſo inſofern ähnlich einer sponsio praejudicialis (wie bey Gajus IV. § 94.). Es kam nur auf einen Ausſpruch über den Ehren - punkt an. Wir drücken dieſes Verfahren, hier wie bey den ge - richtlichen Sponſionen, gewöhnlich als eine Wette aus, und das war auch jede gegenſeitige Stipu - lation (sponsio mit restipulatio) allerdings; allein das juriſtiſche Weſen ſolcher Wetten beſtand doch.

Dieſe dreyerley Entſtehungsgründe der str. j. actiones laſſen ſich wiederum auf ein einfaches Princip zurück füh - ren, welches erſt in der nachfolgenden Abhandlung von den Condictionen gezeigt werden kann.

XII.

Für die Anwendung der b. f. actiones finden wir kein allgemeines Princip aufgeſtellt, wohl aber ein Verzeichniß31*484Beylage XIII. in den Inſtitutionen(a)§ 28. 29 J. de act. (4. 6.)., welches offenbar nicht blos Bey - ſpiele angeben, ſondern die Fälle ſelbſt vollſtändig aufzäh - len will. Cicero giebt mehrere, damit faſt ganz überein - ſtimmende, Beyſpiele an(b)Cicero top. C. 17, de officiis III. C. 15. 17, de natura deorum III. 30, in welcher letzten Stelle ſehr fein unterſchieden wer - den die judicia de fide mala (welche infamiren wie tutelae u. ſ. w.), und reliqua quae con - tra fidem fiunt (wie emti u. ſ. w.). Die entſprechende Stelle des Gajus enthielt auch ein vollſtändiges Verzeichniß, ſie iſt aber lückenhaft geblieben, und außerdem durch Schreib - fehler entſtellt(c)Gajus IV. § 62.. Alle an dieſen Orten vorkommende Fälle halten ſich in den, für die b. f. actiones oben ange - gebenen Gränzen (Num. VI.). Die in den Inſtitutionen vorkommenden Fälle lauten ſo: § 28. Bonae fidei sunt hae: ex empto vendito, lo - cato conducto, negotiorum gestorum(d)In dieſer Klage iſt nun zu - gleich mit begriffen die funeraria actio, die ſich ja von ihr über - haupt nur durch eine noch ausge - dehntere Macht des Judex unter - ſcheidet. L. 14 § 13 de relig. (11. 7.)., mandati, depositi, pro socio, tutelae, commodati, pigneraticia, familiae erciscundae, communi dividundo(e)Man hat geglaubt, Dieſes habe zur Zeit des Gajus noch nicht gelten können, wegen der ſtrengen Formel: quantum adju - dicari oportet, judex Titio ad - judicato (IV. § 42.). Vgl. Heff - ter observ. in Gajum Comm. IV. Allein daneben konnte noch ſehr wohl ſtehen: quidquid dare facere oportet ex fide bona, condemnato. Schon Julian er - klärt jene Klage für eine b. f. actio. L. 24 pr. comm. div. (10. 3.). Die Zeugniſſe des Ul - pian und Paulus (L. 4 § 2 L. 14 § 1 eod.) würden in dieſer Hin - ſicht allerdings Nichts beweiſen. Die actio finium regundorum ſcheint nicht aus Verſehen, ſondern abſichtlich übergangen, und der Grund möchte wohl darin liegen,, prae -(b)immer in den dazu angewendeten Stipulationen.485Stricti juris, bonae fidei actiones. XII. scriptis verbis quae de aestimato proponitur, et ea quae ex permutatione competit(f)Manche haben angenommen, nur dieſe zwey Fälle der actio praescriptis verbis ſeyen b. f., weil nur ſie hier genannt ſeyen; es iſt jedoch kaum denkbar, daß irgend ein anderer Fall derſelben, ſo wie ſie in L. 5 praescript. verbis (19. 5. ) zuſammengeſtellt ſind, stricti juris ſeyn ſollte. Namentlich ſteht damit ganz im Widerſpruch die ſehr allgemeine Äußerung Ulpians in L. 1 pr. de aestim. (19. 3. ) quotiens enim de nomine contractus alicujus ambigeretur, dandam aesti - matoriam praescriptis verbis actionem: est enim negotium civile gestum, et quidem bona fide. Quare omnia et hic lo - cum habent, quae in bonae fidei judiciis diximus. Eben ſo entſcheidend iſt folgender Umſtand. Die Klage gegen Den, cui rem inspiciendam dedi, geht nur auf dolus, nicht auf culpa, wenn er von dem Geſchäft keinen Vortheil hat. L. 17 § 2 de praescr. verb. (19. 5. ), L. 10 § 1 L. 12 pr. commod. (13. 6.). Gerade Die - ſes aber iſt eine Eigenthümlichkeit der b. f. contractus. L. 108 § 12 de leg. 1. (30 un.). Im Sinn Juſtinians ſind daher jene zwey Fälle augenſcheinlich blos Beyſpiele; vielleicht hatte der alte Juriſt, von welchem ſie herrühren, ſie ſchon eben ſo gemeynt: viel - leicht waren es aber auch zu ſei - ner Zeit erſt die einzigen aner - kannten Fälle überhaupt, worin eine actio praescriptis verbis gelten ſollte; ganz gewiß hat er nicht ſagen wollen, dieſe Klage gelte auch in den übrigen Fällen aber als stricti juris actio, ſon - dern wenn er die beiden Fälle in einem ausſchließenden Sinn er - wähnte, ſo wollte er für die übri - gen Fälle jede Civilklage verneinen., et hereditatis pe - titio(g)Vgl. oben Num. IX. . Im § 29 wird noch hinzugefügt die actio rei uxoriae, an deren Stelle jetzt eine actio ex sti - pulatu, gleichfalls als b. f. actio, geſetzt worden ſey.

(e)daß ſie im älteren Recht überhaupt keine gewöhnliche actio, ſondern ein ganz eigenthümliches, den Agri - menſoren zuſtehendes, arbitrium war, wobey übrigens ein ähnlich freyes Ermeſſen wie bey einer b. f. actio gelten mochte. Manche ſetzen den Grund darin, daß dieſe Klage quasi ex maleficio ge - weſen ſey (Marezoll bey Linde X. S. 290.), was jedoch nicht richtig ſcheint; denn daß der Rich - ter auch auf zufällig verübten do - lus dabey Rückſicht nehmen ſoll, iſt nichts Beſonderes, da es auch bey den zwey anderen Theilungs - klagen gilt; eigentlicher Klagegrund iſt hier der dolus niemals.

486Beylage XIII.

Cicero und Gajus fügen noch übereinſtimmend hinzu die actio fiduciae(h)Cicero de officiis III. 15. 17, ad familiares VII. 12, Ga - jus IV. § 62. Vgl. Beylage XIV. Num. V. Daher gab es denn auch eine contraria fiduciae actio. Paulus II. 13 § 7., die mit der Mancipation in Ver - bindung ſtand, und deshalb zu Juſtinians Zeit gänzlich verſchwunden war. In den Inſtitutionen hätten noch hinzugefügt werden müſſen die Klagen aus dem emphy - teuticarius contractus; denn da dieſer blos deswegen für einen eigenen Contract erklärt wurde, weil ge - zweifelt wurde, ob der Begriff der emtio oder der conductio auf ein ſolches Geſchäft anwendbar ſey, ſo konnte er nicht weniger, als dieſe beide Contracte, bonae fidei ſeyn. Er mag wohl deshalb nicht genannt ſeyn, weil zu der Zeit des K. Zeno, der ihn einführte(i)L. 1 C. de j. emphyt. (4. 66.)., die Unterſcheidung der b. f. actiones weniger wichtig war als früher, oder auch weil man ſich damit begnügte, die bey einem alten Juriſten zuſammengeſtellten Contractsklagen abzuſchreiben.

Das hier aufgeſtellte ausſchließende Verzeichniß der b. f. actiones beruhte nicht auf Willkühr; es enthielt alle diejenigen Rechtsverhältniſſe, welche, nach der Erfahrung, auf Treue und Glauben gegründet zu werden pflegten, ohne daß man die Vorſicht ſtrenger Rechtsformen anzu - wenden für nöthig hielt. Es war alſo damit ſo gemeynt, daß man in allen anderen, etwa ſeltner vorkommenden,487Stricti juris, bonae fidei actiones. XIII. Verhältniſſen, die Form der Stipulation anwenden, ſonſt aber gar nicht durch Klage geſchützt ſeyn ſollte.

XIII.

Das Verhältniß dieſer beiden Arten der Klagen zu einander ſcheint man gewöhnlich ſo zu denken, als ob die str. j. actiones exceptionelle oder privilegirte Klagen ge - weſen wären, wodurch man dem Kläger in manchen Fäl - len einen ſtrengeren Schutz gewährt hätte, in ähnlicher Weiſe etwa wie es bey uns mit der Wechſelklage un - zweifelhaft geſchieht. Dieſe Anſicht aber muß ſchon des - wegen verworfen werden, weil bey dieſer Art der Klagen Vortheile und Nachtheile des Klägers ſehr gemiſcht waren (Num. II IV.). Ferner wird dieſe Anſicht auch wider - legt durch die Faſſung der angeführten Inſtitutionenſtelle. In dieſer werden die Fälle der str. j. actiones gar nicht angegeben, wohl aber die der b. f., und zwar dieſe nicht durch ein allgemeines Princip, ſondern durch beſondere Aufzählung. Dieſes Verfahren deutet darauf hin, daß vielmehr die str. j. actiones die Regel bilden, die b. f., die daneben ſtehenden einzelnen Ausnahmen.

Und in der That muß dieſes Verhältniß von Regel und Ausnahme als das wahre anerkannt werden. Wir müſſen, als Grundlage des urſprünglichen Obligationen - rechts, einen ſtrengen Rechtsbegriff annehmen, nach welchem überhaupt keine andere Klagen aus Rechtsgeſchäften zu - läſſig waren, als die welche wir jetzt str. j. actiones nen -488Beylage XIII. nen. Sie reichten für das ſtrenge Bedürfniß hin, weil die Stipulation eine ſo allgemeine Form war, daß jede Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man - dat u. ſ. w. ſeyn, in dieſelbe eingekleidet werden konnte. In den Fällen ſolcher Rechtsgeſchäfte alſo wurde eine Forderung durch den im Namen des Staats richtenden Judex geſchützt, außer dieſen Fällen wurde ein Judex verſagt.

Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beſtändig vorkommen, daß viele Geſchäfte auf Treue und Glauben geſchloſſen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl ſolcher Ver - träge wurden, wie es auch bey uns geſchieht, erfüllt, ohne daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent - ſtand, oder wenn der eine Theil ſich darauf berufen wollte, daß er zu gar Nichts verpflichtet ſey, weil die Stipula - tion fehle, ſollte dann die richterliche Hülfe verſagt wer - den? Es lag ſehr nahe, dieſe zu geſtatten, und zwar mit Rückſicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr - ſchende Sitte und das darauf gegründete gegenſeitige Ver - trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber nicht ſowohl eine ſtrenge Verpflichtung nach Civilrecht, als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte, ſchien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch dieſen Grund beſtimmen zu laſſen. Der Prätor nöthigte die Parteyen, ſich über einen Richter in einer ähnlichen489Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV. Weiſe zu vereinigen, wie es wohl auch ohne Richter zu geſchehen pflegte (arbiter), und trug dieſem auf, den Streit ſo zu entſcheiden, wie es dem unparteyiſchen Rechtsge - fühl angemeſſen war, ohne Rückſicht auf die buchſtäblichen Vorſchriften des Civilrechts.

Der hier aufgeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsverhältniſſe könnte man nun auch noch eine hiſto - riſche Bedeutung beylegen, in folgender Weiſe. Man könnte ſagen, es habe eine, vielleicht lange, Zeit gegeben, worin die str. j. actiones die einzigen Contractsklagen überhaupt geweſen wären; ſpäterhin ſeyen auch noch die b. f. actiones zugelaſſen worden, alſo in Fällen, worin früher gar nicht geklagt werden konnte. Dieſe hiſtoriſche Behauptung iſt von der von mir hier aufgeſtellten völlig verſchieden, indem es mit der meinigen völlig vereinbar wäre, eine gleichzeitige Entſtehung der str. j. und b. f. actiones, gleich bey der erſten Bildung des ordo judicio - rum, das heißt des Formularprozeſſes, anzunehmen. Ich enthalte mich hier über dieſe hiſtoriſche Frage jeder be - ſtimmten Behauptung oder Verneinung(a)Vgl. Beylage XIV. Num. XLVII, wo dieſe Frage beſonders erörtert wird..

XIV.

Die eben angegebene Behandlung der Sache bewährt ſich in folgender Faſſung der Formeln. In den ſtrengen Kla - gen (str. j. actiones) lautete die Intentio ſo:490Beylage XIII. Si paret Negidium Centum (oder hominem) dare oportere oder: Quidquid Negidium dare facere oportet.

Dieſe letzte Intentio behielt man in den freyen Klagen bey, gab ihr aber einen Zuſatz: Quidquid Negidium dare facere oportet ex fide bona.

Dieſer Zuſatz drückte zwey in ſich zuſammenhängende Gedanken zugleich aus; erſtlich, daß überhaupt das opor - tere nicht auf die ſtrenge, formelle Regel des Civilrechts gegründet ſey, ſondern auf die Sitte und das Vertrauen, welche unter rechtlichen Menſchen herrſchen; zweytens, daß eben deshalb die Verpflichtung nach freyer Erwägung aller Umſtände, mit gleicher Billigkeit gegen beide Par - teyen, zu beurtheilen ſey.

Der Zuſatz ex fide bona war der häufigſte, und von ihm erhielt dieſe ganze Klaſſe von Klagen den Namen bonae fidei actiones. Bey einigen Klagen waren andere Ausdrücke gebräuchlich, jedoch in demſelben Sinn. So bey der actio fiduciae der Ausdruck: ut inter bonos bene agier oportet(a)Cicero de off. III. 15. 17, ad fam. VII. 12, top. C. 17. In der erſten Stelle hat die Formel noch den Zuſatz: et sine fraudatione. . Daß man dieſen Ausdruck für gleich - bedeutend hielt mit ex fide bona, erhellt aus den Stellen des Cicero und des Gajus, worin dieſelbe Klage unter die b. f. actiones gezählt wird(b)Cicero de off. III. 17, Gajus IV. § 62..

Eben ſo war bey der actio rei uxoriae herkömmlich491Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV. der Ausdruck aequius melius(c)Cicero de off. III. 15, top. C. 17. Wörtliche Anſpie - lungen darauf noch in den Dige - ſten. L. 66 § 7 sol. matr. (24. 3. ), L. 82 de solut. (46. 3.).; darum wurde nicht we - niger dieſe Klage unter die b. f. actiones gerechnet(d)§ 29 J. de act. (4. 6. ), L. 36 de pec. (15. 1.). In b. f. contractibus .. ut est in actione de dote agitatum hoc et in ceteris b. f. judiciis accipien - dum esse, L. 21 sol. matr. (24. 3.). .. si .. de dote age - ret .. ut in ceteris b. f. judi - ciis. Dieſe Stellen rühren aus denſelben Zeiten her, worin doch auch noch der Ausdruck aequius melius im Gebrauch war (Note c)..

Bey dieſem letzten Ausdruck jedoch (aequius melius) iſt zu bemerken, daß er noch eine eigenthümliche Bedeu - tung hatte. Er bezeichnete nämlich überall eine, nicht ſo - wohl in der Natur der Klage, als in den beſonderen Bedürfniſſen einiger Rechtsverhältniſſe gegründete ſo freye richterliche Beurtheilung, wie ſie ſelbſt bey den gewöhn - lichen b. f. actiones nicht vorzukommen pflegte. Daher wurde dieſer Zuſatz ſelbſt bey einigen prätoriſchen Klagen nöthig gefunden, die niemals den Zuſatz ex fide bona führten, weil ſich bey ihnen das den b. f. actiones zu - kommende freye Ermeſſen ohnehin von ſelbſt verſtand, an - ſtatt daß auch bey ihnen dieſer noch höhere Grad der freyen Macht einer beſonderen Hindeutung bedurfte. Die wenigen Klagen, in welchen dieſes ungewöhnlich freye Er - meſſen eintrat, hießen in bonum et aequum conceptae(e)Vgl. Syſtem Band 2 § 71, beſonders Note d k. Der Name actiones in bonum et aequum conceptae drückt aus, daß in der formulae conceptio die Ausdrücke bonum aequum, oder aequius melius vorkamen..

492Beylage XIII.

XV.

Um die hier dargeſtellte Natur der str. j. und b. f. actiones vollſtändig aufzufaſſen, iſt es jedoch nöthig, auch noch die verſchiedenen Arten von Übergängen zu betrach - ten, die zwiſchen jenen Klaſſen der Klagen Statt fanden.

Das freye Ermeſſen des arbiter zeigte ſich in den b. f. actiones faſt durchaus in gleicher Ausdehnung(a)Nämlich nur mit Ausnahme der wenigen actiones in bonum et aequum conceptae, für welche eine noch freyere Macht des Ar - biter galt (Num. XIV.).; dage - gen erſcheint bey den str. j. actiones die geringere Frey - heit des judex in ſehr verſchiedenen Graden. Bey der Formel: Si paret Centum dare oportere hatte der Judex nur die Wahl, entweder 100 zuzuſprechen oder ganz zu abſolviren. Bey der Formel: Si paret fundum dare opor - tere hatte er, außer jener Wahl, auch noch die Sache in Geld abzuſchätzen. Endlich bey der Formel: Quidquid dare facere oportet war das Ermeſſen in der Beſtimmung der Geldſumme nothwendig noch weit freyer. In dieſer Abſtufung iſt es einleuchtend, daß die Fälle der letzten Art ſich den b. f. actiones ſehr annäherten, wie ſie denn auch in der Abfaſſung der Intentio mit denſelben faſt ganz über - einſtimmten, und nur durch den fehlenden Zuſatz ex fide bona von ihnen unterſchieden wurden.

493Stricti juris, bonae fidei actiones. XVI.

XVI.

Noch wichtiger aber iſt es, daß die Rechtsgeſchäfte, welche eigentlich dazu beſtimmt waren, Klagen von einer dieſer Klaſſen ausſchließend hervorzubringen, durch will - kührliche Handlungen in die andere Klaſſe der Klagen hinüber geleitet werden konnten. Dieſes konnte geſchehen bald durch den Willen der Parteyen, bald durch den des Prätors.

Der Wille der Parteyen konnte jedem, ſeiner Natur nach freyen, Rechtsgeſchäft, die ſtrenge, buchſtäbliche Na - tur dadurch mittheilen, daß ſie daſſelbe in eine Stipula - tion, oder in gegenſeitige Stipulationen, einkleideten, und zwar entweder gleich Anfangs, oder auch durch eine ſpä - terhin umwandelnde Novation. Dieſes lag in der Natur der Stipulation als der allgemeinſten und unbeſtimmteſten Form der Verträge überhaupt, für jeden beſonderen In - halt gleich empfänglich, und daher auch für das in ſie eingekleidete Geſchäft ausſchließend die Norm abgebend, auch wenn dieſes Geſchäft außerdem eine andere Klage, ſey es von einer gleich ſtrengen, oder von einer freyeren, Natur zur Folge gehabt haben würde. Wurde daher ein Darlehen in eine Stipulation eingekleidet, ſo entſprang daraus eine einfache verborum obligatio(a)L. 126 § 2 de V. O. (45. 1.). .. quotiens pecuniam mutuam dantes eandem stipulamur, non duae obligationes nascuntur, sed una verborum. L. 6 § 1 L. 7 de novat. (46. 2.).. Eben ſo bey494Beylage XIII. einer Societät(b)Wurde zuerſt die Societät als ſolche ſchriftlich abgeſchloſſen, und unmittelbar nachher auf den - ſelben Inhalt ſtipulirt, ſo war An - fangs eine consensu contracta (alſo b. f.) obligatio vorhanden, die gleich nachher durch eine No - vation völlig abſorbirt wurde. L. 71 pr. pro socio (17. 2.). .. si quidem pacto convento inter eos de societate facto ita stipulati essent: haec ita dari fieri spondes? futurum fuisse, ut si novationis causa id fecissent, pro socio agi non possit, sed tota res in stipula - tionem translata videretur. Anders wäre es geweſen, wenn man nicht erſt ein pactum con - ventum de societate abgeſchloſ - ſen, ſondern die Bedingungen der Societät gleich Anfangs in Frage und Antwort gefaßt hätte; dann war nur ein einziger Vertrag, die Stipulation, vorhanden, keine No - vation. So wird die Sache aus - drücklich in Beziehung auf das Darlehen angegeben in den Stel - len der Note a. Viele Beyſpiele von Schenkungen und Kauſcon - tracten mit der Stipulationsclau - ſel am Schluß ſ. bey Spangen - berg tabulae negotiorum Num. 22. 23. 26. 49. 50. 52. 52a. 54. 55. 57. Es war nämlich auch ſehr gewöhnlich, alle genauere Beſtim - mungen in der Geſtalt einer nuda pactio abzufaſſen, und die beſtäti - gende Stipulationsformel vorher oder hintenan zu ſtellen. L. 7 § 12 de pactis (2. 14. ), Paulus II. 22 § 2, L. 27 C. de pactis (2. 3.). Man hätte eben ſo gut den gan - zen Inhalt der Verabredung un - mittelbar in die Frage aufnehmen können, wodurch nur die Rede un - behülflicher und weniger verſtänd - lich geworden wäre., einem Kauf, einem Miethcontract u. ſ. w., worin ſtipulirt worden war; hier wurde überall die b. f. actio von der ſtrengen Stipulationsklage abſorbirt, und zwar weil es die Parteyen ſo gewollt hatten, die ja be - ſondere Gründe haben konnten, die ſtrenge Klage der freyen vorzuziehen(c)Daß die Stipulation ſogar dazu gebraucht wurde, publieiſtiſche Fragen vor einen Privatrichter zu bringen, iſt ſchon oben bemerkt worden (Num. XI.).. Ganz beſonders aber wurde zum Zweck einer ſolchen Umwandlung die literarum obligatio gebraucht(d)S. u. Beylage XIV. Num. IX. .

495Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII.

XVII.

Umgekehrt konnten die Parteyen wünſchen, der Stipu - lation, ohne welche in vielen Fällen überhaupt keine klag - bare Obligation begründet werden konnte (Num. XI. ), doch zugleich die Natur einer freyen Obligation und Klage mitzutheilen. Dieſes geſchah dadurch, daß ſie eine dahin führende Beſtimmung in die Worte der Stipulation ſelbſt aufnahmen, ſo daß der Schuldner ausdrücklich dazu ver - pflichtet wurde, irgend Etwas nach Art der bona fides zu leiſten. Zu dieſem Zweck konnten gewiß geradezu die Worte bona fide gebraucht werden; eben ſo aber auch recte, fide(a)L. 122 § 1 de V. O. (45. 1. ) recte dari fieri fide. Vgl. Huschke de actionum formulis p. 31.; ja ſogar dem bloßen Worte recte wurde dieſe Kraft zugeſchrieben(b)L. 73 de V. S. (50. 16.). Haec verba in stipulatione posita: eam rem recte resti - tui fructus continent. Recte enim verbum pro viri boni ar - bitrio est. Viele Beyſpiele ſol - cher Stipulationen mit dem Wort recte ſind zuſammen getragen von Brissonius selectae ant. I. 9.. Am Häufigſten aber ge - brauchte man die Formel, welche als doli clausula be - zeichnet wird, und alſo lautet: dolum abesse abfuturum - que(c)L. 38 § 13, 121 pr. L. 22, 53, 119 de V. O. (45. 1. ), L. 4 § 16 in f. de doli exc. (44. 4.). L. 31 de receptis (3. 8. ), L. 3 C. eod. (2. 56.). Mehrere Bey - ſpiele dieſer Formel finden ſich in den Urkunden bey Spangenberg ſ. o. Num. XVI. b. .

In ſolchen Fällen nun war die Klage als ſolche keine b. f. actio; ſie wurde nicht von einem arbiter, ſondern496Beylage XIII. von einem judex beurtheilt. Der judex aber war ſelbſt durch den Buchſtaben der ihm vorgelegten Stipulation angewie - ſen, genau ſo zu urtheilen, wie er als arbiter in einer b. f. actio hätte urtheilen müſſen; Dieſes galt nicht nur in Anſehung der Zinſen und Früchte, ſondern auch eben ſo in Anſehung der in der formula nicht ausgedrückten Ex - ceptionen(d)Cujacius in L. 53 de V. O., opp. T. 1 p. 1198. Zim - mern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 184. 275. Huschke de actionum for - mulis p. 31. Dieſer Letzte nimmt es nur darin zu ſubtil, daß er be - hauptet, das Object ſey nun nach b. f. beurtheilt worden, die Obli - gation ſelbſt nicht; zu dem Object rechnet er Mora, Culpa, Zinſen, zu der Obligation die nicht aus - gedrückten Exceptionen. Allein es wird ausdrücklich geſagt, daß die doli clausula auch wirke gegen den stipulator qui dolo fecit. (Vgl. die zwey letzten Stellen in Note c). Dieſes iſt nun aber ge - rade die der bona fides eigen - thümliche Gegenſeitigkeit, wodurch eben die Beachtung der in der formula nicht ausgedrückten Ex - ceptionen zuläſſig und nöthig wird..

Hieraus erklären ſich zwey aus ſehr verſchiedenen Zei - ten herrührende Geſetze, worin Klagen aus fingirten Sti - pulationen vorgeſchrieben werden, jedoch mit Berückſichti - gung der bona fides, welches bey neueren Schriftſtellern unnöthigen Anſtoß erregt hat. Das erſte iſt die Lex Gal - liae cisalpinae, welche, im Fall der verweigerten damni infecti repromissio oder satisdatio, Klagen aus einer fin - girten Stipulation in folgenden Worten vorſchreibt: C. 20 vers. 26. 27 quicquid eum Q. Licinium ex ea stipulatione Sejo dare facere oporteret ex fide bona und eben ſo wiederholt (für die Satisdation) in den Zei -497Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII. len 35. 36. Es fällt allerdings auf, in der Intentio einer Stipulationsklage die Worte ex fide bona zu leſen; ſie wären überflüſſig geweſen, wenn der Judex den Text einer wirklich mit dieſer Clauſel abgeſchloſſenen Stipulation vor ſich gehabt hätte, und ſie wurden hier aus Vorſicht hin - zugefügt, weil die Stipulationen, woraus geklagt werden ſollte, blos fingirt waren.

Eben ſo ſetzte Juſtinian an die Stelle der alten actio rei uxoriae eine auf fingirter Stipulation beruhende actio ex stipulatu, lediglich um die Klage vererblich zu machen. Dieſer neuen Klage theilt er ganz die Natur der alten, als einer b. f. actio, mit, und er verfährt hierin ganz im Geiſt des älteren Rechts, indem er offenbar eine Stipula - tion mit der doli clausula fingiren will, ganz wie es ſchon die Lex Galliae cisalpinae gethan hatte. Nur darin iſt ſein Ausdruck dem älteren Recht nicht gemäß, daß er die neu eingeführte Klage geradezu eine b. f. actio nennt(e)§ 29 J. de act. (4. 6. ) ex stipulatu actio, quae pro ea introducta est, naturam bo - nae fidei judicii tantum in ex - actione dotis meruit, ut bonae fidei sit. In dem urſprünglichen Geſetz, welches im Codex ſteht, iſt der Ausdruck vorſichtiger. L. un. § 2 C. de rei ex. act. (5. 13. ) accommodetur ei natura rei uxoriae, et bonae fidei benefi - cium. . Dieſer Ausdruck wäre zur Zeit des älteren Rechts erheb - lich geweſen, indem nun ein arbiter anſtatt eines judex hätte urtheilen müſſen. In Juſtinians Zeit war Dieſes, wegen der allgemeinen extraordinaria judicia, gleichgültig, indem es nur noch auf den Erfolg der Klage und den Inhalt des Urtheils ankommen konnte.

V. 32498Beylage XIII.

Derſelbe Erfolg, welchen die doli clausula einer Sti - pulation herbeyführte, konnte auch noch auf einem ande - ren Wege bewirkt werden, wenn nämlich als Inhalt der Stipulation ausgedrückt wurde die Geſammtheit der Ver - pflichtungen, welche bisher aus einem b. f. contractus ent - ſprungen waren, z. B. wenn ein Verpächter von dem Pächter ſtipulirte: quidquid te mihi dare facere opor - tet(f)L. 89 de V. O. (45. 1. ), L. 1 § 4 quar. rer. actio (44. 5. ), L. 27 de novat. (46. 2.).. Denn durch dieſe Faſſung wurde gerade derjenige Inhalt in die Stipulation gelegt, den außerdem die locati actio gehabt haben würde.

XVIII.

Es geſchah aber nicht blos durch den Willen der Par - teyen, daß freye Klagen in ſtrenge verwandelt wurden, ſondern auch der Prätor pflegte nicht ſelten eine ſolche Verwandlung zu bewirken. Wo er es jedoch aus eigenem Antriebe that, da lag nicht ſowohl die Abſicht zum Grunde, die ſtrenge Prozeßart der freyen vorzuziehen, als vielmehr beſtimmte Strafen vertragsmäßig herbeyzuführen, wozu die Stipulation die einzige Form darbot (Num. XI.).

Die actio constitutae pecuniae war vom Prätor neu eingeführt, alſo ein arbitrium; um aber ihre Wirkung zu verſtärken, zwang der Prätor den Beklagten zu einer Sti - pulation, worin er dem Kläger eine Succumbenzſtrafe499Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX. von Fünfzig Prozenten der eingeklagten Summe ver - ſprach(a)Gajus IV. § 171..

Die prohibitoriſchen Interdicte (wie uti possidetis) waren prätoriſche Klagen; mit ihnen aber wurden ſtets erzwungene Strafſtipulationen verbunden(b)Gajus IV. § 141.. In der Re - gel verhielt es ſich eben ſo mit den reſtitutoriſchen und exhibitoriſchen Interdicten; nur konnte hier ſowohl der Kläger, als der Beklagte, dieſen Zuſtand dadurch ändern, daß er eine arbitraria formula verlangte(c)Gajus IV. § 141. 162 165. Es iſt hier meiſt nur von dem Beklagten die Rede, weil es et - was Beſonderes war, daß dieſer dem Antrag des Klägers auf Spon - ſion ausweichen konnte. Der Klä - ger hatte, wie ſich von ſelbſt ver - ſtand, die Wahl zwiſchen beider - ley Anträgen gleich Anfangs in ſeiner Macht..

Bey dem Streit über Eigenthum ſtand es wohl in der Wahl des Klägers, ob die ſtrenge Sponſionsklage, oder die freye petitoria formula angewendet werden ſollte (Num. IX.). Der einzige Zweck dieſer Wahl beſtand, wie es ſcheint, gerade in der erwähnten Verſchiedenheit des Ver - fahrens. Zwar war die Sponſion auf eine Geldſumme gerichtet, aber nur zum Schein, da das Geld gar nicht eingefordert wurde; ohnehin war die Summe ſo klein, daß ſie ſchon deshalb nicht als ein ernſtlicher Zweck ge - dacht ſeyn konnte(d)Gajus IV. § 93. 94..

XIX.

Umgekehrt kam es auch ſehr oft vor, daß durch den32*500Beylage XIII. Willen des Prätors ſolche Klagen, die an ſich str. j. actio - nes waren, die Natur von freyen Klagen mitgetheilt be - kamen, ja es läßt ſich wohl annehmen, daß dieſes überall geſchah, wo vom Prätor eine Stipulation erzwungen wurde, die nicht gerade auf eine Strafe gerichtet war (XVIII.). Die Rechtsform, wodurch dieſe Modification bewirkt wurde, war dann dieſelbe, wie wenn der Wille der Parteyen eine ſolche Veränderung herbeyführte (XVII.). Es wurde nämlich in die erzwungene Stipulation die doli clausula aufgenommen, wodurch der str. j. actio, die nun allerdings (vor einem judex) eintreten mußte, derſelbe Er - folg geſichert war, der bey einer b. f. actio (vor einem arbiter) eingetreten ſeyn würde.

Ich will hier die Fälle erzwungener Stipulationen zu - ſammen ſtellen, von welchen wir beſtimmt wiſſen, daß ſie die doli clausula in ſich ſchloſſen.

Die Stipulation von Bürgen, wodurch jeder Fructuar dem Eigenthümer Sicherheit beſtellen muß(a)L. 5 pr. usufr. quemadm. cav. (7. 9.)..

Die Bürgſchaft, wodurch die Wirkung einer operis novi nunciatio abgewendet wird(b)L. 21 § 2 de op. novi nunc. (39. 1.)..

Die Stipulationen wegen damnum infectum(c)Hier haben wir kein ſo wört - liches Zeugniß, wie für die übri - gen Fälle, allein die in L. 28 L. 40 pr. de damno inf. (39. 2. ) anerkannte freye Beurtheilung läßt keinen Zweifel, daß auch da die doli clausula eingerückt zu wer - den pflegte. Huschke de actio - num formulis p. 31. Es war hier übrigens bald eine bloße re - promissio, bald eine satisdatio. .

501Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX.

Verſchiedene Bürgſchaften in Beziehung auf Legate(d)L. 1 pr. § 3 si cui plus (35. 3. ), L. 1 pr. ut legat. (36. 3.). (Eine Folge aus dieſer Natur der Stipulation im § 13 eod.)..

Die prozeſſualiſche Bürgſchaft judicatum solvi(e)L. 17 19 judic. solvi (46. 7. ), L. 45 de her. pet. (5. 3.).; des - gleichen ratam rem haberi(f)L. 22 § 7 ratam rem (46. 8.)..

Außerdem aber, und was noch wichtiger war, kamen vielleicht ſolche Stipulationen mit doli clausula bey jeder Litisconteſtation vor, ſolange der ordo judiciorum beſtand, ſo daß nur durch deſſen Untergang zugleich die Nachricht von jenen Stipulationen aus unſren Rechtsquellen ver - ſchwunden ſeyn möchte. Dadurch allein läßt ſich auf un - gezwungene Weiſe die ſchon oben mitgetheilte Thatſache erklären, daß für jede stricti juris obligatio, von der Zeit der Litisconteſtation an, ähnliche Wirkungen eintraten, wie ſie außerdem nur bey den bonae fidei contractus wahrgenommen werden, ſo daß von dieſer Zeit an die omnis causa geleiſtet werden mußte (Num. III. d. e.).

Endlich auch, von allen dieſen Modificationen abge - ſchen, brachte der Prätor in jedem einzelnen Fall ſchon dadurch die ſtrengen Klagen den freyen näher, daß er eine doli exceptio gab, ſo oft ſich dazu hinreichende Ver - anlaſſung darbot. Denn die Beachtung der etwa vorhan - denen Exceptionen war nur inſofern ein eigenthümlicher Vorzug der b. f. actiones, als der Richter aus eigener Macht bey ihnen darauf Rückſicht nehmen ſollte; der Prä -502Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones. tor aber war an dieſen Unterſchied auf keine Weiſe ge - bunden (Num. V.).

XX.

Faſſen wir die hier dargeſtellten Übergänge, welche zwiſchen beiden Klaſſen von Klagen wahrgenommen wer - den (Num. XVI XIX. ) zuſammen, ſo erſcheint darin das Beſtreben, den ſtrengen Klagen eine freyere Natur mitzu - theilen, vorherrſchend vor dem entgegengeſetzten Verfahren. Wir dürfen alſo wohl annehmen, daß man die Eigenthüm - lichkeit der stricti juris actiones nicht etwa als das an ſich Beſſere, Wünſchenswerthe anſah, ſondern nur als die aus der älteren Zeit als vorherrſchend betrachtete Regel, von deren Feſſeln man ſich allmälig frey zu machen ſuchte. Es geſchah aber Dieſes auf dieſelbe Weiſe, die wir auch in der Entwicklung anderer Inſtitute des Römiſchen Rechts wahrnehmen; nicht plötzlich, vermittelſt eines durchgreifen - den Acts der Geſetzgebung, ſondern durch eine Nachhülfe in einzelnen Fällen, die ſich der älteren Rechtsform unge - zwungen und fortbildend anſchloß, ſo daß die ſtrengere und freyere Form lange Zeit neben einander beſtanden, und auch der individuellen Willkühr ein weiter Spielraum hierin gelaſſen wurde.

503Beylage XIV. Die Condictionen. I.

Beylage XIV. Die Condictionen. (Zu § 218 220.)

I.

Schon oben iſt die Behauptung aufgeſtellt worden, der Ausdruck condictio ſey völlig gleichbedeutend mit stricti juris actio, und hierin eben liege der Grund, weshalb die - ſer letzte Ausdruck ſo ſelten in unſren Rechtsquellen ge - braucht werde(a)Beylage XIII. Num. 1.. Der Sinn dieſer Behauptung wird nun durch die in der vorhergehenden Beylage geführte Unterſuchung näher dahin beſtimmt, daß unter condictio zu verſtehen iſt die perſönliche Civilklage aus einem Rechts - geſchäft, inſofern dieſe Klage zugleich ſtrenger Natur, das heißt nicht durch den Zuſatz ex fide bona in das freyere Ermeſſen des Judex geſtellt war. Durch dieſe Beſtim - mungen ſind demnach von dem Gebiet der Condictionen ausgeſchloſſen: alle honorariae actiones, alle Klagen in rem, alle Delictsklagen, alle b. f. actiones.

