Die lange Unterbrechung des vorliegenden Werkes iſt nicht durch verminderte Neigung zu dieſer Arbeit, ſondern allein durch die Menge unabweislicher an - derer Arbeiten bewirkt worden. Um Dieſes durch die That zu bewähren, die mehr, als eine bloße Verſicherung, Eindruck zu machen geeignet iſt, habe ich es für beſſer gehalten, den einzelnen Abſchnitt des ſechsten Bandes, zu deſſen Ausarbeitung ſich gerade die nöthige Zeit gewinnen ließ, abgeſondert erſcheinen zu laſſen, als die Vollendung des ganzen Bandes abzuwarten. Es wird jedoch durch fort - laufende Seitenzahlen in der zweiten Abtheilung (welche die Lehre vom Urtheil enthalten ſoll) dafür geſorgt werden, daß der ſechste Band auch in derIVVorrede.äußeren Erſcheinung mit den vorhergehenden Bänden gleichförmig werde.
Den bisher erſchienenen Theilen dieſer Arbeit iſt von manchen Seiten der nicht unerwartete Vor - wurf gemacht worden, daß der, als eine Darſtellung des heutigen Rechts bezeichnete, Plan des Werkes durch unverhältnißmäßige Einmiſchung hiſtoriſcher Unterſuchungen oft verlaſſen und geſtört werde. Dieſem Vorwurf wird ohne Zweifel auch der gegen - wärtige Abſchnitt nicht entgehen. Zwar iſt der Gegenſtand deſſelben ſo praktiſch, als irgend ein Stück unſres Rechtsſyſtems; allein die vorliegende Behandlung deſſelben hat ſich allerdings von aus - führlichen hiſtoriſchen Unterſuchungen nicht frei hal - ten können. Auch werden dieſe Unterſuchungen beſonders dadurch bei Manchen Anſtoß erregen, daß ſie großentheils in dem letzten Ziel mit den Anſichten Anderer übereinſtimmen, und nur den Weg, auf welchem Dieſe zu dem gemeinſamen Ziel gelangen wollen, als irrig darzuſtellen ſuchen. Ein Verfahren ſolcher Art wird von nicht Wenigen als unpraktiſch angeſehen.
Indeſſen kann ich mich, auch bei ſorgfältigem Rückblick auf den jetzt beendigten Abſchnitt, nichtVVorrede.überzeugen, daß derſelbe irgend Etwas enthalte, das nicht nothwendig wäre, um über den hier behandel - ten Gegenſtand zu wirklicher Einſicht und Überzeu - gung zu gelangen. Ich weiß in der That hierüber Nichts zu Dem hinzuzufügen, welches ſchon in der Vorrede des erſten Bandes (S. XXXII. fg. ) geſagt worden iſt. So werden alſo auch ferner verſchie - dene Meinungen über das in dieſer Arbeit einge - haltene richtige Maaß kaum zu vermeiden ſeyn.
Geſchrieben im October 1846.
Durch die der zweiten Abtheilung gegebene Ein - richtung iſt die bei der erſten gegebene Zuſage in Erfüllung gegangen, ſo daß jetzt der ſechste Band mit den früheren Bänden durchaus gleichförmig geworden iſt.
Geſchrieben im Julius 1847.
Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe. Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.
Die Aufgabe des Actionenrechts, in deſſen Mitte unſere Unterſuchung ſich gegenwärtig befindet, wurde oben (§ 204) dahin beſtimmt: die Veränderungen feſtzuſtellen, welche in einem Rechte durch die Verletzung deſſelben, ſo wie durch die zur Bekämpfung der Verletzung dienenden Anſtalten, entſtehen.
Der geſammte Zuſtand, in welchen dieſe Veränderungen fallen und aus welchem ſie entſpringen, iſt alſo hier zu - nächſt als ein Zuſtand der Rechtsverletzung aufgefaßtVI. 12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.worden. Dieſe Auffaſſung iſt auch an ſich ganz richtig, ja unentbehrlich; ſie muß aber jetzt noch durch eine andere ergänzt werden, wenn eine vollſtändige Einſicht in die ver - ſchiedenen Seiten, die dieſer Gegenſtand darbietet, erlangt werden ſoll.
Nur in den ſeltenſten Fällen nämlich iſt die Rechtsver - letzung eine anerkannte und zugeſtandene, bei welcher es nur darauf ankommen kann, dem rechtswidrigen Willen durch höhere Gewalt entgegen zu treten. Vielmehr wird dieſelbe faſt immer von der einen Seite behauptet, von der andern beſtritten werden, ſo daß dann das ganze Verhält - niß zunächſt die Geſtalt eines Rechtsſtreits annimmt, deſſen Entſcheidung vorhergehen muß, ehe eine Rechtsver - letzung angenommen und ausgeglichen werden kann. Der Rechtsſtreit nun läßt ſich ſtets in gegenſätzliche Behaup - tungen der ſtreitenden Parteien, als in ſeine Elemente, auflöſen, und dieſe Behauptungen, in ſofern ſie eine ſelbſt - ſtändige Natur an ſich tragen, ſind unter dem Namen der Klagen, Exceptionen, Replicationen und Duplicationen, in dem vorhergehenden Bande dieſes Werks abgehandelt worden. Auf ſie bezog ſich die erſte Klaſſe möglicher Verände - rungen der Rechte, welche aus der bloßen Rechtsverletzung (oder dem Rechtsſtreit) für ſich allein hervorgehen (§ 204). Unſere Unterſuchung wendet ſich nunmehr zu der zweiten Klaſſe ſolcher Veränderungen, welche nicht aus dem Rechtsſtreit allein, ſondern aus den in denſelben eingrei - fenden Prozeßhandlungen entſpringen.
3§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.Unter dieſen Prozeßhandlungen tritt uns zunächſt das Urtheil entgegen, durch welches jeder Rechtsſtreit zur Entſcheidung, alſo die angebliche Rechtsverletzung entweder zur Verneinung, oder zur Anerkennung und Ausgleichung, gebracht werden muß. Die Frage, ob und wie das Urtheil in den Inhalt und Umfang der Rechte ſelbſt verändernd einwirken kann, iſt in der That unabweislich, ja ſie iſt unter allen, die hier aufgeworfen werden können, die wich - tigſte; aber ausreichend iſt dieſe Frage nicht.
Sie würde nur dann als ausreichend gelten können, wenn es möglich wäre, jeden Rechtsſtreit, ſobald er vor den Richter gebracht wird, unmittelbar durch das Urtheil zu beendigen. Dieſes iſt jedoch nur in den ſeltenſten Fäl - len möglich. Faſt immer iſt Zeit, und oft ſehr lange Zeit, nöthig, damit ein unabänderliches Urtheil mit ſicherer Über - zeugung geſprochen werden könne. Gerade in dieſer Zeit aber können wichtige Umwandlungen in dem ſtreitigen Rechtsverhältniß eintreten, und wenn dieſes geſchieht, wird oft das am Ende ausgeſprochene, die Rechtsverletzung an - erkennende, Urtheil, die Ausgleichung gar nicht, oder nur unvollſtändig gewähren, wozu doch die Rechtspflege be - ſtimmt iſt.
Wenngleich nun dieſe Verzögerung des Urtheils nebſt ihren nachtheiligen Folgen mit der Ausübung des Richter - amts unzertrennlich verbunden, alſo unvermeidlich iſt, ſo müſſen wir ſie dennoch als ein Übel anerkennen, welches durch künſtliche Anſtalten auszugleichen unſre Aufgabe iſt.
1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Der Grund des erwähnten nothwendigen Übels liegt darin, daß der Anfang und das Ende des Rechtsſtreits (Klage und Urtheil) nicht gleichzeitig ſind, daß ſie vielmehr durch einen Zeitraum getrennt werden, in welchem für das Rechtsverhältniß Umwandlungen eintreten können. Die Ausgleichung des Übels wird darin beſtehen müſſen, daß das Urtheil ſich nicht darauf beſchränkt, über das urſprüng - lich vorhandene Recht zu entſcheiden, ſondern zugleich die Folgen dieſer Umwandlungen auszutilgen ſucht.
Die[allgemeine] Richtung, welche dieſer Theil der rich - terlichen Entſcheidung zu befolgen hat, läßt ſich in folgender Formel ausdrücken: Es iſt derjenige Zuſtand künſtlich hervorzubringen, welcher natürlich vorhanden ſeyn würde, wenn es möglich geweſen wäre, das Urtheil im Anfang des Rechtsſtreits auszuſprechen.
Jedoch iſt gleich hier wohl zu beachten, daß dieſe For - mel blos die durch die Natur der Aufgabe gegebene allge - meine Richtung der Löſung ausdrücken ſoll, und daß eine unbedingte, auf dem Wege einer bloßen logiſchen Folge - rung zu vermittelnde, Anwendung derſelben keinesweges gemeint ſeyn kann.
Zur vollſtändigen Löſung der hier geſtellten Aufgabe kommt es zunächſt darauf an, den Anfang des Rechts - ſtreits feſtzuſtellen, indem nur dadurch der Zeitraum genau begränzt werden kann, in welchem die durch das Urtheil auszutilgenden Umwandlungen eingetreten ſeyn müſſen.
5§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.Das Römiſche Recht ſetzt dieſen Anfang in die Litis - conteſtation. Dieſe werden wir als die Prozeßhandlung aufzufaſſen haben, welche zunächſt als Anfangspunkt des Rechtsſtreits, zugleich aber auch (welches nur eine ergän - zende Auffaſſung iſt) als Entſtehungsgrund der beſonderen Rechtsanſprüche anzuſehen iſt, die durch den oben an - gedeuteten Theil des Urtheils ihre Befriedigung erhalten ſollen.
Vor allem iſt nun das Weſen der Litisconteſtation feſtzuſtellen. Dieſe Unterſuchung wird dadurch nicht wenig erſchwert, daß ſchon bei den Römern dieſe Prozeßhandlung wichtige Umbildungen erfahren hat. Noch ſtärker waren dieſe in der Geſetzgebung und Praxis neuerer Zeiten. Dennoch iſt zu allen Zeiten, und ſelbſt bei den neueſten Schriftſtellern, der Begriff und der Name jenes Rechts - inſtituts feſtgehalten worden, wenngleich über die nähere Beſtimmung des Begriffs die Anſichten oft ſehr aus ein - ander gehen.
Hieran muß ſich dann der größere und wichtigere Theil unſerer Unterſuchung anknüpfen, welcher die Wirkungen der Litisconteſtation zum Gegenſtand hat. Die Aufgabe des richterlichen Urtheils, welche oben nur in einer allge - meinen Formel vorläufig angedeutet war, iſt in ihre Ele - mente zu zerlegen, wodurch allein die Einſicht gewonnen werden kann, welche Beſtimmungen in das Urtheil aufge - nommen werden müſſen, um die nachtheiligen Folgen der unvermeidlichen Dauer des Rechtsſtreits zu abſorbiren.
6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wenn nun ſo eben behauptet worden iſt, daß der Begriff der Litisconteſtation von allen, ſelbſt den neueſten, Schrift - ſtellern feſtgehalten und nur auf verſchiedene Weiſe beſtimmt worden ſey, ſo iſt davon noch ganz unabhängig die Frage, ob auch noch im heutigen gemeinen Recht die darzuſtel - lenden einzelnen Wirkungen an die Litisconteſtation ange - knüpft ſind. Es läßt ſich nämlich ſehr wohl die Behaup - tung denken, es ſey zwar ein beſtimmter, auf der nachzu - weiſenden Entwicklung des Römiſchen Rechts beruhender, Begriff der Litisconteſtation auch für uns vorhanden; allein die Wirkungen, die das Römiſche Recht an die Litiscon - teſtation knüpft, ſeyen in dem heutigen Recht, alle oder zum Theil, auf eine andere Prozeßhandlung übergegangen. Nach dieſer möglichen Behauptung wäre mithin ein anderer Zeitpunkt für den Anfang des Rechtsſtreits anzunehmen, ſey es allgemein, oder wenigſtens in Beziehung auf ein - zelne Wirkungen die das Römiſche Recht an die Litis - conteſtation anknüpft.
Da die Unterſuchung dieſer höchſt wichtigen Frage mit den einzelnen Wirkungen in Verbindung ſteht, ſo kann die - ſelbe auf befriedigende Weiſe erſt am Schluß der ganzen Lehre von der Litisconteſtation unternommen werden(a)Eigentlich kommt dieſe Frage in zwei verſchiedenen Geſtalten vor, deren Prüfung an zwei verſchiede - nen Orten unternommen werden mußte. Erſtlich iſt von vielen be - hauptet worden, ſchon im R. R., und zwar ſelbſt von Hadrian an, ſeyen die Wirkungen der L. C. auf einen früheren Zeitpunkt des Rechts - ſtreits zurück verlegt worden. Da - von mußte, des Zuſammenhangs wegen, im § 264 gehandelt wer -.
7§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.Der Zweck des ganzen Rechtsinſtituts, deſſen Darſtel - lung uns gegenwärtig beſchäftigt, geht auf Beſeitigung des nothwendigen Übels, welches in der Dauer des Rechts - ſtreits liegt, und zwar ſoll hier dieſer Zweck erreicht werden durch ausgleichende Beſtimmungen in dem Urtheil über den Rechtsſtreit. Es macht daher dieſes Inſtitut einen weſent - lichen Theil des materiellen Rechts, und zwar des Actio - nenrechts (§ 204) aus, und kann in unſrem Syſtem nur hier ſeine Stelle finden.
Allein den angegebenen praktiſchen Zweck haben mit ihm gar manche andere Rechtsinſtitute gemein, über welche in dieſer Beziehung hier eine allgemeine Ueberſicht nicht an unrechter Stelle ſeyn wird.
Dahin gehören zuerſt alle Maaßregeln, die auf Abkür - zung und Beſchleunigung der Prozeſſe hinwirken ſollen. So enthielt das ältere Römiſche Recht die ſtark eingrei - fende Regel, daß jeder Prozeß verloren ſeyn ſolle, wenn nicht in einer ſehr mäßigen Zeit das Urtheil erfolge(b)Gajus IV. § 104. 105. Ein legitimum judicium ſollte auf - hören mit dem Ablauf von Acht - zehn Monaten; ein judicium quod imperio continetur mit dem Ende der Magiſtratur, von welcher der Juder beſtellt war. Eine Erneue - rung derſelben Klage war unmög - lich, weil ſie in judicium deducirt, alſo conſumirt war.; dadurch wurde der Kläger zur eifrigen Betreibung der Sache aufgefordert. Das neueſte Recht hat dieſe Vor - ſchrift ganz aufgegeben.
Ferner kann jede gerechte Entſcheidung, und ſo auch(a)den. Zweitens wird eine Verän - derung dieſer Art für das heutige Recht behauptet; davon wird am Schluß gehandelt (§ 278. 279).8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Vortheil, der von dem Inſtitut der Litisconteſtation mit ihren Wirkungen erwartet wird, auf faktiſche Weiſe ganz oder theilweiſe vereitelt werden, indem nämlich eine Sache zerſtört oder veräußert, oder indem das Vermögen eines Schuldners erſchöpft wird. Dieſe Gefahren abzuwenden oder zu vermindern, dienen zuerſt manche wichtige Prozeß - inſtitute, wie die Prozeßcautionen, Arreſte und Sequeſtra - tionen, die missio in possessionem. Außerdem dienten zu demſelben Zweck manche Inſtitute des materiellen Rechts: ſo die Geſetze gegen die Veräußerung des Eigenthums und die Ceſſion von Schuldforderungen, ſobald eines dieſer Rechte Gegenſtand eines Rechtsſtreits geworden war (res litigiosa, actio litigiosa).
Wollte man dieſe Rechtsinſtitute wegen des überein - ſtimmenden praktiſchen Zweckes, neben der Litisconteſtation abhandeln, ſo würde daraus nur Verwirrung hervorgehen können. Die meiſten derſelben können nur in dem Zuſam - menhang des Prozeßrechts ihre rechte Stelle finden; und auch diejenigen, welche in der That dem materiellen Rechte angehören (wie das litigiosum), ſind doch nicht hier, ſon - dern in Verbindung mit der Lehre vom Eigenthum oder der Ceſſion, abzuhandeln.
Der Standpunkt, den wir in dieſer Unterſuchung zu nehmen haben, um zu einer befriedigenden Einſicht in den9§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.Inhalt unſrer Rechtsquellen zu gelangen, iſt das Zeit - alter des Formularprozeſſes, oder der vorherrſchenden ordi - naria judicia. Das Recht der früheren Zeit kann dabei nicht mehr in Betracht kommen. Dagegen iſt allerdings eine beſondere Rückſicht nöthig auf die Behandlung dieſes Gegenſtandes in dem extraordinarium judicium, welches ſchon frühe als Ausnahme in dem Zeitalter des Formular - prozeſſes vorkam. Die Feſtſtellung dieſes exceptionellen Zuſtandes wird dann den Uebergang bilden zu dem ſpäte - ren R. R., in welchem der ordo judiciorum völlig ver - ſchwindet, alſo die frühere Ausnahme als einzige Regel erſcheint.
Ich will damit anfangen, den Rechtszuſtand, der in den Stellen der alten Juriſten ſtets vorausgeſetzt werden muß, im Zuſammenhang darzuſtellen, und dann erſt die Rechtfertigung der einzelnen Sätze hinzufügen.
Die Litisconteſtation iſt (zu jener Zeit) eine Verhand - lung der ſtreitenden Parteien vor dem Prätor, worin beide den Streit durch gegenſeitige Erklärungen dergeſtalt feſt - ſtellen, daß derſelbe zum Uebergang an den Juder reif wird. Dieſe Verhandlung iſt der letzte Akt des Jus, das heißt des vor dem Prätor vorgehenden Theils des Pro - zeſſes; ſie iſt gleichzeitig mit der von dem Prätor ertheilten formula(a)Wenn es blos darauf an - kam, den Zeitpunkt zu bezeichnen, von welchem an gewiſſe Wirkungen im Prozeß eintreten ſollten, ſo, ſetzt alſo die Ernennung des Juder voraus, da deſſen Perſon in der formula bezeichnet wird.
10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Da jene Verhandlung dazu beſtimmt war, den Streit vollſtändig feſtzuſtellen, ſo durfte ſie ſich nicht auf eine bloße Erklärung über die Thatſachen beſchränken, ſie mußte vielmehr auch die Exceptionen, Replicationen und Dupli - cationen umfaſſen, alſo den ganzen Inhalt der formula in ſich aufnehmen, ſo daß die formula unmittelbar aus der Verhandlung entnommen werden konnte(b)Auf dieſen erſchöpfenden In - halt der L. C darf jedoch nicht allzu großes Gewicht gelegt wer - den, da er in der That nur für die ſtrengen Klagen als allgemein durchgeführt angeſehen werden kann. In den freyen Klagen konnte ſich der Beklagte vorläufig mit einem allgemeinen Widerſpruch begnügen, und dennoch vor dem Juder Ex - ceptionen geltend machen. (B. 5 S. 466)..
Der Name der L. C. iſt von einem einzelnen Beſtand - theil der ganzen Handlung hergenommen. Beide Par - teien riefen dabei gemeinſchaftlich Zeugen auf, mit dem Ausdruck: testes estote. — Dieſe Zeugen nun dürfen durchaus nicht als die Beweiszeugen gedacht werden, nach deren Ausſage künftig der Juder entſcheiden ſollte; ſolche kommen in vielen Prozeſſen überhaupt nicht vor, und in keinem Fall war jetzt ſchon die Zeit zu ihrer Vernehmung, alſo auch kein Bedürfniß zu ihrer Vorführung, gekommen. Vielmehr ſollten die Zeugen, die bei der L. C. erwähnt werden, den Inhalt der gegenwärtigen Verhandlung an - hören und künftig, wenn darüber Zweifel entſtände, be -(a)konnte man eben ſowohl die for - mula concepta, als die L. C., angeben, oder auch mit beiden Ausdrücken abwechſeln. Daß dieſes nicht geſchehen, ſondern ſtets nur die L. C. genannt worden iſt, er - klärt ſich aus ihrer Vertragsnatur (§ 258), von welcher ſogleich die Rede ſein wird.11§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.zeugen; ſie ſollten als lebendiges Protokoll dienen. Dazu konnte allerdings eher in dem blos mündlichen Prozeß der alten legis actiones ein Bedürfniß wahrgenommen werden, als neben der ſchriftlich abgefaßten formula(c)Keller § 1.. Dennoch kann ſich auch neben dem Formularprozeß dieſe Handlung, wie ſo vieles Andere, als formelle Erinnerung an einen älteren reellen Gebrauch erhalten haben; in jedem Fall aber konnte ſich der Name erhalten, nachdem man längſt aufgehört hatte, auch nur zum Schein Zeugen aufzurufen.
Die Hauptſtelle über das hier behauptete Weſen der L. C. findet ſich bei Feſtus (im Auszug des P. Diaconus) unter dem Wort Contestari, und lautet alſo: Contestari est, cum uterque reus dicit: Testes estote. Contestari litem dicuntur duo aut plures adver - sarii, quod ordinato judicio utraque pars dicere solet: Testes estote.
Hier wird der Ausdruck: contestari daraus erklärt, daß mehrere Perſonen gemeinſchaftlich die Zeugen an - rufen(d)Eben ſo wie compromissa pecunia, weil beide Parteyen eine Strafe verſprechen für den Fall des Ungehorſams gegen den Schieds - richter., und es wird in Anwendung auf den Prozeß (alſo auf die litis contestatio) ausdrücklich bemerkt, daß beide Parteien dieſe Handlung vornahmen. Es wird hinzugefügt, die Handlung ſey geſchehen ordinato judicio, d. h. alſo auch nachdem eine beſtimmte Perſon zum Juder ernannt war, indem dieſe Ernennung weſentlich zur An -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ordnung des Judicium gehörte(e)So wird auch anderwärts ordinatum judicium, ordinata lis oder causa gleichbedeutend ge - braucht mit litis contestatio. L. 24 pr. § 1. 2. 3, L. 25 § 2 de lib. causa (40. 12). — Eben - ſo wird der Zeitpunkt der L. C. bezeichnet mit den Worten: statim atque judex factus est. L. 25 § 8 de aedil. ed. (21. 1). Näm - lich die Ernennung des Judex, die L. C., und die Conception der Formel, ſind fortlaufende Theile deſſelben Prozeßaktes und liegen der Zeit nach nicht aus einander, ſo daß man das Eine wie das Andere als Bezeichnung eines und deſſelben Zeitpunktes gebrauchen kann.. Der Eingang aber, in Verbindung mit dem nachfolgenden Haupttheil der Stelle, deutet an, daß dieſe Handlung mit der angegebenen Benennung auch zu anderen Zwecken vorgekommen ſey(f)So bei dem Teſtament die suprema contestatio. L. 20 § 8 qui test. (28. 1 ) — Bei Ulpian. XX. 9 heißt es dafür testatio, gleichbedeutend mit nuncupatio; bei Gajus II. § 104 blos nun - cupatio. — Uebrigens kommt an - ſtatt litis contestatio auch judi - cium contestatum vor. L. 7 § 1 de her. pet. (5. 3 ) L. 19 sol. matr. (24. 3); dagegen finde ich contestatio allein, ohne lis oder judicium, in dieſem Sinn nicht. Denn in L. 1 § 1 C. de pet. her. (3. 31) iſt das contestationis blos eine verweiſende Wiederholung des unmittelbar vorhergehenden Aus - drucks litis contestationem (ſ. u. § 271 b)., wodurch alſo die litis contestatio nur als einer unter mehreren Fällen einer ſolchen feyerlichen Handlung be - zeichnet wird.
Obgleich nun Feſtus den Ausdruck litem contestari auf beide Parteien gleichmäßig bezieht, ſo geht doch der weit überwiegende Sprachgebrauch dahin, die Handlung des Klägers mit litem contestari, die des Beklagten mit judi - dicium accipere oder suscipere zu bezeichnen(g)Winckler p. 298. Keller § 6..
Contestari iſt übrigens ein Deponens, ſo daß nach der grammatiſchen Regel eigentlich nur von der Partei geſagt13§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.werden dürfte: litem contestatur, litem contestatus est. Indeſſen iſt der paſſive Gebrauch des Wortes (alſo lis contestatur, lis contestata) ſo häufig, daß das Verhältniß von Regel und Ausnahme völlig verſchwindet. Aus den Digeſten dafür Beiſpiele anzuführen, würde bei der großen Zahl derſelben ganz überflüſſig ſein. Damit man aber nicht glaube, daß ſolche Beiſpiele blos hier, als Zeichen ſinkender Latinität, zu ſuchen ſeyen, muß bemerkt werden, daß derſelbe Sprachgebrauch auch ſchon in der beſten Zeit vorkommt, namentlich bei Cicero(h)Pro Roscio Com. C. 11 und C. 12 „ lis contestata “. — Pro Flacco C. 11 „ ab hac per - enni contestataque virtute ma - jorum. “, bei Aufidius, einem Schüler des Servius Sulpicius(i)Priscian. Lib. 8 C. 4 § 18: „ P. Aufidius: si quis alio vocitatur nomine tum cum lis contestatur, atque olim vocita - batur, contestari passive po - suit. “ Priſcian führt es als eine grammatiſche Anomalie an. — Die Ausgaben leſen hier ganz ſinnlos: illis contestatur oder his con - testatur (p. 371 ed. Krehl, p. 791 (793) ed Putsch). Die richtige Leſeart iſt hergeſtellt und mit einer vortrefflichen ſachlichen Erklärung der Stelle begleitet von Huſchke, Zeitſchrift f. geſchichtl. Rechtswiſſ. B. 10 S. 339. 340., in der Lex Rubria de Gallia cisalpina(k)Col. 1 lin. 48 quos inter id judicium accipietur „ leisve contestabitur. “, und in einer Rechtsregel, die Gajus aus den Veteres anführt(l)Gajus III. § 180 „ apud veteres scriptum est: ante litem contestatam dare debi - torem oportere, post litem contestatam condemnari opor - tere. “.
Die wichtigſte und beſtrittenſte Frage bleibt bei Feſtus unentſchieden: ob nämlich die L. C. in das Jus fällt oder in das Judicium, d. h. ob ſie die letzte Handlung vor dem Prätor war, oder die erſte vor dem Judex. Beides ließe14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſich, nach der allgemeinen Beſtimmung der L. C., denken, und das praktiſche Reſultat würde in beiden Fälleu nicht ſehr verſchieden ſeyn. Beide Meinungen haben ihre Ver - theidiger gefunden, allein die erſte iſt durch ſichere Schlüſſe aus ſo vielen einzelnen Stellen begründet wor - den(m)Winckler § 3. 4. Keller § 1 — 5. — Die einzige ſchein - bare Stelle für die entgegenge - ſetzte Anſicht (L. un. C. de L. C.) wird unten erklärt werden., daß die Frage nunmehr als völlig entſchieden betrachtet werden darf. Der vollſtändigſte Beweis dafür, daß die L. C. vor dem Prätor vollzogen wurde, ergiebt ſich aber aus folgender weiteren Betrachtung. Wenn die die L. C. vor dem Prätor vorging, ſo war es gewiß ſehr zweckmäßig, den künftigen Judex der Handlung beiwohnen zu laſſen, und ich zweifle nicht, daß dieſes geſchehen ſeyn wird, wenn der Judex zufällig gegenwärtig war, oder wenn die Parteien ihn mit ſich vor den Prätor geführt hatten. Darauf deutet nun in der That eine Stelle des Papinian, nach welcher die Gegenwart und das Bewußt - ſeyn des Judex bei deſſen Ernennung (addictio) nicht nöthig ſeyn ſoll(n)L. 39. pr. de jud. (5. 1.) „ Cum furiosus judex addicitur non minus judicium erit, quod hodie non potest judicare .... neque enim in addicendo prae - sentia vel scientia judicis ne - cessaria est “Offenbar iſt hier die addictio judicis als der Zeit nach zuſammenfallend gedacht mit der L. C., dem judicium acceptum oder ordinatum, denn es wird aus - drücklich geſagt, es ſey ſchon jetzt ein wirkliches judicium vor - handen.; woraus Papinian ſchließt, auch ein Wahnſinniger könne zum Judex ernannt werden, und dieſe Ernennung ſey wirkſam, wenn er nur nachher wieder15§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.zu Verſtand komme; ja das judicium ſey für ihn von der Ernennung an wirklich vorhanden. Offenbar alſo nimmt Papinian an, die Ernennung des Judex, und der wirk - liche Anfang ſeines Judicium, alſo das acceptum oder ordinatum judicium (d. h. die L. C.) könne in Abweſen - heit des Judex Statt finden, woraus von ſelbſt folgt, daß die L. C. nicht eine vor dem Judex vollzogene, alſo unter deſſen Mitwirkung vorgenommene Handlung geweſen ſeyn kann. Ein gleich entſcheidendes Zeugniß liegt in einer Stelle des Paulus. Wenn ein Provinziale als Legat nach Rom kam, ſo brauchte er ſich daſelbſt in der Regel nicht verklagen zu laſſen. Ausnahmsweiſe aber war er dennoch dazu verpflichtet, jedoch nur ſo, daß die L. C. in Rom (vor dem Prätor) vollzogen, das Judicium aber in der Provinz (vor einem daſelbſt lebenden Judex) geführt wurde(o)L. 28 § 4 de jud. (5. 1. ) „ causa cognita adversus eum judicium praetor dare debet, ut lis contestetur, ita ut in provinciam transferatur. “.
Um die Veränderungen verſtehen zu können, die ſich im ſpäteren R. R. mit der Form der L. C. zugetragen haben, iſt es nöthig, zuvor für die Zeit des Formular - prozeſſes die Stellung anzugeben, welche ſie neben den extraordinariis judiciis einnahm.
Es leuchtet ſogleich ein, daß ſie in dieſen nicht gedacht werden darf als eine förmliche Handlung der Parteien in16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Verbindung mit der Abfaſſung der formula, und dazu beſtimmt, den Uebergang des Rechtsſtreits an den Judex zu vermitteln; denn bei den extraordinariis judiciis kam weder ein Judex, noch eine formula vor, indem der ganze Rechtsſtreit vor dem Magiſtratus von Anfang bis zu Ende durchgeführt wurde. Da aber wegen der wichtigen prak - tiſchen Folgen auch hier die L. C. nicht zu entbehren war, ſo mußte man dafür einen Zeitpunkt aufſuchen, welcher mit dem Zeitpunkt der förmlichen L. C. im ordentlichen Prozeß am meiſten Analogie hatte. Es konnte nun kein Zweifel ſeyn, dafür die Zeit anzunehmen, in welcher ſich die Parteien vor dem Magiſtratus über ihre gegenſeitigen Behauptungen und Anſprüche vollſtändig ausgeſprochen hatten. Dieſes war weſentlich daſſelbe wie die eigentliche L. C., und der Unterſchied lag lediglich in der äußeren Form der Handlung.
Dieſe, nach innerer Wahrſcheinlichkeit kaum zweifel - hafte Annahme findet ihre Beſtätigung in folgenden Zeug - niſſen, deren Erklärung zugleich dazu dienen kann, manche Zweifel und Mißverſtändniſſe unſrer Schriftſteller zu beſeitigen.
1. L. un. C. de litis contestatione (3. 9. ) von Seve - rus et Antoninus 203.
„ Res in judicium deducta non videtur, si tantum postulatio simplex celebrata sit, vel actionis species ante judicium reo cognita. Inter litem enim con - testatam et editam actionem permultum interest. 17§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.Lis enim tunc contestata videtur, cum judex per narrationem negotii causam audire coeperit. “
Aus dieſer Stelle haben zuerſt Manche beweiſen wollen, die L. C. ſey nicht vor dem Prätor, ſondern vor dem Judex vollzogen worden (Note m), eine Meinung, die ſchon oben widerlegt worden iſt. Es kommt alſo darauf an, den Schein zu entfernen, der allerdings in der Stelle für dieſe Meinung enthalten iſt, indem zu der Zeit, worin dieſelbe niedergeſchrieben wurde, der Formularprozeß noch in voller Kraft beſtand.
Einige ſagen, die Kaiſer hätten die oben angegebene Natur der vor dem Magiſtratus vollzogenen L. C. bezeich - nen wollen, und unter dem judex den Magiſtratus ver - ſtanden(p)So die bei Keller § 5 Note 5 angeführten Schriftſteller. — Ganz unbefriedigend ſcheint mir die Erklärung von Zimmern Rechts - geſchichte B. 3 § 119 Note 13: „ Die L. C. iſt bereits eingetreten, wenn das Judicium erſt begonnen hat. “ Ein ſolcher Schluß der Stelle würde mit dem Anfang in gar keinem Zuſammenhang ſtehen.. Dieſe Erklärung iſt nicht anzunehmen, denn obgleich der Ausdruck judex nicht ſelten dieſe Bedeutung hat, ſo können ihn doch unmöglich die Kaiſer, wenn ihnen das ordinarium judicium vor Augen ſtand, in dieſer ano - malen Bedeutung (für den Magiſtratus) gebrauchen, wo - durch ſie faſt unvermeidlich mißverſtanden werden mußten.
Andere nehmen an, die Kaiſer hätten wirklich den Ma - giſtratus genannt, und die Stelle habe nur durch eine durchgreifende Interpolation ihre gegenwärtige Geſtalt er - halten(q)Keller § 5.. Zu einer ſolchen Interpolation kann ich einVI. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen, ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen gehört, und dadurch das Material zur Conception der For - mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors, des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen.
Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus - druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam. Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus - drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver - dienten Schein einer Interpolation geben. — Allerdings ſagt die Stelle, wie wir ſie vor uns haben, nicht, daß19§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.von einem ſolchen Rechtsſtreit die Rede ſey; allein ſie iſt ein Reſcript, das wir gewiß nur ſehr unvollſtändig vor uns haben(r)Dieſe Unvollſtändigkeit er - hellt unwiderſprechlich ſchon aus dem Umſtand, daß ein anderer Theil derſelben Stelle als L. 3 C. de edendo (2. 1) in den Co - dex aufgenommen worden iſt., und aus deſſen weggelaſſenem Eingang jene Vorausſetzung unzweifelhaft hervorgehen mochte. Ge - wiſſermaaßen nimmt auch dieſe Erklärung eine Inter - polation an, aber eine ſolche, die nicht durch Veränderung des Inhalts, ſondern durch bloße Weglaſſung anderer Theile der Stelle bewirkt wurde.
2. L. 33 de Obl. et Act. (44. 7. Paulus lib. 3 De - cretorum).
„ Constitutionibus quibus ostenditur heredes poena non teneri, placuit, si vivus conventus fuerat, etiam poenae persecutionem transmissam videri: quasi lite contestata cum mortuo. “
Nach einer alten Regel ſollten Pönalklagen nicht gegen die Erben des Schuldners übergehen, außer wenn die L. C. vollzogen worden war(s)S. o. B. 5 § 211 g. . Die vorliegende Stelle nun ſpricht nicht von einer gewöhnlichen Pönalklage unter Privatperſonen, die in das jus ordinarium gehört und wobei jene Regel unmittelbar zur Anwendung kommt. Sie ſpricht vielmehr von einer fiscaliſchen Strafe, die vor den Fiscalbeamten verfolgt wird, alſo extra ordinem, ſo daß dabei kein Judex und keine eigentliche L. C. vorkam(t)Dieſe Annahme wird durch die Inſeription der Stelle beſtä - tigt. Denn in demſelben lib. 3. 2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dabei mußte der Uebergang auf die Erben an eine der L. C. analoge Handlung geknüpft werden. In dieſem Sinn ſagt nun Paulus, der Uebergang auf die Erben müſſe angenommen werden, wenn nur bei dem Leben des jetzt Verſtorbenen die Klage eingeleitet war(u)Das conventus fuerat darf nur nicht zu eingeſchränkt von der blos erhobenen Klage, verſtan - den werden, ſo wie conventus und petitum in mehreren Di - geſtenſtellen auch bei dem ordent - lichen Prozeß vorkommt, wo es das convenire cum effectu, alſo die Zeit der vollzogenen L. C., bezeichnet. Eine entſcheidende Stelle für dieſe Bedeutung des conven - tus iſt L. 8 de nox. act. (9. 4 ) Eben ſo für petitum die L. 22 de reb. cred. (12. 1 ) Vergl. Wächter H. 3 S. 66. 67.; denn dieſe Einleitung der Klage ſey in den extraordinariis judiciis als der Akt zu betrachten, welcher der wirklichen L. C. im ordentlichen Prozeß entſpreche (quasi lite contestata cum mortus)(v)Im Weſentlichen haben die richtige Erklärung: Voorda In - terpr. II., 19, Wächter H. 3 S. 112.. — Dieſe Stelle hat von jeher großen Anſtoß erregt. Indem man das conventus zu eng, von der blos erhobenen Klage, verſtand, und die Stelle auf den ordentlichen Prozeß bezog, ſuchte man dadurch zu helfen, daß man ſie von ſolchen Fällen verſtand, in welchen die L. C. vom Verſtorbenen abſichtlich verzögert worden war, welches widerrechtliche Verfahren ihn nicht gegen den Übergang auf ſeine Erben ſchützen ſollte(w)Nach mehreren Vorgän - gern hatte ich dieſe Erklärung an - genommen, Bd. 5 § 211 g., die ich jetzt ganz aufgebe, da die Stelle durchaus keine Spur dieſer Vorausſetzung enthält. — Kie - rulff S. 281 betrachtet dieſe Stelle als einen Beweis, daß ſchon die Römer die Wirkungen der L. C. Haloander(t)deeretorum des Paulus kom - men mehrere Stellen über Fiscal - klagen vor dem procurator Cae - saris vor.21§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.ſuchte auf andere Weiſe zu helfen, durch die etwas kühne Emendation: transmissam non videri, quasi lite con - testata eo mortuo “(x)Einigen Anhalt zu dieſer Emendation giebt die vulg. : „ re - missam non videri, die jedoch dem Sinn nach ganz mit der Florentina übereinſtimmt..
3. L. 20 § 6. 7. 11. de her. pet. (5. 3).
Das Sc. Iuventianum ſprach zunächſt von den An - ſprüchen des Fiscus auf eine caduca hereditas, alſo von einem extraordinarium judicium vor den Fiscalbeamten, obgleich es allerdings auch auf den ordentlichen Prozeß unter Privatperſonen angewendet wurde(y)L. 20 § 9 de her. pet. (5. 3).. Für den urſprünglichen Fall dieſes Senatusconſults mußte daher ein anderer Zeitpunkt angenommen werden, welcher an die Stelle der L. C. im ordentlichen Prozeß treten konnte. Von dieſer Bemerkung wird noch unter Gebrauch gemacht werden (§ 264).
Die Stellung, welche ſo eben für die L. C. in den extraordinariis judiciis der älteren Zeit nachgewieſen worden iſt, konnte unverändert beibehalten werden, als in der ſpäteren Zeit alle Klagen überhaupt in extraordi - naria judicia verwandelt wurden. Die frühere Ausnahme wurde nun zur allgemeinen Regel, ſonſt änderte ſich Nichts.
So erſcheint in der That die Sache in einer früheren Conſtitution von Juſtinian(z)L. 14 § 1 C. de jud. (3. 1)., welche weſentlich über -(w)auf die Vorladung des Beklagten übertragen hätten. “22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einſtimmend mit dem oben angeführten Reſcript von Sever und Antonin, den Zeitpunkt der L. C. ſo be - zeichnet: „ cum lis fuerit contestata, post narrationem propo - sitam et contradictionem objectam. “
In ſpäteren Geſetzen fügte Juſtinian folgende neue Beſtimmungen hinzu.
Wenn dem Beklagten die Klage eingehändigt iſt, ſoll derſelbe nach Ablauf von Zwanzig Tagen vor dem Gericht erſcheinen, und daſelbſt die L. C. vornehmen. Jede inner - halb dieſes Zeitraums abgegebene Erklärung ſoll den Be - klagten nicht binden, und nicht als L. C. angeſehen werden(aa)Nov. 53 C. 3. Nov. 82 C. 10. Auth. Offeratur C. de L. C. (3. 9).
Der Kläger ſoll von ſeiner Seite Caution ſtellen, daß er die L. C. nicht über Zwei Monate aufhalten wolle(bb)Nov. 96 C. 1. Auth. Libellum C. de L. C. (3. 9).
Dieſe Beſtimmungen betreffen die bloße Prozeßform, und ändern das Weſen der L. C. auf keine Weiſe ab.
Wir können alſo auch noch für das neueſte Juſti - nianiſche Recht den Begriff der L. C., weſentlich überein - ſtimmend mit dem Begriff des älteren Rechts, dahin beſtimmen: Sie beſteht in der vor der richterlichen Obrigkeit ab - gegebenen Erklärung beider Parteien über das Da - ſeyn und den Inhalt des Rechtsſtreits.
23§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)Dabei iſt aber allerdings, nach der ganzen Wendung die in dieſer Zeit der Prozeß genommen hatte, der factiſche Unterſchied anzuerkennen, daß jetzt ſehr häufig, wohl in den meiſten Fällen, die L. C. in dem Rechtsſtreit merklich ſpäter eintreten mochte als in dem älteren Prozeß.
Bisher iſt die äußerliche Natur der L. C. in Erwä - gung gezogen worden: die Form, der Zeitpunkt, die Be - zeichnung dieſer Prozeßhandlung. Ich wende mich nun zur Unterſuchung ihres inneren oder juriſtiſchen Weſens, welche noch wichtiger iſt als jene erſte Erwägung, theils weil ſie unmittelbar mit den Wirkungen zuſammenhängt, theils weil ſie ein bleibenderes, von dem Wechſel hiſto - riſcher Zuſtände weniger abhängiges, auch für unſere Zeit gültiges Intereſſe mit ſich führt.
Es muß hier daran erinnert werden, daß jedes Klag - recht, ohne Unterſchied des Rechts welches ihm zum Grunde liegt, die Natur einer Obligation mit ſich führt (§ 205). Die L. C. nun iſt als diejenige Prozeßhandlung zu denken, wodurch dieſe Obligation ein wirkliches Daſeyn und zugleich eine beſtimmte Geſtalt erhält.
Auf zweierlei Weiſe aber greift die L. C. in das be - ſtehende Rechtsverhältniß ein: nach der Vergangenheit und nach der Zukunft. Nach der Vergangenheit, indem die vorhandene Klage in judicium deducirt, und dadurch24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.conſumirt, d. h. für jede neue Verfolgung unbrauchbar gemacht wird: nach der Zukunft, indem die L. C. eine weſentliche Modification für den Inhalt des künftigen Urtheils begründet.
Die Wirkung auf die Vergangenheit, oder die Conſumtion der Klage, wurde in zwei verſchiedenen For - men bewirkt.
Bei denjenigen Klagen, welche in personam giengen, zugleich eine juris civilis intentio hatten, und zugleich als legitima judicia geltend gemacht wurden, ſollte die Con - ſumtion ipso jure eintreten; bei allen übrigen Klagen nur vermittelſt einer exceptio rei in judicium deductae(a)Gajus III. § 180. 181, IV. § 106. 107. 98..
Daneben kommt auch der Ausdruck Novatio vor; aus alter Zeit und direct nur in einer Stelle von Papi - nian(b)Fragm. Vat. § 263 „ .. nec interpositis delegationibus aut inchoatis litibus actiones novavit. “; auf indirecte Weiſe in den Digeſten und in einer Conſtitution von Juſtinian(c)L. 29 de nov. (46. 2 ) „ Aliam causam esse novationis volun - tariae, aliam judicii accepti, multa exempla ostendunt. “ Der Ausdruck novatio voluntaria deu - tet nicht nothwendig, aber doch möglicherweiſe, auf den Gegenſatz einer in der L. C. enthaltenen novatio necessaria, welcher Aus - druck ſelbſt ohnehin nirgend vor - kommt. Daß hier die in der L. C. enthaltene Conſumtion als Gegenſatz gemeint war, iſt aus den in Note a und b angeführten Stellen unzweifelhaft. — L. 3 pr. C. de us. rei jud. (7. 54 ) „ Si enim novatur judicati actione prior contractus “rel. Hier wird ganz unpaſſenderweiſe die längſt antiquirte novatio als Rechtfertigung von Juſtinians neuer Vorſchrift über die Urtheils - zinſen angeführt.. Dennoch iſt kein Grund vorhanden, die Ächtheit dieſes Kunſtausdrucks zu25§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)bezweifeln(d)Der Umſtand, daß Gajus IV. § 176 — 179 die aus der frei - willigen Stipulation hervorgehende novatio abhandelt, und dann § 180. 181 die Conſumtion in der L. C. darſtellt ohne dabei den Aus - druck novatio zu wiederholen, kann nicht als Widerlegung gelten. Er erklärt ſich aus der auch in L. 29 de nov. (Note c) hervorgehobenen ganz anomalen Natur dieſer No - vation.. Nach der außerdem bekannten Natur der Novation ſind wir aber berechtigt zwei Beſtimmungen anzunehmen, obgleich dafür keine unmittelbare Zeugniſſe vorhanden ſind. Erſtlich, daß dieſer Ausdruck beſchränkt war auf die Fälle, worin die Conſumtion ipso jure wirkte (Note a), indem nämlich überall die Novation nur als eine ipso jure wirkende Handlung erſcheint. Zweitens, daß dieſe Novation, alſo jede ipso jure eintretende Con - ſumtion, bewirkt wurde durch eine Stipulation, da der allgemeine Begriff der Novation kein anderer iſt, als: Vernichtung irgend einer Obligation durch Verwandlung in eine verborum obligatio(e)L. 1. 2 de nov. (46. 2). Gajus III. § 176 — 179. — Ich gebe indeſſen zu, daß dieſer auf Analogie gegründete Schluß nicht auf volle Gewißheit Anſpruch machen kann, da es bei dieſem in jedem Fall anomalen Rechtsinſtitut hierin auch wohl anders geweſen ſeyn könnte..
Ueber die ſpäteren Schickſale der Conſumtion überhaupt und der damit verbundenen Novation insbeſondere können wir nicht im Zweifel ſeyn. Sie ſind völlig untergegangen, ohne irgend einen Ueberreſt, indem die practiſchen Folgen, für welche ſie eingeführt waren, jetzt auf anderen und ſichreren Wegen herbeigeführt werden. Ganz zufällig hat ſich die wörtliche Erwähnung der Novation, ohne irgend26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.eine praktiſche Bedeutung, in zwei Stellen des Juſti - nianiſchen Rechts erhalten (Note c). Es iſt daher durch - aus nicht zu rechtfertigen, wenn manche Schriftſteller unſrer Zeit von der aus der L. C. entſpringenden Nova - tion als von einem noch fortdauernden Inſtitut des Juſtinianiſchen und ſelbſt des heutigen Rechts ſprechen(f)So Glück B. 6 S. 205 und mehrere Andere. Vgl. dagegen Wächter H. 3 S. 38 fg. — Ins - beſondere muß ich auch jetzt die neue Novation aufgeben, die ich früher als im Urtheil liegend an - genommen habe (B. 5 S. 325), verleitet durch die Faſſung des al - ten Rechtsſprüchworts bei Gajus III. § 180 und der in der Note c angeführten Aeußerung von Ju - ſtinian. Es iſt für eine Nova - tion im Nömiſchen Sinn we - der ein praktiſches Bedürfniß, noch irgend ein ſicheres Zeugniß vor - handen. Vgl. hierüber Wächter H. 3 S. 47. 48. — Die neuen Rechtsverhältniſſe, die allerdings jedes rechtskräftige Urtheil erzeugt, ſollen damit nicht in Zweifel ge - zogen werden; von ihnen wird unten ausführlich gehandelt werden. Der praktiſche Erfolg iſt hier auch gewiß derſelbe wie bei einer wirk - lichen Novation, indem der Kläger nicht mehr ſein früheres Recht neben dem Urtheil und wider das - ſelbe geltend machen kann. Nur bezweifle ich, daß jemals ein alter Juriſt den Ausdruck novatio von dem Urtheil gebraucht haben möchte; die Tilgung ipso jure, die der eigentliche Charakter der Novation iſt, war ja mit der L. C. ſchon vollendet, und für eine neue No - vation war kein Raum vorhanden..
Die eben ſo wichtige, und noch jetzt vorhandene Wir - kung der L. C. in die Zukunft iſt in ſofern ganz un - zweifelhaft, als in der That aus ihr ein obligatoriſches Verhältniß entſteht, ganz entſprechend dem allgemeinen in der Natur jedes Rechtsſtreits gegründeten Bedürfniß (§ 256). Es iſt aber zuvörderſt zu unterſuchen, durch welche juriſtiſche Formen dieſes obligatoriſche Verhältniß bewirkt wurde: eine Frage, die nicht ohne Zweifel und Verwicklungen iſt.
27§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)Für die Klagen in rem läßt ſich hierüber eine beſtimmte Behauptung durch ein unmittelbares Zeugniß des Gajus begründen(g)Gajus IV. 89. Die Stelle lautet vollſtändig ſo: „ Igitur si verbi gratia in rem tecum agam, satis mihi dare debes. Aequum enim visum est, te de eo, quod interea tibi rem, quae an ad te pertineat dubium est, pos - sidere conceditur, cum satis - datione mihi cavere: ut si victus sis, nec rem ipsam restituas, nec litis aestimationem sufferas, sit mihi potestas, aut tecum agendi, aut cum sponsoribus tuis. “— Daß dieſe Stipulation, eben ſo wie bei den perſönlichen Klagen, den Namen judicatum solvi führte, ſagt ausdrücklich der § 91.. Dieſer ſagt, dem Beklagten werde bei ſolchen Klagen der Vortheil gewährt, die Sache auch wäh - rend des Rechtsſtreits beſitzen zu dürfen (possidere conce - ditur). Dafür müſſe er von ſeiner Seite für den Fall, daß er künftig unterliege, durch eine stipulatio judicatum solvi Entſchädigung verſprechen und zugleich durch Bür - gen ſicher ſtellen (cum satisdatione cavere), wodurch dann der Kläger die Befugniß erlange, künftig nach ſeiner Wahl ſowohl den Beklagten ſelbſt, als deſſen Bürgen zu verklagen (aut tecum agendi, aut cum sponsoribus tuis). Worauf die stipulatio judicatum solvi dieſer Bürgen, und alſo ohne allen Zweifel auch völlig gleichlautend die des Beklagten ſelbſt, als des Hauptſchuldners, gerichtet war, wird uns anderwärts ausführlich geſagt. Sie hatte drei Clauſeln: de re judicata, de re defendenda, de dolo malo(h)L. 6. 17. 19. 21 jud. solvi (46. 7).. — Demnach müſſen wir bei den Klagen in rem, neben der L. C., eine Stipulation annehmen, wodurch die eigenthümlichen Obligationen begründet wurden, die uns28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gegenwärtig, als Folgen der L. C., beſchäftigen. Über die formelle Einrichtung dieſer ganzen Prozeßhandlung enthalte ich mich, in Ermangelung von Nachrichten, jeder Behaup - tung; ich laſſe es alſo dahin geſtellt ſeyn, ob die L. C. mit der Stipulation verſchmolzen war, oder ob beide als getrennte, aber gleichzeitige Akte neben einander ſtanden.
Dieſe Stipulation darf übrigens nicht ſo gedacht werden, als ob dadurch die künftige judicati actio im Voraus no - virt, alſo an der Entſtehung verhindert worden wäre. Eine ſolche Novation einer noch nicht fälligen Obligation war allerdings an ſich wohl zuläſſig(i)L. 5 de nov. (46. 2).. Allein vor Allem ge - hörte zu jeder Novation die Abſicht zu noviren, d. h. die Abſicht eine andere Obligation durch Umtauſch zu zerſtö - ren(k)L. 2 de nov. (46. 2)., und da dieſe Abſicht hier fehlte, ſo beſtand die actio judicati daneben, ſo daß der Kläger, der den Prozeß gewann, die Wahl hatte zwiſchen der judicati actio, der Stipulationsklage gegen den Beklagten, und der Stipula - tionsklage gegen die Bürgen(l)L. 8 § 3 de nov. (46. 2 ), L. 38 § 2 de sol. (46. 3 ), Pau - lus V. 9. § 3. — Dieſe Bemer - kung macht richtig Buchka Ein - fluß des Prozeſſes I. 234, obgleich zu einem irrigen Zweck. — Von einer Novation als Einwirkung auf die Vergangenheit, alſo als Ver - nichtung einer urſprünglichen Obli - gation, ſo wie bei manchen per - ſönlichen Klagen (Note a. b. c. d), konnte hier ohnehin nicht die Rede ſeyn, da den Klagen in rem über - haupt keine Obligation zum Grunde liegt..
Dieſe ganze Einrichtung bei der petitoria formula war übrigens nichts Neues, ihr Eigenthümliches; es war viel - mehr bloß die Fortſetzung und Entwicklung des uralten29§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)Rechtsſatzes, der bei der legis actio in den praedes litis et vindiciarum, und bei dem Sponſionsprozeß in der stipu - latio pro praede litis et vindiciarum geltend gemacht wurde(m)Gajus IV. § 91. 94..
So verhielt es ſich alſo, nach ſicheren Zeugniſſen, bei den Klagen in rem. Weniger einfach und klar iſt die Sache bei den perſönlichen Klagen.
Betrachten wir zuerſt diejenigen perſönlichen Klagen, bei welchen die Conſumtion ipso jure, vermittelſt einer Novation, bewirkt wurde (Note a). Dieſe unterſcheiden ſich von den Klagen in rem darin, daß dem Beklagten während des Rechtsſtreits nicht etwas Beſonderes gewährt, und eben ſo der Kläger nicht in die Gefahr der Zerſtörung oder des Untergangs der ſtreitigen Sache geſetzt wird. Darum braucht hier der Beklagte in der Regel nicht, ſon - dern nur ausnahmsweiſe, Bürgen zu ſtellen(n)Gajus IV. § 102.. Dagegen hat es kein Bedenken anzunehmen, daß er ſelbſt, für ſeine Perſon, eine Stipulation geſchloſſen haben möchte; ja dieſe Annahme hat ſogar einen beſondern Anhalt in dem Um - ſtand, daß die Novation als ſolche das Daſeyn einer Sti - pulation vorausſetzen läßt (Note e). Der Inhalt dieſer Stipulation aber wird ohne Zweifel dieſelben drei Clauſeln gehabt haben, welche überhaupt bei den Prozeßſtipulationen der Bürgen gebraucht wurden (Note h), ſo daß hierin kein Unterſchied zwiſchen dieſen Klagen und den Klagen in rem geweſen ſein wird. — Ganz eben ſo, und zwar noch ge -30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wiſſer, müſſen wir eine ſolche Stipulation des Beklagten annehmen bei denjenigen Fällen perſönlicher Klagen, bei welchen ausnahmsweiſe, aus beſonderen Gründen, eine Bürgſchaft judicatum solvi gefordert werden konnte. Denn daß einer ſolchen Stipulation der Bürgen ſtets eine eigene Stipulation des Beklagten zum Grunde gelegt wurde, läßt ſich nicht nur aus innerer Wahrſcheinlichkeit annehmen, ſondern es wird auch ausdrücklich bezeugt(o)L. 38 § 2 de sol. (46. 3). Bei jeder satisdatio war alſo eine repromissio; fehlte dagegen die satisdatio, ſo hieß es nuda re - promissio. L. 1 § 5 de stip. praet. (46. 5)..
In den Fällen dieſer mit vielen perſönlichen Klagen verbundenen Stipulationen, worin ſtets die doli clausula enthalten war (Note h), erklärt ſich dann von ſelbſt der Umſtand, daß auch die ſtrengen Klagen von der L. C. an eine eben ſo freie Natur annahmen, wie ſie außerdem nur bei den freien Klagen vorkommt(p)S. o. B. 5 S. 501. Der In - halt dieſer Stelle muß nun durch das jetzt Folgende in dem Umfang der Anwendung beſchränkt werden; die Sache ſelbſt bleibt richtig..
Was endlich die große Zahl der, nach Abzug der eben erwähnten, noch übrigen perſönlichen Klagen betrifft, alſo diejenigen, bei welchen die Conſumtion durch die L. C. nicht ipso jure, ſondern per exceptionem (ohne Novation) bewirkt wurde, und bei welchen auch nicht etwa eine excep - tionelle Caution durch Bürgen vorkam, ſo ließe ſich auch bei ihnen eine mit der L. C. ſtets verbundene Stipulation wohl denken, ſo daß unter dieſer Vorausſetzung eine Sti -31§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)pulation neben der L. C. allgemein Statt gefunden hätte. Allein ein Zeugniß haben wir für dieſe Annahme nicht; ſie wird vielmehr dadurch unwahrſcheinlich, daß alsdann der einfachſte und leichteſte Erklärungsgrund für die ver - ſchiedene Behandlung beider Klaſſen von Klagen wegfallen würde, indem das Daſeyn der Stipulation die Novation natürlich mit ſich führt, der Mangel derſelben die Novation ausſchließt.
Nehmen wir nun an, bei dieſer zahlreichen Klaſſe von Klagen ſey keine Stipulation vorgekommen, ſo müſſen wir eine andere Rechtsform aufſuchen, an welche die mit der L. C. auch bei dieſen Klagen unſtreitig verbundene neue Obligation angeknüpft werden kann. Ganz daſſelbe Be - dürfniß aber tritt ein für die extraordinaria judicia, die zur Zeit des alten Formularprozeſſes als Ausnahmen, im ſpäteren R. R. aber als die ganz allgemeine Regel, vor - kommen. So nimmt alſo die Frage nach dieſer Rechtsform in der That die größte Ausdehnung und Wichtigkeit in Anſpruch.
Die von jeher gewöhnliche Auffaſſung für das Juſti - nianiſche Recht geht dahin, die L. C. ſey ein Quaſicontract, und erzeuge daher contractähnliche Obligationen(q)Keller § 14, und vor ihm die meiſten Schriftſteller.. Mit dieſer Auffaſſung können wir einſtimmen, indem dadurch die contractliche Natur des Verhältniſſes anerkannt wird, welches dennoch kein wahrer, auf freiem Entſchluß beru - hender Vertrag iſt. Es iſt ein fingirter Vertrag, ſo32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gut als die negotiorum gestio und die Tutel. Bei dieſen entſteht die Obligation aus einſeitigen Handlungen, ohne Mitwirkung des anderen Theils. Bei der L. C. erſcheinen zwar beide Parteien als mitwirkend, aber die Gründung einer Obligation beruht nicht auf ihrem freien Entſchluß den ſie auch unterlaſſen könnten, ſondern auf den unab - weislichen Vorſchriften des Prozeßrechts(r)Bethmann-Hollweg S. 75. 79 will keinen Contract an - nehmen, ſondern einen prozeſſua - liſchen Vertrag, gerichtet auf die ausſchließende Unterwerfung unter dieſes judicium. Dieſe Auffaſſung iſt auch wahr, aber einſeitig, und drückt die wichtigſten und bleibend - ſten Seiten des geſammten Ver - hältniſſes nicht aus. Ein ganz dahin paſſender Ausdruck ſteht in L. 3 pr. jud. solvi. (46. 7) „ sen - tentiae .... se subdiderunt. “— Donellus XII. 14. § 6 — 9 ſucht mit großer Subtilität auszuführen, die L. C. ſey kein Quaſicontract, ſondern ein wirklicher, aber ſtill - ſchweigender Vertrag. Er über - ſieht dabei, daß zu dem ſtillſchwei - genden Vertrag eben ſo, wie zu dem ausdrücklichen, der freie Wille erforderlich iſt, dieſer aber hier fehlt..
Über die Natur dieſes contractlichen, oder contractähn - lichen, Verhältniſſes, wie es durch die L. C. in jeden Rechtsſtreit eingeführt wird, ſollen jetzt noch einige Betrach - tungen folgen.
Die allgemeinſte Anerkennung eines ſolchen Verhält - niſſes, welches aus der L. C. neu entſpringt, und von dem früher vorhandenen Rechtsverhältniß an ſich unabhängig iſt, findet ſich in folgender Stelle des Ulpian: L. 3 § 11 de peculio (15. 1 ): „ Idem scribit, judicati quoque patrem de peculio actione teneri, quod et Marcellus putat; etiam ejus actionis nomine, ex qua non potuit pater de peculio actionem pati; nam33§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)sicut stipulatione contrahitur cum filio, ita judicio contrahi; proinde non originem judicii spectan - dam(s)D. h. nicht das urſprüng - liche, dem Rechtsſtreit vorherge - hende, zum Grund liegende Rechts - verhältniß., sed ipsam judicati velut obligationem(t)D. h. ſondern die Obligation, welche aus der in der L. C. enthal - tenen Stipulation neu entſpringt, und hier auf die Erfüllung des Judicats gerichtet iſt. L. 6 jud. solvi (46. 7) „ de re judicata. “. “
Dieſe Stelle iſt eben ſo wahr unter Vorausſetzung einer in der L. C. enthaltenen wirklichen Stipulation, wie ſie im älteren Recht theilweiſe ſicher vorkam, als unter Voraus - ſetzung eines Quaſicontracts, und ſie drückt alſo das allge - meine und bleibende Weſen des aus der L. C. hervorge - henden Rechtsverhältniſſes ſehr beſtimmt aus.
Aus dieſem contractlichen oder contractähnlichen Ver - hältniß erklären ſich befriedigend mehrere in dem vorher - gehenden §. bemerklich gemachte Thatſachen. Erſtlich warum zur Bezeichnung des in jedem Rechtsſtreit eintretenden, beſonders wichtigen und entſcheidenden Zeitpunktes ſtets die L. C., nicht die mit ihr gleichzeitige Conception der Formel gewählt wird. Die in der L. C. enthaltene Contractsnatur war der Entſtehungsgrund der von dieſer Zeit anfangenden Rechtswirkungen, die Formel war blos eine Anweiſung für den Juder, und hatte für die Parteien keine unmittel - bar verbindende Kraft. — Zweitens warum die L. C. vor dem Prätor vorgehen mußte, nicht vor dem Judex. Die Autorität des Prätors konnte die Parteien ſicherer als dieVI. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Juder nöthigen, dieſen Vertrag einzugehen, der dem ganzen Rechtsſtreit ſeine Haltung gab.
Es erklärt ſich daraus ferner der Umſtand, daß das Recht eine Popularklage anzuſtellen, welches an ſich ein gemeinſames Recht aller Römiſchen Bürger war, durch die L. C. in eine wahre Obligation, in ein Vermögensrecht des Klägers, umgewandelt wurde(u)Die Zeugniſſe dafür ſ. o. B. 2 § 73 Note ee. .
Die hier angegebenen, ſo wie alle übrigen Folgen der Contractsnatur der L. C. ſind jedoch nicht ſo zu denken, als ob dieſe Contractsnatur durch Zufall oder Willkühr eingeführt worden wäre, und dann alle jene Folgen, die man vielleicht an ſich als gleichgültig oder nachtheilig an - ſehen mochte, auf dem Wege logiſcher Entwicklung nach ſich gezogen hätte. Es verhielt ſich damit gerade umge - kehrt. Jene Folgen waren es, welche, als der Natur des Rechtsſtreits angemeſſen, herbeigeführt werden ſollten; für ſie wurde die Contractsnatur der L. C. (urſprünglich bei vielen Klagen durch eine wirkliche Stipulation) aufgeſtellt, um dafür eine ſichere und angemeſſene juriſtiſche Grundlage zu haben.
Der Inhalt des erwähnten contractlichen Verhält - niſſes beſteht zunächſt in der Unterwerfung beider Parteien unter dieſes Judicium (Note r). Dieſe Unterwerfung be - zieht ſich bei allen Klagen auf das eigentliche Urtheil; bei den arbiträren Klagen insbeſondere auch noch auf den Ge - horſam gegen den vor dem Urtheil von dem Juder ausge -35§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)ſprochenen, auf die Naturalreſtitution gerichteten, jussus oder arbitratus(v)Daraus erklärt es ſich, daß die Unterlaſſung dieſes Gehorſams als eine unerfüllte Obligation, als eine Mora, betrachtet wurde, ſ. unten § 273 u. . Der ſpeciellere Inhalt aber, ſo wie die Veranlaſſung dieſes Inhalts, läßt ſich durch folgende Betrachtung anſchaulich machen, die ſich an die allgemeine Natur jedes Rechtsſtreits und das daraus hervorgehende Bedürfniß (§ 256) anſchließt. Wenn zwei Parteien vor den Richter treten, ſo iſt es zunächſt völlig ungewiß, wer von beiden das Recht auf ſeiner Seite hat. In dieſer Ungewißheit muß für jeden möglichen Ausfall Vorſorge getroffen werden, und die Parteien werden genöthigt, hier - über einen Vertrag zu ſchließen, oder auch (wie in dem ſpäteren Recht allgemein) ſich ſo behandeln zu laſſen, als ob ein ſolcher Vertrag geſchloſſen worden wäre. Der all - gemeine Inhalt des Vertrages läßt ſich, übereinſtimmend mit dem erwähnten Bedürfniß, ſo ausdrücken: es ſoll der Nachtheil ausgeglichen werden, der aus der unvermeid - lichen Dauer des Rechtsſtreits entſteht(w)L. 91 § 7 de leg. 1. „ cau - sa ejus temporis, quo lis con - testatur, repraesentari debet actori. “, oder mit an - deren Worten: der Kläger ſoll, wenn er den Prozeß ge - winnt, dasjenige erhalten, was er haben würde, wenn das Urtheil gleich Anfangs hätte geſprochen werden können(x)L. 20 de R. V. (6. 1) „ ut omne habeat petitor, quod habiturus foret, si eo tempore, quo judicium accipiebatur, re - stitutus illi homo fuisset. “— Eben ſo ſpricht L. 31 de R. C. (12. 1), und viele andere Stellen. Dieſe Aeußerungen, ſo wie die in der Note w. angeführte, ſind bei Gelegenheit einzelner Rechtsver - hältniſſe entſtanden, und werden. 3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Veranlaſſung und Rechtfertigung dieſes Vertrags aber giebt Gajus für die Klagen in rem ſo an: Dem Beklag - ten wird geſtattet, während des Rechtsſtreits die ſtreitige Sache zu beſitzen, dafür muß er aber von ſeiner Seite die in dem Vertrag enthaltene Entſchädigung verſprechen, und ſogar durch Bürgen verſichern(y)Gajus 4. § 89. — ſ. o. Note g. Nämlich an ſich wäre für denſelben Zweck auch wohl eine Sequeſtration als Sicherungsmit - tel denkbar geweſen; darauf geht das possidere conceditur. .
Die hier dargeſtellte contractliche Obligation für die nach der L. C. eintretenden Umwandlungen hat ſich durch alle Zeiten des R. R. erhalten, und iſt auch in unſer heu - tiges Recht übergegangen. Nur hat ſich die Form einer ausdrücklichen Stipulation, ſelbſt in den Fällen worin ſie in der älteren Zeit angewendet wurde, im Juſtinianiſchen Recht gänzlich verloren.
Das canoniſche Recht hält den Römiſchen Begriff der L. C. (§ 257) unverändert feſt, beſchäftigt ſich aber haupt - ſächlich mit der Frage, welche auch ſpäterhin als vorzugs - weiſe wichtig behandelt wurde: ob und wann der Beklagte verpflichtet ſey, dasjenige zu thun, welches von ſeiner Seite(x)unten im Zuſammenhang des De - tails wieder vorkommen. Hier kam es darauf an, den allgemeinen Geſichtspunkt vorläufig zu be - zeichnen.37§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.zur Vollziehung einer wahren L. C. beigetragen werden muß. Dazu gehört vor Allem die Erklärung auf den In - halt der Klage, alſo auch auf den thatſächlichen Grund derſelben: außerdem aber auch die Angabe der etwa vor - handenen Exceptionen (§ 257). Es iſt einleuchtend, daß, wenn ſich der Beklagte etwa auf Exceptionen beſchränken wollte, ohne ſich über die Klage zu erklären, eine L. C. darin nicht enthalten wäre und dadurch nicht entbehrlich werden würde, daß alſo der Beklagte angehalten werden müßte, das von ſeiner Seite zu einer wahren L. C. Fehlende noch nachzubringen. Aus Vorſchriften dieſes beſonderen Inhalts, die ich im R. R. noch nicht finde, konnte leicht der Schein entſtehen, die L. C. ſey eine einſeitige Handlung des Be - klagten, und zwar gerade die Erklärung auf die vom Klä - ger vorgebrachten Thatſachen, anſtatt daß das R. R. darunter eine weit umfaſſendere gemeinſame Handlung der Parteien verſteht, ja ſogar wörtlich das litem contestari als eine Thätigkeit des Klägers, nicht des Beklagten, bezeichnet (§ 257. g). Es wird weiter unten gezeigt wer - den, daß ein aus dieſem falſchen Schein hervorgehender irriger Sprachgebrauch in ſpäterer Zeit ganz allgemein ge - worden iſt. Jedoch muß bemerkt werden, daß dieſer Irr - thum dem canoniſchen Recht in der That nicht zugeſchrieben werden darf, dieſes vielmehr noch keinen vom R. R. ab - weichenden Ausdruck enthält.
