Bisher wurden die Rechte an ſich betrachtet, als die nothwendigen Bedingungen des Zuſammenlebens freyer Weſen (§ 52). In dem durch die Rechtsregeln beherrſch - ten Leben beſteht die Rechtsordnung, welche mithin durch Freyheit hervorgebracht und erhalten wird. Indem wir aber das Weſen derſelben in die Freyheit ſetzen, müſſen wir zugleich die Möglichkeit einer freyen Gegenwirkung hinzu denken, alſo einer Rechtsverletzung, welche die Stö - rung jener Rechtsordnung iſt.
Aus dieſer Möglichkeit der Rechtsverletzung entwickelt ſich das Bedürfniß folgender Reihe neuer Rechtsinſtitute, die wir mit einem gemeinſchaftlichen Namen als Schutz - anſtalten für die Rechtsordnung bezeichnen können:
Alle dieſe aus der Rückſicht auf die Verletzung hervor - gehende Rechtsinſtitute liegen außer dem Kreiſe unſrer gegenwärtigen Betrachtung(a)Vgl. oben § 1. — Indem hier dieſe Abſonderung im Allge - meinen geltend gemacht wird, ſoll damit keinesweges das abſolute Daſeyn einer ſcharfen Gränze und die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen Beobachtung behauptet werden. Der Prozeß insbeſondere, und das hier abzuhandelnde Actionenrecht, ſtehen in ſo enger Verbindung, daß es dem Urtheil eines jeden Bear - beiters der einen oder andern Diſ - ciplin überlaſſen bleiben muß, wie viel er von dieſem Gränzgebiet zur vollſtändigen Entwicklung ſeiner Gedanken in Beſitz zu nehmen nö - thig findet.. Dagegen gehört zu den - ſelben eine andere Klaſſe von Rechtsinſtituten, die gleich - falls in der Rechtsverletzung ihre Entſtehung haben. In - dem wir ein Recht in der beſonderen Beziehung auf die Verletzung deſſelben betrachten, erſcheint es uns in einer neuen Geſtalt, im Zuſtand der Vertheidigung. Theils die Verletzung, theils die zur Bekämpfung derſelben beſtimmten Anſtalten, äußern eine Rückwirkung auf den Inhalt und das Daſeyn des Rechts ſelbſt, und die Reihe von Verän - derungen, die auf dieſe Weiſe in ihm entſteht, faſſe ich zuſammen unter dem Namen des Actionenrechts.
Die erwähnten Veränderungen werden bei jedem ein - zelnen Rechtsinſtitut auf eine ihm eigenthümliche Weiſe erſcheinen; ihnen allen aber muß etwas Gemeinſames zum Grunde liegen, ohne welches jene eigenthümliche Erſchei - nungen nicht verſtanden werden können. Aus dieſer Be - trachtung ergiebt ſich die natürliche Unterſcheidung eines3§. 204. Einleitung.allgemeinen und eines beſonderen Actionenrechts. So zum Beyſpiel iſt die hypothecaria actio die beſondere Geſtalt, worin das Pfandrecht in Folge einer Verletzung erſcheint, und es gehört dazu namentlich eine ſehr eigenthümlich be - ſtimmte Klagverjährung; es iſt aber nicht möglich, dieſe beſondere Lehre zu verſtehen, wenn nicht die allgemeine Natur der Klage und der Klagverjährung zuvor erkannt worden iſt. Das, was ich hier als das beſondere Actio - nenrecht bezeichnet habe, kann nur ſtückweiſe, in Verbindung mit den einzelnen Rechtsinſtituten worauf es ſich jedesmal bezieht, zweckmäßig mitgetheilt werden; die Darſtellung des allgemeinen Actionenrechts iſt die Aufgabe des gegenwär - tigen Kapitels.
Manche haben die Klagenrechte als eine ſelbſtſtändige Klaſſe von Rechten, auf gleicher Linie ſtehend mit den Rechten der Familie, dem Eigenthum u. ſ. w., anſehen wollen, und es muß hier an den Widerſpruch erinnert werden, der ſchon oben (§ 59) gegen dieſe Auffaſſung er - hoben worden iſt. Es gehören vielmehr dieſe Rechte nur zu dem Entwicklungsprozeß oder der Metamorphoſe, die in jedem ſelbſtſtändigen Rechte eintreten kann, und ſie ſte - hen daher auf gleicher Linie mit der Entſtehung und dem Untergang der Rechte, welche gleichfalls nur als einzelne Momente in dem Lebensprozeß der Rechte, nicht als Rechte für ſich, aufgefaßt werden dürfen.
Die Veränderungen der Rechte, welche nunmehr dar - geſtellt werden ſollen, zerfallen in zwey Klaſſen.
1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Einige derſelben entſtehen aus der bloßen Thatſache der Verletzung ſelbſt; dahin gehört die Lehre von den Kla - gen, den Exceptionen, und den weiteren Entwicklungen der hierin enthaltenen Gegenſätze.
Andere entſtehen erſt durch die in den Rechtsſtreit ein - greifenden, zur Abwendung der Verletzung beſtimmten Hand - lungen. Die Litisconteſtation und das Urtheil ſind die ein - flußreichſten unter dieſen Handlungen.
Die erſte Klaſſe macht den Inhalt des gegenwärtigen Bandes aus, die zweyte wird in dem folgenden Band be - handelt werden.
Die beſondere Geſtalt, welche jedes Recht in Folge einer Verletzung annimmt, zeigt ſich zunächſt in folgender Weiſe. Unſere Rechte überhaupt beziehen ſich theils auf alle uns gegenüber ſtehende Menſchen, theils auf beſtimmte5§. 205. Klage.Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei - genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for - dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli - gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver - letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel - mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.
Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent - ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage, wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge - braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor - ausſetzung des ſchriftlichen Prozeſſes) mit Klagſchrift oder Klaglibell gleichbedeutend iſt. Hier kann blos von der6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klage in jener erſten (materiellen) Bedeutung die Rede ſeyn, alſo von dem Klagrecht; die Klage in der zweyten (formellen) Bedeutung, oder die Klaghandlung, mit ihren Bedingungen und Formen, gehört in die Lehre vom Prozeß.
Von dieſem allgemeinen Standpunkt aus laſſen ſich zwey Bedingungen angeben, die bey jeder Klage voraus - geſetzt werden: ein Recht an ſich, und eine Verletzung deſ - ſelben. Fehlt das erſte, ſo iſt eine Rechtsverletzung un - denkbar; fehlt die zweyte, ſo kann das Recht nicht die beſondere Geſtalt einer Klage annehmen: es iſt nicht actio nata, nach dem von neueren Juriſten eingeführten, richtig bezeichnenden Ausdruck. Die Rechtsverletzung aber kann wiederum in verſchiedenen Geſtalten erſcheinen, welche in der Wirklichkeit oft in einander greifen oder auch unent - ſchieden bleiben mögen. Es kann nämlich bald das Daſeyn des Rechts oder der Verletzung von dem Gegner verneint, bald auch ein blos factiſcher Eingriff in das unbeſtrittene Recht eines Andern verſucht werden.
In dieſer ganzen Unterſuchung iſt eine genaue Feſt - ſtellung des Römiſchen Sprachgebrauchs unentbehrlich. Manche werden glauben, daß darauf hier zu großes Ge - wicht gelegt ſey; wer aber unbefangen erwägt, wie viel Unklarheit und Irrthum bey vielen Schriftſtellern lediglich aus der Verſäumniß dieſer Grundlage entſprungen iſt, der wird die hierauf verwendete Arbeit nicht fruchtlos finden.
In Beziehung auf die Klagen und ihre Bezeichnung müſ - ſen wir im Römiſchen Recht drey Zeiträume unterſcheiden.
7§. 205. Klage.In der älteſten Zeit iſt allein von der Legis actio die Rede, und dieſer Ausdruck hat eine überwiegend formelle Bedeutung. Er bezeichnet die zur Abwehr der Verletzung anzuwendende Thätigkeit, welche theils in ſymboliſchen Handlungen, theils in beſtimmt vorgeſchriebenen wörtlichen Formeln beſtand.
Nachdem die Legis actiones (mit geringen Ausnahmen) abgeſchafft waren, wurden die formulae Grundlage der ganzen Rechtsverfolgung(b)Gajus IV. § 30 „ .. per legem Aebutiam et duas Julias sublatae sunt istae legis actio - nes, effectumque est, ut per concepta verba, id est per for - mulas, litigaremus. ” — Es würde ein großer Irrthum ſeyn, wenn man glauben wollte, zur Zeit der Legis actiones ſeyen keine feyer - liche verba, alſo keine formulae, gebraucht worden; davon ſagt Ga - jus II. § 24. IV. § 16. 21. 24 gerade das Gegentheil. Der Un - terſchied war der, daß man früher ſymboliſche Handlungen vermiſcht mit verba gebrauchte, ſpäter ſolche verba allein, und zwar in neuer, zeitgemäßer Abfaſſung; dieſe neuen, allein ſtehenden, verba werden nun - mehr ausſchließend mit dem Namen formulae belegt, weil man keinen ſpecielleren Namen dafür hatte. Zugleich führt nun dieſer Ausdruck noch den Nebenbegriff einer vom Prätor an den Judex gerichteten, und zwar ſchriftlich von ihm ab - gefaßten, Anweiſung (concepta verba) mit ſich, wodurch er in einen noch ſchärferen Gegenſatz ge - gen die alten, in den Legis actio - nes enthaltenen, Formulare trat.. Dieſer Zuſtand dauerte ſo lange als der ordo judiciorum privatorum, beſtand alſo namentlich zu der Zeit, worin die juriſtiſchen Schriftſteller lebten. Hier wurde vorzugsweiſe actio für die materielle Bedeutung der Klage, formula für die formelle gebraucht(c)Dieſes iſt der im vierten Buch des Gajus herrſchende Sprachge - brauch., jedoch ſo daß die Ausdrücke nicht immer ſtreng aus ein - ander gehalten wurden.
Seit der Aufhebung des ordo judiciorum, das heißt8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.etwa von Conſtantin an, hat die formula mit ihren ein - zelnen Theilen keine Bedeutung mehr, während die actiones eben ſo wie früher vorkommen. In dieſem Sinn ſind die Auszüge aus den früheren juriſtiſchen Schriftſtellern ge - macht worden, aus welchen Juſtinians Digeſten beſtehen(d)Wir haben alſo durchaus keinen Grund, die unzähligen Di - geſtenſtellen, welche von actiones im Allgemeinen, oder von einzelnen actiones, reden, für interpolirt zu halten; dagegen ſind diejenigen Stellen der alten Juriſten, welche von der formula, intentio, con - demnatio u. ſ. w. redeten, bis auf wenige Spuren, bey der Ab - faſſung der Digeſten weggelaſſen worden., und dieſelbe Umarbeitung der Inſtitutionen des Gajus fin - det ſich in Juſtinians Inſtitutionen.
Was nun das Wort actio betrifft, ſo war der Sprach - gebrauch ſchon bey den alten Juriſten ſchwankend. Nach Papinian heißt actio nur die Klage in personam, die in rem heißt petitio, beide zuſammen persecutio(e)L. 28 de O. et A. (44. 7.).. Aus derſelben engeren Bedeutung iſt es zu erklären, daß die Klage aus dem Erbrecht petitio hereditatis (nicht actio) heißt. Ulpian dagegen unterſcheidet wörtlich eine ſpecielle und eine generelle Bedeutung des Ausdrucks; die ſpecielle iſt ihm dieſelbe wie bey Papinian, die generelle umfaßt auch die in rem: persecutio nennt er die extraordinaria cognitio, die ohne Judex durchgeführt wurde(f)L. 178 § 2. 3 de V. S. (50. 16. ) (der § 3 freylich rechnet auch die persecutio unter die actiones). Dieſe Stelle hängt durch die Inſcription zuſammen mit L. 2 de hered. vel act. vend. (18. 4. ), worin die Frage abgehandelt wird, welche Rechte, und namentlich welche Klagen, der Verkäufer einer Erbſchaft auf den Käufer übertragen müſſe. Aus dieſer größeren Stelle wurden die - jenigen Stücke ausgehoben, welche. In an -9§. 205. Klage.deren Stellen nimmt er den Ausdruck bald in der engeren Bedeutung(g)L. 35 § 2 L. 39 pr. de proc. (3. 3. ), worin er die actio entgegenſetzt den Präjudicien, In - terdicten, und prätoriſchen Stipu - lationen. Eben ſo L. 68 de R. V. (6, 1.), wo er die Interdicte den Actionen entgegenſetzt., bald in der weiteren(h)L. 37 pr. de O. et A. (44. 7.). Hier ſagt er, unter dem Namen actio ſeyen begriffen die in rem, in personam, directae, utiles, ferner die Präjudicien, In - terdicte, und prätoriſchen Stipula - tionen. Eben ſo in L. 25 pr. eod. und in den weiter unten in § 206. c. angeführten Stellen, worin über - all von in rem actiones die Rede iſt.. Paulus dehnt den Ausdruck auch auf die persecutio aus(i)L. 34 de V. S. (50. 16.). — In L. 14 § 2 de exc. rei jud. (44. 2.). ſpricht er von in rem actiones. . Ganz un - richtig nun würde es ſeyn, dieſe Ausdehnung des Sprach - gebrauchs erſt nach Papinian annehmen zu wollen. Viel - mehr zerlegt ſchon Gajus den Gattungsbegriff actio in zwey Arten, in personam und in rem actio(k)Gajus IV. § 1. vgl. IV. § 100. 106. 107., bey wel - cher Eintheilung offenbar ſchon der ausgedehntere Sprach - gebrauch zum Grunde liegt. Hieraus iſt es einleuchtend, daß der Sprachgebrauch lange Zeit hindurch geſchwankt hat; jedoch darf dieſes nicht durchaus als Erzeugniß blo - ßer Willkühr und gänzlicher Gleichgültigkeit gegen feſten Sprachgebrauch angeſehen werden. Könnten wir die an - geführten Stellen in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang(f)als Worterklärungen dienen konn - ten, und in den Titel de verbo - rum significatione geſetzt. Dem Inhalt nach hängen die angeführ - ten §§ 2. und 3 zuſammen mit L. 2 § 8 cit., ſo wie L. 178 § 1 cit. mit L. 2 § 1. 3. 9 cit. Auch in L. 2 § 3 cit. wird die perse - cutio von den actiones wörtlich unterſchieden. — Übereinſtimmend mit dem engeren Sprachgebrauch, welchen Ulpian in L. 178 § 2 cit. bezeichnet, iſt eine andere Stelle deſſelben Juriſten, L. 49 eod. 10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.leſen, ſo würde es daraus vielleicht klar werden, warum die Verfaſſer derſelben den Ausdruck bald enger, bald wei - ter gebraucht haben.
Die Definition der actio, die der Juriſt Celſus auf - ſtellt(l)L 51 de O. et A. (44. 7.) „ Nihil aliud est actio, quam jus, quod sibi debeatur, judieio persequendi.” Das deberi, im ſtrengen Sinn der alten Juriſten, bezeichnet die obligatio als Grund der Klage, und ſchließt alſo die Klage in rem aus. Judicio aber bezeichnet den Prozeß vor einem Judex, alſo den Gegenſatz der extraordinariae cognitiones. , und die mit geringer Abänderung in Juſtinians Inſtitutionen übergegangen iſt(m)pr. J. de act. (4. 6.) „ Actio autem nihil aliud est, quam jus persequendi judicio, quod sibi debetur.” Die häufig vorkommende Variante in judicio können wir hier auf ſich beruhen laſſen, da ſie den Sinn gar nicht ändert., beſtimmt den Ausdruck in der engeren Bedeutung, ſo daß er blos die perſönlichen Klagen bezeichnet. Es würde aber, nach den angeführten Gründen, unrichtig ſeyn, hieraus ſchließen zu wollen, daß zur Zeit des Celſus dieſer engere Sprachgebrauch aus - ſchließend angewendet worden wäre. Noch irriger jedoch wäre es, die Aufnahme dieſer Stelle in die Inſtitutionen ſo aufzufaſſen, als wollte dadurch Juſtinian die engere Bedeutung für die wahre und richtige erklären; dieſer Annahme würde ſchon die unmittelbar nachher folgende, mit Gajus übereinſtimmende, Eintheilung (in rem, in per - sonam) widerſprechen. Man kann es nicht einmal einen Fehler nennen, daß dieſe Definition an die Spitze des Inſtitutionentitels geſetzt worden iſt, da die außerdem ver - änderte Bedeutung der darin vorkommenden Worte jedem11§. 206. In personam, in rem actiones. an ſich möglichen Mißverſtändniß vorbeugt. Denn judi - cium heißt im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr der Pro - zeß vor einem Judex, ſondern jedes Gericht und jeder Rechtsſtreit überhaupt; und auch der Ausdruck quod sibi debetur kann in dieſem Zuſammenhang füglich von Allem, was man zu erwarten und zu verlangen hat, verſtanden werden, ohne ausſchließende Beziehung auf eine Obligation als Grund des Verlangens.
Bisher iſt der verſchiedene Sprachgebrauch als bloße Thatſache nachgewieſen worden. Der Grund deſſelben liegt darin, daß lange Zeit überhaupt keine andere Klagen vor - kamen, als in personam, in welcher Zeit auch der Name actio mit dieſen identiſch ſeyn mußte. Als ſpäterhin auch eigene Klagen in rem eingeführt wurden, gebrauchte man für dieſe zuerſt den unterſcheidenden Namen petitio, bis man es gerathener fand, den Ausdruck actio ſo auszudeh - nen, daß beiderley Klagen als Arten unter einen gemein - ſchaftlichen Gattungsbegriff zuſammen gefaßt werden konn - ten. Dieſer hiſtoriſche Zuſammenhang kann erſt in Ver - bindung mit der nun folgenden Eintheilung der Klagen nachgewieſen werden.
Die Arten der Klagen, deren genaue Unterſcheidung allein im Stande iſt, der in dieſer Lehre häufig wahrzu - nehmenden Verworrenheit abzuhelfen, haben eine verſchie -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dene Natur, je nach den Eintheilungsgründen, worauf der Gegenſatz derſelben beruht. Einige beziehen ſich auf das innere Weſen der Klagen ſelbſt, das heißt auf ihre Ver - bindung mit den dadurch zu ſchützenden Rechten: dieſe ſind nicht nur für das Verſtändniß der Rechtsquellen, ſondern auch für die Einſicht in das heutige Rechtsſyſtem wichtig. Andere beziehen ſich auf die Römiſche Prozeßform, und haben deshalb eine mehr hiſtoriſche Natur; in dem heuti - gen Rechtsſyſtem haben ſie kein lebendiges Daſeyn, ohne ihre Kenntniß, ſind aber unſre Rechtsquellen nicht zu ver - ſtehen, und es iſt aus dieſem Grunde räthlich, bei mehre - ren dieſer Eintheilungen auch die auf ſie bezüglichen Kunſt - ausdrücke fortwährend in Uebung zu erhalten (§ 224). Es darf jedoch dieſer Unterſchied nicht zu abſolut aufgefaßt werden, indem es in der erſten Klaſſe von Eintheilungen an hiſtoriſchen Beziehungen, in der zweiten an praktiſchen, nicht gänzlich fehlt, ſo daß der Unterſchied dieſer Klaſſen ſelbſt nur auf dem in jeder derſelben überwiegenden Ele - ment beruht.
Die wichtigſte Eintheilung der Klagen nach ihrem in - neren Weſen iſt die: in personam, in rem actio. Dieſe Eintheilung wird in der ausführlichſten Stelle, die wir darüber beſitzen, in folgenden Worten vorgetragen(a)Dieſe Stelle iſt nicht aus den Inſtitutionen des Gajus ge - nommen, wir kennen auch keine andere Stelle eines alten Juriſten, woraus ſie herſtammt. Dennoch würde es ganz irrig ſeyn, ihre Ab - faſſung deshalb den Compilatoren zuzuſchreiben. Daß ſie in der That von einem alten Juriſten herrührt, iſt nach mehreren Ausdrücken un -.
13§. 206. In personam, in rem actiones.In dieſer merkwürdigen Stelle ſind folgende einzelne Sätze enthalten. Zuerſt wird die Eintheilung für eine all - gemeine, alle Klagen umfaſſende (omnium actionum summa divisio) erklärt, ſo daß alſo keine Klage anzunehmen iſt, die nicht entweder der einen oder der andern Art zuzurech - nen wäre. Ferner bezeichnen dieſe Ausdrücke gleichmäßig(a)verkennbar. Denn wie hätten Ju - ſtinians Juriſten darauf kommen ſollen, in einer neu verfaßten Stelle zu ſagen: apud judices arbi - trosve, oder die intentio: dare facere oportere, und suam rem esse zu erwähnen, in einer Zeit worin die Obrigkeit keine judices mehr ernannte und alſo auch keine formula mit einer intentio mehr vorkam. Daß ſolche Ausdrücke aus einem alten Juriſten mit abge - ſchrieben wurden, erſchien hier den Compilatoren ſo wenig anſtößig, wie in unzähligen anderen Stellen.14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.generiſche, alſo unter einander gleichartige Begriffe, ſo daß nicht blos ſcheinbar, in Folge einer zufälligen, unge - nauen Ausdrucksweiſe, ſondern in der That, von zwei Ar - ten derſelben Gattung die Rede iſt. Endlich wird der Ge - genſatz beider Arten dahin beſtimmt: in personam heißt die zum Schutz einer obligatio, in rem die zum Schutz irgend eines anderen, außer den Gränzen der obligationes liegen - den, Rechts eingeführte Klage.
Mit dieſer Erklärung ſtimmt nun im Weſentlichen über - ein die, allerdings viel kürzere, Stelle des Gajus.
Auch hier wird die Eintheilung als eine allgemeine vorgetragen, weshalb noch beſonders im § 1 dagegen ge - warnt wird, dieſe genera actionum nicht mit einzelnen speeies zu verwechſeln. Beide Ausdrücke bezeichnen auch hier wahrhaft generiſche Begriffe, eigentliche Eintheilungs - glieder, womit noch mehrere andere Stellen des Gajus übereinſtimmen(b)Gajus IV § 17. 100. 106. 107.. Endlich wird die Gränze beider Ar - ten völlig eben ſo, wie bei Juſtinian, beſtimmt.
15§. 206. In personam, in rem actiones.Ganz auf ähnliche Weiſe redet Ulpian.
Außerdem aber wird dieſelbe Eintheilung der Klagen in vielen anderen Stellen des Ulpian und des Paulus als bekannt vorausgeſetzt und auf vielfache Weiſe angewendet(c)Ulpian: L. 68 de R. V. (6. 1. ), L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3 ), L. 37 pr. de O. et A. (44. 7 ), L. 36 de V. S. (50. 16.). — Paulus: L. 14 § 2 de except. rei jud. (44. 2.)..
Man könnte glauben, dieſe Natur der vorgetragenen Eintheilung ſei hier mit überflüſſiger Sorgfalt zu bewei - ſen geſucht worden, da dieſelbe ohnehin nicht bezweifelt werde; es iſt aber gerade deshalb geſchehen, weil ſie neu - erlich mit großem Aufwand von Scharfſinn beſtritten wor - den iſt(d)Duroi Bemerkungen S. 407. 409. 412. 423.. Im geraden Widerſpruch mit der gewöhnli - chen, auch von mir vorgetragenen, Lehre iſt nämlich fol - gende Anſicht aufgeſtellt worden. Urſprünglich ſollen die Ausdrücke in rem, in personam actio zwei ganz hetero - gene Begriffe bezeichnet haben: in rem eine einzelne Klage (die Eigenthumsklage), die nur auf einige andere einzelne Fälle nach und nach ausgedehnt worden ſey: in personam gleich Anfangs eine ganze Klaſſe von Klagen. Erſt Ju - ſtinian habe den Ausdrücken die Bedeutung von zwey ho - mogenen Klaſſen der Klagen, Eintheilungsgliedern des all - gemeinen Begriffs der Klage, untergelegt, und ſo ſey die ganze Eintheilung eigentlich erſt als ſein Werk anzuſehen. 16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.— Dieſe Behauptung wird widerlegt durch den eben ge - führten Beweis, daß die entſcheidende Stelle der Inſtitu - tionen aus einem alten Juriſten herrührt (Note a), und daß Gajus, Ulpian und Panlus die Begriffe ganz auf dieſelbe Weiſe auffaſſen, wie es in Juſtinians Inſtitutio - nen geſchieht. Erſt weiter unten aber wird es möglich ſeyn, das wahre Element in dieſer irrigen Meynung nach - zuweiſen, und dadurch den beygemiſchten Irrthum voll - ſtändiger zur Anſchauung zu bringen.
Als gleichbedeutender Ausdruck für in rem actio kommt vindicatio vor, bey Gajus, Ulpian, Juſtinian(e)Gajus IV § 5, L. 25 pr. de O. et A. (44. 7. ), § 15 J. de act. (4. 6.).. Für in personam actio bey Ulpian und Juſtinian condictio(f)L. 25 pr. de O. et A. (44. 7. ), § 15 J. de act. (4. 6.). Daß Gajus condictio mit in personam actio nicht gleichbedeu - tend nimmt, ſondern jenem Aus - druck eine weit engere Bedeutung beylegt, kann erſt weiter unten ge - zeigt werden. Vgl. Beylage XIV. Num. XXV. , bey Ulpian personalis actio(g)L. 3 § 3 ad exhib. (10. 4 ), L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3 ), L. 178 § 2 de V. S. (50. 16. ) — Realis dagegen kommt nirgend vor, weder bey Juriſten, noch bey an - deren alten Schriftſtellern..
Beide Begriffe ſind nun noch genauer auf folgende Weiſe zu beſtimmen. Es kommt darauf an, ob vor dem vollſtändig eingeleiteten Rechtsſtreit (vor der Litiscon - teſtation) eine eigentliche Obligation wahrgenommen wird oder nicht; im erſten Fall iſt die Klage in personam, im zweyten in rem. Das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer Obligation vor der Verletzung iſt alſo nicht das ſtreng unterſcheidende Moment. So iſt zwar bey den Contracts -17§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)klagen eine Obligation nicht nur vor der Litisconteſtation, ſondern ſelbſt vor der Verletzung, vorhanden, dagegen bey den Delictsklagen vor der Verletzung noch nicht, weil hier die Verletzung mit der Entſtehung der Obligation zuſam - menfällt: und doch ſind dieſe beide Arten von Klagen personales. Bey dem Eigenthum dagegen erzeugt die bloße Verletzung an ſich ſchon ein obligationähnliches Verhältniß, aber keine wahre, eigentliche Obligation (§ 205), welche vielmehr erſt durch die Litisconteſtation entſteht: daher iſt die Eigenthumsklage in rem.
Um aber die umfaſſende Natur jener Eintheilung ge - gen jeden Widerſpruch ſicher zu ſtellen, iſt es nöthig, die - ſelbe auf die einzelnen Klaſſen von Rechten anzuwenden, indem die Klagen ſelbſt bereits als Modificationen der ihnen zum Grund liegenden Rechte dargeſtellt worden ſind.
Bey den Klagen in personam macht dieſe Anwendung am Wenigſten Schwierigkeit. Niemand zweifelt, daß dar - unter alle Klagen zum Schutz der Obligationen, und nur dieſe, zu verſtehen ſind.
Demnach müſſen die Klagen in rem, wenn überhaupt die Eintheilung erſchöpfend ſeyn ſoll, angewendet werden zum Schutz der Verhältniſſe des Sachenrechts, Erbrechts, Familienrechts(a)Ich ſage: des Familienrechts. Die Römer ſprechen von.
V. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Anwendung auf das Sachenrecht, alſo auf Eigen - thum und jura in re, erregt kein Bedenken; gerade von ſolchen Fällen ſind in den oben angeführten Stellen der Inſtitutionen und des Gajus die Beyſpiele der in rem actiones hergenommen. Dieſe Klagen werden auch als speciales in rem actiones bezeichnet.
Auch die Anwendung auf die Erbrechtsklage läßt kei - nem Zweifel Raum, da dieſelbe ausdrücklich als in rem actio bezeichnet wird(b)L. 27 § 3 de R. V. (6. 1 ) „ .. in hereditatis petitione, quae et ipsa in rem est “… L. 25 § 18 de her. pet. (5. 3 ) „ Petitio hereditatis, etsi in rem actio sit “… L. 49 eod. — Der einzige Zweifel könnte hergenom - men werden aus der beſchränkten Natur des Beklagten. Davon wird noch weiter die Rede ſeyn. — Übri - gens bezieht ſich dieſes nur auf die Klage aus dem Erbrecht ſelbſt; die daraus entſpringenden ſecundä - ren Rechtsverhältniſſe, wie Legate u. ſ. w., laſſen ſich ſtets auf ding - liche Rechte und Obligationen zu - rück führen, und werden durch die Klagen dieſer Rechtsverhältniſſe ge - ſchützt. — Vgl. auch Beylage XIII. Num. IX. .
Dagegen wird den Klagen aus dem Familienrecht die Eigenſchaft von in rem actiones ſtreitig gemacht, und wenn ſie ihnen wirklich nicht zukäme, ſo würden wir ge - nöthigt ſeyn, die ganze Eintheilung für eine nicht völlig erſchöpfende zu halten.
Zwar nach der herrſchenden Meynung ſind auch die(a)quaestio de statu, und verſtehen darunter zwey mögliche Arten eines Rechtsſtreits: 1) über den ſtaats - rechtlichen Status, Freyheit und In - genuität 2) über den privatrechtli - chen, das heißt die Familie. Da wir aber im heutigen Recht jenen erſten nicht kennen, ſo iſt für uns, das heißt in dem Theil des R. R. den wir noch übrig haben, die sta - tus quaestio mit dem Streit über Familienverhältniſſe völlig identiſch, welches ich zur Rechtfertigung der in dieſem §. angewendeten Termi - nologie bemerke. Vgl. Band 2. Beyl. VI. Num. VI. und IX. 19§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Klagen aus Familienverhältniſſen in rem, und dieſe Mey - nung wurde früherhin durch folgende Stelle als völlig begründet angeſehen.
Praejudicialis actio, ſagte man, heißt, nach dem Zeug - niß dieſer Stelle ſelbſt, jede Klage über den Status, wo - hin unter andern auch alle Klagen aus dem Familienrecht gehören. Dieſe alle nun ſind, wie dieſelbe Stelle aus - drücklich ſagt, in rem. — Was dagegen früher eingewen - det wurde, daß nicht geſagt werde sunt, ſondern esse vi - dentur, daß es alſo nur ſo ſcheine, daß den Präjudi - cialklagen nur einige Ähnlichkeit mit in rem actiones hier zugeſchrieben werde(c)Duroi observ. p. 21. — dieſe Einwendung war ohne Grund, da der Ausdruck videtur regelmäßig nicht blos auf Schein oder Ähnlichkeit, ſondern auf poſitive Wirklichkeit geht(d)Vgl. die Stellen bei Dirksen manuale latinitatis p. 1000.. — Wichtiger iſt allerdings der Um - ſtand, daß die urſprüngliche Bedeutung von praejudicium gar nicht auf den Gegenſtand der Klage, ſondern auf ihre prozeſſualiſche Faſſung zu beziehen iſt: es war eine for - mula mit bloßer intentio, ohne condemnatio, oft alſo eine blos proviſoriſche Maaßregel, um vorläufig das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes feſtzuſtellen, von welchem man2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in einem ſpäteren Rechtsſtreit Gebrauch machen wollte(e)Dieſes ſagt ſchon Theophi - lus in § 13 J. de act., allein es war eine unfruchtbare Notiz, ſo - lange wir die Beſtandtheile der formula und deren Zuſammenhang nicht kannten. Bey Gajus IV. § 44. 48 findet ſich nun nicht nur eine vollgültigere Beſtätigung, ſon - dern es iſt vorzüglich die Bedeu - tung jener Eigenthümlichkeit man - cher Klagen erſt klar geworden.. Dieſe Prozeßform wurde nun allerdings in allen Prozeſ - ſen über den Status angewendet, aber auch in manchen anderen Prozeſſen, und namentlich in ſolchen, deren Ge - genſtand Obligationen waren(f)Gajus III. § 123. IV. § 44. Paulus V. 9. § 1. L. 30 de reb. auct. jud. (42. 5.). — Nicht da - hin gehört Gajus IV. § 94, denn dieſe sponsio hatte allerdings eine condemnatio, die aber nur eine bloße Formalität war „ nec tamen haec summa sponsionis exigi - tur.” Es war alſo kein praeju - dicium, kam aber im Zweck und Erfolg mit einem ſolchen überein, und daher nennt es Gajus eine sponsio praejudicialis. . Aus dieſer Entdeckung hat man nun neuerlich ſchließen wollen, die angeführte Stelle der Inſtitutionen ſey eine Erfindung der Juriſten Juſtinians, und dem Römiſchen Recht eigentlich fremd(g)Düroi Bemerkungen S. 406 — 410, beſonders S. 409.; beide Stücke dieſer Behauptung aber können nicht zuge - geben werden. Zuvörderſt nämlich iſt es im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts völlig richtig zu ſagen, Präjudi - cialklagen ſind Klagen aus dem Status, da von den übri - gen Präjudicialklagen des älteren Rechts (quanta dos sit, an praedictum sit u. ſ. w.) keine einzige mehr vor - kommt(h)Daß einmal in den Dige - ſten ein ſolcher Fall genannt wird, (Note f), muß als eine blos an - tiquariſche Notiz betrachtet werden; denn Niemand wird behaupten, daß in unſrem Recht ein ſolcher Fall anders als jeder gewöhnliche Rechts - ſtreit behandelt werden dürfe.; wenigſtens im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts alſo wäre die gewöhnliche Erklärung jener Stelle der In -21§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)ſtitutionen richtig, und zugleich die Stelle ſelbſt tadellos: ſie enthielte nicht eine Entſtellung des älteren Rechts, ſon - dern eine angemeſſene Reduction deſſelben auf den im All - gemeinen veränderten Rechtszuſtand. Ich gehe aber noch weiter, und behaupte, daß ſelbſt im Sinn des älteren Rechts alle Präjudicien ohne Unterſchied in rem genannt werden konnten. In dieſer Allgemeinheit läßt ſich der Satz erſt weiter unten beweiſen (§. 209); allein in der beſonderen Anwendung auf die den Status betreffenden Präjudicien, auf welche allein es hier ankommt, fehlt es nicht an unmittelbaren Zeugniſſen, die ſchon hier meine Behauptung außer Zweifel ſetzen. Der Streit über Frey - heit wurde durch vindicatio in libertatem oder in servitu - tem geführt. Auf dem bloßen Schein einer ſolchen in li - bertatem vindicatio beruhte die ganze Freylaſſung per vindictam(i)Livius XLI. 9.. Eben ſo konnte die legitima tutela über Frauen durch in jure cessio übertragen werden(k)Gajus I. § 168. Ulpian. XI. § 6 — 8. XIX. § 11.; da nun die in jure cessio überhaupt eine ſymboliſche Vindi - cation war(l)Gajus II. § 24. Ulpian. XIX. § 9. 10., ſo iſt dadurch die Vindicationsform auch für jene Art der Tutel erwieſen. Ja ſelbſt der Rechts - ſtreit über das Daſeyn einer väterlichen Gewalt konnte in der feyerlichen Form einer vindicatio ex jure quiritium geführt werden(m)L. 1 § 2 de R. V. (6. 1.). Ich verſtehe die ſchwierige Stelle ſo, daß bey dem Streit über Pa - ternität das praejudicium, wel - ches nach meiner Anſicht ſtets in rem war, in verſchiedenen Formen gebraucht werden konnte, ähnlich. Und eben ſo beruhte die feyerliche22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Form der Adoption unter andern auf einer in jure cessio, wobey der Adoptivvater die väterliche Gewalt als ſchon vorhanden durch Vindication in Anſpruch nahm(n)Gajus I. § 134 „ is qui adoptat vindicat apud Praeto - rem filium suum esse. “.
Sind nun, wie hier dargethan worden iſt, in rem alle Klagen aus dem Sachenrecht, Erbrecht, Familien - recht, ſo iſt der früher ſehr verbreitete Sprachgebrauch zu verwerfen, welcher jene Benennung auf die Klagen aus dem Sachenrecht beſchränkt, durch welche Beſchränkung wiederum die ganze Eintheilung aufhören würde, eine all - gemeine, alle Klagen umfaſſende, zu ſeyn. Jener irrige Sprachgebrauch wurde begünſtigt durch eine täuſchende Übereinſtimmung von Kunſtausdrücken, die man aber frey - lich theilweiſe erſt ſelbſt geſchaffen hatte, unbekümmert um den aus den Rechtsquellen zu erweiſenden Sprachgebrauch. (m)den verſchiedenen Formen der Eigen - thumsklage (Gajus IV. § 91 — 95.). Wählte man die feyerlichere Form einer vindicatio ex jure quiri - tium, ſo erhielt dann die Klage eine wörtliche Gleichheit mit der Eigenthumsklage, und darauf geht der Ausdruck: „ per hanc autem actionem liberae personae … non petuntur … nisi forte .. adjecta causa quis vindicet.” Dieſe feyerlichere Form wurde viel - leicht angewendet, wenn man es vorzog, vor den Centumvirn zu kla - gen. Doch wäre es auch möglich, daß die hier erwähnte vindicatio des Sohnes nicht von der feyer - licheren Form des ernſtlichen Rechts - ſtreits, ſondern vielmehr von der ſymboliſchen Anwendung deſſelben bey der Adoption (Note n) ver - ſtanden werden ſollte. Uebrigens iſt es wahrſcheinlich, daß dieſe Stelle hauptſächlich durch Interpolationen und Weglaſſungen ſo ſchwierig iſt; aber die vindicatio ex lege qui - ritium iſt gewiß nicht von den Compilatoren erfunden, wiewohl ſie lege anſtatt jure geſetzt haben mögen, ſo wie vorher jure Roma - no anſtatt jure quiritium, viel - leicht nur in der Abſicht, um das Andenken an die proſcribirte For - mel ex jure quiritium überall auszutilgen.23§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Man nannte nämlich das Sachenrecht (als Theil der Rechtswiſſenſchaft) jus in rem, und belegte zugleich jedes einzelne dingliche Recht mit demſelben Namen. Eben ſo nannte man das Obligationenrecht im Ganzen, desgleichen jede einzelne Forderung, jus in personam. Indem man nun dieſe erfundenen Kunſtausdrücke mit den quellenmäßi - gen willkührlich in Verbindung ſetzte, lag es allerdings ſehr nahe, den ganzen Zuſammenhang ſo zu faſſen: dem jus in rem entſpricht die actio in rem, dem jus in perso - nam die actio in personam. Es zeigt ſich alſo auch hier die mit der willkührlichen Wortbildung verknüpfte Gefahr recht augenſcheinlich(o)Vgl. Band 1. S. XLIII. der Vorrede. — Aus den hier an - gegebenen Gründen iſt es denn auch räthlich, den von Manchen gebrauchten Ausdruck dingliche Klage (für in rem actio) zu vermeiden, da er ſehr natürlich dahin führt, einer ſo bezeichneten Klage denſelben beſchränkten Um - fang wie den dinglichen Rechten (Eigenthum und jura in re) an - zuweiſen. Der Ausdruck perſön - liche Klage iſt tadellos, da er dem Römiſchen Namen personalis actio vollkommen entſpricht, und in der Sache keinem Misverſtänd - niß Raum giebt..
Mit der hier erklärten Eintheilung der Klagen, ſo wie mit der Bezeichnung derſelben, ſteht in der Regel auch noch der Umſtand in Verbindung, daß die perſönliche Klage nur gegen einen beſtimmten und bekannten Gegner, die Klage in rem gegen einen unbeſtimmten, unbekannten ge - richtet iſt. (§ 56. f.). Der Sinn dieſer Unterſcheidung aber24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geht dahin, daß bey der erſten Klaſſe von Klagen ſchon vor der Verletzung die Perſon des allein möglichen Ver - letzers und Beklagten, nämlich des Schuldners, beſtimmt und bekannt iſt, anſtatt daß bey den Klagen in rem ur - ſprünglich jeder Menſch der Verletzung, die eine ſolche Klage veranlaſſen kann, fähig iſt, ſo daß dieſe Unbeſtimmt - heit in der Perſon des Beklagten erſt durch die wirklich eingetretene Verletzung aufgehoben wird. Auch in ande - ren Anwendungen, als bey den Klagen, werden die Aus - drücke in personam und in rem gebraucht, um die Rich - tung eines Rechtsgeſchäfts oder einer Rede auf eine be - ſtimmte Perſon auszudrücken oder zu verneinen(a)Pactum in rem. L. 7 § 8 L. 57 § 1 de pactis (2. 14.). — Nunciatio in rem fit. L. 10 de O. n. n. (39. 1.). — Praetor in rem loquitur, edictum in rem scriptum est. L. 9 § 1 quod metus (4. 2 ), L. 5 § 3 quibus ex causis (42. 4.). Der Aus - druck in rem bezeichnet alſo das Unperſönliche. — So kann man auch von einer intentio in rem oder in personam concepta ſpre - chen, je nachdem darin die Perſon des Gegners ausgedrückt iſt oder nicht; man muß dann ſagen, jede in rem actio habe eine in rem concepta intentio, aber eine in personam actio könne nach Um - ſtänden bald in personam, bald in rem concepta intentio haben. Jedoch gilt Dieſes nur von den prätoriſchen Klagen. L. 1 § 3 de interd. (43. 1 ), L. 5 § 13 quod vi (43. 24.). Bey den Ci - vilklagen war die Natur der Klage ſtets aus der Faſſung der Formel unmittelbar zu erkennen. Vgl. un - ten § 216. w. .
Allein das Zuſammentreffen dieſes Gegenſatzes mit dem der beiden Arten von Klagen iſt keinesweges allgemein, und es darf davon nur mit Vorſicht Anwendung gemacht werden. So giebt es auf der einen Seite mehrere per - ſönliche Klagen, die dennoch gegen einen unbeſtimmten Gegner, namentlich gegen jeden Beſitzer einer Sache, ge -25§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)richtet werden können, ganz wie es in der Regel nur bey den in rem actiones der Fall iſt. Dahin gehört die aus einem erzwungenen Rechtsgeſchäft entſpringende Forderung des Gezwungenen auf Herſtellung ſeines früheren Zuſtan - des; ſowohl die Klage, als die Exception zu dieſem Zweck wirkt gegen jeden Beſitzer, und es wird zuweilen dieſe Eigenthümlichkeit durch den Ausdruck actio und exceptio in rem scripta bezeichnet(b)L. 9 § 8 quod metus (4. 2 ), L. 4 § 33 de doli exc. (44. 2.). Es iſt nicht richtig, den Ausdruck in rem scripta actio als eigentlichen, durchgehenden Kunſtausdruck zu betrachten. Vgl. Düroi Bemerkungen S. 410 — 412., welches der oben erwähnten Ausdrucksweiſe ganz entſpricht (Note a); dennoch iſt die Klage ſelbſt durchaus in personam(c)Wenn es der Beſchädigte bedarf, ſo kann er durch prätori - ſche Reſtitution auch das verlorne Eigenthum unmittelbar wieder er - halten, alſo eine wahre in rem actio; dieſe wird aber von der außerdem geltenden actio quod metus genau unterſchieden, wo - durch eben die perſönliche Natur dieſer lezten ganz außer Zweifel geſezt wird. L. 9 § 4. 6 quod me - tus (4. 2 ), L. 3 C. eod. (2. 20.).. — Eine gleiche Natur hat die actio ad exhibendum, anwendbar gegen Jeden, der zufällig in der Lage iſt, die Sache exhibiren zu können, obgleich auch ſie ausdrücklich als perſönliche Klage bezeichnet wird(d)L. 3 § 3. 15 ad exhib. (10. 4.).. — Eben ſo iſt die actio aquae pluviae perſönlich, und geht dennoch (mit einiger Beſchrän - kung) gegen jeden Beſitzer; auf dieſelbe Weiſe auch das Interdict quod vi(e)L. 6 § 5 L. 12 de aqua pluv. (39 3.) — L. 5 § 13 L. 7 pr. § 1 quod vi (43. 24.). . — Die Noxalklagen entſpringen aus Delicten, alſo aus Obligationen, und können dennoch gegen Jeden angeſtellt werden, der irgend einmal das26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eigenthum des Sklaven erwirbt, nach der Regel: noxa caput sequitur(f)§ 5 J. de noxal. act. (4. 8.).. Eben ſo auch die Klage aus den von Thieren zugefügten Beſchädigungen(g)L. 1 § 12 si quadr. (9. 1.).. — Das Interdict quod legatorum iſt perſönlich, wie alle Interdicte, und geht dennoch gegen jeden Beſitzer der Sache, die der Le - gatar eigenmächtig in Beſitz genommen hat(h)L. 1 § 13 quod leg. (43. 3), verglichen mit L. 1 § 3 de interd. (43. 1.).. — Auch die Klage auf Steuerreſte geht gegen jeden ſpäteren Be - ſitzer des ſteuerpflichtigen Grundſtücks(i)L. 7 pr. de publicanis (39. 4.)..
Auf der andern Seite aber giebt es auch einige in rem actiones, die nur gegen beſtimmte, einzelne Perſonen angeſtellt werden können. Dahin gehört vor Allem die hereditatis petitio, die nicht ſo, wie die Eigenthumsklage, gegen jeden Beſitzer, ſondern nur gegen Denjenigen ange - ſtellt werden kann, der entweder pro herede oder pro pos - sessore beſitzt(k)L. 9. 10. 11 de her. pet. (5. 3.).. — Wenn ein inſolventer Schuldner ſeine Glaubiger durch unredliche Veräußerungen in Nach - theil bringt, ſo geht gegen den Erwerber der ſo veräußer - ten Sachen die Pauliana actio nur dann, wenn er ent - weder an jener Unredlichkeit Antheil genommen, oder durch Schenkung erworben hat(l)L. 6 § 8. 11 L. 10 pr. § 2 quae in fraud. (42. 8.).. Dieſe Klage iſt per - ſönlich(m)L. 38 pr. § 4 de usuris (22. 1.)., ſie kann aber nach Bedürfniß, eben ſo wie die aus dem Zwang entſpringende Klage (Note c), durch27§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Reſtitution zu einer in rem actio erhoben werden(n)L. 10 § 22 quae in fraud. (42. 8.). Hieraus iſt zu erklären der § 6 J. de act. (4. 6), durch deſſen zu allgemeinen Ausdruck man verleitet werden könnte, die Pau - liana in allen Fällen für eine Klage in rem zu halten, und wohl gar die Beſchränkung in der Perſon des Beklagten zu negiren, im Wi - derſpruch mit den in den Noten l und m angeführten Stellen. Die Einſchränkung der Stelle auf den beſonderen Fall einer Reſtitution wird außerdem gerechtfertigt theils durch die Worte rescissa tradi - tione, theils durch den Rückblick auf den unmittelbar vorhergehen - den § 5, der gleichfalls eine auf Reſtitution gegründete in rem actio erwähnt, und dabey auch den Ausdruck rescissa usucapio - ne gebraucht. Vgl. Vinnius ad § 6 cit., ibique Heineccius. Das Intereſſe des Klägers bey der in rem actio, in Vergleichung mit der in personam, kann darin be - ſtehen, daß der Erwerber, der durch ſeinen Dolus oder durch den Schenkungstitel der Pauliana un - terworfen iſt, ſelbſt wieder in Con - curs gerathen ſeyn kann, in wel - chem Fall vielleicht die perſönliche Klage gegen ihn fruchtlos ſeyn würde.. Da ſie jedoch auch in dieſem Fall nur gegen die erwähnten beſtimmten Perſonen angeſtellt werden kann, ſo iſt auch darin eine auf einen individuellen Beklagten eingeſchränkte Klage in rem enthalten(o)Man könnte eine Klage ſolcher Art: in rem actio in personam scripta nennen, was ich jedoch nicht ſage, um dieſen nicht quellenmäßigen, auch ganz entbehrlichen, Ausdruck zu empfeh - len, ſondern nur um den Zuſam - menhang dieſer Art von Klagen mit der vorher erwähnten Art (der personalis in rem scripta) an - ſchaulicher zu machen.. — Die Ehefrau hat auf Rück - forderung der Dos, nach Juſtinians Vorſchrift, eine Vin - dication, welche jedoch, der richtigeren Meynung nach, nur gegen den Mann ſelbſt, nicht gegen einen dritten Er - werber angeſtellt werden kann(p)L. 30 C. de j. dot. (5. 12 ) „ Si tamen exstant.” Die ge - nauere Ausführung dieſes Satzes gehört an einen anderen Ort..
Es iſt indeſſen nicht zu verkennen, daß ſowohl die Be - ziehung der perſönlichen Klagen auf unbeſtimmte, als die28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beſchränkung der Klagen in rem auf beſtimmte Gegner, nur als Ausnahmen zu betrachten ſind. Wo alſo bey einzelnen Klagen der Grund einer ſolchen Ausnahme nicht beſonders nachgewieſen werden kann, da bleibt es bey der Regel, nach welcher die Klagen gegen beſtimmte oder un - beſtimmte Gegner angeſtellt werden können, je nachdem ſie in personam oder in rem ſind.
Die umfaſſende Eintheilung der Klagen, in personam und in rem, iſt bis jetzt nicht nur für das Juſtinianiſche Recht nachgewieſen, ſondern auch bis auf die Zeit des Gajus zurückgeführt worden. Es iſt aber nöthig, in eine noch frühere Zeit hinauf zu gehen, und die allmälige Ent - wicklung dieſer Begriffe darzulegen, um die irrige Auffaſ - ſung dieſes Gegenſtandes, die in einzelnen Anwendungen ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 207), vollſtändig zu be - ſeitigen.
Während der Herrſchaft der alten Legis actiones war der Unterſchied jener beiden Arten der Klagen völlig an - erkannt und durch beſondere Prozeßformen ausgedrückt. Jede in rem actio wurde nämlich mit einem ſymboliſchen Verfahren, den manus consertae, eröffnet, auf welches dann die Ernennung eines Judex und das Verfahren vor demſelben folgte. Die in personam actio fieng gleich mit der Ernennung des Judex an, und beſtand alſo aus dem -29§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)jenigen Verfahren allein, welches bey der in rem actio die zweyte Hälfte des Ganzen bildete(a)Gajus IV. § 16. 17. In den verſtümmelten vorhergehenden Sätzen hatte er von der Behand - lung der in personam actio ge - ſprochen, dann fährt er hier ſo fort: „ Si in rem agebatur, mo - bilia quidem et moventia .. in jure vindicabantur ad hunc modum (nun folgt die Beſchrei - bung der manus consertae) .. deinde sequebantur quaecunque (si) in personam ageretur” …. Man kann da - her ſagen, daß damals die Klagen mit und ohne manus consertae genau daſſelbe waren, was ſpäterhin in rem und in personam actiones genannt wurde.
Dieſe Prozeßform erhielt ſich in den Centumviralſa - chen bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswiſſenſchaft; für alle übrige Prozeſſe wurde ſie durch einige Volksſchlüſſe aufgehoben, ſo daß nun der Prozeß per formulas an ihre Stelle trat (§ 205. b.). Es ſcheint, daß in dieſem zuerſt gar keine Klagen in rem vorkamen, indem man jedem Streit, der dazu hätte führen müſſen, durch erzwungene Sponſionen den Character einer Contractsklage beylegte. Das praktiſche Bedürfniß ſcheint aber zuerſt bey dem Ei - genthum darauf geführt zu haben, daß man dem Kläger die Wahl ließ, ob er dieſen umſtändlicheren Sponſionen - prozeß führen, oder in einfacherer Weiſe gleich unmittel - bar auf die Anerkennung des Eigenthums klagen wollte. Dieſes geſchah durch die petitoria formula (die in Juſti - nians Rechtsbüchern gewöhnlich rei vindicatio heißt) mit der intentio: rem suam esse, mit oder ohne ex jure qui - ritium. Dieſen Zuſtand der Sache ſtellt uns ſehr deutlich30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Gajus dar(b)Gajus IV. § 91 — 95. Es gab zweyerley Eigenthumsklagen per formulas, und außerdem noch die Sacramenti legis actio vor den Centumvirn., er war aber entſchieden ſchon zur Zeit des Cicero vorhanden, welcher ein Beyſpiel dieſer petito - ria formula, ganz mit Gajus übereinſtimmend, anführt(c)Cicero in Verrem II. 12 „ L. Octavius judex esto: Si paret, fundum Capenatem, quo de agitur, ex jure quiritium P. Servilii esse, neque is fun - dus Q. Catulo restituetur: non necesse erit L. Octavio judici cogere P. Servilium Q. Catulo fundum restituere, aut condem - nare eum quem non oporteat?” Offenbar wählt hier Cicero eine hergebrachte, allgemein anerkannte Klagformel, und was er daran als ſchreyende Ungerechtigkeit her - vorhebt, beſteht nur darin, daß nach dieſer Faſſung die Reſtitution des Grundſtücks an eine andere Perſon, als den vorher bezeichne - ten Eigenthümer geſchehen müßte.. Dadurch war eine einzelne in rem actio in den Formular - prozeß eingeführt, ſo daß man damals ſagen konnte, in rem actio ſey der individuelle Name der Eigenthumsklage, in personam actio die generiſche Bezeichnung aller übrigen Klagen überhaupt. Der in dieſer Zeit ſo gebildete Sprach - gebrauch hat ſich, wie es zu geſchehen pflegt, theilweiſe noch in ſpäterer Zeit erhalten, ſo daß nicht ſelten in rem actio als individueller Name von ſolchen Schriftſtellern gebraucht wird(d)So geſchieht es von Ga - jus (IV. 51. 91. 86. 87 ), Ulpian (L. 1 § 1 de R. V. 6. 1 ), Pau - lus (L. 23 pr. eod.). Eben ſo in vielen Stellen des tit. Dig. de R. V. (6. 1.). — Dagegen darf nicht hieraus erklärt werden L. 25 pr. de O. et A. (44. 7 ) „ In rem actio est per quam rem nostram, quae ab alio possidetur, petimus.” Denn da dieſe Worte unmittelbar hinter der Eintheilung der actiones in duo genera ſtehen (ſ. o. § 206), ſo iſt offenbar jener Satz nicht Defini - tion der in rem actio, ſondern nur erläuterndes Beyſpiel für den aufgeſtellten generiſchen Begriff. Auch würde ja ſonſt in dieſen Worten Ulpian ſelbſt der confes - soria den Character einer in rem actio abſprechen., die außerdem den Ausdruck als Be -31§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)zeichnung einer ganzen Klaſſe von Klagen, gegenüberſtehend der Klaſſe der in personam actiones, kennen und gebrauchen (§ 206). Daſſelbe Bedürfniß aber führte dahin, die peti - toria formula auch auf Rechte außer dem Eigenthum an - zuwenden, bey welchen man ſich bis dahin mit den um - ſtändlicheren Sponſionen behelfen mochte, und dadurch zu - erſt wurde der Ausdruck in rem actio zu einer generiſchen Bezeichnung, gleichartig dem Ausdruck in personam actio; erſt ſeit dieſer Zeit konnte man ſagen, wie es Gajus aus - drücklich thut: duo genera esse actionum, in rem et in personam (§ 206). So iſt die Klage, die wir confessoria nennen, in der That Nichts als die petitoria formula für die Servituten, ſo wie unſere hereditatis petitio die peti - toria formula für das Erbrecht. Für dieſe lezte können wir zufällig nachweiſen, daß ſie ſpäter als die bey dem Eigenthum anerkannt worden iſt, denn Cicero, der die pe - titoria formula für das Eigenthum wohl kennt (Note c), ſagt bey dem Erbrecht ausdrücklich, es gebe dafür nur zwey Klagformen, vor den Centumvirn, und durch Spon - ſion(e)Cicero in Verrem I. 45 „ Si quis testamento se heredem esse arbitraretur, quod cum non exstaret, lege ageret in hereditatem, aut, pro praede litis vindiciarum cum satis ac - cepisset, sponsionem faceret, ita de hereditate certaret.” Hier ſind alſo von den drey Klag - formen, die Gajus für das Eigen - thum aufſtellt (Note b), nur zwey für das ſtreitige Erbrecht als mög - lich angegeben, da doch bey dem Eigenthum derſelbe Cicero (Note c) auch die dritte, die petitoria for - mula, als gültig vorausſezt.. — Dieſe Ausdehnung der neuen Klagform ge - ſchah nicht plötzlich, ſondern allmälig und ſchrittweiſe, bald32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.für dieſe bald für jene einzelne Klage. Als Vermittlung diente dabey der unbehülfliche, an ſich ganz entbehrliche, Ausdruck res incorporalis(f)Ich ſage nicht, daß dieſer Ausdruck zu dem erwähnten Zweck erfunden worden iſt; das kann ſchon deswegen nicht angenommen werden, weil dieſer Ausdruck auch die Obligationen umfaßt, alſo über die Anwendung auf die Vin - dication unkörperlicher Sachen weit hinaus reicht. — Die Kritik des Begriffs der unkörperlichen Sachen gehört übrigens nicht hier - her, wird aber im vierten Buch angeſtellt werden.; denn indem man die Ser - vituten und Erbſchaften als ſolche res incorporales be - zeichnete, fand man kein Bedenken, darauf dieſelbe vindi - catio anzuwenden, die bey der res corporalis bereits an - erkannt war: die Ausdrücke in der Formel konnten dieſel - ben bleiben, da die Servituten und das Erbrecht eben ſowohl dem alten, ſtrengen Civilrecht angehörten, als das Eigenthum(g)Bey dem Eigenthum hieß die intentio: rem suam esse (Gajus IV. § 92), zum Beyſpiel fundum Servilii esse (Note c); hier hieß es: jus nostrum esse (Gajus IV. § 3), oder heredita - tem nostram esse. . In anderen Fällen wurde die Vermitt - lung durch eine utilis actio, das heißt durch die in der Formel ſelbſt ausgedrückte Fiction des Eigenthums, be - wirkt(h)So z. B. die Formel der Publicianiſchen Klage. Gajus IV. § 36.. Als aber die Klagen ſolcher Art, in Folge an - erkannter praktiſcher Bedürfniſſe, immer zahlreicher und mannichfaltiger wurden, gab man zulezt dieſen mühſamen und umſtändlichen Verſuch, die individuelle Eigenthums - klage auf andere individuelle Fälle durch Mittelbegriffe anzuwenden, auf, und ſo entſtand unvermerkt der generi - ſche Begriff der in rem actiones, dem alten gleichfalls ge -33§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)neriſchen Begriff der in personam actiones völlig coordi - nirt. Nicht nur können wir aus Mangel an Nachrichten die Geſchichte dieſer Entwicklung der Begriffe nicht genau verfolgen, ſondern es iſt auch zuverläſſig niemals eine ſichtbare Veränderung mit ſcharfer Zeitgränze eingetreten, vielmehr wird die ältere Weiſe der Auffaſſung und des Ausdrucks neben der neueren noch geraume Zeit fortge - dauert haben. Da aber die ältere, verwickeltere Auffaſ - ſung mit der wörtlichen Faſſung der formulae zuſammen - hieng, ſo mußte die Abſchaffung des Formularprozeſſes dazu beytragen, Dasjenige zu vertilgen, was davon da - mals etwa noch in lebendiger Üebung erhalten ſeyn mochte.
Wir finden die neuere Art der Auffaſſung und des Ausdrucks am vollſtändigſten ausgebildet in der oben mit - getheilten Stelle der Inſtitutionen Juſtinians (§ 206); dieſe aber kann unverändert aus einem alten Juriſten (vielleicht aus den res quotidianae des Gajus) genommen ſeyn, wenigſtens haben wir durchaus keinen Grund, dieſe Annahme zu verneinen. Selbſt aber wenn ſie in ihrer gegenwärtigen Faſſung von Juſtinians Juriſten herrührte, würde es ganz einſeitig ſeyn, ihren Inhalt in Vergleichung mit älteren Stellen herab zu ſetzen: eben ſo einſeitig aber wenn derjenige welcher ihren Inhalt vorzüglicher fände, deshalb (im Widerſpruch mit aller Analogie) die Einſicht ihres Urhebers höher ſtellen wollte, als die Einſicht Ulpians und ſeiner Zeitgenoſſen. Denn es ſtehen hier nicht etwa individuelle Einſichten und Meynungen einander gegenüber,V. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und wenn wir in der That einem Ausſpruch aus Inſti - nians Zeit den Vorzug geben müßten, ſo wäre dieſer Fort - ſchritt nicht aus einer höheren geiſtigen Bildung des Ver - faſſers zu erklären, ſondern nur aus der dieſen Rechtsver - hältniſſen ſelbſt inwohnenden fortbildenden Kraft, deren natürliches Erzeugniß in jenem neueren Ausſpruch nur ſeinen einfachen, unverkünſtelten Ausdruck gefunden hätte.
Ich habe dieſe ausführliche Erörterung nöthig gefun - den mit Rückſicht auf die abweichende Anſicht eines neu - eren Schriftſtellers, welche durch den darauf verwendeten Scharfſinn, und durch einen Schein kritiſcher Herſtellung der reinen Roͤmiſchen Begriffe leicht täuſchen könnte(i)Duroi observ. p. 32 — 35 p. 49 — 62. Düroi Bemerkungen, beſonders S. 253. 261. 280. 412. fg.. Derſelbe nimmt gleiche hiſtoriſche Grundlagen an, wie die hier aufgeſtellten; den Zuſtand des Uebergangs der Pro - zeßformen, und der Nothhülfe für praktiſche Bedürfniſſe in einzelnen Fällen, fixirt er als höchſte, unabänderliche Vollen - dung des Römiſchen Klagenrechts; den einfachſten und befrie - digendſten Ausdruck, den wir in Juſtinians Inſtitutionen finden, behandelt er als eine willkührliche Corruption des wahren Römiſchen Rechts, welche wir eigentlich zu igno - riren hätten. Selbſt als blos hiſtoriſche Darſtellung des Klagenrechts müßte ich dieſe Anſicht für einſeitig und un - wahr erklären; völlig verwerflich aber iſt der praktiſche Gebrauch, der davon gemacht wird. Die zur Zeit der alten Juriſten verſuchten individuellen Ausdehnungen der35§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)Eigenthumsklage werden hier auf beſtimmte Klaſſen zu - rückgeführt, und deren ſehr zufällige hiſtoriſche Eigenthüm - lichkeit wird hier mit einer ſo unzerſtörbaren Lebenskraft verſehen, daß ſelbſt germaniſche Rechtsinſtitute nach die - ſem Typus behandelt werden ſollen. So ſoll das Prin - cip der Römiſchen Vindication unkörperlicher Sachen auf die germaniſchen Reallaſten, das Princip der utilis vindi - catio auf die Lehen und Bauergüter angewendet werden)(k)Düroi Bemerkungen S. 292 — 295. 386 fg. 418. — Nicht blos in Anwendung auf die dem R. R. fremden Inſtitute zeigt ſich jene Grundanſicht verwerflich, ſondern auch in Anwendung auf die Inſtitute des R. R. ſelbſt. Weil nämlich die confessoria als vindicatio der res incorporalis aufgefaßt wird, ſo wird behaup - tet, dieſe Klage ſey nicht etwa ein Schutzmittel für die in der Ser - vitut enthaltenen Befugniſſe gegen jeden Verletzer, ſondern es werde nur das Eigenthum des Rechts gegen den Beſitzer dieſes Rechts, den Eigenthümer, vindicirt. (Be - merkungen S. 278. 281. 290 — 292). Dieſe Behandlung jener Klage würde aber nicht nur für das prakti - ſche Bedürfniß ſehr ungenügend ſeyn, ſondern ſie widerſpricht auch geradezu vielen Stellen des Römi - ſchen Rechts. Vgl. L. 60 § 1 de usufr. (7. 1. ), L. 1 pr. L. 5 pr. si ususfr. (7. 6. ), L. 10 § 1 si serv. (8. 5.).. Es iſt mir kein Beyſpiel eines ähnlichen Misbrauchs rechtsgeſchichtlicher Unterſuchungen bey der Beurtheilung heutiger Lebensverhältniſſe bekannt.
