PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Syſtem des heutigen Römiſchen Rechts
Sechster Band.
Mit K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin. Bei Veit und Comp.1847.
[II][III]

Vorrede der erſten Abtheilung (§. 256 279).

Die lange Unterbrechung des vorliegenden Werkes iſt nicht durch verminderte Neigung zu dieſer Arbeit, ſondern allein durch die Menge unabweislicher an - derer Arbeiten bewirkt worden. Um Dieſes durch die That zu bewähren, die mehr, als eine bloße Verſicherung, Eindruck zu machen geeignet iſt, habe ich es für beſſer gehalten, den einzelnen Abſchnitt des ſechsten Bandes, zu deſſen Ausarbeitung ſich gerade die nöthige Zeit gewinnen ließ, abgeſondert erſcheinen zu laſſen, als die Vollendung des ganzen Bandes abzuwarten. Es wird jedoch durch fort - laufende Seitenzahlen in der zweiten Abtheilung (welche die Lehre vom Urtheil enthalten ſoll) dafür geſorgt werden, daß der ſechste Band auch in derIVVorrede.äußeren Erſcheinung mit den vorhergehenden Bänden gleichförmig werde.

Den bisher erſchienenen Theilen dieſer Arbeit iſt von manchen Seiten der nicht unerwartete Vor - wurf gemacht worden, daß der, als eine Darſtellung des heutigen Rechts bezeichnete, Plan des Werkes durch unverhältnißmäßige Einmiſchung hiſtoriſcher Unterſuchungen oft verlaſſen und geſtört werde. Dieſem Vorwurf wird ohne Zweifel auch der gegen - wärtige Abſchnitt nicht entgehen. Zwar iſt der Gegenſtand deſſelben ſo praktiſch, als irgend ein Stück unſres Rechtsſyſtems; allein die vorliegende Behandlung deſſelben hat ſich allerdings von aus - führlichen hiſtoriſchen Unterſuchungen nicht frei hal - ten können. Auch werden dieſe Unterſuchungen beſonders dadurch bei Manchen Anſtoß erregen, daß ſie großentheils in dem letzten Ziel mit den Anſichten Anderer übereinſtimmen, und nur den Weg, auf welchem Dieſe zu dem gemeinſamen Ziel gelangen wollen, als irrig darzuſtellen ſuchen. Ein Verfahren ſolcher Art wird von nicht Wenigen als unpraktiſch angeſehen.

Indeſſen kann ich mich, auch bei ſorgfältigem Rückblick auf den jetzt beendigten Abſchnitt, nichtVVorrede.überzeugen, daß derſelbe irgend Etwas enthalte, das nicht nothwendig wäre, um über den hier behandel - ten Gegenſtand zu wirklicher Einſicht und Überzeu - gung zu gelangen. Ich weiß in der That hierüber Nichts zu Dem hinzuzufügen, welches ſchon in der Vorrede des erſten Bandes (S. XXXII. fg. ) geſagt worden iſt. So werden alſo auch ferner verſchie - dene Meinungen über das in dieſer Arbeit einge - haltene richtige Maaß kaum zu vermeiden ſeyn.

Geſchrieben im October 1846.

[VI]

Vorrede der zweiten Abtheilung (§. 280 301).

Durch die der zweiten Abtheilung gegebene Ein - richtung iſt die bei der erſten gegebene Zuſage in Erfüllung gegangen, ſo daß jetzt der ſechste Band mit den früheren Bänden durchaus gleichförmig geworden iſt.

Geſchrieben im Julius 1847.

VII

Inhalt des ſechsten Bandes.

Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe. Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

  • Seite
  • §. 256. Litis Conteſtation. Einleitung1
  • §. 257. Weſen der Litis Conteſtation. I. Römiſches Recht8
  • §. 258. Weſen der Litis Conteſtation I. Römiſches Recht. (Fortſetzung.) 23
  • §. 259. Weſen der Litis Conteſtation. II. Canoniſches Recht und Reichsgeſetze36
  • §. 260. Wirkung der Litis Conteſtation. Einleitung48
  • §. 261. Wirkung der Litis Conteſtation. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert54
  • §. 262. Wirkung der Litis Conteſtation. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert (Fortſetzung.) 63
  • §. 263. Wirkung der Litis Conteſtation. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert (Fortſetzung.) 73
  • VIII
  • Seite.
  • §. 264. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. Einleitung78
  • §. 265. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen101
  • §. 266. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Fortſetzung) 106
  • §. 267. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Ver - ſäumte Früchte.) 113
  • §. 268. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen.) 121
  • §. 269. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung.) 133
  • §. 270. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung.) 138
  • §. 271. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung.) 148
  • §. 272. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen164
  • §. 273. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Fortſetzung.) 170
  • IX
  • Seite.
  • §. 274. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Fortſetzung.) 183
  • §. 275. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Zeitpunkt der Schätzung.) 198
  • §. 276. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Zeitpunkt der Schätzung. L. 3 de cond. tritic.) 216
  • §. 277. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Preisveränderung.) 227
  • §. 278. Stellung der Litis Conteſtation und ihrer Folgen im heutigen Recht237
  • §. 279. Stellung der Litis Conteſtation und ihrer Folgen im heutigen Recht. (Fortſetzung.) 246
  • §. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung257
  • §. 281. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte265
  • §. 282. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte. (Fortſetzung.) 272
  • §. 283. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte. (Fortſetzung.) 280
  • §. 284. Rechtskraft. I. Bedingungen. A. Formelle285
  • §. 285. Rechtskraft. I. Bedingungen. A. Formelle. (Fort - ſetzung.) 295
  • §. 286. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Arten des Urtheils300
  • X
  • Seite.
  • §. 287. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Fall der Verurtheilung des Beklagten313
  • §. 288. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Fall der Freiſprechung des Beklagten320
  • §. 289. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Nicht: Verurtheilung des Klägers328
  • §. 290. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Nicht: Verurtheilung des Klägers. (Fort - ſetzung) 338
  • §. 291. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe350
  • §. 292. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.) 370
  • §. 293. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller385
  • §. 294. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht394
  • §. 295. Rechtskraft. II. Wirkungen. Einleitung409
  • §. 296. Einrede der Rechtskraft. Bedingungen. Überſicht. I. Dieſelbe Rechtsfrage417
  • §. 297. Einrede der Rechtskraft. I. Dieſelbe Rechtsfrage424
  • §. 298. Einrede der Rechtskraft. I. Dieſelbe Rechtsfrage. Legitimationspunkt429
  • XI
  • Seite.
  • §. 299. Einrede der Rechtskraft. I. Dieſelbe Rechtsfrage. Äußerer und juriſtiſcher Gegenſtand der Klage443
  • §. 300. Einrede der Rechtskraft. I. Dieſelbe Rechtsfrage. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes453
  • §. 301. Einrede der Rechtskraft. Bedingungen. II. Die - ſelben Perſonen466
  • Beilage XV. Appellatio und Provocatio485
  • Beilage XVI. L. 7 de exceptione rei judicatae501
  • Beilage XVII. Causa adjecta s. expressa514
[1]

§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.

  • Winckler Discrimen inter litis contestationem jure ve - teri ac hodierno (Opuscula minora Vol. I. Lips. 1792. 8. p. 293 370).
  • Keller über Litisconteſtation und Urtheil. Zürich. 1827. 8.
  • Bethmann-Hollweg in: Mohl und Schrader Zeit - ſchrift für Rechtswiſſ. B. 5 Stuttg. 1829 S. 65 97 (Rec. des Buchs von Keller).
  • Wächter Erörterungen aus dem Römiſchen, Deutſchen und Württembergiſchen Privatrechte. Heft 2 und 3. Stuttgart 1846. 8.

Die Aufgabe des Actionenrechts, in deſſen Mitte unſere Unterſuchung ſich gegenwärtig befindet, wurde oben (§ 204) dahin beſtimmt: die Veränderungen feſtzuſtellen, welche in einem Rechte durch die Verletzung deſſelben, ſo wie durch die zur Bekämpfung der Verletzung dienenden Anſtalten, entſtehen.

Der geſammte Zuſtand, in welchen dieſe Veränderungen fallen und aus welchem ſie entſpringen, iſt alſo hier zu - nächſt als ein Zuſtand der Rechtsverletzung aufgefaßtVI. 12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.worden. Dieſe Auffaſſung iſt auch an ſich ganz richtig, ja unentbehrlich; ſie muß aber jetzt noch durch eine andere ergänzt werden, wenn eine vollſtändige Einſicht in die ver - ſchiedenen Seiten, die dieſer Gegenſtand darbietet, erlangt werden ſoll.

Nur in den ſeltenſten Fällen nämlich iſt die Rechtsver - letzung eine anerkannte und zugeſtandene, bei welcher es nur darauf ankommen kann, dem rechtswidrigen Willen durch höhere Gewalt entgegen zu treten. Vielmehr wird dieſelbe faſt immer von der einen Seite behauptet, von der andern beſtritten werden, ſo daß dann das ganze Verhält - niß zunächſt die Geſtalt eines Rechtsſtreits annimmt, deſſen Entſcheidung vorhergehen muß, ehe eine Rechtsver - letzung angenommen und ausgeglichen werden kann. Der Rechtsſtreit nun läßt ſich ſtets in gegenſätzliche Behaup - tungen der ſtreitenden Parteien, als in ſeine Elemente, auflöſen, und dieſe Behauptungen, in ſofern ſie eine ſelbſt - ſtändige Natur an ſich tragen, ſind unter dem Namen der Klagen, Exceptionen, Replicationen und Duplicationen, in dem vorhergehenden Bande dieſes Werks abgehandelt worden. Auf ſie bezog ſich die erſte Klaſſe möglicher Verände - rungen der Rechte, welche aus der bloßen Rechtsverletzung (oder dem Rechtsſtreit) für ſich allein hervorgehen (§ 204). Unſere Unterſuchung wendet ſich nunmehr zu der zweiten Klaſſe ſolcher Veränderungen, welche nicht aus dem Rechtsſtreit allein, ſondern aus den in denſelben eingrei - fenden Prozeßhandlungen entſpringen.

3§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.

Unter dieſen Prozeßhandlungen tritt uns zunächſt das Urtheil entgegen, durch welches jeder Rechtsſtreit zur Entſcheidung, alſo die angebliche Rechtsverletzung entweder zur Verneinung, oder zur Anerkennung und Ausgleichung, gebracht werden muß. Die Frage, ob und wie das Urtheil in den Inhalt und Umfang der Rechte ſelbſt verändernd einwirken kann, iſt in der That unabweislich, ja ſie iſt unter allen, die hier aufgeworfen werden können, die wich - tigſte; aber ausreichend iſt dieſe Frage nicht.

Sie würde nur dann als ausreichend gelten können, wenn es möglich wäre, jeden Rechtsſtreit, ſobald er vor den Richter gebracht wird, unmittelbar durch das Urtheil zu beendigen. Dieſes iſt jedoch nur in den ſeltenſten Fäl - len möglich. Faſt immer iſt Zeit, und oft ſehr lange Zeit, nöthig, damit ein unabänderliches Urtheil mit ſicherer Über - zeugung geſprochen werden könne. Gerade in dieſer Zeit aber können wichtige Umwandlungen in dem ſtreitigen Rechtsverhältniß eintreten, und wenn dieſes geſchieht, wird oft das am Ende ausgeſprochene, die Rechtsverletzung an - erkennende, Urtheil, die Ausgleichung gar nicht, oder nur unvollſtändig gewähren, wozu doch die Rechtspflege be - ſtimmt iſt.

Wenngleich nun dieſe Verzögerung des Urtheils nebſt ihren nachtheiligen Folgen mit der Ausübung des Richter - amts unzertrennlich verbunden, alſo unvermeidlich iſt, ſo müſſen wir ſie dennoch als ein Übel anerkennen, welches durch künſtliche Anſtalten auszugleichen unſre Aufgabe iſt.

1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Grund des erwähnten nothwendigen Übels liegt darin, daß der Anfang und das Ende des Rechtsſtreits (Klage und Urtheil) nicht gleichzeitig ſind, daß ſie vielmehr durch einen Zeitraum getrennt werden, in welchem für das Rechtsverhältniß Umwandlungen eintreten können. Die Ausgleichung des Übels wird darin beſtehen müſſen, daß das Urtheil ſich nicht darauf beſchränkt, über das urſprüng - lich vorhandene Recht zu entſcheiden, ſondern zugleich die Folgen dieſer Umwandlungen auszutilgen ſucht.

Die[allgemeine] Richtung, welche dieſer Theil der rich - terlichen Entſcheidung zu befolgen hat, läßt ſich in folgender Formel ausdrücken: Es iſt derjenige Zuſtand künſtlich hervorzubringen, welcher natürlich vorhanden ſeyn würde, wenn es möglich geweſen wäre, das Urtheil im Anfang des Rechtsſtreits auszuſprechen.

Jedoch iſt gleich hier wohl zu beachten, daß dieſe For - mel blos die durch die Natur der Aufgabe gegebene allge - meine Richtung der Löſung ausdrücken ſoll, und daß eine unbedingte, auf dem Wege einer bloßen logiſchen Folge - rung zu vermittelnde, Anwendung derſelben keinesweges gemeint ſeyn kann.

Zur vollſtändigen Löſung der hier geſtellten Aufgabe kommt es zunächſt darauf an, den Anfang des Rechts - ſtreits feſtzuſtellen, indem nur dadurch der Zeitraum genau begränzt werden kann, in welchem die durch das Urtheil auszutilgenden Umwandlungen eingetreten ſeyn müſſen.

5§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.

Das Römiſche Recht ſetzt dieſen Anfang in die Litis - conteſtation. Dieſe werden wir als die Prozeßhandlung aufzufaſſen haben, welche zunächſt als Anfangspunkt des Rechtsſtreits, zugleich aber auch (welches nur eine ergän - zende Auffaſſung iſt) als Entſtehungsgrund der beſonderen Rechtsanſprüche anzuſehen iſt, die durch den oben an - gedeuteten Theil des Urtheils ihre Befriedigung erhalten ſollen.

Vor allem iſt nun das Weſen der Litisconteſtation feſtzuſtellen. Dieſe Unterſuchung wird dadurch nicht wenig erſchwert, daß ſchon bei den Römern dieſe Prozeßhandlung wichtige Umbildungen erfahren hat. Noch ſtärker waren dieſe in der Geſetzgebung und Praxis neuerer Zeiten. Dennoch iſt zu allen Zeiten, und ſelbſt bei den neueſten Schriftſtellern, der Begriff und der Name jenes Rechts - inſtituts feſtgehalten worden, wenngleich über die nähere Beſtimmung des Begriffs die Anſichten oft ſehr aus ein - ander gehen.

Hieran muß ſich dann der größere und wichtigere Theil unſerer Unterſuchung anknüpfen, welcher die Wirkungen der Litisconteſtation zum Gegenſtand hat. Die Aufgabe des richterlichen Urtheils, welche oben nur in einer allge - meinen Formel vorläufig angedeutet war, iſt in ihre Ele - mente zu zerlegen, wodurch allein die Einſicht gewonnen werden kann, welche Beſtimmungen in das Urtheil aufge - nommen werden müſſen, um die nachtheiligen Folgen der unvermeidlichen Dauer des Rechtsſtreits zu abſorbiren.

6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn nun ſo eben behauptet worden iſt, daß der Begriff der Litisconteſtation von allen, ſelbſt den neueſten, Schrift - ſtellern feſtgehalten und nur auf verſchiedene Weiſe beſtimmt worden ſey, ſo iſt davon noch ganz unabhängig die Frage, ob auch noch im heutigen gemeinen Recht die darzuſtel - lenden einzelnen Wirkungen an die Litisconteſtation ange - knüpft ſind. Es läßt ſich nämlich ſehr wohl die Behaup - tung denken, es ſey zwar ein beſtimmter, auf der nachzu - weiſenden Entwicklung des Römiſchen Rechts beruhender, Begriff der Litisconteſtation auch für uns vorhanden; allein die Wirkungen, die das Römiſche Recht an die Litiscon - teſtation knüpft, ſeyen in dem heutigen Recht, alle oder zum Theil, auf eine andere Prozeßhandlung übergegangen. Nach dieſer möglichen Behauptung wäre mithin ein anderer Zeitpunkt für den Anfang des Rechtsſtreits anzunehmen, ſey es allgemein, oder wenigſtens in Beziehung auf ein - zelne Wirkungen die das Römiſche Recht an die Litis - conteſtation anknüpft.

Da die Unterſuchung dieſer höchſt wichtigen Frage mit den einzelnen Wirkungen in Verbindung ſteht, ſo kann die - ſelbe auf befriedigende Weiſe erſt am Schluß der ganzen Lehre von der Litisconteſtation unternommen werden(a)Eigentlich kommt dieſe Frage in zwei verſchiedenen Geſtalten vor, deren Prüfung an zwei verſchiede - nen Orten unternommen werden mußte. Erſtlich iſt von vielen be - hauptet worden, ſchon im R. R., und zwar ſelbſt von Hadrian an, ſeyen die Wirkungen der L. C. auf einen früheren Zeitpunkt des Rechts - ſtreits zurück verlegt worden. Da - von mußte, des Zuſammenhangs wegen, im § 264 gehandelt wer -.

7§. 256. Litisconteſtation. Einleitung.

Der Zweck des ganzen Rechtsinſtituts, deſſen Darſtel - lung uns gegenwärtig beſchäftigt, geht auf Beſeitigung des nothwendigen Übels, welches in der Dauer des Rechts - ſtreits liegt, und zwar ſoll hier dieſer Zweck erreicht werden durch ausgleichende Beſtimmungen in dem Urtheil über den Rechtsſtreit. Es macht daher dieſes Inſtitut einen weſent - lichen Theil des materiellen Rechts, und zwar des Actio - nenrechts (§ 204) aus, und kann in unſrem Syſtem nur hier ſeine Stelle finden.

Allein den angegebenen praktiſchen Zweck haben mit ihm gar manche andere Rechtsinſtitute gemein, über welche in dieſer Beziehung hier eine allgemeine Ueberſicht nicht an unrechter Stelle ſeyn wird.

Dahin gehören zuerſt alle Maaßregeln, die auf Abkür - zung und Beſchleunigung der Prozeſſe hinwirken ſollen. So enthielt das ältere Römiſche Recht die ſtark eingrei - fende Regel, daß jeder Prozeß verloren ſeyn ſolle, wenn nicht in einer ſehr mäßigen Zeit das Urtheil erfolge(b)Gajus IV. § 104. 105. Ein legitimum judicium ſollte auf - hören mit dem Ablauf von Acht - zehn Monaten; ein judicium quod imperio continetur mit dem Ende der Magiſtratur, von welcher der Juder beſtellt war. Eine Erneue - rung derſelben Klage war unmög - lich, weil ſie in judicium deducirt, alſo conſumirt war.; dadurch wurde der Kläger zur eifrigen Betreibung der Sache aufgefordert. Das neueſte Recht hat dieſe Vor - ſchrift ganz aufgegeben.

Ferner kann jede gerechte Entſcheidung, und ſo auch(a)den. Zweitens wird eine Verän - derung dieſer Art für das heutige Recht behauptet; davon wird am Schluß gehandelt (§ 278. 279).8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Vortheil, der von dem Inſtitut der Litisconteſtation mit ihren Wirkungen erwartet wird, auf faktiſche Weiſe ganz oder theilweiſe vereitelt werden, indem nämlich eine Sache zerſtört oder veräußert, oder indem das Vermögen eines Schuldners erſchöpft wird. Dieſe Gefahren abzuwenden oder zu vermindern, dienen zuerſt manche wichtige Prozeß - inſtitute, wie die Prozeßcautionen, Arreſte und Sequeſtra - tionen, die missio in possessionem. Außerdem dienten zu demſelben Zweck manche Inſtitute des materiellen Rechts: ſo die Geſetze gegen die Veräußerung des Eigenthums und die Ceſſion von Schuldforderungen, ſobald eines dieſer Rechte Gegenſtand eines Rechtsſtreits geworden war (res litigiosa, actio litigiosa).

Wollte man dieſe Rechtsinſtitute wegen des überein - ſtimmenden praktiſchen Zweckes, neben der Litisconteſtation abhandeln, ſo würde daraus nur Verwirrung hervorgehen können. Die meiſten derſelben können nur in dem Zuſam - menhang des Prozeßrechts ihre rechte Stelle finden; und auch diejenigen, welche in der That dem materiellen Rechte angehören (wie das litigiosum), ſind doch nicht hier, ſon - dern in Verbindung mit der Lehre vom Eigenthum oder der Ceſſion, abzuhandeln.

§. 257. Weſen der Litis Conteſtation. I. R. R.

Der Standpunkt, den wir in dieſer Unterſuchung zu nehmen haben, um zu einer befriedigenden Einſicht in den9§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.Inhalt unſrer Rechtsquellen zu gelangen, iſt das Zeit - alter des Formularprozeſſes, oder der vorherrſchenden ordi - naria judicia. Das Recht der früheren Zeit kann dabei nicht mehr in Betracht kommen. Dagegen iſt allerdings eine beſondere Rückſicht nöthig auf die Behandlung dieſes Gegenſtandes in dem extraordinarium judicium, welches ſchon frühe als Ausnahme in dem Zeitalter des Formular - prozeſſes vorkam. Die Feſtſtellung dieſes exceptionellen Zuſtandes wird dann den Uebergang bilden zu dem ſpäte - ren R. R., in welchem der ordo judiciorum völlig ver - ſchwindet, alſo die frühere Ausnahme als einzige Regel erſcheint.

Ich will damit anfangen, den Rechtszuſtand, der in den Stellen der alten Juriſten ſtets vorausgeſetzt werden muß, im Zuſammenhang darzuſtellen, und dann erſt die Rechtfertigung der einzelnen Sätze hinzufügen.

Die Litisconteſtation iſt (zu jener Zeit) eine Verhand - lung der ſtreitenden Parteien vor dem Prätor, worin beide den Streit durch gegenſeitige Erklärungen dergeſtalt feſt - ſtellen, daß derſelbe zum Uebergang an den Juder reif wird. Dieſe Verhandlung iſt der letzte Akt des Jus, das heißt des vor dem Prätor vorgehenden Theils des Pro - zeſſes; ſie iſt gleichzeitig mit der von dem Prätor ertheilten formula(a)Wenn es blos darauf an - kam, den Zeitpunkt zu bezeichnen, von welchem an gewiſſe Wirkungen im Prozeß eintreten ſollten, ſo, ſetzt alſo die Ernennung des Juder voraus, da deſſen Perſon in der formula bezeichnet wird.

10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Da jene Verhandlung dazu beſtimmt war, den Streit vollſtändig feſtzuſtellen, ſo durfte ſie ſich nicht auf eine bloße Erklärung über die Thatſachen beſchränken, ſie mußte vielmehr auch die Exceptionen, Replicationen und Dupli - cationen umfaſſen, alſo den ganzen Inhalt der formula in ſich aufnehmen, ſo daß die formula unmittelbar aus der Verhandlung entnommen werden konnte(b)Auf dieſen erſchöpfenden In - halt der L. C darf jedoch nicht allzu großes Gewicht gelegt wer - den, da er in der That nur für die ſtrengen Klagen als allgemein durchgeführt angeſehen werden kann. In den freyen Klagen konnte ſich der Beklagte vorläufig mit einem allgemeinen Widerſpruch begnügen, und dennoch vor dem Juder Ex - ceptionen geltend machen. (B. 5 S. 466)..

Der Name der L. C. iſt von einem einzelnen Beſtand - theil der ganzen Handlung hergenommen. Beide Par - teien riefen dabei gemeinſchaftlich Zeugen auf, mit dem Ausdruck: testes estote. Dieſe Zeugen nun dürfen durchaus nicht als die Beweiszeugen gedacht werden, nach deren Ausſage künftig der Juder entſcheiden ſollte; ſolche kommen in vielen Prozeſſen überhaupt nicht vor, und in keinem Fall war jetzt ſchon die Zeit zu ihrer Vernehmung, alſo auch kein Bedürfniß zu ihrer Vorführung, gekommen. Vielmehr ſollten die Zeugen, die bei der L. C. erwähnt werden, den Inhalt der gegenwärtigen Verhandlung an - hören und künftig, wenn darüber Zweifel entſtände, be -(a)konnte man eben ſowohl die for - mula concepta, als die L. C., angeben, oder auch mit beiden Ausdrücken abwechſeln. Daß dieſes nicht geſchehen, ſondern ſtets nur die L. C. genannt worden iſt, er - klärt ſich aus ihrer Vertragsnatur (§ 258), von welcher ſogleich die Rede ſein wird.11§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.zeugen; ſie ſollten als lebendiges Protokoll dienen. Dazu konnte allerdings eher in dem blos mündlichen Prozeß der alten legis actiones ein Bedürfniß wahrgenommen werden, als neben der ſchriftlich abgefaßten formula(c)Keller § 1.. Dennoch kann ſich auch neben dem Formularprozeß dieſe Handlung, wie ſo vieles Andere, als formelle Erinnerung an einen älteren reellen Gebrauch erhalten haben; in jedem Fall aber konnte ſich der Name erhalten, nachdem man längſt aufgehört hatte, auch nur zum Schein Zeugen aufzurufen.

Die Hauptſtelle über das hier behauptete Weſen der L. C. findet ſich bei Feſtus (im Auszug des P. Diaconus) unter dem Wort Contestari, und lautet alſo: Contestari est, cum uterque reus dicit: Testes estote. Contestari litem dicuntur duo aut plures adver - sarii, quod ordinato judicio utraque pars dicere solet: Testes estote.

Hier wird der Ausdruck: contestari daraus erklärt, daß mehrere Perſonen gemeinſchaftlich die Zeugen an - rufen(d)Eben ſo wie compromissa pecunia, weil beide Parteyen eine Strafe verſprechen für den Fall des Ungehorſams gegen den Schieds - richter., und es wird in Anwendung auf den Prozeß (alſo auf die litis contestatio) ausdrücklich bemerkt, daß beide Parteien dieſe Handlung vornahmen. Es wird hinzugefügt, die Handlung ſey geſchehen ordinato judicio, d. h. alſo auch nachdem eine beſtimmte Perſon zum Juder ernannt war, indem dieſe Ernennung weſentlich zur An -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ordnung des Judicium gehörte(e)So wird auch anderwärts ordinatum judicium, ordinata lis oder causa gleichbedeutend ge - braucht mit litis contestatio. L. 24 pr. § 1. 2. 3, L. 25 § 2 de lib. causa (40. 12). Eben - ſo wird der Zeitpunkt der L. C. bezeichnet mit den Worten: statim atque judex factus est. L. 25 § 8 de aedil. ed. (21. 1). Näm - lich die Ernennung des Judex, die L. C., und die Conception der Formel, ſind fortlaufende Theile deſſelben Prozeßaktes und liegen der Zeit nach nicht aus einander, ſo daß man das Eine wie das Andere als Bezeichnung eines und deſſelben Zeitpunktes gebrauchen kann.. Der Eingang aber, in Verbindung mit dem nachfolgenden Haupttheil der Stelle, deutet an, daß dieſe Handlung mit der angegebenen Benennung auch zu anderen Zwecken vorgekommen ſey(f)So bei dem Teſtament die suprema contestatio. L. 20 § 8 qui test. (28. 1 ) Bei Ulpian. XX. 9 heißt es dafür testatio, gleichbedeutend mit nuncupatio; bei Gajus II. § 104 blos nun - cupatio. Uebrigens kommt an - ſtatt litis contestatio auch judi - cium contestatum vor. L. 7 § 1 de her. pet. (5. 3 ) L. 19 sol. matr. (24. 3); dagegen finde ich contestatio allein, ohne lis oder judicium, in dieſem Sinn nicht. Denn in L. 1 § 1 C. de pet. her. (3. 31) iſt das contestationis blos eine verweiſende Wiederholung des unmittelbar vorhergehenden Aus - drucks litis contestationem (ſ. u. § 271 b)., wodurch alſo die litis contestatio nur als einer unter mehreren Fällen einer ſolchen feyerlichen Handlung be - zeichnet wird.

Obgleich nun Feſtus den Ausdruck litem contestari auf beide Parteien gleichmäßig bezieht, ſo geht doch der weit überwiegende Sprachgebrauch dahin, die Handlung des Klägers mit litem contestari, die des Beklagten mit judi - dicium accipere oder suscipere zu bezeichnen(g)Winckler p. 298. Keller § 6..

Contestari iſt übrigens ein Deponens, ſo daß nach der grammatiſchen Regel eigentlich nur von der Partei geſagt13§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.werden dürfte: litem contestatur, litem contestatus est. Indeſſen iſt der paſſive Gebrauch des Wortes (alſo lis contestatur, lis contestata) ſo häufig, daß das Verhältniß von Regel und Ausnahme völlig verſchwindet. Aus den Digeſten dafür Beiſpiele anzuführen, würde bei der großen Zahl derſelben ganz überflüſſig ſein. Damit man aber nicht glaube, daß ſolche Beiſpiele blos hier, als Zeichen ſinkender Latinität, zu ſuchen ſeyen, muß bemerkt werden, daß derſelbe Sprachgebrauch auch ſchon in der beſten Zeit vorkommt, namentlich bei Cicero(h)Pro Roscio Com. C. 11 und C. 12 lis contestata . Pro Flacco C. 11 ab hac per - enni contestataque virtute ma - jorum. , bei Aufidius, einem Schüler des Servius Sulpicius(i)Priscian. Lib. 8 C. 4 § 18: P. Aufidius: si quis alio vocitatur nomine tum cum lis contestatur, atque olim vocita - batur, contestari passive po - suit. Priſcian führt es als eine grammatiſche Anomalie an. Die Ausgaben leſen hier ganz ſinnlos: illis contestatur oder his con - testatur (p. 371 ed. Krehl, p. 791 (793) ed Putsch). Die richtige Leſeart iſt hergeſtellt und mit einer vortrefflichen ſachlichen Erklärung der Stelle begleitet von Huſchke, Zeitſchrift f. geſchichtl. Rechtswiſſ. B. 10 S. 339. 340., in der Lex Rubria de Gallia cisalpina(k)Col. 1 lin. 48 quos inter id judicium accipietur leisve contestabitur. , und in einer Rechtsregel, die Gajus aus den Veteres anführt(l)Gajus III. § 180 apud veteres scriptum est: ante litem contestatam dare debi - torem oportere, post litem contestatam condemnari opor - tere. .

Die wichtigſte und beſtrittenſte Frage bleibt bei Feſtus unentſchieden: ob nämlich die L. C. in das Jus fällt oder in das Judicium, d. h. ob ſie die letzte Handlung vor dem Prätor war, oder die erſte vor dem Judex. Beides ließe14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſich, nach der allgemeinen Beſtimmung der L. C., denken, und das praktiſche Reſultat würde in beiden Fälleu nicht ſehr verſchieden ſeyn. Beide Meinungen haben ihre Ver - theidiger gefunden, allein die erſte iſt durch ſichere Schlüſſe aus ſo vielen einzelnen Stellen begründet wor - den(m)Winckler § 3. 4. Keller § 1 5. Die einzige ſchein - bare Stelle für die entgegenge - ſetzte Anſicht (L. un. C. de L. C.) wird unten erklärt werden., daß die Frage nunmehr als völlig entſchieden betrachtet werden darf. Der vollſtändigſte Beweis dafür, daß die L. C. vor dem Prätor vollzogen wurde, ergiebt ſich aber aus folgender weiteren Betrachtung. Wenn die die L. C. vor dem Prätor vorging, ſo war es gewiß ſehr zweckmäßig, den künftigen Judex der Handlung beiwohnen zu laſſen, und ich zweifle nicht, daß dieſes geſchehen ſeyn wird, wenn der Judex zufällig gegenwärtig war, oder wenn die Parteien ihn mit ſich vor den Prätor geführt hatten. Darauf deutet nun in der That eine Stelle des Papinian, nach welcher die Gegenwart und das Bewußt - ſeyn des Judex bei deſſen Ernennung (addictio) nicht nöthig ſeyn ſoll(n)L. 39. pr. de jud. (5. 1.) Cum furiosus judex addicitur non minus judicium erit, quod hodie non potest judicare .... neque enim in addicendo prae - sentia vel scientia judicis ne - cessaria est Offenbar iſt hier die addictio judicis als der Zeit nach zuſammenfallend gedacht mit der L. C., dem judicium acceptum oder ordinatum, denn es wird aus - drücklich geſagt, es ſey ſchon jetzt ein wirkliches judicium vor - handen.; woraus Papinian ſchließt, auch ein Wahnſinniger könne zum Judex ernannt werden, und dieſe Ernennung ſey wirkſam, wenn er nur nachher wieder15§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.zu Verſtand komme; ja das judicium ſey für ihn von der Ernennung an wirklich vorhanden. Offenbar alſo nimmt Papinian an, die Ernennung des Judex, und der wirk - liche Anfang ſeines Judicium, alſo das acceptum oder ordinatum judicium (d. h. die L. C.) könne in Abweſen - heit des Judex Statt finden, woraus von ſelbſt folgt, daß die L. C. nicht eine vor dem Judex vollzogene, alſo unter deſſen Mitwirkung vorgenommene Handlung geweſen ſeyn kann. Ein gleich entſcheidendes Zeugniß liegt in einer Stelle des Paulus. Wenn ein Provinziale als Legat nach Rom kam, ſo brauchte er ſich daſelbſt in der Regel nicht verklagen zu laſſen. Ausnahmsweiſe aber war er dennoch dazu verpflichtet, jedoch nur ſo, daß die L. C. in Rom (vor dem Prätor) vollzogen, das Judicium aber in der Provinz (vor einem daſelbſt lebenden Judex) geführt wurde(o)L. 28 § 4 de jud. (5. 1. ) causa cognita adversus eum judicium praetor dare debet, ut lis contestetur, ita ut in provinciam transferatur. .

Um die Veränderungen verſtehen zu können, die ſich im ſpäteren R. R. mit der Form der L. C. zugetragen haben, iſt es nöthig, zuvor für die Zeit des Formular - prozeſſes die Stellung anzugeben, welche ſie neben den extraordinariis judiciis einnahm.

Es leuchtet ſogleich ein, daß ſie in dieſen nicht gedacht werden darf als eine förmliche Handlung der Parteien in16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Verbindung mit der Abfaſſung der formula, und dazu beſtimmt, den Uebergang des Rechtsſtreits an den Judex zu vermitteln; denn bei den extraordinariis judiciis kam weder ein Judex, noch eine formula vor, indem der ganze Rechtsſtreit vor dem Magiſtratus von Anfang bis zu Ende durchgeführt wurde. Da aber wegen der wichtigen prak - tiſchen Folgen auch hier die L. C. nicht zu entbehren war, ſo mußte man dafür einen Zeitpunkt aufſuchen, welcher mit dem Zeitpunkt der förmlichen L. C. im ordentlichen Prozeß am meiſten Analogie hatte. Es konnte nun kein Zweifel ſeyn, dafür die Zeit anzunehmen, in welcher ſich die Parteien vor dem Magiſtratus über ihre gegenſeitigen Behauptungen und Anſprüche vollſtändig ausgeſprochen hatten. Dieſes war weſentlich daſſelbe wie die eigentliche L. C., und der Unterſchied lag lediglich in der äußeren Form der Handlung.

Dieſe, nach innerer Wahrſcheinlichkeit kaum zweifel - hafte Annahme findet ihre Beſtätigung in folgenden Zeug - niſſen, deren Erklärung zugleich dazu dienen kann, manche Zweifel und Mißverſtändniſſe unſrer Schriftſteller zu beſeitigen.

1. L. un. C. de litis contestatione (3. 9. ) von Seve - rus et Antoninus 203.

Res in judicium deducta non videtur, si tantum postulatio simplex celebrata sit, vel actionis species ante judicium reo cognita. Inter litem enim con - testatam et editam actionem permultum interest. 17§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.Lis enim tunc contestata videtur, cum judex per narrationem negotii causam audire coeperit.

Aus dieſer Stelle haben zuerſt Manche beweiſen wollen, die L. C. ſey nicht vor dem Prätor, ſondern vor dem Judex vollzogen worden (Note m), eine Meinung, die ſchon oben widerlegt worden iſt. Es kommt alſo darauf an, den Schein zu entfernen, der allerdings in der Stelle für dieſe Meinung enthalten iſt, indem zu der Zeit, worin dieſelbe niedergeſchrieben wurde, der Formularprozeß noch in voller Kraft beſtand.

Einige ſagen, die Kaiſer hätten die oben angegebene Natur der vor dem Magiſtratus vollzogenen L. C. bezeich - nen wollen, und unter dem judex den Magiſtratus ver - ſtanden(p)So die bei Keller § 5 Note 5 angeführten Schriftſteller. Ganz unbefriedigend ſcheint mir die Erklärung von Zimmern Rechts - geſchichte B. 3 § 119 Note 13: Die L. C. iſt bereits eingetreten, wenn das Judicium erſt begonnen hat. Ein ſolcher Schluß der Stelle würde mit dem Anfang in gar keinem Zuſammenhang ſtehen.. Dieſe Erklärung iſt nicht anzunehmen, denn obgleich der Ausdruck judex nicht ſelten dieſe Bedeutung hat, ſo können ihn doch unmöglich die Kaiſer, wenn ihnen das ordinarium judicium vor Augen ſtand, in dieſer ano - malen Bedeutung (für den Magiſtratus) gebrauchen, wo - durch ſie faſt unvermeidlich mißverſtanden werden mußten.

Andere nehmen an, die Kaiſer hätten wirklich den Ma - giſtratus genannt, und die Stelle habe nur durch eine durchgreifende Interpolation ihre gegenwärtige Geſtalt er - halten(q)Keller § 5.. Zu einer ſolchen Interpolation kann ich einVI. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen, ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen gehört, und dadurch das Material zur Conception der For - mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors, des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen.

Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus - druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam. Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus - drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver - dienten Schein einer Interpolation geben. Allerdings ſagt die Stelle, wie wir ſie vor uns haben, nicht, daß19§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.von einem ſolchen Rechtsſtreit die Rede ſey; allein ſie iſt ein Reſcript, das wir gewiß nur ſehr unvollſtändig vor uns haben(r)Dieſe Unvollſtändigkeit er - hellt unwiderſprechlich ſchon aus dem Umſtand, daß ein anderer Theil derſelben Stelle als L. 3 C. de edendo (2. 1) in den Co - dex aufgenommen worden iſt., und aus deſſen weggelaſſenem Eingang jene Vorausſetzung unzweifelhaft hervorgehen mochte. Ge - wiſſermaaßen nimmt auch dieſe Erklärung eine Inter - polation an, aber eine ſolche, die nicht durch Veränderung des Inhalts, ſondern durch bloße Weglaſſung anderer Theile der Stelle bewirkt wurde.

2. L. 33 de Obl. et Act. (44. 7. Paulus lib. 3 De - cretorum).

Constitutionibus quibus ostenditur heredes poena non teneri, placuit, si vivus conventus fuerat, etiam poenae persecutionem transmissam videri: quasi lite contestata cum mortuo.

Nach einer alten Regel ſollten Pönalklagen nicht gegen die Erben des Schuldners übergehen, außer wenn die L. C. vollzogen worden war(s)S. o. B. 5 § 211 g. . Die vorliegende Stelle nun ſpricht nicht von einer gewöhnlichen Pönalklage unter Privatperſonen, die in das jus ordinarium gehört und wobei jene Regel unmittelbar zur Anwendung kommt. Sie ſpricht vielmehr von einer fiscaliſchen Strafe, die vor den Fiscalbeamten verfolgt wird, alſo extra ordinem, ſo daß dabei kein Judex und keine eigentliche L. C. vorkam(t)Dieſe Annahme wird durch die Inſeription der Stelle beſtä - tigt. Denn in demſelben lib. 3. 2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dabei mußte der Uebergang auf die Erben an eine der L. C. analoge Handlung geknüpft werden. In dieſem Sinn ſagt nun Paulus, der Uebergang auf die Erben müſſe angenommen werden, wenn nur bei dem Leben des jetzt Verſtorbenen die Klage eingeleitet war(u)Das conventus fuerat darf nur nicht zu eingeſchränkt von der blos erhobenen Klage, verſtan - den werden, ſo wie conventus und petitum in mehreren Di - geſtenſtellen auch bei dem ordent - lichen Prozeß vorkommt, wo es das convenire cum effectu, alſo die Zeit der vollzogenen L. C., bezeichnet. Eine entſcheidende Stelle für dieſe Bedeutung des conven - tus iſt L. 8 de nox. act. (9. 4 ) Eben ſo für petitum die L. 22 de reb. cred. (12. 1 ) Vergl. Wächter H. 3 S. 66. 67.; denn dieſe Einleitung der Klage ſey in den extraordinariis judiciis als der Akt zu betrachten, welcher der wirklichen L. C. im ordentlichen Prozeß entſpreche (quasi lite contestata cum mortus)(v)Im Weſentlichen haben die richtige Erklärung: Voorda In - terpr. II., 19, Wächter H. 3 S. 112.. Dieſe Stelle hat von jeher großen Anſtoß erregt. Indem man das conventus zu eng, von der blos erhobenen Klage, verſtand, und die Stelle auf den ordentlichen Prozeß bezog, ſuchte man dadurch zu helfen, daß man ſie von ſolchen Fällen verſtand, in welchen die L. C. vom Verſtorbenen abſichtlich verzögert worden war, welches widerrechtliche Verfahren ihn nicht gegen den Übergang auf ſeine Erben ſchützen ſollte(w)Nach mehreren Vorgän - gern hatte ich dieſe Erklärung an - genommen, Bd. 5 § 211 g., die ich jetzt ganz aufgebe, da die Stelle durchaus keine Spur dieſer Vorausſetzung enthält. Kie - rulff S. 281 betrachtet dieſe Stelle als einen Beweis, daß ſchon die Römer die Wirkungen der L. C. Haloander(t)deeretorum des Paulus kom - men mehrere Stellen über Fiscal - klagen vor dem procurator Cae - saris vor.21§. 257. Weſen der L. C. I. R. R.ſuchte auf andere Weiſe zu helfen, durch die etwas kühne Emendation: transmissam non videri, quasi lite con - testata eo mortuo (x)Einigen Anhalt zu dieſer Emendation giebt die vulg. : re - missam non videri, die jedoch dem Sinn nach ganz mit der Florentina übereinſtimmt..

3. L. 20 § 6. 7. 11. de her. pet. (5. 3).

Das Sc. Iuventianum ſprach zunächſt von den An - ſprüchen des Fiscus auf eine caduca hereditas, alſo von einem extraordinarium judicium vor den Fiscalbeamten, obgleich es allerdings auch auf den ordentlichen Prozeß unter Privatperſonen angewendet wurde(y)L. 20 § 9 de her. pet. (5. 3).. Für den urſprünglichen Fall dieſes Senatusconſults mußte daher ein anderer Zeitpunkt angenommen werden, welcher an die Stelle der L. C. im ordentlichen Prozeß treten konnte. Von dieſer Bemerkung wird noch unter Gebrauch gemacht werden (§ 264).

Die Stellung, welche ſo eben für die L. C. in den extraordinariis judiciis der älteren Zeit nachgewieſen worden iſt, konnte unverändert beibehalten werden, als in der ſpäteren Zeit alle Klagen überhaupt in extraordi - naria judicia verwandelt wurden. Die frühere Ausnahme wurde nun zur allgemeinen Regel, ſonſt änderte ſich Nichts.

So erſcheint in der That die Sache in einer früheren Conſtitution von Juſtinian(z)L. 14 § 1 C. de jud. (3. 1)., welche weſentlich über -(w)auf die Vorladung des Beklagten übertragen hätten. 22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einſtimmend mit dem oben angeführten Reſcript von Sever und Antonin, den Zeitpunkt der L. C. ſo be - zeichnet: cum lis fuerit contestata, post narrationem propo - sitam et contradictionem objectam.

In ſpäteren Geſetzen fügte Juſtinian folgende neue Beſtimmungen hinzu.

Wenn dem Beklagten die Klage eingehändigt iſt, ſoll derſelbe nach Ablauf von Zwanzig Tagen vor dem Gericht erſcheinen, und daſelbſt die L. C. vornehmen. Jede inner - halb dieſes Zeitraums abgegebene Erklärung ſoll den Be - klagten nicht binden, und nicht als L. C. angeſehen werden(aa)Nov. 53 C. 3. Nov. 82 C. 10. Auth. Offeratur C. de L. C. (3. 9).

Der Kläger ſoll von ſeiner Seite Caution ſtellen, daß er die L. C. nicht über Zwei Monate aufhalten wolle(bb)Nov. 96 C. 1. Auth. Libellum C. de L. C. (3. 9).

Dieſe Beſtimmungen betreffen die bloße Prozeßform, und ändern das Weſen der L. C. auf keine Weiſe ab.

Wir können alſo auch noch für das neueſte Juſti - nianiſche Recht den Begriff der L. C., weſentlich überein - ſtimmend mit dem Begriff des älteren Rechts, dahin beſtimmen: Sie beſteht in der vor der richterlichen Obrigkeit ab - gegebenen Erklärung beider Parteien über das Da - ſeyn und den Inhalt des Rechtsſtreits.

23§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)

Dabei iſt aber allerdings, nach der ganzen Wendung die in dieſer Zeit der Prozeß genommen hatte, der factiſche Unterſchied anzuerkennen, daß jetzt ſehr häufig, wohl in den meiſten Fällen, die L. C. in dem Rechtsſtreit merklich ſpäter eintreten mochte als in dem älteren Prozeß.

§. 258. Weſen der Litis Conteſtation I. R. R. (Fortſetzung.)

Bisher iſt die äußerliche Natur der L. C. in Erwä - gung gezogen worden: die Form, der Zeitpunkt, die Be - zeichnung dieſer Prozeßhandlung. Ich wende mich nun zur Unterſuchung ihres inneren oder juriſtiſchen Weſens, welche noch wichtiger iſt als jene erſte Erwägung, theils weil ſie unmittelbar mit den Wirkungen zuſammenhängt, theils weil ſie ein bleibenderes, von dem Wechſel hiſto - riſcher Zuſtände weniger abhängiges, auch für unſere Zeit gültiges Intereſſe mit ſich führt.

Es muß hier daran erinnert werden, daß jedes Klag - recht, ohne Unterſchied des Rechts welches ihm zum Grunde liegt, die Natur einer Obligation mit ſich führt (§ 205). Die L. C. nun iſt als diejenige Prozeßhandlung zu denken, wodurch dieſe Obligation ein wirkliches Daſeyn und zugleich eine beſtimmte Geſtalt erhält.

Auf zweierlei Weiſe aber greift die L. C. in das be - ſtehende Rechtsverhältniß ein: nach der Vergangenheit und nach der Zukunft. Nach der Vergangenheit, indem die vorhandene Klage in judicium deducirt, und dadurch24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.conſumirt, d. h. für jede neue Verfolgung unbrauchbar gemacht wird: nach der Zukunft, indem die L. C. eine weſentliche Modification für den Inhalt des künftigen Urtheils begründet.

Die Wirkung auf die Vergangenheit, oder die Conſumtion der Klage, wurde in zwei verſchiedenen For - men bewirkt.

Bei denjenigen Klagen, welche in personam giengen, zugleich eine juris civilis intentio hatten, und zugleich als legitima judicia geltend gemacht wurden, ſollte die Con - ſumtion ipso jure eintreten; bei allen übrigen Klagen nur vermittelſt einer exceptio rei in judicium deductae(a)Gajus III. § 180. 181, IV. § 106. 107. 98..

Daneben kommt auch der Ausdruck Novatio vor; aus alter Zeit und direct nur in einer Stelle von Papi - nian(b)Fragm. Vat. § 263 .. nec interpositis delegationibus aut inchoatis litibus actiones novavit. ; auf indirecte Weiſe in den Digeſten und in einer Conſtitution von Juſtinian(c)L. 29 de nov. (46. 2 ) Aliam causam esse novationis volun - tariae, aliam judicii accepti, multa exempla ostendunt. Der Ausdruck novatio voluntaria deu - tet nicht nothwendig, aber doch möglicherweiſe, auf den Gegenſatz einer in der L. C. enthaltenen novatio necessaria, welcher Aus - druck ſelbſt ohnehin nirgend vor - kommt. Daß hier die in der L. C. enthaltene Conſumtion als Gegenſatz gemeint war, iſt aus den in Note a und b angeführten Stellen unzweifelhaft. L. 3 pr. C. de us. rei jud. (7. 54 ) Si enim novatur judicati actione prior contractus rel. Hier wird ganz unpaſſenderweiſe die längſt antiquirte novatio als Rechtfertigung von Juſtinians neuer Vorſchrift über die Urtheils - zinſen angeführt.. Dennoch iſt kein Grund vorhanden, die Ächtheit dieſes Kunſtausdrucks zu25§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)bezweifeln(d)Der Umſtand, daß Gajus IV. § 176 179 die aus der frei - willigen Stipulation hervorgehende novatio abhandelt, und dann § 180. 181 die Conſumtion in der L. C. darſtellt ohne dabei den Aus - druck novatio zu wiederholen, kann nicht als Widerlegung gelten. Er erklärt ſich aus der auch in L. 29 de nov. (Note c) hervorgehobenen ganz anomalen Natur dieſer No - vation.. Nach der außerdem bekannten Natur der Novation ſind wir aber berechtigt zwei Beſtimmungen anzunehmen, obgleich dafür keine unmittelbare Zeugniſſe vorhanden ſind. Erſtlich, daß dieſer Ausdruck beſchränkt war auf die Fälle, worin die Conſumtion ipso jure wirkte (Note a), indem nämlich überall die Novation nur als eine ipso jure wirkende Handlung erſcheint. Zweitens, daß dieſe Novation, alſo jede ipso jure eintretende Con - ſumtion, bewirkt wurde durch eine Stipulation, da der allgemeine Begriff der Novation kein anderer iſt, als: Vernichtung irgend einer Obligation durch Verwandlung in eine verborum obligatio(e)L. 1. 2 de nov. (46. 2). Gajus III. § 176 179. Ich gebe indeſſen zu, daß dieſer auf Analogie gegründete Schluß nicht auf volle Gewißheit Anſpruch machen kann, da es bei dieſem in jedem Fall anomalen Rechtsinſtitut hierin auch wohl anders geweſen ſeyn könnte..

Ueber die ſpäteren Schickſale der Conſumtion überhaupt und der damit verbundenen Novation insbeſondere können wir nicht im Zweifel ſeyn. Sie ſind völlig untergegangen, ohne irgend einen Ueberreſt, indem die practiſchen Folgen, für welche ſie eingeführt waren, jetzt auf anderen und ſichreren Wegen herbeigeführt werden. Ganz zufällig hat ſich die wörtliche Erwähnung der Novation, ohne irgend26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.eine praktiſche Bedeutung, in zwei Stellen des Juſti - nianiſchen Rechts erhalten (Note c). Es iſt daher durch - aus nicht zu rechtfertigen, wenn manche Schriftſteller unſrer Zeit von der aus der L. C. entſpringenden Nova - tion als von einem noch fortdauernden Inſtitut des Juſtinianiſchen und ſelbſt des heutigen Rechts ſprechen(f)So Glück B. 6 S. 205 und mehrere Andere. Vgl. dagegen Wächter H. 3 S. 38 fg. Ins - beſondere muß ich auch jetzt die neue Novation aufgeben, die ich früher als im Urtheil liegend an - genommen habe (B. 5 S. 325), verleitet durch die Faſſung des al - ten Rechtsſprüchworts bei Gajus III. § 180 und der in der Note c angeführten Aeußerung von Ju - ſtinian. Es iſt für eine Nova - tion im Nömiſchen Sinn we - der ein praktiſches Bedürfniß, noch irgend ein ſicheres Zeugniß vor - handen. Vgl. hierüber Wächter H. 3 S. 47. 48. Die neuen Rechtsverhältniſſe, die allerdings jedes rechtskräftige Urtheil erzeugt, ſollen damit nicht in Zweifel ge - zogen werden; von ihnen wird unten ausführlich gehandelt werden. Der praktiſche Erfolg iſt hier auch gewiß derſelbe wie bei einer wirk - lichen Novation, indem der Kläger nicht mehr ſein früheres Recht neben dem Urtheil und wider das - ſelbe geltend machen kann. Nur bezweifle ich, daß jemals ein alter Juriſt den Ausdruck novatio von dem Urtheil gebraucht haben möchte; die Tilgung ipso jure, die der eigentliche Charakter der Novation iſt, war ja mit der L. C. ſchon vollendet, und für eine neue No - vation war kein Raum vorhanden..

Die eben ſo wichtige, und noch jetzt vorhandene Wir - kung der L. C. in die Zukunft iſt in ſofern ganz un - zweifelhaft, als in der That aus ihr ein obligatoriſches Verhältniß entſteht, ganz entſprechend dem allgemeinen in der Natur jedes Rechtsſtreits gegründeten Bedürfniß (§ 256). Es iſt aber zuvörderſt zu unterſuchen, durch welche juriſtiſche Formen dieſes obligatoriſche Verhältniß bewirkt wurde: eine Frage, die nicht ohne Zweifel und Verwicklungen iſt.

27§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)

Für die Klagen in rem läßt ſich hierüber eine beſtimmte Behauptung durch ein unmittelbares Zeugniß des Gajus begründen(g)Gajus IV. 89. Die Stelle lautet vollſtändig ſo: Igitur si verbi gratia in rem tecum agam, satis mihi dare debes. Aequum enim visum est, te de eo, quod interea tibi rem, quae an ad te pertineat dubium est, pos - sidere conceditur, cum satis - datione mihi cavere: ut si victus sis, nec rem ipsam restituas, nec litis aestimationem sufferas, sit mihi potestas, aut tecum agendi, aut cum sponsoribus tuis. Daß dieſe Stipulation, eben ſo wie bei den perſönlichen Klagen, den Namen judicatum solvi führte, ſagt ausdrücklich der § 91.. Dieſer ſagt, dem Beklagten werde bei ſolchen Klagen der Vortheil gewährt, die Sache auch wäh - rend des Rechtsſtreits beſitzen zu dürfen (possidere conce - ditur). Dafür müſſe er von ſeiner Seite für den Fall, daß er künftig unterliege, durch eine stipulatio judicatum solvi Entſchädigung verſprechen und zugleich durch Bür - gen ſicher ſtellen (cum satisdatione cavere), wodurch dann der Kläger die Befugniß erlange, künftig nach ſeiner Wahl ſowohl den Beklagten ſelbſt, als deſſen Bürgen zu verklagen (aut tecum agendi, aut cum sponsoribus tuis). Worauf die stipulatio judicatum solvi dieſer Bürgen, und alſo ohne allen Zweifel auch völlig gleichlautend die des Beklagten ſelbſt, als des Hauptſchuldners, gerichtet war, wird uns anderwärts ausführlich geſagt. Sie hatte drei Clauſeln: de re judicata, de re defendenda, de dolo malo(h)L. 6. 17. 19. 21 jud. solvi (46. 7).. Demnach müſſen wir bei den Klagen in rem, neben der L. C., eine Stipulation annehmen, wodurch die eigenthümlichen Obligationen begründet wurden, die uns28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gegenwärtig, als Folgen der L. C., beſchäftigen. Über die formelle Einrichtung dieſer ganzen Prozeßhandlung enthalte ich mich, in Ermangelung von Nachrichten, jeder Behaup - tung; ich laſſe es alſo dahin geſtellt ſeyn, ob die L. C. mit der Stipulation verſchmolzen war, oder ob beide als getrennte, aber gleichzeitige Akte neben einander ſtanden.

Dieſe Stipulation darf übrigens nicht ſo gedacht werden, als ob dadurch die künftige judicati actio im Voraus no - virt, alſo an der Entſtehung verhindert worden wäre. Eine ſolche Novation einer noch nicht fälligen Obligation war allerdings an ſich wohl zuläſſig(i)L. 5 de nov. (46. 2).. Allein vor Allem ge - hörte zu jeder Novation die Abſicht zu noviren, d. h. die Abſicht eine andere Obligation durch Umtauſch zu zerſtö - ren(k)L. 2 de nov. (46. 2)., und da dieſe Abſicht hier fehlte, ſo beſtand die actio judicati daneben, ſo daß der Kläger, der den Prozeß gewann, die Wahl hatte zwiſchen der judicati actio, der Stipulationsklage gegen den Beklagten, und der Stipula - tionsklage gegen die Bürgen(l)L. 8 § 3 de nov. (46. 2 ), L. 38 § 2 de sol. (46. 3 ), Pau - lus V. 9. § 3. Dieſe Bemer - kung macht richtig Buchka Ein - fluß des Prozeſſes I. 234, obgleich zu einem irrigen Zweck. Von einer Novation als Einwirkung auf die Vergangenheit, alſo als Ver - nichtung einer urſprünglichen Obli - gation, ſo wie bei manchen per - ſönlichen Klagen (Note a. b. c. d), konnte hier ohnehin nicht die Rede ſeyn, da den Klagen in rem über - haupt keine Obligation zum Grunde liegt..

Dieſe ganze Einrichtung bei der petitoria formula war übrigens nichts Neues, ihr Eigenthümliches; es war viel - mehr bloß die Fortſetzung und Entwicklung des uralten29§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)Rechtsſatzes, der bei der legis actio in den praedes litis et vindiciarum, und bei dem Sponſionsprozeß in der stipu - latio pro praede litis et vindiciarum geltend gemacht wurde(m)Gajus IV. § 91. 94..

So verhielt es ſich alſo, nach ſicheren Zeugniſſen, bei den Klagen in rem. Weniger einfach und klar iſt die Sache bei den perſönlichen Klagen.

Betrachten wir zuerſt diejenigen perſönlichen Klagen, bei welchen die Conſumtion ipso jure, vermittelſt einer Novation, bewirkt wurde (Note a). Dieſe unterſcheiden ſich von den Klagen in rem darin, daß dem Beklagten während des Rechtsſtreits nicht etwas Beſonderes gewährt, und eben ſo der Kläger nicht in die Gefahr der Zerſtörung oder des Untergangs der ſtreitigen Sache geſetzt wird. Darum braucht hier der Beklagte in der Regel nicht, ſon - dern nur ausnahmsweiſe, Bürgen zu ſtellen(n)Gajus IV. § 102.. Dagegen hat es kein Bedenken anzunehmen, daß er ſelbſt, für ſeine Perſon, eine Stipulation geſchloſſen haben möchte; ja dieſe Annahme hat ſogar einen beſondern Anhalt in dem Um - ſtand, daß die Novation als ſolche das Daſeyn einer Sti - pulation vorausſetzen läßt (Note e). Der Inhalt dieſer Stipulation aber wird ohne Zweifel dieſelben drei Clauſeln gehabt haben, welche überhaupt bei den Prozeßſtipulationen der Bürgen gebraucht wurden (Note h), ſo daß hierin kein Unterſchied zwiſchen dieſen Klagen und den Klagen in rem geweſen ſein wird. Ganz eben ſo, und zwar noch ge -30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wiſſer, müſſen wir eine ſolche Stipulation des Beklagten annehmen bei denjenigen Fällen perſönlicher Klagen, bei welchen ausnahmsweiſe, aus beſonderen Gründen, eine Bürgſchaft judicatum solvi gefordert werden konnte. Denn daß einer ſolchen Stipulation der Bürgen ſtets eine eigene Stipulation des Beklagten zum Grunde gelegt wurde, läßt ſich nicht nur aus innerer Wahrſcheinlichkeit annehmen, ſondern es wird auch ausdrücklich bezeugt(o)L. 38 § 2 de sol. (46. 3). Bei jeder satisdatio war alſo eine repromissio; fehlte dagegen die satisdatio, ſo hieß es nuda re - promissio. L. 1 § 5 de stip. praet. (46. 5)..

In den Fällen dieſer mit vielen perſönlichen Klagen verbundenen Stipulationen, worin ſtets die doli clausula enthalten war (Note h), erklärt ſich dann von ſelbſt der Umſtand, daß auch die ſtrengen Klagen von der L. C. an eine eben ſo freie Natur annahmen, wie ſie außerdem nur bei den freien Klagen vorkommt(p)S. o. B. 5 S. 501. Der In - halt dieſer Stelle muß nun durch das jetzt Folgende in dem Umfang der Anwendung beſchränkt werden; die Sache ſelbſt bleibt richtig..

Was endlich die große Zahl der, nach Abzug der eben erwähnten, noch übrigen perſönlichen Klagen betrifft, alſo diejenigen, bei welchen die Conſumtion durch die L. C. nicht ipso jure, ſondern per exceptionem (ohne Novation) bewirkt wurde, und bei welchen auch nicht etwa eine excep - tionelle Caution durch Bürgen vorkam, ſo ließe ſich auch bei ihnen eine mit der L. C. ſtets verbundene Stipulation wohl denken, ſo daß unter dieſer Vorausſetzung eine Sti -31§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)pulation neben der L. C. allgemein Statt gefunden hätte. Allein ein Zeugniß haben wir für dieſe Annahme nicht; ſie wird vielmehr dadurch unwahrſcheinlich, daß alsdann der einfachſte und leichteſte Erklärungsgrund für die ver - ſchiedene Behandlung beider Klaſſen von Klagen wegfallen würde, indem das Daſeyn der Stipulation die Novation natürlich mit ſich führt, der Mangel derſelben die Novation ausſchließt.

Nehmen wir nun an, bei dieſer zahlreichen Klaſſe von Klagen ſey keine Stipulation vorgekommen, ſo müſſen wir eine andere Rechtsform aufſuchen, an welche die mit der L. C. auch bei dieſen Klagen unſtreitig verbundene neue Obligation angeknüpft werden kann. Ganz daſſelbe Be - dürfniß aber tritt ein für die extraordinaria judicia, die zur Zeit des alten Formularprozeſſes als Ausnahmen, im ſpäteren R. R. aber als die ganz allgemeine Regel, vor - kommen. So nimmt alſo die Frage nach dieſer Rechtsform in der That die größte Ausdehnung und Wichtigkeit in Anſpruch.

Die von jeher gewöhnliche Auffaſſung für das Juſti - nianiſche Recht geht dahin, die L. C. ſey ein Quaſicontract, und erzeuge daher contractähnliche Obligationen(q)Keller § 14, und vor ihm die meiſten Schriftſteller.. Mit dieſer Auffaſſung können wir einſtimmen, indem dadurch die contractliche Natur des Verhältniſſes anerkannt wird, welches dennoch kein wahrer, auf freiem Entſchluß beru - hender Vertrag iſt. Es iſt ein fingirter Vertrag, ſo32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gut als die negotiorum gestio und die Tutel. Bei dieſen entſteht die Obligation aus einſeitigen Handlungen, ohne Mitwirkung des anderen Theils. Bei der L. C. erſcheinen zwar beide Parteien als mitwirkend, aber die Gründung einer Obligation beruht nicht auf ihrem freien Entſchluß den ſie auch unterlaſſen könnten, ſondern auf den unab - weislichen Vorſchriften des Prozeßrechts(r)Bethmann-Hollweg S. 75. 79 will keinen Contract an - nehmen, ſondern einen prozeſſua - liſchen Vertrag, gerichtet auf die ausſchließende Unterwerfung unter dieſes judicium. Dieſe Auffaſſung iſt auch wahr, aber einſeitig, und drückt die wichtigſten und bleibend - ſten Seiten des geſammten Ver - hältniſſes nicht aus. Ein ganz dahin paſſender Ausdruck ſteht in L. 3 pr. jud. solvi. (46. 7) sen - tentiae .... se subdiderunt. Donellus XII. 14. § 6 9 ſucht mit großer Subtilität auszuführen, die L. C. ſey kein Quaſicontract, ſondern ein wirklicher, aber ſtill - ſchweigender Vertrag. Er über - ſieht dabei, daß zu dem ſtillſchwei - genden Vertrag eben ſo, wie zu dem ausdrücklichen, der freie Wille erforderlich iſt, dieſer aber hier fehlt..

Über die Natur dieſes contractlichen, oder contractähn - lichen, Verhältniſſes, wie es durch die L. C. in jeden Rechtsſtreit eingeführt wird, ſollen jetzt noch einige Betrach - tungen folgen.

Die allgemeinſte Anerkennung eines ſolchen Verhält - niſſes, welches aus der L. C. neu entſpringt, und von dem früher vorhandenen Rechtsverhältniß an ſich unabhängig iſt, findet ſich in folgender Stelle des Ulpian: L. 3 § 11 de peculio (15. 1 ): Idem scribit, judicati quoque patrem de peculio actione teneri, quod et Marcellus putat; etiam ejus actionis nomine, ex qua non potuit pater de peculio actionem pati; nam33§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)sicut stipulatione contrahitur cum filio, ita judicio contrahi; proinde non originem judicii spectan - dam(s)D. h. nicht das urſprüng - liche, dem Rechtsſtreit vorherge - hende, zum Grund liegende Rechts - verhältniß., sed ipsam judicati velut obligationem(t)D. h. ſondern die Obligation, welche aus der in der L. C. enthal - tenen Stipulation neu entſpringt, und hier auf die Erfüllung des Judicats gerichtet iſt. L. 6 jud. solvi (46. 7) de re judicata. .

Dieſe Stelle iſt eben ſo wahr unter Vorausſetzung einer in der L. C. enthaltenen wirklichen Stipulation, wie ſie im älteren Recht theilweiſe ſicher vorkam, als unter Voraus - ſetzung eines Quaſicontracts, und ſie drückt alſo das allge - meine und bleibende Weſen des aus der L. C. hervorge - henden Rechtsverhältniſſes ſehr beſtimmt aus.

Aus dieſem contractlichen oder contractähnlichen Ver - hältniß erklären ſich befriedigend mehrere in dem vorher - gehenden §. bemerklich gemachte Thatſachen. Erſtlich warum zur Bezeichnung des in jedem Rechtsſtreit eintretenden, beſonders wichtigen und entſcheidenden Zeitpunktes ſtets die L. C., nicht die mit ihr gleichzeitige Conception der Formel gewählt wird. Die in der L. C. enthaltene Contractsnatur war der Entſtehungsgrund der von dieſer Zeit anfangenden Rechtswirkungen, die Formel war blos eine Anweiſung für den Juder, und hatte für die Parteien keine unmittel - bar verbindende Kraft. Zweitens warum die L. C. vor dem Prätor vorgehen mußte, nicht vor dem Judex. Die Autorität des Prätors konnte die Parteien ſicherer als dieVI. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.des Juder nöthigen, dieſen Vertrag einzugehen, der dem ganzen Rechtsſtreit ſeine Haltung gab.

Es erklärt ſich daraus ferner der Umſtand, daß das Recht eine Popularklage anzuſtellen, welches an ſich ein gemeinſames Recht aller Römiſchen Bürger war, durch die L. C. in eine wahre Obligation, in ein Vermögensrecht des Klägers, umgewandelt wurde(u)Die Zeugniſſe dafür ſ. o. B. 2 § 73 Note ee. .

Die hier angegebenen, ſo wie alle übrigen Folgen der Contractsnatur der L. C. ſind jedoch nicht ſo zu denken, als ob dieſe Contractsnatur durch Zufall oder Willkühr eingeführt worden wäre, und dann alle jene Folgen, die man vielleicht an ſich als gleichgültig oder nachtheilig an - ſehen mochte, auf dem Wege logiſcher Entwicklung nach ſich gezogen hätte. Es verhielt ſich damit gerade umge - kehrt. Jene Folgen waren es, welche, als der Natur des Rechtsſtreits angemeſſen, herbeigeführt werden ſollten; für ſie wurde die Contractsnatur der L. C. (urſprünglich bei vielen Klagen durch eine wirkliche Stipulation) aufgeſtellt, um dafür eine ſichere und angemeſſene juriſtiſche Grundlage zu haben.

Der Inhalt des erwähnten contractlichen Verhält - niſſes beſteht zunächſt in der Unterwerfung beider Parteien unter dieſes Judicium (Note r). Dieſe Unterwerfung be - zieht ſich bei allen Klagen auf das eigentliche Urtheil; bei den arbiträren Klagen insbeſondere auch noch auf den Ge - horſam gegen den vor dem Urtheil von dem Juder ausge -35§. 258. Weſen der L. C. I. R. R. (Fortſetzung.)ſprochenen, auf die Naturalreſtitution gerichteten, jussus oder arbitratus(v)Daraus erklärt es ſich, daß die Unterlaſſung dieſes Gehorſams als eine unerfüllte Obligation, als eine Mora, betrachtet wurde, ſ. unten § 273 u. . Der ſpeciellere Inhalt aber, ſo wie die Veranlaſſung dieſes Inhalts, läßt ſich durch folgende Betrachtung anſchaulich machen, die ſich an die allgemeine Natur jedes Rechtsſtreits und das daraus hervorgehende Bedürfniß (§ 256) anſchließt. Wenn zwei Parteien vor den Richter treten, ſo iſt es zunächſt völlig ungewiß, wer von beiden das Recht auf ſeiner Seite hat. In dieſer Ungewißheit muß für jeden möglichen Ausfall Vorſorge getroffen werden, und die Parteien werden genöthigt, hier - über einen Vertrag zu ſchließen, oder auch (wie in dem ſpäteren Recht allgemein) ſich ſo behandeln zu laſſen, als ob ein ſolcher Vertrag geſchloſſen worden wäre. Der all - gemeine Inhalt des Vertrages läßt ſich, übereinſtimmend mit dem erwähnten Bedürfniß, ſo ausdrücken: es ſoll der Nachtheil ausgeglichen werden, der aus der unvermeid - lichen Dauer des Rechtsſtreits entſteht(w)L. 91 § 7 de leg. 1. cau - sa ejus temporis, quo lis con - testatur, repraesentari debet actori. , oder mit an - deren Worten: der Kläger ſoll, wenn er den Prozeß ge - winnt, dasjenige erhalten, was er haben würde, wenn das Urtheil gleich Anfangs hätte geſprochen werden können(x)L. 20 de R. V. (6. 1) ut omne habeat petitor, quod habiturus foret, si eo tempore, quo judicium accipiebatur, re - stitutus illi homo fuisset. Eben ſo ſpricht L. 31 de R. C. (12. 1), und viele andere Stellen. Dieſe Aeußerungen, ſo wie die in der Note w. angeführte, ſind bei Gelegenheit einzelner Rechtsver - hältniſſe entſtanden, und werden. 3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Die Veranlaſſung und Rechtfertigung dieſes Vertrags aber giebt Gajus für die Klagen in rem ſo an: Dem Beklag - ten wird geſtattet, während des Rechtsſtreits die ſtreitige Sache zu beſitzen, dafür muß er aber von ſeiner Seite die in dem Vertrag enthaltene Entſchädigung verſprechen, und ſogar durch Bürgen verſichern(y)Gajus 4. § 89. ſ. o. Note g. Nämlich an ſich wäre für denſelben Zweck auch wohl eine Sequeſtration als Sicherungsmit - tel denkbar geweſen; darauf geht das possidere conceditur. .

Die hier dargeſtellte contractliche Obligation für die nach der L. C. eintretenden Umwandlungen hat ſich durch alle Zeiten des R. R. erhalten, und iſt auch in unſer heu - tiges Recht übergegangen. Nur hat ſich die Form einer ausdrücklichen Stipulation, ſelbſt in den Fällen worin ſie in der älteren Zeit angewendet wurde, im Juſtinianiſchen Recht gänzlich verloren.

§. 259. Weſen der Litis Conteſtation. II. Canoniſches Recht und Reichsgeſetze.

Das canoniſche Recht hält den Römiſchen Begriff der L. C. (§ 257) unverändert feſt, beſchäftigt ſich aber haupt - ſächlich mit der Frage, welche auch ſpäterhin als vorzugs - weiſe wichtig behandelt wurde: ob und wann der Beklagte verpflichtet ſey, dasjenige zu thun, welches von ſeiner Seite(x)unten im Zuſammenhang des De - tails wieder vorkommen. Hier kam es darauf an, den allgemeinen Geſichtspunkt vorläufig zu be - zeichnen.37§. 259. Weſen der L. C. II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.zur Vollziehung einer wahren L. C. beigetragen werden muß. Dazu gehört vor Allem die Erklärung auf den In - halt der Klage, alſo auch auf den thatſächlichen Grund derſelben: außerdem aber auch die Angabe der etwa vor - handenen Exceptionen (§ 257). Es iſt einleuchtend, daß, wenn ſich der Beklagte etwa auf Exceptionen beſchränken wollte, ohne ſich über die Klage zu erklären, eine L. C. darin nicht enthalten wäre und dadurch nicht entbehrlich werden würde, daß alſo der Beklagte angehalten werden müßte, das von ſeiner Seite zu einer wahren L. C. Fehlende noch nachzubringen. Aus Vorſchriften dieſes beſonderen Inhalts, die ich im R. R. noch nicht finde, konnte leicht der Schein entſtehen, die L. C. ſey eine einſeitige Handlung des Be - klagten, und zwar gerade die Erklärung auf die vom Klä - ger vorgebrachten Thatſachen, anſtatt daß das R. R. darunter eine weit umfaſſendere gemeinſame Handlung der Parteien verſteht, ja ſogar wörtlich das litem contestari als eine Thätigkeit des Klägers, nicht des Beklagten, bezeichnet (§ 257. g). Es wird weiter unten gezeigt wer - den, daß ein aus dieſem falſchen Schein hervorgehender irriger Sprachgebrauch in ſpäterer Zeit ganz allgemein ge - worden iſt. Jedoch muß bemerkt werden, daß dieſer Irr - thum dem canoniſchen Recht in der That nicht zugeſchrieben werden darf, dieſes vielmehr noch keinen vom R. R. ab - weichenden Ausdruck enthält.

Die älteſte Stelle des canoniſchen Rechts über die L. C. beſchäftigt ſich mit der hier entwickelten ſpeciellen Frage38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.noch nicht(a)C. un. X. de litis cont. (2. 5). Wörtlich gleichlautend iſt hierin eine andere Decretale deſſelben Papſtes: C. 54 § 3 X. de elect. (1. 6).. Dem P. Gregor IX. war ein Fall vor - gelegt, worin die Parteien über einzelne Stücke des Rechts - ſtreits (super pluribus articulis) ſchriftliche Behauptungen und Gegenbehauptungen (positiones et responsiones) dem Richter eingereicht, auch dabei geäußert hatten, was ſie vor Gericht zu erklären geſonnen ſeyen (quae partes volue - runt proponere coram eis). Der Papſt ſpricht nun aus; darin ſey noch keine gültige L. C. enthalten, dieſe müſſe vielmehr noch nachgeholt werden, um einen rechtsgültigen Prozeß zu begründen, quia tamen litis contestationem non invenimus esse factam, quum non per positiones et responsiones ad eas, sed per petitionem in jure propositam et re - sponsionem secutam litis contestatio fiat.

Der hier gedachte Gegenſatz ſchließt alſo die ſchriftlichen Vorbereitungen des Rechtsſtreits, als ungenügend, aus, und fordert zu einer wahren L. C. das gemeinſame Erſchei - nen der Parteien im Gericht, und die vollſtändige Erklä - rung derſelben über den Rechtsſtreit; es iſt der Gegenſatz eines ſchriftlichen Vorverfahrens gegen das mündliche Ver - fahren vor Gericht, und der Ausſpruch des Papſtes iſt ganz dem R. R. gemäß.

Die zwei folgenden Decretalen betreffen das oben er - wähnte Verhältniß der L. C. zu den Exceptionen.

39§. 259. Weſen der L. C. II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.

P. Innocenz IV. verordnet, durch vorgebrachte Excep - tionen dürfe der Beklagte die L. C. nicht hindern, noch ver - zögern; jedoch mit Ausnahme der Exceptionen de re ju - dicata, transacta seu finita (b)C. 1 de litis cont. in VI. (2. 3 ) Es ſind dieſes die nach - her von unſren Schriftſtellern ſo - genannten exceptiones litis in - gressum impedientes. .

Dieſelbe Vorſchrift wiederholt P. Bonifaz VIII., mit dem ſehr natürlichen Zuſatz, daß eine bloße Exception auch nicht etwa ſelbſt ſchon als eine vollzogene L. C. angeſehen werden dürfe(c)C. 2 de litis cont. in VI. (2. 3)..

Es iſt nun ferner von den Veränderungen in dem We - ſen der L. C. Rechenſchaft zu geben, welche durch die Reichsgeſetze, ſo wie durch die Praxis und Literatur der neueren Zeit herbeigeführt worden ſind(d)Ausführlich handelt von dieſem Gegenſtand Wächter H. 3 S. 70 88.. Um für dieſe Veränderungen einen feſten Standpunkt zu gewinnen, wird es gut ſeyn, ſogleich das letzte Ziel anzugeben, wohin dieſe ſehr allmälige Entwicklung geführt hat, alſo die Auffaſſung, welche in der neueren Literatur des Prozeſſes, ſo wie in der Praxis, ſo allgemeine Geltung gewonnen hat, daß jeder Widerſpruch dagegen nur in dem Sinn einer gelehrten Kritik, durch Zurückführung auf ältere Quellen, verſucht worden iſt, wenngleich hie und da nicht ohne den Anſpruch, der neu aufgeſtellten Behauptung auch in der Praxis wieder einige Geltung zu verſchaffen.

40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſer moderne Begriff läßt ſich ſo darſtellen: Die L. C. iſt eine einſeitige Handlung des Beklagten, beſtehend in der Erklärung deſſelben auf die in der Klage aufgeſtellten Thatſachen, alſo verſchieden von allen Einreden.

In zwei Stücken weicht dieſe Auffaſſung weſentlich ab von dem R. R.

Erſtlich indem ſie die L. C. als eine einſeitige Hand - lung des Beklagten anſieht, anſtatt daß das R. R. dabei ein gemeinſames Handeln beider Parteien annimmt, und ſogar vorzugsweiſe die mitwirkende Thätigkeit des Klägers mit jenem Namen bezeichnet (§ 257).

Dieſe Abweichung beruht weniger auf veränderten Rechtsbegriffen, als auf der veränderten Form des Ver - fahrens. Bei einem blos ſchriftlichen Verfahren iſt ein ge - meinſames und gleichzeitiges Handeln der Parteien nicht möglich, ſo daß man dabei genöthigt iſt, die L. C. von einer Prozeßhandlung des Beklagten abhängig zu denken, welche dann mit der vorhergehenden Handlung des Klägers, dem Inhalt nach, ein Ganzes bildet, eben ſo wie im R. R. die gleichzeitigen[Reden] und Gegenreden beider Parteien. Daher iſt denn auch dieſe Abweichung den Reichsgeſetzen fremd, welche ſtets noch ein mündliches Verfahren in Ter - minen und Audienzen vorausſetzen(e)Artikel des K. G. zu Lindan ꝛc. von 1500 Art. XIII. § 1. 2 (Neueſte Sammlung der R. A., Th. 2 S. 75). Anfangs wird ſo geredet, als ſey die L. C. ein Ge - ſchäft des Beklagten. Dann aber heißt es: Item, und ſo der Krieg alſo von beyden Theilen be -.

41§. 259. Weſen der L. C. II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.

Auch iſt dieſe Abweichung für unſern gegenwärtigen Zweck, d. h. für die Aufſtellung eines feſten Anfangs - punktes der materiellen Wirkungen der L. C., von keiner Erheblichkeit. Es kommt nur darauf an, ſich deutlich bewußt zu werden, daß hierin etwas von dem R. R. Ver - ſchiedenes gedacht wird.

Zweitens weicht dieſe Auffaſſung von dem R. R. darin ab, daß ſie die L. C. auf die rein thatſächlichen Er - klärungen des Beklagten beſchränkt, anſtatt daß das R. R. das geſammte in der formula enthaltene Material ſchon in der L. C. vorkommen läßt, alſo, außer der Erklärung über die Thatſachen, auch alle Exceptionen, Replicationen und Duplicationen. Auf den erſten Blick ſcheint es, daß da - durch eine Erleichterung und Beſchleunigung der L. C. be - zweckt und bewirkt ſeyn möchte, indem eine bloße Erklärung über die Thatſachen ſchneller herbeizuführen iſt, als jenes weit umfaſſendere Material. Daß dennoch aus anderen Gründen dieſer Erfolg nicht eintrat, wird ſogleich gezeigt werden.

Aus dieſer Auffaſſung, verbunden mit jener erſten, folgte mit Nothwendigkeit die dem R. R. völlig fremde Eintheilung der L. C. in eine affirmative, negative und gemiſchte, je nachdem der Beklagte alle in der Klage(e)feſtigt ꝛc. K. G. O. von 1523 Art. 3 § 3 (a. a. O. S. 248): Würden aber keine Exceptiones fürgewendt ſoll der Kläger alsbald darauf den Krieg befeſtigen ꝛc. (Am Rande ſteht: Litis Contestatio).42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.enthaltene Thatſachen bejaht, oder alle verneint, oder einige bejaht, andere verneint(f)Man könnte auch etwa die negative L. C. in einem bloßen Widerſpruch gegen den Anſpruch des Klägers beſtehen laſſen wollen, wobei es[ ganz] unbeſtimmt gelaſſen würde, ob die Thatſachen ganz oder theilweiſe verneint, und ob Einreden aufgeſtellt werden ſollten. Eine Erklärung dieſer Art iſt nicht nur dem R. R. und dem canoniſchen Recht fremd, ſondern auch den ſpäteren Reichsgeſetzen, wie ſogleich gezeigt werden wird. Eine ſolche Erklärung enthält Nichts, als die Ausſchließung einer reinen confessio, alſo den ausgeſprochenen Entſchluß, Pro - zeß zu führen, worüber ohnehin in den allermeiſten Fällen kein Zweifel iſt. Gefördert wird da - durch in dem Rechtsſtreit gar Nichts, dieſe Handlung iſt alſo nur ein verſchleppendes Element, und es iſt durchaus kein Grund vorhanden, practiſche Folgen daran zu knüpfen. Ältere Reichsgeſetze nehmen allerdings eine L. C. in dem hier erwähnten Sinn an (Vergl. Note i). Die affirmative darf übri - gens nur in Verbindung mit Einreden gedacht werden, da ſie außerdem gar nicht die Abſicht eines Rechtsſtreits in ſich ſchließt, ſondern vielmehr die Natur einer Römiſchen in jure confessio hat(g)Die Gloſſatoren haben ſich viel mit der Frage beſchäftigt, ob eine reine confessio als L. C. gelten könne, und ob darauf ein con - demnatoriſches Urtheil zu ſprechen ſey. Die Behandlung dieſes Falles betrifft blos die äußere Prozeß - form, und hat keine practiſche Wich - tigkeit. Im R. R. galt die un - zweifelhafte Regel: confessus pro judicato est (L. 1 de confessis 42. 2), ſo daß ein Urtheil gewiß nicht nöthig war, und nicht erlaſſen wurde. Im Preußiſchen Prozeß wird für dieſen Fall eine Agnitions - Reſolution abgefaßt, welche die Wirkung eines Erkenntniſſes hat (A. G. O. I. 8. § 14 16)..

Die zweite Abweichung iſt allerdings ſchon in den Reichsgeſetzen enthalten, die ſich beſonders damit beſchäf - tigen, die Verzögerung der L. C. zu verhüten, jedoch nicht etwa um dieſes Zweckes Willen einen neuen Begriff der L. C. abſichtlich aufſtellen wollen, ſondern hierin vielmehr43§. 259. Weſen der L. C. II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.nur dem herrſchenden Sprachgebrauch der gleichzeitigen Schriftſteller folgen.

Um dieſes zur Anſchauung zu bringen, iſt es nöthig, auf den Inhalt der Reichsgeſetze genauer einzugehen, wo - bei ſogleich mit der Kammergerichtsordnung von 1555 an - gefangen werden kann, da die weit unvollſtändigeren frü - heren Geſetze durch dieſe beſeitigt worden ſind.

Zum Verſtändniß dieſes Geſetzes muß bemerkt werden, daß daſſelbe drei Audienzen in jeder Woche annimmt, Montag, Mittwoch, Freitag. Jeder neue Termin ſoll ein - treten in einem durch eine Anzahl von Audienztagen be - ſtimmten Zeitraum nach der vorhergehenden Prozeßhand - lung; bei Sachen des ordentlichen Prozeſſes (in ordinariis) in der zwölften Audienz, bei ſummariſchen Sachen (in extra - ordinariis) in der ſechsten; für beide Klaſſen von Sachen ſollen die oben erwähnten Audienztage abwechſelnd ange - wendet werden (Tit. 1 Tit. 2 § 1). In der Regel ſoll die L. C. im zweiten Termin vorgenommen werden, alſo in der zwölften Audienz nach dem erſten Termin; dieſe Regel leidet eine Ausnahme, wenn dilatoriſche oder andere den Prozeß hindernde Einreden vorgebracht wer - den(h)Tit. 13 § 1 So .. ſetzen Wir, ſofern .. der Antworter nicht dilatorias, oder andere exceptio - nes, dardurch das Recht verhindert, oder aufgeſchoben, oder die Kriegs - Befeſtigung verhindert würde, für - zubringen hätte, daß alsdann der - ſelbige in ordinariis in der zwölften Audienz, auf die Klag zu ant - worten, und den Krieg zu befeſtigen ſchuldig ſeyn ſoll.. In dieſem Fall wird über ſolche Einreden in drei44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Terminen verhandelt, vielleicht auch noch länger, wenn darüber ein Beweisverfahren nöthig wird (Tit. 24 26). Außerdem werden im vierten Haupttermin die übrigen peremtoriſchen Einreden vorgebracht, und es wird darüber gleichfalls in drei Terminen verhandelt (Tit. 27 29).

Über die L. C. iſt noch beſonders beſtimmt, daß der Beklagte, wenn er die Klage beſtreiten, alſo Prozeß führen wolle, dieſes nicht in weitläufigen Reden, wie es bisher geſchehen, ſondern durch einen kurzen Widerſpruch gegen die Klage überhaupt, nicht gerade gegen die einzelnen darin enthaltenen Thatſachen thun ſolle(i)Tit. 13 § 4 Und nachdem bisher die Procuratores in litis contestationibus, je zu Zeiten viel unnothdürftiger und überflüſſi - ger Wort gebraucht Wollen Wir, daß fürhin ein jeder Pro - curator, der .. mit nicht geſtehen auf die Klag antworten, und alſo litem negative contestiren will, andere oder mehr Wort nicht ge - brauchen ſoll, dann nemlich alſo: In Sachen N. contra N. bin ich der Klag nicht geſtändig, bitt mich zu erledigen, und mit dieſen Worten ſoll der Krieg, ob auch der Litis contestation nicht ausdrücklich Meldung ge - ſchehe, befeſtigt zu ſeyn gehalten und verſtanden werden. Vergl. oben Note f. . Die beſtimmte Erklärung des Beklagten auf die von dem Kläger vorge - brachten einzelnen Thatſachen ſollte erſt im vierten Termin nachfolgen, und dieſe Responsiones auf die Artikel der Klage werden daher von der L. C. ſowohl durch die Be - zeichnung, als durch die im ganzen Prozeß angewieſene Stelle, deutlich unterſchieden (Tit. 15 § 4).

Dieſe ganze Behandlung konnte als eine Erleichterung und Beſchleunigung der L. C. angeſehen werden, da in der That ein allgemeiner Widerſpruch nicht wohl mit45§. 259. Weſen der L. C. II. Canon. Recht u. Reichsgeſetze.einigem Schein zu verweigern iſt, und daher leichter und ſchneller als eine ſpecielle Erklärung verlangt und bewirkt werden kann. Auf der anderen Seite aber war dem Be - klagten, der die Sache hinhalten wollte, ein freier Spiel - raum eröffnet durch die mannichfaltigen Einreden, deren langwierige Verhandlung ihn einſtweilen berechtigte, ſelbſt jene höchſt allgemeine Erklärung nicht abzugeben, alſo die L. C. zu unterlaſſen (Note h).

Hierin gewährte der N. A. von 1570 eine durch - greifende Abhülfe, indem er vorſchrieb, daß auch neben dilatoriſchen Einreden im zweiten Termin in jedem Fall eine eventuelle L. C. vorgenommen werden ſollte(k)R. A. 1570 § 89. 90, Neueſte Sammlung Th. 3 S. 299..

Dieſe Vorſchrift wurde beſtätigt und weiter ausgeführt in dem neueſten Reichsgeſetz über den Prozeß(l)J. R. A. von 1654 § 36 40, Neueſte Sammlung Th. 3 S. 648. 649. Die Hauptſtelle iſt der § 37.. Der Jüngſte Reichsabſchied verordnet nämlich, daß der Beklagte nicht erſt in dem zweiten, ſondern ſchon in dem erſten Termin, wozu jedoch mindeſtens Sechszig Tage frei zu laſſen ſind, ſowohl alle Exceptionen, bei Strafe der Präclu - ſion, vorbringen, als auch eine beſtimmte Erklärung über alle in der Klage enthaltene Thatſachen abgeben ſoll. Dieſe factiſche Erklärung heißt hier nicht L. C., der Name aber kommt in demſelben Geſetz anderwärts vor(m)§ 110 nicht allein vor angefangenem Recht-Stand, und litis contestation etc. , und daß darunter die oben vorgeſchriebene Erklärung über die Thatſachen verſtanden werde, kann wohl nicht bezweifelt46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.werden. Nur in dem einzigen Falle ſollte der Beklagte die L. C. verweigern dürfen, wenn er die Competenz des Richters durch eine Einrede beſtreiten wollte(n)§ 37 am Ende und § 40..

Es iſt nicht zu verkennen, daß durch dieſes Geſetz der ganze Zuſtand weſentlich verbeſſert worden iſt, und daß es hauptſächlich an dem Mangel einer ſtrengen Durchführung deſſelben gelegen hat, wenn ſpäterhin der gemeine Prozeß dem wahren Bedürfniß oft nicht entſprochen hat. Indeſſen bleiben auch hier noch dem Beklagten, der die L. C. ver - zögern will, manche Mittel übrig. Die Einrede der In - competenz kann zu einer längeren Verhandlung misbraucht werden. Wenn ferner der Beklagte im erſten Termin nicht erſcheint, ſo führt auch das im § 36 angeordnete Con - tumacialverfahren einen nicht geringen Aufſchub mit ſich.

Beſonders aber leidet jenes Geſetz keine unmittelbare Anwendung auf den ſpäterhin in Deutſchland ſehr allge - mein angewendeten rein ſchriftlichen Prozeß, worin gar keine Termine mündlicher Verhandlung, ſondern regel - mäßig Vier Schriftſätze, vorkommen. Denkt man ſich den J. R. A. hierauf ehrlich und ſtreng angewendet, ſo wird die L. C. ſtets in der ſogenannten Exceptionsſchrift zu ſuchen ſeyn, welche die Erklärung über die Thatſachen der Klage, ſey es mit oder ohne Exceptionen, enthalten muß. Dieſe Stellung der L. C. iſt auch mit dem wahren Sinn des R. R. übereinſtimmend, nur mit dem minder erheb - lichen Unterſchied, daß in der Römiſchen L. C. auch ſchon47§. 259. Weſen der L. C. II. Canon Recht u. Reichsgeſetze.die Replicationen und Duplicationen vorkamen, die hier erſt in dem dritten und vierten Schriftſatz erſcheinen(o)Bollſtändiger übereinſtim - mend mit dem Begriff der Römiſchen L. C. iſt der dem Preußiſchen Pro - zeß der allgemeinen Gerichtsord - nung eigenthümliche Status causae et controversiae. Nur tritt dabei der practiſch ſehr erhebliche Unter - ſchied ein, daß dieſer Status am Ende von Terminen abgefaßt wird, deren Anzahl und Zeit von einer ſehr regelloſen Willkühr des De - putirten und der Parteien abhängt..

Auch hier aber bleibt dem böswilligen Beklagten noch manches Mittel übrig, die L. C. willkührlich zu verzögern, und dadurch dem Kläger die Rechte zu ſchmälern, die ihm in der That zugedacht ſind. Dazu können misbraucht werden die wiederholten Friſtgeſuche, ferner die einer längeren Verhandlung empfängliche Einrede der Incompetenz, endlich die bloße Verweigerung oder Unterlaſſung der L. C., die ſelbſt durch manche Scheingründe beſchönigt werden kann. Einem ſolchen unredlichen Verfahren mit ſicherem Erfolg entgegen zu treten, fehlt es im gemeinen Prozeß an be - ſtimmten Rechtsregeln. Auch iſt dabei noch folgender Um - ſtand zu berückſichtigen. Wenn die L. C., wie angenommen wird, in der Erklärung auf die Thatſachen beſteht, ſo bleibt ungewiß, wie es angeſehen werden ſoll, wenn die Erklärung unbeſtimmt, unverſtändlich, unvollſtändig iſt, etwa ſo daß ſie ſich nur auf einen kleinen Theil der that - ſächlichen Grundlagen der Klage bezieht. Man könnte ſagen, nun müſſe durch eine Art von Fiction eine wirk - liche L. C. angenommen werden. Dann könnte man aber noch einen Schritt weiter gehen, und in jeder Exceptions -48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchrift, auch wenn ſie keine Spur einer thatſächlichen Er - klärung enthält, eine L. C. fingiren. Nur iſt dieſes Alles völlig willkührlich, und es iſt eine bloße Illuſion, wenn man glaubt, damit das R. R., oder die Reichsgeſetze, oder auch nur die neuere Praxis wirklich anzuwenden. Wenn von allen dieſen Schwierigkeiten in vielen Ländern keine merkliche Beſchwerde empfunden worden iſt, ſo liegt dieſes theils an der guten Aufſicht der Gerichte, theils darin daß die Praxis nicht bei der L. C. als Grund und Zeitpunkt der materiellen Veränderungen während des Prozeſſes ſtehen geblieben iſt, wovon am Schluß dieſer ganzen Lehre gehandelt werden wird.

Wie weit aber hierin der Misbrauch und die Gefähr - dung des Rechts getrieben werden kann, davon giebt der Sächſiſche Prozeß Zeugniß. In dieſem kommt es ſehr gewöhnlich vor, daß eine ganze Inſtanz hindurch über die Verbindlichkeit des Beklagten zur L. C. geſtritten, und am Ende durch Urtheil feſtgeſtellt wird, daß Beklagter, Ein - wendens ungeachtet, auf die erhobene Klage ſich einzulaſſen ſchuldig; dieſes Urtheil kann dann wieder durch Rechts - mittel angegriffen und durch die Inſtanzen verfolgt werden.

§. 260. Wirkungen der Litis Conteſtation. Einleitung.

Indem nunmehr die Wirkungen der L. C. dargeſtellt werden ſollen, ſind dieſelben an den oben angegebenen Grundſatz anzuknüpfen, nach welchem die Aufgabe dieſes49§. 260. Wirkung der L. C. Einleitung.Rechtsinſtituts auf die Ausgleichung der nachtheiligen Folgen geht, welche aus der an ſich nicht wünſchens - werthen, aber unvermeidlichen Dauer des Rechtsſtreits entſpringen (§ 256. 258). Die jetzt im Einzelnen darzu - ſtellenden Wirkungen ſind nur als Entwicklungen jenes Grundſatzes anzuſehen. Es muß jedoch dazu noch durch folgende Vorbemerkungen ein feſter Grund gelegt werden.

I. Die Ausſprüche der Römiſchen Juriſten über jene Wirkungen beziehen ſich auf zwei verſchiedenartige Anwen - dungen, deren Inhalt aber dergeſtalt zuſammenfällt, daß ſie ohne Unterſchied als ganz gleichbedeutend angeſehen werden dürfen.

Die meiſten dieſer Ausſprüche betreffen die Frage, wie in Folge der L. C. das richterliche Urtheil eingerichtet werden müſſe, und dieſe ſind auch auf unſren heutigen Rechtszuſtand unmittelbar anzuwenden.

Mehrere Ausſprüche aber betreffen eine Frage, welche nicht bei allen Klagen, ſondern nur bei den arbitrariae actiones (§ 221), vorkommen konnte: Die Frage, welche Handlungen nach der L. C. der Beklagte auf die Auf - forderung des Judex vorzunehmen habe, um die Verur - theilung von ſich abzuwenden. Dieſe Handlungen beſtanden, wie oben gezeigt wurde, in einer Reſtitution oder Ex - hibition. Hier alſo lautet die Frage ſo: Was muß der Beklagte freiwillig thum, um nicht verurtheilt zu werden? oder mit anderen Worten: Was gehört zu einer wahren,VI. 450Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genügenden, die Verurtheilung abwendenden Reſtitution? (a)L. 35. 75. 246 § 1 de V. S. (50. 16 ), L. 20 L. 35 § 1 de rei vind. (6. 1).Was gehört zu einer wahren Exhibition? (b)L. 9 § 5. 6. 7. 8. ad exhib. (10. 4)

So verſchieden nun dieſe Fragen, ihrer wörtlichen Faſſung nach, lauten, ſo ſind ſie dennoch in der That identiſch, ſo daß die Antwort auf die eine Frage, ohne Gefahr eines Irrthums, auch als Antwort auf die andere Frage behandelt werden kann. Denn was der Beklagte als genügende Reſtitution vornehmen muß um der Verur - theilung zu entgehen, hat ganz denſelben Umfang wie Das, wozu er verurtheilt wird, wenn er die freiwillige Reſti - tution unterläßt(c)Allerdings mit dem Unter - ſchied, daß das Urtheil nur auf Geld gehen konnte, anſtatt daß die Reſtitution in Natur geſchah. Vergl. B. 5 § 221. Auch kann im einzelnen Fall, nach thatſäch - lichen Verhältniſſen, in der Reſti - tution etwas Anderes nöthig ſeyn und genügen, als das worauf ſpäter das Urtheil gelautet hätte. Im Allgemeinen aber iſt die Identität des Inhalts bei der Reſtitution und dem Urtheil unverkennbar., und eben ſo umgekehrt. Da wir übrigens keine arbitrariae actiones mehr haben (§ 224), ſo gewähren uns die Ausſprüche über die wahre Reſti - tution und Exhibition nur den indirecten Vortheil, daß wir daraus lernen, worauf die Verurtheilung gerichtet werden muß, wenn es überhaupt zu einer ſolchen kommt(d)In ſofern ſteht allerdings unſer heutiges Recht dem älteren R. R. gleich, daß auch bei uns keine Verurtheilung erfolgt, wenn der Beklagte während des Pro - zeſſes das Verlangen des Klägers vollſtändig erfüllt. Dieſer Fall iſt aber in unſrem heutigen Recht von keiner practiſchen Erheblichkeit, anſtatt daß im R. R. die arbi - trariae actiones künſtlich darauf berechnet waren, daß der Beklagte freiwillig reſtituiren oder erhibiren ſollte, um größeren Nachtheilen zu entgehen..

51§. 260. Wirkung der L. C. Einleitung.

II. Die materiellen Wirkungen der L. C. ſind aller - dings darauf berechnet, den Vortheil des Klägers zu beför - dern. Denn der Kläger iſt es, der durch die unvermeid - liche Dauer des Rechtsſtreits einen Nachtheil erleiden kann, und eben gegen dieſen Nachtheil ſoll er künſtlich geſchützt werden durch die Reduction des Urtheils auf den Zeit - punkt der L. C.(e)L. 86. 87 de R. I. (50. 17 ), L. 29 de nov. (46. 2)..

Indeſſen iſt dieſer Zweck nicht ſo abſtract aufzufaſſen, als ob der Kläger in jedem einzelnen Falle durch jene Neduction nothwendig gewinnen, oder auch nur nicht ver - lieren müßte. Es können vielmehr durchkreuzende practiſche Rückſichten eintreten, welche in einzelnen Fällen einen ande - ren Erfolg herbeiführen. Solche Rückſichten können in anderen Fällen auch wohl die Anwendung jener Reduction ſelbſt ausſchließen.

Es iſt daher überhaupt in dieſem Rechtsinftitut eine gewiſſe practiſche Biegſamkeit wahrzunehmen.

III. Der Grundſatz, mit deſſen Entwicklung in einzel - nen Folgen wir uns nun zu beſchäftigen haben, beruht auf einem ſo natürlichen Bedürfniß, daß wir eine frühe Anerkennung deſſelben wohl erwarten dürfen. Und in der That zeigt ſich derſelbe ſchon wirkſam in der uralten Vin - dication durch legis actio. Bei dieſer mußten im An - fang des Rechtsſtreits vom Beklagten praedes litis et vin - diciarum geſtellt werden, Bürgen für die Sache ſelbſt und die Früchte derſelben, alſo gegen die Nachtheile, die dem4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Kläger daraus entſtehen konnten, daß er die Beendigung des Rechtsſtreits abwarten mußte. In der ſpäteren Vindi - cation per sponsionem trat an die Stelle jener alten praedes eine Stipulation pro praede litis et vindiciarum, das heißt als ein mit derſelben Wirkung verſehenes Sur - rogat. Und dieſe wieder gieng bei der petitoria formula, mit Veränderung der Form und des Namens, in eine Stipulation judicatum solvi über(f)Gajus IV. § 91. 94. 89 Vergl. oben § 258. g. Man könnte glauben, bei der petitoria formula fehle ein Verſprechen we - gen der Früchte während des Rechts - ſtreits. Allein dieſes liegt in den Worten des § 89: ut si victus sis, nec rem ipsam restituas rel. Denn in dem restituere, durch deſſen Unterlaſſen die Sti - pulation des Beklagten und der Bürgen verletzt und zur Klage fällig gemacht (commissa stipu - latio) wurde, lag auch der Er - ſatz der omnis causa. Vgl. die in Note a angeführten Stellen..

Ich muß es daher als unhiſtoriſch verwerfen, wenn neuerlich behauptet worden iſt, jener Grundſatz der Re - duction auf die Zeit der L. C. ſey die neue Erfindung eines poſitiven Geſetzes, des unter Hadrian über die Erbſchaftsklage erlaſſenen Senatsſchluſſes(g)Heimbach, Lehre von der Frucht S. 155 fg. Fände ſich jener Grundſatz nur bei der Erb - ſchaftsklage und der damit nahe verwandten Eigenthumsklage er - wähnt, ſo hätte die Behauptung noch einigen Schein; allein er kommt eben ſo auch bei den Con - dictionen vor, und es wird wohl Niemand annehmen wollen, daß dieſe unter dem Einfluß des Sc. Iuventianum geſtanden hätten. Vgl. L. 31 de reb. cred. (12. 1).. Der Grund - ſatz ſelbſt war uralt, aber freilich nirgend abſtract aus - geſprochen, ſondern nur in einzelnen Anwendungen aner - kannt. Unter den Händen der juriſtiſchen Schriftſteller wurde er allmälig ausgebildet und entwickelt. Auch der53§. 260. Wirkung der L. C. Einleitung.angeführte Senatsſchluß nahm ihn in ſich auf, und trug zur Ausbildung deſſelben bei. Es war alſo ſehr natürlich, daß die gleichzeitigen und ſpäteren Schriftſteller dieſes Ge - ſetz, vielleicht das ausführlichſte über den ganzen Gegen - ſtand, zum Anhaltspunkt ihrer eigenen Ausführungen wählten, ohne damit ſagen zu wollen, daß jener Grund - ſatz erſt durch jenes Geſetz neu eingeführt worden ſey und vor demſelben gar nicht gegolten habe(h)So iſt zu verſtehen die Stelle des Paulus in L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). Illud quoque, quod in oratione D. Hadriani est, ut post acceptum judicium id actori praestetur, quod ha - biturus esset, si eo tempore, quo petit, restituta esset here - ditas, interdum durum est. .

IV. Der aufgeſtellte Grundſatz läßt ſich in zwei Haupt - regeln auflöſen.

Es kann geſchehen, daß die juriſtiſchen Bedingungen der Verurtheilung zur Zeit der L. C. vorhanden ſind, während der Dauer des Rechtsſtreits aber verſchwinden. Der Grundſatz führt dahin, daß nun die Verurtheilung dennoch erfolgen muß.

Es kann ferner geſchehen, daß die Verurtheilung zwar auch noch ſpäterhin erfolgt, aber dem Kläger weniger Vor - theile verſchafft, als er jetzt haben würde, wenn ſie ſchon zur Zeit der L. C. erfolgt wäre. Der Grundſatz führt nun dahin, der Verurtheilung einen ſolchen Umfang zu geben, daß dadurch dieſe Differenz ausgeglichen wird.

Die erſte Regel ſoll durch künſtliche Reduction auf den Zeitpunkt der L. C. die Verurtheilung ſelbſt ſichern,54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.da wo ohne dieſe Regel eigentlich eine Freiſprechung er - folgen müßte.

Die zweite Regel ſoll den Umfang der Verurthei - lung ſo beſtimmen, daß der Kläger nicht weniger Vor - theile erhalte, als er durch eine zur Zeit der L. C. erfolgte Verurtheilung jetzt haben würde.

Beide Regeln zuſammen, alſo der vollſtändige Grund - ſatz in welchem ſie als verſchiedene Anwendungen ent - halten ſind, werden bezeichnet durch den Ausdruck: causa praestanda est oder causa restitui debet(i)In den meiſten Stellen, wo - rin dieſe Ausdrücke vorkommen, wird zufällig nur die zweite Regel als die häufigere und wichtigere, daran geknüpft; am häufigſten der Erſatz der Früchte. In folgenden Stellen aber wird der Ausdruck ſo gebraucht, daß er entſchieden beide Regeln umfaßt. § 3 I. de off. jud. (4. 17 ), L. 35 de V. S. (50. 16 ) Restituere autem is intelligitur, qui simul et causam actori reddit, quam is habiturus esset, si statim judicii accepti tempore res ei reddita fuisset, id est et asu - capionis causam, et fructuum. Die usucapionis causa beſteht eben in einer Anwendung der erſten Regel.. Causa alſo, oder omnis causa, causa omnis, heißt alles dasjenige, welches in Anwendung jener Regeln durch das richterliche Urtheil dem Kläger verſchafft werden ſoll.

§. 261. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.

Zuvörderſt ſind diejenigen Fälle zuſammen zu ſtellen, in welchen die Bedingungen der Verurtheilung zur Zeit der L. C. vorhanden ſind, während des Rechtsſtreits aber ver -55§. 261. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.ſchwinden. Die L. C. ſoll hier die Wirkung haben, daß die Verurtheilung dennoch geſichert bleibe (§ 260).

I. Klagverjährung nach der L. C.

Unter jene Fälle gehört, für Klagen aller Art, der Fall der Klagverjährung, welche zur Zeit der L. C. erſt ange - fangen war, während des Rechtsſtreits aber den für ihre Vollendung beſtimmten Zeitpunkt erreicht hat.

Nach dem älteren Recht ſollte die L. C. die Wirkung haben, daß die Verurtheilung dennoch ausgeſprochen würde, oder mit anderen Worten: die L. C. ſollte die angefangene Klagverjährung unterbrechen.

Dieſes hat ſich im neueren R. R. dadurch verändert, daß ſchon die Inſinuation der Klage die Klagverjährung völlig unterbrechen ſoll, wodurch alſo die erwähnte Wir - kung, die im früheren Recht an die L. C. geknüpft war, nunmehr abſorbirt wird (§ 242. 243).

II. Uſucapion nach der L. C.

Bei den Klagen in rem kann es geſchehen, daß das Recht des Klägers (z. B. das Eigenthum), welches zur Zeit der L. C. vorhanden war, während des Rechtsſtreits untergegangen iſt; das ſoll die Verurtheilung nicht hindern.

Der wichtigſte Fall dieſer Art iſt der der Uſucapion; wenn nämlich der Beklagte, der die Uſucapion zur Zeit der L. C. angefangen hatte, dieſe während des Rechtsſtreits vollendet, ſo daß zur Zeit des Urtheils in der That nicht mehr der Kläger, ſondern vielmehr der Beklagte, wahrer56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eigenthümer iſt. Wie iſt dagegen dem Kläger zu helfen? (a)Sehr gut handelt von die - ſem Fall Keller S. 173 179.

Der Gedanke liegt ſehr nahe, dieſen Fall eben ſo zu behandeln wie den der Klagverjährung, alſo in die L. C. (oder auch in die Inſinuation) eine Unterbrechung der Uſucapion zu legen die dann nicht ablaufen könnte, ſo daß das Eigenthum unverändert bliebe.

Dieſer Gedanke iſt jedoch dem R. R. völlig fremd, welches vielmehr den Fortgang und Ablauf der Uſucapion während des Rechtsſtreits auf unzweifelhafte Weiſe aner - kennt(b)L. 2 § 21 pro emt. (41. 4 ), L. 17 § 1 in f. de rei vind. (6. 1). Auch die in der folgenden Note angeführten Stellen beweiſen die - ſen Satz völlig, weil eine Rück - übertragung des Eigenthums weder nöthig noch möglich wäre, wenn nicht der Beklagte durch vollendete Uſucapion Eigenthum erworben hätte.. Es hilft aber dem Kläger auf indirecte Weiſe, indem es dem Beklagten die Verpflichtung auflegt, das wirklich erworbene Eigenthum auf den Kläger zurück zu übertragen, welches im älteren Recht oft durch Mancipation geſchehen mußte, im neueſten Recht aber ſtets durch Tra - dition bewirkt wird. Daneben ſoll der Beklagte auch noch Caution ſtellen für den Fall, daß er etwa in der Zwiſchen - zeit, worin er Eigenthümer war, nachtheilige Veränderungen in dem Recht an der Sache vorgenommen haben ſollte(c)L. 18. 20. 21 de rei vind. (6. 1 ), L. 35 de V. S. (50. 16 vgl. oben § 260. i), L. 8 § 4 si serv. (8. 5) quemadmodum pla - cet in dominio aedium. Wenn L. 18 cit. ſagt: debet eum tradere, ſo iſt das eine unzwei - felhafte Interpolation, da Gajus.

57§. 261. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.

Aus zwei verſchiedenen Gründen iſt behauptet worden, daß im heutigen Recht dieſe Regeln nicht mehr gelten, indem jetzt auch für die Uſucapion eine wahre Unterbrechung durch die L. C. (oder durch die Inſinuation) eintrete.

Erſtlich iſt behauptet worden, die L. C. mache den Beſitz zu einem unredlichen, die Uſucapion aber werde durch jede mala fides, auch durch die mala fides superveniens, nach den Vorſchriften des canoniſchen Rechts unterbrochen (§ 244). Von der Unredlichkeit des Beſitzes, die durch die L. C. be - wirkt werden ſoll, wird unten ausführlich geſprochen werden (§ 264). Wenn man ſie auch in einem figürlichen Sinn, durch eine Art von Fiction, annehmen wollte, ſo kann ſie doch in der unmittelbaren Bedeutung, wie ſie das cano - niſche Recht unzweifelhaft auffaßt, unmöglich behauptet werden; es wäre widerſinnig zu ſagen, jeder Beklagte be - finde ſich von der L. C. an in einem ſündlichen Zuſtand, und in dieſem Sinn faßt das canoniſche Recht die mala fides auf. Dieſer Grund für eine veränderte Rechtsregel muß alſo entſchieden als unhaltbar verworfen werden(d)So wird die Sache richtig dargeſtellt von Kierulff S. 277, und Wächter H. 3 S. 105..

Ein zweiter Grund für eine Veränderung der Rechts - regeln hat ungleich mehr Schein. Neben der Uſucapion, und als Ergänzung derſelben, wurde ſchon frühe eine longi temporis praescriptio von zehen oder zwanzig Jahren ein - geführt. Dieſes war eine reine Klagverjährung, und es(c)ſehr wohl wußte, daß das Eigen - thum eines Sklaven nicht durch Tradition, ſondern nur durch Man - cipation oder in jure cessio über - tragen werden konnte.58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.iſt unzweifelhaft, daß ſie, ſo wie jede andere Klagverjäh - rung, durch die L. C. (ſpäter durch die Inſinuation) unter - brochen wurde(e)L. 1. 2. 10 C. de praescr. longi temp. (7. 33 ), L. 2 C. ubi in rem (3. 19 ), L. 26 C. de rei vind. (3. 32).. Nun hat Juſtinian an die longi tem - poris possessio, welche früher nur eine praescriptio begrün - dete, bei unbeweglichen Sachen die Wirkung der Uſucapion geknüpft: im Fall der bona fides ſogar auch an den dreißig - oder vierzig-jährigen Beſitz, und ohne Unterſchied der beweg - lichen und unbeweglichen Sachen(f)L. 8 pr. § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39) vom J. 528.. Hierüber haben ſich zwei verſchiedene Meinungen gebildet. Nach der einen Meinung hat der Erwerb von 10, 20, 30 Jahren, auch nachdem ihm gleiche Wirkung mit der Uſucapion beigelegt worden iſt, dennoch ſeine urſprüngliche Natur einer Klag - verjährung beibehalten, ſo daß darauf die Unterbrechung durch Inſinuation der Klage anzuwenden iſt(g)Wächter H. 3 S. 99 104.. Nach der anderen Meinung iſt jeder Erwerb, welchem Juſtinian die Wirkung einer Uſucapion beigelegt hat, als eine wahre, eigentliche Uſucapion, nur mit anderen Zeitfriſten als denen des älteren Rechts anzuſehen, und es ſind darauf alle Be - ſtimmungen des älteren Rechts über die Uſucapion unmit - telbar anzuwenden, namentlich auch die Beſtimmung, daß die L. C. den Lauf dieſer Uſucapionen nicht unterbricht, ſondern nur eine Verpflichtung des Beklagten zur Rückgabe des Eigenthums erzeugt.

59§. 261. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.

Ich halte die zweite Meinung für die richtige, und zwar hauptſächlich deswegen, weil Juſtinian ſelbſt den Beſitz von 3, 10, 20 Jahren geradezu als Uſucapion bezeichnet(h)pr. j. de usuc. (2. 6) et ideo Constitutionem super hoc promulgavimus, qua cautum est, ut res quidem mobiles per triennium, immobiles vero per longi temporis possessionem, i. e. inter praesentes decennio, inter absentes viginti annis, usucapiantur. Daß hier der dreißigjährige Beſitz nicht mit auf - geführt iſt, mag aus Nachläſſigkeit oder aus Rückſicht auf deſſen exceptionelle Natur und Beſchaffen - heit herrühren; eine weſentliche Verſchiedenheit kann aus dieſer Auslaſſung auch für dieſen Fall nicht abgeleitet werden. Auch er enthält eine wahre Uſucapion, und wird nur zufällig nicht ſo genannt., und dadurch als einen Rechtsbegriff aufſtellt, auf welchen er die in ſeinen Rechtsbüchern über die Uſu - capion aufgeſtellten Vorſchriften angewendet wiſſen will. Für die entgegengeſetzte Meinung wird ein Geſetz von Ju - ſtinian angeführt, welches folgenden Inhalt hat(i)L. 2 C. de ann. exc. (7. 40).. Wenn der Eigenthümer eine Vindication gegen den Beſitzer ſeiner Sache deswegen nicht anbringen kann, weil dieſer Be - ſitzer abweſend, oder Kind, oder wahnſinnig iſt, ſo darf der Eigenthümer ſeine Klage bei dem Präſes, oder dem Biſchof, oder dem Defenſor einreichen u. ſ. w., et hoc sufficere ad omnem temporalem interruptio - nem, sive triennii, sive longi temporis, sive triginta vel quadraginta annorum sit. (Vorher heißt es: interruptionem temporis facere, et sufficere hoc ad plenissimam interruptionem.)

Aus dieſen Worten wird gefolgert, die Klage unter - breche jetzt wirklich die Uſucapion. Allein Juſtinian hatte60Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in dieſem Geſetz augenſcheinlich nur den Zweck, für einen ſeltenen Nothfall eine rein practiſche Auskunft zu erfinden, nicht die feinere Natur dieſer Rechtsverhältniſſe zu beſtim - men. Für jenen practiſchen Zweck war durch die neue Vorſchrift völlig geſorgt, und in dieſer Hinſicht konnte man es eine interruptio nennen, weil es für den vorliegenden Zweck, wenn der Kläger wirklich Eigenthum hatte, ganz gleichgültig war, ob die Uſucapion unterbrochen, oder dem Kläger ein Anſpruch auf Verurtheilung des Gegners zur Rückgabe des Eigenthums geſichert war. Die dreijährige Uſucapion war doch gewiß nicht aus einer alten Klagver - jährung hervorgegangen, und bei ihr iſt alſo nicht einmal eine ſcheinbare Veranlaſſung anzugeben, weshalb ſie hätte die Natur einer eigentlichen Uſucapion verlieren, und in die einer Klagverjährung umgebildet werden ſollen; dennoch iſt auch ſie, wie die übrigen Fälle, in jenem Geſetz ausdrücklich mit aufgeführt, und mit ihnen ganz auf gleiche Linie geſtellt.

Dieſe ganze Streitfrage übrigens iſt von geringer prac - tiſcher Erheblichkeit. Die Fälle, in welchen die Gefahr einer Uſucapion durch Klage abgewendet werden muß, ſind überhaupt nicht häufig, und wo ſie vorkommen, iſt es für die Sicherheit des alten Eigenthümers ziemlich gleichgültig, ob er durch Unterbrechung der Uſucapion geſchützt wird, oder vielmehr, wie ich glaube, auf dem Wege, den dafür das ältere R. R. angiebt.

Dieſelben Regeln, welche hier für die Uſucapion aufge - ſtellt worden ſind, müſſen auch angewendet werden, wenn61§. 261. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert.eine Servitut durch confeſſoriſche Klage verfolgt wird, und während des Rechtsſtreits, nach der L. C., die für den Nichtgebrauch beſtimmte geſetzliche Friſt abläuft. In dieſem Fall geht die Servitut durch Nichtgebrauch wirklich unter, der Beklagte muß aber verurtheilt werden, ſie durch eine neue juriſtiſche Handlung wiederherzuſtellen: nach dem älte - ren Recht durch in jure cessio, nach dem neueren durch Vertrag(k)L. 5 § 5 si ususfr. (7. 6 ), L. 10 de usufr. accresc. (7. 2 ), L. 8 § 4 si serv. (8. 5). Vgl. Keller S. 175..

III. Perſönliche Klagen, deren Grund nach der L. C. verſchwindet.

Bei den perſönlichen Klagen kommt zuerſt der Fall in Betracht, wenn während des Rechtsſtreits die Obligation untergeht, und zwar durch freiwillige Leiſtung von Seiten des Beklagten. Man ſollte glauben, es hätte nie bezwei - felt werden können, daß nun der Rechtsſtreit von ſelbſt zu Ende ſey. Bei den arbiträren Klagen war dieſes auch in der That der Fall, indem durch die ganze Behandlung der - ſelben recht abſichtlich auf die freiwillige Erfüllung mit dem Erfolg der Freiſprechung hingewirkt werden ſollte. Allein bei den übrigen Klagen war die Sache ſtreitig, jedoch wahrſcheinlich nur bei den ſtrengen Klagen. Die härtere Meinung der Proculianer gieng dahin, daß dennoch der Beklagte verurtheilt werden ſollte. Die mildere Mei - nung der Sabinianer nahm die Freiſprechung an, und dieſe Meinung wurde durch die Regel ausgedrückt: omnia judi -62Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.cia esse absolutoria(l)Gajus IV. § 114. Aber auch nach der ſtrengeren Meinung ſollte doch wahrſcheinlich nicht der Be - klagte die doppelte Leiſtung bekom - men und behalten. Vielleicht wurde er dagegen durch eine condictio sine causa geſchützt. Ausführlich handelt von dieſer Frage Keller S. 180 184.. Natürlich hat Juſtinian dieſe mildere Meinung angenommen(m)§ 2 J. de perpet. (4. 12). Eine Spur des verworfenen ſtren - geren Grundſatzes iſt wahrſchein - lich aus Verſehen in die L. 84 de V. O. (45. 1) übergegangen. Vgl. oben B. 5 S. 135, und Wächter H. 3 S. 26..

Außer der Erfüllung kommen noch folgende einzelne, weniger erhebliche, Fälle vor, worin während des Rechts - ſtreits die urſprünglich vorhandene Bedingung einer perſön - lichen Klage wegfallen kann.

Wegen des von einem Sklaven begangenen Diebſtahls hatte der Beſtohlene eine Noxalklage gegen den Eigenthü - mer des Sklaven; das Eigenthum wurde erfordert zur Zeit der L. C. Wenn nun der Beklagte den Sklaven nach der L. C. veräußerte, ſo entgieng er dadurch der Verur - theilung nicht, ſelbſt wenn die Veräußerung an den Kläger geſchah(n)L. 37 L. 38 pr. de nox. act. (9. 4)..

Bei der Klage ad exhibendum beſteht die Hauptbedin - gung in einem rechtlichen Intereſſe des Klägers an der Exhibition. Wenn nun dieſes zur Zeit der L. C. vorhanden iſt, nachher verſchwindet, ſo müßte nach unſrem Grundſatz der Beklagte verurtheilt werden. Hier aber tritt eine Aus - nahme ein, indem die Verurtheilung nur dann erfolgen ſoll,63§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung. (Fortſetz.)wenn auch noch zur Zeit des Urtheils das Intereſſe des Klägers fortdauert(o)L. 7 § 7 ad exhib. (10. 4)..

Nach der L. Julia ſollte die Klage gegen einen Freige - laſſenen auf eine operarum obligatio ausgeſchloſſen ſeyn, wenn der Freigelaſſene zwei Kinder hatte. Wenn nun nach der L. C., während des Rechtsſtreits, das zweite Kind geboren wurde, ſo hätte eigentlich, nach unſrem Grundſatz, die Verurtheilung erfolgen müſſen. Hier aber wurde das Gegentheil angenommen, offenbar aus derſelben Begünſti - gung, woraus dieſes ganze Privilegium entſprungen war(p)L. 37 pr. § 6 de op. libert. (38. 1)..

§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung ſelbſt geſichert. (Fortſetzung.)

IV. Uebergang der Klagen auf die Erben.

Unter den perſönlichen Klagen finden ſich viele, die nicht gegen die Erben des urſprünglichen Schuldners angeſtellt werden können, und unter dieſen ſind die wichtigſten die Pönalklagen. Für alle dieſe Klagen gilt die durchgreifende Regel, daß ſie auf die Erben übergehen, wenn der Beklagte erſt nach der L. C. ſtirbt(a)L. 58 de O. et A. (44. 7 ), L. 29 de nov. (46. 2 ), L. 87. 139 pr. de R. J. Vgl. B. 5 § 211. g, § 230, und Keller § 20. Die L. 33 de O. et A. (44. 7), die hierin beſondere Schwierigkeit macht, iſt ſchon oben § 257 erklärt worden. Die, ohnehin weit ſelt - neren Klagen, die von Seiten des Klagberechtigten unvererblich ſind, richten ſich nach ganz anderen Re - geln, und werden nicht erſt durch die L. C. der Vererbung fähig.. Dieſe Regel iſt die unmit -64Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.telbare Folge der in der L. C. enthaltenen contractlichen Obligation, durch welche diejenige Eigenſchaft des urſprüng - lichen Rechtsverhältniſſes abſorbirt wird, in welcher die Unvererblichkeit deſſelben gegründet war.