Die älteſte Stelle des canoniſchen Rechts über die L. C. beſchäftigt ſich mit der hier entwickelten ſpeciellen Frage38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.noch nicht(a)C. un. X. de litis cont. (2. 5). — Wörtlich gleichlautend iſt hierin eine andere Decretale deſſelben Papſtes: C. 54 § 3 X. de elect. (1. 6).. Dem P. Gregor IX. war ein Fall vor - gelegt, worin die Parteien über einzelne Stücke des Rechts - ſtreits (super pluribus articulis) ſchriftliche Behauptungen und Gegenbehauptungen (positiones et responsiones) dem Richter eingereicht, auch dabei geäußert hatten, was ſie vor Gericht zu erklären geſonnen ſeyen (quae partes volue - runt proponere coram eis). Der Papſt ſpricht nun aus; darin ſey noch keine gültige L. C. enthalten, dieſe müſſe vielmehr noch nachgeholt werden, um einen rechtsgültigen Prozeß zu begründen, „ quia tamen litis contestationem non invenimus esse factam, quum non per positiones et responsiones ad eas, sed per petitionem in jure propositam et re - sponsionem secutam litis contestatio fiat. “
Der hier gedachte Gegenſatz ſchließt alſo die ſchriftlichen Vorbereitungen des Rechtsſtreits, als ungenügend, aus, und fordert zu einer wahren L. C. das gemeinſame Erſchei - nen der Parteien im Gericht, und die vollſtändige Erklä - rung derſelben über den Rechtsſtreit; es iſt der Gegenſatz eines ſchriftlichen Vorverfahrens gegen das mündliche Ver - fahren vor Gericht, und der Ausſpruch des Papſtes iſt ganz dem R. R. gemäß.
Die zwei folgenden Decretalen betreffen das oben er - wähnte Verhältniß der L. C. zu den Exceptionen.
39§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.P. Innocenz IV. verordnet, durch vorgebrachte Excep - tionen dürfe der Beklagte die L. C. nicht hindern, noch ver - zögern; jedoch mit Ausnahme der Exceptionen „ de re ju - dicata, transacta seu finita “(b)C. 1 de litis cont. in VI. (2. 3 ) — Es ſind dieſes die nach - her von unſren Schriftſtellern ſo - genannten exceptiones litis in - gressum impedientes. .
Dieſelbe Vorſchrift wiederholt P. Bonifaz VIII., mit dem ſehr natürlichen Zuſatz, daß eine bloße Exception auch nicht etwa ſelbſt ſchon als eine vollzogene L. C. angeſehen werden dürfe(c)C. 2 de litis cont. in VI. (2. 3)..
Es iſt nun ferner von den Veränderungen in dem We - ſen der L. C. Rechenſchaft zu geben, welche durch die Reichsgeſetze, ſo wie durch die Praxis und Literatur der neueren Zeit herbeigeführt worden ſind(d)Ausführlich handelt von dieſem Gegenſtand Wächter H. 3 S. 70 — 88.. Um für dieſe Veränderungen einen feſten Standpunkt zu gewinnen, wird es gut ſeyn, ſogleich das letzte Ziel anzugeben, wohin dieſe ſehr allmälige Entwicklung geführt hat, alſo die Auffaſſung, welche in der neueren Literatur des Prozeſſes, ſo wie in der Praxis, ſo allgemeine Geltung gewonnen hat, daß jeder Widerſpruch dagegen nur in dem Sinn einer gelehrten Kritik, durch Zurückführung auf ältere Quellen, verſucht worden iſt, wenngleich hie und da nicht ohne den Anſpruch, der neu aufgeſtellten Behauptung auch in der Praxis wieder einige Geltung zu verſchaffen.
40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dieſer moderne Begriff läßt ſich ſo darſtellen: Die L. C. iſt eine einſeitige Handlung des Beklagten, beſtehend in der Erklärung deſſelben auf die in der Klage aufgeſtellten Thatſachen, alſo verſchieden von allen Einreden.
In zwei Stücken weicht dieſe Auffaſſung weſentlich ab von dem R. R.
Erſtlich indem ſie die L. C. als eine einſeitige Hand - lung des Beklagten anſieht, anſtatt daß das R. R. dabei ein gemeinſames Handeln beider Parteien annimmt, und ſogar vorzugsweiſe die mitwirkende Thätigkeit des Klägers mit jenem Namen bezeichnet (§ 257).
Dieſe Abweichung beruht weniger auf veränderten Rechtsbegriffen, als auf der veränderten Form des Ver - fahrens. Bei einem blos ſchriftlichen Verfahren iſt ein ge - meinſames und gleichzeitiges Handeln der Parteien nicht möglich, ſo daß man dabei genöthigt iſt, die L. C. von einer Prozeßhandlung des Beklagten abhängig zu denken, welche dann mit der vorhergehenden Handlung des Klägers, dem Inhalt nach, ein Ganzes bildet, eben ſo wie im R. R. die gleichzeitigen[Reden] und Gegenreden beider Parteien. Daher iſt denn auch dieſe Abweichung den Reichsgeſetzen fremd, welche ſtets noch ein mündliches Verfahren in Ter - minen und Audienzen vorausſetzen(e)Artikel des K. G. zu Lindan ꝛc. von 1500 Art. XIII. § 1. 2 (Neueſte Sammlung der R. A., Th. 2 S. 75). Anfangs wird ſo geredet, als ſey die L. C. ein Ge - ſchäft des Beklagten. Dann aber heißt es: „ Item, und ſo der Krieg alſo von beyden Theilen be -.
41§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.Auch iſt dieſe Abweichung für unſern gegenwärtigen Zweck, d. h. für die Aufſtellung eines feſten Anfangs - punktes der materiellen Wirkungen der L. C., von keiner Erheblichkeit. Es kommt nur darauf an, ſich deutlich bewußt zu werden, daß hierin etwas von dem R. R. Ver - ſchiedenes gedacht wird.
Zweitens weicht dieſe Auffaſſung von dem R. R. darin ab, daß ſie die L. C. auf die rein thatſächlichen Er - klärungen des Beklagten beſchränkt, anſtatt daß das R. R. das geſammte in der formula enthaltene Material ſchon in der L. C. vorkommen läßt, alſo, außer der Erklärung über die Thatſachen, auch alle Exceptionen, Replicationen und Duplicationen. Auf den erſten Blick ſcheint es, daß da - durch eine Erleichterung und Beſchleunigung der L. C. be - zweckt und bewirkt ſeyn möchte, indem eine bloße Erklärung über die Thatſachen ſchneller herbeizuführen iſt, als jenes weit umfaſſendere Material. Daß dennoch aus anderen Gründen dieſer Erfolg nicht eintrat, wird ſogleich gezeigt werden.
Aus dieſer Auffaſſung, verbunden mit jener erſten, folgte mit Nothwendigkeit die dem R. R. völlig fremde Eintheilung der L. C. in eine affirmative, negative und gemiſchte, je nachdem der Beklagte alle in der Klage(e)feſtigt ꝛc. “— K. G. O. von 1523 Art. 3 § 3 (a. a. O. S. 248): „ Würden aber keine Exceptiones fürgewendt … ſoll der Kläger alsbald darauf den Krieg befeſtigen ꝛc. “ (Am Rande ſteht: Litis Contestatio).42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.enthaltene Thatſachen bejaht, oder alle verneint, oder einige bejaht, andere verneint(f)Man könnte auch etwa die negative L. C. in einem bloßen Widerſpruch gegen den Anſpruch des Klägers beſtehen laſſen wollen, wobei es[ ganz] unbeſtimmt gelaſſen würde, ob die Thatſachen ganz oder theilweiſe verneint, und ob Einreden aufgeſtellt werden ſollten. Eine Erklärung dieſer Art iſt nicht nur dem R. R. und dem canoniſchen Recht fremd, ſondern auch den ſpäteren Reichsgeſetzen, wie ſogleich gezeigt werden wird. Eine ſolche Erklärung enthält Nichts, als die Ausſchließung einer reinen confessio, alſo den ausgeſprochenen Entſchluß, Pro - zeß zu führen, worüber ohnehin in den allermeiſten Fällen kein Zweifel iſt. Gefördert wird da - durch in dem Rechtsſtreit gar Nichts, dieſe Handlung iſt alſo nur ein verſchleppendes Element, und es iſt durchaus kein Grund vorhanden, practiſche Folgen daran zu knüpfen. — Ältere Reichsgeſetze nehmen allerdings eine L. C. in dem hier erwähnten Sinn an (Vergl. Note i). — Die affirmative darf übri - gens nur in Verbindung mit Einreden gedacht werden, da ſie außerdem gar nicht die Abſicht eines Rechtsſtreits in ſich ſchließt, ſondern vielmehr die Natur einer Römiſchen in jure confessio hat(g)Die Gloſſatoren haben ſich viel mit der Frage beſchäftigt, ob eine reine confessio als L. C. gelten könne, und ob darauf ein con - demnatoriſches Urtheil zu ſprechen ſey. Die Behandlung dieſes Falles betrifft blos die äußere Prozeß - form, und hat keine practiſche Wich - tigkeit. Im R. R. galt die un - zweifelhafte Regel: confessus pro judicato est (L. 1 de confessis 42. 2), ſo daß ein Urtheil gewiß nicht nöthig war, und nicht erlaſſen wurde. Im Preußiſchen Prozeß wird für dieſen Fall eine Agnitions - Reſolution abgefaßt, welche die Wirkung eines Erkenntniſſes hat (A. G. O. I. 8. § 14 — 16)..
Die zweite Abweichung iſt allerdings ſchon in den Reichsgeſetzen enthalten, die ſich beſonders damit beſchäf - tigen, die Verzögerung der L. C. zu verhüten, jedoch nicht etwa um dieſes Zweckes Willen einen neuen Begriff der L. C. abſichtlich aufſtellen wollen, ſondern hierin vielmehr43§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.nur dem herrſchenden Sprachgebrauch der gleichzeitigen Schriftſteller folgen.
Um dieſes zur Anſchauung zu bringen, iſt es nöthig, auf den Inhalt der Reichsgeſetze genauer einzugehen, wo - bei ſogleich mit der Kammergerichtsordnung von 1555 an - gefangen werden kann, da die weit unvollſtändigeren frü - heren Geſetze durch dieſe beſeitigt worden ſind.
Zum Verſtändniß dieſes Geſetzes muß bemerkt werden, daß daſſelbe drei Audienzen in jeder Woche annimmt, Montag, Mittwoch, Freitag. Jeder neue Termin ſoll ein - treten in einem durch eine Anzahl von Audienztagen be - ſtimmten Zeitraum nach der vorhergehenden Prozeßhand - lung; bei Sachen des ordentlichen Prozeſſes (in ordinariis) in der zwölften Audienz, bei ſummariſchen Sachen (in extra - ordinariis) in der ſechsten; für beide Klaſſen von Sachen ſollen die oben erwähnten Audienztage abwechſelnd ange - wendet werden (Tit. 1 Tit. 2 § 1). — In der Regel ſoll die L. C. im zweiten Termin vorgenommen werden, alſo in der zwölften Audienz nach dem erſten Termin; dieſe Regel leidet eine Ausnahme, wenn dilatoriſche oder andere den Prozeß hindernde Einreden vorgebracht wer - den(h)Tit. 13 § 1 „ So .. ſetzen Wir, ſofern .. der Antworter nicht dilatorias, oder andere exceptio - nes, dardurch das Recht verhindert, oder aufgeſchoben, oder die Kriegs - Befeſtigung verhindert würde, für - zubringen hätte, daß alsdann der - ſelbige in ordinariis in der zwölften Audienz, auf die Klag zu ant - worten, und den Krieg zu befeſtigen ſchuldig ſeyn ſoll.. In dieſem Fall wird über ſolche Einreden in drei44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Terminen verhandelt, vielleicht auch noch länger, wenn darüber ein Beweisverfahren nöthig wird (Tit. 24 — 26). Außerdem werden im vierten Haupttermin die übrigen peremtoriſchen Einreden vorgebracht, und es wird darüber gleichfalls in drei Terminen verhandelt (Tit. 27 — 29).
Über die L. C. iſt noch beſonders beſtimmt, daß der Beklagte, wenn er die Klage beſtreiten, alſo Prozeß führen wolle, dieſes nicht in weitläufigen Reden, wie es bisher geſchehen, ſondern durch einen kurzen Widerſpruch gegen die Klage überhaupt, nicht gerade gegen die einzelnen darin enthaltenen Thatſachen thun ſolle(i)Tit. 13 § 4 „ Und nachdem bisher die Procuratores in litis contestationibus, je zu Zeiten viel unnothdürftiger und überflüſſi - ger Wort gebraucht … Wollen Wir, daß fürhin ein jeder Pro - curator, der .. mit nicht geſtehen auf die Klag antworten, und alſo litem negative contestiren will, andere oder mehr Wort nicht ge - brauchen ſoll, dann nemlich alſo: In Sachen N. contra N. bin ich der Klag nicht geſtändig, bitt mich … zu erledigen, und mit dieſen Worten ſoll der Krieg, ob auch der Litis contestation nicht ausdrücklich Meldung ge - ſchehe, befeſtigt zu ſeyn gehalten und verſtanden werden. “ Vergl. oben Note f. . Die beſtimmte Erklärung des Beklagten auf die von dem Kläger vorge - brachten einzelnen Thatſachen ſollte erſt im vierten Termin nachfolgen, und dieſe Responsiones auf die Artikel der Klage werden daher von der L. C. ſowohl durch die Be - zeichnung, als durch die im ganzen Prozeß angewieſene Stelle, deutlich unterſchieden (Tit. 15 § 4).
Dieſe ganze Behandlung konnte als eine Erleichterung und Beſchleunigung der L. C. angeſehen werden, da in der That ein allgemeiner Widerſpruch nicht wohl mit45§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.einigem Schein zu verweigern iſt, und daher leichter und ſchneller als eine ſpecielle Erklärung verlangt und bewirkt werden kann. Auf der anderen Seite aber war dem Be - klagten, der die Sache hinhalten wollte, ein freier Spiel - raum eröffnet durch die mannichfaltigen Einreden, deren langwierige Verhandlung ihn einſtweilen berechtigte, ſelbſt jene höchſt allgemeine Erklärung nicht abzugeben, alſo die L. C. zu unterlaſſen (Note h).
Hierin gewährte der N. A. von 1570 eine durch - greifende Abhülfe, indem er vorſchrieb, daß auch neben dilatoriſchen Einreden im zweiten Termin in jedem Fall eine eventuelle L. C. vorgenommen werden ſollte(k)R. A. 1570 § 89. 90, Neueſte Sammlung Th. 3 S. 299..
Dieſe Vorſchrift wurde beſtätigt und weiter ausgeführt in dem neueſten Reichsgeſetz über den Prozeß(l)J. R. A. von 1654 § 36 — 40, Neueſte Sammlung Th. 3 S. 648. 649. — Die Hauptſtelle iſt der § 37.. Der Jüngſte Reichsabſchied verordnet nämlich, daß der Beklagte nicht erſt in dem zweiten, ſondern ſchon in dem erſten Termin, wozu jedoch mindeſtens Sechszig Tage frei zu laſſen ſind, ſowohl alle Exceptionen, bei Strafe der Präclu - ſion, vorbringen, als auch eine beſtimmte Erklärung über alle in der Klage enthaltene Thatſachen abgeben ſoll. — Dieſe factiſche Erklärung heißt hier nicht L. C., der Name aber kommt in demſelben Geſetz anderwärts vor(m)§ 110 „ nicht allein vor angefangenem Recht-Stand, und litis contestation “etc. , und daß darunter die oben vorgeſchriebene Erklärung über die Thatſachen verſtanden werde, kann wohl nicht bezweifelt46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.werden. Nur in dem einzigen Falle ſollte der Beklagte die L. C. verweigern dürfen, wenn er die Competenz des Richters durch eine Einrede beſtreiten wollte(n)§ 37 am Ende und § 40..
Es iſt nicht zu verkennen, daß durch dieſes Geſetz der ganze Zuſtand weſentlich verbeſſert worden iſt, und daß es hauptſächlich an dem Mangel einer ſtrengen Durchführung deſſelben gelegen hat, wenn ſpäterhin der gemeine Prozeß dem wahren Bedürfniß oft nicht entſprochen hat. Indeſſen bleiben auch hier noch dem Beklagten, der die L. C. ver - zögern will, manche Mittel übrig. Die Einrede der In - competenz kann zu einer längeren Verhandlung misbraucht werden. Wenn ferner der Beklagte im erſten Termin nicht erſcheint, ſo führt auch das im § 36 angeordnete Con - tumacialverfahren einen nicht geringen Aufſchub mit ſich.
Beſonders aber leidet jenes Geſetz keine unmittelbare Anwendung auf den ſpäterhin in Deutſchland ſehr allge - mein angewendeten rein ſchriftlichen Prozeß, worin gar keine Termine mündlicher Verhandlung, ſondern regel - mäßig Vier Schriftſätze, vorkommen. Denkt man ſich den J. R. A. hierauf ehrlich und ſtreng angewendet, ſo wird die L. C. ſtets in der ſogenannten Exceptionsſchrift zu ſuchen ſeyn, welche die Erklärung über die Thatſachen der Klage, ſey es mit oder ohne Exceptionen, enthalten muß. Dieſe Stellung der L. C. iſt auch mit dem wahren Sinn des R. R. übereinſtimmend, nur mit dem minder erheb - lichen Unterſchied, daß in der Römiſchen L. C. auch ſchon47§. 259. Weſen der L. C. — II. Canon Recht u. Reichsgeſetze.die Replicationen und Duplicationen vorkamen, die hier erſt in dem dritten und vierten Schriftſatz erſcheinen(o)Bollſtändiger übereinſtim - mend mit dem Begriff der Römiſchen L. C. iſt der dem Preußiſchen Pro - zeß der allgemeinen Gerichtsord - nung eigenthümliche Status causae et controversiae. Nur tritt dabei der practiſch ſehr erhebliche Unter - ſchied ein, daß dieſer Status am Ende von Terminen abgefaßt wird, deren Anzahl und Zeit von einer ſehr regelloſen Willkühr des De - putirten und der Parteien abhängt..
Auch hier aber bleibt dem böswilligen Beklagten noch manches Mittel übrig, die L. C. willkührlich zu verzögern, und dadurch dem Kläger die Rechte zu ſchmälern, die ihm in der That zugedacht ſind. Dazu können misbraucht werden die wiederholten Friſtgeſuche, ferner die einer längeren Verhandlung empfängliche Einrede der Incompetenz, endlich die bloße Verweigerung oder Unterlaſſung der L. C., die ſelbſt durch manche Scheingründe beſchönigt werden kann. Einem ſolchen unredlichen Verfahren mit ſicherem Erfolg entgegen zu treten, fehlt es im gemeinen Prozeß an be - ſtimmten Rechtsregeln. Auch iſt dabei noch folgender Um - ſtand zu berückſichtigen. Wenn die L. C., wie angenommen wird, in der Erklärung auf die Thatſachen beſteht, ſo bleibt ungewiß, wie es angeſehen werden ſoll, wenn die Erklärung unbeſtimmt, unverſtändlich, unvollſtändig iſt, etwa ſo daß ſie ſich nur auf einen kleinen Theil der that - ſächlichen Grundlagen der Klage bezieht. Man könnte ſagen, nun müſſe durch eine Art von Fiction eine wirk - liche L. C. angenommen werden. Dann könnte man aber noch einen Schritt weiter gehen, und in jeder Exceptions -48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchrift, auch wenn ſie keine Spur einer thatſächlichen Er - klärung enthält, eine L. C. fingiren. Nur iſt dieſes Alles völlig willkührlich, und es iſt eine bloße Illuſion, wenn man glaubt, damit das R. R., oder die Reichsgeſetze, oder auch nur die neuere Praxis wirklich anzuwenden. — Wenn von allen dieſen Schwierigkeiten in vielen Ländern keine merkliche Beſchwerde empfunden worden iſt, ſo liegt dieſes theils an der guten Aufſicht der Gerichte, theils darin daß die Praxis nicht bei der L. C. als Grund und Zeitpunkt der materiellen Veränderungen während des Prozeſſes ſtehen geblieben iſt, wovon am Schluß dieſer ganzen Lehre gehandelt werden wird.
Wie weit aber hierin der Misbrauch und die Gefähr - dung des Rechts getrieben werden kann, davon giebt der Sächſiſche Prozeß Zeugniß. In dieſem kommt es ſehr gewöhnlich vor, daß eine ganze Inſtanz hindurch über die Verbindlichkeit des Beklagten zur L. C. geſtritten, und am Ende durch Urtheil feſtgeſtellt wird, daß Beklagter, Ein - wendens ungeachtet, auf die erhobene Klage ſich einzulaſſen ſchuldig; dieſes Urtheil kann dann wieder durch Rechts - mittel angegriffen und durch die Inſtanzen verfolgt werden.
Indem nunmehr die Wirkungen der L. C. dargeſtellt werden ſollen, ſind dieſelben an den oben angegebenen Grundſatz anzuknüpfen, nach welchem die Aufgabe dieſes49§. 260. Wirkung der L. C. — Einleitung.Rechtsinſtituts auf die Ausgleichung der nachtheiligen Folgen geht, welche aus der an ſich nicht wünſchens - werthen, aber unvermeidlichen Dauer des Rechtsſtreits entſpringen (§ 256. 258). Die jetzt im Einzelnen darzu - ſtellenden Wirkungen ſind nur als Entwicklungen jenes Grundſatzes anzuſehen. Es muß jedoch dazu noch durch folgende Vorbemerkungen ein feſter Grund gelegt werden.
I. Die Ausſprüche der Römiſchen Juriſten über jene Wirkungen beziehen ſich auf zwei verſchiedenartige Anwen - dungen, deren Inhalt aber dergeſtalt zuſammenfällt, daß ſie ohne Unterſchied als ganz gleichbedeutend angeſehen werden dürfen.
Die meiſten dieſer Ausſprüche betreffen die Frage, wie in Folge der L. C. das richterliche Urtheil eingerichtet werden müſſe, und dieſe ſind auch auf unſren heutigen Rechtszuſtand unmittelbar anzuwenden.
Mehrere Ausſprüche aber betreffen eine Frage, welche nicht bei allen Klagen, ſondern nur bei den arbitrariae actiones (§ 221), vorkommen konnte: Die Frage, welche Handlungen nach der L. C. der Beklagte auf die Auf - forderung des Judex vorzunehmen habe, um die Verur - theilung von ſich abzuwenden. Dieſe Handlungen beſtanden, wie oben gezeigt wurde, in einer Reſtitution oder Ex - hibition. Hier alſo lautet die Frage ſo: Was muß der Beklagte freiwillig thum, um nicht verurtheilt zu werden? oder mit anderen Worten: Was gehört zu einer wahren,VI. 450Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genügenden, die Verurtheilung abwendenden Reſtitution? (a)L. 35. 75. 246 § 1 de V. S. (50. 16 ), L. 20 L. 35 § 1 de rei vind. (6. 1).Was gehört zu einer wahren Exhibition? (b)L. 9 § 5. 6. 7. 8. ad exhib. (10. 4)
So verſchieden nun dieſe Fragen, ihrer wörtlichen Faſſung nach, lauten, ſo ſind ſie dennoch in der That identiſch, ſo daß die Antwort auf die eine Frage, ohne Gefahr eines Irrthums, auch als Antwort auf die andere Frage behandelt werden kann. Denn was der Beklagte als genügende Reſtitution vornehmen muß um der Verur - theilung zu entgehen, hat ganz denſelben Umfang wie Das, wozu er verurtheilt wird, wenn er die freiwillige Reſti - tution unterläßt(c)Allerdings mit dem Unter - ſchied, daß das Urtheil nur auf Geld gehen konnte, anſtatt daß die Reſtitution in Natur geſchah. Vergl. B. 5 § 221. Auch kann im einzelnen Fall, nach thatſäch - lichen Verhältniſſen, in der Reſti - tution etwas Anderes nöthig ſeyn und genügen, als das worauf ſpäter das Urtheil gelautet hätte. Im Allgemeinen aber iſt die Identität des Inhalts bei der Reſtitution und dem Urtheil unverkennbar., und eben ſo umgekehrt. — Da wir übrigens keine arbitrariae actiones mehr haben (§ 224), ſo gewähren uns die Ausſprüche über die wahre Reſti - tution und Exhibition nur den indirecten Vortheil, daß wir daraus lernen, worauf die Verurtheilung gerichtet werden muß, wenn es überhaupt zu einer ſolchen kommt(d)In ſofern ſteht allerdings unſer heutiges Recht dem älteren R. R. gleich, daß auch bei uns keine Verurtheilung erfolgt, wenn der Beklagte während des Pro - zeſſes das Verlangen des Klägers vollſtändig erfüllt. Dieſer Fall iſt aber in unſrem heutigen Recht von keiner practiſchen Erheblichkeit, anſtatt daß im R. R. die arbi - trariae actiones künſtlich darauf berechnet waren, daß der Beklagte freiwillig reſtituiren oder erhibiren ſollte, um größeren Nachtheilen zu entgehen..
51§. 260. Wirkung der L. C. — Einleitung.II. Die materiellen Wirkungen der L. C. ſind aller - dings darauf berechnet, den Vortheil des Klägers zu beför - dern. Denn der Kläger iſt es, der durch die unvermeid - liche Dauer des Rechtsſtreits einen Nachtheil erleiden kann, und eben gegen dieſen Nachtheil ſoll er künſtlich geſchützt werden durch die Reduction des Urtheils auf den Zeit - punkt der L. C.(e)L. 86. 87 de R. I. (50. 17 ), L. 29 de nov. (46. 2)..
Indeſſen iſt dieſer Zweck nicht ſo abſtract aufzufaſſen, als ob der Kläger in jedem einzelnen Falle durch jene Neduction nothwendig gewinnen, oder auch nur nicht ver - lieren müßte. Es können vielmehr durchkreuzende practiſche Rückſichten eintreten, welche in einzelnen Fällen einen ande - ren Erfolg herbeiführen. Solche Rückſichten können in anderen Fällen auch wohl die Anwendung jener Reduction ſelbſt ausſchließen.
Es iſt daher überhaupt in dieſem Rechtsinftitut eine gewiſſe practiſche Biegſamkeit wahrzunehmen.
III. Der Grundſatz, mit deſſen Entwicklung in einzel - nen Folgen wir uns nun zu beſchäftigen haben, beruht auf einem ſo natürlichen Bedürfniß, daß wir eine frühe Anerkennung deſſelben wohl erwarten dürfen. Und in der That zeigt ſich derſelbe ſchon wirkſam in der uralten Vin - dication durch legis actio. Bei dieſer mußten im An - fang des Rechtsſtreits vom Beklagten praedes litis et vin - diciarum geſtellt werden, Bürgen für die Sache ſelbſt und die Früchte derſelben, alſo gegen die Nachtheile, die dem4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Kläger daraus entſtehen konnten, daß er die Beendigung des Rechtsſtreits abwarten mußte. In der ſpäteren Vindi - cation per sponsionem trat an die Stelle jener alten praedes eine Stipulation pro praede litis et vindiciarum, das heißt als ein mit derſelben Wirkung verſehenes Sur - rogat. Und dieſe wieder gieng bei der petitoria formula, mit Veränderung der Form und des Namens, in eine Stipulation judicatum solvi über(f)Gajus IV. § 91. 94. 89 Vergl. oben § 258. g. — Man könnte glauben, bei der petitoria formula fehle ein Verſprechen we - gen der Früchte während des Rechts - ſtreits. Allein dieſes liegt in den Worten des § 89: „ ut si victus sis, nec rem ipsam restituas “rel. Denn in dem restituere, durch deſſen Unterlaſſen die Sti - pulation des Beklagten und der Bürgen verletzt und zur Klage fällig gemacht (commissa stipu - latio) wurde, lag auch der Er - ſatz der omnis causa. Vgl. die in Note a angeführten Stellen..
Ich muß es daher als unhiſtoriſch verwerfen, wenn neuerlich behauptet worden iſt, jener Grundſatz der Re - duction auf die Zeit der L. C. ſey die neue Erfindung eines poſitiven Geſetzes, des unter Hadrian über die Erbſchaftsklage erlaſſenen Senatsſchluſſes(g)Heimbach, Lehre von der Frucht S. 155 fg. — Fände ſich jener Grundſatz nur bei der Erb - ſchaftsklage und der damit nahe verwandten Eigenthumsklage er - wähnt, ſo hätte die Behauptung noch einigen Schein; allein er kommt eben ſo auch bei den Con - dictionen vor, und es wird wohl Niemand annehmen wollen, daß dieſe unter dem Einfluß des Sc. Iuventianum geſtanden hätten. Vgl. L. 31 de reb. cred. (12. 1).. Der Grund - ſatz ſelbſt war uralt, aber freilich nirgend abſtract aus - geſprochen, ſondern nur in einzelnen Anwendungen aner - kannt. Unter den Händen der juriſtiſchen Schriftſteller wurde er allmälig ausgebildet und entwickelt. Auch der53§. 260. Wirkung der L. C. — Einleitung.angeführte Senatsſchluß nahm ihn in ſich auf, und trug zur Ausbildung deſſelben bei. Es war alſo ſehr natürlich, daß die gleichzeitigen und ſpäteren Schriftſteller dieſes Ge - ſetz, vielleicht das ausführlichſte über den ganzen Gegen - ſtand, zum Anhaltspunkt ihrer eigenen Ausführungen wählten, ohne damit ſagen zu wollen, daß jener Grund - ſatz erſt durch jenes Geſetz neu eingeführt worden ſey und vor demſelben gar nicht gegolten habe(h)So iſt zu verſtehen die Stelle des Paulus in L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). „ Illud quoque, quod in oratione D. Hadriani est, ut post acceptum judicium id actori praestetur, quod ha - biturus esset, si eo tempore, quo petit, restituta esset here - ditas, interdum durum est. “.
IV. Der aufgeſtellte Grundſatz läßt ſich in zwei Haupt - regeln auflöſen.
Es kann geſchehen, daß die juriſtiſchen Bedingungen der Verurtheilung zur Zeit der L. C. vorhanden ſind, während der Dauer des Rechtsſtreits aber verſchwinden. Der Grundſatz führt dahin, daß nun die Verurtheilung dennoch erfolgen muß.
Es kann ferner geſchehen, daß die Verurtheilung zwar auch noch ſpäterhin erfolgt, aber dem Kläger weniger Vor - theile verſchafft, als er jetzt haben würde, wenn ſie ſchon zur Zeit der L. C. erfolgt wäre. Der Grundſatz führt nun dahin, der Verurtheilung einen ſolchen Umfang zu geben, daß dadurch dieſe Differenz ausgeglichen wird.
Die erſte Regel ſoll durch künſtliche Reduction auf den Zeitpunkt der L. C. die Verurtheilung ſelbſt ſichern,54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.da wo ohne dieſe Regel eigentlich eine Freiſprechung er - folgen müßte.
Die zweite Regel ſoll den Umfang der Verurthei - lung ſo beſtimmen, daß der Kläger nicht weniger Vor - theile erhalte, als er durch eine zur Zeit der L. C. erfolgte Verurtheilung jetzt haben würde.
Beide Regeln zuſammen, alſo der vollſtändige Grund - ſatz in welchem ſie als verſchiedene Anwendungen ent - halten ſind, werden bezeichnet durch den Ausdruck: causa praestanda est oder causa restitui debet(i)In den meiſten Stellen, wo - rin dieſe Ausdrücke vorkommen, wird zufällig nur die zweite Regel als die häufigere und wichtigere, daran geknüpft; am häufigſten der Erſatz der Früchte. In folgenden Stellen aber wird der Ausdruck ſo gebraucht, daß er entſchieden beide Regeln umfaßt. § 3 I. de off. jud. (4. 17 ), L. 35 de V. S. (50. 16 ) „ Restituere autem is intelligitur, qui simul et causam actori reddit, quam is habiturus esset, si statim judicii accepti tempore res ei reddita fuisset, id est et asu - capionis causam, et fructuum. “ Die usucapionis causa beſteht eben in einer Anwendung der erſten Regel.. Causa alſo, oder omnis causa, causa omnis, heißt alles dasjenige, welches in Anwendung jener Regeln durch das richterliche Urtheil dem Kläger verſchafft werden ſoll.
Zuvörderſt ſind diejenigen Fälle zuſammen zu ſtellen, in welchen die Bedingungen der Verurtheilung zur Zeit der L. C. vorhanden ſind, während des Rechtsſtreits aber ver -55§. 261. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.ſchwinden. Die L. C. ſoll hier die Wirkung haben, daß die Verurtheilung dennoch geſichert bleibe (§ 260).
Unter jene Fälle gehört, für Klagen aller Art, der Fall der Klagverjährung, welche zur Zeit der L. C. erſt ange - fangen war, während des Rechtsſtreits aber den für ihre Vollendung beſtimmten Zeitpunkt erreicht hat.
Nach dem älteren Recht ſollte die L. C. die Wirkung haben, daß die Verurtheilung dennoch ausgeſprochen würde, oder mit anderen Worten: die L. C. ſollte die angefangene Klagverjährung unterbrechen.
Dieſes hat ſich im neueren R. R. dadurch verändert, daß ſchon die Inſinuation der Klage die Klagverjährung völlig unterbrechen ſoll, wodurch alſo die erwähnte Wir - kung, die im früheren Recht an die L. C. geknüpft war, nunmehr abſorbirt wird (§ 242. 243).
Bei den Klagen in rem kann es geſchehen, daß das Recht des Klägers (z. B. das Eigenthum), welches zur Zeit der L. C. vorhanden war, während des Rechtsſtreits untergegangen iſt; das ſoll die Verurtheilung nicht hindern.
Der wichtigſte Fall dieſer Art iſt der der Uſucapion; wenn nämlich der Beklagte, der die Uſucapion zur Zeit der L. C. angefangen hatte, dieſe während des Rechtsſtreits vollendet, ſo daß zur Zeit des Urtheils in der That nicht mehr der Kläger, ſondern vielmehr der Beklagte, wahrer56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eigenthümer iſt. Wie iſt dagegen dem Kläger zu helfen? (a)Sehr gut handelt von die - ſem Fall Keller S. 173 — 179.
Der Gedanke liegt ſehr nahe, dieſen Fall eben ſo zu behandeln wie den der Klagverjährung, alſo in die L. C. (oder auch in die Inſinuation) eine Unterbrechung der Uſucapion zu legen die dann nicht ablaufen könnte, ſo daß das Eigenthum unverändert bliebe.
Dieſer Gedanke iſt jedoch dem R. R. völlig fremd, welches vielmehr den Fortgang und Ablauf der Uſucapion während des Rechtsſtreits auf unzweifelhafte Weiſe aner - kennt(b)L. 2 § 21 pro emt. (41. 4 ), L. 17 § 1 in f. de rei vind. (6. 1). — Auch die in der folgenden Note angeführten Stellen beweiſen die - ſen Satz völlig, weil eine Rück - übertragung des Eigenthums weder nöthig noch möglich wäre, wenn nicht der Beklagte durch vollendete Uſucapion Eigenthum erworben hätte.. Es hilft aber dem Kläger auf indirecte Weiſe, indem es dem Beklagten die Verpflichtung auflegt, das wirklich erworbene Eigenthum auf den Kläger zurück zu übertragen, welches im älteren Recht oft durch Mancipation geſchehen mußte, im neueſten Recht aber ſtets durch Tra - dition bewirkt wird. Daneben ſoll der Beklagte auch noch Caution ſtellen für den Fall, daß er etwa in der Zwiſchen - zeit, worin er Eigenthümer war, nachtheilige Veränderungen in dem Recht an der Sache vorgenommen haben ſollte(c)L. 18. 20. 21 de rei vind. (6. 1 ), L. 35 de V. S. (50. 16 vgl. oben § 260. i), L. 8 § 4 si serv. (8. 5) „ quemadmodum pla - cet in dominio aedium. “— Wenn L. 18 cit. ſagt: „ debet eum tradere, “ſo iſt das eine unzwei - felhafte Interpolation, da Gajus.
57§. 261. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.Aus zwei verſchiedenen Gründen iſt behauptet worden, daß im heutigen Recht dieſe Regeln nicht mehr gelten, indem jetzt auch für die Uſucapion eine wahre Unterbrechung durch die L. C. (oder durch die Inſinuation) eintrete.
Erſtlich iſt behauptet worden, die L. C. mache den Beſitz zu einem unredlichen, die Uſucapion aber werde durch jede mala fides, auch durch die mala fides superveniens, nach den Vorſchriften des canoniſchen Rechts unterbrochen (§ 244). — Von der Unredlichkeit des Beſitzes, die durch die L. C. be - wirkt werden ſoll, wird unten ausführlich geſprochen werden (§ 264). Wenn man ſie auch in einem figürlichen Sinn, durch eine Art von Fiction, annehmen wollte, ſo kann ſie doch in der unmittelbaren Bedeutung, wie ſie das cano - niſche Recht unzweifelhaft auffaßt, unmöglich behauptet werden; es wäre widerſinnig zu ſagen, jeder Beklagte be - finde ſich von der L. C. an in einem ſündlichen Zuſtand, und in dieſem Sinn faßt das canoniſche Recht die mala fides auf. — Dieſer Grund für eine veränderte Rechtsregel muß alſo entſchieden als unhaltbar verworfen werden(d)So wird die Sache richtig dargeſtellt von Kierulff S. 277, und Wächter H. 3 S. 105..
Ein zweiter Grund für eine Veränderung der Rechts - regeln hat ungleich mehr Schein. Neben der Uſucapion, und als Ergänzung derſelben, wurde ſchon frühe eine longi temporis praescriptio von zehen oder zwanzig Jahren ein - geführt. Dieſes war eine reine Klagverjährung, und es(c)ſehr wohl wußte, daß das Eigen - thum eines Sklaven nicht durch Tradition, ſondern nur durch Man - cipation oder in jure cessio über - tragen werden konnte.58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.iſt unzweifelhaft, daß ſie, ſo wie jede andere Klagverjäh - rung, durch die L. C. (ſpäter durch die Inſinuation) unter - brochen wurde(e)L. 1. 2. 10 C. de praescr. longi temp. (7. 33 ), L. 2 C. ubi in rem (3. 19 ), L. 26 C. de rei vind. (3. 32).. Nun hat Juſtinian an die longi tem - poris possessio, welche früher nur eine praescriptio begrün - dete, bei unbeweglichen Sachen die Wirkung der Uſucapion geknüpft: im Fall der bona fides ſogar auch an den dreißig - oder vierzig-jährigen Beſitz, und ohne Unterſchied der beweg - lichen und unbeweglichen Sachen(f)L. 8 pr. § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39) vom J. 528.. Hierüber haben ſich zwei verſchiedene Meinungen gebildet. Nach der einen Meinung hat der Erwerb von 10, 20, 30 Jahren, auch nachdem ihm gleiche Wirkung mit der Uſucapion beigelegt worden iſt, dennoch ſeine urſprüngliche Natur einer Klag - verjährung beibehalten, ſo daß darauf die Unterbrechung durch Inſinuation der Klage anzuwenden iſt(g)Wächter H. 3 S. 99 — 104.. Nach der anderen Meinung iſt jeder Erwerb, welchem Juſtinian die Wirkung einer Uſucapion beigelegt hat, als eine wahre, eigentliche Uſucapion, nur mit anderen Zeitfriſten als denen des älteren Rechts anzuſehen, und es ſind darauf alle Be - ſtimmungen des älteren Rechts über die Uſucapion unmit - telbar anzuwenden, namentlich auch die Beſtimmung, daß die L. C. den Lauf dieſer Uſucapionen nicht unterbricht, ſondern nur eine Verpflichtung des Beklagten zur Rückgabe des Eigenthums erzeugt.
59§. 261. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.Ich halte die zweite Meinung für die richtige, und zwar hauptſächlich deswegen, weil Juſtinian ſelbſt den Beſitz von 3, 10, 20 Jahren geradezu als Uſucapion bezeichnet(h)pr. j. de usuc. (2. 6) „ et ideo Constitutionem super hoc promulgavimus, qua cautum est, ut res quidem mobiles per triennium, immobiles vero per longi temporis possessionem, i. e. inter praesentes decennio, inter absentes viginti annis, usucapiantur. “— Daß hier der dreißigjährige Beſitz nicht mit auf - geführt iſt, mag aus Nachläſſigkeit oder aus Rückſicht auf deſſen exceptionelle Natur und Beſchaffen - heit herrühren; eine weſentliche Verſchiedenheit kann aus dieſer Auslaſſung auch für dieſen Fall nicht abgeleitet werden. Auch er enthält eine wahre Uſucapion, und wird nur zufällig nicht ſo genannt., und dadurch als einen Rechtsbegriff aufſtellt, auf welchen er die in ſeinen Rechtsbüchern über die Uſu - capion aufgeſtellten Vorſchriften angewendet wiſſen will. — Für die entgegengeſetzte Meinung wird ein Geſetz von Ju - ſtinian angeführt, welches folgenden Inhalt hat(i)L. 2 C. de ann. exc. (7. 40).. Wenn der Eigenthümer eine Vindication gegen den Beſitzer ſeiner Sache deswegen nicht anbringen kann, weil dieſer Be - ſitzer abweſend, oder Kind, oder wahnſinnig iſt, ſo darf der Eigenthümer ſeine Klage bei dem Präſes, oder dem Biſchof, oder dem Defenſor einreichen u. ſ. w., „ et hoc sufficere ad omnem temporalem interruptio - nem, sive triennii, sive longi temporis, sive triginta vel quadraginta annorum sit. “ (Vorher heißt es: interruptionem temporis facere, et sufficere hoc ad plenissimam interruptionem.)
Aus dieſen Worten wird gefolgert, die Klage unter - breche jetzt wirklich die Uſucapion. Allein Juſtinian hatte60Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in dieſem Geſetz augenſcheinlich nur den Zweck, für einen ſeltenen Nothfall eine rein practiſche Auskunft zu erfinden, nicht die feinere Natur dieſer Rechtsverhältniſſe zu beſtim - men. Für jenen practiſchen Zweck war durch die neue Vorſchrift völlig geſorgt, und in dieſer Hinſicht konnte man es eine interruptio nennen, weil es für den vorliegenden Zweck, wenn der Kläger wirklich Eigenthum hatte, ganz gleichgültig war, ob die Uſucapion unterbrochen, oder dem Kläger ein Anſpruch auf Verurtheilung des Gegners zur Rückgabe des Eigenthums geſichert war. Die dreijährige Uſucapion war doch gewiß nicht aus einer alten Klagver - jährung hervorgegangen, und bei ihr iſt alſo nicht einmal eine ſcheinbare Veranlaſſung anzugeben, weshalb ſie hätte die Natur einer eigentlichen Uſucapion verlieren, und in die einer Klagverjährung umgebildet werden ſollen; dennoch iſt auch ſie, wie die übrigen Fälle, in jenem Geſetz ausdrücklich mit aufgeführt, und mit ihnen ganz auf gleiche Linie geſtellt.
Dieſe ganze Streitfrage übrigens iſt von geringer prac - tiſcher Erheblichkeit. Die Fälle, in welchen die Gefahr einer Uſucapion durch Klage abgewendet werden muß, ſind überhaupt nicht häufig, und wo ſie vorkommen, iſt es für die Sicherheit des alten Eigenthümers ziemlich gleichgültig, ob er durch Unterbrechung der Uſucapion geſchützt wird, oder vielmehr, wie ich glaube, auf dem Wege, den dafür das ältere R. R. angiebt.
Dieſelben Regeln, welche hier für die Uſucapion aufge - ſtellt worden ſind, müſſen auch angewendet werden, wenn61§. 261. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.eine Servitut durch confeſſoriſche Klage verfolgt wird, und während des Rechtsſtreits, nach der L. C., die für den Nichtgebrauch beſtimmte geſetzliche Friſt abläuft. In dieſem Fall geht die Servitut durch Nichtgebrauch wirklich unter, der Beklagte muß aber verurtheilt werden, ſie durch eine neue juriſtiſche Handlung wiederherzuſtellen: nach dem älte - ren Recht durch in jure cessio, nach dem neueren durch Vertrag(k)L. 5 § 5 si ususfr. (7. 6 ), L. 10 de usufr. accresc. (7. 2 ), L. 8 § 4 si serv. (8. 5). Vgl. Keller S. 175..
Bei den perſönlichen Klagen kommt zuerſt der Fall in Betracht, wenn während des Rechtsſtreits die Obligation untergeht, und zwar durch freiwillige Leiſtung von Seiten des Beklagten. Man ſollte glauben, es hätte nie bezwei - felt werden können, daß nun der Rechtsſtreit von ſelbſt zu Ende ſey. Bei den arbiträren Klagen war dieſes auch in der That der Fall, indem durch die ganze Behandlung der - ſelben recht abſichtlich auf die freiwillige Erfüllung mit dem Erfolg der Freiſprechung hingewirkt werden ſollte. Allein bei den übrigen Klagen war die Sache ſtreitig, jedoch wahrſcheinlich nur bei den ſtrengen Klagen. Die härtere Meinung der Proculianer gieng dahin, daß dennoch der Beklagte verurtheilt werden ſollte. Die mildere Mei - nung der Sabinianer nahm die Freiſprechung an, und dieſe Meinung wurde durch die Regel ausgedrückt: omnia judi -62Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.cia esse absolutoria(l)Gajus IV. § 114. Aber auch nach der ſtrengeren Meinung ſollte doch wahrſcheinlich nicht der Be - klagte die doppelte Leiſtung bekom - men und behalten. Vielleicht wurde er dagegen durch eine condictio sine causa geſchützt. Ausführlich handelt von dieſer Frage Keller S. 180 — 184.. Natürlich hat Juſtinian dieſe mildere Meinung angenommen(m)§ 2 J. de perpet. (4. 12). Eine Spur des verworfenen ſtren - geren Grundſatzes iſt wahrſchein - lich aus Verſehen in die L. 84 de V. O. (45. 1) übergegangen. Vgl. oben B. 5 S. 135, und Wächter H. 3 S. 26..
Außer der Erfüllung kommen noch folgende einzelne, weniger erhebliche, Fälle vor, worin während des Rechts - ſtreits die urſprünglich vorhandene Bedingung einer perſön - lichen Klage wegfallen kann.
Wegen des von einem Sklaven begangenen Diebſtahls hatte der Beſtohlene eine Noxalklage gegen den Eigenthü - mer des Sklaven; das Eigenthum wurde erfordert zur Zeit der L. C. Wenn nun der Beklagte den Sklaven nach der L. C. veräußerte, ſo entgieng er dadurch der Verur - theilung nicht, ſelbſt wenn die Veräußerung an den Kläger geſchah(n)L. 37 L. 38 pr. de nox. act. (9. 4)..
Bei der Klage ad exhibendum beſteht die Hauptbedin - gung in einem rechtlichen Intereſſe des Klägers an der Exhibition. Wenn nun dieſes zur Zeit der L. C. vorhanden iſt, nachher verſchwindet, ſo müßte nach unſrem Grundſatz der Beklagte verurtheilt werden. Hier aber tritt eine Aus - nahme ein, indem die Verurtheilung nur dann erfolgen ſoll,63§. 262. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung. (Fortſetz.)wenn auch noch zur Zeit des Urtheils das Intereſſe des Klägers fortdauert(o)L. 7 § 7 ad exhib. (10. 4)..
Nach der L. Julia ſollte die Klage gegen einen Freige - laſſenen auf eine operarum obligatio ausgeſchloſſen ſeyn, wenn der Freigelaſſene zwei Kinder hatte. Wenn nun nach der L. C., während des Rechtsſtreits, das zweite Kind geboren wurde, ſo hätte eigentlich, nach unſrem Grundſatz, die Verurtheilung erfolgen müſſen. Hier aber wurde das Gegentheil angenommen, offenbar aus derſelben Begünſti - gung, woraus dieſes ganze Privilegium entſprungen war(p)L. 37 pr. § 6 de op. libert. (38. 1)..
Unter den perſönlichen Klagen finden ſich viele, die nicht gegen die Erben des urſprünglichen Schuldners angeſtellt werden können, und unter dieſen ſind die wichtigſten die Pönalklagen. Für alle dieſe Klagen gilt die durchgreifende Regel, daß ſie auf die Erben übergehen, wenn der Beklagte erſt nach der L. C. ſtirbt(a)L. 58 de O. et A. (44. 7 ), L. 29 de nov. (46. 2 ), L. 87. 139 pr. de R. J. Vgl. B. 5 § 211. g, § 230, und Keller § 20. — Die L. 33 de O. et A. (44. 7), die hierin beſondere Schwierigkeit macht, iſt ſchon oben § 257 erklärt worden. — Die, ohnehin weit ſelt - neren Klagen, die von Seiten des Klagberechtigten unvererblich ſind, richten ſich nach ganz anderen Re - geln, und werden nicht erſt durch die L. C. der Vererbung fähig.. Dieſe Regel iſt die unmit -64Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.telbare Folge der in der L. C. enthaltenen contractlichen Obligation, durch welche diejenige Eigenſchaft des urſprüng - lichen Rechtsverhältniſſes abſorbirt wird, in welcher die Unvererblichkeit deſſelben gegründet war.
Bisher ſind die Fälle erwogen worden, in welchen das zur Zeit der L. C. vorhandene Recht des Klägers während des Rechtsſtreits verſchwindet; unſer Grundſatz führte dahin, daß dieſe Änderung dem Kläger nicht ſchaden ſoll. Wir haben jetzt den umgekehrten Fall zu betrachten, wenn das Recht des Klägers zur Zeit der L. C. nicht vorhanden iſt, während des Rechtsſtreits aber entſteht; wenn alſo z. B. ein Nichteigenthümer vindicirt und während des Rechtsſtreits Erbe des Eigenthümers wird, oder wenn ein Anderer als der Creditor eine wirklich vorhandene Schuld einklagt, während des Rechtsſtreits aber durch Beerbung des wahren Creditors die Forderung erwirbt(b)Von dieſer Frage handeln: Voetius VI. 1 § 4 (kurz und gründlich), Glück B. 8 S. 147 bis 151, mit ausführlicher Angabe der Schriftſteller, und Wächter H. 3 S. 120 — 124..
Hier iſt zuvörderſt einleuchtend, daß unſer Grundſatz keine Anwendung finden kann. Wollte man auf das neu erworbene Recht eine Verurtheilung gründen, ſo würde dadurch nicht etwa ein durch die Dauer des Rechtsſtreits herbeigeführter Verluſt von dem Kläger abgewendet werden (worauf allein unſer Grundſatz abzweckt), ſondern der Kläger würde durch jene Dauer Etwas gewinnen, da65§. 262 Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)er zur Zeit der L. C. unzweifelhaft abgewieſen worden wäre.
Ferner iſt das practiſche Intereſſe dieſer Frage an ſich weit geringer. In dem bisher betrachteten umgekehrten Fall kam es darauf an, den Kläger gegen den Verluſt des Rechts ſelbſt zu ſchützen, den er z. B. durch den unge - ſchwächten Fortgang der Klagverjährung oder der Uſucapion erlitten haben würde. Dieſer Verluſt des Rechts ſelbſt kann hier in keinem Fall eintreten. Laſſen wir die Beach - tung des neu erworbenen Rechts im gegenwärtigen Prozeß zu, ſo erreicht der Kläger ſeinen Zweck ſogleich; laſſen wir ſie nicht zu, ſo wird der Beklagte freigeſprochen, der Kläger kann aber in einer neuen Klage ſein Recht geltend machen, und verliert alſo blos Zeit und Prozeßkoſten. Dieſes galt ſelbſt nach der Strenge des alten R. R., da das neu erworbene Recht eine nova causa bildete, alſo durch die frühere Klage nicht in judicium deducirt und conſumirt war(c)L. 11 § 4. 5 de exc. rei jud. (44. 2). Dieſe Stelle wird in der Lehre vom Urtheil vollſtändig benutzt werden.. Das Intereſſe der Frage iſt alſo nicht materiell, nur prozeſſualiſch, woraus übrigens nicht folgt, daß wir deshalb weniger ſorgfältig auf die Entſcheidung derſelben einzugehen hätten.
A. Nach R. R. muß angenommen werden, daß der ſpätere Erwerb des Rechts die Verurtheilung nicht recht - fertigt. Dafür ſind folgende Stellen entſcheidend: L. 23 de jud. (5. 1) von Paulus: „ Non potestVI. 566Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.videri in judicium venisse id, quod post judicium acceptum accidisset, ideoque alia interpellatione opus est. “ Das heißt: die nach der L. C. eintretenden Veränderungen dürfen auf das Urtheil dieſes Juder keinen Einfluß haben; es bedarf alſo einer neuen Klage(d)Interpellare für judicio interpellare, verklagen, komm auch ſonſt öfter vor, z. B. L. 1 de distr. (20. 5 ), L. 13 § 3 de zujur. (47. 10). um ſie geltend zu machen. Dieſe Regel wird hier ganz allgemein aufgeſtellt, ohne Unterſchied zwiſchen in rem und in personam, zwiſchen stricti juris und bonae fidei actio. L. 35 de jud. (5. 1) von Javolenus: „ Non quemadmodum fidejussoris obligatio in pendenti potest esse, et vel in futurum concipi, ita judicium in pendenti potest esse, vel de his rebus, quae postea in obligationem adventurae sunt. Nam ne - minem puto dubitaturum, quin fidejussor ante obli - gationem rei accipi possit: judicium vero, antequam aliquid debeatur, non posse. “ Dieſe Stelle ſpricht blos von perſönlichen Klagen, von dieſen aber ganz allgemein, ohne Unterſchied zwiſchen ſtrengen und freien.
Eine beſtätigende Anwendung der aufgeſtellten Regel findet ſich bei der actio ad exhibendum. Die Bedingung dieſer Klage iſt ein rechtliches Intereſſe des Klägers bei der Exhibition. Wenn nun dieſes Intereſſe zur Zeit der67§. 262. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)L. C. fehlt, während des Rechtsſtreits aber entſteht, ſo ſoll dennoch keine Verurtheilung erfolgen, indem das Da - ſeyn des Intereſſe in beiden Zeitpunkten (L. C. und Urtheil) erfordert wird(e)L. 7 § 7 ad exhib. (10. 4), vgl. oben § 261. o. .
Eine fernere Beſtätigung liegt in folgender wichtigen Regel, deren vollſtändiger Zuſammenhang erſt weiter unten in der Lehre vom Urtheil erklärt werden kann. Wenn der Kläger das Eigenthum der vindicirten Sache erſt nach der L. C. erwirbt, ſo ſoll ihm das abweiſende Urtheil bei einer neu angeſtellten Vindication nicht als Exception entgegen geſetzt werden können(f)L. 11 § 4. 5 de exc. rei jud. (44. 2).. Dies wird hier allgemein aus - geſprochen, ohne Unterſchied, ob der neue Erwerb vor oder nach dem erſten Urtheil eingetreten iſt. Zwar wird zunächſt nur die Wirkſamkeit der exceptio rei judicatae im zweiten Prozeß verneint, und es wird nicht ausdrücklich die Frage berührt, ob etwa auch ſchon in der erſten Vindication der Richter wegen des inzwiſchen erworbenen Eigenthums ver - urtheilen dürfe. Allein die Gründe, die der Juriſt zur Be - ſtätigung ſeines Ausſpruchs anführt, laſſen keinen Zweifel, daß er eine ſolche Verurtheilung für unmöglich halten mußte(g)L. cit. „ … alia enim causa fuit prioris dominii, haec nova nunc accessit. Itaque ad - quisitum quidem postea domi - nium aliam causam facit, mu - tata autem opinio petitoris non facit. “.
Viele Schriftſteller haben einen Widerſpruch gegen die5*68Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.hier aufgeſtellte Behauptung in folgender Stelle des Pau - lus finden wollen(h)L. 17 mandati (17. 1).: „ Si mandavero tibi, ut a Titio decem exigeres, et ante exacta ea, mandati tecum egero, si ante rem ju - dicatam exegeris, condemnandum te esse constat. “
Dieſer Widerſpruch iſt in der That nicht vorhanden. Durch den übernommenen Auftrag das Geld einzufordern, iſt die actio mandati bereits vollſtändig begründet, und durch die während des Rechtsſtreits erfolgte Einforderung kann höchſtens der Inhalt und Umfang des Urtheils etwas anders beſtimmt werden. Paulus will alſo nicht ſagen, daß nur im Fall einer früheren Einforderung eine Verur - theilung überhaupt erfolgen ſolle(i)So verſtehen die Gegner die Stelle, indem ſie durch das arg. a contrario hinzudenken: si non exegeris, absolvendum te esse. Allein die unbedingte Anwendung dieſes Arguments iſt überall be - denklich, und ſie muß beſonders hier verworfen werden, da die Ab - ſolution, nach der allgemeinen Na - tur der Mandatsklage, in keinem Fall zu rechtfertigen wäre.; die Meinung geht vielmehr dahin, daß nach der Einforderung unbedingt auf die Auszahlung des erhobenen Geldes erkannt werde, an - ſtatt daß vor der Einforderung auf die Vollziehung des Auftrags (nach R. R. auf das Intereſſe) erkannt werden müßte. Der Ausſpruch des Paulus muß daher in Ge - danken ſo ergänzt werden: decem condemnandum te esse constat. — Um den vermeintlichen Widerſpruch zwiſchen dieſer Stelle und den oben angeführten zu löſen, haben mehrere Schriftſteller(k)Keller S. 185. 187. Wäch - ter H. 3 S. 121. einen Unterſchied zwiſchen den69§. 262. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)stricti juris und bonae fidei actiones behauptet; bei jenen ſoll die ſtrengere, bei dieſen (wohin denn eben die Mandatsklage zu rechnen wäre) die mildere Regel gegolten haben. Durch die eben aufgeſtellte Erklärung fällt das Bedürfniß einer ſolchen Vereinigung hinweg. Sie wird aber auch dadurch widerlegt, daß die oben angeführten Stellen über die ſtren - gere Regel nicht auf die stricti juris actiones beſchränkt ſind, während umgekehrt gerade bei der actio ad exhibendum die ſtrengere Regel eintritt (Note e), obgleich die actio ad exhi - bendum unter die arbiträren, alſo unter die freieſten Kla - gen überhaupt, gehört.
In der That hängt aber auch die hier erörterte Regel mit den ſtrengen, buchſtäblichen Formen des alten Prozeſſes gar nicht zuſammen. Sie beruht vielmehr auf der ganz natürlichen Betrachtung, daß für Fälle wie der hier vor - ausgeſetzte die Anſtellung einer neuen Klage an ſich zweck - mäßiger iſt, und daß die entgegengeſetzte Behandlung das Recht des Beklagten gefährden kann, indem dieſer bis dahin unmöglich ſeine Vertheidigung auf das angeblich neu er - worbene Recht des Klägers einrichten konnte.
Andere Stellen, wodurch man die hier vertheidigte Regel zu widerlegen geſucht hat, beziehen ſich gar nicht auf den Fall, wenn das Recht des Klägers zur Zeit der L. C. fehlt, ſpäter erworben wird (von welchem Fall hier allein die Rede iſt), ſondern vielmehr auf die während des Prozeſſes eintretenden factiſchen Veränderungen; von dieſen aber wird weiter unten (No. VI. ) noch beſonders die Rede ſeyn.
70Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Mit Unrecht hat man mit der Erörterung unſrer Frage folgende ganz andere in Verbindung zu bringen geſucht. Wenn der Kläger aus Verſehen in der Klage einen unrich - tigen Gegenſtand, oder eine zu geringe Summe bezeichnet, ſo ſoll ihm dieſes für die Erhaltung ſeines Rechts keine Gefahr bringen; und zwar nach dem älteren Recht, indem es ihm ſtets frei ſtand, durch eine neue Klage den Irr - thum zu berichtigen(l)Gajus IV. § 55. 56. — In manchen Fällen war nach altem Recht auch ſchon in dem erſten Prozeß eine Berichtigung des be - gangenen Irrthums zuläſſig, und zwar gerade in ſolchen Fällen, worin außerdem eine neue Klage durch die Conſumtion ausgeſchloſſen ſeyn würde.: nach dem Juſtinianiſchen Recht, indem er die Berichtigung noch in demſelben Prozeß mit Erfolg vornehmen kann(m)§ 34. 35 J. de act. (4. 6). Nach den Regeln des heutigen gemeinen Prozeſſes würde eine ſolche Veränderung des Klaglibells nicht mehr zuläſſig ſeyn.. — Eine ſolche Berichtigung der in der Klage begangenen Irrthümer iſt von dem hier vorliegenden Fall eines erſt während des Rechtsſtreits neu entſtandenen Rechts des Klägers völlig verſchieden.
B. Nach dem canoniſchen Recht hat unſre Rechts - regel eine weſentliche Abänderung erlitten. P. Inno - cenz IV. hat nämlich folgenden Unterſchied aufgeſtellt(n)C. 3 de sentent. in VI. (2. 14).. Wenn in der Klage nicht nur das Recht ſelbſt, ſondern auch der Erwerbsgrund deſſelben, beſtimmt ausgedrückt ſey, ſo ſolle im Fall eines ſpäteren Erwerbs (ganz wie im R. R.) die Verurtheilung nicht erfolgen dürfen, ſondern vielmehr eine neue Klage erforderlich ſeyn. Wenn dagegen die Klage71§. 262. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)nur das Recht ſelbſt (z. B. Eigenthum), nicht den Erwerbs - grund (z. B. Uſucapion), ausdrücke, ſo ſolle der während des Rechtsſtreits eintretende Erwerb auch ſchon jetzt, ohne neue Klage, zur Verurtheilung führen.
Um dieſe ſehr weitläufige Verordnung gegen die un - richtige Deutung zu ſchützen, die dafür neuerlich verſucht worden iſt(o)Wächter H. 3 S. 122. 123., muß die Bemerkung vorausgeſchickt werden, daß dieſe Decretale, ſo wie viele andere, aus zwei verſchie - denen Theilen zuſammengeſetzt iſt. Sie enthält zuerſt einen Auszug der Prozeßacten, alſo die Behauptungen und Gründe beider Parteien. Darauf folgt das ausgeſprochene Urtheil des Richters, welches am Schluß des ganzen Ge - ſetzes der Papſt beſtätigt, und dadurch zur geſetzlichen Kraft erhebt(p)„ Nos igitur, cardinalis ejusdem sententiam ratam ha - bentes, eam auctoritate aposto - lica confirmamus. “— Die rich - terliche Entſcheidung, die hier mit Geſetzeskraft verſehen wird, fängt an mit den Worten: „ Praefatus igitur cardinalis, praemissis omnibus. “. In dem Urtheil des Richters, alſo in dem geſetzlichen Theil der ganzen Stelle, lauten die entſchei - denden Worte alſo: „ Ex iis enim, quae post inchoatum judicium eveniunt, quando causa fuit exposita specialis, nec debet nec potest judicis animus ad proferendam sententiam in - formari, quia, quum certae causae facta est mentio, utpote donationis vel venditionis aut alterius specia - lis, oportet incepti judicii tempus attendi, ut liquido cognoscatur, an tunc interfuerit actoris, propter illa,72Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quae specialem comitantur causam et necessario ad - esse debent, veluti locus et tempus et hujusmodi, quae sunt sollicite attendenda, et sine quibus causa vacua et invalida censeretur. Sed quum est in ge - nere absque alicujus causae declaratione petitum, non sic oportet accepti judicii tempus inspici, quia non requiruntur, nec sunt opportuna, nec attendi possunt hujusmodi comitantia in hoc casu. “
In dieſen Worten iſt genau und unzweideutig die Un - terſcheidung von zwei Fällen möglicher Abfaſſung der Klage (nämlich mit oder ohne Angabe des Erwerbsgrundes für das eingeklagte Recht) enthalten, welchen ich oben als In - halt des Geſetzes angegeben habe(q)Wächter H. 3 S. 122. 123. faßt die Sache ſo auf, als ſey die Benutzung des neuen Erwerbes auch in dem Fall zuläſſig, wo aus einem ſpeciellen Erwerbsgrunde ge - klagt wird, wenn nur ſpäterhin „ gerade derjenige Erwer - bungsgrund, auf welchen die ding - liche Klage geſtützt wird, durch ein ſpäteres Ereigniß begründet wurde; “welches ohne Zweifel ſo viel heißen ſoll, als: der ſpätere wahre Er - werbungsgrund müſſe mit dem frü - heren falſchen gleichnamig ſeyn — denn identiſch iſt er mit demſelben niemals, wie es gerade in den Worten der Decretale ſehr richtig anerkannt wird. Wächter beruft ſich zum Beweiſe dieſer Behaup - tung auf eine Stelle der Decretale, welche nicht zu der richterlichen und geſetzlichen Entſcheidung, ſon - dern zu den Prozeßacten gehört, alſo an ſich gar nichts beweiſen kann. Dieſe Verwechſlung ver - ſchuldet zunächſt Glück, welcher S. 149. 150 gerade dieſe Stelle der Prozeßacten als das eigentliche Geſetz irrig abdrucken läßt. Aber auch ſelbſt die allegirte Stelle der Prozeßacten hat, genauer angeſehen, nicht den von Wächter angenom - menen Inhalt, ſondern ſtimmt ei - gentlich ganz mit der nachfolgenden geſetzlichen Entſcheidung überein.. Und dieſe Unter - ſcheidung muß daher auch für unſer heutiges gemeines Recht maaßgebend ſeyb.
73§. 263. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)Es verſteht ſich aber dabei von ſelbſt, daß auch in dem von dem Papſt anerkannten Fall der Kläger dennoch keinen Gebrauch von dem während des Rechtsſtreits eingetretenen Erwerb des Rechts machen kann, wenn die allgemeinen für den Prozeßgang beſtehenden Regeln damit im Wider - ſpruch ſind; insbeſondere alſo in dem Fall, wenn erſt nach dem Beweistermin der neue Erwerb Statt findet(r)Stryk Lib. 6. Tit. 1 § 11. Wächter S. 124..
Wenn man die Bedingungen vollſtändig anzugeben ver - ſucht, durch welche eine Verurtheilung überhaupt, oder doch der Umfang einer Verurtheilung, beſtimmt wird, ſo finden ſich unter denſelben außer dem Rechte des Klägers, wovon allein bisher die Rede war, auch noch manche factiſche Verhältniſſe, die in Vergleichung mit jenem Rechte des Klägers (der eigentlichen Grundlage jeder Klage), als Ne - benumſtände aufgefaßt werden können. Bei der Vindication z. B. iſt die Hauptbedingung der Klage das Eigenthum des Klägers: daneben aber iſt auch der Beſitz des Beklagten nöthig, wenn eine Verurtheilung erfolgen ſoll. Auch für ſolche factiſche Verhältniſſe muß die Frage beantwortet werden, in welcher Zeit das Daſeyn derſelben erforderlich iſt. Wenngleich nun ſich dabei zeigen wird, daß die L. C. 74Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht der erforderliche Zeitpunkt iſt, ſo darf dennoch auch hier dieſe Unterſuchung nicht abgelehnt werden, weil außer - dem neben den Wirkungen der L. C. ein benachbarter unbe - ſtimmter Raum übrig bleiben würde, in welchem Zweifel und Misverſtändniſſe über die L. C. Platz nehmen können, und wirklich nicht ſelten genommen haben(a)Von dieſer Frage handeln: Keller S. 190 — 194. Wächter H. 3 S. 126..
Es ſind dabei in gleicher Art, wie es bei dem Recht des Klägers geſchehen iſt, zwei Fälle zn unterſcheiden.
Erſtlich kann ein ſolches factiſches Verhältniß zur Zeit der L. C. vorhanden ſeyn, nachher verſchwinden. Zweitens kann daſſelbe zur Zeit der L. C. fehlen, nachher entſtehen.