Zum Schluß dieſer Lehre ſind nun noch die denkbaren Übergänge der einen der beiden Klagarten in die andere zu erwähnen. Bei den meiſten Klagen in rem kommen, neben dem Hauptgegenſtand des Rechtsſtreits, auch noch Nebenpunkte zur Sprache, welche auf Obligationen beru - hen; ſo z. B. Erſatz für verzehrte Früchte, für Be -3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchädigungen an der vindicirten Sache. Da dieſe jedoch nur eine untergeordnete und abhängige Natur haben, wie - wohl ſie durch den äußeren Erfolg ſehr wichtig ſeyn kön - nen, ſo iſt eine ſolche Klage darum nicht weniger in rem. Dagegen finden ſich drei Klagen (die Theilungsklagen), welche zwar auch auf Obligationen beruhen, und daher mit Recht personales heißen(l)L. 1 fin. reg. (10. 1.) „ Fi - nium regundorum actio in per - sonam est, licet pro vindica - tione rei est.” L. 1 § 1 C. de ann. except. (7. 40.), aber von anderen perſön - lichen Klagen dadurch weſentlich verſchieden ſind, daß in ihnen zugleich über das ſtreitige Eigenthum entſchieden werden kann. Dieſes geſchieht bey den eigentlichen Thei - lungsklagen (familiae herciscundae und communi dividundo) dadurch, daß über das ſtreitige Miteigenthum des Klägers, wenn er im Beſitz deſſelben iſt, in der auf Theilung ge - richteten Klage zugleich mit entſchieden wird(m)L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.); bei der actio finium regundorum dadurch, daß der Kläger den Theil des Grundſtücks, welchen er in Folge der Gränz - verwirrung bisher entbehrte, durch dieſe Klage eben ſo, wie durch eine Vindication, wieder erlangen kann(n)„ pro vindicatione rei est” ſ. o. Note l. . Da - her wird von dieſen Klagen geſagt: mixtam causam ob - tinere videntur, tam in rem, quam in personam(o)§ 20 J. de act. (4. 6.). Ich habe hier den Grund ange - geben, der den Ausdruck rechtfer - tigen kann. Ob übrigens dieſer Ausdruck ſchon von alten Juriſten, von vielen oder wenigen, gebraucht worden iſt, läßt ſich freylich nicht entſcheiden.. — Es erklärt ſich alſo dieſer Ausdruck aus den materiellen37§. 210. Pönalklagen.Rechtsverhältniſſen, und aus den Beſtimmungen des Ju - ſtinianiſchen Rechts. Im älteren Recht hatte derſelbe Aus - druck noch einen anderen, mehr formellen Grund, welcher erſt unten (§ 216) klar gemacht werden kann. Auch die hereditatis petitio, die gewiß in rem iſt, (§ 207. b) heißt ein - mal mixta personalis actio(p)L. 7 C. de pet. her. (3. 31.), und es ſcheint dieſes nicht blos auf eine perſönliche Beymiſchung in ihren Wirkungen zu gehen, welche ihr ohnehin nicht ausſchließend zuzuſchrei - ben iſt, ſondern auch darauf, daß bei ihr die Perſon des Beklagten mehr als bey anderen in rem actiones be - ſchränkt iſt(q)Vgl. § 207. b, 208. k, und Beylage XIII. Num. IX. .
Auch die nun folgende Eintheilung bezieht ſich auf das innere Weſen der Klagen, auf ihren Gegenſtand, Zweck, Erfolg; ſie erſcheint ſogar zunächſt nur als eine Unterein - theilung der perſönlichen Klagen(a)§ 17 J. de act. (4. 6.) „ Rei persequendae causa com - paratae sunt omnes in rem ac - tiones. Earum vero actionum, quae in personam sunt, hae quidem” rel. (Nun folgt die Ein - theilung). — Der Hauptſache nach könnte man dieſe Lehre als eine Eintheilung der Obligationen be - handeln, und aus dem Actionen - recht ganz verweiſen; ſie greift je - doch auf ſo mannichfaltige Weiſe in die Behandlung der Klagen ein, daß ihre Kenntniß ſchon an dieſer Stelle nicht zu entbehren iſt., obgleich ſie in einer ihrer Modificationen über die Gränze derſelben hinaus reicht: dagegen bezieht ſie ſich ganz ausſchließend auf die das Vermögen betreffenden Klagen.
38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dieſe nämlich ſind, nach ihrem reinen, einfachen Be - griff dazu beſtimmt, den Vermögenszuſtand eines Jeden zu erhalten, oder, wenn er geſtört iſt, wiederherzuſtellen; ſie ſollen alſo einen ungerechten Schaden des Einen, einen ungerechten Gewinn des Andern, verhindern. So die rei vindicatio und die Darlehnsklage; wenn beide ihren Zweck erreichen, ſo iſt jeder Theil ſo reich, als er zuvor war; es wird blos eine Veränderung des Vermögensſtandes abgewehrt, oder der faktiſche Zuſtand mit dem Rechts - zuſtand in Einklang gebracht.
Eine künſtliche, ganz poſitive Anſtalt verknüpft mit manchen Verletzungen noch eine andere Folge. Der Ver - letzer ſoll unfreywillig ärmer, der Verletzte um eben ſo viel reicher werden. Es wird alſo durch ſie eine Ver - änderung des Vermögens, in Folge der Verletzung be - wirkt, und der Gegenſtand dieſer Veränderung heißt poena.
Wo nun eine ſolche poena eintritt, iſt es ein zufälli - ger, untergeordneter Umſtand, ob beide hier angegebene Zwecke (Erhaltung und Veränderung zur Strafe) durch eine und dieſelbe Klage verfolgt werden, oder durch zwei getrennte Klagen(b)So geht die condictio fur - tiva auf bloße Rückgabe der ge - ſtohlenen Sache oder ihres Wer - thes, alſo auf Erhaltung des Ver - mögens, die furti actio auf bloße Strafe; dagegen geht die actio vi bonorum raptorum auf Sache und Strafe zugleich.. Von einer Klage auf bloße Erhal - tung des Vermögens heißt es: rem persequitur, rei per - sequendae causa datur; von einer Klage auf bloße Strafe: poenam persequitur, poenae persequendae causa datur,39§. 210. Pönalklagen.poenalis est; von einer Klage, welche beide Zwecke umfaßt: mixta est, obgleich auch dieſe oft blos poenalis heißt(c)Die allgemeinſten Stellen hierüber ſind: Gajus IV. § 6 — 9, § 16 — 19 J. de act. (4. 6. ); die genauere Erörterung des Sprach - gebrauchs aber wird ſogleich nach - folgen. — Neuere Schriftſteller nennen häufig die eine Art der Klagen: rei persecutoriae, al - lein dieſes Adjectivum kommt we - der hier noch anderwärts jemals vor. Als Subſtantivum, und in einer durchaus verſchiedenen Be - deutung, erſcheint einmal das Wort im Juſtinianiſchen Codex (L. un. C. J. de auri publ. 10. 72. ); aber auch dabey iſt die Leſeart ſehr zweifelhaft, da der Theodoſi - ſche Codex prosecutoria lieſt. (L. un. C. Th. eod. 12. 8.). Eine beſondere Rückſicht auf dieſe letzte Art iſt nicht nöthig, da ſie eigentlich aus zwey verſchiedenen Kla - gen zuſammengeſetzt iſt, ſo daß ihre Beſtandtheile in den meiſten Fällen auch in der Anwendung leicht getrennt werden können.
In den zwey hier dargeſtellten Arten der Klagen er - ſcheint Das, was mit beiden ſtreitenden Theilen vorgeht, ganz gleichartig; der Vermögenszuſtand wird für Beide durch die Pönalklagen verändert, durch die anderen Kla - gen erhalten. Dieſes an ſich einfache Verhältniß erhält aber dadurch einige Verwicklung, daß es eine zahlreiche und wichtige Klaſſe von Klagen giebt, die zwiſchen den beiden eben dargeſtellten Arten in der Mitte liegt. Ihre Eigenthümlichkeit beſteht darin, daß die Wirkung auf die Parteyen ungleichartig iſt; für den Kläger wird der Ver - mögenszuſtand nur erhalten, für den Beklagten wird er möglicherweiſe verändert, ſo daß der Gegenſtand der Klage für den Kläger Entſchädigung, für den Beklagten40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber Strafe iſt. Als Beyſpiel dieſer Mittelklaſſe kann die doli actio dienen. Der Kläger erhält dadurch nie mehr als den Erſatz des durch des Gegners Betrug entſtande - nen Schadens; der Beklagte aber muß dieſen Erſatz lei - ſten, auch wenn er nicht aus Gewinnſucht, ſondern blos aus Bosheit betrogen hat, in welchem Fall alſo die Klage auf ihn wie eine Strafe wirkt, indem ſie ihn poſitiv är - mer macht, nicht blos eine ungerechte Bereicherung ver - hütet(d)L. 39. 40. de dolo (4. 3.). — Die hier bemerkte Varietät der Strafklagen findet ſich nicht überall gehörig anerkannt. Rich - tig unterſcheidet ſie unter andern Vinnius in § 1 J. de perpet. (4. 12.) Num. 4. 5. Sie findet ſich ferner anerkannt, mit Sorg - falt behandelt, aber anders, als hier geſchehen, ausgebildet und ausgedrückt, in Kierulffs Theo - rie des gemeinen Civilrechts Bd. 1. S. 220 — 230..
Dieſes gemiſchte Verhältniß ſetzt alſo, wo es rein und vollſtändig erſcheinen ſoll, immer voraus, daß ein Stück Vermögen vernichtet worden iſt; um dieſes Stück iſt der Verletzte ärmer, der Verletzer nicht reicher geworden.
Wenn übrigens das Weſen dieſer Mittelklaſſe darin geſetzt wird, daß die Klage auf den Beklagten als Strafe wirke, indem ſie ihn poſitiv ärmer mache, ſo iſt dabei blos die äußerſte Möglichkeit dieſes Falles berückſichtigt. Um bey dem gewählten Beyſpiel ſtehen zu bleiben, ſo kann allerdings der Betrüger durch den Betrug auch ge - wonnen haben, vielleicht eben ſo viel, als der Betrogene verlor, in welchem Fall er nicht eigentlich Strafe leidet, ſondern nur ungerechten Gewinn herausgiebt. Allein die41§. 210. Pönalklagen.juriſtiſche Natur der Klage wird durch die bloße Möglich - keit, daß ſie den Beklagten als reine Strafe treffe, be - ſtimmt, und der zufällig verſchiedene Erfolg einzelner Fälle wird bei der Bezeichnung derſelben nicht beachtet. Auch der Gegenſtand dieſer Klagen kann alſo ein gemiſchter oder zuſammengeſetzter ſeyn, ſo wie es bey den zweyſeitigen Strafklagen, da wo dieſe den Namen mixtae actiones führen, bemerkt worden iſt; allein die Miſchung hat in dieſen beiderley Fällen eine verſchiedene Natur und nicht übereinſtimmende Gränzen.
Um mich in kurzen Worten deutlich machen zu können, will ich folgende Ausdrücke gebrauchen:
Der Römiſche Sprachgebrauch iſt hierin ſehr ſchwan - kend, und bedarf deshalb einer mehr als gewöhnlich ſorg - fältigen Feſtſtellung.
42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.1) Für die zweyſeitigen Strafklagen kommen folgende Bezeichnungen vor.
Im Gegenſatz derſelben heißt es nun von allen übrigen Klagen, alſo die einſeitigen Strafklagen mit eingeſchloſſen:
Die einſeitigen Strafklagen insbeſondere haben, vom Standpunkt dieſes Sprachgebrauchs aus, folgende Benen - nungen:
43§. 210. Pönalklagen.In allen dieſen Stellen alſo beziehen ſich die unter - ſcheidenden Benennungen auf den Umſtand, daß durch die Klage der Kläger bald bereichert, bald blos entſchä - digt wird.
2) Dann aber giebt es auch andere Stellen, worin dieſel - ben Ausdrücke gebraucht werden, um die verſchiedene Wir - kung der Klage auf das Vermögen des Beklagten zu unterſcheiden, je nachdem nämlich der Beklagte entweder Etwas unbedingt zu leiſten hat, ſelbſt wenn er dadurch poſitiv ärmer wird, oder aber nur dasjenige herausgeben ſoll, was außerdem eine ungerechte Bereicherung für ihn ſeyn würde (quod ad eum pervenit, quatenus locupletior est, ut lucrum extorqueatur).
In Anwendung dieſes, von dem vorigen verſchiedenen, Sprachgebrauchs heißt nun eine einſeitige Strafklage (wel - cher anderwärts dieſer Name verſagt wurde) poenalis.
Und ganz conſequent wird nun im Gegenſatz der Aus -44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.druck: rei persecutionem continent ausſchließend von den erhaltenden Klagen gebraucht, ſo daß ſelbſt die einſeitigen Strafklagen (namentlich die doli actio) von dieſer Benen - nung ausgeſchloſſen werden.
Die Ausdrücke ſind alſo mit Vorſicht zu Beweiſen über die Natur einer Klage zu gebrauchen, da ſogar derſelbe Ulpian den Namen poenalis actio einer einſeitigen Straf - klage bald beylegt, bald abſpricht, und da daſſelbe Schwanken auch bey dem Ausdruck: rei pers ecutionem continere wahrgenommen wird.
Die eigenthümliche Natur der Strafklagen läßt ſich auf folgende Sätze zurückführen:
A) Wenn ein Sklave die Handlung begieng, ſo konnte die Klage gegen den Herrn als noxalis actio angeſtellt werden; dieſe Regel galt für beide Arten der Strafklagen auf gleiche Weiſe(a)Faſt alle Stellen von Noxal - klagen beziehen ſich auf zweyſeitige Strafklagen, die meiſten auf die furti actio. Daraus würde ſchon folgen, daß die einſeitigen, als die minder bedenklichen, um ſo mehr als Noxalklagen angeſtellt werden könnten; es werden aber auch aus -.
45§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)B) Wenn Mehrere gemeinſchaftlich ein Delict begehen, ſo werden die zwey Arten der Strafklagen auf verſchie - dene Weiſe behandelt. Die zweyſeitigen gehen gegen je - den Theilnehmer auf die volle Strafe, ſo daß für Ein Delict die Strafe ſo vielmal bezahlt wird, als die Zahl der Theilnehmer beträgt(b)L. 51 in f. ad L. Aquil. (9. 2.) L. 55 § 1 de admin. (26. 7.) „ Nam in aliis furibus” rel. L. 5 § 3 si quis eum (2. 7.) L. 1 C. de cond. furt. (4. 8.) „ Prae - ses provinciae sciens furti qui - dem actione singulos quosque in solidum teneri, condictionis vero numorum furtim subtrac - torum electionem esse, ac tum demum, si ab uno satisfactum fuerit, ceteros liberari, jure pro - ferre sententiam curabit.” Stän - den hier blos die Worte in solidum, ſo könnten dieſe, nach der ſonſt gewöhnlichen Bedeutung, auch bey der Strafe auf ein Wahlrecht be - zogen werden; allein der Zuſatz singulos quosque, noch mehr aber der ſehr deutlich beſchriebene Gegenſatz der condictio furtiva, ſetzt die wahre Meynung außer Zweifel. Bey der Jujurie ver - ſteht ſich dieſelbe Behandlung noch mehr von ſelbſt, da eigentlich die Handlung eines Jeden eine ſelbſt - ſtändige Jujurie enthält. L. 34 de injur. (47. 10.). Von Kla - gen dieſer Art iſt auch zu ver - ſtehen L. 5 pr. de nox. act. (9. 4. ) „ nec altero convento alter liberabitur. ” — Vgl. auch un - ten § 234.. Die einſeitigen Strafklagen können zwar auch gegen jeden Theilnehmer, nach freyer Auswahl, angeſtellt werden; hat aber Einer derſelben das, was für ihn Strafe iſt (oder doch ſeyn kann) entrichtet,(a)drücklich ſolche Klagen als Noxal - klagen angeführt. L. 9 § 4 de dolo (4. 3.). L. 9. § 1 quod falso (27. 6.) Außerdem ſagt L. 1 § 2 de priv. del. (47. 1. ) „ in ceteris quoque actionibus, quae ex delictis ori - untur .. placet, ut noxa ca - put sequatur.” Dieſer Ausdruck aber umfaßt unzweifelhaft beide Ar - ten der Strafklagen. Überhaupt kann man ſagen, daß bey Hand - lungen eines Sklaven, die ihrer Natur nach obligatoriſch ſind, die a. de peculio mit der a. noxalis in einem alternativen Verhältniß ſteht; iſt die Handlung ein Rechts - geſchäft, ſo gilt ausſchließend die a. de peculio, iſt ſie ein Delict, ſo gilt ausſchließend a. noxalis. L. 49 de O. et A. (44. 7.)46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſo werden die Übrigen dadurch frey(c)L. 1 § 4 de eo per quem factum (2. 10. ), L. 14 § 15 L. 15 quod metus (4. 2. ), L. 1 § 10 L. 3. 4 de his qui effud. (9. 3. ), L. 17 pr. de dolo (4. 3.). Vgl. unten § 232, und Ribbentrop von Correalobligationen § 14. 15.. Dieſes iſt die nothwendige Folge davon, daß der Kläger nur Entſchä - digung zu fordern hat, mit deren Begriff eine Vervielfäl - tigung im Widerſpruch ſtehen würde.
C) Auch bey dem Übergang der Strafklagen auf die Erben des Verletzers gelten für beide Arten derſelben ver - ſchiedene Regeln.
Zweyſeitige Strafklagen gehen gar nicht auf die Erben über, das heißt der Verlezte kann niemals den Gewinn, der ihm unter dem Namen einer Strafe dargeboten iſt, von dem Erben des Verletzers einklagen(d)Gajus IV. § 112. § 1 J. de perpet. (4. 12 ), L. 1 pr. de priv. del. (47. 1 ), L. 5 § 4 si quis eum (2. 7 ), L. 111 § 1 de R. J. (50. 17 ), L. 22 de op. novi nunc. (39 1), L. 5 § 5. 13 de effusis (9. 3 ), L. 8 de popul. act. (47. 23.).. Jedoch ſind dabey zwey nähere Beſtimmungen zu bemerken. — Iſt die Klage mixta, ſo wird der Theil der Klage, welcher nicht auf den Gewinn, ſondern auf die bloße Entſchädigung des Klägers gerichtet iſt, von dem Erben eingefordert, ſoweit dieſer reicher aus dem Delict iſt(e)L. 4 § 2 de incendio (47. 9.). — Nicht ganz ſcheint zu der aufgeſtellten Regel zu paſſen L. 5 pr. de column. (3. 6), in - dem dieſe Klage, die in der Regel eine Strafe verfolgt, dennoch ge - gen den Erben gehen ſoll. Allein in der That kann man der actio in simplum, von welcher allein hier die Rede iſt, dieſen reinen Strafcharacter nicht beylegen, in - dem ſie ja auch durch die ange - ſtellte Condiction ausgeſchloſſen wird. L. 5 § 1 eod. , weil dieſes als all - gemeine Regel für alle aus Delicten entſpringende Obli -47§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)gationen gilt(f)L. 38 de R. J. (50. 17 ), L. 5 pr. de calumn. (3. 6.). — Derſelbe Satz gilt auch für Cri - minalverbrechen. L. 20 de accus. (48. 2 ), L. 12 de L. Corn. de falsis (48. 10.). — Indeſſen iſt dieſer Satz doch eine bloße Noth - hülfe, damit in keinem Fall irgend ein Gewinn in des Verletzers Ver - mögen zurück bleibe. Wenn aber dieſer Zweck auch ſchon durch eine andere, concurrirende, Klage, gegen die Erben erreicht werden kann, ſo bleibt es bei der reinen Regel, daß Pönalklagen gar nicht gegen die Erben gehen ſollen. Hieraus ſind zu erklären L. 2 § 27 vi bon. rapt. (47. 8 ), L. 1 § 23 de tutelae (27. 3.).. — Iſt die Klage gegen den Verletzer ſelbſt angeſtellt, dieſer aber nach der Litisconteſtation ge - ſtorben, ſo geht die Klage mit allen ihren Folgen gegen den Erben fort, weil nunmehr die Klage einen contract - lichen Character angenommen hat(g)§ 1 J. de perpet. (4. 12 ), L. un. C. ex delictis (4. 17 ), L. 26 de O. et A. (44. 7 ), L. 139 pr. de R. J. (50. 17.). — Nach L. 33 de O. et A. (44. 7) könnte man glauben, nicht erſt die Litisconteſtation, ſondern ſchon die Anſtellung der Klage, übertrage dieſelbe unbedingt auf die Erben. Allein dieſe Stelle iſt von ſolchen Fällen zu verſtehen, worin der Ver - ſtorbene die Litisconteſtation durch Zögerung verhindert hat, wie in L. 10 § 2 si quis caut. (2. 11.). Vgl. Glück B. 6 S. 196..
Für die einſeitigen Strafklagen gilt daſſelbe, was ſo eben für den auf Entſchädigung gerichteten Theil der mix - tae actiones bemerkt worden iſt. Der Erbe muß dieſelben gegen ſich anſtellen laſſen, inſoweit er reicher aus der Handlung ſeines Erblaſſers iſt(h)L. 35 pr. de O. et A. (44. 7 ), L. 44 de R. J. (50. 17 ), L. 1 § 6 de eo per quem fa - ctum (2. 10 ), L. 16 § 2 L. 19 quod metus (4. 2 ), L. 17 § 1 L. 26 de dolo (4. 3 ), L. 9 § 8 L. 10 de reb. auct. jud. (42. 5 ), L. 1 § 48 L. 2 L. 3 pr. de vi (43. 16 ), L. un. C. ex delictis (4. 17.). — Gegen dieſe, von den Meiſten anerkannte, Regel hat ſich neuerlich theilweiſe erklärt Franke Beiträge S. 28 — 41. Er will bey den bloßen Entſchädigungsklagen (die ich einſeitige Strafklagen nenne) den beſchränkten Über - gang auf die Erben des Beklag - ten nur gelten laſſen, inſofern dieſe. — Durch die Litiscon -48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.teſtation wird hier, wie in dem vorhergehenden Fall, ſeine Obligation eine unbeſchränkte (Note g.).
Unterſucht man die Wichtigkeit und den inneren Werth dieſer eigenthümlichen Beſtimmungen, ſo iſt es ſogleich ein - leuchtend, daß die Noxalklagen für uns völlig verſchwun - den ſind; die Behandlung mehrerer gemeinſchaftlich Han - delnden, an ſich nicht von großer Erheblichkeit, enthält nichts Anſtößiges; dagegen erfordert der beſchränkte Über - gang auf die Erben eine genauere Betrachtung. — Von einem allgemeineren Standpunkt aus angeſehen, erſcheinen hierin die zweyſeitigen und einſeitigen Strafklagen in ihrem innerſten Weſen verſchieden. Wenn ein Verbrecher Ge - fängniß oder Leibesſtrafe verwirkt hat, und vor der Be - ſtrafung ſtirbt, ſo wird Niemand daran denken, dieſe Strafe an dem Erben vollziehen zu laſſen; der Grund(h)Klagen prätoriſche ſeyen, die Ci - vilklagen dieſer Art ſollen unbe - ſchränkt gegen die Erben gehen, der einzige Fall ſolcher Art aber ſey die condictio furtiva. Dieſe Unterſcheidung, wofür er überdem einen befriedigenden inneren Erklä - rungsgrund anzugeben vergeblich verſucht hat (S. 37) wird unten durch den Beweis widerlegt werden, daß die condictio furtiva keine De - lictsklage iſt. (Beyl. XIV. Num. XVII. XVIII.). Sie läßt ſich aber auch durch die a. L. Aqui - liae widerlegen. Zwar iſt dieſe durch die künſtliche Schadensrech - nung eine zweyſeitige Strafklage geworden. Allein wenn das von Franke aufgeſtellte Princip richtig wäre, würde dem Verlezten die un - beſchränkte Klage gegen den Erben nicht verſagt werden können, ſo - bald er ſich entſchlöſſe, Das was in der Klage die Strafnatur hat aufzugeben, und nur die reine Ent - ſchädigung (berechnet nach der Zeit des begangenen Delicts) zu for - dern, durch welche Forderung er ja ganz in derſelben Lage ſeyn würde, wie (nach Franke’s Mey - nung) der Beſtohlene in der con - dictio furtiva. Und doch ſoll je - ner Beſchädigte von dem Erben durchaus nur deſſen Bereicherung abfordern können. Vgl. noch un - ten § 212. g. 49§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)liegt darin, daß das Criminalrecht nur mit dem natür - lichen, individuellen Menſchen zu thun hat (§ 94), nicht mit dem Vermögensbeherrſcher, auf welche lezte Eigen - ſchaft allein das Verhältniß des Erben ſich bezieht. Nicht weſentlich verſchieden iſt aber der Fall der fiscaliſchen Geldſtrafe, denn obgleich dieſe auf das Vermögen gerich - tet iſt, ſo dient doch das Vermögen hier nur als Straf - mittel, deſſen Verſchiedenheit von den vorher erwähnten Strafmitteln eine untergeordnete Natur hat. Endlich iſt aber auch die Römiſche Privatſtrafe von der fiscaliſchen Geldſtrafe, ihrem Weſen nach, nicht verſchieden; der Staat hat es hier dem Verlezten überlaſſen, die Geldſtrafe ein - zuziehen und zu behalten. Das Weſen der Strafe bleibt in allen dieſen Fällen ganz daſſelbe, denn der nächſte Zweck geht immer dahin, daß den Ungerechten ein Übel treffe(i)In dieſem nächſten Zweck ſtimmen Alle überein, wie verſchie - den ſie auch den entfernteren Zweck auffaſſen mögen, nämlich bald als Vergeltung (§ 9. b), bald als Ab - ſchreckung, als Prävention, oder als Beſſerung., worin auch dieſes Übel beſtehen möge. Und dar - um iſt es, in allen dieſen Fällen, der wahren Natur der Strafe gleich widerſprechend, wenn das Übel einem An - dern als dem Verbrecher zugefügt wird, zum Beyſpiel dem Erben deſſelben, der als ſolcher zu dem begangenen Un - recht in gar keinem Verhältniß ſteht. Hierdurch aber er - ſcheint die Römiſche Regel, nach welcher die eigentlichen Strafen unvererblich ſind (Note d), völlig gerechtfertigt.
Ganz anders verhält es ſich mit der Entſchädigung. V. 450Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Verpflichtung zu derſelben hat völlig gleiche Natur mit den aus Verträgen entſpringenden Verpflichtungen, und ſie tritt, ſo wie dieſe, vom Augenblick ihrer Entſte - hung an, in eine unzertrennliche Verbindung mit dem Ver - mögen; beide aber haben mit der Individualität und Em - pfindung des Handelnden, worauf ſich die Strafe bezieht, gar keine Verbindung. Der Natur dieſes Verhältniſſes wäre es angemeſſen, daß jene Verpflichtung zur Entſchä - digung eben ſo unbeſchränkt auf die Erben übergienge, wie die aus Verträgen, ja wenn ſich hierin Grade annehmen ließen, ſo erſcheint die Erfüllung jener Verbindlichkeit wohl noch dringender als die der Verträge. Wenn nun den - noch die Römer dem Erben die Entſchädigung nur auf höchſt beſchränkte Weiſe auflegen, und dadurch in der That dem Verlezten ſein gutes Recht entziehen(k)Dieſes wird recht anſchau - lich, wenn ein Reicher aus Rache eine Brandſtiftung verübt, und vor Anſtellung der Klage ſtirbt. Der Erbe iſt hier durch die That nicht reicher, und die actio L. Aquiliae trifft ihn daher nicht. L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.). Eben ſo wenn Jemand aus bloßer Bosheit einen Andern betrügt, und dadurch in großen Schaden bringt, ohne ſelbſt Etwas zu gewinnen., ſo liegt der Grund ohne Zweifel in einer irrigen Verwechs - lung der Entſchädigung mit der davon weſentlich verſchie - denen Strafe. Die Thatſache dieſer Verwechslung erhellt deutlich aus dem oben dargelegten höchſt ſchwankenden Sprachgebrauch. Die Veranlaſſung aber muß wohl in mehreren Umſtänden geſucht werden. Erſtlich in der blos äußerlichen, aber täuſchenden Ähnlichkeit der Wirkung auf den Verletzer, welcher durch die Entſchädigung, eben51§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)ſo wie durch die Strafe, eine Verminderung ſeines Ver - mögens erleiden kann. Zweytens, und noch mehr, in dem Umſtand, daß bey den Strafklagen nicht ſelten Entſchädi - gung und Strafe vermiſcht erſcheinen, oft ſo daß Beides ſchwer abzuſondern iſt(l)Dieſe Vermiſchung findet ſich, und zwar in verſchiedener Art, bey denjenigen Strafklagen, die noch im neueſten Recht als mix - tae erſcheinen; ſo in der a. vi bo - norum raptorum, worin die Ab - ſonderung leicht, in der a. L. Aqui - liae, worin ſie ſchwerer iſt. Wahr - ſcheinlich aber war ſie im älteren Recht noch ausgedehnter. So war wohl urſprünglich die furti actio eine gemiſchte Klage; der doppelte oder vierfache Sachwerth ſollte nicht blos den Verluſt der Sache erſetzen, ſondern auch das mög - liche höhere Intereſſe vergüten, und daneben noch dem Beſtohle - nen eine Summe als Bereicherung verſchaffen; darauf deutet der ur - alte Ausdruck: pro fure damnum decidere. Später wurde noch da - neben die condictio furtiva auf die Sache ſelbſt, oder das Inte - reſſe, (nicht blos auf den Sach - werth), eingeführt, und von dieſer Zeit an war freylich die furti actio eine reine Strafklage. Dieſe Anſicht konnte hier nur angedeutet werden, ihre Ausführung muß ei - nem andern Orte vorbehalten blei - ben. Iſt dieſelbe richtig, ſo paßt der im Text folgende Grund nur auf die ſpätere Zeit.. Endlich aber kounte die hierin liegende Härte auch dadurch leichter verborgen bleiben, daß ſie gerade in dem häufigſten und wichtigſten Fall gar nicht zur Anwendung kam, bey dem Diebſtahl nämlich, wozu auch der Raub gehört. Denn hier wird die Ent - ſchädigung gar nicht durch eine Delictsklage bewirkt, ſon - dern durch eine Condiction, und die Natur dieſer Klage bringt es mit ſich, daß ſie unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt werden kann.
Das ſpätere Schickſal dieſer nicht zu billigenden Rechts - regel iſt folgendes geweſen. Das canoniſche Recht ver - warf dieſelbe, und ließ die Klage gegen den Erben, ohne4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Rückſicht auf deſſen Bereicherung, gelten(m)c. 3 C. 16. q. 6, C. 14 X. de sepult. (3. 28 ), C. 5 X. de raptor. (5. 17 ), C. 9 X. de usu - ris (5. 19 ), C. 28 X. de sent. excomm. (5. 39.).; jedoch trat nun an die Stelle der großen, im Römiſchen Recht ange - nommenen, Beſchränkung eine andere, allerdings viel gerin - gere. Der Erbe ſollte für die Entſchädigung nur haften, ſoweit die Erbſchaft reichte; das heißt, er ſollte niemals aus ſeinem eigenen Vermögen entſchädigen, ſelbſt wenn er es unterlaſſen hätte ein Inventarium zu machen. Dieſe neue Beſchränkung hatte in den päbſtlichen Geſetzen ſelbſt nur einen ſehr ſchwachen Schein der Begründung(n)C. 5 X. de raptor. (5. 17) ſagt: „ heredes .. juxta facul - tates suas condigne satisfa - ciant,” welcher nichtsſagende Zu - ſatz ſo viel heißt als: ſoweit ſie können. Ganz gegen die Worte hat man das auf die facultates der Erbſchaft bezogen.; ihr wahrer Grund iſt die Praxis, die hierin vom Mittelalter her ganz gleichförmig geweſen zu ſeyn ſcheint. Man wollte das Römiſche Recht, im wohlbegründeten Intereſſe des Verlezten, hierin abändern, glaubte aber dieſe Abänderung doch wieder vermindern zu müſſen, und ſo erſcheint uns auch dieſe neueſte Geſtalt des Satzes wiederum eine halbe Maaßregel, ohne wahren inneren Grund(o)Nur auf folgende Weiſe könnte etwa eine Rechtfertigung je - ner neuen Einſchränkung verſucht werden. Wenn der Erbe ohne In - ventarium antritt, und nachher die Erbſchaft mit gewöhnlichen Schul - den überlaſtet findet, ſo hat er den Schaden ſeiner Unvorſichtigkeit zu - zuſchreiben, da er die Vermögens - umſtände des Verſtorbenen hätte prüfen können. Verbrechen aber werden meiſt im Verborgenen be - gangen, und es iſt daher dem Er - ben weniger zur Laſt zu legen, wenn er die aus Verbrechen ent - ſtandenen Verpflichtungen des Erb - laſſers nicht gekannt, ja nicht ein - mal ſolche für möglich gehalten hat. — Die Schriftſteller jedoch: beſſer wäre53§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)es geweſen, die Verbindlichkeit des Erben, gleich jeder an - deren Schuld, ohne Einſchränkung gelten zu laſſen, wie es den Quellen des canoniſchen Rechts allerdings gemäß iſt. Neuere Deutſche Schriftſteller haben die Gültigkeit der angeführten Vorſchrift des canoniſchen Rechts aus zwey nicht erheblichen, Gründen beſtritten. Erſtlich weil die Päbſte blos verordnen, daß geiſtliche Zwangsmittel zu dem erwähnten Zweck angewendet werden ſollten, welches von einer Rechtsvorſchrift verſchieden ſey. Allein dieſe geiſtlichen Mittel waren diejenigen, worüber der Pabſt in allen Ländern am Unmittelbarſten verfügen konnte, und die Vorſchrift ihrer Anwendung iſt daher, hier wie ander - wärts, nur als Anerkennung eines Rechtsſatzes im Allge - meinen zu betrachten. — Zweytens wird in jenen Stellen unter andern auch das Seelenheil des Verſtorbenen als Grund für den Zwang gegen den Erben geltend gemacht, weshalb man fürchtete, durch die Beobachtung jener Vor - ſchrift möchte die Lehre vom Fegfeuer anerkannt, und da - durch die reine evangeliſche Lehre gefährdet werden. Allein die Anerkennung des Rechtsſatzes ſelbſt iſt für uns das allein Wichtige, und dieſe wird nicht verändert, man mag einen unterſtützenden dogmatiſchen Beweggrund hinzu thun oder weg nehmen. — So iſt alſo die durch die Praxis modificirte Vorſchrift des canoniſchen Rechts als das un -(o)berufen ſich meiſt nur auf eine ohne weitere Gründe behauptete aequitas. 54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zweifelhafte Reſultat des heutigen gemeinen Rechts zu be - trachten(p)Ausführlich und befriedi - gend iſt dieſe ganze Frage behan - delt von Böhmer jus eccl. Prot. Lib. 5 T. 17 § 132 — 137, und Francke Beyträge S. 44 — 57. — Die Zeugniſſe vieler Praktiker ſind zuſammengeſtellt bey Müller ad Leyser. T. 6 p. 176..
Nachdem die Natur und Wirkung beider Arten der Strafklagen dargeſtellt worden iſt, ſind dieſelben in An - wendung auf einzelne Fälle ſelbſt darzuſtellen, und es iſt insbeſondere das Verhältniß nachzuweiſen, in welchem dieſe Begriffe zu der vorher dargeſtellten Grundeintheilung aller Klagen (in personam, in rem) zu denken ſind.
Die Klagen in rem können niemals als zweyſeitige Strafklagen vorkommen (§ 210. a.), wohl aber können ſie zuweilen die Natur von einſeitigen annehmen. Wenn bey einer Klage aus Eigenthum, Pfandrecht, Emphyteuſe, Superficies, Erbrecht, unſer Gegner zwar nicht beſitzt, aber zu unſrem Schaden entweder den Beſitz unredlicher - weiſe aufgab, (dolo desiit possidere), oder uns durch den Schein des Beſitzes getäuſcht hat (liti se obtulit), ſo muß er ſich, gleich einem wirklichen Beſitzer, die Klage mit allen ihren Folgen gefallen laſſen. Hier nimmt die Klage völlig die Natur einer einſeitigen Strafklage, gegründet auf eine obligatio ex delicto, an(a)Daß die Klage nunmehr als eine perſönliche wirkt, zeigt, und ſie geht daher55§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)auch gegen den Erben nur, inſoweit dieſer reicher iſt durch die Unredlichkeit des Erblaſſers(b)L. 52 de R. V. (6. 1.).
Die perſönlichen Klagen aus Verträgen ſind faſt ins - geſammt blos erhaltende Klagen, ohne alle Strafnatur. In einem einzigen Fall, bey dem durch ungewöhnliche Un - glücksfälle veranlaßten Depoſitum, erſcheint eine ſolche Klage als mixta, folglich als zweyſeitige Strafklage(c)So wird die Regel und die Ausnahme dargeſtellt in § 17 J. de act. (4. 6.). Nimmt man nun an, daß hier die Klage unter allen Umſtänden auf den doppel - ten Werth gehe, ſo iſt es in der That eine ganz iſolirte Ausnahme. Allein § 26 J. de act. (4. 6. ) be - ſchränkt die Strafe auf den Fall des Abläugnens (wohin auch deu - tet das perfidiae crimen und das fidem frangere in L. 1 § 4 de - positi 16. 3. ); darnach aber fällt dieſe Ausnahme mit mehreren Fäl - len zuſammen, wovon noch weiter unten die Rede ſeyn wird (Note f).. — Weit wichtiger aber iſt es, daß die Contractsklagen nicht etwa durch den hinzutretenden Dolus die Delictsna - tur annehmen, ſondern reine Contractsklagen bleiben, ſo daß ſie auch in dieſem Fall ohne Einſchränkung auf die Erben des Beklagten übergehen(d)L. 49 de O. et A. (44. 7.) L. 7 § 1 depos. (16. 3. ), L. 157 § 2 de R. J. (50. 17). L. 8 § 1 de fidej. et nomin. (27. 7.). Eben ſo geht gegen den Sklaven nach der Manumiſſion nicht die a. de - positi ex dolo, obgleich die De - lictsklagen gegen ihn gehen. L. 1 § 18 depos. 16. 3.). — Ein Zweifel entſteht aus § 1 J. de perpet. (4. 12. ) „ aliquando ta - men etiam ex contractu actio.
(a)ſich im Concurſe, indem hier der Kläger nur als Glaubiger behan - delt werden kann, nicht als Sepa - ratiſt. L. 24 § 2 de rebus auct. jud. (42. 5.). — Wenn der Be - klagte aus anderen Gründen, z. B. wegen Culpa, zur litis aestimatio verurtheilt wird, ſo erwirbt er da - durch die Rechte eines Käufers an der vindicirten Sache (L. 21. 46. 47, 63. de R. V. 6. 1. ); hier erwirbt er gar keine Rechte (L. 63. 69. 70. eod.), und der Ei - genthümer kann daher noch im - mer gegen den dritten Beſitzer kla - gen. L. 95 § 9 de solut. (46. 3. ), L. 13 § 14 de her. pet. (5. 3.)
56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Das eigentliche Gebiet aber für die Strafklagen ſind die Obligationen aus Delicten. Dieſe erzeugen insgeſammt Strafklagen, bald zweyſeitige, bald einſeitige. — Nicht wenige darunter beziehen ſich auf ſolche Delicte, die bey Gelegenheit eines Prozeſſes begangen werden. Durch ſtrafbare Handlungen dieſer Art werden bald eigene, ſelbſt - ſtändige Strafklagen erzeugt(e)So z. B. die im zweyten Buch der Digeſten enthaltenen Strafklagen., bald nur die ohnehin gel - tenden Klagen durch eine hinzutretende Strafe erweitert(f)Dahin gehören die Klagen, worin lis inficiando crescit in duplum (vgl. Note c.). Dieſe führen nicht ſchon im Allgemeinen den Namen von poenales actio - nes, weil man es ihnen vor der Anſtellung nicht anſehen kann, ob der Fall der Straferhöhung eintreten werde. — Eben ſo die actio quod metus causa, worin die Straferhöhung nur erſt ein - tritt, wenn der Beklagte verſäumt, vor dem Urtheil freywillig den Kläger zu befriedigen..
(d)contra heredem non compe - tit, (veluti) cum testator do - lose versatus sit, et ad here - dem ejus nihil ex eo dolo per - venerit.” Wäre die Leſeart ve - luti richtig, ſo würde in dieſer Stelle die ganze, in jenen Dige - ſtenſtellen anerkannte, Rechtsregel verneint. Wird dieſe Leſeart (wie es geſchehen muß) verworfen, ſo ſagt die Stelle nur, daß es Aus - nahmen von der Regel gäbe, ohne dieſe ſelbſt zu nennen; ſo lange alſo ſolche Ausnahmen nicht ander - wärts nachgewieſen werden, bleibt für uns die Stelle inhaltsleer. Jetzt wiſſen wir nun, daß die Stelle aus einer ungeſchickten Modifika - tion des Gajus IV § 113 entſtan - den iſt. Dieſer hatte einige wirk - lich unvererbliche Contractsklagen angegeben, die aber in Juſtinians Zeit nicht mehr vorkamen, und deswegen weggelaſſen werden muß - ten; man wollte nun nicht die ganze Bemerkung fallen laſſen, und verwandelte ſie daher in eine unbeſtimmte Verweiſung auf ſolche ausgenommene Fälle überhaupt, wahrſcheinlich in der Hoffnung, es würden ſich wohl ſolche Fälle in den Digeſten finden. Der Fall des Depoſitum, den ſowohl eine Textvariante, als Theophilus ein - miſcht, kann auf keine Weiſe die Schwierigkeit löſen. — Gründlich iſt die ganze Frage behandelt von Francke Beiträge S. 16 — 26.
57§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)Zwey einzelne Klagen verdienen hier noch eine beſon - dere Erwähnung, weil ſie leicht mißverſtanden werden können. — Die actio Legis Aquiliae geht zunächſt auf Entſchädigung, erhält aber einen unbeſtimmten, blos mög - lichen, Strafzuſatz dadurch, daß dem Kläger geſtattet wird, für die Berechnung des Schadens irgend einen frü - heren, ihm günſtigen, Zeitpunkt innerhalb gewiſſer Zeit - gränzen auszuſuchen. Durch dieſe problematiſche, in den we - nigſten Fällen wirkſame, Straferhöhung iſt die Behandlung der Klage etwas ſchwankend geworden. Gegen die Erben geht ſie, wie eine mixta actio, auf die bloße Bereicherung(g)L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.). Daraus ſind die unbe - ſtimmten Stellen zu beſchränken, welche die Klage gegen den Er - ben ganz zu verſagen ſcheinen. L. 10 pr. comm. div. (10. 3. ), § 9 J. de L. Aquilia (4. 3.). In dieſer letzten Stelle wird die Amplifika - tion hinzugeſetzt: „ quae transi - tura fuisset, si ultra damnum nunquam lis aestimaretur,” wel - ches mit der von allen alten Ju - riſten anerkannten Rechtsregel im Widerſpruch ſteht, und blos ein unüberlegter Verſuch der Compila - toren zu ſeyn ſcheint, die Sache von allen Seiten zu beleuchten. Francke Beiträge S. 30. 41. 44. nimmt aus dieſer blos hypothe - tiſchen Äußerung ein neues Argu - ment für ſeine Meynung, nach wel - cher die civilen Entſchädigungs - klagen aus Delicten unbeſchränkt gegen die Erben gehen ſollen. Vgl. aber oben § 211. h. . In der Concurrenz mit anderen Klagen ſind durch jene zweydeutige Natur der Klage, theils unbeſtimmte Äußerun - gen, theils verſchiedene Meynungen der alten Juriſten ent - ſtanden(h)S. u. § 233. 234.. Dagegen im Verhältniß zu mehreren Ver - letzern wird ſie entſchieden als zweyſeitige Strafklage, wie die furti actio, behandelt, ſo daß jeder Tbeilnehmer das Ganze zahlen ſoll, ohne durch die frühere Zahlung eines58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.anderen Theilnehmers befreyt zu werden(i)S. u. § 234. d1..
Eine auf ähnliche Weiſe zweydeutige Natur hat die durch die zwölf Tafeln eingeführte Klage auf den doppel - ten Sachwerth gegen den Vormund, welcher Sachen des Mündels unterſchlagen hat. Auf den erſten Blick möchte man ſie, wegen der Verdopplung, für eine mixta actio, alſo für eine zweyſeitige Strafklage, halten. Dennoch er - ſcheint ſie, wenn mehrere Vormünder concurriren, ſogar noch beſchränkter, als die actio Legis Aquiliae, indem die Zahlung des einen die übrigen befreyt(k)L. 55 § 1 de administ. (26. 7.) Die Worte: „ et quam - vis unus duplum praestiterit, nihilominus etiam alii tenean - tur?” müſſen mit in die vorher - gehende Frage gezogen werden, da die verneinende Antwort in der ganzen folgenden Argumentation deutlich enthalten iſt.. Um ſo mehr ſteht ſie mit der condictio furtiva in einem blos electiven Verhältniß, ſo daß durch die Wahl der einen dieſer Kla - gen die andere ausgeſchloſſen wird(l)L. 55 § 1 cit. (in den Schlußworten), L. 2 § 1 de tu - telae (27. 3.).; und daſſelbe elec - tive Verhältniß beſteht auch zwiſchen ihr und der tutelae actio(m)L. 1 § 21 de tutelae (27. 3.) „ In tutela ex una obliga - tione duas esse actiones con - stat” etc. . Dieſes Alles erklärt ſich daraus, daß der ver - doppelte bloße Sachwerth eigentlich nur an die Stelle ei - nes möglichen, den Sachwerth weit überſteigenden, höheren Intereſſe, tritt(n)L. 1 § 20 L. 2 § 2 de tu - telae (27.3.)., ſo daß alſo der beſtohlene Mündel die Wahl haben ſoll, ſein höheres Intereſſe entweder unmit - telbar zu erweiſen, wozu ihm die tutelae actio oder auch59§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)die condictio furtiva dient, oder durch die Klage auf den doppelten Sachwerth zu verfolgen. Ganz conſequent iſt es, daß daneben noch die furti actio auf reine Strafe an - geſtellt werden kann(o)L. 1 § 22 de tutelae (27. 3.) „ .. nec enim eadem est obligatio furti ac tutelae, ut quis dicat plures esse actiones ejus - dem facti, sed plures obliga - tiones: nam et tutelae et furti obligatur.” L 2 § 1 eod. . Dagegen wird ſie gegen den Er - ben gänzlich verſagt, ohne Zweifel weil ſie eine mögliche Straferhöhung in ſich ſchließt(p)L. 1 § 23 de tutelae (27. 3. ) „ quia poenalis est.” Vgl. oben § 211. f. — Nämlich für die reine Entſchädigung iſt gegen den Erben ſchon die tutelae actio und die condictio furtiva aus - reichend..
Es muß noch beſonders gewarnt werden gegen die Ver - wechslung der Strafklagen mit einigen verwandten Rechts - inſtituten. — Die Conventionalſtrafen kommen in ihrem Zweck und Erfolg mit den auf allgemeinen Rechtsregeln beruhenden Strafen überein, weshalb auch der Ausdruck poena auf ſie unbedenklich angewendet wird. Allein die zu dieſem Zweck bey ihnen angewendete Rechtsform iſt ein Vertrag, die Klage eine gewöhnliche Contractsklage, und von den Eigenthümlichkeiten der Pönalklagen kann dabey nicht die Rede ſeyn. Es iſt auch in dieſer Hinſicht ganz gleichgültig, ob der Strafvertrag durch freye Willkühr herbeygeführt, oder durch eine richterliche Obrigkeit er - zwungen worden iſt. Daher erzeugten die im Römiſchen Prozeß ſo häufigen und wichtigen poenales sponsiones(q)Gajus IV. § 13. 94. 141. 162 — 168. 171 — 172. — Es war damit eben ſo wie mit den praejudiciales sponsiones, wo - raus auch keine praejudiciales formulae entſprangen, obgleich60Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.durchaus keine Pönalklagen, ſondern Contractsklagen, wes - halb dieſe auch unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt werden konnten.
Ferner dürfen die Strafklagen nicht verwechſelt wer - den mit den auf Vindicta gerichteten Klagen. Dieſes ſind ſolche Klagen, wobey ein eingeklagtes Vermögensrecht nur als Mittel dient, um einen entfernteren ſittlichen Zweck zu verfolgen. Nur die kleinere Zahl der Strafklagen hat die - ſen ganz beſonderen Character; dagegen findet ſich derſelbe ſogar bey der inofficiosi querela, einer Klage die nicht mit dem Namen einer Strafklage belegt werden kann(r)Vgl. Band 2. § 73..
Zum Schluß iſt noch die Frage zu berühren, ob das Recht der Strafklagen für uns unveraͤndert beſteht. Die einſeitigen Strafklagen, die auf Entſchädigung wegen zu - gefügter Verletzungen gehen, müſſen natürlich bey uns, wie in jedem poſitiven Recht, anerkannt werden. Ob eine gleiche Behandlung derſelben, wie im Römiſchen Recht, noch jetzt eintrete, iſt bereits oben ausführlich unterſucht worden. — Die Frage nach der Fortdauer der zweyſei - tigen Strafklagen läßt ſich auch ſo ausdrücken, ob wir überhaupt noch Privatſtrafen übrig haben? Die genauere Erörterung dieſer Frage muß dem Obligationenrecht vor - behalten bleiben; ſchon hier aber läßt ſich vorläufig der Satz aufſtellen, daß einige Privatſtrafen noch jetzt vor - kommen, die meiſten aber völlig verſchwunden ſind.
(q)ſie in ihrem Zweck mit dieſen überein kamen (§ 207. f.)
Ich gehe nun zu denjenigen Eintheilungen der Klagen über, die eine mehr hiſtoriſche Natur haben als die bisher abgehandelten, indem ſie ſich theils auf die Entſtehung dieſer Rechtsinſtitute, theils auf die alterthümlichen, im neueſten Römiſchen Recht verſchwundenen, Prozeßformen beziehen. Seit der Entdeckung des Gajus laſſen ſich die - ſelben weit deutlicher überſehen als zuvor. Beſonders der Zuſtand der Sache zur Zeit der großen juriſtiſchen Schrift - ſteller läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit feſtſtellen. Über den älteren Zuſtand freylich, und über deſſen allmälige Umbildung, iſt aus Mangel an beſtimmten Nachrichten ein weites Feld zu Hypotheſen übrig; es dürfte aber wohl gerathen ſein, auf ſolche kein großes Gewicht zu legen.
Zunächſt iſt hier die längſt bekannte Eintheilung der Klagen in civiles und honorariae zu bemerken(a)L. 25 § 2 de O. et A. (44. 7 ), L. 178 § 3 de V. S. (50. 16) beide von Ulpian. — Mäcianus ſagt: actiones sive legitimae sive honorariae. L. 32 pr. ad L. Falc. (35. 2.). — Gajus IV. § 109 „ ex lege esse, non esse.” Er warnt dabey vor der Verwechslung dieſes Gegen - ſatzes mit dem völlig verſchiede - nen, blos prozeſſualiſchen, Gegen - ſatz der judicia legitima und quae imperio continentur. — Bey Pomponius (L. 2 § 6 de O. J. 1. 2) heißen legitimae actio - nes die alten legis actiones, und eben ſo bey Gellius XX. 10.; unter den lezten ſind die meiſten und wichtigſten praetoriae, einige aediliciae. Das Unterſcheidende beſteht darin, daß62Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die civiles eine legitima oder civilis causa haben, das heißt einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund, anſtatt daß die honorariae von den Prätoren oder Ädilen in Kraft ihrer Jurisdictionsbefugniſſe eingeführt waren(b)§ 3 J. de act. (4. 6.). — Der Grund dieſer Eintheilung der Klagen liegt alſo in dem Ge - genſatz des jus civile und hono - rarium. Vgl. B. 1 § 22.. Darin alſo darf das Weſen dieſer lezten nicht geſezt werden, daß das Edict Formeln für dieſelben aufgeſtellt hatte, denn dieſe waren für beide Arten der Klagen auf gleiche Weiſe im Edict zu finden(c)Insbeſondere würde es un - richtig ſeyn, bey denjenigen Kla - gen, welche zwey Formeln im Edict hatten, in jus und in factum, wie die actio depositi und com - modati, (Gajus IV. 47) die erſte Formel für eine Civilklage, die zweyte für eine prätoriſche zu hal - ten. Beide waren civil, da ſie eine und dieſelbe civilis causa hatten, welcher auch gar nicht vom Prätor ein neues Object gegeben worden war; die Faſſung beider Formeln aber war gleichmäßig vom Prätor ausgegangen, denn das Civilrecht hatte überhaupt keine anderen Formeln aufgeſtellt, als die in den alten Legis actiones enthaltenen (§ 205. b.).. Auf der andern Seite wurden auch die Klagen für ſolche Fälle, worin ſchon ein civiles Klagrecht beſtanden hatte, honorariae genannt, wenn dieſes Klagrecht im Edict zu einem neuen Gegen - ſtand und Erfolg umgebildet worden war; ſo iſt die furti manifesti actio eine prätoriſche Klage, weil der Prätor eine Geldſtrafe für dieſen Fall eingeführt hatte, anſtatt daß die Strafe des Civilrechts eine ganz andere und weit härtere geweſen war. Die Geldſtrafe alſo hatte keine ci - vilis causa, und daher war die darauf gerichtete Klage honoraria(d)Gajus IV. § 111, pr. J. de perpet. (4. 12.)..
63§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.Dieſe Eintheilung der Klagen durchkreuzt ſich mit den vorher dargeſtellten. Es giebt daher ſowohl unter den Civilklagen, als unter den prätoriſchen, in personam und in rem actiones; Strafklagen, wie erhaltende Klagen.
Nach der älteren Gerichtsverfaſſung beruhte der ganze Prozeß auf dem ordo judiciorum, deſſen Weſen darin be - ſtand, daß die gerichtliche Obrigkeit, in Rom die Präto - ren, nur die Einleitung der Sache beſorgte, das weitere Verfahren aber an Eine oder mehrere Privatperſonen überließ, und dieſe mit einer Anweiſung (formula) verſah, auf deren Grund, je nach dem Ausfall der Verhandlun - gen und Beweiſe, das Urtheil geſprochen werden ſollte; die allgemeinſte Benennung dieſes commiſſariſchen Urtheil - ſprechers war Judex, von den dabey vorkommenden Va - rietäten aber wird noch ferner die Rede ſeyn.
Allmälig fand man es räthlich, bey einzelnen ſtreitigen Rechtsverhältniſſen von dieſer Art des Verfahrens abzu - gehen, ſo daß die gerichtliche Obrigkeit das ganze Ver - fahren beſorgte und das Urtheil ſprach, ohne einen Judex zuzuziehen. Die Benennungen dieſes abweichenden Verfah - rens waren dieſe: extraordinaria cognitio oder actio, ex - traordinarium judicium, persecutio. Daß die Klagen die - ſer Art bald mit dem Namen actiones belegt, bald davon ausgeſchloſſen wurden, iſt ſchon oben erwähnt worden (§ 205).
Zur Zeit der großen juriſtiſchen Schriftſteller konnte64Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſes Verfahren nur erſt als eine ziemlich beſchränkte Ausnahme angeſehen werden. Um die Zeit von Diocle - tian aber wurde die Gerichtsverfaſſung völlig umgebildet; der ordo judiciorum verſchwand, und es wurden alle Pro - zeßgeſchäfte in der Hand der Obrigkeit vereinigt, ſo daß nunmehr der ganze Prozeßgang durch extraordinaria ju - dicia betrieben wurde(e)§ 8 J. de interdictis (4. 15 ), L. 47 § 1 de negotiiis gestis (3. 5), ohne Zweifel interpolirt. — Eine einzelne Conſtitution, wodurch die ganze, höchſt wichtige, Berän - derung bewirkt worden wäre, be - ſitzen wir nicht, vielleicht war eine ſolche nicht vorhanden. Die älte - ſten Beſtimmungen finden ſich in Cod. Just. II. 58, Cod. Theod. II. 3, L. 8 C. Th. de off. rec - toris (1. 16.). In dem Tit. Cod. Just. III. 3 iſt der Übergang deſ - ſen, was früher Ausnahme war, zur Regel, ſehr ſichtbar. — Vgl. Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 26.. Dieſes iſt die Geſtalt des Ge - richtsweſens im Juſtinianiſchen Recht, und dieſelbe findet ſich in den allermeiſten neueren Staaten, da die Geſchwor - nengerichte, auch wo ſie vorkommen, doch meiſt auf das Criminalverfahren eingeſchränkt ſind.
Es iſt dabey noch das Verhältniß der extraordinaria judicia (ſolange ſie noch eine abgeſonderte Art der Klagen bildeten) zu den früher dargeſtellten Gegenſätzen zu er - wägen.
Alle uns bekannte extraordinaria judicia waren in per - sonam, keine in rem(f)In personam ſind die in L. 1 de extr. cogn. (50. 13) zu - ſammengeſtellte Klagen; eben ſo der Anſpruch des Fideicommiſſars gegen den mit dem Fideicommiß belaſteten Erben oder Legatar. Gajus II. § 278. Ulpian. XXV. § 12. War eine fideicommiſſariſche Erbſchaft durch wörtliche Erklä - rung des Erben reſtituirt, ſo konnte nun allerdings der Fideicommiſſar in rem klagen gegen die Beſitzer von Erbſchaftsſachen; dieſe Klage. — Eben ſo kommen Strafklagen65§. 213. Civiles, honorariae, Ordinariae, extraordinariae actiones. extra ordinem nicht vor, denn die mulctae, die allerdings von allen höheren Obrigkeiten (nicht blos den gerichtlichen) verhängt werden durften, beruhten gar nicht auf Privat - klagen, gehörten alſo nicht zur Verfolgung eines Privat - rechts, zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits, obgleich ſie bey Gelegenheit eines ſolchen eintreten konnten(g)Eben ſo geſchah die Exſe - cution der Civilurtheile extra or - dinem, durch pignus in causa judicati captum; allein Dieſes war nicht mehr Entſcheidung eines Rechtsſtreits, ſondern ein Mittel zur Überwindung des Ungehorſams gegen die obrigkeitliche Macht, alſo im Weſen gleichartig mit der mulcta. . — End - lich ſcheinen die extraordinariae cognitiones blos auf civil - rechtliche Inſtitute bezogen worden zu ſeyn, nicht auf prä - toriſche(h)Vgl. die in der Note f. ent - haltene Zuſammenſtellung.; wo der Prätor einen neuen Rechtsſatz geltend zu machen nöthig fand, geſchah es wohl immer in den Formen des ordo judiciorum, alſo durch formula. Dieſe Behauptung hängt zuſammen mit der Streitfrage, ob die ſehr zahlreichen Interdicte, die insgeſammt prätoriſchen Urſprungs waren, unter die ordinaria oder extraordina - ria judicia gehörten; der richtigern Meynung nach ſind ſie unter die ordinaria zu rechnen(i)Dieſe Frage iſt ausführlich behandelt in: Savigny Recht des Beſitzes § 34. — Die Benen - nung actio wird den Interdicten bald beygelegt bald verſagt. Vgl. oben § 205, g. h. .
(f)war aber ein ordinarium judi - cium, ſo wie jede andere heredi - tatis petitio. Tit. Dig. de fid. her. pet. (5. 6.). — Die mis - sio in possessionem gieng al - lerdings in rem, dieſe aber war niemals Entſcheidung eines Rechts - ſtreits, ſondern eine einſeitige pro - viſoriſche Maasregel, und der Rechtsſtreit, der ſich daraus ent - wickeln konnte, war ſtets ein or - dinarium judicium.
V. 566Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Betrachten wir den zulezt dargeſtellten Gegenſatz von einem allgemeineren Standpunkt, dem der Römiſchen Rechts - geſchichte überhaupt, ſo erſcheint uns das ordinarium ju - dicium gleichſam als die hiſtoriſche Mitte des Ganzen. In der älteſten Zeit beſtand der ganze Prozeß aus den Legis actiones, in welchen, ſo viel wir wiſſen, keine In - ſtruction an einen Judex (formula) vorkam. Darauf folgte der Prozeß der ordinaria judicia, welcher ganz auf den formulae beruhte. Endlich, nachdem dieſe Prozeßform ver - ſchwunden war, beſorgte in dem extraordinarium judicium die Obrigkeit, ohne Judex, das ganze gerichtliche Verfah - ren, ſo daß nun weder das Bedürfniß, noch die Möglich - keit einer formula vorhanden war. — Jedoch dürfen wir dieſe drey Formen des Prozeſſes nicht ſo denken, als ob ſie der Zeit nach ſtreng geſchieden geweſen wären. Neben dem ordo judiciorum dauerte als Ausnahme die Legis actio sacramenti in den Centumviralprozeſſen fort; eben ſo fiengen in demſelben Zeitraum als Ausnahmen die ex - traordinaria judicia an, ſo daß die drey Hauptformen des Prozeſſes gleichzeitig neben einander angewendet wurden. Endlich, nachdem die ordinaria judicia als Regel ver - ſchwunden waren, kam doch noch als Ausnahme ein Ju - dex in geringfügigen Sachen vor; es iſt aber nicht daran zu denken, daß in dieſem exceptionellen Verfahren die Um - ſtändlichkeit der formulae wäre angewendet worden.
Die wichtigſten und ſchwierigſten Fragen des Römi - ſchen Actionenrechts können nur durch die genauere Einſicht in das Weſen der formulae entſchieden werden, und dieſe Einſicht iſt erſt durch die Entdeckung des Gajus möglich geworden. Nach ihm kommen überhaupt vier Beſtand - theile in den Formeln vor, jedoch ſo daß nur einer der - ſelben ganz allgemein und weſentlich iſt: Demonstratio, Intentio, Adjudicatio, Condemnatio(a)Gajus IV. § 39 — 44. Die ſtets vorangehende Benennung des Judex (z. B. L. Octavius judex esto. Cicero Verr. II. 12) rech - net er nicht als pars formulae mit.. Die Adjudicatio können wir für die allgemeine Betrachtung ſogleich beſei - tigen, da ſie nur in drey einzelnen Klagen vorkommt(b)Familiae erciscundae, Communi dividundo, Finium regundorum. Gajus IV. § 42. Es ſind die drey ſogenannten Thei - lungsklagen, welcher Name eigent - lich nur den beiden erſten zukommt., und zur Kenntniß des Weſens der Formeln überhaupt wenig beyträgt.
Demonstratio iſt ein erzählender, einleitender Theil der formula, worin die Veranlaſſung des Rechtsſtreits erwähnt wurde. Er war beſonders dazu beſtimmt, für die bekannteſten und häufigſten Klagen den eigenthümlichen Namen derſel - ben auszudrücken, da dieſer in den folgenden Theilen nicht vorkommen konnte, deren Inhalt vielmehr mit den aller - verſchiedenſten Klagen vereinbar war. Beyſpiele für die5*68Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.actio venditi, depositi, ex stipulatu, werden Dieſes an - ſchaulich machen(c)Gajus IV. § 40. 136..