V. Entſtehung des Rechts nach der L. C.

Bisher ſind die Fälle erwogen worden, in welchen das zur Zeit der L. C. vorhandene Recht des Klägers während des Rechtsſtreits verſchwindet; unſer Grundſatz führte dahin, daß dieſe Änderung dem Kläger nicht ſchaden ſoll. Wir haben jetzt den umgekehrten Fall zu betrachten, wenn das Recht des Klägers zur Zeit der L. C. nicht vorhanden iſt, während des Rechtsſtreits aber entſteht; wenn alſo z. B. ein Nichteigenthümer vindicirt und während des Rechtsſtreits Erbe des Eigenthümers wird, oder wenn ein Anderer als der Creditor eine wirklich vorhandene Schuld einklagt, während des Rechtsſtreits aber durch Beerbung des wahren Creditors die Forderung erwirbt(b)Von dieſer Frage handeln: Voetius VI. 1 § 4 (kurz und gründlich), Glück B. 8 S. 147 bis 151, mit ausführlicher Angabe der Schriftſteller, und Wächter H. 3 S. 120 124..

Hier iſt zuvörderſt einleuchtend, daß unſer Grundſatz keine Anwendung finden kann. Wollte man auf das neu erworbene Recht eine Verurtheilung gründen, ſo würde dadurch nicht etwa ein durch die Dauer des Rechtsſtreits herbeigeführter Verluſt von dem Kläger abgewendet werden (worauf allein unſer Grundſatz abzweckt), ſondern der Kläger würde durch jene Dauer Etwas gewinnen, da65§. 262 Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)er zur Zeit der L. C. unzweifelhaft abgewieſen worden wäre.

Ferner iſt das practiſche Intereſſe dieſer Frage an ſich weit geringer. In dem bisher betrachteten umgekehrten Fall kam es darauf an, den Kläger gegen den Verluſt des Rechts ſelbſt zu ſchützen, den er z. B. durch den unge - ſchwächten Fortgang der Klagverjährung oder der Uſucapion erlitten haben würde. Dieſer Verluſt des Rechts ſelbſt kann hier in keinem Fall eintreten. Laſſen wir die Beach - tung des neu erworbenen Rechts im gegenwärtigen Prozeß zu, ſo erreicht der Kläger ſeinen Zweck ſogleich; laſſen wir ſie nicht zu, ſo wird der Beklagte freigeſprochen, der Kläger kann aber in einer neuen Klage ſein Recht geltend machen, und verliert alſo blos Zeit und Prozeßkoſten. Dieſes galt ſelbſt nach der Strenge des alten R. R., da das neu erworbene Recht eine nova causa bildete, alſo durch die frühere Klage nicht in judicium deducirt und conſumirt war(c)L. 11 § 4. 5 de exc. rei jud. (44. 2). Dieſe Stelle wird in der Lehre vom Urtheil vollſtändig benutzt werden.. Das Intereſſe der Frage iſt alſo nicht materiell, nur prozeſſualiſch, woraus übrigens nicht folgt, daß wir deshalb weniger ſorgfältig auf die Entſcheidung derſelben einzugehen hätten.

A. Nach R. R. muß angenommen werden, daß der ſpätere Erwerb des Rechts die Verurtheilung nicht recht - fertigt. Dafür ſind folgende Stellen entſcheidend: L. 23 de jud. (5. 1) von Paulus: Non potestVI. 566Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.videri in judicium venisse id, quod post judicium acceptum accidisset, ideoque alia interpellatione opus est. Das heißt: die nach der L. C. eintretenden Veränderungen dürfen auf das Urtheil dieſes Juder keinen Einfluß haben; es bedarf alſo einer neuen Klage(d)Interpellare für judicio interpellare, verklagen, komm auch ſonſt öfter vor, z. B. L. 1 de distr. (20. 5 ), L. 13 § 3 de zujur. (47. 10). um ſie geltend zu machen. Dieſe Regel wird hier ganz allgemein aufgeſtellt, ohne Unterſchied zwiſchen in rem und in personam, zwiſchen stricti juris und bonae fidei actio. L. 35 de jud. (5. 1) von Javolenus: Non quemadmodum fidejussoris obligatio in pendenti potest esse, et vel in futurum concipi, ita judicium in pendenti potest esse, vel de his rebus, quae postea in obligationem adventurae sunt. Nam ne - minem puto dubitaturum, quin fidejussor ante obli - gationem rei accipi possit: judicium vero, antequam aliquid debeatur, non posse. Dieſe Stelle ſpricht blos von perſönlichen Klagen, von dieſen aber ganz allgemein, ohne Unterſchied zwiſchen ſtrengen und freien.

Eine beſtätigende Anwendung der aufgeſtellten Regel findet ſich bei der actio ad exhibendum. Die Bedingung dieſer Klage iſt ein rechtliches Intereſſe des Klägers bei der Exhibition. Wenn nun dieſes Intereſſe zur Zeit der67§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)L. C. fehlt, während des Rechtsſtreits aber entſteht, ſo ſoll dennoch keine Verurtheilung erfolgen, indem das Da - ſeyn des Intereſſe in beiden Zeitpunkten (L. C. und Urtheil) erfordert wird(e)L. 7 § 7 ad exhib. (10. 4), vgl. oben § 261. o. .

Eine fernere Beſtätigung liegt in folgender wichtigen Regel, deren vollſtändiger Zuſammenhang erſt weiter unten in der Lehre vom Urtheil erklärt werden kann. Wenn der Kläger das Eigenthum der vindicirten Sache erſt nach der L. C. erwirbt, ſo ſoll ihm das abweiſende Urtheil bei einer neu angeſtellten Vindication nicht als Exception entgegen geſetzt werden können(f)L. 11 § 4. 5 de exc. rei jud. (44. 2).. Dies wird hier allgemein aus - geſprochen, ohne Unterſchied, ob der neue Erwerb vor oder nach dem erſten Urtheil eingetreten iſt. Zwar wird zunächſt nur die Wirkſamkeit der exceptio rei judicatae im zweiten Prozeß verneint, und es wird nicht ausdrücklich die Frage berührt, ob etwa auch ſchon in der erſten Vindication der Richter wegen des inzwiſchen erworbenen Eigenthums ver - urtheilen dürfe. Allein die Gründe, die der Juriſt zur Be - ſtätigung ſeines Ausſpruchs anführt, laſſen keinen Zweifel, daß er eine ſolche Verurtheilung für unmöglich halten mußte(g)L. cit. alia enim causa fuit prioris dominii, haec nova nunc accessit. Itaque ad - quisitum quidem postea domi - nium aliam causam facit, mu - tata autem opinio petitoris non facit. .

Viele Schriftſteller haben einen Widerſpruch gegen die5*68Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.hier aufgeſtellte Behauptung in folgender Stelle des Pau - lus finden wollen(h)L. 17 mandati (17. 1).: Si mandavero tibi, ut a Titio decem exigeres, et ante exacta ea, mandati tecum egero, si ante rem ju - dicatam exegeris, condemnandum te esse constat.

Dieſer Widerſpruch iſt in der That nicht vorhanden. Durch den übernommenen Auftrag das Geld einzufordern, iſt die actio mandati bereits vollſtändig begründet, und durch die während des Rechtsſtreits erfolgte Einforderung kann höchſtens der Inhalt und Umfang des Urtheils etwas anders beſtimmt werden. Paulus will alſo nicht ſagen, daß nur im Fall einer früheren Einforderung eine Verur - theilung überhaupt erfolgen ſolle(i)So verſtehen die Gegner die Stelle, indem ſie durch das arg. a contrario hinzudenken: si non exegeris, absolvendum te esse. Allein die unbedingte Anwendung dieſes Arguments iſt überall be - denklich, und ſie muß beſonders hier verworfen werden, da die Ab - ſolution, nach der allgemeinen Na - tur der Mandatsklage, in keinem Fall zu rechtfertigen wäre.; die Meinung geht vielmehr dahin, daß nach der Einforderung unbedingt auf die Auszahlung des erhobenen Geldes erkannt werde, an - ſtatt daß vor der Einforderung auf die Vollziehung des Auftrags (nach R. R. auf das Intereſſe) erkannt werden müßte. Der Ausſpruch des Paulus muß daher in Ge - danken ſo ergänzt werden: decem condemnandum te esse constat. Um den vermeintlichen Widerſpruch zwiſchen dieſer Stelle und den oben angeführten zu löſen, haben mehrere Schriftſteller(k)Keller S. 185. 187. Wäch - ter H. 3 S. 121. einen Unterſchied zwiſchen den69§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)stricti juris und bonae fidei actiones behauptet; bei jenen ſoll die ſtrengere, bei dieſen (wohin denn eben die Mandatsklage zu rechnen wäre) die mildere Regel gegolten haben. Durch die eben aufgeſtellte Erklärung fällt das Bedürfniß einer ſolchen Vereinigung hinweg. Sie wird aber auch dadurch widerlegt, daß die oben angeführten Stellen über die ſtren - gere Regel nicht auf die stricti juris actiones beſchränkt ſind, während umgekehrt gerade bei der actio ad exhibendum die ſtrengere Regel eintritt (Note e), obgleich die actio ad exhi - bendum unter die arbiträren, alſo unter die freieſten Kla - gen überhaupt, gehört.

In der That hängt aber auch die hier erörterte Regel mit den ſtrengen, buchſtäblichen Formen des alten Prozeſſes gar nicht zuſammen. Sie beruht vielmehr auf der ganz natürlichen Betrachtung, daß für Fälle wie der hier vor - ausgeſetzte die Anſtellung einer neuen Klage an ſich zweck - mäßiger iſt, und daß die entgegengeſetzte Behandlung das Recht des Beklagten gefährden kann, indem dieſer bis dahin unmöglich ſeine Vertheidigung auf das angeblich neu er - worbene Recht des Klägers einrichten konnte.

Andere Stellen, wodurch man die hier vertheidigte Regel zu widerlegen geſucht hat, beziehen ſich gar nicht auf den Fall, wenn das Recht des Klägers zur Zeit der L. C. fehlt, ſpäter erworben wird (von welchem Fall hier allein die Rede iſt), ſondern vielmehr auf die während des Prozeſſes eintretenden factiſchen Veränderungen; von dieſen aber wird weiter unten (No. VI. ) noch beſonders die Rede ſeyn.

70Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Mit Unrecht hat man mit der Erörterung unſrer Frage folgende ganz andere in Verbindung zu bringen geſucht. Wenn der Kläger aus Verſehen in der Klage einen unrich - tigen Gegenſtand, oder eine zu geringe Summe bezeichnet, ſo ſoll ihm dieſes für die Erhaltung ſeines Rechts keine Gefahr bringen; und zwar nach dem älteren Recht, indem es ihm ſtets frei ſtand, durch eine neue Klage den Irr - thum zu berichtigen(l)Gajus IV. § 55. 56. In manchen Fällen war nach altem Recht auch ſchon in dem erſten Prozeß eine Berichtigung des be - gangenen Irrthums zuläſſig, und zwar gerade in ſolchen Fällen, worin außerdem eine neue Klage durch die Conſumtion ausgeſchloſſen ſeyn würde.: nach dem Juſtinianiſchen Recht, indem er die Berichtigung noch in demſelben Prozeß mit Erfolg vornehmen kann(m)§ 34. 35 J. de act. (4. 6). Nach den Regeln des heutigen gemeinen Prozeſſes würde eine ſolche Veränderung des Klaglibells nicht mehr zuläſſig ſeyn.. Eine ſolche Berichtigung der in der Klage begangenen Irrthümer iſt von dem hier vorliegenden Fall eines erſt während des Rechtsſtreits neu entſtandenen Rechts des Klägers völlig verſchieden.

B. Nach dem canoniſchen Recht hat unſre Rechts - regel eine weſentliche Abänderung erlitten. P. Inno - cenz IV. hat nämlich folgenden Unterſchied aufgeſtellt(n)C. 3 de sentent. in VI. (2. 14).. Wenn in der Klage nicht nur das Recht ſelbſt, ſondern auch der Erwerbsgrund deſſelben, beſtimmt ausgedrückt ſey, ſo ſolle im Fall eines ſpäteren Erwerbs (ganz wie im R. R.) die Verurtheilung nicht erfolgen dürfen, ſondern vielmehr eine neue Klage erforderlich ſeyn. Wenn dagegen die Klage71§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)nur das Recht ſelbſt (z. B. Eigenthum), nicht den Erwerbs - grund (z. B. Uſucapion), ausdrücke, ſo ſolle der während des Rechtsſtreits eintretende Erwerb auch ſchon jetzt, ohne neue Klage, zur Verurtheilung führen.

Um dieſe ſehr weitläufige Verordnung gegen die un - richtige Deutung zu ſchützen, die dafür neuerlich verſucht worden iſt(o)Wächter H. 3 S. 122. 123., muß die Bemerkung vorausgeſchickt werden, daß dieſe Decretale, ſo wie viele andere, aus zwei verſchie - denen Theilen zuſammengeſetzt iſt. Sie enthält zuerſt einen Auszug der Prozeßacten, alſo die Behauptungen und Gründe beider Parteien. Darauf folgt das ausgeſprochene Urtheil des Richters, welches am Schluß des ganzen Ge - ſetzes der Papſt beſtätigt, und dadurch zur geſetzlichen Kraft erhebt(p) Nos igitur, cardinalis ejusdem sententiam ratam ha - bentes, eam auctoritate aposto - lica confirmamus. Die rich - terliche Entſcheidung, die hier mit Geſetzeskraft verſehen wird, fängt an mit den Worten: Praefatus igitur cardinalis, praemissis omnibus. . In dem Urtheil des Richters, alſo in dem geſetzlichen Theil der ganzen Stelle, lauten die entſchei - denden Worte alſo: Ex iis enim, quae post inchoatum judicium eveniunt, quando causa fuit exposita specialis, nec debet nec potest judicis animus ad proferendam sententiam in - formari, quia, quum certae causae facta est mentio, utpote donationis vel venditionis aut alterius specia - lis, oportet incepti judicii tempus attendi, ut liquido cognoscatur, an tunc interfuerit actoris, propter illa,72Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quae specialem comitantur causam et necessario ad - esse debent, veluti locus et tempus et hujusmodi, quae sunt sollicite attendenda, et sine quibus causa vacua et invalida censeretur. Sed quum est in ge - nere absque alicujus causae declaratione petitum, non sic oportet accepti judicii tempus inspici, quia non requiruntur, nec sunt opportuna, nec attendi possunt hujusmodi comitantia in hoc casu.

In dieſen Worten iſt genau und unzweideutig die Un - terſcheidung von zwei Fällen möglicher Abfaſſung der Klage (nämlich mit oder ohne Angabe des Erwerbsgrundes für das eingeklagte Recht) enthalten, welchen ich oben als In - halt des Geſetzes angegeben habe(q)Wächter H. 3 S. 122. 123. faßt die Sache ſo auf, als ſey die Benutzung des neuen Erwerbes auch in dem Fall zuläſſig, wo aus einem ſpeciellen Erwerbsgrunde ge - klagt wird, wenn nur ſpäterhin gerade derjenige Erwer - bungsgrund, auf welchen die ding - liche Klage geſtützt wird, durch ein ſpäteres Ereigniß begründet wurde; welches ohne Zweifel ſo viel heißen ſoll, als: der ſpätere wahre Er - werbungsgrund müſſe mit dem frü - heren falſchen gleichnamig ſeyn denn identiſch iſt er mit demſelben niemals, wie es gerade in den Worten der Decretale ſehr richtig anerkannt wird. Wächter beruft ſich zum Beweiſe dieſer Behaup - tung auf eine Stelle der Decretale, welche nicht zu der richterlichen und geſetzlichen Entſcheidung, ſon - dern zu den Prozeßacten gehört, alſo an ſich gar nichts beweiſen kann. Dieſe Verwechſlung ver - ſchuldet zunächſt Glück, welcher S. 149. 150 gerade dieſe Stelle der Prozeßacten als das eigentliche Geſetz irrig abdrucken läßt. Aber auch ſelbſt die allegirte Stelle der Prozeßacten hat, genauer angeſehen, nicht den von Wächter angenom - menen Inhalt, ſondern ſtimmt ei - gentlich ganz mit der nachfolgenden geſetzlichen Entſcheidung überein.. Und dieſe Unter - ſcheidung muß daher auch für unſer heutiges gemeines Recht maaßgebend ſeyb.

73§. 263. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)

Es verſteht ſich aber dabei von ſelbſt, daß auch in dem von dem Papſt anerkannten Fall der Kläger dennoch keinen Gebrauch von dem während des Rechtsſtreits eingetretenen Erwerb des Rechts machen kann, wenn die allgemeinen für den Prozeßgang beſtehenden Regeln damit im Wider - ſpruch ſind; insbeſondere alſo in dem Fall, wenn erſt nach dem Beweistermin der neue Erwerb Statt findet(r)Stryk Lib. 6. Tit. 1 § 11. Wächter S. 124..

§. 263. Wirkung der Litis Conteſtation. I.[Verurtheilung] ſelbſt geſichert. (Fortſetzung.)

VI. Factiſche Verhältniſſe.

Wenn man die Bedingungen vollſtändig anzugeben ver - ſucht, durch welche eine Verurtheilung überhaupt, oder doch der Umfang einer Verurtheilung, beſtimmt wird, ſo finden ſich unter denſelben außer dem Rechte des Klägers, wovon allein bisher die Rede war, auch noch manche factiſche Verhältniſſe, die in Vergleichung mit jenem Rechte des Klägers (der eigentlichen Grundlage jeder Klage), als Ne - benumſtände aufgefaßt werden können. Bei der Vindication z. B. iſt die Hauptbedingung der Klage das Eigenthum des Klägers: daneben aber iſt auch der Beſitz des Beklagten nöthig, wenn eine Verurtheilung erfolgen ſoll. Auch für ſolche factiſche Verhältniſſe muß die Frage beantwortet werden, in welcher Zeit das Daſeyn derſelben erforderlich iſt. Wenngleich nun ſich dabei zeigen wird, daß die L. C. 74Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht der erforderliche Zeitpunkt iſt, ſo darf dennoch auch hier dieſe Unterſuchung nicht abgelehnt werden, weil außer - dem neben den Wirkungen der L. C. ein benachbarter unbe - ſtimmter Raum übrig bleiben würde, in welchem Zweifel und Misverſtändniſſe über die L. C. Platz nehmen können, und wirklich nicht ſelten genommen haben(a)Von dieſer Frage handeln: Keller S. 190 194. Wächter H. 3 S. 126..

Es ſind dabei in gleicher Art, wie es bei dem Recht des Klägers geſchehen iſt, zwei Fälle zn unterſcheiden.

Erſtlich kann ein ſolches factiſches Verhältniß zur Zeit der L. C. vorhanden ſeyn, nachher verſchwinden. Zweitens kann daſſelbe zur Zeit der L. C. fehlen, nachher entſtehen.

Der erſte Fall wird zweckmäßiger weiter unten, in anderem Zuſammenhang, betrachtet werden. Wenn näm - lich bei der Vindication der zur Zeit der L. C. vorhandene Beſitz des Beklagten während des Rechtsſtreits verloren geht, ſo gehört die Beurtheilung dieſes Falles in die Reihe der möglichen Verminderungen, für welche der Beklagte nach Umſtänden Entſchädigung zu leiſten oder nicht zu leiſten hat. Davon wird in vollſtändigem Zuſammenhang bei den Wirkungen der L. C. auf den Umfang der Ver - urtheilung gehandelt werden (§ 272 fg.).

Es bleibt alſo hier nur der zweite Fall zu erwägen übrig, wenn das erforderliche factiſche Verhältniß zur Zeit der L. C. fehlt, während des Rechtsſtreits aber entſteht.

Hier iſt als Regel anzunehmen, daß der Zuſtand zur75§. 262. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)Zeit der L. C. Nichts bedeutet, und daß es allein dar - auf ankommt, ob das factiſche Verhältniß zur Zeit des Urtheils vorhanden iſt. Es gilt alſo hierin die umge - kehrte Regel von derjenigen, welche oben für das Recht des Klägers angegeben worden iſt (§ 262).

Die hier aufgeſtellte Regel ſoll zunächſt bei den ein - zelnen Klagen, worin ſie vorkommt, nachgewieſen werden; daran wird ſich eine allgemeinere Betrachtung anſchließen können.

A. Bei der Vindication des Eigenthums iſt es gleich - gültig, ob der Beklagte zur Zeit der L. C. den Beſitz hat; zur Zeit des Urtheils muß dieſer Beſitz nothwendig vor - handen ſeyn(b)L. 30 pr. de pec. (15. 1 ), L. 27 §. 1 de rei vind. (6. 1 ) .. si litis contestatae tempore non possedit, quo autem judi - catur possidet, probanda est Proculi sententia, ut omnimodo condemnetur. Zu dieſem ganz klaren Ausſpruch, welcher mit allen übrigen Stellen übereinſtimmt (ſ. die folgenden Noten) paßt freilich nicht der Anfang des §: Possidere autem aliquis debet utique et litis contestatae tempore, et quo res judicatur. Es muß dahin geſtellt bleiben, ob bei dieſem Widerſpruch eine ungenaue Faſſung der angeführten Anfangsworte zum Grunde liegt, oder vielmehr die Erwähnung einer älteren Contro - verſe, die nur in dem unvollſtän - digen Excerpt der Compilatoren nicht mehr erkennbar iſt. Keller S. 191. 192..

Eine bloße Anwendung dieſer Regel iſt es, daß der Erbe des Beklagten, der als ſolcher zur Uebernahme der Vindication nicht verpflichtet iſt(c)L. 42 de rei vind. (6. 1). , in dieſe Verpflichtung eintritt, ſobald er ſelbſt den Beſitz erwirbt(d)L. 8 in f. ad exhib. (10. 4). .

B. Bei der Erbſchaftsklage wird der Beklagte verur -76Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.theilt, je nach dem Beſitz den er zur Zeit des Urtheils an Erbſchaftsſachen hat, ohne Rückſicht darauf, ob er vielleicht zur Zeit der L. C. aus der Erbſchaft gar Nichts oder weniger als zur Zeit des Urtheils, beſeſſen hatte(e)L. 18 § 1 de her. pet. (5. 3 ), L. 4 L. 41 pr. eod. Bloße Anwendungen dieſer Regel ſind es, welche ſich in L. 16 pr. und L. 36 § 4 eod. finden..

C. Bei der actio ad exhibendum kommt es lediglich darauf an, ob der Beklagte zur Zeit des Urtheils die Sache beſitzt(f)L. 7 § 4 ad exhib. (10. 4 ), L. 30 pr. de pec. (15. 1). , und eben ſo iſt der Erbe des urſprünglichen Beklagten zu verurtheilen, wenn er ſelbſt nur vor dem Urtheile Beſitzer geworden iſt(g)L. 8 ad exhib. (10. 4). .

D. Bei der actio de peculio hängt der Erfolg von dem Geldwerthe ab, welchen das Peculium hat. Dieſer Werth aber wird beſtimmt nach der Zeit des Urtheils, nicht der L. C.(h)L. 30 pr. de pec. (15. 1). L. 7 § 15 quib. ex causis (42. 4 ), L. 5 § 2 de lib. leg. (34. 3 ), L. 35 de fidej. (46. 3).. Ja ſelbſt wenn der mit dieſer Klage Belangte während des Rechtsſtreits den Sklaven verkauft, ſo wird er dennoch bis auf die Höhe desjenigen Werthes verurtheilt, welcher ſich zur Zeit des Urtheils findet(i)L. 43 de pec. (15. 1). Stirbt der Sklave während des Rechtsſtreits, ſo wird auf den Werth zur Zeit des Todes geſehen..

E. Wenn bei der actio depositi der Beklagte zur Zeit des Urtheils die Sache beſitzt und zu ihr gelangen kann, ſo wird er verurtheilt, ſelbſt wenn im Anfang des Rechts - ſtreites, weil es an einem dieſer Umſtände fehlte, eine Freiſprechung hätte erfolgen müſſen(k)L. 1 § 21 depos. (16. 3). Die einzelnen Ausdrücke dieſer Stelle.

77§. 263. Wirkung der L. C. I. Verurtheilung geſichert. (Fortſ.)

F. Die Verurtheilung bei der actio pignoratitia hängt davon ab, daß die Schuld, wofür das Pfand gegeben war, getilgt ſein muß(l)L. 9. § 3 de pign. act. (13. 7). . Wenn aber nur der Kläger auch während des Rechtsſtreits die Zahlung der Schuld anbietet, ſo muß dennoch die Verurtheilung auf Rückgabe des Pfandes erfolgen(m)L. 9 § 5 de pign. act. (13. 7). .

Ulpian giebt als Grund dieſer Regel und ihrer ein - zelnen Anwendungen den Umſtand an, daß von jenen factiſchen Verhältniſſen (dem Beſitz, dem Werth des peculii,) nichts in der Intentio ſtehe, weshalb der Mangel jener Verhältniſſe die Richtigkeit der Klage, und alſo auch die Verurtheilung, nicht ausſchließe(n)L. 30 pr. de pec. (15. 1) quaesitum est, an teneat actio de peculio, etiamsi nihil sit in peculio, cum ageretur: si modo sit rei judicatae tempore? Proculus et Pegasus nihilo mi - nus teneri ajunt: intenditur enim recte, etiamsi nihil sit in peculio. Idem et circa ad exhi - bendum et in rem actionem placuit: quae sententia et a nobis probanda est. Daher heißt es auch in L. 9 de rei vind. (6. 1 ) Officium autem judicis in hac actione in hoc erit, ut judex inspiciat an reus possi - deat; nämlich in der formula war von dem Beſitz des Beklagten nicht die Rede: die Prüfung des - ſelben gehörte alſo zu den Stücken, wozu der Judex auch außer der Inſtruction berechtigt und ver - pflichtet war, d. h. eben zu dem officium judicis. .

Dieſen Grund könnte man ſo auffaſſen, als ob blos in dieſer zufälligen Abfaſſung der Klagformeln der Grund jener Regel enthalten wäre, ſo daß es blos einer Ver - beſſerung der Formeln bedurft hätte, um etwa eine ganz andere Regel herbeizuführen, und die ganze Beurtheilung(k)erklären ſich aus der Vergleichung mit Gajus IV. § 47.78Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch dieſes Punktes nach dem Zuſtand zur Zeit der L. C. einzurichten. Man muß aber vielmehr umgekehrt an - nehmen, daß aus inneren Gründen die oben aufgeſtellte Regel angenommen wurde, ſo daß die oben erwähnte Ab - faſſung der Formeln nicht als Grund, ſondern als Folge und Ausdruck der Regel anzuſehen iſt.

Der innere Grund der Regel iſt aber wohl ſo zu denken. Wenn der Kläger behauptet, daß ſein Eigenthum zwar zur Zeit der L. C. noch nicht vorhanden geweſen, nachher aber entſtanden ſey (§ 262), ſo iſt es für die gründliche Entſcheidung des Rechtsſtreits zuträglicher, daß deshalb eine neue Klage angeſtellt werde, weil außerdem der Beklagte in ſeiner Vertheidigung verkürzt werden könnte. Wenn dagegen das Eigenthum des Klägers von Anfang an vorhanden war, und nur behauptet wird daß der Beſitz des Beklagten erſt während des Rechtsſtreits ent - ſtanden ſey, ſo läßt ſich auch ſchon in dem gegenwärtigen Rechtsſtreit ein befriedigendes Urtheil erwarten; ja die Verweiſung auf einen neuen Prozeß würde in dieſem Fall nur zu einer unnöthigen Verſchleppung der Sache hin - führen.

§. 264. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. Einleitung.

Die Wirkungen der L. C. ſind ſchon oben auf zwei Hauptregeln zurückgeführt worden: Sicherung der Ver -79§ 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.urtheilung überhaupt (die Abwendung der Frei - ſprechung), und Sicherung des Umfangs der Verur - theilung (die Abwendung eines zu beſchränkten Urtheils) [§. 260. No. IV.].

Die erſte dieſer beiden Regeln iſt bis jetzt dargeſtellt worden. Die zweite, deren Entwicklung nunmehr folgt, kann nur unter der Vorausſetzung zur Anwendung kommen, daß während des Rechtsſtreits in dem Gegenſtand des - ſelben Veränderungen eintreten.

Solche Veränderungen in dem Gegenſtande des Rechts - ſtreits können in zwei entgegengeſetzten Richtungen vor - kommen.

a) Als Erweiterungen, wohin vorzüglich die Früchte und Zinſen gehören.

b) Als Verminderungen, wohin der Untergang der Sache, die Corruption derſelben, der Berlnſt des Beſitzes, und Ähnliches zu rechnen iſt.

Bevor aber die hier einſchlagenden wichtigen Fragen im Einzelnen erwogen werden, iſt es nöthig, dazu den Grund zu legen durch die genaue Betrachtung von zwei Rechtsbegriffen, deren Einfluß mit dem der L. C. oft ſo nahe verwandt iſt, daß ſie ſelbſt mit derſelben nicht ſelten identificirt worden ſind. Ich meine die Mora, und die mala fides, oder den unredlichen Beſitz.

Die Mora bezieht ſich auf Obligationen und perſön - liche Klagen, der unredliche Beſitz auf dingliche Rechte und Klagen in rem. Beide enthalten ein Unrecht mit Bewußt -80Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſeyn, ſie ſind daher delictähnlich, und haben auch oft delictartige Folgen. Nur iſt dabei der Unterſchied zu beachten, daß die Mora in einer bloßen Unterlaſſung be - ſteht, und nicht nothwendig auf Dolus, ſondern oft auf bloßem Geldmangel beruht; anſtatt daß der unredliche Be - ſitz in einem poſitiven Handeln beſteht, und ſtets mit Dolus verbunden iſt.

Die L. C. dagegen iſt ein contractähnliches Verhält - niß (§ 258), und hat keine Verwandſchaft mit einem De - lict. Die Führung des Rechtsſtreits iſt an ſich von Seiten des Beklagten nicht nothwendig tadelnswerth, ſelbſt dann wenn am Ende das Urtheil gegen ihn ausfällt.

Nun iſt es eine unter unſeren Schriftſtellern ſehr ver - breitete Behauptung, daß jede L. C., je nachdem die Klage perſönlich, oder in rem iſt, ſtets die Mora oder die mala fides begründe(a)Bayer Civilprozeß S. 233. 234. Linde § 200 Note 4. 5. Daß hier die Annahme der Mora oder der mala fides ſogar auf den Zeitpunkt der Inſinuation zu - rückgeführt wird, beruht auf wei - teren Fragen, deren ſelbſtſtändige Erörterung an ihrem Orte erfol - gen wird. Auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Unterſuchung iſt dieſe fernere Differenz unerheblich.. Nach allgemeiner Betrachtung muß dieſer Satz unbedenklich verworfen werden, theils weil die eben erwähnte juriſtiſche Natur dieſer drei Rechtsbegriffe (die Ähnlichkeit mit Delicten und Contracten) von Grund aus verſchieden iſt, theils weil ſowohl die Mora, als die mala fides, jede ihre eigenthümlichen Bedingungen hat, ſo daß das Daſeyn derſelben in jedem einzelnen Fall von81§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.einer rein factiſchen Frage abhängt, deren Bejahung auf keine Weiſe aus dem Daſeyn der L. C. an ſich gefolgert werden kann(b)Dieſe richtige Auffaſſung, daß das Daſeyn der Mora und der mala fides ſtets eine facti quaestio iſt, findet ſich bei Byn - kershoek obss. VIII. 12, Leyser 83. 5 und 99. 6, Kierulff S. 277 bis 281, Wächter H. 3 S. 106 bis 108.. Dagegen muß auf der anderen Seite unbedingt eingeräumt werden, daß die L. C. großentheils ähnliche Wirkungen herbeiführt, wie die welche aus der Mora oder der mala fides folgen, wenngleich aus ver - ſchiedenen Gründen(c)Leyſer (Note b) überſieht Dieſes, und behauptet deshalb irrig, es dürfe nicht immer von der L. C. an auf Erſatz der Früchte erkannt werden, weil nicht immer die mala fides mit der L. C. ver - bunden ſey..

Die Frage iſt aber nun noch genauer für die Mora und die mala fides beſonders zu erörtern.

A. Mora.

Zur regelmäßigen Begründung der Mora wird erfor - dert, daß der Schuldner zur Erfüllung ſeiner Verpflichtung aufgefordert werde, und ſie ohne Grund unterlaſſe. Es iſt daher keine Mora vorhanden, wenn zwar eine Schuld ſelbſt anerkannt iſt, aber der Betrag derſelben noch nicht feſtſteht; ferner wenn die Schuld ſelbſt als zweifelhaft an - zuſehen iſt. Wenn alſo der aufgeforderte Schuldner ſich verklagen läßt, ſo hängt die Annahme einer Mora von den Umſtänden ab. Sie iſt anzunehmen, wenn er ohne Grund, oder aus offenbar unhaltbaren Gründen, nur um den Gegner hinzuhalten, die Erfüllung verweigert; nichtVI. 682Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.anzunehmen, wenn er Gründe der Weigerung angiebt, wodurch die Vorausſetzung eines rechtswidrigen Willens, eines Unrechts mit Bewußtſeyn, ausgeſchloſſen wird(d)L. 63 de R. J. (50. 17 ) Qui sine dolo malo ad judi - cium provocat, non videtur moram facere. L. 24 pr. de usur. (22. 1) utique si juste ad judicium provocavit. Das heißt nicht: wenn er am Ende Recht behält, und daher freige - ſprochen wird, ſondern es iſt gleich - bedeutend mit dem vorhergehenden sine dolo malo, und drückt den Gegenſatz des frivolen Rechts - ſtreits aus. Eben ſo L. 82 § 1 de V. O. (45. 1 ) Et hic moram videtur fecisse, qui litigare maluit quam restituere, d. h. der es aus reiner Willkühr, ohne ſcheinbaren Grund, auf den Pro - zeß ankommen läßt. (Vgl. unten Note g und § 273. k). L. 47 de usur. (22. 1).. Wer alſo die Schuld beſtreitet, weil er ſeine eigene obli - gatoriſche Handlung nicht mehr zu wiſſen behauptet, wird dem Vorwurf der Mora nicht entgehen; anders wenn ein Erbe die Handlungen ſeines Erblaſſers bezweifelt, oder wenn die Klage durch eine Exception beſtritten wird(e)L. 42 de R. J. (50. 17 ), L. 21 de usur. (22. 1).. Durch dieſe Unterſcheidungen wird die oben behauptete Verwandtſchaft der Mora mit der mala fides beſtätigt. Bei perſönlichen Klagen kann man allgemein annehmen, daß jede frivole (mit dem Bewußtſeyn des Unrechts vorgenom - mene) Prozeßführung des Beklagten ſtets eine Mora vor - ausſetzt, oder wenigſtens jetzt begründet.

Man kann daher behaupten, daß nicht leicht gerade durch die L. C. eine Mora begründet werden wird, ſon - dern daß ſie meiſt entweder früher vorhanden iſt, oder ſpäter anfängt, im äußerſten Fall freilich mit dem rechts - kräftigen Urtheil. Selbſt in dem ſeltenen Fall, wenn der83§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.Kläger jede außergerichtliche Aufforderung vor dem Rechts - ſtreit unterläßt, wird öfter vielleicht die Inſinuation der Klage, weil ſie eine Interpellation enthält, die Mora begrün - den können, die L. C. wird dabei ſeltener in Betracht kommen.

Ganz in dieſem Sinn ſpricht Papinian bei Gelegen - heit der Fideicommiſſe(f)L. 3 pr. de usur. (22. 1).. In den meiſten Fällen, ſagt er, wird das Fideicommiß klar und gewiß ſeyn, dann hat die Mora meiſt ſchon vor dem Rechtsſtreit angefangen, mit der außergerichtlichen Aufforderung. Wenn aber die Gültig - keit und die Höhe des Fideicommiſſes zweifelhaft iſt, z. B. weil der Abzug der Falcidiſchen Quart in Betracht kommt, dann wird die Mora wenigſtens mit dem rechtskräftigen Urtheil anfangen. In dieſer Ueberſicht möglicher Fälle erwähnt er der L. C. gar nicht, ſo daß er dieſen Zeitpunkt gar nicht als erheblichen Moment zur Begründung der Mora an - ſieht; er erwähnt auch ſelbſt die Anſtellung der Klage nicht, ohne Zweifel indem er den in ſolchen Fällen gewöhnlichen Hergang, die außergerichtliche Aufforderung, vorausſetzt.

Wie verbreitet alſo die Behauptung neuerer Schrift - ſteller von einem allgemeinen und nothwendigen Anfang der Mora mit der L. C. auch ſeyn möge, ſo hat ſie doch weder in der Natur der hier einſchlagenden Verhältniſſe, noch in den Quellen des R. R. irgend einen haltbaren Grund(g)Gewöhnlich berufen ſich die Vertheidiger der aus der L. C. entſpringenden Mora auf L. 82. Etwas anders verhält es ſich in der letzten Hinſicht mit der mala fides.

6*84Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

B. Mala fides.

Es finden ſich zwei Stellen des Ulpian, welche die mala fides als nothwendige, unzertrennliche Folge des bloßen Rechtsſtreits ſo beſtimmt auszuſprechen ſcheinen, daß die hierauf gleichfalls gerichtete Behauptung vieler neueren Schriftſteller darin eine ſcheinbare Rechtfertigung findet(h)Andere, weniger entſchei - dend lautende Stellen, wie L. 45 de rei vind. (6. 1) und L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3) werden weiter unten (Note o) erwähnt werden. Am meiſten ſcheint ſich jenen Stellen durch unbedingten Ausdruck anzuſchließen L. 2 C. de fruct. (7. 51, d. h. L. 1 C. Th. eod.): ex eo tempore, ex quo, re in judicium deducta, scien - tiam malae fidei possessionis accepit. Allein dieſe Worte, wie ſie in den meiſten Ausgaben lauten, laſſen doch eine zwiefache Deu - tung zu. Sie können heißen: Von der L. C. an, weil er da - durch in malam fidem kommt oder auch, wenn er dadurch in malam fidem kommt. Anders noch ſtellt ſich die Sache, wenn man mit manchen Hſſ. und mit dem Theodoſiſchen Codex lieſt: malae possessionis (ohne fidei;:

(g)§ 1 de V. O. (45. 1, ſ. o. Note d), die man allerdings ſo verſtehen könnte, als ob jeder Beklagte durch den bloßen Entſchluß zum Rechts - ſtreit in eine Mora verfiele. Nur muß man bei dieſer Erklärung ganz vergeſſen, was aus den um - gebenden übrigen Stellen (Note d) und aus allgemeinen Rechtsgrund - ſätzen unwiderſprechlich folgt, und mit jener Erklärung durchaus nicht zu vereinigen iſt. Alles was man in der hier bekämpften Meinung als wahres Element etwa ein - räumen kann, iſt Folgendes. Die Mora iſt überhaupt der freieſten richterlichen Beurtheilung in jedem einzelnen Fall anheim gegeben (cum sit magis facti quam juris. L. 32 pr. de usur.). Der Rich - ter kann alſo vielleicht finden, daß eine Mora vor allem Rechts - ſtreit, oder daß ſie mit der In - ſinuation, oder auch daß ſie mit der L. C. angefangen hat; dieſes Letzte etwa, wenn bei der L. C. die frivole, unredliche Prozeßfüh - rung ſicher hervorgetreten iſt. Dar - aus laſſen ſich mehrere ſcheinbare Antinomieen befriedigend auflöſen. So z. B. wenn der Anfang der Prozeßzinſen die einem Legatar zu zahlen ſind, bald der Mora, bald der L. C. zugeſchrieben wird (§ 271). Eben ſo bei der Ver - pflichtung des Schuldners, für den zufälligen Untergang der Sache einzuſtehen (§ 273).

85§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.
  • 1. post litem contestatam omnes incipiunt malae fidei possessores esse: quinimo post controversiam motam
    (i)L. 25 § 7 de her. pet. (5. 3).
    (i).
  • 2. ex quo quis scit a se peti incipit esse malae fidei possessor si scit puto debere: coepit enim malae fidei possessor esse
    (k)L. 20 § 11 de her. pet (5. 3).
    (k).

Dieſe Stellen ſind dadurch ſehr wichtig geworden, daß ſie auf die Ausbildung der Rechtstheorie in neueren Zeiten überwiegenden Einfluß ausgeübt haben, wobei nur allzu - ſehr das Bedürfniß unbeachtet geblieben iſt, ſie mit allge - meinen Grundſätzen, ſo wie mit einer großen Zahl ganz anders lautender Stellen des R. R., in Einklang zu bringen. In jenen Stellen aber haben zwei eigenthümliche Meinungen ihre ſcheinbare Rechtfertigung gefunden: erſt - lich die mala fides als allgemeine Folge des bloßen Rechts - ſtreits; zweitens die Zurückführung dieſer Folge ſo wie mancher anderen, von der L. C. auf den Zeitpunkt, worin der Beklagte von dem Anſpruch Nachricht bekommt. Beide Meinungen machen eine ſorgfältige Prüfung nöthig. Die erſte iſt in ihren practiſchen Folgen weniger erheblich ge - worden, theils weil viele Wirkungen der mala fides mit denen der L. C. ohnehin zuſammentreffen, theils weil die einzelnen Wirkungen meiſt durch beſondere, unzweifelhafte(h)vgl. die Noten der Herrmannſchen Ausgabe). Nun iſt gar nicht von einem unredlichen Beſitz die Rede, ſondern von einem unſiche - ren, zweifelhaften; von dieſem Begriff wird noch unten die Rede ſeyn (Note p).86Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vorſchriften geregelt werden. Die zweite dagegen hat die Folge gehabt, daß die neueren Schriftſteller faſt allgemein angenommen haben, das R. R. ſelbſt habe ſchon manche der wichtigſten Wirkungen des Rechtsſtreits nicht mehr gerade an die L. C. angeknüpft; obgleich ſich auch in dieſer Annahme wieder die mannichfaltigſten Abſtufungen finden.

a) Mala fides als allgemeine Folge des bloßen Rechtsſtreits.

Dieſe Behauptung müſſen wir zunächſt nach allgemeiner Betrachtung entſchieden zurück weiſen. Die Unredlichkeit des Bewußtſeyns iſt, wie ſchon oben bemerkt wurde, eine reine Thatſache, die nur aus den Umſtänden jedes ein - zelnen Falls erkannt, nicht aus dem allgemeinen Daſeyn des bloßen Rechtsſtreits gefolgert werden kann. Sie wird alſo oft vor dem Rechtsſtreit vorhanden ſeyn, oft während des ganzen Rechtsſtreits fehlen, welches beſonders durch die Erwägung einleuchtend wird, daß ja der Beklagte mit Unrecht verurtheilt werden kann, und in dieſem Fall doch gewiß kein unredliches Bewußtſeyn gehabt hat. Eine An - knüpfung an die L. C. hat alſo gar keinen inneren Grund(l)Ganz verwerflich iſt die Er - klärung von Bynkershoek obss. VIII. 12, die Römer hätten mit der Klage ſogleich ihre Beweis - urkunden vorgelegt, daher ſey bei ihnen der Beklagte ſtets im An - fang des Rechtsſtreits von ſeinem Unrecht überführt worden. Allein ſehr viele Prozeſſe werden gar nicht aus Urkunden entſchieden, und eben ſo kann die Beweiskraft der vorgebrachten Urkunden oft zwei - felhaft ſeyn, ja ſelbſt vom Richter mit Unrecht angenommen werden. Er folgert daraus, daß jene An - nahme für uns nicht mehr gelte, und ſchließt daraus weiter ganz irrig, daß wir auch keine Prozeß -,87§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.und ſie könnte alſo nur auf einer Fiction des Dolus be - ruhen, der gefährlichſten und willkührlichſten aller Fictionen, wovon ſich anderwärts nirgend eine Spur findet.

Ganz in dieſem Sinn entſcheidet Paulus unſre Frage in einer ſpeciellen Anwendung(m)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). . Wenn nach der L. C. die mit einer hereditatis petitio oder einer Vindi - cation eingeklagte Sache durch Zufall untergeht, ſo ent - ſteht die Frage, ob der Beklagte als ſolcher unbedingt dafür Erſatz geben muß. Nach den Worten des oben an - geführten Senatsſchluſſes konnte man Dieſes bei der here - ditatis petitio annehmen, und daher hatten es auch wirk - lich Manche, und ſelbſt bei der Vindication, angenommen. Paulus aber ſagt, man müſſe überall unterſcheiden zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer. Der unredliche müſſe für den Zufall einſtehen, der redliche nicht, wofür der folgende ſehr einleuchtende Grund ange - geben wird: Nec enim debet possessor aut mortalitatem praestare, aut propter metum hujus periculi temere indefensum jus suum relinquere.

Hier iſt ganz deutlich anerkannt, daß der redliche Be - ſitzer durch die L. C. nicht zu einem unredlichen werde, und daß man ihm nicht zumuthen könne, die Verfolgung ſeines vermeintlichen Rechts zu unterlaſſen(n)Allerdings iſt der Ausdruck dieſer Stelle von dem Ausdruck der oben angeführten Stellen des Ulpian ſehr verſchieden, dennoch.

(l)zinſen mehr annehmen dürften. Vgl. über einen ähnlichen Irrthum von Leyſer oben Note c.

88Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ich will es verſuchen, den Widerſpruch der angeführ - ten Stellen des Ulpian mit allgemeinen Grundſätzen und mit anderen Stellen zu löſen oder zu vermitteln.

Dazu können zunächſt einige Momente dienen, die an ſich wahr, auch nicht unwichtig, aber doch für den eigent - lichen Zweck noch nicht ausreichend ſind.

Erſtlich iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die L. C. manche Wirkungen mit der mala fides gemein habe, und dieſe Gemeinſchaft in Wirkungen konnte wohl hier und da den nicht ganz vorſichtigen Ausdruck veranlaſſen, als ſey mit der L. C. die mala fides wirklich verbunden. Dieſe Erklärung iſt wohl auf manche, bisher noch nicht berührte, Stellen anwendbar(o)L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3). Der redliche Beſitzer ſoll für Ver - nachläſſigungen der Sache bis zur L. C. nicht verantwortlich ſeyn: postea vero et ipse praedo est, nämlich in Beziehung auf jene Verantwortlichkeit, ſo daß praedo est hier ſo viel heißt als: praedonis loco est. L. 45 de rei vind. (6. 1). Ganz befon - ders aber L. 25 § 7 de her. pet. (5. 3) in den Worten: post mo - tam controversiam omnes pos - sessores pares fiunt, et quasi praedones tenentur. ; für die abſoluten Ausſprüche des Ulpian reicht ſie offenbar nicht aus.

Zweitens kann man eine relative mala fides als Folge der L. C. allerdings annehmen. Selbſt wenn nämlich der(n)iſt ein directer Widerſpruch nicht vorhanden. Ulpian ſpricht nicht von der ſpeciellen Frage wegen des zufälligen Untergangs, womit al - lein ſich hier Paulus beſchäftigt. Dagegen bezieht ſich die Contro - verſe, die Paulus erwähnt, zu - nächſt nur auf die Vindication, ſo daß die wörtliche Behauptung des Ulpian über die mala fides bei der L. C. in der hereditatis pe - titio von Paulus nicht berührt wird. Indeſſen iſt es unzweifel - haft, daß Paulus den Erſatz für den Zufall bei beiden Klagen von dem redlichen Beſitzer abwenden will.89§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.Beklagte die feſte Ueberzeugung von ſeinem guten Recht hat, ſo kann er ſich doch nicht die Möglichkeit verbergen, den Prozeß zu verlieren. Wenn er ſich daher durch Ver - äußerung oder Aufzehrung der Sache wiſſentlich außer Stand ſetzt, der möglichen Verurtheilung zu genügen, ſo liegt in dieſen Handlungen (wenngleich nicht in der Fortſetzung des Beſitzes ſelbſt) eine Unredlichkeit, indem er in der Klage eine Aufforderung ſehen mußte, ſich ſolcher Handlungen zu enthalten(p)L. 10 C. de adqu. poss. (7. 32) ex interposita con - testatione, et causa in judicium deducta, super jure possessio - nis vacillet ac dubitet. Vgl. oben Note h. über die L. 2 C. de fructibus. ; durch dieſelben, wenn er ſie dennoch vornimmt, verfällt er in die mala fides(q)Dieſe richtige Bemerkung findet ſich bei Glück B. 7 S. 547 bis 557 und Kierulff S. 277.. Gerade in dieſer Beziehung ſchreibt auch wirklich Ulpian dem urſprünglich redlichen Beſitzer, von der L. C. an, die gleichartige Verantwortlichkeit mit einem praedo zu(r)L. 25 § 2 de her. pet. (5. 3) ait Senatus: Eos, qui bona invasissent, etiamsi ante litem contestatam fecerint, quo minus possiderent, perinde con - demnandos quasi possiderent. Zu dieſen Worten des Sc. ſetzt der § 7 folgende Erklärung hinzu: Si ante litem contestatam, inquit, fecerint. Hoc ideo ad - jectum, quoniam post litem contestatam omnes pares fiunt, et quasi praedones te - nentur. Alſo von der L. C. an iſt das willkührliche Aufgeben des Beſitzes für alle Arten von Beſitzern eine gleich unredliche und daher gleich verpflichtende Hand - lung.. Dennoch reicht auch die Wahrheit dieſer Bemerkung nicht hin zur Erklärung der abſoluten Behauptung Ulpians, daß jeder Beklagte von der L. C. an wirklich ein unredlicher Beſitzer ſey(s)Ganz beſonders erklären ſich.

90Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die eigentliche Löſung der Schwierigkeit liegt in der beſonderen Natur der Rechtsverhältniſſe, womit wir es hier, bei der Erbſchaftsklage, zu thun haben, und womit ſich ſowohl der Senatsſchluß von K. Hadrian, als Ulpian in den angeführten Stellen, beſchäftigt.

Der Senatsſchluß von Hadrian (das Sc. Juventianum) handelt unmittelbar nur von einer hereditatis petitio des Fiscus auf eine caduca hereditas, und er ſpricht dabei von zweierlei Beklagten: von redlichen Beſitzern, und daneben von denjenigen qui bona invasissent, cum scirent ad se non pertinere, welche von den alten Juriſten gewöhnlich praedones genannt werden. Unter dieſen praedones denkt man ſich meiſt gewöhnliche Diebe oder Räuber, aber ganz mit Unrecht. Die Sache hat vielmehr folgenden Zuſam - menhang.

Nach uraltem R. R. war es Jedem überhaupt geſtattet, Erbſchaftsſachen, die der Erbe noch nicht in Beſitz ge - nommen hatte, ſelbſt an ſich zu nehmen, und durch ein - jährige Uſucapion in ſein Eigenthum zu bringen. Man hatte bei dieſem ſeltſamen Rechtsinſtitut die Abſicht, den Erben zu einer recht ſchleunigen Beſitznahme und Vertretung der Erbſchaft zu bewegen(t)Gajus II. § 52 58. . Solche Beſitzer nun hatten eine zweideutige Natur, und ſtanden gewißermaaßen in der Mitte(s)daraus nicht die Worte in L. 25 § 7 de her. pet. (5. 3) post mo - tam controversiam coepit scire rem ad se non pertinentem possidere is qui interpellatur. Dieſes iſt für den wahrhaft red - lichen Beſitzer augenſcheinlich un - wahr.91§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.zwiſchen redlichen und unredlichen Beſitzern. Sie wußten, daß ſie kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, ſowie ein wahrer Erbe, auf die Sachen hatten (cum scirent ad se non pertinere), aber ſie handelten doch in Kraft einer all - gemeinen geſetzlichen Befugniß, ſie konnten glauben, es werde Niemand die Erbſchaft antreten wollen, ja ſie hatten die Ausſicht, in ſehr kurzer Zeit wahre Eigenthümer durch Uſucapion zu werden. Der Zuſtand derſelben wurde noch verwickelter und zweifelhafter durch dieſelbe Verordnung von Hadrian, indem nunmehr der wahre Erbe auch nach vollendeter Uſucapion die Erbſchaftsſachen durch eine Art von Reſtitution abfordern konnte(u)Gajus II. § 58. .

Die Lage, und beſonders das Bewußtſeyn ſolcher Be - ſitzer mußte durch eine angeſtellte Klage von Grund aus verändert werden. Die bis zu dieſer Zeit mögliche Meinung, daß Niemand ſich der Erbſchaft annehmen wolle, war ſelbſt durch die neue Verordnung nicht ausgeſchloſſen. Sobald aber ein Kläger (ſey es der Erbe, oder der Fiscus) gegen ſie auftrat, hörte die bisherige halbe Redlichkeit ihres Be - wußtſeyns auf, und ſie wurden nun in der That unredliche Beſitzer im vollen Sinne des Worts. Auch mußte dieſe Veränderung eintreten, nicht erſt von der L. C. an, ſondern ſobald ihnen die wirkliche Anſtellung einer Klage bekannt wurde.

Daß nun gerade von dieſem eigenthümlichen Rechtsver - hältniß in dem Senatsſchluß von Hadrian die Rede war,92Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.iſt nach mehreren Stellen ganz unzweifelhaft(v)L. 20 § 6, L. 25 § 2. 3. 5. 6 de her. pet. (5. 3). , und hieraus erklären ſich die oben mitgetheilten abſoluten Aeußerungen des Ulpian über die durch den Prozeß bewirkte mala fides des Beklagten auf ganz einfache Weiſe. Ich muß einräumen, daß nicht bei allen hier einſchlagenden Stellen die Unter - ſcheidung der eben bemerkten verſchiedenen Arten von Be - ſitzern völlig erkennbar und unzweifelhaft durchzuführen iſt. Es muß aber wohl erwogen werden, daß wir die Stellen des Senatsſchluſſes nur durch die unvollſtändigen Auszüge des Ulpian, und die Stellen des Ulpian nur durch die unvollſtändigen Auszüge der Compilatoren kennen. Daher muß es ganz dahin geſtellt bleiben, ob die für uns vor - handene Zweideutigkeit des Ausdrucks, und insbeſondere die nicht überall ſichtbare Unterſcheidung der wahrhaft redlichen Beſitzer von jenen zweideutigen, aus einer urſprünglich ungenauen Rede der Verfaſſer, oder aus der Unvollſtändigkeit der überlieferten Auszüge hervorgegangen iſt.

Nimmt man dieſe Erklärung an, und erwägt man zugleich, daß jenes eigenthümliche Rechtsverhältniß ſchon im Juſtinianiſchen Recht völlig verſchwunden war, ſo iſt es einleuchtend, daß aus den angeführten Stellen des Ulpian für die mala fides als allgemeine, auf alle Arten von Klagen anwendbare Folge der L. C. durchaus kein Beweis geführt werden kann.

b) Zurückführung der Folgen der L. C. auf den Zeit -93§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.punkt, worin der Beklagte von dem Anſpruch Nachricht bekommt.

Dieſe wichtige Aenderung wird in folgenden ganz deut - lichen Worten des Senatsſchluſſes von Hadrian aufge - ſtellt, worauf ſich die Erklärungen des Ulpian beziehen(w)L. 20 § 6 de her. pet. (5. 3), verglichen mit § 11 eod. und L. 25 § 7 eod. : Petitam autem fisco hereditatem ex eo tempore exi - stimandum esse, quo primum scierit quisque eam a se peti, id est cum primum aut denunciatum esset ei, aut litteris vel edicto evocatus esset, censuerunt.

Dieſe Abweichung von ſo vielen anderen Ausſprüchen des R. R. iſt aus folgenden zwei, von einander ganz un - abhängigen, Umſtänden zu erklären.

Erſtlich, aus der ganz eigenthümlichen Lage des eben erwähnten, nur bei der hereditatis petitio vorkommenden praedo, deſſen entſchiedene mala fides allerdings ſchon von der ihm bekannt gewordenen Anſtellung der Klage ange - nommen werden mußte. Von dieſem Umſtand iſt ſo eben ſchon ausführlich geredet worden.

Zweitens daraus, daß der Senatsſchluß von Hadrian nur von Fiscalklagen auf verfallene Erbſchaften handelte. Dieſe Fiscalklagen wurden aber nicht im ordentlichen Pro - zeß vor den gewöhnlichen Obrigkeiten, in welchem allein eine wahre L. C. vorkommen konnte, ſondern extra ordi - nem vor den Fiscalbeamten verhandelt, und es bedurfte alſo dabei eines Surrogates für die L. C. (§ 257). Dieſes94Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Surrogat, welches man bei allen extraordinären Prozeſſen aufzuſuchen hatte, wurde in dieſem Fall durch den Senats - ſchluß ſelbſt in den Zeitpunkt geſetzt, in welchem entweder eine denunciatio, oder eine evocatio litteris vel edicto ein - getreten war; dieſes war eine ganz poſitive Beſtimmung, die aus der allgemeinen Natur der extraordinären Klagen keines - weges folgte (§ 257), und die einen fiscaliſchen Character hat.

Die beiden eben angeführten Umſtände, woraus ſich die Beſtimmung eines beſonderen Zeitpunktes, abweichend von der L. C., befriedigend erklärt, ſind ſchon dem Juſtiniani - ſchen Recht völlig fremd, und es kann daher in der That aus dieſen Stellen nicht bewieſen werden, daß im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts ein anderer Zeitpunkt als der der L. C. für irgend eine Wirkung anzunehmen ſey.

Auch wenn man die hier verſuchte Löſung mit ihren Folgen nicht annehmen wollte, ſo kann doch auf keine Weiſe die Art gebilligt werden, wie die meiſten neueren Schriftſteller die hier unterſuchten Stellen des Ulpian zu behandeln pflegen. Man betrachtet nämlich meiſt den wört - lichen Inhalt dieſer Stellen als die entſcheidende, für alle Klagen überhaupt anwendbare, Regel des neueſten Rechts, und ignorirt daneben die ſehr zahlreichen übrigen Stellen, die damit geradezu im Widerſpruch ſtehen, indem ſie noch immer die L. C. als den entſcheidenden Zeitpunkt für die im Rechtsſtreit eintretenden Wirkungen anerkennen. Dieſes Verfahren aber muß als willkürlich und unkritiſch ſchlecht - hin verworfen werden. Man kann ſich auch nicht mit der95§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.Annahme helfen, als ob hierin eine Controverſe der alten Juriſten, oder etwa ein Verhältniß des neueren Rechts zu einem abgeſchafften älteren Rechtsgrundſatz vorläge. Denn die Stellen, worin die L. C. als entſcheidender Zeitpunkt angegeben wird, rühren theilweiſe aus derſelben Zeit, ja von demſelben Ulpian her, aus deſſen Stellen man be - weiſen will, daß ein anderer und früherer Zeitpunkt allge - mein an die Stelle der L. C. geſetzt worden ſey.

Wollte man ſich hierin genau an den Buchſtaben des Juſtinianiſchen Rechts halten, ſo würde doch nur folgende Annahme übrig bleiben. Bei der Erbſchaftsklage müßte, abweichend von allen übrigen Klagen, ein etwas früherer Termin für den Anfang der materiellen Wirkungen des Rechtsſtreits angenommen werden: nämlich anſtatt der L. C. ſchon die Bekanntmachung der erhobenen Klage, alſo die Inſinuation. Allein bei dieſer Behauptung muß man zugeben, daß dieſe Eigenthümlichkeit ihren Grund hatte, nicht in der inneren Natur jener Klage ſelbſt, ſondern in hiſtoriſchen Umſtänden, die zu Juſtinians Zeit längſt ver - ſchwunden waren, ſo daß die Aufbewahrung dieſer Eigen - thümlichkeit in den Digeſten in jedem Fall (auch wenn man ſie noch als practiſches Recht gelten laſſen will) zu den mancherlei Inconſequenzen zu rechnen iſt, die den Compi - latoren zum Vorwurf gereichen(x)Der Senatsſchluß von Ha - drian nämlich, der urſprünglich nur für die fiscaliſche heredita - tis petitio, alſo für eine publica causa, eingeführt war, wurde nach - her auch auf die Erbrechtsklage der.

96Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt hier gezeigt worden, welche Schwankungen ſchon in die Aeußerungen der alten Juriſten aus beſonderen hiſto - riſchen Veranlaſſungen gekommen ſind, und wie ſich dieſe in die neuere juriſtiſche Literatur fortgepflanzt haben, darin aber durch mancherlei Misverſtändniſſe noch erweitert worden ſind. Dabei iſt es lehrreich zu ſehen, welchen Einfluß wie - derum dieſe Literatur des gemeinen Rechts auf die neuere Geſetzgebung gehabt hat, obgleich man hier freie Hand hatte, diejenigen Beſtimmungen zu treffen, die dem inneren Bedürfniß angemeſſen waren.

Das Preußiſche Allgemeine Landrecht hat dieſe Lehre in den Titel vom Beſitz aufgenommen, und hier in folgender Weiſe behandelt(y)A. L. R., Th. 1 Tit. 7. Die ſehr merkwürdigen Materialien zu dieſem Titel ſind abgedruckt in: Simon u. Strampff Zeitſchrift für preußiſches Recht B. 3. Ber - lin 1836. 8..

Es wird daſelbſt in eben ſo abſoluten Ausdrücken, wie es oben in einigen Stellen des Ulpian über die hereditatis petitio nachgewieſen worden iſt (Note h. k) dem Rechts - ſtreit an ſich die Wirkung zugeſchrieben, den Beklagten in den Zuſtand eines unredlichen Beſitzers zu verſetzen, und zwar wird der Anfang dieſes Zuſtandes, wenn nur(x)Privatperſonen angewendet und da - durch zum gemeinen Recht gemacht (L. 20 § 6. 11 de her. pet., 5. 3); ob aber in allen ſeinen Theilen, oder nur in denen, die in der That auch auf Privatkläger paßten, kann bezweifelt werden. Die Beſtim - mung des § 6: aut denunciatum esset ei, aut litteris vel edicto evocatus esset ſcheint doch auf Privatklagen gar nicht zu paſſen, während andere Beſtimmungen, z. B. über das dolo facere quo minus possiderent, und die ver - ſchiedene Behandlung des bonae fidei und malae fidei possessor, überall anwendbar ſind.97§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.nicht ein früheres unredliches Bewußtſeyn nachgewieſen werden kann, mit der Inſinuation der Klage angenommen.

  • §. 222. Wenn kein früherer Zeitpunkt der Unredlich - keit des Beſitzes ausgemittelt werden kann, ſo wird der Tag der dem Beſitzer durch die Gerichte behändigten Klage dafür angenommen.

Dieſer Ausſpruch ſtimmt mit der Lehre vieler neuerer Romaniſten wörtlich überein. Man iſt jedoch bei der Be - arbeitung des Preußiſchen Geſetzes erſt allmälig auf dieſe Vorſchrift gekommen. In irgend einem älteren Entwurf war der Zeitpunkt des eröffneten Urtheils als Anfang der Unredlichkeit angenommen worden. Dieſer Beſtimmung widerſprach Tevenar, indem er behauptete, jeder nicht rechtmäßige Beſitzer könne und ſolle aus der inſinuirten Klage ſein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht ein - ſehen wolle, ſo verdiene dieſe Verſtockung keine Scho - nung(z)Simon a. a. O., S. 171. Dieſe ganz willkührliche Behaup - tung wird durch die ſehr gewöhn - liche Erfahrung widerlegt, daß viele Beklagte, die am Ende verurtheilt werden, dennoch den Prozeß mit feſter Ueberzeugung von ihrem Recht durchführen. Wer hieran zweifeln wollte, möge doch erwägen, wie oft in Richtercollegien verſchiedene Meinungen über Freiſprechung oder Verurtheilung vorkommen. Was nun die Minorität redlich glaubt, muß wohl auch dem Beklagten zu glauben geſtattet werden.. Dazu bemerkte Suarez: damit bin ich völlig einverſtanden, entkräftete aber ſogleich dieſe Beſtimmung durch den Zuſatz: Übrigens iſt es ja dem Richter über - laſſen, den Anfang der Unredlichkeit nach den Umſtänden auch anders zu beſtimmen.

VI. 798Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ganz im Sinn dieſer letzten Äußerung wurde nun die Vorſchrift in dem gedruckten Entwurf des Geſetzbuchs ſo gefaßt(aa)Entwurf eines Geſetzbuchs für die Pr. Staaten Th. 2 (1787) Tit. 4 § 153.: Wenn kein früherer oder ſpäterer Zeitpunkt der Unredlichkeit des Beſitzes ausgemittelt worden, ſo wird der Tag der .. Behändigung der Klage dafür ange - nommen.

Dadurch wurde der Inſinuation die Kraft einer ziemlich unſchuldigen und wirkungsloſen Präſumtion beigelegt, und Alles in des Richters freies Ermeſſen geſtellt. Allein da - gegen wurden wieder große Bedenken erhoben; Goßler behauptete, mit anderen Monenten, Ueberzeugung ſey ein Internum, worauf der Geſetzgeber ſich nicht einlaſſen könne; daher müſſe das Geſetz den Anfang der Unredlichkeit unab - änderlich beſtimmen, und die Alternative ( oder ſpä - terer ) müſſe weggelaſſen werden(bb)Simon S. 321. 322.. So iſt es denn auch in dem A. L. R. geſchehen, wie die oben abgedruckte Stelle zeigt, worin die früher vorgeſchlagene Präſumtion nunmehr die Natur einer abſoluten Vorſchrift, einer Fiction der mala fides, angenommen hat, ganz übereinſtimmend mit den ſo eben vorgelegten Motiven dieſer Abänderung. Wie wenig aber damit die Sache zu ſicherer Entſcheidung und zu klaren, feſten Begriffen gebracht war, zeigt folgende Äußerung von Suarez(cc)Simon S. 330 No. 2. (Vgl. auch ebendaſelbſt S. 633). Die in dieſer Äußerung von Sua - rez zuſammengeſtellten ſubtilen Un -. Er unterſcheidet dreierlei99§. 264. Wirkung der L. C. Umfang. Einleitung.mögliche Zuſtände in dem Bewußtſeyn des Beſitzers: 1. unredlicher Beſitzer; dahin gehört jeder, dem die Klage inſinuirt iſt; ferner jeder, der ſeinen Beſitz aus einem ver - ſchuldeten factiſchen Irrthum für rechtmäßig hält; endlich jeder, der bei Erlangung des Beſitzes an der Rechtmäßig - keit zweifelt; 2) Beſitzer, der es weiß, daß ſeine Poſ - ſeſſion unrechtmäßig ſey (d. h. der wahre malae fidei possessor); 3. betrüglicher Beſitzer, d. h. der dolose zum Beſitz gelangt iſt. Zu allen dieſen kommt aber noch (als eine ganz beſondere Klaſſe) der Beſitzer, der durch eine ſtrafbare Handlung zum Beſitz gelangt iſt(dd)Simon S. 332 No. 12..

Alle dieſe Beſtimmungen ſchließen ſich in der Haupt - ſache (nur mit etwas ſubtileren Unterſchieden) an die Auf - faſſung neuerer Romaniſten an, welche gleichfalls die Fiction einer mala fides auf den Anfang des Rechtsſtreits grün - den(ee)Wollte man noch etwa be - zweifeln, daß Suarez mit der von ihm fingirten mala fides durchaus nicht etwas Neues ein - zuführen vermeinte, ſondern ledig - lich an das damals beſtehende R. R. dachte, ſo würde dieſer Zweifel durch zwei andere von ihm her - rührende Äußerungen gänzlich be - ſeitigt werden. Kamptz Jahr - bücher B. 41 S. 8. 9.. So wie bei dieſen, hat auch im A. L. R. die erwähnte Fiction keinen anderen Zweck, als einen Rechts - grund abzugeben für die Verpflichtung des Beklagten, die während des Rechtsſtreits bezogenen Nutzungen (die omnis causa) heraus zu geben(ff)A. L. R. § 223 228, ver - bunden mit § 222.. Die Aehnlichkeit der Auf -(cc)terſcheidungen ſind denn auch in das A. L. R., nicht zu deſſen Vor - theil, übergegangen: Th. 1 Tit. 7 § 11 17. 222. 229. 239 242.7*100Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.faſſung zeigt ſich auch darin, daß das Preußiſche Recht (ſo wie jene neuere Romaniſten) aus dem Anfang des Rechtsſtreits die Mora, eben ſo wie die Fiction der Unred - lichkeit, entſpringen läßt, und an die Mora dieſelben Wir - kungen knüpft, welche aus dem unredlichen Beſitz ent - ſpringen(gg)A. G. O., Th. 1 Tit. 7 § 48. d, und A. L. R. Th. 1 Tit. 16 § 18. Ohne Zweifel aber ſoll hier in den Wirkungen die Mora nur dem unredlichen Beſitz des § 222 (I. 7.) gleich geſtellt werden, d. h. alſo der leichteſten Art des unredlichen Beſitzes überhaupt (nach der Auffaſſung von Sua - rez ſ. o. Note cc)..

Die entſchiedene Abweichung dieſer ganzen Auffaſſung von dem wahren R. R. beſteht aber darin, daß das R. R. den Rechtsſtreit als ſolchen, den es in der L. C. gleichſam perſonificirt, zum Entſtehungsgrund einer eigenthümlichen Obligation macht, unabhängig von unredlichem Beſitz und von Mora, die daneben vorhanden ſeyn können oder nicht. Dieſe eigenthümliche Obligation des R. R. wird im A. L. R. ignorirt. Die practiſche Folge, daß die omnis causa geleiſtet werden muß, iſt hier wie dort dieſelbe, und in ſofern hat allerdings dieſe Abweichung eine mehr theoretiſche als prac - tiſche Natur. Gerade daraus aber erhellt um ſo mehr, daß dieſe Abweichung im A. L. R. nicht mit Bewußtſeyn, in der Abſicht einer practiſchen Verbeſſerung, vorgenommen worden iſt. Aus den oben angeführten Stellen der Mate - rialien geht auch klar hervor, daß man ſich im Ganzen an die damals herrſchende Lehre des gemeinen Rechts an - ſchließen, und dieſe höchſtens etwas genauer beſtimmen wollte.

101§. 265. Wirkung der L. C. Erweiterungen.

§. 265. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen.

Die Wirkung der L. C. auf den Umfang der Verur - theilung äußert ſich zunächſt in den Erweiterungen, welche zu dem urſprünglichen Gegenſtand des Rechtsſtreits nach der L. C. hinzutreten können, und deren Werth dem Kläger für den Fall der Verurtheilung verſchafft werden ſoll (§ 264). Es iſt hier zuerſt eine Ueberſicht über die verſchiedenen Arten ſolcher Erweiterungen zu geben, dann aber die Behandlung derſelben bei den einzelnen Klaſſen der Klagen zu beſtimmen.

Die Erweiterungen laſſen ſich auf zwei Hauptarten zu - rück führen, die ich als Früchte (regelmäßigen Erwerb) und zufälligen Erwerb bezeichne.

Der urſprüngliche Begriff der Frucht ſteht in Verbin - dung mit den Geſetzen der organiſchen Natur. Was nach dieſen Geſetzen aus einer Sache erzeugt wird, heißt eine Frucht dieſer Sache.

Dieſer an ſich bloß natürliche Begriff bekommt eine juriſtiſche Bedeutung durch folgende Eigenſchaften ſolcher Erzeugniſſe. Sie ſind einer periodiſchen Wiederholung empfänglich, auf welche mit mehr oder weniger Sicherheit gerechnet werden kann. Daher iſt dieſe Fähigkeit zur Fruchterzeugung dasjenige, wodurch die fruchttragende Sache vorzugsweiſe (oft ganz allein) Werth für den Verkehr be -102Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzungkommt, um deren Willen wir ſie zu erwerben und zu haben pflegen. Die wichtigſten Fälle der Anwendung dieſes Begriffs ſind: Pflanzen jeder Art, ſo wie die einzelnen Beſtandtheile der Pflanzen, als Früchte des Bodens. Eben ſo bei Thieren: die Jungen (als Früchte der Mutter), die Wolle, die Milch.

Nun findet ſich aber unter denjenigen Erwerbungen, welche ſich lediglich auf Rechtsgeſchäfte gründen, alſo mit den Geſetzen der organiſchen Natur nichts gemein haben, manche Fälle, in welchen die eben erwähnten juriſtiſchen Eigenſchaften der Früchte gleichfalls wahrgenommen werden: namentlich die Abhängigkeit des Erwerbs von einem ſchon vorhandenen anderen Vermögensſtück, die periodiſche Repro - duction, die Wahrſcheinlichkeit, mit der auf ſie gerechnet werden kann, ſowie der Werth den durch ſie das zum Grund liegende Vermögensſtück erhält. Wegen dieſer ähnlichen Eigenſchaften werden ſolche Erwerbungen den Früchten gleich geachtet, oder nach der Analogie der Früchte behandelt(a)L. 34. de usuris (22. 1) vicem fructuum obtinent, L. 36. eod. pro fructibus acci - piuntur, L. 121 de V.S. (50. 16 ) Usura pecuniae, quam perci - pimus, in fructu non est: quia non ex ipso corpore, sed ex alia causa est, id est, nova obligatione. Das: in fructu non est iſt nach dieſer Zuſammen - ſtellung gleichbedeutend mit dem: pro fructibus und vicem obti - nent der vorhergehenden Stellen; der hinzugefügte Grund läßt über die Richtigkeit dieſer Erklärung keinen Zweifel.. Die wichtigſten Fälle derſelben ſind: Pacht - und Miethgeld von Grundſtücken und beweglichen103§. 265. Wirkung der L. C. Erweiterungen.Sachen, die Zinſen eines Capitals(b)L. 34 de usuris (22. 1 ) Usurae vicem fructuum obti - nent: et merito non debent a fructibus separari. Die ſchein - bar widerſprechenden Worte der L. 121 de V. S. (Note a) usura in fructu non est, wollen alſo nur ſagen, daß die Zinſen nicht durch organiſche Erzeugung, ſon - dern vermittelſt eines Rechtsge - ſchäfts, erworben werden. Mit anderen Worten ſagt daſſelbe Pa - pinian in L. 62 pr. de rei vind. (6. 1) vectura, sicut usura, non natura pervenit, sed jure percipitur, in welcher Stelle die Gleichartigkeit des Erwerbes an dem Miethgeld und an den Geldzinſen anerkannt wird., ſo wie bei den Römern jeder aus der Arbeit von Sclaven hervorgehende Erwerb, indem die Arbeit als die regelmäßige und natür - liche Benutzung der Sclaven angeſehen wurde.

Die Neueren nennen die hier aufgeſtellten zwei Klaſſen von Früchten: fructus naturales und civiles.

Bei den eigentlichen (organiſchen) Früchten wird das Eigenthum unmittelbar durch die organiſche Erzeugung dem Eigenthümer der fruchttragenden Sache, auch ohne deſſen Wiſſen und Zuthun, erworben. Sie ſind zunächſt bloß Beſtandtheile der fruchttragenden Sache, und werden erſt durch die Abſonderung von derſelben ſelbſtſtändige Ver - mögensſtücke(c)L. 15 pr. de pign. (20. 1 ), L. 83 pro soc. (17. 2).. Das ſo erworbene Eigenthum hört auf durch Aufzehrung oder Veräußerung (fructus consumti), nach welcher höchſtens der Geldwerth derſelben im Ver - mögen zurück bleiben kann.

Bei den ſ. g. civilen Früchten entſteht eine Erwerbung von Eigenthum gar nicht durch ihre eigenthümliche Frucht - natur, ſondern ſo wie bei anderen Rechtsgeſchäften durch104Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Tradition(d)Das Product der Sclaven - arbeit wurde bei den Römern er - worben in Folge des allgemeinen Grundſatzes, nach welchem alle zum Erwerb geeignete Handlungen eines Sclaven dem Herrn zu gut kom - men konnten und mußten; alſo nicht eigentlich durch ein Rechts - geſchäft, aber doch vermöge einer poſitiven Rechtsregel.. Sie ſtehen alſo gleich Anfangs zu dem Erwerber in demſelben Verhältniß, wie die organiſchen Früchte nach der Veräußerung, d. h. ſie haben von Anfang an die Natur der fructus consumti.

Mit der erwähnten beſonders wichtigen Eigenſchaft aller Früchte, nach welcher auf ſie eine regelmäßige Erwartung, eine wahre Berechnung, gerichtet werden kann, ſteht noch folgender Rechtsbegriff in Verbindung. Wer durch das fruchttragende Vermögensſtück in der Lage iſt, Früchte zu erwerben, kann dieſe Fähigkeit entweder gebrauchen, oder auch (abſichtlich oder aus Unthätigkeit) unbenutzt laſſen. Dieſe Unterlaſſung iſt an ſich eben ſo gleichgültig, wie jede andere verſtändige oder unverſtändige Behandlung des Ei - genthums. Sie kann aber eine juriſtiſche Bedeutung bekommen, wenn der Unterlaſſende in einem beſonderen Rechtsverhältniß ſteht, das ihn zur Sorgfalt verpflichtet. Dieſen Fall bezeichnen neuere Schriftſteller durch den Aus - druck fructus percipiendi, welcher weder römiſch noch an ſich zweckmäßig iſt(e)Ich will nicht ſagen, daß an ſich die Zuſammenſetzung dieſer beiden Ausdrücke unlateiniſch ſey, allein als techniſche Bezeichnung des oben angegebenen Verhältniſſes kommt ſie bei den Römern nie - mals vor, welche ſtets Umſchrei - bungen dafür gebrauchen. Der Ausdruck iſt auch unpaſſend, weil er an ſich auch auf die nur noch nicht. Ich werde dafür den Ausdruck: verſäumte Früchte gebrauchen.

105§. 265. Wirkung der L. C. Erweiterungen.

Unter den zufälligen Erwerb aus ſchon vorhandenen anderen Vermögensſtücken werden wir alle diejenigen Fälle zu rechnen haben, in welchen die oben angegebenen Eigen - ſchaften der Früchte fehlen, ſo daß namentlich ihre regel - mäßige Entſtehung nicht der Grund iſt, um deſſen Willen wir die Hauptſache zu haben pflegen. Dahin gehören folgende Fälle: Die Erweiterung eines Grundſtücks durch Alluvion u. ſ. w. Die Bereicherung durch Poenalklagen, in Folge der an unſren Sachen verübten Verletzungen. Ferner bei den Römern der Erwerb eines Herrn aus den Erbſchaften oder Legaten, welche ſeinen Sclaven hinterlaſſen wurden, ſo wie der Eigenthums-Erwerb des Herrn an den von ſeiner Sclavin gebornen Kindern(f)Allerdings ſtehen nach na - türlicher Betrachtung die Sclaven - kinder zu der Mutter in demſelben organiſchen Verhältniß, wie die Jungen der Thiere. Der Grund, weshalb ſie nicht als Früchte an - geſehen wurden, lag darin: quia non temere ancillae ejus rei causa comparantur, ut pa - riant. (L. 27 pr. de her. pet. 5. 3). Das war die Anſicht der Römer, als ſie noch nichts von Chriſtenthum wußten. Bekanntlich haben die chriſtlichen Einwohner der Nordamerikaniſchen Sclaven - ſtaaten andere Anſichten und Ge - wohnheiten..

Alle dieſe Gegenſtände kommen für unſre gegenwärtige Unterſuchung in ſofern in Betracht, als ſie wegen ihrer Entſtehung während eines Rechtsſtreits auf den Umfang der Verurtheilung in der Hauptſache Einfluß haben können. Es darf aber dabei nicht überſehen werden, daß dabei auch noch andere Rechtsverhältniſſe und ſelbſtſtändige Klagen in(e)abgeſonderten, ſelbſt auf die un - reifen Früchte paßt, ſo daß das entſcheidende Moment des Verſäum - niſſes oder der Unterlaſſung und des daraus entſpringenden Verluſtes, darin gar nicht angedeutet iſt.106Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Betracht kommen können: insbeſondere bei den organiſchen Früchten, wenn ſie von der Hauptſache abgeſondert ſind, eigene Vindicationen, oder, als Surrogate derſelben Con - dictionen(g)S. o. B. 5 S. 524 Note b. .

Wenn nun behauptet wird, daß irgend ein Anſpruch auf ſolche Gegenſtände Wirkung der L. C. ſey, ſo ſetzt dieſe Behauptung nothwendig voraus, daß, abgeſehen von der L. C. und vor derſelben, dieſer Anſpruch gar nicht, oder doch nicht in gleichem Umfange, vorhanden ſey. Dieſe Differenz, worin die eigenthümliche Wirkung der L. C. beſteht, muß für jeden einzelnen Fall genau angegeben werden.

§. 266. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a. Erweiterungen. (Fortſetzung.)

Es iſt jetzt zu unterſuchen, wie die Erweiterungen, deren Natur im § 265 angegeben worden iſt, auf die ein - zelnen Klaſſen der Klagen anzuwenden ſind. Dabei muß zum Grund gelegt werden die Unterſcheidung der Klagen in rem von den perſönlichen Klagen.

A. Klagen in rem.

  • 1. Eigenthumsklage, das heißt die rei vindicatio der Di - geſten, oder die petitoria formula bei Gajus, welche eine arbitraria actio, alſo eine Klage der freieſten Art war.
107§. 266. Wirkung der L. C. Erweiterungen. (Fortſ.)
  • 2. Erbſchaftsklage, d. h. die hereditatis petitio der Digeſten, oder die petitoria formula in Beziehung auf Erbſchaften.

Beide Klagen müſſen hier zuſammengefaßt werden, theils weil ſie nur in dieſer Verbindung richtig beurtheilt werden können, theils weil in der umfaſſendſten Stelle aus - drücklich bezeugt wird, daß für beide die hier vorliegende Frage völlig gleich zu beantworten ſey(a)§ 2 J. de off. jud. (4. 17).. Im All - gemeinen wird die Regel aufgeſtellt, daß die Verurtheilung auch die omnis causa umfaſſen müſſe, alſo ſowohl Früchte im ausgedehnteſten Sinn des Worts, als auch den zufälligen Erwerb, welcher nicht die Natur von Früchten hat(b)Für die Eigenthumsklage: L. 17 § 1, L. 20. 35 § 1 de rei vind. (6. 1). Für die Erbrechtsklage: L. 25 § 9, L. 27 pr., L. 29 de her. pet. (5. 3)..

Der Einfluß der L. C. auf die Anwendung dieſer Regel iſt auf folgende Weiſe zu beſtimmen(c)§ 2 J. de off. jud. (4. 17 ), L. 22 C. de rei vind. (3. 32).:

a) der redliche Beſitzer ſoll ſich bereichern dürfen durch alle vor der L. C. gewonnene Früchte, nur mit Ausnahme derjenigen organiſchen Früchte, welche noch zur Zeit der L. C. in Natur vorräthig ſind. Dagegen ſoll Derſelbe, von der Zeit der L. C. an, nicht nur den Werth der ver - zehrten und veräußerten, ſondern auch den Werth der verſäumten Früchte erſetzen.

Hier iſt alſo die Wirkung der L. C. ſehr bedeutend, und der Grund derſelben liegt in dem obligatoriſchen Ver - hältniß der L. C., welches ihn nöthigt, die Sache als eine108Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vielleicht fremde anzuſehen und zu verwalten, und dabei für ſeine Culpa einzuſtehen(d)§ 2 J. de off. jud. (4. 17) qui culpa possessoris percepti non sunt. Paulus I. 13 A. § 9: Hi fructus in restitutione praestandi sunt petitori, quos unusquisque diligens paterfami - lias et honestus colligere po - tuisset. .

b) Daß der unredliche Beſitzer, von der L. C. an, ebenſo ſtrenge Verpflichtungen hat wie der redliche, verſteht ſich von ſelbſt. Bei ihm aber wird dieſelbe Strenge auch für die ganze Dauer des Beſitzes vor der L. C. geltend gemacht, ſo daß hierin an die L. C. gar keine praktiſche Wirkung mehr angeknüpft iſt. Indeſſen war Dieſes bei dem unredlichen Beſitzer nicht der urſprüngliche Grund - ſatz; vielmehr ſollte er vor der L. C., weil er noch in keinem obligatoriſchen Verhältniß ſtand, nicht für die ver - ſäumten Früchte einſtehen. Erſt das Sc. Juventianum verordnete, daß bei der Erbſchaftsklage der unredliche Be - ſitzer vom Anfang ſeines Beſitzes an ſo beurtheilt werden ſollte, als ob er in einem obligatoriſchen (offenbar delict - artigen) Verhältniß geſtanden hätte. Man nannte dieſes den dolus praeteritus(e)L. 20 § 6, L. 25 § 2. 7, L. 13 § 2 de her. pet. (5. 3)., und folgerte daraus u. a. auch die Verpflichtung, für die vor der L. C. verſäumten Früchte Entſchädigung zu leiſten(f)L. 25 § 4. 9 de her. pet. (5. 3).. Dieſe gegen den unredlichen Beſitzer neu eingeführte Strenge, wodurch für ihn die L. C. ihren practiſchen Einfluß verlor, wurde dann durch die109§. 266. Wirkung der L. C. Erweiterungen. (Fortſ.)alten Juriſten von der Erbſchaftsklage auch auf die Eigen - thumsklage ausgedehnt(g)L. 27 § 3 de rei vind. (6. 1)..

Die hier aufgeſtellten Grundſätze über die Wirkung der L. C. bei der Eigenthumsklage waren ihrem Princip nach keine neue Erfindung der Römiſchen Juriſten, ſondern bloß die genauere Entwicklung uralter Rechtsregeln. Dieſe ſind anerkannt ſchon in den alten praedes litis et vindiciarum(h)Gajus IV. § 91. 94., in welchem Kunſtausdruck vindiciae die Früchte bedeutet. Daneben galt im älteren Recht ſogar noch eine Verpflichtung des Beklagten zum doppelten Erſatz der Früchte, welche jedoch im neueſten Recht ſpurlos verſchwunden iſt(i)Paulus V. 19 § 2, L. 1 pr. C. Th. de us. rei jud. (4. 19 ), L. 1 C. Th. de fruct. (4. 18), aus welcher interpolirt iſt, die L. 2 C. de fruct. (7. 51); beide Texte zuſammengeſtellt bei Heimbach Lehre von der Frucht S. 160. L. Rom. Burg. ed. Barkow Tit. 8 lin. 17 20, Tit. 35 lin. 11 bis 13. Der ſehr dunkle Zu - ſammenhang dieſes Rechtsinſtituts ſoll hier nicht weiter verfolgt werden, da er auf das neueſte Recht ganz ohne Einfluß iſt. Vgl. darüber Heimbach S. 163 166..

  • 3. Die actio ad exhibendum iſt zwar eine perſönliche Klage, wird aber in Hinſicht auf die hier vor - liegende Frage ganz nach den Grundſätzen der Eigen - thumsklage beurtheilt
    (k)§ 3 J. de off. jud. (4. 17 ), L. 9 § 5 8 ad exhib. (10. 4).
    (k). Daſſelbe gilt von folgenden Klagen:
  • 4. A. finium regundorum
    (l)L. 4 § 2 fin. reg. (10. 1).
    (l).
  • 5. A. confessoria
    (m)L. 5 § 4 si ususfr. (7. 6 ), L. 19 § 1 de usur. (22. 1).
    (m).
  • 6. A. hypothecaria
    (n)L. 16 § 4 de pign. (20. 1).
    (n).
110Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

B. Perſönliche Klagen.

Bei dieſen kommt ein ganz anderes Verhältniß in Be - tracht, als bei den Klagen in rem. Da ſie nämlich ſtets auf Obligationen beruhen, welche vor der L. C. vorhanden geweſen ſeyn müſſen, ſo kommt es darauf an, welche Ver - pflichtung aus dieſen Obligationen an ſich, unabhängig von allem Rechtsſtreit, hervorgeht. Da wo dieſe Ver - pflichtung ſchon vom Anfang der Obligation an auf Erſtat - tung der Früchte führt, kann natürlich die L. C. nichts Neues hinzuthun, ſo daß von einer Wirkung der L. C. auf den Erſatz der Früchte nur bei denjenigen Obligationen die Rede ſeyn kann, welche nicht ſchon an ſich einen ſolchen Erſatz begründen.

Die Grundlage der hier einſchlagenden Regeln bildet nicht, wie in vielen andern Fällen, die Unterſcheidung der stricti juris und bonae fidei actiones, ſondern vielmehr folgende ganz andere Unterſcheidung. Die perſönlichen Klagen gehen entweder auf eine repetitio, d. h. auf die Wiedererlangung einer Sache oder eines Werthes die ſchon früher zu unſerem Vermögen gehört haben, oder aber ſie gehen auf einen unſerem Vermögen bisher fremden Gegenſtand (ad id consequendum quod meum non fuit, veluti ex stipulatu)(o)Die hier aufgeſtellte wich - tige Unterſcheidung wird von Pau - lus durchgeführt in den zwei wich - tigſten hier einſchlagenden Stellen: 1. die L. 65 de cond. indeb. (12. 6) handelt blos von den Klagen auf repetitio. 2. L. 38 de usuris (22. 1) ſpricht von beiden Klaſſen von Klagen, ſtellt aber nicht den Gegenſatz derſelben an die Spitze,.

111§. 266. Wirkung der L. C. Erweiterungen. (Fortſ.)

1. Bei den Klagen auf repetitio gilt die Regel, daß die Früchte und andere Erweiterungen ſchon von Anfang an erſetzt werden müſſen, ſo daß in dieſer Hinſicht die L. C. ohne allen Einfluß iſt. Auch macht es dabei durch - aus keinen Unterſchied, ob eine ſolche Obligation durch eine ſtrenge oder freie Klage verfolgt wird, wie denn na - mentlich die der condictio indebiti zum Grunde liegende Obligation von Anfang an, alſo vor allem Rechtsſtreit, und auch ohne Mora, den Fruchterſatz mit umfaßt(p)L. 65 pr. § 5. 7, L. 15 pr. de cond. indeb. (12. 6). Auf dieſelbe Klaſſe von Klagen bezieht ſich augen - ſcheinlich L. 38 pr. § 1 6, § 10 bis 15 de usur. (22. 1). Bloße An - wendungen auf das Interdict unde vi, und auf die actio pignoratitia finden ſich in L. 4 C. unde vi (8. 4), und L. 3 C. de pign. act. (4. 24). Allerdings können Zinſen mit der cond. indebiti nicht gefordert werden, welches jedoch unten be - ſonders erklärt werden wird..

2. Unter den Klagen auf einen bisher fremden Gegen - ſtand (quod meum non fuit) wurden die freien und ſtrengen Klagen unterſchieden.

a) Bei den freien Klagen dieſer Klaſſe galt, wie es ſcheint, von jeher und ohne allen Widerſtreit die Regel, daß Früchte erſtattet werden müßten(q)L. 38 § 15 de usur. (22. 1 ) In ceteris quoque bonae fidei judiciis fructus omnimodo prae - stantur. . Hier aber war die Sache deswegen von keiner Erheblichkeit, weil meiſt der eigenthümliche Inhalt jeder beſonderen Obligation, und insbeſondere die Einwirkung der Mora, eine frühere Ver -(o)ſondern deutet ihn erſt an in dem § 7 (ſ. u. Note s), obgleich ſie ihn durchweg unverkennbar vor - ausſetzt.112Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.pflichtung zum Fruchterſatz mit ſich führt, und alſo die Wirkung der L. C. abſorbirt(r)So z. B. bei dem Kauf L. 38 § 8 de usur. Ex causa etiam emptionis fructus resti - tuendi sunt. Hier kommt theils die Mora, theils die gegenſeitige Zahlung des Kaufpreiſes, alſo überhaupt die auf völlige Gegen - ſeitigkeit gerichtete Natur dieſes Vertrags, in Betracht. Eben ſo wird bei Legaten und Fidei - commiſſen bald die Mora, bald die L. C. als Anfangspunkt des Fruchterſatzes angegeben; die L. C. kann nur ſo gemeint ſeyn, wenn nicht ſchon früher eine Mora vor - handen war (§ 271)..

b) Bei den ſtrengen Klagen (den Condictionen) war von Anfang der Obligation an keine Verpflichtung zum Fruchterſatz vorhanden, und ſelbſt die Mora erzeugte eine ſolche Verpflichtung nicht. Wenn alſo z. B. ein Land - gut durch Stipulation verſprochen worden war, ſo konnte der Creditor nur das Landgut ſelbſt einklagen, nicht die ſeit der Zeit des Vertrags oder der Mora gezogenen Früchte, und es blieb alſo ihm überlaſſen, durch ſchleunige Anſtellung der Klage den möglichen Verluſt abzuwenden, der ihm aus der Anwendung dieſer Regel entſtehen konnte. Hier aber zeigte ſich eine wichtige Wirkung der L. C., indem von dieſer an die omnis causa geleiſtet werden mußte. Zwar auch dieſe Regel galt in der älteſten Zeit nicht; aber ſchon frühe (und wahrſcheinlich nach der Ana - logie der Eigenthumsklage) erkannte man die Billigkeit der - ſelben an, Sabinus und Caſſius erklärten ſich für dieſelbe, und ſie wurde dann allgemein angenommen(s)L. 38 § 7 de usur. (22. 1 ) Si actionem habeam ad id consequendum, quod meum non fuit, veluti ex stipulatu, fructus non consequar, etiam si mora facta sit. Quod si acceptum est judicium, tunc Sabinus et Cassius ex aequitate fructus.

113§. 267. Wirkung der L. C. Verſäumte Früchte.

§. 267. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen (Fortſetzung. Verſäumte Früchte).

Schon oben iſt an mehreren Stellen die Rede geweſen von dem Erſatz für verſäumte Früchte, oder die ſ. g. fructus percipiendi (§ 265. 266). Hierüber herrſchen unter neueren Schriftſtellern manche Misverſtändniſſe, welche meiſt aus einer zu ſubtilen Behandlung des an ſich einfachen Gegenſtandes entſtanden zu ſeyn ſcheinen. Dar - auf ſoll gegenwärtig näher eingegangen werden.

Eine ſichere Grundlage für dieſe Unterſuchung bildet der deutlich ausgeſprochene Grundſatz, daß die Verpflich - tung zum Erſatz ſolcher Früchte ſtets auf die Culpa des Beſitzers, der ſie zu gewinnen verſäumte, zurückzuführen iſt (§ 266. d). Jede Streitfrage in dieſer Lehre kann alſo nur aus dem Daſeyn oder dem Mangel einer ſolchen Culpa entſchieden werden.

So hat man ſich in neuerer Zeit viele, wie es ſcheint vergebliche, Mühe gegeben mit der Unterſuchung der Frage, ob die unbenutzte Möglichkeit des Fruchtgewinnes nach der Perſon des Klägers oder nach der des Beklagten ab - zumeſſen ſey. Manche wollen hierin zwiſchen der Eigen - thumsklage und Erbſchaftsklage unterſcheiden(a)Buchholtz, Abhandlungen S. 13 15., Andere zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer(b)Glück, B. 8 S. 262. 296. 298., noch(s)quoque post acceptum judicium praestandos putant, ut causa restituatur: quod puto recte dici. VI. 8114Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Andere behaupten ganz allgemein, daß lediglich auf die Perſon des Klägers geſehen werden müſſe(c)Heimbach, Lehre von der Frucht S. 168 170 S. 184..

Nicht ſowohl die eine oder die andere dieſer Beant - wortungen der erwähnten Frage, als vielmehr die Stellung der Frage ſelbſt, iſt verwerflich. Es liegt dabei die Vor - ausſetzung zum Grunde, als ob die Fruchtgewinnung von beſonderen perſönlichen Geſchicklichkeiten abhinge, welche bald bei dem einen, bald bei dem andern Theil gefunden oder vermißt werden könnten.

Nach dem eben aufgeſtellten Princip iſt dieſes ganze Verfahren grundlos. Alles kommt allein auf das Daſeyn der Culpa in dem Benehmen des Beſitzers an. Das Da - ſeyn der Culpa aber wird nach allgemeinen bekannten Grundſätzen feſtgeſtellt durch die Vergleichung des perſön - lichen Benehmens jedes im einzelnen Fall zu beurtheilenden Schuldners mit demjenigen Thun und Laſſen, welches in gleichem Fall von einem diligens paterfamilias zu erwar - ten geweſen wäre. Dem urtheilenden Richter alſo ſoll die allgemeine Handlungsweiſe eines beſonnenen Mannes als Maaßſtab dienen, wobei auf die Eigenthümlichkeit des Schuldners gar nichts ankommt(d)In wenigen und nicht be - deutenden Fällen wird auf die Individualität des Schuldners aus - nahmsweiſe ſchonende Rückſicht genommen (diligentia quam suis rebus adhibere solet). Von einem ſolchen Fall iſt hier gar nicht die Rede.. Allerdings wird in einigen Stellen die Verpflichtung zum Erſatz wörtlich davon abhängig gemacht, daß der Kläger hätte die Früchte ge -115§. 267. Wirkung der L. C. Verſäumte Früchte.winnen können(e)L. 62 § 1 de rei vind. (6. 1 ), L. 39 § 1 de leg. 1. (30), L. 4 C. unde vi (8. 4).; allein in noch mehreren Stellen wird die Frage ſo geſtellt, ob der Beklagte Dieſes thun konnte oder ſollte(f)L. 25 § 4 de her. pet. (5. 3 ), L. 2 C. de fruct. (7. 51 ), L. 5 C. de rei vind. (3. 32 ), L. 1 § 1 C. de her. pet. (3. 31 ), L. 3 C. de pign. act. (4. 24).. Beide Arten des Ausdrucks haben aber ganz denſelben Sinn, und werden daher mit Recht in willkührlicher, zufälliger Abwechslung gebraucht.

Daß in der That dieſe beide Arten die Frage aufzu - faſſen gar nicht verſchieden ſind, folgt daraus, daß beide, verglichen mit dem allgemeinen Princip der Culpa keinen anderen Sinn haben als den: was in dieſem Fall ein be - ſonnener Hausvater wirklich gethan hätte. Da wo in unſren Rechtsquellen die für den Kläger vorhandene Möglichkeit der Fruchtgewinnung erwähnt wird, ſteht ſie als Gegenſatz gegen das, was der Beklagte wirklich gewonnen hat, welches dann für gleichgültig erklärt wird(g)L. 4 C. unde vi (8. 4) fructus etiam quos vetus pos - sessor percipere potuit, non tantum quos praedo percepit. . In keiner Stelle wird die Möglichkeit für den Kläger der Möglichkeit für den Beklagten als etwas Verſchiedenes gegenüber geſtellt(h)Allerdings iſt in dieſem Sinn aufgefaßt worden L. 62 § 1 de rei vind. (6. 1) constat ani - madverti debere, non an ma - lae fidei possessor fruiturus sit, sed an petitor frui potue - rit, si ei possidere licuisset, und dieſe Stelle ſcheint faſt allein das Misverſtändniß veranlaßt zu haben, als ob die Geſchicklichkeit des Klägers mit der des Beklag - ten abzuwägen, und zwiſchen bei - den Geſchicklichkeiten als Maaß - ſtab der Beurtheilung zu wählen wäre. Allein die Florentiniſche Leſeart fruiturus sit, iſt ohnehin, ſowie es die neueren Schriftſteller in ihrer Controverſe fälſchlich vorausſetzen.

8*116Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ferner iſt in der neueſten Zeit behauptet worden, ein Erſatz für verſäumte Früchte ſey nur dann zu leiſten, wenn die Früchte wirklich vorhanden waren, und der Beſitzer ſie einzuſammeln unterließ; dagegen ſoll ihn kein Vorwurf und keine Verpflichtung treffen, wenn er die Anſtalten unterläßt, ohne welche eine Entſtehung der Früchte un - möglich iſt(i)Heimbach, Lehre von der Frucht, S. 171 178.. Daher würde die unterlaſſene Erndte einen Anſpruch auf Erſatz begründen, die unterlaſſene Beſtellung des Feldes aber nicht.

Bei einer richtigen Anwendung unſres Princips von der Culpa, und bei der practiſchen Auffaſſung des ganzen Rechtsverhältniſſes, muß dieſe Meinung gänzlich verworfen werden. Wenn der Beſitzer eines Landgutes, der voraus - ſieht, daß er in der Eigenthumsklage unterliegen werde, obgleich dieſe durch mehrere Jahre hingezogen werden kann, die Aecker unbeſtellt läßt, und dadurch ohne allen Fruchtertrag bleibt, ſo kann man unmöglich ſagen, daß er das gethan habe, was ein diligens pater familias ge - than hätte, ſo wie es doch Paulus fordert (§ 266. d). Es wird ferner ausdrücklich geſagt, daß der unredliche Beſitzer auch verantwortlich ſey wegen Unterlaſſung der für die Sache nöthigen Ausgaben(k)L. 31 § 3 de her. pet. (5. 3). Sumtum si facere, und es wird dabei(h)verwerflich und finnlos, da von einer Beurtheilung der Zukunft gar nicht die Rede ſeyn kann. Nimmt man aber die Vulgata fruitus sit an, die gar kein Bedenken hat, ſo verſchwindet ſelbſt jener ſchwache Schein völlig, und die Stelle ſagt dann wörtlich daſſelbe, wie die vorher angeführte Stelle des Co - dex (Note g).117§. 267. Wirkung der L. C. Verſäumte Früchte.durchaus nicht unterſchieden zwiſchen Ausgaben für die Erhaltung der Sache ſelbſt, oder für die Beſtellung zur Fruchterzeugung.

Wenn man jene Behauptung auf die ſ. g. civilen Früchte anwendet, ſo würde ſie zu folgender Unterſcheidung führen. Der Beſitzer wäre verpflichtet, Miethgeld und Zinſen einzukaſſiren, wenn die Contracte hierüber ſchon geſchloſſen ſind; nicht verpflichtet, ſolche Contracte zu ſchließen, auch ſelbſt an ſolchen Sachen, die ihrer Natur nach zum Vermiethen beſtimmt ſind. Nun wird aber gerade hiervon das Gegentheil ausdrücklich geſagt. Der unredliche Beſitzer ſoll für verſäumte Früchte einſtehen, wenn er Sachen unvermiethet läßt, deren Vermiethung herkömmlich iſt(l)L. 62 pr. de rei vind. (6. 1 ) Si navis a malae fidei possessore petatur, et fructus aestimandi sunt, ut in taberna et area quae locari solent. L. 19 pr. de usur. (22. 1) am Ende der Stelle.. Eben ſo ſoll der Erbe, wenn er die Auszahlung eines Geldlegats ohne Grund verzögert, da - von landübliche Zinſen zahlen(m)L. 39 § 1 de leg. 1. (30). Aus den landüblichen Zinſen folgt, daß nicht blos die Einkaſſirung, ſendern auch das Ausleihen von dem Erben erwartet wird. Denn wäre die Rede von einem ſchon ausgeliehenen Capital, ſo würden nicht landübliche, ſondern die im Contract verſprochenen Zinſen ge - fordert werden..

Sehr richtig wird dieſes ganze Rechtsverhältniß in folgender Stelle der Weſtgothiſchen Interpretation beur - theilt(n)Interpr. L. 1 C. Th. de fruct. (4. 18).:(k)debuit, nec fecit, culpae hujus reddat rationem. 118Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.quales per diligentem culturam consequi proprii domini utilitas potuisset.

Die ganze hier widerlegte Meinung ſcheint überhaupt nur aus einer zu buchſtäblichen Auffaſſung der Worte percipere und colligere hervor zu gehen, die freilich un - mittelbar blos den Act des Einſammelns bezeichnen, dem Sinn nach aber auch die unerläßlichen vorbereitenden Handlungen mit in ſich ſchließen. Wäre die Rede davon, dem Beſitzer ungewöhnliche Anſtrengungen von Kraft und Geſchicklichkeit zuzumuthen, ſo würde jene Meinung richtig ſeyn; es wird aber nichts von ihm verlangt, als daß er dasjenige thue, welches Niemand, ſelbſt an ſeinem eigenen Vermögen, unterlaſſen kann ohne den Vorwurf einer ent - ſchiedenen Nachläſſigkeit auf ſich zu ziehen.

Zuletzt iſt noch eine Bemerkung hinzuzufügen, über die Rechtsmittel womit für die verſäumten Früchte Erſatz verlangt werden kann. Wegen der vorhandenen oder ver - zehrten Früchte ſind nach Umſtänden ganz verſchiedene Rechtsmittel anwendbar: die Hauptklage, durch welche auch die Früchte mit umfaßt werden, dann die Vindi - cation oder eine Condiction, je nachdem die Früchte vor - handen oder verzehrt ſind.

Nicht ſo verhält es ſich mit dem Erſatz für die ver - ſäumten Früchte. Dieſer kann allerdings durch die auf die Sache ſelbſt gerichtete Hauptklage mit verfolgt werden, und hierdurch werden in der That die ſo eben aufgeſtellten Regeln geltend gemacht. Dagegen kann von einer Vindication119§. 267. Wirkung der L. C. Verſäumte Früchte.dieſer Früchte nicht die Rede ſeyn, indem dieſelben niemals im Beſitz des Beklagten geweſen ſind. Eben ſo wenig aber iſt eine Condiction auf dieſelben möglich, weil die Grundbedingung einer ſolchen, nämlich die Bereicherung aus fremder Sache, fehlt(o)S. o. B. 5. S. 524. b. .

Dieſer letzte Satz wird in folgender Stelle anerkannt, welche leicht misverſtanden werden kann(p)L. 78 de rei vind. (6. 1).: Si ejus fundi, quem alienum possideres, fructum non coëgisti, nihil ejus fundi fructuum nomine te dare oportet.

Flüchtig angeſehen, könnte dieſe Stelle als ein Wider - ſpruch gegen die ganze Lehre von dem Erſatz für verſäumte Früchte aufgefaßt werden. Wenn man aber die unzweifel - hafte techniſche Bedeutung der Worte dare oportere erwägt, ſo liegt in der angeführten Stelle nichts Anderes, als die ſo eben gerechtfertigte Verneinung einer ſelbſtſtändigen Condiction. Der Verfaſſer der Stelle will alſo nur ſagen, daß für verſäumte Früchte niemals mit einer Con - diction Erſatz gefordert werden könne; er widerſpricht aber damit nicht der Forderung dieſes Erſatzes überhaupt, indem ja die Vindication der Hauptſache dieſen Erſatz mit um - faſſen kann(q)Dieſe richtige Erklärung der Stelle findet ſich bei Heimbach, Lehre von der Frucht, S. 94. 95..

Man darf auch nicht glauben, daß dieſe Unter - ſcheidung ein blos theoretiſches Intereſſe habe, und practiſch120Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.werthlos ſey. Denn wenn der unredliche Beſitzer den Beſitz der Hauptſache ohne ſeinen Dolus verliert, ſo kann gegen ihn eine Vindication überhaupt nicht mehr angeſtellt werden, ſo daß auch eine Rachforderung der etwa früherhin verſäumten Früchte nicht mehr möglich iſt. Wäre dagegen für dieſe eine ſelbſtſtändige Condiction zuläſſig, ſo würde dieſelbe auch jetzt noch angeſtellt werden können.

Eine eigenthümliche Beſtimmung über die ſ. g. fructus percipiendi enthält das Preußiſche A. L. R. Es ver - pflichtet nicht, ſo wie das R. R., jeden Beklagten, die Früchte zu erſetzen, welche zu gewinnen er während der Dauer des Rechtsſtreits etwa verſäumt haben möchte, ſondern nur Den, welcher es weiß, daß die Sache, die er als ſeine eigene beſitzt, einem Anderen zugehöre, alſo den wahren, eigentlichen malae fidei possessor(r)A. L. R. Th. 1 Tit. 7 § 229. Auf den erſten Blick könnte man glauben, es ſey hier nur derſelbe unredliche Beſitzer[gemeint] wie in § 222, d. h. eben der Beklagte über - haupt. Daß aber in der That ein Unterſchied, ein Gegenſatz gemeint iſt, zeigt erſtlich der verſchiedene Ausdruck beider §§, zweitens die Vergleichung der § 223 228 mit § 229, welcher letzte offenbar etwas Neues ſagen will, drittens die Be - merkungen von Suarez bei Si - mon Zeitſchrift B. 3 S. 330 N. 2, S. 172. Vgl. auch ebendaſ. S. 633 und oben § 264.. Dieſe Abweichung kann ich nicht billigen. Jedem Beklagten, auch wenn er noch ſo feſt von ſeinem Recht überzeugt iſt, kann man ohne Unbilligkeit zumuthen, daß er die Möglichkeit bedenke, den Prozeß zu verlieren, und für dieſen möglichen Fall ſich als den Verwalter eines fremden Gutes anſehe,121§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.dem eine beſondere Sorgfalt obliegt. Wenn er alſo in dieſer Lage aus Trägheit unterläßt, den ſtreitigen Acker zu beſtellen, oder die Früchte einzuſammeln, ſo trifft ihn, bei der Verurtheilung in der Hauptſache, auch die Entſchädigung für dieſe verſäumten Früchte mit allem Recht. Ich glaube, daß dieſe unrichtige Beſtimmung lediglich aus dem falſchen Standpunkte hervorgegangen iſt, welcher überhaupt im A. L. R. bei der Feſtſtellung der eigenthümlichen Prozeß - verpflichtungen gewählt worden iſt (§ 264). Man wollte Alles auf das unredliche Bewußtſeyn des Beſitzers zurück führen, und glaubte nun, in dieſem ſtets verſchiedene Grade unterſcheiden, und mit verſchiedenen Wirkungen verſehen zu müſſen.

§. 268. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Fortſetzung. Prozeßzinſen.)

Unter den Erweiterungen, von deren Erſatz in Folge der L. C. bisher die Rede geweſen iſt, befindet ſich eine, deren Behandlung vorzugsweiſe zweifelhaft und beſtritten, und zugleich practiſch ſehr wichtig iſt; dieſes ſind die Prozeßzinſen. Zu einer erſchöpfenden Behandlung der - ſelben iſt es unumgänglich nöthig, eine zuſammenhängende Überſicht des Zinſenſyſtems überhaupt vorauszuſchicken. Ohne eine ſolche Überſicht iſt es nicht möglich, eine falſche Auffaſſung und Benutzung mancher der wichtigſten Quellen - zeugniſſe mit Sicherheit abzuwehren.

122Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dem allgemeinen Begriff der Zinſen liegt zum Grunde die Unterſcheidung eines zweifachen im täglichen Verkehr vorkommenden Werthes: des Sachwerthes (Eigenthums - werthes) und des Gebrauchswerthes. Die Rechts - geſchäfte, worin beide vorzüglich zur Anſchauung kommen, ſind der Kauf und der Miethsvertrag. Da der Gebrauchs - werth auf einer fortgeſetzten Thätigkeit der gebrauchenden Perſon im Verhältniß zur Sache beruht, ſo hat er über - haupt nur Bedeutung, in ſofern ein durch dieſe Thätigkeit erfüllter Zeitraum hinzugedacht wird.

Für den Gebrauchswerth wie für den Sachwerth, iſt ein Erſatz oder eine Vergütung möglich in der verſchiedenſten und willkührlichſten Weiſe: durch eine Geldſumme, durch Arbeit, durch den gegenſeitigen Gebrauch anderer Sachen u. ſ. w. Für die meiſten Fälle ſolcher Art iſt weder die Möglichkeit noch das Bedürfniß einer gemeinſamen Be - handlung und Regulirung vorhanden; ein ſolches Bedürfniß findet ſich nur bei einer Art von Sachen, deren eigenthüm - liche Natur hier zunächſt zu beſtimmen iſt.

Es ſind dies diejenigen Sachen, deren Werth nach der im Verkehr vorherrſchenden Anſicht nicht auf ihrer Indivi - dualität, ſondern lediglich auf Zahl, Maaß oder Gewicht innerhalb einer gewiſſen Gattung beruht, ſo daß bei gleichem Umfange verſchiedene Individuen derſelben Gattung völlig gleichgeltend ſind. Die Römer bezeichnen dieſe Eigenthüm - lichkeit durch den Ausdruck: res quae pondere, numero, mensura continentur (consistunt), welcher genau richtige123§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.Ausdruck durch ſeine Weitläufigkeit zum gewöhnlichen Gebrauch unbequem iſt. Die neueren Schriftſteller nennen ſie ſeit Jahrhunderten mit einem barbariſch gebildeten Aus - druck res fungibiles(a)Die Veranlaſſung zu dieſem Ausdruck liegt in L. 2 § 1 de reb. cred. (12. 1) quia in genere suo functionem recipiunt per solutionem. Es ſcheint, daß der Ausdruck res fungibiles ein - geführt worden iſt von Zasius in § 30 J. de actionibus N. 17. 18, wenigſtens thut er ſich etwas darauf zu gut, die anderen Schriftſteller zu - recht zu weiſen, die dafür quanti - tas ſagen sed male et barbare: sola enim pecunia quantitas dicitur, quia per eam quanta quaeque res sit aestimatur. . Ich werde dafür den Ausdruck: Quantitäten gebrauchen, der die entſchiedene Autorität der Römiſchen Juriſten für ſich hat. Denn obgleich in vielen, ja den meiſten, Stellen der Ausdruck quantitas ſo viel bedeutet als: Größe oder Umfang, alſo eine allgemeine Eigenſchaft die den verſchiedenſten Sachen zukommt, ſo wird er doch auch in mehreren unzweifelhaften Stellen geradezu gebraucht um die hier erwähnte beſondere Art von Sachen zu bezeichnen, alſo Sachen die nach Zahl, Maaß oder Gewicht einer beſtimmten Gattung, nicht nach ihrer Indi - vidualität, als Gegenſtände von Rechtsverhältniſſen be - handelt zu werden pflegen. Eine Sache ſolcher Art heißt quantitas, im Gegenſatz von corpus oder species, d. h. einer Sache, die den individuellen Gegenſtand eines Rechts - geſchäfts bildet(b)L. 34 § 3 6 de leg. 1. (30), L. 15 § 4 de usufr. (7. 1 ), L. 94 § 1 de solut. (46. 3). Allerdings iſt in dieſen Stellen zunächſt von Geldſummen die Rede, die ohnehin die häufigſte und wichtigſte quan - titas bilden. Allein in der erſten Stelle wird damit auch alles Übrige quod pondere, numero, men -.

124Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

An Quantitäten nun kann der Gebrauchswerth, eben ſo wie an allen anderen Sachen, auf die verſchiedenſte Weiſe beſtimmt werden; es kann dies u. a. aber in Quoten gleichartiger Sachen geſchehen, und dieſe Behandlung iſt für den Verkehr ſo wichtig und bequem, daß dafür zu allen Zeiten beſondere Beſtimmungen nöthig gefunden worden ſind. Hierauf bezieht ſich das Rechtsinſtitut der Zinſen (usura auch usurae).

Zins heißt ein beſtimmtes Maaß einer Quantität, welches als Erſatz oder Vergütung dient für den Gebrauch einer gleichartigen Quantität, welche das Kapital genannt wird. Das Zinſenverhältniß iſt an ſich anwendbar auf Quantitäten aller Art, alſo auf Getreide, Wein, Oel, und u. a. auch auf Geld. Dieſe letzte Anwendung iſt aber ſo ſehr die wichtigſte und häufigſte, daß man gewöhnlich an ſie allein denkt, wenn von Verzinſung überhaupt die Rede iſt. Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß Zinſen im juriſtiſchen Sinn als Früchte des Kapitals betrachtet werden(c)L. 34 de usuris (22. 1 ), L. 121 de V. S. (50. 16 ), L. 62 pr. de rei vind. (6. 1). Vgl. oben § 265. a. b. . Dies iſt jedoch nicht ſo zu verſtehen, als ob(b)sura continetur, zuſammengeſtellt, und der Gegenſatz von corpus und species paßt auf alles Dieſes gleichmäßig. Daher iſt der Tadel des Zaſius gegen dieſe Benennung (Note a) ungegründet. Die von Mehreren neuerlich verſuchte Be - nennung: vertretbare Sachen iſt ohne hinzugefügte Erklärung kaum verſtändlich, da auch alle andere Sachen einer Vertretung (durch Geldentſchädigung) empfäng - lich ſind. Die Eigenſchaften der Quantitäten und der ver - brauchbaren Sachen ſind an ſich ſelbſt ganz verſchieden, obgleich ſie in der Anwendung meiſt an denſelben Sachen zuſammentreffen.125§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.hierin das baare Geld (die Zinſen) eine Frucht des baaren Geldes (des Kapitals) wäre; vielmehr wird die Zinſen - forderung als eine aus der Kapitalforderung ent - ſprungene Frucht betrachtet.

Die wichtigſte Frage iſt nun die, auf welchen Wegen überhaupt eine Zinſenforderung entſtehen kann. Es giebt dafür im Allgemeinen zwei Entſtehungsgründe:

  • I. Der Wille des Schuldners, welcher faſt immer in der Form eines Vertrages erſcheint, und II. eine allgemeine Rechtsregel.

I. Vertrag als Entſtehungsgrund einer Zinſenfor - derung. Ein ſolcher konnte bei den Römern vorkommen, ſowohl in der Form einer Stipulation, als in der eines bloßen Pactum.

A. Die Stipulation von Zinſen war überall an - wendbar, und konnte ſtets eine Klage bewirken. Sie konnte geſchloſſen werden ohne Unterſchied, ob die Kapitalſchuld ſelbſt aus einer Stipulation mit oder ohne Darlehn, aus einem bloßen Darlehn ohne Stipulation, oder aus irgend einer anderen obligatoriſchen Handlung entſprungen war.

Bei den Römern war der wichtigſte und häufigſte Fall der, in welchem beide Obligationen, des Kapitals und der Zinſen, durch Stipulation begründet und zwar auf Geld gerichtet wurden. Ob dieſes, der wörtlichen Faſſung nach, in zwei abgeſonderten Verträgen geſchah (alſo mit einem doppelten spondes? spondeo), oder aber in einem zuſammen - gefaßten einfachen Vertrag, an deſſen Schluß jene Frage126Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und Antwort ausgeſprochen wurde, dieſes war für den Erfolg gleichgültig. Denn auch in dem letzten Fall waren in der That ebenſo wie in dem erſten, zwei verſchiedene, und zwar ſogar ungleichartige Stipulationen geſchloſſen: eine certa auf das Kapital, und eine incerta auf die Zinſen(d)L. 75 § 9 de verb. obl. (45. 1) qui sortem stipulatur, et usuras quascunque, certum et incertum stipulatus videtur: et tot stipulationes sunt, quot res sunt (alſo hier zwei. Dieſe letzten Worte verweiſen auf eine allgemeine ſprüchwörtliche Rechts - regel; vgl. L. 86 eod.). L. 8 de eo quod certo loco (13. 4) ibi enim duae stipulationes sunt (es war von Kapital und Zinſen die Rede).. Die Kapitalsſtipulation war nothwendig certa, weil die Summe des Kapitals völlig gewiß und überſehbar war; die Zinſenſtipulation nothwendig incerta, weil ſich nicht vorherſehen ließ, wie viele Zinspoſten fällig werden würden, und wie hoch daher die einzuklagende Zinſenſumme im Ganzen ſeyn werde. Waren es aber zwei verſchieden - artige Stipulationen, ſo mußten hierauf nothwendig auch zwei verſchiedene Klagen gegründet werden, eine certi und eine incerti condictio (beide bekanntlich von ganz verſchie - dener Natur), indem ſtets der Stipulation die Klage genau entſprechen mußte, und hierin eine Willkühr des Klägers durchaus nicht zuläßig war(e)Gajus IV. § 53. sicut ipsa stipulatio concepta est, ita et intentio formulae con - cipi debet. .

Ganz eben ſo verhielt es ſich, wenn neben einem bloßen Darlehn (ohne Stipulation) Zinſen ſtipulirt waren. Auch hier mußten nothwendig zwei verſchiedene Klagen angeſtellt werden, eine certi und eine incerti condictio.

127§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.

B. Ein Pactum auf Zinſenzahlung hatte eine ver - ſchiedene Wirkung je nach der verſchiedenen Natur der Hauptſchuld. Es konnte nämlich vorkommen, a) neben einem b. f. contractus, b) neben einer Stipulation, c) neben einem Darlehn.

a) Das Pactum auf Zinſen neben einem b. f. contractus war nach allgemeinen Grundſätzen klagbar, jedoch nicht mit einer ſelbſtſtändigen Klage, ſondern nur in Verbindung mit der aus dem Contract entſpringenden Hauptklage(f)L. 4 C. depos. (4. 34) non duae sunt actiones, alia sortis alia usurarum sed una. Hier gilt alſo gerade die entgegengeſetzte Regel von der für die ſtipulirten Zinſen ſo eben bemerkten.. Dieſes auf bekannten allgemeinen Rechtsregeln beruhende Rechtsverhältniß wird namentlich anerkannt bei dem Kauf, der Miethe, dem Mandat, dem Depoſitum(g)L. 5 C. de pact. int. emt. (4. 54 ), L. 17 § 4 de usuris (22. 1 ), L. 24 pr. in f. mandati (17. 1 ), L. 24 L. 26 § 1 depos. (16. 3)..

b) Auch wenn neben einer Stipulation auf das Kapital ein bloßes Pactum auf Zinſen gleichzeitig geſchloſſen war, ſo ſollte dennoch auf die Zinſen wie aus einer Stipulation (alſo mit einer incerti condictio) geklagt werden können. Dieſer Rechtsſatz war der alten ſtrengen Natur der Stipu - lation fremd, und wurde erſt durch die neue freiere Be - handlung des Vertrages vermittelt. Auch wird ausdrücklich bemerkt, daß dieſer Satz erſt allmälig und nicht ohne Widerſpruch anerkannt worden ſey(h)L. 40 de reb. cred. (12. 1). Über dieſe, durch ihre Schwierig - keit berühmte, Stelle (L. Lecta) vgl. Glück B. 4 S. 268 276, Schulting notae III. 31. Auf. Es lag dabei128Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.folgender Gedanke zum Grunde. Wenn die Parteien die Vorſicht gebraucht hätten, zuerſt den ganzen Inhalt ihrer Verabredung (wegen Kapital und Zinſen) auszuſprechen und dann am Schluß die allgemeine Formel hinzuzufügen: ea omnia dare spondes? spondeo, ſo würde unſtreitig die Stipulation alle Theile des Verſprechens, auch die Zinſen, umfaßt haben. Daß ſie nun hierin ungenau verfuhren und die rechte Form verſäumten, ſollte ihnen, wie ſo mancher andere Verſtoß gegen die ſtrenge alte Form, nicht ſchaden. Es wurde alſo gewiſſermaaßen fingirt, es ſey die in der Mitte der ganzen Handlung ausgeſprochene Stipu - lationsformel am Schluß der Handlung wiederholt worden. Dieſe freiere Behandlung der Stipulation war ganz gleich - artig mit derjenigen, nach welcher ſchon zur Zeit der alten Juriſten in einer fremden Sprache, in verſchiedenen Sprachen, und mit nicht buchſtäblicher Gleichförmigkeit, gefragt und geantwortet werden durfte, ohne die Wirk - ſamkeit der Stipulation zu ſchwächen.

c) Endlich das Pactum auf Zinſen neben dem bloßen Darlehn führt am meiſten Verwicklungen mit ſich, und hat Gelegenheit zur irrigen Auffaſſung mehrerer ſchwierigen(h)eine vollſtändige Erklärung der - ſelben kann es hier nicht an - kommen; der hierher gehörende Theil, den ich für nicht zweifelhaft halte, iſt in folgenden Worten ent - halten: pacta incontinenti fa - cta stipulationi inesse credun - tur Pactum autem, quod subjectum est, quidam dicebant .. tantum ad exceptionem prod - esse et si, ut ille putabat, ad exceptionem tantum prod - esset pactum, quamvis senten - tia diversa obtinuerit rel. 129§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.Stellen des R. R. gegeben, weshalb hierbei eine beſonders genaue Behandlung nöthig iſt.