Der erſte Fall wird zweckmäßiger weiter unten, in anderem Zuſammenhang, betrachtet werden. Wenn näm - lich bei der Vindication der zur Zeit der L. C. vorhandene Beſitz des Beklagten während des Rechtsſtreits verloren geht, ſo gehört die Beurtheilung dieſes Falles in die Reihe der möglichen Verminderungen, für welche der Beklagte nach Umſtänden Entſchädigung zu leiſten oder nicht zu leiſten hat. Davon wird in vollſtändigem Zuſammenhang bei den Wirkungen der L. C. auf den Umfang der Ver - urtheilung gehandelt werden (§ 272 fg.).
Es bleibt alſo hier nur der zweite Fall zu erwägen übrig, wenn das erforderliche factiſche Verhältniß zur Zeit der L. C. fehlt, während des Rechtsſtreits aber entſteht.
Hier iſt als Regel anzunehmen, daß der Zuſtand zur75§. 262. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)Zeit der L. C. Nichts bedeutet, und daß es allein dar - auf ankommt, ob das factiſche Verhältniß zur Zeit des Urtheils vorhanden iſt. Es gilt alſo hierin die umge - kehrte Regel von derjenigen, welche oben für das Recht des Klägers angegeben worden iſt (§ 262).
Die hier aufgeſtellte Regel ſoll zunächſt bei den ein - zelnen Klagen, worin ſie vorkommt, nachgewieſen werden; daran wird ſich eine allgemeinere Betrachtung anſchließen können.
A. Bei der Vindication des Eigenthums iſt es gleich - gültig, ob der Beklagte zur Zeit der L. C. den Beſitz hat; zur Zeit des Urtheils muß dieſer Beſitz nothwendig vor - handen ſeyn(b)L. 30 pr. de pec. (15. 1 ), L. 27 §. 1 de rei vind. (6. 1 ) „ .. si litis contestatae tempore non possedit, quo autem judi - catur possidet, probanda est Proculi sententia, ut omnimodo condemnetur. “ Zu dieſem ganz klaren Ausſpruch, welcher mit allen übrigen Stellen übereinſtimmt (ſ. die folgenden Noten) paßt freilich nicht der Anfang des §: „ Possidere autem aliquis debet utique et litis contestatae tempore, et quo res judicatur. “ Es muß dahin geſtellt bleiben, ob bei dieſem Widerſpruch eine ungenaue Faſſung der angeführten Anfangsworte zum Grunde liegt, oder vielmehr die Erwähnung einer älteren Contro - verſe, die nur in dem unvollſtän - digen Excerpt der Compilatoren nicht mehr erkennbar iſt. Keller S. 191. 192..
Eine bloße Anwendung dieſer Regel iſt es, daß der Erbe des Beklagten, der als ſolcher zur Uebernahme der Vindication nicht verpflichtet iſt(c)L. 42 de rei vind. (6. 1). , in dieſe Verpflichtung eintritt, ſobald er ſelbſt den Beſitz erwirbt(d)L. 8 in f. ad exhib. (10. 4). .
B. Bei der Erbſchaftsklage wird der Beklagte verur -76Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.theilt, je nach dem Beſitz den er zur Zeit des Urtheils an Erbſchaftsſachen hat, ohne Rückſicht darauf, ob er vielleicht zur Zeit der L. C. aus der Erbſchaft gar Nichts oder weniger als zur Zeit des Urtheils, beſeſſen hatte(e)L. 18 § 1 de her. pet. (5. 3 ), L. 4 L. 41 pr. eod. — Bloße Anwendungen dieſer Regel ſind es, welche ſich in L. 16 pr. und L. 36 § 4 eod. finden..
C. Bei der actio ad exhibendum kommt es lediglich darauf an, ob der Beklagte zur Zeit des Urtheils die Sache beſitzt(f)L. 7 § 4 ad exhib. (10. 4 ), L. 30 pr. de pec. (15. 1). , und eben ſo iſt der Erbe des urſprünglichen Beklagten zu verurtheilen, wenn er ſelbſt nur vor dem Urtheile Beſitzer geworden iſt(g)L. 8 ad exhib. (10. 4). .
D. Bei der actio de peculio hängt der Erfolg von dem Geldwerthe ab, welchen das Peculium hat. Dieſer Werth aber wird beſtimmt nach der Zeit des Urtheils, nicht der L. C.(h)L. 30 pr. de pec. (15. 1). — L. 7 § 15 quib. ex causis (42. 4 ), L. 5 § 2 de lib. leg. (34. 3 ), L. 35 de fidej. (46. 3).. Ja ſelbſt wenn der mit dieſer Klage Belangte während des Rechtsſtreits den Sklaven verkauft, ſo wird er dennoch bis auf die Höhe desjenigen Werthes verurtheilt, welcher ſich zur Zeit des Urtheils findet(i)L. 43 de pec. (15. 1). — Stirbt der Sklave während des Rechtsſtreits, ſo wird auf den Werth zur Zeit des Todes geſehen..
E. Wenn bei der actio depositi der Beklagte zur Zeit des Urtheils die Sache beſitzt und zu ihr gelangen kann, ſo wird er verurtheilt, ſelbſt wenn im Anfang des Rechts - ſtreites, weil es an einem dieſer Umſtände fehlte, eine Freiſprechung hätte erfolgen müſſen(k)L. 1 § 21 depos. (16. 3). Die einzelnen Ausdrücke dieſer Stelle.
77§. 263. Wirkung der L. C. — I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)F. Die Verurtheilung bei der actio pignoratitia hängt davon ab, daß die Schuld, wofür das Pfand gegeben war, getilgt ſein muß(l)L. 9. § 3 de pign. act. (13. 7). . Wenn aber nur der Kläger auch während des Rechtsſtreits die Zahlung der Schuld anbietet, ſo muß dennoch die Verurtheilung auf Rückgabe des Pfandes erfolgen(m)L. 9 § 5 de pign. act. (13. 7). .
Ulpian giebt als Grund dieſer Regel und ihrer ein - zelnen Anwendungen den Umſtand an, daß von jenen factiſchen Verhältniſſen (dem Beſitz, dem Werth des peculii,) nichts in der Intentio ſtehe, weshalb der Mangel jener Verhältniſſe die Richtigkeit der Klage, und alſo auch die Verurtheilung, nicht ausſchließe(n)L. 30 pr. de pec. (15. 1) „ quaesitum est, an teneat actio de peculio, etiamsi nihil sit in peculio, cum ageretur: si modo sit rei judicatae tempore? Proculus et Pegasus nihilo mi - nus teneri ajunt: intenditur enim recte, etiamsi nihil sit in peculio. Idem et circa ad exhi - bendum et in rem actionem placuit: quae sententia et a nobis probanda est. “— Daher heißt es auch in L. 9 de rei vind. (6. 1 ) „ Officium autem judicis in hac actione in hoc erit, ut judex inspiciat an reus possi - deat; “nämlich in der formula war von dem Beſitz des Beklagten nicht die Rede: die Prüfung des - ſelben gehörte alſo zu den Stücken, wozu der Judex auch außer der Inſtruction berechtigt und ver - pflichtet war, d. h. eben zu dem officium judicis. .
Dieſen Grund könnte man ſo auffaſſen, als ob blos in dieſer zufälligen Abfaſſung der Klagformeln der Grund jener Regel enthalten wäre, ſo daß es blos einer Ver - beſſerung der Formeln bedurft hätte, um etwa eine ganz andere Regel herbeizuführen, und die ganze Beurtheilung(k)erklären ſich aus der Vergleichung mit Gajus IV. § 47.78Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch dieſes Punktes nach dem Zuſtand zur Zeit der L. C. einzurichten. Man muß aber vielmehr umgekehrt an - nehmen, daß aus inneren Gründen die oben aufgeſtellte Regel angenommen wurde, ſo daß die oben erwähnte Ab - faſſung der Formeln nicht als Grund, ſondern als Folge und Ausdruck der Regel anzuſehen iſt.
Der innere Grund der Regel iſt aber wohl ſo zu denken. Wenn der Kläger behauptet, daß ſein Eigenthum zwar zur Zeit der L. C. noch nicht vorhanden geweſen, nachher aber entſtanden ſey (§ 262), ſo iſt es für die gründliche Entſcheidung des Rechtsſtreits zuträglicher, daß deshalb eine neue Klage angeſtellt werde, weil außerdem der Beklagte in ſeiner Vertheidigung verkürzt werden könnte. Wenn dagegen das Eigenthum des Klägers von Anfang an vorhanden war, und nur behauptet wird daß der Beſitz des Beklagten erſt während des Rechtsſtreits ent - ſtanden ſey, ſo läßt ſich auch ſchon in dem gegenwärtigen Rechtsſtreit ein befriedigendes Urtheil erwarten; ja die Verweiſung auf einen neuen Prozeß würde in dieſem Fall nur zu einer unnöthigen Verſchleppung der Sache hin - führen.
Die Wirkungen der L. C. ſind ſchon oben auf zwei Hauptregeln zurückgeführt worden: Sicherung der Ver -79§ 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.urtheilung überhaupt (die Abwendung der Frei - ſprechung), und Sicherung des Umfangs der Verur - theilung (die Abwendung eines zu beſchränkten Urtheils) [§. 260. No. IV.].
Die erſte dieſer beiden Regeln iſt bis jetzt dargeſtellt worden. Die zweite, deren Entwicklung nunmehr folgt, kann nur unter der Vorausſetzung zur Anwendung kommen, daß während des Rechtsſtreits in dem Gegenſtand des - ſelben Veränderungen eintreten.
Solche Veränderungen in dem Gegenſtande des Rechts - ſtreits können in zwei entgegengeſetzten Richtungen vor - kommen.
a) Als Erweiterungen, wohin vorzüglich die Früchte und Zinſen gehören.
b) Als Verminderungen, wohin der Untergang der Sache, die Corruption derſelben, der Berlnſt des Beſitzes, und Ähnliches zu rechnen iſt.
Bevor aber die hier einſchlagenden wichtigen Fragen im Einzelnen erwogen werden, iſt es nöthig, dazu den Grund zu legen durch die genaue Betrachtung von zwei Rechtsbegriffen, deren Einfluß mit dem der L. C. oft ſo nahe verwandt iſt, daß ſie ſelbſt mit derſelben nicht ſelten identificirt worden ſind. Ich meine die Mora, und die mala fides, oder den unredlichen Beſitz.
Die Mora bezieht ſich auf Obligationen und perſön - liche Klagen, der unredliche Beſitz auf dingliche Rechte und Klagen in rem. Beide enthalten ein Unrecht mit Bewußt -80Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſeyn, ſie ſind daher delictähnlich, und haben auch oft delictartige Folgen. Nur iſt dabei der Unterſchied zu beachten, daß die Mora in einer bloßen Unterlaſſung be - ſteht, und nicht nothwendig auf Dolus, ſondern oft auf bloßem Geldmangel beruht; anſtatt daß der unredliche Be - ſitz in einem poſitiven Handeln beſteht, und ſtets mit Dolus verbunden iſt.
Die L. C. dagegen iſt ein contractähnliches Verhält - niß (§ 258), und hat keine Verwandſchaft mit einem De - lict. Die Führung des Rechtsſtreits iſt an ſich von Seiten des Beklagten nicht nothwendig tadelnswerth, ſelbſt dann wenn am Ende das Urtheil gegen ihn ausfällt.
Nun iſt es eine unter unſeren Schriftſtellern ſehr ver - breitete Behauptung, daß jede L. C., je nachdem die Klage perſönlich, oder in rem iſt, ſtets die Mora oder die mala fides begründe(a)Bayer Civilprozeß S. 233. 234. Linde § 200 Note 4. 5. — Daß hier die Annahme der Mora oder der mala fides ſogar auf den Zeitpunkt der Inſinuation zu - rückgeführt wird, beruht auf wei - teren Fragen, deren ſelbſtſtändige Erörterung an ihrem Orte erfol - gen wird. Auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Unterſuchung iſt dieſe fernere Differenz unerheblich.. Nach allgemeiner Betrachtung muß dieſer Satz unbedenklich verworfen werden, theils weil die eben erwähnte juriſtiſche Natur dieſer drei Rechtsbegriffe (die Ähnlichkeit mit Delicten und Contracten) von Grund aus verſchieden iſt, theils weil ſowohl die Mora, als die mala fides, jede ihre eigenthümlichen Bedingungen hat, ſo daß das Daſeyn derſelben in jedem einzelnen Fall von81§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.einer rein factiſchen Frage abhängt, deren Bejahung auf keine Weiſe aus dem Daſeyn der L. C. an ſich gefolgert werden kann(b)Dieſe richtige Auffaſſung, daß das Daſeyn der Mora und der mala fides ſtets eine facti quaestio iſt, findet ſich bei Byn - kershoek obss. VIII. 12, Leyser 83. 5 und 99. 6, Kierulff S. 277 bis 281, Wächter H. 3 S. 106 bis 108.. Dagegen muß auf der anderen Seite unbedingt eingeräumt werden, daß die L. C. großentheils ähnliche Wirkungen herbeiführt, wie die welche aus der Mora oder der mala fides folgen, wenngleich aus ver - ſchiedenen Gründen(c)Leyſer (Note b) überſieht Dieſes, und behauptet deshalb irrig, es dürfe nicht immer von der L. C. an auf Erſatz der Früchte erkannt werden, weil nicht immer die mala fides mit der L. C. ver - bunden ſey..
Die Frage iſt aber nun noch genauer für die Mora und die mala fides beſonders zu erörtern.
Zur regelmäßigen Begründung der Mora wird erfor - dert, daß der Schuldner zur Erfüllung ſeiner Verpflichtung aufgefordert werde, und ſie ohne Grund unterlaſſe. Es iſt daher keine Mora vorhanden, wenn zwar eine Schuld ſelbſt anerkannt iſt, aber der Betrag derſelben noch nicht feſtſteht; ferner wenn die Schuld ſelbſt als zweifelhaft an - zuſehen iſt. Wenn alſo der aufgeforderte Schuldner ſich verklagen läßt, ſo hängt die Annahme einer Mora von den Umſtänden ab. Sie iſt anzunehmen, wenn er ohne Grund, oder aus offenbar unhaltbaren Gründen, nur um den Gegner hinzuhalten, die Erfüllung verweigert; nichtVI. 682Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.anzunehmen, wenn er Gründe der Weigerung angiebt, wodurch die Vorausſetzung eines rechtswidrigen Willens, eines Unrechts mit Bewußtſeyn, ausgeſchloſſen wird(d)L. 63 de R. J. (50. 17 ) „ Qui sine dolo malo ad judi - cium provocat, non videtur moram facere. “ L. 24 pr. de usur. (22. 1) „ … utique si juste ad judicium provocavit. “ Das heißt nicht: wenn er am Ende Recht behält, und daher freige - ſprochen wird, ſondern es iſt gleich - bedeutend mit dem vorhergehenden sine dolo malo, und drückt den Gegenſatz des frivolen Rechts - ſtreits aus. Eben ſo L. 82 § 1 de V. O. (45. 1 ) „ Et hic moram videtur fecisse, qui litigare maluit quam restituere, “d. h. der es aus reiner Willkühr, ohne ſcheinbaren Grund, auf den Pro - zeß ankommen läßt. (Vgl. unten Note g und § 273. k). L. 47 de usur. (22. 1).. Wer alſo die Schuld beſtreitet, weil er ſeine eigene obli - gatoriſche Handlung nicht mehr zu wiſſen behauptet, wird dem Vorwurf der Mora nicht entgehen; anders wenn ein Erbe die Handlungen ſeines Erblaſſers bezweifelt, oder wenn die Klage durch eine Exception beſtritten wird(e)L. 42 de R. J. (50. 17 ), L. 21 de usur. (22. 1).. Durch dieſe Unterſcheidungen wird die oben behauptete Verwandtſchaft der Mora mit der mala fides beſtätigt. Bei perſönlichen Klagen kann man allgemein annehmen, daß jede frivole (mit dem Bewußtſeyn des Unrechts vorgenom - mene) Prozeßführung des Beklagten ſtets eine Mora vor - ausſetzt, oder wenigſtens jetzt begründet.
Man kann daher behaupten, daß nicht leicht gerade durch die L. C. eine Mora begründet werden wird, ſon - dern daß ſie meiſt entweder früher vorhanden iſt, oder ſpäter anfängt, im äußerſten Fall freilich mit dem rechts - kräftigen Urtheil. Selbſt in dem ſeltenen Fall, wenn der83§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.Kläger jede außergerichtliche Aufforderung vor dem Rechts - ſtreit unterläßt, wird öfter vielleicht die Inſinuation der Klage, weil ſie eine Interpellation enthält, die Mora begrün - den können, die L. C. wird dabei ſeltener in Betracht kommen.
Ganz in dieſem Sinn ſpricht Papinian bei Gelegen - heit der Fideicommiſſe(f)L. 3 pr. de usur. (22. 1).. In den meiſten Fällen, ſagt er, wird das Fideicommiß klar und gewiß ſeyn, dann hat die Mora meiſt ſchon vor dem Rechtsſtreit angefangen, mit der außergerichtlichen Aufforderung. Wenn aber die Gültig - keit und die Höhe des Fideicommiſſes zweifelhaft iſt, z. B. weil der Abzug der Falcidiſchen Quart in Betracht kommt, dann wird die Mora wenigſtens mit dem rechtskräftigen Urtheil anfangen. In dieſer Ueberſicht möglicher Fälle erwähnt er der L. C. gar nicht, ſo daß er dieſen Zeitpunkt gar nicht als erheblichen Moment zur Begründung der Mora an - ſieht; er erwähnt auch ſelbſt die Anſtellung der Klage nicht, ohne Zweifel indem er den in ſolchen Fällen gewöhnlichen Hergang, die außergerichtliche Aufforderung, vorausſetzt.
Wie verbreitet alſo die Behauptung neuerer Schrift - ſteller von einem allgemeinen und nothwendigen Anfang der Mora mit der L. C. auch ſeyn möge, ſo hat ſie doch weder in der Natur der hier einſchlagenden Verhältniſſe, noch in den Quellen des R. R. irgend einen haltbaren Grund(g)Gewöhnlich berufen ſich die Vertheidiger der aus der L. C. entſpringenden Mora auf L. 82. Etwas anders verhält es ſich in der letzten Hinſicht mit der mala fides.
Es finden ſich zwei Stellen des Ulpian, welche die mala fides als nothwendige, unzertrennliche Folge des bloßen Rechtsſtreits ſo beſtimmt auszuſprechen ſcheinen, daß die hierauf gleichfalls gerichtete Behauptung vieler neueren Schriftſteller darin eine ſcheinbare Rechtfertigung findet(h)Andere, weniger entſchei - dend lautende Stellen, wie L. 45 de rei vind. (6. 1) und L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3) werden weiter unten (Note o) erwähnt werden. Am meiſten ſcheint ſich jenen Stellen durch unbedingten Ausdruck anzuſchließen L. 2 C. de fruct. (7. 51, d. h. L. 1 C. Th. eod.): „ ex eo tempore, ex quo, re in judicium deducta, scien - tiam malae fidei possessionis accepit. “ Allein dieſe Worte, wie ſie in den meiſten Ausgaben lauten, laſſen doch eine zwiefache Deu - tung zu. Sie können heißen: Von der L. C. an, weil er da - durch in malam fidem kommt — oder auch, wenn er dadurch in malam fidem kommt. Anders noch ſtellt ſich die Sache, wenn man mit manchen Hſſ. und mit dem Theodoſiſchen Codex lieſt: malae possessionis (ohne fidei;:
(g)§ 1 de V. O. (45. 1, ſ. o. Note d), die man allerdings ſo verſtehen könnte, als ob jeder Beklagte durch den bloßen Entſchluß zum Rechts - ſtreit in eine Mora verfiele. Nur muß man bei dieſer Erklärung ganz vergeſſen, was aus den um - gebenden übrigen Stellen (Note d) und aus allgemeinen Rechtsgrund - ſätzen unwiderſprechlich folgt, und mit jener Erklärung durchaus nicht zu vereinigen iſt. Alles was man in der hier bekämpften Meinung als wahres Element etwa ein - räumen kann, iſt Folgendes. Die Mora iſt überhaupt der freieſten richterlichen Beurtheilung in jedem einzelnen Fall anheim gegeben (cum sit magis facti quam juris. L. 32 pr. de usur.). Der Rich - ter kann alſo vielleicht finden, daß eine Mora vor allem Rechts - ſtreit, oder daß ſie mit der In - ſinuation, oder auch daß ſie mit der L. C. angefangen hat; dieſes Letzte etwa, wenn bei der L. C. die frivole, unredliche Prozeßfüh - rung ſicher hervorgetreten iſt. Dar - aus laſſen ſich mehrere ſcheinbare Antinomieen befriedigend auflöſen. So z. B. wenn der Anfang der Prozeßzinſen die einem Legatar zu zahlen ſind, bald der Mora, bald der L. C. zugeſchrieben wird (§ 271). Eben ſo bei der Ver - pflichtung des Schuldners, für den zufälligen Untergang der Sache einzuſtehen (§ 273).
85§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.Dieſe Stellen ſind dadurch ſehr wichtig geworden, daß ſie auf die Ausbildung der Rechtstheorie in neueren Zeiten überwiegenden Einfluß ausgeübt haben, wobei nur allzu - ſehr das Bedürfniß unbeachtet geblieben iſt, ſie mit allge - meinen Grundſätzen, ſo wie mit einer großen Zahl ganz anders lautender Stellen des R. R., in Einklang zu bringen. In jenen Stellen aber haben zwei eigenthümliche Meinungen ihre ſcheinbare Rechtfertigung gefunden: erſt - lich die mala fides als allgemeine Folge des bloßen Rechts - ſtreits; zweitens die Zurückführung dieſer Folge ſo wie mancher anderen, von der L. C. auf den Zeitpunkt, worin der Beklagte von dem Anſpruch Nachricht bekommt. Beide Meinungen machen eine ſorgfältige Prüfung nöthig. Die erſte iſt in ihren practiſchen Folgen weniger erheblich ge - worden, theils weil viele Wirkungen der mala fides mit denen der L. C. ohnehin zuſammentreffen, theils weil die einzelnen Wirkungen meiſt durch beſondere, unzweifelhafte(h)vgl. die Noten der Herrmannſchen Ausgabe). Nun iſt gar nicht von einem unredlichen Beſitz die Rede, ſondern von einem unſiche - ren, zweifelhaften; von dieſem Begriff wird noch unten die Rede ſeyn (Note p).86Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vorſchriften geregelt werden. Die zweite dagegen hat die Folge gehabt, daß die neueren Schriftſteller faſt allgemein angenommen haben, das R. R. ſelbſt habe ſchon manche der wichtigſten Wirkungen des Rechtsſtreits nicht mehr gerade an die L. C. angeknüpft; obgleich ſich auch in dieſer Annahme wieder die mannichfaltigſten Abſtufungen finden.
a) Mala fides als allgemeine Folge des bloßen Rechtsſtreits.
Dieſe Behauptung müſſen wir zunächſt nach allgemeiner Betrachtung entſchieden zurück weiſen. Die Unredlichkeit des Bewußtſeyns iſt, wie ſchon oben bemerkt wurde, eine reine Thatſache, die nur aus den Umſtänden jedes ein - zelnen Falls erkannt, nicht aus dem allgemeinen Daſeyn des bloßen Rechtsſtreits gefolgert werden kann. Sie wird alſo oft vor dem Rechtsſtreit vorhanden ſeyn, oft während des ganzen Rechtsſtreits fehlen, welches beſonders durch die Erwägung einleuchtend wird, daß ja der Beklagte mit Unrecht verurtheilt werden kann, und in dieſem Fall doch gewiß kein unredliches Bewußtſeyn gehabt hat. Eine An - knüpfung an die L. C. hat alſo gar keinen inneren Grund(l)Ganz verwerflich iſt die Er - klärung von Bynkershoek obss. VIII. 12, die Römer hätten mit der Klage ſogleich ihre Beweis - urkunden vorgelegt, daher ſey bei ihnen der Beklagte ſtets im An - fang des Rechtsſtreits von ſeinem Unrecht überführt worden. Allein ſehr viele Prozeſſe werden gar nicht aus Urkunden entſchieden, und eben ſo kann die Beweiskraft der vorgebrachten Urkunden oft zwei - felhaft ſeyn, ja ſelbſt vom Richter mit Unrecht angenommen werden. Er folgert daraus, daß jene An - nahme für uns nicht mehr gelte, und ſchließt daraus weiter ganz irrig, daß wir auch keine Prozeß -,87§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.und ſie könnte alſo nur auf einer Fiction des Dolus be - ruhen, der gefährlichſten und willkührlichſten aller Fictionen, wovon ſich anderwärts nirgend eine Spur findet.
Ganz in dieſem Sinn entſcheidet Paulus unſre Frage in einer ſpeciellen Anwendung(m)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). . Wenn nach der L. C. die mit einer hereditatis petitio oder einer Vindi - cation eingeklagte Sache durch Zufall untergeht, ſo ent - ſteht die Frage, ob der Beklagte als ſolcher unbedingt dafür Erſatz geben muß. Nach den Worten des oben an - geführten Senatsſchluſſes konnte man Dieſes bei der here - ditatis petitio annehmen, und daher hatten es auch wirk - lich Manche, und ſelbſt bei der Vindication, angenommen. Paulus aber ſagt, man müſſe überall unterſcheiden zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer. Der unredliche müſſe für den Zufall einſtehen, der redliche nicht, wofür der folgende ſehr einleuchtende Grund ange - geben wird: „ Nec enim debet possessor aut mortalitatem praestare, aut propter metum hujus periculi temere indefensum jus suum relinquere. “
Hier iſt ganz deutlich anerkannt, daß der redliche Be - ſitzer durch die L. C. nicht zu einem unredlichen werde, und daß man ihm nicht zumuthen könne, die Verfolgung ſeines vermeintlichen Rechts zu unterlaſſen(n)Allerdings iſt der Ausdruck dieſer Stelle von dem Ausdruck der oben angeführten Stellen des Ulpian ſehr verſchieden, dennoch.
(l)zinſen mehr annehmen dürften. Vgl. über einen ähnlichen Irrthum von Leyſer oben Note c.
88Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ich will es verſuchen, den Widerſpruch der angeführ - ten Stellen des Ulpian mit allgemeinen Grundſätzen und mit anderen Stellen zu löſen oder zu vermitteln.
Dazu können zunächſt einige Momente dienen, die an ſich wahr, auch nicht unwichtig, aber doch für den eigent - lichen Zweck noch nicht ausreichend ſind.
Erſtlich iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die L. C. manche Wirkungen mit der mala fides gemein habe, und dieſe Gemeinſchaft in Wirkungen konnte wohl hier und da den nicht ganz vorſichtigen Ausdruck veranlaſſen, als ſey mit der L. C. die mala fides wirklich verbunden. Dieſe Erklärung iſt wohl auf manche, bisher noch nicht berührte, Stellen anwendbar(o)L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3). Der redliche Beſitzer ſoll für Ver - nachläſſigungen der Sache bis zur L. C. nicht verantwortlich ſeyn: „ postea vero et ipse praedo est, “nämlich in Beziehung auf jene Verantwortlichkeit, ſo daß praedo est hier ſo viel heißt als: praedonis loco est. — L. 45 de rei vind. (6. 1). — Ganz befon - ders aber L. 25 § 7 de her. pet. (5. 3) in den Worten: „ post mo - tam controversiam omnes pos - sessores pares fiunt, et quasi praedones tenentur. “; für die abſoluten Ausſprüche des Ulpian reicht ſie offenbar nicht aus.
Zweitens kann man eine relative mala fides als Folge der L. C. allerdings annehmen. Selbſt wenn nämlich der(n)iſt ein directer Widerſpruch nicht vorhanden. Ulpian ſpricht nicht von der ſpeciellen Frage wegen des zufälligen Untergangs, womit al - lein ſich hier Paulus beſchäftigt. Dagegen bezieht ſich die Contro - verſe, die Paulus erwähnt, zu - nächſt nur auf die Vindication, ſo daß die wörtliche Behauptung des Ulpian über die mala fides bei der L. C. in der hereditatis pe - titio von Paulus nicht berührt wird. Indeſſen iſt es unzweifel - haft, daß Paulus den Erſatz für den Zufall bei beiden Klagen von dem redlichen Beſitzer abwenden will.89§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.Beklagte die feſte Ueberzeugung von ſeinem guten Recht hat, ſo kann er ſich doch nicht die Möglichkeit verbergen, den Prozeß zu verlieren. Wenn er ſich daher durch Ver - äußerung oder Aufzehrung der Sache wiſſentlich außer Stand ſetzt, der möglichen Verurtheilung zu genügen, ſo liegt in dieſen Handlungen (wenngleich nicht in der Fortſetzung des Beſitzes ſelbſt) eine Unredlichkeit, indem er in der Klage eine Aufforderung ſehen mußte, ſich ſolcher Handlungen zu enthalten(p)L. 10 C. de adqu. poss. (7. 32) „ ex interposita con - testatione, et causa in judicium deducta, super jure possessio - nis vacillet ac dubitet. “ Vgl. oben Note h. über die L. 2 C. de fructibus. ; durch dieſelben, wenn er ſie dennoch vornimmt, verfällt er in die mala fides(q)Dieſe richtige Bemerkung findet ſich bei Glück B. 7 S. 547 bis 557 und Kierulff S. 277.. Gerade in dieſer Beziehung ſchreibt auch wirklich Ulpian dem urſprünglich redlichen Beſitzer, von der L. C. an, die gleichartige Verantwortlichkeit mit einem praedo zu(r)L. 25 § 2 de her. pet. (5. 3) „ ait Senatus: Eos, qui bona invasissent, … etiamsi ante litem contestatam fecerint, quo minus possiderent, perinde con - demnandos quasi possiderent. “ Zu dieſen Worten des Sc. ſetzt der § 7 folgende Erklärung hinzu: „ Si ante litem contestatam, inquit, fecerint. Hoc ideo ad - jectum, quoniam post litem contestatam omnes … pares fiunt, et quasi praedones te - nentur. “ Alſo von der L. C. an iſt das willkührliche Aufgeben des Beſitzes für alle Arten von Beſitzern eine gleich unredliche und daher gleich verpflichtende Hand - lung.. Dennoch reicht auch die Wahrheit dieſer Bemerkung nicht hin zur Erklärung der abſoluten Behauptung Ulpians, daß jeder Beklagte von der L. C. an wirklich ein unredlicher Beſitzer ſey(s)Ganz beſonders erklären ſich.
90Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die eigentliche Löſung der Schwierigkeit liegt in der beſonderen Natur der Rechtsverhältniſſe, womit wir es hier, bei der Erbſchaftsklage, zu thun haben, und womit ſich ſowohl der Senatsſchluß von K. Hadrian, als Ulpian in den angeführten Stellen, beſchäftigt.
Der Senatsſchluß von Hadrian (das Sc. Juventianum) handelt unmittelbar nur von einer hereditatis petitio des Fiscus auf eine caduca hereditas, und er ſpricht dabei von zweierlei Beklagten: von redlichen Beſitzern, und daneben von denjenigen qui bona invasissent, cum scirent ad se non pertinere, welche von den alten Juriſten gewöhnlich praedones genannt werden. Unter dieſen praedones denkt man ſich meiſt gewöhnliche Diebe oder Räuber, aber ganz mit Unrecht. Die Sache hat vielmehr folgenden Zuſam - menhang.
Nach uraltem R. R. war es Jedem überhaupt geſtattet, Erbſchaftsſachen, die der Erbe noch nicht in Beſitz ge - nommen hatte, ſelbſt an ſich zu nehmen, und durch ein - jährige Uſucapion in ſein Eigenthum zu bringen. Man hatte bei dieſem ſeltſamen Rechtsinſtitut die Abſicht, den Erben zu einer recht ſchleunigen Beſitznahme und Vertretung der Erbſchaft zu bewegen(t)Gajus II. § 52 — 58. . Solche Beſitzer nun hatten eine zweideutige Natur, und ſtanden gewißermaaßen in der Mitte(s)daraus nicht die Worte in L. 25 § 7 de her. pet. (5. 3) „ post mo - tam controversiam … coepit scire rem ad se non pertinentem possidere is qui interpellatur. “ Dieſes iſt für den wahrhaft red - lichen Beſitzer augenſcheinlich un - wahr.91§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.zwiſchen redlichen und unredlichen Beſitzern. Sie wußten, daß ſie kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, ſowie ein wahrer Erbe, auf die Sachen hatten (cum scirent ad se non pertinere), aber ſie handelten doch in Kraft einer all - gemeinen geſetzlichen Befugniß, ſie konnten glauben, es werde Niemand die Erbſchaft antreten wollen, ja ſie hatten die Ausſicht, in ſehr kurzer Zeit wahre Eigenthümer durch Uſucapion zu werden. Der Zuſtand derſelben wurde noch verwickelter und zweifelhafter durch dieſelbe Verordnung von Hadrian, indem nunmehr der wahre Erbe auch nach vollendeter Uſucapion die Erbſchaftsſachen durch eine Art von Reſtitution abfordern konnte(u)Gajus II. § 58. .
Die Lage, und beſonders das Bewußtſeyn ſolcher Be - ſitzer mußte durch eine angeſtellte Klage von Grund aus verändert werden. Die bis zu dieſer Zeit mögliche Meinung, daß Niemand ſich der Erbſchaft annehmen wolle, war ſelbſt durch die neue Verordnung nicht ausgeſchloſſen. Sobald aber ein Kläger (ſey es der Erbe, oder der Fiscus) gegen ſie auftrat, hörte die bisherige halbe Redlichkeit ihres Be - wußtſeyns auf, und ſie wurden nun in der That unredliche Beſitzer im vollen Sinne des Worts. Auch mußte dieſe Veränderung eintreten, nicht erſt von der L. C. an, ſondern ſobald ihnen die wirkliche Anſtellung einer Klage bekannt wurde.
Daß nun gerade von dieſem eigenthümlichen Rechtsver - hältniß in dem Senatsſchluß von Hadrian die Rede war,92Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.iſt nach mehreren Stellen ganz unzweifelhaft(v)L. 20 § 6, L. 25 § 2. 3. 5. 6 de her. pet. (5. 3). , und hieraus erklären ſich die oben mitgetheilten abſoluten Aeußerungen des Ulpian über die durch den Prozeß bewirkte mala fides des Beklagten auf ganz einfache Weiſe. Ich muß einräumen, daß nicht bei allen hier einſchlagenden Stellen die Unter - ſcheidung der eben bemerkten verſchiedenen Arten von Be - ſitzern völlig erkennbar und unzweifelhaft durchzuführen iſt. Es muß aber wohl erwogen werden, daß wir die Stellen des Senatsſchluſſes nur durch die unvollſtändigen Auszüge des Ulpian, und die Stellen des Ulpian nur durch die unvollſtändigen Auszüge der Compilatoren kennen. Daher muß es ganz dahin geſtellt bleiben, ob die für uns vor - handene Zweideutigkeit des Ausdrucks, und insbeſondere die nicht überall ſichtbare Unterſcheidung der wahrhaft redlichen Beſitzer von jenen zweideutigen, aus einer urſprünglich ungenauen Rede der Verfaſſer, oder aus der Unvollſtändigkeit der überlieferten Auszüge hervorgegangen iſt.
Nimmt man dieſe Erklärung an, und erwägt man zugleich, daß jenes eigenthümliche Rechtsverhältniß ſchon im Juſtinianiſchen Recht völlig verſchwunden war, ſo iſt es einleuchtend, daß aus den angeführten Stellen des Ulpian für die mala fides als allgemeine, auf alle Arten von Klagen anwendbare Folge der L. C. durchaus kein Beweis geführt werden kann.
b) Zurückführung der Folgen der L. C. auf den Zeit -93§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.punkt, worin der Beklagte von dem Anſpruch Nachricht bekommt.
Dieſe wichtige Aenderung wird in folgenden ganz deut - lichen Worten des Senatsſchluſſes von Hadrian aufge - ſtellt, worauf ſich die Erklärungen des Ulpian beziehen(w)L. 20 § 6 de her. pet. (5. 3), verglichen mit § 11 eod. und L. 25 § 7 eod. : Petitam autem fisco hereditatem ex eo tempore exi - stimandum esse, quo primum scierit quisque eam a se peti, id est cum primum aut denunciatum esset ei, aut litteris vel edicto evocatus esset, censuerunt.
Dieſe Abweichung von ſo vielen anderen Ausſprüchen des R. R. iſt aus folgenden zwei, von einander ganz un - abhängigen, Umſtänden zu erklären.
Erſtlich, aus der ganz eigenthümlichen Lage des eben erwähnten, nur bei der hereditatis petitio vorkommenden praedo, deſſen entſchiedene mala fides allerdings ſchon von der ihm bekannt gewordenen Anſtellung der Klage ange - nommen werden mußte. Von dieſem Umſtand iſt ſo eben ſchon ausführlich geredet worden.
Zweitens daraus, daß der Senatsſchluß von Hadrian nur von Fiscalklagen auf verfallene Erbſchaften handelte. Dieſe Fiscalklagen wurden aber nicht im ordentlichen Pro - zeß vor den gewöhnlichen Obrigkeiten, in welchem allein eine wahre L. C. vorkommen konnte, ſondern extra ordi - nem vor den Fiscalbeamten verhandelt, und es bedurfte alſo dabei eines Surrogates für die L. C. (§ 257). Dieſes94Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Surrogat, welches man bei allen extraordinären Prozeſſen aufzuſuchen hatte, wurde in dieſem Fall durch den Senats - ſchluß ſelbſt in den Zeitpunkt geſetzt, in welchem entweder eine denunciatio, oder eine evocatio litteris vel edicto ein - getreten war; dieſes war eine ganz poſitive Beſtimmung, die aus der allgemeinen Natur der extraordinären Klagen keines - weges folgte (§ 257), und die einen fiscaliſchen Character hat.
Die beiden eben angeführten Umſtände, woraus ſich die Beſtimmung eines beſonderen Zeitpunktes, abweichend von der L. C., befriedigend erklärt, ſind ſchon dem Juſtiniani - ſchen Recht völlig fremd, und es kann daher in der That aus dieſen Stellen nicht bewieſen werden, daß im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts ein anderer Zeitpunkt als der der L. C. für irgend eine Wirkung anzunehmen ſey.
Auch wenn man die hier verſuchte Löſung mit ihren Folgen nicht annehmen wollte, ſo kann doch auf keine Weiſe die Art gebilligt werden, wie die meiſten neueren Schriftſteller die hier unterſuchten Stellen des Ulpian zu behandeln pflegen. Man betrachtet nämlich meiſt den wört - lichen Inhalt dieſer Stellen als die entſcheidende, für alle Klagen überhaupt anwendbare, Regel des neueſten Rechts, und ignorirt daneben die ſehr zahlreichen übrigen Stellen, die damit geradezu im Widerſpruch ſtehen, indem ſie noch immer die L. C. als den entſcheidenden Zeitpunkt für die im Rechtsſtreit eintretenden Wirkungen anerkennen. Dieſes Verfahren aber muß als willkürlich und unkritiſch ſchlecht - hin verworfen werden. Man kann ſich auch nicht mit der95§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.Annahme helfen, als ob hierin eine Controverſe der alten Juriſten, oder etwa ein Verhältniß des neueren Rechts zu einem abgeſchafften älteren Rechtsgrundſatz vorläge. Denn die Stellen, worin die L. C. als entſcheidender Zeitpunkt angegeben wird, rühren theilweiſe aus derſelben Zeit, ja von demſelben Ulpian her, aus deſſen Stellen man be - weiſen will, daß ein anderer und früherer Zeitpunkt allge - mein an die Stelle der L. C. geſetzt worden ſey.
Wollte man ſich hierin genau an den Buchſtaben des Juſtinianiſchen Rechts halten, ſo würde doch nur folgende Annahme übrig bleiben. Bei der Erbſchaftsklage müßte, abweichend von allen übrigen Klagen, ein etwas früherer Termin für den Anfang der materiellen Wirkungen des Rechtsſtreits angenommen werden: nämlich anſtatt der L. C. ſchon die Bekanntmachung der erhobenen Klage, alſo die Inſinuation. Allein bei dieſer Behauptung muß man zugeben, daß dieſe Eigenthümlichkeit ihren Grund hatte, nicht in der inneren Natur jener Klage ſelbſt, ſondern in hiſtoriſchen Umſtänden, die zu Juſtinians Zeit längſt ver - ſchwunden waren, ſo daß die Aufbewahrung dieſer Eigen - thümlichkeit in den Digeſten in jedem Fall (auch wenn man ſie noch als practiſches Recht gelten laſſen will) zu den mancherlei Inconſequenzen zu rechnen iſt, die den Compi - latoren zum Vorwurf gereichen(x)Der Senatsſchluß von Ha - drian nämlich, der urſprünglich nur für die fiscaliſche heredita - tis petitio, alſo für eine publica causa, eingeführt war, wurde nach - her auch auf die Erbrechtsklage der.
96Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Es iſt hier gezeigt worden, welche Schwankungen ſchon in die Aeußerungen der alten Juriſten aus beſonderen hiſto - riſchen Veranlaſſungen gekommen ſind, und wie ſich dieſe in die neuere juriſtiſche Literatur fortgepflanzt haben, darin aber durch mancherlei Misverſtändniſſe noch erweitert worden ſind. Dabei iſt es lehrreich zu ſehen, welchen Einfluß wie - derum dieſe Literatur des gemeinen Rechts auf die neuere Geſetzgebung gehabt hat, obgleich man hier freie Hand hatte, diejenigen Beſtimmungen zu treffen, die dem inneren Bedürfniß angemeſſen waren.
Das Preußiſche Allgemeine Landrecht hat dieſe Lehre in den Titel vom Beſitz aufgenommen, und hier in folgender Weiſe behandelt(y)A. L. R., Th. 1 Tit. 7. Die ſehr merkwürdigen Materialien zu dieſem Titel ſind abgedruckt in: Simon u. Strampff Zeitſchrift für preußiſches Recht B. 3. Ber - lin 1836. 8..
Es wird daſelbſt in eben ſo abſoluten Ausdrücken, wie es oben in einigen Stellen des Ulpian über die hereditatis petitio nachgewieſen worden iſt (Note h. k) dem Rechts - ſtreit an ſich die Wirkung zugeſchrieben, den Beklagten in den Zuſtand eines unredlichen Beſitzers zu verſetzen, und zwar wird der Anfang dieſes Zuſtandes, wenn nur(x)Privatperſonen angewendet und da - durch zum gemeinen Recht gemacht (L. 20 § 6. 11 de her. pet., 5. 3); ob aber in allen ſeinen Theilen, oder nur in denen, die in der That auch auf Privatkläger paßten, kann bezweifelt werden. Die Beſtim - mung des § 6: aut denunciatum esset ei, aut litteris vel edicto evocatus esset ſcheint doch auf Privatklagen gar nicht zu paſſen, während andere Beſtimmungen, z. B. über das dolo facere quo minus possiderent, und die ver - ſchiedene Behandlung des bonae fidei und malae fidei possessor, überall anwendbar ſind.97§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.nicht ein früheres unredliches Bewußtſeyn nachgewieſen werden kann, mit der Inſinuation der Klage angenommen.
Dieſer Ausſpruch ſtimmt mit der Lehre vieler neuerer Romaniſten wörtlich überein. Man iſt jedoch bei der Be - arbeitung des Preußiſchen Geſetzes erſt allmälig auf dieſe Vorſchrift gekommen. In irgend einem älteren Entwurf war der Zeitpunkt des eröffneten Urtheils als Anfang der Unredlichkeit angenommen worden. Dieſer Beſtimmung widerſprach Tevenar, indem er behauptete, jeder nicht rechtmäßige Beſitzer könne und ſolle aus der inſinuirten Klage ſein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht ein - ſehen wolle, ſo verdiene dieſe Verſtockung keine Scho - nung(z)Simon a. a. O., S. 171. — Dieſe ganz willkührliche Behaup - tung wird durch die ſehr gewöhn - liche Erfahrung widerlegt, daß viele Beklagte, die am Ende verurtheilt werden, dennoch den Prozeß mit feſter Ueberzeugung von ihrem Recht durchführen. Wer hieran zweifeln wollte, möge doch erwägen, wie oft in Richtercollegien verſchiedene Meinungen über Freiſprechung oder Verurtheilung vorkommen. Was nun die Minorität redlich glaubt, muß wohl auch dem Beklagten zu glauben geſtattet werden.. Dazu bemerkte Suarez: „ damit bin ich völlig einverſtanden, “entkräftete aber ſogleich dieſe Beſtimmung durch den Zuſatz: „ Übrigens iſt es ja dem Richter über - laſſen, den Anfang der Unredlichkeit nach den Umſtänden auch anders zu beſtimmen. “
VI. 798Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ganz im Sinn dieſer letzten Äußerung wurde nun die Vorſchrift in dem gedruckten Entwurf des Geſetzbuchs ſo gefaßt(aa)Entwurf eines Geſetzbuchs für die Pr. Staaten Th. 2 (1787) Tit. 4 § 153.: „ Wenn kein früherer oder ſpäterer Zeitpunkt der Unredlichkeit des Beſitzes ausgemittelt worden, ſo wird der Tag der .. Behändigung der Klage dafür ange - nommen. “
Dadurch wurde der Inſinuation die Kraft einer ziemlich unſchuldigen und wirkungsloſen Präſumtion beigelegt, und Alles in des Richters freies Ermeſſen geſtellt. Allein da - gegen wurden wieder große Bedenken erhoben; Goßler behauptete, mit anderen Monenten, Ueberzeugung ſey ein Internum, worauf der Geſetzgeber ſich nicht einlaſſen könne; daher müſſe das Geſetz den Anfang der Unredlichkeit unab - änderlich beſtimmen, und die Alternative („ oder ſpä - terer “) müſſe weggelaſſen werden(bb)Simon S. 321. 322.. So iſt es denn auch in dem A. L. R. geſchehen, wie die oben abgedruckte Stelle zeigt, worin die früher vorgeſchlagene Präſumtion nunmehr die Natur einer abſoluten Vorſchrift, einer Fiction der mala fides, angenommen hat, ganz übereinſtimmend mit den ſo eben vorgelegten Motiven dieſer Abänderung. — Wie wenig aber damit die Sache zu ſicherer Entſcheidung und zu klaren, feſten Begriffen gebracht war, zeigt folgende Äußerung von Suarez(cc)Simon S. 330 No. 2. (Vgl. auch ebendaſelbſt S. 633). — Die in dieſer Äußerung von Sua - rez zuſammengeſtellten ſubtilen Un -. Er unterſcheidet dreierlei99§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.mögliche Zuſtände in dem Bewußtſeyn des Beſitzers: 1. unredlicher Beſitzer; dahin gehört jeder, dem die Klage inſinuirt iſt; ferner jeder, der ſeinen Beſitz aus einem ver - ſchuldeten factiſchen Irrthum für rechtmäßig hält; endlich jeder, der bei Erlangung des Beſitzes an der Rechtmäßig - keit zweifelt; 2) Beſitzer, der es weiß, daß ſeine Poſ - ſeſſion unrechtmäßig ſey (d. h. der wahre malae fidei possessor); 3. betrüglicher Beſitzer, d. h. der dolose zum Beſitz gelangt iſt. Zu allen dieſen kommt aber noch (als eine ganz beſondere Klaſſe) der Beſitzer, der durch eine ſtrafbare Handlung zum Beſitz gelangt iſt(dd)Simon S. 332 No. 12..
Alle dieſe Beſtimmungen ſchließen ſich in der Haupt - ſache (nur mit etwas ſubtileren Unterſchieden) an die Auf - faſſung neuerer Romaniſten an, welche gleichfalls die Fiction einer mala fides auf den Anfang des Rechtsſtreits grün - den(ee)Wollte man noch etwa be - zweifeln, daß Suarez mit der von ihm fingirten mala fides durchaus nicht etwas Neues ein - zuführen vermeinte, ſondern ledig - lich an das damals beſtehende R. R. dachte, ſo würde dieſer Zweifel durch zwei andere von ihm her - rührende Äußerungen gänzlich be - ſeitigt werden. Kamptz Jahr - bücher B. 41 S. 8. 9.. So wie bei dieſen, hat auch im A. L. R. die erwähnte Fiction keinen anderen Zweck, als einen Rechts - grund abzugeben für die Verpflichtung des Beklagten, die während des Rechtsſtreits bezogenen Nutzungen (die omnis causa) heraus zu geben(ff)A. L. R. § 223 — 228, ver - bunden mit § 222.. Die Aehnlichkeit der Auf -(cc)terſcheidungen ſind denn auch in das A. L. R., nicht zu deſſen Vor - theil, übergegangen: Th. 1 Tit. 7 § 11 — 17. 222. 229. 239 — 242.7*100Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.faſſung zeigt ſich auch darin, daß das Preußiſche Recht (ſo wie jene neuere Romaniſten) aus dem Anfang des Rechtsſtreits die Mora, eben ſo wie die Fiction der Unred - lichkeit, entſpringen läßt, und an die Mora dieſelben Wir - kungen knüpft, welche aus dem unredlichen Beſitz ent - ſpringen(gg)A. G. O., Th. 1 Tit. 7 § 48. d, und A. L. R. Th. 1 Tit. 16 § 18. Ohne Zweifel aber ſoll hier in den Wirkungen die Mora nur dem unredlichen Beſitz des § 222 (I. 7.) gleich geſtellt werden, d. h. alſo der leichteſten Art des unredlichen Beſitzes überhaupt (nach der Auffaſſung von Sua - rez ſ. o. Note cc)..
Die entſchiedene Abweichung dieſer ganzen Auffaſſung von dem wahren R. R. beſteht aber darin, daß das R. R. den Rechtsſtreit als ſolchen, den es in der L. C. gleichſam perſonificirt, zum Entſtehungsgrund einer eigenthümlichen Obligation macht, unabhängig von unredlichem Beſitz und von Mora, die daneben vorhanden ſeyn können oder nicht. Dieſe eigenthümliche Obligation des R. R. wird im A. L. R. ignorirt. Die practiſche Folge, daß die omnis causa geleiſtet werden muß, iſt hier wie dort dieſelbe, und in ſofern hat allerdings dieſe Abweichung eine mehr theoretiſche als prac - tiſche Natur. Gerade daraus aber erhellt um ſo mehr, daß dieſe Abweichung im A. L. R. nicht mit Bewußtſeyn, in der Abſicht einer practiſchen Verbeſſerung, vorgenommen worden iſt. Aus den oben angeführten Stellen der Mate - rialien geht auch klar hervor, daß man ſich im Ganzen an die damals herrſchende Lehre des gemeinen Rechts an - ſchließen, und dieſe höchſtens etwas genauer beſtimmen wollte.
Die Wirkung der L. C. auf den Umfang der Verur - theilung äußert ſich zunächſt in den Erweiterungen, welche zu dem urſprünglichen Gegenſtand des Rechtsſtreits nach der L. C. hinzutreten können, und deren Werth dem Kläger für den Fall der Verurtheilung verſchafft werden ſoll (§ 264). Es iſt hier zuerſt eine Ueberſicht über die verſchiedenen Arten ſolcher Erweiterungen zu geben, dann aber die Behandlung derſelben bei den einzelnen Klaſſen der Klagen zu beſtimmen.
Die Erweiterungen laſſen ſich auf zwei Hauptarten zu - rück führen, die ich als Früchte (regelmäßigen Erwerb) und zufälligen Erwerb bezeichne.
Der urſprüngliche Begriff der Frucht ſteht in Verbin - dung mit den Geſetzen der organiſchen Natur. Was nach dieſen Geſetzen aus einer Sache erzeugt wird, heißt eine Frucht dieſer Sache.
Dieſer an ſich bloß natürliche Begriff bekommt eine juriſtiſche Bedeutung durch folgende Eigenſchaften ſolcher Erzeugniſſe. Sie ſind einer periodiſchen Wiederholung empfänglich, auf welche mit mehr oder weniger Sicherheit gerechnet werden kann. Daher iſt dieſe Fähigkeit zur Fruchterzeugung dasjenige, wodurch die fruchttragende Sache vorzugsweiſe (oft ganz allein) Werth für den Verkehr be -102Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzungkommt, um deren Willen wir ſie zu erwerben und zu haben pflegen. — Die wichtigſten Fälle der Anwendung dieſes Begriffs ſind: Pflanzen jeder Art, ſo wie die einzelnen Beſtandtheile der Pflanzen, als Früchte des Bodens. Eben ſo bei Thieren: die Jungen (als Früchte der Mutter), die Wolle, die Milch.
Nun findet ſich aber unter denjenigen Erwerbungen, welche ſich lediglich auf Rechtsgeſchäfte gründen, alſo mit den Geſetzen der organiſchen Natur nichts gemein haben, manche Fälle, in welchen die eben erwähnten juriſtiſchen Eigenſchaften der Früchte gleichfalls wahrgenommen werden: namentlich die Abhängigkeit des Erwerbs von einem ſchon vorhandenen anderen Vermögensſtück, die periodiſche Repro - duction, die Wahrſcheinlichkeit, mit der auf ſie gerechnet werden kann, ſowie der Werth den durch ſie das zum Grund liegende Vermögensſtück erhält. Wegen dieſer ähnlichen Eigenſchaften werden ſolche Erwerbungen den Früchten gleich geachtet, oder nach der Analogie der Früchte behandelt(a)L. 34. de usuris (22. 1) „ vicem fructuum obtinent, “L. 36. eod. „ pro fructibus acci - piuntur, “L. 121 de V.S. (50. 16 ) „ Usura pecuniae, quam perci - pimus, in fructu non est: quia non ex ipso corpore, sed ex alia causa est, id est, nova obligatione. “ Das: in fructu non est iſt nach dieſer Zuſammen - ſtellung gleichbedeutend mit dem: pro fructibus und vicem obti - nent der vorhergehenden Stellen; der hinzugefügte Grund läßt über die Richtigkeit dieſer Erklärung keinen Zweifel.. — Die wichtigſten Fälle derſelben ſind: Pacht - und Miethgeld von Grundſtücken und beweglichen103§. 265. Wirkung der L. C. — Erweiterungen.Sachen, die Zinſen eines Capitals(b)L. 34 de usuris (22. 1 ) „ Usurae vicem fructuum obti - nent: et merito non debent a fructibus separari. “ Die ſchein - bar widerſprechenden Worte der L. 121 de V. S. (Note a) „ usura in fructu non est, “wollen alſo nur ſagen, daß die Zinſen nicht durch organiſche Erzeugung, ſon - dern vermittelſt eines Rechtsge - ſchäfts, erworben werden. Mit anderen Worten ſagt daſſelbe Pa - pinian in L. 62 pr. de rei vind. (6. 1) „ vectura, sicut usura, non natura pervenit, sed jure percipitur, “in welcher Stelle die Gleichartigkeit des Erwerbes an dem Miethgeld und an den Geldzinſen anerkannt wird., ſo wie bei den Römern jeder aus der Arbeit von Sclaven hervorgehende Erwerb, indem die Arbeit als die regelmäßige und natür - liche Benutzung der Sclaven angeſehen wurde.
Die Neueren nennen die hier aufgeſtellten zwei Klaſſen von Früchten: fructus naturales und civiles.
Bei den eigentlichen (organiſchen) Früchten wird das Eigenthum unmittelbar durch die organiſche Erzeugung dem Eigenthümer der fruchttragenden Sache, auch ohne deſſen Wiſſen und Zuthun, erworben. Sie ſind zunächſt bloß Beſtandtheile der fruchttragenden Sache, und werden erſt durch die Abſonderung von derſelben ſelbſtſtändige Ver - mögensſtücke(c)L. 15 pr. de pign. (20. 1 ), L. 83 pro soc. (17. 2).. Das ſo erworbene Eigenthum hört auf durch Aufzehrung oder Veräußerung (fructus consumti), nach welcher höchſtens der Geldwerth derſelben im Ver - mögen zurück bleiben kann.
Bei den ſ. g. civilen Früchten entſteht eine Erwerbung von Eigenthum gar nicht durch ihre eigenthümliche Frucht - natur, ſondern ſo wie bei anderen Rechtsgeſchäften durch104Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Tradition(d)Das Product der Sclaven - arbeit wurde bei den Römern er - worben in Folge des allgemeinen Grundſatzes, nach welchem alle zum Erwerb geeignete Handlungen eines Sclaven dem Herrn zu gut kom - men konnten und mußten; alſo nicht eigentlich durch ein Rechts - geſchäft, aber doch vermöge einer poſitiven Rechtsregel.. Sie ſtehen alſo gleich Anfangs zu dem Erwerber in demſelben Verhältniß, wie die organiſchen Früchte nach der Veräußerung, d. h. ſie haben von Anfang an die Natur der fructus consumti.
Mit der erwähnten beſonders wichtigen Eigenſchaft aller Früchte, nach welcher auf ſie eine regelmäßige Erwartung, eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, ſteht noch folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das fruchttragende Vermögensſtück in der Lage iſt, Früchte zu erwerben, kann dieſe Fähigkeit entweder gebrauchen, oder auch (abſichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt laſſen. Dieſe Unterlaſſung iſt an ſich eben ſo gleichgültig, wie jede andere verſtändige oder unverſtändige Behandlung des Ei - genthums. Sie kann aber eine juriſtiſche Bedeutung bekommen, wenn der Unterlaſſende in einem beſonderen Rechtsverhältniß ſteht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet. Dieſen Fall bezeichnen neuere Schriftſteller durch den Aus - druck fructus percipiendi, welcher weder römiſch noch an ſich zweckmäßig iſt(e)Ich will nicht ſagen, daß an ſich die Zuſammenſetzung dieſer beiden Ausdrücke unlateiniſch ſey, allein als techniſche Bezeichnung des oben angegebenen Verhältniſſes kommt ſie bei den Römern nie - mals vor, welche ſtets Umſchrei - bungen dafür gebrauchen. Der Ausdruck iſt auch unpaſſend, weil er an ſich auch auf die nur noch nicht. Ich werde dafür den Ausdruck: verſäumte Früchte gebrauchen.
105§. 265. Wirkung der L. C. — Erweiterungen.Unter den zufälligen Erwerb aus ſchon vorhandenen anderen Vermögensſtücken werden wir alle diejenigen Fälle zu rechnen haben, in welchen die oben angegebenen Eigen - ſchaften der Früchte fehlen, ſo daß namentlich ihre regel - mäßige Entſtehung nicht der Grund iſt, um deſſen Willen wir die Hauptſache zu haben pflegen. Dahin gehören folgende Fälle: Die Erweiterung eines Grundſtücks durch Alluvion u. ſ. w. Die Bereicherung durch Poenalklagen, in Folge der an unſren Sachen verübten Verletzungen. Ferner bei den Römern der Erwerb eines Herrn aus den Erbſchaften oder Legaten, welche ſeinen Sclaven hinterlaſſen wurden, ſo wie der Eigenthums-Erwerb des Herrn an den von ſeiner Sclavin gebornen Kindern(f)Allerdings ſtehen nach na - türlicher Betrachtung die Sclaven - kinder zu der Mutter in demſelben organiſchen Verhältniß, wie die Jungen der Thiere. Der Grund, weshalb ſie nicht als Früchte an - geſehen wurden, lag darin: „ quia non temere ancillae ejus rei causa comparantur, ut pa - riant. “ (L. 27 pr. de her. pet. 5. 3). Das war die Anſicht der Römer, als ſie noch nichts von Chriſtenthum wußten. Bekanntlich haben die chriſtlichen Einwohner der Nordamerikaniſchen Sclaven - ſtaaten andere Anſichten und Ge - wohnheiten..
Alle dieſe Gegenſtände kommen für unſre gegenwärtige Unterſuchung in ſofern in Betracht, als ſie wegen ihrer Entſtehung während eines Rechtsſtreits auf den Umfang der Verurtheilung in der Hauptſache Einfluß haben können. Es darf aber dabei nicht überſehen werden, daß dabei auch noch andere Rechtsverhältniſſe und ſelbſtſtändige Klagen in(e)abgeſonderten, ſelbſt auf die un - reifen Früchte paßt, ſo daß das entſcheidende Moment des Verſäum - niſſes oder der Unterlaſſung und des daraus entſpringenden Verluſtes, darin gar nicht angedeutet iſt.106Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Betracht kommen können: insbeſondere bei den organiſchen Früchten, wenn ſie von der Hauptſache abgeſondert ſind, eigene Vindicationen, oder, als Surrogate derſelben Con - dictionen(g)S. o. B. 5 S. 524 Note b. .
Wenn nun behauptet wird, daß irgend ein Anſpruch auf ſolche Gegenſtände Wirkung der L. C. ſey, ſo ſetzt dieſe Behauptung nothwendig voraus, daß, abgeſehen von der L. C. und vor derſelben, dieſer Anſpruch gar nicht, oder doch nicht in gleichem Umfange, vorhanden ſey. Dieſe Differenz, worin die eigenthümliche Wirkung der L. C. beſteht, muß für jeden einzelnen Fall genau angegeben werden.
Es iſt jetzt zu unterſuchen, wie die Erweiterungen, deren Natur im § 265 angegeben worden iſt, auf die ein - zelnen Klaſſen der Klagen anzuwenden ſind. Dabei muß zum Grund gelegt werden die Unterſcheidung der Klagen in rem von den perſönlichen Klagen.
Beide Klagen müſſen hier zuſammengefaßt werden, theils weil ſie nur in dieſer Verbindung richtig beurtheilt werden können, theils weil in der umfaſſendſten Stelle aus - drücklich bezeugt wird, daß für beide die hier vorliegende Frage völlig gleich zu beantworten ſey(a)§ 2 J. de off. jud. (4. 17).. Im All - gemeinen wird die Regel aufgeſtellt, daß die Verurtheilung auch die omnis causa umfaſſen müſſe, alſo ſowohl Früchte im ausgedehnteſten Sinn des Worts, als auch den zufälligen Erwerb, welcher nicht die Natur von Früchten hat(b)Für die Eigenthumsklage: L. 17 § 1, L. 20. 35 § 1 de rei vind. (6. 1). — Für die Erbrechtsklage: L. 25 § 9, L. 27 pr., L. 29 de her. pet. (5. 3)..
Der Einfluß der L. C. auf die Anwendung dieſer Regel iſt auf folgende Weiſe zu beſtimmen(c)§ 2 J. de off. jud. (4. 17 ), L. 22 C. de rei vind. (3. 32).:
a) der redliche Beſitzer ſoll ſich bereichern dürfen durch alle vor der L. C. gewonnene Früchte, nur mit Ausnahme derjenigen organiſchen Früchte, welche noch zur Zeit der L. C. in Natur vorräthig ſind. — Dagegen ſoll Derſelbe, von der Zeit der L. C. an, nicht nur den Werth der ver - zehrten und veräußerten, ſondern auch den Werth der verſäumten Früchte erſetzen.
Hier iſt alſo die Wirkung der L. C. ſehr bedeutend, und der Grund derſelben liegt in dem obligatoriſchen Ver - hältniß der L. C., welches ihn nöthigt, die Sache als eine108Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vielleicht fremde anzuſehen und zu verwalten, und dabei für ſeine Culpa einzuſtehen(d)§ 2 J. de off. jud. (4. 17) „ qui culpa possessoris percepti non sunt. “— Paulus I. 13 A. § 9: „ Hi fructus in restitutione praestandi sunt petitori, quos unusquisque diligens paterfami - lias et honestus colligere po - tuisset. “.
b) Daß der unredliche Beſitzer, von der L. C. an, ebenſo ſtrenge Verpflichtungen hat wie der redliche, verſteht ſich von ſelbſt. Bei ihm aber wird dieſelbe Strenge auch für die ganze Dauer des Beſitzes vor der L. C. geltend gemacht, ſo daß hierin an die L. C. gar keine praktiſche Wirkung mehr angeknüpft iſt. — Indeſſen war Dieſes bei dem unredlichen Beſitzer nicht der urſprüngliche Grund - ſatz; vielmehr ſollte er vor der L. C., weil er noch in keinem obligatoriſchen Verhältniß ſtand, nicht für die ver - ſäumten Früchte einſtehen. Erſt das Sc. Juventianum verordnete, daß bei der Erbſchaftsklage der unredliche Be - ſitzer vom Anfang ſeines Beſitzes an ſo beurtheilt werden ſollte, als ob er in einem obligatoriſchen (offenbar delict - artigen) Verhältniß geſtanden hätte. Man nannte dieſes den dolus praeteritus(e)L. 20 § 6, L. 25 § 2. 7, L. 13 § 2 de her. pet. (5. 3)., und folgerte daraus u. a. auch die Verpflichtung, für die vor der L. C. verſäumten Früchte Entſchädigung zu leiſten(f)L. 25 § 4. 9 de her. pet. (5. 3).. Dieſe gegen den unredlichen Beſitzer neu eingeführte Strenge, wodurch für ihn die L. C. ihren practiſchen Einfluß verlor, wurde dann durch die109§. 266. Wirkung der L. C. — Erweiterungen. (Fortſ.)alten Juriſten von der Erbſchaftsklage auch auf die Eigen - thumsklage ausgedehnt(g)L. 27 § 3 de rei vind. (6. 1)..
Die hier aufgeſtellten Grundſätze über die Wirkung der L. C. bei der Eigenthumsklage waren ihrem Princip nach keine neue Erfindung der Römiſchen Juriſten, ſondern bloß die genauere Entwicklung uralter Rechtsregeln. Dieſe ſind anerkannt ſchon in den alten praedes litis et vindiciarum(h)Gajus IV. § 91. 94., in welchem Kunſtausdruck vindiciae die Früchte bedeutet. Daneben galt im älteren Recht ſogar noch eine Verpflichtung des Beklagten zum doppelten Erſatz der Früchte, welche jedoch im neueſten Recht ſpurlos verſchwunden iſt(i)Paulus V. 19 § 2, L. 1 pr. C. Th. de us. rei jud. (4. 19 ), L. 1 C. Th. de fruct. (4. 18), aus welcher interpolirt iſt, die L. 2 C. de fruct. (7. 51); beide Texte zuſammengeſtellt bei Heimbach Lehre von der Frucht S. 160. — L. Rom. Burg. ed. Barkow Tit. 8 lin. 17 — 20, Tit. 35 lin. 11 bis 13. — Der ſehr dunkle Zu - ſammenhang dieſes Rechtsinſtituts ſoll hier nicht weiter verfolgt werden, da er auf das neueſte Recht ganz ohne Einfluß iſt. Vgl. darüber Heimbach S. 163 — 166..
Bei dieſen kommt ein ganz anderes Verhältniß in Be - tracht, als bei den Klagen in rem. Da ſie nämlich ſtets auf Obligationen beruhen, welche vor der L. C. vorhanden geweſen ſeyn müſſen, ſo kommt es darauf an, welche Ver - pflichtung aus dieſen Obligationen an ſich, unabhängig von allem Rechtsſtreit, hervorgeht. Da wo dieſe Ver - pflichtung ſchon vom Anfang der Obligation an auf Erſtat - tung der Früchte führt, kann natürlich die L. C. nichts Neues hinzuthun, ſo daß von einer Wirkung der L. C. auf den Erſatz der Früchte nur bei denjenigen Obligationen die Rede ſeyn kann, welche nicht ſchon an ſich einen ſolchen Erſatz begründen.
Die Grundlage der hier einſchlagenden Regeln bildet nicht, wie in vielen andern Fällen, die Unterſcheidung der stricti juris und bonae fidei actiones, ſondern vielmehr folgende ganz andere Unterſcheidung. Die perſönlichen Klagen gehen entweder auf eine repetitio, d. h. auf die Wiedererlangung einer Sache oder eines Werthes die ſchon früher zu unſerem Vermögen gehört haben, oder aber ſie gehen auf einen unſerem Vermögen bisher fremden Gegenſtand (ad id consequendum quod meum non fuit, veluti ex stipulatu)(o)Die hier aufgeſtellte wich - tige Unterſcheidung wird von Pau - lus durchgeführt in den zwei wich - tigſten hier einſchlagenden Stellen: 1. die L. 65 de cond. indeb. (12. 6) handelt blos von den Klagen auf repetitio. 2. L. 38 de usuris (22. 1) ſpricht von beiden Klaſſen von Klagen, ſtellt aber nicht den Gegenſatz derſelben an die Spitze,.