Dieſer erſte Theil kam in ſehr vielen Klagen gewöhnlich gar nicht vor; namentlich nicht bey den in rem actio - nes(d)Cicero in Verrem II. 12, und damit übereinſtimmend Gajus IV. § 41.: eben ſo bey den äußerſt zahlreichen formulae in factum conceptae, bey welchen, wie ſogleich gezeigt wer - den wird, die Intentio Alles enthielt, was in eine einlei - tende Demonstratio hätte geſetzt werden können. Nach den beſonderen Umſtänden einzelner Rechtsverhältniſſe konnte der Klage aus Vorſicht eine eigene Beſchränkung gegeben werden, die dann, eben ſo wie die Demonstratio, der In - tentio vorangeſchickt wurde. Dieſe führte den beſonderen Namen praescriptio, und war auch bey den in rem actio - nes anwendbar, obgleich dieſe ohne Demonstratio zu ſeyn pflegten. Gewöhnlich wurde die praescriptio nicht als Demonstratio angeſehen, ſondern als ein beſonderer, der ganzen formula vorangehender Zuſatz; in einigen Fällen aber wurde ſie der wirklichen Demonstratio ſelbſt einver - leibt(e)Von den Präſcriptionen überhaupt handelt Gajus IV. § 130 — 137: die im Text erwähnte Verſchiedenheit wird bemerkt § 132. 136. 137..
Intentio heißt der Theil der Formel, worin die Be -69§. 214. Beſtandtheile der formula. hauptung des Klägers, alſo zugleich der Grund und die Bedingung der von ihm verlangten Entſcheidung ausge - drückt war. Es iſt der einzige Theil, welcher in keiner Formel jemals fehlen konnte(f)Gajus IV. § 44.. Weil er nun das we - ſentlichſte Stück der Klage in ſich ſchloß, ſo wurden auch oft die Ausdrücke intentio und intendere für actio und agere geſezt, ja dieſer Sprachgebrauch iſt ſelbſt in man - chen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts noch ſichtbar geblie - ben, obgleich der Entſtehungsgrund deſſelben mit den For - meln ſelbſt längſt verſchwunden war. Jene Behauptung nun enthielt bald unmittelbar das Daſeyn eines Rechtsver - hältniſſes, bald ſolche Thatſachen, die als Grund eines Rechts angeſehen werden ſollten. Die Natur dieſes Unter - ſchieds wird erſt bey einer gleich folgenden Eintheilung der Klagen erklärt, und durch Beyſpiele erläutert werden können.
Condemnatio endlich war der praktiſche Theil der For - mel, das heißt die Anweiſung an den Judex, wie er unter Vorausſetzung der Wahrheit oder Unwahrheit der Inten - tio das Urtheil faſſen ſollte. Bey den meiſten Klagen war eine ſolche vorhanden; ſie fehlte aber bey den Prä - judicialklagen, das heißt bey denjenigen Klagen, wodurch zunächſt nur das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes oder einer Thatſache feſtgeſtellt werden ſollte, ſo daß ſich der Kläger vorbehielt, in einem künftigen anderen Rechtsſtreit von dieſer Feſtſtellung Gebrauch zu machen (§ 207. e. f.). Beyſpiele der Condemnatio ſind folgende(g)Gajus IV. § 43. 47. 51.:
70Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Schlußworte beziehen ſich auf die Anfangsworte der Intentio, die in den angeführten Beyſpielen ſo lauteten: Si paret, ſo daß alſo der ganze Zuſammenhang des Ge - dankens dieſer war: Si paret, Negidium Sestertium X. Mil - lia dare oportere, Negidium Sest. X. M. condemna, si non paret absolve, alſo: wenn du nicht finden ſollteſt, daß er dieſe Summe ſchuldig ſey, ſo ſprich ihn frey.
Auf die Intentio, den weſentlichſten Theil der Formel, bezieht ſich die Eintheilung der Klagen in directae und utiles.
Wenn nämlich ein früherhin beſchränkteres Klagrecht ſpäter auf neue Fälle ausgedehnt werden ſollte, ſo geſchah dieſes ſehr häufig dadurch, daß man die ſchon bekannte Klage unter dem Namen einer utilis actio anwendete(a)L. 21 de praescr. verbis (19. 5 ) „ Quotiens deficit actio vel exceptio, utilis actio vel exceptio (danda) est;” nämlich vorausgeſezt, daß überhaupt Grund zu einer ſolchen ausgedehnten An - wendung vorhanden iſt. — Vgl. über dieſe Begriffe im Allgemei - nen Mühlenbruch Lehre von der Ceſſion § 15., und im Gegenſatz dieſer ausgedehnteren Anwendung hieß71§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. dann dieſelbe Klage in Anwendung auf diejenigen Fälle, wofür ſie ſchon urſprünglich gelten ſollte, directa oder auch vulgaris(b)Der Ausdruck vulgaris ſteht in L. 46 de her. inst. (28. 5.). — Unrichtig haben dieſen Begriff Manche ſo gedacht, als hätte jede ſolche Klage eine ganz eigenthüm - liche Formel im Edict gehabt. Der weſentliche Theil der Formel (die intentio) war für ſehr viele Klagen völlig gleichlautend (dare opor - tere, dare facere oportere ex fide bona u. ſ. w.). Das Eigen - thümliche der vulgares actiones beſtand vielmehr nur darin, daß in der demonstratio der techniſche Nahme eines bekannten Rechtsge - ſchäfts gebraucht wurde, z. B. Quod Agerius fundum vendidit, men - sam deposuit u. ſ w. Dadurch war die Klage als venditi oder depositi actio inviduell bezeichnet.. Es geſchah aber eine ſolche Ausdeh - nung beſonders unter der Form von Fictionen, ſo daß man fingirte, ein Kläger, der eigentlich nicht Erbe oder Eigenthümer war, ſey Erbe oder Eigenthümer, und könne deswegen mit demſelben Erfolg klagen, wie es der wirk - liche Eigenthümer ohnehin konnte(c)Gajus IV. § 34 — 38. „ ficto se herede agit” … „ fingitur rem usucepisse” … „ civitas ei Romana fingitur” … „ fingimus adversarium nostrum capite de - minutum non esse. ” — Wie in den einzelnen Fällen die Fiction in der Intentio ausgedrückt wurde, zeigen die §§ 36. 37 an mehreren Beyſpielen.. Daher iſt denn utilis actio, der urſprünglichen Bedeutung nach, ſo viel als fictitia, und dieſe gleiche Bedeutung beider Ausdrücke wird durch folgende Zeugniſſe außer Zweifel geſezt. Ga - jus bezeichnet die auf Fiction gegründeten Klagen einmal als den Gegenſatz der directae(d)Gajus IV. § 34 „ non ha - bet directas actiones … itaque ficto se herede intendit.” , in einer anderen Stelle ganz unmittelbar als utiles(e)Gajus IV. § 38 „ introduc - ta est contra cum eamve actio utilis, rescissa capitis deminu - tione, id est in qua fingitur capite deminutus deminutave non esse.” . Ferner wurden die zu72Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae) nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er - hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei - commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae(f)Gajus II. § 253 (eben ſo § 4 J. de fid. her. 2. 23 ), Ul - pian. XXVIII. § 12. Allerdings ſpricht der erſte blos von utiles actiones bey dem Fideicommiß, der zweyte blos von fictitiae bey der bonorum possessio, und man könnte die Gleichartigkeit bei - der Klagen, die ich hier annehme, etwa noch bezweifeln.. Von dieſen beiden Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich - net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei - terung eines Rechtsinſtituts(g)S. o. Band 1 § 15. S. 56 über die Bedeutung von utilitas. .
Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon - dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje - nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213), und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor - den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo - ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver - ſchwunden war(h)L. 47 § 1 de neg. gestis. (3. 5), ohne Zweifel interpolirt.. Es erklärt ſich aus dieſer weſent - lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia -73§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. niſchen Recht der Ausdruck fictitia actio ganz verſchwun - den iſt, während die Benennung der utiles actiones noch überall vorkommt. Dieſe hat nun für das Juſtinianiſche Recht, und für uns, nur noch eine geſchichtliche Bedeu - tung; ſie bringt uns in Erinnerung, daß eine ſo benannte Klage aus der allmäligen Erweiterung eines früher be - ſchränkteren Rechtsinſtituts hervorgegangen iſt.
Es iſt jedoch kaum zn bezweifeln, daß auch ſchon im älteren Prozeß dieſe Erweiterung einer ſchon beſtehenden Klage auf neue Fälle nicht immer als eigentliche Fiction in der Formel ausgedrückt wurde(i)Mühlenbruch Ceſſion S. 150 der dritten Ausgabe.. Daher hatte man ſchon damals neben den utiles actiones, die als Fictionen in der Formel ausgedrückt wurden, auch ſolche, denen der Name blos in dem materiellen Sinn eines auf neue Fälle erweiterten Rechtsinſtituts beygelegt wurde. Insbeſondere läßt ſich annehmen, daß blos bey alten Civilklagen die Erweiterung durch eine Fiction in der Formel ausgedrückt wurde(k)Die von Gajus wörtlich angeführten Fälle fingirter einzel - ner Klagen beziehen ſich ſämtlich auf alte Civilklagen, die dadurch ausgedehnt werden ſollten., anſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Natur der utilis actio in der Faſſung der Formel nicht zur Anſchauung kam(l)Dahin würde alſo gehören die utilis Serviana actio. L. 1 § 2 de pign. (20. 1 ), L. 1 pr. quib. m. pign. (20. 6.). Eben ſo das utile interdictum uti pos - sidetis, unde vi, quod legato - rum. Vatic. Fragm. § 90. Von dem zulezt genannten Inter - dict iſt in der angeführten Stelle die formula aufbewahrt, und aus dieſer erhält die hier aufgeſtellte Anſicht eine unmittelbare Beſtäti - gung, da in derſelben der Ausdruck.
74Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Übrigens finden ſich als utiles actiones ſowohl Kla - gen in personam, als in rem, ſowohl Pönalklagen, als ſolche die blos das Vermögen nach beiden Seiten hin un - verändert erhalten ſollen.
Verſchieden von den Fictionsklagen, die noch im neue - ſten Recht unter dem Namen von utiles actiones vorkom - men, waren diejenigen, die auf der Fiction einer alten Legis actio beruhten, und von welchen im neueſten Recht jede Spur verſchwunden iſt(m)Gajus IV. § 10. 32. 33. Die Erwähnung dieſer Form von Klagen veranlaßt ihn, die ganze Lehre der alten Legis actiones § 11 — 31. abzuhandeln..
Bey Gajus kommt der Ausdruck incerta formula vor, welcher auf eine entgegengeſezte certa formula hindeu - tet(n)Gajus IV. § 54. — Wo in unſren Juſtinianiſchen Rechts - büchern die Ausdrücke incerti agere, incerti actio, incerta actio, incertum judicium vor - kommen, da gehen dieſelben meiſt beſtimmt auf die actio praescri - ptis verbis, welche incerta In - tentio und Condemnatio hatte. L. 8 L. 9 L. 16 de praescr. verbis (19. 5 ), L. 7 § 2 de pa - ctis (2. 14 ), L. 23 comm. div. (10. 3 ), L. 6 C. de rer. perm. (4. 64 ), L. 9 C. de don. (8. 54.)., und es iſt für die folgende Unterſuchung nicht un - wichtig, den hierin zum Grunde liegenden Gegenſatz genau feſtzuſtellen.
Betrachten wir zuerſt die Intentio, ſo werden wir die - ſelbe certa nennen müſſen, wenn die Behauptung des Klä -(l)einer Fiction gar nicht gebraucht wird; der Zweck wird vielmehr da - durch erreicht, daß dem gewöhnli - chen Ausdruck: quod .. possides, noch hinzugefügt wird: quodque uteris frueris. — Eben ſo ſind auch die exceptiones utiles nicht etwa fictitiae, ſondern erweiterte, ausgedehnte Exceptionen. Vgl. § 227. d. 75§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. gers von allen Seiten beſtimmt ausgedrückt iſt. Beyſpiele ſind dieſe: Si paret Stichum meum esse, Si paret N. Ne - gidium X. dare oportere, Si paret, Agerium apud Negi - dium mensam deposuisse(o)Gajus IV. § 45. 47.. Denn in allen dieſen Fäl - len iſt es aus den Worten der Intentio völlig klar und gewiß, was der Kläger will und behauptet. — Dagegen iſt incerta dieſe Intentio: quidquid N. Negidium dare fa - cere oportet, denn es liegt darin die Behauptung, der Be - klagte ſey irgend Etwas ſchuldig, der Umfang der Schuld ſey aber noch nicht genau anzugeben, und werde daher der Feſtſtellung durch das Verfahren überlaſſen(p)Gajus IV. § 47. 136. 137..
Betrachten wir nun ferner die Condemnatio. Bey der incerta Intentio wird immer auch die Condemnatio in - certa ſeyn müſſen, und dann werden wir nicht zweifelhaft ſeyn, auch die ganze Klage incerta zu nennen. — Bey der certa Intentio dagegen ſind zwey Fälle möglich. Die Condemnatio kann gleichfalls certa ſeyn, und dann wer - den wir nicht zweifeln, die Klage ſelbſt certa zu nennen; ſo zum Beyſpiel in der Formel: Si paret N. Negidium Decem dare debere, Judex N. Negidium Decem con - demna(q)Gajus IV. § 50. Es kam dabey noch folgende Varietät vor. Die certa Condemnatio konnte eine wörtliche Wiederholung der certa Intentio ſeyn (wie im Fall des angeführten § 50), oder auch davon ganz verſchieden lauten; ſo im Fall des § 46.. — Es kann aber auch die certa Intentio eine incerta Condemnatio mit ſich führen, und dieſer Fall war deswegen ſo ſehr häufig, weil in der Condemnatio nie76Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.etwas Anderes ſtehen durfte als baares Geld(r)Gajus IV. § 48., anſtatt daß die Intentio ſehr viele andere genau beſtimmte Gegen - ſtände enthalten konnte. Zum Beyſpiel kann die Formel der Eigenthumsklage dienen, worin auf die Intentio: Si paret Stichum A. Agerii esse, dieſe Condemnatio folgte: quanti ea res erit, tantam pecuniam N. Negidium A. Age - rio condemna(s)Gajus IV. § 51. Ein an - derer Fall von certa Intentio mit incerta Condemnatio wird am Ende des § 68 erwähnt.. Dieſe war incerta, denn es war aus ihren Worten nicht zu erkennen, wie hoch der Judex den Beklagten verurtheilen würde.
Es iſt nun vor Allem wichtig, dieſe Verſchiedenheit der Fälle, als wirklich vorkommend, deutlich in’s Auge zu faſ - ſen. Im älteren Prozeß knüpfte ſich daran ein ſehr großes praktiſches Intereſſe. War die Intentio certa, ſo mußte ſich der Kläger hüten, Mehr zu fordern als ihm zukam; fehlte er hierin, ſo verlor er plus petendo auch das, was ihm wirklich gebührte(t)Gajus IV. § 53. 60.. Bey der incerta In - tentio war dieſer Fehler und die damit verbundene Gefahr unmöglich, da in dem unbeſtimmten quidquid dare opor - tet niemals eine übertriebene Quantität liegen konnte(u)Gajus IV. § 54.. In der Demonstratio und Condemnatio waren zwar auch Übertreibungen möglich, ſie hatten aber niemals jene ge - fährliche Folge für den Kläger(v)Gajus IV. § 57. 58..
Bisher wurde blos die Sache betrachtet. Was aber den Ausdruck für den oben erwähnten zweydeutigen Fall77§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula. (certa Intentio, incerta Condemnatio) betrifft, ſo hatte man eben ſo viel Grund, die Klage certa als incerta zu nennen, indem es darauf ankam, ob man hierin die Beſchaf - fenheit der Intentio, oder die der Condemnatio, vorzugsweiſe berückſichtigen wollte. Nach einer Stelle des Gajus müſ - ſen wir annehmen, daß der Ausdruck lediglich auf die In - tentio gieng, ſo daß alſo in jenem an ſich zweydeutigen Fall der Ausdruck certa actio oder formula allerdings ge - braucht wurde, ungeachtet der Unbeſtimmtheit der Condem - natio. Denn Gajus ſtellt zuerſt die Regel auf, bey der auf den Sklaven Stichus gerichteten Klage ſey ein plus petere wohl möglich, wenn nämlich die Stipulation auf einen Sklaven überhaupt, nicht auf dieſes Individuum, gerichtet war(w)Gajus IV. § 53.. Dann fährt er in folgenden Worten fort: Illud satis apparet, in incertis formulis plus peti non posse, quia cum certa quantitas non petatur, sed quidquid adversarium dare facere oporteat intendatur, nemo potest plus intendere(x)Gajus IV. § 54. — Eben ſo geht bey ihm das certum und incertum petere lediglich auf die Intentio, ohne Rückſicht auf die Condemnatio. IV. § 54. 131. Eine andere Frage iſt es, was Certum in Anwendung auf die Condictionen bedeutet. Darüber vgl. Beylage XIV. Num. XXXVI. u. fg.. Hieraus aber iſt es klar, daß er nur dieſen letzten Fall (incerta Intentio et Con - demnatio) unter dem Namen incerta formula verſteht, den vorhergehenden Fall aber (certa Intentio, incerta Con - demnatio) nicht als incerta, ſondern als certa formula anſieht.
Die im Edict aufgeſtellten Formeln waren von zweyer - ley Art: in jus, in factum conceptae.
Die erſte Klaſſe hatte eine juris civilis intentio, das heißt die Behauptung des Daſeyns eines im jus civile ge - gründeten Rechtsverhältniſſes; ſo bey den Klagen in rem: si paret, fundum (oder hereditatem) Agerii esse, oder: Agerio jus esse utendi fruendi, eundi, aquam ducendi oder: Titium liberum esse(a)Nämlich dieſe Präjudicial - klage de statu war die einzige, welche eine legitima causa hatte, die übrigen waren prätoriſche Kla - gen; daher konnte auch nur jene eine formula in jus concepta haben. § 13 J. de act. (4. 6.); bey Contractsklagen: dare, oder dare facere oportere; bey Delictsklagen: damnum decidere oportere(a¹)Gajus IV. § 37. 45. 107. In dieſen Stellen ſind die mei - ſten der oben im Text angegebe - nen. Formeln wörtlich enthalten. Vgl. auch Beylage XIV. Num. XX. ; in allen dieſen Fällen alſo Daſeyn eines Eigenthums, einer Obligation oder eines anderen, durch jus civile anerkannten ſtrengen Rechts. Übrigens war eine ſolche Intentio bald certa, bald incerta, und die hinzugefügte Condemnatio desgleichen(b)Decem dare oportere war certa Intentio, quidquid dare facere oportet war incerta, ſ. o. § 215..
Die zweyte Klaſſe hatte zur Intentio die bloße Behaup - tung von Thatſachen, ſie war alſo in ihrer Faſſung ähn - lich einer Demonstratio (§. 214), und konnte daher eine ei - gentliche, abgeſonderte Demonstratio gar nicht enthalten,79§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. da der ganze mögliche Inhalt einer ſolchen ſchon in die Intentio ſelbſt verſchmolzen war(c)Es würde ganz unrichtig ſeyn, einer ſolchen Formel, wegen des factiſchen Ausdrucks, eine bloße Demonstratio zuzuſchreiben, ohne Intentio. Denn bey Gajus IV. § 60 wird hier nicht nur der Name Intentio gebraucht, ſondern auch die Möglichkeit des Plus petere behauptet, welches doch nach § 53. 58. nur in der Intentio, nie in der Demonstratio, begangen wer - den konnte. Eben ſo heißt in L. 1 C. si pign. conv. (8. 33. ) die Hypothekarklage Intentio dati pig - noris, die doch gewiß nur eine for - mula in factum concepta hatte. Vgl. Keller Litisconteſtation S. 248. 358. — Die vorkommenden Beyſpiele einer abgeſonderten De - monstratio beziehen ſich ſtets auf eine formula in jus concepta. Gajus IV. § 40. 47. 136. 137.. Eine ſolche Intentio war ſtets certa, da jederzeit beſtimmte Thatſachen behauptet werden mußten, hierin alſo Nichts dem freyen Ermeſſen des Judex überlaſſen blieb. Die Condemnatio dagegen war dabey bald certa, bald incerta(d)Certa condemnatio hatte die Klage des Patrons wegen der reſpectswidrigen in jus vo - catio, nämlich nach Gajus IV. § 46. auf 10000 Seſterze, nach dem Juſtinianiſchen Recht auf 5000. § 3 J. de poena tem. (4. 16. ), L. 12. 24. 25 de in j. voc. (2. 4. ); wahrſcheinlich iſt es bey Ga - jus bloßer Schreibfehler. — Eben ſo die Klage de albo corrupto auf 500 aurei. L. 7 pr. de ju - risd. (2. 1.). — Dagegen ha - ben die meiſten anderen formulae in factum conceptae eine in - certa Condemnatio. So die bey Gajus IV. § 46 angeführte Bey - ſpiele, verglichen mit L. 2 § 1 si quis in jus voc. (2. 5. ), und mit L. 5 § 1 ne quis eum (2. 7.).
Dieſer Gegenſatz der Klagen fällt nun zunächſt zuſam - men mit dem Gegenſatz der civilen und prätoriſchen Kla - gen. Denn bey den civilen Klagen war ſtets eine juris civilis Intentio möglich(e)Möglich, aber nicht noth - wendig, da bey ihnen eben ſowohl eine factiſche Faſſung gerechtfer - tigt war, wenn man eine ſolche räthlich fand; daß ſie in der That auch vorkam, wird ſogleich bemerkt werden., ſo daß die Intentio ſtets in jus concipirt werden konnte. Bey den prätoriſchen Kla -80Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gen war Dieſes nicht möglich, weil ſie gar nicht auf einem jetzt ſchon vorhandenen Recht beruhten, ſondern auf der obrigkeitlichen Macht, Kraft welcher der Prätor eine Klage gab, und einen Judex zum Ausſpruch eines Urtheils be - vollmächtigte, welchem dann dieſelbe obrigkeitliche Macht auch die Vollziehung verſchaffte(f)Vgl. Band 1. § 22. S. 117. — Daß alle prätoriſche Klagen in factum conceptae waren, ſagt Gajus nicht ausdrücklich, aber we - nigſtens ſind alle von ihm im § 46 angeführte Beyſpiele prätoriſch und zugleich in factum conceptae. . Dieſe Anſicht der Sache wird durch die beſtimmteſten Stellen des Römiſchen Rechts beſtätigt. Dahin gehört folgende Stelle des Paulus(g)L. 37 de V. S. (50. 16.). — Im Zuſammenhang damit ſteht L. 27 de novat. (46. 2. ), da das officium judicis auch die künfti - gen Zinſen umfaßt haben würde. Vgl. auch L. 76. § 1 L. 89. L. 125 de V. O. (45. 1.).
Verbum oportere non ad facultatem judicis per - tinet, qui potest vel pluris vel minoris condemnare, sed ad veritatem refertur.
Das heißt: der in der Intentio vorkommende Ausdruck Oportere darf ſtets nur von dem gegenwärtigen, wirkli - chen Daſeyn einer civilrechtlichen Schuld verſtanden wer - den, nicht von der Schuld, die durch richterliches Ermeſſen, vermittelſt eines Urtheils, vielleicht entſtehen kann. Geſetzt alſo, es wollte Jemand aus einem Kauf, der ſtets nur eine incerta Intentio hat, auf Decem dare oportere kla - gen, ſo würde er ſchlechthin abgewieſen werden müſſen, ohne Rückſicht darauf, daß bey richtig gefaßter Intentio der Richter vielleicht auf dieſelbe, oder eine noch größere Summe, geſprochen haben würde. — Eben ſo iſt es zu81§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. verſtehen, wenn die prätoriſchen Klagen erklärt werden als actiones quas Praetor ex sua jurisdictione comparatas ha - bet(h)§ 5 J. de act. (4. 6.), oder quae a Praetore dantur, im Gegenſatz der Klagen quae ipso jure competunt(i)§ 1 J. de perpet. (4. 12.). Dieſes iſt richtig hervorgehoben von Francke Beiträge S. 5.. Denn obgleich die Thätigkeit des Prätors auch bey den Civilklagen nöthig war, indem nur er einen Judex und eine Klage geben konnte, ſo war doch dabey jene Thätigkeit eine blos aus - führende, das ſchon vorhandene Recht anerkennende, an - ſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Befugniß dazu erſt durch des Prätors Macht begründet wurde. — Es würde auch unrichtig ſeyn, die formula in factum con - cepta, die hier als allgemeine Eigenſchaft aller prätori - ſchen Klagen behauptet worden iſt, auf die perſönlichen Klagen dieſer Klaſſe beſchränken zu wollen, da ſie viel - mehr auch bey den prätoriſchen in rem actiones angenom - men werden muß(i¹)Die actio vectigalis war ohne Zweifel ſo gefaßt: Si paret A. A. conduxisse fundum a mu - nicipibus (L. 1 § 1 L. 3 si ager vect. 6. 3. ); die superficiaria: Si paret, A. A. superficiem in perpetuum (oder: in annos XXX) conduxisse (L. 1 pr. § 1. 3 de superf. 43. 18); die hypothecaria: Si paret, Aulo Agerio rem pignori obligatam esse ab eo, cujus tum in bo - nis erat, neque redditam pecu - niam esse (L. 6 C. si al. res 8. 16, L. 1 C. si pign. conv. 8. 34, L. 13 § 1 de Sc. Vell. 16. 1.). Alle dieſe Bedingungen gehen auf reine Thatſachen..
Die hier vorläufig angenommene Identität der beyden Gegenſätze (civile und prätoriſche Klagen, in jus und in factum) muß jedoch auf zwiefache Weiſe beſchränkt wer -V. 682Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den. Erſtlich gab es prätoriſche Klagen, deren Faſſung zwar weſentlich in factum war, aber doch einen Übergang zu der Faſſung in jus in ſich ſchloß; dieſes waren manche der ſchon oben (§ 215) dargeſtellten utiles oder fictitiae actiones. Es wird dieſes anſchaulich werden durch das vollſtändigſte Formular, das von einer ſolchen Klage, der publiciana actio, bekannt iſt.
Das Weſen dieſer Intentio iſt die rein thatſächliche Behauptung: Agerius hat den ſtreitigen Sklaven gekauft und tradirt bekommen. Dieſe hat aber folgenden beſon - deren Zuſatz: der Judex ſoll zugleich prüfen, ob der durch die Tradition erworbene Beſitz ſo beſchaffen war, daß er durch einjährige Fortdauer in Römiſches Eigenthum über - gegangen ſeyn würde. Dadurch bekommt die an ſich that - ſächliche Intentio eine Färbung von jus, ſpielt alſo in die in jus concepta hinüber. Bedingung der Condemnation iſt eine Thatſache, die jedoch ſo beſchaffen ſeyn ſoll, daß ſie unter gewiſſen, jetzt nicht vorhandenen, Vorausſetz - ungen ein wirkliches Recht begründet haben würde.
Zweytens iſt ſchon erwähnt worden, daß die Civilkla - gen auch einer thatſächlichen Faſſung empfänglich waren (Note e). In der That gab es einige, wie es ſcheint nur wenige, Civilklagen, für welche im Edict zwey Formeln83§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. zur Auswahl aufgeſtellt waren, in jus und in factum. Gajus giebt von dieſer Varietät nur zwey Fälle an, de - positi und commodati actio, erläutert aber dieſe durch vollſtändige Formulare(k)Gajus IV. § 47. 60. In den Digeſten finden ſich mehrere Stellen, die ſich augenſcheinlich auf dieſe formulae in factum conceptae beziehen. L. 3 § 1 commodati (12. 6. ), L. 1 § 16 § 40 depositi (16. 3.).
Es entſteht aber nun die Frage, ob die Verſchieden - heit der Formeln, die in jus oder in factum gefaßt wa - ren, lediglich zum Roͤmiſchen Gerichtsſtyl gehörte, oder ob ſich daran auch eigenthümliche Wirkungen knüpften, ſo daß ein praktiſches Intereſſe damit verbunden war. Ein ſolches Intereſſe war wohl allerdings vorhanden, aber ge - ringer, als es neuere Schriftſteller anzunehmen pflegen, ſo daß es hauptſächlich darauf ankommen wird, die unbe - gründeten Hypotheſen abzuwehren, die ſich hier einge - drängt haben. Wären alle Civilklagen ſtets in jus, und nur die prätoriſchen in factum gefaßt worden, ſo ließe ſich vielleicht annehmen, es hätte dadurch blos die oben dargeſtellte allgemeine Verſchiedenheit des prätoriſchen Rechts von dem Civilrecht ſcharf ausgedrückt werden ſollen, ohne verſchiedene Folgen für die Parteyen; allein die Aufſtel - lung von zwey Formularen bey manchen Klagen läßt nicht zweifeln, daß es wenigſtens in manchen Fällen vortheil - hafter für den Kläger ſeyn mußte, das eine Formular vor - zugsweiſe vor dem andern zu wählen.
Ein ganz iſolirter eigenthümlicher Erfolg der in jus6*84Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gefaßten Formel beſtand darin. Wenn die Klage in per - sonam, zugleich auch ein legitimum judicium, und zugleich in jus gefaßt war, dann war die Klage durch die bloße Anſtellung ipso jure conſumirt, ſo daß ſie nie zum zwey - tenmal angeſtellt werden konnte; in allen anderen Fällen war eine wiederholte Anſtellung derſelben Klage zwar auch ausgeſchloſſen, aber nicht ipso jure, ſondern durch excep - tio rei judicatae oder in judicium deductae(l)Gajus IV. § 107. Die an - deren Fälle alſo, worin jene Ex - ceptionen aushelfen mußten, wa - ren: a) alle in rem actiones b) alle judicia quae imperio con - tinebantur c) alle Prozeſſe mit ei - ner formula in factum concepta. . Von gro - ßer praktiſcher Erheblichkeit war dieſer Unterſchied freylich nicht.
Erheblicher ſchon war es, daß ein in väterlicher Ge - walt lebender Sohn, wenn er ſelbſt zu klagen befugt und veranlaßt war, keine intentio in jus concepta aufſtellen konnte, da er nie zu behaupten im Stande war, er ſelbſt ſey Eigenthümer oder Glaubiger. Es ſcheint, daß gerade dieſer Umſtand die Aufſtellung von zwey Formularen zur Auswahl bey manchen Klagen veranlaßt hat. Gewöhnlich alſo klagte man wohl bey der depositi oder commodati actio mit einer formula in jus, wie es der Natur der Ci - vilklagen angemeſſen war, wollte aber ein Sohn in väter - licher Gewalt ſolche Klagen anſtellen (wozu bey ihnen vorzugsweiſe Veranlaſſung für ihn ſeyn konnte), ſo mußte er die Formel in factum wählen(m)Vgl. Band 2. § 67. § 71. Note o. und Note t. — Auch zu einer Fictionsklage war ein Sol -.
85§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund, wie nunmehr gezeigt werden ſoll.
Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll, ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung unbeſtrittener Thatſachen (in jus)(n)Dieſes iſt die Meynung von Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji, Leodii 1821. p. 71 — 76.. Dazu kann höch - ſtens der Klang der Worte verleiten(o)Außer dem in den Worten jus und factum liegenden Schein täuſchte noch der Umſtand, daß in den beyden Formularen bey Gajus IV. § 47 die Worte Si paret nur für die Formel in factum gebraucht werden. Allein anderwärts kom - men dieſelben Worte auch bey ei - ner formula in jus concepta vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci - cero pro Roscio Comoedo C. 4., bey genaue - rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be - ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For - meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end - lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol -(m)cher nicht fähig, denn man konnte z. B. bey der publiciana actio von ihm nicht ſagen, daß unter Vorausſetzung der vollendeten Uſu - capionszeit Er Eigenthümer ge - worden ſeyn würde; er konnte es in keiner Zeit werden, ſo lange er filius familias blieb.86Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.len, worin über die Thatſache und das Recht zugleich geſtritten wird?
Mehr Schein hat die Meynung für ſich, nach welcher die Formel in factum gebraucht ſeyn ſoll, um dem Be - klagten die Möglichkeit der Losſprechung vermittelſt frey - williger Reſtitution offen zu laſſen, wozu die Formel in jus keine paſſende Stelle darzubieten ſchien(p)Keller Litisconteſtation S. 358, Haſſe a. a. O. S. 33.. Allein dieſe Meynung wird ſchon widerlegt durch die Eigen - thumsklage, nämlich die petitoria formula, die gewiß in jus war(q)Gajus IV. § 45. 92., und dennoch ſtets den vorſorglichen Zuſatz nisi restituas hatte(r)Cicero in Verrem II. 12. L. 68 de rei vind. (6. 1.). Sie wurde dadurch veranlaßt, daß unter den beiden neben einander geſtellten Formularen der depositi actio, das in factum jenen Zuſatz offenbar hatte, das in jus ihn zu enbehren ſchien(s)Gajus IV. § 47.. Allein ſelbſt dieſer Schein iſt durch die Entdeckung verſchwunden, daß auch die erwähnte formula in jus concepta der depositi actio jenen ſchützenden Zuſatz allerdings hatte(t)Nämlich bey Gajus IV. § 47. leſen die Ausgaben: Nume - rium Negidium Aulo Agerio condemnato ** si non paret absolvito. Da, wo die Lücke be - merkt iſt, ſteht in der Handſchrift: N R, welches von Huſchke (Stu - dien S. 316) aufgelöſt wird durch nisi restituat. Dieſe höchſt glück - liche Conjectur wird völlig beſtä - tigt durch L. 1 § 21 depositi (16. 3.) „ .. nec debere absolvi, nisi restituat … condemnan - dum te nisi restituas.” (Vgl. auch L. 22 in f. eod. L. 3. § 3. commodati 13. 6.). Dieſes ſind augenſcheinlich wörtliche Anſpie - lungen auf die Faſſung der For - mel, ſogar darin wörtlich zutref - fend, daß ſie die Einrückung der Worte in die Condemnatio be - ſtätigen. Dieſe Anſpielung paßte.
87§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.Endlich könnte man glauben, der Unterſchied ſey in dem höheren oder geringeren Grad juriſtiſcher Beurthei - lung zu ſuchen, welcher dem Judex in jenen beiden Arten der Formeln zugemuthet und anvertraut wurde. Bey der depositi formula in jus hatte der Judex zu beurtheilen, ob und wie viel Einer dem Andern ſchuldig ſey (quidquid dare facere oportet), welches ohne einen ge - wiſſen Grad von Rechtskenntniß nicht möglich iſt. Dage - gen hatte er bey derſelben Klage, wenn ſie in factum con - cipirt war, zunächſt nur die reine Thatſache zu beurthei - len, ob eine Sache deponirt und nicht zurückgegeben ſey (mensam deposuisse eamque redditam non esse), und die - ſes Urtheil iſt ohne die geringſte Rechtskenntniß möglich; es kommt nur darauf an, aus welchen Elementen die Con - demnatio bey dieſer letzten Formel beſtand. Dieſe lautete nun ſo: quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnato. War das nun ſo gemeynt, daß ſtets der reine Sachwerth oder Marktpreis zuerkannt werden ſollte, ſo war auch hier alle juriſtiſche Beurtheilung voͤllig ausgeſchloſſen, da der Marktpreis von ganz anderen Perſonen als den Rechts - kundigen zu erfahren iſt, und dadurch wäre jene verſuchte Unterſcheidung allerdings beſtätigt geweſen. Wenn dage - gen der Sinn des quanti res erit nicht in dem Marktpreis,(t)aber nur auf die Formel in jus, nicht auf die in factum; denn obgleich dieſe dem Sinn nach Daſ - ſelbe ausdrückte, ſo lauteten doch die Worte anders, nämlich ſo: eamque dolo malo .. redditam non esse, und dieſe Worte ſtan - den nicht in der Condemnatio, ſondern in der Intentio. 88Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſondern in dem rechtsbegründeten Intereſſe, mit Erwägung aller Umſtände, beſtand, ſo iſt hier dem Judex genau dieſelbe juriſtiſche Beurtheilung, wie bey der Formel in jus, übertragen, da dieſes quanti interest auf dieſelbe Art zu ermitteln iſt, und zu demſelben Erfolg führt, wie das quidquid dare facere oportet, und nur wörtlich davon verſchieden iſt. Nun hat aber in der That jener Aus - druck die zweyte hier angegebene Bedeutung, nicht die erſte(u)Vgl. Beylage XII. , ſo daß alſo auch dieſer letzte Verſuch einer durchgrei - fenden praktiſchen Unterſcheidung jener beiden Arten von Formeln gänzlich aufgegeben werden muß.
Die im Anfang dieſes §. aufgeſtellten Beyſpiele der bey den formulae in jus conceptae üblichen Intentio füh - ren wieder zurück zu dem oben dargeſtellten Gegenſatz der in personam und in rem actiones (§ 206 — 209). Die in personam enthalten in ihrer Intentio ſtets die Behaup - tung eines Oportere, bezogen auf die dabey genannte Per - ſon des Beklagten, das heißt alſo die Behauptung einer auf dieſer Perſon ſchon jetzt laſtenden, durch das jus civile begründeten, Obligation; eben dieſe Eigenthümlichkeit iſt es, die durch den Ausdruck in personam bezeichnet wird. Die Intentio der in rem actio dagegen behauptet ſtets das abſolute Daſeyn eines, gleichfalls durch jus civile be - gründeten, Rechtsverhältniſſes außer einer ſolchen Obli - gation. Dieſe Unperſönlichkeit der Intentio iſt es, die hier89§. 216. In jus, in factum conceptae formulae. durch den Ausdruck in rem bezeichnet wird (§ 208. a), nicht die Beziehung auf eine beſtimmte Sache; dieſe Beziehung iſt gar nicht allgemein und nothwendig, denn es kam nur darauf an, daß nicht der Beklagte als ein zu condemnirender Schuldner ausgedrückt wurde(v)Gajus IV. 87. „ cum in rem agitur, nihil in intentione facit ejus persona, cum quo agitur … tantum enim intenditur, rem actoris esse. Die erſte (negative) Hälfte des Satzes beſtätigt das hier Geſagte, die zweyte (poſitive) iſt nur Beyſpiel, und widerſpricht daher meiner Behauptung nicht..
Hieraus erklärt ſich zugleich, auf eine dem alten For - mularprozeß eigenthümliche Weiſe, die bey den Theilungs - klagen übliche Benennung: mixtae actiones (§ 209). Die formula derſelben war nämlich, mehr als bey anderen Klagen, zuſammengeſetzt. Sie hatte einen rein perſönli - chen, auf Obligationen gerichteten, Beſtandtheil, mit dare facere oportere ex fide bona; daneben aber noch einen anderen Theil, adjudicatio genannt, welcher ſo lautete: Quantum adjudicari oportet, judex Titio adjudicato(w)Gajus IV. § 42.. Dieſer Theil war unperſönlich gefaßt, mithin in rem(x)S. o. § 208. a, und § 216. v. ; und ſo mußte man ſagen, die Formelfaſſung dieſer Kla - gen ſey zuſammengeſetzt aus in rem und in personam(y)So iſt zu verſtehen folgende Stelle, die wir wohl nicht mehr in ihrer urſprünglichen Geſtalt beſitzen mögen: L. 22 § 4 fam. herc. (10. 2.) „ Familiae erciscundae judicium ex duobus constat, id est rebus atque praestationibus, quae sunt personales actiones.” .
Ganz unrichtig aber würde es ſeyn, dieſe Bemerkung dahin wenden zu wollen, als wäre der Unterſchied der in personam und in rem actiones aus jener Formelfaſſung90Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.entſprungen, und daher auch, ſeinem Weſen nach, mit ihr verſchwunden, ſo daß er jetzt als unnütz vermieden wer - den möchte. Gerade umgekehrt haben ſich die Formeln in der angegebenen Weiſe ausgebildet, um dem in dem in - neren Weſen der Sache gegründeten Gegenſatz zum ange - meſſenen Ausdruck zu dienen. Auch in unſrem heutigen Recht müſſen wir ſagen, daß das richterliche Urtheil über eine in rem actio zunächſt auf das Daſeyn oder Nichtda - ſeyn eines Rechtsverhältniſſes gehe, und nur mittelbar und folgerungsweiſe auf die Verurtheilung des Beklagten zu beſtimmten Leiſtungen; anſtatt daß dieſe Verurtheilung bey der in rem actio der einzige Inhalt des Erkenntniſſes iſt. Ja, man kann ſagen, daß dieſer Unterſchied der über beide Hauptarten der Klagen zu fällenden Urtheile im Juſtinianiſchen Recht ſogar noch ſchärfer hervortritt, als zur Zeit des früheren Formularprozeſſes, da nun die Ver - urtheilung ſelbſt, gleich unmittelbar, auf die Anerkennung des ſtreitigen Rechts gerichtet wird, anſtatt daß ſie früher ſtets auf baares Geld zu richten war (§ 215. r), ſo daß ihr jene Anerkennung nur beyläufig eingemiſcht werden konnte, etwa als Motiv der auf eine Geldſumme gerich - teten Verurtheilung(z)In dieſer indirecten Weiſe kommt die Anerkennung des Rechts in der in rem actio, ſchon bey den alten Juriſten vor. L. 8 § 4 si serv. (8. 5. ) per sententiam non debet servitus constitui, sed quae est declarari.” L. 35 § 1 de R. V. (6. 1. ) „ judex sen - tentia declaravit meum esse.” Dieſe, ohne Zweifel unverfälſchte, Stellen, haben im Juſtinianiſchen und heutigen Recht eine noch un -.
Bey den formulae in factum conceptae, alſo bey al -91§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)len prätoriſchen Klagen, wurde der Unterſchied der in rem und in personam actiones in den Ausdrücken der Inten - tio nicht ſichtbar(aa)Eine prätoriſche Klage konnte daher in personam ſeyn, während der Ausdruck ſo gefaßt war, daß man ſie für eine in rem actio hätte halten können. Vgl. § 208. a. . Dennoch iſt auch bey den prätori - ſchen Klagen dieſer Unterſchied ſtets anerkannt worden(bb)L. 1 § 1 si ager vect. (6. 3 ), L. 1 § 1 de superfic. (43. 18.). — Die meiſten Präju - dicien waren prätoriſch (§ 216. a. und § 207. f.) und dieſe waren insgeſammt in rem, wie auch ihre Formel ausgedrückt ſeyn mochte., und es liegt alſo darin eine Beſtätigung der eben aufge - ſtellten Behauptung, daß dieſer Unterſchied nicht als eine Folge der verſchiedenen Formelfaſſung (bey der Intentio in jus concepta), ſondern vielmehr als Grund derſelben, anzuſehen iſt.
Bisher war von ſolchen Formeln in factum die Rede, die ſchon im Edict aufgeſtellt waren: die meiſten ausſchlie - ßend für gewiſſe Rechtsfälle, einige neben Formeln in jus, zur freyen Auswahl des Klägers zwiſchen beiden For - mularen.
Außerdem aber wurden die Formeln dieſer Art auch in großer Ausdehnung gebraucht, wo es darauf ankam, für ein neu wahrgenommenes Rechtsverhältniß eine Klage zu erfinden, alſo in Fällen, wofür das Edict gar keine Formel enthielt, ſo daß ſie zur praktiſchen Erweiterung(z)mittelbarere und vollſtändigere An - wendung, als im Sinn ihrer Ver - faſſer.92Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Rechts dienten. Zu dieſem Zweck waren nun ſolche Formeln ſehr brauchbar, da jedes Recht ſtets auf irgend einer Thatſache beruhen muß, zu jenen Formeln aber nichts Anderes, als der Ausdruck einer Thatſache, mit einem daran geknüpften praktiſchen Erfolg, erfordert wurde.
Dieſes iſt nun die wahre Bedeutung der unzähligen, in unſren Rechtsquellen vorkommenden, actiones in factum; es waren Erweiterungen des praktiſchen Rechts, eingeführt durch formulae in factum conceptae, die gar nicht im Edict ſtanden, ſondern durch das Bedürfniß in einzelnen Fällen herbeigeführt wurden. Diejenigen unter ihnen, welche ſich auf häufig und gleichförmig wiederkehrende Fälle bezogen, wurden nachher in das Edict aufgenom - men, und auf dieſem Wege ſind wohl alle im Edict ſte - hende prätoriſche Klagen nach und nach in daſſelbe ge - kommen. Weder in der Abfaſſung aber, noch in der Wir - kung, machte es irgend einen Unterſchied, ob eine ſolche Formel auch ſchon im Edict ſtand oder nicht.
So waren alſo in der That die actiones in factum, die wir in unſren Rechtsquellen ſo oft finden, mit den erſt durch Gajus bekannt gewordenen formulae in factum conceptae Eines und Daſſelbe, und dieſe Identität, die von Manchen mit Unrecht bezweifelt worden iſt, wird durch viele Stellen außer Zweifel geſetzt(a)Gajus IV. § 106. 107 ge - braucht beide Ausdrücke (formula in f. concepta und in factum agere) mit willkührlicher Abwechs - lung. — Eben ſo ſtellt Gajus IV. § 46 viele formulae in factum zuſammen, und dieſelben Klagen heißen in den Digeſten ſtets ac -. Wenn ein -93In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)zelne Klagen dieſer Art, die beſonders häufig und wichtig waren, durch beſondere Namen individualiſirt wurden, bald nach ihrem Urheber, wie die Serviana des Pfand - glaubigers(b)Die Publiciana actio kann dahin nicht gerechnet werden, da ſie eine Fictionsklage war (§ 215), alſo aus in jus und in factum gemiſcht (§ 216.). Denſelben Cha - racter hatte die Rutiliana, und die für den bonorum emtor eingeführte Serviana. Gajus IV. § 35., bald nach ihrem Entſtehungsgrund, wie die actio doli, quod metus causa, vectigalis, constitutoria, hypothecaria, ſo geſchah Dieſes blos wegen der bequeme - ren Bezeichnung; auch dieſe Klagen waren und blieben darum nicht minder actiones in factum, oder formulae in factum conceptae.
Die hier aufgeſtellte Erklärung der actio in factum, in Verbindung mit der dadurch bewirkten praktiſchen Rechts - entwicklung, findet eine unmittelbare Beſtätigung in Zeug - niſſen der alten Juriſten(c)L. 1 pr. L. 11 de prae - scr. verbis (19. 5.).. Dieſe ſagen, die judicia prodita, die vulgares actiones(d)Judicia prodita ſind zu - nächſt die im Edict ſtehenden, mit ſtehenden Formeln verſehenen, Kla - gen; indeſſen erwähnt L. 11 de, hätten für die im wirk - lichen Leben vorkommende Bedürfniſſe nicht ausgereicht, und der Prätor habe daher nachgeholfen durch actiones in factum. Es wird hinzugeſetzt, die Fälle eines ſolchen Bedürfniſſes ſeyen von zweyerley Art: theils ganz neue, bisher gar nicht wahrgenommene, theils ſolche, die mit den bisher ſchon durch Civilklagen geſchützten Fällen ver -(a)tiones in factum. L. 12 de in jus voc. (2. 4 ) L. 25 pr. de O. et A. (44. 7.). — L. 3 pr. de eo per quem factum (2. 10.). — L. 5 § 3 ne quis eum (2. 7.).94Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. VI. Verletzung.wandt waren, worauf alſo die Civilklagen nur ausgedehnt zu werden brauchten(e)L. 11 de praescr. verbis (19. 5.)..
Es ergiebt ſich hieraus, daß die actiones in factum in ihrem allgemeinen Zweck (der praktiſchen Rechtserwei - terung) mit den oben erklärten utiles actiones überein ka - men (§ 215). Wenn alſo das Bedürfniß einer Klage für neue Fälle entſtand, ſo konnte dieſes oft befriedigt werden durch die Einführung einer, an eine alte Civilklage angeſchloſſenen, Fictionsklage, und dieſes waren die eigent - lichen utiles actiones. Es konnte aber auch in denſelben Fällen, und mit gleicher Wirkſamkeit, geſchehen durch eine actio in factum. Dieſe letzte Auskunft war die einzige in den weit zahlreicheren Fällen, worin entweder eine präto - riſche Klage (die ſchon ſelbſt in factum war) über ihre urſprüngliche Gränzen ausgedehnt, oder aber eine ganz neue Klage für ein früher gar nicht wahrgenommenes Rechtsverhältniß erfunden werden ſollte. Der allgemeine Name utilis actio, als Bezeichnung einer neuen, das Recht erweiternden Klage überhaupt (§ 215), paßte vollkommen auf dieſe zahlreichen in factum actiones, und damit ſtimmt es völlig überein, wenn in mehreren Stellen beide Be - zeichnungen zu dem Namen einer utilis in factum actio(d)praescr. verbis (19. 5) auch ac - tiones quae legibus proditae sunt. — Vulgares actiones ſind die bekannten, hergebrachten Kla - gen, alſo dem Sinne nach auch die im Edict ſtehenden. So ſteht vulgaris für directa (§ 215. a); in L. 42 pr. de furtis (47. 2) iſt es der Gegenſatz der actio noxalis, in Vatic. fragm. § 102 der Gegenſatz von actio de pe - culio. 95In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)vereinigt werden(f)L. 26 § 3 de pactis dot. (23. 4.). — „ Utilis … in factum.” L. 7 § 1 de religiosis (11. 7) „ utilem actionem in factum. ” — Pleonaſtiſch ſind dieſe Ausdrücke gerade nicht. In der zulezt an - geführten Stelle ſagt das utilis, es ſey hier die ſchon im Edict ſtehende actio de religiosis auf einen neuen Fall ausgedehnt wor - den; der Zuſatz in factum drückt aus, daß nicht etwa der Name utilis im engeren Sinn, für eine Fictionsklage, ſo verſtanden werden dürfe. — Vieles Gute findet ſich über das Verhältniß dieſer Begriffe bey Mühlenbruch Ceſſion § 15, wo nur zu viele und ſubtile Unter - ſchiede angenommen werden, an - ſtatt daß bey den Römern ſelbſt die Begriffe und die Ausdrücke viel einfacher genommen zu ſeyn ſcheinen.. Eine ſolche Klage war unſtreitig die hypothecaria, als Ausdehnung der urſprünglich für einen ſehr beſchränkten Fall eingeführten Serviana, und ſie heißt daher auch utilis Serviana, oder quasi Serviana.
Bey keiner Klage kommen dieſe Ausdrücke ſo häufig und abwechslend vor, als bey der actio Legis Aquiliae, deren urſprünglich ſehr enge Begränzung zu den mannich - faltigſten Ausdehnungen Veranlaſſung gab. Dieſe wurden ohne Zweifel oft durch eine eigentliche utilis actio, das heißt, durch eine Fictionsklage, bewirkt(g)Wenn der Fructuar der ver - lezten Sache klagen wollte, der nur eine utilis actio bekommen konnte (L. 11 § 10 ad L. Aquil. 9. 2), ſo mag die Formel etwa ſo gelautet haben: Si paret N. Ne - gidium Stichum servum, in quo ususfructus A. Agerii est, vul - nerasse, ejusque rei causa, si is servus A. Agerii ex jure Qui - ritium esset, damnum decidere oportere, judex quanti ea res plurimi fuit in diebus triginta proximis, tantam pecuniam con - demnato, si non paret absol - vito. — Eine ſolche Fictionsklage mochte wohl blos in Fällen der hier bezeichneten Art vorkommen, nämlich in Fällen, worin die Klage dem Nichteigenthümer geſtattet wur - de, der aber ein jus in re an der verlezten Sache hatte; wenn da - gegen die Ausdehnung der Klage in der Beſchaffenheit der verletzen - den Handlung lag (damnum non corpore datum), ſo paßte die Form der Fictionsklage nicht. Daß man jedoch den Ausdruck utilis actio auch in dieſen lezten Fällen. Eben ſo oft96Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber geſchah es durch eine in factum actio(h)Gewöhnlich heißt ſie blos in factum, zuweilen auch in fa - ctum Legi Aquiliae accommo - data, oder ad exemplum Legis Aquiliae. L. 11 pr. de praescr. verbis (19. 5 ), L. 53 ad L. Aquil. (9. 2.)., und es hieng wahrſcheinlich meiſt vom Zufall ab, und war auch für den letzten Erfolg ganz gleichgültig, ob der eine oder der andere Weg eingeſchlagen wurde Es iſt daher keinesweges als widerſprechende oder ſchwankende Meynung anzuſehen, wenn in einem und demſelben Fall bald die utilis, bald die in factum actio erwähnt wird(i)L. 51 de furtis (47. 2) verglichen mit L. 53 ad L. Aquil (9. 2.). — L. 9 § 3 ad L. Aquil (9. 2) verglichen mit L. 27 § 34 eod., in welcher lezten Stelle, nach vielen anderen Zeugniſſen, hinzu - gedacht werden muß: utilem (L. Aqu. actionem); vgl. § 16 J. de L. Aqu. (4. 3.). — Nach dem Schluß der angeführten Inſtitu - tionenſtelle möchte man glauben, es habe zwey ungleichzeitige Stu - fen von Erweiterungen der a. L. Aquiliae gegeben: 1) durch utilis actio 2) wo auch dieſe nicht mehr ausreichte, durch in factum actio. Dieſer falſche Schein beruht aber nur auf der ungenauen Zuſam - menfügung der Beſtandtheile jener Stelle, welche um ſo leichter mög - lich war, da die ganze Sache ſchon längſt im gangbaren Pro - zeß nicht mehr vorkam. Vgl. oben Band 1. § 45. Note d. Den neue - ren Juriſten hat die angeführte Stelle viele überflüſſige Noth ge - macht., da in der That ſchon zur Zeit des älteren Rechts Beides gleich richtig und für den Erfolg gleichgültig war; nicht zu gedenken, daß vollends im Juſtinianiſchen Recht, welches keine For - melnfaſſung mehr kennt, aller Unterſchied nur noch in den Namen liegt.
Von der hier behaupteten Identität der actio in fac - tum mit der formula in factum concepta muß jedoch Eine(g)brauchte, zeigen die Stellen in Note i. 97§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)entſchiedene Ausnahme behauptet werden. Aus den Con - tracten, die von den Neueren Innominatcontracte genannt zu werden pflegen, entſpringen unſtreitig Civilklagen, und dieſe führen, mit ganz willkührlicher Abwechslung, die ihnen allen gemeinſchaftlichen Namen: actio praescri - ptis verbis, und in factum civilis(k)In factum civilis. L. 1 § 1. 2 L. 5 § 2 de praescr. verb. (19. 5.). — Iſt identiſch mit prae - scriptis verbis. L. 1 § 2 L. 2 pr. L. 13 § 1 L. 22 pr. L. 24 eod. . Die Einrichtung dieſer Klagen aber war folgende. Zuerſt kam eine De - monstratio, die nicht ſo, wie bey anderen Klagen, den Hergang blos kurz andeutete(l)Dieſe Geſtalt der bey an - deren Klagen vorkommenden De - monstratio erhellt aus Gajus IV. § 36. 47. 136. 137., ſondern ganz ausführlich, mit allen Umſtänden, erzählte, und eben dadurch das Klag - recht begründete(m)L. 6 C. de transact. (2. 4 ) „ .. Aut enim stipulatio conventioni subdita est, et ex stipulatu actio compctit: aut, si omissa verborum obligatio est, utilis actio, quae prae - scriptis verbis rem gestam de - monstrat, danda est.” Demon - strat iſt die unmittelbare Bezeich - nung der Demonstratio, das We - ſentliche aber liegt in dem rem gestam, das heißt der Erzählung aller einzelnen Thatſachen, ſo wie ſie vorgefallen ſind. — Großen Anſtoß hat hier von jeher der Ausdruck utilis actio erregt, den man etwas gewaltſam in civilis hat emendiren wollen. Die natür - lichſte Erklärung iſt wohl die. Man nahm früher an, daß der Innominatcontract in der (eben hier vorausgeſezten) Form facio ut des keine Civilklage hervor - bringe (L. 5 § 3 de praescr. verb. 19. 5.). Indem nun hier dennoch eine ſolche Klage zugelaſ - ſen wird, war dieſe eine utilis actio im Vergleich mit der früher beſchränkteren Anwendung der Kla - ge. Elvers neue Themis B. 1 S. 366.. Da dieſes eine wahre Demonstratio war, alſo vor der Intentio ſtand, ſo erklärt ſich daraus der Name praescriptis verbis, der hier, wie bey den prae - scriptiones, nur zu dieſer Stellung in der Formel paſſenV. 798Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.konnte(n)Dieſes iſt richtig bemerkt von Haſſe a. a. O., S. 44.. Der Name in factum erklärt ſich aus der ausführlichen Erzählung der Thatſachen, wodurch dieſe Art der Klagen mit den formulae in factum conceptae Ähnlichkeit hatte, und zwar insbeſondere mit denjenigen unter ihnen, welche nicht ſchon im Edict ſpeciell aufgeſtellt waren, ſondern für das Bedürfniß vorkommender Fälle jedesmal neu erfunden wurden.
Hierauf folgte nun die auch bey vielen anderen Kla - gen übliche, ganz unbeſtimmte, Intentio in jus concepta: Quidquid eum ob eam rem dare facere oportet. Von ihr führt die Klage in ſehr vielen Stellen bald den Na - men incerti actio, (wegen des unbeſtimmten Quidquid), bald civilis (wegen der juris civilis oder in jus Intentio), bald beide Namen vereinigt(o)Civilis, ſ. o. Note k. — Incerti. L. 8 L. 9 pr. de prae - scr. verb. (19. 5 ), L. 19 § 2 de prec. (43. 26 ), L. 9 C. de don. (8. 54.). — Civilis incerti oder incerta. L. 7 § 2 de pactis (2. 14 ), L. 16 de praescr. verb. (19. 5 ), L. 23 comm. div. (10. 3 ), L. 6 C. de rer. perm. (4. 64.). — In der angeführten L. 19 § 2 de prec. ließt die Florentina: incerti condictione, ohne Zweifel unrich - tig; die richtige Bononienſis: in - certa actione ſteht im Cod. Rehd., in meiner Handſchrift, und in den Ausgaben: Rom. 1476. Norimb. 1483. Venet. 1483. Ve - net. 1485.; einmal ſogar geradezu den Namen: civilis intentio incerti(p)L. 6 pr. de praescr. ver - bis (19. 5) „ civili intentione in - certi.” , welche Bezeichnung allein ſchon hinreicht, um jeden Zweifel über die Natur dieſer Formel zu beſeitigen. Ja auch ſchon der Name incerti actio würde keinen Sinn haben, wenn man jene Klage für eine formula in factum concepta halten wollte,99§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)da die Erzählung, die nun die Intentio gebildet haben würde (§ 216), durchaus keine Unbeſtimmtheit in ſich ſchließt.
Es ergiebt ſich hieraus, daß dieſe actio in factum ci - vilis in der That eine formula in jus concepta hatte, ſo leicht auch der Name über dieſen Punkt täuſchen kann(q)Die hier aufgeſtellte Lehre iſt ſchon von Anderen auf über - zeugende Weiſe vorgetragen wor - den. Keller Litisconteſtation S. 252. 253. Haſſe a. a. O., S. 41 — 46. G. E. Heimbach Bedeutung der in factum actio in Linde’s Zeitſchrift B. 11 S. 285 fg. — Vorſichtig gewählt war al - lerdings der Ausdruck in factum civilis nicht, da er ſo leicht zu der Verwechslung dieſer Klagen mit der formula in factum con - cepta einiger Civilklagen (§ 216. k) verleiten konnte, womit ſie doch in der That gar Nichts gemein hatten.. Zu dem ſchon aus dem Zuſammenhang der angeführten Stellen für die Richtigkeit dieſer Behauptung hervorge - henden Beweiſe kommen nun noch folgende einzelne beſtä - tigende Zeugniſſe hinzu. — Nach den Inſtitutionen iſt die hier erwähnte Klage bonae fidei(r)§ 28 J. de act. (4. 6.).; wir wiſſen aber aus Gajus, daß die mit dieſem Character verſehenen Klagen eine Intentio in jus concepta hatten in folgender Faſſung: Quidquid eum dare facere oportet ex fide bona(s)Gajus IV. § 47.; die Intentio in factum concepta war zu dieſem Zuſatz, wor - auf ſich doch der Name jener Klaſſe von Klagen grün - dete, durchaus nicht geeignet(t)Die Worte ex fide bona enthalten die nähere Beſtimmung und Einſchränkung des oportet, das heißt des in der Verpflichtung liegenden Rechtsverhältniſſes; da - gegen hätte es keinen Sinn ge - habt, der reinen Thatſache: Si paret Agerium mensam depo - suisse den Zuſatz ex fide bona zu geben.. — Wenn Sejus dem Titius den Sklaven Stichus gab, damit Titius den Skla - ven Pamphilus frey laſſe, Titius auch ſeine Verbindlichkeit7*100Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erfüllte, und ihm nun der Sklave von einem Dritten evin - cirt wurde, ſo fragte es ſich, welche Entſchädigungsklage Titius gegen Sejus wegen dieſer Eviction habe. Der Juriſt Julian fand eine in factum actio nöthig; darüber wird er von Maurician und Ulpian getadelt, weil die re - gelmäßige civilis incerti actio für dieſen Zweck zuläſſig, alſo die Aushülfe durch eine in factum actio nicht nöthig ſey(u)L. 7 § 2 de pactis (2. 14 ) „ .. Et ideo puto, recte Julia - num a Mauriciano reprehen - sum in hoc: dedi tibi Stichum ut Pamphilum manumittas: ma - numisisti: evictus est Stichus: Julianus scribit in factum ac - tionem a Praetore dandam: ille ait, civilem incerti actio - nem, id est praescriptis verbis suficere.” . Der Gegenſatz, welcher dieſem Tadel zum Grunde liegt, hat augenſcheinlich den Sinn, daß die Civilklage, die Ulpian für zuläſſig und ausreichend erklärt, eine In - tentio in jus concepta hatte; wäre auch ſie in factum concepta geweſen, ſo war gar kein wahrer Gegenſatz ge - gen die Meynung des Julian vorhanden, alſo auch keine Veranlaſſung zum Tadel(v)Der bloße Gegenſatz der Civilklage und der prätoriſchen an ſich ſelbſt kann nicht gemeynt ſeyn, da dieſer in der Formel gar nicht ſichtbar wurde; die Abfaſſung der Intentio (in jus oder in factum) konnte allein einen ſichtbaren Un - terſchied darbieten, und zu einem Tadel Gelegenheit geben.. — Endlich bezeugt ein Scho - liaſt zu den Baſiliken ausdrücklich, daß die Klagen, von welchen hier die Rede iſt, außer der Demonstratio noch eine beſondere Intentio hatten, worauf endlich die Con - demnatio folgte(w)Schol. Basil. Vol. 1 p. 559. 560 ed. Heimbach; vgl. A. E. Heimbach a. a. O., S. 290..
Die bisher verſuchte Darſtellung der älteren Klagfor - men ſollte den Weg bahnen zum Verſtändniß einiger Arten der Klagen, deren wichtige Verſchiedenheiten noch im Ju - ſtinianiſchen Recht ſehr häufig erwähnt werden. Es ſind dieſes die stricti juris und bonae fidei actiones, die Con - dictionen, und die arbitrariae actiones.