Ein unmittelbares Zeugniß für die völlig gleiche Be - deutung beider Kunſtausdrücke läßt ſich hier noch nicht504Beylage XIV. angeben, da die Stellen des Gajus, die allerdings als Zeug - niſſe dafür gelten können, erſt noch mancher Vorbereitung bedürfen, um völlig verſtanden zu werden. An dieſer Stelle kann ich mich nur erſt darauf berufen, daß in der That alle bekannte Condictionen stricti juris ſind, und daß die ſo eben von dem Gebiet der Condictionen ausgeſchloſſenen Klagen auch in der That den Namen condictio nicht füh - ren(b)Man könnte gegen dieſe letzte Behauptung einwenden: 1) Aus Delicten entſtehe die condic - tio furtiva und zuweilen eine condictio ex L. Aquilia (L. 9 § 1 de R. C. 12. 1.). Es wird aber unten gezeigt werden, daß dieſe Klagen nicht aus Delicten, ſondern aus contractsähnlichen Rechtsgeſchäften entſtehen. 2) L. 19 § 2 de prec. (43. 26. ) in - certi condictione, id est prae - scriptis verbis, da nämlich die zuletzt genannte Klage bonae fidei iſt; allein in dieſer Stelle muß nach Handſchriften geleſen werden: incerta actione. Vgl. Syſtem § 217 o. . Allerdings wäre es denkbar, daß der Ausdruck condictio in zufälliger Abwechslung mit actio, und ohne feſte Gränze nach dieſer Seite hin, gebraucht würde. So iſt es jedoch nicht, vielmehr wird der Ausdruck außer dem angegebenen Gebiet ſorgfältig vermieden, ja, was ganz entſcheidend iſt, es wird in einzelnen Fällen genau unterſucht, ob die Klage ex empto (welche bekanntlich bo - nae fidei iſt), oder vielmehr die condictio gelte? Die Entſcheidung fällt dahin aus, daß beide Klagen völlig begründet ſeyen, daß alſo der Kläger zwiſchen beiden die Wahl habe(c)L. 11 § 6 de act. emti (19. 1.) .. qua actione agen - dum est? utrum condicatur, quasi ob causam datus sit, et causa finita sit: an vero ex empto agendum sit? Et Julia - nus diceret, ex empto agi posse: certe etiam condici poterit, quia jam sine causa apud ven - ditorem est anulus. . Die Frage ſowohl, als die Entſcheidung,505Die Condictionen. II. ſetzt einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen beiden ſo bezeichne - ten Arten der Klagen voraus, und zwar einen ſolchen Gegenſatz, woran ſich ein practiſches Intereſſe geknüpft haben muß, da über den leeren Namen ſchwerlich ein ern - ſter Streit geführt worden wäre.

Es iſt kaum glaublich, und zeugt von der höchſten Un - klarheit, die in dieſer Lehre herrſcht, daß gerade umgekehrt von namhaften Schriftſtellern behauptet worden iſt, alle Condictionen ſeyen b. f. actiones(d)Glück B. 13 S. 8 und § 835. Dieſer Irrthum hängt mit einem anderen zuſammen, der wei - ter unten erwähnt werden wird. Num. III. e. ; eine beſondere Wi - derlegung dieſer Behauptung iſt nicht zu verlangen, es iſt nur dafür zu ſorgen, daß die Möglichkeit derſelben Jedem, der die gegenwärtige Unterſuchung bis zu Ende verfolgt, unbegreiflich erſcheine.

II.

Obgleich nun alſo die Condictionen auf ein genau be - gränztes Gebiet eingeſchränkt waren, ſo ſtanden ſie doch, als einzelne Art, unter der allgemeinen Gattung der ac - tiones. Dieſes zeigt ſich in folgenden Varietäten ihrer Bezeichnung: Actio quae vocatur condictio. pr. J. quib. mod. re (3. 14.). Actio condictionis L. 1 C. de cond. ind. (4. 5.) L. 2 C. de cond. ob causam dat. (4. 6.) Condictitia actio. L. 24 de R. C. (12. 1. ), § 1 J. quib. m. re (3. 14.) L. 7 de cond. causa data (12. 4. ), L. 3 C. 506Beylage XIV. de don. quae sub mod. (8. 55.) Condictitia § 24 J. de act. (4. 6.) L. 55 de don. int. vir. (24. 1.). L. 13 § 2 de jurej. (12. 2.).

Ja ſogar wird zuweilen in den Fällen unſtreitiger Con - dictionen der bloße Name actio, ohne den Zuſatz condic - tio, gebraucht(a)Actio pecuniae creditae. L. 70 de proc. (3. 3. ), L. 12 § 1 de distr. (20. 5.). Actio cer - tae creditae pecuniae. Gajus IV. § 13.. Dieſes geſchieht jedoch nur da, wo die Condictionennatur ohnehin ſo unzweifelhaft iſt, daß die genauere Bezeichnung als überflüſſig erſcheint; dagegen wird dieſe gewiß nie fehlen, wo es auf die Unterſcheidung einer Condiction von einer Klage anderer Art ankommt(b)Es erſcheint alſo hier eine ähnliche Zweydeutigkeit wie bey dem Ausdruck judex, welcher bald den ſtrengen Gegenſatz gegen ar - biter bezeichnet, bald den Gat - tungsbegriff, unter welchem dieſe beide Arten gemeinſchaftlich ent - halten ſind. Vgl. Syſtem § 218..

Die eben behauptete gleiche Bedeutung der Ausdrücke condictio und stricti juris actio iſt jedoch nur wahr für den ſeit der Einführung des ordo judiciorum, oder des For - mularprozeſſes, herrſchenden Sprachgebrauch. Zur Zeit der alten Legis actiones hatte der Ausdruck eine engere Bedeutung, indem er nur von zwey einzelnen Klagen gebraucht wurde(c)Gajus IV. § 18 20.. Es wird jedoch unten gezeigt werden, in welchem hiſtori - ſchen Zuſammenhang auch dieſe ältere Bedeutung mit der in unſren Rechtsquellen herrſchenden neueren gedacht wer - den muß; dieſe letzte übrigens iſt allein der Gegenſtand der hier aufzuſtellenden Unterſuchung.

507Die Condictionen. III.

III.

In der Lehre von den Condictionen ſind nunmehr Zwey gleich wichtige und ſchwierige Fragen zu beantworten: Erſtlich, welche Rechtsgeſchäfte ſind dazu geeignet, Con - dictionen (stricti juris actiones) hervorzubringen, oder: welches ſind die Bedingungen zuläſſiger Condictionen?

Zweytens, welche verſchiedene Arten der Condictio - nen kommen vor, und wie unterſcheiden ſich dieſelben durch eigenthümliche Wirkungen?

Bey der erſten Frage, nach den Bedingungen der Con - dictionen, muß vor Allem an Dasjenige erinnert werden, was darüber ſchon vorläufig, bey der Unterſuchung der b. f. actiones, bemerkt worden iſt(a)Beylage XIII. Num. XI. XII. . Dieſe letzten werden uns in einer langen Reihe einzelner Fälle aufgezählt, ohne Zurückführung auf ein Princip; von den Fällen, worin die str. j. actiones gelten ſollen, wird daneben gar Nichts ge - ſagt. Dürfen wir nun mit Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß dieſe verſchiedene Behandlung nicht auf gedankenloſer Willkühr, ſondern auf inneren Gründen, beruht, ſo läßt ſich aus dieſer unmittelbaren Wahrnehmung ſchließen, daß die Fälle, worin die Condictionen gelten ſollen, aus ei - nem einfachen, gemeinſchaftlichen Princip abzuleiten ſind, welches nur ſtillſchweigend vorausgeſetzt, nicht ausgeſpro - chen wird.

508Beylage XIV.

Neuere Schriftſteller haben ein ſolches Princip aufge - ſtellt, das ſich auf den erſten Blick dadurch empfiehlt, daß es zugleich auf beide Arten der Klagen anwendbar ſeyn würde(b)So unter andern Gans Obligationenrecht S. 15 18, wo jedoch dieſes Princip noch mit an - deren gemiſcht erſcheint.. Sie ſetzen das Weſen des Unterſchieds in die Einſeitigkeit und Gegenſeitigkeit der Rechtsgeſchäfte, ſo daß die einſeitigen stricti juris, die gegenſeitigen bonae fidei ſeyn ſollen. Allein wenn wir auf die natürlichen, ungekünſtelten Anſichten und Erwartungen der Parteyen ſehen, ſo iſt das Darlehen nicht einſeitiger, als das Com - modat und das Depoſitum(c)Die Zweydeutigkeit der Ausdrücke verbirgt und erhält hier die Unklarheit der Begriffe. Man kann nämlich die Ausdrücke bezie - hen: 1) Auf die materiellen Zwecke und Folgen, den einſeitigen und gegenſeitigen Vortheil, der bezweckt wird. In dieſer Hinſicht iſt (mit ſehr ſeltnen Ausnahmen) das Com - modat einſeitig zum Vortheil des Empfängers, das Depoſitum ein - ſeitig zum Vortheil des Gebers, der Kauf, der Miethcontract, die Societät, der Tauſchvertrag, ge - genſeitig, das Darlehen bald ein - ſeitig, bald gegenſeitig, je nach - dem es verzinslich iſt oder nicht. Hierin alſo kann gewiß nicht das Unterſcheidende der b. f. contrac - tus liegen. 2) Auf die juriſti - ſchen Folgen der Rechtsgeſchäfte d. h. die daraus entſpringenden Kla - gen; davon allein kann hier die Rede ſeyn. Wenn man auf das Weſen der Rechtsgeſchäfte ſieht, ſo muß man eine ſehr eigen - thümliche Klaſſe in denjenigen er - kennen, die einen tauſchartigen Character haben, d. h. worin Je - der Etwas leiſtet, um gegenſeitig Etwas zu empfangen, wie in dem Kauf; allein die Gränze dieſer Ge - ſchäfte fällt mit der Gränze der b. f. contractus keinesweges zuſammen.. Jedes dieſer drey Rechts - geſchäfte fängt damit an, daß Einer Etwas hingiebt, und endigt damit, daß der Andere Etwas zurück geben ſoll und darauf verklagt werden kann, wenn er es nicht frey - willig thut; dieſen Zuſammenhang denken ſich die Parteyen ganz deutlich. Außerdem aber kann allerdings bey den509Die Condictionen. III. Zwey letzten Geſchäften auch noch eine contraria actio eintreten, bey dem erſten nicht(d)Man darf nicht glauben, die contraria actio ſey an ſich bey dem Darlehen nicht denkbar. Bey dem Commodat und Depo - ſitum freylich bezieht ſie ſich auf Auslagen für die zurück zu ge - bende individuelle Sache, wovon bey dem Darlehen nicht die Rede ſeyn kann. Wenn aber eine Summe Geldes als Darlehen gegeben wird, ſo können darunter erſtlich falſche Geldſtücke ſeyn, zweytens gute, aber fremde, die nur mit Verluſt in gangbares Geld umgeſetzt wer - den können. Der Empfänger braucht hier nur gleichartige Stücke zurück zu geben, und er wird in dem an - geführten Fall am Sicherſten ge - hen, wenn er die falſchen oder fremden Geldſtücke in specie zu - rück giebt, aber eine contraria ac - tio hat er in keinem Fall, die ſich doch, wenn er das Geld mit Verluſt verwechſelte, wohl denken ließe. Liegt freylich ein Betrug zum Grunde, ſo kann er die doli actio haben, allein dieſe Delicts - klage hat mit dem Rechtsgeſchäft keinen inneren Zuſammenhang.; an dieſen ſeltenen Er - folg werden die Parteyen, wenn ſie nicht gerade Juriſten ſind, ſchwerlich denken, er hängt von zufälligen, dem Ge - ſchäft ſelbſt ganz fremden Umſtänden ab, und es erklärt ſich alſo dieſe Verſchiedenheit der Behandlung durchaus nicht aus den gewöhnlichen und wahrſcheinlichen Abſichten der Parteyen, ſondern aus derſelben freyen Behandlung der b. f. contractus, wodurch auch der arbiter berechtigt wird, auf die in der formula nicht ausgedrückten Excep - tionen Rückſicht zu nehmen. So allein iſt die Gegenſei - tigkeit in den b. f. contractus zu verſtehen; wollte man alſo in ihr den Grund und die Gränze der b. f. actiones ſuchen, ſo würde ſich dieſer Gedanke auch in folgender Formel ausdrücken laſſen: die freye Beurtheilung eines Rechtsge - ſchäfts (wovon die Gegenſeitigkeit nur ein einzelnes Stück510Beylage XIV. iſt) tritt ein bey denjenigen Rechtsgeſchäften, bey welchen eine freye Beurtheilung eintritt.

Es iſt auch noch ein anderer Verſuch gemacht worden, die Unterſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones auf ein Princip zurück zu führen, der aber weit weniger Schein für ſich hat, als der eben erwähnte. Bonae fidei ſollen alle Klagen ſeyn, deren Grund ſchon auf der na - türlichen Billigkeit (dem jus gentium) beruht, stricti juris die, welche durch willkührliche Vorſchriften des poſitiven Rechts eingeführt ſind(e)Glück B. 13 S. 8.; dieſe Behauptung muß bey ernſtlicher Betrachtung ſogleich verworfen werden. Nichts iſt mehr in der natürlichen Billigkeit gegründet, als daß das gelie - hene Geld von dem Schuldner zurückgezahlt werde(f)Gajus III. § 132. Eben ſo wird für die condictio sine causa u. ſ. w. die Entſtehung aus dem jus gentium ausdrücklich aner - kannt. L. 25 de act. rer. amot. (25. 2.)., und doch iſt die Darlehnsklage ſehr gewiß stricti juris. Selbſt aus dem nudum pactum entſteht eine Verpflichtung nach jus gentium(g)L. 84 § 1 de R. J. (50. 17. ), L. 5 § 2 de solut. (46. 3. ), L. 7 § 4 de pactis (2. 14.)., und es iſt nicht einzuſehen, warum dieſe durch die Hinzufügung der Stipulationsform verhin - dert oder geſchwächt werden ſollte; dennoch iſt die Stipu - lationsklage stricti juris. Ja wir würden, bey genauer Erwägung, kaum andere str. j. Klagen nach dieſer Lehre übrig behalten, als die Klagen auf Geldſtrafen; und ge - rade dieſe führen wenigſtens den Namen stricti juris ac - tiones oder condictiones niemals.

511Die Condictionen. IV.

IV.

Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un - zweifelhaft anwendbar ſind, ſo erſcheinen uns dieſe auf den erſten Blick höchſt mannichfaltig; dennoch laſſen ſich dieſelben auf ein ſehr einfaches Princip zurück führen, welches ſich durch bloße organiſche Bildungskraft zu jener Mannichfaltigkeit entfaltet hat, faſt ohne Eingriff der Ge - ſetzgebung. Es finden ſich nur ſehr wenige, aus dem Prin - cip nicht abzuleitende, alſo ganz poſitive Zuſätze; dieſe aber ſind nicht nur ſo unbedeutend, ſondern auch als bloße Ausnahmen ſo beſtimmt und deutlich in unſren Rechtsquel - len anerkannt, daß ſie die Wahrheit des Princips viel - mehr beſtätigen, als zweifelhaft machen.

Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie - derung eines einzelnen Rechtsgeſchäfts aus, woraus ſicher - lich eine Condiction entſpringt, nämlich des Darlehens, welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter - ſuchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieſes Verfahren als einſeitig und willkührlich getadelt werden möge; dieſer Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi - derlegt, daß unſre Rechtsquellen genau denſelben Weg einſchlagen, indem auch ſie das Darlehen an die Spitze der geſammten Lehre von den Condictionen ſtellen.

In den Digeſten iſt der erſte Titel des zwölften Buchs überſchrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de512Beylage XIV. condictione(a)Die Varianten ſind bey dieſer Rubrik nicht von Erheblich - keit, wenigſtens nicht für die hier vorliegende Frage. Das Dig. ve - tus ed. Jenson s. a. und cd. Ko - berger 1482 leſen petatur et de certi condictione. Ed. Ven. 1484 lieſt petatur ohne certi. . Schon aus dieſer Überſchrift erhellt die innige Verbindung der Condictionen im Allgemeinen mit dem beſonderen Vertrag des Darlehens. Beynahe der ganze Titel handelt von dem Darlehen, und zwar (mit geringen Ausnahmen) von dem Gelddarlehen. Dazwiſchen aber ſtehen einige Stellen, welche die allgemeine Natur der Condictionen zum Gegenſtand haben. An dieſen ein - leitenden Titel ſchließt ſich in zwey Büchern die ganze Lehre von den Condictionen an.

Eben ſo iſt im Codex der zweyte Titel des vierten Buchs der Anfang der geſammten Condictionenlehre. Die Überſchrift lautet: Si certum petatur, und der ganze Titel enthält nur Conſtitutionen über das Gelddarlehen.

Indem ich alſo das Darlehen als die Grundlage der Condictionen anſehe, und aus ihm das Weſen derſelben zu erkennen ſuche, ſchließe ich mich ganz an das Verfah - ren an, welches in den Quellen des Römiſchen Rechts un - mittelbar wahrzunehmen iſt.

V.

Unterſuchen wir nun, was wirklich vorgeht, wenn Geld als Darlehen gegeben wird. Als Weſen dieſes Geſchäfts wird durch den Namen pecunia credita ein beſonderer(b)L. 9 L. 24 de reb. cred. (12. 1.).513Die Condictionen. V. Grad des Glaubens oder Vertrauens bezeichnet, woher auch der Geber den Namen creditor erhalten hat(a)Die urſprüngliche Bedeu - tung von creditor und creditum geht auf die aus einem Gelddar - lehen entſtandene Forderung; von da iſt der Ausdruck auf den abſtracten Begriff der Forderun - gen überhaupt, wofür man keinen andern Namen hatte, übertragen worden, und dieſer ausgedehnte Sprachgebrauch iſt dann der vor - herrſchende geworden. L. 10 de V. S. (50. 16.) .. Sed et si non sit mutua pecunia, sed contractus, creditores accipiun - tur. L. 11 eod. Creditorum ap - pellatione non hi tantum ac - cipiuntur, qui pecuniam credi - derunt: sed omnes, quibus ex qualibet causa debetur. L. 12. pr. eod. Die Gegenſätze weiſen ſichtbar darauf hin, daß die aus - ſchließende Beziehung des Aus - drucks auf das Gelddarlehen die eigentliche, urſprüngliche war, und daß man nur durch das Bedürf - niß dahin geführt wurde, die wei - tere Bedeutung anzunehmen, und dieſe nun als die regelmäßige zu behandeln. Eben ſo in L. 5 § 3 de O. et A (44. 7. ), ſ. u. Num. VII. b. Derſelbe Ge - danke, nur in anderer Art ausge - drückt, liegt zum Grunde in L. 20 de jud. (5. 1.) Omnem obli - gationem pro contractu haben - dam existimandum est quam - vis non ex crediti causa debe - atur. ; ja die Natürlichkeit dieſer Anſicht bewährt ſich darin, daß auch in unſrer Sprache der Name Glaubiger allgemein anerkannt worden iſt, und zwar im gemeinen Leben nicht weniger als unter den Juriſten. Daher fängt auch der oben angeführte Digeſtentitel ſehr characteriſtiſch mit einer Unterſuchung über die Bedeutung des Worts credere an, deſſen Weſen darin geſetzt wird, daß wir uns der Zuver - läſſigkeit eines Andern anvertrauen(b)L. 1 de reb. cred. (12. 1.) .. credendi generalis appel - latio est nam cuicumque rei adsentiamur, alienam fidem secuti, mox recepturi quid ex hoc contractu, credere dicimur. . Was iſt nun der eigentliche Inhalt dieſes Vertrauens?

Vertrauen im Allgemeinen liegt bey allen Geſchäften des täglichen Verkehrs zum Grunde; da aber hier ſo vor -V. 33514Beylage XIV. zügliches Gewicht auf das Vertrauen gelegt wird, ſo muß wohl ein Vertrauen von beſonderer Art gemeynt ſeyn; deſſen Natur nun wird durch folgende Betrachtung klar werden.

Wird eine Geldſumme in verſiegeltem Beutel in fremde Verwahrung gegeben, ſo vertraut der Eigenthümer der Redlichkeit des Andern; Dieſe aber vorausgeſetzt, kann ihm das Schickſal des Vermögens des Empfängers gleich - gültig ſeyn. Denn wenngleich Derſelbe verarmt, wird noch immer der verſiegelte Beutel bey ihm gefunden, und durch Vindication dem Eigenthümer gerettet werden. Nicht ſo, wenn dieſelbe Geldſumme als Darlehen gegeben war; denn wenn nun der redliche Empfänger inſolvent wird, ſo iſt das Geld für den Geber verloren. Die höhere Ge - fahr alſo, der ſich der Geber bey dem Darlehen unter - wirft, unabhängig von der redlichen Geſinnung des Em - pfängers, gründet ſich darauf, daß der Geber das Eigen - thum des Geldes veräußert, alſo den in der Vindication enthaltenen Schutz aufgegeben hat.

Daß in der That dieſe Veränderung Grund und Be - dingung der condictio iſt, läßt ſich durch folgende Anwen - dungen außer Zweifel ſetzen. Da wo dem Empfänger kein Eigenthum des Geldes verſchafft wird, entſteht auch keine condictio(c)L. 2 § 2 de R. C. (12. 1.). Damit hängt auch der Aus - druck aes alienum zuſammen. L. 213 § 1 de V. S. (50. 16.). Aes alienum est, quod nos aliis debemus; näm - lich das Geld, welches aus frem - dem Vermögen in unſer Eigenthum. Iſt der Übergang des Eigenthums515Die Condictionen. V. durch den Willen des Gebers auf einen ſpäteren Zeitpunkt als den der Tradition verſchoben, ſo entſteht auch die condictio erſt in dieſer ſpäteren Zeit(d)L. 8 L. 9 § 9 de R. C. (12. 1.).. Wird der An - fangs fehlende Erwerb des Eigenthums durch die ſpätere Conſumtion des Geldes ergänzt, ſo entſteht in demſelben Augenblick auch die condictio(e)L. 13 pr. § 1 de R. C. (12. 1. ), L. 29 de cond. ind. (12. 6. ), § 2 J. quib. alien. (2. 8.).. Überall alſo erſcheint die condictio als der Erſatz, der anſtatt der verlornen Vindication eintritt(f)L. 11 § 2 de R. C. (12. 1.). L. 29 de cond. ind. (12. 6. ), § 2 J. quib. alien. (2. 8.)., und daſſelbe ausſchließende, alter - native Verhältniß zwiſchen dieſen beiden Klagen findet ſich auch in anderen Rechtsverhältniſſen, außer dem Darlehen, wieder(g)L. 22 § 2 de pign. act. (13. 7. ), L. 15 de cond. causa data (12. 4. ), L. 3 C. de cond. ex lege, (4. 9. ), L. 5 § 18 de don. int. vir. (24. 1.)..

Dieſer Zuſammenhang der Rechtsverhältniſſe wird noch beſtätigt durch die Ausdrücke in der formula. Bey dem Darlehen lautet die Intentio auf dare oportere, das heißt Übertragung des Eigenthums; ſo lange aber der Geber aus irgend einem Grunde das Eigenthum noch nicht ver - loren hat, iſt es unmöglich, ihm Dieſes zu verſchaffen, weshalb er in dieſer Lage auch nicht auf dare oportere klagen, das heißt keine Condiction haben kann(h)Gajus IV. § 4, § 14 J. de act. (4. 6.). In Juſtinians Inſti - tutionen iſt freylich dieſe Bemerkung ſehr unpaſſend, die blos für die längſt verſchwundene formularum conceptio Sinn hatte. Von. Es iſt(c)gekommen iſt, und wieder einmal in des Gebers Eigenthum zurück kehren ſoll.33*516Beylage XIV. derſelbe Grund, welcher die Stipulation in der Formel dare mihi spondes? unmöglich machte, wenn der Glaubi - ger das Eigenthum der verſprochnen Sache bereits hatte(i)Gajus III. § 99, § 2 J. de inut. stip. (3. 19. ), L. 1 § 10 de O. et A. (44. 7. ), L. 82 pr. de V. O. (45. 1.). Dieſes hängt da - mit zuſammen, daß im ſtreng ju - riſtiſchen Sinn, namentlich bey Stipulationen und in der Intentio einer Klage, der Ausdruck rem dare die unmittelbare Übertragung des Römiſchen Eigenthums be - zeichnet, welche bey einer dem Sti - pulator ſchon gehörenden Sache nicht möglich iſt. L. 75 § 10 de V. S. (50. 16. ), L. 167. pr. de R. J. (50. 17.). Eben ſo bezeichnet auch usumfructum und servitu - tem dare die vollſtändige Errich - tung der Servitut durch in jure cessio. L. 19 de S. P. R. (8. 3. ), L. 126 § 1, L. 136 § 1 de V. O. (45. 1. ), L. 3 pr. de O. et A. (44. 7.). Neben dieſem techniſchen Sinn des Worts beſteht, hier wie in vielen anderen Fällen, ein vul - gärer Sprachgebrauch (juris ver - ba und factum in L. 38 § 6 de V. O. 45. 1. ), nach welchem dare ein jedes Verſchaffen bezeichnet. So kommt ſehr oft operas dare vor, ſelbſt in Stipulationen. (Ma - rezoll in Linde’s Zeitſchrift X. 250.). In dieſem freyen Sinn wurde in einem Teſtament das dare usumfructum an einem Pro - vinzialgrundſtück ausgelegt, wobey nun die Verpflichtung des Erben auf Übergabe der Sache gieng. L. 3 pr. de usufr. (7. 1.)..

Der Anſchaulichkeit wegen iſt bisher blos von dem Gelddarlehen geſprochen worden; alles hier Geſagte gilt aber eben ſo von dem Darlehen in anderen verbrauchba - ren Sachen, wie Weizen, Wein, Oel u. ſ. w. Die Fälle ſind nur weit ſeltener und für den Verkehr unbedeutender, und kommen daher auch in unſren Rechtsquellen nicht häu - fig vor; wo ein praktiſches Bedürfniß auf ſolche Geſchäfte führen könnte, wird daſſelbe weit häufiger durch Kauf (etwa durch Gelddarlehen vermittelt), als durch Darlehen in Sachen ſolcher Art befriedigt werden. Bey den -(h)der Ausnahme bey der condictio furtiva wird weiter unten die Rede ſeyn.517Die Condictionen. V. mern war übrigens auch die juriſtiſche Behandlung ver - ſchieden, welches aber erſt weiter unten klar gemacht wer - den kann.

Es muß aber gleich hier ein möglicher Einwurf ent - fernt werden. Mit dem Darlehen kommt die fiducia darin überein, daß dem Andern Eigenthum anvertraut wird, welches er künftig wieder geben ſoll(k)Gajus II. § 59. 60.. Nach der hier aufgeſtellten Lehre alſo müßte aus der fiducia eine Con - diction entſpringen, und dennoch entſpringt daraus eine bonae fidei actio (Beyl. XIII. Num. XII.). Es läßt ſich dieſem Einwurf auf folgende Weiſe begegnen; die fiducia muß zwey Klagen, zur freyen Wahl des Klägers, erzeugt haben; eine Condiction, nach dem hier aufgeſtellten Prin - cip: eine b. f. actio, die dann zugleich arbitraria war, weil dieſe das einzige Mittel darbot, dem Kläger die Natural - reſtitution zu verſchaffen (§ 221), worauf er doch, wenn er ſie vorzog, den natürlichſten und billigſten Anſpruch hatte. Es iſt ein ähnlicher Fall wie bey einer Ehefrau, welche die von ihr ſelbſt gegebene Dos zurückfordert; auch Dieſe hat die Wahl zwiſchen einer Condiction(l)L. 67 de j. dot (23. 3.). Eben ſo hat auch jeder fremde Geber einer Dos die Condiction, wenn er durch Pactum die ſonſt als regelmäßig anzunehmende Schenkung an die Frau ausſchließt. L. 43 § 1 eod., L. 10 C. de pa - ctis (2. 3. ), L. 1 C. de pactis conv. (5. 14.)., und der actio rei uxoriae, welche bonae fidei iſt.

518Beylage XIV.

VI.

In unmittelbarer Entwicklung ſchließen ſich an das Darlehen diejenigen Fälle an, worin dem Andern eine Sache ohne Übertragung des Eigenthums anvertraut wor - den iſt, er aber das Eigenthum des Gebers eigenmächtig zerſtört, und ſich dadurch bereichert hat. Seine wider - rechtliche Handlung bewirkt hier eine condictio, eben ſo wie dort das höhere Vertrauen des Gegners, da es un - natürlich wäre, wenn er durch ſeine Unredlichkeit in eine günſtigere Lage kommen ſollte, als diejenige, welche ihm das höhere Vertrauen des Gebers verſchafft hätte.

In vollſtändigſter Entwicklung iſt dieſe Regel ausge - ſprochen bey dem ſchon oben (Num. V.) erwähnten Fall des Depoſitum. Wer eine Sache in Verwahrung giebt, hat zunächſt noch die Vindication, weshalb er eine Con - diction weder bedarf noch bekommt. Wenn aber der Em - pfänger das deponirte Geld ausgiebt, den deponirten Wei - zen aufzehrt oder verkauft, ſo hat er des Gebers Vindi - cation zerſtoͤrt, und nun tritt an ihre Stelle die Condic - tion(a)L. 13 § 1 depos. (16. 3.). Competit etiam condictio de - positae rei nomine, sed non antequam quid dolo admissum sit: non enim quemquam hoc ipso, quod depositum accipiat, condictione obligari, verum quod dolum malum admise - rit. Der dolus iſt hier die Handlung, wodurch der Depoſitar die Vindication des Gegners un - möglich macht, indem er ſich ſelbſt bereichert; er iſt hier nur bey - ſpielsweiſe genannt, weil eine ſolche Veränderung ſelten ohne dolus Statt finden wird, nöthig iſt er nicht. Wenn ein Bankier einen verſiegelten Beutel mit Geld als.

519Die Condictionen. VI.

Daſſelbe, nur in weniger beſtimmten Ausdrücken, wird in vielen ähnlichen Fällen anerkannt, wobey wir ohne Zweifel die nähere Beſtimmung aus der für das Depoſi - tum gegebenen Vorſchrift ergänzen müſſen. So heißt es, auch das Commodat und das Pfand enthalte ein cre - dere(b)L. 1 de R. C. (12. 1.). .. ideo sub hoc titulo Prae - tor et de commodato, et de pignore edixit. L. 4 § 1 eod. Res pignori data, pecunia so - luta condici potest .. nämlich wenn die allgemeine Bedingung der Condiction vorhanden iſt, ſo daß alſo die Stelle aus der be - ſtimmteren über das Depoſitum (Note a) ergänzt werden muß (vgl. unten Num. XX. c)., welches nichts Anderes ſagen will, als es ent - ſpringe daraus gleichfalls eine Condiction; verſteht ſich, wenn der Empfänger die ſo gegebene Sache zerſtört hat, denn ſonſt dauert die urſprüngliche Vindication fort, wo - durch die Condiction ausgeſchloſſen wird.

Eben ſo ſoll eine Condiction entſtehen können bey Ge - legenheit eines Mandats, einer Societät und ähnlicher Geſchäfte, ſo wie auch einer Tutel(c)L. 28 § 4 de jurejur. (12. 2.). .. forte si actionem; wobey immer wie -(a)Depoſitum erhält, dieſer Beutel aber aus Verſehen erbrochen und das Geld in die eigne Kaſſe ge - worfen wird, ſo entſteht gewiß eine condictio, und doch iſt hier kein dolus vorhanden. Es iſt da - her irrig, wenn Manche dieſe con - dictio ſtets für furtiva halten wollen. Eben ſo iſt in L. 33 cod. nur von einer Vindication die Rede, nicht von einer Con - diction, weil die Sache noch vor - handen iſt. L. 24 § 2 de reb. auct. jud. (42. 5. ) aliud est enim credere, aliud deponere; das heißt, das deponere iſt zu - nächſt, und an ſich ſelbſt, kein credere, folglich nicht Grund einer Condiction; es kann aber dazu werden, theils durch die in der an - geführten Stelle enthaltenen beſon - deren Umſtände der Übereinkunft, theils in allen Fällen durch die unredliche Handlung des Depoſi - tars. Dieſelbe ſcharfe Entge - genſetzung des credere und de - ponere findet ſich auch in L. 4 de R. C. (12. 1.).520Beylage XIV. der hinzu gedacht werden muß, daß der Andere das Geld oder die Waaren, welche ihm aus ſolchen Veranlaſſungen anvertraut wurden, veruntreut, alſo eigenmächtig und wi - der des Glaubigers Willen aus Deſſen Eigenthum ge - bracht hat(d)Es würde alſo ganz irrig ſeyn, wenn man gegen den Man - datar oder Socius, der uns durch Nachläſſigkeit oder durch Leichtſinn und Übereilung ſchadet, eine con - dictio geſtatten wollte; hier gilt blos die Contractsklage..

Daſſelbe ſoll gelten auch bey der negotiorum gestio (Note c); dieſer Fall unterſcheidet ſich von den vorherge - henden noch dadurch, daß der vorige Eigenthümer gar Nichts anvertraut hat, nicht einmal den Beſitz, ſo daß der Geſchäftsführer Alles eigenmächtig an ſich zog, den Beſitz wie das (durch ihn zerſtörte) Eigenthum; der Grund der Condiction iſt derſelbe wie in den vorhergehenden Fällen.

Man ſieht das gewöhnlich ſo an, als habe nun der Kläger die Wahl zwiſchen mehreren auf denſelben Zweck gerichteten Klagen; für genau aber kann dieſe Auffaſſung nicht gelten. Zwar der äußere Erfolg kann zuweilen bey beiden Klagen ganz derſelbe ſeyn; oft aber wird die Con - diction nur einen kleinen Theil Desjenigen verfolgen, Was(c)mandati, negotiorum gestorum, societatis, ceterasque similes, jusjurandum exactum sit, dein - de ex iisdem causis certum con - dicatur: quia per alteram actio - nem altera quoque consumi - tur. Für das Mandat iſt die Möglichkeit der condictio aner - kannt auch in L. 5 de exc. rei jud. (44. 2.). Neben der actio depositi, commodati, tutelae in L. 5 de tutelae (27. 3.). Neben der a. pro socio, mandati, neg. gestorum, tutelae, und ähnlichen b. f. actiones in L. 45, 46, 47 pr. pro socio (17. 2.). Neben der a. locati. L. 34 § 2 de O. et A. (44. 7. ), L. 46 pro socio (17. 2.).521Die Condictionen. VII. mit der b. f. actio eingeklagt werden kann, und in jedem Fall iſt der Entſtehungsgrund beider Obligationen völlig verſchieden (vgl. § 232.).

VII.

Eine fernere Stufe der Entwicklung des Rechtsſatzes findet ſich in den zahlreichen Fällen, worin wir dem An - dern Eigenthum übertragen, nicht in der Abſicht ihm Et - was anzuvertrauen, ſondern in einer andern Abſicht, die aber entweder gleich Anfangs auf Irrthum beruht, oder hinterher ihren Grund, alſo ihre Wahrheit verliert, und in Irrthum übergeht. Die wichtigen Fälle dieſer Art laſ - ſen ſich unter den gemeinſamen Namen des Datum ob causam bringen, wobey die causa als eine irrige, unge - gründete gedacht werden muß(a)So iſt es nämlich in der Regel; eine abweichende Natur hat die condictio ob turpem causam, worin der Irrthum in der causa zur Begründung der Condiction in manchen Fällen nicht hinreicht, in anderen entbehrlich iſt; jenes, wenn dem Geber eine turpitudo vorgeworfen werden kann, Dieſes, wenn Derſelbe ſchuld - los iſt.. Dahin gehören die Fälle der condictio indebiti, ob causam datorum, sine causa, ob injustam causam.

In allen dieſen Fällen tritt der Irrthum an die Stelle des, dem Darlehen zum Grunde liegenden, Vertrauens; dadurch wird auch auf ſie der Begriff des Creditum, und die aus demſelben entſpringende condictio, anwendbar. Dieſer innere Zuſammenhang iſt nicht etwa willkührlich angenommen, zur Unterſtützung des von mir aufgeſtellten522Beylage XIV. Grundſatzes für die Anwendung der Condictionen; er wird vielmehr bey dem Indebitum, dem häufigſten unter den erwähnten Fällen, ausdrücklich, und an mehreren Orten unſrer Rechtsquellen, anerkannt(b)L. 5 § 3 de O. et A. (44. 7.). Is quoque qui non debitum accipit per errorem solventis, obligatur quidem quasi ex mutui datione, et ea - dem actione tenetur, qua de - bitores creditoribus .. Eben ſo Gajus III. § 91, § 1 J. quib. modis re (3. 14. ), § 6 J. de ob - lig. quasi ex contr. (3. 27.). Alle dieſe Stellen rühren urſprüng - lich von Gajus her..