111§. 266. Wirkung der L. C. — Erweiterungen. (Fortſ.)1. Bei den Klagen auf repetitio gilt die Regel, daß die Früchte und andere Erweiterungen ſchon von Anfang an erſetzt werden müſſen, ſo daß in dieſer Hinſicht die L. C. ohne allen Einfluß iſt. Auch macht es dabei durch - aus keinen Unterſchied, ob eine ſolche Obligation durch eine ſtrenge oder freie Klage verfolgt wird, wie denn na - mentlich die der condictio indebiti zum Grunde liegende Obligation von Anfang an, alſo vor allem Rechtsſtreit, und auch ohne Mora, den Fruchterſatz mit umfaßt(p)L. 65 pr. § 5. 7, L. 15 pr. de cond. indeb. (12. 6). Auf dieſelbe Klaſſe von Klagen bezieht ſich augen - ſcheinlich L. 38 pr. § 1 — 6, § 10 bis 15 de usur. (22. 1). Bloße An - wendungen auf das Interdict unde vi, und auf die actio pignoratitia finden ſich in L. 4 C. unde vi (8. 4), und L. 3 C. de pign. act. (4. 24). Allerdings können Zinſen mit der cond. indebiti nicht gefordert werden, welches jedoch unten be - ſonders erklärt werden wird..
2. Unter den Klagen auf einen bisher fremden Gegen - ſtand (quod meum non fuit) wurden die freien und ſtrengen Klagen unterſchieden.
a) Bei den freien Klagen dieſer Klaſſe galt, wie es ſcheint, von jeher und ohne allen Widerſtreit die Regel, daß Früchte erſtattet werden müßten(q)L. 38 § 15 de usur. (22. 1 ) „ In ceteris quoque bonae fidei judiciis fructus omnimodo prae - stantur. “. Hier aber war die Sache deswegen von keiner Erheblichkeit, weil meiſt der eigenthümliche Inhalt jeder beſonderen Obligation, und insbeſondere die Einwirkung der Mora, eine frühere Ver -(o)ſondern deutet ihn erſt an in dem § 7 (ſ. u. Note s), obgleich ſie ihn durchweg unverkennbar vor - ausſetzt.112Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.pflichtung zum Fruchterſatz mit ſich führt, und alſo die Wirkung der L. C. abſorbirt(r)So z. B. bei dem Kauf L. 38 § 8 de usur. „ Ex causa etiam emptionis fructus resti - tuendi sunt. “ Hier kommt theils die Mora, theils die gegenſeitige Zahlung des Kaufpreiſes, alſo überhaupt die auf völlige Gegen - ſeitigkeit gerichtete Natur dieſes Vertrags, in Betracht. — Eben ſo wird bei Legaten und Fidei - commiſſen bald die Mora, bald die L. C. als Anfangspunkt des Fruchterſatzes angegeben; die L. C. kann nur ſo gemeint ſeyn, wenn nicht ſchon früher eine Mora vor - handen war (§ 271)..
b) Bei den ſtrengen Klagen (den Condictionen) war von Anfang der Obligation an keine Verpflichtung zum Fruchterſatz vorhanden, und ſelbſt die Mora erzeugte eine ſolche Verpflichtung nicht. Wenn alſo z. B. ein Land - gut durch Stipulation verſprochen worden war, ſo konnte der Creditor nur das Landgut ſelbſt einklagen, nicht die ſeit der Zeit des Vertrags oder der Mora gezogenen Früchte, und es blieb alſo ihm überlaſſen, durch ſchleunige Anſtellung der Klage den möglichen Verluſt abzuwenden, der ihm aus der Anwendung dieſer Regel entſtehen konnte. Hier aber zeigte ſich eine wichtige Wirkung der L. C., indem von dieſer an die omnis causa geleiſtet werden mußte. Zwar auch dieſe Regel galt in der älteſten Zeit nicht; aber ſchon frühe (und wahrſcheinlich nach der Ana - logie der Eigenthumsklage) erkannte man die Billigkeit der - ſelben an, Sabinus und Caſſius erklärten ſich für dieſelbe, und ſie wurde dann allgemein angenommen(s)L. 38 § 7 de usur. (22. 1 ) „ Si actionem habeam ad id consequendum, quod meum non fuit, veluti ex stipulatu, fructus non consequar, etiam si mora facta sit. Quod si acceptum est judicium, tunc Sabinus et Cassius ex aequitate fructus.
Schon oben iſt an mehreren Stellen die Rede geweſen von dem Erſatz für verſäumte Früchte, oder die ſ. g. fructus percipiendi (§ 265. 266). Hierüber herrſchen unter neueren Schriftſtellern manche Misverſtändniſſe, welche meiſt aus einer zu ſubtilen Behandlung des an ſich einfachen Gegenſtandes entſtanden zu ſeyn ſcheinen. Dar - auf ſoll gegenwärtig näher eingegangen werden.
Eine ſichere Grundlage für dieſe Unterſuchung bildet der deutlich ausgeſprochene Grundſatz, daß die Verpflich - tung zum Erſatz ſolcher Früchte ſtets auf die Culpa des Beſitzers, der ſie zu gewinnen verſäumte, zurückzuführen iſt (§ 266. d). Jede Streitfrage in dieſer Lehre kann alſo nur aus dem Daſeyn oder dem Mangel einer ſolchen Culpa entſchieden werden.
So hat man ſich in neuerer Zeit viele, wie es ſcheint vergebliche, Mühe gegeben mit der Unterſuchung der Frage, ob die unbenutzte Möglichkeit des Fruchtgewinnes nach der Perſon des Klägers oder nach der des Beklagten ab - zumeſſen ſey. Manche wollen hierin zwiſchen der Eigen - thumsklage und Erbſchaftsklage unterſcheiden(a)Buchholtz, Abhandlungen S. 13 — 15., Andere zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer(b)Glück, B. 8 S. 262. 296. 298., noch(s)quoque post acceptum judicium praestandos putant, ut causa restituatur: quod puto recte dici. “VI. 8114Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Andere behaupten ganz allgemein, daß lediglich auf die Perſon des Klägers geſehen werden müſſe(c)Heimbach, Lehre von der Frucht S. 168 — 170 S. 184..
Nicht ſowohl die eine oder die andere dieſer Beant - wortungen der erwähnten Frage, als vielmehr die Stellung der Frage ſelbſt, iſt verwerflich. Es liegt dabei die Vor - ausſetzung zum Grunde, als ob die Fruchtgewinnung von beſonderen perſönlichen Geſchicklichkeiten abhinge, welche bald bei dem einen, bald bei dem andern Theil gefunden oder vermißt werden könnten.
Nach dem eben aufgeſtellten Princip iſt dieſes ganze Verfahren grundlos. Alles kommt allein auf das Daſeyn der Culpa in dem Benehmen des Beſitzers an. Das Da - ſeyn der Culpa aber wird nach allgemeinen bekannten Grundſätzen feſtgeſtellt durch die Vergleichung des perſön - lichen Benehmens jedes im einzelnen Fall zu beurtheilenden Schuldners mit demjenigen Thun und Laſſen, welches in gleichem Fall von einem diligens paterfamilias zu erwar - ten geweſen wäre. Dem urtheilenden Richter alſo ſoll die allgemeine Handlungsweiſe eines beſonnenen Mannes als Maaßſtab dienen, wobei auf die Eigenthümlichkeit des Schuldners gar nichts ankommt(d)In wenigen und nicht be - deutenden Fällen wird auf die Individualität des Schuldners aus - nahmsweiſe ſchonende Rückſicht genommen (diligentia quam suis rebus adhibere solet). Von einem ſolchen Fall iſt hier gar nicht die Rede.. Allerdings wird in einigen Stellen die Verpflichtung zum Erſatz wörtlich davon abhängig gemacht, daß der Kläger hätte die Früchte ge -115§. 267. Wirkung der L. C. — Verſäumte Früchte.winnen können(e)L. 62 § 1 de rei vind. (6. 1 ), L. 39 § 1 de leg. 1. (30), L. 4 C. unde vi (8. 4).; allein in noch mehreren Stellen wird die Frage ſo geſtellt, ob der Beklagte Dieſes thun konnte oder ſollte(f)L. 25 § 4 de her. pet. (5. 3 ), L. 2 C. de fruct. (7. 51 ), L. 5 C. de rei vind. (3. 32 ), L. 1 § 1 C. de her. pet. (3. 31 ), L. 3 C. de pign. act. (4. 24).. Beide Arten des Ausdrucks haben aber ganz denſelben Sinn, und werden daher mit Recht in willkührlicher, zufälliger Abwechslung gebraucht.
Daß in der That dieſe beide Arten die Frage aufzu - faſſen gar nicht verſchieden ſind, folgt daraus, daß beide, verglichen mit dem allgemeinen Princip der Culpa keinen anderen Sinn haben als den: was in dieſem Fall ein be - ſonnener Hausvater wirklich gethan hätte. Da wo in unſren Rechtsquellen die für den Kläger vorhandene Möglichkeit der Fruchtgewinnung erwähnt wird, ſteht ſie als Gegenſatz gegen das, was der Beklagte wirklich gewonnen hat, welches dann für gleichgültig erklärt wird(g)L. 4 C. unde vi (8. 4) „ fructus etiam quos vetus pos - sessor percipere potuit, non tantum quos praedo percepit. “. In keiner Stelle wird die Möglichkeit für den Kläger der Möglichkeit für den Beklagten als etwas Verſchiedenes gegenüber geſtellt(h)Allerdings iſt in dieſem Sinn aufgefaßt worden L. 62 § 1 de rei vind. (6. 1) „ constat ani - madverti debere, non an ma - lae fidei possessor fruiturus sit, sed an petitor frui potue - rit, si ei possidere licuisset, “und dieſe Stelle ſcheint faſt allein das Misverſtändniß veranlaßt zu haben, als ob die Geſchicklichkeit des Klägers mit der des Beklag - ten abzuwägen, und zwiſchen bei - den Geſchicklichkeiten als Maaß - ſtab der Beurtheilung zu wählen wäre. Allein die Florentiniſche Leſeart fruiturus sit, iſt ohnehin, ſowie es die neueren Schriftſteller in ihrer Controverſe fälſchlich vorausſetzen.
8*116Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ferner iſt in der neueſten Zeit behauptet worden, ein Erſatz für verſäumte Früchte ſey nur dann zu leiſten, wenn die Früchte wirklich vorhanden waren, und der Beſitzer ſie einzuſammeln unterließ; dagegen ſoll ihn kein Vorwurf und keine Verpflichtung treffen, wenn er die Anſtalten unterläßt, ohne welche eine Entſtehung der Früchte un - möglich iſt(i)Heimbach, Lehre von der Frucht, S. 171 — 178.. Daher würde die unterlaſſene Erndte einen Anſpruch auf Erſatz begründen, die unterlaſſene Beſtellung des Feldes aber nicht.
Bei einer richtigen Anwendung unſres Princips von der Culpa, und bei der practiſchen Auffaſſung des ganzen Rechtsverhältniſſes, muß dieſe Meinung gänzlich verworfen werden. Wenn der Beſitzer eines Landgutes, der voraus - ſieht, daß er in der Eigenthumsklage unterliegen werde, obgleich dieſe durch mehrere Jahre hingezogen werden kann, die Aecker unbeſtellt läßt, und dadurch ohne allen Fruchtertrag bleibt, ſo kann man unmöglich ſagen, daß er das gethan habe, was ein diligens pater familias ge - than hätte, ſo wie es doch Paulus fordert (§ 266. d). Es wird ferner ausdrücklich geſagt, daß der unredliche Beſitzer auch verantwortlich ſey wegen Unterlaſſung der für die Sache nöthigen Ausgaben(k)L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3). „ Sumtum … si facere, und es wird dabei(h)verwerflich und finnlos, da von einer Beurtheilung der Zukunft gar nicht die Rede ſeyn kann. Nimmt man aber die Vulgata fruitus sit an, die gar kein Bedenken hat, ſo verſchwindet ſelbſt jener ſchwache Schein völlig, und die Stelle ſagt dann wörtlich daſſelbe, wie die vorher angeführte Stelle des Co - dex (Note g).117§. 267. Wirkung der L. C. — Verſäumte Früchte.durchaus nicht unterſchieden zwiſchen Ausgaben für die Erhaltung der Sache ſelbſt, oder für die Beſtellung zur Fruchterzeugung.
Wenn man jene Behauptung auf die ſ. g. civilen Früchte anwendet, ſo würde ſie zu folgender Unterſcheidung führen. Der Beſitzer wäre verpflichtet, Miethgeld und Zinſen einzukaſſiren, wenn die Contracte hierüber ſchon geſchloſſen ſind; nicht verpflichtet, ſolche Contracte zu ſchließen, auch ſelbſt an ſolchen Sachen, die ihrer Natur nach zum Vermiethen beſtimmt ſind. Nun wird aber gerade hiervon das Gegentheil ausdrücklich geſagt. Der unredliche Beſitzer ſoll für verſäumte Früchte einſtehen, wenn er Sachen unvermiethet läßt, deren Vermiethung herkömmlich iſt(l)L. 62 pr. de rei vind. (6. 1 ) „ Si navis a malae fidei possessore petatur, et fructus aestimandi sunt, ut in taberna et area quae locari solent. “— L. 19 pr. de usur. (22. 1) am Ende der Stelle.. Eben ſo ſoll der Erbe, wenn er die Auszahlung eines Geldlegats ohne Grund verzögert, da - von landübliche Zinſen zahlen(m)L. 39 § 1 de leg. 1. (30). Aus den landüblichen Zinſen folgt, daß nicht blos die Einkaſſirung, ſendern auch das Ausleihen von dem Erben erwartet wird. Denn wäre die Rede von einem ſchon ausgeliehenen Capital, ſo würden nicht landübliche, ſondern die im Contract verſprochenen Zinſen ge - fordert werden..
Sehr richtig wird dieſes ganze Rechtsverhältniß in folgender Stelle der Weſtgothiſchen Interpretation beur - theilt(n)Interpr. L. 1 C. Th. de fruct. (4. 18).:(k)debuit, nec fecit, culpae hujus reddat rationem. “118Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quales per diligentem culturam consequi proprii domini utilitas potuisset.
Die ganze hier widerlegte Meinung ſcheint überhaupt nur aus einer zu buchſtäblichen Auffaſſung der Worte percipere und colligere hervor zu gehen, die freilich un - mittelbar blos den Act des Einſammelns bezeichnen, dem Sinn nach aber auch die unerläßlichen vorbereitenden Handlungen mit in ſich ſchließen. Wäre die Rede davon, dem Beſitzer ungewöhnliche Anſtrengungen von Kraft und Geſchicklichkeit zuzumuthen, ſo würde jene Meinung richtig ſeyn; es wird aber nichts von ihm verlangt, als daß er dasjenige thue, welches Niemand, ſelbſt an ſeinem eigenen Vermögen, unterlaſſen kann ohne den Vorwurf einer ent - ſchiedenen Nachläſſigkeit auf ſich zu ziehen.
Zuletzt iſt noch eine Bemerkung hinzuzufügen, über die Rechtsmittel womit für die verſäumten Früchte Erſatz verlangt werden kann. Wegen der vorhandenen oder ver - zehrten Früchte ſind nach Umſtänden ganz verſchiedene Rechtsmittel anwendbar: die Hauptklage, durch welche auch die Früchte mit umfaßt werden, dann die Vindi - cation oder eine Condiction, je nachdem die Früchte vor - handen oder verzehrt ſind.
Nicht ſo verhält es ſich mit dem Erſatz für die ver - ſäumten Früchte. Dieſer kann allerdings durch die auf die Sache ſelbſt gerichtete Hauptklage mit verfolgt werden, und hierdurch werden in der That die ſo eben aufgeſtellten Regeln geltend gemacht. Dagegen kann von einer Vindication119§. 267. Wirkung der L. C. — Verſäumte Früchte.dieſer Früchte nicht die Rede ſeyn, indem dieſelben niemals im Beſitz des Beklagten geweſen ſind. Eben ſo wenig aber iſt eine Condiction auf dieſelben möglich, weil die Grundbedingung einer ſolchen, nämlich die Bereicherung aus fremder Sache, fehlt(o)S. o. B. 5. S. 524. b. .
Dieſer letzte Satz wird in folgender Stelle anerkannt, welche leicht misverſtanden werden kann(p)L. 78 de rei vind. (6. 1).: Si ejus fundi, quem alienum possideres, fructum non coëgisti, nihil ejus fundi fructuum nomine te dare oportet.
Flüchtig angeſehen, könnte dieſe Stelle als ein Wider - ſpruch gegen die ganze Lehre von dem Erſatz für verſäumte Früchte aufgefaßt werden. Wenn man aber die unzweifel - hafte techniſche Bedeutung der Worte dare oportere erwägt, ſo liegt in der angeführten Stelle nichts Anderes, als die ſo eben gerechtfertigte Verneinung einer ſelbſtſtändigen Condiction. Der Verfaſſer der Stelle will alſo nur ſagen, daß für verſäumte Früchte niemals mit einer Con - diction Erſatz gefordert werden könne; er widerſpricht aber damit nicht der Forderung dieſes Erſatzes überhaupt, indem ja die Vindication der Hauptſache dieſen Erſatz mit um - faſſen kann(q)Dieſe richtige Erklärung der Stelle findet ſich bei Heimbach, Lehre von der Frucht, S. 94. 95..
Man darf auch nicht glauben, daß dieſe Unter - ſcheidung ein blos theoretiſches Intereſſe habe, und practiſch120Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.werthlos ſey. Denn wenn der unredliche Beſitzer den Beſitz der Hauptſache ohne ſeinen Dolus verliert, ſo kann gegen ihn eine Vindication überhaupt nicht mehr angeſtellt werden, ſo daß auch eine Rachforderung der etwa früherhin verſäumten Früchte nicht mehr möglich iſt. Wäre dagegen für dieſe eine ſelbſtſtändige Condiction zuläſſig, ſo würde dieſelbe auch jetzt noch angeſtellt werden können.
Eine eigenthümliche Beſtimmung über die ſ. g. fructus percipiendi enthält das Preußiſche A. L. R. Es ver - pflichtet nicht, ſo wie das R. R., jeden Beklagten, die Früchte zu erſetzen, welche zu gewinnen er während der Dauer des Rechtsſtreits etwa verſäumt haben möchte, ſondern nur Den, welcher es weiß, daß die Sache, die er als ſeine eigene beſitzt, einem Anderen zugehöre, alſo den wahren, eigentlichen malae fidei possessor(r)A. L. R. Th. 1 Tit. 7 § 229. Auf den erſten Blick könnte man glauben, es ſey hier nur derſelbe unredliche Beſitzer[gemeint] wie in § 222, d. h. eben der Beklagte über - haupt. Daß aber in der That ein Unterſchied, ein Gegenſatz gemeint iſt, zeigt erſtlich der verſchiedene Ausdruck beider §§, zweitens die Vergleichung der § 223 — 228 mit § 229, welcher letzte offenbar etwas Neues ſagen will, drittens die Be - merkungen von Suarez bei Si - mon Zeitſchrift B. 3 S. 330 N. 2, S. 172. Vgl. auch ebendaſ. S. 633 und oben § 264.. — Dieſe Abweichung kann ich nicht billigen. Jedem Beklagten, auch wenn er noch ſo feſt von ſeinem Recht überzeugt iſt, kann man ohne Unbilligkeit zumuthen, daß er die Möglichkeit bedenke, den Prozeß zu verlieren, und für dieſen möglichen Fall ſich als den Verwalter eines fremden Gutes anſehe,121§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.dem eine beſondere Sorgfalt obliegt. Wenn er alſo in dieſer Lage aus Trägheit unterläßt, den ſtreitigen Acker zu beſtellen, oder die Früchte einzuſammeln, ſo trifft ihn, bei der Verurtheilung in der Hauptſache, auch die Entſchädigung für dieſe verſäumten Früchte mit allem Recht. Ich glaube, daß dieſe unrichtige Beſtimmung lediglich aus dem falſchen Standpunkte hervorgegangen iſt, welcher überhaupt im A. L. R. bei der Feſtſtellung der eigenthümlichen Prozeß - verpflichtungen gewählt worden iſt (§ 264). Man wollte Alles auf das unredliche Bewußtſeyn des Beſitzers zurück führen, und glaubte nun, in dieſem ſtets verſchiedene Grade unterſcheiden, und mit verſchiedenen Wirkungen verſehen zu müſſen.
Unter den Erweiterungen, von deren Erſatz in Folge der L. C. bisher die Rede geweſen iſt, befindet ſich eine, deren Behandlung vorzugsweiſe zweifelhaft und beſtritten, und zugleich practiſch ſehr wichtig iſt; dieſes ſind die Prozeßzinſen. Zu einer erſchöpfenden Behandlung der - ſelben iſt es unumgänglich nöthig, eine zuſammenhängende Überſicht des Zinſenſyſtems überhaupt vorauszuſchicken. Ohne eine ſolche Überſicht iſt es nicht möglich, eine falſche Auffaſſung und Benutzung mancher der wichtigſten Quellen - zeugniſſe mit Sicherheit abzuwehren.
122Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dem allgemeinen Begriff der Zinſen liegt zum Grunde die Unterſcheidung eines zweifachen im täglichen Verkehr vorkommenden Werthes: des Sachwerthes (Eigenthums - werthes) und des Gebrauchswerthes. Die Rechts - geſchäfte, worin beide vorzüglich zur Anſchauung kommen, ſind der Kauf und der Miethsvertrag. Da der Gebrauchs - werth auf einer fortgeſetzten Thätigkeit der gebrauchenden Perſon im Verhältniß zur Sache beruht, ſo hat er über - haupt nur Bedeutung, in ſofern ein durch dieſe Thätigkeit erfüllter Zeitraum hinzugedacht wird.
Für den Gebrauchswerth wie für den Sachwerth, iſt ein Erſatz oder eine Vergütung möglich in der verſchiedenſten und willkührlichſten Weiſe: durch eine Geldſumme, durch Arbeit, durch den gegenſeitigen Gebrauch anderer Sachen u. ſ. w. Für die meiſten Fälle ſolcher Art iſt weder die Möglichkeit noch das Bedürfniß einer gemeinſamen Be - handlung und Regulirung vorhanden; ein ſolches Bedürfniß findet ſich nur bei einer Art von Sachen, deren eigenthüm - liche Natur hier zunächſt zu beſtimmen iſt.
Es ſind dies diejenigen Sachen, deren Werth nach der im Verkehr vorherrſchenden Anſicht nicht auf ihrer Indivi - dualität, ſondern lediglich auf Zahl, Maaß oder Gewicht innerhalb einer gewiſſen Gattung beruht, ſo daß bei gleichem Umfange verſchiedene Individuen derſelben Gattung völlig gleichgeltend ſind. Die Römer bezeichnen dieſe Eigenthüm - lichkeit durch den Ausdruck: res quae pondere, numero, mensura continentur (consistunt), welcher genau richtige123§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.Ausdruck durch ſeine Weitläufigkeit zum gewöhnlichen Gebrauch unbequem iſt. Die neueren Schriftſteller nennen ſie ſeit Jahrhunderten mit einem barbariſch gebildeten Aus - druck res fungibiles(a)Die Veranlaſſung zu dieſem Ausdruck liegt in L. 2 § 1 de reb. cred. (12. 1) „ quia in genere suo functionem recipiunt per solutionem. “ Es ſcheint, daß der Ausdruck res fungibiles ein - geführt worden iſt von Zasius in § 30 J. de actionibus N. 17. 18, wenigſtens thut er ſich etwas darauf zu gut, die anderen Schriftſteller zu - recht zu weiſen, die dafür quanti - tas ſagen „ sed male et barbare: sola enim pecunia quantitas dicitur, quia per eam quanta quaeque res sit aestimatur. “. Ich werde dafür den Ausdruck: Quantitäten gebrauchen, der die entſchiedene Autorität der Römiſchen Juriſten für ſich hat. Denn obgleich in vielen, ja den meiſten, Stellen der Ausdruck quantitas ſo viel bedeutet als: Größe oder Umfang, alſo eine allgemeine Eigenſchaft die den verſchiedenſten Sachen zukommt, ſo wird er doch auch in mehreren unzweifelhaften Stellen geradezu gebraucht um die hier erwähnte beſondere Art von Sachen zu bezeichnen, alſo Sachen die nach Zahl, Maaß oder Gewicht einer beſtimmten Gattung, nicht nach ihrer Indi - vidualität, als Gegenſtände von Rechtsverhältniſſen be - handelt zu werden pflegen. Eine Sache ſolcher Art heißt quantitas, im Gegenſatz von corpus oder species, d. h. einer Sache, die den individuellen Gegenſtand eines Rechts - geſchäfts bildet(b)L. 34 § 3 — 6 de leg. 1. (30), L. 15 § 4 de usufr. (7. 1 ), L. 94 § 1 de solut. (46. 3). Allerdings iſt in dieſen Stellen zunächſt von Geldſummen die Rede, die ohnehin die häufigſte und wichtigſte quan - titas bilden. Allein in der erſten Stelle wird damit auch alles Übrige quod pondere, numero, men -.
124Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.An Quantitäten nun kann der Gebrauchswerth, eben ſo wie an allen anderen Sachen, auf die verſchiedenſte Weiſe beſtimmt werden; es kann dies u. a. aber in Quoten gleichartiger Sachen geſchehen, und dieſe Behandlung iſt für den Verkehr ſo wichtig und bequem, daß dafür zu allen Zeiten beſondere Beſtimmungen nöthig gefunden worden ſind. Hierauf bezieht ſich das Rechtsinſtitut der Zinſen (usura auch usurae).
Zins heißt ein beſtimmtes Maaß einer Quantität, welches als Erſatz oder Vergütung dient für den Gebrauch einer gleichartigen Quantität, welche das Kapital genannt wird. Das Zinſenverhältniß iſt an ſich anwendbar auf Quantitäten aller Art, alſo auf Getreide, Wein, Oel, und u. a. auch auf Geld. Dieſe letzte Anwendung iſt aber ſo ſehr die wichtigſte und häufigſte, daß man gewöhnlich an ſie allein denkt, wenn von Verzinſung überhaupt die Rede iſt. — Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß Zinſen im juriſtiſchen Sinn als Früchte des Kapitals betrachtet werden(c)L. 34 de usuris (22. 1 ), L. 121 de V. S. (50. 16 ), L. 62 pr. de rei vind. (6. 1). Vgl. oben § 265. a. b. . Dies iſt jedoch nicht ſo zu verſtehen, als ob(b)sura continetur, zuſammengeſtellt, und der Gegenſatz von corpus und species paßt auf alles Dieſes gleichmäßig. Daher iſt der Tadel des Zaſius gegen dieſe Benennung (Note a) ungegründet. — Die von Mehreren neuerlich verſuchte Be - nennung: vertretbare Sachen iſt ohne hinzugefügte Erklärung kaum verſtändlich, da auch alle andere Sachen einer Vertretung (durch Geldentſchädigung) empfäng - lich ſind. — Die Eigenſchaften der Quantitäten und der ver - brauchbaren Sachen ſind an ſich ſelbſt ganz verſchieden, obgleich ſie in der Anwendung meiſt an denſelben Sachen zuſammentreffen.125§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.hierin das baare Geld (die Zinſen) eine Frucht des baaren Geldes (des Kapitals) wäre; vielmehr wird die Zinſen - forderung als eine aus der Kapitalforderung ent - ſprungene Frucht betrachtet.
Die wichtigſte Frage iſt nun die, auf welchen Wegen überhaupt eine Zinſenforderung entſtehen kann. Es giebt dafür im Allgemeinen zwei Entſtehungsgründe:
I. Vertrag als Entſtehungsgrund einer Zinſenfor - derung. Ein ſolcher konnte bei den Römern vorkommen, ſowohl in der Form einer Stipulation, als in der eines bloßen Pactum.
A. Die Stipulation von Zinſen war überall an - wendbar, und konnte ſtets eine Klage bewirken. Sie konnte geſchloſſen werden ohne Unterſchied, ob die Kapitalſchuld ſelbſt aus einer Stipulation mit oder ohne Darlehn, aus einem bloßen Darlehn ohne Stipulation, oder aus irgend einer anderen obligatoriſchen Handlung entſprungen war.
Bei den Römern war der wichtigſte und häufigſte Fall der, in welchem beide Obligationen, des Kapitals und der Zinſen, durch Stipulation begründet und zwar auf Geld gerichtet wurden. Ob dieſes, der wörtlichen Faſſung nach, in zwei abgeſonderten Verträgen geſchah (alſo mit einem doppelten spondes? spondeo), oder aber in einem zuſammen - gefaßten einfachen Vertrag, an deſſen Schluß jene Frage126Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und Antwort ausgeſprochen wurde, dieſes war für den Erfolg gleichgültig. Denn auch in dem letzten Fall waren in der That ebenſo wie in dem erſten, zwei verſchiedene, und zwar ſogar ungleichartige Stipulationen geſchloſſen: eine certa auf das Kapital, und eine incerta auf die Zinſen(d)L. 75 § 9 de verb. obl. (45. 1) „ qui sortem stipulatur, et usuras quascunque, certum et incertum stipulatus videtur: et tot stipulationes sunt, quot res sunt “(alſo hier zwei. Dieſe letzten Worte verweiſen auf eine allgemeine ſprüchwörtliche Rechts - regel; vgl. L. 86 eod.). — L. 8 de eo quod certo loco (13. 4) „ ibi enim duae stipulationes sunt “(es war von Kapital und Zinſen die Rede).. Die Kapitalsſtipulation war nothwendig certa, weil die Summe des Kapitals völlig gewiß und überſehbar war; die Zinſenſtipulation nothwendig incerta, weil ſich nicht vorherſehen ließ, wie viele Zinspoſten fällig werden würden, und wie hoch daher die einzuklagende Zinſenſumme im Ganzen ſeyn werde. Waren es aber zwei verſchieden - artige Stipulationen, ſo mußten hierauf nothwendig auch zwei verſchiedene Klagen gegründet werden, eine certi und eine incerti condictio (beide bekanntlich von ganz verſchie - dener Natur), indem ſtets der Stipulation die Klage genau entſprechen mußte, und hierin eine Willkühr des Klägers durchaus nicht zuläßig war(e)Gajus IV. § 53. „ sicut ipsa stipulatio concepta est, ita et intentio formulae con - cipi debet. “.
Ganz eben ſo verhielt es ſich, wenn neben einem bloßen Darlehn (ohne Stipulation) Zinſen ſtipulirt waren. Auch hier mußten nothwendig zwei verſchiedene Klagen angeſtellt werden, eine certi und eine incerti condictio.
127§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.B. Ein Pactum auf Zinſenzahlung hatte eine ver - ſchiedene Wirkung je nach der verſchiedenen Natur der Hauptſchuld. Es konnte nämlich vorkommen, a) neben einem b. f. contractus, b) neben einer Stipulation, c) neben einem Darlehn.
a) Das Pactum auf Zinſen neben einem b. f. contractus war nach allgemeinen Grundſätzen klagbar, jedoch nicht mit einer ſelbſtſtändigen Klage, ſondern nur in Verbindung mit der aus dem Contract entſpringenden Hauptklage(f)L. 4 C. depos. (4. 34) „ non duae sunt actiones, alia sortis alia usurarum sed una. “ Hier gilt alſo gerade die entgegengeſetzte Regel von der für die ſtipulirten Zinſen ſo eben bemerkten.. Dieſes auf bekannten allgemeinen Rechtsregeln beruhende Rechtsverhältniß wird namentlich anerkannt bei dem Kauf, der Miethe, dem Mandat, dem Depoſitum(g)L. 5 C. de pact. int. emt. (4. 54 ), L. 17 § 4 de usuris (22. 1 ), L. 24 pr. in f. mandati (17. 1 ), L. 24 L. 26 § 1 depos. (16. 3)..
b) Auch wenn neben einer Stipulation auf das Kapital ein bloßes Pactum auf Zinſen gleichzeitig geſchloſſen war, ſo ſollte dennoch auf die Zinſen wie aus einer Stipulation (alſo mit einer incerti condictio) geklagt werden können. Dieſer Rechtsſatz war der alten ſtrengen Natur der Stipu - lation fremd, und wurde erſt durch die neue freiere Be - handlung des Vertrages vermittelt. Auch wird ausdrücklich bemerkt, daß dieſer Satz erſt allmälig und nicht ohne Widerſpruch anerkannt worden ſey(h)L. 40 de reb. cred. (12. 1). Über dieſe, durch ihre Schwierig - keit berühmte, Stelle (L. Lecta) vgl. Glück B. 4 S. 268 — 276, Schulting notae III. 31. Auf. Es lag dabei128Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.folgender Gedanke zum Grunde. Wenn die Parteien die Vorſicht gebraucht hätten, zuerſt den ganzen Inhalt ihrer Verabredung (wegen Kapital und Zinſen) auszuſprechen und dann am Schluß die allgemeine Formel hinzuzufügen: ea omnia dare spondes? spondeo, ſo würde unſtreitig die Stipulation alle Theile des Verſprechens, auch die Zinſen, umfaßt haben. Daß ſie nun hierin ungenau verfuhren und die rechte Form verſäumten, ſollte ihnen, wie ſo mancher andere Verſtoß gegen die ſtrenge alte Form, nicht ſchaden. Es wurde alſo gewiſſermaaßen fingirt, es ſey die in der Mitte der ganzen Handlung ausgeſprochene Stipu - lationsformel am Schluß der Handlung wiederholt worden. — Dieſe freiere Behandlung der Stipulation war ganz gleich - artig mit derjenigen, nach welcher ſchon zur Zeit der alten Juriſten in einer fremden Sprache, in verſchiedenen Sprachen, und mit nicht buchſtäblicher Gleichförmigkeit, gefragt und geantwortet werden durfte, ohne die Wirk - ſamkeit der Stipulation zu ſchwächen.
c) Endlich das Pactum auf Zinſen neben dem bloßen Darlehn führt am meiſten Verwicklungen mit ſich, und hat Gelegenheit zur irrigen Auffaſſung mehrerer ſchwierigen(h)eine vollſtändige Erklärung der - ſelben kann es hier nicht an - kommen; der hierher gehörende Theil, den ich für nicht zweifelhaft halte, iſt in folgenden Worten ent - halten: „ pacta incontinenti fa - cta stipulationi inesse credun - tur … Pactum autem, quod subjectum est, quidam dicebant .. tantum ad exceptionem prod - esse … et si, ut ille putabat, ad exceptionem tantum prod - esset pactum, quamvis senten - tia diversa obtinuerit “rel. 129§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.Stellen des R. R. gegeben, weshalb hierbei eine beſonders genaue Behandlung nöthig iſt.
Vergleichen wir zuerſt das Darlehn mit der ſo eben abgehandelten Stipulation, ſo finden wir die Regel aus - geſprochen, daß dem Darlehn alles Dasjenige rechtsgültig hinzugefügt werden könne, welches in einer Stipulation zuläſſig ſey: „ Omnia quae inseri stipulationibus possunt, eadem possunt etiam numerationi pecuniae: et ideo et conditiones “(i)L. 7 de reb. cred. (12. 1)..
Da nun ſo eben gezeigt worden iſt, daß das Pactum auf Zinſen neben der Stipulation als Grund einer Klage ſpäterhin zugelaſſen wurde, ſo würde die Conſequenz dahin geführt haben, dieſelbe Wirkung auch neben dem Darlehn zuzulaſſen, ohne daß deſſen ſtrenge Contractsnatur (die ja nicht ſtrenger war, als die der Stipulation) ein Hinderniß hätte darbieten können. Ich ſage, ſo hätte es conſequenter Weiſe ſeyn müſſen ſowohl bei dem Darlehn in Geld, als bei dem in anderen Quantitäten. Auch wurde dieſe Con - ſequenz in der That durchgeführt und anerkannt in dieſem zweiten Fall des Darlehns (an Getreide u. ſ. w.), wie ſogleich gezeigt werden wird. Bei dem Gelddarlehn da - gegen war es anders, dieſe Verſchiedenheit hatte aber ihren Grund nicht in der Natur des Contracts, ſondern vielmehr in der ganz eigenthümlichen Natur der dieſem Contract ausſchließend angewieſenen Klage.
VI. 9130Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die einzig mögliche Klage nämlich aus einem Gelddar - lehn war die certi condictio, worin die Intentio nothwen - dig eine beſtimmte Geldſumme ausſprechen und die Con - demnatio mit dieſer Summe übereinſtimmen mußte. Nun hatte der Juder keine andere Wahl, als entweder freizu - ſprechen, oder auf die ausgedrückte Summe zu verurtheilen. Hätte er dieſe Summe durch die verſprochenen Zinſen in dem Urtheil erhöht, ſo würde er das Ganze aus eigenem Vermögen haben erſetzen müſſen(k)Gajus IV. § 52 „ alioquin litem suam facit. “.
Hierin allein liegt der Grund der in ſo vielen Stellen ausgeſprochenen Regel, daß bei einem Gelddarlehn auf Zinſen niemals geklagt werden könne, wenn nicht dieſe Zinſen in einer Stipulation verſprochen worden ſeyen(l)L. 24 pr. de praescr. verb. (19. 5 ), L. 10 § 4 mand. (17. 1 ), L. 11 § 1 de reb. cred. (12. 1 ), L. 3. 7 C. de usur. (4. 32). Paul. II. 14 § 1. — Der Unterſchied von dem vorhergehenden Fall, wo das Pactum der Stipulation angehängt war, lag darin, daß hier der bloße Formfehler durch milde Auslegung verbeſſert wurde, indem man es ſo anſah, als wäre die Stipulations - formel erſt am Ende des ganzen Akts ausgeſprochen worden. Neben dem Darlehn war dieſe Behand - lung unmöglich, da bei den Zinſen die Fiction eines Darlehns keinen Sinn gehabt hätte, ohne dieſelbe aber die Klage aus dem Pactum ohne allen Entſtehungsgrund ge - weſen wäre. — Man darf übri - gens die aufgeſtellte Regel nicht ſo verſtehen, als ob ein ſolches Pactum ganz wirkungslos geweſen wäre; es ſollte nur keine Klage begründen, eine naturalis obli - gatio entſprang daraus allerdings. L. 5 § 2 de sol. (46. 3 ), L. 3. 4. 22 C. de usur. (4. 32). Auch zweifelte hieran ſelbſt die ſtrengſte Partei der Juriſten nicht (Note h).. Lag aber der Grund hierin, alſo in der Klagformel, und nicht in der Natur des Contracts, ſo war es ganz inconſequent, im Juſtinianiſchen Recht (in welchem die Klagformeln gänz -131§. 268. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen.lich verſchwunden ſind) dieſe Regel dennoch beizubehalten; ſie hätte ſchon hier gänzlich aufgegeben werden müſſen(m)Zweifelhaft iſt die Behand - lung des nauticum foenus, wobei die Klage nicht angegeben wird (L. 5 § 1, L. 7 de naut. foen. 22. 2). Vielleicht wurde dabei ſtets eine Stipulation angewendet; es ließ ſich aber auch ohne Stipula - tion eine Klage nach den Grund - ſätzen der Innominatcontracte wohl denken. Denn die Form des Dar - lehns war dabei nur ein äußerer Schein, in der That war es das Geben einer Summe auf die Ge - fahr des Verluſtes, mit dem gegen - ſeitigen Verſprechen einer höheren Summe für den Fall wenn der Verluſt nicht eintrat, alſo ein Ge - ſchäft nach der Form do ut des. .
Daß dieſe Auffaſſung richtig iſt, geht unwiderſprechlich hervor aus der Art, wie das R. R. das Darlehn an Ge - treide und anderen Quantitäten, wenn dabei Zinſen durch bloßes Pactum verſprochen waren, unzweifelhaft behandelt, obgleich dieſes Darlehn ein völlig eben ſo ſtrenger Con - tract war und durchaus keine andere Contractsnatur hatte, als das Gelddarlehn. Hierüber ſind folgende Stellen ganz entſcheidend.
Dieſe Stelle iſt zu allen Zeiten Gegenſtand großer9*132Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Zweifel und Misverſtändniſſe geweſen. Vor Allem iſt darin nicht geſagt, von welcherlei Zinſen die Rede iſt. Man könnte dabei denken an Verzugszinſen oder Prozeß - zinſen, welches jedoch ſchlechthin verworfen werden muß, da dieſe, wie unten gezeigt werden wird, nur bei baarem Gelde vorkommen können. Eben ſo wenig iſt an ſtipulirte Zinſen zu denken, da bei dieſen die Klagbarkeit ohnehin keinen Zweifel haben konnte, welches zu dem Ausdruck der Stelle nicht paßt. Es bleibt alſo nur der einzige Fall an - zunehmen übrig, wenn die Zinſen durch bloßes Pactum verſprochen waren, alſo genau derſelbe Fall wie in der vorhergehenden Stelle, nur hier mit dem wichtigen Zuſatz, daß die Klagbarkeit ſolcher Zinſen nicht auf der ſtrengen Rechtsregel, ſondern auf einer neueren Zulaſſung aus Billigkeit beruhe („ suasit admitti “). — Einer beſonderen Erklärung bedürfen aber noch die Worte incerti pretio ratio. Dieſe drücken geradezu den oben aufgeſtellten Ge - genſatz eines ſolchen Darlehns gegen das Gelddarlehn aus. Anſtatt daß bei dem Gelddarlehn die certi condictio jede Ausdehnung des Urtheils auf Zinſen unmöglich machte, war hier in der Klage eine incerta Condemnatio enthalten (quanti ea res est), deren unbeſtimmter Ausdruck dem Juder die prozeſſualiſche Freiheit gewährte, auch die Zinſen mit in das Urtheil aufzunehmen, während die materielle Zuläſſigkeit der Zinſen aus den oben angegebenen Gründen ohnehin anerkannt werden mußte(p)Ich muß daher folgende neuerlich verſuchte Erklärungen der.
Unter den zwei möglichen Entſtehungsgründen einer Zinſenforderung (§ 268) iſt die erſte (der Vertrag) bisher abgehandelt worden; es bleibt noch übrig, auch die zweite darzuſtellen.
II. Allgemeine Rechtsregel als Entſtehungsgrund einer Zinſenforderung.
Dieſe Rechtsregel beruht auf folgender, in der Erfah - rung begründeten, Betrachtung. Bei entwickeltem Verkehr iſt die zinsbare Benutzung des baaren Geldes in ſolchem Grade üblich und verbreitet, daß man als durchſchnittliche Regel ohne Bedenken annehmen darf, es könne jede große oder kleine Geldſumme in jedem beliebigen Zeitraum zins - bar benutzt werden. Die Richtigkeit dieſer Annahme wird beſonders anſchaulich, wenn man dabei an das Daſeyn von öffentlichen Banken oder Sparkaſſen denkt, oder auch an das Verhältniß laufender Rechnung, in welches irgend(p)Stelle verwerfen. Die incerti pretii ratio ſoll nach Einigen den ſchwankenden Preis des Getreides bedeuten; es iſt aber durchaus kein Grund denkbar, warum bei ganz unwandelbaren Preiſen nicht auch Zinſen zuläſſig ſeyn ſollten. — Von Anderen wird alles Gewicht auf die Worte ejusdem materiae gelegt, ſo daß die Stelle eigentlich die Abſicht habe, ein Zinsverſprechen in anderen Stoffen zu unterſagen. Allein dieſe Worte ſind daraus zu erklären, daß auf ein Verſprechen anderer Stoffe der Begriff und Name der Zinſen überhaupt nicht paßt; ein Verbot ſollte darin nicht enthalten ſeyn. — Nach der hier gegebenen Erklärung der Stelle iſt nun auch die Behauptung zu be - richtigen, welche auf eine irrige Auffaſſung derſelben oben (B. 5 S. 465) gegründet worden war.134Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Jemand zn einem Banquier eintritt, wobei jede eingezahlte oder erhobene Summe von dem Tage der Zahlung an zinsbar berechnet wird. Es darf dabei nur nicht der Vor - ſtellung Raum gegeben werden, als ob das Darlehn gerade die einzige Form zinsbarer Benutzung des Geldes wäre. Auch würde es unrichtig ſeyn, die aufgeſtellte An - nahme nur für unſeren heutigen ſehr entwickelten Geld - verkehr zuzulaſſen, für die Römiſchen Zuſtände aber zu verneinen. Gerade die Römiſchen Juriſten gehen ent - ſchieden von der hier aufgeſtellten Vorausſetzung aus, wie ſogleich gezeigt werden wird. Auch diente bei ihnen das Inſtitut der Argentarien zu einer beſonders leichten Ver - mittelung des Zinsgeſchäftes(a)Eine merkwürdige Aner - kennung der hier behaupteten all - gemeinen Sitte und Erfahrung, auch in Beziehung auf die Zu - ſtände des Alterthums, findet ſich an einem Orte, wo man es kaum erwarten ſollte, in dem Gleichniß von dem faulen Knechte, Mat - thäus 25, 27 und Lucas 19, 23..
Die hier aufgeſtellte Anſicht führt zu folgender Be - handlung der Rechtsverhältniſſe. Wenn der Gebrauch irgend einer Sache eine Zeit hindurch bei Demjenigen ſich findet, dem er nicht gebührt, alſo einem Anderen mit Un - recht entzogen wird, und zugleich ein Rechtsgrund vor - handen iſt, für dieſes Unrecht Vergütung zu fordern, ſo kommt es in jedem einzelnen Fall darauf an zu beweiſen, wie hoch ſich das Intereſſe dieſes erlittenen Unrechts belaufe, worüber aber eine durchgreifende Regel durchaus nicht auf - geſtellt werden kann.
135§. 269. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Hierin tritt nun für Denjenigen, der eine ſolche Ver - gütung fordert, eine große Erleichterung ein, wenn der Gegenſtand des mit Unrecht entbehrten Gebrauchs in baarem Gelde beſteht. Ein beſonderer Beweis für den Betrag des erlittenen Schadens wird dadurch entbehrlich, daß der Kläger die landüblichen Zinſen des entbehrten Geldes fordern kann. Allerdings kann in einzelnen Fällen auch wohl eine höhere Entſchädigung gefordert werden, dazu aber bedarf es jedesmal einer ſpeciellen geſetzlichen Vorſchrift, oder auch eines beſonderen Beweiſes. Für die landüblichen Zinſen dagegen bedarf es eines beſonderen Beweiſes nicht, indem derſelbe durch den oben aufgeſtellten durchgreifenden Erfahrungsſatz entbehrlich gemacht wird.
Dieſe practiſch höchſt wichtige Regel findet u. a., und vorzüglich, Anwendung auf die Verzugszinſen, indem als Erſatz für die Mora bei einer Geldſchuld, ohne weite - ren Beweis des erlittenen Schadens, landübliche Zinſen gefordert werden können(b)L. 32 § 2 de usuris (22. 1).. Es iſt aber ganz unrichtig dieſen Fall, wie es gewöhnlich geſchieht, als eine ganz be - ſondere Klaſſe von Zinſen anzuſehen, und davon andere Klaſſen unter verſchiedenen Namen ſtrenge zu unterſcheiden(c)So z. B. werden mitunter folgende Klaſſen von Zinſen auf - geſtellt: usurae exmora, legales, punitoriae (Schilling Inſtitu - tionen III. 108). — Es ſoll durch dieſe Bemerkung keinesweges in Zweifel gezogen werden, daß für manche einzelne Rechtsverhältniſſe poſitive Beſtimmungen, z. B. wegen ungewöhnlich hoher Zinſen, beſte - hen; namentlich in den Fällen, worin der Verwalter eines frem - den Vermögens das verwaltete Geld unredlich in eignen Nutzen verwendet. L. 38 de neg. gest. . 136Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.Vielmehr liegt in den Verzugszinſen nur der häufigſte Fall der Anwendung, während ganz daſſelbe Princip auch ohne Mora bei vielen Rechtsverhältniſſen zur Anwendung kommt. So ſoll insbeſondere Jeder, der fremde Geſchäfte verwaltet, und dafür aus eigenem Vermögen Auslagen macht, landübliche Zinſen des ausgelegten Geldes fordern können, auch wenn ſeinem Gegner eine Mora nicht zur Laſt fällt(d)So z. B. bei dem Mandat, der negotiorum gestio, der So - cietät und Tutel. L. 12 § 9 mand. (17. 1 ), L. 19 § 4 de neg. gest. (3. 5). Wenn in dieſen Fällen der Geſchäftsführer beweiſen kann, daß er zu ungewöhnlich hohen Zinſen Geld anfnehmen mußte um die Auslage zu machen, ſo kann er auch dafür Erſatz fordern. Das liegt wieder außer den Grenzen unſrer allgemeinen Präſumtion..
Es iſt ferner unrichtig, wenn Manche die Verzugs - zinſen als ein beſonderes Privilegium derjenigen Verträge und Klagen anſehen, die den beſonderen Namen bonae fidei actiones führen. Vielmehr beruhen ſie auf einer durchgreifenden Regel für alle Obligationen überhaupt, deren Anwendung nur bei den Condictionen (den ſtrengen Klagen) durch die beſondere Natur dieſer Klagen gehindert wird. Daher galten die Verzugszinſen ohne Zweifel von jeher auch bei allen denjenigen freien Klagen, welche nicht den Namen bonae fidei actiones führten, alſo insbeſondere bei den prätoriſchen Klagen und den extraordinariae actiones(e)So gelten Verzugszinſen.
(c)(3. 5); eben ſo die usurae rei judicatae nach Juſtinians neuen Vorſchriften. Nur iſt der Entſtehungsgrund der Zinſenfor - derung in dieſen einzelnen Fällen nicht ſpecifiſch verſchieden, anſtatt daß die Vertragszinſen von den aus einer allgemeinen Rechtsregel ent - ſtehenden durchaus verſchieden ſind.
137§. 269. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Es muß aber wohl bemerkt werden, daß die hier auf - geſtellte Anſicht mit ihren wichtigen Folgen nicht auf Quantitäten überhaupt, ſondern lediglich auf Geld - ſchulden Anwendung findet; hierin eben liegt ein ſehr wichtiger Unterſchied zwiſchen den Vertragszinſen, die auf Quantitäten aller Art angewendet werden können, und den aus einer allgemeinen Rechtsregel abgeleiteten Zinſen, welche nur bei Geldſchulden vorkommen(f)So liegt denn auch hierin der entſcheidende Beweis dafür, daß die L. 23 C. de usur. (ſ. o. §. 268 Note o) durchaus nicht von Verzugszinſen verſtanden wer - den darf..
Der Grund dieſes wichtigen Unterſchiedes iſt darin zu ſuchen, daß die zinsbare Benutzung des Geldes zu jeder Zeit möglich iſt, anſtatt daß das Zinsgeſchäft bei Getreide und anderen Quantitäten nur in ſeltenen Fällen und unter ſehr zufälligen Umſtänden vorzukommen pflegt. Wenn daher der Gebrauch des Getreides einem Anderen mit Unrecht ver - weigert wird, ſo ſoll keinesweges dem Beſchädigten ein Erſatz wegen des erlittenen Unrechts verſagt werden. Nur muß er die Höhe des Intereſſe beweiſen, und er ſoll nicht den Vortheil wie bei einer Geldſchuld genießen, dieſen Beweis durch die Präſumtion zu erſetzen, daß er das Ge - treide einſtweilen hätte gegen Zinſen ausleihen können. Denn gerade zu einer ſolchen Präſumtion, welche bei einer(e)bei der Pollicitation, die gewiß nicht ein bonae fidei contractus iſt. L. 1 pr. de pollic. (50. 12). — Ebenſo werden in L. 38 § 8 — 16 de usur. (22. 1) die bonae fidei actiones mit den prätoriſchen Klagen in der Lehre von der Cauſa ganz auf gleichen Fuß geſtellt. — Endlich gelten Verzugszinſen auch bei den Fideicommiſſen, welche gleichfalls nicht mit einer bonae fidei actio verbunden waren.138Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Geldſchuld wohl begründet wäre, iſt bei dem Getreide und anderen Quantitäten kein Grund vorhanden(g)Man könnte die Sache ſo denken, als ob nicht eben Getreide - zinſen für das entbehrte Getreide, wohl aber Geldzinſen für den Kauf - preis des Getreides gefordert werden könnten. Allein dieſe Anſicht würde wiederum nicht den Quantitäten eigenthümlich ſeyn, ſondern auch auf alle andere Sachen angewendet werden können, und ſie iſt im All - gemeinen durchaus zu verwerfen, wie unten gezeigt werden wird..
Die ganze bisher angeſtellte Unterſuchung über das Zinſenrecht (§ 268. 269) ſollte nur als Grundlage dienen für denjenigen Theil deſſelben, welcher allein in den Kreis unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört, nämlich für die Prozeßzinſen, für welche nur von jenem vollſtändigen Zu - ſammenhang aus eine befriedigende Einſicht gewonnen werden kann.
Der verurtheilte Beklagte ſoll für die Früchte des Streitgegenſtandes Erſatz leiſten, welche dem Kläger durch die Dauer des Rechtsſtreits entzogen worden ſind (§ 265). Wenn nun der Gegenſtand des Rechtsſtreits in einer Geld - ſumme beſteht, ſo entſteht die practiſch ſehr wichtige Frage, ob die Zinſen dieſes Geldes als ſolche zu vergütende Früchte zu betrachten ſind, ob alſo überhaupt ein Anſpruch des Klägers auf Prozeßzinſen zu behaupten iſt. Dieſe Frage iſt im hohen Grade beſtritten, und der Streit darüber hat ſich bis in die neueſte Zeit fortgeſetzt.
139§. 270. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Bevor eine Antwort auf dieſe Frage verſucht werden kann, iſt für den Fall, daß in der That Prozeßzinſen an - zunehmen ſeyn möchten (alſo hypothetiſch), das Verhältniß derſelben zu den Verzugszinſen feſtzuſtellen. Wenn nämlich vor dem Anfang eines Rechtsſtreits ein Anſpruch auf Ver - zugszinſen entſtanden iſt, ſo gehen dieſe während des ganzen Rechtsſtreits fort, und es kann daneben von Prozeß - zinſen nicht die Rede ſeyn, indem dieſe von den früher entſtandenen Verzugszinſen abſorbirt werden. Daher kann von Prozeßzinſen überhaupt nur in ſolchen Fällen die Frage entſtehen, in welchen entweder eine Mora für die eingeklagte Geldſchuld (als Bedingung der Verzugszinſen) gar nicht vorhanden iſt, oder bei vorhandener Mora dennoch keine Verzugszinſen gefordert werden können.
Der letzte Fall trat entſchieden ein bei den ſtrengen Klagen des R. R. Da hier Verzugszinſen auch bei vor - handener Mora nicht gefordert werden konnten (§ 269), ſo war für die Entſtehung von Prozeßzinſen allerdings die Möglichkeit vorhanden. — Der erſte Fall (der Mangel der Mora ſelbſt) kann verſchiedene Gründe haben. Er kann darin gegründet ſeyn, daß die Forderung an ſich zweifelhaft, oder in ihrem Umfang ungewiß (illiquid) iſt(a)L. 24 pr., L. 21. 47. 3 pr. de us. (22. 1 ), L. 42. 63 de R. J. (50. 17).. Ferner darin, daß eine Mahnung an den Schuldner über - haupt nicht ergangen iſt, oder nicht für einen beſtimmten Zeitpunkt bewieſen werden kann. Oft iſt auch die Zwiſchen -140Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zeit zwiſchen der Mahnung und dem Anfang des Rechts - ſtreits zu unbedeutend als daß es der Mühe lohnte, den Beweis der Mahnung zur Begründung früherer Verzugs - zinſen zu unternehmen. — In allen dieſen Fällen iſt für den Anſpruch auf Prozeßzinſen hinlänglicher Raum vor - handen, und die Erfahrung zeigt es auch, daß von ihnen ſogar noch häufiger als von Verzugszinſen die Rede iſt.
Die Hauptfrage aber iſt die, ob überhaupt Prozeßzinſen gefordert werden können. Ich habe kein Bedenken, dieſe Frage zu bejahen, und zwar ſelbſt für das ältere R. R. ohne Unterſchied der ſtrengen und der freien Klagen. Die folgende Unterſuchung wird zuerſt das Princip feſtzuſtellen, dann die Anwendung auf die wichtigſten einzelnen Klagen zu machen haben.
Dieſes wird im Allgemeinen anerkannt durch die ſchon oben angeführte Stelle, welche geradezu ausſpricht, daß Zinſen die juriſtiſche Natur der Früchte an ſich tragen(b)L. 34 de usur. (22. 1) aus Ulpian. lib. XV. ad Ed., vgl. oben § 265. b. Der ſcheinbare Wi - derſpruch, der aus L. 121 de V. S. (50. 16) hergenommen werden könnte, iſt ſchon oben §. 265. a. b. beſeitigt worden.. Der Text derſelben muß hier vollſtändig angegeben und erklärt werden: „ Usurae vicem fructuum obtinent, et merito non debent a fructibus separari. Et ita in legatis et fideicommissis, et in tutelae actione, et in ceteris141§. 270. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)judiciis bonae fidei servatur. Hoc idem igitur in ceteris obventionibus dicemus. “
Daß dieſe wichtige Stelle gerade auf die hier vorlie - gende Frage wegen der Verpflichtungen des Beklagten im Prozeß bezogen werden muß, wird unzweifelhaft durch die Inſcription der Stelle, wodurch dieſelbe in Verbindung tritt mit einer ſehr ausführlichen Stelle Ulpians, nach welcher der Beklagte bei der Erbſchaftsklage Früchte und Zinſen herausgeben muß(c)L. 20 de her. pet. (5. 3). Von dieſer Stelle wird unten bei der Anwendung auf einzelne Kla - gen Gebrauch gemacht werden.. — Daß in dem zweiten Satz der angeführten Stelle die b. f. actiones erwähnt werden, könnte den Gedanken veranlaſſen, als ſollte nach dem arg. a contrario für die ſtrengen Klagen das Gegen - theil behauptet werden. Dazu iſt indeſſen kein Grund vor - handen, vielmehr ſcheint dieſe Erwähnung blos eine beiläufige Hindeutung auf die bei den b. f. actiones allein geltenden Verzugszinſen (verſchieden von den Prozeß - zinſen) zu enthalten. Umgekehrt könnte man in dem Schlußſatz die ceterae obventiones auf die str. j. actiones beziehen wollen, für welche dann die Anwendbarkeit der Prozeßzinſen durch unſre Stelle unmittelbar bewieſen wäre. Allein auch dieſe Erklärung muß verworfen werden; obventio heißt das aus einer Sache Aufkommende, und die ceterae obventiones ſind alſo andere Arten von Nutzungen, welche eben ſowohl als die Zinſen unter den allgemeinen Begriff der fructus bezogen werden ſollen.
142Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sind nun nach dieſem Zeugniß die Zinſen eine Art von Früchten, und ſteht es nach anderen, oben angeführten Stellen, feſt, daß der Beklagte von der L. C. an alle Früchte erſetzen muß, ohne Unterſchied der freien und ſtrengen Klagen(d)S. o. § 266 die Noten o bis s. , ſo folgt aus dieſer Combination un - widerſprechlich, daß der Beklagte von der L. C. an bei allen Arten von Klagen Zinſen zahlen muß. — Damit ſind alſo die Prozeßzinſen als ſolche erwieſen, ver - ſchieden von den Verzugszinſen, indem die L. C. eine Mora in der That nicht erzeugt (§ 264), aber mit den Verzugszinſen gleichartig und auf demſelben Boden ruhend, nämlich eben ſo wie ſie aus der allgemeinen Rechtsregel entſpringend, nach welcher die Entſchädigung für jede widerrechtlich entbehrte Geldſumme in der Zahlung land - üblicher Zinſen für dieſe Summe beſteht (§ 269).
Auch noch folgende Stelle iſt häufig als eine Aner - kennung unſres Princips behandelt worden: „ Lite contestata usurae currunt “(e)L. 35 de usur. (22. 1)..
Dieſe Stelle läßt jedoch zwei verſchiedene gleich be - rechtigte Auslegungen zu, und kann wegen dieſer Zweideu - tigkeit nicht als Beweis benutzt werden. Das currunt kann nämlich erſtens heißen: currere incipiunt(f)Für dieſe Bedeutung ſind Parallelſtellen L. 40 de reb. cred. (12. 1 ), L. 7 § 7 de administr. (26. 7). Beide Bedeutungen ſind richtig nachgewieſen von Huber praelect. in Pand. XXII. 1. § 17.; dann enthält die Stelle in der That den Ausſpruch unſres143§. 270. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Princips. Es kann aber auch heißen: currere pergunt(g)Parallelſtelle für dieſe Be - deutung: das non currunt in L. 18 de nov. (46. 2)., d. h. die Zinſen werden durch die L. C. nicht unterbrochen, nicht gehindert; dann hat die Stelle keine Verbindung mit unſrem Princip, ſie enthält vielmehr den ganz anderen, ohnehin unzweifelhaften Satz, daß die in der Klage auf ein Kapital vollzogene L. C. nicht die Wirkung einer Con - ſumtion auf die Zinſenforderung ausübt. Beide Erklärungen ſind an ſich zuläſſig; jedoch erhält die zweite eine größere Wahrſcheinlichkeit durch folgende Parallelſtelle, welche durch die Inſcription mit der unſrigen zuſammenhängt: „ Novatione legitime facta liberantur hypothecae et pignus, usurae non currunt “(h)L. 18 de nov. (46. 2). Beide Stellen ſind genommen aus Paulus lib. LVII. ad Ed. .
Hält man beide Stellen zuſammen, ſo ergeben ſie fol - genden Sinn. Die wahre Novation (d. h. die Stipulation außer dem Prozeß) zerſtört unter andern auch den Zinſen - lauf. Die L. C., obgleich auch ſie in manchen Fällen als Novation bezeichnet wird, zerſtört den Zinſenlauf nicht(i)Dieſe Erklärung findet ſich bei Madai Mora S. 369 — 371, Wächter III. S. 24, wo nur etwas zu excluſiv die Richtigkeit derſelben behauptet wird, da die erſte Erklärung an ſich auch nicht verwerflich iſt..
Könnte nun nach dieſen allgemeinen Gründen die Wahrheit des Princips noch irgend zweifelhaft bleiben, ſo würde doch jeder Zweifel durch die unten folgenden An - wendungen auf einzelne Klagen gehoben werden, worin das Princip ſelbſt deutlich anerkannt iſt, und dieſe Anwendungen144Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.würden die Wahrheit des Princips beweiſen, auch wenn es in keiner Stelle allgemein ausgeſprochen wäre.
Bevor aber dieſe einzelnen Anwendungen dargeſtellt werden, müſſen noch an das Princip ſelbſt einige Fol - gerungen und nähere Beſtimmungen angeknüpft werden.
1. Prozeßzinſen können nur gefordert werden wenn der Rechtsſtreit Geld, nicht wenn er andere Quantitäten, z. B. Getreide, zum Gegenſtand hat. Alle Gründe, die für dieſen Satz ſchon oben (§ 269) bei den Verzugszinſen ausgeführt worden ſind, finden völlig gleiche Anwendung auch auf die Prozeßzinſen(k)Damit iſt denn auch der Beweis geführt, daß die L. 23 C. de usur. (§ 268. o) durchaus nicht von Prozeßzinſen verſtanden werden darf, eben ſo wenig als von Verzugszinſen (§ 269. f)..
Hier muß aber noch eine beſondere Wendung näher erwogen werden, wodurch man verſuchen könnte, die größere Ausdehnung der Prozeßzinſen, nicht blos auf andere Quantitäten, ſondern ſogar auf alle Sachen überhaupt, zu retten.
Man könnte nämlich nicht ohne einigen Schein folgende Betrachtung anſtellen. Wenn der Kläger die Sache zur Zeit der L. C. erhalten hätte, ſo konnte er ſie verkaufen und aus dem erlöſten Gelde Zinſen ziehen. Da er dieſen Vortheil entbehrt hat, ſo muß ihm derſelbe durch Zins - zahlung erſetzt werden. — Allein es kommt hier zunächſt auf die Stellung und Verpflichtung des Beklagten an. Wollte man ihm den Erſatz dieſer Zinſen aufbürden, ſo145§. 270. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)könnte dieſes nur unter der Vorausſetzung geſchehen, daß man darauf das Princip der verſäumten Früchte (§ 265. 266) anwendete, d. h. daß man ihm den unterlaſſenen Verkauf als eine Culpa anrechnete. Dieſes iſt aber deswegen un - möglich, weil er ſelbſt bei den ſtrengen Klagen das Recht hat, ſich auch während des Rechtsſtreits durch Naturalreſti - tution von jedem weiteren Anſpruch wegen der Sache ſelbſt zu befreien (§ 261). — Die richtige Anſicht der Sache iſt in folgender Entſcheidung eines einzelnen Falles ausge - ſprochen. Wenn Gefäße von Gold oder Silber durch Fideicommiß hinterlaſſen werden, und der Erbe mit der Entrichtung in Mora iſt, ſo braucht er doch nur dann Zinſen zu zahlen, wenn der Erblaſſer die Geräthe zum Verkauf beſtimmt hatte, außerdem nicht; alſo nur dann, wenn eigentlich ein Geldfideicommiß gemeint war, welches nur durch den Verkauf jener Gefäße zur Ausführung ge - bracht werden ſollte(l)L. 3 § 4 de usur. (22. 1). — In L. 51 § 1 de her. pet. (5. 3), aus der man noch einen Zweifel her - nehmen könnte, iſt offenbar voraus - geſetzt, daß der Erbe die vor der L. C. gewonnenen Früchte verkauft, alſo in baares Geld, welches er nun ſchuldig iſt, verwandelt hat. S. u. § 271. c. .
2. Sehr verbreitet iſt die Meinung, daß Prozeßzinſen zwar bei freien, aber nicht bei ſtrengen Klagen gefordert werden könnten. Dieſe Meinung hat vielen Schein durch die ganz unzweideutige Vorſchrift, nach welcher mit der condictio indebiti lediglich das irrig gezahlte Geld ſelbſt, durchaus keine Zinſen deſſelben, gefordert werden können(m)L. 1 C. de cond. ind. . VI. 10146Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.In dieſer unbedingten Verneinung liegt dreierlei: es können keine Zinſen gefordert werden von der irrigen Zahlung an, aber auch nicht von der Mora, und endlich auch nicht von der L. C. an, welcher letzte Satz unmittelbar hierher gehört. Dabei liegt es nun ſehr nahe, dieſe Entſcheidung daraus abzuleiten, daß jene Klage eine Condiction war, alſo eben darin einen Ausdruck der Regel zu finden, nach welcher bei allen Condictionen keine Prozeßzinſen gefordert werden könnten. Dennoch iſt dieſe Annahme ohne Grund, und die Sache hat vielmehr folgenden Zuſammenhang.
Wenn baares Geld aus einem Darlehn, oder einer Stipulation, oder einem gezahlten Indebitum gefordert wurde, ſo konnte Dieſes nicht anders geſchehen als ver - mittelſt einer certi condictio. Die beſondere Natur dieſer Klage führte es mit ſich, daß die beſtimmte Geldſumme in der Intentio und Condemnatio übereinſtimmend ange - geben werden mußte, und dieſe unabänderliche Anweiſung an den Juder ſchloß jede zuſätzliche Erhöhung der Summe in dem Urtheil, alſo auch jede zuſätzliche Rückſicht auf Zinſen, gänzlich aus.
Wenn dagegen eine Stipulation zwar auch Geld zum Gegenſtand hatte, aber die Geldſumme ſelbſt nicht ausſprach, ſondern von einem außer ihr liegenden Umſtand abhängig machte(n)z. B. quanti fundus Cor - nelianus est, dare spondes? , ſo war zwar auch eine ſtrenge Klage, eine(m)(4. 4 ) „ … Usuras autem ejus summae praestari tibi frustra desideras: actione enim con - dictionis ea sola quantitas re - petitur, quae indebita soluta est. “147§. 270. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Condiction, begründet, aber dieſe konnte nur eine incertae pecuniae Condemnatio haben(o)Gagus IV. § 49 — 51. Die Formel ging nun auf quanti res est, oder quidquid dari fieri oportet. , und darin lag kein Hinderniß für den Juder, die oben entwickelte allgemeine Regel der Prozeßzinſen zur Anwendung zu bringen.