Cicero ſagt, es gebe überhaupt zweyerley Klagen, ju - dicia und arbitria(a)Cicero pro Roscio Co - moedo C. 5 „ Aliud est judi - cium, aliud arbitrium … Quid est in judicio? directum, aspe - perum, simplex: Si paret HS. ICCC dari oportere .. Quid est in arbitrio? mite, moderatum: Quantum aequius et melius, id dari. . In jenen werde der Rechtsſtreit ſtreng und buchſtäblich behandelt, in dieſen milde und mit freyer Rückſicht auf Billigkeit. Gleich nachher ſcheint er denſelben Gegenſatz durch die Ausdrücke judicia legitima und arbitria honoraria zu bezeichnen(b)Cicero ib. C. 5 „ perinde ac si in hanc formulam omnia judicia legitima, omnia arbi - tria honoraria, omnia officia domestica conclusa et compre - hensa sint, perinde dicemus.” Dieſe rhetoriſche Stelle macht of - fenbar keinen Anſpruch auf wiſſen - ſchaftliche Präciſion, der Sinn aber iſt dieſer: „ alle judicia, das heißt die Civilklagen, eben ſo alle arbi - tria, das heißt die prätoriſche Klagen. “ Die Beywörter haben alſo eine erklärende, nicht ein -. In anderen102Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Stellen bezeichnet er ſolche Klagen, die gewiß unter die angeführten arbitria gehören, als judicia (oder arbitria), in quibus ex fide bona est additum, das heißt deren for - mula die hier angegebenen Worte, oder auch andere von ähnlichem Sinn, als characteriſtiſchen Zuſatz in ſich ſchlöſ - ſen(c)Cicero top. C. 17 „ In om - nibus igitur iis judiciis, in qui - bus ex fide bona est additum: ubi vero etiam ut inter bonos bene agier: in primisque in ar - bitrio rei uxoriae, in quo est: quid aequius melius. ” — Cicero de offic. III. 15 „ judiciis in qui - bus additur ex fide bona;” III. 17 „ in omnibus iis arbi - triis, in quibus adderetur ex fide bona.” .
Ganz derſelbe Gegenſatz, auch in gleicher Allgemein - heit, wird einmal von Seneca erwähnt, hier aber mit einer ſehr wichtigen näheren Beſtimmung, die über die an - geführten Ausdrücke Aufſchluß giebt, und die nur zufällig bey Cicero nicht ausgedrückt iſt(d)Seneca de beneficiis III. 7 „ Ideo melior videtur conditio causae bonae si ad judicem, quam si ad arbitrum mittatur: quia illum formula includit, et certos quos non excedat terminos ponit; hujus libera, et nullis adstricta vinculis re - ligio, et detrahere aliquid pot - est et adjicere ..... ubi id, de quo sola sapientia decernit, in controversiam incidit, non pot - est ad haec sumi judex ex tur - ba selectorum, quem census in album, et equestris hereditas misit. ” — Merkwürdigerweiſe hat ſich die wörtliche Erwähnung dieſes Unterſchieds in der Perſon der Urtheiler noch in einer Stelle von Juſtinians Inſtitutionen er - halten, obgleich ſie hier keinen Sinn mehr hatte. § 1 J. de act. . Es wurden nämlich(b)ſchränkende Bedeutung, und es iſt dadurch nicht ausgeſchloſſen, daß es auch ſehr viele und wichtige Civilklagen gab, die arbitria wa - ren, wie ſogleich aus anderen Stellen des Cicero bemerkt werden wird. Ganz verwerflich würde es ſeyn, dieſe judicia legitima, de - ren Bedeutung durch den Gegen - ſatz der arbitria honoraria un - zweifelhaft wird, mit den legitimis judiciis bey Gajus IV. § 103 — 105 in irgend eine Verbindung zu brin - gen; Gajus ſelbſt hat im § 109 jeder hierin möglichen Verwechs - lung ſorgfältig vorgebaut.103§. 218. Judicia, arbitria, Stricti juris, bonae fidei actiones. periodiſch Liſten beſonders ausgewählter Richter verfer - tigt und öffentlich aufgeſtellt (das album). Dabey waren öftere Veränderungen wahrzunehmen theils in der Anzahl, theils in den Bürgerklaſſen, worans die Richter ausſchlie - ßend genommen werden mußten(e)Vgl. Zimmern Rechtsge - ſchichte B. 3 § 10.. Die Perſon des Ur - theilers ſtand nun mit jener Verſchiedenheit der Klagen in der Verbindung, daß das judicium nur vor einem aus dem album genommenen Judex möglich war, anſtatt daß über ein arbitrium zu urtheilen Jeder berufen werden konnte, ohne Unterſchied ob er im album ſtand oder nicht(f)Cicero pro Cluentio C. 43 ſagt, alle Judices erhielten ihre Gewalt nur durch die freye Ein - ſtimmung der Parteyen; mit der Allgemeinheit dieſes Satzes ſind aber doch Verſchiedenheiten in der Art und dem Grad dieſer mitwir - kenden Einſtimmung wohl verein - bar. Wenn in dem judicium der Prätor oder das Loos eine Anzahl Namen aus dem album aus - wählte, und nun jede Partey eine beſtimmte Quote derſelben verwer - fen konnte, ſo lag ſchon darin eine gewiſſe Einſtimmung in die Übrig - bleibenden, aus welchen dann viel - leicht Einer durch das Gutdünken des Prätors zum Judex ernannt wurde; dagegen kam vielleicht bey dem arbitrium eine poſitive und individuelle Übereinkunft vor, wor - auf zu deuten ſcheint L. 57 de re jud. (42. 1 ) Valer. Max. II. 8. 2. — Wahrſcheinlich ernannte der Kläger den arbiter, welchen dann der Beklagte verwerfen konnte. Valer. Max. VIII. 1. 2. „ Cal - purnius .. Catonem .. arbitrum Claudio addixit.” Doch heißt es in derſelben Geſchichte bey Ci - cero de off. III. 16 adegit, und eben ſo pro Roscio 9. Dagegen ſagt auch Cicero de or. II. 65. 70 judicem alicui ferre. — Ganz irrig würde es ſeyn, ſich die Sache ſo vorzuſtellen, als wären die im album verzeichneten Richter gerade die Beſſeren, Zu - verläſſigeren geweſen, ſo daß man ſich bey den arbitriis mit Gerin - geren begnügt hätte. Je nach dem Übergewicht der politiſchen Par - teyen wurden öfter gerade die Vor - nehmſten vom album ausgeſchloſ - ſen; ferner wurden ohne Zweifel die zahlreichen Obrigkeiten des lau -. Über(d)(4. 6.). „ Omnium actionum, quibus inter aliquos apud ju - dices arbitrosve de quacumque re quaeritur” etc. 104Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den Sprachgebrauch aber iſt zu bemerken, daß die Aus - drücke judex und judicium mit willkührlicher Abwechslung gebraucht werden, bald um allein das oben beſchriebene judicium im engeren Sinn zu bezeichnen (Note a. b. d), bald als generiſche Bezeichnung, unter welcher auch die arbitria begriffen ſind(g)Dieſes erhellt ganz klar aus den Stellen des Cicero Note c. Ferner gebraucht Gajus IV. § 163 die Ausdrücke judex und arbiter ganz abwechſlend, vielleicht dem bloßen Wohllaut folgend (z. B. judicis arbitrio). In den For - meln derjenigen Klagen, die gewiß arbitria waren, kommt ſtets ju - dex esto vor, nie arbiter esto; nur bey Mehreren heißt es: recu - peratores sunto (Gajus IV. § 46. 47. ), nicht: judices oder arbitri sunto. Es war alſo nicht etwa nachläſſiger Sprachgebrauch der Schriftſteller, ſondern die herrſchen - de Gerichtsſprache. Wenn daher geſtritten wurde, ob es beſſer ſey judex oder arbiter zu ſagen (Cicero pro Murena C. 12), ſo darf dieſem Streit wohl nur eine theoretiſche, ſprachverbeſſernde, Be - deutung zugeſchrieben werden.. Ein ähnliches Schwanken kommt bey den Ausdrücken arbiter und arbitrium nicht vor, welche ganz gewiß nur bey den Prozeſſen der freyeren Art ge - braucht werden(h)In ganz anderer Beziehung freylich iſt auch der Ausdruck ar - biter zweydeutig, indem er nicht blos den Urtheiler in einer freyen Klage, ſondern auch den außerge - richtlichen Schiedsrichter bezeichnet..
Faſſen wir dieſes Alles zuſammen, ſo gab es im alten Prozeß zweyerley Klagen, die wir, der Kürze wegen, ſtrenge und freye nennen wollen. Die Verſchiedenheit im Verfahren, das heißt die mehr oder weniger freye Macht, die dem urtheilenden Judex überlaſſen war, hieng aber zuſammen mit der perſönlichen Eigenſchaft deſſelben,(f)fenden Jahres, die doch ſtets ar - bitri ſeyn konnten, nicht in das album geſetzt; endlich durfte der arbiter eben ſowohl aus dem album, als außer demſelben, ge - wählt werden.105§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones. indem er bey den ſtrengen Klagen nur aus dem öffentlich aufgeſtellten Richterverzeichniß, bey den freyen aber ohne dieſe Einſchränkung gewählt werden durfte.
Merkwürdigerweiſe kommt die hier dargeſtellte Einthei - lung der Klagen in dieſer Allgemeinheit, wörtlich aner - kannt, in dem ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen nicht vor; ſie erſcheint jedoch hier, ſorgfältig ausgebildet, in einem engeren Kreiſe von Klagen, als stricti juris und bonae fidei actiones. Es würde unrichtig ſeyn, deshalb anzunehmen, daß ſie ſich überhaupt in dieſen engeren Kreis zurückgezogen hätte, und für die übrigen Klagen verſchwun - den wäre; vielmehr wird unten gezeigt werden, daß ſie ihre allgemeine Bedeutung und Wichtigkeit während des ordo judiciorum ſtets behauptet hat, ſo daß die eingetre - tene Veränderung mehr den vorherrſchenden Sprachge - brauch, als die Sache ſelbſt, betroffen zu haben ſcheint.
Um nun dieſen wichtigen Gegenſatz, ſo wie er in unſren Rechtsquellen erſcheint, vollſtändig zur Anſchauung zu bringen, iſt es nöthig, eine Überſicht aller Klagen voran zu ſtellen, und dabey vorläufig zu bemerken, wie ſich dieſelben zu jenem Gegenſatz verhalten. Die genauere Erörterung dieſer vorläufigen Behauptungen wird dann der Gegen - ſtand der nachfolgenden Unterſuchungen ſeyn. Es gründet ſich aber die folgende tabellariſche Überſicht auf die ſchon entwickelten Begriffe der civilen und prätoriſchen Klagen (§ 213), der Klagen in rem und in personam (§ 206 — 209),106Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.endlich der aus Delicten entſpringenden oder Pönalklagen (§ 210 — 212.).
Es beſchränkt ſich demnach der Gegenſatz der stricti juris und bonae fidei actiones auf den engeren Kreis der - jenigen Civilklagen, welche in personam ſind, und zugleich107§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. aus Rechtsgeſchäften entſpringen. Allen übrigen Klagen dürfen jene Namen nicht beygelegt werden, allein der prak - tiſche Character, welcher ſie unterſcheidet, indem die einen ſtrenge, die anderen freye Klagen ſind, findet ſich bey al - len übrigen Klagen wieder, und zwar dergeſtalt, daß die allermeiſten derſelben unter die freyen, nur ſehr wenige unter die ſtrengen Klagen gehören.
Da übrigens der ganze hier behandelte Gegenſatz vor - zugsweiſe auf die Beſchaffenheit und die Macht des Judex Beziehung hatte, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der - ſelbe nur für die ordinaria judicia Bedeutung haben konnte, indem in den extraordinariis ein von der Obrigkeit ver - ſchiedener Judex gar nicht vorkam.
Als Mittelpunkt dieſes ganzen Klagenſyſtems ſind die perſönlichen Civilklagen aus Rechtsgeſchäften zu betrachten, ſo daß ſich die beſtimmteſten und reichhaltigſten Kunſtaus - drücke ausſchließend auf ſie beziehen, die übrigen Klagen aber nach ihrer Analogie behandelt werden.
Jenen contractlichen Civilklagen liegt aber folgender Gedanke zum Grunde. Das erſte und dringendſte Bedürf - niß für den geordneten Rechtszuſtand iſt der richterliche Schutz des Eigenthums und der ihm verwandten Rechte. Der in dieſem Schutz des Berechtigten begründete Zwang108Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gegen die Freyheit der Andern äußert ſich abwehrend, wie - derherſtellend, alſo auf eine meiſt negative Weiſe. Auch wird dieſe Art des Schutzes großentheils hinreichen, um in dem Verkehr der Menſchen unter einander eine rechtliche Ordnung zu erhalten; ſoweit er hinreicht, bedarf es eines Zwanges zu poſitiven Handlungen nicht, und ſoll dieſer dennoch angewendet werden, ſo kann die Rechtfertigung deſſelben nur in der beſonders nachgewieſenen Unentbehr - lichkeit liegen.
Wenn zum Beyſpiel Einer ſein Haus vermiethet, und der Miether die Rückgabe verweigert, ſo kann zum Schutz gegen dieſes Unrecht ſchon die Eigenthumsklage ge - nügen. Gegen die Verweigerung des Miethgeldes freylich ſchützt dieſe Klage nicht, und dadurch wird dennoch eine wohlbegründete Erwartung des Vermiethers geſtört; eben ſo verhält es ſich mit dem Inhalt der meiſten anderen Verträge. Dieſe Erwartungen nun ſtehen zunächſt unter dem Schutz der bey rechtlichen Menſchen geltenden Sitte, und dieſer Schutz, ſelbſt ohne äußere Unterſtützung, iſt ſtärker, als man in blos juriſtiſcher Betrachtung anzuneh - men geneigt ſeyn mag. Es iſt hier nicht die Rede von edler Geſinnung, Grosmuth, Aufopferung, auf welche durchſchnittlich zu rechnen nie gerathen ſeyn möchte; zur Beobachtung jener Sitte kann ſchon verſtändige Selbſt - ſucht antreiben, da auf ihr das ſchwer zu entbehrende Zu - trauen Anderer beruht. Wir bezeichnen dieſen Zuſtand als Treue und Glauben, die Römer nennen ihn bona fides. 109§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er - haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen - thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und Glauben.
Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts - zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei - nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über - ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng - liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig - lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens. Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei - genthums.
Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön - liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines110Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gleichartigen Schutzes theilhaftig werden müſſen. Denn der abſtracte Grund, weshalb hier dem Darlehen ein Schutz höherer Art als anderen Verträgen gewährt wurde, lag in dem Umſtand, daß ohne dieſen Schutz mein Ver - mögen zum Vortheil eines Andern ohne Rechtsgrund ver - mindert ſeyn würde; conſequenterweiſe werden wir alſo auch in anderen Fällen, worin nur dieſes abſtracte Ver - hältniß wahrgenommen wird, denſelben Schutz zu geſtat - ten haben. So geſchieht es in der That, wenn mein Eigenthum den andern bereichert, nicht in Folge meines ihm gewährten Vertrauens, wohl aber in Folge einer irri - gen Handlung (condictio indebiti), oder in Folge eigen - mächtiger Handlung des Bereicherten, oder auch eines bloßen Zufalls. Vermittelſt dieſer natürlichen Entwicklung ſind mit der Klage aus dem Darlehen auf gleiche Linie geſtellt worden die condictio indebiti, sine causa, furtiva u. ſ. w.(a)Beylage XIV. Num. IV — VIII. .
Eine zweyte, ſchon etwas künſtlichere, Erweiterung jenes Schutzes liegt auf folgendem Wege. Wenn zwiſchen mir und einem Andern ein Rechtsverhältniß der Art be - ſteht, welche an ſich nur durch Treue und Glauben ge - ſchützt zu ſeyn pflegt, wir einigen uns aber dahin, daß dafür unter uns ein ſtrenger richterlicher Schutz gelten ſoll, gleichartig dem, welcher durch das anvertraute Eigen - genthum von ſelbſt entſteht, ſo kann es nur zur Förderung und Belebung des Verkehrs gereichen, daß eine ſolche Einigung111§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Wirkſamkeit erhalte. Es wird dann nur darauf ankom - men, ſolche Formen anzuwenden, wodurch das Daſeyn und der Ernſt jener Einigung außer Zweifel geſetzt werde. Die natürlichſte Einrichtung einer ſolchen Form wird dar - auf gerichtet ſeyn, daß die innere Verwandſchaft mit den oben dargeſtellten Faͤllen, insbeſondere mit dem Darlehen, ſichtbar hervortrete. Hierauf beruht die mit dem Darle - hen völlig gleichartige Wirkung der expensilatio und sti - pulatio, ſo wie der alten nexi obligatio(b)Beylage XIV. Num. IX. X. .
Nun aber iſt es nöthig, diejenigen Rechtsgeſchäfte, von welchen oben geſagt wurde, daß ſie nur durch Treue und Glauben geſchützt werden, noch genauer in’s Auge zu faſ - ſen. Lediglich dabey ſtehen zu bleiben, wird durch die Rückſicht auf ſolche Perſonen bedenklich, welche geneigt ſeyn möchten, ſich der ſchützenden Sitte völlig zu entziehen. Möchten Dieſe auch für die Zukunft durch das verſcherzte Zutrauen vielleicht größeren Nachtheil erleiden, ſo würden ſie doch im einzelnen Fall einen augenblicklichen, ſehr un - verdienten, Gewinn ziehen können, und auch ſchon darin würde eine Störung der Rechtsordnung, wenngleich von minderer Art, liegen. Dadurch aber treten dieſe Fälle in eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den oben dargeſtellten, durch ſtreng richterlichen Schutz zu ſichernden Fällen, ohne jedoch völlig gleichartig mit ihnen zu werden.
Die Römer haben dieſe Verwandtſchaft, und die noch daneben beſtehende Verſchiedenheit, in folgender Weiſe an -112Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen. Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi - ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus - kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da - her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus - kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge - biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey(c)Beylage XIII. Num. XIII. .
Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be - trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor - den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con - creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich, begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio, häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über113§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei. Dieſelbe entſcheidet ein Judex, aus dem allgemeinen Rich - terverzeichniß genommen. Für die übrigen Fälle dagegen gilt eine bonae fidei actio, und darüber wird durch einen von den Parteyen gewählten Arbiter (oder durch Mehrere) entſchieden. Der Judex vertritt lediglich die Stelle des Prä - tors, und muß ſich daher in den buchſtäblichen Gränzen halten, die ihm der Auftrag des Prätors vorſchreibt. Der Arbiter hat die unter rechtlichen Menſchen herrſchende Sitte zu interpretiren, und urtheilt daher mit größerer Freyheit, indem ſich der Prätor, ihm gegenüber, auf eine allgemeinere Leitung des Verfahrens beſchränkt.
Dieſe verſchiedene Macht des Judex und des Arbiter beruhte daher auf ihrer ganz verſchiedenen Stellung zu den Parteyen und zur Obrigkeit, und dabey lag wieder zum Grunde die verſchiedene Grundanſicht in der Betrach - tung beider Klaſſen von Rechtsgeſchäften. Es würde alſo irrig ſeyn, dieſe Verſchiedenheit als eine abſichtliche Be - günſtigung des Klägers bey der einen oder andern Klaſſe der Klagen anſehen zu wollen, da jede derſelben eigenthüm - liche Vortheile und Nachtheile für den Kläger mit ſich führte, welche aber nicht als Zweck der ganzen Einrichtung angeſehen werden dürfen(d)Beylage XIII. Num. II. III. IV. .
Unter den Condictionen wurden drey Klaſſen, ſowohl durch die Formeln im Prozeß, als durch wichtige prak - tiſche Regeln, unterſchieden. Die erſte, beſonders ausge - zeichnete, Klaſſe bildete die certi condictio, auch si cer -V. 8114Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tum petetur genannt, welche auf die Forderung einer be - ſtimmten Geldſumme gerichtet war (si paret, Centum dari oportere). In ihr wurde der redliche Theil gegen die Unredlichkeit des Gegners durch eine sponsio und resti - pulatio tertiae partis geſchützt. — Die zweyte Klaſſe war auf die Übertragung des Eigenthums irgend einer beſtimm - ten Sache außer dem baaren Gelde gerichtet (si paret, hominem Stichum dari oportere). — Die dritte endlich gieng auf Leiſtungen irgend einer Art, außer jenen beiden, und dieſe wurden ſtets als etwas Unbeſtimmtes angeſehen. Daher hieß die Condiction dieſer dritten Klaſſe incerti condictio, und ihre Formel lautete auf: Quidquid dari fieri oportet(e)Beylage XIV. Num. XXXII — XL. .
Unter den bonae fidei actiones findet ſich eine ſolche Verſchiedenheit nicht. Sie giengen ſtets auf Dasjenige, was im vorliegenden Fall nach Treue und Glauben von einer, das Rechtsverhältniß völlig durchſchauenden, Par - tey freywillig geleiſtet werden würde, und dieſe ihre ge - meinſame Richtung wurde durch die Formel ausgedrückt: Quidquid dari fieri oportet ex fide bona(f)Beylage XIII. Num. XIV. .
Bey neueren Schriftſtellern finden ſich über den hier115§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.)dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich - tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.
Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen, nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün - ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel - klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor - theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an - deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über - haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel, die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden(a)Beylage XIII. Num. XIII. .
Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla - gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe (§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä - terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet8*116Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf unbeſtimmtere Gegenſtände von mannichfaltiger Art. Die neueſte Rechtsbildung endlich ergab die Einführung der bonae fidei actiones, die den zuletzt genannten Con - dictionen verwandt waren, und in Freyheit des Verfah - rens und Unbeſtimmtheit der Gegenſtände nur noch einen Schritt weiter giengen.
Zeugniſſe für eine ſolche hiſtoriſche Entwicklung der Rechtsinſtitute ſind niemals beygebracht worden, und es hat wohl zur Annahme derſelben nur die ſcheinbare Na - türlichkeit eines allmäligen, in der Zeit fortſchreitenden, Übergangs vom Strengen zum Freyen, vom Beſtimmten zum Unbeſtimmten, hingeführt. Allein es iſt überall ge - fährlich, ſolchen abſtracten Begriffen in hiſtoriſchen Unter - ſuchungen zu vertrauen. Im vorliegenden Fall können wir zwar die angegebene hiſtoriſche Succeſſion eben ſo wenig durch unmittelbare Zeugniſſe widerlegen, als ſie durch ſolche erwieſen worden iſt. Allein es ſpricht dagegen ſo - wohl der praktiſche Sinn der Römer, welchem eine ſo ungenügende Behandlung, wie ſie hier für die frühere Zeit vorausgeſetzt wird, zu keiner Zeit zuſagen konnte, als auch der Schluß, welcher aus einzelnen ſicheren Thatſachen äl - terer Zeit gezogen werden kann. Und ſo ſind wir berech - tigt, jene Behauptung nicht blos als unbegründet, ſondern auch als ganz unwahrſcheinlich zu verwerfen(b)Beylage XIII. Num. XIII., Beylage XIV. Num. XLVII. .
Dagegen iſt eine hiſtoriſche Entwicklung anderer Art nicht blos als wahrſcheinlich, ſondern als völlig gewiß117§. 220. Act, stricti juris (Condictiones), bonae fidei (Fortſ.)anzunehmen. Jenes Syſtem der vorherrſchenden Condic - tionen in drey verſchiedenen Formeln und Klaſſen, und der daneben ſtehenden b. f. actiones, iſt zwar allerdings als nicht allmälig, ſondern gleichzeitig entſtanden anzuſe - hen, ſo daß gleich bey der urſprünglichen Bildung des Formularprozeſſes die den alten Legis actiones nachge - bildeten Condictionen in derſelben Mannichfaltigkeit auf - geſtellt wurden, worin wir ſie in unſren Rechtsquellen finden. Allein im Laufe der Zeit wurde das der b. f. actio zum Grunde liegende Princip als das vorzüglichere und annehmlichere betrachtet, und es findet ſich eine ſichtbare Hinneigung, die Condictionen in die freyere Natur der b. f. actiones hinüber zu leiten, wozu beſonders die Prä - toren auf mancherley Weiſe mitwirkten. Es geſchah Die - ſes durch Mittel und Rechtsformen, welche in dem Syſtem der Condictionen ſelbſt gegründet waren, und es lag da - her in dieſem Verfahren die Befriedigung eines durch ſtets wachſende Überzeugung anerkannten praktiſchen Bedürf - niſſes, ohne daß man Daſſelbe einer formellen Inconſe - quenz beſchuldigen konnte(c)Beylage XIII. Num. XX. . — Dieſe Richtung ſcheint ſchon früh eingetreten zu ſeyn, wenigſtens ſchon zur Zeit des Cicero, wofür, von anderen Gründen abgeſehen, ſchon die Vorliebe Zeugniß giebt, womit er, vom ſittlichen Stand - punkt aus, über die b. f. actiones redet (§ 218. c.). Das Weſen des früheren Klagenſyſtems ſtand jedoch feſt, ſo lange als die alte Gerichtsverfaſſung beſtand; der Judex118Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.oder Arbiter bezeichnete ſtets die Gränze zwiſchen den bei - den Hauptarten perſönlicher Klagen. Als aber, mit der geſammten älteren Gerichtsverfaſſung (dem ordo judicio - rum), dieſe Verſchiedenheit der Urtheiler verſchwand, da hatte eigentlich das Weſen jenes Klagenſyſtems aufgehört. Die Hinneigung zu der freyeren Art der Klagen mußte jetzt immer ſtärker hervor treten, und es blieben nur noch vereinzelte, rein praktiſche, Unterſchiede übrig, die ſich un - ter dem Einfluß des älteren Prozeſſes gebildet hatten, und die nunmehr nur deshalb fortbeſtanden, weil Niemand auf den Gedanken kam, ſie aufzuheben.
Bis dahin iſt der Gegenſatz der ſtrengen und freyen Klagen lediglich auf die perſönlichen Civilklagen, welche aus Rechtsgeſchäften entſpringen, angewendet worden, in - dem dieſe in der That den Mittelpunkt des alten Actionen - ſyſtems bilden (§ 218. 219). Allein jener Gegenſatz hat an ſich eine allgemeinere Natur, und es muß daher auch bey den übrigen Klaſſen der Klagen nachgewieſen werden, wie ſie ſich zu demſelben verhalten.
Die civilen Delictsklagen wurden ohne Zweifel, eben ſo wie die Condictionen, jedesmal von einem Judex ent - ſchieden und als ſtrenge Klagen behandelt. Denn wenn ein alter Volksſchluß eine Geldſtrafe auf ein Delict ſetzte, ſo würde dieſe Beſtimmung, ohne Verfolgung vor einem Richter, gar keinen Sinn gehabt haben(d)Beylage XIII. Num. VIII. .
119§. 221. Arbitrariae actiones.Bey den civilen in rem actiones wurde es in die Wahl des Klägers geſtellt, ob er einen Judex oder Arbi - ter verlangen, das heißt, ob er vermittelſt einer Sponſion den Weg der ſtrengen Klage einſchlagen, oder eine peti - toria formula vor einem Arbiter gebrauchen wollte, wel - cher letzten allein der Name einer in rem actio eigentlich gebührte(e)Beylage XIII. Rum. IX. Aus dieſer Reduction der Eigen - thumsklage auf eine Sponſion wird es recht anſchaulich, daß das alte Klagenſyſtem auf der Grundlage der Contractsklagen erbaut war..
Die prätoriſchen Klagen endlich, mochten ſie in rem oder in personam gehen, aus Rechtsgeſchäften oder aus Delicten entſpringen, waren ſtets von freyer Natur, alſo vor einem Arbiter zu verhandeln(f)Beylage XIII. Num. X. .
So befolgten alſo alle übrige Klagen die Analogie ent - weder der Condictionen, oder der b. f. actiones; allein dieſe Kunſtausdrücke ſind auf dieſelben niemals angewendet worden(g)Beylage XIII. Num. VI, Beylage XIV. Num. XX. .
Juſtinians Inſtitutionen ſprechen zuerſt ausführlich von dem Gegenſatz der bonae fidei und stricti juris actiones(a)§ 28. 29. 30 J. de act. (4. 6.). — Vgl. Beylage XIII. Num. I. VI. XII. , und fahren unmittelbar darauf in folgenden Worten fort: § 31 J. de act. (4. 6.). 120Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Praeterea quasdam actiones arbitrarias, id est ex arbitrio judicis pendentes, appellamus, in quibus, nisi arbitrio judicis is, cum quo agitur, actori satis - faciat, veluti rem restituat, vel exhibeat, vel solvat, vel ex noxali causa servum dedat, condemnari de - beat. Sed istae actiones tam in rem, quam in per - sonam inveniuntur. (Nun folgt eine Reihe von Bey - ſpielen). In his enim actionibus et similibus per - mittitur judici ex bono et aequo, secundum cujus - que rei de qua actum est naturam, aestimare, quem - admodum actori satisfieri oporteat.
Auf den erſten Blick ſcheint hier der Begriff dieſer Klagen eben ſo beſtimmt zu ſeyn, wie kurz vorher der Be - griff der b. f. actiones beſtimmt worden war, indem hier und dort die freye Macht des urtheilenden Richters als das überwiegende Moment bezeichnet wird. Dennoch iſt es undenkbar, daß hier der vorige Begriff unter einem neuen Namen, und ohne Anerkennung der Identität, nur wie - derholt ſeyn ſollte. Was aber dieſen Gedanken völlig wi - derlegt, ſind die einzelnen Beyſpiele, die von den vorher vollſtändig aufgezählten b. f. actiones durchaus verſchie - den ſind.
Um dieſe Schwierigkeit zu beſeitigen, haben Viele an - genommen, die ganze Eintheilung der Klagen ſey drey - gliedrig: stricti juris, bonae fidei, arbitrariae. Allein, nicht zu gedenken, daß es dann viel einfacher geweſen wäre, die arbitrariae als drittes Glied gleich im § 28,121§. 221. Arbitrariae actiones. neben den zwey erſten Gliedern zu nennen, ſo iſt es auch ganz unmöglich, einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen den Begriffen der zwey letzten Eintheilungsglieder aufzufinden, da vielmehr beide in der freyen Macht des Arbiter völlig übereinſtimmen. Die vollſtändige Widerlegung dieſer An - ſicht wird aber unten durch den Beweis geführt werden, daß mehrere b. f. actiones zugleich arbitrariae waren, ſo daß beide Begriffe nicht in einem ausſchließenden Verhält - niß zu einander ſtehen können.
In der That hat der Begriff der arbitrariae actiones mit dem vorhergehenden Gegenſatz der stricti juris und b. f. actiones gar Nichts zu ſchaffen. Jener Ausdruck be - zeichnet eine für ſich beſtehende Eigenſchaft vieler Klagen, worunter einige b. f., andere weder b. f. noch stricti juris ſind. Die erwähnte Eigenſchaft beſteht nämlich darin, daß in dieſen Klagen der Arbiter nicht ſogleich ein Urtheil ſprechen, ſondern damit anfangen ſoll, den Beklagten, wenn er ſich von deſſen Unrecht überzeugt hat, zur frey - willigen Befriedigung des Klägers, durch eine von dem Arbiter vorläufig feſtzuſtellende Leiſtung, aufzufordern. Er - folgt dieſe Befriedigung, ſo wird der Beklagte freygeſpro - chen; erfolgt ſie nicht, ſo wird er verurtheilt. — Das Weſentliche dieſer Erklärung, nämlich die vorläufige Auf - forderung, iſt in den curſiv gedruckten Worten der oben mitgetheilten Inſtitutionenſtelle geradezu ausgedrückt(b)Dieſer judicis arbitratus wird in vielen Digeſtenſtellen mehr oder weniger deutlich erwähnt, am Beſtimmteſten in L. 68 de R. V. . 122Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Der vollſtändige Zuſammenhang der Sache wird aber erſt aus folgenden Betrachtungen hervorgehen.
Zunächſt erſcheint dieſe Anſtalt blos als ein dem Arbi - ter vorgeſchriebener Vergleichsverſuch, folglich als eine Prozeßform, von der nicht einleuchtet, wie ſie genug ma - terielle Wichtigkeit erhalten konnte, um zur Bildung einer eigenen Klaſſe von Klagen Veranlaſſung zu geben. Dieſe Wichtigkeit aber erklärt ſich aus der Eigenthümlichkeit des alten Prozeſſes, nach welcher kein Richter anders, als auf Zahlung einer Geldſumme, verurtheilen durfte (§ 215. r). Daraus entſtand die ſeltſame und ungerechte Folge, daß ein hartnäckiger Beklagter den Kläger ſtets zur Abtretung der Dieſem gebührenden Sache gegen baares Geld nöthi - gen konnte(c)Nicht als ob nun dem Be - klagten die Sache um die bezahlte Geldſumme wirklich verkauft ge - weſen wäre; ein wirkliches Recht daran erhielt er eben ſo wenig, als der Verurtheilte, qui dolo de - siit possidere. L. 69. 70. de R. V. (6. 1.). Allein, wenn er nur den Beſitz ſorgfältig hütete, ſo blieb ihm ſtets der Genuß der Sache, und der Eigenthümer mußte ihn entbehren; denn eine wieder - holte Klage konnte Dieſer nicht anſtellen, da das Klagerecht con - ſumirt war.. Dieſe Folge ſollte dadurch abgewendet(b)(6. 1. ), von welcher noch weiter die Rede ſeyn wird. — Damit nicht der Beklagte die Sache un - beſtimmt hinhalten konnte, wurde ihm ein Termin zur Reſtitution angeſetzt. L. 6 § 2 de confess. (42. 2. ) ex his actionibus, ex quibus dies datur ad restituen - dam rem. Da übrigens in die - ſer Einrichtung blos ein freyes, billiges Ermeſſen des Arbiter, nicht eine unnütze Formalität begründet ſeyn ſollte, ſo unterblieb ohne Zweifel der arbitratus, wenn deſ - ſen Fruchtloſigkeit ſicher vorherzu - ſehen war. Dieſes war aber der Fall, wenn der Beklagte die Sache unredlicherweiſe zerſtört oder ver - äußert hatte, alſo unmöglich reſti - tuiren konnte.123§. 221. Arbitrariae actiones. werden, daß der Arbiter auf die freywillige Naturalreſti - tution hinzuwirken ſuchte.
Hätte man jedoch lediglich auf den guten Willen oder die Nachgiebigkeit des Beklagten rechnen wollen, ſo wäre dieſe Anſtalt gerade da, wo ſie beſonders wichtig war, der entſchloſſenen Ungerechtigkeit gegenüber, völlig kraftlos ge - blieben. Sie erhielt aber Kraft durch ein indirectes Zwangs - mittel; der Beklagte, welcher der Aufforderung des Arbi - ter nicht nachgab, ſollte durch das nun folgende Urtheil in größeren Nachtheil kommen, als er durch die freywillige Nachgiebigkeit erlitten haben würde, und in dieſem ange - drohten Präjudiz lag ein, gewiß ſehr wirkſames, indirec - tes Zwangsmittel(d)Nach L. 68 de R. V. (6. 1. ) ſoll auch directer Zwang gel - ten, manu militari. Ich halte dieſes für eine entſchiedene Inter - polation, da in anderen Digeſten - ſtellen die Unmöglichkeit jedes di - recten Zwanges beſtimmt voraus - geſetzt wird, ſo z. B. in L. 4 § 3 fin. reg. (10. 1. ), L. 73 de fide - juss. (46. 1.). Eben ſo läßt die Faſſung des § 31 J. de act. (4. 6. ) für eine Execution in die Sache ſelbſt keinen Raum; dieſe Stelle iſt denn wahrſcheinlich ohne Ver - änderung aus einem alten Juri - ſten abgeſchrieben. Endlich iſt auch, die Naturalexecution vorausgeſetzt, nicht wohl einzuſehen, wie es je - mals ob contumaciam zu einem Eid kommen konnte (Note e).. Der allgemeinſte Nachtheil beſtand aber darin, daß nun die Geldſumme, auf welche der Ar - biter den Beklagten verurtheilte, den wahren Werth des Gegenſtandes weit überſteigen konnte, indem der Kläger durch ſeinen Eid die Summe beſtimmen durfte(e)L. 2 § 1 de in litem jur. (12. 2. ) cum vero dolus, aut contumacia non restituentis vel non exhibentis, (punitur), quanti in litem juraverit actor (aestimatur).” Dolus geht auf den Fall, da der Beſitzer die Sache verzehrt oder verkauft hat, contu - macia iſt der hier erwähnte Un - gehorſam. Vgl. L. 1 eod. L. 18. Bey124Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einzelnen Klagen traten eigenthümliche, nachtheilige Fol - gen jenes Ungehorſams ein; ſo bey der actio quod metus causa der vierfache Betrag des Gegenſtandes, deſſen ein - fache Leiſtung urſprünglich genügt hätte(f)Bey dieſer Klage kam nicht etwa der Eid noch neben dem vierfachen Erſatz vor, ſondern die - ſer erhöhte Erſatz war ein (ſehr reichliches) Surrogat des Eides. Bey der doli actio trafen den Beklagten beide Nachtheile, der Eid des Klägers und die Infamie.: bey der doli actio die Infamie des Verurtheilten.
Die eigenthümliche Natur dieſer Klagen wurde in der Formel ausgedrückt durch einen, an irgend einer ſchickli - chen Stelle, angebrachten Zuſatz (nisi restituatur, nisi ex - hibeatur), welcher demnach als eine Beſchränkung des Auf - trags zur Condemnation eingeſchoben wurde(g)Über die nicht überall gleich - förmige Stellung jener Ausdrücke in der Formel kommen folgende unzweifelhafte Zeugniſſe vor. Bey Cicero ſtehen in der petitoria for - mula in der Intentio die Worte: neque is fundus Q. Catulo re - stituetur (§ 209. c). — Ga - jus IV. § 47 hat in der depositi formula in jus concepta die Worte: N R (nisi restituat) in der Condemnatio (§ 216. t). — Ebendaſelbſt ſtehen, bey der depo - siti formula in factum, in der Intentio die Worte: Si paret. … eamque .. redditam non esse. — Eben ſo ſtehen in der Intentio.
(e)pr. de dolo (4. 3.). Eben dar - auf geht L. 73 de fidej. (46. 1. ) noluit eam restituere, et ideo magno condemnatus est. ” — In L. 68 de R. V. (Note d) iſt natürlich nur von dolus die Rede, nicht von contumacia, weil für den Fall einer ſolchen die ma - nus militaris durch Interpolation eingeſchoben iſt. — Der eigent - liche Zuſammenhang zwiſchen dem Eid in litem und den arbiträren Klagen beſteht nun aber darin, daß bey ihnen jener Eid als ein regelmäßiges Recht des Klägers in den angeführten Stellen aner - kannt wird, anſtatt daß er bey ſtrengen Klagen nur als Aushülfe, in Ermanglung anderer Beweiſe, gebraucht werden kann. L. 5 § 4 L. 6 de in litem jur. (12. 3.). Hierauf iſt auch zu beziehen L. 9 eod., da auch die furti actio eine ſtrenge Klage iſt; eben ſo L. 8 § 1 de act. rer. amot. (25. 2. ), da dieſe Klage die Natur einer condictio hat. L. 26 eod.
Auf die Frage, welchen Klagen der Name arbitrariae, alſo auch die eben erklärte Eigenthümlichkeit, zukam, läßt ſich eine allgemeine, wie ich glaube völlig ſichere, Antwort geben. Dieſe wird dann noch durch Anwendung auf ein - zelne Fälle zu beſtätigen ſeyn.
Die allgemeine Regel iſt ſo auszudrücken: arbitrariae waren alle freye Klagen, worin ſich, nach ihrem beſon - deren Inhalt, das oben beſchriebene Verfahren als an - wendbar zeigte.
Durch die erſte Beſtimmung ſind ausgeſchloſſen alle Condictionen, ſo wie alle civile Delictsklagen, auch zeigt ſich bey keiner derſelben die geringſte Spur eines ſolchen Verfahrens, ja es würde dieſes der beſchränkten Stellung des Judex in jenen Klagen völlig widerſprechen. — Da - gegen ſind, von dieſer Seite her, zugelaſſen: die bonae fidei, die in rem actiones, ſo wie alle prätoriſche Klagen.
Schwieriger iſt die zweyte Beſtimmung, welche die Anwendbarkeit des oben beſchriebenen beſonderen Ver - fahrens zum Gegenſtand hat, und wodurch viele freye Klagen von der Klaſſe der arbitrariae actiones ausge - ſchloſſen werden. Zwar die Ausdrücke arbitrium und ar - biter, die durchaus für alle freye Klagen gelten (§ 218),(g)der actio quod metus causa die Worte: neque ea res arbitrio judicis restituetur. L. 14 § 11 quod metus (4. 2.)126Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.könnten leicht zu der Annahme verleiten, als ob alle freye Kla - gen ohne Unterſchied arbitrariae wären. Dieſes würde aber ganz irrig ſeyn, indem der Name arbitraria formula nicht von der Perſon des arbiter, ſondern von dem in der Formel ausgedrückten arbitratus judicis, das heißt von der oben erklärten Aufforderung zur freywilligen Leiſtung (§ 221. b), hergenommen iſt, ſo daß zwar jede arbitraria actio ein arbi - trium, aber nicht jedes arbitrium eine arbitraria actio iſt(a)Über die Verſchiedenheit bei - der Begriffe können einige Stel - len des Gajus täuſchen, worin ganz abwechſlend, bald arbitrum, bald arbitrariam formulam pe - tere geſagt wird (IV. § 141. 163. 164. 165). Allein in den Fällen der Interdicte, von welchen hier Gajus ſpricht, war in der That das arbitrium zugleich eine ar - bitraria formula, wodurch alſo die Verſchiedenheit beider Begriffe in Anwendung auf viele andere Klagen nicht ausgeſchloßen wird..
Anwendbar nun iſt jenes beſondere Verfahren bey den - jenigen freyen Klagen, die auf eine Reſtitution oder Exhibition gerichtet ſind, bey allen anderen iſt es nicht anwendbar(b)Dieſe Beſtimmung iſt an - erkannt in dem Ausdruck: contu - macia non restituentis vel non exhibentis, als Grund und Be - dingung des Eides in litem (§ 221. e). — Sie wird völlig beſtätigt, wiewohl nur in der beſonderen An - wendung auf Interdicte, durch Gajus IV. § 163. 165. — Sie wird in ihrem Haupttheil beſtätigt, und zwar in Anwendung auf die verſchiedenſten Arten von Klagen, durch den Schluß von L. 68 de R. V. (6. 1.) „ Haec sententia generalis est, et ad omnia, sive interdicta, sive actiones in rem, sive in personam sunt, ex qui - bus arbitratu judicis quid re - stituitur, locum habet.” . Es kommt alſo nur darauf an, dieſe Be - griffe genau zu beſtimmen.
Der leichtere, ſeltnere, und minder wichtige Fall iſt der der Exhibition. Darunter wird das bloße Vorzeigen oder Darſtellen einer beſtimmten einzelnen Sache verſtan -127§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)den, die alſo nicht zugleich in den Beſitz des Andern ge - bracht werden ſoll, mithin diejenige Leiſtung worauf haupt - ſächlich die actio ad exhibendum gerichtet wird(c)L. 2 ad exhib. (10. 4. ), L. 22. 246 pr. de V. S. (50. 16. ), L. 3 § 8 de tab. exhib. (43. 5.).
Restituere iſt verwandt mit dem recipere, welches als Grund und Bedingung der Condictionen bezeichnet wird(d)Beylage XIV. Num. XX. , und doch auch davon verſchieden. Jenes recipere näm - lich, in Anwendung auf die Condictionen, ſetzt voraus, daß aus unſrem Vermögen Etwas ohne Grund in ein fremdes Vermögen übergegangen iſt, welche Veränderung jetzt wieder rückgängig gemacht werden ſoll. Restituere aber geht auch auf die Rückkehr des bloßen Beſitzes, ja ſelbſt der bloßen Detention, während der Umfang des Ver - mögens weder früher verändert war, noch jetzt wiederher - geſtellt werden ſoll. So wird mit der Vindication der fehlende Beſitz wieder gefordert, mit der depositi actio die fehlende Detention, und durch den Erfolg beider Klagen wird der Umfang des Vermögens gar nicht verändert(e)So war eine Stipulation: rem meam mihi restitui gültig (L. 82 pr. § 1 de V. O. 45. 1), dagegen die Stipulation: rem meam mihi dari ungültig. Bey - lage XIV. Num. V. i. . Ja ſelbſt auf ſolche Fälle iſt hier der Ausdruck restituere anwendbar, worin dem Kläger nicht einmal eine Deten - tion verſchafft, ſondern nur überhaupt ein veränderter fac - tiſcher Zuſtand wiederhergeſtellt werden ſoll, wie z. B. bey dem Interdict quod vi (Note n).
Dieſer Ausdruck nun wird auf in rem actiones aus128Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dinglichen Rechten, ohne Ausnahme angewendet. Gewöhn - lich wird hier eine wirkliche Rückkehr der Sache Statt finden, da der Eigenthümer, der eine Sache vindicirt, meiſt ſchon früher den Beſitz derſelben gehabt haben wird. Doch iſt dieſes nicht immer der Fall; denn der Legatar, der die legirte Sache vom Erben vindicirt, hat den Be - ſitz noch niemals gehabt, eben ſo der Pfandglaubiger, der aus einem bloßen Pfandvertrag die hypothecaria actio an - ſtellt. Hier wird alſo die Vereinigung des Beſitzes mit dem dinglichen Recht ſchon an ſich ſelbſt als eine Rück - kehr gedacht, und es iſt daher bey dieſen Klagen ſtets eine arbitraria formula anwendbar.
Anders verhält es ſich mit den perſönlichen Klagen, bey welchen der Ausdruck restituere, als Bedingung einer arbitraria formula, genauer genommen wird. Die actio commodati, depositi, pigneratitia, gehen wirklich auf Rück - kehr einer Sache zu ihrem früheren Beſitzer; eben ſo die ac - tio locati, wenn damit die Rückgabe der vermietheten Sache gefordert wird. Auch die actio doli, und quod metus causa gehen, wenngleich nicht immer auf Rückkehr einer beſtimmten einzelnen Sache in unſren Beſitz, doch ſtets auf Herſtellung unſres verminderten Vermögens. Daher war bey allen dieſen perſönlichen Klagen ſtets eine arbitraria formula anwendbar. — Anders bey ſolchen Contractskla - gen, deren Erfolg gar nicht irgend einen früheren Zuſtand herſtellen, ſondern einen ganz neuen herbeyführen ſoll, wie die actio emti, venditi, und mehrere andere Contractskla -129§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)gen. Hier kann von einer eigentlichen Reſtitution nicht die Rede ſeyn(f)Ich will nicht behaupten, daß die Römer ſelbſt eine ſolche Strenge in dem Gebrauch des Aus - drucks restituere ſtets beobachtet haben; vielmehr kommt derſelbe zuweilen auch bey den Leiſtungen eines Käufers und Verkäufers u. ſ. w. vor, in welchen doch keine Art von Rückkehr wahrzunehmen iſt. L. 13 § 18 de act. emti (19. 1. ), L. 8. 12 C. eod. (4. 49.) L. 14 § 9 de servo corr. (11. 3. ), L. 8 § 10 mandati (17. 1.). — Weniger ungenau iſt es, wenn bey Fideicommiſſen von einer re - stitutio hereditatis oder rerum singularum die Rede iſt; dieſes iſt nämlich allerdings eine Rück - kehr, zwar nicht in Beziehung auf den Empfänger, wohl aber in Be - ziehung auf den Erben, der die Erbſchaft oder die einzelne Sache nur vorübergehend haben ſollte, ſo daß ſie nun von ihm wieder weggeht. Daher iſt in dieſer An - wendung der Sprachgebrauch als regelmäßig und techniſch zu be - trachten. Ulpian. XX § 5, Gajus II § 184. 250. 254. 260, und viele andere Stellen., und daher iſt hier auch keine arbitraria for - mula anwendbar.
Zwar wird der eben behauptete ſtrenge Unterſchied nicht unmittelbar in unſren Rechtsquellen ausgeſprochen; we - der bey dem Kunſtausdruck restituere, deſſen ſchwankender Gebrauch vielmehr ſo eben anerkannt worden iſt (Note f); noch bey der arbitraria formula, für welche die eben ge - zogene Gränze in keiner Stelle auf dieſe Weiſe anerkannt wird. Die Richtigkeit dieſer Gränzbeſtimmung aber wird dadurch außer Zweifel geſetzt, daß die Anwendbarkeit des jusjurandum in litem ganz beſtimmt nach dieſer Unter - ſcheidung beurtheilt wird(g)Der Eid wird zugelaſſen bey der actio depositi, commodati, locati, tutelae, dotis, doli, metus, interd. de vi. L. 3 de in lit. jur. (12. 3. ), L. 3 § 2 commod (12. 6. ), L. 48 § 1 loc. (19. 2.) L. 7 pr. de admin. (26. 7.) L. 25 § 1 sol. matr. (24. 3. ), L. 18 pr. de dolo (4. 3. ), L. 9 C. unde vi (8. 4. ) — Er wird nicht zugelaſſen bey der actio emti venditi. L. 4 C. de act. emt. (4. 49. ), L. 19, während auf der andern SeiteV. 9130Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſer Eid mit der arbitraria formula eben ſo ſicher im Zuſammenhang ſteht(h)Vgl. § 221. e. — Wäre die Leiſtung des Verkäufers eine wahre, eigentliche restitutio, ſo müßte gegen ihn, nach dem ſehr beſtimmten Ausſpruch der L. 68 de R. V. (§ 222. b.), in litem geſchworen werden können, Wel - ches doch entſchieden nicht zuläſſig iſt (Note g.)..
Nachdem ſo die Regel für die Anwendung einer arbi - traria formula aufgeſtellt worden iſt, ſollen nun noch die einzelnen Klagen angegeben werden, welchen dieſer Name in unſren Rechtsquellen beſtimmt beygelegt wird.
Die oben angeführte Stelle der Inſtitutionen (§ 221) giebt folgende Beyſpiele an, unter welchen mehrere auch durch Digeſtenſtellen beſtätigt werden. In rem: die Pu - bliciana, Serviana, quasi Serviana(a)Vgl. L. 16 § 3 L. 21 § 3 de pign. (20. 1.).. In personam: quod metus causa(b)L. 14 § 4. 11 quod metus (4. 2.)., doli(c)L. 18 pr. § 1 de dolo (4. 3.)., de eo quod certo loco(d)L. 2 pr. L. 3. 4 de eo quod certo loco (13. 4.)., ad exhibendum(e)Vgl. oben § 221. e, § 222. b. — L. 3 § 2 ad exhib. (10. 4.).. Alle dieſe Klagen ſind prätoriſche.
Aus anderen Zeugniſſen aber können wir noch folgende Klagen als arbitrariae hinzufügen.
(f)(6. 1. ), L. 41 § 1 de re jud. (42. 1.).
9*132Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Faſt alle dieſe Klagen paſſen zu dem oben aufgeſtell - ten Begriff der Reſtitution oder Exhibition, dienen alſo zur Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Eine ein - zige Klage kann daran Zweifel erregen, und zwar gerade die, deren arbiträre Natur vorzugsweiſe und wiederholt in unſren Rechtsquellen wörtlich anerkannt iſt: die actio de eo quod certo loco (Note d), welches eine prätoriſche Klage iſt(o)L. 1 de eo quod certo loco (13. 4) „ ideo visum est, utilem actionem in eam rem comparare.” Heffter observ. in Gajum Lib. 4 p. 83 hält ſie für eine eigentliche utilis a., d. h. für eine Fictionsklage, welches je - doch aus jenen Worten nicht noth - wendig folgt. Sie kann auf ge - wöhnliche Weiſe in factum con - cepta geweſen ſeyn, und dennoch utilis genannt werden, weil durch ſie das urſprüngliche Klagrecht über ſeine Gränzen ausgedehnt wurde.. Sie geht gar nicht auf eine Reſtitution oder Exhibition, ſondern auf die örtliche Reduction des Betrags einer Stipulation, welche eigentlich, ihrem wört - lichen Inhalt nach, an einem fremden Ort zu erfüllen ge - weſen wäre. Die Aufforderung des Arbiter, durch deren Erfüllung die Klage abgewendet wird, geht auf Caution wegen Erfüllung des wörtlichen Inhalts der Stipula - tion(p)L. 4 § 1 de eo quod certo loco (13. 4.).; das Präjudiz bey Verweigerung dieſer Erfüllung beſteht in einem möglichen ſehr hohen, ſelbſt indirecten, Intereſſe, worauf die Verurtheilung gerichtet werden kann(q)L. 2 § 8 de eo quod certo loco (13. 4.).. So liegt alſo in dieſer Klage die Anwendung einer, für ganz andere Zwecke und Fälle eingeführten Prozeßform(n)eine Reſtitution ante judicium acceptum gemeynt (L. 5 pr. eod.), ſo daß zu einem arbitrium vor dem Urtheil keine Veranlaſſung war (vgl. Note t.).133§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)auf einen Fall, worin es darauf ankam, die beſondere Unredlichkeit eines Stipulationsſchuldners wirkſam zu be - kämpfen, der ſich hinter den Buchſtaben des Rechts ver - ſteckte, um ſich ſeiner Verpflichtung zu entziehen.
Sehen wir jetzt zurück auf die oben mitgetheilte Stelle der Inſtitutionen, die einzige, die abſichtlich von der Na - tur der arbiträren Klagen redet (§ 221), ſo ſind noch die Worte derſelben zu erklären: nisi .. satisfaciat, veluti rem restituat, vel exbibeat, vel solvat, vel ex noxali causa ser - vum dedat. Die zwey erſten Ausdrücke enthalten eine un - mittelbare Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Das solvat darf nicht ſo allgemein verſtanden werden, wie es wohl der Ausdruck zuließe, ſo daß es auch auf die Zah - lung eines Käufers u. ſ. w. bezogen würde. Es iſt zu beziehen auf die actio de eo quod certo loco; ferner auf die Fälle einer actio commodati u. ſ. w., worin die Na - turalreſtitution unmöglich iſt, weil der Beklagte durch ſeine Nachläſſigkeit die Sache hat ſtehlen oder verderben laſſen; eben ſo auf die hypothecaria actio, von welcher ſich der Beklagte nicht blos durch Reſtitution der Sache, ſondern auch durch Bezahlung der Schuld, frey machen kann(r)L. 16 § 3 de pign. (20. 1.).. — Endlich die noxalis causa geht auf die durch die Hand - lung eines Sklaven begründete actio doli oder quod me - tus causa; denn hier wird der damit belangte Herr des Sklaven, ohne Entſchädigung zu leiſten, ſchon durch die bloße noxae datio voͤllig befreyt(s)Es muß alſo die hier er -.
134Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vergleichen wir nun noch zum Schluß die arbiträren Klagen mit dem oben (§ 218) aufgeſtellten Schema aller Klagen überhaupt, ſo ergiebt ſich folgendes Verhältniß derſelben.
Die Condictionen und die civilen Delictsklagen ſind nie arbiträr, weil ſie ſtrenge Klagen ſind.
Die civilen in rem actiones, inſoweit ſie auf eine Re - ſtitution gehen, ſind insgeſammt arbiträr(t)Dahin gehören alſo die rei vindicatio, die hereditatis pe - titio, die confessoria. Dagegen konnte bey dem liberale judicium von keiner Reſtitution die Rede ſeyn, ſie war alſo auch nicht ar - biträr..
Die bonae fidei actiones, und alle prätoriſche Klagen, ſind arbiträr, inſofern ſie gerade auf eine Reſtitution oder Exhibition gerichtet ſind, ſo daß ihre arbiträre Natur von dem Inhalt jeder einzelnen Klage dieſer Klaſſen abhängt. Am Meiſten iſt bisher die Vereinbarkeit der Eigenſchaft einer arbiträren Klage mit den b. f. actiones bezweifelt worden Der unmittelbare Beweis dafür liegt in den Zeugniſſen, nach welchen die hereditatis petitio und die depositi actio, welche beide unter die b. f. actiones gehö - ren, zugleich auch arbitrariae ſind (Note g. l.).
Es war ein wichtiger Streit der alten Juriſtenſchulen, ob der Beklagte auch nach der Litisconteſtation, bey allen Klagen, durch freywillige Erfüllung die Freyſprechung be -(s)wähnte noxalis causa von einer ſolchen Klage verſtanden werden, die ſchon an ſich arbitraria iſt, im einzelnen Fall aber als noxa - lis angeſtellt wird. Es würde irrig ſeyn, wenn man wegen der mög - lichen noxae datio jede Noxal - klage für arbiträr halten wollte; die actio furti noxalis z. B. iſt ein judicium, alſo ſchon deshalb nicht arbiträr (§ 222.).135§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)wirken könne. Die Sabinianer behaupteten Dieſes, und drückten ihre Meynung durch die Regel aus: omnia judi - cia esse absolutoria. Die Proculejaner wollten es nicht bey allen Klagen zugeben, ſondern wahrſcheinlich nur bey denjenigen, die ich oben als freye bezeichnet habe. Juſti - nian hat die Meynung der Sabinianer angenommen(u)Gajus IV. § 114. (Zum Theil lückenhaft.) § 2 J. de per - petuis (4. 12.). — Ein Überreſt der Proculejaniſchen Meynung fin - det ſich in L. 84 de V. O. (45. 1. ), die nur aus Verſehen aufgenom - men ſeyn kann. Auch L. 5 pr. de publicanis (39. 4) iſt aus je - nem Schulſtreit zu erklären; Ga - jus war bekanntlich Sabinianer.. — Nun könnte man dieſen Streit ſo verſtehen, als hätten die Sabinianer alle Klagen für arbiträre erklärt; Dieſes war jedoch keinesweges ihre Meynung. Vielmehr blieben auch nach ihnen die arbiträren Klagen dadurch vor den übrigen ausgezeichnet, daß bey ihnen dem Arbiter eine be - ſondere Aufforderung zur Erfüllung, unter Androhung der ſonſt unausbleiblichen Verurtheilung, vorgeſchrieben war; bey den übrigen Klagen ſollte der Beklagte zwar auch durch freywillige Erfüllung die Verurtheilung abwenden, aber dieſe mußte weit ſeltner erfolgen, weil er ſich noch immer mit der Hoffnung ſchmeicheln konnte, ohnehin frey - geſprochen zu werden, anſtatt daß bey den arbiträren Klagen die Aufforderung des Arbiter ſchon die Ankündi - gung enthielt, daß in Ermanglung freywilliger Erfüllung die Condemnation unfehlbar erfolgen werde.
Die Arten der Klagen, deren Gegenſätze bis hierher ausführlich unterſucht worden ſind, haben eine verſchie - dene Natur (§ 206.). Einige ſtehen in unmittelbarer Be - ziehung auf die zum Grund liegenden Rechtsverhältniſſe, ſie führen zur genaueren Einſicht in das Weſen derſelben, und ſie ſind daher auch für das heutige Recht von Wich - tigkeit (§ 206 — 212.). Andere haben eine blos hiſtoriſche Natur. Theilweiſe ſind ſie ſchon aus den neueſten Rechts - quellen verſchwunden, und auch die, welche darin noch vorkommen, dienen doch nur als Nomenclatur, ſo daß ſich nicht einmal der Schein einer praktiſchen Bedeutung dar - an knüpft (§ 213 — 217.). Noch andere, und gerade die ſchwierigſten, haben zwar eine ganz hiſtoriſche, meiſt ver - altete, Grundlage, aber es knüpfen ſich daran wichtige, noch in den neueſten Rechtsquellen (wenigſtens wörtlich) anerkannte, praktiſche Folgen. Dahin gehören die actio - nes stricti juris (Condictiones), bonae fidei, arbitrariae (§ 218 — 223.). Deren Bedeutung für das heutige Recht iſt der Gegenſtand der nun folgenden Unterſuchung.
Ich fange an mit den Condictionen und b. f. actiones. Die ganze hiſtoriſche Grundlage dieſes Gegenſatzes war ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden. Damals wurden ſchon längſt alle Urtheile von öffentlichen Beam - ten ausgeſprochen; daher konnte weder ein Judex und137§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Arbiter durch größere oder geringere Macht unterſchieden, noch eine formula ſo oder anders abgefaßt werden. Allein an den alten, nunmehr verſchwundenen, hiſtoriſchen und formellen Gegenſatz hatten ſich zugleich ganz praktiſche Verſchiedenheiten angeknüpft, die großentheils im Juſti - nianiſchen Recht erhalten ſind. Zwar eine der wichtigſten Eigenheiten der Condictionen, die sponsio tertiae partis bey der certi condictio, erſcheint hier nicht mehr; andere aber, die allerdings noch erſcheinen, ſind nicht minder erheblich. Juſtinian kann die Eigenthümlichkeit der b. f. actiones nicht für verſchwunden gehalten haben, da er ſelbſt es für nöthig hielt, mehreren Klagen dieſen Character ausdrücklich bey - zulegen; namentlich der hereditatis petitio, und der anſtatt der alten rei uxoriae actio von ihm eingeführten actio ex stipulatu (Beylage XIII. Num. IX. XII.).
Ich gehe nun zur Erwägung des heutigen Rechtszu - ſtandes über. Für viel eingeſchränkter, als bey den Rö - mern, müßten wir in jedem Fall die Anwendung jener Unterſchiede halten, weil die Gegenſtände derſelben großen - theils verſchwunden ſind. Die Expenſilation war ſchon lange vor Juſtinian außer Gebrauch, und die Stipulation, als Grund von stricti juris actiones, kennen wir nicht mehr. Dennoch würde darin nur eine Verminderung des praktiſchen Unterſchieds liegen, nicht deſſen Aufhebung.
Indeſſen glaube ich, daß wir ſelbſt die an ſich noch möglichen Unterſchiede, auch ſoweit ſie im Juſtinianiſchen Recht erhalten ſind, in dem heutigen Recht nicht mehr138Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zulaſſen können, und daß überall, wo das Römiſche Recht eine verſchiedene Behandlung ſtrenger und freyer Klagen eintreten läßt, für uns nur allein das Princip der freyen, namentlich alſo der bonae fidei actiones, gelten kann. Die Annahme dieſer, durch allgemeines Gewohnheitsrecht herbeygeführten, wichtigen Veränderung ſoll nunmehr ge - rechtfertigt werden.
Eigentlich liegt darin kein neuer, dem Römiſchen Recht fremder, Gedanke, ſondern nur die Vollendung einer ſchon im früheren Recht erſcheinenden, in Juſtinians Geſetzge - bung aber weit ſtärker hervortretenden Entwicklung. Auf verſchiedene Weiſe ſuchte man, dem Princip der freyen Klagen immer mehr Raum zu verſchaffen(a)Vgl. oben § 220, und Beylage XIII. Num. XX. ; die Aus - dehnung der Compenſation, die urſprünglich nur für die b. f. actiones gelten ſollte, zuerſt auf die Condictionen, endlich auf alle Klagen überhaupt, iſt nur ein einzelnes Stück derſelben Rechtsentwicklung(b)Beylage XIII. Num. IV. . Einen ſtarken Halt gab dem alten Actionenſyſtem lediglich der noch im Juſti - nianiſchen Recht ſichtbare, ausgedehnte Gebrauch der Sti - pulation. Seit dem Verſchwinden derſelben war gar kein Grund mehr zur Fortdauer jenes Syſtems vorhanden, und die einzelnen, in den Rechtsquellen erhaltenen Über - reſte des alten Unterſchieds waren nun ganz willkührlich und inconſequent geworden.
Für die Thatſache jener eingetretenen Veränderung139§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen, daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge - zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen - dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um es verſtehen zu können. — Dieſes wird noch gewiſſer durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge - ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti juris Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an - dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. — Es kommt noch der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk - lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt; nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae fidei actiones bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In - ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer Sache zu ſehen.
Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm - teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen, der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar140Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wäre, findet ſich in den Verzugszinſen, die aus einem Darlehen, eben ſo wie bey der condictio indebiti, nicht ſollen gefordert werden können, anſtatt daß ſie bey der actio venditi, locati u. ſ. w. allerdings gelten(c)Beylage XIII. Num. III. . Nun ſagt aber der Reichsdeputationsabſchied von 1600 § 139, bey dem Gelddarlehen ſolle jeder Glaubiger, einer allge - meinen Präſumtion nach, Fünf Procent Zinſen zu fordern befugt ſeyn, mit dem Vorbehalt, einen in dieſer Gegend üblichen höheren Zinsfuß beweiſen zu dürfen. Es würde ganz irrig ſeyn, dieſes Geſetz als Aufhebung der bis da - hin geltenden entgegengeſetzten Regel des Römiſchen Rechts anzuſehen. Es ſetzt vielmehr ſtillſchweigend voraus, daß im heutigen Recht alle Verträge die Natur der Römiſchen bonae fidei Contracte haben, und will nur den Beweis des landüblichen Zinsfußes durch eine Präſumtion erleich - tern. Es wäre gewiß ſehr willkührlich, daneben noch bey der condictio indebiti die Verzugszinſen zu verſagen, oder irgend eine andere bey den Römern geltende Eigenthüm - lichkeit der str. j. actiones für das Darlehen oder die condictio indebiti feſt halten zu wollen.
Auch hat dieſe Veränderung bey der überwiegenden Anzahl neuerer Schriftſteller entſchiedene Anerkennung ge - funden(d)Höpfner Commentar § 1135. Glück B. 4 § 310. Thi - baut § 71 der achten Ausgabe. Mühlenbruch Vol. 2 § 329. Außerdem auch noch die von Die - ſen angeführten früheren Schrift - ſteller.. Wenngleich nun die von Manchen für dieſe Behauptung aufgeſtellten Gründe ganz unbefriedigend141§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.ſind(e)Höpfner und Glück (Note d) gründen ſich darauf, daß der ganze Unterſchied auf dem bey uns ver - ſchwundenen Formularcontracten beruhe; ſie ſetzen alſo den grund - falſchen Satz voraus, die Römer hätten nur bey der Stipulation eine stricti juris actio angenom - men. Das Darlehen und das in - debitum solutum ſind keine For - mularcontracte, ſie kommen bey uns noch täglich vor, und ſie erzeugten bey den Römern stricti juris actiones, ſo gut als die Stipu - lation. Es iſt alſo unrichtig, das Verſchwinden der stricti juris actiones daraus erklären zu wol - len, daß die einzigen Fälle, worin ſie von den Römern angewendet wurden, verſchwunden ſeyen., ſo iſt doch ihr Zeugniß für die Thatſache der Veränderung ſelbſt, und den damit allgemein übereinſtim - menden Gerichtsgebrauch, darum nicht weniger entſchei - dend. Der partielle Widerſpruch aber, der ſich bey we - nigen Schriftſtellern hierüber findet, beruht wohl nur auf Misverſtändniſſen, und würde auch von ihnen gewiß nicht in der dabey denkbaren Allgemeinheit geltend gemacht wer - den(f)Schröter in Linde’s Zeit - ſchrift B. 7 S. 389 — 392 behaup - tet die Fortdauer des alten Unter - ſchieds in Beziehung auf den Eid in litem. Das praktiſch Richtige in ſeiner Behauptung, nämlich die Unanwendbarkeit jenes Eides in manchen Fällen, liegt nicht in der stricti juris Natur dieſer Fälle, ſondern in dem Mangel anderer Bedingungen, ohne welche jener Eid nicht gilt. Vgl. oben § 221. 222. — Liebe, Stipulation S. 93 be - hauptet die Fortdauer der stricti juris Natur bey dem einfachen Verſprechen (nudum pactum) des heutigen Rechts, weil dieſes, eben ſo wie die Römiſche Stipulation, eine blos formale Gültigkeit habe, im Gegenſatz der materiellen Ver - träge. Er ſucht den Grund der stricti juris Natur der Stipula - tion in einer Eigenſchaft, worin er in der That nicht liegt.. — Beſondere Erwähnung verdient hier noch eine einzelne Anwendung des alten Unterſchieds. Ein Reſcript von Caracalla ſpricht aus, daß mit der condictio indebiti ſtets nur die gezahlte Summe ſelbſt, niemals Zinſen der - ſelben gefordert werden durften(g)L. 1 C. de cond. indeb. (4. 5.).; offenbar wegen der142Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtrengen Condictionennatur, und im Gegenſatz der b. f. actiones, aus welchen von der Mora an Zinſen zu zah - len ſind. Daß alſo vor der Mora, von der Zeit der empfangenen Zahlung an, keine Zinſen gezahlt werden, iſt gar nichts Beſonderes, und verſteht ſich ohnehin von ſelbſt. Nun ſtreiten die Neueren darüber, ob jene Römiſche Vor - ſchrift noch gelte oder nicht; Manche ſagen, ſie gelte noch, nur mit Ausnahme der Mora(h)Glück B. 13 § 835.; das heißt aber in der That ſo viel, als ſie gelte nicht, da ſie nur für die Mora einen beſonderen Rechtsſatz in ſich enthielt. Aus ſo ver - worrenen Begriffen hat nun in der That keine feſte Praxis entſtehen können; ja ſelbſt wenn ſie entſtanden wäre, müß - ten wir ihr alle bindende Kraft verſagen, da ſie nicht aus der Überzeugung eines neuen Rechtsbedürfniſſes, ſon - dern nur aus mangelhafter Wiſſenſchaft hervorgegangen ſeyn würde (§ 20.).
Es ergiebt ſich aus dieſer Unterſuchung, daß die Un - terſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones ihr praktiſches Intereſſe gänzlich verloren hat, und nur noch für die Rechtsgeſchichte, und als Nomenclatur für das Verſtändniß der Rechtsquellen von Wichtigkeit iſt. Es kann alſo lediglich in dieſem theoretiſchen, formellen In - tereſſe geſchehen, daß wir in einzelnen Fällen unterſuchen, ob gerade eine condictio, oder eine andere Klage begrün - det ſey; in demſelben theoretiſchen Intereſſe, in welchem143§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.wir auch den individuellen Namen der Klage für einen gegebenen Fall zu ermitteln ſuchen.
Wenn wir uns nun aus dieſen Gründen überzeugt fin - den, daß jene Eintheilung der Klagen ihre praktiſche Be - deutung für uns verloren hat, ſo drängt ſich noch der Zweifel auf, ob nicht hierin unſer heutiges Recht einen weſentlichen Verluſt erlitten habe, der für uns zu bekla - gen ſeyn dürfte. Dieſer Gedanke könnte für Diejenigen Schein gewinnen, welche etwa durch den oben (§ 219) gemachten Verſuch einer rationellen Erklärung jener Ein - theilung überzeugt ſeyn möchten. Indeſſen gieng dieſer Verſuch nicht ſowohl darauf aus, die Zweckmäßigkeit oder Nothwendigkeit jener Behandlung an ſich zu rechtfertigen, als die Entſtehung und Ausbildung dieſer Gedanken bey den Römern zu erklären. Gleichſam vor unſren Augen entſteht für die Römer der Begriff von Obligationen in zwey verſchiedenen Familien. Sie geben dieſem Gedanken praktiſche Wichtigkeit durch die Einrichtung eines zwie - fachen Richteramts mit verſchiedenen Attributionen; ſie geben ihm Individualität und Feſtigkeit durch die Aufſtel - lung feſter Klagformeln(i)Es lag hierin gleichſam ein Extrem individueller Verkörperung, welches ſich in der Anwendung hier und da etwas unbequem zei - gen mochte. Das andere Extrem, ohne Zweifel weit nachtheiliger, zeigt ſich in der allgemeinen Preu - ßiſchen Gerichtsordnung, ſ. u. No - te u. . So dauert dieſe Einrichtung Jahrhunderte lang fort, im Weſentlichen unverändert, all - mälig durch neu entſtandenes Bedürfniß modificirt. Allein144Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer - ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem gleichartiger Obligationen ausgebildet worden(k)Dieſer Entwicklungsgang läßt ſich durch einige treffende Ana - logieen anſchaulich machen. So iſt das in bonis eine zweyte Art von dominium geworden, die bo - norum possessio eine zweyte Art von hereditas; Beides war ur - ſprünglich blos neben das alte Rechtsinſtitut geſtellt, als rein praktiſche Aushülfe in einzelnen Fällen des Bedürfniſſes.. Die durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo - durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat - ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts. Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen, und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel - ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi - duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die145§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Fähigkeit dazu aus dem mechaniſchen Geſchäftsbetriebe zu retten vermögen, und wie ſehr uns dieſe Lehre Noth thut, davon kann uns jeder Blick in heutige Geſetzgebung und Praxis überzeugen.
Nicht anders verhält es ſich mit der eigenthümlichen Natur der arbitrariae actiones. Das Wichtigſte bey den - ſelben, die indirecte Beförderung der Naturalreſtitution (§ 221), iſt ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden, da nach demſelben eine ſolche durch Execution unmittelbar erzwungen wird. Eine Aufforderung zur freywilligen Er - füllung, um der nachtheiligeren Verurtheilung zu entgehen, wäre freylich auch noch jetzt denkbar, allein dieſe Anſtalt iſt unſrem heutigen gemeinen Prozeß gewiß völlig fremd. Ja es iſt ſehr möglich, daß ſie auch ſchon in Juſtinians Zeit nicht mehr vorkam, und daß der § 31 J. de act., der darauf hinweiſt, gedankenlos aus einem alten Juriſten abgeſchrieben worden iſt. Aus dem alten Recht der arbi - trariae actiones iſt alſo nur noch der Satz übrig, daß in den Fällen derſelben der Eid in litem vorzugsweiſe, als ein Vorrecht des Klägers, vorkommt; ja wir müſſen den Eid jetzt auch bey ſolchen auf Reſtitution gerichteten Kla - gen gelten laſſen, welche ſonſt, als stricti juris Klagen, dazu nicht geeignet waren (§ 222), weil für uns der Be - griff der ſtrengen Klagen verſchwunden iſt. Wenn alſo ein Indebitum nicht in Geld, ſondern in einer individuell beſtimmten Sache, aus Irrthum entrichtet war, und jetzt dieſe Sache zurück gefordert wird, ſo muß dabey aller -V. 10146Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dings der Eid in litem eintreten. Es würde aber unrich - tig ſeyn, die Klagen, worin dieſer Gebrauch des Eides zuläſſig iſt, deshalb als arbitrariae actiones anſehen und bezeichnen zu wollen.
Manche werden es tadeln, daß dieſe Lehre, deren Un - werth für die heutige Anwendung des Rechts von den meiſten Schriftſtellern, und auch von mir ſelbſt behauptet wird, hier dennoch mit ſolcher Ausführlichkeit behandelt worden iſt. Wie wenig uns die Übereinſtimmung der Schriftſteller über den nachtheiligen Einfluß der hierin herrſchenden Irrthümer auf unſre Rechtskenntniß beruhi - gen kann, wird durch folgende Thatſachen einleuchtend werden. Wer die eben ſo irrige, als verworrene Dar - ſtellung der Sache bey Höpfner betrachtet(l)Höpfner Commentar § 1128 — 1134., muß ſich überzeugen, daß auf dieſem Boden die bedenklichſten prak - tiſchen Irrthümer wachſen und gedeihen können; hier liegt es nicht an der mangelhaften Individualität des Schrift - ſtellers, der außerdem gerade durch Klarheit der Begriffe und der Darſtellung ausgezeichnet iſt. Glück behauptet zwar auch, dieſe Lehre habe ihre Anwendbarkeit verloren; dennoch behandelt er ganz ernſthaft die condictio tritica - ria als ein noch geltendes Rechtsinſtitut, und unterſucht ausführlich ihre Bedingungen und Folgen(m)Glück B. 13 § 843. 844, beſonders S. 298.; er hätte unfehlbar eine gleiche Ehre der certi und der incerti con - dictio widerfahren laſſen, wenn ſich zufällig Digeſtentitel147§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.mit ſolchen Überſchriften fänden. Gans behauptet mit großem Nachdruck, das Syſtem der Römiſchen Klagen müſſe der heutigen Darſtellung des Obligationenrechts zum Grunde gelegt werden, wenn dieſe zu einer befriedigenden Einſicht führen ſolle(n)Gans Obligationenrecht S. 7. 9. 42. 132. — Später hat er hierin ſeine Meynung geändert; Syſtem des Römiſchen Civilrechts im Grundriſſe Berlin 1827. S. 226.. Endlich zeigen die oben ange - führten einzelnen Beyſpiele (Note f), wie wenig die Lehre unſrer meiſten Schriftſteller gegen ſtets erneuerte Angriffe geſichert iſt, indem die fortdauernde Gültigkeit des alten Klagenſyſtems immer wieder behauptet werden wird, ſo - lange nicht eine von Grund aus geführte Unterſuchung den ſchwankenden Meynungen ein Ziel geſetzt hat. Ob das hier Geleiſtete dieſen Zweck erreicht, kann freylich ſehr in Frage geſtellt werden; der darauf gerichtete Verſuch aber dürfte in den hier angegebenen Thatſachen wohl ſeine Rechtfertigung finden.
Wir müſſen jedoch noch einen Schritt weiter gehen, und der hier angeſtellten Unterſuchung einen gewiſſen Werth und Einfluß nicht blos für die Sicherheit der Theorie des Rechts, ſondern auch für die Anwendung deſſelben im wirklichen Leben zuſchreiben. Hierin aber fällt die Unter - ſuchung der Condictionen und der übrigen dargeſtellten Gattungen von Klagen zuſammen mit der Beſtimmung und Bezeichnung der einzelnen Klagen, wovon jene Gattungen ja nur die Grundlage bilden. Und Dieſes führt uns auf10*148Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die überall vorkommende Behauptung, daß im heutigen Prozeß ſowohl die Auslaſſung, als die falſche Bezeichnung des Namens der Klage unſchädlich ſey, wenn nur die wirklich gemeynte Klage aus den Thatſachen und Anträ - gen der Parteyen mit Sicherheit hervorgehe(o)Cocceji jus controv. II. 13 qu. 3. Weber Beyträge St. 2 S. 6. — Manche Gerichte haben dieſe Regel ſo übertrieben, daß auch gegen den Willen (d. h. den Antrag) der Parteyen die ihnen günſtigen Folgen der vorgetrage - nen Thatſachen vom Richter gel - tend gemacht werden ſollen. Can - negiesser Dec. Hasso-Cassell. T. 1 p. 307. 507. 572. Mit Recht erklärt ſich dagegen Gönner Handbuch B. 1 Num. X. § 11.. Dieſes muß nicht nur für unſere Zeit unbedingt zugegeben, ſon - dern ſelbſt für das ältere Römiſche Recht gewiſſermaßen behauptet werden. Auch in dem Formularprozeß wurde nicht eigentlich der Name der Klage genannt, ſondern nur die formula angegeben(p)In der Formel: Si paret, fundum Agerii esse kam der Name rei vindicatio nicht vor, eben ſo in der Formel: Si paret, centum dari oportere nicht der Name condictio. Das waren blos theoretiſche Bezeichnungen., und auch dieſe war oft ſo all - gemein, daß ſie das individuelle Klagrecht nicht bezeich - nete(q)Beylage XIV. Num. XXXII. XXXIII. . Vollends ſeit der Aufhebung der ordinaria ju - dicia konnte auch von einer formula nicht mehr die Rede ſeyn. Allein für den urtheilenden Richter ſteht es ganz anders. Wenn ſich Dieſer damit begnügt, blos im Allge - meinen zu prüfen, welcher Theil Recht oder Unrecht habe, ſo iſt er in Gefahr, ſich ganz in’s Allgemeine und Unbe - ſtimmte zu verlieren. Will er aber die gegenſeitigen An - ſprüche individualiſiren, ſo iſt ihm dabey im Römiſchen149§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich; denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un - gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt. Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen, der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur - theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen - clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt(r)Vgl. B. 1 § 20 S. 92.. — Manche neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen(s)Cocceji jus controv. II. 13 qu. 3 „ Obj. 2. Quod actio - num nomina frustra essent in - venta. Resp. Imo manet eorum usus ad rite discernenda ne - gotia.” , während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich - gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte.
Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano - niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus - ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter - ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un - terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen mußten(t)C. 6. X. de jud. (2. 1.). „ Provideatis attentius, ne ita subtiliter, sicut a multis fieri solet, cujusmodi actio intente - tur, inquiratis, sed simpliciter et pure factum ipsum et rei veritatem … investigare cure - tis.” Hier geht die Warnung ge - gen die theoretiſche Unterſuchung, wodurch der Richter ſein Urtheil auf feſten Grund zu bauen ſuchen. Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des150Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Preußiſchen Prozeſſes zu behaupten, welche gegen die ängſt - liche Beachtung der aus dem Römiſchen Recht hergebrach - ten Nomenclatur warnt(u)Allgemeine Gerichtsordnung Th. 1 Tit. V § 20. „ Sie müſſen ſich aber auch dabei an die aus dem ehemaligen Römiſchen Rechte hergeleiteten und von den Lehrern deſſelben gebildeten ſogenannten Genera et Formulas actionum nicht ängſtlich binden; folglich auch keine angegebene Thatſache bloß um deswillen verwerfen, oder un - erörtert laſſen, weil dieſelbe auf dieſe oder jene Gattung von Kla - gen nicht zu paſſen ſcheint. “ Ob dieſe oderjene Gattung von Kla - gen paßt, iſt freylich gleichgültig, wenn aber gar keine paſſen will, ſo iſt das ein Kennzeichen, daß überhaupt kein wirkliches Recht vorhanden iſt, mag auch der Rich - ter aus einem unklaren Billig - keitsgefühl geneigt ſeyn, ein ſol - ches anzunehmen., und damit um ſo ſicheren Erfolg haben mußte, als das gleichzeitige allgemeine Land - recht eine ſolche Nomenclatur nicht hat. Die nachtheiligen Folgen dieſer Veränderung haben ſich in der hieraus ent - ſprungenen Praxis ſehr fühlbar gemacht.
Die Verwandlung der Rechte überhaupt in Klagrechte, in Folge von Verletzungen, iſt nunmehr dargeſtellt, und es ſind zugleich die mannichfaltigen Rechtsbildungen nachge - wieſen worden, die in dieſer Verwandlung ihre gemein - ſame Wurzel haben. Da jedoch im wirklichen Leben jedes Klagrecht zunächſt nur als eine einſeitige Behauptung er - ſcheint, die eben ſowohl wahr als falſch ſeyn kann, ſo(t)möchte. Mit einer ſolchen Unter - ſuchung iſt die nachher richtig em - pfohlene Prüfung der thatſächlichen Wahrheit gar wohl vereinbar.151§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. tritt der Klage gegenüber die Vertheidigung des Beklag - ten, und dieſes Verhältniß von Gegenſätzen iſt dann noch einer ferneren Entwicklung fähig.
In der Regel nun erſcheint dieſes Verhältniß ganz ſo einfach, wie es hier vorläufig angegeben worden iſt. Dem Kläger ſteht ein Beklagter gegenüber, und Jeder von Bei - den hat dieſe ſeine Eigenſchaft durch den ganzen Rechts - ſtreit durchzuführen. Es giebt aber auch eine kleine An - zahl ausgenommener Fälle, worin jede Partey beide Eigen - ſchaften in ſich wirklich vereinigt, ſo daß Jeder Kläger iſt, und doch zugleich als Beklagter verurtheilt werden kann. Dieſe Klagen heißen duplices actiones, duplicia judicia, und diejenigen unter ihnen, welche Interdicte ſind, duplicia interdicta(a)Savigny Recht des Be - ſitzes § 37. Der Ausdruck duplex interdictum hat aber noch eine ganz andere Bedeutung, nämlich die eines Interdicts, welches bald adipiscendae, bald recuperan - dae possessionis iſt. Ulpiani fragm. de interdictis, L. 2 § 3 de interdictis (43. 1.). Sa - vigny a. a. O., S. 481 der 6ten Ausg.; einmal werden ſie auch mixtae actiones genannt(b)L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).. In unſren Rechtsquellen werden nur folgende Fälle namentlich als ſolche bezeichnet. Erſt - lich die drey ſogenannten Theilungsklagen: communi di - vidundo, familiae herciscundae, finium regundorum(c)L. 2 § 1 comm. div. (10. 3 ), L. 2 § 3 L. 44 § 4 fam. herc. (10. 2 ), L. 10 fin. reg. (10. 1 ), L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).. Ferner die zwey interdicta retinendae possessionis, uti possidetis und utrubi(d)Gajus IV. § 160, § 7 J. de interd. (4. 15 ), L. 2 pr. de in - terd. (43. 1 ), L. 3 § 1 uti poss. . In allen dieſen Klagen alſo152Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.kann jeder Theil verurtheilt werden, anſtatt daß in den meiſten Klagen nur der Beklagte verurtheilt, der Kläger höchſtens abgewieſen werden kann. In manchen Bezie - hungen freylich iſt es auch bey jenen Klagen unentbehr - lich, den Kläger vom Beklagten zu unterſcheiden, nament - lich wenn ein Beweis auferlegt werden ſoll; nun gilt als Kläger Derjenige, welcher ſich zuerſt an den Richter ge - wendet hat, und wenn Dieſes von Beiden gleichzeitig ge - ſchah, ſo entſcheidet das Loos(e)L. 13. 14 de judic. (5. 1 ), L. 2 § 1 comm. div. (10. 3.). — Eine ganz ähnliche Natur haben die praejudicia, wobey es auch für die Entſcheidung gleichgültig iſt, wer als Kläger auftritt, ſo daß der Kläger nach derſelben Regel wie bey jenen Klagen ermittelt wird. L. 12 de exc. (44. 1.). Der Unterſchied iſt nur der, daß bey den duplices actiones jeder Theil condemnirt werden kann, bey den praejudiciis keiner von bei - den; daher iſt auch auf dieſe letz - ten jene Benennung nicht ange - wendet worden..
Kehren wir von dieſen wenigen Ausnahmen zu dem einfachen, regelmäßigen Verhältniß zurück, worin Ein Kläger Einem Beklagten gegenüber ſteht, ſo haben wir zunächſt den möglichen Inhalt der Vertheidigung zu er - wägen, und die in derſelben denkbaren Verſchiedenheiten anzugeben.
Die Vertheidigung kann ſich gründen erſtlich auf die Verneinung des gegenwärtigen Daſeyns des vom Kläger behaupteten Rechts; zweytens auf die Entgegenſetzung eines andern, von jenem verſchiedenen, dem Beklagten zu - ſtehenden Rechts, wodurch das Recht des Klägers, deſſen Daſeyn vorausgeſetzt, in ſeiner Klagwirkung gehemmt wird.
(d)(43. 17 ), L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).
153§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.Die Verneinung aber läßt ſich wiederum auf zweyer - ley Weiſe denken; ſie kann nämlich auf die ganze Ver - gangenheit gerichtet ſeyn, alſo das Daſeyn des Rechts für alle Zeiten ausſchließen; ſie kann aber auch deſſen früheres Daſeyn zugeben, und nur die ſpätere Vernich - tung behaupten. Um beide Fälle kurz und beſtimmt unter - ſcheiden zu können, will ich die erſte Art als abſolute, die zweyte als relative Verneinung bezeichnen.
Eines der wichtigſten praktiſchen Momente im Verhält - niß des Klägers zum Beklagten iſt die Beweislaſt; ob - gleich nun dieſe erſt an einer ſpäteren Stelle ihre Erle - digung finden kann, ſo ſoll doch ſchon hier das Verhältniß derſelben zu den verſchiedenen Arten der Vertheidigung vorläufig angegeben werden.
Aus der eben angeſtellten Betrachtung ergeben ſich drey Klaſſen möglicher Vertheidigung.
I. Abſolute Verneinung. Als einfachſte Beyſpiele können die Fälle dienen, wenn bey einer Vindication die behauptete Tradition, bey einer Schuldklage der behauptete Contract, verneint wird. — Die Beweislaſt trifft in der Regel den Kläger.
II. Relative Verneinung. Beyſpiele: bey der Vin - dication wird behauptet, der Kläger habe das Eigenthum zwar gehabt, aber veräußert; bey der Schuldklage wird die Bezahlung behauptet. — Die Beweislaſt trifft den Beklagten.
III. Beſtreitung durch ein entgegenſtehendes Recht154Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Beklagten. Beyſpiele: bey der Vindication die Ex - ception aus einem jus in re(f)L. 6 § 9 comm. div. (10.3), L. 1 § 4 de superfic. (43. 18.). oder einem Contract; bey der publiciana die exceptio dominii(g)L. 17 de public. (6. 2.).; bey allen Klagen die exceptio rei judicatae. — Die Beweislaſt trifft den Beklagten.
Die eigenthümliche Natur dieſer drey Klaſſen möglicher Vertheidigung wird durch folgende nähere Beſtimmungen vollſtändiger zur Anſchauung kommen.
Die erſte Klaſſe (abſolute Verneinung) erſcheint nicht immer in der rein logiſchen Form der Verneinung. Denn wenn die Klage ſelbſt als Bedingung ein negatives Ele - ment in ſich ſchließt, ſo erſcheint die Verneinung deſſelben in der logiſchen Form einer Bejahung, und dennoch trifft nicht minder den Kläger die Beweislaſt. So gehört zur Begründung der condictio indebiti die Behauptung einer Nichtſchuld, und der abſolute Widerſpruch dagegen iſt die Behauptung einer Schuld; der Kläger aber hat die Nicht - ſchuld zu beweiſen.
Weit wichtiger aber für die wahre Natur jener erſten Klaſſe iſt folgender Umſtand. Zu den weſentlichen Ele - menten jeder Klage gehört nur das allgemeine Daſeyn der factiſchen Bedingungen des beſtrittenen Rechts. Die gehörige, regelmäßige Beſchaffenheit dieſer Bedingungen verſteht ſich dann von ſelbſt, und wenn dieſe von dem Beklagten verneint wird, ſo tritt er damit in daſſelbe Ver -155§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup - tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes. Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn - teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts - klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup - tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter - nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da - ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134 — 138). Die - ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß, bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men - ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht; eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil - len, deren natürliches Zeichen ſie iſt(g¹)Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349 — 360..
Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver - neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht, da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird; als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei -156Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.digung, nach der andern mit der dritten Klaſſe. Die erſte Auffaſſung aber iſt ohne Zweifel dem Römiſchen Recht angemeſſen, und dieſes Verhältniß eben ſoll durch die von mir gewählte Terminologie ausgedrückt werden(h)Eine ähnliche Verſchieden - heit der Behandlung findet ſich auch in anderen Inſtituten des Pro - zeſſes. Der Eid wurde bey den Römern (wenigſtens gewiß zur Zeit der alten Juriſten) über das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe ſelbſt geſchworen; im heutigen Recht kann er nur die Thatſachen be - treffen, woraus die Rechtsverhält - niſſe entſpringen..
Über das Verhältniß der dritten Klaſſe der Vertheidi - gung zu den beiden erſten iſt Folgendes zu bemerken. Die Gränze derſelben, das heißt die Unterſcheidung der Fälle, die dem einen oder dem andern Gebiet angehören, iſt gro - ßentheils von poſitiven Rechtsregeln abhängig, hat alſo einen hiſtoriſchen Character, ſo daß darin Manches anders ſeyn könnte, auch wohl bey dem Übergang des Römiſchen Rechts in die neuere Zeit anders geworden iſt. So ge - hört die Berufung des Beklagten auf Unmündigkeit oder Wahnſinn eines Contrahenten zur erſten Klaſſe der Ver - theidigung, die Berufung auf Zwang oder Betrug zur dritten. Behauptet der Beklagte, eine Schuld ſey durch Acceptilation oder Novation, oder eine Servitut ſey durch Nichtgebrauch aufgehoben worden, ſo liegt darin eine re - lative Verneinung, oder eine Vertheidigung der zweyten Klaſſe; behauptet er die Aufhebung der Schuld durch un - förmlichen Vertrag, ſo gehört ſeine Vertheidigung meiſt zur dritten Klaſſe. Dieſe Unterſcheidung nun des unförm -157§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. lichen Vertrags von der Acceptilation und Novation iſt im heutigen Recht entſchieden verſchwunden.
Dagegen iſt der praktiſche Character der Vertheidigung dritter Klaſſe von dem der beiden erſten Klaſſen nicht blos hiſtoriſch, ſondern in ſeinem innern Weſen verſchieden. Der durchgreifende Unterſchied aber beſteht darin, daß in den Fällen der dritten Klaſſe zwey verſchiedene, ſelbſtſtän - dige Rechte zu berückſichtigen ſind, deren jedes wieder ſeine eigene Schickſale haben kann. So kann das jus in re, welches eine Exception gegen die Vindication begrün - dete, wieder verloren werden; die exceptio rei judicatae gegen eine Schuldklage kann durch Vertrag entkräftet wer - den(i)Für ſolche Fälle gilt der Ausdruck der L. 95 § 2 de solut. (46. 3) „ incipit obligatio civi - lis auxilium exceptionis amit - tere. ” — L 27 § 2 de pactis (2. 14 ) „ Pactus ne peteret, po - stea convenit ut peteret: prius pactum per posterius elide - tur .... et ideo replicatione exceptio elidetur.” . Wenn dagegen einer Vindication die Veräußerung des Eigenthums, oder einer Schuldklage die Zahlung der Schuld entgegengeſetzt wird, ſo kann die vernichtende Kraft dieſer Rechtsgeſchäfte unmöglich durch ſpätere Ereigniſſe, z. B. Verträge, geſchwächt worden ſeyn, da überhaupt Nichts mehr vorhanden war, das einer ſpäteren Entwick - lung empfänglich geweſen wäre. Es könnte in dieſen Fäl - len höchſtens ein neues Eigenthum, oder eine neue Schuld - forderung erworben werden, welche Rechte jedoch mit den früheren gleichartigen Rechten des Klägers keinen inneren Zuſammenhang haben würden(k)L. 27 § 2 de pactis (2. 14.). … „ Sed si pactum con -. Es iſt wohl zu be -158Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.merken, daß dieſer Unterſchied in dem inneren Weſen der Rechtsverhältniſſe gegründet iſt, alſo keinen blos hiſtori - ſchen Character hat. Zwar die Anwendung auf manche einzelne Fälle kann durch poſitives Recht ſo oder anders beſtimmt werden, wie Dieſes ſchon oben bemerkt worden iſt; aber die Unmöglichkeit, etwas wahrhaft Vernichtetes wieder zu Kräften zu bringen, hat keine hiſtoriſche Natur. Dasjenige, was dieſen Schein an ſich trägt, und etwa dafür ausgegeben wird, kann nur die Errichtung eines ganz neuen Rechtsverhältniſſes ſeyn, wenngleich Daſſelbe dem früheren durch Gegenſtand und Geldwerth ähnlich, alſo für den praktiſchen Zweck des Verkehrs mit ihm gleich - geltend ſeyn mag.
Die Art, wie die Roͤmer die hier dargeſtellten Gegen - ſätze aufgefaßt und anerkannt haben, zeigt ſich am Deut - lichſten in denjenigen Klagen, die eine formula in jus concepta hatten. Die Intentio: fundum Agerii esse, oder Numerium centum dare oportere, gieng auf das gegen - wärtige Daſeyn des Rechtsverhältniſſes, enthielt alſo ſchon unmittelbar die Beachtung der beiden erſten Klaſſen mög - licher Vertheidigung. Der Zuſatz: nisi soluta pecunia sit(k)ventum tale fuit, quod actio - nem quoque tolleret, velut in - juriarum, non poterit postea paciscendo ut agere possit, agere: quia et prima actio sublata est, et posterius pac - tum ad actionem parandam inefficax est: non enim ex pacto injuriarum actio nasci - tur, sed ex contumelia. Idem dicemus et in b. f. contracti - bus, si pactum conventum to - tam obligationem sustulerit, ve - luti empti: non enim ex novo pacto prior obligatio resusci - tatur, sed proficiet pactum ad novum contractum.” 159§. 225. Vertheidigung Einleitung. Duplex actio. wäre eine ganz müſſige Wiederholung geweſen, und kam daher niemals vor, da man von dem Schuldner, welcher gezahlt hat, unmöglich noch ſagen kann: eum dare opor - tere; wenn ſich alſo der Judex überzeugte, daß die Schuld bezahlt ſey, ſo war er durch die Worte: si non paret (dari oportere) absolve ſchon unmittelbar zur Abſolution angewieſen. Ganz anders, wenn der Beklagte das Daſeyn des Eigenthums oder der Schuld dahin geſtellt ſeyn läßt, und ſich blos auf ein ſchon geſprochenes rechtskräftiges Ur - theil beruft. Dieſen Umſtand zu berückſichtigen, enthielten jene Worte der Intentio durchaus keine Anweiſung, ſo daß da - für durch den Zuſatz geſorgt werden mußte: si ea res ju - dicata non sit. Daß bey manchen Klagen dieſer Zuſatz durchaus in der Formel ausgedrückt ſeyn mußte, um beach - tet werden zu können, bey anderen Klagen aber vom Rich - ter ſupplirt werden durfte(l)Beylage XIII. Num. IV. Dar - auf geht der Ausdruck: exceptio inest actioni, d. h. ſie iſt ſo an - zuſehen, als ob ſie in der Formel ausgedrückt wäre. — Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3. § 98 will Dieſes mit Unrecht als eine Eigen - thümlichkeit der b. f. actiones be - handeln, da es in der That auf alle freye Klagen geht., ändert im Weſen jenes Unterſchieds der Vertheidigungsmittel Nichts.
Weniger beſtimmt waren in dieſer Hinſicht die formu - lae in factum conceptae. Auch bey ihnen wurde zuwei - len der Ausdruck ſo gefaßt, daß er ſchon unmittelbar auf die Beachtung der relativen Verneinung führte(m)Gajus IV. § 47 „ … eam - que dolo malo .. redditam non esse” …, zu - weilen auch nicht(n)Gajus IV. § 46; nach der. Es war aber hier die geringere160Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Genauigkeit des Ausdrucks weniger bedenklich, weil dieſe Formeln hauptſächlich bey allen prätoriſchen Klagen gebraucht wurden, in welchen ohnehin der Richter ſehr freye Macht hatte(o)Beylage XIII. Num. VI. Außer den prätoriſchen Klagen hat - ten auch einige wenige Civilklagen eine formula in factum coneepta, dieſe aber waren b. f. actiones, alſo gleichfalls Klagen mit freyer Macht des urtheilenden Nichters. Gajus IV. § 47..
So fand alſo im älteren Römiſchen Prozeß der we - ſentliche Unterſchied, den wir zwiſchen den beiden erſten Arten der Vertheidigung und der dritten Art wahrgenom - men haben, ſeinen beſtimmten und anſchaulichen Ausdruck in der Faſſung der Formeln. Dieſes führt uns auf die genauere Betrachtung der Exceptionen.
Exceptio iſt der Römiſche Ausdruck für diejenige Art der Vertheidigung eines Beklagten, welche auf der Be - hauptung eines ſelbſtſtändigen Rechts deſſelben beruht. Sie führt dieſen Namen, weil ſie darauf abzweckt, eine Freyſprechung als Ausnahme zu bewirken, ſelbſt wenn das(n)wörtlichen Faſſung dieſer Formel könnte man glauben, daß ſelbſt die freywillige Zahlung der Strafe den Freygelaſſenen nicht von der Ver - urtheilung befreyt hätte, welches doch gewiß nicht anzunehmen iſt.161§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.vom Kläger behauptete Recht an ſich vorhanden ſeyn ſollte. Daher wurde der Intentio und Condemnatio: Si paret fundum Agerii esse, oder centum dari oportere … condemna, die Ausnahme hinzugefügt: si ea res judicata non sit. Es erklärt ſich hieraus der negative Ausdruck aller Exceptionen im Verhältniß zu der poſitiven Anwei - ſung der, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Intentio, auszuſprechenden Condemnatio(a)Gajus IV. § 119. „ Omnes autem exceptiones in contra - rium concipiuntur quia (ejus quod?) adfirmat is, cum quo agitur .... ideo scilicet, quia omnis exceptio objicitur qui - dem a reo, sed ita formulae inseritur, ut condicionalem fa - ciat condemnationem, id est ne aliter judex eum, cum quo agi - tur, condemnet, quam si nihil in ea re, qua de agitur, dolo actoris factum sit” rel. — Vgl. Zimmern S. 290. — Mit Un - recht hat man die Allgemeinheit dieſer negativen Faſſung bezwei - feln wollen (Albrecht S. 21.) wegen mancher poſitiv ausgedrück - ten Stellen, z. B. L. 11 § 3 de exc. rei jud. (44. 2. ) „ … ob - staret exceptio, quod res judi - cata sit inter me et te.” Solche Stellen enthalten nur allgemeine Angaben des Inhalts: in der For - mel ſelbſt lautete die Faſſung ge - wiß negativ. — Zimmern S. 298 hält die Exceptionsformel mit ex - tra quam si für poſitiv; allein extra quam si heißt genau ſo viel als nisi, die eine Formel iſt alſo völlig ſo negativ wie die andere.; ferner die bey mehre - ren alten Juriſten vorkommende Erklärung der Exceptio als einer Bedingung der Condemnatio(b)L. 22 pr. de exc. (44. 1.). „ Exceptio est condicio, quae modo eximit reum damnatio - ne, modo minuit damnationem. ” — Gajus IV. § 119 (vgl. Note a.). — Im Weſentlichen damit über - einſtimmend iſt L. 2 pr. de exc. (44. 1.). „ Exceptio dicta est quasi quaedam exclusio … ad cludendum (excludendum? in - tercludendum?) id, quod in in - tentionem condemnationemve deductum est. Daher heißt eine Klage ohne Exception judicium purum. Cicero de inventione II. 20.. Nämlich ſchon die Intentio ſelbſt iſt eine Bedingung (Si paret); zuV. 11162Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſer Hauptbedingung aber tritt jetzt als Nebenbedingung hinzu die Nichtexiſtenz der Exception, und Das iſt es, was jene Juriſten ausdrücken wollen(c)Mit Unrecht haben Manche behauptet, die in den Noten a. und b. mitgetheilten Definitionen ſeyen ſo allgemein gefaßt, daß ſie auch wohl auf die relativen Verneinun - gen paßten, alſo den Ausdruck solutionis exceptio rechtfertigen könnten (Mühlenbruch § 137 not. 2.). Denn die drey ange - führte Stellen erklären übereinſtim - mend die Exception für eine Ein - ſchränkung oder Bedingung des in der Intentio und Condemnatio ausgedrückten Gedankens, alſo für etwas außer dieſem Gedanken Liegendes, in ihm nicht ſchon Ent - haltenes. Jede Verneinung aber, ſowohl die abſolute als die rela - tive, bezieht ſich unmittelbar auf jenen Gedanken ſelbſt. Denn auch wer die Zahlung einer Schuld be - hauptet, will damit ſagen: se dare non oportere, verneint alſo die Intentio geradezu, und will nicht condicionalem facere con - demnationem. . Die Exception iſt alſo allerdings eine Vertheidigung des Beklagten(d)pr. J. de except. (4. 13.). „ Comparatae sunt autem ex - ceptiones defendendorum eo - rum gratia, cum quibus agi - tur.” Eben ſo Gajus IV. § 116, nur ſteht hier in der Handſchrift reorum ſtatt eorum. , aber nicht jede Vertheidigung überhaupt darf ſo genannt wer - den, ſondern nur eine einzelne Art derſelben(e)So heißt es in L. 56 de cond. ind. (12. 6. ) „ exceptionis defensio,” welcher Ausdruck an - deutet, daß es außer der Exception auch noch andere Arten der de - fensio gebe.. Der Ausdruck wird im alten Recht niemals gebraucht, um die abſolute, oder ſelbſt die relative Verneinung zu bezeichnen, ſo daß die Ausdrücke exceptio solutionis, usucapionis u. ſ. w. gewiß bey keinem alten Juriſten vorkommen(f)Die verbale Form excipere galt nicht eben ſo als eigenthüm - licher Kunſtausdruck, ſo daß hier der Sprachgebrauch weniger ſtreng war. L. 18 § 2 de prob. (22. 3.) „ .. qui excepit se non respon - disse.” In keinem Fall kann dieſe Stelle dazu benutzt werden, die von vielen Neueren behauptete Er - weiterung des Ausdrucks auf die relative Verneinung (wie die ex - ceptio solutionis) zu rechtfertigen. Denn in dieſer Stelle iſt ſogar.
163§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.Da die Exceptionen Beſtandtheile der von dem Prä - tor ausgehenden formula waren, ſo hatte der Beklagte darum zu bitten, der Prätor ſie zu gewähren oder zu ver - weigern(g)Darauf gehen die Ausdrücke: exceptionem petere, postulare, dare, addere, reddere, dene - gare. . Ihre wörtliche Aufnahme in die Formel war bey den ſtrengen Klagen nöthig, bey den freyen Klagen zwar nicht nöthig, aber doch ſehr gewöhnlich, und ſie wurde auch hier ſchwerlich verweigert, wenn der Beklagte darum bat (§ 225.). Sie wurde aber, eben ſo wie die actio, nur gegeben, wo eine Thatſache ſtreitig war, da außerdem der Prätor gleich unmittelbar entſcheiden konnte, ohne eines Judex zu bedürfen(h)L. 9 pr. de jurejur. (12. 2.). „ .. posteaquam juratum est, denegatur actio: aut, si controversia erit, id est si am - bigitur, an jusjurandum datum sit, exceptioni locus est.” Die Exception wird alſo nur angewen - det, wenn die Thatſache beſtrit - ten iſt..
Der Ausdruck Praescriptio iſt im Juſtinianiſchen Recht völlig gleichbedeutend mit Exceptio, ſo daß überall beide Ausdrücke ohne Gefahr abwechſlend gebraucht werden kön - nen(i)Dafür beweiſen die Rubri - ken Dig. 44. 1 und Cod. 8. 36; dann eine Stelle des Paulus, wor - in für einen und denſelben Fall abwechſlend praescriptio und ex - ceptio geſagt wird. L. 12 de div. temp. pr. (44. 3. ); ferner praescriptio peremtoria, dila - toria in L. 8. 12 C. de except. (8. 36. ); doli, rei judicatae, in factum praescriptio, wo ſonſt faſt immer exceptio vorkommt. L. 91 de solut. (46. 3. ), L. 29 pr. de exc. rei jud. (44. 2. ), L. 23 de except. (44. 1.). — Um - gekehrt: Exceptio longae pos - sessionis in L. 5 § 1 de div. . Erſt durch Gajus haben wir folgenden Urſprung(f)von einer abſoluten Verneinung die Rede, und von dieſer behaup - tet Niemand, daß ſie von den Rö - mern exceptio genannt worden ſey, oder von uns ſo genannt wer - den dürfe.11*164Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſes Sprachgebrauchs kennen gelernt(k)Gajus IV. § 130 — 137. Zimmern § 96. 97, wo dieſer Ge - genſtand gründlich, mitunter wohl zu ſubtil, behandelt iſt.. Im älteren Prozeß wurden manche Einſchränkungen der Intentio und Condemnatio (welche beide ſtets als ein zuſammenhängen - des Ganze gedacht werden müſſen) vor die Intentio ge - ſetzt, und erhielten von dieſer Stellung den natürlichen Namen Praescriptio. Manche derſelben wurden im In - tereſſe des Klägers, und auf deſſen Antrag, aufgenommen: andere im Intereſſe und auf den Antrag des Beklagten. Dieſe letzten waren nun wahre, eigentliche Exceptionen, und es geſchah wohl blos zufällig, daß einige Exceptionen auf dieſe Weiſe voran geſchrieben wurden, anſtatt daß die meiſten von jeher hinter der Intentio ſtanden(l)Ohne Zweifel auch hinter der Condemnatio. Zimmern S. 285 ſetzt die Exceptionen zwi - ſchen die Intentio und Condem - natio, welches wohl in vielen Fäl - len einen unbehülflichen und un - deutlichen Ausdruck veranlaßt hätte.. Später - hin wurde dieſe Einrichtung dahin abgeändert, daß nur noch die vom Kläger veranlaßten Einſchränkungen voran geſchrieben wurden, alle Exceptionen des Beklagten aber an das Ende der Formel. Diejenigen unter ihnen, welche von ihrer früheren Stellung den Namen Praescriptiones(i)temp. (44. 3. ), und temporalis exceptio in L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ), anſtatt des hierin übli - cheren praescriptio. Ja dieſe umgekehrte Abwechslung konnte zu allen Zeiten vorkommen, da der Name Exceptio gar keine Bezie - hung auf die Stelle in der For - mel hat. So giebt in der That Cicero de inv. II. 20 einer un - zweifelhaften Praescriptio den Na - men Exceptio, und dieſe Benen - nung iſt gar nicht, wie Zimmern S. 297 annimmt, für einen unei - gentlichen Ausdruck zu halten. — Noch mehrere Stellen finden ſich bey Unterholzner Verjährungs - lehre I. S. 10. 11.165§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.erhalten hatten, behielten denſelben, auch nachdem er auf - gehört hatte paſſend zu ſeyn, dennoch bey, und ſo ge - wöhnte man ſich daran, Praescriptio für einen mit Ex - ceptio gleichbedeutenden Namen anzuſehen. Dieſer ver - änderte Sprachgebrauch aber wurde noch ſehr befördert durch den Untergang des ordo judiciorum, indem nun keine formulae mehr geſchrieben wurden, in welchen man verſchiedene Stellen hätte unterſcheiden können, auch die früheren im Intereſſe des Klägers gemachten Einſchrän - kungen völlig verſchwanden. Allerdings iſt bey den ein - zelnen Exceptionen der eine oder der andere Name vor - herrſchend, ſo daß die abweichende Bezeichnung nur als ſeltene Ausnahme erſcheint (Note i.). Dieſes iſt ohne Zwei - fel daraus zu erklären, daß z. B. die doli und rei judi - catae exceptio ſtets am Ende der Formel ſtanden, anſtatt daß die temporis und die fori praescriptio in früherer Zeit voran geſchrieben wurden. — Bey den neueren Ju - riſten freylich, und ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten, hat der Ausdruck Praescriptio, zur großen Verwirrung der Rechtswiſſenſchaft, eine ganz andere Bedeutung angenom - men, nämlich die der Verjährung, welche Veränderung des Sprachgebrauchs jedoch an dieſer Stelle gar nicht zu beachten iſt(l¹)Vgl. oben B. 4 § 178..
Die Exceptio, in der hier dargeſtellten Prozeßform, kann erſt gebraucht worden ſeyn ſeit der Entſtehung des ordo judiciorum, in den alten Legis actiones kam ſie166Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht vor(m)Gajus IV. § 108. „ Alia causa fuit olim legis actionum … nec omnino ita, ut nunc, usus erat illis temporibus ex - ceptionum.” . Es wäre ſogar möglich, daß ſie erſt län - gere Zeit nach dem Anfang des Formularprozeſſes ihren Urſprung gehabt hätte, obgleich es nicht wahrſcheinlich iſt, daß man dieſe ſo zweckmäßige und nahe liegende Form lange vernachläſſigt haben ſollte.
Mit dem Untergang des ordo judiciorum hörten auch die Exceptionen in der angegebenen Prozeßform auf. Sie waren nun nicht mehr ein Stück der vom Prätor abge - faßten, an den Judex gerichteten, formula, ſondern ſie wurden das, was ſie bey uns ſind, bloße Anträge des Beklagten an den obrigkeitlichen Richter(n)Jetzt waren alſo die oben in der Note g. angeführten Aus - drücke nicht mehr paſſend, und man bezeichnete nun die Handlung des Beklagten, welcher die Exception geltend machte, durch: opponere oder objicere exceptionem. Je - doch war dieſer Ausdruck auch ſchon früher, neben jenen anderen, ſehr gewöhnlich, und das oppo - nere hatte damals denſelben Sinn, wie petere und postulare. Vgl. Gajus IV. § 123. 124., 119 (vgl. oben Note a.), und viele Stellen der Digeſten.. Es iſt je - doch irrig, wenn Manche annehmen, daß damit das innere Weſen der alten Exceptionen verſchwunden, oder auch nur weſentlich verändert worden wäre. Verſchwunden war allerdings Dasjenige, was an den Exceptionen der frühe - ren Zeit lediglich dem Prozeß angehört hatte, alſo na - mentlich die verſchiedene Macht, welche in Beziehung auf ſie der Judex, je nach den verſchiedenen Arten der Kla - gen, gehabt hatte. Dagegen blieben ſie Das, was ſie von jeher geweſen waren, Vertheidigungen des Beklagten,167§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.auf ſelbſtſtändige Rechte deſſelben gegründet (§ 225.). Wenn daher in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern die Lehre von den Exceptionen großentheils mit den unveränderten Wor - ten der alten Juriſten vorgetragen wird, ſo darf Dieſes nicht, wie Manche wollen, als gedankenloſe und blos ſcheinbare Aufrechthaltung eines untergegangenen Rechts - inſtituts angeſehen werden. Es iſt daher auch nicht rich - tig, dem Juſtinianiſchen Recht eine weſentliche Verände - rung der Kunſtausdrücke in dieſer Lehre zuſchreiben zu wollen. Selbſt wenn ein minder ſtrenger Sprachgebrauch in Juſtinians eigenen Conſtitutionen erſchiene, würde Die - ſes vielmehr aus der geſunkenen Kunſtſprache überhaupt, als aus einer veränderten Rechtsanſicht über dieſen be - ſonderen Gegenſtand, zu erklären ſeyn; es werden ſich aber gewiß nur ſehr wenige Stellen finden, worin Juſtinian von den Exceptionen oder Präſcriptionen anders redete, als es auch ſchon von einem der alten Juriſten hätte ge - ſchehen können(o)Die L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ) gebraucht allerdings den Ausdruck temporalis exceptio in ſolcher Ausdehnung, daß darunter ſelbſt die Uſucapion mitbegriffen wird, alſo ein Fall relativer Ver - neinung, der völlig außer dem Ge - biet der wahren Exceptionen liegt (§ 225.). Vgl. oben B. 4 § 178. i. Es geſchieht aber Dieſes in der Verlegenheit, alle bey einer Dos durch Zeit möglicherweiſe eintre - tende Veränderungen in kurzen Worten zuſammen zu faſſen, wo - zu allerdings ein gemeinſamer ächter Kunſtausdruck nicht vorhanden war; die Abweichung von dem genauen Sprachgebrauch iſt alſo hier Noth - hülfe für ein einzelnes Bedürfniß, nicht Kennzeichen einer veränderten Natur der Exceptionen..
Es kann endlich auch Das nicht zugegeben werden,168Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.daß der Name Exceptio im Juſtinianiſchen Recht, nach - dem ſeine eigentliche Bedeutung verſchwunden ſey, auf ge - dankenloſe Weiſe beybehalten worden wäre, und ſchon deshalb verworfen werden müßte. Allerdings war die un - mittelbare Beziehung jenes Namens die auf die alten Klagformeln, und dieſe war zu Juſtinians Zeit verſchwun - den. Allein die Faſſung der Formeln war nicht zufällig, vielmehr drückte ſie das innere Weſen der Rechtsverhält - niſſe aus, und dieſes iſt unverändert geblieben. Noch jetzt alſo bezeichnet Exceptio ſtets das Verhältniß einer Aus - nahme von der aus der Klage eigentlich hervorgehenden Verpflichtung, obgleich dieſe Ausnahme nicht mehr auf die Anweiſung an einen Judex zur regelmäßigen Condemnation ſich bezieht.
Dieſe Bemerkungen ſind aber nicht blos auf das Ju - ſtinianiſche Recht anzuwenden, ſondern in gewiſſem Grade ſelbſt auf deutſche Prozeßgeſetze. Nach einer ſehr verbrei - teten Meynung nämlich ſoll, was auch der Inhalt des neueſten Römiſchen Rechts ſeyn möge, wenigſtens der Jüngſte Reichsabſchied (von 1654) für die Exceptionen das Recht und den Sprachgebrauch gänzlich umgeändert haben. Es gehören dahin folgende zwey Stellen:
Das iſt unverkennbar, daß hier unter den Einwendun -169§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.gen und Exceptiones alle möglichen Vertheidigungsmittel des Beklagten zu verſtehen ſind, und daß daher den in dieſem Geſetz enthaltenen Vorſchriften über das Verhalten des Beklagten eine ſehr weite Ausdehnung gegeben werden muß. Allein für die Behandlung des Gegenſtandes in der Rechtstheorie iſt in dieſem Geſetz kein Gebot enthal - ten. Mögen wir nun auch den deutſchen Ausdruck Ein - rede einer ſehr freyen Behandlung preisgeben, ſo wollen wir doch den aus dem Römiſchen Recht herſtammenden Kunſtausdruck Exception auch ferner in ſeiner eigen - thümlichen Bedeutung feſt halten. Dieſes iſt nicht blos wichtig zur Abwehr der ſonſt unvermeidlichen Misver - ſtändniſſe über den Sinn unſrer Rechtsquellen, ſondern auch weil der dadurch bezeichnete Rechtsbegriff faſt nur durch dieſes Mittel feſtgehalten werden kann; um ſo wich - tiger, als unter den Prozeßſchriftſtellern der letzten Jahr - hunderte eine ſolche Sprachverwirrung wahrzunehmen iſt, daß man ſich doppelt freuen muß, wenigſtens in Einem Kunſtausdruck von hiſtoriſch beſtimmter Bedeutung einen feſten Anhaltspunkt zu finden.
Da der Inhalt der Exceptionen in einem ſelbſtſtändi - gen Recht des Beklagten beſteht, hierin alſo dem Inhalt der Klagen gleichartig iſt, ſo kommen bey ihnen ganz ähn - liche Gegenſätze vor, wie bey den Klagen. Auch bey ihnen170Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wurde die Formel theils ſchon im Edict vorgefunden, theils nach den Bedürfniſſen des einzelnen Falles vom Prätor neu entworfen(a)Gajus IV. § 118. „ Excep - tiones autem alias in edicto Praetor habet propositas, alias causa cognita accommodat.” ; dieſe letzten heißen dann in factum ex - ceptiones(b)Fragm. Vat. § 310 „ ne - que Cinciae legis exceptio ob - stat, neque in factum: si non donationis causa mancipavi vel promisi me daturum. ” — L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4. ) ex - ceptione in factum comparata vel doli mali.” Vgl. L. 4 § 16 eod., L. 14. 23 de exc. (44. 1. ), und viele andere Stellen. — Dieſe in factum exceptiones entſpre - chen alſo ganz den improviſirten in factum actiones (§ 217); es würde jedoch unrichtig ſeyn, die Ähnlichkeit ſo weit durchführen zu wollen, als ob die übrigen Excep - tionen in jus conceptae, alſo mit einer juris civilis intentio verſe - hen geweſen wären. Auch die L. Cinciae exc. wurde gewiß ſo gefaßt: nisi contra L. Cinciam factum sit, hatte alſo eine that - ſächliche Faſſung., ähnlich den für einzelne Fälle erfundenen Klagen (§ 217.). — Ferner entſpringen ſie, eben ſo wie die Klagen, theils aus dem Civilrecht (lex und quod le - gis vicem obtinet), theils aus dem prätoriſchen Recht(c)Gajus IV. § 118 (unmittel - telbar nach den in Note a abge - druckten Worten): „ Quae omnes vel ex legibus, vel ex his quae legis vicem obtinent, vel ex ju - risdictione Praetoris proditae sunt.” Eben ſo § 7 J. de exc. (4. 13.). — Die Worte der L. 3 de exc. (44. 1. ) „ si quid contra LL., Senatusve consultum fac - tum esse dicetur” dürfen nicht ſo verſtanden werden, als wenn jemals eine wirkliche Exception ſo ausgedrückt worden wäre; es iſt blos die collective Bezeichnung der exc. L. Cinciae, Sc. Macedonia - ni u. ſ. w. Eben ſo bey Gajus IV. § 121.. — Endlich kommt auch bey ihnen der Fall vor, daß ſchon bekannte, mit individuellen Namen bezeichnete Exceptionen ſpäterhin auf neue Fälle ausgedehnt wurden, und auch hier wird das Verhältniß einer ſolchen Erweiterung mit171§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.dem Namen utilis exceptio bezeichnet(d)L. 21 de praescr. verb. (19. 5.). „ Quotiens deficit actio vel exceptio, utilis actio vel exceptio est.” Der Ausdruck hat jedoch hier lediglich den Sinn einer Ausdehnung (§ 215), eine Fiction kam bey den Exceptionen gewiß nicht vor, die ja auch zu ihrer ohnehin thatſächlichen Faſ - ſung gar nicht gepaßt haben würde (Note b.). — In den meiſten Stel - len freylich heißt utilis exceptio nicht eine ausgedehnte, ſondern eine wirkſame, gültige Exception. Vgl. L. 41 de minor. (4. 4.). L. 19 § 5 ad Sc. Vell. (16. 1. ), L. 5 C. de usuris (4. 32.)., alſo auf gleiche Weiſe wie bey den Klagen (§ 215).
Der den Inhalt der Exception beſtimmende Rechts - grund hat ſeinen Sitz zuweilen in Regeln des Prozeſ - ſes(e)Dahin gehört die exceptio fori, procuratoria, cognitoria, praejudicialis u. ſ. w. Vgl. Al - brecht Exceptionen. S. 211.; häufiger aber, und mit wichtigerem Einfluß, in materiellen Rechtsregeln. Die Exceptionen dieſer zweyten Art haben eine den Obligationen ähnliche Natur, eben ſo wie die Klagen (§ 205); der Beklagte fordert von dem Kläger, daß er ſein Klagrecht nicht geltend mache. Daſ - ſelbe materielle Recht kann, je nach dem zufälligen Be - dürfniß, bald eine Klage, bald eine Exception veranlaſſen, und es iſt über das Verhältniß, worin dieſe beide Geſtal - ten der Rechtsverfolgung zu einander ſtehen, folgende Re - gel zu bemerken. Wer ein Klagrecht hat, kann den Grund deſſelben, wo er es bedarf, ſtets auch als Exception gel - tend machen(f)L. 1 § 4 de superf. (43. 18. ) „ cui damus actionem, ei - dem et exceptionem competere multo magis quis dixerit.” Die - ſelbe Stelle ſteht nochmals in L. 156 § 1 de R. J. (50. 17.).. Man kann aber nicht auch umgekehrt ſagen, daß aus dem Daſeyn einer Exception ſtets auch172Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Anſpruch auf eine Klage von gleichem Inhalt und Erfolg hervorgehe.
Der wichtigſte Fall der aus materiellen Rechtsregeln entſpringenden Exceptionen bezieht ſich auf das Verhält - niß der aequitas zum jus civile. Wo nämlich der Prä - tor jene anerkannte, da verſchaffte er ihr das praktiſche Übergewicht bald durch in factum actiones, bald durch Exceptionen(g)L. 3 § 1 de pec. const. (13. 5.). „ Si quis autem consti - tuerit, quod jure civili debebat, jure praetorio non debebat, id est per exceptionem” … Die wichtigſten Exceptionen dieſer Art ſind die doli und die pacti ex - ceptio; zu demſelben Zweck dien - ten aber auch in factum excep - tiones (Note b.).; in jenem Fall bewirkte er eine Condem - nation, in dieſem verhinderte er dieſelbe, ohne eigentlich ein Recht zu erſchaffen oder zu vernichten(h)Vgl. oben § 213. 216, und B. 1 § 22.. Dieſen wichtigſten unter allen Fällen der Exceptionen ſtellen Ga - jus und die Inſtitutionen an die Spitze, um das Bedürf - niß und die Wichtigkeit der Exceptionen in einer Reihe von Beyſpielen anſchaulich zu machen(i)Gajus IV. § 116. 117, pr. § 1 — 5 J. de exc. (4. 13.).. Es iſt aber ſo wenig der einzige Fall, daß hinterher in beiden eben an - geführten Rechtsquellen die allgemeine Überſicht über die Entſtehungsgründe der Exceptionen gegeben wird, worin jener Fall nur als einer unter mehreren erſcheint(k)Vgl. oben Note c. — Daß das Vorhergehende blos Beyſpiele liefern ſollte, ſagt wörtlich § 6 J. de exc. (4. 13.). „ Haec exem - pli causa retulisse sufficiet. ” — Hätten die allgemeinen Überſichten (Note c.) voran geſtanden, ſo würde in dieſer Hinſicht niemals ein Misverſtändniß aufgekommen ſeyn. In den Inſtitutionen übri - gens iſt die Zahl der Beyſpiele viel größer als bey Gajus, und daher erſcheint der § 7 J. de exc. (4. 13. ) verſteckter, und kann leich -.
173§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.Um dieſes Verhältniß der verſchiedenen Arten der Ex - ceptionen zu den verſchiedenen Arten der Klagen, welches in neueren Zeiten nicht ſelten verkannt worden iſt, auf er - ſchöpfende Weiſe zu behandeln, will ich die möglichen Combinationen in vollſtändiger Überſicht darſtellen. Es läßt ſich denken, daß einer Civilklage eine civile oder prä - toriſche Exception, und eben ſo einer prätoriſchen Klage eine civile oder prätoriſche Exception, entgegen geſetzt werde. Alle dieſe Combinationen aber ſind nicht blos denkbar, ſondern ſie kommen auch in folgenden unzweifel - haften Anwendungen wirklich vor.
Manche wollen unter dieſen verſchiedenen Anwendun - gen nur allein die zweyte (Civilklage und prätoriſche Ex - ception) als die eigentliche und wahre Exception anſehen; alle übrigen ſollen nur uneigentliche, nachahmungsweiſe eingeführte Exceptionen ſeyn(r)Zimmern § 91, beſonders S. 286. Albrecht § 5 und S. 32. 33. 42. 44. Wie ſich dieſe un - richtige Anſicht bey neueren Pro - zeßſchriftſtellern noch weiter aus - gebildet hat, wird unten gezeigt werden (§ 228.). — Albrecht S. 8. 23 will ſogar den Namen Exceptio nicht von einer, der Condemnationsregel hinzugefügten, Ausnahme erklären, ſondern von dem Ausnahmeverhältniß, in wel - ches ſich das prätoriſche Recht zu dem Civilrecht ſtellte.. Zu dieſer Behauptung iſt jedoch durchaus kein Grund vorhanden, denn wenn man die oben (Note c.) angeführte Stellen des Gajus und der Inſtitutionen unbefangen betrachtet, ſo iſt es einleuch - tend, daß die Ausbildung der Exceptionen von den alten Juriſten ſelbſt als parallel gehend mit der Ausbildung der Actionen aufgefaßt wurde, ſo daß wir nicht mehr Urſache haben, die civilen Exceptionen, als die civilen Klagen für175§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.uneigentlich und nachgeahmt zu halten. Wie aber jene unrichtige Meynung entſtanden iſt, darüber kann kein Zwei - fel ſeyn; man hat nämlich denjenigen Fall der Anwen - dung, welcher allerdings der häufigſte, und für die An - wendung der wichtigſte war, willkührlich für den ur - ſprünglich einzigen gehalten, zu welchem ſich alle übrigen blos als uneigentliche Erweiterungen verhalten haben ſollen.
Folgende Eintheilungen der Exceptionen geben näheren Aufſchluß über die verſchiedenen Beziehungen, in welchen ſie vorkommen.