Dieſe wichtige Klaſſe von Anwendungsfällen der Con - diction iſt zugleich Grundlage einer ganz neuen Entwick - lung geworden. Eine ſolche irrige Übertragung nämlich aus unſrem Vermögen in ein fremdes läßt ſich nicht nur bey dem Eigenthum denken, ſondern auch bey allen ande - ren Arten von Vermögensrechten. Es läßt ſich Dieſes am Leichteſten anſchaulich machen durch folgende, von der condictio indebiti hergenommene, Beyſpiele, die ſich jedoch eben ſo auch auf die anderen hier genannten Condictionen anwenden laſſen. So kann die irrige Vorausſetzung einer Verbindlichkeit die Errichtung eines Niesbrauchs oder einer Prädialſervitut, oder auch die Aufhebung ſolcher Rechte, veranlaſſen, worauf die Condiction gebraucht werden kann, um die Herſtellung des früheren Zuſtandes zu bewirken. Eben ſo wenn Jemand eine eigene Schuld contrahirt, oder eine Forderung überträgt, oder eine Schuld erläßt, ent - weder weil er zu dieſen Handlungen unmittelbar verpflich - tet zu ſeyn glaubt, oder weil er damit eine vermeyntliche523Die Condictionen. VIII. Geldſchuld tilgen will(c)L. 4. 10 de cond. causa data (12. 4. ), L. 1 pr. § 1. 2 de cond. sine causa (12. 7. ), L. 5 § 1 de act. emti (19. 1.).. Ja ſogar eine Arbeit, die ge - leiſtet wird, weil man dazu irrigerweiſe ſchuldig zu ſeyn glaubte, kann die Condiction begründen, inſofern ſich dieſe Arbeit auf einen beſtimmten Geldwerth zurückführen, alſo mit einer gezahlten Geldſumme vergleichen läßt, die nun zurück gefordert werden kann(d)L. 26 § 12 de cond. indeb. (12. 6.)..

VIII.

Auch Dasjenige aber kann condicirt werden, was aus meinem Vermögen anders als durch meinen Willen in fremdes Eigenthum übergeht, ſey es daß der Andere durch ſeine Handlung, oder durch zufällige Umſtände, auf meine Koſten bereichert werde. Folgende Fälle ſind dahin zu rechnen.

Gegen den Beſitzer meiner Sache habe ich zunächſt die Vindication, nach verlornem Beſitz in der Regel keine Klage. Wenn er jedoch die unentgeldlich erworbene Sache verkauft und ſich dadurch bereichert hat, die Sache aber untergegangen iſt, ſo daß ich ſie auch nicht mehr gegen einen Dritten vindiciren kann, ſo habe ich gegen Jenen eine Condiction auf die Summe, um welche er reicher geworden iſt(a)L. 23 de R. C. (12. 1.)..

Eben ſo, wenn die Bereicherung nicht durch Verkauf, ſondern durch Verzehren meiner Sache entſtanden iſt, z. B. 524Beylage XIV. wenn der unredliche Beſitzer meines Landgutes die Früchte verzehrt hat(b)L. 4 § 2 fin. reg. (10. 1. ), L. 22 § 2 de pign. act. (13. 7. ), L. 18 de except. (44. 1. ), L. 55 in f. de cond. ind. (12. 6. ), L. 4 § 1 de reb. cred. (12. 1. ), L. 3 C. de cond. ex lege (4. 9.). Eben ſo, wenn mein Purpur in ein fremdes Kleid eingewirkt und dadurch als ſelbſtſtändige Sache zerſtört wird; gegen den Dieb habe ich die condictio furtiva, gegen den redlichen Beſitzer, der ſich auf dieſe Weiſe bereicherte, gleichfalls eine condictio (sine causa). § 26 J. de rer. div. (2. 1. ), Ga - jus II. § 79; (Theophilus giebt unbegreiflicherweiſe auch gegen Den, welcher nicht Dieb iſt, die cond. furtiva. Die Worte: a quibus - dam aliis possessoribus erklä - ren ſich aus den in dieſer Num - mer des Textes vorgetragenen Sätzen; quidam ſind eben die sine causa Bereicherten). Fer - ner L. 4 § 2 de R. C. (12. 1.). Ea quae vi fluminum impor - tat sunt, condici possunt. Verſteht ſich, wenn die Sachen nicht mehr als ſelbſtſtändig vor - handene vindicirt werden können, zugleich aber auch den Grundbe - ſitzer bereichert haben..

Die für dieſe Zwecke anwendbare condictio sine causa umfaßt demnach verſchiedenartige Fälle: ſolche, die auf dem freyen Willen des gegenwärtigen Klägers, alſo einem Datum, beruhen (Num. VII. ), und ſolche, die durch bloßen Zufall, oder auch durch die Handlung des Beklagten, her - beygeführt ſind(c)Darauf deutet L. 1 § 3 de cond. sine causa (12. 7.). Con - stat id demum posse condici alicui, quod vel non ex justa causa ad eum pervenit, vel re - dit ad non justam causam. Der Ausdruck iſt ſo allgemein gefaßt, daß es ganz dahin geſtellt bleibt, ob das pervenire durch den Willen des urſprünglichen Eigenthümers herbeygeführt wurde oder nicht. Eben ſo auch in L. 6 de cond. ob turpem (12. 5. ), und in L. 25 in f. de act. rer. amot. (25. 2.)..

Faſſen wir die bisher dargeſtellten Fälle der Condic - tionen in einem gemeinſamen Überblick zuſammen, ſo er - ſcheint darin folgende ſtufenartige Entwicklung des Grund -525Die Condictionen. VIII. begriffs. Der urſprüngliche Fall der Condiction beſteht darin, daß der Eigenthümer durch anvertrautes Eigenthum das Vermögen des Empfängers erweitert (Num. V.). Daran reiht ſich der Fall, da zwar nur der Beſitz dem Empfänger anvertraut wird, dieſer aber die Erweiterung ſeines Vermögens durch eigenmächtige Handlung bewirkt (Num. VI.). Ferner der Fall, worin die Erweiterung des Vermögens zwar durch den Willen des vorigen Eigen - thümers herbeygeführt wird, aber nicht aus Vertrauen, ſondern aus Irrthum, welcher nun gleiche Wirkung mit jenem Vertrauen haben ſoll (Num. VII.). Endlich aber wird die gleiche Wirkung auch auf die grundloſe zufäl - lige Bereicherung des Einen aus dem Eigenthum des An - deren übertragen (Num. VIII.)(d)Es iſt hierin eine ſehr re - gelmäßige Entwicklung der Begriffe unverkennbar. An die Condiction aus anvertrautem Eigenthum (Num. V.) ſchließt ſich die aus dem De - poſitum, worin der Empfänger das Eigenthum durch einſeitige Will - kühr an ſich zieht (Num. VI.). Ganz eben ſo an die condictio sine causa aus irrigem Geben (Num. VII. ) die auf der einſeiti - gen Willkühr des Bereicherten, ohne vorhergegangenes Geben, beruhende cond. sine causa (Num. VIII.)..

Alle dieſe Fälle alſo haben mit einander gemein die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines andern Vermögens, die entweder ſtets ohne Grund war, oder ihren urſprünglichen Grund verloren hat. Da die meiſten und wichtigſten derſelben auf einer freyen Hand - lung des urſprünglichen Eigenthümers beruhen, woran ſich die übrigen Fälle blos als Erweiterungen aus innerer526Beylage XIV. Verwandtſchaft anſchließen, ſo kann man die bisher be - trachteten Entſtehungsgründe der Condictionen als Datum bezeichnen. Man kann darauf auch den Ausdruck einer grundloſen Bereicherung des Andern aus unſrem Vermö - gen anwenden, wenn nur der Begriff der Bereicherung auf eine, gerade dieſem Verhältniß angemeſſene, Weiſe be - gränzt wird. Es kommt nämlich darauf an, daß dem Übergang eines Rechts aus einem Vermögen in ein an - deres die causa entzogen ſey, oder ſtets gefehlt habe; ſo iſt es bey dem Darlehen nach der Kündigung, oder bey dem irrig bezahlten indebitum. Anders bey einem wohl - feilen Kauf, wobey zwar auch der Käufer auf Koſten des Verkäufers bereichert wird, jedoch ohne daß irgend ein Mangel in der causa wahrzunehmen iſt, indem der hier obwaltende Irrthum gar nicht die causa, d. h. den Rechts - grund der Veränderung, betrifft, ſondern nur die materielle Werthſchätzung, die ganz außer dem Rechtsgebiet liegt. Noch ſichtbarer iſt Dieſes bey der Schenkung, die ſtets eine Bereicherung in ſich ſchließt, und dabey auf bloßer Laune und Willkühr, oder auf irrigen Beweggründen be - ruhen kann, weshalb man ſie für ein datum sine causa (grundloſe Bereicherung) halten könnte. Allein das Ju - riſtiſche dabey iſt lediglich die Abſicht zu ſchenken, die do - nationis causa, in welcher ſelbſt unter jenen Vorausſetzun - gen kein Mangel erſcheint, da jene an ſich mangelhaften Beweggründe mit dem Rechtsgebiet keine Berührung haben.

Eben ſo iſt es aber auch nöthig, daß Dasjenige, welches527Die Condietionen. IX. dem Andern zur Bereicherung diente, vorher ſchon wirk - lich einmal zum Vermögen Deſſen gehört habe, welcher darauf eine Condiction gründen will(e)L. 55 de cond. ind. (12. 6. ), worin dieſer Gegenſatz beſon - ders ſcharf hervorgehoben iſt; am beſtimmteſten in den letzten Wor - ten der Stelle..

IX.

Ein fernerer Fall, worin die Anwendung einer con - dictio keinem Zweifel unterliegt, iſt die alte literarum ob - ligatio oder die expensilatio. Juſtinian weißt darauf deutlich hin, indem er der an die Stelle derſelben, freylich nicht ſehr paſſend, eingeſchobenen neuen literarum obliga - tio gleichfalls die Wirkung einer condictio zuſchreibt, wo - durch er offenbar eine gleiche Wirkung beider Rechtsinſti - tute behaupten, und ſo den Rang rechtfertigen will, den er dem neu erfundenen Inſtitut zuſchreibt(a)pr. J. de lit. oblig. (3. 21.). .. Sic fit, ut hodie .. scri - ptura obligetur, et ex ea na - scitur condictio . Eben ſo wird die expensilatio von Cicero mit dem Gelddarlehen und der Stipulation in ſolcher Weiſe auf gleiche Linie ge - ſtellt, daß er dieſen drey Rechtsgeſchäften die ausſchließende Kraft zuſchreibt, eine certi petitio hervor zubringen, wel - ches gerade dieſelbe Klage iſt, die in unſren Rechtsquellen certi condictio genannt wird(b)Beylage XIII. Num. XI. a. . In einer anderen Stelle erzählt Cicero die Geſchichte eines Kaufcontracts, worin der Verkäufer den Käufer betrogen hatte. Dem Käufer war hier nicht zu helfen, ſagt Cicero, weil damals528Beylage XIV. Aquillius noch nicht die doli actio eingeführt hatte. Man begreift nicht, warum nicht dem Käufer ſchon durch die bonae fidei Natur der actio emti (wenn er klagte) oder venditi (wenn er verklagt wurde) geholfen werden konnte. Allein Cicero ſagt, nachdem er den Kauf ſelbſt erzählt hat: Nomina facit, negotium conficit. Nun alſo wurde gegen den Käufer nicht mehr mit der actio venditi, ſondern aus der Expenſilation, mit der Condiction geklagt, und dieſe war stricti juris(b¹)Cicero de officiis III. 14. Vgl. Beylage XIII. Num. XVI. . Endlich hat ſich auch in den Digeſten eine unverkennbare Spur dieſer Wirkung des alten Rechtsinſtituts erhalten(c)L. 1 de ann. leg. (33. 1.). Cum in annos singulos quid legatum sit sicuti ex stipulatione, aut nomine facto petatur. Aus Stipu - lationen und Legaten aber ent - ſprangen unzweifelhaft Condictio - nen. Die Erwähnung der alten nomina in dieſer Stelle kann übrigens nur als ein Verſehen der Compilatoren angeſehen wer - den. Vgl. auch die unten Num. X. h. angeführte Stelle aus L. 3 § 3 de Sc. Mac. (14. 6.)..

Dieſer Fall nun ſcheint auf den erſten Blick mit dem Darlehen, welches oben für die Grundlage der Condictio - nen erklärt worden iſt, in gar keinem Zuſammenhang zu ſtehen. Denn bey dem Darlehen verſchafft der Glaubiger dem Schuldner Eigenthum einer Geldſumme, um künftig an einer gleich großen Summe Eigenthum zurück zu be - kommen; bey der expensilatio wird kein Eigenthum gege - ben, kann alſo auch ein ſolches nicht zurück verlangt wer - den, vielmehr iſt das künftig zu Leiſtende etwas ganz529Die Condictionen. IX. Neues, deſſen Nothwendigkeit blos auf dem in gewiſſer Form ausgeſprochenen Willen der Parteyen beruht.

Und dennoch iſt gerade hier der innere Zuſammenhang ganz unläugbar.

Gajus beſchreibt die expensilatio, als Entſtehungsform einer beſonderen Art von Obligationen, alſo. Wenn ich in meinem Hausbuch, welches alle meine Geldgeſchäfte enthält(d)Vgl. über die alten Haus - bücher (codices expensi, ac - cepti) beſonders Cicero pro Roscio Com. C. 2. 3. 5, in Ver - rem I. 23. 36, pro Cluentio C. 14. 30. Eine genauere Darſtel - lung dieſes Rechtsgeſchäfts ent - hält: Savigny Literalcontract, Memoiren der Berliner Akademie vom J. 1816., einem Anderen eine Summe Geldes als ex - pensum, das heißt als an ihn gezahlt, eintrage, ſo liegt dabey entweder ein wirkliches Darlehen zum Grunde oder nicht. Im erſten Fall hat die Eintragung gar keine eigen - thümliche Wirkung, vielmehr entſteht hier aus dem Dar - lehen ſelbſt dieſelbe Obligation, die auch ohne Eintragung entſtanden ſeyn würde(e)Gajus III. § 131.. Anders im zweyten Fall, in welchem die bloße Eintragung als ſolche, Entſtehungs - grund einer ſelbſtſtändigen Obligation iſt, nämlich derſel - ben ſchon oben nachgewieſenen condictio, die auch aus dem Darlehen und aus der Stipulation entſteht(f)Gajus III. § 128.. Die - ſes geſchah nun zu zweyerley Zwecken. Erſtlich, um ir - gend einer anderen Schuld, die aus Kauf, Miethe, So - cietät u. ſ. w. entſtanden ſeyn mochte, dieſe ſtrengere Natur mitzutheilen, oder mit anderen Worten, um die b. f. actioV. 34530Beylage XIV. in eine condictio umzuwandeln(g)Gajus III. § 129. A re in personam transscriptio fit, veluti si id, quod modo ex emptionis causa, aut conductio - nis, aut societatis mihi debeas, id expensum tibi tulero. . Zweytens, um eine Schuld von Einem Schuldner auf einen andern zu über - tragen, indem alſo dem neuen Schuldner (mit deſſen Ein - willigung) eine Summe Geldes als an ihn baar gezahlt, eingetragen wird, die er in der That nicht empfangen hat(h)Gajus III. § 130. A per - sona in personam transscriptio fit, veluti si id, quod mihi Ti - tius debet, tibi id expensum tulero, id est si Titius te de - legaverit mihi. .

Was iſt nun das Weſentliche in dieſen Geſchäften, die uns zunächſt als leere Formen erſcheinen? Hätte ich dem Andern die Summe, die ich ihm blos als gegeben einge - tragen habe, wirklich gegeben, und zwar nicht um zu ſchenken, oder eine Schuld abzutragen, ſondern um eine gleiche Summe von ihm künftig zu fordern, ſo würde das Geſchäft unzweifelhaft ein Gelddarlehen geweſen ſeyn. Indem nun das Geld nicht wirklich gegeben, ſondern nur als gegeben eingetragen iſt, ſo liegt dem ganzen Hergang die unzweifelhafte Abſicht zum Grunde, irgend ein Rechtsverhältniß, durch den bloßen Wil - len der Parteyen, ſo zu behandeln, als ob es ein Gelddarlehen wäre.

Indem nun aber die eigenthümliche Wirkung der ex - pensilatio eine condictio war, und dieſe Wirkung allein das Intereſſe darbieten konnte, um deſſen Willen dieſer künſtliche Weg eingeſchlagen wurde, ſo liegt hierin eine531Die Condictionen. IX. einleuchtende Beſtätigung der oben aufgeſtellten Behaup - tung, daß das Darlehen recht eigentlich als Grund und Bedingung einer anwendbaren Condiction angeſehen wer - den muß.

Nach dieſer Entwicklung kann man die expensilatio nicht treffender bezeichnen, als indem ſie ein fingirtes Geld - darlehen nennt.

In Juſtinians Recht iſt die expensilatio verſchwun - den, und wenn er ſcheinbar eine neue literarum ob - ligatio (nämlich den gewöhnlichen Schuldſchein nach ver - jährter exceptio non numeratae pecuniae) an ihre Stelle ſetzt, und auch dieſer eine Condiction als Folge beylegt (Note a), ſo darf Dieſes dennoch nicht als ein neues, die Anwendung der Condictionen wirklich erweiterndes, Rechts - inſtitut angeſehen werden. Denn in allen Fällen dieſer Art iſt ohnehin von Anfang an eine Condiction (meiſt aus einem Darlehen) vorhanden, und das Neue, welches aus der eben erwähnten Verjährung folgt, betrifft nicht die Natur der Rechtsverhältniſſe ſelbſt, ſondern nur den Be - weis der ſtreitigen Thatſachen. Es wäre daher eine eben ſo gezwungene, als unfruchtbare Anſicht, wenn man, von jener Verjährung an, die alte Condiction (aus dem Dar - lehen) als untergegangen, und eine neue (aus der Schrift) als an ihre Stelle tretend, anſehen wollte. Eine ſo buch - ſtäbliche Behandlung der Worte Juſtinians iſt überall nicht zu rechtfertigen.

34*532Beylage XIV.

X.

Noch wichtiger iſt die Stipulation, das heißt der auf der Übereinſtimmung mündlicher Frage und Antwort be - ruhende Vertrag, deſſen Anwendung das einzige allgemein zureichende Mittel für die Römer war, jedem beliebigen Stoff vollſtändige Wirkſamkeit vor Gericht zu verſchaffen (Beyl. XIII. Num. XI.). Daß nun in der That jede Sti - pulation eine Condiction zur Folge hatte, iſt unzweifel - haft(a)L. 9 § 3 L. 24 de R. C. (12. 1. ), pr J. de V. O. (3. 15.). Der Einwurf, den man dagegen aus dem Namen der actio ex stipu - latu verſuchen möchte, wird weiter unten beſeitigt werden.. Hierin ſcheint aber eine Widerlegung der oben aufgeſtellten Grundanſicht für die Condictionen zu liegen, indem die Stipulation auf eine verſprochene neue Leiſtung, nicht auf ein Zurückgeben, gerichtet iſt, alſo gar keine Analogie mit dem Darlehen zu haben ſcheint.

Dennoch halte ich auch hier denſelben Zuſammenhang mit dem Darlehen für gewiß, welcher ſo eben für die lit - terarum obligatio nachgewieſen worden iſt. Wie nämlich dieſe letzte nichts Anderes iſt, als die freywillige ſchrift - liche Unterwerfung unter die Folgen, die außerdem in der Natur des Darlehens gegründet ſind, ſo iſt die Sti - pulation eine freywillige mündliche Unterwerfung ganz gleicher Art. Durch beide Handlungen wird alſo die dem Darlehen natürliche Wirkung mit Willkühr und künſtlich herbeygeführt, und man kann beide als die Fiction eines533Die Condictionen. X. Darlehens bezeichnen. Dieſe Behauptung iſt nunmehr zu beweiſen.

Paulus ſagt in L. 2 § 5 de R. C. (12. 1. ): Verbis quoque credimus, quodam actu ad obligatio - nem comparandam interposito, veluti stipulatione(b)Neuerlich iſt folgende Er - klärung dieſer Stelle verſucht wor - den, die ich als gezwungen gänz - lich verwerfen muß: das credere ſey hier nicht die Handlung des Stipulator, ſondern die des Pro - missor, welcher ſich durch die Stipulation zum Schuldner mache, alſo dieſes nomen aus ſeinem Vermögen weggebe, und dem Geg - ner anvertraue. Liebe Stipula - tion S. 364..

Dieſe Bemerkung ſteht am Ende einer Reihe von Be - trachtungen (L. 1. 2 eod.) über den Begriff von Credere, als Grundlage der Condictionen. Was heißt nun hier verbis credimus? Man könnte es verſtehen von einem allgemeinen Vertrauen in des Andern Zuverläſſigkeit, wel - ches freylich bey keinem Vertrag gänzlich fehlen wird. Allein dieſes allgemeine, unbeſtimmte Vertrauen findet ſich ja auch bey dem Kauf und der Miethe, und doch heißt es niemals: consensu credimus, ja es iſt Nichts gewiſſer, als daß auf die Erfüllung dieſer Contracte keine Condic - tionen möglich waren. Noch mehr perſönliches Vertrauen findet ſich bey dem Depoſitum, und doch wird hier, ſo lange nicht Conſumtion eintritt, die Condiction verſagt, ja es heißt ausdrücklich: aliud est enim credere, aliud de - ponere (Num. VI. a.). Alſo will offenbar Paulus der Stipulation ein Credere im höheren Sinn, wodurch ſie dem Darlehen verwandt, und von den Conſenſualcontrac - ten unterſchieden wird, zuſchreiben; Dieſes iſt aber nur534Beylage XIV. möglich unter Vorausſetzung der oben aufgeſtellten Be - hauptung. Der Sinn der Stelle, welchen ich hier darzu - legen geſucht habe, wird noch anſchaulicher, wenn man ſich etwa den Verfaſſer in folgenden Worten fortfahrend denkt: Literis quoque credimus, si id quod ex emptionis causa, aut conductionis, aut societatis nobis debeatur, expensum tulerimus(c)So lautet, mit Verände - rung weniger Worte, Gajus III § 129..

Eine Beſtätigung erhält dieſe Erklärung durch folgende von Scävola und Ulpian herrührende Stellen. Das Sc. Macedonianum hatte wörtlich verordnet, es ſolle Keiner eine Klage erhalten qui filiofamilias mutuam pecuniam dedisset(d)L. 1 pr. de Sc. Mac. (14. 6.).. Daraus hatten die Juriſten dieſe Regel formulirt: filiofamilias credi non licere. Nun ſagt Scä - vola, wenn die Stipulation noch während der väterlichen Gewalt geſchloſſen, das Geld aber erſt nach deren Auflö - ſung ausgezahlt werde, ſo ſey das Senatusconſult den - noch nicht anwendbar, obgleich der in jener Regel vor - kommende Ausdruck credi auch ſchon auf die Stipulation bezogen werden könnte(e)L. 4 de Sc. Mac. (14. 6.). Quia, quod vulgo dicitur, filiofamilias credi non licere, non ad verba referendum est, sed ad numerationem, verbun - den mit dem vorhergehenden L. 3 § 5 eod. . Daſſelbe ſagt, nur noch ausführlicher, Ulpian(f)L. 3 § 3 de Sc. Mac. (14. 6.)., deſſen Stelle folgenden Gedan - ken ausdrückt: Das Senatusconſult darf nicht angewen - det werden auf Schulden überhaupt, wie Kauf oder Miethe;535Die Condictionen. X. ja nicht einmal auf alle Fälle, welche unter den wahren Begriff des Credere fallen; vielmehr erkannte der Senat nur in dem den Söhnen gegebenen baaren Geld eine Ge - fahr für das Leben der Väter(g) nam pecuniae datio per - niciosa parentibus eorum visa est. . Wenn daher eine durch Kauf entſtandene Schuld des Sohnes vermittelſt einer ex - pensilatio in ein creditum verwandelt wird, ſo iſt das Senatusconſult dennoch nicht anwendbar, und eben ſo wenn dieſe Verwandlung durch eine Stipulation ge - ſchieht(h) et ideo et si in credi - tum abii filiofamilias vel ex causa emptionis, vel ex alio contractu in quo pecuniam non numeravi, et si stipulatus sim cessat Senatusconsultum. ; denn obgleich in dieſen beiden Fällen eine wahre Darlehensſchuld entſteht, ſo geſchieht es doch nicht durch gegenwärtige Baarzahlung(i) licet coeperit esse mutua pecunia, tamen quia pecuniae numer atio non concurrit, ces - sat Senatusconsultum. , welches Geſchäft allein dem Senat ſo gefährlich erſchien.

Daß die Handlung des Stipulator ein wahres Credere, im techniſchen Sinn des Worts, war, ſagt auch unmittel - bar Quinctilian(k)Quinctilian. Lib. 4 C. 2 p. 319 ed. Burmann. certam creditam pecuniam peto ex stipulatione. Über die verſchie - dene Art, wie hierbey die Formel gefaßt ſeyn konnte, ſ. u. Num. XXXII. , und indirect Gajus; denn Dieſer er - wähnt die stipulatio tertiae partis bey der Klage de pe - cunia certa credita(l)Gajus IV. § 171 ex qui - busdam causis sponsionem fa - cere permittit, velut de pecu - nia certa credita sed cer - tae quidem creditae pecuniae tertiae partis. Vgl. IV. § 13.; wir wiſſen aber aus Cicero, daß dieſe Sponſion die drey Fälle, adnumeratio, expensilatio,536Beylage XIV. stipulatio, gleichmäßig umfaßte(m)Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5., welche alſo insgeſammt unter dem Ausdruck credita pecunia verſtanden waren. In einer anderen Stelle (III. § 124) ſagt derſelbe Gajus, eine L. Cornelia verbiete höhere Bürgſchaften als auf 20000 Seſterze: vetatur in ampliorem summam obligari credi - tae pecuniae, quam in XX. milium. Zur Erläuterung dieſes Verbots macht er zwey Bemerkungen. Erſtlich: pecuniam autem creditam dicimus non solum eam, quam credendi causa damus, sed omnem, quam certum est de - bitum iri, und namentlich gehöre alſo dahin auch die durch Stipulation verſprochene pecunia. Zweytens: Appellatione autem pecuniae omnes res in ea lege si - gnificantur; als Beyſpiele giebt er an: Wein, Weizen, ein Grundſtück, ein Sklave. Hier iſt nun ganz augen - ſcheinlich, daß er die ausgedehnte Bedeutung von pecunia als eigenthümlichen Sprachgebrauch dieſes Geſetzes an - giebt, dagegen die Bedeutung von credere, da es nicht auf das bloße Geben beſchränkt iſt, ſondern die Stipula - tion mit umfaßt, als den regelmäßigen juriſtiſchen Sprach - gebrauch.

Durch die hier nachgewieſene Bedeutung des Ausdrucks credere erhalten ein ganz eigenthümliches Licht Zwey Stellen der Lex Galliae cisalpinae Cap. XXI. XXII., in welchen zuerſt die Rede iſt von der pecunia certa credita signata forma publica populi Romani, und nachher von: quid praeter pecuniam certam creditam signatam forma537Die Condictionen. X. publica populi Romani. Wäre blos geſagt worden: pe - cunia certa credita, ſo hätte darunter, nach den ſo eben angeführten Stellen, auch jede aus Expenſilation oder Stipulation entſtandene Geldſchuld verſtanden werden müſ - ſen. Die Abſicht gieng aber dahin, lediglich die aus einem Darlehen in baarem, gemünztem Geld entſtandene Schuld von allen übrigen Forderungen in der Behandlung zu un - terſcheiden, und dieſe Abſicht wurde durch die hinzugefüg - ten Worte ausgedrückt, in welchen der Gedanke auf das ſinnlich wahrnehmbare Object, das der Obligation zum Grunde liegt, gelenkt wird. Das Bedürfniß einer ſo um - ſtändlichen Bezeichnung zeigt deutlich, daß die techniſche Bedeutung des Ausdrucks credita pecunia umfaſſender war, als der hier ausſchließend gemeynte Fall. Der hier ge - wählte Zuſatz hatte alſo denſelben Zweck wie der Ausdruck adnumerata pecunia bey Cicero, im Gegenſatz der ex - pensa lata und stipulata, welcher von ihm abſichtlich an - ſtatt des Ausdrucks credita gewählt war.

Ja ſogar der öfter vorkommende Ausdruck pecunia certa credita kann ſchon zum Beweiſe dienen, daß unter credita pe - cunia neben dem Darlehen auch zugleich die Stipulation ver - ſtanden werden muß. Bey dem Darlehen allein wäre jener Ausdruck völlig pleonaſtiſch, da das geliehene Geld ſtets eine gewiſſe Summe iſt(n)Man wende nicht ein, daß im Vertrauen auf die Redlichkeit des Empfängers auch ungezähltes Geld ausgeliehen werden könne. Kann der Creditor gar keine Sum - me angeben, auch nicht einmal als. Der Zuſatz certa bekommt538Beylage XIV. nur Bedeutung durch die Beziehung auf die Stipulation, da dieſe bald certa, bald incerta pecunia zum Gegenſtand haben kann.

Einige andere Beſtätigungen der hier aufgeſtellten An - ſicht von der Stipulation will ich nur kurz andeuten, da ich ſie ſchon an einem andern Ort weiter ausgeführt habe(o)Savigny über das alt - römiſche Schuldrecht, Abhandlun - gen der Berliner Akademie von 1833.. Die älteſte und wahrſcheinlichſte Etymologie von Stipulatio iſt die von Stips, Geld(p)Varro de lingua lat. Lib. 5 § 36, Festus v. stipem. , ſo daß Stipu - latio wörtlich ein Geldgeſchäft heißt, welches ſich unge - zwungen nur dann rechtfertigen läßt, wenn man in ihr zugleich die Fiction einer durch Gelddarlehen entſtandenen Verpflichtung anerkennt. Damit ſtimmt aber auch ganz beſonders die wahrſcheinliche Entſtehung der Stipulation zuſammen. Die Zwölf Tafeln hatten im Allgemeinen dem Nexum eine bindende Kraft beygelegt, und damit die nexi obligatio begründet, welche nichts Anderes war, als ein ſymboliſches Gelddarlehen, wie die Mancipation ein ſym - boliſcher Kauf, beide mit ſcheinbar zugewogenem Geld. Als ſpäter die nexi obligatio durch die Lex Poetelia ab - geſchafft wurde, und doch eine allgemeine Contractsform nicht entbehrt werden konnte, ließ man aus der nexi ob - ligatio die ſymboliſche Handlung weg, behielt aber die mündliche Frage und Antwort bey. Das ſo entſtandene(n)ein Minimum, ſo hat er keine Klage, und muß ſich mit dem Er - folg ſeines Vertrauens begnügen.539Die Condictionen. X. Geſchäft war die Stipulation, deren juriſtiſcher Character nun durch ihren Urſprung beſtimmt wurde. Daher er - ſcheint ſie als ein dem Darlehen verwandtes, aus ihm entſprungenes, Geſchäft, und ſie hat mit demſelben die Er - zeugung der Condiction eben ſo gemein, wie die expensi - latio. Eine nicht undeutliche Hinweiſung auf dieſen hiſto - riſchen Zuſammenhang der Stipulation, und dieſen Grund des in ihr enthaltenen credere, finde ich in den Worten der oben abgedruckten L. 2 § 5 de R. C. quodam actu ad obligationem comparandam interposito, veluti stipula - tione. Die allgemein lautenden Worte quodam actu, ſo wie das verbindende veluti, weiſen darauf hin, daß die Stipulation nicht der einzige Fall dieſer Art war, dann aber bleibt uns neben derſelben kein anderer Fall voraus - zuſetzen übrig, als die alte nexi obligatio, von deren Auf - hebung wir beſtimmte Nachricht haben, und die in der ur - ſprünglichen Stelle des Paulus (ehe ſie unter die Hände der Compilatoren kam) noch deutlicher bezeichnet geweſen ſeyn mag.

Mit dem hier dargeſtellten hiſtoriſchen Zuſammenhang iſt aber noch ein zweyter wohl vereinbar. Es iſt möglich, daß ſchon vor der L. Poetelia die eben beſchriebene Um - bildung der nexi obligatio in die Stipulation, zum Ge - brauch der Peregrinen in Rom, vorgenommen wurde. War Dieſes der Fall, ſo hatte die L. Poetelia, indem ſie für die Römer die nexi obligatio aufhob, blos die Folge, daß die bisher von den Peregrinen angewendete freyere540Beylage XIV. Geſchäftsform nun auch von den Römern angenommen wurde. Das Andenken der alten Verſchiedenheit erhielt ſich in der ſtets fortdauernden Regel, daß die Formel dari spondes? spondeo nur von Römiſchen Bürgern an - gewendet werden könne(q)Gajus III. § 93..

XI.

Endlich findet ſich noch eine, von den bisher erklärten ganz verſchiedene, Veranlaſſung der Condiction in dem le - gatum per damnationem. Daß hier in der That eine Condiction zuläſſig war, iſt nach mehreren Stellen un - zweifelhaft(a)L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.) Competit haec actio (nämlich die certi condictio) etiam ex legati causa. Gajus II. § 204 legatarius in personam agere debet, id est intendere, heredem sibi dare oportere; daß Dieſes eine Haupiform der Condiction war, wird noch unten gezeigt werden.. Eben dahin deutet die ſehr häufige Ver - bindung, worin die Klagen aus einer Stipulation und aus einem Teſtament neben einander genannt werden(b)L. 23 de V. O. (45. 1. ), L. 6 de in litem jur. (12. 3. ), L. 27 de solut. (46. 3. ) u. ſ. w. Vgl. Gans Obligationenrecht S. 31..

Auch dieſe Anwendung ſcheint wiederum der oben auf - geſtellten Grundlage der Condictionen zu widerſprechen, da der Legatar keinesweges Dasjenige, Was er früher gehabt hat, wieder bekommen, ſondern vielmehr etwas ganz Neues erwerben will. Allein dieſer Einwurf läßt ſich auf ähnliche Weiſe, wie der aus der Stipulation ent -541Die Condictionen. XI. nommene, und vielleicht ſelbſt mit noch größerer Entſchie - denheit, beſeitigen.

Die Grundlage des alten Civilteſtaments war das Nexum, und aus ihm war die Kraft jeder im Teſtament enthaltenen Beſtimmung abzuleiten. Der Erbe wurde da - her angeſehen, als hätte er durch nexi obligatio contra - hirt, und indem der Legatar aus dieſem, auch für ihn ge - ſchloſſenen, Contract klagte, mußte ſeine Klage, eben ſo wie die aus einer Stipulation entſpringende, die Natur einer Darlehensklage, alſo einer Condiction, annehmen.

Dieſer Zuſammenhang läßt ſich hier ſogar unmittelbar nachweiſen. Die nexi liberatio war die Auflöſung einer durch nexi obligatio gegründeten Verpflichtung(c)Gajus III. § 173.. Nun aber war für den Legatar, der den Erben von einem dam - nationis legatum frey geben wollte, die nexi liberatio die eigentliche Rechtsform(d)Gajus III. § 175. Nach dieſer Stelle war es ſtreitig, in welchen Fällen des Legats die nexi liberatio anwendbar ſey; vielleicht bezog ſich dieſer Streit auch auf die Natur der anzuwen - denden Condictionen (certi oder incerti).; daher mußte auch die ur - ſprüngliche Verpflichtung des Erben gegen ihn auf einer nexi obligatio beruht haben.

Allerdings paßt nun dieſe Herleitung der aus den Le - gaten entſpringenden Condictionen unmittelbar nur auf das Civilteſtament, und doch haben wir keinen Grund, bey prätoriſchen Teſtamenten die Zuläſſigkeit jener Condic - tion in Zweifel zu ziehen. Allein auch in anderen Stü -542Beylage XIV. cken wurden die aus der Natur des Civilteſtaments ent - ſprungenen Rechtsregeln ohne Weiteres auf das präto - riſche Teſtament übertragen; ſo namentlich die Nothwen - digkeit der testamenti factio in der Perſon des Teſtators, des Erben, der Legatare, und der Zeugen, obgleich dieſe urſprünglich auch nur in der Form der Mancipation ihren Grund hatte.

XII.

Die bisher dargeſtellten Fälle der Anwendung ſind ins - geſammt auf das allgemeine Princip der Condictionen zu - rückgeführt worden. Es bleiben jetzt noch Zwey Fälle übrig, die von dieſem Princip nicht abzuleiten ſind, und daher als Anomalieen angeſehen werden müſſen. Der ſehr geringe Umfang der darin enthaltenen Abweichungen würde allein ſchon den Zweifel beſeitigen, der hieraus ge - gen die Richtigkeit des Princips ſelbſt erhoben werden könnte; es kommt aber hinzu, daß in dem wichtigſten die - ſer Fälle die Ausnahmenatur von den Römern ſelbſt aus - drücklich anerkannt wird, wodurch derſelbe vielmehr zur Beſtätigung als zur Widerlegung des Princips dient. Dieſe beiden Fälle ſind die condictio ex lege und die con - dictio furtiva.

Die Natur der condictio ex lege wird von den - mern ſelbſt ſo angegeben:

  • L. 1 de cond. ex lege (13. 2.). (Paulus.) Si obligatio lege nova introducta sit, nec cautum543Die Condictionen. XII. eadem lege quo genere actionis experiamur, ex lege agendum est.