Demnach war es ſelbſt bei den Römern nicht die Natur der ſtrengen Klagen an ſich, welche die Verurtheilung auf Prozeßzinſen ausſchloß, ſondern lediglich die beſondere Natur der certi condictio, da wo dieſe zur Anwendung kam, und wir müſſen daher behaupten, daß die Prozeß - zinſen auch bei den ſtrengen Klagen (nur mit Ausnahme jeder certi condictio) zur Anwendung kamen(p)Die Meinungen ſind über dieſe Frage von jeher ſehr getheilt geweſen. Verneint werden die Prozeßzinſen bei allen stricti ju - ris actiones von Noodt de foe - nore et us. III. 12, Winckler p. 345, Madai Mora S. 369, Liebe Stipulation S. 52; dage - gen werden ſie zugelaſſen von den Gloſſatoren Martinus und Jacobus (Haenel diss. do - minorum § 56 p. 42), Huber, praelect. in pand. XXII. 1. § 17, Keller § 21 Note 2 und 10. — Ich ſelbſt hatte früher die erſte Meinung angenommen (B. 5 S. 141. 142. 465 ), welche ich jetzt zurück - nehme.. Incon - ſequent aber war es, daß Juſtinian bei der condictio indebiti den unbedingten alten Grundſatz aufnahm, obgleich zu ſeiner Zeit alle Formeln längſt verſchwunden waren.
3. Endlich iſt unter Denen, die überhaupt Prozeßzinſen zulaſſen, die Frage ſtreitig geworden, ob dieſelben blos bei liquiden, oder auch bei illiquiden eingeklagten Geldſummen anzuwenden ſeyen(q)Für die einſchränkende Mei - nung iſt Cannegiesser decis. Cassell. T. 1 Dec. 56 No. 6, indem er erſt von der feſtgeſtellten. Soll die Sache irgend einen prac -10*148Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tiſchen Werth haben, ſo darf ein ſolcher Unterſchied nicht gemacht werden, vielmehr müſſen auch bei illiquiden Summen Zinſen gezahlt werden. Damit geſchieht dem Beklagten kein Unrecht, weil ja dieſe ganze Zinszahlung auf der Vorausſetzung beruht, daß Geld überhaupt nicht müßig aufbewahrt, ſondern ſtets in irgend einer Form zu einem Ertrag benutzt wird. Wollte man aber jenen Unter - ſchied zulaſſen, ſo würde es niemals dem Beklagten ſchwer fallen, unabhängig von der Beſtreitung des Anſpruchs ſelbſt, in die Höhe deſſelben irgend einen Zweifel zu bringen, und dadurch das ganze Princip der Prozeßzinſen in der Anwendung zu vereiteln.
Die Zeugniſſe hierüber ſind im R. R. ſeltener als man bei der practiſchen Wichtigkeit des Gegenſtandes erwarten möchte. Allein die wirklich vorhandenen ſind ſehr ent - ſcheidend, und es fehlt nicht an Erklärungsgründen, wes - halb bei vielen Klagen ſolche Zeugniſſe nicht vorkommen,(q)Liquidität an Zinſen zuläßt. Da - bei ſcheint der unrichtige Gedanke einer Strafe zum Grunde zu liegen, die den Beklagten nicht treffen dürfe, ſo lange eine Ungewißheit vorhanden ſey. Für die unbe - ſchränkte Zulaſſung iſt Hommel rhaps. Obs. 234.149§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)ſo daß jene Seltenheit an der Wahrheit des Princips keinen Zweifel erregen darf.
1. Bei der Eigenthumsklage auf beſtimmte Geld - ſtücke kann das Princip gewiß nicht zur Anwendung kommen. Sollte es angewendet werden, ſo müßte dabei die Zumuthung an den Beklagten zum Grunde liegen, das vindicirte Geld zu veräußern um es zinsbar zu benutzen; aber gerade die Veräußerung und Verzehrung der vin - dicirten Sache iſt dem Beklagten durchaus unterſagt (§ 264. p. q. r). Der Unterſchied von der perſönlichen Schuldklage auf eine Geldſumme liegt alſo darin, daß durch dieſe dem Beklagten ſein eigenes Geld abgefordert wird, deſſen Veräußerung und zinsbare Benutzung ihm nicht unterſagt iſt(a)Dieſe Eigenthümlichkeit der Vindication in Beziehung auf die Prozeßzinſen iſt richtig bemerkt von Buchka Einfluß des Pro - zeſſes S. 265. — Man möchte Daſſelbe erwarten bei der (perſön - lichen) actio depositi, da auch hier beſtimmte Geldſtücke gefordert werden, und deren Veräußerung gleichfalls rechtswidrig iſt. Allein hier ſind meiſt die Prozeßzinſen durch die Mora abſorbirt, die oft ſchon vor dem Rechtsſtreit ein - tritt, ſpäteſtens aber mit der In - ſinnation der Klage, alſo in bei - den Fällen vor der L. C. (Vgl. unten Note h)..
2. Bei der Erbſchaftsklage verhält es ſich ganz anders, und gerade hier finden ſich die vollſtändigſten Zeugniſſe für die Anwendung unſres Princips. Zwar iſt auch dieſe Klage in rem, ſo gut als die Eigenthums - klage, allein ſie bezieht ſich nicht ſo wie dieſe auf eine beſtimmte einzelne Sache, ſondern auf eine Vermögens - maſſe, und umfaßt alſo nothwendig auch viele Gegen -150Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtände, die für ſich betrachtet eine obligatoriſche Natur haben. — Bei dieſer Klage finden ſich folgende einzelne Beſtimmungen über Prozeßzinſen.
a) Der Beſitzer zahlt, von der L. C. an, Zinſen des - jenigen Geldes, welches er vor der L. C. aus verkauften Erbſchaftsſachen gelöſt hat, und das dadurch Beſtandtheil der Erbſchaftsmaſſe geworden iſt(b)L. 1 § 1 C, de her. pet. (3. 31) „ usuras pretii rerum ante L. C. venditarum, ex die contestationis computandas, om - nimodo reddere compellan - tur. “— Damit ſtimmt überein L. 20 § 11 de her. pet. (5. 3), nur daß hier, wie oben bemerkt, die denuntiatio anſtatt der L. C. erwähnt wird. Die in L. 20 § 6 eod. verneinte Zinsverpflichtung iſt von den vor dem Rechtsſtreit durch den redlichen Beſitzer erho - benen Zinſen zu verſtehen.. Unter dieſe ver - kaufte Erbſchaftsſachen gehören natürlich auch die Natural - früchte, die er bezogen und dann veräußert hat(c)Darauf geht L. 51 § 1 de her. pet. (5. 3), wobei nur hin - zugedacht werden muß, daß die vor der L. C. gewonnenen Früchte verkauft worden ſind, ſ. o. § 270. l. —; eben ſo ohne Zweifel auch das eingenommene Mieth - und Pachtgeld.
Hierin nun ſind unverkennbar reine Prozeßzinſen enthalten, welches ſich auch darin zeigt, daß das Princip der ver - ſäumten Früchte darauf angewendet wird. Wenn näm - lich der Beklagte das bedungene Kaufgeld einzutreiben unterläßt, ſo muß er dennoch auch davon Zinſen zahlen(d)L. 20 § 15 de her. pet. (5. 3).. — Gegen den unredlichen Beſitzer hat der Kläger die Wahl, ob er, ſo wie gegen den redlichen, das erlöſte Kaufgeld mit Zinſen, oder aber den wahren Werth der Sache mit151§ 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Einrechnung der möglichen Früchte derſelben, fordern will(e)L. 20 § 12. 16, L. 36 § 3 de her. pet. (5. 3).. Das will ſagen, er kann den geſchloſſenen Ver - kauf mit ſeinen Folgen anerkennen oder nicht, je nachdem ihm das Eine oder das Andere vortheilhafter dünkt.
(b) Das Geld, wovon der Beklagte nach der eben auf - geſtellten Regel Zinſen zahlen ſoll, war von ihm ſelbſt in die Erbſchaftsmaſſe gebracht worden. Es fragt ſich aber, ob er auch von dem in der Erbſchaft vorgefundenen baaren Geld Zinſen zu zahlen hat. Nach allgemeiner Betrach - tung müſſen wir geneigt ſeyn, dieſes ganz nach derſelben Regel, wie das vorher erwähnte, zu behandeln. Er iſt Verwalter eines möglicherweiſe fremden Vermögens, und hat daher deſſen Beſtandtheile, je nach ihrer Art, als guter Hausvater zu behandeln. Ein ſolcher aber wird nicht Geldſummen müßig liegen laſſen. Wenn alſo z. B. der Verſtorbene kurz vor ſeinem Tode ein zinsbares Capital eincaſſirt, und nicht Zeit genug gehabt hat, es wieder auszuleihen, ſo dürfte der Beſitzer ſchwerlich zu rechtfertigen ſeyn, der es während des ganzen Rechtsſtreits unbenutzt liegen laſſen wollte.
Dennoch ſcheint ganz unerwartet Papinian in fol - gender von Ulpian angeführten Stelle ſagen zu wollen, daß der Beſitzer der Erbſchaft von allem vorgefundenen baaren Geld niemals Zinſen zu zahlen habe: „ Papinianus autem libro tertio quaestionum, si pos - sessor hereditatis pecuniam inventam in hereditate152Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.non attingat, negat eum omnino in usuras conve - niendum. “(f)L. 20 § 14 de her. pet. (5. 3)..
Glücklicherweiſe haben wir aber aus demſelben Werke des Papinian, welches hier von Ulpian angeführt wird, eine Stelle, welche dazu dient, den aufgeſtellten Grundſatz nicht nur gegen dieſen ſcheinbaren Widerſpruch des Papinian zu retten, ſondern zugleich durch eine nothwendige nähere Beſtimmung vollſtändiger auszubilden: „ de pecunia deposita, quam heres non attingit, usu - ras praestare non cogitur “(g)L. 62 pr. de rei vind. (6. 1) aus Papinianus lib. VI. Quaestionum. .
In beiden Stellen iſt die Rede von einer pecunia quam non attingit, nur wird in der erſten, als der nicht Berührende, der possessor hereditatis genannt, in der zweiten der heres, und dieſer Ausdruck, verbunden mit der Erwähnung der pecunia deposita, führt zunächſt dahin, die Stelle von einer actio depositi gegen den wahren Er - ben des Depoſitars zu erklären. Dennoch glaube ich dieſe Erklärung ſchlechthin verwerfen zu müſſen. Die ganze Stelle, woraus dieſes kleine Stück genommen iſt, ſpricht von dem Beklagten in einer Vindication, und mit dieſem kann wohl der Beklagte in einer Erbſchaftsklage, aber nicht der Beklagte in einer actio depositi, zuſammen geſtellt werden. Daher halte ich folgende Erklärung für richtiger(h)Ich will jedoch nicht ver - ſchweigen, daß auch noch eine andere Erklärung der Stelle ju - riſtiſch möglich iſt. Es kann allerdings die Rede ſeyn von dem. 153§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Heres ſteht hier für possessor hereditatis, wodurch beide Stellen auf einen und denſelben Fall bezogen werden. Pecunia deposita heißt eine Geldſumme, welche der Ver - ſtorbene dazu beſtimmt hatte, nicht in der Haushaltung verbraucht, auch nicht ausgeliehen, ſondern vielmehr als ein Rothpfennig baar aufbewahrt zu werden, welcher Fall anderwärts genau angegeben und mit dem ganz ver - wandten Ausdruck: pecunia praesidii causa reposita (oder auch seposita) bezeichnet wird(i)L. 79 § 1 de leg. 3 (32) „ His verbis:[quae] ibi mobilia mea erunt do lego, nummos ibi repositos ut mutui darentur, non esse legatos Proculus ait: at eos, quos praesidii causa repositos habet, ut quidam bellis civilibus factitassent, eoslegato contineri: Et audisse se rusti - cos senes ita dicentes, pecu - niam sine peculio fragilem esse: peculium appellantes, quod praesidii causa seponeretur. “— Dieſe Erklärung iſt ſchon ange - geben von Glück B. 8 S. 297. 298. Zur Unterſtützung derſelben kann noch folgende Bemerkung dienen. Die von Papinian an zwei Orten erwähnte pecunia in - venta (deposita) in hereditate quam heres (possessor here - ditatis) non attingit hat offen -. Solches Geld(h)Erben eines Depoſitars, gegen welchen die actio depositi ange - ſtellt wird. Nur müſſen dann fol - gende Vorausſetzuugen hineinge - tragen werden: 1. daß nicht ſchon der Verſtorbene in Mora war, denn ſonſt würde die Mora (mit der Zinſenverpflichtung) auf den Erben übergegangen ſeyn, ohne daß dieſen das Nichtberühren des Geldes ſchützen könnte (L. 87 § 1 in f. de leg. 2); 2. daß auch er ſelbſt, nicht durch Mahnung in Mora verſetzt war, aus dem - ſelben Grunde. Dieſes letzte ließe ſich allerdings ſo denken, daß der Erbe Nichts von dem Depoſitum gewußt hätte, welches die Mora abwendet (L. 42 de R. J.), und daß er doch zugleich aus Gewiſ - ſenhaftigkeit erklärte, er wolle das Geld einſtweilen unberührt laſſen, wodurch dieſer Fall dem des vin - dicirten Geldes ähnlich würde (Note a). — Daß nun aber bei dieſer Erklärung ſo Vieles hinzu - gedacht werden muß, wenn der Ausſpruch nicht durch andere un - zweifelhafte Rechtsregeln widerlegt werden ſoll, macht dieſe Erklärung ſehr bedenklich, und giebt der erſten den Vorzug, welche ohnehin durch die wörtliche Ähnlichkeit bei - der Stellen unterſtützt wird.154Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſoll auch der Beſitzer der Erbſchaft fernerhin unberührt aufbewahren dürfen, ohne dafür Zinſen zu bezahlen, in - dem er nur die von dem Erblaſſer angefangene Behand - lungsweiſe dieſes Geldes fortſetzt. — Erklärt man nun die von Ulpian referirte Äußerung des Papinian von dieſem ganz beſonderen Fall, wofür die ähnlichen Aus - drücke (das non attingit) ſehr deutlich ſprechen, ſo iſt der oben aufgeſtellte Grundſatz gegen jeden Widerſpruch ge - rettet: denn es wird Niemand zweifeln, daß ein ſolches Verfahren ganz in den Gränzen verſtändiger Vermögens - verwaltung liegt, nnd die Freiſprechung von Prozeßzinſen gründet ſich alsdann darauf, daß der erwähnte Nothpfennig überhaupt gar nicht als baares, zum Umlauf beſtimmtes, Geld in Betracht kommt.
3. Bei der Klage auf Legate oder Fideicommiſſe, die in baarem Gelde beſtehen, ſind Zinſen eben ſo wie andere Früchte von der Zeit der L. C. an zu entrichten(k)L. 1. 2 C. de usur. et fruct. (6. 47). — Für die Früchte allein (ohne Erwähnung der Zin - ſen) wird die L. C. als Anfangs - punkt bezeichnet in L. 51 pr. fam. herc. (10. 2 ), L. 4 C. de usur. et fruct. (6. 47)., und darin liegt eine entſchiedene Anerkennung des Princips der Prozeßzinſen. Indeſſen muß dabei ſtets die Voraus - ſetzung hinzugedacht werden, daß aus zufälligen Gründen(i)bar das Anſehen einer ſprüchwört - lich erzählten Curioſität, ſo wie Gajus III. § 196 „ quod veteres scripserunt de eo qui in aciem perduxisset, “und Gajus III. § 202 „ et hoc veteres scrip - serunt de eo qui panno rubro fugavit armentum. “ Dieſes paßt nun ſehr gut zu dem von Procu - lus erwähnten ſingulären Fall der praesidii causa nummi repositi. 155§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)nicht etwa ſchon früher eine Mora begründet war, da die Prozeßzinſen überall durch die Verzugszinſen abſorbirt werden.
Daß nämlich bei Legaten und Fideicommiſſen die Mora an ſich, vor allem Rechtsſtreit, die Forderung von Ver - zugszinſen begründet, eben ſo wie von allen anderen Früchten, iſt unzweifelhaft. Anfangs galt dieſes blos bei Fideicommiſſen, ſpäter auch bei dem legatum sinendi modo, zuletzt eben ſo bei dem damnationis und vindicationis legatum(l)Gajus II. § 280 (Fidei - commiß und leg. sinendi modo), L. 51 pr. fam. herc. (10. 2 Vin - dicationslegat), L. 91 § 7 de leg. 1 (30. Damnationslegat), L. 3 pr. de usuris (22. 1. Fideicommiß), L. 39 § 1 de leg. 1 (30. unbe - ſtimmt), L. 4 C. de us. et fruct. (6. 47. Fideicommiß, leg. damn. und vind. zugleich, ſ. u. Note m)..
Die Stellen nun, welche bald die Mora, bald die L. C. als Anfangspunkt einer ſolchen Verpflichtung erwähnen, ſind nicht ſo zu verſtehen, als ob über dieſen Gegenſatz entweder Streit, oder eine Verſchiedenheit des älteren und neueren Rechts, beſtanden hätte; vielmehr war die Mora allgemeine Regel, und die L. C. trat oft nachhelfend ein, da wo im einzelnen Fall die Bedingungen der Mora fehlten (§ 264. g). Ganz beſonders aber ſollten beide Ausdrücke, ohne unter ſich einen wahren Gegenſatz zu bilden, vielmehr den gemeinſamen Gegenſatz feſtſtellen gegen die auch wohl denkbare Meinung, nach welcher Früchte und Zinſen von der Zeit des Todes an zu rechnen ge -156Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.weſen wären. Dieſe Meinung ſollte durch alle jene Stellen vorzugsweiſe zurück gewieſen werden(m)L. 4 C. de us. et fruct. (6. 47 ) „ In legatis et fideicom - missis fructus post litis con - testationem non ex die mortis consequuntur, sive in rem sive in personam agatur. “.
4. Bei den perſönlichen Klagen endlich werden die Prozeßzinſen zufällig gar nicht erwähnt; die Gründe dieſer Erſcheinung ſind ſchon oben angedeutet worden. Bei den freien Klagen nämlich wurden die Prozeßzinſen oft durch die vorhergehende Mora abſorbirt, und konnten alſo nur in ſolchen Fällen zur Anwendung kommen, worin die Mora zufällig fehlte. Bei den ſtrengen Klagen aber waren die Prozeßzinſen gerade für die wichtigſte Art derſelben, die certi condictio, ausgeſchloſſen, und daher auf den engeren Kreis der übrigen Condictionen beſchränkt.
In der ſchwierigen Lehre von den Prozeßzinſen würden noch immer manche Zweifel zurück bleiben können, wenn nicht eine dem älteren R. R. angehörende Frage, die mit manchen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts in Verbindung ſteht, unterſucht und beantwortet wird. Es iſt nämlich oben bemerkt worden, daß die L. C. bei allen Klagen eine Conſumtion des Klagerechts, bei manchen perſönlichen Klagen auch eine Novation der zum Grunde liegenden Obligation zur Folge hatte: die Novation jedoch mit weit beſchränkteren Wirkungen als die, welche aus einer gewöhn - lichen, nichtprozeſſualiſchen, Novation entſprangen (§ 258). 157§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Die Frage iſt nun die: wirkte die Conſumtion und die Novation auf eine Zinſenforderung?
Dabei müſſen die oben dargeſtellten Gattungen der Zinſen genau unterſchieden werden.
A. Viele derſelben hatten gar keinen ſelbſtſtändigen Rechtsgrund, indem ſie nur entweder ein Stück einer anderen Obligation bildeten (wie das Pactum auf Zinſen neben einem b. f. contractus), oder überhaupt nicht auf einer eigentlichen Obligation, ſondern nur auf dem officium judicis beruhten (wie die Verzugszinſen und die Prozeß - zinſen).
Bei dieſen hat die Sache keinen Zweifel. Die An - ſtellung der Hauptklage conſumirte gewiß die Zinſenfor - derung, ſo daß niemals ſpäterhin eine neue Klage auf ſolche Zinſen angeſtellt werden konnte.
Eine Novation konnte für dieſe Zinſenforderungen nicht eintreten, weil ſie überhaupt nicht auf einer vorhergehenden Obligation, wenigſtens nicht auf einer ſelbſtſtändigen, beruhten.
B. Andere dagegen hatten einen ſelbſtſtändigen Ent - ſtehungsgrund, wohin namentlich die auf einer Stipulation beruhenden Zinſen (neben Darlehn, oder Stipulation, als Hauptobligation) gehörten.
Hier iſt vor Allem die oben durchgeführte Regel in Erinnerung zu bringen, daß in dieſen Fällen niemals mit Einer Klage auf Kapital und Zinſen geklagt werden konnte, ſondern ſtets mit zwei verſchiedenen Klagen, einer certi und158Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einer incerti condictio. War die Hauptobligation ein b. f. contractus, ſo waren es gleichfalls zwei verſchiedene Klagen: die b. f. actio und die incerti condictio.
Wenn nun auf das Kapital geklagt wurde, ſo konnte dieſe Klage die völlig verſchiedene Zinſenklage nicht con - ſumiren, d. h. dieſe war durch die Kapitalklage nicht in judicium deducirt.
Die in der L. C. der Hauptklage liegende Novation konnte die bereits fällig gewordenen Zinspoſten gewiß nicht tilgen, da dieſe ja ſelbſt durch baare Zahlung des Kapitals nicht getilgt worden wären. Eine andere, und zwar be - ſtrittene Frage aber iſt es, ob durch die Novation der Hauptklage die Entſtehung neuer Zinſen, alſo namentlich für die ganze Zeit des dauernden Rechtsſtreits, unmöglich gemacht wurde. Man könnte dieſes mit einigem Schein behaupten, weil ja die Zinsobligation eine acceſſoriſche Natur hat; iſt nun die Kapitalforderung durch Novation getilgt, ſo ſcheint dadurch auch der acceſſoriſche Zinſenlauf für die Folge vernichtet zu ſeyn. Indeſſen muß aus fol - gendem Grunde das Gegentheil behauptet werden.
Es giebt außer den Zinſen auch noch manche andere Acceſſionen einer Obligation: namentlich Pfänder und Bürgſchaften. Alle dieſe Acceſſionen gehen durch eine ei - gentliche, vertragsmäßige Novation, eben ſo wie durch baare Zahlung, wirklich unter. Wollte man nun dieſelbe Wirkung auch der in der L. C. liegenden Prozeß-Novation zuſchreiben, ſo würde durch die L. C. der Kläger in Nachtheil gerathen,159§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)da dieſelbe doch dazu beſtimmt iſt, ihm Vortheil zu bringen. Daher gehen durch die L. C. die Acceſſionen nicht unter. Für das Pfand iſt dieſes ausdrücklich geſagt(n)L. 11 pr. § 1 de pign. act. (13. 7 ), L. 13 § 4 de pign. (20. 1). Eben ſo iſt es mit dem privilegium dotis et tutelae. L. 29 de nov. (46. 2), wo zugleich der allgemeine Grund ausgeſpro - chen iſt.. Für die Zinſen (worauf allein es hier ankommt) ſoll es ſogleich durch ein Reſcript von Severus bewieſen werden. Nur bei den Bürgſchaften verhält es ſich anders, aber nicht wegen der Novation, ſondern aus einem ganz anderen, viel weiter greifenden Grunde, der auch bei ſolchen Klagen ein - wirkte, in welchen die L. C. nicht mit einer Novation ver - bunden war. Die Klage gegen den Bürgen hatte mit der Klage gegen den Hauptſchuldner eine und dieſelbe Intentio, war alſo mit ihr (wenn auch nicht in der Bezeichnung der Perſonen, doch objectiv) identiſch, und deswegen wurde durch die Hauptklage zugleich die Klage gegen den Bürgen in judicium deducirt und conſumirt. Dieſer Satz wird von Cicero bezeugt, und galt bis auf Juſtinian, der ihn ausdrücklich aufhob(o)Cicero ad Att. XVI. 15. L. 28 C. de fidejuss. (8. 41). Ausführlich und gründlich handelt von dieſem Satz Keller § 52, wo alle hierher gehörende Quellen - zeugniſſe angeführt ſind.. Ein ähnlicher Grund trat bei den Zinſen nicht ein, deren Lauf daher durch die L. C. über die Hauptklage nicht unterbrochen wurde.
Wenn ferner auf die Zinſen geklagt wurde, ſo wurde damit die ganze Zinſenſtipulation in judicium deducirt und conſumirt, alſo ſowohl für die verfallenen als für die noch160Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.künftig zu erwartenden Zinſen, weil beide auf einer und derſelben Stipulation beruhten, die als Obligation ein Ganzes bildete. Auf die verfallenen ſprach der Juder nun wirklich, auf die künftigen zu ſprechen hatte er gegenwärtig noch keinen Grund; da aber die Klage auf dieſelbe con - ſumirt war, ſo waren dieſe künftigen Zinſen für immer verloren. Um dieſe Gefahr zu vermeiden, mußte der Kläger eine Präſcription: cujus rei dies fuit ſeiner Klage hinzu fügen(p)Gajus IV. § 131..
Dieſe Sätze mußten voran geſchickt werden, um die Er - klärung der folgenden wichtigen Stelle vorzubereiten, die auf mancherlei Weiſe misverſtanden worden iſt: „ Judicio coepto, usurarum stipulatio non est peremta; superest igitur, ut debitorem ejus temporis quod non est in judicium deductum convenire possis “(q)L. 1 C. de jud. (3. 1) von Severus und Antoninus..
Der erſte Satz dieſer Stelle beſtätigt unmittelbar die ſo eben aufgeſtellte Behauptung, daß die Anſtellung der Kapitalklage keine Conſumtion und keine Novation für die Zinſenſtipulation bewirke, dieſe Stipulation alſo nicht zer - ſtöre. Der zweite Satz knüpft daran die Folgerung, daß auch nach angeſtellter Kapitalklage noch immer eine abge - ſonderte Zinſenklage angeſtellt werden könne. Dieſes Letzte jedoch mit der Einſchränkung, wenn nicht etwa die Klage auf die jetzt fällig gewordenen Zinspoſten durch eine ſchon früher angeſtellte Zinſenklage conſumirt ſey. Eine ſolche161§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Conſumtion aber war nicht vorhanden, ſowohl wenn noch gar nicht auf Zinſen geklagt worden war, als wenn bei einer früheren Zinſenklage die oben erklärte Präſcription angewendet war, um die Conſumtion der künftig eintretenden Zinspoſten abzuwenden(r)Mayer Litisconteſtation S. 35 — 38 behauptet, im Wider - ſpruch mit den hier aufgeſtellten Sätzen, die Kapitalklage habe durch die Novation der L. C. den ferneren Zinſenlauf zerſtört. Er verwechſelt dabei die Conſumtion und Nova - tion, ſo wie er die zwei verſchie - denen Klagen auf Kapital und Zinſen nicht unterſcheidet, und ohne Grund einen practiſchen Unterſchied zwiſchen Pfändern und Zinſen be - hauptet, welche ſelbſtgemachte Schwierigkeit er dann nicht ohne Scharfſinn zu beſeitigen ſucht durch die Unterſcheidung alter und neuer Rechtsinſtitute. Sein Hauptbeweis liegt in L. 90 de V. O. (45. 1), welche für den Fall der poenae stipulatio (einer anderen Form als das Zinsgeſchäft, aber mit ähnlichem Zweck und Erfolg) ganz richtig daſſelbe behauptet, welches in L. 1 C. de jud. für die Zinſen geſagt iſt. Er ſieht darin eine ver - ſteckte Anſpielung darauf, daß bei den Zinſen das Gegentheil gelte, trägt alſo ganz willkührlich ein ar - gumentum a contrario in die Stelle hinein..
Um die Lehre von den Prozeßzinſen ganz abzuſchließen, bleibt nur noch übrig, die Meinung neuerer Schriftſteller über den Zuſtand des heutigen Rechts in dieſer Lehre kurz anzugeben.
Neuerlich iſt von Mehreren die Zuläſſigkeit von Prozeß - zinſen gänzlich verworfen worden, indem ſie dieſelben nicht ſowohl negirt, als ignorirt haben. Sie gehen nämlich da - von aus, es gebe überhaupt, aus Veranlaſſung eines Rechtsſtreits, keine andere Zinſen als Verzugszinſen. Da nun (welches auch ich annehme) die L. C. keine Mora be - gründe, ſo könnten Prozeßzinſen, d. h. Zinſen die durch dieVI. 11162Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.L. C. als ſolche begründet würden, niemals vorkommen. Insbeſondere ſeyen ſie bei den stricti juris Contracten ganz unmöglich, weil für dieſe überhaupt keine Verzugszinſen zugelaſſen würden(s)Göſchen Vorleſungen B. 1. S. 478. — Madai Mora S. 369 bis 373. Wächter Heft 2 S. 54. 55, Heft 3 S. 24.. Das practiſch Wichtige in dieſer Meinung liegt nicht ſowohl darin, daß man den Namen der Prozeßzinſen nicht zulaſſen, ſondern nur von Verzugs - zinſen reden will, als vielmehr darin, daß in allen Fällen, in welchen die beſonderen Bedingungen einer Mora nicht vorhanden ſind, überhaupt gar keine Zinſen gelten ſollen.
Die hier vertheidigte Meinung dagegen hat zu allen Zeiten zahlreiche Anhänger gefunden. Eigentlich gehören dahin alle Schriftſteller, welche für das R. R. die Gültig - keit der Prozeßzinſen bei den ſtrengen Klagen behaupten (§ 270. p). Dieſe meinen damit in der That die allge - meine Gültigkeit der Prozeßzinſen überhaupt im gemeinen Recht, wie ſich denn namentlich Huber zur Unterſtützung ſeiner Meinung auf die heutige Praxis beruft. Außerdem aber haben ſich auch mehrere Andere von dem rein practi - ſchen Standpunkt aus für die Annahme von Prozeßzinſen als ſolchen erklärt(t)Bayer Prozeß S. 233. 234. Linde Prozeß § 200 Note 5. Daß dieſe zugleich den Anfang von der Inſinuation berechnen, anſtatt von der L. C., ändert in dem We - ſen der Sache Nichts. Von dieſer Veränderung des Anfangspunktes wird unten beſonders die Rede ſeyn..
Bei dem Oberappellationsgericht zu Lübeck, welches für die Praxis der Vier freien Städte Zeugniß giebt, werden163§. 271. Wirkung der L. C. — Prozeßzinſen. (Fortſ.)Prozeßzinſen ganz allgemein angenommen, und zwar von der Inſinuation der Klage an. In dieſem Gerichtsſprengel findet ſich ein Fall, in welchem die eigenthümliche Natur der Prozeßzinſen, verſchieden von den Verzugszinſen, beſon - ders ſcharf hervortritt. In Hamburg werden (wenigſtens nach der Meinung mancher Schriftſteller) Verzugszinſen zu Fünf, Prozeßzinſen zu Sechs Procent berechnet, ſo daß bei einer vor dem Anfang des Rechtsſtreits wirklich vorhande - nen Mora die Zinſen durch die Inſinuation um Ein Pro - cent ſteigen(u)Ich verdanke dieſe Notiz einer ſchriftlichen Mittheilung mei - nes Freundes Blume..
Der Reviſions - und Caſſationshof zu Berlin, welcher als Oberappellationsgericht für die vormals Naſſauiſchen Landestheile nach gemeinem Recht und gemeinem Prozeß entſcheidet, erkennt regelmäßig auf Prozeßzinſen von der Inſinuation an(v)Die Bezeichnung des An - fangs des Zinſenlaufs lautet ver - ſchieden: von der Inſinuation, von der Zuſtellung der Klage, von der Klage an. Es iſt überall die In - ſinuation gemeint.. In den Gründen eines Urtheils vom J. 1832 wurde hier die eigenthümliche Natur der Prozeß - zinſen, als verſchieden von den etwa ſchon vorhergegangenen Verzugszinſen, bei einer beſonderen Veranlaſſung ausdrück - lich anerkannt.
Genau dieſelbe Praxis findet ſich auch bei der Juriſten - facultät zu Berlin, die in ihrer Eigenſchaft als Spruch - collegium gleichfalls für Länder, worin das gemeine Recht gilt, Recht zu ſprechen hat(w)Auch hier kommen dieſelben.
11*164Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Preußiſche Geſetzgebung ſchließt ſich ganz an die hier aufgeſtellten Regeln des gemeinen Rechts an, nur werden die Prozeßzinſen nicht wörtlich von den Verzugs - zinſen unterſchieden, ſondern bloß als ein einzelner Fall derſelben behandelt, der jedoch bei jeder Geldforderung ſtets eintreten ſoll, wenn nicht ſchon vorher zufällig Verzugs - zinſen laufend waren. Außergerichtlich nämlich entſteht der Verzug, und durch ihn eine Zinſenforderung, durch den Eintritt eines vorbeſtimmten Zahlungstages, oder wo ein ſolcher fehlt durch Interpellation(x)A. L. R. Th. 1 Tit. 16 § 15. 16. 20. 64. 67. 68, und Tit. 11 § 827 — 829.. War nun ein ſolcher Verzug vor dem Rechtsſtreit nicht vorhanden, ſo entſteht derſelbe mindeſtens mit der Inſinuation der Klage, und von dieſer Zeit fängt dann auch der Zinſenlauf an(y)A. G. O. Th. 1 Tit. 7 § 48. d. .
Die Veränderungen in dem Gegenſtand eines Rechts - ſtreits, durch deren Eintritt eine Einwirkung der L. C. auf das materielle Rechtsverhältniß nöthig werden kann, ſind theils Erweiterungen, theils Verminderungen (§ 264). Von dieſen letzten ſoll nunmehr gehandelt werden.
(w)Varietäten vor, welche in der Note v erwähnt werden, jedoch mit überwiegender wörtlicher Erwäh - nung der Inſinuation, die oh - nehin dem Sinn nach allgemein gedacht iſt.
165§. 272. Wirkung der L. C. — Verminderungen.Auch bei ihnen kommt die oben dargeſtellte Verwandt - ſchaft und Zuſammenwirkung von drei an ſich verſchiedenen Rechtsbegriffen in Betracht: Mora, mala fides, und Litis - conteſtation, und es ſind dadurch nicht blos unter den neueren Schriftſtellern große Streitigkeiten entſtanden, ſon - dern ſelbſt in den Quellen des R. R. fehlt es nicht an verſchiedenen Meinungen, ſo wie an zweifelhaften und ſchwankenden Zeugniſſen. Ich will es verſuchen, diejenigen Regeln anzugeben, welche nach unbefangener Betrachtung und Vergleichung der Quellenzeugniſſe als letztes Reſultat aus denſelben hervorgehen.
Ehe aber die auf die Verminderungen bezüglichen Rechts - regeln aufgeſtellt werden können, iſt es nöthig, über die Natur dieſer Verminderungen ſelbſt und die verſchiedenen möglichen Gründe derſelben eine Ueberſicht zu geben.
Dahin gehört vor Allem der körperliche Untergang der Sache die den Gegenſtand eines Rechtsſtreites bildet, wohin der Tod eines Thieres, oder (bei den Römern) eines Sclaven, das Aufzehren der Sache, die durchgreifende Ver - arbeitung derſelben mit Zerſtörung ihrer bisherigen Form und Individualität, zu rechnen iſt. — Eben ſo aber auch der partielle Untergang, wenn das auf einem ſtreitigen Grund - ſtück ſtehende Gebäude einſtürzt oder abbrennt, ſo wie wenn ein Thier verwundet oder verſtümmelt wird.
Es gehört dahin ferner der Verluſt des Beſitzes einer ſtreitigen Sache, indem dadurch die Herausgabe derſelben166Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem Beklagten eben ſo unmöglich gemacht wird wie durch den Untergang.
Alle dieſe Veränderungen ſind Gegenſtände ſinnlicher Wahrnehmung, indem ſie theils den körperlichen Zuſtand einer Sache, theils deren räumliches Verhältniß zu dem Beſitzer betreffen. Daß dieſe durch die jetzt anzuſtellende Unterſuchung betroffen werden, kann keinem Zweifel unter - worfen ſeyn.
Allein es giebt noch andere, und zwar unſichtbare, Fälle der Verminderung, welche darin beſtehen, daß der Geld - werth einer Sache abnimmt, während ihre Integrität und das bisherige Beſitzverhältniß unverändert bleibt; ein Fall, der beſonders bei ſchwankenden Waarenpreiſen im Handels - verkehr Statt findet. Dieſe Veränderlichkeit des Geld - werthes kommt auch bei dem Untergang einer Sache in Betracht, indem dabei, wenn überhaupt eine Entſchädigung zu leiſten iſt, die Frage entſteht, nach welcher Zeit der Geldwerth beſtimmt werden ſoll, welche Frage weiter unten beantwortet werden wird. Von dieſer Frage nun iſt aller - dings die eben berührte verſchieden, welche dahin geht, ob, auch bei unveränderter objectiven Beſchaffenheit der Sache, die bloße Verminderung des Geldwerthes Grund einer Entſchädigung werden kann. Indeſſen ſtehen doch dieſe beiden Fragen in einem ſo nahen Zuſammenhang, daß eine gemeinſame Unterſuchung durchaus räthlich erſcheint. Für - jetzt alſo werden wir uns ganz auf die Folgen derjenigen167§. 272. Wirkung der L. C. — Verminderungen.Veränderungen beſchränken müſſen, welche blos eine ob - jective, äußerlich erkennbare Beſchaffenheit haben.
Ich will zuerſt diejenigen Regeln aufſtellen, die am wenigſten Zweifel mit ſich führen.
Wenn der Untergang oder der Beſitzverluſt einer ſtreiti - gen Sache nach der L. C. bewirkt wird durch Dolus oder Culpa des Beklagten, ſo muß dafür unbedingt Ent - ſchädigung geleiſtet werden, der Beklagte mag redlicher oder unredlicher Beſitzer ſeyn, in einer Mora ſich befinden oder nicht. Dieſes gehört unter die wichtigſten Wirkungen der L. C., und iſt eine Folge der obligatoriſchen Natur der L. C., welche den Beklagten verpflichtet, die Sache mit der größten Sorgfalt zu verwalten. — Die aufgeſtellte Regel wird in folgenden wichtigen Anwendungen anerkannt.
Eine wichtige Erweiterung erhält dieſe Regel für den Fall des unredlichen Beſitzers; dieſer ſoll auch für den in dem Zeitraum vor der L. C. begangenen Dolus oder Culpa Entſchädigung leiſten. Dieſes iſt der wahre Inhalt folgen - der, nicht ſelten unrichtig aufgefaßter, Stelle(c)L. 45 de rei vind. (6. 1) aus Ulpianus lib. LXVIII. ad ed. :168Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.„ Si homo sit, qui post conventionem restituitur(d)post conventionem heißt, ſo wie auch anderwärts, ſo viel als post litis contestationem (§ 257. u). — Die hier erwähnte Reſtitution iſt die, welche bei den arbiträren Klagen auf die Auffor - derung des Judex geſchah. Dieſe ſollte nur dann genügen, wenn Caution geſtellt wurde, daß dadurch dem Kläger eben ſo viel, wie au - ßerdem durch das Urtheil, verſchafft wurde: Daher iſt der Inhalt dieſer Caution zugleich ein Zeugniß für den Inhalt des Urtheils (§ 260 Num. 1), in welchem Sinn es auch in meiner Erklärung aufgefaßt wird., si quidem a bonae fidei possessore, puto cavendum esse de dolo solo debere: ceteros, etiam de culpa sua(e)Durch den Gegenſatz der folgenden Worte iſt es klar, daß die Culpa vor und nach der L. C. den unredlichen Beſitzer verant - wortlich machen ſoll.: inter quos erit et bonae fidei possessor post litem contestatam “(f)d. h. für diejenigen Handlungen, die er nach der L. C. begeht, die ihn alſo wegen Dolus und Culpa verantwortlich machen ſollen..
Der redliche Beſitzer, ſagt hier Ulpian, iſt verpflichtet für Dolus und Culpa einzuſtehen, die er nach der L. C. begeht, der unredliche Beſitzer auch für die vorher began - genen Handlungen ſolcher Art. Hat aber die von dem redlichen Beſitzer vor der L. C. begangene Handlung die Natur eines Dolus, ſo muß dafür allerdings auch er ein - ſtehen(g)Es ſcheint widerſprechend, daß der redliche Beſitzer eines Do - lus fähig ſeyn ſoll. Die Sache iſt aber ſo zu denken. Wenn er vor der L. C. den Sclaven manu - mittirt oder verpfändet hat, ſo war das zwar damals eine ehrliche Handlung. Wenn er ſie aber jetzt, bei der Reſtitution (die dadurch unwirkſam wird), verſchweigt, ſo macht er ſich dadurch eines Dolus ſchuldig; daher muß er Caution ſtellen, daß dergleichen nicht vor - gefallen ſey. — Wetzell Vindica - tionsprozeß S. 206 — 211 erklärt die Stelle willkührlich und gezwun - gen, indem er unter andern einen grundloſen Unterſchied zwiſchen der Eigenthumsklage und Erbrechts - klage behauptet.. — Dieſe ſtrengere Behandlung des unredlichen169§. 272. Wirkung der L. C. — Verminderungen.Beſitzers für die Zeit vor der L. C. ſcheint im Zuſammen - hang zu ſtehen mit dem oben bei den Erweiterungen er - wähnten, durch das Sc. Juventianum eingeführten, dolus praeteritus (§ 266. e. g), obgleich ſie über den Buchſtaben dieſes Ausdrucks noch hinaus geht.
Schwieriger und beſtrittener als die bisher unterſuchten Fälle der Verminderung iſt der Fall, wenn ohne Dolus und Culpa des Beklagten, alſo durch Zufall, die Ver - minderung bewirkt, z. B. die Sache zerſtört oder dem Beſitz des Beklagten entzogen wird.
Unzweifelhaft iſt es, daß in vielen Fällen dieſer Art der Beklagte Entſchädigung leiſten muß, und daß insbeſon - dere bei perſönlichen Klagen die Mora, bei Klagen in rem der unredliche Beſitz, Beſtimmungsgründe für dieſe Verpflichtung ſind. Allein theils die näheren Beſtimmungen hierüber, theils das Verhältniß der L. C. zu den beiden erwähnten Momenten, iſt in hohem Grade ſtreitig.
Unter den neueren Schriftſtellern iſt die Meinungsver - ſchiedenheit großentheils ſo zu beſtimmen. Einige ſagen, dem unredlichen Beſitz nach der L. C. ſey völlig gleiche Wirkung mit der Mora zuzuſchreiben; beide nämlich be - gründeten eine Verpflichtung zum Erſatz nur unter gewiſſen Einſchränkungen. Andere dagegen nehmen an, dieſe Ein - ſchränkungen ſeyen nur auf den unredlichen Beſitz anzu - wenden, die Verpflichtung aus der Mora dagegen ſey ganz unbedingt(a)Buchka Einfluß des Prozeſſes S. 202, wo viele Schriftſteller angeführt werden. Wächter H. 3 S. 133..
171§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)Aber nicht blos unter den Neueren iſt ein ſolcher Widerſtreit wahrzunehmen; auch bei den Römiſchen Juriſten finden ſich theils unter den Schulen, theils unter den Ein - zelnen, ſehr abweichende Meinungen(b)Keller S. 170.. Insbeſondere werden von Einzelnen extreme Meinungen nach beiden Richtungen hin, d. h. bald zu unbedingter Bejahung, bald zu unbedingter Verneinung der Verbindlichkeit zum Erſatz angeführt. Die ſpäteren großen Juriſten aber ſuchten dieſe Extreme zu einer billigen Vermittelung hinzuführen.
Die oben angedeuteten Einſchränkungen beziehen ſich auf zwei Punkte. Es ſoll, wie behauptet wird, die Ent - ſchädigung davon abhängig gemacht werden, ob der Kläger die Sache, wenn ſie nicht untergegangen wäre, verkauft haben würde; imgleichen davon, ob der jetzt eingetretene Untergang auch dann eingetreten ſeyn würde, wenn der Kläger den Beſitz der Sache früher erhalten hätte. Beide Einſchränkungen werden bald einzeln, bald in Verbindung behauptet. Bei beiden endlich kommt es noch darauf an, wer von beiden Theilen das Daſeyn oder die Abweſenheit beider thatſächlichen Bedingungen zu beweiſen hat. — Ich werde dieſe Fragen zunächſt ganz unberührt laſſen, und erſt am Schluß dieſer Unterſuchung darauf zurückkommen.
I. Bei den perſönlichen Klagen iſt die Mora das entſcheidende Moment, und hierüber ſind bei folgenden ein - zelnen Klagen ausdrückliche Beſtimmungen vorhanden.
172Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.A. Bei der Stipulation findet ſich in vielen un - zweifelhaften Stellen der unbedingte Ausſpruch, daß von der Mora an, alſo oft vor allem Rechtsſtreit, der zufällige Untergang der verſprochenen Sache den Schuldner zur Entſchädigung verpflichte(c)L. 82 § 1, L. 23 de verb. obl. (45. 1 ), L. 39 § 1 de leg. 1 (30). — Weniger direct ausge - ſprochen, aber dennoch erkennbar, findet ſich dieſelbe Regel auch in L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1 ), L. 5 § 4 de in litem jur. (12. 3 ), L. 23 de pec. const. (13. 5).. Dieſe Regel erhält ihre vollſtändige Beſtimmung durch den Gegenſatz des Rechts - zuſtandes, welcher vor der Mora, in Folge des blos ge - ſchloſſenen Vertrages, ſtattfindet. In dieſem Zeitraum haftet der Schuldner nur für denjenigen Untergang, welcher durch ſeine Abſicht, oder durch ſeine culpoſe Handlungen (nicht durch bloße Unterlaſſungen) bewirkt wird(d)L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1). Aber ſelbſt bei der abſichtlichen Veräußerung, welche hiernach ge - wiß zum Erſatz verpflichtet, kann dieſe Wirkung hinterher dadurch entkräftet werden, daß die Sache durch Zufall untergeht, indem nun die Veräußerung keinen Unterſchied mehr macht. L. 45 de verb. obl. (45. 1)..
B. Ganz derſelbe Grundſatz einer unbedingten Ver - pflichtung ſoll gelten bei allen Obligationen, auch außer der Stipulation, welche mit einer Klage auf dare opor - tere (einer Condiction) verbunden ſind(e)L. 5 de reb. cred. (12. 1). Das dare oportere iſt, hier wie in vielen anderen Stellen, die Be - zeichnung der Condictionen und zwar gerade der ſtrengeren Arten derſelben, mit Ausſchluß der auf dare facere oportere gerichteten incerti condictio. . — Eine bloße Anwendung dieſer Regel iſt es, daß der Dieb von dem Augenblick des Diebſtahls an, durch welchen er ſtets in eine Mora verſetzt wird, den zufälligen Untergang173§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)der geſtohlenen Sache erſetzen muß; denn gegen ihn geht die auf dare oportere gerichtete condictio furtiva(f)L. 20, L. 8 § 1 de cond. furt. (13. 1 ), L. 9 C. de furtis (6. 2)..
C. Bei dem Kaufcontract haftet gleifalls der Ver - käufer für den zufälligen Untergang der verkauften Sache(g)L. 4. 6 C. de peric. (4. 48)..
D. Dieſelbe Regel wird endlich auch bei Legaten erwähnt, wenn dem Erben zur Zeit des zufälligen Unter - gangs der Sache eine Mora zur Laſt fällt(h)L. 39 § 1, L. 47 § 6, L. 108 § 11 de leg. 1 (30), L. 23 de verb. obl. (45. 1)..
Es bedarf keines Beweiſes, daß in allen dieſen Fällen der Schuldner um ſo mehr zur Entſchädigung verpflichtet iſt, wenn der Untergang der ſtreitigen Sache durch ſeine Culpa, nicht durch Zufall, bewirkt wird.
Als Grund dieſer ſtrengen, durch die Mora herbeige - führten Verpflichtung wird in einer der angeführten Stellen der Umſtand angegeben, daß durch die Mora (alſo durch eine bewußte Rechtsverletzung) dem Berechtigten jede Mög - lichkeit entzogen worden ſey, die Sache zu verkaufen, wodurch er ſich gegen allen Verluſt geſchützt haben würde(i)L. 47 § 6 de leg. 1 (30)..
Wenn nun dieſe ſtrenge Verpflichtung von der Mora an behauptet werden muß, ſo wird dieſelbe in den meiſten hierher gehörenden Fällen um ſo weniger bezweifelt werden können, wenn es (ohne daß eine frühere Mora nachzuweiſen iſt) in dem Rechtsſtreit zur Inſinuation der Klage, oder174Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſogar zur L. C. gekommen iſt. Denn gerade in dieſen Fällen, bei dem Rechtsſtreit über eine beſtimmte einzelne Sache (bei welcher allein von dem Untergang die Rede iſt), wird nicht leicht ein Rechtsſtreit anfangen, ohne daß der Schuldner in einer Mora ſich befände. Beſonders wird dieſes gelten bei der Stipulation, deren formelle Natur meiſt allen Zweifel über das Daſeyn der Schuld aus - ſchließen muß(k)In dieſer Bemerkung liegt noch eine Beſtätigung der oben in § 264. d aufgeſtellten Erklärung der L. 82 § 1 de verb. obl. (45. 1 ) „ Et hic moram videtur fecisse, qui litigare maluit quam resti - tuere, “nach welcher dieſe (von der Stipulation handelnde) Stelle nicht von jeder Prozeßführung über - haupt, ſondern nur von einer fri - volen, böswilligen, zu verſtehen iſt..
Dieſe Bemerkung iſt wichtig für die Erklärung einiger anderen Stellen, in welchen leicht ein Widerſpruch gegen die aufgeſtellte Regel angenommen werden könnte. In dieſen Stellen nämlich wird geſagt, eine Verpflichtung wegen des zufälligen Unterganges ſey vorhanden von der L. C. an. Dieſes wird namentlich erwähnt bei der Sti - pulation, dem Legat, dem Depoſitum, und der Obligation aus einer in jure confessio(l)L. 8 de re jud. (42. 1 ), L. 12 § 3 depos. (16. 3 ), L. 5 de confessis (42. 2)..
Es liegt ſehr nahe, in dieſe Stellen ein argumentum a contrario hineinzutragen, ſo daß der Sinn derſelben ſeyn würde: nur von der L. C., und nicht ſchon von der Mora an. Dadurch würden dieſe Stellen in einen unauf - löslichen Widerſpruch mit den vorher angeführten zahl - reichen Zeugniſſen treten, und es würde dieſer Widerſpruch175§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)als eine aus Verſehen in die Digeſten aufgenommene Con - troverſe der alten Juriſten anzuſehen ſeyn. — Allein dieſe Erklärung iſt ſchon deswegen entſchieden zu verwerfen, weil derſelbe Pomponius in Einer Stelle die Mora, in einer andern die L. C. als unzweifelhaften Grund jener ſtrengen Verpflichtung bei der Stipulation angiebt(m)L. 5 de reb. cred. (12. 1) und L. 12 § 3 depos. (16. 3), beide aus Pomponius lib. XXII. ad Sabinum. Dabei iſt doch wohl an eine Controverſe gar nicht zu denken.. Jene ſcheinbar widerſprechende Stellen ſind alſo dahin zu vereinigen, daß die ſtrenge Verpflichtung von der Mora, und wo dieſe zufällig fehlt, von dem Rechtsſtreit anfängt, wobei nach den beſonderen Umſtänden des einzelnen Falles gerade die L. C. der Zeitpunkt ſeyn kann, in welchem der Richter die ſichere Annahme einer anfangenden Mora zuläſſig findet (§ 264. g). Vielleicht waren auch einige dieſer Äußerungen veranlaßt durch wirkliche Fälle, in welchem der Untergang zufällig in die Zeit nach der L. C. fiel, ſo daß ein Zurückgehen auf die frühere Zeit (von der Mora an) ohne practiſche Erheblichkeit war.
Außerdem aber findet ſich noch die Erwähnung, daß Sabinus und Caſſius jede Verpflichtung des Beklagten wegen des zufälligen Unterganges für unbillig und ver - werflich erklärten(n)L. 14 § 1 depos. (16. 3) „ … veluti si homo mortuus fuerit, Sabinus et Cassius, ab - solvi debere eum cum quo actum est dixerunt: quia ae - quum esset, naturalem interi - tum ad actorem pertinere: uti - que cum interitura esset ea res, etsi restituta esset actori. “ Der letzte Satz der Stelle wird unten berückſichtigt werden.. Dieſe Erwähnung einer ſo ſtark176Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abweichenden Meinung hat nur eine hiſtoriſche Bedeutung, wie denn ſelbſt der Juriſt bei dem ſie ſich findet, eine eigene Beſtätigung derſelben nicht hinzufügt.
Ich habe abſichtlich die ſchwierigſte unter den hierher gehörenden Stellen erſt zum Schluß erwähnen wollen, um nicht das Ergebniß der ſicheren Zeugniſſe durch Einmiſchung eines dunklen unnöthig zu verwirren und zu ſchwächen. Dieſe von Ulpian herrührende Stelle hat folgenden Inhalt(o)L. 14 § 11 quod metus (4. 2).. Wenn ein Sclave durch Drohungen dem Eigenthümer abgenöthigt wird, ſo hat dieſer eine actio quod metus causa auf Rückgabe des Sclaven. Stirbt nun der Sclave durch Zufall, ſo kann das geſchehen entweder nach dem rechtskräftigen Urtheil, oder vor demſelben. Im erſten Fall, ſagt Ulpian, braucht der Beklagte Nichts mehr zu bezahlen, weil er ſchon wegen der verweigerten Natural-Reſtitution den dreifachen Werth als Strafe hat entrichten müſſen, wodurch jede fernere Leiſtung abſorbirt wird. Im zweiten Fall dagegen muß er den Werth des zufällig verlornen Sclaven erſetzen(p)l. c. „ si autem ante sen - tentiam .. mortuus fuerit, te - nebitur (nämlich auf einfachen Schadenserſatz) … Itaque inter - dum hominis mortui pretium recipit. “. Dieſer zweite Fall muß nun ſo gedacht werden, daß der Untergang des Sclaven in die Zeit zwiſchen der L. C. und dem Urtheil fiel(q)Und zwar muß noch beſtimm - ter angenommen werden, daß der Tod auch vor dem Reſtitutions - befehl des Judex Statt fand, ſonſt, ſo daß dieſe Stelle in die Reihe der ſo eben ange -177§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)führten Stellen gehört, nach welchen der zufällige Unter - gang nach der L. C. zum Erſatz verpflichten ſoll(r)Ich will es nicht für un - möglich erklären, daß auch die Analogie der Eigenthumsklage hier vorgeſchwebt haben kann, indem allerdings bei den drei hier ge - nannten perſönlichen Klagen der Beklagte auch als ein unredlicher Beſitzer angeſehen werden kann, und indem die Klage quod metus eine in rem scripta iſt. — Ueber - haupt mag es dahin geſtellt blei - ben, ob das allerdings ſehr con - fuſe Ausſehen dieſer Stelle dem Verfaſſer zur Laſt fällt oder von einer ungeſchickten Behandlung der Compilatoren herrührt.. Ulpian fügt hinzu, Daſſelbe müſſe auch gelten bei den beiden Interdicten de vi und quod vi.
Wenn man übrigens die Wirkung der L. C. in der hier dargeſtellten Weiſe auffaßt, ſo iſt es einleuchtend, daß, bei dieſem Fall der ſtrengen Verpflichtung des Be - klagten, die L. C. als ſolche (d. h. durch ihre obliga - toriſche Kraft) eigentlich gar nicht für ein entſcheidendes Moment angeſehen werden kann.
II. Bei den Klagen in rem finden ſich über die Ent - ſchädigung wegen des zufälligen Untergangs folgende Ausſprüche.
A. Eigenthumsklage.
Viele ältere Juriſten hatten behauptet, durch den zu - fälligen Untergang der Sache, ſelbſt nach der L. C., werde der Beklagte durchaus nicht zum Erſatz verpflichtet. Ulpian berichtigt dieſe extreme Meinung auf folgende Weiſe(s)L. 15 § 3 de rei vind. (6. 1).. Wenn der Untergang erfolge, nachdem ſchon(q)würde wegen des Ungehorſams die Strafe des dreifachen Werthes ein - getreten ſeyn, welche ſo wie in dem erſten Fall den einfachen Schadenserſatz abſorbirt hätte. Es wäre nun eine eigentliche Mora geweſen.VI. 12178Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Judex das Recht des Klägers vorläufig anerkannt und die Natural-Reſtitution anbefohlen hatte (welches vor dem eigentlichen Urtheil geſchah § 221), ſo ſey der Beklagte allerdings zum Erſatz verpflichtet, indem nun die verzögerte Reſtitution eine wahre Mora enthalte, und daher die (oben entwickelten) Grundſätze der Mora in Obligationen anwend - bar ſeyen. Dies iſt der Sinn folgender Worte der ange - führten Stelle: „ Si servus petitus, vel animal aliud demortuum sit sine dolo malo et culpa possessoris, pretium non esse praestandum plerique ajunt. Sed est verius, si forte distracturus erat petitor si accepisset(t)Dieſe Worte werden weiter unten berückſichtigt werden., moram passo debere praestari(u)Die Mora in dieſer und der gleich folgenden Stelle wer - den gewöhnlich in dem allgemei - nen Sinn aufgefaßt, als ob ſie blos die in der Natur des Rechts - ſtreits liegende Verzögerung be - deuteten, alſo von Seiten des Be - klagten die (an ſich nicht zu ta - delnde) Prozeßführung anſtatt des freiwilligen Nachgebens. Schon an ſich iſt es unwahrſcheinlich, daß ein ſo beſtimmter und wich - tiger Kunſtausdruck in einer ſo vagen Bedeutung, völlig verſchie - den von dem wahren und techni - ſchen Sinn, gebraucht ſeyn ſollte. Seitdem wir aber die Natur der arbiträren Klagen aus Gajus kennen, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die hier erwähnte mora den Ungehorſam gegen den Reſtitutionsbefehl des Judex be - zeichnet, alſo daſſelbe, welches anderwärts contumacia heißt. L. 1. L. 2 § 1 de in litem jur. (12. 3). Ohne Zweifel iſt in dieſer Stelle von einem redlichen Beſitzer die Rede. Die Mora iſt hier übrigens im eigentlichſten Sinn zu nehmen, und zwar auf die Obligation in der L. C. zu beziehen (§ 258. v). — Die rich - tige Erklärung der mora in dieſen Stellen hat Wetzell Vindications - prozeß S. 179 — 181, der aber außerdem die Stelle gezwungen und unrichtig erklärt.: nam si ei resti - tuisset, distraxisset, et pretium esset lucratus. “
179§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)Eine Beſtätigung dieſes Ausſpruchs enthält auch die Fortſetzung derſelben Stelle(v)L. 17 § 1 de rei vind. (6. 1). in folgenden Worten: „ Idem Julianus eodem libro scribit, si moram fece - rit in homine reddendo possessor et homo mortuus sit, et fructuum rationem usque ad rei judicatae tempus spectandam esse “(w)Wenn ſogar dieſe ver - ſäumten Früchte erſetzt werden ſollen, ſo iſt gewiß vor Allem die Entſchädigung für den Werth des Sclaven ſelbſt als ein begrün - deter Anſpruch des Klägers gedacht..
Außerdem aber iſt, unabhängig von dieſer Mora und ſchon vor derſelben, der Beklagte für den zufälligen Unter - gang verhaftet, wenn er ein unredlicher Beſitzer iſt, und der Untergang nach der L. C. erfolgt(x)Vgl. die ſogleich folgende L. 40 pr. de her. pet. (5. 3), die ausdrücklich auch von der Eigen - thumsklage ſpricht. — Wenn übri - gens Paulus in L. 16 pr. de rei vind. (6. 1) ſagt: „ non enim post litem contestatam utique et fatum possessor praestare debet, “ſo reiht er ſich damit nicht etwa an die plerique an, die Ulpian in L. 15 § 3 eod. anführt und widerlegt; denn er verneint hier nur die unbedingte Erſatzverpflichtung, und dieſe ne - gative Behauptung iſt eben ſo vereinbar, mit der durch die mora neu entſtehenden Verpflich - tung (wie ſie Ulpian aufſtellt), als mit der beſonderen Verpflich - tung des unredlichen Beſitzers, (wie ſie Paulus ſelbſt in L. 40 pr. de her. pet. anerkennt)..
B. Erbrechtsklage.
Hier hatten die älteren Juriſten eine unbedingte Ver - pflichtung des Beklagten wegen des nach der L. C. ein - getretenen zufälligen Untergangs behauptet. Sie waren dazu veranlaßt worden durch die zu abſolut gefaßten Aus - drücke des Sc. Inventianum. Paulus berichtigt dieſe zu weit gehende Behauptung durch die Unterſcheidung des12*180Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.redlichen und unredlichen Beſitzers. Gegen den unredlichen Beſitzer ſey dieſe Strenge allerdings begründet, gegen den red - lichen durchaus nicht. Er fügt hinzu, ganz Daſſelbe wie bei der Erbrechtsklage, müſſe auch bei der Eigenthumsklage zur Anwen - dung kommen. — Dies iſt der Sinn folgender Worte(y)L. 40 pr. deher. pet. (5. 3). Nach einer buchſtäblichen Inter - pretation könnte man die Sache ſo auffaſſen. Bei der Eigenthums - klage werde in der That von Pau - lus zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer unterſchieden. Aber bei der Erbrechtsklage müſſe die (obgleich harte) Vorſchrift des Senatsſchluſſes auch für den redlichen Beſitzer gelten. Offen - bar will jedoch Paulus ſagen, die Härte des Scts. gegen den redlichen Beſitzer liege zwar in den Worten, aber nicht in dem Sinn deſſelben. In dieſer Hin - ſicht will er beide Klagen völlig gleich behandelt wiſſen. Die Rich - tigkeit dieſer Erklärung geht aus den Schlußworten unwiderſprech - lich hervor, die ja auf beide Kla - gen gleichmäßig paſſen.: „ quid enim, si post litem contestatam mancipia, aut jumenta, aut pecora deperierint? damnari debebit secundum verba orationis, quia potuit petitor, resti - tuta hereditate distraxisse ea. Et hoc justum esse in specialibus petitionibus Proculo placet. Cassius, contra sensit. In praedonis persona Proculus recte existimat: in bonae fidei possessoribus Cassius. Nec enim debet possessor aut mortalitatem praestare, aut propter metum hujus periculi temere indefensum jus suum relinquere. “
Es hat jedoch keinen Zweifel, auf die Erbrechtsklage auch den Fall der unbedingten Verpflichtung des Beklagten anzuwenden, welcher oben bei der Eigenthumsklage in Folge einer eigenthümlichen Art der Mora, nachgewieſen181§. 273. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)worden iſt. Denn beide Klagen waren gleichmäßig arbi - trariae, bei beiden kam eine vorläufige Anerkennung des Rechts und ein Reſtitutionsbefehl des Judex vor, und bei beiden mußte der Ungehorſam gegen dieſen Befehl gleich ſtrenge Wirkungen hervorbringen.
Es ergiebt ſich aus dieſer Zuſammenſtellung, daß in dieſen beiden Klagen die extremen Behauptungen der älteren Juriſten ſpäterhin zu einer billigen Mitte, die eine von Ulpian, die andere von Paulus, hingeführt worden ſind.
Zugleich geht aus der hier gegebenen Darſtellung für die eigenthümliche Wirkung der L. C. als ſolcher Fol - gendes hervor. In dem Fall der beſonderen Mora (des Ungehorſams gegen den Reſtitutionsbefehl) iſt die L. C. ſelbſt gar kein entſcheidendes Moment; ſie iſt nur mittel - bar wichtig, indem gerade durch ihre vorhergehende Voll - ziehung der nachher eintretende Ungehorſam die Natur einer wahren Mora annimmt. Dagegen iſt im Fall des unredlichen Beſitzes die L. C. als ſolche das Entſchei - dende; dieſer Fall iſt daher der einzige überhaupt, von welchem man behaupten kann, daß der Zeitpunkt der L. C. die Verpflichtung des Beklagten für jeden nachher ein - tretenden zufälligen Untergang beſtimmt.
C. Man kann dieſen Klagen in rem auch noch die actio ad exhibendum hinzufügen, welche zwar eine per - ſönliche Klage iſt, aber doch großentheils nach den Regeln der Eigenthumsklage beurtheilt wird. Auch bei dieſer Klage wird eine Verpflichtung des Beklagten wegen des182Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zufälligen Untergangs ausgeſprochen, jedoch ohne nähere Angabe der Gränzen derſelben(z)L. 12 § 4 ad exhib. (10. 4) „ interdum .. damnandus est. “ Mit dieſem Ausdruck wird auf beſchränkende Bedingungen der Ver - pflichtung hingedeutet, ohne dieſe näher zu bezeichnen. Ohne Zwei - fel ſind es dieſelben Bedingungen wie bei der Eigenthumsklage: alſo entweder der unredliche Beſitz des Beklagten, oder deſſen Mora, d. h. der Ungehorſam gegen den Exhibitionsbefehl des Judex, in - dem auch dieſe Klage unter die arbiträren gehört..
Fragen wir zuletzt, welche unter den bisher aufge - ſtellten Regeln auch noch im heutigen Recht anwendbar ſind, ſo kann die Antwort kaum zweifelhaft ſeyn. — Die allgemeine Verpflichtung des im Zuſtand der Mora befind - lichen Schuldners iſt unbedenklich anwendbar. Eben ſo auch die Verbindlichkeit des unredlichen Beſitzers bei den Klagen in rem von der L. C. an. Dagegen kann die eigenthümliche Art der Mora bei der Eigenthumsklage und der Erbrechtsklage bei uns nicht mehr vorkommen, da ſie durch das ganz beſondere, für uns ſpurlos verſchwundene, Prozeßverfahren bei den arbiträren Klagen des R. R. bedingt iſt. Bei uns kann daher der Fall gar nicht mehr eintreten, in welchem das R. R. den Beklagten wegen einer ſolchen eigenthümlichen Mora, nämlich wegen des Ungehorſams gegen den vor dem Urtheil erlaſſenen Reſti - tutionsbefehl, den zufälligen Untergang zu vergüten ver - pflichtete.
Das Preußiſche A. L. R. ſchließt ſich hier im Allge - meinen dem R. R. an. Es verpflichtet zur Vergütung183§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)des Zufalls nicht jeden Beklagten überhaupt, obgleich dem - ſelben von der Inſinuation an ein fingirter unredlicher Beſitz zugeſchrieben wird, ſondern nur allein den eigent - lich unredlichen Beſitzer, alſo den, welcher wirklich weiß, daß er mit Unrecht beſitzt(aa)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 241. Der „ eigentlich unred - liche Beſitzer “iſt hier allerdings zunächſt geſagt im Gegenſatz des unrechtfertigen (§ 240), der hierin gelinder behandelt werden ſoll. Wenn aber ſchon der unrechtfer - tige, deſſen Bewußtſeyn doch immer etwas fehlerhaft iſt, von dieſer ſtrengen Verpflichtung frei ſeyn ſoll, ſo muß dieſelbe Befreiung um ſo mehr demjenigen gebühren, dem blos die fingirte Unredlich - keit wegen der Inſinuation (§ 222) zugeſchrieben werden kann, und deſſen Bewußtſeyn daneben viel - leicht vollkommen tadellos iſt. Inſofern bezeichnet das eigent - lich auch (wenigſtens indirect) einen Gegenſatz gegen den § 222. — Von der Einſchränkung am Schluß des § 241 wird im folgenden § die Rede ſeyn.. Dieſelbe Verpflich - tung aber trifft auch den Schuldner, der mit der Ueber - gabe einer Sache im Verzug ſich befindet(bb)A. L. R., Th. 1 Tit. 16 § 18.. — Es findet ſich hier zwiſchen beiden Rechten völlige Ueberein - ſtimmung, nur unter verſchiedenen Ausdrücken, wie ſie aus der Verſchiedenheit der allgemeinen Auffaſſung her - vorgehen mußte.
Ich wende mich jetzt zu der oben (§ 273) ausgeſetzten Frage wegen der angeblichen Einſchränkungen der ſtrengen Erſatzverbindlichkeit des Beklagten.
184Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.I. Die erſte dieſer Einſchränkungen wird darin geſetzt, daß der Kläger die ſtreitige Sache, wenn ſie ihm zu rechter Zeit gewährt worden wäre, verkauft und eben dadurch jeden Schaden für ſein Vermögen abgewendet haben müßte. Natürlich wird dabei hinzugedacht, daß der Kläger beweiſen müſſe, er würde verkauft haben.