Manche derſelben ſind blos für eine gewiſſe Zeit, oder für gewiſſe Umſtände wirkſam, ſo daß ſie die Klage nicht mehr hindern, wenn die Zeit abgelaufen iſt, oder die Um - ſtände verändert ſind; ſo z. B. die exceptio pacti in diem, wenn vor Eintritt des Zahlungstags geklagt wird: die fori exceptio, wenn die Klage vor einem unrichtigen Ge - richt angeſtellt iſt, ſo wie überhaupt die auf bloße Pro - zeßregeln gegründeten Exceptionen (Note e.). — Andere, und zwar die meiſten, haben eine ſolche Beſchränkung nicht, ſo daß ſie zu jeder Zeit und unter allen Umſtänden wir - ken können. — Die erſten heißen dilatoriae oder temporales(s)Temporalis exceptio oder praescriptio hat außer der im Text angegebenen Bedeutung noch eine andere, von jener völlig ver - ſchiedene, nämlich die auf Klag - verjährung gegründete. Hier bezeichnet alſo der Ausdruck eine ganz individuelle Exception, eben ſo wie exc. doli, pacti u. ſ. w., und nicht ein Eintheilungsglied, wie wenn er mit dilatoria gleich - bedeutend genommen wird. Außer - dem heißt auch einmal perpetua exc. die unverjährbare Excep - tion (L. 5 C. de exc. 8. 36. ), im Gegenſatz derſelben müßte tem - poralis die verjährbare heißen, und dieſe Kunſtausdrücke wären,176Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die zweyten peremptoriae oder perpetuae(t)Gajus IV. § 120 — 125, L. 2 § 4 L. 3 de exc. (44. 1. ), § 8 — 10 J. de exc. (4. 13.). Die Pro - zeßregeln, worauf ſich dilatoriſche Exceptionen gründeten, nahmen nur dann dieſe Geſtalt an, wenn ſie vor dem Prätor geltend gemacht wurden; kamen ſie erſt vor dem Judex zur Sprache, ſo mußten ſie zwar auch beachtet werden, ſie hie - ßen aber nun nicht exceptiones, ſondern translationes, oder trans - lativae constitutiones. Die be - ſtimmteſte Stelle hierüber iſt Ci - cero de invent. II. 19. 20. Nach anderen, unbeſtimmteren Stellen könnte man glauben, die exceptio dilatoria ſelbſt habe den Namen translatio geführt. De invent. I. 8, ad Herenn. I. 12, II. 12, Fortuna - tian. und Sulp. Victor bey Ca - perronner. Rhetores ant. p. 63. 284.. — Die Wir - kung der dilatoriſchen Exceptionen war aber im alten Prozeß ganz verſchieden, je nachdem ſie ſich auf den In - halt der Intentio ſelbſt bezogen oder nicht. War z. B. die exceptio pacti in diem vorgebracht, und überzeugte ſich der Judex von ihrer Richtigkeit, ſo mußte er nun ganz abſolviren, und die Forderung war für immer verloren; war alſo der Kläger vorſichtig, ſo nahm er die Klage vorläufig ganz zurück, und ließ es gar nicht zu einem ju - dicium kommen(u)Gajus IV. § 123. Vgl. Zim - mern § 95. Nach der Allgemein - heit, womit ſich Gajus ausdrückt, könnte man glauben, Dieſes ſey bey allen dilatoriſchen Exceptionen der Fall geweſen, und auf die von ihm angeführten Beyſpiele paßt die Regel auch wirklich. Aber wenn bey der fori praescriptio anerkannt wurde, daß der magi - stratus nicht competent ſey, ſo hatte auch der Judex keine wirk - liche Macht empfangen, er konnte weder condemniren noch abſolviren, und die Sache wurde nicht conſu - mirt, weil ſie gar nicht in judi - cium deducirt war. Bey der ex - ceptio praejudicialis ſollte das Urtheil aufgeſchoben, alſo für den Augenblick weder condemnirt noch abſolvirt werden.. Anders bey denjenigen dilatoriſchen Exceptionen, die keinen Bezug auf den Inhalt der Inten -(s)ganz in der Analogie der actio perpetua und temporalis. Daß ſie nicht herrſchend geworden ſind, erklärt ſich wohl aus der Selten - heit der verjährbaren Exceptionen.177§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.tio hatten, wie z. B. die exceptio fori oder praejudicialis. Wenn ſich bey dieſen der Judex überzeugte, daß ſie ge - gründet ſeyen, ſo durfte er nicht abſolviren, ſondern er mußte ſich des Urtheils für jetzt ganz enthalten, ſo daß dann die Klage noch immer nicht verloren war(v)Vgl. die Entwicklung dieſes Falles in Note u. Der Unterſchied beider Arten der dilatoriſchen Ex - ceptionen läßt ſich ſo ausdrücken, daß die Anweiſung: si non pa - ret absolve bey der einen Art zur Anwendung kam, bey der an - dern nicht. Dagegen der erſte Theil der Anweiſung: Si paret condemna wurde durch beide Ar - ten gleichmäßig beſchränkt, und darum gebührte auch beiden auf gleiche Weiſe der Name Exceptio. Daß z. B. die praejudicialis ex - ceptio dieſen Namen wirklich führte, kann nach Cicero de invent. II. 20, und L. 13. 16. 18 de exc. (44. 1. ) nicht bezweifelt werden. Ganz willkührlich ſpricht Zim - mern S. 302 der zweyten Klaſſe der dilatoriſchen Exceptionen den Namen Exceptio ab, indem er den in der gegenwärtigen Note dargeſtellten Unterſchied überſieht.. Die - ſer Unterſchied fällt ſchon im Juſtinianiſchen Recht hin - weg, indem die zuletzt erwähnte minder gefährliche Wir - kung nun bey allen dilatoriſchen Exceptionen eintritt.
Es werden ferner unterſchieden personae und rei co - haerentes exceptiones, je nachdem Derjenige allein, auf welchen ſich die Exception urſprünglich bezog, ſie ge - brauchen kann, oder auch Andere, die an ſeiner Stelle verklagt werden, wie Erben, Käufer, Bürgen(w)L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.). — Noch etwas verſchieden davon iſt es, wenn die Proculejaner von der exc. L. Cinciae behaupteten, es ſey dazu berechtigt „ etiam qui - vis, quasi popularis sit haec exceptio (Fragm. Vat. § 266.), alſo ſelbſt ohne Rückſicht auf ein Succeſſionsverhältniß.. Die Natur der unbeſchränkten rei cohaerentes bildet die bey weitem vorherrſchende Regel, die personae cohaerentes kom - men nur in ſeltenen Ausnahmen vor(x)Die Hauptanwendung iſt. — Ein ähnlicherV. 12178Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Unterſchied, nur in weit beſchränkterer Art, kommt auch vor bey der Verpflichtung des Klägers, ſich die Exception gefallen zu laſſen, wenn nämlich dieſe aus einer widerrecht - lichen Handlung des urſprünglichen Klagberechtigten ent - ſprungen iſt. In dem wichtigſten Fall, der doli exceptio, geht dieſe Verpflichtung auf den Erben und den Donatar des Unredlichen über, nicht auf den Käufer(y)L. 4 § 27. 31 de doli exc. (44. 4.). Es heißt alſo hier: ex - primendum est … non in rem: si in ea re dolo malo factum est, sed sic: si in ea re nihil dolo malo actoris factum est.” L. 2 § 1 eod. Die Succeſſoren ſind dann, unter der im Text an - gegebenen Beſchränkung, mit ein - geſchloſſen., alſo noch weniger auf jeden Dritten, der mit Jenem in gar keinem Succeſſionsverhältniß ſteht. Anders iſt es bey der metus exceptio, welche in rem gefaßt wird: si in ea re nihil metus causa factum est, weshalb ſie nicht blos gegen den Erben oder Käufer des Zwingenden, ſondern auch gegen jeden Dritten, gebraucht werden kann(z)L. 4 § 33 de doli exc. (44. 4.).. Wenn nun bey anderen Exceptionen gelegentlich bemerkt wird, daß ſie nicht blos gegen den urſprünglichen Kläger, ſondern auch gegen jeden Succeſſor deſſelben ohne Unterſchied ge -(x)die bey dem ſogenannten benefi - cium competentiae. L. 7 pr. de exc. (44. 1. ), L. 24. 25 de re jud. (42. 1. ), § 4 J. de repl. (4. 14.). Dann auch bey der exc. pacti, wenn der Vertrag blos auf das Individuum beſchränkt iſt. L. 21 § 5, L. 22 — 26, L. 32 de pactis (2. 14.). Wenn daher ein - mal bey der exc. rei venditae et traditae das Gegentheil erwähnt wird, ſo iſt Dieſes nicht etwas Beſonderes, ſondern bloße Anwen - dung der allgemeineren Regel. L. 3 pr. de exc. rei vend. (21. 3.). So mußte man auch bey der doli exceptio von Seiten des Beklag - ten ſagen: in rem opponitur exceptio L. 2 § 2 de doli exc. (44. 4.).179§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.braucht werden können(aa)L. 3 § 1 de exc. rei vend. (21. 3.)., ſo iſt Dieſes nicht etwa der Ausdruck einer eigenthümlichen Eigenſchaft dieſer beſonde - ren Exceptionen, ſondern bloße Anwendung des gewöhn - lichen, regelmäßigen Verhältniſſes, alſo blos Verneinung der eigenthümlichen, bey der doli exceptio eintretenden Be - ſchränkung.
Von der hier vorgetragenen, rein Römiſchen, Lehre der Exceptionen ſind ſchon die Juriſten des Mittelalters auf mancherley Weiſe abgewichen. Vorzüglich machte ſich ſeit ihrer Zeit eine neu erfundene Eintheilung geltend, in Ex - ceptiones juris und faeti; jene ſollten ungefähr die wah - ren Römiſchen Exceptionen ſeyn, dieſe die übrigen Ein - wendungen, z. B. die der Zahlung(a)Unter anderen Stellen der Gloſſe iſt hierüber zu vergleichen Gl. Intentionem. L. 2 pr. de exc. (44. 1.).. Allein weder über die Gränzen beider Arten, noch über die praktiſche Be - handlung derſelben konnte man ſich einigen, und ſo iſt ſeit jener Zeit die Sprachverwirrung mit der Verwirrung in den Begriffen und Rechtsregeln Hand in Hand gegan - gen(b)Sehr reichhaltige literariſche Nachweiſungen enthält Albrecht § 23 fg.. In der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts er - ſchien in dem jüngſten Reichsabſchied eine neue Prozeß - geſetzgebung für ganz Deutſchland, und das unzulängliche12*180Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beſtreben der Schriftſteller, den Inhalt derſelben mit der bisherigen Theorie zu verarbeiten, mußte jene Verwirrung noch erhöhen.
In der neueſten Zeit hat ſich ein kritiſches Quellenſtu - dium auch dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft mit man - chem guten Erfolg zugewendet. Anſtatt aber daß in an - deren Lehren das hiſtoriſche Element der Rechtsinſtitute häufig überſehen, und dadurch Demjenigen, welches nur ein hiſtoriſches Daſeyn hatte, eine allgemeine Bedeutung fälſchlich beygelegt worden iſt, ſcheint man ſich hier von dem entgegengeſetzten Fehler nicht ganz frey gehalten zu haben. Der wahrhaft allgemeine bleibende Kern des hi - ſtoriſch gebildeten Rechtsinſtituts iſt überſehen, und als eine vorübergehende, längſt verſchwundene Erſcheinung mit Unrecht behandelt worden(c)Am vollſtändigſten iſt die Anſicht, womit ich mich hier be - ſchäftige, in dem oben (zu § 226) angegebenen Werk von Albrecht ausgebildet worden. Der Keim dazu findet ſich in: Bayer Vor - träge über den Civilprozeß 4te Auflage 1834. S. 250 fg..
Die Grundlage dieſer einſeitigen Auffaſſung iſt ſchon oben (§ 227) angegeben und beſtritten worden. Sie beſteht darin, daß die prätoriſchen Exceptionen gegen Civilklagen die einzigen wahren Exceptionen geweſen ſeyen. Dieſe Behauptung aber hat man auf folgende Weiſe an die frühere und an die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts an - zuknüpfen verſucht.
Ehe der Prätor, durch ſeine Exceptionen, der aequitas einen mildernden Einfluß auf den ſtrengen Buchſtaben des181§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.alten Civilrechts verſchaffte, ſoll ein ſolcher Einfluß gar nicht vorhanden geweſen ſeyn(d)Albrecht S. 3. 4. 5.. Um Dieſes annehmen zu können, muß man den Zuſtand der Römiſchen Nation, viele Jahrhunderte hindurch, entweder höher oder niedri - ger ſtellen, als es irgend mit hiſtoriſcher Wahrſcheinlich - keit verträglich iſt. Höher, wenn man annehmen wollte, daß ſo lange Zeit in Rom faſt gar kein unredlicher Eigen - nutz erſchienen wäre, der das Bedürfniß eines ſolchen Schutzes fühlbar gemacht hätte, wie er ſpäterhin durch die doli exceptio und ähnliche Rechtsmittel gewährt wurde. Niedriger, wenn man annimmt, ſolche Unredlichkeit wäre, ſo wie in unſren Tagen, vorhanden geweſen, die ehrlichen Leute aber, mit Inbegriff der Obrigkeiten, hätten ſie ent - weder nicht bemerkt, oder hätten keinen Rath gewußt, um ſich und Andere dagegen zu ſchützen, bis endlich ein Prä - tor auf die Erfindung der Exceptionen gekommen wäre. — Das Wahre aber iſt wohl Dieſes, daß eine Anerkennung der aequitas, und ein Schutz für dieſelbe, zu allen Zeiten, auch neben den alten Legis actiones, beſtand(e)Wir wiſſen freylich über den Prozeß zur Zeit der Legis actiones nicht viel mehr, als was wir neuerlich durch Gajus gelernt haben, und auch Das iſt wenig genug. Doch hat ſich zufällig bey Plautus eine Spur erhalten, nach welcher damals für die Zwecke, zu welchen ſpäter die doli exceptio diente, durch erzwungene Sponſio - nen geſorgt worden iſt, alſo durch die Rechtsform, die von jeher bey den Römern ſo verbreitet, und für die verſchiedenſten Zwecke gebräuch - lich war. Vgl. Zeitſchrift für ge - ſchichtliche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 248.. Das Neue alſo, welches hierin dem Prätor zugeſchrieben wer - den muß, beſteht in zwey Stücken. Erſtlich in der, für182Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jenen Zweck ſehr bequemen und angemeſſenen, Prozeßform der Exceptionen, die freylich erſt ſeit der Einführung der formulae möglich war (§ 226. m). Zweytens in der voll - ſtändigeren, befriedigenderen materiellen Ausbildung der auf die aequitas bezüglichen Rechtsregeln, wodurch das Edict, und ſpäter die Arbeit der Juriſten, für dieſen wie für andere Theile des Rechts wohlthätig wurde.
An die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts aber wird jene Lehre in folgender Weiſe angeknüpft(f)Albrecht S. 52. 72. 82 fg. 108 fg.. Die Excep - tionen in jener eigenthümlichen Natur erhielten ſich nur kurze Zeit. Schon als man anfieng, das prätoriſche Recht als ein eigentliches jus anzuſehen, hatte ſich ihr Weſen verändert; mit dem ordo judiciorum giengen ſie völlig unter, und jetzt war zwiſchen ihnen und den Civileinreden, z. B. der Zahlung, durchaus kein Unterſchied mehr übrig. Wenn in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern von den Ex - ceptionen in alter Weiſe geredet wird, ſo iſt dieſes leerer Schein, zu erklären aus der Art, wie jene Bücher ent - ſtanden ſind; man behielt die Ausdrücke der älteren Zeit bey, während die Begriffe ſelbſt verſchwunden waren.
Wenn nun auch dieſe Anſichten in ſo vollſtändiger Ausbildung nur ſelten gefunden werden, ſo ſcheinen doch die Meiſten darin völlig einverſtanden, daß der Römiſche Begriff der Exceptionen für unſer heutiges Recht ganz unbrauchbar geworden ſey, und durch einen anderen, ſehr183§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.erweiterten Begriff erſetzt werden müſſe(g)Mühlenbruch I. § 137, Thibaut § 73, Mackeldey § 200. b., Linde in Linde’s Zeitſchrift B. 1 S. 148 fg. — Der hier von mir aufgeſtellten Anſicht kommt unter den neueren Schriftſtellern am nächſten Kierulff Theorie I. S. 175 fg.. Allein auf dieſen negativen Satz beſchränkt ſich die Übereinſtimmung, denn über den poſitiven Begriff ſelbſt, welchen wir an die Stelle zu ſetzen haben, herrſcht fortwährend die größte Verſchiedenheit, und dieſe Verwirrung iſt einer feſten Aus - bildung des Prozeßrechtes in hohem Grade hinderlich. So wird namentlich von Manchen unter Exception diejenige Einwendung verſtanden, die auf einer Veränderung des urſprünglichen Rechtsverhältniſſes beruht, jede andere ſoll eine negative Einlaſſung ſeyn(h)Bayer Civilprozeß S. 256. Nach ihm werden wahre Exceptio - nen begründet durch die Verjährung, Zahlung, Novation, aber nicht durch das Sc. Macedonianum und Vellejanum. . Von Anderen jede Ein - wendung, die der Beklagte zu beweiſen hat, wohin alſo auch abſolute und relative Verneinungen (Wahnſinn eines Contrahenten, Zahlung) gehören, und welcher Begriff da - her noch umfaſſender iſt als jener(i)Albrecht § 38, beſonders S. 190. 205. 206..
Vielleicht können folgende Bemerkungen dazu dienen, eine Verſtändigung in dieſer Lehre zu befördern. Zwey Stücke ſind mir für die Theorie des Römiſchen Rechts, alſo für das Intereſſe des vorliegenden Werks, von Wich - tigkeit: die im § 225 verſuchte Feſtſtellung der verſchiedenen Arten möglicher Vertheidigung, und die fortwährende An - erkennung der Römiſchen Exceptiones, ohne Veränderung184Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Römiſchen Sprachgebrauchs. — Bey dem erſten Stück kommt es vor Allem darauf an, ob jene Feſtſtellung rich - tig iſt. Iſt ſie es nicht, ſo muß ſie berichtigt werden; wird ſie aber als richtig anerkannt, ſo iſt nur in ihr eine feſte Grundlage für die ganze vorliegende Unterſu - chung zu finden, und dieſe Grundlage iſt für die Theorie des Römiſchen Rechts, ſo wie für den heutigen Civilpro - zeß, gleich wichtig und unentbehrlich. Hierin alſo iſt das Bedürfniß völlig gemeinſchaftlich, und von einem Wider - ſtreit wegen der eigenthümlichen Intereſſen der beiden wiſ - ſenſchaftlichen Gebiete kann nicht die Rede ſeyn. — Was aber das zweyte Stück, nämlich die ſtrenge Feſthaltung des Römiſchen Begriffs der Exceptiones, mit dieſem ihrem Namen, betrifft, ſo iſt dieſelbe für die Theorie des Römi - ſchen Rechts eben ſo unentbehrlich, wie die Feſthaltung des Römiſchen Actionenſyſtems und der darauf bezüglichen Kunſtausdrücke (§ 224). Der Grund liegt darin, daß wenn wir jenes und dieſes aufgeben, eine wahrhafte Ein - ſicht in das Syſtem der Römiſchen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln eben ſo wenig möglich iſt, als das Verſtänd - niß der Quellen. Ja das Feſthalten der Exceptionen hat ſogar darin noch mehr Grund, als das der Actionen und Condictionen, daß dieſe letzten weniger mit dem inneren und bleibenden Weſen der Rechtsbegriffe ſelbſt zuſammen - hängen, als die Exceptionen. Bey dieſem Feſthalten der Römiſchen Exceptionen nun hat freylich die Theorie des heutigen Civilprozeſſes kein Intereſſe; es iſt aber auch ganz185§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.unrichtig, wenn Manche glauben, dieſe Theorie habe hierin ein entgegengeſetztes Intereſſe, und es ſey gerade um ihret - willen nöthig, den Römiſchen Begriff der Exceptionen gänzlich aufzugeben. Da dieſer Punkt von Erheblichkeit iſt, ſo muß derſelbe noch genauer ausgeführt werden.
Es iſt keinesweges meine Meynung, daß die Römiſche Lehre von den Exceptionen einen unmittelbaren Einfluß auf das heutige Prozeßrecht haben ſoll, deſſen Selbſtſtän - digkeit alſo durch jene Lehre gefährdet werden möchte. Wie unabhängig Beides von einander iſt, läßt ſich jedoch nur durch eine Überſicht der einzelnen Inſtitute des Pro - zeſſes nachweiſen, mit welchen die Exceptionen in Berüh - rung kommen.
Eine der wichtigſten Fragen betrifft die Beweislaſt. Niemand zweifelt, daß der Grund der Exceptionen vom Beklagten bewieſen werden muß(k)L. 19 pr. L. 9 de prob. (22. 3. ), L. 25 § 2 eod. (Note n)., welches eben die Hauptbedeutung der Regel iſt: reus in exceptione actor est(l)L. 1 de exc. (44. 1.). L. 19 pr. de prob. (22. 3.).. Dabey kommen noch dieſelben Einſchränkungen vor, die auch für die Beweislaſt des Klägers gelten; wenn nämlich der Kläger den Grund der Exception im Allge - meinen zugiebt, denſelben aber durch die Behauptung be - ſonderer Bedingungen zu entkräften verſucht, ſo muß die Wahrheit dieſer Behauptung vom Kläger bewieſen wer - den(m)L. 9 de prob. (22. 3.).. — Dagegen behauptet Niemand, daß dieſe Be -186Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.weislaſt den Beklagten nur allein im Fall der Römiſchen Exceptionen treffe; vielmehr ſind Alle darüber einig, daß derſelbe auch bey jeder relativen Verneinung, z. B. bey der behaupteten Zahlung, beweiſen muß(n)L. 12 L. 25 § 2 de prob. (22. 3. ) „ … secundum genera - lem regulam, quae eos, qui opponendas esse exceptiones adfirmant, vel solvisse debita contendunt, haec ostendere exi - git.” Hier iſt die Verſchiedenheit beider Arten der Einwendung durch den disjunctiven Ausdruck deutlich anerkannt.. — In der Be - weislaſt alſo iſt das heutige Recht von dem Römiſchen nicht abweichend. Die wichtigſten praktiſchen Fragen, die dabey vorkommen, ſind auch unbeſtritten; und wo im Ein - zelnen ein ſolcher Streit vorkommt, iſt er wenigſtens ganz unabhängig von der Ausdehnung, die man dem Begriff der Exceptionen geben mag. Demnach liegt in der Lehre von der Beweislaſt durchaus kein Grund, den Begriff der Exceptionen anders zu beſtimmen, als wir ihn im Römi - ſchen Recht beſtimmt finden.
Von manchen Einwendungen des Beklagten wird be - hauptet, daß ſie vor dem Anfang des Prozeſſes beſeitigt werden müßten (litis ingressum impedientes), alſo Veran - laſſung zu einem Vorprozeß vor dem übrigen Rechtsſtreit geben könnten. — Dem Römiſchen Recht iſt dieſes Ver - fahren, und die darauf gegründete Auszeichnung mancher Exceptionen, fremd. Waren die entſcheidenden Thatſachen unbeſtritten, ſo wurde ſtets vom Prätor die Sache unmit - telbar erledigt, waren ſie beſtritten, ſo daß Beweiſe ge - führt werden mußten, ſo wurde ſtets ein Judex gegeben187§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.(§ 226. h.), ohne daß dabey die Natur jener Thatſachen einen Unterſchied machte. Wie viel oder wie wenig alſo an jener Behauptung auch wahr ſeyn mag, ſo hat we - nigſtens die Erhaltung oder Verwerfung des Römiſchen Exceptionenbegriffs darauf nicht den geringſten Einfluß.
Die Exceptionen ſollen in der Regel gleich bey der Litisconteſtation vorgebracht werden, manche ſollen auch ſpäter, ja ſelbſt bis zur Exſecution zuläſſig ſeyn. — Hierin nun weicht das heutige Recht ſehr von dem Römiſchen ab. Im Römiſchen Prozeß ſollte bey den freyen Klagen der Judex alle Exceptionen beachten, auch die nicht ſchon vor dem Prätor, alſo bis zur Zeit der Litisconteſtation, vor - gebracht waren. Bey den ſtrengen Klagen ſollten ſie zwar nur gelten, wenn ſie in der Formel ſtanden, alſo ſchon vor dem Prätor vorgebracht waren; aber auch wenn dieſes überſehen worden war, wurde gegen eine ſolche Verſäumniß leicht Reſtitution ertheilt(o)Gajus IV. § 125, L. 2 C. sent. rescindi (7. 50. ), L. 8 C. de except. (8. 36.).. Die relative Verneinung dagegen durfte bey allen Klagen vor dem Judex vorge - bracht werden, auch wenn davon vor dem Prätor noch gar nicht die Rede geweſen war. — Hierin nun hat der heutige Prozeß andere und ſtrengere Regeln, die aber ent - ſchieden nicht auf den Fall der Römiſchen Exceptionen beſchränkt ſind. Die weitere oder engere Faſſung des Be - griffs der Exceptionen hat alſo auf dieſes veränderte Pro - zeßrecht wiederum keinen Einfluß.
188Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Es iſt ſtreitig, inwiefern Exceptionen, die der Beklagte nicht vorgebracht hat, officio judicis ſupplirt werden dür - fen. — Bey den Römern bezeichnet officium judicis Das - jenige, was der Judex nach freyem Ermeſſen thun durfte und ſollte, außer den Gränzen der ihm vom Prätor er - theilten wörtlichen Vorſchrift. Hier nun iſt es gewiß, daß er bey freyen Klagen alle Exceptionen zu beachten hatte, bey ſtrengen Klagen nur die in der Formel ausgedrückten. — Die Neueren verſtehen unter jenem Ausdruck Dasjenige, was der Richter aus eignem Antrieb thut, ohne den An - trag einer Partey. In dieſer Beziehung nun müſſen wir für das mündliche Verfahren im Römiſchen Prozeß eine große Freyheit annehmen, ſo daß ohne Zweifel der Prätor und der Judex den Parteyen abfragen konnten, was ihnen gut dünkte. Wir haben in unſrem ſchriftlichen Prozeß ſtrengere Regeln, es wird aber von manchen Exceptionen behauptet, daß der Richter ſie ſuppliren dürfe(p)Albrecht S. 130 nimmt an, dieſe Frage ſey unpraktiſch, weil doch der Richter Nichts aus ſeiner Privatkenntniß benutzen dürfe, der Kläger aber ſich hüten werde, die Thatſachen zu berühren, die eine Exception begründen könnten. Allein die Exception der Klagver - jährung wird durch bloße Rechnung begründet, die exc. Sc. Vellejani durch die perſönliche Bezeichnung der verklagten Bürgin, deren Geſchlecht ja von dem Kläger nicht verheim - licht werden kann.. Auch hier muß ich behaupten, daß, wie viel oder wie wenig man dem Richter einräumen möge, Dieſes von der Aus - dehnung des Exceptionenbegriffs völlig unabhängig iſt.
Erwägt man dieſe Umſtände, ſo möchte es wohl das Gerathenſte ſeyn, in der Theorie des Römiſchen Rechts189§. 229. Replicationen, Duplicationen.von den Exceptionen gerade ſo zu ſprechen, wie es dem Sprachgebrauch unſrer Quellen angemeſſen iſt; in der Pro - zeßtheorie aber den Namen der Exceptionen, in anderem als dem Römiſchen Sinn, ganz zu vermeiden, und dafür die völlig ausreichenden deutſchen Ausdrücke: Einrede oder Einwendung zu gebrauchen. Das dringendſte Be - dürfniß für die Prozeßlehre beſteht darin, daß man über die Rechtsregeln zum Einverſtändniß gelange. Bis man ſich dieſem wünſchenswerthen Ziel genähert haben wird, iſt es beſſer, feſte Kunſtausdrücke ſo viel als möglich zu vermeiden. Denn dieſe ſind, nach ihrer natürlichen Be - ſtimmung, Kennzeichen für die Klarheit der eigenen Be - griffe und für das Einverſtändniß mit Anderen. Wo aber dieſe beiden Zuſtände noch nicht eingetreten ſind, wird durch die Anwendung ſolcher Kunſtausdrücke nur der Mangel verdeckt, und die Abhälfe verzögert. Beſonders aber ſind die willkührlich erfundenen Kunſtausdrücke Exceptio juris und facti zu meiden, die durch einen falſchen Schein von Quellenmäßigkeit täuſchen, und daneben ſchon ſeit langer Zeit die Verwirrung der Begriffe erhalten und vermehrt haben.
Das Parteyenverhältniß, welches bisher in der Klage, und in der Vertheidigung des Beklagten dargeſtellt wurde, iſt nun noch weiterer Entwicklungen empfänglich.
190Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wenn die Vertheidigung in einer Exception beſteht, alſo eine, der Klage ähnliche, ſelbſtſtändige Natur hat, ſo ſind dagegen dieſelben Vertheidigungen des Klägers denkbar, wie die, welche oben für den Beklagten nachge - wieſen worden ſind (§ 225). Es kann nämlich der Kläger das in der Exception behauptete Recht entweder abſolut verneinen, oder für ſpäter vernichtet ausgeben (relative Verneinung), oder endlich durch ein ſelbſtſtändiges eigenes Recht entkräften.
Dieſe letzte Art der Vertheidigung führt den Namen Replicatio, und ſie wird geradezu als eine exceptionis exceptio erklärt(a)L. 2 § 1 de exc. (44. 1.) „ Replicationes nihil aliud sunt, quam exceptiones, et a parte actoris veniunt” … L. 22 eod. „ Replicatio est contraria ex - ceptio, quasi exceptionis ex - ceptio. ” — Vgl. überhaupt Ga - jus IV. § 126 — 129, tit. Inst, de replic. 4. 14., welches nicht etwa als eine Erläu - terung durch bloße Ähnlichkeit, ſondern ganz buchſtäblich zu verſtehen iſt. Denn auch die Replication ſoll lediglich eine Ausnahme bewirken von der durch die Exception re - gelmäßigerweiſe bewirkten Losſprechung des Beklagten. Auch in der Faſſung der Römiſchen Formeln wird dieſes Verhältniß ſichtbar. Denn nachdem der Prätor den Ju - dex angewieſen hatte, unter Vorausſetzung der Intentio zu condemniren, beſchränkte er zuerſt dieſe Vorſchrift durch die Ausnahme, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Exceptio dennoch zu abſolviren. Dieſe letzte Anweiſung aber erhielt abermals eine Ausnahme für den Fall, daß191§. 229. Replicationen, Duplicationen.daneben auch noch die in der Replicatio ausgedrückte That - ſache wahr ſeyn ſollte, für welchen Fall alſo dennoch die Condemnation vorgeſchrieben wurde.
Dieſes Verhältniß wurde in den Formeln durch die Worte: aut si eingeleitet, und in folgender Weiſe ausge - drückt. Wenn z. B. ein Grundſtück vindicirt wurde, und der Beklagte die Exception eines Pachtcontracts entgegen - ſetzte, ſo konnte der Kläger repliciren, der Beklagte habe ihn durch Betrug zu dieſem Contract verleitet, welcher daher nicht bindend ſey. Si paret, fundum de quo agitur Agerii esse, judex Negidium condemna, si ab Agerio is fundus locatus Negidio non sit, aut si dolo Negidii fa - ctum sit, quo magis locaretur. Das heißt: die Condem - nation ſoll nur erfolgen, wenn der behauptete Pachtcon - tract nicht wahr, oder wenn derſelbe zwar wahr, aber durch Betrug bewirkt worden iſt(b)Vgl. das letzte Beyſpiel bey Gajus IV. § 126, ferner L. 48 de proc. (3. 3. ), L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1. ), L. 154 de R. J. (50. 17.). — Wenn in manchen Stellen eine negative Faſſung vor - kommt, wie z. B. in L. 24 de re jud. (44. 1. ) „ at si res judicata non sit,” ſo iſt das blos die er - zählende Angabe des Inhalts einer ſolchen Replication, nicht der Aus - druck, wie ihn der Prätor ſelbſt in die Formel einfügte, gerade ſo wie es oben von manchen Stellen über einzelne Exeptionen bemerkt worden iſt (§ 226. a). — Sehr befriedi - gend iſt dieſer Punkt behandelt von Keller Litisconteſtation S. 339. 340..
Die Replicationen, eben ſo wie die Exceptionen, waren bald aus dem Civilrecht abgeleitet(c)Mandati replicatio in L. 48 de proc. (3. 3 ), Scti Vellejani in L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1.)., bald aus dem prä - toriſchen Recht(d)Doli replicatio in L. 154.
192Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Daſſelbe Verhältniß nun kann ſich nach der andern Seite hin wiederholen, und dieſe Wiederholung läßt ſich in Gedanken ohne Ende fortſetzen. Fragt man nämlich, wie ſich der Beklagte gegen eine Replication vertheidigen kann, ſo iſt die Antwort immer wieder dieſelbe. Er kann abſolut oder relativ verneinen, oder ein neues ſelbſtſtändi - ges Recht entgegenſetzen. Dieſe letzte Art der Vertheidi - gung wird von Gajus und den Inſtitutionen Duplicatio genannt, darauf folgt von der andern Seite die Triplica - tio, und ſo ins Unendliche fort(e)Gajus IV. § 127 — 129, § 1. 2 J. de repl. (4. 14.). Der - ſelbe Sprachgebrauch kommt vor bey einem ungenannten Juriſten in Fragm. Vat. § 259. Es wa - ren res mancipi geſchenkt und nicht mancipirt worden, dieſe ſoll - ten nicht uſucapirt werden. Wenn nun die Erben des donator jene Sachen vindicirten, und der Be - ſchenkte die Exception aus der Schenkung entgegenſetzte, ſo wurde dieſe durch die replicatio L. Cin - ciae entkräftet. Weil aber der donator ohne Widerruf geſtorben war, ſo wurde wieder jene Repli - cation durch die doli duplicatio beſeitigt, die hier ausdrücklich ge - nannt iſt.. Gajus verſichert, im wirklichen Leben komme dieſe Verwicklung noch weiter als bis zur Triplicatio vor(f)Gajus IV. § 129. Eben ſo Ulpian in L. 2 § 3 de exc. (44. 1.).. Indeſſen ſind ſchon ächte Re - plicationen nicht häufig, Duplicationen gewiß ſehr ſelten, und Triplicationen, oder gar Quadruplicationen, möchten wohl nie vorkommen.
Der eben angeführte Sprachgebrauch war bey den Römern nicht allgemein anerkannt. Er beruhte offenbar darauf, daß die Klage und die Exception, als die Grund - lagen jedes Rechtsſtreits, ſtillſchweigend vorausgeſetzt, und(d)de R. J. (50. 17. ), pacti bey Gajus IV. § 126.193§. 229. Replicationen, Duplicationen.erſt die folgenden Reden und Gegenreden mit Zahlen be - zeichnet wurden. Dann war das erſte Stück die Repli - catio, das zweyte die vom Beklagten ausgehende Dupli - catio, und ſo fort. — Es war aber eben ſo natürlich, und wohl noch natürlicher, nur die Klage allein als Grund - lage des Prozeſſes vorauszuſetzen, und von da an alle fernere Reden und Gegenreden mit Zahlen zu verſehen. Dann war das erſte Stück die Exceptio, das zweyte die Erwiederung des Klägers, die alſo eben ſowohl Re - plicatio, als Duplicatio heißen konnte(g)Die Namen duplicatio und Triplicatio ſind von Zahlen her - genommen, Replicatio nicht. Auch darf die Verſchiedenheit des Sprach - gebrauchs nicht auf die Exceptionen ausgedehnt werden, als ob dieſe jemals Replicationes genannt worden wären., das dritte Stück die Erwiederung des Beklagten, die nun Triplicatio heißen mußte, und ſo weiter. Dieſe abweichende Aus - drucksweiſe iſt in unſren Rechtsquellen verdunkelt worden durch das falſche Beſtreben der Abſchreiber, den allerdings unzweifelhaften Sprachgebrauch der Inſtitutionen überall durchzuführen. So iſt es in einer Stelle des Ulpian ge - ſchehen, die in der Florentiniſchen Handſchrift ganz einfach ſagt: Sed et contra replicationem solet dari triplicatio(h)Hier lieſt nun die Vulgata: Sed et contra replicationem solet dari duplicatio et contra duplicationem triplicatio, offen - bar aus dem Beſtreben, den Wi - derſpruch mit den Inſtitutionen zu beſeitigen.. Eben ſo in einer Stelle des Julian(i)L. 7 § 1. 2 de curat. fur. (27. 10.). Hier ſtimmen die Flo - rentina und die Vulgata darin überein, auf die replicatio un - mittelbar die triplicatio folgen zu laſſen, ohne eine von beiden verſchiedene duplicatio in die Mitte zu ſtellen, ſo daß offenbar in dieſer Stelle replicatio und duplicatio.
V. 13194Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bei den Replicationen und Duplicationen ſind dieſelben Misverſtändniſſe, ſowohl in den Begriffen ſelbſt, als in den Kunſtausdrücken, denkbar, von welchen bey den Ex - ceptionen ausführlich die Rede geweſen iſt. Jedoch ſind dieſelben hier nicht ſo zur Sprache gekommen, welches der ſeltneren Anwendung und der geringeren Erheblichkeit die - ſer Rechtsinſtitute zuzuſchreiben iſt.
Nicht zu verwechſeln damit iſt eine andere Verſchie - denheit des Sprachgebrauchs, die nun noch, in Beziehung ſowohl auf die Exceptionen, als auf die Replicationen u. ſ. w., erwähnt werden muß. Schon bey den Klagen iſt bemerkt worden, daß dieſelben von zwey verſchiedenen Sei - ten aufgefaßt werden können: der formellen, die dem Pro - zeß, und der materiellen, die dem Syſtem des materiellen Rechts angehört (§ 205). Beide Beziehungen werden in unſrem heutigen Recht unter dem Namen des Klaglibells und des Klagrechts anerkannt, welches letzte allein zu unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört. — Völlig derſelbe Gegenſatz nun findet ſich bey den Exceptionen, Replica - tionen u. ſ. w., ſo daß wir alſo auch die Exceptionsſchrift, und die Exception als Recht des Beklagten, zu unterſchei - den haben. Da aber die Vertheidigungen des Beklagten ſehr mannichfaltig ſind (§ 225), und nicht für jede derſelben eine beſondere Prozeßhandlung zugelaſſen werden kann, ſo(i)als identiſch gedacht, der erſte Name aber allein gebraucht wird. Es iſt auch Alles deutlich, wenn nur an - ſtatt: Sed an replicatio mit der Vulgata geleſen wird: Sed an triplicatio. — Sehr gut handelt von dieſer Stelle Keller S. 335 — 341.195§. 229. Replicationen, Duplicationen.verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie alle in Einer Prozeß - ſchrift zuſammengefaßt werden, welche von demjenigen Theil ihres Inhalts, der die individuellſte Natur hat, den Namen Exceptionsſchrift erhält. Wenn ich nun zu - gebe, daß in unſrer heutigen Exceptionsſchrift auch die Einwendung der Zahlung an ihrer richtigen Stelle iſt, ſo liegt darin nicht etwa eine inconſequente Rückkehr zu der oben bekämpften Meynung über den Begriff der Exceptio - nen. Auch diejenige Exceptionsſchrift würde für völlig genügend angeſehen werden müſſen, welche ſich auf die wenigen Worte beſchränkte: Alles, was der Kläger vor - bringt, iſt nicht wahr. Und doch wird eine ſolche einfache und abſolute Verneinung von Keinem für eine Exception ausgegeben. Exceptionsſchrift heißt alſo in der Sprache des heutigen Prozeſſes nicht etwa eine Schrift, deren In - halt in Exceptionen beſteht, ſondern: eine Schrift, in wel - cher die Exceptionen, wenn gerade ſolche vorhanden ſind, ihre richtige, angemeſſene Stelle finden.
Genau ſo verhält es ſich in unſrem heutigen Prozeß auch mit den Benennungen Replik, Duplik u. ſ. w. Dieſe bezeichnen beſtimmte Punkte in der ganzen Reihe der Prozeßhandlungen, und es ſind dieſe Namen darum gewählt worden, weil die wahren Replicationen und Du - plicationen, wenn etwa ſolche vorhanden ſind, in jenen Schriften vorgebracht werden. Man bedient ſich alſo die - ſer kurzen und anſchaulichen Ausdrücke, anſtatt daß man ſonſt umſtändliche und abſtractere gebrauchen müßte. Was13*196Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nun oben über die Seltenheit ächter Duplicationen und Triplicationen geſagt worden iſt, kann auf die Prozeß - ſchriften dieſes Namens nicht bezogen werden. Vielmehr gehört im gemeinen Prozeß die Duplik zum Weſen eines vollſtändigen erſten Verfahrens; Tripliken und Quadru - pliken, ja ſelbſt Quintupliken und Sextupliken können aber vorkommen, ſo oft das Bedürfniß oder die Laune der Parteyen dazu führt, und der Richter ſie zu geſtatten gut findet.
Obgleich nun alſo dieſe Ausdrücke unſres heutigen Prozeſſes mit den oben erörterten Meynungen über den Begriff der Exceptionen keinen innern und weſentlichen Zuſammenhang haben, ſo kann doch nicht verkannt wer - den, daß die Misverſtändniſſe über den Begriff der Ex - ceptionen durch jene dem Prozeß angehörende Kunſtaus - drücke ſehr befördert worden ſind.
Das Klagrecht, als eine eigenthümliche Art von Rech - ten, kann unter den Perſonen, unter welchen es urſprüng - lich beſtand, auf verſchiedene Weiſe aufgehoben werden. Es kann nämlich erſtens auf andere Perſonen übergehen, alſo in dieſen fortdauern; zweytens kann es gänzlich un - tergehen.
Die Fortdauer in anderen Perſonen kann bewirkt wer - den erſtlich durch Ceſſion, zweytens durch den Tod. — Die197§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.Ceſſion gehört, ihrem juriſtiſchen Weſen nach, recht eigent - lich der Lehre von den Klagen an, indem ſie ſich auf Rechte der verſchiedenſten Art beziehen kann, und in die - ſen überall die Klagbarkeit als ſolche zum Gegenſtand hat. Faßt man ſie jedoch von ihrer praktiſchen Seite auf, näm - lich nach dem überwiegenden Werth, den ſie für das wirk - liche Leben hat, ſo gehört ſie vorzugsweiſe dem Obliga - tionenrecht an, und kann nur in Verbindung mit demſelben vollſtändig verſtanden werden. — Der Tod iſt nicht immer ein Grund des Übergangs eines Klagrechts auf andere Per - ſonen, indem durch ihn das Klagrecht in vielen Fällen vielmehr ganz untergeht.
Der Untergang der Klagrechte kommt in folgenden Ab - ſtufungen vor:
1) Indem das Recht ſelbſt vernichtet wird, welches der Klage zum Grunde liegt, und durch ſie verfolgt werden konnte.
Beyſpiele: wenn das Thier zufällig ſtirbt, welches bisher vindicirt werden konnte; wenn die Schuld, auf welche bisher geklagt werden konnte, bezahlt wird, da durch die Zahlung die Obligation ſelbſt vernichtet wird.
2) Indem der Anſpruch des Klägers, zu deſſen Schutz das Klagrecht diente, auf andere Weiſe Befriedigung erhält.
Beyſpiel: Wenn die Sache, welche bisher vindicirt oder condicirt werden konnte, durch Zufall in den Beſitz des Eigenthümers zurück kehrt(a)L. 54 § 3 de furtis (47.2.)..
3) Indem, ohne Befriedigung des Klägers, die Verletzung198Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aufhört, wodurch ein Anderer bisher in die Stellung eines Beklagten kam.
Beyſpiel: Wenn der Beſitzer einer fremden Sache, die bisher gegen ihn vindicirt werden konnte, den Beſitz der - ſelben verliert.
4) Indem nur allein die Klagbarkeit aufhört, ohne daß in dem Recht ſelbſt oder in der Verletzung irgend eine Veränderung wahrzunehmen iſt.
Dahin gehört die Klagverjährung.
Alle dieſe Arten der Aufhebung beziehen ſich auf das Klagrecht als ſolches, unter Vorausſetzung der bloßen Verletzung, noch ohne hinzutretende Prozeßhandlungen (§ 204), und von ſolchen allein kann an dieſer Stelle des Werks die Rede ſeyn. Diejenigen Aufhebungen dagegen, die erſt im Laufe des Rechtsſtreits eintreten können, z. B. durch das Urtheil, werden weiter unten dargeſtellt werden.
Unter den hier berührten Aufhebungsarten des Klag - rechts machen folgende eine beſondere Unterſuchung nöthig.
Von dem Tod des Klagberechtigten oder des Beklag - ten iſt ſo eben bemerkt worden, daß er in manchen Fällen den Übergang des Klagrechts auf andere Perſonen, in an - deren die Vernichtung des bisher beſtehenden Klagrechts199§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.bewirkt. Es ſoll alſo nunmehr beſtimmt werden, unter welchen Bedingungen der eine oder der andere Erfolg ein - tritt. — Die Vererblichkeit der Klagen muß aber beſon - ders unterſucht werden von Seiten des Klägers, und von Seiten des Beklagten.
Von Seiten des Klägers (alſo activ) vererblich ſind die allermeiſten Klagen, ſo daß die nicht vererblichen als ſeltene Ausnahmen angeſehen werden können.
Nicht vererblich ſind die Klagen aus Familienverhält - niſſen, weil dieſe Rechtsverhältniſſe ſelbſt ganz individuel - ler Natur ſind, ſo daß mit dem Tode des Klagberechtigten das Recht ſelbſt, welches durch die Klage bisher verfolgt werden konnte, gänzlich aufhört. — Dieſes gilt jedoch nur von den natürlichen Familienverhältniſſen, der Ehe, väterlichen Gewalt, Verwandtſchaft. Denn bey manchen künſtlichen, welche mit dem Eigenthum in Verbindung ſte - hen, geht das Recht ſelbſt auf den Erben über, und dann hat auch die Vererbung der Klage kein Bedenken(a¹)Vgl. oben B. 1 § 57 S. 385..
Unvererblich ſind ferner die meiſten unter denjenigen Rechten, welche oben als anomaliſche Rechte in Beziehung auf die Rechtsfähigkeit ausführlich dargeſtellt worden ſind(b)B. 2 § 71 — 74.. Denn da die Grundlage derſelben nicht in einem Vermögensrecht, ſondern in einem ganz individuellen Ver - hältniß beſteht, ſo kann das Recht ſelbſt, mithin auch die zu deſſen Schutz eingeführte Klage, nicht auf die Erben200Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.übergehen. Dahin gehört alſo namentlich die Injurien - klage, deren Weſen in der Vindicta, das heißt in einem, der beleidigten Perſon ausſchließend übertragenen Straf - amt beſteht, wobey die Geldſtrafe blos als das zufällig gewählte Strafmittel erſcheint, durch welches der Cha - racter der Klage nicht beſtimmt werden kann(c)B. 2 § 73.. — Aber eine ganz ähnliche Natur haben einige Klagen, welche (vielleicht nur zufällig) nicht in der Reihe jener anomali - ſchen Rechte aufgeführt werden. Dahin gehört: A) Die actio in factum de calumnia. Wenn Geld oder Geldes - werth gegeben wird, damit ein ungerechter Rechtsſtreit geführt werde, oder unterbleibe, ſo kann der Gefährdete von Dem, welcher dieſen unedlen Gewinn gemacht hatte, die vierfache Summe als Strafe fordern. Dieſes iſt reine Vindicta, und der Erbe des Gefährdeten hat darauf keinen Anſpruch; wenn aber Dieſer ſelbſt das Geld gegeben hatte, um ſich von dem Rechtsſtreit loszukaufen, ſo kann auch der Erbe die gegebene Summe mit einer Condiction zurück fordern, welche alſo von jener auf Vindicta gerich - teten Klage völlig verſchieden iſt(d)L. 4 de calumniat. (3. 6.).. — B) Wird Jemand an der rechtmäßigen Beerdigung eines Todten mit Gewalt verhindert, ſo hat er eine Klage auf das Intereſſe, die aber nicht auf ſeinen Erben übergeht. Gajus, der dieſe Regel als eine unzweifelhaft angenommene anführt, findet ſie ſeltſam, weil ja doch die Klage auf eine bloße Geld -201§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.entſchädigung gehe(e)L. 9 de relig. (11. 7.). „ Unde miror, quare constare videatur, neque heredi neque in heredem dandam actionem” .. Alſo das constare videri räumt er ein.. Allein die Entſchädigung für das anderwärts angekaufte Grabmal, die allerdings hier be - achtet werden ſoll, iſt doch nur ein Stück (und wohl nur ein untergeordnetes) des durch dieſe Klage verfolgten Intereſſe(f)L. 9 de relig. (11. 7.). „ … per quam consequitur actor, quanti ejus interfuerit, prohibitum non esse: in quam computationem cadit loci empti pretium, aut conducti merces” … Es iſt alſo in der Klage ent - halten, aber keinesweges der ein - zige oder auch nur wichtigſte Theil ihres Inhalts.. Die Hauptſache iſt die dem Andenken des Verſtorbenen zugefügte Schmach(g)L. 6 C. de sepulchro viol. (9. 19.). „ Cum sit injustum … injuriam fieri reliquiis defun - ctorum ab his, qui debitorem sibi esse mortuum dicendo … sepulturam ejus impediunt: ne in posterum eadem injuria pro - cederet” …, und daher geht in der That dieſe Klage, eben ſo wie die eigentliche Inju - rienklage, ihrem Hauptinhalt nach auf Vindicta(h)Vgl. mehrere der bey Glück B. 11 S. 452 angeführten Schrift - ſteller, und Kierulff Theorie I. 228.. Die - ſes wird noch beſtätigt durch eine ganz ähnliche Klage, wobey dieſes Alles nur viel deutlicher geſagt iſt, die actio sepulchri violati(i)L. 3 § 8 de sepulchro viol. (47. 12.). „ Qui de sepulchri violati actione judicant, aesti - mabunt, quatenus intersit: sci - licet ex injuria quae facta est .. vel ex damno quod conti - git” … Es iſt offenbar nur zu - fällig, daß hier als Beſtandtheil des zu beachtenden Intereſſe ſo - wohl die Beleidigung, als der Geldverluſt, angegeben wird, bey jener Klage dagegen nur der letzte (Note f). In der Sache ſelbſt iſt zwiſchen beiden Klagen kein Un - terſchied., und die auch ſchon oben unter den anomaliſchen, auf Vindicta gerichteten, Rechten mit auf -202Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geführt worden iſt (§ 73). — C) Die Klage auf den Wi - derruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit ſoll gleich - falls nicht auf die Erben des Gebers übergehen (§ 169. b.). Auch dieſes läßt ſich auf den Begriff der Vindicta zurück führen, wozu der eingeklagte Vermögenswerth nur als Mittel gebraucht werden ſoll(k)Vgl. Kierulff Theorie I. 228.. — D) Eben ſo die (im Juſtinianiſchen Recht verſchwundene) morum coercitio, das heißt die actio de moribus und die retentio propter mores im Fall der Sittenloſigkeit eines Ehegatten(l)L. 15 § 1 sol. matr. (24. 3.).. Daß dieſe Rechtsmittel auf reine Vindicta gehen, iſt unverkennbar.
Mit Unrecht zählt Gajus unter die poſitiven Ausnah - men von der Vererblichkeit der Klagrechte, die dem Adſti - pulator zuſtehende Klage(m)Gajus III. § 114, IV. § 113.. Denn da er ſelbſt ſagt, daß das Verhältniß des Glaubigers zum Adſtipulator ſtets auf einem Mandat beruhe(n)Gajus III. § 111. 216., das Mandat aber niemals auf die Erben des Bevollmächtigten übergeht, ſo folgt von ſelbſt, daß die Erben des Adſtipulators den nur ihm ſelbſt ertheilten Auftrag nicht durch Anſtellung der Stipulations - klage beſorgen können, weshalb dieſer Fall der Unvererb - lichkeit als eine beſondere Ausnahme von der Regel nicht anzuſehen iſt.
Von Seiten des Beklagten iſt die Zahl der unver - erblichen Klagen bedeutender als von Seiten des Klägers.
Die perſönlichen Klagen aus Contracten und Quaſi -203§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.contracten ſind vererblich. — Die zweyſeitigen Strafkla - gen ſind durchaus unvererblich. Die einſeitigen und ge - miſchten Strafklagen ſind nur inſoweit vererblich, als der Erbe außerdem durch das Delict bereichert bleiben würde (§ 211.).
Die in rem actiones ſind von Seiten des Beklagten nicht vererblich. Die Klagen aus Eigenthum, jus in re, oder Erbrecht ſind es größtentheils deswegen nicht, weil in der Perſon des Beklagten ein wirklicher, gegenwärtiger Beſitz vorausgeſetzt wird, der Beſitz aber durch die bloße Erwerbung eines Erbrechts nicht übergeht(o)Savigny Recht des Be - ſitzes § 28.. Wenn alſo der Erbe des Beſitzers nicht zufällig den Beſitz derſelben Sache erworben hat, ſo geht gegen ihn die Klage gar nicht; hat er aber den Beſitz erworben, ſo wird er nicht als Erbe Beklagter, ſondern wegen ſeines eigenen Beſitz - verhältniſſes. Nur wenn der Erblaſſer den Beſitz in un - redlicher Abſicht aufgegeben hatte, wird die Klage ſo wie eine einſeitige Strafklage gegen den Erben angeſtellt; hier aber trägt ſie auch nur die Form und den Namen einer in rem actio an ſich, in der That iſt ſie nun eine per - ſönliche Klage aus einem Delict(p)Dieſe Sätze ſind anerkannt in L. 52. 55. 42 de rei vind. (6. 1.).. — Die confeſſoriſche und negatoriſche Klage ſetzen zwar nicht Beſitz in der Perſon des Beklagten voraus, aber doch irgend eine Ver - anlaſſung, die als Verletzung betrachtet werden kann, und204Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch von dieſer Veranlaſſung läßt ſich nicht annehmen, daß ſie auf den Erben als ſolchen übergehe.
Die Klagen aus Familienverhältniſſen gehen auf den Erben des Beklagten eben ſo wenig, als auf den Erben des Klägers, über, weil das Rechtsverhältniß ſelbſt, zu deſſen Schutz ſie dienen, mit dem Vermögen, alſo auch mit deſſen Übergang auf Erben, keine Berührung haben.
Die aufgeſtellten Regeln werden großentheils modificirt, ſobald zu dem Klagrecht die Litisconteſtation hinzutritt; davon wird im folgenden Bande die Rede ſeyn.
Die ſo eben für die Klagen beantwortete Frage nach der Vererblichkeit kann auch für die Exceptionen aufgewor - fen werden, und ſie iſt ſchon oben bey den exc. personae cohaerentes berührt worden (§ 227.). Auch hier bildet die Vererblichkeit die vorherrſchende Regel, die Ausnahmen aber laſſen ſich nicht ſo wie bey den Klagen auf allge - meinere Regeln zurückführen.
In der Lehre von der Concurrenz der Klagen weichen neuere Schriftſteller von einander oft ſo ſehr ab, daß man kaum glauben ſollte, es werde ein und derſelbe Gegenſtand von ihnen behandelt. Die Verſchiedenheit betrifft hier nicht blos, wie in den meiſten anderen Lehren, die Reſultate der Unterſuchung, alſo die Löſung der Aufgabe, ſondern den Sinn und Umfang der Aufgabe ſelbſt.
Die hier vorliegende Frage läßt ſich im Allgemeinen ſo ausdrücken: Inwiefern kann die Coexiſtenz mehrerer Klagen auf die Wirkſamkeit jeder einzelnen unter denſel - ben Einfluß haben? Auf den erſten Blick iſt es einleuch - tend, daß ein ſolcher Einfluß nur denkbar iſt unter Vor - ausſetzung eines ſolchen Zuſammenhangs jener Klagen, wodurch ſie ganz oder theilweiſe identiſch werden. Es fragt ſich aber, was als eine Identität zu betrachten ſey, woraus jener Einfluß hervorgehen könne. Hier bieten ſich folgende Beziehungen mehrerer Klagen dar, die als Gründe einer ſolchen einflußreichen Identität angeſehen werden könn - ten: der gemeinſchaftliche Entſtehungsgrund der Klagen; die durch den gemeinſamen Namen bezeichnete gleichartige Natur derſelben; die gleichen Perſonen, unter welchen ſie206Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Statt finden; der gemeinſchaftliche Gegenſtand. Als Ge - genſatz würde ſich ergeben, daß bey Verſchiedenheit des Entſtehungsgrundes, des Namens der Klagen, der Per - ſonen, oder des Gegenſtandes, keine Identität unter dieſen Klagen, alſo auch kein Einfluß der einen auf die Wirk - ſamkeit der andern, anzunehmen wäre. Die Prüfung die - ſer möglichen Beziehungen wird nun ergeben, daß die drey erſten in der That ohne Einfluß ſind, aller Einfluß alſo lediglich der letzten Beziehung, dem gemeinſamen Gegen - ſtand der Klagen, zuzuſchreiben iſt.
I. Gleichheit oder Ungleichheit des Entſtehungsgrundes mehrerer Klagen iſt für jenen Zweck gleichgültig(a)Zuweilen iſt die Gleichheit des Entſtehungsgrundes ſogar blos ſcheinbar, nicht wirklich vorhanden. Wenn ein gemiethetes Pferd von dem Miether getödtet wird, ſo ent - ſteht nur die a. L. Aquiliae aus der Tödtung, die locati actio entſteht aus dem früher geſchloſ - ſenen Miethcontract; in Beziehung auf ſie iſt die Tödtung nicht Ent - ſtehungsgrund, ſondern eine That - ſache, die den Miether von der Verpflichtung zur Rückgabe nur nicht befreyt..
Die Beleidigung einer Ehefrau enthält in einer und derſelben Thatſache zwey juriſtiſche Beziehungen, eine In - jurie gegen die Frau, und eine Injurie gegen den Ehe - mann. Keine dieſer beiden Injurienklagen wird durch die andere in ihrer Wirkſamkeit beſchränkt. — Derſelbe Dieb - ſtahl erzeugt eine Condiction und die pönale furti actio; beide beſtehen ungeſtört neben einander(b)Auf dieſen Fall, derſelben materiellen Thatſache mit verſchie - denen juriſtiſchen Beziehungen, geht L. 1 § 22 de tutelae (27. 3. ) „ ut quis dicat plures esse ac - tiones ejusdem facti.” (Dieſe Worte ſollen nur eine mögliche, von dem Verfaſſer misbilligte, An - ſicht der Sache ausdrücken.). — Ferner: L. 9 C. de accus. (9.2)..
207§. 231. Concurrenz der Klagen.Wenn umgekehrt ein Thier geſtohlen, und nachher von dem Diebe getödtet wird, ſo haben die Klagen aus dieſen beiden Delicten völlig verſchiedene Entſtehungsgründe(c)Auf dieſen Fall, worin ſelbſt ganz verſchiedene materielle That - ſachen zum Grunde liegen, gehen die Ausdrücke folgender Stellen. L. 76 § 1 in f. de furtis (47. 2). „ .. quia ex diversis factis te - nentur.” L. 32 § 1 ad L. Aqu. (9. 2.). „ .. duo enim sunt de - licta.” L. 48 eod. „ .. quia al - terius et alterius facti hae res sunt.” ; ſoweit ſie aber auf Entſchädigung gehen, wird dennoch eine durch die andere abſorbirt(d)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Nach der condictio furtiva ſoll die a. L. Aquiliae nur noch fortdauern wegen ihrer möglichen höheren Schätzung; wor - aus alſo folgt: 1) daß ſie auf den einfachen Werth nicht mehr ange - ſtellt werden kann, 2) daß umge - kehrt, wenn die a. L. Aquiliae zu - erſt angeſtellt wird, die Condiction ganz wegfällt..
II. Eben ſo iſt es für jenen Zweck gleichgültig, ob die neben einander beſtehenden Klagen gleichnamige oder un - gleichnamige ſind.
In dem ſchon angeführten Fall der Beleidigung einer Ehefrau heißt die Klage des Mannes und die der Frau actio injuriarum, dennoch ſind beide von einander ganz unabhängig.
Umgekehrt hat der Beſtohlene gegen den Dieb ſowohl(b)„ Si ex eodem facto plura cri - mina nascuntur, et de uno crimine in accusationem fuerit deductus, de altero non pro - hibetur ab alio deferri.” Der Sinn dieſer letzten Stelle tritt be - ſonders klar hervor durch den Ge - genſatz der L. 14 de accus. (48. 2.). „ Senatus censuit, ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus fieret.” Hier iſt die Rede von Einer materiellen Handlung, die auch nur eine ein - zige juriſtiſche Beziehung hat, wo - für aber zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Strafgeſetze erlaſſen worden ſind; hier wird dem neue - ſten Strafgeſetz die ſehr natürliche Abſicht zugeſchrieben, eine neue Strafe an der Stelle der früheren einzuführen, nicht als Zuſatz zu derſelben.208Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die Vindication, als die Condiction; aber obgleich dieſes verſchiedenartige Klagen ſind, wird dennoch eine durch die andere abſorbirt(e)Alſo iſt hier der Umſtand ohne Einfluß, daß es diversum genus actionis, oder aliud ge - nus judicii iſt, wie es in L. 5 und L. 7 § 4 de exc. rei jud. (44. 2. ) bey einer anderen Veran - laſſung genannt wird..
III. Die Gleichheit oder Ungleichheit der in mehreren Klagen vorkommenden Perſonen iſt an ſich ſelbſt ohne Einfluß.
Wenn dieſelben Perſonen einmal ein Darlehen, dann wieder einen Kauf, endlich einen Miethcontract unter ſich abſchließen, ſo beſtehen unter ihnen drey Contractsklagen ohne allen Einfluß der einen auf die anderen.
Wenn umgekehrt Zwey gemeinſchaftlich einen Dritten betrügen, ſo hat Dieſer gegen Jeden derſelben eine Ent - ſchädigungsklage auf den ganzen Verluſt; aber eine dieſer Klagen abſorbirt die andere, obgleich die Beklagten ver - ſchiedene Perſonen ſind.
Indeſſen verdient doch die Verſchiedenheit der Perſonen, ſo gleichgültig ſie für ſich allein iſt, eine beſondere Auf - merkſamkeit, da wo ſie mit der wahren Identität der Kla - gen zuſammentrifft, und unter dieſem Geſichtspunkt wird ſie unten noch näher erwogen werden.
IV. Es bleibt alſo übrig, als das allein entſcheidende Moment, der für mehrere Klagen gemeinſchaftliche juri - ſtiſche Gegenſtand oder Zweck(f)Es iſt demnach hier nicht die Rede von dem materiellen Gegenſtand. Auf daſſelbe Haus oder Pferd können Anſprüche und Klagen ſo verſchiedener Art vor -. Dieſer allein bildet209§. 231. Concurrenz der Klagen.eine ſolche Identität, wodurch die eine Klage auf die an - dere Einfluß erhält. Der höchſt einfache Grundſatz, der hier zur Anwendung kommt, läßt ſich in folgende For - mel faſſen: Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhalten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern Klage fordern.