Die letzten Worte ſprechen freylich nicht ausdrücklich von einer Condiction; in Verbindung mit der Überſchrift des Titels muß aber unzweifelhaft eine ſolche Klage un - ter den Worten agendum est verſtanden werden.

Es iſt nicht zu ſagen, welcher Misbrauch von manchen neueren Schriftſtellern mit dieſem Namen getrieben wor - den iſt. Wo man nur ein Klagrecht fand, das man nicht auf anerkannte Rechtsregeln zurück zu führen wußte, theilte man ihm jenen Namen mit, und ſetzte etwa die Zahl und Rubrik der Digeſtenſtelle bey, woraus das Daſeyn des Klagrechts bewieſen werden ſollte(a)So z. B. condictio ex L. 32 de reb. cred., auch wohl condictio Juventiana genannt. Vgl. oben B. 3 § 136. f. . Es war nun ein höchſt bequemer Name geworden, um alle Klagen zu be - zeichnen, wofür man gerade keinen anderen Namen kannte, und es war ganz conſequent, dieſen Namen mit dem der actio in factum abwechſlend zu gebrauchen(b)Glück B. 13 S. 238., obgleich kaum im ganzen Römiſchen Recht ein ſtärkerer Wider - ſpruch zu finden iſt, als zwiſchen dieſen beiden Arten von Klagen. Indem man dieſe Bequemlichkeit auf neueres Recht übertrug, ſprach man auch von einer condictio ex canone, ex statuto, ex moribus. Es wird jetzt kaum mehr nöthig ſeyn zu bemerken, daß Paulus nur an Kla - gen aus Volksſchlüſſen dachte, alſo nicht an ſolche, die544Beylage XIV. aus dem Edict oder durch die fortbildende Interpretation der Juriſten entſtanden waren; dagegen iſt es ganz in ſeinem Sinn, wenn wir auch diejenigen Klagen mit hinzu rech - nen, die erſt nach der Zeit des Paulus durch kaiſerliche Edicte eingeführt wurden, und es wird ſich ſogleich zeigen, daß Juſtinian dieſe Conſequenz in mehreren Fällen aus - drücklich anerkannt hat.

XIII.

Paulus verlangt aber ferner zur Anwendung der con - dictio ex lege, daß die Klage lege nova eingeführt ſey; welches iſt nun hier die Gränze der alten und neuen leges, und worin liegt der Grund dieſer Einſchränkung?

Manche haben geſagt, Paulus meyne alle Volksſchlüſſe, die nach den Zwölf Tafeln erlaſſen waren(a)Glück B. 13 S. 252.; dann - ren ausgeſchloſſen die in den Zwölf Tafeln eingeführten furti actiones, dagegen müßte die actio L. Aquiliae eine condictio ex lege genannt werden, die doch durchaus keine Condiction war, welches unten dargethan werden wird(b)Ich darf kaum erwarten, daß Jemand die Einwendung ver - ſuchen möge, die L. Aquilia gebe deswegen nicht Veranlaſſung zu einer condictio ex lege, weil ſie ja das anzuwendende genus ac - tionis ausdrücklich beſtimmt habe, nämlich eben die bekannte actio Legis Aquiliae. Wenn Dieſes als Beſtimmung des genus actio - nis gelten dürfte, ſo wäre, nach der Angabe des Paulus, überhaupt keine condictio ex lege möglich geweſen, da es keinen Römiſchen Volksſchluß gab, der nicht mit einem ſolchen perſönlichen Namen hätte bezeichnet werden können.. Paulus dachte ohne Zweifel an die wichtige Veränderung, die in Folge der L. Aebutia vorgegangen war, indem da -545Die Condictionen. XIII. mals durch das Edict des Prätors für alle gangbare Kla - gen eigene formulae aufgeſtellt wurden. Solche formulae waren nun gewiß für alle aus früheren Volksſchlüſſen ent - ſpringende Klagen gegeben; wenn aber nachher ein Volks - ſchluß eine neue Klage einführte, ohne ihr zugleich eine Klagform anzuweiſen, ſo gab man ihr ohne Weiteres die condictio ex lege, das heißt die Intentio: dare (oder dare facere) oportere, ohne Rückſicht darauf, ob das allgemeine Condictionenprincip dieſe Anwendung rechtfertigte oder nicht. Dem Princip nach konnte nur in der oben ent - wickelten Reihe von Fällen ein oportere, das heißt das Daſeyn einer wahren Obligation nach jus civile, behaup - tet werden; allein wenn ein Volksſchluß (oder ſpäterhin ein Kaiſergeſetz) eine ſolche Obligation neu einführte, ſo war natürlich ihr Daſeyn nicht weniger gewiß, als wenn ſie aus jenem Princip hätte abgeleitet werden können.

Hierin liegt der Erklärungsgrund der Anomalieen, die etwa in der Anwendung der condictio ex lege wahrge - nommen werden mögen. Welchen ſparſamen Gebrauch die Römer davon gemacht haben, wird ſich gleich zeigen.

Die eben verſuchte chronologiſche Beſtimmung führt nun allerdings nicht weit, da wir das Jahr der L. Aebu - tia eben ſo wenig kennen, als das der meiſten älteren Volksſchlüſſe.

Ich will jetzt die wenigen ſicheren Anwendungen der condictio ex lege angeben.

Nur ein einziger Volksſchluß kann dahin gerechnet wer -V. 35546Beylage XIV. den. Nach der L. Julia de adulteriis ſollte, im Fall der Freyſprechung, dem Eigenthümer der durch die Folter ge - tödteten oder beſchädigten Sklaven Erſatz gegeben wer - den; wenn der Sklave blos Zeuge war, einfacher Erſatz, wenn er ſelbſt des Ehebruchs beſchuldigt war, doppelter Erſatz. Dabey wird ausdrücklich hinzugeſetzt: per con - dictionem quae ex lege descendit(c)L. 27 § 15, 16 L. 28 ad L. J. de adult. (48. 5.).. Dieſe Anwendung der Condictionen liegt völlig außer dem Condictionenprin - cip, da der Werth des verletzten Sklaven gar nicht in das Vermögen Desjenigen gekommen war, welcher jetzt den einfachen oder doppelten Erſatz leiſten ſollte.

Wenn ein Kläger ſeine Forderung übertreibt, und da - durch dem Beklagten unnöthige Prozeßkoſten zuzieht, ſo ſoll er nicht nur Entſchädigung zahlen, ſondern auch noch die zweyfache Summe derſelben als Strafe zulegen, und bey dieſer Vorſchrift Juſtinians heißt es ausdrücklich: ex lege condicticiam emanare(d)§ 24 J. de act. (4. 6.).. Auch dieſe Klage liegt ganz außer dem Princip der Condictionen.

Ein ähnlicher Ausdruck wird gebraucht, wenn der Klä - ger mit der hereditatis petitio abgewieſen wird, nachdem er vorher Erbſchaftsſchulden aus ſeinem Vermögen ausbe - zahlt hatte. Dieſe ſoll er von dem wahren Erben (gegen welchen er ohne Erfolg geklagt hatte) wieder fordern kön - nen negotiorum gestorum, vel ex lege condictione(e)L. 12 § 1 in f. C. de pet. hered. (3. 31.). Außerdem kann ohne Zweifel der abgewieſene Klä - ger die gezahlte Summe von dem Empfänger zurück fordern mit der. 547Die Condictionen. XIV. Hier möchte jedoch die gewöhnliche condictio sine causa ausreichen, da unſtreitig der wahre Erbe den Werth die - ſes ausgelegten Geldes in ſein Vermögen bekommen hat, ſo daß in dieſer Stelle der Name unrichtig angewendet zu ſeyn ſcheint.

Kein Bedenken hat ferner die Anwendung der con - dictio ex lege, wenn durch nudum pactum, ohne Stipu - lation, entweder eine Dos verſprochen wird(f)L. 6 C. de dotis promiss. (5. 12.)., oder eine Schenkung(g)L. 35 § 5 C. de don. (8. 54.). Vgl. oben B. 4 § 169. S. 231.. Für beide Fälle nämlich ſind durch die hier angeführten Kaiſergeſetze Klagen neu eingeführt wor - den, die ſich auf das allgemeine Condictionenprincip nicht zurückführen laſſen, und es iſt ganz zufällig, daß der Name condictio ex lege in dieſen Stellen nicht gebraucht wird.

Eben ſo iſt die Klage, womit die Schenkung wegen Undankbarkeit des Beſchenkten zurückgefordert wird, als eine condictio ex lege anzuſehen. (Syſtem § 169.)

XIV.

Für ungewiß halte ich die Anwendung der condictio ex lege bey der Klage ex lege Cornelia de injuriis(a)L. 5 de injur. (47. 10.).; wir wiſſen nämlich nicht, ob dieſer Volksſchluß in dem(e)condictio indebiti, welches hier nur nicht erwähnt iſt, und in welchem Fall der wahre Erbe gar nicht befreyt wird (L. 19 § 1 de cond. indeb. 12. 6.). Es wird alſo hier vorausgeſetzt, daß es der Zahlende vorzieht, die Zahlung als gültig anzuerkennen, und ſeinen Regreß an den wahren Erben zn nehmen.35*548Beylage XIV. oben beſtimmten Sinn eine lex nova war (welches ich je - doch für wahrſcheinlich halte), und eben ſo wenig, ob er nicht das genus actionis ſelbſt beſtimmt hatte.

In folgenden Fällen endlich halte ich die Anwendung der condictio ex lege entſchieden für verwerflich.

Zuerſt bey dem damnationis legatum. Die hier un - ſtreitig geltende Condiction (Num. XI. ) könnte man für eine condictio ex lege XII. tabularum halten, um dadurch die oben verſuchte, vielleicht zu künſtlich ſcheinende, Erklä - rung der Condiction des Legatars zu beſeitigen, wenn ir - gend ein Sprachgebrauch denkbar wäre, nach welchem jenes Geſetz als lex nova bezeichnet werden könnte.

Ferner konnte Derjenige, welcher ſich gegen die Vor - ſchriften der L. Cincia verpflichtet, und hieraus gezahlt hatte, das gezahlte Geld zurück fordern, und zwar ohne Zweifel mit einer Condiction(b)Vatic. Fragm. § 266. S. o. Syſtem B. 4 § 165. d1. ; dennoch halte ich die An - wendung einer condictio ex lege Cincia für ungegründet. Zwar ob das erwähnte Geſetz als eine lex nova in dem oben beſtimmten Sinn bezeichnet werden konnte, will ich dahin geſtellt ſeyn laſſen; allein in jenem Fall möchte wohl die condictio sine causa, oder ob injustam causam, alſo das gewöhnliche Condictionenprincip, ausgereicht haben, ſo daß zur Ergänzung durch die condictio ex lege kein Bedürfniß vorhanden war.

Endlich, was wichtiger iſt, darf durchaus nicht die actio L. Aquiliae für eine condictio ex lege, oder über -549Die Condictionen. XIV. haupt für eine Condiction, gehalten werden (vgl. Num. XX). Schon eine lex nova im Sinn des Paulus dürfte die L. Aquilia ſchwerlich geweſen ſeyn, doch läßt ſich darüber Nichts unmittelbar beweiſen, da wir über ihr Zeitalter faſt gar Nichts wiſſen; aber daß ſie keine Condiction war, muß jedem Unbefangenen einleuchten, der die Digeſtentitel de condictione furtiva und ad Legem Aquiliam hinter ein - ander durchlieſt; denn dort iſt faſt in jeder Stelle von condictio und condicere die Rede, hier in keiner einzigen Stelle, ſo oft auch die Klagen in den verſchiedenſten Wendungen und Modificationen erwähnt werden. Die - ſelbe durchgeführte Verſchiedenheit des Ausdrucks, die hier bey der Vergleichung ganzer Titel zur unverkennbaren Anſchauung kommt, findet ſich kürzer zuſammen gedrängt in einer einzelnen Stelle, worin beide Klagen mit einander verglichen werden(c)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Quaesitum est, si condictus fuerit ex causa fur - tiva, an nihilo minus L. Aqui - lia agi possit. Et scripsit Pom - ponius, agi posse, quia alte - rius aestimationis est L. Aqui - liae actio, alterius condictio ex causa furtiva etc. .

Ein ſehr ſcheinbarer Zweifel allerdings könnte herge - nommen werden aus einer in einem andern Digeſtentitel befindlichen Stelle(d)L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.)., worin von der certi condictio, das heißt von der auf eine beſtimmte Geldſumme gerichteten Condiction, geradezu geſagt wird: Competit haec actio etiam ex legati causa, et ex lege Aquilia.

550Beylage XIV.

Der Fall der Anwendung wird nicht hinzugeſetzt, und wir haben daher einen ſolchen Fall aufzuſuchen, aus wel - chem ſich einestheils die Anwendung der Condiction nach unſrem Condictionenprincip, anderntheils die ſo äußerſt ſeltene Erwähnung derſelben, befriedigend erklärt.

Das Weſen des damnum injuria datum beſteht darin, daß der Beſchädigte durch die verletzende Handlung eines Andern ärmer wird; gewöhnlich gewinnt dabey der Ver - letzer gar Nichts, zuweilen jedoch geſchieht Dieſes aller - dings, und dann hat dieſer hinzutretende ſeltene Umſtand manche eigenthümliche Folgen(e)L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2. ), vgl. Syſtem § 212. g. . Unter dieſe beſonderen Folgen kann denn auch die Entſtehung einer Condiction neben der actio L. Aquiliae gehören, die dem juriſtiſchen Entſtehungsgrund nach von ihr ganz verſchieden iſt, den Erfolg aber (die Entſchädigung) mit ihr großentheils ge - mein hat. Wenn z. B. mein Schuldner den von ihm aus - geſtellten Schuldſchein über geliehenes baares Geld zer - ſtört, und mir dadurch den Verluſt der Schuldklage zu - zieht, ſo habe ich gegen ihn wegen der Zerſtörung die actio L. Aquiliae(f)L. 40. 41. 42 ad L. Aquil. (9. 2. ), L. 27 § 3 L. 3 § 1 de furtis (47. 2.)., wegen ſeiner Bereicherung eine con - dictio sine causa, die hier allerdings eine certi condictio ſeyn wird. Eben ſo, wenn mein adstipulator den Schuld - ner eigenmächtig von der Schuld befreyte, ſo hatte ich wegen dieſer Beſchädigung gegen ihn eine actio L. Aqui -551Die Condictionen. XV. liae(g)Gajus III. § 215. 216.; wenn er ſich ſelbſt aber dadurch bereicherte, z. B. indem er nachher des Schuldners Erbe wurde, ſo hatte ich wegen dieſer Bereicherung gegen ihn gleichfalls eine certi condictio sine causa auf die Summe der mir entzogenen Forderung(h)Dieſen Fall bezieht hierauf richtig Heffter Observ. in Gajum L. 4 p. 66.. Gerade daß dieſe Fälle ſo ſelten und verwickelt ſind, paßt vollkommen zu dem ſonſt räthſelhaften Umſtand, daß die Condiction hier zwar als unzweifelhaft erwähnt wird, aber nur ein einzigesmal im ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen, und nur ganz bey - läufig bey der certi condictio, um die große Mannich - faltigkeit der Fälle bemerklich zu machen, welche zu dieſer Klage Anlaß geben können.

Es tritt alſo hier ein ganz ähnliches Verhältniß ein wie bey dem Diebſtahl. Dieſer erzeugt zwey ganz ver - ſchiedenartige Klagen: aus dem Delict entſteht die furti actio, aus der grundloſen Bereicherung die condictio fur - tiva, welches Verhältniß durch die gleich folgende Be - trachtung deutlicher hervor treten wird. Der Unterſchied liegt nur darin, daß bey dem damnum die Bereicherung äußerſt ſelten, bey dem Diebſtahl dagegen jedesmal eintritt.

XV.

Es bleibt nun noch übrig, die condictio furtiva zu be - trachten, als die zweyte unter den Klagen, welche von der regelmäßigen Natur der Condictionen abweichen (Num. 552Beylage XIV. XII.). Die genaueſte und häufigſte Bezeichnung derſelben iſt condictio ex causa furtiva(a)L. 2, 3, 5, 8 § 1, 9, 16, 18 de cond. furt. (13. 1. ), L. 2 § 3 de priv. del. (47. 1. ), und viele andere Stellen.; der Name condictio furtiva findet ſich weit ſeltener(b)Der Ausdruck kommt vor in der Titelrubrik der Digeſten (13. 1. ) und des Codex (4. 8. ), ferner in L. 3 § 2, L. 21 § 5 rer. amot. (25. 2. ), vielleicht auch ſonſt noch, aber gewiß nicht häufig. In der zuletzt angeführten Stelle iſt noch die Leſeart zweifelhaft, da die Vul - gata lieſt: ex causa furtiva. , und iſt eigentlich nur eine bequeme Abkürzung jenes erſten Ausdrucks.

Es würde ganz unrichtig ſeyn, wenn man das Daſeyn dieſer Klage überhaupt, ſo wie die häufigſten Anwendun - gen derſelben, als Abweichung von dem allgemeinen Con - dictionenprincip halten wollte. Wenn der Dieb geſtohlenes Geld in ſeinen Nutzen verwendet, oder den geſtohlenen Weizen aufzehrt, ſo bereichert er ſich ohne Rechtsgrund auf Koſten des Beſtohlenen, der ſein Eigenthum durch Zer - ſtörung der Sache verliert, und für Fälle dieſer Art iſt die allgemeine condictio sine causa völlig ausreichend (Num. VIII.). Selbſt wenn der Dieb die Sache wieder verliert, iſt er zwar ohne Bereicherung dennoch verpflichtet, aber Dieſes iſt nur eine Folge der den Diebſtahl ſtets be - gleitenden Mora(c)L. 17, 20, 8 pr. de cond. furt. (13. 1.)., enthält alſo keine Abweichung von den für die condictio sine causa als ſolche geltenden Rechtsregeln.

So iſt alſo dieſe Klage eigentlich nur eine einzelne Anwendung der condictio sine causa, und ſie würde über -553Die Condictionen. XV. haupt nicht als eine beſondere Klage behandelt, und mit einem eigenen Namen belegt worden ſeyn, wenn nicht fol - gender Umſtand dieſe Behandlung nöthig gemacht hätte. Das Bedürfniß und die Möglichkeit der Condiction iſt nach allgemeinen Regeln dadurch bedingt, daß der Beklagte nicht mehr die Sache ſelbſt beſitzt, weil außerdem die Vin - dication ausreicht, und das dare, als Gegenſtand der Con - diction, unmöglich iſt. (Num. V.) Eigentlich alſo müßte der Beſtohlene zuerſt genau unterſuchen, ob das geſtohlene Geld noch unvermiſcht vorhanden iſt, und wenn er es hierin verſieht, ſo wird er wegen der unrichtig gewählten Klage abgewieſen werden; ja die größte Vorſicht kann ihn hierin nicht ſichern, da es in der Willkühr des Diebes ſteht, das Geld noch jetzt augenblicklich auszugeben oder mit anderem Geld zu vermiſchen. Da es nun ſehr billig iſt, den Beſtohlenen, dem Diebe gegenüber, von dieſer Verlegenheit und Gefahr zu befreyen, ſo iſt für dieſen Fall, ausnahmsweiſe, die Condiction geſtattet worden, auch wenn die Sache noch vorhanden iſt, ſo daß deshalb auch die Vindication möglich geweſen wäre(d)Gajus IV. § 4. certum est, non posse nos rem nostram ab alio ita petere: si paret eum dare oportere, nec enim, quod nostrum est, nobis dari potest Plane odio furum, quo magis pluribus actionibus teneantur, effectum est, ut ex hac actione etiam tenean - tur: si paret eos dare opor - tere: quamvis sit etiam ad - versus eos haec actio, qua rem nostram esse petimus. § 14 J. de act. (4. 6. ), L 1 § 1 de cond. trit. (13. 3.). Der Vor - theil, der dem Beſtohlenen durch die Zulaſſung dieſer Klage zuge - wendet werden ſoll, muß auf die oben im Text entwickelte Weiſe ge - dacht werden, nicht als ob es ihm,. In dieſer554Beylage XIV. Anwendung allein iſt alſo jene Klage als eine von der allgemeinen Regel der Condictionen abweichende anzuſehen, und die Abweichung iſt nur darin zu ſetzen, daß in dieſem Fall das außerdem geltende alternative Verhältniß der Condiction zur Vindication (Num. V. f. g.) zum Vortheil des Klägers aufgegeben wird.

XVI.

Die Condiction, in der hier erklärten abweichenden Natur, iſt dann auch angewendet worden auf den an ſich verſchiedenen, aber verwandten, Fall, wenn dem Eigen - thümer der Beſitz eines Grundſtücks mit Gewalt entzogen wird; auch hier ſoll er ausnahmsweiſe die eigene Sache condiciren, alſo zwiſchen der Condiction und Vindication wählen dürfen. Anfangs war dieſe Ausdehnung beſtritten,(d)wenn wirklich die Sache unzweifel - haft vorhanden iſt, von beſonderem Werth ſeyn könnte, gerade auch eine Condiction, vorzugsweiſe vor der Vindication, zu erhalten: denn die eine dieſer Klagen giebt ihm in einem ſolchen Fall nicht mehr als die andere. Es iſt alſo wohl zu bemerken, daß die ganze Schwierigkeit und die dadurch - thig befundene Anomalie lediglich durch die hergebrachten Klagfor - mulare herbeygeführt wurde. Da - her iſt es eigentlich ſehr unpaſſend, daß in Juſtinians Inſtitutionen die Sache noch ſo, wie bey Gajus, vorgetragen wird, da man doch zu ſeiner Zeit die alten formulae ſchon längſt bey Seite gelegt hatte, alſo auch nicht mehr mit dare oportere intendirte. Auch ſchon zu des Gajus Zeit wäre bey dem Gebrauch der Formel dare facere oportere gar keine Schwierigkeit geweſen, da dieſe auch das bloße restituere in ſich ſchloß; wahr - ſcheinlich wollte man aber dem Beſtohlenen auch die eigenthüm - lichen Vortheile der Formel dare oportere nicht entgehen laſſen, von welchen noch unten die Rede ſeyn wird. Die Ungewißheit frey - lich, mit ihren prozeſſualiſchen Ge - fahren, blieb immer übrig.555Die Condictionen. XVI. ſpäterhin iſt ſie beſtimmt anerkannt worden(a)Labeo war dagegen, Sa - binus, Celſus, Ulpian dafür, und ihre Meynung iſt von Juſtinian durch die Aufnahme folgender Stel - len anerkannt. L. 25 § 1 de furtis (47. 2. ), L. 2 de cond. trit. (13. 3.).; es iſt aber nicht zu läugnen, daß dazu weniger dringender Grund vorhanden iſt, als bey der geſtohlenen Sache, indem ein Grundſtück nicht zerſtört, und auch der gegenwärtige Be - ſitzer leicht erforſcht werden kann.

Andere Ausdehnungen der Condiction ſind nur ſchein - bar, indem die Fälle, worauf ſie bezogen werden, ſchon unter dem urſprünglichen Begriff derſelben unmittelbar enthalten ſind.

So gilt zwar unzweifelhaft die Condiction im Fall des gewaltſamen Raubes(b)L. 2 § 26 vi bon. rapt. (47. 8. ), L. 1 § 1 de cond. trit. (13. 3.).; aber Dieſes iſt nicht Ausdeh - nung, da der Raub, eben ſo wie der heimliche Diebſtahl, ein wahres, eigentliches furtum iſt(c)L 1, L. 2 § 10. 26 vi bon. rapt. (47. 8.)..

Eben ſo gilt die Condiction bey der Entwendung unter Ehegatten(d)L. 17 § 2 rer. amot. (25. 2.). Nur darüber kann man zweifelhaft ſeyn, ob die actio rerum amo - tarum ſelbſt eine condictio iſt (L. 26 eod.. ), oder ob neben ihr die davon verſchiedene condictio furtiva gilt (L. 21 § 5 eod.). Doch iſt es nicht ſchlechthin nöthig, zwiſchen dieſen Stellen einen Wider - ſpruch anzunehmen. Das allge - meine Princip der condictio sine causa paßt hier, wie bei jedem anderen Diebſtahl (Num. XV.).; aber auch dieſe Handlung iſt ein wahres, eigentliches furtum, deſſen Folgen nur, aus Schonung des ehelichen Verhältniſſes, etwas gemildert werden ſollen(e)L. 1 L. 29 rer. amot. (25. 2.)..

556Beylage XIV.

XVII.

Nach der hier gegebenen Darſtellung iſt alſo die con - dictio furtiva keine Delictsklage, indem ſie nicht, ſo wie die furti und doli actio, aus einem Delict entſteht; ſie entſteht vielmehr, eben ſo wie jede andere condictio sine causa, aus des Gegners grundloſer Bereicherung durch unſer Eigenthum, alſo aus einem als Quaſicontract zu bezeichnenden Rechtsgeſchäft. Daneben ſoll jedoch nicht be - ſtritten werden, daß ſie bey Gelegenheit eines Delicts ent - ſteht, ja daß das Daſeyn deſſelben die nothwendige Vor - ausſetzung iſt, ohne welche ſie, mit der oben dargeſtellten eigenthümlichen Natur, gar nicht entſtehen kann.

Dieſe Meynung aber iſt keinesweges allgemein aner - kannt, vielmehr iſt die Natur dieſer Klage, und namentlich die Frage, ob ſie ex delicto entſteht oder nicht, ſeit Jahr - hunderten Gegenſtand einer großen Controverſe unter den Rechtslehrern(a)Einer der neueſten Verthei - diger der Delictsnatur dieſer Klage iſt Francke Beyträge S. 28 33. Schriftſteller über dieſe Streitfrage finden ſich reichlich angeführt bey Glück B. 13 § 839. Die Ablei - tung aus einem quasicontractus findet ſich ſchon bey Anderen, z. B. Lyclama benedictor. Lib. 1 C. 1 8. Krug de condict. furt. Lips. 1830 p. 8 12 hält ſie zwar für eine Delictsklage, will aber ihre Entſtehung (ohne hinreichende Gründe) aus der Fiction eines Abfindungsvertrags ableiten, und daraus ihre Eigenthümlichkeiten erklären, z. B. den Übergang auf die Erben des Diebes.. Für die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Lehre von den Condictionen iſt aber dieſe Frage ſehr wichtig. Denn wenn jene Condiction wirklich eine Delictsklage iſt, ſo iſt damit jene Lehre ſchwer zu vereinigen. Selbſt die557Die Condictionen. XVII. exceptionelle Natur der condictio furtiva würde dagegen wenig Schutz gewähren, da ich ſelbſt darzuthun geſucht habe, daß dieſe Natur keinesweges der Klage überhaupt, ſondern nur einer einzelnen Anwendung derſelben zuzu - ſchreiben iſt (Num. XV.). Durch folgende Gründe nun glaube ich die Delictsnatur der Klage völlig widerlegen zu können.

Zuerſt ſetzt ſie Ulpian in folgender Stelle wörtlich und ganz beſtimmt allen Klagen ex maleficio entgegen, indem er jedoch bemerkt, daß die Compenſation auf ſie, eben ſo wie auf jene Klagen (zu welchen ſie alſo nicht gehört) an - wendbar ſey(b)L. 10 § 2 de compens. (16. 2.).: Quotiens ex maleficio oritur actio, utputa ex causa furtiva, ceterorumque maleficiorum, si de ea pecu - niarie agitur, compensatio locum habet. Idem est et si condicatur ex causa furtiva. Es giebt alſo nach dieſer Stelle, aus Veranlaſſung des Diebſtahls (ex causa furtiva), zwey verſchiedene Klagen. Die eine iſt ex maleficio (unzweifelhaft die furti actio); die andere (die alſo nicht ex maleficio oritur) iſt die con - dictio furtiva.

Das in dem Diebſtahl enthaltene Delict wird ganz auf gleiche Weiſe angenommen bey dem Diebe ſelbſt, und bey deſſen Gehülfen und Rathgebern, und dieſe alle werden von derſelben Strafe betroffen, wie der Dieb(c)§ 11 J. de oblig. ex del. (4. 1.).. Die558Beylage XIV. Condiction aber geht gegen ſie nicht(d)L. 6 de cond. furt. (13. 1.)., und dieſe Ver - ſchiedenheit iſt nur daraus zu erklären, daß die Condiction gar nicht aus dem Delict entſpringt, ſondern aus der Thatſache der grundloſen Bereicherung, einer Thatſache, die von dem zugleich vorhandenen Delict völlig verſchieden, und dagegen mit vielen anderen Fällen der Bereicherung, die keine Beziehung auf ein Delict haben, ganz gleich - artig iſt.

Ganz entſcheidend ſind ferner die Rechtsverhältniſſe, welche eintreten, wenn der Diebſtahl von einem Sklaven, (oder auch von einem filiusfamilias) begangen wird. Hier ſind die allgemeinen Rechtsregeln über die verpflichtenden Handlungen ſolcher abhängigen Menſchen folgende(e)Die Beweiſe dieſer Sätze ſind ſchon oben zuſammen geſtellt worden in der Beylage IV, Bd. 2 S. 424 428, und im Syſtem § 211. a. :

1) Verhältniſſe zu fremden Perſonen.

a) Der Herr des Sklaven kann belangt werden bald mit der actio de peculio, bald mit der actio noxalis, und zwar ſo, daß dieſe beide Klagen in einem ausſchließenden Verhältniß zu einander ſtehen. Aus Contracten (und Quaſi - contracten) entſteht eine actio de peculio, niemals actio noxalis: aus Delicten actio noxalis, niemals de peculio(f)L. 49 de O. et A. (44. 7.)..

b) Der Sklave ſelbſt kann nach der Freylaſſung be - langt werden aus Delicten, nicht aus Contracten; oder mit andern Worten, ſeine Obligationen aus Delicten ſind nun civiles, die aus Contracten naturales(g)L. 1 § 18 depos. (16. 3.)..

559Die Condictionen. XVII.

2) Verhältniſſe zu dem eigenen Herrn.

Aus Contracten entſpringen naturales obligationes, welche während der Gewalt und nach der Freylaſſung wirkſam ſind. Aus Delicten entſpringen hier gar keine Obligationen, weder civiles noch naturales, weder im Sklavenſtand, noch nach der Freylaſſung.

In allen dieſen Beziehungen nun zeigt ſich die condictio furtiva durchaus als eine Contractsklage(h)Nämlich eigentlich quasi ex contractu, ganz wie die condictio indebiti, sine causa u. ſ. w., die durchaus denſelben allgemeinen Charaeter an ſich tragen, wie die wahren Contractsklagen., alſo in einer, der furti actio gänzlich entgegengeſetzten, Weiſe.

1) Wenn der Sklave oder Sohn einen Dritten be - ſtiehlt, ſo geht:

a) Gegen den Herrn oder Vater die Klage de peculio, alſo nicht noxalis, und auch de peculio nur, inſofern der Herr oder Vater durch den Diebſtahl reicher geworden iſt(i)L. 3 § 12 de peculio (15. 1. ) et est verius, in quan - tum lecupletior factus esset actionem de peculio dandam (nämlich die condictio, nach deren Zuläſſigkeit vorher gefragt worden war). L. 30 pr. de act. emti (19. 1. ) si jam traditus furtum mihi fecisset (nämlich wenn mich mein geweſener Sklave beſtahl, nachdem ich ihn veräußert hatte), aut omnino condictionem eo nomine de peculio non ha - berem, aut eatenus haberem, quatenus ex re furtiva auctum peculium fuisset. L. 4 de cond. furt. (13. 1. ) quod ad eum pervenit ſ. u. Num. XVIII, wo dieſe Stelle erklärt werden wird.. Dieſe Beſchränkung aber iſt ſo zu erklären. Wenn das geſtohlene Geld ſogleich verſchwendet wird, ſo daß kein Werth im Vermögen zurück bleibt, ſo müßte auch gegen den gewöhnlichen Dieb eigentlich keine Klage gelten,560Beylage XIV. weil er nicht mehr bereichert iſt; daß ſie gegen ihn dennoch gilt, kommt nur daher, daß er als Dieb beſtändig in Mora iſt. Iſt nun der Dieb ein Sklave, ſo geht die Klage gegen den Herrn als actio de peculio, aber ohne dieſe ſchärfende Modification; denn da der Herr nicht Dieb iſt, ſo iſt er auch nicht in Mora, und kann alſo auch nur verklagt werden, inſofern er eine gegenwärtige Bereiche - rung hat. Genauer muß man Dieſes ſo ausdrücken: gegen den Herrn geht zwar die condictio, aber nicht als furtiva, ſondern als die gewöhnliche, unmodificirte, sine causa(k)L. 30 pr. de act. emti (19. 1.) .. condictio eo no - mine mihi adversus te compe - tat, quasi res mea ad te sine causa pervenerit. Genau ge - nommen iſt es hier auch deswegen keine eigentliche actio de peculio, weil dieſe Klage wegen Bereiche - rung des Herrn aus dem Diebſtahl ſeines Sklaven ſelbſt dann gelten muß, wenn der Sklave gar kein Peculium hatte. Darauf geht vielleicht der ſchwankende Ausdruck (aut omnino non haberem) der L. 30 cit. in Note i, und eben ſo auch der ſonſt zu unein - geſchränkte Ausdruck der L. 5 de cond. furt. (13. 1. ) num - quam enim ea condictione alius, quam qui fecit, tenetur, aut heres ejus. Gewiß iſt durch dieſe Worte auch die Möglichkeit verneint, die Condiction als actio noxalis anzuſtellen..

b) Gegen den ſtehlenden Sklaven ſelbſt geht die Con - diction nach der Freylaſſung gar nicht, weil die ihr zum Grund liegende Obligation, als contractliche, nur natu - ralis iſt, während die furti actio, als Delictsklage, aller - dings gegen ihn geht(l)L. 15 de cond. furt. (13. 1.) Quod ab alio servus sub - ripuit, ejus nomine liber furti tenetur: condici autem ei non potest, nisi liber contrectavit. Dieſe Stelle iſt eigentlich die ent - ſcheidendſte unter allen, und mit ihr läßt ſich die Delictsnatur der condictio furtiva durchaus nicht vereinigen, da die Regel: noxa caput sequitur allgemein und durchgreifend für alle Delictsklagen.

561Die Condictionen. XVII.

2) Wenn der Sklave den eigenen Herrn beſtiehlt, ſo entſteht daraus die der Condiction eigene Obligation als naturalis, ſo daß durch ſie das Peculium ipso jure ver - mindert wird, und ſie wirkt als ſolche auch nach der Freylaſſung fort(m)L. 30 pr. de act. emti (19. 1. ) ipso jure ob id factum minutum esse peculium, eo scilicet, quod debitor meus ex causa condictionis sit factus. .

Endlich liegt ein entſcheidender Grund gegen die Delicts - natur der Condiction auch in dem Umſtand, daß ſie un - bedingt gegen den Erben des Diebes geht(n)L. 5 L. 7 § 2 de cond. furt. (13. 1.).. Wäre ſie eine Delictsklage, ſo würde der Erbe nur inſoweit ver - pflichtet ſeyn, als er durch den Diebſtahl bereichert wäre(o)Syſtem § 211. h. ; ſie hat aber eine contractliche Natur, und ihre Unabhän - gigkeit von fortdauernder Bereicherung gründet ſich bey dem Diebe ſelbſt auf deſſen ſtete Mora: contractliche Klagen aber gehen regelmäßig gegen die Erben, und eben ſo wirkt die einmal begründete Mora von ſelbſt fort(p)L. 87 § 1 de leg. 2. (31. un.). , weshalb ſie weder durch des Glaubigers, noch durch des Schuld - ners Tod unterbrochen wird(q)L. 27 de usuris (22. 1.)..

(l)gilt. Die Schlußworte machen keine Schwierigkeit, denn die nach der Freylaſſung wiederholte Con - trectation iſt ein neuer Diebſtahl, welcher, unabhängig von den vor - hergegangenen Handlungen, die gewöhnlichen Folgen nach ſich zieht.

V. 36562Beylage XIV.

XVIII.

Es dürfen jedoch Zwey Stellen nicht verſchwiegen werden, die gegen die Wahrheit der hier vorgetragenen Lehre Zweifel erregen könnten.