Betrachten wir zuerſt dieſe Frage im Allgemeinen, nach der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes, ſo muß uns jene Behauptung ſehr bedenklich erſcheinen. Wer einem Andern eine Sache zu geben ſchuldig iſt, und dieſes mit wahrer Mora unterläßt, begeht dadurch ein Unrecht mit Bewußtſeyn, welches unter andern die Folge hat, daß dem Creditor einſtweilen der Verkauf der Sache unmöglich gemacht wird(a)Nämlich factiſch unmöglich faſt immer, ſo lange der Beſitz (vielleicht auch das zu verſchaffende Eigenthum) dem Kläger entzogen iſt; zuweilen auch juriſtiſch un - möglich, während des Rechtsſtreits, wegen der Vorſchriften über das litigiosum.. Für dieſen Nachtheil kann er dem Gegner im Fall eines zufälligen Untergangs nur dadurch wahren, vollſtändigen Erſatz leiſten, daß er ihm den Werth der Sache bezahlt. Dabei erſcheint alſo die entzogene Möglichkeit des Verkaufs als Motiv der ſtrengen Ver - pflichtung. Durch die oben angegebene Behauptung ſoll nun dieſes Motiv in eine Bedingung verwandelt werden, ſo daß der Kläger nur dann einen Erſatz fordern könnte, wenn er bewieſe, daß er von jener Möglichkeit Gebrauch gemacht, alſo in der That verkauft haben würde. Dadurch wird aber die ganze Regel ſo gut als völlig entkräftet. 185§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)Denn der Beweis, daß der Kläger unter einer gewiſſen (jetzt fehlenden) Vorausſetzung Etwas gethan haben würde, iſt ſchon an ſich als eigentlicher Beweis unmöglich, ſo daß Diejenigen, die ihn dennoch fordern, anſtatt des Beweiſes eine gewiſſe factiſche Wahrſcheinlichkeit anzunehmen ge - nöthigt ſeyn werden, die doch in der That kein Beweis iſt(b)Allerdings giebt es Fälle, worin es factiſch größere Wahr - ſcheinlichkeit hat, daß der Kläger verkauft haben würde: namentlich wenn der Kläger Kaufmann iſt, und Waaren einklagt, die zu ſei - nem Handelsgeſchäft gehören. Aber auch in dieſem Fall bleibt es noch ungewiß, ob er vor dem eingetre - tenen Untergang Käufer zu den von ihm geſtellten Preiſen gefunden hätte.. Beſonders einleuchtend iſt Dieſes gerade in dem vorliegenden Fall, indem ſelbſt derjenige, der zu einem Verkauf entſchiedene Neigung hätte, einen Käufer nicht wird ſuchen und finden können, ſo lange ihm der Beſitz der Sache (bei perſönlichen Klagen auf Tradition ſogar das Eigenthum) fehlt. Nach dieſer allgemeinen Betrachtung müſſen wir alſo den für den Kläger verhinderten Verkauf als Motiv der ganzen Rechtsregel, nicht als Bedingung ihrer Anwendung, betrachten.
Sehen wir nun zu, in welcher Weiſe das R. R. dieſe Frage auffaßt.
A. Für den Fall der Mora bei den perſönlichen Klagen ſagen die meiſten unter den zahlreichen Stellen des R. R. hierüber gar Nichts. Sie ſprechen die unbedingte Verpflichtung des Beklagten zum Erſatz für den zufälligen Untergang aus, ohne irgend eine Ausnahme, ohne Erwäh - nung eines dem Kläger verhinderten Verkaufs.
186Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eine einzige unter dieſen zahlreichen Stellen, die von Ulpian herrührt, erwähnt den Verkauf, und zwar in folgenden Worten(c)L. 47 § 6 de leg. 1 (30) aus Ulpianus lib. XXII. ad Sa - binum. : „ Item si fundus chasmate periit, Labeo ait, utique aestimationem non deberi: quod ita verum est, si non post moram id evenerit: potuit enim eum ac - ceptum legatarius vendere. “
Hier iſt die Sache genau ſo aufgefaßt, wie ich ſie ſo eben nach allgemeiner Betrachtung zu begründen geſucht habe. Die Verpflichtung zum Erſatz, von der Zeit der Mora an, wird unbedingt ausgeſprochen. Als Motiv der Verpflichtung wird die bloße Möglichkeit des Verkaufs angegeben; nicht aber wird die hypothetiſche Wirklichkeit des Verkaufs in eine Bedingung verwandelt, ohne deren Beweis die Ver - pflichtung nicht gelten ſollte.
Allerdings kann außer der ſo eben angeführten Stelle des Ulpian auch noch die ſchon oben angeführte, ſehr ver - worrene, Stelle deſſelben Juriſten über die actio quod metus causa in Betracht kommen, die von einer perſönlichen Klage, und in derſelben von den Wirkungen der Mora, oder der die Mora vertretenden L. C. ſpricht(d)L. 14 § 11 quod metus (4. 2). Vgl. oben § 273.. Allein dieſe Stelle iſt durch die zweideutige Unbeſtimmtheit ihres Aus - drucks für die vorliegende Streitfrage ganz unentſcheidend. Sie lautet ſo:187§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)„ Itaque interdum hominis mortui pretium recipit, qui eum venditurus fuit, si vim passus non esset. “
Das qui kann hier ſprachlich eben ſowohl den Sinn von quia, als von si haben. Es kann alſo heißen: „ weil er ihn vielleicht verkauft haben wird, “als „ wenn er ihn etwa verkauft haben wird. “ Die Stelle beweiſt alſo Nichts, weil ſie für beide Meinungen ausgelegt werden kann. Am wenigſten beweiſt ſie für die Annahme der Bedingung, weil derſelbe Ulpian in der unmittelbar vorher angeführten Stelle den Verkauf nicht als Bedingung, ſondern als Motiv aufgefaßt hat, welche Auffaſſung alſo auch in der gegenwärtig vorliegenden Stelle bei ihm für den Fall der Mora (oder L. C.) in perſönlichen Klagen vorauszuſetzen iſt.
B. Genau auf dieſelbe Weiſe wird von Paulus bei den Klagen auf Erbrecht oder Eigenthum die Verpflichtung des unredlichen Beſitzers von der L. C. an behandelt(e)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). Vgl. § 273.: „ post acceptum judicium .... damnari debebit se - cundum verba orationis, quia potuit petitor, restituta hereditate, distraxisse ea. Et hoc justum esse in specialibus petitionibus Proculo placet … In prae - donis persona Proculus recte existimat. “
Auch hier wieder iſt die vorausgeſetzte allgemeine Möglichkeit des Verkaufs als Motiv einer unbedingten Verpflichtung ausgedrückt, und es iſt daraus nicht eine einſchränkende Bedingung für den Fall eines wirklichen Verkaufs gemacht.
188Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.C. Bei den Klagen in rem, in welchen die ſtrenge Ver - pflichtung des Beklagten durch die dieſen Klagen eigen - thümliche Art der Mora (den Ungehorſam gegen den Reſtitutionsbefehl) begründet wird, drückt ſich Ulpian ſo aus(f)L. 15 § 3 de rei vind. (6. 1) aus Ulpianus lib. XVI. ad ed. Vgl. § 273.: „ Sed est verius, si forte distracturus erat petitor si accepisset, moram passo debere praestari: nam si ei restituisset, distraxisset, et pretium esset lucratus. “
Hier iſt allerdings ein Ausdruck gebraucht, der ein Bedingungsverhältniß bezeichnet. Wollten wir nun deshalb einen Widerſpruch mit den vorhergehenden Stellen an - nehmen, ſo würde Dieſes dadurch ſehr bedenklich werden, daß eine dieſer Stellen gleichfalls von Ulpian herrührt. Wollten wir, um dieſem Widerſpruch zu entgehen, an - nehmen, es habe hierin bei der Mora in den Klagen in rem ein anderes Recht gegolten, als bei der Mora in Obliga - tionen und bei dem unredlichen Beſitzer, ſo würde dieſe Vorausſetzung kleinlich und unwahrſcheinlich ſeyn.
Dieſen Schwierigkeiten können wir jedoch durch folgende Erklärung der zuletzt angeführten Stelle entgehen, die zugleich eine vermittelnde Natur für die ganze hier vor - liegende Controverſe hat. Si forte distracturus erat heißt wörtlich: „ wenn es als eine Möglichkeit erſcheint, daß er verkauft hätte “(alſo forte für: möglicherweiſe). Geſetzt nun, der Beklagte könnte in einem einzelnen Fall den189§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)Beweis führen, daß der Kläger gewiß nicht verkauft haben würde, ſo wäre durch dieſen Beweis (der freilich nur höchſt ſelten zu führen ſeyn wird und darum practiſch ziemlich unerheblich iſt) die Möglichkeit des Verkaufs ausgeſchloſſen, worauf doch die ganze Verpflichtung beruhen ſoll. Dieſe Einſchränkung könnte dann ohne Gefahr auch in die anderen Fälle hinein getragen werden, in welchen die Möglichkeit nur als Motiv, nicht als Bedingung aus - gedrückt iſt. Daß ſie bei dieſen Fällen nicht erwähnt wird, erklärt ſich befriedigend aus der ſchon erwähnten ſeltenen Anwendbarkeit. Aus demſelben Umſtand erklärt es ſich auch, daß ſo viele Stellen über die Mora in Obligationen die Verpflichtung des Schuldners zur Vergütung des zufälligen Untergangs unbedingt ausſprechen, dadurch alſo gar keinen Raum für irgend eine Art der Einſchränkung zu laſſen ſcheinen. — Zugleich würde dieſe Erklärung auch auf die ſchwierige Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa (Note d) Anwendung finden, und jeden Schein eines Widerſpruchs derſelben mit den übrigen Stellen beſeitigen. — Ein Beiſpiel des (immerhin höchſt ſeltenen) Beweiſes des Beklagten wäre etwa Folgendes. Ein Lehn - oder Fidei - commißgut oder auch ein fundus dotalis wird gegen einen unredlichen Beſitzer vindicirt. Ein Blitzſtrahl (alſo der Zufall) verzehrt die Gebäude durch Feuer. Hier läßt ſich die Möglichkeit des Verkaufs durch die unveräußerliche Natur des Grundſtücks widerlegen. Aber ſelbſt ohne die Vor - ausſetzung eines aus Rechtsgründen unveräußerlichen Ge -190Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genſtandes läßt ſich der Beweis der unmöglichen Veräußerung denken; wenn z. B. der Kläger in der ganzen Zeit, worin die Mora oder der unredliche Beſitz des Beklagten beſtand, in weiter Entfernung von der Heimath gelebt hat, ohne einen Bevollmächtigten zurück zu laſſen, der in ſeinem Namen den Verkauf hätte vornehmen können.
Nimmt man dieſe Erklärung an, ſo würde ſich für alle Fälle der ſtrengen Verpflichtung die Sache ſo ſtellen. Die Verpflichtung wäre in ſofern unbedingt, daß der Kläger, um ſie geltend zu machen, niemals einen beſonderen Beweis zu führen hätte. Grund der Verpflichtung wäre die dem Berechtigten entzogene Möglichkeit die ſtreitige Sache vorher zu verkaufen, und dadurch jeden Schaden von ſeinem Ver - mögen abzuwenden. Dieſe Möglichkeit verſteht ſich im Allgemeinen von ſelbſt, und nur in den ſeltenen Fällen, worin der Beklagte beweiſt, daß die Möglichkeit nicht vorhanden war, fällt auch die durch ſie begründete Ver - pflichtung zur Entſchädigung hinweg.
II. Die zweite Einſchränkung hat den Sinn, daß der zufällige Untergang nicht zum Erſatz verpflichten ſoll, wenn er auch den Kläger als Beſitzer getroffen haben würde, ſondern nur dann, wenn er eine Folge des unrecht - mäßigen Beſitzes des Beklagten war(g)Wenn ein Grundſtück durch einen Erdſturz untergeht (Note c), ſo iſt Dieſes ein Ereigniß, welches ohne Unterſchied des Beſitzers ein - getreten wäre; eben ſo wenn ein Gebäude durch einen Blitzſtrahl eingeäſchert wird. Wenn dagegen eine eingeklagte bewegliche Sache mit dem ganzen Hauſe des Be - klagten verbrennt, ſo iſt dieſer Unter -.
191§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)Betrachten wir auch dieſe Einſchränkung zuerſt im All - gemeinen, nach der Natur des vorliegenden Rechtsverhält - niſſes. Eine ſcheinbare Rechtfertigung derſelben liegt in dem Umſtand, daß in dem erſten der beiden angegebenen Fälle der Kläger durch den vorenthaltenen Beſitz keinen bleibenden Nachtheil erlitten zu haben ſcheint, indem ſein Vermögen nach eingetretenem Untergang denſelben Umfang haben würde, der Beſitz möchte ihm vorenthalten worden ſeyn oder nicht.
Allein dieſer Schein verſchwindet, wenn man die er - wähnte Einſchränkung mit der ſo eben verſuchten Erörterung der erſten Einſchränkung zuſammenhält. Denn auch wenn der Untergang ſo allgemeiner Natur iſt, daß er überall Statt gefunden haben würde, ſo iſt doch nicht die Mög - lichkeit abzuleugnen, daß der Kläger hätte rechtzeitig ver - kaufen und dadurch von ſeinem Vermögen allen Verluſt abwenden können. Gerade auf dieſer entzogenen Möglich - keit aber beruht, wie oben gezeigt worden iſt, die ſtrenge Verpflichtung des Beklagten überhaupt.
Fragen wir jetzt, was in den Quellen des R. R. über dieſe zweite Einſchränkung vorkommt.
Alle klare und entſcheidende Stellen, welche oben für die Feſtſtellung der ſtrengen Regel ſelbſt benutzt worden ſind, ſchweigen darüber gänzlich. Wenn alſo in vielen(g)gang der ſtreitigen Sache eine Folge davon, daß eben dieſer Beklagte ſie beſaß. — Allerdings werden aber auch in dieſer Hinſicht viele Fälle unentſchieden in der Mitte liegen bleiben.192Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Stellen unbedingt ausgeſprochen wird, daß bei der Stipu - lation der Schuldner durch die Mora verpflichtet werde, den zufälligen Untergang der verſprochenen Sache zu ver - güten, ohne irgend eine[Erwähnung] jener Einſchränkung, ſo würden wir durch Annahme der Einſchränkung wenig - ſtens mit dieſen Stellen in entſchiedenen Widerſpruch treten, und es würde ſehr klarer, unzweideutiger Zeugniſſe bedürfen, wenn wir auch nur zu einem Zweifel, und zu dem Verſuch einer Vereinigung der ſcheinbar widerſprechen - den Stellen veranlaßt werden ſollten. Ganz eben ſo ver - hält es ſich mit der ſtrengen Verpflichtung des unredlichen Beſitzers, ſo wie mit der eigenthümlichen Art der Mora bei den Klagen in rem.
Was wir nun in der That über jene angebliche Ein - ſchränkung im R. R. finden, läßt ſich auf folgende Äuße - rungen zurück führen.
A. Bei der actio ad exhibendum iſt ſchon oben der Satz vorgetragen worden, daß der zufällige Untergang der Sache nach der L. C. den Beklagten zuweilen zur Ent - ſchädigung verpflichte, welches ſo zu verſtehen iſt, daß die ſtrenge Verpflichtung unter denſelben Bedingungen ein - treten ſoll, wie bei der Eigenthumsklage (§ 273. z). Dieſem Ausſpruch fügt Paulus folgende Worte hinzu(h)L. 12 § 4 ad exhib. (10. 4).: „ Tanto magis, si apparebit, eo casu mortuum esse, qui non incidisset, si tum exhibitus fuisset. “
In dieſen Worten liegt Nichts als eine beſondere Be -193§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ)kräftigung des Ausſpruchs für den hier bezeichneten Fall: es liegt aber darin keinesweges die Erklärung, daß das Gegentheil gelten ſolle, wenn der Untergang auf andere Weiſe erfolgt ſey. Eine Einſchränkung der ſtrengen Ver - pflichtung liegt in dieſen Worten durchaus nicht.
B. Bei der actio depositi war von Sabinus und Caſſius jede Verpflichtung des Depoſitars zum Erſatz des zufälligen Untergangs ſchlechthin verneint worden, welche Meinung von Gajus blos hiſtoriſch, ohne Billi - gung, erwähnt wird, und auch von den ſpäteren Juriſten, ſo wie ſpäterhin in der Compilation, verworfen worden iſt (§ 273. n). Dieſe verworfene ältere Meinung bekommt am Schluß der Stelle noch folgenden Zuſatz(i)L. 12 § 4 depos. (16. 3).: „ utique, cum interitura esset ea res, etsi restituta esset actori. “
Dieſe Worte laſſen eine doppelte Auslegung zu. Sie können heißen: die Verneinung ſey beſonders außer Zwei - fel in dieſem Fall (obgleich ſie auch außerdem wahr und richtig ſey). Sie können aber auch ſo verſtanden werden: die Verneinung ſey nur in dieſem Fall ſchlechthin wahr (anſtatt daß in anderen Fällen etwa noch Ausnahmen zu - gelaſſen werden könnten). Für das in der Compilation anerkannte, geltende Recht ſind dieſe Worte in jedem Fall ganz gleichgültig, da ſie ſich blos auf eine verworfene ältere Meinung beziehen: nach der einen Erklärung alsVI. 13194Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bekräftigung dieſer Meinung, nach der anderen als Ein - ſchränkung derſelben.
C. Endlich bleibt noch die öfter erwähnte ſehr ver - worrene Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa übrig(k)L. 14 § 11 quod metus (4. 2). Vgl. oben § 273.. Darin wird geſagt, bei dem zufälligen Untergang während des Rechtsſtreits ſey der Beklagte zum Erſatz verpflichtet: „ si tamen peritura res non fuit, si metum non ad - hibuisset, tenebitur reus “(l)Vollſtändig lautet der hier - her gehörende Theil der Stelle ſo: Nachdem zuerſt geſagt war, für einen Sclaven, der ohne Schuld des Beklagten entlaufen ſey, habe der Beklagte blos Caution zu ſtellen, fährt Ulpian fort: „ Sed et si non culpa ejus cum quo agetur obierit, si tamen per - itura res non fuit, si metum non adhibuisset tenebitur reus. “ Die hier curſiv gedruckten Worte ſind aus Haloander genommen, und geben folgenden Sinn. Vorher war die Rede geweſen von dem entlaufenen Sclaven („ Ergo si in fuga sit servus sine dolo malo et culpa ejus cum quo agetur, cavendum esse “rel). — Dagegen bildet den Gegenſatz der Fall des verſtorbenen Sclaven („ Sed et si … obierit “). — Die Leſeart der Florentina und der Vulgata: „ Sed et si non culpa ab eo cum quo agetur aberit “giebt durchaus keinen erträglichen Sinn..
In dieſen Worten ſcheint allerdings, nach einem ſehr nahe liegenden argumentum a contrario, für den entgegen - geſetzten Fall (wenn die Sache in jedem Fall untergegangen wäre, z. B. bei dem natürlichen Tode des Sclaven vor Alter) jede ſtrenge Verpflichtung des Beklagten verneint zu werden, und Dieſes iſt in der That die einzige ſcheinbare Stütze der hier bekämpften Meinung. Es ſcheint mir je - doch aus folgenden Gründen durchaus unzuläſſig, den ſo195§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)eben mitgetheilten Ausſpruch dieſer Stelle zum Grunde einer allgemeinen Regel zu legen, und daraus für alle Klagen überhaupt eine ſolche Einſchränkung der ſtrengen Verpflich - tung des Beklagten zu conſtruiren. Die entſcheidendſten und unzweifelhafteſten Stellen über dieſe ſtrenge Verpflichtung, ſo - wohl bei den wichtigſten obligatoriſchen Verträgen, als bei den Klagen auf Eigenthum und Erbrecht, ſtellen die ſtrenge Verpflichtung unbedingt, ohne eine ſolche Ein - ſchränkung, auf, ſtehen alſo mit derſelben in Widerſpruch. Die Einſchränkung müßte in dieſelben aus der ange - führten Stelle erſt hinein getragen werden, und dazu iſt dieſe Stelle keinesweges geeignet. Der verworrene Inhalt derſelben iſt ſchon oben bemerklich gemacht worden. Be - ſonders von dem hier einſchlagenden Stück läßt ſich zwar einigermaßen errathen und vermuthen, in welchen beſonderen Fall, in welchen Theil des Prozeſſes es eingreifen möge, eine ſichere Behauptung iſt darüber nicht möglich. Dazu kommt noch, daß dieſe ganze Stelle von der actio quod metus causa handelt, einer für den Zuſammenhang des ganzen Rechtsſyſtems wenig erheb - lichen Klage. Eine bei dieſer gelegentlich eingeſtreute Be - merkung darf nicht maaßgebend gemacht werden für den ganzen Umkreis aller Klagen überhaupt. Ein ſolches Ver - fahren würde den richtigen Grundſätzen über den Aufbau des Rechtsſyſtems aus den Quellenzeugniſſen, alſo dem wahren Verhältniß zwiſchen Syſtem und Exegeſe, gänzlich widerſprechen.
13*196Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Erwägt man nun das oben erörterte Verhältniß beider Einſchränkungen zu einander, ſo ergiebt ſich daraus das folgende practiſche Reſultat.
Nimmt man dieſes Verhältniß zwiſchen beiden Sätzen an, ſo erſcheint dann das, welches als eine zweite Ein - ſchränkung oben aufgefaßt und geprüft wurde, vielmehr als eine Ausnahme der erſten, nunmehr einzigen, Ein - ſchränkung der ſtrengen Verpflichtung des Beklagten. Beide Sätze laſſen ſich alsdann in die gemeinſame Formel zuſammen faſſen, deren Natürlichkeit und Billigkeit nicht zu verkennen iſt: die ſtrenge Verbindlichkeit des Beklagten zum Erſatz197§. 274. Wirkung der L. C. — Verminderungen. (Fortſ.)für den zufälligen Untergang leidet alsdann eine Aus - nahme, wenn der Kläger, ſelbſt im Fall des ihm recht - zeitig eingeräumten Beſitzes der ſtreitigen Sache, nicht im Stande geweſen wäre, den Verluſt von ſich ab - zuwenden.
Dieſe Auffaſſung der Sache ſtimmt mit der ſchwierigen Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa inſofern überein, als auch in dieſer Stelle beide Sätze neben einander genannt werden. Ich will keinesweges behaupten, daß in derſelben gerade dasjenige logiſche Verhältniß beider Sätze zu einander ausgeſprochen ſey, welches ich hier angenommen habe. Aber ich muß auch ſehr bezweifeln, daß es jemals gelingen werde, in jener Stelle irgend eine andere practiſche Bedeutung der beiden Sätze klar und ſicher nachzuweiſen.
Das Preußiſche A. L. R. behandelt dieſen Gegenſtand in folgender Weiſe.
Die Möglichkeit des Verkaufs von Seiten des Klägers, wodurch Dieſer jeden Schaden von ſeinem Vermögen hätte abwenden können, wird hier ganz mit Stillſchweigen über - gangen. Dagegen wird die andere Frage aufgefaßt, ob der Zufall die Sache im Beſitze des Eigenthümers ebenfalls würde getroffen haben; dieſer Umſtand ſoll die Vergütung ausſchließen. In einem älteren Entwurf war Dieſes in der Art beſtimmt worden, daß der Kläger beweiſen ſolle, ihn würde der Zufall nicht betroffen haben. Späterhin iſt198Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.es dahin abgeändert worden, daß der Beklagte die Thatſache zu beweiſen hat, wovon ſeine Befreiung ab - hängt(n)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 241. Vgl. Simon Zeitſchrift B. 3 S. 328. 329..
Es gilt jedoch eine Ausnahme dieſer Ausnahme, alſo die unbedingte Nothwendigkeit der Vergütung, wenn der unredliche Beſitz des Beklagten durch eine ſtrafbare Handlung erworben wurde(o)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 242. Vgl. Simon S. 332 Num. 12 (Bemerkung von Suarez)., womit hauptſächlich der Diebſtahl gemeint iſt.
In den Fällen, worin der Beklagte eine Verminderung in dem Gegenſtande des Rechtsſtreits zu vergüten hat (§ 272 — 274), iſt ſtets eine Schätzung in Gelde erforder - lich. Dieſelbe iſt nöthig bei jeder objectiven Verminderung, ohne Unterſchied ob dieſe in einer totalen oder partiellen Zerſtörung des Gegenſtandes, oder in dem (der Zerſtörung gleich wirkenden) Verluſt des Beſitzes beſteht. Wie, auch ohne objective Verminderung, die bloße Veränderung des Preiſes zu behandeln iſt (§ 272), wird am Schluſſe unter - ſucht werden. Ich beſchränke mich zunächſt noch auf den Fall der objectiven Verminderung, und will jetzt verſuchen,199§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.den Zeitpunkt feſtzuſtellen, für welchen die Schätzung des zu vergütenden Werthes vorzunehmen iſt.
Die Frage nach dieſem Zeitpunkt hatte für das mittlere R. R. eine viel ausgedehntere Anwendung und Wichtigkeit als für das älteſte, ſo wie für das Juſtinianiſche und heu - tige Recht. Da nämlich in der Zeit des Formularprozeſſes alle Verurtheilung nur auf baares Geld gerichtet werden durfte(a)Gajus IV. § 48., ſo war damals eine Schätzung in Geld auch da nöthig, wo der urſprüngliche Gegenſtand des Rechts - ſtreits gar keine Verminderung erlitten hatte; im Juſtinia - niſchen und heutigen Recht dagegen, ſo wie in der älteſten Zeit, iſt die Schätzung nur im Fall einer ſolchen Vermin - derung erforderlich, weil außerdem das Urtheil auf den ur - ſprünglichen Gegenſtand ſelbſt unmittelbar gerichtet wird.
Ich will eine Ueberſicht der für den Zeitpunkt der Schätzung geltenden Regeln voraus ſchicken; dadurch wird es leichter werden, die nicht geringen Schwierigkeiten zu überwinden, die mit der Begründung jener Regeln durch die Ausſprüche unſrer Rechtsquellen verbunden ſind.
Der Regel nach iſt zu unterſcheiden zwiſchen den ſtren - gen und freien Klagen. Bei den ſtrengen richtet ſich die Schätzung nach der Zeit der L. C., bei den freien nach der Zeit des rechtskräftigen Urtheils.
Zwei Ausnahmen ſind auf beide Regeln anzuwenden. Wenn durch Vertrag eine beſtimmte Zeit der Erfüllung für eine Obligation vorgeſchrieben war, ſo iſt dieſe Zeit200Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch für die Schätzung maaßgebend. — Wenn ſich der Schuldner in Mora befindet, ſo hat der Gläubiger die Wahl, ob die Schätzung nach den oben angegebenen regel - mäßigen Zeitpunkten, oder vielmehr nach dem Anfangspunkt der Mora, vorgenommen werden ſoll; natürlich wird er den Zeitpunkt wählen, der auf die höhere Summe führt. In einem einzelnen Fall (bei dem Diebſtahl) kommt ſogar eine noch ſtrengere Behandlung des Schuldners zur Anwendung.
Alle dieſe Regeln gelten jedoch nur für die perſönlichen Klagen aus Rechtsgeſchäften (Verträgen und Quaſicontrac - ten), ſo wie für die Klagen in rem; für die perſönlichen Klagen aus Delicten ſind andere Regeln anzuwenden, in - dem ſich bei ihnen die Schätzung mehr an die Zeit des begangenen Delicts anſchließt.
Die hier zuſammengeſtellten Vorſchriften ſollen nunmehr im Einzelnen dargeſtellt, und zugleich durch quellenmäßige Zeugniſſe begründet werden.
Für die als Regel an die Spitze geſtellte Unterſcheidung der ſtrengen und freien Klagen findet ſich eine ſo klare und principielle Entſcheidung in folgender Stelle des Ulpian(b)L. 3 § 2 commod. (13. 6) aus Ulpianus lib. XXVIII. ad ed. Die Stelle ſpricht zunächſt vom Commodat, knüpft aber daran ei - nen durchgreifenden allgemeinen Grundſatz., wie ſie in vielen anderen Rechtslehren nicht anzutreffen iſt, wo eine ſolche vielmehr erſt aus der Beurtheilung einzelner Rechtsverhältniſſe abſtrahirt werden muß: „ In hac actione, sicut in ceteris bonae fidei judiciis,201§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.similiter in litem jurabitur: et rei judicandae(c)Die Vulgata lieſt judica - tae; beide Leſearten ſind gleich annehmbar. tempus quanti res sit, observatur: quamvis in stricti juris judiciis(d)Über dieſe Leſeart vgl. oben B. 5 S. 462. Dieſelbe gehört der Vulgata an; die Florentina lieſt blos: in stricti mit allzu har - ter Auslaſſung der Worte: juris judiciis. Der Sinn iſt in beiden Leſearten nicht verſchieden. litis contestatae tempus spectetur. “
Ehe ich andere, beſtätigende Stellen hinzu füge, will ich an dieſe Hauptſtelle noch einige allgemeine Bemerkungen anknüpfen.
a) Die für die bonae fidei judicia aufgeſtellte Regel wird hier offenbar als die billigere, der neueren Rechts - entwicklung angemeſſene, betrachtet. Daher würde es ganz unrichtig ſeyn, ſie als ein Privilegium der dieſen beſonderen Namen (bonae fidei) führenden Klagen anzu - ſehen. Sie iſt vielmehr unbedenklich auch anzuwenden auf die Klagen in rem, ſo wie auf die prätoriſchen und die extraordinären Klagen, alſo auf die freien Klagen überhaupt. Dieſes iſt beſonders einleuchtend für diejenigen freien Klagen, welche zugleich arbitrariae ſind, weil bei dieſen durch eine beſondere Anſtalt auf die freiwillige Erfüllung vor dem Urtheil hingewirkt wird; dieſe Einrichtung würde mit einer Schätzung nach der Zeit der L. C. ganz im Widerſpruch ſtehen.
b) Das ganze Rechtsinſtitut der L. C. dient im Allgemeinen dazu, den Vortheil des Klägers zu befördern (§ 260. No. II. ): Sehen wir zu, inwiefern dieſe allgemeine202Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Richtung bei der Anwendung unſrer Regel feſt gehalten wird, oder welches der Grund einer Abweichung ſeyn mag.
Nehmen wir an, daß bei einer ſtrengen Klage die Preiſe von der Zeit der L. C. an ſtets ſinkend geweſen ſind, ſo wird jener Zweck unmittelbar erreicht; der Kläger erhält nun wirklich den höheren Preis, den er zur Zeit der L. C. erwarten konnte, und er wird gegen den Verluſt ge - ſchützt, den er durch die Dauer des Rechtsſtreits erlitten haben würde. Nehmen wir umgekehrt ſteigende Preiſe an, ſo entgeht allerdings dem Kläger der Gewinn, den er aus dem Steigen hätte ziehen können; allein der Zweck iſt auch überhaupt nicht die Zuwendung eines Gewinnes, ſondern nur die Abwendung des eben erwähnten Schadens.
Bei den freien Klagen wird im Fall ſinkender Preiſe der Verluſt des Klägers, der aus der Dauer des Rechts - ſtreits hervorgeht, nicht abgewendet. Man kann dieſe Abweichung von dem Grundſatz der ſtrengen Klagen und von deſſen Folgen aus der Rückſicht erklären, daß dem Be - klagten nicht die aus redlichem Bewußtſeyn hervorgehende Vertheidigung ſeiner Anſprüche durch eine Art von Straf - drohung erſchwert werden ſollte(e)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). „ Nec enim debet possessor … indefensum jus suum relin - quere “(ſ. o. S. 180). Der ſin - kende Preis iſt analog dem zufäl - ligen Untergang der Sache.. Dieſe Auffaſſung wird unterſtützt durch den Grundſatz der Sabinianer: omnia judicia esse absolutoria(f)Gajus IV. § 114., d. h. das freiwillige203§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.Nachgeben ſollte ſtets, und während der ganzen Dauer des Rechtsſtreits, die Freiſprechung bewirken. In dieſem Grundſatz lag gewiſſermaßen die Beförderung der frei - willigen Erfüllung durch eine Art von Prämium, welche Beförderung bei den arbiträren Klagen ohnehin noch durch deren beſondere Einrichtung unterſtützt wurde(g)Wenn die ſtreitige Sache noch vorhanden war, ſo konnte ohnehin auch bei den ſtrengen Kla - gen der Beklagte durch Anwendung dieſes Grundſatzes jeden Verluſt von ſich abwenden. Der Verluſt trat alſo nur dann ein, wenn ent - weder der Beklagte Dieſes hart - näckig unterließ, oder die Sache nicht mehr vorhanden war..
Wir finden alſo hier einen Conflict zwiſchen zwei ver - ſchiedenen Zwecken und Principien, die auf entgegengeſetzte Folgen hinführten. Dem in den freien Klagen befolgten Princip aber wurde bei fortgehender Rechtsentwicklung der überwiegende Werth zugeſchrieben. — Im heutigen Recht kann ohnehin nur noch von dieſem Princip die Rede ſeyn.
c) So verſchieden auch die beiden, für zwei Arten der Klagen aufgeſtellten, Regeln ſeyn mögen, ſo bilden ſie doch einen gemeinſamen Gegenſatz gegen eine andere, gleichfalls denkbare, Beſtimmung, die alſo durch ſie gleichmäßig ver - neint werden ſoll. Dieſes iſt der Anfang der Obliga - tion, nach deſſen Zeitpunkt auch wohl die Schätzung verſucht werden könnte(h)Dieſer Zeitpunkt iſt bei den Delictsklagen wirklich berück - ſichtigt worden, wie unten gezeigt werden wird. Hier iſt nur von den perſönlichen Klagen aus Rechts - geſchäften, und von Klagen in rem die Rede.. Der Hauptgedanke iſt alſo dieſer: es ſoll die Schätzung nicht nach dem Zeitpunkt der ent -204Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtandenen Obligation vorgenommen werden, ſondern viel - mehr — nach der Zeit des Rechtsſtreits, wobei ſich nun die untergeordnete Differenz zeigt, daß in den ſtrengen Klagen nach der Zeit der L. C., in den freien nach der Zeit des Urtheils, geſchätzt wird. Die Rechtfertigung jenes Gedankens liegt aber darin, daß es dem Gläubiger ſelbſt eine Zeit lang gleichgültig oder ſelbſt vortheilhaft ſcheinen kann, die Erfüllung einſtweilen nicht zu verlangen, daß es aber ſtets in ſeiner Macht ſteht, die Klage anzuſtellen, und dadurch unter andern auch die Schätzungszeit zu fixiren.
d) Dieſe letzte Bemerkung iſt nicht unwichtig, indem ſie einen natürlichen Anknüpfungspunkt darbietet zur Erklärung und Begründung der oben angegebenen zwei Ausnahmen. — Wenn nämlich in dem Vertrag die Zeit der Erfüllung be - ſonders beſtimmt iſt, ſo liegt darin zugleich die vorbedachte Anerkennung des Zeitpunktes, in welchem die Erfüllung von dem Gläubiger erwartet wird und für ihn Werth hat, wodurch alſo der oben angegebene Zuſtand des unbeſtimmten Willens des Gläubigers ausgeſchloſſen iſt. Daſſelbe gilt von dem Fall der Mora; denn wenn der Kläger, auch nur außergerichtlich, zur Erfüllung auffordert, ſo fixirt er da - durch gleichfalls den Zeitpunkt der Schätzung, indem außer - dem der Schuldner von ſeiner rechtswidrigen Zögerung Vortheil ziehen würde.
e) Die hier aufgeſtellten Anſichten und Rechtsregeln haben auch in dem Römiſchen Formelweſen ihren gegen - ſätzlichen Ausdruck gefunden, welches ſich theils beſtimmt205§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.nachweiſen, theils ſehr wahrſcheinlich machen läßt. Der Ort der Formel, an welchem der Prätor über die Zeit der Schätzung eine Anweiſung zu geben hatte, war unſtreitig die Condemnatio, und hier mußte die Anweiſung anders gefaßt werden, je nachdem man die Schätzung in die Ver - gangenheit ſetzen wollte (die Zeit der entſtandenen Obligation), oder in die Gegenwart (Zeit der L. C.), oder in die Zukunft (Zeit des Urtheils). Für dieſe ver - ſchiedene Möglichkeiten boten ſich folgende Ausdrücke dar:
Der erſte dieſer Ausdrücke iſt auch wirklich gebraucht worden bei einer Delictsklage, der actio legis Aquiliae, in welcher der Werth zur Zeit des begangenen Delicts maaß - gebend ſeyn ſollte, nur noch mit einer gewiſſen Ausdehnung zum Nachtheil des Schuldners, und als Strafe für den - ſelben(i)L. 2 pr. ad L. Aqu. (9. 2) „ quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes domino dare damnas esto. “— L. 27 § 5 eod. „ quanti ea res fuit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto. “ In beiden Fällen ſollte von der Zeit des (in der Vergangenheit liegenden) Delicts zurück gerech - net werden. — Allerdings lieſt in der zweiten angeführten Stelle ſo - wohl die Florentina, als die Vul - gata: erit anſtatt fuit. Nur Ha - loander hat fuit. Allein die Rich - tigkeit dieſer letzteren Leſeart wird ganz außer Zweifel geſetzt durch die gleich nachfolgenden Worte Ulpians aus dem Commentar zu dieſer Geſetzesſtelle: „ haec verba: quanti in triginta die - bus proximis fuit “rel. (L. 29 § 7 eod., eben ſo wie die vorige Stelle aus Ulpianus lib. XVIII. ad ed.).
206Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Der dritte Ausdruck wurde auch wirklich gebraucht bei den freien Klagen, von welchen wir aus unſrer Regel ohnehin wiſſen, daß bei ihnen die Schätzung auf die Zeit des Urtheils gerichtet werden ſollte(k)Gajus IV. § 47 bei der actio depositi in factum con - cepta: „ quanti ea res erit, tantam pecuniam … condem - nato. “— Gajus IV. § 51 bei der Eigenthumsklage und der actio ad exhibendum: „ quanti ea res erit, tantam pecuniam … condemna. “.
Erwägt man dieſe erweislich gebrauchten Ausdrücke, ſo wird man kaum zweifelhaft darüber ſeyn können, daß der in der Mitte liegende zweite Ausdruck (quanti res est) bei den ſtrengen Klagen angewendet wurde; denn für dieſe wurde nach unſrer ſicheren Regel die Schätzung auf die Zeit der L. C. gerichtet, welche für den die Formel feſt - ſtellenden Prätor die Gegenwart war. Für dieſe letzte Be - hauptung kann ich allerdings ein beweiſendes Zeugniß nicht vorbringen, welches jedoch blos aus der großen Armuth an aufbewahrten wirklichen Formeln überhaupt herrührt. Jeder andere Ausdruck würde an dieſer Stelle faſt unmöglich ſeyn, da er einen entſchieden falſchen, unſrer ſicheren Regel widerſprechenden, Gedanken enthalten müßte.
Ich will jetzt noch einige andere Stellen angeben, worin die von Ulpian aufgeſtellte Regel über die Schätzungszeit in einzelnen Anwendungen beſtätigt wird. — Mit dieſen aber ſollen zugleich die Zeugniſſe für die erſte Ausnahme jener Regeln (im Fall der vorbeſtimmten Zeit der Erfüllung) 207§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.zuſammengefaßt werden, weil in der That mehrere Stellen die Regel und dieſe erſte Ausnahme neben einander aus - ſprechen:
Nachdem ſowohl die Regel, als die erſte Ausnahme (die vertragsmäßig beſtimmte Erfüllungszeit betreffend) dargeſtellt worden iſt, bleibt noch die Unterſuchung der zweiten Ausnahme übrig, welche ſich auf den Fall der Mora des Schuldners(p)Ich ſpreche hier blos von dieſer, welche allein von practiſcher Erheblichkeit iſt. Für die Mora des Gläubigers (im Abnehmen der Sache) gilt aber dieſelbe Ausnahme wie für die des Schuldners, näm - lich daß ihm ſeine Mora keinen Vortheil bringen ſoll, d. h. daß der Gegner zwiſchen zwei Zeit - punkten der Schätzung die Wahl hat. Nur ſind hierüber die Stel - len weniger klar und entſcheidend. L. 37 mand. (17. 1 ), L. 3 § 4 de act. emt. (19. 1). bezieht. Daß überhaupt eine ſolche Ausnahme gilt, und daß ſie auf eine nachtheiligere Behandlung des Schuldners, in Vergleichung mit der außerdem geltenden Regel, gerichtet iſt, darüber iſt kein Streit. Der Nachtheil ſoll überhaupt unſtreitig darin be - ſtehen, daß der Gläubiger zwiſchen verſchiedenen Zeitpunkten für die Schätzung die Wahl haben, d. h. den vortheilhafteſten Zeitpunkt zu wählen berechtigt ſeyn ſoll. Welches aber die verſchiedenen, zur Auswahl ſtehenden, Zeitpunkte ſind, darüber haben ſich zwei Meinungen gebildet. — Nach der209§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.einen Meinung ſoll der Gläubiger die Wahl haben zwiſchen dem Zeitpunkt der Mora, und demjenigen Zeitpunkt welcher ohne Mora nach der allgemeinen Regel gelten würde. Nur in dem einzigen Fall, wenn mit der condictio furtiva gegen den Dieb geklagt wird, ſoll dieſe Ausnahme noch dadurch geſchärft werden, daß der höchſte Werth der ganzen Zwiſchenzeit (nicht blos der unter jenen zwei einzelnen Zeitpunkten) vergütet werden ſoll(q)Donelli Comm. in var. tit. Dig. Antverp. 1582. f. Lib. 12 T. 1 L. 22 N. 26 p. 157. — Schulting theses contr. Th. 37 N. 8 (Com - ment. ac. T. 3 p. 118). — Madai Mora § 48, der gleichfalls zwiſchen dem Diebe und anderen Schuldnern unterſcheidet, außerdem aber manches Unrichtige beimiſcht.. — Die zweite Meinung geht dahin, die ſo eben bei dem Diebe erwähnte ſtrengere Behandlung bei jeder Mora allgemein eintreten zu laſſen, ſo daß in jedem Fall der Mora der Schuldner den höchſten Werth bezahlen müßte, welchen die Sache in der ganzen Zwiſchenzeit jemals erreicht hat(r)Huber praelect. Pand. XIII. 3. § 7 — 11. — Glück B. 13 § 844. — Thibaut § 99 ed. 8, und Braun zu Thibaut § 103. — Puchta Pandekten § 268 Note f. — Buchka Einfluß des Prozeſſes S. 187 — 198..
Ich nehme die erſte Meinung, welche zwiſchen dem Diebe und den übrigen Schuldnern unterſcheidet, als richtig an, und gründe dieſelbe zunächſt auf folgende einzelne Zeugniſſe.
I. Von dem Fall der Mora im Allgemeinen han - deln dieſe Stellen:
In dieſer Stelle iſt augenſcheinlich nur von der Wahl zwiſchen zwei einzelnen Zeitpunkten die Rede, durchaus nicht von den in die Zwiſchenzeit fallenden Veränderungen. Dafür ſpricht auch die völlige Gleichſtellung der Zeit mit dem Orte, indem bei dieſem letzten offenbar nur die Wahl zwiſchen zwei einzelnen Orten in Frage kam, nicht auch die zwiſchen allen in der Mitte liegenden Orten.
Auch in dieſer Stelle iſt keine Rede von den ſchwan - kenden Preiſen der Zwiſchenzeit; es wird nur verglichen der Preis zur Zeit der Mora, mit dem Preiſe welcher ho - die ſtattfindet; d. h. zur Zeit des Urtheils, für deſſen richtigen Inhalt ja eben hier eine Anweiſung gegeben wer - den ſoll.
Der Zweck der ganzen Ausnahme wird hier richtig darin geſetzt, daß dem Schuldner ſeine rechtswidrige Ver - zögerung keinen Vortheil bringen dürfe; dieſer Zweck aber wird vollſtändig erreicht durch die Wahl des Klägers zwiſchen den zwei angegebenen Zeitpunkten, auf welche allein auch in der angegebenen Stelle hingedeutet wird.
II. Die Mora bei dem Diebe wird in folgender Stelle behandelt(v)L. 8 § 1 de cond. furt. (13. 1) von Ulpian. — Eben ſo bei der actio rerum amotarum nach folgender Stelle, die zugleich den im Text aufgeſtellten Satz ſelbſt beſtätigt. L. 29 rer. amot. (25. 2) von Tryphonin: „ Rerum amotarum aestimatio ad tem - pus quo amotae sunt referri debet: nam veritate furtum fit, etsi lenius coercetur mulier … sed si pluris factae (res) non:14*212Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.„ Si ex causa furtiva res condicatur, cujus temporis aestimatio fiat, quaeritur. Placet tamen, id tempus spectandum, quo res unquam plurimi fuit: maxime, cum deteriorem rem factam fur dando non liberatur: semper enim moram fur facere videtur. “
Ich füge dieſen einzelnen Stellen noch eine allgemeine Betrachtung hinzu. Diejenigen, welche die für den Dieb vorgeſchriebene ſtrengſte Behandlung auf alle Fälle der Mora anwenden wollen, gehen dabei von der Anſicht aus, daß der Kläger, wenn er die Sache zur rechten Zeit bekom - men hätte, den Augenblick des höchſten Preiſes der Zwiſchen - zeit zum Verkauf hätte benutzen können; wie verſchiedene Wendungen auch für dieſe Anſicht in neuerer Zeit verſucht worden ſind. Allein die Vorausſetzung, daß er dieſen Vortheil wirklich benutzt haben würde, iſt ſehr willkührlich und unwahrſcheinlich; gewiß ungleich unwahrſcheinlicher,(v)restituuntur, quae amotae sunt, crescit aestimatio, ut in con - dictione furtivae rei. “— Be - denklich iſt folgende, auch von Ul - pian herrührende Stelle: L. 2 § 3 de priv. del. (47. 1). Es wird aus Pomponius angeführt, durch die cond. furtiva werde die a. L. Aquiliae wegen derſelben Sache nicht ausgeſchloſſen: „ nam - que Aquilia eam aestimationem complectitur, quanti eo anno plurimi fuit: condictio autem ex causa furtiva non egreditur retrorsum judicii accipiendi tempus. “ Daß hier die Zurück - rechnung verneint wird, iſt unbe - denklich; daß aber die Schätzung auf die Zeit der L. C., (anſtatt des Verbrechens) geſtellt wird, wider - ſpricht geradezu den übrigen Stel - len, ſowohl über die Condiction als über die furti actio. Wahr - ſcheinlich iſt dieſe Angabe blos ein Stück der aus Pomponius an - geführten Meinung, welches Ul - pian mit aufnimmt, ohne es ge - rade zu billigen. Es muß dann hierüber eine Controverſe beſtanden haben, wohin auch das Placet in L. 8 § 1 de cond. furt. zu deuten ſcheint.213§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.als die oben erwähnte Annahme, daß er überhaupt verkauft haben könnte (S. 184. 190). Für den gerechten Anſpruch des Klägers iſt genug gethan, wenn demſelben zwiſchen zwei Zeitpunkten die Wahl gelaſſen wird, insbeſondere da es ja immer von ſeinem freien Entſchluß abhängt, die Klage zu der Zeit anzuſtellen, worin er es gerade am vortheilhafteſten findet.
Dagegen hat die hier vertheidigte Unterſcheidung zwiſchen dem Diebe und allen übrigen Schuldnern folgenden inneren Grund. Der Dieb iſt ſo zu betrachten, als ob er in jedem Augenblick ſeinen Diebſtahl wiederholte. Dies iſt nicht ſo zu verſtehen, als ob die gegen ihn geltenden Klagen ins Unendliche vervielfältigt, und dadurch zu einem völlig ſchrankenloſen Ertrag gebracht werden dürften, welches widerſinnig ſeyn würde. Es hat vielmehr den Sinn, daß er in jedem Augenblick denſelben (nicht einen neuen) Dieb - ſtahl wirklich begeht, ſo daß der Beſtohlene völlig in ſeinem Rechte iſt, wenn er ſich den vortheilhafteſten Zeitpunkt ausſucht, um zu behaupten, daß der Diebſtahl gerade damals begangen worden ſey. Dies iſt der wahre Sinn der ſo eben mitgetheilten Worte: semper enim moram fur facere videtur. Dieſe Worte ſollen eine eigenthümliche Verpflich - tung des Diebes bemerklich machen. Deswegen dürfen ſie nicht verſtanden werden von der ſtetigen Fortdauer und Wirkſamkeit der Mora überhaupt; denn dieſe Natur hat die Mora auch bei allen übrigen Schuldnern. Sie bekommt ihre wahre Bedeutung durch die eben gegebene Erklärung,214Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.deren Richtigkeit ſogleich noch durch eine Stelle über die Delictsklage aus dem Diebſtahl (die actio furti) außer Zweifel geſetzt werden wird. — Ein rein practiſcher Grund der härteren Behandlung des Diebes, gerade in der hier vorliegenden Beziehung, liegt auch noch darin, daß meiſt der Beſtohlene den Dieb lange Zeit nicht kennt, die An - ſtellung der Klage alſo nicht ſo, wie bei anderen Klagen, in ſeiner Macht ſteht. Derſelbe Grund hat auch veranlaßt, daß in dieſem Fall die Mora ohne Interpellation ent - ſtehen ſoll.
Die ganze bisherige Unterſuchung beſchränkte ſich auf die perſönlichen Klagen aus Rechtsgeſchäften und die Klagen in rem. Es bleibt nur noch übrig, mit wenigen Worten von der Schätzungszeit bei den Delictsklagen zu ſprechen. Hier iſt als feſter Zeitpunkt, von welchem ausgegangen werden muß, nicht der Rechtsſtreit (wie bei den bisher betrachteten Klagen), ſondern vielmehr die begangene That zu betrachten, jedoch mit einigen Modificationen zum Nachtheil des Schuldners. Wir finden hierüber folgende Zeugniſſe:
A. Bei der actio L. Aquiliae richtet ſich die Schätzung nach der Zeit der begangenen That, jedoch ſo, daß dabei zugleich der höchſte Werth innerhalb eines gewiſſen rück - wärts liegenden Zeitraums berückſichtigt wird(w)L. 21 § 1 ad L. Aquil. (9. 2)..
215§. 275. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit.B. Bei der actio furti wird gleichfalls der Zeitpunkt der begangenen That zum Grunde der Schätzung gelegt(x)L. 9 de in litem jur. (12. 3).. Wenn jedoch in der nachfolgenden Zeit die Sache einen höheren Werth bekommt, ſo muß dieſer höhere Werth zum Grund gelegt werden, da auch in dieſer ſpäteren Zeit der Diebſtahl wirklich begangen worden iſt(y)L. 50 pr. de furtis (47. 2).: „ … Idemque etsi nunc deterior sit, aestimatione relata in id tempus, quo furtum factum est. Quod si pretiosior facta sit, ejus duplum, quanti tunc cum pretiosior facta sit, fuerit, aestimabitur: quia et tunc furtum ejus factum esse verius est. “
In dieſen letzten Worten iſt die vollſtändige Beſtäti - gung der vorher für die Mora bei der condictio furtiva aufgeſtellten Behauptung unverkennbar enthalten.
Wenn wir zum Schluß erwägen, in wiefern die hier über die Schätzungszeit aufgeſtellten Regeln auch noch im heutigen Recht anwendbar ſind, ſo können wir über fol - gende Annahme kaum zweifelhaft ſeyn. Zwei Regeln ſind es, welche ihre practiſche Bedeutung für uns verloren haben: die eigenthümliche Behandlung der ſtrengen Klagen, weil wir ſolche nicht mehr haben; imgleichen die für die Delictsklagen aufgeſtellten Regeln, weil auch dieſe für uns verſchwunden ſind. Alles Übrige, alſo der bei weitem größte Theil der über die Schätzungszeit aufgeſtellten Re -216Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geln, iſt für uns völlig eben ſo anwendbar, wie er es im R. R. war.
In der eben angeſtellten Unterſuchung über den Zeit - punkt der Schätzung (§ 275) waren zwar einzelne Fragen vielfach beſtritten worden; die Hauptpunkte aber ſchienen feſt und gewiß, welches namentlich von der allgemeinſten Regel behauptet werden mußte, nach welcher für die ſtrengen Klagen die L. C., für die freien Klagen das Ur - theil, den Zeitpunkt der Schätzung beſtimmen ſollte. Über dieſe Hauptregel war ein ſo klarer, unzweideutiger Aus - ſpruch vorhanden (§ 275. b), daß daneben für keinen möglichen Zweifel Raum übrig zu bleiben ſchien.
Dieſe beruhigende Sicherheit aber wird ſehr erſchüt - tert durch eine Stelle des Ulpian, welche für den dem alten, ſtrengen Recht angehörenden Theil jener Regel, worin am wenigſten Zweifel zu erwarten waren, gerade das Gegentheil zu ſagen ſcheint. Die Stelle fängt näm - lich an mit folgenden Worten(a)L. 3 de cond. trit. (13. 3) aus Ulpianus lib. XXVII. ad ed. : „ In hac actione si quaeratur, res quae petita est cujus temporis aestimationem recipiat, verius est, quod Servius ait, condemnationis tempus spectandum. “
217§. 276. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit.Es iſt hier von keiner anderen Klage die Rede, als von der condictio triticaria, d. h. von einer ſtrengen Klage, womit irgend etwas Anderes als eine beſtimmte Geldſumme gefordert wird(b)L. 1 pr. de cond. trit. (13. 3), welche aus demſelben Buch des Ulpian ad ed. genommen iſt, wie die L. 3 cit. — Vgl. oben B. 5 S. 622. 626.; ohne Zweifel wird dabei eine Stipu - lation als Grund der Klage vorausgeſetzt. — Daß aber in der That an keine andere als dieſe Klage gedacht werden kann, folgt nicht etwa blos aus dem Digeſtentitel, in welchen die Stelle aufgenommen iſt (denn Dieſes könnte auf einem Verſehen der Compilatoren beruhen), ſondern auch aus dem Umſtand, daß die Stelle demſelben Theil eines Werks des Ulpian angehört, wie eine andere Stelle, die unmittelbar vorher ausführlich von jener Klage handelt (Note a. b).
Von dieſer Condiction nun ſagt hier Ulpian, es müſſe die Schätzung auf die Zeit der Condemnation gerichtet werden, alſo auf die Zeit des Urtheils, nicht wie man erwarten mußte, auf die Zeit der L. C.
Dieſer ſchneidende und unerwartete Widerſpruch hat von jeher die größten Bemühungen zur Beſeitigung des - ſelben hervorgerufen; die meiſten derſelben ſind aber ſo willkührlich und bodenlos, daß es kaum begreiflich iſt, wie man ſich damit hat begnügen können.
So iſt behauptet worden, die condictio triticaria ſey gar nicht stricti juris, ſondern bonae fidei, und ſie gehöre218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem jus gentium an(c)Cocceji jus controv. XIII. 3 qu. 2 mit der Anmerkung von Emminghaus. Hier kamen die wunderlichſten und bodenloſeſten Anſichten über die Claſſification der Klagen vor.: eine Behauptung, die ſelbſt vor der Entdeckung des Gajus völlig unerlaubt war.
Andere haben geſagt, die verſchiedene Schätzungszeit richte ſich gar nicht nach dem Unterſchied der ſtrengen und freien Klagen, ſondern nach dem Gegenſtand der Obli - gation; bei Quantitäten ſoll nach der Zeit der L. C. ge - ſchätzt werden, bei individuellen Sachen nach der Zeit des Urtheils(d)Dieſe ſchwer zu begreifende Meinung findet ſich bei Donellus, der ſich an mehreren ſeiner Schrif - ten ſehr weitläufig mit dieſer Stelle beſchäftigt hat. Donelli comm. in var. tit. Dig. Ant - verp. 1582. f, und zwar Lib. 12 T. 1 L. 22 N. 5. 19. 21 — 26, und Lib. 13 T. 3 L. 3 N. 12. 13. 25. Von der erſten dieſer zwei Stellen wird ſogleich erwähnt werden, welche Merkwürdigkeit ſie außerdem darbietet.. Dabei wird die Hauptſtelle des Ulpian, welche die allgemeinſte Regel in klarem, unzweideutigem Ausſpruch enthält (§ 275. b) durch willkührliche Behand - lung in den Hintergrund gedrängt, beſonders aber wird die Stelle des Gajus (§ 275. m) ohne die ihr gebührende Beachtung gelaſſen, welche zuerſt von der Condiction auf Quantitäten ſagt, daß nach der Zeit der L. C. geſchätzt werden müſſe, und dann die entſcheidenden Worte hinzu - fügt: quod et de ceteris rebus juris est(e)Es wird überhaupt bei den Erklärungsverſuchen zu dieſer Stelle recht anſchaulich, wie im R. R. aller Erfolg der Quellenforſchung davon abhängt, die vorzugsweiſe entſcheidenden Stellen heraus zu finden, an die Spitze zu ſtellen, und feſtzuhalten, dabei aber mit völliger Unbefangenheit zu ver - fahren, anſtatt daß die Meiſten, in ſchwierigen Fällen wie der vor - liegende, vorgefaßte Theorieen fer - tig mitbringen, und dieſen die Quellenzeugniſſe gut oder ſchlecht anzupaſſen ſuchen..
219§. 276. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit.Andere haben das Daſeyn einer Mora, welches augen - ſcheinlich erſt in dem Fortgang der Stelle mit in die Be - trachtung gezogen wird, und dann zu ganz anderen Re - geln führt, mit in dieſen erſten Satz herein gezogen, und dadurch den inneren Zuſammenhang der Stelle gänzlich zerſtört(f)Cujacius in L. 59 de verb. oblig. — Glück B. 13 § 844 S. 271 — 300. — Liebe Stipu - lation S. 54. 55..
Neuerlich iſt der Verſuch gemacht worden, der Stelle durch Emendation des Textes zu helfen(g)Huſchke in der Zeitſchrift von Linde B. 20 S. 267.. Es ſoll ge - leſen werden: contestationis, anſtatt condemnationis, wo - durch die oben aufgeſtellte Hauptregel auch in unſrer Stelle eine einfache Beſtätigung erhielte. Allein erſtens fehlt es an jeder Erklärung, wie in alle Handſchriften ohne Ausnahme die Veränderung jenes Wortes gekommen ſeyn ſollte, ohne auch nur in kleinen Abweichungen der Hand - ſchriften irgend eine Spur zu hinterlaſſen; ein Bedenken, das durch die geringe Zahl der zu verändernden Buchſtaben nicht gehoben wird. Zweitens kommt contestatio allein, ohne den Zuſatz von litis oder judicii, in dieſer Bedeutung anderwärts nicht vor (§ 257. f).
Man könnte auch noch den Verſuch machen, den ſcheinbaren oder wirklichen Widerſpruch daraus zu erklä - ren, daß eine Controverſe einzelner Juriſten, oder eine Aenderung des älteren R. R. durch das neuere, ange - nommen würde. Allein jeder Verſuch ſolcher Art muß220Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſogleich aufgegeben werden, wenn man erwägt, daß gerade die zwei Hauptſtellen, auf deren Vereinigung es ankommt, aus zwei ganz nahe an einander liegenden Stücken eines und deſſelben Werks von Ulpian herge - nommen ſind(h)Unſre Stelle iſt aus dem 27., die L. 3 § 2 commod. aus dem 28. Buch des Ulpian ad edictum entnommen..
Das ganze Gewicht unſrer Stelle und die ganze Schwierigkeit liegt in dem Ausdruck: condemnationis tempus. Condemnatio aber hat im R. R. zwei verſchie - dene, wiewohl verwandte, Bedeutungen, für welche die Anwendung jenes Wortes völlig gleich berechtigt iſt, und die alſo auch mit gleichem Rechte vorausgeſetzt werden dürfen, wo es auf die Erklärung einer Stelle, die jenes Wort enthält, ankommt.
Condemnatio heißt zuerſt einer der Vier Haupttheile der formula, die practiſche Anweiſung des Prätors an den Judex über Verurtheilung oder Freiſprechung. Es iſt die condemnatio a praetore concepta.
Condemnatio heißt aber auch das vom Judex ausge - ſprochene Urtheil, die res judicata, in ſofern das Urtheil gerade zum Nachtheil des Beklagten ausfällt. Es iſt die condemnatio a judice prolata, die Vollziehung des ihm vom Prätor gegebenen Auftrags.
Es iſt einleuchtend, daß die Erwähnung der erſten Art der condemnatio in die Juſtinianiſchen Rechtsbücher(i)Gajus IV. § 39. 43. 44.221§. 276. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. eigentlich nicht mehr gehörte, aber auch ſehr begreiflich, wenn ſie daraus, wie ſo manches Andere, dennoch nicht gänzlich verſchwunden iſt. Wir haben ſogar eine Stelle, worin dieſe fortdauernde Erwähnung ganz unzweifel - haſt iſt(k)L. 2 pr. de except. (44. 1) aus Ulpianus lib. LXXIV. ad ed. — Man könnte verſuchen, eben dahin zu beziehen die Worte der L. 3 § 3 de act. emti: „ quo lis in condemnationem dedu - citur “; allein dieſe gehen in der That auf die Zeit des Urtheils, ſ. o. § 275. t. : „ Exceptio … opponi actioni cujusque rei solet, ad excludendum(l)Die Florentina lieſt: clu - dendum, woraus man Emenda - tionen hat bilden wollen; allein die hier aufgenommene Vulgata iſt unbedenklich. id, quod in intentionem condem - nationemve deductum est. “
Setzen wir jene erſte Bedeutung in unſrer Stelle voraus, ſo iſt Alles klar, und der ſcheinbare Widerſpruch ver - wandelt ſich in vollſtändige Einſtimmung. Das condem - nationis tempus iſt dann ſo viel als formulae conceptae tempus (indem nur der Theil für das Ganze genannt iſt), oder, mit anderen Worten, die Zeit der L. C., indem die Aufſtellung der Formel mit der L. C. ganz gleich - zeitig iſt(m)Es iſt ſehr merkwürdig, daß Donellus dieſe Bedeutung der condemnatio mit ſolcher Klar - heit und Beſtimmtheit entwickelt hat, als ob er den Gajus vor ſich gehabt hätte. (S. o. Note d; die Stelle findet ſich in N. 26. p. 156). Aber eben ſo auffallend iſt es, daß er von dieſer ſeiner be - wundernswürdigen Divination den verkehrteſten Gebrauch macht. Es fällt ihm nicht ein, die richtig aufgefundene Bedeutung von con - demnatio auf unſre L. 3 de cond. trit. anzuwenden, um ſo deren Widerſpruch mit anderen Stellen zu beſeitigen; er wendet ſie viel - mehr auf die L. 3 § 3 de act. .
222Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die ſich gegen dieſe Erklärung erheben laſſen, und die ich nun - mehr einzeln prüfen will.
1. Man kann ſagen, Ulpian würde ſich durch die Wahl dieſes Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit ſchuldig gemacht haben, indem er den Gegenſatz gegen das rei judicatae tempus durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben ſo leicht gerade von dieſer Zeit, die er ausſchließen wollte, verſtanden werden konnte.
Dieſer Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth - wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift - ſteller gerade dieſer Gegenſatz vorgeſchwebt habe. Allein bei der Stipulation, wie ſie hier vorauszuſetzen iſt, lag ein anderer Gegenſatz ſogar viel näher: dieſes iſt die Zeit des geſchloſſenen Contracts, an welche man bei der buchſtäblich bindenden Natur der Stipulation ſehr leicht denken konnte. Die vorherrſchende Rückſicht auf dieſen Gegenſatz erſcheint noch durch folgende Betrachtung beſon - ders natürlich und wahrſcheinlich. Zwiſchen dem Contract und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen, und in dieſer konnten viele Veränderungen mit dem Gegen - ſtand vorgegangen ſeyn. Dagegen iſt dem Zeitraum zwiſchen der L. C. und dem Urtheil, bei einer ſo ein - fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven, im Römiſchen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuſchreiben,(m)emti an, wohin ſie gar nicht ge - hört, und die durch dieſes irrige Verfahren einen ganz falſchen Sinn erhält.223§. 276. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. die alſo auch nicht ſo leicht erhebliche Veränderungen in ſich ſchließen konnte. Wenn nun Ulpian gerade dieſen Gegenſatz vor Augen hatte und ausſchließen wollte(n)Ganz eben ſo findet es Julian nöthig, in L. 22 de reb. cred. (ſ. o. S. 207) die Zeit des Contracts, eben ſo wie die des Urtheils, ausdrücklich auszu - ſchließen, um die Zeit der L. C. als Regel aufzuſtellen. Durch dieſes Beiſpiel erhält der von mir vorausgeſetzte Gedanke des Ulpian noch größere Wahrſcheinlichkeit., ſo war der Gebrauch des Ausdrucks condemnatio, um die Zeit der L. C. zu bezeichnen, ohne alle Gefahr.
2. War der Gebrauch des Ausdrucks condemnatio in dieſer Bedeutung auch nicht gefährlich, ſo könnte man ihn doch wegen der Seltenheit dieſes Sprachgebrauchs für unwahrſcheinlich halten.
Darauf iſt zu antworten, daß es eben ſo wenig ge - wöhnlich iſt, den Ausdruck condemnatio anſtatt res judicata zu gebrauchen, wo es auf die Bezeichnung des Zeitpunktes ankommt, indem faſt immer von res judicata allein, ohne Abwechſlung der Ausdrücke, geſprochen wird.
3. Noch mehr Schein endlich hat der Einwurf, daß es an einem Motiv fehle, weshalb Ulpian anſtatt des ein - fachen, ganz unbedenklichen, Ausdrucks: litis contestationis den mindeſtens künſtlichen, indirecten Ausdruck: condem - nationis tempus gebraucht haben ſollte.
Es wird ſchwer ſeyn, bei jeder etwas ungewöhnlichen Redeweiſe, ſtets das Motiv anzugeben; hier aber fehlt es auch ſelbſt an einem ſolchen nicht. Der Ausdruck, der hier gewählt wurde, ſollte zugleich den Beweis der224Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wahrheit des ausgeſprochenen Satzes andeuten. Da es nämlich, je nach den verſchiedenen Zeitpunkten der Schätzung, dreierlei Condemnationsformen gab: quanti res fuit, oder est, oder erit, und im vorliegenden Fall die Con - diction die zweite Form (quanti res est) mit ſich führte, alſo das Präſens gebrauchte (S. 205. 206), ſo folgte daraus von ſelbſt, daß hier die Schätzung nach der Zeit der con - demnatio, d. h. der L. C., geſchehen ſollte. Der ge - brauchte Ausdruck mußte in dieſer Beziehung für jeden Römiſchen Leſer ſogleich verſtändlich und überzeugend ſeyn, da die Faſſung der verſchiedenen Formeln aus dem täg - lichen Gebrauch Jedem geläufig war.
Nachdem nun der wichtigſte und ſchwierigſte Theil der Stelle behandelt iſt, wird es möglich ſeyn, den ganzen Inhalt derſelben im Zuſammenhang darzuſtellen, wozu eine vorläufige Ueberſicht den Weg bahnen ſoll.
Die Stelle ſpricht von der condictio triticaria aus der Stipulation einer Sache, die Anfangs unbeſtimmt gelaſſen, dann aber ſogleich als ein Sclave bezeichnet wird. — Die Schätzungszeit deſſelben ſoll beſtimmt werden. — Dieſes geſchieht erſtens für den Fall, wenn keine Mora vorhanden iſt, zweitens für den Fall der Mora. — Im erſten Fall wird weiter unterſchieden, ob der Sclave lebt oder todt iſt. — Daraus ergeben ſich drei Fälle überhaupt. Im Fall des Lebens ohne Mora iſt nach der Zeit der L. C. zu ſchätzen. Im Fall des Todes ohne Mora nach der Zeit des Todes. Im Fall der Mora darf der Kläger, wenn225§. 276. Wirkung der L. C. — Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. die Zeit der Mora einen höheren Werth ergiebt, dieſe Zeit für die Schätzung in Anſpruch nehmen, der Sclave mag leben oder todt ſeyn. — Dieſe Sätze ſollen jetzt im Einzelnen in der Stelle nachgewieſen und näher beſtimmt werden.