So einfach aber, und ſo gewiß, wie dieſer Grundſatz hier lautet, war er bey den Römern nicht, und beſonders nicht zu allen Zeiten. Erſtlich kann es in vielen Fällen zweifelhaft ſeyn, ob der Gegenſtand beider Klagen auch wirklich derſelbe iſt. Zweytens kam im älteren Römi - ſchen Prozeß die Lehre von der Prozeßconſumtion in Be - tracht, woraus die alte exceptio rei in judicium deductae und rei judicatae entſprang, und welche in die Concurrenz der Klagen mit hinein ſpielte. Durch dieſe zwey Umſtände entſtanden unter den alten Juriſten ſelbſt große Contro - verſen(g)Eine unzweydeutige Spur dieſer Controverſen, und der Art, wie man ſich dagegen zu ſchützen ſuchte, findet ſich in L. 18 § 3 de pec. const. (13. 5.). „ Vetus fuit dubitatio … Et tutius est di - cere” … Hierbey kam gerade die Prozeßconſumtion in Betracht.. Die Compilatoren giengen darauf aus, die Spuren der untergegangenen Prozeßconſumtion, ſo wie(f)handen ſeyn, daß dieſe Klagen gar keine Berührung mit einander ha - ben. Wenn aber mehrere Klagen die Entſchädigung, für denſelben Verluſt, oder die Wiedererlangung deſſelben Beſitzes, bezwecken, ſo ha - ben ſie den juriſtiſchen Gegen - ſtand mit einander gemein. Die - ſer letzte wird in Stellen des R. R. auf folgende Weiſe bezeichnet: § 1 J. de duob. reis (3. 16. ) „ in utra - que tamen obligatione una res vertitur.” L. 3 § 1 eod. (45. 2. ) „ cum una sit obligatio, una et summa est.” V. 14210Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jener Controverſen, ſo viel als möglich zu vertilgen, welches ſie durch die Auswahl der aufzunehmenden Excerpte, auch wohl durch manche Interpolationen, zu bewirken ſuchten. So iſt es zu erklären, wenn daß in dieſer Lehre die Exegeſe oft weniger reine und befriedigende Reſultate liefert, als in den meiſten anderen Lehren.
Ehe aber der aufgeſtellte Grundſatz in ſeinen einzelnen Anwendungen dargeſtellt wird, iſt es nöthig, die bey den neueren Schriftſtellern gewöhnliche Auffaſſung dieſer Lehre, nebſt der daraus entſprungenen Terminologie, zu erwäh - nen, da dieſe Terminologie ſo allgemein verbreitet iſt, daß ſie unwillkührlich in die folgende Darſtellung hinein getra - gen und der Wirkung derſelben hinderlich werden würde, wenn nicht dagegen ſchon hier vorgebaut wird.
Bey neueren Schriftſtellern finden ſich folgende zwey Eintheilungen der Klagenconcurrenz als Grundlage dieſer Lehre angegeben(h)Mühlenbruch I. § 140. Göſchen Vorleſungen I. S. 448. Die Concurrenz iſt theils ſubjectiv (unter denſelben Perſonen), theils objectiv (unter verſchie - denen). Die objective iſt cumulativ, electiv, ſucceſſiv, je nachdem alle Klagen nach und neben einander angeſtellt werden können; oder nur eine von mehreren, ſo daß durch ſie die übrigen ausgeſchloſſen werden; oder zwar alle, je - doch nur in einer beſtimmten Reihenfolge. — Eine voll - ſtaͤndige Darſtellung dieſer Lehre müßte demnach für211§. 231. Concurrenz der Klagen.jede dieſer Arten der Concurrenz beſondere Grundſätze aufſtellen.
Die in dieſen Kunſtworten ausgedrückte Auffaſſung kann ich aus folgenden Gründen nicht als richtig anneh - men. Zuvörderſt muß ich die Haupteintheilung in ſub - jective und objective Concurrenz ganz verwerfen. Es iſt nämlich ſchon oben gezeigt worden, daß für den Einfluß einer Klage auf eine andere der Umſtand, ob ſich dieſe Klagen auf dieſelben oder auf verſchiedene Perſonen be - ziehen, durchaus nicht entſcheidend iſt, daß unter denſelben Perſonen ein Einfluß nicht vorhanden, unter verſchiedenen dagegen ein ſolcher in der That vorhanden ſeyn kann. Daher iſt dieſe, die Perſonen betreffende, Verſchiedenheit zu einer Haupteintheilung der Concurrenz, als Grundlage dieſer Lehre, durchaus nicht geeignet. Was über die Be - ziehung der Concurrenz auf verſchiedene Perſonen zu ſagen iſt, wird an ſeinem Orte eingeſchaltet werden. Man könnte etwa ſagen: alle Concurrenz iſt ihrem Weſen nach objectiv (in dem gemeinſchaftlichen Object gegründet), ſie kann aber daneben zugleich ſubjectiv ſeyn; jedoch iſt es beſſer, dieſe mehr verwirrenden als aufklärenden Ausdrücke ganz zu vermeiden.
Mit der ſogenannten ſucceſſiven Concurrenz verhält es ſich alſo. Manche Rechte ſtehen zu einander in einem ſolchen Verhältniß, daß das eine durch das andere be - dingt iſt, alſo die eine Klage zur Vorbereitung der ande - ren dienen muß. So z. B. die actio ad exhibendum als14*212Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vorbereitung der Vindication(i)L. 23 § 5 de rei vind. (6. 1.).; die hereditatis petitio vor der a. familiae herciscundae(k)L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.).; die Vindication vor der a. communi dividundo(l)L. 18 de except. (44. 1.).; die Vindication vor der confessoria actio(m)L. 16 de except. (44. 1.).; die Klage gegen den Hauptſchuld - ner vor der Klage gegen den Bürgen oder gegen den Pfandbeſitzer(n)Wegen des ſogenannten be - neficii excussionis. . Ein ſolches Verhältniß mancher Kla - gen zu einander kann ſehr verſchiedene Gründe haben, und gemeinſame Regeln giebt es dafür nicht, da jeder Fall dieſer Art eine individuelle Natur hat. Mit der hier ab - gehandelten Klagenconcurrenz hat jenes Verhältniß gar kei - nen innern Zuſammenhang, und die wahre Natur deſſelben kann durch die Zuſammenſtellung mit der Concurrenz nur verdunkelt werden.
Nach dieſer Abſonderung der ſubjectiven und ſucceſſi - ven Concurrenz bleiben noch übrig die cumulative und die elective. Aber auch dieſe beiden ſind nicht etwa als ſelbſt - ſtändige Arten der Concurrenz anzuſehen, für deren jede durch beſondere Regeln zu ſorgen wäre, ſondern die ganze Frage geht eben nur darauf, ob mehrere gleichzeitig vor - handene Klagen in einem ausſchließenden Verhältniß zu einander ſtehen, oder nicht. Man kann dieſe Frage aller - dings ſo ausdrücken: ſtehen zwey gegebene Klagen im Ver - hältniß der electiven oder der cumulativen Concurrenz? Um aber dieſen Ausdruck anzuwenden, muß man damit213§. 231. Concurrenz der Klagen.anfangen, den Begriff der Concurrenz ſo weit auszudeh - nen, daß er mit dem der Coexiſtenz zuſammenfällt. Kla - rer jedoch wird die Sache durch dieſen Ausdruck nicht, vielmehr würde folgender Ausdruck durch Klarheit und Einfachheit vorzuziehen ſeyn: ſtehen zwey gegebene Klagen zu einander im Verhältniß der Concurrenz oder nicht? Man würde wahrſcheinlich niemals auf jene Kunſtaus - drücke gekommen ſeyn, wenn nicht viele Fälle vorkämen, in welchen der bloße Schein einer Concurrenz vorhanden iſt(o)So z. B. die condictio furtiva und die furti actio aus demſelben Diebſtahl, die Injurien - klagen des Ehemannes und der Ehefrau, wenn die Frau beleidigt iſt. Hätte man blos mit ſolchen Fällen zu thun, wie wenn unter denſelben Perſonen einmal ein Dar - lehen, dann ein Kauf geſchloſſen worden iſt, ſo würde man dabey den Ausdruck Concurrenz ge - wiß nicht angewendet haben, weil nicht einmal der Schein eines in - neren Zuſammenhanges beider Kla - gen vorhanden iſt. In jenen Fäl - len dagegen entſtand ein ſolcher Schein daraus, daß beide Klagen eine und dieſelbe Handlung zur Grundlage hatten. Indem man dieſe Fälle als cumulative Con - currenz bezeichnete, wollte man da - mit eigentlich ſagen: Klagen, de - ren Concurrenz nur ſcheinbar, nicht wirklich iſt, die alſo eben ſo unab - hängig von einander ſind, als in dem anderen Fall die Darlehens - klage und die Kaufklage. Es iſt aber nicht logiſch, den bloßen Schein der Concurrenz (der aller - dings erwogen und beſeitigt wer - den muß) als eine eigene Art der - ſelben zu bezeichnen.. Dieſe Fälle müſſen allerdings geprüft, und von der Anwendung der für die Concurrenz geltenden Regeln ausgeſchloſſen werden; allein es iſt nicht zu rechtfertigen, wenn ſolche Fälle als eine beſondere Art der Concurrenz dargeſtellt werden.
Endlich haben mehrere neuere Schriftſteller die wich - tige Lehre von der Rechtskraft großentheils in Verbindung214Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.mit der Klagenconcurrenz gebracht, weil nämlich die ex - ceptio rei judicatae, ſo wie ſie im neueſten Römiſchen Recht vorkommt, allerdings auch auf concurrirende Klagen angewendet werden kann(p)So Thibaut in der am Anfang dieſes §. angeführten Schrift. Eben ſo Kierulff Theorie I. S. 241. fg.. Allein dieſe Anwendung iſt doch nur eine Erweiterung derjenigen einfacheren Anwen - dung, die bey der Wiederholung einer und derſelben Klage vorkommt, und ſie kann nur in Verbindung mit dieſer rich - tig verſtanden werden. Daher iſt es zweckmäßiger, hier davon ganz zu ſchweigen, und die Wirkungen der Rechts - kraft in ihrem wahren Zuſammenhang, als ein ungetrenn - tes Ganze, darzuſtellen.
Im § 231 wurde vorläufig folgender Grundſatz für die Concurrenz der Klagen aufgeſtellt: Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhal - ten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern Klage fordern.
Dieſer Grundſatz iſt nun zuerſt an die oben (§ 230) aufgeſtellten allgemeineren Regeln über die Aufhebung der Klagrechte anzuknüpfen, dann aber in ſeinen mannichfalti - gen Anwendungen darzuſtellen.
Es wurde oben die Regel aufgeſtellt, daß jedes Klag -215§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)recht aufhöre, wenn der Kläger auf andere Weiſe, als durch dieſe Klage, ſeine Befriedigung erlange. Dieſes iſt nun ſtets der Fall, wenn eine andere, concurrirende Klage dieſe Befriedigung bereits bewirkt hat. — Zuweilen aber wird durch den Erfolg der einen Klage das Daſeyn der concurrirenden anderen Klage noch unmittelbarer zerſtört, wenn nämlich jener Erfolg zugleich als Vernichtung des Rechts ſelbſt gelten kann, welches der andern Klage zum Grund liegt. Dieſer, im Weſen der Rechtsverhältniſſe gegründete, für den praktiſchen Erfolg nicht fühlbare, Un - terſchied wird weiter unten (§ 236) genauer erörtert werden.
Die Anwendung jenes Grundſatzes führt alſo darauf, in jedem einzelnen Fall zu unterſuchen, ob der ſchon ein - getretene Erfolg einer Klage mit dem geſuchten Erfolg einer andern Klage identiſch iſt oder nicht. Im erſten Fall iſt die zweyte Klage durch die erſte abſorbirt, im zweyten Fall kann ſie noch immer mit vollem Erfolg an - geſtellt werden. Nach dem bisher üblichen Sprachgebrauch (§ 231) würde im erſten Fall eine elective, im zweyten eine cumulative Concurrenz beider Klagen anzunehmen ſeyn. Ich halte es für richtiger, den Unterſchied ſo auszudrücken, daß eine Concurrenz beider Klagen im erſten Fall ange - nommen, im zweyten verneint wird.
Nun liegen aber viele Fälle zwiſchen jenen beiden in der Mitte, indem der Erfolg der noch übrigen Klage mit dem der ſchon benutzten Klage theilweiſe identiſch ſeyn kann. In dieſen Fällen wird in der noch übrigen Klage216Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der identiſche Theil abſorbirt ſeyn, der nicht identiſche wird noch ferner verfolgt werden können.
Es ergeben ſich hieraus drey Klaſſen aller überhaupt coexiſtirenden Klagen:
Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz.
Die Regel, daß hier die zweyte Klage durch die erſte ganz abſorbirt iſt, wird anerkannt in folgender Stelle des Ulpian(a)L. 43 § 1 de R. J. (50. 17) aus Ulp. lib. 28 ad ed. : Quotiens concurrunt plures actiones ejusdem rei nomine, una quis experiri debet.
Die Worte ejusdem rei nomine ſind an ſich zweydeu - tig. Sie könnten heißen: mehrere Klagen aus derſelben Thatſache, oder auch: auf denſelben Gegenſtand. Nähme man ſie nun in der erſten Bedeutung, ſo wäre der dadurch bedingte Satz offenbar unrichtig (§ 231), alſo bleibt nur die zweyte Bedeutung als die allein mögliche übrig. Dieſe wird nun auch unterſtützt durch den inneren217§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Zuſammenhang der ganzen Stelle, deren unmittelbar vor - hergehende Worte ſo lauten: Nemo ex his, qui negant se debere, prohibetur etiam alia defensione uti, nisi lex impedit(b)L. 43 pr. eod. . Ulpian will hier augenſcheinlich auf einen Unterſchied zwiſchen der Lage des Beklagten und des Klä - gers aufmerkſam machen; Jener könne auch mehrere Ver - theidigungsmittel zugleich (Verneinung und Exceptionen) geltend machen; der Kläger dürfe unter mehreren, für denſelben Zweck concurrirenden, Klagen nur Eine gebrau - chen(c)Der hier von Ulpian be - merkte Gegenſatz zwiſchen den Rechtsmitteln des Beklagten und des Klägers iſt inſofern mehr ſcheinbar als wahr, daß auch der Beklagte durch die verſchiedenſten Vertheidigungsmittel ſeinen Zweck (die Losſprechung) doch immer nur einmal erreichen kann, eben ſo wie der Kläger, welcher mehrere con - currirende Klagen hat. Darin aber iſt allerdings zwiſchen Beiden ein praktiſcher Unterſchied, daß der Kläger, wenn er mit einer der concurrirenden Klagen abgewieſen iſt, nicht mehr die andere gebrau - chen kann, anſtatt daß der Beklagte alle Vertheidigungen zugleich vor - bringt, wobey es ihm nicht ſchadet, wenn die meiſten als ungegründet verworfen werden, und nur eine als richtig anerkannt wird.. Eine fernere Beſtätigung dieſer Erklärung liegt in einer andern Stelle deſſelben Ulpian, worin mehrere Klagen de eadem re für ſolche erklärt werden, die den - ſelben Gegenſtand verfolgen(d)L. 5 de exc. rei jud. (44. 2.). „ De eadem re agere videtur, et qui non eadem ac - tione agat … Recteque ita de - finietur, eum demum de (eadem) re non agere, qui prorsus rem ipsam non persequitur” …..
Anwendungen dieſer Regel finden ſich in bedeutender Anzahl, und zwar ſowohl bey Klagen unter denſelben, als bey Klagen unter verſchiedenen Perſonen.
Unter denſelben Perſonen erſcheint dieſes Verhält -218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.niß beſonders in den vielen und mannichfaltigen Fällen, worin eine Condiction (gewöhnlich die Condictio furtiva) mit einer bonae fidei actio concurrirt, indem die beiden Umſtände zuſammen treffen, daß Einer einen Contract un - erfüllt gelaſſen, daneben aber ſich aus dem Vermögen des Andern ohne Grund bereichert hat(e)Vgl. hierüber Beylage XIV. Num. VI. . In allen ſolchen Fällen kann auf dieſe unrechtmäßige Bereicherung ſowohl mit einer Condiction, als aus dem geſchloſſenen Contracte, geklagt werden; iſt aber der Zweck durch die eine dieſer Klagen erreicht, ſo iſt dadurch die andere abſorbirt. Dieſe Concurrenz mit einer Condiction wird für folgende Con - tractsklagen bemerkt, ſtets mit der Beſtimmung, daß nur eine der concurrirenden Klagen wirklich gebraucht wer - den könne:
Eben dahin aber gehören auch noch folgende Fälle der Concurrenz:
Es iſt aber zu bemerken, daß die hier erwähnten Fälle der Concurrenz nicht immer zu dieſer erſten Klaſſe, ſon - dern oft zu der zweyten gehören, ſo daß ihre Behandlung ſtets von den zufälligen Umſtänden des einzelnen Falles abhängt. Wenn nämlich der Gegenſtand beider Klagen genau denſelben Umfang hat, ſo gehört dieſer Fall zur er - ſten Klaſſe(o)So z. B. wenn der Mie - ther eines Pferdes daſſelbe geſtoh - len hat, und aus dem Miethcon - tract gerade nichts Anderes ſchul - dig iſt, als den Erſatz für das Pferd, worauf auch die condictio furtiva geht.; eben ſo wenn die umfaſſendere Klage zu - erſt mit Erfolg angeſtellt worden iſt(p)So wenn in dem in der Note o. erwähnten Fall auch noch Miethgeld rückſtändig iſt, und durch die zuerſt angeſtellte actio locati Erſatz und Miethgeld zugleich er - langt wurde.. Wurde dagegen die beſchränktere Klage zuerſt angeſtellt, ſo gehört der Fall220Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.unter die zweyte Klaſſe, indem die noch übrige Klage auf denjenigen Theil des Gegenſtandes angeſtellt werden kann, welchen der Kläger durch die erſte Klage noch nicht er - langt hat(q)So wenn in dem vorigen Fall (Note p.) zuerſt die condic - tio furtiva auf den bloßen Erſatz angeſtellt worden iſt. Die actio locati kann noch immer auf das Miethgeld angeſtellt werden, ſo daß nun der Fall zu der zweyten Klaſſe der Concurrenz gehört..
Reiner und entſchiedener in dieſer Hinſicht erſcheint dieſe Concurrenz bey ſolchen Klagen, die unter ver - ſchiedenen Perſonen beſtehen(r)Es ſind Dieſes alſo Fälle, worin der Concurs, nach dem ge - wöhnlichen Sprachgebrauch, ein ſubjectiver iſt., indem hier die Ge - genſtände der einzelnen Klagen meiſt völlig congruent ſind. Dieſe Fälle erſcheinen in verſchiedenen Graden der Ver - wandſchaft der Klagen unter einander, welche ſich in fol - gender Abſtufung darſtellen laſſen(s)Ribbentrop S. 83. 258, in welcher Schrift dieſe Fälle über - haupt auf ſehr befriedigende Weiſe abgehandelt ſind.:
A) Identität der Obligation, ſo daß wahrhaft eine und dieſelbe Obligation mehrere Glaubiger oder Schuld - ner zugleich umfaßt(t)Ribbentrop S. 106. 110. 117. 170 — 178. 258. — In dieſen Fällen hatten beide Klagen eine und dieſelbe Intentio. . Dieſe Identität konnte bey den Römern auf dreyerley Weiſe, und nur auf dieſe, will - kührlich hervorgebracht werden. Erſtlich bey einer von Mehreren gemeinſchaftlich und für daſſelbe Object geſchloſ - ſenen Stipulation (duo rei), wohin auch der Fall der fidejussio gehört. Zweytens bey jedem anderen gemein - ſchaftlichen Contract, wobey Jeder genau für Daſſelbe221§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)wie jeder Andere (alſo auch für die verletzenden Handlun - gen dieſes Andern) ſich verpflichtet(u)L. 9 de duobus reis (45. 2.).. Drittens durch Teſtament. Für das heutige Recht verſchwindet der erſte Fall, ſo daß alſo jetzt die Annahme eines ſolchen Rechts - verhältniſſes ſtets von der Auslegung der Verträge ab - hängt, anſtatt daß bey den Römern die wichtigſten Fälle dieſer Art durch die hergebrachten Formen der Stipula - tion völlig außer Zweifel geſetzt waren. — Dieſelbe Iden - tität aber entſteht auch ohne eine hierauf gerichtete beſon - dere Willkühr, in den Fällen der actio exercitoria, insti - toria, de peculio, de in rem verso, quod jussu, indem hier ſtets die Obligation des Unternehmers, des Vaters u. ſ. w. mit der Obligation des Aufſehers oder des Sohnes völlig identiſch iſt(v)Keller Litisconteſtation S. 420. fg..
B) Bloße Solidarität(w)Ribbentrop S. 44. 56. 90. 121.. Wenn Mehrere gemein - ſchaftlich ein Delict begehen, ſo macht ſich Jeder des gan - zen, vollſtändigen Delicts ſchuldig. Jeder alſo iſt für ſich ſelbſt Schuldner, und man kann nicht, wie bey den Cor - reis, ſagen, daß eine und dieſelbe Obligation ſich auf Mehrere beziehe. Da aber der erlittene Schade nur ein einfaches Daſeyn hat, ſo iſt der Betrag der einzelnen Schulden von gleicher Größe; und da durch den einmal geleiſteten Erſatz das Daſeyn des Schadens vernichtet iſt, ſo muß die von Einem geleiſtete Zahlung die Übrigen be -222Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.freyen (§ 211. c.). Daſſelbe Verhältniß findet ſich oft zwiſchen Mitvormündern; ferner zwiſchen Mehreren, die gemeinſchaftlich eine Sache als Commodat oder Depoſitum empfangen haben, ohne ſich zu der unter A) erwähnten vollſtändigen Identität der Leiſtung zu verpflichten(x)L. 1 § 43 depositi (16. 3. ), L. 9. 22 eod., L. 5 § 15 com - mod. (13. 6.)..
C) Endlich giebt es noch einen Fall, worin nicht ein - mal wahre Solidarität vorhanden iſt, und welcher daher nur eine einſeitige und beſchränkte Concurrenz in ſich ſchließt. Wenn nämlich Bürgſchaft in Form eines Mandats gelei - ſtet wird, ſo erlangt dadurch der Glaubiger gleichfalls zwey Schuldner, an welche er ſich halten kann. Klagt er nun gegen den Hauptſchuldner, und erlangt von dieſem Bezahlung, ſo wird der mandator frey, weil die Man - datsklage kein Object mehr hat; dagegen befreyt die ge - gen den mandator erzwungene Zahlung den Hauptſchuld - ner nicht(y)L. 28 mandati (17. 1.). Ribbentrop S. 84..
Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Hier kann die zweyte Klage zwar noch angeſtellt werden, jedoch nur entweder mit Abrechnung der ſchon erlangten Summe, oder auch nach Rückgabe derſelben. Es läßt ſich Dieſes223§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)auf verſchiedene Weiſe denken; bald indem die zweyte Klage manche Gegenſtände umfaßt, die in der erſten gar nicht vorkommen konnten (§ 232. q.); bald indem ſie zu - fällige Nebenvortheile mit ſich führt, z. B. durch eine be - ſondere Art der Schätzung(a)Vgl. unten Note i. ; bald indem ſie, als mixta actio, auf Entſchädigung und Strafe zugleich geht, anſtatt daß durch die erſte blos die Entſchädigung erlangt wur - de(b)Iſt eine Sache geraubt worden, ſo kann zuerſt mit der condictio furtiva die Entſchädi - gung eingeklagt werden; dann iſt noch immer die a. vi bonorum raptorum übrig, (L. 2 § 26 vi bon. rapt. 47. 8), aber freylich nicht mehr auf Entſchädigung, ſon - dern auf den dreyfachen Werth als Strafe. — Eben ſo, wenn erſt die Contractsklage, nachher die a. L. Aquiliae angeſtellt wird, welche letzte durch die Art der Schätzung eine Strafe in ſich ſchließen kann. Von dieſem Fall wird unten aus - führlich gehandelt werden.. Schon oben aber iſt bemerkt worden, daß es bey vielen Klagen von den zufälligen Umſtänden jedes einzel - nen Falls abhängt, ob ihre Concurrenz unter die erſte oder zweyte Klaſſe gehört (§ 232. o. p. q.).
Das Princip dieſer Klaſſe iſt in folgender Stelle des Paulus ausgeſprochen, deren Sinn ganz unzweifelhaft iſt, wenngleich ein Theil derſelben augenſcheinlich durch eine falſche Leſeart verdunkelt wird(c)L. 41 § 1 de O. et A. (44. 7. ) aus Paulus lib. 22 ad ed. : Si ex eodem facto duae competant actiones, postea judicis potius partes esse, ut quo plus sit in reliqua actione, id actor ferat: si tantundem, aut minus, id consequatur.
Schlöſſe die Stelle mit den hier curſiv gedruckten Wor -224Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ten, ſo bliebe kein Zweifel über den Inhalt möglich; aus dieſen Worten aber folgt zugleich der Inhalt der Schluß - worte mit ſolcher Nothwendigkeit, daß eine Berichtigung des Textes derſelben von jeher als unvermeidlich anerkannt, und ſelbſt von Denjenigen gebilligt worden iſt, welche außerdem die größte Abneigung gegen Emendationen haben. Die dem Sinne nach einfachſte Veränderung beſteht darin, daß anſtatt id consequatur geleſen wird nihil (oder nil) consequatur(d)Cujacius observ. III. 25.. Näher an den handſchriftlichen Text ſchließt ſich dieſe Verbeſſerung an: id non sequatur(e)Pagenstecher admonito - ria ad Pand. P. 6 § 289. Es wird dann nur ein einziger Buch - ſtab verändert. Man kann aber auch noch eine Art von Gemina - tion damit verbinden, und leſen: id non consequatur, wodurch der Ausdruck der Stelle unge - zwungner wird.. Der Erfolg beider Verbeſſerungen iſt völlig derſelbe. — Daß nun Paulus gerade den hier aufgeſtellten Grundſatz ausdrücken will, iſt ganz unverkennbar. Das Weſen deſ - ſelben führt aber darauf, als Bedingung das (ganz oder theilweiſe) gemeinſchaftliche Object der beiden Klagen anzuſehen, da nur unter dieſer Vorausſetzung conſequen - terweiſe von einem plus oder minus oder tantundem die Rede ſeyn kann. Paulus jedoch drückt als Bedingung nicht das gemeinſame Object aus, ſondern den gemeinſa - men Entſtehungsgrund (ex eodem facto), der zwar häufig auch vorhanden, aber doch ganz unentſcheidend iſt (§. 231). Dieſer unrichtige Geſichtspunkt, unter welchen er den Grundſatz brachte, hatte die üble Folge, daß er ihn nicht225§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)blos bey den hier angegebenen Klagen anwendete, wohin er in der That gehört, ſondern auch bey verſchiedenen Strafklagen aus demſelben Delict, wohin er nicht gehört. Von dieſem Irrthum wird noch unten an ſeinem Orte die Rede ſeyn (§ 234.). Die Wurzel deſſelben aber mußte gleich hier nachgewieſen werden.
Sichere Anwendungen dieſes Grundſatzes finden ſich in folgenden Fällen.
Es wird zuerſt die a. communi dividundo angeſtellt, dann pro socio. Dieſe letzte iſt zuläſſig, aber nur mit Abrechnung Desjenigen, was der Kläger durch die erſte Klage ſchon erlangt hat(f)L. 43 pro soc. (17. 2.) „ .. hoc minus ex ea actione consequitur, quam ex prima actione consecutus est.” .
Nach der condictio furtiva gilt die a. pro socio nur inſofern ſie ein anderes, und daher höheres, Intereſſe ver - folgt, als Das welches aus dem Diebſtahl entſprang(g)L. 47 pr. pro soc. (17. 2.). „ Sed si ex causa furtiva con - dixero, cessabit pro socio ac - tio, nisi si pluris mea intersit.” .
Iſt der Nebenvertrag bey einem Verkauf durch eine Conventionalſtrafe verſtärkt, ſo gilt die a. venditi und die Stipulationsklage. Iſt aber die erſte ſchon gebraucht, ſo gilt die zweyte nur dann, wenn die Strafe mehr beträgt als das ſchon erlangte Intereſſe; umgekehrt gilt die a. ven - diti nur, wenn das Intereſſe mehr beträgt, als die einge - klagte Strafe; in beiden Fällen alſo nur auf den Über - ſchuß(h)L. 28 de act. emti (19. 1.)..
V. 15226Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wenn der Beſtohlene mit der condictio furtiva Ent - ſchädigung erhalten hat, ſo kann er doch noch die Sache von dem Diebe vindiciren; jedoch nur wenn er zurück zahlt, was er durch die Condiction erlangt hat. Nun muß der Dieb die Sache in Natur zurück geben, und wenn er Dieſes verweigert, das jusjurandum in litem er - dulden(i)L. 9 § 1 de furtis (47. 2.). „ .. quod si ex condictione ante damnatus reus litis aesti - mationem sustulerit, ut aut omnimodo absolvat reum, aut, quod magis placet, si paratus esset petitor aestimationem re - stituere, nec restituetur ei ho - mo: quanti in litem jurasset, damnaretur ei possessor.” .
Die häufigſten und mannichfaltigſten Anwendungen fin - den ſich bey der a. L. Aquiliae, die mit einer Contracts - klage concurrirt. Wenn der Miether, der Commodatar u. ſ. w. die Sache zerſtört oder verdirbt, ſo hat der Eigen - thümer gegen ihn die beiden eben genannten Klagen. Da aber jede derſelben zunächſt und hauptſächlich auf Ent - ſchädigung geht, ſo wird meiſt die eine durch die andere abſorbirt werden. Indeſſen kann zufällig die a. L. Aqui - liae einträglicher ſeyn, wegen der bey ihr eintretenden künſtlichen Schätzung. Iſt daher die Contractsklage zu - erſt angeſtellt, ſo führt die conſequente Anwendung unſres Grundſatzes darauf, daß die a. L. Aquiliae noch immer angeſtellt werden darf, jedoch nur auf die aus der künſt - lichen Schätzung hervorgehende Differenz, die eigentlich eine Strafe iſt. Der einzige Zweifel könnte etwa daraus entnommen werden, daß dieſer Strafzuſatz nicht, wie bey227§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)manchen anderen Strafklagen, in einer abgeſonderten Summe beſteht, ſondern in einer erhöhten Schätzung des Schadens, weshalb man ſie für untrennbar verbunden mit der Entſchädigung ſelbſt halten könnte. Allein dieſes Be - denken verſchwindet völlig, wenn man erwägt, daß der Zweck durch bloße Abrechnung der geringeren (ſchon be - zahlten) Geldſumme von der größeren leicht und ſicher er - reicht werden kann, welches Mittel auch in den übrigen, ſchon angeführten, Fällen in der That angewendet wird (Note f. g. h.). — In unſren Rechtsquellen nun finden wir über die hier aufgeſtellte Frage folgende Äußerungen. Viele Stellen ſagen ganz allgemein, in ſolchen Fällen werde jede der beiden Klagen von der andern abſorbirt, ſo daß alſo überhaupt nur eine derſelben gebraucht wer - den könne; damit ſcheint alſo die Anwendung unſres Grund - ſatzes auf dieſe Fälle verneint zu werden. Stellen ſolcher Art finden ſich von Ulpian(k)L. 27 § 11 ad L. Aqu. (9. 2. ), L. 13 de rei vind. (6. 1.)., von Paulus(l)L. 36 § 2 de her. pet. (5. 3. ), L. 18 ad L. Aqu. (9. 2. ), L. 50 pr. pro soc. (17. 2. ), L. 43 loc. (19. 2.)., und von Gajus(m)L. 18 § 1 comm. (13. 6.). In ähnlichen Ausdrücken redet Der - ſelbe von der Concurrenz der a. locati mit der a. arborum fur - tim caesarum. L. 9 arb. furtim caes. (47. 7.).. Indeſſen laſſen ſich dieſe Stellen auch ſo verſtehen, daß ſie blos von dem gewöhnlichſten Fall reden wollen, worin die Aquiliſche Klage gerade keinen höheren Ertrag giebt, als die Contractsklage, weil die künſtliche Schätzung auf keine höhere Geldſumme führt. Die Rich - tigkeit dieſer Auslegung folgt unwiderſprechlich aus eini -15*228Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gen Stellen gerade derſelben Juriſten, worin ſie die An - wendung unſres Grundſatzes auch auf die Aquiliſche Klage ausdrücklich anerkennen, und zwar zum Theil in Aus - drücken, worin dieſe Anwendung als die ſeltner vorkom - mende, leicht überſehene, gewöhnlich nicht erwähnte (alſo auch nicht durch bloßes Stillſchweigen verneinte) bezeich - net wird.
So ſagt Ulpian, indem er ſich auf Pomponius beruft, wenn der Dieb den geſtohlenen Sklaven getödtet habe, könne zuerſt die condictio furtiva, nachher die Aquiliſche Klage gebraucht werden, weil dieſe durch ihre höhere Schätzung einträglicher ſeyn könne(n)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). „ … Et scripsit Pom - ponius, agi posse, quia alte - rius aestimationis est legis Aquiliae actio, alterius condic - tio ex causa furtiva: namque Aquilia eam aestimationem complectitur, quanti eo anno plurimi fuit: condictio autem ex causa furtiva non egreditur retrorsum judicii accipiendi tempus.” . Noch entſcheiden - der aber iſt eine Stelle deſſelben Ulpian über die Concur - renz der a. commodati mit der Aquiliſchen Klage. An - fangs ſagt er in eben ſo allgemeinen Ausdrücken, wie in den oben angeführten Stellen (Note k), jede dieſer Klagen werde durch die andere abſorbirt; dann aber fügt er be - richtigend hinzu: man möchte denn ſagen wollen, die Aqui - liſche Klage könne noch immer auf die Differenz angeſtellt werden, und Dieſes ſey auch in der That das Rich - tige(o)L. 7 § 1 commod. (12. 6.). „ … nisi forte quis dixerit, agendo eum e L. Aquilia, hoc minus consecuturum, quam ex.
229§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Ganz in demſelben Sinn wird dieſe Frage behandelt in einer Stelle des Paulus, die jedoch theils weniger deut - lich, theils durch kritiſche Schwierigkeiten verdunkelt iſt. Es iſt die Rede von einem Commodat an Kleidungsſtücken, die der Commodatar zerriſſen hat; darüber drückt ſich Pau - lus alſo aus(p)L. 34 § 2 in f. de O. et A. (44. 7. ) aus Paulus lib. sing. de concurrentibus actionibus. : et quidem post legis Aquiliae actionem, utique com - modati finietur: post commodati, an Aquiliae rema - neat in eo quod in repetitione triginta dierum am - plius est, dubitatur. Sed verius est remanere(q)Glossa Accursii: „ alias non, alias sine non.” Beide Leſearten alſo haben alte Beglau - bigung; die zweyte, die oben im Text ſteht, iſt die Florentiniſche. — Non remanere las auch eine alte Handſchrift der Leipziger Raths - bibliothek, welche an Haubold ver - liehen war, und aus Verſehen mit deſſen Bibliothek nach Åbo ge - ſchickt wurde, wo ſie mit der übri - gen Bibliothek verbrannt iſt., quia simplo accedit, et simplo subducto locum non(r)Dieſe Leſeart findet ſich in allen bekannten Handſchriften. Zwar ſteht am Rande der Aus - gabe des Baudoza: „ in quibus - dam deest haec etiam nega - tio,” allein Dieſes iſt kein ganz zuverläſſiges Zeugniß. — Cuja - cius observ. III. 25 bemerkt blos, das non müſſe entweder in beiden Sätzen ſtehen, oder in beiden feh - len, welches letzte er vorzieht. habet. Nach den letzten, ſehr dunklen Worten könnte man glau - ben, Paulus habe ſich den oben angeregten Bedenken hingegeben, daß der Zuſatz der Aquiliſchen Klage von ihrem Hauptinhalt ganz untrennbar ſey, und er habe des - wegen die Aquiliſche Klage gänzlich verſagt; dann müßte(o)causa commodati consecutus est: quod videtur habere ra - tionem” 230Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.man die, allerdings durch Handſchriften beglaubigte, Leſe - art non remanere als richtig annehmen. Allein zwey Gründe ſtehen dieſem Reſultat, und der damit verbunde - nen Leſeart, entgegen. Erſtlich das im Anfang des ge - genwärtigen Paragraphen (Note c) angegebene, von Pau - lus aufgeſtellte Princip, welches er ſo feſthält, daß er es auch da anwendet, wohin es nicht gehört; zweytens, daß Paulus wenige Zeilen vor unſrer Stelle die Aquiliſche Klage hinter der Injurienklage in id quod amplius com - petit gelten läßt, welches alſo auf dieſelbe Weiſe auch hinter der commodati actio möglich und richtig ſeyn muß. — Die einfachſte Art, dieſen Sinn zu retten, beſteht darin, daß man, nach dem Vorſchlag des Cujacius, und nach einer, wenn auch zweydeutigen, handſchriftlichen Autorität (Note r), die Leſeart: locum habet (ohne non) annimmt. Nun iſt der Sinn dieſer: „ die Aquiliſche Klage gilt auch jetzt noch, weil ihr Erfolg (möglicherweiſe) über das Sim - plum hinausgeht, ſo daß dann die Klage, auch nach Ab - zug des ſchon bezahlten Simplum, noch immer ein Object hat, für welches ſie denn auch wirklich zuläſſig iſt. “— Indeſſen kann man verſuchen, auch die vollſtändige Flo - rentiniſche Leſeart durch folgende, den Gedanken ergän - zende, Paraphraſe zu erhalten: „ Die Aquiliſche Klage bleibt übrig, aber nicht blos, wie es in der Frage aus - gedrückt war, für das amplius, ſondern ganz (alſo rema - nere für integram remanere), weil nämlich das amplius in der Klage nur als ein Zuſatz zu dem Simplum er -231§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſcheint, alſo, wenn man das Simplum aus der Klage weglaſſen wollte (simplo subducto), auch das amplius nicht als Inhalt einer Klage möglich iſt (locum non ha - bet. ) “ Nach dieſer Wendung würde ſich die Stelle auf die Faſſung der formula beziehen, deren Intentio freylich nie auf das amplius, ſondern nur auf damnum decidi oportere, alſo auf das Simplum und die Straferhöhung zugleich, gerichtet ſeyn konnte. Im Hintergrund läge dann der (nicht ausgedrückte) Gedanke, daß die Verfolgung des ſchon erhaltenen Simplum, durch eine doli exceptio, per Praetorem inhibenda est, wie es im princ. für einen ähn - lichen Fall geſagt iſt(s)Dieſe Erklärung findet ſich bey A. O. Krug de condictione furtiva Lips. 1830. p. 66. Dem Gedanken nach übereinſtimmend, aber mit ganz entgegengeſetztem Text, iſt die Erklärung des Do - nellus § 17; dieſer ließt non re - manere und locum non habet, und erklärt ſo, daß die Klage auf das bloße amplius nicht gelte (non remanere), weil eben nur auf das Ganze geklagt werden könnte. Im Hintergrund liegt nun der (nicht ausgedrückte) Gedanke, die Klage auf das Ganze (Sim - plum und amplius) ſey wirklich zuläſſig, werde aber durch doli exceptio auf das amplius be - ſchränkt. — Gezwungener und we - niger befriedigend iſt die Erklärung, die ſich bey Thibaut S. 191 und Anderen findet, und zu deren Un - terſtützung noch einigermaßen die Emendation etsi simplo für et simplo dienen kann. Vgl. Schul - ting notae in Digesta, L. cit. . — Das Reſultat beider Erklä - rungen iſt völlig daſſelbe, allerdings aber empfiehlt ſich die erſte (wenn man einmal die Emendation locum habet zulaſſen will) durch größere Einfachheit.
Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz.
In allen Fällen dieſer Klaſſe kann die zweyte Klage ganz und mit vollſtändiger Wirkung angeſtellt werden, ob - gleich die erſte Klage ſchon mit vollem Erfolg gebraucht worden iſt.
Da dieſe Klaſſe einen blos negativen Charakter hat, ſo können dahin unzählige Fälle gerechnet werden, welche hier zu erwähnen Niemand den Gedanken haben wird; namentlich alle gleichzeitig unter verſchiedenen Perſonen beſtehende Klagen aus ganz verſchiedenen Rechtsgeſchäften. Wenn alſo hier manche Fälle noch beſonders erwähnt werden ſollen, ſo kann Dieſes nur bey ſolchen Bedürfniß ſeyn, worin der täuſchende Schein einer Concurrenz vor - handen iſt, welcher daher weggeräumt werden ſoll. Es werden dahin ſolche Klagen gerechnet werden müſſen, die einen gemeinſamen Entſtehungsgrund haben, unter denſel - ben Perſonen beſtehen, oder denſelben Namen führen, bey welchen aber dennoch eine Concurrenz nicht anzunehmen iſt, weil ihnen ein gemeinſchaftliches Object fehlt (§ 231).
A) Dahin gehört zuerſt der Fall eines Delicts, wor - aus neben einer Entſchädigungsklage eine reine Strafklage entſpringt. Beide Klagen ſind von einander ganz un - abhängig.
233§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)So die condictio furtiva und die furti actio aus dem - ſelben Diebſtahl, deren gegenſeitige Unabhängigkeit ſtets unbe - ſtritten war(a)L. 7 § 1 de cond. furt. (13. 1. ), L. 45. 46. 47 pr. pro soc. (17. 2. ), L. 34 § 2 de O. et A. (44. 7. ), L. 54 § 3 de furtis (47. 2.).. Eben ſo, nach der richtigeren Betrach - tung, die Injurienklage und die Aquiliſche Klage, wenn ein Sklave durch Schläge hart mishandelt war. Darin lag eine Injurie gegen den Herrn, und eine Beſchädigung des Eigenthums, die Injurienklage verfolgte eine Strafe, die Aquiliſche den Schadenserſatz(b)L. 15 § 46 de injur. (47. 10.). So war es unbeſtritten, wenn man in der Aquiliſchen Klage die Entſchädigung als das Überwie - gende betrachtete. Paulus freylich ſieht ſie in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7. ) vorzugsweiſe als Straf - klage an, und wendet daher auf dieſen Fall ganz unpaſſender Weiſe das Princip des bloßen amplius in der zweyten Klage an. Nach Ulpians Meynung kann auch dieſe Betrachtungsweiſe kein anderes Reſultat geben, wie ſich unten in dieſem §. zeigen wird..
Es liegt alſo hierin daſſelbe Princip, wie bey den ge - miſchten Pönalklagen. Die actio vi bonorum raptorum geht auf den einfachen Erſatz, und daneben, auf den drey - fachen Werth als Strafe(c)pr. J. de vi bon. rapt. (4. 2.). — Unter den früheren Ju - riſten freylich hatten Manche be - hauptet, das Vierfache ſey hier reine Strafe. Gajus IV. § 8.. Wie hier durch eine und dieſelbe Klage die Strafe noch außer der Entſchädigung gefordert wird, ſo in jenen Fällen durch verſchiedene Klagen.
B) Die Injurie gegen eine Ehefrau iſt zugleich eine Injurie gegen den Mann. Hier entſtehen aus derſelben Handlung zwey gleichnamige Strafklagen, deren jede von234Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem Erfolg der andern ganz unabhängig iſt(d)L. 1 § 9 de injur. (47. 10.) (Ulpian), L. 18 eod. (Paulus) L. 41 eod. (Neratius).. Die Be - ſtrafung jedes dieſer zwey Delicte iſt ein für ſich beſte - hendes Object.
C) Wenn Mehrere zugleich ſtehlen, ſo begeht Jeder den ganzen, vollen Diebſtahl, und der Umſtand, daß ihm Andere dabey helfen, verändert oder vermindert die Straf - barkeit ſeiner Handlung nicht. Daher geht gegen Jeden die furti actio auf die volle Strafe, wenngleich die Übri - gen ihre Strafe ſchon gezahlt haben, weil die Beſtrafung eines jeden dieſer Delicte ein ſelbſtſtändiges Object iſt (§ 211. b.).
D) Wenn Mehrere einen Sklaven gleichzeitig tödten, ſo daß man nicht ſagen kann, welcher vorzugsweiſe der Thäter ſey, ſo ſoll Jeder den vollen Betrag der Aquili - ſchen Klage zahlen, wie wenn er allein gehandelt hätte; hierin ſtimmten die Römiſchen Juriſten von alter Zeit her überein(d¹)L. 51 § 1 ad L. Aquil. (9. 2.). Idque est consequens auctoritati veterum: qui cum a pluribus idem servus ita vul - neratus esset, ut non appare - ret cujus ictu perisset, omnes lege Aquilia teneri judicave - runt.” L. 11 § 2 eod.. Die erſte Stelle iſt von Julian, die zweyte von Ulpian, der ſich dabey auf Julian beruft.. Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, hierin blos eine falſch angewendete Analogie der furti actio anzunehmen, indem es ſcheint, die reine Ent - ſchädigung dürfe nur einmal gefordert werden, die Straf - erhöhung habe jeder Thäter ganz zu zahlen. Allein durch folgende Betrachtung läßt ſich jene Entſcheidung der alten235§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Juriſten rechtfertigen. Das Geſetz erlaubt dem Beſchä - digten, jeden einzelnen Thäter ſo zu behandeln, wie wenn ſeine Handlung nicht jetzt, ſondern in irgend einer ver - gangenen Zeit des letzten Jahres geſchehen wäre. Durch dieſe zugelaſſene Fiction kommt man mit jedem einzelnen Thäter auf einen Zeitpunkt, in welchem der Andere nicht zugleich handelte, ſo daß deshalb er den vollen Betrag unverkürzt zahlen muß.
E) Wenn eine geſtohlene Sache dem Diebe von einem anderen Diebe wieder entwendet wird, ſo hat Jeder der - ſelben den Herrn der Sache beſtohlen, welcher daher zwey von einander unabhängige furti actiones erwirbt(e)L. 76 § 1 de furtis (47. 2.). „ … dominus igitur habe - bit cum utroque furti actionem, ita ut, si cum altero furti ac - tionem inchoat, adversus alte - rum nihilo minus duret: sed et condictionem: quia ex di - versis factis tenentur.” Zuerſt muß bemerkt werden, daß hier die Unabhängigkeit beider Klagen mit Recht nur für die furti actio, nicht für die Condiction, behaup - tet wird; denn wenn Ein Dieb die Entſchädigung bezahlt, wird auch hier der andere frey, eben ſo wie bey dem gemeinſchaftlichen Dieb - ſtahl. Die Hauptſchwierigkeit liegt aber in den Schlußworten, da ja bey dem gemeinſchaftlichen Dieb - ſtahl (idem factum) gleichfalls gegen jeden Dieb die Klage geht, und da beſonders bey jedem ein - fachen Diebſtahl die Condiction noch neben der furti actio be - ſteht, obgleich es gewiß idem fac - tum iſt. Der Gegenſatz, den hier Pomponius ausſchließen will, iſt die fortwährende, wiederholte Con - trectation von Seiten deſſelben Diebes. Dieſe gilt ſtets nur als idem factum, und es entſtehen daraus nie mehrere furti actiones oder mehrere Condictionen. Im Gegenſatz dieſes idem factum werden in unſrer Stelle die di - versa facta als entſcheidend an - gegeben. Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2 de furtis (47. 2.). Ähnliches gilt bey damnum. L. 32 § 1 L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.)..
F) Wenn dieſelbe Perſon an derſelben Sache mehrere Delicte zu verſchiedenen Zeiten begeht, ſo iſt gewiß die236Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Strafe eines jeden Delicts beſonders verwirkt, unabhän - gig von den übrigen Strafen(f)L. 2 pr. § 1. 2. 4. 5. 6 de priv. delictis (47. 1. ), L. 27 pr. ad L. Aquil. (9. 2.).. Auch die Entſchädi - gung für jedes einzelne Delict kann eine ganz ſelbſtſtän - dige Natur haben(g)L. 32 § 1 L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.). So z. B. wenn Jemand an demſelben Hauſe zu - erſt Fenſter einſchlägt, und zu einer andern Zeit das Dach beſchädigt.. Wenn jedoch die eine Entſchädi - gung ſchon den vollſtändigen Sachwerth umfaßt, ſo kann daneben nicht noch eine andere partielle Entſchädigung vorkommen(h)Weil ſonſt durch die nur zur Entſchädigung beſtimmte Klage eine Bereicherung entſtehen würde; dieſes gilt beſonders auch, wenn mehrere mixtae actiones auf dieſe Weiſe entſtehen, für den in jeder derſelben enthaltenen blos perſecutoriſchen Theil. Mit Recht bemerkt Göſchen Vorleſungen I. 462. 463, die Worte der L. 2 de priv. del. (Note f) ſeyen großen - theils ſo allgemein gefaßt, daß man ſie auch auf die Unabhängig - keit des perſecutoriſchen Theils be - ziehen könnte, ganz gegen die Ab - ſicht Ulpians, wie Dieſes beſonders aus dem § 3 derſelben Stelle klar hevorgeht.. Nur macht auch hier wieder die Aqui - liſche Klage durch ihre künſtliche Berechnung, worin eine Strafe enthalten ſeyn kann, eine Ausnahme(i)L. 2 § 3 de priv. delictis (47. 1.). Wird ein koſtbares Pferd zuerſt lahm geſchlagen (wodurch ſein Werth auf eine Kleinigkeit herab ſinken kann), und dann vor Ablauf eines Jahres getödtet, ſo muß der Thäter beynahe das Dop - pelte des urſprünglichen hohen Werthes bezahlen, weil das Inte - reſſe der Tödtung nach dem Werth zur Zeit des unverletzten Zuſtan - des berechnet wird. — Ganz eben ſo iſt es nun auch, wenn Einer einen Sklaven tödlich verwundet, ſo daß er nicht gerettet werden kann, ſpäter ein Anderer ihn wirk - lich tödtet. Hier zahlt Jeder das Ganze als einziger Todtſchläger, nur mit etwas verſchiedener Zeit - berechnung. L. 51 pr. § 2 ad L. Aquil. (9. 2. ), vgl. oben Note d1. .
G) Die in dieſem §. vorgetragenen Sätze waren größ - tentheils auch bey den Römiſchen Juriſten völlig unbeſtritten. 237§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz betreffende, Frage.
Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund - ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah - rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De - licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti - gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt (Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un - terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began - gen worden ſind (vgl. Note bb).
Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an - dere Anſichten haben, ſo liegt Dieſes an der häufigen,238Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aber ganz verwerflichen, Verwechslung des gleichen ma - teriellen Entſtehungsgrundes mit dem gleichen Gegenſtand der Klagen (§ 231), wodurch ſie dann ferner verleitet worden ſind, für dieſen Fall eine Prozeßconſumtion anzu - nehmen, die darin in der That nicht begründet iſt; ferner wurden ſie getäuſcht durch die ſcheinbare Ähnlichkeit des Verhältniſſes, worin mehrere Strafklagen zu einander ſte - hen, mit dem zwiſchen mehreren Entſchädigungsklagen; endlich auch durch die allerdings zweydeutige Natur der gemiſchten Strafklagen, deren beide Beſtandtheile jedoch ſtets mit Sicherheit unterſchieden werden können.
Über die wirklichen Meynungen der alten Juriſten ha - ben wir folgende Nachrichten. Modeſtin behandelt die - ſen Fall nach der für die erſte Klaſſe (§ 232) aufgeſtellten Regel, läßt alſo ſtets nur eine der mehreren Strafklagen zu. — Paulus behandelt ihn nach der Regel der zwey - ten Klaſſe (§ 233), geſtattet alſo, wenn eine Strafklage gebraucht iſt, auch noch eine zweyte, jedoch nur auf das amplius. — Papinian und Ulpian nehmen gar keine Concurrenz zwiſchen ſolchen Klagen an, laſſen alſo jeder derſelben ihre volle Wirkung auch neben den übrigen. Die - ſelbe Meynung hat Hermogenian, der zugleich die ſpä - tere allgemeine Anerkennung derſelben berichtet.
I. Modeſtin. Seine Meynung kommt in keiner ein - zelnen Anwendung vor, ſondern blos in folgender allge - mein ausgedrückten Regel(k)L. 53 pr. de O. et A. (44.7. ) aus Modestinus lib. 3 regularum. :239§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Plura delicta in una re plures admittunt actiones: sed non posse omnibus uti probatum est: nam si ex una obligatione plures actiones nascuntur, una tantummodo, non omnibus, utendum est.
Die Worte ex una re heißen offenbar ſo viel als ex eodem facto, wie der nachfolgende, abwechſelnd gebrauchte, Ausdruck ex una obligatione zeigt, in welchem obligatio die ſehr gewöhnliche Bedeutung der eine Obligation erzeu - genden Handlung hat. Hier iſt nun die Verwechslung des gemeinſamen Entſtehungsgrundes mit dem gemeinſamen ju - riſtiſchen Object recht augenſcheinlich. — Man könnte noch etwa glauben, Modeſtin habe ſich nur zu allgemein aus - gedrückt, und ſey daneben nicht abgeneigt geweſen, ſo wie Paulus, eine zweyte Klage auf das amplius zuzulaſſen. Allein Paulus ſelbſt erwähnt das Daſeyn einer ſolchen extremen Meynung, wie ſie hier dem Modeſtin zugeſchrie - ben wird, die alſo ſeiner eigenen entgegengeſetzt war(l)L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). „ .. sed quidam, al - tera electa, alteram consumi;” hier wird alſo geradezu die Pro - zeßconſumtion als Entſcheidungs - grund angeführt. Es iſt hier die Rede von der Injurienklage neben der Aquiliſchen, wegen eines ſchimpf - lich gepeitſchten fremden Sklaven.. Modeſtin alſo hatte dieſelbe ohne Zweifel von älteren Ju - riſten angenommen, auf welche hier Paulus anſpielt, ohne ſie zu nennen.
II. Paulus. Es iſt ſchon oben (§ 233) erwähnt wor - den, daß er den für die zweyte Klaſſe in der That gel - tenden Grundſatz, nach welchem jede noch übrige Klage240Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf das amplius angeſtellt werden kann, in zu ausgedehn - ter Weiſe ausdrückt; er faßt ihn nämlich ſo allgemein, daß derſelbe auch auf die Strafklagen Anwendung findet, wohin er in Wahrheit nicht paßt.
Er hat aber dieſe ſeine Meynung nicht blos in jenem allgemeinen Princip ausgeſprochen, ſondern auch ganz con - ſequent in folgenden einzelnen Anwendungen durchgeführt.
In einer andern Stelle ſoll er, wie man gewöhnlich annimmt, zwey Strafklagen vollſtändig neben einander gelten laſſen: die furti actio und die a. de rationibus distrahendis(p)L. 2 § 1 de tutelae (27. 3.).. Manche haben deshalb den Paulus als inconſequent getadelt, Andere haben eine Interpolation an - genommen. Beides ohne Grund, da die eben angeführte Klage gegen den untreuen Vormund in der That nicht241§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)als Strafklage von den alten Juriſten angeſehen wird (§ 212).
III. Nach der richtigern Meynung, die auch bey den Römern zuletzt geſiegt hat, können alle Strafen neben ein - ander unvermindert zur Anwendung kommen.
Papinian ſpricht dieſe Meynung in folgender An - wendung aus. Wenn eine fremde Sklavin ſtuprirt wird, ſo gilt die Aquiliſche, die Injurienklage, und die a. servi corrupti, und zwar alle neben einander(q)L. 6 ad L. Jul. de adult. (48. 5.). „ .. nec propter plu - res actiones parcendum erit in hujusmodi crimine reo.” Gö - ſchen Vorleſungen I. S. 459 hält es für eine Eigenthümlichkeit gerade dieſes ſchweren Vergehens, da auch das Intereſſe unverkürzt mehrmals bezahlt werden ſolle. Das Letzte wird indeſſen nicht geſagt, zwey dieſer Klagen konn - ten auch wohl auf ein verſchieden - artiges Intereſſe gehen (vgl. L. 11 § 2 de servo corr. 11. 3. ), und das nec parcendum geht mehr auf eine Häufung der Strafen, als auf eine ſonſt ungewöhnliche mehrfache Entrichtung des Inte - reſſe. Die Worte in hujusmodi crimine ſollen nicht ein beſonders ſchweres Verbrechen bezeichnen (wel - ches nach Römiſchen Begriffen in jener Handlung gar nicht enthal - ten war), ſondern eben nur den Fall mehrerer Delicte, die in einer und derſelben Handlung vereinigt ſind..
Ulpian ſpricht dieſe Meynung theils als allgemeine Regel aus, theils in einzelnen Anwendungen. Als allge - meine Regel in folgenden zwey Stellen: Nunquam actiones poenales de eadem pecunia con - currentes alia aliam consumit(r)L. 60 de O. et A. (44. 7) aus Ulpian. lib. 17 ad ed. .
In dieſer Stelle liegt der entſchiedenſte Widerſpruch gegen die Meynung des Paulus über das amplius. Denn wenn die mehreren Strafklagen auf eadem pecunia (gleicheV. 16242Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Summe) gehen, ſo muß jede derſelben durch den Gebrauch der andern, nach Paulus, völlig ausgeſchloſſen werden. — Der Ausdruck consumit könnte mit beſonderer Hinſicht auf die Prozeßconſumtion gewählt ſeyn, die alſo hier verneint werden ſollte, doch läßt ſich Dieſes mit Sicherheit nicht behaupten, da derſelbe Ausdruck auch die materielle Con - ſumtion, durch die vermittelſt der erſten Klage bewirkte Zahlung, bezeichnen kann(s)Keller Litisconteſtation S. 483. 494..
Die zweyte Stelle lautet ſo: Nunquam actiones, praesertim poenales, de eadem re concurrentes, alia aliam consumit(t)L. 130 de R. J. (50. 17. ), aus Ulpian. lib. 18 ad ed., alſo aus demſelben Werk wie die in der Note r. angeführte Stelle, und ſelbſt aus einem ganz nahe lie - genden Abſchnitt dieſes Werks..
Dieſe Stelle iſt, nach ihrem Wortlaut, der vorherge - henden ſo auffallend ähnlich, daß man auch den Sinn für völlig gleich halten möchte; und dennoch iſt dieſer ſehr verſchieden. Denn da ſie von allen Klagen ſpricht, nicht blos von den Strafklagen, ſo konnte Ulpian unmöglich ſa - gen wollen, daß dieſe, wenn ſie auf daſſelbe Object giengen, einander niemals conſumirten, da ja bey den Ent - ſchädigungsklagen dieſer Art gerade das Gegentheil als Regel anzunehmen iſt (§ 232). Selbſt dadurch wird die - ſem Bedenken nicht abgeholfen, wenn man etwa das vor - zügliche Gewicht auf die Prozeßconſumtion legen wollte, die hier verneint werden ſollte, und auf welche das Wort243§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)consumit bezogen werden könnte(u)Die Unſicherheit dieſer Be - ziehung iſt ſchon bey der vorher - gehenden Stelle bemerkt worden. Vgl. Keller Litisconteſtation S. 483. 494.. Denn aus der Cor - realſtipulation entſtanden gerade zwey Klagen auf daſſelbe Object, und bey ihr trat die Prozeßconſumtion ganz ent - ſchieden ein. Daher müſſen die Worte: de eadem re er - klärt werden von dem gemeinſamen Entſtehungs - grund (wie ex eodem facto), und auch für dieſen iſt Ulpians Behauptung nur ſo zu verſtehen, daß die gemein - ſame Entſtehung für ſich allein niemals ein Grund der Prozeßconſumtion ſeyn ſoll(v)Die Worte de eadem re haben alſo hier einen ganz ande - ren Sinn, als in der oben § 232 a. angeführten Stelle deſſelben Ul - pian die Worte ejusdem rei no - mine. Dieſe verſchiedene Erklä - rung ſo ähnlich lautender Worte, wenn ſie auch auf den erſten Blick auffallen mag, erſcheint doch des - wegen als durchaus nothwendig, weil Ulpian in beiden Stellen ganz entgegengeſetzte Entſcheidungen giebt.. Nun liegt der nicht aus - gedrückte Gedanke im Hintergrund: die folgende Klage werde nur ausgeſchloſſen bey gemeinſamen Object, und auch dabey ſehr häufig nicht auf dem Wege der Prozeß - conſumtion. Beſonders bekommt durch dieſe Erklärung der Ausdruck praesertim poenales einen beſtimmten und guten Sinn, denn von den Pönalklagen kann man ſagen, daß ſtets eine noch nach der andern angeſtellt werden könne, und namentlich nie die Prozeßconſumtion eintrete, von den Entſchädigungsklagen iſt es nur theilweiſe wahr; die - ſer Unterſchied beider Arten der Klagen wird durch das Wort praesertim angedeutet(w)Die hier gegebene Erklä - rung findet ſich im Weſentlichen. — Es iſt übrigens zu16*244Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bemerken, daß die hier erklärte Stelle des Ulpian wörtlich in die Inſtitutionen aufgenommen worden iſt(x)§ 1 J. si quadrupes (4. 9.). Die Regel wird hier angeführt, um die Unabhängigkeit zweyer Klagen aus derſelben Thatſache zu begründen, unter welchen die eine auf Entſchädigung, die andere auf Strafe geht., und auch dieſer Umſtand kann zur Unterſtützung der Behauptung dienen, daß die von Ulpian über jene controverſe Frage vorgetragene Meynung zugleich als die in unſren Rechts - büchern gebilligte anzuſehen iſt.
Die einzelnen Fälle, worin Ulpian die von ihm aufge - ſtellte allgemeine Regel zur Anwendung bringt, ſind fol - gende:
1) Die Aquiliſche und die Injurienklage, wenn ein fremder Sklave gepeitſcht, oder eine fremde Sklavin ſtu - prirt worden iſt(y)L. 15 § 46 de injur. (47. 10. ), L. 25 eod. — Weſentlich dieſelbe Meynung führt Paulus an in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). „ alii … si ante injuriarum ac - tum esset, teneri eum ex lege Aquilia.” Daß die hier ange - führten ungenannten Juriſten für den umgekehrten Fall, wenn die Aquiliſche Klage zuerſt angeſtellt war, die Injurienklage ganz ver - ſagten, beruhte bey ihnen nicht auf einem Zweifel an dem Princip, ſondern auf einem ganz indivi - duellen Bedenken wegen der For - mel der Injurienklage, worin die Worte bonum et aequum ſtan - den, von welchen Jene glaubten, daß ſie dem Gebrauch der Klage nach ſchon eingeklagter Entſchädi - gung im Wege ſtänden..
2) Die a. vi bonorum raptorum neben der furti actio oder der Aquiliſchen Klage, wenn Sachen entweder ge - raubt, oder durch eine Bande (coactis hominibus) beſchä - digt worden ſind(z)Zwar die L. 2 § 26 vi bon. rapt. (47. 8) erwähnt nur die Coexiſtenz dieſer und noch anderer Klagen, ohne die Art ihrer Con -.
(w)ſchon bey Göſchen Vorleſungen I. S. 460.
245§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)3) Die furti actio und die Aquiliſche Klage, wenn einem Sklaven die Kleider geſtohlen wurden, und der Ent - kleidete vor Kälte geſtorben iſt(aa)L. 14 § 1 de praescri - ptis verbis (19. 5.)..
4) Die furti actio und a. servi corrupti, wenn Jemand einen fremden Sklaven zu einem Diebſtahl beredet(bb)L. 11 § 2 de servo cor - rupto (11. 3.). — Dieſer Fall kann wieder zu einer beſondern Unterſtützung der hier vertheidig - ten Meynung dienen. Ulpian ſcheint blos an den Fall zu den - ken, da der Diebſtahl gegen den eigenen Herrn des beredeten Skla - ven begangen wird, ſo daß beide Klagen in demſelben Kläger verei - nigt ſind. Iſt nun aber der Dieb - ſtahl gegen einen Dritten began - gen, ſo wird wohl Niemand zwei - feln, daß die beiden Klagen von den zwey verſchiedenen Klägern unverkürzt angeſtellt werden kön - nen, eben ſo wie es bey den bei - den Injurienklagen (Note d) von Allen eingeräumt wird. Was je - doch in dem Fall der zwey ver - ſchiedenen Kläger gilt, kann nicht ohne augenſcheinliche Inconſequenz für den Fall deſſelben Klägers verſagt werden..