Die eine, von Ulpian herrührend, lautet alſo(a)L. 4 de cond. furt. (13. 1.).: Si servus vel filiusfamilias furtum commiserit, con - dicendum est domino id, quod ad eum pervenit: in residuum, noxae servum dominus dedere potest. Auf den erſten Blick ſcheint dieſe Stelle die Condiction für eine Delictsklage zu erklären, die als actio noxalis gegen den Herrn angeſtellt werden könne. Da ſie aber, ſo ver - ſtanden, allen vorher angeführten Beweisſtellen geradezu widerſprechen würde, ſo muß vermittelſt einer andern Er - klärung die Vereinigung geſucht werden. Ulpian warf ſich die Frage auf, inwieweit das Vermögen eines Herrn durch den von ſeinem Sklaven begangenen Diebſtahl gefährdet werden könne, und er beruhigt den Herrn damit, daß er niemals unbedingt für die durch den Diebſtahl herbeyge - führten Obligationen zu haften brauche; durch die Con - diction könne er gar Nichts verlieren, da ſie ihn nur nöthigen könne, Dasjenige heraus zu geben, Was ihm durch den Diebſtahl als Bereicherung zugekommen ſey; dann ſey nur noch die furti actio übrig, die er allerdings als actio noxalis übernehmen, und wodurch er den noch übrigen Werth des Diebſtahls (ſogar erhöht, durch die563Die Condictionen. XVIII. Strafe) herauszahlen müſſe; davon aber könne er ſich in jedem Fall durch noxae datio frey machen, ſo daß alſo der Werth des Sklaven das Äußerſte ſey, welches er aus ſeinem Vermögen durch den Diebſtahl einbüßen könne. Allerdings wird hier Manches in die Stelle hinein getra - gen, wovon ſie Nichts ſagt, und dieſes Verfahren kann hier nur durch die Nothwendigkeit der Vereinigung ge - rechtfertigt werden. Ohne Zweifel iſt der Schein eines Widerſpruchs nur durch die ungeſchickte Art entſtanden, wie die Compilatoren die Stelle excerpirt haben(b)Weſentlich dieſelbe Erklä - rung giebt Pothier Pand. Just. XIII. 1. Art. 1. Num. VIII. not. f. .

Die zweyte Stelle iſt ein Reſcript von Diocletian(c)L. 1 C. de cond. furt. (4. 8.). Die Stelle iſt oben ab - gedruckt, Syſtem § 211. b. , nach welchem mehrere zugleich Stehlende mit der Con - diction ſo belangt werden können, daß der Beſtohlene von jedem Einzelnen nach freyer Auswahl das Ganze fordern darf, jedoch ſo daß die Zahlung des Einen die Andern befreyt. Dieſes ſcheint auf eine Delictsklage, nämlich eine einſeitige Strafklage, wie etwa die doli actio zu deuten, bey welcher Art der Klagen in der That dieſe Regel gilt(d)Syſtem § 211. c. . Wenn dagegen die Condiction, nach meiner Be - hauptung, durch die Bereicherung des Beklagten begründet wird, ſo ſcheint es, ſie müſſe ausſchließend gegen Den - jenigen unter den Dieben gelten, der allein das Geld an ſich genommen hat, oder, wenn ſie es getheilt haben, gegen Jeden für ſeinen Antheil. Dieſer allerdings ſcheinbare36*564Beylage XIV. Einwurf verſchwindet durch dieſelbe Betrachtung, wodurch dem Eigenthümer geſtattet worden iſt, ſeine noch vorhan - dene Sache mit der Condiction einzuklagen (Num. XV.). Denn wenn der Beſtohlene genöthigt ſeyn ſollte zu unter - ſuchen, wie viel jeder einzelne Dieb von dem geſtohlenen Gut erhalten hat, ſo würde für ihn dieſelbe Verlegenheit und Prozeßgefahr entſtehen, von welcher er dort befreyt werden ſollte. Es erfordert alſo auch hier die einleuch - tendſte, unabweislichſte Billigkeit, von der Strenge des Grundſatzes abzugehen, und dem Beſtohlenen die freye Wahl des Beklagten unter allen einzelnen Dieben zu überlaſſen.

XIX.

Ich faſſe das bisher im Einzelnen Dargeſtellte zu einem allgemeinen Überblick zuſammen. Grund und Bedingung der Condictionen iſt die mit der Entſtehung einer Obliga - tion verknüpfte Bereicherung des gegenwärtigen Schuld - ners aus dem Vermögen des Glaubigers, welche jetzt wieder rückgängig gemacht werden ſoll(a)Alſo nicht jede Bereicherung des Andern aus meinem Ver - mögen giebt mir ein Recht zur Rückforderung, ſondern wenn ich für die eingetretene Bereicherung ein Recht zur Rückforderung habe, ſo iſt die darauf zu richtende Klage eine Condiction. Dieſes Recht zur Rückforderung wird hauptſäch - lich begründet durch den vorbehal - tenen Willen (Darlehen), durch Irrthum (Indebitum u. ſ. w.), durch des Andern Eigenmacht (c. sine causa und furtiva). Entſteht aber die Bereicherung aus Liberalität (Schenkung), oder als Äquivalent für eine Gegenleiſtung (Kaufgeld, Miethgeld u. ſ. w.), ſo iſt über - haupt keine Rückforderung zuläſſig, alſo auch nicht durch eine Con - diction.: und zwar bald565Die Condictionen. XIX. wirkliche Bereicherung, wie bey dem Darlehen, oder dem gezahlten Indebitum (Num. IV VIII. ), bald eine fingirte, wie bey der expensilatio, der Stipulation, dem Legat (Num. IX XI.). Dazu kommen noch einige, nicht be - deutende, ganz poſitive Erweiterungen, die auf jenen Grund - begriff nicht zurück geführt werden können (Num. XII XVIII.). Damit aber der Sinn dieſer Regel ſchärfer hervor trete, iſt es nöthig, nun noch die entgegengeſetzten Fälle von Obligationen in’s Auge zu faſſen, die eben durch jenen Grundbegriff von der Anwendung der Condictionen ausgeſchloſſen, und auf andere Actionen verwieſen wer - den ſollen.

Dieſe ausgeſchloſſenen Obligationen laſſen ſich auf Zwey Klaſſen zurück führen. Das Recht nämlich, deſſen Genuß der Kläger durch eine Klage ſucht, kann entweder noch jetzt in ſeinem Vermögen ſich befinden, oder es kann noch niemals zu ſeinem Vermögen gehört haben. In beiden Fällen kann der Kläger nicht behaupten, daß er ein Stück ſeines Vermögens an den Gegner verloren habe, welches eben als Grundbedingung der Condictionen oben aufge - ſtellt worden iſt.

Die erſte Klaſſe von Fällen iſt ſchon oben erwähnt worden, und ſie macht am Wenigſten Schwierigkeit. Es ge - hört dahin das Darlehen, ſolange das Geld aus irgend einem Grund noch nicht in des Empfängers Eigenthum überge - gangen iſt; hier wird vindicirt, nicht condicirt, denn beide Klagen ſtehen zu einander in einem ausſchließenden Ver -566Beylage XIV. hältniß (Num. V.). Eben ſo das Depoſitum, Commodat, Pfand, vorausgeſetzt, daß die Sache noch unzerſtört bey dem Empfänger vorhanden iſt; in dieſen Fällen gelten, außer der Vindication, auch b. f. actiones, aber zu einer Condiction iſt kein Grund vorhanden(b)Man könnte einwenden, bey dem Pfandcontract wenigſtens werde, wenn auch nicht Eigenthum, doch wenigſtens ein jus in re, an den Empfänger veräußert, auf deſſen Rückgabe alſo eine Condiction an - geſtellt werden könne. Allein ſo - lange die Schuld unbezahlt iſt, kann das Pfand mit keiner Klage zurück gefordert werden; wird ſie aber bezahlt, ſo iſt in demſelben Augenblick auch das jus in re von ſelbſt erloſchen, ohne daß es dazu einer Rückübertragung be - darf. Anders war es bey der Fiducia, und auf deren Rückgabe (durch Remaneipation) nach be - zahltem Geld konnte ohne Zweifel mit einer Condiction geklagt wer - den, weil hier übertragenes Eigen - thum zurück gefordert wurde (Num. V.). Vielleicht bezog ſich urſprüng - lich auf eine Fiducia die L. 4 § 1 de R. C. (12. 1. ), ſ. v. Num. VI. b. . Durch die Con - ſumtion der Sache kann allerdings eine Bereicherung ent - ſtehen, und nun concurrirt die b. f. actio mit einer Con - diction, ſo wie ſie vorher mit der Vindication concurrirte (Num. VI.).

Auf gleiche Weiſe müßte eigentlich die condictio fur - tiva nicht gelten, ſolange der Dieb die geſtohlene Sache in ſeinem Beſitz behält, und es geſchieht blos als Ano - malie, daß ſie hier dennoch zugelaſſen wird (Num. XV.).

XX.

Die zweyte Klaſſe von Fällen, worin die Anwendung der Condiction durch das aufgeſtellte Princip ausgeſchloſſen wird, beruht darauf, daß der Gegenſtand der Forderung niemals zu des Klägers Vermögen gehört hat, folglich567Die Condictionen. XX. als etwas ganz Neues geleiſtet, nicht zurück gegeben wer - den ſoll; denn dieſes Zurückfordern des aus unſrem Vermögen Ausgegangenen iſt eben der wahre Grund aller regelmäßigen Condietionen, wie es in Stellen des Römi - ſchen Rechts ausdrücklich anerkannt wird(a)L 1 de R C. mox re - cepturi quid ex hoc contractu, credere dicimur (ſ. v. Num. V. b.). L. 2 pr. eod. Mutuum damus recepturi non eandem speciem, sed idem genus etc. Liebe Stipulation S. 364 erklärt das recipere vom Empfang einer Gegenleiſtung; aber dann wäre auch der Kauf ein credere, und Grundlage von Condictionen..

Dahin gehören zwey wichtige Arten der Obligationen; zuerſt der größte Theil der bonae fidei contractus. In dieſen, wie bey Kauf und Miethe, kommen ganz gleich - artige Gegenſtände der Forderung vor, wie bey den Condictionen, denn überall iſt es ein dare oder facere, welches verlangt wird, zuweilen ſogar ein reines dare(b)L. 11 § 2 de act. emti (19. 1.) Emtor autem numos venditoris facere cogitur. Die - ſes iſt aber das eigentliche dare, im ſtrengſten Sinn des Worts (Num. V. i.)., das doch ſonſt als der vorzüglichſte und älteſte Gegenſtand der Condictionen gilt. Dasjenige nun, was hier gefordert wird, iſt etwas ganz Neues, wie die Zahlung des Kauf - und Miethgeldes, die Tradition der verkauften Sache, die Beſorgung und Vertretung von Geſchäften bey der So - cietät und dem Mandat.

Aus demſelben Grunde aber iſt noch eine zweyte Art der Obligationen von der Anwendung der Condiction aus - geſchloſſen: die Civilklagen aus Delicten(c)Ich ſage Civilklagen,, ſie mögen nun auf Geldſtrafe, oder auf Entſchädigung gerichtet ſeyn.

568Beylage XIV.

Bey der furti actio kommt Vieles zuſammen, welches uns geneigt machen könnte, ihr den Character einer Con - diction beyzulegen: ſie entſpringt aus dem jus civile, aus einer lex, ja aus derjenigen lex, die als die Grundlage des jus civile betrachtet wird, ſie wurde endlich ohne Zweifel nicht vor einem arbiter, ſondern vor einem judex verhandelt. Daß ſie dennoch in der That keine Condiction war, folgt unwiderſprechlich aus den unzähligen Stellen, worin ſie erwähnt wird, ohne jemals den Namen con - dictio zu führen: noch mehr aus den Stellen, worin ſie neben der condictio (furtiva) genannt, und ſtets von dieſer unterſchieden, ihr entgegengeſetzt wird(d)Vgl. oben Num. XVII. 1, ferner L. 7 § 1 de cond. furt. (13. 1.) Furti actio poenam petit legitimam, condictio rem ipsam. L. 14 de cond. causa data (12. 4. ) cum quo non tantum furti agi, sed etiam con - dici ei posse. L. 13 § 2 de jurej. (12. 2. ) et ideo neque furti, neque condicticia tenetur. L. 17 § 2 de praescr. verb. (19. 5. ) furti agere possum, vel con - dicere. Es iſt jedoch zu be - merken, daß in einigen wenigen Stellen für die condictio furtiva der Name furti actio gebraucht wird, während gewiß in keiner einzigen Stelle die wahre furti actio den Namen condictio führt. Dieſer abweichende Sprachgebrauch erklärt ſich, wenn man das Bey - wort: condictitia zu actio ſtill - ſchweigend hinzu denkt. Der Aus - druck iſt alſo nicht ſowohl falſch, als unvollſtändig, und dadurch allerdings zweydeutig, zu Misver - ſtändniſſen verleitend und tadelns - werth. Die Stellen hierüber ſind ſchon oben angeführt § 232. h. . Es erklärt ſich Dieſes aber lediglich daraus, daß die mit dieſer Klage eingeforderte Geldſtrafe niemals in des Beſtohlenen Ver - mögen war, ſondern erſt jetzt dazu dienen ſoll, Denſelben zu bereichern.

(c)denn bey den prätoriſchen Delicts - klagen verſteht es ſich ſchon wegen dieſer ihrer Entſtehung von ſelbſt, daß ſie nicht Condictionen ſeyn konnten.

569Die Condictionen. XX.

Eben ſo könnte man die actio L. Aquiliae für eine Condiction halten wollen, da ſie gleichfalls aus einer lex alter Zeit herrührt, dennoch iſt ſie es nicht, man mag nun in ihr auf die Straferhöhung ſehen, oder auf die reine Entſchädigung. Der Strafzuſatz nämlich hat, eben ſo wie die Strafe des Diebſtahls, niemals zu dem Ver - mögen des Beſchädigten gehört. Die Entſchädigung, das heißt der Werth der zerſtörten Sache, gehörte zwar zu dieſem Vermögen, geht aber in den meiſten Fällen nicht in das Vermögen des Thäters über. In den ſeltenen Fällen, worin dennoch ein ſolcher Übergang erfolgt, ent - ſpringt auch wirklich aus der That eine Condiction; allein dieſe iſt dann keinesweges mit der actio L. Aquiliae iden - tiſch, vielmehr ſteht ſie neben ihr, und der Beſchädigte hat zwiſchen beiden die Wahl (Num. XIV.).

Der hier erklärte durchgreifende Unterſchied der Con - dictionen von den civilen Delictsklagen wird in den For - meln dadurch ausgedrückt, daß die Intentio in jenen lau - tete: dare, oder dare facere oportere, in dieſen: damnum decidere oportere.

Dieſe letzte Formel, da ſie in ſolcher Allgemeinheit nicht angenommen zu werden pflegt, bedarf einer genaueren Eroͤrterung.

Als Intentio der furti actio kommt bey Gajus die Formel vor: pro fure damnum decidi oportere(e)Gajus IV. § 37. 45., und mit dieſen Ausdrücken ſtimmen mehrere Digeſtenſtellen völ -570Beylage XIV. lig überein(f)L. 61 § 1. 2. 5 de furtis (47. 2. ), L. 7 pr. de cond. furt. (13. 1. ); daneben auch noch das unbeſtimmtere damnum praestare in L. 61 cit. § 3. 5.. Damnum decidere heißt hier: dem Be - ſtohlenen gerecht werden, genug thun, ſich mit ihm abfin - den, und daher wird derſelbe Ausdruck auch für den Ver - gleich, das heißt die Abfindung ohne Prozeß, gebraucht(g)L. 9 § 2 de minor. (4. 4. ), L. 13 C. de furtis (6. 2.).. Ja ſogar kommt er vor, um die Handlung des Beſtohle - nen, der die Abfindung erhält, zu bezeichnen(h)L. 46 § 5 de furtis (47. 2.).. Die re - gelmäßige Beziehung aber war die, in der angegebenen Formel enthaltene, auf die Verpflichtung des Diebes, und hier hatte der Ausdruck offenbar eine allgemeinere Bedeu - tung als der Ausdruck dare, da er auch die Addiction des fur manifestus in ſich zu ſchließen fähig war, wofür doch unmöglich das Wort dare gebraucht werden konnte.

Von der Aquiliſchen Klage haben wir keine Formel übrig, ich halte aber für ihre Formel den Ausdruck dam - num decidi oportere ohne allen Zuſatz. Denn damnum war der eigenthümliche Name gerade dieſes Delicts(i)Gajus III. § 210 219, be - ſonders § 116 damni nomine. , und die umſtändliche Formel pro fure damnum decidere erklärt ſich am Natürlichſten aus der Abſicht, den Ausdruck damnum decidere auf einen Fall zu übertragen, für wel - chen derſelbe nur durch einen individuellen Zuſatz brauch - bar und verſtändlich werden konnte. Man könnte gegen dieſe Behauptung einwenden, daß in der L. Aquilia ſelbſt zweymal der Ausdruck vorkam: tantum aes dare damnas571Die Condictionen. XX. esto (alſo nicht damnum decidere)(k)L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L. Aquil. (9. 2.).. Allein wenn man aus den erhaltenen Worten des Geſetzes die Formel conſtruiren wollte, ſo würde Dieſes die Condemnatio ſeyn müſſen, und die Intentio müßte ſo lauten: Si paret, ho - minem Agerii a Negidio occisum esse, welche factiſche Faſſung für eine alte Civilklage doch unmöglich anzuneh - men iſt. Ich denke mir die ganze Formel der Aquiliſchen Klage etwa ſo: 1) (Demonstratio:) Quod Negidius ho - minem Agerii injuria occidit. 2) (Intentio:) Si paret, Negidium ob eam rem Agerio damnum decidere oportere. 3) (Condemnatio:) Iudex quanti is homo in eo anno plurimi fuit tantum aes Agerio condemna, si non paret absolve(l)Eine Beſtätigung dieſer Be - hauptung über die Formel der Aquiliſchen Klage, liegt noch in Dem, was aus Gajus IV. § 5 gefolgert werden muß, ſ. u. Num. XXV. XXVI.)..

Von den Formeln der übrigen Delictsklagen aus dem alten Civilrecht haben wir keine Spur; nach der Analo - gie der beiden angeführten, die unter allen die häufigſten und wichtigſten waren, können wir mit Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß auch ihre Intentio auf damnum decidere oportere gieng(m)Ich finde dieſen Ausdruck nur noch in Anwendung auf einen Fall, der kein eigentliches Delict, aber doch ein verwandtes Rechts - verhältniß betrifft, nämlich bey der m. f. possessio, gegenüber der rei vindicatio, worauf die 12 Tafeln den doppelten Erſatz der Früchte als Strafe geſetzt hatten. Fes - tus v. Vindiciae: Si vindi - ciam falsum tulit, fructus duplione damnum decidito. , woraus dann der Vortheil entſtand, daß jede civile Delictsklage ſchon auf den erſten Blick von572Beylage XIV. den Contractsklagen unterſchieden werden konnte. Vielleicht hatte jede dieſer übrigen Delictsklagen noch einen charac - teriſtiſchen Zuſatz in der Intentio, ähnlich dem Zuſatz pro fure bey der furti actio; es iſt aber auch möglich, daß nur bey dieſer Klage (der wichtigſten unter allen Delicts - klagen) ein ſolcher unterſcheidender Zuſatz nöthig gefunden wurde, ſo daß alle außer der furti actio blos den generi - ſchen Ausdruck damnum decidere oportere in der Formel gehabt haben mögen.

Aus demſelben Grunde nun, wie bey den bisher be - trachteten Klagen, könnte man eigentlich auch der Stipu - lationsklage den Character einer Condiction verſagen wol - len, da wir mit ihr gleichfalls meiſt etwas ganz Neues, das nie zu unſrem Vermögen gehört hat, einfordern. Daß ſie dennoch ſtets eine Condiction iſt, erklärt ſich lediglich aus der Natur der Stipulation als eines fingirten Dar - lehens (Num. X.). Ja das Bedürfniß dieſer Erklärung, wenn nicht die ganze Condictionenlehre in haltungsloſe Inconſequenz zerfallen ſoll, iſt eine ſtarke Beſtätigung für die Richtigkeit dieſer Auffaſſung der Stipulation.

XXI.

Die hier aufgeſtellte Lehre von den Condictionen ſoll nunmehr mit einigen beſonders wichtigen Stellen alter Schriftſteller zuſammen gehalten werden, um durch dieſe Vergleichung theils Beſtätigung, theils Schutz gegen mög - liche Einwürfe zu erhalten.

573Die Condictionen. XXI.

Die erſte dieſer Stellen, von Cicero herrührend, ſagt: er kenne nur Drey Gründe, aus welchen baares Geld in beſtimmter Summe durch ein ſtrenges judicium gefordert werden könne: adnumeratio (datio), expensilatio, stipu - latio(a)Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5. Die Stelle iſt ſchon oben abgedruckt Beylage XIII. Num. XI. . Der Name condictio kommt darin nicht vor, aber daß Cicero von derſelben Klage reden will, die in unſren Rechtsquellen als certi condictio, oder condictio si certum petatur bezeichnet wird, iſt nicht zu bezweifeln. Es fragt ſich nun, inwiefern Cicero’s Angabe der Fälle dieſer Klage mit der hier vorgetragenen Lehre überein - ſtimmt.

Für die meiſten Fälle iſt die Übereinſtimmung ganz einleuchtend. Denn adnumeratio umfaßt wörtlich nicht blos das Gelddarlehen, ſondern auch das Depoſitum, wel - ches der Empfänger angreift (Num. VI. ), ſo wie die Aus - zahlung eines Indebitum und ähnliche Fälle (Num. VII.). Daß die Fälle der incerti condictio nicht erwähnt werden, macht keine Schwierigkeit, da Cicero, nach ſeiner eigenen Erklärung, nur von der auf eine beſtimmte Geldſumme gerichteten ſtrengen Klage reden will, das heißt alſo nur von der certi, nicht von der incerti condictio. Dagegen fehlen allerdings bey ihm einige Fälle, in welchen nach der oben vorgetragenen Lehre eine certi condictio vorkom - men kann. Dahin gehören die Fälle, worin mein Geld in des Andern Hände kommt nicht durch meine Handlung,574Beylage XIV. ſondern durch des Andern Eigenmacht, wie der Diebſtahl (Num. VIII. XV.); ferner fehlt bey ihm das Legat (Num. XI.). Um die von mir aufgeſtellte Lehre gegen dieſe Ein - wendung zu vertheidigen, könnte man ſagen, dieſe Anwen - dungen der Condiction ſeyen erſt nach Cicero’s Zeit auf - gekommen. Für das Legat wenigſtens müſſen wir dieſe Auskunft ganz beſtimmt verwerfen, da die Begründung der in ihm enthaltenen Rechte aus den Zwölf Tafeln her - kam; daher haben wir denn auch keinen Grund, für die übrigen hier genannten Fälle, wie die condictio furtiva, deren Entſtehungszeit wir allerdings nicht kennen, eine ſolche chronologiſche Löſung des ſcheinbaren Widerſpruchs anzunehmen. Auch dazu aber iſt keine Veranlaſſung, jene Stelle aus des Verfaſſers Mangel an Rechtskenntniß, oder Ungenauigkeit des Ausdrucks zu erklären, um auf dieſem Wege den Widerſpruch zu beſeitigen, da eine andere Aus - kunft weit näher liegt. Cicero wollte keine allgemeine Theorie der Actionen vortragen, ſondern daraus jetzt nur Dasjenige heraus nehmen, Was zu dem vorliegenden Rechtsfall dienen konnte. Indem er alſo ſagt, adnume - ratio, expensilatio, stipulatio, ſeyen die Drey einzigen Wege zu einer certi condictio, muß ſehr natürlich hin - zugedacht werden: in Fällen wie der hier vorliegende. Der vorliegende Fall war aber ein contractliches, ein Geſchäfts - verhältniß, und es wäre eine pedantiſche Vorſicht gewe - ſen, wenn Cicero noch beſonders bemerkt hätte, daß hier die condictio furtiva und die Condiction aus einem Legat575Die Condictionen. XXI. nicht anwendbar ſey, da ja in der ganzen Sache an einen Diebſtahl oder an ein Teſtament gar nicht gedacht wor - den war(b)Weſentlich dieſelbe Erklä - rung findet ſich bey Hollweg Verſuche S. 40, und Gans Ob - ligationenrecht S. 30..

Das aber iſt in jedem Fall unwiderſprechlich, daß Ci - cero jedes der drey von ihm genannten Rechtsgeſchäfte als ſelbſtſtändigen, unabhängigen Entſtehungsgrund einer certi condictio anerkennt, jedes einzeln für ſich, alſo na - mentlich die Stipulation für ſich allein, ohne daß dabey etwa wieder ein Darlehen als Grundlage vorausgeſetzt würde, von welchem ohnehin in dem vorliegenden Fall gar nicht die Rede war(c)Die Grundlage des ganzen Rechtshandels war eine Societät geweſen, und die aus derſelben entſprungene Schuld hätte nur ver - mittelſt einer Expenſilation oder Stipulation die certi petitio be - gründen können. Vgl. Puchta, neues Rheiniſches Muſeum. B. 1. Num. XII. . Für jedes derſelben erkennt er die sponsio tertiae partis als angemeſſene, wohlbegründete Einleitung des Rechtsſtreits an, denn ſie war bereits ab - geſchloſſen worden, und er erkennt an, daß ſie in jedem der drey Fälle verwirkt ſeyn würde, da er das Daſeyn eines jeden derſelben beſonders zu widerlegen ſucht.

Wenn man die Stelle des Cicero auf dieſe, gewiß un - gezwungene, Weiſe erklärt, ſo kann ſie, weit entfernt die hier vorgetragene Lehre von den Condictionen zu wider - legen, nur als eine Beſtätigung derſelben angeſehen werden.

576Beylage XIV.

XXII.

Zur Zeit der Legis actiones wurde der Name con - dictio für Zwey Klagen gebraucht, deren Form auf einer denuntiatio beruhte, welches die eigentliche Wortbedeutung von condictio geweſen ſeyn ſoll: lege quidem Silia cer - tae pecuniae, lege vero Calpurnia de omni certa re(a)Gajus IV. § 19.. Indem nun dieſer Name nachher auf eine gewiſſe Art der formulae angewendet wurde, können wir doch nicht an - nehmen, daß Dieſes ganz zufällig und gedankenlos geſche - hen ſey, vielmehr muß ein innerer Zuſammenhang die An - wendung des alten Kunſtausdrucks auf einen neuen Rechts - begriff veranlaßt haben. In der Form der Klage lag dieſer Zuſammenhang gewiß nicht, denn die Form der al - ten condictio war eben die denuntiatio, und gerade des - wegen, weil dieſe bey der neuen condictio nicht vorkam, wird von dieſer geſagt, daß ſie ihren Namen non pro - prie, abusive, führe(b)Gajus IV. § 18, § 15 J. de act. (4. 6.).. Alſo kann der Zuſammenhang nur in den Entſtehungsgründen geſucht werden, in der beſondern Natur der Rechtsverhältniſſe, wofür die alte und die neue condictio gleichmäßig anzuwenden war. Hierin finden wir nun in der That einen völlig befriedi - genden Zuſammenhang, wenn wir nur den Worten: de omni certa re den erklärenden, näher beſtimmenden Zuſatz geben: mutuo data. Dann war die alte condictio nichts577Die Condictionen. XXII. Anderes als die Klage aus dem Darlehen, und zwar ſo - wohl aus dem in Geld (L. Silia), als aus anderen Sachen (L. Calpurnia), unter welchen das Getreide ohne Zweifel der anwendbarſte Gegenſtand des Darlehens ſeyn wird(c)Das Darlehen außer dem baaren Gelde kommt überhaupt nicht ſehr häufig vor (Num. IV. ), ſowohl in unſren Rechtsquellen, als im wirklichen Lebensverkehr. Der gewöhnlichſte Fall der Anwendung wird noch der ſeyn, wenn der Landmann, deſſen Erndte von einem Unglück betroffen wird, für ſeine Haushaltung und für die Ausſaat Getreide borgt, um es im nächſten Jahr, wenn die Erndte beſſer gelingt, wieder zu geben.. Gerade ſo aber iſt ja auch die neue condictio die Klage aus dem Darlehen, und aus denjenigen Rechtsverhält - niſſen, deren Klagrecht als eine freyere Entwicklung der Darlehensklage angeſehen werden kann.

Eine auffallende Beſtätigung dieſer hiſtoriſchen Herlei - tung liegt in dem Umſtand, daß dem ſo aufgefaßten Ge - genſatz der condictio ex L. Silia und ex L. Calpurnia ge - nau entſpricht der neue Gegenſatz der certi und triticaria condictio, von welchem weiter unten noch beſonders die Rede ſeyn wird. Der räthſelhafte Name der triticaria erhält auf dieſe Weiſe eine ſo einfache und natürliche Deu - tung, wie ſie auf anderem Wege ſchwerlich wird gefunden werden können.

Selbſt die Formel der neueren Condictionen iſt gro - ßentheils aus der alten legis actio herüber genommen. Valerius Probus hat nämlich folgende Sigle: A. T. M. D. O., d. h. Ajo te mihi dare oportere(d)Auctores latinae linguae ed. D. Gothofredus 1602 pag. 1453., welche nach ihrenV. 37578Beylage XIV. Anfangsworten aus einer legis actio hergenommen ſeyn muß, da in den formulae ſtets der Prätor, nicht der Klä - ger, als redend erſcheint.

Es läßt ſich aber hieran noch folgende allgemeinere Bemerkung anknüpfen. Die älteſten Legis Actionen (Sa - cramentum und Judicis postulatio) waren rein formeller Art, alſo auf den verſchiedenſten Inhalt gleich anwendbar. Die Legis actio per condictionem nahm ſchon auf das eigenthümliche Bedürfniß mancher materiellen Rechtsver - hältniſſe beſondere Rückſicht, worin ein Fortſchritt juriſti - ſcher Ausbildung wahrzunehmen iſt. In dem neueren Sy - ſtem der formulae nahm der Prätor dieſe Condictionen als Grundlage ſeines Actionenſyſtems auf, nur mit freye - rer, vollſtändigerer Entwicklung ihres Princips. Inſofern kann die Legis actio per condictionem als Vorbereitung und Übergang zu dem neueren Actionenſyſtem angeſehen werden. Nimmt man dieſen inneren Zuſammenhang an, ſo liegt darin zugleich eine Antwort auf die von Gajus als räthſelhaft aufgeworfene Frage: warum die Legis actio per condictionem nöthig gefunden worden ſey, da doch für ihre Zwecke das Sacramentum und die Judicis postulatio ausgereicht hätten(e)Gajus IV. § 20..

XXIII.

Die L. 9 de R. C. (12. 1. ) fängt, indem ſie die An - wendung der certi condictio feſtſtellen will, ſo allgemein579Die Condictionen. XXIII. an, daß man glauben möchte, es könnten alle andere per - ſönliche Klagen entbehrt werden, indem die certi con - dictio zum Schutz aller Obligationen völlig ausreiche; ja ſelbſt die incerti condictio erſcheint nach der allgemeinen Faſſung dieſer Stelle entbehrlich.

Certi condictio competit ex omni causa, ex omni obligatione, ex qua certum petitur: sive ex certo contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis ex omni contractu certum condicere.

Einigen Halt könnte man nun wohl noch in dem Aus - druck contractu ſuchen, wodurch die Klage wenigſtens auf Vertragsverhältniſſe beſchränkt zu werden ſcheint. Allein ſelbſt dieſer Schutz wird uns wieder entzogen, theils durch die viel allgemeineren Ausdrücke ex omni causa, ex omni obligatione, theils dadurch daß der § 1 derſelben Stelle ſagt, die Klage könne auch auf ein Legat und auf das Delict der L. Aquilia angewendet werden.

Indeſſen muß uns gerade die durch den Schein jener Worte begründete übertriebene Ausdehnung wieder Beru - higung gewähren, indem es dennoch die Römer nöthig ge - funden haben, neben jener Klage noch viele andere per - ſönliche Klagen genau auszubilden. In der That iſt denn die Meynung Ulpians folgende. Damit die certi con - dictio gelte, ſind gewiſſe poſitive Bedingungen nöthig; worin dieſe beſtehen, drückt er hier nicht aus, es ſind aber Diejenigen, welche oben, der Reihe nach, aufgeſtellt wor -37*580Beylage XIV. den ſind(a)Auf den erſten Blick ſcheint dieſer Theil der Erklärung will - kührlich in die Stelle hinein ge - tragen; allein eine ſehr beſtimmte Hinweiſung darauf liegt in den Worten: ex omni obligatione, ex qua certum petitur (i. e. peti potest.). Das will ſagen: wenn das Rechtsverhältniß ſo ge - eignet iſt, daß daraus die Zuläſ - ſigkeit einer condictio certae pe - cuniae hergeleitet werden kann, ſo kommt dann auf die übrige Natur und Benennung deſſelben Nichts an.. Wo ſich nun dieſe Bedingungen finden, da kommt Nichts darauf an, welcher Art übrigens das unter den Parteyen obwaltende Rechtsverhältniß ſeyn möge, denn jene Bedingungen ſind mit den allerverſchiedenſten Rechtsverhältniſſen vereinbar. Die Entſtehung der certi condictio (das Daſeyn ihrer eigenthümlichen Bedingungen vorausgeſetzt) iſt alſo überall möglich, ohne Unterſchied ob ein Contract oder ein anderes Verhältniß zum Grund liege, und wenn es ein Contract iſt, kann dieſer certus oder incertus ſeyn, ohne die Entſtehung der certi con - dictio zu hindern.

Dieſe letzte Beſtimmung ( sive ex incerto) hat, nicht mit Unrecht, von jeher die allergrößten Zweifel erregt, und der wahre Grund derſelben liegt in der Zweydeutig - keit des Ausdrucks, indem man dieſen an ſich ſowohl auf die Unbeſtimmtheit des Gegenſtandes, als auf die der Contractsart beziehen kann. Entſchieden in dem erſten Sinn heißt incerta stipulatio eine Stipulation von unge - wiſſem Gegenſtand, wohin unter andern das Verſprechen einer Arbeit gehört, die immer erſt durch eine noch unge - wiſſe Schätzung in einen beſtimmten Werth verwandelt581Die Condictionen. XXIII. werden kann(b)L. 74. 75 de V. O. (45. 1.). Die Ausdrücke certus, incer - tus contractus kommen noch in einigen anderen Stellen vor, in welchen es mir zweifelhaft iſt, ob ſie in dem einen oder dem ande - ren Sinn gebraucht werden. L. 18 pr. de acceptil. (46. 4. ), L. 1 § 6 de pec. const. (13. 5.). Vgl. Heffter in Gajum Lib. 4 p. 68.. Dieſe Bedeutung iſt in unſrer Stelle völlig unmöglich, denn wenn man den incertus contractus in dieſem Sinn als Grundlage einer möglichen certi con - dictio anſehen wollte, ſo bliebe für die incerti condictio gar kein Raum mehr übrig. Ulpian denkt alſo an die Unbeſtimmtheit der Contractsart, mit welcher die Be - gründung einer beſtimmten Geldforderung, alſo einer certi condictio, wohl vereinbar iſt. In dieſem Sinn ſind certi contractus die Stipulation, das Darlehen, der Kauf u. ſ. w., incerti ſolche Verträge, die entweder gar keinen indivi - duellen Namen führen, oder, wegen ihrer zweydeutigen Natur, zwiſchen mehreren beſtimmten Contracten in der Mitte ſchweben(c)L. 1 4 de praescr. verb. (19. 5.). Es iſt alſo ungefähr das, Was die neueren Innomi - natcontracte nennen, doch nur un - gefähr, weil dieſe letzten wieder zu ſehr auf das do ut des aut facias, facio ut des aut facias, beſchränkt ſind.; von ſolchen incerti contractus redet hier Ulpian.

Die ſcheinbare Allgemeinheit der hier behandelten Stelle iſt vom Mittelalter her den Juriſten ſehr bedenklich er - ſchienen. Schon ſeit der Gloſſe war es gewöhnlich, um dieſer Stelle Willen, neben der condictio certi ex mutuo, eine condictio certi generalis anzunehmen(d)Glossa in L. 9 de R. C. (12. 1.). Cujacius in Opp. V. 399, VII. 650, X. 164.. Theils582Beylage XIV. waren dieſe Namen unächt, theils wußte man der zwey - ten unter dieſen Klagen gar keine beſtimmte Gränzen an - zuweiſen. Weit irriger aber und folgenreicher iſt die von neueren Schriftſtellern aufgeſtellte Anſicht(e)Am Beſtimmteſten von Haſſe Weſen der actio S. 75., nach wel - cher es ſtets in der Willkühr eines Glaubigers geſtanden haben ſoll, Forderungen irgend einer Art in ein certum zu verwandeln, und mit einer certi condictio zu verfol - gen, wenn er es nur darauf wagen wollte, ob die richter - liche Schätzung geringer ausfallen würde, als die von ihm ausgeſprochene Summe, in welchem Fall er freylich, als plus petens, ſein ganzes Recht verlieren mußte. So hätte alſo z. B. Jeder, Welchem in einer Stipulation Ar - beit verſprochen war, auf eine Geldſumme von 100 con - diciren können, und er hätte den Prozeß gewonnen, wenn der Richter jene Arbeit zu 100 oder noch höher taxirte. Dieſe Anſicht nun muß durchaus verworfen werden. Schon im Allgemeinen war eine ſo regelloſe Willkühr in dem Ge - brauch der verſchiedenen Formeln ganz gegen den Sinn des älteren Rechts, indem die Formeln gerade dazu dienen ſollten, jedes Rechtsverhältniß in ſeinen individuellen Grän - zen feſt zu halten(f)Allerdings kamen auch man - cherley Umbildungen der Formeln vor (Beylage XIII. Num. XVI XIX. ), allein dieſe ſtanden gleich - falls unter beſtimmten Regeln, und hiengen keinesweges von dem blo - ßen Gutfinden des Klägers in je - dem einzelnen Falle ab.. Ganz entſcheidend aber gegen jene Meynung iſt der Umſtand, daß in dem angeführten Fall die Intentio auf Centum dare oportere deswegen ver -583Die Condictionen. XXIV. worfen werden muß, weil eine Geldſchuld gegenwärtig gar nicht vorhanden iſt, ſondern erſt künftig durch das richterliche Urtheil entſtehen kann(g)L. 37 de V. S. (50. 16.). Verbum oportere non ad fa - cultatem judicis pertinet, qui potest vel pluris vel minoris condemnare, sed ad veritatem refertur. Vgl. Syſtem § 216.. Es würde alſo hier aliud pro alio eingeklagt ſeyn, Welches ſtets die Folge hatte, daß die angeſtellte Klage abgewieſen wurde, eine neue aber, auf den wahren Gegenſtand der Schuld, mög - lich blieb, indem in jenem Misgriff kein plus petere ent - halten war(h)Gajus IV. § 55. Nicht unmittelbar hierher gehört § 53 sicut ipsa stipulatio concepta est, ita et intentio formulae concipi debet, denn Dieſes geht, nach den vorhergehenden Worten, lediglich auf die Gefahr des plus petere. . Daher würde es auch ganz unzuläſſig ſeyn, zur Unterſtützung dieſer Meynung die in unſrer Stelle vorkommende Worte: ex qua certum petimus geltend zu machen, gleich als wollten dieſe Worte ſagen: ſobald es uns nur gefällt, unſere Forderung auf eine genau beſtimmte Geldſumme zu richten. Der wahre Sinn dieſer Worte iſt ſchon oben angegeben worden (Note a).