Vergleichen wir zuerſt das Darlehn mit der ſo eben abgehandelten Stipulation, ſo finden wir die Regel aus - geſprochen, daß dem Darlehn alles Dasjenige rechtsgültig hinzugefügt werden könne, welches in einer Stipulation zuläſſig ſey: Omnia quae inseri stipulationibus possunt, eadem possunt etiam numerationi pecuniae: et ideo et conditiones (i)L. 7 de reb. cred. (12. 1)..

Da nun ſo eben gezeigt worden iſt, daß das Pactum auf Zinſen neben der Stipulation als Grund einer Klage ſpäterhin zugelaſſen wurde, ſo würde die Conſequenz dahin geführt haben, dieſelbe Wirkung auch neben dem Darlehn zuzulaſſen, ohne daß deſſen ſtrenge Contractsnatur (die ja nicht ſtrenger war, als die der Stipulation) ein Hinderniß hätte darbieten können. Ich ſage, ſo hätte es conſequenter Weiſe ſeyn müſſen ſowohl bei dem Darlehn in Geld, als bei dem in anderen Quantitäten. Auch wurde dieſe Con - ſequenz in der That durchgeführt und anerkannt in dieſem zweiten Fall des Darlehns (an Getreide u. ſ. w.), wie ſogleich gezeigt werden wird. Bei dem Gelddarlehn da - gegen war es anders, dieſe Verſchiedenheit hatte aber ihren Grund nicht in der Natur des Contracts, ſondern vielmehr in der ganz eigenthümlichen Natur der dieſem Contract ausſchließend angewieſenen Klage.

VI. 9130Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die einzig mögliche Klage nämlich aus einem Gelddar - lehn war die certi condictio, worin die Intentio nothwen - dig eine beſtimmte Geldſumme ausſprechen und die Con - demnatio mit dieſer Summe übereinſtimmen mußte. Nun hatte der Juder keine andere Wahl, als entweder freizu - ſprechen, oder auf die ausgedrückte Summe zu verurtheilen. Hätte er dieſe Summe durch die verſprochenen Zinſen in dem Urtheil erhöht, ſo würde er das Ganze aus eigenem Vermögen haben erſetzen müſſen(k)Gajus IV. § 52 alioquin litem suam facit. .

Hierin allein liegt der Grund der in ſo vielen Stellen ausgeſprochenen Regel, daß bei einem Gelddarlehn auf Zinſen niemals geklagt werden könne, wenn nicht dieſe Zinſen in einer Stipulation verſprochen worden ſeyen(l)L. 24 pr. de praescr. verb. (19. 5 ), L. 10 § 4 mand. (17. 1 ), L. 11 § 1 de reb. cred. (12. 1 ), L. 3. 7 C. de usur. (4. 32). Paul. II. 14 § 1. Der Unterſchied von dem vorhergehenden Fall, wo das Pactum der Stipulation angehängt war, lag darin, daß hier der bloße Formfehler durch milde Auslegung verbeſſert wurde, indem man es ſo anſah, als wäre die Stipulations - formel erſt am Ende des ganzen Akts ausgeſprochen worden. Neben dem Darlehn war dieſe Behand - lung unmöglich, da bei den Zinſen die Fiction eines Darlehns keinen Sinn gehabt hätte, ohne dieſelbe aber die Klage aus dem Pactum ohne allen Entſtehungsgrund ge - weſen wäre. Man darf übri - gens die aufgeſtellte Regel nicht ſo verſtehen, als ob ein ſolches Pactum ganz wirkungslos geweſen wäre; es ſollte nur keine Klage begründen, eine naturalis obli - gatio entſprang daraus allerdings. L. 5 § 2 de sol. (46. 3 ), L. 3. 4. 22 C. de usur. (4. 32). Auch zweifelte hieran ſelbſt die ſtrengſte Partei der Juriſten nicht (Note h).. Lag aber der Grund hierin, alſo in der Klagformel, und nicht in der Natur des Contracts, ſo war es ganz inconſequent, im Juſtinianiſchen Recht (in welchem die Klagformeln gänz -131§. 268. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen.lich verſchwunden ſind) dieſe Regel dennoch beizubehalten; ſie hätte ſchon hier gänzlich aufgegeben werden müſſen(m)Zweifelhaft iſt die Behand - lung des nauticum foenus, wobei die Klage nicht angegeben wird (L. 5 § 1, L. 7 de naut. foen. 22. 2). Vielleicht wurde dabei ſtets eine Stipulation angewendet; es ließ ſich aber auch ohne Stipula - tion eine Klage nach den Grund - ſätzen der Innominatcontracte wohl denken. Denn die Form des Dar - lehns war dabei nur ein äußerer Schein, in der That war es das Geben einer Summe auf die Ge - fahr des Verluſtes, mit dem gegen - ſeitigen Verſprechen einer höheren Summe für den Fall wenn der Verluſt nicht eintrat, alſo ein Ge - ſchäft nach der Form do ut des. .

Daß dieſe Auffaſſung richtig iſt, geht unwiderſprechlich hervor aus der Art, wie das R. R. das Darlehn an Ge - treide und anderen Quantitäten, wenn dabei Zinſen durch bloßes Pactum verſprochen waren, unzweifelhaft behandelt, obgleich dieſes Darlehn ein völlig eben ſo ſtrenger Con - tract war und durchaus keine andere Contractsnatur hatte, als das Gelddarlehn. Hierüber ſind folgende Stellen ganz entſcheidend.

  • 1. Frumenti vel hordei mutuo dati accessio ex nudo pacto praestanda est
    (n)L. 12 C. de usur. (4. 32).
    (n). Hier iſt ausdrücklich anerkannt, daß bei einem Dar - lehn von Getreide, Zinſen aus einem bloßen Pactum eingeklagt werden konnten, nur iſt die Klage nicht genannt.
  • 2. Oleo quidem vel quibuscunque fructibus mutuo datis, incerti pretii ratio, additamentum usurarum ejusdem materiae suasit admitti
    (o)L. 23 C. de usur. (4. 32).
    (o).

Dieſe Stelle iſt zu allen Zeiten Gegenſtand großer9*132Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Zweifel und Misverſtändniſſe geweſen. Vor Allem iſt darin nicht geſagt, von welcherlei Zinſen die Rede iſt. Man könnte dabei denken an Verzugszinſen oder Prozeß - zinſen, welches jedoch ſchlechthin verworfen werden muß, da dieſe, wie unten gezeigt werden wird, nur bei baarem Gelde vorkommen können. Eben ſo wenig iſt an ſtipulirte Zinſen zu denken, da bei dieſen die Klagbarkeit ohnehin keinen Zweifel haben konnte, welches zu dem Ausdruck der Stelle nicht paßt. Es bleibt alſo nur der einzige Fall an - zunehmen übrig, wenn die Zinſen durch bloßes Pactum verſprochen waren, alſo genau derſelbe Fall wie in der vorhergehenden Stelle, nur hier mit dem wichtigen Zuſatz, daß die Klagbarkeit ſolcher Zinſen nicht auf der ſtrengen Rechtsregel, ſondern auf einer neueren Zulaſſung aus Billigkeit beruhe ( suasit admitti ). Einer beſonderen Erklärung bedürfen aber noch die Worte incerti pretio ratio. Dieſe drücken geradezu den oben aufgeſtellten Ge - genſatz eines ſolchen Darlehns gegen das Gelddarlehn aus. Anſtatt daß bei dem Gelddarlehn die certi condictio jede Ausdehnung des Urtheils auf Zinſen unmöglich machte, war hier in der Klage eine incerta Condemnatio enthalten (quanti ea res est), deren unbeſtimmter Ausdruck dem Juder die prozeſſualiſche Freiheit gewährte, auch die Zinſen mit in das Urtheil aufzunehmen, während die materielle Zuläſſigkeit der Zinſen aus den oben angegebenen Gründen ohnehin anerkannt werden mußte(p)Ich muß daher folgende neuerlich verſuchte Erklärungen der.

133§. 269. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)

§. 269. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung).

Unter den zwei möglichen Entſtehungsgründen einer Zinſenforderung (§ 268) iſt die erſte (der Vertrag) bisher abgehandelt worden; es bleibt noch übrig, auch die zweite darzuſtellen.

II. Allgemeine Rechtsregel als Entſtehungsgrund einer Zinſenforderung.

Dieſe Rechtsregel beruht auf folgender, in der Erfah - rung begründeten, Betrachtung. Bei entwickeltem Verkehr iſt die zinsbare Benutzung des baaren Geldes in ſolchem Grade üblich und verbreitet, daß man als durchſchnittliche Regel ohne Bedenken annehmen darf, es könne jede große oder kleine Geldſumme in jedem beliebigen Zeitraum zins - bar benutzt werden. Die Richtigkeit dieſer Annahme wird beſonders anſchaulich, wenn man dabei an das Daſeyn von öffentlichen Banken oder Sparkaſſen denkt, oder auch an das Verhältniß laufender Rechnung, in welches irgend(p)Stelle verwerfen. Die incerti pretii ratio ſoll nach Einigen den ſchwankenden Preis des Getreides bedeuten; es iſt aber durchaus kein Grund denkbar, warum bei ganz unwandelbaren Preiſen nicht auch Zinſen zuläſſig ſeyn ſollten. Von Anderen wird alles Gewicht auf die Worte ejusdem materiae gelegt, ſo daß die Stelle eigentlich die Abſicht habe, ein Zinsverſprechen in anderen Stoffen zu unterſagen. Allein dieſe Worte ſind daraus zu erklären, daß auf ein Verſprechen anderer Stoffe der Begriff und Name der Zinſen überhaupt nicht paßt; ein Verbot ſollte darin nicht enthalten ſeyn. Nach der hier gegebenen Erklärung der Stelle iſt nun auch die Behauptung zu be - richtigen, welche auf eine irrige Auffaſſung derſelben oben (B. 5 S. 465) gegründet worden war.134Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Jemand zn einem Banquier eintritt, wobei jede eingezahlte oder erhobene Summe von dem Tage der Zahlung an zinsbar berechnet wird. Es darf dabei nur nicht der Vor - ſtellung Raum gegeben werden, als ob das Darlehn gerade die einzige Form zinsbarer Benutzung des Geldes wäre. Auch würde es unrichtig ſeyn, die aufgeſtellte An - nahme nur für unſeren heutigen ſehr entwickelten Geld - verkehr zuzulaſſen, für die Römiſchen Zuſtände aber zu verneinen. Gerade die Römiſchen Juriſten gehen ent - ſchieden von der hier aufgeſtellten Vorausſetzung aus, wie ſogleich gezeigt werden wird. Auch diente bei ihnen das Inſtitut der Argentarien zu einer beſonders leichten Ver - mittelung des Zinsgeſchäftes(a)Eine merkwürdige Aner - kennung der hier behaupteten all - gemeinen Sitte und Erfahrung, auch in Beziehung auf die Zu - ſtände des Alterthums, findet ſich an einem Orte, wo man es kaum erwarten ſollte, in dem Gleichniß von dem faulen Knechte, Mat - thäus 25, 27 und Lucas 19, 23..

Die hier aufgeſtellte Anſicht führt zu folgender Be - handlung der Rechtsverhältniſſe. Wenn der Gebrauch irgend einer Sache eine Zeit hindurch bei Demjenigen ſich findet, dem er nicht gebührt, alſo einem Anderen mit Un - recht entzogen wird, und zugleich ein Rechtsgrund vor - handen iſt, für dieſes Unrecht Vergütung zu fordern, ſo kommt es in jedem einzelnen Fall darauf an zu beweiſen, wie hoch ſich das Intereſſe dieſes erlittenen Unrechts belaufe, worüber aber eine durchgreifende Regel durchaus nicht auf - geſtellt werden kann.

135§. 269. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)

Hierin tritt nun für Denjenigen, der eine ſolche Ver - gütung fordert, eine große Erleichterung ein, wenn der Gegenſtand des mit Unrecht entbehrten Gebrauchs in baarem Gelde beſteht. Ein beſonderer Beweis für den Betrag des erlittenen Schadens wird dadurch entbehrlich, daß der Kläger die landüblichen Zinſen des entbehrten Geldes fordern kann. Allerdings kann in einzelnen Fällen auch wohl eine höhere Entſchädigung gefordert werden, dazu aber bedarf es jedesmal einer ſpeciellen geſetzlichen Vorſchrift, oder auch eines beſonderen Beweiſes. Für die landüblichen Zinſen dagegen bedarf es eines beſonderen Beweiſes nicht, indem derſelbe durch den oben aufgeſtellten durchgreifenden Erfahrungsſatz entbehrlich gemacht wird.

Dieſe practiſch höchſt wichtige Regel findet u. a., und vorzüglich, Anwendung auf die Verzugszinſen, indem als Erſatz für die Mora bei einer Geldſchuld, ohne weite - ren Beweis des erlittenen Schadens, landübliche Zinſen gefordert werden können(b)L. 32 § 2 de usuris (22. 1).. Es iſt aber ganz unrichtig dieſen Fall, wie es gewöhnlich geſchieht, als eine ganz be - ſondere Klaſſe von Zinſen anzuſehen, und davon andere Klaſſen unter verſchiedenen Namen ſtrenge zu unterſcheiden(c)So z. B. werden mitunter folgende Klaſſen von Zinſen auf - geſtellt: usurae exmora, legales, punitoriae (Schilling Inſtitu - tionen III. 108). Es ſoll durch dieſe Bemerkung keinesweges in Zweifel gezogen werden, daß für manche einzelne Rechtsverhältniſſe poſitive Beſtimmungen, z. B. wegen ungewöhnlich hoher Zinſen, beſte - hen; namentlich in den Fällen, worin der Verwalter eines frem - den Vermögens das verwaltete Geld unredlich in eignen Nutzen verwendet. L. 38 de neg. gest. . 136Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.Vielmehr liegt in den Verzugszinſen nur der häufigſte Fall der Anwendung, während ganz daſſelbe Princip auch ohne Mora bei vielen Rechtsverhältniſſen zur Anwendung kommt. So ſoll insbeſondere Jeder, der fremde Geſchäfte verwaltet, und dafür aus eigenem Vermögen Auslagen macht, landübliche Zinſen des ausgelegten Geldes fordern können, auch wenn ſeinem Gegner eine Mora nicht zur Laſt fällt(d)So z. B. bei dem Mandat, der negotiorum gestio, der So - cietät und Tutel. L. 12 § 9 mand. (17. 1 ), L. 19 § 4 de neg. gest. (3. 5). Wenn in dieſen Fällen der Geſchäftsführer beweiſen kann, daß er zu ungewöhnlich hohen Zinſen Geld anfnehmen mußte um die Auslage zu machen, ſo kann er auch dafür Erſatz fordern. Das liegt wieder außer den Grenzen unſrer allgemeinen Präſumtion..

Es iſt ferner unrichtig, wenn Manche die Verzugs - zinſen als ein beſonderes Privilegium derjenigen Verträge und Klagen anſehen, die den beſonderen Namen bonae fidei actiones führen. Vielmehr beruhen ſie auf einer durchgreifenden Regel für alle Obligationen überhaupt, deren Anwendung nur bei den Condictionen (den ſtrengen Klagen) durch die beſondere Natur dieſer Klagen gehindert wird. Daher galten die Verzugszinſen ohne Zweifel von jeher auch bei allen denjenigen freien Klagen, welche nicht den Namen bonae fidei actiones führten, alſo insbeſondere bei den prätoriſchen Klagen und den extraordinariae actiones(e)So gelten Verzugszinſen.

(c)(3. 5); eben ſo die usurae rei judicatae nach Juſtinians neuen Vorſchriften. Nur iſt der Entſtehungsgrund der Zinſenfor - derung in dieſen einzelnen Fällen nicht ſpecifiſch verſchieden, anſtatt daß die Vertragszinſen von den aus einer allgemeinen Rechtsregel ent - ſtehenden durchaus verſchieden ſind.

137§. 269. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)

Es muß aber wohl bemerkt werden, daß die hier auf - geſtellte Anſicht mit ihren wichtigen Folgen nicht auf Quantitäten überhaupt, ſondern lediglich auf Geld - ſchulden Anwendung findet; hierin eben liegt ein ſehr wichtiger Unterſchied zwiſchen den Vertragszinſen, die auf Quantitäten aller Art angewendet werden können, und den aus einer allgemeinen Rechtsregel abgeleiteten Zinſen, welche nur bei Geldſchulden vorkommen(f)So liegt denn auch hierin der entſcheidende Beweis dafür, daß die L. 23 C. de usur. (ſ. o. §. 268 Note o) durchaus nicht von Verzugszinſen verſtanden wer - den darf..

Der Grund dieſes wichtigen Unterſchiedes iſt darin zu ſuchen, daß die zinsbare Benutzung des Geldes zu jeder Zeit möglich iſt, anſtatt daß das Zinsgeſchäft bei Getreide und anderen Quantitäten nur in ſeltenen Fällen und unter ſehr zufälligen Umſtänden vorzukommen pflegt. Wenn daher der Gebrauch des Getreides einem Anderen mit Unrecht ver - weigert wird, ſo ſoll keinesweges dem Beſchädigten ein Erſatz wegen des erlittenen Unrechts verſagt werden. Nur muß er die Höhe des Intereſſe beweiſen, und er ſoll nicht den Vortheil wie bei einer Geldſchuld genießen, dieſen Beweis durch die Präſumtion zu erſetzen, daß er das Ge - treide einſtweilen hätte gegen Zinſen ausleihen können. Denn gerade zu einer ſolchen Präſumtion, welche bei einer(e)bei der Pollicitation, die gewiß nicht ein bonae fidei contractus iſt. L. 1 pr. de pollic. (50. 12). Ebenſo werden in L. 38 § 8 16 de usur. (22. 1) die bonae fidei actiones mit den prätoriſchen Klagen in der Lehre von der Cauſa ganz auf gleichen Fuß geſtellt. Endlich gelten Verzugszinſen auch bei den Fideicommiſſen, welche gleichfalls nicht mit einer bonae fidei actio verbunden waren.138Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Geldſchuld wohl begründet wäre, iſt bei dem Getreide und anderen Quantitäten kein Grund vorhanden(g)Man könnte die Sache ſo denken, als ob nicht eben Getreide - zinſen für das entbehrte Getreide, wohl aber Geldzinſen für den Kauf - preis des Getreides gefordert werden könnten. Allein dieſe Anſicht würde wiederum nicht den Quantitäten eigenthümlich ſeyn, ſondern auch auf alle andere Sachen angewendet werden können, und ſie iſt im All - gemeinen durchaus zu verwerfen, wie unten gezeigt werden wird..

§. 270. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a) Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung).

Die ganze bisher angeſtellte Unterſuchung über das Zinſenrecht (§ 268. 269) ſollte nur als Grundlage dienen für denjenigen Theil deſſelben, welcher allein in den Kreis unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört, nämlich für die Prozeßzinſen, für welche nur von jenem vollſtändigen Zu - ſammenhang aus eine befriedigende Einſicht gewonnen werden kann.

Der verurtheilte Beklagte ſoll für die Früchte des Streitgegenſtandes Erſatz leiſten, welche dem Kläger durch die Dauer des Rechtsſtreits entzogen worden ſind (§ 265). Wenn nun der Gegenſtand des Rechtsſtreits in einer Geld - ſumme beſteht, ſo entſteht die practiſch ſehr wichtige Frage, ob die Zinſen dieſes Geldes als ſolche zu vergütende Früchte zu betrachten ſind, ob alſo überhaupt ein Anſpruch des Klägers auf Prozeßzinſen zu behaupten iſt. Dieſe Frage iſt im hohen Grade beſtritten, und der Streit darüber hat ſich bis in die neueſte Zeit fortgeſetzt.

139§. 270. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)

Bevor eine Antwort auf dieſe Frage verſucht werden kann, iſt für den Fall, daß in der That Prozeßzinſen an - zunehmen ſeyn möchten (alſo hypothetiſch), das Verhältniß derſelben zu den Verzugszinſen feſtzuſtellen. Wenn nämlich vor dem Anfang eines Rechtsſtreits ein Anſpruch auf Ver - zugszinſen entſtanden iſt, ſo gehen dieſe während des ganzen Rechtsſtreits fort, und es kann daneben von Prozeß - zinſen nicht die Rede ſeyn, indem dieſe von den früher entſtandenen Verzugszinſen abſorbirt werden. Daher kann von Prozeßzinſen überhaupt nur in ſolchen Fällen die Frage entſtehen, in welchen entweder eine Mora für die eingeklagte Geldſchuld (als Bedingung der Verzugszinſen) gar nicht vorhanden iſt, oder bei vorhandener Mora dennoch keine Verzugszinſen gefordert werden können.

Der letzte Fall trat entſchieden ein bei den ſtrengen Klagen des R. R. Da hier Verzugszinſen auch bei vor - handener Mora nicht gefordert werden konnten (§ 269), ſo war für die Entſtehung von Prozeßzinſen allerdings die Möglichkeit vorhanden. Der erſte Fall (der Mangel der Mora ſelbſt) kann verſchiedene Gründe haben. Er kann darin gegründet ſeyn, daß die Forderung an ſich zweifelhaft, oder in ihrem Umfang ungewiß (illiquid) iſt(a)L. 24 pr., L. 21. 47. 3 pr. de us. (22. 1 ), L. 42. 63 de R. J. (50. 17).. Ferner darin, daß eine Mahnung an den Schuldner über - haupt nicht ergangen iſt, oder nicht für einen beſtimmten Zeitpunkt bewieſen werden kann. Oft iſt auch die Zwiſchen -140Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zeit zwiſchen der Mahnung und dem Anfang des Rechts - ſtreits zu unbedeutend als daß es der Mühe lohnte, den Beweis der Mahnung zur Begründung früherer Verzugs - zinſen zu unternehmen. In allen dieſen Fällen iſt für den Anſpruch auf Prozeßzinſen hinlänglicher Raum vor - handen, und die Erfahrung zeigt es auch, daß von ihnen ſogar noch häufiger als von Verzugszinſen die Rede iſt.

Die Hauptfrage aber iſt die, ob überhaupt Prozeßzinſen gefordert werden können. Ich habe kein Bedenken, dieſe Frage zu bejahen, und zwar ſelbſt für das ältere R. R. ohne Unterſchied der ſtrengen und der freien Klagen. Die folgende Unterſuchung wird zuerſt das Princip feſtzuſtellen, dann die Anwendung auf die wichtigſten einzelnen Klagen zu machen haben.

I. Princip der Prozeßzinſen.

Dieſes wird im Allgemeinen anerkannt durch die ſchon oben angeführte Stelle, welche geradezu ausſpricht, daß Zinſen die juriſtiſche Natur der Früchte an ſich tragen(b)L. 34 de usur. (22. 1) aus Ulpian. lib. XV. ad Ed., vgl. oben § 265. b. Der ſcheinbare Wi - derſpruch, der aus L. 121 de V. S. (50. 16) hergenommen werden könnte, iſt ſchon oben §. 265. a. b. beſeitigt worden.. Der Text derſelben muß hier vollſtändig angegeben und erklärt werden: Usurae vicem fructuum obtinent, et merito non debent a fructibus separari. Et ita in legatis et fideicommissis, et in tutelae actione, et in ceteris141§. 270. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)judiciis bonae fidei servatur. Hoc idem igitur in ceteris obventionibus dicemus.

Daß dieſe wichtige Stelle gerade auf die hier vorlie - gende Frage wegen der Verpflichtungen des Beklagten im Prozeß bezogen werden muß, wird unzweifelhaft durch die Inſcription der Stelle, wodurch dieſelbe in Verbindung tritt mit einer ſehr ausführlichen Stelle Ulpians, nach welcher der Beklagte bei der Erbſchaftsklage Früchte und Zinſen herausgeben muß(c)L. 20 de her. pet. (5. 3). Von dieſer Stelle wird unten bei der Anwendung auf einzelne Kla - gen Gebrauch gemacht werden.. Daß in dem zweiten Satz der angeführten Stelle die b. f. actiones erwähnt werden, könnte den Gedanken veranlaſſen, als ſollte nach dem arg. a contrario für die ſtrengen Klagen das Gegen - theil behauptet werden. Dazu iſt indeſſen kein Grund vor - handen, vielmehr ſcheint dieſe Erwähnung blos eine beiläufige Hindeutung auf die bei den b. f. actiones allein geltenden Verzugszinſen (verſchieden von den Prozeß - zinſen) zu enthalten. Umgekehrt könnte man in dem Schlußſatz die ceterae obventiones auf die str. j. actiones beziehen wollen, für welche dann die Anwendbarkeit der Prozeßzinſen durch unſre Stelle unmittelbar bewieſen wäre. Allein auch dieſe Erklärung muß verworfen werden; obventio heißt das aus einer Sache Aufkommende, und die ceterae obventiones ſind alſo andere Arten von Nutzungen, welche eben ſowohl als die Zinſen unter den allgemeinen Begriff der fructus bezogen werden ſollen.

142Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Sind nun nach dieſem Zeugniß die Zinſen eine Art von Früchten, und ſteht es nach anderen, oben angeführten Stellen, feſt, daß der Beklagte von der L. C. an alle Früchte erſetzen muß, ohne Unterſchied der freien und ſtrengen Klagen(d)S. o. § 266 die Noten o bis s. , ſo folgt aus dieſer Combination un - widerſprechlich, daß der Beklagte von der L. C. an bei allen Arten von Klagen Zinſen zahlen muß. Damit ſind alſo die Prozeßzinſen als ſolche erwieſen, ver - ſchieden von den Verzugszinſen, indem die L. C. eine Mora in der That nicht erzeugt (§ 264), aber mit den Verzugszinſen gleichartig und auf demſelben Boden ruhend, nämlich eben ſo wie ſie aus der allgemeinen Rechtsregel entſpringend, nach welcher die Entſchädigung für jede widerrechtlich entbehrte Geldſumme in der Zahlung land - üblicher Zinſen für dieſe Summe beſteht (§ 269).

Auch noch folgende Stelle iſt häufig als eine Aner - kennung unſres Princips behandelt worden: Lite contestata usurae currunt (e)L. 35 de usur. (22. 1)..

Dieſe Stelle läßt jedoch zwei verſchiedene gleich be - rechtigte Auslegungen zu, und kann wegen dieſer Zweideu - tigkeit nicht als Beweis benutzt werden. Das currunt kann nämlich erſtens heißen: currere incipiunt(f)Für dieſe Bedeutung ſind Parallelſtellen L. 40 de reb. cred. (12. 1 ), L. 7 § 7 de administr. (26. 7). Beide Bedeutungen ſind richtig nachgewieſen von Huber praelect. in Pand. XXII. 1. § 17.; dann enthält die Stelle in der That den Ausſpruch unſres143§. 270. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Princips. Es kann aber auch heißen: currere pergunt(g)Parallelſtelle für dieſe Be - deutung: das non currunt in L. 18 de nov. (46. 2)., d. h. die Zinſen werden durch die L. C. nicht unterbrochen, nicht gehindert; dann hat die Stelle keine Verbindung mit unſrem Princip, ſie enthält vielmehr den ganz anderen, ohnehin unzweifelhaften Satz, daß die in der Klage auf ein Kapital vollzogene L. C. nicht die Wirkung einer Con - ſumtion auf die Zinſenforderung ausübt. Beide Erklärungen ſind an ſich zuläſſig; jedoch erhält die zweite eine größere Wahrſcheinlichkeit durch folgende Parallelſtelle, welche durch die Inſcription mit der unſrigen zuſammenhängt: Novatione legitime facta liberantur hypothecae et pignus, usurae non currunt (h)L. 18 de nov. (46. 2). Beide Stellen ſind genommen aus Paulus lib. LVII. ad Ed. .

Hält man beide Stellen zuſammen, ſo ergeben ſie fol - genden Sinn. Die wahre Novation (d. h. die Stipulation außer dem Prozeß) zerſtört unter andern auch den Zinſen - lauf. Die L. C., obgleich auch ſie in manchen Fällen als Novation bezeichnet wird, zerſtört den Zinſenlauf nicht(i)Dieſe Erklärung findet ſich bei Madai Mora S. 369 371, Wächter III. S. 24, wo nur etwas zu excluſiv die Richtigkeit derſelben behauptet wird, da die erſte Erklärung an ſich auch nicht verwerflich iſt..

Könnte nun nach dieſen allgemeinen Gründen die Wahrheit des Princips noch irgend zweifelhaft bleiben, ſo würde doch jeder Zweifel durch die unten folgenden An - wendungen auf einzelne Klagen gehoben werden, worin das Princip ſelbſt deutlich anerkannt iſt, und dieſe Anwendungen144Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.würden die Wahrheit des Princips beweiſen, auch wenn es in keiner Stelle allgemein ausgeſprochen wäre.

Bevor aber dieſe einzelnen Anwendungen dargeſtellt werden, müſſen noch an das Princip ſelbſt einige Fol - gerungen und nähere Beſtimmungen angeknüpft werden.

1. Prozeßzinſen können nur gefordert werden wenn der Rechtsſtreit Geld, nicht wenn er andere Quantitäten, z. B. Getreide, zum Gegenſtand hat. Alle Gründe, die für dieſen Satz ſchon oben (§ 269) bei den Verzugszinſen ausgeführt worden ſind, finden völlig gleiche Anwendung auch auf die Prozeßzinſen(k)Damit iſt denn auch der Beweis geführt, daß die L. 23 C. de usur. (§ 268. o) durchaus nicht von Prozeßzinſen verſtanden werden darf, eben ſo wenig als von Verzugszinſen (§ 269. f)..

Hier muß aber noch eine beſondere Wendung näher erwogen werden, wodurch man verſuchen könnte, die größere Ausdehnung der Prozeßzinſen, nicht blos auf andere Quantitäten, ſondern ſogar auf alle Sachen überhaupt, zu retten.

Man könnte nämlich nicht ohne einigen Schein folgende Betrachtung anſtellen. Wenn der Kläger die Sache zur Zeit der L. C. erhalten hätte, ſo konnte er ſie verkaufen und aus dem erlöſten Gelde Zinſen ziehen. Da er dieſen Vortheil entbehrt hat, ſo muß ihm derſelbe durch Zins - zahlung erſetzt werden. Allein es kommt hier zunächſt auf die Stellung und Verpflichtung des Beklagten an. Wollte man ihm den Erſatz dieſer Zinſen aufbürden, ſo145§. 270. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)könnte dieſes nur unter der Vorausſetzung geſchehen, daß man darauf das Princip der verſäumten Früchte (§ 265. 266) anwendete, d. h. daß man ihm den unterlaſſenen Verkauf als eine Culpa anrechnete. Dieſes iſt aber deswegen un - möglich, weil er ſelbſt bei den ſtrengen Klagen das Recht hat, ſich auch während des Rechtsſtreits durch Naturalreſti - tution von jedem weiteren Anſpruch wegen der Sache ſelbſt zu befreien (§ 261). Die richtige Anſicht der Sache iſt in folgender Entſcheidung eines einzelnen Falles ausge - ſprochen. Wenn Gefäße von Gold oder Silber durch Fideicommiß hinterlaſſen werden, und der Erbe mit der Entrichtung in Mora iſt, ſo braucht er doch nur dann Zinſen zu zahlen, wenn der Erblaſſer die Geräthe zum Verkauf beſtimmt hatte, außerdem nicht; alſo nur dann, wenn eigentlich ein Geldfideicommiß gemeint war, welches nur durch den Verkauf jener Gefäße zur Ausführung ge - bracht werden ſollte(l)L. 3 § 4 de usur. (22. 1). In L. 51 § 1 de her. pet. (5. 3), aus der man noch einen Zweifel her - nehmen könnte, iſt offenbar voraus - geſetzt, daß der Erbe die vor der L. C. gewonnenen Früchte verkauft, alſo in baares Geld, welches er nun ſchuldig iſt, verwandelt hat. S. u. § 271. c. .

2. Sehr verbreitet iſt die Meinung, daß Prozeßzinſen zwar bei freien, aber nicht bei ſtrengen Klagen gefordert werden könnten. Dieſe Meinung hat vielen Schein durch die ganz unzweideutige Vorſchrift, nach welcher mit der condictio indebiti lediglich das irrig gezahlte Geld ſelbſt, durchaus keine Zinſen deſſelben, gefordert werden können(m)L. 1 C. de cond. ind. . VI. 10146Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.In dieſer unbedingten Verneinung liegt dreierlei: es können keine Zinſen gefordert werden von der irrigen Zahlung an, aber auch nicht von der Mora, und endlich auch nicht von der L. C. an, welcher letzte Satz unmittelbar hierher gehört. Dabei liegt es nun ſehr nahe, dieſe Entſcheidung daraus abzuleiten, daß jene Klage eine Condiction war, alſo eben darin einen Ausdruck der Regel zu finden, nach welcher bei allen Condictionen keine Prozeßzinſen gefordert werden könnten. Dennoch iſt dieſe Annahme ohne Grund, und die Sache hat vielmehr folgenden Zuſammenhang.

Wenn baares Geld aus einem Darlehn, oder einer Stipulation, oder einem gezahlten Indebitum gefordert wurde, ſo konnte Dieſes nicht anders geſchehen als ver - mittelſt einer certi condictio. Die beſondere Natur dieſer Klage führte es mit ſich, daß die beſtimmte Geldſumme in der Intentio und Condemnatio übereinſtimmend ange - geben werden mußte, und dieſe unabänderliche Anweiſung an den Juder ſchloß jede zuſätzliche Erhöhung der Summe in dem Urtheil, alſo auch jede zuſätzliche Rückſicht auf Zinſen, gänzlich aus.

Wenn dagegen eine Stipulation zwar auch Geld zum Gegenſtand hatte, aber die Geldſumme ſelbſt nicht ausſprach, ſondern von einem außer ihr liegenden Umſtand abhängig machte(n)z. B. quanti fundus Cor - nelianus est, dare spondes? , ſo war zwar auch eine ſtrenge Klage, eine(m)(4. 4 ) Usuras autem ejus summae praestari tibi frustra desideras: actione enim con - dictionis ea sola quantitas re - petitur, quae indebita soluta est. 147§. 270. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Condiction, begründet, aber dieſe konnte nur eine incertae pecuniae Condemnatio haben(o)Gagus IV. § 49 51. Die Formel ging nun auf quanti res est, oder quidquid dari fieri oportet. , und darin lag kein Hinderniß für den Juder, die oben entwickelte allgemeine Regel der Prozeßzinſen zur Anwendung zu bringen.

Demnach war es ſelbſt bei den Römern nicht die Natur der ſtrengen Klagen an ſich, welche die Verurtheilung auf Prozeßzinſen ausſchloß, ſondern lediglich die beſondere Natur der certi condictio, da wo dieſe zur Anwendung kam, und wir müſſen daher behaupten, daß die Prozeß - zinſen auch bei den ſtrengen Klagen (nur mit Ausnahme jeder certi condictio) zur Anwendung kamen(p)Die Meinungen ſind über dieſe Frage von jeher ſehr getheilt geweſen. Verneint werden die Prozeßzinſen bei allen stricti ju - ris actiones von Noodt de foe - nore et us. III. 12, Winckler p. 345, Madai Mora S. 369, Liebe Stipulation S. 52; dage - gen werden ſie zugelaſſen von den Gloſſatoren Martinus und Jacobus (Haenel diss. do - minorum § 56 p. 42), Huber, praelect. in pand. XXII. 1. § 17, Keller § 21 Note 2 und 10. Ich ſelbſt hatte früher die erſte Meinung angenommen (B. 5 S. 141. 142. 465 ), welche ich jetzt zurück - nehme.. Incon - ſequent aber war es, daß Juſtinian bei der condictio indebiti den unbedingten alten Grundſatz aufnahm, obgleich zu ſeiner Zeit alle Formeln längſt verſchwunden waren.

3. Endlich iſt unter Denen, die überhaupt Prozeßzinſen zulaſſen, die Frage ſtreitig geworden, ob dieſelben blos bei liquiden, oder auch bei illiquiden eingeklagten Geldſummen anzuwenden ſeyen(q)Für die einſchränkende Mei - nung iſt Cannegiesser decis. Cassell. T. 1 Dec. 56 No. 6, indem er erſt von der feſtgeſtellten. Soll die Sache irgend einen prac -10*148Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tiſchen Werth haben, ſo darf ein ſolcher Unterſchied nicht gemacht werden, vielmehr müſſen auch bei illiquiden Summen Zinſen gezahlt werden. Damit geſchieht dem Beklagten kein Unrecht, weil ja dieſe ganze Zinszahlung auf der Vorausſetzung beruht, daß Geld überhaupt nicht müßig aufbewahrt, ſondern ſtets in irgend einer Form zu einem Ertrag benutzt wird. Wollte man aber jenen Unter - ſchied zulaſſen, ſo würde es niemals dem Beklagten ſchwer fallen, unabhängig von der Beſtreitung des Anſpruchs ſelbſt, in die Höhe deſſelben irgend einen Zweifel zu bringen, und dadurch das ganze Princip der Prozeßzinſen in der Anwendung zu vereiteln.

§. 271. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. a. Erweiterungen. (Prozeßzinſen. Fortſetzung.)

II. Anwendung der Prozeßzinſen auf die wichtigſten einzelnen Klagen.

Die Zeugniſſe hierüber ſind im R. R. ſeltener als man bei der practiſchen Wichtigkeit des Gegenſtandes erwarten möchte. Allein die wirklich vorhandenen ſind ſehr ent - ſcheidend, und es fehlt nicht an Erklärungsgründen, wes - halb bei vielen Klagen ſolche Zeugniſſe nicht vorkommen,(q)Liquidität an Zinſen zuläßt. Da - bei ſcheint der unrichtige Gedanke einer Strafe zum Grunde zu liegen, die den Beklagten nicht treffen dürfe, ſo lange eine Ungewißheit vorhanden ſey. Für die unbe - ſchränkte Zulaſſung iſt Hommel rhaps. Obs. 234.149§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)ſo daß jene Seltenheit an der Wahrheit des Princips keinen Zweifel erregen darf.

1. Bei der Eigenthumsklage auf beſtimmte Geld - ſtücke kann das Princip gewiß nicht zur Anwendung kommen. Sollte es angewendet werden, ſo müßte dabei die Zumuthung an den Beklagten zum Grunde liegen, das vindicirte Geld zu veräußern um es zinsbar zu benutzen; aber gerade die Veräußerung und Verzehrung der vin - dicirten Sache iſt dem Beklagten durchaus unterſagt (§ 264. p. q. r). Der Unterſchied von der perſönlichen Schuldklage auf eine Geldſumme liegt alſo darin, daß durch dieſe dem Beklagten ſein eigenes Geld abgefordert wird, deſſen Veräußerung und zinsbare Benutzung ihm nicht unterſagt iſt(a)Dieſe Eigenthümlichkeit der Vindication in Beziehung auf die Prozeßzinſen iſt richtig bemerkt von Buchka Einfluß des Pro - zeſſes S. 265. Man möchte Daſſelbe erwarten bei der (perſön - lichen) actio depositi, da auch hier beſtimmte Geldſtücke gefordert werden, und deren Veräußerung gleichfalls rechtswidrig iſt. Allein hier ſind meiſt die Prozeßzinſen durch die Mora abſorbirt, die oft ſchon vor dem Rechtsſtreit ein - tritt, ſpäteſtens aber mit der In - ſinnation der Klage, alſo in bei - den Fällen vor der L. C. (Vgl. unten Note h)..

2. Bei der Erbſchaftsklage verhält es ſich ganz anders, und gerade hier finden ſich die vollſtändigſten Zeugniſſe für die Anwendung unſres Princips. Zwar iſt auch dieſe Klage in rem, ſo gut als die Eigenthums - klage, allein ſie bezieht ſich nicht ſo wie dieſe auf eine beſtimmte einzelne Sache, ſondern auf eine Vermögens - maſſe, und umfaßt alſo nothwendig auch viele Gegen -150Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtände, die für ſich betrachtet eine obligatoriſche Natur haben. Bei dieſer Klage finden ſich folgende einzelne Beſtimmungen über Prozeßzinſen.

a) Der Beſitzer zahlt, von der L. C. an, Zinſen des - jenigen Geldes, welches er vor der L. C. aus verkauften Erbſchaftsſachen gelöſt hat, und das dadurch Beſtandtheil der Erbſchaftsmaſſe geworden iſt(b)L. 1 § 1 C, de her. pet. (3. 31) usuras pretii rerum ante L. C. venditarum, ex die contestationis computandas, om - nimodo reddere compellan - tur. Damit ſtimmt überein L. 20 § 11 de her. pet. (5. 3), nur daß hier, wie oben bemerkt, die denuntiatio anſtatt der L. C. erwähnt wird. Die in L. 20 § 6 eod. verneinte Zinsverpflichtung iſt von den vor dem Rechtsſtreit durch den redlichen Beſitzer erho - benen Zinſen zu verſtehen.. Unter dieſe ver - kaufte Erbſchaftsſachen gehören natürlich auch die Natural - früchte, die er bezogen und dann veräußert hat(c)Darauf geht L. 51 § 1 de her. pet. (5. 3), wobei nur hin - zugedacht werden muß, daß die vor der L. C. gewonnenen Früchte verkauft worden ſind, ſ. o. § 270. l. ; eben ſo ohne Zweifel auch das eingenommene Mieth - und Pachtgeld.

Hierin nun ſind unverkennbar reine Prozeßzinſen enthalten, welches ſich auch darin zeigt, daß das Princip der ver - ſäumten Früchte darauf angewendet wird. Wenn näm - lich der Beklagte das bedungene Kaufgeld einzutreiben unterläßt, ſo muß er dennoch auch davon Zinſen zahlen(d)L. 20 § 15 de her. pet. (5. 3).. Gegen den unredlichen Beſitzer hat der Kläger die Wahl, ob er, ſo wie gegen den redlichen, das erlöſte Kaufgeld mit Zinſen, oder aber den wahren Werth der Sache mit151§ 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Einrechnung der möglichen Früchte derſelben, fordern will(e)L. 20 § 12. 16, L. 36 § 3 de her. pet. (5. 3).. Das will ſagen, er kann den geſchloſſenen Ver - kauf mit ſeinen Folgen anerkennen oder nicht, je nachdem ihm das Eine oder das Andere vortheilhafter dünkt.

(b) Das Geld, wovon der Beklagte nach der eben auf - geſtellten Regel Zinſen zahlen ſoll, war von ihm ſelbſt in die Erbſchaftsmaſſe gebracht worden. Es fragt ſich aber, ob er auch von dem in der Erbſchaft vorgefundenen baaren Geld Zinſen zu zahlen hat. Nach allgemeiner Betrach - tung müſſen wir geneigt ſeyn, dieſes ganz nach derſelben Regel, wie das vorher erwähnte, zu behandeln. Er iſt Verwalter eines möglicherweiſe fremden Vermögens, und hat daher deſſen Beſtandtheile, je nach ihrer Art, als guter Hausvater zu behandeln. Ein ſolcher aber wird nicht Geldſummen müßig liegen laſſen. Wenn alſo z. B. der Verſtorbene kurz vor ſeinem Tode ein zinsbares Capital eincaſſirt, und nicht Zeit genug gehabt hat, es wieder auszuleihen, ſo dürfte der Beſitzer ſchwerlich zu rechtfertigen ſeyn, der es während des ganzen Rechtsſtreits unbenutzt liegen laſſen wollte.

Dennoch ſcheint ganz unerwartet Papinian in fol - gender von Ulpian angeführten Stelle ſagen zu wollen, daß der Beſitzer der Erbſchaft von allem vorgefundenen baaren Geld niemals Zinſen zu zahlen habe: Papinianus autem libro tertio quaestionum, si pos - sessor hereditatis pecuniam inventam in hereditate152Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.non attingat, negat eum omnino in usuras conve - niendum. (f)L. 20 § 14 de her. pet. (5. 3)..

Glücklicherweiſe haben wir aber aus demſelben Werke des Papinian, welches hier von Ulpian angeführt wird, eine Stelle, welche dazu dient, den aufgeſtellten Grundſatz nicht nur gegen dieſen ſcheinbaren Widerſpruch des Papinian zu retten, ſondern zugleich durch eine nothwendige nähere Beſtimmung vollſtändiger auszubilden: de pecunia deposita, quam heres non attingit, usu - ras praestare non cogitur (g)L. 62 pr. de rei vind. (6. 1) aus Papinianus lib. VI. Quaestionum. .

In beiden Stellen iſt die Rede von einer pecunia quam non attingit, nur wird in der erſten, als der nicht Berührende, der possessor hereditatis genannt, in der zweiten der heres, und dieſer Ausdruck, verbunden mit der Erwähnung der pecunia deposita, führt zunächſt dahin, die Stelle von einer actio depositi gegen den wahren Er - ben des Depoſitars zu erklären. Dennoch glaube ich dieſe Erklärung ſchlechthin verwerfen zu müſſen. Die ganze Stelle, woraus dieſes kleine Stück genommen iſt, ſpricht von dem Beklagten in einer Vindication, und mit dieſem kann wohl der Beklagte in einer Erbſchaftsklage, aber nicht der Beklagte in einer actio depositi, zuſammen geſtellt werden. Daher halte ich folgende Erklärung für richtiger(h)Ich will jedoch nicht ver - ſchweigen, daß auch noch eine andere Erklärung der Stelle ju - riſtiſch möglich iſt. Es kann allerdings die Rede ſeyn von dem. 153§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Heres ſteht hier für possessor hereditatis, wodurch beide Stellen auf einen und denſelben Fall bezogen werden. Pecunia deposita heißt eine Geldſumme, welche der Ver - ſtorbene dazu beſtimmt hatte, nicht in der Haushaltung verbraucht, auch nicht ausgeliehen, ſondern vielmehr als ein Rothpfennig baar aufbewahrt zu werden, welcher Fall anderwärts genau angegeben und mit dem ganz ver - wandten Ausdruck: pecunia praesidii causa reposita (oder auch seposita) bezeichnet wird(i)L. 79 § 1 de leg. 3 (32) His verbis:[quae] ibi mobilia mea erunt do lego, nummos ibi repositos ut mutui darentur, non esse legatos Proculus ait: at eos, quos praesidii causa repositos habet, ut quidam bellis civilibus factitassent, eoslegato contineri: Et audisse se rusti - cos senes ita dicentes, pecu - niam sine peculio fragilem esse: peculium appellantes, quod praesidii causa seponeretur. Dieſe Erklärung iſt ſchon ange - geben von Glück B. 8 S. 297. 298. Zur Unterſtützung derſelben kann noch folgende Bemerkung dienen. Die von Papinian an zwei Orten erwähnte pecunia in - venta (deposita) in hereditate quam heres (possessor here - ditatis) non attingit hat offen -. Solches Geld(h)Erben eines Depoſitars, gegen welchen die actio depositi ange - ſtellt wird. Nur müſſen dann fol - gende Vorausſetzuugen hineinge - tragen werden: 1. daß nicht ſchon der Verſtorbene in Mora war, denn ſonſt würde die Mora (mit der Zinſenverpflichtung) auf den Erben übergegangen ſeyn, ohne daß dieſen das Nichtberühren des Geldes ſchützen könnte (L. 87 § 1 in f. de leg. 2); 2. daß auch er ſelbſt, nicht durch Mahnung in Mora verſetzt war, aus dem - ſelben Grunde. Dieſes letzte ließe ſich allerdings ſo denken, daß der Erbe Nichts von dem Depoſitum gewußt hätte, welches die Mora abwendet (L. 42 de R. J.), und daß er doch zugleich aus Gewiſ - ſenhaftigkeit erklärte, er wolle das Geld einſtweilen unberührt laſſen, wodurch dieſer Fall dem des vin - dicirten Geldes ähnlich würde (Note a). Daß nun aber bei dieſer Erklärung ſo Vieles hinzu - gedacht werden muß, wenn der Ausſpruch nicht durch andere un - zweifelhafte Rechtsregeln widerlegt werden ſoll, macht dieſe Erklärung ſehr bedenklich, und giebt der erſten den Vorzug, welche ohnehin durch die wörtliche Ähnlichkeit bei - der Stellen unterſtützt wird.154Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſoll auch der Beſitzer der Erbſchaft fernerhin unberührt aufbewahren dürfen, ohne dafür Zinſen zu bezahlen, in - dem er nur die von dem Erblaſſer angefangene Behand - lungsweiſe dieſes Geldes fortſetzt. Erklärt man nun die von Ulpian referirte Äußerung des Papinian von dieſem ganz beſonderen Fall, wofür die ähnlichen Aus - drücke (das non attingit) ſehr deutlich ſprechen, ſo iſt der oben aufgeſtellte Grundſatz gegen jeden Widerſpruch ge - rettet: denn es wird Niemand zweifeln, daß ein ſolches Verfahren ganz in den Gränzen verſtändiger Vermögens - verwaltung liegt, nnd die Freiſprechung von Prozeßzinſen gründet ſich alsdann darauf, daß der erwähnte Nothpfennig überhaupt gar nicht als baares, zum Umlauf beſtimmtes, Geld in Betracht kommt.

3. Bei der Klage auf Legate oder Fideicommiſſe, die in baarem Gelde beſtehen, ſind Zinſen eben ſo wie andere Früchte von der Zeit der L. C. an zu entrichten(k)L. 1. 2 C. de usur. et fruct. (6. 47). Für die Früchte allein (ohne Erwähnung der Zin - ſen) wird die L. C. als Anfangs - punkt bezeichnet in L. 51 pr. fam. herc. (10. 2 ), L. 4 C. de usur. et fruct. (6. 47)., und darin liegt eine entſchiedene Anerkennung des Princips der Prozeßzinſen. Indeſſen muß dabei ſtets die Voraus - ſetzung hinzugedacht werden, daß aus zufälligen Gründen(i)bar das Anſehen einer ſprüchwört - lich erzählten Curioſität, ſo wie Gajus III. § 196 quod veteres scripserunt de eo qui in aciem perduxisset, und Gajus III. § 202 et hoc veteres scrip - serunt de eo qui panno rubro fugavit armentum. Dieſes paßt nun ſehr gut zu dem von Procu - lus erwähnten ſingulären Fall der praesidii causa nummi repositi. 155§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)nicht etwa ſchon früher eine Mora begründet war, da die Prozeßzinſen überall durch die Verzugszinſen abſorbirt werden.

Daß nämlich bei Legaten und Fideicommiſſen die Mora an ſich, vor allem Rechtsſtreit, die Forderung von Ver - zugszinſen begründet, eben ſo wie von allen anderen Früchten, iſt unzweifelhaft. Anfangs galt dieſes blos bei Fideicommiſſen, ſpäter auch bei dem legatum sinendi modo, zuletzt eben ſo bei dem damnationis und vindicationis legatum(l)Gajus II. § 280 (Fidei - commiß und leg. sinendi modo), L. 51 pr. fam. herc. (10. 2 Vin - dicationslegat), L. 91 § 7 de leg. 1 (30. Damnationslegat), L. 3 pr. de usuris (22. 1. Fideicommiß), L. 39 § 1 de leg. 1 (30. unbe - ſtimmt), L. 4 C. de us. et fruct. (6. 47. Fideicommiß, leg. damn. und vind. zugleich, ſ. u. Note m)..

Die Stellen nun, welche bald die Mora, bald die L. C. als Anfangspunkt einer ſolchen Verpflichtung erwähnen, ſind nicht ſo zu verſtehen, als ob über dieſen Gegenſatz entweder Streit, oder eine Verſchiedenheit des älteren und neueren Rechts, beſtanden hätte; vielmehr war die Mora allgemeine Regel, und die L. C. trat oft nachhelfend ein, da wo im einzelnen Fall die Bedingungen der Mora fehlten (§ 264. g). Ganz beſonders aber ſollten beide Ausdrücke, ohne unter ſich einen wahren Gegenſatz zu bilden, vielmehr den gemeinſamen Gegenſatz feſtſtellen gegen die auch wohl denkbare Meinung, nach welcher Früchte und Zinſen von der Zeit des Todes an zu rechnen ge -156Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.weſen wären. Dieſe Meinung ſollte durch alle jene Stellen vorzugsweiſe zurück gewieſen werden(m)L. 4 C. de us. et fruct. (6. 47 ) In legatis et fideicom - missis fructus post litis con - testationem non ex die mortis consequuntur, sive in rem sive in personam agatur. .

4. Bei den perſönlichen Klagen endlich werden die Prozeßzinſen zufällig gar nicht erwähnt; die Gründe dieſer Erſcheinung ſind ſchon oben angedeutet worden. Bei den freien Klagen nämlich wurden die Prozeßzinſen oft durch die vorhergehende Mora abſorbirt, und konnten alſo nur in ſolchen Fällen zur Anwendung kommen, worin die Mora zufällig fehlte. Bei den ſtrengen Klagen aber waren die Prozeßzinſen gerade für die wichtigſte Art derſelben, die certi condictio, ausgeſchloſſen, und daher auf den engeren Kreis der übrigen Condictionen beſchränkt.

In der ſchwierigen Lehre von den Prozeßzinſen würden noch immer manche Zweifel zurück bleiben können, wenn nicht eine dem älteren R. R. angehörende Frage, die mit manchen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts in Verbindung ſteht, unterſucht und beantwortet wird. Es iſt nämlich oben bemerkt worden, daß die L. C. bei allen Klagen eine Conſumtion des Klagerechts, bei manchen perſönlichen Klagen auch eine Novation der zum Grunde liegenden Obligation zur Folge hatte: die Novation jedoch mit weit beſchränkteren Wirkungen als die, welche aus einer gewöhn - lichen, nichtprozeſſualiſchen, Novation entſprangen (§ 258). 157§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Die Frage iſt nun die: wirkte die Conſumtion und die Novation auf eine Zinſenforderung?

Dabei müſſen die oben dargeſtellten Gattungen der Zinſen genau unterſchieden werden.

A. Viele derſelben hatten gar keinen ſelbſtſtändigen Rechtsgrund, indem ſie nur entweder ein Stück einer anderen Obligation bildeten (wie das Pactum auf Zinſen neben einem b. f. contractus), oder überhaupt nicht auf einer eigentlichen Obligation, ſondern nur auf dem officium judicis beruhten (wie die Verzugszinſen und die Prozeß - zinſen).

Bei dieſen hat die Sache keinen Zweifel. Die An - ſtellung der Hauptklage conſumirte gewiß die Zinſenfor - derung, ſo daß niemals ſpäterhin eine neue Klage auf ſolche Zinſen angeſtellt werden konnte.

Eine Novation konnte für dieſe Zinſenforderungen nicht eintreten, weil ſie überhaupt nicht auf einer vorhergehenden Obligation, wenigſtens nicht auf einer ſelbſtſtändigen, beruhten.

B. Andere dagegen hatten einen ſelbſtſtändigen Ent - ſtehungsgrund, wohin namentlich die auf einer Stipulation beruhenden Zinſen (neben Darlehn, oder Stipulation, als Hauptobligation) gehörten.

Hier iſt vor Allem die oben durchgeführte Regel in Erinnerung zu bringen, daß in dieſen Fällen niemals mit Einer Klage auf Kapital und Zinſen geklagt werden konnte, ſondern ſtets mit zwei verſchiedenen Klagen, einer certi und158Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einer incerti condictio. War die Hauptobligation ein b. f. contractus, ſo waren es gleichfalls zwei verſchiedene Klagen: die b. f. actio und die incerti condictio.

Wenn nun auf das Kapital geklagt wurde, ſo konnte dieſe Klage die völlig verſchiedene Zinſenklage nicht con - ſumiren, d. h. dieſe war durch die Kapitalklage nicht in judicium deducirt.

Die in der L. C. der Hauptklage liegende Novation konnte die bereits fällig gewordenen Zinspoſten gewiß nicht tilgen, da dieſe ja ſelbſt durch baare Zahlung des Kapitals nicht getilgt worden wären. Eine andere, und zwar be - ſtrittene Frage aber iſt es, ob durch die Novation der Hauptklage die Entſtehung neuer Zinſen, alſo namentlich für die ganze Zeit des dauernden Rechtsſtreits, unmöglich gemacht wurde. Man könnte dieſes mit einigem Schein behaupten, weil ja die Zinsobligation eine acceſſoriſche Natur hat; iſt nun die Kapitalforderung durch Novation getilgt, ſo ſcheint dadurch auch der acceſſoriſche Zinſenlauf für die Folge vernichtet zu ſeyn. Indeſſen muß aus fol - gendem Grunde das Gegentheil behauptet werden.

Es giebt außer den Zinſen auch noch manche andere Acceſſionen einer Obligation: namentlich Pfänder und Bürgſchaften. Alle dieſe Acceſſionen gehen durch eine ei - gentliche, vertragsmäßige Novation, eben ſo wie durch baare Zahlung, wirklich unter. Wollte man nun dieſelbe Wirkung auch der in der L. C. liegenden Prozeß-Novation zuſchreiben, ſo würde durch die L. C. der Kläger in Nachtheil gerathen,159§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)da dieſelbe doch dazu beſtimmt iſt, ihm Vortheil zu bringen. Daher gehen durch die L. C. die Acceſſionen nicht unter. Für das Pfand iſt dieſes ausdrücklich geſagt(n)L. 11 pr. § 1 de pign. act. (13. 7 ), L. 13 § 4 de pign. (20. 1). Eben ſo iſt es mit dem privilegium dotis et tutelae. L. 29 de nov. (46. 2), wo zugleich der allgemeine Grund ausgeſpro - chen iſt.. Für die Zinſen (worauf allein es hier ankommt) ſoll es ſogleich durch ein Reſcript von Severus bewieſen werden. Nur bei den Bürgſchaften verhält es ſich anders, aber nicht wegen der Novation, ſondern aus einem ganz anderen, viel weiter greifenden Grunde, der auch bei ſolchen Klagen ein - wirkte, in welchen die L. C. nicht mit einer Novation ver - bunden war. Die Klage gegen den Bürgen hatte mit der Klage gegen den Hauptſchuldner eine und dieſelbe Intentio, war alſo mit ihr (wenn auch nicht in der Bezeichnung der Perſonen, doch objectiv) identiſch, und deswegen wurde durch die Hauptklage zugleich die Klage gegen den Bürgen in judicium deducirt und conſumirt. Dieſer Satz wird von Cicero bezeugt, und galt bis auf Juſtinian, der ihn ausdrücklich aufhob(o)Cicero ad Att. XVI. 15. L. 28 C. de fidejuss. (8. 41). Ausführlich und gründlich handelt von dieſem Satz Keller § 52, wo alle hierher gehörende Quellen - zeugniſſe angeführt ſind.. Ein ähnlicher Grund trat bei den Zinſen nicht ein, deren Lauf daher durch die L. C. über die Hauptklage nicht unterbrochen wurde.

Wenn ferner auf die Zinſen geklagt wurde, ſo wurde damit die ganze Zinſenſtipulation in judicium deducirt und conſumirt, alſo ſowohl für die verfallenen als für die noch160Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.künftig zu erwartenden Zinſen, weil beide auf einer und derſelben Stipulation beruhten, die als Obligation ein Ganzes bildete. Auf die verfallenen ſprach der Juder nun wirklich, auf die künftigen zu ſprechen hatte er gegenwärtig noch keinen Grund; da aber die Klage auf dieſelbe con - ſumirt war, ſo waren dieſe künftigen Zinſen für immer verloren. Um dieſe Gefahr zu vermeiden, mußte der Kläger eine Präſcription: cujus rei dies fuit ſeiner Klage hinzu fügen(p)Gajus IV. § 131..

Dieſe Sätze mußten voran geſchickt werden, um die Er - klärung der folgenden wichtigen Stelle vorzubereiten, die auf mancherlei Weiſe misverſtanden worden iſt: Judicio coepto, usurarum stipulatio non est peremta; superest igitur, ut debitorem ejus temporis quod non est in judicium deductum convenire possis (q)L. 1 C. de jud. (3. 1) von Severus und Antoninus..

Der erſte Satz dieſer Stelle beſtätigt unmittelbar die ſo eben aufgeſtellte Behauptung, daß die Anſtellung der Kapitalklage keine Conſumtion und keine Novation für die Zinſenſtipulation bewirke, dieſe Stipulation alſo nicht zer - ſtöre. Der zweite Satz knüpft daran die Folgerung, daß auch nach angeſtellter Kapitalklage noch immer eine abge - ſonderte Zinſenklage angeſtellt werden könne. Dieſes Letzte jedoch mit der Einſchränkung, wenn nicht etwa die Klage auf die jetzt fällig gewordenen Zinspoſten durch eine ſchon früher angeſtellte Zinſenklage conſumirt ſey. Eine ſolche161§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Conſumtion aber war nicht vorhanden, ſowohl wenn noch gar nicht auf Zinſen geklagt worden war, als wenn bei einer früheren Zinſenklage die oben erklärte Präſcription angewendet war, um die Conſumtion der künftig eintretenden Zinspoſten abzuwenden(r)Mayer Litisconteſtation S. 35 38 behauptet, im Wider - ſpruch mit den hier aufgeſtellten Sätzen, die Kapitalklage habe durch die Novation der L. C. den ferneren Zinſenlauf zerſtört. Er verwechſelt dabei die Conſumtion und Nova - tion, ſo wie er die zwei verſchie - denen Klagen auf Kapital und Zinſen nicht unterſcheidet, und ohne Grund einen practiſchen Unterſchied zwiſchen Pfändern und Zinſen be - hauptet, welche ſelbſtgemachte Schwierigkeit er dann nicht ohne Scharfſinn zu beſeitigen ſucht durch die Unterſcheidung alter und neuer Rechtsinſtitute. Sein Hauptbeweis liegt in L. 90 de V. O. (45. 1), welche für den Fall der poenae stipulatio (einer anderen Form als das Zinsgeſchäft, aber mit ähnlichem Zweck und Erfolg) ganz richtig daſſelbe behauptet, welches in L. 1 C. de jud. für die Zinſen geſagt iſt. Er ſieht darin eine ver - ſteckte Anſpielung darauf, daß bei den Zinſen das Gegentheil gelte, trägt alſo ganz willkührlich ein ar - gumentum a contrario in die Stelle hinein..

Um die Lehre von den Prozeßzinſen ganz abzuſchließen, bleibt nur noch übrig, die Meinung neuerer Schriftſteller über den Zuſtand des heutigen Rechts in dieſer Lehre kurz anzugeben.

Neuerlich iſt von Mehreren die Zuläſſigkeit von Prozeß - zinſen gänzlich verworfen worden, indem ſie dieſelben nicht ſowohl negirt, als ignorirt haben. Sie gehen nämlich da - von aus, es gebe überhaupt, aus Veranlaſſung eines Rechtsſtreits, keine andere Zinſen als Verzugszinſen. Da nun (welches auch ich annehme) die L. C. keine Mora be - gründe, ſo könnten Prozeßzinſen, d. h. Zinſen die durch dieVI. 11162Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.L. C. als ſolche begründet würden, niemals vorkommen. Insbeſondere ſeyen ſie bei den stricti juris Contracten ganz unmöglich, weil für dieſe überhaupt keine Verzugszinſen zugelaſſen würden(s)Göſchen Vorleſungen B. 1. S. 478. Madai Mora S. 369 bis 373. Wächter Heft 2 S. 54. 55, Heft 3 S. 24.. Das practiſch Wichtige in dieſer Meinung liegt nicht ſowohl darin, daß man den Namen der Prozeßzinſen nicht zulaſſen, ſondern nur von Verzugs - zinſen reden will, als vielmehr darin, daß in allen Fällen, in welchen die beſonderen Bedingungen einer Mora nicht vorhanden ſind, überhaupt gar keine Zinſen gelten ſollen.

Die hier vertheidigte Meinung dagegen hat zu allen Zeiten zahlreiche Anhänger gefunden. Eigentlich gehören dahin alle Schriftſteller, welche für das R. R. die Gültig - keit der Prozeßzinſen bei den ſtrengen Klagen behaupten (§ 270. p). Dieſe meinen damit in der That die allge - meine Gültigkeit der Prozeßzinſen überhaupt im gemeinen Recht, wie ſich denn namentlich Huber zur Unterſtützung ſeiner Meinung auf die heutige Praxis beruft. Außerdem aber haben ſich auch mehrere Andere von dem rein practi - ſchen Standpunkt aus für die Annahme von Prozeßzinſen als ſolchen erklärt(t)Bayer Prozeß S. 233. 234. Linde Prozeß § 200 Note 5. Daß dieſe zugleich den Anfang von der Inſinuation berechnen, anſtatt von der L. C., ändert in dem We - ſen der Sache Nichts. Von dieſer Veränderung des Anfangspunktes wird unten beſonders die Rede ſeyn..

Bei dem Oberappellationsgericht zu Lübeck, welches für die Praxis der Vier freien Städte Zeugniß giebt, werden163§. 271. Wirkung der L. C. Prozeßzinſen. (Fortſ.)Prozeßzinſen ganz allgemein angenommen, und zwar von der Inſinuation der Klage an. In dieſem Gerichtsſprengel findet ſich ein Fall, in welchem die eigenthümliche Natur der Prozeßzinſen, verſchieden von den Verzugszinſen, beſon - ders ſcharf hervortritt. In Hamburg werden (wenigſtens nach der Meinung mancher Schriftſteller) Verzugszinſen zu Fünf, Prozeßzinſen zu Sechs Procent berechnet, ſo daß bei einer vor dem Anfang des Rechtsſtreits wirklich vorhande - nen Mora die Zinſen durch die Inſinuation um Ein Pro - cent ſteigen(u)Ich verdanke dieſe Notiz einer ſchriftlichen Mittheilung mei - nes Freundes Blume..

Der Reviſions - und Caſſationshof zu Berlin, welcher als Oberappellationsgericht für die vormals Naſſauiſchen Landestheile nach gemeinem Recht und gemeinem Prozeß entſcheidet, erkennt regelmäßig auf Prozeßzinſen von der Inſinuation an(v)Die Bezeichnung des An - fangs des Zinſenlaufs lautet ver - ſchieden: von der Inſinuation, von der Zuſtellung der Klage, von der Klage an. Es iſt überall die In - ſinuation gemeint.. In den Gründen eines Urtheils vom J. 1832 wurde hier die eigenthümliche Natur der Prozeß - zinſen, als verſchieden von den etwa ſchon vorhergegangenen Verzugszinſen, bei einer beſonderen Veranlaſſung ausdrück - lich anerkannt.

Genau dieſelbe Praxis findet ſich auch bei der Juriſten - facultät zu Berlin, die in ihrer Eigenſchaft als Spruch - collegium gleichfalls für Länder, worin das gemeine Recht gilt, Recht zu ſprechen hat(w)Auch hier kommen dieſelben.

11*164Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Preußiſche Geſetzgebung ſchließt ſich ganz an die hier aufgeſtellten Regeln des gemeinen Rechts an, nur werden die Prozeßzinſen nicht wörtlich von den Verzugs - zinſen unterſchieden, ſondern bloß als ein einzelner Fall derſelben behandelt, der jedoch bei jeder Geldforderung ſtets eintreten ſoll, wenn nicht ſchon vorher zufällig Verzugs - zinſen laufend waren. Außergerichtlich nämlich entſteht der Verzug, und durch ihn eine Zinſenforderung, durch den Eintritt eines vorbeſtimmten Zahlungstages, oder wo ein ſolcher fehlt durch Interpellation(x)A. L. R. Th. 1 Tit. 16 § 15. 16. 20. 64. 67. 68, und Tit. 11 § 827 829.. War nun ein ſolcher Verzug vor dem Rechtsſtreit nicht vorhanden, ſo entſteht derſelbe mindeſtens mit der Inſinuation der Klage, und von dieſer Zeit fängt dann auch der Zinſenlauf an(y)A. G. O. Th. 1 Tit. 7 § 48. d. .

§. 272. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Ver - urtheilung. b. Verminderungen.

Die Veränderungen in dem Gegenſtand eines Rechts - ſtreits, durch deren Eintritt eine Einwirkung der L. C. auf das materielle Rechtsverhältniß nöthig werden kann, ſind theils Erweiterungen, theils Verminderungen (§ 264). Von dieſen letzten ſoll nunmehr gehandelt werden.

(w)Varietäten vor, welche in der Note v erwähnt werden, jedoch mit überwiegender wörtlicher Erwäh - nung der Inſinuation, die oh - nehin dem Sinn nach allgemein gedacht iſt.

165§. 272. Wirkung der L. C. Verminderungen.

Auch bei ihnen kommt die oben dargeſtellte Verwandt - ſchaft und Zuſammenwirkung von drei an ſich verſchiedenen Rechtsbegriffen in Betracht: Mora, mala fides, und Litis - conteſtation, und es ſind dadurch nicht blos unter den neueren Schriftſtellern große Streitigkeiten entſtanden, ſon - dern ſelbſt in den Quellen des R. R. fehlt es nicht an verſchiedenen Meinungen, ſo wie an zweifelhaften und ſchwankenden Zeugniſſen. Ich will es verſuchen, diejenigen Regeln anzugeben, welche nach unbefangener Betrachtung und Vergleichung der Quellenzeugniſſe als letztes Reſultat aus denſelben hervorgehen.

Ehe aber die auf die Verminderungen bezüglichen Rechts - regeln aufgeſtellt werden können, iſt es nöthig, über die Natur dieſer Verminderungen ſelbſt und die verſchiedenen möglichen Gründe derſelben eine Ueberſicht zu geben.

Dahin gehört vor Allem der körperliche Untergang der Sache die den Gegenſtand eines Rechtsſtreites bildet, wohin der Tod eines Thieres, oder (bei den Römern) eines Sclaven, das Aufzehren der Sache, die durchgreifende Ver - arbeitung derſelben mit Zerſtörung ihrer bisherigen Form und Individualität, zu rechnen iſt. Eben ſo aber auch der partielle Untergang, wenn das auf einem ſtreitigen Grund - ſtück ſtehende Gebäude einſtürzt oder abbrennt, ſo wie wenn ein Thier verwundet oder verſtümmelt wird.

Es gehört dahin ferner der Verluſt des Beſitzes einer ſtreitigen Sache, indem dadurch die Herausgabe derſelben166Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem Beklagten eben ſo unmöglich gemacht wird wie durch den Untergang.

Alle dieſe Veränderungen ſind Gegenſtände ſinnlicher Wahrnehmung, indem ſie theils den körperlichen Zuſtand einer Sache, theils deren räumliches Verhältniß zu dem Beſitzer betreffen. Daß dieſe durch die jetzt anzuſtellende Unterſuchung betroffen werden, kann keinem Zweifel unter - worfen ſeyn.

Allein es giebt noch andere, und zwar unſichtbare, Fälle der Verminderung, welche darin beſtehen, daß der Geld - werth einer Sache abnimmt, während ihre Integrität und das bisherige Beſitzverhältniß unverändert bleibt; ein Fall, der beſonders bei ſchwankenden Waarenpreiſen im Handels - verkehr Statt findet. Dieſe Veränderlichkeit des Geld - werthes kommt auch bei dem Untergang einer Sache in Betracht, indem dabei, wenn überhaupt eine Entſchädigung zu leiſten iſt, die Frage entſteht, nach welcher Zeit der Geldwerth beſtimmt werden ſoll, welche Frage weiter unten beantwortet werden wird. Von dieſer Frage nun iſt aller - dings die eben berührte verſchieden, welche dahin geht, ob, auch bei unveränderter objectiven Beſchaffenheit der Sache, die bloße Verminderung des Geldwerthes Grund einer Entſchädigung werden kann. Indeſſen ſtehen doch dieſe beiden Fragen in einem ſo nahen Zuſammenhang, daß eine gemeinſame Unterſuchung durchaus räthlich erſcheint. Für - jetzt alſo werden wir uns ganz auf die Folgen derjenigen167§. 272. Wirkung der L. C. Verminderungen.Veränderungen beſchränken müſſen, welche blos eine ob - jective, äußerlich erkennbare Beſchaffenheit haben.

Ich will zuerſt diejenigen Regeln aufſtellen, die am wenigſten Zweifel mit ſich führen.

Wenn der Untergang oder der Beſitzverluſt einer ſtreiti - gen Sache nach der L. C. bewirkt wird durch Dolus oder Culpa des Beklagten, ſo muß dafür unbedingt Ent - ſchädigung geleiſtet werden, der Beklagte mag redlicher oder unredlicher Beſitzer ſeyn, in einer Mora ſich befinden oder nicht. Dieſes gehört unter die wichtigſten Wirkungen der L. C., und iſt eine Folge der obligatoriſchen Natur der L. C., welche den Beklagten verpflichtet, die Sache mit der größten Sorgfalt zu verwalten. Die aufgeſtellte Regel wird in folgenden wichtigen Anwendungen anerkannt.

  • 1. Bei der Eigenthumsklage, wenn der Untergang der Sache durch nachläſſiges Thun oder Unterlaſſen bewirkt wird
    (a)L. 36 § 1, L. 33, L. 51 de rei vind. (6. 1 ), L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1).
    (a). Eben ſo wenn durch Nachläſſigkeit der Verluſt des Beſitzes herbeigeführt wird(b)L. 63, L. 36 § 1, L. 21, L. 17 § 1 de rei vind. (6. 1 ), L. 21 § 3 de evict. (21. 2)..

Eine wichtige Erweiterung erhält dieſe Regel für den Fall des unredlichen Beſitzers; dieſer ſoll auch für den in dem Zeitraum vor der L. C. begangenen Dolus oder Culpa Entſchädigung leiſten. Dieſes iſt der wahre Inhalt folgen - der, nicht ſelten unrichtig aufgefaßter, Stelle(c)L. 45 de rei vind. (6. 1) aus Ulpianus lib. LXVIII. ad ed. :168Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Si homo sit, qui post conventionem restituitur(d)post conventionem heißt, ſo wie auch anderwärts, ſo viel als post litis contestationem (§ 257. u). Die hier erwähnte Reſtitution iſt die, welche bei den arbiträren Klagen auf die Auffor - derung des Judex geſchah. Dieſe ſollte nur dann genügen, wenn Caution geſtellt wurde, daß dadurch dem Kläger eben ſo viel, wie au - ßerdem durch das Urtheil, verſchafft wurde: Daher iſt der Inhalt dieſer Caution zugleich ein Zeugniß für den Inhalt des Urtheils (§ 260 Num. 1), in welchem Sinn es auch in meiner Erklärung aufgefaßt wird., si quidem a bonae fidei possessore, puto cavendum esse de dolo solo debere: ceteros, etiam de culpa sua(e)Durch den Gegenſatz der folgenden Worte iſt es klar, daß die Culpa vor und nach der L. C. den unredlichen Beſitzer verant - wortlich machen ſoll.: inter quos erit et bonae fidei possessor post litem contestatam (f)d. h. für diejenigen Handlungen, die er nach der L. C. begeht, die ihn alſo wegen Dolus und Culpa verantwortlich machen ſollen..

Der redliche Beſitzer, ſagt hier Ulpian, iſt verpflichtet für Dolus und Culpa einzuſtehen, die er nach der L. C. begeht, der unredliche Beſitzer auch für die vorher began - genen Handlungen ſolcher Art. Hat aber die von dem redlichen Beſitzer vor der L. C. begangene Handlung die Natur eines Dolus, ſo muß dafür allerdings auch er ein - ſtehen(g)Es ſcheint widerſprechend, daß der redliche Beſitzer eines Do - lus fähig ſeyn ſoll. Die Sache iſt aber ſo zu denken. Wenn er vor der L. C. den Sclaven manu - mittirt oder verpfändet hat, ſo war das zwar damals eine ehrliche Handlung. Wenn er ſie aber jetzt, bei der Reſtitution (die dadurch unwirkſam wird), verſchweigt, ſo macht er ſich dadurch eines Dolus ſchuldig; daher muß er Caution ſtellen, daß dergleichen nicht vor - gefallen ſey. Wetzell Vindica - tionsprozeß S. 206 211 erklärt die Stelle willkührlich und gezwun - gen, indem er unter andern einen grundloſen Unterſchied zwiſchen der Eigenthumsklage und Erbrechts - klage behauptet.. Dieſe ſtrengere Behandlung des unredlichen169§. 272. Wirkung der L. C. Verminderungen.Beſitzers für die Zeit vor der L. C. ſcheint im Zuſammen - hang zu ſtehen mit dem oben bei den Erweiterungen er - wähnten, durch das Sc. Juventianum eingeführten, dolus praeteritus (§ 266. e. g), obgleich ſie über den Buchſtaben dieſes Ausdrucks noch hinaus geht.

  • 2. Bei den perſönlichen Klagen, und zwar namentlich bei den Condictionen, bei welchen man es am erſten bezweifeln könnte, gilt dieſelbe Regel. Der Beklagte muß alſo Entſchädigung leiſten, wenn er nach der L. C. durch Dolus oder Culpa irgend einer Art den Untergang oder den Beſitzesverluſt der Sache bewirkt hat. Es liegt Dieſes in der omnis causa, zu welcher auch ihn die L. C. verpflichtet, und die darauf geht, dem Kläger alle Nachtheile zu vergüten, die aus der Dauer des Rechtsſtreites entſpringen
    (h)L. 31 pr. de reb. cred. (12. 1 ) Cum fundus vel homo per condictionem petitus esset, puto hoc nos jure uti, ut post judicium acceptum causa omnis restituenda sit: id est, omne quod habiturus esset actor, si litis contestandae tempore so - lutus fuisset. Eben ſo iſt bei der Eigenthumsklage die omnis causa zu leiſten (L. 17 § 1 de rei vind. (6. 1), und auch daraus folgt die Entſchädigungspflicht für jeden durch Culpa bewirkten Verluſt der Sache. L. 36 § 1 de rei vind. (6. 1).
    (h). Vor der L. C. iſt der Stipulationsſchuldner (wenn keine Mora vorhanden iſt) nur ſchuldig die poſitiven Handlungen zu unterlaſſen, wodurch die Erfüllung unmöglich werden würde
    (i)L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1).
    (i).
170Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 273. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. (Fortſetzung.)

Schwieriger und beſtrittener als die bisher unterſuchten Fälle der Verminderung iſt der Fall, wenn ohne Dolus und Culpa des Beklagten, alſo durch Zufall, die Ver - minderung bewirkt, z. B. die Sache zerſtört oder dem Beſitz des Beklagten entzogen wird.

Unzweifelhaft iſt es, daß in vielen Fällen dieſer Art der Beklagte Entſchädigung leiſten muß, und daß insbeſon - dere bei perſönlichen Klagen die Mora, bei Klagen in rem der unredliche Beſitz, Beſtimmungsgründe für dieſe Verpflichtung ſind. Allein theils die näheren Beſtimmungen hierüber, theils das Verhältniß der L. C. zu den beiden erwähnten Momenten, iſt in hohem Grade ſtreitig.

Unter den neueren Schriftſtellern iſt die Meinungsver - ſchiedenheit großentheils ſo zu beſtimmen. Einige ſagen, dem unredlichen Beſitz nach der L. C. ſey völlig gleiche Wirkung mit der Mora zuzuſchreiben; beide nämlich be - gründeten eine Verpflichtung zum Erſatz nur unter gewiſſen Einſchränkungen. Andere dagegen nehmen an, dieſe Ein - ſchränkungen ſeyen nur auf den unredlichen Beſitz anzu - wenden, die Verpflichtung aus der Mora dagegen ſey ganz unbedingt(a)Buchka Einfluß des Prozeſſes S. 202, wo viele Schriftſteller angeführt werden. Wächter H. 3 S. 133..

171§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)

Aber nicht blos unter den Neueren iſt ein ſolcher Widerſtreit wahrzunehmen; auch bei den Römiſchen Juriſten finden ſich theils unter den Schulen, theils unter den Ein - zelnen, ſehr abweichende Meinungen(b)Keller S. 170.. Insbeſondere werden von Einzelnen extreme Meinungen nach beiden Richtungen hin, d. h. bald zu unbedingter Bejahung, bald zu unbedingter Verneinung der Verbindlichkeit zum Erſatz angeführt. Die ſpäteren großen Juriſten aber ſuchten dieſe Extreme zu einer billigen Vermittelung hinzuführen.

Die oben angedeuteten Einſchränkungen beziehen ſich auf zwei Punkte. Es ſoll, wie behauptet wird, die Ent - ſchädigung davon abhängig gemacht werden, ob der Kläger die Sache, wenn ſie nicht untergegangen wäre, verkauft haben würde; imgleichen davon, ob der jetzt eingetretene Untergang auch dann eingetreten ſeyn würde, wenn der Kläger den Beſitz der Sache früher erhalten hätte. Beide Einſchränkungen werden bald einzeln, bald in Verbindung behauptet. Bei beiden endlich kommt es noch darauf an, wer von beiden Theilen das Daſeyn oder die Abweſenheit beider thatſächlichen Bedingungen zu beweiſen hat. Ich werde dieſe Fragen zunächſt ganz unberührt laſſen, und erſt am Schluß dieſer Unterſuchung darauf zurückkommen.

I. Bei den perſönlichen Klagen iſt die Mora das entſcheidende Moment, und hierüber ſind bei folgenden ein - zelnen Klagen ausdrückliche Beſtimmungen vorhanden.

172Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

A. Bei der Stipulation findet ſich in vielen un - zweifelhaften Stellen der unbedingte Ausſpruch, daß von der Mora an, alſo oft vor allem Rechtsſtreit, der zufällige Untergang der verſprochenen Sache den Schuldner zur Entſchädigung verpflichte(c)L. 82 § 1, L. 23 de verb. obl. (45. 1 ), L. 39 § 1 de leg. 1 (30). Weniger direct ausge - ſprochen, aber dennoch erkennbar, findet ſich dieſelbe Regel auch in L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1 ), L. 5 § 4 de in litem jur. (12. 3 ), L. 23 de pec. const. (13. 5).. Dieſe Regel erhält ihre vollſtändige Beſtimmung durch den Gegenſatz des Rechts - zuſtandes, welcher vor der Mora, in Folge des blos ge - ſchloſſenen Vertrages, ſtattfindet. In dieſem Zeitraum haftet der Schuldner nur für denjenigen Untergang, welcher durch ſeine Abſicht, oder durch ſeine culpoſe Handlungen (nicht durch bloße Unterlaſſungen) bewirkt wird(d)L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1). Aber ſelbſt bei der abſichtlichen Veräußerung, welche hiernach ge - wiß zum Erſatz verpflichtet, kann dieſe Wirkung hinterher dadurch entkräftet werden, daß die Sache durch Zufall untergeht, indem nun die Veräußerung keinen Unterſchied mehr macht. L. 45 de verb. obl. (45. 1)..

B. Ganz derſelbe Grundſatz einer unbedingten Ver - pflichtung ſoll gelten bei allen Obligationen, auch außer der Stipulation, welche mit einer Klage auf dare opor - tere (einer Condiction) verbunden ſind(e)L. 5 de reb. cred. (12. 1). Das dare oportere iſt, hier wie in vielen anderen Stellen, die Be - zeichnung der Condictionen und zwar gerade der ſtrengeren Arten derſelben, mit Ausſchluß der auf dare facere oportere gerichteten incerti condictio. . Eine bloße Anwendung dieſer Regel iſt es, daß der Dieb von dem Augenblick des Diebſtahls an, durch welchen er ſtets in eine Mora verſetzt wird, den zufälligen Untergang173§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)der geſtohlenen Sache erſetzen muß; denn gegen ihn geht die auf dare oportere gerichtete condictio furtiva(f)L. 20, L. 8 § 1 de cond. furt. (13. 1 ), L. 9 C. de furtis (6. 2)..

C. Bei dem Kaufcontract haftet gleifalls der Ver - käufer für den zufälligen Untergang der verkauften Sache(g)L. 4. 6 C. de peric. (4. 48)..

D. Dieſelbe Regel wird endlich auch bei Legaten erwähnt, wenn dem Erben zur Zeit des zufälligen Unter - gangs der Sache eine Mora zur Laſt fällt(h)L. 39 § 1, L. 47 § 6, L. 108 § 11 de leg. 1 (30), L. 23 de verb. obl. (45. 1)..

Es bedarf keines Beweiſes, daß in allen dieſen Fällen der Schuldner um ſo mehr zur Entſchädigung verpflichtet iſt, wenn der Untergang der ſtreitigen Sache durch ſeine Culpa, nicht durch Zufall, bewirkt wird.

Als Grund dieſer ſtrengen, durch die Mora herbeige - führten Verpflichtung wird in einer der angeführten Stellen der Umſtand angegeben, daß durch die Mora (alſo durch eine bewußte Rechtsverletzung) dem Berechtigten jede Mög - lichkeit entzogen worden ſey, die Sache zu verkaufen, wodurch er ſich gegen allen Verluſt geſchützt haben würde(i)L. 47 § 6 de leg. 1 (30)..

Wenn nun dieſe ſtrenge Verpflichtung von der Mora an behauptet werden muß, ſo wird dieſelbe in den meiſten hierher gehörenden Fällen um ſo weniger bezweifelt werden können, wenn es (ohne daß eine frühere Mora nachzuweiſen iſt) in dem Rechtsſtreit zur Inſinuation der Klage, oder174Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſogar zur L. C. gekommen iſt. Denn gerade in dieſen Fällen, bei dem Rechtsſtreit über eine beſtimmte einzelne Sache (bei welcher allein von dem Untergang die Rede iſt), wird nicht leicht ein Rechtsſtreit anfangen, ohne daß der Schuldner in einer Mora ſich befände. Beſonders wird dieſes gelten bei der Stipulation, deren formelle Natur meiſt allen Zweifel über das Daſeyn der Schuld aus - ſchließen muß(k)In dieſer Bemerkung liegt noch eine Beſtätigung der oben in § 264. d aufgeſtellten Erklärung der L. 82 § 1 de verb. obl. (45. 1 ) Et hic moram videtur fecisse, qui litigare maluit quam resti - tuere, nach welcher dieſe (von der Stipulation handelnde) Stelle nicht von jeder Prozeßführung über - haupt, ſondern nur von einer fri - volen, böswilligen, zu verſtehen iſt..

Dieſe Bemerkung iſt wichtig für die Erklärung einiger anderen Stellen, in welchen leicht ein Widerſpruch gegen die aufgeſtellte Regel angenommen werden könnte. In dieſen Stellen nämlich wird geſagt, eine Verpflichtung wegen des zufälligen Unterganges ſey vorhanden von der L. C. an. Dieſes wird namentlich erwähnt bei der Sti - pulation, dem Legat, dem Depoſitum, und der Obligation aus einer in jure confessio(l)L. 8 de re jud. (42. 1 ), L. 12 § 3 depos. (16. 3 ), L. 5 de confessis (42. 2)..

Es liegt ſehr nahe, in dieſe Stellen ein argumentum a contrario hineinzutragen, ſo daß der Sinn derſelben ſeyn würde: nur von der L. C., und nicht ſchon von der Mora an. Dadurch würden dieſe Stellen in einen unauf - löslichen Widerſpruch mit den vorher angeführten zahl - reichen Zeugniſſen treten, und es würde dieſer Widerſpruch175§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)als eine aus Verſehen in die Digeſten aufgenommene Con - troverſe der alten Juriſten anzuſehen ſeyn. Allein dieſe Erklärung iſt ſchon deswegen entſchieden zu verwerfen, weil derſelbe Pomponius in Einer Stelle die Mora, in einer andern die L. C. als unzweifelhaften Grund jener ſtrengen Verpflichtung bei der Stipulation angiebt(m)L. 5 de reb. cred. (12. 1) und L. 12 § 3 depos. (16. 3), beide aus Pomponius lib. XXII. ad Sabinum. Dabei iſt doch wohl an eine Controverſe gar nicht zu denken.. Jene ſcheinbar widerſprechende Stellen ſind alſo dahin zu vereinigen, daß die ſtrenge Verpflichtung von der Mora, und wo dieſe zufällig fehlt, von dem Rechtsſtreit anfängt, wobei nach den beſonderen Umſtänden des einzelnen Falles gerade die L. C. der Zeitpunkt ſeyn kann, in welchem der Richter die ſichere Annahme einer anfangenden Mora zuläſſig findet (§ 264. g). Vielleicht waren auch einige dieſer Äußerungen veranlaßt durch wirkliche Fälle, in welchem der Untergang zufällig in die Zeit nach der L. C. fiel, ſo daß ein Zurückgehen auf die frühere Zeit (von der Mora an) ohne practiſche Erheblichkeit war.

Außerdem aber findet ſich noch die Erwähnung, daß Sabinus und Caſſius jede Verpflichtung des Beklagten wegen des zufälligen Unterganges für unbillig und ver - werflich erklärten(n)L. 14 § 1 depos. (16. 3) veluti si homo mortuus fuerit, Sabinus et Cassius, ab - solvi debere eum cum quo actum est dixerunt: quia ae - quum esset, naturalem interi - tum ad actorem pertinere: uti - que cum interitura esset ea res, etsi restituta esset actori. Der letzte Satz der Stelle wird unten berückſichtigt werden.. Dieſe Erwähnung einer ſo ſtark176Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abweichenden Meinung hat nur eine hiſtoriſche Bedeutung, wie denn ſelbſt der Juriſt bei dem ſie ſich findet, eine eigene Beſtätigung derſelben nicht hinzufügt.

Ich habe abſichtlich die ſchwierigſte unter den hierher gehörenden Stellen erſt zum Schluß erwähnen wollen, um nicht das Ergebniß der ſicheren Zeugniſſe durch Einmiſchung eines dunklen unnöthig zu verwirren und zu ſchwächen. Dieſe von Ulpian herrührende Stelle hat folgenden Inhalt(o)L. 14 § 11 quod metus (4. 2).. Wenn ein Sclave durch Drohungen dem Eigenthümer abgenöthigt wird, ſo hat dieſer eine actio quod metus causa auf Rückgabe des Sclaven. Stirbt nun der Sclave durch Zufall, ſo kann das geſchehen entweder nach dem rechtskräftigen Urtheil, oder vor demſelben. Im erſten Fall, ſagt Ulpian, braucht der Beklagte Nichts mehr zu bezahlen, weil er ſchon wegen der verweigerten Natural-Reſtitution den dreifachen Werth als Strafe hat entrichten müſſen, wodurch jede fernere Leiſtung abſorbirt wird. Im zweiten Fall dagegen muß er den Werth des zufällig verlornen Sclaven erſetzen(p)l. c. si autem ante sen - tentiam .. mortuus fuerit, te - nebitur (nämlich auf einfachen Schadenserſatz) Itaque inter - dum hominis mortui pretium recipit. . Dieſer zweite Fall muß nun ſo gedacht werden, daß der Untergang des Sclaven in die Zeit zwiſchen der L. C. und dem Urtheil fiel(q)Und zwar muß noch beſtimm - ter angenommen werden, daß der Tod auch vor dem Reſtitutions - befehl des Judex Statt fand, ſonſt, ſo daß dieſe Stelle in die Reihe der ſo eben ange -177§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)führten Stellen gehört, nach welchen der zufällige Unter - gang nach der L. C. zum Erſatz verpflichten ſoll(r)Ich will es nicht für un - möglich erklären, daß auch die Analogie der Eigenthumsklage hier vorgeſchwebt haben kann, indem allerdings bei den drei hier ge - nannten perſönlichen Klagen der Beklagte auch als ein unredlicher Beſitzer angeſehen werden kann, und indem die Klage quod metus eine in rem scripta iſt. Ueber - haupt mag es dahin geſtellt blei - ben, ob das allerdings ſehr con - fuſe Ausſehen dieſer Stelle dem Verfaſſer zur Laſt fällt oder von einer ungeſchickten Behandlung der Compilatoren herrührt.. Ulpian fügt hinzu, Daſſelbe müſſe auch gelten bei den beiden Interdicten de vi und quod vi.

Wenn man übrigens die Wirkung der L. C. in der hier dargeſtellten Weiſe auffaßt, ſo iſt es einleuchtend, daß, bei dieſem Fall der ſtrengen Verpflichtung des Be - klagten, die L. C. als ſolche (d. h. durch ihre obliga - toriſche Kraft) eigentlich gar nicht für ein entſcheidendes Moment angeſehen werden kann.

II. Bei den Klagen in rem finden ſich über die Ent - ſchädigung wegen des zufälligen Untergangs folgende Ausſprüche.

A. Eigenthumsklage.

Viele ältere Juriſten hatten behauptet, durch den zu - fälligen Untergang der Sache, ſelbſt nach der L. C., werde der Beklagte durchaus nicht zum Erſatz verpflichtet. Ulpian berichtigt dieſe extreme Meinung auf folgende Weiſe(s)L. 15 § 3 de rei vind. (6. 1).. Wenn der Untergang erfolge, nachdem ſchon(q)würde wegen des Ungehorſams die Strafe des dreifachen Werthes ein - getreten ſeyn, welche ſo wie in dem erſten Fall den einfachen Schadenserſatz abſorbirt hätte. Es wäre nun eine eigentliche Mora geweſen.VI. 12178Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Judex das Recht des Klägers vorläufig anerkannt und die Natural-Reſtitution anbefohlen hatte (welches vor dem eigentlichen Urtheil geſchah § 221), ſo ſey der Beklagte allerdings zum Erſatz verpflichtet, indem nun die verzögerte Reſtitution eine wahre Mora enthalte, und daher die (oben entwickelten) Grundſätze der Mora in Obligationen anwend - bar ſeyen. Dies iſt der Sinn folgender Worte der ange - führten Stelle: Si servus petitus, vel animal aliud demortuum sit sine dolo malo et culpa possessoris, pretium non esse praestandum plerique ajunt. Sed est verius, si forte distracturus erat petitor si accepisset(t)Dieſe Worte werden weiter unten berückſichtigt werden., moram passo debere praestari(u)Die Mora in dieſer und der gleich folgenden Stelle wer - den gewöhnlich in dem allgemei - nen Sinn aufgefaßt, als ob ſie blos die in der Natur des Rechts - ſtreits liegende Verzögerung be - deuteten, alſo von Seiten des Be - klagten die (an ſich nicht zu ta - delnde) Prozeßführung anſtatt des freiwilligen Nachgebens. Schon an ſich iſt es unwahrſcheinlich, daß ein ſo beſtimmter und wich - tiger Kunſtausdruck in einer ſo vagen Bedeutung, völlig verſchie - den von dem wahren und techni - ſchen Sinn, gebraucht ſeyn ſollte. Seitdem wir aber die Natur der arbiträren Klagen aus Gajus kennen, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die hier erwähnte mora den Ungehorſam gegen den Reſtitutionsbefehl des Judex be - zeichnet, alſo daſſelbe, welches anderwärts contumacia heißt. L. 1. L. 2 § 1 de in litem jur. (12. 3). Ohne Zweifel iſt in dieſer Stelle von einem redlichen Beſitzer die Rede. Die Mora iſt hier übrigens im eigentlichſten Sinn zu nehmen, und zwar auf die Obligation in der L. C. zu beziehen (§ 258. v). Die rich - tige Erklärung der mora in dieſen Stellen hat Wetzell Vindications - prozeß S. 179 181, der aber außerdem die Stelle gezwungen und unrichtig erklärt.: nam si ei resti - tuisset, distraxisset, et pretium esset lucratus.

179§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)

Eine Beſtätigung dieſes Ausſpruchs enthält auch die Fortſetzung derſelben Stelle(v)L. 17 § 1 de rei vind. (6. 1). in folgenden Worten: Idem Julianus eodem libro scribit, si moram fece - rit in homine reddendo possessor et homo mortuus sit, et fructuum rationem usque ad rei judicatae tempus spectandam esse (w)Wenn ſogar dieſe ver - ſäumten Früchte erſetzt werden ſollen, ſo iſt gewiß vor Allem die Entſchädigung für den Werth des Sclaven ſelbſt als ein begrün - deter Anſpruch des Klägers gedacht..

Außerdem aber iſt, unabhängig von dieſer Mora und ſchon vor derſelben, der Beklagte für den zufälligen Unter - gang verhaftet, wenn er ein unredlicher Beſitzer iſt, und der Untergang nach der L. C. erfolgt(x)Vgl. die ſogleich folgende L. 40 pr. de her. pet. (5. 3), die ausdrücklich auch von der Eigen - thumsklage ſpricht. Wenn übri - gens Paulus in L. 16 pr. de rei vind. (6. 1) ſagt: non enim post litem contestatam utique et fatum possessor praestare debet, ſo reiht er ſich damit nicht etwa an die plerique an, die Ulpian in L. 15 § 3 eod. anführt und widerlegt; denn er verneint hier nur die unbedingte Erſatzverpflichtung, und dieſe ne - gative Behauptung iſt eben ſo vereinbar, mit der durch die mora neu entſtehenden Verpflich - tung (wie ſie Ulpian aufſtellt), als mit der beſonderen Verpflich - tung des unredlichen Beſitzers, (wie ſie Paulus ſelbſt in L. 40 pr. de her. pet. anerkennt)..

B. Erbrechtsklage.

Hier hatten die älteren Juriſten eine unbedingte Ver - pflichtung des Beklagten wegen des nach der L. C. ein - getretenen zufälligen Untergangs behauptet. Sie waren dazu veranlaßt worden durch die zu abſolut gefaßten Aus - drücke des Sc. Inventianum. Paulus berichtigt dieſe zu weit gehende Behauptung durch die Unterſcheidung des12*180Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.redlichen und unredlichen Beſitzers. Gegen den unredlichen Beſitzer ſey dieſe Strenge allerdings begründet, gegen den red - lichen durchaus nicht. Er fügt hinzu, ganz Daſſelbe wie bei der Erbrechtsklage, müſſe auch bei der Eigenthumsklage zur Anwen - dung kommen. Dies iſt der Sinn folgender Worte(y)L. 40 pr. deher. pet. (5. 3). Nach einer buchſtäblichen Inter - pretation könnte man die Sache ſo auffaſſen. Bei der Eigenthums - klage werde in der That von Pau - lus zwiſchen dem redlichen und unredlichen Beſitzer unterſchieden. Aber bei der Erbrechtsklage müſſe die (obgleich harte) Vorſchrift des Senatsſchluſſes auch für den redlichen Beſitzer gelten. Offen - bar will jedoch Paulus ſagen, die Härte des Scts. gegen den redlichen Beſitzer liege zwar in den Worten, aber nicht in dem Sinn deſſelben. In dieſer Hin - ſicht will er beide Klagen völlig gleich behandelt wiſſen. Die Rich - tigkeit dieſer Erklärung geht aus den Schlußworten unwiderſprech - lich hervor, die ja auf beide Kla - gen gleichmäßig paſſen.: quid enim, si post litem contestatam mancipia, aut jumenta, aut pecora deperierint? damnari debebit secundum verba orationis, quia potuit petitor, resti - tuta hereditate distraxisse ea. Et hoc justum esse in specialibus petitionibus Proculo placet. Cassius, contra sensit. In praedonis persona Proculus recte existimat: in bonae fidei possessoribus Cassius. Nec enim debet possessor aut mortalitatem praestare, aut propter metum hujus periculi temere indefensum jus suum relinquere.

Es hat jedoch keinen Zweifel, auf die Erbrechtsklage auch den Fall der unbedingten Verpflichtung des Beklagten anzuwenden, welcher oben bei der Eigenthumsklage in Folge einer eigenthümlichen Art der Mora, nachgewieſen181§. 273. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)worden iſt. Denn beide Klagen waren gleichmäßig arbi - trariae, bei beiden kam eine vorläufige Anerkennung des Rechts und ein Reſtitutionsbefehl des Judex vor, und bei beiden mußte der Ungehorſam gegen dieſen Befehl gleich ſtrenge Wirkungen hervorbringen.

Es ergiebt ſich aus dieſer Zuſammenſtellung, daß in dieſen beiden Klagen die extremen Behauptungen der älteren Juriſten ſpäterhin zu einer billigen Mitte, die eine von Ulpian, die andere von Paulus, hingeführt worden ſind.

Zugleich geht aus der hier gegebenen Darſtellung für die eigenthümliche Wirkung der L. C. als ſolcher Fol - gendes hervor. In dem Fall der beſonderen Mora (des Ungehorſams gegen den Reſtitutionsbefehl) iſt die L. C. ſelbſt gar kein entſcheidendes Moment; ſie iſt nur mittel - bar wichtig, indem gerade durch ihre vorhergehende Voll - ziehung der nachher eintretende Ungehorſam die Natur einer wahren Mora annimmt. Dagegen iſt im Fall des unredlichen Beſitzes die L. C. als ſolche das Entſchei - dende; dieſer Fall iſt daher der einzige überhaupt, von welchem man behaupten kann, daß der Zeitpunkt der L. C. die Verpflichtung des Beklagten für jeden nachher ein - tretenden zufälligen Untergang beſtimmt.

C. Man kann dieſen Klagen in rem auch noch die actio ad exhibendum hinzufügen, welche zwar eine per - ſönliche Klage iſt, aber doch großentheils nach den Regeln der Eigenthumsklage beurtheilt wird. Auch bei dieſer Klage wird eine Verpflichtung des Beklagten wegen des182Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zufälligen Untergangs ausgeſprochen, jedoch ohne nähere Angabe der Gränzen derſelben(z)L. 12 § 4 ad exhib. (10. 4) interdum .. damnandus est. Mit dieſem Ausdruck wird auf beſchränkende Bedingungen der Ver - pflichtung hingedeutet, ohne dieſe näher zu bezeichnen. Ohne Zwei - fel ſind es dieſelben Bedingungen wie bei der Eigenthumsklage: alſo entweder der unredliche Beſitz des Beklagten, oder deſſen Mora, d. h. der Ungehorſam gegen den Exhibitionsbefehl des Judex, in - dem auch dieſe Klage unter die arbiträren gehört..

Fragen wir zuletzt, welche unter den bisher aufge - ſtellten Regeln auch noch im heutigen Recht anwendbar ſind, ſo kann die Antwort kaum zweifelhaft ſeyn. Die allgemeine Verpflichtung des im Zuſtand der Mora befind - lichen Schuldners iſt unbedenklich anwendbar. Eben ſo auch die Verbindlichkeit des unredlichen Beſitzers bei den Klagen in rem von der L. C. an. Dagegen kann die eigenthümliche Art der Mora bei der Eigenthumsklage und der Erbrechtsklage bei uns nicht mehr vorkommen, da ſie durch das ganz beſondere, für uns ſpurlos verſchwundene, Prozeßverfahren bei den arbiträren Klagen des R. R. bedingt iſt. Bei uns kann daher der Fall gar nicht mehr eintreten, in welchem das R. R. den Beklagten wegen einer ſolchen eigenthümlichen Mora, nämlich wegen des Ungehorſams gegen den vor dem Urtheil erlaſſenen Reſti - tutionsbefehl, den zufälligen Untergang zu vergüten ver - pflichtete.

Das Preußiſche A. L. R. ſchließt ſich hier im Allge - meinen dem R. R. an. Es verpflichtet zur Vergütung183§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)des Zufalls nicht jeden Beklagten überhaupt, obgleich dem - ſelben von der Inſinuation an ein fingirter unredlicher Beſitz zugeſchrieben wird, ſondern nur allein den eigent - lich unredlichen Beſitzer, alſo den, welcher wirklich weiß, daß er mit Unrecht beſitzt(aa)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 241. Der eigentlich unred - liche Beſitzer iſt hier allerdings zunächſt geſagt im Gegenſatz des unrechtfertigen (§ 240), der hierin gelinder behandelt werden ſoll. Wenn aber ſchon der unrechtfer - tige, deſſen Bewußtſeyn doch immer etwas fehlerhaft iſt, von dieſer ſtrengen Verpflichtung frei ſeyn ſoll, ſo muß dieſelbe Befreiung um ſo mehr demjenigen gebühren, dem blos die fingirte Unredlich - keit wegen der Inſinuation (§ 222) zugeſchrieben werden kann, und deſſen Bewußtſeyn daneben viel - leicht vollkommen tadellos iſt. Inſofern bezeichnet das eigent - lich auch (wenigſtens indirect) einen Gegenſatz gegen den § 222. Von der Einſchränkung am Schluß des § 241 wird im folgenden § die Rede ſeyn.. Dieſelbe Verpflich - tung aber trifft auch den Schuldner, der mit der Ueber - gabe einer Sache im Verzug ſich befindet(bb)A. L. R., Th. 1 Tit. 16 § 18.. Es findet ſich hier zwiſchen beiden Rechten völlige Ueberein - ſtimmung, nur unter verſchiedenen Ausdrücken, wie ſie aus der Verſchiedenheit der allgemeinen Auffaſſung her - vorgehen mußte.

§. 274. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Ver - urtheilung. b) Verminderungen. (Fortſetzung.)

Ich wende mich jetzt zu der oben (§ 273) ausgeſetzten Frage wegen der angeblichen Einſchränkungen der ſtrengen Erſatzverbindlichkeit des Beklagten.

184Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Die erſte dieſer Einſchränkungen wird darin geſetzt, daß der Kläger die ſtreitige Sache, wenn ſie ihm zu rechter Zeit gewährt worden wäre, verkauft und eben dadurch jeden Schaden für ſein Vermögen abgewendet haben müßte. Natürlich wird dabei hinzugedacht, daß der Kläger beweiſen müſſe, er würde verkauft haben.

Betrachten wir zuerſt dieſe Frage im Allgemeinen, nach der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes, ſo muß uns jene Behauptung ſehr bedenklich erſcheinen. Wer einem Andern eine Sache zu geben ſchuldig iſt, und dieſes mit wahrer Mora unterläßt, begeht dadurch ein Unrecht mit Bewußtſeyn, welches unter andern die Folge hat, daß dem Creditor einſtweilen der Verkauf der Sache unmöglich gemacht wird(a)Nämlich factiſch unmöglich faſt immer, ſo lange der Beſitz (vielleicht auch das zu verſchaffende Eigenthum) dem Kläger entzogen iſt; zuweilen auch juriſtiſch un - möglich, während des Rechtsſtreits, wegen der Vorſchriften über das litigiosum.. Für dieſen Nachtheil kann er dem Gegner im Fall eines zufälligen Untergangs nur dadurch wahren, vollſtändigen Erſatz leiſten, daß er ihm den Werth der Sache bezahlt. Dabei erſcheint alſo die entzogene Möglichkeit des Verkaufs als Motiv der ſtrengen Ver - pflichtung. Durch die oben angegebene Behauptung ſoll nun dieſes Motiv in eine Bedingung verwandelt werden, ſo daß der Kläger nur dann einen Erſatz fordern könnte, wenn er bewieſe, daß er von jener Möglichkeit Gebrauch gemacht, alſo in der That verkauft haben würde. Dadurch wird aber die ganze Regel ſo gut als völlig entkräftet. 185§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)Denn der Beweis, daß der Kläger unter einer gewiſſen (jetzt fehlenden) Vorausſetzung Etwas gethan haben würde, iſt ſchon an ſich als eigentlicher Beweis unmöglich, ſo daß Diejenigen, die ihn dennoch fordern, anſtatt des Beweiſes eine gewiſſe factiſche Wahrſcheinlichkeit anzunehmen ge - nöthigt ſeyn werden, die doch in der That kein Beweis iſt(b)Allerdings giebt es Fälle, worin es factiſch größere Wahr - ſcheinlichkeit hat, daß der Kläger verkauft haben würde: namentlich wenn der Kläger Kaufmann iſt, und Waaren einklagt, die zu ſei - nem Handelsgeſchäft gehören. Aber auch in dieſem Fall bleibt es noch ungewiß, ob er vor dem eingetre - tenen Untergang Käufer zu den von ihm geſtellten Preiſen gefunden hätte.. Beſonders einleuchtend iſt Dieſes gerade in dem vorliegenden Fall, indem ſelbſt derjenige, der zu einem Verkauf entſchiedene Neigung hätte, einen Käufer nicht wird ſuchen und finden können, ſo lange ihm der Beſitz der Sache (bei perſönlichen Klagen auf Tradition ſogar das Eigenthum) fehlt. Nach dieſer allgemeinen Betrachtung müſſen wir alſo den für den Kläger verhinderten Verkauf als Motiv der ganzen Rechtsregel, nicht als Bedingung ihrer Anwendung, betrachten.

Sehen wir nun zu, in welcher Weiſe das R. R. dieſe Frage auffaßt.

A. Für den Fall der Mora bei den perſönlichen Klagen ſagen die meiſten unter den zahlreichen Stellen des R. R. hierüber gar Nichts. Sie ſprechen die unbedingte Verpflichtung des Beklagten zum Erſatz für den zufälligen Untergang aus, ohne irgend eine Ausnahme, ohne Erwäh - nung eines dem Kläger verhinderten Verkaufs.

186Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Eine einzige unter dieſen zahlreichen Stellen, die von Ulpian herrührt, erwähnt den Verkauf, und zwar in folgenden Worten(c)L. 47 § 6 de leg. 1 (30) aus Ulpianus lib. XXII. ad Sa - binum. : Item si fundus chasmate periit, Labeo ait, utique aestimationem non deberi: quod ita verum est, si non post moram id evenerit: potuit enim eum ac - ceptum legatarius vendere.

Hier iſt die Sache genau ſo aufgefaßt, wie ich ſie ſo eben nach allgemeiner Betrachtung zu begründen geſucht habe. Die Verpflichtung zum Erſatz, von der Zeit der Mora an, wird unbedingt ausgeſprochen. Als Motiv der Verpflichtung wird die bloße Möglichkeit des Verkaufs angegeben; nicht aber wird die hypothetiſche Wirklichkeit des Verkaufs in eine Bedingung verwandelt, ohne deren Beweis die Ver - pflichtung nicht gelten ſollte.

Allerdings kann außer der ſo eben angeführten Stelle des Ulpian auch noch die ſchon oben angeführte, ſehr ver - worrene, Stelle deſſelben Juriſten über die actio quod metus causa in Betracht kommen, die von einer perſönlichen Klage, und in derſelben von den Wirkungen der Mora, oder der die Mora vertretenden L. C. ſpricht(d)L. 14 § 11 quod metus (4. 2). Vgl. oben § 273.. Allein dieſe Stelle iſt durch die zweideutige Unbeſtimmtheit ihres Aus - drucks für die vorliegende Streitfrage ganz unentſcheidend. Sie lautet ſo:187§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.) Itaque interdum hominis mortui pretium recipit, qui eum venditurus fuit, si vim passus non esset.

Das qui kann hier ſprachlich eben ſowohl den Sinn von quia, als von si haben. Es kann alſo heißen: weil er ihn vielleicht verkauft haben wird, als wenn er ihn etwa verkauft haben wird. Die Stelle beweiſt alſo Nichts, weil ſie für beide Meinungen ausgelegt werden kann. Am wenigſten beweiſt ſie für die Annahme der Bedingung, weil derſelbe Ulpian in der unmittelbar vorher angeführten Stelle den Verkauf nicht als Bedingung, ſondern als Motiv aufgefaßt hat, welche Auffaſſung alſo auch in der gegenwärtig vorliegenden Stelle bei ihm für den Fall der Mora (oder L. C.) in perſönlichen Klagen vorauszuſetzen iſt.

B. Genau auf dieſelbe Weiſe wird von Paulus bei den Klagen auf Erbrecht oder Eigenthum die Verpflichtung des unredlichen Beſitzers von der L. C. an behandelt(e)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). Vgl. § 273.: post acceptum judicium .... damnari debebit se - cundum verba orationis, quia potuit petitor, restituta hereditate, distraxisse ea. Et hoc justum esse in specialibus petitionibus Proculo placet In prae - donis persona Proculus recte existimat.

Auch hier wieder iſt die vorausgeſetzte allgemeine Möglichkeit des Verkaufs als Motiv einer unbedingten Verpflichtung ausgedrückt, und es iſt daraus nicht eine einſchränkende Bedingung für den Fall eines wirklichen Verkaufs gemacht.

188Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

C. Bei den Klagen in rem, in welchen die ſtrenge Ver - pflichtung des Beklagten durch die dieſen Klagen eigen - thümliche Art der Mora (den Ungehorſam gegen den Reſtitutionsbefehl) begründet wird, drückt ſich Ulpian ſo aus(f)L. 15 § 3 de rei vind. (6. 1) aus Ulpianus lib. XVI. ad ed. Vgl. § 273.: Sed est verius, si forte distracturus erat petitor si accepisset, moram passo debere praestari: nam si ei restituisset, distraxisset, et pretium esset lucratus.

Hier iſt allerdings ein Ausdruck gebraucht, der ein Bedingungsverhältniß bezeichnet. Wollten wir nun deshalb einen Widerſpruch mit den vorhergehenden Stellen an - nehmen, ſo würde Dieſes dadurch ſehr bedenklich werden, daß eine dieſer Stellen gleichfalls von Ulpian herrührt. Wollten wir, um dieſem Widerſpruch zu entgehen, an - nehmen, es habe hierin bei der Mora in den Klagen in rem ein anderes Recht gegolten, als bei der Mora in Obliga - tionen und bei dem unredlichen Beſitzer, ſo würde dieſe Vorausſetzung kleinlich und unwahrſcheinlich ſeyn.

Dieſen Schwierigkeiten können wir jedoch durch folgende Erklärung der zuletzt angeführten Stelle entgehen, die zugleich eine vermittelnde Natur für die ganze hier vor - liegende Controverſe hat. Si forte distracturus erat heißt wörtlich: wenn es als eine Möglichkeit erſcheint, daß er verkauft hätte (alſo forte für: möglicherweiſe). Geſetzt nun, der Beklagte könnte in einem einzelnen Fall den189§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)Beweis führen, daß der Kläger gewiß nicht verkauft haben würde, ſo wäre durch dieſen Beweis (der freilich nur höchſt ſelten zu führen ſeyn wird und darum practiſch ziemlich unerheblich iſt) die Möglichkeit des Verkaufs ausgeſchloſſen, worauf doch die ganze Verpflichtung beruhen ſoll. Dieſe Einſchränkung könnte dann ohne Gefahr auch in die anderen Fälle hinein getragen werden, in welchen die Möglichkeit nur als Motiv, nicht als Bedingung aus - gedrückt iſt. Daß ſie bei dieſen Fällen nicht erwähnt wird, erklärt ſich befriedigend aus der ſchon erwähnten ſeltenen Anwendbarkeit. Aus demſelben Umſtand erklärt es ſich auch, daß ſo viele Stellen über die Mora in Obligationen die Verpflichtung des Schuldners zur Vergütung des zufälligen Untergangs unbedingt ausſprechen, dadurch alſo gar keinen Raum für irgend eine Art der Einſchränkung zu laſſen ſcheinen. Zugleich würde dieſe Erklärung auch auf die ſchwierige Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa (Note d) Anwendung finden, und jeden Schein eines Widerſpruchs derſelben mit den übrigen Stellen beſeitigen. Ein Beiſpiel des (immerhin höchſt ſeltenen) Beweiſes des Beklagten wäre etwa Folgendes. Ein Lehn - oder Fidei - commißgut oder auch ein fundus dotalis wird gegen einen unredlichen Beſitzer vindicirt. Ein Blitzſtrahl (alſo der Zufall) verzehrt die Gebäude durch Feuer. Hier läßt ſich die Möglichkeit des Verkaufs durch die unveräußerliche Natur des Grundſtücks widerlegen. Aber ſelbſt ohne die Vor - ausſetzung eines aus Rechtsgründen unveräußerlichen Ge -190Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genſtandes läßt ſich der Beweis der unmöglichen Veräußerung denken; wenn z. B. der Kläger in der ganzen Zeit, worin die Mora oder der unredliche Beſitz des Beklagten beſtand, in weiter Entfernung von der Heimath gelebt hat, ohne einen Bevollmächtigten zurück zu laſſen, der in ſeinem Namen den Verkauf hätte vornehmen können.

Nimmt man dieſe Erklärung an, ſo würde ſich für alle Fälle der ſtrengen Verpflichtung die Sache ſo ſtellen. Die Verpflichtung wäre in ſofern unbedingt, daß der Kläger, um ſie geltend zu machen, niemals einen beſonderen Beweis zu führen hätte. Grund der Verpflichtung wäre die dem Berechtigten entzogene Möglichkeit die ſtreitige Sache vorher zu verkaufen, und dadurch jeden Schaden von ſeinem Ver - mögen abzuwenden. Dieſe Möglichkeit verſteht ſich im Allgemeinen von ſelbſt, und nur in den ſeltenen Fällen, worin der Beklagte beweiſt, daß die Möglichkeit nicht vorhanden war, fällt auch die durch ſie begründete Ver - pflichtung zur Entſchädigung hinweg.

II. Die zweite Einſchränkung hat den Sinn, daß der zufällige Untergang nicht zum Erſatz verpflichten ſoll, wenn er auch den Kläger als Beſitzer getroffen haben würde, ſondern nur dann, wenn er eine Folge des unrecht - mäßigen Beſitzes des Beklagten war(g)Wenn ein Grundſtück durch einen Erdſturz untergeht (Note c), ſo iſt Dieſes ein Ereigniß, welches ohne Unterſchied des Beſitzers ein - getreten wäre; eben ſo wenn ein Gebäude durch einen Blitzſtrahl eingeäſchert wird. Wenn dagegen eine eingeklagte bewegliche Sache mit dem ganzen Hauſe des Be - klagten verbrennt, ſo iſt dieſer Unter -.

191§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)

Betrachten wir auch dieſe Einſchränkung zuerſt im All - gemeinen, nach der Natur des vorliegenden Rechtsverhält - niſſes. Eine ſcheinbare Rechtfertigung derſelben liegt in dem Umſtand, daß in dem erſten der beiden angegebenen Fälle der Kläger durch den vorenthaltenen Beſitz keinen bleibenden Nachtheil erlitten zu haben ſcheint, indem ſein Vermögen nach eingetretenem Untergang denſelben Umfang haben würde, der Beſitz möchte ihm vorenthalten worden ſeyn oder nicht.

Allein dieſer Schein verſchwindet, wenn man die er - wähnte Einſchränkung mit der ſo eben verſuchten Erörterung der erſten Einſchränkung zuſammenhält. Denn auch wenn der Untergang ſo allgemeiner Natur iſt, daß er überall Statt gefunden haben würde, ſo iſt doch nicht die Mög - lichkeit abzuleugnen, daß der Kläger hätte rechtzeitig ver - kaufen und dadurch von ſeinem Vermögen allen Verluſt abwenden können. Gerade auf dieſer entzogenen Möglich - keit aber beruht, wie oben gezeigt worden iſt, die ſtrenge Verpflichtung des Beklagten überhaupt.

Fragen wir jetzt, was in den Quellen des R. R. über dieſe zweite Einſchränkung vorkommt.

Alle klare und entſcheidende Stellen, welche oben für die Feſtſtellung der ſtrengen Regel ſelbſt benutzt worden ſind, ſchweigen darüber gänzlich. Wenn alſo in vielen(g)gang der ſtreitigen Sache eine Folge davon, daß eben dieſer Beklagte ſie beſaß. Allerdings werden aber auch in dieſer Hinſicht viele Fälle unentſchieden in der Mitte liegen bleiben.192Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Stellen unbedingt ausgeſprochen wird, daß bei der Stipu - lation der Schuldner durch die Mora verpflichtet werde, den zufälligen Untergang der verſprochenen Sache zu ver - güten, ohne irgend eine[Erwähnung] jener Einſchränkung, ſo würden wir durch Annahme der Einſchränkung wenig - ſtens mit dieſen Stellen in entſchiedenen Widerſpruch treten, und es würde ſehr klarer, unzweideutiger Zeugniſſe bedürfen, wenn wir auch nur zu einem Zweifel, und zu dem Verſuch einer Vereinigung der ſcheinbar widerſprechen - den Stellen veranlaßt werden ſollten. Ganz eben ſo ver - hält es ſich mit der ſtrengen Verpflichtung des unredlichen Beſitzers, ſo wie mit der eigenthümlichen Art der Mora bei den Klagen in rem.

Was wir nun in der That über jene angebliche Ein - ſchränkung im R. R. finden, läßt ſich auf folgende Äuße - rungen zurück führen.

A. Bei der actio ad exhibendum iſt ſchon oben der Satz vorgetragen worden, daß der zufällige Untergang der Sache nach der L. C. den Beklagten zuweilen zur Ent - ſchädigung verpflichte, welches ſo zu verſtehen iſt, daß die ſtrenge Verpflichtung unter denſelben Bedingungen ein - treten ſoll, wie bei der Eigenthumsklage (§ 273. z). Dieſem Ausſpruch fügt Paulus folgende Worte hinzu(h)L. 12 § 4 ad exhib. (10. 4).: Tanto magis, si apparebit, eo casu mortuum esse, qui non incidisset, si tum exhibitus fuisset.

In dieſen Worten liegt Nichts als eine beſondere Be -193§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ)kräftigung des Ausſpruchs für den hier bezeichneten Fall: es liegt aber darin keinesweges die Erklärung, daß das Gegentheil gelten ſolle, wenn der Untergang auf andere Weiſe erfolgt ſey. Eine Einſchränkung der ſtrengen Ver - pflichtung liegt in dieſen Worten durchaus nicht.

B. Bei der actio depositi war von Sabinus und Caſſius jede Verpflichtung des Depoſitars zum Erſatz des zufälligen Untergangs ſchlechthin verneint worden, welche Meinung von Gajus blos hiſtoriſch, ohne Billi - gung, erwähnt wird, und auch von den ſpäteren Juriſten, ſo wie ſpäterhin in der Compilation, verworfen worden iſt (§ 273. n). Dieſe verworfene ältere Meinung bekommt am Schluß der Stelle noch folgenden Zuſatz(i)L. 12 § 4 depos. (16. 3).: utique, cum interitura esset ea res, etsi restituta esset actori.

Dieſe Worte laſſen eine doppelte Auslegung zu. Sie können heißen: die Verneinung ſey beſonders außer Zwei - fel in dieſem Fall (obgleich ſie auch außerdem wahr und richtig ſey). Sie können aber auch ſo verſtanden werden: die Verneinung ſey nur in dieſem Fall ſchlechthin wahr (anſtatt daß in anderen Fällen etwa noch Ausnahmen zu - gelaſſen werden könnten). Für das in der Compilation anerkannte, geltende Recht ſind dieſe Worte in jedem Fall ganz gleichgültig, da ſie ſich blos auf eine verworfene ältere Meinung beziehen: nach der einen Erklärung alsVI. 13194Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bekräftigung dieſer Meinung, nach der anderen als Ein - ſchränkung derſelben.

C. Endlich bleibt noch die öfter erwähnte ſehr ver - worrene Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa übrig(k)L. 14 § 11 quod metus (4. 2). Vgl. oben § 273.. Darin wird geſagt, bei dem zufälligen Untergang während des Rechtsſtreits ſey der Beklagte zum Erſatz verpflichtet: si tamen peritura res non fuit, si metum non ad - hibuisset, tenebitur reus (l)Vollſtändig lautet der hier - her gehörende Theil der Stelle ſo: Nachdem zuerſt geſagt war, für einen Sclaven, der ohne Schuld des Beklagten entlaufen ſey, habe der Beklagte blos Caution zu ſtellen, fährt Ulpian fort: Sed et si non culpa ejus cum quo agetur obierit, si tamen per - itura res non fuit, si metum non adhibuisset tenebitur reus. Die hier curſiv gedruckten Worte ſind aus Haloander genommen, und geben folgenden Sinn. Vorher war die Rede geweſen von dem entlaufenen Sclaven ( Ergo si in fuga sit servus sine dolo malo et culpa ejus cum quo agetur, cavendum esse rel). Dagegen bildet den Gegenſatz der Fall des verſtorbenen Sclaven ( Sed et si obierit ). Die Leſeart der Florentina und der Vulgata: Sed et si non culpa ab eo cum quo agetur aberit giebt durchaus keinen erträglichen Sinn..