Hermogenian endlich erklärt ſich für die von Pa - pinian und Ulpian vorgetragene Meynung in folgender Stelle(cc)L. 32 de O. et A. (44. 7) aus Hermogenianus lib. 2 juris epitom. : Cum ex uno delicto plures nascuntur actiones, si - cut evenit cum arbores furtim caesae dicuntur, om - nibus experiri permitti, post magnas varietates ob - tinuit.
Ich ſehe dieſe Stelle als ganz entſcheidend, gleichſam als das letzte Wort der Juſtinianiſchen Geſetzgebung an;(z)currenz zu beſtimmen; allein L. 2 § 10 eod. ſagt ausdrücklich: „ Ce - terum neque furti actio, neque legis Aquiliae, contributae sunt in hoc edicto” …, das heißt ihre Strafen gelten noch außer der durch dieſes Edict beſtimmten Strafe.246Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht, weil Hermogenian der neueſte unter allen hier an - geführten Juriſten iſt, welches an ſich nicht entſcheidend ſeyn würde, ſondern weil er die in den vorhergehenden Stellen dargeſtellte große Controverſe ſelbſt erwähnt (post magnas varietates), und nun die wichtige Thatſache hinzu - fügt, daß zuletzt die (von Ulpian vertheidigte) ſtrengere Meynung allgemein anerkannt worden ſey (obtinuit). Her - mogenian erſcheint alſo hier nicht als eine einzelne Stimme über jene Frage abgebend, ſondern als die Thatſache je - nes Streites und der Beendigung deſſelben erzählend. In - dem wir nun dieſe Stelle mit den vielen, oben angeführ - ten, großentheils widerſprechenden, Stellen, als ein Gan - zes zuſammen faſſen, ſo erſcheint dieſer Fall als ein ſolcher, worin uns Juſtinian ein Stück Rechtsgeſchichte mittheilen wollte, indem er nicht nur die aus langem Streit als ſie - gend hervorgegangene Regel in ſeine Sammlung aufnahm, ſondern auch die in früherer Zeit ſtreitenden Meynungen ſelbſt, in einer bedeutenden Zahl von Zeugniſſen darſtellte, woraus der Sinn der letzten Entſcheidung um ſo klarer hervortreten mußte. Demnach ſind die oben angeführten Stellen des Modeſtin und des Paulus blos als Mittel zu hiſtoriſcher Belehrung über die allmälige Entwicklung der vorliegenden Rechtsregel anzuſehen(dd)Vgl. oben B. 1 § 44. s., wo dieſe Art der vereinigenden Auslegung als Princip aufgeſtellt iſt. — Eine etwas abweichende Meynung über die hier vorliegen - de beſondere Frage hat Göſchen Vorleſungen I. S. 456. 460. 461. Er legt der Stelle des Hermoge - nian nicht die Wichtigkeit bey, die ich ihr hier zuſchreibe, und hält es für ganz zweifelhaft, welche der beiden entgegengeſetzten Regeln.
247§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Anſicht wird noch durch folgende Umſtände beſtätigt.
Einen der Fälle, worin Ulpian ſeine Meynung aus - ſprach (Note bb), nämlich die furti actio neben der a. servi corrupti, hat Juſtinian ſelbſt, und zwar völlig auf dieſelbe Weiſe wie Ulpian, entſchieden, nämlich dahin daß beide Klagen unverkürzt nach einander angeſtellt werden kön - nen(ee)L. 20 C. de furtis (6. 2 ), § 8 J. de oblig. ex delicto (4. 1.).. Damit iſt alſo unverkennbar ausgedrückt, welche unter den früher ſtreitenden Meynungen Juſtinian ſelbſt als die richtige anſah.
Weſentlich dieſelbe Frage, wie bey den Privatſtrafen, kommt auch bey den öffentlichen Strafen vor, wenn die - ſelbe Handlung das Weſen verſchiedener öffentlicher Ver - brechen in ſich vereinigt. Hier nun iſt ganz entſchieden, und ſogar ohne Spur eines früheren Zweifels, die Regel aufgeſtellt, daß alle verwirkte Strafen neben einander an - gewendet werden ſollen(ff)L. 9 C. de accus. (9. 2.). Die Stelle iſt oben abgedruckt § 231. b. . Es würde aber eine augen - ſcheinliche Inconſequenz ſeyn, hierin für die öffentlichen Strafen eine andere Regel, als für die Privatſtrafen, gelten laſſen zu wollen.
(dd)man als wahre Regel anzuſehen habe. Wie man ſich aber auch hierüber entſcheide, ſo müßten doch die in entgegengeſetzten einzelnen Entſcheidungen in den Digeſten, als Ausnahmen neben der ange - nommenen Regel anerkannt wer - den. — Dieſes Letzte kann ich am Wenigſten einräumen, da keine einzige dieſer Stellen die Natur einer Ausnahme an ſich trägt, ſon - dern vielmehr jede nur dazu be - ſtimmt iſt, die von ihrem Verfaſ - ſer angenommene Regel auf einen einzelnen Fall anzuwenden.
248Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Indeſſen muß doch zu der hier als richtig angenom - menen Meynung folgende Beſchränkung hinzugefügt werden. Wenn zwey Klagen aus demſelben Delict neben einander vorkommen, deren jede aus Entſchädigung und Strafe ge - miſcht iſt, ſo gilt die vollſtändige Cumulation nur für die in jeder enthaltene reine Strafe; die Entſchädigung dage - gen, die durch die erſte Klage bereits bewirkt worden iſt, kann durch die zweyte nicht noch einmal gefordert werden. Dieſes gilt namentlich von dem bey Hermogenian erwähn - ten Fall, der Aquiliſchen Klage neben der a. arborum fur - tim caesarum; das Intereſſe braucht nur einmal bezahlt zu werden, aber die Straferhöhung kommt aus jeder der beiden Klagen vollſtändig zur Anwendung. Hermogenian hat Dieſes allerdings nicht ausgedrückt, es muß alſo ſei - ner Regel die Einſchränkung hinzugefügt werden: inſo - weit jede dieſer mehreren Klagen auf reine Strafe geht. Daß Papinian und Ulpian dieſe Einſchränkung nicht ausſprechen, erklärt ſich daraus, daß in den meiſten Colliſionsfällen zwey gemiſchte Klagen gar nicht vorkom - men, indem die eine Klage (wie die Injurienklage und die furti actio) eine reine Strafklage iſt; zugleich auch dar - aus, daß ſie ihre Aufmerkſamkeit nur auf Dasjenige rich - teten, welches allein controvers geweſen war, nämlich die Cumulation mehrerer Strafen. Ulpian überdem deutet auf jene Einſchränkung vernehmlich genug hin, indem er in der beſtimmteſten Stelle (Note r) nur von actiones poenales ſpricht; und auch bey Hermogenian liegt eine249§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Hindeutung darauf in der Erwähnung der großen Strei - tigkeiten, die ſich, ſo viel wir wiſſen, nur auf die Colliſion der Strafen bezog. — Die Richtigkeit der hier aufge - ſtellten Beſchränkung folgt nothwendig aus allem Demje - nigen, was bey der erſten und zweyten Klaſſe über die Behandlung der wahren Concurrenz ausgeführt worden iſt (§ 232. 233). Dort beruhte die totale oder partielle Aus - ſchließung der nachfolgenden Klage nicht etwa auf einer poſitiven, aus bloßer Schonung entſprungenen, Vorſchrift, ſondern aus der natürlichen Regel, daß ein ſchon vergü - teter Schade nicht mehr zu vergüten möglich iſt, daß alſo eine wiederholte Bezahlung die der Entſchädigung ganz fremde Natur einer Bereicherung, hier alſo zugleich einer Strafe, annehmen würde. Dieſe natürliche Regel aber kann nicht von der Anwendung durch den ganz zufälligen Umſtand ausgeſchloſſen werden, daß manche Klagen neben der Entſchädigung auch noch eine wahre Strafe verfol - gen. Vielmehr muß alsdann jeder dieſer beiden Beſtand - theile der Klage nach der ihm eigenthümlichen Regel be - handelt werden. Ganz entſcheidend aber für die Richtig - keit der hier aufgeſtellten Behauptung ſcheint mir der Umſtand, daß bey der Concurrenz der Aquiliſchen mit einer Contractsklage von allen alten Juriſten ohne Ausnahme anerkannt wird, die Aquiliſche könne nach der andern Klage höchſtens noch auf das amplius angeſtellt werden; ſo weit ſie auf reine Entſchädigung gehe, ſey ſie abſor - birt (§ 233). Was ſie nun für dieſen Fall als unzwei -250Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.felhaft anerkennen, müſſen ſie nothwendig auch gelten laſ - ſen, bey der Concurrenz der Aquiliſchen Klage mit der a. vi bonorum raptorum oder arborum furtim caesarum, für denjenigen Beſtandtheil der beiden concurrirenden Kla - gen, welcher die reine Entſchädigung zum Gegenſtand hat. — In dieſer Einſchränkung liegt gewiſſermaßen eine An - näherung an die Meynung des Paulus, und zugleich eine neue Erklärung der Entſtehung dieſer Meynung. Indem nämlich Paulus bey ſeinen Gegnern dieſe Einſchränkung nicht ausgedrückt ſah, und doch das Bedürfniß derſelben empfand, kam er dahin, ſie nicht nur auszudrücken, ſon - dern nun auch zu übertreiben, indem er ſie ſelbſt auf die reine Strafe in zwey verſchiedenen Klagen anwendete, wohin ſie allerdings nicht gehört.
Der in dieſem §. abgehandelte Fall der Colliſion zwi - ſchen mehreren Strafgeſetzen darf nicht verwechſelt wer - den mit einer anderen Colliſion dieſer Art, die mit je - ner nur eine äußerliche Ähnlichkeit hat. Wir ſetzten hier voraus das vereinigte Daſeyn mehrerer Delicte in einer und derſelben materiellen Handlung. Nun kommt es aber auch häufig vor, daß für daſſelbe Vergehen oder Verbrechen mehrere Strafgeſetze aus verſchiedenen Zeiten vorhanden ſind, und es entſteht, eben ſo wie bey der Klagenconcurrenz, die Frage, ob die in jenen Geſetzen enthaltenen Strafen vereinigt werden ſollen, oder ob nur eine derſelben anzuwenden iſt. Das Princip, welches oben251§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)für die Concurrenz aufgeſtellt wurde, paßt auf dieſen Fall gar nicht, ja es läßt ſich für denſelben gar kein Princip aufſtellen, da Alles auf den wahren Sinn des neueſten Strafgeſetzes ankommt, welcher ſehr verſchieden ſeyn kann. Gewöhnlich wird das neueſte Geſetz dazu beſtimmt ſeyn, an die Stelle der früheren zu treten, und alſo allein zu gelten, ſo daß darin keine Colliſion mit älteren Geſetzen, ſondern die Abſchaffung derſelben, enthalten iſt. Dieſer Fall wird vorausgeſetzt in einem Senatsſchluß, welcher verbot: ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus fieret(gg)L. 14 de accus. (48. 2), ſ. o. § 231. b. ; daſſelbe kommt auch bey manchen Privatde - licten vor(hh)Über körperliche Beſchädi - gungen beſtanden ältere Geſetze, die durch die Einführung der L. Aquilia aufgehoben wurden. L 1 pr. ad L. Aquil. (9. 2.). — Das furtum manifestum wurde nach dem älteren Recht mit der Addi - ction beſtraft; der Prätor führte eine Privatſtrafe (des vierfachen Werthes) ein, und dadurch wurde jene harte Strafe aufgehoben. Ga - jus III. § 189. IV. § 111.. — Bey mehreren Privatdelicten erſcheint da - gegen der ganz andere Fall, daß ſpäterhin auch eine An - klage auf öffentliche Strafe zugelaſſen wurde, jedoch ſo daß nicht beide Strafen zugleich gelten ſollten, ſondern nur eine derſelben, und zwar nach der Wahl des Verletzten(ii)Im Allgemeinen ſpricht von dieſem Wahlrecht L. 3 de priv. delictis (47. 1.).. Dieſes ſehr zweckmäßige Wahlrecht wurde beſonders ge - ſtattet bey dem Diebſtahl(kk)L. 56 § 1 L. 92 de fur - tis (47. 2.)., und bey der Injurie(ll)§ 10 J. de injur. (4. 4 ), L. 35. 45 de injur. (47. 10.). — Schon früher galt im Fall des libellus daſſelbe Wahlrecht zwi - ſchen der Privatklage und dem für dieſen Fall zuläſſigen publicum judicium. L. 6 de injur. (47. 10.).. —252Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Allein ganz allgemein war dieſes Wahlverhältniß zwiſchen öffentlicher und Privatſtrafe nicht; die Publicanen ſollten für ihre Delicte eine Privatſtrafe erleiden, und daneben ſollte noch eine öffentliche Strafe eintreten(mm)L. 9 § 5 de publicanis (39. 4.). „ Quod illicite .. ex - actum est, cum altero tanto passis injuriam exsolvitur: per vim vero extortum cum poe - na tripli restituitur: amplius extra ordinem plectuntur. Al - terum enim utilitas privatorum, alterum vigor publicae disci - plinae postulat.” Der Grund lag alſo hier in dem beſonderen Verhältniß, worin die Publicanen zum Staate ſtanden..
Bisher iſt die Regel ausführlich dargeſtellt worden, daß, in den Fällen wahrer Concurrenz, eine früher ge - brauchte Klage die ſpätere ausſchließt, und zwar bald ganz (§ 232), bald nur theilweiſe (§ 233). Es iſt nun - mehr zu unterſuchen, Was eigentlich in der früheren Klage dieſe zerſtörende Kraft hat, und durch welche Rechts - formen der Zweck dieſer Zerſtörung bewirkt wird. Bei - des hatte im älteren Recht viele Verwicklungen und Schwie - rigkeiten, iſt aber im neueſten Recht ſehr einfach geworden.
Die erſte Frage iſt leicht zu beantworten aus dem oben für die Concurrenz aufgeſtellten Grundſatz, daß das ſchon Erlangte nicht mehr mit einer Klage gefordert wer - den kann (§ 231. 232).
(ll)— Im heutigen Recht iſt dieſe Wahl noch weiter ausgedehnt auf Abbitte, Ehrenerklärung, oder Wi - derruf.
253§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer - ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution, oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung der Klage und des Urtheils.
Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem rechtskräftigen Urtheil als ſolchem(a)Manche haben für das Ju - dicat das Gegentheil behauptet, weil ja nun der Kläger durch die actio judicati das ſichere Mittel der Befriedigung habe, welches der Befriedigung ſelbſt gleich gelte. Donellus § 8. Dieſes iſt nun offenbar unrichtig, wenn die con - currente Klage gegen einen Andern als den zuerſt Verurtheilten ange - ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge - meinſchaftlich betrogen haben, wes - halb die doli actio gegen Jeden in solidum geht), da der Verur - theilte inſolvent ſeyn kann. Aber auch bey demſelben Beklagten iſt kein Grund vorhanden, dem bloßen Judicat jene Kraft zur Ausſchlie - ßung einer concurrenten Klage ein - zuräumen, da es in der Macht des Verurtheilten ſteht, das Judicat freywillig zu erfüllen, in welchem Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt. Auch ſelbſt wo die alte Prozeß - conſumtion eintrat, reichte doch die exc. rei judicatae nicht wei - ter, als ſchon vorher die exc. rei in judicium deductae. Es gilt alſo hierin durchaus derſelbe Grund, aus welchem die Auflöſung des Pfandrechts vermittelſt der Verur - theilung des Schuldners verneint wird. L. 13 § 4 de pign. act. (13. 7.). „ Nec per hoc videtur satisfactum creditori, quod ha - bet judicati actionem. ” — Thi - baut S. 156 vertheidigt auch die hier aufgeſtellte Meynung, aber mit einem nicht befriedigenden Grund., ſo lange aus die - ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt.
Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge - genſatz in folgenden Worten aus: perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non254Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.electione; solutione, non litiscontestatione; ut magis eos perceptio, quam intentio liberet(b)L. 4 de his qui effud. (9. 3. ), L. 7 § 4 quod falso (27. 6. ), L. 18 § 3 de pec. const. (13. 5. ), L. 32 pr. de pecul. (15. 1. ), L. 35 § 1 loc. (19. 2.)..
Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt jedoch nur unter folgenden Einſchränkungen als wahr anzunehmen.
Erſtlich war er durch die alte Prozeßconſumtion ver - drängt, da wo unter den Obligationen mehrerer Schuld - ner wahre Identität vorhanden war, insbeſondere bey Cor - realſchuldnern, wohin auch der Bürge neben dem Haupt - ſchuldner gehörte (§ 232. t.). War in einem ſolchen Fall der eine verklagt, ſo wurde durch die Litisconteſtation dieſe ganze Obligation conſumirt, ſo daß weder gegen den - ſelben Schuldner die Klage wiederholt, noch gegen den Mitſchuldner die concurrente Klage (die ja auch nur die - ſelbe war) angeſtellt werden konnte, ſelbſt wenn der zuerſt Verklagte inſolvent ſeyn mochte, wodurch alſo dieſes Ver - hältniß für den Glaubiger ſehr gefährlich werden konnte(c)In dieſen Fällen alſo wurde, im directen Widerſpruch mit den oben im Text (bey Note b) mit - getheilten Ausdrücken, geſagt: pe - titione unius, tota solvitur ob - ligatio; si ex altera earum egerit, utramque consumet … cum altera earum in judicium deduceretur, altera consume - retur. L. 2 de duob. reis (45. 2. ), L. 16 eod., L. 5 in f. de fide - juss. (46. 1.). — Solche einzelne Spuren des früheren Rechtszu - ſtandes haben ſich in die Digeſten freylich nur aus Unachtſamkeit der Compilatoren verirrt.. Gegen dieſe aller Billigkeit widerſtrebende Härte ſuchte man ſich oft durch beſondere Verträge zu ſchützen(d)Z. B. indem der Bürge nicht dieſelbe Summe wie der Haupt - ſchuldner verſprach, ſondern in die - ſer Formel verpflichtet wurde: quanto minus ab illo consequi potero, dare spondes? L. 116 de V. O. (45. 1.). Nun ſtanden; in255§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)anderen Fällen ſchützte dagegen der Prätor durch Reſtitu - tionen und manche andere Mittel(e)Keller Litisconteſtation § 61 fg.. Was aber ſo künſt - liche Gegenwehr nöthig machte, zeigte ſich dadurch, auch dem Princip nach, als mangelhaft. Und ſo verdient Ju - ſtinian gewiß Lob, indem er das Princip für die Haupt - fälle, nämlich für die Correalſchuldner, und eben ſo für die Bürgen neben dem Hauptſchuldner, völlig aufhob(f)L. 28 C. de fidejuss. (8. 41.). Ganz conſequent heißt es nunmehr in Juſtinians Inſtitu - tionen: „ alter debitum accipien - do, vel alter solvendo, totam perimit obligationem et omnes liberat.” § 1 J. de duob. reis (3. 16.). Daraus iſt auch in L. 8. § 1 de leg. 1. (30. un. ), als au - genſcheinliche Interpolation, der Zuſatz entſtanden: „ et solutum.” Ribbentrop S. 42.. Die übrigen Fälle identiſcher Obligationen hat er nicht ausdrücklich erwähnt, es iſt aber kein Zweifel, daß bey ihnen, eben ſo wie in jenen Fällen, die alte Strenge ver - ſchwinden ſollte(g)In den Fällen bloßer So - lidarität, und in den noch ent - fernteren Fällen gemeinſchaftlicher Haftung § 232, galt jenes ſtrenge Princip auch in der früheren Zeit niemals. L. 1 § 43 depos. (16. 3 ), L. 52 § 3 de fidejuss. (46. 3 ), L. 23 C. eod. (8. 41.). Bey der constituta pecunia war die An - wendbarkeit beſtritten (§ 231. g.). — Übrigens kommt die auf wahre Identität der Obligation gegrün - dete Prozeßconſumtion zwar am häufigſten und reinſten bey meh - reren Schuldnern oder mehre - ren Glaubigern vor, ſie findet ſich aber doch auch zwiſchen denſelben Perſonen, und hat dann dieſelbe Wirkung der Prozeßconſumtion. So z. B. in L. 1 § 21 tutelae (27. 3.). „ In tutela ex una obligatione duas esse actiones constat” rel. Es hat keinen Zweifel, daß auch für dieſe Fälle die Prozeßconſum - tion wegfallen muß. Vgl. oben § 232. l. . Ja, wer etwa Dieſes aus buchſtäb - licher Ängſtlichkeit bezweifeln wollte, weil es nicht aus - drücklich geſagt iſt, müßte doch durch den Umſtand völlig(d)nicht beide in einer identiſchen Ob - ligation.256Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.beruhigt werden, daß das Princip der Prozeßconſumtion ſelbſt, worauf ſich die Aufhebung bezog, aus dem Juſti - nianiſchen Recht durch bloßes Stillſchweigen vertilgt worden iſt, ſo daß wir ſein früheres Daſeyn und ſeine wichtige Bedeutung nur erſt durch Gajus erfahren haben.
Zweytens giebt es mehrere Rechtsverhältniſſe, in wel - chen dem Berechtigten geradezu ein Wahlrecht zwiſchen mehreren Klagen gegeben iſt, ſo daß in der That durch die bloße Anſtellung der einen Klage, ohne Rückſicht auf den Erfolg, die andere abſorbirt iſt. Dieſe Fälle haben alſo eine äußere Ähnlichkeit, ſowohl mit der alten Pro - zeßconſumtion, als mit der Klagenconcurrenz; dennoch ſind ſie von beiden weſentlich verſchieden. Bey den allermeiſten Fällen dieſer Art iſt die Grundverſchiedenheit ſchon da - durch unverkennbar, daß die der Wahl überlaſſenen Kla - gen auf ganz verſchiedene Objecte gerichtet ſind, ſo daß es vielmehr eine Wahl zwiſchen mehreren Rechten, als zwiſchen Klagen, genannt werden muß. Dieſe Fälle ha - ben eine ganz iſolirte Natur, und beruhen auf keinem ge - meinſamen Princip, namentlich nicht auf dem hier darge - ſtellten Princip der Concurrenz. Sie hier zu erwähnen, iſt deswegen nöthig, damit der nicht ſeltenen Einmiſchung derſelben in die Lehre von der Concurrenz, wohin ſie nicht gehören, vorgebeugt werde. Indem ich ſie hier in einer Überſicht zuſammenſtelle, will ich für die Vollſtändigkeit dieſer Aufzählung nicht einſtehen.
1) Wenn bey einem, unter der lex commissoria ge -257§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſchloſſenen Kauf, der Zahlungstag nicht eingehalten iſt, ſo hat der Verkäufer die Wahl, mit der actio venditi ent - weder das Kaufgeld einzuklagen, oder aus dem Neben - vertrag die Sache zurück zu fordern. Stellt er die eine dieſer Klagen an, ſo kann er nicht mehr zu der anderen zurück kehren(h)L. 7 de lege comm. (18. 3.).. — Hier iſt es ſogar die gleichnamige Klage, womit er beide Anſprüche verfolgt; aber dieſe An - ſprüche haben nicht nur einen verſchiedenen Inhalt, ſon - dern ſie ſtehen zu einander in einem widerſprechenden, alſo ausſchließenden, Verhältniß.
2) Ganz Daſſelbe gilt von der Wahl zwiſchen der a. redhibitoria und quanti minoris(i)L. 18 pr. L. 19 § 6 de aedil. ed. (21. 1 ), L. 25 § 1 de exc. rei jud. (44. 2.)..
3) Eben ſo, wenn Sklaven ihrem Herrn Geld ſtehlen, und einem Dritten (der darum weiß) Auftrag geben, Sa - chen dafür zu kaufen; der Herr hat die Wahl, entweder die Klagen aus dem Diebſtahl gegen den Dritten anzu - ſtellen, oder den Kauf zu genehmigen, und mit der ihm durch ſeine Sklaven erworbenen a. mandati die gekauften Sachen zu fordern(k)L. 1 C. de furtis (6. 2.)..
4) Bey einem Teſtament mit der Codicillarclauſel hat der Eingeſetzte die Wahl zwiſchen der hereditatis petitio und der Fideicommißklage(l)L. ult. C. de codicillis (6. 36.).; auch hier ſind es zwey Rechte, die ſich gegenſeitig ausſchließen.
5) Wer Geld zahlt, um ſich von einem ungerechtenV. 17258Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Prozeß loszukaufen, hat die Wahl zwiſchen der Condiction auf das gegebene Geld, und der Strafklage auf den vier - fachen Werth(m)L. 5 § 1 de calumn. (3. 6. ), Eine andere Anomalie bey derſel - ben Strafklage iſt ſchon oben be - merkt worden § 230. d. . Beide Objecte ſind völlig verſchieden und könnten ſehr wohl neben einander beſtehen.
6) Wenn der Commodatar die geliehene Sache ſtehlen läßt, ſo hat der Eigenthümer die Wahl zwiſchen der a. commodati und der furti actio gegen den Dieb(n)L. 20 C. de furtis (6. 2 ), § 10 J. de obl. quae ex del. (4. 1.).; beide Objecte ſind hier völlig verſchieden.
7) Der Legatar hat die Wahl zwiſchen einer Klage in rem und in personam(o)L. 76 § 8 de leg. 2 (31. un. ), L. 84 § 13 de leg. 1 (30. un.). ; die Rechte ſelbſt ſind zu - nächſt ganz verſchieden, obgleich der letzte Zweck und Er - folg derſelbe iſt.
8) Wird einem Reiſenden eine Sache in einem Gaſt - hauſe geſtohlen, ſo hat Derſelbe die Wahl zwiſchen der a. de receptis und der Klage gegen die Thäter, ſo daß durch die bloße Wahl ſowohl die Condiction, als die furti actio ausgeſchloſſen iſt(p)L. 3 § 5 L. 6 § 4 nautae (4. 9 ), L. 1 § 3 furti adv. nau - tas (47. 5.). Nach allgemeinen Grundſätzen müßte die Klage ge - gen den Wirth und die furti actio neben einander gelten (§ 234); ihr Verhältniß zu der Condiction ge - gen den Dieb müßte von dem Erfolg abhängen (§ 232.). — Nach den oben angeführten Stellen kann jedoch der Wirth, wenn er belangt wird, Ceſſion der Klage gegen den Thäter verlangen.. Dieſes eigenthümliche Ver - hältniß gründet ſich wohl darauf, daß die a. de receptis nur als eine ſehr durchgreifende, über allgemeine Rechts -259§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)grundſätze hinaus gehende, Maasregel zu betrachten iſt(q)L. 1 § 1 L. 3 § 1 nautae (4. 9.)..
Es iſt oben beſtimmt worden, in welchen Fällen und bis zu welchen Gränzen eine Klage durch den Erfolg einer andern Klage ausgeſchloſſen werden ſoll (§ 232. 233), und es bleibt dabey noch übrig zu unterſuchen, durch welche Rechtsformen jene Ausſchließung bewirkt werde.
Hierin iſt folgende Verſchiedenheit der Fälle zu beach - ten. In der kleineren Zahl von Fällen, worin die Con - currenz mehrerer Klagen auf einer wahren Identität der Obligation beruht (§ 232), muß jede Erfüllung, ſie mag freywillig, oder durch Klage erzwungen ſeyn, das Rechts - verhältniß ſelbſt vernichten, und zwar in Beziehung auf alle in demſelben ſtehende Perſonen; ohne Unterſchied, ob ſie ſelbſt die Erfüllung bewirkt haben oder nicht, und ob der Erfüllende an ſie dabey dachte oder nicht(a)§ 1 J. de duobus reis (3. 16 ), L. 3 § 1 eod. (45. 2.). — Es iſt daſſelbe Princip, nach welchem auch eine einfache Schuld und Klage ipso jure zerſtört wird, ohne Unterſchied ob der Schuld - ner ſelbſt, oder für ihn ein Ande - rer, die Zahlung leiſtet. L. 23. 53 de solut. (46. 3.).. Wenn alſo ein Bürge zahlt, ſo iſt es genau ſo, als wenn der Hauptſchuldner gezahlt hätte, und umgekehrt, weil nur eine einzige Schuld auf Beide gemeinſchaftlich ſich bezog. 17*260Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt - lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden, wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor - den iſt.
Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man - nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil - weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be - friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer - den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be - zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in factum genannt wird.
Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des Gajus allgemein ausſpricht(b)L. 57 de R. J. (50. 17.).: Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.
Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge - meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei -261§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)ſtete Erfüllung jede vorhandene Obligation an ſich ver - nichtet hat, da bedarf es dieſer Zuflucht zu der bloßen aequitas nicht; wo aber der Erfolg der ſchon gebrauchten Klage für die noch übrige nur eine indirecte Befriedigung darbietet, da iſt das angeführte Princip für die richtige Behandlung der Klagenconcurrenz entſcheidend(c)Dieſe Bemerkung iſt gut ausgeführt von Göſchen Vorle - ſungen I. § 158. 159..
In der Anwendung dieſes Grundſatzes findet ſich fol - gender, in der allgemeinen Natur der Klagen gegründeter Unterſchied. Wenn die noch übrige Klage zu den ſtrengen Klagen gehörte, ſo mußte die Exception in der Formel ausgedrückt ſeyn, damit ſie der Judex berückſichtigen durfte; war es dagegen eine freye Klage (arbitrium), ſo war die Aufnahme der Exception zwar auch zuläſſig, auch ſtets ſicherer, aber nicht nothwendig, indem der Arbiter auch die nicht ausgedrückte Exception beachten durfte und muß - te(d)Beylage XIII. Num. IV. . In den Fällen dieſer letzten Art ſagen zuweilen die alten Juriſten, hier wie anderwärts, daß die Wir - kung ipso jure eintrete, welcher Ausdruck freylich für ſolche Fälle nicht genau iſt, und eigentlich nur ſagen will, ſie ſey unabhängig von der Thätigkeit oder Unthätigkeit des Prätors, die bloße Überzeugung des Judex ſey dazu völlig ausreichend.
Nach dieſen Erörterungen werden folgende Anwendun - gen keine Schwierigkeit darbieten.
Bey der Concurrenz der a. venditi mit der Stipula -262Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tionsklage ſoll jene, wenn ſie zuletzt angeſtellt wird, ipso jure ausgeſchloſſen ſeyn, dieſe in gleichem Fall nur per exceptionem(e)L. 28 de act. emti (19. 1.)..
Ganz derſelbe Unterſchied wird gemacht wenn die con - dictio furtiva mit der a. commodati concurrirt(f)L. 71 pr. de furtis (47. 2), vgl. oben § 232. h. — L. 34 § 1 de O. et A. (44. 7. ) „ altera actio alteram perimit, aut ipso jure, aut per exceptionem, quod est tutius.” Das heißt: die Condiction iſt nur per ex - ceptionem ausgeſchloſſen, die a. commodati ipso jure, nämlich auch ohne ausgedrückte doli ex - ceptio; jedoch iſt es auch bey die - ſer letzten ſicherer, die Exception in der Formel auszudrücken..
Über die Concurrenz der a. doli und quod metus causa wird geſagt, daß jede derſelben, wenn ſie nach der ande - ren gebraucht werde, durch eine facti exceptio auszu - ſchließen ſey(g)L. 14 § 13 quod metus (4. 2.).. Hier wird alſo der Gebrauch der Ex - ception anerkannt, obgleich beide Klagen arbitria ſind.
Wenn in den Fällen einer ſolchen Concurrenz die freye Klage zuerſt angeſtellt wurde, ſo entſtand die Gefahr, daß bey der künftigen Anſtellung der ſtrengen Klage die Ex - ception vergeſſen, und dadurch das Princip der aequitas verletzt werden möchte. Deswegen wurde von den alten Juriſten der Arbiter angewieſen, gleich bey der freyen Klage nicht eher zu condemniren, als bis der Kläger auf die noch übrige ſtrenge Klage verzichtete(h)L. 25 § 5 L. 43 loccti (19. 2 ), L. 7 § 1 commod. (13. 6 ), L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).. Es iſt nur ein anderer Ausdruck für dieſelbe Regel, wenn zuweilen geſagt wird, der Kläger ſolle caviren, daß nicht Daſſelbe263§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)nochmals werde eingeklagt werden(i)L. 36 § 2 de her. pet. (5. 3 ), L. 13 de rei vind. (6. 1.).. Darunter iſt blos eine Stipulation auf dieſe Unterlaſſung zu verſtehen; an Bürgen oder Pfänder iſt bey jenem Ausdruck nicht zu denken.
Die hier erwähnten formellen Unterſchiede und Schwie - rigkeiten waren eigentlich ſchon zu Juſtinians Zeit weg - gefallen, da keine formulae mehr vorkamen. Allein auch ſchon in der früheren Zeit gab es ein einfaches Mittel, jenen Nachtheilen vorzubeugen, wenn nämlich alle Klagen zugleich angeſtellt wurden, da denn der Judex das Princip der Concurrenz gleich bey der erſten Anſtellung der Klage anzuwenden genöthigt war(k)Ganz ſo ſollte es auch ſchon im alten Prozeß in dem ſehr ähnlichen Fall gehalten werden, wenn der Kläger ungewiß war, ob von zweyen Klagen die eine oder die andere begründet ſeyn möchte. L. 1 § 4 quod legat. (43. 3.). Vgl. Donellus § 7.. — In unſrem heutigen Prozeß findet ſich dieſe Auskunft von ſelbſt, wenn nur der Kläger die Unvorſichtigkeit vermeidet, ſeinen Antrag mehr als nöthig zu beſchränken; denn nun muß der Richter aus allen etwa begründeten Klagen dasjenige Reſultat bilden, welches aus dem oben vorgetragenen Princip der Concur - renz hervorgeht.
Die Einſchränkungen, welche hier durch das Princip der Concurrenz für die Klagen aufgeſtellt worden ſind, laſſen ſich auch denken in Anwendung auf die Excep -264Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tionen, und es fragt ſich, ob ſie hier auf dieſelbe Weiſe wie bey den Klagen behauptet werden können. Es ergiebt ſich aber hier ſogleich der große Unterſchied, daß die bey den Klagen eintretende Gefahr, die durch das Princip der Concurrenz abgewendet werden ſollte, bey den Exceptionen von ſelbſt verſchwindet. Dieſe Gefahr beſtand bey den Klagen in der mehrfachen Erreichung deſſelben Zwecks, der nur einfach eine rechtliche Begründung haben kann. Bey den Exceptionen iſt dieſe Gefahr deshalb nicht vor - handen, weil ſie ſtets nur einen und denſelben negativen Zweck haben, die Abweiſung der Klage, welcher Zweck ſeiner Natur nach nur einmal erreicht werden kann. Da - her iſt es denn auch anerkannt, daß Exceptionen neben anderen Exceptionen, ſo wie neben der abſoluten Vernei - nung, allerdings zuläſſig ſind(l)L. 43 pr. de R. J. (50. 17), vgl. oben § 232. a. b. c. L. 5.8.9 de except. (44. 1.).. Die Zweifel, die bey manchen Fällen ſolcher gehäuften Vertheidigungsmittel ent - ſtehen, haben einen ganz anderen Grund, nämlich die wi - derſprechende Natur des Inhalts mancher dieſer Mittel. Die Erörterung dieſer Frage aber gehört lediglich in die Prozeßlehre, nicht in die Theorie des materiellen Rechts.
Quellen:
Schriftſteller:
Wenn ein Klagrecht dadurch untergeht, daß der Klag - berechtigte daſſelbe innerhalb eines gewiſſen Zeitraums auszuüben unterläßt, ſo heißt dieſe Aufhebung des Rechts266Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre - tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab - ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt, wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt - geſtellt werden.
Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts - inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor - kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr - liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme - nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke, ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig267§. 237. Klagverjährung. Einleitung.angenommenen Begriffe aber beſteht darin, wenn man ihnen nicht blos eine hypothetiſche Bedeutung beylegt, bey welcher die wirkliche Anwendung einſtweilen dahin geſtellt bleiben kann, ſondern ſie ſelbſt unvermerkt in den grund - falſchen Rechtsſatz umwandelt, daß alle Rechte überhaupt durch fortwährend verſäumte Ausübung untergehen ſol - len(b)Vgl. über dieſe in mannich - faltiger Weiſe ausgebildeten Irr - thümer oben B. 4 § 178.. Die Vertheidiger dieſer irrigen Lehre pflegen dann wohl einzelne, ſeltene Fälle als Ausnahmen ihrer grundloſen Regel zu behandeln, zu deren Bezeichnung der ganz entbehrliche Kunſtausdruck res merae facultatis er - funden worden iſt(c)B. 4 § 199. S. 515..
Die Klagverjährung iſt ein ganz poſitives Rechtsinſti - tut, ſo wie jede Umbildung der Rechtsverhältniſſe, zu de - ren Bedingungen ein Zahlenverhältniß (hier der Ablauf eines beſtimmten Zeitraums) gehört. Die Gründe ihrer Einführung, die auf verſchiedene Weiſe angegeben werden, ſpielen meiſt in einander über, und ſind großentheils der Erſitzung mit der Klagverjährung gemein(d)Von dieſen Gründen der Einführung iſt ſchon oben im All - gemeinen die Rede geweſen, B. 4 § 177. S. 305 — 307. Es mußte aber an dieſer Stelle genauer dar - auf eingegangen werden..
Der allgemeinſte und entſcheidendſte Grund, gleich an - wendbar auf die Klagverjährung, wie auf die Erſitzung, liegt in dem Bedürfniß, die an ſich ungewiſſen, des Strei - tes und Zweifels empfänglichen, Verhältniſſe des Rechts268Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und des Vermögens dadurch feſtzuſtellen, daß die Un - gewißheit in beſtimmte Zeitgränzen eingeſchloſſen wird(e)Dieſer Grund hat zufällig nicht bey der Klagverjährung, wohl aber bey der Erſitzung, häufige Anerkennung gefunden. Cicero pro Caecina C. 26 „ usucapio fundi, h. e. finis solicitudinis ac periculi litium.” Gajus II. § 44 „ ne rerum dominia diu - tius in incerto essent.” Eben ſo derſelbe Gajus in L. 1 de usurp. (41. 3. ), und Neratius in L. 5 pr. pro suo (41. 10.)..
Ein zweyter Grund der Einführung liegt in der Prä - ſumtion der Tilgung desjenigen Rechts, welches durch die Klage verfolgt werden ſoll; jedoch kann dieſer an ſich wahre und wichtige Grund leicht misverſtanden werden. Der Sinn dieſer Präſumtion beſteht in der Unwahrſchein - lichkeit, daß der Berechtigte ſeine Klage ſo lange verſäumt haben würde, wenn nicht das Recht ſelbſt auf irgend eine, jetzt nur nicht erweisliche, Art wirklich aufgehoben wor - den wäre(f)Die Art dieſer Aufhebung bleibt alſo völlig dahin geſtellt, ſie kann in Zahlung, Compenſa - tion, Novation u. ſ. w. beſtanden haben, oder auch in einem Erlaß - vertrag. Dieſe letzte Möglichkeit kann als die ſehr beſchränkte, re - lative Wahrheit in derjenigen An - ſicht eingeräumt werden, nach wel - cher die Dereliction Grund der Verjährung ſeyn ſoll. Vgl. oben B. 4 S. 307. — Eben wegen die - ſer ſehr häufigen Unbeſtimmtheit in den einzelnen Anwendungen der Klagverjährung, und weil über die Fortdauer des Rechtsverhältniſſes der Beklagte ſelbſt völlig in Unge - wißheit ſeyn kann (beſonders wenn er der Erbe des urſprünglichen Schuldners iſt), iſt es auch gar nicht inconſequent, die Einrede der Verjährung neben irgend einer an - dern Art der Vertheidigung, ſelbſt neben der abſoluten Verneinung, geltend zu machen.. Dieſe Unwahrſcheinlichkeit iſt nun eigentlich nur für die mit langen Zeiträumen verſehenen Verjährun - gen zu behaupten; ſie iſt recht paſſend eigentlich nur bey perſönlichen Klagen, und zwar vorzugsweiſe bey Klagen269§. 237. Klagverjährung. Einleitung.auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird. Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere, gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides - delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl - thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin, daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt - ſtändige Veränderung bewirkt. — Eine ähnliche Präſum - tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti - tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be - wieſen werden kann.
Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts -270Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quellen wird darauf deutlich hingewieſen(g)L. 2 C. de ann. exc. (7. 40.). „ Ut … sit aliqua inter desides et vigilantes differen - tia” .. L. 3 C. eod. „ cum con - tra defides homines, et sui ju - ris contemtores, odiosae ex - ceptiones oppositae sunt.” L. un. § 5 C. Th. de act. certo temp. (4. 14.). „ Verum ne qua otioso nimis ac defidi queri - monia relinquatur” …. Dennoch darf dieſer Ausdruck nicht in dem gewöhnlichen Sinn einer Strafe verſtanden werden, da die Nachläſſigkeit, welche nicht anderen Perſonen ſchadet, überhaupt nicht ſtrafbar iſt, und da beſonders die Klage oft aus ſchonen - der Nachſicht gegen den Schuldner verſchoben wird, worin doch gewiß Niemand eine Verletzung Deſſelben finden kann. Jener Ausdruck iſt aber überhaupt nicht als poſitiver Grund der Klagverjährung anzuſehen, ſondern als Recht - fertigung derſelben gegen den Vorwurf der Härte und Un - gerechtigkeit. Der im gemeinen Wohl liegende poſitive Grund iſt bereits angegeben worden; daß man Dieſen geltend machen darf, ohne dem Recht des Klägers zu nahe zu treten, folgt aus der hinreichenden Zeit, die Demſelben zur Ausübung ſeines Klagrechts geſtattet iſt. Es wird alſo jedem Klagberechtigten zugemuthet, dem gemeinen Wohl nicht ſein Recht zum Opfer zu bringen, ſondern nur ſeine Unthätigkeit. Unterläßt er Dieſes, ſo hat er den eintretenden Verluſt ſich ſelbſt zuzuſchreiben, welcher Her - gang nun eben als Strafe ausgedrückt wird. Dieſer Zu - ſammenhang der Gedanken wird in unſren Rechtsquellen ſehr beſtimmt anerkannt bey der Erſitzung, deren Rechtfer - tigung völlig auf dem gleichen Grunde beruht, alſo auch271§. 237. Klagverjährung. Einleitung.hier benutzt werden kann(h)L. 1 de usurp. (41. 3. ) „ cum sufficeret dominis ad in - quirendas res suas statuti tem - poris spatium.” Eben ſo Ga - jus II. § 44. — Dieſes Motiv ſteht in weſentlichem Zuſammenhang mit dem vorhergehenden. Denn die Präſumtion der Tilgung iſt nicht ſo zu denken, als ob die lange Zeit an ſich ſelbſt die Tilgung wahrſcheinlich machte, ſondern ſo daß die große Nachläſſigkeit des Berechtigten, in ſo langer Zeit die Verfolgung des Rechts zu unter - laſſen, wenn es ſtets fortgedauert hätte, nicht vermuthet werden kann.. — Obgleich nun alſo in dieſer ſogenannten poena negligentiae nicht ſowohl der poſitive Grund der Klagverjährung zu ſuchen iſt, als die Abwehr eines möglichen Vorwurfs, ſo iſt ſie dennoch von dem größten Einfluß auf die einzelnen Beſtimmungen die - ſes Rechtsinſtituts, indem es ſich zeigen wird, daß überall vorzügliche Rückſicht zu nehmen iſt auf die für den Be - rechtigten vorhandene Möglichkeit, den Nachtheil der Ver - jährung durch Aufmerkſamkeit zu vermeiden. Es iſt übri - gens einleuchtend, daß dieſer Rechtfertigungsgrund vorzüg - lich bey den langen Verjährungszeiten (z. B. von 30 Jahren) durchgreifende Wahrheit hat; bey den prätoriſchen Annal - klagen, ſo wie bey der einjährigen Uſucapion des ältern Rechts, erſcheint er weniger überzeugend.
Ein wichtiger Grund der Klagverjährung, der bey der Erſitzung nicht eben ſo vorkommt, liegt endlich darin, daß die Anſtellung der Klage in der Willkühr des Klägers liegt, daß er es alſo in ſeiner Macht hat, durch lange Verzögerung derſelben, die Vertheidigung des Beklagten zu erſchweren, indem die Beweismittel ohne des Beklag - ten Schuld untergehen können, z. B. durch den Tod der272Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vorhandenen Zeugen. Die Beſchränkung dieſer einſeitigen Macht des Klägers, die auf unredliche Weiſe misbraucht werden kann, iſt vorzüglich zu beachten.
Endlich giebt man auch noch als Zweck der Klagver - jährung an die Verminderung der Prozeſſe(i)Eine Erwähnung davon, nicht bey der Klagverjährung, aber doch bey einem verwandten Inſti - tut, findet ſich in L. 2 pr. de aqua pluv. (39. 3.) „ .. vetustas quae semper pro lege habe - tur, minuendarum scilicet li - tium causa.” . So ma - teriell nun, als ob die bloße Herabſetzung der Anzahl ein wünſchenswerthes Gut wäre, darf dieſer Grund gewiß nicht aufgefaßt werden, da die Abwendung gerechter Pro - zeſſe gar nicht wünſchenswerth iſt. Das Wahre aber in jenem Grunde liegt darin, daß allerdings durch die Ver - jährung viele Klagen abgehalten werden, die entweder ohnehin, aber mit mehr Mühe und Koſten, als unbegrün - det anerkannt werden müßten, oder ſogar, welches das größere Übel iſt, zu einer ungerechten Verurtheilung wegen fehlender Beweiſe führen würden.
Die Klagverjährung gehört unter die wichtigſten und wohlthätigſten Rechtsinſtitute(k)Cassiodori Var. V. 37 „ Tricennalis autem humano ge - neri patrona praescriptio” … Sieht man von dem ſchülſtigen Ausdruck ab, der freylich bey die - ſem Schriftſteller nie fehlen kann, ſo liegt darin eine wahre Aner - kennung der praktiſchen Wichtigkeit dieſer Anſtalt.. In ihr haben ſich die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, vorzugsweiſe vor vielen anderen Inſtituten, in vollſtändiger Übung erhalten, und zwar nicht blos in den Ländern des gemeinen Rechts, ſondern auch da wo neue Geſetzbücher eingeführt ſind. 273§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.Denn in dieſen beſteht das Neue und Eigenthümliche meiſt nur in der Beſtimmung abweichender Verjährungsfriſten für viele Klagen, und Dieſes iſt für die Theorie gerade der minder erhebliche Gegenſtand.
Dem Begriff der Klagverjährung, welcher bisher nur auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt wurde (§ 237), iſt nun - mehr eine geſchichtliche Grundlage zu geben.
Lange Zeit war dieſes Inſtitut dem Römiſchen Recht ganz fremd. Erſt als die Prätoren in dem Edict häufig ganz neue Klagen einführten, knüpften ſie viele derſelben an die Bedingung, daß ſie innerhalb eines Jahres ange - ſtellt werden müßten (intra annum judicium dabo); darin lagen alſo einzelne Ausnahmen von der alten Regel der ewigen Dauer aller Klagrechte. Solche Ausnahmen wur - den dann auch bey einzelnen Civilklagen angenommen.
Eine etwas allgemeinere Geſtalt erhielt dieſes Rechts - inſtitut zuerſt in der longi temporis praescriptio. Gegen die Klagen aus dem Eigenthum oder einem jus in re (spe - ciales in rem actiones) ſollte eine Verjährung von zehen (zuweilen zwanzig) Jahren gelten, wenn der Beſitzer die Hauptbedingungen der Uſucapion (beſonders Titel und bona fides) nachweiſen konnte, ohne doch uſucapirt zu ha - ben; denn durch die Uſucapion wurde ihm freylich jede Exception entbehrlich. — Eine Erweiterung erhielt dieſeV. 18274Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.longi temporis praescriptio unter Conſtantin, indem der Mangel des Titels und der bona fides durch eine längere Zeit des Beſitzes erſetzt werden ſollte; wie es ſcheint, war die Beſtimmung der Zeit ſchwankend zwiſchen 30 und 40 Jahren. Eine Ausdehnung auf andere Arten von Klagen lag jedoch hierin nicht, ſo daß namentlich die perſönlichen Klagen in der Regel noch immer unverjährbar blieben(a)Unterholzner I. § 17..
Das erſte Verjährungsgeſetz von durchgreifender All - gemeinheit wurde von Theodoſius II. im Jahre 424 erlaſ - ſen, welches in beide Conſtitutionenſammlungen (mit einiger Verſchiedenheit) übergegangen iſt(b)L. un. C. Th. de act. certo temp. fin. (4. 14. ), L. 3 C. J. de praescr. XXX. (7. 39.). Im Juſtinianiſchen Codex heißt die Inſeription: Honorius et Theodosius, welches unmöglich iſt, da Honorius ſchon 423 ſtarb. Im Theodoſiſchen Codex heißt es blos: Theodosius, welches völlig befriedigend ſeyn würde; allein ein anderes Stück deſſelben Ge - ſetzes (L. 7 C. Th. de cognitor. 2. 12. ) iſt überſchrieben: Theod. et Valent., welches auch zuläſ - ſig iſt, da Valentinian III. im J. 424 bereits zum Mitregenten be - ſtimmt war. In jedem Fall iſt Theodoſius II. der einzige Urheber des Geſetzes. Vgl. Unterholz - ner I. § 18. Wenck ad L. un. C. Th. cit. Zirardinus, Leges novellae Theodosii rel. p. 278.. Der Inhalt dieſes wichtigen Geſetzes, welches die Grundlage des ganzen Verjährungsrechts bildet, iſt hier genauer anzugeben. Es beſtätigt alle ſchon bisher geltende Klagverjährungen, ver - ordnet aber da wo es bisher an ſolchen fehlte, eine drey - ßigjährige Verjährung, nicht nur (wie ſchon bisher) für die speciales in rem actiones, ſondern auch für die here - ditatis petitio (de universitate), und zugleich, was das Wichtigſte war, für die perſönlichen Klagen. — Ausdrück -275§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.lich ausgenommen wurde die actio finium regundorum. Dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex weggelaſſen, weil Juſtinian ſie in einer ſeiner Conſtitutionen aufgeho - ben hatte(c)L. 1 § 1 C de ann. exc. (7. 40. ), vgl. unten Note i. . — Auch die Hypothekarklage gegen den Schuldner ſelbſt wurde indirect ausgenommen, und dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex beybehalten(d)L. 3 C. cit. „ Eodem etiam jure in ejus persona valente, qui pignus vel hypothecam non a suo debitore, sed ab alio, … possidente nititur vindicare.” Hier iſt das ſogenannte argumen - tum a contrario ganz unwider - legbar. — Wahrſcheinlich lag bey dieſer Ausnahme die Anſicht zum Grunde, daß gar keine Verjährung anfangen könne, weil der Schuld - ner die verpfändete Sache mit dem Willen des Glaubigers beſitze., weil dieſer Gegenſtand ſpäter auf eigenthümliche Weiſe beſtimmt wurde. — Alle jetzt ſchon vorhandenen Klagen ſollten gleichfalls der Vorſchrift der 30 Jahre unterworfen ſeyn, jedoch mit der Milderung, daß ihre Verjährungszeit wenigſtens Zehen Jahre, von der Verkündigung des Ge - ſetzes an gerechnet, betragen ſollte. Dieſe blos tranſito - riſche Beſtimmung wurde im Juſtinianiſchen Codex natür - lich weggelaſſen. — Am zweifelhafteſten iſt das Verhältniß der den perſönlichen Zuſtand betreffenden Präjudicialklagen. Bey der Aufzählung derjenigen Klaſſen von Klagen, wo - für die neue Verjährung gelten ſoll, ſind ſie nicht mit ge - nannt(e)L. 3 C. cit. „ Sicut in rem speciales, ita de universitate, ac personales actiones …” Keine dieſer Bezeichnungen paßt auf die Präjudicialklagen., dagegen lautet der Schluß des Geſetzes ſo all - gemein, daß er auch auf ſie zu beziehen iſt(f)L. 3 C. cit. „ si qua res vel jus aliquod postuletur, vel persona qualicunque actione vel persecutione pulsetur.” Un -.
18*276Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dieſes Geſetz wurde durch die Aufnahme in den Theo - doſiſchen Codex auch im Occident eingeführt; Valenti - nian III. ſchärfte die Befolgung deſſelben durch beſondere Verordnungen ein, worin er namentlich gegen einſchrän - kende Auslegungen warnte(g)Nov. Valent. Tit. 8. 12 (J. 449 und 452). Unterholz - ner I. S. 446 Note 433 ſcheint dieſes Geſetz ganz misverſtanden zu haben..
Hieran ſchließt ſich ein Geſetz des K. Anaſtaſius vom J. 491, welches für alle Klagen, die bisher noch keine Verjährung hatten, als letztes Supplement eine vierzig - jährige vorſchreibt(h)L. 4 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Vgl. über dieſes Geſetz Unterholzner I. § 19.. Die eigentliche Abſicht dieſes in den Juſtinianiſchen Codex aufgenommenen Geſetzes iſt nicht ganz klar. Am Natürlichſten ſcheint es bezogen werden zu müſſen auf die von Theodoſius beſonders ausgenommenen Klagen, die alſo nun nicht mehr unverjährbar, ſondern nur einer etwas längeren Verjährung unterworfen ſeyn ſollten; allein ſelbſt dieſe Beziehung iſt nicht ohne Schwie - rigkeit. Die ſicherſte Anwendung iſt wohl die auf die actio finium regundorum, die in dem Geſetz von Theodo - ſius ausgenommen worden war, jetzt alſo in 40 Jahren verjähren ſollte; vielleicht war ſie auch ausdrücklich von K. Anaſtaſius genannt, deſſen Geſetz wir ja nicht mehr in ſeiner urſprünglichen Geſtalt beſitzen. Juſtinian hat nachher für dieſe Klage die dreyßigjährige Verjährung(f)terholzner I. § 18 will dieſe Worte auf Klagen über das Ver - mögen einſchränken, wozu jedoch in ihnen kein Grund wahrzuneh - men iſt.277§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.vorgeſchrieben(i)L. 6 C. fin. reg. (3. 39.). Daß dieſe Beſtimmung nicht von Theodoſius I. herrührt, deſſen Na - men ſie führt, ſondern von Juſti - nian ſelbſt, zeigt die Vergleichung mit L. 5 C. Th. fin. reg. (2. 26.). — Vgl. oben Note c. . — Die Hypothekarklage gegen den Schuld - ner gehört dagegen nicht zu den aufgehobenen Ausnahmen, denn K. Juſtinus, der für ſie die Verjährung von 40 Jah - ren vorſchrieb, ſagte dabey ausdrücklich, ſie ſey bis zu ſeiner Zeit ohne alle Verjährung geweſen(k)L. 7 pr. C. de praescr. XXX. (7. 39.).. — Daneben aber erwähnt nun der Kaiſer, daß bisher das Geſetz von Theodoſius durch willkührliche Auslegungen eingeſchränkt worden ſey. Er ſcheint Dieſes durch die von ihm ge - brauchten Ausdrücke zu misbilligen(l)L. 4 C. cit. „ .. si qua sit actio, quae cum non esset expressim supradictis tempo - ralibus praescriptionibus con - cepta, quorumdam tamen vel fortuita vel excogitata inter - pretatione saepe dictarum ex - ceptionum laqueos evadere pos - se videatur …” , und man könnte auch auf dieſe Fälle das neue Supplement der 40 Jahre beziehen. Indeſſen iſt doch auch nicht einzuſehen, warum der Geſetzgeber den Interpretationen, die er ſelbſt als irrig anſieht, durch eine verlängerte Verjährungsfriſt ein Zugeſtändniß machen ſollte. — Wenn in der That die Präjudicialklagen in dem Geſetz von Theodoſius nicht ent - halten ſeyn ſollten (wovon ſchon oben die Rede war), oder wenn ſie etwa durch ſpätere Auslegungen davon ausgeſchloſſen worden wären, ſo könnte die Vorſchrift von Anaſtaſius auf ſie bezogen werden, worauf in der That einige Ausdrücke hinzudeuten ſcheinen(m)L. 4 C. cit. „ .. quicun - que super quolibet jure .., su -. Ja Dieſes278Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.würde in der That die einzige im Juſtinianiſchen Recht anwendbare Beſtimmung des Geſetzes von Anaſtaſius ſeyn, welches überhaupt wohl beſſer in unſren Codex gar nicht aufgenommen worden wäre, da es doch nur Zweifel zu erregen geeignet iſt.
So allgemein und durchgreifend nun die Worte der Verordnung von Anaſtaſius lauten, ſo hat doch er ſelbſt dafür geſorgt, ihre Allgemeinheit wieder wankend zu ma - chen, indem er in ſpäteren Conſtitutionen für zweyerley Klagen erklärt hat, ſie würden mit Unrecht unter jene Verordnung bezogen, und ſie ſollten überhaupt gar keiner Verjährung unterworfen ſeyn. Dieſes verordnete er erſt - lich für die Klage einer Stadt gegen ſolche Perſonen, die ſich ihrer Verpflichtung als Mitglieder der Curie entziehen wollten(n)L. 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).; zweytens für alle Klagen des Fiscus auf öf - fentliche Abgaben(o)L. 6 C de praescr. XXX. (7. 39.)..
Zuletzt hat noch Juſtinian in einer eigenen Conſtitution die allgemeine Beobachtung der dreyßigjährigen Klagver - jährung eingeſchärft, und dabey als einzigen Fall für 40 Jahre die Hypothekarklage erwähnt(p)L. 1 § 1 C. de ann. ex - cept. (7. 40. ) vom J. 530., für welche ja ſein Vorgänger ein ausführliches Geſetz erlaſſen hatte. Hierin liegt eine Beſtätigung des eben ausgeſprochenen Tadels gegen die Aufnahme des Geſetzes von Anaſtaſius, da für(m)perque sua conditione, qua per idem tempus absque ulla judi - ciali sententia simili munitione potitus est, sit liber, et .... se - curus.” 279§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.die Anwendung deſſelben neben der zuletzt angeführten Ver - ordnung von Juſtinian durchaus kein Raum übrig bleibt. In dieſer Verordnung erwähnt Juſtinian namentlich fol - gende Klagen, wofür die Anwendung der 30 Jahre mit Unrecht bezweifelt worden ſey:
1) Familiae herciscundi, communi dividundo, finium re - gundorum. Für die zwey erſten gründete ſich der Zweifel wahrſcheinlich auf die Verwechslung des allerdings unver - jährbaren Anſpruchs auf Theilung mit dem Anſpruch auf beſtimmte Geldzahlung (§ 252). Für die dritte hatte erſt Juſtinian ſelbſt die Verjährung eingeführt (Note i).
2) Pro socio. Auch hier mag wohl die Verwechslung der unverjährbaren Aufkündigung mit der Klage auf Geld - zahlung den Zweifel veranlaßt haben.
3) Furti und vi bonorum raptorum. Der Irrthum gründete ſich hier darauf, daß Manche fälſchlich glaubten, der Dieb oder Räuber begehe durch den fortgeſetzten Be - ſitz der Sache immer wieder einen neuen Diebſtahl, für welchen alſo auch die Verjährung der furti actio ſtets von Neuem anfangen müſſe(q)L. 1 § 1 cit. „ ex quo .. se - mel nata est, et non iteratis fabulis saepe recreata, quem - admodum in furti actione dice - batur.” Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2 de furtis (47. 2.)..
Aus dieſer hiſtoriſchen Zuſammenſtellung ergiebt es ſich, daß urſprünglich alle Klagen unverjährbar, dann aus - nahmsweiſe einzelne verjährbar waren, endlich aber alle verjährbar geworden ſind. Damit hängt denn auch der veränderte Sprachgebrauch zuſammen, indem der Ausdruck280Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.perpetua actio, dem eigentlichen Wortſinn gemäß, eine unverjährbare Klage bezeichnete, jetzt aber, da es ſolche nicht mehr giebt, zur Bezeichnung einer dreyßigjährigen Klage, im Gegenſatz der kürzer dauernden, geworden iſt(r)pr. J. de perpetuis (4. 12.).
Die nun folgende Lehre von der im Juſtinianiſchen Recht geltenden Klagverjährung wird folgende Stücke zu unterſuchen haben: die Bedingungen der Verjährung, ihre Wirkung, die Ausnahmen derſelben, und ihre Anwendung auf Exceptionen.
Die Bedingungen aber laſſen ſich auf folgende Vier Punkte zurückführen:
Die erſte Bedingung möglicher Klagverjährung fällt zuſammen mit der Beſtimmung des Anfangspunktes der -281§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. ſelben. So lange kein Klagrecht vorhanden iſt, kann daſſelbe nicht verſäumt, alſo auch nicht durch Verſäumniß verloren werden. Es muß daher Actio nata ſeyn, wenn eine Verjährung anfangen ſoll(b)L. 1 § 1 C. de ann. exc. (7. 40.) „ .. sed ex quo ab ini - tio competit, et semel nata est ..”. L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) „ actiones XXX. anno - rum jugi silentio, ex quo jure competere coeperunt, vivendi ulterius non habeant faculta - tem.” L. 30 C. de j. dot. (5. 12. ) „ ea mulieribus ex eo tempore opponatur, ex quo possunt ac - tiones movere.” In dieſer letzten Stelle iſt von Uſucapion und Klagverjährung zugleich die Rede..
Jedes Klagrecht aber hat zwey Bedingungen (§ 205): Erſtlich, ein wirkliches, gegenwärtiges, verfolgbares Recht, und wo es an dieſem fehlt, iſt noch keine Verjährung möglich. Darum kann ſie bey einer bedingten, oder auf einen Zeitpunkt ausgeſetzten Obligation erſt anfangen, wenn die Bedingung erfüllt, oder der Zeitpunkt eingetreten iſt(c)L. 7 § 4 C. de praescr. XXX. (7. 39. ) „ … in omnibus contractibus, in quibus sub ali - qua conditione vel sub die … pacta ponuntur, post conditio - nis exitum, vel .. diei .. lap - sum, praescriptiones XXX vel XL annorum … initium acci - piunt.” . — Zweytens eine Rechtsverletzung, eine Störung, welche den Berechtigten zur Klage veranlaßt. Es kommt Alles darauf an, dieſe, die Klage bedingende, Rechtsverletzung richtig aufzufaſſen; die meiſten Streitigkeiten in dieſer Lehre entſtehen aus Misverſtändniſſen über die Natur derſelben, und wenn es gelingt, hierüber eine Verſtändigung her - bey zu führen, ſo möchten wohl jene Streitigkeiten über den Anfangspunkt der Verjährung verſchwinden.
Wird nun hier der Anfang der Verjährung in das282Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Daſeyn der Rechtsverletzung geſetzt, zu deren Bekämpfung die Klage beſtimmt iſt, ſo hat dieſer Anfangspunkt eine völlig objective Natur, und das Verhältniß einer ſolchen verletzenden Thatſache zu dem Bewußtſeyn des Klagbe - rechtigten kommt nicht in Betracht. Ob alſo dieſer von der Klage weiß, die ihm zuſteht, oder nicht, iſt ganz gleich - gültig, ſelbſt bey den kurzen, mit einem utile tempus ver - ſehenen, Verjährungen; und es ſind bey dieſen letzten nur ſeltene Ausnahmen, worin das Bewußtſeyn berückſichtigt wird(d)S. oben B. 3 Beylage VIII. Num. XXV. XXVI. und B. 4 § 190..
Schon von den Gloſſatoren an iſt eine Erweite