XXIV.

Die bis jetzt verſuchte Erklärung der angeführten Di - geſtenſtelle hat, in Beziehung auf die oben aufgeſtellte Lehre von den Condictionen, eine blos abwehrende Natur gehabt, ich will aber nunmehr denjenigen Theil der Stelle584Beylage XIV. anführen, welcher unmittelbar als Beſtätigung jener Lehre angeſehen werden kann.

  • L. 9 § 3 de R. C. (12. 1.). Quoniam igitur ex omnibus contractibus haec certi condictio competit, sive re fuerit contractus factus, sive verbis, sive conjunctim ....

Der Sinn dieſer Worte iſt folgender: Die Condiction überhaupt kann begründet werden re (durch Darlehen, Indebitum u. ſ. w.), oder durch Stipulation, oder auch durch die Verbindung beider Vertragsformen; eine certi condictio insbeſondere, wenn das Geben oder die Stipu - lation baares Geld zum Gegenſtand hat. Ich halte es für unzweifelhaft, daß Ulpian noch hinzugeſetzt hatte: sive literis, und daß dieſe Worte von den Compilatoren aus dem ſehr nahe liegenden Grunde weggelaſſen wurden, weil die expensilatio aus dem wirklichen Leben verſchwunden war. Nimmt man nun Dieſes an, ſo ſtimmt die Stelle völlig mit den oben dargeſtellten Bedingungen und Grän - zen der Condictionen, und eben ſo ſehr mit der Stelle des Cicero (Num. XXI. ) überein. Ja ihr Ausdruck iſt ſogar noch genauer und vollſtändiger, als der des Cicero. Denn die condictio sine causa, mit Einſchluß derjenigen Geſtalt ihrer Anwendung, worin ſie den beſonderen Namen con - dictio furtiva führt, kann nicht wohl auf eine datio oder adnumeratio zurück geführt werden (welches Cicero’s Aus - druck iſt), anſtatt daß der von Ulpian gebrauchte allgemeinere585Die Condictionen. XXIV. Ausdruck re contractus factus auf ſie völlig anwend - bar iſt(a)Nämlich in derjenigen ſehr gewöhnlichen Bedeutung von con - tractus, worin das Wort auch die Quaſicontracte, wie Tutel, nego - tiorum gestio u. ſ. w. umfaßt, wie z. B. in L. 23 de R. J. (50. 17.)..

Durch dieſe Erklärung des Ulpian ſind nun von der Anwendung der certi condictio (wir dürfen hinzu ſetzen, jeder Condiction überhaupt) völlig ausgeſchloſſen zuerſt alle Delictsobligationen. Denn wenngleich von ihnen ge - ſagt wird: re consistunt obligationes, oder ex re actio venit(b)L. 4 L. 46 de O. et A. (44. 7.)., ſo wird doch gewiß niemals der Ausdruck: re contractus factus von ihnen gebraucht. Ferner ſind da - durch ausgeſchloſſen die consensu contractus facti, denn dieſe waren von ſolcher Wichtigkeit, daß ſie unmöglich von Ulpian aus Verſehen weggelaſſen werden konnten, und eben ſo iſt kein Grund denkbar, weshalb die Compi - latoren ſie weggeſtrichen haben ſollten, wenn Ulpian ſie wirklich erwähnt hätte. Hierin alſo liegt eine augenſchein - liche Übereinſtimmung mit den für die Condictionen oben vorgezeichneten Gränzen.

Eben darin aber möchte man nun auch einen Wider - ſpruch finden zwiſchen den hier von Ulpian aufgeſtellten engen Gränzen, und der im Anfang der ganzen Stelle ausgedrückten gränzenloſen Ausdehnung (ex omni causa, ex omni obligatione). Dieſer ſcheinbare Widerſpruch aber löſt ſich theils durch den ſchon oben bemerkten Zuſatz: ex qua certum petitur, theils durch folgende Betrachtung. Wenn586Beylage XIV. irgend ein außer jenen engen Gränzen liegendes Rechts - verhältniß dennoch eine Condiction erzeugt, ſo liegt der Grund ſtets darin, daß demſelben eine re contracta obli - gatio wirklich beygemiſcht iſt. Wenn z. B. bey Gelegen - heit einer Societät oder eines Mandats die Condiction entſpringt (Num. VI. ), ſo finden ſich zwey ganz verſchie - dene Obligationen vereinigt, die aus dem Conſens und die aus dem anvertrauten Geld. Jede derſelben hat ihre eigene Natur, Wirkung, Klage; ſoweit aber die eine Klage den Gegenſtand der anderen bereits erſchöpft hat, iſt die andere nicht mehr möglich. Eben ſo, bey der körperlichen Beſchädigung, die Obligation aus dem Delict (actio L. Aquiliae) und die aus der zufällig daraus entſprungenen Bereicherung (condictio). Die Annahme ſolcher zuſam - mengeſetzten Obligationen, die aus einer und derſelben Thatſache entſpringen, iſt auch nicht etwa zur Vertheidi - gung der aufgeſtellten Condictionenlehre erfunden, viel - mehr kommt ſie auch anderwärts in ganz unzweifelhaften Fällen vor(c)Vgl. z. B. L. 18 § 1 com - mod. (13. 6. ), wenn nämlich der Empfänger eines Depoſitum oder eines Commodats die Sache zer - ſtört oder verdirbt. Hier concur - rirt mit der actio L. Aquiliae die Contractsklage auf dieſelbe Weiſe, wie in den oben angeführten Fäl - len die condictio wegen der Be - reicherung..

Aus der wichtigen und ſchwierigen L. 9 de R. C. (12. 1. ) bleibt nun noch ein einziger Fall für unſren Zweck zu erklären übrig. Nach dem § 1 ſoll die certi condictio587Die Condictionen. XXV. auch ex Senatusconsulto eintreten können, wenn nämlich Derjenige die Klage anſtellt, Welchem eine Erbſchaft ex Trebelliano Sc. reſtituirt iſt(d)Vgl. Heffter in Gajum lib. IV. p. 67.. Dieſes läßt ſich ſchwer - lich anders erklären, als von einer in der Erbſchaft ent - haltenen Condiction, die etwa aus einem Darlehen oder einer Stipulation des Verſtorbenen entſtanden war. In dieſem Fall iſt nun freylich der Entſtehungsgrund jener Condiction der Vertrag, und das Senatusconſult iſt nur das Mittel der Übertragung auf den gegenwärtigen Klä - ger, ſo daß der Ausdruck: ex Senatusconsulto agetur nicht ganz genau iſt. Allein er iſt nicht ungenauer, als der vorhergehende Ausdruck: ex lege Aquilia, welcher eigentlich ſagen ſoll: ex causa legis Aquiliae, oder ex eo facto, quod lege Aquilia coercetur; denn die Lex Aquilia ſelbſt hatte über die beſondere Befugniß zur Condiction ſo wenig Etwas beſtimmt, als das Sc. Trebellianum.

XXV.

Die wichtigſten Stellen aber über die Natur der Con - diction ſind die des Gajus, die um ſo mehr eine genaue Auslegung erfordern, als das mangelhafte Verſtändniß derſelben neuere Schriftſteller bald zu Irrthümern über die Condiction verleitet hat, bald zu dem ungegründeten Vorwurf, daß jene Stellen ungenau, ſchwankend, wider - ſprechend abgefaßt ſeyen.

Die Hauptſtelle iſt folgende.

588Beylage XIV.
  • Gajus IV. § 5. Appellantur autem in rem quidem actiones, vindica - tiones; in personam vero actiones, quibus dari fie - rive oportere intendimus, condictiones(a)Faſt ganz gleichlautend iſt § 15 J. de act. (4. 6. ), nur mit folgenden, wenig bedeutenden, Ab - weichungen: Appellamus in rem (ohne autem) dare facere oportere intenditur. Die un - veränderte Aufnahme dieſer Stelle, zu einer Zeit worin alle Intentio - nes längſt verſchwunden waren, iſt freylich unglaublich gedankenlos. Man muß nun den Zwiſchenſatz in der That als bloße Erklärung auffaſſen, ſo daß es bey Juſtinian wirklich ſo viel heißt, als: alle perſönlichen Klagen führten den Namen condictiones; Welches aber freylich zu dem Sprachge - brauch der Digeſten, und ſelbſt mancher Inſtitutionenſtellen, wenig paßt..

Alles kommt darauf an, in welchem Sinn der Zwi - ſchenſatz: (quibus .. intendimus) aufgefaßt wird. Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, ihm eine blos erklä - rende Bedeutung beyzulegen, als ob geſagt wäre: alle perſönliche Klagen, das heißt die mit dari fierive, wer - den condictiones genannt. Dann würde die Stelle nicht blos die oben aufgeſtellte Lehre widerlegen, ſondern mit dem ganzen Sprachgebrauch der Digeſten im Widerſpruch ſtehen, nach welchem nur ein mäßiger Theil der perſön - lichen Klagen den Namen der Condictionen führt. Daher iſt denn jener Zwiſchenſatz vielmehr in einer einſchränken - den Bedeutung zu verſtehen, ſo daß die ganze Stelle die - ſen Sinn hat: Condictiones heißen diejenigen perſönlichen Klagen, deren Intentio auf dari oder fieri gerichtet iſt.

So verſtanden aber iſt der Satz durchaus richtig, und589Die Condictionen. XXV. ſtimmt zugleich mit der oben vorgetragenen Lehre völlig überein. Um Dieſes beweiſen zu können, muß ich folgende Bemerkungen über den Sprachgebrauch vorausſchicken.

Dare heißt, im ſtrengen Sinn der formulae, Ver - ſchaffen des Eigenthums ex jure quiritium (Num. V. i.), alſo eine ganz beſchränkte Art der Thätigkeit. Facere dagegen iſt der umfaſſende Ausdruck für jedes Thun oder Laſſen, ſey es juriſtiſcher oder faktiſcher Art, ſo daß dar - unter unter andern auch zu verſtehen iſt das dare, sol - vere, numerare, judicare, ambulare, reddere, non facere, curare ne fiat(b)L. 218. 175. 189 de V. S. (50. 16.)..

Bey contractlichen Verhältniſſen nun, das heißt bey Rechtsgeſchäften, kommen nur zweyerley intentiones in jus conceptae vor: si paret, centum (oder fundum, servum) dari oportere, und: quidquid dari fieri oportet; irgend eine andere Formel, und namentlich ein bloßes facere oder fieri oportere, kommt nicht vor(c)Nur die Verſchiedenheit findet ſich noch, daß die Condictionen blos die oben angegebenen Aus - drücke hatten, die b. f. actiones hinter dem oportet noch den Zu - ſatz: ex fide bona. Einen An - ſtoß könnte man finden an der bald activen, bald paſſiven Form des dare facere; damit verhält es ſich ſo. In den wirklichen Formeln wurde ſtets eine beſtimmte Perſon als Schuldner bezeichnet, und da - zu paßte natürlich nur die active Form (z. B. quidquid Negidium dare facere oportet); wenn aber auf abſtracte Weiſe von ſolchen In - tentionen geſprochen wurde, konnte ſowohl die eine als die andere Form gebraucht werden, wie es oben (Note a.) an dem Beyſpiel des Gajus, verglichen mit den Juſtinianiſchen Inſtitutionen, ge - zeigt worden iſt.. Dieſes hängt aber ſo zuſammen. Eigentlich wäre überall das bloße facere590Beylage XIV. oportere ausreichend geweſen, da es das dare mit um - faßte. Da aber die Formel mit dare manche eigenthüm - liche Wirkungen und Vortheile mit ſich führte, wie ſich unten zeigen wird, ſo intendirte man auf dare, wo ein Rechtsgrund hierzu vorhanden war, um den Prätor und den Judex darauf hinzuweiſen, daß er dieſe Folgen zur Anwendung bringe. Dare facere aber hieß ſoviel als dare aut facere(d)L. 53 pr. de V. S. (50. 16.) Saepe ita comparatum est, ut conjuncta pro disjunctis acci - piantur Cum vero dicimus, quod eum dare facere oportet, quodvis eorum sufficit probare. Es braucht alſo nicht Beides ver - bunden, als rechtlich begründet, nachgewieſen zu werden, ſondern nur Eines oder das Andere., war alſo alternativ zu verſtehen, und drückte daher aus, daß dem Judex freye Hand gelaſſen werde, auf dare, oder auf irgend ein anderes Thun, oder auch auf Beides neben einander, zu erkennen. Dieſes war auch für die Fälle hinreichend, worin die Obligation gar nicht auf dare, ſondern etwa blos auf Arbeit gerichtet war; es war kein Intereſſe dabey, Formeln mit einem bloßen facere oportere aufzuſtellen, da mit dieſen nicht, ſo wie bey dem bloßen dare, beſondere Vortheile ver - bunden waren.

XXVI.

Dieſes vorausgeſetzt, ſoll nun gezeigt werden, daß die Erklärung der condictio, welche ſo eben aus Gajus an - gegeben worden iſt, völlig hinreicht, alle die Klagen von den Condictionen auszuſchließen, die ich oben davon aus -591Die Condictionen. XXVI. geſchloſſen habe(a)Vgl. oben Num. I. und Beylage XIII. Num. VI. . Es ſind nämlich dadurch ausge - ſchloſſen:

1) alle prätoriſche Klagen, da dieſe überhaupt nur eine Intentio in factum concepta hatten (Syſtem § 216.).

2) alle Civilklagen in rem, denn deren Intentio lautete auf rem (servitutem, hereditatem) suam esse.

3) alle civile Delictsklagen, denn deren Intentio lautete bey der furti actio ganz ſicher: pro fure damnum decidere oportere; bey der actio L. Aquiliae höchſt wahrſcheinlich blos: damnum decidere oportere; bey anderen Civil - delicten wahrſcheinlich auf ähnliche Weiſe(b)Vgl. oben Num. XX. .

4) alle bonae fidei actiones, denn deren Intentio hatte am Schluß noch den Zuſatz: ex fide bona(c)Vgl. oben Note c. Man muß alſo bey Gajus die Worte quibus dari intendimus ganz ſtreng nehmen, nämlich ſo: mit dieſen Worten, und zwar mit ihnen allein, ohne allen weiteren Zuſatz..

Bey dieſer Art, die einzelnen Klaſſen der Klagen durch beſondere Formen der Intentio zu unterſcheiden, ſcheint ſehr willkührlich und grundlos die Faſſung der civilen Delictsklagen, da man glauben ſollte, das ganz allgemeine facere hätte auch für dieſe ausgereicht, ja ſogar ſchon das bloße dare, indem der Erfolg dieſer Klagen, und ſelbſt der urſprüngliche Inhalt der ihnen zum Grund liegenden Obligation, ſtets in einer Geldzahlung beſtand. Allein jene eigenthümliche Intentio hatte eben den Zweck, dieſe Klagen auf eine recht anſchauliche Weiſe von den übrigen592Beylage XIV. zu unterſcheiden. Dieſes konnte unter andern bey einer Novation von Wichtigkeit ſeyn; wenn nämlich expromittirt wurde quidquid furem dare facere oportet, ſo war blos der Inhalt der condictio furtiva gemeynt, und die furti actio blieb daneben noch beſtehen, ſo daß durch dieſes Mittel die zwey verſchiedenen Obligationen des Diebes recht augenſcheinlich abgeſondert, und Misverſtändniſſe hierüber leichter vermieden wurden(d)Ein ſolcher Fall wird erwähnt in L. 72 § 3 de solut. (46. 3.)..

Im älteſten Recht beſtand noch ein anderer, und nicht unwichtiger Grund, weshalb die furti actio nicht mit dare facere oportere gefaßt wurde. Nach den Zwölf Tafeln nämlich ſollte der fur manifestus nicht an Geld, ſondern durch den Verluſt der Freyheit beſtraft werden, er ſollte die Addiction erleiden. Dieſes Übel konnte man weder dare noch facere nennen, der unbeſtimmte Ausdruck deci - dere war auch darauf anwendbar, und ſo lag hierin das Mittel, die verſchiedenen Arten der furti actio unter Einer paſſenden Formel zuſammen zu faſſen. Seitdem der Prä - tor für das furtum manifestum die Geldſtrafe des vier - fachen Werthes eingeführt hatte, fiel dieſer Beweggrund freylich hinweg.

So erſcheint alſo die Definition der condictio bey Gajus ſehr präcis und völlig befriedigend. Nicht daſſelbe Lob verdient eine Stelle des Ulpian, worin geradezu con - dictio für ganz gleichbedeutend mit in personam actio er -593Die Condictionen. XXVI. klärt wird(e)L. 25 pr. de O. et A. (44. 7. ), vgl. Syſtem § 206.. Dieſes wird auch dadurch nicht gebeſſert, daß nachher, ſcheinbar übereinſtimmend mit Gajus, hinzu - geſetzt wird: In personam actio est, qua cum eo agimus, qui obligatus est nobis ad faciendum aliquid vel dandum. Denn eine ſolche Verpflichtung auf dare oder facere findet ſich in der That bey allen Obligationen ohne Aus - nahme, iſt alſo nicht der unterſcheidende Character der Condictionen. Da aber dieſe Stelle des Ulpian mit ſo vielen anderen Stellen deſſelben Verfaſſers in entſchiedenem Widerſpruch ſteht, ſo iſt mit großer Wahrſcheinlichkeit an - zunehmen, daß ſie von den Compilatoren ſtark umgeändert worden iſt. Von einer Inſtitutionenſtelle iſt ſchon oben (Num. XXV. a.) bemerkt worden, daß ſie den Worten nach mit Gajus gleichlautend iſt, dem Sinne nach die condictio für jede perſönliche Klage überhaupt erklärt. Eine ähnliche Erweiterung des Sprachgebrauchs, doch weniger entſchieden, findet ſich in einer Stelle des Codex(f)L. 1 C. de don. q. sub modo (8. 55. ) condictio quidem tibi in hoc casu, id est in personam actio, jure pro - cedit Man kann die Worte id est etc. als Erklärung des Ausdrucks condictio verſtehen, (alſo in demſelben Sinn wie L. 25 pr. de V. O.), ſie können aber auch ſagen wollen: welche per - ſönliche Klage im vorliegenden Fall eine condictio ſeyn würde. .

Weit wichtiger und bedenklicher würde es ſeyn, wenn ſich Stellen der alten Juriſten nachweiſen ließen, worin bey einzelnen Rechtsverhältniſſen der Ausdruck condictio gebraucht würde, um eine wirkliche bonae fidei actio, namentlich die actio praescriptis verbis, zu bezeichnen. V. 38594Beylage XIV. Dieſes wird nun in der That von folgenden zwey Stellen behauptet:

  • a) L. 19 § 2 de praescriptis verbis (19. 5.) Cum quid precario rogatum est, non solum inter - dicto uti possumus, sed et incerti condictione, id est praescriptis verbis.

Es iſt jedoch ſchon oben bemerkt worden, daß die Vulgata anſtatt condictione lieſt actione; da nun incerti actio eine ganz regelmäßige Bezeichnung der a. praescriptis verbis iſt, dieſe letzte Leſeart aber handſchriftliche Beglau - bigung hat, ſo iſt es unbedenklich, dieſelbe vorzuziehen, wodurch die aus dieſer Stelle hergeleitete Einwendung verſchwindet (§ 217. o.).

b) L. 3 § 4 de cond. causa data (12. 4.). Unmittelbar vorher war geſagt, wenn Jemand einem Andern Geld gebe, damit Dieſer binnen einer beſtimmten Zeit einen Sklaven frey laſſe, der Sklave aber vor Ablauf der Zeit ſterbe, ſo daß den Empfänger noch kein Vorwurf treffe, ſo gelte die regelmäßige Rückforderung des Gegebenen nicht(g)L. 3 § 3 de cond. causa data (12. 4.) Proculus ait, si post id temporis decesserit, quo manumitti potuit, repeti - tionem esse: si minus, cessare. Bey den letzten Worten muß nun aus dem Vorhergehenden (§ 2 und § 3) ergänzend hinzu gedacht wer - den: nisi poeniteat, welches Ul - pian nur nicht jedesmal wieder - holen wollte. Dieſes poenitere aber hat wieder eigenthümliche Be - ſchränkungen, wodurch es im letzten Erfolg oft ganz wirkungslos wer - den kann. L. 5 pr. § 2. 3. 4. eod. Hieran ſchließt ſich nun die angeführte Stelle: Quinimo et si nihil tibi dedi ut manumitteres, pla -595Die Condictionen. XXVI. cuerat tamen ut darem, ultro tibi competere actio - nem quae ex hoc contractu nascitur, id est con - dictionem, defuncto quoque eo.

Hier ſagen die Meiſten, es ſey die a. praescriptis verbis als condictio bezeichnet. Dieſe kann aber ſchon deshalb nicht gemeynt ſeyn, weil der Herr, der den Sklaven nicht manumittirt hat, unmöglich ſagen kann: feci ut dares. Deswegen haben Andere angenommen, die Worte id est condictionem ſeyen von Tribonian, oder gar von Abſchrei - bern, eingeſetzt. Allein ſelbſt durch dieſes gewaltſame Verfahren iſt nur die Hälfte der Schwierigkeit beſeitigt, nämlich die Bedeutung des Ausdrucks condictio, der Grund einer Klage erhellt daraus nicht. Offenbar aber ſollen die Worte ex hoc contractu nur als Wiederholung dienen für die vorhergehenden Worte placuerat tamen ut darem. Das placitum nun kann nur unter der Vorausſetzung contractus heißen und eine Klage erzeugen, wenn es durch Stipula - tion beſtärkt war. Dieſes alſo hat Ulpian gedacht, und zwar nicht unmittelbar geſagt, wohl aber durch das wie - derholende ex hoc contractu angedeutet(h)In anderen Stellen wird neben dem placitum die Stipu - lation ausdrücklich genannt (L. 27 C. de pactis 2. 3, L. 4 C. de rer. perm. 4. 64. ); hier wird ſie durch das Wort contractu außer Zweifel geſetzt.. Die Con - diction iſt alſo die certi condictio aus der Stipulation. Und nun will Ulpian, mit ſtrengem innerem Zuſammen - hang der Gedanken, Folgendes ſagen. So wie bey dem früheren Tod des Sklaven der Empfänger das Geld be -38*596Beylage XIV. halten darf (§ 3: si minus, cessare), ſo darf er es ſelbſt noch einklagen, wenn es ihm nicht bezahlt, ſondern nur durch Stipulation verſprochen war(i)Auch hier muß ergänzend hinzu gedacht werden: nisi poeni - teat (Note g.). Die hier ver - ſuchte Erklärung hat im Weſent - lichen ſchon Chesius jurispr. Rom. et Att. II. p. 786. Andere Er - klärungen werden angeführt bey Glück B. 13 S. 41, Schulting notae ad Digesta III. p. 74. Eine neue Erklärung verſucht Pfordten Abhandlungen S. 278..

XXVII.

Einige andere Stellen des Gajus ſcheinen für die Con - diction nur die Intentio mit dare oportere (ohne facere) anzugeben, und die ſcheinbare Differenz derſelben von der oben angegebenen Stelle (Num. XXV. ) bedarf einer Er - klärung und Rechtfertigung.

  • Gajus IV. § 18.
    (a)Er hatte vorher von der alten Legis actio per condictio - nem geſprochen, und dabey be - merkt, condicere heiße eigentlich ſo viel als denuntiare, und bey der alten condictio ſey eine de - nuntiatio auf 30 Tage üblich ge - weſen. Die hier im Text abge - druckte Stelle ſteht auch, mit ge - ringen Abweichungen, in dem § 15 J. de act. (4. 6.).
    (a)Nunc vero non proprie(b)Inst. abusive. condictionem dicimus actionem in personam, qua intendimus, dari nobis(c)Inst. actor intendit, dari sibi oportere (weil der Kaiſer nicht ſeine eigene Perſon in die Erklärung einflechten wollte). oportere: nulla enim hoc tempore eo nomine denun - tiatio fit.

Gajus wollte die neuen Condictionen mit den alten Legis actiones vergleichen, die dieſen Namen führten; da nun dieſe nur auf dare giengen(d)Gajus IV. § 19., ſo konnte er natürlich597Die Condictionen. XXVII. von den neuen Condictionen nur diejenigen erwähnen, die ihnen durch ihren Inhalt entſprachen, alſo nur die mit dare, nicht die mit dare facere.

Ganz dieſelbe Bewandniß, und noch augenſcheinlicher, hat es mit der folgenden Stelle, worin er vor dem mög - lichen Misverſtändniß warnen will, als ob die neuen Con - dictionen auf einer Fiction der alten beruhten, und dieſe Fiction in ihrer Formel ausgedrückt enthielten. Ein ſolches Misverſtändniß war natürlich nur denkbar bey denjenigen neuen Condictionen, die auf dare, nicht die auf dare facere giengen, da dieſe mit den alten Condictionen ſchon ihres Inhaltes wegen gar keine Verwandtſchaft hatten.

  • Gajus IV. § 33. Nulla autem formula ad condictionis fictionem ex - primitur. Sive enim pecuniam, sive rem aliquam certam debitam nobis petamus, eam ipsam dari nobis oportere intendimus, nec ullam adjungimus condictio - nis fictionem.

So iſt die wörtliche Differenz dieſer zwey Stellen von der zuerſt angeführten völlig erklärt und gerechtfertigt, und wir haben keinen Grund, deshalb dem Gajus unge - naue und ſchwankende Rede vorzuwerfen(e)Dieſe Rechtfertigung kommt freylich dem § 15 J. de act. (4. 6. ) nicht zu Statten; denn Dieſer iſt ungeſchickt compilirt aus Gajus IV. § 5 und § 18, ſo daß in ihm gar kein Grund ſichtbar wird, wes - halb die Formel der Condiction in der erſten Hälfte mit dare fa - cere, in der zweyten mit dare, angegeben wird, ſo daß hier dieſe Verſchiedenheit als blos nachläſ - ſige Rede erſcheint.. Eben ſo aber haben wir auch keinen Grund, in jenen Stellen des598Beylage XIV. Gajus die Angabe mehrerer ſucceſſiven Entwicklungsſtufen der Condiction anzunehmen, gleich als ob auf die alte condictio erſt blos die neue auf dare, dann die neueſte auf dare facere gefolgt wäre(f)Heffter in Gajum lib. 4 p. 65.. Bey Gajus iſt viel - mehr blos von Zwey Zeiten die Rede: der Zeit der Legis actiones (vor der L. Aebutia), und der Zeit, welche ſeit Aufhebung der L. actiones und Einführung der formulae eingetreten war, und die er als unverändert fortdauernd mit nunc bezeichnet. Indem er den heutigen Sprachge - brauch mit dem Beywort non proprie (bey Juſtinian abusive) belegt, will er damit keinen Tadel ausſprechen, ſondern nur die Abweichung von dem älteren Sprachge - brauch, und zugleich von der etymologiſchen Wortbedeu - tung bemerklich machen, weil condicere ſo viel heiße als denuntiare, da doch die denuntiationes bey den neueren Condictionen nicht mehr vorkämen.

XXVIII.

Die letzte Stelle des Gajus, die hier in Betracht kommt, lautet ſo:

  • Gajus IV. § 2. In personam actio est, quotiens cum aliquo agimus, qui nobis vel ex contractu, vel ex delicto obligatus est, id est cum intendimus, dare, facere, praestare oportere.

Hier macht die wörtliche Abweichung von den drey599Die Condictionen. XXVIII. oben angeführten Stellen keine Schwierigkeit, denn in dieſen iſt die Rede von Condictionen allein, hier aber von den perſönlichen Klagen im Allgemeinen, von welchen ja die Condictionen nur eine einzelne Art ausmachen. Auch Das iſt auf den erſten Blick einleuchtend, und macht da - her keine Schwierigkeit, daß die in den Worten: id est oportere enthaltene Erklärung nicht alle perſönliche Klagen überhaupt zum Gegenſtand hat, ſondern nur die - jenigen, welche mit einer Intentio in jus concepta verſehen ſind; denn die in factum gefaßten waren ja einer ſolchen gemeinſchaftlichen Angabe ihres Inhalts nicht empfänglich, da jede derſelben ganz anders lautete als die übrigen.

Alle Schwierigkeit liegt in dem Wort praestare. Da nämlich den vorhergehenden Worten dare facere ganz be - kannte und ſichere Intentionsformen entſprechen, ſo er - wartet man, daß bey manchen Klagen die Intentio auf praestare oportere gelautet haben möge. Nun kommt aber eine ſolche Intentio in dem ganzen Umfang unſrer Quellen nicht vor, und es läßt ſich mit Wahrſcheinlichkeit nicht annehmen, daß Gajus, der ſo reich an mannichfal - tigen Beyſpielen iſt, gerade dieſe Form in einem Beyſpiel anzuführen vergeſſen haben ſollte; ganz unzuläſſig aber würde die Annahme ſeyn, daß die Römer mit dieſen Aus - drücken nach Gutdünken abgewechſelt haben ſollten, da vielmehr hierin die Beobachtung der ſtrengſten Gleichför - migkeit unverkennbar iſt.

Alles aber erklärt ſich daraus, daß Gajus von allen600Beylage XIV. perſönlichen Klagen überhaupt ſprechen will, alſo auch (wie er noch ausdrücklich hinzufügt) von den Delictsklagen, bey welchen der Ausdruck dare facere in der That nicht üblich war (Num. XXVI. ); auf Dieſe alſo geht der Aus - druck praestare(a)Weſentlich dieſelbe Erklä - rung, nur kurz angedeutet, findet ſich bey Puchta Lehrbuch der Pandekten S. 213 Note b. Eine andere Meynung hat Marezoll, Über Dare, Facere, Präſtare, in Linde’s Zeitſchrift B. 10 Num. VIII. Nach ihm geht praestare auf die b. f. actiones, und iſt gleich dem zuſammen gefaßten dare facere, anſtatt daß die str. j. actiones ein abgeſondertes dare oder fa - cere zum Gegenſtand haben ſollen (S. 275. 280. 286. 297. 309. 310.). Allein wenn Dieſem ſo wäre, läge darin kein Grund, noch neben dem dare facere das praestare aus - zudrücken, da M. ſelbſt nicht an - nimmt, daß in der Intentio je - mals das Wort praestare ge - ſtanden habe. Dare facere (für dare aut facere) hat überall dieſelbe Bedeutung, in den Con - dictionen, wie in den b. f. actiones, und der Unterſchied dieſer beiden Klagarten wird blos durch den Zuſatz ex fide bona bezeichnet.. Freylich auch nicht praestare als ein in der Intentio derſelben wirklich vorkommender Ausdruck, ſondern nur als allgemeine Hinweiſung auf dieſen, von dare facere verſchieden lautenden, Ausdruck. Demnach läßt ſich die angeführte Stelle des Gajus ſo umſchreiben: Die perſönlichen Klagen haben als Intentio entweder ein bloßes Geben (dare), oder noch ein anderes, von dem Geben verſchiedenes, Thun (facere), oder ein ſolches Lei - ſten, welches nicht mit dem Ausdruck dare facere bezeichnet wird. Hierin iſt alſo das praestare nicht von dem fa - cere der Sache nach verſchieden (ſo daß es nicht unter facere mit verſtanden werden könnte), ſondern nur wörtlich verſchieden, und es bezieht ſich auf die Intentio der De -601Die Condictionen. XXVIII. lictsobligationen: damnum decidere, oder pro fure damnum decidere(b)Africanus braucht mehrmals damnum praestare, ganz will - kührlich abwechſlend mit damnum decidere, für die der furti actio entſprechende Leiſtung. L. 61 pr. § 1. 2. 3. 5 de furtis (47. 2.)..

Man könnte einwenden, wenn Dieſes die Meynung des Gajus geweſen wäre, ſo hätte er ja beſtimmter ſagen können: dare facere damnum decidere oportere. Dieſes gieng aber deswegen nicht an, weil die Intentionen der einzelnen Delictsklagen wieder ihre Eigenthümlichkeiten hatten (Num. XXVI. ), die nur durch eine ſo abſtracte Benennung, wie praestare, kurz umfaßt werden konnten.

Eine beſondere Beſtätigung erhält dieſe Erklärung des Gajus durch den etwas veränderten Ausdruck in Juſti - nians Inſtitutionen.

  • § 1 J. de act. (4. 6.). Actiones in personam sunt, per quas intendit, ad - versarium ei dare facere oportere, et aliis quibus - dam modis.

Die alii modi, die hier für praestare geſetzt werden, ſind nun eben: damnum decidere, pro fure damnum de - cidere, und vielleicht noch manche andere, uns unbekannte, Wendungen bey anderen Delictsklagen(c)Nämlich man darf durchaus nicht dieſe Schlußworte mit den früher vorangehenden Worten: vel ex contractu, vel ex maleficio verbinden, als ob darin eine er - gänzende Hinweiſung auf die Quaſi - contracte und Quaſidelicte läge, wie es z. B. von Otto in Inst. l. c. geſchieht. Dann würde ja die in die Mitte eingeſchobene Parentheſe ſagen, nur die Con - tracte und Delicte, nicht die Quaſi - contracte, erzeugten Klagen in per - sonam, mit dare facere oportere. .

602Beylage XIV.

XXIX.

Mit der zuletzt erklärten Stelle des Gajus ſind noch folgende Stellen durch die Erwähnung des praestare ver - wandt, welche erklärt werden müſſen, um nicht manchen Zweifeln und Misverſtändniſſen Raum zu laſſen.

  • Paulus ſagt in L. 3 pr. de O. et A. (44. 7. ): Obligationum substantia .. in eo consistit ut alium nobis obstringat ad dandum aliquid, vel faciendum, vel praestandum.

In dieſem Zuſammenhang wäre das faciendum oder das praestandum (neben dem dandum) allein völlig hinreichend ge - weſen; die an ſich überflüſſige Zuſammenſtellung der drey möglichen Gegenſtände enthält eine augenſcheinliche Anſpie - lung auf die drey gleichnamigen Arten der Intentio in den Klagformeln, wie ſie in der zuletzt erklärten Stelle des Gajus vorkommen, und wahrſcheinlich auch von den anderen Schriftſtellern angegeben zu werden pflegten.

Die Lex Iulia oder Papia hatte beſtimmt, jeder Frey - gelaſſene, welcher wenigſtens Zwey Kinder in väterlicher Gewalt habe, ſolle dadurch befreyt ſeyn von allen Ver - pflichtungen, die er etwa früher gegen ſeinen Patron durch Eid, Stipulation, oder auf andere Weiſe, übernommen haben möchte. Dieſes wird in dem Volksſchluß ſelbſt ſo ausgedrückt:

(c)Die richtige Erklärung wird vertheidigt von Vinnius und Schrader in § cit.

603Die Condictionen. XXIX.
  • L. 37 pr. de operis libert. (38. 1.). Ne quis eorum quicquam dare, facere, prae - stare debeto.

In dieſem Zuſammenhang, da blos von Verträgen die Rede iſt, kann praestare unmöglich von Delictsobligatio - nen verſtanden werden. Allein die Stelle ſpricht auch überhaupt nicht von Klagformeln, ſondern von eingegange - nen Stipulationen, und deren Faſſung war völlig der Willkühr der Parteyen überlaſſen. Demnach iſt der Sinn der Stelle dieſer: er ſoll frey ſeyn von Allem, was er verſprochen haben mag, ohne Unterſchied, ob dieſes Ver - ſprechen auf ein Geben, oder ein Thun, oder irgend ein anderes Leiſten durch den wörtlichen Ausdruck gerichtet ſeyn möchte.

Die Lex Galliae cisalpinae Cap. XXII. verordnet, daß bey allen Klagen, die nicht auf baares Geld gehen, die in einem Municipium vorgekommene in jure confessio dieſelben Folgen gegen den Geſtändigen haben ſoll, wie wenn ſie in Rom vorgekommen wäre. Dieſe Vorſchrift wird in den Zeilen 31 34 ſo ausgedrückt: Sei is eam rem dare, facere, praestare, restitue - reve oportere, aut se debere, ejusve eam rem esse, aut se eam habere, eamve rem, de qua arguetur, se fecisse, obligatumve se ejus rei noxiaeve esse, con - fessus erit, deixeritve .....