In dieſen Worten ſcheint allerdings, nach einem ſehr nahe liegenden argumentum a contrario, für den entgegen - geſetzten Fall (wenn die Sache in jedem Fall untergegangen wäre, z. B. bei dem natürlichen Tode des Sclaven vor Alter) jede ſtrenge Verpflichtung des Beklagten verneint zu werden, und Dieſes iſt in der That die einzige ſcheinbare Stütze der hier bekämpften Meinung. Es ſcheint mir je - doch aus folgenden Gründen durchaus unzuläſſig, den ſo195§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)eben mitgetheilten Ausſpruch dieſer Stelle zum Grunde einer allgemeinen Regel zu legen, und daraus für alle Klagen überhaupt eine ſolche Einſchränkung der ſtrengen Verpflich - tung des Beklagten zu conſtruiren. Die entſcheidendſten und unzweifelhafteſten Stellen über dieſe ſtrenge Verpflichtung, ſo - wohl bei den wichtigſten obligatoriſchen Verträgen, als bei den Klagen auf Eigenthum und Erbrecht, ſtellen die ſtrenge Verpflichtung unbedingt, ohne eine ſolche Ein - ſchränkung, auf, ſtehen alſo mit derſelben in Widerſpruch. Die Einſchränkung müßte in dieſelben aus der ange - führten Stelle erſt hinein getragen werden, und dazu iſt dieſe Stelle keinesweges geeignet. Der verworrene Inhalt derſelben iſt ſchon oben bemerklich gemacht worden. Be - ſonders von dem hier einſchlagenden Stück läßt ſich zwar einigermaßen errathen und vermuthen, in welchen beſonderen Fall, in welchen Theil des Prozeſſes es eingreifen möge, eine ſichere Behauptung iſt darüber nicht möglich. Dazu kommt noch, daß dieſe ganze Stelle von der actio quod metus causa handelt, einer für den Zuſammenhang des ganzen Rechtsſyſtems wenig erheb - lichen Klage. Eine bei dieſer gelegentlich eingeſtreute Be - merkung darf nicht maaßgebend gemacht werden für den ganzen Umkreis aller Klagen überhaupt. Ein ſolches Ver - fahren würde den richtigen Grundſätzen über den Aufbau des Rechtsſyſtems aus den Quellenzeugniſſen, alſo dem wahren Verhältniß zwiſchen Syſtem und Exegeſe, gänzlich widerſprechen.

13*196Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Erwägt man nun das oben erörterte Verhältniß beider Einſchränkungen zu einander, ſo ergiebt ſich daraus das folgende practiſche Reſultat.

  • 1. Wenn die Urſache des Untergangs mit dem unrecht - mäßigen Beſitz des Beklagten dergeſtalt zuſammenhängt, daß ohne dieſen Beſitz der Untergang ſelbſt gar nicht erfolgt wäre, ſo iſt unbedingt Entſchädigung zu leiſten, und es kommt in dieſem Fall nicht darauf an, ob der Kläger die Sache hätte verkaufen können
    (m)Die erläuternden Beiſpiele für dieſen und den folgenden Fall ſind aus der Note g zu entnehmen.
    (m).
  • 2. Im entgegengeſetzten Fall iſt zwar auch in der Regel Entſchädigung zu leiſten, jedoch nur weil es dem Kläger möglich geweſen wäre, durch rechtzeitigen Ver - kauf den Verluſt von ſich abzuwenden. Eben deshalb fällt die Entſchädigung hinweg, wenn der Beklagte beweiſt, daß ein Verkauf gewiß nicht Statt gefunden hätte.

Nimmt man dieſes Verhältniß zwiſchen beiden Sätzen an, ſo erſcheint dann das, welches als eine zweite Ein - ſchränkung oben aufgefaßt und geprüft wurde, vielmehr als eine Ausnahme der erſten, nunmehr einzigen, Ein - ſchränkung der ſtrengen Verpflichtung des Beklagten. Beide Sätze laſſen ſich alsdann in die gemeinſame Formel zuſammen faſſen, deren Natürlichkeit und Billigkeit nicht zu verkennen iſt: die ſtrenge Verbindlichkeit des Beklagten zum Erſatz197§. 274. Wirkung der L. C. Verminderungen. (Fortſ.)für den zufälligen Untergang leidet alsdann eine Aus - nahme, wenn der Kläger, ſelbſt im Fall des ihm recht - zeitig eingeräumten Beſitzes der ſtreitigen Sache, nicht im Stande geweſen wäre, den Verluſt von ſich ab - zuwenden.

Dieſe Auffaſſung der Sache ſtimmt mit der ſchwierigen Stelle des Ulpian über die actio quod metus causa inſofern überein, als auch in dieſer Stelle beide Sätze neben einander genannt werden. Ich will keinesweges behaupten, daß in derſelben gerade dasjenige logiſche Verhältniß beider Sätze zu einander ausgeſprochen ſey, welches ich hier angenommen habe. Aber ich muß auch ſehr bezweifeln, daß es jemals gelingen werde, in jener Stelle irgend eine andere practiſche Bedeutung der beiden Sätze klar und ſicher nachzuweiſen.

Das Preußiſche A. L. R. behandelt dieſen Gegenſtand in folgender Weiſe.

Die Möglichkeit des Verkaufs von Seiten des Klägers, wodurch Dieſer jeden Schaden von ſeinem Vermögen hätte abwenden können, wird hier ganz mit Stillſchweigen über - gangen. Dagegen wird die andere Frage aufgefaßt, ob der Zufall die Sache im Beſitze des Eigenthümers ebenfalls würde getroffen haben; dieſer Umſtand ſoll die Vergütung ausſchließen. In einem älteren Entwurf war Dieſes in der Art beſtimmt worden, daß der Kläger beweiſen ſolle, ihn würde der Zufall nicht betroffen haben. Späterhin iſt198Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.es dahin abgeändert worden, daß der Beklagte die Thatſache zu beweiſen hat, wovon ſeine Befreiung ab - hängt(n)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 241. Vgl. Simon Zeitſchrift B. 3 S. 328. 329..

Es gilt jedoch eine Ausnahme dieſer Ausnahme, alſo die unbedingte Nothwendigkeit der Vergütung, wenn der unredliche Beſitz des Beklagten durch eine ſtrafbare Handlung erworben wurde(o)A. L. R., Th. 1 Tit. 7 § 242. Vgl. Simon S. 332 Num. 12 (Bemerkung von Suarez)., womit hauptſächlich der Diebſtahl gemeint iſt.

§. 275. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. b. Verminderungen. Zeitpunkt der Schätzung.

In den Fällen, worin der Beklagte eine Verminderung in dem Gegenſtande des Rechtsſtreits zu vergüten hat (§ 272 274), iſt ſtets eine Schätzung in Gelde erforder - lich. Dieſelbe iſt nöthig bei jeder objectiven Verminderung, ohne Unterſchied ob dieſe in einer totalen oder partiellen Zerſtörung des Gegenſtandes, oder in dem (der Zerſtörung gleich wirkenden) Verluſt des Beſitzes beſteht. Wie, auch ohne objective Verminderung, die bloße Veränderung des Preiſes zu behandeln iſt (§ 272), wird am Schluſſe unter - ſucht werden. Ich beſchränke mich zunächſt noch auf den Fall der objectiven Verminderung, und will jetzt verſuchen,199§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.den Zeitpunkt feſtzuſtellen, für welchen die Schätzung des zu vergütenden Werthes vorzunehmen iſt.

Die Frage nach dieſem Zeitpunkt hatte für das mittlere R. R. eine viel ausgedehntere Anwendung und Wichtigkeit als für das älteſte, ſo wie für das Juſtinianiſche und heu - tige Recht. Da nämlich in der Zeit des Formularprozeſſes alle Verurtheilung nur auf baares Geld gerichtet werden durfte(a)Gajus IV. § 48., ſo war damals eine Schätzung in Geld auch da nöthig, wo der urſprüngliche Gegenſtand des Rechts - ſtreits gar keine Verminderung erlitten hatte; im Juſtinia - niſchen und heutigen Recht dagegen, ſo wie in der älteſten Zeit, iſt die Schätzung nur im Fall einer ſolchen Vermin - derung erforderlich, weil außerdem das Urtheil auf den ur - ſprünglichen Gegenſtand ſelbſt unmittelbar gerichtet wird.

Ich will eine Ueberſicht der für den Zeitpunkt der Schätzung geltenden Regeln voraus ſchicken; dadurch wird es leichter werden, die nicht geringen Schwierigkeiten zu überwinden, die mit der Begründung jener Regeln durch die Ausſprüche unſrer Rechtsquellen verbunden ſind.

Der Regel nach iſt zu unterſcheiden zwiſchen den ſtren - gen und freien Klagen. Bei den ſtrengen richtet ſich die Schätzung nach der Zeit der L. C., bei den freien nach der Zeit des rechtskräftigen Urtheils.

Zwei Ausnahmen ſind auf beide Regeln anzuwenden. Wenn durch Vertrag eine beſtimmte Zeit der Erfüllung für eine Obligation vorgeſchrieben war, ſo iſt dieſe Zeit200Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auch für die Schätzung maaßgebend. Wenn ſich der Schuldner in Mora befindet, ſo hat der Gläubiger die Wahl, ob die Schätzung nach den oben angegebenen regel - mäßigen Zeitpunkten, oder vielmehr nach dem Anfangspunkt der Mora, vorgenommen werden ſoll; natürlich wird er den Zeitpunkt wählen, der auf die höhere Summe führt. In einem einzelnen Fall (bei dem Diebſtahl) kommt ſogar eine noch ſtrengere Behandlung des Schuldners zur Anwendung.

Alle dieſe Regeln gelten jedoch nur für die perſönlichen Klagen aus Rechtsgeſchäften (Verträgen und Quaſicontrac - ten), ſo wie für die Klagen in rem; für die perſönlichen Klagen aus Delicten ſind andere Regeln anzuwenden, in - dem ſich bei ihnen die Schätzung mehr an die Zeit des begangenen Delicts anſchließt.

Die hier zuſammengeſtellten Vorſchriften ſollen nunmehr im Einzelnen dargeſtellt, und zugleich durch quellenmäßige Zeugniſſe begründet werden.

Für die als Regel an die Spitze geſtellte Unterſcheidung der ſtrengen und freien Klagen findet ſich eine ſo klare und principielle Entſcheidung in folgender Stelle des Ulpian(b)L. 3 § 2 commod. (13. 6) aus Ulpianus lib. XXVIII. ad ed. Die Stelle ſpricht zunächſt vom Commodat, knüpft aber daran ei - nen durchgreifenden allgemeinen Grundſatz., wie ſie in vielen anderen Rechtslehren nicht anzutreffen iſt, wo eine ſolche vielmehr erſt aus der Beurtheilung einzelner Rechtsverhältniſſe abſtrahirt werden muß: In hac actione, sicut in ceteris bonae fidei judiciis,201§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.similiter in litem jurabitur: et rei judicandae(c)Die Vulgata lieſt judica - tae; beide Leſearten ſind gleich annehmbar. tempus quanti res sit, observatur: quamvis in stricti juris judiciis(d)Über dieſe Leſeart vgl. oben B. 5 S. 462. Dieſelbe gehört der Vulgata an; die Florentina lieſt blos: in stricti mit allzu har - ter Auslaſſung der Worte: juris judiciis. Der Sinn iſt in beiden Leſearten nicht verſchieden. litis contestatae tempus spectetur.

Ehe ich andere, beſtätigende Stellen hinzu füge, will ich an dieſe Hauptſtelle noch einige allgemeine Bemerkungen anknüpfen.

a) Die für die bonae fidei judicia aufgeſtellte Regel wird hier offenbar als die billigere, der neueren Rechts - entwicklung angemeſſene, betrachtet. Daher würde es ganz unrichtig ſeyn, ſie als ein Privilegium der dieſen beſonderen Namen (bonae fidei) führenden Klagen anzu - ſehen. Sie iſt vielmehr unbedenklich auch anzuwenden auf die Klagen in rem, ſo wie auf die prätoriſchen und die extraordinären Klagen, alſo auf die freien Klagen überhaupt. Dieſes iſt beſonders einleuchtend für diejenigen freien Klagen, welche zugleich arbitrariae ſind, weil bei dieſen durch eine beſondere Anſtalt auf die freiwillige Erfüllung vor dem Urtheil hingewirkt wird; dieſe Einrichtung würde mit einer Schätzung nach der Zeit der L. C. ganz im Widerſpruch ſtehen.

b) Das ganze Rechtsinſtitut der L. C. dient im Allgemeinen dazu, den Vortheil des Klägers zu befördern (§ 260. No. II. ): Sehen wir zu, inwiefern dieſe allgemeine202Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Richtung bei der Anwendung unſrer Regel feſt gehalten wird, oder welches der Grund einer Abweichung ſeyn mag.

Nehmen wir an, daß bei einer ſtrengen Klage die Preiſe von der Zeit der L. C. an ſtets ſinkend geweſen ſind, ſo wird jener Zweck unmittelbar erreicht; der Kläger erhält nun wirklich den höheren Preis, den er zur Zeit der L. C. erwarten konnte, und er wird gegen den Verluſt ge - ſchützt, den er durch die Dauer des Rechtsſtreits erlitten haben würde. Nehmen wir umgekehrt ſteigende Preiſe an, ſo entgeht allerdings dem Kläger der Gewinn, den er aus dem Steigen hätte ziehen können; allein der Zweck iſt auch überhaupt nicht die Zuwendung eines Gewinnes, ſondern nur die Abwendung des eben erwähnten Schadens.

Bei den freien Klagen wird im Fall ſinkender Preiſe der Verluſt des Klägers, der aus der Dauer des Rechts - ſtreits hervorgeht, nicht abgewendet. Man kann dieſe Abweichung von dem Grundſatz der ſtrengen Klagen und von deſſen Folgen aus der Rückſicht erklären, daß dem Be - klagten nicht die aus redlichem Bewußtſeyn hervorgehende Vertheidigung ſeiner Anſprüche durch eine Art von Straf - drohung erſchwert werden ſollte(e)L. 40 pr. de her. pet. (5. 3). Nec enim debet possessor indefensum jus suum relin - quere (ſ. o. S. 180). Der ſin - kende Preis iſt analog dem zufäl - ligen Untergang der Sache.. Dieſe Auffaſſung wird unterſtützt durch den Grundſatz der Sabinianer: omnia judicia esse absolutoria(f)Gajus IV. § 114., d. h. das freiwillige203§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.Nachgeben ſollte ſtets, und während der ganzen Dauer des Rechtsſtreits, die Freiſprechung bewirken. In dieſem Grundſatz lag gewiſſermaßen die Beförderung der frei - willigen Erfüllung durch eine Art von Prämium, welche Beförderung bei den arbiträren Klagen ohnehin noch durch deren beſondere Einrichtung unterſtützt wurde(g)Wenn die ſtreitige Sache noch vorhanden war, ſo konnte ohnehin auch bei den ſtrengen Kla - gen der Beklagte durch Anwendung dieſes Grundſatzes jeden Verluſt von ſich abwenden. Der Verluſt trat alſo nur dann ein, wenn ent - weder der Beklagte Dieſes hart - näckig unterließ, oder die Sache nicht mehr vorhanden war..

Wir finden alſo hier einen Conflict zwiſchen zwei ver - ſchiedenen Zwecken und Principien, die auf entgegengeſetzte Folgen hinführten. Dem in den freien Klagen befolgten Princip aber wurde bei fortgehender Rechtsentwicklung der überwiegende Werth zugeſchrieben. Im heutigen Recht kann ohnehin nur noch von dieſem Princip die Rede ſeyn.

c) So verſchieden auch die beiden, für zwei Arten der Klagen aufgeſtellten, Regeln ſeyn mögen, ſo bilden ſie doch einen gemeinſamen Gegenſatz gegen eine andere, gleichfalls denkbare, Beſtimmung, die alſo durch ſie gleichmäßig ver - neint werden ſoll. Dieſes iſt der Anfang der Obliga - tion, nach deſſen Zeitpunkt auch wohl die Schätzung verſucht werden könnte(h)Dieſer Zeitpunkt iſt bei den Delictsklagen wirklich berück - ſichtigt worden, wie unten gezeigt werden wird. Hier iſt nur von den perſönlichen Klagen aus Rechts - geſchäften, und von Klagen in rem die Rede.. Der Hauptgedanke iſt alſo dieſer: es ſoll die Schätzung nicht nach dem Zeitpunkt der ent -204Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtandenen Obligation vorgenommen werden, ſondern viel - mehr nach der Zeit des Rechtsſtreits, wobei ſich nun die untergeordnete Differenz zeigt, daß in den ſtrengen Klagen nach der Zeit der L. C., in den freien nach der Zeit des Urtheils, geſchätzt wird. Die Rechtfertigung jenes Gedankens liegt aber darin, daß es dem Gläubiger ſelbſt eine Zeit lang gleichgültig oder ſelbſt vortheilhaft ſcheinen kann, die Erfüllung einſtweilen nicht zu verlangen, daß es aber ſtets in ſeiner Macht ſteht, die Klage anzuſtellen, und dadurch unter andern auch die Schätzungszeit zu fixiren.

d) Dieſe letzte Bemerkung iſt nicht unwichtig, indem ſie einen natürlichen Anknüpfungspunkt darbietet zur Erklärung und Begründung der oben angegebenen zwei Ausnahmen. Wenn nämlich in dem Vertrag die Zeit der Erfüllung be - ſonders beſtimmt iſt, ſo liegt darin zugleich die vorbedachte Anerkennung des Zeitpunktes, in welchem die Erfüllung von dem Gläubiger erwartet wird und für ihn Werth hat, wodurch alſo der oben angegebene Zuſtand des unbeſtimmten Willens des Gläubigers ausgeſchloſſen iſt. Daſſelbe gilt von dem Fall der Mora; denn wenn der Kläger, auch nur außergerichtlich, zur Erfüllung auffordert, ſo fixirt er da - durch gleichfalls den Zeitpunkt der Schätzung, indem außer - dem der Schuldner von ſeiner rechtswidrigen Zögerung Vortheil ziehen würde.

e) Die hier aufgeſtellten Anſichten und Rechtsregeln haben auch in dem Römiſchen Formelweſen ihren gegen - ſätzlichen Ausdruck gefunden, welches ſich theils beſtimmt205§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.nachweiſen, theils ſehr wahrſcheinlich machen läßt. Der Ort der Formel, an welchem der Prätor über die Zeit der Schätzung eine Anweiſung zu geben hatte, war unſtreitig die Condemnatio, und hier mußte die Anweiſung anders gefaßt werden, je nachdem man die Schätzung in die Ver - gangenheit ſetzen wollte (die Zeit der entſtandenen Obligation), oder in die Gegenwart (Zeit der L. C.), oder in die Zukunft (Zeit des Urtheils). Für dieſe ver - ſchiedene Möglichkeiten boten ſich folgende Ausdrücke dar:

    • quanti res fuit,
    • quanti res est,
    • quanti res erit
    condemna.

Der erſte dieſer Ausdrücke iſt auch wirklich gebraucht worden bei einer Delictsklage, der actio legis Aquiliae, in welcher der Werth zur Zeit des begangenen Delicts maaß - gebend ſeyn ſollte, nur noch mit einer gewiſſen Ausdehnung zum Nachtheil des Schuldners, und als Strafe für den - ſelben(i)L. 2 pr. ad L. Aqu. (9. 2) quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes domino dare damnas esto. L. 27 § 5 eod. quanti ea res fuit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto. In beiden Fällen ſollte von der Zeit des (in der Vergangenheit liegenden) Delicts zurück gerech - net werden. Allerdings lieſt in der zweiten angeführten Stelle ſo - wohl die Florentina, als die Vul - gata: erit anſtatt fuit. Nur Ha - loander hat fuit. Allein die Rich - tigkeit dieſer letzteren Leſeart wird ganz außer Zweifel geſetzt durch die gleich nachfolgenden Worte Ulpians aus dem Commentar zu dieſer Geſetzesſtelle: haec verba: quanti in triginta die - bus proximis fuit rel. (L. 29 § 7 eod., eben ſo wie die vorige Stelle aus Ulpianus lib. XVIII. ad ed.).

206Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der dritte Ausdruck wurde auch wirklich gebraucht bei den freien Klagen, von welchen wir aus unſrer Regel ohnehin wiſſen, daß bei ihnen die Schätzung auf die Zeit des Urtheils gerichtet werden ſollte(k)Gajus IV. § 47 bei der actio depositi in factum con - cepta: quanti ea res erit, tantam pecuniam condem - nato. Gajus IV. § 51 bei der Eigenthumsklage und der actio ad exhibendum: quanti ea res erit, tantam pecuniam condemna. .

Erwägt man dieſe erweislich gebrauchten Ausdrücke, ſo wird man kaum zweifelhaft darüber ſeyn können, daß der in der Mitte liegende zweite Ausdruck (quanti res est) bei den ſtrengen Klagen angewendet wurde; denn für dieſe wurde nach unſrer ſicheren Regel die Schätzung auf die Zeit der L. C. gerichtet, welche für den die Formel feſt - ſtellenden Prätor die Gegenwart war. Für dieſe letzte Be - hauptung kann ich allerdings ein beweiſendes Zeugniß nicht vorbringen, welches jedoch blos aus der großen Armuth an aufbewahrten wirklichen Formeln überhaupt herrührt. Jeder andere Ausdruck würde an dieſer Stelle faſt unmöglich ſeyn, da er einen entſchieden falſchen, unſrer ſicheren Regel widerſprechenden, Gedanken enthalten müßte.

Ich will jetzt noch einige andere Stellen angeben, worin die von Ulpian aufgeſtellte Regel über die Schätzungszeit in einzelnen Anwendungen beſtätigt wird. Mit dieſen aber ſollen zugleich die Zeugniſſe für die erſte Ausnahme jener Regeln (im Fall der vorbeſtimmten Zeit der Erfüllung) 207§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.zuſammengefaßt werden, weil in der That mehrere Stellen die Regel und dieſe erſte Ausnahme neben einander aus - ſprechen:

  • 1. Bei der Stipulation einer beſtimmten Sache ſpricht Africanus die Regel in folgenden Worten aus
    (l)L. 37 mandati (17. 1).
    (l): Aliter in stipulatione servatur: nam tunc id tempus spectatur, quo agitur.
  • 2. Bei der Stipulation auf Wein und andere Quantitäten hat Gajus die Regel und die erſte Ausnahme, mit dem Zuſatz, daß Daſſelbe auch bei allen anderen Sachen gelte
    (m)L. 4 de cond. tritic. (13. 3).
    (m): Si merx aliqua, quae certo die dari debebat, petita sit, veluti vinum, oleum, frumentum, tanti litem aestimandam Cassius ait, quanti fuisset eo die, quo dari debuit: si de die nihil convenit, quanti tunc cum judicium acciperetur Quod et de ceteris rebus juris est.
  • 3. Bei einem Darlehen auf Wein drückt Julian die Regel und die erwähnte Ausnahme aus, mit aus - drücklicher Verneinung der Zeit des Contracts, ſo wie des Urtheils
    (n)L. 22 de reb. cred. (12. 1). Die kleine Lücke in der Florenti - niſchen Handſchrift kann keinen Zweifel erregen.
    (n): Vinum quod mutuum datum erat, per judicem petitum est: quaesitum est, cujus temporis aesti - matio fieret: utrum cum datum esset, an cum208Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.litem contestatus fuisset, an cum res judicaretur? Sabinus respondit, si dictum esset, quo tempore redderetur, quanti tunc fuisset: si non, quanti tunc cum petitum esset.
  • 4. Die Ausnahme allein, bei einer Stipulation in diem oder sub conditione, wird anerkannt von Julian und von Celſus
    (o)L. 59 de verb. obl. (45. 1 ), L. 11 de re jud. (42. 1).
    (o).

Nachdem ſowohl die Regel, als die erſte Ausnahme (die vertragsmäßig beſtimmte Erfüllungszeit betreffend) dargeſtellt worden iſt, bleibt noch die Unterſuchung der zweiten Ausnahme übrig, welche ſich auf den Fall der Mora des Schuldners(p)Ich ſpreche hier blos von dieſer, welche allein von practiſcher Erheblichkeit iſt. Für die Mora des Gläubigers (im Abnehmen der Sache) gilt aber dieſelbe Ausnahme wie für die des Schuldners, näm - lich daß ihm ſeine Mora keinen Vortheil bringen ſoll, d. h. daß der Gegner zwiſchen zwei Zeit - punkten der Schätzung die Wahl hat. Nur ſind hierüber die Stel - len weniger klar und entſcheidend. L. 37 mand. (17. 1 ), L. 3 § 4 de act. emt. (19. 1). bezieht. Daß überhaupt eine ſolche Ausnahme gilt, und daß ſie auf eine nachtheiligere Behandlung des Schuldners, in Vergleichung mit der außerdem geltenden Regel, gerichtet iſt, darüber iſt kein Streit. Der Nachtheil ſoll überhaupt unſtreitig darin be - ſtehen, daß der Gläubiger zwiſchen verſchiedenen Zeitpunkten für die Schätzung die Wahl haben, d. h. den vortheilhafteſten Zeitpunkt zu wählen berechtigt ſeyn ſoll. Welches aber die verſchiedenen, zur Auswahl ſtehenden, Zeitpunkte ſind, darüber haben ſich zwei Meinungen gebildet. Nach der209§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.einen Meinung ſoll der Gläubiger die Wahl haben zwiſchen dem Zeitpunkt der Mora, und demjenigen Zeitpunkt welcher ohne Mora nach der allgemeinen Regel gelten würde. Nur in dem einzigen Fall, wenn mit der condictio furtiva gegen den Dieb geklagt wird, ſoll dieſe Ausnahme noch dadurch geſchärft werden, daß der höchſte Werth der ganzen Zwiſchenzeit (nicht blos der unter jenen zwei einzelnen Zeitpunkten) vergütet werden ſoll(q)Donelli Comm. in var. tit. Dig. Antverp. 1582. f. Lib. 12 T. 1 L. 22 N. 26 p. 157. Schulting theses contr. Th. 37 N. 8 (Com - ment. ac. T. 3 p. 118). Madai Mora § 48, der gleichfalls zwiſchen dem Diebe und anderen Schuldnern unterſcheidet, außerdem aber manches Unrichtige beimiſcht.. Die zweite Meinung geht dahin, die ſo eben bei dem Diebe erwähnte ſtrengere Behandlung bei jeder Mora allgemein eintreten zu laſſen, ſo daß in jedem Fall der Mora der Schuldner den höchſten Werth bezahlen müßte, welchen die Sache in der ganzen Zwiſchenzeit jemals erreicht hat(r)Huber praelect. Pand. XIII. 3. § 7 11. Glück B. 13 § 844. Thibaut § 99 ed. 8, und Braun zu Thibaut § 103. Puchta Pandekten § 268 Note f. Buchka Einfluß des Prozeſſes S. 187 198..

Ich nehme die erſte Meinung, welche zwiſchen dem Diebe und den übrigen Schuldnern unterſcheidet, als richtig an, und gründe dieſelbe zunächſt auf folgende einzelne Zeugniſſe.

I. Von dem Fall der Mora im Allgemeinen han - deln dieſe Stellen:

  • 1. L. 3 § 3 de act. emti (19. 1 ): Si per venditorem vini mora fuerit, quo minus tra -VI. 14210Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.deret, condemnari eum oportet, utro tempore pluris vinum fuit, vel quo venit(s)Dabei wird ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß die Ablieferung auf der Stelle gefordert worden ſey, die Zeit des Contracts alſo mit der Mora zuſammenfalle. Sonſt würde die Mora als gleich - gültig gedacht werden müſſen, welches gewiß nicht die Meinung des Pomponius iſt, der ja gleich in den Anfangsworten die Mora als Bedingung der nach - folgenden Ausſprüche angiebt., vel quo lis in con - demnationem deducitur(t)Lis in condemnationem deducitur heißt: der bisher ge - führte Rechtsſtreit wird zur Condemnation gebracht; es iſt eine Umſchreibung der Zeit des Urtheils. Res in judicium, oder auch in intentionem condemnatio - nemve deducitur (L. 2 pr. de exc. ) heißt: Das Rechtsver - hältniß wird gerichtlich anhän - gig gemacht, in einen Rechtsſtreit verwandelt; es iſt eine Umſchrei - bung der L. C.: item quo loco pluris fuit, vel quo venit, vel ubi agatur.

In dieſer Stelle iſt augenſcheinlich nur von der Wahl zwiſchen zwei einzelnen Zeitpunkten die Rede, durchaus nicht von den in die Zwiſchenzeit fallenden Veränderungen. Dafür ſpricht auch die völlige Gleichſtellung der Zeit mit dem Orte, indem bei dieſem letzten offenbar nur die Wahl zwiſchen zwei einzelnen Orten in Frage kam, nicht auch die zwiſchen allen in der Mitte liegenden Orten.

  • 2. L. 21 § 3 de act. emti (19. 1 ): Cum per venditorem steterit quo minus rem tradat nec major fit obligatio, quod tardius agitur, quamvis crescat si vinum hodie pluris sit: merito: quia sive datum esset, haberem emptor, sive non: quoniam saltem hodie dandum est, quod iam olim dari oportuit.
211§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.

Auch in dieſer Stelle iſt keine Rede von den ſchwan - kenden Preiſen der Zwiſchenzeit; es wird nur verglichen der Preis zur Zeit der Mora, mit dem Preiſe welcher ho - die ſtattfindet; d. h. zur Zeit des Urtheils, für deſſen richtigen Inhalt ja eben hier eine Anweiſung gegeben wer - den ſoll.

  • 3. L. 37 mandati (17. 1 ): Aliter in stipulatione servatur: nam tunc id tempus spectatur, quo agitur: nisi forte aut per promissorem steterit, quo minus sua die solveret, aut per credi - torem, quo minus acciperet: etenim neutri eorum frustratio sua prodesse debet.

Der Zweck der ganzen Ausnahme wird hier richtig darin geſetzt, daß dem Schuldner ſeine rechtswidrige Ver - zögerung keinen Vortheil bringen dürfe; dieſer Zweck aber wird vollſtändig erreicht durch die Wahl des Klägers zwiſchen den zwei angegebenen Zeitpunkten, auf welche allein auch in der angegebenen Stelle hingedeutet wird.

  • 4. L. 3 de cont. tritic. (13. 3)
    (u)Dieſe wichtige Stelle wird erſt in dem folgenden §. erklärt, und dann auch für den gegenwär - tigen Zweck benutzt werden.
    (u).

II. Die Mora bei dem Diebe wird in folgender Stelle behandelt(v)L. 8 § 1 de cond. furt. (13. 1) von Ulpian. Eben ſo bei der actio rerum amotarum nach folgender Stelle, die zugleich den im Text aufgeſtellten Satz ſelbſt beſtätigt. L. 29 rer. amot. (25. 2) von Tryphonin: Rerum amotarum aestimatio ad tem - pus quo amotae sunt referri debet: nam veritate furtum fit, etsi lenius coercetur mulier sed si pluris factae (res) non:14*212Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Si ex causa furtiva res condicatur, cujus temporis aestimatio fiat, quaeritur. Placet tamen, id tempus spectandum, quo res unquam plurimi fuit: maxime, cum deteriorem rem factam fur dando non liberatur: semper enim moram fur facere videtur.

Ich füge dieſen einzelnen Stellen noch eine allgemeine Betrachtung hinzu. Diejenigen, welche die für den Dieb vorgeſchriebene ſtrengſte Behandlung auf alle Fälle der Mora anwenden wollen, gehen dabei von der Anſicht aus, daß der Kläger, wenn er die Sache zur rechten Zeit bekom - men hätte, den Augenblick des höchſten Preiſes der Zwiſchen - zeit zum Verkauf hätte benutzen können; wie verſchiedene Wendungen auch für dieſe Anſicht in neuerer Zeit verſucht worden ſind. Allein die Vorausſetzung, daß er dieſen Vortheil wirklich benutzt haben würde, iſt ſehr willkührlich und unwahrſcheinlich; gewiß ungleich unwahrſcheinlicher,(v)restituuntur, quae amotae sunt, crescit aestimatio, ut in con - dictione furtivae rei. Be - denklich iſt folgende, auch von Ul - pian herrührende Stelle: L. 2 § 3 de priv. del. (47. 1). Es wird aus Pomponius angeführt, durch die cond. furtiva werde die a. L. Aquiliae wegen derſelben Sache nicht ausgeſchloſſen: nam - que Aquilia eam aestimationem complectitur, quanti eo anno plurimi fuit: condictio autem ex causa furtiva non egreditur retrorsum judicii accipiendi tempus. Daß hier die Zurück - rechnung verneint wird, iſt unbe - denklich; daß aber die Schätzung auf die Zeit der L. C., (anſtatt des Verbrechens) geſtellt wird, wider - ſpricht geradezu den übrigen Stel - len, ſowohl über die Condiction als über die furti actio. Wahr - ſcheinlich iſt dieſe Angabe blos ein Stück der aus Pomponius an - geführten Meinung, welches Ul - pian mit aufnimmt, ohne es ge - rade zu billigen. Es muß dann hierüber eine Controverſe beſtanden haben, wohin auch das Placet in L. 8 § 1 de cond. furt. zu deuten ſcheint.213§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.als die oben erwähnte Annahme, daß er überhaupt verkauft haben könnte (S. 184. 190). Für den gerechten Anſpruch des Klägers iſt genug gethan, wenn demſelben zwiſchen zwei Zeitpunkten die Wahl gelaſſen wird, insbeſondere da es ja immer von ſeinem freien Entſchluß abhängt, die Klage zu der Zeit anzuſtellen, worin er es gerade am vortheilhafteſten findet.

Dagegen hat die hier vertheidigte Unterſcheidung zwiſchen dem Diebe und allen übrigen Schuldnern folgenden inneren Grund. Der Dieb iſt ſo zu betrachten, als ob er in jedem Augenblick ſeinen Diebſtahl wiederholte. Dies iſt nicht ſo zu verſtehen, als ob die gegen ihn geltenden Klagen ins Unendliche vervielfältigt, und dadurch zu einem völlig ſchrankenloſen Ertrag gebracht werden dürften, welches widerſinnig ſeyn würde. Es hat vielmehr den Sinn, daß er in jedem Augenblick denſelben (nicht einen neuen) Dieb - ſtahl wirklich begeht, ſo daß der Beſtohlene völlig in ſeinem Rechte iſt, wenn er ſich den vortheilhafteſten Zeitpunkt ausſucht, um zu behaupten, daß der Diebſtahl gerade damals begangen worden ſey. Dies iſt der wahre Sinn der ſo eben mitgetheilten Worte: semper enim moram fur facere videtur. Dieſe Worte ſollen eine eigenthümliche Verpflich - tung des Diebes bemerklich machen. Deswegen dürfen ſie nicht verſtanden werden von der ſtetigen Fortdauer und Wirkſamkeit der Mora überhaupt; denn dieſe Natur hat die Mora auch bei allen übrigen Schuldnern. Sie bekommt ihre wahre Bedeutung durch die eben gegebene Erklärung,214Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.deren Richtigkeit ſogleich noch durch eine Stelle über die Delictsklage aus dem Diebſtahl (die actio furti) außer Zweifel geſetzt werden wird. Ein rein practiſcher Grund der härteren Behandlung des Diebes, gerade in der hier vorliegenden Beziehung, liegt auch noch darin, daß meiſt der Beſtohlene den Dieb lange Zeit nicht kennt, die An - ſtellung der Klage alſo nicht ſo, wie bei anderen Klagen, in ſeiner Macht ſteht. Derſelbe Grund hat auch veranlaßt, daß in dieſem Fall die Mora ohne Interpellation ent - ſtehen ſoll.

Die ganze bisherige Unterſuchung beſchränkte ſich auf die perſönlichen Klagen aus Rechtsgeſchäften und die Klagen in rem. Es bleibt nur noch übrig, mit wenigen Worten von der Schätzungszeit bei den Delictsklagen zu ſprechen. Hier iſt als feſter Zeitpunkt, von welchem ausgegangen werden muß, nicht der Rechtsſtreit (wie bei den bisher betrachteten Klagen), ſondern vielmehr die begangene That zu betrachten, jedoch mit einigen Modificationen zum Nachtheil des Schuldners. Wir finden hierüber folgende Zeugniſſe:

A. Bei der actio L. Aquiliae richtet ſich die Schätzung nach der Zeit der begangenen That, jedoch ſo, daß dabei zugleich der höchſte Werth innerhalb eines gewiſſen rück - wärts liegenden Zeitraums berückſichtigt wird(w)L. 21 § 1 ad L. Aquil. (9. 2)..

215§. 275. Wirkung der L. C. Schätzungszeit.

B. Bei der actio furti wird gleichfalls der Zeitpunkt der begangenen That zum Grunde der Schätzung gelegt(x)L. 9 de in litem jur. (12. 3).. Wenn jedoch in der nachfolgenden Zeit die Sache einen höheren Werth bekommt, ſo muß dieſer höhere Werth zum Grund gelegt werden, da auch in dieſer ſpäteren Zeit der Diebſtahl wirklich begangen worden iſt(y)L. 50 pr. de furtis (47. 2).: Idemque etsi nunc deterior sit, aestimatione relata in id tempus, quo furtum factum est. Quod si pretiosior facta sit, ejus duplum, quanti tunc cum pretiosior facta sit, fuerit, aestimabitur: quia et tunc furtum ejus factum esse verius est.

In dieſen letzten Worten iſt die vollſtändige Beſtäti - gung der vorher für die Mora bei der condictio furtiva aufgeſtellten Behauptung unverkennbar enthalten.

Wenn wir zum Schluß erwägen, in wiefern die hier über die Schätzungszeit aufgeſtellten Regeln auch noch im heutigen Recht anwendbar ſind, ſo können wir über fol - gende Annahme kaum zweifelhaft ſeyn. Zwei Regeln ſind es, welche ihre practiſche Bedeutung für uns verloren haben: die eigenthümliche Behandlung der ſtrengen Klagen, weil wir ſolche nicht mehr haben; imgleichen die für die Delictsklagen aufgeſtellten Regeln, weil auch dieſe für uns verſchwunden ſind. Alles Übrige, alſo der bei weitem größte Theil der über die Schätzungszeit aufgeſtellten Re -216Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geln, iſt für uns völlig eben ſo anwendbar, wie er es im R. R. war.

§. 276. Wirkung der L. C. II. Umfang der Verurtheilung. b) Verminderungen. Zeitpunkt der Schätzung. L. 3 de cond. tritic.

In der eben angeſtellten Unterſuchung über den Zeit - punkt der Schätzung (§ 275) waren zwar einzelne Fragen vielfach beſtritten worden; die Hauptpunkte aber ſchienen feſt und gewiß, welches namentlich von der allgemeinſten Regel behauptet werden mußte, nach welcher für die ſtrengen Klagen die L. C., für die freien Klagen das Ur - theil, den Zeitpunkt der Schätzung beſtimmen ſollte. Über dieſe Hauptregel war ein ſo klarer, unzweideutiger Aus - ſpruch vorhanden (§ 275. b), daß daneben für keinen möglichen Zweifel Raum übrig zu bleiben ſchien.

Dieſe beruhigende Sicherheit aber wird ſehr erſchüt - tert durch eine Stelle des Ulpian, welche für den dem alten, ſtrengen Recht angehörenden Theil jener Regel, worin am wenigſten Zweifel zu erwarten waren, gerade das Gegentheil zu ſagen ſcheint. Die Stelle fängt näm - lich an mit folgenden Worten(a)L. 3 de cond. trit. (13. 3) aus Ulpianus lib. XXVII. ad ed. : In hac actione si quaeratur, res quae petita est cujus temporis aestimationem recipiat, verius est, quod Servius ait, condemnationis tempus spectandum.

217§. 276. Wirkung der L. C. Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit.

Es iſt hier von keiner anderen Klage die Rede, als von der condictio triticaria, d. h. von einer ſtrengen Klage, womit irgend etwas Anderes als eine beſtimmte Geldſumme gefordert wird(b)L. 1 pr. de cond. trit. (13. 3), welche aus demſelben Buch des Ulpian ad ed. genommen iſt, wie die L. 3 cit. Vgl. oben B. 5 S. 622. 626.; ohne Zweifel wird dabei eine Stipu - lation als Grund der Klage vorausgeſetzt. Daß aber in der That an keine andere als dieſe Klage gedacht werden kann, folgt nicht etwa blos aus dem Digeſtentitel, in welchen die Stelle aufgenommen iſt (denn Dieſes könnte auf einem Verſehen der Compilatoren beruhen), ſondern auch aus dem Umſtand, daß die Stelle demſelben Theil eines Werks des Ulpian angehört, wie eine andere Stelle, die unmittelbar vorher ausführlich von jener Klage handelt (Note a. b).

Von dieſer Condiction nun ſagt hier Ulpian, es müſſe die Schätzung auf die Zeit der Condemnation gerichtet werden, alſo auf die Zeit des Urtheils, nicht wie man erwarten mußte, auf die Zeit der L. C.

Dieſer ſchneidende und unerwartete Widerſpruch hat von jeher die größten Bemühungen zur Beſeitigung des - ſelben hervorgerufen; die meiſten derſelben ſind aber ſo willkührlich und bodenlos, daß es kaum begreiflich iſt, wie man ſich damit hat begnügen können.

So iſt behauptet worden, die condictio triticaria ſey gar nicht stricti juris, ſondern bonae fidei, und ſie gehöre218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem jus gentium an(c)Cocceji jus controv. XIII. 3 qu. 2 mit der Anmerkung von Emminghaus. Hier kamen die wunderlichſten und bodenloſeſten Anſichten über die Claſſification der Klagen vor.: eine Behauptung, die ſelbſt vor der Entdeckung des Gajus völlig unerlaubt war.

Andere haben geſagt, die verſchiedene Schätzungszeit richte ſich gar nicht nach dem Unterſchied der ſtrengen und freien Klagen, ſondern nach dem Gegenſtand der Obli - gation; bei Quantitäten ſoll nach der Zeit der L. C. ge - ſchätzt werden, bei individuellen Sachen nach der Zeit des Urtheils(d)Dieſe ſchwer zu begreifende Meinung findet ſich bei Donellus, der ſich an mehreren ſeiner Schrif - ten ſehr weitläufig mit dieſer Stelle beſchäftigt hat. Donelli comm. in var. tit. Dig. Ant - verp. 1582. f, und zwar Lib. 12 T. 1 L. 22 N. 5. 19. 21 26, und Lib. 13 T. 3 L. 3 N. 12. 13. 25. Von der erſten dieſer zwei Stellen wird ſogleich erwähnt werden, welche Merkwürdigkeit ſie außerdem darbietet.. Dabei wird die Hauptſtelle des Ulpian, welche die allgemeinſte Regel in klarem, unzweideutigem Ausſpruch enthält (§ 275. b) durch willkührliche Behand - lung in den Hintergrund gedrängt, beſonders aber wird die Stelle des Gajus (§ 275. m) ohne die ihr gebührende Beachtung gelaſſen, welche zuerſt von der Condiction auf Quantitäten ſagt, daß nach der Zeit der L. C. geſchätzt werden müſſe, und dann die entſcheidenden Worte hinzu - fügt: quod et de ceteris rebus juris est(e)Es wird überhaupt bei den Erklärungsverſuchen zu dieſer Stelle recht anſchaulich, wie im R. R. aller Erfolg der Quellenforſchung davon abhängt, die vorzugsweiſe entſcheidenden Stellen heraus zu finden, an die Spitze zu ſtellen, und feſtzuhalten, dabei aber mit völliger Unbefangenheit zu ver - fahren, anſtatt daß die Meiſten, in ſchwierigen Fällen wie der vor - liegende, vorgefaßte Theorieen fer - tig mitbringen, und dieſen die Quellenzeugniſſe gut oder ſchlecht anzupaſſen ſuchen..

219§. 276. Wirkung der L. C. Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit.

Andere haben das Daſeyn einer Mora, welches augen - ſcheinlich erſt in dem Fortgang der Stelle mit in die Be - trachtung gezogen wird, und dann zu ganz anderen Re - geln führt, mit in dieſen erſten Satz herein gezogen, und dadurch den inneren Zuſammenhang der Stelle gänzlich zerſtört(f)Cujacius in L. 59 de verb. oblig. Glück B. 13 § 844 S. 271 300. Liebe Stipu - lation S. 54. 55..

Neuerlich iſt der Verſuch gemacht worden, der Stelle durch Emendation des Textes zu helfen(g)Huſchke in der Zeitſchrift von Linde B. 20 S. 267.. Es ſoll ge - leſen werden: contestationis, anſtatt condemnationis, wo - durch die oben aufgeſtellte Hauptregel auch in unſrer Stelle eine einfache Beſtätigung erhielte. Allein erſtens fehlt es an jeder Erklärung, wie in alle Handſchriften ohne Ausnahme die Veränderung jenes Wortes gekommen ſeyn ſollte, ohne auch nur in kleinen Abweichungen der Hand - ſchriften irgend eine Spur zu hinterlaſſen; ein Bedenken, das durch die geringe Zahl der zu verändernden Buchſtaben nicht gehoben wird. Zweitens kommt contestatio allein, ohne den Zuſatz von litis oder judicii, in dieſer Bedeutung anderwärts nicht vor (§ 257. f).

Man könnte auch noch den Verſuch machen, den ſcheinbaren oder wirklichen Widerſpruch daraus zu erklä - ren, daß eine Controverſe einzelner Juriſten, oder eine Aenderung des älteren R. R. durch das neuere, ange - nommen würde. Allein jeder Verſuch ſolcher Art muß220Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſogleich aufgegeben werden, wenn man erwägt, daß gerade die zwei Hauptſtellen, auf deren Vereinigung es ankommt, aus zwei ganz nahe an einander liegenden Stücken eines und deſſelben Werks von Ulpian herge - nommen ſind(h)Unſre Stelle iſt aus dem 27., die L. 3 § 2 commod. aus dem 28. Buch des Ulpian ad edictum entnommen..

Das ganze Gewicht unſrer Stelle und die ganze Schwierigkeit liegt in dem Ausdruck: condemnationis tempus. Condemnatio aber hat im R. R. zwei verſchie - dene, wiewohl verwandte, Bedeutungen, für welche die Anwendung jenes Wortes völlig gleich berechtigt iſt, und die alſo auch mit gleichem Rechte vorausgeſetzt werden dürfen, wo es auf die Erklärung einer Stelle, die jenes Wort enthält, ankommt.

Condemnatio heißt zuerſt einer der Vier Haupttheile der formula, die practiſche Anweiſung des Prätors an den Judex über Verurtheilung oder Freiſprechung. Es iſt die condemnatio a praetore concepta.

Condemnatio heißt aber auch das vom Judex ausge - ſprochene Urtheil, die res judicata, in ſofern das Urtheil gerade zum Nachtheil des Beklagten ausfällt. Es iſt die condemnatio a judice prolata, die Vollziehung des ihm vom Prätor gegebenen Auftrags.

Es iſt einleuchtend, daß die Erwähnung der erſten Art der condemnatio in die Juſtinianiſchen Rechtsbücher(i)Gajus IV. § 39. 43. 44.221§. 276. Wirkung der L. C. Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. eigentlich nicht mehr gehörte, aber auch ſehr begreiflich, wenn ſie daraus, wie ſo manches Andere, dennoch nicht gänzlich verſchwunden iſt. Wir haben ſogar eine Stelle, worin dieſe fortdauernde Erwähnung ganz unzweifel - haſt iſt(k)L. 2 pr. de except. (44. 1) aus Ulpianus lib. LXXIV. ad ed. Man könnte verſuchen, eben dahin zu beziehen die Worte der L. 3 § 3 de act. emti: quo lis in condemnationem dedu - citur ; allein dieſe gehen in der That auf die Zeit des Urtheils, ſ. o. § 275. t. : Exceptio opponi actioni cujusque rei solet, ad excludendum(l)Die Florentina lieſt: clu - dendum, woraus man Emenda - tionen hat bilden wollen; allein die hier aufgenommene Vulgata iſt unbedenklich. id, quod in intentionem condem - nationemve deductum est.

Setzen wir jene erſte Bedeutung in unſrer Stelle voraus, ſo iſt Alles klar, und der ſcheinbare Widerſpruch ver - wandelt ſich in vollſtändige Einſtimmung. Das condem - nationis tempus iſt dann ſo viel als formulae conceptae tempus (indem nur der Theil für das Ganze genannt iſt), oder, mit anderen Worten, die Zeit der L. C., indem die Aufſtellung der Formel mit der L. C. ganz gleich - zeitig iſt(m)Es iſt ſehr merkwürdig, daß Donellus dieſe Bedeutung der condemnatio mit ſolcher Klar - heit und Beſtimmtheit entwickelt hat, als ob er den Gajus vor ſich gehabt hätte. (S. o. Note d; die Stelle findet ſich in N. 26. p. 156). Aber eben ſo auffallend iſt es, daß er von dieſer ſeiner be - wundernswürdigen Divination den verkehrteſten Gebrauch macht. Es fällt ihm nicht ein, die richtig aufgefundene Bedeutung von con - demnatio auf unſre L. 3 de cond. trit. anzuwenden, um ſo deren Widerſpruch mit anderen Stellen zu beſeitigen; er wendet ſie viel - mehr auf die L. 3 § 3 de act. .

222Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die ſich gegen dieſe Erklärung erheben laſſen, und die ich nun - mehr einzeln prüfen will.

1. Man kann ſagen, Ulpian würde ſich durch die Wahl dieſes Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit ſchuldig gemacht haben, indem er den Gegenſatz gegen das rei judicatae tempus durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben ſo leicht gerade von dieſer Zeit, die er ausſchließen wollte, verſtanden werden konnte.

Dieſer Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth - wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift - ſteller gerade dieſer Gegenſatz vorgeſchwebt habe. Allein bei der Stipulation, wie ſie hier vorauszuſetzen iſt, lag ein anderer Gegenſatz ſogar viel näher: dieſes iſt die Zeit des geſchloſſenen Contracts, an welche man bei der buchſtäblich bindenden Natur der Stipulation ſehr leicht denken konnte. Die vorherrſchende Rückſicht auf dieſen Gegenſatz erſcheint noch durch folgende Betrachtung beſon - ders natürlich und wahrſcheinlich. Zwiſchen dem Contract und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen, und in dieſer konnten viele Veränderungen mit dem Gegen - ſtand vorgegangen ſeyn. Dagegen iſt dem Zeitraum zwiſchen der L. C. und dem Urtheil, bei einer ſo ein - fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven, im Römiſchen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuſchreiben,(m)emti an, wohin ſie gar nicht ge - hört, und die durch dieſes irrige Verfahren einen ganz falſchen Sinn erhält.223§. 276. Wirkung der L. C. Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. die alſo auch nicht ſo leicht erhebliche Veränderungen in ſich ſchließen konnte. Wenn nun Ulpian gerade dieſen Gegenſatz vor Augen hatte und ausſchließen wollte(n)Ganz eben ſo findet es Julian nöthig, in L. 22 de reb. cred. (ſ. o. S. 207) die Zeit des Contracts, eben ſo wie die des Urtheils, ausdrücklich auszu - ſchließen, um die Zeit der L. C. als Regel aufzuſtellen. Durch dieſes Beiſpiel erhält der von mir vorausgeſetzte Gedanke des Ulpian noch größere Wahrſcheinlichkeit., ſo war der Gebrauch des Ausdrucks condemnatio, um die Zeit der L. C. zu bezeichnen, ohne alle Gefahr.

2. War der Gebrauch des Ausdrucks condemnatio in dieſer Bedeutung auch nicht gefährlich, ſo könnte man ihn doch wegen der Seltenheit dieſes Sprachgebrauchs für unwahrſcheinlich halten.

Darauf iſt zu antworten, daß es eben ſo wenig ge - wöhnlich iſt, den Ausdruck condemnatio anſtatt res judicata zu gebrauchen, wo es auf die Bezeichnung des Zeitpunktes ankommt, indem faſt immer von res judicata allein, ohne Abwechſlung der Ausdrücke, geſprochen wird.

3. Noch mehr Schein endlich hat der Einwurf, daß es an einem Motiv fehle, weshalb Ulpian anſtatt des ein - fachen, ganz unbedenklichen, Ausdrucks: litis contestationis den mindeſtens künſtlichen, indirecten Ausdruck: condem - nationis tempus gebraucht haben ſollte.

Es wird ſchwer ſeyn, bei jeder etwas ungewöhnlichen Redeweiſe, ſtets das Motiv anzugeben; hier aber fehlt es auch ſelbſt an einem ſolchen nicht. Der Ausdruck, der hier gewählt wurde, ſollte zugleich den Beweis der224Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wahrheit des ausgeſprochenen Satzes andeuten. Da es nämlich, je nach den verſchiedenen Zeitpunkten der Schätzung, dreierlei Condemnationsformen gab: quanti res fuit, oder est, oder erit, und im vorliegenden Fall die Con - diction die zweite Form (quanti res est) mit ſich führte, alſo das Präſens gebrauchte (S. 205. 206), ſo folgte daraus von ſelbſt, daß hier die Schätzung nach der Zeit der con - demnatio, d. h. der L. C., geſchehen ſollte. Der ge - brauchte Ausdruck mußte in dieſer Beziehung für jeden Römiſchen Leſer ſogleich verſtändlich und überzeugend ſeyn, da die Faſſung der verſchiedenen Formeln aus dem täg - lichen Gebrauch Jedem geläufig war.

Nachdem nun der wichtigſte und ſchwierigſte Theil der Stelle behandelt iſt, wird es möglich ſeyn, den ganzen Inhalt derſelben im Zuſammenhang darzuſtellen, wozu eine vorläufige Ueberſicht den Weg bahnen ſoll.

Die Stelle ſpricht von der condictio triticaria aus der Stipulation einer Sache, die Anfangs unbeſtimmt gelaſſen, dann aber ſogleich als ein Sclave bezeichnet wird. Die Schätzungszeit deſſelben ſoll beſtimmt werden. Dieſes geſchieht erſtens für den Fall, wenn keine Mora vorhanden iſt, zweitens für den Fall der Mora. Im erſten Fall wird weiter unterſchieden, ob der Sclave lebt oder todt iſt. Daraus ergeben ſich drei Fälle überhaupt. Im Fall des Lebens ohne Mora iſt nach der Zeit der L. C. zu ſchätzen. Im Fall des Todes ohne Mora nach der Zeit des Todes. Im Fall der Mora darf der Kläger, wenn225§. 276. Wirkung der L. C. Schätzungszeit. L. 3 de cond. trit. die Zeit der Mora einen höheren Werth ergiebt, dieſe Zeit für die Schätzung in Anſpruch nehmen, der Sclave mag leben oder todt ſeyn. Dieſe Sätze ſollen jetzt im Einzelnen in der Stelle nachgewieſen und näher beſtimmt werden.

Erſter Fall. Der Sclave lebt, und es iſt keine Mora vorhanden. Nun wird nach der Zeit der L. C. (condemnationis tempus) geſchätzt.

In hac actione spectandum. Dieſer Theil iſt ſchon ausführlich erklärt worden.

Zweiter Fall. Der Sclave iſt geſtorben, und es iſt keine Mora vorhanden.

Si vero desierit esse in rebus humanis, mortis tempus .. erit spectandum (o)Dazwiſchen ſteht noch ein untergeordneter Satz, der mit un - ſeren Fragen Nichts zu ſchaffen hat, und den ich oben im Text übergangen habe, um nicht den Zuſammenhang der Hauptgedanken zerſtreuend zu unterbrechen. Die Todeszeit, heißt es, ſoll nicht zu buchſtäblich von dem Augenblick des Verſcheidens verſtanden wer - den, da auch der Sclave, der in den letzten Zügen liegt, obgleich er noch lebt, doch ſchon faſt völlig werthlos iſt..

Hier kommt es darauf an, die Zeit zu beſtimmen, in welcher, nach der Vorausſetzung des Ulpian, der Sclave geſtorben iſt. Dieſes iſt ſicher nicht die Zeit nach der L. C., da durchaus kein Grund denkbar iſt, warum nicht in dieſem Fall, ganz ſo wie im erſten, nach der Zeit der L. C. geſchätzt werden ſollte. Der Tod iſt alſo in der Zeit zwiſchen dem Vertrag und der L. C., d. h. vor dem Prozeß, zu denken. Natürlich muß noch hinzugedachtVI. 15226Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.werden, daß der Tod zugleich unter ſolchen Umſtänden erfolgt iſt, die den Beklagten zum Erſatz verpflichten, da ſonſt von einer Schätzung gar nicht die Rede ſeyn könnte. Es muß alſo der Tod erfolgt ſeyn nicht durch Zufall, ſondern durch den Dolus oder durch culpoſe Handlungen des Schuldners(p)L. 91 pr. de verb. obl. (45. 1). Vgl. oben § 272 am Ende des §.. In dieſem Fall nun ſoll der Werth des Sclaven geſchätzt werden nach der Zeit des Todes, nicht wie in dem erſten Fall nach der Zeit der L. C.; ſehr natürlich, weil zu dieſer Zeit kein Sclave mehr da iſt, der geſchätzt werden könnte.

Dritter Fall. Es iſt eine Mora vorhanden, und dabei ſoll es keinen Unterſchied machen, ob der Sclave noch lebt oder todt iſt.

In utroque autem(q)D. h. sive vivat servus, sive mortuus sit. Aus dieſem Zuſammenhang der fortſchreitenden Sätze ergiebt ſich die Grundloſig - keit der Erklärung, welche auch ſchon in den Anfang der Stelle die Vorausſetzung der Mora hin - ein tragen will (Note f)., si post moram deterior res facta sit, Marcellus scribit lib. XX., habendam aesti mationem quanti deterior res facta sit. Et ideo, si quis post moram servum eluscatum dederit, nec liberari eum. Quare ad tempus morae in his erit reducenda aestimatio.

Es wird nicht geſagt, daß im Fall der Mora die vor - hergehenden Regeln nicht eintreten ſollen. Dieſe gelten auch dann, aber es tritt nur eine mögliche Modification227§. 277. Wirkung der L. C. Preisveränderung.zum Vortheil des Klägers hinzu. Iſt der Werth des Sclaven nach der Mora gleich geblieben oder geſtiegen, ſo iſt von der Modification nicht die Rede: anders wenn der Sclave an Werth abgenommen hat (si deterior res facta sit), z. B. wenn ihm ein Auge ausgeſchlagen worden iſt. Nun kann der Kläger verlangen, daß der nach den vorher - gehenden Regeln abzuſchätzende Werth des Sclaven um ſo viel erhöhet werde, als der Sclave nach der Mora an Werth verloren hat (quanti deterior res facta sit); oder mit anderen Worten: der Kläger hat nun das Recht, die Schätzung nach der Zeit, worin die Mora anfing, vor - nehmen zu laſſen (ad tempus morae in his erit reducenda aestimatio). Hieraus iſt es klar, daß der Kläger für die Schätzung zwiſchen zwei Zeitpunkten die Wahl haben ſoll; von einem höheren Werth der Zwiſchenzeit iſt nicht die Rede (§ 275. u). Zugleich iſt es klar, warum im Fall der Mora in utroque daſſelbe gelten ſoll. Durch die Mora nämlich wird überhaupt Nichts geändert, als daß der Kläger für die Schätzungszeit zwiſchen L. C. und Mora, oder zwiſchen Tod und Mora, die Wahl haben ſoll.

§. 277. Wirkung der Litis Conteſtation. II. Umfang der Ver - urtheilung. b) Verminderungen. Preisveränderung.

Bisher iſt nur von den objectiven Verminderungen die Rede geweſen, deren Natur darin beſteht, daß der Gegen - ſtand des Rechtsſtreits ſelbſt eine äußerlich wahrnehmbare15*228Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Veränderung erleidet. Es ſind nun noch diejenigen Ver - minderungen zu betrachten, die eine unſichtbare Natur haben, indem ſie in einer bloßen Preisverminderung gegründet ſind (§ 272). Dieſe unterſcheiden ſich von den objectiven Verminderungen durch die Möglichkeit einer viel ausge - dehnteren Anwendung. Denn anſtatt daß die objectiven nur bei individuell beſtimmten Gegenſtänden vorkommen, da nur dieſe durch Verſchuldung oder Unglück zerſtört, ver - dorben, verloren werden können, ſo tritt die Preisvermin - derung eben ſowohl bei generiſch beſtimmten, als bei indi - viduellen Gegenſtänden eines Rechtsſtreits ein; alſo ſowohl bei der übernommenen Lieferung von Hundert Scheffel Weizen, als wenn eine beſtimmte, im Beſitz eines Anderen befindliche, Maſſe Weizen vindicirt wird.

Um aber von dieſem Theil der Unterſuchung eine er - ſchöpfende Überſicht zu geben, iſt es nöthig, die Erwägung nach zwei Seiten hin auszudehnen: erſtens, auf die Fälle, worin die Veränderung nicht in vermindertem, ſondern in erhöhtem Preiſe des Gegenſtandes beſteht; zweitens, auf die zuſammengeſetzten Fälle, in welchen neben der Preis - verminderung zugleich auch eine objective Verminderung des Gegenſtandes ſelbſt Statt findet.

Im R. R. werden die Fälle der Preisverminderung nicht beſonders hervorgehoben, noch von den Fällen der objectiven Verminderung unterſchieden. Daß ſie aber nicht unbeachtet geblieben ſind, läßt ſich beſtimmt behaupten, indem mehrere Stellen ausdrücklich von ſolchen Gegen -229§. 277. Wirkung der L. C. Preisveränderung.ftänden handeln, die (wie Wein und Getreide) zum öffent - lichen Marktverkehr gehören(a)L. 3 § 3, L. 21 § 3 de act. emti (19. 1 ), L. 4 de cond. trit. (13. 3 ), L. 22 de reb. cred. (12. 1. ), ſ. o. § 275.. Bei dieſen aber iſt gerade der ſchwankende Preis ſo vorzugsweiſe wichtig, daß er als Moment juriſtiſcher Entſcheidung unmöglich überſehen werden konnte.

Allerdings können die hier angeregten Fragen auch bei ſolchen Gegenſtänden vorkommen, die nicht als Waaren zum Marktverkehr gehören. Selbſt bei Grundſtücken kommt es nicht ſelten vor, daß die Preiſe im Allgemeinen ſteigen oder fallen. Dennoch iſt bei ihnen die hier vorliegende Frage deswegen von geringerer practiſcher Erheblichkeit, weil dabei die Veränderung der Preiſe nicht leicht auf feſte und ſichere Zahlenſätze zurückgeführt werden kann, ſo daß die Anwendung der jetzt aufgeſtellten Regel nur ſelten wird begründet werden können. Es kommt hinzu, daß bei ſolchen Gegenſtänden die Schwankung der Preiſe im Großen meiſt erſt nach längeren Zeiträumen deutlich her - vortritt, und daher für die Dauer eines Rechtsſtreits nicht leicht Einfluß erhält, anſtatt daß dieſelbe Schwankung im Marktverkehr oft eben ſo ſicher als ſchnell wechſelnd wahr - zunehmen iſt.

Es iſt nun zunächſt die juriſtiſche Natur der hier angegebenen Veränderungen feſtzuſtellen. Die Erhöhung des Preiſes hat ganz die Natur des aus einem anderen Vermögensſtück entſpringenden zufälligen Erwerbs230Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.(§ 265). Es iſt ein innerer Zuwachs des Gegenſtandes, ganz ähnlicher Natur, wie der durch Alluvion bewirkte Zuwachs des Grundeigenthums. Die Verminderung des Preiſes hat dagegen ganz die Beſchaffenheit einer zufälligen Verminderung überhaupt, d. h. einer ſolchen, die ohne Dolus oder Culpa des Schuldners bewirkt wird, ſo wie dieſer Rechtsbegriff oben (§ 273) aufgeſtellt und auf die Fälle objectiver Verminderung angewendet worden iſt. Ich nenne dieſe (auf den Preis bezügliche) Verminderung eine zufällige, weil ſie ſtets auf allgemeinen Conjuncturen beruht und außer dem Bereich individueller Einwirkung liegt, es mögen nun jene Conjuncturen im Welthandel oder in den vorübergehenden Zuſtänden einzelner Länder oder Städte ihren Grund haben.

Die völlige Gleichartigkeit der Preisverminderung mit der oben abgehandelten objectiven Verminderung wird durch folgende Betrachtung einleuchtend werden. Wenn die Eigenthumsklage auf eine Anzahl individuell bezeichneter Actien einer Fabrik-Unternehmung gerichtet wird, ſo können im Lauf des Rechtsſtreits folgende Veränderungen eintreten. Es können dieſe Actien von ihrem urſprünglichen Pari - werth (100) auf 50 herabſinken, oder auch (wenn das Unternehmen völlig untergeht) auf 0. Es können aber ferner die eingeklagten Actien zur Hälfte oder auch ins - geſammt durch Feuer zufällig zerſtört werden. Hier iſt es augenſcheinlich, daß die eine und die andere Art der Ver -231§. 277. Wirkung der L. C. Preisveränderung.minderung gleich wichtig iſt, und auf das Vermögen des Berechtigten ganz denſelben Einfluß ausübt.

Dieſe Betrachtungen ſollten nur als Vorbereitung dienen zu den Rechtsregeln über die verſchiedenen Fälle der Preisverminderung, zu deren Aufſtellung ich mich jetzt wende. Ich ſchließe mich dabei ganz an diejenigen Regeln an, die oben (§ 275) über die Behandlung der objectiven Verminderung, ſowie über die dabei zu beobachtende Zeit der Schätzung, aufgeſtellt worden ſind.

Erſter Fall. Strenge Klagen, bei welchen kein Grund einer exceptionellen Behandlung vorliegt. Dabei ſollte die Schätzung nach der Zeit der L. C. vorgenommen werden, welches im heutigen Recht nicht mehr vorkommt.

Hier iſt die Erhöhung wie die Verminderung des Preiſes vor der L. C. ohne Einfluß, da in jedem Augen - blick der Schuldner durch Erfüllung die Obligation tilgen, der Creditor aber durch Anſtellung der Klage die L. C. herbeiführen kann.

Desgleichen iſt jede Veränderung des Preiſes nach der L. C. ohne Einfluß, da der Sinn der auf die L. C. als Schätzungszeit gerichteten Regel eben darin beſteht, daß hierdurch die Schätzung unabänderlich fixirt werden ſoll.

Es gilt alſo unbedingt die Schätzung nach der Zeit der L. C. ebenſowohl für die ſchwankenden Preiſe, wie für die objective Verminderung des Gegenſtandes.

Zweiter Fall. Freie Klagen, bei welchen kein Grund einer exceptionellen Behandlung vorliegt. Hier ſoll die232Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Schätzung nach der Zeit des rechtskräftigen Urtheils vor - genommen werden, welches im heutigen Recht auch für diejenigen Klagen gilt, die das R. R. unter die Regel des erſten Falles geſtellt hatte.

Bei dieſer Regel bleibt es unbedingt, wenn etwa eine Erhöhung des Preiſes vor dem Urtheil (ſey es vor oder nach der L. C.) eingetreten ſeyn ſollte. Wenn durch dieſe Erhöhung der Beklagte einen Nachtheil erleidet, ſo hat er ſich dieſen ſelbſt zuzuſchreiben, da es jeden Augenblick in ſeiner Macht ſtand, durch Erfüllung die Schuld zu tilgen, und ſo den Nachtheil aus den ſpäter ſteigenden Preiſen ab - zuwenden.

Auch wenn eine Verminderung des Preiſes vor dem Urtheil eintritt, iſt dieſelbe Regel anzuwenden, jedoch hier mit folgender Ausnahme. Wenn nämlich die Eigenthums - klage gegen einen unredlichen Beſitzer geführt wird, ſo muß dieſer die Preisverminderung vergüten, die nach der L. C. eingetreten iſt; gerade ſo wie er auch Entſchädigung leiſten müßte, wenn in dieſem Zeitraum nicht durch Preisvermin - derung, ſondern durch Untergang oder Beſchädigung der Sache ein zufälliger Schade entſtanden wäre (S. 179).

Dritter Fall. Perſönliche Klage aus einer Obliga - tion, deren Erfüllung durch Vertrag auf einen beſtimmten Zeitpunkt geſetzt iſt.

Hier iſt der Preis dieſes Zeitpunktes zum Grunde zu legen.

Der höhere oder niedere Preis der früheren Zeit iſt233§. 277. Wirkung der L. C. Preisveränderung.gleichgültig, weil die Parteien ſelbſt eine frühere Erfüllung nicht wollten oder erwarteten.

Die Erhöhung und Verminderung der ſpäteren Zeit iſt gleichgültig, da der Vertrag ſelbſt die Zeit der Erfüllung mit ihren Folgen fixirt hat, beide Theile alſo in dieſe be - ſonderen Folgen eingewilligt haben. Jedoch wird in dieſem Fall meiſt zugleich eine Mora eintreten, da denn die fol - gende Regel zur Anwendung kommen muß.

Dieſer dritte Fall iſt übrigens practiſch beſonders häufig und wichtig; es gehören dahin die zahlreichen Verträge, welche auf Lieferung von Handelsgegenſtänden in einer beſtimmten Zeit geſchloſſen werden.

Vierter Fall. Perſönliche Klage, wenn dabei eine Mora, ſey es vor oder mit dem Rechtsſtreit, eintritt.

Jede Erhöhung oder Verminderung des Preiſes vor der Mora iſt gleichgültig.

Die Erhöhung oder Verminderung nach der Mora kann dem Kläger niemals Nachtheil bringen, weil er ein unbe - dingtes Wahlrecht hat, nach welchem Zeitpunkt die Schätzung vorgenommen werden ſoll.

Dem Beklagten geſchieht dadurch kein Unrecht, da er eben durch die Mora jeden möglichen Nachtheil wohl ver - dient hat.

Es bleibt nur noch übrig, die verſchiedenartige An - wendung dieſer Rechtsregeln näher zu beſtimmen. Dabei ſind folgende Fälle zu unterſcheiden.

1. Im älteren R. R. war dieſe Anwendung weit ausge -234Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dehnter, als in der ſpäteren Zeit. Da nämlich alle Ver - urtheilungen nur auf baares Geld lauten durften(b)Gajus IV. § 48., ſo mußten jene Regeln in jedem einzelnen Fall unmittelbar und einfach dadurch zur Anwendung gebracht werden, daß in der auszuſprechenden Geldſumme nicht nur der objective Zuſtand der Sache, ſondern auch (nach den eben aufge - ſtellten Regeln) der Preis berückſichtigt wurde.

2. Dieſes hat ſich völlig geändert im Juſtinianiſchen Recht, welches zugleich die heutige Regel bildet. Hier wird, wenn der Gegenſtand des Rechtsſtreites noch vorhanden iſt, auf deſſen Naturalleiſtung, nicht mehr auf eine Geldſumme, erkannt. Dieſes heißt für den letzten Erfolg eben ſo viel, als ob (nach der oben aufgeſtellten zweiten Regel) auf den Geldwerth zur Zeit des rechtskräftigen Urtheils erkannt würde. In denjenigen Fällen nun, worin vor dem Urtheil eine Preisverminderung eingetreten iſt, und zugleich der Beklagte die exceptionelle Verpflichtung hat, für alle zufällige Verminderungen einzuſtehen (alſo im Fall der Vindication gegen den unredlichen Beſitzer, ſo wie im Fall der Mora) iſt zwar auch auf die Naturalleiſtung zu erkennen, jedoch mit einer zuſätzlichen Ausgleichung in Geld, damit die oben aufgeſtellten Regeln rein und vollſtändig zur Anwendung gebracht werden.

3. Eine beſondere Erwägung bedarf der Fall, wenn der Beklagte das Urtheil nicht abwartet, ſondern dadurch abwendet, daß er den Anſpruch des Klägers freiwillig235§. 277. Wirkung der L. C. Preisveränderung.erfüllt. Dazu war bei den arbiträren Klagen in dem Reſtitutionsbefehl des Judex eine beſondere Aufforderung gegeben; bei allen übrigen Klagen aber ſollte der Beklagte wenigſtens das Recht dazu haben(c)Gajus IV. § 114..

Nun ſcheint es, daß durch dieſe Einrichtung dem Be - klagten in den Fällen, worin er nach den aufgeſtellten Regeln einen höheren Werth als den der Gegenwart zu leiſten hatte, ein Mittel dargeboten würde, das Recht des Klägers zu vereiteln, indem er ſich durch die einfache Natural-Reſtitution von jeder weiteren Verpflichtung frei - machte.

Allein gegen dieſe Umgehung des Rechts ſchützt den Kläger der juriſtiſche Begriff der Reſtitution. Eine ſolche wird nämlich nicht unbedingt vollführt durch die materielle Herausgabe des Gegenſtandes; vielmehr gehört dazu auch die omnis causa, welche in dem hier vorliegenden Fall gerade die Ausgleichung des höheren Werthes durch eine zuſätzliche Geldſumme in ſich ſchließt(d)L. 75 de V. S. (50. 16 ) Restituere is videtur qui id restituit, quod habiturus esset actor, si controversia ei facta non esset. Eben ſo L. 35, L. 246 § 1 eod., und L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4). In Anwendung dieſes Grundſatzes wird ferner aus - drücklich geſagt, daß der Schuldner, der in Mora iſt, nicht dadurch frei wird, daß er die verſprochene Sache herausgiebt, wenn dieſe in der Zwiſchenzeit (wiewohl durch Zufall) ſchlechter geworden iſt. L. 3 de cond. trit. (13. 3), ſ. o. S. 226..

4. Zuletzt iſt noch der zuſammengeſetzte Fall zu be - trachten, wenn in einem und demſelben Rechtsſtreit die236Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.objective Verminderung der ſtreitigen Sache mit einer Preisverminderung zuſammentrifft.

Die Beurtheilung dieſes Falles kann keinem Zweifel unterliegen, indem die vollſtändige Anwendung der aufge - ſtellten Regeln auf ein Urtheil führen kann, deſſen Inhalt aus zwei Factoren hervorgeht. Folgendes Beiſpiel wird dieſe Behauptung anſchaulich machen.

Wenn Actien durch eine Eigenthumsklage gefordert, und während des Prozeſſes geſtohlen werden, ſo kommen bei dem Urtheil folgende Umſtände in Betracht. Zunächſt muß der Beklagte den Werth der geſtohlenen Actien vergüten, weil bei jedem Diebſtahl eine Culpa des Beſitzers präſumirt wird; der Werth dieſer Actien wird in der Regel nach der Zeit des Urtheils beſtimmt. Wenn aber der Beklagte ein unredlicher Beſitzer iſt, und in der Zeit zwiſchen der L. C. und dem Urtheil der Curs dieſer Actien ſinkt, ſo muß der Beklagte noch ſo viel Geld zulegen, als die Curs - differenz beträgt. Er hat alſo in dieſem Fall zwei von einander unabhängige, auf verſchiedenen Rechtsgründen beruhende, Entſchädigungen zu leiſten: erſtens für den durch Diebſtahl entſtandenen Verluſt, wegen ſeiner Culpa; zweitens, für den zufälligen Verluſt durch das Sinken des Curſes, weil überhaupt der unredliche Beſitzer nach der L. C. für jeden zufälligen Nachtheil einſtehen ſoll.

237§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.

§. 278. Stellung der Litis Conteſtation und ihrer Folgen im heutigen Recht.

Das Weſen der L. C. im Formularprozeß des älteren R. R. iſt oben ausführlich dargeſtellt worden (§ 257). Characteriſtiſch war dabei die große Nähe, in welcher ſich (verglichen mit den möglichen Ereigniſſen in unſrem Pro - zeßverfahren) die L. C. nebſt den daran geknüpften Folgen neben dem erſten Anfang des Rechtsſtreits befand.

Dieſes Verhältniß, ſo wie das Weſen der L. C. über - haupt, erſcheint zwar im Juſtinianiſchen Recht nicht von Grund aus verändert; indeſſen waren doch ſchon bedeutende Modificationen eingetreten, und namentlich hatte die geſetz - liche Friſt von Zwei Monaten die L. C. weiter als früher von dem Anfang des Rechtsſtreits entfernt.

Das Canoniſche Recht hat dieſe vorgefundene neueſte Geſtalt der L. C. nicht abgeändert. Wichtiger und bedenk - licher war die abgeänderte Stellung, welche der L. C. im ganzen Zuſammenhang des Prozeſſes durch die Reichsgeſetze gegeben wurde (§ 259).

Allein auch bei dieſer Geſtalt des gemeinen Deutſchen Prozeſſes iſt es nicht geblieben, vielmehr hat ſich das Be - dürfniß ſpäterer Zeiten neue Bahnen gebrochen.

Zwar in dem Protokollar-Prozeß der von einzeln ſtehenden Richtern verwalteten Untergerichte läßt ſich die frühere Ge - ſtalt der L. C. leicht wieder erkennen und ohne Nachtheil238Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.durchführen, ſo daß es bei ihm nur auf eine ſtrenge und verſtändige Ausführung ankommt, um dem practiſchen Be - dürfniß wahrhaft zu genügen.

Anders aber ſteht es mit dem weit wichtigeren, auf vier regelmäßigen Schriftſätzen beruhenden gemeinen Deut - ſchen Prozeß, wie er in allen höheren collegialiſchen Ge - richten und auch in vielen Untergerichten, herrſchend ge - worden iſt. Es würde eine bloße Täuſchung ſeyn, wenn man glauben wollte, daß hier die Prozeßvorſchriften des R. R., oder auch der Reichsgeſetze, wirklich zur Ausführung gebracht würden. Wollte man den Buchſtaben des R. R. feſthalten, und die der L. C. beigelegten Wirkungen an den Zeitpunkt unſres ſchriftlichen gemeinen Prozeſſes anknüpfen, in welchem gerade dasjenige vorgegangen iſt, welches im R. R. als Inhalt der L. C. vorausgeſetzt wird, ſo müßte man dieſen entſcheidenden Abſchnitt des Prozeſſes an das Ende des erſten Verfahrens ſetzen, alſo entweder mit der Einreichung der Duplik, oder mit der Abfaſſung des Be - weis-Interlocuts verknüpfen; denn erſt in dieſem Zeitpunkt kann man mit Sicherheit annehmen, daß die Exceptionen, Replicationen und Duplicationen vorgebracht ſeyn werden, ſo wie es das R. R. für den Zeitpunkt der L. C. unzwei - felhaft vorausſetzt.

Dennoch iſt eine ſo ſtrenge und buchſtäbliche Gleichſtel - lung mit der alten L. C. niemals verſucht worden, ſchon deswegen nicht, weil man von dieſer Prozeßhandlung des R. R. keine hinreichende Kenntniß hatte; auch war dazu239§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.ein practiſches Bedürfniß in der That nicht vorhanden. Vielmehr wurde nunmehr die L. C., im Anſchluß ſowohl an die Reichsgeſetze als an die gänzlich umgebildete Bedeu - tung dieſes aus dem R. R. zu uns herübergekommenen Kunſtausdrucks (§ 259), als die Einlaſſung des Beklagten auf die thatſächlichen Behauptungen der Klage aufgefaßt, und ſomit in die erſte Prozeßſchrift des Beklagten (die Ex - ceptionsſchrift) verſetzt. Dieſe Stellung der L. C. iſt jedoch ohne weſentlichen Nutzen für den letzten Zweck des Pro - zeſſes, und zugleich nicht ohne erhebliche Bedenken und Gefahren, indem ſie dem Beklagten ein leichtes Mittel dar - bietet, dieſe Handlung willkührlich hinauszuſchieben und dadurch die Rechte des Klägers zu gefährden (§ 259).

Man kann dieſe Gefahren dadurch beſeitigen oder wenig - ſtens vermindern, daß man die Wirkung der L. C. unbe - dingt an die Einreichung der erſten Prozeßſchrift des Be - klagten knüpft, ohne Rückſicht auf den Inhalt dieſer Schrift; ſo daß eine L. C. fingirt würde, wenn etwa der Beklagte unredlicher Weiſe die factiſche Erklärung auf die Klage verweigerte oder verzögerte(a)Pufendorf Obs. IV. 94, Göſchen Vorleſungen B. 1 S. 475, Wächter H. 3 S. 87.. Allein erſtens wäre dieſes nicht ſowohl eine Anwendung des beſtehenden Prozeßrechts, als eine in guter Abſicht vorgenommene Umbildung deſſel - ben; zweitens, wäre damit in der That Nichts gewonnen. Dieſe fingirte L. C. wäre eine leere Formalität, und es erſcheint als ganz willkührlich und grundlos, gerade an die240Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Einreichung der erſten Schrift des Beklagten, ohne Rück - ſicht auf deren Inhalt, wichtige materielle Wirkungen zu knüpfen. Das Bedürfniß, deſſen Anerkennung in dieſem Verfahren liegt, führt offenbar dahin, noch einen Schritt weiter rückwärts zu gehen, und jene wichtige Wirkungen an den Zeitpunkt des Prozeſſes zu knüpfen, in welchem zuerſt der Beklagte ſicher und auf amtliche Weiſe ein Be - wußtſeyn des erhobenen Rechtsſtreits erhält. Dieſer Zeit - punkt aber iſt kein anderer, als der der Inſinuation der Klage. Daß dabei der Beklagte blos leidend, ohne eigene Thätigkeit erſcheint, iſt kein Hinderniß, dieſe That - ſache als den Entſtehungsgrund einer Obligation, d. h. als Quaſicontract, anzuerkennen; denn wenn auch im R. R. der Beklagte bei der L. C. als thätig erſcheint, ſo beruht doch dieſe Thätigkeit eben ſo wenig auf ſeinem freien Ent - ſchluß, als die Empfangnahme der Klagſchrift und das dadurch erzeugte Bewußtſeyn. Wenn wir uns alſo ent - ſchließen, das hier angegebene Verfahren einzuſchlagen, ſo entfernen wir uns dadurch weniger von dem wahren Weſen des R. R., als es auf den erſten Blick ſcheinen mag, und wir vermeiden dennoch gänzlich die oben bemerkten Gefahren.

Ehe nun die durch die vorſtehenden Bemerkungen vor - bereitete Unterſuchung weiter geführt wird, iſt es nöthig, den Erfolg und die practiſche Wichtigkeit derſelben näher zu beſtimmen. Vor Allem muß dieſe Unterſuchung lediglich auf die materiellen Wirkungen beſchränkt bleiben,241§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.von welchen allein auch in der ganzen bisherigen Darſtellung die Rede geweſen iſt. Der Einfluß der L. C. auf den Gang des Prozeſſes liegt ganz außer dem Bereich unſrer Betrachtung, und beruht auch auf ganz anderen Gründen als die hier zu beſtimmende materielle Einwirkung. So z. B. wird geſagt, durch die L. C. würden alle zu dieſer Zeit nicht vorgebrachte Einreden ausgeſchloſſen; eben ſo ſey von dieſer Zeit an eine Veränderung der Klage nicht mehr zuläſſig. Dieſe Folgen entſpringen aber in der That aus der erſten Erklärung des Beklagten als ſolcher, ohne Rückſicht darauf, ob dieſe Erklärung gerade eine L. C. ent - hält, und worin dieſe beſteht. Eben ſo wird behauptet, durch die L. C. werde die Incompetenz des Richters be - ſeitigt. Allein auch dies iſt nicht eine Folge der L. C. als ſolcher, und ihres etwa ſo oder anders zu beſtimmenden Inhalts, ſondern die Einlaſſung ohne Widerſpruch gegen die Incompetenz wirkt als Prorogation, d. h. als freiwillige Unterwerfung unter dieſes Gericht.

Das ſo eben bemerkte dringende Bedürfniß führte dahin, die Wirkungen der L. C. auf einen früheren Zeitpunkt des Prozeſſes zu verlegen, und dadurch das R. R. der Form nach abzuändern, dem Sinn und Weſen nach aber feſtzu - halten. Dieſes Bedürfniß iſt auch ſchon längſt und häufig, wenngleich oft bewußtlos, anerkannt worden. Es hat ſich offenbart in der oben dargeſtellten Verwandlung des Begriffs der L. C., indem man dem im R. R. aufgeſtellten vollſtändigen Begriff die bloße Erklärung des Beklagten auf die That -VI. 16242Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſachen der Klagen untergeſchoben, und dadurch den ur - ſprünglichen Begriff weſentlich eingeſchränkt hat. Dieſe einſchränkende Verwandlung bezweckte recht eigentlich, das Eintreten der L. C. zu erleichtern und früher herbeizuführen.

Daſſelbe Bedürfniß offenbarte ſich aber ferner in der Annahme, daß ſchon das neue R. R. ſelbſt die L. C. rück - wärts in einen früheren Zeitpunkt verſetzt habe. Es iſt oben gezeigt worden, daß dieſe Annahme mit hiſtoriſchen Mis - verſtändniſſen in der Lehre von der Erbſchaftsklage zuſam - menhängt (§ 264). Möge man aber auch hierüber denken wie man wolle, ſo beſchränken ſich doch ohne Zweifel die Stellen des R. R., welche man jener Annahme zum Grunde legt, allein auf die Erbſchaftsklage, während bei den zahl - reichen übrigen Klagen im R. R. ſtets nur von der L. C. als dem entſcheidenden Zeitpunkt die Rede iſt. Daß man nun dieſes Verhältniß der Quellenzeugniſſe ſo allgemein überſah oder ignorirte, und den Ausſprüchen über die Erb - rechtsklage eine allgemeine Bedeutung, im Widerſpruch mit ſo vielen anderen Ausſprüchen einräumte, erklärt ſich lediglich aus dem richtigen Gefühl des oben erwähnten Bedürfniſſes, dem man nur nicht auf dem richtigen Wege, ſondern auf unkritiſche Weiſe, Befriedigung zu verſchaffen ſuchte.

Ich will es nunmehr verſuchen, eine Überſicht zu geben über den Stand der ſehr auseinandergehenden Meinungen über die hier behandelte Frage.

Einige nehmen als Regel an, daß das urſprüngliche Princip des R. R. noch jetzt gelte, daß alſo die materiellen Wirkungen ſtets auf den Zeitpunkt der L. C. zurückzuführen243§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.ſeyen, wenngleich ſie mitunter einzelne Ausnahmen geſtatten wollen(b)Glück B. 6 S. 205, Hofacker § 1020. 4385, Thi - baut § 709 ed. 8, Mühlenbruch § 144. 372 ed. 4..

Andere behaupten eine gänzliche Umwandlung jenes Princips, indem an die Stelle der L. C. im heutigen Recht als Grund und Anfang wichtiger materieller Wirkungen, die Inſinuation der Klage an den Beklagten getreten ſey(c)Hommel rhaps. Obs. 234, Sintenis Erläuterungen des Ci - vilprozeſſes § 12. 15. 16, Kierulff S. 280 284.. Auch in dieſer Meinung kommen einzelne untergeordnete Modificationen vor.

Noch Andere endlich, und zwar in neuerer Zeit die Meiſten, wollen weder das erſte noch das zweite Princip gelten laſſen, indem ſie annehmen, daß für jede einzelne materielle Wirkung der Anfangspunkt beſonders unterſucht und feſtgeſtellt werden müſſe(d)Winckler p. 355 365, Martin Prozeß § 152. 156, Linde § 200. 206, Bayer S. 229 234, S. 248 250, Heffter § 346. 350 ed. 2., Wächter H. 3 S. 86 119..

Ich erkläre mich aus den ſchon entwickelten Gründen, in offener Anerkennung des neu eingetretenen unabweislichen Bedürfniſſes, für die zweite Meinung, und nehme daher die Inſinuation der Klage als das heutige Surrogat der Römiſchen L. C. an, ſo daß von der Inſinuation an alle materielle Wirkungen eintreten müſſen, welche das R. R. an die L. C. knüpft. Hierin liegt das einzige durchgreifende Mittel, den Anſpruch des Klägers auf die ſchützenden Vor - ſchriften, welche das R. R. an die L. C. knüpft, gegen die16*244Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.verzögernde Willkühr des Beklagten zu ſichern, für welchen Zweck außerdem der heutige gemeine Prozeß keine aus - reichende Hülfe gewährt. Auch hat die Praxis der meiſten Gerichte dieſe wichtige Veränderung, wenigſtens in den wichtigſten und häufigſten Anwendungen, längſt anerkannt.

Für das aufgeſtellte Princip ſind aber noch folgende nähere Beſtimmungen nöthig.

Bei manchen einzelnen Wirkungen iſt von einigen Schriftſtellern noch ein Unterſchied gemacht worden zwiſchen der Einreichung und der Inſinuation der Klage, um durch das Zurückgehen auf jene einen noch früheren An - fangspunkt der materiellen Wirkungen zum Vortheil des Klägers zu gewinnen; dies iſt insbeſondere für die Unter - brechung der Klagverjährung behauptet worden, da außer - dem in der Zwiſchenzeit die Verjährung ablaufen könnte. Dieſe Behauptung hat keinen Anhalt in unſren Rechts - quellen, und iſt ſchon als kleinlich zu verwerfen. Beſonders aber widerſpricht ſie gänzlich dem Princip, nach welchem es weſentlich darauf ankommt, daß in dem Beklagten ein Bewußtſeyn des erhobenen Rechtsſtreits entſtanden ſeyn müſſe. Wo in der That ein ſolcher Verluſt eintritt, wird es nicht leicht ohne Nachläſſigkeit des Klägers geſchehen, und wo dieſe gar nicht vorhanden iſt, wird durch Reſtitu - tion geholfen werden können(e)Etwa ſo, wie gegen die ſchuldlos verſäumte damni infecti sti - pulatio Reſtitution gegeben wird. L. 9 pr. de damno inf. (39. 2).. Man könnte ſogar in der ängſtlichen Vorſorge noch weiter gehen, und zwiſchen der Abſendung der Klagſchrift und deren Empfang von Seiten245§. 278. Stellung der L. C. im heutigen Recht.des Richters unterſcheiden, indem ja auch noch in dieſer Zwiſchenzeit ein Ablauf der Verjährung denkbar iſt.

Es iſt ferner behauptet worden, wenn man auch die Inſinuation als heutiges Surrogat der L. C. im Allge - meinen anerkennen wollte, ſo müßte doch noch die beſchrän - kende Bedingung hinzugefügt werden, daß es in Folge derſelben auch wirklich zu einem Rechtsſtreit gekommen ſey, indem außerdem weder eine lis noch eine contestatio (Kriegsbefeſtigung) angenommen werden könne; ohne das Daſeyn einer ſolchen aber ſey für die materiellen Wirkungen kein rechtfertigender Grund vorhanden. Obgleich dieſe Behauptung vielen Schein hat, ſo muß ich doch das prac - tiſche Bedürfniß für die erwähnte Einſchränkung verneinen. Erwägt man nämlich die verſchiedenen Gründe, welche die wirkliche Entſtehung des Rechtsſtreits verhindern können, ſo liegt in denſelben kein Bedürfniß, durch jenes Mittel einen ungerechten Nachtheil von dem Beklagten abzuwenden, welches doch eigentlich der Sinn jener Behauptung iſt. Der Grund kann zuerſt darin liegen, daß der Beklagte gar keinen Streit führen will, indem er den Anſpruch des Klägers einräumt; dann iſt von Wirkungen der L. C. ohnehin nicht die Rede. Oder der Rechtsſtreit wird deswegen nicht erfolgen, weil die Klage vor einem incompetenten Richter, oder gegen einen unrichtigen Beklagten angeſtellt iſt. Auch dann kann von Wirkungen der L. C. nicht die Rede ſeyn, indem dieſer irrige Verſuch eines Rechtsſtreits mit dem vielleicht nachher folgenden wahren Rechtsſtreit keinen Zuſammenhang hat(f)So bewirkt z. B. die Anſtellung der Klage eine Unterbrechung der.

246Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 279. Stellung der Litis Conteſtation und ihre Folgen im heutigen Recht. (Fortſetzung.)

Nachdem nunmehr das Princip für das heutige Recht aufgeſtellt worden iſt, ſind die einzelnen Anwendungen deſſelben, mit Rückſicht auf die Meinungen neuerer Schrift - ſteller, durchzugehen. Ich werde dabei die Ordnung be - folgen, nach welcher in der gegenwärtigen Abhandlung die materiellen Wirkungen der L. C. zuſammen geſtellt worden ſind. Dabei muß noch die Bemerkung vorausgeſchickt werden, daß zwei dieſer Wirkungen durch ihr häufiges Vorkommen, ſo wie durch ihre practiſche Wichtigkeit, vor allen anderen ſich auszeichnen. Ich meine die Unterbrechung der Klagverjährung, und die omnis causa, d. h. die Ver - gütung der Vortheile, die dem Kläger durch die Dauer des Rechtsſtreits entzogen worden ſind, insbeſondere Früchte und Zinſen. Bei dieſen Punkten hat ſich denn auch vor - zugsweiſe eine feſte Praxis der Gerichte ausgebildet.

1. Der Quaſicontract in der L. C., d. h. die in der Römiſchen L. C. enthaltene contractähnliche Obliga - tion (§ 258).

Darin liegt nicht ſowohl eine einzelne practiſche Folge, als vielmehr die Grundlage und der zuſammenfaſſende Ausdruck für die einzelnen Folgen, welche nun der Reihe nach aufgeführt werden ſollen. Daher hat ſich auch dafür,(f)Klagverjährung nur zwiſchen dieſem beſtimmten Kläger und Beklagten. S. o. B. 5 S. 320.247§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)wegen der abſtracten oder theoretiſchen Natur dieſer Wirkung, eine Praxis der Gerichte nicht eigentlich ausbilden können.

Dagegen iſt ſie vorzugsweiſe dazu geeignet, den wahren Sinn der hier behaupteten Neuerung, im Gegenſatz der ihr widerſprechenden Behauptung, zur Anſchauung zu bringen.

Die Meinung geht nämlich dahin, daß im heutigen gemeinen Prozeß der Quaſicontract mit allen ſeinen Folgen zu Stande kommt im Augenblick der Inſinuation der Klage.

Die entgegen geſetzte Behauptung, welche das R. R. aufrecht zu erhalten vorgiebt, dieſes aber nur ſcheinbar und dem Buchſtaben nach thut, geht dahin: der Quaſi - contract ſey geſchloſſen in dem Augenblick, worin ſich der Beklagte zuerſt auf den thatſächlichen Inhalt der Klage erklärt. Ein innerer Grund dieſer Verbindung des Quaſi - contracts mit der thatſächlichen Erklärung des Beklagten iſt nicht vorhanden, wird auch in der That von Keinem behauptet. Jene Verbindung iſt vielmehr die blos zufällige Folge des Umſtandes, daß das R. R. den Quaſtcontract an die L C. knüpfte (die damals etwas Anderes bedeutete), und daß man ſich vom Mittelalter her allmälig gewöhnt hat, den Römiſchen Namen litis contestatio für die Er - klärung des Beklagten über die Thatſachen zu gebrauchen.

2. Unterbrechung der Klagverjährung (§ 261. No. I.).

Dieſes war eine der wichtigſten Wirkungen der L. C., ſie ſteht aber mit ihr nicht mehr in Verbindung, ſeitdem das neuere R. R. dieſe Wirkung an den früheren Zeitpunkt der Inſinuation ausdrücklich angeknüpft hat (§ 242. 243).

248Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

In dieſem einzelnen Fall alſo hat ſchon das R. R. die wichtige Umwandlung wirklich vollzogen, die hier dem heutigen Recht auch für alle übrigen Fälle zugeſchrieben wird.

Der richtigeren Meinung nach iſt mit dieſer Unter - brechung der bisher laufenden Klagverjährung (die oft eine ſehr kurze iſt) ſtets auch die Begründung einer neuen Klagverjährung, und zwar nun von Vierzig Jahren, ver - bunden. Manche wollen ohne Grund dieſe beide Wirkungen von einander trennen, und an verſchiedene Zeitpunkte des Prozeſſes knüpfen; ſie nennen dann die Begründung der vierzigjährigen Verjährung die Perpetuation der Klage(a)S. o. B. 5 S. 323..

3. Entkräftung der Uſucapion (§ 261. No. II.).

Manche behaupten eine wirkliche Unterbrechung der Uſucapion, und wenden dann die Unterbrechung der Klag - verjährung, mit dem Zeitpunkt derſelben, unmittelbar auf die Uſucapion an. Dieſe Meinung iſt oben widerlegt worden.

Dagegen iſt es richtig, daß der Beklagte die Verpflich - tung hat, wenn während des Rechtsſtreits die Uſucapion abläuft, die Folgen derſelben dadurch auszutilgen, daß er das ſo erworbene Eigenthum zurück auf den Kläger über - trägt. Dieſe Verpflichtung iſt eine einzelne Folge des Quaſicontracts, entſteht alſo mit dieſem im Augenblick der Inſinuation.

4. Übergang der nicht vererblichen Klagen auf die Erben des Beklagten (§ 262. IV.)(b)nicht auch auf die Erben des Klägers (§ 264. a)..

249§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)

Hier behaupten die Meiſten, daß noch jetzt die L. C. als Anfang des Übergangs feſtgehalten werden müſſe(c)Carpzov jurispr. for. P. 4 Const. 46 Def. 6. Winck - ler p. 357. Pufendorf obs. IV. 94. Glück B. 6 S. 205. Martin Prozeß § 156. Linde Prozeß § 206. Bayer Civil - prozeß S. 248. Wächter H. 3 S. 112 114.. Gerade hier aber iſt die practiſche Unhaltbarkeit dieſer An - ſicht recht augenſcheinlich. Wenn Jemand durch ein Delict zur Entſchädigung verpflichtet iſt, ſo ſoll die hierauf gerich - tete Pönalklage nur mit großen Beſchränkungen auf die Erben des Beklagten übergehen (§ 211); dagegen läßt das R. R., von der L. C. an, den Uebergang unbedingt zu. Es iſt aber wohl einleuchtend, daß es einem ſolchen Beklagten am wenigſten zukommen darf, durch abſichtliche Verzögerung der L. C. den Übergang auf die Erben zu vereiteln. Auch liegt der Grund, der hier eine ſo viel - ſtimmige Vertheidigung des alten Rechtsſatzes veranlaßt, nicht etwa in einem inneren Bedürfniß dieſes beſonderen Falles, welches von keinem behauptet wird; er liegt viel - mehr nur darin, daß viele Stellen des R. R. die L. C. als Zeitpunkt des Übergangs anerkennen. Dieſes nun ſoll gewiß nicht bezweifelt werden, aber es iſt in dieſem Fall nicht mehr wahr, als in manchen anderen Anwen - dungen, worin doch jene Vertheidiger ſelbſt (ohne gehörige Conſequenz) die L. C. Preis geben.

Einige Schriftſteller dagegen behaupten gerade für dieſen Fall den Übergang von der Zeit der Inſinuation an, jedoch aus einem irrigen Grunde(d)Francke Beiträge S. 43. Sintenis Erläuterungen S. 148; dieſer will ſogar auf die Zeit der Einreichung der Klage zurückgehen.. Ein Reichs -250Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzunggeſetz verordnet nämlich für den Fall des Landfriedensbruchs ausdrücklich, daß die Strafe auch gegen die Erben des Thäters gehen ſoll, ſelbſt wenn er vor der L. C. ſtirbt(e)K. G. O. 1555 Th. 2 Tit. 9 § 6.. Dieſes iſt aber ſo wenig Ausdruck einer allgemeinen Regel für alle Klagen überhaupt, wofür es doch von jenen Schriftſtellern ausgegeben wird, daß es vielmehr als ein Zeugniß in entgegengeſetzter Richtung angeſehen werden könnte, da es offenbar die Abſicht des Geſetzes iſt, jenes Verbrechen mit beſonderer Strenge zu behandeln.

Nach der Praxis des Oberappellationsgerichts zu Lübeck tritt der Übergang auf die Erben mit der Inſinuation ein.

5. Entſtehung des Rechts des Klägers erſt während des Rechtsſtreits (§ 262. N. V.).

Wenn der Kläger eine Eigenthumsklage anſtellt, ohne Eigenthum zu haben, dieſes aber nach der L. C. erwirbt, ſo ſoll er in dieſem Prozeß nicht gewinnen können, ſondern genöthigt ſeyn eine neue Klage anzuſtellen.

Daß auch hier die Inſinuation an die Stelle der L. C. geſetzt werde, iſt zwar nicht ſehr wichtig, folgt aber aus dem Princip. Auch iſt es in dieſem früheren Stadium des Prozeſſes für den Kläger noch weniger als ſpäter läſtig, die erſte Klage fallen zu laſſen, und eine neue anzuſtellen. Dagegen kann es, wie oben bemerkt worden iſt, den Be - klagten ohne Grund gefährden, wenn dieſer in Voraus - ſetzung des früheren Rechtszuſtandes ſeine Vertheidigung einrichtet, ohne die eingetretene neue Thatſache zu kennen und zu berückſichtigen.

251§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)

6. Entſtehung der Mora und der mala fides (§ 264).

Die von vielen aufgeſtellte Behauptung, welche jene Momente an die L. C. anknüpft, iſt im Princip ohnehin zu verwerfen, wie ſchon oben gezeigt worden iſt. Was aber dabei an relativer Wahrheit etwa zugegeben werden kann, daß nämlich oft, nach den Umſtänden des einzelnen Falles, einzelne Momente des Prozeſſes den Richter zur Annahme einer Mora beſtimmen können (§ 264. g), dieſes iſt von der Inſinuation eben ſo wahr als von der L. C.

7. Omnis causa, insbeſondere Früchte und Zinſen, mit Einſchluß der verſäumten Früchte (§ 265 271).

Dieſe Wirkung iſt geradezu die wichtigſte unter allen. Wir müſſen ſie an die Inſinuation knüpfen, in Anwendung des allgemeinen Princips, deſſen practiſche Wahrheit gerade bei dieſer Anwendung recht anſchaulich wird. Der Beklagte wird hier zu gewiſſen Leiſtungen verpflichtet, und ſelbſt mit einer beſonderen Strenge verpflichtet, weil er ſich eventuell als den Verwalter fremder Vermögens - ſtücke anzuſehen hat. Dieſes Bewußtſeyn können wir ihm mit gutem Grunde zuſchreiben, ſobald er durch die Inſi - nuation von dem Rechtsſtreit Kenntniß erhält. Es iſt abe durchaus kein innerer Grund vorhanden, den Anfang dieſes Bewußtſeyns gerade in den Zeitpunkt zu ſetzen, in welchem er ſich über die thatſächlichen Behauptungen der Klage erklärt.

Hierin ſind die Meinungen getheilt. Einige halten feſt252Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.an der L. C.(f)Linde Prozeß § 206. Bei ihm ſcheint mir dieſe Behauptung beſonders inconſequent, da er doch im § 200 die Mora und die mala fides mit der Inſinuation an - fangen läßt.. Die Meiſten dagegen nehmen bei dieſem wichtigſten Punkte ganz richtig die Inſinuation als Anfang jener Verpflichtung an(g)Winckler p. 365 (nach der Praxis der meiſten Gerichte). Kind quaest. for. T. 3 C. 88, T. 4 C. 46. Martin § 152. Bayer S. 233. Kierulff S. 278 in Verbindung mit S. 281. Wächter H. 3 S. 105 110. Mit dieſer richtigen Meinung ſtimmt überein die Praxis des O. A. G. zu Lübeck, welches von der Inſi - nuation an Zinſen zuerkennt. Eben ſo die Praxis des Reviſionshofs zu Berlin, ſo wie die der Juriſten - facultät zu Berlin (§ 271. u. v. w)., aber freilich indem ſie großen - theils dieſer ihrer Behauptung einen nicht haltbaren Grund unterlegen. Sie berufen ſich dabei auf mehrere Ausſprüche des R. R. über die Erbrechtsklage, indem ſie den beſonderen hiſtoriſchen Zuſammenhang dieſer Ausſprüche unbeachtet laſſen, und zugleich den Inhalt derſelben generaliſiren, dabei aber die zahlreichen Stellen des R. R. unbeachtet laſſen, die für ſo viele andere Klagen entgegengeſetzte Beſtimmungen enthal - ten. Der Grund dieſes unkritiſchen Verfahrens liegt in einer allgemeinen Anſicht, die für die ganze Auffaſſung unſres Gegenſtandes ſo wichtig iſt, daß ich dabei noch etwas verweilen muß.

Man geht davon aus, das ältere R. R. habe die L. C. an die Spitze des ganzen Rechtsſtreits geſtellt, und als Anfangspunkt wichtiger materieller Wirkungen behandelt; es gehöre aber zu einem an ſich vollkommneren Zuſtand des Prozeßrechts, daß dieſe wichtige Stelle vielmehr der Vorladung des Beklagten eingeräumt werde. Dieſes habe Hadrian wohl erkannt, und daher ſey in dem Sc. Juven -253§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)tianum bei der Erbrechtsklage der große Fortſchritt gemacht worden, nicht mehr bei der L. C. ſtehen zu bleiben, ſondern jene Wirkungen in einem früheren Zeitpunkt eintreten zu laſſen. Es liege nur an der einſichtsloſen Juſtinianiſchen Compilation, wenn dieſer Gedanke nicht rein und allge - mein durchgeführt erſcheine, ſondern Altes und Neues un - verbunden neben einander liege. Wir aber handelten ganz im Sinn der Entwicklung des R. R., wenn wir jene Durchführung noch jetzt vornähmen, den Gedanken Ha - drians generaliſirten, und Alles von der Vorladung ab - hängig machten(h)Mehr oder weniger liegt der im Text entwickelte und be - kämpfte Gedanke bei den Meiſten ſtillſchweigend zum Grunde. Am vollſtändigſten ausgebildet findet er ſich bei Kierulff S. 280 bis 284..

Dieſe Auffaſſung muß ich für durchaus verwerflich erklären. Ob es überhaupt beſſer iſt, die Vorladung oder die L. C. an die Spitze zu ſtellen und als entſcheidenden Punkt zu behandeln, läßt ſich im Allgemeinen nicht ſagen; es hängt von der Einrichtung des ganzen Prozeßverfahrens ab. So lange der alte ordo judiciorum in ſeiner Reinheit und Vollſtändigkeit beſtand (wie ganz gewiß in Hadrians Zeit), war die alte Stellung der L. C. dem Zweck des Prozeſſes völlig entſprechend, alſo durchaus gut und keiner Veränderung bedürftig. Hadrians Neuerungen hierin ſind auch gar nicht aus der Abſicht einer Vervollkommnung des Prozeßrechts im Allgemeinen entſprungen, ſondern lediglich aus den ganz eigenthümlichen Bedürfniſſen der Erbrechtsklage. Hätte er die ihm untergeſchobene Abſicht eines Fortſchritts254Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.im Prozeßrecht gehabt, ſo wäre es doch wunderbar, daß die großen Juriſten einer weit ſpäteren Zeit, daß Papi - nian und Ulpian nicht hinter das Geheimniß jenes Ge - dankens gekommen ſeyn ſollten; daß ſie ſtets von der L. C. als dem entſcheidenden Zeitpunkt ſprechen, anſtatt die Vor - ladung allgemein an deren Stelle zu ſetzen.

8. Vergütung des Untergangs und der Be - ſchädigung der Sache, wenn dieſe während des Rechtsſtreits durch Dolus oder Culpa des Be - klagten erfolgt (§ 272).

9. Vergütung des zufälligen Untergangs in demſelben Zeitraum, wenn der Beklagte ein un - redlicher Beſitzer iſt (§ 273).

Dieſe beide Folgen ſtehen, eben ſo wie die Verpflichtung für die Früchte, in unmittelbarem Zuſammenhang mit dem Quaſicontract, und müſſen alſo, genau ſo wie dieſer, von der L. C. auf die Zeit der Inſinuation übertragen werden.

Ich faſſe dieſe Unterſuchung über den Zuſtand des heutigen Rechts kurz zuſammen. Das R. R. knüpft die wichtigſten materiellen Wirkungen an den Eintritt der L. C. Durch die ſehr veränderte Lage des Prozeſſes ſind wir genöthigt, dieſen Grundſatz dem Buchſtaben nach zu verlaſſen, und nur dem Sinn und Zweck nach feſt zu halten, indem wir den Anfang jener Wirkungen von der L. C. auf die Inſinuation übertragen.

Wenn ich neben dieſer Überzeugung den Namen der L. C. überall beibehalten, und ſelbſt an die Spitze der255§. 279. Stellung der L. C. im heutigen Recht. (Fortſ.)gegenwärtigen Abhandlung geſtellt habe, ſo iſt Dieſes mit Abſicht geſchehen. Es iſt geſchehen, weil es dazu dient, den Schatz juriſtiſcher Einſicht, der uns in den Quellen des R. R. auch für dieſe Lehre aufbewahrt iſt, zugänglicher zu erhalten, und weil uns zugleich der Zuſammenhang mit der geſammten juriſtiſchen Literatur, vom Mittelalter bis auf unſre Zeit, geſtört wird, wenn wir jene Bezeichnung aufgeben.

Gemeint aber iſt in dieſer ganzen Unterſuchung der materielle Einfluß der Dauer des Rechtsſtreits auf das ſtreitige Rechtsverhältniß. Wenn dabei die L. C. von den Römern als entſcheidendes Moment bezeichnet wurde, ſo geſchah es nicht, als ob man ihr eine beſondere, geheimnißvolle Kraft hätte beilegen wollen. Es geſchah, weil ſie dazu geeignet war, den genauen Anfangspunkt des Rechtsſtreits zu bezeichnen, und ſo in ihr den Rechts - ſtreit gleichſam zu perſonificiren. Wir aber haben wichtige Gründe, hierin die Inſinuation an ihre Stelle treten zu laſſen.

Eine Beſtätigung der hier entwickelten, großentheils auch von neueren Schriftſtellern anerkannten, Meinung über das wahre Bedürfniß des heutigen Rechts, finde ich in dem Wege, den die Preußiſche Geſetzgebung eingeſchlagen hat. Bei der Feſtſtellung derſelben kam es zur Sprache, mit welchem Zeitpunkt die eigenthümlichen Prozeßverpflich - tungen anfangen ſollten, die daſelbſt mit dem Namen des unredlichen Beſitzes bezeichnet werden (§ 264). An die L. C., wie ſie die neueren Romaniſten annahmen, d. h. an256Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.die Zeit der eingereichten Exceptionsſchrift, konnte man nicht denken, weil man den ſchriftlichen Prozeß des neueren gemeinen Rechts verlaſſen hatte(i)Hätte man ſich ganz an den wahren Sinn des R. R. an - ſchließen wollen, ſo fand man in dem status causae et contro - versiae des Preußiſchen Prozeſſes einen richtigen Vergleichungspunkt (§ 259. o). Allein jener wahre Sinn war damals auch unter den Romaniſten faſt ganz vergeſſen, und ſo kam der hier erwähnte Zeit - punkt nicht einmal in Frage. Auch iſt gar nicht meine Meinung es zu tadeln, daß dieſer Zeitpunkt nicht gewählt wurde; denn aller - dings wäre derſelbe nicht auf alle Arten des Prozeſſes anwendbar geweſen, wie es die Inſinuation in der That iſt. Faſt möchte man aber glauben, Suarez habe an - genommen, die L. C. ſey im R. R. mit der Inſinuation identiſch. Denn er ſagt in Kamptz Jahrb. B. 41 S. 8. 9: daß das R. R. .. mit dem Tage, da der Possessor b. F. per litis contestationem in malam fidem verſetzt worden; und gleich nachher: Nach der Römiſchen Theorie hängt es blos vom Zufall ab, zu welcher Zeit der Beſitzer durch Inſinuirung der Citation in malam Fidem verſetzt wird. Die Stellen ſind richtig abgedruckt, ſie ſtehen Vol. 88 f. 47 der Materialien, und ſind in der Zeit des letzten Abſchluſſes der Geſetzgebung niedergeſchrieben.. Daher wurde zuerſt vorgeſchlagen, die Verkündigung des Urtheils als Zeitpunkt anzunehmen; es wurde aber dieſer Vorſchlag verworfen, und die Inſinuation der Klage als Zeitpunkt angenommen (§ 264. z). Und ſo findet ſich hier, neben einer ſehr ver - ſchiedenen Auffaſſung und Ausdrucksweiſe, dennoch ein hoher Grad innerer Übereinſtimmung, hervorgegangen aus dem richtigen Gefühl des wahren practiſchen Bedürfniſſes.

Gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.257

§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.

  • Hauptquelle: Tit. Dig. de exceptione rei judicatae (Lib. 44 Tit. 2)
    (a)Nach der Überſchrift könnte man als die wichtigſte Quelle den Titel de re judicata (XLII. 1) betrachten; allein dieſer handelt von der Execution des Urtheils, den Mitteln und Einſchränkungen derſelben, alſo von der formellen oder prozeſſualiſchen Seite des Ge - genſtandes, welche nicht zu unſrer Aufgabe gehört.
    (a).
  • Schriftſteller:
  • Donellus Lib. 20 C. 5.
  • Keller über Litisconteſtation und Urtheil. Zürich 1827. 8.
  • Buchka Einfluß des Prozeſſes auf das materielle Rechtsverhältniß. Th. 1. 2. Roſtock und Schwerin 1846. 1847.
  • Wächter Handbuch des in Württemberg geltenden Privatrechts B. 2 (1846) § 73 S. 557 fg., und: Erörterungen Heft 3 (1846) S. 43 61.

Das Weſen jedes Rechtsſtreits beſteht in einem Gegen - ſatz von Behauptungen und Anſprüchen der Parteien (§ 256), und die Aufgabe geht dahin, dieſen GegenſatzVI. 17258Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.von einem höheren Standpunkt aus in Einheit aufzu - löſen.

Dieſe Auflöſung hat, eben ſo wie die bisher abgehan - delten Stücke des Rechtsſtreits, ihre formelle und ihre materielle Seite. Jene beſteht bei dem ganzen Rechtsſtreit in der Thätigkeit der Parteien und des Richters, alſo in der Form und Einrichtung der Prozeßhandlungen, ihrer Folge und ihrem Zuſammenhang; insbeſondere bei dem Theil des Rechtsſtreits, wovon gegenwärtig die Rede iſt, in der Art, wie der Richter zum Ausſpruch eines Urtheils gelangt, ſo wie in der Form und dem Inhalt des Ur - theils. Die materielle Seite des Urtheils beſteht in der Rückwirkung deſſelben auf den Inhalt und Umfang der Rechte ſelbſt; ſie allein gehört zur Aufgabe unſres Rechts - ſyſtems, und bildet in demſelben einen Theil des Actio - nenrechts (§ 204).

Dieſe Lehre gehört unter die wichtigſten des ganzen Rechtsſyſtems. Sie iſt von ſehr häufiger Anwendung, und die Wirkungen derſelben ſind noch bedeutender, als die der Litisconteſtation. Daher muß es auffallen, daß gerade dieſe Lehre ſowohl in Vorleſungen als in Rechtsſyſtemen meiſt vernachläſſigt worden iſt, und auch durch beſondere Schriften keine hinreichende Bearbeitung erfahren hat(b)Dieſe auffallende Vernachläſſigung wird gerügt von Puchta im rhein. Muſeum B. 2 S. 251.. Selbſt in umfaſſenden neueren Geſetzgebungen iſt derſelben nur geringe Beachtung zu Theil geworden.

259§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.

Daß aber das richterliche Urtheil eine ſolche Rückwir - kung auf den Inhalt der Rechte ausübt, wie es oben als die Aufgabe des gegenwärtigen Abſchnitts bezeichnet worden iſt, das verſteht ſich keinesweges von ſelbſt, und iſt nicht etwa eine aus dem Begriff des Richteramtes abzuleitende natürliche oder nothwendige Folge. Aus dieſem Begriff folgt nur, daß jeder Rechtsſtreit entſchieden, und daß dieſe Entſcheidung durch äußere Macht, ſelbſt gegen den Willen der unterliegenden Partei, zur Ausführung gebracht werde. Wenn aber in irgend einem ſpäteren Rechtsſtreit die Rich - tigkeit des früheren Urtheils in Zweifel gezogen wird, ſo ſcheint es natürlich, eine neue Prüfung vorzunehmen. Wird dabei das Urtheil als ein irriges erkannt (ſey es von demſelben oder von einem anderen Richter), ſo ſcheint es eine einfache Forderung der Gerechtigkeit, den früheren Irrthum zu berichtigen, und das begangene Unrecht gut zu machen, indem das zuletzt erkannte wahre Recht geltend gemacht wird.

Betrachten wir jedoch näher die Folgen, die mit einem ſolchen, ſcheinbar natürlichen und gerechten Verfahren un - vermeidlich verbunden ſeyn würden. Hier müſſen wir vor Allem anerkennen, daß ſehr häufig die Entſcheidung eines Rechtsſtreits ungemein zweifelhaft ſeyn kann, bald wegen einer ſtreitigen Rechtsregel, bald wegen ungewiſſer That - ſachen, bald weil die Thatſachen in ganz verſchiedener Weiſe unter die Rechtsregeln bezogen werden können. Da - her würde es oft geſchehen können, daß ein richterliches17*260Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Urtheil ſpäter durch ein entgegengeſetztes Urtheil entkräftet würde. Mit dieſer Abänderung aber wäre die Sache noch keinesweges zu Ende. Denn ein noch ſpäterer Richter könnte wieder das zweite Urtheil als irrig anſehen, und nun das erſte wieder herſtellen, oder auch eine von beiden verſchiedene Meinung durchführen. Die nothwendige Folge jenes Verfahrens alſo würde eine wahrhaft endloſe Un - ſicherheit des Rechtszuſtandes ſeyn, ſobald einmal irgend ein Rechtsverhältniß Gegenſtand eines Streites geworden wäre.

Aus dieſer Betrachtung geht hervor, daß wir zwei ſehr ernſte Gefahren von entgegengeſetzter Art vor uns haben. Auf der einen Seite ſteht die Gefahr, daß wir ein aus dem Irrthum oder böſen Willen eines Richters entſprunge - nes Urtheil aufrecht halten müſſen, auch wenn wir deſſen Ungerechtigkeit mit voller Ueberzeugung einſehen. Auf der anderen Seite die Gefahr einer völlig gränzenloſen Unge - wißheit der Rechts - und Vermögensverhältniſſe, die ſich durch viele Geſchlechter hindurch ziehen kann. Zwiſchen dieſen beiden Gefahren haben wir zu wählen. Es iſt eine Frage der Rechtspolitik, welches unter den Uebeln, die aus dieſen entgegengeſetzten Gefahren hervorgehen können, das größere iſt, und auf dieſe Frage kann nur die erfahrungs - mäßige Erwägung der wirklichen Zuſtände und Bedürfniſſe eine ſichere Anwort geben.

Dieſe Erwägung hat von ſehr alter Zeit her, und in der Geſetzgebung verſchiedener Völker, dahin geführt, die zuletzt erwähnte Gefahr der Rechtsunſicherheit als die weit261§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.größere, ja völlig unerträgliche, anzuerkennen, und für ihre Abwendung durch ein poſitives Rechtsinſtitut die nöthige Anſtalt zu treffen. Damit wird zugleich mit deutlichem Bewußtſeyn die entgegengeſetzte Gefahr übernommen, daß zuweilen ungerechte Urtheile ohne Abhülfe aufrecht erhalten werden müſſen; dieſe Gefahr aber iſt nicht nur an ſich ſelbſt die geringere, ſondern es iſt auch noch das Mittel gefunden worden, ſie durch eine beſondere künſtliche Anſtalt (die Inſtanzen) zu vermindern, von welcher weiter unten die Rede ſeyn wird (§ 284).

Das höchſt wichtige Rechtsinſtitut, wodurch der ange - gebene Zweck erreicht werden ſoll, läßt ſich im Allgemeinen als die Rechtskraft der richterlichen Urtheile bezeichnen, welche nichts Anderes iſt, als die Fiction der Wahr - heit, wodurch das rechtskräftige Urtheil gegen jeden künf - tigen Verſuch der Anfechtung oder Entkräftung geſichert wird. Ein geiſtreicher Schriftſteller hat dafür den Aus - druck des förmlichen Rechts, im Gegenſatz des wirk - lichen Rechts, gebraucht(c)Möſer patriotiſche Phan - taſieen B. 4 N. 30.. Der allgemeinſte Ausſpruch über den Inhalt und die Gründe dieſes Rechtsinſtituts findet ſich in folgender Stelle aus dem Commentar des Paulus zum Edict:

  • L. 6 de exc. rei jud. (44. 2.) Singulis controversiis singulas actiones(d)Den Worten nach könnte das ſo verſtanden werden, jedem Rechtsverhältniß dürfe ſtets nur Eine Klage entſprechen, welches, unum -262Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.que judicati finem sufficere, probabili ratione placuit; ne aliter modus litium multiplicatus summam atque inexplicabilem faciat difficultatem, maxime si diversa pronuntiarentur. Parere ergo exceptionem(e)Dieſes iſt die Florentiniſche Leſeart; die Vulgata hat excep - tioni. Man ſollte kaum glauben, wie mancherlei Erklärungen dieſe wenigen Schlußworte der Stelle zulaſſen. Nach der Vulgata kön - nen ſie nur ſo verſtanden werden: es geſchieht häufig, daß man der exc. rei judicatae gehorchen (Folge leiſten) muß. So verſteht die Stelle Cujacius recit. in Paulum ad ed. lib. 70; dabei fehlt es aber an der Andeutung eines gehorchenden Subjects. Nach der Florentina kann man auf zweierlei Weiſe erklären. Zu - erſt wenn man lieſt: parĕre, und nun ſo deutet: es geſchieht häufig, daß eine exc. r. j. erzeugt wird. So verſteht die Stelle Brissonius v. parĕre N. 3; dabei aber fehlt wieder die Andeutung des erzeu - genden Subjects, ſo daß dieſer Gedanke nur durch: nasci excep - tionem, oder durch: sententiam parere exceptionem fehlerfrei und ohne Härte ausgedrückt werden könnte. Zweitens indem man lieſt parēre, in dem Sinn von apparere, alſo mit dieſem Ge - danken: es geſchieht oft, daß die exc. r. j. erſcheint, gebraucht wird. Dieſe letzte Erklärung iſt wenigſtens frei von den Einwen - dungen, welchen die beiden erſten unterliegen. Eine ſehr beſchei - dene, alle Schwierigkeiten löſende, Emendation wäre dieſe: parĕre ergo exceptionem rem judica - tam frequens est. (Vergl. als Parallelſtelle L. 7 § 4 de pactis Nuda pactio obligationem non parit, sed parit exceptionem, und L. 7 pr. eod.). Die Ent - ſtehung des gegenwärtigen Textes würde ſich dann theils aus der Überſchrift des Titels, theils aus der etwas verſteckten Conſtruction des Satzes, leicht und befriedigend erklären. rei judicatae frequens est.

(d)falſch wäre, da man oft zwiſchen vielen Klagen die Wahl hat. Singulas actiones sufficere heißt vielmehr: man ſoll nicht mehrmals aus demſelben Rechtsgrund klagen. Es iſt der Ausdruck für die Kla - genconſumtion, alſo derſelbe Ge - danke, wie in dem alten Rechts - ſpruch, welchen Quinctilian. inst. or. VII. 6 anführt, indem er deſſen zweideutige Faſſung bemerklich macht: quod scriptum est: bis de eadem re ne sit actio.

263§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.