Erſter Fall. Der Sclave lebt, und es iſt keine Mora vorhanden. Nun wird nach der Zeit der L. C. (condemnationis tempus) geſchätzt.
„ In hac actione … spectandum. “ Dieſer Theil iſt ſchon ausführlich erklärt worden.
Zweiter Fall. Der Sclave iſt geſtorben, und es iſt keine Mora vorhanden.
„ Si vero desierit esse in rebus humanis, mortis tempus .. erit spectandum “…(o)Dazwiſchen ſteht noch ein untergeordneter Satz, der mit un - ſeren Fragen Nichts zu ſchaffen hat, und den ich oben im Text übergangen habe, um nicht den Zuſammenhang der Hauptgedanken zerſtreuend zu unterbrechen. Die Todeszeit, heißt es, ſoll nicht zu buchſtäblich von dem Augenblick des Verſcheidens verſtanden wer - den, da auch der Sclave, der in den letzten Zügen liegt, obgleich er noch lebt, doch ſchon faſt völlig werthlos iſt..
Hier kommt es darauf an, die Zeit zu beſtimmen, in welcher, nach der Vorausſetzung des Ulpian, der Sclave geſtorben iſt. Dieſes iſt ſicher nicht die Zeit nach der L. C., da durchaus kein Grund denkbar iſt, warum nicht in dieſem Fall, ganz ſo wie im erſten, nach der Zeit der L. C. geſchätzt werden ſollte. Der Tod iſt alſo in der Zeit zwiſchen dem Vertrag und der L. C., d. h. vor dem Prozeß, zu denken. Natürlich muß noch hinzugedachtVI. 15226Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.werden, daß der Tod zugleich unter ſolchen Umſtänden erfolgt iſt, die den Beklagten zum Erſatz verpflichten, da ſonſt von einer Schätzung gar nicht die Rede ſeyn könnte. Es muß alſo der Tod erfolgt ſeyn nicht durch Zufall, ſondern durch den Dolus oder durch culpoſe Handlungen des Schuldners(p)L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1). Vgl. oben § 272 am Ende des §.. — In dieſem Fall nun ſoll der Werth des Sclaven geſchätzt werden nach der Zeit des Todes, nicht wie in dem erſten Fall nach der Zeit der L. C.; ſehr natürlich, weil zu dieſer Zeit kein Sclave mehr da iſt, der geſchätzt werden könnte.
Dritter Fall. Es iſt eine Mora vorhanden, und dabei ſoll es keinen Unterſchied machen, ob der Sclave noch lebt oder todt iſt.
„ In utroque autem(q)D. h. sive vivat servus, sive mortuus sit. Aus dieſem Zuſammenhang der fortſchreitenden Sätze ergiebt ſich die Grundloſig - keit der Erklärung, welche auch ſchon in den Anfang der Stelle die Vorausſetzung der Mora hin - ein tragen will (Note f)., si post moram deterior res facta sit, Marcellus scribit lib. XX., habendam aesti mationem quanti deterior res facta sit. Et ideo, si quis post moram servum eluscatum dederit, nec liberari eum. Quare ad tempus morae in his erit reducenda aestimatio. “
Es wird nicht geſagt, daß im Fall der Mora die vor - hergehenden Regeln nicht eintreten ſollen. Dieſe gelten auch dann, aber es tritt nur eine mögliche Modification227§. 277. Wirkung der L. C. — Preisveränderung.zum Vortheil des Klägers hinzu. Iſt der Werth des Sclaven nach der Mora gleich geblieben oder geſtiegen, ſo iſt von der Modification nicht die Rede: anders wenn der Sclave an Werth abgenommen hat (si deterior res facta sit), z. B. wenn ihm ein Auge ausgeſchlagen worden iſt. Nun kann der Kläger verlangen, daß der nach den vorher - gehenden Regeln abzuſchätzende Werth des Sclaven um ſo viel erhöhet werde, als der Sclave nach der Mora an Werth verloren hat (quanti deterior res facta sit); oder mit anderen Worten: der Kläger hat nun das Recht, die Schätzung nach der Zeit, worin die Mora anfing, vor - nehmen zu laſſen (ad tempus morae in his erit reducenda aestimatio). — Hieraus iſt es klar, daß der Kläger für die Schätzung zwiſchen zwei Zeitpunkten die Wahl haben ſoll; von einem höheren Werth der Zwiſchenzeit iſt nicht die Rede (§ 275. u). Zugleich iſt es klar, warum im Fall der Mora in utroque daſſelbe gelten ſoll. Durch die Mora nämlich wird überhaupt Nichts geändert, als daß der Kläger für die Schätzungszeit zwiſchen L. C. und Mora, oder zwiſchen Tod und Mora, die Wahl haben ſoll.
Bisher iſt nur von den objectiven Verminderungen die Rede geweſen, deren Natur darin beſteht, daß der Gegen - ſtand des Rechtsſtreits ſelbſt eine äußerlich wahrnehmbare15*228Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Veränderung erleidet. Es ſind nun noch diejenigen Ver - minderungen zu betrachten, die eine unſichtbare Natur haben, indem ſie in einer bloßen Preisverminderung gegründet ſind (§ 272). Dieſe unterſcheiden ſich von den objectiven Verminderungen durch die Möglichkeit einer viel ausge - dehnteren Anwendung. Denn anſtatt daß die objectiven nur bei individuell beſtimmten Gegenſtänden vorkommen, da nur dieſe durch Verſchuldung oder Unglück zerſtört, ver - dorben, verloren werden können, ſo tritt die Preisvermin - derung eben ſowohl bei generiſch beſtimmten, als bei indi - viduellen Gegenſtänden eines Rechtsſtreits ein; alſo ſowohl bei der übernommenen Lieferung von Hundert Scheffel Weizen, als wenn eine beſtimmte, im Beſitz eines Anderen befindliche, Maſſe Weizen vindicirt wird.
Um aber von dieſem Theil der Unterſuchung eine er - ſchöpfende Überſicht zu geben, iſt es nöthig, die Erwägung nach zwei Seiten hin auszudehnen: erſtens, auf die Fälle, worin die Veränderung nicht in vermindertem, ſondern in erhöhtem Preiſe des Gegenſtandes beſteht; zweitens, auf die zuſammengeſetzten Fälle, in welchen neben der Preis - verminderung zugleich auch eine objective Verminderung des Gegenſtandes ſelbſt Statt findet.
Im R. R. werden die Fälle der Preisverminderung nicht beſonders hervorgehoben, noch von den Fällen der objectiven Verminderung unterſchieden. Daß ſie aber nicht unbeachtet geblieben ſind, läßt ſich beſtimmt behaupten, indem mehrere Stellen ausdrücklich von ſolchen Gegen -229§. 277. Wirkung der L. C. — Preisveränderung.ftänden handeln, die (wie Wein und Getreide) zum öffent - lichen Marktverkehr gehören(a)L. 3 § 3, L. 21 § 3 de act. emti (19. 1 ), L. 4 de cond. trit. (13. 3 ), L. 22 de reb. cred. (12. 1. ), ſ. o. § 275.. Bei dieſen aber iſt gerade der ſchwankende Preis ſo vorzugsweiſe wichtig, daß er als Moment juriſtiſcher Entſcheidung unmöglich überſehen werden konnte.
Allerdings können die hier angeregten Fragen auch bei ſolchen Gegenſtänden vorkommen, die nicht als Waaren zum Marktverkehr gehören. Selbſt bei Grundſtücken kommt es nicht ſelten vor, daß die Preiſe im Allgemeinen ſteigen oder fallen. Dennoch iſt bei ihnen die hier vorliegende Frage deswegen von geringerer practiſcher Erheblichkeit, weil dabei die Veränderung der Preiſe nicht leicht auf feſte und ſichere Zahlenſätze zurückgeführt werden kann, ſo daß die Anwendung der jetzt aufgeſtellten Regel nur ſelten wird begründet werden können. Es kommt hinzu, daß bei ſolchen Gegenſtänden die Schwankung der Preiſe im Großen meiſt erſt nach längeren Zeiträumen deutlich her - vortritt, und daher für die Dauer eines Rechtsſtreits nicht leicht Einfluß erhält, anſtatt daß dieſelbe Schwankung im Marktverkehr oft eben ſo ſicher als ſchnell wechſelnd wahr - zunehmen iſt.
Es iſt nun zunächſt die juriſtiſche Natur der hier angegebenen Veränderungen feſtzuſtellen. Die Erhöhung des Preiſes hat ganz die Natur des aus einem anderen Vermögensſtück entſpringenden zufälligen Erwerbs230Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.(§ 265). Es iſt ein innerer Zuwachs des Gegenſtandes, ganz ähnlicher Natur, wie der durch Alluvion bewirkte Zuwachs des Grundeigenthums. — Die Verminderung des Preiſes hat dagegen ganz die Beſchaffenheit einer zufälligen Verminderung überhaupt, d. h. einer ſolchen, die ohne Dolus oder Culpa des Schuldners bewirkt wird, ſo wie dieſer Rechtsbegriff oben (§ 273) aufgeſtellt und auf die Fälle objectiver Verminderung angewendet worden iſt. Ich nenne dieſe (auf den Preis bezügliche) Verminderung eine zufällige, weil ſie ſtets auf allgemeinen Conjuncturen beruht und außer dem Bereich individueller Einwirkung liegt, es mögen nun jene Conjuncturen im Welthandel oder in den vorübergehenden Zuſtänden einzelner Länder oder Städte ihren Grund haben.
Die völlige Gleichartigkeit der Preisverminderung mit der oben abgehandelten objectiven Verminderung wird durch folgende Betrachtung einleuchtend werden. Wenn die Eigenthumsklage auf eine Anzahl individuell bezeichneter Actien einer Fabrik-Unternehmung gerichtet wird, ſo können im Lauf des Rechtsſtreits folgende Veränderungen eintreten. Es können dieſe Actien von ihrem urſprünglichen Pari - werth (100) auf 50 herabſinken, oder auch (wenn das Unternehmen völlig untergeht) auf 0. — Es können aber ferner die eingeklagten Actien zur Hälfte oder auch ins - geſammt durch Feuer zufällig zerſtört werden. Hier iſt es augenſcheinlich, daß die eine und die andere Art der Ver -231§. 277. Wirkung der L. C. — Preisveränderung.minderung gleich wichtig iſt, und auf das Vermögen des Berechtigten ganz denſelben Einfluß ausübt.
Dieſe Betrachtungen ſollten nur als Vorbereitung dienen zu den Rechtsregeln über die verſchiedenen Fälle der Preisverminderung, zu deren Aufſtellung ich mich jetzt wende. Ich ſchließe mich dabei ganz an diejenigen Regeln an, die oben (§ 275) über die Behandlung der objectiven Verminderung, ſowie über die dabei zu beobachtende Zeit der Schätzung, aufgeſtellt worden ſind.
Erſter Fall. Strenge Klagen, bei welchen kein Grund einer exceptionellen Behandlung vorliegt. Dabei ſollte die Schätzung nach der Zeit der L. C. vorgenommen werden, welches im heutigen Recht nicht mehr vorkommt.
Hier iſt die Erhöhung wie die Verminderung des Preiſes vor der L. C. ohne Einfluß, da in jedem Augen - blick der Schuldner durch Erfüllung die Obligation tilgen, der Creditor aber durch Anſtellung der Klage die L. C. herbeiführen kann.
Desgleichen iſt jede Veränderung des Preiſes nach der L. C. ohne Einfluß, da der Sinn der auf die L. C. als Schätzungszeit gerichteten Regel eben darin beſteht, daß hierdurch die Schätzung unabänderlich fixirt werden ſoll.
Es gilt alſo unbedingt die Schätzung nach der Zeit der L. C. ebenſowohl für die ſchwankenden Preiſe, wie für die objective Verminderung des Gegenſtandes.
Zweiter Fall. Freie Klagen, bei welchen kein Grund einer exceptionellen Behandlung vorliegt. Hier ſoll die232Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Schätzung nach der Zeit des rechtskräftigen Urtheils vor - genommen werden, welches im heutigen Recht auch für diejenigen Klagen gilt, die das R. R. unter die Regel des erſten Falles geſtellt hatte.
Bei dieſer Regel bleibt es unbedingt, wenn etwa eine Erhöhung des Preiſes vor dem Urtheil (ſey es vor oder nach der L. C.) eingetreten ſeyn ſollte. Wenn durch dieſe Erhöhung der Beklagte einen Nachtheil erleidet, ſo hat er ſich dieſen ſelbſt zuzuſchreiben, da es jeden Augenblick in ſeiner Macht ſtand, durch Erfüllung die Schuld zu tilgen, und ſo den Nachtheil aus den ſpäter ſteigenden Preiſen ab - zuwenden.
Auch wenn eine Verminderung des Preiſes vor dem Urtheil eintritt, iſt dieſelbe Regel anzuwenden, jedoch hier mit folgender Ausnahme. Wenn nämlich die Eigenthums - klage gegen einen unredlichen Beſitzer geführt wird, ſo muß dieſer die Preisverminderung vergüten, die nach der L. C. eingetreten iſt; gerade ſo wie er auch Entſchädigung leiſten müßte, wenn in dieſem Zeitraum nicht durch Preisvermin - derung, ſondern durch Untergang oder Beſchädigung der Sache ein zufälliger Schade entſtanden wäre (S. 179).
Dritter Fall. Perſönliche Klage aus einer Obliga - tion, deren Erfüllung durch Vertrag auf einen beſtimmten Zeitpunkt geſetzt iſt.
Hier iſt der Preis dieſes Zeitpunktes zum Grunde zu legen.
Der höhere oder niedere Preis der früheren Zeit iſt233§. 277. Wirkung der L. C. — Preisveränderung.gleichgültig, weil die Parteien ſelbſt eine frühere Erfüllung nicht wollten oder erwarteten.
Die Erhöhung und Verminderung der ſpäteren Zeit iſt gleichgültig, da der Vertrag ſelbſt die Zeit der Erfüllung mit ihren Folgen fixirt hat, beide Theile alſo in dieſe be - ſonderen Folgen eingewilligt haben. Jedoch wird in dieſem Fall meiſt zugleich eine Mora eintreten, da denn die fol - gende Regel zur Anwendung kommen muß.
Dieſer dritte Fall iſt übrigens practiſch beſonders häufig und wichtig; es gehören dahin die zahlreichen Verträge, welche auf Lieferung von Handelsgegenſtänden in einer beſtimmten Zeit geſchloſſen werden.
Vierter Fall. Perſönliche Klage, wenn dabei eine Mora, ſey es vor oder mit dem Rechtsſtreit, eintritt.
Jede Erhöhung oder Verminderung des Preiſes vor der Mora iſt gleichgültig.
Die Erhöhung oder Verminderung nach der Mora kann dem Kläger niemals Nachtheil bringen, weil er ein unbe - dingtes Wahlrecht hat, nach welchem Zeitpunkt die Schätzung vorgenommen werden ſoll.
Dem Beklagten geſchieht dadurch kein Unrecht, da er eben durch die Mora jeden möglichen Nachtheil wohl ver - dient hat.
Es bleibt nur noch übrig, die verſchiedenartige An - wendung dieſer Rechtsregeln näher zu beſtimmen. Dabei ſind folgende Fälle zu unterſcheiden.
1. Im älteren R. R. war dieſe Anwendung weit ausge -234Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dehnter, als in der ſpäteren Zeit. Da nämlich alle Ver - urtheilungen nur auf baares Geld lauten durften(b)Gajus IV. § 48., ſo mußten jene Regeln in jedem einzelnen Fall unmittelbar und einfach dadurch zur Anwendung gebracht werden, daß in der auszuſprechenden Geldſumme nicht nur der objective Zuſtand der Sache, ſondern auch (nach den eben aufge - ſtellten Regeln) der Preis berückſichtigt wurde.
2. Dieſes hat ſich völlig geändert im Juſtinianiſchen Recht, welches zugleich die heutige Regel bildet. Hier wird, wenn der Gegenſtand des Rechtsſtreites noch vorhanden iſt, auf deſſen Naturalleiſtung, nicht mehr auf eine Geldſumme, erkannt. Dieſes heißt für den letzten Erfolg eben ſo viel, als ob (nach der oben aufgeſtellten zweiten Regel) auf den Geldwerth zur Zeit des rechtskräftigen Urtheils erkannt würde. In denjenigen Fällen nun, worin vor dem Urtheil eine Preisverminderung eingetreten iſt, und zugleich der Beklagte die exceptionelle Verpflichtung hat, für alle zufällige Verminderungen einzuſtehen (alſo im Fall der Vindication gegen den unredlichen Beſitzer, ſo wie im Fall der Mora) iſt zwar auch auf die Naturalleiſtung zu erkennen, jedoch mit einer zuſätzlichen Ausgleichung in Geld, damit die oben aufgeſtellten Regeln rein und vollſtändig zur Anwendung gebracht werden.
3. Eine beſondere Erwägung bedarf der Fall, wenn der Beklagte das Urtheil nicht abwartet, ſondern dadurch abwendet, daß er den Anſpruch des Klägers freiwillig235§. 277. Wirkung der L. C. — Preisveränderung.erfüllt. Dazu war bei den arbiträren Klagen in dem Reſtitutionsbefehl des Judex eine beſondere Aufforderung gegeben; bei allen übrigen Klagen aber ſollte der Beklagte wenigſtens das Recht dazu haben(c)Gajus IV. § 114..
Nun ſcheint es, daß durch dieſe Einrichtung dem Be - klagten in den Fällen, worin er nach den aufgeſtellten Regeln einen höheren Werth als den der Gegenwart zu leiſten hatte, ein Mittel dargeboten würde, das Recht des Klägers zu vereiteln, indem er ſich durch die einfache Natural-Reſtitution von jeder weiteren Verpflichtung frei - machte.
Allein gegen dieſe Umgehung des Rechts ſchützt den Kläger der juriſtiſche Begriff der Reſtitution. Eine ſolche wird nämlich nicht unbedingt vollführt durch die materielle Herausgabe des Gegenſtandes; vielmehr gehört dazu auch die omnis causa, welche in dem hier vorliegenden Fall gerade die Ausgleichung des höheren Werthes durch eine zuſätzliche Geldſumme in ſich ſchließt(d)L. 75 de V. S. (50. 16 ) „ Restituere is videtur qui id restituit, quod habiturus esset actor, si controversia ei facta non esset. “ Eben ſo L. 35, L. 246 § 1 eod., und L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4). In Anwendung dieſes Grundſatzes wird ferner aus - drücklich geſagt, daß der Schuldner, der in Mora iſt, nicht dadurch frei wird, daß er die verſprochene Sache herausgiebt, wenn dieſe in der Zwiſchenzeit (wiewohl durch Zufall) ſchlechter geworden iſt. L. 3 de cond. trit. (13. 3), ſ. o. S. 226..
4. Zuletzt iſt noch der zuſammengeſetzte Fall zu be - trachten, wenn in einem und demſelben Rechtsſtreit die236Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.objective Verminderung der ſtreitigen Sache mit einer Preisverminderung zuſammentrifft.
Die Beurtheilung dieſes Falles kann keinem Zweifel unterliegen, indem die vollſtändige Anwendung der aufge - ſtellten Regeln auf ein Urtheil führen kann, deſſen Inhalt aus zwei Factoren hervorgeht. Folgendes Beiſpiel wird dieſe Behauptung anſchaulich machen.
Wenn Actien durch eine Eigenthumsklage gefordert, und während des Prozeſſes geſtohlen werden, ſo kommen bei dem Urtheil folgende Umſtände in Betracht. Zunächſt muß der Beklagte den Werth der geſtohlenen Actien vergüten, weil bei jedem Diebſtahl eine Culpa des Beſitzers präſumirt wird; der Werth dieſer Actien wird in der Regel nach der Zeit des Urtheils beſtimmt. — Wenn aber der Beklagte ein unredlicher Beſitzer iſt, und in der Zeit zwiſchen der L. C. und dem Urtheil der Curs dieſer Actien ſinkt, ſo muß der Beklagte noch ſo viel Geld zulegen, als die Curs - differenz beträgt. Er hat alſo in dieſem Fall zwei von einander unabhängige, auf verſchiedenen Rechtsgründen beruhende, Entſchädigungen zu leiſten: erſtens für den durch Diebſtahl entſtandenen Verluſt, wegen ſeiner Culpa; zweitens, für den zufälligen Verluſt durch das Sinken des Curſes, weil überhaupt der unredliche Beſitzer nach der L. C. für jeden zufälligen Nachtheil einſtehen ſoll.
Das Weſen der L. C. im Formularprozeß des älteren R. R. iſt oben ausführlich dargeſtellt worden (§ 257). Characteriſtiſch war dabei die große Nähe, in welcher ſich (verglichen mit den möglichen Ereigniſſen in unſrem Pro - zeßverfahren) die L. C. nebſt den daran geknüpften Folgen neben dem erſten Anfang des Rechtsſtreits befand.
Dieſes Verhältniß, ſo wie das Weſen der L. C. über - haupt, erſcheint zwar im Juſtinianiſchen Recht nicht von Grund aus verändert; indeſſen waren doch ſchon bedeutende Modificationen eingetreten, und namentlich hatte die geſetz - liche Friſt von Zwei Monaten die L. C. weiter als früher von dem Anfang des Rechtsſtreits entfernt.
Das Canoniſche Recht hat dieſe vorgefundene neueſte Geſtalt der L. C. nicht abgeändert. Wichtiger und bedenk - licher war die abgeänderte Stellung, welche der L. C. im ganzen Zuſammenhang des Prozeſſes durch die Reichsgeſetze gegeben wurde (§ 259).
Allein auch bei dieſer Geſtalt des gemeinen Deutſchen Prozeſſes iſt es nicht geblieben, vielmehr hat ſich das Be - dürfniß ſpäterer Zeiten neue Bahnen gebrochen.
Zwar in dem Protokollar-Prozeß der von einzeln ſtehenden Richtern verwalteten Untergerichte läßt ſich die frühere Ge - ſtalt der L. C. leicht wieder erkennen und ohne Nachtheil238Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.durchführen, ſo daß es bei ihm nur auf eine ſtrenge und verſtändige Ausführung ankommt, um dem practiſchen Be - dürfniß wahrhaft zu genügen.
Anders aber ſteht es mit dem weit wichtigeren, auf vier regelmäßigen Schriftſätzen beruhenden gemeinen Deut - ſchen Prozeß, wie er in allen höheren collegialiſchen Ge - richten und auch in vielen Untergerichten, herrſchend ge - worden iſt. Es würde eine bloße Täuſchung ſeyn, wenn man glauben wollte, daß hier die Prozeßvorſchriften des R. R., oder auch der Reichsgeſetze, wirklich zur Ausführung gebracht würden. — Wollte man den Buchſtaben des R. R. feſthalten, und die der L. C. beigelegten Wirkungen an den Zeitpunkt unſres ſchriftlichen gemeinen Prozeſſes anknüpfen, in welchem gerade dasjenige vorgegangen iſt, welches im R. R. als Inhalt der L. C. vorausgeſetzt wird, ſo müßte man dieſen entſcheidenden Abſchnitt des Prozeſſes an das Ende des erſten Verfahrens ſetzen, alſo entweder mit der Einreichung der Duplik, oder mit der Abfaſſung des Be - weis-Interlocuts verknüpfen; denn erſt in dieſem Zeitpunkt kann man mit Sicherheit annehmen, daß die Exceptionen, Replicationen und Duplicationen vorgebracht ſeyn werden, ſo wie es das R. R. für den Zeitpunkt der L. C. unzwei - felhaft vorausſetzt.
Dennoch iſt eine ſo ſtrenge und buchſtäbliche Gleichſtel - lung mit der alten L. C. niemals verſucht worden, ſchon deswegen nicht, weil man von dieſer Prozeßhandlung des R. R. keine hinreichende Kenntniß hatte; auch war dazu239§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.ein practiſches Bedürfniß in der That nicht vorhanden. — Vielmehr wurde nunmehr die L. C., im Anſchluß ſowohl an die Reichsgeſetze als an die gänzlich umgebildete Bedeu - tung dieſes aus dem R. R. zu uns herübergekommenen Kunſtausdrucks (§ 259), als die Einlaſſung des Beklagten auf die thatſächlichen Behauptungen der Klage aufgefaßt, und ſomit in die erſte Prozeßſchrift des Beklagten (die Ex - ceptionsſchrift) verſetzt. Dieſe Stellung der L. C. iſt jedoch ohne weſentlichen Nutzen für den letzten Zweck des Pro - zeſſes, und zugleich nicht ohne erhebliche Bedenken und Gefahren, indem ſie dem Beklagten ein leichtes Mittel dar - bietet, dieſe Handlung willkührlich hinauszuſchieben und dadurch die Rechte des Klägers zu gefährden (§ 259).
Man kann dieſe Gefahren dadurch beſeitigen oder wenig - ſtens vermindern, daß man die Wirkung der L. C. unbe - dingt an die Einreichung der erſten Prozeßſchrift des Be - klagten knüpft, ohne Rückſicht auf den Inhalt dieſer Schrift; ſo daß eine L. C. fingirt würde, wenn etwa der Beklagte unredlicher Weiſe die factiſche Erklärung auf die Klage verweigerte oder verzögerte(a)Pufendorf Obs. IV. 94, Göſchen Vorleſungen B. 1 S. 475, Wächter H. 3 S. 87.. Allein erſtens wäre dieſes nicht ſowohl eine Anwendung des beſtehenden Prozeßrechts, als eine in guter Abſicht vorgenommene Umbildung deſſel - ben; zweitens, wäre damit in der That Nichts gewonnen. Dieſe fingirte L. C. wäre eine leere Formalität, und es erſcheint als ganz willkührlich und grundlos, gerade an die240Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Einreichung der erſten Schrift des Beklagten, ohne Rück - ſicht auf deren Inhalt, wichtige materielle Wirkungen zu knüpfen. — Das Bedürfniß, deſſen Anerkennung in dieſem Verfahren liegt, führt offenbar dahin, noch einen Schritt weiter rückwärts zu gehen, und jene wichtige Wirkungen an den Zeitpunkt des Prozeſſes zu knüpfen, in welchem zuerſt der Beklagte ſicher und auf amtliche Weiſe ein Be - wußtſeyn des erhobenen Rechtsſtreits erhält. Dieſer Zeit - punkt aber iſt kein anderer, als der der Inſinuation der Klage. Daß dabei der Beklagte blos leidend, ohne eigene Thätigkeit erſcheint, iſt kein Hinderniß, dieſe That - ſache als den Entſtehungsgrund einer Obligation, d. h. als Quaſicontract, anzuerkennen; denn wenn auch im R. R. der Beklagte bei der L. C. als thätig erſcheint, ſo beruht doch dieſe Thätigkeit eben ſo wenig auf ſeinem freien Ent - ſchluß, als die Empfangnahme der Klagſchrift und das dadurch erzeugte Bewußtſeyn. Wenn wir uns alſo ent - ſchließen, das hier angegebene Verfahren einzuſchlagen, ſo entfernen wir uns dadurch weniger von dem wahren Weſen des R. R., als es auf den erſten Blick ſcheinen mag, und wir vermeiden dennoch gänzlich die oben bemerkten Gefahren.
Ehe nun die durch die vorſtehenden Bemerkungen vor - bereitete Unterſuchung weiter geführt wird, iſt es nöthig, den Erfolg und die practiſche Wichtigkeit derſelben näher zu beſtimmen. — Vor Allem muß dieſe Unterſuchung lediglich auf die materiellen Wirkungen beſchränkt bleiben,241§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.von welchen allein auch in der ganzen bisherigen Darſtellung die Rede geweſen iſt. Der Einfluß der L. C. auf den Gang des Prozeſſes liegt ganz außer dem Bereich unſrer Betrachtung, und beruht auch auf ganz anderen Gründen als die hier zu beſtimmende materielle Einwirkung. So z. B. wird geſagt, durch die L. C. würden alle zu dieſer Zeit nicht vorgebrachte Einreden ausgeſchloſſen; eben ſo ſey von dieſer Zeit an eine Veränderung der Klage nicht mehr zuläſſig. Dieſe Folgen entſpringen aber in der That aus der erſten Erklärung des Beklagten als ſolcher, ohne Rückſicht darauf, ob dieſe Erklärung gerade eine L. C. ent - hält, und worin dieſe beſteht. — Eben ſo wird behauptet, durch die L. C. werde die Incompetenz des Richters be - ſeitigt. Allein auch dies iſt nicht eine Folge der L. C. als ſolcher, und ihres etwa ſo oder anders zu beſtimmenden Inhalts, ſondern die Einlaſſung ohne Widerſpruch gegen die Incompetenz wirkt als Prorogation, d. h. als freiwillige Unterwerfung unter dieſes Gericht.
Das ſo eben bemerkte dringende Bedürfniß führte dahin, die Wirkungen der L. C. auf einen früheren Zeitpunkt des Prozeſſes zu verlegen, und dadurch das R. R. der Form nach abzuändern, dem Sinn und Weſen nach aber feſtzu - halten. Dieſes Bedürfniß iſt auch ſchon längſt und häufig, wenngleich oft bewußtlos, anerkannt worden. Es hat ſich offenbart in der oben dargeſtellten Verwandlung des Begriffs der L. C., indem man dem im R. R. aufgeſtellten vollſtändigen Begriff die bloße Erklärung des Beklagten auf die That -VI. 16242Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſachen der Klagen untergeſchoben, und dadurch den ur - ſprünglichen Begriff weſentlich eingeſchränkt hat. Dieſe einſchränkende Verwandlung bezweckte recht eigentlich, das Eintreten der L. C. zu erleichtern und früher herbeizuführen.
Daſſelbe Bedürfniß offenbarte ſich aber ferner in der Annahme, daß ſchon das neue R. R. ſelbſt die L. C. rück - wärts in einen früheren Zeitpunkt verſetzt habe. Es iſt oben gezeigt worden, daß dieſe Annahme mit hiſtoriſchen Mis - verſtändniſſen in der Lehre von der Erbſchaftsklage zuſam - menhängt (§ 264). Möge man aber auch hierüber denken wie man wolle, ſo beſchränken ſich doch ohne Zweifel die Stellen des R. R., welche man jener Annahme zum Grunde legt, allein auf die Erbſchaftsklage, während bei den zahl - reichen übrigen Klagen im R. R. ſtets nur von der L. C. als dem entſcheidenden Zeitpunkt die Rede iſt. Daß man nun dieſes Verhältniß der Quellenzeugniſſe ſo allgemein überſah oder ignorirte, und den Ausſprüchen über die Erb - rechtsklage eine allgemeine Bedeutung, im Widerſpruch mit ſo vielen anderen Ausſprüchen einräumte, erklärt ſich lediglich aus dem richtigen Gefühl des oben erwähnten Bedürfniſſes, dem man nur nicht auf dem richtigen Wege, ſondern auf unkritiſche Weiſe, Befriedigung zu verſchaffen ſuchte.
Ich will es nunmehr verſuchen, eine Überſicht zu geben über den Stand der ſehr auseinandergehenden Meinungen über die hier behandelte Frage.
Einige nehmen als Regel an, daß das urſprüngliche Princip des R. R. noch jetzt gelte, daß alſo die materiellen Wirkungen ſtets auf den Zeitpunkt der L. C. zurückzuführen243§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.ſeyen, wenngleich ſie mitunter einzelne Ausnahmen geſtatten wollen(b)Glück B. 6 S. 205, Hofacker § 1020. 4385, Thi - baut § 709 ed. 8, Mühlenbruch § 144. 372 ed. 4..
Andere behaupten eine gänzliche Umwandlung jenes Princips, indem an die Stelle der L. C. im heutigen Recht als Grund und Anfang wichtiger materieller Wirkungen, die Inſinuation der Klage an den Beklagten getreten ſey(c)Hommel rhaps. Obs. 234, Sintenis Erläuterungen des Ci - vilprozeſſes § 12. 15. 16, Kierulff S. 280 — 284.. Auch in dieſer Meinung kommen einzelne untergeordnete Modificationen vor.
Noch Andere endlich, und zwar in neuerer Zeit die Meiſten, wollen weder das erſte noch das zweite Princip gelten laſſen, indem ſie annehmen, daß für jede einzelne materielle Wirkung der Anfangspunkt beſonders unterſucht und feſtgeſtellt werden müſſe(d)Winckler p. 355 — 365, Martin Prozeß § 152. 156, Linde § 200. 206, Bayer S. 229 — 234, S. 248 — 250, Heffter § 346. 350 ed. 2., Wächter H. 3 S. 86 — 119..
Ich erkläre mich aus den ſchon entwickelten Gründen, in offener Anerkennung des neu eingetretenen unabweislichen Bedürfniſſes, für die zweite Meinung, und nehme daher die Inſinuation der Klage als das heutige Surrogat der Römiſchen L. C. an, ſo daß von der Inſinuation an alle materielle Wirkungen eintreten müſſen, welche das R. R. an die L. C. knüpft. Hierin liegt das einzige durchgreifende Mittel, den Anſpruch des Klägers auf die ſchützenden Vor - ſchriften, welche das R. R. an die L. C. knüpft, gegen die16*244Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.verzögernde Willkühr des Beklagten zu ſichern, für welchen Zweck außerdem der heutige gemeine Prozeß keine aus - reichende Hülfe gewährt. Auch hat die Praxis der meiſten Gerichte dieſe wichtige Veränderung, wenigſtens in den wichtigſten und häufigſten Anwendungen, längſt anerkannt.
Für das aufgeſtellte Princip ſind aber noch folgende nähere Beſtimmungen nöthig.
Bei manchen einzelnen Wirkungen iſt von einigen Schriftſtellern noch ein Unterſchied gemacht worden zwiſchen der Einreichung und der Inſinuation der Klage, um durch das Zurückgehen auf jene einen noch früheren An - fangspunkt der materiellen Wirkungen zum Vortheil des Klägers zu gewinnen; dies iſt insbeſondere für die Unter - brechung der Klagverjährung behauptet worden, da außer - dem in der Zwiſchenzeit die Verjährung ablaufen könnte. Dieſe Behauptung hat keinen Anhalt in unſren Rechts - quellen, und iſt ſchon als kleinlich zu verwerfen. Beſonders aber widerſpricht ſie gänzlich dem Princip, nach welchem es weſentlich darauf ankommt, daß in dem Beklagten ein Bewußtſeyn des erhobenen Rechtsſtreits entſtanden ſeyn müſſe. Wo in der That ein ſolcher Verluſt eintritt, wird es nicht leicht ohne Nachläſſigkeit des Klägers geſchehen, und wo dieſe gar nicht vorhanden iſt, wird durch Reſtitu - tion geholfen werden können(e)Etwa ſo, wie gegen die ſchuldlos verſäumte damni infecti sti - pulatio Reſtitution gegeben wird. L. 9 pr. de damno inf. (39. 2).. Man könnte ſogar in der ängſtlichen Vorſorge noch weiter gehen, und zwiſchen der Abſendung der Klagſchrift und deren Empfang von Seiten245§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.des Richters unterſcheiden, indem ja auch noch in dieſer Zwiſchenzeit ein Ablauf der Verjährung denkbar iſt.
Es iſt ferner behauptet worden, wenn man auch die Inſinuation als heutiges Surrogat der L. C. im Allge - meinen anerkennen wollte, ſo müßte doch noch die beſchrän - kende Bedingung hinzugefügt werden, daß es in Folge derſelben auch wirklich zu einem Rechtsſtreit gekommen ſey, indem außerdem weder eine lis noch eine contestatio (Kriegsbefeſtigung) angenommen werden könne; ohne das Daſeyn einer ſolchen aber ſey für die materiellen Wirkungen kein rechtfertigender Grund vorhanden. — Obgleich dieſe Behauptung vielen Schein hat, ſo muß ich doch das prac - tiſche Bedürfniß für die erwähnte Einſchränkung verneinen. Erwägt man nämlich die verſchiedenen Gründe, welche die wirkliche Entſtehung des Rechtsſtreits verhindern können, ſo liegt in denſelben kein Bedürfniß, durch jenes Mittel einen ungerechten Nachtheil von dem Beklagten abzuwenden, welches doch eigentlich der Sinn jener Behauptung iſt. — Der Grund kann zuerſt darin liegen, daß der Beklagte gar keinen Streit führen will, indem er den Anſpruch des Klägers einräumt; dann iſt von Wirkungen der L. C. ohnehin nicht die Rede. — Oder der Rechtsſtreit wird deswegen nicht erfolgen, weil die Klage vor einem incompetenten Richter, oder gegen einen unrichtigen Beklagten angeſtellt iſt. Auch dann kann von Wirkungen der L. C. nicht die Rede ſeyn, indem dieſer irrige Verſuch eines Rechtsſtreits mit dem vielleicht nachher folgenden wahren Rechtsſtreit keinen Zuſammenhang hat(f)So bewirkt z. B. die Anſtellung der Klage eine Unterbrechung der.
Nachdem nunmehr das Princip für das heutige Recht aufgeſtellt worden iſt, ſind die einzelnen Anwendungen deſſelben, mit Rückſicht auf die Meinungen neuerer Schrift - ſteller, durchzugehen. Ich werde dabei die Ordnung be - folgen, nach welcher in der gegenwärtigen Abhandlung die materiellen Wirkungen der L. C. zuſammen geſtellt worden ſind. Dabei muß noch die Bemerkung vorausgeſchickt werden, daß zwei dieſer Wirkungen durch ihr häufiges Vorkommen, ſo wie durch ihre practiſche Wichtigkeit, vor allen anderen ſich auszeichnen. Ich meine die Unterbrechung der Klagverjährung, und die omnis causa, d. h. die Ver - gütung der Vortheile, die dem Kläger durch die Dauer des Rechtsſtreits entzogen worden ſind, insbeſondere Früchte und Zinſen. Bei dieſen Punkten hat ſich denn auch vor - zugsweiſe eine feſte Praxis der Gerichte ausgebildet.
1. Der Quaſicontract in der L. C., d. h. die in der Römiſchen L. C. enthaltene contractähnliche Obliga - tion (§ 258).
Darin liegt nicht ſowohl eine einzelne practiſche Folge, als vielmehr die Grundlage und der zuſammenfaſſende Ausdruck für die einzelnen Folgen, welche nun der Reihe nach aufgeführt werden ſollen. Daher hat ſich auch dafür,(f)Klagverjährung nur zwiſchen dieſem beſtimmten Kläger und Beklagten. S. o. B. 5 S. 320.247§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)wegen der abſtracten oder theoretiſchen Natur dieſer Wirkung, eine Praxis der Gerichte nicht eigentlich ausbilden können.
Dagegen iſt ſie vorzugsweiſe dazu geeignet, den wahren Sinn der hier behaupteten Neuerung, im Gegenſatz der ihr widerſprechenden Behauptung, zur Anſchauung zu bringen.
Die Meinung geht nämlich dahin, daß im heutigen gemeinen Prozeß der Quaſicontract mit allen ſeinen Folgen zu Stande kommt im Augenblick der Inſinuation der Klage.
Die entgegen geſetzte Behauptung, welche das R. R. aufrecht zu erhalten vorgiebt, dieſes aber nur ſcheinbar und dem Buchſtaben nach thut, geht dahin: der Quaſi - contract ſey geſchloſſen in dem Augenblick, worin ſich der Beklagte zuerſt auf den thatſächlichen Inhalt der Klage erklärt. Ein innerer Grund dieſer Verbindung des Quaſi - contracts mit der thatſächlichen Erklärung des Beklagten iſt nicht vorhanden, wird auch in der That von Keinem behauptet. Jene Verbindung iſt vielmehr die blos zufällige Folge des Umſtandes, daß das R. R. den Quaſtcontract an die L C. knüpfte (die damals etwas Anderes bedeutete), und daß man ſich vom Mittelalter her allmälig gewöhnt hat, den Römiſchen Namen litis contestatio für die Er - klärung des Beklagten über die Thatſachen zu gebrauchen.
2. Unterbrechung der Klagverjährung (§ 261. No. I.).
Dieſes war eine der wichtigſten Wirkungen der L. C., ſie ſteht aber mit ihr nicht mehr in Verbindung, ſeitdem das neuere R. R. dieſe Wirkung an den früheren Zeitpunkt der Inſinuation ausdrücklich angeknüpft hat (§ 242. 243).
248Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.In dieſem einzelnen Fall alſo hat ſchon das R. R. die wichtige Umwandlung wirklich vollzogen, die hier dem heutigen Recht auch für alle übrigen Fälle zugeſchrieben wird.
Der richtigeren Meinung nach iſt mit dieſer Unter - brechung der bisher laufenden Klagverjährung (die oft eine ſehr kurze iſt) ſtets auch die Begründung einer neuen Klagverjährung, und zwar nun von Vierzig Jahren, ver - bunden. Manche wollen ohne Grund dieſe beide Wirkungen von einander trennen, und an verſchiedene Zeitpunkte des Prozeſſes knüpfen; ſie nennen dann die Begründung der vierzigjährigen Verjährung die Perpetuation der Klage(a)S. o. B. 5 S. 323..
3. Entkräftung der Uſucapion (§ 261. No. II.).
Manche behaupten eine wirkliche Unterbrechung der Uſucapion, und wenden dann die Unterbrechung der Klag - verjährung, mit dem Zeitpunkt derſelben, unmittelbar auf die Uſucapion an. Dieſe Meinung iſt oben widerlegt worden.
Dagegen iſt es richtig, daß der Beklagte die Verpflich - tung hat, wenn während des Rechtsſtreits die Uſucapion abläuft, die Folgen derſelben dadurch auszutilgen, daß er das ſo erworbene Eigenthum zurück auf den Kläger über - trägt. Dieſe Verpflichtung iſt eine einzelne Folge des Quaſicontracts, entſteht alſo mit dieſem im Augenblick der Inſinuation.
4. Übergang der nicht vererblichen Klagen auf die Erben des Beklagten (§ 262. IV.)(b)nicht auch auf die Erben des Klägers (§ 264. a)..
249§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)Hier behaupten die Meiſten, daß noch jetzt die L. C. als Anfang des Übergangs feſtgehalten werden müſſe(c)Carpzov jurispr. for. P. 4 Const. 46 Def. 6. — Winck - ler p. 357. — Pufendorf obs. IV. 94. — Glück B. 6 S. 205. — Martin Prozeß § 156. — Linde Prozeß § 206. — Bayer Civil - prozeß S. 248. — Wächter H. 3 S. 112 — 114.. Gerade hier aber iſt die practiſche Unhaltbarkeit dieſer An - ſicht recht augenſcheinlich. Wenn Jemand durch ein Delict zur Entſchädigung verpflichtet iſt, ſo ſoll die hierauf gerich - tete Pönalklage nur mit großen Beſchränkungen auf die Erben des Beklagten übergehen (§ 211); dagegen läßt das R. R., von der L. C. an, den Uebergang unbedingt zu. Es iſt aber wohl einleuchtend, daß es einem ſolchen Beklagten am wenigſten zukommen darf, durch abſichtliche Verzögerung der L. C. den Übergang auf die Erben zu vereiteln. — Auch liegt der Grund, der hier eine ſo viel - ſtimmige Vertheidigung des alten Rechtsſatzes veranlaßt, nicht etwa in einem inneren Bedürfniß dieſes beſonderen Falles, welches von keinem behauptet wird; er liegt viel - mehr nur darin, daß viele Stellen des R. R. die L. C. als Zeitpunkt des Übergangs anerkennen. Dieſes nun ſoll gewiß nicht bezweifelt werden, aber es iſt in dieſem Fall nicht mehr wahr, als in manchen anderen Anwen - dungen, worin doch jene Vertheidiger ſelbſt (ohne gehörige Conſequenz) die L. C. Preis geben.
Einige Schriftſteller dagegen behaupten gerade für dieſen Fall den Übergang von der Zeit der Inſinuation an, jedoch aus einem irrigen Grunde(d)Francke Beiträge S. 43. — Sintenis Erläuterungen S. 148; dieſer will ſogar auf die Zeit der Einreichung der Klage zurückgehen.. Ein Reichs -250Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzunggeſetz verordnet nämlich für den Fall des Landfriedensbruchs ausdrücklich, daß die Strafe auch gegen die Erben des Thäters gehen ſoll, ſelbſt wenn er vor der L. C. ſtirbt(e)K. G. O. 1555 Th. 2 Tit. 9 § 6.. Dieſes iſt aber ſo wenig Ausdruck einer allgemeinen Regel für alle Klagen überhaupt, wofür es doch von jenen Schriftſtellern ausgegeben wird, daß es vielmehr als ein Zeugniß in entgegengeſetzter Richtung angeſehen werden könnte, da es offenbar die Abſicht des Geſetzes iſt, jenes Verbrechen mit beſonderer Strenge zu behandeln.
Nach der Praxis des Oberappellationsgerichts zu Lübeck tritt der Übergang auf die Erben mit der Inſinuation ein.
5. Entſtehung des Rechts des Klägers erſt während des Rechtsſtreits (§ 262. N. V.).
Wenn der Kläger eine Eigenthumsklage anſtellt, ohne Eigenthum zu haben, dieſes aber nach der L. C. erwirbt, ſo ſoll er in dieſem Prozeß nicht gewinnen können, ſondern genöthigt ſeyn eine neue Klage anzuſtellen.
Daß auch hier die Inſinuation an die Stelle der L. C. geſetzt werde, iſt zwar nicht ſehr wichtig, folgt aber aus dem Princip. Auch iſt es in dieſem früheren Stadium des Prozeſſes für den Kläger noch weniger als ſpäter läſtig, die erſte Klage fallen zu laſſen, und eine neue anzuſtellen. Dagegen kann es, wie oben bemerkt worden iſt, den Be - klagten ohne Grund gefährden, wenn dieſer in Voraus - ſetzung des früheren Rechtszuſtandes ſeine Vertheidigung einrichtet, ohne die eingetretene neue Thatſache zu kennen und zu berückſichtigen.
251§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)6. Entſtehung der Mora und der mala fides (§ 264).
Die von vielen aufgeſtellte Behauptung, welche jene Momente an die L. C. anknüpft, iſt im Princip ohnehin zu verwerfen, wie ſchon oben gezeigt worden iſt. Was aber dabei an relativer Wahrheit etwa zugegeben werden kann, daß nämlich oft, nach den Umſtänden des einzelnen Falles, einzelne Momente des Prozeſſes den Richter zur Annahme einer Mora beſtimmen können (§ 264. g), — dieſes iſt von der Inſinuation eben ſo wahr als von der L. C.
7. Omnis causa, insbeſondere Früchte und Zinſen, mit Einſchluß der verſäumten Früchte (§ 265 — 271).
Dieſe Wirkung iſt geradezu die wichtigſte unter allen. Wir müſſen ſie an die Inſinuation knüpfen, in Anwendung des allgemeinen Princips, deſſen practiſche Wahrheit gerade bei dieſer Anwendung recht anſchaulich wird. Der Beklagte wird hier zu gewiſſen Leiſtungen verpflichtet, und ſelbſt mit einer beſonderen Strenge verpflichtet, weil er ſich eventuell als den Verwalter fremder Vermögens - ſtücke anzuſehen hat. Dieſes Bewußtſeyn können wir ihm mit gutem Grunde zuſchreiben, ſobald er durch die Inſi - nuation von dem Rechtsſtreit Kenntniß erhält. Es iſt abe durchaus kein innerer Grund vorhanden, den Anfang dieſes Bewußtſeyns gerade in den Zeitpunkt zu ſetzen, in welchem er ſich über die thatſächlichen Behauptungen der Klage erklärt.
Hierin ſind die Meinungen getheilt. Einige halten feſt252Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.an der L. C.(f)Linde Prozeß § 206. Bei ihm ſcheint mir dieſe Behauptung beſonders inconſequent, da er doch im § 200 die Mora und die mala fides mit der Inſinuation an - fangen läßt.. Die Meiſten dagegen nehmen bei dieſem wichtigſten Punkte ganz richtig die Inſinuation als Anfang jener Verpflichtung an(g)Winckler p. 365 (nach der Praxis der meiſten Gerichte). — Kind quaest. for. T. 3 C. 88, T. 4 C. 46. — Martin § 152. — Bayer S. 233. — Kierulff S. 278 in Verbindung mit S. 281. — Wächter H. 3 S. 105 — 110. Mit dieſer richtigen Meinung ſtimmt überein die Praxis des O. A. G. zu Lübeck, welches von der Inſi - nuation an Zinſen zuerkennt. Eben ſo die Praxis des Reviſionshofs zu Berlin, ſo wie die der Juriſten - facultät zu Berlin (§ 271. u. v. w)., aber freilich indem ſie großen - theils dieſer ihrer Behauptung einen nicht haltbaren Grund unterlegen. Sie berufen ſich dabei auf mehrere Ausſprüche des R. R. über die Erbrechtsklage, indem ſie den beſonderen hiſtoriſchen Zuſammenhang dieſer Ausſprüche unbeachtet laſſen, und zugleich den Inhalt derſelben generaliſiren, dabei aber die zahlreichen Stellen des R. R. unbeachtet laſſen, die für ſo viele andere Klagen entgegengeſetzte Beſtimmungen enthal - ten. Der Grund dieſes unkritiſchen Verfahrens liegt in einer allgemeinen Anſicht, die für die ganze Auffaſſung unſres Gegenſtandes ſo wichtig iſt, daß ich dabei noch etwas verweilen muß.
Man geht davon aus, das ältere R. R. habe die L. C. an die Spitze des ganzen Rechtsſtreits geſtellt, und als Anfangspunkt wichtiger materieller Wirkungen behandelt; es gehöre aber zu einem an ſich vollkommneren Zuſtand des Prozeßrechts, daß dieſe wichtige Stelle vielmehr der Vorladung des Beklagten eingeräumt werde. Dieſes habe Hadrian wohl erkannt, und daher ſey in dem Sc. Juven -253§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)tianum bei der Erbrechtsklage der große Fortſchritt gemacht worden, nicht mehr bei der L. C. ſtehen zu bleiben, ſondern jene Wirkungen in einem früheren Zeitpunkt eintreten zu laſſen. Es liege nur an der einſichtsloſen Juſtinianiſchen Compilation, wenn dieſer Gedanke nicht rein und allge - mein durchgeführt erſcheine, ſondern Altes und Neues un - verbunden neben einander liege. Wir aber handelten ganz im Sinn der Entwicklung des R. R., wenn wir jene Durchführung noch jetzt vornähmen, den Gedanken Ha - drians generaliſirten, und Alles von der Vorladung ab - hängig machten(h)Mehr oder weniger liegt der im Text entwickelte und be - kämpfte Gedanke bei den Meiſten ſtillſchweigend zum Grunde. Am vollſtändigſten ausgebildet findet er ſich bei Kierulff S. 280 bis 284..
Dieſe Auffaſſung muß ich für durchaus verwerflich erklären. Ob es überhaupt beſſer iſt, die Vorladung oder die L. C. an die Spitze zu ſtellen und als entſcheidenden Punkt zu behandeln, läßt ſich im Allgemeinen nicht ſagen; es hängt von der Einrichtung des ganzen Prozeßverfahrens ab. So lange der alte ordo judiciorum in ſeiner Reinheit und Vollſtändigkeit beſtand (wie ganz gewiß in Hadrians Zeit), war die alte Stellung der L. C. dem Zweck des Prozeſſes völlig entſprechend, alſo durchaus gut und keiner Veränderung bedürftig. Hadrians Neuerungen hierin ſind auch gar nicht aus der Abſicht einer Vervollkommnung des Prozeßrechts im Allgemeinen entſprungen, ſondern lediglich aus den ganz eigenthümlichen Bedürfniſſen der Erbrechtsklage. Hätte er die ihm untergeſchobene Abſicht eines Fortſchritts254Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.im Prozeßrecht gehabt, ſo wäre es doch wunderbar, daß die großen Juriſten einer weit ſpäteren Zeit, daß Papi - nian und Ulpian nicht hinter das Geheimniß jenes Ge - dankens gekommen ſeyn ſollten; daß ſie ſtets von der L. C. als dem entſcheidenden Zeitpunkt ſprechen, anſtatt die Vor - ladung allgemein an deren Stelle zu ſetzen.
8. Vergütung des Untergangs und der Be - ſchädigung der Sache, wenn dieſe während des Rechtsſtreits durch Dolus oder Culpa des Be - klagten erfolgt (§ 272).
9. Vergütung des zufälligen Untergangs in demſelben Zeitraum, wenn der Beklagte ein un - redlicher Beſitzer iſt (§ 273).
Dieſe beide Folgen ſtehen, eben ſo wie die Verpflichtung für die Früchte, in unmittelbarem Zuſammenhang mit dem Quaſicontract, und müſſen alſo, genau ſo wie dieſer, von der L. C. auf die Zeit der Inſinuation übertragen werden.
Ich faſſe dieſe Unterſuchung über den Zuſtand des heutigen Rechts kurz zuſammen. Das R. R. knüpft die wichtigſten materiellen Wirkungen an den Eintritt der L. C. Durch die ſehr veränderte Lage des Prozeſſes ſind wir genöthigt, dieſen Grundſatz dem Buchſtaben nach zu verlaſſen, und nur dem Sinn und Zweck nach feſt zu halten, indem wir den Anfang jener Wirkungen von der L. C. auf die Inſinuation übertragen.
Wenn ich neben dieſer Überzeugung den Namen der L. C. überall beibehalten, und ſelbſt an die Spitze der255§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)gegenwärtigen Abhandlung geſtellt habe, ſo iſt Dieſes mit Abſicht geſchehen. Es iſt geſchehen, weil es dazu dient, den Schatz juriſtiſcher Einſicht, der uns in den Quellen des R. R. auch für dieſe Lehre aufbewahrt iſt, zugänglicher zu erhalten, und weil uns zugleich der Zuſammenhang mit der geſammten juriſtiſchen Literatur, vom Mittelalter bis auf unſre Zeit, geſtört wird, wenn wir jene Bezeichnung aufgeben.
Gemeint aber iſt in dieſer ganzen Unterſuchung der materielle Einfluß der Dauer des Rechtsſtreits auf das ſtreitige Rechtsverhältniß. Wenn dabei die L. C. von den Römern als entſcheidendes Moment bezeichnet wurde, ſo geſchah es nicht, als ob man ihr eine beſondere, geheimnißvolle Kraft hätte beilegen wollen. Es geſchah, weil ſie dazu geeignet war, den genauen Anfangspunkt des Rechtsſtreits zu bezeichnen, und ſo in ihr den Rechts - ſtreit gleichſam zu perſonificiren. Wir aber haben wichtige Gründe, hierin die Inſinuation an ihre Stelle treten zu laſſen.
Eine Beſtätigung der hier entwickelten, großentheils auch von neueren Schriftſtellern anerkannten, Meinung über das wahre Bedürfniß des heutigen Rechts, finde ich in dem Wege, den die Preußiſche Geſetzgebung eingeſchlagen hat. Bei der Feſtſtellung derſelben kam es zur Sprache, mit welchem Zeitpunkt die eigenthümlichen Prozeßverpflich - tungen anfangen ſollten, die daſelbſt mit dem Namen des unredlichen Beſitzes bezeichnet werden (§ 264). An die L. C., wie ſie die neueren Romaniſten annahmen, d. h. an256Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die Zeit der eingereichten Exceptionsſchrift, konnte man nicht denken, weil man den ſchriftlichen Prozeß des neueren gemeinen Rechts verlaſſen hatte(i)Hätte man ſich ganz an den wahren Sinn des R. R. an - ſchließen wollen, ſo fand man in dem status causae et contro - versiae des Preußiſchen Prozeſſes einen richtigen Vergleichungspunkt (§ 259. o). Allein jener wahre Sinn war damals auch unter den Romaniſten faſt ganz vergeſſen, und ſo kam der hier erwähnte Zeit - punkt nicht einmal in Frage. Auch iſt gar nicht meine Meinung es zu tadeln, daß dieſer Zeitpunkt nicht gewählt wurde; denn aller - dings wäre derſelbe nicht auf alle Arten des Prozeſſes anwendbar geweſen, wie es die Inſinuation in der That iſt. — Faſt möchte man aber glauben, Suarez habe an - genommen, die L. C. ſey im R. R. mit der Inſinuation identiſch. Denn er ſagt in Kamptz Jahrb. B. 41 S. 8. 9: „ daß das R. R. .. mit dem Tage, da der Possessor b. F. per litis contestationem in malam fidem verſetzt worden; “und gleich nachher: „ Nach der Römiſchen Theorie hängt es blos vom Zufall ab, zu welcher Zeit der Beſitzer durch Inſinuirung der Citation in malam Fidem verſetzt wird. “ Die Stellen ſind richtig abgedruckt, ſie ſtehen Vol. 88 f. 47 der Materialien, und ſind in der Zeit des letzten Abſchluſſes der Geſetzgebung niedergeſchrieben.. Daher wurde zuerſt vorgeſchlagen, die Verkündigung des Urtheils als Zeitpunkt anzunehmen; es wurde aber dieſer Vorſchlag verworfen, und die Inſinuation der Klage als Zeitpunkt angenommen (§ 264. z). Und ſo findet ſich hier, neben einer ſehr ver - ſchiedenen Auffaſſung und Ausdrucksweiſe, dennoch ein hoher Grad innerer Übereinſtimmung, hervorgegangen aus dem richtigen Gefühl des wahren practiſchen Bedürfniſſes.
Das Weſen jedes Rechtsſtreits beſteht in einem Gegen - ſatz von Behauptungen und Anſprüchen der Parteien (§ 256), und die Aufgabe geht dahin, dieſen GegenſatzVI. 17258Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.von einem höheren Standpunkt aus in Einheit aufzu - löſen.
Dieſe Auflöſung hat, eben ſo wie die bisher abgehan - delten Stücke des Rechtsſtreits, ihre formelle und ihre materielle Seite. Jene beſteht bei dem ganzen Rechtsſtreit in der Thätigkeit der Parteien und des Richters, alſo in der Form und Einrichtung der Prozeßhandlungen, ihrer Folge und ihrem Zuſammenhang; insbeſondere bei dem Theil des Rechtsſtreits, wovon gegenwärtig die Rede iſt, in der Art, wie der Richter zum Ausſpruch eines Urtheils gelangt, ſo wie in der Form und dem Inhalt des Ur - theils. — Die materielle Seite des Urtheils beſteht in der Rückwirkung deſſelben auf den Inhalt und Umfang der Rechte ſelbſt; ſie allein gehört zur Aufgabe unſres Rechts - ſyſtems, und bildet in demſelben einen Theil des Actio - nenrechts (§ 204).
Dieſe Lehre gehört unter die wichtigſten des ganzen Rechtsſyſtems. Sie iſt von ſehr häufiger Anwendung, und die Wirkungen derſelben ſind noch bedeutender, als die der Litisconteſtation. Daher muß es auffallen, daß gerade dieſe Lehre ſowohl in Vorleſungen als in Rechtsſyſtemen meiſt vernachläſſigt worden iſt, und auch durch beſondere Schriften keine hinreichende Bearbeitung erfahren hat(b)Dieſe auffallende Vernachläſſigung wird gerügt von Puchta im rhein. Muſeum B. 2 S. 251.. Selbſt in umfaſſenden neueren Geſetzgebungen iſt derſelben nur geringe Beachtung zu Theil geworden.
259§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.Daß aber das richterliche Urtheil eine ſolche Rückwir - kung auf den Inhalt der Rechte ausübt, wie es oben als die Aufgabe des gegenwärtigen Abſchnitts bezeichnet worden iſt, das verſteht ſich keinesweges von ſelbſt, und iſt nicht etwa eine aus dem Begriff des Richteramtes abzuleitende natürliche oder nothwendige Folge. Aus dieſem Begriff folgt nur, daß jeder Rechtsſtreit entſchieden, und daß dieſe Entſcheidung durch äußere Macht, ſelbſt gegen den Willen der unterliegenden Partei, zur Ausführung gebracht werde. Wenn aber in irgend einem ſpäteren Rechtsſtreit die Rich - tigkeit des früheren Urtheils in Zweifel gezogen wird, ſo ſcheint es natürlich, eine neue Prüfung vorzunehmen. Wird dabei das Urtheil als ein irriges erkannt (ſey es von demſelben oder von einem anderen Richter), ſo ſcheint es eine einfache Forderung der Gerechtigkeit, den früheren Irrthum zu berichtigen, und das begangene Unrecht gut zu machen, indem das zuletzt erkannte wahre Recht geltend gemacht wird.
Betrachten wir jedoch näher die Folgen, die mit einem ſolchen, ſcheinbar natürlichen und gerechten Verfahren un - vermeidlich verbunden ſeyn würden. Hier müſſen wir vor Allem anerkennen, daß ſehr häufig die Entſcheidung eines Rechtsſtreits ungemein zweifelhaft ſeyn kann, bald wegen einer ſtreitigen Rechtsregel, bald wegen ungewiſſer That - ſachen, bald weil die Thatſachen in ganz verſchiedener Weiſe unter die Rechtsregeln bezogen werden können. Da - her würde es oft geſchehen können, daß ein richterliches17*260Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Urtheil ſpäter durch ein entgegengeſetztes Urtheil entkräftet würde. Mit dieſer Abänderung aber wäre die Sache noch keinesweges zu Ende. Denn ein noch ſpäterer Richter könnte wieder das zweite Urtheil als irrig anſehen, und nun das erſte wieder herſtellen, oder auch eine von beiden verſchiedene Meinung durchführen. Die nothwendige Folge jenes Verfahrens alſo würde eine wahrhaft endloſe Un - ſicherheit des Rechtszuſtandes ſeyn, ſobald einmal irgend ein Rechtsverhältniß Gegenſtand eines Streites geworden wäre.
Aus dieſer Betrachtung geht hervor, daß wir zwei ſehr ernſte Gefahren von entgegengeſetzter Art vor uns haben. Auf der einen Seite ſteht die Gefahr, daß wir ein aus dem Irrthum oder böſen Willen eines Richters entſprunge - nes Urtheil aufrecht halten müſſen, auch wenn wir deſſen Ungerechtigkeit mit voller Ueberzeugung einſehen. Auf der anderen Seite die Gefahr einer völlig gränzenloſen Unge - wißheit der Rechts - und Vermögensverhältniſſe, die ſich durch viele Geſchlechter hindurch ziehen kann. Zwiſchen dieſen beiden Gefahren haben wir zu wählen. Es iſt eine Frage der Rechtspolitik, welches unter den Uebeln, die aus dieſen entgegengeſetzten Gefahren hervorgehen können, das größere iſt, und auf dieſe Frage kann nur die erfahrungs - mäßige Erwägung der wirklichen Zuſtände und Bedürfniſſe eine ſichere Anwort geben.
Dieſe Erwägung hat von ſehr alter Zeit her, und in der Geſetzgebung verſchiedener Völker, dahin geführt, die zuletzt erwähnte Gefahr der Rechtsunſicherheit als die weit261§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.größere, ja völlig unerträgliche, anzuerkennen, und für ihre Abwendung durch ein poſitives Rechtsinſtitut die nöthige Anſtalt zu treffen. Damit wird zugleich mit deutlichem Bewußtſeyn die entgegengeſetzte Gefahr übernommen, daß zuweilen ungerechte Urtheile ohne Abhülfe aufrecht erhalten werden müſſen; dieſe Gefahr aber iſt nicht nur an ſich ſelbſt die geringere, ſondern es iſt auch noch das Mittel gefunden worden, ſie durch eine beſondere künſtliche Anſtalt (die Inſtanzen) zu vermindern, von welcher weiter unten die Rede ſeyn wird (§ 284).
Das höchſt wichtige Rechtsinſtitut, wodurch der ange - gebene Zweck erreicht werden ſoll, läßt ſich im Allgemeinen als die Rechtskraft der richterlichen Urtheile bezeichnen, welche nichts Anderes iſt, als die Fiction der Wahr - heit, wodurch das rechtskräftige Urtheil gegen jeden künf - tigen Verſuch der Anfechtung oder Entkräftung geſichert wird. Ein geiſtreicher Schriftſteller hat dafür den Aus - druck des förmlichen Rechts, im Gegenſatz des wirk - lichen Rechts, gebraucht(c)Möſer patriotiſche Phan - taſieen B. 4 N. 30.. Der allgemeinſte Ausſpruch über den Inhalt und die Gründe dieſes Rechtsinſtituts findet ſich in folgender Stelle aus dem Commentar des Paulus zum Edict:
(d)falſch wäre, da man oft zwiſchen vielen Klagen die Wahl hat. Singulas actiones sufficere heißt vielmehr: man ſoll nicht mehrmals aus demſelben Rechtsgrund klagen. Es iſt der Ausdruck für die Kla - genconſumtion, alſo derſelbe Ge - danke, wie in dem alten Rechts - ſpruch, welchen Quinctilian. inst. or. VII. 6 anführt, indem er deſſen zweideutige Faſſung bemerklich macht: „ quod scriptum est: bis de eadem re ne sit actio. “
263§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.Es iſt einleuchtend, daß mit dieſer, dem rechtskräftigen Urtheil beigelegten Fiction der Wahrheit eine ſehr ſtarke Rückwirkung der bloßen Prozeßhandlung auf die Rechte ſelbſt verbunden iſt. Denn durch dieſe Fiction kann es geſchehen, daß ein vorher nicht vorhandenes Recht neu erzeugt, oder daß ein vorhandenes Recht zerſtört, vermindert, oder in ſeinem Inhalt verändert wird.
Der praktiſche Werth dieſes Rechtsinſtituts bedarf noch einer kleinen Erläuterung. Auf den erſten Blick könnte man glauben, die Rechtskraft ſey wichtig bei ungerechten Urtheilen, durch welche das vorhandene Rechtsverhältniß in ſein Gegentheil verkehrt wird, unwichtig bei gerechten, durch welche nur dasjenige beſtätigt wird, welches ohnehin und ohne Rechtskraft wahr iſt. Wäre dem alſo, ſo müßte man die Abſchaffung des ganzen Inſtituts wünſchen; es verhält ſich aber in der That ganz anders. Zwar iſt allerdings die Einwirkung der Rechtskraft beſonders ſtark und auffallend in dem unglücklichen Fall eines ungerechten Urtheils, für welchen Fall es gewiß nicht eingeführt iſt, und deſſen Möglichkeit wir nur mit hinnehmen müſſen als ein unvermeidliches Übel; aber wichtig und heilſam iſt die Rechts - kraft auch im Fall des gerechten Urtheils, deſſen Befeſti - gung eben ihren ganzen Zweck ausmacht. Wenn man erwägt, wie viele Rechtsverhältniſſe an ſich ſchwankend und zweifelhaft ſind, wie oft es geſchieht, daß ein jetzt vorhandenes Beweismittel ſpäterhin fehlt, daß ein ſpäterer Richter irren kann, wo der gegenwärtige richtig urtheilte264Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und daß die Entſchiedenheit an ſich (abgeſehen von dem Inhalt des Urtheils), im Gegenſatz der fortdauernden Un - gewißheit, für alle Theile wünſchenswerth iſt — wenn man dieſes Alles erwägt, ſo wird man geneigt ſeyn, die hohe Wichtigkeit des Einfluſſes der Rechtskraft auch für den Fall gerechter Urtheile anzuerkennen.
Die nun folgende Lehre von der Rechtskraft ruht, ſo wie das ganze vorliegende Werk, auf dem Boden des Rö - miſchen Rechts; aber die Fragen, die hier zur Erörterung kommen müſſen, ſind ſo allgemeiner Natur, daß ſie überall ihre Beantwortung fordern, auch da, wo von dem Römi - ſchen Recht keine Anwendung gemacht wird. — Ferner würde es irrig ſeyn anzunehmen, daß der Werth und Erfolg dieſer Unterſuchung an irgend eine beſondere Form des Prozeßverfahrens gebunden wäre. Sie wird ſchon hier angeſtellt für den altrömiſchen Formularprozeß, den Prozeß der Juſtinianiſchen Zeit, und den gemeinen deutſchen Prozeß. Das Bedürfniß derſelben tritt aber auch gleichmäßig hervor im Prozeß des Preußiſchen, ſo wie in dem des Franzöſiſchen Rechts.
Das Rechtsinſtitut, welches nunmehr abgehandelt werden ſoll, und zu deſſen Einleitung die vorſtehende Betrachtung beſtimmt iſt, ſetzt den regelmäßigen Gang eines Rechts - ſtreits voraus. Der vollſtändigen Überſicht wegen muß aber ſchon hier auf die anomalen Entwicklungen ſtreitiger265§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.Rechtsverhältniſſe hingedeutet werden, die neben dem rechts - kräftigen Urtheil vorkommen können.