Hier geht das praestare, neben dare facere, wiederum auf die Delictsobligationen. Das folgende restituereve,604Beylage XIV. aut se debere, würde in Beziehung auf eine Klagformel nicht noch beſonders, neben jenen Drey Stücken, genannt werden können, eben ſo wie das ſpäter folgende: eamve rem .. se fecisse, obligatumve se esse. Allein es iſt ja auch hier nicht von (feſtſtehenden) Klagformeln die Rede, ſondern von[Confeſſionen], die eben ſo willkührlich und zufällig verſchieden im Ausdruck gefaßt ſeyn konnten, wie es oben von den Stipulationen bemerkt worden iſt. Das Geſetz will alſo ſagen: es iſt gleichgültig, ob der Ausdruck der confessio ſo gefaßt war, wie es in den Klag - formeln üblich iſt (dare, facere, praestare oportere), oder in anderen, das Daſeyn einer Verpflichtung bezeichnenden Worten (restituere oportere, se debere, obligatum se esse). Dagegen gehen die Worte: ejusve eam rem esse, aut se eam habere augenſcheinlich auf den Fall einer in rem actio, wobey bekanntlich zwey Stücke Gegenſtände des Beweiſes, alſo auch eines möglichen Geſtändniſſes ſind: das Eigenthum des Klägers (ejus eam rem esse), und der Beſitz des Beklagten, der das Geſtändniß ablegt (se eam habere)(a)Marezoll bey Linde, Zeit - ſchrift B. 10 S. 283 erklärt das restituere oportere von der Vin - dication; der Ausdruck restituere würde Das wohl zulaſſen, aber oportere geht durchaus nur auf Obligationen, von der Vindication reden alſo nur die Worte: ejus eam rem esse, se eam habere. Das restituere oportere geht daher auf die Reſtitution einer res commodata, deposita, Io - cata, wobey auch das Geſtändniß mit dare facere, debere, obli - gatum esse, genügt haben würde..

605Die Condictionen. XXX.

XXX.

Die bisher vorgetragene Verſchiedenheit und Verwandt - ſchaft zwiſchen den Condictionen und anderen perſönlichen Klagen wird noch deutlicher hervortreten durch Zuſam - menſtellung derjenigen Intentiones in jus conceptae, die uns, mehr oder weniger vollſtändig, in Beyſpielen perſön - licher Klagen erhalten ſind:

  • A) Condictionen (stricti juris actiones).
    • Si paret, X. Millia dari oportere. Gajus IV. § 41. 86.
    • Si paret, fundum Cornelianum dari oportere
      (a)Eine vollſtändige Formel dieſer Art kommt nicht vor, aber daß ſie wirklich auf ein bloßes dare oportere lautete, iſt nach Gajus IV. § 33 und II. § 204 nicht zu bezweifeln.
      (a).
    • Quidquid dari fieri oportet. Gajus IV. § 136. L. 29 § 1 de V. O. (45. 1. ), L. 72 § 3 de sol. (46. 3.).
  • B) Bonae fidei actiones.
    • Sie haben ſtets die Intentio: Quidquid dari fieri oportet ex fide bona, keine andere
      (b)So vollſtändig ſteht dieſe Formel nur bey Gajus IV. § 47, Cicero de off. III. 16 und Va - lerius Maximus VIII. 2 § 1. In den übrigen Stellen, worin die Formel nur beyläufig angeführt wird, ſind die Schlußworte wegge - laſſen, deren wirkliche Hinzufügung ſich bey allen b. f. Actionen ohne - hin von ſelbſt verſtand. Dagegen haben alle dieſe Stellen das dare facere oportet, nie blos facere, oder praestare, oder einen an - deren Ausdruck, und Dieſes durch eine ſolche Zahl von Zeugniſſen belegen zu können, iſt nicht un - wichtig.
      (b). Es kommen davon folgende Beyſpiele wirklich vor:
    • Depositi actio. Gajus IV. § 47. 60.
    • Emti. Gajus IV. § 131 (in der zweyten Formel). 606Beylage XIV. Cicero de offic. III. 16. Valerius Maximus VIII. 2. § 1.
    • Venditi. L. 27 de novat. (46. 2.).
    • Locati. L. 89 de V. O. (45. 1.).
    • Pro socio. L. 71 pro socio (17. 2.).
    • Tutelae. L. 11 rem pupilli (46. 6.).
  • C) Delictsobligationen.
    • Furti actio mit pro fure damnum decidi oportere. Gajus IV. § 37. 45.

Einige Beyſpiele, mit unvollſtändigen Formeln, ſind unbeſtimmt, indem in ihnen das dare facere ſowohl auf eine Condiction, als auf eine b. f. actio, gehen kann. Ga - jus IV. § 41. § 131 (in der erſten Formel).

Beſonders wichtig in dieſer Hinſicht iſt das vollſtändig erhaltene Formular der Aquiliana stipulatio. Dieſe ſollte dazu dienen, verſchiedene, vielleicht ſehr mannichfaltige Ge - ſchäftsverhältniſſe aus früherer Zeit in ſich aufzunehmen, und ſo durch novatio zu tilgen, damit eine darauf fol - gende einfache acceptilatio jeden künftigen Anſpruch ſicher ausſchließen könnte. Zu dieſem Zweck drückte ſie ſich, in Beziehung auf Obligationen, alſo aus(c)L. 18 § 1 de accept. (46. 4. ), § 2 J. quibus modis. oblig. (3. 29.).: Quidquid te mihi ex quacumque causa dare facere oportet, oportebit, praesens in diemve

Gewiß war hier die Abſicht, alle beſtehende contract - liche Verhältniſſe, mochten ſie aus Stipulationen oder aus anderen Contracten herrühren, alſo stricti juris oder bonae607Die Condictionen. XXXI. fidei ſeyn, recht ſicher zu umfaſſen, und da zu dieſem Zweck der Ausdruck dare facere für hinreichend erachtet wurde, ſo muß es in der That keine contractliche Obligationen gegeben haben, die nicht durch dieſen Ausdruck erſchöpfend bezeichnet geweſen wären. Daß hier das praestare nicht vorkommt, iſt ſehr natürlich, da in jener Stipulation nicht an Schulden aus Diebſtählen oder anderen Delicten, ſon - dern nur an die aus Verträgen und ähnlichen Geſchäften, gedacht war.

XXXI.

Nachdem bisher die Condictionen im Allgemeinen be - trachtet worden ſind, ſollen nunmehr die einzelnen Arten derſelben unterſucht und feſtgeſtellt werden.

Die meiſten Schriftſteller haben dadurch Verwirrung in dieſe Lehre gebracht, daß ſie alle ſpecielle Bezeichnungen von Condictionen, wie ſie irgendwo vorkommen mögen, als gleichartig betrachtet und daher auf eine Linie geſtellt haben, gleich als ob ſie Glieder einer und derſelben Ein - theilung wären. Es ſind aber hier vielmehr Zwey Ge - ſichtspunkte zu unterſcheiden, nach welchen einzelne Arten der Condictionen aufgeſtellt werden(a)Ganz unrichtig alſo ſtellte man in Eine Reihe: Condictio indebiti, triticaria, furtiva u. ſ. w. Den hier gerügten Fehler hat richtig bemerkt Gans Obligatio - nenrecht S. 87. 132. Er geht aber auf der anderen Seite zu weit, indem er irrigerweiſe Drey Ge - ſichtspunkte unterſcheiden will (wo - zu in unſren Quellen kein Grund vorhanden iſt), und dadurch neue Verwirrung in die an ſich einfache Sache bringt..

608Beylage XIV.

Erſtlich, nach den Entſtehungsgründen, kommen fol - gende beſondere Bezeichnungen vor: Condictio indebiti, sine causa, ob causam datorum, ob injustam causam, ex causa furtiva, ex lege. Dieſe Namen aber beruhen nicht auf einer durchgeführten Eintheilung, ſondern ſie ſollen blos dazu dienen, einige Fälle kurz zu bezeichnen; es iſt hauptſächlich ein theoretiſches Erleichterungsmittel, prak - tiſche Folgen knüpfen ſich an dieſe einzelnen Arten weni - ger(b)Manche praktiſche Eigen - thümlichkeiten finden ſich hie und da allerdings, wie z. B. bey der condictio indebiti die ſehr in’s Einzelne gehende Beweisregeln.. Ein beſonderer Werth wird von den Alten nicht darauf gelegt, die Namen werden oft nicht gebraucht, oder nicht genau gebraucht; beſonders aber haben gerade die wichtigſten Fälle gar keine habituelle Namen ähnlicher Art, ſo die Condictionen aus dem Darlehen, der Stipulation(c)Von dem allerdings techni - ſchen Namen actio ex stipulatu wird weiter unten die Rede ſeyn, aber condictio ex stipulatu iſt nicht üblich. Über den Namen condictio ex mutuo ſ. u. XLII. a. , der Expenſilation, dem Legat, obgleich es auch bey dieſen gar nicht unrichtig iſt, den Entſtehungsgrund daneben aus - zudrücken, wo gerade das Bedürfniß darauf führt. Der Name condictio ob turpem causam bezeichnet keinen eige - nen Entſtehungsgrund, ſondern eine beſondere Modification, die bey der condictio sine causa oder ob causam datorum eintreten kann, wenn der Zweck einen unſittlichen Cha - racter hat.

Zweytens, nach den Klagformeln, woran ſich zugleich wichtige praktiſche Folgen anſchließen(d)Die gänzliche Verſchieden -. Um dieſen609Die Condictionen. XXXII. ſchwierigen und beſtrittenen Gegenſtand mit Sicherheit be - handeln zu können, iſt es nöthig, zuerſt die Klaſſen der Condictionen ſelbſt, unbekümmert um die Namen, aufzu - ſtellen, und dann über die Namen eine beſondere Unter - ſuchung anzuſtellen.

XXXII.

In Beziehung auf die Klagformeln und deren Wirkun - gen kommen folgende Drey Klaſſen von Condictionen vor, nicht mehr, nicht weniger.

I. Condiction auf eine beſtimmte Summe in baarem Geld. Sie war nur möglich, wenn der angebliche Ent - ſtehungsgrund (Darlehen, Stipulation u. ſ. w.) auf eine baare Geldſumme hinführte, dann aber auch nothwendig, ſo daß hierin durchaus keine Willkühr Statt fand. War alſo in dieſer Hinſicht eine falſche Formel gewählt, ſo mußte ohne Zweifel die Klage abgewieſen werden.

Die Formel war: Si paret, Centum dare oportere, Judex Centum condemna(a)Gajus IV. § 41. 43. 86, ſ. o. Num. XXX. , alſo certa Intentio und certa Condemnatio. Voran gieng vielleicht eine Demonstratio, die den Entſtehungsgrund bezeichnete, z. B. Quod Agerius Negidio Centum mutuos dedit, oder: de Negidio Centum stipulatus est. Allgemein war wohl eine ſolche nicht, und(d)heit beider Klaſſificationen erhellt daraus, daß aus der Stipulation, dem Indebitum, dem Diebſtahl u. ſ. w., je nach den zufällig ver - ſchiedenen Gegenſtänden, bald eine certi, bald eine incerti condictio entſteht.V. 39610Beylage XIV. namentlich mag ſie wohl in dem Prozeß des Roscius nicht vorgekommen ſeyn, da ſonſt Cicero nicht hätte in Frage ſtellen können, ob ein Darlehn, eine Stipulation, oder eine Expenſilation, der Klage zum Grunde liege. Viel - leicht hing es alſo von der Willkühr des Klägers ab, ob eine Demonstratio hinzugefügt werden ſollte oder nicht. Wo dieſe Condiction eine ſpecielle Veranlaſſung hatte, wie z. B. Diebſtahl, Indebitum u. ſ. w., da mag wohl die De - monstratio ſtets hinzugefügt worden ſeyn. Sogar müſ - ſen wir annehmen, daß dieſe nähere Bezeichnung des Ent - ſtehungsgrundes einer Forderung unmittelbar in der In - tentio ausgedrückt werden konnte (Si paret, ex stipulatu centum dari oportere)(b)Gajus IV. § 55. Item palam est, si quis aliud pro alio intenderit, nihil eum pe - reclitari (velut) si quis ex testamento dari sibi oportere intenderit, cui ex stipulatu de - bebatur. Daß er in der That eine in die Intentio aufgenom - mene Bezeichnung meint, zeigt un - widerſprechlich die Vergleichung mit § 58., ſo daß alſo in dieſer Bezie - hung ein freyer Spielraum für die Faſſung der Formeln geſtattet worden iſt. In dem Prozeß des Roscius kann, aus dem eben angegebenen Grunde, dieſe nähere Bezeich - nung auch in der Intentio nicht enthalten geweſen ſeyn. Dagegen wird in der oben aus Quinctilian angeführten Stelle (X. k.) vorausgeſetzt, daß die Stipulation als Kla - gegrund in der Formel ausgedrückt war; ſey es nun in der Demonstratio, oder in der Intentio, welches bey Quinc - tilian unbeſtimmt bleibt.

Die eigenthümliche, höchſt wichtige, Wirkung dieſer611Die Condictionen. XXXII. Art der Condiction war die sponsio tertiae partis, die keinesweges blos bey dem Gelddarlehen, ſondern bey einer jeden auf baares Geld gerichteten Condiction Statt fand (Num. X. I. m). Cicero nennt ſie auch legitimae partis sponsio, ohne Zweifel weil ſie durch die Lex Silia für die alte Legis actio auf baares Geld eingeführt, und von die - ſer auf die neuere Condiction herüber genommen wor - den war.

Der Sinn dieſer Sponſion war der, daß der Kläger den Beklagten zwingen konnte, für den Fall der Verur - theilung, außer der Hauptſumme, noch den dritten Theil derſelben als Strafe zu bezahlen. Allerdings mußte auch der Kläger ſich bequemen, eine gleiche Summe für den Fall der Abweiſung zu verſprechen(c)Gajus IV. § 13. 180.; bey einer wohlbe - gründeten, mit guten Beweiſen verſehenen, Klage aber war dieſe Gefahr nicht bedeutend.

Dieſe Eigenthümlichkeit der Condiction auf baares Geld war praktiſch wichtiger, als man auf den erſten Blick glauben möchte, ja ſie war ohne Zweifel das wichtigſte Moment, welches noch in ſpäterer Zeit, als die Verſchie - denheiten des Richterperſonals mehr zurück traten, zwiſchen den Condictionen und anderen Klagen einen namhaften Unterſchied aufrecht hielt. Man denke ſich, welchen Nach - druck auch im heutigen Rechtszuſtand eine Klage dadurch erhalten würde, wenn ihr eine Succumbenzſtrafe von 33⅓ Procent des Streitsgegenſtandes beygelegt wäre.

39*612Beylage XIV.

XXXIII.

II. Condiction einer beſtimmten Sache außer dem baa - ren Geld.

Die Formel war: Si paret, fundum Cornelianum (oder Stichum servum, oder auch tritici optimi modios Centum) dari oportere, Judex quanti ea res erit tantam pecuniam condemna, alſo certa Intentio, aber incerta Condemnatio (Num. XXX.). Auch hier konnten die ver - ſchiedenſten Entſtehungsgründe vorkommen, ſelbſt ein Dar - lehen, welches nur nicht in baarem Gelde beſtand, ſo daß alſo hier der Unterſchied der Gegenſtände des Darle - hens (Num. V.) praktiſche Wichtigkeit erhält. Der Ent - ſtehungsgrund mag hier, eben ſo wie bey der Condiction auf baares Geld (Num. XXXII. ) ſehr häufig, aber nicht allgemein, durch eine vorhergehende Demonstratio, oder auch in der Intentio ſelbſt, bezeichnet worden ſeyn.

Auch dieſe Formel war wieder nicht blos zuläſſig, ſon - dern nothwendig, wenn die vom Kläger angegebene Sti - pulation u. ſ. w. darauf führte, ſo daß alſo auch bey der Wahl dieſer Formel keine Willkühr Statt fand.

Sie war minder begünſtigt als die vorhergehende For - mel, weil ihr die Sponſion des dritten Theils des Streit - gegenſtandes nicht zur Seite ſtand. Dagegen war ſie, eben ſo wie jene, der Gefahr des plus petere ausgeſetzt, da ſie gleichfalls eine certa Intentio hatte(a)Gajus IV. § 53. 54..

613Die Condictionen. XXXIII.

Die zweifelhafteſte Frage bey dieſer Art der Klage iſt der Umfang der vom Judex auszuſprechenden Condemna - tion. Dieſe geht, nach der Formel, auf quanti res est, Welches in mehreren Stellen als aestimatio bezeichnet wird(b)L. 39 § 1 de leg. 1 (30. un. ) (da wo ſie die Stipulation erwähnt), L. 98 § 8 de solut. (46. 3. ), Gajus II. § 202.. Es fragt ſich aber, ob dieſe aestimatio auf den reinen Sachwerth zu beſchränken, oder vielmehr auf das vielleicht viel höhere Intereſſe des Klägers auszudehnen iſt. Man möchte das Erſte annehmen wegen der buchſtäb - lichen Natur einer stricti juris actio, und weil ſonſt in dieſer Beziehung der Unterſchied zwiſchen ſtrengen und freyen Klagen verſchwinden würde. Dennoch halte ich für wahrſcheinlicher, daß das vollſtändige Intereſſe des Klägers in die Verurtheilung aufgenommen wurde, und zwar aus folgenden Gründen.

Der Ausdruck: quanti res est hatte allmälig durch Interpretation immer mehr die Bedeutung des quanti in - terest angenommen, und namentlich ganz ſicher in den Condemnationsformeln ſehr vieler Klagen (Beylage XII.). Nun wäre es allerdings denkbar, daß bey den Condictio - nen die beſchränktere Schätzung des reinen Sachwerths nöthig gefunden worden wäre; es iſt aber höchſt unwahr - ſcheinlich, daß man in dieſem Fall dennoch unvorſichtiger - weiſe denſelben Ausdruck, wie in jenen anderen Klagen, gebraucht haben ſollte, anſtatt durch die Verſchiedenheit614Beylage XIV. der in der Condemnationsformel gebrauchten Ausdrücke das ſehr verſchiedene Recht deutlich zu bezeichnen.

Ferner iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die einzel - nen, durch die Entſtehungsgründe bezeichneten, Condictio - nen nicht als verſchiedene Klagen zu betrachten waren, alſo auch nicht verſchiedenes Recht mit ſich führen konn - ten (Num. XXXI.). Nun wurde aber ganz beſtimmt Der - jenige, welcher einen Sklaven geſtohlen hatte, auf das volle Intereſſe verurtheilt(c)L. 3 de cond. furt. (13. 1.)., alſo liegt Dieſes in der Na - tur der Condiction, und mußte auch eben ſo gelten, wenn der durch Stipulation verſprochene Sklave nicht gegeben wurde(d)Die Intentio gieng ja in beiden Fällen, bey dem Diebſtahl und bey der Stipulation, gleicher - weiſe auf: Stichum servum dare oportere. . Man könnte einwenden, Dieſes geſchehe bey der condictio furtiva zur Beſtrafung der beſonderen Schlechtigkeit des Diebes. Allein erſtlich iſt der Natur der Condiction dieſe Betrachtungsweiſe fremd, und zwey - tens iſt ja um Nichts weniger ſchlecht Derjenige, welcher den verſprochenen Sklaven aus Bosheit tödtet, um ihn nicht geben zu müſſen, oder den lebenden Sklaven blos hartnäckig zu geben verweigert, und dadurch die Verur - theilung in baares Geld erzwingt.

Dann kommen noch folgende nahe liegende Fälle vor. War ein Sklave durch Stipulation verſprochen, dann vom Schuldner vergiftet, und nun noch vor der Wirkung des Giftes mancipirt worden, ſo war buchſtäblich die Stipu - lation erfüllt, und dadurch die Stipulationsklage ausge -615Die Condictionen. XXXIII. ſchloſſen, wenn auch gleich nachher der Sklave an dem Gift ſtarb(e)L. 7 § 3 de dolo (4. 3.).. Wegen des augenſcheinlichen Dolus aber bekam nun der Stipulator die doli actio, und durch dieſe das volle Intereſſe (Beyl. XII. Num. VIII. a. b.). War nun aber der Sklave vor der Mancipation geſtorben, alſo die Stipulation unerfüllt, ſo galt die Condiction auf den Sklaven(f)L. 91 pr. de V. O. (45. 1.)., und es iſt doch kaum denkbar, daß er nun eine geringere Entſchädigung als in jenem Fall hätte erhalten ſollen. Wenn der verſprochene Sklave durch einen Dritten getödtet wird, ſo iſt der dabey unſchuldige Promiſſor frey, aber es geht gegen den Dritten die doli actio auf volles Intereſſe(g)L. 18 § 5 de dolo (4. 3.)., und auch hier muß man fragen, warum wohl der Stipulator weniger bekommen ſollte, wenn die Tödtung durch den Schuldner ſelbſt ver - übt wurde. Wenn in einem ſolchen Fall der Bürge den verſprochenen Sklaven tödtete, ſo war die Hauptſchuld ge - tilgt, folglich auch die Schuld des Bürgen vernichtet, aber gegen Dieſen gieng nun die doli actio auf das volle In - tereſſe(h)Wenigſtens nach der Mey - nung des Papinian in L. 19 de dolo (4. 3.). Die meiſten freylich nahmen an, die Stipulationsklage ſelbſt daure gegen den Bürgen fort, jedoch nur als utilis actio, mit Hülfe einer Reſtitution. Auf dieſe Weiſe ſind folgende ſcheinbar widerſprechende Stellen zu vereini - gen. L. 88. 91 § 4 de V. O. (45. 1. ), L. 95 § 1 de solut. (46. 3.). L. 32 § 5 de usuris (22. 1. ), L. 49 pr. de V. O. (45. 1. ), L. 38 § 4 de solut. (46. 3.). Vgl. Ribbentrop Correalobligationen S. 32., und auch dabey drängt ſich wieder die ſo eben aufgeworfene Frage auf.

616Beylage XIV.

Man möchte nun freylich ſagen, in allen dieſen Fällen könne der Stipulator gleichfalls die doli actio noch nach - träglich gebrauchen, um die Differenz des Sachwerths und des Intereſſe’s nachzufordern; allein die angeführten Stellen ſcheinen ganz abſichtlich die doli actio nur gegen entfernter ſtehende Perſonen zuzulaſſen, gegen den Hauptſchuldner ſelbſt aber, durch ſtillſchweigende Übergehung Deſſelben zu verſagen, gerade deswegen weil gegen Dieſen die Stipu - lationsklage genügen müſſe: auch ſcheint überhaupt ein ſolcher Gebrauch der doli actio, zur bloßen Ergänzung einer anderen, ſchon vorhandenen Klage, nicht zuläſſig(i)L. 1 § 4 de dolo (4. 3.)..

Endlich möchte wohl folgender Grund die bisher zu - ſammen geſtellten noch überwiegen. Wenn die Stipulation eines Grundſtücks auf einen beſtimmten Tag gerichtet iſt, dieſer aber durch des Schuldners Mora nicht eingehalten wird, ſo kann der Glaubiger das volle Intereſſe dieſer Verzögerung fordern(k)L. 114 de V. O. (45. 1.) Si fundum certa die praestari stipuler, et per promissorem steterit, quo minus ea die prae - stetur: consecuturum me, quanti mea intersit, moram factam non esse. . Es wäre aber ganz inconſequent, das Intereſſe für die weit ſtärkere Verletzung zu verſagen, wenn die Erfüllung durch den Willen des Schuldners nicht blos verzögert, ſondern völlig verhindert wird.

Obgleich es nun aus dieſen Gründen für ſehr wahr - ſcheinlich gehalten werden muß, daß die hier behandelte Art der Condiction, namentlich alſo auch im Fall einer Stipulation, auf das volle Intereſſe gieng, ſo wäre es617Die Condictionen. XXXIV. dennoch wünſchenswerth, daß auch noch unmittelbare Zeug - niſſe hierüber aufgefunden werden möchten.

XXXIV.

III. Condiction irgend eines Gegenſtandes außer dem Geben einer beſtimmten Sache.

Die Formel war: Quidquid ob eam rem dare facere oportet, ejus Judex condemna (Num. XXX. ), alſo in - certa Intentio und incerta Condemnatio. Der Entſtehungs - grund muß hier ganz allgemein durch eine vorhergehende Demonstratio ausgedrückt worden ſeyn, da es außerdem der Klage, wegen des höchſt allgemeinen Ausdrucks der angeführ - ten Intentio, an jeder individuellen Bezeichnung gefehlt haben würde. Auch giebt Gajus in den Fällen dieſer Condiction jedesmal eine Demonstratio ausdrücklich an(a)Gajus IV § 136. 137 giebt als Beyſpiel an: Quod A. Age - rius de N. Negidio incertum stipulatus est. Man muß aber nur nicht glauben, als ob jemals in einer wirklichen Klagformel der abſtracte Ausdruck incertum ge - ſtanden hätte; an deſſen Stelle ſtand der wirkliche Gegenſtand der geſchloſſenen incerta stipulatio, z. B. possessionem tradi, insu - lam fabricari u. ſ. w. Es iſt alſo damit ganz wie mit den Na - men Agerius und Negidius, die auch niemals in einer wirklichen Klagformel ſtanden.. Wegen der incerta Intentio war hier ein plus petere unmöglich, dieſe Gefahr alſo für den Kläger nicht vorhanden(b)Gajus IV. § 54..

Dieſe Art der Condiction war, eben ihrer Unbeſtimmt - heit wegen, auf die mannichfaltigſten Gegenſtände an - wendbar. Zuerſt auf das Geben einer Sache, die von irgend einer Seite unbeſtimmt geblieben war, ſo daß die618Beylage XIV. Gränzen der zur Erfüllung dienenden Handlung nicht aus der Formel völlig erkennbar waren(c)L. 75 § 1. 2. 4. 5. 8 de V. O. (45. 1. ), L. 60 de leg. 1 (30. un.). Hier fällt nämlich der Begriff der incerta stipulatio mit dem der incerta Intentio in den meiſten Fällen zuſammen, jedoch wohl nicht in allen. Die Stipu - lation: usumfructum fundi Cor - neliani dare spondes? war in - certa (L. 75 § 3 eod.), ohne Zweifel weil wegen der ungewiſſen Lebensdauer der Geldwerth dieſes Niesbrauchs ungewiß war. Allein die Intentio wurde wahrſcheinlich ſo geſaßt: Si paret usumfructum dare oportere, ſo daß die Con - diction zur zweyten Klaſſe gehörte (Num. XXXIII. ), worin ein plus petere möglich war. Denn die Gränzen der Handlung, wozu der Schuldner verpflichtet war, hatten durchaus nichts Ungewiſſes: er ſollte den Niesbrauch gerade dieſer Sache durch in jure cessio be - ſtellen, nichts Anderes, nicht mehr noch weniger.. Ferner auf eine Tradition, das heißt die Übertragung des Beſitzes(d)L. 75 § 7 de V. O. (45. 1. ), L. 4 pr. de usuris (22. 1.). War der Gegenſtand eine res mancipi, ſo mußte Dieſes ganz unzweifelhaft ſeyn, weil hieran die Tradition niemals Eigenthum verſchaffen konnte. Allein auch bey einer res nec mancipi möchte wohl Daſſelbe gegolten haben; denn obgleich hier die Form der Tradition zur Über - tragung des Eigenthums zureichte, ſo lag doch in dem Ausdruck dare mehr als in dem Ausdruck tra - dere, weil das Letzte ſchon voll - ſtändig erfüllt wurde, ſelbſt wenn die Sache einem Dritten gehörte, in welchem Fall das dare nicht vollzogen war. Dieſer Unterſchied iſt angedeutet in L. 11 § 2 de act. emti (19. 1.).. Eben ſo auf die Eingehung eines obligatoriſchen Rechts - geſchäfts, z. B. Bürgſchaft, Expromiſſion, Acceptilation, oder darauf, daß ein Rechtsgeſchäft in ſeinen Folgen wie - der rückgängig gemacht werde(e)L. 3 de cond. sine causa (12. 7. ), L. 2 § 4 de don. (39. 5. ), L. 12 de nov. (46. 2. ), L. 68 de V. O. (45. 1.).. Endlich auf Arbeit irgend einer Art, oder auch auf eine bloße Unterlaſſung(f)L. 75 § 7 de V. O. (45. 1.)..

Die Wirkung dieſer Art der Condiction war die, daß der Beklagte das volle Intereſſe bezahlen mußte, ja Dieſes619Die Condictionen. XXXIV. war hier nicht anders möglich, da ein beſtimmter Sach - werth (als Gegenſatz des Intereſſe) durch den unbeſtimmten Gegenſtand dieſer Klagen von ſelbſt ausgeſchloſſen war. Indeſſen lag hierin, nach der über die zweyte Klaſſe der Condictionen oben aufgeſtellten Anſicht (Num. XXXIII. ), kein praktiſcher Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Klaſſen. Dagegen war allerdings ein ſolcher Unterſchied darin an - erkannt, daß die zweyte Klaſſe, eben ſo wie die erſte, niemals die omnis causa, alſo die Früchte, mit umfaßte, welche in den Condictionen der dritten Klaſſe allerdings mit begriffen war(g)L. 4 pr. de usuris (22. 1.)..

Wenn man ſo die Wirkungen der drey Klaſſen von Condictionen mit einander vergleicht, ſo iſt darin eine ge - wiſſe Abſtufung unverkennbar, wodurch die dritte Klaſſe der freyen Natur der b. f. actiones ſich annähert, ohne jedoch zu wirklicher Gleichheit mit Denſelben zu gelangen(h)Beylage XIII. Num. XV. Dieſe vermittlende Natur der Con - dictionen dritter Klaſſe iſt richtig bemerkt von Zimmern Rechts - geſchichte B. 3 S. 184.. Es würde aber ganz unrichtig ſeyn, deswegen die Con - dictionen dieſer dritten Klaſſe für uneigentliche zu halten, da ſie die allgemeine Natur der Condictionen oder stricti juris actiones mit den übrigen völlig gemein haben, und unter dem von Gajus aufgeſtellten Begriff der condictiones unzweifelhaft enthalten ſind: eben ſo unrichtig, als wenn auf der anderen Seite Manche behaupten, der Begriff der Condictionen ſey auch wohl, in uneigentlichem Sprachge -620Beylage XIV. brauch, über die hier gezogenen Gränzen hinaus erweitert worden(i)Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 185. Haſſe Weſen der actio S. 84. 85. Ganz irrig wird von Dieſem der Ausdruck abusive oder non proprie mit einem ſol - chen vermeyntlichen uneigentlichen Sprachgebrauch in Verbindung geſetzt, vgl. oben Num. XXVII. Wenn ich aber behaupte, daß der Ausdruck condictio nie über die hier gezogenen Gränzen hinaus erweitert worden ſey, ſo iſt Dieſes von wirk - lichem, beſonnenem Sprachgebrauch zu verſtehen. Der falſche Schein größerer Allgemeinheit des Be - griffs, der aus der unvorſichtigen Faſſung einiger Stellen der Juſti - nianiſchen Compilation entſteht (Num. XXV. a, XXVI. f. g.), kann dagegen nicht als Einwen - dung gelten, und darf nicht als ein wahrhaft veränderter Sprachge - brauch der Juſtinianiſchen Zeit an - geſehen werden, indem der alte Begriff der condictio unzähligen Stellen der Digeſten ſo beſtimmt zum Grunde liegt, daß ſie ohne deſſen Vorausſetzung ganz unver - ſtändlich ſeyn würden..

XXXV.

Wenn man ſo die aufgeſtellten drey Klaſſen der Con - dictionen, nach ihren praktiſchen Eigenthümlichkeiten, ver - gleicht, ſo iſt es einleuchtend, daß die der erſten Klaſſe dem Kläger den großen Vortheil der Sponſion einer Suc - cumbenzſtrafe verſchafften, wodurch ſie ſich vor allen übri - gen auszeichneten. Dagegen waren ihm die der zweyten Klaſſe nachtheiliger als die der dritten. Sie führten die Gefahr des plus petere mit ſich, und ſie verſchafften ihm nicht, neben der Hauptſache, noch die Früchte derſelben; vielleicht auch verſchafften ſie ihm nur den reinen Sach - werth, nicht das Intereſſe, welche Meynung jedoch oben bekämpft worden iſt.

Außer und über dieſen drey Klaſſen der Condictionen621Die Condictionen. XXXV. aber ſteht eine noch hinzutretende Wirkung, die mit einem einzigen Fall der erſten Klaſſe der Condictionen verbunden iſt, die ſtrenge Exſecution nämlich, die durch die Zwölf Tafeln eingeführt war, und wodurch der Schuldner ur - ſprünglich Leben oder Freyheit verlieren, ſpäterhin in Schuldknechtſchaft gerathen ſollte. Dieſe ſollte urſprüng - lich nur bey dem wahren Gelddarlehen Statt finden, ſpäter wurde ſie auf das in der nexi obligatio enthaltene ſymboliſche Gelddarlehen ausgedehnt, und nahm alſo, wie - wohl nur beſchränkt und theilweiſe, einen ähnlichen Ent - wicklungsgang, wie er hier für die Condictionen überhaupt durchgeführt worden iſt. Die Lex Poetelia hob dieſe Er - weiterung (die nexi obligatio) für immer auf, und ſeit dieſer Zeit iſt der in der Schuldknechtſchaft liegende Zuſatz zu der allgemeinen Wirkung der Condictionen, auf das Gelddarlehen im ſtrengſten Sinn eingeſchränkt geblieben, ohne irgend eine der Erweiterungen dieſes Rechtsverhält - niſſes in ſich aufzunehmen, welche hier als Grundlage der Condictionen (Num. VI XI. ) dargeſtellt worden ſind(a)Dieſe hier nur kurz ange - deutete Lehre von der Schuldknecht - ſchaft iſt von mir ausführlich dar - geſtellt worden in einer ſchon oben angeführten Schrift (Num. X. n.). Außerdem aber war die nexi obligatio, ſolange ſie beſtand, dadurch noch beſonders geſchützt, daß der Ab - läugnende zur Strafe den doppelten Betrag bezahlen mußte(b)Cicero de officiis III. 16..

622Beylage XIV.

XXXVI.

Nachdem jetzt die Klaſſen der Condictionen nach ihren Gränzen, Formeln, und Wirkungen, dargeſtellt worden ſind, iſt noch die Terminologie zu unterſuchen. Ich will eine Überſicht des Sprachgebrauchs, ſo wie ich ihn für richtig halte, vorausſchicken, und dann die Beweiſe nach - folgen laſſen.

Certi condictio, und actio oder condictio si certum petetur (oder petatur) iſt ganz gleichbedeutend, und be - zeichnet ſtets und ausſchließend eine Condiction erſter Klaſſe, alſo auf baares Geld.

Triticaria condictio heißt jede andere Condiction, der Ausdruck umfaßt alſo die zweyte und dritte Klaſſe.

Incerti condictio iſt der Name einer Condiction der dritten Klaſſe, welcher alſo einen Theil Desjenigen be - zeichnet, worauf der allgemeinere Name der triticaria geht.

Actio ex stipulatu iſt die triticaria condictio in be - ſonderer Anwendung auf die durch Stipulation begründete Condiction zweyter oder dritter Klaſſe.

Dieſe Behauptungen ſind nunmehr einzeln zu beweiſen.

XXXVII.

Daß die erſte Klaſſe der Condictionen (auf beſtimmte Geldſumme) den Namen führt, si certum petetur, gründet ſich auf das unmittelbare Zeugniß des Ulpian, in der be -623Die Condictionen. XXXVII. ſtimmteſten und unzweydeutigſten unter allen hier ein - ſchlagenden Stellen.

  • L. 1 pr. de cond. tritic. (13. 1.). Qui certam pecuniam numeratam petit, illa actione utitur, si certum petetur(a)Die Vulgata lieſt hier pe - tatur, und eben ſo ſteht in der Rubrik von Cod. IV. 2. In den weiter unten angeführten Stellen ſteht petitur und petimus. Pe - tetur ſteht in den Rubriken der Digeſten XII. 1, und möchte wohl der unmittelbare Ausdruck des Edicts ſeyn.. Qui autem alias res, per triticariam condictionem petet.

Dieſe Stelle iſt deswegen entſcheidender als alle übrigen, weil ſie geradezu eine erſchöpfende Eintheilung aller Con - dictionen aufſtellt, und dieſe mit Kunſtausdrücken belegt.

Ganz derſelbe Ausdruck findet ſich in den Rubriken der hier einſchlagenden Titel der Digeſten (XII. 1.) und des Codex (IV. 2.); auch handelt der erſte faſt blos, der zweyte ganz ausſchließend, von Forderungen beſtimmter Geldſummen.

Anderwärts kommt derſelbe Ausdruck mit geringen wörtlichen Varietäten vor. In zwey Stellen des Ulpian, als: condicticia actio per quam certum petitur(b)L. 24 de R. C. (12. 1.)., und causa, obligatio ex qua certum petitur(c)L. 9 pr. de R. C. (12. 1.).. Bey Gajus IV. § 50 als formula qua certam pecuniam petimus.