Es iſt einleuchtend, daß mit dieſer, dem rechtskräftigen Urtheil beigelegten Fiction der Wahrheit eine ſehr ſtarke Rückwirkung der bloßen Prozeßhandlung auf die Rechte ſelbſt verbunden iſt. Denn durch dieſe Fiction kann es geſchehen, daß ein vorher nicht vorhandenes Recht neu erzeugt, oder daß ein vorhandenes Recht zerſtört, vermindert, oder in ſeinem Inhalt verändert wird.

Der praktiſche Werth dieſes Rechtsinſtituts bedarf noch einer kleinen Erläuterung. Auf den erſten Blick könnte man glauben, die Rechtskraft ſey wichtig bei ungerechten Urtheilen, durch welche das vorhandene Rechtsverhältniß in ſein Gegentheil verkehrt wird, unwichtig bei gerechten, durch welche nur dasjenige beſtätigt wird, welches ohnehin und ohne Rechtskraft wahr iſt. Wäre dem alſo, ſo müßte man die Abſchaffung des ganzen Inſtituts wünſchen; es verhält ſich aber in der That ganz anders. Zwar iſt allerdings die Einwirkung der Rechtskraft beſonders ſtark und auffallend in dem unglücklichen Fall eines ungerechten Urtheils, für welchen Fall es gewiß nicht eingeführt iſt, und deſſen Möglichkeit wir nur mit hinnehmen müſſen als ein unvermeidliches Übel; aber wichtig und heilſam iſt die Rechts - kraft auch im Fall des gerechten Urtheils, deſſen Befeſti - gung eben ihren ganzen Zweck ausmacht. Wenn man erwägt, wie viele Rechtsverhältniſſe an ſich ſchwankend und zweifelhaft ſind, wie oft es geſchieht, daß ein jetzt vorhandenes Beweismittel ſpäterhin fehlt, daß ein ſpäterer Richter irren kann, wo der gegenwärtige richtig urtheilte264Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und daß die Entſchiedenheit an ſich (abgeſehen von dem Inhalt des Urtheils), im Gegenſatz der fortdauernden Un - gewißheit, für alle Theile wünſchenswerth iſt wenn man dieſes Alles erwägt, ſo wird man geneigt ſeyn, die hohe Wichtigkeit des Einfluſſes der Rechtskraft auch für den Fall gerechter Urtheile anzuerkennen.

Die nun folgende Lehre von der Rechtskraft ruht, ſo wie das ganze vorliegende Werk, auf dem Boden des - miſchen Rechts; aber die Fragen, die hier zur Erörterung kommen müſſen, ſind ſo allgemeiner Natur, daß ſie überall ihre Beantwortung fordern, auch da, wo von dem Römi - ſchen Recht keine Anwendung gemacht wird. Ferner würde es irrig ſeyn anzunehmen, daß der Werth und Erfolg dieſer Unterſuchung an irgend eine beſondere Form des Prozeßverfahrens gebunden wäre. Sie wird ſchon hier angeſtellt für den altrömiſchen Formularprozeß, den Prozeß der Juſtinianiſchen Zeit, und den gemeinen deutſchen Prozeß. Das Bedürfniß derſelben tritt aber auch gleichmäßig hervor im Prozeß des Preußiſchen, ſo wie in dem des Franzöſiſchen Rechts.

Das Rechtsinſtitut, welches nunmehr abgehandelt werden ſoll, und zu deſſen Einleitung die vorſtehende Betrachtung beſtimmt iſt, ſetzt den regelmäßigen Gang eines Rechts - ſtreits voraus. Der vollſtändigen Überſicht wegen muß aber ſchon hier auf die anomalen Entwicklungen ſtreitiger265§. 280. Rechtskraft des Urtheils. Einleitung.Rechtsverhältniſſe hingedeutet werden, die neben dem rechts - kräftigen Urtheil vorkommen können.

Dahin gehören einige Rechtsinſtitute, welche die Stelle eines Urtheils vertreten können, und eben deshalb das Urtheil unnöthig machen. Unter dieſe Surrogate des Urtheils gehört der Eid, die in jure confessio und re - sponsio.

Es gehört dahin aber auch ein Rechtsinſtitut, welches, ſo wie das Urtheil, auf der Thätigkeit einer richterlichen Obrigkeit beruht, aber eine andere und weiter gehende Be - ſtimmung hat. Anſtatt daß das Urtheil keine andere Auf - gabe hat, als das vorhandene Recht zu erkennen und zur Geltung zur bringen, beruht die in integrum restitutio vielmehr auf der beſondern Macht der Obrigkeit, unter ge - wiſſen Bedingungen in das vorhandene Recht mit Abſicht und Bewußtſeyn einzugreifen und daſſelbe abzuändern.

Dieſe Inſtitute werden nach Beendigung der Lehre vom Urtheil abgehandelt werden.

§. 281. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte.

Die mit der Rechtskraft verbundene Fiction der Wahr - heit iſt bisher nur erſt als ein Zweck, der erreicht werden ſoll, aufgeſtellt worden. Es fragt ſich nunmehr, durch welche Mittel dieſer Zweck herbeizuführen iſt, durch welche Rechtsform jenes Inſtitut in das Leben eingeführt werden ſoll. Dieſe Frage läßt ſich nur durch die geſchichtliche266Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Entwicklung der Rechtskraft beantworten. Dabei iſt es vor Allem nöthig, die verſchiedenen Fälle zn betrachten, in welchen jene Aufgabe hervortreten kann. Es iſt nämlich möglich, daß der Richter zum Vortheil des Klägers ent - ſcheidet durch Verurtheilung des Beklagten: oder zum Vor - theil des Beklagten durch Abweiſung des Klägers. In beiden Fällen ſollen dem Sieger für alle Zukunft die Vor - theile geſichert werden, die ihm das Urtheil zuſpricht. Wie kann Dieſes geſchehen?

Für den erſten Fall ſcheint eine künſtliche Anſtalt kaum nöthig. Durch Execution wird der Beklagte zur Erfüllung des Urtheils gezwungen, und dadurch ſcheint der Kläger für immer befriedigt und geſichert. Daher hatte das ältere Römiſche Recht für dieſen Fall keine beſondere Vorſorge ge - troffen, und in den meiſten Fällen iſt auch keine nöthig. Es wird aber weiterhin gezeigt werden, daß es Verwick - lungen der Rechtsverhältniſſe giebt, für welche dieſe ein - fache Behandlung nicht ausreicht.

Anders verhält es ſich in dem zweiten Fall. Der Be - klagte, der völlig freigeſprochen, oder nicht in dem Umfang, wie es der Kläger verlangte, verurtheilt iſt, kann immer wieder durch neue Klagen beunruhigt werden, und gegen dieſe Gefahr iſt er durch eine künſtliche Anſtalt zn ſchützen.

Das ältere Römiſche Recht gieng dabei ſo zu Werk, daß es den Schutz des Beklagten ſchon in einen früheren Zeitpunkt des Rechtsſtreits legte. Jede Klage, welche bis zur Litis-Conteſtation gebracht war, galt als erſchöpft oder267§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.conſumirt, nnd konnte nie wieder von Neuem vorgebracht werden, ohne Unterſchied, ob es zu einem Urtheil gekom - men war oder nicht, und welchen Inhalt das etwa ge - ſprochene Urtheil haben mochte. Bei manchen perſönlichen Klagen trat dieſe Vernichtung des früher vorhandenen Klagerechts ipso jure ein, bei allen anderen Klagen ver - mittelſt einer exceptio rei in judicium deductae, welche jede neue Klage ausſchloß (§ 258).

Kam es nun, wie in den meiſten Fällen, in der That zu einem Urtheil, und zwar zu einem freiſprechenden, ſo war deſſen Wirkſamkeit für immer geſichert durch die einge - tretene Conſumtion, die jede Wiederholung der vorigen Klage unmöglich machte. Nunmehr aber hieß die Exception gegen die verſuchte neue Klage nicht rei in judicium de - ductae, ſondern rei judicatae, und dieſe mußte ungleich häufiger ſeyn, als jene, weil zu allen Zeiten der Aus - gang eines Rechtsſtreits ohne Urtheil zu den Seltenheiten gehört(a)Die exc. rei in judicium deductae konnte alſo überhaupt nur vorkommen, wenn der frühere Prozeß entweder noch im Gang war, und daneben ein neuer ver - ſucht wurde, oder wenn derſelbe liegen geblieben, und vielleicht ſchon durch die Prozeßverjährung für immer verloren gegangen war..

Demnach war in dieſer älteren Zeit für die Sicherheit eines freigeſprochenen Beklagten geſorgt durch die Con - ſumtion jeder einmal angeſtellten Klage, welche Conſumtion zuweilen ipso jure eintrat, häufiger aber durch eine exceptio rei judicatae geltend gemacht wurde. Dieſe Einrede war268Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.alſo ſchon in der älteren Zeit die häufigſte und praktiſch wichtigſte Rechtsform zum Schutz geſprochener Urtheile gegen willkührliche neue Anfechtung.

Der Rechtsſatz, welcher dieſer Einrede in der älteren Zeit zum Grunde lag, läßt ſich in folgender Formel aus - drücken: Eine einmal abgeurtheilte Klage kann nie von Neuem vorgebracht werden.

Um den eigenthümlichen Charakter dieſer Einrede des älteren Rechts ſcharf aufzufaſſen, iſt es nöthig, zwei Stücke feſtzuhalten; erſtlich, daß ſie ſich nur auf das Daſeyn eines Urtheils gründet, nicht auf deſſen Inhalt; zweitens, daß ſie nur einen verneinenden Zweck und Erfolg hat, nämlich, eine Klage zu verhindern, nicht, irgend ein Recht durchzuſetzen. Die Bedingung der Anwendung dieſes Rechtsſatzes iſt die Identität einer verſuchten neuen Klage mit der ſchon früher angeſtellten und abgeurtheilten.

Das hier beſchriebene Rechtsinſtitut, gedacht als ein Mittel, die Rechtskraft der Urtheile zu begründen, erfüllte ſeinen Zweck nur nothdürftig, indem es blos den Beklagten gegen eine Wiederholung der abgeurtheilten Klage ſchützte. Hatte aber etwa der Kläger durch eine Eigenthumsklage die Verurtheilung des Beklagten bewirkt, und ſo den Beſitz ſeiner Sache wieder erlangt, ſo konnte gegen ihn der frühere Beklagte als Kläger daſſelbe Eigenthum wieder in Frage ſtellen; denn da Dieſer früher noch gar nicht geklagt, alſo269§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.keine Klage conſumirt hatte, ſo konnte ihm die oben be - ſchriebene Einrede nicht entgegen geſetzt werden, und es war nun ein neues Urtheil möglich, wodurch das frühere in ſeiner Wirkung zerſtört wurde. Aber auch dem Be - klagten gab jenes Rechtsmittel für ſolche Fälle keinen Schutz, in welchen der Kläger den Erfolg des früheren Urtheils nicht gerade durch Wiederholung der früheren Klage, ſon - dern bei Gelegenheit eines anderen Rechtsſtreits, alſo auf mehr indirecte Weiſe zu vereiteln ſuchte. Ja es konnte ſogar geſchehen, daß jene Einrede bei etwas verwickelten Rechtsverhältniſſen dazu misbraucht wurde, den durch das frühere Urtheil beabſichtigten Vortheil einer Partei zu zer - ſtören, alſo ſeiner eigentlichen Beſtimmung gerade entgegen zu wirken.

Auf der anderen Seite aber war dieſes Rechtsinſtitut in ſeinen Folgen mit manchen Härten verknüpft, die ganz außer dem Zweck deſſelben lagen, und durch die bloße Con - ſequenz herbeigeführt, alſo praktiſch in keiner Weiſe gerecht - fertigt waren. Die Einrede war nämlich auch dann be - gründet, wenn der Beklagte freigeſprochen war, nicht weil das Recht des Klägers verneint werden mußte, ſondern wegen einer blos dilatoriſchen Einrede, die vielleicht auf einem ganz untergeordneten und vorübergehenden Grunde beruhte(b)Gajus. IV. § 123. S. o. § 227.; dann ging alſo das wirklich vorhandene Recht des Klägers aus einem ganz zufälligen Grunde unter. 270Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Nicht beſſer war es, wenn der Rechtsſtreit durch die Pro - zeßverjährung des alten Rechts ohne Ausgang, alſo auch ohne Urtheil blieb (§ 256. b), welches ohne alle Nachläſſig - keit des Klägers geſchehen konnte; denn nun war durch die exceptio rei in judicium deductae jede fernere Verfolgung des wirklich vorhandenen Rechts für immer unmöglich gemacht.

Die Wahrnehmung dieſer Mängel führte zum Nach - denken über das wahre Bedürfniß, und zu dem klaren Be - wußtſeyn, daß es eigentlich darauf, und nur darauf ankomme, jeder richterlichen Entſcheidung ihre unzweifelhafte Wirkſamkeit für alle Zukunft zu ſichern. Man ſuchte nun das alte bekannte Rechtsinſtitut der exceptio rei judicatae dahin auszubilden, daß dieſer Zweck erreicht würde, und zwar vollſtändig erreicht. Dieſes geſchah, indem man ſie nicht mehr wie bisher auf das bloße Daſeyn des Urtheils gründete, ſondern auf den Inhalt deſſelben. Deſſen Gel - tung ſollte für jeden künftigen Rechtsſtreit geſichert werden, und indem man neben der Exception nach Bedürfniß auch eine replicatio rei judicatae gab, wurde das Rechtsinſtitut in dieſer neuen Ausbildung geeignet, dem früheren Kläger eben ſowohl, als dem Beklagten, alle Vortheile zu ſichern, die aus dem Inhalt des Urtheils in einem künftigen Streit hergeleitet werden konnten.

Der Rechtsſatz, welcher nach dieſer Ausbildung dem Inſtitut zum Grunde gelegt wurde, läßt ſich in folgender Formel ausdrücken:271§. 281. Rechtskraft. Geſchichte.Dem Inhalt eines geſprochenen Urtheils ſoll kein ſpä - teres Urtheil widerſprechen.

Auf den erſten Blick ſcheint dieſe Formel eben ſo, wie die oben aufgeſtellte ältere Formel, blos verneinend, verhin - dernd. Da indeſſen kein Richter die Entſcheidung eines ihm vorgelegten Rechtsſtreits verweigern darf, ſo löſt ſich jene Formel ſogleich in dieſe andere auf: Wenn in einem gegenwärtigen Rechtsſtreit eine Frage vorkommt, worüber ſchon in einem früheren Rechts - ſtreit ein Urtheil geſprochen worden iſt, ſo muß der neue Richter den Inhalt jenes Urtheils als wahr an - nehmen und ſeinem eigenen Urtheil zum Grunde legen.

In dieſer Formel aber nimmt der Rechtsſatz eine völlig poſitive Geſtalt an, und iſt der unmittelbare Ausdruck der Fiction der Wahrheit, die ſchon oben (§ 280) als der eigentliche Sinn der Rechtskraft, und als das wahre praktiſche Bedürfniß angegeben worden iſt.

Zur Bezeichnung dieſes logiſchen Verhältniſſes beider Geſtalten der Einrede, der älteren und der neueren, hat man den paſſenden Ausdruck angewendet: exceptio rei judicatae in ihrer negativen und ihrer poſitiven Function(c)Keller S. 223 Note 4..

Dieſe wichtige Ausbildung des Rechtsinſtituts iſt nicht durch eine allgemeine Vorſchrift (Geſetz oder Edict) bewirkt worden, wodurch etwa das ältere Inſtitut aufgehoben oder umgebildet, das neuere eingeführt worden wäre; dazu war272Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.in der That kein Bedürfniß vorhanden. Es war und blieb eine und dieſelbe Einrede der Rechtskraft, welche für das Urtheil in dem neuen Rechtsſtreit maaßgebend wurde, und der Unterſchied beider Functionen wird nur ſichtbar bei der Frage, in welchen Fällen, unter welchen Vorausſetzungen die Einrede gegeben werden ſollte. Dieſes aber lag bei jedem einzelnen Rechtsſtreit ganz in der Macht des Prä - tors, der dabei jederzeit nach der fortſchreitenden Einſicht in das wahre praktiſche Bedürfniß verfuhr, und einer lei - tenden allgemeinen Vorſchrift nicht bedurfte.

§. 282. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte. (Fortſetzung.)

Das geſchichtliche Verhältniß beider Functionen der Ein - rede der Rechtskraft ſoll nunmehr näher feſtgeſtellt werden.

Daß die negative Function die ältere und urſprünglich einzige Geſtalt der Einrede war, läßt ſich ſchon aus ihrer unvollkommneren Natur und aus ihrer Verwandtſchaft mit dem augenſcheinlich alterthümlichen Inſtitut der ipso jure eintretenden Conſumtion (§ 281) vermuthen. Es folgt aber auch unmittelbar daraus, daß Gajus in ſeinen In - ſtitutionen die Lehre von der Conſumtion der Klage, d. h. die negative Function der Einrede, ausführlich und mit Sorgfalt darſtellt(a)Gajus. III. § 180. 181, IV. § 106 108, vergl. mit § 104. 105., während er den Grundſatz, worauf die poſitive Function beruht, in jenem Werke gar nicht273§. 282. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)erwähnt. Man könnte Dieſes ſo deuten, als ob dieſer letzte Grundſatz überhaupt erſt nach der Zeit des Gajus ent - ſtanden, ihm ſelbſt alſo unbekannt geweſen wäre. Dieſe Annahme jedoch wird durch die Wahrnehmung völlig wider - legt, daß die Einrede in ihrer poſitiven Function (als Auf - rechthaltung des Inhalts eines jeden Urtheils) ganz be - ſtimmt in einer Digeſtenſtelle aus Gajus vorkommt(b)L. 15 de exc. r. j. (44. 2.), ja ſogar ſchon von Julian anerkannt wird, in einem Zeugniß, das aus ſeinen Schriften Ulpian anführt(c)L. 40 § de proc. (3. 3). Vgl. Keller S. 230. 231.. Dieſer ſcheinbare Widerſpruch löſt ſich auf befriedigende Weiſe, wenn man annimmt, daß neben der alten, längſt ausgebildeten Conſumtion auch ſchon die Fiction der Wahr - heit des Urtheils (d. h. die Einrede in ihrer poſitiven Function) lange vor Gajus in einzelnen Entſcheidungen angewendet wurde, daß ſie aber zu ſeiner Zeit noch nicht in der Rechtstheorie ſo ausgebildet und grundſätzlich aner - kannt war, daß er nöthig gefunden hätte, dieſelbe in ſeinen Inſtitutionen als ein beſonderes Rechtsinſtitut neben der Conſumtion zu erwähnen.

Für die Einrede in ihrer poſitiven Funktion bedarf es beſonderer Beweiſe inſofern nicht, als die ganze folgende Darſtellung nichts Anderes iſt, als die vollſtändige Ent - wickelung gerade des Grundſatzes, der in ihr zur Geltung gebracht wird. Ich will aber hier diejenigen Zeugniſſe der alten Juriſten zuſammen ſtellen, worin jener Grundſatz,VI. 18274Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.d. h. die Fiction der Wahrheit, auch ſelbſt des ungerechten Urtheils, in ſeiner allgemeinen durchgreifenden Natur be - ſonders deutlich ausgeſprochen wird.

  • L. 25 de statu hom. (1. 5 ) (Ulpian.) Ingenuum accipere debemus etiam eum, de quo sen - tentia lata est quamvis fuerit libertinus: quia res ju - dicata pro veritate accipitur
    (d)Der letzte Satz dieſer Stelle, welcher die Fiction der Wahrheit unmittelbar ausdrückt (res judi - cata pro veritate accipitur), iſt als Doppelſtelle noch an einem anderen Ort in die Digeſten auf - genommen. L. 207 de R. J. (50. 17). Es muß jedoch bemerkt werden, daß Ulpian in dieſer ganzen Stelle urſprünglich gar nicht von der Rechtskraft in unſe - rem Sinne (von der exceptio rei judicatae), d. h. von einem wie - derholten Rechtsſtreit über die jetzt abgeurtheilte Frage, ſprechen wollte. Die Lex Julia hatte die Ehe der freigebornen Männer mit ehrloſen Frauen verboten. Hierauf bezieht ſich der Ausſpruch des Ulpian, daß eine ſolche Ehe auch dem frei - gelaſſenen Manne unmöglich ſey, wenn derſelbe durch ein irriges, aber rechtskräftiges Urtheil für einen Freigebornen erklärt worden war. Im Zuſammenhang des Juſtinianiſchen Rechts indeſſen muß die Stelle von der eigentlichen Rechtskraft verſtanden werden, worauf auch ihr energiſcher Aus - druck ſehr gut paßt. Beſonders die in einen anderen Theil der Digeſten eingerückte Doppelſtelle macht dieſe Deutung unzweifel - haft. Vgl. über dieſe Stelle § 301 n.
    (d).
  • L. 3 pr. de agnosc. (25. 3 ) (Ulpian. ) verbunden mit L. 1 § 16 eod.
  • Plane si denuntiante muliere negaverit ex se esse praegnantem .. non evitabit quo minus quaeratur, an ex eo mulier praegnans sit. Quae causa si fuerit acta apud judicem, et pronuntiaverit in ea causa est, ut agnosci debeat, sive filius non fuit, sive fuit, esse suum Sive contra pronuntiaverit, non fore275§. 282. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)suum, quamvis suus fuerit. Placet enim ejus rei judicem jus facere
    (e)In dieſen Worten iſt die Fiction der Wahrheit, als Erzeu - gung eines neuen, ſelbſtſtändigen Rechts, beſonders bezeichnend aus - gedrückt. Dieſe Stelle übrigens geht auf ein ſolches anomales Verhältniß, worin das Urtheil eine beſonders ausgedehnte Wir - kung, auch für und wider fremde Perſonen, hat. Eben ſo verhält es ſich mit der in der vorherge - henden Note erwähnten Stelle. Vgl. § 301 m.
    (e).
  • L. 65 § 2 ad Sc. Trebell. (36. 1 ) (Maecianus.) Cum praetor cognita causa per errorem vel etiam ambitiose juberet hereditatem ut ex fideicommisso re - stitui, etiam publice interest restitui, propter rerum judicatarum auctoritatem(f)Es muß beſonders bemerkt werden, daß in dieſer Stelle von einem Urtheil die Rede iſt, welches nicht ein Juder, ſondern der Prä - tor ſelbſt ſprach, weil die Fidei - commiſſe Gegenſtand einer extra - ordinaria cognitio waren. Die Fiction der Wahrheit, und ſelbſt die Bezeichnung als res judicata, wird aber hier eben ſo, wie bei den ordinariis judiciis, ange - wendet..
  • L. 12 § 3 de bonis libert. (38. 2 ) (Ulpian.) Si quis, cum esset exheredatus, pronuntiatus vel perperam sit exheredatus non esse, non repelli - tur: rebus enim judicatis standum est.

In einer ſchon oben mitgetheilten Stelle des Pau - lus(g)L. 6 de exc. r. j. (44. 2), ſ. o. S. 261. wird auf beide Geſtalten der Functionen der Ein - rede neben einander hingedeutet; aber freilich in ſo allge - meinen Ausdrücken, daß wir dieſe Hindeutung nicht ver - ſtehen würden, wenn uns nicht in den Inſtitutionen des Gajus die Lehre von der Conſumtion der Klage in ihrer18*276Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ganzen Eigenthümlichkeit klar geworden wäre. Nachdem nämlich in jener Stelle geſagt worden war, daß aus jedem ſtreitigen Rechtsverhältniß nur einmal geklagt werden dürfe, weil die zugelaſſene Wiederholung derſelben Klage mit großen Nachtheilen für den Rechtszuſtand verknüpft ſey, wird dann noch hinzugefügt, daß dieſe Nachtheile be - ſonders ſtark in den Fällen hervortreten würden, wenn durch wiederholte Klagen ſogar Urtheile von widerſprechen - dem Inhalt herbeigeführt werden ſollten: maxime si diversa pronuntiarentur. In dieſen beiden Sätzen ſind die zwei verſchiedenen, aber verwandten Geſtalten der Einrede un - verkennbar angedeutet.

So hat die Einrede der Rechtskraft in ihren zwei Ge - ſtalten während des ganzen Zeitalters der Juriſten fortge - dauert, aus deren Schriften die Digeſten hervorgegangen ſind(h)Keller S. 231., und es zeigt ſich hierin daſſelbe Verfahren, welches wir auch in anderen Theilen des Römiſchen Rechts bei der Entwicklung von Rechtsinſtituten angewendet finden. Man entſchloß ſich nicht leicht, ein Rechtsinſtitut, deſſen Grundlage ſich bewährt hatte, völlig aufzuheben und durch ein anderes zu erſetzen, wenn es ſich auch in der Anwendung von manchen Seiten mangelhaft zeigen mochte, wie Dieſes von der Klagenconſumtion ſchon oben (§ 281) anerkannt worden iſt. Man ſuchte vielmehr ſolchen Män - geln durch mildere Mittel, alſo in feinerer Weiſe, abzu - helfen. Inſofern die Klagenconſumtion für das praktiſche277§. 281. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)Bedürfniß unzureichend gefunden wurde, lag die Abhülfe in der ſtets fortſchreitenden Entwicklung der Einrede in ihrer neueren Geſtalt (der poſitiven Function), die für jedes Bedürfniß vollkommen ausreichte. Inſofern die Conſumtion harte und unbillige Folgen nach ſich zog, ſuchte man durch ſehr verſchiedenartige Mittel zu helfen(i)Keller im ganzen ſechsten Abſchnitt ſeines Werks.. Insbeſondere in den ſchon oben (S. 270) angedeuteten, allerdings ſelt - neren Fällen, worin beide Geſtalten der Einrede in Wider - ſtreit kamen, indem die Klagenconſumtion in ihren Folgen dahin führte, den Inhalt eines früher geſprochenen Urtheils zu vereiteln, half man in der Form, daß die exceptio rei judicatae durch eine replicatio deſſelben Namens völlig ent - kräftet wurde(k)Keller § 70. 71. 72.. Dieſer letzte Fall iſt beſonders merk - würdig als ein unmittelbarer Beweis, daß die alten Ju - riſten ein deutliches Bewußtſeyn von der Verſchiedenheit beider Geſtalten der Einrede hatten, und daß ſie keinen Anſtand nahmen, in jedem Fall eines Widerſtreits dem neueren Grundſatz (der Fiction der Wahrheit) den Vorzug vor dem älteren (der Klagenconſumtion) einzuräumen, wo - durch alſo das neuere als das beſſere und befriedigendere von ihnen anerkannt wurde.

Späterhin iſt die Klagenconſumtion, alſo das ältere Rechtsinſtitut, gänzlich verſchwunden. Wir haben keine Rachricht, daß es jemals von einem Geſetzgeber ausdrück - lich aufgehoben worden wäre; es ſcheint vielmehr allmälig278Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abgeſtorben zu ſein, ſo wie dürres Laub abfällt, wenn das neue hervorwächſt und zu vollſtändiger Entwicklung kommt. Der Uebergang des alten ordo judiciorum in die extraor - dinaria judicia hat die Beſeitigung der Klagenconſumtion zwar nicht unmittelbar und mit Nothwendigkeit herbeige - führt, aber ohne Zweifel befördert und beſchleunigt. Denn die Ausſchließung einer Klage aus dem Grund ihrer frühe - ren Conſumtion ſetzt voraus, daß beide Klagen identiſch ſeyen; die Identität zweier Klagen aber wurde in den meiſten Fällen, und zugleich am leichteſten und ſicherſten, erkannt mit Hülfe der Klagformeln, die zugleich mit dem ordo judiciorum völlig verſchwanden. Ganz anders ver - hält es ſich mit der Fiction der Wahrheit des Urtheils, worauf die Einrede in ihrer neueren Geſtalt beruht; denn deren Anwendung ſetzt nur die Bekanntſchaft mit dem In - halt des Urtheils voraus, iſt alſo mit jeder Form des Pro - zeßverfahrens gleich vereinbar.

Insbeſondere aber läßt ſich beſtimmt behaupten, daß diejenige Conſumtion, die im alten Recht bei manchen Klagen nicht durch eine Einrede, ſondern ipso jure eintrat (§ 281), nach dem Untergang des ordo judiciorum gar nicht mehr möglich war, alſo ſogleich völlig verſchwinden mußte. Denn dieſe Art der Conſumtion ſollte nur ein - treten bei Prozeſſen, die vor einem einzelnen, von der Obrigkeit ernannten Judex geführt wurden, und in welchen eine Formel mit juris civilis intentio vorkam(l)Gajus IV. § 107 vgl mit § 104.; dieſe279§. 282. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)beiden Umſtände aber konnten in einem extraordinarium judicium nie eintreten.

Im Juſtinianiſchen Recht wird weder die Klagencon - ſumtion, noch die mit ihr unzertrennlich verbundene ex - ceptio rei in judicium deductae erwähnt, woraus unzwei - felhaft erhellt, daß dieſe Inſtitute damals keine Geltung mehr hatten. Von einzelnen wichtigen Folgen der Con - ſumtion iſt auch die Aufhebung noch ausdrücklich ausge - ſprochen(m)Dahin gehört L. 28 C. de fidejuss. (8. 42). Zum Theil iſt dahin auch zu rechnen die Auf - hebung der alten Regel, daß der Kläger plus petendo ſein Klage - recht verlieren ſolle, denn dieſe Regel beruhte allerdings auf der Conſumtion der Klage, aber frei - lich nicht auf ihr allein, ſondern nur in Verbindung mit der certa intentio, wovon nach dem Unter - gang des ordo judiciorum ohne - hin nicht mehr die Rede ſeyn konnte. Keller § 56..

Dagegen iſt hier die Einrede der Rechtskraft in ihrer poſitiven Function, als Schutz des Inhalts eines Urtheils, aus den Schriften der alten Juriſten ſo vollſtändig auf - genommen, daß dieſe Darſtellung für die Anwendung völlig genügt, wie ſich aus der folgenden Abhandlung ergeben wird. Auch iſt dieſe Geſtalt des Rechtsinſtituts ganz in unſere neuere Praxis übergegangen, und wenn ſich in dieſer nicht ſelten Abweichungen von dem R. R. einge - funden haben, ſo ſind dieſelben nicht aus Abſicht und Be - wußtſeyn entſtanden, indem man das R. R. für unzu - reichend oder unzweckmäßig gehalten hätte; ſie ſind viel - mehr lediglich aus mangelhafter Einſicht in die Rechts - quellen zu erklären.

280Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Allerdings finden ſich in den Ausſprüchen der alten Juriſten über dieſe neuere Einrede der Rechtskraft einzelne Äußerungen eingemiſcht, die nur aus dem alten Inſtitut der Klagenconſumtion zu erklären ſind; dieſe zufällig erhal - tenen Spuren aber ſind ſo einzeln und unzuſammenhängend, daß wir ſie erſt verſtehen gelernt haben, ſeitdem uns jenes Inſtitut durch die Inſtitutionen des Gajus bekannt ge - worden iſt. Es gehört dahin hauptſächlich die Erwähnung einer replicatio rei judicatae, wodurch in manchen Fällen die exceptio gleiches Namens entkräftet werden ſoll (Note k). Hier iſt allerdings die exceptio nur von dem alten Inſti - tut der negativen Function zu verſtehen, und die Auf - nahme ſolcher Stellen in die Digeſten wäre beſſer unter - blieben, da die Schwierigkeit, zu deren Löſung ſie beſtimmt ſind, ohnehin verſchwunden war. Indeſſen war dieſe Auf - nahme praktiſch ungefährlich, indem daraus kein Zweifel über die letzte Entſcheidung irgend eines ſtreitigen Rechts - verhältniſſes abgeleitet werden kann.

§. 283. Rechtskraft des Urtheils. Geſchichte. (Fortſetzung.)

Die Entdeckung der Einrede der Rechtskraft in ihren zwei verwandten, aber verſchiedenen, Geſtalten oder Functio - nen iſt das glänzende Verdienſt des Werks von Keller(a)Keller § 28. 29. 30.. Auch ſoll man nicht verſuchen, dieſes Verdienſt durch die Bemerkung zu verkleinern, ſeit der Bekanntmachung der281§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)Inſtitutionen des Gajus habe es blos vom Zufall abge - hangen, wer zuerſt den in ihnen enthaltenen Aufſchluß be - nutzen wolle. Es iſt vielmehr ſchon oben nachgewieſen worden, daß weder bei Gajus, noch in einem anderen Stück unſrer Rechtsquellen, beide Inſtitute neben einander in ihrem eigenthümlichen Gegenſatz erwähnt werden, ſo daß die Entdeckung dieſes Gegenſatzes nur durch die ſcharf - ſinnige Zuſammenſtellung und Vergleichung aller Theile der Rechtsquellen gefunden werden konnte.

Daß nun ſämmtliche Schriftſteller vor der Bekannt - machung der Inſtitutionen des Gajus von dieſer beſon - deren Rechtsentwicklung keine Ahnung hatten, und dadurch in manche hiſtoriſche Irrthümer verfielen, kann ihnen gewiß nicht zum Vorwurf gereichen. Dagegen iſt es nicht un - nütz, die Art, wie ſpätere Schriftſteller die neue Entdeckung benutzt und verarbeitet haben, einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Hierin nämlich ſind Misverſtändniſſe ganz verſchiedener Art wahrzunehmen.

Von einer Seite wird die Sache ſo aufgefaßt, als ob die Einrede in ihren beiden Functionen auch noch im heu - tigen Rechte fortdauere(b)Vangerow Pandekten § 173.. Daß aber ſchon im Juſtinia - niſchen Recht der Grundſatz der Klagenconſumtion, der mit der negativen Function untrennbar zuſammenhängt, völlig verſchwindet, iſt ſchon oben bemerkt worden (§ 282). Die eben erwähnte abweichende Meinung iſt jedoch in der That nicht ſo bedenklich, als ſie auf den erſten Blick ſcheint. 282Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sie gründet ſich theils auf die ſchon erwähnten einzelnen Spuren des alten Rechtsinſtituts, welche ſich zufällig im Juſtinianiſchen Recht erhalten haben, theils darauf, daß manche wirkliche Beſtandtheile des allein noch übrigen Rechtsinſtituts mit dem alten Inſtitut der Klagenconſum - tion irrigerweiſe in Verbindung geſetzt werden; dieſes Letzte deutlich zu machen, wird erſt weiter unten möglich ſeyn (§ 286). Die hier bemerklich gemachte irrige Auffaſſung hat übrigens eine blos theoretiſche Natur; es wird aus der angeblichen Fortdauer der negativen Function im heutigen Recht durchaus keine praktiſche Behauptung abgeleitet, die nicht auch aus der richtigen Auffaſſung vertheidigt werden könnte: insbeſondere wird nicht, wie man etwa befürchten könnte, der Einrede eine ungebührliche Ausdehnung zu geben verſucht(c)Vgl. den Schluß des § 282..

Eine ganz verſchiedene Geſtalt hat das Misverſtändniß der neuen Entdeckung bei einigen andern Schriftſtellern an - genommen(d)Kierulff Theorie des ge - meinen Civilrechts Th. 1. S. 250 bis 256. Buchka B. 2 S. 76. 184. 192. 200.. Es iſt nämlich oben erwähnt worden, daß zur Zeit der alten Juriſten beide Rechtsinſtitute neben ein - ander beſtanden, und daß die aus dieſer Verbindung ent - ſprungenen Schwierigkeiten von den alten Juriſten wohl erkannt und mit gutem Erfolg beſeitigt wurden (§ 282). Jene neueren Schriftſteller aber faſſen die Sache ſo auf. Nach ihrer Meinung haben ſich die Römer niemals von283§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)den engen Feſſeln des Formularprozeſſes und der darauf beruhenden Conſumtion der Klagen befreien können, und auch noch im Juſtinianiſchen Recht ſoll dieſer unfreie Geiſt herrſchen. Erſt die Erleuchtung der neueren Praxis, be - haupten ſie, habe jene Feſſeln abgeworfen, jetzt herrſche die reine aequitas, und Alles ſey nun in ſolcher Ordnung, wie man es nur wünſchen könne.

Bei dieſer Auffaſſung ſind zwei Dinge ſchwer zu be - greifen. Erſtens, daß die ſpäteren Kaiſer, unter deren Rathgebern mitunter ſehr verſtändige Leute waren, gar nicht gemerkt haben ſollten, daß mit der Aufhebung des ordo judiciorum, d. h. des Formularprozeſſes, jeder Grund zu jener beklagenswerthen Knechtſchaft völlig aufgehört hatte. Zweitens, daß die Juriſten neuerer Zeit, deren Lehre und Praxis zuerſt die Feſſeln des R. R. nach jener An - ſicht bewältigt hat, dieſes gleichfalls nicht gemerkt haben ſollten; denn es iſt augenſcheinlich, daß dieſe neueren Ju - riſten ihre Lehre nicht etwa im Widerſtreit mit dem R. R. durchzuführen ſuchten, ſondern ohne alle Ausnahme gerade aus den Quellen des R. R. ableiteten. Man müßte alſo annehmen, daß ſie einſichtiger waren, als ſie ſelbſt ahneten, und daß es erſt der neueſten Zeit vorbehalten war, ſie hierüber zu belehren. Übrigens iſt auch dieſe irrige Auffaſſung mehr geſchichtlicher, als praktiſcher Natur, indem für das heutige Recht die Lehre, die in der That ſchon im R. R. enthalten iſt, anerkannt wird. Sie iſt aber gefähr - licher, als die vorher erwähnte, indem ſie die richtige Be -284Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nutzung der Römiſchen Rechtsquellen durch irrige Voraus - ſetzungen verhindert, und zugleich in der angeblichen aequi - tas des heutigen Rechts einer gränzenloſen Willkühr Raum giebt, wovon vielleicht ſpätere Schriftſteller größeren Mis - brauch machen dürften, als bisher in der That geſchehen iſt.

Über die Richtigkeit dieſer Auffaſſung muß der Erfolg die letzte Entſcheidung geben. Die ganze folgende Abhand - lung der Rechtskraft geht darauf aus, ein in ſich geſchloſ - ſenes Syſtem dieſer Lehre aus den Quellen des R. R. abzuleiten, und ich glaube, daß dazu die Digeſten ein völ - lig befriedigendes Material darbieten. Gelingt dieſer Ver - ſuch, ſo iſt damit die eben erwähnte Auffaſſung des Ver - hältniſſes zwiſchen dem Römiſchen Recht und dem heutigen Recht als grundlos erwieſen.

Aus der nunmehr beendigten geſchichtlichen Grundle - gung zur Lehre von der Rechtskraft ergiebt ſich folgender Gang, welchen die jetzt folgende Darſtellung dieſer Lehre zu nehmen haben wird.

Die Formel des neueſten Rechts für die Rechtskraft (§ 281) geht dahin, daß jedem rechtskräftigen Urtheil ſeine Wirkſamkeit für alle Zukunft geſichert bleiben ſoll. Zur vollſtändigen Entwicklung dieſes Grundſatzes iſt eine zwei - fache Unterſuchung und Feſtſtellung nöthig:

  • I. Bedingungen der Rechtskraft:
    • A. Formelle Bedingungen.
    • 285
    • B. Inhalt des Urtheils, welcher als wahre Grund - lage der Rechtskraft anzuſehen iſt.
  • II. Wirkung der Rechtskraft in die Zukunft, d. h. noth - wendiges Verhältniß zwiſchen dem rechtskräftig ent - ſchiedenen Rechtsſtreit und dem künftigen Rechtsſtreit, auf welchen jene Entſcheidung Einfluß haben ſoll. Dieſes nothwendige Verhältniß läßt ſich im Allgemei - nen als Identität ausdrücken, welche in zwei ver - ſchiedenen Beziehungen vorhanden ſeyn muß, wenn die Rechtskraft Einfluß haben ſoll:
    • A. Identität der Rechtsverhältniſſe (objective).
    • B. Identität der Perſonen (ſubjective).

In einfacheren Worten läßt ſich dieſes nothwendige Verhältniß ſo ausdrücken. Damit die rechtskräftige Ent - ſcheidung einer früheren Klage auf die Entſcheidung einer ſpäteren Klage Einfluß haben könne, müſſen beide Klagen zwei Stücke mit einander gemein haben:

  • dieſelbe Rechtsfrage,
  • dieſelben Perſonen.

§. 284. Rechtskraft. I. Bedingungen. A. Formelle.

Es iſt zunächſt zu beſtimmen, von welcher formellen Beſchaffenheit ein richterlicher Ausſpruch ſeyn müſſe, um den wichtigen Einfluß auf jeden ſpäteren Rechtsſtreit aus - üben zu können, welcher mit dem Ausdruck der Rechts - kraft bezeichnet worden iſt (§ 280).

286Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn wir, um dieſe Frage nach dem R. R. zu beant - worten, den Standpunkt des Zeitalterts wählen, in welchem der Formularprozeß beſtand, ſo hat es keinen Zweifel, daß die Rechtskraft jedem Urtheil zugeſchrieben werden mußte, das unter der Autorität einer richterlichen Obrigkeit von einem Judex ausgeſprochen war. Unter Juder aber iſt hier zu verſtehen die zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits von der Obrigkeit ernannte Privatperſon, mochte dieſe Er - nennung an eine einzelne Perſon gerichtet ſeyn, oder an ein Richtercollegium. Ferner iſt unter dem Urtheil dieſes Judex, als Grundlage der Rechtskraft, nicht blos die eigentliche Sententia zu verſtehen (Condemnatio oder Absolutio), ſon - dern auch die derſelben bei manchen Klagen oft vorher - gehende Pronuntiatio (§ 287).

Allein dieſer Fall war, wenn auch der regelmäßige und häufigſte, dennoch keinesweges der einzige, worin die Rechts - kraft entſtehen konnte. Auch der Prätor konnte, ohne einen Judex zu ernennen, ſelbſt das Urtheil ausſprechen, und dieſes ging dann nicht minder in Rechtskraft über. Wenn dieſe Be - fugniß neuerlich in Zweifel gezogen worden iſt(a)Puchta Curſus der Inſtitutionen B. 2 § 175 Note n. , ſo ſcheint dabei der allzu moderne Gedanke zum Grunde zu liegen, das Urtheilſprechen durch Privatperſonen ſey eingeführt worden als eine Theilung der richterlichen Gewalt, zum Schutz gegen ungerechte Willkühr von Seiten des Prätors. Allein gegen dieſe Gefahr ſchützten manche andere Schranken der obrigkeitlichen Gewalt, und die Prozeßführung vor dem287§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.Judex war vielmehr eingeführt, und in der Regel unent - behrlich, weil ohne dieſelbe die Rechtspflege durch zwei Civilprätoren in Rom gar nicht hätte beſorgt werden kön - nen. Sie war aber faſt nur nöthig, wenn zweifelhafte Thatſachen feſtgeſtellt werden mußten, da bei unbeſtrittenen Thatſachen der Prätor eben ſo ſchnell und ſicher ſelbſt ein Urtheil ſprechen, als dem Judex eine Formel vorſchreiben konnte. So war es denn die allgemeine Anſicht der Römer, daß in Civilſachen, wie im Criminalprozeß, ein Judicium nur zur Entſcheidung beſtrittener Thatſachen angeordnet zu werden pflege(b)Tacitus annal. XI. 6 non judicium (quippe ut in manifestos), sed poenam statui videbant. . Auch fehlt es nicht an aus - drücklichen Zeugniſſen, daß der Prätor eben ſowohl ſelbſt ein Urtheil ſprechen konnte, als ein von ihm ernannter Juder(c)L. 81 de jud. (5. 1 ) (Ulpian.) Qui neque jurisdi - ctioni praeest, neque ab eo, qui jus dandorum judicum habet, datus est, judex esse non potuit (dieſe Beide alſo ſind gleich fähig, in einer einzelnen Sache das Urtheil zu ſprechen). Paulus V. 5 A. § 1 Res ju - dicatae videntur ab his, qui imperium potestatemque habent, vel qui ex auctoritate eorum inter partes dantur .... . Dieſe letzte Stelle emendirt Puchta a. a. O. ſo: Res judicatae vi - dentur a judicibus, qui ab his, qui imperium etc. Dieſe Emen - dation aber gründet ſich weder auf eine Andeutung der Handſchrift, noch auf innere Nothwendigkeit, ſondern lediglich auf das Bedürf - niß, eine Widerlegung der oben aufgeſtellten Meinung zu beſeitigen. Der handſchriftliche Text ſtimmt mit der voranſtehenden Stelle des Ulpian völlig überein. Wenn der Prätor ohne Juder verurtheilte, ſo hat es kein Bedenken, daß dar - aus künftig eine eigentliche ex - ceptio rei judicatae abgeleitet werden konnte. Wenn dagegen der Prätor die Klage ſogleich abſchlug, welches durch ein bloßes Decret geſchah, ſo konnte wenigſtens jener.

288Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die hier aufgeſtellten Regeln gehen auf die ordinaria judicia; daneben aber hat es keinen Zweifel, daß in jedem extraordinarium judicium, z. B. bei Fideicommiſſen, der obrigkeitliche Beamte, der darüber zu urtheilen hatte, durch ſein Urtheil gleichfalls Rechtskraft erzeugte, und zwar mit dem Namen einer res judicata (§ 282. f). Dennoch iſt auch dieſer Fall der Rechtskraft in neuerer Zeit ohne Grund in Zweifel gezogen worden(d)Puchta Curſus der In - ſtitutionen B. 2 § 177 Note o. Er nimmt an, das gewöhnliche Urtheil eines Judex habe wirklich neues Recht erzeugt, und ſey da - her von jedem ſpäteren Richter anerkannt worden; das Urtheil eines Magiſtratus habe nur für die demſelben untergeordneten Per - ſonen bindende Kraft gehabt. Dieſe Meinung wird unmittelbar widerlegt nicht nur durch die Rechts - kraft des Erkenntniſſes über ein Fideicommiß (§ 282. f.), ſondern auch durch die Rechtskraft, die dem Decret der Obrigkeit über Gewäh - rung oder Verſagung einer Reſti - tution zugeſchrieben wird. L. 1 C. si saepius (2. 44). Denn auch dieſes war eine Entſcheidung extra ordinem. .

Dieſe letzte Regel, welche zur Zeit des Formularpro - zeſſes nur als ſehr beſchränkte Ausnahme zur Anwendung kommen konnte, wurde zur allgemeinen und einzigen Regel durch die Aufhebung des alten ordo judiciorum. Der nun - mehr eintretende Zuſtand war ganz derſelbe, welchen allein wir in der heutigen Gerichtsverfaſſung aller Länder kennen.

Die bisher abgehandelte Seite der formellen Beſchaf - fenheit des zur Rechtskraft fähigen Urtheils hat eine blos geſchichtliche Bedeutung. Weit wichtiger, und gerade für(c)Name nicht wohl angewendet wer - den. Indeſſen mag man doch ir - gend eine Form gefunden haben, um auch dieſem abweiſenden De - cret die Rechtskraft zu ſichern. Vgl. den Schluß der folgenden Note.289§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.das neuere und heutige Recht beſonders wichtig, iſt die folgende Seite deſſelben Gegenſtandes.

Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß das Übel eines unheilbar ungerechten Urtheils, verglichen mit dem Übel einer endloſen Rechtsungewißheit, das geringere Übel ſey, und daß daher die Gefahr deſſelben mit deutlichem Be - wußtſeyn übernommen werden müſſe, um das ſonſt unver - meidliche größere Übel abzuwenden (§ 280). Bei dieſem nothwendigen Entſchluß wird jedoch die Natur des Übels, deſſen Gefahr wir nothgedrungen übernehmen, und ſelbſt die Wichtigkeit deſſelben nicht verkannt, und es ergiebt ſich daraus die Aufgabe, dieſe Gefahr ſo viel möglich zu ver - mindern, ſie in immer engere Gränzen einzuſchließen.

Zu dieſem Zweck dienen alle Anſtalten für die Ausbil - dung und Auswahl der Richter; eben ſo dient dazu die Anordnung collegialiſcher Gerichte; endlich aber und ganz vorzüglich die Einrichtung, nach welcher die Prüfung und Entſcheidung eines Rechtsſtreits nicht mit einemmal abge - than wird, ſondern in mehreren Abſtufungen wiederholt werden kann.

Auf den erſten Blick ſcheint eine ſolche Einrichtung im Widerſpruch zu ſtehen mit dem großen Werth, der gleich im Eingang dieſer Abhandlung auf die unabänderliche Feſtſtellung jedes Rechtsſtreits durch richterliches Urtheil gelegt worden iſt. Dieſes geſchah aber im Gegenſatz einer endloſen, unbeſtimmbaren Unſicherheit der Rechtsverhältniſſe für alle Zukunft. Damit iſt nicht zu vergleichen die hierVI. 19290Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.angedeutete Einrichtung, bei welcher nur das Finden des unabänderlichen Urtheils unter mehrere Stufen richterlicher Thätigkeit vertheilt wird. Ein ſolches Verfahren läßt ſich bei guter Rechtspflege in mäßige Zeitgränzen einſchließen, und es wird dann ſtets in nicht entfernter Zeit ein Zu - ſtand eintreten, in welchem die wünſchenswerthe unzweifel - hafte Rechtsſicherheit wirklich erreicht iſt.

Die großen Vortheile einer ſolchen Einrichtung für die Abwendung ungerechter Urtheile werden durch folgende Be - trachtung einleuchten. Zunächſt iſt ſchon die blos wieder - holte Prüfung eines Rechtsſtreits an ſich ſelbſt ein wirk - ſames Mittel ſowohl für die Parteien, als für den Richter, zu einer vielſeitigen Einſicht in das Weſen eines ſtreitigen Rechtsverhältniſſes zu gelangen. Dazu kommt aber zwei - tens der noch größere Vortheil, daß es bei dieſer Einrich - tung möglich wird, die letzte Entſcheidung in einem zahl - reichen, mit größter Sorgfalt beſetzten Gericht zu concen - triren, welches dann eine höhere Sicherheit für die gründ - liche Urtheilsfindung gewährt.

Der üblichſte Kunſtausdruck, der in unſrer neueren Rechtsſprache zur Bezeichnung dieſer Einrichtung gebraucht wird, iſt folgender. Wir nennen Inſtanzen die ein - zelnen Stufen richterlicher Prüfung und Entſcheidung. In der Regel ſind dieſe verbunden mit der Unterordnung eines Gerichts unter das andere (niedere und höhere Inſtanz). Es kann aber auch bei demſelben Gericht unter gewiſſen Bedingungen eine ſolche wiederholte Prüfung vor ſich gehen.

291§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.

Wie dieſe Einrichtung im Römiſchen Staat Eingang gefunden hat, ſoll nunmehr nachgewieſen werden.

Für das Daſeyn derſelben zur Zeit der freien Republik iſt durchaus kein Zeugniß vorhanden, und es beruht auf unrichtiger Deutung, wenn man Spuren ſolcher Art in dieſer Zeit wahrzunehmen geglaubt hat(e)Hollweg Prozeß B. 1 S. 347 Note 1 widerlegt dieſe irrige Meinung, die u. a. von Zimmern B. 3 S. 500 Note 7 aus wenig haltbaren Gründen ver - theidigt wird. Beſonders Cicero in Verrem II. 13 ſpricht gewiß mehr dagegen als dafür, indem er dem Verres einen ſchweren Vor - wurf daraus macht, daß er ſich durch ein Edict vorbehalten habe, über die Richtigkeit der Urtheile der Judices hinterher ſelbſt zu er - kennen.. Auch fehlte dazu eine Hauptbedingung, verſchiedene Obrigkeiten der - ſelben amtlichen Wirkſamkeit, deren eine der anderen unter - geordnet geweſen wäre. Die Prätoren waren von gerin - gerem Rang, als die Conſuln, jedoch in ihrem Amtskreiſe von dieſen durchaus unabhängig. Wohl hätte es ſich denken laſſen, daß von dem Urtheil eines Juder die Beru - fung an das höhere Urtheil des Prätors, der ihn beſtellt hatte, zugelaſſen worden wäre; aber gerade hierüber fehlt es aus der Zeit der Republik an Zeugniſſen.

Daran freilich iſt nicht zu zweifeln, daß auch in dieſer Zeit die Frage ſtreitig werden konnte, ob überhaupt ein Urtheil, und zwar ein der Form nach gültiges Urtheil, vorhanden ſey oder nicht(f)Auf dieſen Fall bezog ſich ein beſonderes Rechtsinſtitut des älteren Rechts, die sententiae in duplum revocatio. Cicero pro Flacco C. 21. Paulus V. 5 A. § 5. 7. Auch in den Digeſten wird dieſer Fall erwähnt. L. 1 pr. quae sent. (49. 8). Si quae -, und dann mußte über dieſe19*292Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Frage, ſo wie über jedes ſtreitige Rechtsverhältniß, der Prätor einen Judex entſcheiden laſſen. Allein ein ſolcher Streit über das Daſeyn, und vielleicht über die Nichtigkeit eines Urtheils, der zu allen Zeiten nur ausnahmsweiſe und ſelten vorkommt, iſt völlig verſchieden von den regel - mäßig eintretenden Inſtanzen, in welchen der gerechte In - halt jedes geſprochenen Urtheils geprüft werden kann, damit daſſelbe nach Befinden beſtätigt oder abgeändert werde.

Dagegen findet ſich die Einrichtung von Inſtanzen gleich im Anfang der Kaiſerregierung, und zwar merkwürdiger - weiſe nicht allmälig und unmerklich entſtehend und fort - ſchreitend, ſondern ſogleich in völliger Ausbildung und Anerkennung. Dieſes erklärt ſich zum Theil daraus, daß jetzt die oben, in der Zeit der Republik vermißte Bedingung regelmäßiger Inſtanzen, nämlich die Unterordnung einer Obrigkeit unter eine andere, eingetreten war. Denn daß dem Kaiſer alle hohe Obrigkeiten, die alten, wie die neu erfundenen, untergeben ſeyen, bezweifelte Niemand.

So erſcheint ſchon Auguſt als die regelmäßige höchſte Inſtanz für alle Civilprozeſſe des ganzen Reichs. Da er aber die meiſten Geſchäfte dieſer Art unmöglich ſelbſt be - ſorgen konnte, ſo übertrug er dieſes höchſte Richteramt an ſtellvertretende Obrigkeiten: die Prozeſſe aus der Stadt an den Präfecten der Stadt, die aus jeder Provinz an ein -(f)ratur, judicatum sit, nec ne. Die Stelle iſt freilich aus einer ſpäteren Zeit, aber Gedanke und Ausdruck paßt eben ſo auch in die frühere.293§. 284. Rechtskraft. Formelle Bedingungen.zelne Conſularen, deren jeder für Eine Provinz beſonders ernannt wurde(g)Sueton. August. C. 33. Appellationes quotannis urba - norum quidem litigatorum prae - fecto delegabat urbis, at pro - vincialium consularibus viris, quos singulos cujusque pro - vinciae negotiis praeposuisset. Es war eine übertragene Gerichts - barkeit, die auch in unſren Rechts - quellen bald mandata bald dele - gata jurisdictio heißt. Dig. I. 21 und L. 1 de damno inf. (39. 2). Daß aber in vielen Sachen auch die Kaiſer ſelbſt perſönlich ent - ſchieden, iſt aus den Digeſten be - kannt. Vgl. über die Ge - ſchichte der Inſtanzen im Allgemei - nen: Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 170. Hollweg Prozeß B. 1 § 32.. Neben dem Kaiſer aber übte ein gleiches höchſtes Richteramt jetzt auch der Senat aus(h)Tacitus annal. XIV. 28.. Eine Berufung vom Senat an den Kaiſer war unmöglich(i)L. 1 § 2 a quibus app. (49. 2)., und eine Berufung vom Kaiſer aufwärts mußte vollends als eine Thorheit angeſehen werden(k)L. 1 § 1 a quibus app. (49. 2). Et quidem stultum est, illud admonere, a principe appellare fas non esse, cum ipse sit, qui provocatur. .

Ob dieſe merkwürdige Einrichtung als eine bloße Ver - waltungsmaaßregel aufgefaßt wurde, die ſich als eine natür - liche Entwicklung der höchſten Gewalt eines Einzelnen von ſelbſt verſtand, wiſſen wir nicht. Es iſt aber auch ſehr möglich, daß ein Volksſchluß ſie eingeführt hat, etwa die Lex Julia judiciaria. Ihre leichte und ſchnelle Einführung mag wohl durch ein längſt empfundenes Bedürfniß begün - ſtigt worden ſein, welches erſt in Folge der großen poli - tiſchen Umwälzung ſeine Befriedigung finden konnte.

Als die Inſtanzeneinrichtung zu voller Ausbildung ge - langt war, wurde ſie in folgender Stufenfolge zur Aus - führung gebracht.

294Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Von dem Juder ging die Berufung an die Obrigkeit, die ihn beſtellt hatte, nie an eine andere oder höhere Obrig - keit(l)L. 1 § 3 L. 21 § 1 de appell. (49. 1 ), L. 1 pr. L. 3 quis a quo (49. 3). Alle dieſe Stellen ſind aus ſehr ſpäter Zeit, es iſt aber weder unmöglich, noch unwahrſcheinlich, daß die Beru - fung vom Judex an den Prätor von Anfang an eintrat, ſobald nur überhaupt die Berufung an den Kaiſer das ganze Inſtitut der Inſtanzen hervorgerufen hatte.; vom Prätor an den Präfecten der Stadt, von dieſem aufwärts an den Kaiſer(m)L. 38 pr. de minor. (4. 4)..

So beſtand dieſe Einrichtung Jahrhunderte lang neben dem alten ordo judiciorum, und als ein demſelben einge - fügter völlig neuer Beſtandtheil. Denn es muß wohl be - merkt werden, daß jede höhere Inſtanz extra ordinem vollzogen wurde(n)Hollweg Prozeß B. 1 S. 348., indem über eine Berufung die Obrig - keit der höheren Inſtanz ſtets in eigener Perſon, ohne Judex, entſchied. So fand ſich alſo in dieſem langen Zeit - raum die merkwürdige Erſcheinung, daß gerade der höhere und mächtigere Theil der Rechtspflege außer derjenigen Form lag, die noch ſtets als die regelmäßige Grundlage der ganzen Gerichtsverfaſſung anerkannt wurde. Indeſſen würde es unrichtig ſeyn, dieſe Erſcheinung als eine In - conſequenz anzuſehen, oder auch als ein Zeichen, daß man die erwähnte Grundlage gering geachtet und vielleicht aufzugeben ſchon damals beſchloſſen habe. Der Grund der - ſelben liegt vielmehr in dem Weſen des Gerichtsverfahrens ſelbſt. Die ganze richterliche Thätigkeit läßt ſich auf zwei295§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)Hauptſtücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und Bildung des Urtheils. In erſter Inſtanz nimmt jenes erſte Stück vorzugsweiſe Zeit und Arbeit in Anſpruch, und dazu gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich - tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetiſch vor - ſchrieb. Die höheren Inſtanzen dagegen benutzen den in erſter Inſtanz geſammelten Stoff, und was in ihnen zu deſſen Ergänzung vielleicht geſchehen muß, iſt verhältniß - mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der Judex entbehrlich.

§. 285. Rechtskraft. I. Bedingungen. A. Formelle. (Fortſetzung.)

Es iſt hier als bloße Thatſache angenommen worden, daß ein höchſtes Richteramt des Kaiſers, vom Anfang der neuen Verfaſſung an, ausgeübt wurde, und daß ſich hieran die vollſtändige Einrichtung eines Inſtanzenzuges anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm - lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver - meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte obrigkeitliche Würden zu gründen ſuchte, die nur, im Widerſpruch mit dem Weſen der alten Verfaſſung, in Einer Perſon vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik nun hatten die höchſte richterliche Gewalt in Civilſachen zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,296Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.deren Titel und Macht dem Kaiſer übertragen wurden, war keine, in deren Amtskreis eine richterliche Gewalt, wenigſtens für die Stadt Rom, unmittelbar enthalten ge - weſen wäre(a)Dieſe Gewalten waren: Tribunitia potestas, procon - sularis potestas, imperium, praefectura morum, die Würde des pontifex maximus. Nur in der proconsularis potestas lag unmittelbar eine Gerichtsbarkeit, aber mit geographiſcher Beſchrän - kung, und zunächſt nicht als höhe - res Richteramt mit Unterordnung anderer Obrigkeiten.. Es bedarf daher einer beſonderen Er - klärung, durch welche künſtliche Verbindung jenes neue höchſte Richteramt an alte obrigkeitliche Gewalten ange - knüpft wurde, indem es nur auf dieſem Wege möglich war, das eben angegebene Verfahren bei der Gründung der kaiſerlichen Gewalt auch in dieſer einzelnen Anwen - dung durchzuführen. Dieſe Unterſuchung iſt in der Bei - lage XV. angeſtellt worden, wo insbeſondere nachgewieſen wird, wie man dazu kam, zwei urſprünglich verſchiedene Kunſtausdrücke der alten Verfaſſung, appellatio und pro - vocatio, bald als gleichbedeutende Bezeichnungen einer jeden Berufung auf eine höhere Inſtanz zu gebrauchen.

Unter Vorausſetzung von Inſtanzen wird es nöthig, zweierlei Urtheile zu unterſcheiden: die, bei welchen es un - abänderlich bleibt, und die, welche durch eine weitere In - ſtanz abgeändert werden können. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Rückwirkung auf den Inhalt der Rechte ſelbſt, die allein zu unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört,297§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)(§ 280), nur den unabänderlichen Urtheilen zugeſchrieben werden kann, und daß in dieſer Beziehung jedes Urtheil, das einer ferneren Prüfung unterliegt, vorläufig nur als der Verſuch eines Urtheils zu betrachten iſt, oder als einer der vielen Schritte im Laufe eines Prozeſſes, die zu einem letzten, bleibenden Urtheil zu führen beſtimmt ſind.

Das unabänderliche Urtheil nun, mit welchem allein wir hiernach uns zu beſchäftigen haben, nennen wir ein rechtskräftiges, und dieſer Kunſtausdruck der Rechts - kraft, welcher erſt hierdurch nach der einen Seite hin ſeine volle Beſtimmtheit erhält, iſt auch ſchon bisher in dieſer Unterſuchung angewendet worden, um die Einwir - kung auf den Inhalt der Rechte (welche die andere Seite der Betrachtung bildet) dadurch zu bezeichnen.

Fragen wir nun, welche Bedingungen vorhanden ſeyn müſſen, damit einem Urtheil überhaupt die beſondere Be - ſchaffenheit eines rechtskräftigen Urtheils zugeſchrieben werden könne, ſo läßt ſich dieſe Frage im Allgemeinen ſo beantworten. Das Urtheil iſt rechtskräftig:

  • 1. wenn alle Inſtanzen erſchöpft ſind, wenn es alſo in letzter Inſtanz (in Rom von dem Kaiſer) geſprochen iſt;
  • 2. wenn das Recht der Berufung auf eine fernere In - ſtanz verloren iſt, oder wenn daſſelbe ausnahmsweiſe bei manchen Arten von Prozeſſen gar nicht zugelaſſen wird. Der Verluſt jenes Rechts tritt insbeſondere ein durch freiwillige Unterwerfung unter das Urtheil, ſo298Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wie durch den unbenutzten Ablauf der für eine Berufung vorgeſchriebenen Friſt.

Dieſe Zuſammenſtellung ſoll übrigens hier nur zu einer ungefähren Überſicht dienen; die genauere Unterſuchung und Feſtſtellung gehört lediglich in die Prozeßlehre.

Eine genauere Erwägung bedarf aber noch der - miſche Sprachgebrauch. Wir ſind gewohnt, das rechts - kräftige Urtheil res judicata zu nennen, alſo zwiſchen sen - tentia und res judicata gerade ſo zu unterſcheiden, wie zwiſchen Urtheil überhaupt und rechtskräftigem Urtheil. Res judicata aber heißt eigentlich nur ein abgeurtheilter Rechtsſtreit, alſo ein Urtheil überhaupt. Zur Zeit der freien Republik nun, in welcher noch keine Inſtanzen be - ſtanden, war jedes Urtheil ſogleich rechtskräftig, und es war unbedenklich, ſich damals mit dem Ausdruck: exceptio rei judicatae zu begnügen, und darunter die Einrede aus einem rechtskräftigen Urtheil zu verſtehen.

Als aber Inſtanzen eingeführt wurden, unterließ man es, den Sprachgebrauch näher zu beſtimmen. Res judicata hieß nach wie vor jedes Urtheil(b)L. 1 de rejud. (42. 1). (Mo - destinus): Res judicata dici - tur, quae finem controversiarum pronuntiatione judicis accipit. , ſelbſt dann, wenn gegen daſſelbe eine Berufung möglich, oder ſogar wirklich eingewendet iſt(c)L. 7 pr. de transact. (2. 15). Et post rem judi - catam transactio valet, si vel appellatio intercesserit, vel appellare potueris. Eben ſo L. 11 eod. . Nunmehr war der Ausdruck exceptio rei judicatae nicht ganz vorſichtig, indem derſelbe dem299§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)Irrthum Raum laſſen konnte, als ob dieſe Exception auch durch ein nicht rechtskräftiges, vielleicht gar von einem höheren Richter abgeändertes Urtheil begründet werden könnte. Dennoch fiel es gewiß Keinem ein, ſo etwas zu glauben, und die Gefahr war auch ſchon dadurch praktiſch ganz unerheblich, daß in allen Fällen ſolcher Art ohnehin ſchon eine exceptio rei in judicium deductae damals wirk - lich begründet war, die ungefähr dieſelben Wirkungen her - vor brachte, wie die exceptio rei judicatae (§. 281).

Das canoniſche Recht änderte den Sprachgebrauch, und führte ganz denjenigen ein, deſſen wir ſeitdem uns allge - mein bedienen(d)C. 13. 15 X. de sentent. (2. 27).. Nun heißt res judicata nicht mehr ein Urtheil überhaupt, ſondern ein rechtskräftiges Urtheil, d. h. ein ſolches, dem nicht mehr eine mögliche Abänderung in einer ferneren Inſtanz bevorſteht.

Wird nun überhaupt ein Inſtanzenzug und eine den - ſelben völlig ausſchließende Rechtskraft vorausgeſetzt, ſo iſt eine Anwendung dieſer Verhältniſſe auch auf das Innere des Prozeßverfahrens denkbar. Man kann auch bei manchen Ausſprüchen des Richters, welche nicht zur Ent - ſcheidung des Rechtsſtreits ſelbſt, ſondern nur zur Vorbe - reitung dieſer Entſcheidung beſtimmt ſind, z. B. bei pro - zeßleitenden Decreten, oder bei Beweiserkenntniſſen, die Unabänderlichkeit, d. h. die Rechtskraft, und zu deren Ab - wendung eine Berufung auf höhere Inſtanzen annehmen. 300Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ob dieſes räthlich iſt, und unter welchen Bedingungen es zugelaſſen werden ſoll, das ſind Fragen, die lediglich in das Gebiet der Prozeßlehre gehören, und ganz außer unſrer Aufgabe liegen. Dieſer Gegenſtand iſt hier nur berührt worden, um den Vorwurf zu verhüten, als ſey hier von der Rechtskraft gehandelt worden, ohne den großen Umfang, deſſen dieſes wichtige Rechtsinſtitut empfäng - lich iſt, vollſtändig in’s Auge zu faſſen.

§. 286. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils, als Grundlage der Rechtskraft. Arten des Urtheils.

Das Inſtitut der Rechtskraft iſt dazu beſtimmt, dem Inhalt jedes Urtheils ſeine Wirkſamkeit für alle Zukunft zu ſichern (§ 281). Dabei wird eine genaue Kenntniß dieſes Inhalts vorausgeſetzt, welcher die Grundlage der Rechtskraft ſeyn ſoll.

Zu dieſer Kenntniß des Inhalts gehört aber erſtlich die Angabe der verſchiedenen Möglichkeiten, die bei einem Urtheil vorkommen können, alſo der möglichen Arten des Urtheils. Damit werden zugleich die Gränzen mög - licher Urtheile zu ziehen ſeyn, d. h. es iſt anzugeben, was nicht Inhalt eines Urtheils ſeyn, alſo nicht der Rechts - kraft theilhaftig werden kann.

Zweitens gehört zu der Kenntniß des Inhalts die An - gabe der Erkenntnißgründe, aus welchen wir jenen Inhalt zu ſchöpfen haben.

301§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.

Es giebt zwei, und nur zwei Arten möglicher Urtheile in Beziehung auf ihren Inhalt(a)L. 1 de re jud. (42. 1). Res judicata dicitur, quae finem controversiarum pronun - tiatione judicis accipit: quod vel condemnatione vel absolu - tione contingit. L. 3 C. de sentent. (7. 45). Praeses pro - vinciae non ignorat, definitivam sententiam, quae condemna - tionem vel absolutionem non continet, pro justa non haberi. :

  • A. Verurtheilung des Beklagten, alſo Erkenntniß nach dem Antrag des Klägers.
  • B. Freiſprechung des Beklagten, alſo Erkenntniß nach dem Antrag des Beklagten.

Bevor dieſe beiden Arten des Urtheils in ihrem eigen - thümlichen Inhalt genauer dargeſtellt werden, iſt es nöthig, auf einige angebliche andere Arten einzugehen, aus deren Annahme die Unvollſtändigkeit der angegebenen Aufzählung hervorgehen würde. Es gehören dahin: 1. Gemiſchte Urtheile, 2. Unbeſtimmte Urtheile, 3. Verurtheilung des Klägers.

1. Gemiſchte Urtheile, d. h. die theils Verur - theilung, theils Freiſprechung enthalten.

Daß dieſe überhaupt vorkommen können, ja daß ſie ſehr häufig vorkommen, ſoll gewiß nicht in Abrede geſtellt werden. In der That aber bilden dieſelben keine dritte Art, ſondern es wird in ſolchen Fällen der Gegenſtand des Urtheils in mehrere Theile zerlegt, deren jeder durch ein beſonderes Urtheil (wenngleich in derſelben Formel ver - einigt) entſchieden wird, ſo daß jedes dieſer einzelnen Ur -302Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.theile eine reine Verurtheilung oder eine reine Freiſprechung enthält.

Beiſpiele: Aus einem Vertrag werden Hundert gefor - dert, der Richter verurtheilt auf Sechszig und ſpricht den Beklagten von Vierzig frei. Oder es wird das Eigenthum eines Grundſtücks eingeklagt, der Richter verurtheilt auf Zwei Drittheile des Grundſtücks, oder auf abgegränzte Stücke deſſelben, und ſpricht frei von Einem Drittheil oder von den übrigen abgegränzten Stücken.

Dabei iſt zuvörderſt die Eigenthümlichkeit des Römi - ſchen Formularprozeſſes wohl zu bemerken. Hatte die Klage eine certa intentio(b)Z. B. Si paret, fundum Cornelianum Auli Agerii esse, oder: Si paret, Centum dari oportere .... condemna, si non paret, absolve. , ſo hatte der Juder nur die Wahl, entweder auf das Ganze zu verurtheilen, oder völlig freizuſprechen, ſelbſt wenn er die Klage für einen Theil des eingeklagten Gegenſtandes als begründet anſah. Hatte alſo der Kläger mehr gefordert, als ihm gebührte, ſo verlor er auch das, welches er zu fordern hatte, und zwar nicht zur Strafe für unbillige Übertreibung, ſondern lediglich in Folge der ſo gefaßten Formel, die dem Juder nur eine Alternative ſtellte, kein drittes zuließ(c)In dem: si non paret, absolve (Note b) war ſowohl der Fall, wenn der Beklagte Sechs - zig, als wenn er gar Nichts ſchul - dig war, enthalten; auf beide Fälle ging die Anweiſung, zu abſol - viren. Vgl. oben B. 5 § 215 und Keller § 56.. Bei der incerta intentio fiel dieſe Gefahr weg, weil der Umfang der Verurtheilung ganz in das Ermeſſen des Richters303§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.geſtellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozeſſes hörte indeſſen dieſe Beſchränkung des Richteramtes mit allen ihren Folgen auf(d)§ 33 J. de act. (4. 6)., und es trat für alle Klagen der natürliche Zuſtand ein, welchen allein wir in unſrem Prozeßverfahren kennen.

Wenn nun der Kläger einen beſtimmten Gegenſtand einklagt, z. B. Hundert Thaler, ſo iſt ſtets hinzuzudenken: Hundert oder weniger, ſo viel, als zu erlangen iſt. Der Richter iſt dann nur darin gebunden, daß er den einge - klagten Umfang nicht überſchreiten darf; innerhalb deſſelben hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anſpruch auf Sechszig begründet, ſo verurtheilt er auf Sechszig und ſpricht auf Vierzig frei. Eben ſo, wenn er die auf ein Grundſtück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile oder für beſtimmte Äcker in dieſem Grundſtück gegründet findet, da auch hier die Klage ſtets ſo gedacht werden muß: Ich fordere das ganze Grundſtück, oder ſo viel davon irgend zu erlangen iſt.

Für den Erfolg aber iſt es ganz gleichgültig, ob das Urtheil dieſen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er ſich von ſelbſt verſteht, auch wenn er nicht ausgeſprochen wird. Man kann Dieſes ſo ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for - derte, iſt ſtets ein gemiſchtes Urtheil, indem darin die Frei - ſprechung von dem übrigen Theil der Forderung ſtillſchwei -304Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gend mit enthalten iſt. In keinem Fall alſo kann auf dieſen übrigen Theil jemals wieder geklagt werden, auch wenn derſelbe in dem früheren Urtheil nicht namentlich erwähnt iſt. Ja man kann ſogar noch weiter gehen, und jede Verurtheilung überhaupt (auch ohne ſichtbare Abweichung von dem Antrag des Klägers) als ein gemiſch - tes Urtheil anſehen, indem dabei ſtets der ſtillſchweigende Zuſatz hinzu zu denken iſt: Ein Mehreres hat der Kläger nicht zu fordern.

Dieſe Sätze laſſen ſich in folgende Formel zuſammen - faſſen: Alles, was das rechtskräftige Urtheil nicht zuge - ſprochen hat, obgleich es Gegenſtand des Rechtsſtreits geworden war und daher zugeſprochen werden konnte(d. 1)Dieſe Beſchränkung des hier aufgeſtellten Satzes iſt genau zu beachten, weil nur durch ſie der Widerſpruch mit den Grundſätzen von der Concurrenz der Klagen verhütet werden kann. Wenn da - her durch die condictio furtiva auf Entſchädigung wegen des Dieb - ſtahls geklagt und erkannt worden iſt, ſo kann noch immer durch die actio vi bonorum raptorum, oder durch die actio furti auf eine Strafe geklagt werden. Denn in der erſten Klage hatte der Rich - ter gar nicht die Möglichkeit, auf Strafe zu erkennen, ſo daß die Unterlaſſung des Straferkenntniſſes nicht als ſtillſchweigende Abweiſung der Strafe angeſehen werden kann. Vgl. B. 5 § 233. b. § 234. a. , iſt als abgeſprochen anzuſehen. Oder mit anderen Worten: Durch das rechtskräftige Urtheil wird ſtets das ſtreitige Rechtsverhältniß für immer feſtgeſtellt(e)Keller S. 202 S. 584 Note 3. Buchka B. 2 S. 211. 212. Dieſer ungemein wichtige und in ſeinen Folgen reichhaltige Satz ſteht in geſchichtlicher Ver - bindung mit der vertragsmäßigen (contractlichen oder quaficontract - lichen) Unterwerfung beider Parteien unter das künftige Urtheil. Denkt man ſich, welches nicht unwahr -. Aus dieſer305§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.Regel iſt denn auch für unſer heutiges Recht der praktiſch wichtige Satz abzuleiten, daß das ſtillſchweigende Übergehen der omnis causa, ſo wie der Prozeßkoſten, eben ſo zu betrachten iſt, wie wenn ſie ausdrücklich ausgeſprochen worden wären(f)Verzugszinſen. L. 13 C. de usur. (4. 32 ), L. 4 C. depos. (4. 34). Prozeßkoſten. L. 3 C. de fruct. 7. 51..

Hält man feſt an dieſen Regeln, ſo vermindert ſich die Wichtigkeit der oft aufgeworfenen Frage, ob der Kläger, der nach einer rechtskräftigen Verurtheilung ſeine Befriedi - gung noch nicht erlangt hat, blos mit der actio judicati klagen könne, oder auch mit der früheren, bereits abgeur - theilten Klage. Der Gebrauch der actio judicati macht die Sache klarer und einfacher, aber auch die frühere Klage iſt ganz ungefährlich, wenn man ſie nur unter die eben auf - geſtellten Beſchränkungen ſtellt, ſo daß jeder Anſpruch, der über die rechtskräftige Verurtheilung hinaus geht, durch die Einrede der Rechtskraft ſchlechthin ausgeſchloſſen iſt. Wir müſſen aber hierin noch weiter gehen. Da unſer heutiger Prozeß weder Klagformeln, noch feſt beſtimmte Arten und Namen der Klagen kennt, ſondern Alles von den Behauptungen und Anträgen der Parteien abhängen läßt, ſo haben wir oft gar kein durchgreifendes Mittel, zu unterſcheiden, ob die actio judicati, oder vielmehr (unter(e)ſcheinlich iſt, daß in den Stipu - lationen bei der L. C. ſtets die Worte vorgekommen ſeyn möchten: sententiae stari, amplius non peti (Brisson. de form. VI. 184), ſo wird die Sache noch anſchau - licher. Vgl. oben § 258.VI. 20306Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den oben aufgeſtellten Beſchränkungen) die frühere Klage angeſtellt iſt. Dieſe Unterſcheidung wird nur dann, alſo nur zufällig, mit Sicherheit vorgenommen werden können, wenn etwa der Kläger ausdrücklich nur aus dem Urtheil geklagt hat, ohne das urſprüngliche Rechtsverhältniß genau zu erwähnen, oder wenn umgekehrt die Klage nur auf dieſes frühere Verhältniß gegründet iſt, nur etwa mit bei - läufiger Erwähnung des ſchon geſprochenen Urtheils.

Ganz auf ähnliche Weiſe verhält es ſich auch im Fall einer völligen Freiſprechung. Dieſe geht nämlich nicht blos auf das Ganze, ſondern auch auf jeden denkbaren Theil des Ganzen, weil auch auf dieſen der Richter hätte ſprechen können. Denn da die Klage auf Hundert ſtets ſo auszulegen iſt: Auf Hundert oder irgend eine geringere Summe, ſo hat auch das völlig freiſprechende Urtheil den Sinn, daß der Beklagte weder Hundert, noch irgend eine geringere Summe zu zahlen ſchuldig iſt.

Die hier aufgeſtellten Sätze ſind in der Praxis von jeher angewendet worden, wie verſchieden man ſie auch ausgedrückt und zu begründen verſucht haben mag. Seit der Entdeckung des Gajus hat man verſucht, dieſelben auf verſchiedene Weiſe an die Inſtitute des altrömiſchen Prozeſſes anzuknüpfen, dieſen alſo theilweiſe eine künſtliche Wiederbelebung zuzuwenden. Indem ich mich entſchieden gegen jedes Verfahren dieſer Art erkläre, muß ich voraus bemerken, daß dieſer Streit eine rein theoretiſche Natur hat, indem er blos die geſchichtliche Verknüpfung und die307§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.Bezeichnung von Rechtsſätzen betrifft, deren Inhalt und Wahrheit außer Streit iſt.

So iſt neuerlich behauptet worden, die Klagenconſum - tion und die damit verbundene negative Function der Ein - rede der Rechtskraft gelte noch im heutigen Prozeß (§ 283. b). Allerdings führten dieſe Rechtsinſtitute auf dieſelben Sätze, die ſo eben aufgeſtellt worden ſind, und bei einigen der angeführten Stellen des Römiſchen Rechts (Note f) iſt auch ohne Zweifel an ſie gedacht worden. Dennoch ſind jene Inſtitute ſchon im Juſtinianiſchen Recht völlig ver - ſchwunden, und wir gelangen jetzt zwar zu denſelben prak - tiſchen Regeln, aber auf einem anderen Wege.

Ganz Daſſelbe muß ich von der Behauptung anderer Schriftſteller ſagen, daß die Novation des altrömiſchen Pro - zeſſes noch jetzt fortdauere. Das rechtskräftige Urtheil nämlich (ſagt man) zerſtöre die frühere Klage gänzlich durch Novation und ſetze die neue judicati actio an die Stelle(g)Dieſe Frage iſt ſchon oben weiter ausgeführt § 258, beſonders Note f. . Was man damit praktiſch ausrichten will, iſt wahr, aber die Herleitung und Bezeichnung iſt nicht wahr. Die Novation im Prozeß, die ſelbſt in den neu entdeckten Schriften der alten Juriſten ſo ſehr wenig erwähnt wird, war ohne Zweifel auf diejenigen Fälle beſchränkt, worin die Klagen - conſumtion ipso jure eintrat; Fälle, die ſchon Jahrhun - derte vor Juſtinian völlig unmöglich geworden waren, und zu keiner Zeit poſitiv ausgedehnt worden ſind. Auf welchem20*308Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Wege derſelbe praktiſche Zweck im heutigen Prozeß erreicht wird, iſt ſo eben bereits gezeigt worden.

Faſſen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zuſam - men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte Rechtsinſtitute, die zu Juſtinian’s Zeit längſt verſchwunden waren, uns aber in der neueſten Zeit bekannt geworden ſind. In dieſen Inſtituten war Vieles ganz formell und hiſtoriſch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und bleibenden praktiſchen Bedürfniß, das eben durch jene geſchichtlichen Formen damals ſeine Befriedigung erhalten ſollte. In den anderthalb tauſend Jahren, ſeit welchen jene Formen verſchwanden, hat das praktiſche Bedürfniß ſtets fortgedauert, und man hat ſich auf andere Weiſe zu helfen geſucht, beſſer oder ſchlechter, mit mehr oder weniger deutlichem Bewußtſeyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß die Römer dieſelben gebraucht haben, um praktiſche Bedürf - niſſe zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben. Zu verwundern iſt daran nicht viel, da ja die Römer bei der Aufſtellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen Laune zu Werke gingen, ſondern mit ächt praktiſchem Sinn, wovon ſie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.

Die neue Entdeckung zeigt uns alſo, daß wir uns das bleibende Weſen jener alten Rechtsinſtitute unter anderen Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und dieſe Beſtätigung der Richtigkeit unſres Verfahrens iſt ſehr an - ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten309§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.Namen und Formen hervorſuchen, und in dem heutigen Prozeß von Klagenconſumtion, negativer Function, Nova - tion ſprechen? Ich muß ein ſolches Verfahren durchaus für eine falſche, verwirrende Gelehrſamkeit erklären, für einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet iſt.

Insbeſondere muß dabei noch auf folgende Analogie des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerkſam gemacht werden. Nach der von mir oben aufgeſtellten Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum Gegenſtand des Rechtsſtreits erhoben, und dadurch dem Urtheil des Richters unterworfen worden iſt (S. 304). Wir können Das mit einem altrömiſchen Kunſtausdruck ſo bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt iſt. Dabei iſt nur der Unterſchied zu beachten, daß die Römer den Umfang des in judicium deductum aus der formula, und zwar vorzugsweiſe aus der in derſelben ent - haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine ſo feſte, gleich - förmige Prozeßform nicht, müſſen uns aber an den Inhalt der Klagſchrift (insbeſondere des Antrags) halten, ſo daß unſre Beurtheilung dieſes Gegenſtandes auf der einen Seite freier, auf der anderen Seite aber ſchwankender und unſicherer iſt, als es die der Römer war. Auch hierin alſo haben wir die Analogie eines altrömiſchen Rechts - inſtituts vor uns, deſſen genaues Studium uns ſehr för - dern und vergleichend belehren, deſſen verſuchte unmittel - bare Anwendung aber nur irre führen kann.

310Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

2. Unbeſtimmte Urtheile.

Im Römiſchen Criminalprozeß wurden jedem Richter drei Täfelchen eingehändigt, bezeichnet mit C (condemno), A (absolvo), NL (non liquet). War die Stimmenmehrheit für non liquet, ſo wurde, nach einer unter unſren Schrift - ſtellern ſeit langer Zeit verbreiteten Meinung, der Ange - klagte nicht für ſchuldlos erklärt, aber er blieb ohne Strafe; es war nach dieſer Meinung ähnlich unſrer Freiſprechung von der Inſtanz. Man könnte glauben, ein ähnliches nicht entſcheidendes Urtheil wäre auch im Civilprozeß möglich geweſen.

In der That aber verhielt es ſich auch ſchon im Criminal - prozeß ganz anders. Wenn die meiſten Stimmen auf non liquet gingen, ſo lautetete der Ausſpruch des vorſitzenden Prätors nicht: Non liquet, wodurch die Sache auf unbe - ſtimmte Zeit, vielleicht für immer, unentſchieden geblieben wäre, ſondern vielmehr: Amplius, welches die Folge hatte, daß die Verhandlung an irgend einem anderen nahen Tage fortgeſetzt wurde, bis die Richter glaubten, ein ſicheres Urtheil ausſprechen zu können. Der Ausgang jedes einge - leiteten Criminalprozeſſes war alſo ſtets Verurtheilung oder Freiſprechung, nie Unentſchiedenheit(h)Dieſer Gegenſtand iſt aus - führlich und gründlich behandelt von Geib Geſchichte des römiſchen Criminalprozeſſes. Leipzig 1842. S. 568 583..

Eben ſo war aber auch im Civilprozeß zu allen Zeiten kein anderer Ausgang möglich, als durch Verurtheilung311§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.oder Freiſprechung, worunter auch die gemiſchten Urtheile mit begriffen ſind; ein Urtheil mit non liquet war nie möglich.

Die regelmäßige Anweiſung in der Formel: Si paret, condemna, si non paret, absolve, ließ für eine dritte Art von Urtheilen keinen Raum (Note b), und das zweite Glied der Alternative: si non paret, umfaßte nicht nur die Fälle, worin der Juder die beſtimmte Überzeugung hatte, der Be - klagte ſey nicht verpflichtet, ſondern auch die, worin es ihm an aller Überzeugung nach beiden Seiten hin gänzlich fehlte. Derſelbe Satz, deſſen Anerkennung ſo eben aus den Römiſchen Formeln nachgewieſen worden iſt, wird von dem Standpunkt unſres wiſſenſchaftlich ausgebildeten Prozeß - rechts ſo ausgedrückt: Nach der Regel über die Beweislaft darf und muß der Richter annehmen, die nicht erwieſene Klage ſey nicht begründet. Es liegt hierin nur eine andere Auffaſſung und Bezeichnung deſſelben Satzes.

Es ſind nur noch einige Stellen zu erklären, die auf die Möglichkeit eines ſolchen unentſcheidenden Urtheils gedeu - tet werden könnten.

Gellius erzählt, er ſelbſt ſey einmal Juder geweſen, als ein ſehr rechtſchaffener Mann gegen einen Menſchen von verdächtigem Charakter ein Darlehn einklagte, ohne Beweiſe führen zu können. Durch einen Eid: mihi non liquere, machte er ſich frei von der Verlegenheit, gegen ſeine perſönliche Meinung urtheilen zu müſſen(i)Gellius XIV. 2: et propterea juravi, mihi non liquere, atque ita judicatu illo solutus sum. . Wollte man312Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Das ſo verſtehen, als ſey nun das Urtheil non liquet ge - ſprochen worden, ſo würde die oben aufgeſtellte Behaup - tung widerlegt ſeyn. Der Erfolg war aber nur der, daß dem Gellius geſtattet wurde, perſönlich aus dem aufer - legten Judicium auszuſcheiden, und daß nun ein anderer Juder an ſeine Stelle trat(k)Auf gleiche Weiſe wurde ein anderer Judex ernannt, wenn der zuerſt ernannte vor dem Urtheil ſtarb oder wahnſinnig wurde: das - ſelbe Judicium dauerte fort, und nur die Perſon wurde verändert. L. 32. 46. 60 de jud. (5. 1)..

Eben ſo kommt es vor, daß bei einem Richtercollegium Einer ſchwört, sibi non liquere, während die Übrigen ein - verſtanden ſind. Das Urtheil derſelben iſt rechtsgültig, da ſie ja ſogar, wenn Jener ſeine entgegengeſetzte Stimme wirklich abgegeben hätte, durch Stimmenmehrheit entſchieden haben würden(l)L. 36 de re jud. (42. 1). Auch hier ſcheidet nur die einzelne Perſon aus, das Urtheil nimmt die Formel: Non liquet, nicht in ſich auf..

Wenn ein Schiedsrichter mit Beſchränkung auf beſtimmte Zeit gegeben iſt, und ſchwört, sibi nondum liquere, ſo muß ihm die Friſt verlängert werden(m)L. 13 § 4 de receptis (4. 8).. Auch in dieſem Fall alſo kommt ein Urtheil non liquet nicht vor.

3. Verurtheilung des Klägers.

Dieſer, in der oben gegebenen Aufzählung möglicher Urtheile nicht vorkommende Fall, kann hier einſtweilen nur der Vollſtändigkeit wegen mit aufgeführt werden. Die313§. 287. Inhalt. Verurtheilung.Beurtheilung deſſelben iſt erſt in Verbindung mit den frei - ſprechenden Urtheilen möglich (§ 288. 289).

§. 287. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Fall der Verurthei - lung des Beklagten.

Nach dieſer vorläufigen Beſeitigung anderer denkbarer Arten des Inhalts eines Urtheils kehre ich jetzt zur genaue - ren Betrachtung der beiden aufgeſtellten Fälle (§ 286) zu - rück, welche als: Verurtheilung des Beklagten, und Freiſprechung des Beklagten bezeichnet worden ſind, um für jeden derſelben beſonders feſtzuſtellen, was als wahrer Inhalt deſſelben anzuſehen iſt.

Bei der Verurtheilung des Beklagten iſt es zu - vörderſt nöthig, auf die beiden Hauptarten der Klagen zurück zu gehen: perſönliche Klagen und Klagen in rem (§ 206. 207).

Die Verurtheilung bei einer perſönlichen Klage iſt ſehr einfacher Art: ſie geht ſtets auf eine beſtimmte Handlung oder Unterlaſſung, die dem Beklagten als nothwendig auf - erlegt wird, übereinſtimmend mit dem Inhalt der Obli - gation, die den Grund der angeſtellten Klage enthält.

Die Klagen in rem ſind ſtets gegründet auf ein Ver - hältniß des Sachenrechts, Erbrechts, Familienrechts, welches der Kläger ſich zuſchreibt. Die Verurtheilung enthält314Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zunächſt die Anerkennung dieſes beſtrittenen Rechtsverhält - niſſes in der Perſon des Klägers; daneben aber, und nur als abgeleitete Folge davon, die dem Beklagten auferlegte Nothwendigkeit einer Handlung oder Unterlaſſung.

Das Rechtsverhältniß, welches auf dieſe Weiſe in Folge einer Klage in rem anerkannt wird, iſt gewöhnlich ein ausſchließendes, welches nur der einen oder nur der anderen Partei allein zukommen kann, vielleicht auch keiner von beiden. Die Verurtheilung alſo, die in der Perſon des Klägers das Recht anerkennt, ſchließt eben daher auch den Satz in ſich, daß dieſes Recht dem Beklagten nicht zuſtehe. Das Urtheil braucht dieſen zweiten Satz nicht auszuſprechen, ſpricht ihn auch gewöhnlich nicht aus; es iſt aber ſtets ſo anzuſehen, als ob es ihn ausſpräche(a)L. 15 de exc. r. j. (44. 2) quia eo ipso, quo meam esse pronuntiatum est, ex diverso pronuntiatum videtur, tuam non esse. L. 30 § 1 eod. Re - spondi, si de proprietate fundi litigatur, et secundum actorem pronuntiatum fuisse diceremus, petenti ei, qui in priore judicio victus est, obstaturam rei ju - dicatae exceptionem: quoniam de ejus quoque jure quaesitum videtur, cum actor petitionem implet. L. 40 § 2 de proc. (3. 3) nam cum judicatur, rem meam esse, simul judicatur, illius non esse. .

Endlich iſt für beide Klaſſen der Klagen die gemein - ſame, ſchon oben aufgeſtellte Bemerkung in Erinnerung zu bringen, daß in gewiſſem Sinn jede Verurtheilung zugleich ein gemiſchtes Erkenntniß iſt, indem ſtets der Ausſpruch ſtillſchweigend hinzugedacht werden muß: mehr, als hier ausgeſprochen worden, liege in dem Recht des Klägers, in der Verpflichtung des Beklagten, nicht (§ 286).

315§. 287. Inhalt. Verurtheilung.

Die hier aufgeſtellten Sätze über den wahren Inhalt eines verurtheilenden Erkenntniſſes ſind aus der allgemei - nen Betrachtung des Weſens eines ſolchen Urtheils abge - leitet, und haben daher keine geſchichtliche Natur. Aus dem eigenthümlichen Entwicklungsgang des Römiſchen Rechts aber können Zweifel hergenommen werden, ob es ſich ſo in der That zu allen Zeiten und bei allen Arten der Klagen verhalten habe.

Zu einem ſolchen Zweifel veranlaßt uns die ſehr eigen - thümliche, während der ganzen Zeit des Formularprozeſſes geltende Regel, nach welcher alle Condemnationen nur auf Zahlung einer Geldſumme gerichtet werden konnten(b)Gajus IV. § 48.. Hiernach ſcheint es, daß die Verurtheilung auch bei den Klagen in rem, gerade ſo, wie bei den perſönlichen Klagen, nur eine Leiſtung des Beklagten ausgeſprochen, nicht ein Recht des Klägers anerkannt hätte.

Bevor die Löſung dieſes Zweifels verſucht wird, ſind zuerſt die Gränzen anzugeben, innerhalb welcher allein der - ſelbe geltend gemacht werden kann.

Im älteſten Recht, d. h. vor der Einführung der for - mulae, galt jene Eigenthümlichkeil nicht, und eben ſo hat ſie völlig aufgehört und iſt Alles in das natürliche Verhält - niß zurückgekehrt ſeit der Abſchaffung des Formularprozeſſes, indem nunmehr wieder, ſo wie in der älteſten Zeit, auf die Herausgabe des ſtreitigen Gegenſtandes ſelbſt, nicht auf316Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Zahlung einer Geldſumme, geſprochen, alſo das ſtreitige Recht unmittelbar dem Kläger zuerkannt wird(c)§ 2 J. de off. jud. (4. 17 ) Et si in rem actum sit sive contra possessorem (judi - caverit), jubere ei debet, ut rem ipsam restituat cum fructibus. § 32 J. de act. (4. 6 ), L. 17. C. de fideic. (7. 4 ), L. 14 C. de sentent. (7. 45)..

Ferner iſt jenem Zweifel durchaus nicht die Bedeutung zu geben, als ob zur Zeit des Formularprozeſſes jemals der ſcharfe Gegenſatz der Klagen in rem und in personam verkannt oder verwiſcht worden wäre; vielmehr wurde die - ſer Gegenſatz auf das Beſtimmteſte in der intentio ausge - drückt durch die Faſſung: rem actoris esse, oder aber: reum dare oportere(d)Gajus IV. § 41. 86. 87.. Ja ſogar iſt es durch viele unzweifelhafte Stellen aus der Zeit des Formularprozeſſes unmittelbar gewiß, daß wirklich dem Kläger das Daſeyn eines Rechts in ſeiner Perſon zuerkannt wurde(e)L. 8 § 4 si serv. (8. 5) per sententiam non debet ser - vitus constitui, sed quae est de - clarari. L. 35 § 1 de rei vind. (6. 1 ) Ubi autem alienum fundum petii, et judex sententia declaravit meum esse. L. 58 eod. Sed si de ipso homine secundum petitorem judicium factum esset, non debere ob eam rem judicem, quod homi - nem non traderet, litem aesti - mare. L. 9 pr. § 1 de exc. r. j. (44. 2) sive fuit judica - tum, hereditatem meam esse, und nachher: re secundum pe - titorem judicata replicare eum oportere, de re secundum se judicata. L. 3 § 3 de re - bus eorum (27. 9) si fundus pe - titus sit, qui pupilli fuit, et con - tra pupillum pronuntiatum, tu - toresque restituerunt. L. 11 § 3 de jurej. (12. 2 ) Si ju - ravero id consequi debeo, quod haberem, si secundum me de hereditate pronuntiatum es - set. L. 6 § 2 de confessis (42. 2 ) Sed et si confessus, perinde habearis, atque si do - minii mei fundum esse pronun - tiatum esset. Endlich auch L. 15, L. 30 § 1 eod. L. 40 § 2 de proc. (ſ. o. Note a).. Und317§. 287. Inhalt. Verurtheilung.ſelbſt abgeſehen von dieſen einzelnen Zeugniſſen, geht die - ſelbe Wahrheit aus dem ganzen Zuſammenhang der Ein - rede der Rechtskraft, ſo wie derſelbe unten dargeſtellt werden wird, mit voller Gewißheit hervor.

Endlich iſt noch zu erwägen, daß es für die Klagen aus Eigenthum und Erbrecht drei verſchiedene Formen gab, die nach Umſtänden eintreten konnten: Eine legis actio vor den Centumvirn, eine Sponſionsklage, und die arbi - traria actio, die allein im neueſten Recht übrig geblieben iſt(f)Gajus IV. § 91 95.. Auf die beiden erſten Formen bezieht ſich der Zweifel gar nicht. Denn die erſte Form ſtand ganz unter den Regeln des älteſten Rechts, nicht des Formularprozeſſes. Die zweite Form war gerade darauf berechnet, daß über das Daſeyn des Rechts, und über dieſes allein, zunächſt geurtheilt werden ſollte(g)Gajus IV. §. 93. 94. Es wurde folgende Sponſion geſchloſ - ſen: Si homo, quo de agitur, ex jure quiritium meus est, sestertios XXV nummos dare spondes? Verurtheilte nun der Judex auf dieſe Summe, ſo hatte Das nicht die Folge, daß die Summe gezahlt werden mußte, ſondern daß die Bedingung der Sponſion (das Daſeyn des Eigenthums) rechtskräftig feſtgeſtellt war. Man drückte Dieſes ſo aus: Nec enim poenalis est (sponsio), sed praejudicialis. . Der ganze Zweifel beſchränkt ſich alſo auf den Fall der arbitraria actio; d. h. der peti - toria formula, und er nimmt hier nunmehr folgende Geſtalt an, in welcher ſich allerdings das Intereſſe der ganzen Frage ſehr vermindert.

Wir wiſſen ganz gewiß, daß das Endurtheil nur auf eine Geldzahlung gerichtet war, nicht auf die ſtreitige318Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sache ſelbſt. Wir wiſſen eben ſo gewiß, daß über das Daſeyn des Eigenthums rechtskräftig entſchieden wurde, mit ſicherer Wirkung für alle Zukunft. Wie iſt nun dieſer ſcheinbare Widerſpruch zu löſen? In welcher Form konnte neben jenem auf Geld beſchränkten Inhalt des Urtheils dennoch für die rechtskräftige Anerkennung des Eigenthums geſorgt werden?

Der vollſtändige Verlauf einer ſolchen arbitraria actio war folgender(h)Dieſer Gegenſtand iſt oben ausführlich behandelt worden B. 5 § 221 223.. Wenn ſich der Judex von dem Eigen - thum des Klägers überzeugt hatte, ſo ſprach er zunächſt die gewonnene Überzeugung von dem Recht des Klägers aus, und forderte den Beklagten auf, dem Anſpruch des Klägers freiwillig Genüge zu leiſten, d. h. die ſtreitige Sache her - auszugeben. Gehorchte der Beklagte dieſem jussus oder arbitratus, ſo erfolgte eine Freiſprechung; gehorchte er nicht, ſo wurde er verurtheilt, aber nicht auf die Sache ſelbſt, ſondern auf eine Geldſumme, mit deren Beſtimmung beſon - dere Gefahren für den Beklagten verbunden waren.

Es ging alſo dem Befehl zur Reſtitution vorher ein Ausſpruch des Judex, welcher das Daſeyn des vom Kläger behaupteten Rechts ausdrücklich anerkannte. Dieſer Aus - ſpruch führte den techniſchen Namen Pronuntiatio, und auf ihn gründete ſich für alle Zukunft die Wirkung der Rechts - kraft, alſo insbeſondere auch der Anſpruch des Klägers, in jedem künftigen Rechtsſtreit eine exceptio rei judicatae319§. 287. Inhalt. Verurtheilung.geltend zu machen(i)Ob dieſe Pronuntiatio ge - wöhnlich, oder auch nur zuweilen, den Namen einer sententia führte, kann dabei gleichgültig ſeyn. Auf den Zweifel über dieſen Punkt habe ich früher mehr Gewicht gelegt, als ihm gebührt.. Daß dieſes ſich ſo verhielt, iſt jetzt unmittelbar gewiß geworden durch die neuerlich bekannt gemachten, von dem Anteceſſor Stephanus herrührenden griechiſchen Scholien zu den Digeſten, worin an fünf ver - ſchiedenen Stellen der lateiniſche Kunſtausdruck Pronuntia - tio hervorgehoben, und in der hier angegebenen Weiſe aus - führlich erklärt wird(k)Zachariä v. Lingenthal von der Pronuntiatio, Zeitſchrift f. geſchichtl. Rechtswiſſenſchaft B. 14 S. 95 126.. Damit ſtimmt zugleich eine be - deutende Zahl von Digeſtenſtellen überein, die ganz in dem - ſelben Sinn die Pronuntiatio und das pronuntiare erwäh - nen(l)Vgl. oben Note a. und e. Mehrere andere Stellen dieſer Art ſind angeführt bei Zachariä S. 101. 102.. Auf den Grund dieſer Stellen war auch ſchon vor der erwähnten neuen Entdeckung von mehreren Schrift - ſtellern das wahre Verhältniß der Sache im Ganzen rich - tig erkannt und dargeſtellt worden(m)Keller § 27 31. Wet - zell Vindicationsprozeß S. 107 bis 110. Dieſer letzte Schriftſteller bezeichnet zu ſcharf den vorläufigen Ausſpruch des Judex als ein eigent - liches Präjudicium, und identificirt dadurch zu ſehr den Sponſions - prozeß mit der petitoria formula. Die Verſchiedenheit liegt aber hier mehr in der Form und dem Aus - druck, als in dem Weſen der Sache.. Ja ſelbſt wenn eine ſolche förmliche Handlung, wie ſie hier unter dem Namen der Pronuntiatio anerkannt worden iſt, nicht vor - gekommen wäre, ſo hätte dennoch aus dem Urtheil eine Einrede der Rechtskraft abgeleitet werden können, wenn nur aus dem Inhalt des Urtheils unzweifelhaft hervorging, daß320Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dabei die Anerkennung des Eigenthums als Grund und Bedingung der Entſcheidung wirklich vorausgeſetzt war. Dieſe Behauptung kann jedoch hier noch nicht gerechtfer - tigt werden, da ſie mit Demjenigen zuſammenhängt, welches unten über die Rechtskraft der Gründe geſagt werden wird. Durch dieſe Bemerkung ſoll darauf aufmerkſam gemacht werden, daß in der angegebenen Wirkſamkeit der Pronun - tiatio nicht etwa eine zufällige und willkürliche Einrichtung lag, ſondern daß ſie in einem inneren Zuſammenhang ſtand mit der allgemeinen Auffaſſung der Rechtskraft überhaupt. Die Pronuntiatio diente dazu, daß das Daſeyn jenes Entſcheidungsgrundes nicht überſehen oder in Zweifel ge - zogen werden konnte.

§. 288. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Gundlage der Rechtskraft. Fall der Freiſprechung des Beklagten.

Von den beiden Fällen, die in dem Inhalt eines rechts - kräftigen Urtheils vorkommen können (§ 287), iſt jetzt noch der zweite, der Fall der Freiſprechung des Beklagten, in ſeiner eigenthümlichen Bedeutung und Wirkung feſtzu - ſtellen.

Die Freiſprechung des Beklagten, völlig gleichbedeutend mit der Abweiſung des Klägers, hat einen blos vernei - nenden Inhalt; die Anerkennung eines dem Beklagten zu - ſtehenden Rechts kann darin nicht enthalten ſeyn. Dieſer321§. 288. Inhalt. Freiſprechung.wichtige und durchgreifende Unterſchied der Freiſprechung von der Verurtheilung läßt ſich ſo ausdrücken: Aus der Verurtheilung kann der Kläger für die Zukunft, wie er es bedarf, ſowohl eine Klage, als eine Exception ableiten, aus der Freiſprechung an ſich entſpringt für den Beklagten nur eine Exception, keine Klage.

Der wahre Grund dieſer beſchränkteren Wirkung der Freiſprechung liegt in der allgemeinen Natur des Rechts - ſtreits überhaupt. Jeder Kläger fordert die Hülfe des Richteramtes zur Abänderung des factiſch beſtehenden Zu - ſtandes, weil dieſer mit dem wahren Recht nicht überein - ſtimme. Der Richter kann dieſe Hülfe nach Befinden ge - währen oder verweigern, für eine andere Thätigkeit, ins - beſondere für eine ſolche, die zum Nachtheil des Klägers gereichen könnte, liegt in einer angeſtellten Klage kein Beweggrund.

Eine Beſtätigung der Wahrheit des aufgeſtellten Unter - ſchieds enthält auch die Faſſung der Römiſchen formula: Si paret, condemna, si non paret, absolve. In dem con - demna liegt die Nothwendigkeit eines poſitiven Handelns von Seiten des Beklagten, in dem absolve liegt die bloße Verneinung oder Verweigerung jeder Hülfe; ein Drittes aber iſt dem Judex auszuſprechen weder geboten, noch ver - ſtattet.

Die Anwendung der aufgeſtellten Regel auf perſönliche Klagen erregt keine Art von Bedenken; der Kläger behaup - tet die Nothwendigkeit einer beſtimmten Handlung vonVI. 21322Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Seiten des Beklagten, der Richter ſpricht aus, dieſe Noth - wendigkeit ſey nicht vorhanden.

Etwas anders ſteht die Sache bei den Klagen in rem. In den häufigſten und wichtigſten Fällen derſelben, bei Eigenthum und Erbrecht, wird über das Daſeyn eines Rechts von ausſchließender Natur geſtritten, ſo daß das Daſeyn deſſelben in der einen Partei das Nichtdaſeyn in der andern nothwendig in ſich ſchließt (§ 287).

Indem nun der Kläger behauptet, daß ein ſolches Recht in ſeiner Perſon vorhanden ſey, kann der Beklagte dieſe Behauptung auf verſchiedene Weiſe zu beſtreiten ſuchen. Er kann ſich darauf beſchränken, die Beweiſe des Klägers zu entkräften; er kann aber auch das Daſeyn des beſtrit - tenen Rechts in ſeiner eigenen Perſon behaupten und be - weiſen, wodurch dann das Recht des Klägers nach der aufgeſtellten Regel von ſelbſt widerlegt iſt.

Wenn nun der Beklagte dieſen letzten Weg einſchlägt und von ſeinem Recht den Richter überzeugt, ſo könnte man glauben, das Urtheil müſſe auf Anerkennung des Rechts des Beklagten gehen, inſofern alſo auf Verurthei - lung des Klägers, ſo daß der Beklagte aus dieſem Urtheil an ſich für die Folge ſowohl eine Klage, als eine Exception unmittelbar ableiten könnte. In der That aber verhält es ſich nicht alſo; vielmehr beſchränkt ſich auch hier der Ausſpruch auf die bloße Abweiſung des Klägers, ſo daß durchaus kein Unterſchied in dem Ausſpruch des Richters eintritt, der Beklagte mag gewinnen, weil er ſelbſt ſein323§. 288. Inhalt. Freiſprechung.Eigenthum bewieſen, oder weil blos der Kläger das ſeinige nicht bewieſen hat.

Die Wahrheit dieſer Behauptung folgt aus den ſo eben für alle Klagen aufgeſtellten allgemeinen Gründen, insbe - ſondere aus der ausſchließenden Alternative in der Römi - ſchen formula: Si paret, condemna, si non paret, absolve, die völlig gleichlautend war bei Klagen in rem, wie bei perſönlichen Klagen.

Eine unmittelbare Beſtätigung dieſes Satzes liegt aber auch in einer wichtigen Stelle des Gajus(a)L. 15 de exc. r. j. (44. 2). (Gajus Lib. 30 ad ed. prov.). Vgl. über dieſe Stelle Keller S. 224., deren In - halt und Gedankengang ich hier darlegen will, um den entſcheidenden Theil derſelben für den angegebenen Zweck benutzen zu können.

Zwiſchen mir und dir (ſagt Gajus) iſt Streit über eine Erbſchaft; jeder von uns behauptet, allein Erbe zu ſeyn, und jeder beſitzt einige Sachen aus der Erbſchaft. Daraus folgt, daß ich gegen dich die Erbſchaftsklage an - ſtellen kann, eben ſo aber auch du gegen mich. Wenn nun zuerſt ich gegen dich geklagt habe, und ein rechtskräf - tiges Urtheil geſprochen iſt, dann aber du gegen mich klagen willſt: ſo fragt es ſich, ob Dieſes zuläſſig iſt, oder vielmehr durch die Einrede der Rechtskraft verhindert wird. Alles kommt auf den Inhalt des geſprochenen Urtheils an; biſt darin du verurtheilt, ſo wirſt du jetzt durch die Ein - rede ausgeſchloſſen, weil aus dem mir zuerkannten Erbrecht21*324Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nothwendig folgt, daß du nicht Erbe biſt (§ 287. a). Wenn dagegen das geſprochene Urtheil mich abgewieſen hat, ſo hindert dich dieſes Urtheil an ſich nicht, die Klage anzuſtellen, in deren Entſcheidung der Richter völlig freie Hand hat; er kann mich verurtheilen, oder dich abweiſen, da es möglich iſt, daß die Erbſchaft weder mir, noch dir gehört. Der letzte Theil der Stelle, auf den hier Alles ankommt, lautet wörtlich alſo: Interest, utrum meam esse hereditatem pronuntiatum sit, an contra. Si meam esse, nocebit tibi rei judi - catae exceptio: quia eo ipso, quod meam esse pro - nuntiatum est, ex diverso pronuntiatum videtur tuam non esse. Si vero meam non esse, nihil de tuo jure judicatum intelligitur, quic potest nec mea hereditas esse, nec tua.

Hier werden augenſcheinlich nur zwei Fälle möglicher Urtheilsfaſſung angenommen: eine Verurtheilung, und eine Freiſprechung, die an ſich das Recht des Beklagten ganz unentſchieden läßt, ſo daß dieſer zweite Ausſpruch als ſolcher bei einem künftigen Streit über dieſes Recht des Beklagten keinen Einfluß hat. Der Verfaſſer der Stelle ſetzt alſo unzweifelhaft voraus, daß der Ausſpruch einer Anerkennung des Erbrechts in der Perſon des Beklagten unmöglich ſey, indem er offenbar die Abſicht hat, die Fälle vollſtändig aufzuzählen, die bei dem Ausſpruch über den zuerſt geführten Rechtsſtreit möglicherweiſe vorkommen konnten.

325§. 288. Inhalt. Freiſprechung.

Eine indirecte Beſtätigung der hier aufgeſtellten Regel liegt noch in der Entſcheidung eines verwandten Falles, die man auf den erſten Blick geneigt ſeyn könnte, als Widerlegung derſelben anzuſehen. Die Entſcheidung eines Rechtsſtreits durch einen zugeſchobenen Eid hat großen - theils ähnliche Wirkungen, wie die Entſcheidung durch Urtheil, weshalb auch nicht ſelten beide Fälle der Entſchei - dung als gleichartig zuſammengeſtellt werden(b)L. 11 § 3 de jurej. (12. 2). Si jucavero .. hereditatem meam esse, id consequi debeo quod haberem, si secundum me de hereditate pronuntiatum esset. . Schwört nun der Kläger den ihm zugeſchobenen Eid dahin ab, daß er Erbe (oder Eigenthümer) ſey, ſo erwirbt er für die Zu - kunft Klage und Einrede: ſchwört der Beklagte, der Kläger ſei nicht Erbe oder nicht Eigenthümer, ſo entſteht aus dieſem Eid eine bloße Einrede(c)L. 11 § 3 cit., L. 7 § 7 de public. (6. 2). Soweit ſteht der Fall des Eides dem des Urtheils völlig gleich.

Bei dem Eid aber kann auch noch ein anderer Fall eintreten. Die Faſſung deſſelben ſteht in der Willkühr deſſen, der den Eid zuſchiebt. Daher kann der Kläger den Eid auch ſo zuſchieben, daß der Beklagte ſchwöre, er (der Beklagte) ſey Eigenthümer. Wird dieſer Eid abge - ſchworen, ſo erwirbt daraus der Beklagte für die Zukunft nicht nur eine Einrede, ſondern auch eine Klage, welches ausdrücklich von Ulpian bezeugt wird. Er ſpricht zuerſt von dem ſo eben ſchon erwähnten Fall, wenn der Beklagte326Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchwört, der Kläger ſey nicht Eigenthümer, und ſagt, aus dieſem Eid entſtehe nur eine Einrede, keine Klage(d)L. 11 pr. § 1 de jurej. (12. 2).: Sed si possessori fuerit jusjurandum delatum, jura - veritque rem petitoris non esse .... exceptione juris - jurandi utetur actionem non habebit non enim rem suam esse juravit, sed ejus non esse.

Dann geht er unmittelbar zur[Betrachtung] des von mir zuletzt erwähnten Falles über, wenn der Beklagte ſchwört, er ſelbſt ſey Eigenthümer, und ſpricht für dieſen Fall dem Schwörenden auch ſelbſt eine Klage zu.

Proinde si, cum possideret, deferente petitore rem suam esse(e)Die Florentina lieſt: rem suam juravit, ohne esse, wo - durch der Satz zwar keinen an - deren Sinn bekommt, aber hart wird. Das esse hat nicht blos Haloander, ſondern auch die Vul - gata, welches Gebauer nicht be - merkt. juravit, consequenter dicemus actionem in factum ei dandam.

Dieſes iſt nun gerade der Fall, welcher nach der oben aufgeſtellten Behauptung in dem Ausſpruch des richter - lichen Urtheils gar nicht vorkommen darf, ſo daß in Folge eines ſolchen Ausſpruchs der Beklagte niemals eine Klage erwerben kann. Meine Behauptung geht alſo dahin, daß hierin beide Arten der Beendigung eines Rechts - ſtreits (Eid und Urtheil) völlig verſchieden ſind.

Es iſt aber auch in der That nicht ſchwer, den weſentlichen und nothwendigen Grund des Unterſchieds zu entdecken. Der Eid hat die Natur eines Vergleichs(f)L. 2 de jurej. (12. 2).,327§. 288. Inhalt. Freiſprechung.indem es ganz in der Willkühr des Zuſchiebenden ſteht, ob und in welcher Formel er die Entſcheidung des Streits dem Gewiſſen ſeines Gegners überlaſſen will. Läßt er alſo dieſen ſchwören, der Beklagte ſey Eigenthümer, ſo muß er ſich die ausgedehnteren Folgen des ſo gefaßten Eides gefallen laſſen, weil er durch ſeinen freien Willen dieſen Ausgang herbeigeführt hat.

Gerade Dieſes aber verhält ſich bei dem richterlichen Urtheil ganz anders. Hier beruht Nichts auf der Willkühr der Parteien, Alles auf feſt beſtimmten Rechtsregeln. Es iſt alſo ganz folgerecht, daß es dem Richter nicht verſtattet iſt, dem freiſprechenden Urtheile die oben erwähnte größere Ausdehnung zu geben, während der Kläger ſich dieſer Ausdehnung durch ſeinen freien Willen wohl unterwerfen kann(g)Es wird indeſſen weiter unten (§ 290. 291) gezeigt wer - den, daß die hier nachgewieſene Unmöglichkeit einer Verurtheilung des Klägers weniger ſtrenge prak - tiſche Folgen hat, als man auf den erſten Blick anzunehmen ge - neigt ſeyn möchte..

Aus der hier angeſtellten Unterſuchung geht hervor, daß der Inhalt des Urtheils nur zwei Gegenſtände haben kann: die Verurtheilung des Beklagten, oder die Freiſprechung des Beklagten; daß alſo die Verurtheilung des Klägers darin nicht vorkommen kann. Dieſer Satz iſt als Regel hier dargeſtellt und gegen mögliche Zweifel in Schutz genommen worden. Es werden jedoch Ausnahmen328Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.von dieſer Regel behauptet, und es ſoll nunmehr darge - than werden, daß dieſe angeblichen Ausnahmen auf bloßem Schein beruhen(h)Die Verurtheilung des Klägers in die Prozeßkoſten hat keinen Zweifel, kann aber unter dieſe Ausnahmen nicht gerechnet werden. Dieſe beruht auf den be - ſonderen, aus dem Prozeß ent - ſpringenden Verpflichtungen; wir haben hier blos mit der Einwir - kung des Urtheils auf die mate - riellen Rechtsverhältniſſe der Par - teien zu thun, wie dieſelben unab - hängig von dem Prozeß beſtanden..

§. 289. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Nicht: Verurtheilung des Klägers.

Es werden zweierlei Fälle angegeben, in welchen aus - nahmsweiſe auch der Kläger ſoll verurtheilt werden können: die duplex actio und die Widerklage. Beide Fälle ſind ſowohl verwandt, als verſchieden: beide aber kommen darin überein, daß jede Partei wirklich Kläger und zugleich auch Beklagter iſt, nur in verſchiedenen Beziehungen. Wird alſo der urſprüngliche Kläger verurtheilt, ſo widerfährt ihm Dieſes nicht in ſeiner Eigenſchaft als Kläger, ſondern in der eines Beklagten. In der That alſo müſſen wir in dieſen Fällen nur Anwendungen und Beſtätigungen der aufgeſtellten Regel erkennen, nicht Ausnahmen derſelben.

I. Duplex actio.

Von dieſer Art der Klagen iſt ſchon oben gehandelt worden (§ 225). Die Eigenthümlichkeit derſelben liegt329§. 289. Inhalt. Verurtheilung des Klägers?darin, daß die erwähnte doppelte Eigenſchaft der Parteien nicht erſt durch die Willkühr des Beklagten, ſondern durch die allgemeine Natur der Klage begründet wird, alſo durch den Richter überall zur Anwendung gebracht werden muß, wo nur die Umſtände dazu geeignet ſind.

Es gehören dahin die drei Theilungsklagen und die zwei Interdicte zur Erhaltung des Beſitzes.

Die Formel der Theilungsklagen beſtand aus zwei Stücken, einem perſönlichen und einem auf Adjudication gerichteten. Wie das perſönliche Stück lauten mußte, um jede Partei zum Kläger und Beklagten zugleich zu machen, wird bei der Widerklage gezeigt werden. Die Adjudication aber war unperſönlich gefaßt, und in ſofern ähnlich der intentio einer Klage in rem(a)Gajus IV. § 42. Quan - tum adjudicari oportet, judex Titio adjudicato. Der Name Titio ſcheint allerdings nicht zu der behaupteten Unperſönlichkeit der Formel zu paſſen, und könnte wohl auf einer unrichtigen Leſeart be - ruhen; die gewöhnlichen Partei - namen: Aulus Agerius und Nu - merius Negidius ſcheinen abſicht - lich vermieden. Der unzweifelhafte Sinn würde am ſicherſten bezeich - net ſeyn durch utrique oder alteru - tri, da nach Umſtänden bald dem Einen das Ganze, bald Jedem ein Theil zuzuſprechen iſt..

Die Formel der zwei erwähnten Interdicte war an beide Parteien gleichmäßig gerichtet(b)L. 1 pr. uti poss. (43. 16). Uti possidetis, quo minusita possideatis, vim fieri veto. L. 1 pr. de utrubi (43. 31). Utrubi hic homo fuit, quo minus is eum ducat, vim fieri veto. , und drückte da - durch unmittelbar aus, daß beide in völlig gleicher Lage einander gegenüber ſtehen ſollten, nicht in der bei anderen330Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klagen gewöhnlichen Verſchiedenheit eines Klägers und eines Beklagten.

II. Widerklage .(c)Vgl. überhaupt Linde Lehrbuch § 95. 211..

Wenn auf eine angeſtellte Klage der Beklagte vor dem - ſelben Richter und gegen denſelben Kläger eine Klage vor - bringt, ſo führt dieſe zweite Klage den Namen Wider - klage, vorausgeſetzt, daß ſie in irgend eine Verbindung mit der erſten Klage geſetzt wird(d)Völlig verſchieden alſo von dem hier allein in Betracht kom - menden Fall ſind alle die Fälle, in welchen zwiſchen denſelben Par - teien vor demſelben Richter gleich - zeitig mehrere Prozeſſe ohne Ver - bindung mit einander ver - handelt werden, welches eben ſo - wohl vor demſelben Römiſchen Judex vorkommen konnte, als es jetzt vor demſelben Gerichtshof vorkommt. In dieſen mehreren Prozeſſen kann dieſelbe Perſon Kläger ſeyn (L. 18 de except. 44. 1), die Parteien können aber auch in entgegengeſetzten Partei - rollen auftreten (L. 18 pr. mand. 17. 1, L. 18 pr. de compens. 16. 2, L. 1 § 4 quae sent. 49. 8), ohne daß deshalb der Fall einer Widerklage entſteht. Daher iſt der Ausdruck mutua petitio, der in den Fällen dieſer zweiten Art ge - braucht wird, ja ſelbſt bei der bloßen Einrede der Compenſation (L. 6 C. de comp. 4. 31, L. 1 C. rer. amot. 5. 21) vorkommt, keine ſichere Bezeichnung der Wider - klage, wofür überhaupt die Römer keinen Kunſtausdruck haben. Re - conventio kommt in keiner ächten Stelle vor (L. 5 C. de fruct. 7. 51 iſt reſtituirt), und iſt erſt durch das canoniſche Recht eingeführt..

Dieſe Verbindung kann eine zweifache ſeyn:

  • 1. Sie kann zuweilen lediglich darauf ausgehen, daß dadurch der erſte Kläger genöthigt wird, ſich vor dem - ſelben Richter verklagen zu laſſen, welchem er außer - dem nicht unterworfen geweſen wäre (uneigentliche Widerklage). Dieſer Fall ſteht mit unſrer Aufgabe331§. 389. Inhalt. Verurtheilung des Klägers?in gar keiner Berührung; er kommt übrigens auch ſchon im Römiſchen Recht vor
    (e)L. 22 de jud. (5. 1. ) War die erſte Klage eine extra - ordinaria, ſo wurde dadurch auch die Widerklage vor den Präſes ohne Judex gezogen. L. 1 § 15 de extr. cogn. (50. 13. ) Wenn dagegen die erſte Klage vor eine Municipalobrigkeit, die nur über eine beſchränkte Summe richten durfte, gebracht war, ſo wurde dadurch dieſe Obrigkeit für die Widerklage von höherer Summe nicht kompetent. L. 11 § 1 de jurisd. (2. 1).
    (e).
  • 2. Sie kann aber auch tiefer eingreifen, indem zugleich beide Klagen neben einander verhandelt und durch ein gemeinſames Urtheil entſchieden werden (simultaneus processus von den Neueren genannt). Dieſer Fall gehört inſofern zu unſrer Unterſuchung, als dadurch der Inhalt des Urtheils beſtimmt wird, und zwar auf ſolche Weiſe, daß ſcheinbar der Kläger verurtheilt werden kann, welches nach der oben aufgeſtellten Regel nicht ſollte geſchehen können.

Auch dieſer Fall kam im Römiſchen Recht vor, und ſelbſt zur Zeit des alten Formularprozeſſes. Es fragt ſich nur, wie es möglich war, zwei verſchiedene Prozeſſe in eine und dieſelbe Formel zu faſſen.