Dahin gehören einige Rechtsinſtitute, welche die Stelle eines Urtheils vertreten können, und eben deshalb das Urtheil unnöthig machen. Unter dieſe Surrogate des Urtheils gehört der Eid, die in jure confessio und re - sponsio.
Es gehört dahin aber auch ein Rechtsinſtitut, welches, ſo wie das Urtheil, auf der Thätigkeit einer richterlichen Obrigkeit beruht, aber eine andere und weiter gehende Be - ſtimmung hat. Anſtatt daß das Urtheil keine andere Auf - gabe hat, als das vorhandene Recht zu erkennen und zur Geltung zur bringen, beruht die in integrum restitutio vielmehr auf der beſondern Macht der Obrigkeit, unter ge - wiſſen Bedingungen in das vorhandene Recht mit Abſicht und Bewußtſeyn einzugreifen und daſſelbe abzuändern.
Dieſe Inſtitute werden nach Beendigung der Lehre vom Urtheil abgehandelt werden.
Die mit der Rechtskraft verbundene Fiction der Wahr - heit iſt bisher nur erſt als ein Zweck, der erreicht werden ſoll, aufgeſtellt worden. Es fragt ſich nunmehr, durch welche Mittel dieſer Zweck herbeizuführen iſt, durch welche Rechtsform jenes Inſtitut in das Leben eingeführt werden ſoll. Dieſe Frage läßt ſich nur durch die geſchichtliche266Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Entwicklung der Rechtskraft beantworten. Dabei iſt es vor Allem nöthig, die verſchiedenen Fälle zn betrachten, in welchen jene Aufgabe hervortreten kann. Es iſt nämlich möglich, daß der Richter zum Vortheil des Klägers ent - ſcheidet durch Verurtheilung des Beklagten: oder zum Vor - theil des Beklagten durch Abweiſung des Klägers. In beiden Fällen ſollen dem Sieger für alle Zukunft die Vor - theile geſichert werden, die ihm das Urtheil zuſpricht. Wie kann Dieſes geſchehen?
Für den erſten Fall ſcheint eine künſtliche Anſtalt kaum nöthig. Durch Execution wird der Beklagte zur Erfüllung des Urtheils gezwungen, und dadurch ſcheint der Kläger für immer befriedigt und geſichert. Daher hatte das ältere Römiſche Recht für dieſen Fall keine beſondere Vorſorge ge - troffen, und in den meiſten Fällen iſt auch keine nöthig. Es wird aber weiterhin gezeigt werden, daß es Verwick - lungen der Rechtsverhältniſſe giebt, für welche dieſe ein - fache Behandlung nicht ausreicht.
Anders verhält es ſich in dem zweiten Fall. Der Be - klagte, der völlig freigeſprochen, oder nicht in dem Umfang, wie es der Kläger verlangte, verurtheilt iſt, kann immer wieder durch neue Klagen beunruhigt werden, und gegen dieſe Gefahr iſt er durch eine künſtliche Anſtalt zn ſchützen.
Das ältere Römiſche Recht gieng dabei ſo zu Werk, daß es den Schutz des Beklagten ſchon in einen früheren Zeitpunkt des Rechtsſtreits legte. Jede Klage, welche bis zur Litis-Conteſtation gebracht war, galt als erſchöpft oder267§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.conſumirt, nnd konnte nie wieder von Neuem vorgebracht werden, ohne Unterſchied, ob es zu einem Urtheil gekom - men war oder nicht, und welchen Inhalt das etwa ge - ſprochene Urtheil haben mochte. Bei manchen perſönlichen Klagen trat dieſe Vernichtung des früher vorhandenen Klagerechts ipso jure ein, bei allen anderen Klagen ver - mittelſt einer exceptio rei in judicium deductae, welche jede neue Klage ausſchloß (§ 258).
Kam es nun, wie in den meiſten Fällen, in der That zu einem Urtheil, und zwar zu einem freiſprechenden, ſo war deſſen Wirkſamkeit für immer geſichert durch die einge - tretene Conſumtion, die jede Wiederholung der vorigen Klage unmöglich machte. Nunmehr aber hieß die Exception gegen die verſuchte neue Klage nicht rei in judicium de - ductae, ſondern rei judicatae, und dieſe mußte ungleich häufiger ſeyn, als jene, weil zu allen Zeiten der Aus - gang eines Rechtsſtreits ohne Urtheil zu den Seltenheiten gehört(a)Die exc. rei in judicium deductae konnte alſo überhaupt nur vorkommen, wenn der frühere Prozeß entweder noch im Gang war, und daneben ein neuer ver - ſucht wurde, oder wenn derſelbe liegen geblieben, und vielleicht ſchon durch die Prozeßverjährung für immer verloren gegangen war..
Demnach war in dieſer älteren Zeit für die Sicherheit eines freigeſprochenen Beklagten geſorgt durch die Con - ſumtion jeder einmal angeſtellten Klage, welche Conſumtion zuweilen ipso jure eintrat, häufiger aber durch eine exceptio rei judicatae geltend gemacht wurde. Dieſe Einrede war268Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.alſo ſchon in der älteren Zeit die häufigſte und praktiſch wichtigſte Rechtsform zum Schutz geſprochener Urtheile gegen willkührliche neue Anfechtung.
Der Rechtsſatz, welcher dieſer Einrede in der älteren Zeit zum Grunde lag, läßt ſich in folgender Formel aus - drücken: Eine einmal abgeurtheilte Klage kann nie von Neuem vorgebracht werden.
Um den eigenthümlichen Charakter dieſer Einrede des älteren Rechts ſcharf aufzufaſſen, iſt es nöthig, zwei Stücke feſtzuhalten; erſtlich, daß ſie ſich nur auf das Daſeyn eines Urtheils gründet, nicht auf deſſen Inhalt; zweitens, daß ſie nur einen verneinenden Zweck und Erfolg hat, nämlich, eine Klage zu verhindern, nicht, irgend ein Recht durchzuſetzen. Die Bedingung der Anwendung dieſes Rechtsſatzes iſt die Identität einer verſuchten neuen Klage mit der ſchon früher angeſtellten und abgeurtheilten.
Das hier beſchriebene Rechtsinſtitut, gedacht als ein Mittel, die Rechtskraft der Urtheile zu begründen, erfüllte ſeinen Zweck nur nothdürftig, indem es blos den Beklagten gegen eine Wiederholung der abgeurtheilten Klage ſchützte. Hatte aber etwa der Kläger durch eine Eigenthumsklage die Verurtheilung des Beklagten bewirkt, und ſo den Beſitz ſeiner Sache wieder erlangt, ſo konnte gegen ihn der frühere Beklagte als Kläger daſſelbe Eigenthum wieder in Frage ſtellen; denn da Dieſer früher noch gar nicht geklagt, alſo269§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.keine Klage conſumirt hatte, ſo konnte ihm die oben be - ſchriebene Einrede nicht entgegen geſetzt werden, und es war nun ein neues Urtheil möglich, wodurch das frühere in ſeiner Wirkung zerſtört wurde. — Aber auch dem Be - klagten gab jenes Rechtsmittel für ſolche Fälle keinen Schutz, in welchen der Kläger den Erfolg des früheren Urtheils nicht gerade durch Wiederholung der früheren Klage, ſon - dern bei Gelegenheit eines anderen Rechtsſtreits, alſo auf mehr indirecte Weiſe zu vereiteln ſuchte. — Ja es konnte ſogar geſchehen, daß jene Einrede bei etwas verwickelten Rechtsverhältniſſen dazu misbraucht wurde, den durch das frühere Urtheil beabſichtigten Vortheil einer Partei zu zer - ſtören, alſo ſeiner eigentlichen Beſtimmung gerade entgegen zu wirken.
Auf der anderen Seite aber war dieſes Rechtsinſtitut in ſeinen Folgen mit manchen Härten verknüpft, die ganz außer dem Zweck deſſelben lagen, und durch die bloße Con - ſequenz herbeigeführt, alſo praktiſch in keiner Weiſe gerecht - fertigt waren. Die Einrede war nämlich auch dann be - gründet, wenn der Beklagte freigeſprochen war, nicht weil das Recht des Klägers verneint werden mußte, ſondern wegen einer blos dilatoriſchen Einrede, die vielleicht auf einem ganz untergeordneten und vorübergehenden Grunde beruhte(b)Gajus. IV. § 123. — S. o. § 227.; dann ging alſo das wirklich vorhandene Recht des Klägers aus einem ganz zufälligen Grunde unter. —270Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Nicht beſſer war es, wenn der Rechtsſtreit durch die Pro - zeßverjährung des alten Rechts ohne Ausgang, alſo auch ohne Urtheil blieb (§ 256. b), welches ohne alle Nachläſſig - keit des Klägers geſchehen konnte; denn nun war durch die exceptio rei in judicium deductae jede fernere Verfolgung des wirklich vorhandenen Rechts für immer unmöglich gemacht.
Die Wahrnehmung dieſer Mängel führte zum Nach - denken über das wahre Bedürfniß, und zu dem klaren Be - wußtſeyn, daß es eigentlich darauf, und nur darauf ankomme, jeder richterlichen Entſcheidung ihre unzweifelhafte Wirkſamkeit für alle Zukunft zu ſichern. Man ſuchte nun das alte bekannte Rechtsinſtitut der exceptio rei judicatae dahin auszubilden, daß dieſer Zweck erreicht würde, und zwar vollſtändig erreicht. Dieſes geſchah, indem man ſie nicht mehr wie bisher auf das bloße Daſeyn des Urtheils gründete, ſondern auf den Inhalt deſſelben. Deſſen Gel - tung ſollte für jeden künftigen Rechtsſtreit geſichert werden, und indem man neben der Exception nach Bedürfniß auch eine replicatio rei judicatae gab, wurde das Rechtsinſtitut in dieſer neuen Ausbildung geeignet, dem früheren Kläger eben ſowohl, als dem Beklagten, alle Vortheile zu ſichern, die aus dem Inhalt des Urtheils in einem künftigen Streit hergeleitet werden konnten.
Der Rechtsſatz, welcher nach dieſer Ausbildung dem Inſtitut zum Grunde gelegt wurde, läßt ſich in folgender Formel ausdrücken:271§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.Dem Inhalt eines geſprochenen Urtheils ſoll kein ſpä - teres Urtheil widerſprechen.
Auf den erſten Blick ſcheint dieſe Formel eben ſo, wie die oben aufgeſtellte ältere Formel, blos verneinend, verhin - dernd. Da indeſſen kein Richter die Entſcheidung eines ihm vorgelegten Rechtsſtreits verweigern darf, ſo löſt ſich jene Formel ſogleich in dieſe andere auf: Wenn in einem gegenwärtigen Rechtsſtreit eine Frage vorkommt, worüber ſchon in einem früheren Rechts - ſtreit ein Urtheil geſprochen worden iſt, ſo muß der neue Richter den Inhalt jenes Urtheils als wahr an - nehmen und ſeinem eigenen Urtheil zum Grunde legen.
In dieſer Formel aber nimmt der Rechtsſatz eine völlig poſitive Geſtalt an, und iſt der unmittelbare Ausdruck der Fiction der Wahrheit, die ſchon oben (§ 280) als der eigentliche Sinn der Rechtskraft, und als das wahre praktiſche Bedürfniß angegeben worden iſt.
Zur Bezeichnung dieſes logiſchen Verhältniſſes beider Geſtalten der Einrede, der älteren und der neueren, hat man den paſſenden Ausdruck angewendet: exceptio rei judicatae in ihrer negativen und ihrer poſitiven Function(c)Keller S. 223 Note 4..
Dieſe wichtige Ausbildung des Rechtsinſtituts iſt nicht durch eine allgemeine Vorſchrift (Geſetz oder Edict) bewirkt worden, wodurch etwa das ältere Inſtitut aufgehoben oder umgebildet, das neuere eingeführt worden wäre; dazu war272Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in der That kein Bedürfniß vorhanden. Es war und blieb eine und dieſelbe Einrede der Rechtskraft, welche für das Urtheil in dem neuen Rechtsſtreit maaßgebend wurde, und der Unterſchied beider Functionen wird nur ſichtbar bei der Frage, in welchen Fällen, unter welchen Vorausſetzungen die Einrede gegeben werden ſollte. Dieſes aber lag bei jedem einzelnen Rechtsſtreit ganz in der Macht des Prä - tors, der dabei jederzeit nach der fortſchreitenden Einſicht in das wahre praktiſche Bedürfniß verfuhr, und einer lei - tenden allgemeinen Vorſchrift nicht bedurfte.
Das geſchichtliche Verhältniß beider Functionen der Ein - rede der Rechtskraft ſoll nunmehr näher feſtgeſtellt werden.
Daß die negative Function die ältere und urſprünglich einzige Geſtalt der Einrede war, läßt ſich ſchon aus ihrer unvollkommneren Natur und aus ihrer Verwandtſchaft mit dem augenſcheinlich alterthümlichen Inſtitut der ipso jure eintretenden Conſumtion (§ 281) vermuthen. Es folgt aber auch unmittelbar daraus, daß Gajus in ſeinen In - ſtitutionen die Lehre von der Conſumtion der Klage, d. h. die negative Function der Einrede, ausführlich und mit Sorgfalt darſtellt(a)Gajus. III. § 180. 181, IV. § 106 — 108, vergl. mit § 104. 105., während er den Grundſatz, worauf die poſitive Function beruht, in jenem Werke gar nicht273§. 282. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)erwähnt. Man könnte Dieſes ſo deuten, als ob dieſer letzte Grundſatz überhaupt erſt nach der Zeit des Gajus ent - ſtanden, ihm ſelbſt alſo unbekannt geweſen wäre. Dieſe Annahme jedoch wird durch die Wahrnehmung völlig wider - legt, daß die Einrede in ihrer poſitiven Function (als Auf - rechthaltung des Inhalts eines jeden Urtheils) ganz be - ſtimmt in einer Digeſtenſtelle aus Gajus vorkommt(b)L. 15 de exc. r. j. (44. 2.), ja ſogar ſchon von Julian anerkannt wird, in einem Zeugniß, das aus ſeinen Schriften Ulpian anführt(c)L. 40 § de proc. (3. 3). — Vgl. Keller S. 230. 231.. Dieſer ſcheinbare Widerſpruch löſt ſich auf befriedigende Weiſe, wenn man annimmt, daß neben der alten, längſt ausgebildeten Conſumtion auch ſchon die Fiction der Wahr - heit des Urtheils (d. h. die Einrede in ihrer poſitiven Function) lange vor Gajus in einzelnen Entſcheidungen angewendet wurde, daß ſie aber zu ſeiner Zeit noch nicht in der Rechtstheorie ſo ausgebildet und grundſätzlich aner - kannt war, daß er nöthig gefunden hätte, dieſelbe in ſeinen Inſtitutionen als ein beſonderes Rechtsinſtitut neben der Conſumtion zu erwähnen.
Für die Einrede in ihrer poſitiven Funktion bedarf es beſonderer Beweiſe inſofern nicht, als die ganze folgende Darſtellung nichts Anderes iſt, als die vollſtändige Ent - wickelung gerade des Grundſatzes, der in ihr zur Geltung gebracht wird. Ich will aber hier diejenigen Zeugniſſe der alten Juriſten zuſammen ſtellen, worin jener Grundſatz,VI. 18274Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.d. h. die Fiction der Wahrheit, auch ſelbſt des ungerechten Urtheils, in ſeiner allgemeinen durchgreifenden Natur be - ſonders deutlich ausgeſprochen wird.
In einer ſchon oben mitgetheilten Stelle des Pau - lus(g)L. 6 de exc. r. j. (44. 2), ſ. o. S. 261. wird auf beide Geſtalten der Functionen der Ein - rede neben einander hingedeutet; aber freilich in ſo allge - meinen Ausdrücken, daß wir dieſe Hindeutung nicht ver - ſtehen würden, wenn uns nicht in den Inſtitutionen des Gajus die Lehre von der Conſumtion der Klage in ihrer18*276Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ganzen Eigenthümlichkeit klar geworden wäre. Nachdem nämlich in jener Stelle geſagt worden war, daß aus jedem ſtreitigen Rechtsverhältniß nur einmal geklagt werden dürfe, weil die zugelaſſene Wiederholung derſelben Klage mit großen Nachtheilen für den Rechtszuſtand verknüpft ſey, wird dann noch hinzugefügt, daß dieſe Nachtheile be - ſonders ſtark in den Fällen hervortreten würden, wenn durch wiederholte Klagen ſogar Urtheile von widerſprechen - dem Inhalt herbeigeführt werden ſollten: maxime si diversa pronuntiarentur. In dieſen beiden Sätzen ſind die zwei verſchiedenen, aber verwandten Geſtalten der Einrede un - verkennbar angedeutet.
So hat die Einrede der Rechtskraft in ihren zwei Ge - ſtalten während des ganzen Zeitalters der Juriſten fortge - dauert, aus deren Schriften die Digeſten hervorgegangen ſind(h)Keller S. 231., und es zeigt ſich hierin daſſelbe Verfahren, welches wir auch in anderen Theilen des Römiſchen Rechts bei der Entwicklung von Rechtsinſtituten angewendet finden. Man entſchloß ſich nicht leicht, ein Rechtsinſtitut, deſſen Grundlage ſich bewährt hatte, völlig aufzuheben und durch ein anderes zu erſetzen, wenn es ſich auch in der Anwendung von manchen Seiten mangelhaft zeigen mochte, wie Dieſes von der Klagenconſumtion ſchon oben (§ 281) anerkannt worden iſt. Man ſuchte vielmehr ſolchen Män - geln durch mildere Mittel, alſo in feinerer Weiſe, abzu - helfen. Inſofern die Klagenconſumtion für das praktiſche277§. 281. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)Bedürfniß unzureichend gefunden wurde, lag die Abhülfe in der ſtets fortſchreitenden Entwicklung der Einrede in ihrer neueren Geſtalt (der poſitiven Function), die für jedes Bedürfniß vollkommen ausreichte. Inſofern die Conſumtion harte und unbillige Folgen nach ſich zog, ſuchte man durch ſehr verſchiedenartige Mittel zu helfen(i)Keller im ganzen ſechsten Abſchnitt ſeines Werks.. Insbeſondere in den ſchon oben (S. 270) angedeuteten, allerdings ſelt - neren Fällen, worin beide Geſtalten der Einrede in Wider - ſtreit kamen, indem die Klagenconſumtion in ihren Folgen dahin führte, den Inhalt eines früher geſprochenen Urtheils zu vereiteln, half man in der Form, daß die exceptio rei judicatae durch eine replicatio deſſelben Namens völlig ent - kräftet wurde(k)Keller § 70. 71. 72.. Dieſer letzte Fall iſt beſonders merk - würdig als ein unmittelbarer Beweis, daß die alten Ju - riſten ein deutliches Bewußtſeyn von der Verſchiedenheit beider Geſtalten der Einrede hatten, und daß ſie keinen Anſtand nahmen, in jedem Fall eines Widerſtreits dem neueren Grundſatz (der Fiction der Wahrheit) den Vorzug vor dem älteren (der Klagenconſumtion) einzuräumen, wo - durch alſo das neuere als das beſſere und befriedigendere von ihnen anerkannt wurde.
Späterhin iſt die Klagenconſumtion, alſo das ältere Rechtsinſtitut, gänzlich verſchwunden. Wir haben keine Rachricht, daß es jemals von einem Geſetzgeber ausdrück - lich aufgehoben worden wäre; es ſcheint vielmehr allmälig278Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abgeſtorben zu ſein, ſo wie dürres Laub abfällt, wenn das neue hervorwächſt und zu vollſtändiger Entwicklung kommt. Der Uebergang des alten ordo judiciorum in die extraor - dinaria judicia hat die Beſeitigung der Klagenconſumtion zwar nicht unmittelbar und mit Nothwendigkeit herbeige - führt, aber ohne Zweifel befördert und beſchleunigt. Denn die Ausſchließung einer Klage aus dem Grund ihrer frühe - ren Conſumtion ſetzt voraus, daß beide Klagen identiſch ſeyen; die Identität zweier Klagen aber wurde in den meiſten Fällen, und zugleich am leichteſten und ſicherſten, erkannt mit Hülfe der Klagformeln, die zugleich mit dem ordo judiciorum völlig verſchwanden. Ganz anders ver - hält es ſich mit der Fiction der Wahrheit des Urtheils, worauf die Einrede in ihrer neueren Geſtalt beruht; denn deren Anwendung ſetzt nur die Bekanntſchaft mit dem In - halt des Urtheils voraus, iſt alſo mit jeder Form des Pro - zeßverfahrens gleich vereinbar.
Insbeſondere aber läßt ſich beſtimmt behaupten, daß diejenige Conſumtion, die im alten Recht bei manchen Klagen nicht durch eine Einrede, ſondern ipso jure eintrat (§ 281), nach dem Untergang des ordo judiciorum gar nicht mehr möglich war, alſo ſogleich völlig verſchwinden mußte. Denn dieſe Art der Conſumtion ſollte nur ein - treten bei Prozeſſen, die vor einem einzelnen, von der Obrigkeit ernannten Judex geführt wurden, und in welchen eine Formel mit juris civilis intentio vorkam(l)Gajus IV. § 107 vgl mit § 104.; dieſe279§. 282. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)beiden Umſtände aber konnten in einem extraordinarium judicium nie eintreten.
Im Juſtinianiſchen Recht wird weder die Klagencon - ſumtion, noch die mit ihr unzertrennlich verbundene ex - ceptio rei in judicium deductae erwähnt, woraus unzwei - felhaft erhellt, daß dieſe Inſtitute damals keine Geltung mehr hatten. Von einzelnen wichtigen Folgen der Con - ſumtion iſt auch die Aufhebung noch ausdrücklich ausge - ſprochen(m)Dahin gehört L. 28 C. de fidejuss. (8. 42). — Zum Theil iſt dahin auch zu rechnen die Auf - hebung der alten Regel, daß der Kläger plus petendo ſein Klage - recht verlieren ſolle, denn dieſe Regel beruhte allerdings auf der Conſumtion der Klage, aber frei - lich nicht auf ihr allein, ſondern nur in Verbindung mit der certa intentio, wovon nach dem Unter - gang des ordo judiciorum ohne - hin nicht mehr die Rede ſeyn konnte. Keller § 56..
Dagegen iſt hier die Einrede der Rechtskraft in ihrer poſitiven Function, als Schutz des Inhalts eines Urtheils, aus den Schriften der alten Juriſten ſo vollſtändig auf - genommen, daß dieſe Darſtellung für die Anwendung völlig genügt, wie ſich aus der folgenden Abhandlung ergeben wird. Auch iſt dieſe Geſtalt des Rechtsinſtituts ganz in unſere neuere Praxis übergegangen, und wenn ſich in dieſer nicht ſelten Abweichungen von dem R. R. einge - funden haben, ſo ſind dieſelben nicht aus Abſicht und Be - wußtſeyn entſtanden, indem man das R. R. für unzu - reichend oder unzweckmäßig gehalten hätte; ſie ſind viel - mehr lediglich aus mangelhafter Einſicht in die Rechts - quellen zu erklären.
280Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Allerdings finden ſich in den Ausſprüchen der alten Juriſten über dieſe neuere Einrede der Rechtskraft einzelne Äußerungen eingemiſcht, die nur aus dem alten Inſtitut der Klagenconſumtion zu erklären ſind; dieſe zufällig erhal - tenen Spuren aber ſind ſo einzeln und unzuſammenhängend, daß wir ſie erſt verſtehen gelernt haben, ſeitdem uns jenes Inſtitut durch die Inſtitutionen des Gajus bekannt ge - worden iſt. Es gehört dahin hauptſächlich die Erwähnung einer replicatio rei judicatae, wodurch in manchen Fällen die exceptio gleiches Namens entkräftet werden ſoll (Note k). Hier iſt allerdings die exceptio nur von dem alten Inſti - tut der negativen Function zu verſtehen, und die Auf - nahme ſolcher Stellen in die Digeſten wäre beſſer unter - blieben, da die Schwierigkeit, zu deren Löſung ſie beſtimmt ſind, ohnehin verſchwunden war. Indeſſen war dieſe Auf - nahme praktiſch ungefährlich, indem daraus kein Zweifel über die letzte Entſcheidung irgend eines ſtreitigen Rechts - verhältniſſes abgeleitet werden kann.
Die Entdeckung der Einrede der Rechtskraft in ihren zwei verwandten, aber verſchiedenen, Geſtalten oder Functio - nen iſt das glänzende Verdienſt des Werks von Keller(a)Keller § 28. 29. 30.. Auch ſoll man nicht verſuchen, dieſes Verdienſt durch die Bemerkung zu verkleinern, ſeit der Bekanntmachung der281§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)Inſtitutionen des Gajus habe es blos vom Zufall abge - hangen, wer zuerſt den in ihnen enthaltenen Aufſchluß be - nutzen wolle. Es iſt vielmehr ſchon oben nachgewieſen worden, daß weder bei Gajus, noch in einem anderen Stück unſrer Rechtsquellen, beide Inſtitute neben einander in ihrem eigenthümlichen Gegenſatz erwähnt werden, ſo daß die Entdeckung dieſes Gegenſatzes nur durch die ſcharf - ſinnige Zuſammenſtellung und Vergleichung aller Theile der Rechtsquellen gefunden werden konnte.
Daß nun ſämmtliche Schriftſteller vor der Bekannt - machung der Inſtitutionen des Gajus von dieſer beſon - deren Rechtsentwicklung keine Ahnung hatten, und dadurch in manche hiſtoriſche Irrthümer verfielen, kann ihnen gewiß nicht zum Vorwurf gereichen. Dagegen iſt es nicht un - nütz, die Art, wie ſpätere Schriftſteller die neue Entdeckung benutzt und verarbeitet haben, einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Hierin nämlich ſind Misverſtändniſſe ganz verſchiedener Art wahrzunehmen.
Von einer Seite wird die Sache ſo aufgefaßt, als ob die Einrede in ihren beiden Functionen auch noch im heu - tigen Rechte fortdauere(b)Vangerow Pandekten § 173.. Daß aber ſchon im Juſtinia - niſchen Recht der Grundſatz der Klagenconſumtion, der mit der negativen Function untrennbar zuſammenhängt, völlig verſchwindet, iſt ſchon oben bemerkt worden (§ 282). Die eben erwähnte abweichende Meinung iſt jedoch in der That nicht ſo bedenklich, als ſie auf den erſten Blick ſcheint. 282Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sie gründet ſich theils auf die ſchon erwähnten einzelnen Spuren des alten Rechtsinſtituts, welche ſich zufällig im Juſtinianiſchen Recht erhalten haben, theils darauf, daß manche wirkliche Beſtandtheile des allein noch übrigen Rechtsinſtituts mit dem alten Inſtitut der Klagenconſum - tion irrigerweiſe in Verbindung geſetzt werden; dieſes Letzte deutlich zu machen, wird erſt weiter unten möglich ſeyn (§ 286). — Die hier bemerklich gemachte irrige Auffaſſung hat übrigens eine blos theoretiſche Natur; es wird aus der angeblichen Fortdauer der negativen Function im heutigen Recht durchaus keine praktiſche Behauptung abgeleitet, die nicht auch aus der richtigen Auffaſſung vertheidigt werden könnte: insbeſondere wird nicht, wie man etwa befürchten könnte, der Einrede eine ungebührliche Ausdehnung zu geben verſucht(c)Vgl. den Schluß des § 282..
Eine ganz verſchiedene Geſtalt hat das Misverſtändniß der neuen Entdeckung bei einigen andern Schriftſtellern an - genommen(d)Kierulff Theorie des ge - meinen Civilrechts Th. 1. S. 250 bis 256. — Buchka B. 2 S. 76. 184. 192. 200.. Es iſt nämlich oben erwähnt worden, daß zur Zeit der alten Juriſten beide Rechtsinſtitute neben ein - ander beſtanden, und daß die aus dieſer Verbindung ent - ſprungenen Schwierigkeiten von den alten Juriſten wohl erkannt und mit gutem Erfolg beſeitigt wurden (§ 282). Jene neueren Schriftſteller aber faſſen die Sache ſo auf. Nach ihrer Meinung haben ſich die Römer niemals von283§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)den engen Feſſeln des Formularprozeſſes und der darauf beruhenden Conſumtion der Klagen befreien können, und auch noch im Juſtinianiſchen Recht ſoll dieſer unfreie Geiſt herrſchen. Erſt die Erleuchtung der neueren Praxis, be - haupten ſie, habe jene Feſſeln abgeworfen, jetzt herrſche die reine aequitas, und Alles ſey nun in ſolcher Ordnung, wie man es nur wünſchen könne.
Bei dieſer Auffaſſung ſind zwei Dinge ſchwer zu be - greifen. Erſtens, daß die ſpäteren Kaiſer, unter deren Rathgebern mitunter ſehr verſtändige Leute waren, gar nicht gemerkt haben ſollten, daß mit der Aufhebung des ordo judiciorum, d. h. des Formularprozeſſes, jeder Grund zu jener beklagenswerthen Knechtſchaft völlig aufgehört hatte. Zweitens, daß die Juriſten neuerer Zeit, deren Lehre und Praxis zuerſt die Feſſeln des R. R. nach jener An - ſicht bewältigt hat, dieſes gleichfalls nicht gemerkt haben ſollten; denn es iſt augenſcheinlich, daß dieſe neueren Ju - riſten ihre Lehre nicht etwa im Widerſtreit mit dem R. R. durchzuführen ſuchten, ſondern ohne alle Ausnahme gerade aus den Quellen des R. R. ableiteten. Man müßte alſo annehmen, daß ſie einſichtiger waren, als ſie ſelbſt ahneten, und daß es erſt der neueſten Zeit vorbehalten war, ſie hierüber zu belehren. — Übrigens iſt auch dieſe irrige Auffaſſung mehr geſchichtlicher, als praktiſcher Natur, indem für das heutige Recht die Lehre, die in der That ſchon im R. R. enthalten iſt, anerkannt wird. Sie iſt aber gefähr - licher, als die vorher erwähnte, indem ſie die richtige Be -284Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nutzung der Römiſchen Rechtsquellen durch irrige Voraus - ſetzungen verhindert, und zugleich in der angeblichen aequi - tas des heutigen Rechts einer gränzenloſen Willkühr Raum giebt, wovon vielleicht ſpätere Schriftſteller größeren Mis - brauch machen dürften, als bisher in der That geſchehen iſt.
Über die Richtigkeit dieſer Auffaſſung muß der Erfolg die letzte Entſcheidung geben. Die ganze folgende Abhand - lung der Rechtskraft geht darauf aus, ein in ſich geſchloſ - ſenes Syſtem dieſer Lehre aus den Quellen des R. R. abzuleiten, und ich glaube, daß dazu die Digeſten ein völ - lig befriedigendes Material darbieten. Gelingt dieſer Ver - ſuch, ſo iſt damit die eben erwähnte Auffaſſung des Ver - hältniſſes zwiſchen dem Römiſchen Recht und dem heutigen Recht als grundlos erwieſen.
Aus der nunmehr beendigten geſchichtlichen Grundle - gung zur Lehre von der Rechtskraft ergiebt ſich folgender Gang, welchen die jetzt folgende Darſtellung dieſer Lehre zu nehmen haben wird.
Die Formel des neueſten Rechts für die Rechtskraft (§ 281) geht dahin, daß jedem rechtskräftigen Urtheil ſeine Wirkſamkeit für alle Zukunft geſichert bleiben ſoll. Zur vollſtändigen Entwicklung dieſes Grundſatzes iſt eine zwei - fache Unterſuchung und Feſtſtellung nöthig:
In einfacheren Worten läßt ſich dieſes nothwendige Verhältniß ſo ausdrücken. Damit die rechtskräftige Ent - ſcheidung einer früheren Klage auf die Entſcheidung einer ſpäteren Klage Einfluß haben könne, müſſen beide Klagen zwei Stücke mit einander gemein haben:
Es iſt zunächſt zu beſtimmen, von welcher formellen Beſchaffenheit ein richterlicher Ausſpruch ſeyn müſſe, um den wichtigen Einfluß auf jeden ſpäteren Rechtsſtreit aus - üben zu können, welcher mit dem Ausdruck der Rechts - kraft bezeichnet worden iſt (§ 280).
286Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wenn wir, um dieſe Frage nach dem R. R. zu beant - worten, den Standpunkt des Zeitalterts wählen, in welchem der Formularprozeß beſtand, ſo hat es keinen Zweifel, daß die Rechtskraft jedem Urtheil zugeſchrieben werden mußte, das unter der Autorität einer richterlichen Obrigkeit von einem Judex ausgeſprochen war. Unter Juder aber iſt hier zu verſtehen die zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits von der Obrigkeit ernannte Privatperſon, mochte dieſe Er - nennung an eine einzelne Perſon gerichtet ſeyn, oder an ein Richtercollegium. Ferner iſt unter dem Urtheil dieſes Judex, als Grundlage der Rechtskraft, nicht blos die eigentliche Sententia zu verſtehen (Condemnatio oder Absolutio), ſon - dern auch die derſelben bei manchen Klagen oft vorher - gehende Pronuntiatio (§ 287).
Allein dieſer Fall war, wenn auch der regelmäßige und häufigſte, dennoch keinesweges der einzige, worin die Rechts - kraft entſtehen konnte. Auch der Prätor konnte, ohne einen Judex zu ernennen, ſelbſt das Urtheil ausſprechen, und dieſes ging dann nicht minder in Rechtskraft über. Wenn dieſe Be - fugniß neuerlich in Zweifel gezogen worden iſt(a)Puchta Curſus der Inſtitutionen B. 2 § 175 Note n. , ſo ſcheint dabei der allzu moderne Gedanke zum Grunde zu liegen, das Urtheilſprechen durch Privatperſonen ſey eingeführt worden als eine Theilung der richterlichen Gewalt, zum Schutz gegen ungerechte Willkühr von Seiten des Prätors. Allein gegen dieſe Gefahr ſchützten manche andere Schranken der obrigkeitlichen Gewalt, und die Prozeßführung vor dem287§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.Judex war vielmehr eingeführt, und in der Regel unent - behrlich, weil ohne dieſelbe die Rechtspflege durch zwei Civilprätoren in Rom gar nicht hätte beſorgt werden kön - nen. Sie war aber faſt nur nöthig, wenn zweifelhafte Thatſachen feſtgeſtellt werden mußten, da bei unbeſtrittenen Thatſachen der Prätor eben ſo ſchnell und ſicher ſelbſt ein Urtheil ſprechen, als dem Judex eine Formel vorſchreiben konnte. So war es denn die allgemeine Anſicht der Römer, daß in Civilſachen, wie im Criminalprozeß, ein Judicium nur zur Entſcheidung beſtrittener Thatſachen angeordnet zu werden pflege(b)Tacitus annal. XI. 6 „ non judicium (quippe ut in manifestos), sed poenam statui videbant. “. — Auch fehlt es nicht an aus - drücklichen Zeugniſſen, daß der Prätor eben ſowohl ſelbſt ein Urtheil ſprechen konnte, als ein von ihm ernannter Juder(c)L. 81 de jud. (5. 1 ) (Ulpian.) „ Qui neque jurisdi - ctioni praeest, … neque ab eo, qui jus dandorum judicum habet, datus est, … judex esse non potuit “(dieſe Beide alſo ſind gleich fähig, in einer einzelnen Sache das Urtheil zu ſprechen). — Paulus V. 5 A. § 1 „ Res ju - dicatae videntur ab his, qui imperium potestatemque habent, vel qui ex auctoritate eorum inter partes dantur .... “. Dieſe letzte Stelle emendirt Puchta a. a. O. ſo: „ Res judicatae vi - dentur a judicibus, qui ab his, qui imperium etc. Dieſe Emen - dation aber gründet ſich weder auf eine Andeutung der Handſchrift, noch auf innere Nothwendigkeit, ſondern lediglich auf das Bedürf - niß, eine Widerlegung der oben aufgeſtellten Meinung zu beſeitigen. Der handſchriftliche Text ſtimmt mit der voranſtehenden Stelle des Ulpian völlig überein. — Wenn der Prätor ohne Juder verurtheilte, ſo hat es kein Bedenken, daß dar - aus künftig eine eigentliche ex - ceptio rei judicatae abgeleitet werden konnte. Wenn dagegen der Prätor die Klage ſogleich abſchlug, welches durch ein bloßes Decret geſchah, ſo konnte wenigſtens jener.
288Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die hier aufgeſtellten Regeln gehen auf die ordinaria judicia; daneben aber hat es keinen Zweifel, daß in jedem extraordinarium judicium, z. B. bei Fideicommiſſen, der obrigkeitliche Beamte, der darüber zu urtheilen hatte, durch ſein Urtheil gleichfalls Rechtskraft erzeugte, und zwar mit dem Namen einer res judicata (§ 282. f). Dennoch iſt auch dieſer Fall der Rechtskraft in neuerer Zeit ohne Grund in Zweifel gezogen worden(d)Puchta Curſus der In - ſtitutionen B. 2 § 177 Note o. Er nimmt an, das gewöhnliche Urtheil eines Judex habe wirklich neues Recht erzeugt, und ſey da - her von jedem ſpäteren Richter anerkannt worden; das Urtheil eines Magiſtratus habe nur für die demſelben untergeordneten Per - ſonen bindende Kraft gehabt. — Dieſe Meinung wird unmittelbar widerlegt nicht nur durch die Rechts - kraft des Erkenntniſſes über ein Fideicommiß (§ 282. f.), ſondern auch durch die Rechtskraft, die dem Decret der Obrigkeit über Gewäh - rung oder Verſagung einer Reſti - tution zugeſchrieben wird. L. 1 C. si saepius (2. 44). Denn auch dieſes war eine Entſcheidung extra ordinem. .
Dieſe letzte Regel, welche zur Zeit des Formularpro - zeſſes nur als ſehr beſchränkte Ausnahme zur Anwendung kommen konnte, wurde zur allgemeinen und einzigen Regel durch die Aufhebung des alten ordo judiciorum. Der nun - mehr eintretende Zuſtand war ganz derſelbe, welchen allein wir in der heutigen Gerichtsverfaſſung aller Länder kennen.
Die bisher abgehandelte Seite der formellen Beſchaf - fenheit des zur Rechtskraft fähigen Urtheils hat eine blos geſchichtliche Bedeutung. Weit wichtiger, und gerade für(c)Name nicht wohl angewendet wer - den. Indeſſen mag man doch ir - gend eine Form gefunden haben, um auch dieſem abweiſenden De - cret die Rechtskraft zu ſichern. Vgl. den Schluß der folgenden Note.289§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.das neuere und heutige Recht beſonders wichtig, iſt die folgende Seite deſſelben Gegenſtandes.
Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß das Übel eines unheilbar ungerechten Urtheils, verglichen mit dem Übel einer endloſen Rechtsungewißheit, das geringere Übel ſey, und daß daher die Gefahr deſſelben mit deutlichem Be - wußtſeyn übernommen werden müſſe, um das ſonſt unver - meidliche größere Übel abzuwenden (§ 280). Bei dieſem nothwendigen Entſchluß wird jedoch die Natur des Übels, deſſen Gefahr wir nothgedrungen übernehmen, und ſelbſt die Wichtigkeit deſſelben nicht verkannt, und es ergiebt ſich daraus die Aufgabe, dieſe Gefahr ſo viel möglich zu ver - mindern, ſie in immer engere Gränzen einzuſchließen.
Zu dieſem Zweck dienen alle Anſtalten für die Ausbil - dung und Auswahl der Richter; eben ſo dient dazu die Anordnung collegialiſcher Gerichte; endlich aber und ganz vorzüglich die Einrichtung, nach welcher die Prüfung und Entſcheidung eines Rechtsſtreits nicht mit einemmal abge - than wird, ſondern in mehreren Abſtufungen wiederholt werden kann.
Auf den erſten Blick ſcheint eine ſolche Einrichtung im Widerſpruch zu ſtehen mit dem großen Werth, der gleich im Eingang dieſer Abhandlung auf die unabänderliche Feſtſtellung jedes Rechtsſtreits durch richterliches Urtheil gelegt worden iſt. Dieſes geſchah aber im Gegenſatz einer endloſen, unbeſtimmbaren Unſicherheit der Rechtsverhältniſſe für alle Zukunft. Damit iſt nicht zu vergleichen die hierVI. 19290Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.angedeutete Einrichtung, bei welcher nur das Finden des unabänderlichen Urtheils unter mehrere Stufen richterlicher Thätigkeit vertheilt wird. Ein ſolches Verfahren läßt ſich bei guter Rechtspflege in mäßige Zeitgränzen einſchließen, und es wird dann ſtets in nicht entfernter Zeit ein Zu - ſtand eintreten, in welchem die wünſchenswerthe unzweifel - hafte Rechtsſicherheit wirklich erreicht iſt.
Die großen Vortheile einer ſolchen Einrichtung für die Abwendung ungerechter Urtheile werden durch folgende Be - trachtung einleuchten. Zunächſt iſt ſchon die blos wieder - holte Prüfung eines Rechtsſtreits an ſich ſelbſt ein wirk - ſames Mittel ſowohl für die Parteien, als für den Richter, zu einer vielſeitigen Einſicht in das Weſen eines ſtreitigen Rechtsverhältniſſes zu gelangen. Dazu kommt aber zwei - tens der noch größere Vortheil, daß es bei dieſer Einrich - tung möglich wird, die letzte Entſcheidung in einem zahl - reichen, mit größter Sorgfalt beſetzten Gericht zu concen - triren, welches dann eine höhere Sicherheit für die gründ - liche Urtheilsfindung gewährt.
Der üblichſte Kunſtausdruck, der in unſrer neueren Rechtsſprache zur Bezeichnung dieſer Einrichtung gebraucht wird, iſt folgender. Wir nennen Inſtanzen die ein - zelnen Stufen richterlicher Prüfung und Entſcheidung. In der Regel ſind dieſe verbunden mit der Unterordnung eines Gerichts unter das andere (niedere und höhere Inſtanz). Es kann aber auch bei demſelben Gericht unter gewiſſen Bedingungen eine ſolche wiederholte Prüfung vor ſich gehen.
291§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.Wie dieſe Einrichtung im Römiſchen Staat Eingang gefunden hat, ſoll nunmehr nachgewieſen werden.
Für das Daſeyn derſelben zur Zeit der freien Republik iſt durchaus kein Zeugniß vorhanden, und es beruht auf unrichtiger Deutung, wenn man Spuren ſolcher Art in dieſer Zeit wahrzunehmen geglaubt hat(e)Hollweg Prozeß B. 1 S. 347 Note 1 widerlegt dieſe irrige Meinung, die u. a. von Zimmern B. 3 S. 500 Note 7 aus wenig haltbaren Gründen ver - theidigt wird. Beſonders Cicero in Verrem II. 13 ſpricht gewiß mehr dagegen als dafür, indem er dem Verres einen ſchweren Vor - wurf daraus macht, daß er ſich durch ein Edict vorbehalten habe, über die Richtigkeit der Urtheile der Judices hinterher ſelbſt zu er - kennen.. Auch fehlte dazu eine Hauptbedingung, verſchiedene Obrigkeiten der - ſelben amtlichen Wirkſamkeit, deren eine der anderen unter - geordnet geweſen wäre. Die Prätoren waren von gerin - gerem Rang, als die Conſuln, jedoch in ihrem Amtskreiſe von dieſen durchaus unabhängig. Wohl hätte es ſich denken laſſen, daß von dem Urtheil eines Juder die Beru - fung an das höhere Urtheil des Prätors, der ihn beſtellt hatte, zugelaſſen worden wäre; aber gerade hierüber fehlt es aus der Zeit der Republik an Zeugniſſen.
Daran freilich iſt nicht zu zweifeln, daß auch in dieſer Zeit die Frage ſtreitig werden konnte, ob überhaupt ein Urtheil, und zwar ein der Form nach gültiges Urtheil, vorhanden ſey oder nicht(f)Auf dieſen Fall bezog ſich ein beſonderes Rechtsinſtitut des älteren Rechts, die sententiae in duplum revocatio. Cicero pro Flacco C. 21. Paulus V. 5 A. § 5. 7. Auch in den Digeſten wird dieſer Fall erwähnt. L. 1 pr. quae sent. (49. 8). „ Si quae -, und dann mußte über dieſe19*292Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Frage, ſo wie über jedes ſtreitige Rechtsverhältniß, der Prätor einen Judex entſcheiden laſſen. Allein ein ſolcher Streit über das Daſeyn, und vielleicht über die Nichtigkeit eines Urtheils, der zu allen Zeiten nur ausnahmsweiſe und ſelten vorkommt, iſt völlig verſchieden von den regel - mäßig eintretenden Inſtanzen, in welchen der gerechte In - halt jedes geſprochenen Urtheils geprüft werden kann, damit daſſelbe nach Befinden beſtätigt oder abgeändert werde.
Dagegen findet ſich die Einrichtung von Inſtanzen gleich im Anfang der Kaiſerregierung, und zwar merkwürdiger - weiſe nicht allmälig und unmerklich entſtehend und fort - ſchreitend, ſondern ſogleich in völliger Ausbildung und Anerkennung. Dieſes erklärt ſich zum Theil daraus, daß jetzt die oben, in der Zeit der Republik vermißte Bedingung regelmäßiger Inſtanzen, nämlich die Unterordnung einer Obrigkeit unter eine andere, eingetreten war. Denn daß dem Kaiſer alle hohe Obrigkeiten, die alten, wie die neu erfundenen, untergeben ſeyen, bezweifelte Niemand.
So erſcheint ſchon Auguſt als die regelmäßige höchſte Inſtanz für alle Civilprozeſſe des ganzen Reichs. Da er aber die meiſten Geſchäfte dieſer Art unmöglich ſelbſt be - ſorgen konnte, ſo übertrug er dieſes höchſte Richteramt an ſtellvertretende Obrigkeiten: die Prozeſſe aus der Stadt an den Präfecten der Stadt, die aus jeder Provinz an ein -(f)ratur, judicatum sit, nec ne. “ Die Stelle iſt freilich aus einer ſpäteren Zeit, aber Gedanke und Ausdruck paßt eben ſo auch in die frühere.293§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.zelne Conſularen, deren jeder für Eine Provinz beſonders ernannt wurde(g)Sueton. August. C. 33. „ Appellationes quotannis urba - norum quidem litigatorum prae - fecto delegabat urbis, at pro - vincialium consularibus viris, quos singulos cujusque pro - vinciae negotiis praeposuisset. “ Es war eine übertragene Gerichts - barkeit, die auch in unſren Rechts - quellen bald mandata bald dele - gata jurisdictio heißt. Dig. I. 21 und L. 1 de damno inf. (39. 2). Daß aber in vielen Sachen auch die Kaiſer ſelbſt perſönlich ent - ſchieden, iſt aus den Digeſten be - kannt. — Vgl. über die Ge - ſchichte der Inſtanzen im Allgemei - nen: Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 170. Hollweg Prozeß B. 1 § 32.. Neben dem Kaiſer aber übte ein gleiches höchſtes Richteramt jetzt auch der Senat aus(h)Tacitus annal. XIV. 28.. Eine Berufung vom Senat an den Kaiſer war unmöglich(i)L. 1 § 2 a quibus app. (49. 2)., und eine Berufung vom Kaiſer aufwärts mußte vollends als eine Thorheit angeſehen werden(k)L. 1 § 1 a quibus app. (49. 2). „ Et quidem stultum est, illud admonere, a principe appellare fas non esse, cum ipse sit, qui provocatur. “.
Ob dieſe merkwürdige Einrichtung als eine bloße Ver - waltungsmaaßregel aufgefaßt wurde, die ſich als eine natür - liche Entwicklung der höchſten Gewalt eines Einzelnen von ſelbſt verſtand, wiſſen wir nicht. Es iſt aber auch ſehr möglich, daß ein Volksſchluß ſie eingeführt hat, etwa die Lex Julia judiciaria. Ihre leichte und ſchnelle Einführung mag wohl durch ein längſt empfundenes Bedürfniß begün - ſtigt worden ſein, welches erſt in Folge der großen poli - tiſchen Umwälzung ſeine Befriedigung finden konnte.
Als die Inſtanzeneinrichtung zu voller Ausbildung ge - langt war, wurde ſie in folgender Stufenfolge zur Aus - führung gebracht.
294Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Von dem Juder ging die Berufung an die Obrigkeit, die ihn beſtellt hatte, nie an eine andere oder höhere Obrig - keit(l)L. 1 § 3 L. 21 § 1 de appell. (49. 1 ), L. 1 pr. L. 3 quis a quo (49. 3). — Alle dieſe Stellen ſind aus ſehr ſpäter Zeit, es iſt aber weder unmöglich, noch unwahrſcheinlich, daß die Beru - fung vom Judex an den Prätor von Anfang an eintrat, ſobald nur überhaupt die Berufung an den Kaiſer das ganze Inſtitut der Inſtanzen hervorgerufen hatte.; vom Prätor an den Präfecten der Stadt, von dieſem aufwärts an den Kaiſer(m)L. 38 pr. de minor. (4. 4)..
So beſtand dieſe Einrichtung Jahrhunderte lang neben dem alten ordo judiciorum, und als ein demſelben einge - fügter völlig neuer Beſtandtheil. Denn es muß wohl be - merkt werden, daß jede höhere Inſtanz extra ordinem vollzogen wurde(n)Hollweg Prozeß B. 1 S. 348., indem über eine Berufung die Obrig - keit der höheren Inſtanz ſtets in eigener Perſon, ohne Judex, entſchied. So fand ſich alſo in dieſem langen Zeit - raum die merkwürdige Erſcheinung, daß gerade der höhere und mächtigere Theil der Rechtspflege außer derjenigen Form lag, die noch ſtets als die regelmäßige Grundlage der ganzen Gerichtsverfaſſung anerkannt wurde. Indeſſen würde es unrichtig ſeyn, dieſe Erſcheinung als eine In - conſequenz anzuſehen, oder auch als ein Zeichen, daß man die erwähnte Grundlage gering geachtet und vielleicht aufzugeben ſchon damals beſchloſſen habe. Der Grund der - ſelben liegt vielmehr in dem Weſen des Gerichtsverfahrens ſelbſt. Die ganze richterliche Thätigkeit läßt ſich auf zwei295§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)Hauptſtücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und Bildung des Urtheils. In erſter Inſtanz nimmt jenes erſte Stück vorzugsweiſe Zeit und Arbeit in Anſpruch, und dazu gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich - tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetiſch vor - ſchrieb. Die höheren Inſtanzen dagegen benutzen den in erſter Inſtanz geſammelten Stoff, und was in ihnen zu deſſen Ergänzung vielleicht geſchehen muß, iſt verhältniß - mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der Judex entbehrlich.
Es iſt hier als bloße Thatſache angenommen worden, daß ein höchſtes Richteramt des Kaiſers, vom Anfang der neuen Verfaſſung an, ausgeübt wurde, und daß ſich hieran die vollſtändige Einrichtung eines Inſtanzenzuges anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm - lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver - meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte obrigkeitliche Würden zu gründen ſuchte, die nur, im Widerſpruch mit dem Weſen der alten Verfaſſung, in Einer Perſon vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik nun hatten die höchſte richterliche Gewalt in Civilſachen zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,296Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.deren Titel und Macht dem Kaiſer übertragen wurden, war keine, in deren Amtskreis eine richterliche Gewalt, wenigſtens für die Stadt Rom, unmittelbar enthalten ge - weſen wäre(a)Dieſe Gewalten waren: Tribunitia potestas, procon - sularis potestas, imperium, praefectura morum, die Würde des pontifex maximus. Nur in der proconsularis potestas lag unmittelbar eine Gerichtsbarkeit, aber mit geographiſcher Beſchrän - kung, und zunächſt nicht als höhe - res Richteramt mit Unterordnung anderer Obrigkeiten.. Es bedarf daher einer beſonderen Er - klärung, durch welche künſtliche Verbindung jenes neue höchſte Richteramt an alte obrigkeitliche Gewalten ange - knüpft wurde, indem es nur auf dieſem Wege möglich war, das eben angegebene Verfahren bei der Gründung der kaiſerlichen Gewalt auch in dieſer einzelnen Anwen - dung durchzuführen. Dieſe Unterſuchung iſt in der Bei - lage XV. angeſtellt worden, wo insbeſondere nachgewieſen wird, wie man dazu kam, zwei urſprünglich verſchiedene Kunſtausdrücke der alten Verfaſſung, appellatio und pro - vocatio, bald als gleichbedeutende Bezeichnungen einer jeden Berufung auf eine höhere Inſtanz zu gebrauchen.
Unter Vorausſetzung von Inſtanzen wird es nöthig, zweierlei Urtheile zu unterſcheiden: die, bei welchen es un - abänderlich bleibt, und die, welche durch eine weitere In - ſtanz abgeändert werden können. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Rückwirkung auf den Inhalt der Rechte ſelbſt, die allein zu unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört,297§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)(§ 280), nur den unabänderlichen Urtheilen zugeſchrieben werden kann, und daß in dieſer Beziehung jedes Urtheil, das einer ferneren Prüfung unterliegt, vorläufig nur als der Verſuch eines Urtheils zu betrachten iſt, oder als einer der vielen Schritte im Laufe eines Prozeſſes, die zu einem letzten, bleibenden Urtheil zu führen beſtimmt ſind.
Das unabänderliche Urtheil nun, mit welchem allein wir hiernach uns zu beſchäftigen haben, nennen wir ein rechtskräftiges, und dieſer Kunſtausdruck der Rechts - kraft, welcher erſt hierdurch nach der einen Seite hin ſeine volle Beſtimmtheit erhält, iſt auch ſchon bisher in dieſer Unterſuchung angewendet worden, um die Einwir - kung auf den Inhalt der Rechte (welche die andere Seite der Betrachtung bildet) dadurch zu bezeichnen.
Fragen wir nun, welche Bedingungen vorhanden ſeyn müſſen, damit einem Urtheil überhaupt die beſondere Be - ſchaffenheit eines rechtskräftigen Urtheils zugeſchrieben werden könne, ſo läßt ſich dieſe Frage im Allgemeinen ſo beantworten. Das Urtheil iſt rechtskräftig:
Dieſe Zuſammenſtellung ſoll übrigens hier nur zu einer ungefähren Überſicht dienen; die genauere Unterſuchung und Feſtſtellung gehört lediglich in die Prozeßlehre.
Eine genauere Erwägung bedarf aber noch der Rö - miſche Sprachgebrauch. Wir ſind gewohnt, das rechts - kräftige Urtheil res judicata zu nennen, alſo zwiſchen sen - tentia und res judicata gerade ſo zu unterſcheiden, wie zwiſchen Urtheil überhaupt und rechtskräftigem Urtheil. Res judicata aber heißt eigentlich nur ein abgeurtheilter Rechtsſtreit, alſo ein Urtheil überhaupt. Zur Zeit der freien Republik nun, in welcher noch keine Inſtanzen be - ſtanden, war jedes Urtheil ſogleich rechtskräftig, und es war unbedenklich, ſich damals mit dem Ausdruck: exceptio rei judicatae zu begnügen, und darunter die Einrede aus einem rechtskräftigen Urtheil zu verſtehen.
Als aber Inſtanzen eingeführt wurden, unterließ man es, den Sprachgebrauch näher zu beſtimmen. Res judicata hieß nach wie vor jedes Urtheil(b)L. 1 de rejud. (42. 1). (Mo - destinus): „ Res judicata dici - tur, quae finem controversiarum pronuntiatione judicis accipit. “, ſelbſt dann, wenn gegen daſſelbe eine Berufung möglich, oder ſogar wirklich eingewendet iſt(c)L. 7 pr. de transact. (2. 15). „ Et post rem judi - catam transactio valet, si vel appellatio intercesserit, vel appellare potueris. “ Eben ſo L. 11 eod. . Nunmehr war der Ausdruck exceptio rei judicatae nicht ganz vorſichtig, indem derſelbe dem299§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)Irrthum Raum laſſen konnte, als ob dieſe Exception auch durch ein nicht rechtskräftiges, vielleicht gar von einem höheren Richter abgeändertes Urtheil begründet werden könnte. Dennoch fiel es gewiß Keinem ein, ſo etwas zu glauben, und die Gefahr war auch ſchon dadurch praktiſch ganz unerheblich, daß in allen Fällen ſolcher Art ohnehin ſchon eine exceptio rei in judicium deductae damals wirk - lich begründet war, die ungefähr dieſelben Wirkungen her - vor brachte, wie die exceptio rei judicatae (§. 281).
Das canoniſche Recht änderte den Sprachgebrauch, und führte ganz denjenigen ein, deſſen wir ſeitdem uns allge - mein bedienen(d)C. 13. 15 X. de sentent. (2. 27).. Nun heißt res judicata nicht mehr ein Urtheil überhaupt, ſondern ein rechtskräftiges Urtheil, d. h. ein ſolches, dem nicht mehr eine mögliche Abänderung in einer ferneren Inſtanz bevorſteht.
Wird nun überhaupt ein Inſtanzenzug und eine den - ſelben völlig ausſchließende Rechtskraft vorausgeſetzt, ſo iſt eine Anwendung dieſer Verhältniſſe auch auf das Innere des Prozeßverfahrens denkbar. Man kann auch bei manchen Ausſprüchen des Richters, welche nicht zur Ent - ſcheidung des Rechtsſtreits ſelbſt, ſondern nur zur Vorbe - reitung dieſer Entſcheidung beſtimmt ſind, z. B. bei pro - zeßleitenden Decreten, oder bei Beweiserkenntniſſen, die Unabänderlichkeit, d. h. die Rechtskraft, und zu deren Ab - wendung eine Berufung auf höhere Inſtanzen annehmen. 300Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ob dieſes räthlich iſt, und unter welchen Bedingungen es zugelaſſen werden ſoll, das ſind Fragen, die lediglich in das Gebiet der Prozeßlehre gehören, und ganz außer unſrer Aufgabe liegen. Dieſer Gegenſtand iſt hier nur berührt worden, um den Vorwurf zu verhüten, als ſey hier von der Rechtskraft gehandelt worden, ohne den großen Umfang, deſſen dieſes wichtige Rechtsinſtitut empfäng - lich iſt, vollſtändig in’s Auge zu faſſen.
Das Inſtitut der Rechtskraft iſt dazu beſtimmt, dem Inhalt jedes Urtheils ſeine Wirkſamkeit für alle Zukunft zu ſichern (§ 281). Dabei wird eine genaue Kenntniß dieſes Inhalts vorausgeſetzt, welcher die Grundlage der Rechtskraft ſeyn ſoll.
Zu dieſer Kenntniß des Inhalts gehört aber erſtlich die Angabe der verſchiedenen Möglichkeiten, die bei einem Urtheil vorkommen können, alſo der möglichen Arten des Urtheils. Damit werden zugleich die Gränzen mög - licher Urtheile zu ziehen ſeyn, d. h. es iſt anzugeben, was nicht Inhalt eines Urtheils ſeyn, alſo nicht der Rechts - kraft theilhaftig werden kann.
Zweitens gehört zu der Kenntniß des Inhalts die An - gabe der Erkenntnißgründe, aus welchen wir jenen Inhalt zu ſchöpfen haben.
301§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.Es giebt zwei, und nur zwei Arten möglicher Urtheile in Beziehung auf ihren Inhalt(a)L. 1 de re jud. (42. 1). „ Res judicata dicitur, quae finem controversiarum pronun - tiatione judicis accipit: quod vel condemnatione vel absolu - tione contingit. “— L. 3 C. de sentent. (7. 45). „ Praeses pro - vinciae non ignorat, definitivam sententiam, quae condemna - tionem vel absolutionem non continet, pro justa non haberi. “:
Bevor dieſe beiden Arten des Urtheils in ihrem eigen - thümlichen Inhalt genauer dargeſtellt werden, iſt es nöthig, auf einige angebliche andere Arten einzugehen, aus deren Annahme die Unvollſtändigkeit der angegebenen Aufzählung hervorgehen würde. Es gehören dahin: 1. Gemiſchte Urtheile, 2. Unbeſtimmte Urtheile, 3. Verurtheilung des Klägers.
Daß dieſe überhaupt vorkommen können, ja daß ſie ſehr häufig vorkommen, ſoll gewiß nicht in Abrede geſtellt werden. In der That aber bilden dieſelben keine dritte Art, ſondern es wird in ſolchen Fällen der Gegenſtand des Urtheils in mehrere Theile zerlegt, deren jeder durch ein beſonderes Urtheil (wenngleich in derſelben Formel ver - einigt) entſchieden wird, ſo daß jedes dieſer einzelnen Ur -302Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.theile eine reine Verurtheilung oder eine reine Freiſprechung enthält.
Beiſpiele: Aus einem Vertrag werden Hundert gefor - dert, der Richter verurtheilt auf Sechszig und ſpricht den Beklagten von Vierzig frei. Oder es wird das Eigenthum eines Grundſtücks eingeklagt, der Richter verurtheilt auf Zwei Drittheile des Grundſtücks, oder auf abgegränzte Stücke deſſelben, und ſpricht frei von Einem Drittheil oder von den übrigen abgegränzten Stücken.
Dabei iſt zuvörderſt die Eigenthümlichkeit des Römi - ſchen Formularprozeſſes wohl zu bemerken. Hatte die Klage eine certa intentio(b)Z. B. Si paret, fundum Cornelianum Auli Agerii esse, oder: Si paret, Centum dari oportere .... condemna, si non paret, absolve. , ſo hatte der Juder nur die Wahl, entweder auf das Ganze zu verurtheilen, oder völlig freizuſprechen, ſelbſt wenn er die Klage für einen Theil des eingeklagten Gegenſtandes als begründet anſah. Hatte alſo der Kläger mehr gefordert, als ihm gebührte, ſo verlor er auch das, welches er zu fordern hatte, und zwar nicht zur Strafe für unbillige Übertreibung, ſondern lediglich in Folge der ſo gefaßten Formel, die dem Juder nur eine Alternative ſtellte, kein drittes zuließ(c)In dem: si non paret, absolve (Note b) war ſowohl der Fall, wenn der Beklagte Sechs - zig, als wenn er gar Nichts ſchul - dig war, enthalten; auf beide Fälle ging die Anweiſung, zu abſol - viren. Vgl. oben B. 5 § 215 und Keller § 56.. Bei der incerta intentio fiel dieſe Gefahr weg, weil der Umfang der Verurtheilung ganz in das Ermeſſen des Richters303§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.geſtellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozeſſes hörte indeſſen dieſe Beſchränkung des Richteramtes mit allen ihren Folgen auf(d)§ 33 J. de act. (4. 6)., und es trat für alle Klagen der natürliche Zuſtand ein, welchen allein wir in unſrem Prozeßverfahren kennen.
Wenn nun der Kläger einen beſtimmten Gegenſtand einklagt, z. B. Hundert Thaler, ſo iſt ſtets hinzuzudenken: Hundert oder weniger, ſo viel, als zu erlangen iſt. Der Richter iſt dann nur darin gebunden, daß er den einge - klagten Umfang nicht überſchreiten darf; innerhalb deſſelben hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anſpruch auf Sechszig begründet, ſo verurtheilt er auf Sechszig und ſpricht auf Vierzig frei. Eben ſo, wenn er die auf ein Grundſtück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile oder für beſtimmte Äcker in dieſem Grundſtück gegründet findet, da auch hier die Klage ſtets ſo gedacht werden muß: Ich fordere das ganze Grundſtück, oder ſo viel davon irgend zu erlangen iſt.
Für den Erfolg aber iſt es ganz gleichgültig, ob das Urtheil dieſen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er ſich von ſelbſt verſteht, auch wenn er nicht ausgeſprochen wird. Man kann Dieſes ſo ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for - derte, iſt ſtets ein gemiſchtes Urtheil, indem darin die Frei - ſprechung von dem übrigen Theil der Forderung ſtillſchwei -304Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gend mit enthalten iſt. In keinem Fall alſo kann auf dieſen übrigen Theil jemals wieder geklagt werden, auch wenn derſelbe in dem früheren Urtheil nicht namentlich erwähnt iſt. — Ja man kann ſogar noch weiter gehen, und jede Verurtheilung überhaupt (auch ohne ſichtbare Abweichung von dem Antrag des Klägers) als ein gemiſch - tes Urtheil anſehen, indem dabei ſtets der ſtillſchweigende Zuſatz hinzu zu denken iſt: Ein Mehreres hat der Kläger nicht zu fordern.
Dieſe Sätze laſſen ſich in folgende Formel zuſammen - faſſen: Alles, was das rechtskräftige Urtheil nicht zuge - ſprochen hat, obgleich es Gegenſtand des Rechtsſtreits geworden war und daher zugeſprochen werden konnte(d. 1)Dieſe Beſchränkung des hier aufgeſtellten Satzes iſt genau zu beachten, weil nur durch ſie der Widerſpruch mit den Grundſätzen von der Concurrenz der Klagen verhütet werden kann. Wenn da - her durch die condictio furtiva auf Entſchädigung wegen des Dieb - ſtahls geklagt und erkannt worden iſt, ſo kann noch immer durch die actio vi bonorum raptorum, oder durch die actio furti auf eine Strafe geklagt werden. Denn in der erſten Klage hatte der Rich - ter gar nicht die Möglichkeit, auf Strafe zu erkennen, ſo daß die Unterlaſſung des Straferkenntniſſes nicht als ſtillſchweigende Abweiſung der Strafe angeſehen werden kann. Vgl. B. 5 § 233. b. § 234. a. , iſt als abgeſprochen anzuſehen. Oder mit anderen Worten: Durch das rechtskräftige Urtheil wird ſtets das ſtreitige Rechtsverhältniß für immer feſtgeſtellt(e)Keller S. 202 S. 584 Note 3. Buchka B. 2 S. 211. 212. — Dieſer ungemein wichtige und in ſeinen Folgen reichhaltige Satz ſteht in geſchichtlicher Ver - bindung mit der vertragsmäßigen (contractlichen oder quaficontract - lichen) Unterwerfung beider Parteien unter das künftige Urtheil. Denkt man ſich, welches nicht unwahr -. Aus dieſer305§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.Regel iſt denn auch für unſer heutiges Recht der praktiſch wichtige Satz abzuleiten, daß das ſtillſchweigende Übergehen der omnis causa, ſo wie der Prozeßkoſten, eben ſo zu betrachten iſt, wie wenn ſie ausdrücklich ausgeſprochen worden wären(f)Verzugszinſen. L. 13 C. de usur. (4. 32 ), L. 4 C. depos. (4. 34). — Prozeßkoſten. L. 3 C. de fruct. 7. 51..
Hält man feſt an dieſen Regeln, ſo vermindert ſich die Wichtigkeit der oft aufgeworfenen Frage, ob der Kläger, der nach einer rechtskräftigen Verurtheilung ſeine Befriedi - gung noch nicht erlangt hat, blos mit der actio judicati klagen könne, oder auch mit der früheren, bereits abgeur - theilten Klage. Der Gebrauch der actio judicati macht die Sache klarer und einfacher, aber auch die frühere Klage iſt ganz ungefährlich, wenn man ſie nur unter die eben auf - geſtellten Beſchränkungen ſtellt, ſo daß jeder Anſpruch, der über die rechtskräftige Verurtheilung hinaus geht, durch die Einrede der Rechtskraft ſchlechthin ausgeſchloſſen iſt. Wir müſſen aber hierin noch weiter gehen. Da unſer heutiger Prozeß weder Klagformeln, noch feſt beſtimmte Arten und Namen der Klagen kennt, ſondern Alles von den Behauptungen und Anträgen der Parteien abhängen läßt, ſo haben wir oft gar kein durchgreifendes Mittel, zu unterſcheiden, ob die actio judicati, oder vielmehr (unter(e)ſcheinlich iſt, daß in den Stipu - lationen bei der L. C. ſtets die Worte vorgekommen ſeyn möchten: sententiae stari, amplius non peti (Brisson. de form. VI. 184), ſo wird die Sache noch anſchau - licher. Vgl. oben § 258.VI. 20306Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den oben aufgeſtellten Beſchränkungen) die frühere Klage angeſtellt iſt. Dieſe Unterſcheidung wird nur dann, alſo nur zufällig, mit Sicherheit vorgenommen werden können, wenn etwa