In dieſem Ausdruck heißt alſo certum ſo viel als certa pecunia, im Gegenſatz aller anderen beſtimmten oder un - beſtimmten Gegenſtände einer Forderung; es wird aber624Beylage XIV. unten gezeigt werden, daß derſelbe Ausdruck bey der Sti - pulation eine andere Bedeutung hat.

Dieſe Art der Condiction von allen anderen durch einen eigenthümlichen Kunſtausdruck zu unterſcheiden, wur - den die Römer durch mehrere Gründe beſtimmt. Ein hiſtoriſcher Grund lag in dem unmittelbaren Zuſammen - hang derſelben mit der alten condictio ex L. Silia (Num. XXII. ); ein praktiſcher in der wichtigen, nur hier gelten - den, sponsio tertiae partis (Num. XXXII. ); ein formeller Grund endlich lag darin, daß hier allein nicht nur die Intentio, ſondern auch die Condemnatio, völlig beſtimmt, alſo von jeder freyen Beurtheilung völlig unabhän - gig war.

XXXVIII.

Der Name Certi condictio iſt mit der eben erklärten Benennung völlig gleichbedeutend, alſo gleichfalls bey der Klage auf baares Geld ausſchließend anwendbar, ſo daß auch hier certum ſo viel heißt als certa pecunia.

Dieſes folgt ſchon aus den Worten; denn certum pe - tere ſagt Daſſelbe wie certum condicere, und certum condicere kann unmöglich eine andere Bedeutung haben als certi condictio.

Es wird aber auch die Identität beider Ausdrücke un - mittelbar in folgender Stelle des Ulpian bezeugt:

  • L. 9 pr. de R. C. (12. 1.). Certi condictio competit ex omni causa, ex omni625Die Condictionen. XXXVIII. obligatione, ex qua certum petitur, sive ex certo contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis ex omni contractu certum condicere(a)Ausführlich iſt die Stelle ſchon oben, Num. XXIII., erklärt..

Die Hauptſache in dieſer Erklärung der certi condictio beſteht offenbar darin, daß der Ausdruck ausſchließend für die Klagen auf baares Geld, nicht für die auf das Eigen - thum anderer beſtimmter Sachen, bezogen werden ſoll. Eine Beſtätigung dieſer beſchränkenden Erklärung liegt in folgendem Umſtand. Ohne Zweifel will hier Ulpian bemerklich machen, daß der Gebrauch dieſer Klage in vielen Fällen zu geſtatten ſey, worin auch ſchon andere Klagen gelten, weshalb man die Zuläſſigkeit jener Klage wohl bezweifeln konnte. Es muß alſo oft für den Kläger vortheilhaft ge - weſen ſeyn, dieſe Klage vorzugsweiſe vor anderen Con - tractsklagen anzuwenden. Dieſer Vortheil nun liegt für die Condiction auf baares Geld am Tage, anſtatt daß die Condiction eines Sklaven, eines Pferdes u. ſ. w., da wo ſie mit einer b. f. actio concurrirte, nur nachtheiliger als dieſe für den Kläger ſeyn konnte (Num. XXXV.), alſo keine Veranlaſſung zu der Frage gab, ob man wohl auch ſie vor anderen Klagen zu erwählen befugt ſeyn möchte(b)Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit der L. 28 § 4 de jure - jur. (Num. VI. c.), worin auch nur die certi condictio in Con - currenz mit manchen b. f. actiones erwähnt wird, nämlich weil nur deren Concurrenz praktiſch erheb - lich war. Noch anſchaulicher wird Dieſes bey der mit der actio L. Aquiliae concurrirenden Con - diction (L. 9 § 1 de R. C. 12. 1.). Ulpian erwähnt dieſe Concurrenz nur bey der certi condictio; dennoch konnte ſie eben ſo bey der triticaria vorkommen, wenn z. B. der von dem Gegner zerſtörte.

V. 40626Beylage XIV.

XXXIX.

Triticaria(a)Triticaria ſteht im Flo - rentiniſchen Text der L. 1 de cond. trit. (13. 3. ), triticiaria in der Rubrik (doch mit alter Correctur); eben ſo bey Haloander im Text. Triticaria iſt ohne Zweifel vor - zuziehen, da zu dem eingeſchobenen Vocal kein Grund vorhanden iſt. condictio heißt jede, die nicht auf baares Geld geht, alſo ſowohl die auf beſtimmte, als die auf unbeſtimmte Gegenſtände, ſo daß ſie die zweyte und dritte Klaſſe der Condictionen gemeinſchaftlich bezeichnet, und daß durch ſie und die certi condictio der ganze Umkreis der Condictionen erſchöpft wird.

Dieſes ſagt ausdrücklich Ulpian in den Worten: Qui autem alias res, per triticariam condictionem petet (Num. XXXVII.). Der einzige Zweifel gegen die Allgemeinheit des Sinnes dieſer Stelle könnte etwa noch aus dem Wort res hergenommen werden, ſo daß der Name dennoch auf Condictionen mit dare oportere (nur außer dem baaren Geld) beſchränkt wäre. Allein dieſer Schein verſchwindet durch die von Ulpian hinzugefügten einzelnen Anwendun - gen. Mit dieſer Klage nämlich ſoll man einen fundus einfordern können etsi vectigalis sit(b)L. 1 pr. de cond. trit. (13. 3.).. Bey einer ge - waltſamen Dejection aus einem Grundſtück kann der vo - rige Beſitzer den fundus ſelbſt condiciren, wenn er Eigen -(b)Schuldſchein auf die über ein Grund - ſtück geſchloſſene Stipulation ge - richtet war (Num. XIV.). Allein in dieſem Fall war durchaus kein Vortheil denkbar, der nicht eben ſo durch die actio L. Aquiliae erreicht werden konnte; umgekehrt konnte Dieſe größeren Vortheil bringen.627Die Condictionen. XL. thümer iſt; außerdem aber die possessio(c)L. 2 de cond. trit. (13. 3.).. In dieſen beiden Fällen nun werden Condictionen der zweyten und dritten Klaſſe ohne Unterſchied zuſammengeſtellt, ſo daß auf die einen, wie auf die anderen, die condictio triticaria gleichmäßig anwendbar ſeyn ſoll. Denn die Klage auf fundum dare oportere gehört zur zweyten Klaſſe; dagegen die auf den fundus vectigalis, an welchem kein Eigenthum verſchafft werden kann, und beſonders die auf die possessio, gehört zur dritten Klaſſe, da die Übertragung des Beſitzes ein facere iſt (nicht dare), Welches nur durch eine incerti condictio (quidquid dare facere oportet) eingeklagt wer - den kann (XXXIV. d.).

Wie ſich die certi condictio an die alte condictio ex L. Silia anſchloß, ſo die triticaria an die ex L. Calpurnia, über deren urſprünglichen Gegenſtand hinaus ſie jedoch weit ausgedehnt wurde. Nur den Namen hat ſie ohne Zweifel von ihr erhalten, da die condictio ex L. Calpurnia hauptſächlich auf ein in Getreide gegebenes Darlehen ge - richtet worden ſeyn mag(d)S. o. Num. XXII. In Er - klärungen des ſeltſamen Namens hat man ſich von jeher erſchöpft, und es finden ſich auch ſehr ab - geſchmackte darunter. Vgl. Glück B. 13 § 843..

XL.

Incerti condictio heißt jede zur dritten Klaſſe gehörende, deren Intentio, auf Quidquid dare facere oportet lautend, eben ſo unbeſtimmt iſt, als die Condemnatio. Dieſer628Beylage XIV. Sprachgebrauch wird wohl am Wenigſten bezweifelt wer - den, und daher ſind von mir auch ſchon bisher, ehe noch der Sprachgebrauch beſonders unterſucht war, die von einer incerti condictio redende Stellen unbedenklich auf Condictionen der dritten Klaſſe bezogen worden(a)So z. B. Num. XXXIV. e. Nicht gleichbedeutend mit der incerti condictio iſt die incerta formula bey Gajus IV. § 54. 131, denn darunter ſind auch die b. f. actiones mit begriffen..

Hieraus folgt alſo, daß die incerti condictio einen Theil der triticaria in ſich ſchließt, ein anderer Theil der - ſelben aber, nämlich die Condiction der zweyten Klaſſe, gar keinen beſonderen Namen führt. Ohne Zweifel aber liegt hierin der Hauptgrund, welcher bisher die Anerken - nung der richtigen Terminologie verhindert hat. Denn es hat einen täuſchenden Schein logiſcher Nothwendigkeit, daß alle Condictionen entweder certi oder incerti ſeyn müßten; nach der hier vorgetragenen Lehre liegt zwiſchen beiden eine Klaſſe in der Mitte, welcher weder der eine, noch der andere Name zukommt(b)Ein ſcheinbarer Einwurf liegt in L. 12 de nov. (46. 2) tenetur condictione vel incerti, si non pecunia soluta esset, vel certi si soluta esset. Allein hier gründet ſich das wirklich Ausſchlie - ßende dieſes Gegenſatzes auf die Umſtände des beſonderen Rechts - falles. Denn es mußte entweder auf liberatio geklagt werden, welches als facere durch die in - certi condictio gefordert wurde, oder auf Baarzahlung. Eine Con - diction der zweyten Klaſſe konnte hier in keinem Fall vorkommen.. Der Grund dieſer auf - fallenden Erſcheinung aber liegt darin, daß die Natur dieſer Mittelklaſſe in der That zweydeutig, und aus beiden Eigenſchaften gemiſcht iſt, da ſie nämlich eine incerta629Die Condictionen. XLI. condemnatio neben einer certa intentio hat (Num. XXXIII. und Syſtem § 215.).

XLI.

Um dieſe Behauptung gegen Zweifel und Einwendun - gen zu ſichern, iſt es nöthig darauf aufmerkſam zu machen, daß der Gegenſatz des certum und incertum in verſchie - denen Anwendungen verſchiedene Bedeutungen, nach dem jedesmal eintretenden Bedürfniß, annimmt.

So hat er eine andere Bedeutung bey der Stipulation. Hier konnte man in der That ſagen, jede Stipulation iſt entweder certa oder incerta (auch certi oder incerti ge - nannt)(a)L. 68 de V. O. (45. 1.).. Certa hieß jede, deren Umfang und Geld - werth aus den Worten, ohne Rückſicht auf künſtliche Er - mittlung und zufällige Umſtände erkennbar war(b)L. 74. 75 de V. O. (45. 1.).. Da - her war ganz ſicher certa stipulatio nicht nur die auf Geld, ſondern auch die auf das Eigenthum eines be - ſtimmten Ackers, Sklaven, Pferdes gerichtete, ſo daß aus der certa stipulatio Condictionen bald der erſten, bald der zweyten Klaſſe (alſo certi und triticariae condictiones) entſprangen, nie der dritten. Aus der incerta stipulatio dagegen entſprangen faſt immer Condictionen der dritten Klaſſe, alſo incerti condictiones, doch nicht ganz allge - mein; denn die Stipulation des Niesbrauchs war incerta, und erzeugte dennoch eine Condiction der zweyten Klaſſe, auf si paret dare oportere gerichtet (Num. XXXIV. c.).

630Beylage XIV.

Dagegen hatte bey der in jure confessio das Certum dieſelbe Bedeutung, welche ihm oben in Anwendung auf die Condictionen beygelegt worden iſt (Num. XXXVI XXXVIII. ), ſo daß dieſe Analogie ſehr zur Unterſtützung des hier behaupteten Sprachgebrauchs dient. In dieſem Sinn nämlich heißt es: Certum confessus pro judicato erit, incertum non erit(c)L. 6 pr. de confessis (42. 2.).. Das will ſagen: nur wenn das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß auf eine be - ſtimmte Geldſumme gerichtet iſt, wird dadurch jedes fernere Urtheil entbehrlich, ſo daß unmittelbar die Exſecu - tion erfolgen kann. Geht dagegen das Geſtändniß auf das Eigenthum eines Hauſes, oder auf die Verpflichtung zum Geben eines Landguts u. ſ. w., ſo iſt Daſſelbe zwar von Wirkung, indem der Inhalt als Wahrheit gilt, aber es muß noch immer ein richterliches Urtheil hinzukommen, wodurch der Geldwerth jenes Eigenthums, oder jener Forderung, feſtzuſtellen iſt(d)L. 6 § 1. 2 de confessis (42. 2. ), L. 25 § 2 ad L. Aquil. (9. 2. ) Die hier aufgeſtellten Regeln ſind auf überzeugende Weiſe dargethan worden von Beth - mann-Hollweg Verſuche über Civilprozeß S. 264 270.. Auch hier alſo heißt certum ſo viel als certa pecunia, ganz wie es oben bey den Condictionen behauptet worden iſt.

XLII.

In beſonderer Anwendung auf die Stipulation hat ſich der Sprachgebrauch folgendermaßen feſtgeſtellt.

Aus ihr, wie aus anderen Thatſachen, konnte bald631Die Condictionen. XLII. eine certi, bald eine triticaria condictio entſtehen. Die certi condictio aber war von ſo eigenthümlicher Natur und Wichtigkeit, daß man da, wo ſie begründet war, meiſt nur dieſen Namen zu gebrauchen pflegte, ohne da - neben den Entſtehungsgrund auszudrücken(a)Dieſer Sprachgebrauch tritt ſehr deutlich hervor in L. 9 pr. de R. C. (12. 1. ), ſ. o. Num. XXIII. Daher führt auch die Darlehensklage zwar bey neueren Schriftſtellern den techniſchen Na - men condictio ex mutuo, aber nicht bey den Römern; denn da faſt immer nur von dem Darlehen in Geld die Rede iſt, ſo iſt die daraus entſpringende Condiction ſtets certi, wobey eben die causa nicht ausgedrückt zu werden pflegt. Vgl. oben Num. XXXI. . Wo aber nicht ſie, ſondern eine Condiction der zweyten oder drit - ten Klaſſe Statt fand, da war die Bezeichnung des Ent - ſtehungsgrundes (condictio indebiti, sine causa, ex causa furtiva u. ſ. w.) üblicher. Nach dieſer Analogie hätte man alſo auch von einer condictio ex stipulatu ſprechen kön - nen, es iſt aber üblich geworden, dafür den Namen actio ex stipulatu zu gebrauchen, vielleicht aus keinem andern Grunde, als um hier die Unterſcheidung von der certi condictio ex stipulatu ſchon durch den Ausdruck ſchärfer zu bezeichnen.

So iſt alſo die actio ex stipulatu nichts Anderes, als die triticaria condictio aus einer Stipulation. Und eben aus dem hier bemerkten Umſtand, daß bey den Condictio - nen zweyter und dritter Klaſſe die Beyfügung des Ent - ſtehungsgrundes häufiger vorkam, erklärt ſich wohl die ſonſt räthſelhafte Seltenheit des Ausdrucks triticaria con - dictio in unſren Rechtsquellen. Es kam bey einzelnen632Beylage XIV. Rechtsverhältniſſen vorzüglich darauf an, das Daſeyn einer condictio überhaupt, im Gegenſatz anderer Klagen, feſtzuſtellen; dann auch wohl die certi condictio, oder die incerti condictio, wo die eine oder die andere begründet war; endlich nicht ſelten den Entſtehungsgrund. Dagegen machte ſich nur ſelten das Bedürfniß fühlbar, das ſpe - cielle Daſeyn der triticaria, das heißt eigentlich, die bloße Negation der certi condictio, allgemein auszuſprechen; denn triticaria heißt nur: eine Condiction, die nicht certi iſt, übrigens aber von der verſchiedenſten Beſchaffenheit ſeyn kann.

Dabey müſſen noch zwey, von neueren Schriftſtellern aufgeſtellte, Behauptungen abgewehrt werden.

Erſtlich iſt geſagt worden, actio ex stipulatu werde in einem uneigentlichen Sinn auch wohl für jede Stipu - lationsklage, mit Einſchluß der certi condictio, gebraucht(b)Schrader p. 495 ed. Inst. in .. Ich glaube im Gegentheil, daß dieſer Ausdruck meiſt ganz beſtimmt und erweislich eine Sache außer dem baaren Geld bezeichnet, oder, wo das Object unbeſtimmt gelaſ - ſen wird, eben ſo gut eine ſolche Sache, als baares Geld, bezeichnen kann(c)L. 51 de V. O. (45. 1. ), L. 7 C. de pactis (2. 3. ), L. 6 C. de transact. (2. 4. ), L. un. pr. C. de r. ux. act. (5. 13.).. Anders iſt es mit dem verbalen Aus - druck: agere, consequi, petere ex stipulatu; dieſer hat gar keine techniſch beſtimmte Natur, und wird daher öfter633Die Condictionen. XLIII. auch von der Stipulationsklage auf baares Geld, alſo der certi condictio, gebraucht(d)L. 21 § 12 de receptis (4. 8. ), L. 42 pro socio (17. 2 ), L. 28 de act. emti (19. 1. ), L. 57 de solut. (46. 3. ), L. 14 C. de pactis (2. 3.)..

Erheblicher iſt die zweyte Behauptung, nach welcher die actio ex stipulatu gar nicht die Natur einer wahren Condiction haben ſoll. Daß ſie dieſe Natur hat, wird durch die beſtimmteſten Stellen bezeugt(e)L. 1 pr. de cond. trit. (13. 1. ), worin bey dem ususfru - ctus und der Servitut die Stipu - lation namentlich erwähnt wird, bey den übrigen Gegenſtänden aber eben ſo hinzu zu denken iſt. Fer - ner Gajus IV. § 136, welcher für die incerti stipulatio eine For - mel angiebt, die nach § 5 deſſelben Buchs nothwendig für eine Con - dietion gehalten werden muß.. Der Name actio kann dagegen keinen Zweifel erregen (Num. I.). Der aus einer Inſtitutionenſtelle entſtehende Zweifel aber wird ſogleich näher erwogen werden.

XLIII.

Es bleibt nun noch die Angabe und Erklärung einiger Stellen übrig, die an manchen der hier aufgeſtellten Be - hauptungen Zweifel erregen können.

Die erſte iſt eine Stelle deſſelben Ulpian, von welchem die entſcheidendſten Zeugniſſe für den oben feſtgeſtellten Sprachgebrauch herrühren.

  • L. 24 de R. C. (12. 1.). Si quis certum stipulatus fuerit, ex stipulatu actio - nem non habet: sed illa condictitia actione id per - sequi debet, per quam certum petitur.
V. 41634Beylage XIV.

Wenn man hier die Bedeutung des Ausdrucks certum stipulari zum Grunde gelegt, die anderwärts, und zwar gleichfalls in Stellen des Ulpian, vorkommt (Num. XLI.), ſo würde die vorliegende Stelle ſagen, daß die condictio si certum petetur bey der Stipulation auf ein Haus oder Pferd eben ſo gut angeſtellt werden könne, als bey der auf baares Geld gerichteten. Da aber dadurch Ulpian mit ſich ſelbſt, und zwar gerade mit der unzweydeutigſten aller dieſen Gegenſtand betreffenden Stellen (Num. XXXVII. ) in unauflöslichen Widerſpruch gerathen würde, ſo muß man annehmen, daß er in der gegenwärtigen Stelle unter dem Ausdruck certum stipulatus blos eine Geldſtipulation verſtanden hat. Dann ſcheint ihn allerdings noch der Vorwurf eines in dieſer Hinſicht ſchwankenden Sprachge - brauchs zu treffen; allein auch dieſer Vorwurf würde viel - leicht verſchwinden, wenn wir die ſo eben mitgetheilte Stelle in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang leſen könn - ten, der ſich aus ihrer höchſt fragmentariſchen Geſtalt un - möglich errathen läßt.

XLIV.

Calliſtratus ſagt, wenn ein Glaubiger einen Erben ſei - nes Schuldners verklagen wolle, und über den Umfang des Erbtheils ungewiß ſey, ſo ſolle er den Beklagten hier - über vor dem Prätor befragen.

  • L. 1 pr. de interrog. (11. 1.). Est autem interrogatio tunc necessaria, cum in per -635Die Condictionen. XLIV. sonam sit actio, et ita, si certum petetur: ne dum ignoret actor, qua ex parte adversarius defuncto heres exstiterit, interdum plus petendo aliquid damni sentiat.

Die Gefahr des plus petere aber war bey der zwey - ten Klaſſe der Condictionen eben ſo groß, als bey der er - ſten (Num. XXXIII.). Daher ſcheint alſo dieſe Stelle die Klage si certum petetur als gemeinſchaftliche Bezeichnung beider erſten Klaſſen zu erwähnen, ganz im Widerſpruch mit der oben vorgetragenen Lehre. Indeſſen iſt doch dieſe Folgerung weniger nothwendig als ſie auf den erſten Blick ſcheinen möchte. Es iſt nämlich wohl denkbar, daß in dieſem Fall die Intentio mit völliger Sicherheit ſo ge - faßt werden konnte: si paret, Negidium fundum Corne - lianum, qua ex parte heres Seji est, dare oportere, ganz wie in ähnlichen Fällen ſchuldloſer Ungewißheit auch die Vindication auf eine unbeſtimmte Quote zugelaſſen wurde(a)L. 76 § 1 de rei vind. (6. 1.). Incertae partis vindi - catio datur, si justa causa in - interveniat. Eine justa causa iſt es gewiß, wenn der Kläger über die Erbſchaftsverhältniſſe des Beklagten zweifelhaft iſt. L. 8 § 1 comm. div. (10. 3. ), Gajus IV. § 54. Es wäre auch mög - lich, daß man in ſolchen Fällen dem Glaubiger eine incerti con - dictio (mit Quidquid .. opor - tet) geſtattet hätte; auch dieſe konnte ihm, bey einer Geldſtipula - tion, wenigſtens nicht die sponsio tertiae partis verſchaffen.. Bey einer Geldſtipulation dagegen war dieſe Auskunft un - möglich, wenn der Kläger den Vortheil der certi con - dictio genießen wollte, da hierzu gewiß der unbedingte Ausdruck einer beſtimmten Geldſumme erforderlich war.

41*636Beylage XIV.

XLV.

Größere Zweifel erregt folgende Stelle aus Juſtinians Inſtitutionen.

  • pr. J. de verb. oblig. (3. 15.). Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et re - sponsione Ex qua duae proficiscuntur actiones, tam condictio, si certa sit stipulatio, quam ex stipu - latu, si incerta.

Lieſt man die Stelle ſo, wie ſie hier abgedruckt iſt, ſo würde darin der actio ex stipulatu die Eigenſchaft einer Condiction abgeſprochen ſeyn, wodurch die Stelle mit den unzweifelhafteſten Zeugniſſen in Widerſpruch treten würde (Num. XLII. e). Dieſe Schwierigkeit verſchwindet, wenn man die durch mehrere und gute Handſchriften bewährte Leſeart certi condictio oder condictio certi vorzieht(a)Schrader p. 495 ed. Inst. in . Theophilus freylich beſtä - tigt die hier im Text abgedruckte Leſeart., wodurch von dieſer Seite eine völlige Übereinſtimmung der verſchiedenen Zeugniſſe entſteht. Dann bleibt aber noch die zweyte Schwierigkeit übrig, daß nun die certi condictio auf den Fall jeder certa stipulatio bezogen wer - den müßte, alſo auch auf die Stipulation eines Ackers oder eines Buchs, wie Dieſes Theophilus ausdrücklich ſagt. Hier ſcheint mir kein anderer Ausweg übrig, als die Annahme, daß ſich die Verfaſſer der Inſtitutionen, getäuſcht durch die Zweydeutigkeit des Ausdrucks certi,637Die Condictionen. XLVI. wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu - larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte. Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto - rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her - genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die - ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten, nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.

XLVI.

Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider - ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. XLIII. XLIV. XLV.), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld), bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be - zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier - auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie -638Beylage XIV. denheit der drey Klaſſen der Condictionen ſelbſt, Welches viel wichtiger iſt als der Sprachgebrauch.

XLVII.

Am Schluß dieſer Unterſuchung über die Condictionen iſt nun noch die hiſtoriſche Frage zu berühren, wann und wie dieſe Begriffe und Rechtsregeln entſtanden ſind. Dar - über iſt oben nur Das behauptet worden, daß die Con - dictionen, wie wir ſie in unſren Rechtsquellen vorfinden, dem mit der L. Aebutia anfangenden Zeitalter der formu - lae angehören, daß ſie ſich aber, dem Namen und zum Theil auch der Sache nach, an die alte Legis actio per condictionem anſchließen.

Neuere Schriftſteller haben ſehr beſtimmte Behauptun - gen über die hiſtoriſche Entwicklung der Condictionen auf - geſtellt. Nach ihnen hat zuerſt lange Zeit keine andere Condiction beſtanden, als die auf beſtimmte Gegenſtände gerichtete; Stipulationen alſo auf irgend eine Handlung, ſey es Arbeit oder ein Rechtsgeſchäft, ſollen damals un - möglich geweſen ſeyn, und man ſoll ſich anſtatt Derſelben lediglich mit ſtipulirten Geldſtrafen, für den Fall der un - terbleibenden Handlung, beholfen haben. Erſt weit ſpäter ſoll die Erweiterung des Rechtsinſtituts eingetreten ſeyn, die durch die incerti condictio auf Quidquid dare facere oportet ausgedrückt werde(a)Gans Obligationenrecht S. 84. 85. Haſſe Weſen der actio S. 68. 77..

639Die Condictionen. XLVII.

In Beziehung auf dieſe Frage muß ich meine Unwiſ - ſenheit bekennen. Es iſt nicht gerade unmöglich, daß es ſich ſo zugetragen hat, wie Jene meynen, an Zeugniſſen darüber fehlt es uns gänzlich, und nicht einmal für wahr - ſcheinlich kann ich jenen Hergang halten, da das Bedürf - niß von Verträgen der oben beſchriebenen Art ein ſehr natürliches und allgemeines iſt, die ausſchließende Befrie - digung deſſelben durch Strafſtipulationen aber (ſo zweck - mäßig ſie in einzelnen Fällen ſeyn mögen) für ſo unbe - hülflich gehalten werden muß, daß ohne Zweifel eine be - quemere Auskunft ſich bald Bahn gebrochen haben müßte. Die entgegengeſetzte Möglichkeit würde demnach ſo zu denken ſeyn, daß das ganze Syſtem der Condictionen, wie wir es kennen, mit einemmal entſtanden ſeyn mag. Auch damit iſt die Annahme wohl vereinbar, daß einige Zeit nöthig war, ehe die Begriffe, Formeln, Kunſtausdrücke, zu ihrer völligen, planmäßigen Ausbildung gelangten, worin ſie ſich dann für immer fixirten. Allein eine ſolche nicht ganz augenblickliche formelle Entwicklung würde noch immer ſehr verſchieden ſeyn von derjenigen ſucceſſiven Ver - änderung der Rechtsregeln ſelbſt, die von jenen Schrift - ſtellern als Thatſache angenommen wird; verſchieden be - ſonders auch darin, daß eine Veränderung wie dieſe viel - leicht erſt durch lange Zeiträume hervorgebracht wird, an - ſtatt daß jene Entwicklung in kurzer Zeit vollbracht wer - den kann.

Denjenigen insbeſondere, Welche etwa geneigt ſeyn640Beylage XIV. möchten, die Entſtehung der incerti condictio in ſehr neue Zeit, etwa in die Kaiſerzeit, zu verſetzen, würden folgende Gründe entgegen ſtehen.

Will man überhaupt hierin einen ſucceſſiven Fortſchritt von buchſtäblicher Beſchränktheit zu freyerer Befriedigung praktiſcher Bedürfniſſe annehmen, ſo würde die natürliche Folge dieſe ſeyn müſſen: Condictio auf baares Geld und andere beſtimmte Sachen. Incerti condictio. Bonae fidei actio. Denn wenn man die b. f. actiones für alt, die incerti condictio aber für eine neuere Rechtsbildung hal - ten wollte, ſo würde Dieſes mit aller Analogie im Wider - ſpruch ſtehen. Allein das Syſtem der b. f. actiones war ſchon zur Zeit des Cicero nicht nur vollſtändig aus - gebildet, ſondern er erwähnt dieſelben auch auf eine Weiſe, daß die alte Herkunft ihrer Formeln, ſelbſt in den theil - weiſe alterthümlichen Ausdrücken, unverkennbar hervor - tritt(b)Cicero de off. III. 15. 17, topica C. 17.. In einer Erzählung, worin die Formel der emti actio mit dem Zuſatz ex fide bona wörtlich erwähnt wird, erſcheint der Vater des Cato als handelnd(c)Cicero de off. III. 16, Valerius Naximus VIII. 2. § 1., Wel - ches alſo in die Zeit vor Cicero hinauf weiſt(d)Vgl. oben Beylage XIII. Num. XIII. . Eine Beſtätigung des alten Urſprungs der b. f. actiones im Allgemeinen drängt ſich uns auch auf, wenn wir den größten Theil derſelben (z. B. Kauf, Depoſitum u. ſ. w.) mit denjenigen unter ihnen vergleichen, die in der That641Die Condictionen. XLVII. erſt in etwas neuerer Zeit anerkannt wurden, wie die aus den ſogenannten Innominatcontracten. Die völlig ver - ſchiedene Behandlung der einen und der anderen bey den alten Juriſten tritt hier unverkennbar hervor.

Was aber noch unmittelbar die incerti condictio be - trifft, ſo iſt folgende wohl beglaubigte Erzählung zu be - achten. Vor dem Jahr der Stadt 664, in welchem die L. Julia der Latiniſchen Nation das Römiſche Bürgerrecht verlieh, wurde in derſelben das Eheverlöbniß vermittelſt einer Sponſion geſchloſſen, aus welcher, im Fall der will - kührlichen Aufkündigung, auf Entſchädigung geklagt wer - den konnte; litem pecunia (Iudex) aestimabat: quantique interfuerat eam uxorem accipi aut dari .. condemna - bat(e)Gellius IV. 4 aus Nera - tius de nuptiis. . Dieſes iſt das vollſtändigſte Bild einer damals geltenden, und gewiß aus weit früherer Zeit herrühren - den, incerti condictio. Man wende nicht ein, Dieſes ſey Latiniſches Recht geweſen nicht Römiſches, ja es habe gerade durch die Ertheilung der Römiſchen Civität auch bey den Latinern aufgehört. Das iſt wahr in Anſehung der Klagbarkeit des Verlöbniſſes, deren gänzliche Verwer - fung allerdings als ein eigenthümlicher Satz des Römi - ſchen Rechts betrachtet werden muß(f)Der Grund dieſes Rechts - ſatzes iſt ausgeſprochen in L. 134 pr. de V. O. (45. 1.). In älte - rer Zeit mag auch in Rom eine Sponſion vorgekommen ſeyn, und die Wirkung einer Klage hervor - gebracht haben. L. 2 de sponsal. (23. 1.).; aber die in die - ſer Erzählung ganz gelegentlich hervortretende, auch das642Beylage XIV. bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt, und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an - zunehmen iſt.

Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den - ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in - certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con - dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann. Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld, baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex - promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in - certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die - ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte, blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha - ben ſollte.

[643]

Nachtrag zu § 218.

In der angeführten Stelle iſt der Satz aufgeſtellt, daß der von Cicero durchgeführte umfaſſende Unterſchied der judicia und arbitria, welcher ſich bey den alten Juriſten in dem engeren Gegenſatz der condictiones (str. j. actio - nes) und b. f. actiones wiederholt, im Zuſammenhang ſtand mit der perſönlichen Verſchiedenheit der Richter, indem das judicium durch einen einzelnen judex aus dem Album, das arbitrium durch frey gewählte arbitri (einen oder mehrere) entſchieden wurde. Als Beweis dieſes Zuſam - menhanges wird daſelbſt blos die Stelle aus Seneca de benef. III. 7 angeführt.

Nachdem der Druck dieſes Bandes ſchon vollendet war, bin ich von Rudorff auf eine Stelle der Zueignung zur Naturgeſchichte des Plinius aufmerkſam gemacht worden, die eine unverkennbare Beſtätigung jener Behauptung enthält.

Plinius widmet ſein Werk dem K. Titus, und führt weitläufig den Gedanken aus, daß dieſes Werk nicht des Kaiſers würdig ſey. Hätte ich nun (ſagte er), dieſes644Nachtrag zu § 218.Buch blos herausgegeben, ſo brauchte ich dein Urtheil nicht zu ſcheuen; ich könnte ſagen, daſſelbe ſey unter dei - ner Würde, und nicht für dich geſchrieben. Dieſe Ent - ſchuldigung entgeht mir dadurch, daß ich es dir zueigne. Er benutzt, als Ausdruck dieſes Gedankens, das durchge - führte Bild eines Rechtsſtreits. Die Bekanntmachung des Buchs behandelt er als eine angeſtellte Condiction. Dar - über könne der Kaiſer nicht Richter ſeyn, erſtlich weil er geiſtig zu hoch ſtehe; das wird ſo ausgedrückt, er habe einen zu hohen Cenſus, um in dieſem Album der judices ſtehen zu können. Zweytens, weil Plinius ihn als Richter ver - werfen könne. Dieſes Alles aber falle jetzt weg, weil er den Kaiſer nicht durch das Loos, ſondern durch eigene Wahl (die Zueignung) zum Richter erhalten habe; jetzt ſey das ganze Verhältniß nicht mehr einer Condiction, mit einem aus dem Album gelooſten judex, zu vergleichen, ſondern vielmehr einem Arbitrium, worin er ſelbſt den arbiter vorgeſchlagen habe. Hier ſind die Worte, deren Sinn ich ſo eben dargeſtellt habe. Tum possem dicere, quid ista legis Imperator? Hu - mili vulgo scripta sunt quid te judicem facis? Cum hanc operam condicerem, non eras in hoc albo. Majorem te sciebam, quam ut descensurum huc pu - tarem. Praeterea est quaedam publica etiam erudi - torum rejectio. .... Sed haec ego mihi nunc pa - trocinia ademi nuncupatione, quoniam plurimum re - fert, sortiatur aliquis judicem, an eligat.

645Nachtrag zu § 218.

In dieſer ſpitzfindig durchgeführten Anſpielung auf den Civilprozeß ſind augenſcheinlich folgende Sätze enthalten. Bey der Condiction wird der judex durch das Loos be - ſtimmt (sortiatur), er kann aber von jeder Partey ver - worfen werden (rejectio). Gelooſt wird übrigens nur aus denjenigen Perſonen, deren Namen im Album ſtehen, und damit verhält es ſich auf folgende Weiſe.

Seit Cäſar ſollten nur Senatoren und Ritter in das Album aufgenommen werden, welche unter Auguſt in Drey Decurien vertheilt waren. Dieſer ſetzte eine vierte Decurie hinzu, die Ducenarii, welche einen geringeren als den Rit - tercenſus hatten, und nur in geringen Sachen (de levio - ribus summis) als judices dienen ſollten; Caligula fügte in gleicher Weiſe eine fünfte hinzu, wobey es dann blieb(a)Sueton. Julius 41. Oc - tav. 32. Calig. 16: Gabba 14. Vgl. Puchta Curſus der Inſti - tutionen B. 1 S. 270. 381. 382. Wenn daher Seneka de benef. III. 7 ſagt: judex ex turba se - lectorum, quem census in al - bum, et equestris hereditas misit, ſo meynt er damit die drey höheren Decurien, die ein min - deſtens rittermäßiges Vermögen haben mußten, und deren Mitglie - der allein fähig waren, in größe - ren Rechtsſachen zu richten.. Plinius nun will ſagen: mein Buch iſt eine ſo geringe Sache, daß zu ihrer Beurtheilung ein Mann wie der Kai - ſer, der durch ſeinen Geiſt in den drey höheren Decurien der Richter ſteht, nicht berufen ſeyn kann; ſie gehört viel - mehr vor die Richter der vierten oder fünften Decurien. Das drückt er ſo aus: Non eras in hoc albo (dein Name ſtand nicht in dem Album der vierten oder fünften De - curie, vor welche mein Buch gehört). Majorem te scie -646Nachtrag zu § 218.bam (Du gehörſt zu den Richtern der vornehmſten Decu - rien, die nur über größere Sachen urtheilen).

Das Loos als Beſtimmung der Richter, welches im Criminalprozeß ſehr bekannt iſt, wird im Civilprozeß ſelt - ner erwähnt; es war hier nur möglich bey denjenigen Klagen, deren Richter aus einer geſchloſſenen Zahl von Perſonen (dem Album) genommen wurden, alſo nur bey den Condictionen. Erwähnt aber wird dieſes Loos der Civilrichter, außer unſrer Stelle, auch noch in einer übri - gens dunklen Stelle des Simplicius bey Goesius p. 79: solent quidem per imprudentiam mensores arbitros con - scribere aut sortiri judices finium regundorum causa. Auch hier wird es beſchränkt auf die, den arbitri entgegen geſetzten, judices im engeren Sinn, das heißt die im Al - bum verzeichneten Richter.

Gedruckt bei den Gebr. Unger.

Druckfehler.

  • S. 90 Z. 12 ſtatt: in rem actio lies: in personam actio.

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TextSystem des heutigen Römischen Rechts
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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationSystem des heutigen Römischen Rechts Fünfter Band Friedrich Carl von Savigny. . VI, 646 S. VeitBerlin1841.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Gb 13171-5<b>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=694059250

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Jura; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:27Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Gb 13171-5<b>
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