Dieſes war allerdings möglich, aber nur unter fol - gender Vorausſetzung: Die Widerklage mußte auf einer Gegenforderung aus demſelben Rechtsgeſchäft be - ruhen, welches nur bei den bonae fidei actiones vorkam. Wenn alſo gegen eine actio emti der Beklagte die actio venditi aus demſelben Vertrag vorbringen wollte, oder bei einer actio pro socio die gleichnamige Klage, oder bei332Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einer actio commodati directa die contraria, dann war eine Widerklage mit derſelben Formel, und durch daſſelbe Urtheil, wie die Hauptklage, zu beendigen möglich: in allen anderen Fällen, alſo bei allen Klagen aus nicht ver - wandten Entſtehungsgründen, war Dieſes unmöglich. Um aber doch auch in ſolchen Fällen dem praktiſchen Bedürf - niß zu genügen, welches wir durch unſere Widerklage befriedigen, wurde die Sache ſo behandelt, daß beide ver - ſchiedene Klagen gleichzeitig an denſelben Judex gewieſen wurden. Zugleich aber hatten kaiſerliche Conſtitutionen für dieſen Fall beſonders verordnet, daß aus dem zuerſt geſprochenen Urtheil Nichts gefordert werden könne, bevor auch über die gegenſeitige Klage entſchieden ſeyn würde(f)L. 1 § 4 quae sent. (49. 8). Dieſe etwas künſtliche Behandlung der Fälle ſolcher Art iſt der ſicherſte Beweis, daß eine eigentliche Widerklage in unſrem Sinn, bei nicht verwandten ge - genſeitigen Forderungen, im - miſchen Formularprozeß für un - möglich gehalten wurde..

Die Formel für die wahre Verbindung zweier ver - wandter Klagen wurde nun ohne Zweifel ſo gefaßt. Eine demonstratio bezeichnete das vorliegende Rechtsgeſchäft im Allgemeinen. Darauf folgte die intentio, etwa in dieſen Worten: Quidquid ob eam rem alterum alteri dare facere oportet ex fide bona, judex condemna(g)Unverkennbare Anſpielungen auf dieſe Formel und Voraus - ſetzungen ihres wirklichen Gebrauchs finden ſich in folgenden Stellen: Gajus III. § 137 (von den obli - gationes, quae consensu contra - huntur): Item in his contra - ctibus alter alteri obligatur de eo, quod alterum alteri ex.

333§. 289. Inhalt. Verurtheilung des Klägers?

Genau in derſelben Weiſe wird nun auch bei der oben erwähnten duplex actio die Formel gelautet haben, denn auch die Theilungsklagen waren bonae fidei(h)§ 28 J. de act. (4. 6).. Der Unterſchied mag alſo wohl der geweſen ſeyn, daß bei der duplex actio jene Formel allgemein ſo gefaßt wurde, bei den Widerklagen aber nur, wenn der Beklagte beſonders um eine ſo gefaßte Formel bat, da es von ſeinem freien Willen abhing, ob er eine Widerklage vorbringen wollte(i)Gajus ſagt in L. 18 § 4 comm. (13. 6), die contraria commodati actio ſey gewöhnlich nicht nöthig, weil man den Ge - genſtand derſelben als Compen - ſation gegen die directa actio des Gegners geltend machen könne. Er fügt aber hinzu, es gebe den - noch Fälle, worin man jene Klage nicht entbehren könne; namentlich, wenn die directa actio wegen des zufälligen Untergangs der Sache oder wegen der freiwilligen Rück - gabe gar nicht angeſtellt werde. An die Spitze dieſer Fälle der un - entbehrlichen contraria actio ſtellt er folgenden: Sed fieri potest, ut amplius esset, quod invicem aliquem consequi oporteat dicemus, necessariam esse con - trariam actionem. Das könnte man ſo verſtehen, als ob zur Zeit des Gajus eine Widerklage noch gar nicht möglich geweſen wäre, alſo deswegen eine die Hauptfor - derung überſteigende Gegenforde - rung niemals in dem Hauptpro - zeß hätte verfolgt werden können. Allein jene Worte erklären ſich eben ſo gut von einem Fall, worin nur Anfangs der erſte Beklagte die Höhe. (g)bono et aequo praestare opor - tet. Cicero top. C. 17. Er rühmt hier den Einfluß der Juriſten, die beſonders bei den Klagen ex fide bona, ut inter bonos, quid aequius melius Rath geben müſſen. Illi enim dolum malum, illi fidem bonam, .. illi quid .. alterum alteri prae - stare oporteret .. tradiderunt. Cicero de off. III. 17. Er ſagt von den bonae fidei judiciis: in his magni esse judicis statuere (praesertim cum in plerisque essent judicia con - traria) quid quemque cuique praestare oporteret. Alle dieſe Rathſchläge und Ausſprüche konn - ten ja nie zur Anwendung kom - men, wenn nicht Formeln aufge - ſtellt waren, die den Judex be - rechtigten und verpflichteten, über ſolche gegenſeitige Anſprüche wirklich zu entſcheiden.334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Der Erfolg war am Ende des Rechtsſtreits ganz der - ſelbe: die Möglichkeit einer Verurtheilung nach beiden Seiten hin.

Nach dem Untergang des Formularprozeſſes machte ſich inſofern die Sache einfacher und leichter, als die Faſſung der Formel nicht mehr ein beſchränkendes Hinderniß ab - gab. Das ganze Verhältniß war nunmehr demjenigen ähnlich, welches wir in unſrem heutigen Prozeß kennen. Die Widerklage war nun in größerer Ausdehnung möglich, als früher, ſo daß ſie angebracht werden konnte, ohne Rück - ſicht darauf, ob ſie mit der Hauptklage einen gemeinſamen Entſtehungsgrund hatte, oder nicht. Das aber wurde gewiß immer gefordert, daß der Beklagte, der die Widerklage in denſelben Prozeß bringen wollte, darauf gleich Anfangs antragen mußte.

Juſtinian gab der Widerklage eine ſehr eigenthüm - liche Wendung, die in die neuere Praxis niemals Eingang gefunden hat. Er behandelte die Widerklage vor dem - ſelben Gericht nicht blos als ein Recht, ſondern auch als eine Verpflichtung des Beklagten. Gefalle ihm dieſer Richter nicht, ſo könne er bewirken, daß beide Klagen ge - meinſchaftlich vor einem anderen Richter (dem competenten Richter des Gegners) verhandelt würden. Unterlaſſe er(i)der Gegenforderung nicht über - ſah, und es deswegen unterließ, eine Formel zu begehren, wie die oben im Text angegebene. Welche Änderung gerade hierin zur Zeit von Papinian einge - treten zu ſeyn ſcheint, davon wird ſogleich weiter die Rede ſeyn. (§ 290).335§. 289. Inhalt. Verurtheilung des Klägers?Beides, ſo müſſe er ſeine gegenſeitige Klage ſo lange gänzlich ruhen laſſen, bis die gegen ihn angeſtellte zu Ende gebracht ſey(k)Nov. 96 C. 2..

Es iſt nöthig, vor jeder weiteren Erörterung den Zu - ſammenhang der Widerklage mit der Compenſation in’s Auge zu faſſen, indem dieſe einen ähnlichen, wenngleich nicht völlig gleichmäßigen, Entwicklungsgang gehabt hat, wie er ſo eben bei der Widerklage bemerkt worden iſt. Dieſelben Thatſachen können, bei einem Vertrag der oben bemerkten Art, ſowohl zu einer Compenſation, als zu einer Widerklage Veranlaſſung geben. Die Compenſation reicht aus, wenn die Gegenforderung nicht weiter geht, als den Gegenſtand der Hauptklage ganz oder theilweiſe durch Auf - rechnung zu beſeitigen. Geht ſie auf eine höhere Summe als die der Hauptklage, ſo iſt eine Widerklage nöthig, und wird auch dieſe verſäumt, ſo kann die Gegenforderung nur durch eine abgeſonderte neue Klage geltend gemacht werden (Note h). Zur Zeit des Gajus ſtand nun die Sache ſo, daß die Widerklage, wie die Compenſation, auf Gegenforderungen aus demſelben Rechtsgeſchäft beſchränkt war(l)Gajus IV. § 61: ex eadem causa, und zwar als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut bei den bonae fidei actiones. Die beſonderen Fälle des Argen - tarius und des bonorum emtor im älteren Recht können hier na - türlich nicht in Betracht kommen. Vgl. Gajus IV. § 64 sq. . Marc Aurel erweiterte den Gebrauch der Compenſation dahin, daß ſie vermittelſt einer doli exceptio auch gegen jede Condiction vorgebracht werden konnte, alſo nun ohne336Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Rückſicht auf die gemeinſchaftliche Entſtehung beider Forderungen(m)Der geſchichtliche Zuſam - menhang dieſes Rechtsinſtituts iſt oben bei einer anderen Gelegenheit nachgewieſen worden B. 1 § 45 Note d. . Dieſe Erweiterung der Compenſation trat alſo weit früher ein, als die ſo eben erwähnte gleich - artige Erweiterung der Widerklage, welche erſt ſeit der Abſchaffung des Formularprozeſſes angenommen werden kann. Der Grund dieſes chronologiſchen Unterſchiedes aber iſt leicht einzuſehen. Die Erweiterung der Compen - ſation vermittelſt einer ohnehin längſt bekannten Einrede konnte vorgehen, ohne irgend eine in der Form des Ver - fahrens begründete Schwierigkeit; die gleichartige Erwei - terung der Widerklage war kaum möglich, ſo lange zwei völlig verſchiedene gegenſeitige Klagen in eine und dieſelbe formula hätten zuſammen gefaßt werden müſſen. Trat daher ein Fall ſolcher Art ein, ſo blieb Nichts übrig, als zwiſchen denſelben Perſonen zwei mutuae actiones gleich - zeitig und vor demſelben Judex zu geben (Note d. f.), wobei freilich die Wirkung nicht ſo verſchieden von der einer eigentlichen Widerklage war, als man glauben möchte.

Dieſe ganze, die Widerklage betreffende Unterſuchung iſt hier lediglich als Grundlage zur Beantwortung der Frage angeſtellt worden, ob durch die Folgen der Wider - klage eine wahre Verurtheilung des Klägers, abweichend337§. 289. Inhalt. Verurtheilung des Klägers?von der im § 288 aufgeſtellten Regel, herbeigeführt werde. Die Antwort auf dieſe Frage kann nur eben ſo ausfallen, wie ſie auf die gleichlautende Frage bei der duplex actio gegeben worden iſt: dahin nämlich, daß auch bei der Widerklage die Verurtheilung des Klägers ſich in bloßen Schein auflöſt. Allerdings kann hier der urſprüngliche Kläger verurtheilt werden, aber wenn Dieſes geſchieht, ſo iſt es nicht der Kläger, ſondern der Beklagte, der in ihm verurtheilt wird, indem er in der That beide Eigenſchaften in ſeiner Perſon vereinigt.

Das ganze Verhältniß der neben einer Klage vorkom - menden Widerklage muß daher ſo aufgefaßt werden, als ob zwei Prozeſſe geführt, und zwei Urtheile geſprochen worden wären, bei welchen dieſelben Perſonen, nur mit umgekehrten Parteirollen, auftreten. Der täuſchende Schein, als ob ein Kläger verurtheilt werde, rührt blos von dem an ſich zufälligen Umſtande her, daß in dieſem Fall beide Urtheile in eine einzige Urtheilsformel zuſammengefaßt werden.

Dieſes Verhältniß kann übrigens in den mannichfaltig - ſten Anwendungen vorkommen:

  • 1. Gegen eine perſönliche Klage kann ſowohl eine per - ſönliche Widerklage, als eine Widerklage in rem vor - kommen.
  • 2. Eben ſo gegen eine Klage in rem ſowohl eine perſön - liche Widerklage, als eine Widerklage in rem
    (n)Inwiefern die ausſchließende Natur eines forum rei sitae,
    (n).
VI. 22338Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es ergiebt ſich aus dieſer Unterſuchung, daß weder die duplex actio, noch die Widerklage einen Grund darbietet, die aufgeſtellte Regel von der unmöglichen Verurtheilung des Klägers (§ 288) in Zweifel zu ziehen.

Es kommen jedoch einige beſondere Anwendungen vor, in welchen es bezweifelt werden kann, ob die hier aufge - ſtellten Grundſätze in unſren Rechtsquellen ſtreng feſtge - halten worden ſind, und ob wir damit völlig ausreichen, ohne ihnen einige mildernde Modificationen beizufügen. Dieſe ſollen nunmehr einzeln geprüft werden.

§. 290. Rechtskraft. I. Bedingungen. B. Inhalt des Urtheils als Grundlage der Rechtskraft. Nicht: Verurtheilung des Klägers. (Fortſetzung.)

I. Große Zweifel hat von jeher eine Verordnung Ju - ſtinian’s vom J. 530. erregt, die auf den erſten Blick ſo aufgefaßt werden kann, als ſollte dem Richter in allen Fällen geſtattet ſeyn, auch den Kläger, wenn er ihn ſchul - dig finde, zu verurtheilen. Bevor der Text dieſer Stelle mitgetheilt und im Einzelnen erklärt wird, ſcheint mir fol - gende Einleitung nöthig.

Juſtinian geht aus von einem Ausſpruch des Papi -(n)wenigſtens bei Grundſtücken, hierin eine Ausnahme begründet, die nach R. R. nicht anzunehmen, nach der gemeinrechtlichen Praxis ſehr be - ſtritten iſt, gehört als reine Prozeß - frage nicht in den Kreis unſrer Unterſuchung. Vgl. hierüber Glück B. 6 § 515. Linde Lehrbuch § 88. 90. Heffter Archiv für civil. Praxis B. 10. S. 215.339§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)nian, der einen neuen Rechtsſatz aufgeſtellt zu haben ſcheint. Dieſer Rechtsſatz wird von dem Kaiſer nicht nur beſtätigt, ſondern auch für die Anwendung erweitert; worin dieſe Erweiterung beſteht, iſt klar genug angegeben. In der Hauptſache haben wir daher mit einem Ausſpruch von Papinian zu thun, der uns nicht wörtlich mitgetheilt iſt, und den wir alſo aus dem ſonſt bekannten Recht ſeiner Zeit zu erläutern und zu ergänzen haben werden, allerdings mit Rückſicht darauf, daß er wahrſcheinlich das beſtehende Recht frei behandeln und fortbilden wollte.

Augenſcheinlich iſt das allgemeine Verhältniß voraus - geſetzt, welches bei jeder Widerklage zum Grunde liegt; ſonſt könnte ja nicht von Verpflichtungen des Klägers und von einer Verurtheilung deſſelben die Rede ſeyn. Es wird aber nicht geſagt, daß der Beklagte eine Widerklage aus - drücklich angeſtellt habe; vielmehr ſcheint die Stelle voraus zu ſetzen, daß erſt im Laufe des Rechtsſtreits eine über - ſchießende Verpflichtung des Klägers klar geworden ſey.

Faſſen wir dieſe Umſtände zuſammen, ſo ergiebt ſich der folgende wahrſcheinliche Zuſammenhang. Papinian ſetzt nothwendig voraus den Fall von gegenſeitigen An - ſprüchen aus Obligationen, und zwar aus ſolchen Obligationen, die ihren gemeinſamen Urſprung in einem bonae fidei Contracte haben; denn ohne dieſe Vorausſetzung war zu ſeiner Zeit, und ſo lange der Formularprozeß be - ſtand, ſelbſt eine ausdrückliche Widerklage ganz unmöglich (§ 289). Er denkt alſo nothwendig an gegenſeitige An -22*340Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſprüche ex eadem causa, ex eodem negotio, und dieſe Vorausſetzung erhält eine nicht geringe Beſtätigung durch die Schlußworte: eum habere et contra se judicem in eo - dem negotio, non dedignetur(a)Ich betrachte alſo dieſe Worte als bedeutend nur in Verbindung mit den angeführten übrigen Grün - den, und beſtreite nicht, daß ſie für ſich allein auch ſo verſtanden werden könnten: in demſelben Prozeſſe. Dieſe letzte Erklärung vertheidigt ausführlich Sartorius Wider - klage S. 319. 323 329..

War nun in einem ſolchen Fall die Widerklage gleich bei der Litisconteſtation angebracht, und in Folge derſelben die Formel gegeben: quidquid alterum alteri dare facere oportet (§ 289), ſo verſtand ſich ſchon lange vor Papi - nian die Befugniß des Richters zur Verurtheilung des urſprünglichen Klägers (der zugleich Widerbeklagter war) ſo ſehr von ſelbſt, daß unmöglich die Anerkennung dieſer Befugniß als ein beſonderer und neuer Gedanke Papi - nian’s angeſehen werden konnte.

Wenn dagegen Anfangs der Beklagte annahm, ſeine Gegenforderung werde der Hauptforderung nicht gleichkom - men, in welchem Fall die Einrede der Compenſation aus - reichte, wenn er deswegen jene Formel zu begehren ver - ſäumte, und erſt während des Prozeſſes einſah, daß er mehr, als ſein Gegner, zu fordern habe, dann konnte noch zur Zeit des Gajus eine Verurtheilung des urſprüng - lichen Klägers nicht erfolgen, vielmehr mußte deshalb eine neue Klage angeſtellt werden. Papinian’s neue Mei - nung ſcheint nun dahin gegangen zu ſeyn, auch in dieſem341§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)Fall die Verurtheilung des erſten Klägers zu geſtatten, alſo eine ſtillſchweigende Widerklage anzunehmen(b)Vgl. § 289 Note h, wo die entgegengeſetzte Anſicht des Gajus ausführlich erörtert iſt., vorausgeſetzt, daß ohnehin der Magiſtratus, der den Judex gegeben hatte, für beide Parteien competent war.

Juſtinian beſtätigte dieſen Ausſpruch, und erweiterte ihn noch dahin, daß Daſſelbe gelten ſollte, auch wenn der Richter für den erſten Kläger urſprünglich nicht competent war, ſondern erſt durch die (ſtillſchweigende) Widerklage competent wurde.

Die Stelle ſelbſt, deren Erklärung einſtweilen voraus - geſchickt worden iſt, lautet nun ſo: L. 14 C. de sent. et interl. (7. 45). Imp. Justinianus A. Demostheni P. P. Cum Papinianus, summi ingenii vir, in quaestionibus suis rite disposuerit, non solum judicem de absolu - tione rei judicare(c)judicare iſt durch Hand - ſchriften und alte Ausgaben be - glaubigt und nach dem Zuſam - menhang allein möglich. Der Text der Göttinger Ausgabe hat noch die ſinnloſe Leſeart judicatae. , sed et ipsum actorem, si e contrario obnoxius fuerit inventus(d)d. h. Wenn ſich nun im Lauf der Verhandlungen ergiebt, daß der Beklagte aus dieſem Ge - ſchäft Gegenforderungen hat, und zwar ſolche, die den Betrag der Hauptforderung überſteigen. Dieſe zufällige Wahrnehmung war bei Gegenforderungen aus demſelben Geſchäft, die bei der L. C. und in der Formel gar noch nicht erwähnt zu ſeyn brauchten, ſehr wohl mög - lich, bei fremdartigen Gegenforde - rungen nicht. Waren aber dieſe ſchon Anfangs vorgebracht, ſo hat - ten ſie die Natur einer ausdrück - lichen Widerklage, an deren Zu - läſſigkeit für alle Fälle, wenigſtens in Juſtinian’s Zeit, ohnehin nicht zu zweifeln war., condemnare:342Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.hujusmodi sententiam non solum roborandam(e)Wenn Juſtinian hier ſagt, daß er vor Allem den Ausſpruch des Papinian beſtätige, ſo folgt daraus, daß er gerade von dem Fall ſprechen will, der allein dem Papi - nian vor Augen ſtehen konnte., sed etiam augendam esse sancimus(f)Dieſe Erweiterung könnte an ſich auf zweierlei Weiſe gedacht werden: als Anwendung auf andere Fälle, oder als Anwendung unab - hängig von der richterlichen Com - petenz. Die Fälle erwähnt der folgende Theil der Stelle gar nicht, die Unabhängigkeit von der Com - petenz wird dagegen ausgeſprochen; daher kann in dieſer allein die neue Erweiterung enthalten ſeyn, wor - aus zugleich folgt, daß Papinian gerade hierin ſo weit nicht gehen wollte., ut liceat judici, vel contra actorem ferre sententiam, et aliquid eum daturum vel facturum pronuntiare(g)An ſich geht jede Verurthei - lung auf ein dare oder facere nach der allgemeinen Bedeutung dieſer Worte. Erwägt man aber, daß im Formularprozeß dare fa - cere oportere der charakteriſtiſche Inhalt der intentio bei den per - ſönlichen Klagen war, und zugleich, daß der Geſetzgeber eine Stelle des Papinian vor Augen hatte, worin gewiß dieſe Worte in ihrem ächten, techniſchen Sinn gebraucht waren, ſo liegt in dieſen Worten eine Beſtätigung meiner Voraus - ſetzung, daß in der ganzen Stelle vor Allem nur von gegenſeitigen Obligationen die Rede iſt., nulla ei oppo - nenda exceptione, quod non competens judex agentis esse cognoscatur(h)In dieſen Worten liegt nun die neue Vorſchrift von Juſtinian, ſie erklären alſo die vorhergehenden Worte: sed etiam augendam esse. . Cujus enim in agendo obser - vat arbitrium, eum habere et contra se judicem in eodem negotio(i)Vgl. über dieſe Worte die Note a. , non dedignetur. 530.

Die hier verſuchte Erklärung der ſtreitigen Verordnung ſtimmt in ihrem Reſultat mit den Anſichten der meiſten älteren, und auch mehrerer neuerer Schriftſteller(k)Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 312. 313. Heffter Ar - chiv für civil. Praxis B. 10 S. 212. 213. überein;343§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)Andere dagegen behaupten in größter Ausdehnung, daß nach dieſer Stelle ſtets der Kläger verurtheilt werden könne, auch wenn die beiderſeitigen Anſprüche nicht durch einen ge - meinſamen Entſtehungsgrund in Verbindung ſtehen ſollten(l)Sartorius Widerklage S. 43 59. 319. 323 329. Ob - gleich derſelbe in der Erklärung der hier beſprochenen Geſetzſtelle völlig von mir abweicht, ſo kann ich ihn doch im letzten Reſultat nicht eigentlich als Gegner aner - kennen. Er behauptet nämlich, wenn ich ihn recht verſtehe, die unbeſchränkte Anwendung einer ausdrücklich vorgebrachten Wider - klage, und damit bin ich für die Zeit von Juſtinian, wie für den heutigen Prozeß, völlig einver - ſtanden. Ich halte ſeine Anſicht nur darin für irrig, daß er hierauf die Stelle L. 14 C. de sent. bezieht, die ich von einer ſtillſchweigenden, jedoch nur in ſehr beſchränkter Weiſe zu - zulaſſenden, Widerklage verſtehe..

Ich faſſe das Reſultat dieſer Erklärung kurz zuſammen. Die unbeſchränkte Ausdehnung, in welcher überhaupt Wider - klagen ausdrücklich vorgebracht werden können, iſt ſchon oben anerkannt worden (§ 289), und wird in der vorlie - genden Verordnung nicht berührt. Dieſelbe nimmt aber auch eine ſtillſchweigende Widerklage, mit möglicher Verurtheilung des Klägers, an, wenn ſich deſſen höhere Gegenanſprüche erſt im Laufe des Rechtsſtreits ergeben; Dieſes jedoch nur in den Fällen, worin die Gegenanſprüche auf demſelben Rechtsgeſchäft, wie die Hauptklage, beruhen.

Es fragt ſich nun, ob dieſe eigenthümliche Beſtimmung auch für das heutige Prozeßrecht anzuerkennen iſt. Ich glaube, Dieſes beſtimmt verneinen zu müſſen, und zwar nach der Analogie der von dem jüngſten Reichsabſchied gegebenen ſtrengen Vorſchrift über die Einreden. Denn wenn ſchon die Einreden, die nicht bei der erſten Einlaſſung344Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vorgebracht werden, für dieſe Inſtanz verloren ſeyn ſollen, ſo muß Dieſes um ſo mehr für eine Widerklage gelten, die der Beklagte als Widerklage bei der erſten Einlaſſung vorzubringen unterläßt. Wenngleich vielleicht der Grund, woraus ſpäterhin die Widerklage abgeleitet werden ſoll, zum Zweck einer Exception wirklich vorgebracht worden iſt, ſo iſt es doch für die Ordnung des Prozeſſes und für das Vertheidigungsſyſtem des Klägers von großer Wichtigkeit, daß der Beklagte die Abſicht einer Widerklage, wenn er dieſe gebrauchen will, gleich Anfangs beſtimmt ausſpreche.

Die Richtigkeit dieſer Behauptung wird auch durch einen weit älteren Ausſpruch des canoniſchen Rechts beſtä - tigt. Wenn nämlich gegen irgend eine Klage die Einwen - dung einer Spoliation vorgebracht wird, ſo kann Dieſes in einem zweifachen Sinn geſchehen: als bloße Einrede und als Widerklage. Nun verordnet P. Innocenz III., daß im erſten Fall höchſtens die Klage ausgeſchloſſen ſeyn, im zweiten auch der Kläger verurtheilt werden könne(m)C. 2 X. de ord. cogn. (2. 10).. Darin liegt die deutlich ausgeſprochene Vorſchrift, daß eine von dem Beklagten vorgebrachte Thatſache nicht hinterher zum Zweck einer Widerklage verwendet werden könne, daß ſie vielmehr, um als Widerklage zu wirken, gleich Anfangs zu dieſem Zweck aufgeſtellt werden müſſe.

Nach dem hier aufgeſtellten Reſultat verſchwindet auch jeder Schein eines Zweifels, der aus der hier erörterten345§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)Verordnung Juſtinian’s gegen die Allgemeinheit der Regel hergeleitet werden könnte, nach welcher der Kläger als ſolcher niemals ſoll verurtheilt werden können(n)Vgl. den Schluß des § 288..

II. Von der Eigenthumsklage iſt oben (§ 288) nach - gewieſen worden, daß ſie nur zu einem zweifachen Ausgang führen kann: zur Verurtheilung des Beklagten, d. h. zur Anerkennung des Eigenthums in der Perſon des Klägers; zur Freiſprechung des Beklagten, welche zwar nicht immer, aber doch in den meiſten Fällen, den Ausſpruch, daß der Kläger nicht Eigenthümer ſey, in ſich ſchließen wird. Ein dritter Fall, nämlich die unmittelbar ausgeſprochene Aner - kennung des Eigenthums in der Perſon des Beklagten, alſo die Verurtheilung des Klägers, iſt ſelbſt dann nicht[zuläſſig], wenn der Beklagte den Richter von ſeinem Eigen - thum wirklich überzeugt, und eben dadurch die Abweiſung des Klägers bewirkt hat.

Dieſer letzte Satz, in ſo nothwendigem Zuſammenhang er mit der ganzen Reihe der hier aufgeſtellten Rechtsregeln ſteht, kann jedoch nach Umſtänden ſehr unbillige Folgen und eine Gefährdung des wirklichen Rechts hervorrufen. Wenn es dem Beklagten gelingt, jetzt den vollſtändigſten Beweis ſeines Eigenthums zu führen, ſo können doch dieſe Beweiſe ſpäterhin verloren gehen, die Zeugen insbeſondere können ſterben. Kommt nun in irgend einer ſpäteren Zeit346Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Beſitz der Sache durch Zufall an den gegenwärtig abgewieſenen Kläger, ſo würde es für den Beklagten von großem Werth ſeyn, wenn er, oder ſein Erbe, ſich alsdann auf ein rechtskräftig ausgeſprochenes Anerkenntniß des Ei - genthums ſtützen könnte, da ein ſolches nach verlornen Beweiſen vielleicht nicht mehr zu erlangen ſeyn würde. Es fragt ſich, wie dieſer an ſich gerechte und billige Zweck etwa erreicht werden könnte.

Man möchte vielleicht glauben, der Beklagte könnte mit ſeiner Vertheidigung gegen die Eigenthumsklage des Klä - gers eine umgekehrte Eigenthumsklage (als Widerklage) anſtellen, die dann eine Verurtheilung ſeines Gegners zur Folge haben würde. Dieſes iſt jedoch deswegen unmöglich, weil er Beſitzer iſt, die Eigenthumsklage aber nur von dem Nichtbeſitzer gegen den Beſitzer angeſtellt werden kann(o)§ 2 J. de act. (4. 6 ), L. 9 de rei vind. (6. 1)..

Dagegen liegt die wahre und conſequente Befriedigung jenes praktiſchen Bedürfniſſes in der Rechtskraft der Gründe des Urtheils, die weiter unten (§ 291) nachgewieſen werden wird. Wenn nämlich in dem oben vorausgeſetzten Fall der Beklagte die Abweiſung der Eigenthumsklage dadurch zu bewirken ſucht, daß er ſein Eigenthum behauptet, wenn über dieſe Behauptung verhandelt, der Richter aber von der Richtigkeit derſelben überzeugt, und durch dieſen Grund zur Freiſprechung beſtimmt wird, ſo bleibt es zwar auch dann der Form nach bei einer bloßen Freiſprechung, die347§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)nicht die Geſtalt einer Verurtheilung des Klägers anneh - men kann. Da aber die Gründe des Urtheils rechtskräftig werden, ſo wird durch die Rechtskraft dieſes Grundes der Freiſprechung dem gegenwärtigen Beklagten für jeden künf - tigen Rechtsſtreit, auch wenn er darin als Kläger auftreten ſollte, derſelbe praktiſche Vortheil verſchafft, wie wenn er jetzt eine Verurtheilung ſeines Gegners bewirkt hätte.

III. Auf die Erbrechtsklage iſt alles Dasjenige anwend - bar, welches ſo eben für die Eigenthumsklage bemerkt worden iſt. Wenn alſo der Inteſtaterbe die Erbrechtsklage gegen den Beſitzer der Erbſchaft anſtellt der aus einem Teſtament Erbe zu ſeyn behauptet, wenn der Richter die Gültigkeit des Teſtaments anerkennt, und aus dieſem Grunde den Beklagten freiſpricht, ſo wird dieſer Grund rechtskräftig, und der Freigeſprochene kann davon in jedem künftigen Rechtsſtreite auch als Kläger Gebrauch machen.

Außerdem aber kann bei der Erbrechtsklage auch noch ein Fall eintreten, welcher bei der Eigenthumsklage nicht möglich iſt. Es kann hier die Lage des Rechtsſtreits dahin führen, daß für die poſitive Anerkennung des dem Beklag - ten zuſtehenden Rechts nicht blos indirect (durch die Rechts - kraft der Urtheilsgründe), ſondern unmittelbar durch den richterlichen Ausſpruch ſelbſt vollſtändig geſorgt wird. Wenn nämlich zwei Perſonen auf die ganze Erbſchaft Anſpruch machen, und jede derſelben einzelne Erbſchafts - ſachen beſitzt, ſo kann Jeder gegen den Andern die Erb -348Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſchaftsklage auf das Ganze anſtellen, und in Folge dieſer Klage als Erbe des ganzen Vermögens in dem Urtheil anerkannt werden, wodurch ihm dieſes Erbrecht für alle Zukunft rechtskräftig feſtgeſtellt iſt(p)L. 15 de exc. r. j. (44. 2). Vgl. oben § 288. a. .

Dieſes kann unter andern auf die Weiſe geſchehen, daß zuerſt der Eine die Klage anſtellt, und dann der Andere die gleichnamige Klage als Widerklage vorbringt. In die - ſem Fall kann das Urtheil entweder dem Kläger, oder dem Widerkläger das ganze Erbrecht zuſprechen, es kann aber auch Beide mit ihren Klagen abweiſen. So iſt alſo hier, vermittelſt der Widerklage, ein Urtheil möglich, das in dem urſprünglichen Beklagten das Erbrecht geradezu poſitiv an - erkennt, welche Möglichkeit oben bei der Eigenthumsklage verneint werden mußte(q)Man könnte glauben, der - ſelbe Fall könnte eintreten, wenn Gajus ein abgegränztes Stück eines Landguts beſäße, Sejus den abgegränzten übrigen Theil des Landguts, Jeder aber Eigenthum des Ganzen behauptete. Hier kann jedoch Jeder gegen den Andern die Eigen - thumsklage nur auf das von ihm ſelbſt nicht beſeſſene Stück anſtellen, und das Urtheil entſcheidet blos über das Eigenthum an dieſem Stück, ſo daß alſo zwei von ein - ander unabhängige Urtheile ge - ſprochen werden, jedes über einen anderen Gegenſtand. Ganz eben ſo verhält es ſich, wenn Jeder die ideale Hälfte des Landguts beſitzt. Nun hat Jeder eine partis vin - dicatio, und es werden wieder zwei unabhängige Urtheile über juriſtiſch verſchiedene Gegenſtände geſprochen. In beiden Fällen macht es auch keinen Unterſchied, wenn etwa beide Klagen als Klage und Widerklage verbunden ſeyn ſollten..

Der Grund dieſes Unterſchieds zwiſchen beiden Klagen liegt darin, daß das Erbrecht nur an dem ganzen Vermö - gen oder an einem aliquoten Theil des Vermögens vor -349§. 290. Inhalt. Verurtheilung des Klägers? (Fortſ.)kommen kann, die Erbrechtsklage aber, und zwar auf das ganze Vermögen, auch ſchon durch den Beſitz eines einzel - nen Vermögensſtücks in der Perſon des Beklagten begründet wird, vorausgeſetzt, daß der Beklagte pro herede oder pro possessore beſitzt.

IV. Die Negatorienklage verdient hier noch eine beſondere Erwägung. Bekanntlich hat dieſe Klage die eigenthümliche Natur, daß der Beklagte nur, indem er den Beweis der Servitut führt, die Abweiſung des Klägers bewirken kann. Wollten wir nun den Grundſatz einer blos negativen Wirkung der Freiſprechung auch hier ſtreng an - wenden, ſo müßte der Beklagte aus dem abweiſenden Ur - theil keine poſitive Anerkennung ſeiner Servitut ableiten können. Wenn er alſo ſpäter aus dem Beſitz der Servitut käme, und deshalb confeſſoriſch klagte, ſo müßte er von Neuem den Beweis führen, ohne ſich auf das frühere rechtskräftige Urtheil berufen zu können. Das wäre in dieſem Fall beſonders hart, da er in dem früheren Prozeß den Beweis der Servitut nicht willkührlich übernommen hat (wie es auch bei der Eigenthumsklage geſchehen kann), ſondern weil er ihn nach allgemeinen Rechtsregeln über - nehmen mußte.

Hier iſt nun dem Beklagten auf dieſelbe indirecte Weiſe, wie bei den beiden vorher erwähnten Klagen, zu helfen, durch die Rechtskraft der Gründe. Außerdem aber kann er ſich auch eine unmittelbare Anerkennung ſeines Rechts durch350Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den richterlichen Ausſpruch ſelbſt verſchaffen, und zwar nicht blos, wie es ſo eben bei der Erbrechtsklage nachge - wieſen worden iſt, in Folge einer zufälligen Lage des Rechtsſtreits, ſondern in allen Fällen überhaupt. Er kann nämlich gleich im Anfang des Rechtsſtreits die confeſſo - riſche Klage als Widerklage vorbringen. Dann muß der Richter, der ſich von dem Daſeyn der Servitut überzeugt, den Kläger (als Widerbeklagten) zur Anerkennung der Servitut verurtheilen.

Sogar kann dieſe günſtige Stellung des Beklagten in der Negatorienklage ſchon aus der Römiſchen Formel der Negatorienklage gerechtfertigt werden. Dieſe lautet ſo: Si paret, Negidio jus non esse etc. Weiſet nun der Rich - ter dieſe Klage ab, ſo ſpricht er aus: Non videtur Negi - dio jus non esse etc. Dieſes iſt aber völlig gleichbedeu - tend mit dem Ausſpruch: Negidio jus esse etc.

§. 291. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe.

Die bisher durchgeführte Unterſuchung über den Inhalt des Urtheils (die Verurtheilung und Freiſprechung) bildet zwar die ſichere und unentbehrliche Grundlage für die Lehre von der Rechtskraft, iſt aber dafür keinesweges aus - reichend; vielmehr iſt es nöthig, nun noch auf genauere Beſtimmungen des Inhalts einzugehen, weil nur auf351§. 291. Rechtskraft der Gründe.dieſem Wege eine erſchöpfende Einſicht in das Weſen der Rechtskraft gewonnen werden kann.

Seit alter Zeit kehrt bei vielen Schriftſtellern der Satz wieder: die Rechtskraft beziehe ſich nur auf das Urtheil ſelbſt, nicht auf die Urtheilsgründe, und man ſucht dieſen Satz noch ſchärfer durch den Ausdruck zu bezeichnen, daß nur der Tenor oder das Dispoſitive im Urtheil rechtskräftig werde.

Bevor die unklaren Begriffe und die Mißverſtändniſſe dargelegt werden, in welchen die Vertheidiger dieſes Satzes befangen zu ſeyn pflegen, iſt es nöthig, auf eine zweifache Beziehung aufmerkſam zu machen, die in dieſem Satz (wie viel oder wenig Wahrheit er in ſich ſchließen möge) aner - kannt werden muß. Die erſte, durch den Ausdruck der Rechtskraft ſelbſt unmittelbar angedeutete Beziehung iſt die auf die Zukunft, indem jener Satz zunächſt den Sinn hat, daß aus den Gründen keine Fiction der Wahrheit abge - leitet werden dürfe. Die zweite, damit zuſammenhangende, obgleich an ſich verſchiedene Beziehung iſt die auf den gegenwärtigen Rechtsſtreit ſelbſt, indem jener Satz dahin führt, daß gegen die Urtheilsgründe (eben weil ſie ohnehin nicht rechtskräftig werden) ein Rechtsmittel nicht nöthig, ja nicht einmal zuläſſig, alſo auch der Richter höherer In - ſtanz darüber nicht competent ſey. In dieſer zweiten Be - ziehung alſo kann man ſagen: So weit, als der Inhalt des Urtheils rechtskräftig wird, iſt es möglich und nöthig, dieſe Rechtskraft durch Berufung an den höheren Richter352Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zu hindern. Was daher in Folge der gegenwärtigen Unter - ſuchung über die Rechtskraft der Gründe als wahr erkannt werden wird, muß eben ſo auch auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer Berufung gegen die Gründe bezogen werden.

In dem Satz ſelbſt aber, deſſen Wahrheit nunmehr zu prüfen iſt, werden zwei an ſich ganz verſchiedene Behaup - tungen häufig zuſammengeworfen, deren wahre Bedeutung ſich auf folgende zwei Fragen zurückführen läßt.

I. Was iſt in dem Gedanken des urtheilenden Richters wahrhaft enthalten, was wird alſo durch den Ausſpruch dieſes Gedankens zur Rechtskraft, d. h. zur Fiction der Wahrheit erhoben?

Der Zuſammenhang der ſo gefaßten Frage mit dem oben aufgeſtellten Satze wird durch folgende Erläuterung anſchaulich werden. Wenn in dem vollſtändigen Gedanken des Richters das logiſche Verhältniß von Grund und Folge enthalten iſt (und Dieſes wird ſich meiſtens darin finden), müſſen wir dann auch einem ſolchen Grunde die Rechts - kraft zuſchreiben, oder vielmehr nur dem aus dieſem Grunde abgeleiteten Ausſpruch ſelbſt?

II. Aus welchen Quellen haben wir den wahrhaften Inhalt des richterlichen Gedankens zu erkennen? wo haben wir denſelben aufzuſuchen?

Um den Zuſammenhang dieſer zweiten Frage mit dem oben aufgeſtellten Satze anſchaulich zu machen, muß daran erinnert werden, daß es ſeit Jahrhunderten in vielen353§. 291. Rechtskraft der Gründe.Gerichtshöfen üblich iſt, neben jedem ausgeſprochenen Ur - theil eine ausführliche Rechtfertigung deſſelben aufzuſtellen, die den Namen führt: Urtheilsgründe, oder auch: Zweifels - und Entſcheidungsgründe. Der Sinn der eben aufgeworfenen zweiten Frage geht alſo dahin, ob wir Dasjenige, welches rechtskräftig werden ſoll, blos in dem einen jener zwei Schriftſtücke (dem Tenor) aufzuſuchen haben, oder in beiden; mit anderen Worten: ob auch die Urtheilsgründe rechtskräftig werden.

Es iſt einleuchtend, daß beide aufgeſtellte Fragen an ſich ganz verſchieden ſind, und daß in beiden der Ausdruck: Gründe, nach deren Rechtskraft man fragt, eine verſchie - dene Bedeutung hat. Die erſte Frage geht in das Weſen der Sache ein, und muß unter allen Umſtänden beantwor - tet werden. Die zweite Frage hat eine mehr formelle Natur, und kann nur vorkommen unter Vorausſetzung einer beſondern Einrichtung der geſchriebenen Urtheile, die ganz zufällig, und nichts weniger als allgemein iſt. Der Verſchiedenheit dieſer beiden Fragen aber pflegen ſich die Schriftſteller oft gar nicht bewußt zu werden, welche die Rechtskraft der Gründe in Frage ſtellen, verneinen oder bejahen; ſie verfahren dabei ſo, als wäre in dieſer ganzen Sache nur eine einzige Frage zu beantworten. Allerdings beſchäftigen ſie ſich meiſt ſcheinbar nur mit der zweiten Frage, aber dieſe hat ſelbſt nur Werth und Wichtigkeit, inſofern die erſte Frage unvermerkt in dieſelbe hinein ſpielt.

VI. 23354Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ich will nunmehr die Beantwortung der erſten Frage verſuchen, die ich nochmals ſo ausdrücke: Was iſt es, das durch den Ausſpruch des richter - lichen Gedankens zur Rechtskraft erhoben wird?

Ich will damit anfangen, mich verſuchsweiſe auf die Seite Derer zu ſtellen, die alle Rechtskraft der Gründe völlig verneinen, und alſo durch die äußerſte Abſtraction aus dem Urtheil jeden Schein eines ausgeſprochenen Grundes zu entfernen ſuchen.

Hiernach würde etwa die Verurtheilung ſo lauten können: daß der Beklagte dem Kläger eine beſtimmte Sache heraus zu geben, eine beſtimmte Geldſumme zu zahlen ſchuldig ſey(a)Schon wenn die Verur - theilung ſo lautet: daß Beklagter die geliehene Summe von Hun - dert zurück zu zahlen ſchuldig, iſt ein Grund der Entſcheidung (die Darlehns-Obligation) in dem Ur - theil ausgedrückt.;

Die Freiſprechung aber ſo: daß Kläger mit der erhobenen Klage abzuweiſen ſey.

In dieſen beiden Formeln dürfte wohl jede Spur eines Grundes vertilgt ſeyn.

Wenn aber überhaupt die Rechtskraft anerkannt werden ſoll, ſo wie oben ihre Unentbehrlichkeit dargethan worden iſt, muß ich die in jener Abſtraction liegende Einſchränkung für völlig unausführbar und verwerflich halten.

Dieſes ſoll nunmehr nach zwei Seiten hin dargethan werden:

355§. 291. Rechtskraft der Gründe.
  • Erſtlich mit Hinſicht auf die künftige Wirkung der Rechtskraft;
  • Zweitens mit Hinſicht auf die Natur des Rechtsſtreits und die Aufgabe des Richteramtes.

Was zuerſt die künftige Wirkung der Rechtskraft betrifft, ſo beſteht dieſe darin, daß der Inhalt des rechtskräftigen Urtheils als wahr behandelt werden ſoll in jedem künf - tigen Rechtsſtreit, in welchem dieſelbe Rechtsfrage, wie in dem gegenwärtigen Urtheil, vorkommt, der alſo mit dem jetzt entſchiedenen Rechtsſtreit hierin identiſch iſt(b)Der hier aufgeſtellte Satz mußte einſtweilen aus der ſpäter folgenden Darſtellung erborgt wer - den, worin er erſt volles Licht und Begründung erhalten kann.. Daß aber dieſe Identität, worauf alle Anwendung der Rechtskraft beruht, durch jene abſtracte Einſchränkung völlig unerkennbar wird, geht aus folgender Betrachtung hervor.

Die Bedingungen jeder Verurtheilung, ſo wie jeder Freiſprechung, können eine ſehr zuſammengeſetzte Natur haben.

Bei der Eigenthumsklage ſind ſtets die poſitiven Be - dingungen des Klagrechts: 1. Eigenthum des Klägers, 2. Beſitz des Beklagten. Es können ferner mancherlei Einreden entgegengeſetzt ſeyn, z. B. a. aus einem Vergleich über dieſen Rechtsſtreit, b. aus einem Vertrag über dieſe23*356Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sache (etwa Miethcontract), c. die exceptio hypo - thecaria.

Bei der Erbrechtsklage hat das Klagrecht folgende Bedingungen: 1. Erbrecht des Klägers, 2. Beſitz des Be - klagten an beſtimmten Sachen, und zwar mit der beſon - deren Beſchaffenheit einer pro herede oder pro possessore possessio, 3. Eigenſchaft der beſeſſenen Sachen als Beſtandtheile der Erbſchaft. Es können ihr mancherlei Einreden entgegen ſtehen, z. B. a. Klagverjährung, b. Vergleich.

Eine perſönliche Klage ſetzt ſtets als Bedingung des Klagrechts voraus die Begründung der Obligation. Es kann ihr unter andern entgegen geſetzt werden die Einrede der Compenſation; desgleichen die Einrede der Zahlung.

Bei allen dieſen Klagen nun gehört zur Verurtheilung die Überzeugung des Richters von der Richtigkeit aller Bedingungen des Klagrechts, und zugleich von der Unrich - tigkeit aller etwa vorgebrachten Einreden.

Zur Freiſprechung dagegen genügt die Überzeugung von der Unrichtigkeit einer einzigen Bedingung des Klag - rechts; eben ſo aber auch die Überzeugung von der Rich - tigkeit auch nur einer einzigen Einrede. Es bleibt alſo bei der oben angegebenen abſtracten Formel der Freiſprechung, die ſich auf die Abweiſung des Klägers beſchränkt, völlig unge - wiß, was der Richter dabei gedacht hat. Er kann (in dem beiſpielsweiſe angeführten Fall der Eigenthumsklage) angenommen haben, das Eigenthum, oder der Beſitz ſey nicht357§. 291. Rechtskraft der Gründe.vorhanden; oder aber, der Vergleich, oder der Mieth - vertrag, oder das Pfandrecht ſey vorhanden. Er kann ferner ein einziges unter dieſen fünf denkbaren Hinder - niſſen des Klägers als wahr angenommen haben, oder einige derſelben, oder alle. Jede dieſer Möglichkeiten recht - fertigt das freiſprechende Urtheil vollkommen. Daher iſt es unmöglich, bei einem künftigen verwandten Rechtsſtreit von der Rechtskraft jenes Urtheils Gebrauch zu machen, ſo lange wir Nichts wiſſen, als daß damals der Kläger abgewieſen worden iſt. Jede vom Richter ausgeſprochene Verneinung nämlich wird rechtskräftig; um aber dieſen Satz anwenden zu können, müſſen wir vor Allem wiſſen, was er verneint hat. Wir müſſen alſo durchaus tiefer in den Sinn jenes Urtheils eindringen, ſonſt iſt künftig jede ſichere Anwendung der Rechtskraft ganz unmöglich.

Bei dem verurtheilenden Erkenntniß findet ſich, wenn auch in geringerem Grade, dennoch dieſelbe Schwie - rigkeit. Die Ungewißheit iſt dabei geringer, weil wir beſtimmt wiſſen, daß der Richter alle Bedingungen der Klage als vorhanden, alle Einreden als unbegründet angeſehen haben muß(c)Überhaupt iſt die Benutzung einer rechtskräftigen Verurtheilung bei künftigen Prozeſſen ungleich ſeltner, als die der Freiſprechung, wie denn auch die actio judicati praktiſch unwichtiger nnd von ſelt - nerer Anwendung iſt, als die ex - ceptio rei judicatae. . Aber auch hier kommen Unge - wißheiten vor, die durch den bloßen Ausſpruch der Verur - theilung nicht gehoben werden können. Wenn z. B. bei einer perſönlichen Klage verurtheilt wird mit Verwerfung358Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Einrede der Compenſation, ſo kann Dieſes geſchehen ſeyn entweder, weil der Richter überzeugt war, die auf - geſtellte Gegenforderung ſey nicht vorhanden, oder, weil er ſie nur für illiquid und deshalb für untauglich zur Compenſation hielt. Welcher unter dieſen beiden Gedanken dem Richter vorſchwebte, läßt ſich der bloßen Verurthei - lung nicht anſehen, ſondern nur durch tieferes Eindringen in den Sinn des Urtheils erkennen; dennoch hängt gerade von dieſem Umſtand der Gebrauch dieſes rechtskräftigen Urtheils bei einem künftigen Rechtsſtreit lediglich ab(d)L. 7 § 1 de compens. (16. 2 ), L. 8 § 2 de neg. gestis (3. 5)..

Aus dieſen Erwägungen folgt, daß in der That die Rechtskraft auch die Gründe des Urtheils mit um - faßt, d. h. daß das Urtheil als rechtskräftig anzuſehen iſt nur in unzertrennlicher Verbindung mit den vom Richter bejahten oder verneinten Rechtsverhältniſſen, wovon der rein praktiſche Theil des Urtheils (die dem Beklagten auf - erlegte Handlung, oder die Abweiſung des Klägers) ab - hängig iſt. In dieſem Sinn des Ausdrucks: Gründe, behaupte ich die Rechtskraft derſelben. Um aber der Ge - fahr von Mißverſtändniſſen zu entgehen, die aus der Viel - deutigkeit jenes Ausdrucks entſteht, will ich die in dieſem Sinn aufgefaßten Gründe: Elemente der ſtreitigen Rechtsverhältniſſe und des (den Streit entſcheidenden) Urtheils, nennen, und nunmehr den aufgeſtellten Satz ſo ausdrücken:

Die Elemente des Urtheils werden rechtskräftig.

359§. 291. Rechtskraft der Gründe.

In dem oben angeführten Beiſpiel von der Eigenthums - klage wird alſo rechtskräftig: die Bejahung, oder Vernei - nung des Eigenthums, des Beſitzes; ferner des Vergleichs, des Miethvertrags, des Pfandrechts.

Zu dieſer Überzeugung ſind wir hier gelangt durch die Hinſicht auf die künftige Wirkung der Rechtskraft (S. 355); zu demſelben Ziel aber führt uns auch die Hinſicht auf die Natur des Rechtsſtreits und die Aufgabe des Richteramts.

Dieſe Aufgabe geht dahin, das ſtreitige Rechtsver - hältniß, ſobald es durch die Verhandlung ſpruchreif ge - worden iſt, feſtzuſtellen, und dieſer Feſtſtellung Wirkſam - keit zu ſichern Zu dieſer Wirkſamkeit aber gehört nicht blos die augenblickliche Abwehr äußerer Rechtsverletzung, ſondern auch die Sicherung durch die in alle Zukunft fort - wirkende Rechtskraft. Daß Dieſes geſchehe, dabei hat die obſiegende Partei ein augenſcheinliches Intereſſe; was aber mehr iſt, ſie hat darauf ein unzweifelhaftes Recht.

Der Richter alſo würde ſeiner Pflicht nicht genügen, wenn er blos für das Bedürfniß des nächſten Augen - blicks nothdürftig ſorgen, die Sicherung aber für alle Zu - kunft verſäumen wollte. Dieſe Sicherung begründet er nur dadurch, daß er die Elemente der Entſcheidung feſt - ſtellt, deren Rechtskraft hinfort bei jedem neuen Rechtsſtreit benutzt werden kann.

Rechtskräftig wird demnach Alles, was der Richter in Folge der ſpruchreif gewordenen Verhandlung entſcheiden360Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.will. Damit iſt aber nicht geſagt, daß der Richter alle, in dem Rechtsſtreit zur Sprache gekommenen Elemente wirk - lich entſcheiden muß, vielmehr iſt hierin ein freier Spiel - raum des Ermeſſens zuzulaſſen.

Wenn z. B. bei der Eigenthumsklage der Richter die Überzeugung gewonnen hat, daß dem Kläger das Eigen - thum nicht zuſteht, ſo muß er Dieſes verneinen. Be - hauptet zugleich der Beklagte, daß er nicht beſitze, und wird der Richter davon überzeugt, während der Beweis des Eigenthums weder geführt, noch mißlungen, vielmehr in ſeiner Fortſetzung weit ausſehend iſt, ſo kann der Richter den Kläger abweiſen, indem er den Beſitz des Be - klagten verneint, und das Eigenthum des Klägers unent - ſchieden läßt; eben ſo, wenn irgend eine Einrede bewieſen iſt, ehe über das Eigenthum entſchieden werden kann. Hierin das rechte Maaß zu halten, iſt die Aufgabe, die ſich ein verſtändiger Richter ſtellen ſoll, welcher auch die Wünſche der Parteien zu berückſichtigen nicht ver - ſäumen wird.

Suchen wir aber noch vollſtändiger in die Erwägungen des Richters einzudringen, wodurch er zu der rein prakti - ſchen Entſcheidung (Verurtheilung, oder Freiſprechung) gelangt, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß dieſe Erwä - gungen von zweierlei Art ſind.

Zunächſt gehören dahin die bereits erwähnten Elemente der Rechtsverhältniſſe, die, wenn ſie der Richter erkannt hat, ſelbſt integrirende Theile des Urtheils werden, und361§. 291. Rechtskraft der Gründe.daher an der Rechtskraft Theil nehmen. Die Über - zeugung von dieſen Elementen aber gewinnt der Richter durch Erwägungen ganz anderer Art: durch die ihm bei - wohnende Kenntniß der Rechtsregeln; durch die Beweis - mittel, welche ihn beſtimmen, die in dieſem Rechtsſtreit wichtigen Thatſachen für wahr, oder unwahr anzunehmen.

Demnach können wir in der ganzen Reihe von Ge - danken und Erwägungen, wodurch der Richter zum Ziel des Urtheils gelangt, zweierlei beſtimmende Gründe unter - ſcheiden: objective, die eigentlich Beſtandtheile des Rechtsverhältniſſes ſelbſt ſind, alſo Daſſelbe, wofür oben die Bezeichnung von Elementen gebraucht worden iſt; ſubjective, wodurch der Richter perſönlich bewogen wird, eine beſtimmte Überzeugung von jenen Elementen zu faſſen, ſie zu bejahen, oder zu verneinen. Nun aber müſſen wir ſogleich den Grundſatz hinzufügen: Die vom Richter angenommenen objectiven Gründe (die Elemente) werden rechtskräftig, die ſubjectiven Gründe werden nicht rechtskräftig(e)Es kommt nicht ſelten vor, daß in den beſonders abgefaßten Urtheilsgründen verwandte, aber in dieſem Rechtsſtreit nicht mit be - griffene Rechtsverhältniſſe herbei - gezogen werden, um des Richters Anſicht von den Rechtsregeln oder den Thatſachen anſchaulicher zu machen, und ſo die Überzeugung des Richters von den Elementen des vorliegenden Rechtsſtreits ſiche - rer zu rechtfertigen. Solche Er - wägungen gehören unter die ſub - jectiven Gründe und können nie rechtskräftig werden. In dieſem Sinn wird die Rechtskraft der Gründe mit Recht verneint von Böhmer, wie unten gezeigt wer - den wird (§ 293 f). So z. B., wenn in den Gründen eines Ur - theils über das Poſſeſſorium zu - gleich petitoriſche Erwägungen be - nutzt werden, um die Entſcheidung über den Beſitz plauſibler zu machen..

362Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Hier ſind wir aber auch auf dem Punkt angelangt, von welchem aus alle in dieſer Lehre vorkommende Mei - nungsverſchiedenheit und Verwirrung der Begriffe zu er - klären iſt. Wer die Rechtskraft der Gründe behauptet, hat Recht, wenn er dabei an die objectiven Gründe denkt; wer ſie verneint, hat Recht, wenn er dieſe Verneinung auf die ſubjectiven Gründe bezieht. Eine genaue Unterſcheidung dieſer beiden Arten von Gründen iſt bis jetzt ſtets vernach - läſſigt worden.

Damit jedoch die hier behauptete Rechtskraft der ob - jectiven Gründe in ihrem wahren Werth und Einfluß anerkannt werde, iſt es nöthig, auf den Begriff der objectiven Gründe noch etwas genauer einzugehen. Ich habe bisher als Beiſpiele derſelben hauptſächlich angeführt die Beſtandtheile des Klagegrundes, und die der Klage entgegen geſetzten Exceptionen, mit welchen die Repli - cationen und Duplicationen unzweifelhaft ganz gleiche Natur haben.

Daß nun die Bejahung, oder Verneinung gerade dieſer Stücke des Prozeſſes rechtskräftig für alle Zukunft ein - wirkt, ja daß eben hierin die häufigſte und darum wich - tigſte Wirkſamkeit der Rechtskraft der Gründe beſteht, ſoll nicht beſtritten werden. Allein es würde unrichtig ſeyn, und es würde die heilſame Wirkung der Rechtskraft will - kührlich verkümmern, wenn man die Rechtskraft der Gründe auf die hier genannten Fälle ſtreng beſchränken wollte. 363§. 291. Rechtskraft der Gründe.Vielmehr müſſen dahin auch ſolche Fälle gerechnet werden, die oben als unächte Exceptionen bezeichnet worden ſind, alſo namentlich die Fälle der relativen Verneinung, d. h. der abſoluten Vernichtung eines früher vorhandenen Rechts des Klägers (§ 225).

Wird daher einer perſönlichen Klage die Einrede der Compenſation entgegengeſetzt, welches eine wahre Ex - ception iſt, ſo wird allerdings die Zulaſſung, oder Verwer - fung dieſer Exception (alſo dieſer Grund der Freiſprechung, oder der Verurtheilung) rechtskräftig. Aber nicht minder wird rechtskräftig die Zulaſſung, oder Verwerfung der vom Beklagten vorgeſchützten Einrede der Zahlung, obgleich dieſe keine wahre Exception im Römiſchen Sinn des Wortes iſt. Genau ſo verhält es ſich auch mit der Eigen - thumsklage, wenn derſelben die fälſchlich ſogenannte exceptio recentioris dominii entgegengeſetzt wird, d. h. die Behauptung des Beklagten, daß das früher wirklich vor - handene Eigenthum des Klägers durch ein ſpäteres Ereig - niß verloren worden ſey. Auch in dieſen Fällen alſo muß die Rechtskraft der objectiven Gründe in der That behauptet werden.

Ja ſelbſt auf dieſe, der wahren Exception näher ſtehenden, Fälle der relativen Verneinung dürfen wir uns nicht be - ſchränken, wir müſſen vielmehr noch einen Schritt weiter gehen. Wenn nämlich in einer Klage aus Eigenthum, oder Erbrecht der Beklagte gar nicht behauptet, das früher vor - handene Recht des Gegners ſey ſpäter zerſtört worden,364Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſondern wenn er das Daſeyn deſſelben abſolut, für alle Zeiten, beſtreitet, ſo kann er dieſe ſeine Beſtreitung unter andern dadurch zu begründen ſuchen, daß er ſelbſt dieſes Eigenthum, oder dieſes Erbrecht zu haben behauptet, woraus dann von ſelbſt folgt, daß der Kläger es nicht haben kann (§ 287 a). Wenn er nun dieſen Weg einſchlägt, wenn darüber verhandelt, und der Richter von dieſer Behauptung des Beklagten überzeugt wird, ſo daß er ihn aus dieſem Grunde freiſpricht, ſo wird dieſer objective Grund der Entſcheidung rechtskräftig, und es ſteht für alle Zukunft, dieſem Kläger gegenüber, rechtskräftig feſt, daß dieſer Be - klagte Eigenthümer, oder Erbe iſt. Durch dieſen nachge - wieſenen Zuſammenhang glaube ich Dasjenige begründet zu haben, welches am Schluß des vorhergehenden §. nur vorläufig behauptet worden iſt, um zur billigen Befriedi - gung eines wahren praktiſchen Bedürfniſſes zu gelangen.

Da jedoch die Behauptung einer ſo ausgedehnten Rechtskraft der objectiven Gründe von großer Wichtigkeit iſt, und vielleicht manchen Widerſpruch erfahren möchte, ſo will ich ſie noch durch folgende Vergleichung in Bezie - hung auf die Eigenthumsklage zu beſtätigen ſuchen. Wenn nicht die Eigenthumsklage, ſondern die publiciana actio angeſtellt wird, wenn der Beklagte die exceptio dominii (eine ächte Exception) aufſtellt und beweiſt, und wenn er deshalb freigeſprochen wird, ſo wird man leicht geneigt ſeyn, ihm den Vortheil der Rechtskraft aus dieſer ihm zuer - kannten Exception einzuräumen. Nun kann aber auch365§. 291. Rechtskraft der Gründe.derſelbe Gang des Rechtsſtreits eintreten, wenn nicht die publiciana, ſondern die Eigenthumsklage angeſtellt wird, und der Beklagte gleichfalls durch den Beweis ſeines Eigenthums die Freiſprechung bewirkt. Sollte er nun etwa den Vortheil der Rechtskraft dieſes Grundes der Entſchei - dung nicht genießen, den er im Fall der publiciana ge - noſſen haben würde? Blos deswegen nicht, weil der juriſtiſche Begriff einer exceptio in dem einen Fall vor - handen, in dem anderen Fall nicht vorhanden wäre? Dieſes würde gewiß dem praktiſchen Rechtsſinn in hohem Grade widerſprechen.

Oben iſt ausführlich dargethan worden, daß die Frei - ſprechung des Beklagten niemals in eine Verurtheilung des Klägers umgebildet werden dürfe (§ 288.), und man könnte auf den erſten Blick geneigt ſeyn, zwiſchen dieſer Behauptung und den ſo eben aufgeſtellten Sätzen einen Widerſpruch anzunehmen. Folgende zwei Erwägungen werden dazu dienen, den Schein dieſes Widerſpruchs zu beſeitigen. Mit der Verurtheilung ſind überhaupt zwei mögliche Folgen verknüpft, die zwar zuſammenhangen, je - doch von einander unterſchieden werden können. Die erſte Folge iſt das Gebot, Etwas zu thun, zu geben, zu unter - laſſen; dieſe kann in keinem Fall den Kläger als ſolchen treffen, und in dieſer Hinſicht iſt die oben aufgeſtellte Behauptung unbedingt wahr und wichtig. Die zweite Folge iſt die Einwirkung der Rechtskraft auf zukünftige Streit - verhältniſſe, und hierauf allein bezieht ſich der ſo eben angege -366Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bene Schein eines Widerſpruchs. Aber auch in dieſer Hinſicht iſt wohl zu bemerken, daß die oben aufgeſtellte Behauptung nur dahin ging, daß die Freiſprechung an ſich, als ſolche, nicht die Natur und Wirkung einer rechts - kräftigen Verurtheilung des Klägers haben dürfe. Damit iſt aber nicht ausgeſchloſſen, daß der Beklagte in - direct, vermittelſt der Rechtskraft der Gründe, ähnliche Vortheile erlangen könne, wie ſie ihm die Verurtheilung des Klägers, wenn ſie zuläſſig wäre, ohnehin verſchafft haben würde. Ein ſolcher indirecter Vortheil des Beklagten ſetzt indeſſen ſtets beſondere thatſächliche Verhältniſſe in dem geführten Rechtsſtreit voraus, und beſonders muß der Be - klagte künftig den Beweis führen, daß in der That ſolche objective Gründe bei dem Urtheil vorhanden geweſen ſind. Es iſt daher noch immer auch in dieſer Hinſicht eine nicht unerhebliche praktiſche Folge mit jener oben aufgeſtellten Behauptung verbunden.

Die bisher angeſtellte Unterſuchung über die Rechts - kraft der Gründe beruhte auf allgemeinen Betrachtungen über die Natur des Rechtsſtreits, die Stellung des Richter - amtes, die Bedingungen möglicher Anwendung der Rechts - kraft. Wie ſtellt ſich aber dazu das Römiſche Recht? Man könnte jene Behauptungen nach ihrer allgemeinen Herleitung als wahr zugeben, daneben aber behaupten, das Römiſche Recht lehre etwas ganz Anderes, oder es367§. 291. Rechtskraft der Gründe.ſey auf dieſe Fragen gar nicht eingegangen, oder es habe ſie nur theilweiſe und unbefriedigend berührt.

Ich muß dagegen behaupten, daß die hier dargeſtellte Lehre von der Rechtskraft der Elemente des Urtheils im Römiſchen Recht ihre vollſtändige und ſichere Anerkennung gefunden hat. Zwar iſt ſie nirgend in der Geſtalt eines allgemeinen Grundſatzes aufgeſtellt, aber das beſtimmte Bewußtſeyn derſelben giebt ſich in folgenden Äußerungen unſrer Rechtsquellen auf unzweifelhafte Weiſe kund.

Erſtlich in der ſicheren und erſchöpfenden Anwendung der Rechtskraft bei den Römiſchen Juriſten, wovon die folgende Darſtellung den Beweis liefern wird. Dieſe wäre aber, wie oben gezeigt worden iſt, völlig unmöglich, wenn nicht ſtets die Rechtskraft der Elemente (d. h. der objectiven Gründe) von ihnen vorausgeſetzt würde.

Zweitens zeigt ihre Behandlung einiger einzelnen Fälle unwiderſprechlich, daß ſie die Rechtskraft der Elemente mit deutlichem Bewußtſeyn vorausgeſetzt haben.

Wenn die Eigenthumsklage nur deshalb abgewieſen wird, weil der Beklagte nicht beſitzt, ſpäter aber der Beſitz an den Beklagten kommt, ſo kann die Eigenthumsklage von Neuem mit Erfolg angeſtellt werden, und die frühere Rechtskraft des Urtheils ſteht nicht im Wege(f)L. 9 pr. L. 17 L. 18 de exc. rei jud. (44. 2). Vgl. oben § 263.. Hier iſt nun zunächſt einer der Fälle vorhanden, worin nach geſprochenem Urtheil neue Thatſachen eingetreten ſind(g)Eine nova oder superve - niens causa, wovon unten § 300. die Rede ſeyn wird.,368Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf deren Folgen das frühere Urtheil natürlich keinen hin - dernden Einfluß haben kann; dieſer Satz hat allerdings mit unſrer Frage keine Berührung. Daß aber das frühere Urtheil die Klage abgewieſen hat wegen des fehlenden Beſitzes und nur aus dieſem Grunde, daß es insbeſon - dere nicht auch das Eigenthum dem Kläger abgeſprochen hat (in welchem eine ſpäter eingetretene Veränderung gar nicht behauptet wird), dieſes Alles erfahren wir nur, indem wir uns nicht mit der Kenntniß des rein prakti - ſchen Ausſpruchs im Urtheil (der Abweiſung) begnügen, ſondern auf den objectiven Grund dieſes Ausſpruchs zurück gehen, und dadurch erkennen, ob der Richter blos das Eigenthum des Klägers, oder vielmehr blos des Beklagten Beſitz, oder endlich Beides zugleich verneinen wollte.

Ein ganz ähnlicher Fall tritt ein, wenn einer perſön - lichen Klage die Compenſation entgegen geſtellt wird, der Richter aber dieſe Einrede verwirft, und den Beklagten auf die volle eingeklagte Summe verurtheilt. Hier kommt Alles darauf an, ob die Einrede verworfen worden iſt, weil der Richter die Gegenforderung für nicht vorhanden, oder nur für illiquid gehalten hat. Im erſten Fall wird der künfti - gen Klage auf die Gegenforderung die exceptio rei judi - catae entgegen ſtehen, im zweiten Fall aber nicht (Note d). Auch hier alſo iſt die Anwendbarkeit der Rechtskraft ganz abhängig von der Einſicht in den Grund, aus welchem der Richter die Einrede verworfen hat; die bloße Verwer - fung an ſich läßt uns darüber völlig ungewiß.

369§. 291. Rechtskraft der Gründe.

Der entſcheidendſte Fall aber, welcher beweiſt, daß die Römiſchen Juriſten die Gründe der Entſcheidung mit in das Gebiet der Rechtskraft gezogen haben, iſt diejenige Art der Eigenthumsklage, welche per sponsionem geführt wurde(h)Vgl. unten § 292 f. .

Drittens endlich finden ſich mehrere Stellen des Römi - ſchen Rechts, worin die Anwendung der Rechtskraft auf einen künftigen Rechtsſtreit geradezu und wörtlich von dem Umſtande abhängig gemacht wird, aus welchem Grunde ein früherer Ausſpruch erlaſſen worden iſt, worin wir alſo auf die Erforſchung und Berückſichtigung dieſes Grundes unmittelbar angewieſen werden(i)Dahin gehören folgende Stellen: L. 17 de exc. r. j. (44. 2 ) Si rem meam a te petiero, tu autem ideo fueris absolutus, quod probaveris sine dolo malo te desisse possidere non nocebit mihi exceptio rei judicatae. L. 18 pr. eod. Si absolutus fuerit ad - versarius, quia non possidebat rei judicatae exceptio lo - cum non habebit. Eben ſo L. 9 pr. eod. .

Die bisher angeſtellte Unterſuchung hat zu dem Ergeb - niß geführt, daß die Rechtskraft nicht blos der Entſchei - dung ſelbſt (Verurtheilung oder Freiſprechung), ſondern auch den objectiven Gründen derſelben, zugeſchrieben werden muß, d. h. daß dieſe Gründe als integrirende Theile des Urtheils anzuſehen ſind, der Umfang der Rechts - kraft alſo ſtets durch den Inhalt des Urtheils in Ver - bindung mit jenen Gründen beſtimmt werden muß.

VI. 24370Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſer wichtige Grundſatz aber iſt nicht nur für wahr zu halten nach der Aufgabe des Richteramtes und nach der Natur der Rechtskraft, ſondern er iſt auch ſchon im Römiſchen Recht beſtimmt anerkannt und zur vollen An - wendung gebracht worden.

§. 292. Genauere Beſtimmungen des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)

Bisher iſt die Frage beantwortet worden, was durch den Ausſpruch des richterlichen Gedankens rechtskräftig werde, und es bleibt nun noch die zweite Frage zu beant - worten übrig: Aus welchen Quellen der wahrhafte Inhalt des rich - terlichen Gedankens (alſo der Umfang der rechtskräf - tigen Gegenſtände) zu erkennen iſt. (S. 352.)

Wenn wir die, ſeit langer Zeit ſehr weit verbreitete Art, die Urtheile ſchriftlich abzufaſſen, vorausſetzen, nach welcher dem Urtheil ſelbſt eine ausführliche Rechtfertigung hinzugefügt wird, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe, nur der Inhalt des Urtheils werde rechtskräftig, der Inhalt der Urtheilsgründe ſey blos zur Ueberzeugung der Parteien oder anderer Leſer beſtimmt, und werde nicht rechtskräftig. So iſt es auch in der That zu verſtehen, wenn ſeit langer Zeit viele Schriftſteller über die Frage geſtritten haben, ob Gründe rechtskräftig werden?

371§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)

Die angegebene Behauptung würde nur unter der Vor - ausſetzung wahr und zugleich ausreichend ſeyn, wenn ſtets in dem Urtheil alle objectiven Gründe, in den Urtheils - gründen alle ſubjectiven Gründe, und nur dieſe, enthalten wären. Dann würde dieſe Behauptung mit der oben auf - geſtellten Lehre (§ 291) völlig übereinſtimmen.

Jene Vorausſetzung aber trifft in der Wirklichkeit ganz und gar nicht zu, ja ſie kann ſchon deshalb nicht zutreffen, weil in der Abfaſſung der Urtheilsgründe die größten Ver - ſchiedenheiten wahrzunehmen ſind. Unmöglich kann aber der Umfang der Rechtskraft von einem ſo zufälligen und willkührlichen Verfahren der verſchiedenen Gerichte abhängig gemacht werden.

Ich will dabei nicht die großen Verſchiedenheiten der äußeren Form erwähnen, die hier weniger in Betracht kommen(a)In den älteren Fakultäts - urtheilen findet ſich die pedantiſche Form, erſt die Zweifelsgründe, dann die Entſcheidungsgründe dem Urtheil voranzuſchicken, beide aber mit dem Urtheil zu einem einzigen Satz zu verbinden, ſelbſt wenn dieſer durch eine große Zahl von Bogen hindurch ging, z. B. ſo an - fangend: Wenn es gleich ſcheinen wollte, daß ; dennoch aber und dieweilen u. ſ. w. In der An - ordnung ähnlich ſind die, nach Franzöſiſcher Form abgefaßten Ur - theile, welchen ein Considérant (In Erwägung), oft in ſehr vie - len einzelnen Sätzen, vorhergeht. Die neuere, in Deutſchen Gerichten vorherrſchende Form iſt die, daß dem Urtheil die Gründe in Geſtalt einer beſonderen Abhandlung, eines Gutachtens, beigegeben werden. Vgl. Danz Prozeß, Anhang S. 67. Brinkmann richterliche Urtheils - gründe S. 91.. Aber auch darin herrſcht große Verſchieden - heit, daß bald mehr, bald weniger in das Urtheil ſelbſt aufgenommen wird, ſo daß die Gränze zwiſchen beiden24*372Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Schriftſtücken als eine ſchwankende und zufällige erſcheint. Dieſe innere Verſchiedenheit hat auch ihren Grund nicht blos in den Gewohnheiten verſchiedener Gerichte, ſondern die eigenthümliche Beſchaffenheit jeder einzelnen Rechtsſtrei - tigkeit führt dahin, daß daſſelbe Gericht nicht überall die - ſelbe Gränze beobachtet, indem bei einfachen Sachen die vollſtändige Aufnahme der objectiven Gründe in das Urtheil ſelbſt ſehr leicht ſeyn kann(b)So z. B., wenn in einer Eigenthumsklage lediglich über das Daſeyn des Eigenthums geſtritten, und dann der Beklagte verurtheilt wird, ſo kann das Urtheil ſelbſt ſehr leicht das Eigenthum aus - ſprechen, und daran die Verpflich - tung des Beklagten zur Heraus - gabe der Sache (vielleicht auch der Früchte u. ſ. w.) unmittelbar an - knüpfen. Eben ſo, wenn dieſelbe Klage blos wegen des dem Be - klagten fehlenden Beſitzes abge - wieſen wird, iſt es leicht, der Ab - weiſung dieſen einzigen Grund un - mittelbar beizufügen., die bei verwickelten Sachen vielleicht große Schwierigkeit mit ſich führen wird.

Die größte Verſchiedenheit aber findet ſich darin, daß manche Gerichte überhaupt gar keine Gründe aufſtellen, ſo daß die oben aufgeſtellte Behauptung, ſelbſt wenn ſie außer - dem wahr und unbedenklich wäre, wenigſtens zu einem all - gemein durchgreifenden Princip nicht geeignet ſeyn würde(c)In Preußen haben ſchon längſt die meiſten Gerichte Urtheils - gründe abgefaßt und den Parteien mitgetheilt, bei dem Geheimen Ober-Tribunal aber erfolgt dieſe Mittheilung erſt ſeit der Kabinets - ordre vom 19. Juli 1832 (S. 192 der Geſetzſammlung von 1832)..

Nach dieſen Erwägungen müſſen wir die oben aufge - ſtellte Behauptung gänzlich verwerfen, und dagegen den Grundſatz aufſtellen: Rechtskräftig werden die objectiven Gründe, und dieſe373§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)müſſen wir aufſuchen, wo ſie auch zu finden ſeyn mögen.

Wir haben ſie alſo erſtens aufzuſuchen in dem Urtheil ſelbſt, ſo weit ſie in demſelben ausgeſprochen ſind. Zweitens in den beſonders abgefaßten Urtheilsgründen; hier aber kommt es darauf an, nach inneren Merkmalen die objectiven Gründe, welche allein der Rechtskraft empfäng - lich ſind, von dem übrigen Inhalt genau auszuſcheiden. Drittens müſſen wir, wenn jene Erkenntnißquellen nicht ausreichen(d)Dahin gehören alle Urtheile derjenigen Gerichte, die überhaupt keine Urtheilsgründe aufzuſtellen pflegen., die geſammten Verhandlungen des Rechts - ſtreites zu Hülfe nehmen, wobei die Klageſchrift die erſte Stelle einnimmt. Endlich ſind viertens außer dieſen geſchriebenen Quellen, aber in gleichem Werthe mit dieſen, manche allgemeinere Erwägungen zu benutzen, von welchen am Schluß des gegenwärtigen §. noch beſonders die Rede ſeyn wird.

In Folge dieſer Überſicht über die wahren Quellen für die Erkenntniß des Umfangs der Rechtskraft läßt ſich fragen, welche Einrichtungen bei Abfaſſung der Urtheile räthlich ſeyn möchten, um den unzweifelhaften Zweck der Rechtskraft möglichſt ſicher zu ſtellen.

Am beſten würde dieſer Zweck erreicht werden, wenn es möglich wäre, ſchon in das Urtheil ſelbſt die Geſammt - heit der objectiven Gründe aufzunehmen, ſo daß ſchon das Urtheil allein hinreichen würde, den Umfang der Rechts -374Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.kraft vollſtändig zu überſehen; die abgeſonderten Urtheils - gründe würden dann nur dazu dienen, das Urtheil zu erläutern, und die Ueberzeugung des Richters auch in Anderen zu erwecken. Da aber dieſe Einrichtung bei ver - wickelten Sachen in aller Strenge kaum durchzuführen ſeyn möchte, ſo läßt ſie ſich nur annäherungsweiſe als wünſchenswerthes Ziel aufſtellen.

Dagegen iſt es unter allen Umſtänden ſowohl möglich, als räthlich, in den beſonders abgefaßten Urtheilsgründen alle diejenigen Stücke, welche die Natur von objectiven Gründen haben, und daher nach der Abſicht des Richters rechtskräftig werden ſollen, als ſolche beſtimmt anzugeben, damit über dieſen Punkt kein Zweifel entſtehen könne.

Zur Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptungen wird es dienen, wenn wir uns klar zu machen ſuchen, aus welchen Quellen die Römer in jedem Rechtsſtreit den Umfang der Rechtskraft feſtzuſtellen ſuchten, da bei ihnen die äußeren Formen des Verfahrens mit den unſrigen durchaus keine Aehnlichkeit hatten, und doch derſelbe Zweck, wie von uns, erreicht werden mußte.

Über die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts fehlt es uns hierin gänzlich an Nachrichten; für die Zeit des For - mularprozeſſes aber glaube ich darüber ziemlich ſichere Auskunft geben zu können.

Im Formularprozeß wurde der Umfang der Rechtskraft, d. h. der objectiven Gründe, die als Beſtandtheile des375§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)Urtheils anzuſehen ſeyn ſollten, zunächſt erkannt aus der Intentio und der dieſelbe ergänzenden Demonstratio. Wo aber dieſe Erkenntnißmittel nicht ausreichten, wurden auch wohl in das Urtheil ſelbſt ausgeſprochene objective Gründe mit aufgenommen. Einige Beiſpiele werden dieſe Behaup - tungen ſowohl erläutern, als beſtätigen.

Manche Klagen, wie z. B. die depositi actio, hatten eine zwiefache Formel: in jus und in factum. Bei jener wurde der Inhalt des Rechtsſtreits aus der Demonstratio erkannt, bei dieſer aus der Intentio(e)Gajus IV. § 47., und ſo konnten dieſe verſchiedenen Theile der Formel unmittelbar dazu dienen, den Inhalt und Umfang des in die Rechtskraft überge - gangenen Urtheils zu erkennen.

Beiſpiele anderer Art aber, worin die formula nicht ausreichte, ſondern andere Umſtände hinzugenommen werden mußten, um die Rechtskraft zu beſtimmen, ſind folgende. Wenn die Eigenthumsklage per sponsionem angeſtellt wurde, ſo lautete die formula ganz einfach ſo: Si paret, N. Negidium A. Agerio sestertios XXV. nummos dare oportere. Dieſe 25 Seſterze aber ſollten gar nicht bezahlt werden, ſondern die Abſicht ging dahin, ein rechtskräftiges Anerkenntniß des Eigenthums zu erlangen. Dieſe Abſicht wurde nur dadurch erreicht, daß man auf den Grund der Entſcheidung zurückging, nämlich auf die, in der Formel nicht ausgedrückte, vorhergegangene Stipulation, worin der376Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Beklagte dem Kläger 25 Seſterze unter der Bedingung, daß der Kläger Eigenthümer wäre, verſprochen hatte(f)Gajus IV. § 93. 94. In der Behandlung dieſes Falles liegt zugleich einer der vollſtändig - ſten Beweiſe der oben aufgeſtellten Behauptung, daß überhaupt im Römiſchen Recht die Rechtskraft auch auf die Gründe der Entſchei - dung bezogen worden iſt. Vgl. oben § 291. h. Eben weil in dem Fall der certi condictio aus einer Geldſtipulation die bloße In - tentio keinen Aufſchluß über die Natur und den Grund des An - ſpruchs gab, ſo mußte bei dieſer Klage neben der actio auch die vollſtändige stipulatio edirtwerden. L. 1 § 4 de edendo (2. 13)..

Der Beſitz des Beklagten als Bedingung der petitoria formula wurde in der Intentio gar nicht erwähnt, ſondern lediglich officio judicis geprüft und im Urtheil beachtet(g)L. 9 de rei vind. (6. 1).. Wenn daher wegen des Mangels dieſes Beſitzes die Klage abgewieſen wurde, ſo konnte dieſer Grund der Entſchei - dung nicht aus der Vergleichung des Urtheils mit der formula erkannt werden. Daher pflegte dieſer Grund der Entſcheidung, wie es mehrere Stellen der Römiſchen Ju - riſten geradezu erwähnen, in dem Urtheil ſelbſt ausgedrückt zu werden(h)Vgl. oben § 291. f. i. .

Auch noch in mehreren anderen Stellen werden Urtheile erwähnt, in welchen Entſcheidungsgründe unmittelbar aus - gedrückt ſind(i)L. 1 § 1 quae sent. sine app. (49. 8). (Macer) Item si calculi error in sententia esse dicatur, appellare necesse non est: veluti si judex ita pro - nuntiaverit: Cum constet, Titium Sejo ex illa specie quinquaginta, item ex illa specie viginti quin - que debere; idcirco Lucium Ti - tium Sejo centum condemno. Nam quoniam error computa -. Schwerlich iſt hierüber ein ganz gleich - förmiges Verfahren in allen Urtheilen beobachtet worden.

377§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)

Es iſt oben geſagt worden, daß es außer den, hier an - gegebenen, geſchriebenen Quellen auch noch manche allge - meinere Erwägungen gebe (gleichſam unſichtbare Erkennt - nißquellen), welche bei Beſtimmung des Umfangs der Rechtskraft benutzt werden müßten.

Dieſe Erkenntnißquellen können in zwei entgegengeſetzten Richtungen beſtimmend einwirken: Einige, indem ſie als ſtillſchweigende Zuſätze zu dem Urtheil hinzugedacht werden müſſen; Andere, indem ſie diejenigen Ausſprüche, die ihrer Form nach, und nach der Abſicht des Richters, zu dem Urtheil gehören, und alſo der Rechtskraft theilhaftig zu ſeyn ſcheinen, ganz, oder theilweiſe entkräften. Es ge - hören dahin folgende Fälle:

I. Jede Verurtheilung ſchließt in ſich die Freiſprechung von allen weiter gehenden Anſprüchen aus dem ſtreitig gewordenen und abgeurtheilten Rechtsverhältniß; jede Frei - ſprechung geht nicht blos auf das von dem Kläger gefor - derte Ganze, ſondern auch auf jeden denkbaren Theil dieſes Ganzen (§ 286).

Dieſe, in ihren praktiſchen Folgen ungemein wichtigen Sätze, die niemals in dem Urtheil ausgedrückt zu werden pflegen, ſind ſtets als ſtillſchweigende Beſtandtheile des(i)tionis est, nec appellare ne - cesse est, et citra provocatio - nem corrigitur. Eben ſo in dem anderen Fall, welcher in dem § 2 derſelben Stelle als Beiſpiel einer Entſcheidung mit Gründen aufgeſtellt wird. Desgleichen auch in L. 2 C. quando provocare (7. 64).378Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Urtheils anzuſehen, die eben ſo rechtskräftig werden, wie der ausgeſprochene Theil deſſelben.

II. In jedem Urtheil iſt ſtillſchweigend hinzuzudenken eine gewiſſe Zeitbeſtimmung. Die Anerkennung, oder Ver - neinung eines Rechts in der Perſon des Klägers ſoll als Wahrheit gelten, und wird rechtskräftig nur für den Zeitpunkt, in welchem das Urtheil geſprochen wird.

Der Richter ſpricht alſo Etwas aus nur in Beziehung auf den gegenwärtigen Zeitpunkt; er läßt nothwendig un - berührt alle in die Zukunft fallenden Veränderungen, und die Rechtskraft des Urtheils bleibt ohne Einwirkung auf jeden Rechtsſtreit, welcher auf der Behauptung von That - ſachen beruht, die erſt nach dem Urtheil eingetreten ſeyn ſollen.

Dieſer Satz, der in ſeinen einzelnen Anwendungen nie - mals bezweifelt worden iſt(k)Er kommt vor bei der causa superveniens, ſ. u. § 300., findet gerade hier ſeine wahre Begründung. Er beruht nämlich darauf, daß die eben erwähnte Zeitbeſtimmung als ſtillſchweigender Zuſatz in das Urtheil hinein zu denken iſt. Daraus folgt, daß eine künftige, auf ſpätere Thatſachen gegründete Klage mit dem früheren Urtheil gar nicht im Widerſpruch ſteht(l)Die angegebene Regel iſt hier abgeleitet worden aus dem richtig verſtandenen Inhalt des Urtheils, alſo aus der Natur der Einrede der Rechtskraft in ihrer poſitiven Function. Dieſelbe Regel wurde auch anerkannt, nur aus anderen Gründen, bei der Einrede in ihrer älteren Geſtalt (der nega - tiven Function). Hier beruhte ſie.

379§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)

III. Die bisher abgehandelten Fälle führten dahin, daß dem wörtlich ausgeſprochenen Urtheil aus allgemeinen Er - wägungen ſtillſchweigende Zuſätze beigegeben wurden, die an der Rechtskraft Theil nehmen ſollten. Es giebt aber auch Fälle, in welchen umgekehrt Dasjenige, welches durch ſeine Form und durch die Abſicht des Richters rechtskräftig werden ſollte, von der Rechtskraft ausgeſchloſſen blei - ben muß.

Dahin gehört, richtig aufgefaßt und begränzt, der Fall des Rechnungsfehlers. Wenn nämlich das Urtheil ſelbſt eine Rechnung aufſtellt und aus dieſer die Summe der Verurtheilung ableitet, die Rechnung aber falſch iſt, ſo ſteht die ausgeſprochene Summe mit den mathematiſchen Denkgeſetzen im Widerſpruch. Die Folge iſt die, daß die Beſtandtheile der Rechnung als wahr und rechtskräftig angenommen werden, die Summe ſelbſt aber berichtigt werden kann und muß, und zwar ohne Appellation oder irgend ein anderes Rechtsmittel, ohne neues Urtheil, ſowohl von demſelben Richter, der das Urtheil geſprochen hat, als auch von jedem anderen Richter, der mit dieſer Sache zu thun bekommt(m)L. 1 § 1 quae sent. (49. 8), oben in der Note i. abgedruckt. Vgl. Gönner B. 3 S. 203. Linde Handbuch § 13. Alle anderen Irrthümer des Urtheils darf der urtheilende Richter ſelbſt durchaus nicht verbeſſern, nachdem das Urtheil einmal ausgeſprochen iſt. L. 42, L. 45 § 1, L. 55 de re jud. (42. 1). Nur eine Er -. Der Fall, welcher von dem alten Juriſten(l)darauf, daß die ſpäter angeſtellte Klage auf alia res ging, alſo mit der früher in judicium deducirten und dadurch conſumirten Klage nicht identiſch war. Keller S. 292.380Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.angeführt wird, bezieht ſich auf ein Urtheil von folgendem Inhalt: Da der Beklagte aus Einem Rechtsgrund 50 ſchuldig iſt, aus einem andern Rechtsgrund 25, ſo verurtheile ich ihn zu 100. Hier ſoll nicht etwa (wie man glauben könnte) das ganze Urtheil nichtig ſeyn, ſondern es ſoll nur die Rechnung berichtigt werden (citra provocationem cor - rigitur), d. h. es ſoll ſo angeſehen werden, als wenn zu 75 verurtheilt wäre. Nach den oben aufgeſtellten Grund - ſätzen aber kann es kein Bedenken haben, daſſelbe Verfahren anzuwenden, ohne Unterſchied, ob jene Rechnung in dem Urtheil ſelbſt (wie in jener Digeſtenſtelle), oder in den ab - geſondert beigefügten Urtheilsgründen aufgeſtellt iſt.

Mit dieſem Fall des Rechnungsfehlers läßt ſich noch der andere (ſchwerlich je vorkommende) Fall vergleichen, wenn irgend ein Stück des Urtheils nach Naturgeſetzen unmöglich iſt(n)L. 3 pr. § 1 quae sent. (49. 8 ) Paulus respondit, impossibile praeceptum judicis nullius esse momenti. Idem respondit, ab ea sententia, cui pareri re - rum natura non potuit, sine causa appellari. Über den, auch in manchen anderen Rechts - inſtituten wahrzunehmenden Ein - fluß der auf Naturgeſetzen beru - henden Nothwendigkeit oder Un - möglichkeit vgl. oben B. 3 § 121 fg., da dieſe denſelben Anſpruch auf unbedingte Anerkennung haben, wie die Geſetze der Mathematik, ſo daß in beiden Fällen eine eigentlich juriſtiſche Prüfung und Berichtigung des Urtheils als gleich überflüſſig er - ſcheint.

Dagegen haben eine ganz verſchiedene Natur einige(m)gänzung des Urtheils ſoll ihm ge - ſtattet ſeyn, wenn ſie noch an demſelben Tage hinzugefügt wird. L. 42 cit. 381§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)andere Fälle, die mit dem eben dargeſtellten Fall des im Urtheil enthaltenen Rechnungsfehlers mehr oder weniger verwandt ſind, und daher irrigerweiſe von manchen Schrift - ſtellern auf gleiche Linie geſtellt werden.

Ein Rechnungsfehler nämlich kann auch außer einem Rechtsſtreit, in Rechtsgeſchäften verſchiedener Art vorkom - men, und dann zu einer Anfechtung des Geſchäfts Anlaß geben. Wenn z. B. eine aus mehreren Poſten beſtehende Kaufmannsrechnung falſch ſummirt wird, und deshalb der Käufer mehr bezahlt, als er ſchuldig iſt, ſo kann er die Überzahlung mit einer condictio indebiti zurückfordern. Bei dieſem Rechtsſtreit kann ein Vergleich, ſo wie ein rechtskräftiges Urtheil vorkommen(o)Von einem Fall ſolcher Art handelt L. un. C. de err. cal - culi (2. 5). Zweifelhaft iſt die Be - deutung von Paulus V. 5 A. § 11. Ratio calculi saepius se pa - titur supputari, atque ideo potest quocunque tempore re - tractari, si non longo tempore evanescat. Die Anfangsworte ſind ganz ähnlich gefaßt, wie die angeführte Stelle des Codex ( unde rationes etiam saepe computa - tas denuo tractari posse ), und können daher gleichfalls auf außer - gerichtliche Rechtsgeſchäfte bezogen werden. Aber die Worte quocun - que tempore retractari ſcheinen die Nothwendigkeit der zu beob - achtenden Appellationsfriſt vernei - nen zu wollen, und dann müßte Paulus den Fall des im Ur - theil enthaltenen Rechnungsfehlers (Note i.) vor Augen gehabt haben.; aber alle dieſe Fol - gen, die ſich an einen urſprünglich außergerichtlichen Rech - nungsfehler anknüpfen, haben mit der oben aufgeſtellten Regel von dem im Urtheil enthaltenen Rechnungsfehler Nichts gemein. Ferner kann der Rechnungsfehler zwar einem Urtheil zum Grunde liegen, jedoch ſo, daß er nicht382Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.aus dem Urtheil ſelbſt erhellt, ſondern erſt von uns hinter - her als Anfechtungsgrund geltend gemacht wird, indem wir eine andere Rechnung aufſtellen, als die, welche den Rich - ter, nach unſrer Vorausſetzung, zu ſeiner Entſcheidung be - ſtimmt hat. Dieſes iſt der Gegenſtand einer gewöhnlichen Anfechtung des Urtheils durch Appellation(p)Darauf iſt zu beziehen L. 2 C. de re jud. (7. 52.) Res judicatae si sub praetextu com - putationis instaurentur, nullus erit litium finis, welche Stelle, ſo verſtanden, mit L. 1 § 1 quae sent. (Note i.) nicht im Wider - ſpruch ſteht, da ſie von einem ganz anderen Falle ſpricht. Das ganze Gewicht liegt auf den Worten sub praetextu. In dem, von Macer in der angeführten Digeſtenſtelle aufgeſtellten Falle konnte von einem praetextus nicht die Rede ſeyn, da der bloße Augenſchein entſchied., und hat wiederum mit jener Regel Nichts gemein. Es müſſen da - her die verſchiedenen Beziehungen, in welchen ein Rech - nungsfehler vorkommen und Einfluß haben kann, genau unterſchieden werden.

In unmittelbarer Verbindung mit der Regel, nach welcher der Rechnungsfehler niemals in Rechtskraft über - gehen kann (Note i.), wird von Macer die andere Regel aufgeſtellt, daß es auch dann gegen ein Urtheil keiner Appel - lation bedürfe, wenn darin der Inhalt einer Kaiſerconſti - tution verletzt werde(q)L. 1 § 2 quae sent. (49. 8). Vgl. L. 27. 32 de re jud. (42. 1 ), L. 19 de appell. (49. 1), woraus zugleich erhellt, daß die Verletzung einer Lex, oder eines Senatuscon - ſults hierin auf gleicher Linie ſtand mit der Verletzung einer Kaiſer - conſtitution.. Man möchte dadurch verleitet werden, dieſen Fall mit dem Fall des Rechnungsfehlers auf gleiche Linie zu ſtellen, woraus wieder folgen würde,383§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)daß auch der fehlende Richter ſelbſt ſeinen Irrthum (ähn - lich einem bloßen Schreibfehler) wieder verbeſſern könne. Dieſe Meinung würde jedoch ganz irrig ſeyn, und beide Fälle haben eine verſchiedene Natur. Die in einem Urtheil enthaltene Geſetzverletzung kann nur durch ein Rechtsmittel gegen das Urtheil berichtigt werden, und iſt nur dadurch von anderen, in einem Urtheil vorkommenden Fehlern ver - ſchieden, daß die Anfechtung nicht den beſchränkenden Re - geln und Formen der Appellation unterworfen iſt. Der innere Unterſchied des Rechnungsfehlers von der Geſetz - verletzung liegt darin, daß der Rechnungsfehler von Jedem, der nur darauf aufmerkſam gemacht wird, unfehlbar aner - kannt werden muß; bei der angeblichen Geſetzverletzung aber kommt es erſt auf eine, oft nicht unzweifelhafte, Prü - fung des Inhalts des Geſetzes an, ferner auf eine Ver - gleichung des Geſetzes mit dem Urtheil, insbeſondere auch auf die Frage, ob der Richter in der That das Geſetz ver - kannt, oder vielmehr in der Subſumtion der Thatſachen unter das Geſetz geirrt hat, auf welchen letzten Fall die Befreiung von den regelmäßigen Bedingungen der Appel - lation ganz und gar nicht bezogen werden darf(r)L. 32 de re jud. (42. 1). L. 1 § 2 quae sent. (49. 8)..

An die ſo eben erwähnte Regel des Römiſchen Rechts von der Geſetzverletzung in einem Urtheil, deren Anfechtung nicht unter den gewöhnlichen Regeln und Formen der Ap - pellation ſtehen ſoll, haben ſich in dem Prozeßrecht neuerer384Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Zeiten ſehr wichtige Rechtsinſtitute in mannichfaltiger Ent - wickelung angeſchloſſen. Es gehört dahin die Lehre des gemeinen Deutſchen Prozeſſes von der Nichtigkeit des Ur - theils wegen des verletzten jus in thesi(s)Linde Lehrbuch § 419 422.; ferner im Franzöſiſchen Prozeſſe das Rechtsmittel der Caſſation; eben ſo im früheren Preußiſchen Prozeſſe die (dem gemei - nen Deutſchen Prozeſſe nachgebildete) Nichtigkeitsklage wegen verletzter klarer Geſetze(t)Allgemeine Gerichtsordnung Th. 1 Tit. 16 § 2 N. 2.; im neueren Preußiſchen Prozeſſe die Nichtigkeitsbeſchwerde, welche eine der Franzöſiſchen Caſſationsbeſchwerde ähnliche Natur hat(u)Geſetz vom 14. Dez. 1833 (Geſetzſammlung 1833 S. 302)..

Alle dieſe, den neueren Zeiten angehörenden, Rechtsinſti - tute ſind hier nur beiläufig erwähnt worden, um auf ſie die gemeinſame Bemerkung zu beziehen, daß ſie lediglich dem Prozeßrechte angehören, und mit der hier vorliegenden Lehre von der Rechtskraft keine unmittelbare Berührung haben, inſofern alſo von den, ſo eben aus dem Römiſchen Rechte dargeſtellten Folgen des Rechnungsfehlers weſentlich verſchieden ſind. Es ſind insgeſammt Rechtsmittel gegen richterliche Urtheile, und inſofern ſind ſie mit der Appellation gleichartig, obgleich von dieſer in Bedingungen und For - men mehr, oder weniger verſchieden(v)Aehnlich der Römiſchen Be - handlung des Rechnungsfehlers iſt die Vorſchrift der Preußiſchen A. G. O. I. 14. § 1. Wenn in dem publicirten Urtel erſter Inſtanz irgend ein Irrthum in Worten, Namen, oder Zahlen vorgefallen zu ſeyn ſcheint, ſo bedarf es deshalb keiner Appellation, ſon - dern dieſes (das Kollegium) muß den vorgefallenen Irr - thum durch eine Regiſtratur abändern laſſen u. ſ. w..

385§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.

§. 293. Genauere Beſtimmung des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.

Die Unterſuchung über die Rechtskraft der Gründe würde nicht zu einem befriedigenden Schluß geführt ſeyn, wenn nicht auch die Meinungen unſrer Schriftſteller über dieſe Frage überſichtlich dargeſtellt würden. Daß dieſe Meinungen ſo ſehr unter ſich ſelbſt im Widerſtreit ſind, muß gerade bei einem Gegenſtand von ſo häufiger prak - tiſcher Anwendung auffallen, und iſt nur daraus zu erklä - ren, daß man es verſäumt hat, die Begriffe und die Fra - gen, worauf es bei dieſem Streit ankommt, zu klarer Ent - wicklung zu bringen, bevor die Entſcheidung der Fragen unternommen wurde.

An die Darſtellung der gemeinrechtlichen Literatur ſoll die Behandlung deſſelben Gegenſtandes im Preußiſchen Recht angeſchloſſen werden. Dieſes Verfahren würde nicht zu rechtfertigen ſeyn, wenn das Preußiſche Recht hierin (ſo wie in den wichtigſten Theilen des eigentlichen Prozeß - rechts) einen eigenen und neuen Weg eingeſchlagen hätte; ſo verhält es ſich aber in der That nicht. Praxis und Literatur geht hier ſtets aus von wenigen, allerdings nicht erſchöpfenden, Geſetzſtellen. Bei deren Abfaſſung aber lag augenſcheinlich nicht die Abſicht zum Grunde, die Lehre von der Rechtskraft auf einem neu erfundenen Grunde zu erbauen, welche Abſicht ſchon durch die Kürze und Unvoll -VI. 25386Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtändigkeit dieſer Stellen widerlegt wird. Vielmehr ſollte nur mit wenigen Worten die Befolgung derjenigen Regeln über die Rechtskraft angeordnet werden, deren Kenntniß und Übung bei allen damals vorhandenen Richtern aus dem gemeinen Recht vorausgeſetzt werden konnte.

Um aber die folgende literariſche Darſtellung verſtänd - licher zu machen, iſt es nöthig, zwei Geſichtspunkte hervor zu heben, welche möglicherweiſe ſowohl von der Geſetz - gebung, als von der Wiſſenſchaft und der Praxis in der Lehre von der Rechtskraft aufgefaßt werden können, und welche großentheils zu entgegengeſetzten Zielen führen. Da - bei muß an die ſchon oben (§ 291) gemachte Bemerkung erinnert werden, daß die Rechtskraft unzertrennlich ver - bunden iſt mit der Möglichkeit und dem Bedürfniß der Appellation; was rechtskräftig zu werden fähig und be - ſtimmt iſt, kann und muß, damit es nicht rechtskräftig werde, durch Appellation angefochten werden, und umge - kehrt: was nicht rechtskräftig wird, braucht und ſoll nicht Gegenſtand einer Appellation ſeyn.

Der eine Geſichtspunkt nun, den man in der Lehre von der Rechtskraft vorzugsweiſe verfolgen kann, iſt die Befriedigung des augenblicklichen Bedürfniſſes. Es ſoll ſo leicht und ſo ſchnell, als möglich, auf die letzte Entſcheidung des jetzt vorliegenden praktiſchen Streites hingewirkt werden. Kann dieſe Entſcheidung auch bei künftigen Streitigkeiten helfen, ſo iſt es gut; für dieſen untergeord - neten Gegenſtand aber haben wir wenig zu ſorgen.

387§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.

Der entgegengeſetzte Geſichtspunkt iſt die Feſtſtellung aller, unter den Parteien ſtreitig gewordenen und bis zur Spruch - reife verhandelten, Rechtsverhältniſſe für alle Zukunft. So weit dabei die Entſcheidung des zunächſt vorliegenden, unmit - telbar praktiſchen Streites erleichtert und beſchleunigt werden kann, muß es geſchehen; nur darf durch die Verfolgung dieſes untergeordneten Zweckes das angegebene eigentliche Ziel nicht gefährdet werden(a)Es darf freilich dieſe Be - hauptung nicht dahin übertrieben werden, als ob das Urtheil nie früher geſprochen werden dürfte, als bis alle ſtreitig gewordenen Fragen ſpruchreif geworden wären, welchem möglichen Mißverſtänd - niß ſchon oben vorgebeugt worden iſt (S. 360). Nur was wirklich ſpruchreif geworden iſt (oder in naher Zeit gemacht werden kann), ſoll durch das Urtheil ſo feſtge - ſtellt werden, daß dieſe Feſtſtellung für alle Zukunft ſicheres Recht bilden könne..

Dieſer zweite Geſichtspunkt iſt unzweifelhaft der der Römiſchen Juriſten. Dafür zeugt ihre gründliche Aus - bildung der Lehre von der Rechtskraft, deren Darſtellung die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung iſt.

Der erſte Geſichtspunkt iſt nicht ſelten in neuerer Zeit von Schriftſtellern und Gerichten auf einſeitige Weiſe ver - folgt worden, und in dieſem Gegenſatz iſt wohl der Haupt - grund der ſtarken Meinungsverſchiedenheiten in dieſer Lehre zu ſuchen.

Die Meinungen der Schriftſteller laſſen ſich auf drei Klaſſen zurück führen.

25*388Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Die meiſten verneinen die Rechtskraft der Gründe unbedingt, ſelbſt ohne für den Fall eine Ausnahme vorzu - behalten, wenn die Gründe mit der Urtheilsformel ſelbſt verwebt ſind(b)Berger oecon. forensis Lib. 4 T. 22 Th. 4 Not. 6. Hymmen Beiträge B. 6 S. 102 N. 45. Martin Prozeß § 113 Note d. Linde Lehrbuch § 381 Note 5.. Dahin ſind auch diejenigen zu rechnen, welche den Gründen nur inſofern einen Werth beilegen, als dadurch vielleicht ein zufällig undeutliches Urtheil er - klärt werden kann(c)Cocceji jus controv. XLII. 1 Qu. 8 Pufendorf Obs. I. 155.; denn auch in dieſer Meinung wird die wahre Bedeutung der Gründe, und das innere Ver - hältniß derſelben zu dem Urtheil ſelbſt, völlig verkannt.

II. Einige Schriftſteller nehmen die Rechtskraft der Gründe an, wenn ſie in das Urtheil eingerückt ſind, nicht, wenn ſie blos in einem abgeſonderten Aufſatz ſtehen. Sie tadeln aber eben deshalb die Einrückung in das Urtheil, halten es alſo für einen Nachtheil, wenn die Gründe rechtskräftig werden. Dieſe Meinung hatte früher Wernher, und ſie iſt nachher von Claproth ange - nommen worden(d)Wernher Obs. T. 1 P. 4 Obs. 172. Claproth ordentl. Prozeß Th. 2 § 210.. Später änderte Wernher ſeine Meinung dahin, daß auch die abgeſonderten Gründe rechtskräftig werden, inſofern ſie der Richter zugleich mit dem Urtheil den Parteien publicire. Eben deshalb aber tadelt er nun auch dieſes Verfahren, und findet es beſſer, ſie nicht zu publiciren(e)Wernher Obs. T. 3 P. 3 Obs. 97 N. 24 32..

389§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.

Dieſe ganze Meinung, und insbeſondere die War - nung gegen Publication der Gründe, hangt augenſcheinlich zuſammen mit der oben erwähnten Auffaſſung, nach welcher das ganze Streben auf die ſchnelle Beſeitigung des augen - blicklichen Bedürfniſſes und auf die Verminderung der Rechtsmittel, nicht auf die bleibende Feſtſtellung ſtreitiger Rechtsverhältniſſe für die Zukunft, gerichtet ſeyn ſoll. Das - ſelbe Motiv liegt auch der erſten Meinung zum Grunde, durch welche die Rechtskraft der Gründe überhaupt, und ohne Rückſicht auf äußere Form und Stellung, ver - neint wird.

III. Bei einer dritten Klaſſe von Schriftſtellern endlich wird der innere Zuſammenhang der Gründe mit dem In - halt des Urtheils, und daher die Theilnahme der Gründe an der Rechtskraft, richtig anerkannt, ohne Unterſchied, in welcher Form die Gründe ausgeſprochen, und an welcher Stelle dieſelben angebracht ſind.

Der erſte Schriftſteller neuerer Zeiten, bei welchem ich dieſe freiere Anſicht finde, iſt J. H. Böhmer. Er nennt die Gründe weſentliche Beſtandtheile des Urtheils, die Seele des Urtheils, die Ergänzung des richterlichen Gedankens, und ſchreibt ihnen daher dieſelbe Kraft, wie dem Urtheil ſelbſt, zu(f)Böhmer exercit. ad Pand. T. 5 p. 534 § 18: Equidem rationes decidendi virtualiter sententiae inesse creduntur, cum contineant fundamenta, quibus judex motus sententiam eo, quo factum est, modo tulit, adeoque eandem vim cum ipsa sententia habere videntur, utpote cujus anima et quasi.

390Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zu den Schriftſtellern dieſer Klaſſe gehört ferner Bayer, der ſich ausdrücklich dahin erklärt, daß es bei der Rechtskraft nicht darauf ankomme, an welchem Orte (in der Urtheilsformel, oder in den Entſcheidungsgründen) ein Ausſpruch des Richters ſtehe, und daß jede Entſcheidung irgend eines, in dem vorhergehenden Verfahren beſtrittenen Hauptpunktes rechtskräftig werde(g)Bayer Civilprozeß S. 184 Ausg. 4.. Eben ſo gehört dahin auch Wächter, der die Streitfrage über die Rechtskraft der Gründe zwar nicht als ſolche behandelt, wohl aber die Grundſätze des Römiſchen Rechts über die Rechtskraft ſo darſtellt, wie es nur unter Vorausſetzung einer richtigen Entſcheidung jener Streitfrage möglich iſt(h)Wächter Handbuch des in Württemberg geltenden Privat - rechts B. 2 § 73..

Noch beſtimmter aber und ausführlicher ſprechen ſich über dieſen Punkt zwei neuere Schriftſteller aus, deren geſchichtliche Auffaſſung der Lehre von der Rechtskraft von einer anderen Seite her oben bekämpft werden mußte, Kierulff und Buchka. Der erſte behauptet ganz richtig(i)Kierulff S. 250. 254. 256. 260. Vgl. oben § 283 S. 282., daß das richterliche Urtheil nach ſeinem Geiſt und nicht nach dem bloßen Wortinhalt behandelt werden(f)nervus sunt. (Wörtlich gleich - lautend mit Jus eccl. Prot. Lib. 2 T. 27 § 14). Weiterhin ver - neint er die Rechtskraft derjenigen Stücke der Entſcheidungsgründe, worin der Richter zur bloßen Er - läuterung fremdartige Erwägungen mit einmiſcht, z. B. Betrachtungen über die Lage des Eigenthums bei Gelegenheit der Entſcheidung über eine Beſitzklage. Gewiß mit Recht, da ſolche Betrachtungen zu den blos ſubjectiven Gründen gehören (§ 291. e).391§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.darf. Ferner: Was man gewöhnlich Entſcheidungsgründe nennt, iſt eben der wahre concrete Inhalt, und die Condemnation, oder Abſolution ſind nur der Ausſpruch des, aus ihm gefolgerten, recht - lichen Reſultats. Was entſchieden iſt, weiß man wahrhaft nur, wenn man jene ſogenannten Gründe kennt, und die gewöhnlich ſogenannte Entſcheidung ſelbſt giebt davon nur eine oberflächliche andeutende Kunde. Damit iſt die Sache ſelbſt ſo richtig be - zeichnet, daß ſich von dieſem Standpunkt aus jede einzelne Frage über die Rechtskraft der Gründe befriedigend beantworten läßt. Allein derſelbe Schriftſteller verknüpft mit dieſer richtigen Auf - faſſung der Sache ſelbſt eine ganz irrige geſchichtliche Behauptung, indem er annimmt, dieſe richtige Einſicht ſey erſt die Frucht der, im heutigen Recht völlig zur Herrſchaft gelangten aequitas, das Römiſche Recht habe dieſe Lehre noch nicht anerkannt. Dieſe Auf - faſſung hängt zuſammen, ſie ſteht und fällt, mit der oben wider - legten Behauptung, daß die Römer bis in ihre neueſte Geſetz - gebung unter der Herrſchaft des Conſumtionsprinzips gebunden geweſen ſeyen, alſo niemals die Handhabung des Inhalts des Urtheils, vermittelſt der poſitiven Function der exceptio rei judi - catae, als wahre Aufgabe der Rechtskraft rein und vollſtändig durchgeführt hätten (§ 283). Die Widerlegung dieſer Anſicht iſt ſchon oben verſucht worden, ſie iſt aber jetzt noch durch folgende Bemerkung zu ergänzen. Es müßte doch angegeben werden können, wann und wie die beſſere Einſicht des heutigen Rechts, und zwar namentlich in Anwendung auf die Rechtskraft der Gründe, ent - ſtanden ſeyn ſollte. Sie könnte etwa durch ein deutſches Neichs - geſetz geltend geworden ſeyn; ein ſolches findet ſich nicht. Es könnten einzelne Schriftſteller eine gründliche Theorie aufgeſtellt,392Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und damit allgemeine Anerkennung gefunden haben, im Wider - ſpruch mit dem Römiſchen Recht; oder es könnte, ohne theoretiſche Durchführung, blos in der geſunden Praxis, die beſſere Einſicht allgemein durchgedrungen ſeyn. Aber es iſt ja ſo eben gezeigt worden, wie ganz mangelhaft, unter einander ſtreitend, und be - ſonders der richtigen Lehre mehr oder weniger widerſprechend, bis auf die neueſte Zeit faſt alle Schriftſteller die Rechtskraft der Gründe behandelt haben; darunter Schriftſteller, die aus der Mitte der Praxis hervorgegangen ſind, und aus deren Zeugniſſen allein wir den Stand der Praxis kennen. Vor der unbefangenen Er - wägung dieſer Thatſachen muß die geſchichtliche Auffaſſung des erwähnten Schriftſtellers als unmöglich zerfallen, ſelbſt ohne Dar - legung des wahren Inhalts des Römiſchen Rechts.

Ganz ähnlich iſt die Behandlung dieſer Frage bei Buchka, der nur noch ausführlicher, und mit mehr Schein der Quellen - forſchung, auf dieſelbe eingegangen iſt. Die eigene Darſtellung, die derſelbe von der Rechtskraft der Gründe giebt, iſt befriedigen - der, als die irgend eines früheren Schriftſtellers(k)Buchka B. 2 S. 183 209, beſonders S. 183. 184. 207.. Er behauptet, der Richter müſſe und wolle über Alles entſcheiden, das bis zur Duplik als Gegenſtand des verhandelten Rechtsſtreites feſtgeſtellt worden ſey. Der Umfang dieſer zur Rechtskraft beſtimmten Ent - ſcheidung ſey alſo nicht blos aus der Urtheilsformel, ſondern auch aus den beigefügten Entſcheidungsgründen zu erkennen. Von dieſem Grundſatz macht er die richtige Anwendung auf die Rechts - kraft der Präjudicialpunkte und insbeſondere der legitimatio ad causam. Von dieſem Allen aber, als der im heutigen Recht393§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.gewonnenen Einſicht, behauptet er gerade das Gegentheil für den Standpunkt des Römiſchen Rechts, in welchem, wie er glaubt, die Rechtskraft nur auf die unmittelbare Entſcheidung ſelbſt, nicht auf die Gründe, insbeſondere nicht auf die Präjudicialpunkte, ſoll bezogen worden ſeyn(l)Buchka B. 1 S. 290 314, beſonders S. 301. 305. 308. Die klarſten Stellen, aus welchen die rich - tige Auffaſſung der Rechtskraft bei dem Römiſchen Juriſten hervorgeht, L. 7 § 4. 5 de exc. r. j. (44. 2) ſucht er auf gezwungene Weiſe zu entkräften (S. 296). Die ſcheinbaren Gründe, die er aus anderen Stellen für ſeine Behauptung anführt (insbeſondere bei der Alimentenklage S. 305 und bei der pignoris capio S. 308) können erſt weiter unten widerlegt werden (§ 298).. Die Bemerkungen, die ſo eben über die Auffaſſung von Kierulff gemacht worden ſind, finden auch hier ihre volle und buchſtäbliche Anwendung.

Wenn man die ſehr aus einander gehenden und oft ſo irrigen Anſichten der Schriftſteller in dieſer Lehre erwägt, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe, daß nothwendig auch die Praxis hierin von jeher eine ganz verſchiedene und großentheils irrige geweſen ſeyn müſſe. Dennoch muß ich die Richtigkeit dieſer Folgerung bezwei - feln, und vielmehr für wohl möglich halten, daß Mancher unter den angeführten Schriftſtellern eine beſſere Praxis mit erlebt und ſelbſt geübt haben mag, als man ihm nach ſeinen Schriften zu - trauen ſollte. Dieſer Umſtand würde ſich aus der, ſchon im Anfang des gegenwärtigen §. ausgeſprochenen, Bemerkung erklären, nach welcher die, in der Lehre von der Rechtskraft herrſchenden, falſchen Anſichten weniger aus deutlich gedachten, und mit be - ſtimmtem Bewußtſeyn angenommenen Irrthümern, als aus einem Mangel an klarer Entwicklung der hier vorkommenden Begriffe und Fragen entſprungen ſind.

Aus zuverläſſiger Mittheilung kann noch hinzugefügt werden,394Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.daß die Praxis des K. Sächſiſchen Oberappellationsgerichts zu Dresden mit der hier aufgeſtellten Lehre völlig übereinſtimmt. Dieſe Übereinſtimmung erhellt aus den nachſtehenden Regeln, die in dem erwähnten Gerichtshof befolgt werden.

Deciſive Sätze, welche in die Entſcheidungsgründe aufgenom - men worden ſind, der Sache nach aber die nothwendige Unter - lage der Entſcheidung (alſo integrirende Theile derſelben) bilden, erlangen mit der Entſcheidung Rechtskraft.

Sätze, die in den Rationen ausdrücklich zu Motivirung der Abweiſung aufgeſtellt worden ſind, oder dem Zuſammenhange nach bei der Entſcheidung ſtillſchweigend vorausgeſetzt ſeyn müſſen, gehen mit der Entſcheidung ſelbſt in Rechtskraft über.

Wegen der Entſcheidungsgründe kann daher gegen das Urthel appellirt werden, ſo lange oder ſo weit noch eine Appellation gegen das Urthel zuläſſig iſt.

§. 294. Genauere Beſtimmung des Inhalts. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.

Im Preußiſchen Prozeßrecht iſt die Rechtskraft des Urtheils in einigen ſo allgemein gefaßten Stellen anerkannt(a)A. G. O. Einleitung § 65. 66 und I. 16 § 1., daß dar - aus die unzweifelhafte Abſicht hervorgeht, nur den Beſtand des vorgefundenen gemeinen Rechts in dieſe Lehre aufzunehmen, und ferner gelten zu laſſen.

Was aber insbeſondere die Rechtskraft der Gründe betrifft, ſo findet ſich eine Geſetzſtelle, welche auf den395§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.erſten Blick dieſe Rechtskraft unbedingt auszuſchließen, und insbeſondere auch auf den Ort, wo ſich ein richterlicher Ausſpruch findet, den größten Werth zu legen ſcheint.

Allg. Gerichtsordnung I. 13 § 38. Die Kollegia und Urtelsfaſſer müſſen ſorgfältig Acht geben, daß überall die wirkliche Entſcheidung und deren Gründe deutlich von einander unterſchieden, und nicht etwa, das zu der erſtern gehört, in die letzteren, noch auch um - gekehrt, mit eingemiſcht werde, indem bloße Ent - ſcheidungsgründe niemals die Kraft eines Urtels haben ſollen(b)Die Materialien zur Allg. Gerichtsordnung geben über die Entſtehung und den Sinn dieſer Stelle gar keinen Aufſchluß. Das von der Hand von Suarez ge - ſchriebene Concept (Band 15 fol. 44) iſt mit dem gedruckten Text wört - lich gleichlautend. Das gedruckte Corpus j. Frid. von 1781 Tit. 13 § 11 ſtimmt eben ſo überein bis auf Kleinigkeiten (z. B. maaßen anſtatt indem). Ein früherer Ent - wurf von der Hand von Suarez ſtimmt gleichfalls weſentlich über - ein, nur mit etwas mehr wört - lichen Verſchiedenheiten, z. B. mit eingemiſchten lateiniſchen Aus - drücken, wie diſtinguiret, vice versa (B. 5 fol. 61; es iſt daſelbſt Tit. 14). Ein noch älterer Ent - wurf von Carmer (1775) hat eine ſolche Beſtimmung noch gar nicht (B. 2 fol. 75 77; es iſt daſelbſt das Cap. XVII.). Eine ganz ähnliche Bewandniß hat es mit dem § 36. Dieſer ſteht im Corpus J. Frid. 1781 Tit. 13 § 10 und hat gleichfalls nur ge - ringe Verſchiedenheiten von der A. G. O. ( die bei der Sache etwa vorkommenden Präliminär - und Präjudicialfragen ). Der Entwurf von Suarez B. 5 fol. 61 ſagt: passus praeliminares et praejudiciales. .

Indeſſen bleibt dabei der Begriff der Gründe noch ganz unentſchieden, und beſonders läßt der Ausdruck: bloße Entſcheidungsgründe, dem Gedanken Raum, daß hier ver - ſchiedene Arten von Gründen als denkbar vorausgeſetzt396Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſein möchten, welches mit der oben aufgeſtellten Lehre ganz übereinſtimmen würde(c)Schon ein neuerer Schrift - ſteller hat auf dieſen Ausdruck aufmerkſam gemacht. Koch Lehr - buch des Preuß. Rechts B. 1 § 199.

Ganz beſonders aber iſt dabei eine kurz vorhergehende Geſetzſtelle zu berückſichtigen, die bei dem Streit über die Rechtskraft meiſt überſehen zu werden pflegt.

Die Frage wegen der Rechtskraft der Gründe tritt mit praktiſcher Wichtigkeit beſonders da hervor, wo neben dem eigentlichen Klagegrund gewiſſe Präjudicialfragen zu ent - ſcheiden ſind, wohin insbeſondere die ſogenannten exce - ptiones litis finitae (z. B. Vergleich), und die ſogenannte legitimatio ad causam gehören. Für die Behandlung ſolcher Fälle giebt das Preußiſche Prozeßgeſetz folgende an ſich zweckmäßige Vorſchrift(d)A. G. O. I. 10 § 62 81 b. . Wenn die Präjudicial - frage wahrſcheinlich leicht und ſchnell, die Hauptſache aber ſchwierig zu entſcheiden iſt, ſo wird zuerſt die Präjudicial - frage allein inſtruirt und durch ein beſonderes Urtheil ent - ſchieden; für dieſen Fall kann kein Zweifel an der Rechts - kraft der Entſcheidung ſeyn. Wenn dagegen beide Fragen ungefähr in gleichem Verhältniß ſtehen , ſo bleibt es bei der Regel: Hauptſache und Exception werden zu gleicher Zeit inſtruirt und abgeurtelt (e)A. G. O. I. 10 § 62 c. und § 63 verglichen mit § 68. Ganz eben ſo ſoll es gehalten werden, wenn die Hauptſache einfach und leicht, die Exception aber ſchwierig iſt; außer wenn es in dieſem Fall. Es fragt ſich nun, wie dieſes Letzte ausgeführt werden ſoll.

Nach der ſtrengen Lehre Derjenigen, welche durchaus keine Rechtskraft der Gründe aufkommen laſſen wollen,397§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.müßte das Urtheil Nichts enthalten, als allein die Verur - theilung, oder die Freiſprechung; die Überzeugung, die der Richter über die Präjudicialfragen gewonnen hätte, wäre für ihn blos ein Beweggrund der Entſcheidung, käme nicht in das Urtheil, würde nicht rechtskräftig, und wäre nicht Gegenſtand eines möglichen Rechtsmittels(f)Daß die Sache in der neue - ſten Zeit in dieſer buchſtäblichen Strenge aufgefaßt worden iſt, wird unten nachgewieſen werden.. Ge - ſetzt nun, es fände ſich über dieſe Frage gar keine geſetz - liche Vorſchrift, ſo müßte es doch für höchſt bedenklich ge - halten werden, wenn der Umfang der in jedem einzelnen Rechtsſtreit eintretenden Rechtskraft von ganz zufälligen Umſtänden abhängig gemacht werden ſollte. Nichts kann nämlich zufälliger ſeyn, als die dem ſubjectiven Ermeſſen des Richters überlaſſene Vermuthung, daß eine Präjudicial - frage leichter, als die Haupſache, entſchieden werden könne. Wenn der Richter dieſer Vermuthung Raum giebt, wird über die Präjudicialfrage ein beſonderes Urtheil geſprochen, das dann unzweifelhaft rechtskräftig wird; ſollte nun wohl die Rechtskraft blos deswegen nicht eintreten, weil zufällig der Richter jene Vermuthung nicht gelten läßt, und daher kein beſonderes Urtheil über die Präjudicialfrage ſpricht?

In der That aber findet ſich über jene Frage, nämlich über die Behandlung des Falles eines gleichzeitigen Urtheils über die Präjudicialpunkte und die Hauptſache, folgende ausführliche Vorſchrift:(e)gelingt, in der Hauptſache ſo - gleich eine rechtskräftige Abwei - ſung zu bewirken, weil dadurch die Verhandlung über die Ex - ception ohnehin entbehrlich wird. § 64 67.398Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Allg. G. O. I. 13 § 36. In dem Urtel ſelbſt müſſen zuvörderſt die bei der Sache ſich findenden, vorläufigen und Präjudicial - fragen, wohin auch die Incidentpunkte gehören, ab - gemacht, und bei jedem Punkte die Gründe der Ent - ſcheidung beigefügt; ſodann zur Deciſion der Haupt - ſache übergegangen; wenn auch dieſe aus mehreren Punkten beſteht, bei jedem derſelben die Entſcheidung beſonders feſtgeſetzt, und die Gründe dafür ſofort an - gehängt werden (vgl. Note b.)

Hier iſt alſo ausdrücklich vorgeſchrieben, daß Aus - ſprüche, die nicht unmittelbar die augenblickliche Erledigung des vorliegenden Streites durch Verurtheilung oder Frei - ſprechung enthalten, die daher nach dem üblichen Ver - fahren der Gerichte nicht in das Urtheil, ſondern blos in die Entſcheidungsgründe geſetzt zu werden pflegen, daß dieſe Ausſprüche dennoch in das Urtheil ſelbſt aufgenommen und dadurch der Rechtskraft unzweifelhaft unterworfen werden ſollen.

Ich kann in dieſer Geſetzſtelle nur die beſtimmte Aner - kennung des oben aufgeſtellten Grundſatzes über die Rechts - kraft der (objectiven) Gründe des Urtheils finden. Der einzige Zweifel, den man gegen die Richtigkeit dieſer Aus - legung des angeführten Geſetzes erheben könnte, möchte darin beſtehen, daß das Geſetz vielleicht den Ausdruck: Präjudicialfragen in irgend einem engeren Sinn ge - nommen hätte. Ich verſtehe darunter alle Fragen über - haupt, wodurch, unabhängig von dem eigentlichen Klage -399§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.grund, eine endliche Entſcheidung der ganzen Sache herbeigeführt werden kann, ſo daß dann eine Prüfung der Wahrheit, oder Unwahrheit des Klagegrundes unnöthig wird. Es gehören dahin die ſogenannten exceptiones litis finitae, aber eben ſo auch die ſogenannten exceptiones litis ingressum impedientes, ferner die exceptio deficientis legitimationis ad causam, und andere mehr. Von allen dieſen wird ausdrücklich geſagt, daß ſie ganz auf gleiche Weiſe behandelt werden ſollen, und zwar nach dem oben aufgeſtellten Unterſchied(g)Über dieſe, nach der Vor - ſchrift des Geſetzes völlig gleich - artige Behandlung aller hier auf - gezählten Fälle laſſen keinen Zweifel die § 79 81 b. (G. O. I. 10), verglichen mit § 62 78 b. . Sind ſie ſchneller, als die Hauptſache, ſpruchreif zu machen, ſo wird über ſie durch ein beſonderes Urtheil entſchieden, das alſo jedem mög - lichen Urtheil über den Klagegrund vorhergeht(h)Gerade aus dieſem Um - ſtand, daß über ſolche Fragen ab - geſondert und vorhergehend verhandelt und entſchieden wird, oder doch werden kann, erklärt und rechtfertigt ſich die allgemeine Be - zeichnung derſelben als Präju - dicialfragen.. Stehen ſie mit der Hauptſache ungefähr in gleichem Verhältniß , ſo werden ſie mit der Hauptſache zugleich abgeurtelt, und auf die Einrichtung des Urtheils in dieſem Falle geht eben der oben mitgetheilte § 36, der alſo den Ausdruck: Präju - dicialfragen, in der größten denkbaren Ausdehnung nimmt(i)Im § 81 a. heißt die le - gitimatio ad causam ein Prä - judicialpunkt, und das Mar - ginale: Andere Präjudicial - punkte bei § 81 b. ſagt deutlich genug, daß alle vorhergehenden Fälle als Präjudicialpunkte ange - ſehen werden, wozu auch der Name vollkommen paßt. Über den Aus - druck: Präjudicialfragen oder.

400Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt, daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge - ſchrieben hat.

Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen - ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge - ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen(i)Präjudicialpunkte vgl. Beth - mann-Hollweg Verſuche S. 123 bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. Ich habe geglaubt, dieſe Frage etwas ausführlich behandeln zu müſſen, weil neuerlich eine will - kührlich einſchränkende Erklärung des § 36 verſucht worden iſt. Waldeck im neuen Archiv für Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841) S. 469 471. Er ſelbſt giebt aber zu, daß die legitimatio ad causam zu den Präjudicial - punkten gehört (worüber der § 36 einen Ausſpruch verlangt), und wenn dieſe ein Gegenſtand des Urtheils, alſo rechtskräftig wird, ſo iſt eigentlich ſchon die ganze Rechtskraft der Gründe im Prin - zip anerkannt.401§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.ſind. Ich rechne dahin ſowohl Urtheilsſprüche der Ge - richte, als Reſcripte der höchſten Aufſichtsbehörde.

1. Urtheil des Geheimen Ober-Tribunals vom 22. Auguſt 1817(k)Simon und Strampff Rechtsſprüche B. 1 S. 62..

Ein Mühlenpächter hatte Erlaß von Pachtgeldern ge - fordert wegen geſtörter Ausübung des gepachteten Rechts. Ein rechtskräftiges Urtheil hatte den Erlaß im Allgemeinen als begründet anerkannt, aber als Bedingung deſſelben die im Landrecht vorgeſchriebene Legung einer Adminiſtrations - rechnung gefordert. Kläger konnte eine ſolche Rechnung nicht legen, klagte aber dennoch von Neuem auf Pachterlaß.

Zwei Urtheile wieſen die neue Klage ab wegen des rechtskräftigen früheren Urtheils. Das Reviſionsurtheil änderte ab und ſprach den Erlaß zu, indem es die Rechts - kraft durch zwei Gründe beſeitigte. Erſtlich habe in dem früheren Prozeß der Beklagte ſelbſt erklärt, es ſey ihm gleichgültig, ob der Beweis durch Rechnung, oder auf andere Weiſe geführt werde. Zweitens widerſpreche das rechtskräftige Urtheil ſich ſelbſt, indem es den Erlaß über - haupt für begründet erkläre, und doch noch an eine Be - dingung knüpfe.

Auf den erſten Blick könnte man geneigt ſeyn, hierin eine freie Behandlung der Rechtskraft, und namentlich eine Anerkennung der Rechtskraft der Gründe zu finden. IchVI. 26402Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.finde darin vielmehr eine wahre Verletzung der Rechtskraft, die ich für ſehr bedenklich halte. Die in den Voracten enthaltene Erklärung einer Partei gehört nicht zu den Ur - theilsgründen, und ihre Nichtachtung hätte höchſtens ein Rechtsmittel rechtfertigen können. Ein innerer Widerſpruch iſt aber gewiß nicht vorhanden, wenn ein Anſpruch zwar anerkannt, aber doch nur unter einer Bedingung (d. h. theil - weiſe) anerkannt wird.

2. Reſcript vom 18. Nov. 1823(l)Kamptz Jahrbücher B. 22 S. 173. (Miniſter Kirch - eiſen).

In dem Tenor eines abweiſenden Urtheils brauche nicht der abgewieſene Antrag umſtändlich aufgenommen zu werden, indem die beigefügten Entſcheidungsgründe dem ſuccumbirenden Theil jederzeit hierüber die erforderliche Belehrung geben.

Der Ausdruck Belehrung iſt zwar nicht ohne Bedenken; dennoch ſcheint die richtige Anſicht vorausgeſetzt, daß die Gründe einen wahren Beſtandtheil des Urtheils ausmachen; denn nur unter dieſer Vorausſetzung geben die Gründe die erforderliche Belehrung, d. h. die Belehrung über die Frage, ob die Partei ein Rechtsmittel einzulegen hat.

3. Reſcript vom 28. Juli 1835(m)Kamptz Jahrbücher B. 46 S. 112. (Min. Mühler). Darin wird geſagt, das Erkenntniß bilde nur in Verbin - dung mit den Gründen ein Ganzes, ein wahres Urtheil. 403§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.Daher ſey auch ein, auf einem geſetzwidrigen Grunde ruhendes Urtheil für nichtig zu erklären, ſelbſt wenn das - ſelbe aus anderen Gründen gerechtfertigt erſcheine, alſo in der letzten Entſcheidung beſtätigt werden müſſe.

Dabei iſt augenſcheinlich die richtige Lehre vom Ver - hältniß der Gründe zum Urtheil vorausgeſetzt.

4. Urtheil des Tribunals vom 1. Decbr. 1843(n)Koch Schleſiſches Archiv B. 5 S. 277 fg. Die Hauptſtelle iſt S. 283 285. Der Heraus - geber hebt noch mehrere andere bedenkliche Seiten dieſes Urtheils heraus..

Ein Gutsherr hatte rückſtändige Laudemiengelder einge - klagt, der Beklagte hatte durch Widerklage Löſchung der Hypothek auf dieſe Rückſtände verlangt. Der Beklagte wurde rechtskräftig verurtheilt und mit der Widerklage ab - gewieſen. Nun klagte der vorige Beklagte auf Löſchung der hypothekariſch eingetragenen Laudemialverpflichtung des Gutes ſelbſt (nicht mehr einzelner Rückſtände). Beide erſte Richter wieſen die neue Klage zurück wegen der exceptio rei judicatae. In Folge einer Nichtigkeitsbeſchwerde wurde deswegen abgeändert, weil das frühere Urtheil nur über einzelne Laudemialzahlungen, nicht über das Laudemial - recht ſelbſt, rechtskräftig entſchieden habe, ſo daß in den zwei erſten Urtheilen die (nicht rechtskräftigen) Gründe mit dem (rechtskräftigen) Urtheil verwechſelt worden ſeyen.

In dieſem Erkenntniß des Tribunals liegt ein ganz entſchiedener Widerſpruch gegen die oben aufgeſtellten Grundſätze über die Rechtskraft der Gründe.

26*404Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

5. Plenarbeſchluß des Tribunals vom 23. Januar 1843(o)Entſcheidungen des O. Tribunals B. 9. S. 128 fg. Die Haupt - ſtelle findet ſich S. 132. 133..

Der hier entſchiedene Fall ſelbſt gehört nicht unmittel - bar in das Gebiet unſrer Frage. Allein in den Gründen wird ausdrücklich folgende Lehre aufgeſtellt. Wenn der Klagegrund und mehrere Einreden inſtruirt ſind, und der Richter freiſprechen will, ſo muß er das Urtheil hierauf beſchränken, ohne dabei zu ſagen, ob er die Klage für un - begründet, oder eine oder die andere Einrede für begründet hält. Sonſt käme der Beklagte, der ſich ja über Nichts zu beſchweren habe, in die Lage, wenn der Kläger appellire, gleichfalls gegen die ihm nachtheiligen Gründe zu ap - pelliren.

Hier iſt recht augenſcheinlich der oben (§ 293) darge - ſtellte und getadelte Geſichtspunkt vorherrſchend, nur leicht und ſchnell für den Augenblick abzuhelfen, unbekümmert um die Zukunft, beſonders aber, ſo viel als möglich die Rechtsmittel zu verhüten. Die Einſeitigkeit dieſes Geſichts - punktes wird recht augenſcheinlich, wenn man auf die Fälle Rückſicht nimmt, worin ein nach dieſer Anweiſung einge - richtetes Urtheil, in Ermangelung eingelegter Rechtsmittel, ſogleich rechtskräftig wird, oder worin es von der höchſten Inſtanz geſprochen iſt. Dann kann die, zur Erſparniß von Rechtsmitteln getroffene Vorkehrung dahin ausſchlagen, daß künftig neue Prozeſſe entſtehen, die durch eine richtig aus -405§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.gedehnte Rechtskraft für immer verhütet worden wären. Auch iſt nicht einzuſehen, wie die hier aufgeſtellte Lehre mit der oben angeführten Stelle der Gerichtsordnung (I. 13 § 36) vereinigt werden ſoll.

6. Plenarbeſchluß des Tribunals vom 19. September 1845(p)Entſcheidungen des O. Tribunals B. 11 S. 118 122..

Wenn ein Beklagter Einwendungen gegen das Klage - recht ſelbſt hat, und daneben die Einrede der fehlenden Activlegitimation, ſo kann nach Umſtänden über dieſe Prä - judicialeinrede beſonders inſtruirt und erkannt werden. Wenn aber Dieſes nicht geſchieht, ſondern beide Einwen - dungen gleichzeitig verhandelt werden, ſo ſoll (nach jenem Plenarbeſchluß) die Präjudicialeinrede nicht in dem Tenor, ſondern nur in den Gründen erwähnt werden, die Ent - ſcheidung darüber ſoll nicht rechtskräftig werden, und es ſoll dagegen kein Rechtsmittel zuläſſig ſeyn.

Gegen dieſe Entſcheidung gelten dieſelben Gründe, welche bereits gegen die vorhergehende geltend gemacht worden ſind; ja es iſt in ihr der Widerſpruch mit der an - geführten Stelle der A. G. O. (I. 13 §. 36) ſogar noch unmittelbarer und augenſcheinlicher.

7. Urtheil des Tribunals vom 26. Januar 1847 in Sachen Neſte auf Molſtow wider Ulrike Amalie Kolter - mann (aus handſchriftlicher Mittheilung). In den Gründen dieſes Urtheils kommt folgende Stelle vor, die mit der hier vorgetragenen Lehre vollkommen übereinſtimmt:406Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Im Vorprozeſſe nämlich hat der Verklagte ſich ſchon auf den Erbſchaftskaufvertrag vom 1. Juli 1842 ge - ſtützt, und dieſen excipiendo gegen die Klägerin gel - tend gemacht. Der Reviſionsrichter verwarf jedoch den desfallſigen Einwand, indem er ausführte, wie dieſer Vertrag die Klägerin nicht beeinträchtigen könne. Durch die Verwerfung, wenn ſie auch blos in den Urtelsgründen erfolgte, weil es ſich um eine Einrede handelte, erloſch die letztere; ſie blieb zu einer nachherigen Proteſtation eben ſo wenig, wie zu einer neuen Klage geeignet. (cf. Wächter Hand - buch Bd. II. S. 558. 567. )

Endlich iſt auch noch anzugeben, welche Meinungen von Schriftſtellern des Preußiſchen Rechts über die vor - liegende Frage aufgeſtellt worden ſind.

Grävell hat an mehreren Stellen ſeines Commentars über die Gerichtsordnung(q)Grävell Comm. über die A. G. O. B. 1 S. 145, B. 2 S. 681. 685. 686. Regeln über das Verhältniß der Präjudicialpunkte zum Urtheil ſelbſt und zu deſſen Rechtskraft aufgeſtellt, die wohl auf eine freiere Anſicht der Sache gedeutet werden können; allein ſeine Ausdrücke ſind doch ſo wenig beſtimmt und entſchieden, daß ich es für ungewiß halte, ob dieſer Schriftſteller mit der hier aufgeſtellten Lehre wirklich übereinſtimmt, oder nicht.

407§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.

Dagegen hat Koch ſehr entſchieden an mehreren Orten dieſelbe Lehre über die Rechtskraft der Gründe aufgeſtellt, welche oben für das Preußiſche, wie für das gemeine Recht vertheidigt worden iſt(r)Koch Lehrbuch des Preußi - ſchen Rechts B. 1 §. 199. 200, und: Juriſtiſche Wochenſchrift 1837 S. 1 10, S. 21 34. Beſon - ders entſcheidend iſt folgender Rechtsfall (S. 1. 2. 31. 32). Einer Klage auf verfallene Zinspoſten war die exceptio non numera - tae pecuniae entgegengeſetzt wor - den; dieſe wurde verworfen, und der Beklagte wurde zur Zahlung der Zinſen verurtheilt. Nunmehr klagte der vorige Beklagte mit der condictio sine causa auf Her - ausgabe des Schuldſcheins, und zwar aus demſelben Grunde, den er früher als Einrede ohne Erfolg geltend gemacht hatte. Der erſte Richter wies die Klage ab wegen des rechtskräftigen Urtheils, der Appellationsrichter reformirte, weil beide Klagen verſchiedene Objecte gehabt hätten, und in dem erſten Prozeß das gegebene Darlehn zwar angenommen, aber nur in den Gründen, die nicht rechtskräftig würden, nicht in dem Tenor, aus - geſprochen worden ſey. Koch tadelt dieſes Urtheil mit Recht..

Zum Schluß dieſer ganzen Unterſuchung iſt noch der Zuſammenhang derſelben mit einer, an ſich ſehr verſchiede - nen, Frage bemerklich zu machen, welche in neuerer Zeit mit Gründlichkeit und Scharfſinn nach beiden Seiten hin verhandelt worden iſt, mit der Frage nämlich, wie in einem Richtercollegium abzuſtimmen iſt; ob nach Gründen, oder vielmehr nach dem letzten Reſultat(s)Für die Abſtimmung nach Gründen haben ſich ausge - ſprochen: Ein Miniſterial-Reſcript von 1819; ein zweites von 1834; ein drittes von 1840; (Ergänzungen und Erläuterungen der Preußiſchen Rechtsbücher B. 8 Breslau 1843, zu G. O. I. 13 § 31, S. 314. 315. Juſtiz-Miniſterialblatt 1841 S. 18 bis 24). Ferner: Göſchel Zer - ſtreute Blätter B. 1 S. 238. Koch Lehrbuch des Preußiſchen Rechts B. 1 §. 64. Für die Abſtim -. Im erſten408Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Falle muß aus den, durch die Mehrheit angenommenen, ein - zelnen Gründen das Reſultat gezogen werden, auf die Ge - fahr hin, daß mit dieſem Reſultat an ſich die Mehrheit vielleicht nicht zufrieden ſeyn würde. Im zweiten Falle müſſen die Entſcheidungsgründe aus allen, von den einzel - nen Mitgliedern vorgebrachten Gründen ſo ausgeſucht werden, wie ſie zu dem gezogenen Reſultat paſſen, auf die Gefahr hin, daß jeder dieſer Gründe für ſich von der Mehrheit mißbilligt werden möchte(t)Dieſes letzte Verfahren ver - langt ausdrücklich Dorguth a. a. O. S. 159 N. 11..

Es iſt nicht meine Abſicht, mich hier in die Prüfung dieſer ſchwierigen und verwickelten Frage im Allgemeinen einzulaſſen, und dadurch den Gang unſrer Unterſuchung zu unterbrechen: ich will nur den partiellen Zuſammenhang nachzuweiſen ſuchen, in welchem dieſe Frage mit der hier aufgeſtellten Lehre von der Rechtskraft der Gründe ſteht. Wenn dieſe Lehre richtig iſt, d. h. wenn die objectiven Gründe wahre Beſtandtheile des Urtheils ſind, und mit demſelben rechtskräftig werden ſollen, ſo muß nothwendig über jeden objectiven Grund, nicht blos über Verurtheilung oder Freiſprechung, beſonders abgeſtimmt und entſchieden werden, weil ſonſt die Rechtskraft dieſer Gründe nicht von dem Collegium in ſeiner Mehrheit entſchieden ſeyn würde. Es bleibt aber dabei noch unentſchieden, ob vielleicht in(s)mung nach dem Reſultat: Dor - guth, Juriſtiſche Wochenſchrift 1841 S. 153. 173. 625. 645. 647. 671, und Waldeck im neuen Archiv für Preußiſches Recht, Jahrg. 7. (1841) S. 427 471.409§. 295. Wirkungen der Rechtskraft.Anſehung der ſubjectiven Gründe das entgegengeſetzte Ver - fahren als richtig anzuſehen ſeyn möchte(u)Allerdings habe ich ſelbſt kein Bedenken, mich bei den ſub - jectiven Gründen für daſſelbe Ver - fahren, wie bei den objectiven, zu erklären. Dieſes würde z. B. zur Anwendung kommen, wenn etwa die Beweiskraft einzelner Zeugen oder Urkunden aus verſchiedenen Gründen beſtritten werden ſollte..

§. 295. Rechtskraft. II. Wirkungen. Einleitung.

Die bisher geführte Unterſuchung ging darauf aus, die Bedingungen der Rechtskraft feſtzuſtellen; es bleibt nun noch übrig, die Wirkung derſelben zu unterſuchen(a)Der Zuſammenhang dieſer verſchiedenen Fragen iſt oben, am Ende des §. 283, angegeben worden..

In der Wirkung der Rechtskraft ſind drei Stufen zu unterſcheiden, welche in folgenden Rechtsinſtituten erſcheinen: Execution, actio judicati, Einrede der Rechtskraft.

Die beiden erſten Inſtitute ſind inſofern von beſchränk - terer Anwendung, als ſie nur bei verurtheilenden Erkennt - niſſen vorkommen, nicht bei freiſprechenden, während das dritte (die Einrede) bei jeder Art von Erkenntniſſen vor - kommen kann. Ein größerer Unterſchied aber, in Bezie - hung auf unſren beſonderen Zweck, liegt darin, daß die zwei erſten Inſtitute mehr zu dem Prozeßrecht zu rechnen ſind, anſtatt daß das dritte ganz dem materiellen Recht angehört, deſſen Darſtellung allein in unſrer Aufgabe liegt.

Die Execution iſt im Fall eines verurtheilenden Er - kenntniſſes, wenn demſelben nicht freiwillig Folge geleiſtet410Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wird, die nächſte und fühlbarſte Wirkung der Rechtskraft. Sie hat jedoch keinen anderen Zweck, als den, dem richter - lichen Ausſpruch durch äußere Macht ſichere Geltung zu ver - ſchaffen, und gehört alſo als letztes Glied in die Reihe der Prozeßhandlungen(b)Aus den Quellen des Römiſchen Rechts gehört dahin ein großer Theil des Digeſten - titels de re judicata (42. 1), insbeſondere die Beſtimmungen über das tempus judicati (L. 7, L. 4 § 5, L. 29 de re jud. u. ſ. w.), ſo wie die über das pignus in causa judicati captum. . Eine Einwirkung auf das materielle Recht, durch Veränderung der Rechtsverhältniſſe, liegt darin nicht, und wenn eine ſolche Veränderung durch Veranlaſſung der Execution dennoch eintritt, ſo liegt der Grund nicht ſowohl in der Natur und Beſtimmung der - ſelben, als in zufälligen Umſtänden. Für viele Verpflich - tungen nämlich, die das verurtheilende Erkenntniß dem Beklagten auferlegen kann, iſt ein unmittelbarer Zwang gar nicht möglich, und es müſſen dann entweder indirecte Zwangsmittel angewendet, oder Surrogate aufgeſucht werden, um ſo durch Umwege dem Urtheil eine annähernde Ausführung zu verſchaffen(c)Die Herausgabe einer vom Beklagten beſeſſenen Sache kann unmittelbar erzwungen werden; eben ſo, durch Abpfändung und Verkauf, die Zahlung einer Geld - ſumme. Nicht ſo, wenn zur Voll - ziehung des Urtheils eine freie Thätigkeit des Beklagten erforder - lich iſt; in dieſem Falle bleibt Nichts übrig, als indirecter Zwang, z. B. durch perſönliche Haft, oder Verwandlung des urſprünglichen Gegenſtandes in eine Geldzahlung durch aestimatio, die im R. R. in ſehr ausgedehnter Weiſe vor - kommt. Hierüber ſind von jeher in der Theorie und Praxis ſehr verſchiedene Regeln angenommen worden. Vgl. Wächter Heft 2 S. 14 33..

411§. 295. Wirkungen der Rechtskraft.

Etwas, aber nicht viel, anders verhält es ſich mit der Actio judicati. Allerdings enthält dieſe inſofern ein neues materielles Rechtsinſtitut, als ihr eine eigenthümliche Obli - gation zum Grunde liegt, welche jedoch ſelbſt nur die Ent - wicklung und Vollendung der, durch die Litisconteſtation begründeten Obligation iſt(d)S. o. § 258 S. 32. 33. Viele Stellen, die von dieſer Obligation handeln, ſind zuſam - mengeſtellt bei Keller S. 199 Note 3.. Indeſſen hat dieſe Obli - gation keinen anderen Stoff, als die Execution, und ſo iſt ſie ſelbſt doch eigentlich nur eine andere Form der Execu - tion, mit welcher ſie daher die weſentlich prozeſſualiſche Natur theilt(e)Ein großer Theil des Di - geſtentitels de re judicata (42. 1) handelt von der actio judi - cati, deren allgemeine Natur in folgenden Stellen angegeben wird: L. 4. 5. 6. 7. 41 § 2. 43. 44. 61 de re jud. (42. 1). Bei den neueren Juriſten iſt oft noch neben dieſer Klage von einer be - ſonderen imploratio officii judi - cis die Rede, die aber im Grunde immer wieder die actio judicati iſt, wenn ſie auch vielleicht weniger förmlich erſcheint. Vgl. Buchka B. 2 S. 214. Anders freilich verhält es ſich in der beſonderen Prozeßgeſetzgebung mancher Länder, worin verſchiedene Stufen dieſer Rechtsverfolgung vorgeſchrieben ſind. So in der Preußiſchen Allg. Gerichtsordnung Th. 1. Tit. 24 § 3 Tit. 28 § 14.. So haben denn auch die meiſten Ei - genthümlichkeiten, die man als Privilegien dieſer Klage bezeichnen kann, eine überwiegend prozeſſualiſche Beſchaf - fenheit(f)Dahin gehört im älteren Recht die Strafe der doppelten Zahlung bei Ableugnung des Ur - theils, ferner die manus injec - tio, die satisdatio, ein beſonderes vadimonium. Gajus IV. § 9. 21. 25. 102. 186.. Eine derſelben, die ganz in das materielle Recht gehört, muß jedoch noch beſonders hervorgehoben werden: dieſe betrifft die Urtheilszinſen.

412Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn nämlich das Urtheil dem Beklagten eine Geld - zahlung auferlegt, ſo iſt es denkbar, daß er von dieſer Summe vor dem Urtheil Vertragszinſen, Verzugszinſen, Prozeßzinſen, oder auch gar keine Zinſen zu zahlen hatte. Es entſteht nun die Frage, ob das rechtskräftige Urtheil auf die Zinsverpflichtung, je nach dieſen verſchiedenen Fäl - len, irgend einen abändernden Einfluß ausübt für die künf - tige Zeit. Das Römiſche Recht iſt in der Beantwortung dieſer Frage lange ſchwankend geweſen; die Entſcheidung des Juſtinianiſchen Rechts iſt aber nicht zweifelhaft(g)L. 13 C. de usur. (4. 32). L. 1. 2. 3 C. de us. rei jud. (7. 54).. Von dem Augenblick des rechtskräftigen Urtheils an iſt aller bisherige Zinſenlauf gehemmt, und dieſe Begünſtigung des Beklagten, die ihm die freiwillige Erfüllung des Ur - theils erleichtern ſoll, dauert vier Monate. Hat er inner - halb dieſes Zeitraums nicht gezahlt, ſo wird nicht etwa der frühere Zinſenlauf fortgeſetzt, ſondern es entſtehen, ohne daß es einer Mahnung bedarf, neue Zinſen, welche ſtets zwölf Procente (centesimae) betragen, jedoch nur von der früheren Kapitalſchuld, nicht von früheren Zinſen, bezahlt werden müſſen. Dieſe ganz eigenthümliche, ſehr will - kührliche Vorſchrift iſt indeſſen nach dem übereinſtimmenden Zeugniß der bewährteſten praktiſchen Schriftſteller im heu - tigen Recht nicht anerkannt worden(h)Voetius Lib. 22 Tit. 1 § 11, Stryk ibid. § 13. Lauter - bach ibid. § 22.. Es bleibt alſo nunmehr bei einem unveränderten Fortgang der früher lau -413§. 295. Wirkungen der Rechtskraft.fenden Zinſen, insbeſondere der Prozeßzinſen, wo ſolche zur Anwendung kommen, auch nachdem ein rechtskräftiges Ur - theil ergangen iſt.

Unter den drei oben angegebenen Wirkungsarten der Rechtskraft bleibt jetzt noch die letzte zur näheren Be - trachtung übrig: die exceptio rei judicatae, oder die Ein - rede der Rechtskraft. Von dieſer iſt ſchon oben nach - gewieſen worden, daß die hiſtoriſche Entwicklung der Rechtskraft ſich hauptſächlich an ſie, als ihren eigentlichen Mittelpunkt, angeknüpft hat (§ 281 fg.). Durch ſie ſollte vorzugsweiſe die Fiction der Wahrheit des rechtskräftigen Urtheils praktiſch durchgeführt werden, oder mit anderen Worten, es ſollte durch ſie bewirkt werden, daß niemals der Inhalt eines Urtheils mit dem Inhalt eines früheren rechtskräftigen Urtheils in Widerſpruch trete. Allerdings theilte ſie in früherer Zeit dieſen Beruf mit anderen ver - wandten Rechtsinſtituten(i)Nämlich mit der, ſchon in der Litisconteſtation liegende Con - ſumtion der Klage, wodurch manche Klagen ipso jure zerſtört, andere vermittelſt einer exceptio rei in judicium deductae ent - kräftet wurden (§ 281).; als aber dieſe allmälig ver - ſchwanden, diente ſie allein zu jenem wichtigen Zweck, ſo daß ſie im neueſten Recht eine noch höhere Stufe der Wichtigkeit eingenommen hat, als in der früheren Zeit.

Dieſe Einrede kann begründet werden ſowohl durch eine Freiſprechung, als durch eine Verurtheilung, hat alſo inſofern eine weitere Wirkungsſphäre, als die Execution414Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.und die actio judicati, da dieſe nur aus einer Verurthei - lung entſpringen können. Aus der Freiſprechung ent - ſpringt dieſe Einrede zum Vortheil des Beklagten, welcher dadurch gegen jede neue Klage geſchützt wird, wodurch der Erfolg jener Freiſprechung gefährdet werden könnte. Aus der Verurtheilung kann ſowohl der Kläger, als der Beklagte, einen Anſpruch auf jene Einrede erwerben. Der Kläger, wenn durch eine neue Klage der frühere Be - klagte ein Recht geltend zu machen verſucht, welches mit der rechtskräftigen Verurtheilung im Widerſpruch ſteht (§. 287). Der Beklagte, wenn er aus dem früher ab - geurtheilten Recht von Neuem in Anſpruch genommen wird, und zwar über die Gränzen der rechtskräftigen Ver - urtheilung hinaus (§ 286).

Die Einrede der Rechtskraft ſteht in Verwandtſchaft mit einigen anderen Rechtsinſtituten, die mehr oder weniger ähnliche Natur mit ihr haben. Dahin gehört zunächſt die exceptio pacti und jurisjurandi, indem ein Rechtsſtreit eben ſowohl durch Vertrag oder Eid, als durch rechts - kräftiges Urtheil, zu Ende geführt werden kann. In allen dieſen Fällen iſt es gleich unzuläſſig, durch eine neue Klage mit einer ſolchen Beendigung in Widerſpruch zu treten, und damit Dieſes nicht geſchehe, ſind eben jene drei Einreden aufgeſtellt worden. Bei jeder derſelben kann es in Frage kommen, ob auch wiklich die neue Klage die - ſelbe iſt, worauf ſich die frühere Beendigung bezog, und bei der Erörterung dieſer oft ſchwierigen Frage kann nicht415§. 295. Wirkungen der Rechtskraft.ſelten die Vergleichung einer dieſer Einreden mit den anderen gute Dienſte thun. Ein durchgreifender Unterſchied aber zwiſchen dieſen drei Einreden beſteht darin, daß die exceptio pacti und jurisjurandi ſchon im jus gentium anerkannt ſind, welches von der exceptio rei judicatae, als einem Inſtitut des blos poſitiven Rechts, nicht be - hauptet werden kann (§ 249. c).

Eine fernere Verwandtſchaft hat dieſe Einrede mit der oben abgehandelten Concurrenz der Klagen (§ 231 fg.).

Der Grundſatz der Concurrenz ſoll verhindern, daß der durch eine Klage geforderte und zuerkannte Gegenſtand noch einmal gefordert werde; der Grundſatz unſrer Einrede ſoll verhindern, daß der, im frühern Rechtsſtreit geforderte und abgeſprochene Gegenſtand ferner gefordert werde. Inſofern wird bei dieſen beiden Rechtsinſtituten ein gerade entgegengeſetzter früherer Erfolg vorausgeſetzt. Ihre Ver - wandtſchaft aber beſteht in der Vorausſetzung einer ge - wiſſen Identität des erſten und zweiten Rechtsſtreits. Indeſſen iſt dieſe Verwandtſchaft doch mehr ſcheinbar, als wahr, wenn man die Einrede der Rechtskraft in ihrer neueſten Geſtalt (der poſitiven Function) auffaßt, indem bei dieſer die Identität eine ganz andere Bedeutung hat, als in der Lehre von der Concurrenz. Der Grundſatz der Concurrenz kann den Gebrauch einer neuen Klage aus - ſchließen, auf deren Verhältniß zu der früheren Klage die Einrede der Rechtskraft gar nicht anwendbar ſeyn würde, und eben ſo kann auch umgekehrt dieſe Einrede eine neue416Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Klage in ſolchen Fällen ausſchließen, auf welche der Grundſatz der Concurrenz gar keine Anwendung findet. Manche Schriftſteller haben dieſen Umſtand überſehen, und daher beide Inſtitute in eine ihrer Natur nicht angemeſſene Verbindung zu bringen geſucht(k)S. o. § 231 p. Mehr wirkliche Verwandtſchaft beſtand noch zwiſchen der Concurrenz und der exceptio rei judicatae in ihrer älteren Geſtalt (der negativen Function)..

Der Zweck und Erfolg der Einrede der Rechtskraft läßt ſich einfach dahin beſtimmen, daß ſie auf Entkräftung jeder Klage geht, die mit dem Inhalt eines früheren rechts - kräftigen Urtheils in Widerſpruch zu treten verſucht. So, wie alle anderen Exceptionen, kann auch dieſe in Ge - ſtalt einer Replication oder Duplication geltend gemacht werden, wenn die Lage des Rechtsſtreits dazu Gelegenheit darbietet. In ſolchen Fällen wird dadurch nicht die Klage des Gegners, ſondern deſſen Exception oder Replication entkräftet. Man kann daher für alle dieſe Fälle die ge - meinſame Formel ſo ausdrücken: Es ſoll dadurch jederzeit der Anſpruch des Gegners entkräftet werden, welcher mit einem rechtskräftigen Urtheil in Widerſpruch treten würde.

Rach dieſen Vorbemerkungen bleibt noch der wichtigſte Punkt zu erörtern übrig: unter welchen Bedingungen die Einrede der Rechtskraft anwendbar iſt. Auf dieſe Frage wird ſich der ganze noch übrige Theil der gegenwärtigen Abhandlung beziehen.

417§. 296. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage.

§. 296. Einrede der Rechtskraft. Bedingungen. Ueberſicht. Dieſelbe Rechtsfrage.

Die Frage nach den Bedingungen dieſer Einrede hat folgende Bedeutung. Wenn in einem gegenwärtigen Rechts - ſtreit die Einrede aus der rechtskräftigen Entſcheidung eines früheren Rechtsſtreits gebraucht wird um die neue Klage zu entkräften, ſo ſoll das Verhältniß feſtgeſtellt werden, in welchem der erſte zu dem zweiten Rechtsſtreit ſtehen muß, damit die Einrede dieſe Wirkung haben könne.

Über dieſe Frage finden wir in folgenden zwei Stellen des Ulpian einen großentheils wörtlich gleichlautenden Ausſpruch, merkwürdigerweiſe jedesmal mit Berufung auf das Zeugniß des Julian.

  • L. 3 de exc. r. j. (44. 2). Julianus lib. 3 Dig. respon - dit, exceptionem rei judicatae obstare, quotiens eadem quaestio inter easdem personas revocatur.
  • L. 7 § 4 eod. Et generaliter, ut Julianus definit, ex - ceptio rei judicatae obstat, quotiens inter easdem per - sonas eadem quaestio revocatur, vel alio genere ju - dicii
    (a)In derſelben Stelle heißt es, wenige Zeilen vorher, (L. 7 § 1 eod.): Et quidem ita definiri potest, totiens eandem rem agi, quotiens apud judicem posteriorem id quaeritur, quod apud priorem quaesitum est.
    (a).

In beiden übereinſtimmenden Stellen wird zur Anwend - barkeit der Einrede ein zweifaches Verhältniß der Identität zwiſchen dem erſten und zweiten Rechtsſtreit erfordert: dieVI. 27418Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jetzt zu entſcheidende Rechtsfrage ſoll dieſelbe ſeyn, welche ſchon früher entſchieden worden iſt, und die Per - ſonen, die jetzt ſtreiten, ſollen dieſelben ſeyn, welche den früheren Rechtsſtreit geführt haben.

Man kann Beides kurz als objective und ſubjective Identität bezeichnen. Zunächſt ſoll nun die erſte, die Iden - tität der Rechtsfrage, genau beſtimmt werden.

Was in den angeführten beiden Stellen als eadem quaestio bezeichnet wird, heißt in manchen anderen Stellen eadem res(b)L. 7 pr. de exc. r. j. (Ulp.), L. 14 pr. eod. (Paul. ), L. 27 eod. (Nerat.). Derſelbe Ausdruck findet ſich in L. 5 eod.; allein dieſe Stelle ſpricht in der That nicht von unſerer Einrede, ſondern von folgender Frage. Bei einer beabſichtigten mandati actio hatte ſich der Kläger eine cautio ju - dicio sisti verſprechen laſſen, und zwar vor der L. C. (vgl. L. 10 § 2, L. 13 si quis caut.). Er änderte nachher ſeine Abſicht, und ſtellte zu demſelben Zweck die a. negot. gest. an. Wenn nun der Beklagte ausblieb, ſo fragte es ſich, ob die für eine andere Klage verſprochene Caution den - noch verfallen ſey. Ulpian be - jaht dieſe Frage, weil es eadem res ſey. Vgl. Buchka B. 1 S. 97. Dennoch kann die Auf - nahme dieſer Stelle in unſeren Di - geſtentitel nicht getadelt werden, da für die Exception das Daſeyn der eadem res eben ſo, und in demſelben Sinn, wie für die Caution, erfordert wurde.. Es iſt einleuchtend, daß dieſer letzte Aus - druck weit unbeſtimmter iſt, als der erſte, indem es bei der großen Vieldeutigkeit des Wortes res ungewiß bleibt, ob vielleicht eine Übereinſtimmung in dem äußern Gegenſtand, oder in dem Namen, oder in der Formel beider Klagen gemeint ſeyn möge. Der Ausdruck quaestio dagegen deutet geradezu auf die in beiden Klagen der richterlichen Prü - fung und Entſcheidung vorliegende Rechtsfrage, legt alſo dem zweiten Richter die Pflicht auf, den Inhalt des frü -419§. 296. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage.heren Urheils zu beachten und zu befolgen. Dieſe größere Beſtimmtheit des Ausdrucks iſt nicht nur an ſich eine weſentliche Verbeſſerung, ſondern ſie enthält zugleich ein unverkennbares Zeichen, daß man ſich, indem man dieſen Ausdruck wählte, der neueren Entwicklung unſres Rechts - inſtituts (der poſitiven Function der exceptio rei judicatae) deutlich bewußt geworden war.

Allerdings wurde auch bei der älteren Geſtalt jener Exception (der negativen Function) eine gewiſſe Identität beider Klagen erfordert; allein dieſe hatte dabei eine nicht wenig verſchiedene Bedeutung, indem vorzugsweiſe auf die übereinſtimmende Intentio beider Klagen (nicht auf den In - halt des Urtheils) geſehen wurde, wovon in dem neueſten Recht ohnehin nicht mehr die Rede ſeyn könnte(c)Dieſer Punkt iſt von Keller § 33 mit großer Sorgfalt, und mit Beachtung der nöthigen Ein - ſchränkungen behandelt worden. Von demſelben Schriftſteller wird S. 272 275 ausgeführt, daß eadem quaestio mit der eigen - thümlichen Natur der Einrede in ihrer poſitiven Function in Ver - bindung ſteht..

Zunächſt iſt alſo das Daſeyn derſelben Rechtsfrage (die objective Identität), als erſte Bedingung für die Ein - rede der Rechtskraft, genau zu beſtimmen. Dieſe Bedingung ſchließt zwei entgegengeſetzte Regeln in ſich, deren Sinn vorläufig feſtzuſtellen und durch Beiſpiele anſchaulich zu machen iſt.

I. Soweit beide Klagen auf einer verſchiedenen Rechtsfrage beruhen, darf die Einrede der Rechtskraft27*420Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht angewendet werden, auch wenn ein Schein von Uebereinſtimmung vorhanden ſeyn ſollte. Erläuternde An - wendungen ſind folgende.

Die Entſcheidung einer Beſitzklage begründet niemals die Einrede der Rechtskraft für die künftige Eigenthums - klage(d)L. 14 § 3 de exc. r. jud. (44. 2)., und eben ſo auch umgekehrt. Man könnte ver - ſucht ſeyn, das Eigenthum als das größere, den Beſitz als das geringere Recht an der Sache anzuſehen, folglich den Beſitz als Beſtandtheil des Eigenthums; dieſe Auffaſſung aber würde ganz irrig ſeyn. Beide Rechte ſind vielmehr ganz ungleichartig(e)L. 12 § 1 de adqu. vel am. poss. (41. 2)., ſo daß die Bejahung des einen mit der Verneinung des andern niemals im Widerſpruch ſteht.

Wird eine confeſſoriſche Klage auf iter abgewieſen, ſpäter eine confeſſoriſche Klage auf actus angeſtellt, ſo ſteht die Einrede nicht entgegen(f)L. 11 § 6 de exc. r. jud. (44. 2).. Zwar umfaßt der actus unter andern auch alle einzelnen im iter enthaltenen Befug - niſſe; dennoch ſind es Servituten verſchiedener Art und Benennung, deren jede alſo, unabhängig von der anderen, durch ein Rechtsgeſchäft beſonders begründet werden kann.

Die Abweiſung der Eigenthumsklage hindert nicht die ſpätere Anſtellung einer Condiction auf dieſelbe Sache, ob - gleich beide Klagen denſelben äußeren Zweck haben, nämlich dem Kläger dieſe Sache zu verſchaffen(g)L. 31 de exc. r. jud. (44. 2)..

Die Abweiſung einer durch Dolus bedingten Klage hindert nicht die ſpätere Anſtellung der Aquiliſchen Klage,421§. 296. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage.weil dieſe ſchon durch bloße Culpa begründet werden kann(h)L. 13 pr. de lib. causa (40. 12)..

II. Soweit dagegen beide Klagen auf derſelben Rechtsfrage beruhen, iſt die Einrede der Rechtskraft an - zuwenden, auch wenn ein Schein von Verſchiedenheit vor - handen ſeyn ſollte.

Um dieſe wichtige, und in manchen Beziehungen ſchwierige, Regel in das wahre Licht zu ſetzen, ſollen zuerſt die einfachſten Fälle betrachtet werden, die Fälle, in welchen an dem Daſein unbedingter Uebereinſtimmung kein Zweifel denkbar iſt. Dann iſt zu unterſuchen, welche einzelnen Be - ſtandtheile jener unbedingten, vollſtändigen Uebereinſtimmung etwa fehlen dürfen, ohne die Annahme der für unſren Zweck erforderlichen Uebereinſtimmung aufzuheben, alſo ohne für die Anwendbarkeit der Einrede der Rechtskraft ein Hinderniß darzubieten. In ſolchen Fällen wird ein bloßer Schein der Verſchiedenheit vorhanden ſeyn, bei weſent - licher Gleichheit.

Ich will zwei Fälle aufſtellen, in welchen die Ueber - einſtimmung beider Klagen keinem auch nur ſcheinbaren Zweifel unterworfen ſeyn kann.

Die auf ein Landgut aus dem Grund der Erſitzung angeſtellte Eigenthumsklage wird rechtskräftig abgewieſen. In der Folge wiederholt derſelbe Kläger gegen denſelben Be - klagten die Eigenthumsklage aus demſelben Erwerbungs -422Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.grunde. Eine Darlehnsklage auf Hundert wird rechts - kräftig abgewieſen, und ſpäter gegen denſelben Beklagten wiederholt. In beiden Fällen iſt die ſpätere Klage von der früheren in keiner Beziehung verſchieden; ſie iſt eine reine, einfache Wiederholung derſelben, und die Anwend - barkeit der Einrede der Rechtskraft kann daher keinem Zweifel unterliegen.

Es iſt jedoch keinesweges erforderlich, daß die Über - einſtimmung alle hier angegebenen Vorausſetzungen umfaſſe; ſie kann in mehreren derſelben fehlen, und dennoch als wahre Uebereinſtimmung gelten, alſo auch die Einrede der Rechtskraft begründen. Alles kommt darauf an, daß in jedem einzelnen Fall die oben aufgeſtellten Grundbedingungen jener Einrede wirklich vorhanden ſind, nämlich: dieſelbe Rechtsfrage, und dieſelben Perſonen.

Ich will eine vorläufige Überſicht der möglichen Ver - ſchiedenheiten beider Klagen geben, welche nicht als noth - wendige Hinderniſſe für die Anwendung unſrer Einrede zu betrachten ſind.

  • 1. Der zweite Rechtsſtreit kann über eine Klage von anderem Namen und anderer Natur geführt werden, als der erſte. (Ungleichartige Klage).
  • 2. Die Parteirollen können in dem zweiten Rechtsſtreit verwechſelt ſeyn, ſo daß der frühere Kläger jetzt als Beklagter auftritt.
  • 3. Das Recht, welches in der einen Klage der Haupt - gegenſtand des Streites iſt, kann in der anderen als423§. 296. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage.bloße Bedingung eines anderen, eigentlich verfolgten Rechts zur Sprache kommen (als Legitimationspunkt).
  • 4. Der äußere Gegenſtand kann in beiden Klagen ver - ſchieden ſeyn.
  • 5. Der juriſtiſche Gegenſtand kann in beiden Klagen ver - ſchieden ſeyn.
  • 6. Das beſtrittene Recht kann in beiden Klagen aus verſchiedenen Entſtehungsgründen abgeleitet werden.

Die hier aufgeſtellte Behauptung geht alſo dahin, daß die Übereinſtimmung der Rechtsfrage (eadem quaestio) für die Anwendbarkeit der Einrede der Rechtskraft allein entſcheidend iſt, und daß daneben andere, wenn auch ſehr ſcheinbare, Verſchiedenheiten beider Klagen nicht in Betracht kommen. Dieſe Behauptung aber ſteht in dem engſten Zuſammenhang mit der oben aufgeſtellten Lehre von den (objectiven) Gründen des Urtheils, als weſentlichen, un - trennbaren Beſtandtheilen deſſelben, auf welche ſich die Rechtskraft des Urtheils ſelbſt mit erſtreckt. In der Auf - faſſung der Römiſchen Juriſten erſcheinen beide Behaup - tungen als zuſammenhangende Stücke eines und deſſelben Grundſatzes, und auch bei den neueren Schriftſtellern be - währt ſich dieſer innere Zuſammenhang darin, daß faſt überall beide Fragen gleich richtig oder gleich irrig aufge - faßt zu werden pflegen(i)Derſelbe innere Zuſammen - hang bewährt ſich in der Behand - lung beider Gegenſtände, wie ſie in der Praxis und in der Literatur des Preußiſchen Rechts wahrzu - nehmen iſt. Vgl. Koch Lehrbuch V. 1 § 200..

424Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Daß in der That dieſe Behauptung dem Römiſchen Recht entſpricht, ſoll nunmehr für die aufgeſtellten Klaſſen der Verſchiedenheiten, durch welche die Einrede der Rechts - kraft nicht ausgeſchloſſen wird, im Einzelnen nachgewieſen werden.

§. 297. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage.

1. Ungleichartige Klage.

Der Umſtand, daß die zweite Klage einen anderen Namen führt, als die erſte, iſt niemals ein Hinderniß für die Anwendung der Einrede.

Dieſe Regel iſt geradezu ausgeſprochen in einer der oben angeführten Hauptſtellen über die Bedingungen unſrer Einrede (§ 296).

L. 7 § 4 de exc. r. j. (44. 2 ) .., exceptio rei ju - dicatae obstat, quotiens inter easdem personas eadem quaestio revocatur, vel alio genere judicii(a)Ganz eben ſo ſagt L. 5 eod. etsi diverso genere actionis. Es iſt jedoch von die - ſer Stelle ſchon oben bemerkt worden, daß ſie nicht unmittelbar von der Einrede der Rechtskraft ſpricht (§ 296. a)..

Ein erläuterndes Beiſpiel der Anwendung dieſer Regel würde etwa folgendes ſeyn. Wenn Jemand ſeine Sache einem Anderen als Pfand, oder Commodat, oder Depoſitum hingiebt, und der Empfänger dieſe Sache beſchädigt, ſo hat der Geber die Wahl, ob er mit der Contractsklage oder mit der Aquiliſchen Klage Entſchädigung fordern425§. 296. Einrede. Dieſelbe Rechtsfrage.will. Iſt aber eine dieſer Klagen abgewieſen, weil der Richter keine Beſchädigung annimmt, ſo iſt auch der Ge - brauch der anderen Klage durch die Einrede der Rechts - kraft ausgeſchloſſen.

Eine ſolche Entſcheidung findet ſich nun wirklich in mehreren einzelnen Anwendungen, jedoch ſo unbeſtimmt, daß dieſe allein nicht als zweifelloſe Beſtätigungen unſrer Regel gelten können. Wenn nämlich darin blos geſagt wird, die ſpätere Klage werde durch die frühere ausge - ſchloſſen(b)L. 18 § 1 commod. (13. 6 ), L. 38 § 1 pro soc. (17. 2 ), L. 1 § 21 tutelae (27. 3 ), L. 4 § 5 quod cum eo (14. 5)., ſo bleibt es dabei noch ungewiß, ob nicht vorausgeſetzt iſt, die Entſchädigung ſey durch die frühere Klage bereits bewirkt worden, in welchem Fall vielmehr die Regel der Concurrenz, als die der Einrede, entſcheidend ſeyn würde. In einigen anderen Stellen wird allerdings die exceptio rei judicatae als Grund der Ausſchließung erwähnt; jedoch iſt es auch da nicht klar, ob in der That der Inhalt des früheren Urtheils und nicht vielmehr das bloße Daſeyn deſſelben, alſo die Einrede in der negativen Function, gemeint iſt(c)L. 4 § 3 de noxal. (9. 4 ), L. 25 § 1 de exc. r. jud. (44. 2)..

Dagegen ſind völlig klar und unzweifelhaft mehrere Entſcheidungen, die bei den folgenden Klaſſen der Ver - ſchiedenheit vorkommen werden, namentlich bei der Ver - ſchiedenheit der Parteirollen, und bei dem Legitimations - punkt.

426Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Eben ſo unzweifelhaft iſt folgende Entſcheidung für die exceptio jurisjurandi, deren hier anwendbare Analogie ſchon oben (§ 295) geltend gemacht worden iſt. Wenn eine Entſchädigung eingeklagt wird mit der Klage aus einem Mandat, einer Geſchäftsführung, einer Societät, und der Beklagte ſchwört, die Thatſache, woraus die Ent - ſchädigung abgeleitet wird, ſey nicht wahr, ſo wird durch die Einrede des Eides nicht blos die Wiederholung der früheren Klage ausgeſchloſſen, ſondern auch die certi con - dictio, wenn etwa eine ſolche aus derſelben Thatſache, worauf ſich der Eid bezog, an ſich begründet werden könnte. Auch hier wird die Anwendbarkeit der Einrede in dem ſpäteren Rechtsſtreit ausdrücklich davon abhängig ge - macht, daß darin eadem quaestio, wie in dem früheren Rechtsſtreit, zur Entſcheidung gebracht werde(d)L. 28 § 4 de jurejur. (12. 2 ) Exceptio jurisjurandi non tantum, si ea actione quis uta - tur, cujus nomine exegit jus - jurandum, opponi debet, sed etiam, si alia, si modo eadem quaestio in hoc judicium dedu - catur rel. Ganz eben ſo ver - hält es ſich mit der exceptio pacti. L. 27 § 8 de pactis (2. 14)..

2.

Verſchiedene Parteirolle in dem erſten und zweiten Rechtsſtreit. Auch durch dieſe Verſchiedenheit wird die Anwendung der Exception oder Replication der Rechts - kraft niemals verhindert, welches aus folgenden ganz un - zweifelhaften Entſcheidungen einzelner Fälle hervorgeht.

Wenn der Beklagte in einer Eigenthumsklage verurtheilt wird, und dann dieſelbe Eigenthumsklage gegen den früheren427§. 297. Einrede. Dieſelbe Rechtsfrage.Beklagten anſtellt, ſo ſteht ihm unſre Einrede entgegen, weil die frühere Verurtheilung unabänderlich ausgeſprochen hat, daß er nicht Eigenthümer ſey(e)L. 30 § 1 de exc. r. jud. (44. 2 ), L. 40 § 2 de proc. (3. 3). Vgl. oben § 287. a. . Ganz eben ſo verhält es ſich mit der Erbrechtsklage, welche nach erfolgter Verurtheilung in umgekehrter Weiſe angeſtellt wird(f)L. 15 de exc. r. jud. (44. 2).. Derſelbe Fall endlich kann auch bei der Hypothekarklage zwiſchen zwei Pfandgläubigern eintreten, wenn in dem erſten Rechtsſtreit dem Kläger die Priorität zugeſprochen worden iſt, und nun in dem zweiten der frühere Beklagte als Kläger abermals dieſe Priorität für ſich geltend zu machen verſucht(g)L. 19 de exc. r. jud. (44. 2) eandem enim quaestionem re - vocat in judicium. Auch in dieſer einzelnen Anwendung ge - braucht alſo Marcellus denſelben entſcheidenden Ausdruck, der in den allgemeinen Ausſprüchen des Ul - pian vorkommt (§ 296)..

Wenn ferner in einer Eigenthumsklage der Kläger ab - gewieſen wird, weil der Richter das Eigenthum verneint, dann aber der Beſitz der Sache an dieſen Kläger kommt, und nun der frühere Beklagte gegen ihn die Publicianiſche Klage anſtellt, ſo kann der frühere Kläger (gegenwärtig Beklagter) gegen dieſe Klage die exceptio dominii gebrauchen. Allein dieſe Einrede wird ihm durch die replicatio rei judi - catae entkräftet, weil in dem früheren Rechtsſtreit das Daſein ſeines Eigenthums rechtskräftig verneint worden iſt(h)L. 24 de exc. r. jud. (44. 2)..

428Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wird einer perſönlichen Klage die Einrede der Compen - ſation entgegengeſetzt, und dieſe deswegen verworfen, weil der Richter die Gegenforderung als unbegründet anſieht, ſo könnte ſpäterhin dieſe Gegenforderung als ſelbſtſtändige Klage geltend gemacht werden. Dann aber würde die Ein - rede der Rechtskraft dieſe Klage ausſchließen müſſen, weil der frühere Richter das Daſeyn der Gegenforderung rechts - kräftig verneint hat(i)L. 8 § 2 de neg. gestis (3. 5 ), L. 7 § 1 de compens. (16. 2 ), L. 1 § 4 de contr. tut. (27. 4). Vgl. oben § 291. d. .

In den beiden zuletzt angeführten Fällen konnte nicht blos die Verſchiedenheit der Parteirolle einen Zweifel an der Anwendbarkeit jener Einrede erregen, ſondern auch die ungleichnamige Klage, die dem erſten und zweiten Rechts - ſtreit zum Grunde liegt. Da nun auch dieſer Umſtand kein Hinderniß für die Anwendbarkeit iſt, ſo liegt darin eine unzweifelhafte Beſtätigung der im Anfang dieſes Paragraphen aufgeſtellten Regel.

Einen Zweifel an der Richtigkeit der hier aufgeſtellten Regel könnte man aus der Äußerung des Paulus über folgenden Rechtsfall herleiten(k)L. 18 de evict. (21. 2), verbunden mit L. 17 eod. . Der Verkäufer einer fremden Sache erwirbt ſpäter das Eigenthum, und vindicirt nun gegen den Käufer; dieſer kann ſich gegen die Klage ſchützen durch eine exceptio doli (oder rei venditae et tra - ditae). Er kann auch den Gebrauch der Einrede unter - laſſen, und hinterher mit der actio emti das Intereſſe, oder429§. 297. Einrede. Dieſelbe Rechtsfrage.mit der Stipulationsklage den verſprochenen doppelten Kauf - preis einklagen; dieſes Alles iſt durch unzweifelhafte Rechts - regeln beſtätigt. Paulus aber ſetzt hinzu, dieſe Klagen würden ihm ſelbſt dann zuſtehen, wenn er die Einrede ge - braucht hätte, aber ohne Erfolg (etsi .. opposita ea nihilo - minus evictus sit), d. h. wenn die Einrede verworfen worden, oder unbeachtet geblieben wäre. Dieſes würde im Widerſpruch ſtehen mit unſrer Regel, wenn der Richter ausgeſprochen hätte, der frühere Verkauf, als Grund der Einrede, ſey nicht wahr. Dieſes anzunehmen, liegt aber in der Stelle kein nothwendiger Grund. Der Fall kann vielmehr auch ſo gedacht werden, daß der Richter die Ein - rede aus Verſehen unbeachtet ließ, oder daß er die Rechts - regel verkannte, worauf die Einrede beruht, indem er etwa die Vindication des früheren Verkäufers irrigerweiſe nicht als eine doloſe Zuwiderhandlung gegen den eigenen Ver - trag anſah(l)Allerdings iſt auch die Leſe - art zweifelhaft, indem bei den Wor - ten: vel ex emto, Haloander be - merkt: alias desunt. Allein wenn man auch dieſe Worte wegdenkt, ſo wird dadurch die im Text er - wähnte Schwierigkeit nicht beſei - tigt. Die rechtskräftige Vernei - nung des früheren Kaufvertrags hätte die (durch dieſen Vertrag bedingte) Stipulationsklage eben ſowohl ausgeſchloſſen, als die actio emti. .

§. 298. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage .. Legi - timationspunkt.

3. Entſcheidung über den Legitimations - punkt.

430Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Verſchiedenheit zwiſchen dem erſten und zweiten Rechtsſtreit kann ferner darin beſtehen, daß die Rechts - frage, die in dem einen Rechtsſtreit unmittelbar Gegen - ſtand des Streites und der Entſcheidung war, in dem anderen blos als eine Bedingung erſchien, ohne welche der Kläger ſeinen eigentlichen Anſpruch nicht geltend machen konnte. Auch dieſe Verſchiedenheit ſoll die Anwendung der Einrede nicht hindern können(a)Ich erwähne hier blos die Legitimation des Klägers (die Activ - legitimation), von welcher auch Andere bei dieſer Gelegenheit aus - ſchließend zu reden pflegen. Aller - dings könnten auch Fälle der Paſſiv - legitimation in Betracht kommen; allein theils iſt dieſe überhaupt nicht oft Gegenſtand eines Rechts - ſtreites, theils wird ſie noch weit ſeltener ſo vorkommen, daß daraus ſpäter eine Einrede der Rechtskraft entſpringen könnte..

Folgende Beiſpiele mögen vorläufig zur Erläuterung dieſer Regel dienen. Wenn der mit einer Erbrechtsklage abgewieſene Kläger gegen den früheren Beklagten die Eigenthumsklage auf eine zu dieſer Erbſchaft gehörende Sache anſtellt, ſo ſteht ihm die Einrede der Rechtskraft entgegen, obgleich in dem zweiten Rechtsſtreit das abge - ſprochene Erbrecht nicht Gegenſtand des Streites iſt, wohl aber eine Bedingung für das behauptete Daſeyn des Eigenthums, welche alſo zur Legitimation des Klägers gehört. Eben ſo auch umgekehrt. Wenn jener Kläger die Eigenthumsklage zuerſt anſtellt, und durch die Beerbung des früheren Eigenthümers zu begründen verſucht, vom Richter aber abgewieſen wird, weil dieſer die Beerbung (als legitimatio ad causam) verneint, ſo könnte derſelbe431§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.Kläger nunmehr die Erbrechtsklage gegen den früheren Beklagten anſtellen wollen; dabei aber würde ihm die Einrede der Rechtskraft eben ſo entgegen ſtehen, wie in dem zuerſt aufgeſtellten, umgekehrten Fall(b)In dieſen beiden Fällen könnte noch der andere Zweifel entſtehen, ob etwa deswegen die Einrede unanwendbar wäre, weil es zwei Klagen von verſchiedener Natur und Benennung ſeyen. Da - von iſt jedoch ſchon oben § 297 Num. 1 gehandelt worden..

Dieſe praktiſch ſehr wichtige Regel ſteht in augen - ſcheinlichem Zuſammenhang mit der oben vorgetragenen Lehre von der Rechtskraft der Gründe, mit welcher ſie nothwendig ſteht und fällt. Die Wahrheit derſelben iſt auch ſchon von heutigen Schriftſtellern anerkannt, und ſehr richtig auf den Grundſatz der eadem quaestio zurückge - führt worden(c)Keller S. 272 275.. Ein Schriftſteller der neueſten Zeit hat ſie gleichfalls für das heutige Recht ſehr klar und befrie - digend durchgeführt(d)Buchka B. 2 S. 187 190.. Aber in folgerechtem Zuſammen - hang mit ſeiner, ſchon oben gerügten, irrigen Auffaſſung der Rechtskraft der Gründe, hat derſelbe Schriftſteller behauptet, dem Römiſchen Recht ſey dieſe Behandlung des Legitimationspunktes völlig fremd(e)Buchka B. 1 S. 299 301. Vgl. oben § 293. l. . Da alſo dieſe wich - tige Frage, und zwar nicht ohne einigen Schein, in Zweifel gezogen worden iſt, ſo iſt eine erſchöpfende Behandlung derſelben vorzugsweiſe nöthig. Ich werde zuerſt die ein - zelnen Ausſprüche des Römiſchen Rechts zuſammen ſtellen, worin jene Regel, wie ich glaube, unzweifelhaft anerkannt432Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wird, dann aber die Scheingründe zu beſeitigen ſuchen, die man derſelben neuerlich entgegengeſtellt hat.

a. Die beiden, ſchon oben als Beiſpiele angeführten, Fälle von der Erbrechtsklage und Eigenthumsklage werden von Ulpian nicht nur genau ſo, wie es hier geſchehen, entſchieden, ſondern auch in unmittelbare Verbindung mit der eadem quaestio geſetzt, aus welcher die Entſcheidung abgeleitet wird.

  • L. 3 de exc. r. jud. (44. 2). Julianus lib. 3 Dig. respondit, exceptionem rei judicatae obstare, quotiens eadem quaestio inter easdem personas revocatur: et ideo, etsi singulis rebus petitis hereditatem petat, vel contra, exceptione summovebitur
    (f)Es würde ganz unrichtig ſeyn, dieſe und die folgende Stelle ſo erklären zu wollen, als wäre in beiden Prozeſſen die hereditatis petitio angeſtellt, einmal auf die ganze Erbſchaft, das anderemal auf einzelne Erbſchaftsſachen. Singu - las res petere und singularum rerum petitio iſt vielmehr ſtets die eigenthümliche Bezeichnung der Eigenthumsklage, alſo ganz gleich - bedeutend mit specialis in rem actio. Vgl. § 2 J. de off. jud. (4. 17 ), L. 1 pr. § 1 de rei vind. (6. 1). Auch würden ſonſt dieſe Fälle nicht als erläuternde Bei - ſpiele zu den Worten: vel alio genere judicii paſſen, wozu ſie doch in der zweiten Stelle zugleich dienen ſollen. Allerdings muß man in beiden Stellen hinzu - denken, daß die Eigenthumsklage auf die angebliche Beerbung des früheren Eigenthümers gegründet wurde. Ulpian ſagt dieſes frei - lich nicht, aber er deutet es durch die Verbindung mit der eadem quaestio ſo unverkennbar an, daß hierüber kein Zweifel bleiben kann.
    (f).
  • L. 7 § 4 eod. Et generaliter, ut Julianus definit, ex - ceptio rei judicatae obstat, quotiens inter easdem personas eadem quaestio revocatur, vel alio genere433§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.judicii. Et ideo, si hereditate petita singulas res petat, vel singulis rebus petitis hereditatem petat, exceptione summovebitur.

b. Ein ganz ähnlicher Fall iſt der, wenn eine Schuld - klage von dem angeblichen Erben des urſprünglichen Gläu - bigers angeſtellt, und wegen des fehlenden Erbrechts ab - gewieſen, dann aber gegen dieſelbe Perſon die Erbrechts - klage angeſtellt wird; eben ſo auch, wenn umgekehrt zuerſt die Erbrechtsklage abgewieſen, dann die Schuldklage an - geſtellt wird. In beiden Fällen ſoll gleichfalls die Ein - rede der Rechtskraft Anwendung finden. Dieſen Ausſpruch knüpft Ulpian unmittelbar an den vorhergehenden an, welcher die Eigenthumsklage zum Gegenſtand hatte; auch iſt die völlige Gleichartigkeit beider Ausſprüche ganz unver - kennbar(g)L. 7 § 5 de exc. r. jud. (44. 2). Dieſe Stelle wird an den vorhergehenden, von der Eigen - thumsklage handelnden, Paragra - phen mit folgenden Worten ange - knüpft: Idem erit probandum, etsi quis debitum petierit a debitore hereditario, deinde hereditatem petat rel. . Hier aber fügt Ulpian folgenden Grund hinzu: Nam cum hereditatem peto, et corpora, et actiones omnes, quae in hereditate sunt, videntur in petitionem deduci. Dieſer Ausdruck deutet allerdings auf den Grund - ſatz der Conſumtion, alſo auf die Einrede der Rechtskraft in ihrer negativen Function, und daraus hat der eben angeführte Schriftſteller folgern wollen, daß Ulpian über - haupt nur hieran, und nicht (wie hier behauptet wird) an eine Rechtskraft des Ausſpruchs über den Legitimations -VI. 28434Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.punkt, gedacht habe; außerdem würde ihn der Vorwurf einer Verwechslung beider ganz verſchiedenen Grundſätze treffen(h)Buchka B. 1 S. 299 301. Vgl. unten Beilage XVI. Note q. . In dieſer Behauptung wird aber die wahre Lage der Sache völlig verkannt. Zu Ulpian’s Zeit be - ſtanden beide Formen der Einrede der Rechtskraft in voller Geltung neben einander, und nur in den ſeltenen Fällen, worin dieſelben in Widerſtreit kamen, ſollte die neuere, vollkommnere Form den Vorzug erhalten (§ 282). Nun erwähnt Ulpian zuerſt den Fall der Eigenthumsklage, deſſen Entſcheidung er befriedigend aus dem Grundſatz der poſitiven Function (der eadem quaestio) rechtfertigt. Dann geht er zu dem Fall der Schuldklage über, und auch dabei hätte dieſelbe Rechtfertigung völlig ausgereicht. Er führt aber dieſen Fall auf den Grundſatz der negativen Function (der Conſumtion) zurück, der darauf gleichfalls anwendbar war und ganz zu derſelben Entſcheidung führte. Darin lag weder in der Sache ſelbſt ein Irrthum, noch eine In - conſequenz, oder eine Verwechslung verſchiedenartiger Grundſätze.

c. Wenn ein Miteigenthümer die Eigenthumsklage auf ſeinen Theil der Sache gegen den andern Miteigenthümer anſtellt, und damit abgewieſen wird, dann aber gegen den früheren Beklagten die a. communi dividundo wegen der - ſelben Sache anſtellt, ſo ſteht ihm die Einrede der Rechts - kraft entgegen, weil dieſe letzte Klage das Miteigenthum435§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.(als Activlegitimation) vorausſetzt, welches aber in der erſten Klage rechtskräftig abgeſprochen iſt. Ganz Daſſelbe gilt auch, wenn ein Miterbe zuerſt mit der Erbrechtsklage abgewieſen wird, und dann die a. familiae herciscundae gegen den früheren Beklagten anſtellt. Es iſt dabei gleich - gültig, ob in der erſten Klage der Richter annahm, der Kläger ſey nicht Erbe, oder die eingeklagte Sache gehöre nicht zur Erbſchaft(i)Dieſe verſchiedenen Fälle kommen vor in folgenden Stellen: L. 8, L. 11 § 3 de exc. r. jud. (44. 2) und L. 25 § 8 fam. herc. (10. 2). Die Schwierigkeiten, welche die zuletzt angeführte Stelle dar - bietet, ſind vortrefflich beſeitigt von Keller S. 364 366..

d. Im Römiſchen Prozeß kommt häufig eine exceptio praejudicialis vor, wodurch der Beklagte verlangen kann daß die Sache ſo lange ausgeſetzt bleibe, bis über eine andere Sache entſchieden ſeyn wird. Dieſe gründet ſich großentheils darauf, daß außerdem über eine wichtigere Sache nebenher, und daher vielleicht nicht mit angemeſſener Sorgfalt, rechtskräftig entſchieden werden würde; ſie ſetzt alſo die rechtskräftige Entſcheidung des Legitimationspunktes geradezu voraus(k)Die Zulaſſung dieſer Ein - rede war übrigens von einem ſehr freien richterlichen Ermeſſen ab - hängig. Vgl. L. 7 § 1 de her. pet. (5. 3).. Dahin gehört z. B. folgender Fall. Zwiſchen A. und B. iſt Streit über das Eigenthum des fundus Titianus. Außerdem macht A. Anſpruch auf eine Wegeſervitut über das unbeſtrittene Grundſtück des B., um zu jenem ſtreitigen Grundſtück zu gelangen. Hier kann B. die Ausſetzung der confeſſoriſchen Klage bis zur28*436Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.abgeſonderten Entſcheidung der Eigenthumsklage wegen des fundus Titianus verlangen. Der Grund wird dahin ange - geben: videlicet quod non aliter viam mihi deberi pro - baturus sim, quam prius probaverim, fundum Titianum meum esse(l)L. 16 de except. (44. 1). Die unmittelbar darauf folgende Stelle (L. 17 eod.) geht in der That auf die exc. rei jud., nicht auf die exc. praejudicii, ſteht alſo nicht in innerem Zuſammen - hang mit der vorhergehenden. Sie ſetzt aber auch gar nicht eine Ab - weiſung voraus, und iſt daher im Sinn ihres Verfaſſers auf die ne - gative Function der Einrede (die Conſumtion der Klage) zu beziehen. Aber ſelbſt wenn man ſie, im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts, auf die poſitive Function umdeuten wollte, würde ſie doch keinen Zwei - fel gegen anderwärts begründete Rechtsregeln erregen können. Denn die confeſſoriſche Klage konnte ab - gewieſen ſeyn, weil der Richter die Errichtung einer Servitut verneinte, nicht gerade, weil er das Grund - eigenthum des Klägers in Abrede ſtellte. Daher iſt die Erklärung bei Buchka I. 303 zu verwerfen.. Die durch die Einrede abzuwendende Ge - fahr lag alſo lediglich darin, daß bei Gelegenheit der con - feſſoriſchen Klage über die weit wichtigere Frage des Grund - eigenthums, als bloßen Legitimationspunkt, und dennoch rechtskräftig entſchieden werden würde. Ganz eben ſo verhält es ſich bei den im Anfang dieſes Paragraphen er - wähnten Fällen einer Eigenthumsklage und einer darauf folgenden Erbrechtsklage. Auch in dieſen Fällen hätte der Beklagte verlangen können, daß zuvor eine abgeſonderte Erbrechtsklage angeſtellt und entſchieden würde(m)L. 13 de except. (44. 1), worin ausgeſprochen iſt, daß durch die exceptio praejudicialis die Eigenthumsklage einſtweilen aus - geſchloſſen wird, ſo lange die Erb - rechtsklage noch nicht angeſtellt iſt.. Da er Dieſes unterließ, ſo war nun durch die Entſcheidung437§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.über den Legitimationspunkt das Erbrecht des Klägers rechtskräftig verneint(n)Vgl. die oben abgedruckten Stellen: L. 3, L. 7 § 4 de exc. r. jud. (44. 2). Daſſelbe gilt auch, wenn bei ſtreitigem Grund - eigenthum eine actio communi dividundo, oder eine Condiction wegen der Früchte angeſtellt werden ſollte; auch Das kann durch die exc. praejud. abgewendet werden. L. 18 de except. (44. 1)..

Es ſind nun noch die Scheingründe zu beſeitigen, wo - durch neuerlich verſucht worden iſt, die Rechtskraft der Entſcheidung über den Legitimationspunkt aus Stellen des Römiſchen Rechts zu widerlegen.

Wenn Alimente gefordert werden auf den Grund der Verwandtſchaft oder des Patronats, der Beklagte aber dieſen Grund beſtreitet, ſo ſoll der Richter, ehe er über die Alimente entſcheidet, das Daſeyn der Verwandtſchaft oder des Patronats prüfen, jedoch nur obenhin (summatim); auch wird ausdrücklich hinzugefügt, die richterliche Ge - währung oder Abweiſung der Alimente ſolle keinen Einfluß haben auf den möglichen künftigen Rechtsſtreit über die Verwandtſchaft(o)L. 5 § 8. 9. 18 de agnosc. (25. 3 ), L. 10 de his qui sui (1. 6).. Die Abſicht ging alſo dahin, daß bei offenbar ungegründeter Verwandtſchaft die Alimente ver - weigert, außerdem aber einſtweilen zugeſprochen werden ſollten. Dieſe Vorſchrift nun ſoll als Beweis gelten, daß die Römer der Entſcheidung über den Legitimationspunkt überhaupt keine Rechtskraft zugeſchrieben hätten(p)Buchka B. 1 S. 305.. Allein gegen eine ſolche Folgerung hätte ſchon die Vorſchrift438Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.mißtrauiſch machen müſſen, daß der Richter nur summatim prüfen ſolle, wovon die natürliche Folge iſt, daß eine ſolche Prüfung auf den Erfolg des ſpäteren Rechtsſtreits keinen Einfluß haben durfte. Auch iſt es nicht ſchwer, den Grund dieſer beſonderen Vorſchrift und ihrer Folge in der ganz eigenthümlichen Natur der Alimentenforderung zu ent - decken. Bei dieſer kommt es darauf an, dem dringenden perſönlichen Bedürfniß ſchnell abzuhelfen, und dem unwieder - bringlichen Nachtheil vorzubeugen, der aus dem Mangel an Unterhalt entſtehen kann. Es würde daher ganz will - kührlich ſeyn, aus dieſer höchſt eigenthümlichen Vorſchrift irgend eine Folgerung für die allgemeine Behandlung des Legitimationspunktes zu ziehen. Vielmehr iſt in dieſem be - ſonderen Fall anzunehmen, daß der Richter, der die Ali - mente zuſpricht, damit noch gar keine beſtimmte Ueberzeugung von dem wirklichen Daſeyn einer Verwandtſchaft habe aus - ſprechen wollen.

Ein ähnlicher, aber noch weniger ſcheinbarer Einwurf iſt aus folgender Vorſchrift des Römiſchen Rechts ent - nommen worden. Wenn ein rechtskräftig verurtheilter Schuldner dem Urtheil nicht Folge leiſtet, ſo wird bekannt - lich die Execution dadurch bewirkt, daß die richterliche Obrigkeit Sachen des Verurtheilten abpfänden, und zur Befriedigung des Gläubigers verkaufen läßt(q)Pignus in causa judicati captum. . Wenn nun bei dieſem Verfahren eine dritte Perſon auftritt, welche439§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.das Eigenthum einer abgepfändeten Sache für ſich in An - ſpruch nimmt, ſo ſoll dieſer neue Anſpruch obenhin (sum - matim) geprüft werden. Wird derſelbe offenbar ungegrün - det befunden, ſo wird das eingeſchlagene Verfahren fortge - ſetzt; bleibt die Frage zweifelhaft, ſo ſoll die Pfändung an dieſer ſtreitigen Sache aufgegeben, und an deren Stelle eine andere, unſtreitige Sache geſetzt werden. In keinem Fall aber ſoll dieſe richterliche Verfügung auf die künftige Entſcheidung über das Eigenthum jener ſtreitigen Sache irgend einen Einfluß haben(r)L. 15 § 4 de re jud. (42. 1 ) .. ipsos, qui rem judicatam ex - sequuntur, cognoscere debere de proprietate, et si cognove - rint, ejus fuisse, qui condemna - tus est, rem judicatam exse - quentur. Sedsciendum est, sum - matim eos cognoscere debere, nec sententiam eorum posse de - bitori praejudicare, si forte di - mittendam eam rem putave - rint, quasi ejus sit, qui contro - versiam movit, non ejus, cujus nomine capta est Sed il - lud debet dici, ubi controversia est de pignore, id dimitti de - bere, et capi aliud, si quod est sine controversia. . Dieſe letzte Beſtimmung nun wird wieder als Beweis geltend gemacht, daß die Römer der Entſcheidung über den Legitimationspunkt niemals die Rechtskraft beigelegt hätten(s)Buchka B. 1 S. 308.. Allein in dem hier vorausgeſetzten Fall war ja über das Eigenthum der abgepfändeten Sache noch gar kein eigentlicher Rechts - ſtreit unter den betheiligten Parteien geführt worden. Der Richter hatte von Anfang an völlig freie Wahl, welche Sachen des ungehorſamen Schuldners er pfänden wollte. Hatte er gewählt, und entſtanden Zweifel über das Eigen -440Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.thum der gewählten Sache, ſo konnte er die Wahl ändern, und zu dieſem willkührlichen Entſchluß reichte ſchon der bloße Zweifel hin. Welchen Entſchluß alſo auch der Richter faſſen mochte, ſo lag darin niemals der Ausdruck einer gewonnenen Ueberzeugung von dem Eigenthum oder Nichteigenthum irgend einer beſtimmten Perſon. Es lag alſo darin nicht die Entſcheidung über einen ſtreitigen Le - gitimationspunkt, und dieſe Vorſchrift kann daher auch nicht benutzt werden, um daraus irgend eine Folgerung zu ziehen für die Römiſche Anſicht über die Rechtskraft der, den Le - gitimationspunkt betreffenden, richterlichen Entſcheidung.

Endlich wird noch als ein Einwurf gegen die hier ver - theidigte Lehre ein einzelnes Reſcript des K. Severus(t)L. 1 C. de ord. cogn. (3. 8). Buchka B. 1 S. 301. 302 geltend gemacht, zu deſſen vollſtändiger Erklärung eine etwas ausführliche Vorbereitung nöthig iſt. Wenn in einer Provinz ein Rechtsſtreit über die Standesverhältniſſe einer Perſon (Freiheit, Verwandtſchaft u. ſ. w.) geführt wurde, ſo ſollte der Präſes in eigener Perſon, ohne Judex, ent - ſcheiden, anſtatt daß über alle anderen Sachen, namentlich über Erbrechtsklagen, ein von ihm niedergeſetzter Judex zu entſcheiden hatte. Nun war ein Mann geſtorben und hatte ein Teſtament hinterlaſſen; der Teſtamentserbe war im Be - ſitz der Erbſchaft. Die Vormünder eines Unmündigen aber behaupteten, dieſer ſey ein nachgeborner Sohn des Erb - laſſers, und durch deſſen Geburt ſey das Teſtament ver -441§. 298. Einrede. Legitimationspunkt.nichtet worden. Sie fragten bei dem Kaiſer an, ob ſie unmittelbar die Erbrechtsklage vor einem Judex anſtellen könnten, der dann zugleich die Vorfrage wegen der rechts - kräftigen Geburt unterſuchen würde. Das Reſcript geht dahin, daß dieſer Weg zuläſſig ſey. Denn obgleich der Judex nicht befugt geweſen wäre, über das Familienver - hältniß, als Gegenſtand einer ſelbſtſtändigen Klage(u)Man könnte glauben, die Vormünder hätten zuerſt in einer beſonderen Klage, vor dem Präſes ſelbſt, das Familienverhältniß zur Anerkennung bringen müſſen. Al - lein nicht nur wäre Dieſes eine unnütze Weitläufigkeit geweſen, ſon - dern es kommt auch überhaupt eine beſondere Klage auf Anerken - nung der Agnation gegen einen Nichtverwandten (den fremden Teſtamentserben) nicht vor. Bethmann-Hollweg Verſuche S. 125, nimmt an, der Beklagte habe in dieſem Fall durch eine exceptio praejudicii die abge - ſonderte Entſcheidung über das Familienverhältniß erzwingen kön - nen, und blos, weil er Dieſes unter - ließ, ſey dem Richter über die Erb - rechtsklage auch die Entſcheidung über die Agnation anheimgefallen., ein Urtheil zu ſprechen, ſo könne er doch bei Gelegenheit der Erbrechtsklage auch das Familienverhältniß (als Legitima - tionspunkt) feſtſtellen, indem das Urtheil wörtlich immer nur auf das Erbrecht gerichtet ſeyn würde. Dieſes iſt der Inhalt folgender Stelle: L. 1 C. de ord. cogn. (3. 8 ) Adite praesidem pro - vinciae, et ruptum esse testamentum Fabii Praesentis agnatione filii docete: neque enim impedit notionem ejus, quod status quaestio in cognitione vertitur, etsi super status causa cognoscere non possit(v)In dieſen Worten liegt die eigentliche Schwierigkeit der Stelle. Die gewöhnliche Erklärung aller älteren Schriftſteller geht dahin, der Präſes habe überhaupt keine Befugniß gehabt, über eine Klage. Per -442Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tinet enim ad officium judicis, qui de hereditate cog - noscit, universam incidentem quaestionem, quae in judicium devocatur, examinare: quoniam non de ea, sed de hereditate pronuntiat(w)Weſentlich übereinſtimmend mit der angeführten Stelle iſt auch noch folgende. L. 3 C. de jud. (3. 1). Quoties quaestio status bonorum disceptationi concur - rit: nihil prohibet, quo magis apud eum quoque, qui alioquin super causa status cognoscere non possit, disceptatio termi - netur. Alioquin heißt: wenn die causa status Gegenſtand einer eigenen, ſelbſtſtändigen Klage ge - weſen wäre. Disceptatio ter - minetur deutet offenbar auf eine definitive, für immer wirkſame Feſt - ſtellung..

Nun wird behauptet, weil nach den Schlußworten der Richter nicht über das Familienverhältniß entſcheide, ſo werde auch hierin ſeine Annahme nicht rechtskräftig. In dieſer Behauptung liegt aber ein offenbarer Zirkel. Jene Worte ſprechen nur von dem wörtlichen Inhalt des richter - lichen Ausſpruchs, der ſtets mit der angebrachten Klage im Zuſammenhang ſteht. Die Streitfrage iſt aber gerade die, ob noch irgend Etwas, und wie Viel, außer jenem(v)de statu zu erkennen, und zu die - ſer Erklärung neigte ſich Anfangs auch Cujacius hin. (Merill. variant. ex Cuj. II. 1). Dieſe Vorausſetzung aber wird durch mehrere Stellen widerlegt, am be - ſtimmteſten durch L. 7 C. ne de statu defunct. (7. 21). Daher muß die hier bemerkte Unfähigkeit nicht auf den Präſes ſelbſt, ſon - dern auf den von ihm über die Erbrechtsklage niedergeſetzten Judex bezogen werden, deſſen wörtliche Erwähnung vielleicht nur in dem für den Codex aus dem ganzen Reſcript gemachten Auszug aus - gefallen iſt. Eine Beſtätigung die - ſer Annahme liegt in den gleich darauf folgenden Worten: Perti - net enim ad officium judicis, qui de hereditate cognoscit. Dieſe Erklärung findet ſich bei Hotomanus obs. VI. 6, Cujac. recit. in Dig., L. 74 de re jud., L. 5. de her. pet. (Opp. T. 7 p. 165. 220 ), Giphan. explan. Codicis, L. 1 de ord. jud. p. 152.443§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.wörtlichen Inhalt, rechtskräftig werde. Dieſe Frage wird in der angeführten Stelle weder bejaht noch verneint, und ſie kann nur theils aus allgemeinen Grundſätzen (über die Rechtskraft der Gründe), theils aus den oben ange - führten unzweifelhaften Stellen des Ulpian entſchieden werden. So iſt denn auch der Inhalt der hier ange - führten Stelle ſchon längſt von mehreren der bewährteſten Ausleger aufgefaßt worden, welche gleichfalls annehmen, daß in jenem Ausſpruch des Richters auch das als In - cidentfrage vorgebrachte Familienverhältniß völlig und für immer feſtgeſtellt ſey(x)Cujacius l. c. p. 220. Ceterum si pronuntietur, he - reditatem esse actoris, tacite etiam videbitur pronuntiatum de ejus libertate. Giphanius l. c. p. 156. Ut scilicet, dum de principali causa pronuntia - tur, simul et per consequentiam ac tacite de causa status di - judicetur, non vero, ut simul, aut etiam separatim de utra - que causa nominatim pronun - tietur. .

§. 299. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage. Äußerer und juriſtiſcher Gegenſtand der Klage.

4. Verſchiedenheit des äußeren Gegenſtandes in beiden Klagen.

Auch dieſe Verſchiedenheit iſt nicht nothwendig ein Hinderniß für die Anwendung der Einrede, indem es auch in dieſer Hinſicht lediglich darauf ankommt, zu unterſuchen, ob dieſelbe Rechtsfrage in beiden Klagen vorhanden iſt oder nicht.

444Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn daher einige Stellen des Römiſchen Rechts mit ſcheinbarer Allgemeinheit ſagen, die Einrede ſey nur an - wendbar, inſofern der Gegenſtand beider Klagen ein und derſelbe ſey(a)L. 12. 13 de exc. r. jud. (44. 2). Cum quaeritur, haec exceptio noceat, nec ne, in - spiciendum est, an idem corpus sit. Quantitas eadem, idem jus. Die erſte der hier in den Digeſten zuſammengefügten Stel - len iſt von Paulus, die zweite von Ulpian. Es werden da - bei noch die billigen Zuſätze gemacht, daß die bleibende Einheit des Ge - genſtandes nicht geſtört werde durch die natürlichen Veränderungen in dem Umfang einer Sache; eben ſo auch, wenn von dem Eigenthum einer Heerde die Rede ſey, nicht dadurch, daß einzelne Thiere dazu kommen, oder davon ausſcheiden. L. 14 pr. L. 21 § 1 eod. , ſo iſt Dieſes von den allerdings gewöhn - lichſten Fällen zu verſtehen, in welchen die Verſchiedenheit der Gegenſtände zugleich mit ganz verſchiedenen Rechts - fragen verbunden iſt. Iſt alſo die Eigenthumsklage über ein Haus abgewieſen, ſo wird aus dieſem Urtheil bei dem künftigen Rechtsſtreit über das Eigenthum eines Land - gutes eine Einrede in der Regel nicht abgeleitet werden können.

Dagegen giebt es in der That viele und wichtige Fälle, worin die Verſchiedenheit in den äußeren Gegenſtänden beider Klagen die Anwendbarkeit der Einrede auf die ſpätere Klage nicht hindert. In dieſen Fällen wird die Anwendbarkeit gerechtfertigt durch das allgemeine Verhält - niß eines Ganzen zu ſeinen Theilen. Indem näm - lich jeder Theil in dem Ganzen enthalten iſt, wird ſehr häufig ein Ausſpruch über das Ganze zugleich den Aus -445§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.ſpruch über jeden Theil dieſes Ganzen in ſich ſchließen. Dadurch wird dann die Verſchiedenheit der Gegenſtände beider Klagen in bloßen Schein aufgelöſt ſeyn, und als weſentliche Gleichheit anerkannt werden müſſen. Durch dieſe abſtracte Auffaſſung der Frage ſoll jedoch blos vor - läufig der Geſichtspunkt für dieſelbe angedeutet ſeyn. Erſt durch die Anwendung auf die einzelnen dahin gehö - renden Fälle kann dafür Anſchaulichkeit, Überzeugung, und zugleich richtige Begränzung gewonnen werden.

a. Der wichtigſte Fall dieſer Art betrifft die Erbrechts - klage, welche ein ganzes Vermögen als ſolches zum eigent - lichen Gegenſtand hat, aber durch den zufälligen Beſitz des Beklagten an einem einzelnen Stück der Erbſchaft veran - laßt ſeyn kann. Iſt nun die auf ein Haus des Erblaſſers angeſtellte Erbrechtsklage abgewieſen, und wird nachher gegen denſelben Beklagten wegen eines Landgutes des Erb - laſſers dieſelbe Klage angeſtellt, ſo ſteht ihr die Einrede der Rechtskraft entgegen, obgleich in beiden Klagen der äußere Gegenſtand völlig verſchieden iſt. Denn die ent - ſcheidende Rechtsfrage betrifft in beiden Klagen das Da - ſeyn des Erbrechts; wird nun dieſes Daſeyn in der erſten Klage verneint, ſo bindet dieſe Verneinung auch den Richter, der über die zweite Klage zu entſcheiden hat(b)Natürlich wird dabei vor - ausgeſetzt, daß die erſte Klage deswegen abgewieſen wurde, weil der Richter annahm, der Kläger ſey nicht Erbe. Gründete ſich die Abweiſung darauf, daß die Ei - genſchaft des Hauſes als eines Stückes der Erbſchaft, oder daß der Beſitz des Beklagten verneint wurde, ſo kann daraus eine Ein -.

446Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſelbe Frage kann auch in folgender verwickelteren Geſtalt vorkommen, worin ſie im Römiſchen Recht aus - drücklich erwähnt und entſchieden worden iſt(c)L. 15 de exc. r. jud. (44. 2).. A. und B. machen Anſpruch auf die ganze Erbſchaft des verſtorbenen C. A. beſitzt aus dieſer Erbſchaft ein Haus, B. ein Landgut. A. klagt mit der Erbrechtsklage wegen des Landgutes, und B. wird verurtheilt. Wenn nunmehr B. gegen A. wegen des Hauſes die Erbrechtsklage anſtellen will, ſo ſteht ihm die Einrede der Rechtskraft entgegen, weil aus der früheren Verurtheilung nothwendig folgt, daß er kein Erbrecht hat(d)Vgl. oben § 287. a. .

b. Dieſelbe Regel kann aber auch zur Anwendung kommen, wenn irgend ein einzelnes Vermögensſtück (ſey es ein dingliches Recht oder eine Schuldforderung) einge - klagt, die Klage abgewieſen, und dann für einen Theil jenes Vermögensſtücks wiederholt wird. Die Abweiſung für das Ganze iſt auch entſcheidend für den einzelnen Theil, ſo daß hier die Regel zur Anwendung kommt: In toto et pars continetur(e)L. 113 de R. J. (50. 17). Ähnliche Regeln, wie die hier für die Einrede der Rechtskraft aufge - ſtellte, gelten auch für die exe. pacti und jurisjurandi. L. 27 § 8 de pactis (2. 14 ), L. 7 de jurej. (12. 2)..

Es verdient bemerkt zu werden, da es neuerlich bezwei - felt worden iſt, daß dieſe Regel gleich wahr iſt für den älteren und neueren Standpunkt unſrer Einrede, obgleich(b)rede gegen die auf das Landgut gerichtete zweite Klage nicht abge - leitet werden.447§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.für beide aus etwas verſchiedenen Gründen(f)Vgl. Wächter Erörterungen H. 3 S. 44, welcher die Behaup - tung von Vangerow widerlegt, daß dieſer Satz nur aus dem Grundſatz der Conſumtion gerecht - fertigt werden könne.. Nach dem Grundſatz der Conſumtion iſt die Regel wahr, weil die Eigenthumsklage auf ein Landgut nicht blos das ganze Gut, ſondern auch jedes einzelne Stück deſſelben in ju - dicium deducirt, alſo die Klage darauf conſumirt. Nach dem Grundſatz der eadem quaestio (der poſitiven Function der Einrede) iſt die Regel wahr, weil der Richter bei der auf ein Ganzes gerichteten Klage befugt iſt, nicht nur dieſes Ganze zuzuſprechen, ſondern auch jeden Theil des - ſelben, wenn er darauf den Anſpruch für begründet hält. Weiſt er alſo den Kläger überhaupt ab, ſo hat er damit in der That ausgeſprochen, daß der Kläger auch keinen denkbaren Theil des Ganzen zu fordern habe(g)Vgl. oben § 286. 292. Es iſt wohl darauf zu achten, daß der hier aufgeſtellte Satz eben nur wahr iſt für die Fälle, in welchen der Richter auch Das zuſprechen konnte, worauf die zweite Klage gerichtet wird; außerdem iſt die Einrede nicht anwendbar. Vgl. oben § 286. d. i. Wenn daher von mehreren Beſtandtheilen eines Rechtsanſpruchs nur einer einge - klagt wird, ſo wird die ſpätere Klage auf die übrigen Theile nicht nothwendig durch die Einrede aus - geſchloſſen, weil der Richter nicht Mehr zuſprechen durfte, als der Kläger begehrte. Daraus ſind folgende Stellen zu erklären, die daher mit der im Text aufgeſtellten Regel nicht im Widerſpruch ſtehen: L. 20, L. 21 pr. de exc. r. jud. (44. 2 ), L. 46 § 5 de admin. (26. 7 ), L. 2 C. de jud. (3. 1). Vgl. Keller S. 540.. Mit dieſem Ausſpruch aber würde jede ſpätere Klage auf irgend einen Theil jenes Ganzen völlig im Widerſpruch ſtehen.

Die ſo eben aufgeſtellte wichtige Regel wird in einer Stelle des Ulpian ſo erſchöpfend behandelt, daß ſich an448Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.den Inhalt dieſer Stelle die vielfachen Anwendungen der Regel am beſten werden anknüpfen laſſen.

  • L. 7 pr. de exc. r. jud. (44. 2). Si quis, cum totum petisset, partem petat, exceptio rei judicatae nocet: nam pars in toto est. Eadem enim res accipitur, etsi pars petatur ejus, quod totum petitum est
    (h)Nach dieſen Worten könnte man zweifeln, ob nicht vielleicht Ulpian dieſe Regel lediglich aus dem Grundſatz der Conſumtion ableiten wolle. Dieſer Zweifel ver - ſchwindet dadurch, daß er ſchon wenige Zeilen nachher Alles auf den Grundſatz der eadem quae - stio, alſo auf die poſitive Function, zurückführt. S. o. § 296. a.
    (h). Nec interest, utrum in corpore hoc quaeratur, an in quantitate, vel in jure. Proinde si quis fundum petierit, deinde partem petat, vel pro diviso, vel pro indiviso: dicendum erit, exceptionem obstare. Proinde etsi proponas mihi, certum locum me petere ex eo fundo, quem petii, obstabit exceptio.

Ulpian ſagt, die Regel vom Ganzen und dem Theil komme in dreierlei Anwendungen vor. Zuerſt bei einem corpus und deſſen realen und idealen Theilen. Wird alſo die Eigenthumsklage auf ein Landgut abgewieſen, ſo darf dieſelbe nachher auch nicht auf ein abgegränztes Stück dieſes Gutes wiederholt werden(i)Dieſer Theil der Stelle wird auch noch beſtätigt in L. 26 § 1 eod. , und eben ſo wenig auf das ideale Drittheil oder Viertheil deſſelben. Zweitens bei einer quantitas. Wird alſo eine Schuldklage auf 100 abgewieſen, ſo darf dieſelbe ſpäter auch nicht auf 70 oder 30 erneuert werden, weil jede dieſer kleineren Summen in449§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.dem früheren Urtheil mit abgeſprochen worden iſt. Drittens bei einem jus. Wird daher die Klage auf den Nießbrauch eines Hauſes abgewieſen, ſo darf dieſelbe ſpäter auch nicht auf den Rießbrauch des halben Hauſes erneuert werden. Eben ſo iſt durch die Abweiſung der Klage auf eine ganze Erbſchaft auch die Wiederholung dieſer Klage auf irgend einen idealen Theil dieſer Erbſchaft ausge - ſchloſſen(k)Die abgewieſene Erbrechts - klage auf die Hälfte der Erbſchaft ſchließt daher die ſpätere Wieder - holung auf ein Sechstheil aus. L. 30 pr. de exc. r. jud. (44. 2). Die von Donellus XXII. 5 § 10 zu dieſer Stelle vorgeſchlagene Emendation: partem sextantem, anſtatt sextantis, ſcheint unnöthig, da auch ohne Änderung die Worte eben ſo erklärt werden können: pars sextantis für: quae in sextante consistit. Von die - ſer Stelle wird übrigens noch un - ten die Rede ſeyn (§ 300)..

Als Ganzes im Verhältniß zu ſeinen Theilen, muß hier auch jedes eingeklagte Aggregat einzelner Sachen betrachtet werden, wenn die Klage abgewieſen, und nachher auf ein - zelne, in jenem Aggregat enthaltene, Sachen erneuert wird. Dahin gehören die Fälle, wenn zuerſt zwei Sachen zugleich vindicirt werden, ſpäter (nachdem jene Klage abgewieſen worden) eine derſelben(l)L. 7 pr., L. 21 § 1 de exc. r. jud. (44. 2).. Ferner, wenn die Eigenthums - klage auf eine Heerde abgewieſen, und dann auf einzelne Thiere aus derſelben Heerde wiederholt wird(m)L. 21 § 1 de exc. r. jud. (44. 2). Indem in dieſen beiden Fällen ſchon die erſte Klage auf alle Stücke zugleich gerichtet war, ſind dieſe Fälle weſentlich verſchie - den von den, in der Note g. er - wähnten Fällen. Ein Widerſpruch iſt alſo in dieſen Stellen durchaus nicht vorhanden..

VI. 29450Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

c. Der bisher abgehandelte Fall kann ferner in umge - kehrter Weiſe eintreten, ſo daß zuerſt auf einen Theil ge - klagt, dieſe Klage aber abgewieſen, und ſpäter für das Ganze wiederholt wird. Es fragt ſich, ob auch hier die neue Klage durch die Einrede ausgeſchloſſen werde. Dieſe Frage wird von Einigen allgemein bejaht(n)Faber in Cod. Lib. 7 T. 19 def. 5, beſonders not. 16., von Anderen allgemein verneint(o)Toullier T. 10 § 153. 155. 156.; Beides mit Unrecht. Es fehlt hier an einem ſo durchgreifenden Grund, wie er in dem vorher - gehenden, umgekehrten Fall anerkannt werden mußte, und es iſt daher in jedem einzelnen Fall beſonders zu unterſuchen, ob in der zweiten Klage dieſelbe Rechtsfrage, wie in der erſten, vorliegt, welcher Umſtand allein überall entſcheiden muß. Wenn z. B. die Eigenthumsklage auf ein abge - gränztes Stück eines Landgutes angeſtellt und abgewieſen wird, ſo kann ſpäter jedes andere Stück eingeklagt werden, weil jedes Stück auch als ſelbſtſtändiger Gegenſtand eines beſonderen Eigenthums betrachtet werden kann. Wird da - her die neue Klage auf das ganze Gut gerichtet, ſo iſt ſie für das früher eingeklagte Stück durch das vorige Urtheil allerdings ausgeſchloſſen, für die übrigen Stücke aber nicht. Wenn dagegen die confeſſoriſche Klage auf das jus altius non tollendi von zehen Fuß Höhe abgewieſen, und nachher auf zwanzig Fuß Höhe erneuert wird, ſo ſteht ihr die Einrede der Rechtskraft entgegen, weil die ausge -451§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.dehntere Servitut ohne die bereits abgeſprochene beſchränk - tere gar nicht ausgeübt werden kann(p)L. 26 pr. de exc. r. jud. (44. 2)..

d. Mit dem hier abgehandelten Verhältniß des Ganzen zu ſeinem Theil ſind folgende Fragen nahe verwandt.

Wenn eine Zinſenklage abgewieſen, nachher aber eine andere Zinsſumme, oder auch das Kapital eingeklagt wird, ſo fragt es ſich, ob die Einrede der Rechtskraft auf die zweite Klage angewendet werden kann. Eben ſo, wenn die abgewieſene erſte Klage auf Zahlung einer angeblich fälligen Rente (eines Kanon) gerichtet war, die zweite Klage einen anderen Poſten derſelben Rente, oder das Recht der Rente ſelbſt, zum Gegenſtand hat.

Auch bei dieſer Frage kommt Alles darauf an, ob in beiden Klagen dieſelbe Rechtsfrage zum Grunde liegt, oder nicht. Wurde alſo die erſte Klage deswegen abgewieſen, weil der Richter annahm, es ſey keine Kapitalſchuld oder kein Recht auf eine Rente vorhanden, ſo iſt die zweite Klage durch die Einrede ausgeſchloſſen. Anders, wenn ſich die Abweiſung darauf gründete, daß der eingeklagte einzelne Poſten ſchon bezahlt, oder compenſirt ſey.

Ganz Daſſelbe muß auch gelten, wenn der Beklagte zur Zahlung einer einzelnen Forderung von Zinſen oder Renten verurtheilt wurde, nachdem er das Recht auf Zinſen oder Renten überhaupt beſtritten hatte. Durch jene Verurtheilung wird das Recht im Allgemeinen rechtskräftig feſtgeſtellt(q)Buchka hat auch hier wieder die Frage für das heutige Recht.

29*452Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Entſcheidungen des Römiſchen Rechts über die hier aufgeworfene Frage finden ſich nicht. Die Stellen, die man dafür anzuführen pflegt, berühren dieſelbe in der That nicht(r)L. 23 de exc. r. jud. (44. 2) ſpricht gar nicht von dem Fall einer abgewieſenen Zinſenklage, alſo von der Einrede in der poſi - tiven Function, ſondern verneint nur die Conſumtion der Kapital - klage durch die bloße Anſtellung der Zinſenklage. Dieſe Verneinung folgte nothwendig ſchon daraus, daß auf Kapital und Zinſen zwei ganz verſchiedene Obligationen und Klagen gerichtet waren (vgl. oben S. 126. 160). Keller S. 536. Die L. 4 C. depos. (4. 34) iſt nach dem älteren Recht zu er - klären aus der Conſumtion der einen untheilbaren Klage, nach dem neueren Recht aus der ſtillſchwei - genden Verwerfung der nicht zu - geſprochenen Verzugszinſen, die der Richter ſtets nach freiem Ermeſſen zuſprechen konnte (§ 286)..

5. Verſchiedenheit des juriſtiſchen Gegen - ſtandes der beiden Klagen.

Dieſe Verſchiedenheit iſt gleichfalls kein nothwendiges Hinderniß für die Anwendung unſrer Einrede. Wenn daher mit der condictio furtiva der Erſatz einer geſtohlenen Sache gefordert wird, der Richter aber die Klage abweiſt, weil er das Daſeyn eines Diebſtahls verneint, ſo kann nachher auch keine actio furti auf Strafe wegen dieſes Diebſtahls angeſtellt werden; eben ſo verhält es ſich, wenn umgekehrt die actio furti zuerſt angeſtellt, und abgewieſen wird. Zwar iſt der juriſtiſche Gegenſtand beider Klagen (Erſatz und Strafe) völlig verſchieden. Wenn daher in(q)richtig beantwortet, für das Römi - ſche Recht irrigerweiſe das Gegen - theil angenommen. B. 1 S. 307. 308, B. 2 S. 184. 191. Einige irrige Entſcheidungen Preußiſcher Gerichte über dieſe Frage ſind ſchon oben angeführt worden. § 294 Note n. und r. 453§. 299. Einrede. Gegenſtand der Klage.der erſten Klage der Kläger ſeinen Zweck erreicht hat, ſo kann dennoch die zweite Klage angeſtellt werden, ſo daß ihr der Grundſatz der Concurrenz nicht entgegen ſteht(s)Vgl. oben B. 5 § 234. a. . Eben ſo iſt die zweite Klage gewiß nicht ausgeſchloſſen durch Anwendung des Grundſatzes der Conſumtion. Allein es iſt unleugbar, daß beiden Klagen dieſelbe Rechtsfrage zum Grunde liegt; wird alſo in der einen das Daſeyn eines Diebſtahls verneint, ſo muß dieſe Verneinung auch der anderen Klage entgegen ſtehen, da beide gleichmäßig durch die Thatſache eines begangenen Diebſtahls bedingt ſind(t)Keller S. 281. Anderer Meinung iſt Buchka B. 1 S. 131.. Ein ausdrückliches Zeugniß für dieſen Satz iſt nicht vorhanden. Er folgt aber unzweifelhaft aus dem allgemeinen Grundſatz, und er wird überdem dadurch be - ſtätigt, daß er für die exceptio jurisjurandi ausdrücklich anerkannt wird(u)L. 13 § 2 de jurej. (12. 2)., deren innere und weſentliche Ver - wandtſchaft mit der Einrede der Rechtskraft ſchon oben dargethan worden iſt (§ 295).

§. 300. Einrede der Rechtskraft. Dieſelbe Rechtsfrage. Ver - ſchiedenheit des Erwerbsgrundes.

6. Eine Verſchiedenheit kann endlich noch vorkommen in dem Erwerbsgrunde, woraus das in beiden Klagen verfolgte Recht abgeleitet wird (origo454Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.actionis). Auch eine ſolche Verſchiedenheit iſt nicht allgemein ein Hinderniß für die Anwendung der Einrede.

Über dieſe Frage enthält das Römiſche Recht ſo klare und beſtimmte Regeln, daß darüber wenig Streit und Zweifel entſtanden iſt; nur eine Ausnahme jener Regeln hat zu großen Streitigkeiten Anlaß gegeben.

Es wird in der Regel unterſchieden zwiſchen perſön - lichen Klagen und Klagen in rem. Bei jenen iſt der Er - werbsgrund der Obligation Dasjenige, wodurch dieſe eine individuelle Natur erhält. Bei Eigenthum und Erbrecht dagegen kommt es nur auf die Natur des Rechts und deſſen Gegenſtand an, und es bleibt ein und daſſelbe Recht, ohne Unterſchied, aus welchem Grunde es entſtanden ſeyn möge. Wenn daher die auf ein Haus gerichtete Klage aus einem Kaufvertrag abgewieſen, dann aber eine Klage auf daſſelbe Haus aus einem Vermächtniß angeſtellt wird, ſo ſteht die Einrede der Rechtskraft nicht entgegen, weil beiden Klagen völlig verſchiedene Obligationen, alſo auch verſchiedene Rechtsfragen, zum Grunde liegen. Wenn dagegen die Eigenthumsklage auf ein Haus aus dem Er - werb durch Tradition abgeleitet und nun abgewieſen wird, ſo kann ſie auch nicht dadurch erneuert werden, daß der Kläger etwa verſucht, das Eigenthum nunmehr auf Er - ſitzung zu gründen. Denn die Rechtsfrage iſt in beiden Klagen das Daſeyn des Eigenthums, und die möglichen Erwerbsgründe ſind nur die Mittel, wodurch der Kläger verſucht, den Richter von dieſem Daſeyn zu überzeugen;455§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.wenn er über dieſe Mittel ſeine Meinung ändert (mutata opinio), ſo dürfen nicht deswegen beide Klagen als ver - ſchiedene angeſehen werden. Eben ſo würde es ſich ver - halten, wenn der angebliche Erbe eines Verſtorbenen mit der Erbrechtsklage aus einem Teſtament abgewieſen wird, und dann als Inteſtaterbe die Erbrechtsklage erneuert.

Die ſo unterſcheidende Regel iſt in folgenden Stellen ſehr klar und beſtimmt ausgeſprochen(a)Parallelſtellen: L. 159 de R. J. (50. 17 ), L. 3 § 4 de adqu. vel am. poss. (41. 2). Sehr gut handelt von dieſer Frage Keller § 35.:

  • L. 14 § 2 de exc. r. jud. (44. 2). (Paulus). Actiones in personam ab actionibus in rem hoc differunt: quod, cum eadem res ab eodem mihi de - beatur, singulas obligationes singulae causae se - quuntur, nec ulla earum alterius petitione vitiatur: at cum in rem ago, non expressa causa, ex qua rem meam esse dico, omnes causae una petitione adprehenduntur: neque enim amplius, quam semel, res mea esse potest: saepius autem deberi potest.
  • L. 11 § 5 eod. (Ulpianus). Itaque adquisitum quidem postea dominium aliam causam facit, mutata autem opinio petitoris non facit. Utputa opinabatur ex causa hereditaria, se dominium habere: mutavit opinionem, et coepit putare ex causa donationis: haec res non parit petitionem novam: nam qualecumque et undecumque456Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dominium adquisitum habuit, vindicatione prima in judicium deduxit.

Beide Hälften dieſer Regel ſollen nun noch in der An - wendung auf einzelne Fälle näher betrachtet werden.

Die Regel für die perſönlichen Klagen wird in folgenden Anwendungen anerkannt. Wenn Jemand einen beſtimmten Sclaven aus einer Stipulation, außerdem aber auch aus einem Vermächtniß zu fordern hat, ſo ſind Dieſes zwei ganz verſchiedene, von einander unabhängige Rechte. Wird alſo die Klage auf das eine dieſer Rechte abgewieſen, ſo kann der ſpäteren Klage auf das andere Recht die Einrede der Rechtskraft nicht entgegengeſetzt werden(b)L. 18 de obl. et act. (44. 7 ), Gajus IV. § 55.. Eben ſo verhält es ſich, wenn Jemand Hundert zuerſt aus einem Darlehen einklagt, und dann, nachdem er mit jener Klage abgewieſen worden iſt, die - ſelben Hundert aus einem Fideicommiß(c)L. 93 § 1 de leg. 3 (32. un. ), L. 28 § 13. 14 de lib. leg. (34. 3)..

Neratius drückt die hier für die perſönlichen Klagen aufgeſtellte Regel ſo aus: die Einheit oder Verſchiedenheit beider Klagen beruhe auf der causa proxima actionis(d)L. 27 de exc. r. jud. (44. 2). Die Erklärung, die Puchta von dieſem Ausdruck giebt (Rhein. Muſeum II. 252. 253), halte ich nicht für richtig.. Dieſe nähere Beſtimmung würde ſich etwa in folgender Anwendung wirkſam zeigen. Wenn der Miether eines Pferdes dieſes angeblich beſchädigt haben ſoll, ſo hat der Vermiether gegen ihn zwei verſchiedene Klagen, aus dem457§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.Miethvertrag, und aus dem beſchädigten Eigenthum (a. L. Aquiliae). Wird daher die eine dieſer Klagen abgewieſen, ſo könnte man glauben, die andere ſey nicht ausgeſchloſſen, weil in dieſer das Recht aus einem anderen Entſtehungs - grunde abgeleitet werde. Allein die causa proxima actionis iſt die Beſchädigung. Wird dieſe rechtskräftig verneint, ſo iſt dieſe Verneinung auch für die zweite Klage entſcheidend. Die wahre Gränze für die Zuläſſigkeit der Einrede kann daher hier, wie überall, nur danach beurtheilt werden, ob in beiden Klagen dieſelbe Rechtsfrage zum Grunde liegt.

Der folgende, von Ulpian erzählte Rechtsfall hat unbe - gründete Zweifel an der allgemeinen Anerkennung der hier abgehandelten Regel veranlaßt. Ein Sclave hatte von ſeinem Herrn Auftrag zur Führung von zweierlei Ge - ſchäften erhalten: zum Betrieb eines Oelhandels, und zur Aufnahme von Darlehnen. Ein Gläubiger hatte ihm ein Darlehen gegeben, indem er irrigerweiſe annahm, daß daſſelbe zum Oelhandel verwendet werden ſollte, und hatte nun gegen den Herrn die institoria actio wegen des Auf - trags zu dieſem Handelsbetrieb angeſtellt. Nachdem er ab - gewieſen worden war, wollte er von Neuem klagen, indem er ſich darauf bezog, daß der Sclave auch zur Aufnahme von Darlehnen überhaupt ermächtigt war. Eigentlich, ſagt Ulpian, iſt die Klage conſumirt; dennoch muß ihm, nach Julian’s (richtiger) Bemerkung, eine utilis actio geſtattet werden(e)L. 13 pr. de instit. act. (14. 3).. Der Grundſatz der Conſumtion führte hier458Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf die Zulaſſung der Einrede, weil die zweite Klage, der Form nach, eine Wiederholung der früheren war. Allein nach der neueren Ausbildung der exceptio rei judicatae, d. h. nach dem Grundſatz der eadem quaestio, mußte die Einrede verworfen werden, weil der frühere Richter nur die Verwendung des Geldes zum Oelhandel verneint hatte, womit die gegenwärtige Annahme eines im Auftrag des Sclaven liegenden Darlehens nicht im Widerſpruch ſteht. In dieſer Entſcheidung liegt alſo nur eine der auch ſonſt vorkommenden Spuren, daß allmälig die neuere Geſtalt der exceptio rei judicatae, wo ſie mit der älteren in Wider - ſtreit kam, in den gerichtlichen Entſcheidungen vorgezogen wurde(f)Keller S. 580. Kie - rulff S. 263. Vgl. oben § 282. Die exceptio rei judicatae wurde in dieſem Fall ohne Zweifel durch eine doli replicatio ent - kräftet, und auf dieſem Wege wurde dem Kläger ein günſtiger Erfolg ſeiner Klage verſchafft ( utilem ei actionem compe - tere ait )..

Die Regel für die Klagen in rem ging dahin, daß ungeachtet der Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes, woraus der Kläger in beiden Klagen ſein Recht ableitet, die Ein - rede der Rechtskraft dennoch auf die ſpätere Klage anwend - bar ſeyn ſoll. Die oben abgedruckten entſcheidenden Stellen reden allerdings zunächſt nur von der Eigenthumsklage und dem Erwerbe des Eigenthums; allein die erſte unter jenen Stellen ſpricht doch die Regel allgemein aus für alle ac - tiones in rem, und es hat keinen Zweifel, daß der ganze Inhalt jener Stellen eben ſowohl auf die Erbrechtsklage,459§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.als auf die Eigenthumsklage, Anwendung findet. Eine Be - ſtätigung dieſer Behauptung findet ſich in einer Stelle des Paulus, die auf mancherlei Weiſe mißverſtanden worden iſt(g)L. 30 pr. de exc. r. jud. (44. 2). Vgl. Keller S. 288. 289. In anderer Beziehung iſt dieſe Stelle ſchon oben benutzt worden. § 299. k. . In einem Teſtament war für ein Sechstheil des Vermögens zum Erben eingeſetzt worden ein Verwandter des Verſtorbenen, der als Inteſtaterbe auf die Hälfte der Erbſchaft Anſpruch gehabt haben würde. Dieſer klagte als Inteſtaterbe gegen einen gleichfalls eingeſetzten Beſitzer der Erbſchaft auf die Hälfte, indem er das Teſtament als un - gültig anfocht; er wurde abgewieſen, und wollte nun als Teſtamentserbe gegen denſelben Beſitzer das ihm angewie - ſene Sechstheil einklagen. Paulus ſagt, dieſe zweite Klage ſey durch die Einrede der Rechtskraft ausgeſchloſſen. Darin liegt die Anerkennung, daß dieſe Einrede anwendbar iſt, auch wenn beide Erbrechtsklagen auf verſchiedenen Er - werbsgründen der Erbſchaft beruhen, die erſte auf der Ver - wandtſchaft, die zweite auf einem Teſtament.

Nur aus Mißverſtändniß iſt auf dieſe Regel eine Stelle des Ulpian bezogen worden, die hier genau erklärt werden muß, weil ſich an die irrige Auffaſſung derſelben manche bedenkliche Irrthümer angeknüpft haben(h)L. 11 pr. de exc. r. jud. (44. 2). Von dieſer Stelle handeln Keller S. 290. 580. Puchta Rhein. Muſeum II. 264. III. 483. Kierulff S. 261. 262.. Es war ein Mann geſtorben und hatte ſowohl ein Teſtament für ſich ſelbſt, als ein Pupillarteſtament für ſeinen unmündigen460Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Sohn hinterlaſſen. Bald darauf ſtarb auch der Sohn, und nun klagte deſſen Mutter als Inteſtaterbin aus dem Ter - tullianiſchen Senatusconſult gegen den Beſitzer der Erb - ſchaft, indem ſie behauptete, das Teſtament ihres Mannes ſey rumpirt, und dadurch zugleich das Pupillarteſtament ihres Sohnes ungültig geworden. Da ſich dieſe Be - hauptung als falſch erwies, ſo wurde ſie abgewieſen. Als aber nunmehr das Pupillarteſtament eröffnet wurde, fand ſich darin gar kein Subſtitut vor, und nun wollte die Mutter nochmals als Inteſtaterbin gegen denſelben Beſitzer klagen. Neratius ſagt, die Einrede der Rechtskraft ſtehe ihr entgegen, und auch Ulpian hält Dieſes an ſich für unzweifelhaft, giebt jedoch in den Schlußworten noch eine Aushülfe an, die den wichtigſten Theil der ganzen Stelle enthält. Ehe ich aber dieſe Schlußworte erkläre, will ich zuvor den Geſichtspunkt für den bisher dargelegten Gang des ganzen Rechtsfalls feſtzuſtellen ſuchen. Man hat die Sache ſo aufgefaßt, als hätte die Mutter zwei Erbrechts - klagen aus verſchiedenen Erwerbsgründen der Erbſchaft verſucht, wodurch dieſe Stelle in Verbindung mit der ſo eben abgehandelten Rechtsregel kommen würde; Dieſes iſt jedoch offenbar nicht richtig; vielmehr war die erſte, wie die zweite Klage eine und dieſelbe hereditatis intestati petitio, nur mit verſchiedenen vorgebrachten Rechtfertigungsgrün - den(i)Die Schlußworte der Stelle: quae unam tantum causam egit rupti testamenti, entſcheiden für keine dieſer beiden, an ſich. Der erſte Rechtsſtreit war aber ſchlecht geführt461§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.und ſchlecht entſchieden worden. Die Klägerin, die einen an ſich ganz unzweifelhaften Inteſtaterbanſpruch hatte, durfte gar nicht abgewieſen werden, bevor das Pupillar - teſtament eröffnet war(k)L. 1 § 1 testam. quem - adm. aper. (29. 3 ), L. 6 de transact. (2. 15).. Ich komme nun zu den Schlußworten der Stelle, worin Ulpian folgende Aus - hülfe in Ausſicht ſtellt: sed ex causa succurrendum erit ei, quae unam tantum causam egit rupti testamenti. Dieſe Worte pflegen ſo aufgefaßt zu werden, daß es hart und unbillig ſeyn würde, wenn die vorige Klägerin wegen ihrer unvorſichtigen Prozeßführung leiden ſollte; daher müſſe ſie Reſtitution gegen die Rechtskraft erhalten. Natürlich zeigt man ſich nun geneigt, eine ſolche Reſtitution überall ein - treten zu laſſen, wo die Einrede der Rechtskraft einem Kläger beſondere Nachtheile droht. Dieſe Lehre mag milde und billig ſcheinen; aber es iſt unleugbar, daß damit der ganze Gewinn aus dem Grundſatz der Rechtskraft, die ganze damit verbundene Rechtsſicherheit, ſo gut als ver - nichtet ſeyn würde. Alles wäre in der That der unbe - ſchränkten Willkühr des Richters überlaſſen, und es iſt gar nicht denkbar, daß Ulpian ganz vorübergehend, in wenigen Worten, die ganze Lehre von der Rechtskraft, die gerade er,(i)denkbaren Erklärungen, da ſie eben ſo gut von zwei verſchiedenen Recht - fertigungsgründen, als von zwei verſchiedenen Klagen, verſtanden werden können. Eine actio rupti testamenti giebt es ja ohnehin nicht, ſondern nur eine heredi - tatis petitio, zu deren Rechtfer - tigung der Kläger, unter vielen anderen Gründen, auch darauf ſich berufen kann, daß ein Teſtament ruptum ſey.462Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.vor allen Anderen, mit großer Conſequenz durchgeführt hat, ſollte wankend gemacht haben. Eine hiſtoriſche Erklärung dieſer Worte liegt allerdings nahe. Zur Zeit des Ulpian hatten Frauen einen allgemeinen Anſpruch auf Reſtitution, wenn ſie durch Rechtsunwiſſenheit in Nachtheil geriethen, und zwar beſonders, wenn dieſe Rechtsunwiſſenheit bei ſchädlichen Handlungen oder Unterlaſſungen in einer Pro - zeßführung wahrgenommen wurde(l)Vgl. oben B. 3 S. 432 und S. 384 (Num. XIX. ), S. 427 (Num. XXIX).. Daß aber die Frau, von welcher hier die Rede iſt, durch Rechtsunwiſſenheit den Verluſt des erſten Prozeſſes ſich zugezogen hatte, iſt ſchon oben gezeigt worden. Vielleicht hatte alſo Ulpian ausdrücklich geſagt, daß der Frau dieſe Reſtitution wegen ihres Geſchlechts gegeben werden müſſe, und die Compila - toren haben dieſe Erwähnung, wegen des hierin verän - derten Rechts, vertilgt(m)Vielleicht hatte Ulpian geſchrieben: sed sexus causa succurrendum erit ei, ſo wie es in L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14) heißt: si ea persona sit, quae ignorare propter rusticitatem, vel propter sexum femininum, jus suum possit. Die Verände - rung von sexus causa in ex causa war dann ſehr einfach und leicht.. Allerdings kann dieſe hiſto - riſche Erklärung auf die Stelle, wie ſie als Beſtandtheil des Juſtinianiſchen Rechts vor uns liegt, nicht angewendet werden. Allein auch hier wird der ganze Schlußſatz doch nur dadurch wichtig und gefährlich, daß manche Ausleger die Worte: ex causa, auf eine unbeſchränkte Willkühr des Richters in Geſtattung einer milden Nachſicht deuten. Eben ſo nahe, und noch näher, liegt es aber, die Worte:463§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.ex causa, ſo zu erklären: wenn überhaupt ein ſonſt begrün - deter Reſtitutionsgrund (etwa Minderjährigkeit, Betrug u. ſ. w.) vorliegt. Nach dieſer Erklärung iſt der beiläufig hingeworfene Satz höchſtens trivial, aber weder irrig noch gefährlich.

Bisher iſt die Regel dargeſtellt worden, ſowohl für die perſönlichen Klagen, als für die Klagen in rem. Bei dieſen letzten Klagen aber kommen zwei wichtige Ausnahmen in Betracht, in welchen die Einrede für den Fall eines an - deren Erwerbsgrundes eben ſo ausgeſchloſſen bleiben muß, wie ſie ſchon in der Regel für dieſen Fall bei den perſön - lichen Klagen ohnehin ausgeſchloſſen iſt. Dieſe Ausnahmen beziehen ſich auf den Fall der causa superveniens und auf den der causa adjecta oder expressa.

a. Causa superveniens.

Wenn eine Eigenthumsklage abgewieſen wird, weil der Kläger, nach dem Ausſpruch des Richters, kein Eigenthum hat, ſo darf die Klage, nach der oben aufgeſtellten Regel, ſelbſt dann nicht erneuert werden, wenn ſich der Kläger auf einen anderen Erwerbsgrund, als den der früheren Klage zum Grunde liegenden, berufen wollte. Die Er - neuerung der Klage aber iſt ihm ausnahmsweiſe erlaubt, wenn der behauptete andere Erwerb erſt nach Beendigung des erſten Rechtsſtreites eingetreten ſeyn ſoll(n)L. 11 § 4. 5 de exc. r. jud. (44. 2). Ebenſo, wenn in einem Rechtsſtreit über die Frei - heit der Sklave für frei erklärt.

464Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Eben ſo verhält es ſich, wenn die frühere Abweiſung nicht auf das fehlende Eigenthum des Klägers, ſondern auf den fehlenden Beſitz des Beklagten gegründet war, der Kläger aber behauptet, der damals fehlende Beſitz ſey nach dem Ende des früheren Rechtsſtreits an den Beklagten ge - kommen(o)L. 17 de exc. r. jud. (44. 2). Daſſelbe muß behauptet werden, wenn eine Erbrechtsklage, oder eine a. ad exhibendum blos wegen des fehlenden Beſitzes ab - gewieſen war. L. 9 pr. L. 18 eod., L. 8 pr. ratam rem (46. 8)..

Wenn ferner eine Erbrechtsklage abgewieſen wird, weil der Richter annimmt, der Kläger ſei nicht Erbe, und nun eine neue Erbrechtsklage aus einer erſt ſpäter eingetretenen Erwerbung des Erbrechts abgeleitet wird, ſo ſoll dieſe neue Klage durch die Einrede der Rechtskraft nicht ausgeſchloſſen ſeyn(p)L. 25 pr. de exc. r. jud. (44. 2)..

Der Grund dieſer Ausnahme liegt in der oben aufge - ſtellten Regel, daß jedes Urtheil ſtets nur Etwas ausſprechen will und kann, für den Zeitpunkt in welchem es erlaſſen wird (§ 292. k. l.). Alle ſpäteren Aenderungen der Rechts - verhältniſſe liegen daher ganz außer ſeinem Bereich, und es kann alſo auch nicht auf den Erfolg einer Klage ein - wirken, die eine ſolche ſpätere Aenderung zum Gegen - ſtand hat.

Wegen der durchgreifenden Allgemeinheit dieſes Grundes(n)wird, nachher aber ſein früherer Gegner das Eigenthum dieſes Skla - ven durch Erbſchaft oder auf irgend eine andere Weiſe wirklich erwirbt; Dieſem ſteht die Einrede nicht entgegen. L. 42 de lib. causa (40. 12).465§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.würde derſelbe nicht blos, wie hier behauptet wird, auf Klagen in rem, ſondern eben ſo auch auf perſönliche Klagen Anwendung finden können. Bei dieſen aber fehlt es meiſt deswegen an einem Bedürfniß, weil bei ihnen die ganz anders lautende Regel eine ſolche Ausnahme ohnehin entbehrlich macht. Dennoch kommen hier ſeltnere Fälle vor, worin ein ſolches Bedürfniß eintritt, und dann iſt auch die Anwendung der angegebenen Ausnahme ganz unbe - denklich. Wenn alſo z. B. aus einem bedingten Vertrag vor Eintritt der Bedingung geklagt wird, ſo iſt der Kläger abzuweiſen. Tritt aber nachher die Bedingung ein, ſo kann die frühere Klage, ungehindert durch die Einrede der Rechtskraft, wiederholt werden(q)L. 43 § 9 de aedil. ed. (21. 1). Eben ſo, wenn wegen der bedingten Schuld nicht die Schuldklage, ſondern die Hypothe - karklage angeſtellt und abgewieſen worden iſt. L. 13 § 5 de pign. (20. 1). Eben ſo, wenn die perſönliche Klage blos wegen einer Einrede abgewieſen wurde, deren Grund durch ein ſpäteres Ereigniß weggeräumt wird. L. 2 de exc. r. jud. (44. 2 ), L. 15 de obl. et act. (44. 7)..

b. Causa adjecta oder expressa.

Der Sinn dieſer Ausnahme geht dahin, daß es dem Kläger frei ſteht, ſeine Klage in rem auf einen einzelnen, beſtimmten Erwerbsgrund (z. B. Erſitzung bei dem Eigen - thum, Teſtament bei dem Erbrecht) zu beſchränken. Das hat für ihn den Nachtheil, daß er im Lauf des Rechts - ſtreits nicht zum Beweiſe eines anderen Erwerbsgrundes übergehen kann: den Vortheil, daß die Abweiſung ihnVI. 30466Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht hindert, künftig die Klage zu erneuern, indem er ſie alsdann aus einem anderen Erwerbsgrund ableitet(r)L. 11 § 2. L. 14 § 2 de exc. r. jud. (44. 2)..

Durch dieſe Ausnahme wird daher die Anwendung der Regel ſelbſt auf die Fälle beſchränkt, worin die erſte Klage auf das Eigenthum oder das Erbrecht im Allgemeinen, ohne Hinzufügung eines einzelnen Erwerbsgrundes, ange - ſtellt wird.

Da jedoch dieſe zweite Ausnahme neuerlich zum Gegen - ſtand eines lebhaften Streites geworden iſt, deſſen Dar - ſtellung hier den Zuſammenhang allzuſehr unterbrechen würde, ſo iſt die Prüfung dieſer Streitfrage in die Bei - lage XVII. verwieſen worden.

§. 301. Einrede der Rechtskraft. Bedingungen. Dieſelben Perſonen.

Die zweite Bedingung für die Anwendbarkeit der Ein - rede der Rechtskraft (§ 296) beſteht darin, daß dieſelben Perſonen als Parteien in dem zweiten Rechtsſtreit er - ſcheinen müſſen, unter welchen der frühere Rechtsſtreit ge - führt worden iſt, oder in der ſubjectiven Identität beider Klagen(a)L. 3. L. 7 § 4 de exc. r. jud. (44. 2) inter easdem personas (abgedruckt oben § 296 S. 417). L. 1 eod., L. 63 de re jud. (42. 1 ), L. 12 de jurej. (12. 2 ), L. 1 C. inter al. acta (7. 60 ), L. 2 C. de exc. (8. 36). Über dieſen Gegenſtand iſt im All - gemeinen zu vergleichen Keller § 44. 45.. Wo dieſe Bedingung fehlt, wirkt die467§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.Einrede nicht, ſo daß alſo in jedem ſpäteren Rechtsſtreit eine dritte Perſon aus dem früheren rechtskräftigen Urtheil weder Rechte geltend machen, noch einer Verbindlichkeit unterworfen werden kann(b)L. 2 C. quib. res jud. (7. 56 ): Res inter alios judica - tae neque emolumentum afferre his, qui judicio non interfue - runt, neque praejudicium so - lent irrogare. .

Dieſe Regel iſt von beſonderer Wichtigkeit bei den Klagen in rem. Denn da das Eigenthum, und eben ſo auch das Erbrecht, als eine allgemeine, gegen Jeden wirk - ſame, Eigenſchaft des Berechtigten gedacht wird, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe, daß die rechtskräftige Bejahung oder Verneinung dieſer Eigenſchaft eben ſo allgemein für und wider alle Menſchen ihre Wirkung äußern müſſe. Dennoch verhält es ſich damit ganz anders. Das Weſen der Rechtskraft beſteht in einer Fiction der Wahrheit für das geſprochene Urtheil (§ 280). Auf die Anwendung dieſer Fiction erwirbt die obſiegende Partei ein Recht gegen die unterliegende, und ſo hat das, aus dem Urtheil ent - ſpringende Rechtsverhältniß völlig die Natur einer Obliga - tion, und wirkt daher nicht auf fremde Perſonen, die etwa auf daſſelbe Eigenthum oder Erbrecht Anſpruch machen möchten(c)L. 63 de re jud (42. 1 ) Diversa causa est, si fundum a te Titius petierit, quem ego quoque, sed non ex persona Titii, ad me pertinere dico. Nam quamvis contra Titium, me sciente, judicatum sit, nullum tamen praejudicium patior: quia neque ex eo jure, quo Titius victus est, vindico, neque potui Titio intercedere, quo minus jure suo utatur. . Bei den perſönlichen Klagen, deren Gegen -30*468Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtand ein Rechtsverhältniß zwiſchen zwei beſtimmten Per - ſonen iſt, kann in den meiſten Fällen ſelbſt ein ſolcher Zweifel gar nicht entſtehen, ſo daß hier jene Regel von geringerer Wichtigkeit iſt. Doch kommen auch dabei Fälle vor, worin ſich dieſelbe wirkſam zeigt. Wenn nämlich ein Gläubiger oder Schuldner ſtirbt, und mehrere Erben hinter - läßt, ſo geht auf jeden Erben ein Theil des Rechtsverhält - niſſes über, welcher dann Gegenſtand eines ſelbſtſtändigen Rechtsſtreites für dieſen Erben werden kann. Das Urtheil über dieſen Rechtsſtreit ſoll nun auf den, dem anderen Erben zukommenden Theil des Rechtsverhältniſſes keinen Einfluß haben, obgleich dieſes urſprünglich ein ungetrenntes Ganze war, und daher die Gründe der Entſcheidung meiſt gemeinſame ſeyn werden(d)L. 22 de exc. r. jud. (44. 2). Si cum uno herede depositi actum sit, tamen et cum ceteris heredibus recte agetur, nec exceptio rei judi - catae eis proderit: nam etsi eadem quaestio in omnibus judiciis vertitur, tamen per - sonarum mutatio, cum quibus singulis suo nomine agitur, aliam atque aliam rem facit. L. 63 de re jud. (42. 1 ), L. 2 C. quib. res jud. (7. 56)..

Wollte man die hier aufgeſtellte Regel in aller Strenge geltend machen, ſo würde dadurch der Gebrauch der Ein - rede ſehr eingeſchränkt werden. Ihre praktiſche Wichtigkeit beruht daher großentheils auf einigen Erweiterungen der Regel, die nun noch darzuſtellen ſind.

Dieſe Erweiterungen ſind von zweierlei Art. Die meiſten und wichtigſten beruhen auf der Anwendung des allgemeinen, ſchon anderwärts begründeten, Succeſſions -469§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonenverhältniſſes; wir können dieſe Erweiterungen natürliche nennen. Andere dagegen beruhen auf beſonderen Vor - ſchriften, herbeigeführt durch das eigenthümliche Bedürfniß einzelner Rechtsinſtitute; dieſe werden wir als poſitive Erweiterungen zu bezeichnen haben.

I. Natürliche Erweiterungen.

Die Einrede, als Wirkung der Rechtskraft, ſoll ſich nicht blos auf die früheren Parteien ſelbſt beziehen, ſondern auch auf die Succeſſoren dieſer Parteien(e)L. 2 C. de exc. (8. 36) vel successoribus ejus. In der alten Lehre von der Con - ſumtion machte beſondere Schwie - rigkeit die Frage, welche Perſonen eine Klage in judicium deduciren könnten, insbeſondere ob Procu - ratoren, Cognitoren u. ſ. w. Hier - auf gehen L. 4 L. 11 § 7 L. 25 § 2 de exc. r. jud. (44. 2). Vgl. Keller § 37 44. Dieſe Schwierigkeit iſt nicht vorhanden bei der Exception in ihrer neueren Geſtalt, da ſich Alles auf die all - gemeinen Grundſätze von rechts - kräftiger Vertretung im Prozeß zurückführen läßt..

a. Dieſer Satz gilt ſowohl für das Recht der obſie - genden, als für die Verbindlichkeit der unterliegenden Partei aus dem früheren Urtheil.

b. Er gilt ſowohl für die Univerſalſucceſſion, als für die Singularſucceſſion(f)Vgl. über dieſe Begriffe B. 3 § 103..

Für die Univerſalſucceſſion, insbeſondere für die Erben der urſprünglichen Parteien, verſteht er ſich ſo ſehr von ſelbſt, daß er dabei nicht beſonders erwähnt zu werden pflegt. Man kann dahin unter andern auch den Fall rechnen, wenn ein Sohn in väterlicher Gewalt einen Prozeß führt und das Recht der Einrede erwirbt; dieſes470Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Recht geht, eben ſo wie jeder Erwerb des Sohnes, un - mittelbar auf den Vater über(g)L. 11 § 8 de exc. r. jud. (44. 2)..

Eben ſo aber geht auch auf die Singularſucceſſoren das Recht und die Verpflichtung aus der Einrede über(h)L. 28 de exc. r. jud. (44. 2). Exceptio rei judi - catae nocebit ei, qui in do - minium successit ejus, qui ju - dicio expertus est. , insbeſondere alſo auf den, welcher durch Kauf in das Recht der urſprünglichen Partei eingetreten iſt(i)L. 9 § 2. L. 11 § 3. 9 de exc. r. jud. (44. 2 ), L. 25 § 8 fam. herc. (10. 2), vgl. oben § 298 i. . Eben ſo, wenn der Eigenthümer einer Sache Prozeß über die - ſelbe führt, und dann die Sache verpfändet, geht der Vortheil und Nachtheil aus dem rechtskräftigen Urtheil auf den Pfandgläubiger über.

c. Jener Satz iſt nur wahr, wenn die Succeſſion nach dem rechtskräftigen Urtheil begründet wurde; iſt ſie früher begründet, ſo hat das Urtheil keine rückwirkende Kraft für den Succeſſor(k)L. 3 § 1 de pign. (20. 1 ), L. 29 § 1. L. 11 § 10 de exc. r. jud. (44. 2).. Wenn alſo ein Gläubiger einen Theil ſeiner Forderung einem Dritten überträgt, und dann für den übrigen Theil gegen den Schuldner klagt, ſo hat das Urtheil keinen Einfluß auf den Ceſſionar.

II. Poſitive Erweiterungen.

Dieſe haben die Natur wahrer Ausnahmen von der aufgeſtellten Regel, ſo daß in den Fällen derſelben die Vortheile und Nachtheile der Rechtskraft auf Perſonen be - zogen werden, die in dem früheren Rechtsſtreit nicht als471§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.Parteien erſchienen, und auch nicht in ein Succeſſions - verhältniß zu jenen Parteien eingetreten ſind(l)Vgl. über dieſe Ausnahmen: Keller § 46. 47. 48. Bracken - hoeft Identität der Rechtsver - hältniſſe § 20.. Das praktiſche Verhältniß dieſer Ausnahmen zu der Regel läßt ſich ſo ausdrücken: Das richterliche Urtheil macht in der Regel jus inter partes, in dieſen ausgenommenen Fällen jus inter omnes.

Man kann dieſe Ausnahmen auf den gemeinſamen Geſichtspunkt zurückführen, daß der Fremde, auf welchen die Wirkung der Rechtskraft bezogen werden ſoll, durch eine der Parteien vertreten (repräſentirt) war(m)Damit hängt zuſammen das Erforderniß eines justus con - tradictor, wovon ſogleich bei mehreren einzelnen Fällen die Rede ſeyn wird.. Nur muß man nicht glauben, daß damit ein durchgreifender Grundſatz aufgeſtellt wäre, durch deſſen freie Anwendung überall das Daſeyn ſolcher Ausnahmen entſchieden werden könnte. Vielmehr bleiben es ſtets nur einzelne, poſitiv anerkannte Fälle, und es ſollte durch den aufgeſtellten Geſichtspunkt nur klar gemacht werden, in welcher Ver - wandtſchaft ſie unter einander ſtehen, und aus welchem Grunde für ſie eine abweichende Behandlung angemeſſen gefunden worden iſt.

Die einzelnen Fälle dieſer Ausnahmen ſind folgende:

A. Klagen, die auf einen perſönlichen Zuſtand (status), insbeſondere auf ein Verhältniß des Familienrechts, ge - richtet ſind.

472Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Nach einer in früherer Zeit ſehr verbreiteten Meinung ſollten alle Klagen der hier bezeichneten Art die erwähnte beſondere Natur haben. In der That kann Dieſes nur in folgenden zwei Fällen behauptet werden:

a. Wenn die rechtmäßige Geburt eines Kindes, und die davon abhängige väterliche Gewalt, beſtritten wird, ſo ſoll das Urtheil über den von dem Vater geführten Rechtsſtreit nicht blos für die Parteien, ſondern auch für alle übrigen Familenglieder, namentlich für die Geſchwiſter des Kindes, die Wirkung der Rechtskraft haben(n)L. 1 § 16. L. 2, L. 3 pr. de agnosc. (25. 3) placet enim, ejus rei judicem jus facere. Durch dieſe Worte ſoll alſo hier eine mehr als gewöhnlich ausge - dehnte Wirkſamkeit der Rechts - kraft ausgedrückt werden, das jus inter omnes, im Gegenſatz des jus inter partes. Vgl. oben § 282 e. Anders verhält es ſich hier bei der Entſcheidung durch Eid, wobei es (für den künftigen Rechtsſtreit dritter Perſonen) heißt: veritatem esse quaerendam. L. 3 § 2. 3 de jurej. (12. 2), welche Worte den Gegenſatz bil - den von: res judicata pro veri - tate accipitur (ſ. die folgende Note). Die abſolute Wirkung des Urtheils gilt auch zum Nach - theil des Vaters, z. B. bei dem, gegen eine dritte Perſon angeſtell - ten Interdict de liberis exhiben - dis. L. 1 § 4 de lib. exhib. (43. 30)..

b. Wenn über den Zuſtand eines Freigebornen zwiſchen ihm und dem wirklichen Patron, oder dem einzigen Prä - tendenten des Patronats, ein Rechtsſtreit geführt wird, ſo bringt deſſen Entſcheidung den wirklichen Zuſtand eines Freigebornen oder Freigelaſſenen hervor, auch im Verhält - niß zu allen fremden Perſonen, z. B. wenn von der Möglichkeit einer rechtsgültigen Ehe dieſer Perſon die Frage entſteht, oder von der Fähigkeit derſelben, in den473§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.Senat einzutreten, oder von den Verhältniſſen des Erb - rechts(o)L. 25 de statu hominum (1. 5). .. res judicata pro ve - ritate accipitur ſ. die vorher - gehende Note und oben § 282. d., L. 1. 4 de collus. (40. 16 ), L. 27 § 1 de lib. causa (40. 12 ), L. 14 de j. patron. (37. 14). Auch hier hat wieder der Eid dieſe ausge - dehntere Wirkung nicht. Anders bei der Strafklage des Patrons wegen in jus vocatio, weil dieſe über das perſönliche Verhältniß der Parteien nicht hinaus geht. L. 8 § 1 de in jus voc. (2. 4)..

In allen übrigen Fällen ſolcher Klagen gilt dagegen die erwähnte ausgedehntere Wirkung des Urtheils nicht; vielmehr bleibt es für ſie bei der, auf die Parteien be - ſchränkten Wirkung. Das Urtheil, welches einen Sclaven für frei, oder einen Freigelaſſenen für einen Freigebornen erklärt, hindert daher eine dritte Perſon nicht, denſelben als dem Sclavenrecht oder dem Patronatsrecht unter - worfen in Anſpruch zu nehmen(p)L. 42 de lib causa (40. 12 ), L. 1. 5 si ingen. (40. 14). Da indeſſen auch die ſcheinbare Inge - nuität oder Libertinität, die auf dieſe Weiſe vorübergehend entſte - hen konnte, große Nachtheile mit ſich führte, ſo geſtattete man wohl jedem Dritten, der für ſich Patro - natsrecht in Anſpruch nehmen wollte, an dem Prozeß Theil zu nehmen, in welchem Fall dann das Urtheil auch für dieſen Dritten wirkſam wurde. Das iſt der Sinn der etwas ſchwierigen Worte in L. 63 de re jud. (42. 1). .. Nam et si libertus meus, me inter - veniente, servus vel libertus alterius judicetur, mihi prae - judicatur. Wohl nur durch ſolche Erklärung iſt ein Wider - ſpruch dieſer Worte mit den un - mittelbar folgenden zu beſeitigen, die oben in der Note c. abgedruckt ſind. Darauf deuten auch die Worte quo ignorante in L. 5 si ingen. (40. 14). Beſondere Schwierig - keit entſtand bei angeblichen Mit - eigenthümern eines Sclaven. Hier ſuchte man zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Aushülfe. L. 9 pr. § 1. 2, L. 30 de lib. causa (40. 12 ), L. 29 pr. de exc. r. jud. (44. 2)..

Aber auch in jenen beiden beſonderen Fällen ſoll die Ausnahme nur unter folgenden Bedingungen eintreten: Es474Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſoll ein justus contradictor den Rechtsſtreit geführt haben(q)L. 3 de collus. (40. 16). Der Sinn dieſer Bedingung iſt bereits im Text erklärt worden: Der Rechtsſtreit ſoll von dem Vater, oder dem wahren Patron, oder dem einzigen Patronatsprätenden - ten, geführt worden ſeyn.; es ſoll ein contradictoriſches, nicht ein Contumacialurtheil ſeyn(r)L. 27 § 1 de lib. causa (40. 12), vgl. L. 24 de dolo (4. 3).; es ſoll endlich keine Colluſion unter den Parteien zum[ Grunde] liegen(s)Tit. Dig. de collus. (40. 16). Die Anfechtung aus dieſem Grunde war einem Jeden (als popularis actio) geſtattet..

B. Klagen aus dem Erbrecht.

Auch hier wieder ſtehen die meiſten Fälle ganz unter der gewöhnlichen Regel.

Wenn alſo A. gegen B. die Erbrechtsklage anſtellt, und das Erbrecht des A. bejaht oder verneint wird, ſo hat Dieſes auf den ſpäteren Rechtsſtreit über das Erbrecht zwiſchen A. und C. oder zwiſchen B. und C. durchaus keinen Einfluß(t)L. 12 de jurej. (12. 2).. Eben ſo, wenn zwiſchen dem Teſta - mentserben und einem Legatar über die Gültigkeit des Teſtaments oder des Legats geſtritten wird, und nachher ein anderer Legatar gegen denſelben Erben klagt(u)L. 1 de exc. r. jud. (44. 2)..

Die Fälle der Ausnahme in Beziehung auf das Erb - recht ſind folgende:

a. Wenn über die Gültigkeit eines Teſtaments zwiſchen dem Teſtamentserben und dem Inteſtaterben geſtritten und entſchieden wird, ſo ſind an dieſe Entſcheidung auch Die - jenigen gebunden, die aus dieſem Teſtament als Legatare475§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.oder Freigelaſſene u. ſ. w. Rechte ableiten; dieſe ausge - dehntere Wirkſamkeit des Urtheils wird hier gleichfalls durch den Ausdruck: Judex jus facit, bezeichnet. Auch hier wird aber ein contradictoriſches Urtheil, ſo wie die Abwe - ſenheit der Colluſion, vorausgeſetzt. Die erwähnten Per - ſonen haben zu ihrer Sicherheit die Befugniß, an dem Rechtsſtreit Theil zu nehmen, und ſelbſt gegen das ihnen nachtheilige Urtheil die Berufung einzulegen(v)L. 3 pr. de pign. (20. 1. ), L. 50 § 1 de leg. 1. (30. un. ) jus facit haec pronuntiatio , L. 14 de appell. (49. 1) an jus faciat judex , L. 12 pr. § 2 C. de pet. her. (3. 31)..

Es fragt ſich, ob auch die Gläubiger der Erbſchaft unter dieſer Vorſchrift ſtehen. Sie unterſcheiden ſich von den Legataren darin, daß ihr Recht an ſich von der Gül - tigkeit des Teſtamentes unabhängig iſt. Es kann aber für ſie gefährlich werden, unbedingt an den ſiegenden Theil in jenem Erbſchaftsſtreit verwieſen zu werden, weil dieſer vielleicht zahlungsunfähig ſeyn kann. Das Recht nun haben ſie unzweifelhaft, ſich an den zu halten, der in dem Rechtsſtreit über die Erbſchaft obgeſiegt hat(w)L. 50 § 1 in f. de leg. 1 (30. un. ), L. 12 § 1 C. de pet. her. (3. 31).. Aber eine Verpflichtung dazu läßt ſich wohl nicht behaupten; vielmehr muß ihnen auch verſtattet werden, ihre Schuld - klagen gegen den damals unterliegenden Theil anzuſtellen, wenn ſie dieſem beweiſen können, daß er der wahre Erbe iſt.

b. Wenn ein Teſtament als inofficiosum angefochten476Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wird, und der Richter die Klage begründet findet, ſo iſt der Erfolg ein ganz anderer, als bei der gewöhnlichen Erbrechtsklage. Es wird angenommen, das Teſtament ſey bis dahin gültig geweſen, und das Urtheil habe das - ſelbe reſcindirt. Dadurch wird nun die gewöhnliche In - teſtaterbfolge eröffnet, die möglicherweiſe einer anderen Perſon, als dem Kläger, welcher die Reſciſſion bewirkte, die Erbſchaft verſchaffen kann. Dieſe ausgedehntere Wir - kung wird auch hier durch die Worte: Jus facit judex, be - zeichnet, und ſie tritt wieder nur ein, wenn das Urtheil ein contradictoriſches iſt(x)L. 6 § 1 de inoff. (5. 2 ), L. 8 § 16 eod., L. 17 § 1 eod. jus ex sententia judicis fieri. Ob dieſe Regel noch im heutigen Recht Geltung hat, kann an dieſer Stelle nicht unterſucht werden. Es hängt von der allgemeineren Frage ab, ob überhaupt die Eigenthüm - lichkeiten der alten querela inof - ficiosi noch fortdauern, oder ob dieſe Klage durch die Novelle 115 weſentlich umgebildet worden iſt. Wer dieſe letzte Meinung annimmt, zu der ich mich bekenne, muß die Fortdauer der ausgedehnteren Rechtskraft bei dieſer Klage ver - werfen, da an ihre Stelle nun eine gewöhnliche Erbrechtsklage getreten iſt. Über die Natur jener Klage im älteren Recht vgl. oben B. 2 S. 127 131..

C. Klagen, deren Führung einem Mitbetheiligten überlaſſen wird(y)L. 63 de re jud. (42. 1). Bei Keller S. 68 fg. finden ſich treffliche Bemerkungen über die ſchwierigen Theile dieſer wichtigen Stelle..

Es kann geſchehen, daß der, welcher zunächſt dazu berufen iſt, als Kläger oder Beklagter einen Rechtsſtreit zu führen, ſein Recht von einem Anderen ableitet, der dann oft mehr, als er ſelbſt, Vortheil oder Rachtheil von dem Ausgang des Streites zu erwarten hat. Er kann477§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.nun dieſen Anderen zum Beiſtand in dem Rechtsſtreit auf - fordern, er kann ihm aber auch die eigene, ſelbſtſtändige Führung des Streits überlaſſen. Wenn er dieſen letzten Weg einſchlägt, ſo wird der Streit für oder wider den Anderen entſchieden; er ſelbſt erſcheint als Partei gar nicht, und nach der allgemeinen Regel müßte daher das Urtheil ihm weder Vortheil noch Nachtheil bringen. Hier aber wäre die Anwendung dieſer Regel offenbar unrichtig, da er zunächſt dazu berufen war, den Prozeß zu führen, und die Überlaſſung an den Anderen ganz aus ſeinem freien Entſchluß hervorging. Hier ſind alſo die Vortheile und Nachtheile der Rechtskraft auf ihn gerade ſo anzuwenden, wie wenn er ſelbſt in dem Rechtsſtreit als Partei aufge - treten wäre.

Es werden im Römiſchen Recht drei einzelne Anwen - dungen zuſammengeſtellt, um die Natur dieſer Ausnahme anſchaulich zu machen, wodurch jedoch die Ausnahme ſelbſt auf dieſe einzelnen Fälle keinesweges beſchränkt werden ſoll(z)L. 63 de re jud. (42. 1 ) .. Scientibus sententia, quae inter alios data est, obest, cum quis de ea re, cujus actio vel defensio primum sibi com - petit, sequenti agere patiatur: veluti si creditor experiri pas - sus sit debitorem de proprie - tate pignoris, aut maritus so - cerum vel uxorem de proprie - tate rei in dotem acceptae, aut possessor venditorem de proprietate rei emtae: et haec ita ex multis constitutionibus intelligenda sunt. Cur autem his quidem scientia nocet, su - perioribus vero non nocet, illa ratio est, quod , qui prio - rem dominum defendere cau - sam patitur, ideo propter scientiam praescriptione rei, quamvis inter alios judicatae,.

478Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

a. Der erſte Fall iſt der einer verpfändeten Sache, wenn dieſe in den Beſitz einer dritten Perſon kommt, die auf das Eigenthum Anſpruch macht. Hier könnte der Pfandgläubiger mit der Hypothekarklage gegen den dritten Beſitzer klagen; er kann es aber auch dem Verpfänder überlaſſen, die Eigenthumsklage gegen den Dritten anzu - ſtellen, deren Entſcheidung dann auch für den Pfand - gläubiger wirkſam ſeyn ſoll. Eben ſo verhält es ſich, wenn der Pfandgläubiger die Sache beſitzt, und der Dritte gegen ihn die Eigenthumsklage anſtellt, in welcher er gleichfalls die Prozeßführung ſelbſt übernehmen, oder dem Verpfänder (als ſeinem Defenſor) überlaſſen kann(aa)Die Worte: si creditor experiri passus sit debitorem, können in dieſem Fall ſowohl auf die Stellung des Klägers, als auf die des Beklagten, bezogen werden, auf welche doppelte Beziehung auch die vorhergehenden Worte hin - deuten..

b. Der zweite Fall bezieht ſich auf einen Ehemann, der eine Dotalſache beſitzt, und deshalb von einem Dritten mit der Eigenthumsklage in Anſpruch genommen wird. Der Beſitzer kann wieder ſelbſt den Prozeß als Beklagter führen, oder dem Beſteller der Dos (Schwiegervater oder Ehefrau) dieſe Prozeßführung überlaſſen. In dieſem letzten Fall bringt das Urtheil auch ihm Vortheil oder Nach - theil(bb)In dieſem Fall iſt blos an die Stellung des Beklagten (die defensio) zu denken, da der Schwiegervater und die Ehefrau keine Vindication mehr haben. Eben ſo verhält es ſich auch in dem folgenden Fall, welches Letzte noch beſonders durch den Ausdruck possessor beſtätigt wird..

(z)summovetur, quia ex voluntate ejus de jure, quod ex persona agentis habuit, judicatum est.

479§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.

c. Eben ſo verhält es ſich in dem dritten Fall, wenn der Beſitzer einer erkauften Sache von einem Dritten mit der Eigenthumsklage in Anſpruch genommen wird. Er kann ſelbſt als Beklagter den Prozeß führen, oder dieſe Prozeßführung dem Verkäufer überlaſſen, da dieſer ohne - hin für die Eviction ihm verpflichtet iſt.

D. Eine beſondere Schwierigkeit entſteht in dem Fall, wenn für ein Grundſtück, das mehreren Miteigenthümern gehört, eine confeſſoriſche oder negatoriſche Klage zu führen iſt. Wenn ſich dieſe Miteigenthümer entſchließen, den Rechtsſtreit gemeinſchaftlich zu führen, ſo iſt jede Schwie - rigkeit gehoben. Allein keiner dieſer Miteigenthümer hat die Befugniß, die übrigen zu dieſer Theilnahme zu zwingen(cc)Martin Prozeß Ausg. 12 § 306. Mittermaier Archiv für civil. Praxis B. 3 S. 42.. Eben ſo wäre es auf der anderen Seite ſehr hart für den Gegner, wenn ihm zugemuthet werden ſollte, denſelben Rechtsſtreit gegen jeden Miteigenthümer von Neuem zu führen, mit ſtets erneuerter Mühe und Ge - fahr des Verluſtes. Daher ſind für dieſen Fall folgende beſondere Regeln angenommen worden.

a. Jeder Miteigenthümer kann für ſich allein die con - feſſoriſche Klage auf die ganze Servitut (in solidum) an - ſtellen(dd)L. 4 § 3 si serv. (8. 5 ), L. 6 § 4 eod., L. 1 § 5 de arb. caed. (43. 27)., und wenn der Gegner verurtheilt wird, ſo ſoll der Vortheil der Rechtskraft auch den übrigen Mit - eigenthümern zu gut kommen(ee)L. 4 § 3 cit. victoria et aliis proderit. .

480Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

b. Die bloße Conſequenz dieſes letzten Satzes führt dahin, daß ſich die übrigen auch den Nachtheil aus der Rechtskraft des freiſprechenden Urtheils gefallen laſſen müſſen(ff)Cujacius, recit. in L. 4 si serv. Opp. T. 7 p. 453. An - derer Meinung iſt Glück B. 10 S. 236. Für die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Meinung ſpricht auch die actio pluviae arcendae, bei welcher ganz Daſſelbe gilt. L. 11 § 1. 2 de aqua et aq. pluv. (39. 3).. War ihnen der Rechtsſtreit bekannt, ſo haben ſie es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn ſie es unterließen, durch freiwillige Theilnahme die ungünſtige Entſcheidung abzuwenden. War er ihnen unbekannt, ſo wäre es aller - dings ungerecht, wenn ſie durch die Unredlichkeit oder Nachläſſigkeit ihres Miteigenthümers in bleibenden Nach - theil kommen ſollten(gg)L. 19 si serv. (8. 5) non est aequum, hoc ceteris damno esse. . Allein dieſe Ungerechtigkeit wird nicht dadurch abgewendet, daß ſie die Rechtskraft des Urtheils für ſich nicht anzuerkennen brauchten, ſondern vielmehr durch eine Entſchädigungsklage gegen den, welcher den Prozeß geführt, und den Verluſt veranlaßt hat(hh)Sowohl wegen dolus, als wegen culpa, haben ſie gegen ihn, im Fall einer vertragsmäßigen Gemeinſchaft, die actio pro so - cio, außerdem die actio negotio - rum gestorum; in beiden Fällen die actio communi dividundo. L. 20 comm. div. (10. 3). Lag eine Colluſion beider Parteien zum Grunde, ſo haben ſie noch außer - dem gegen den Gegner die doli actio, welche wichtig ſeyn kann, wenn etwa der Miteigenthümer zahlungsunfähig ſeyn ſollte. L. 19 si serv. (8. 5).. Will ſich dieſer gegen einen ſolchen Vorwurf und die da - mit verbundene Gefahr ſchützen, ſo kann er die übrigen durch litis denuntiatio zur Theilnahme an dem Rechtsſtreit rechtzeitig auffordern.

481§. 301. Einrede. Dieſelben Perſonen.

c. Wenn umgekehrt das mit der Servitut belaſtete Grundſtück mehrere Eigenthümer hat, ſo kann der Gegner jeden einzelnen unter dieſen mit der confeſſoriſchen Klage belangen, und es ſollen dieſelben Regeln, wie in dem vor - hergehenden Fall, eintreten(ii)L. 4 § 4 si serv. (8. 5). Nur bei der servitus oneris fe - rendi ſoll dieſe ſolidariſche Rück - wirkung auf die übrigen Miteigen - thümer inſofern nicht gelten, als dieſe Servitut, abweichend von al - len übrigen, den Eigenthümer des belaſteten Grundſtücks zugleich zu poſitiven Leiſtungen verpflichtet. L. 6 § 4 eod. , obgleich in dieſem Fall kein ſo dringendes Bedürfniß vorhanden iſt, als in dem vorher - gehenden Fall, da jener gegen alle Miteigenthümer gleich - zeitig und mit einer gemeinſamen Klage auftreten kann.

d. Dieſelben Regeln ſind ohne Zweifel von beiden Seiten auch für die negatoriſche Klage anzuwenden.

e. Eine hierher gehörende Beſtimmung findet ſich endlich noch in dem Longobardiſchen Lehenrecht. Hier iſt dem Va - ſallen das Recht eingeräumt, den Rechtsſtreit über das Eigenthum des Lehengutes gegen dritte Perſonen ſelbſt - ſtändig, ohne Zuziehung des Lehenherrn, zu führen, mit dem ausdrücklichen Zuſatz, daß der Vortheil und Nachtheil aus der rechtskräftigen Entſcheidung des Rechtsſtreits auch auf den Lehenherrn bezogen werden müſſe. Daſſelbe ſoll ſogar gelten, wenn der Rechtsſtreit nicht durch Urtheil, ſondern durch Vergleich geendigt worden iſt. Nur im Fall einer Unredlichkeit des Vaſallen ſoll der Lehenherr von dieſer Verpflichtung frei ſeyn(kk)II. Feud. 43. Eine ähnliche Beſtimmung enthält das.

VI. 31482Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

(kk)Römiſche Recht für den Emphy - teuta, den Superficiar, und den Pfandgläubiger eines Grundſtücks, welchen die Befugniß eingeräumt wird, die dem Grundſtück zuſte - henden Servituten durch confeſſo - riſche Klagen ſelbſtſtändig zu ver - folgen. Jedoch wird dabei nicht beſtimmt, daß das Urtheil auch für den Grundeigenthümer bindende Kraft haben ſoll, worauf doch ge - rade das Meiſte ankommt. L. 16 de serv. (8. 1 ), L. 3 § 3, L. 9 de op. novi nunt. (39. 1 ), L. 1 § 5 de remiss. (43. 25).

[483]

Beilagen. XV. XVI. XVII.

31*[484][485]

Beilage XV. Appellatio und Provocatio. (Zu § 285.)

I.

In der Römiſchen Verfaſſung finden ſich, von ſehr alter Zeit her, zwei Inſtitute, unter den Namen appellatio und provocatio, die neben manchen Verſchiedenheiten die Ähn - lichkeit mit einander haben, daß durch dieſelben der Aus - ſpruch oder der Erfolg eines richterlichen Urtheils verhindert werden kann(a)Ohne Zweifel war es dieſe Ähnlichkeit, wodurch Cicero ver - anlaßt wurde, in der von ihm dar - geſtellten idealen Staatsverfaſſung, die doch ganz auf Römiſche Ein - richtungen gebaut war, beide In - ſtitute ſo zu vermiſchen, als ob ſie gar nicht verſchieden geweſen wären. Cicero de leg. III. 3.. Dieſe Ähnlichkeit haben beide auch mit dem, im Anfang der Kaiſerregierung eingeführten, Inſtanzen - zug; da nun überdem bei dieſem auch die Namen der er - wähnten alten Inſtitute angewendet wurden, ſo werden wir auf die Annahme geführt, daß der Inſtanzenzug aus ihnen in geſchichtlicher Entwickelung hervorgegangen iſt. Wie dieſe Entwickelung eingetreten iſt, und welches der beiden alten Inſtitute dabei als Grundlage gedient hat,486Beilage XV. wird durch die folgende genauere Betrachtung derſelben, und durch ihre Vergleichung mit den Inſtanzen der Kaiſer - zeit, zu ermitteln ſeyn.

II.

Die alte provocatio ſetzte voraus die Verurtheilung eines Römers durch eine, mit Criminalgerichtsbarkeit ver - ſehene Obrigkeit; ſie beſtand in der Berufung des Verur - theilten auf das höhere Urtheil der Volksverſammlung, wodurch jenes erſte Urtheil abgeändert oder beſtätigt werden konnte(b)Die quellenmäßigen Nach - richten über die provocatio, ſo wie die Meinungen der neueren Schriftſteller über dieſelbe, ſind ſehr vollſtändig zuſammengeſtellt bei Geib Geſchichte des römi - ſchen Criminal-Prozeſſes. Leipzig 1842. S. 152 168. 387 392.. Darin lag alſo die vollſtändige Einrichtung einer höheren Inſtanz.

Nach einem unzweideutigen Zeugniß des Cicero beſtand die provocatio auch ſchon zur Zeit der Könige(c)Cicero de re publica II. 31. Vgl. Seneca epist. 108.. Nach einer Stelle des Pomponius iſt ſie erſt nach der Ver - treibung der Könige eingeführt worden(d)L. 2 § 16 de orig. jur. (1. 2).. Neuere Schrift - ſteller haben dieſen Widerſpruch durch die Annahme zu be - ſeitigen geſucht, daß ſie bei Gründung der Republik eine ausgedehntere Anwendung, als unter den Königen, erhalten habe(e)Entweder ſo, daß ſie früher nur den Patriciern zu gut gekom - men wäre, ſpäter auch den Plebe - jern (Niebuhr Röm. Geſchichte I. 361. 557); oder ſo, daß die, von den Königen perſönlich ausge - ſprochenen Strafurtheile der Be - rufung nicht unterlegen hätten..

487Appellatio und Provocatio.

Während der Republik war ihre Anwendung faſt all - gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt, deren Strafurtheile der Berufung an die Volksverſammlung nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren. Beide ſtanden außer der Reihe der regelmäßigen, ſtets fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.

Dennoch wird in der ſpäteren Zeit der Republik, in welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit ſtets wachſend erſcheint, der wirkliche Gebrauch einer ſolchen Be - rufung an das Volk faſt gar nicht erwähnt, und dieſe auf - fallende Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären. In dieſer ſpäteren Zeit wurde faſt der ganze Criminal - prozeß durch ſtändige Commiſſionen für die Unterſuchung einzelner Verbrechen beſorgt (quaestiones perpetuae). Dazu war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht ſo, wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit - licher Macht, ſondern in Kraft dieſes beſonderen Auftrags richteten, und zwar in Gemeinſchaft mit Geſchworenen, die hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen ſolchen Urtheilsſpruch, der gleichſam von dem Volk ſelbſt (nur in commiſſariſcher Form) ausgegangen war, ſchien die Be - rufung an das Volk nicht anwendbar.

III.

Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf einen weit allgemeineren und unbeſtimmteren Schutz der individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche488Beilage XV. Handlungen aller Art (alſo unter andern auch im Civil - prozeß) berechnet war(f)Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 169. Keller Semestria Vol. 1 C. 1 § 8 p. 139 170.. Alle ſolche Handlungen nämlich, wohin hauptſächlich die Ausübung obrigkeitlicher Macht gehörte, konnten verhindert werden durch den bloßen Ein - ſpruch ſehr vieler einzelnen Perſonen. Ein ſolcher Einſpruch hieß intercessio; die Bitte des Einzelnen, zu ſeinem Schutz von jener Befugniß Gebrauch zu machen, hieß appellatio.

Berechtigt zu einem ſolchen Einſpruch gegen die Handlung einer Obrigkeit war zunächſt jede andere obrig - keitliche Perſon, die einen gleichen, oder einen höheren Rang hatte, als der Handelnde (par majorve potestas), alſo Prätor gegen Prätor, Conſul gegen Conſul, Conſul gegen Prätor, ohne Rückſicht darauf, ob die einzelne Handlung mit dem beſonderen Geſchäftskreiſe deſſen, der den Einſpruch that, Berührung hatte(g)Cicero de leg. III. 3. Nicht ganz gleichartig iſt es, wenn der Prätor (nach ſeinem unzweifel - haften Recht) dem von ihm ernann - ten Juder den Auftrag entzog (ve - tare judicare); wohl aber, wenn ein Conſul dieſem Juder den Urtheils - ſpruch unterſagte. L. 58 de jud. (5. 1 ) Judicium solvitur ve - tante eo, qui judicare jusserat: vel etiam eo, qui majus impe - rium in eadem jurisdictione ha - bet. (Eadem jurisdictio iſt hier im geographiſchen Sinn zu ver - ſtehen). Nach geſprochenem Urtheil hatte auch ſelbſt der Prätor dar - über keine Macht. L. 14 de re jud. (42. 1)..

Ohne Rückſicht auf das Rangverhältniß hatten die Tribunen ein allgemeines Recht des Einſpruchs nach allen Seiten hin, alſo auch gegen die Handlungen der Prätoren und der Conſuln(h)Cicero de leg. III. 3.. Bald übten ſie dieſes Recht als489Appellatio und Provocatio. Einzelne aus, bald in Folge einer collegialiſchen Berathung und Beſchlußnahme.

IV.

Die Wirkung eines ſolchen Einſpruchs war eine negative; es ſollte nun zunächſt gar Nichts geſchehen. Daher diente im Civilprozeß der Einſpruch zum Schutz des Beklagten, nicht des Klägers. Dieſe Einwirkung auf den Prozeß war alſo ähnlich einer bloßen Caſſation, nicht einer Inſtanz, da der Einſpruch keine poſitive Abänderung an die Stelle der verhinderten Maaßregel ſetzen konnte.

Dennoch war der praktiſche Einfluß eines ſolchen Ein - ſpruchs oft nicht minder ſtark, als der einer Freiſprechung, da durch den Grundſatz der Comſumtion die Wiederholung der vorigen Klage verhindert wurde, und durch die kurze Prozeßverjährung alles Recht des Klägers leicht untergehen konnte.

V.

Gegenſtand des Einſpruchs konnten die verſchiedenſten Handlungen des Prozeſſes ſeyn; namentlich ein Decret des Prätors; eben ſo die Faſſung der Formel, wenn etwa der Prätor ein judicium purum geben, der Einſprechende aber, zum Schutz des Beklagten, die Hinzufügung einer Einrede erzwingen wollte(i)Cicero acad. quaest. II. 30., wo dieſer Fall figürlich, aber als eine bekannte Sache, erwähnt wird..

490Beilage XV.

Es fragt ſich, wie einem ſolchen Einſpruch Geltung verſchafft werden konnte, wenn etwa der Prätor ſeine ab - weichende Meinung hätte durchſetzen wollen, welches freilich nicht leicht vorgekommen ſeyn wird. Dazu fand ſich das ſichere Mittel, ſobald der Prätor in die Lage kam, irgend einen Ausſpruch durch Beſchlagnahme von Sachen zur Execution zu bringen (possessio oder venditio bonorum). Dieſe äußere Handlung konnte durch das Verbot eines anderen Prätors oder eines Tribuns unmittelbar verhindert werden(k)Keller l. c., p. 140 145..

Es iſt nicht zu bezweifeln, daß dieſe außerordentliche Maaßregel in ſehr verſchiedener Abſicht und mit ſehr verſchiedenem Erfolg wird angewendet worden ſeyn: bald zum Schutz des wahren Rechts gegen das ungerechte Ver - fahren der ordentlichen Gerichtsobrigkeit; bald zum Schutz wahrer oder vermeintlicher Billigkeit gegen die Strenge des bloßen Buchſtabens; bald als wahrer Mißbrauch, als par - teiiſcher Eingriff in den richtigen Gang des Prozeſſes(l)Keller l. c., p. 151 155..

VI.

Es ergiebt ſich aus dieſer ganzen Darſtellung, daß dieſe ſonderbare Einrichtung die etwas zweideutige Natur einer blos indirecten Einwirkung auf den Gang der Rechts - pflege hatte. Daher erklären ſich die ſcheinbar wider - ſprechenden Äußerungen alter Schriftſteller über die ver -491Appellatio und Provocatio. faſſungsmäßige Stellung der Tribunen. Bald wird von ihnen geſagt, ſie hätten keinen Theil an der Rechtspflege(m)Gellius XIII. 12. Tri - buni antiquitus creati videntur non juri dicundo. . Dagegen werden ſie in unzweideutigen anderen Stellen mitten unter den richterlichen Obrigkeiten aufgezählt, und ſelbſt als Recht ſprechend erwähnt(n)Auct. ad Herennium II. 13, L. 2 § 34 de orig. jur. (1. 2).. Es wird beſon - ders bemerkt, daß ſie ſtets in der Lage ſeyen, in den Civilprozeß eingreifen zu können, und daß es deshalb nicht für ſchicklich erachtet werden könne, wenn ſie während ihrer Amtsführung für Andere als Sachwalter auftreten wollten(o)Plinius epist. I. 23..

VII.

Die hier aufgeſtellten allgemeinen Anſichten von der provocatio und appellatio, ihrer Ähnlichkeit und Verſchie - denheit, werden durch folgende Reihe von Beiſpielen aus der Römiſchen Geſchichte ſowohl Anſchaulichkeit als Be - ſtätigung erhalten.

Beſonders wichtig ſind hier die Ereigniſſe während der kurzen Regierung der Decemvirn und gleich nach dem Sturze derſelben, indem dabei die beiden oben genannten Inſtitute neben einander, und in ihrer verſchiedenartigen Wirkſamkeit, erwähnt werden.

Die Decemvirn wurden ernannt sine provocatione, das heißt ſo, daß von ihren Strafurtheilen eine Berufung492Beilage XV. an die Volksverſammlung nicht zuläſſig ſeyn ſollte. Da - gegen galt auch hier die appellatio, indem jeder Römer, der ſich von einem der Decemvirn bedrückt glaubte, irgend einen Collegen deſſelben um ſeinen Einſpruch bitten konnte. Allein im zweiten Jahre dieſer ungewöhnlichen Regierung wurde ſelbſt dieſe Zuflucht durch Übereinkunft der Decem - virn vereitelt, ſo daß jeder Verſuch einer appellatio nur eine noch härtere Behandlung des Bedrückten zur Folge hatte(p)Livius III. 33. 34. 36..

Nach dem Sturz der Decemvirn klagte der Tribun Virginius den Appius vor dem Volke an, und bedrohte ihn mit augenblicklicher Verhaftung, wenn er nicht Bürgen ſtelle für ein gerichtliches Verfahren vor einem Judex. Appius verſuchte gegen dieſe Drohung vergeblich zuerſt eine provocatio an das Volk, dann eine appellatio an andere Tribunen; er wurde in das Gefängniß abgeführt, wo er ſein Leben endigte(q)Livius III. 56. 57..

VIII.

Folgende Fälle geben Zeugniß von dem Einſpruch im Civilprozeß, der durch die appellatio gleicher oder höherer obrigkeitlicher Perſonen bewirkt wurde.

Verres erließ als Prätor viele Decrete im Wider - ſpruch mit ſeinem eigenen Edict. Dieſe unerhörte Will - kühr hatte die Folge, daß ſein College, der Prätor493Appellatio und Provocatio. L. Piſo, durch oft wiederholten Einſpruch ſolcher Unge - rechtigkeit mit Erfolg entgegen trat(r)Cicero in Verrem II. 1. C. 46..

Als zur Abbürdung der Schulden die Abtretung von Vermögensſtücken nach einer öffentlichen Taxe eingeführt worden war, erhielt der Prätor C. Trebonius den Auf - trag, dieſe neue Vorſchrift zur Ausführung zu bringen. Der Prätor M. Coelius, der dieſe Maaßregel mißbilligte, ſuchte ſie dadurch zu vereiteln, daß er ſein Tribunal neben dem Tribunal des Trebonius aufrichtete, und jedem Ver - klagten, der ſich an ihn wenden würde, den Einſpruch gegen das Verfahren des Trebonius anbot. Es meldete ſich jedoch Niemand, um von dieſem Anerbieten Gebrauch zu machen(s)Caesar de bello civ. III. 20..

Ein verſtorbener Freigelaſſener hatte, mit Übergehung ſeines Patrons, den Verſchnittenen Genucius (matris magnae Gallus) zum Erben eingeſetzt(t)Valerius Max. VII. 7 § 6.. Der Prätor Cn. Oreſtes gab dem eingeſetzten Erben zuerſt eine B. P. secundum tabulas, dann eine Erbſchaftsklage(u)Es wird restitutio in bona genannt; wahrſcheinlich war es ein Interdict quorum bonorum. . Allein der Conſul Lepidus entkräftete dieſes Verfahren des Prä - tors(v) praetoriam jurisdictio - nem abrogavit. zum Vortheil des Patrons, und zwar aus dem Grunde, weil der eingeſetzte Erbe weder Mann, noch Weib ſey(w)Die wirkſame Interceſſion des Conſuls gegen das vom Prä - tor eingeleitete Verfahren iſt klar; nicht ſo klar iſt der vom Conſul angegebene Grund. Wollte etwa.

494Beilage XV.

IX.

Die Einwirkung der Tribunen in den Civilprozeß tritt in folgenden Fällen hervor.

In einem Prozeß des Quinctius hatte ein Prätor mit Unrecht ein Decret auf Bürgſchaft erlaſſen. Die Tribunen wurden um Einſpruch gebeten, und ohne dieſen unmittel - bar auszuſprechen, bewirkten ſie doch durch ihre Drohung, daß mit der Execution eingehalten wurde(x)Cicero pro Quinctio C. 7. 20. 21. Keller l. c., p. 139 sq. .

M. Tullius hatte gegen Q. Fabius eine Klage ange - ſtellt de vi hominibus armatis coactisve damno dato. Der Beklagte verlangte, daß in die Formel der beſchrän - kende Zuſatz aufgenommen werde: injuria damno dato; mit Unrecht, da dieſe Beſchränkung nicht in die erwähnte Klage, ſondern nur in die a. L. Aquiliae gehörte. Als der Prätor in dieſes Verlangen[nicht] einging, appellirte der Beklagte an die Tribunen; allein dieſe billigten das Decret des Prätors über die Faſſung der Formel, und erklärten: nihil se addituros(y)Cicero pro Tullio C. 7. 38. 39. 40. Keller l. c., p. 144. 145.. Wären die Tribunen dem Ver - langen des Beklagten beigetreten, ſo würden ſie das auf(w)der Conſul den Caſtraten für ehr - los halten, und daher unwürdig, das Tribunal zu betreten, ſo hatte ja dem Conſul dieſe perſönliche Berührung Niemand zugemuthet; auch konnten ſelbſt wirklich Ehr - loſe für ſich ſelbſt poſtuliren. (L. 1 § 8 de his qui not.). Vielleicht ſollte eine analoge Anwendung der L. Voconia gemacht werden, indem der Caſtrat noch weniger als ein Weib ſey, alſo mindeſtens eben ſo unfähig zur Erbeinſetzung. Vgl. L. 12 § 1 de bon. poss. (37. 1).495Appellatio und Provocatio. dieſe, von ihnen mißbilligte, Formel gegründete Verfahren in allen ſeinen praktiſchen Folgen verhindert haben.

Bei einer Klage von Provinzialen gegen die Erpreſſun - gen des C. Antonius hindern die Tribunen das Decret, welches der Prätor der Peregrinen auf dieſe Klage erlaſſen wollte(z)Asconius in or. Cic. in toga candida p. 84 ed. Orell. .

Ähnliche Eingriffe der Tribunen finden ſich auch im Criminalprozeß. So wurde einmal von ihnen einem Ange - klagten verboten, ſich zu verantworten, welches Verfahren als unerhört dargeſtellt wird(aa)Cicero in Vatin. C. 14.. Als bei einem anderen Criminalprozeß ein einzelner Judex fehlte, indem er in einem Civilprozeß beſchäftigt war, verbot ein Tribun die Abſtimmung und befahl, die Civilſache auszuſetzen, damit jener Judex an der Criminalſache Antheil nehmen könne(bb)Cicero pro Cluentio C. 27..

X.

Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß ſich bald nach dem Anfang der Kaiſerregierung ein regelmäßiger Inſtanzen - zug im Civilprozeß findet, welcher bis zum Kaiſer auf - wärts geht, und wovon während der Republik Nichts zu bemerken iſt. Bei der ganzen Gründung der Kaiſergewalt aber finden wir durchgehend den Grundſatz feſtgehalten, etwas der Form und dem Namen nach ganz Neues nicht zu erfinden, ſondern alte Einrichtungen der Republik zu496Beilage XV. benutzen, um aus der bisher ungewohnten Verbindung derſelben das wahrhaft Neue unbemerkt hervorgehen zu laſſen.

Dieſe Analogie führt zu der ſehr wahrſcheinlichen Ver - muthung, daß auch jener Inſtanzenzug an die oben er - wähnten alten Inſtitute (provocatio und appellatio), als neue Entwickelung derſelben, wird angeknüpft worden ſeyn, und es fragt ſich dann zunächſt, an welches unter dieſen beiden Inſtituten.

Manche haben die provocatio der alten Verfaſſung als Grundlage der neuen Inſtanzen angenommen, und es ſcheint dafür der Umſtand zu ſprechen, daß in der provocatio in der That ein wahrer Inſtanzenzug enthalten war. Dennoch muß ich dieſer Annahme entſchieden widerſprechen. Erſtlich, weil die alte provocatio nur auf Criminalſachen, nie auf den Civilprozeß, angewendet wurde. Zweitens, weil in der Annahme einer provocatio an den Kaiſer die förmliche Gleichſtellung der kaiſerlichen Gewalt mit der Gewalt des alten populus gelegen hätte, deren Schein noch lange Zeit hindurch ſehr ſorgfältig vermieden wurde, indem die Kaiſer nur obrigkeitliche, von dem populus übertragene, Gewalten auszuüben ſcheinen wollten.

XI.

Giebt man nun die Anknüpfung des neuen Inſtanzen - zuges an die provocatio auf, ſo bleibt nur noch die appel - latio als Grundlage der neuen Einrichtung übrig, und in497Appellatio und Provocatio. dieſer iſt auch in der That eine völlig genügende Grund - lage für den Inſtanzenzug zu finden.

Zuvörderſt iſt es unzweifelhaft, daß der Kaiſer in ſeinen verfaſſungsmäßigen Amtsrechten die Mittel beſaß, um aus allen Theilen des Reichs in Civilprozeſſen Appellationen anzunehmen, und durch Einſpruch auf den Erfolg des Rechtsſtreits einzuwirken. In Rom und Italien diente dazu die tribunicia potestas, die ſchon im J. 706 an Cäſar, im J. 724 an Auguſt, lebenslänglich verliehen wurde(cc)Dio Cassius XLII. 20, LI. 19.. In der kaiſerlichen Hälfte der Provinzen war der Unter - ſtatthalter ohnehin von den Anweiſungen des Kaiſers, der ihn angeſtellt hatte, ganz abhängig. In den Senatsprovinzen aber hatte der Kaiſer das Recht der intercessio gegen alle gerichtlichen Handlungen des Proconſuls, mit welchem er vermöge ſeiner allgemeinen proconsularis potestas gleichen Rang hatte.

Obgleich nun oben gezeigt worden iſt, daß die alte appellatio und intercessio, nach ihrer an ſich nur verneinen - den und hindernden Natur, von einer eigentlichen Inſtanz weſentlich verſchieden war, und mehr die Natur einer bloßen Caſſation hatte, ſo liegt doch in der Natur der Caſſation, ſobald ſie regelmäßig und oft wiederkehrend aus - geübt wird, eine natürliche Annäherung an die Inſtanz. Gerade die regelmäßige und häufige Ausübung war während der Republik unmöglich, weil die Gewalt derVI. 32498Beilage XV. Tribunen nur einjährig, durch Theilung unter Viele ge - ſchwächt, durch die wichtigere Beſchäftigung mit politiſchen Zwecken faſt ausſchließend in Anſpruch genommen war. Dieſes Alles verhielt ſich bei der fortdauernden tribunicia potestas des Kaiſers ganz anders. Dennoch würde auch hier die Entſtehung eines eigentlichen Inſtanzenzuges vielleicht gar nicht, vielleicht erſt ſpäter, eingetreten ſeyn, wenn nicht das innere Bedürfniß dazu angetrieben hätte (§ 284). Dieſes Bedürfniß zu befriedigen, war in dem ruhigen Gang der einmal gegründeten Monarchie möglich und leicht, und daß die bloße Benutzung der, ohnehin be - kannten und unbeſtrittenen, Beſtandtheile der kaiſerlichen Gewalt dazu völlig ausreichte, ohne daß es dazu einer ganz neuen Erfindung, ja ſelbſt nur neuer Formen und Namen, bedurfte, iſt ſo eben gezeigt worden.

Man könnte die hierin eintretende Veränderung ſo aus - drücken: Der Kaiſer wendete die, ihm ohnehin allgemein zukommende, appellatio und intercessio auf das Verfahren im Civilprozeß ſo allgemein und regelmäßig an, daß in dieſer neuen Entwicklung die appellatio zugleich die Natur einer provocatio annahm.

XII.

Eine wichtige Beſtätigung der hier aufgeſtellten ge - ſchichtlichen Erklärung des Inſtanzenzuges liegt in der, unter der Kaiſerregierung ſchnell eintretenden Umbildung des Sprachgebrauchs. Noch bei Livius werden die Aus -499Appellatio und Provocatio. drücke provocatio und appellatio in ihrer eigenthümlichen Bedeutung ſtreng aus einander gehalten (Note p. q.). Bald aber verſchwindet dieſe Unterſcheidung, ſo daß nun beide Ausdrücke als ganz gleichbedeutende Bezeichnungen eines und deſſelben Begriffs gebraucht werden, wie wir Dieſes namentlich in unſeren Rechtsquellen durchaus wahr - nehmen.

  • Plinius hist. nat. VI. 22 (von einem Indiſchen Volk): sic quoque appellationem esse ad populum.
  • Gellius IV. 4: Mamilia ad tribunos plebei pro - vocavit.
  • Gellius VII. 19: Scipio Africanus fratris nomine ad collegium tribunorum provocabat.
  • L. 1 § 1 quae sent. (49. 8): nec appellare necesse est, et citra provocationem corrigitur.
  • L. 1 § 1 a quib. app. (49. 2 ): Et quidem stultum est, illud admonere, a principe appellare fas non esse, cum ipse sit qui provocatur.

XIII.

Man könnte nun glauben, neben dem neuen, in der kaiſerlichen Gewalt vereinigten, Inſtanzenzug ſeyen die alten, getrennten Inſtitute der provocatio und appellatio in ihrer Eigenthümlichkeit völlig verſchwunden. Allerdings war jetzt von einer provocatio an die Volksverſammlung durchaus nicht mehr die Nede. Dagegen dauerte das frühere Recht der einzelnen Volkstribunen, Appellationen32*500Beilage XV. Appellatio und Provocatio. anzunehmen, und ſich durch Interceſſion in den Civilprozeß einzumiſchen, noch neben der neuen Inſtanzeneinrichtung unverändert fort; es blieb aber ſo unbedeutend als früher. Dieſe Fortdauer bezeugt aus eigener Erfahrung der jüngere Plinius, der es eben deshalb für unſchicklich erklärt, wenn Tribunen während ihrer Amtszeit in fremden Prozeſſen als Vertreter von Parteien auftreten wollten (Note o).

[501]

Beilage XVI. L. 7 de exceptione rei judicatae (44. 2). (Zu § 296 und § 299.)

Keine einzelne Stelle der Digeſten liefert ſo reichhaltige Belehrung für die Lehre von der Rechtskraft, als dieſe. Sie zeichnet ſich aus, eben ſo durch tief eingreifende Regeln, als durch die Schärfe, Beſtimmtheit und Sicherheit ihrer Entſcheidungen. Dieſes Lob kann indeſſen nur unbedingt gelten von dem Anfang und Ende der Stelle; in der Mitte liegt gar manches Dunkle, Zweifelhafte, ſcheinbar Wider - ſprechende.

Ich glaube, dieſe Schwierigkeiten ganz oder großentheils beſeitigen zu können durch eine andere Erklärung der Stelle, deren Verſchiedenheit von der bisher üblichen Er - klärung durch eine veränderte Abtheilung der Paragraphen anſchaulich werden wird. Dieſes einfache Mittel iſt von jeher als allgemein zuläſſig, und ganz in das Gebiet der bloßen Auslegung fallend, angeſehen worden; weſentlich verſchieden von einer verſuchten Verbeſſerung des Textes,502Beilage XVI. da die Abtheilung in Paragraphen, wie wir ſie in unſren Ausgaben finden, lediglich das Werk der Herausgeber iſt, alſo nicht zum Beſtand des handſchriftlichen Textes gehört.

Dennoch könnte dieſes Verfahren mit einigem Mißtrauen betrachtet werden, wenn es in der Abſicht eingeſchlagen würde, eine, durch die bisher übliche Erklärung der Stelle unterſtützte, fremde Lehre von der Rechtskraft wankend zu machen, und eine eigene neue Lehre an deren Stelle zu ſetzen; wenn ferner die bisher übliche Auffaſſung der Stelle von den Auslegern befriedigend gefunden worden wäre, und dieſe jetzt in ihrem ruhigen Beſitz geſtört werden ſollten. Von dieſem Allen aber findet ſich hier gerade das Gegen - theil.

Der dunkle, zweifelhafte Theil der Stelle iſt bisher von keiner Seite dazu benutzt worden, um irgend eine Lehre von der Rechtskraft darauf zu gründen, und er ſoll auch von mir nicht dazu benutzt werden. Die Zweifel, die dabei in Erwägung kommen, liegen überhaupt nicht in der Lehre von der Rechtskraft, ſondern in ganz andern Theilen der Rechtswiſſenſchaft, hauptſächlich in den Lehren vom Eigen - thum und Beſitz. Was aber die Hauptſache iſt: die Ausleger, die ſich bisher mit dieſem dunklen Theil der Stelle ernſthaft beſchäftigt haben, ſind mit demſelben, ſo wie er bis jetzt aufgefaßt wurde, nicht im Geringſten zu - frieden, können alſo auch nicht in einem friedlichen Beſitz - ſtand geſtört werden. Folgende Äußerungen werden dieſe Behauptung ganz außer Zweifel ſetzen.

503L. 7 de exceptione rei judicatae.

Donellus äußert ſich über die vorliegende Stelle in folgenden Worten(a)Donellus Lib. 22 C. 5 § 9.: Hoc quidem Ulpianus negaverat obiter in principio L. 7 D. de exc. rei jud. his verbis Sed quod hic exempli tantum caussa, et velut aliud agens posuerat, id corrigit postea, et mutat ex professo in lapidibus, cementis, et tignis, addita in § 2 ea ratione, ex qua facile intelligere liceat, hoc idem illud et de tabu - lis navis sentire. Offenbar wird hier angenommen, daß Ulpian den Gegenſtand ſehr leichtfertig behandelt habe.

Keller erklärt die vermeintlichen Widerſprüche in der Stelle aus einem ſteten Schwanken des Verfaſſers zwiſchen der poſitiven und negativen Function der Einrede. Zugleich ſetzt er voraus, die hier vorliegende Stelle des Ulpian möge vielleicht ein ſehr unvollſtändiger Auszug ſeyn, den die Verfaſſer der Digeſten aus einer längeren Stelle gemacht haben möchten, mit Weglaſſung vieler Citate aus anderen alten Juriſten(b)Keller S. 261 276, be - ſonders 263. 271. Das Schwanken zwiſchen beiden Geſtalten der Ex - ception kann ich gerade bei dieſer Stelle am wenigſten annehmen, die zuerſt in der Mitte (§ 1), und dann noch beſtimmter gegen das Ende (§ 4), den Grundſatz der po - ſitiven Function der Einrede ſo klar ausſpricht und ſo conſequent durchführt.. Eben ſo urtheilt ein anderer Schriftſteller, Ulpian habe ganz verſchiedene Dinge durch einander geworfen, und ſey dadurch zu ſehr ſchwankenden Entſcheidungen geführt worden(c)Brackenhoeft Identität der Rechtsverhältniſſe S. 209 fg., be - ſonders S. 210. 215..

504Beilage XVI.

Alle dieſe Ausleger ſind alſo mit der vorliegenden Stelle des Schriftſtellers in hohem Grade unzufrieden, und würden es ſich ganz wohl gefallen laſſen, wenn es gelänge, durch eine neue Erklärung die Widerſprüche zu beſeitigen, durch deren Annahme ſie zu ſo harten Urtheilen über den alten Juriſten beſtimmt wurden.

Hienach ſoll der folgende Verſuch nicht dazu dienen, in der Lehre von der Rechtskraft eine eigene neue Lehre zu rechtfertigen, oder eine fremde Lehre zu bekämpfen. Er iſt vielmehr dazu beſtimmt, erſtlich für den Verfaſſer der Stelle als Ehrenrettung zu dienen, zweitens das unheim - liche Gefühl zu entfernen, welches unvermeidlich zurück bleibt, wenn in der Mitte der klarſten und reichhaltigſten Stelle über die Rechtskraft eine Reihe von Äußerungen ſich findet, die als unzuſammenhangend, ſchwankend, oder ſogar als völlig widerſprechend anerkannt werden müßten.

Nach dieſer Vorbereitung laſſe ich den Text unſerer Stelle mit den nöthigen Erklärungen folgen.

Princ. Si quis, cum totum petisset, partem petat: exceptio rei judicatae nocet; nam pars in toto est: eadem enim res accipitur, etsi pars petatur ejus, quod totum petitum est. Nec interest, utrum in corpore hoc quae - ratur, an in quantitate, vel in jure. Proinde si quis fundum petierit, deinde partem petat, vel pro diviso, vel pro indiviso: dicendum erit, exceptionem obstare. Proinde etsi proponas mihi, certum locum me petere ex eo fundo, quem petii, obstabit exceptio. Idem erit probandum, etsi505L. 7 de exceptione rei judicatae. duo corpora fuerint petita, mox alterutrum corpus pe - tatur: nam nocebit exceptio(d)Dieſer Theil der Stelle iſt ſchon oben mitgetheilt und aus - führlich erklärt worden (S. 448). Er iſt eben ſo gerechtfertigt von dem Standpunkt der poſitiven, als der negativen Function aus, und Ulpian entſcheidet hier mit unzwei - felhafter Sicherheit, ohne dem Ge - danken an eine mögliche Meinungs - verſchiedenheit Raum zu laſſen..

§ 1. Item(e)In dieſem Theil der Stelle liegt die vorgeſchlagene neue Ab - theilung und die darauf gegrün - dete neue Erklärung der Stelle. Die Ausgaben ziehen die Worte Item si bis tabulas vindicem noch zu dem princ. und fangen den § 1 erſt mit den Worten Si ancillam an. Dadurch werden alle in jenen Worten enthaltenen Fälle mit in den vorhergehenden Ausſpruch hineingezogen, daß die Einrede unzweifelhaft an - wendbar ſey (nam nocebit ex - ceptio). Betrachten wir dabei zu - erſt das Sprachliche, dann das Sachliche. Jeder Anfang eines Satzes mit Item bezeichnet eine Verwandtſchaft dieſes Satzes mit dem vorhergehenden; dieſe Ver - wandtſchaft aber kann im Grad und Umfang verſchieden ſeyn. Sie kann ſich beziehen ſowohl auf die in beiden Sätzen erwähnten Fälle (die zu entſcheidenden Fragen), als auf die Behandlung dieſer Fälle (die Entſcheidung ſelbſt); ſie muß aber nicht ſprachlich dieſe Ausdehnung haben, kann ſich viel - mehr auch beſchränken auf den Fall oder die Frage, neben mehr oder weniger Verſchiedenheit in der Behandlung und Entſcheidung. Wenn in dem vorliegenden Fall die ganze Stelle abſchlöſſe mit den Worten tabulas vindicem, ſo wäre es durchaus nothwendig, die Verwandtſchaft der Sätze in der größten Ausdehnung anzunehmen, ſo wie es die Ausgaben voraus - ſetzen. Jetzt aber, da ein anderer Satz, mit anderem Ausgang, folgt (magnae quaestionis est), haben wir ſprachlich ganz freie Wahl, und dieſe Wahl kann nur durch ſachliche Gründe entſchieden werden. Dieſe Gründe aber ſprechen für die von mir vorge - ſchlagene Abtheilung, indem nur auf dieſem Wege der handgreifliche Widerſpruch mit der Entſcheidung des § 2 über die cementa ver - hütet werden kann, durch deſſen Anerkennung eben alle Ausleger zu ſo harten Urtheilen über Ulpian ver - leitet werden. Meine Erklärung der Stelle läßt ſich etwa ſo aus - drücken: Wenn ferner Jemand zuerſt ein Landgut vindicirt, und ſpäter (nachdem er abgewieſen wor - den) abgehauene Bäume aus dieſem Landgut, oder auch ein Haus si quis fundum petierit, mox arbores506Beilage XVI. excisas ex eo fundo petat: aut insulam petierit, deinde aream, vel tigna, vel lapides petat: item si navem petiero, postea singulas tabulas vindicem: si(f)Daß dieſer Fall nicht ſo, wie die übrigen, mit item einge - leitet wird, kann der bloßen Ab - wechslung wegen geſchehen ſeyn. Es iſt aber auch möglich, daß item wirklich da ſtand, und daß es durch die ſcheinbare Ähnlichkeit mit den vorhergehenden Sylben icem ausgefallen iſt. In dieſer Vorausſetzung können wir es durch Gemination herſtellen. ancillam praegnantem petiero, aut(g)Die Handſchriften und Aus - gaben leſen hier et, welches jedoch gar keinen Sinn giebt, da die zur Zeit der Klage (der Litisconteſtation) bereits ſchwangere Sclavin unmög - lich gleich nachher nochmals ſchwanger werden kann. Die ſehr gelinde Veränderung in aut giebt folgenden einfachen Sinn: wenn eine vindicirte Sclavin entweder ſchon zur Zeit der L. C. ſchwanger iſt, oder gleich nachher, während des Prozeſſes, ſchwanger wird. Vor conceperit iſt alſo hinzu zu denken: ancilla petita; eine Veränderung des Textes iſt deshalb nicht nöthig. post litem contestatam con - ceperit et pepererit, mox partum ejus petam: atrum idem petere videor, an aliud, magnae quaestionis est(h)Dieſe Worte beziehen ſich nun auf alle Fälle zugleich, die nach dem gegenwärtigen Abdruck im § 1 voranſtehen (Note e).. Et quidem ita definiri potest, totiens eandem rem agi, quotiens apud judicem posteriorem id quaeritur, quod apud priorem quaesitum est(i)In dieſen Worten wird ein leitender Grundſatz aufgeſtellt, der zur Löſung aller zuſammengeſtellten Streitfragen dienen ſoll. Dieſer Grundſatz aber beſteht darin, daß beide Klagen auf der Entſcheidung einer und derſelben Rechtsfrage beruhen müſſen, wenn die Exception anwendbar ſeyn ſoll (S. 417. 418).. In his igitur fere omnibus exceptio nocet(k)Die Anwendung des aufge - ſtellten Grundſatzes ſoll nach Ul - pian’s Ausſpruch dahin führen,.

(e)oder ein Schiff oder eine Scla - vin ſo iſt in allen dieſen Fällen die Anwendbarkeit der Exception ein Gegen - ſtand großer Zweifel und Streitfragen. (Behauptet wird darüber von Ulpian bis dahin noch gar Nichts).

507L. 7 de exceptione rei judicatae.

§ 2. Sed in cementis et tignis diversum est(l)Der Fall der Baumateria - lien wird alſo als der einzige ge - nannt, worin es anders gehalten werde, indem hier die Exception nicht anwendbar ſey. Dieſes paßt ſehr gut als Gegenſatz zu den un - mittelbar vorhergehenden Worten: in his fere omnibus. Das Sed in cementis drückt daher ein nur aus, und giebt die Erklärung des fere. Der Ausſpruch über die cementa iſt hier übrigens ſo entſchieden und unzweifelhaft, daß dadurch die gewöhnliche Erklärung der vorhergehenden Erwähnung der cementa ganz unmöglich wird (Note e). Der wahre Grund die - ſes von den übrigen Fällen ver - ſchiedenen Ausſpruchs wird in der folgenden Note angegeben werden.: nam is, qui insulam petit, si cementa, vel tigna, vel quid aliud suum petat, in ea condicione est, ut videatur aliud petere: etenim cujus insula est, non utique et cementa sunt: denique ea, quae juncta sunt aedibus alienis, sepa - rata dominus vindicare potest(m)Über die Schiffe erklärt ſich Ulpian nicht; ich glaube aber, daß es bei den Brettern eines Schiffes eben ſo gehalten werden muß, wie bei den Balken eines Hauſes. Wenn der Richter die Vindication eines Schiffes abweiſt, ſo liegt darin keine ſtillſchweigende Verneinung des Eigenthums an einzelnen Brettern, weil er ein ſolches Eigenthum in dieſer Lage des Rechtsſtreits gar nicht zuer - kennen kann; dazu müßte erſt eine Abtrennung der Bretter durch die a. ad exhibendum vorher bewirkt worden ſeyn. L. 23 § 5 de R. V., L. 6 ad exhib. Der Unterſchied des Schiffes von dem Hauſe beſteht nur darin, daß bei dem Hauſe nicht einmal dieſe vorhergehende Abtrennung verlangt werden kann. L. 6 cit., L. 7 § 10 de adqu. rer. dom. Ohne Abtrennung iſt eine Vindication oder ein Zu - ſprechen der einzelnen Beſtandtheile in beiden Fällen gleich unmöglich..

(k)daß beinahe in allen vorher angegebenen ſtreitigen Fällen die Exception wirklich anwendbar ſey. Sehen wir zu, ob ſich dieſer Aus - ſpruch bewährt. Die Exception iſt in der That anwendbar: 1. bei dem Landgut und den abgehauenen Bäumen, 2. bei dem Haus und dem leeren Boden (area), 3. bei der Sclavin und dem, vor oder nach der Klage erzeugten, Kind derſelben. Sie iſt nicht anwend - bar bei dem Haus und dem Bau - material, wie der § 2 ausdrücklich ſagt.

508Beilage XVI.

§. 3. De fructibus eadem quaestio est, ut(n)Die Handſchriften und Aus - gaben leſen et, der Sinn fordert ut. Der Sinn geht nämlich da - hin, daß die oben für das Sclaven - kind aufgeworfene Frage ganz eben ſo auch für die Früchte aufgefaßt und beantwortet werden müſſe (wo - hin die gleich Anfangs genannten arbores excisae gerechnet wer - den können). Anſtatt ut könnte auch geſetzt werden ac, welches durch die gemeinſame Abbreviatur der Handſchriften in et irrig über - gegangen ſeyn könnte. de partu; haec enim nondum erant in rebus humanis, sed ex ea re sunt, quae petita est: magisque est, ut ista excep - tio noceat(o)Die Handſchriften und Aus - gaben leſen: non noceat, allein die Gloſſe ſagt: Si habes sine non, plana est si vero habeas non noceat, ut habent fere omnes communiter rel. Es iſt nicht richtig, Dieſes als eine von Accurſius vorgeſchlagene Emendation aufzufaſſen; vielmehr liegt darin das Zeugniß, daß in der That zwei handſchriftliche Leſe - arten vorlägen, zwiſchen welchen zu wählen ſey, deren eine jedoch die überwiegende Zahl der Handſchrif - ten für ſich habe; für beide Texte werden dann Erklärungen verſucht. Die Leſeart noceat (ohne non) halte ich aus folgendem Grunde für die richtige. Nach dem Grund - ſatz der negativen Function könnte man vielleicht unterſcheiden wollen zwiſchen der Erzeugung vor oder nach der L. C.; Ulpian aber unter - ſcheidet nicht. Nach dem Grund - ſatz der poſitiven Function (der eadem quaestio), den Ulpian in der ganzen Stelle überall auf - ſtellt und anwendend durchführt, iſt die allgemeine Anwendbarkeit der Exception unzweifelhaft, da die Verneinung des Eigenthums an der Mutter auch die Vindication des von dieſer Mutter gebornen Kindes unmöglich machen muß. Was aber dieſe Leſeart und Er - klärung durchaus nothwendig macht, iſt der Ausdruck des § 1: In his fere omnibus nocet. Dieſer Ausdruck wäre ganz widerſinnig, wenn gerade in den ſo häufigen Fällen der Sclavenkinder und der Früchte das Gegentheil gelten ſollte. Die Worte: haec enim nondum .. petita est müſſen nun ſo erklärt werden: denn wenngleich das Kind in manchen Fällen zur Zeit der Klage noch nicht exiſtirte, alſo nicht mit in judicium deducirt war, ſo iſt doch überall durchgreifend der Grund - ſatz der eadem quaestio, indem hier das Eigenthum an dem ſpäter vindicirten Kind nur aus dem Eigenthum an der Mutter abge - leitet werden ſoll (sed ex ea re sunt, quae petita est), welches. Plane si in restitutionem vel fructus, vel509L. 7 de exceptione rei judicatae. etiam partus venerunt, aestimatique sunt: consequens erit dicere, exceptionem objiciendam(p)Dieſer letzte Satz (Plane si rel. ) enthält nach der gewöhn - lichen Erklärung (mit non noceat) eine entgegengeſetzte Entſchei - dung; nach meiner Erklärung enthält er eine gleiche Entſcheidung, aber aus einem anderen, von den übrigen Meinungsverſchiedenheiten ganz unabhängigen, alſo noch durchgreifenderen Grunde. Wenn nämlich in dem früheren Rechts - ſtreit der Beklagte gewiſſe Früchte bereits durch Geldentſchädigung ver - gütet, alſo erkauft hat, ſo würde eine neue Vindication derſelben Früchte den ganz unzweifelhaften Grundſätzen der Concurrenz völlig widerſprechen (§ 232)..

§ 4. Et generaliter exceptione summovebitur.

§ 5. Idem erit probandum videntur in petitio - nem deduci(q)Die zwei letzten Paragraphen, die mit den bisher abgehandelten Schwierigkeiten der ganzen Stelle keine Berührung haben, ſind ſchon oben mitgetheilt und erklärt worden (S. 432. 433)..

Die bisher verſuchte Erklärung der Stelle des Ulpian in ihren einzelnen Theilen wird noch anſchaulicher werden durch die folgende zuſammenhängende Darlegung des Ge - dankenganges.

Der Verfaſſer fängt an mit der Betrachtung einer Reihe von Fällen, in welchen zuerſt ein Ganzes einge - klagt (und abgewieſen) wird, dann ein Theil dieſes Ganzen. In allen dieſen Fällen, ſagt er, iſt die Exception entſchieden anwendbar, und er erwähnt dabei nicht einmal(o)Letzte aber durch das frühere Ur - theil verneint worden iſt. Bei den Worten: haec enim muß alſo hinzu gedacht werden ein etsi oder quidem, und daraus, daß Dieſes überſehen, und daher in dieſen Worten der poſitive Grund der Entſcheidung geſehen wurde (anſtatt eines bloßen Zweifelsgrun - des), iſt eben die falſche Leſeart: non noceat entſtanden.510Beilage XVI. eines von anderen Schriftſtellern erhobenen Zweifels oder Streites.

Darauf läßt er folgen (§ 1) eine Reihe verſchieden - artiger Fälle, die ſich nicht ſo, wie die vorhergehenden, auf ein gemeinſames Verhältniß (das des Ganzen zum Theil) zurück führen laſſen, wenigſtens nicht ſo unmittelbar und ſicher. Für dieſe Fälle giebt er zunächſt keine eigene Ent - ſcheidung, wohl aber die Bemerkung, daß ſie häufig Ge - genſtand von Streit und Zweifel ſeyen. Er ſtellt nun eine Regel auf, woraus überall die Entſcheidung herge - nommen werden müſſe, und dieſe Regel iſt keine andere, als die, welche das Weſen der poſitiven Function der Ein - rede ausdrückt: das Daſeyn einer eadem quaestio in beiden Klagen, als Bedingung der Anwendbarkeit der Ex - ception. Er fügt dann hinzu, daß in Anwendung dieſer Regel faſt in allen vorher angegebenen zweifelhaften Fällen die Exception in der That zugelaſſen werden müſſe.

Er geht dann über (§ 2) zur beſonderen Betrachtung eines unter jenen zweifelhaften Fällen, in welchem die Exception nicht anwendbar ſeyn ſoll.

Darauf folgt (§ 3) die beſondere Betrachtung eines anderen unter jenen Fällen, dem noch eine ausgedehntere Anwendung zugeſchrieben wird. In dieſem weit um - faſſenden Fall ſoll wieder die Exception wirklich zur An - wendung kommen, und es wird ein ſcheinbarer Zweifel beſeitigt, der für dieſen Fall beſonders erhoben werden könnte.

511L. 7 de exceptione rei judicatae.

Endlich wird die ſchon oben aufgeſtellte Regel über die Anwendung der Exception in einer vollſtändigeren Formel wiederholt (§ 4), und es wird davon Anwendung gemacht auf das Verhältniß der Erbrechtsklage zur Eigenthums - klage (§ 4), ſo wie auf das Verhältniß der Erbrechtsklage zu einer aus derſelben Erbſchaft abgeleiteten Schuldklage (§ 5).

Es iſt ſchon oben angeführt worden, daß ein neuerer Ausleger dem Ulpian den Vorwurf macht, er ſchwanke in dieſer Stelle beſtändig zwiſchen dem Standpunkt der poſi - tiven und negativen Function der exceptio rei judicatae, und eben aus dieſem Schwanken könnte man verſucht ſeyn, die Dunkelheiten der hier vorliegenden Stelle, ſo wie die (wirklichen oder vermeintlichen) Widerſprüche derſelben zu erklären. Gegen dieſen Vorwurf habe ich mich ſchon wiederholt erklärt. Es wird aber dieſe Meinungsverſchie - denheit dazu dienen können, die Art, wie wir die beiden Geſtalten oder Functionen jener Exception, in ihrer Ver - wandtſchaft und Verſchiedenheit, zu denken haben, noch anſchaulicher zu machen, als es ſchon oben (§ 281. 282) verſucht worden iſt.

Wir ſind jetzt gewohnt, jene beiden Functionen der Exception als auf verſchiedenen, theilweiſe entgegengeſetzten, Principien beruhend zu denken, und wir thun in ſofern wohl mit dieſer Auffaſſung des Gegenſtandes, als durch dieſe ſcharfe Ausbildung des Gegenſatzes eine vollſtändigere512Beilage XVI. Einſicht gewonnen worden iſt. Nur würden wir zu weit gehen, wenn wir annehmen wollten, daß derſelbe Gedanke auch ſchon bei der Entſtehung und Ausbildung der poſitiven Function in dieſer Art zum Bewußtſeyn gekommen wäre.

Die ältere Geſtalt der Exception beruhte auf dem Grundſatz, daß eine einmal angeſtellte Klage nicht von Neuem vorgebracht werden ſolle; hier knüpfte ſich die An - wendung der Exception an ein äußeres, formelles Merkmal. Auch war dieſer Grundſatz für die meiſten Fälle ganz ausreichend. In der Praxis aber zeigten ſich allmälig ein - zelne Fälle, worin jener Grundſatz nicht ausreichte; manche ſogar, worin die conſequente Durchführung derſelben zu unbilliger Härte ausſchlug. Die Wahrnehmung dieſes praktiſchen Bedürfniſſes führte zum Nachdenken über eine mögliche Abhülfe, und dieſe wurde darin gefunden, daß man an die Stelle des urſprünglichen formellen Grund - ſatzes einen mehr materiellen ſetzte, hergenommen aus der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes und des Rechts - ſtreites. Anſtatt daß man ſich früher damit begnügte, die Wiederholung einer Klage zu verhindern, ging jetzt das Beſtreben dahin, den Inhalt eines geſprochenen Urtheils gegen jede ſpätere Gefährdung ſicher zu ſtellen, und dieſer neuere, erſchöpfendere Grundſatz (die eadem quaestio) iſt in keiner Stelle ſo klar ausgeſprochen, ſo wiederholt eingeſchärft, und durch mannichfaltige Anwen - dungen anſchaulich gemacht, als in der hier vorliegenden Stelle des Ulpian.

513L. 7 de exceptione rei judicatae.

Dieſe Ausbildung des Rechtsinſtituts erfolgte aber nicht in der Art, daß man den älteren Grundſatz glaubte ver - werfen, vernichten, durch einen neuen verdrängen zu müſſen; es war weniger eine Verneinung, als eine Ver - tiefung deſſelben. In der großen Mehrzahl der Fälle trafen ohnehin beide Grundſätze in ihren Folgen völlig zuſammen. So gerade in der bedeutenden Zahl von Fällen, die in unſrer Stelle Ulpian einer näheren Betrachtung unter - wirft.

Wenn daher Ulpian in dieſer Stelle den Grundſatz der eadem quaestio wiederholt ausſpricht, und durch mannich - faltige Anwendungen erläutert, ſo konnte er daneben unbe - denklich und arglos Ausdrücke gebrauchen, die mit dem Grundſatz der negativen Function (der Klagenconſumtion) zuſammen hangen(r)Dahin gehören folgende Aus - drücke: eadem enim res accipitur (princ.). Utrum idem petere videor, an aliud (§ 1). aliud petere (§ 2). videntur in pe - titionem deduci (§ 5). Vgl. auch oben S. 433. 434.. Es liegt in dieſer Ausdrucksweiſe kein Grund, ihm das Schwanken zwiſchen verſchiedenen Grundſätzen vorzuwerfen; ja ſelbſt eine Unvorſichtigkeit des Ausdrucks möchte in dieſem Verfahren kaum behauptet werden können.

VI. 33[514]

Beilage XVII. Causa adjecta s. expressa. (Zu § 300.)

I.

Folgende Sätze ſind im Römiſchen Recht deutlich ausge - ſprochen und auch von den neueren Rechtslehrern allgemein anerkannt.

Wenn eine perſönliche Klage auf eine Sache abgewieſen wird, ſo kann eine neue perſönliche Klage auf dieſelbe Sache angeſtellt werden, vorausgeſetzt, daß die derſelben zum Grunde liegende Obligation einen anderen Entſtehungs - grund hat, als die der früheren Klage zum Grunde liegende Obligation. Denn jede Obligation wird durch ihren Ent - ſtehungsgrund individualiſirt, nicht durch ihren Gegenſtand.

Anders verhält es ſich bei den Klagen in rem. Die abgewieſene Eigenthumsklage auf ein Landgut kann daher nicht von Neuem angeſtellt werden, wenngleich die erſte Klage auf Tradition, die zweite auf Erſitzung als Ent - ſtehungsgrund des Eigenthums gegründet werden ſollte.

Jeder dieſer Sätze iſt als Regel unbeſtritten.

515Beilage XVII. Causa adjecta s. expressa.

II.

Für die zweite dieſer Regeln werden aber zwei Aus - nahmen behauptet.

Die erſte Ausnahme bezieht ſich auf den Fall, wenn der Entſtehungsgrund des Eigenthums, den der Kläger der ſpäteren Klage zum Grunde legt, neuer iſt, als der frühere Rechtsſtreit (causa superveniens), weil dann das frühere Urtheil über dieſen Entſtehungsgrund nicht ent - ſchieden haben kann.

Dieſe Ausnahme iſt gleichfalls unbeſtritten.

Die zweite Ausnahme betrifft den Fall, wenn die frühere Klage nicht auf das Eigenthum dieſer Sache über - haupt gerichtet, ſondern auf einen beſtimmten Entſtehungs - grund dieſes Eigenthums (z. B. Tradition) ausdrücklich beſchränkt war. Dann ſoll es, in Folge dieſer Ausnahme, erlaubt ſeyn, von Neuem eine Eigenthumsklage auf dieſelbe Sache anzuſtellen, wenn darin das Eigenthum aus einem anderen Entſtehungsgrund, z. B. aus der Erſitzung, abge - leitet wird(a)Auf folgende Stellen wird dieſe Ausnahme gegründet: L. 11 § 2 de exc. rei jud. (44. 2) von Ulpian, und L. 14 § 2 eod. von Paulus..

Dieſe zweite Ausnahme, die in neuerer Zeit lebhaft angefochten worden iſt, ſoll hier einer neuen Unterſuchung unterworfen werden.

Der Unterſuchung ſelbſt iſt eine nähere Feſtſtellung des33*516Beilage XVII. Sinnes und der Conſequenzen beider entgegenſtehenden Meinungen voran zu ſchicken.

III.

Die Vertheidiger der Ausnahme nehmen an, daß die erſte und die zweite Klage auf beſtimmte, und zwar ver - ſchiedene, Entſtehungsgründe des eingeklagten Rechts be - ſchränkt geweſen ſeyn müſſe. Dieſe Beſchränkung muß nach dem älteren Römiſchen Prozeß ohne Zweifel in die formula gelegt worden ſeyn. Da wir keine formula haben, ſo muß im heutigen Prozeß die Beſchränkung in der Klage ausgedrückt ſeyn. Nur kann dazu die bloße Er - zählung, wie das Eigenthum entſtanden ſey, nicht genügen; vielmehr muß die beſtimmte Abſicht ausgedrückt werden, die erwähnte Ausnahme herbeizuführen, wobei es jedoch gleich - gültig iſt, in welchen Ausdrücken, und an welchem Orte der Klage Dieſes geſchehen möge.

IV.

Wählt der Kläger den Weg dieſer Ausnahme, ſo ſind damit Vortheile und Nachtheile für ihn verknüpft. Der Vortheil beſteht darin, daß er ſich für den Fall der Ab - weiſung einer ſo beſchränkten Klage eine neue Klage vor - behält. Der Nachtheil iſt darin zu ſuchen, daß er nun zur Begründung der angeſtellten Klage keinen anderen, als den beſonders angegebenen Entſtehungsgrund, benutzen darf, anſtatt daß er ohne dieſe Beſchränkung nicht nur jeden517Causa adjecta s. expressa. anderen Grund, ſondern auch mehrere Gründe neben ein - ander, geltend machen könnte.

V.

Die Gegner der Ausnahme wollen durch die Verwerfung derſelben die Wirkſamkeit der exceptio rei judicatae er - weitern, alſo die Möglichkeit einer Wiederholung abge - wieſener Klagen beſchränken. Weil aber Dieſes in manchen einzelnen Fällen allzu hart ſeyn könnte, ſo fügen ſie eine Milderung hinzu, die in der Ertheilung einer Reſtitution beſtehen ſoll. Durch dieſe Reſtitution ſoll der abgewieſene Kläger die Eigenthumsklage aus einem neuen Entſtehungs - grund anſtellen können, auch wenn dazu nicht durch den beſchränkenden Vorbehalt in der erſten Klage der Grund gelegt worden iſt.

Beſchränkt man dieſe Reſtitution auf die allgemeinen Reſtitutionsgründe, z. B. Minderjährigkeit oder Betrug, ſo iſt die Aushülfe ſehr unbedeutend. Ueberläßt man ſie dagegen dem freien Ermeſſen des Richters, ſo daß eben jene Härte als Reſtitutionsgrund gelten ſoll, dann wird dadurch eine Willkühr und Rechtsunſicherheit herbeigeführt, wodurch die ſichere Wirkſamkeit der Rechtskraft weit mehr verliert, als für ſie durch die Verwerfung der Ausnahme gewonnen werden ſoll.

VI.

Ich gehe nun zur Darſtellung des Streites ſelbſt über. Bis vor etwa zwanzig Jahren wurde die Richtigkeit der518Beilage XVII. Ausnahme ſo allgemein angenommen, daß kein Zweifel darüber wahrzunehmen war(b)Noch bei Keller (1827) S. 290. 291 findet ſich keine Spur eines Zweifels.. Puchta zuerſt verſuchte es, dieſelbe mit Scharfſinn und Gelehrſamkeit zu wider - legen, und ſeit dieſer Zeit ſind die Stimmen ziemlich ge - theilt geblieben.

Als Gegner der Ausnahme ſind folgende Schriftſteller zu bemerken:

  • Puchta Rhein. Muſeum B. 2 (1828) S. 251 270, B. 3 S. 467 487. Curſus der Inſtitutionen B. 2 § 175.
  • Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 152. 422.
  • Buchka B. 1 S. 145, ſo viel das Römiſche Recht betrifft.

Als Vertheidiger der Ausnahme, alſo der früherhin allgemeinen Meinung, ſind ſeitdem folgende Schriftſteller aufgetreten:

  • Heffter Rhein. Muſeum B. 3 S. 222 238.
  • Richelmann Einfluß des Irrthums auf Verträge S. 116 118.
  • Brackenhoeft Identität der Rechtsverhältniſſe S. 116 bis 118.
  • Buchka B. 2 S. 192 nach dem heutigen Recht.
  • Wächter Württemb. Privatrecht B. 2 S. 445.

Der Reihe dieſer Vertheidiger ſchließe auch ich mit voller Ueberzeugung mich an.

Ganz vereinzelt ſteht hierin die Meinung von Kierulff519Causa adjecta s. expressa. S. 257, welcher behauptet, nach der modernen aequitas müſſe jede Klage, ſie möge eine Beſchränkung auf einen beſtimmten Entſtehungsgrund enthalten, oder nicht, den Vortheil genießen, den die Römer mit der causa expressa verbanden. Durch eine ſolche aequitas würde aller Vor - theil zerſtört ſeyn, den in dieſer Lehre die Praxis aus den Grundſätzen einer geſunden Theorie zu ziehen vermag.

VII.

In dem Streit ſelbſt ſind bisher Gründe von dreierlei Art geltend gemacht worden: Erſtlich allgemeine Be - trachtungen über das wahre Bedürfniß des Prozeßrechts; zweitens die ſonſt bekannten allgemeinen Formen des Römiſchen Prozeſſes; drittens, was das Wichtigſte iſt, der Inhalt der zwei Stellen der Digeſten, aus welchen allein die Ausnahme hergeleitet wird. Ich will mich in der eigenen Unterſuchung an dieſen von Anderen gewählten Gang anſchließen, und jede dieſer drei Klaſſen von Gründen beſonders erwägen.

VIII.

Was zuerſt das allgemeine Bedürfniß des Prozeßrechts betrifft, ſo behaupten die Gegner, die Ausnahme ſei un - zweckmäßig, und ſie enthalte eine große Härte gegen den Beklagten, den der Kläger auf dieſe Weiſe mit immer er - neuerten Klagen beunruhigen könne. Für einzelne Fälle520Beilage XVII. eines dringenden Bedürfniſſes ſey es beſſer, durch Reſti - tution zu helfen(c)Puchta Muſ. B. 2 S. 261, B. 3 S. 483 485..

Keine dieſer Behauptungen kann zugegeben werden(d)Vgl. Heffter Muſ. B. 3 S. 230. 231.. Eine Gefahr für die Ruhe des Beklagten iſt gewiß nicht vorhanden, da der Kläger die Luſt an oft wiederholten vergeblichen Klagen durch die Prozeßkoſten theuer be - zahlen müßte.

Daß für den Kläger nicht ſelten ein wichtiges und billiges Bedürfniß zu einem ſolchen Verfahren eintreten kann, wird aus der Betrachtung folgender Fälle unver - kennbar hervorgehen. Bei einer Eigenthumsklage kann der Kläger von dem Erwerb durch Tradition überzeugt ſeyn, für den Fall aber, daß der Richter denſelben nicht an - nehmen ſollte, den Erwerb durch Erſitzung nachzuweiſen vorbehalten wollen. Die gleichzeitige Verhandlung beider Erwerbungsgründe kann dadurch unzweckmäßig werden, daß der Beweis der Erſitzung ſehr umſtändlich und koſt - ſpielig ſeyn kann. Wenn ein eingeſetzter Erbe, der zu - gleich der nächſte Verwandte des Verſtorbenen iſt, die Erbrechtsklage anſtellen will, die Gültigkeit des Teſtaments aber zweifelhaft iſt, ſo kann der Kläger zwiſchen zwei verſchiedenen, einander widerſprechenden, Erbrechtsklagen wählen(e)Ein Fall ſolcher Art iſt vorausgeſetzt in L. 30 pr. de exc. rei jud. (44. 2), ſ. o. S. 459.. Hier ſcheint es natürlicher und zweckmäßiger, zunächſt eine dieſer Klagen allein durchzuführen mit Vor -521Causa adjecta s. expressa. behalt der anderen, als beide zu verbinden, indem bei dieſer Verbindung die Vertheidigung einer jeden dieſer Klagen durch die widerſprechende Vertheidigung der anderen nothwendig geſchwächt werden muß.

Die Gegner wollen für ſolche Fälle durch ſpätere Er - theilung einer Reſtitution helfen. Allein eine regelmäßige Vorſorge iſt für Fälle der oben beſchriebenen Art offenbar räthlicher und zweckmäßiger, als eine außerordentliche und willkürliche, deren Gefahren ſchon oben (Num. V.) be - merklich gemacht worden ſind, und die, je nach den zu - fälligen Anſichten des Richters, bald unbillig gewährt, bald unbillig verſagt werden kann.

IX.

Ich wende mich nun zur Betrachtung der Gründe, die aus den Formen des alten Römiſchen Prozeſſes herge - nommen ſind, an welche Formen allerdings Ulpian und Paulus (Note a) gedacht haben müſſen. Es fragt ſich alſo, wenn ein ſolcher Vorbehalt, wie ihn die hier beſtrit - tene Ausnahme vorausſetzt, gemacht werden ſollte, wie derſelbe in jene Formen eingefügt werden konnte.

Bekanntlich gab es (außer der legis actio) für die Klagen in rem zwei verſchiedene Formen: durch Sponſion, und durch petitoria formula(f)Gajus IV. § 91 95..

Daß mit der Sponſionsklage jener Vorbehalt vereinbar war, geben die Gegner ſelbſt zu. Es wird nur bezweifelt,522Beilage XVII. ob der Beklagte auf eine ſo gefaßte Sponſionsformel ſich habe einlaſſen müſſen, und es wird hinzugefügt, daß für das Juſtinianiſche Recht in jedem Fall dieſe Form als unanwendbar gedacht werden müſſe(g)Puchta Muſ. B. 2 S. 264. 265. 268. Vgl. B. 3 S. 467.. Dieſes Letzte iſt denn auch unbedenklich zuzugeben.

X.

Die Frage beſchränkt ſich daher auf den Fall der peti - toria formula, d. h. derjenigen Geſtalt der Eigenthums - klage, welche allein in den Digeſten vorkommt, und darin regelmäßig den Namen rei vindicatio führt. Wie war es möglich, hier jenen Vorbehalt einzufügen?

Er konnte vielleicht ſchon in die Intentio geſetzt werden(h)Heffter S. 234 giebt dafür eine mögliche Faſſung an.. Die Gründe, die man gegen dieſe Möglich - keit angeführt hat(i)Puchta Muſ. II. 263 267, III. 474. 477., kann ich nicht als durchgreifend anerkennen. Durch eine ſolche Faſſung, wird geſagt, habe die Klage aufgehört, eine Eigenthumsklage zu ſeyn, und ſey gewiſſermaßen eine in factum actio geworden. Allein wenn etwa die Formel: Si paret, hominem Stichum Auli Agerii esse, den Zuſatz bekommen hätte: ex causa manci - pationis, ſo war Dieſes noch immer eine reine juris civilis intentio(k)Hierauf allein kommt es an, damit eine in jus concepta in - tentio angenommen werden könne, im Gegenſatz einer in factum concepta. Gajus IV. § 45. 46.. Ferner wird geſagt, unter dieſer Voraus -523Causa adjecta s. expressa. ſetzung hätte es mehrere Arten der Faſſung einer petitoria formula geben müſſen, wovon wir doch keine Spur hätten. Dabei iſt nur zu bedenken, daß alle überhaupt vorhandenen Spuren der petitoria formula ohnehin höchſt dürftig und zufällig ſind, wodurch der eben angegebene Grund der Gegner völlig entkräftet wird.

Alſo für möglich halte ich es allerdings, daß jener Vorbehalt in die Intentio eingefügt wurde, allein nicht für wahrſcheinlich, und zwar deswegen nicht, weil die folgende Art der Einfügung viel einfacher, natürlicher, und darum wahrſcheinlicher iſt.

XI.

Eine andere Art möglicher Einfügung jenes Vorbe - halts iſt nämlich die durch eine praescriptio, und dieſe halte ich durch ihre Einfachheit und Natürlichkeit, ſo wie durch ſo manche ganz nahe liegende Analogie, für ganz unzweifelhaft.

Die Gründe, die dagegen aufgeſtellt worden ſind(l)Puchta Muſ. II. 260, III. 471., erſcheinen mir als völlig unerheblich.

Man ſagt, Präſcriptionen ſeyen nur im Fall eines dringenden, unabweislichen Bedürfniſſes gegeben worden, welches hier fehlte. Wir wiſſen jedoch kein Wort davon, wie leicht oder ſchwer die Römer es nahmen bei der Ge - ſtattung von Präſcriptionen. Daß es aber auch in unſrem524Beilage XVII. Fall an einem ernſten Bedürfniß nicht fehlte, iſt ſchon oben gezeigt worden (Num. VIII.). In einem von Gajus ange - führten Fall einer wirklich ertheilten praescriptio(m)Gajus IV. § 131 ea res agatur de fundo mancipando. iſt das dringende Bedürfniß gewiß weit weniger einleuchtend, als in unſrem Fall.

Ferner, ſagt man, ſey es ganz ungewiß, ob überhaupt bei Klagen in rem Präſcriptionen gegeben worden ſeyen. Allerdings ſind die Beiſpiele, die Gajus angiebt, nur von perſönlichen Klagen entlehnt; da er jedoch überhaupt nur zwei Beiſpiele angiebt, ſo liegt in dieſer Induction gewiß ein ſehr ſchwacher Grund gegen die Anwendung der Prä - ſcriptionen auch auf Klagen in rem.

XII.

Die Anwendung einer Präſcription auf einen Fall der hier in Frage ſtehenden Ausnahme muß in folgender Weiſe gedacht werden.

Sollte eine Eigenthumsklage beſchränkt werden auf den Erwerb des Eigenthums durch Mancipation, alſo mit dem Vorbehalt einer künftigen neuen Klage aus einer Uſucapion, ſo wurde die Präſcription hinzugefügt: ea res agatur de fundo mancipato(n)Ganz ähnlich der von Ga - jus IV. § 131 angeführten Prä - ſcription: ea res agatur de fundo mancipando. Dieſe Präſcrip - tion ſollte den Zweck einer actio emti auf die Mancipation (mit Ausſchluß der noch vorbehaltenen Tradition) beſchränken. In unſrem Fall ſoll die Begründung der Vindication auf die Mancipation.

525Causa adjecta s. expressa.

Wurde nun dieſe Klage rechtskräftig abgewieſen, und ſollte ſpäterhin eine neue Eigenthumsklage auf Uſucapion gegründet werden, ſo war auch dabei wieder eine Be - ſchränkung nöthig, ſonſt wären alle möglichen Erwerbungs - gründe geltend gemacht worden, alſo unter andern auch der rechtskräftig abgewieſene Grund der Mancipation, wodurch der Beklagte einen Anſpruch auf die Einrede der Rechts - kraft erhalten hätte. Dieſe zweite Beſchränkung konnte nun in ganz gleichartiger Weiſe, wie die erſte, ausgedrückt werden, etwa: ea res agatur de fundo usucapto.

Es war aber auch eine allgemeinere Faſſung dieſer zweiten Präſcription möglich und ausreichend, die dann auch auf Fälle anderer Art angewendet werden konnte(o)So z. B. auf den, in der Note n. angeführten, Fall bei Gajus IV. § 131, wenn ſpäterhin die actio emti auf die vacua possessio tradenda angeſtellt werden ſollte., etwa in dieſen Worten: ea res agatur de eadem re alio modo.

Dieſe letzte Form einer Präſcription kam nun in der That vor nach folgenden unzweideutigen Zeugniſſen, und in dieſen Zeugniſſen liegt daher zugleich eine wichtige ge - ſchichtliche Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptung,(n)beſchränkt werden (mit Ausſchluß der noch vorbehaltenen Begründung durch Uſucapion). Beide Prä - ſcriptionen haben den Zweck, irgend Etwas für künftige Zeit dem Klä - ger vorzubehalten. Bei der Erb - rechtsklage konnte die Präſcription etwa ſo lauten: ea res agatur de hereditate ex testamento (oder de B. P. secundum tabulas) oder: ea res agatur de legi - tima hereditate (oder de B. P. unde legitimi).526Beilage XVII. daß unter den Präſcriptionen eine Formel üblich war, die auf den Fall unſrer Ausnahme unmittelbar angewendet werden konnte.

  • Cicero ad fam. XIII. 27 (an Servius aus dem J. 707): Licet eodem exemplo saepius tibi hujus generis litteras mittam tamen non parcam operae, et, ut vos soletis in formulis, sic ego in epistolis: de eadem re alio modo.
  • Cicero de finibus V. 29 (aus dem J. 708): Quae cum Zeno didicisset a nostris, ut in actionibus praescribi solet, de eadem re egit alio modo (p)Neuerlich iſt dieſe, von Cicero zweimal angeführte, Präſcription anders gedeutet worden von Liebe Stipulation S. 173. Es ſoll näm - lich darunter verſtanden ſeyn die von Seiten des Beklagten vor - gebrachte praescriptio (eigentlich exceptio) rei judicatae, und der Zuſatz: alio modo, ſoll darauf gehen, daß nach L. 7 § 4 de exc. r. j. dieſe Exception gegen eine neue Klage vel alio genere ju - dicii gebraucht werden konnte. Ich muß dieſe Erklärung verwer - fen als gezwungen und unhaltbar. Die wenigen Stellen, in welchen die exc. r. j. den Namen prae - scriptio führt (L. 10. 11 de exc., L. 29 pr. de exc. r. j., L. 63 de re jud., L. 42 de lib. causa), ſind aus der Nachläſſigkeit des Ausdrucks zu erklären, nach welcher ja auch ſonſt die Namen prae - scriptio und exceptio willkühr - lich verwechſelt zu werden pflegen. Wäre hier wirklich die exc. rei jud. gemeint, ſo hätte wenigſtens die Formel ganz anders lauten müſſen, nämlich nach Gajus IV. § 133 etwa ſo: ea res agatur, si ea res judicata nondum sit. Der poſitive Ausdruck: de eadem re, konnte nur zu einer eigentlichen praescriptio paſſen, die pro actore aufgeſtellt wurde (Gajus IV. 130. 133). Mancher anderen Gründe gegen dieſe Erklärung nicht zu gedenken..
527Causa adjecta s. expressa.

XIII.

Nachdem die allgemeinen Gründe für und wider die Richtigkeit der Ausnahme geprüft worden ſind, ſollen nun - mehr die zwei Stellen der Digeſten erklärt werden, woraus die Ausnahme herzuleiten iſt.

  • L. 11 de exc. rei judicatae (44. 2)
    (q)Über den inneren Zuſammenhang dieſer ganzen Stelle vgl. Heffter S. 227. 228.
    (q). § 1. Denique et Celsus scribit, si hominem petiero, quem ob eam rem meum esse existimavi, quod mihi traditus ab alio est, cum is ex hereditaria causa meus esset, rursus petenti mihi obstaturam excep - tionem. § 2. Si quis autem petat, fundum suum esse, eo quod Titius eum sibi tradiderit: si postea alia ex causa petat, causa adjecta non debet summoveri exceptione.

Beide Paragraphen drücken offenbar zwei entgegengeſetzte Fälle aus, die daher auch verſchieden behandelt werden ſollen. Die Stellung des autem aber im § 2 zeigt, daß der Gegenſatz ſchon in den erſten Worten dieſes §. ange - deutet ſeyn ſoll. Folgende Paraphraſe wird den Inhalt beider Sätze zur Anſchauung bringen.

Wenn ich einen Sclaven vindicire, in der Meinung, daß ich ihn durch Tradition erworben habe, und wenn ich mit dieſer Klage abgewieſen werde, dann aber die528Beilage XVII. Entdeckung mache, daß ich in der That Eigenthum hatte, nur nicht in Folge einer Tradition, ſondern in Folge einer Beerbung, ſo wird mir die Einrede der Rechtskraft entgegen ſtehen, wenn ich deshalb von Neuem eine Vindication anſtelle. Wenn ich dagegen die erſte Vindication angeſtellt habe, nicht blos in der irrigen Vorausſetzung einer Tradition, ſondern indem ich dieſe Erwerbung als Grund der Vindication in der Klage ausdrücklich angebe (Si .. petat, fundum suum esse, eo quod Titius .. tradiderit), ſo bin ich nach abgewieſener Klage durch jene Einrede nicht gehindert, eine neue Vindication aus einem anderen Erwerbsgrund anzuſtellen, weil ich die causa nicht blos vorausgeſetzt, ſondern in der Klage ausgedrückt hatte (causa adjecta für: quia causa adjecta erat).

Puchta erklärt die Worte: causa adjecta, von einer nova oder superveniens causa, alſo von der oben aufgeführten erſten Ausnahme (Num. II), ſo daß dann die zweite Ausnahme durch dieſe Stelle keine Begründung erhalten würde(r)Puchta Muſ. II. S. 258..

Dieſer Erklärung ſtehen folgende Gründe entgegen. Nach mehreren anderen Stellen bezeichnet der Ausdruck causa adjecta vielmehr einen vom Kläger in der Klagformel gemachten Zuſatz(s)L. 1 § 2 de rei vind. (6. 1 ), Vaticana fragm. § 52. Vgl. Heffter S. 223. 227. Als Unterſtützung jener Erklärung kann nicht angeführt werden L. 3 de, alſo eine reine Thätigkeit des Klägers,529Causa adjecta s. expressa. anſtatt daß der ſpätere Erwerb ohne Wiſſen und Zuthun des Klägers eingetreten ſeyn kann, alſo durch jenen Aus - druck ſehr unpaſſend, in jedem Fall ſehr undeutlich, be - zeichnet ſeyn würde.

Ferner würden alsdann die §§ 4 und 5 eine ganz müßige, zweckloſe Wiederholung des § 2 enthalten, anſtatt daß nach der gewöhnlichen, auch von mir angenommenen, Erklärung die eine Ausnahme in dem § 2, die andere in dem § 4 ent - halten iſt, und der § 5 nur nochmals an die mutata opinio erinnert, um den Gegenſatz derſelben gegen das adquisitum postea dominium recht ſcharf hervor zu heben.

XIV.

Die zweite, von Paulus herrührende, Stelle lautet ſo:

  • L. 14 § 2 de exc. rei jud. (44. 2 ): Actiones in personam ab actionibus in rem hoc differunt, quod, cum eadem res ab eodem mihi debea - tur, singulas obligationes singulae causae sequuntur, nec ulla earum alterius petitione vitiatur: at cum in rem ago, non expressa causa, ex qua rem meam esse dico, omnes causae una petitione apprehenduntur. Neque enim amplius, quam semel, res mea esse potest: saepius autem deberi potest.

Dieſe Stelle iſt ſo zu erklären. Die Abweiſung einer(s)usurp. (41. 3 ) Usucapio est adjectio dominii per continua - tionem possessionis ; denn der fortgeſetzte Beſitz beſteht ja eben in einer ſteten Thätigkeit des Be - ſitzers.VI. 34530Beilage XVII. perſönlichen Klage hindert den Kläger nicht, auf denſelben Gegenſtand von Neuem zu klagen, wenn nur die neue Klage auf einer Obligation aus einem anderen Entſtehungs - grunde (causa) beruht; denn jeder beſondere Entſtehungs - grund bildet eine beſondere, für ſich beſtehende Obligation. Anders verhält es ſich bei den Klagen in rem, die ſtets das Recht an einem beſtimmten Gegenſtand an ſich ſelbſt, und mit allen dabei denkbaren Entſtehungsgründen, um - faſſen, ſo daß die abgewieſene Klage in rem nicht wieder - holt werden darf, auch wenn der Kläger einen anderen als den früher vorgebrachten Entſtehungsgrund geltend machen wollte. Dieſe letzte Regel leidet jedoch eine Ausnahme in dem Fall, wenn der Kläger bei der erſten Klage einen be - ſtimmten, einzelnen Entſtehungsgrund des Rechts, aus welchem allein er jetzt klagen wolle, ausgedrückt hat; in dieſem Fall hindert ihn die Abweiſung nicht, ſpäter aus einem anderen Entſtehungsgrund zu klagen.

Ich glaube nicht, daß die Einfachheit und Natürlichkeit dieſer Erklärung bezweifelt werden kann. Eine beſondere Unterſtützung derſelben finde ich aber darin, daß ſie ſo ganz mit dem Inhalt der vorhergehenden Stelle (Num. XIII. ) übereinſtimmt, während doch in beiden Stellen Ausdruck und Wendung völlig verſchieden iſt.

Die Gegner dieſer Ausnahme erklären die Worte: non expressa causa, ſo: da bei den Klagen in rem die Er - werbsart nicht vorkommt, d. h. nicht vorkommen kann ,531Causa adjecta s. expressa. oder: wegen Nichthervorhebung der Erwerbsart (t)Puchta Muſ. II. S. 269, III. S. 481; non expressa causa ſoll alſo ſo viel heißen, als: cum in his actionibus causa non exprimatur, oder exprimi non possit, non soleat. . Sie ſehen alſo in dieſen Worten nicht eine hinzugefügte Ausnahme, ſondern den Grund der Allgemeingültigkeit der Regel ſelbſt. Ich finde dieſe Erklärung nicht nur an ſich ſehr gezwungen, ſondern vorzüglich deshalb verwerflich, weil es, wenn eine ſolche Ausnahme, wie die Gegner meinen, den Römern völlig fremd war, an allem Motiv fehlte, jene Worte hinzuzufügen. Wäre die juriſtiſche Con - troverſe, in deren Mitte wir uns jetzt befinden, vor der Zeit des Paulus geführt worden, ſo konnten etwa jene Worte zur Noth hinzugefügt werden, als Warnung und Widerſpruch gegen die (von Paulus mißbilligte) Meinung. Wenn aber, wie die Gegner vorausſetzen, die Römer an eine ſolche Ausnahme niemals dachten, ſo iſt in der That kein Grund einzuſehen, weshalb Paulus die Worte: non expressa causa, beizufügen für nöthig finden konnte.

XV.

Eine wichtige Unterſtützung der hier behaupteten Aus - nahme liegt noch in der ganz ähnlichen Behandlung eines anderen, aber nahe verwandten Falles. Wenn ein Käufer die erkaufte Sache wegen Fehlerhaftigkeit zurück geben wollte, ſo konnten dabei verſchiedene Mängel in Betracht kommen; war nun die a. redhibitoria einmal zurück -532Beilage XVII. gewieſen, ſo konnte ſie nicht wegen eines angeblichen anderen Mangels wiederholt werden. Jedoch konnte ſich der Kläger dieſe Wiederholung dadurch vorbehalten, daß er die erſte Klage ausdrücklich auf einen beſtimmten, einzelnen Mangel vermittelſt einer Präſcription beſchränkte; dann ſtand, wenn die Klage abgewieſen wurde, einer neuen Klage wegen eines anderen Mangels Nichts entgegen(u)Bei der a. quanti mino - ris iſt dieſe Vorſicht nicht einmal nöthig; vielmehr kann hier die Klage wegen neuer Fehler ſtets wiederholt werden, die erſte Klage mag nun zuerkannt oder abgewie - ſen ſeyn; nur darf die Summe der einzeln zuzuſprechenden Rück - zahlungen niemals die Summe des ganzen Kaufpreiſes überſteigen. L. 31 § 16 eod. Der Grund des Unterſchiedes liegt darin, daß die redhibitoriſche Klage nur ein einfaches Object hat, die Auflöſung des Kaufes, welche nur einmal denkbar iſt. Die a. quanti mino - ris dagegen geht auf einzelne Geld - zahlungen, die neben einander beſtehen können..

  • L. 48 § 7 de aedil. ed. (21. 1). Cum redhibitoria actione de sanitate agitur, per - mittendum est, de uno vitio agere, et praedicere, ut, si quid aliud postea apparuisset, de eo iterum ageretur.

Dieſer Fall hat unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Fall verſchiedener Entſtehungsgründe des Erbrechts oder des Eigenthums. Die Natur des Bedürfniſſes iſt in beiden Fällen ganz dieſelbe; und dieſes Bedürfniß wird bei der redhibitoriſchen Klage ganz auf dieſelbe Weiſe befriedigt, wie wir es für die Klagen in rem vermittelſt unſerer Aus - nahme behaupten.

533Causa adjecta s. expressa.

XVI.

Die hier abgehandelte Streitfrage hat eine ganz neue Wendung bekommen durch die Einmiſchung einer dem Pro - zeßrecht angehörenden Frage.

Viele behaupten nämlich, nach den Reichsgeſetzen müſſe in der Eigenthumsklage (und ſo auch in anderen Klagen in rem) der beſondere Entſtehungsgrund des Eigenthums ſogleich in der Klageſchrift angegeben werden; wo dieſe Angabe fehle, ſey die Klage ſogleich angebrachtermaßen abzuweiſen(v)Gönner B. 2 S. 180 182. Bayer S. 216. Martin § 144. Borſt Archiv B. 1 N. 14 S. 174. Langenn und Kori Erörterungen N. 12. Buchka B. 2 S. 198. Wächter Hand - buch B. 2 S. 446..

Andere Prozeßlehrer verwerfen dieſe Strenge als ganz unbegründet; auch läßt ſich eine durchgreifende Regel des gemeinen Prozeſſes, unterſtützt durch eine übereinſtimmende Praxis, dafür gewiß nicht behaupten(x)Heffter Prozeß § 343 und Muſeum B. 3 S. 237. Ferner die Schriftſteller, die für dieſe Meinung bei Heffter und bei Langenn (Note v) angeführt ſind, worunter ſich gerade die an - geſehenſten Praktiker befinden.. Eben ſo iſt dieſe Behauptung dem canoniſchen Recht völlig zuwider, welches geradezu die Möglichkeit vorausſetzt, mit oder ohne die Angabe beſtimmter Entſtehungsgründe des behaupteten Rechts zu klagen(y)C. 3 de sent. in VI. (2. 14), ſ. o. § 262 S. 70..

Dieſe Streitfrage intereſſirt uns jedoch hier nur in ihrer Rückwirkung auf die ſo eben beendigte Unterſuchung534Beilage XVII. einer das materielle Recht, und zwar die Lehre von der Rechtskraft, betreffenden Frage.

Es wird nämlich von mehreren Seiten behauptet, aus jener ſtrengen Lehre des Prozeßrechts folge, daß die von uns für die Klagen in rem behauptete Ausnahme im heu - tigen Recht zur allgemeinen Negel umgewandelt worden ſey. Denn da nun jeder Kläger ſogleich in der Klage den Entſtehungsgrund ſeines Eigenthums angeben müſſe, ſo ſey jedesmal der Fall vorhanden, den unſre Ausnahme vorausſetzt, und es könne daher jede abgewieſene Eigen - thumsklage wiederholt werden, ſobald nur der Kläger einen anderen, als den früheren Entſtehungsgrund des Eigen - thums, bei der neuen Klage angebe(z)Puchta Muſ. II. S. 267. Wächter S. 445. Dieſe Meinung führt auf einem anderen Wege zu demſelben Erfolg, welchen Kierulff aus der heutigen aequitas ableitet (S. 518. 519.).

Dieſe Folgerung kann ich nun auf keine Weiſe als richtig anerkennen. Wenn der Kläger, ſo wie es jene ſtrenge Lehre fordert, den Entſtehungsgrund ſeines Eigen - thums angiebt, ſo iſt Das noch ſehr verſchieden von der bindenden Erklärung, ſich in dieſem Rechtsſtreit nur allein dieſes Grundes bedienen zu wollen, auf welche Erklärung Alles ankommt, indem damit beſtimmte Vortheile und Nachtheile verbunden ſind (Num. III. IV.). Die bloße Angabe des Entſtehungsgrundes ohne dieſe Erklärung würde etwa zu vergleichen ſeyn einer ähnlichen Erzählung der Thatſachen, die im Römiſchen Prozeß der Kläger vor535Causa adjecta s. expressa. dem Prätor vorgetragen hätte. Auch dieſe Erzählung würde keinen Einfluß auf den ferneren Gang der Sache gehabt haben, und nur die Aufnahme einer entſprechenden Stelle in die formula hätte einen ſolchen Einfluß haben können.

Ich muß daher zuerſt beſtreiten, daß nach dem heutigen gemeinen Prozeß eine Eigenthumsklage nur unter der Vorausſetzung angenommen werden dürfe, wenn darin die Angabe eines beſtimmten Entſtehungsgrundes des Eigen - thums enthalten ſey.

Geſetzt aber auch, man wollte dieſe ſtrenge Lehre des Prozeßrechts annehmen, ſo muß ich ferner beſtreiten, daß dadurch die Natur der hier unterſuchten Ausnahme umge - bildet worden ſey, und daß ſich dieſelbe aus einer bloßen Ausnahme in die nunmehr allgemein gültige Regel (ent - gegengeſetzt der Regel des Römiſchen Rechts) umgewan - delt habe.

Gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.

About this transcription

TextSystem des heutigen Römischen Rechts
Author Friedrich Carl von Savigny
Extent557 images; 120867 tokens; 11220 types; 855479 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationSystem des heutigen Römischen Rechts Sechster Band Friedrich Carl von Savigny. . XI, [1], 535 S. VeitBerlin1847.

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